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Full text of "Zeitschrift für Volkskunde"

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I 


ZEITSCHRIFT 

des 

Vereins  für  Volkskunde. 


Neue  Folge  der  Zeitschrift  für   Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft, 
begründet  von  M.  Lazarus  und  H.  Steinthal. 


Im  Auftrage  des  Vereins 

herausgegeben 
von 

Karl  Weinhold. 


Pttnfter  Jahrgang. 


1895. 


Mit  vier  Tafeln  und  mehreren  Abbildungen  im  Text. 

BERLIN. 

Verlag  von  A.  Asher  &  Co. 


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Inlialt. 
Abhandlungen. 

Seite 

Über  KrankheitsbeschwöruDgen.     Von  M.  Baiiels 1 

Seliwänke  und  Schnurren  im  islamischen  Orient.     Von  M.  Hartmann 40 

Abzählreime  aus  dem  Bergischen.    Von  0.  Schell 67 

Zwei  orientalische  Episoden  in  Voltaires  Zadig.     Von  G.  Amalfi 71 

Die  Weber-Zenze.    Eine  Tiroler  Dorffigur.    Von  M.  Rehsener 80 

Beispiele  von  Hexen-  und  Aberglauben  aus  Thüringen.    Von  M.  Lehmann-Filhes  .    .  93 

Beitrag  zur  Nixenkunde  auf  Urund  schlesischer  Sagen.    Von  K.  Weinhold 121 

Anfänge  der  Webekunst.     Von  E.  Friedel 134 

Volksrätsel  aus  Tirol.    Von  A    Renk 147 

Zu  Goethes  Schweizerlied.     Von  A.  Englert 160 

Miscellen  aus  den  Havellaudschaften.    Von  W.  Schwarte 167 

Die  alte  Jungfer.    Lebensbild  aus  dem  Stubai.    Von  P.  Greussing 171 

Die  Lambertusfeier  zu  Münster.     Von  P.  Bahlmann 174 

Volksrätsel  aus  Thüringen,     Von  K.  E.  Haase 180 

Uraltes  Kiuderspielzeug.     Von  Elisabeth  Lemke 183 

Dorfkurzweil  im  Böhmerwalde.    Von  J.  Peter 187 

KraukheitsbeschwöruDgon  des  Nordens.    Von  B.  Kahle 194 

Kinderreime  aus  Leipzig  und  Umgegend.     Von  K.  Müller 192 

Die  Widdorprozession  von  Virgen  und  Prägratten.     Von  K.  Woinhold 205 

Die  Sage  vom  Begräbnis  K.  Eriks  v.  Dänemark  auf  Cypern.     Von  H.  F.  Feilberg    .  239 
Die  voUcstümlichen  Namen  von  Kröte,   Frosch  und  Regenwurm  in  Norddcutschland. 

Von  W.  Schwartz 246 

Feen-  und  Nixenfang  nebst  Polyphems  Überlistung.    Von  L.  Frünkel 264 

Kinderreime  aus  Steiermark.     Von  A.  Schlossar 275 

Eine  Novellette  des  Vottiero.     Von  G.  Amalfi 289 

Segen  ans  Handschuhheim.    Von  0.  Heilig 293 

Dienstrecht  uud  Gewohnheiten  in  Flandern.     Von  A.  Gittee 298 

Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.     Von  R.  Wossidhj.    .    .     302.  424 

Lesefrüchte  zum  Volkslied.    Von  Erich  Schmidt 355 

Sonne,  Mond,  Sterne  als  Schöuheitssymbole.    I.     Von  Stanislaus  Präto 363 

Spruchgedichte  und  Volksbräuche  aus  der  Vorderschweiz.     Von  K.  Storck 384 

Sunäbai  Dschai.    Ein  Aschenbrödelmärchcn.     Von  K.  Klemm 390 

Volksrätsel  aus  der  Grafschaft  Ruppin.     Von  K.  E.  Haase 3'J6 

Hexen-  und  Wildererglauben  in  Steiermark.     Von  K.  Reiferer 407 

F.  A.  Reuss  Sammlungen  zur  fränkischen  Volkskunde.    Von  H.  Haupt 413 

Vom  heiligen  Uli-ich.    Von  K.  Weinhold 416 

Kleine  Mitteilungen. 

Zur  Volkskunde  Islands.     Von  Kourad  Maurer 98 

Bekleidete  Götterbilder.    Von  G.  M.  Godden 100 

Die  Jungfer  im  Bade.    Von  M.  Höfler 101 

Die  HillebiUe.     Von  R.  Andree  103.    Weinhold  327.     J.  Hoops 328 

Das  Kinderlied  von  Ninive.     Zum  Liede  vom  P.  Guardian.     Von  H.  F.  Feilberg  .    .  106 

Das  Lösen  des  Zungenbandes.    Von  L.  Wcinhold 107 

Nachrichten  aus  dem  Bereiche  der  Volkskunde 207.  -217 

Zur  süddeutschen  Namenskunde.    Von  K.  Weinhold 119 

Ein  Eulenspiegelstreich  aus  Franken.     Von  Ä.  L.  Stiefel 208 

Ein  montenegrisches  Tagelied.     Von  Fr.  S.  Krauss ',    .  210 

Portugiesischer  Volksglauben  212.     Heutiger  Volksglauben.     Von  L.  Fränkel  ....  212 

Die  grüne  Wiese.    Von  R.  Wossidlo 214 

Über  ein  schlesisches  Wiegenlied.    Von  K.  Weinhold 214 

Zu  den  Anfängen  der  Webekunst.     Von  Mason  und  Friedel 325 


IV  Inhalt. 

Seite 

Nekrologe:  H.  Pröhle  329.     L.  Tobler '. 456 

Stanislaus  Prato 330 

Die  stärksten  Dinge.     Von  A.  L.  Stiefel 448 

Abzählreime  aus  Kurpfalz.    Von  G.  Hanauer 450 

Bemerkungen  zu  einem  ostfriesischen  Martiniliede.     Von  C.  Dirksen .  451 

Lesefrüchte.     Von  K.  Weinhold  und  L.  Fränkel 452 

Untersuchungen  über  das  deutsche  Bauernhaus 456 

Bücheranzeigen. 

Ratzel,  Fr.,  Völkerkunde  I.  II.    Von  K.  W 108.  217 

Schneller,  Chr.,  Beiträge  zur  Ortsnamenkunde  Tirols.    2.  Von  Fr.  Stolz 109 

Hartland,  E,  S-,  The  legend  ot  Perseus  I 110 

Jacobs,  J.,  More  Celtie  fairy  tales 111 

Olrik,  A.,  Sakses  Oldhistorie.    Von  E.  Mogk  .    .  ■ 112 

Erk,  L.  und  Böhme,  Fr.,  Deutscher  Liederhort.     Bd.  III 112 

Beauquier,  Ch ,  Chansons  populaires  recueillies  en  Franche-Comte     Von  Ch.  Marelle  113 

Hansjacob,  H,  Schneeballen.   1 » 114 

Menöik,  F.,  Prostonärodni  hry  divadelni.    Von  A.  Brückner 114 

Zibrl,  C,  Seznani  povgr  a  zvyklostf  pohanskych  z  VIII  veku.    Von  A.  Brückner    .  115 

Adalbcrg,  S,  Liber  proverbiorum  polonicorum     Von  A.  Brückner 116 

Katalog  der  Bibliothek  der  Finnischen  Litteraturgesellsehaft 117 

Kr.ohn,  J.,  Suomen  suvun  pakanallinen  jumalaripalvelus 117 

Pischel,  R.,  Beiträge  zur  Kennhiis  der  deutschen  Zigeuner.     Von  E.  Kuhn  ....  218 

Hauffen,  A.,  Die  deutsche  Sprachinsel  Gottschee 220 

Starohrvatska  Prosvjeta.    Ztschr.  d.  archäol    Gesellschaft  in  Knin.    Von  Fr.  S.  Krauss  220 

Tyson,  E.,  A  essay  concerning  the  Pygmies  of  the,  ancients.    Now  ed.  by  V/indle  .  221 

Gander,  K.,  Niederlausitzer  Volkssagcn.     Von  K.  Weinhold 222 

Strack,  H.  L.,  Der  Blutaberglaube  in  der  Menschheit.    Von  Sohns 223.  353 

Schläger,  G.,  Studien  über  das  Tagelicd.    Von  R.  M.  Meyer 225 

Kluge,  Fr,  Deutsche  Studentensprache.     Von  E    Schmidt 225.  334 

Östnordiska  och  latinska  Medeltids  ordspräk.    I.  II 233 

Öesky  lid.     III,  6.     IV,  1.  2.     Von  A.  Brückner 234 

Zibrt,  C,  Jak  se  kdy  v  Cechäch  tancovalo.    Von  demselben 234 

Wisla    VIL    Von  demselben 236 

Weigand,  G.,  Volkslitteratur  der  Aromnucn.     Von  Jarnik '  331 

Erster  Jaliresbericht  des  Rumäuisehen  Seminars  zu  Leipzig.    Von  demselben.    .    .    .  '332 

Tales  of  the  Fairies  and  of  the  ghost  world,  collected  by  Jeremiah  Curtin  ....  332 

Le  Braz,.  A.,  La  legende  de  la  Mort  en  Basse-Bretagne 333 

Voges,  Th.,  Sagen  aus  dem  Lande  Braunschweig.    Von  K.  Weinhold 334 

Treichel,  A,  Volkslieder  und  Volksreime  aus  Westpreussen 352 

Mason,  0.  T.,  The  origins  of  invention.    Von  R.  M.  Meyer 458 

Sainenu,  Basmele  romänc.    Von  J.  U.  Jarnik 459 

The  Denham  ti-acts.    Edited  by  J.  Hardy.    Von  K.  W 462 

Zwei  altdeutsche  Rittermären.    Herausgegeben  von  Edw.  Schröder.    Von  L.  Fränkel  463 

Kohler,  J.,  Ursprung  der  Melusinensage 463 

Hans-Sachs-Forschungen.     Herausgegeben  von  Stiefel.    Von  Bolte 464 

Reiser,  Sagen  des  AUgäus 465 

Dirksen,  Volkstümliches  aus  Meiderich 466 

Louisiana  Folktales,  edit.  by  A.  Fortier 466 

Sebillot,  P.,  Legendes  et  cnriosites  des  metiers 467 

Merkens,  Was  sich  das  Volk  erzählt.    Von  L.  Fränkel 467 

Hellmann,  G.,  Meteorologische  Volksbücher.    Von  K.  W 468 

Berichtigiyigcn 468 

Auszüge    aus    den  Sitzungs-Protokollen  des  Vereins  für  Volkskunde.    Von  Max 

Roedigor 118.  237.  353 

Register 469 


über  Kranklieits-Bescliwönmgeu. 

Von  Max  Bartels. 


Vorbemerkung:  Die  iu  der  folgeiulen  Arbeit  angeführten  Beschwörungsformeln 
sind  im  Texte,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  nur  mit  der  Seitenzahl  oder  der  Numnier- 
zahl  des  Originalwerkes  versehen  worden.  Es  wurden  entlehnt:  diejenigen  der  Ost- 
preussen  aus  H.  Frischbier:  Hexeuspruch  und  Zauberhann  (Berlin  1870),  diejenigen 
der  Pommern  aus  Ulrich  Jahn:  Hexenwesen  und  Zauberei  in  Pommern  (Stettin  I8S6): 
diejenigen  dos  Voigtlandes  aus  Job.  Aug.  Ernst  Köhler:  Volksbrauch,  Aberglauben, 
Sagen  und  andere  alte  Überlieferungen  im  Vuigtlaude,  mit  Berücksichtigung  des  Orlagaus 
und  des  Pleissnerlandes  (Leipzig  18G7);  diejenigen  der  Schwaben  aus  Anton  Bir- 
linger:  Aus  Schwaben,  Sagen,  Legenden,  Aberglauben,  Sitten,  Rechtsbräuche,  Orts- 
ueckereien,  Lieder,  Kinderreime.  Neue  Sammlung.  Band  I.  (Wiesbaden  1874);  diejenigen 
der  Sachsen  in  Siebenbürgen  aus  Heinrich  von  Wlislocki:  Volksglaube  und  Volks- 
brauch  der  Siebenbürger  Sachsen  (Berlin  1893);  diejenigen  der  Magyaren  aus  Heinrich 
von  Wlislocki:  Aus  dem  Volksleben  der  Magyaren.  (München  1893);  diejenigen  der 
Zigeuner  aus  Heinrich  von  Wlislocki:  Aus  dem  inneren  Leben  der  Zigeuner 
(Berlin  1892):  diejenigen  der  Bosuiaken  aus  Leopold  Glück:  Skizzen  aus  der  Volks- 
niedicin  und  dem  medicinischen  Aberglauben  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  (iu 
M.  Hoernes:  Wissenschaftliche  Mitteilungen  aus  Bosnien  und  der  Hercegovina,  Bd.  II, 
S.  39?— 454,  Wien  1894):  diejenigen  der  Ehsten  aus  Fr.  Kreutzwald  und  H.  Neus: 
Mythische  und  magische  Lieder  der  Ehsten  (St,  Petersbui-g  1854);  diejenigen  der  Letten  aus 
J.  .\lksnis:  Materialien  zur  lettischen  Volksmedicin  (iu  Rudolf  Kobert:  Historische  Studien 
aus  dem  Pharmakologischen  Institute  der  Kaiserlichen  Universität  Dorjjat.  IV.  S.  166 — 283.) 
(Halle  a.  S.  1894);  diejenigen  der  Finnen  aus  .\.nton  Schiefner:  Kalewala,  das  National- 
Epos  der  Finnen  (Helsingfors  1852);  diejenigen  der  alten  luder  ms  Julius  (irill: 
Hundert  Lieder  des  Atharva-Veda  (Stuttgart  1889);  diejenigen  der  alten  Sumerer  aus 
Francois  Lenormant:  Die  Geheimwissenschaften  Asiens.  Die  Magie  und  Wahrsagekunst 
iler  Chaldäer  (Jena  1878);  diejenigen  der  Buru-Timorlao  und  Watuhela-Insulaner 
aus  Johann  Gerhard  Friedrich  Riedel:  De  sluik-en  kroesharige  Rassen  tuschen 
Sidebcs  en  Papua  (s'Gravenhage  188G)  und  diejenige  der  Navajo-Indianer  aus 
Washington  Matthews:  The  Mountain  chant,  a  Navajo  ceremony.  (Fifth  Annual 
Report  of  the  Bureau  of  Ethnology.    W^ashington  1887,  p.  379—467.) 

EinleituDg. 

Bei  einer  sehr  grossen  Zahl  der  Völker  unseres  Erdballs  herrscht,  wie 
wohl  allgemein  bekannt  sein  dürfte,  die  Anschauung,  dass  die  Krankheiten 
belebte  Wesen  sind.  In  menschlicher,  oder  häufiger  noch  in  dämonischer 
Gestalt,  bisweilen  auch  als  giftiges  Tier,  z.  B.  als  Schlange,  wandern  sie 
durch  das  Land,  durchziehen  die  Lüfte,  lauern  im  Walde,  an  Flüssen, 
Sümpfen  oder  Einöden,  oder  am  Meeresstrande  den  Menschen  auf  und 
suchen  sich  ihrer  zn  bemächtigen.  Aber  auch  in  die  Städte  und  Dörfer 
suchen  sie  einzudringen,  wobei  sie  sich  bisweilen  als  blinder  Passagier  auf 
irgend  einem  Fuhrwerk,  als  Partner  eines  Reiters  auf  dem  Rücken  seines 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  VoUiskunde.    1893.  1 


2  Bartels: 

Pferdes,  odei-  als  Aufhucker  auf  dem  Rücken  eines  einsamen  Wanderers 
einfinden.  Nur  wenigen  Bevorzugten  werden  sie  sichtbar;  von  der  Mehrzahl 
der  Sterblichen  können  sie  nicht  gesehen  werden.  Um  so  deutlicher  aber 
empfindet  man  iln-e  Nälie.  8ie  stürzen  sich  auf  ihr  Opfer  und  „befallen" 
es,  sie  packen  und  ergreifen  dassell)e,  sie  schütteln  es  und  werfen  es 
nieder;  sie  saugen  ihm  das  Mark  und  die  Lebenssäfte  aus,  sie  zehren  an 
ihm  und  fressen  ilnn  das  Herz  ab.  Das  alles  sind  Ausdrücke,  wie  man 
sie  täglich  noch  im  Volke  hören  kann.  Entweder  hält  der  Krankheits- 
Dämon  also  von  aussen  Inn-  den  Mensclien  umklammert,  ganz  so,  wie  wir 
einen  Gegner  fassen  würden,  um  ihn  in  unsere  Gewalt  zu  bringen,  oder 
der  Dämon  ist  in  den  Kranken  hineingefahren,  das  Innere  des  Kranken 
wird  von  ilim  in  Besitz  genommen,  der  Kranke  ist  von  dem  Dämon  besessen. 

Bei  einer  derartigen  Auffassung  der  Krankheit  ist  der  Weg  klar  vor- 
gezeichnet, welchen  die  ärztliche  Behandlung  einzuschlagen  hat.  Über- 
natürlich, wie  die  Ursache  des  Krankseins,  muss  auch  der  therapeutische 
Eingriff  sein.  Man  nniss  auf  irgend  eine  Weise  bewirken,  dass  der 
Krankheits-Dämon  sein  Opfer  wieder  frei  giebt,  und  man  muss  ihn  aus 
dem  Bereiche  des  Kranken  und  aus  der  Ortschaft  liinauszuschaffen  suchen. 
Wie  das  von  den  gemeinhin  als  Wilden  bezeichneten  Volksstämmen  ge- 
handhabt wird,  das  habe  ich  in  einem  Buche  über  die  Medicin  der  Natur- 
völker^) ausführlich  auseinandergesetzt.  Es  finden  sich  dort  allerlei 
Analogien  mit  dem,  was  die  Zauberärzte  unseres  Landvolkes  treiben.  Ich 
will  hier  auf  alle  die  absonderlichen  Manipulationen  nicht  näher  eingehen 
und  will  hier  nur  von  einer  Massnahme  sprechen,  welche  bei  fast  keiner 
derselben  zu  fehlen  pflegt,  nämlich  von  den  Beschwörungen  oder,  wie 
man  bei  uns  im  Volke  sagt,  von  den  Besprechungen.  Dieselben  werden 
niclit  innner  gesprochen;  oft  werden  sie  geflüstert  oder  gemurmelt,  oft 
auch  geschrieen,  und  bei  vielen  A'ölkern  müssen  sie  gesungen  werden, 
ähnlich  wie  die  liturgischen  Gesänge  unseres  Gottesdienstes. 

Die  Macht  des  Wortes  spielt  eine  grosse  Rolle  bei  allen  Völkern;  ihm 
müssen  sich  die  Dämonen  beugen.  Das  finden  wir  in  einer  Beschwörung 
in  dem  altindischen  Atharva-Veda  mit  klaren  Worten  ausgesprochen: 

„Die  Alaudu  ui)d  Talanu 

Zermalmen  alle  wir  durch's  Wort! 

Mit  mäeht'ger  Waffe  tot'  ich  die  AläinUi, 

Ob  sie  verbrannt,  ob  nicht,  —  sie  sind  unschädlich. 

Was  übrig,  wie  das  Abgethane,  zwing'  ich 

Dui'ch's  Wort:    kein  einz'ger  Wurm  soll  iUnig  bleiben! 

Der  Wurm,  der  in  dem  Eingeweid", 

Und  was  in  Kopf  und  Rippen  sitzt, 

Avaskavii,  Viadhvara 

Zermalmen  wir  durch  unser  Wort!"     (0.) 

1)  Ma.x  Bartels:  Dir  :\Iodicin  der  Naturvölker.  Kthnulogisclu:  lieiträsc  zur  Ur- 
geschichte der  Mcclicin.     L.  ipzii;-  1893. 


Üb(ir  Krankheits-BL>scli-w(iniiigeii.  3 

Bei  solchen  Aiiscliauiingen,  wie  sie  soeben  entwickelt  \Yunlen,  sollte 
man  glauben,  dass  die  Beschwörungsformeln  aller  Völker  im  grossen  und 
ganzen  sämtlich  über  einen  Leisten  geschlagen  wären.  Eine  eingehendere 
Beschäftigung  mit  denselben  zeigt  aber,  dass  dieses  keineswegs  der  Fall 
ist.  Man  kann  nicht  genug  staunen  über  die  Fülle  der  verschiedenen 
Formen,  unter  denen  diese  Beschwörungsformeln  auftreten.  Sicherlich 
sind  eine  grosse  Reihe  von  Jahrhunderten  nötig  gewesen,  um  diese  viel- 
fachen Variationen  herauszubilden,  und  es  ist  nicht  immer  ganz  leicht, 
den  Gresichtspunkt  richtig  zu  erfassen,  nach  dem  sie  aufgebaut  worden 
sind.  Dazu  kommt  noch,  dass  manches  nur  in  missverstandener  und  ver- 
stümmelter Form  auf  uns  gekommen  ist,  und  dass  nicht  selten  auch  nach 
dem  altbewährten  Grundsatze:  „Doppelt  reisst  nicht"  mehrere  Formeln 
mit  einander  verquickt  worden  sind. 

Solch  eine  Vielseitigkeit  der  Beschwörungsformeln  würde  nicht  not- 
wendis:  a-eworden  sein,  wenn  die  Dämonen  sich  immer  dem  einfachen,  be- 
fehlenden  Worte,  dem  „Apage,  Satanas!"  gefügt  haben  würden.  Aber 
Dämonen,  und  namentlich  diejenigen  der  Krankheiten,  sind  hartnäckige, 
widerspenstige  Gesellen,  und  da  bleibt  dann  nichts  Anderes  übrig,  als, 
wenn  sie  der  einen  Beschwörungsformel  nicht  weichen  wollen,  eine  andere 
zu  ersinnen,  und  so  fort,  bis  endlich  die  Krankheit  abgelaufen  ist.  Und 
dann  ist  die  zuletzt  angewendete  Beschwörung  natürlicherweise  das  Medica- 
mentuni  probatum;  aber  die  Vorsicht  gebietet  doch,  dass  man  auch  die 
anderen  wohl  im  Gedächtnis  bewahre.  Denn  gegen  einen  anderen  Kraiik- 
heitsdämon  kann  gerade  wiederum  eine  von    ihnen   am  wirksamsten    sein. 

Es  liegen  uns  bereits  eine  recht  erhebliche  Anzahl  von  Beschwörungs- 
formeln vor.  welche  verschiedenen  Ländern  und  Zeiten  entstammen.  Ich 
will  den  Versuch  machen,  an  einem  Teile  von  ihnen  festzustellen,  nach 
welchen  Gesichtspunkten  der  Auffassung  sie  konstruiert  worden  sind.  Sie 
sind  bekannten  Werken  entnommen,  deren  Titel,  um  endlose  Wieder- 
holungen zu  vermeiden,  in  der  Vorbemerkung  angeführt  worden  sind. 
Sie  stammen  aus  Ost-  und  Westpreuss  en,  Pommern,  dem  Voigt- 
lande und  Schwaben,  von  den  Sachsen  in  Siebenbürgen,  den 
Magyaren  und  Zigeunern,  den  Bosniaken,  den  Ehsten  und  Letten 
inul  aus  dem  alten  Heldengesauge  der  Finnen,  der  Kalewala  Dazu 
kommen  Formeln  von  den  östlichen  Inseln  des  malayischen  Archipels 
(Buru,  Timoriao-  und  Watubela-Inseln),  von  Indianern  Amerikas 
und  aus  dem  schon  erwähnten  Atharva-Veda  der  alten  Inder,  dessen 
Entstehungszeit  zwischen  1500  und  600  vor  Christo  gesetzt  wird,  und 
endlich  treten  noch  die  sumerischen  Zauberformeln  hinzu,  welche  sich 
in  der  Thontafel- Bibliothek  des  Sardanapal  gefunden  haben.  Diese 
Thontafeln  entstammen  dem  8.  vorchristlichen  Jahrhundert;  die  Texte  aber, 
welche  sich  in  der  Sprache  der  alten  Sumerer  mit  assyrischer  Inter- 
linear-Übersetzung  darauf  finden,  müssen  um  viele  Jahrhunderte  älter  sein. 

1* 


4  Bartels: 

Denn  «lamals.  als  der  König  Assurbaiihalial  sie  sammeln  Hess,  ver- 
mochte mau  schon  die  Bedeutung  von  einer  Eeihe  von  "Worten  nicht 
mehr  festzustellen. 

I.   Die  Hilfe  der  Gottheit  gegen  die  Kranklieits- Dämonen. 

Nach  dieser  Abschweifung  kommen  wir  wieder  zu  unserem  Thema 
zurück.  Vorsichtige  Gemüter  bauen  in  solchen  kritischen  Augenblicken 
nicht  auf  ihre  eigene  Kraft;  sie  rufen  die  Hilfe  der  Gottheit  an,  der  auch 
die  Dämonen  sich  beugen  müssen.  Dementsprechend  finden  wir  viele 
Beschwörungen,  welche  im  Grunde  genommen  eigentlich  Gebete  sind. 

In  Littauen  sagt  man  bei  Zahnschmerzen: 

„Gott  Vater,  Sohn  und  heiiger  Geist, 

Gebenedeite  Drei, 

0  Du,  um  den  der  Himmel  kreist, 

Den  jeder  heilig,  heilig  preist, 

Ich  bitte  Dich,  Du  Weltenherz, 

Erlöse  mich  von  jedem  Schmerz!"     (Frischb.  102.) 

Ein  Spruch  der  Ehsten  gegen  die  Gicht  endet  mit  den  Worten: 

nMöge  Du  den  Schmerz  vermindern, 
Heilge  Maria,  Sohn  und  Geist  1-     (94.) 

Gegen  Angenweh  sprechen  die  Magyaren: 

„Im  Namen  des  Vaters,  bei  der  Liebe  des  Sohnes,  der  Segen  des  heiligen 
Johannes  breite  sich  darüber  ausi  Die  Milch  der  gebenedeiten  Jimgfrau  Maria 
wasche,  wasche,  wasche  ab  dies  Leidl"     (126.) 

Bei  eiternden  Geschwüren  spricht  der  serbische  Wander- 
Zigeuner  einen  Spruch  mit  folgendem  Schluss: 

„0  süsser  Gott  im  Himmel  töte 

Den  Bösen,  welcher  in  mir 

Ist  und  mlf  mir,  o  Mohamed!"     (24.) 

Besonders  lehrreich  sind  hier  eine  Reihe  von  Beschwörungen,  wie 
sie  bei  den  Letten  gebräuchlich  sind.  Gegen  den  Schlagfluss,  den 
sogenannten  Windpfeil  heisst  es  da: 

„Hilf  Du,  gnädiger  Gott  und  Vater,  die  stiuumen  Geister  zu  pflegen  und  zu 
bewahren,  um  sie  tummeln  sich  in  dunklen  Nächten  und  hellen  Tagen  die  unreinen 
Teufel  und  Geister,  die  Knechte  des  Teufels,  welche  sich  ihm  ergeben  haben. 
Hilf  Du  selbst,  gnädiger  Gott  und  Vater,  das  Blut  aufzufrischen!  Halte  fern.  Du 
gnädiger  Gott  und  Vater,  halte  fern  die  Windpfeile  imd  Zauberinnen,  uad  die 
Bluttropfen,  die  Hexen  und  die  iu  der  Luft  Fliegenden!"     (Xo.  209.) 

Die  Letten  fordern  die  Gottheiten  auch  direkt  zum  Kampfe  gegen 
die  Dämonen  auf,  z.  B.: 

..Liebe  Mahra  (das  ist  Maria)  nimm  den  Teufel,  nimm  den  Sturmwind, 
nimm  den  bösen  Geist,  trage  ihn  auf  den  Lehmberg,  zerreisse  ihn  mit  der  eisernen 
Egge,  zerreisse  ihn  mit  der  eisernen  Rolle!  Es  bleibe  der  Mensch  bei  seiner 
ersten  Gesundheit!     Im  Xameii  Jesu  Christi  ist  er  heilig  getauft!"     (No.  33.) 


IJber  Krankheits-Beschwönmgen.  5 

Das  wii'd  bei  der  Tollwut  gesprochen.  Bei  Brandwunden  soll  wieder 
dio  Malira  helfen: 

„Ein  roter  Hahn  liiuft  ums  Feuer!  Nimm,  liebe  Mahra,  einen  Besen,  schlage 
und  spritze,  schlage  und  spritze,  damit  das  Übel  verschwinde,  wie  ein  Feuer- 
funke!"    (No.  102.) 

und  gegen  Schmerzen  in  der  Herzgegend  richtet  sich  der  Spruch: 

„Du  gnädiger  Gott  und  Vater  hilf!  Du,  Gottes  Sohn!  Liebe  Maria,  unseres 
Herrn  Jesus  Christus  Mutter,  Jungfrau  Maria!  Hilf  die  grossen  Schmerzen 
besänftigen,  zügeln  und  bewältigen,  welche  raschen  Pusses  sich  hin  und  her 
werfen  und  hin  und  her  fliegen,  welche  sich  rasch  in  den  Leib  des  Menschen,  in 
sein  Herz  geworfen  haben!  Sie  mögen  vergehen,  rein  und  ganz,  wie  die  Mondleere, 
welche    rein    vom  Monde    ist,  —  so    sollen    die  Übel    und  Schmerzen  vergehen!" 

(No.  15.) 
Die  Schwaben    wenden    sich    an    den    heiligen  Andreas,    damit    er 
ilnion  die  Gicht  verjage: 

„Ach  heüiger  Andreas  mein! 
Lass  Dich  doch  gebeten  sein: 
Treibe  aus  das  böse  Gicht, 
Das  mich  so  im  Leibe  sticht!"     (-149.) 

Bei  dem  Ohm,  einem  ei ternden  Geschwüre,  sprechen  die  Sieben- 
Inirger  Sachsen: 

„Heiüger  Blasius,  Du  frommer  Knecht! 

Thu'  mir  recht. 

Erhör  mein  Gebet, 

Treib  in  den  Wald  meinen  Ohm!"     (9.'>.) 

Derartige  Beschwörungsformeln  spricht  der  Kranke  entweder  selbst 
über  sein  Gebresten,  oder  der  Zauberarzt  spricht  sie  für  ihn,  als  ob  der 
Kranke  sie  selber  spräche.  So  spricht  bei  einer  höchst  komplizierten 
Hoilceremonie  der  Navajo  -  Indianer  in  Arizona'),  dem  sogenannten 
„Gesänge  gegen  den  Berg",  der  Medicinmann  für  die  Kranke: 

„Ragender  in  den  Bergen!  Stelle  mir  meine  Stimme  wieder  her! 

Herr  der  Berge!  Steile  all  meine  Schönheit  wieder  her! 

Junger  Mann!  Mache  alles  schönheitsvoll  vor  mir! 

Oberhaupt!  Mache  alles  schönheitsvoll  hinter  mir! 

Ich  habe  Dir  ein  Opfer  gebracht!  Mache  schönheitsvoll  meine  Worte! 

Ich  habe  ein  Rauchen  für  Dich  bereitet!  Es  ist  vollendet  in  Schönheit! 

Stelle  mir  meine  Beine  wieder  her!  Es  ist  vollendet  in  Schönheit! 

Stelle  mir  meinen  Körper  wieder  her!  Es  ist  vollendet  in  Schönheit! 

Stelle  mir  meinen  Geist  wieder  her!  Es  ist  vollendet  in  Schönheit!" 

Der  Beschwörer  tritt  aber  nicht  selten  ancli  direkt  als  ein  Fürbittender 
i'ür  den  Kranken  auf.     So  bei  den  Ehsten: 

„Klaren  Aug's  geheimer  Ordner! 
Klaren  Auges  Überwacher! 
Spring',  das  Mal  hinweg  zu  rahmen. 
Spring',  dem  grauen  Staar  zu  wehren! 


1)  Bartels,  a.  a.  0.,  178,  197  ff. 


g  Bartels: 

Kral't  cntwend'  der  Otter  Augen, 
Klarheit  aus  des  Wiesels  Anblick, 
Löschung  von  der  Braue  Kongos'), 
Heilung  für  die  Qucllend-Engel'"     (lOG.) 

In  dem  Atliarva-Yeda  heisst  es: 

„Nicht  tödte  sie  das  Oberhaupt  von  diesen, 

Verhiit',  Agni,  dass  er  entwurzelt  werde! 

Lös'  kundig  Du  die  Schlingen  der  Unholdin, 

Es  sollen  alle  Götter  Dir  willfahren!"  u.  s.  w.     (15.) 

oilor: 

„Dacavixa-),  mach  diesen  hier 
Vom  Hexentuck  der  Grahi^)  los, 
Die  seine  Glieder  hat  erfasst, 
und  führe,  Herr  der  Bäume,  ihn 
Zur  Welt  der  Lebenden  empor!     (8.) 

Niclit  solten  wird  es  ratsam  ersclieiuen,  wenn  man  sich  gleichzeitig 
die  Boiliilfe  mehrerer  Gottheiten  sichert.  Das  muss  natürlicherweise  einen 
um  so  wirksameren  Schutz  gewähren.  So  liabeu  die  Formeln  der  Sumerer 
für  gewöhnlich  mindestens  zwei  (xottheiten,  welche  sie  anrufen,  z.  B. : 

.,Das  schmerzhafte  Fieber,  das  heftige  Fieber, 

Das  Fieber,  das  dem  Menschen  hartnäckig  anhaftet, 

Das  Fieber,  das  nimmer  verlässt. 

Das  Fieber,  welches  nicht  schwindet,  das  bösartige  Fieber, 

Geist  des  Himmels,  beschwöre  es! 

Geist  der  Erde,  beschwöre  es!     (7.) 

In  einer  anderen  Formel  werden  ausser  diesen  beiden  Geistern  auch  noch 
neun  weitere  Gottheiten  angerufen. 

Bei  dem  weitverbreiteten  Animismus  niederer  Volksscliichten.  der  jedes 
Stück  der  umgebenden  Natnr  mit  einer  eigenen  Seele  versielit  und  über- 
irdische Wesen  darin  erkennt,  müssen  wir  es  auch  als  einen  Appell  an 
die  Gottheit  betrachten,  wenn  die  Beschwörungsformeln  sich  an  die  Elemente 
odrr  an  die  Gestirne,  an  Bäume  u.  s.  w.  wenden.  Die  Gestirne  erwähnt 
der  Atharva-Ved  a: 

„Die  Morgen-  und  die  Abendsonn' 

Zerstöre  strahlend  das  Gewürm, 

Die  Würmer  innen  in  der  Kuh!"     (7.) 

Bei    unserem  Volke,  spielt   bekanntlich  der  Mond  mit  seinen  Phasen  eine 

grosse  Kolle.     Im  Voigtlaude  sagt  man: 

„Mond,  Du  spitzt  Dich, 

Meine  Zähne  schwitzen  mich. 

Spitzt  Du  Dich  heut  oder  morgen 

Meine  Zähne  sollen  nicht  mehr  schwitzen!"     (^07.) 


1)  Ein  Wassergeist. 

2)  Zehnerlei  Holz. 

;'.■'  Weiblicher  Dämon. 


über  Krankheits-Bescliwörungcri.  7 

An  den  Mond  wendet  sich  auch  der  Lette  bei  Zahnschmerzen': 
„Guter  Mond,  ich  kluge  Dir, 
Zahnscliraerzen  quiUen  mich! 
Ich  bitte  Dich, 
Nimm  diese  von  N.  zu  Dir!"     (7o.) 

Die  Sterne  ruft  der  alt  indische  Zauberarzt  an: 
„Die  Lös  er,  jenes  Zwiegestirn 
Am  Himmel,  das  Beglückende, 
Das  löse  Deiner  Krankheit  Band, 
Das  untre  mit  dem  obersten! 
Wenn  der  Gestirne  Strahlen  geh'n. 
Der  Morgenröte  Strahlen  geh'n. 
Dann  geh'  von  uns,  was  irgend  schlimm, 
Und  es  vergeh'  das  Xetriya')!"     (9.) 

Der    Lette    wendet    sich    vorsichtigerweise    gleichzeitig    an    mehrere 
Gestirne.     Er  beginnt  einen  Zauberspruch  gegen  die  Rose: 

„Die  Sonne,    der  Himmel,   die  Erde,  die  Sterne,  Gottes  Sohn,  heiliger  Geist. 
Iiüf  mir,  den  Menschen  retten  und  die  Schmerzen  nehmen!"     (No.  180.) 

Auch    der    altheidnische  Blitzgott  Pehrkous    ist    in    den  lettischen 
Beschwörungsformeln  noch  in  Kraft.     So  heisst  es  bei  Bruststichen: 

,,Der  Stich  sticht,  ich  habe  Angst!  Drei  Pohrkoni  sollen  ihn  erschlagen! 
Der  Stich  sticht,  ich  habe  Angst!  Neun  Pchrkoni  sollen  ihn  erschlagen!  Der 
Stich  sticht,  ich  habe  Angst!  Dreimal  neun  Fehrkoni  sollen  ihn  erschlagen!"  (No.  S.) 
Yon  den  Elementen  sind  wir  der  Erde  bereits  begegnet,  welche  ja 
allerdings  auch  den  Gestirnen  hinzugerechnet  werden  könnte.  Die  über- 
natürliche Hilfe  der  Luft,  d.  h.  des  Windes  wird  ebenfalls  von  den  Letten 
angerufen  und  zwar  bei  Verrenkungen: 

„Möge  die  Mutter  Laima-),  die  Mutter  des  Windes,  die  Göttin  der  Meere  und 
die  heilige  Mahrii.ia  helfen,  einrichten,  einzupassen  und  zu  heilen!"     (Xo.  142.) 
Das  klingt  auch  noch  nacli  in  einem  Spruch  aus  Ostpreussen: 
„Mundfaul",  walfischgelber  Zahn! 
Ein  kühler  Wind,  der  weht  Dich  an, 
Du  magst  sein  weiss  oder  rot, 
So  musst  Du  sein  in  dreien  Tagen  tot!"     (90.) 

Audi  folgende  Formel  der  Sachsen  in  Siebenbürgen  gemalmt  hieran: 
„Leb'  wohl,  Flechte! 
Reich'  mir  die  Rechte, 
Reich'  sie  zum  Abschied, 
Geh',  wohin  der  Wind  zieht!"     (90.) 

Das  Wasser  wird  in  dem  Atharva-Veda  bescliworen: 
„Die  Wasser  sind  so  heilsam  ja. 
Die  Wasser  scheuchen  Krankheit  fort. 
Die  Wasser  heilen  jedes  Ding, 
Die  seien  seine  Arzenei!"     (14-) 

1)  Wahrscheinlich  i'in  augeborenes  orgaiiisclies  Leiden. 

2)  Die  Göttin  des  Glücks. 


8  Bartels: 

An  das  Feuer  wendet  sich  ein  lettischer  Spruch  bei  Yer- 
breunungeu: 

„Mutter  des  Feuers,  Jungfrau  mit  dem  goldenen  Wamras.  mit  dem  kupfernen 
Besen  in  der  Hand!  Schlage  luid  spritze!  schlage  und  spritze!  damit  das  Übel 
verschwinde,  wie  ein  Peuerfunke!"     (No.  104.) 

oder: 

„Ach  Feuergott!  Ach  Feuergott!  Rette  dieses  Kind  von  den  unglücldiclien 
Wunden!"     (No   106.) 

Au  die  Bäume  sind  viele  deutsche  Sprüche  gerichtet,  und  natiirliclHU'- 
weiso  sind  damit  eigentlich  die  G-ottheiteu  gemeint,  welclu^  die  Häiune 
bewohnen,  z.B.  sagt  man  in  Pommern: 

„Apfelbaum,  ich  klage  Dich, 

Die  siebenundsiebzigerJei  Gichten  die  ])higen  mich! 

Nimm  Du  sie  mir  ab, 

Nimm  Du  sie  mir  ab, 

Bis  au  mein  kühles  Grab!"     (98.) 

Älnilich  heisst  es  in  Schwaben: 

„Nussbaum,  ich  komme  zu  Dir! 

Nimm  eines  von  den  siebenundsiebzigerlci  Fiebern  von  mir! 

Dabei  will  ich  verbleiben  u.  s.  w."     (447.) 

Es  zeugt  aber  von  wenig  Ehrfureld.  vor  diesen  Naturgeisterii ,  wenn 
die  Siehenbürger  Sachsen  sagen: 

„Hollunder-Strauch,  Du  elender  Hund! 
Mein  Kind  hat  die  Schol')  am  Mund, 
Nimmst  Du  sie  ihm  bis  morgen  nicht  weg, 
So  verreck!     Im  Namen"  u.  s.  w.     (102.) 

Verständiger  ist  es  nun  allerdings,  sich  mit  der  Gottheit  gut  zu  stellen, 
seine  Sünden  zu  bekennen,  die  Macht  der  Ki'aukheits-Dänionen  als  eiiu:' 
wohlverdiente  Strafe  der  begangenen  Sünden  anzusehen  und  Busse  zu 
thun.  Dann  ist  um  so  eher  auf  die  göttliche  Hilfe  zu  rechnen.  Eine 
sumerische  Thontafel  lautet: 

„Entscheide  das  Los  dieses  Menschen,  offenbare,  was  seiner  wartet,  bestinune 

sein  Schicksal! 
Du  leitest  in  Deinem  Laufe  das  Menschengeschlecht! 
Lass    über  ihm   leuchten   einen  friedlichen  Strahl,  der  ilui  befreie  von  seinen 

Leiden! 
Der  Mensch,    Sohn    seines  Gottes,    hat    seine  Sünde    und  Missethat    vor  Dir 

bekannt: 
Seine  Hände  und  Füsse  verursachen  ihm  heftigen  Schmerz,    seine  Krankheit 

verunreinigt  ihn  schrecklich! 
Auf  Deinen  Befehl  sei  seine  Sünde  vergeben,  seine  Missethat  vergessen! 
Dass  ihn  sein  Ungemach  verlasse,  dass  er  von  seiner  Kränkelt  genese!" 

(60.) 


1)  Blaseu. 


irber  Krankheits-Beschwörungen.  9 

Noch  weiter  demütigt  sicli  der  Bittende,  wenn  er  sogar  das  Lob  der 
Kranklieit  singt,  wie  in  einer  Beschwörung  der  E  listen: 

„Gichtergegurre,  Stechergesurre, 
Peinigerplage,  Nagender  Genage! 
Selber  an  den  Knien  erkranket. 
An  dem  Schulterblatt  gebrechlich. 
Unter'm  Kniebug  aufgeschwollen! 
Wie  so  selig,  wert  des  Preises, 
Wem  hier,  in  des  Elends  Thale 
Leiden  als  Geschenk  verlieh'n  sind. 
Wer  zum  Schmerz  ward  angeworben 
Ward  für  lange  Pein  gebunden!'' 

Aber    dieser    glückselige  Dulder    schliesst    dann    doch   seine  Bescliwörnng 
mit  dem  (lebete: 

„Möge  Du  den  Schmerz  vermindern. 

HeiFge  Maria,  Sohn  und  Geist!"     (94.) 

Nicht  selten  wird  in  der  Beschwörung  die  Gottheit  daran  erinneit, 
dass  sie  Opfer  erhalten  habe,  wie  wir  das  bereits  oben  in  dem  (!(d)ete 
ik's  Navajö-jMedieinmannes  gesehen  haben;  oder  es  werden  ihr  OiifergabtMi 
in  Aussicht  g(>stellt.     Das  belegt  eine  Stelle  im  Atharva-Veda: 

„Du  woll'st,  0  Agni,  diesen  Mann  mir  lösen. 
Der,  ganz  und  gar  gefesselt.  Wirres  redet! 
Er  wird  hernach  Dich,  wahrlich,  nicht  verkürzen. 
Wenn  er  vom  Wahnsinn  ist  befreit!"     (21.) 

In    einer    Beschwörungsformel    der    Zigeuner,    in    welcln-r    von    der 

i'jlster  die  Rede  ist,  heisst  es: 

„Des  Mannes  Verstand  Zwei  schöne'  spanische  Fliegen. 

Schicke  (zurück)  in  (sein)  Herz:  Zweier  Hunde  Zähne. 

Vertreib'  Du  den  Nebel,  Zwei  schöne  Frösche. 

(Deines)  Vaters  Nebel!  Und  in  sechs  Tagen 

Dem  Bösen  ich  gebe.  Aus  dem  Menschen 

(Seinen)  zwei  Köpfen  ich  gebe.  Den  Nebel  sollen  sie  vertreiben!"     (li.) 

Bitte  um  Hilfe  wird  auch  dadurch  motiviert,  dass  die  Gottheit  ja  auch 
anderen  geholfen  habe.     So  sprechen  die  Siebenbürger  Sachsen: 

„N.  N.  hat  ein  grosses  Kreuz: 

Würmer  fressen  ihm  Blut  und  Seh  weiss! 

0.  Du  lieber  Jesus  Christ, 

Der  Du  im  Himmel  bist! 

Hast  dem  Lazarus  geholfen  im  Leid, 

Sei  dem  N.  N.  zur  Hilfe  bereit!"     (lOß.) 

Aber  bescheidene  Leute  wollen  die  Gottheit  auch  nicht  unnütz  be- 
mühen. Sie  erbitten  nur  die  Spendung  einer  geheiligten  Waffe;  dann 
wollen  sie  den  Kampf  mit  den  Krankheits-Dämouen  schon  selber  auf- 
nehmen. Li  der  Kalewala  der  Finnen  findet  sich  eine  hierher  gehörige 
Stelle: 


10  Bartels: 

.,Ukko")  Du,  0  Gott  dort  oben,  Dieses  Siechtum  zu  vertreiben! 

Höchster,  auf  den  Wolken  oben,  Bringe  mir  ein  Schwert  voll  Feuer! 

Komm'  herbei,  Du  bist  von  Nöten!  Bring'  mir  eine  Feuerklinge! 

Eile  her,  da  man  Dich  bittet,  Dass  die  Bösen  ich  bezwingen. 

Diese  Qualen  wahrzunehmen.  Ich  die  garst'gen  bannen  könne, 

Dieses  Unheil  abzuwehren,  Auf  des  Windes  Bahn  die  Schmerzen 

Dieses  Übe!  zu  verscheuchen.  Auf  das  weite  Feld  die  Qualen!"      (263.) 

Solche  göttliche  Waffe  behauptet  der  Beschwover  im  Atliarva-Veda 
bereits  zu  besitzen: 

.,Der  grosse  Stein,  den  Indra  hat, 
Der  jeden  Wurm  zerquetschende, 
Damit  zerstampf  die  Würmer  ich, 
Wie  mit  dem  Stein  man  Körner  mahlt! 
Den  Sichtbar'n  und  den  Unsichtbar'n 
Zerquetsch  ich,  den  Kuriiru  auch!"     (fl.) 

Als  eine  Waffe,  welche  von  der  Gottheit  verliehen  ist,  niiissen  wir 
auch  das  Medicament  betrachten,  und  ein  Vers  des  Atliarvn-Yeda  ^iebt 
iiiorfür  einen  deutlichen  Beleg: 

„Den  Göttern  und  Brahmanen  ward's, 
Wie  man  Dich,  Holz,  zusammenlegt, 
Die  Götter  all'  ersah'n,  wie  man 
Zur  Erde  Dich  zusammenlegt! 
Der  es  gemacht,  der  stelle  her! 
Der  ist  der  allerbeste  Arzt!"     («.) 

Es  scheint  aber,  dass  noch  eine  besondere  Segnung  darüber  gosjn'ocliiMi 
W('r(]en  nuiss,  die  seine  Tugenden  scliildert.  Auch  solciie  Stellen  finden 
sich   im  A th arva-A'oda,: 

„Der  Du  der  Bergeshöh'  cntsprosst, 
Du  Kräftigster  der  Pflanzenwelt, 
Geh',  Kustha-),  Takman')-Tilger,  Du, 
Den  Takman  tilge  weg  von  hier! 
Vom  Berg,  der  Adler  Brutstatt,  stammst. 
Vom  Schneegebirge  kommst  Du  her, 
Mit  Schätzen  sucht  Dich,  wer's  gehört, 
Man  weiss,  dass  Du  den  Takman  tilgst! 
Du  bist  von  göttlichem  Geschlecht 
Und  bist  Soma's  Geselle  traut. 
So  thu  dem  Lebenshauch  in  mir 
Und  diesem  meinem  .4uge  wohl! 

Drum  alles  Siechtum  lass  vergeh'n 
Und  nimm  dem  Takman  seine  Kiaft! 
Kopfschmerz,  Verlust  des  Augenlichls. 
Verletzung  eines  Körperteils  — 

1)  Der  Doiuicrgott. 

2)  Oostus  s)iccit)sus  oilor  iirabii/us. 

3)  Fieber. 


über  Krankheits-Beschwiirmigeii.  11 

Der  Kustha  heilt  von  alledem, 

Ein  göttlich,  kräftig  Mittel,  traun  I 

Den  Mann,  Kustha,  den  ich  hier  hab'. 

Den  stelle  her,  den  bring  zurecht, 

Den  mache  Du  mir  ganz  gesund!"     ('.).     IC) 

Das  Lob  des  Medikamentes  preist  auch  der  Siobenbiirgev  Sachso. 
Eine  seiner  Bescliwörnngeu  gegen  Olirenschmerz  lautet: 

„Christus  fuhr  über  das  Meer, 
Da  kam  der  Sturm  daher; 
Dich,  Kraut,  steckte  er  ins  Ohr 
Und  war  unversehrt!'"     (100.) 

Der  Atliarva-Veda  riilunt  ein  iMittel,  weil  es  von  der  Grazelle  ge- 
tragen wird,  welche  die  Krankheit  gleich  verfolgt,  und  ein  anderes,  weil 
es  die  o-egenteiligen  Eigenschaften  besitzt,  als  die  Krankheit  sie  hervorruft: 

„Die  hurtige  Gazelle  trägt 

Ein  heilsam  Mittel  auf  dem  Haupt, 

Treibt  mit  dem  Hörn  das  Xetriya') 

Nach  allen  Seiten  von  Dir  aus. 

Auf  seinen  Vieren  folgt  er  Dir, 

Der  kräftige  Gazellenbock; 

Lös'  auf,  o  Hörn,  das  Xetriya, 

Damit  sein  Hörn  durchfloehten  ist! 

Es  gleicht,  was  von  dort  oben  glänzt, 

Dem  Dach,  das  auf  vier  Pfosten  ruht; 

Wir  treiben  alles  Xetriya 

Dir  damit  aus  den  (gliedern  aus!"     (8.) 

Die  andere  Beschwörung,  welche  gegen  den  Aussatz  gerichtet  ist,  hat 
folgenden  Wortlaut,  wobei  daran  erinnert  sein  möge,  dass  eine  besonders 
nuffallendi^  Erscheinung,  welche  der  Aussatz  hervorruft,  in  dem  Auftreten 
grauer  oder  ganz  weisser  Flecken  in  der  Haut  bestellt: 

„Bei  Xacht  bist  Du  hervorgesprosst, 

Kohlrabenschwarze  Pflanze  Du! 

So  färbe  hier,  Nachtfarbige! 

Was  Aussatzmal  und  grauer  Fleck! 

Die  Aussatzmäler  lass  vergehn. 

Das  Graue  und  das  Schreckliche! 

Nimm  in  Dich  seine  Farbe  auf, 

Verfliegen  lass  das  Weissliche! 

Schwarz  ist  ja  Deine  Lagerstatt, 

Schwarz  ist  der  Grund,  darauf  Du  stehst. 

Die  Schwarze  bist  Du,  Pflanze,  ja: 

So  lass  vergehen,  was  schrecklich  hier!'"     (li).) 

Manche  Beschwörer  begnügten  sich  nicht  damit,  die  Gottheit  im 
nilgemeinen  um  die  Vertreibung  und  Unschädlichmaehnng  iler  Krankheits- 
Dämoneu    anzuoehen,    sondern   sie   flehten   die  (iottlirit  aiu-li  an,    dass  sie 


1)  Ein  augoborc-nes  orgaiiischo.s  Ijpiileu. 


12 


Bartels: 


die     angerichteten     Beschädigungen    wiederherstelle     und     der    grösseren 


Sicherheit   wegen   zählten   sie   diese   Schäden  ganz    ausführlich    auf. 

ist    am    klarsten 

Kalewala: 


ausgesprochen    bei    den     Finnen.      Es     heisst    in 


Das 

der 


.Schlankgewachs'ne  Ader-Göttin, 
Suonetar,  Du  Ader-Jungfrau, 
Schöne  Spinnerin  der  Adern, 
Mit  dem  schlanken  Spindelholze, 
Mit  dem  kupferreichen  Wirtel, 
Mit  dem  eisenreiclien  Kade, 
Komm"  herbei!     Du  bist  von  Nöten! 
Komm'  herbei!     Du  wirst  gerafen! 
In  dem  Arm  das  Aderbündel, 
Auf  dem  Schoss  das  Häutebündel, 
Um  die  Adern  fest  zu  binden, 
Ihre  Enden  festzuknüpfen, 
Bei  den  Wunden,  die  noch  offen, 
Bei  den  aufgeriss'nen  Löchern! 
Sollte  das  genug  nicht  scheinen, 
Giebt  es  oben  in  den  Lüften, 
In  dem  Rupferbrot  ein  Mädchen, 
In  dem  rotgestrichnen  Nachen! 
Komm",  o  Jungfrau,  aus  den  Lüften. 
Mädchen,  von  des  Himmels  Nabel! 
Rudre  durch  die  Adern,  Mädchen! 
Fahre  heftig  durcli  die  Glieder! 
Rudre  durch  der  Knochen  Höhlung, 
Mitten  durch  der  Glieder  Spalten! 
Leg'  die  Adern  an  die  Stelle, 
Bringe  sie  in  ihre  Lage, 
Stopfe  Du  die  grossen  Adern, 
Bring'  die  Pulse  an  einander, 
Dann  vereinige  die  Sehnen, 
Und  der  kleinen  Adern  Enden! 
Nimm  Dir  eine  weiche  Nadel, 


Einen  Seidenfaden  drinnen! 

Nähe  mit  der  weichen  Nadel, 

Stopfe  mit  der  Ziunesnadel, 

Knüpf"  die  Spitzen  von  den  Adern, 

Bind'  sie  mit  dem  Seidenfaden! 

Sollte  das  genug  nicht  scheinen, 

Selbst,  0  Gott,  Du  Offenkuud'ger," 

Schirre  Deine  raschen  Füllen, 

Rüste  Deine  raschen  Renner, 

Fahre  her  im  bunten  Schlitten. 

Durch  die  Knochen,  durch  die  Glieder, 

Durch  das  Fleisch,  das  sich  beweget, 

Pahi'e  rauschend  durch  die  Adern, 

Bind'  das  Fleisch  fest  an  die  Knochen, 

Bind'  die  Adern  an  die  Adern, 

Senke  Silber  in  die  Fugen, 

Gold  Du  in  die  Aderspalten! 

Wo  die  Haut  entzweigegangen, 

Dort  lass  neue  Haut  entstehen! 

Wo  die  Adern  durchgerissen, 

Binde  Du  sie  fest  zusammen! 

Wo  das  Blut  davongeflossen, 

Dort  lass  neues  Blut  Du  iliessen! 

Wo  die  Knochen  sich  zerschlagen, 

Dort  lass  neue  Knochen  wachsen! 

Wo  das  Fleisch  sieh  abgelöset. 

Binde  fest  das  Fleisch  zusammen. 

Banne  es  an  seine  Stelle, 

Setze  es  in  seine  Lage, 

Bein  an  Bein  und  Fleisch  zum  Fleische, 

Füge  Glieder  an  die  Glieder!"    (TS.    Id.) 


Vielleicht  haben  wir  einen  Änldaug  au  die  in  dieser  langen  Zauber- 
formel erwähnte  Ader-Jungfrau  in  folgender  Beschwörung  der  Letten  zu 
finden: 

„Hinter  dem  Jordan fluss  sind  drei  dichtbelaubte  Linden:  jede  Linde  hat 
neun  Zweige,  jeder  Zweig  neun  Jungfrauen:  sie  vernähen  dort,  sie  verstricken 
dort,  wie  unser  Heiland  vernäht  und  verstrickt  die  Blutadern!    Blut,  bleibe  ruhig. 

(No.  -100.) 

Auch   die   heilige    Jungfrau    tritt    bei    den    Letten    als    Näherin    der 

Adern  auf: 

^Die  heilige  Maria,  Gottes  Mutter,  sitzend  auf  weissem  Meer,  hält  in  der 
Hand  eine  Nadel  mit  weissem  Seidenfaden,  näht  alle  Adern  zusammen!-    (No.  87.) 


Ober  Krankheits-Beschwörimgen. 


13 


Es  möge  liier  sogleich  eine  der  finnischen  ähnliche  Beschwörung 
aus  dem  Atharva-Veda  folgen: 

Es  schliesse  sich  das  Mark  zum  Mark, 
Die  Haut  verwachse  mit  der  Haut! 
Zusammengeh'  Dein  Blut,  Dein  Bein! 
Das  Fleisch  verheile  mit  dem  Fleisch, 
Das  Haar  dem  Haare  füge  an. 
Die  Haut  füg'  wieder  zu  der  Haut, 
Zusammengeh"  Dein  Blut,  Dein  Bein! 
Verein'ge,  Pflanze,  was  zerriss!"     (IS.) 

Wem  fiele  bei  diesen  Versen  nicht  die  bekannte  Zauberformel  von 
Vol  und  Wodan  aus  einer  Merseburger  Handschrift  des  10.  Jahrhunderts 
ein,  welche  den  Lesern  niemals  erspart  zu  werden  pflegt,  wo  von  Be- 
s  chwiiruugen  die  Kede  ist.     Ich  muss  sie  auch  hier  anführen: 


„Was  Dir  zerrissen,  was  geknickt 
An  Knochen  Dir  im  Leibe  ist. 
Das  richte  Dhätar  glücklich  ein. 
Und  füg'  zusammen  Ghed  an  Glied! 
Das  Mark  verbinde  sich  mit  Mark, 
Mit  dem  Gelenke  Dein  Gelenk! 
Es  wachse  Dein  verfallnes  Flcisrh 
Zusammen  und  der  Knochen  auch! 


Vol  und  Wodan 
Fuhren  zu  Holze, 
Da  ward  Balders  Fohlen 
Sein  Fuss  verrenket. 
Da  besang  ihn  Sinthgunt, 
Sonne  ihre  Schwester; 
Da  besang  ihn  Frua, 
Volla  ihre  Schwester: 
Da  besang  ihn  Wodan. 

Vergleichen   wir   hiermit   eine    in 
Beschwörung  der  Ehsten: 
„Jesus  ging  dahin  zur  Kirche, 
Mit  dem  Rotross,  mit  dem  Eappen, 
Mit  dem  Lachsschwarzraohrenköpfgen, 
Mit  dem  Fischfarbmäusefahlen. 
Da  verrenkte  das  Pferd  den  Fuss. 
Nieder  bei  dem  Rade  Jesus, 
Zu  besprechen  des  Pferdes  Fuss: 
Hier  ist  ein  Gelenk  verrenket. 


Der  es  wohl  vermochte: 
So  die  Beinverrenkung, 
So  die  Blutverrenkung, 
So  die  Gliederverrenkung, 
Bein  zu  Beine, 
Blut  zu  Blute, 
Glied  zu  Gliedern, 
Als  ob  sie  geleimt  wäien!" 

nudireren  Variauten    vorkoniuiiMide 


Hier  die  Sehn'  übergesprungen. 
Hier  ein  Sprungbein  aüsgestemrael! 
Geh'  Gelenk  an  Gelenk  hinwieder. 
Gehe  Sehn'  an  Sehn'  hinwieder, 
Gehe  Sprung  an  Sprung  hinwieder. 
Gehe  Bein  an  Bein  hinwieder. 
Gehe  Fleisch  an  Fleisch  hinwieder! 
Streiche  Nass  darauf  Maria!"     (97.) 


Bei  den  Siebeubürger  Sachsen  werden  die  Verrenkungen  folgender- 
nuissen  besprochen : 

„Christus,  der  Herr  und  der  heilige  Matthias 

Kamen  mit  einander  über  die  Brück'; 

Brach  das  Bein  des  heiligen  Matthias  in  Stück'. 

Was  thut  Deinem  Bein  so  weh? 

Mein  Bein  ist  krank,  ich  bin  lahm! 

Nimm  Schmer  und  Salz, 

Schmier'  Dein  Gebein. 

Schmier'  Deine  Adern! 

Bein  an  Bein', 

Ader  an  Ader! 

Fleisch  an  Fleisch! 

So  soll's  sein,  wie  Christus,  der  Hcit, 

Es  haben  will,  Amen!"     (10-1.) 


14  Baitels: 

Die  Magyareu  sageu  iu  solchem  Falle: 

^Machte  sich  auf  den  Weg  der  kleine  Jesus  auf  seinem  Esel,  auf  seines 
Esels  Rücken,  auf  steinerner  Brücke;  verrenkte  sich  den  Fuss  sein  Esel:  kam 
hinzu  Ficze-patcr,  las  darauf,  blies  es  an  mit  seinem  heiligen  Munde,  streichelte 
es  mit  seiner  heiligen  Hand.  Bein  an  Bein!  Fleisch  an  Fleischl  Blut  an  Blutl 
Dann  aber  werde  es  so,  wie  es  war!"     (147.) 

Ganz  vei-stümmelt  hat  sich  endlich  die  Formel  auch  uoch  in  West- 
preussen  erhalten: 

.,Ich  rate  Dir  vor  Verrenkt, 
Streich'  Ader  mit  Ader, 
Streich'  Blut  mit  Blut. 

Streich"  Knochen  mit  Knochen!"     (Frischb.  92.) 
oder : 

„Unser  Herr  Jesus  Christus  kam  geritten  nach  Jerusalem;  sein  Ross 
stiess  wider  einen  Stein  und  der  Puss  des  Pferdes  war  verrenkt.  Bein  soll  wieder 
werden  Bein,  Ader  zu  Ader,  im  Namen  Gottes!"     (93.) 

Uänzlich  eingeschrumpft  ist  die  Zaiiberformel  bei  den  Letten: 

Knöchleiii  zu  Knöchlein! 
Sehne  zur  Sehne! 
Splitter  zum  Splitter! 
Faser  zur  Faser!"'     (No.  137.) 
oder: 

,,Knöchlein  zum  Knöchlein! 

Weichteile  zu  Wcichteilen! 

Sehne  zur  Sehne! 

Rotes  Blut  mitten  durch!"     (Xo.  138.) 

Wir  sehen,  dass  auch  Iner  bei  den  Beschwörungen  die  alten  heid- 
nischen Gottheiten  von  Christus  und  seinen  Heiligen  siegreich  aus  dem 
Felde  geschlagen  sind.  Wir  sehen  aber  ferner  auch,  wie  aus  langen, 
komjilizierten  Formeln  allniählicli  ganz  kurze  und  kaum  noch  verständliche 
Sprüche  werden. 

II.   Die  €apititlation  mit  deu  Kraiiklieits-Dänionen. 

Wir  haben  iu  den  bisherigen  Zauberformeln  gesehen,  wie  der  Mensch 
immer  die  Gottheit  für  sich  in  den  Kampf  mit  deu  Krankheits-Dämoneu 
schickte,  und  somit  war  der  Kampf,  den  er  mit  ihnen  führte,  doch  immer 
nur  ein  indirekter.  Man  wälzte  auf  die  Gottheit  die  gefährliche  Sorge, 
sich  mit  den  Dämonen  abzufinden.  Xun  fehlt  es  aber  auch  nicht  an 
Leuten,  welche  sich  selbst  vor  den  Teufeln  nicht  fürchten  und  es  mutig 
unternehmen,  ihnen  direkt  auf  den  Leib  zu  rücken.  Bei  so  gefährlichen 
Gegnern  aber,  wie  es  die  Krankheits-Dämonen  sind,  ist  es  docdi  geraten, 
vorsichtig  und  behutsam  zu  Werke  zu  gehen  und  nicht  durch  unbedachte 
Übereilung  alles  auf  das  Spiel  zu  setzen.  Mit  Höflichkeit  kommt  mau 
durch    die  Welt,    ujul    so    soll  man   es   auch   bei  diesen  bösen  Geistern  in 


i'her  Kraiililioits-Bcsclnviirimgen.  '15 

erster  Liiiio  mit  Höflichkeit  versuchen.  Auf  den  Watubela-Inselii  im 
malayischen  Archipel  redet  mau  die  Kranklieit  mit  „Herr"  au;  auf 
dem  nahen  Buru  sagt  mau  sogar  „Herr  Grossvater  Pocken".  Aber 
aucli  bei  uns  betitelt  man  bestimmte  besonders  hartnäckige  oder  gefährliche 
Ivranklieiteu  mit  besonders  ehrenvollen  Namen.  So  nennt  man  die  Rose 
aucli  woiil  „das  heilige  Ding"  oder  „das  heilige  Werk  ",  oder  kni'zweg 
„das  Heilige".  Auch  Sanct  Johannis-Feuer  oder  Sanct  Antonius- 
Feuer  wird  sie  genannt.  Die  Epilepsie  nennt  man  in  Preussen  „das 
Höchste".  Die  Letten  l)ezeichuen  einen  akuten  Bläschenaussclilag, 
ein  Eczem,  wie  wir  Ärzte  sagen,  als  „die  heiligen  Jungfrauen". 

Von  dem  gleichen  Gesichtspunkte  aus  pflegt  man  in  Indien  den  Tiger, 
der  in  den  Augen  der  Eingeborenen  natürlicherweise  auch  ein  Dämon  der 
Vernichtung  ist,  nicht  bei  seinem  rechten  Namen,  sondern  mit  dem 
Schineichelnameu  „Grossvater"  zu  nennen,  und  eine  Beschwörung  der 
Schlange  bei  den  Letten  lautet: 

„Die  ehrliche,  gniidige  Frau  schläft  am  Wegrande  auf  dem  Sande,  der  Mund 
ist  voll  mit  Wolle;  die  ehrliche  gnädige  Frau  schläft  im  Sumpfe  auf  einem  Erd- 
liiigel,  der  Mund  ist  voll  mit  Wolle;  die  ehrliche,  gnädige  Frau  schläft  im  Walde 
unter  der  Wurzel,  der  Mund  ist  voll  mit  Wolle!"     (No.  128.) 

Gut  ist  es  überiiaupt,  den  Krankheits-Dämonen  zu  schmeicheln: 

„Ihr  kleine  Leut', 

Ihr  liebe  Leut' 

Alle  die  Ihr  .seid"     (75.) 

beginnt  eine  Beschwörungsformel  in  Preussen  gegen  „die  kleinen 
Jjeute",  eine  Füi'm  der  Kopfsciimerzen.  In  einem  Zauberspruche  gegen 
eine  als  „Scliuss  des  Kudra"  auftretende  Krankheit,  die  wir  uns  wohl 
unserem  Hexenschuss  ähnlich  zu  denken  haben,  heisst  es  in  dem 
Atharva-Veda: 

„Ehr'  sei  Dir,  Rudra')!  wenn  Du  schiesst! 
Ehr'  sei  dem  angelegten  Pfeil, 
Dem  abgeschossenen  Pfeil  sei  Ehr', 
Und  Ehre  auch  dem  Treffenden!"     (14.) 

Hat  man  sich  nun  mit  den  Dämonen  gut  gestellt,  dann  soll  man  ihnen 
höflich  und  freundlich  zureden,  dass  sie  doch  lieber  fortziehen  möchten. 

„0  Ki-ankheit  ziehe  von  hier  fort!  Kehre  zurück!  Was  thust  Du  hier  in 
diesem  armen  Lande?" 

sagt  man  auf  den  Timorlao-Inst^n. 

Bei  den  Letten  schliesst  ein  Spruch  gegen  die  als  „die  heiligen 
J  u n g f r a u en "  bezeichnete  Au  s s chlags  k r a n k  h  e i  t : 

„Ihr  Heiligen!    Heiligen! 

Heiligen!     Gehet  Euern  Weg! 

Hier  habt  Ihr  kein  Leben!"     (No.  59.) 


1)  Einer  der  Donnergötter. 


jg  Bartels: 

Die  Watubela-Iiisulaiiei-  sagen: 

„Herr  Seuche!  Am  Strande  habt  Ihr  jetzt  keine  Wohnung  mehr!  Die 
Wohnung  ist  in  Staub  zerfallen!  Zieht  fort  von  hier  nach  einem  günstigeren  und 
besseren  Orte!" 

Die  Letten  fordern  den  Hust.Mi  auf,  dass  er  sicli  etwas  Schmack- 
hafteres suchen  möge: 

„Husten,  geh"  heraus!  Du  Husten  des  X.  Ivratze  nicht  dem  N.  den  Leib! 
Husten,  geh'  heraus!  Du  Husten  des  N.,  kratze  nicht  dem  N.  den  Knochen!  Du 
Husten  des  N.,  kratze  nicht  dem  N.  das  Herz!  Geh"  das  Meer  entlang,  kratze 
die  Steine  des  Meeres,  kratze  den  Meeressand!  Die  sind  Dir  schmackhafter,  als 
der  Leib  des  N.!"     (No. -2.) 

Die  Siebenbiirgischeu  Sachsen  machen  die  Dämonin  der  Rose 
darauf  aufmerksam,  dass  die  Genossen  sie  vermissen  und  sich  nach  ihr 
sehnen: 

„Es  sitzen  drei  Jungfern  auf  einem  Marmelstein, 

Die  eine  heisst  „Weisse^,  die  andere  .,Griine'',  diu  dritt'  .Röselein". 

Sie  gingen  über  die  grüne  Brück", 

Die  Rose  blieb  bei  N.  N.  zurück. 

Nun  weinen  die  andern  beiden, 

Und  klagen  in  ihren  Leiden. 

Komm',  Rose,  ich  führ'  Dich  zu  ihnen  zurück!"     (100.) 

Die  Letten  stellen  der  Krankheit  vor,  dass  sie  doch  eigentlich 
Besseres  zu  thun  habe.  Es  handelt  sicli  wieder  um  den  schon  mehrfach 
erwähnten  Aussehlag    „die  heiligen  Jungfrauen." 

„Drei  liebe,  heilige  Jungfrauen  gehen  auf  alten  Wegen,  auf  alten  Brach- 
feldern, lesen  feine  Kiesel  und  Steinchen  zusammen.  Leget  sie  zu  Haufen,  da  habt 
Ihr  Arbeit  genug!  Was  kümmert  liir  Euch  um  einige  kleine  Menschen!"     (No.  '>;>.) 

Auch  sagt  man  dem  Fieber: 

„Fieber,  Fieber!  ich  sage  Dir,  verlasse  mich!  Gehe,  schüttle  graue  Steine! 
Gehe,  schüttle  Baumstümpfe  im  Walde.''     (No.  47.) 

Man  versucht  den  Dämonen  auch  wolil  vorzustellen,  dass  sie  an  anderen 
Orten  viel  besser  aufgehoben  siud.  In  Ostpreussen  schliesst  der  vorher 
schon  in  seinem  Anfange  citierte  Zauberspruch  gegen  die  „kloinen 
Leute"  mit  den  Worten: 

„Geht  hinaus  aus  dem  Haupt! 

Geht  hinaus  aus  dem  Leib  und  Bein! 

Geht  hin  zum  Wasser,  da  liegt  ein  breiter  Stein! 

Da  werdet  Ihr  finden  zu  essen  und  zu  trinken!"     (7.5.) 

Auf  der  Insel  Burü  im  malayischen  Archi])el  sagt  man: 

„Herr    Grossvater    Pocken!     Geht    weg!     Geht    gutwillig    weg!     Geht,    und 

besucht  ein  anderes  Land!    Wir  haben  Euch  Speisen  für  die  Reise  zurechtgelegt! 

Wir  haben  jetzt  nichts  mehr  zu  geben!" 

An    das    Malaria-Fieber,    den    Takmau.    wendet    sich    eine    Be- 

scliworung  des  Atharva- Voda: 


über  Kraukheits-Beschwörungen. 


17 


„Abwärts  schick  ich  den  Taknian  fort. 
Xachdem  ich  Ehre  ihm  bezeugt.  — 
Ja,  von  Geburt  an,  Takman  bist 
Du  heimisch  bei  den  Bahlika'). 
Takman,  Du  stummer,  tückischer. 
Gliedloser,  halt  geflissen  fern! 
Der  läufischen  Sklavin  rück'  zu  Leib! 
Auf  diese  schleudre  Dein  Geschoss! 
Geh'  zu  den  Müjavat'-),  Takman! 
Auch  weiter  zu  den  Bahlikal 
Das  geile  Qüdra-Weib  pack'  an! 
Das,  Takman.  schüttle  etwas  durch! 
Mahiivrsa  und  Müjavat, 
Die  Deinen,  such'  auf  und  verzehr'! 
Die  raten  wir  dem  Takman  an. 
Auch  wohl,  was  fremdes  Land  hierum ! 


Im  fremden  Land  behagt  Dirs  nicht,' 
Willfährig  drum  verschone  uns! 
Schon  rüstet  Takman  sich  zur  Reis', 
Er  zieht  gleich  zu  den  Bahlika. 
Wenn  Du  jetzt  kalt,  und  hitzig  jetzt, 
Vereint  mit  Husten,  leben  machst, 
Takman,  vor  Deiner  Waffen  Wucht 
Graut  uns;  verschone  uns  damit! 
Mach'  ja  mit  diesen  keinen  Bund: 
Mit  Schwindsucht,  Husten,  üdyugal^) 
Komm'  ja  von  dort  nicht  wieder  her. 
Darum,  Takman,  sprech'  ich  Dich  an! 
Mit  Deinem  Bruder  Husten  geh', 
Mit  Deiner  Schwester  Schwindsucht  auch, 
Nimm  auch  den  Vetter  Ausschlag  mit. 


Takman,  zu  jenem  fremden  Volk!"  (12.) 

Wollen  nun  ilie  Krankheits-Diinioneu  auf  alles  freundliche  Zureden 
doch  nicht  weichen,  so  soll  man  doch  noch  nicht  gleich  zur  Offensive 
übergehen,  sondern  man  soll  es  noch  mit  vernünftigen  Vorstellungen 
anderer  Art  in  Güte  versuchen.  Da  gilt  es,  ihnen  dann  in  erster  Linie 
klar  zu  machen,  dass  ihre  Massnahmen  ja  doch  ganz  imtzlose  sind.  So 
wird  von  den  Letten  der  Schlangenbiss  beschworen: 

„Eine  rotbraune,  graue  Schlange  schlaft  an  der  Kirche,  die  Zähne  entblösst. 
Ich  gehe  vorüber,  sie  will  mich  beissen,  aber  kann  nicht!  u.  s.  w."     (No.  123.) 


Ähnlich     ist 
Atharva- Veda: 


ein     gegen     den     Scorpion 


gerichteter 


Spruch     des 


„Der  Skorpion  ist  kraftlos  schon, 

Der  da  am  Boden  kriecht  heran. 

Ich  nahm  ihm  jetzt  sein  Gift  hinweg, 

Dann  hab'  ich  ihn  gleich  umgebracht! 

Mit  beiden  Armen,  die  Du  hast, 

Mit  Kopf  und  Leib  vermagst  Du  nichts! 

Was  trägst  Du  so  heimtückisch  denn 

Am  Schwänze  für  ein  winz'ges  Ding?"     (6.) 

Sollten  die  Dämonen  aber  trotz  alledem  noch  scliaden  wollen,  so  giebt 
man  ihnen  die  Versicherung,  dass  man  gegen  die  Wirkungen  ihrer  schäd- 
lichen   AngrifPe    im    Besitze    eines    unfehlbaren    Mittels    sei.     Das    besagt 
wieder  eine  Beschwörungsformel  des  Atharva-Veda: 
„Ob's„Querstreif"  oder  schwarze  Schlang',    Es  heilet,  was  gebrochen  ist. 


Ob  es  die  Naja  beigebracht. 
Ob's  von  der  rauhen  Otter  ist. 
Dies  Kraut  vernichtet  solches  Gift, 
Dies  Kraut,  es  ist  ein  Honigspross, 
Von  Honig  triefend,  honigsüss; 

1)  Die  Baktrer. 

2)  Ein  Bergvolk. 

3)  Vielleicht  der  Krampfhusten. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1895. 


Und  auch  die  Mücken  bringt  es  um! 
Wardst  Du  gebissen,  angesaugt, 
W^o's  immer  sei,  viir  rufen  Dir 
Das  Gift  des  hastig  beissenden 
Mückleins,  eh's  schadet,  aus  dem  Leib ! "  (5.) 


18  Bartels: 

Eine  andere  Formel  betont  aucli  nocli  besonders,  dass  es  die  Gottheit 
gewesen  ist,  welche  dem  Menschen  das  unfehlbare  Mittel  gespendet  habe: 

,Das  Blei  hut  Varuna  geweiht,  Durch  dieses  habe  ich  die  Brut 

Dem  Blei  ist  Agni  zugethan,  Picäcis-)  allzumal  besiegt! 

Das  Blei  gab  Indra  mir  zur  Hand,  Sei  es  ein  Rind,  das  Du  ims  schlägst, 

Das  ist  es,  das  den  Spuk  verscheucht.      Sei  es  ein  Ross,  sei  es  ein  Mensch, 

Das  zwingt  das  Viskandha')  hinweg,      Wir  treffen  sicher  Dich  mit  Blei 

Das  drängt  die  „Fresser"  von  der  Stell',  Dass  unsre  Mannen  Du  verschonst."    (1.) 

Die  Dämonen  werden  dann  auch  aufgefordert,  dass  sie  sich  vor  der 
Gottheit  hüten  mögen.  So  heisst  es  in  einer  Beschwörung  des  Schlangen- 
bisses in  Bosnien: 

„Schlange,  beisse  doch  die  Schlange!  Böse  Seele!  Veisuche  nicht  dengrossen 
Gott!"     (385.) 

Ferner  sagt  man  auch  wohl  den  D.ämonen,  dass  allerlei  Heiliges  den 
Schaden,  den  sie  bringen  wollen,  unwirksam  machen.  Das  kommt  in 
folgender  Besprechung  der  Letten  zum  Ausdruck: 

„In  allen  Kirchen  liiutet  man,  an  allen  Festtagen  singt  man,  das  heilige 
Evangelium  wird  verkündigt.  Hierdurch  beschwöre  ich  das  Böse,  die  Rose,  die 
weisse,  die  schwarze,  die  rote,  die  tötliche,  die  juckende,  die  nässende,  damit  sie 
nicht  so  sehr  breche  noch  schmerze!"     (No.  194.) 

Ähnlich    heisst  es  im  Yoigtlande  und  zwar  ebenfalls  bei  der  Eose: 
„Sprich:  Alle  Glocken  werden  geklungen, 
Alle  Messen  werden  gesungen, 
Alle  Evangelien  werden  gelesen; 
Damit  segne  ich  die  Rose  und  das  Wesen!"     (407.) 

Auf   demselben  Gedankengange   beruht  wohl  auch  der  schwäbische 

Spruch : 

„Jerusalem,  Jerusalem, 
Du  jüdische  Stadt! 
Wo  man  unsern  lieben  Herrn 
Jesum  gekreuziget  hat! 
Zwischen  Mörder  ihn  aufhängen  that, 
Ist  für  Gicht  und  Grimmen  und  Darmgieten  gut!"     (448.) 
Für  sehr  wirksam  wird  auch  die  Erklärung  an  die  Kraukheits-Dämonen 
angesehen,    dass    sie   ja  allerdings  dem  Menschen  einen  Schaden  zugefügt 
hätten;    derselbe    sei    aber    schon  wieder  gut.     Das  versichert  ein  Spruch 
des  Atharva-Veda: 

„Er  kam  ja,  sehet,  er  kam  auf. 
Kam  zu  der  Schar  der  Lebenden! 
Besinnung  hat  er  neu  erlangt, 
Fand  Bergung  bei  den  Lebenden!"     (6.) 
Die  Sachsen  in  Siebenbürgen  sagen: 
„Die  Schlange  sticht, 
Christus  spricht, 
Christus  hat  gesprochen: 
Diese  Schlange  hat  nicht  giftig  gestochen!"     (103.) 


1)  Vielleicht  Rheumatismus  der  Schuller. 

2)  Blutsauger,  vampyrartige  Diiiiioueu. 


über  Kraiiliheits-BcschwöniiigeD.  19 

In  PoiiiiiKM'n  heisst  es: 
Maria  sagt: 

Was  die  Schlange  stach, 
Was  die  Natter  biss, 
Maria  schwur, 
Dass  der  Schlangenstich  ausfuhr!"     (113.) 

Zwei  S])rüche  der  Letten  sind  nach  demselben  Prinzipe  gebildet,  der 
eine  gegen  Schmerzen,  der  andere  gegen  Blntungen: 

„Lindenbaum,  Schlangcnblut,  es  schmerzt  nicht  mehr."     (Xo.  23.) 
und 

.,Dreimal  neun  Jungfrauen  waten  durchs  Blutmeer;  je  weiter  sie  ^^aten,  um 
so  trockner!"     (Xo.  79.) 

Ist  dieses  alles  vergeblich,  so  versucht  man  es  damit,  den  Dämonen 
selber  Furcht  einzujagen.  Mau  stellt  ihnen  vor,  dass  ihnen  hier  Gefahren 
drohen,  denen  sie  sich  doch  lieber  entziehen  möchten.  Dem  Skorpion 
wird  in  der  oben  citierten  Beschwörung  des  Atharva-Veda  zugerufen: 

,,Dich  fressen  die  Ameisen  auf,  Pfauhennen  auch  zerpicken  Dich!"     (6.) 

und    in    dem    ebenfalls    schon   angeführten  Spruch  der  Letten  gegen  den 
Husten  heisst  es  zum  Schlüsse: 

„Komme  nicht  nachHause,  dennHunde,  Katzen  werden  Dich  zerreissen!"  (No.29.) 

Bei  den  Krämpfen  der  Kinder  sagen  sie: 

„Neun  schwarze  Männer,  neun  schwarze  Pferde,  neun  schwarze  Hunde,  die 
liefen  zusammen,  die  fuhren  zusammen  an  drei  Kreuzwegen,  zwischen  drei  Steinen. 
Dort  fassten  die  Männer,  dort  schlugen  die  Pferde,  dort  zerrissen  die  Hunde  den, 
welcher  mein  Kindlein  sehreckt,  welcher  es  nicht  schlafen  lässt.  Schlummere, 
schlafe,  Ferkelchen,  von  der  Wiese  heimgelaufen!''     (No.  257.) 

Die  Besprechung  eines  Gescliwüres  beginnt  bei  ihnen: 

,.Drohe  dorn  Geschwür,  drohe  dem  Geschwür:  jetzt  wird  man  Dich  braten, 
jetzt  wird  man  Dich  verfolgen!"     (No.  168.) 

Ein  ferneres  Mittel,  dem  Krankheits-Dämon  den  Aufenthalt  in  dem 
Kranken  zu  verleiden,  besteht  auch  darin,  dass  man  ihm  ankündigt,  dass 
man  ihn  mit  ekelhaften,  unappetitlichen  Dingen  füttern  würde.  Das  besagt 
eine  Beschwörungsformel  der  AVander-Zigeuner  (21),  welche  ich  hier 
übergehen  will. 

Es  zeichnen  sich  in  der  Phantasie  aller  "Völker,  die  Teufel  niclit  nur 
durch  ihre  Bosheit,  sondern  aucli  durch  eine  grosse  Portion  von  DunnnJieit 
aus.  Die  dummen  Teufel  sind  ja  sprichwörtlich,  und  auch  mit  den  Krauk- 
heits-Dämonen  weiss  man  allerlei  anzustellen,  um  aus  ihrem  Unverstände 
iXutzen  zu  ziehen.  Auch  solche  Beschwörungen,  welche  die  Dämonen 
versichern,  entweder  dass  sie  nicht  zu  schaden  vermöchten,  oder  dass  der 
Schaden,  den  sie  verursacht  haben,  schon  wieder  ausgeglichen  sei,  ist  doch 
im  Grunde  genommen  weiter  nichts,  als  ein  Appell  an  ihre  Dummheit. 
Ein  solcher  tritt  uns  auch  in  folgendem  Spruche  der  Letten  entgegen: 

2* 


20  Bartels : 

„Geh'  hinaus,  du  welkes  Fieber!  zur  Brücke  des  grossen  Flusses.  Schau  den 
Fluss  hinab:  auf  dem  Flusse  da  tanzen  fünf  rote  Jungfrauen  auf  Eisstücken!  — 
Dorthin  schautest  Du,  da  bleibe!  Es  verschwinden  die  Jungfrauen,  es  schmelzen 
die  Eisstücke,  es  vergeht  das  welke  Fieber!"     (No.  44.) 

Der  Sinn  dieser  Beschwürung  scheint  mir  folgender  zu  seiu.  Der 
Dämon  des  Fiebers  wird  durch  die  Mitteilung  von  den  auf  dem  Eise 
tanzenden  Jungfrauen  veranlasst,  seine  Aufmerksamkeit  von  seinem  Opfer 
abzuwenden,  und  dieses  vermag  nun  den  Augenblick  zu  benutzen,  um  sich 
der  Gewalt  des  Dämons  zu  entziehen.  Auch  noch  in  anderer  Weise  ver- 
sucht man  die  Kranklieits-Teufel  zu  übertölpeln.  Man  stellt  sicli  so,  als 
wäre  man  vollkommen  damit  einverstanden,  dass  sie  ihre  schädliche  Wirkung 
ausüben  und  an  ihrem  Opfer  ihr  Mfltclien  kühlen.  Aber  sie  sollen  das 
nicht  sofort  thuu,  sondern  zu  einem  späteren  Termine,  welchen  ihnen  ihr 
Opfer  oder  sein  Zauberarzt  selber  stellt.  Dieser  Zeitpunkt  ist  dann  immer, 
wie  man  im  Volke  sagt,  ein  Nimmerstag;  es  ist  der  Tag,  an  dem  ein 
Ereignis  eintreten  wird,  das  überhaupt  niemals  eintreten  kann.  Entweder 
wird  der  Tag  bestimmt,  an  welchem  die  Mutter  Gottes  zum  zweiten  Male 
Mutter  werden  wird,  oder  wo  Christus  ein  neues  Evangelium  schreibt  u.  s.  w. 
Es  mögen  dies  einige  Beispiele  erläutern: 

In  Pommern  heisst  es: 

„Unser  Herr  Jesus  zog  über  Land, 

Er  segnet  den  kalten  und  warmen  Brand, 

Dass  der  Brand  ihn  nicht  brenne  und  in  den  Leib  begehr', 

Bis  dass  die  Mutter  Gottes  einen  anderen  Sohn  gebärt!"     (87.) 

Gegen  die  Rose  benutzt  man  in  Ostpreussen  folgenden  Spruch: 

„S.  N.  ich  rate  Dich  vor  das  Feuer  und  die  Glut, 

Ich  löse  Dich  mit  meinem  Schweiss  und  meinem  Blut; 

Du  sollst  nicht  reissen  und  auch  nicht  spleissen. 

Du  sollst  nicht  schwellen  und  auch  nicht  schwären, 

Bis  die  Mutter  Jesu  den  anderen  Sohn  wird  gebären!"     (82.) 

In  einer  Zauberformel  der  Siebenbürger  Sachsen  gegen  das  Fieber 
gebietet  Christus  „der  Heiliaud"  den  „Wenken"'): 

„Ihr  sollt  hier  im  Brunnen  ruh'n, 

Bis  ich  schreib'  ein  neues  Evangelium!"     (90.) 

Die  Ostpreussen  besprechen  Blutungen  mit  dem  Zauberspruche: 

„Blut,  ich  besprech'  Dich! 

Du  magst  stille  stehn. 

Bis  die  Toten  aus  dem  Grabe  gehn!"     (36.) 

Die  Letten  sagen  bei  Zahnschmerzen: 

Ich  suche  Dich,  Mond,  mit  zwei  Spitzen,  auf  dass  meine  Zähne  nicht  schwitzen 
sollen,  noch  heiss  werden,  solange  ich  Dich  nicht  sehe  mit  drei  Spitzen!"    (No.  71.) 


1)  Das  Fieber. 


über  Krankheits-Beschwörungen.  21 

Ganz  älmlicli  ist  ein  pommerscher  Spruch: 

„Guten  Abend,  Herr  neuer  und  alter  Mond! 

Ich  sehe  Deine  beiden  Zaclcon; 

Ich  habe  zwei  Zähne  in  meinem  Kinnbacken, 

Die  sollen  mir  solange  nicht  wehe  thun, 

Bis  ich  sehen  werde  Deine  drei  Zacken!"     (Ib9.) 

III.    Der  Kampf  mit  den  Krauklieits-Dämonen. 

Nun  reisst  dem  Medicinmanne  aber  die  Geduld,  wenn  die  Krankheits- 
teufel jetzt  immer  noch  nicht  weichen  wollen.  Das  Mass  seiner  Liebens- 
würdigkeit ist  erschöpft.  Die  Galle  läuft  ihm  über  und  er  rüstet  sich 
zum  Kampfe.  Dieser  Kampf  vollzieht  sich  garnicht  unähnlich  den 
Prügeleien,  wie  sie  unter  der  Dorfjugend  ausgekämpft  werden.  Bevor 
man  auf  einander  einstürmt,  und  bevor  es  die  ersten  Prügel  setzt,  steht 
man  sich  mit  drohender  Miene  gegenüber;  man  schimpft  sich  und  man 
ruft  dem  Gegner  zu,  dass  er  schleunigst  ausreissen  solle.  Das  ist  nun, 
wie  gesagt,  den  Dämonen  gegenüber  nicht  anders. 

So  beschimpfen  die  Letten  die  „heiligen  Jungfrauen"  mit  einem 
höchst  despektierlichen  Worte,  das  ich  hier  nicht  wiedergeben  will.    (No.  Gl.) 

Bei  der  Beschwörung  des  Schlangenbisses  sagen  sie: 

„Wohin  läufst  Du,  lumpige  Hexe?  Wohin  gehst  Du  mit  der  kahlen  Stirne? 
Du  hast  mehr  Sünden,  als  Sand  am  Meeresstrande.  Steinhaufenkriecherin,  Nasen- 
brecherin,  Meerwassertaucherin,  Sandbergestreicherin  u.  s.  w."     (No.  116.) 

Auf  das  Schimpfen  folgt  dann  naturgemäss  die  Drohung,  dass  man 
die  Dämonen  vernichten  werde.    Im  Atharva-Veda  sagt  der  Beschwörer: 

„Dem  allgestalt'gen  Wurm,  der  bunt, 
Der  weisslich,  der  vieräugig  ist. 
Dem  drücke  ich  die  Rippen  ein. 
Dem  trenne  ich  den  Kopf  vom  Leib. 
Wie  Atri  und  Jamadagni, 
AVie  Kanva  tot'  ich,  Würmer,  Euch, 
Mit  des  Agastya")  Zauberspruch, 
Zerstampf  das  Ungeziefer  ich!"     (7.) 

Dem  Geschwüre  ruft  der  Lette  zu: 

„Ich  bin  ein  eisernes  Weih,  ich  habe  eine  stählerne  Zunge,  ich  spalte  das 
Geschwür  in  neun  Stücke,  wie  einen  aUen  Mahlstein.  Es  vergehe,  werde  zu 
Staub,  wie  ein  alter  Bovist!"     (No.  165.) 

Mau  droht  dem  Dämon  auch,  dass  er  auf  seiner  Hut  sein  möge;  denn 
wenn  er  es  wagen  sollte,  zuzuschlagen,  dann  würde  man  ihn  gründlich 
verhauen  und  jeden  Schlag  würde  er  in  duplo  wiedererhalten.  Auch  hier 
mögen  Zaubersprüche  der  Letten  als  Belege  gelten.  Sie  wiederholen 
sich  bei  verschiedenen  Krankheiten  und  sind  alle  ausserordentlich  ähnlich 
aufgebaut: 


1)  Alle  vier  Namen  waren  Brahmanen. 


22  Bartels: 

„Sodbrennen  sengt  mich,  ich  senge  das  Sodbrennen."     (No.  9.) 
„Die  Leesa')  stach  das  Pferd,  ich  stach  die   Leesa,   Leesa    stach  einmal, 
ich  stach  zweimal;  Leesa  stach  zweimal,  ich  stach  dreimal  u.  s.  \v."     (No.  337.) 
„Die  Schlange  biss  einmal,  ich  biss  dreiniall"     (No.  33.) 
„Der  Seiten  st  ich  sticht  mich  einmal,    ich  steche  ihn  zweimal;    der  Seiten- 
stich sticht   mich    einmal,    ich  steche  ihn  dreimal  u.  s.  w.     Der    Seitenstich    sticht 
mich  einmal,  ich  steche  ihn  neunmal!"     (No.  4.) 

Hat.  man  die  Dämonon  in  dieser  Weise  in  Sclirecken  gesetzt,  so  ruft 
man  ihnen  zu,  dftss  sie  tiielien  mögen: 

„Fliehe!  Fliehe!  FluSs!"  ruft  der  Lette  dem  Rheumatismus  zu,  ..ich 
werde  Dich  zu  fangen  suchen,  ich  werde  Dich  einholen,  ich  werde  Dich  fangen, 
ich  werde  Dich  schlagen,  ich  werde  Dich  peitschen,  ich  werde  Dich  zerreissen 
mit  der  eisernen  Egge!"     (No.  27.) 

(ianz  ähnlich  werden  die  „heiligen  Jungfrauen"  angerufen: 
„Fliehet,  fliehet,  heilige  Jungfrauen!    ich  werde  Euch  jagen,  ich  werde  Euch 
einholen,    ich    werde    Euch    fangen,    ich    werde  Euch  peitschen,    ich  werde  Euch 
schlagen!     Mir  gehört  die  Stube,  der  Tisch,  das  Bett,  die  Wiege!"     (No.  54.) 

Ausgebildeter  noch  ist  ein  Zauberspruch  gegen  das  Geschwür,  jedoch 
ist  derselbe  schon  wieder  mit  dem  Hinweis  auf  die  göttliche  Hilfe  verquickt: 

„Fliehe,  Geschwür!  Fliehe,  Geschwür!  Fliehe,  jegliches  t^bel!  Woher  Du 
kommst,  da  bleibe!  Hier  wird  man  Dich  zerren,  hier  wird  man  Dich  reissen, 
hier  wird  man  Dir  nichts  Gutes  thun!  Flieh!  Flieh  zum  Meere!  Vergrabe 
Dich  im  Meeressande!  Dort  ist  Dein  Ort,  dort  schlafe!  Pehrkons  wird  Dich 
jagen  mit  (seinen)  neun  Söhnen.  Verschwinde,  wie  der  abnehmende  Mond,  wie 
ein  alter  Bovist,  wie  Morgentau!"     (No.  164.) 

Wie  man  wohl  bei  dem  Kämpfen  und  Raufen,  bevor  man  zuschlägt, 
ilem  angreifenden  Gegner  zuruft,  dass  er  loslasssen  solle  und  dass  er  das 
wieder  in  Ordnung  bringen  möge,  was  er  unordentlich  gemacht  hat,  so 
fordert  man  aucli  die  Krankheits-Teufel  auf,  loszulassen,  keinen  Schaden 
zu  tluiu  und  das  angerichtete  Unheil  wieder  gut  zu  maclien: 

„Ich  verbiete  Dir,  Feuer  und  Schwulst, 

Du  sollst  nicht  schwelle, 

Du  sollst  nicht  quelle. 

Du  sollst  nicht  riete, 

Du  sollst  nicht  spliete!"     (84) 
sagt  man  in  Ostpreussen,  oder: 

„Koolke,  gehe  auf  Dein  heiliges  Bettchen  und  verursache  mir  keine  Schmerzen 
in  meinem  Kopfe,  in  meinem  Marke,  in  meinem  Herzen,  in  meiner  Plauz,  in 
meiner  Leber,  in  meinen  Eingeweiden!"     (71.) 

In  Siebenbürgen  bei  den  Sachsen  lieisst  es: 
„Pfui  Dich!     Du  leidige  Gelbsucht! 
Du  sollst  nicht  verzehren  dieses  Leib  und  Blut! 
Du  sollst  vergehen,  wie  die  Weth-), 
Da  man  den  lieben  Jesuni  mit  band!"     (92.) 


1)  Die  Milzkranklioit. 

2)  Die  Gerte,  Wite. 


tTjcr  Krankheits-BrsehwÖriingeii.  23 

Fast  niöclito  man  mm  glauben,  wir  niüssten  bald  am  Ende  sein,  und 
dennoch  kommen  wir  erst  jetzt  zu  <lenjenigen  Beschwörungen,  welche 
naturgemäss  eigentlich  überhaupt  den  Anfang  machen  sollten.  Das  ist 
die  energische  Aufforderung,    dass   die  Dämonen  sich  zum  Teufel  scheren 

möcliteu.     Ein  ostproussischer  Spruch  lautet: 

„0  Du  wilder,  verfluchter  Flugbrandl 

Du  hast  schon  lang  geherrscht  in  diesem  Rand, 

In  dieser  Galle,  in  Fleisch  und  Blut, 

Drum  ziehe  aus.  Du  verdammtes  Gut! 

Weich"  aus  der  Galle, 

Weich'  aus  dem  Fk'isch  und  Bhit  und  aus  den  Adern  allen  I"     (41.) 

Ein  anderer  beginnt: 

„Weichet,  Ihr  weissen  Leute,  von  diesem  Getauften,  fort  aus  seiner  Haut, 
aus  seinem  Leihe,  aus  seinem  Blute,  aus  seinen  Adern,  aus  seinen  Gelenken,  aus 
seinen  Gliedern  1"     Cfö.) 

In  Schwaben  beschwört  man  den  Brand  mit  folgenden  Worten: 

„Weich'  aus,  Brand,  und  ja  nicht  ein! 

Du  seiest  kalt  oder  wann, 

So  lass  Dein  Brennen  sein!"  u.  s.  w.     (442.) 

Hierher  gehört  auch  wieder  eine  Stelle  aus  der  Kalewala: 

,,Bist  Du,  Übel,  hergeleitet  Lass'  das  Herzblatt  unvcrsehret, 

In  das  Herz,  das  nichts  verschuldet,         Lass'  die  Milz  mir  ungestöret. 
In  den  Bauch,  der  nichts  verbrochen.       Meinen  Magen  uiigewalket, 
Ihn  zu  fressen,  zu  verzehren.  Meine  Lunge  ungewendet. 

Ihn  zu  beissen,  ihn  zu  spaUen?  Meinen  Nabel  undurchbohret, 

Weich'  von  hinnen,  Hund  des  Hiisi'),      Meine  Schläfen  ungefährdet, 
Stürze  nieder,  Welp'  Manala's-)  Quäle  nicht  den  Rückenknochen, 

Geh'  mir,  Scheusal,  aus  dem  Leibe.  Hau  nicht  los  auf  meine  Hüften! 

Aus  der  Leber  mir,  o  Untier. 

Gehe,  Scheusal,  auf  die  Wand'rung, 

Fliehe  fort,  des  Landes  Plage, 

Ximmer  ist  hierselbst  Dein  Wohnsitz!"  u.  s.  w.     (90.  91.) 

Viele  Beschwörungsformeln,  welche  die  Krankheits-Dämouen  verjagen 
wollen,  weisen  denselben  auch  sogleich  eine  Stelle  an,  wo  sie  gebannt 
bleiben  sollen.  Die  Erde,  das  Meer,  die  Flüsse,  der  Wind  und  die  Luft, 
einsame  Wüsteneien,  Eis  und  Schnee  spielen  dabei  eine  grosse  EoUe. 
Auch  in  die  Hölle  werden  sie  gejagt,  aber  auch  in  Bäume  oder  in  wilde 
Tiere,  und  bisweilen  werden  mehrere  solche  Verbannuugsplätze  gleichzeitig 
genannt,  so  dass  dem  Dämon  gleichsam  die  Wahl  überlassen  bleibt,  welchen 
derselben  er  wählen  will. 

Gegen  Seitenstiche  sagen  die  Letten: 

„Höre  auf  zu  reissen,  Feuer!  zu  stechen,  wildes  Feuer!  geh'  durch  die  Erde 
stechend!    Bleibe  still,  wie  ein  Ruhiger!'"     (No.  6.) 


1)  Das  böse  Prinzip. 

2)  Das  Totenreich. 


24  Bartels: 

Gegen  Drüsenscliwelluug  sprechen  sie: 

„Die    ohne  Füsse,    ohne  Hiinde  laufen,    die  mögen  zum  Meere  laufen,    zum 
Meeresstrand!     Sie  mögen  feine  Kiesel,  Steine  durchsieben!''     (Xo.  "200.) 

Der  Bannspriicli  der  Ostprevisseii  gegen  die  „weissen  Leute", 
dessen  Anfang  wir  vorher  kennen  gelernt  haben,  fährt  fort: 

„Fern  im  Meere  ist  ein  grosser  Stein.  Dahingehet!  dahin  f;ün'et!  dort  trinket! 
dort  zehret!"     (76.) 

Der  Rose  wird  zugerufen: 

„Ros"  ins  andre! 

Du  musst  wandre 

Über  das  rote  und  weisse  Meer 

Und  thu"  nimmer  weh!"     (83.) 

Im  Atliarva-Yeda  heisst  es: 

„In  Rauch,  in  Liclitatome  gehe  über! 

In  Dunst  verflieg,  in  Nebel  lös  Dich,  Übel! 

Im  Schaum  der  Flüsse  magst  Du  Dich  verlieren!"     (15.) 

Der  Zahnschmerz  soll  liei  den  Elisten: 

„In  des  Nordens  "Wind  entweichen, 

Aus  dem  Wind  hinaus  ins  Leere!"     (87.) 

und  das  Fieber  beschwören  sie: 
„Weg  der  Graue 
Zu  Wolfes  Baue! 
In  die  Schneetrift, 
In  den  Eisstift 
Weich'  er,  wo  sein  wohnlich  Erbe!"     (91.) 

[n  Bosnien  verbannt  man  den  Schlag: 

„O  Du  Schlag!     0  Du  Schmerz!        Wo  keine  Kuh  bridlt! 

Heb"  Dich  weg,  Du  Schlag!  Wo  kein  Schaf  blökt! 

Auf  die  höchste  Alpe!  Wo  keine  Ziege  meckert! 

Auf  die  dicke  Serbin!  Wo  kein  Hahn  kräht! 

Wo  kern  Ochse  brüllt!  Wo  keine  Henne  gackert!"     (-107.) 

Das  Bannen  der  Krankheits-Dämonen  in  wilde  Tiere  finden  wir 
namentlich  in  Zauberformeln  der  Ehsten.  So  heisst  es  gegen  den  Zahn- 
s  c  h  m  e  r  z : 

„In  des  Hunds  Zahn  mög'  er  schwinden. 

In  des  Wolfs  Zahn  mög'  er  wachsen!"     (87.) 

Und  wenn  Kinder  einen  kleinen  Schaden  genommen  haben,  so 
sagen  sie: 

.Krankheit  auf  die  Elster  I 

Wehe  zu  der  Krähe! 

Andre  Schwäche  dem  schwarzen  Vogel! 

Herbes  zum  Hunde  hin! 

Heimliches  der  Katze! 

Gichtrisch  Weh'  auf  die  Wanze! 

Unser  Kind  genese!"     (88.) 


über  Kranklieits-Beschwörungen.  25 

Die  Strava,  „das  Entsetzen",  eine  besondere  Krankheitsgruppe  bei 
den  Bosniaken,  wird  von  denselben  mit  folgenden  Worten  vertrieben: 

„Heb'  Dich  weg',  Eiitsetzeii!  Es  jagt  Dich  der  Mutter  Hauch  und  des  Vaters 
Kraft  in  ein  graues  Pferd,  iivs  Roggenstroh,  in  einen  vermoderten  Stamm!"     (407.) 

Wir  finden  in  dieser  Beschwörungsformel  schon  den  Übergang  zu  der 
Bannung  in  die  Bäume.     Da  ist  es  bei  den  Elisten  der  AVald  im  ganzen, 

wo  die  Krankheit  liin  soll: 

„Senli"  au  alten  Ort  das  Blut  sich, 

In  den  Wald  des  Weh's  Gewalt  sich, 

Sich  die  Spannung  in's  diclitste  Diclvicht."     (90.) 

„Krätze  in  den  Wald! 

Wolf  unter  die  Bank!"     (No.  64.) 

sagt  der  Lette,  wenn  er  die  Badestube  betritt.     Der  Bosniake  ruft: 
„Bist  Du  die  Gicht,  so  fahre  in  den  Hagedorn!"     (387.) 
Aber    auch    bestimmte  Bäume    werden    den  Krankheiten    angewiesen. 
Der  Lette  droht  dem  Fluss,  dass  er  ihn  an  eine  knarrende  Espe  binden 
werde  (No.  28);    auch    sagt    er    bei    dem  schon  wiederholentlich  erwähnten 
B 1  ä  s  c  h  e  n  a  u  s  s  c  h  1  a  g : 

„Heilige  Jungfrau!  Heilige  Jungfrau!  Heilige  Jungfrau!  Was  spinnst  Du? 
Was  zwirnst  Du?    Wirke  den  Seidenfaden  im  schwarzen  EUernbaum,  in  der  Espe! 

(No.  64.) 
Eine  Formel  der  Ehsten.  gegen  <len  Ziegenpeter  schliesst: 

„Weich'  zur  Tanne  die  Beule! 

Die  Geschwulst  zur  Kienbaumwurzel!"     (89.) 

Die  Wander-Zigeuuer  fordern  das  Fieber  auf: 

„Geh'  weg,  Fieber! 
Geh'  weg,  mein  Schmerz! 
Geh'  weg  in  den  Baum, 
Woher  Du  gekommen  bist! 
Dahin  geh',  Du  Fieber!"     (82.) 

Es  wurde  schon  gesagt,  dass  man  die  Dämonen  auch  direkt  zur  Hölle 
jagt,  und  so  müssen  wir  das  kupferne  Thor  auch  wohl  als  das  Höllenthor 
auffassen,  welches  in  einer  lettischen  Beschwörung  genannt  wii-d: 

„Drei  Ottern  haben  sich  verkrochen  im  feinen,  dichten  Gesträuch:  die  eine 
ist  weiss,  die  andere  bunt,  die  dritte  braun.  Öffne  Dich,  kupfernes  Thor,  damit 
sie  alle  hindurchkriechen!"     (No.  131.) 

Um  die  Dämonen  schneller  aus  dem  Wege  zu  schaffen,  versorgt  man 
sie  auch  mit  Erleichterungen  für  ihre  Reise.  So  lautet  ein  Spruch  der 
Finnen: 

„Flieh'  von  dannen,  böse  Geissei!  Dich  zu  tragen.  Dich  zu  retten; 

Flieh'  von  dannen,^böse  Pest!  Einen  Renner,  dessen  Hufe 

Fliehe  weit  vom  nackten  Fleische!  Nimmer  gleiten  auf  dem  Eise, 

Ein  hurtig  Pferd  will  ich  Dir  geben.  Nimmer  gleiten  auf  dem  Felsen! 


2g  Bartels: 

Fliehe  nun.  wie  ich  befehle.  Stürze  in  die  ew'ge  Tiefe, 

Auf  dem  Höllen-Renner,  Dass  Du  nimmer  wiederkehrsti 

Auf  dem  wilden  Hengst  der  Berge!  Fliehe  mm,  wie  ich  befehle. 

Fliehe  hin  in  Turja's')  Berge!  In  den  dichten  Wald  der  Lappen, 

Fliehe  hin  zum  Fels  von  Eisen!  In  das  finstere  Pohjola-')!" 
Fliehe  durch  der  Hölle  Wüsten!  (Lenormant  2ö2.) 

Die  Magyai'en  beschwören  die  Krämpfe  mit  der  Formel: 

_ Würmer   können    nicht   fliegen.     Ich   gebe   ihnen    Flügel!     Sie    mögen    nun 
fliegen  ins  Freie,  in  den  Leib  der  Bösen!"    (139.) 
und  der  Epilepsie  eröffnen  sie: 

„Epilepsie,  ich  gebe  Dir  Erde  zur  Rast,  ich  gebe  Dir  Wasser  zur  Erquickung 
und  befehle  Dir  im  Namen  unseres  Erlösers,  dass  Du  zu  dem  Volke  gehest,  dass 
unseren  Heiland  getötet  hat!-     (loo.) 

Nun  geht  es  endlich  zum  wirklichen  Kampf,  und  da  ist  es  wohl  be- 
o-reiflich,  dass  man  in  erster  Linie  sein  Augenmerk  auf  die  besonders  ge- 
fährlichen Teile  seines  Gegners  richtet  und  ihn  derselben  zu  berauben, 
oder  ihn  kampfunfähig  zu  machen  bemüht  ist.  Den  Schlangen  ruft  der 
Beschwörer  iu  dem  Atharva-Veda  zu: 

„Der  Zähne  Reih'n  drück'  ich  Dir  zu, 

Zusammen  auch  der  Kiefer  Paar: 

Zusammen  drück"  ich  Dir  die  Zung! 

Das  Maul  au^ch   drücke  ich  Dir  zu!"     (5.) 

An  einer  anderen  Stelle  sagt  er: 

„Ich  hau  Dir  beide  Hörner  ab. 

Die  Du  zu  Stoss  und  Stich  gebrauchst, 

Ich  ritze  Dir  das  Bläschen  auf. 

Das  Da  als  Giftbehälter  hast!"     (7.) 

In    einer  Schlangenbiss-Besprechung  der  Ehsten  findet  sich  die 

Stelle: 

„Wolf  in  den  Mund  Du-! 

Woir  aufs  Haupt  Dir! 

Wollenhaar  das  Züngleiu  Dir! 

Wolle  werde  Dir  Dein  Hut! 

Wolle  ganz  und  gar  Du  selber!" 

Fliehe  von  hinnen.  Du  Feind  und  Gegner!"     (70.) 

Dann  sucht  man  aber  auch  den  Feind  zu   packen    und    ihn    gänzlich 

in  seine  Gewalt  zu  bekommen,    wie  das  z.  B.  der  Kose  von  den  Ehsten 
eröffnet  wird: 

.Orraporra,  Höllenschweif!  Unter'm  Tische,  überm  Tische, 

Du,  des  Feuers  Hahnenbart!  Ob  dem  Tisch  auf  gleiche  Weise! 

Fest  umschürz'  ich  Deine  Adern,  Fest  umdrückf  ich,  schwur  gefangen, 

Fest  umstrick'  ich  Deine  Klauen,  Fest  umdiückt"  ich  Deine  Klauen, 

Mit  Spannketten  Deine  Füsse,  Spannf  iu  Ketten  Deine  Füsse, 

Zur  Gefängnis  Deine  Zehlein,  Band  die  Ader  Deuies  Herzens!"     (82.) 


1)  Das  Nachbai-land  der  Lappen. 

2)  Das  Nordland. 


über  Krankheits-Beschwörungeii.  27 

Ganz  ähnlich  ist  noch  ein  mulGrei-  Spruch,  der  sich  gleichfalls  gegen 
die  Rose  richtet: 

„Flog-  her,  llog  her  ein  Feuerschweil!  Flog  her,  flog  her  ein  Feuorschweif! 

Fest  umdriick"  ich  Deine  Hiinde,  Fest  umdrück"  ich  Deine  Hände, 

Pest  umfessl'  ich  Deine  Füsse.  Gebe  Feuer  vom  Feuerstein, 

Fest  die  Adern  Deines  Herzens!  Fährt  vom  Feuerstahl  ein  Funk'  aus 

Unterm  Tische,  itber'm  Tische  Fest  umstrick'  ich  Deine  Füsse, 

Eins,  vermöge  nichts  zu  nehmen!  Fest  die  Adern  Deines  Herzens! 

Weich'  hinweg,  unreinerGeist!"  u.s.w.  (2.) 

Gegen  den  Krnnipf  spricht  man  im  Voigtlande: 

„Ich  greife  Dich  an  mit  meiner  rechten  Hand,  Du  reissender  Krämpfen! 
Du  Krampf!  Du  sollst  stille  stehn!  Du  sollst  nicht  weiter!  Du  sollst  vergehn! 
Geschwind,  wie  der  Rauch  vom  Wind,  wie  der  Nebel  von  der  Sonne  sollst  Du 
gehn  von  dannen!"     (408.) 

Hier  ist  auch  eine  Zauberformel  anzureilien,  wie  sie  die  Ostprenssen 
gegen  den  Brand  benutzen: 

„Ich  umfang'  und  bind'  den  kalten  Brand. 

Kommt  ihm  Luft  oder  Zug, 

So  thue  er  keinen  Flug! 

Haut,  Fleisch  und  Bein 

Soll  ausseh'n,  wie  es  war  von  Anfang  —  rein!"     (40.) 

Jetzt  giebt  man  den  Dämonen  die  Versicherung,  da.ss  mau  sie  bereits 
getötet  und   umgebracht  habe: 

„Ich  nahm  den  Kienspahn,  erstach  den  Teufel.  Es  lief  ein  schwarzer  Hund 
herbei,  biss  ab  den  Schmerz.  Es  lief  eine  schwarze  Katze  herbei,  durchbiss  den 
Schmerz.    Es  lief  ein  Hase  herhei,  durchbiss  den  Schmerz!"     (No.  25.) 

Das  ist  ein  Spruch,  der  bei  den  Letten  die  Schmerzen  beseitigen 
soll.     Im    Atharva-Veda    heisst    es    in    einer    der   Besprechungen    des 

Sclilangonbisses: 

„Erschlagen  liegt  der  Würmer  Fürst, 
Erschlagen  ihr  Statthalter  auch. 
Samt  seiner  Mutter  starb  der  Wurm, 
Und  Bi-üdcr,  Schwestern  auch  nut  ihm. 
Dahin  sind  seine  Hörigen, 
Dahin  die  Zugehörigen, 
Ob  auch  kleinwinzig  anzusehn, 
Jedweder  Wurm  ist  umgebracht!"     (7.) 

Wenn  wir  die  Räume  unseres  Museums  für  Völkerkunde  durchschreiten, 
dann  wird  uns  die  gTOsse  Menge  zum  Teil  sehr  abscheulicher  Masken  auf- 
fallen, welche  sich  in  den  verschiedensten  Abteilungen  des  Hauses  vor- 
finden. Wir  ersehen  daraus,  wie  der  Gebrauch  solcher  Masken  weit  über 
unseren  Erdball  verbreitet  ist.  Nicht  alle  gehören  zu  den  Requisiten  des 
Theaters;  ein  grosser  Teil  hat  rituellen  Zwecken  zu  dienen,  und  unter 
diesen  letzteren  sind  niclifwenige,  welche  zu  dem  Armamentarium  der 
Medicinmänner    gehören.     Diese    pflegen  sich   durch  eine  ganz   besondere 


28  Bartels: 

Wildheit  und  Scbeussliclikeit  des  Ansehens  auszuzeichnen.  Was  ist  der 
Sinn  dieser  absonderlichen  Vermummuug?  Das  ist  in  wenigen  Worten 
gesagt.  Die  Masken  stellen  die  Abbilder  der  gefürcliteten  Krankheits- 
Dämonen  vor,  und  dadurch,  dass  der  Medicinmanu  diesen  letzteren  in 
ihrer  eigenen  scheussliehen  Gestalt  entgegentritt,  erschrecken  sie  vor  ihrem 
eigenen  Aussehen,  wie  ein  vom  Zorne  entstellter  Mensch  erschrickt,  wenn 
er  sein  verzerrtes  Gesicht  im  Spiegel  sieht.  Will  man  die  Krankheits- 
Dämonen  also  verscheuchen,  dann  muss  man  ihnen  zeigen,  wie  sie  aus- 
sehen. Dieser  Gedankengang  klingt  nach  in  einer  Reihe  von  Beschwörungs- 
formeln. Da  man  mit  dem  gesprochenen  Worte  nicht  das  Bild  hervoi'- 
zurufen  vermag,  so  muss  der  Beschwörende  wenigstens  versuchen,  die 
widerwärtige  Gestalt  der  Teufel  eingehend  zu  schildern.  Solche  Schilderung 
finden  wir  in  einer  langatmigen  Zauberformel,  welche  die  Ehsten  gegen 
den  Schlangenbiss  gebrauchen: 

„Drum  hat  die  Mad'  ein  Meisenauge, 

Wurmesaug'  aus  dem  Gehölze! 

Zung-'  entnahmst  Du  des  Speeres  Spitze, 

Dein  Gebiss  des  Beiles  Schärfe! 

Deine  Hüll'  ist  hundsbeerfarbig. 

Doch  das  Haupt  gleich  wie  die  Weide!"     (68.) 

Dass  die  vorher  entwickelte  Deutung  des  Gedankengauges  die  richtige 
ist,  das  beweist  uns  ein  Zauberspruch  der  Letten,  der  sich  auf  die 
Krämpfe  der  Kinder  beziehen  soll: 

„Eine  schwarze  Schlange  watet  durch  den  Sumpf,  ein  kupferner  Sattel  auf  ihrem 
Rücken.    Füi'chte  Dich  selbst,  Teufel smutler,  vor  Deinen  Schreckbildern!''  (No.  271.) 

W^enn  die  Dämonen  der  Krankheiten  auf  den  Menschen  eindringen, 
so  ist  das,  was  am  ersten  in  die  Augen  fallen  muss,  d.  h.  für  denjenigen, 
der  sie  zu  sehen  vermag,  natürlicherweise  ihre  Farbe.  Die  Beschreibung 
der  Farbe  gehört  daher  ganz  unvermeidlich  zu  der  Schilderung  von  der 
äusseren  Erscheinung  der  Krankheits-Dämonen.  Es  kann  uns  also  nicht 
überraschen,  wenn  wir  vielfach  auf  Beschwörungsformeln  stossen,  welche 
in  ganz  ausführlicher  Weise  die  Färbung  der  Teufel  zu  schildern  bestrebt 
sind.  So  beginnt  z.  B.  die  ehstnische  Schlangenbiss-Pormel,  aus 
welcher  vorher  schon  Stücke  mitgeteilt  wurden,  mit  folgenden  Versen : 

„Welcher  Farbe  bist  Du,  Lene?  Leichenfarbne  Holzwurmmade! 

Höre,  holde  Lene,  höre!  Dachtest  Du  in  Holz  zu  bohren, 

Herrin  Du  des  weiten  Moores.  Weidenborke   zu  zerbeissen, 

Goldne  Frau  im  Gras,  dem  welken,  Da  des  Menschen  Du  begehrtest. 

Könnt'  ich  etwa  Dich  erkunden?  Du  ein  schwach  Geschöpfe  stachest? 

Haselbaumfarben,  blauer  Farbe,  Komm'  zu  baden  das  Gebresten, 

Eidechsenaugenfarben,  Wohl  des  Wundenmals  zu  warten, 

Tümpelfarben,  grasesfarben,  Das  Gebissene  zu  bessern! 

Hügelfarben,  föhrenfarben!  Kennst  ja  wohl  des  Zahnes  Zeichen, 

Lasse  Du  den  Schmerz  sich  lindern.  Deines  Gaumengeifers  Stiitte, 

Die  Geschwulst  zusammenschwinden!  Deines  Züngelleckens  Lager!" 
Schwarze  Schlange  Du,  schlammfarbnel 


über  Kiankheits-Beschwörungen.  29 

Nachher  geht  es  dann  weiter: 

,,Deine  Hüll'  ist  hundsbeerfarbig,  Aufgerollet  unterm  Baumsturz, 

Doch  das  Haupt  gleich  wie  die  Weide!  Sei  gekraust,  sei  bogenförmig, 

Kieselfarl)ne,  lettenf'arbne,  Oder  spiel'  auf  Rasenhümpeln, 

Heidekrautesfäulnisl'arbne!    '  Lauf  die  Rain'  entlang  des  Ackers, 

Wiir'st  etwa  Du  woltenfarben,  Zwischen  dichten  Dickichts  Waldung: 

Himmel-,  wölken-,  sternenfarben:  Bist  der  Knecht,  ich  bin  der  Herr! 

Dennoch  kenn'  ich  Deine  Sip])schaft,  Auf  Dich  find'  ich  in  der  Nähe, 

Meiner  Macht  entrinnst  Du  nimmer!  Scheuche  fort  Dich  aus  der  Ferne." 
Sei  gestrecket  unterm  Stein,  (*^7-) 

M<in  hat  aber  auch  sorgfältig  darauf  zu  achten,  dass  man  in  der  Be- 
sprechung keinen  Farbenton  anslässt,  und  dass,  wenn  mehrere  Dämonen 
von  verschiedenen  Farben  anrücken,  die  Färbung  keines  einzigen  derselben 
zu  ei'wähnen  vergessen  werde.  Dadurch  erklären  sich  Beschwörungen, 
wie  die  folgende  bei  den  Letten,  welche  sich  ebenfalls  gegen  den 
Schlangenbiss  richtet: 

„Der  Schlangenkönig  geht  auf  dem  Meeresdamme,  die  Schlangenkrone  auf 
dem  Haupte,  das  stählerne  Schwert  in  der  Hand.  Alle  Schlangen  kommet  heraus: 
die  blaue,  die  braune,  die  schwarze,  die  weisse,  die  rote,  die  graue!  Allen  wird 
der  Kopf  abgehauen,  man  wird  sie  in  Stücke  zerhacken,  wie  Rauch  werden  sie 
vergehen,  wie  ein  Bovist  zerstäuben!"     (No.  109.) 

In  einer  Beschwörung  der  Rose,  welche  ebenfalls  von  den  Letten 
stammt,  kommt  die  Stelle  vor: 

„So  müssen  alle  Rosen  vergehen  und  nicht  wiederkehren,  die  weisse,  die  rote, 
die  schwarze,  die  blaue,  die  grüne,  die  gelbe!"     (No.  191.) 

Ein  alter  schwäbischer  „Segen  für  die  Wurm"  sagt: 

„Sie  seind  schwarz,  gra,  bla,  weiss  oder  rot, 
Dass  sie  seien  alle  tot!"     (44.5.) 

In  Ostpreussen  heisst  es: 

„N.  N.,  ich  rate  Dir  für  die  kleinen  Leute: 

Für  die  roten. 

Für  die  blauen, 

Piü'  die  schwarzen, 

Für  die  grauen, 

Für  die  gelben, 

Für  die  grünen, 

Für  die  weissen  — 

Kleine  Leute,  geht  von  dem  N.  N.  fort."     (74.) 

Allmählich  schleifen  sich  solche  Formeln  ab  und  vereinfachen  sich, 
wobei  die  heilige  Dreizahl  dann  gewöhnlich  massgebend  wird,  und  dann 
werden  am  häufigsten  die  drei  Farben  genannt,  welche  uns  Deutschen 
ganz  besonders  sympathisch  sind,  schwarz  weiss  und  rot.  Hierbei  mag 
der  Reim  der  letzteren  Farbe  auf  tot  allerdings  auch  seine  Rolle  gespielt 
haben.  Wir  finden  diese  Farbenzusammenstellung  in  der  Provinz  Preussen, 
im  Voigtlande,    in  Schwaben  und  bei  den  Letten.     Bei  den  letzteren 


30  Bartels: 

koranit  al)er  auch  bisweilen  blau,  weiss,  rot  und  einuial  aucli  weiss,  bunt 
und  brauu  gemeinsam  vor.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  dass  mit  den 
Farben  schwarz,  weiss  und  rot  fast  immer  "Würmer  gemeint  sind. 

„Roter  Wurm! 
\\^isser  Wurm! 
Schwarzer  Wurm!"     (444.) 
beginnt  eine  Beschwörung  in  Schwaben.     Im  Voigtlande  heisst  es: 

.Der  Herr  Christus  ging  in  den  Acker;  er  ackerte  drei  Würmer  aus.  Der 
eine  sah  weiss,  der  andere  schwarz,  der  dritte  rot:  das  zähl'  ich  Dir  zu  Gute  an 
Deinem  Fleisch  und  Blute!"     (405.) 

Ähnlich  sagt  mau  in  Preussen: 

„Es  zog  ein  guter  Mann  durchs  Land 
Er  hatte  drei  AVürmer  in  seiner  Hand, 
Der  eine  war  weiss,  der  zweite  schwarz,  der  dritte  rot, 
Drum  mach'  ich  diesen  Wurm  tot!"     (98.) 
Es    ist    damit   der  Wurm  am  Finger  gemeint.     Die  betreffende  Be- 
sprechung der  Letten  wendet  sich  gegen  den  Zahnwurm: 

.Feuerflüsse,  Zähnewürmer,  schwarze,  weisse,  rötliche  u.  s.  w. I-  (No.  70.) 
Es  mag  hier  als  eine  Einschaltung  angeführt  werden,  dass  man  aus 
einer  Anzahl  von  Besprechungsformeln  ersehen  kann,  unter  welcher  Haupt- 
farbe man  sich  bestimmte  Kraukheits-Dämonen  vorstellt.  Die  Gelbsucht 
ist  natürlich  gelb  und  die  Eose  rot;  ebenso  auch  die  Blutung  und  das 
Augenleiden.  Die  Mundfäule  ist  walfischgelb,  das  Fieber  grau,  die 
Schwellung  rot,  die  Geschwulst  gelb  und  das  Geschwür  blau,  rot  und 
weiss.  Die  heiligen  Jungfrauen  sind  rot,  gelb  und  weiss  oder  auch 
„weiss  und  rundherum  rot".  Man  sieht,  dass  hier  überall  Krankheits- 
symptome die  Entscheidung  über  die  Farbe  abgegeben  haben.  Es  mögen 
aber  auch  noch  einige  Beispiele  hier  ihre  Stelle  finden,  welche  zeigen 
sollen,  was  für  eine  grosse  EoUe  diese  der  Krankheit  zugeschriebene 
Färbung  nun  in  dem  Wortlaute  der  Beschwörimgen  spielt. 
Die  Sachsen  in  Siebenbürgen  sagen: 

.Drei  gelbe  Frauen  nahmen  ihre  drei  gelben  Äxte;  sie  nahmen  sie  in  ihre 
gelben  Hände;  sie  legten  sie  auf  ihre  gelben  Schultern;  sie  gingen  auf  drei  gelben 
Wegen;  sie  kamen  in  drei  gelbe  Wälder;  sie  hackten  drei  gelbe  Bäume;  sie  gingen 
auf  drei  gelben  AVegen  und  kamen  zum  gelben  Hofe :  aus  dem  gelben  Hofe  kamen 
sie  in  die  gelbe  Stube:  sie  kamen  zum  gelben  N.  N.:  sie  schlugen  mit  den  drei 
gelben  Bäumen  die  gelbe  Gelbsucht  tot;  sie  schlugen  sie  im  Namen  Gottesaiso 
tot!^     (91.) 

Die  Letten  beschwören  „die  heiligen  Jungfrauen"  mit  folgendem 
hierher  gehörigen  Spruch: 

.Drei  Jungfrauen  kommen  zu  meinen  Händen:  die  eine  hat  rote  Schuhe,  rote 
Strümpfe,  rote  Decke,  rote  Brosche,  rote  Handschuhe,  rotes  Tuch;  die  zweite  bat 
eine  gelbe  Decke,  gelbe  Brosche,  gelbes  Tuch,  gelbe  Handschuhe,  gelbe  Schuhe, 
gelbe  Schütze:  die  dritte  hat  eine  weisse  Decke,  eine  weisse  Brosche,  ein  weisses  Tuch, 
weisse  Schuhe,  weisse  Strümpfe.    Fort!  Fort!  Fort  von  meinen  Händen!"     (No.  63.) 


über  Krankheits-Beschwörungen.  31 

Die  drei  Hauptstadieii  in  der  Färbung  eines  Gescliwürs  sind  in  einer 
Beschwörung  der  Letten  angedeutet,  welche  zugleich  ein  recht  charak- 
teristisches Beispiel  dafür  abgiebt,  wie  oft  in  derselben  Beschwörungsformel 
ganz  verschiedene  Gedankengänge  mit  einander  verbunden  sind.  Sie 
lautet: 

„Drohe  dem  Geschwür,  drohe  dem  Geschwür:  jetzt  wird  man  Dich  braten, 
jetzt  wird  man  Dich  vcrlblgeii!  Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im  Zu- 
wachsen der  Espe!  Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im  Zuwachsen  des 
Apfelbaumes!  Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im  Zuwachsen  der  Birke! 
Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im  Zuwachsen  der  Weide!  Das  Geschwür 
ist  im  Zuwachsen  —  im  Zuwachsen  der  Eiche!  Das  Geschwür  ist  im  Zu- 
wachsen —  im  Zuwachsen  der  Fichte!  Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im 
Zuwachsen  der  Tanne!  Das  Geschwür  ist  im  Zuwachsen  —  im  Zuwachsen  der 
Linde!  Es  fallen  die  Berge  zusammen,  es  fallen  zusammen  die  Thäler;  es  wird 
glatt,  wie  der  Fussboden.  Der  rote  Apfel  im  weissen  Taschentuch  eingewickelt, 
fällt  zusammen:  es  fällt  das  blaue  Geschwür  zusammen,  das  rote  Geschwür,  das 
weisse  Geschwür.  Im  Winde  verschwinde,  Geschwür,  vergehe  wie  der  abnehmende 
Mond,  wie  ein  alter  Bovist!"     (No.  1G8.) 

Bevor  wir  in  unserem  Gegenstande  weitergehen,  sei  es  mir  gestattet, 
an  ein  allbekanntes  Märchen  zu  erinnern,  nämlicli  an  das  von  dem 
Rumpelstilzchen.  Bekanntlich  löst  sich  hier  die  Braut  von  dem 
unliebsamen  Eheversprechen  noch  in  dem  letzten  kritischen  Augenblicke 
dadurch,  dass  sie  das  Erdmännchen,  welches  sie  nun  fortzuführen  gedenkt, 
mit  seinem  richtigen  Namen  anredet.  In  diesem  Märchen  klingt,  wie  ich 
glaube,  eine  uralte  mystische  Anschauung  nach:  Man  kann  sich  aus  der 
Gewalt  des  Dämons  erretten,  wenn  man  imstande  ist,  ihn  bei  dem  richtigen 
Namen  zu  nennen.  Wenn  wir  uns  dieses  vergegenwärtigen,  dann  muss 
es  uns  wohlverständlich  werden,  dass  auch  in  den  Beschwörungsformeln 
der  Volksmediciu  so  häufig  absonderlichem  Namen  vorkommen.  Aber  wohl- 
verstanden, nur  die  Nennung  des  wahren  und  richtigen  Namens  vermag 
es,  den  befreienden,  den  erlösenden  und  verscheuchenden  Zauber  zu  be- 
wirken; und  um  nun  liier  nur  ja  nicht  fehlzugreifen,  werden  nicht  selten 
gleich  eine  ganze  Reihe  von  Namen  auf  einmal  angerufen.  Solch  ein 
Zauberspruch  führt  uns  dann  sofort  sämtliche  Dämonen  vor,  welche  nach 
dem  Glauben  des  Volkes  eine  bestimmte  Krankheitsgruppe  zu  verursachen 
vermögen,  und  so  ist  diese  Nomenklatur  von  hohem  Interesse  für  die 
Volksmediciu  und  namentlich  für  die  in  derselben  herrschenden  An- 
schaiumgeu  über  die  pathologischen  Prozesse.  So  werden  uns  z.  B.  von 
der  Gicht  allein  in  einer  Beschwörung  der  Schwaben  siebzehn  ver- 
schiedene Arten  vorgeführt.     Dieser  „Gichtsegen"  lautet: 

„Ich  klage  Gott  über  Gicht  und  Gichtei-  und  den  allerhöchsten  Mann,  der 
den  Tod  am  Stamme  des  heiligsten  Kreuzes  annahm!  Die  Gicht  und  Gichter 
wanderten  über  ein  Grund.  St.  Anna  begegnete  ihnen.  Sancta  Anna  sprach: 
Gicht  und  Gichter,  wo  wollet  Ihr  hin?  Die  Gichter  sprachen:  Wir  wollen  dahin 
in  des  Menschen  Leib  fahren,    wollen  sein  Fleisch  drahten  und  sein  Blut  saugen. 


32 


Bartels: 


Da  sprach  die  heilige  Frau  Sanct  Anna:  Gicht  und  Gichtcr,  ich  gebiete  Euch 
in  das  wilde  Gehör"),  woraus  Ihr  gekommen  seid!  Du  laufendes  Gicht:  Du 
tobendes  Gicht!  Du  stechendes  Gicht!  Du  brennendes  Gicht!  Du  Markgicht! 
Du  hitziges  Gicht!  Du  kaltes  Gicht!  Du  Hauptgicht!  Du  Hirngicht!  Du 
Krampfgicht!  Du  fressendes  Gicht!  Du  Armgicht!  Du  Beiugicht!  Du  Darm- 
gicht! Du  Fleischgicht!  Du  merkliches  Gicht!  Du  verzaubertes  Gicht  und 
Gicbter!  Du  über  alle  Gicht  und  Gichter!  Ich  verbiete  Euch  und  Dir  bei  der 
Kraft  Gottes  und  bei  dem  höchsten  Baut  (Bann'.-')  in  das  wilde  Gehör,  woraus 
Ihr  gekommen  seid!"     (448.) 

Die  Siebeilbürger  Sachsen  keuiieu  ausser  der  hier  scheu  er- 
wähnten kalten  und  heissen  Gicht  auch  noch  die  reisseiule,  die  zwickende, 
die  schreiende  und  die  stumme  Gicht!  Pommern  bietet  uns  nichts 
Neues,  denn  hier  hat  mau  nur  die  reissende  und  die  laufende  Gicht.  Die 
Letten  treten  mit  dem  Fluss  hinzu  und  unterscheiden  den  Eisfluss,  den 
kalten  Fluss,  den  heissen.  den  stechenden,  den  laufenden  Fluss  und  die 
Feuerflüsse.  Die  Ostpreussen  unterscheiden  von  dem  Feuer  das  Kind- 
feuer, das  Rindfeuer,  das  Mägdleinfeuer  und  ausserdem  noch  ein  gichtisclies 
Feuer,  ein  süchtiges  Feuer  und  ein  fichtiges  Feuer.  Von  der  als  Wurm 
bezeichneten  Krankheit  kennt  man  den  Streitwurm  und  den  Haarwurm 
in  Preussen,  Pommern  und  Schwaben,  bei  den  beiden  letzteren  Yolks- 
stämmen  auch  noch  den  Gneitwurm.  Dann  kommt  in  Preusseu  der 
Gehwurm  hinzu,  im  Yoigtlande  der  Reitwurra,  der  Fresswurm  und  der 
liegende  Wurm  und  bei  den  Letten  der  Steinwurm,  der  Zeitwurm,  der 
nagende  Wurm  und  die  Zähnewürnier.  Bei  dem  Schwindel  besprechen 
die  Pommeru  den  Knochenschwindel,  den  Fleischschwindel  und  den 
Blutschwindel.  Die  Rose  führt  in  den  Beschwörungen  der  Letten 
folgende  Namen:  Gehirnrose,  Zahnrose,  Sehneurose,  Stahlrose,  Knochen- 
rose, W^asserrose,  Sclilangenrose,  Blatterrose,  Weichteilrose,  Viehrose,  Feuer- 
rose, breite,  schlagende,  tötliche,  juckende  und  nässende  Rose. 

Dass  auch  die  Sehlangen  in  der  Volksmedicin  den  Kraukheits- 
üämonen  gleichgeachtet  werden,  das  haben  wir  schon  wiederholeutlich 
gesehen.  Auch  sie  werden  mit  Namen  genannt.  Wir  begegneten  schon 
in  einer  Beschwörung  der  Ehsten  dem  Namen  Lena  für  die  Schlange. 
Die  Masureu  beschwören  die  „Schlangen  und  weiblichen  Schlangen,  die 
Ottern  und  weiblichen  Ottern,  die  Feldwürmer  und  sämtliches  Gewürm." 
Bei  den  Letten  lautet  eine  Beschwörung: 

,Wipu,  wapu!  Moosschleicherin,  Pettwurst,  glattschlüpferige  Haut,  buntes 
Sti-umpfband,  Ameisenscliatten.  Koppelseil  in  der  Sonnenhitze!"    (No.  130.) 

Von  einer  ähnlichen  Wirkung,  wie  die  Nennung  des  Namens,  scheint 
es  auch  zu  sein,  wenn  man  den  Krankheits-Dämonen  erklärt,  dass  mau 
ihr  Geschlecht  und  ihre  Herkunft  kenne  und  wenn  man  ihnen  dieselbe 
berichtet.  Darum  fmden  wir  in  dem  grossen  Zauberspruche  der  Ehsten 
gegen  den  Schlaugenbiss  die  Stelle: 

[1)  Für  Gehör  ist  Geröhr,  Röhricht,  zu  lesen.    K.  W.] 


über  Kranklieits-Beschwöningen.  33 

.,Satlsam  kenn'  ich  Deine  Sippschaft,  Aus  der  Angorkröte  Laich, 

Das  Geschlechte  Deiner  Zeugung,  Aus  zu  Grund  gegangenem  Nebel, 

Die  Gemächer  Deiner  Buhlschaft!  Aus  dem  Thau  der  Herdenstapfen! 

Dein  Geschlecht  stammt  aus  dem  Dunge,  Seinen  Hauch  hauchte  der  Herr  ein, 

Aus  der  Räudenkröte  Schaume,  Seel'  ein  dem  Gewürm  Maria!"     (68.) 

Ahnlich  aber  kürzer  heisst  es  in  einer  anderen  Besprechung: 

„Zur  Genüge  kenn'  ich  Dich! 

Zur  Genüge  Dein  Geschlecht! 

Das  entstammt  des  Dunges  Orte, 

Aus  dem  Laich  der  Kröt'  in  Furthen!"     (70.) 

Darauf  beziehen  sicli  auch  wahrscheinlich  die  folgenden  Stellen  der 
Kai  cwala: 

„Hob  dann  an  mit  Zaubersprüchen, 
Selbst  beginnt  er  da  zu  sprechen 
Ursprungsworte  für  die  Übel, 
Jedes  Grundwort  recht  vollkommen."     (38.) 

und  etwas  weiter: 

„Ist  schon  Grösseres  gedämmet, 

Ist  schon  Stärkeres  bezwungen 

Durch  drei  Worte  nur  des  Schöpfers, 

Durch  Erzählung  von  dem  Ursprung!"     (39.) 

Als  ein  Nachklingen  dieser  Art  der  Beschwörungen  werden  wir  es  zu 
betrachten  haben,  wenn  die  Unterarten  der  Krankheits-Dämonen  zwar 
nicht  mehr  mit  besonderem  Namen  genannt  werden,  wenn  aber,  um  keinen 
auszulassen  und  zu  übergehen,  ihre  Gesamtzahl  in  der  Besprechungsformel 
angeführt  wird.  So  treffen  wir  in  Ostpreussen  neunerlei  Feuer,  bei 
ilen  Letten  dreimal  neun  Würmer,  heilige  Jungfrauen  und  Gelb- 
suchten, bei  den  Pommern  siebenundsiebzigerlei  Rosen,  ausserdem 
auch,  ebenso  wie  in  Ostpreussen  und  in  Schwaben  siebenundsiebzigerlei 
Fieber.  Die  Pommern  und  die  Siebenbürger  Sachsen  führen  auch 
siebenundsiebzigerlei  Gichten  an,  und  in  Ostpreussen  kennt  man  sogar 
neunuudiieunzigerlei  Gichten,  aucli  kommen  dort  neunundneunzigerlei 
Feuer  vor.  Wir  sehen,  dass  die  heiligen  Zahlen  drei,  sieben  und  neun 
hierbei  eine  wichtige  Rolle  spielen. 

Ein  Beispiel  möge  hier  genügen,  da  diese  Formeln  alle  sehr  älinlich 
sind.     Man  sagt  in  Ostpreussen: 

„Ich  komme  zu  Dir,  Ficht' 

Und  klage  Dir  meine  neunundneunzigerlei  Gicht! 

Ich  klage  sie  nicht  mir. 

Sondern  Dir!"    (63.) 

Es  braucht  hier  wolil  nicht  erst  daran  erinnert  zu  werden,  dass  die 
Mehrzahl  dieser  Besprechungen  nicht  die  Bestimnmng  hat,  aliein  und  ohne 
weiteres  Beiwerk  die  Teufelsvertreibung  auszuführen.  Es  gehören  noch 
allerlei  oft  recht  verwickelte  Handtierungen  dazu,  welche  den  Zauber  erst 

Zcitschv.  d.  Vereins  f.  Vollisitiimle.    1895.  S 


3^  Bartels : 

zu  voller  Kraft  gelaugeu  lassen.  Da  müssen  uoch  heilige  Xanieu  geflüstert, 
in  bestimmten  Zwischenräumen  Kreuze  geschlagen,  die  kranken  Teile 
gestrichen,  geknetet,  gesalbt,  bepustet  oder  bespieen  werden;  da  muss  der 
Zauberarzt  Opfer  streuen  und  allerlei  mystische  Handlungen  vornehmen. 
Das  alles  soll  hier  nicht  näher  aus  einander  gesetzt  werden.  Wir  müssen 
uns  diese  Dinge  aber  in  die  Erinnerung  zurückrufen,  wenn  wir  eine 
gewisse  Gruppe  von  Beschwörungsformeln  verstehen  wollen.  Dieselben 
schildern  verschiedenartige  Yorgänge,  welche  sich  nicht  anders  deuten  und 
erklären  lassen,  als  dass  wir  uns  vorstellen,  dass  hier  solche  Manipulationen 
beschrieben  werden,  wie  sie  der  Heilkünstler  als  mystische  Beihülfe  während 
der  Beschwörung  zu  verrichten  hat.  und  walu-scheinlich  führt  er  immer  zu 
der  Zeit  die  betreffenden  Handlungen  aus.  wo  sie  im  Texte  seiner  Zauber- 
formel erwähnt  werden.  Es  mögen  hier  einige  charakteristische  Beispiele 
ihre  Stelle  finden. 

Die  Letten  habeu -eine  Besprechuugsformel  gegen  „die  heiligeu 
Jungfrauen",  deren  "Wortlaut  folgender  ist: 

„Ich  umkreise  die  heiligen  Jungfrauen  mit  einer  Xadell  In  der  Mitte  der 
heiligen  Jungfrauen  ist  es  weiss,  nind  herum  rot.  Heilige  Jungfrauen  im  Vergehen, 
verschwinden  wie  Morgentau,  wie  der  abnehmende  Mond,  wie  ein  alter  Bovist!" 

(Xo.  60.) 

Die  Ehsten  gebrauchen  eine  hierher  gehörige  Beschwörung  gegen  die 
Geschwulst: 

..Der  ümwender  der  "Wiesenschnur, 

Der  Zerpflücker  des  Plattgewürms, 

Der  Erringer  des  Steins  vom  Raben 

Schmiegt  auf  das^Geschwür  den  Pinger: 

Wieder  drücke  flach  das  Fleisch  sich, 

Senk  an  alten  Ort  das  Blut  sich. 

In  den  Wald  des  Weh's  Gewalt  sich.    , 

Sich  die  Spannung  ins  dickste  Dickicht."     (90.) 

Ganz  besonders  bemerkenswert  ist  folgende  Beschwörungsformel  aus 
der  sumerischen  Thontafel-Bibliothek  des  Sardanapal: 

„Nimm  das  Fell  eines  weiblichen  Kameeis,  das  sieh  nie  begattete. 

Die  Zauberin  stelle  sich  zur  Rechten,  auch  treffe  sie  ihre  Vorrichtungen  ziu' 

Linken  (des  Kranken): 
Zerteile  dieses  Fell  in  zweimal  sieben  Stücke  xmd  teile  ihnen  den  Zauber  mit, 

der  da  kommt^von  Eridhu. 
Umhülle  das  Haupt  des  Kranken, 
Umhülle  den  Sitz  seines  Lebens, 
Umhülle  seine  Hände  und  Füssel 
Lasse  ihn  sich  niedersetzen  auf  seinem  Lager  und 
Benetze  ihn  mit  den  bezauberten  Wassern. 
Dass    die    Krankheit    seines  Hauptes   in   den  Himmelsraum   entführt    werde, 

gleich  einem  reissenden  Sturmwind  I 
Dass    sie  von  der  Erde  verschlungen  werde,    wie  die  zeitweise  übertretenden 

Wasser! 


über  Kraiikheits-Beschwörungen.  35 

Dass  Ea\s  Vorschrift  ihn  heile! 
Dass  Davkina  ihn  heile! 

Dass  Silik-mulu-khi,  des  Oueans  Erstgeborener,  dem  Bilde  die  heilsame 
Kraft  leihe!"     (43.) 

Wir  hatten  weiter  obeu  eine  Besprecliuiigsformel  angeführt,  welche 
die  Magyaren  bei  Verrenkungen  in  Anwendung  ziehen.  Aus  derselben 
möge  folgendes  liierher  Gehörige  wiederholt  werden: 

.,Kam  hinzu  Picze-pater,  las  darauf,  blies  es  an  mit  seinem  heiligen 
Munde,  streichelte  es  mit  seiner  heiligen  Hand"  u.  s.  w.     (147.) 

Die  folgende  Stelle  der  Kalewala  verdient  ebenfalls  unsere  volle 
Beachtung,  weil  sie  zeigt,  wie  die  Gottheit  aufgefordert  wird,  die  von  dem 
Bescliwörer  ausgeführten  Heil -Manipulationen  fortzusetzen  und  zu  ver- 
vollkommnen: 

„Werde  selber  nichts  vermögen.  Seine  Hände  sind  weit  rascher! 

Wenn's  mein  Schöpfer  nicht  erlaubet;  Komme  Schöpfer,  um  zu  zaubern! 

Hilfe  musst  Du,  Schöpfer,  geben.  Komme  Gott,  Du,  um  zu  sprechen! 

Hilfe  Gott,  Du,  Höchster,  bringen!  Machterfüllter,  zuzuschauen! 

Da  mit  eig'nem  Aug'  ich  schaute,  Lass'  sie  in  der  Nacht  gesunden, 

Mit  der  eig'nen  Hand  berührte,  Lind'rung  sie  bei  Tage  finden. 

Mit  dem  Munde  ich  gesprochen,  Dass  der  Schmerz  nicht  oben  fühlbar. 

Mit  dem  Atem  ich  gehauchet!  Qual  nicht  in  der  Mitte  drücke. 

Wohin  meine  Hand  nicht  gehet,  Nicht  die  Angst  zum  Herzen  dringe! 

Mögen  Gottes  Hände  gehen!  Dass  sie  keinen  Schmerz  empfinden. 

Wohin  niemals  meine  Finger,  Selbst  Beschwerde  nicht  ein  wenig 

Mögen  Gottes  Finger  reichen!  In  dem  Laufe  dieser  Zeiten, 

Schöner  sind  des  Schöpfers  Finger,  Nicht,  so  lang"  der  Goldmond  glänzet!" 

(264.    265.) 

Die  mj'stischeu  Handlungen,  welche  die  Beschwörung  begleiten,  stellen 
selbstverst<ändlich  irgendwie  in  natürlicher  oder  in  übernatürlicher  Beziehung 
zu  den  Symptomen  der  Krankheit.  Solch  eine  Beschwörungsformel  der 
alten  Sumerer  hat  es  mir  einmal  ermöglicht,  die  darin  beschriebene 
Krankheit  Tiu,  oder  wie  sie  assyrisch  genannt  wird  Murus  kakkadi, 
in  sicherer  Weise  zu  diagnostizieren').  3Ian  wusste  bisher  nicht,  welche 
Krankheit  es  war,  aber  die  Beschreibung  der  Eigenschaften  des  Dämons, 
die  Bitte  des  Beschwörenden,  dass  dem  Krankeu  bestimmte  Dinge  wieder- 
gegeben werden  möchten  und  endlich  die  Schilderung  seiner  Handtierungen 
machten  es  mir  unzweifelhaft,  dass  es  sich  um  die  schwere  Form  der 
Kopfrose  liandeln  müsse,  welche  nicht  selten  als  Wanderrose  über  den 
ganzen  Körper  hinzieht.  Diese  Beschwörung  ist  viel  zu  lang,  um  sie  voll- 
ständig hier  wiederzugeben.  Als  Probe  daraus  möge  eine  der  mystischen 
Vornahmen  hier  vorgeführt  werden,  wie  sie  sich  auf  die  nach  einer  schweren 
Roso  immer  sich  einstellende  fetzenförmige  Abschälung  der  Oberhaut 
bezieht: 


1)  Bartels:  Tiu.     Zeitschrift  für  Assyrioloi^ie,   Bd.  VIII,    S.  179-184.    Berlin  1890 

3* 


36  Bartels: 

.,Wie  dieser  Knoblauch  abgeschält  und  in  das  Feuer  geworfen  wird. 

Die  verbrennende  Flamme  hat  ihn  verbrannt. 

In  den  Gemüsegarten  w^ird  er  nicht  gepflanzt  werden, 

An  dem  See  oder  Graben  wird  er  nicht  gesetzt  werden. 

Seine  Wiuzel  wird  den  Boden  nicht  fassen, 

Sein  Stengel  wird  nicht  hervorsprossen  und  die  Sonne  wird  ihn  nicht  sehen, 

Zur  Speise  der  Gottheit  oder  des  Königs  wird  er  nicht  genommen  werden,  — 

So  möge  er  diese  Beschreibung  herausreissen. 

Und  verjagen  das  Joch 

Der    Krankheit,    der    Fein,    des  Verbrechens,    des  Fehls,    des  Unrechts,    des 

Frevels. 
Die    Krankheit,    die   in    meinem    Körper,    in    meinem    Fleisch,    in    meinem 

Lager  ist, 
0  dass  wie  dieser  Knoblauch  sie  abgeschält  werde! 
Die  zu  dieser  Zeit  verbrennende  Flamme,  o  dass  sie  doch  sie  verbrenne! 
Die  Beschreiung,  o  dass  sie  herausgehe  und  ich,  o  dass  ich  das  Licht  sehen 

möge!" ') 

Schhiss. 

Durch  die  bisherigen  Erörterungen  werden  wir  es  wohl  bestätigt 
finden,  worauf  schon  im  Anfange  hingewiesen  wurde,  dass  die  Gesichts- 
punkte, nach  welchen  die  Beschwörungen  stattfinden,  eine  ganz  unendliche 
Zahl  von  Verschiedenheiten  und  Abstufungen  darbieten.  Trotzdem  ist  es 
uns,  wie  ich  hoffe,  gelungen,  den,  wenn  auch  häufig  recht  versteckten, 
roten  Faden  logischen  Denkens  aufzufinden,  welcher  sich  durch  diese 
Zauberformeln  hindurchzieht.  I^atürlicherweise  dürfen  wir  uns  aber  die 
Sache  nicht  derart  vorstellen,  dass  die  in  der  von  uns  aufgestellten  Reihen- 
folge spätere  Formel  als  ein  direkter  Abkömmling  der  nächst  vorher- 
gehenden betrachtet  werden  müsse,  und  dass  sie,  ohne  dass  die  letztere  vor- 
hergegangen wäre,  überhaupt  nicht  hätte  entstehen  können.  Ganz  sicherlich 
sind  die  grösste  Zahl  ilieser  Besprechungen  vollkommen  unabhängig 
von  einander  entstanden,  und  der  eine  Heilkünstler  hat  von  diesem,  der 
andere  von  jenem  Gesichtspunkte  aus  seine  Zaubersprüche  zusammengestellt, 
ohne  sich  die  Möglichkeit  anderer  Gedankengänge  klar  zu  machen,  oder 
sich  den  Kopf  darüber  zu  zerbreclien. 

Somit  könnte  eine  folgerichtige  Aufstellung,  wie  wir  sie  hier  zu  geben 
bestrebt  gewesen  sind,  als  etwas  höchst  Zweckloses  und  LTjerflüssiges 
erscheinen.  Das  ist  es  nun  aber,  wie  ich  glaube,  doch  nicht  gewesen. 
Denn  nur  an  der  Hand  von  solch  einer  logischen  Eeihenfolge  ist  es  möglich 
geworden,  bei  einer  nicht  geringen  Anzahl  dieser  oft  recht  verworrenen 
Bespreclmngsformeln  den  dicht  von  Wust  und  Unsinn  umrankten  und  über- 
wucherten Gedaukeukern  herauszulösen. 

Wir   haben  nun  aber  trotz  der  unendlichen  Fülle  von  Beschwörungs- 


1)  Bartels:  Die  Medicin  der  Naturvölker,  S.  266. 


über  Krniikheits-Beschwöriingen.  37 

arten,  die  wir  bisher  keimen  gelernt  haben,  und  wobei  wir  uiclit  vergessen 
dürfen,  (hiss  häufig  mehrere  Arten  in  einander  geschachtelt  werden,  die 
Möglichkeiten  der  Beschwörungsformeln  noch  keineswegs  vollständig  er- 
schöpft. Es  bleiben  noch  immer  einige  Gru]ipen  übrig,  über  die  aber 
schon  so  vielfach  gehandelt  worden  ist,  dass  wir  sie  hier,  einzig  um  die 
Vollständigkeit  zu  wahren,  nur  andeutungsweise  erwähnen  wollen. 

Die  Kraft  des  Wortes  wurde  im  Anfange  schon  gerühmt;  sie  treffen 
wir  in  vielen  Beschwörungen  wieder.  Es  ist  das  magische  Wort  oder  die 
magische  Formel,  beide  für  uns  Epigonen  nicht  immer  verständlich,  weil 
sicherlich  niclit  selten  jeder  Buchstabe  der  Zauberworte,  das  Symboluni 
eines  ganzen  AVortbildes  ist,  ähnlich  dem  Ichthys  der  alten  christlichen 
Kirche.  Bisweilen  hat  beides  auch  wohl  nur  deshalb  eine  übernatürliche 
Heilkraft,  weil  es  von  vorn  oder  von  hinten  gelesen  vollständig  oder  bei- 
nahe von  dem  gleichen  Klange  ist,  wie  z.  B.  Abrakadabra  oder  Sator 
arepo  tenet  ojjcra  rotas.^)  Hieran  reiht  sich  das  verstellte  Wort,  dessen 
Buchstaben  erst  in  anderer  Reihenfolge  geordnet  den  wirklichen  Sinn 
ergeben.  Auch  das  unverständliche,  vor  allen  Dingen  aber  das  unverstandene 
Wort  spielt  eine  nicht  unerhebliche  Rolle.  Der  Doppelsinn  des  Wortes 
tritt  ebenfalls  in  Kraft,  beispielsweise  bei  der  Rose.  Auch  der  Reim 
gewinnt  seine  Bedeutung,  wie  wir  schon  oben  bei  der  Besprechung  der 
Farben  gesehen  haben.  Dem  Reime  ähnlich  ist  etwas,  was  ich  als  den 
personifizierten  Befehl  bezeichnen  möchte:  Das  bannende  Wort  wird  als 
handelnde  Person  eingeführt,  deren  Namen  eben  das  Bannwort  ist.  Folgende 
Beschwörung  der  Ostpreussen  gegen  Blutungen  möge  hierfür  als  Beispiel 
dienen : 

„Es  gingen  drei  heilige  Prau'n 
''  Des  Morgens  früh  im  Tau'n. 

Die  eine  hiess  Aloe, 

Die  zweite  hiess  Blutvergeh', 

Die  dritte  hiess  ßlutstillesteh'!^     (36.) 

Eine  besondere  Form  der  Besprechung  bildet  auch  das  abnehmende 
Wort,  d.  h.  ein  Wort,  das  mehrfach  wiederholt  werden  muss,  aber  in  der 
Weise,  dass  ihm  bei  jeder  Wiederholung  der  Reihe  nach  ein  Buchstabe 
verloren  geht.  Etwas  ganz  Ähnliches  hat  man  auch  in  dem  Zahlenzauber, 
bei  welchem  man  rückwärts  zählt,  um  die  Krankheit  zu  vertreiben.  So 
beschwört  man  in  Bosnien  die  Knochenschmerzen: 

„Dieses  Leiden  hat  neini  Augen,  zieh  eins  ab,  bleiben  acht;  zieh  eins  ab, 
bleiben  sieben  u.  s.  w.  bis  zieh  eins  ab,  bleibt  keins!"     (405.) 


1)  Es  werden  allerdings  von  einigen  auch  diest;  beiden  Formeln  als  ans  symbolischen 
Zeichen  zusammengesetzt  aufgefasst.  Abra(cada)bra  soll  bedeuten:  A  =  AI  (Vater\  B  -  Ben 
(Sohn),  E=Euh  (Geist).  Die  Sator-Formel  ist  von  Fritsch  ausfülii-lich  in  der  Berliner 
anthropologischen  Gesellschaft  besprochen.  (Zeitschr.  f.  Ethnologie,  XV,  1883;  Verhandl., 
S.  535).    Sie  enthält  acht  verschiedene  Anrufungen  des  Satans. 


38  Bartels: 

In  Ostpreussen  beschwört  man  Jen  Fxisssparr: 

„N.  N.,  Du  hast  den  Pusssparr  siebenmal, 
Nein,  nicht  siebenmal  —  sechsmal, 
Nein,  nicht  sechsmal  —  fünfmal  u.  s.  w. 
Du  sollst  nicht  dreimal  —  zweimal, 
Nicht  zweimal  —  einmal, 
Du  sollst  nicht  einmal  —  keinmal!^     (58.) 

Über  die  Würmer  beim  Vidi  spricht  der  Magyare: 
„Neun  ist  nicht  neun,  sondern  acht  u.  s.  \v.  bis 
Eins  ist  nicht  eins,  sondern  keins!"     (148.) 

Während  die  erste  dieser  drei  Formeln  die  animistische  Anschauung 
des  Volkes  noch  deutlich  erkemien  Hess,  ist  dieselbe  in  den  beiden  letzteren 
Beschwörungen  schon  nicht  mehr  deutlich  aufzufinden.  Das  Gleiche  gilt 
von  der  Mehrzahl  der  Bes])rocluingsformeln,  bei  welchen  dem  Worte  in 
irgend  einer  Form  die  lieilemlo  "Wirkung  zugeschrieben  wird.  Als  beseelt 
erscheint  die  Krankheit,  d.  h.  also  als  wirklicher  Krankheits-Dämon,  in 
einer  Anzahl  von  Beschwörungen,  welche  in  die  Form  einer  Erzälilung 
eingekleidet  sind.  Gewöhnlich  tritll't  irgend  eine  heilige  Persönlichkeit  auf 
der  Wanderung  den  Krankheits-Dämon  und  legt  diesem  dann  die  Frage 
vor,  wollin  er  zu  gehen  beabsichtige.  Der  Dämon  nennt  dann  einen 
bestimmten  Menschen,  nämlich  den  Kranken,  und  erzählt,  in  welcher  Weise 
er  ihn  zu  quälen  und  zu  peinigen  gedenke.  Das  wird  ihm  dann  von  der 
heiligen  Person  auf  das  allerstrengste  untersagt,  und  die  Krankheit  muss 
unverrichteter  Sache  wieder  in  ihre  Heimat  zurückkehren.  Eine  voigt- 
ländische  Beschwörung  gegen  das  Reissen  möge  dieses  erläutern: 

„Gott,  der  Herr,  ging  über  das  Feld;  da  kam  der  Hosti  Hostis.  Gott,  der 
Herr,  sprach:  "Wo  willst  Du  hin?  Ich  will  in  diesen  Menschen  und  will  in  ihm 
reissen,  wüten  und  toben.  Gott,  der  Herr,  sprach:  Das  sollst  Du  nicht  thun  und 
in  ihm  reissen,  wüten  und  toben,  soudern  gehe  hin  in  diesen  wilden  Wald; 
daselbst  ist  ein  Brünnlein  mit  Milch  und  Honig  beflossen.  Da  sollst  Du  hingehen 
und  nicht  wiederkommen!"     (404.) 

Wir  werden  es  wahrscheinlich  wohl  bereits  als  eine  Degeneration 
dieser  Formeln  betrachten  müssen,  wenn  die  heilige  Person  nicht  mehr 
mit  dem  Krankheits-Dämon,  sondern  mit  dem  Patienten  selber,  oder  mit 
einer  anderen,  aber  im  Range  stets  geringeren,  heiligen  Persönlichkeit, 
welche  dann  als  der  Erkrankte  eingeführt  wird,  sich  in  eine  Unterhaltung 
einlässt.  Sie  fragt  dann  nach  der  Ursache  der  Traurigkeit  des  Patienten 
und  erhält  zur  Antwort  die  Klagen  von  seinen  Leiden,  welch  letztere  sie 
dann  durch  ihren  göttlichen  Machtspruch  heilt. 

Die  Einkleidung  der  Kraukheits-Beschwörungen  in  eine  erzählende 
Form  ist  eine  weit  verbreitete,  und  wir  haben  in  den  früheren  Abschnitten 
schon  mancherlei  Beispiele  dafür  kennen  gelernt.  Die  Arten  der  Erzählungen 
sind  sehr  verschiedene;  es  würde  uns  aber  viel  zu  weit  führen,  wenn  wir 
sie   alle   hier   analysieren   wollten.     Für    gewölinlich    bildet   die    Erzählung 


(Tbei-  Kranklu'its-Rcsclnvöniiipen.  39 

die  Einleitung  und  führt  allniälilicli  in  die  Besprechung  über.  In  einer 
Beschwörung  der  alten  Sumerer  aber  finden  wir  die  Erzählung  hinten 
angehängt: 

„Der  böse  Namtar')  verbrennt  das  Land,  wie  das  Feuer! 

Der  Namtar  fällt  den  Menschen  an,  wie  der  Idpa'')! 

Der  Namtar  breitet  sich  über  die  Ebene  aus,  wie  eine  Kette! 

Der  Namtar  nimmt  den  Menschen  gefangen,  wie  ein  Feind! 

Der  Namtar  entzündet  den  Menschen,  wie  eine  Flamme! 

Der  Namtar  hat  keine  Hand,    keinen  Fuss,    er  überfällt  den  Menschen,   wie 

eine  Schlinge! 
Der  Namtar  schnürt  den  Siechenden,  gleich  einem  Bündel! 

Er  unterschlägt 

Er  verdirbt 

Er  beraubt  den  Menschen  des  günstigen 

Er  erfasst 

Diesen  Menschen,  sein  Gott  verlässt  ihn! 
Seine  Göttin  entfernt  sich  aus  seinem  Körper. 
Silik-mulu-khi  ist  ihm  zu  Hilfe  geeilt; 

Er  ist  in  die  Behausung  seines  Vaters  Ea  getreten  und  hat  zu  ihm  gesprochen: 
Mein  Vater,  der  böse  Namtar  verheert  das  Land,  wie  das  Feuer! 
Ein  zweites  Mal  hat  er  zu  ihm  gesprochen: 

Was  dieser  Mensch  that,  er  weiss  es  nicht;  wodurch  wird  er  Genesung  erlangen? 
Ea  hat  seinem  Sohn  Silik-mulu-khi  erwidert: 

Mein  Sohn,  was  wüsstest  Du  nicht,   was  sollte  ich  Dich  weiter  noch  lehren? 
Was  ich  weiss,  das  weisst  Du  doch  auch ! 
Tritt  heran,  mein  Sohn  Silik-mulu-khi! 
Knete  (den  Schlamm)  des  Oceans 

Und  forme  daraus  das  ihm  (dem  Namtar)  älmliche  Bild!^) 
Lege  den  Menschen  nieder,  nachdem  Du  ihn  einer  Reinigung  unterzogen  hast! 
Lege  (das  Büd)  auf  seinen  enthlössten  Unterleib! 
Teile  ihm  den  Zauber  mit  der  von  Eridhu  kommt! 
Wende  sein  Antlitz  nach  Westen! 

Dass    der    böse  Namtar,    der    seinem  Körper    innewohnt,    sich  anderswohin 
niederlasse!"     (51,) 

Nun  bleibt  noch  eine  Gruppe  von  Beschwörungsformeln  übrig,  welchen 
wir  auch  bei  dem  besten  Willen  einen  Sinn  oder  Gedankengang  nicht 
hinein  zu  interpretieren  vermögen.  Was  fängt  man  z.  B.  mit  Formeln  an, 
wie  die  folgenden? 

„Rohrbett,  Steinpolster,  Dornenleintuch,  Käsloser  Hirse  Christi,  und  der  Spruch 
Jesus:  Verschwinde  der  Ausschlag!"     (1"29.) 

Mit  diesen  Worten  besprechen  die  Magyaren  eineuBeulenausschlag. 
Eine  Beschwörung  von  Blutungen  bei  den  Letten  lautet: 

„Die  schwarze  Schlange  flog  durch  die  Luft,  schwarzes  Blut  vergiessend,  die 
feinen  Brennesseln    beissend.     Voll    die  Sümpfe    von    schwarzen  Birken,    voll   die 

1)  Die  Pest. 

2)  Das  Fieber. 

3)  Hier  wird  wieder  der  Ki-ankheits-Dämou  durch  Vorhalten  seines  Abbildes  vertriel)eii. 


40  Hiutniaiiu: 

Felder  von  Knochen  gefallenen  Viehes,  voll  das  Meer  von  Haufen  Eis,  voll  die 
Felder  von  Ackerleuten!  Nimm,  o  Meer,  Dein  Eis  zusammen  —  Mütterchen  Deine 
Ackerleute!"     (No.  93.) 

Fieberhitze  beschwören  die  Lotteu  folgendermasseii : 

„Eis  im  Brunnen!  Eis  im  Graben!  Heisses  Wasser  hinter  der  Schwelle! 
Hammelfleisch  kocht  im  Kessel,  Eisholz  darunter!  Eine  blaue  Ziege  liegt  auf  dem 
Stoppelfelde,  die  Füsse  ausgestreckt!  Zieh'  in  die  Hölle,  zieh"  in  die  Hölle  mit 
allen  Schmerzen.  Eine  rote  Jungfrau  watet  dureh's  Meer,  einen  weissen  Stab  in 
der  Hand!"     (No.  32.) 

Knochenbrüclie  bespreclieii  die  Letten  mit  dem  Zauberspruche: 

„Eine  weisse  Henne,  weisser  Zopf,  läuft  in  den  grünen  Wald,  bleibt  am 
trockenen  Baum.     Je.sus  geht  übers  Meer,  dort  glüht  Eichenholz  im  Ofen!" 

(No.  14G.) 

Ob  es  sich  hier  um  symbolische  Worte  handelt,  deren  Nennung  ver- 
steckte und  auf  die  Heilung  der  Krankheit  bezügliche  Ideenassociationen 
auslöst,  oder  ob  es  einstmals  verständliche  Formeln  waren,  welche  durch 
immer  mehr  und  mehr  zunehmende  A'erstümmelung  nllmählicli  bis  zu 
diesem  unsinnigen  Wortlaute  gelangt  sind,  das  werden  wir  wohl  nicht  zu 
entscheiden  vermögen.  Aber  auch  der  heutige  Besprecher  selber  wird 
wohl  kaum  imstande  sein,  uns  hierüber  die  nötige  Aufklärung  zu  ver- 
schaffen, und  so  werden  wir  uns  wohl  bescheiden  müssen. 

Wir  sind  hiermit  bei  dem  Schlüsse  unserer  Erörterungen  angelangt. 
Es  geht  aus  denselben  wohl  deutlich  hervor,  was  für  eine  bedeutende 
Rolle  auch  heute  noch  in  der  Volksmedicin  die  animistische  Auffassung 
der  Krankheiten  als  dämonisclier  Wesen  spielt  und  wie  unendlich  gering 
in  dieser  Beziehung  die  Grenzsclieide  ist  zwischen  rlen  civilisierten  Nationen 
und  den  so  häufig  noch  als  Wilde  betrachteten  Naturvölkern.  Immer  mehr 
und  mehr  wird  es  klar,  wie  wenig  wir  uns  in  unseren  Gedankengängen  von 
ihnen  unterscheiden,  und  wie  namentlich  in  Bezug  auf  die  medieinischen 
Anschauungen  das  niedere  A^olk  noch  immer  ein  Naturvolk  ist. 


Schwanke  und  Schnurren  im  islamischen  Orient. 

Von  Martin  Hartmaun. 

Zu  alleu  Zeiten  und  bei  allen  Völkern  hat  es  solche  gegeben,  die  sich 
auszeichneten  durch  eine  hervorragende  Gabe,  die  Erscheinungen  und 
Äusserungen  der  umgebenden  Welt  schnell  zu  erfassen,  sie  im  eigenen 
Denken  schnell  zu  verarbeiten  und  schnell  zu  handeln,  und  das  alles  richtig 
und    unter  Bereclmung    des  eigenen  Vorteils;    daneben  solche,    die  gerade 


Schwanke  und  Schnurren  im  islamischen  Orient.  41 

im  Gegenteil  ungewöhnlich  schwach  im  Auffassen  und  ungeschickt  in  der 
Verwertung  des  Wahrgenommenen  zu  Äusserungen  in  Wort  und  That 
waren:  mit  einem  Worte,  sehr  Schlaue  und  sehr  Dumme.  Solche  Persönlich- 
keiten haben  stets  die  Aufmerksamkeit  der  grossen  Masse,  des  auch  in 
diesen  Beziehungen  auf  einer  Mittelstufe  stehenden  Durchschnittsmenschen 
erregt,  und  man  hat  sich  mit  Vorliebe  mit  ihnen  beschäftigt.  Hier  trat 
zu  dem  Element  des  Aussergewöhnlichen  mit  seinem  gewaltigen  Reiz  für 
die  breite  Menge  noch  das  des  Lächerlichen,  Komischeu,  für  das  ja  nicht 
alle  Völker  und  Zeiten  in  gleicher  Weise  empfänglich  waren,  dessen  Rolle 
aber  unter  den  Äusserungen  der  Volksseele  nicht  zu  unterschätzen  ist. 
Erregt  der  Dumme  mit  seinen  thörichten  Einfällen  und  Handlungen  ohne 
weiteres  die  Lachlust,  so  ist  es  bei  den  Geschichten  von  den  Schlauen 
der  Geschädigte  oder  Gefoppte,  der  die  Kosten  der  Heiterkeit  bezahlt. 
Neben  den  beiden  eben  genannten  Typen  kommen  noch  andere  vor:  da 
ist  der  Schalk,  den  Goethe  definiert  als  „eine  Person,  die  mit  Heiterkeit 
und  Freude  jemandem  einen  Possen  spielt";  da  ist  vor  allem  der  weise 
Narr,  der  wahrhaft  Gute  und  Kluge,  der  unter  dem  Scheine  thörichten 
Redens  und  Thuns  eitel  Weisheit  lehrt,  die  menschlichen  Schwächen  und 
Leidenschaften  verspottet  und  die  Mitmenschen  bessern  und  bekehren  will. 

Schon  der  eben  gebrauchte  Ausdruck  „Typen"  weist  auf  die  Neigung 
hin,  das  rein  Persönliche  bei  den  Personen,  die  sich  durch  besondere 
Schlauheit,  Dummheit,  Schalkheit,  weise  Narrheit  auszeichneten,  hintan  zu 
stellen,  es  zu  vergessen  und  das  von  den  Verschiedenen  Überlieferte  alles 
auf  ehien  Einzigen  zu  vereinigen,  der  als  das  Urbild  der  mit  jenen  Eigen- 
schaften Versehenen  gilt.  An  diesen  Einen  knüpfte  sich  dann  auch,  was 
nicht  wirklich  gesehen,  erlebt  war,  sondern  der  freien  Erfindung  heiterer 
Gemüter  und  witziger  Köpfe  seine  Entstehung  verdankte. 

Gerade  die  letzte  Art  lustiger  Geschichten  ist  besonders  zahlreich  und 
wichtig.  Siud  sie  doch  zum  grössten  Teil  Darstellungen  eines  allgemeinen 
Gedankens,  einer  oft  gemachten  Beobachtung  menschlicher  Schwächen  und 
Untugenden  in  Form  einer  Erzählung.  Diese  Thätigkeit  des  Volkes,  eine 
Wahrheit,  eine  Thatsache,  eine  Erfahrung  an  einem  handgreiflichen  Beispiel 
deutlich  zu  machen,  kann  wohl  zu  den  Äusserungen  des  Völkergedankens 
gerechnet  werden,  deren  selbständiges  Hervortreten  bei  räumlich  und 
zeitlich  einander  fernstehenden  Völkern  so  oft  mit  Recht  betont  worden 
ist.  In  zahlreichen  Fällen  wird  es  allerdings  nicht  leicht  sein,  mit  Sicher- 
lieit  festzustellen,  ob  die  Darstellung  eines  und  desselben  Motivs  —  dieser 
Ausdruck  wird  im  Folgenden  für  den  oder  die  Leitgedanken  der  Er- 
zählungen angewandtwerden  —  durch  mannigfaltige  Formen  in  verschiedenen 
Litteraturen  auf  eine  ursprüngliche,  selbständige  Form  für  das  Motiv  bei 
jedem  einzelnen  Volke  zurückgeht,  oder  ob  eine  Urfassung  anzunehmen 
ist,  aus  der  jene  mannigfaltigen  uns  vorliegenden  Versionen  herzuleiten 
sind.     Denn    das    ist    keine   Frage,    dass    eine  Herübernahme    aus    einem 


42  Hai'tmami: 

Volks-  und  Kulturkreise  in  eiuen  anderen  unter  gleiclizeitiger  Anpnssung 
des  Entlehnten  an  die  Vorstellungen  und  Gebräuche  der  Entlehnenden  oft 
stattgefunden  hat,  dass  also  aus  Abweichungen,  selbst  wenn  sie  bedeutender 
sind,  nicht  ohne  weiteres  auf  selbständige  Entstehung  geschlossen  werden 
darf.  Die  Beispiele  hierfür  sind  zahllos.  Jedermann  kennt  die  Fabel  vom 
Milchmädchen^),  das  mit  dem  Topf  auf  dem  Kopfe  zur  Stadt  geht,  aus 
dem  Erlös  grossen  Reichtum  erträumt  und  durch  den  Fall  des  Topfes  um 
das  ganze  Glück  kommt.  Das  Motiv  ist  klar:  Verspottung  thörichter 
Projektenmacherei,  unverständiger  Gewinnberechnung,  die,  kaum  angestellt, 
durch  einen  an  sich  unbedeutenden  Umstand  zu  Schanden  wird.  Nun 
lese  man  die  neunte  Erzählung  im  fünften  Buche  der  alten  indischen 
Sammlung  lehrhafter  Geschichten  Pautschatantra,  der  zerbrochene  Topf"): 
Ein  Brahmane  hat  die  Reste  des  erbettelten  Reisbreies  in  einem  Topfe 
über  seiner  Bettstelle  aufgehängt;  eines  Nachts  malt  er  sich  aus,  wie 
er  den  Reisbrei  bei  einer  Hungersnot  verkaufen  könne,  wie  er  Ziegen, 
dann  Rinder,  dann  BüfPel,  dann  Stuten,  damit  Gold,  mit  diesem  ein  sehr 
schönes  Haus  erwerben,  eine  schöne  Frau  bekommen  und  von  dieser  ein 
Söhnchen  haben  werde;  sitze  er  dann  eines  Tages  hinten  im  Stall  beim 
Studieren,  so  werde  der  Junge  bei  ihm  spielen  wollen,  er  werde  seiner 
Frau  rufen,  das  Kind  fort  zu  nehmen,  diese  aber  nicht  hören  und  dafür 
von  ihm  einen  Fusstritt  bekommen;  er  schlägt  aus  mit  dem  Fusse,  der 
Topf  wird  getroffen  und  sein  Inhalt  überschüttet  ihn.  Noch  ziemlich  eng 
schliesst  sich  an  diese  Darstellung  des  Blotivs  die  wahrscheinlich  aus  einem 
älteren  Grundwerke  geflossene  arabische  Fabelsanimlung  Kaiila  und  Dimna 
au^),  mit  der  bis  auf  unbedeutende  Varianten  Ibu  'Abd  rabbihi'')  über- 
einstimmt. Es  ist  wohl  kaum  eine  Frage,  dass  auch  die  Lafontaine  sehe 
Fabel  auf  dieselbe  Quelle  zurückgeht,  und  doch,  wie  viele  Verschiedeu- 
heiten  im  einzelneu! 

In  manchen  Fällen  wird  sich  die  Frage:  Entlehnung  oder  Ursprüng- 
lichkeit? beantworten  lassen,  sobald  eine  vollständige  Sammlung  des 
Materials  vorliegt,  sobald  die  gesicherten  Beweisstücke  da  sind,  deren  es 
bei  derartigen  Forschungen  bedarf;  auf  die  Notwendigkeit,  zunächst  diese 
zu  beschafPen,  ist  mit  Recht  wieder  neuestens  von  Bastian  in  seinem 
„Ideale  Welten  in  Wort  und  Bild"  hingewiesen  worden.  Nur  dass  die 
von  ihm  ausgesprochene  Warnung  vor  Vermutungen  über  mythologische 
Grundbegriffe  sich  hier  in  eine  solche  vor  Vermutungen  über  soziale  und 
ethische  Grundbegriffe  gestalten  wird.     Ein  Zuweitgehen  im  Schematisieren 


1)  Lafontaine  VII,  No.  8. 

2)  Benfey  II,  345. 

3)  ed.  de  Sacy,  p.  217.    Der   arabische   Bearbeiter,    'Abdallah  ihn  Elmukafl'a'    starb 
139  d.  H.  (756/7  n.  Chr.). 

4)  El-'ikd  el-farid,  III,  445:  auch  Kaljübi  (.s.  nnteu)  hat  die  Gescliichte  und  nach 
ihm  ist  sie  MadscliänJ  I,  102  abgedruckt. 


Schwanke  mi<l  SchimiTen  im  islamischen  Orient.  43 

könnte  hier  leicht  zn  Terhäugnisvolleu  Irrtümern  führen,  und  die  Fanatiker 
eines  solchen  Verfahrens  würden  sclaiell  dazu  gelangen,  die  Erzengnisse 
der  naiven  Thiitigkeit  der  Volksseele  anzusehen  als  eine  Sammlung  von 
Beispielen  zu  nioralisehen  Gemeinplätzen. 

Natürlich  soll  damit  in  keiner  Weise  eine  Zustimmung  zu  den  ober- 
flächlichen Worten  ausgesprochen  werden,  in  welchen  Decourdemauche  in 
der  Einleitung  zu  seiner  Bearbeitung  der  Nasr  eddin-Schwänke  jede  ver- 
gleichende Thätigkeit  ablehnt.  Es  wäre  reiner  Zeitverlust,  sagt  er'),  zu 
untersuchen,  welche  europäischen  oder  orientalischen  Autoren  mehr  oder 
minder  ähnliche  Geschichten  wie  die  von  Nasr  eddin  Hodscha  geboten 
haben. 

Was  sich  bei  fleissiger,  vergleichender  Bearbeitung  des  Materials  für 
Ermittlung  der  Zusammenhänge  und  damit  der  Faktoren,  welche  bei  den 
verschiedenen  Völkern  auf  die  Gestaltung  eines  und  desselben  Stoffes 
Einfluss  haben,  gewinnen  lässt,  ersieht  man  aus  der  hübschen  Studie  von 
Eduard  Grisebach  über  die  Wanderung  der  Geschichte  von  der  treulosen 
Witwe  durch  die  Weltlitteratur.  Systematische  Bearbeitung  einer  Anzahl 
von  lustigen  Geschichten  der  Art.  die  uns  hier  beschäftigt,  würde  ähnlich 
eine  reiche  Fülle  bemerkenswerter  Ergebnisse  zeitigen. 

Ebenso  wenig  soll  damit  eine  andere  Art  ordnender  Thätigkeit  aus- 
geschlossen werden,  nämlich  die,  welche  die  Vorstellungen  von  Recht  und 
Sitte,  Erlaubtem  und  Unerlaubtem,  Schlauheit  und  Dummheit,  die  Be- 
trachtungen der  Volksseele  über  die  Äusseruugen  der  Menschennatur, 
namentlich  die  weniger  nachahmenswerten,  zu  ermitteln  und  mit  einander 
in  vergleichende  Beziehungen  zu  bringen  strebt.  Naturgemäss  wird  eine 
vergleichende,  ordnende  Thätigkeit  solcher  Art  um  so  intensiver  sein,  je 
besser,  d.  h.  je  vollkommener  und  zuveidässiger  das  Material  ist,  auf  das 
sie  sich  stützt.  Dieses  Material  bilden  hauptsächlich  die  Sammlungen  von 
Schnurren  und  Schwänken,  welche  in  Volksbüchern  und  in  Litteratur- 
werken  anderer  Art  vorliegen. 

Sind  solche  (^lellenwerke  für  den  Forscher  aus  den  occidentalischeu 
Litteraturen  in  verhältnismässig  grosser  Zahl  und  guter  Art  zugänglich 
gemacht,  so  lässt  sich  nicht  das  Gleiche  von  denen  des  Orients  sagen, 
ausgenommen  etwa  Indien,  dessen  ältere  Sammlungen  dieser  Art  im 
Originaltexte  und  in  zum  Teil  vorzüglicher  Bearbeitung  von  jedermann  benutzt 
werden  können.  Recht  gering  ist  die  Sammelthätigkeit  gewesen  auf  dem 
Gebiete  der  arabischen  Litteratur  und  der  Litteraturen  und  Volksäusserungen, 
welche  dem  Kreise  der  arabisch-islamischen  Kultm'  angehören.  Es  ist  um* 
ein  einziges  der  in  diesen  Kreis  gehörenden  Volksbücher,  das  bisher  voll- 
ständig den  Forschern  erschlossen  worden  ist.  Das  ist  die  bekannteste 
aller   orientalischen  Schnurrensammlungen,    die    sich    an    den  Namen    des 


1)  Decourdemanche,  Sottisier  XI. 


44  Hartmann : 

türkischen  Eulenspiegels,  wie  er  wohl  genannt  worden  ist.  des  Xasr  eddin 
Hodscha  knüpft.  Über  den  Namen  selbst  ist  niclit  viel  zu  sagen.  Als 
Schauplatz  seiner  Thätigkeit  als  Hodscha,  d.  h.  als  Geistliclier  und  Scliul- 
meister,  werden  verschiedene  Orte  Kleinasiens  genannt,  des  öfteren  Siwri 
Hissar  und  Konia;  sein  Grab  wird  in  Akschehir  in  Kleinasien  zwischen 
Kutahja  und  Konia  gezeigt.  Als  seine  Zeit  kann  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts angenommen  werden,  denn  wird  er  oft  in  Verbindung  mit  dem 
im  Jahre  1405  verstorbenen  Mongolenherrscher  Timurlenk  gebracht,  so 
erscheint  daneben  auch  der  ein  Jahrhundert  früher  gestorbene  Seldschukide 
'Ali!  eddm.  Wichtig  ist  die  Frage  nach  seiner  Zeit  und  seinen  Lebens- 
umständen nicht,  denn  die  Geschichten,  deren  Held  er  ist,  sind  zum  Teil 
Gemeingut  der  Weltlitteratur,  zum  Teil  Ausflüsse  des  specifisch  türkischen 
Wesens,  das  sich  in  diesem  Manne  wie  in  einem  Generalvertreter  kon- 
zentriert hat.  Als  erster  scheint  der  bekannte  Gallaud,  dem  ja  Europa 
auch  die  Bekanntschaft  mit  den  Erzählungen  der  1001  Nacht  verdankt  (gest. 
1715),  Mitteilungen  aus  den  Xasr  eddm-Schwänkcn  gemacht  zu  haben. 
Für  die  Paroles  Kemarquables  et  Maximes  des  Orientaux')  benutzte  er, 
neben  vielen  anderen  Werken  auch  „deux  recueils  de  bons  Mets  en  Türe", 
von  denen  man  wohl  annehmen  kann,  dass  sie  Nasreddin-Schwänke  ent- 
hielten, obwohl  in  keiner  der  von  G.  gebrachten  Geschichten  dieser  Xame 
vorkommt;  denn  er  habe  nur  eine  Auswahl  treffen  können:  „les  autres  .... 
etaient  trop  vulgaires.ou  trop  libres  et  indignes  de  la  curiosite  des  honnetes- 
gens"-);  das  passt  ganz  auf  die  türkischen  Produkte  dieser  Art.  Im  Jahre 
1857  erschienen  dann  in  Triest  „Meister  Nasr  eddins  Schwanke  und  Eäuber 
und  Richter,  aus  dem  Türkischen  übersetzt  von  von  Camerloher  und  Prelog", 
von  denen  der  erstere,  nach  der  Vorrede  zu  schliessen,  jene  Schwanke 
zuerst  entdeckt  und  der  Öifentlichkeit  zugänglich  gemacht  zu  haben  glaubt. 
Wichtig  wurde  diese  an  sich  nicht  hervorragende  Arbeit  durch  die  aus- 
führliche Besprechung,  welche  ihr  der  verstorbene  Meister  der  Folklore- 
Forschung,  Reiuhold  Köhler  im  „Orient  und  Occident"')  zu  Teil  werden 
liess.  Im  Jahre  1872  behandelte  Ethe  in  seineu  Essais  und  Studien  den 
Stoff,  aber  erst  1878  wm'de  das  türkische  Volksbuch  vollständig  zugänglich 
gemacht:    Decoui-demanche,  der  schon  1876  126  Schwanke  (soviel  wie  bei 


1)  Zuerst  gedi-uckt  Paris  1694,  später  aufgenommen  in  den  Neudi'uck  von  d'Herbelots 
Bibliotheque  Orientale,  Haag  1777—79,  IV,  453 jff.  lu  diesem  Druck  hat  der  Name  des 
Verfassers  immer  die  Form  Galand. 

2)  Mit  Sicherheit  sind  als  Sasreddin-Schwänke  um  wenige  zu  erkennen,  so  der  von 
dem  Schulmeister  (p.  467),  welcher  ein  Depositum  herausgeben  soll,  aber  den  Unterricht 
nicht  unterbrechen  will:  der  Deponent  bietet  an,  statt  seiner  so  lange  ,mit  dem  Kopfe 
zu  wackeln";  er  hatte  nämlich  das  für-  die  Hanpttliätigkeit  des  Lehrers  beim  Unterrichte 
angesehen  (a.  a.  0.  467;  vgl.  Recl  Bu  120);  der  andere  Scherz:  .er  könne  wohl  in  seiner 
Vaterstadt  die  Klugen  zählen,  nicht  die  Dummen",  wird  von  G.  mit  Bezug  auf  Bahlül  und 
die  Stadt  Basra  erzählt  (ib.  p.  467;  vgl.  Recl  Bu  121). 

3)  I,  431—448.    764—766. 


Schwanke  und  Schnurren  im  islamischen  Orient.  45 

CaiiK-rlolier)  in  „les  plaisanteries  de  Niisr  eddin  hodja"  (Paris  1876)  mitgeteilt 
hatte,  liess  1878  sein  „Sottisier  de  Nasr  eddin  hodja,  bouffon  de  Tamerlan, 
suivi  d'autres  faceties  turques  trad.  sur  des  manuscrits  inedits"  (Bruxelles) 
erscheinen,    welches    nicht    weniger    als  321  Geschichten   enthält,    die  aus 
gedruckten    und   handschriftlichen  Quellen    geschöpft  sind.     In  demselben 
Jahre    erschien    die  Bearbeitung    des  Nasr  eddm    durch  den  unter  seinem 
türkischen    Namen    Bluräd    Efendi    bekannteren    Österreicher    Franz    von 
Werner '),    und   vor    niclit   lauger  Zeit   wurde    den  weitesten  Kreisen  das 
türkische  Witzbuch  durch  das  Heftchen  der  Reclamschen  Universalbibliothek 
zugänglich  gemacht,  das  den  Titel  führt:  Die  Schwanke  des  Nassr  ed-din 
und  Buadem    von  Mehemed  Tewfik,    mit  Genehmigung  des  Verlegers  aus 
dem  Türkischen  übersetzt  und  stellenweise  erläutert  von  Dr.  E.  Müllendorff. 
Wie    aus    dem  Vorwort  des  Übersetzers  und  der  Einleitung  des  Mehemed 
Tewfik    hervorgeht,    ist   letzterer    nichts    weiter    als    der  Herausgeber  der 
beiden  Schwänke-Sammlungen  von  Nassr-ed-din  und  Buadem  (71  +  130  Er- 
zählungen).    Von  der  Buadem-Sammlung  gehört  ein  Teil  eigentlich  in  die 
erstere,  sofern  eine  Anzahl  Geschichten  älteren  Sammlungen  der  Schwanke 
des  Nasr    eddin  entnommen  sind,    in  dem  zuerst  herausgegebenen  Drucke 
aber  keine  Aufnahme  gefunden  hatten.    Die  Reclamsche  Sammlung  zeichnet 
sich    dadurch  —  in  wissenschaftlichem  Sinne    allerdings  in  unvorteilhafter 
"Weise  —  aus,    dass    die  Spässe    derber  und  schamloser  Natur,    von  denen 
o-erade    die    plumpesten    von  den  Türken  am  meisten  erzählt  und  belacht 
werden,  sorgfältig  auso-emerzt  sind. 

Ein  wertvoller  Beitrag  zu  der  Forschung  über  die  sich  um  den  Namen 
Nasreddin  gruppierende  Schwanklitteratur  liegt  vor  in  dem  hübschen  Büch- 
lein: „Les  fourberies  de  Si  Djeh'a,  contes  cabyles  rocueillis  et  traduits  par 
Monlieras.  Trad.  frauQ.  et  notes  avec  une  etude  sur  Si  Djeh'a  et  les 
anecdotes  qui  lui  sont  attribuees  par  Rene  Basset"  (Paris  1892).'^)  Die 
60  lierberischen  Erzählungen,  welche  den  eigentlichen  Text  des  Buches 
ausmachen,  sind  interessante  Beispiele  der  Gestalt,  welche  die  meist  auch 
sonst  bekannten  Stücke  im  Munde  der  Kabylen,  der  berberisch  sprechenden 
Bewohner  Algeriens  angenommen  haben.  Weit  wichtiger  ist  aber  die 
Einleitung  des  vielbelesenen  und  kenntnisreichen  Rene  Basset,  welcher 
sich  die  Mühe  genommen  hat,  die  „Version  turque",  d.  h.  die  Bearbeitung 
von  Decourdemanche,  die  „Version  arabe"  d.  h.  einen  gleich  zu  besprechenden 
ägyptischen  Druck,  und  die  „Version  herbere",  d.  i.  eben  die  Moulierassche 
Sammlung,  in  einer  vergleichenden  Tabelle  von  drei  Spalten  zusammen- 
zustellen und  in  zalilreichen  Anmerkungen  Parallelen  aus  allen  Litteraturen 


1)  Nassreddin  Chodja.    Ein  osmanischer   Exilenspiegel.    Oldenburg.  —  29  Schwanke 
in  poetischer  Form. 

2)  Der  berberische  Text  im  Zonaoua-Dialekt  war  von  Moulieras  kurz  vorher  publiziert 
worden. 


46  Hartmann : 

beizubringen.  Von  besonderem  Werte  ist,  dass  Herr  Rene  Basset,  der 
als  ausgezeichneter  Kenner  des  Berberischen  und  der  arabischen  Vulgär- 
dialekte Nordafrikas  auch  selbst  sammelnd  thätig  gewesen  ist,  die  zahl- 
reichen Publikationen,  die  der  französischen  Herrschaft  in  Algier  die  Ent- 
stelmng  Terdanken,  auf  ihre  Beziehungen  zu  der  Nasreddin-Gruppe  durch- 
gearbeitet hat. 

Bei  der  Frage  nacli  der  Herkunft  der  fremden  Einflüsse,  soweit  solche 
für  Entstehung  der  Schwanke  des  Xasr  eddln-Kreises  anzunehmen  sind, 
liegt  es  am  nächsten,  dieselben  da  zu  suchen,  von  wu  aus  in  so  vielen 
anderen  Bezieliuugeu  eine  tief  eingreifende  Einwirlcung  auf  das  Geistes- 
leben des  türkischen  Volksstammes  stattgefunden  hat:  in  der  arabisch- 
islamischen  Kulturwelt.  Als  im  östlichen  Chalifat  das  türkische  Element 
an  Bedeutung  gewann,  und  beim  Zerfall  des  Ohalifenreiches  eine  Anzahl 
kleinerer  Staaten  mit  meist  türkischen  Dynastien  entstanden,  hatte  arabiscli- 
islamisches  Wesen  in  Yordei'asien  so  festen  Bestand  gewonnen,  dass  kein 
fremdes  Volksthum  sich  iluu  entziehen  konnte,  vielmehr  alle  Äusserungen 
der  nicht  arabischen  Bevölkerungselemente  stark  von  ihm  durchsetzt 
erscheinen.  Erst  der  kräftigsten  aller  Tflrkdynastien,  dem  Hause  Osman, 
gelaug  es,  mit  der  Schaffung  eines  grossen  Reiches  auch  bleibende  Äusse- 
rungen des  Geisteslebens  hervorzurufen,  welche  Eigentümlichkeiten  des 
türkischen  Charakters  aufweisen.  Im  grossen  und  ganzen  stehen  aber  auch 
sie  vollständig  unter  dem  Banne  jener  Kultur,  welche  soeben  melu-facli 
als  arabisch-islamisch  bezeichnet  worden  ist,  weil  ihre  Haupterzeugnisse  in 
arabischer  Sprache  vorliegen,  wenn  auch  mancherlei  fremde  Einflüsse  thätig 
gewesen  sind,  bis  (um  das  Jahr  500  der  Flucht,  d.  i.  um  1107  n.  Chr.) 
im  sunnitischen  Islam  die  Formen  bleibende  wurden,  welche  zu  jeuer  Zeit 
von  der  siegreichen  Orthodoxie  für  diese  Kultur  festgelegt  waren  und 
welche  ja  noch  heute  Geltung  haben.  Am  eliesteu  wird  man  nocli  auf 
dem  Gebiete  des  Märcliens,  des  Liedes,  der  volkstümlichen  Erzählung, 
besonders  lustiger  Art,  Spuren  des  ursprünglichen  Volksgeistes  zu  finden 
hoffen  dürfen,  welcher  durch  den  Einfluss  der  fremden  Kultur  fast  «anz 
verwisclit  ist.  In  den  vorliegenden  Nasreddin  -  Sammlungen  zwischen 
Originellem  und  Fremdem  reinlicli  zu  scheiden,  ist  deshalb  so  schwer,  weil 
die  arabischen  Quellen,  denn  an  solche  ist  bei  dem  Fremden  zunächst  zu 
denken,  so  sehr  spärlich  fliessen.  Niclit  kommen  hier  in  Betracht  die 
heut  uuter  dem  Namen  Nawadir  Dschuhä,  d.  Ii.  Anekdoten  von  Dschuha  im 
arabischen  Orient    beliebten  Schwankbücher');    denn    diese   sind  durchaus 


1)  Nawädir  el-choilscha  nasr  ed-din  offendi  elmulakkab  bidschuha  er- 
rümi,  Lithogr.  o.  0.  und  J.,  36  S.,  8°,  liegt  mir  vor,  -wohl  identisch  mit  der  Lithogr. 
„Bulalt"  (?  in  B.  sind  nie  solche  Bücher  gedruckt  und  sind  fast  ausschliesslich  bewegliche 
Typen  verwandt  worden,  wahrscheinlich  in  einer  der  zahlreichen  kleineren  Steindruckereien 
Kairos  hergestellt,  daher  hier  mit  „Kairo"  bezeichnet)  bei  Basset  in  Fourberies  9,  an  deren 
Ohronogramm    für  1041  B.  wohl    zu   weitgehende  Schlüsse   für    einen  Zusammenhang  mit 


Schwanke  und  Srlinurreii  im  islamischen  Orient.  47 

niclits  aiiik'ics,  als  arabische  Bearbeituugeu  des  türkischen  Volksbiiches, 
wenn  auch  in  ihnen  clor  Name  des  türkischen  Hchnurrenhelden  durch  den 
gut  arabischen  Dschuha  ersetzt  ist  und  hin  und  wieder  Stücke  aus  arabischen 
Quellen  herübergenomnien  scheinen.')  Ebenso  können  die  in  1001  Nacht 
eingestreuten  schwankartigen  Erzählungen  nicht  herangezogen  werden,  da 
die  uns  vorliegende  Redaktion  dieser  Sammlung  kaum  früher  als  um  1450 
wird  angesetzt  werden  dürfen. 

Die  erste  Nachricht  von  arabischen  Schwankbüchern  scheint  vor- 
zuliegen in  dem  ausserordentlich  wertvollen  Werke  des  wahrscheinlich  um 
400  der  Flucht  (=  1010  n.  Chr.)  gestorbenen  Ibn  Abu  Jaküb  en-Nadim, 
das  unter  dem  Namen  El-Eihrist  eine  Übersicht  über  das  damals  an 
arabischen  Werken  aller  Litteraturgattuugen  Vorhandene  giebt.  Es  enthält 
folgende  kurze  Notiz"):  Namen  von  dummen  Menschen,  von  denen  Anek- 
doten von  Unbekannten  in  Büchern  zusammengestellt  sind:  Anekdoten  A'on 
Dschuliä  —  Abu  Dimdim  —  Ibn  Ahmar  —  Süra  el-A'i'3bi  —  Ibn  el-Mausih 
—  Ibn  Ja'küb  —  Abu  'übaid  el-Hazmi  —  Abu  'Alkama  —  Sifflje  (viel- 
leicht Sibüje  oder  Sibawaihi  zu  lesen).')    Von  den  hier  genannten  Männern 


Kaljübi  kiiüiift.  Eine  ältere  Lithographie  von  'AH  Riila  Kairo  1274  lag  Pertsch  vor.  zur 
Vergleichung  mit  Jem  Fragment  einer  kist^at  dschuliä  Ms.  Gotha  ar.  Mo.  2747  (IV  459), 
welches  nach  den  wenigen  hei  P.  mitgeteilten  Worten  wahrscheinlich  mit  einer  Variante 
der  Geschichte  von  Rabi'at  el-bakka'  (s.  Maidäni  I,  197  =  Ibn  lluddscha  I,  145)  beginnt- 
Ferner  liegt  mir  vor  kissat  dschuliä,  Beirut  1886,  gedruckt  auf  Kosten  des  Buchhändlers 
Chalil  El-Chürl,  40  S.  (hier  mit  „Beirut"  bezeichnet). 

1)  Aus  diesen  arabischen  Bearbeitungen  stammt  gewiss  auch  ein  Teil  der  in  Italien 
und  Albanien  an  den  Namen  Dchuha  geknüpften  Gesclüchten :  sicher  sind  Giufä  (Palermo), 
Giucca  (Trapani  und  Toscaua),  Giuxa  (Albanien)  nur  Umbildungen  der  alten  arabischen 
Urform.  Siehe  über  Giufä  u.  s.  w.  Marc  Monnier,  les  contes  populaii'os  en  Italie  (Paris 
1880)  11  (nach  Basset  in  Fourberies  13);  auch  Prym-Socin,  Neuarmen.  Dialekt  des  Tür 
'Abdin  XXV,  Anm.,  werden  diese  italienisch-albauesischen  Umbildungen  erwähnt,  wohl  nach 
Mitteilung  Köhlers.  An  die  türkische  Form  des  Namens:  Nasr  eddin  Hodscha  schliesst 
sieh  die  an,  welche  die  Romanen  für-  diesen  Schwankhelden  haben,  die  bisher  freilich  nur 
aus  deren  romanischer  Versifizierung  des  türkischen  Volksbuches  in  Nasdravanüle  lui 
Nastratiü  Hogea  von  Pann  (Anton),  gedruckt  zuerst  1853,  dann  1873  und  später  in  Bucu- 
resti  0.  J.  bekannt  ist.  Auszüge  aus  diesem,  mir  nicht  zugänglich  gewordenem  Buche  giebt 
Gaster  (Literatiu'a  pop.  romäna  164  ff.).  Welche  Rolle  mag  dieser  Nastradin  neben  dem 
romänischea  Nationalnarren  Pakala  spielen? 

2)  Kitäh  al-fihrist  ed.  G.  Flügel  I,  313. 

3)  An  diese  Aufzählung  des  Fihrist  knüpft  Basset  (Fourberies  13  ff.)  folgende  De- 
duktion: „Am  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  d.  Fl.  gab  es  arabische  Schnmrensammlungen: 
davon  blieb  nur  eine  überlebend  ,et  Ton  grouppa  autour  de  son  heros  Djoha  les  anecdotes 
qui  se  rapportaient  ä  ceux  qu'enumerent  l'auteur  du  Filirist  et  d'auti'es';  diese  Sammlung 
ging  mündlich  in  den  Occident  und  wurde  im  15.  oder  16.  Jahrhundert  ins  Türkische 
übersetzt  und  die  Hauptperson  identifiziert  mit  einem  gewissen  Nasr  eddin  Hodja  ,dont 
l'existence  est  au  moins  douteuse'.  Er  scheint  uur  die  Personifikation  der  Naivität  zu 
sein,  die  in  jedem  Lande  einem  Ort  zugeschrieben  wird  (vgl.  Abdera,  Böotien,  Hini!.;, 
St.  Jago,  St.  Maixent,  Siwri  Hissar,  Beni  Dschennad);  diese  türkische  Version  wurde  oft 
bearbeitet,  auch  arabisch  mit  Zusätzen  gegen  1050  d.  Fl.;  die  mündliche  Überlieferung 
hatte  auch  ,peut-etre  k  la  suite  de  la  conquete  turque'  eine  grosse  Zahl  Schuurren  in  das 
Maghrib  gebracht,    wo  einige  bei  den  Kabylen  Eingang  fanden."     Das  Wesentliche  dieser 


48  Hartmann : 

lässt  sicli  nur  eiuer  mit  Sicherheit  mit  einer  auch  sonst  bekannten  Per- 
sönlichkeit identifizieren:  Der  Ibn  el-Mausill  ist  jedenfalls  der  ebenso  wie 
sein  Yater  Abu  Isliäk  Ibrahim  als  Dichter  und  Sänger  bekannte,  im  Jahre 
235  oder  236  d.  Fl.  (also  etwa  850  n.  Chr.)  gestorbene  Abu  Muhammed 
IshSk  ibn  el-Mausili,  von  dem  sich  in  die  spätere  Litteratur  scherzhafte 
Erzählungen  hinein  gerettet  haben.  Über  den  an  erster  Stelle  genannten 
Dschuha  herrscht  l'neinigkeit:  manche  halten  ihn  für  identisch  mit  dem 
Traditionsüberlieferer  Abul-Ghusn  Dudschain  ibu  Täbit,  der  um  150  d.  Fl. 
(767  u.  Chr.)  gelebt  haben  muss,  die  Identität  beider  wird  jedoch  von 
anderen  bestritten.*) 

Von  den  im  Fihrist  genannten  Schnurreubücheru  ist  uns  nichts  erhalten. 
Doch  hat  sich,  sei  es  nun  aus  ihnen,  sei  es  aus  der  lebendigen  Über- 
lieferung des  Yolkes.  manches  in  jene  grosse  Klasse  von  Werken  der 
arabischen  Litteratm*  hinüber  gerettet,  die  mau  mit  dem  Namen  Adab- 
Bücher  bezeichnet,  d.  h.  die  Werke,  in  denen  allerlei  historische,  sprach- 
liche, litterarische  Notizen  mit  sehr  loser  Beziehung  auf  eine  Anzahl  von 
Materien,  in  die  das  Ganze  geteilt  ist,  aneinander  gereiht  sind.  Gerade  die 
ältesten  Werke  dieser  Art  sind  auch  in  dieser  Beziehung  am  reichhaltigsten 


Ausführung  ist  ansprechend;  nur  ist  befremdlich,  dass  von  der  arabischen  Dschnha-Sainmlung, 
die  alle  anderen  arabischen  Sammlungen  gleichsam  aufgesogen  haben  soll,  sich  gar  keine 
Spuren  zu  linden  scheinen;  ferner  ist  die  Existenz  des  Nasreddin  Hodscha  kaum  unsicherer 
als  die  des  Till  Eulenspiegel:  dass  nach  der  Eroberung  Syriens  und  Ägyptens  um  1516 
die  Türken  durch  die  Berührung  mit  diesen  arabischen  Provinzen  auch  mancherlei  Arabisches 
aufnahmen,  wird  zuzugeben  sein,  aber  das  damals  schon  feststehende  Volksbuch  vom 
Nasreddin  Hodscha  wird  dadurch  nur  geringe  Beeinflussung  erfahren  haben.  Dass  das 
Maghrib  in  seiner  Schwanklitteratur  von  den  Türken  beeinflusst  worden  sei,  ist  wenig 
wahrscheinlich.  Was  neuestens  in  magluibinischen  Dialekten  von  ErzäMungen  publiziert 
worden  ist  i^Stumme,  Tuaische  Märchen:  Sociu,  Zum  arab.  Dialekt  von  Marokko:  Socin 
imd  Stumme,  Der  arabische  Dialekt  der  Houwära)  spricht  nicht  dafiu'.  Endlich  sei  noch 
der  Annahme  gedacht,  der  neuere  arabische  Dschuhä  sei  nichts  als  eine  durch  Yerschreibung 
entstandene  Form  des  türkischen  Chodscha,  die  ja  bei  der  Ähnlichkeit  der  AYorte  in 
arabischer  Schrift  und  der  Ungenauigkeit  in  Setzung  und  Weglassung  der  die  Vokale 
bezeichnenden  schwachen  Buchstaben  denkbar  ist:  doch  es  wäre  höchst  sonderbar,  wenn 
durch  diese  Verschreibimg  ganz  zufällig  ein  aus  der  ältesten  arabischen  Litteratur  aufs 
beste  bezeugter  Name  herausgekommen  wärel  Yielmehr  wird  die  Erinnerung  an  den 
nationalen  Dschuhä  sieh  immer  in  arabischem  Lande  erhalten  haben,  wenn  auch  Schwänke- 
sammlungen  sich  an  seinen  Namen  nicht  knüpften:  als  dann  die  Araber  in  Syrien  und 
Ägypten  vertürkten,  mag  der  Gleichklang  von  Chodscha  und  Dschuha  zu  der  Zusammeu- 
werfimg  beigetragen  haben.  Dass  die  Türken  aus  dem  Dschuhä  sollten  einen  Chodscha 
gemacht  haben,  daran  ist  sicher  nicht  zu  denken. 

1)  Die  Hauptsachen  hierüber  sind  gut  zusammengestellt  im  Tädsch  el-^arus  s.  v. 
dschuha:  etwas  abweichend  Scheicho  in  Medschäni  el-adab,  Konun.  65,  der  richtig  bemerkt, 
dass  die  heute  unter  dem  Namen  Dschuha  umgehenden  Geschichten  mit  diesem  Dschuha 
nichts  zu  thun  haben,  .sondern  dem  Dschuha  er-Rümi,  d.  h.  dem  Romäer  Dsch.  angehören. 
—  Unhaltbar  ist  ^die  Vermutung  Pihrist,  II,  154  f.  (zu  I,  313),  dass  Hudschaij  zu  lesen, 
mit'[der  Bemerkung:  .doch  wäre  auch  Dschuhaij  möglich,  da  Ibn  Duraid  65,  Anm.  d. 
bemerkt  ist:  wadschahä  aiilan  bitakdira  eldschim":  es  ist  unerklärlich,  wie  die 
Verfasser  von  Fihr  IT  zu  dieser  Heranziehung  der  Stelle  des  I.  D.  gekommen  sind,  da  in 
derselben  nur  von  dem  Verbum  hadschä  die  Rede  ist. 


Schwäuke  und  SrliiiuiR'ii  im  islamisolion  Orient.  49 

und  für  uns  am  wichtigsten;  so  das  el-Käniil  des  Mubarrad,  gest.  285' d.  Fl. 
(=  898  u.  Chr.),  und  das  el-'Ikd  el-farid  dos  Ibn  'Abd  Rabbihi,  gest. 
.328  d.  Fl.  (940  n.  Chr.).  Unter  den  späteren  Werken,  welche  dieser  Klasse 
zugerechnet  werden  können,  ist  besonders  wichtig  die  grosse  Sprichwörter- 
sammlung des  Abul-Fadl  Ahmed  el-Maidäni,  gest.  511  (=  1124  n.  Chr.), 
der  in  seinem  niadsclima'  el-amtäl')  bei  den  zahlreichen  Sprichwörtern, 
welche  beginnen  mit  „dümmer  als"  über  die  Personen,  die  so  gekennzeichnet 
werden,  Angaben  macht,  soweit  er  Material  hat.  ^)  Von  den  Personen,  von 
welchen  er  Dummheitsschwänke  erzählt,  ist  am  bekanntesten  Habannaka, 
welcher  eigentlich  Jezid  ibn  'Parwau  hiess,  dem  Stamme  Fazära  augehörte 
und  den  Beinamen  Abul-ghusn  hatte.  ^)  Er  scheint  schon  sehr  früh  wegen 
seiner  Unschlauheit  sprichwörlich  gewesen  zu  sein,  denn  sclion  der  um 
100  d.  Fl.  (719  n.  Chr.)  gestorbene  Dichter  el-Farazdak  erwähnt  ihn  in 
einem  der  Spottverse  auf  seinen  grossen  Xebenbuhler  Dscherir  mit  Be- 
ziehung auf  die  Hauptdunimheit,  die  ihm  nachgesagt  wird,  und  die  sehr 
liäufig  erzählt  wird:  H.  hatte  sich  eine  Halskette  von  Knochen  und  Muscheln 
gemacht  und  sagte  auf  Befragen,  er  trüge  sie,  um  nicht  verloren  zu  gehen. 
Da  stahl  sie  ihm  sein  Bruder  eines  Nachts  und  that  sie  selbst  an.  Als  H. 
ihn  sah,  sagte  er:  Mein  Bruder,  du  bist  ja  ich,  wer  bin  ich  denn  nun?*) 
Von  dieser  Halskette  hatte  er  den  Namen  der  Muschelmann.  Ausser  dieser 
hat  Maidmii  noch  drei  Geschichten  von  ihm:  Einst,  heisst  es,  trieb  er  beim 
Weiden  der  Schafe  die  fetten  Tiere  in  das  dichte  Futtergras  und  hielt 
die  mageren  abseits.  Auf  die  Vorwürfe  darüber  erwiderte  er:  „Ich  werde 
doch  nicht  bessern,  was  Gott  schlecht  gemacht  hat,  und  nicht  verderben,  was 
Gott  gutgemacht  hat!  ^)  Die  anderen  beiden  Geschichten  sind  weniger  lustig. °) 


1)  Öfters  im  Orient  gciü'uckt;  mir  liegt  vor  die  ed.  Kairo  v.  J.  1284. 

2)  Es  sind  folgende:  1.  Abu  Ghabschan,  I,  191  f.,  vgl.  Ibn  Huddscha,  I,  14.5:  2.  Ha- 
bannaka, I,  192,  vgl.  Ibn  Doreid214,  TAY,  534;  3.  Dschahize,  I,  193;  4.  Dugha,  I,  193  f.; 
5.  Scharanbat,  I,  196  f.;  6.  Baihas.  I,  197;  7.  Dschulia,  I,  197;  8.  Rabi'at  el-bakka,  1,197, 
vgl.  Ibn  Huddscha,  I,  145. 

3)  Nach  Maidani,  I,  192:  Abul-ghu^n  ist  auch  der  Beiname  des  Dschulia  (s.  hier 
S.  48);  es  scheint  hier  ein  Zusammenfliessen  stattgefunden  zu  haben. 

4)  Dies  ist  die  am  häufigsten  von  ihm  erzählte  Geschichte;  schon  bei  Maidani  a.  a.  0.; 
den  Vers  des  Farazdak ,  der  wohl  auf  sie  Bezug  uimmt ,  s.  bei  Ibn  Doreid  214,  wo  er 
unverständlich  und  nach  TA  V,  534  zu  korrigieren  ist  (a'ni  fiir  'anni).  —  Das  Motiv  des 
Sichiiichtmelu'kennens  infolge  einer  äusserlichen  Veränderung  auch  in  Grimm,  KM,  No.  34 
(die  kluge  Else,  nachdem  ihr  das  Vogelgarn  mit  den  Schellen  angethan  ist)  und  No.  59 
(Katerlieschen,  das  sich  selbst  halb  träumend  die  Kleider  vom  Leibe  geschnitten). 

5)  Maidauj  a,  a.  0.;  auch  Medschäni,  I,  92. 

6)  Von  dem  verlorenen  Kameel,  das  dem  Finder  gleich  von  vornherein  als  Geschenk 
versprochen  wird,  um  doch  die  Süssigkeit  des  Fiudens  zu  gemessen,  und  von  der  Ent- 
scheidung über  den  Mann,  der  von  zwei  Stämmen  als  Angehöriger  in  Anspruch  genommen 
wurde,  den  band  tafäwa  (dem  „Schwimmstamm")  und  den  banü  rasib  (dem  „Untergeh- 
stamm") und  den  nun  der  als  Richter  angerufene  Dumme  in  den  Fluss  werfen  lassen 
will,  damit  er  zeige,  zu  welchem  Stamme  er  gehöre;  aus  Maidani  hat  wohl  Ibn  Huddscha 
geschöpft  (I,  144  f.),  der  diese  Geschichten  ebenfalls  von  Habaunaiva  erzählt.  Im  H>d, 
III,  319  ist  der  Richter  in  der  zweiten  Sa'd  er-rabija  und  die  Sache  spielt  vor  dem  Emii'  Zijad. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1895.  4 


50  Hartmann : 

Auch  den  bereits  erwähteii  Dschuhä  hat  MaidänT  und  erzählt  drei 
Geschichteu  von  ihm,  von  denen  sich  eine  in  den  bekannten  Sammlungen 
des  Nasreddin-Kreises  findet:  Er  stösst  beim  Herausgehen  aus  seinem  Hause 
im  Gange  auf  einen  Toten  und  wirft  ihn  in  den  Hausbrunnen;  sein  Vater 
fürchtet  Gefahr,  zieht  den  Toten  heraus  und  wirft  einen  toten  Hammel 
hinein;  die  Verwandten  des  Ermordeten  laufen  in  den  Strassen  el-Küfas 
(danach  wohnte  Dschuhä  in  dieser  Stadt)  herum,  ihn  zu  suchen,  treffen 
Dschuhfi,  der  ihnen  gleich  sagt,  in  unserem  Hause  ist  ein  Toter;  sie  lassen 
ilm  in  den  Brunnen  hinab,  er  findet  den  Widder  und  ruft  sofort:  „Hatte 
der  Gesuchte  Hörner?"  So  zogen  sie  ab.')  Die  beiden  anderen  Geschichten 
bei  Maidänl  sind  folgende:  Dschuhä  gräbt  an  einem  Orte  ausserhalb  el- 
Küfas,  um  einen  Schatz  wiederzufinden,  den  er  früher  dort  vergraben,  und 
klagt,  er  könne  die  Stelle  nicht  wiederfinden;  auf  die  Frage,  ob  er  sich 
denn  keiu  Zeichen  gemacht,  erwidert  er:  „Ja,  eine  Wolke  am  Hiiimiel,  die 
die  Stelle  damals  gerade  beschattete."  —  Als  Abu  Muslim  als  Statthalter 
nach  el-Küfa  kam,  fragte  er,  wer  den  Dscliuhä  kenne;  es  meldet  sich  ein 
Mann  namens  Jaktm;  er  solle  ihn  bringen;  sie  kommen  zusammen  zu  Abu 
Muslim,  der  ganz  allein  im  Gemache  ist;  Dschuhä:  „Du,  Jaktm,  wer  von 
Euch  beiden  ist  nun  Abu  Muslim?'"') 

Die  ältesten  ims  erhaltenen,  rein  um  ihrer  selbst  willen  angefertigten 
Zusammenstellungen  von  lustigen  Geschichten  scheinen  die  beiden  Werke 
des  im  Jahre  597  d.  FI.  (1201  n.  Chr.)  gestorbenen  Ibn  el-Dschauzi'')  zu 
sein,  von  denen  das  eine,  das  Kitäb  el-adkijä,  d.  h.  das  Buch  der 
Schlauen,  im  Orient  gedruckt*)  ist,  das  andere,  das  Kitäb  el-humakü 
wal-mughaffalin,  d.h.  das  Buch  der  Dummen  und  Tölpel,  sich  hand- 
schriftlich in  Paris  findet.  ^)  Beide  werden  von  Ibn  Huddscha ")  unter  den 
Quellen  seines  tamarät  el-auräk  genannt  (1, 142).  Nicht  lange  nach  dem 
Tode  des  Ibn  el-Dschauzi  verfasste  der  i.  J.  606  gestorbene,  einer  vornehmen 
christlichen  Familie  in  Kairo  entstammende  As'ad  Mammäti '),  bekannter  unter 
dem  Namen  Ibn  Mammäti,  sein  Kitäb  el-faschüsch  fi  ahkum  karaküsch, 
d.  h.  Buch  des  Schwachköpfigen  über  die  Entscheidungen  des  Karaküsch"). 


1)  Maidäni,  I,  193,  vgl.  zu  dieser  Fassung  Fourberies  No.  21,  Stumme,  II,  131:  der 
Wurstregen,  wo  das  andere  Motiv  liineiu  verflochten  ist,  dass  der  Schuldige  von  einem 
Wurstregen  spricht  und  deshalb  für  unzurechnungsfüliig  gehalten  wii-d;  zu  diesem  Wurst- 
regen vgl.  auch  den  Kringelregen  bei  U.  Jahn,  Schwanke  und  Schnui-ren,  51. 

2)  Maidäni  a.  a.  0.;  am  Schlüsse  des  Artikels  erörtert  M.  noch  die  Form  des  Namens 
Dschulia  und  seine  Ableitung. 

3)  s.  über  ihn  Wüstenfeld,  Geschichtsschreiber  der  Araber,  No.  287. 

4)  Kairo,  Scheref  1804. 

5)  a.  f.  ar.  1616;  suppl.  ar.  3547. 

(!)  Gestorben  837  d.  Fl.  (=  1433  n.  Chr.). 

7)  s.  über  ihn  Wüstenfeld,  Geschichtsschreiber,  No.  295. 

8)  Wie  es  sich  mit  dem  gleichnamigen  Werke  verhält,  das  dem  im  .Jahre  911  (1505/6 
n.  Chr.)  in  Kairo  verstorbenen  Vielschreiber  Dschelal  eddin  es-Sujüti  zugeschrieben  wird, 
ist  noch  nicht  ganz  aufgeklärt.    Basset  (Fom-beries  7,  Anm.  3)  hält  es  für  eine  Bearbeitung 


Schwanke  iiud  Schnmreii  im  isliiniisclien  Orient.  51 

In  einem  Schulbuch  des  Beiruter  Jesuiteugymnasiums ')  siud  vier  Schei'ze  von 
ihm  und  Bemerkungen  über  sein  Leben  aus  einer  Handschrift  mitgeteilt.  Nach 
der  dort  gegebenen  biographischen  Notiz  war  er  ein  Eunuch,  hiess  mit 
seinem  vollen  Namen  Bahä  eddm  Karaküsch  el-Asadi  er-Rümi^)  und  war 
Vezir  des  berühmten  Aijubideu-Sultans  Saläii  ed-din  (Saladin).  Er  war 
ein  frommer  Mann;  der  Sultau  kannte  aber  seine  Unschlauheit,  und  wenn 
er  ihm  bei  seiner  Übersiedelung  von  Kairo  nach  Damaskus  im  Frühling 
jedes  Jahres  die  Regierungsgeschäfte  übertrug,  so  gab  er  ihm  dazu  weislich 
einen  seiner  Söhne  bei.  Als  er  nun  einmal  im  Jahre  561  d.  Fl.  (=  1165/6 
n.  Chr.)  etwa  einen  Monat  die  Regierung  allein  führen  musste,  weil  der 
ihm  beigegebene  Thronfolger  plötzlich  starb,  machte  er  gar  grosse  Dumm- 
heiten, „und  es  wurden  ihm  die  ergötzlichen  Geschichten  beigelegt".  Der 
Kompilator  ist  sich  also  bewusst,  dass  der  Minister  nicht  in  Wirkliclikeit 
all  die  Narrheiten  verschuldet  hat,  die  man  iimi  zur  Last  gelegt.'')  Vor- 
trefflich   stimmen    übrigens    diese    Angaben    über    den  Manu    damit,    dass 


der  Ibn  Manimatischen  Sammlung;  nadi  Wüstenfeld  a.  a.  0.  ist  das  Manuskript  Paris  a. 
f.  ar.  1548  mit  Unrecht  als  ein  Werk  des  SujüJ  bezeichnet;  gedruckt  scheint  es  nicht  zu 
sein.  Aus  einem  anderen  Werke  betitelt  et-tarz  el-manküsch  fi  hukm  essultan 
karaküsch  finden  sich  Stücke  in  der  Handschrift  München  Nn.  637  (Aumer  p.  275),  und 
wahrscheinlich  aus  demselben  solche  auch  in  Cod.  Gotha,  No.  2175  (Pertsch,  IV,  197);  da 
hier  K  als  Sultan  bezeichnet  ist,  wii'd  die  Schrift  aus  späterer  Zeit  stammen;  vielleicht 
ist  sie  das  Sujutische  Plagiat  des  Mammatischen  Werkes. 

1)  Lammens,  cours  gradue  de  traductions  fr.-ar.  I,  No.  113. 

2)  Ist  die  Bezeichnung  als  er-Rümi,  d.  li.  der  liomäer,  nur  ein  zufälliges  Zusammen- 
trefl'en  mit  der  gleichen  Dschuhas  als  Vertreter  des  Nasr  ed-din  liodscha? 

3)  Vgl.  auch  die  Erwähnung  des  Karaküsch  bei  Abd-AUatif  Relation  d'Egypte  171, 
wo  von  diesem  „homme  de  genie''  erzählt  wird,  dass  die  Zerstörung  zahlreicher  kleinerer 
PjTamidcn  in  üizeh  zur  Zeit  des  grossen  Saläh  eddin  sein  Werk  gewesen  sei.  De  Saey 
hat  zu  dieser  Stelle  eine  ausführliche  Anmerkung  (p.  206  ff.),  in  welcher  er  ans  dem 
Werkchen  des  Sujuti  Man.  ar.  a.  f.  No.  154«  die  biographische  Notiz  übereinstimmend 
mit  dem  oben  Mitgeteilten  und  ausserdem  vier  Anekdoten  giebt,  von  denen  mu-  eine  sich 
unter  den  vier  bei  Lammens  a.  a.  0.  findet,  die  von  der  Frau  und  dem  Leichentuch.  Die 
anderen  sind  folgende:  1.  Ein  Soldat  hat  durch  Schlagen  das  Abortieren  einer  Frau  im 
siebenten  Monat  herbeigeführt;  K.  verurteilt  ihn  auf  die  Klage,  die  Frau  zu  sich  zu  nehmen, 
sie  bis  zu  einer  erneuten  Schwangerschaft  von  7  Monaten  zu  ernähren  und  sie  dann  dem 
Kläger  zurück  zu  liefern;  der  Ehemann  zieht  natürlich  seine  Klage  zurück.  2.  Ein  armer 
Schuldner  behauptet,  wenn  er  soviel  gespart,  um  die  Schuld  zahlen  zu  können,  treffe  er 
den  Gläubiger  nicht;  diesy  komme  inmier,  wenn  er  das  Gesparte  wieder  ausgegeben:  K. 
will  den  Gläubiger  einsperren,  damit  er  immer  zu  finden  sei.  3.  Ein  Bestolüener  klagt: 
K.  lässt  die  Bewohner  des  Viertels  zusammen  rufen  und  das  l'hor  des  Viertels  bringen: 
das  Thor  wird  wie  ein  Sträfling  geschlagen  und  erklärt  dabei  angeblich,  der  Dieb  habe 
eine  Feder  auf  seinem  Kopfe;  der  Dieb  fährt  sofort  mit  der  Hand  nach  diesem  und  wird 
so  erkannt.  Hier  finden  sich  zwei  Motive  vereint,  die  auch  als  Sondergeschichten  auftreten: 
a)  das  Thor  als  Zeuge,  s.  Recl.  Bu.  26 ;  b)  die  ven'äterischen  Federn  in  Specimens  d'ecriture 
arabe  Beir.  1885.  —  Bei  'Imäd  eddin  el-Katib,  dem  V^ertrauten  und  Generalsekretär  Saläli 
eddins,  dessen  el-fath  elkussi  über  die  Kämjife  S.'s  gegen  die  Kreuzfahrer  583  bis  587 
Landberg  im  Jahre  1888  herausgab,  sjiielt  Karaküsch  durchaus  eine  ernsthafte  Rolle. 
Makkari  nennt  K.  als  Mamluken  der  Eijubideu  II,  6%  und  giebt  ihm  den  Beinamen  el- 
ermenl,  der  Armenier,  II,  71. 

4* 


52  Harfmann: 

gerade  Ibu  Mammäti  die  Schwanke  von  ihm  gesammelt  liat;  denn  dieser 
Schriftsteller  flüchtete  aus  seiner  Vaterstadt  Kairo  infolge  politischer  Feind- 
schaften nach  Aleppo  unter  den  Schutz  des  Sultans  el-Malik  ez-Zähir  Ghnzi, 
des  Sohnes  eben  jenes  Salfdi  ed-dTn,  an  dessen  Hofe  er  auch  starb  und 
verfasste  nach  dem  Zeugnis  Ibn  Challikfuis  (No.  554)  eine  Vita  eben  des 
Saläh  eddin,  dessen  Minister  KarakOsch  war. 

Die  vier  aus  der  Handschrift  mitgeteilten  Scherze  sind  auch  sonst 
bekannt:  im  ersten  ist  das  zum  Trocknen  aufgehängte  Hemd  des  K.  vom 
Strick  gefallen;  er  schenkt  auf  die  Nachricht  davon  den  Armen  1000  Silber- 
stücke; denn,  sagt  er,  hätte  ich  drin  gesteckt,  und  es  wäre  mit  mir  her- 
untergefallen, so  hätte  ich  mir  Hals  und  Beine  gebrochen.  Dieselbe 
Geschichte  findet  sich  in  den  Anekdoten  des  Kaljübi')  dem  Dsohuha 
zugeschrieben  in  einer  nur  redaktionell  abweichenden  Form°).  Eine  etwas 
andere  Wendung  hat  sie  in  der  türkischen  Fassung^):  Des  Meisters  Frau 
hat  seinen  Oberrock  gewaschen,  einen  Stock  durch  die  Ärmel  gesteckt  und 
ihn  im  Garten  aufgehängt;  in  der  Nacht  sieht  er,  dass  da  ein  Mensch  mit 
abgeschnitteneu  Händen  steht,  er  nimmt  sofort  Pfeil  und  Bogen  und  schiesst 
die  Gestalt  durch  und  durch.  Am  Morgen  sieht  er,  es  war  sein  Oberrock. 
„Gott  sei  Dank!"  ruft  er.  „dass  ich  nicht  darin  gesteckt  habe!"  Die  türkische 
Fassung  ist  hier  reicher  als  die  arabische:  das  Motiv  dieser  ist  das  närrische 
Anknüpfen  einer  Möglichkeit  an  ein  dincli  äussere  Umstände  herbeigeführtes 
Ereignis,  in  der  türkischen  Fassung  ist  die  Narrheit  noch  schlimmer,  da 
dieses  Ereignis,  die  Beschädigung  des  Kleidungsstückes  durch  den,  der  an 
sie  eine  Folge  für  sich  selbst  knüpft,  herbeigeführt  ist.  Es  giebt  auch 
eine  berberische  Version  der  Geschichte  beiMoulieras*):  Die  Frau  Dschuhas 
hängt  den  gewaschenen  Burnus  auf  einen  Baumstamm,  ein  Feind  hält  ihn 
für  Dschuha  selbst  und  Jurchschiesst  ihn;  während  die  Frau  jammert, 
lacht  und  tanzt  Dschuha,  weil  er  es  nicht  sei,  der  getroffen  wurde.  Hier 
ist  kaum  noch  ein  Witz.  Dasselbe  Motiv,  die  närrische  Schlussfolgerung 
aus  dem  vorausgesetzten  ZusammeutrefFen  von  Ereignissen,  die  in  Wirk- 
lichkeit gar  nicht  zusammentreffen  können,  findet  sich  auch  in  der  kleinen 
türkischen  Geschichte  der  Reclamschen  Sammlung^),  in  welcher  der  Meister, 
der    seinen  Esel  verloren  hat,    Gott  dankt  inid  das  damit  erklärt,    dass  er 


1)  Das  Kitüb  liiküjat  wagharä'ib  etc.  des  Schiliab  ed-din  Ahmed  el-Kaljübi, 
bekannt  unter  dem  Namen  nawadir  el-kaljübi,  ist  in  Calcutta  und  Kairo  mehrfach 
gedruckt. 

2)  Dschuha  fragt  seinen  Nachbarn,  ob  er  nicht  am  letzten  Abend  sein  Gesclirei 
gehört.  —  „Ja,  was  gabs  denny  —  .Mein  Rock  ist  vom  Dach  auf  die  Erde  gefallen."  — 
„Was  schadet  das?"  —  „Du  Thor,  wenn  ich  drin  gewesen  wäre,  hätte  ich  mir  dann  nicht 
alles  zerbrochen  und  wäre  gestorben?" 

3)  Bei  Decourdemanche  No.  229,  Camerloher  No.  79,  Reclam  No.  65. 

4)  Fourberies  No.  57. 

5)  No.  9., 


Schwanke  und  Scliimnoii  im  islaniisclifn  Orient.  53 

froh  sein  müsse,   nicht  dabei  gewesen  zu  sein,    <lenn  sonst  wäre  er  ja  mit 
verloren  gegangen. 

In  dem  zweiten  der  vier  Karakuscli-Schwänke  vertröstet  er  eine  Frau, 
die  mit  Rücksicht  darauf,  dass  er  jährlicli  zu  einer  gewissen  Zeit  Almosen 
auszuteilen  })flegte,  ihn  um  Geld  zum  Leichentuch  für  iln-en  verstorbenen 
Mann  bittet,  auf  das  nächste  Jahr,  da  solle  sie  ein  Leichentuch  haben. 
Diese  Erzählung  gehört  in  den  grossen  Kreis  derjenigen,  deren  Motiv  das 
Verlegen  einer  Handlung  in  eine  Zeit  ist,  in  welcher  ihr  Zweck  völlig 
verfehlt  ist.  Zu  der  hier  vorliegenden  besonderen  Darstellung  dieses 
Motivs  ist  mir  nur  eine  Parallele  bekannt,  die  einen  feinen  Nebenzug 
hat^):  hier  hat  der  Mann,  der  seinem  Freunde  Geld  zum  Leichentuch  für 
den  verstorbenen  Bruder  nach  zwei  Tagen  geben  will,  während  doch  im 
Orient  spätestens  zwölf  Stunden  nach  dem  Ableben  beerdigt  wird,  keinen 
Namen,  schliesst  sich  also  äusserlich  nicht  an  einen  der  bekannten  Schnurren- 
helden an;  neu  ist  in  ihr  die  beissende  Antwort  des  Hingehaltenen:  „So 
gieb  mir  wenigstens  Geld  zu  Salz,  um  den  Toten  bis  übermorgen  frisch 
zu  erhalten."  —  Es  mag  hier  gleich  erwähnt  werden,  dass  das  närrische 
Verlegen  einer  Tliätigkeit,  die  für  eine  gewisse  Zeit  und  Gelegenheit 
anbefohlen  oder  vorteilhaft  ist,  auf  eine  solche,  wo  sie  völlig  nutzlos  ist, 
schädlich  wirkt  oder  zu  drolligen  Verwickelungen  Anlass  giebt,  in  orien- 
talischen Geschichten  ausserordentlich  beliebt  ist.  So  hat  in  einer  arabischen 
Erzählung")  der  Arzt  einem  Manne  Medicin  verordnet;  der  stirbt,  ohne  sie 
zu  nehmen;  drei  Tage  nachher  findet  eine  zum  Besuch  kommende  Ver- 
wandte den  kerngesunden,  zwanzigjährigen  Sohn  des  Toten,  wie  er  die 
Medicinflasche  austrinkt;  er  erklärt:  „Es  wäre  doch  schade,  wenn  die 
Medicin  verkäme,  ich  könnte  ja  von  der  Krankheit  des  Seligen  betroffen 
werden;  habe  icli  dann  die  Medicin  schon  intus,  so  ist  meine  Heilung 
sicher."  —  In  einer  anderen')  hat  ein  Herr  seinem  beschränkten  und  ver- 
gesslicheu  Diener  eindringlich  eingeschärft,  immer  drei  Sachen,  Stock, 
Überzieher  und  Stiefel,  bereit  zu  halten,  falls  er  in  GJeschäften  auszugehen 
habe.  Erkrankt  schickt  er  den  Diener  zum  Arzt;  der  Junge  kommt  mit 
drei  Männern  zurück,  die  er  als  Arzt,  Schreiner  und  Totengräber  vorstellt: 
wie  er  für  seinen  gesunden  Herrn  Stock,  Überzieher  und  Stiefel  bereit 
halten  sollte,  habe  er  nun  für  den  Kranken  gleich  den  Arzt,  den  Sarg 
und  das  Grab  bereit  gemacht.  —  Zum  Nasr  ed-din-Kreise  gehört  die  ver- 
kehrte Anwendung  der  Formel  inschii  alläh,  d.  h.  so  Gott  will,  welche  der 
fromme  Muslim  immer  hinzufügen  muss,  wenn  er  von  einer  Handlung 
spricht,  die  er  vornehmen  will,  um  dadiu'ch  sein  Bewusstsein  von  der 
Gebundenheit  aller  Dinge  an  den  Willen  des  Allmächtigen  kund  zu  thun: 


1)  Nuzhat  el-chawatir  (Beirut  1877),  V,  167. 

2)  Nuzhat,  V,  176. 

3)  Nuzhat,  V,  169. 


54  Harhnann : 

Dschuha,  der  eineu  Esel  kaufen  will,  erzählt  dies  auf  dem  Wege  einem 
Freunde,  ohne  jene  Worte  dazu  zu  setzen  und  meint,  als  dieser  ihn  darauf 
aufmerksam  macht,  das  sei  doch  nicht  nötig,  die  Esel  seien  doch  auf  dem 
Markte  und  das  Geld  in  seiner  Tasche.  Das  Geld  wird  ihm  gestohlen, 
und  als  er  jenen  Freund  wieder  trifft,  sagt  er:  „Ich  kam  auf  den  Markt, 
inschä  alläh,  da  wurde  mir  das  Geld  gestohlen,  inschä  alliili.  und  ich  kam 
ohne  Esel  heim,  inschä  allah.  und  Gott  verfluche  Deinen  Yater,  inschä 
allah!') 

Im  di-itten  Schwank  ist  Karaküschs  Jagdfalke  davongeflogen,  und  er 
befiehlt  nun,  die  beiden  Hauptthore")  Kairos  zu  schliessen,  denn  dann, 
sagt  er,  findet  der  Falke  keine  Stelle,  wo  er  hinausfliegen  kann.  Das 
Motiv  ist  klar:  der  A'ersuch,  einem  drohenden  Schaden  durch  ein  Mittel 
vorzubeugen,  welches  gänzlich  ungeeignet  ist,  und  an  das  eben  nur  jemand 
denken  kann,  der  das  richtige  Verhältnis  zwischen  den  Handlungen  und 
ihren  Wirkungen  nicht  abzuschätzen  vermag.  Zahlreiche  Darstellungen 
dieses  Gedankens  durch  Erzählungen  von  närrischen  Menschen  finden  sich 
wohl  in  allen  Litteratureu.  Eine  Parallele  zu  der  hier  vorliegenden  Ein- 
kleidung ist  mir  nicht  vorgekommen. 

Ebenso  wenig  kann  ich  den  vierten  Schwank  an  anderer  Stelle  finden: 
Zwei  Männer  verklagten  bei  Karakusch  einen  dritten,  bartlosen,  er  habe 
sie  geschlagen  und  ihnen  die  Barte  gerauft.  Da  sie  nun  grosse  Barte, 
jener  aber  keinen  hatte,  so  entschied  Karakusch:  Nein,  ihr  habt  ihm  den 
Bart  ausgerissen,  und  liess  sie  einsperren,  bis  jenem  der  Bart  wieder 
wüchse.  So  blieb  ihnen  nichts  übrig,  als  den  Mann  zu  versöhnen,  so  dass 
er  bei  Karakusch  ihre  Freilassung  erbat.  Hier  liegen  zwei  widersinnige 
Vorstellungen  vor,  die  eine,  dass  einem  von  Natur  Bartlosen  der  Bart  aus- 
gerauft sein  und  wieder  wachsen  könne,  die  andere,  dass  von  zwei  Personen, 
von  denen  die  eine  beschuldigt  ist,  der  anderen  den  Bart  gerauft  zu  haben, 
notwendig  die  der  schuldige  Teil  sein  müsse,  welche  beim  Erscheinen  vor 
dem  Richter  bebärtet  ist. 

Die  Motive  der  vier  eben  mitgeteilten  Karaküsch-Geschichten  haben 
etwas  Gemeinsames  und  weisen  uns  auf  einen  der  Grundgedanken,  welche 
in  den  Schwänken  und  Schnurren  ausgesprochen  sind.  Es  ist  der  falsche 
Schluss  auf  Ursache  oder  Wirkung,  in  einem  Falle  die  Niehtberechnuns 
der  Wirkung.     Das    erstere    bei    dem  vom  Strick  gefallenen  Hemd,    dem 


1)  Kairo  5,  Beirut  G,  Fouiberies  2.  Abweichend  Uecoiu-demanche  Xo.  76:  N.  kommt 
vom  Felde  heim;  seine  Fi-au:  , Hast  Du  viel  geschnitten ?-  S.:  .Ich  habe  noch  bis  morgen 
Mittag  zu  thun."  Sie:  .Du  musst  inschä  alläh  sagen."  N.:  .Ich  werde  auch  so  fertig 
werden."  Am  nächsten  Morgen  wird  er  jedoch  von  Reitern  gezwungen,  als  Führer  zu 
dienen  (echt  orientalisch.');  erst  gegen  Mittemacht  kommt  er  nach  Haus.  Sie:  .Wer  ist 
da?"  N.:  „Ich,  inschä  alläh,  mach  auf'.-  —  Vgl.  AUaoua,  recueil  de  theraes  etc.  (Mosta- 
ganem  1890\  No.  8G. 

2)  Das  Bäb  en-Xajr  und  das  Bäh  Znwele,  die  noch  heute  so  heissen  s.  Baedeker-, 
Unterägypten,  291  und  300. 


Schwanke  und  Scliiiurron  im  islamischen  Orient.  55 

Schliesseii  der  Tliore,  um  den  Falken  festzuhalten,  der  Verurteilung  der 
unschuldigen  Bärtigen;  Nichtbeachtung  der  Wirkung  bei  der  Vertröstung 
der  Frau,  die  um  das  Leichenhemd  bittet,  auf  das  nächste  Jahr.  Sehr 
zahlreich  sind  die  Schwanke,  welche  dieser  Klasse  angehören. 

Handelt  es  sich  bei  dieser  Art  Geschichten  um  Darstellung  der  Un- 
fähigkeit, richtig  zu  denken,  so  ist  die  Zahl  derer,  welche  eine  Verherr- 
lichung der  Schlauheit  sind,  kaum  minder  gross.  Fast  immer  zeigt  sich 
die  Findigkeit  des  Schlauen  darin,  dass  er  sich  oder  auch  einem  anderen, 
dem  er  dienen  will,  einen  Vorteil  verschafft,  zu  Ungunsten  eines  Dritten, 
der  dabei  mehr  oder  minder  empfindlich  geschädigt  oder  gefoppt  wird. 
Zuweilen  ist  der  Schlaue  von  Anfang  an  der  Handelnde;  er  verfolgt  ein 
Ziel,  besonders  mit  Rechnung  auf  menschliche  Schwächen  und  Leiden- 
schaften und  führt  die  von  ihm  ersonnene  List,  dasselbe  zu  erreichen,  mit 
Geschick  durch.  In  anderen  Fällen  sieht  er  sich  ohne  sein  Zuthun  der 
Begehrlichkeit  oder  der  Dummheit  eines  andern  gegenüber  und  kann  nun 
nicht  umhin,  dieselben  auszubeuten.  Das  von  dem  Schlauen  verfolgte  Ziel 
ist  bisweilen  auch  Rache.  Mehrfach  finden  sich  in  ein  und  demselben 
Schwank  Züge,  welchen  das  schlaue  Rechnen  auf  menschliche  Schwächen 
u-emeinsam  ist,  die  aber  im  einzelnen  interessante  Verschiedenheiten 
zeitigen. 

Ein    Beispiel    für    das    einfache    Erreichen    eines  Vorteils    durch  List 
bietet    die  Geschichte,    welche    sich    im  Volksmunde    von  Tunis ^)  und  in 
einer  Suaheli-Fassung'')    an    den  Namen   des  Abu  Nuwas,   jenes  lied-  und 
witzreichen  Dichters    am  Hofe    des  Härün  er-Raschid    und    seiner    Söhne 
el-Amln    und  el-Ma'mün   knüpft.     A.  N.    hat    eines  Tages    gar  kein  Geld 
mehr,   einfach  betteln  kann  er  nicht,    er  geht  daher  zu  Harun  er-Raschid, 
lügt  diesem  vor,  seine  Frau  sei  gestorben,  und  erbittet  die  Mittel  zu  ihrer 
Beerdigung.     In  gleicher  Weise  geht  seine  Frau  zu  Zubede,  der  Gemahlin 
des  Chalifen,    und    erhält    das  Nötige,    um    ihren    angeblich   verstorbenen 
Gatten    würdig    bestatten    zu    können.     In    der  Suaheli-Version  finden  die 
Leute,    welche    der  Sultan  ausgeschickt  hat,   um  sich  von  der  Richtigkeit 
der  Nachricht    zu    überzeugen,    die  Frau  mit  dem  Toten  beschäftigt,    der 
aber,  als  sie  ihn  auf  die  Bahre  legen  wollen,  aufspringt  und  dem  Chalifen 
erklärt:  „Icli  habe  die  Wahrheit  gesagt;  am  Morgen  starb  ich,  da  meldete 
meine  Frau    meinen  Tod,    dann    bin    ich    auferstanden  und   sie  starb,    da 
meldete  ich  ihren  Tod."     Weit  witziger  ist  der  Schluss  der  Geschichte  in 
der    arabischen    Fassung:    Ärgerlich    über    den  Widerspruch    seiner    Frau 
schickt    der  Chalife    den  Oberstthürsteher,    um   nachzusehen;    Abu  Nuwas 
sitzt  vergnügt  mit  seiner  Frau  am  Fenster;  als  der  Abgesandte  sich  zeigt, 
muss  sie  sich  schnell  tot  stellen.     Zubede  will  die  Nachricht  nicht  glauben 


1)  Stumme,  Tunisische  Märehen,  II,  112  ff. 

2)  Büttner,  Anthologie,  II,  92  f. 


5g  Hartuiaini : 

und  schickt  den  Eumiclienobersteu  aus.  der  natürlich  mit  der  Nachricht 
zurückkommt,  Abu  Nuwäs  sei  wirklich  tot.  So  bleibt  dem  Fürstenpaar 
nichts  übrig,  als  sich  selbst  an  Ort  und  Stelle  zu  begeben.  Da  lagen  sie 
beide,  laug  und  gerade  hingesti-eckt,  kalt  und  tot.  Der  Chalife  rief:  „Wer 
mir  das  erklären  kann,  dem  gebe  ich  gern  tausend  Goldstücke."  Da 
setzte  sich  Abu  Nuwäs  aufrecht  hin.  „Her  damit!"  Und  seine  Frau  stand 
auch  auf,  und  alle  lachten.  —  Dieses  Motiv  des  Sichtotstellens,  um  dadurch 
einen  Geldvorteil  zu  erwerben,  ist  ein  auch  sonst  beliebtes;  eine  Parallele 
bietet  der  romanische  Faktilakreis:  in  dem  sicher  dem  Volke  nacherzählten 
Heftchen  Pakala  si  Tändala  von  Silvesti-u  Moldovan ')  kommt  Tändala,  um 
Pacala  an  eine  Schuld  zu  mahnen:  dieser  lässt  sich  zum  Schein  im  Garten 
begraben,  T.  wird  von  P.s  Frau  zum  Grabe  geführt  und  ahmt  nun  durch 
Springen  und  Brüllen  auf  demselben  einen  Ochsen  nach:  P.  fällt  darauf 
herein  und  fängt  innen  zu  schreien  an.  Noch  ein  zweites  Mal  sucht 
er  durch  verstellten  Tod  seineu  Gläubiger  zu  täuschen;  dieser  hält,  damit 
der  Verschmitzte  ihm  ja  nicht  entwische,  bei  dem  in  der  Kirche  Auf- 
gebahrten die  Totenwache.  Um  Mitternacht  versteckt  er  sich  aus  Furcht. 
Es  kommen  Diebe,  um  dort  ungestört  die  Beute  zu  verteilen:  der  Tote 
springt  auf.  die  Diebe  fliehen  entsetzt.  P.  und  T.  teilen  sich  in  den  Kaub. 
Einfacher  Art  ist  auch  die  lustige  Erzählung  vom  Kessel,  der  ein 
Junges  bekommen  hat;  sie  findet  sich  in  den  meisten  Sammlungen  von 
Nasr  eddin-Schwäukeu.  Der  Hodscha  leiht  eines  Tages  von  einem  Nachbarn 
einen  Kessel,  nach  einiger  Zeit  bringt  er  ihn  zurück  mit  einem  kleineren. 
Auf  die  Frage  des  erstaunten  Besitzers  erklärt  er,  der  Kessel  habe  ein 
Junges  bekommen.  Erfreut  nimmt  jener  deu  unerwarteten  Zuwachs  in 
Empfang.  Bald  darauf  leiht  der  Hodscha  den  Kessel  wieder.  Der  Nachbar 
wartet  und  wartet,  vergebens,  der  Hodscha  bringt  ihn  nicht  zurück. 
Endlich  mahnt  er  ihn.  „Ja,  der  Kessel  —  der  Kessel  ist  längst  gestorben!" 
—  Natürlich  entscheidet  der  Eichter,  der  angerufen  wird,  zu  gunsten  des 
Hodschas:  Kann  der  Kessel  ein  Junges  bekommen,  so  kann  er  eben  auch 
sterben.^)  —  Ist  in  dieser  kleinen  Erzählung  die  Hauptsache  die  List, 
durch  welche  sich  der  Held  in  den  Besitz  einer  Sache  setzt,  so  spielt  doch 
diu'ch  die  Haltung  des  Geschädigten,  die  der  Schlaue  sich  zu  Nutze  macht, 
ein  anderes  Motiv  hinein,  das  nicht  selten  in  besonderen  Erzählungen  seine 
Darstellung    findet,    der  Gedanke:   wer  sich  einen  Vorteil,    der  gegen  alle 

1)  Biblioteca  poporala  a  Tribimei  No.  5.     Sibiiu  (Hermaimstadt)  1886. 

2)  Kaii-o  14,  Beirut  IG,  Decoui-demanche  No.  111,  Cain.  ivo.  35,  Dieterici  34  und 
danach  Ethe  246 f.  mit  dem  Nebenzuge,  dass  der  Nachbar  beim  zweiten  Entleihen  einen 
recht  grossen  Kessel  giebt,  damit  das  Junge,  das  dieser  etwa  haben  werde,  auch  recht 
gross  gerate;  Clouston  or.  wit  67,  Mallouf  No.  279,  Pharaon  179,  Machuel  220,  Stumme. 
n,  1301'.  mit  dem  hübschen  Nebenzuge,  dass  der  zweite  Kessel  ,.im  Wochenbette"  gestorben 
ist;  Büttner,  II,  88  f.  Bei  Reclam  fehlt  die  Geschichte  sonderbarerweise.  In  den  occi- 
dentalischen  Litteraturen  scheinen  sich  zu  diesem  Beispiel  für  das  Motiv:  Beilegung 
unmöglicher  Fühis'keiten  an  unvernünftige  Dinge  keine  Parallelen  zu  finden. 


Schwanke'  unil  Sehimncii  im  islamischen  Orient.  57 

Vernunft  ist,  gefallen  lässt,  niiiss  auch  den  widersinnigen  Schaden,  der 
jenem  entspricht,  hinnehmen. ')  Dass  der  naturwidrige  Vorteil  und  Schaden 
darauf  hinausläuft,  dass  einem  leblosen  Dinge  Eigenschaften  der  lebenden 
Wesen  beigelegt  werden,  ist  ein  Nebenzug,  der  sich  ausserordentlich  häufig 
in  den  Schwanken  findet,  ebenso  wie  auch  den  unvernünftigen  Tieren  nicht 
selten  Verstandes-  und  Willensäusserungeu,  wie  sie  nur  dem  Menschen 
eigen  sind,  zugeteilt  werden. 

Angrenzend  an  eine  sehr  ausgedehnte  Klasse  von  Schwänken,  die  in 
allen  Litteraturen  zahlreiche  Vertreter  hat,  ist  die  Unterart  der  Schlauheits- 
geschichten, in  welchen  der  Listige  sich  den  Vorteil  durch  eine  geschickte 
Verteilung  verschafft  ^).  Die  beiden  folgenden  Schwanke  sind  der  Moulieras- 
schen  Sammlung  berberischen  Ursprungs  entnommen''),  und  wie  Bassot  zu 
beiden  keinen  einzigen  Vergleich  beibringt,  so  kann  auch  ich  eine  gleiche 
oder  ähnliche  Fassung  aus  einem  anderen  Litteraturkreise  nicht  belegen. 
Si  Dscheha  bringt  mit  zwei  Freunden  zwei  Schafe  und  einen  Hammel  vom 
Markt;  als  es  zum  Teilen  kommt,  übernimmt  er  das  Geschäft  und  ent- 
scheidet: „Ihr  beide  nehmt  ein  Schaf,  der  Hammel  und  ich  nehmen  das 
andere  Schaf."'  —  Ein  anderes  Mal  ist  Si  Dscheha  mit  mehreren  Freunden 
auf  der  Reise.  Bei  der  Hast  sollen  die  mitgenommeneu  Brote  verteilt 
werden;  bescheiden  erklärt  Si  Dscheha,  er  verzichte  auf  ein  ganzes  Brot, 
(las  sei  ihm  zu  viel;  er  sei  schon  zufrieden,  wenn  jeder  ihm  die  Hälfte 
von  seinem  abgebe. 

In  allen  diesen  Erzählungen  ist  das  Hauptmotiv  ein  einfaches:  der 
Schlaue  verschafft  sich  durch  List  einen  Vorteil.  Mannigfaltiger  ist  der 
folgende  Schwank,  in  welchem  zwei  Schlauheitsproben  hübsch  miteinander 
verknüpft  sind,  in  der  Weise,  dass  der  bei  der  ersten  Geprellte  seine  Eache 
nimmt  und  dem,  der  ihn  betrogen  hat,  einen  Schaden  zufügt.  Die  älteste 
mir  bekannte  Fassung  ist  die  in  dem  Kitäb  el-adkijä  des  Ibn  el-DschauzT  *), 
wo  als  der  betrogene  Betrüger  kein  geringerer  erscheint,  denn  der  berühmte 
Stifter  der  einen  der  vier  kanonischen  Schulen  des  sunnitischen  Islams, 
Abu  Uauifa'').     Eines  Tages,  heisst  es,  klagte  ein  armer  junger  Mann,  der 


1)  Vgl.  die  Geschichte  von  dem  Krämer,  der  einen  Hammel  als  Geschenk  des  Erz- 
engels Gabriel  hinmmmt,  dafür  aber  auch  nachher,  obwohl  er  ganz  gesund  ist,  den  Tod 
erleiden  muss,  der  ihm  vom  Tudeseugcl  'Izrail  geschickt  ist.     Stumme,  II,  127  ff. 

2)  Andere  Arten  von  Verteilungsgescliichteu  s.  Räuber  und  Richter  bei  ( 'am.  69  f. 
Huth,  Reisen  der  drei  Söhne  etc.,  20. 

3)  Pom-beries  No.  12  u.  14. 

4)  S.  178. 

5)  Dass  Ibn  el-DschauzI  das  Geschichtchen  mit  offenbarem  Behagen  erzählt,  ist  nicht 
so  sehr  wunderbar,  denn  er  folgte  der  Schule  des  Ibn  Hanbai  und  ist  sogar  verdächtig, 
mit  den  Schiiten  geliebäugelt  zu  haben;  aber  merkwürdig  ist  es,  dass  das  Hanefitische 
Publikum  an  der  etwas  respektlosen  Erzählung  keinen  Anstoss  genommen  zu  haben  scheint. 
Vielleicht  ist  die  ungünstige  Beleuchtung  des  Meisters  eine  absichtliche  Übertreibung  seines  in 
den  Augen  mancher  wohl  nicht  gottgefälligen  milden  Sinnes,  von  dem  eine  lustige  Probe  im 
Kitüb  el-aghäni,  I,  165  gegeben  ist    (nacherzählt  bi'i  Krenier,    Kulturgeschichte,  I,  493  f.,). 


58  Hartmann : 

sich  in  ein  Mädclieu  verliebt  hatte,  dem  A.  H.  seine  Not,  man  werde  sie 
ihm  nicht  geben,  weil  er  arm  sei.  A.  H.:  „Verkaufst  Du  mir  Deinen 
kleinen  Finger')  für  12000  Silberstücke?"  —  Er:  „Nein!"  —  Abu  H. : 
„Sage  nur  den  Verwandten  des  Mädchens,  dass  ich  Dich  kenne."  —  Der 
Bursehe  hält  an  und  beruft  sich  auf  Abu  H.  ]\Ian  geht  zu  ihm.  AbuH.: 
„Ich  weiss  von  dem  Menschen  nur,  dass  man  ihm  eines  Tages  in  meiner 
Gegenwart  für  etwas,  was  er  besass,  12000  Silberstücke  bot,  und  er  es 
doch  nicht  verkaufen  wollte."  Natürlich  halten  ihn  die  Verwandten  für 
reich,  und  er  heii'atet.  Das  Mädchen  sieht  sehr  bald,  dass  er  nichts  hat. 
„Warte  nur",  sagt  sie  bei  sich  zu  Abu  IL,  „das  sollst  Dn  mir  büssen!" 
Sie  putzt  sich  auf,  tritt,  augeblich  um  ein  Rechtsgutacliten  zu  holen,  bei 
Abu  H.  ein  und  entschleiert  sich,  will  sich  auch  nicht  wieder  bedecken, 
denn,  sagt  sie,  „nur  Du  kannst  mich  aus  meiner  fatalen  Lage  retten.  Ich 
bin  nämlich  die  Tochter  des  Krämers  an  der  Strassenecke,  bin  im  Heirats- 
alter und  will  einen  Manu  haben.  Mein  A^ater  schickt  aber  alle  Freier 
fort,  weil  ich  einäugig  und  kahlköpfig  sei  und  verkrüppelte  Hände  hätte 
(dabei  zeigt  sie  den  dichtbehaarten  Kopf  und  die  wohlgeformten  Hände) 
und  behauptet,  ich  sei  schon  ältlich  (und  dabei  macht  sie  kokette  Be- 
wegungen). Ich  will  nun,  dass  Du  mir  hilfst."  A.  H.  ist  erregt  geworden: 
„Willst  Du  meine  Frau  werden?"  Sie  küsst  seine  Füsse:  „Gieb  mich 
Deinem  Diener,  wenn  Du  willst!"  —  Abu  H.  lässt  den  Krämer  kommen 
und  bietet  ihm  als  Heiratsgut  für  die  schöne  Tochter  150  Goldstücke, 
wovon  er  ihm  50  sofort  zahlt,  die  übrigen  100  im  Falle  der  Scheidung. 
Der  Krämer  macht  Ausflüchte:  „0  Herr",  sagt  er,  „verdecke,  was  Gott 
verdeckt  hat.  Ich  sollte  eine  Tochter  haben,  die  ich  Dir  verheiraten 
könnte?"  —  A.  H.:  „Lass  nur,  Freund,  ich  bin  mit  Deiner  einäugigen, 
kahlköpfigen,  ältlichen  Tochter  mit  den  verstümmelten  Händen  zufrieden." 
Der  Handel  wurde  abgeschlossen  um  150  Goldstücke,  uud  am  Abend  brachte 
sie  der  Vater  in  einem  Korbe,  den  er  mit  seinem  Diener  trug,  zu  Abu  II. 
Der  war  sehr  bestürzt,  der  Krämer  aber  verschwor  sich,  er  habe  keine 
andere  Tochter.  Abu  IL:  „Sie  soll  unwiderruflich  von  mir  geschieden 
sein,  ich  trete  vom  Heiratsvertrage  zurück,  und  Du  magst  Deine  50  Gold- 
stücke behalten."  Einen  ganzen  Monat  dachte  A.  IL  nach  über  das,  was 
ihm  passiert  war;  da  kam  die  Frau  zu  ihm,  die  ihm  den  Streich  gespielt 
hatte,  und  als  er  ibr  Vorwürfe  machte,  entgegnete  sie:  „Was  hat  Dich 
denn  getrieben,  uns  mit  einem  armen  Manne  zu  betrügen?"^  —  Sehr  hübsch 
sind  in  dieser  Geschichte  verschiedene  Motive  miteinander  verknüpft.  A.  H. 
betrügt  zu  gunsten  seines  Schützlings  das  Mädchen  und  ihre  Verwandten, 
indem    er   auf   ihre    leichtgläubige  Begehrlichkeit    rechnet;    die  betrogene 

1)  So  Nuzhat,  IV,  5;  bei  Ibn  el-Dschauzi  obscön. 

2)  Eine  etwas  abweichende  Fassung,  in  welcher  A.  H.  nicht  genannt  ist,  und  der 
Rachestreich  nicht  von  dem  Mädchen,  sondern  von  ihrer  Mutter  ausgefülirt  wird,  siehe 
Nuzhat,  IV,  5  ff. 


Schwanke  und  Schnurron  im  islamischen  Orient.  59 

Frau  betrügt,    um  sich   zu  rächen,    und  A.  H.  geht  in  die  Falle,    die  sie 
seiner  Sinnlichkeit  stellt. 

Höchst  mannigfaltig  sind  die  Formen,  unter  denen  der  Schlaue  seine 
Zwecke  erreicht,  die  Schwächen,  dereu  Ausbeutung  ihm  als  Mittel  dient, 
in  jener  Keihe  sich  aneinander  knüpfender  Schwanke,  deren  bekannteste 
Repräsentanten  die  lustigen  Geschichten  vom  Bürle  in  den  Grimmschen 
und  vom  grossen  und  kleineu  Klaus  in  den  Audersenschen  Märchen  sind.') 
Sehr  charakteristisch  sind  hier  die  Abweichungen  der  orientalischen  Fassung 
von  den  uns  bekannten  occidentalischen,  die  ja  auch  Varianten,  aber  doch 
verhältnismässig  unbedeutende  zeigen.  Von  orientalischen  Fassungen  kann 
ich  allerdings  nur  eine  beibringen,  die  jener  zusammenhängenden  Reihe 
entspricht;  einzelne  Züge  finden  sich  auch  sonst  verstreut.  In  Tuuis  hat 
die  Bürle-Reihe,  wie  sie  genannt  werden  mag,  folgende  Form:  Dschuha 
besass  nur  ein  Kalb,  dieses  aber  gedieh  besser  als  das  Rindvieh  seiner 
Verwandten,  mit  dem  er  es  auf  die  Weide  trieb.  So  wurden  jene  sehr 
zornig,  schlachteten  es  und  assen  es,  und  Dschuha  konnte  nur  noch  das 
Fell  von  ihnen  erbetteln.  Er  verkauft  es  auf  dem  Markt  für  einen  Heller, 
in  diesen  macht  er  ein  Loch,  zieht  einen  roten  Faden  durch  und  schlingt 
ihn  um  seinen  Finger.  Auf  dem  Heimwege  sieht  er  zwei  Männer,  die 
sich  in  das  Gold,  das  sie  in  einem  Kasten  gefunden,  teilen.  Er  schleicht 
sich  hiuzu,  wirft  den  gekennzeichneten  Heller  in  ihr  Gold  und  zwingt  sie, 
mit  ihm  Halbpart  zu  machen,  „denu",  sagt  er  „dieses  Gold  ist  ein  von 
mir  vergrabener  Schatz,  wie  der  Heller  mit  dem  roten  Faden  beweist, 
der  sich  darin  finden  muss."  Wie  viel  witziger  ist  doch  die  Ai't,  wie  das 
Bürle,  der  kleine  Klaus,  der  romanische  Pakäla,  und  wie  alle  die  Vettern 
dieser  lustigen  Personen  heissen  mögen,  aus  dem  Felle  Kapital  schlagen ! 
Da  ist  der  betrogene  Ehemann,  der  für  das  wertlose  Leder,  das  seine 
Wahrsagerkunst  zeigt,  oder  für  eine  Bethätigung  dieser  Kunst  —  wie  bei 
Grimm  —  eine  hohe  Summe  zahlt,  woran  sich  in  der  romanischen  Fassung 
der  heitere  Nebenzug  schliesst,  dass  die  treulose  Frau  dem  Schlauen  auch 
noch  eine  grosse  Summe  zahlt,  um  den  lästigen  Wahrsager  durch  ein 
sicheres  Mittel  wieder  los  zu  werden,  während  bei  Andersen  der  auf  ver- 
botenen Wegen  ertappte  Pfaff  sich  teuer  loskaufen  muss,  um  nicht  die 
verdiente  Strafe  zu  erleiden.  Nichts  dergleichen  in  der  arabischen  Fassung, 
welche  dagegen  in  der  nächsten  Episode  dieses  komischeu  Dramas  einen 
feinen  Streich  hat,  der  allen  anderen  Versionen  zu  mangeln  scheint.  In 
diesen  schlachten  einfach  die  dimimen  Bauern  alle  ihre  Kühe,  um  die  Felle 


1)  Aus  dem  reichen  Material,  das  nun  schon  zu  dieser  Schwankreihe  zusammen- 
getragen ist,  sei  hier  nur  hingewiesen  auf  die  kurzen,  aber  höchst  inhaltreichen  Artikel 
„Unibos"  von  K.  Goedeke  in  Germania,  I,  369  f.,  zu  welchem  R.  Köhlers  ,Die  Schwanke 
vom  Bauer  Einhirn  und  dem  Bauer  Grillet",  Germania,  XVIII,  152  ff.  eine  weitere  Aus- 
führung mit  Nachträgen  ist,  und  auf  die  höchst  witzige  romanische  Fassung  in  Slavici, 
Pacala  in  satul  lui  (,Bibliot.  Popolara  a  Tribunei,  No.  '28,  Sibiiu  1886).  Reich  an  hübschen 
Sünderzügen  ist  auch  die  Version  bei  Jahn,  Schwanke  125— 13'J  „Der  Kuhliiri  und  die  Bauern". 


gQ  Hartmaim : 

auch  so  teuer  zu  verkaufen,  wie  der  Schlaue  tlas  seine  verkauft  haben 
will,  und  werden  mit  ihren  Forderungen  ausgelacht;  im  tunisischen  Schwank 
giebt  ihnen  Dschuha  ausserdem  noch  den  guten  Rath,  die  Häute  nicht  ein- 
zusalzen, damit  sie  stinkig  und  also  noch  wertloser  werden,  und  erst,  als 
er  nach  drei  oder  vier  Tagen  die  Würmer  auf  den  Häuten  herumkriechen 
sieht,  schickt  er  die  Dummen  damit  auf  den  Markt  zum  Verkauf,  die 
natürlich  nicht  bloss  ausgelacht  werden,  sondern  noch  Scldäge  bekommen.') 
Gemeinsam  ist  allen  Fiissungen  der  nun  folgende  Entschluss  der  Betrogenen, 
den  gefährlichen  Menschen  in  einem  Sacke  zu  ersäufen;  abweichend  sind, 
wie  auch  bei  den  verschiedenen  westlichen  Fassungen  unter  einander,  die 
näheren  Umstände  und  die  List,  durch  welche  das  Opfer  einen  Hirten,  der 
mit  seiner  Herde  vorbeikommt,  in  den  Sack  lockt.")  Bei  Stumme  ent- 
fernen sich  die  Leute  etwas,  um  in  der  Nähe  einen  Trunk  Milch  zu 
nehmen;  dem  Hirten  spiegelt  Dschuha  vor,  wenn  er  in  den  Sack  krieche, 
werde  er  zu  einem  Meister  gebracht  werden,  durch  dessen  Unterricht  er 
zum  Erblicken  des  von  Gott  verwahrten  Schicksalsbuches  gelangen  werde. 
Als  Dschuha  mit  der  Herde  ins  Dorf  kommt,  sind  alle  erstaunt.  „Ja", 
erklärte  er  ihnen,  „die  Schafherde  habe  ich  aus  dem  Meere  heraufgeholt." 
Bekannt  ist,  wie  nun  alle  gierig  sind,  auch  solch  Wasservieh  zu  bekommen, 
und  sich  schleunigst  in  den  Fluss  oder  See  stürzen,  um  den  gleichen 
Gewinn  zu  haben.  Ln  Tunisischen  schliesst  damit  die  Reihe  dieser  Er- 
zählungen nicht  ab,  wie  in  den  anderen  Lesungen;  denn  hier  giebt  Dschuha 
den  Leuten  den  Rat,  ihre  Kinder  in  Säcke  zu  stecken  und  ins  Meer  zu 
werfen,  die  würden  dann  gegen  Sonnenuntergang  die  Schafe  Inüugen.  Als 
die  Kinder  nicht  zurückkommen,  lacht  Dschuha  die  Betrogenen  aus:  „An 
Euren  Kindern  haben  sich  heut  die  Fische  gütlich  gethan!"  Vielleicht 
darf  man  in  dieser  Fassung  einen  Ausfluss  jener  besonderen  Grausamkeit 
finden,  von  der  nach  einer  schon  oft  gemachten  Bemerkung  das  Volk  mit 
Vorliebe  Züge  in  seine  Märchen  und  Erzählungen  einflicht.  In  der 
tunisischen  Fassung  geht  es  nun  weiter,  freilich  ohne  Abschluss:  Dschuha 
wird  in  ehisamer  Gegend  an  einen  Baum  gebunden,  um  von  den  Tieren 
zerrissen  zu  werden.  Da  kommt  ein  stattlicher  Greis  heraugeritten,  auf 
vieles  Drängen  erklärt  Dschuha,  er  sei  100  Jahre  alt  gewesen,  da  sei  er 
au  diesen  Baum  des  Sidi  'Abd  el-KSdir  gebunden  und  zu  einem  Dreissig- 
jährigeu  geworden,  das  sei  so  eine  Eigenschaft  dieses  Baumes.  Dschuha 
lässt  sich  endlich  erbitten,  sich  losbinden  zu  lassen,  und  den  Greis  an  den 
Verjünguugsbaum  zu  fesseln.  Auf  dessen  Ross  und  in  dessen  kostbaren 
Kleidern  kommt  er  in  sein  Dorf  zurück. 


1)  Parallelen  zu  dem  geschickten  Verkauf  eiues  wertlosen  Feiles  s.  Fourberies  No.  35, 
wozu  Basset  vergleicht  Marion,  nouvelle  methode  etc.,  No.  15. 

2)  Am    witzigsten    sind    ohne  Frage  die  Einzelnheiten  dieser  Episode  und  überhaupt 
der  ganzen  Erzälilnng  in  der  romanischen  Fassung  dargestellt. 


Schwanke  uud  Schnurren  im  islamischen  Orient.  61 

Von  den  zerstreuten  Varianten  der  einzelnen  Episoden  dieser  ganzen 
Reihe  erwähne  ich  hier  nur  die  sehr  originelle  Suaheli-Version  der  See- 
viehgeschichte, in  welcher  auch  Leute  aus  Eigennutz  ins  Wasser  springen, 
nur  dass  sie  nicht  Tiere  finden  wollen,  sondern  Datteln.  Ein  Araber, 
heisst  es'),  verschifft  eine  Anzahl  Säcke  Datteln  nach  Lamu.  Das  Schiff 
ist  zu  schwer,  die  Schiffsleute  halten  die  Datteln  für  Tamarinden  und 
werfen  alle  Säcke  bis  auf  einen  über  Bord.  Ein  Mann  sclineidet  den  Sack 
an  und  findet,  dass  der  Inhalt  sehr  süss  ist.  Die  anderen  probieren  die 
köstliche  Speise  auch,  und  der  Kapitän  bestimmt,  zurückzufahren  dahin, 
wo  man  die  Säcke  über  Bord  geworfen  hatte.  Der  erste  taucht  und  ertrinkt. 
„Aha",  sagen  sie,  „der  sitzt  unten  und  schmaust."  Der  zweite  ertrinkt 
auch,  und  so  springen  alle  nach  einander  hinein,  um  ja  etwas  von  den 
süssen  Früchten  zu  bekommen.  —  Noch  sei  hingewiesen  auf  die  Mannig- 
faltigkeit der  Triebe,  deren  der  Schlaue  in  der  Bürle-Reihe  sich  bedient, 
um  seine  Zwecke  zu  erreichen:  wird  doch  in  dem  letzten  Gliede  der 
tunisischen  Geschichtenkette  der  Greis  mit  der  Sehnsucht  nach  der  ent- 
schwundenen Jugend  geködert;  der  Hirt  muss  in  den  Sack,  weil  er  durchaus 
im  Schicksalsbuche  lesen  lernen  will  —  in  der  That  Züge,  welche  uns 
mehr  anmuten  als  die  grobsiunlichen  Begehrlichkeiten,  deren  Reizung  in 
den  meisten  anderen  Fällen  die  Hauptrolle  spielt. 

Einer  besonderen  Unterklasse  kann  man  wohl  die  Schlauheitsgeschichten 
zuweisen,  in  welchen,  wie  schon  angedeutet,  derSchlaue  durch  die  Dumm- 
heit und  die  Begehrlichkeit  anderer  gleichsam  gezwungen  wird,  diese 
Schwächen  zu  seinem  Vorteil  auszubeuten  oder  auch  zu  der  List  seine 
Zuflucht  nehmen  muss,  um  sich  für  einen  erlittenen  Schaden  zu  rächen. 
Eine  recht  lustige  Geschichte,  die  hierher  gehört,  und  für  die  mir  Parallelen 
nicht  bekannt  sind,  knüpft  der  Volksmund  in  Tunis  an  den  Namen  des 
trink-  und  liebefreudigen,  aber  auch  wegen  seiner  genialen  Verlumptheit 
berüchtigten  arabischen  Dichters  Abu  Nuwas,  von  dem  bereits  die  Geschichte 
erzählt  ist,  wie  er  sich  zugleich  mit  seiner  Frau  totstellt. 

Abu  Nuwäs  hat  vom  Chalifen  Harun  er-Raschid  einen  kostbaren  Pelz 
zum  Geschenk  erhalten;  er  kommt  in  demselben  an  dem  Hause  eines 
befreundeten  Vezirs  vorüber;  dessen  Frau  sieht  ihn  vom  Fenster  aus,  lässt 
ihn  zu  sich  rufen,  bittet  ihn  um  den  Pelz  und  erhält  ihn  dafür,  dass  der 
Dichter  sie  küssen  darf.  ^)  Beim  Fortgehen  bereut  A.N.  den  Verlust;  die 
Dienerin  muss  ihm  ein  Glas  "Wasser  reichen,  er  trinkt,  lässt  das  Glas 
fallen,  dass  es  zerbricht  und  fängt  bitterlich  zu  weinen  an.  Da  kommt 
der  Vezir  nach  Haus:  „Was  hast  Du,  Abu  Nuwäs?"  —  „Man  hat  mir 
meinen  Pelz  abgenommen,  weil  ich  das  Unglück  hatte,  das  Glas  zu  zer- 
brechen."    Die  Dienerin  erklärt:   „Der  Mann  ist  geistesschwach!"  —  Abu 


1)  Büttner,  Anthol.  II,  107  ff. 

2)  So  in  Stummes  Übersetzung;  das  Original  obscön. 


62  Hart  mann: 

Nuwns:  „Icli  habe  in  meiner  Geistesscliwachheit  gesprochen,  Du  kannst  ja 
nun  die  Sache  mit  klarem  Verstände  erzählen."  Er  erhielt  natürlich  seinen 
Pelz  wieder.*) 

Dieser  Schwank  ist  eine  der  lustigsten  Einkleidungen  des  Gedankens, 
wie  der  Gierige  um  den  Gegenstand,  den  er  gewonnen  zu  haben  meint, 
von  dem  Schlauen,  der  auf  diese  Gier  spekuliert,  um  sich  einen  Genuss 
zu  verschaffen,  geprellt  wird.  Die  Gescliichteu,  welche  das  Gefopptwerden 
des  Lüsternen  darstellen,  sind  besonders  zahlreich.  In  dem  eben  erzählten 
Schwanke  von  Abu  Nuwns  und  dem  Pelz  ist  es  die  Putz-  und  Gefallsucht, 
die  der  Begierde  die  Richtung  giebt;  der  sinnliche  Genuss  ist  nur  ein 
Nebenzug,  denn  ebenso  gut  wie  das  hier  dem  Abu  Nuwfis  Gewährte  hätte 
irgend  etwas  anderes  genannt  werden  können,  von  dessen  Fortgeben  an 
einen  Fremden  der  Gemahl  nichts  erfahren  durfte.  In  der  Eegel  ist  es 
aber  der  sinnliche  Genuss  selbst,  der  begehrt  wird,  und  zu  dessen  Er- 
reichung Opfer  gebracht  werden,  um  den  aber  der  Lüsterne  geprellt  wird. 

Sehr  charakteristiscli  ist  die  Geschichte:  Eine  Frau  für  100  Rinder, 
welche  sich  in  Büttners  Anthologie  aus  der  Suaheli-Litteratur  findet.'') 
Ein  junger  Mann  besitzt  nur  hundert  Rinder.  Sie  alle  muss  er  hingeben, 
um  die  Tochter  eines  sehr  reichen  Viehbesitzers  zur  Frau  zu  bekommen. 
So  hat  das  Paar  nichts  zu  leben,  und  sie  sind  auf  die  Gutherzigkeit  der 
Nachbarn  angewiesen.  Ein  Nichtswürdiger  schleicht  um  die  junge  Frau 
herum.  Eines  Tages  erhält  sie  Besuch  von  ihrem  Vater.  Da  sie  nichts 
hat,  ist  sie  wegen  seiner  Bewirtung  in  grosser  Not;  da  stellt  sieh  der  Ver- 
führer ein,  will  ein  gutes  Stück  Fleisch  gegen  Gewährung  ihrer  Gunst 
herbeischaffen  und  bringt  auch  ein  Rinderviertel.  Sie  bereitet  es  zu,  man 
setzt  sich  zum  Essen.  Es  erscheint  auch  wie  zufällig  der  Geber  und  wird 
nach  orientalischer  Sitte  gebeten  teilzunehmen.  Die  Frau  lädt  ein  zuzu- 
langen mit  den  Worten:  „So  esst  nun,  Ihr  drei  Narren!"  Ihr  Vater  ist 
höchst  entrüstet  und  will  durchaus  seine  Narrheit  wissen.  Sie:  „Du  hast 
etwas  Teures  für  etwas  Billiges  verkauft;  icli  bin  Dein  einzig  Kind,  und 
Du  hast  6000  Rinder,  und  mich  hast  Du  für  Imndert  hingegeben."  Nun 
will  auch  ihr  Mann  seine  Narrheit  kennen.  Sie:  „Du  hattest  nur  hundert 
Rinder,  schon  für  zehn  oder  zwanzig  hättest  Du  eine  Frau  haben  können. 
Du  gabst  aber  alle  für  mich  hin,  und  nun  liast  Du  nichts  und  musst 
anderen  dienen."  Der  Fremde  muss  Folgendes  hören:  „Du  bist  der  grösste 
Narr,  Du  wolltest  etwas,  was  für  hundert  Rinder  gekauft  war,  für  ein 
einziges  Rinderviertel  bekommen.  Ist  das  nicht  dumm?"  Der  Vater  aber 
schenkte  dem  jungen  Paare  die  Imndert  Rinder,  die  er  bekommen,  und 
noch  zweihiuidert  dazu. 

Einem  anderen  Kreise  gehören  die  Schlauheitsgeschichten  an,  in 
welchen  der  Held  sich  durch  eine  geschickte  Wendung  in  Wort  oder  That 


1)  Stumme  II,  121  f.  (No.  11). 

2)  Büttner  II,  128  ff. 


Schwanke  und  SchniuTon  im  islamischen  Orient.  63 

aus  einer  "Verlegenheit  befreit,  sei  es,  dass  er  durch  eigene  Schuld  in  die- 
selbe geraten,  sei  es,  dass  andere  ihn  plötzlich  in  eine  schwierige  Lage 
gebracht  haben.  In  den  Schwanken  der  ersten  Art  läuft  der  "Witz  meist 
auf  eine  geschickte  Entschuldigung  des  bei  einer  Unredlichkeit  oder  einer 
niedrigen  Handlung  Ertappten  hinaus.  In  zahlreichen  Litteraturen  findet 
sich  die  hübsche  Geschichte  von  dem  unerlaubten  Verzehren  des  einen 
Beines  eines  gebrateneu  Vogels.  In  einer  deutschen  Fassung  sind  es 
Christus  und  Petrus,  von  denen  der  letztere  dem  Herrn  und  Meister  ein 
Hühuerbein  wegisst,  als  er  den  gebratenen  Vogel  bringt,  und  dann  be- 
hauptet, hier  zu  Lande  hätten  die  Hühner  nur  ein  Bein,  das  auch  an 
Hühnern,  die  gerade  in  der  Nähe  auf  einem  Beine  herumstehen,  ad  oculos 
demonstriert.  Der  Herr  ruft  putt,  putt,  und  sofort  kommen  die  Hühner 
auf  beiden  Beinen  angelaufen.  „Ja",  sagt  Petrus,  „hättest  Du  zum 
gebratenen  Huhn  auch  putt,  putt  gemacht,  so  hätte  es  auch  zwei  Beine 
bekommen."  Von  den  türkischen  Fassungen  sei  die  der  Reclamschen 
Sammlung  erwähnt,  in  welcher  die  Geschichte  zwischen  Nasr  eddin  und 
einem  Richter  spielt,  und  der  gebratene  Vogel  eine  Gans  ist.  Auch  hier 
wird  der  Lügner  sofort  überführt,  indem  der  Richter  die  Gänse  mit  grossen 
Stöcken  aufscheuchen  lässt.  Aber  auch  hier  ist  der  Überführte  um  eine 
Antwort  nicht  verlegen:  „Bekämt  Ihr  diese  Stöcke  zu  kosten,  Ihr  würdet 
vierbeinig  werden!"  Ganz  ähnlich  ist  die  Geschichte  bei  Camerloher 
erzählt,  wo  an  die  Stelle  des  Richters  der  Mongolenfürst  Timurlenk  getreten 
ist.^)  —  Plumper  sind  die  türkischen  Scherze,  in  denen  Diebesgelüste 
beschönigt  werden:  Eines  Tages  brach  Nasr  eddin  in  einen  fremden 
Gemüsegarten  ein  und  füllte  einen  mitgebrachten  Sack  mit  allerlei  Früchten. 
Gärtner:  „"Was  suchst  Du  hier?"  —  Nasr  eddln:  „Ein  heftiger  "Wind  hat 
mich  hierher  geschleudert."  —  G.:  „"Wer  hat  das  hier  ausgerissen?"  — 
N.:  „Der  Wind  warf  mich  hierhin  und  dorthin,  woran  ich  mich  auch  immer 
festhalten  mochte,  das  blieb  in  meiner  Hand."  —  G.:  „Und  wer  hat  das 
in  den  Sack  gefüllt?"  —  N. :  „Sieh  mal  an,  darüber  wundere  ich  mich 
auch!"')  —  Ein  anderes  Mal  ist  Nasr  eddm  mit  der  Leiter  in  einen 
fremden  Garten  geklettert;  ertappt  entschuldigt  er  sich,  indem  er  zu  der 
nachgezogenen  Leiter  läuft:  „Ich  verkaufe  Leitern!"*)  —  Auf  einem  fremden 
Obstbaum  betroffen,  erklärt  er:  „Ich  bin  eine  Nachtigall  und  singe  gerade." 
Auf  die  Frage,  „was  ist  das  für  eine  Art  Singen?"  antwortet  er:  „So  singt 
eine  ungelernte  Nachtigall."^)  Nicht  viel  witziger  sind  die  Geschichten, 
in    denen    Buadem    seine    Trunksuclit    oder  Betrunkenheit    entschuldigt.') 


1)  Mitgeteilt  von  Direktor  Schwarz  in  der  Sitzung  des  Vereins  vom  27.  April  1894. 

2)  Reclam  No.  39,  Cani.  No.  75. 

3)  Reclam  No.  21. 

4)  Reclam  No.  47,  Cam.  No.  18. 

5)  Reclam  No.  57,  Cam.  No.  125. 

6)  Recl.  Buad   No.  58.  60.  66. 


64  Harhiiann: 

Geschickter  ist  die  Art,  wie  Si  Dsclielia  sich  weiss  brennt,  als  mau  den 
Mantel,  den  er  dem  betrunken  und  schlafend  von  ilim  angetroffenen  Kadi 
weg-genommeu  hat,  bei  ihm  findet.  Vor  den  Kadi  gebracht,  erklärt  er: 
„Ich  fand  einen  Betrunkenen  an  der  Strasse  liegen,  habe  ihn  verunreinigt 
und  nahm  ihm  den  Mantel  weg.     Ist  er  Dein,  so  kannst  Du  ihn  haben."  ^) 

Unter  den  Schwänken,  welche  die  Fähigkeit  verherrlichen,  sich  in 
kritischer  Lage  schnell  Rats  zu  wissen,  und  die,  die  aus  Bosheit  dieselbe 
herbeigeführt  haben,  heimzuschicken,  ist  einer  der  originellsten  der  von  Nasr 
eddin  und  seinen  Freunden  im  Bade.  Diese  wollen  die  Bezahlung  aller 
Bäder  Si  Dscheha  aufhalsen,  indem  sie  plötzlich  erklären:  „Wer  im  Bade 
kein  Ei  legt,  muss  für  alle  bezahlen."  Jeder  gackert  und  legt  ein  mit- 
gebrachtes Ei  unter  sich.  Si  Dscheha  aber,  nicht  verlegen,  schlägt  mit 
den  Armen,  als  ob  es  Flügel  wären,  und  kräht  gewaltig:  „Haben  soviel 
Hennen  nicht  einen  Hahn  nötig?"  ^) 

Das  Wesentliche  in  dieser  Erzählung  ist  die  Geschicklitdikeit  und 
Schnelligkeit,  mit  welchen  hier  Handlung  gegen  Handlung  gesetzt  wird. 
Verwandt  ist  sie  mithin  jener  zahlreichen  Klasse,  in  welcher  der  Scharfsinn 
auf  die  Probe  gestellt  wird,  und  es  auf  die  schnelle  und  sichere  Beant- 
wortung scheinbar  unlösbarer  Rätselfragen  ankonmit.  Zu  bekannt  ist  die 
Geschichte  vom  Kaiser  und  dem  Abt,  als  dass  sie  hier  erzählt  zu  werden 
brauchte.")  Von  den  orientalischen  Parallelen  sei  hier  zunächst  die  No.  70 
der  Camerloherschen  Sammlung  angeführt.  Einst,  heisst  es,  erschienen  bei 
dem  Sultan  'Ala  oddin  drei  christliche  Mönche,  die  zum  Islam  übertreten 
wollten,  wenn  ihnen  drei  Fragen  beantwortet  würden.  Keiner  der  Weisen 
konnte  sie  lösen.  Es  blieb  nichts  übrig,  als  den  weisen  Narren  Nasr  eddin 
zu  rufen.  Der  erste  Mönch:  „Wo  ist  der  Mittelpunkt  der  Welt?"  —  Nasr 
eddiu:  „Da,  wo  der  Fuss  meines  J^sels  steht."  —  Mönch:  „Woher  weisst 
Du  das?"  —  N.:  Glaubst  Du  nicht  daran,  so  miss."  —  Der  zweite  Mönch 
tritt  vor:  „Wie  viel  Sterne  stehen  am  Himmel?"  —  N. :  „Soviel  mein  Esel 
Haare    auf   sich    hat;    wenn  Du    es    nicht    glaubst,    so  zähle."  —  Mönch: 


1)  Fourbcries  No.  17:  iu  der  Fassung  Caiu.  No.  120  ist,  die  mit  dem  Kadi  vor- 
genommene Prozedur  so  türkisch  roh,  dsss  selbst  Cam.  die  bezüglichen  Stellen  nui"  lateinisch 
wiedergiebt. 

2)  Kaüo  11  f.,  Beirut  12,  Cam.  26„Reclani  No.  50,  Deourdemanche  No.  171  (Timurlenk 
spielt  herein;  der  wiclitige  Zug,  dass  der,  der  kein  Ei  legt,  zahlen  soll,  fohlt),  Fourberics 
No.  13,  Kaljübi  53. 

3)  Über  Bürgers  Kaiser  und  Abt  und  die  Parallelen  dazu  s.  R.  Köhler,  Or.  u.  Occ.  I 
zu  Camerloher  No.  70.  Von  orientalischen  Parallelen  nenne  ich  Nuzhat  V,  173 ff.:  Ein 
Kaufmann  wird  zum  nächsten  Morgen  zum  Könige  bestellt,  um  bei  Todesstrafe  sofort  auf 
drei  Fragen  zu  antworten;  sein  Diener  geht  an  seiner  Statt.  Frage  1:  Wie  viel  Fuss  ist 
das  Meer  tief?  —  Antwort :  „Mein  Vater  schlug  vor  einem  Jahre  im  Meere  Holz,  da  entfiel 
ihm  sein  Beil;  er  ist  ihm  nachgesprungen  in  die  Tiefe;  wenn  er  wiederkommt,  wird  er 
mir  sagen,  wie  viel  Fuss  das  Meer  tief  ist."  Frage  2:  Wie  viel  Piaster  bin  ich  wert?  — 
A.:  „27  Silberpara;  denn  für  dreissig  SilborKnge  wurden  Jesus  und  Joseph  verkauft." 
Frage  3:  Was  denke  ich?  —  A.:  .Dass  ich  der  Kaufmann  bin;  bin  aber  nur  sein  Diener." 


Schwäiiki'  und  Sdimirrcn  im  islamischen  Orient.  65 

„Lassi'n  sich  dio  Haare  Deines  Esels  zählen?"  —  N. :  „Und  soviel  Sterne, 
lassen  die  sich  zählen?"  —  Der  dritte  Minicli  tritt  vor:  „Wieviel  Haare 
hat  mein  Bart?"  —  N. :  „Genau  so  viel,  als  ini  Schvranz  meines  Esels 
sind;  wenn  Du  es  nicht  glaubst,  zähle!"  —  Der  Mönch  will  sich  mit  dieser 
Antwort  nicht  abspeisen  lassen.  „Komm",  sagt  N.,  „machen  wir  die  Probe. 
Wir  ziehen  immer  ein  Haar  ans  Deinem  Bart  und  ein  Haar  aus  dem 
Schwänze  des  Esels  aus.  Du  wirst  sehen,  es  stimmt."  —  In  der  Reclamschen 
Sammlung  finden  sich  nur  die  beiden  ersten  Fragen  und  zwar  getrennt'); 
in  der  ersten  ist  es  ein  Atheist,  der  Nasr  eddin  in  Versuchung  fuhrt,  in 
der  zweiten  erklärt  sich  Buadeni  auf  ilie  Frage  nach  der  Zahl  der  Sterne 
für  unfällig,  sie  zu  lösen;  denn  dazu  müsse  man  ja  nach  dem  Himmel 
gehen  und  die  Sterne  zählen;  bei  Tage  lassen  ihm  seine  Geschäfte  dazu 
keine  Zeit,  in  der  Nacht  aber  werde  er,  da  er  im  Himmel  nicht  bekannt 
sei,  weder  ein  Wachslicht  noch  eine  Kerze  finden,  und  in  der  Finsternis 
sei  doch  ein  Zählen  der  Sterne  nicht  möglich. 

In  dieser  letzten  Fassung  tritt  uns  nicht  der  weise  Narr,  sondern  der 
dumme  Narr  entgegen,  derselbe  närrische  Kauz,  der,  als  nachts  seine  Frau 
zu  ihm  sagt:  „Zünde  das  Licht  au,  das  rechts  vom  Bett  steht",  ärgerlich 
erwidert:  „Es  ist  doch  stockfinstre  Nacht,  wie  kann  ich  denn  da  sehen, 
wo  rechts  und  links  ist?"")  —  So  gehen  in  den  Schwanken,  welche  die 
Volksbücher  au  den  Namen  dieser  und  anderer  mehr  oder  minder  historischen 
Persönlichkeiten  knüpfen,  die  Schlauheit,  welche  die  grössten  Schwierig- 
keiten zu  überwinden  vermag,  und  die  Einfalt,  welche  den  Wald  vor  den 
Bäumen  nicht  sieht  und  alles  verkehrt  macht,  durcheinander;  nicht  selten 
ist  die  trrenze  zwischen  ihnen  eine  flüssige.  Nasr  edilin  und  seines  Gleichen 
erscheinen  als  ein  tremisch  von  Einfalt  und  Geist. 

Welchen  Wert  aber  auch  immer  die  Früchte  der  ernsteren  Durch- 
forschung der  Schwanklitteratur  der  arabisch-islamischen  Kulturwelt  haben 
mögen,  ob  das,  was  dabei  als  verwertbares  Material  für  die  höheren  Ziele 
der  volkskundlichen  Forschung  sich  herausstellt,  bedeutend  oder  unbedeutend 
ist  —  keiner,  der  hier  durch  den  Weg  seiner  Studien  mitzuarbeiten  berufen 
ist,  darf  diese  Mitarbeit  von  sich  weisen  oder  dieser  Pflicht  durch  eine 
scherzende  Wendung  sich  entziehen  wollen,  etwa  wie  Nasr  eddin  es  that 
mit  der  Pflicht,  am  Freitage,  dem  islamischen  Feiertage,  zu  predigen.  „He, 
Ihr  Gläubigen",  rief  er  die  in  der  Moschee  Versammelten  an,  „wisst  Ihr, 
was  ich  Euch  sagen  werde?"  —  „Nein",  riefen  alle.  —  „Nun,  dann  braucht 
Ihr  es  nicht  zu  wissen."  —  Am  folgenden  Freitage  antwortete  die  Gemeinde 
Verabredetermassen  auf  die  gleiche  Frage:  „Ja,  wir  wissen  es."  —  „Nun, 
dann  brauche  ich  es  Euch  nicht  erst  zu  sagen."  —  Und  wieder  stieg  er 
von  der  Kanzel.  —  „Den  wollen  wir  fangen",  sagten  die  klugen  Leute  und 


1)  Reclam  No.  51  und  Reflam  Buadem  No.  96. 

2)  Reclam  No.  27. 

^eitachr.  d.  Vereins  (.  Volkskunde.     1895- 


(jf;  Hartiuauii:  Schwankt-  uud  Sclimirrcn  im  isbimisclifii  Orient. 

hielten  Rat.  was  zu  thun  wäre.  Am  folgenden  Freitag  fragte  der  Ilodsclia 
abermals:  „Ihr  Gläubigen,  wisset  Ihr,  was  ich  Euch  sagen  werde?"  —  Da 
antworteten  sie  weislich:  „Einige  von  uns  wissen  es.  andere  wissen  es  nicht." 
—  Der  Hodscha:  „Das  trifft  sich  gut,  so  mögen  die,  welche  es  wissen,  es 
denen  sagen,  welche  es  nicht  wissen!"    und  damit  stieg  er  von  der  Kanzel.') 

Nachträgliches. 

Zu  Seite  42.  Zeile  ß  1^'.  Die  hauptsächlichen  Parallelen  zu  der  Milch- 
mädchen-Geschichte sind  bereits  beigebracht  von  Benfey,  Pantschatantra  I, 
499  ff.  (§  209).  Eine  musterhafte  Behandlung  ist  der  Geschichte  dieser 
Fabel  zu  teil  geworden  in  dem  Vortrage  Max  Müllers  „On  the  Migration 
of  Fables".  der  in  Contemporary  Review,  vol.  XIY  (April-July  1870), 
S.  572  fl".  abgedruckt  ist,  und  in  welchem  der  Ijerühmte  Sprach-  und 
Mythenforscher  das  erste  Auftreten  der  Milchverkäuferin  an  Stelle  des 
Brahmanen,  Büssers  oder  Bettlers  in  dem  wahrscheinlich  im  13.  Jahrhundert 
verfassten,  zuerst  im  Jalire  1480  gedruckten  Dialogus  Creaturarum  optime 
moralizatns  nachweist.  Zu  den  von  Benfey  und  M.  Müller  gegebenen 
Parallelen  trage  ich  nach:  Eine  zigeunerische  Version  aus  Südungarn  und 
eine  ungarische  der  Siobenbürger  Szekler  bei  von  Wlislocki.  Beiträge  zu 
Benfeys  Pantschatantra  in  Ztschr.  d.  Dtschen  Morgenl.  Ges.,  Bd.  42.  p.  13G  ff', 
und  die  mit  behaglicher  Breite  ausgeführte  und  mit  einer  langen  „Allegoria. 
das  ist  geistliche  Deutung"  versehene  Wiedergabe  der  Geschichte  in 
Kirchhofs  AVendunmuth  ed.  Österley  I.  20.')  ff. 

Zu  Seite  47,  Zeile  4 ff.  Das,  was  hier  von  der  uns  vorliegenden 
Redaktion  der  1001  Nacht  gesagt  ist,  dass  sie  kaum  früher  als  1450  wird 
angesetzt  werden  dürfen,  gilt  nur  von  den  Handschriften  und  Ausgaben, 
welche  die  ägyptische  Fassung  darstellen.  Nach  den  Ausführungen  Noeldekcs 
Wiener  Zeitschr.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.,  II,  1'2  wird  man  annelimen 
müssen,  dass  die  Entstehung  der  Stücke,  welche  allen  drei  von  Zotenberg, 
histoire  d"'Ala  al-Din  ou  la  lampe  merveilleuse  angenommenen  Hand- 
schriftengruppen gemeinschaftlich  sind,  in  einer  ziemlich  frühen  Zeit  liegen 
muss  (etwa  900?).  Ob  auch  in  diese  ältesten  Stücke  schon  Schwanke  ein- 
gestreut sind,  wird  erst  eine  eingehendere  Untersuchung  feststellen  können. 

Zu  Seite  51,  Zeile  2  ff.  Eine  wertvolle  Monographie  unter  dem  Titel 
„Karakoüch"  veröffentlichte  Casanova  in  den  Memoires  publies  par  les 
membres  de  la  Mission  Archeologiciue  fran<;aise  au  Caire,  Bd.  6,  fasc.  3 
(Paris  1893),  p.  447—491.  Sein  Resultat  ist:  Kai-aküsch  war  ein  tapferer, 
etwas  rauher  Haudegen,  der  in  der  politisch  bewegten  Zeit  nach  dem  Tode 
Sahih  eddms  keine  glückliche  Rolle  spielte  und  aus  politischer  und  per- 
sönlicher Feindschaft  von  dem  Bureaumenschen  Ibn  Mammati  in  dem 
Pamphlet  Kitäb  elfäschüsch  etc.  (s.  S.  50)  als  ein  grausamer  Schwachkopf 
hingestellt    wurde.     Von    einem  Zusammenhange    des  türkischen  Schatten- 

1)  Reclam  No.  30,  (Jam.  No.  1.   . 


Scliell:  Abzählnume  aus  dem  Bergischen.  67 

Spieles  Karagöz  mit  dem  so  arg  vermiglimpfteii  ägyptischen  Baumeistei", 
Soldaten  und  Staatsmann,  wie  ihn  aucli  Casanova  als  möglich  anzimehmen 
scheint  (s.  S.  46ri)  ist  keine  Rede.  Sehr  nnn'kwürdig  ist,  dass  derselbe 
Karalvfiscli  bei  den  westlichen  Historikern  der  Kreuzzüge  als  eine  durch 
Weisheit  und  Tugenden  ausgezeichnete  Persönlichkeit  erscheint:  ihr 
Cai'acois  ist  ein  sagenumwobener,  ehrwürdiger  Patriarcli.  Casanova  giebt 
den  Text  der  Handschriften  eines  Auszuges  des  Ihn  Mammatischen  Werkes 
(Ms.  Kairo),  des  Sujutischen  Werkchens  (Ms.  Paris  a.  f.  ar.  1548)  und  des 
attarz  elmanküsch  (Ms.  München  637)  mit  Übersetzung.  Die  hier  mit- 
geteilten Erzählungen  finden  sicii  auch  bei  Casanova. 

Zu  Seite  51,  Anmerkung  2.  Die  Frage  ist  bejahend  zu  beantworten: 
Karakiisch  entstammte  in  Wirklichkeit  einer  der  Provinzen  des  byzan- 
tinischen Reiches,  vielleicht  Armenien  (vgl.  die  folgende  Anmerkung, 
Schluss);  in  der  Bezeichnung  des  Dschuha  als  er-rümi  spricht  sich  das 
Bewusstsein  der  fremden   Herkunft  der  Schwanke  aus. 


Abzählreime  aus  dem  Bergisclieu. 

Gesammelt  von  0.  Schell. 

1.    Ine,  mine,  mine;  Gieb  mir  eine  Butterbrot. 

Kamen  drei  Kanine.  Butterbrot  mag  ich  niclit; 

Josef  ist  der  l)estc  Mann,  Zuckerplätzchen  kriegst  du  nicht. 

Hat  die  schönsten  Kleider  an.  Eins,  zwei,  drei 

Mutter  tot  —  Vater  tot,  Und  du  musst  sein.        (Wiilfratli.) 

Ganz  ähnlich  in  Hambach  bei  Heppenheim  an  der  Bergstrasse.  Dort 
lautet  der  Reim  nach  einer  Aufzeichnung  im  handschriftlichen  Nachlass 
von  Prof.  Wilh.  Crecelius: 

Ane,  mäne,  Dienche;  Mutter  tot  —  Vater  tot, 

Es  kamen  drei  Kaninchc,  Gebt  dem  Josef  Zuckerbrot. 

Fragten  nach  dem  Josef  Zuckerbrot  verlang'  ich  nit, 

Josef  ist  der  beste  Mann;  Hansel  Dänel  heiss'  ich  nit. 
Er  hat  die  schönschde  Kleider  an. 

•-'.    Wie  welle  nit  lang  Hukespukes  mäken;  du  mots  sin. 

(Wülfrath,  Kronenberg  und  Elberfeld.) 

y.    Is,  mis,  müs;  5.    Ine  mme  Mitz 

On  du  bös  US.     (Wülfrath.)  Gong  en  der  Laden, 

Waul  för  en  Penning  Zucker  han. 
4.    Eine  kleine  Mi  —  Maus  För  en  Penning  Zucker  kritt  man  nit. 

Lief  über's  Rathaus;  Ine  mine  Mitz 

Schine  —  wipp,  schine  —  vvapp  —  Dat  ärgert  sich. 

On  du  bös  al).     (WidlVath.)  Eins,  zwei,  drei 

On  du  bös  frei.     (Wülfrath.) 
5* 


68  Schell: 

6.    Kine,  zwei,  drei  —  acht,  7.    Et  söt  eii  Düffchen  op  dem  Dach, 
Die  Kirsche  kracht,  Dat  hat  sich  baul  kapott  gelacht. 

Das  Haus  fällt  ein  Zehn,  zwanzig  —  hundert; 

Und  du  musst  sein.      (WüUrath.)  Und  du  niusst  sein.      (Wülfiath.) 

8.  Ipp,  tipp,  tapp. 

Und  du  bist  ab.     (Wülfrath.) 

9.  Kuckuk  woer  am  Muhren  schrappen, 
Woss  nicht,     wie  he  et  an  saul  packen. 
Pack  an; 

On  du  bös  dran.     (Wülfrath.) 

10.  Abraham  und  Isaak 

Schlugen  sich  mit  Hackepack  (Zwieback). 

Abraham  kann  besser  schlaun, 

Isaak  moss  laupen  gon.     (Wülfrath  und  Elberfeld.) 

11.  Ech  deil  ut. 

We  do  nit  met  tefreden  es, 

De  kritt  wat  öm  die  Schnüt.     (Wülfrath.) 

12.    Min  Väder  leid  (liess)  ein  old  Karrenrat  beschlonn; 
Road  ens,  wievöll  Näel  to  tau  saulen  gönn.     (Wülfrath.) 

13.    [ane,  wiane,  wessla,  14.    Henken.  Penken,  Schorstenken. 
Titlatessla,  Tien  möl  honget  es  düsend. 

Titlatei,  (Kronenberg.) 

Du  biss  frei.     (Kronenberg.) 

1.").    Aken,  backen,  Buanenstäken ; 
Piff,  paff,  all: 
Ongen  kömmt  de  Paff: 
Üngen  kömmt  de  Mus  — 
Du  bös  US.     (Elberfeld.) 

16.   Apriküsen  schmusen: 
Ronterbank : 
En  wat  för  Hank? 
Em  N.  N.  sing  Hank!     (Elberfeld.) 

(Nur  bei  einem  bestimmten  Ballspiel  angewandt.) 

17.    Eins,  zwei,  drei  —  sieben;  IS.    Eine  alte  Schwiegermutter 

Wo  bist  du  so  lang  gebliebenV  Mit  dem  krummen  Puss, 

In  Stadt  Hagen,  in  Stadt  Hagen,  Sieben  Jahr"  im  Himmel  g  wesen 

Wo  die  sieben  Kaninchen  waren.  Muss  sie  wieder  rus. 

Sieben  Kaninchen  backen  Brot.  Ist  das  nicht  ein  dummes  Weib, 

Schlagen  alle  M.äuse  tot.  Dass  sie  nicht  im  Himmel  bleibtV 

(Elberfeld.)  I  —  a  —  u  —  s  =  aus.      (Elberfeld 

19.    En,  twei,  drei  — 

Dat  Pucklen-Gretschen  kockt  den  Brei.     (Elberfeld.) 

20.    (Vergl.  No.  12.) 

Use  aule  Bestevader 
Liat  ens  en  aul  Käreiu'adt  beschlonn. 
Rot  ens,  wivöll  Nägel  dat  dotu  gönnt? 
Seg  du.  wat  du  woss!     (Elberfeld.) 


Abzählreime  aus  dem  Bergischen.  69 

Eine  beliebige  Zahl  wird  genannt  und  zwar  von  einem  Kinde,  dem 
ein  anderes  mit  der  Hand  die  Angen  versciiliesst,  etwa  7.  Dann  zäiilt 
man  die  Umstehenden  bis  zum  Siebenten  ab  und  sagt  hierauf: 

Dö  böstu  van  den  allerersten  ener  drüt. 

Audi  in  Barmen  und  anderen  Teilen  des  Bergischen  ist  der  Reim  bekannt. 

Ebenfalls   in  Westfalen  (Woeste,    Wörterbuch   der  Westfälischen  Mundart, 

S.  28)  imd  Oldenburg  (Strackerjan,  Aus  dem  Kinderleben,  S.  53). 

Nach  Bindewald  lautet  derselbe  im  Vogelsberg  folgendermassen: 

Es  wollt  ein  Schmied  ein  Pferd  beschlagen. 

Wieviel  Nägeljmuss  er  haben? 

Eins,  zwei,  drei; 

Magd  hol'  Wein; 

Knecht,  schenk  ein; 

Herr,  sauf  aus  — 

Du  bist  aus. 
Ahnlich  bei  Sinu'ock,  Das  deutsche  Kinderbuch,  2.  Aufl.,  No.  788. 

21.    So  vi  ens  wedden 

Um  en  Fust  voll  Pedden? 

Eck  well  se  hacken; 

Du  söss  se  backen; 

Eck  well  se  mcten; 

Du  söss  se  freten.     (Elberfeld.) 

22.    Aenneken,  Aenneken  (auch  Ene,  dene)  Dintenfass, 
Geh'  zur  Schul'  und  lerne  was; 
Wenn  du  was  geleruet  hast 
Komm  nach  Haus  luid  sag'  mir  was. 
(oder;  Steck  die  Feder  in  die  Tasch".) 
Mein  Vater  ist  ein  Schreiner. 
Schreinert  mir  ein  Hölzchen, 
Da  pfeif"  ich  jeden  Morgen  drauf 
(oder;  Schreinert  mir  ein  Häuschen 
Und  flarin  ein  Mäuschen).     (Elberfeld.) 

23.    Bauer,  bind'  den  Pudel  an.  24.    Eins,  zwei,  drei,  vier, 
Dass  er  mich  nicht  beissen  kann;  "W^ein  oder  Bier? 

Beisst  er  mich,  verklag'  ich  dich;  Bier  oder  Wein? 

Hundert  Thaler  kost't  es  dich.  Du  musst  sein!  (Elberfeld.) 

25.    Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs, 
Kraut  ist  ein  Gewächs; 
Kraut  ist  ein  gut'  Gericht, 
Liebes  Kiiul,  verschmäh'  es  nicht.     (Elberfeld.) 

26.    Eins,  zwei,  drei  —  sieben,  Knaben,  das  sind  Gassenbengel; 

Wo  bist  du  so  lang  geblieben?  Mädchen  tragen  M)'rthenkränze; 

In  Berlin,  in  Stettin,  Buben  tragen  Rattenschwänze; 

Wo  die  schönen  Mädchen  blühn.  Mädchen  gehen  früh  nach  Haus, 

Mädchen,  das  sind  Zuckerengel,  Buben  bleiben  laufj-e  aus.  (Elberfeld). 
(Eine    Variante    dazu    bringt    Norrenberg    in    seiner    Geschichte    der 
Herrlichkeit  Grefrath.) 


70  Schell:  Abzählreime  aus  dem  Bergischen. 

•21.    Eins,  zwei,  drei, 

Und  du  bist  frei.     (Elberfeld.) 

28.    Eins,  zwei,  drei: 

Meine  Mutter  die  kocht  Brei ; 
Meine  Mutter  die  kocht  Speck; 
Ich  oder  du  musst  wegl 

Die  beiden  ersten  Verse  lauteu  auch  wohl : 
Eins,  zwei  —  sieben: 
Meine  Mutter  die  kocht  Rüben.     (Elberfeld.) 

Im  Yogelsberg    lautet  dieser  Reim  nach  Biiulewalds  handschriftlichen 
Aufzeichnungen : 

Eins,  zwei,  drei: 

Meine  Mutter  die  kocht  Brei: 

Mein  Vater  der  heisst  Sauerknuit: 

Meine  Schwester  ist  'ne  schöne  Braut. 

29.    Eins,  zwei  —  sieben.  30.    Um  was  wollen  wir  wetten? 
Wo  sind  die  Franzosen  geblieben V  Um  drei  goldne  Ketten: 

In  Russland,  in  dem  tiefen  Schnee.  Um  ein  Gläschen  Wein. 

Da  riefen  alle:  ,0  weh.  o  wehl^  Peter,  du  musst  sein! 

(Elbtrfeld.)  (Elberfeld.) 

31.    Op  der  Se"  ess  größte  Nöd,  Ammer,  •wammer, 

Ess  en  Feschken  bleven  d6»t;  Rotterdammer. 

On  we  riit  met  der  Lik  well  gönn.  Piff,  paff,  puff: 

De  raot  de  Kost  betfüen.  Schlag  äff!  (Elberfeld.) 

32.    Oewer  üse  böge  Hüs 

Flog  ene  gelle  Gos  (=  Gans), 

De  say:  Giga  bös: 

Zehn,  zwanzig  —  hundert: 

Do  bösstu  ran  den  alleriaschten  enen  drut.     (Burmen.' 

33.    En,  twei,  drei,  .Aken,  bäken, 

Rische  rasche,  rei;  Bönenstäken. 

Rische  rasche,  Ri  —  ra  —  rutsch. 
Plüdertasche.  (Barmen.     Vergl.  No.  15). 

En,  twei,  drei.     (Barmen.) 

35.    En,  twei,  drei,  fier,  föf,  sess,  sewen,  acht: 
Op  die  Jagd; 
Sure  Kappes  on  Speck  — 
Du  böss  leck.     (Barmen.) 

36.    Inne  wiune  witsel,  .       37.    Ene  mene  metze; 

We  mag  Britzel?  Wer  mag  BretzeV 

We  mag  Kauken?  Wer  mag  Koken? 

De  mot  raupen.  Der  möt  soeken. 

We  mag  Brei?  A  —  B  —  but: 

Di"  ess  frei  Du  böss  di-üt: 

Van  de  Börgemesteri.  Du  scherst  dich  üt  dem  Kreis  herüt. 

(Barmen.)  (Leichüngen.) 


Aiiialü:  Zwei  oriontalische  Episoilim  in  Voltaires  Zacligf.  71 

38.    Ich  ging  einmal  in  meines  Grossvaters  Garten. 
In  dem  Garten  stand  ein  Baum. 
An  dem  Baum  da  war  ein  Ast. 
Auf  dem  Baum  da  wai'  ein  Nest. 
In  dem  Ne.st  da  war  ein  Ei. 
Auf  dem  Ei  da  war  geschrieben: 
Wer  bis  hundert  zählt,  der  muss  kriegen. 
(Dann  zählt  mau  bis  100.) 

(An  verschiedenen  Orten. J 

39.    Ich  und  du, 
Müllers  Kuh; 
Müllers  Esel 
Der  bist  du.  (An  verschiedenen  Orten.) 

Einige  Litteraturnachweise  mit  besonderer  Berücksichtigung  Rheinlands: 
Arnim  -  Brentano,    Des    Knaben    Wunderhorn    (Reclamsclie    Ausgabe), 

S.  827  ff'. 
Firmen  ich,  Germauiens  Völkerstimmeu,  I,  459.  II,  556.  560. 
Simrock,  Das  deutsche  Kinderbuch,  2.  Ausgabe,  No.  737 — 814. 
Woeste,  Wörterbuch  der  Westfäl.  Mundart,  an  verschiedenen  Stellen. 
Woeste,  Volksüberlieferungen  in  der  Grafschaft  Mark,  S.  9. 
Kehrein,  Volkstümliches  aus  Nassau,  S.  115  ft". 
Birlingers  Alemannia,  nameutlich  Band  14,  S.  207  ff'. 


Zwei  orientalische  Episoden  in  Voltaires  Zadig. 

Von  Dr.  Gaetauo  Amalfi. 

Es  ist  erwiesen,  dass  Voltaire  in  Nachahmung  orientalischer  Geschichten 
und  voll  Erinnerungen  daran,  diesen  kleinen  Roman  verfasste. ^)  Ja,  bis 
zu  einem  kleinen  Grade,  könnte  derselbe  für  ein  dem  geläuterten  modernen 
Geschmacke  angepasstes  Rifacimento  (Wiederherstellung)  gelten. 

Hiervon  unterrichtet  uns  Voltaire  selbst  in  seinen  Widmungsworten 
an  die  Sultauiu  Shei-aa:  j,Icli  bringe  euch  die  Übersetzung  eines  Buches 
eines  alten  Weisen  dar  ...  Es  wurde  in  altchaldäischer  Sprache  geschrieben, 
die  weder  ihr  versteht  noch  ich.  Man  übertrug  es  ins  Arabische,  um  den 
berühmten  Sultan  Ulungbeb  zu  unterhalten.  Es  war  zu  der  Zeit,  wo  die 
Araber    und    die    Perser    Tausend    und    eine  Nacht"),    Tausend   und 

1)  Oeuvres  etc.,  Paris,  Furne  1836,  Band  VIII,  8.  329-.57  „Zadig,  uu  le  destinee, 
liistoire  Orientale,  1747''. 

2)  Les  niille  et  une  uuits.  Coutes  arabes,  trad.  en  frani,-ais  par  (ialland  etc., 
herausg.  v.  A.  Loiseleur-Desloiigchanips,  Paris,  1838.  —  Tausend  und  eine  Nacht, 
zum  erster  Mal  u.  s.  w.  vun  Max  Habicht  u.  s.  w.,  Breslau,  1835. 


72  Amalfi: 

einen  Tag  u.  s.  w.  zu  srhreibcn  anfingen.     Ulung    hatte    ilie  Lektüre  des 

Zadig    lieber,    aber    die  Sultaniunen    bevorzugten    Tausend   und 

Und  er  sprach  zu  ihnen  die  tadelnden  Worte:  „Wie  könnt  Ihr  nur  für 
Erzählungen,  die  ohne  Zusammenhang  und  ohne  Motiv  sind,  Vorliebe 
hegen?"     Sie  entgegneten:  „Gerade  deswegen  lieben  wir  sie!"  .... 

Lässt  man  den  Witz  und  den  mehr  oder  weniger  wahren  ....  oder 
erfundenen  Ursprung  bei  Seite,  so  ist  die  orientalische  Nachahmung  offen- 
kundig. Es  würde  genügen  das  2.  Cap.  „Le  nez"  anzuführen,  eine  Variante 
der  „Matrone  von  Ephesus" '),  die  vielleicht  aus  der  „Matrone  von  Soung" 
in  den  Chinesischen  Novellen^):  und  das  3.  Cap.  „Le  chien  et  le 
cheval"').  Aber  diese  Darlegung  ist  nicht  erforderlich.  Kommen  wir 
vielmehr  zu  unserer  Aufgabe. 

Im  13.  Cap.  „Le  rendez-vous"  wird  folgende  kleine  Geschichte  erzählt: 
Als  Zadig  sich  auf  der  Reise  nach  Bassora  befand,  beschlossen  die 
Priester  der  Gestirne  ihn  zu  strafen,  indem  sie  als  Vorwand  gebrauchten, 
er  habe  sich  astronomischer  Ketzerideeu  schuldig  gemacht!  Er  hatte,  welch 
Verbrechen!  zu  behaupten  gewagt,  dass  die  Gestirne  nicht  im  Meere  aus- 
ruhten! Sie  hatten  ihn  zu  langsamer  Verbrennung  — zum  Vivicomburium, 
würde  man  in  andern  Zeiten  gesagt  haben  —  verurteilt.  Der  verzweifelte 
Setoc  bemüht  sicli  vergebens,  den  Freund  zu  retton.  Die  junge  Witwe 
Almona,  die  sehr  viel  Gefallen  am  Leben  gefunden  hatte  und  die  sich 
Zadig  verbindlich  fühlte,  weil  er  sich  über  den  Missbrauch  des  Scheiter- 
haufens aufgeklärt  hatte,  nimmt  sich  vor,  ihn  zu  retten.  Sie  sagt  niemandem 
ein  Wort  davon.  Die  Vollstreckung  sollte  am  folgenden  Tage  stattfinden, 
und  so  gewann  sie  um-  die  Nacht  für  sich.  Die  wunderschöne  Frau  putzt 
sich  in  verführerischer  Weise  und  stellt  sich  so  dem  Oberhaupte  jener 
Priester  vor.  So  lange  macht  sie  und  redet  sie,  bis  der  ehrwürdige  Greis 
in  seinen  alten  Gliedern  das  Prickeln  der  Liebe  wieder  erwachen  fühlt. 
Sie  verheisst  sich  ihm  in  ihrer  Wohnung,  und  so  erreicht  sie  die  Unter- 
zeichnung des  Begnadigungsbriefes.  Aber  das  reicht  nicht  hin!  Es  bedarf 
noch  der  Zustimmung  di-eier  Ordensbrüder.  Sie  wiederholt  die  Scene  auch 
mit  diesen,  und  die  Unterzeichnung  ist  vollständig.  Mit  allen  giebt  sie 
sich  das  Stelldichein  auf  dieselbe  Stunde.  Inzwischen  lässt  sie  die  Richter 
benachrichtigen,  sich  in  einer  wichtigen  Angelegenheit  zu  ihr  zu  begeben. 
Sie  zeigt  ihnen  die  vier  Unterschriften,  indem  sie  ihnen  angiebt,  für  welchen 
Preis  jene  Herren  Zadigs  Begnadigung  verkauft  hätten.  Alle  kommen  zur 
festgesetzten  Stunde  an.    Sie  sind  erstaunt,  die  Ordensbrüder  und  obendrein 


1)  Grisebach,  Die  Wanderung  der  Novelle  von  der  treulosen  Wittwe 
durch  die  Weltlitteratur,  Berlin,  Lehmauu,  1866,  S.  b6— 88. 

2)  Oontes  chinois,  Paris  1827,  Band  I,  Einleitung.  —  Loi.seleur-Dcslong-champs, 
Essai   sur  les  fables  indiennes,  etc.,  Paris,  Techner,  1838. 

3)  Prato,  Zwei  Episoden  aus  zwei  tibetanischen  Novellen  in  der  orien- 
tali.srhen  und  occidentalen  Überlieferung  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für 
Volkskunde  1894,  Heft  4  und  Sonderabdi-uck. 


Zwei  orioutalischc  Episoden  in  Voltaires  Zadig.  73 

die  Kichter  dort  zu  treffen,  bevor  ihre  Schande  bekannt  geworden.  Zadig 
ist  gerettet.  Setoc,  der  von  Almonas  Gewandheit  entzückt  ist,  macht  sie 
zu  seiner  Frau. 

Für  den  ersten  Teil  der  Erzählung  kommt  einem  jeden  der  Name 
Galileis  auf  die  Lippen,  der  gezwungen  worden,  die  Bewegung  der  Erde 
zu  widerrufen;  und  in  der  anmutigen  Gestalt  der  Almona  entdeckt  man 
eine  »ewisse  flüchtige  Ähnlichkeit  mit  Juditli,  die  sich  zu  Holofernes 
begiebt.     Aber  nicht  hiermit  will  ich  mich  beschäftigen. 

Gedachte  Erzählung  ist  in  Wirklichkeit  orientalischen  Ursprungs,  und 
findet  sich  in  dem  Buche:  Les  Mille  et  un  jours'),  unter  dem  Titel 
„Geschichte  der  schonen  Arouya".  Und  zwar  handelt  es  sich  in  dieser  um 
Folgendes: 

Ein  alter  Kaufmann  aus  Damaskus,  mit  Namen  Banu.  der  sehr  reich 
ist  und  eine  sehr  schöne  Frau  hat.  gerät  in  Not,  und  wendet  sich  vergeblich 
an  seine  Freunde,  denen  er  früher  so  viel  Gutes  erwiesen  hatte.  Unter 
diesen  hatte  er  dem  Doctor  Danischmeude  tausend  Zechinen  geliehen,  und 
er  schickt  nun  seine  Frau  aus,  um  sie  zurück  zu  fordern.  Er  verweigert 
sie;  aber  er  ist  bereit  zweitausend  Zechinen  herzugeben  unter  der  Be- 
dingung .  .  .  dass  sie  sich  in  seine  Wünsche  ergebe.  Sie  sträubt  sich  hier- 
gegen, und  so  entlässt  er  sie  auf  wenig  höfliche  Manier.  Auf  Banns  Verlangen 
nimmt  sie  zum  Cadi  und  zum  Statthalter  ihre  Zuflucht,  und  alle  zeigen 
sich  bereit  sie  zufrieden  zu  stellen,  vorausgesetzt  dass  .  .  .  der  Gefälligkeit 
die  Erkenntlichkeit  vorhergehe.  Die  schöne  Aronya  kommt  trostlos  nach 
Hause;  zuletzt  aber  giebt  ihr  der  Gatte  volle  Handelsfreiheit  in  der  Absicht, 
seinen  Zweck  zu  erreichen.  Sie  geht  zu  einem  Korbmacher  und  versieht 
sich  mit  drei  gut  gefertigten  Körben,  deren  jeder  einen  Menschen  zu  fassen 
vermag.  Sie  putzt  und  parfümiert  sich  verführerisch;  dann  begiebt  sie 
sich  wieder  auf  ihre  via  crucis.  Sie  zeigt  sich  reuig  über  ihren  früheren 
Starrsinn  und  verspricht  einem  jeden  in  ihrem  Hause  für  die  folgende 
Nacht,  so  zwar,  dass  sie  die  Zeit  vom  einen  zum  anderen  nur  gering  sein 
lässt,  —  Liebesumgang.  Der  erste,  der  kommt,  ist  der  Doctor.  Während 
er  Konfitüren  nascht  und  Liköre  schlürft,  wird  endlicii  ein  Geräusch  ver- 
nehmbar: es  ist  der  Cadi.  Indem  man  vorschützt,  es  sei  dies  der  Bruder 
der  Frau,  der  aus  Cairo  gekommen,  wird  der  Doctor  in  einem  der 
erwähnten  Körbe  verborgen.  Der  Auftritt  wiederholt  sich  im  grossen  und 
ganzen  mit  den  beiden  anderen;  auch  sie  werden  in  die  Körbe  gesteckt. 
Am  Morgen  eilt  sie  zum  "Vezir  und  erzählt  ihm  den  Vorfall  —  bis  auf  den 
letzten  Teil  und  versichert,  die  Zeugen  dafür  in  den  Körben  zu  haben. 
Diese  werden  geöffnet  —  und  imn  spielen  jene  drei  die  köstliche  Rolle, 
die   man  sich  vorstellen   kann.     Der  Vezier  tadelt  sie  öffentlich  heftig;    er 

1)  Contes  Persans,  trad.  en  franijais  par  Petis  de  Lacroix  etc.  Paris,  Desrez, 
1850.  S.  190—198.  Es  giebt  anch  eine  italienische  Uhersetzinig  von  G.  C.  Neapel,  Grinialdi, 
185(J,  S  350—354,  mit  einigen  operativen  Eiugriü'en. 


74  Aiiuilfi: 

verurteilt  den  Doetor  zur  ZahluDg  von  viertausend  Zecliineu,  setzt  den 
Cadi  ab  und  vertraut  den  Statthalter  einer  hohen  Persönlichkeit  des  Hofes 
an.  I^achdem  er  darauf  die  Körbe  hat  entfernen  lassen,  fordert  er  die 
schöne  Ai'ouya  auf,  iliren  Schleier  hochzulieben,  indem  er  sagt:  Zeigt  uns 
diese  gefährlichen  Züge,  deren  Anblick  für  jene  (hei  Personen  so  ver- 
hängnisvoll geworden  ist,  dass  sie  sieh  dadurch  haben  betören  lassen! 

Zu  den  falschen  Freunden,  die  den  Wohlthäter  in  seiner  Not  ver- 
leugnen, kann  man  vergleichen,  abgesehen  von  dem,  was  in  meiner  Schrift: 
Uu  fönte  dei  Ceuto  Racconti  di  M.  Somma,  Neapel,  Priore,  1892, 
S.  22  gesagt  ist,  das  oben  erwähnte  Buch  J\Iille  et  un  jours,  S.  117 — 8; 
La  Fontaine,  Le  Tresor  et  las  deux  liommes  (ES,  Fab.  16),  eine 
aus  Ausouius,  Epigr.  22—23  geschöpfte  Erzählung,  die  er  selbst  aus  der 
Griechischen  Anthologie  entnommen  hatte;  Rua,  Di  alcune  uovelle 
inserite  nell"  „Esopo"  di  Francesco  del  Tuppo,  Torino  188!),  S.  15, 
Fab.  LXII  u.  s.  w. 

Die  Geschichte  im  ganzen  wurde  unter  die  luder  durch  persische 
Erzähler  verbreitet.  Ihr  Typus  findet  sich  in  einer  Erzählung  der  Sanskrit- 
Sammlung  Urihat-Kathii,  die  etwa  folgendermassen  lautet: 

Upakosä,  eine  ehrbare  und  tugendhafte  Frau,  zieht  währeml  der  Ab- 
wesenheit ihres  Gatten,  des  Brahnianen  Yararutchi,  die  Blicke  vieler  Lieb- 
haber') auf  sich,  unter  denen  sich  der  Kaplan  des  Königs,  der  Befehls- 
haber der  Leibwache  und  der  Hofmeister  des  jimgen  Prinzen,  befinden. 
Diese  belästigen  sie  derniassen  mit  ihren  Bitten  und  Drohungen,  dass  sie 
sich  endlich  eutschliesst.  sie  zu  züchtigen.  Sie  bestellt  die  drei  Buhlen 
auf  denselben  Abend,  mit  einer  Stiunle  Abstand  vom  einen  zum  anderen, 
zu  sich.  Li  der  Absiclit,  die  Götter  sich  günstig  zu  stimmen,  schickt  sie 
zu  einem  Bankier,  eine  hinterlegte  Summe  einzuziehen,  um  sie  als  Almosen 
auszuteilen.  Dieser,  der  gleichfalls  in  die  Frau  verliebt  ist,  antwortet,  es 
nur  unter  der  Bedingung  thun  zu  wollen,  dass  sie  darinwillige,  ihn  zu 
empfangen.  Aus  Furcht,  das  (Jeld  zu  verlieren,  gewährt  sie  wie  den 
anderen  so  auch  ihm  das  Stelldichein,  doch  eine  Stunde  später.  Zuerst 
kommt  der  Hofmeister  des  kleinen  Prinzen  an.  Nach  einem  freundlichen 
Empfange  schlägt  sie  ihm  vor  ein  Bad  zu  nehmen:  jener  geht  darauf  ein. 
Sie  führt  ihn  in  ein  dunkles  Gemach,  wo  das  Bad  fix  und  fertig  steht. 
Nachdem  er  sich  entkleidet,  legt  sie  auf  den  Platz  seiner  Kleider  ein 
wohlriechendes,  mit  Russ  bestreutes  Betttuch.  Er  benutzt  es  zum  Abtrocknen, 
als  er  aus  dem  Bade  heraustritt,  und  wird  schwarz,  schwarz  wie  Ebenholz 
vom  Scheitel  bis  zur  Sohle.     Zwischen  diesen  Vorbereitungen  vergeht  eine 


1)  Vgl.  Penelope  und  die  Freier  in  der  Odyssee  etc.  Zu  dem  Aj-gumente  von  den 
Possen,  die  die  Damen  ikron  Liebhabern,  um  sie  zu  hintergehen,  spielen,  s.  Boccaccio, 
Dec.  VIJ,  2;  IX,  1;  passende  Erläuterungen  bei  Landau,  Quellen  etc.;  Straparola, 
Piac.  Not.  II,  2  u.  5:  vgl.  ferner  die  Studie  von  llua,  Intorno  etc.,  Torino,  Loescher, 
1890,  S.  50— 51;  53—54:  übrigens  ist  es  ein  bei  den  NoveUisten  verarbeitetes  Thema. 


Zwei  orientalischL'  Eiiisutlen  in  Voltaires  Zadig.  75 

StuiuU'.  So  wird  es  für  den  zweiten  Bulileii  Zeit  zu  ersclieiuen. '  Die 
Mädchen  geben  zu  verstehen,  es  sei  ein  Freund  ihres  Herrn,  und  so  drängen 
sie  den  ersten  in  einen  grossen  Korb  und  spei-reu  ihn  dort  ein.  Auf  die 
andern  beiden  Galaue  findet  das  gleiche  Rezept  Anwendung.  Es  ist  nur 
noch  der  Bankier  übrig.  Als  er  angelangt,  führt  ihn  Upakosä  in  die  Nähe 
der  Körbe  und  lässt  ihn  schwören,  dass  er  das  anvertraute  Geld  zurück- 
erstatten werde.  Auch  ihm  macht  sie  das  Anerbieten  mit  dem  Bade.  Er 
nimmt  es  an.  In  dem  Augenblicke,  wo  er  das  Bad  verlässt,  beginnt  er 
weiss  zu  werden,  und  ganz  nackt  setzen  ihn  die  Dienerinnen  vor  die  Thür .  . . 
Er  bringt  sich  in  Sicherheit,  indem  er  in  seine  Wohnung  flüchtet,  von 
allen  Hunden  des  Stadtviertels  verfolgt.  Am  nächsten  Morgen  geht  sie  in 
den  Palast  des  Königs  Nanda,  um  den  Bankier  anzuklagen,  er  wolle  sich 
das  Geld,  das  ihr  gehöre,  aneignen.  Herbeigerufen  bestreitet  er  die  Hinter- 
legung. Sie  antwortet:  „Als  mein  Gräfte  abreiste,  steckte  er  unsere  Haus- 
götter in  drei  Körbe.  Sie  haben  gehört,  wie  dieser  das  hinterlegte  Geld 
anerkannte,  und  werden  zu  meinen  Gunsten  Zeugnis  ablegen  können.  Die 
drei  Körbe  werden  gebracht.  Upakosä  befragt  ihre  Gefangenen,  die  aus 
Furcht,  der  Deckel  möge  abgenommen  werden,  sich  beeilen,  ihrem  Wunsche 
gemäss  zu  antworten.  Der  Bankier  wird  gezwungen,  seine  Schuld  an- 
zuerkennen. Aber  der  König,  der  begierig  dst,  die  Hausgötter  zu  sehen, 
lässt  die  Körbe  öffnen  und  zieht  aus  ihnen,  unter  dem  Gelächter  der 
ganzen  Versammlung  .  .  .  die  drei  armen  Teufel  hervor.  Entrüstet  jagt 
der  König  sie  aus  seinem  Reiche.  ^) 

Es  fehlt  nicht  an  ferneren  Rezensionen  und  Umarbeitungen  dieser 
selben  Erzählung.  Vor  allem  ist  anzuführen  die  „Geschichte  der  Dame 
von  Cairo  und  ihrer  vier  Liebhaber"  aus  dem  Nachtrage  von  Tausend 
und  eine  Nacht,  den  Jonathan  Scott.  Arabian  Niohts,  Band  VI, 
S.  380,  in  englischer  Sprache  veröffentlicht  hat  (in  der  französ.  Übersetzung 
von  Destains  auf  S.  "285).  Von  ihr  stammt  auch  die  „Geschichte  von  Cohera" 
in  der  Behar -danisch.  Band  lU,  S.  279  der  euglischen  Übersetzung  her. 
Sie  bildet  auch  eine  der  Erzählungen  des  kleinen  Romans  von  den  Sieben 
Vezieren,  mit  dem  Titel:  „Die  Frau  des  Kaufmannes  und  ihre  Galaue". 
Ein  junges  Mädclien  hat  ihren  Liebhaber  im  Gefängnis  und  dringt  der 
Reihe  nach  in  den  Polizeimeister,  den  (Jadi,  den  Vezier  und  den  Gouverneur 
der  Stadt,  ihn  frei  zu  geben.  Sie  sind  von  ihrer  Schönheit  geblendet  und 
machen  ihr  sämtlich  Anerbietungen,  —  die  sie  nicht  annimmt.  Sie  bestellt 
einen  jeden  von  ihnen,  und  zwar  immer  auf  eine  andere  Stunde  zu  sich. 
Als  sie  eintreffen,  lässt  sie  sie  unter  einem  Verwände  in  einen  eigens  so 
angelegten  Schrank  mit  Abteilungen  einsperren.  So  rettet  sie  sich  vor  den 
Liebhabern.  Der  Mann  bemerkt  bei  seiner  Rückkehr  diesen  Schrank,  aus 
dem  Stimmen  an  sein  Ohr  dringen,  und  lässt  ihn  in  den  Palast  des  Sultans 


1)  Quarterly  ciriental  magaziiie,  Calcutta.  März  1824,  S.  71. 


7g  Amalfi: 

schaffen.  Dort  kriechen  sie  denn  übel  zugericlitet  und  mit  Schande  bedeckt 
aus  ihrem  Behälter  heraus.')  Nur  hat  der  Verfasser  des  Romans  hier  die 
moralische  Seite  der  Erzählung  etwas  verändert,  um  sie  seinem  Zwecke 
anzupassen,  nach  welchem  alle  Erzählungeu  darauf  gerichtet  sind,  die 
Verworfenheit  der  Frauen  darzuthuu'),  als  ob  diese  allein  die  Schuldigen 
wären  und  wir  Männer  nicht  auch  unsere  Schuld  hätten! 

Ausserdem  ist  diese  Erzählung  eine  von  denjenigen,  die  frühzeitig 
nach  Europa  gedrungen  sind.  Zweifelsohne  ist  sie  das  Urbild  des  Fabliau. 
das  den  Titel  führt:  De  la  dame  qui  attrapa  un  pretre,  un  prevöt 
et  un  forestir.')  Eine  entfernte  Übereinstimmung  kömite  man  auch  mit 
der  Fabel  Lafontaines:  Le  Remois,  und  anderen  Erzählungen  feststellen. 
Aber  das  wenige  hierher  üesagte  kann  für  meinen  Zweck  genügen. 


Und  unn  gehen  wir  zur  zweiten  Episode  dos  Zadig,  Ca]i.  XX  „L'ei'mite" 
über,  die  gleichfalls  orientalisclien  Ursprung  hat. 

Auf  seiner  Wanderung  stösst  Zadig  auf  einen  durcli  sein  greises  Haar 
ehrwürdigen  Einsiedler,  der  das  Buch  des  Schicksals  in  der  Hand  liat. 
Aber  uuser  Held  bringt  es,  obwohl  er  in  vielen  Sprachen  bewandert  ist, 
nicht  zur  Entzifferung  irgend  eines  Wortes.  Der  Alte  weissagt  ihm  Unheil 
und  erbietet  sich,  ilm  zu  begleiten,  indem  er  versichert,  die  Unglücklichen 
manchmal  getröstet  zu  haben.  Zadig  ist  von  ihm  begeistert  und  fleht  ihn  an, 
ihn  bis  zn  seiner  Rückkehr  nach  Babylon  nicht  zu  verlassen.  Sie  brechen 
auf  und  kommen  am  Abend  zu  einem  ])rächtigen  Schlosse.  Jlan  nimmt 
sie  dort  gastfreundlich  auf,  trägt  ihnen  ein  auserlesenes  Mahl  ;iuf  und  lädt 
sie  ein,  sich  in  einem  goldenen,  mit  Smaragden  und  Rubinen  gezierten 
Becken  zu  waschen.  Am  nächsten  Morgen  erhält  jeder  von  iliuen  vor  dem 
Aufbruche  eine  Goldmünze.  Unterwegs  nimmt  Zadig,  während  er  sagt, 
der  Hanslierr  scheine  ihm  ein  hochherziger,  wenn  auch  etwas  stolzer  Mann 
zu  sein,  wahr,  dass  der  Eremit  in  geschickter  Weise  jenes  kostbare  Becken 
o-estohlen    habe    und    in    einer  Art  Tasche    bei   sich   trage.     Er  wagt  kein 


1)  Loiseleur-Desloiigchanips,  Notice  sur  les  coiites  turcs,  trad.  par 
Pfiti.s  de  la  Croix,  et  sur  le  livre  de  Sendabad,  in  dem  erwähnten  Buche  Les 
mille  et  un  jnurs  etc..  S.  294.  Yg\.  Behrnauer,  Dii-  Vierzig  Veziere  etc.,  Leipzig 
1851. 

2)  Quid  aliud  e.-it  luulier,  nisi  inimica  amicitia,  ineffugax  poena, 
necessarium  maluni,  naturalis  tentatio?  St.  Joh.  Chrysostonius,  in  Matth.  19. 
Ausser  der  Satire  auf  die  Frauen  von  Simonides,  und  vielen  anderen  Schriften  über  den 
Gegenstand,  s.  Imbriani,  Posilecheata  di  P.  Sarnelli,  Nea]).  Morano  1885,  S.  5  u. 
129,  Anni.  10:  Lu  vivu  mortn,  etc.,  v.  Antonio  Damiani,  Palermo  1816,  in  sizil. 
Dialekt,  etc. 

3)  Fabliaux  v.  Legrand  d"Auss.y,  Band  IV,  S.  24G-Ö5.  Vgl.  Bedier,  Les 
fabliaux,  etc.,  Paris,  Bouillon.  1893. 


Zwei  orientalische  Ejjisoden  in  Vciltaii-es  Zadi^.  77 

Wort    zu    sagen,    alier    es    befremdet    iliii    sehr.     Ciegeii  Mittag  klopft  der 
Eremit    an   die  Tln'ir   eines  Häuscliens.    das  ein  reieher  Geizlials  Tiowohnt. 
und     begehrt    für    einige    Stunden    Gastfreundschaft.      Kin    alter    Diener 
empfängt  ihn  barscli,  führt  ilm   in  den  Stall,  wo  er  ihnen  verfaulte  Oliven, 
verdorbenes  Brot    und    umgeschlagenes  Hier    anbietet.     Der  Eremit   speist 
munteren  Sinnes,    giebt    dem  Diener  die  beiden  Goldmünzen,    die  sie  am 
Morgen    emjifangen.    und    dankt    ihm    ffir  seine  Zuvorkommenheit.     Dann 
lässt  er  sich  zum  Hausherrn  hineinführen  und  schenkt  diesem  das  goldene 
Becken.     Zadig  findet  dieses  Verfahren  sonderbar;    wie  könnt  ihr,    sprach 
er,    das    kostbare  Becken    einem  Herrn   stehlen,    der   euch  grossartig  auf- 
genommen, und  es  einem  Knicker  schenken,  der  euch  so  schlecht  behandelt 
liat?     Der  Alte  erwidert:    Mein  Sohn,    der  Reiche,    iler  aus  Eitelkeit  und 
um    seine  Scliätze    bewundern   zu  lassen  Fremde  beherbergt,    wird  weiser 
werden,    der  Geizhals    wird  Gastfreundschaft    üben   lernen:    wundert  euch 
über    nichts,  und    folgt    mir.     Am  Abend    kamen    sie    zu    einem    anderen 
Häuschen,  wo  man  weder  etwas  von  Verschwendung  noch  von  Geiz  merkte. 
Der  Eigentümer  war  ein  von  der  Welt  zurückgezogen  lebender  Philosoph, 
der  in  Frieden  W^eisheit  und  Tugend  jifiegte,  und  der  sich  inzwischen  nicht 
langweilte.     Er    nimmt    die  Fremden   mit  einem  Edelsinn  auf,    der  nichts 
von  Frahlsucht  an  sich  hat.    Er  empfängt  selber  die  beiden  Reisenden,  lässt 
sie  in  einem  bequemen  Räume  ausruhen  und  lädt  sie  zu  einem  schmucken 
Mahle    ein.    während    dessen    er   mit  Umsicht    über   die  letzten  Aufstände 
in  Babylon   etc.  spricht    und  den  Satz  aufstellt,    dass  die  Dinge  auf  dieser 
Welt  nicht  vernunftgemäss  vor  sich  gehen.     Der  Eremit  widerlegt  ihn  mit 
der  Behauptung,  er  kenne  die  Wege  der  Vorsehung  nicht,  und  die  Menschen 
thäten  Unrecht  über  ein  Ganzes  zu  urteilen,    von  dem  sie  nur  ein  kleines 
Teilchen    begriffen.     Mit    einem  Worte,    er    beherbergt    sie    auf  die  beste 
Weise.     Beim  Aufbruch  sagt  der  Eremit,  er  wolle  ihm  ein  Zeichen  seiner 
Achtung    und    seiner    Zuneigung    zurücklassen,    ergreift    eine  Fackel    und 
steckt  das  Haus  in  Brand.     Vergebens  sucht  Zadig  es  zu  verhindern:    die 
Flammen  verschlingen  alles.     Der  Eremit  betrachtet  die  Feuersbrunst  und 
findet  Vergnügen  an  ihr.  während  der  andere  verdutzt  dasteht.     Man  geht 
zu    einer    barmherzigen    und    tugendhaften    Witwe,    die    einen    lieblichen, 
vierzehnjährigen  Neffen,    ihre  einzige  Hoffnung,    hat.     Sie  bemüht  sich  so 
gut  wie  möglich  die  Gäste  zu  ehren,  und  am  anderen  Morgen  lässt  sie  sie 
sogar  von  dem  Neffen  begleiten.     Aber  wie  sie  auf  die  Brücke  gekommen 
sind,  packt  der  Eremit  den  Jüngling  bei   den  Haaren  und  ertränkt  ihn  in 
dem  Strome.     Zadig    entrüstet    sich  hierüber,    doch  der  andere  entgegnet: 
Ihr    habt    mir    grössere  Geduld    versprochen.     Wisset,    dass  der  Hausherr 
unter    den  Trümmern    des  verbrannten  Gebäudes   einen  gewaltigen  Schatz 
gefunden  hat;  der  junge  Mann  hier  würde  binnen  einem  Jahre  seine  Tante, 
und  binnen  zweien  euch  ermordet  haben,  etc.    Unnötig  hinzuzufügen,  dass 
der  Greis  ein  Engel  ist,  der  darauf  verschwindet. 


78  Amalfi: 

Im  Gegensatze  zu  ilein.  was  auf  ileii  ersten  Blick  scheinen  könnte, 
ist  die  Erzählung  nicht  neu:  auch  fehlt  es  nicht  an  abweichenden  Dar- 
stellungeti  und  Umarbeitungen. 

Hervorragend  ist  eine  Version,  die  in  jeiier  bekannten  prächtigen 
Sammlung  mittelalterlicher  Novellen,  den  Gesta  Romanorum.  unter  dem 
TiteP):  De  versutia  diaboli  et  quomodo  ilei  judicia  sunt  occulta,  ent- 
halten ist. 

Ein  Eremit  befindet  sich  in  seiner  Hütte.  In  geringer  Entfernung 
davon  weilt  ein  Hirt,  der  seine  Herde  weidet.  Eines  Tages  kommt  plötzlich, 
während  er  schläft,  ein  Räuber  heran,  der  sämtliche  Schafe  fortträgt.  Er 
bringt  es  nicht  dahin,  sich  vor  seinem  Hei-rn  zu  rechtfertigen,  der  ihn  vom 
Zorne  hingerissen  tötet.  Der  Eremit,  der  über  den  Tod  eines  Unschuldigen 
empört  ist,  entsagt  der  Einsamkeit  und  beginnt  durch  die  Welt  zu  schweifen. 
Es  begleitete  ihn  ein  Engel  in  menschlicher  Gestalt.  Sie  kommen  zu  dem 
Hause  eines  Kriegers,  der  ein  einziges  angebetetes  Söhnchen  hat.  und 
werden  dort  freundlich  beherbergt.  Während  der  Xacht  erhebt  sich  der 
Engel  und  erwürgt  dieses  in  seiner  Wiege.  Einem  sie  glänzend  bei  sich 
aufnehmenden  Edelmanue,  der  einen  goldenen,  ihm  sehr  teuren  Becher 
besitzt,  entwendet  diesen  der  Engel.  Auf  die  Brücke  eines  Flusses 
gekommen,  lassen  sie  sich  von  einem  Bettler  die  Strasse,  die  nach  der 
Stadt  führt,  zeigen  und  dann  ertränkt  ihn  der  Engel  im  Wasser.  In  der 
Stadt  klopfen  sie  an  die  Thür  eines  reichen  Mannes,  der  sie  im  Schweine- 
stall ruhen  lässt,  und  am  anderen  Morgen  schenkt  ihm  der  Engel  den 
Becher.  Der  Eremit  ist  davon  dermassen  beti'offen,  dass  er  glaubt,  es 
handele  sich  statt  des  Engels  um  den  Teufel.  Jener  legt  ihm  dar.  dass 
der  Hirt  wegen  alter,  ungesühnter  Vergehen  getötet  worden:  der  Knabe, 
weil  sein  Vater  seit  seiner  Geburt  ein  arger  Geizhals  und  ein  schlechter 
Christ  geworden  war.  Der  Becher  wm'de  weggenommen,  weil  sein  Herr, 
seitdem  er  ihn  bekommen,  dadurch,  dass  er  viel  daraus  ti-ank,  ausschweifend 
geworden  war,  und  der  Bettler  ertränkt,  weil  er,  ein  wie  guter  Christ  er 
auch  war,  der  Todsünde  zu  verfallen  drohte.  Er  gab  den  Becher  dem, 
der  ihm  den  ScEweiuestall  eim-äumte,  um  ihm  zu  beweisen,  dass  auf  Erden 
nichts  gTundlos  ist,  und  der  dort  nach  seinem  Tode  in  die  Hölle  fahren 
wird.  Als  der  Eremit  diese  Dinge  vernommen,  fällt  er  dem  Enarel  zu 
Füssen,  bittet  um  Verzeihung  und  wird  ein  guter  Christ. 

Diese  Erzählung  könnte  man  betiteln  „Der  Eremit  und  der  Engel", 
und  füglieh  vereinigt  sie  sich  zum  Vergleiche  mit  einer  anderen  Novelle 
der  gleichen  Sammlung,  die  den  Titel  führt ^):  De  justitia  et  equitate 
dissertissimi  judicis  Christi  per  occulta  judicia. 

Die  ferner  angedeuteten  Seitenstücke ')  sind  Jac.  de  Vitriaco;  Seala 

1)  Ausg.  von  Oesterley,  Berlin  18T2.  II.  8.39(5-99,  cap.  80. 

2)  Ibid.  S.  478—80,  cap.  1-27. 

3)  Ibid  S.  724-25,  No.  80;  733,  No.  127. 


Zwei  oi'ientalichc  Episodoii  iu  Vullaires  Zadig.  79 

celi,  15;  Promtuar.  exemplor.  de  teiiip.  24.  Doch  icli  will  nicht  ver- 
felili'ii,  einige  andere  mit  unserer  Erzählnng  zu  vergleichende  Stücke  mit- 
zuteilen, die  von  dem  ausgezeichneten  Herausgeber  ebenfalls  angegeben 
werden : 

Vitae  patrum,  5,  !I3;  Alb.  Patavins,  evaug.  domin.  passionis,  93; 
Pelbartus,  aestiv.  32,  H.  (J.  deVitr.);  Discipulus  de  temp.  109,  K.; 
Specul.  exem])lor.  2,210;  Maj.,  S.  571;  Wriglit,  7;  Exemplos,  161, 
vgl.  34;  Doctrinal  de  sap.,  bl.  8;  L<'  Cirand,  1779,  2,  1  (5,  211);  Moon, 
2,  21();  Bluet  d'Arberes,  oeuvr.  1(!04,  105;  Hist.  littör.  de  la 
France,  23,  S.  116;  Geiler,  arbore  hum.  129  b;  Pauli,  682;  H.  Sachs, 
3, 1,  236,  vgl.  1,  95;  Schiebel,  2,  254;  Zuschauer,  3,  S.  332;  Geliert,  1, 
S.116;  Grimm,  Dentsclie  Mythol.  XXXVII;  Parnell,  The  hermit.  6; 
Swan  1,  376;  H.  More.  Div.  dialogues,  1669,  I,  S.  321— 22;  Howell, 
I;ettres,  4,7;  Pt.  Herbert,  Conceptions,  I,  1650;  Warton,  I,  CLYHI; 
Koran,  18,  64;  Hammer,  Rosenöl,  I,  162;  Hurwitz,  Hebrev  tales  8; 
Weil,  bibl.  legend,  d.  muselm.;  Dunlop  -  Liebrecht,  Gesch.  d. 
Prosadichtungen,  Berlin  1851,  S.  309;  und  schliesslich  Tausend  und 
ein  Tag,  27 — 29,  etc.     Doch  zu  welchem  Zwecke  fortfahren.'' 

Wie  man  sieht,  ist  der  Ursprung  orientalisch.  Und  noch  in  unseren 
Tagen  lebt  dieser  Schwank  bei  dem  Volke;  mehr  als  eiimial  habe  ich  ihn 
in  Abendnnterhaltungen  erzählen  hören.  Nur  wird  der  Engel  bisweilen 
dnr(di  den  himmlischen  Herrn  in  eigener  Person  ersetzt. 

Ich  erwähne  bei  dieser  Gelegenheit  eine  Version  von  paitieller  Über- 
einstimmung, die  Pitre:  San  Petru  e  In  vacili  d'argentu')  berichtet. 
Er  selbst  verweist  in  einer  Anmerkung  auf  eine  römische  Variaute  mit 
einigen  Verschiedenheiten  (in  hlinzeldingen)  im  einzelnen,  die  von  Busk, 
Folk-Jjore  of  Ronie,  S.  117,  No.  5  gegeben  wird,  und  für  den  Schluss 
auf  Gesü  e  S.  Pietro,  No.  27  seiner  Novelle  toscane. 

Teilweise  Übereinstimmungen  zeigt  auch  Michele  Somma,  Cento 
Racconti  No.  64  „Quello  che  sembra  ingiusto  agli  occhi  degli  uomini,  e 
giusto  agli  occhi  del  Sig-nore''  (s.  meine  Schrift;  Un  fönte  etc.,  Neapel, 
Priore,  1892). 

Mir  kommt  eine  fast  identische  Version  in  Piano  di  Sorrento  ins  Ge- 
dächtnis. Aber  nach  meiner  Meinung  müssen  wir  bei  dieser  Erzählung 
zwei  Stadien  in  Anschlag  bringen;  ein  anfängliches,  in  dem  sie  vom  Volke 
erzählt  wurde  und  aus  der  mündlichen  Überlieferung  in  die  Büclier  drang, 
und  ein  späteres  —  das  gegenwärtige  — ,  in  dem  sie  aus  den  Büchern 
unter  das  Volk  zurückgewandert  ist.  Sie  gleicht  dem,  was  der  Volksglaube 
von  den  Flüssen  sagte,  nämlich  dass  sie,  nachdem  sie  aus  dem  Meere 
heraustreten,  zum  Meere  zurückkehren. ") 

1)  Bibl.  Fiabe  o  Leg.,  vol.  uuiro,  Palenno  1888,  S.  168—69,  No.  40. 

2)  Es  bildet  dies  eine  der  vier  Fragen,  die  von  Tnrandot  dem  Calaf  vorgelegt  werden, 
s.  Tausend  und  ein  Tag,  in  der  erw.  ital.  Übersetzung  S.  187. 


80  Behsencr: 

Zum  Schlüsse  köiinoii  wir  sagen,  dass  Voltaire  unter  Hinzusetzung 
eines  i>rickclnilon  uiul  witzigen  Tones  diese  alten  Erzählungen  umgearbeitet 
hat.  deren  er  sich  als  einer  Watte  voll  komischer  und  karrikierender  Kraft 
bediente.  Ebenso  hat  Boccaccio  gethan  und  viele  andere  echte  Dicliter. 
die,  angewidert  von  dem  Gedanken,  nur  das  Alte  wiederholen  zu  sollen, 
aus  den  alten  Wurzeln  die  Keime  des  modernen  Lebens  haben  spriessen 
lassen. 

Neapel. 


Die  Weber-Zenze. 

Eine  Tiroler  Dorffigur  nach  dem  Leben. 
Von  Marie  Rehsener. 

vMit  Bihhiis.  Tafel  I.) 


Die  Weber-Zenze  (Creszenz  Holzmann),  der  wir  das  Jleiste  unserer 
Sammlungen  von  txossensass  verdanken,  ist  am  9.  März  1813  auf  dem 
Ausser-Gfiggelberg  geboren. ')  Dort,  wo  ihr  Elternhaus  steht,  glaubt  man 
noch  Spulten  des  höchsten  Gletscherrandes  aus  der  Eiszeit  zu  erkennen. 

Von  der  heiligen  Crescentia,  nach  der  sie  getauft,  weiss  sie  nur,  was 
einmal  ein  „Herr"  in  der  , Predige'  gehabt  —  man  habe  die  Heilige  für 
eine  Hexe  gehalten. 

Der  Zuname  Weber  kommt,  wie  hier  meistens  gebräuchlich,  vom 
Hause  ^)  und  ist  bekannt;  nicht  so  der  eigentliche  Name  Holzmann.  Wir 
machten,  als  wir  ihn  bei  unserem  ersten  Ausgange  gebrauchten,  eine  alte 
Gossensasserin  ganz  welsch  (verwirrt).  Erst  als  wir  die  Lage  unserer 
Wohnung  beschrieben,  rief  die  Frau  lebhaft:  „Ja,  so!  jetzt  bin  ich  schon 
deutsch")  (jetzt  verstelle  ich).     Sie  wohnen  bei  der  Weber-Zenze." 

Uns,  wie  anderen  Deutscheu,  tielen  diese  Bezeichnungen  angenehm 
auf,  und  wir  achteten  ferner  auf  die  Ausdrucksweise  des  Volkes. 


Unsere    treuherzige  Erzählerin   ist  die  letzte  Stolle*)  der  Nocker  Ge- 
schwister, „Naturen  wie  ans  Eisen",  nannte  sie  bezeichnend  ein  alter  Arzt. 


1)  Über  deu  tJiggolberg-  führt  eiu  steiler  Weg  von  Schelleberg  iiaeh  Brenuerbail. 

2)  In  dem  ihrigen  ist  früher  Weherei  betrieben. 

3)  Häng+  wohl  mit  der  Lage  Tirols  zwischen  Deutschland  und  Italien  zusammen. 
Eben  höre  ich  auch  bedeutschen  =  jemandem  etwas  deutlich  maclieu.  Und  s])ottweise 
„deutsch  auf  einer  Seiten  (halbverstanden)  1" 

4)  Stollen  heissen  üeschwister,  .4ste  (ieschwisterliinder.  Die  Ausdrücke  stammen 
aus  der  Knajjpeuzeit.     Stolleu  sind  die  Haupt-  und  Äste  die  Nebengänge  im  Bergwerk. 


Die  Weber-Zenze.  81 

„Die  hat  wohl  eine  Antwort  hergegeben",  sagte  ein  Jugendbekannter 
von  ihr.  und  zu  ihr  ein  junger  Manu:  „Da  hast  Du  wohl  die  Wahrheit 
derfragt,  Zeuze!"  (Doch  thut  sie  keine  Frage,  zu  der  sie  nicht  bereclitigt 
wäre.) 

8ie  ist  gleich  „reasch"  (heftig,  gradaus;  aber  nicht  bösartig),  klagte 
eine  junge  Magd. 

„Icli  denke,  so  seid  Ihr  alle  hier",  erwiderte  ich.  Nein,  es  giebt  auch 
milde  Leute. 

Die  Zenze  selbst  aber  sagte,  als  ich  sie  um  Geduld  mit  dem  Mädchen  bat: 

„Das  hab"  ich  allm  (immer)  so  zu  einem  Brauch  gehabt:  eine  jede 
Rede  wägen  und  etwa  schmeicheln'),  das  kann  ich  nicht.  Wegen  der 
steck  ich  die  (iosclie  nicht  in  den  Sack.  Wenn  sie  das  nicht  derleidet, 
was  ich  gesagt  habe,  dann  ist  sie  noch  delikater  (empfindlicher)  als  eine 
Kindsbetterin."  Und  als  sie  einem  Manne  etwas  nicht  recht  gemacht, 
meinte  sie:  „Der  wird  einen  Zorn  kriegen!  Wegen  dem  gehe  ich  nicht 
rechts  und  nicht  links  und  nicht  die  Uuer.  Ich  leugne  niclit,  was  ich 
gesagt  habe:    ich  habe  nie  gelogen,    und  bei  der  Wahrheit  Ideib  ich."  — 

Am  Herde  schiebt  sie  den  Deckel  auf  der  plappernden  (wallenden) 
8up])e  etwas  zurück;  denn  „einen  Athem  muss  der  Hafen  haben,  sonst 
wirft  er  die  Platte  (Deckel)  überschi  (über  sich  =  aufwärts)."  Bald  hat 
sie  die  Suppe  am  Schwanz,  die  Erdäpfel  sperren  das  Maul  auf,  und  es 
wäre  eine  Beleidigung  gegen  die  Pfanne,  nicht  wenigstens  eine  Kartoffel 
zu  kosten.  Ja,  <lie  Zenze  hat  allm  (immer)  Hamor  (Humor):  „Sieden  ihre 
Erbsen  gern  (leicht,  schnell)?"  fragt  sie  scherzend,  und  dann  das  Wort 
„gern"  im  eigentlichen  Sinne  nehmend,  fügt  sie  hinzu:  „dann  werden  Sie 
lang  Arbeit  haben,  dann  sieden  sie  lang." 

Eine  Kaffeebohne  fällt  zur  Erde  und  ist  nicht  zu  finden.  „Wegen  der 
fallt  der  Himmel  nicht  öer  (herab),  und  weun  er  fallt,  hupfen  wir  alle  eini." 
Heute  ist  es  wohl  so  schön,  dass  man  in  den  Himmel  steigen  möchte. 
„Binden  Sie  sich  die  Loatern  (Leitern)  nur  z'sammen,  es  sein  genug  da.  aber 
es  wird  Sie  wohl  noch  einer  von  oben  auseilen  (heraufziehen)  müssen."  — 

Ihr  Kuuter  (Kleinvieh)  erbarmt  sie:  „Mich  wundert,  dass  die  Lasche 
(Hündin,  Schimpfname  für  Mädchen)  die  Tiere  nicht  derbarmen;  aber  ein 
Galgviech  hat  nie  eins  derbarmt.  Es  giebt  Menschen,  die  alles  können 
und  alles  thun  (aucii  hexen),  weil  sie  mit  niemand  Erbarmen  haben." 

Sie  spricht  auch  zu  den  Tieren,  als  wenn  sie  sie  verständen.  Mit 
einem  Hausierer  war  dessen  Hund  ins  Haus  gekommen  und  schnupperte 
in  den  Ecken  umher.  „Du",  rief  die  Alte,  „in  einem  fremden  Hause  lauft 
man  nicht  überall  umauaud  (ringsherum,  hin  und  her),  da  hockt  man  still 
in  einem  Ort  nieder!"  Der  Hund  blieb  stehen,  sah  zu  ihr  auf,  wedelte 
und  setzte  sich.     „Ich  sehe,  dass  Du  verstehst." 


1)  G'schmackige    (die  nach  dem  Geschmack  der  Menschen  reden)  ertappt  man  auch 
auf  Lugen  (Lügen). 

Zeitschr.  il.  Vereins  I.  Volk>.kiiiidL-.     13'J5.  6 


g2  Rehsener: 

„Schwarze  Laster,  mühselige  Schwänz",  seid  Ihr  schon  wieder  über 
der  Milch!"  rief  sie  den  Katzen  zu.  und  „jS^apoleon  'das  galt  dem  Kater) 
wie  thut  es,  muss  ich  Dich  einsperren!"  Wissen  Sie  denn,  wer  Napoleon 
war?  „Nein,  es  ist  mir  nur  so  eingefallen.  Der  Lotter  geht  so  weit,  bis 
er  etwas  kriegt."  Die  Katze  kuaute.  „Mehr  willst  Du  zu  fressen?  Ich 
kann  Dir  nicht  helfen;  z"wui  (warum)  hast  Du  eine  Katze  ögeben  (ab- 
gegeben) und  keinen  Fäken"  (der  wird  gemästet). 

Als  etwas  Verkehrtes  geschehen  sollte,  sagte  sie:  „Da  lacheten  recht 
(wohl)  die  Gänse!  C4äbig,  gäbig  (verkehrt)  hat  der  Ganter  beim  Kauner 
(einem  Verwandten  von  ilir)  gesagt,  als  man  ihn  statt  der  Gansin  auf  die 
Oare  (Eier)  zum  Brüten  gesetzt  hatte.  Er  wird  wohl  verstanden  haben, 
dass  man  den  Unrechten  derwuscheu  hat."  Und  als  das  Verkehrte  wirklich 
geschehen  war.  rief  sie:  „Da  wird  mau  noch  lachen,  wenn  man  nur  noch 
ein  halbes  Maul  hat.  und  sellenes  (selbes)  auf  einer  Seiten  sitzen." 

Die  Zenze  kommt  gewöhnlich  Samstag  Abend,  um  die  Wochenrechnuug 
zu  berichtigen,  zu  uns  ins  liolzgetäfelte  Stübchen.  Was  wir  schuldig  sind, 
weiss  sie  nicht,  sie  vertraut,  dass  wir  das  Genommene  richtig  aufschreiben 
und  zahlen;  was  sie  aber  mitunter  von  uns  leiht,  und  seien  es  nur  ein 
paar  Kreuzer,  das  weiss  sie  genau. 

Es  ist  für  sie  ein  Augenblick  der  Ruhe:  das  Haus  ist  bestellt,  das 
Nachtmahl  verzehrt  und  die  Heiligen  sind  gezahlt  (es  ist  gebetet).  Sie 
sitzt  ims  gegenüber  auf  der  Bank  am  Ofen,  und  das  Läm])chen  steht  aus- 
o;elöscht  vor  ihr. 

An  solchen  Abenden  erzählte  sie  manches  aus  dem  Dorfe  und  der 
Gegend,  Redensarten.  Sprüche,  die  im  Volke  leben:  manches,  was  an  ihren 
Glauben  sich  schliesst.  Standen  wir  zusammen  am  Herde,  da  flössen  Be- 
merkungen über  die  Lebensweise  und  den  Brauch  in  das  Gespräch,  und 
traten  wir  zu  ihr  auf  den  Söller  oder  auf  das  Feld,  so  waren  es  Beob- 
achtungen in  der  Natur  und  was  sich  daran  knüpft,  die  uns  als  merkwürdig 
auffielen. 

Aus  dem  eigenen  Leben  erzählte  sie  im  Laufe  der  Zeit:  Unsre  Leut 
(die  Familie,  die  Vorfahren)  sollen  von  Obernberg  ummer  (herüber) 
kemmen  sein.  Von  dort  ist  auch  der  Engel  über  der  Thür  und  das 
Hirschgeweih.  Andere  sind  vom  Ziller-  und  Pusterthal  hergezogen.  Ein 
Pusterer  wurde  gefragt,  was  er  aus  seiner  Heimat  mitgebracht  habe.  „O", 
antwortete  er,  „eine  Kuh.  zwei  Goase  und  einen  alten  Vater." 

Der  Nenl  (Grossvater),  unserer  Mutter  Vater,  wohnte  nicht  weit  von 
uns:  sein  Haus  ist  s|iäter  vom  Donner  niedergebrennt.  Er  hat  vor  langer 
Zeit,  als  hier  noch  die  Charfreitagsspiele  gegeben  wurden  -  -  es  wird  wohl 
so  gewesen  sein  wie  noch  im  Bairischen  —  dabei  unseren  Herrgott  gemacht. 
Da  haben  sie  ihm  mit  einem  Schindelmesser  den  Bart  abgeschnitten  — 
das    hätte    wehe    gethan  —  erzählte    er,    und    den  Herrgott  machte  er 


Die  Wc'bor-Zenze.  83 

nicht  wieder.     Icli   glaube  nicht,  dass  einer  allein  alle  Leiden   auszustehen 
ü,'eliabt  hat,  es  werden  wohl  mehrere  dafür  gewesen  sein. 

Der  Nenl  ist  80  Jahr  alt  geworden  und  hat  alle  seine  Ziihnde  gehabt, 
und  es  hat  ihm  nie  einer  wehe  gethan.  Auch  war  er  bis  in  sein  Alter 
ganz  gesund,  da  —  er  hatte  das  Kirchendach  gedeckt  und  ging  heim  — 
hat  ihm  aber  einer  etwas  in  den  Weg  gelegt,  damit  er  krank  würde  — 
einen  mehrmals  geknoteten  Spaget  (Bindfaden)  —  auf  diesen  ist  er  getreten 
und  wurde  krump.  Nachdem  er  28  Wochen  gelegen  und  alle  Medizin 
lieimlich  zum  Fenster  hinausgegosseu  hatte,  wurde  er  wieder  gesund.  „Der 
Tuifel  hat  mich  arg  abgenagt",  sagte  er  aber  doch  zum  Kurateu,  und  als 
dieser  ihn  zu  versehen  da  war  (mit  dem  Abendmahl):  „Sprecht  e  wenig 
läuterer,  ich  verstehe  zu  wenig." 

Die  Nandl  (Grossmutter),  meiner  Mutter  Mutter,  ist  aufgestauden ,  als 
sie  mit  ihrem  neugeborenen  Kind  zur  Taufe  gegangen  waren  und  hat  für 
die  Leute  etwas  gekociit.  Und  ihre  Mutter  haben  sie  auch  allein  gelassen, 
als  sie  zur  Kirche  gingen,  und  fanden  sie  tot,  als  sie  hoamkanien. 

Lang  vor  mein  (mir)  hat  der  Vater  «inen  halblappeteu  (halbschwach- 
sinnigen)  Buabn  mit  einem  Kalbl  zum  Markt  geschickt,  hat  ihm  aber  noch 
nachgerufen:  „Einem  Ploderer  giebst  Du  es  nicht!"  Der  Bua  meinte,  er 
dürfe  es  keinem  geben,  der  redte,  und  da  er  nur  solche  auf  dem  Markt 
fand,  die  redeten,  trieb  er  das  Kalb  wiedei'  huam.  Unterwegs  fragte  er 
einen  Herrgott  (Wegkreuz),  ob  er  es  haben  möchte,  und  als  der  nicht 
redete,  dachte  er:  das  ist  kein  Ploderer,  dem  giebs,  band  das  Kalbl  am 
Kreuze  fest,  sagte,  w^as  er  dafür  wolle  und  ging,  und  —  er  soll,  als  er 
ums  lield  kam,  es  wohl  gefunden  haben.  — 

Im  Kriege  1809  sind  die  Franzosen  —  nein,  jetzt  besinn  ich  mich, 
es  waren  die  Baiern  —  auch  auf  imseren  Berg  kemmen.  Die  Kinder 
(alteren  Geschwister)  waren  schon  aus  dem  Hause  geflohen:  eines  trug 
einen  Sack  mit  Brot,  und  der  ging  auf,  und  die  Loabeu  (Laibe)  rollten 
alle  davon.  Sie  waren  hinterher,  das  Brot  einzufangen,  und  das  hat  sie 
aufgehalten.  Die  Baieru  kamen  über  den  Rain  auer  (herauf)  und  liabeu 
auergeschossen  —  sie  waren  schien  (schön),  haben  geglitzet,  und  die 
Kinder  freute  das  —  sie  blieben  an  der  Hecke  stehen  imd  lachten,  weil 
sie  es  nicht  verstanden,  dass  sie  getroffen  werden  konnten.  Doch  da  kam 
schon  einer  von  den  Grossen  und  hat  sie  fortgebracht.  Die  Mutter  war 
auch  schon  geflohen,  aber  noch  einmal  zurückgegangen,  dem  Vater  etwas 
zu  kochen,  und  da  hat  ein  Soldat  ihr  mit  dem  Säbel  in  den  Arm  gehauen. 
Schleunig  haben  unsre  Leut"  vom  lötzen  (kleinsten)  Bruder,  der  noch  in 
der  Fatsche  (Windel)  lag,  das  Zeug  genommen  und  die  Mutter  verbunden. 
Nachher  wollten  die  Soldaten  die  Häuser  anschüren  (anzünden),  aber  ein 
Knecht  von  uns  ist  zu  ihnen  gangen  und  hat  gesagt,  es  wohnten  nur 
Nothige  (arme  Häuter)  drein  —  da  haben  sie  es  gelasseu.  Drui  Mal  ist 
auf    dem    Giggelberge    geplündert    worden.     Wir    haben    alles    im    Walde 

6* 


34  Rehsener: 

vergraben     und    nicht    mehr    verloren    als    ein    Gollerle    (weissen    Hals- 
kragen). — 

Wir  hatten  die  Blattern,  und  es  war  ein  Wächter  aus  Sterzing  wegen 
der  Erblichkeit  (Ansteckung)  da.  Er  musste  18  Kreuzer  den  Tag  kriegen 
und  eine  gute  Kost,  l'jin  Wasser  hat  er  uns  Kranken  wohl  gereicht,  wenn 
die  Mutter  zu  der  Arbeit  aussnging.  Drei  Wochen  blieb  er  bei  uns  und 
bei  den  Huiselers  nebenan  nur  drei  Tage  —  dort  stellte  er  die  schwarze 
Tafel  auf  —  und  doch  waren  bei  uns  nur  zwei  krank  und  bei  den  Huiselers 
fünf.  Die  Mutter  sprach  darüber.  „Hiittst  Du",  sagte  er,  „auch  Butter 
und  Oare  (Eier)  ochn(hinab)gebracht,  wäre  ich  nicht  so  lange  geblieben." 
Jene  hatten  ihn  gescliniirlit  (durcli  Geschenke  ihren  Wünschen  geneigt 
gemacht). 

Ein  Bruder  ist  an  der  schiechen  (bösen)  Krankheit  gestorben,  und  von 
mir  sagte  der  Docter  zur  Mutter:  „Morgen  liabt  ilir  sie  schon  da  auf  dem 
Tische  liegen!"  Ich  hörte  das  und  musste  immer  darüber  nachdenken, 
weshalb  ich  auf  dem  Tische  liegen  sollte;  der  Doctor  aber  hatte  damit 
gemeint,  d'en  nächsten  Tag  würde  ich  tot  sein. 

Ins  Nachbarhaus,  zur  Huiselern,  ist  der  Knap])en  Thumme  (Thomas) 
oft  in  Hoamgart  kemmen.  Wir  haben  gerne  gelost  (gehorcht),  aber  seine 
Kinder  kamen  ihn  1)a]d  zum  Essen  lioleu.  Dann  sagte  er  zur  Huislern: 
„Auchn  (liinauf)  geh  ich  zu  Dir  auf  einer  Loater  (Leiter),  wie  ein  .Tunger 
die  Sprissel  (Sprossen)  in  die  Höhe  klettert,  und  ochn  (hinab)  mit  einem 
Stecken  (wie  ein  Alter,  der  sich  stützen  nmss)."   — 

Ehnder  (früher)  passierte  mehr  spassiges  Zeug,  und  e  Weile  (eine  Zeit 
lang)  gingen  auch  mehr  umanand  (herum),  die  es  erzählten.  Da  war  der 
Holer-Simen  (Simon).  Weisst  Du  noch,  Huis,  wie  er  die  Schnecken,  die 
er  sich  selbst  mitgebracht,  lendig  (lebendig)  gekocht  hat  und  sie  sein  ausser 
krochen.  Wir  haben  ihn  mit  der  Ofenschaufel  geschlagen  und  aussngejagt. 
„Ihr  Tuifelskinder,  rief  er,  ihr  schlagt  zu  grobe!"  Wir  waren  allein,  er 
hat  sich,  wenn  er  kam,  alles  gleich  selbst  im  Hause  zusammengeliolt. 

Der  Peter  und  die  Urschl  kamen  immer  mitanand  betteln,  aber  sie 
waren  nicht  Mann  und  Frau.  Oft  haben  sie  bei  uns  zunacht  gelegen. 
„Urschl",  sagte  der  Peter.  „Du  gehst  auf  den  Ofen  und  ich  liege  auf  der 
Ofenbank  —  sie  ist  lang  und  breit." 

Ein  anderer,  der  Thumme,  ist  am  Lueg  tot  liegen  geblieben,  und  man 
hat  einen  gTossen  Packen  mit  Geld  bei  ihm  gefunden.  Als  mau  ihn  auf- 
machte, um  ihn  in  den  Bach  zu  werfen,  sollen  Fuirglansterln  (Funken) 
aufgeflogen  sein.    Es  war  zusammengidietteltes,  nicht  redlich  verdientes  Geld. 

Jetzt,  wenn  ein  Lotter  (Bettler)  kommt,  giebt  man  ilini  gleich  den 
Kreuzer,  und  er  geht.  Der  Vater  hat  wolil  allm  (allwege,  immer)  gefragt: 
„Wer  bist  Du.  wo  kommst  Du  her",  jetzt  fragt  man  nicht  mehr.  — 

Wie  mühsam  war  es  früher,  vom  Berge  in  die  Kirche  und  zur  Schule 
zu  kommen!     Was  war  für  Schnee!  so  fällt  er  nimmer. 


L)it'  WebLT-Zenzc.  ^5 

Einmal  an  einem  Köuigstage  (lieil.  Drei  König)  mussten,  als  ilie 
Mutter  mit  mir  zur  Kirche  wollte,  zwei  Männer  vor  uns  her  Schnee 
schaufeln,  und  ein  andermal  wären  wir  Kinder  vor  Schnee  gar  nicht  hoam- 
kemmen,  wenn  nicht  auch  ßranntweinträger  des  Wegs  gegangen  wären. 
Da  nahmen  die  Buabu  die  Branutweinfässer  auf  den  Rücken,  und  die 
Männer  trugen  uns  Gitschen  (Mädchen). 

Die  Mutter  ist,  mein  ich.  gar  nicht  in  die  Schule  gangen;  aber  sie 
wusste  immer,  wenn  eins  falscJi  las,  wie  es  heissen  sollte,  und  eine 
Schwester  von  ihr  ist  nur  sieben  Tage  in  die  Schule  gangen  und  konnte 
doch  lesen  und  schreiben.  Jetzt  lernen  die  Kinder  alles  anders  als  früher. 
Keinen  Buchstaben  sprechen  sie  mehr  so  aus  wie  wir;  die  alten  Bücher 
sind  verworfen  und  in  den  neuen  steht  gar  drein,  wie  man  beim  Sprechen 
das  Maul  machen  muss:  beim  N  muss  man  es  zukneifen. 

Wenn  wir  zum  goldenen  Amt  —  il.  h.  in  der  Adventszeit  zur  Früh- 
messe —  kirchengingen,  bekamen  wir  ein  Bündel  ganz  feingespaltenen 
speckigen  (harzigen)  Holzes  mit,  dass  an  mehreren  Stellen  mit  einem 
Faden  zusammengebunden  war.  Die  Nanne  musste  diese  Kentel  (Zünder, 
Kienspäne)  anstecken  und  sich  und  uns  damit  zünden,  dass  wir  den  Weg 
durch  die  Schlucht  und  den  Wald  nicht  fehlten  —  es  reichte  gerade  so 
lange  — ;  doch  einmal,  ich  weiss  es  noch  ganz  genau,  hat  sich  die  Nanne 
auch  damit  die  Kappe  angeschürt  (angezündet),  dass  man  das  Fuir  g'schmeckt 
(gerochen)  hat,  aber  wir  haben  es  bald  derdruckt. 

In  dem  Hause,  in  dem  wir  mit  Schulegehen  zukehrten,  war  ein  Mann, 
iler  mit  dabei  gewesen,  wie  sie  eine  , gefährliche  Schule,  Leichen-Totenburg' 
gemacht  haben.  Das  geschah,  um  sich  unsichtbar  zu  machen  und  das 
Wild  zu  stellen.  Ich  weiss  nichts  Ebnes  (Genaues).  Zwölf  Mann  mussten 
in  der  Christuacht  eine  Leiche  ausgraben  —  ich  meine  eine  Kindsbetterin 
—  und  diese  um  die  Kirche  tragen.  Auf  der  Leiche  hockten  die  Geister 
mid  Teufel  auf,  und  die  mussten  ogschlagen  (abgeschlagen)  werden.  Die 
Menschen  konnten  ums  Leben  kemmen.  Einer  war  immer  verloren,  aber 
man  wusste  nicht,  welcher.  Oft  derwehrten  sie  sich  nicht  der  Teufel; 
mussten  alles  liegen  lassen  und  davon  laufen.^) 

Sie  meinen,  in  der  Apotheke  brauchen  sie  kein  Menschenfleisch?  0, 
woll.  Ich  weiss,  wie  sie  einen  tranchirt  haben:  ich  habe  das  Herz  selbst 
gesellen.  Sie  hatten  es  auf  einen  Teller  gelegt  und  aufs  Fenster  gestellt 
zum  Kuhlen  (Abkühlen).  „Füi-s  Zaubern  verschaffte  man  sich  junges  Blut 
wegen  der  Unschuld.  Die  Macht,  welche  gesucht  wurde,  gab  die  Unschuld", 
hat  ein  Mann  (Ehemann)  gesagt.') 


1)  Zu  diesem  abergläubischen  Brauch;  Zingerle,  Sitten,  Bräuche  Meinungen  des 
Tiroler  Volkes,  No.  312,  880.  v.  Leoprechting,  Aus  dem  Lechraiu,  45.  Wlislocki,  Volks- 
glaube der  Zigeuuer,  141. 

2^  Es  war  vom  Dopijelt'raueuiiiDrdo  in  Ambras  die  Rede. 


8ß  liehseuer: 

Au  eiiieiii  AUerlieiligeiiabend  liesseu  wir,  wie  der  Brauch,  Krapfen 
(ein  fTebiiek)  für  die  armen  Seelen  auf  dem  Tische  stehen.  Wir  hatten 
vorher  Scherz  gemacht  und  die  Kanftlen  (Ränder)  von  den  Krapfen  ögessen, 
weil  die  armen  Seelen  sie  doch  nicht  derkäuen  könnten.  Xacldier  sein 
nachts  Arme  kemmen,  haben  die  Fensterscheibe  aus  dem  Blei  genommen 
und  die  Krapfen  durch,  und  auch  einen  teigigen  Torten,  den  wir  ruud- 
unimer  ogessen,  haben  sie  mit  fortgenommeu  und  l)oim  Tenniges,  unserem 
Xachbarn,  sich  aufgewärmt. 

Den  Niklas  hat  uns  ein  Knecht  vor  Weihnacliteu  gemacht.  Er  hatte  ein 
Goasfell  um.  die  Hörner  obendran  auf  dem  Kojife  und  Stegeiseu  an  den 
Füssen.  Fangen  wollte  er  micli  uml  trat  mir  auf  den  Fuss.  ilen  Eiseu- 
stachel  durch  das  Fleisch,  dass  ich  nicht  weiter  konnte. 

Ich  war  13  Jahr  alt,  als  die  Mutter  mit  mir  zum  Kurateu  ging,  mich 
von  der  Schule  losbitten.  Der  Kurat  sagte:  „Wenn  Du  nicht  gern  kommst, 
so  kannst  Du  auch  zu  Hause  genug  lernen"  und  gab  mich  frei.  Es  war 
aber  eben  von  ihm  eiu  Bübl  getauft,  was  vom  tTiggelberge  her  war:  ich 
nahm  es  auf  meine  Arme  und  hab  es  den  gauzoii  Weg  lieimgetragen. 

Bald  darauf  starl)  der  Vater,  und  der  älteste  Bruder  bekam  den  Hof, 
wurde  Schaffer  (Besitzer,  Herr).  Zwei  Jahr  bin  ich  wohl  noch  auf  dem 
(riggelberg  unianandg'schachert  (herumgestossen),  und  dann  kam  ich  in  den 
Schwarzeu  Adler  nach  Sterzing  in  Dienst. 


War  das  ein  Leben  dort!  Die  vielen  Fuhrleute,  die  zur  bestimmten 
Zeit  durchfulu-en ,  wie  jetzt  die  Buhne  (Eisenbahn).  Die  verlangten  alles 
fein,  und  wenn  es  nicht  so  war,  hiess  es  gleich:  „Man  wird  wohl  auch 
noch  anderwärts  etwas  zu  essen  finden!"  Die  herrischen  (vornehmen) 
lieisewagen  hatten  Postpferde  und  alle  Postknechte  trugen  hellrote  Jacken. 

In  Sterzing  hab  ich  auch  viele  wilde  Tiere  gesehen:  aber  ich  wüsste 
nicht,  dass  ich  davon  g'scheiter  geworden  war.  Ich  hatte  das  Essen  hin- 
zutragen für  die  Männer,  die  sie  zeigteu.  und  durfte  einmal  hinter  den 
Ffirhang  lugen.  Ich  weiss  nimmer,  was  ich  alles  gesehen  habe,  doch  auch 
Kameltiere  und  Aü'eu. 

Die  Affen,  sagen  sie,  stammen  von  uns  Menschen  her.  Haben  Sie 
das  nie  gehört?  Es  hat  einer  Kinder  „Affen"  geheissen,  und  da  sind  sie 
als  Affen  davongelaufen.     Von  denselbigen  stammen  alle  anderen  ab. 

Ein  Tier  hatten  sie,  so  gross  wie  mein  Arm  —  hinwärts  hat  man  es 
streichen  können,  aber  herwärts  nicht,  da  hat  es  geschnitten  — ;  sie  haben 
es  ins  Wasser  geworfen,  und  da  ist  es  so  dick  geworden,  wie  das  grosseste 
Fatschkind  (Wickelkind).  Krokodil  haben  sie  es  geheissen.  Am  besten, 
ich  muss  es  rein  sagen,  hat  mir  eine  Goas  (Geis)  gefallen,  deren  Beiuer 
ganz  wie  hölzern  waren,  und  die  lauge  Haare  gehabt  hat.  — 

Die  Kinder  aus  dem  schwarzen  Adler  sind  mir  beständig  nachgereunt; 
sie    waren    gut    gezogen.     Wir  Ehhalten  (Dienstboten)    mussteu    iu   ihrem 


Die  Webcr-Zoiize.  87 

Sitielziiuiner  iiiisre  Sadieii  flicken;  al)er  sie  durften  nichts  vertragen.  Das 
tliaten  sie  auch  nicht.  Es  ist  sogar  ort  gescliehen,  dass  ich  gerufen  wurde 
und  schleunig  gehen  niusste,  elmder  icii  das  Zeug  zusammenlegen  konnte 
und  dass,  wenn  icli  zuriickkam,  es  zu  tliun,  die  Kinder  mir  schon  entgegen- 
kanuMi  und  riefen:    „Zenz.  Zenz.  wir  haben  Dir  alles  sauber  aufgeräumt!" 

Ich  schützte  sie  vor  dem  Xiklaus  und  Klaubauf,  die  ein  altes  Weib 
ihueu  vor  Weihnachten  nuichte,  sie  zu  schrecken.  Wozu  die  kleinen 
Kinder  so  ängstigen,  das  ist  ja  Dummheit! 

An  einem  Kirchtage  haben  mich  die  Männerleut  wollen  sternvoll 
anfüllen,  —  machen,  dass  ich  einen  Rausch  bekäme  wie  die  Kindsin 
(Kindermädchen),  die  gespieen  hat  wie  eine  Katze  — ;  aber  ich  hab  mich 
durphgemacht  (davon  gemacht). 

Im  Adler  war  ein  sonderbarer  Spiegel  (wohl  ein  Guckkasten).  In 
ihm  sali  man  ein  junges  Mädchen,  wenn  man  ihn  aber  dreiite  einen  Mönch, 
drelite  man  weiter  ein  Gerippe  und  zuletzt  sah  man  den  Tuifel.  — 

Yon  Sterzing  kam  icli  nach  Gossensass  zum  Karl-^^'irt. 

Sie  hatten  nur  ein  Kind,  die  Kattl.  Die  ging  sclion  etliclie  Jahre  zur 
Schule,  und  man  hat  nie  gehört,  dass  ilir  etwas  gefehlt  hätte.  Da  erkrankte 
sie.     Sie  sagten,  sie  hätte  die  Blattern,  und  die  wären  nicht  ausserkemnien 

—  nur  drei  hatte  sie  am  Bein.  Sie  hat  allni  verlangt,  die  Kruuimer-Moidl 
sollte  zu  ihr  umraer  (herum)  kemmen  —  eine  andere  Gitsche  (Mädclien), 
mit  der  sie  zur  Schule  ging  —  aber  d(>ren  Leut'  Hessen  das  Kind  —  auch 
ilu-  einziges  —  nicht  ummen  (hinum).  weil  sie  sich  so  viel  geforehten 
haben    vor  der  Erblichkeit  Ansteckung).     Wenn  die  drei  einzigen  Kinder 

—  die  Karlwirt-,  Krummer-  und  Schmiedgitsche  sterlx-n  —  dann  mag 
unser  Herr  im  Ilinnnol  nur  aufpacken,  hiess  es. 

Zuletzt  bekam  das  Kind  noch  die  Preisen  (Krämpfe)  und  hat  so  ge- 
schrieen, dass  man  es  bis  auf  die  Strasse  gehört  hat.  Unter  den  Fenstern 
standen  Fremde,  und  da  stand  auch  der  Weber-Huisele  —  ein  Webers- 
knecht, der  es  mit  der  Kattl  allm  (immer)  liatte:  Sie  wissen  wohl,  wie 
man  es  mit  einem  Kinde  haben  kann.  Er  hat  mich  gefragt,  ob  er  wohl 
einikemmen  dürfe  zur  Kattl.  „Ja,  Huisele",  hab  ich  gesagt,  „wenn  Du 
willst,  kimm  nur  eier  (herein)."  Als  er  kam,  fragte  ich  die  Kranke: 
„Kennst  Du  den  Huisele?"  Ja,  gekannt  hat  sie  ihn  wohl  und  schleunig 
iJnn  die  Hand  gereckt! 

Aber  allm  hat  sie  wieder  nach  der  Krummer-Moidl  verlangt,  und  in 
der  Nacht,  kurz  ehe  sie  starb,  ist  die  auch  kemmen.  Schleunig  liat  das 
Kind  ihr  die  Hand  gereckt;  aber  die  hat  die  ihrige  zurückgezogen  —  sie 
liat  sich  geforehten.  „Die  Hand  geben,  magst  Du  ihr  wohl,  Moidl",  sagte 
ich,  „deshalb  stirbst  Du  nicht  früher;  sieh'  nur,  wie  sie  Dich  anschaut!" 
und  endlich,  und  endlich  hat  sie  sie  der  Sterbenden  gereckt.  Nicht  drei 
Vaterunser  lang  hat  die  Kattl  stille  gelegen.  Am  Kopfende  stand  die 
Seilersfrau  und  au  der  Seite  ich,  und  einmal  hat  ihr  Kopf  auf  der  Seilerin 


gg  lleliseiier: 

Hand  gelegen  und  einmal  auf  der  nieinigeii.  nnd  auf  der  nieinigen  ist  sie 
gestorben.  Dann  hab(>n  sie  es  wohl  eilig  gehabt,  die  Tote  zu  begraben, 
weil  es  vor  Ostern  war.  und  sie  haben  gesagt,  dass  sie  etliche  Stunden 
früher  gestorben  war.  als  es  war:  damit  sie  es  sobald  thun  durften.  — 

Vor  ebbis  (etwa)  vierzig  Jahren  kam  ich  nach  (aisteig,  eine  Stunde 
von  Sterzing,  am  Aufsteig  zum  .Taufen.  Die  alte  "Wirtin  hatte  den  Spruch: 
Von  geschehenen  Dingen  ist  es  gut  allni  im  Besten  zu  reden.  Zerbrachen 
wir  etwas,  mussten  wir  es  schleunig  in  den  Bach  werfen.  Wenn  sie 
einen  guten  Sinn  hatte,  hat  sie  mir  manches  angezeigt.  Sie  sagte  gleich 
zu  mir  und  den  anderen  Ehhalten:  „Dass  sich  keines  untersteht,  bei 
meinen  Lebzeiten  eines  meiner  Kinder"  —  und  sie  hatte  grosse  Söhne  — 
„zu  ihritzen"  (ihr,  im  Dialekt  ös')  statt  du  zu  ihnen  zu  sagen).  Das 
bäurische  Gewand,  was  icli  dort  getragen,  hab  ich  noch,  auch  die  Pfoaten 
(Hemden),  die  ich  zum  Lohn  erhalten.  Ich  trage  sie  nicht,  sie  sind  für 
meine  Godlen  (Pathen).  damit,  wenn  icli  tot  bin.  sie  etwas  haben,  an  mich 
zu  denken. 

Von  Gasteig  führt  der  Weg  ins  Passeier  nnd  nach  Marun  (Meran). 
Früher  sah  man  täglich  lange  Züge  von  bepackten  Maultieren  mit  ihren 
Führern  vorbeikommen  und  Kraxenträger  (Männer,  die  in  einem  Holz- 
gestell auf  dem  Rücken  Waaren  trugen).  Wenn  wir  die  Passeirer  mit 
ihren  nackigen  Knieen  den  sticklen  (steilen)  Weg  6ei-(herab)kommen 
sahen,  haben  wir  allm  gerufen:  „Da  kommen  die  Drei-G'sichter!"')  — 
Auch  die  Tochter  des  Sandwirth  (Andreas  Hofer)  kam  durch.  Es  v.'ar 
schon  vorher  gesagt,  und  wir  passten  alle  auf,  „aber  war  die  dick!"  so 
etwas  glaubt  man  nicht;  sie  nahm  ein  Pferd  und  ritt  weiter. 

Einmal  warf  ein  Fuhrmann  gerade  vor  unserem  Hause  um,  und  ein 
Mensch  kam  imter  die  Räder.  Sie  riefen:  ..Bringt  etwas  für  ihn!"  und 
ich  lief  mit  Essig  —  denen  im  Unverwoas  (den  Besinnungslosen)  muss 
man  ja  Geist  (spii-ituöses)  anstreichen  -  der  Mann  erholte  sich  auch  wieder, 
hat  sogar  etwas  gegessen,  wenn  auch  nicht  viel.  Nachher  will  der  Fuhrmann 
weiterfahren  den  sticklen  (steilen)  Weg  anclni,  sieht  aber  einen  Pfarrer 
und  einen  Schullehrer  mitanand  ihm  entgegenkommen.  Diese  ruft  er  an: 
„Habt  ihr  etwa  einen  Tuifel  auf  dem  Wege  gesehen  unter  einer  Staude 
ausserlugen  (hervorsehen)?  Bei  mir  geht  heut  alles  z'unters-öbers  (durch- 
einander)!" Und  als  sie  gesagt,  dass  sie  keinen  gesehen  hätten,  trieb  er 
die  Rosse  an  imd  rief:  „Dann  mag  ich  weiter  fahren." 

Derselbige  Fuhrmann  fuhr  einmal,  als  er  um  die  Ecke  bog.  gegen 
den  Widum  (Pfarrhaus).  „Dass  es  aber  auch  just  am  Widum  sein  muss". 
rief  er  zornig,  wo  ich  nicht  fluchen  kann;  anderwärts  ging  es  schon." 


1)  Die    alten  Bauern,    wenn    sie    fein   roden    wollen,    nennen    auch    den  Pfarrer  ös: 
Schmcller,  Die  Mundarten  Bayerns,  §§  TIS.  721. 

2)  Die  zwei  nackten  Knie  und  das  Gesiclit. 


Die  Wrlier-Zcnze.  89 

Sider  (spit)  der  Buliiif  (Bahn)  ist  alles  anders.  In  Hall,  bat  der  Huis 
erzählt,  war  ein  Halbzritter  gewesen  —  einer,  der  nieht  ganz  gescheit 
lind  aiicli  nicht  ganz  narrit  war  —  der  habe  laut  gerufen:  „Es  werden 
nicht  viel  Leute  mehr  über  den  Brenner  gehen!  Es  wird  ein  Wagen 
kommen  und  viele  drangehängt  und  Alle  werden  anhocken."  Und  der  .  .  . 
hat  gesagt:  „Noch  wisset  ihr  es  nicJit,  wie  es  werden  wird:  aber  ilir  werdet 
es  schon  erfahren!"     Er  selbst  ist  auf  nichts  kemmen  (verarmt). 

Die  Apotheker  menglen  (vermissen)  nicht  das  Geld,  was  jetzt  sider 
der  Buhne  weniger  ist,  aber  die  Wirte  und  die  Färber.  Was  waren  da 
für  Sachen  zur  Färbe:  rot,  blau,  die  ganze  Stube  voll!  Die  Geldmühle 
hat  man  die  Färberei  genannt,  weil  dort  am  meisten  Geld  verdient  wurde. 
In  Pflersch  wurde  der  Loden  gewalkt. 

■  Ich  bin  nicht  weit  unianand  kemmen.*)  Mit  der  Luegerin  (sie  war 
narrit)  bin  ich  zum  blinden  Herrgott  nach  Bardaun,  rechts  vom  Brenner 
See,  kirchfahrten  gangen  (gewallfahrtet).  Unterwegs  sagte  sie:  „Jetzt  ist 
zu  Hause  lauter  Unglück:  die  Schnapsfiasclie  ist  dei-sprungen,  die  Reifen 
von  den  Meltern  (Eimern)  springen  6  (ab)"  und  noch  etwas  hat  sie  gesagt, 
das  hab  ich  aber  vergessen.  Und  es  war  so,  als  wir  zurückkamen.  Der 
Tuifel  wird  es  ihr  wohl  so  fürgebracht  haben.  Einmal  war  sie  im  schwarzen 
.\.dler  in  Sterzing  und  wollte  den  anderen  Morgen  weiterfahren.  Sie  hat 
alles  bereit  gehabt,  ist  aber  nachher  doch  nicht  gefahren.  Dann  ist  sie  zu 
uns  kommen  und  hat  erzählt:  „Alles,  was  mein  Bruder  und  ich  Gutes 
gethan  haben,  dafür  hab  ich  allein  zu  büssen,  und  wenn  man  von  allem 
Holz  auf  der  Erde  kleine  Kreuzlen  maclite,  gäbe  es  nicht  so  viel  ab.  als 
ich  Kreuz  habe." 

Nach  Steinach  und  auf  Innsbruck  aussn  bin  ich  wohl  kemmen  und 
auch  von  dort  nach  Absam  kirchfahrten  gangen.  Dort  ging  ich  mit  einer 
Innsbruckerin.  Da  kam  uns  ein  ganz  altes  Weibis,  ein  kurzes,  entgegen. 
Es  hatte  ein  Körbl  auf  dem  Rücken  und  einen  Stecken  in  der  Hand. 
Als  die  Frau,  die  mit  mir  war.  die  zu  sehen  bekam,  rief  sie  reasch:  „Na, 
Du  Teufelsweibis,  lebst  Du  ä  (auch)  noch?"  Und  reasch  und  lachentl 
erwiderte  die  Alte :  „Ich  werde  a  nicht  ehnder  hin,  bevor  ich  nicht  muss." 
Es  hat  mich  gefreudet,  dass  das  alte  Weibis  so  frisch  geantwortet  hat. 

Von  Gasteig  kam  ich  hierlier.  Die  Nanne  war  Witwe  geworden  und 
liatte  den  Hof  ihres  Mannes,  des  Webermeisters,  gekauft.  Sie  war  länger 
als  ich,  aber  schaffen  konnte  sie  nie  recht:  weil  sie  keine  Kinder  hatte, 
wollte  sie.  ich  sollte  da  bleiben,  und  das  that  ich. 

Sider  (seit)  sie  tot  ist,  wirtschafte  ich  mit  dem  Huisum.") 


1)  Sie  ist  nicht  einmal  in  Strassberg  und  Steckholz  gewesen,  eine  halbe  Stunde  von 
hier.     ..Ich  habe  dort  nichts  zn  thun  gehabt",  iagte  sie. 

2)  üass  Bi-iidcr  und  Schwester  einen  Hof  bewirtschaften,  tindet  man  hier  hantig. 


<(0  Rcliscner: 

Das  Haus  —  uiue  alte  Kiiappeuluitte  —  hatte  kugelitte  FeiistersclK'ibuu 
(Butzeuscheibeu).  die  Xaiine  hat  sie  erst  fortg-eschaift. 

Früher  haben  Ja  die  mehrigsten  Häuser  in  (iosseusass  Jeu  Knappen 
gehört,  auch  das  Warbles-Kirchl')  und  fast  das  ganze  Pflerschthal.  Sie 
haben  in  den  Bergen  gearbeitet  und  viel  Erz  gefunden.  Silber  und  Blei. 
Ehnder  sie  eichn  (hinein)  gangen  sein  in  die  Löcher,  haben  sie  allm  lange 
gebetet.     Einer  konnte  hier  noch  das  Gebet: 

0,  heilige  Baibara,  D\i  edle  Braut, 

Mein  Seel  und  Leib  sind  Dil'  anveiii'aut,  u.  s.  w. 

Ihr  Hochmut  war  gross;  sie  hatten  selbst  silberne  Schuhnägel.  Als 
es  am  ärgigsten  mit  ihnen  war,  hat  ein  Bauer,  wenn  er  heiraten  wollte, 
keine  Dirn  kriegt:  sie  gaben  alle  den  Knappen  den  Vorzug.  Einmal  aber 
schunden  sie  einen  Ochsen  bei  lebendigem  Leibe  und  streuten  Salz  auf 
ihn.  Der  Ochse  schaute  zum  Himmel  auf  und  rerte.  Da  hat  man  von 
den  Bergen  ein  Klingen  von  Silber  und  Gold  gehört,  und  das  Bergwerk 
war  verfallen. 

„In  Rom  haben  sie  gesagt",  unterbrach  ich  die  Erzählerin.  ,,die  Knappen 
wären  lutherisch  gewesen." 

„Lntterisch  müssen  sie  wohl  gewesen  sein",  rief  unerwartet  die  mehr 
als  achtzigjährige  Moidl  (eine  ältere  Schwester  der  Zenze)-)  von  ihrem 
letzten  Lager  unter  dem  Herrgott;  „sonst  hätten  sie  das  ja  nicht  gethan!"  — 

Als  wir  im  Frühling  1889  von  einem  Winteranfenthalt  in  Innsbruck, 
wo  wir  die  Aufregungen  über  den  Tod  des  Kronprinzen  Eudolf  mit  durch- 
lebt hatten,  nach  Gossensass  zurückkamen,  fanden  wir  die  Geschwister 
noch  in  gewohnter  Weise  thätig.  Die  Zenze  fragte  in  der  ersten  Stunde: 
„Wissen  Sie,  wie  es  mit  dem  Kaiserssohn  gewesen  ist,  der  den  Wirter 
gestorben?  Ich  weiss  es.  Ein  Handwerker  —  er  war  gut  montirt  — 
der  von  Wien  kam  und  bei  Silbergassei-s  über  Nacht  lag,  hat  es  ungesagt 
(angesagt,  erzählt). 

Der  Kaiserssohu  hat  dem  Kaiser  di'ei  Rosse  hingeführt:  ein  blindes, 
ein  mageres  und  ein  fettes.  Zuerst  hat  er  das  blinde  hingeführt  und 
gefragt:  „Verstehst  Du  das,  was  das  heisst?"  —  „Nein",  sagte  der  Kaiser, 
„ich  verstehe  es  nicht."  —  „Nicht?  so  will  ich  es  Dir  sagen.  Das  heisst, 
dass  Du  blind  bist  gegen  Deine  Monister  (Minister)."  Nachher  hat  er  das 
magere  Ross  vorgeführt  und  gefragt:  „Dieses  verstehst  Du  doch?"  — 
„Nein",  hat  wieder  der  Kaiser  gesagt,  „ich  verstehe  es  nicht."  —  „Nicht! 
so  will  ich  es  Dir  sagen.  Das  sind  die  Kleinbauern  und  armen  Leut\ 
die  hungern,  mid  um  die  Du  Dich  zu  wenig  kümmerst."  Und  endlich 
hat  er  das  fette  Ross  vorgeführt  und  gesagt:  „Aber  das  verstehst  Du  doch." 


l'i  Die  schöne,  kleine  Barbara-Kapelle  ist  1515  von  den  Knappen  crbant  und  nacli 
dem  Verfall  der  Gruben  1786  geschlossen  worden. 

2)  Als  ^VitT\-e  fand  sie  im  Hause  Aufnahme  und  Pflege,  überstand  im  holien  Alter 
drei  Lunsenentzündungen  und  starb  Sliährig. 


Die  Wrlioi-Zfiize.  !)1 

—  „Nein",  sagte  wieder  der  Kaiser,  uiul  der  Kaiserssohii  sagte:  „Das  sind 
Deine  guten  Lout',  die  Du  viel  zu  sehr  mästest."  Da  haben  die  outen 
Lent',  als  sie  gehört  was  der  Kaiserssohn  von  ilmen  gesagt  hatte,  diesen 
umgebracht  und  tot  ins  Piett  gelegt."  — 

1'jiu  Jahr  darauf  kehrten  wir  aus  Deutschland  wieder.  Da  konnte  die 
Zenze  ihre  Arbeit  nicht  mehr  allein  leisten.  Es  war  früher  Morgen,  sie 
melkte  die  Kühe,  und  auf  der  Schwelle  neben  ihr  hockte  der  treue  Huisum, 
um  ihr  den  Melter  (Milcheimer)  zu  tragen.  Beiden  stürzten  die  Thränen 
aus  den  Augen,  als  sie  uns  erblickten. 

Waren  Sie  sehr  allein  den  Wintert  fragte  ich.  „0  woll,  manchmal 
hab  ich  gewünscht,  wenn  die  (vei'storbene)  Moidl  nur  wenigstens  einmal 
in  die  Thüre  träte." 

Doch  bald  scherzte  sie  wieder  in  alter  Weise:  „Sie  waren  hei  den 
Schwaben  (in  Stuttgart)?  Sein  Sie  sicher  gewesen  vor  ihnen?"  und 
erzählte  lachend  von  einem  alten  Mittel  gegen  Schwaben  und  M'anzen. 
„Man  fängt  drei  Scliwaben  und  thut  sie  lebendig  mit  drei  Vierlern  (alte 
Kreuzer)  in  eine  Büchse;  diese  trägt  man  auf  den  Freithof  und  stellt  sie 
dort  nieder.  Wer  sie  aufhebt,  der  hat  die  Schwaben,  ebenso  die  Wanzen, 
d.  h.  nicht  mir  die  in  der  Büchse,  sondern  alle,  die  man  im  Hause  liatte. 
Der  M.  hat  es  hier  versucht,  aber  ich  glaube,  er  ist  kaum  mehr  loskemmen 
von  der  Beichte;  weil  man  damit  andern  etwas  schleclites  zuwendet.  Ich 
thäte  es  niclit." 


Diesen  Sommer  (1894)  verlor  sie  ancli  iliren  bis  zum  letzten  Augen- 
blicke arbeitenden  Bruder.     Er  wurde  84  Jahre  alt. 

„Ich  dachte,  wir  gingen  mitanand!"  sagte  die  Vereinsamte  mit  bebenden 
Lippen. 

Als  sie  nach  der  Beerdigung  wieder  in  der  grossen  Stube  den  Rosen- 
kranz betete  und  zwar  mit  einer  alten  Origgelbergerin,  die  ihr  die  nötigste 
Hilfe  geleistet  hatte,  sagte  diese:  „Auch  etwas  für  den  Huis  beten!" 
„Willst  Du  verbeten,  Liese?" 

„Nein,  vorbeten  muss  der  Bauer')"  (der  Besitzer  oder  die  Besitzerin 
des  Hauses).  — 

„Was  mach  ich  jetzt"  —  sprach  die  Zenze  vor  sich  hin,  das  sonst  so 
Iidihafte  braune  Auge  gesenkt,  „das  Land  ernährt  schon  drei  Leut",  wenn 
man  sicli  plagt,  aber  für  alles  Tagewerker  anstellen,  das  tragt  es  nicht 
aus.  Die  Arbeit  hat  keinen  Furwärtsgaug.  Ja,  wenn  ich  arbeiten  könnte,, 
war  ich  glückselig! 


1)  Einmal  fragte  ich  eim™  jungen  Burschen,  der  vor  dem  Hause  seines  verstorbenen 
Onkels  mit  dessen  Scliwester  und  .seinem  Bruder  sass,  oh  er  jetzt  der  Schaffer  wäre. 
„Nein",  antwortete  dieser,  „Schaffcr  ist  er"  und  zeigte  auf  die  Tante:  „ich  bin  es  erst, 
wenn  ich  mündis;'." 


92  KehsL'iier:  Die  Webei-Zenzo. 

Verkauf  ich  deu  Nutzen  vom  Felde  (was  dieses  Jahr  darauf  gewachsen 
ist;?  Gebe  ich  es  zu  Bestaüde  (verpachte  ich  es)?  Den  Hof  verkaufen 
könnte  ich  alle  Tage.  Aber  soll  ich  mit  anderen  zusanimenwohuen  und 
andere  über  mir  haben! 

Kleinweis  hat  der  H.  ums  Haus  gefragt.  Zuerst  fragte  er  um  etwas 
Land  für  Kobis.  dann  für  Erdä])fel.  Nachher  meinte  er.  es  wäre  schade 
das  Land,  was  für  Roggen  so  gut  wäre,  von  jenem  zu  trennen:  nachher 
sprach  er  von  der  Tenne  und  dem  Stall,  die  er  auch  noch  für  seinen 
ältesten  Sohu  zu  einer  Werkstatt  brauchen  könne  und  endlich  vom  Haus, 
was  er  für  den  jüngeren  Sohn,  der  aber  erst  zu  spielen  (zum  Soldaten  zu 
losen)  hätte  —  kaufen  könnte,  man  müsste  sich  bei  Zeiten  vorsehen  u.  s.  w. 

Haben  möchten  die  drei  Äschte^)  (erbende  Geschwisterkinder)  es  ein 
jedes:  aber  dass  sie  so  schnurgrad  alles  derzwingen.  seile  glaube  ich  nicht." 

Schon  längst  kommt  die  Weber -Zenze  ohne  .Stecken-  nicht  mehr 
weiter;  ihre  gTOsse,  schlanke  Gestalt  ist  gebeugt,  als  müsste  sie  zusammen- 
brechen. Schwer  wird  es  ihr,  sich  eine  Dirn  zu  verschaffen,  denn  sie 
sagen  hier:  Juug  und  Alt  geht  nicht  zusammen. 

Zur  Kirche  kommt  sie  schon  seit  Jahren  nicht  mehr,  aber  sie  betet 
während  der  Kirchzeit  und  liest  in  ihren  grossgedruckteu  Gebetbüchern. 
Vor  hohen  Festtagen  kommt  der  Geistliche  mit  .unserm  Herrn'  sie  zu 
versehen,  nachdem  sie  abends  zuvor  dem  Teufel  die  Herbige  aug'sagt  (die 
Herberge  gekündigt,  gebeichtet  hat). 

So  oft  die  Sonne  scheint,  sitzt  sie  vor  der  Thür  und  hütet  die  Hennen. 
Jetzt  kehrt  eine  Nachbarin  zu.     Wie  geht  es  Dir.  Zenze? 

„O,  weiter  gut",  ist  die  Antwort. 

Hat  es  sie  aber  die  ganze  Nacht  ög'kehrt  (umgedreht)  und  struppe- 
lantig  gemacht,  dann  heisst  es: 

„Wie  es  geht?  Das  ist  bald  gesehen.  Ja.  wenn  die  Krumpe  (Rheu- 
matismus) nicht  war  und  ich  gehen  könnte  wie  andere  I 

Das  Jörgele  ging  auch  erst  mit  einem  Stock,  hat  viel  unnötig  ver- 
doktert, jetzt  geht  es  mit  zwei  Krücken.  Heute  liab  ich  es  gesehen  und 
gesprochen.  Für  mein  Schinkeuweh.  sagte  es,  hat  mir  nxu'  der  Bold 
(Leopold,  ein  beliebter  Arzt)  die  Wahrheit  gesagt:  „Du.  Dein  Weh  musst 
Du  mit  Deinen  Schinken  zu  Grabe  tragen!"  Die  Wahrheit  niuss  ein  jedes 
derleiden ! 

Ob  ich  noch  einen  Docter  frage?  Ich  habe  nicht  das  Herz.  Die  alte 
Krippe  (das  alte  Gestell)    ist    nicht   drum  wert:    anschüren  sollte  man  sie. 

Wenn  man  mal  so  weit  ist.  soll  der  liebe  Gott  ein  Mittel  machen: 
ich  dermach  keins!" 


1)  Im  Bergwerk  heisseu  .^ste  die  Nebengänge,  die  in  die  Stolleu  münden. 


Lehmaim-Filhes:  Einige  Beispiele  vini  Hexen-  und  Abcrglaubm  in  Thüringen.        93 

Unter  ihren  Kleinodien  hebt  sie  ein  grösseres  Goldstiiek  auf,   welches 

ilir  der ,  der  sie  heiraten  wollte,  als  Capare  (Harre,  arrha,  Urau- 

gekl'))  gegeben  hat.  „Es  war  in  Gasteig  in  der  Kuciil  und  alle  haben  es 
gesehen",  erzählte  sie  uns;  „aber  seine  Verwandten  haben  ihm  abgei'edet 
—  er  blieb  ledig.  Als  ich  ihm  nachher  das  Geld,  wie  es  der  Brancli, 
zurückgeben  wollte,  sagte  er,  ich  solle  es  kalten  (behalten).  —  Ich  bin 
im  Jungt'rauenbuud." 

Auch  ihr  schönes  Taufzeug  —  rot.  weiss,  grün  mit  Golds])itzen  — 
zeigte  sie  uns,  und  als  wir  das  lebhafteste  Wohlgefallen  über  die  feine 
und  frische  Färbung  und  noch  besonders  über  das  kleine  Häubchen 
äusserten,  in  welchem  sie,  alle  ihre  Geschwister,  Mutter  und  Grossmutter 
getauft  worden,  sagte  sie:  „Nehmen  Sie  es,  und  wenn  Sie  sterben,  müssen 
Sie  es  jemand  lassen,  den  Sie  lieli  haben." 

Gossensass. 


Einige  Beispiele  von  Hexen-  und  Aberglauben  aus  der 
Gegend  von  Arnstadt  und  Ilmenau  in  Thüringen. 

Von  M.  Lehmaun-Pilhes. 

Ein  durch  viele  Jahre  fortgesetzter  Sonimeraufenthalt  in  Arnstadt  gab 
mir  Gelegenheit,  dort  und  in  den  Dörfern  der  Umgegend,  namentlich  im 
Verkehr  mit  Pfarrersfamilien,  Kantoren  und  Landleuten  über  den  dort 
noch  herrschenden  Glauben  an  Hexenkünste  und  allerlei  abergläubische 
Ansichten  und  Gebräuche  einiges  zu  erfahren,  was  icli  in  Folgendem  mit- 
teilen möchte. 

Zunächst  mögen  einige  Beispiele  des  Hexenglaubens  hier  stehen. 

Ludwig  Sehr,  in  Unterpörlitz  bei  Ilmenau,  jetzt  etwa  75  Jahre  alt, 
hat  in  seiner  Jugend  Folgendes  erlebt.  Bei  seinen  Eltern  daselbst  wurde 
ein  Stück  Jungvieh  krank;  es  war  eine  einjährige  Kuh,  die  bekam  ent- 
setzlich viel  Läuse  und  wurde  immer  elender.  Der  Tierarzt  wurde  geholt 
und  sagte,  das  wären  keine  natürlichen  Läuse,  sondern  Hexenläuse.  Das 
Tier  ging  zu  Grunde  und  wurde  vergraben,  nachdem  man  ihm  die  Zunge 
ausgeschnitten  hatte;  der  Tierarzt  sagte  nämlich,  die  sollte  man  in  den 
Schlot  hängen,  denn  sobald  sie  verdorrte,  würde  auch  die  Zunge  derjenigen 
Person  verdorren,  welche  das  Tier  verhext  habe.  Und  so  geschah  es  auch. 
Eine  arme  Witwe,  die  innner  ins  Hans  gekomnnm  war,  wo  sie  spann  und 


1)  Italieniscli  caparra. 


9-1  Lohmanii-Fillu'f;: 

alku'lei  bekam,  tiiig,  wüliruiid  die  Zunge  im  Sclilotu  liiiiij,',  plötzlich  an  zu 
lallen  uml  konnte  seitdem  bis  an  ilir  Lebensende  nieht  wieder  ordentlieh 
sprecheu.  Der  alte  Sclirickel  aber  sagt  an  einer  Stelle  beim  Dorfe  allemal 
zu  seiueu  Enkeln:   „Da  unten  liegt  unsere  Kalbin." 

In  Unterpörlitz  giebt  es  noch  jetzt  verschiedene  Leute,  die  Läuse 
machen  können.  Eine  junge  Frau  sass  in  der  Kirclie  und  hatte  eine  ganz 
neue  Mütze  auf.  Da  verspürte  sie  auf  einmal  ein  heftiges  Jucken  am 
Kopfe,  das  von  Läusen  herrührte.  Sie  war  überzeugt,  dass  ihre  Schwieger- 
mutter iiü'  dieselben  angehext  habe. 

Ein  Mann  in  Unterpörlitz,  R.,  ist  ein  Hexericli.  Alles  Geld,  das  er 
anderen  auszahlt,  hext  er  wieder  zu  sich  zurück;  er  ist  dadurch  schon 
ziemlich  wohlhabend  geworden  und  hat  alle  auf  seinem  Hause  lastenden 
Schulden  abzahlen  können,  obgleich  er  nur  Holzhauer  und  A'ater  von 
vielen  Kindern  ist.  —  Ein  in  demselben  Dorfe  ansässiger  Bauer,  GüntJier 
Kr.,  hatte  bei  ilnn  Geld  stehen;  er  bemerkte  nun,  dass  die  Geldstücke, 
die  E.  ihm  als  Zinsen  brachte,  nachher  unter  seinem  übrigen  Gelde  nie 
wieder  zu  finden  waren.  Da  gab  ihm  jemand  den  Rat,  er  sollte  sogleich, 
wenn  R  ihm  die  Zinsen  abgeliefert  hätte,  das  Geld  in  ein  Glas  thun  und 
dieses  fest  zubinden,  dann  würde  das  Geld  wohl  im  Glase  unruhig  werden. 
Kr.  machte  es  so,  und  richtig,  als  E.  eine  Weile  fort  war,  so  dass  er  etwa 
mitten  im  Dorfe  angelangt  sein  konute,  begannen  die  Geldstücke  in  dem 
Glase  zu  hü])fen  und  in  die  Höhe  zu  springen,  als  wollten  sie  mit  Gewalt 
hinaus,  bis  sie  sich  nach  einer  halben  Stunde  beruhigten.  Von  nun  an 
verfuhr  Kr.  immer  auf  diese  Weise  mit  dem  ihm  von  R.  gezahlten  Gelde 
und  büsste  es  nie  wieder  ein.  —  Auch  der  Schenkwirt  hat  bemerkt,  dass 
R.  sein  Geld  wieder  zu  sich  hext,  denn  in  der  Schenke  lässt  R.  sich  stets 
aus  einem  Thaler  herausgeben,  doch  ist  der  Thaler  hernach  niemals  vor- 
handen. 

Ein  anderer  Manu  im  Dorfe,  St.,  bat  R.  einmal,  ihn  seine  Künste  zu 
lehren.  Da  bestellte  ihn  dieser  auf  zwölf  Uhr  nachts  nach  der  oberhalb 
des  Düi-fes  bei  einem  Teiche  belegenen  Kräkelswiese.  Als  St.  sieh  zur 
festgesetzten  Zeit  daselbst  einfand,  erschien  auch  R.;  gross  war  aber  St.'s 
Entsetzen,  als  jener,  nachdem  er  einen  Spruch  hergesagt,  ])lötzlich  ganz 
von  Flammen  umgeben  war.  Voll  Todesangst  lief  er  davon  und  sagte 
später,  nie  iu  seinem  Leben  würde  ihn  wieder  danach  verlangen,  das 
Hexen  zu  erlernen.  ^ 

Dass  R.  mit  dem  Teufel  im  Bunde  ist,  wissen  die  Dorfbewohner  ganz 
bestimmt,  denu  wenn  sie  nachts  sein  Haus  beobachten,  sehen  sie  um  zwölf 
Uhr  allemal  eine  Menge  Funken  oder  feurige  Strahlen  in  den  Schlot 
hinein  fahren;  (bis  ist  der  Böse,  der  da  zu  ilnn  kommt.  Wenn  bei  ihm 
im  Hause  die  „Gesellschaft"  ist  (nämlich  die  jungen  Mäihiien  und  Bursche, 
die  jeden  Abend  in  irgend  einem  Hause  zusammen  komnioii),  so  hören  sie 
um  Mitternacht,  wie  es  drausseii  an  iler  Thür  einen   Bums  tjiut,  und  dann 


Einige  Beispiele  von  Hexen-  und  Aberglauben  in  Tluli-in!,'eu.  95 

kauu  R.  nicht  in  der  Stube  bleiben,  sondern  miiss  liinaus,  weil  der  l'eufel 
kommt,  ilm  zu  besuchen. 

R.  ist  ein  kleines,  schmächtiges  Männchen  und  selir  furchtsam.  Wenn 
im  Walde  die  anderen  Holzhauer,  mit  denen  er  auf  Arbeit  geht,  zu  schnell 
"■eben  und  er  zurück  bleibt,  grault  er  sicli  so,  dass  er  ganz  jämmerlich 
schreit:  „Nehmt  mich  doch  mit!  nehmt  mich  doch  mit!"  Dann  müssen 
sie  ihn  in  die  Mitte  nehmen. 

Vor  wenigen  Jahren  ging  in  dem  Dörfchen  Espenfeld  (eine  Stunde  von 
Arnstadt)  die  „Speckdoctern"  aus  und  ein.  Etwa  die  Hälfte  der  rund  200  Seelen 
zählenden  Einwohnerschaft  Espenfelds  steht  im  Verdachte  der  Hexerei,  und 
die  andere  Hälfte  glaubt  daran,  wodurch  viel  Zank  und  Feindschaft  entsteht. 
Die  „Speckdoctern",  eine  in  dem  unfern  gelegenen  Dosdorf  wohnhafte  Frau, 
gab  den  J^spenfeldern  Schutz-  und  Heilmittel  gegen  Hexerei,  zu  welchem 
Zwecke  sie  allwöchentlich  nach  Espenfeld  wanderte.  Wenn  sie  auf  die  Höhe 
kam,  wo  man  des  Dorfes  zuerst  ansichtig  wird,  schwenkte  sie  ein  Bündel 
Kräuter  nach  jedem  der  Häuser,  in  denen  sie  verkehrte.  Den  Kindern  gab 
sie  irgend  etwas  —  ich  weiss  nicht  was  —  das  diese  unter  der  Kleidung  um 
den  Hals  tragen  mussten;  dies  entdeckten  die  anderen,  d.  h.  die  Kinder 
der  aufgeklärten  Leute;  sie  verhöhnten  nun  ilire  Gespieleu.  und  es  kam 
zu  so  heftiger  Erbitterung,  dass  der  Schullehrer  Frieden  stiften  musste. 
indem  er  alle  Spöttereien  untersagte.  —  Ihren  Namen  hatte  die  Speck- 
doctern davon,  dass  sie  ihr  Honorar  in  Speck  und  Würsten  ausgezahlt 
bekam:  es  fiel  oft  so  reichlich  aus,  dass  sie  noch  eine  Person  zum  Tragen 
mitnehmen  musste;  darum  riefen  die  Dorfkinder,  sobald  sie  sich  blicken 
liess:  „De  Speckdoctern  kömmt!"  —  Eines  Tages  machte  sie  ihren  Hokus- 
pokus bei  einem  erkrankten  Schweine  und  versicherte  beim  Verlassen  des 
Stalles,  das  Schwein  werde  gesund  wei-den;  sie  war  jedoch  noch  nicht  zum 
Dorfe  hinaus,  da  verendete  es.  Seitdem  ging  es  mit  ilirem  Ruhme  bergab 
und  jetzt  kommt  sie  nicht  mehr  nach  Espenfeld. 

Eine  Frau  in  Espeufeld  hatte  von  ihren  Manne  Geld  bekommen,  um 
auf  dem  Arnstädter  Wochenmarkt  ein  Schweinehen  zu  kaufen.  Dies  hat 
sie,  wie  sie  sagte,  gethan,  aber  als  sie  heimkehrte,  war  das  Schwein  aus 
ihrem  Tragkorbe  verschwunden.  Auf  dem  Heimwege  hat  sich  ein  Mann 
zu  ihr  gesellt,  mit  dem  sie  ein  Weilchen  am  Chausseeraude  gesessen  hat; 
dieser  soll  das  Schwein  aus  ihrem  Korbe  gehext  haben.  Der  Mann, 
Christoph  Elias  S.,  gleichfalls  in  Espenfeld  ansässig,  steht  ebenso  wie  seine 
älteste  Tochter  im  Verdachte  der  Hexerei;  seine  zweite  Tochter  hat  lange 
bei  uns  gedient,  und  ich  kenne  die  ganze  Familie  als  sehr  rechtschaffene 
und  kluge  Menschen,  die  selber  nicht  an  Hexenkünste  glauben. 

Eine  arme  Frau  in  Arnstadt  kam  eine  Zeit  laug  oft  in  unser  Haus: 
sie  schlich  dann  innner,  ohne  zu  klingeln,  die  Treppe  hinauf  und  in  die 
ICorridore  und  stand,  wenn  man  aus  dem  Zimmer  trat,  unversehens  vor 
einem;  ids  Vorwand  bot  sie  dann  z.B.  Mottenkraut  (Melilotus)  und  Scheuer- 


9fi  Lehmann-Pilhes: 

kraut  (Equisetum)  au.  hatte  jedoch  nie  welches  bei  sich,  weun  man  es 
kaufen  wollte.  Da  sie  als  sehr  diebisch  bekannt  ist  und  gern  Dinge,  die 
sie  erwischen  kann,  unter  ihrem  grossen  Thüringer  Mantel  mitnimmt,  war 
sie  dieses  Eiuschleichens  wegen  schon  oft  bei  uns  ziireclit  gewiesen  worden. 
Eines  Tages  kam  ich  mit  einer  Freundin  aus  der  Stadt,  da  trat  mis  draussen 
von  unserem  Hause  her  die  Sp.  entgegen.  Als  sie  an  uns  vorüber  und 
etwa  20  Schritte  hinter  uns  wai%  saheu  wir  uns  zufällig  um.  Da  stand  sie 
auf  der  Chaussee  uns  zugewendet,  bewegte  die  Hand,  als  schriebe  sie 
Figui'en  in  die  Luft,  und  sprach  dabei  etwas  vor  sich  hin,  was  wir  der 
Entfernung  wegen  nicht  verstehen  konnten.  Zu  Hause  erfuhren  wir,  dass 
sie  dagewesen  und  wieder  bis  an  die  Zimmerthüren  geschlichen  war. 
weshalb  meine  Mutter  sie  sehr  nachdrücklich  zur  Rede  gestellt  hatte. 
Dafür  hatte  sie  uns  etwas  anthun  wollen,  denn  dass  sie  selbst  an  ihren 
Zauber  glaubte,  nehme  icli  deshalb  an,  weil  sie  ihn  liinter  xmserem  Rücken 
ausübte. 

In  Dauuheim.  eine  Stunde  von  Arnstadt,  wurde  vor  einigen  Jalireu 
ein  Junge  krank.  Als  es  schlimm  wurde.  Hessen  die  Eltern  den  alten 
Sanitätsrat  X.  aus  Arnstadt  kommen,  der  den  Jungen  untersuchte  und  dann, 
ohne  sich  etwas  dabei  zu  denken,  kopfschüttelnd  sagte:  „Ich  weiss  nicht, 
was  der  Junge  hat;  es  ist  gerade,  als  wäre  er  behext.''  Das  nahmen  die 
Leute  für  Ernst  und  gingen  zu  einem  beriUimten  Hexenmeister  in  Rudis- 
leben, ein  paar  Stunden  von  Dannheim.  Derselbe  verordnete  allerlei 
Verhaltungsmassregeln:  u.  a.  durfte  kein  Glied  der  Familie  „ja"  oder  „nein" 
sagen  oder  etwas  verborgen;  selbst  die  Pfarrerin  konnte  nichts  dagegen 
ausrichten,  sondern  musste  —  was  sonst  nicht  üblich  war  —  alles  ihr 
Gelieferte,  z.  B.  Milch,  sofort  bezahlen.  Die  Hexe  sollte  die  Schmiedsfrau 
sein,  die  täglich  an  dem  Hause  vorbei  gegangen  war:  sie  verstärkte  den 
Verdacht  dadurch,  dass  sie  gerade  jetzt  kam.  um  sich  von  den  Eltern  des 
Jungen  Thee  zu  borgen.  Die  Sache  wurde  so  ernsthaft,  dass  es  zu  einer 
Beleidigungsklage  vor  Gericht  und  in  gewissem  Sinne  zu  einem  Hexen- 
prozesse kam.     Der  Junge  wurde  übrigens  wieder  gesund. 

Die  Frau  des  Kantors  H.  in  Dannlieim  war  vorigen  Sommer  lange 
krank  imd  konsultierte  ohne  Wissen  ihres  Mannes  eine  alte  Frau,  die  ihr 
unter  andei'em  streng  verbot,  etwas  zu  verborgen  oder  zu  erlauben,  dass 
ihr  Manu  dies  thue.  Nun  kam  aber  gerade  der  Tischler  zu  ihm.  klagte, 
dass  es  ihm  zur  Ausführung  eines  dringenden  Auftrages  an  einem  passenden 
Brett  fehle  und  sagte,  der  Kautor  habe  ein  solches,  das  möge  er  ihm  doch 
geben.  Der  Kantor  Hess  sieh  endlich  erbitten  und  gab  dem  Tischler  das 
Brett.  Seine  Frau  hörte  zum  Unglück  etwas  davon,  entlockte  ihi-em 
Manne  die  Wahrheit  und  geriet  darüber  in  solche  Aufregung,  dass  er 
hingehen  und  sich  das  Brett  bezahlen   (oder  wiedergeben?)  lassen  musste. 

Der  Festtagsaberglaube  sei  durch  folgende  Beispiele  hier  ver- 
treten. 


Einige  Beispiele  von  Hexen-  und  Aberglauben  in  Thüringen.  97 

In  der  Christnacht  werden  um  elf  Uhr  zwölf  Häufchen  klar  geschnittene 
Zwiebeln  rundum  auf  den  Tisch  gelegt  und  erhalten  die  Namen  der  zwölf 
Monate.  Alle  Viertelstunden  (soll  wohl  heissen:  nach  einer  Stunde)  sieht 
man  nach,  welche  von  ihnen  trocken  geworden  sind  und  erfährt  dadurch, 
welche  Monate  des  nächsten  Jahres  trocken  und  welche  nass  sein  werden. 

Ebenso  werden  in  der  Christnacht  um  elf  Uhr  vier  Tassenköpfe  voll 
Roggen  abgemessen  und  auf  den  Tisch  geschüttet.  Um  zwölf  Uhr  werden 
sie  wieder  gemessen,  ob  ihrer  mehr  oder  weniger  geworden  sind;  danach 
wird  der  Getreidepreis  in  den  nächsten  vier  Vierteljahren  vorhergesagt. 

In  der  Neujahrsnacht  um  zwölf  Uhr  stellt  man  sich  auf  den  Friedhof, 
an  einen  Kreuzweg  oder  auf  die  grüne  Saat;  dann  ziehen  die  an  einem 
vorüber,  die  im  nächsten  Jahre  in  der  Gemeinde  sterben  werden. 

In  der  Neujahrsnacht  horcht  die  Jungfer  in  die  Wasserblase  im  Ofen; 
dann  hört  sie  das  Gewerbe  ihres  Zukünftigen,  das  Hobeln  des  Tischlers, 
das  Hämmern  des  Schmieds  u.  s.  w. 

Ein  Brauch,  der  in  der  Andreasnacht  geübt  wird,  ist  aus  folgendem 
Vorfall  zu  ersehen.  Beim  Kantor  H.  in  Dannheim  war  ein  Verwandter 
zum  Besuch.  Am  Abend  legte  er  einen  preussischeu  Thaler  auf  die 
Schwelle,  drehte  sich  mit  dem  rechten  blossen  Fusse  dreimal  von  der 
Linken  zur  Rechten  darauf  um  und  sagte  dabei  einen  Vers,  dessen  der 
Kantor  sich  nicht  entsinnt.  Alsdann  legte  er  sich  in  die  Hölle  und  schlief. 
Um  zwölf  Uhr  nachts  springt  er  mit  einem  Schrei  auf  und  stürzt  bai-fuss 
zur  Thür  hinaus  und  nach  Hause.  Nach  langer  Zeit  erst  hat  er  erzählt, 
er  habe  seine  Liebste  gesehen,  die  ihn  an  der  rechten  grossen  Zehe  gepackt 
und  mit  sich  fort  gezogen  habe.     Diese  hat  er  geheiratet. 

Die  beiden  letzten  Stücke  gehören  auch  unter  die  Ehestandsorakel; 
als  solchen  seien  ihnen  noch  die  folgenden  angereiht. 

Bauernhochzeiten  werden  nur  bei  zunehmendem  Monde  gefeiert,  sonst 
geht  es  mit  dem  Vermögen  ziu'ück. 

Zu  Hochzeiten  wird  der  sogenannte  „dicke  Kuchen"  gebacken;  es  ist 
ein  gewöhnlicher  gemangelter  Kuchen;  je  höher  er  aufgeht,  desto  glücklicher 
wird  die  Ehe.  (Gerät  er  nicht  nach  Wunsch,  so  bäckt  man  indessen  rasch 
einen  anderen,  wohl  gar  einen  dritten,  bis  er  hoch  genug  aufgeht.) 

Vom  Totenaberglauben  konnte  ich  ausser  einem  oben  bereits  mit- 
geteilten Zuge  (aus  der  Neujahrsnacht)  folgende  Beispiele  erfahren. 

Der  Totengräber  verwahrt  Spaten  und  Hacke  in  einem  Winkel  seines 
Hauses,  der  sich  manchmal  in  seiner  eigenen  Schlafkammer  befindet  und 
die.  Grabes-  oder  Todesecke  heisst.  In  dieser  Ecke  stehen  Spaten  und 
Hacke  ganz  allein,  nichts  anderes  dabei.  Wenn  nun  im  Dorfe  ein  Todes- 
fall bevorsteht,  klingen  sie  nachts  aneinander. 

Wenn  der  Totengräber  vor  einem  Begräbnisse  die  Bahre  von  der 
Glockenhauskammer  nach  dem  Leichenhause  trägt  und  es  begegnet  ihm 
dabei    eine    männliche   Person,    so  stirbt  im   Dorfe  demnächst   ein   Mann, 

Zcitschr.  d.  Vereins  1.  Volkskunde,     isai.  7 


98  Maurer : 

während  die  Begeguuug  mit  einer  weiblichen  Person  den  Tod  einer  solchen 
bedeutet.  Dieser  Todesfall  wird  sich  in  der  Familie  dessen  ereignen,  der 
dabei  znfällig  zunächst  hinter  der  Bahre  eiuhergeht. 

Die  Schwiegermutter  des  Kantors  H.,  Frau  Pfarrer  G.  in  Möhrenbacli, 
hat  den  Tod  ihres  Mannes  (1851)  vorher  gewusst,  weil  sie  im  Garten 
unter  ihren  Bohnenpflanzen  eine  ganz  weisse  gehabt  hat.  Auch  weisse 
Kohlstauden  und  dergleichen  haben  dieselbe  Bedeutung.  Der  Kantor 
glaubt,  dass  dieser  Aberglaube  von  den  Wenden  stamme,  auf  die  ver- 
schiedene Ortsnamen  jener  Gegend  hinweisen. 

Der  Schwiegervater  des  Kantors  studierte  in  Jena  und  verlobte  sich 
mit  einem  Mädchen  dort  in  der  Nähe.  Darauf  wurde  er  Pfarrer  in 
Möhrenbach  (auf  dem  Thüringer  Walde),  konnte  aber  wegen  seines  geringen 
Gehaltes  noch  nicht  heiraten.  Da  erfuhr  er,  seine  Braut  sei  erkrankt  und 
gräme  sich  sehr,  dass  er  nicht  zu  ihr  konnte.  In  dieser  Zeit  geht  er 
einmal  spazieren  nach  Gehren  zu;  plötzlich  hört  er  seinen  Namen  rufen 
und  das  Rauschen  eines  seidenen  Kleides  vor  sich,  ohne  etwas  zu  sehen. 
In  derselben  Stunde  ist  seine  Braut  gestorben. 

Nun  zum  Schlüsse  noch  ein  paar  kleine  Züge  verschiedenen  Charakters. 

Wenn  eine  Kuh  gekalbt  hat,  wird  die  erste  Milch  ausgemolken  und, 
mit  Ei  gebacken,  kleinen  Kindern  zu  essen  gegeben;  davon  werden  sie  in 
ihrem  Geiste  sehr  verständig. 

Auf  einem  Arnstädter  Gehöft  wurde  mein  Bruder  von  einem  Hunde 
gebissen;  sogleich  schickte  die  Besitzerin  ein  Büschel  Haare,  die  sie 
demselben  Hunde  abgeschnitten  hatte,  damit  sie  auf  die  Bisswuude 
gelegt  würden,  wovon  diese  schnell  heilen  sollte. 

„An  änu  Fuchse  is  kei  gut  Haar",  sagte  eine  bei  uns  dienende 
Thüringerin  beim  Anblicke  eines  rotscheckigen  Schweincheus,  das  ihre 
Mutter  auf  dem  Arnstädter  Markt  gekauft  hatte. 


Kleine  Mitteilunaen. 


Zur  Volkskunde  Islands. 

In  No.  31 — 34  der  Zeitschrift  „pjöffviljin  ungi"  giebt  der  verdienstvolle 
isländische  Geograph  porvaldur  Thoroddsen  einige  vorläufige  Mitteilungen 
über  eine  Zaubergeschichte,  welche  im  17.  Jahrh.  auf  Island  spielte,  und  über 
welche  der  noch  ungedruckte  Teil  seiner  Geschichte  der  Erdkunde  Islands  (Land- 
frseäissaga  Islands)  Bericht  geben  wird.  Um  einen  Hexenprozess  handelt  es  sich 
dabei,  der  mehrere  UnglückHche  auf  den  Scheiterhaufen  führte;  interessant  ist  aber 
dabei  die  eigentümhche  Mischung  einheimischen  und  fremden  Aberglaubens,  welche 
der    Prozess    zeigt.    Die  Zurückführung    der  Zauberei    auf   die  Hilfe    des  Teufels 


Kleine  Mitteilungen.  '  S9 

und  die  Strafe  des  Feuertodes  ist  offenbar  aus  der  Fremde  herübcrgenorrimen, 
doch  wohl  zunächst  aus  Deutschland,  durch  Vcrmittelung  des  dänischen  und 
norwegischen  Gesetzbuches  des  Königs  Christians  V.;  aber  von  einem  eigentlichen 
Teufelsbunde,  einer  ßuhlschaft  mit  dem  Teufel,  einem  Hexensabbath  u.  dergi.  ist 
in  dem  Berichte  nicht  die  Rede  und  ebenso  wenig  vom  Wettermachen,  während 
die  Heimsuchungen  der  Verhexton  durch  höllische  Geister  wesentlich  den  Charakter 
von  „sendingar",  d.  h.  Zuschickungen  tragen,  wie  sie  den  nationalen  isländischen 
„galdrasagnir"  geläufig  sind  Ich  behalte  mir  bevor,  beim  Erscheinen  der  Fort- 
setzung des  angeführten  Werkes  auf  den  Gegenstand  zurückzukommen,  da  dieses 
jedenfalls  noch  weitere  Mitteilungen  über  das  Zaubertreiben  auf  Island  im  17.  Jahrh. 
bringen  wird;  dagegen  möchte  ich  noch  eine  kurze  Notiz  besprechen,  welche  No,  33 
der  genannten  Zeitschrift  in  einem  Nekrologe  enthalt,  den  sie  über  einen  am  12.  Juli 
letzten  Jahres  zu  Skälavik  im  Mjoflfjörffur  der  IsafjarcTarsysla  verstorbenen  Gemeinde- 
vorsteher (hreppstjori)  namens  Gunnarr  Halldorsson  bringt.  Es  heisst  hier: 
„Während  die  Mutter  Gunnars  mit  ihm  schwanger  war,  träumte  sie  eine  Nacht 
nach  der  anderen  von  Gunnar  von  Hliöarendi,  dass  er,  wie  inan  es  nennt,  um  des 
Namens  willen  komme  (acT  hann  vitjaffi  nafns,  sem  kallaff  er),  und  als  ihr  dann 
ein  Sohn  geboren  wurde,  wollte  sie  diesen  nach  ihm  nennen  lassen;  der  Vater 
Gunnars  war  aber  dem  entgegen,  bis  er  einmal  des  Nachts  träumte,  dass  Gunnarr 
von  Hh'flarendi  sehr  zornig  zu  ihm  komme,  mit  gezücktem  Speer,  und  dass  er 
ihn  durchbohren  wolle;  daraufhin  hörte  der  alte  Mann  auf,  sich  gegen  den  Namen 
zu  widersetzen." 

Wir  wissen,  dass  es  in  der  alten  Zeit  als  ein  Glück  betrachtet  wurde,  wenn 
jemand  nach  einem  Verstorbenen  benannt  wurde.  So  lässt  sich  nach  der  Vatns- 
dasla,  Cap.  3.  Jökull  Ingimundarson  von  porsteinn  Ketilsson,  der  ihn  tütlich  ver- 
wundet hat,  als  Lohn  für  das  ihm  geschenkte  Leben  versprechen,  dass  er,  vpenn 
er  einst  einen  Sohn  gewinnen  werde,  diesen  nach  ihm  benennen  werde;  „denn", 
sagt  er,  „davon  erwarte  ich  mir  Vorteil."  Dieselbe  Forderung  erhebt  später, 
Cap.  6,  der  alte  Ingimundr  demselben  porsteinn  gegenüber,  und  seinem  Wunsche 
wird  entsprochen,  wogegen  dann  Ingimundr  porsteinsson  einem  seiner  Söhne  den 
Namen  Jökull  giebt.  So  schenkt  ferner  nach  der  Finnboga  s.  hins  ramma, 
Cap.  9  der  sterbende  Finnbogi  Bäröarson  dem  Uröarköttr  zum  Dank  für  ihm 
geleistete  Hilfe  seinen  Namen,  in  der  Hoffnung,  dass  er  selbst  Ehre  davon  haben 
werde,  wenn  ein  so  tüchtiger  Manu  seinen  Namen  trage;  ebenso  wünscht  ferner, 
Cap.  36,  der  sterbende  Asbjörn  dettiäss,  dass  Finnbogi  einen  Sohn  seinen  Namen 
tragen  lasse,  weil  er  davon  Glück  erhoffe.  Nach  der  Svarfdsela,  Cap.  5  richtet 
der  totwunile  pörölfr  eine  ähnliche  Bitte  an  seinen  Bruder  porsteinn,  und  ähnlich 
bittet,  Cap.  26,  Karl,  seinen  Tod  ahnend,  seine  Frau,  den  Sohn,  mit  dem  sie 
schwanger  geht,  nach  ihm  benennen  zu  lassen,  beide  Male  mit  derselben  Be- 
gründung. Aber  auch  das  kommt  bereits  in  älteren  Quellen  vor,  dass  ein  Ver- 
storbener durch  eine  Traumerscheinung  seinen  Wunsch  zu  erkennen  giebt,  ein 
bestimmtes  Kind  nach  seinem  Namen  genannt  zu  sehen,  wie  etwa  K.  Ölafr  Geir- 
staiJadlfr  nach  der  Flbk.,  II,  S.  8—9  diesen  Wunsch  bezüglich  des  heiligen  Olafs 
ausspricht,  oder  wie  der  Hügelbewohner,  d.  h.  doch  wohl  in  einem  Erdhügel 
begrabene  Held  Brynjarr  nach  Flbk.,  I,  S.  255  im  Tiaumc  den  porstein  uxaföt 
einen  zukünftigen  Sohn  auf  seinen  Namen  taufen  zu  lassen  bittet.  Auch  die  A  rmanns- 
saga,  allerdings  ein  Machwerk  aus  dem  vorigen  Jahrhundert,  lässt  an  ihrem 
Schlüsse  den  Riesen  Ärmann  von  dem  Pferdeknechte  HallvarÖ"  im  Traume  ver- 
langen, dass  er  seinen  Namen  unter  die  Taufe  und  das  Christentum  bringe  (skalto 
koma  nafni  mijno  imder  scijrn  oc  christni).  Aus  dem  vorigen  Jahrhundert  habe 
ich  ferner  in  meinen  Isländischen  Volkssagen,  S.  193 — 94,  und  hat  dann  auch 

7» 


100  Godden: 

Jon  Amason  in  seinen  Islenskar  pjöffsögur  og  aefiutyri,  II,  S.  22 — 23  die 
Geschichte  des  Natan  Ketilsson  erzählt,  zu  dessen  Mutter  während  der  Dauer  ihrer 
Schwangerschaft  der  Teufel  im  Traume  gekommen  war,  mit  der  Bitte,  ihrem 
Kinde  seinen  Namen  zu  geben;  „aiT  vitja  nafns"  lautet  auch  hier  der  Ausdruck. 
Dem  Volksglauben  folgend,  dass  solchen  Wünschen  nachzukommen,  dem  Kinde 
Glück  bringe,  wollten  die  Eltern  das  Kind  wirklich  Satan  taufen  lassen ;  der  Pfarrer 
ging  hierauf  nicht  ein  und  taufte  das  Kind  dafür  Natan,  dennoch  wurde  dieses 
zwar  sehr  begabt,  aber  auch  sehr  schlimm  und  starb  schliesslich  eines  gewaltsamen 
Todes.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde,  S.  311,  und  nach  ihm  Nyrop,  Navnets 
magt,  S.  197  (in  den  Mindre  Afhandlinger  udgivne  af  det  philologisk-historiske 
Samfund)  hat  einen  ganz  ähnlichen  Glauben  aus  Norwegen  nachgewiesen,  wo  man 
von  der  Traumerscheinung  des  Verstorbenen  sagt,  dass  er  »gaaer  efter  Navnet", 
d.  h.  dem  Namen  nachgeht;  so  fasst  wenigstens  Ivar  Aasen,  Norsk  Ordbog,  S.  523, 
die  Redensart  auf,  während  Liebrecht  „gaar  efter  Navne"  schreibt,  und  vom  Suchen 
eines  Namensvetters  spricht.  Ich  bin  schon  früher  einmal,  bei  Besprechung  der 
angeführten  Abhandlung  Nyrops  in  Band  I,  S.  111  dieser  Zeitschrift  auf  diesen 
Aberglauben  zu  reden  gekommen;  der  Eingangs  erwähnte  Beleg  für  dessen  fort- 
wärendes  Fortleben  auf  Island  dürfte  aber  eine  eingehendere  Behandlung  des 
Gegenstandes  rechtfertigen. 

Konrad  Maurer. 


Bekleidete  Götterbilder. 

Ich  erlaube  mir  die  geehrten  Leser  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde 
auf  einen  interessanten  Zweig  des  primitiven  Kultus  aufmerksam  zu  machen,  für 
dessen  Erläuterung  ich  dieselben  um  weitere  Thatsachen  ersuche. 

Die  Darbringung  des  Peplos  an  die  Athene  an  dem  Haupttage  der  Pana- 
thenaeen  könnte  als  Typus  angenommen  werden  für  das  Opfer  eines  Gewandes 
an  ein  Götterbild;  aber  es  scheint  wahrscheinlich,  dass  ähnliche  Gebräuche  sich 
durch  alle  Stadien  der  Kultur  ziehen.  Ich  frage  also:  Können  weitere  Beispiele 
angeführt  werden  der  Opferung  von  Gewandern  oder  Bedeckungen  für 
Götterbilder  oder  geweihte  Gegenstände  insbesondere  bei  Festen  oder  aus- 
gezeichneten Anlässen? 

Als  Beispiele  für  das  Bekleiden  von  Götterbildern  und  geweihten  Gegenständen 
kenne  ich:  1.  Die  sehr  primitive  Bekleidung  eines  heiligen  Steines  durch  Zweige 
in  Samoa,  „um  den  Gott  warm  zu  halten;"  die  Zweigbekleidung  ward  sorgfältig 
erneuert,  wenn  man  wegen  Krieges,  Dürre,  Hungersnot  oder  einer  Epidemie  betete'). 
2.  Die  Einhüllung  einer  Paradiesfeige  in  weibliche  Gewänder  während  der  Cere- 
monien,  welche  bei  der  Weihung  des  Bildes  der  Hindostanischen  Göttin  Durga 
(Parvati)  stattfanden').  3.  Die  Einhüllung  der  Götzenbilder  in  die  Haut  von  Opfer- 
tieren im  alten  Ritual.  4.  Das  mexikanische  Fest  von  Huitzilopochli,  wo  ein 
Götzenbild  aus  Teig  und  Holz  gemacht  wurde  und  mit  dem  Gewände  bekleidet 
ward'),  und  das  grosse  mexikanische  Fest  von  Tezcatlipoca,  an  dessen  Vorabend 
das  Götzenbild  mit  neuen  Gewändern  angethan  wmde''). 

Wenn  die  Gottheit  durch  eine  lebende  Person  dargestellt  wird,  wie  in  dem 
Hindostanischen  Ritus  der  Anbetung  der  Töchter  eines  Braminen  als  Vertreterinnen 


1)  Tui-ner,  Samoa,  p.  62. 

2)  Ward,  Hindoos.  1817,  Vol.  II,  p.  13. 

3)  Bancroft,  Native  Races  of  the  S.  Pacific.  Vol.  II,  p.  321. 

4)  Bancroft  ibid..  Vol.  II.  p.  318. 


Rleine  Mitteilungen.  101 

der  Göttin,  wo  man  denselben  Tücher,  Farben  und  Schmucksachen  während  der 
Ceremonie  darbietet'):  oder  im  mexikanischen  Ritus,  in  welchem  Menschenopfer 
mit  dem  Putz  der  Thaloc  Götter  geschmückt  werden,  denn  man  sagte:  sie  wären 
Bildnisse  dieser  Götter'-),  so  hat  dies  natürlich  dieselbe  Bedeutung  als  die  Dar- 
bringung an  die  Götterbilder. 

Beispiele  für  solche  Bekleidungen  würden  von  grossem  Werte  sein,  besonders 
im  Zusammenhange  mit  Pesten  bei  der  Geburt  (oder  der  Wiederkehr),  der  Hochzeit 
oder  dem  Tode  eines  Gottes;  wie  auch  alle  Beispiele  irgend  welcher  Bekleidung 
von  dem  barbarischen  Bemalen  bis  zu  Tempel-Gewändern  erwünscht  wären. 

Ridgefield,  Wimbledon,  England.  G.  M.  Godden. 


Die  Jungfer  im  Bade. 

Eine  volksmedizinische  Rarität  aus  der  Anatomia  culinaris. 

A.    Birlingers    Volkstümliches    aus    Schwaben    enthält    folgende    Mitteilungen 
(1,  122,  360): 

Vom  Schwein. 
Die  Sau  hat  unter  dem  ..Hochrucken"  im  Genick  ein  Wirheibein,  das  da  aussieht,  als 
sitze    ein  Mädchen    im  Zuber.    Dies    nemit  man  die  „Sanjungfer":    wer  diese  beim  Essen 
bekommt,  wird  ausgelacht  —  denn  es  ist  eine  Jüdin. 

(Vgl.  die  Legende  vom  Juden,  der  Christum  gefragt,  was  unter  dem  Metzgerzuber  sei.) 

Ertingen. 

Jesus  und  der  Pharisäer. 
Mal  gingen  Jesus  und  Petrus  über  Feld  und  kamen  in  eine  Stadt;  da  sass  ein  Pharisäer 

auf  seiner  Hausbank;  dachte  der,  den  Gescheidten  da  will  ich  geh'  doch  fragen.  He,  he, 
ihr  HeiTeu,  rief  er,  was  meint  ilir,  was  unter  diesem  Zuber  sei?  Es  hatte  der  Pharisäer 
am  selbigen  Tage  eine  Sau  geschlachtet,  und  war  der  Zuber  zum  Austrocknen  umgestürzt 
worden.  Es  hatten  sich  aber  des  Phai'isäers  Kinder  spielend  darunter  gesetzt.  Entgegnete 
der  Herr:  Deine  Kinder  sind  di'unten.  Lachte  der  Pharisäer  und  rief:  Weit  gefehlt,  meine 
Sauen  sind  drunten.  Sprach  der  Herr:  ..Nun,  so  soUeu's  auch  Sauen  sein",  und  plötzlich 
rannten  des  Pharisäers  Kinder  grunzend  unter  dem  Zuber  als  Säulein  hervor.  Von  dorther 
schreibt  sich's.  dass  die  Juden  kein  Sautlcisch  essen  dürfen,  und  dass  die  Sauen  Eingeweide 
haben  gleich  denen  der  Menschen:  ist  auch  von  selbiger  Stunde  an  den  Sauen  im  Rückgrat 
ein  Bein  gewachsen,  welches  aussieht  wie  ein  Zuber,  in  dem  eine  Jungfer  sitzt,  „die  Sau- 
jungfer'', nach  der  man  bei  Tische  so  gierig  langt. 

Auf  der  Suche  nach  diesem  Knochen  in  der  Litteratur  wurde  das  Finden 
desselben  etwas  schwierig,  da  unter  diesen  beiden  Namen  „Saujungfer"  und 
.  „Jungfer  im  Bade"  nichts  zu  finden  und  auch  die  Nachforschungen  bei  den  Ver- 
tretern der  Anatomia  culinaris,  sowie  bei  den  Tierärzten  hierorts  ebenfalls  erfolglos 
waren.  Der  Fund  eines  „Judenknochens"  bei  Kulmus  (1740)  und  A.  von  Haller  (1756) 
machte  die  Birlingersche  Notiz  noch  etwas  schwerer  erklärlich.  Rulmus  (Anatomie, 
S.  52)  sagt:  „Es  träumen  die  Rabbineu  noch  von  einem  besonderen  Beinlein,  so 
sie  Lus  nennen,  welches  ausser  allen  diesen  bemeldten  Knochen  am  mensch- 
lichen Körper  zu  finden  und  so  hart  sein  sollte,  dass  es  durch  keine  Gewalt 
zerschlagen,  noch  durch  Feuer  oder  einige  andere  mögliche  Zernichtung  verdorben 
werden  könne,  sondern  bis  an  den  letzten  Tag  unverweslich  dauern,  woraus  alsdann 


1)  Ward,  Hindoos.  1817,  Vol.  I,  p.  245—46. 
9)  Bancroft  ibid  .  Vol.  III,  p.  342. 


102 


Höfler: 


der  ganze  Mensch  wieder  solle  gebildet  und  aufgewecket  werden.  Sie  sind  aber 
bei  dieser  Fabel  selber  nicht  einig,  indem  es  einige  bald  hier,  bald  da  zwischen 
den  Wirbelbeinen,  im  Genicke,  in  den  Lenden,  am  Heiligbeine,  bald  auch  am 
grossen  Zehen  vergeblich  suchen  wollen".  A.  von  Haller  (Onomatologia  medica, 
n,  S.  925)  sagt  über  dasselbe  Judenknöchlein:  „Es  soll  dies  ein  besonderes  kleines 
Bein  am  menschlichen  Leibe  sein,  so  hart  und  fest,  dass  es  weder  durch  das 
Feuer,  noch  auf  irgend  andere  Art  zernichtet  werden  kann,  und  die  Juden  sollen 
sich  davon  bereden,  es  bleibe  bis  an  die  Auferstehung  der  Toten  unverändert,  und 
aus  ihm  werde  bei  der  Auferstehung  der  ganze  Mensch  gleichsam  wieder  von 
neuem  hervorgebracht;  inzwischen  sind  sie  noch  nicht  unter  einander  einig  ge- 
worden, was  dies  eigentlich  für  ein  Knochen  sei;  denn  einige  behaupten,  er  liege 
zwischen  verschiedenen  Wirbelbeinen;  andere  geben  vor,  er  sitze  im  Nacken,  und 
wiederum  andere  setzen  ihn  ins  Kreuzbein." 

Da  in  der  menschlichen  Osteologie  ein  derartiger  Knochen,  wie  ihn  die 
schwäbische  Volkssage  bei  dem  Schweine  annimmt,  sich  nicht  vorfindet,  so  waren 
Rulmus  und  Haller  in  vollem  Rechte,  wenn  sie  die  Existenz  des  Judenknochens 
beim  Menschen  in  das  Gebiet  der  Volksfabel  zu  verweisen  geneigt  waren.  Immerhin 
konnte    aber    doch    beim    Schweine    ein   solches  Knochengebilde    vorhanden    sein. 


Figur  1. 


Figur  2. 


welches  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  einer  Wanne  oder  einem  Zuber  hätte,  und 
wenn  dies  der  Fall  wäre,  so  musste  dasselbe  im  sogenannten  Kränzl,  dem  ge- 
suchtetsten  Stücke  beim  Ferkelbraten,  zu  suchen  sein.  In  der  That  zeigen  der 
erste  und  zweite  Halswirbel  beim  Schweine  eine  solche  Bildung  (Fig.  1),  dass  man 
sie  beiläufig  mit  einem  solchen  Geräte  bei  einiger  Vorstellungsgabe  vergleichen 
kann;  den  Badezuber  stellt  dann  die  Gelenkhöhle  des  sogenannten  Atlasbeines 
(Fig.  2)  dar,  welche  dieser  erste  Halswirbel  mit  den  Gelenkflächen  des  Hinter- 
hauptbeines bildet;  der  in  diesen  wannenförmigen  Raimi  hineinragende  Zahn  oder 
Reibnagel  (processus  odontoideus),  welcher  einen  zapfenförmigen  Fortsatz  des 
zweiten  Halswirbels  (axis  oder  vertebra  dentata)  (Fig.  2)  darstellt,  müsste  dann, 
wie  beigegebene  Zeichnung  beiläufig  illustrieren  könnte,  den  aus  der  Badewanne 
noch  hervorragenden  Kopf  der  Jungfrau  vorstellen  (No.  3).  Da  der  Bruch  dieses 
Knochenfortsatzes  durch  den  Druck  auf  das  verlängerte  Mark  sofortigen  Tod  her- 
beiführt, so  möchte  sich  damit  auch  erklären,  dass  die  Juden  nach  Kulmus  und 
Haller  in  ihn  den  Sitz  der  unsterblichen  Seele  verlegten.  Diese  anatomischen 
Ergebnisse  beim  Schweine  (Lus  =  weibliches  Schwein)  wurden  vielleicht  schon 
früh,  d.  h.  ehe  menschliche  Leichen  ein  anatomisches  Objekt  waren,  auch  auf  den 
Menschen  übertragen.     In  der  Nachbarschaft  dieses  Knochens,  in  der  sogenannten 


Kleine  Mitteilungen.  1Ö3 

Zirbeldrüse  des  Gehirns  suchte  schon  Cartesius  den  Sitz  der  Seele,  fand  ihn  'aber 
nicht;  die  stets  schaffende  Volksseele  aber  knüpfte  an  den  Knochennamen  eine 
Sage  an,  um  dieses  oder  jenes  ihm  Unverständliche  zu  erklären.  So  bilden  sich 
Volkssageu. 

Tölz.  Dr.  Höfler. 


Die  milebille. 

Von  Richard  Andree. 

Als  ich  im  Sommer  1894  zu  Lauterborg  am  Südrande  des  Harzes  weilte, 
erregte  der  Name  „Hillebille"  meine  Aufmerksamkeit.  So  nannte  man  einen  gut 
bewaldeten,  etwa  GOO  m  hohen  Berg  im  Norden  des  Städtchens  zwischen  Oder  und 
Sperrlutter.  Nach  langem  Umfragen  wusste  ein  alter  Mann  Rescheid:  Die  Hillebille, 
so  sagte  er,  sei  ein  Gerät  gewesen,  mit  dem  die  Kühler  sich  Zeichen  in  die  Ferne 
gegeben  hätten;  vor  Zeiten  möge  wohl  ein  solches  auf  dem  Berge  gestanden  haben, 
der  davon  seinen  Namen  erhalten  hätte. 

Heute  ist  es  schwer,  noch  eine  Hillebille  aufzutreiben ;  sie  ist  in  der  zweiten 
Hälfte  unseres  Jahrhunderts  verstummt,  und  es  bleibt  mir  nur  übrig,  ihr  den 
Nekrolog  zu  schreiben,  nach  Berichten,  die  ich  bei  Förstern  und  ehemahgen 
Köhlern  gesammelt  habe,  welche  das  Gerät  noch  kannten,  dessen  helle  Stimme 
einst  weit  durch  die  Thäler  und  Berge  des  Harzes  erschallte.  Die  Hillebille  ver- 
schwand mit  der  Köhlerei  aus  dem  Harze,  denn  heute  giebt  es  dort  keine  herr- 
schaftlichen Köhler  mehr,  wie  früher,  sondern  nur  noch  kleine  Privatköhler,  welche 
hier  und  da  Holz  aufkaufen  und  es  zu  Schmiedekohlen  verkohlen.  Als  die  Hoch- 
öfen noch  mit  Holzkohlen  gespeist  wurden,  statt  wie  jetzt  mit  Steinkohlen,  da 
blühte  die  Köhlerei.  Das  Holz  lässt  sich  als  solches  jetzt  besser  verwerten,  es 
wird  auf  den  guten  Wegen  und  Eisenbahnen  schnell  fortgeführt  und  braucht  nicht 
mehr  in  die  leichte  transportfähigere  Kohle  verwandelt  zu  werden. 

Noch  erinnern  aber  ausser  den  leicht  kenntlichen  kreisförmigen  Meilerstätten 
die  „Röten"  an  die  alte  Köhlerei;  sie  werden  von  Waldarbeitern  oder  Jägern 
genau  in  der  alten  Kegelform  aus  Fichtenstämmen  zusammengesetzt  und  mit 
Rasen  oder  Rindenlappen  gedeckt.  Und  wie  die  Kote  die  uralte  Form  der  Be- 
hausung ist,  vergleichbar  den  kegelförmigen  Hütten,  die  durch  den  ganzen  Norden 
der  alten  Welt  gehen  und  bis  zu  den  Stämmen  in  Nordamerika  reichen,  so  ist 
die  Hillebille  die  älteste  Form  eines  Signalgerätes. 

Die  Hillebille  besteht  aus  einem  fingerdicken,  ungefähr  75  cm  langen  und 
20  cm  breiten  glatten  Brette  aus  hartem  Buchenholze,  das  an  zwei  Schnüren  oder 
Lederriemen  an  einer  Stange  hängt,  die  in  ein  paar  gegabelten,  im  Boden  stehenden 
Ästen  befestigt  ist.  Sie  wird  mit  einem  hammerförmigen  Klöppel  aus  Haine- 
buchenholz geschlagen  und  giebt  dann  einen  hellen  Ton,  der  mindestens  auf  eine 
halbe  Stunde  weit,  bei  gutem  Wind  und  Wetter  noch  weiter  gehört  werden  kann. 

Die  verschiedenen  Meiler,  die  von  einer  Kote  aus  überwacht  und  regiert 
wurden,  oft  fünf  oder  sechs  an  der  Zahl,  lagen  in  mehr  oder  weniger  grossen 
Entfernungen  zerstreut  in  den  Bergen  und  Wäldern,  je  nachdem  das  zur  Ver- 
kohlung gelangende  Holz  von  den  Förstern  den  Köhlern  angewiesen  war.  Alle 
diese  Meilerstätten  bildeten  zusammen  den  „Kohlhai"  (hai  von  hauen).  Sollten 
nmi  die  au  entfernten  Meilern  mit  ihren  „Hulpen"  (Gehilfen)  beschäftigten  Köhler 
zusammenkommen,  so  wurde  mit  der  weithin  schallenden  „Hülebille"  dazu  das 
Zeichen  gegeben. 


104 


Andrep : 


Nach  einer  Mitteilung  des  Herrn  Oberförsters  Bäbenroth,  jetzt  in  Riddagshauseii: 
der  früher  lange  Jahre  Förster  im  Harze  war,  wurden  mit  der  Hillebille  vier 
verschiedene  Signale  gegeben; 

1.  Das  Gefahrsignal.  Zuweilen  geraten  die  Meiler  aus  ilirem  ruhigen, 
schwelenden  Glimmen  in  völligen  Brand,  der  durch  Dämpfen  erstickt  werden  muss. 
Dann  erschallen  schnell  hintereinander  die  Schläge  der  Hillebille,  etwa  in  dem 
Takte  der  Sturmglocken. 

2.  Die  Hilfsignale  ertönen  in  langsamen  Schlägen  hintereinander,  wenn  der 
Köhler  bei  der  Meilerarbeit  mit  seinen  „Hulpen"  nicht  allein  auskommt  und  die 
Unterstützung  der  benachbarten  Genossen  gebraucht. 

3.  Der  Ruf  zum  Essen:  Dreimal  drei  Schläge,  wenn  der  ,,KöhlerpufC"  aus 
Brotscheiben  (daher  „SchiebenS^ippe")  fertig  war,  und  die  Köhler  bei  der  Kote  zu 
diesem  spartanischen  Gerichte  sich  versammelten. 


Die  Hillebille. 

4.  Der  Jägerruf,  ein  zwischen  dem  Förster  des  Reviers  und  dem  Köhler 
des  Reviers  verabredetes  Zeichen,  welches  den  ersteren  herbeirief,  falls  der  Köhler 
ihm  über  Wild  oder  sonstige  Dinge  eine  Mitteilung  zu  machen  hatte.  Gewöhnlich 
bestand  dieses  Signal  in  zwei  kurzen  Schlägen,  die  nach  Bedarf  wiederholt  wurden. 
Nur  zu  diesen  Signalen  durfte  die  Hillebille  benutzt  werden,  und  es  war 
streng  untersagt,  sie  griuidlos  zu  schlagen.  So  galt  sie  als  eine  Art  Palladium  der 
Köhler,  und  die  Köhlerjungen  widmeten  ihr  besondere  Liebe  und  Aufmerksamkeit, 
indem  sie  das  Gerät  mit  Sprüchen  und  Schnitzerei  in  freien  Sonntagsstunden  ver- 
zierten. Gewöhnlich  wurde  darauf  ein  Tannenbaum  oder  die  Harzer  Hirschhörner 
eingeschnitzt,  dazu  die  Sprüche  wie  ,,Bet'  u.  arbeite"  oder  der  Harzspruch: 

Es  grüne  die  Tanne, 

Es  wachse  das  Erz. 

Gott  schenke  uns  allen 

Ein  fröhliches  Herz. 


Kleine  Mitteilungen.  105 

Schambach  hat  das  Wort  Hillebille  in  sein  Wörterbuch  der  niederdeutschen 
Mundart  von  Göttingen  und  Grubenhagen  aufgenommen  und  erklärt  es  von  nieder- 
deutsch hille.  schnell,  eilig  und  mittelhochdeutsch  billen.  klopfen.  Zu  erinnern 
wäre  auch  an  das  englische  bell,  Glocke. 

Ob  aber  diese  Ableitung  die  richtige,  erscheint  mir  zweifelhaft,  denn  ich 
möchte  die  Vermutung  aufstellen,  dass  die  Hillebille,  Sache  und  Namen,  aus 
Mitteldeutschland  nach  dem  Harze  gekommen  ist.  Es  steht  fest,  dass  die  Be- 
völkerung des  Oberharzes,  namentlich  diejenige  der  sogenannten  Bergstädte,  aus 
dem  Erzgebirge  eingewandert  ist')  und  den  Bergbau  im  Harze  in  Schwung  gebracht 
hat.  So  bildet  die  Umgebung  von  Clausthal,  Zellerfeld,  Andreasberg  u.  s.  w.  noch 
heute  eine  oberdeutsche  Sprachinsel  im  niedersächsichen  Gebiete.  Mit  dem  Bergbau 
und  Hüttenwesen  aber  eng  verschwistert  ist  die  Köhlerei,  und  wenn  die  „Hillebille" 
sich  auch  im  oberdeutschen  Sprachgebiete  nachweisen  lässt,  so  ist  die  Ableitung 
des  Namens  zur  Hälfte  aus  niederdeutschem  Sprachgute  hinfällig.  Und  diesen 
Nachweis  vermag  ich  in  der  That  zu  führen. 

In  landläufigen  Schilderungen  des  sächsischen  Prinzenraubes  (1445)  hatte  ich 
gelesen,  dass  die  Köhler,  welche  dem  Kunz  von  Kauffujigen  die  Prinzen  Ernst 
und  Albrecht  bei  Geyer  im  Erzgebirge  wieder  abjagten,  sich  Zeichen  gegeben 
hätten,  auf  welche  hin  alle  zusammengeströmt  und  den  Raubritter  überwältigt 
hätten.  Waren  diese  Zeichen  mit  der  Hillebille  gegeben,  so  war  nicht  nur  ein 
Zeugnis  für  deren  Alter  gewonnen,  sondern  auch  deren  Herkunft  aus  dem  Erz- 
gebirge wahrscheinlich  gemacht. 

Auf  eine  in  diesem  Sinne  gehaltenen  Anfrage  hatte  Herr  Professor  Puckert 
in  Leipzig  die  Güte,  die  Quellenberichte  über  den  Prinzenraub  nachzusehen,  und 
dabei  ergab  sich  folgendes.  Albinus  (Meissner  Land-  und  Bergchronik.  Dresden 
1589.  S.  -270.  Tit.  XXI)  erzählt:  ,.Da  sie  (des  Kölers  Weib)  nun  ihren  Mann  auf 
Cuntzen  schlagen  sieht,  denket  sie  es  sei  ein  Reuber.  gibt  alsbald  ein  Zeichen, 
welches  bei  den  Kölern  und  Weidnern  breuchlich  ist,  das  sie  mit  ein  Zschöper 
oder  grossem  Messer  auf  ein  Holzaxt  schlagen.  Hierauf  laufen  alsbald  die  andern 
Köler  zu,  kommen  mit  ihren  Äxten  mid  Scheuerbeumen"  u.  s.  w.  Hier  haben  wir 
also  das  Köhlersignal,  doch  ist  das  Gerät  der  Schilderung  nach  anderer  Art:  dass 
es  aber  Hillebille  genannt  wurde,  dafür  liegt  das  Zeugnis  des  Ursinus  vor  (Chronicon 
Thuringic.  bei  Mencke,  Script,  rer.  German.  III,  1333),  wo  es  heisst:  Do  ergreif 
alsbald  der  Köler  Curthen  (statt  Kuntzen)  von  Kouftüngen  Pferde  bei  dem  Zeune  und 
sein  Weib  schlugk  an  die  hellebylle,  das  ihme  die  andern  Koeler  zu  Hilfl'e  kämen.., 
Hellebille  scheint  danach  die  ursprüngliche  Form  zu  sein,  womit  das  nieder- 
deutsche hille  hinfällig  wird.  Nimmt  man,  wie  Ursinus  schildext,  für  das  Signal- 
gerät die  Form  einer  Holzaxt  an,  so  stellt  sieb  für  die  Ableitung  des  Namens  das 
Wort  Bille  zur  Verfügung,  was  Grimm  (D.  W.)  als  ligo,  ascia,  doppelschneidige 
Flarhhaue  giebt.  Für  „Helle"  wäre  alsdann  auf  „Helm"  zui-ückzugreifen,  womit 
der  Stiel  einer  Waffe  bezeichnet  wird  (Axthelm,  Hellebarte,  vergl.  Grimm,  D.  W. 
unter  diesen  Wörtern).  Allein  dem  widerspricht  die  ganze  offenbar  uralte  Form 
des  Gerätes,  wie  es  sich  bis  auf  unsere  Tage  im  Harze  erhalten  hatte,  und  wie 
mit  einer  Holzaxt,  die  mit  einem  Messer  geschlagen  wurde,  weithinschallende 
Signale  gegeben  werden  konnten,  erscheint  mir-  nicht  klar. 

Mit  der  Hillebille,  die  der  Neuzeit,  wie  so  vieles  andere,  weichen  musste,  ist 
sicher  eines  der  ältesten  und  urwüchsigsten  Geräte  im  Harze  verstummt  und  diesem 

[1)  Em.  Bochmann,  ZusammeuhUnge  zwischen  den  Bevölkerungen  des  Erzgebirges 
und  des  Oberharzes.  Dresden  1889  (Progr.  des  Gymnas.  zu  Dresden-Neustadt).  —  Haus- 
halter, Die  Mimdarten  des  Harzgebietes.    Halle  1884.     S.  IS  f.] 


106  FeUberg: 

ein  Stückchen  Poesie  geraubt  worden.  Ethnographisch  genommen,  ordnet  sich 
die  Hillcbille  neben  manchen  ähnlichen  weit  verbieiteten  Geräten  bei  Naturvölkern 
eiu.  Es  sind  zunäclist  damit  zu  vergleichen  die  Tromnielsignale,  die  weit  durch 
Afrika  gehen  und  von  Kamerun  bis  Südabessinien  reichen  (Andree  in  Verhandl. 
Berliner  Anthropol.  Ges.  1888,  S.  410);  die  „Trommel"  ist  nur  ein  ausgehöhlter 
Holzklotz.  Über  diese  Trommeln  ist  in  der  letzten  Zeit  viel  geschrieben  worden, 
und  ich  brauche  bloss  darauf  zu  verweisen.  Nahe  verwandt  ist  der  Hillebille  auch 
der  ausgehöhlte  Signalklotz  (Angramut)  Neu-Guineas,  der  mit  Klöppeln  geschlagen 
wird,  zu  Festlichkeiten  und  Tanz  mit  bestimmten  Signalen  ruft  und  weit  über 
Melanesien  verbreitet  ist  (0.  Finsch,  Ethnologische  Erfahrungen  aus  der  Südsee. 
Wien  1893.  Erste  Abteilung,  S.  111).  Wenn  auch  der  StolT  wechselt  und  Stein  an 
die  Stelle  des  Holzes  tritt,  so  sind  doch  die  mannichfach  vorkommenden  Klang- 
platten, die  in  Venezuela  und  auch  in  China  vorkommen  (Verhandl.  Berliner 
Anthropol.  Ges.  1885,  S.  128  u.  312.  1888.  S.  467),  genau  mit  der  Hillebille  in 
Parallele  zu  stellen.  Im  metallenen  „Gong"  der  Chinesen  hat  die  Hillebille 
schliesslich  ihren  vornehmsten  Vetter,  und  in  unseren  Gasthöfen  ruft  es  heute  zur 
Wirtstafel,  wie  einst  die  Hillebille  die  Harzer  Köhler  zu  ihrer  urwüchsigen 
„Schiebensuppe". 


Das  Kinderlied  vom  Herrn  von  Ninive. 

Da  Hr.  J.  Bolte  (oben  S.  182)  nicht  die  dänische  Variante  zu  kennen  scheint  (die 
Hinweise  zu  Grundtvig  betreffen  andere  Spiollieder),  füge  ich  dieselbe  zu,  wie  sie  in 
meinem  Buche  „Dansk  Bondeliv",  S.  241,  als  ein  Spiel  in  der  „Juulstube"  sich  findet: 

1.  Nu   kommer   de  ksekke  Nonner,   Hr.  Dominik,    sedru,  aedru,  sandelig,  Hr. 
Dominik. 

2.  Hvad  vil  de  ksekke  Nomier,  Hr.  Dominik  y  u.  s.  w. 

3.  De  vil  med  Paven  tale. 

4.  Paven  er  ikke  hjemme. 

5.  De  vil  med  Bispen  tale. 

6.  Bispen  er  ikke  hjemme. 

7.  De  vil  med  Prassten  tale. 

8.  Praesten  er  ikke  hjemme. 

9.  Hvor  monne  hau  vel  vsere? 

10.  Han  er  pä  Skrivekontoret. 

11.  Hvad  gör  han  pä  Konto ret? 

12.  Han  skriver  de  Kaerlighedsbreve. 

13.  Hvad  stär  der  i  de  Breve? 

14.  Der    stär:    de  to  skal  sammen,    Hr.  Dominik,    aedru,   aedru,   sandelig,   Hr. 
Dominik. 

H.  F.  Feilberg. 


Zu  dem  Liede  vom  Pater  Guardian. 

(Zeitschrift  IV,  335.  437.) 

Es  ist  mir  eingefallen,  dass  wir  vielleicht  in  dem  allbekannten  Kinderspiele 
„Put  Bajlte",  „verbirg  den  Güj-tel"  eine  Parallele  zu  diesem  Liede  haben.  A.  steht 
in  der  Mitte,  rund  herum  sitzen  im  Kreise  die  Mitspieler,  im  Schosse  eines  der- 
selben verbiigt  A.  den  Gürtel.  B.  steht  etwas  entfernt  und  muss  erraten,  wo  der 
Gürtel  verborgen  ist.  Ohne  das  Spiel  weiter  zu  erklären,  füge  ich  noch  hinzu, 
dass  am  Schlüsse  A.  oder  B.  verlieren  muss;  ein  Richter  wird  ernannt,  sagen  wir, 


Kleine  Mitteiluugen.  107 

B.  verliert,  dann  wird  er  zum  Tode  vorarteilt,  sein  Kopf  soll  abgehauen  werden, 
und  er  muss  zuerst  l>eichten,  A.  ist  der  Beichtvater.  Ich  gebe  den  ursprünglichen 
Text,  wie  ich  denselben  in  jülländischem  Dialekte  kenne,  nebst  deutscher  Über- 
setzung: 

A.  „Hwa  h:ir  do  sondet  a  hwa  här  do  bret,  hwa  h;'ir  do  gjor,  do  har  ett  fätret? 

B.  A  här  oet  en  snet  surmjaelk  uflot! 

A.  —  Hwa  här  do  gjor  mier? 

B.  Vaelt  en  kand'  tier. 

A.  —  Hwa  här  do  gjor  war'? 

B.  A  här  pesset  i  oen  fad  gjar. 

A.    A.  b.  bak',  di  hue  skal  ä  alter  di  nakk." 

A.  Was  hast  du  gesündigt,  was  hast  du  verbrochen,  was  hast  du  gethan,  das 
du  nicht  hast  gereuet? 

B.  Ich  habe  einen  Teller  Sauermilch  mit  dem  Rahm  gegessen. 

A.  Was  hast  du  mehr  gethan? 

B.  Eine  Kanne  voll  Theer  umgestossen. 

A.  Was  hast  du  schlimmeres  gethan? 

B.  Ich  habe  in  einen  Teller  Gäscht  gepisst. 

A.    A.  b.  bak,  dein  Kopf  soll  von  deinem  Nacken!') 

Darnach  werden  ein  paar  Mützen  auf  des  Sünders  Kopf  gelegt,  welche  A. 
durch  einen  raschen  Schlag  mit  seiner  flachen  Hand  weit  fortschleudert.  Hiermit 
spielt  sich  die  Sache  ab,  und  man  kann  von  vorn  anfangen.  Die  Beichte  scheint 
mir  einen  fernen  Anklang  an  das  obige  Lied,  das  man  wohl  als  weit  verbreitet 
voraussetzen  darf,  zu  enthalten. 

H.  P.  Feilberg. 


Das  Lösen  des  Zungenbandes. 

Das  Zungenbändchen  wird  in  Schlesien  in  der  Reichenbacher  Gegend  noch 
oft  gelöst.  Früher  thaten  es  die  Bademuttern  (Hebammen),  ob  mit  oder  ohne 
„Sprüchel",  ist  nicht  mehr  zu  erfragen.  Jetzt  machen  die  Ärzte,  wenn  nötig,  die 
Operation. 

Bei  dieser  Gelegenheit  hörte  ich  von  einem  anderen  Brauche,  der  auf  den 
hiesigen  Dürfern  vor  nicht  langer  Zeit  noch  vorkam.  Bald  nach  der  Geburt  eines 
Kindes  kocht  die  Bademutter  der  Wöchnerin  eine  Wassersuppe,  wovon  diese  einen 
Teller  voll  essen  muss.  Der  noch  tropfende  Teller  wird  ihr  dann  über  die  blosse 
Brust  gestülpt  und  ein  blecherner  Löffel  ein  paar  Mal  längs  und  ([uer  darüber 
gelegt.     Unterbliebe  das,  so  würden  Mutter  und  Kind  krank  werden. 

Reichenbach  i.  Schi.  L.  Weinhold. 


Nachrichten  aus  dem  Bereiche  der  Yolkskunde. 

Wir  haben  die  erfreuliche  Mitteilung  zu  machen,  dass  die  Regierungen  und 
Stände  der  Grossherzogtüraer  Mecklenburg-Schwerin  und  -Strelitz  auf 
dem  letzten  Landtage  in  Malchin  7000  Mark  für  das  Sammelwerk  mecklenburgischer 
Volksüberlieferungen  bewilligt  haben,  das  von  Oberlehrer  R.  Wossidlo  in  Waren 
seit   längerer  Zeit    besonnen   worden  ist.    Eine  Rommission  wird  die  Leitung  der 


1)  Vgl.  auch  Feilberg,  Biih-ag  til  en  Ordbog  over  Jyske  almuesmäl,   I,  153.    Kopen- 
hagen 1886-1893. 


108  Weinhokl: 

Arbeiten  übernelimen  Es  ist  sehr  dankbar  anzuerkennen,  dass  die  Schätze,  welche 
in  Mecklenburg  an  Sagen,  Märchen,  Gebräuchen,  an  altem  sprachlichem  Gute  noch 
liegen,  durch  diese  staatliche  Bewilligung  gerettet  werden. 

In  Wien  hat  sich  am  20.  Dezember  im  alten  Rathaussale  die  Gesellschaft 
für  österreichische  Volkskunde  unter  zahlreicher  Beteiligung  aller  Schichten 
der  Bewohner  Wiens  konstituiert.  Der  Obmann  des  vorbereitenden  Comites, 
Dr.  Mich.  Haberlandt,  begrüsste  in  einer  längeren  Ansprache  über  die  Aufgaben 
und  Ziele  der  neuen  Gesellschaft  die  Anwesenden,  die  dann  zu  der  Wahl  von 
Vorstand  und  Ausschuss  schritten.  Zum  ersten  Vicepräsidenten  ward  Wirklicher 
Geheinirat  Bai-on  Belfert,  zum  zweiten  Graf  Franz  Coronini  gewählt,  zum  ersten 
Schriftführer  Dr.  Haberlandt.  Die  Stelle  des  Präsidenten  blieb  vorläufig  unbesetzt. 
Zum  Schlüsse  hielt  Dr.  W^.  Hein  einen  Vortrag  über  das  nordische  Museum  in 
Stockholm.  Das  Hauptziel  der  Gesellschaft  ist  die  Gründung  eines  Museums  füi' 
österreichische  Volkskunde  in  Wien.  Ausserdem  sollen  eine  Zeitschrift,  periodische 
Versammlungen  mit  Vorträgen  und  Ausstellungen,  allenfalls  auch  eine  Reihe  von 
Monographieen  die  Zwecke  der  Gesellschaft  fördern. 

Der  Verein  für  Volkskunde  in  Berlin  hat  die  Wiener  konstituierende  Ver- 
sammlung vom  20.  Dezember  durch  seinen  Vorsitzenden  telegraphisch  begrüsst, 
was  von  derselben  mit  lebhaftestem  Beifall  aufgenommen  worden  ist. 

Von  den  Mitteilungen  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  Volkskunde, 
herausgegeben  von  F.  Vogt  und  0.  Jiriczek,  sind  die  ersten  drei  Xummem  erschienen. 
Das  Blatt  ist  bestimmt,  die  Verbindung  unter  den  Mitgliedern  aufrecht  zu  halten 
und  Anregungen  für  das  Sammeln  zu  geben. 


Bticlieranzeigen. 


Völkerkunde.  Von  Prof.  Dr.  Friedrich  Ratzol.  Zweite  gänzlich  neu- 
bearbeitete Auflage.  Erster  Band.  Mit  590  Ahbildungen  im  Text, 
15  Farbendruck-  und  13  Holzschnitt-Tafeln,  sowie  2  Karten.  Leipzig 
und. Wien.     Bibliographisches  Institut.    1894.    SS.  XIV.  748.    8°. 

Prof.  Ratzeis  Völkerkunde  hat  schon  in  der  ersten  Auflage  einen  bedeutenden 
Platz  unter  den  deutschen  Büchern  gewonnen,  welche  die  Ergebnisse  wissenschaft- 
licher Forschungen  in  gediegener  Form  dem  gebildeten  Volke  veimitteln.  Die 
zweite,  gänzlich  umgearbeitete  Atiilage  ist  noch  wertvoller  geworden  durch  noch 
reichere  Mitteilungen  aus  dem  täglich  sich  füllenden  Schatzhause  der  Völkerktmde 
und  durch  die  reiche  Erläuterung  und  Veranschaulichung  des  ethnologischen 
Materials  in  den  sehr  zahlreichen  Abbildungen,  die  dem  Texte  ein-  und  angefügt 
wurden.  Sie  sind  kein  illustrierender  äusserlicher  Schmuck,  sondern  sie  bilden 
einen  wertvollen  Bestand  der  Arbeit:  von  w-ü'klichen  Künstlern  gezeichnet  nach 
den  Originalen  unserer  Museen,  namentlich  des  grossen  Völkermuseums  in  Berlin, 
dienen  sie  vortrefflich,  die  Worte  und  Scliilderungen  des  Gelehrten  dem  Verständnis 
einzuprägen  und  zu  beleuchten. 

In  diesem  ersten  Bande  giebt  Prof.  Ratzel  zuerst  eine  Einleitung  in  die  Völker- 
kunde,   dann    beschreibt    er    den    pazifisch   amerikanischen  Volkerkreis  (Ozeanier, 


Bticheranzpigen.  109 

Australier,  Malaycn  und  Madagassen,  Amerikaner  und  die  Arktiker  der  alten  Welt). 
Die  hellen  Völker  Afrikas  (Buschmänner,  Hottentotten,  Zwergvölker)  bilden  den 
Schluss  dieses  Bandes.  Die  Körperbeschaffenheit  und  das  geistige  Leben,  Sprache, 
Religion,  Familie  und  Staat,  Tracht  und  Waffen,  Arbeit,  Haus  und  Nahrung  der 
verschiedenen  Gruppen  werden  behandelt.  Der  Grundzug  geht  durch  das  Ganze, 
die  Verbindungsglieder  zwischen  den  tieferen  Schichten  der  Menschheit,  den 
Naturvölkern,  und  den  höchst  entwickelten,  den  Kulturvölkern  zu  finden,  und  die 
Völkerkunde  als  die  Wissenschaft  von  dem  Werden  der  Menschheit  zu  erweisen. 
Wie  falsch  es  ist,  auf  die  sogenannten  Wilden  als  auf  Völker,  die  von  uns  durch 
eine  tiefe  Kluft  getrennt  seien,  herabzublicken,  erkennen  wir,  je  genauer  wir  die 
Kulturentwicklung  des  eigenen  Volkes  geschichtlich  durchforschen.  Wir  stossen 
da  in  noch  fortglimmenden  uralten  Gebräuchen  auf  Spuren  einer  uns  erschreckenden 
Rohheit  und  Wildheit,  die  uns  beweisen  können,  wie  die  Germanen  in  einer  nicht 
bloss  prähistorischen  Zeit  auf  derselben  Stufe  gestanden  haben,  als  die  heutigen 
Naturvölker.     Das  im  einzelnen  nachzuweisen,  wird  sich  der  Mühe  lohnen. 

K.  W. 


Ch.  Schneller,  Beiträge  zur  Ortsnamenkunde  Tirols.    11.  Heft.    Innsbruck, 
Vereinsbuchhandlung.    1894.    112  SS. 

Das  erste  Heft  dieser  sehr  dankenswerten  Beiträge  zur  Ortsnamenkunde  Tirols 
habe  ich  im  Jahrgang  1893  dieser  Zeitschrift,  S.  464  f.,  einer  kurzen  Besprechung 
unterzogen,  die  zu  meiner  grossen  Freude  auch  von  dem  bekannten  Romanisten 
W.  Förster  als  eine  zutreffende  bezeichnet  worden  ist.  Den  Inhalt  dieses  zweiten 
Heftes  bildet  zunächst  eine  Abteilung  unter  dem  Titel  „Zur  Verständigung"  (S.  1 — IG), 
in  welcher  Seh.  sich  mit  einigen  abweichenden  Ausführungen  des  Herrn  Dr.  W. 
Götzinger  und  zweier  Recensenten  des  ersten  Heftes  dieser  Beiträge  auseinander- 
setzt. Ich  werde  darüber  später  Bericht  erstatten,  indem  ich  zuerst  eine  Übersicht 
des  in  dem  umfangreicheren  zweiten  Teile  enthaltenen  Stoffes  gebe.  Es  wird 
behandelt  „Das  Wasser  in  Namen"  und  „Landschaft,  Bodengestaltung".  Die 
Gliederung    des    ersten    Abschnittes    ist   nach    folgenden    Gesichtspunkten    erfolgt; 

A.  Pliessendes  Wasser  (amnis,  aqua,  fons,  fontana,  gurga,  rivus,  torrens). 

B.  Stehendes  Wasser  (lacca,  lacus,  lama,  mosa,  palus,  puteus).  C.  Kanäle 
und  Gräben  (canalis,  fossa,  *refortia).  D.  Am  Wasser  befindlich,  durch  das- 
selbe bewirkt.  In  dieser  letzten  Unterabteilung  werden  folgende  Etyma  für  die 
in  Betracht  kommenden  Ortsnamen  aufgestellt:  *alluviosa  sc.  terra,  arca  „Arche, 
Dammbau",  arena,  glarea  lat.  „Sand,  Kiesfläche",  grava  rät.  „Kiesfläche,  Bach- 
geschiebe, Gerolle",  pons.  In  dem  folgenden  Abschnitte  sind  zehn  Unterabteilungen: 
A.  Ebene,  Platz  (area,  planus,  platea,  *tabulaceum).  B.  Vertiefungen 
(concha,  fovea,  panna).  C.  Thal,  Schlucht  (bucca,  chrinna  [ahd.,  auch  ins 
Romanische  übergegangen]  gula,  vallis).  D.  Winkel,  Gilinde  (imgulus,  fundus, 
Saccus).  E.  Strich,  Stand  (plaga,  ora,  sponda).  P.  Abhang  (clivus,  podium,  ripa). 
G.  Hügel,  Kegel,  Ecke  (collis,  dorsum  [dossum],  grumus,  tumulus,  connns, 
canthus,  Costa,  flexus).  H.  Berg,  Bergübergang  (fastigium,  furca,  *fissa, 
iugum,  mons,  mota).  I.  Felsen,  Gestein  (cingulum,  cornu,  Corona,  covalum, 
crep-  [churw.  crap  lad.  crap  crep  „brüchiger  Felsen,  Stein"],  erista,  musna 
[mittel-  und  westrätisch  „Steinhaufe"],  petra,  platta,  saxum).  K.  Felsabsturz, 
Erdbrüche  (frana  it.  „Erdbuch,  Abrutschung",  ganda  lomb.  tirol.  churw.  „Stein- 
getrümmer",  labina,  *marra,  ruina,  ruptus).  Unter  die  eben  aufgezählten 
Rubriken,  die  ich  absichtlich  ausdrücklich  aufgeführt  habe,  um  den  Lesern  dieser 


110  Weinhold: 

Zeitschrift  eine  richtige  Anschauung  dessen  zu  bieten,  was  sie  in  diesem  Hefte 
finden  können,  werden  etwas  mehr  als  1100  Namen  eingereiht,  die  zum  grössten 
Teile  gewiss  richtig  gedeutet  sind.  Pi-eilich.  auch  kühne  Deutungen  fehlen  nicht, 
aber,  wenn  ich  mich  nicht  täusche,  sind  sie  in  geringerer  Zahl  vertreten,  als  in  den 
früheren  Schriften  unseres  Verfassers 

In  dem  „Zui-  Verständigung"  überschriebenen  ersten  Teile  wird  unter  spezieller 
Berücksichtigung  einer  Äusserung  Götzingers  der  Übergang  von  —  cl  —  in  —  dl 

—  auch  nach  vorausgehendem  Konsonanten  in  der  ladinischen  Mundart  von  Gröden 
nachgewiesen  und  demselben  Gelehrten  gegenüber  die  schon  in  den  Tirol.  Namen- 
forschungen, 27  f,  aufgestellte  Ansicht  von  der  deutschen  Herkunft  der  unter  dem 
Stichworte  *braida  gesammelten  Ortsnamen  mit  Glück  verfochten.  Auffallend  ist 
nur,  dass  gerade  in  Oberitalien  diese  Namen  in  frühmittelalterlicher  Zeit  so  häufig 
vorkommen.  Doch  mag  dies  ja  durch  die  langobardische  Besiedlung  seine  Er- 
klärung finden.  Auch  die  gegen  Dr.  R.  Müller  gerichtete  Verteidigung  der  Ansicht 
über  die  Herkunft  von  Tri-  und  Rosanna  aus  Drusiana  mnss  als  wohlgelungen 
bezeichnet  werden.  Von  besondereni  Belange  natürlich  ist  die  für  das  Jahr  1394 
nachgewiesene  Namensform  Truschana  und  das  Vorkommen  dergleichen  Namen 
„auf  beiden  Abdachungen  des  Gebirges  und  dei-  AVasserscheide,  in  Montavon  und 
in  Patznaun"  (Vermont-Thal.  Verbeller-  oder  Verbellner-Thal  in  Vorarlberg, 
Verwall-Thal  in  Tirol,  Kafluna-Thal  auf  vorarlbergischer  Seite  imd  Pfliu- 
Thal  auf  tirolischer).  —  Ein  vierter  Abschnitt  ist  gegen  eine  vom  Referenten  vor- 
gebrachte Einwendung  gegen  die  Erklärung  der  Namen  Stams,  Zams  u.  s.  w. 
gerichtet.  Um  die  Erklärung  von  Stams  zu  retten,  nimmt  Seh.  jetzt  an,  dass  „das 
s  des  Plurals  sich  an  eine  schon  feststehende  Singular-Form  auf  -m.  -me  gefügt 
habe,  also  sedame-s,  sedilume-s,  pilume-s,  solume-s,  und  dann  m  teilweise 
verdoppelt  worden  sei.  was  bei  dem  Umstände,  dass  diese  Namen  im  Munde  von 
Deutschen  auch  deutschen  Lautregeln  unterliegen  mussten,  garnicht  verwunderlich 
erscheinen  kann."  Dadurch  erscheint  die  lautliche  Seite  dieser  Frage  allerdings 
in  einem  anderen  Lichte.  Dagegen  vermag  ich  nicht  einzusehen,  mit  welchem 
Rechte  bei  dem  Übergänge  des  romanischen  Zannes  in  den  Mund  der  Deutschen 
Vandel  in  Zammes  angenommen  wird  Die  beigebrachten  Analogien  rechtfei-tigen 
diese  Annahme  nicht.  Denn  it.  pam  u.  s.  w.  für  pane  ist  eine  satzphonetische 
Erscheinung,  die  mit  dem  Übergange  unseres  intervokalischen  —  nn  —  in  —  mm 

—  ganz  und  garnichts  zu  thun  hat.  Dagegen  ist  allerdings,  wenn  der  Zusammen- 
hang von  Schams  und  Sexamnes  richtig  ist,  wahrscheinlich,  dass  möglicherweise 
nicht  im  ganzen  rätischen  Gebiete  dieselbe  Behandlung  der  Inlautsgruppe  —  mm  — 
obwaltete.  Ich  bemerke  dies  ausdrücklich,  weil  ich  früher  leider  übersehen  habe, 
der  eben  angeführten  Namen  Erwähnung  zu  thun.  Im  ganzen,  muss  ich  gestehen, 
bin  ich  auch  jetzt  noch  keineswegs  von  der  Stichhaltigkeit  der  Deutung  der 
Namen  Stams,  Zams  u.  s.  w.  überzeugt,  wenn  ich  auch  nichts  Besseres  vorzubringen 
weiss. 

Innsbruck.  Fr.  Stolz. 


Grimm  Library.  No.  2.  The  Legend  of  Perseus.  A  study  of  traJitiou 
in  story  custoni  and  belief:  byEdw.  Sidney  Hartland.  Vol.  L  The 
superstitional  birth.    London,  David  Nutt.  1894    SS.  XXXIT.  228.  8°. 

Mr.  Edw.  Sidn.  Hartland,  der  Verfasser  des  Buches  The  science  of  fairy  tales 
(London  1891)  hat  sich  in  dem  vorliegenden  Werke  die  Aufgabe  gestellt,  den 
Perseusmythus   wissenschaftlich    zu   untersuchen.     Der  Held    ist  der  gottgeborene 


Bücheranzeigeu.  111 

Drachentöter,  der  zum  Erlöser  der  Welt  wird.  Die  Mutter  des  Helden  ist  die 
Jungfrau,  die  auf  wunderbare  Weise  das  Kind  empfängt.  Im  l.Cap.  behandelt 
der  Verf.  die  Sage  nach  den  antiken  Quellen  (den  Danaetypus)  unter  Herbeiziehung 
einiger  modernen  Überlieferungen;  im  2.  tritt  die  moderne  Überlieferung  in  den 
Vordergrund  (der  Pischkünigstypus,  nach  einem  bretonischen  Märchen  von  H. 
betitelt),  worin  zu  den  Motiven  der  übernatürlichen  Geburt,  des  Drachensieges  und 
des  Medusazaubers  noch  das  M<itiv  des  Lebenszeichens  (the  Life-token)  kommt; 
im  3.  Cap.  verfolgt  der  Verf.  die  Mythengestalt,  die  er  den  Seejungfer(Mermaid)- 
typus  nennt,  durch  die  verschiedensten  Volksgeschichten.  Es  sind  vier  Haupt- 
motive, die  für  die  Perseuslegende  von  H.  aufgestellt  werden:  die  übernatürliche 
Geburt,  das  Lebenszeichen,  die  Erlösung  der  Andromeda  und  das  Suchen  nach 
dem  Gorgonenhaupt.  In  den  vier  letzten  Capiteln  des  ersten  Bandes  verfolgt  nun 
der  Verf.  das  erste  Motiv,  die  übernatürliche  Geburt,  in  allen  möglichen  Analogien 
durch  mündliche  Überlieferung  und  Sitten  der  verschiedensten  Völker.  In  dem 
letzten  wird  Geburt  und  Tod  als  Wiedergeburt  und  Verwandlung  in  die  ver- 
schiedensten Gestalten  in  Märchen,  Sage  und  Aberglauben  aufgesucht.  Der  zweite 
Band  des  interessanten  Werkes  wird  die  drei  übrigen  Motive  ebenso  durch  die 
Völker  verfolgen  und  dann  die  Urform  und  die  Mittel  der  Verbreitung  über  die 
östliche  Erdhälfte  festzustellen  suchen. 


More  Celtic  Fairy  Tales  selected  and  edited  by  Joseph  Jacobs,  illustrated 
by  Johu  D.  Batten.     London,  David  Nutt,  1894. 

Mr.  J.  Jacobs  hat  das  Buch  seinen  vielen  kleinen  unbekannten  Freunden 
gewidmet,  die  er  sich  durch  seine  Bücher  erworben  hat,  die  English  Fairy  Tales, 
More  English  Fairy  Tales  und  die  Celtic  Fairy  Tales,  von  denen  wir  in  unserer 
Zeitschrift,  II,  95.  III,  4G7  gesprochen,  und  die  wir  als  allerliebste  Geschenke  an 
die  englische  Rinderwelt  gerühmt  haben.  Diese  neue  Folge  keltischer  Märchen, 
zwanzig  an  Zahl  aus  Irland  und  den  Gaelisch  sprechenden  Teilen  Schotlands,  soll 
den  letzten  der  vier  Bände  bilden,  obgleich  Mr.  Jacobs  selbst  sagt,  dass  das 
keltische  Märchengebiet  noch  lange  nicht  erschöpft  sei.  Es  sind  nur  Proben  von 
dem  reichen  Ertrage,  den  Erin  und  Alba  gewähren.  Als  ein  Beispiel  der  mittel- 
alterlichen Heldensagen  Irlands  hat  Mr.  J.  die  Geschichte  von  den  Kindern  König 
Lirs  aufgenommen,  die  mit  den  Märchen  von  den  sieben  Raben  oder  Schwänen 
verwandt  ist,  und  welche  Dr.  Joyce  in  seinen  Old  Celtic  Romances  1 — 36  frei 
wiedergegeben  hat.  In  der  Vortragsart  der  Märehen  blieb  Mr.  J.  seiner  früheren 
Methode  treu;  da  das  Buch  für  Kinder  bestimmt  ist,  erzählte  er  oft  schlichter  als 
seine  keltische  Quelle,  und  ausserdem  nahm  er  zuweilen  aus  parallelen  Versionen 
ein  Motiv  auf,  das  ihm  zur  Verstärkung  der  Erzählung  geeignet  schien.  In  den 
Anmerkungen  gab  er  jedesmal  Rechenschaft  darüber. 

Auch  in  der  allgemeinen  Schätzung  dieser  Volksgeschichten  hat  Mr.  J.  seinen 
Standpunkt  gewahrt,  d.  h.  skeptischer  als  manche  seiner  Freunde  verhält  er  sich 
zu  dem  Werte  der  Märchen  als  anthropologischen  Niederschlägen. 

Auch  die  More  Celtic  Fairy  Tales  hat  der  treffliche  Künstler  J.  D.  Batten 
mit  seinen  Zeichnungen  geschmückt.  Ausser  vielen  in  den  Text  gedruckten  Holz- 
schnitten und  hübschen  Initialen  zieren  acht  Vollbilder  das  schön  ausgestattete 
Buch.  Wie  in  den  Märchen  selbst  Trauriges  und  Heiteres  wechselt,  so  spricht 
auch  aus  den  Bildern  Ernst  und  Schrecken,  wie  Scherz  und  Humor. 

K.  W. 


•\  ]  2  Weinhold : 

A.  Olrik,  Sakses  Oldhistorie.  (Norröne  Sagaer  og  danske  Sagu.)  En 
literarhist.  Undersagelse.  (Kilderue  til  Sakses  Oldhistorie  II.)  Keben- 
havn  1894.     S.  XH,  316. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  über  die  ersten  neun  Bücher  des  Saxo 
grammat.  sind  in  Bezug  auf  Methode  wie  auf  Inhalt  ein  Werk  von  hoher  Bedeutung. 
Der  Verf.  lehrt  durch  das  Beispiel  den  unanfechtbaren  Satz,  dass  ein  saggeschicht- 
liches Werk  nicht  zerrissen  werden  darf,  sondern  dass  es  zunächst  als  litterar- 
geschichtliches  Produkt  aus  seiner  Zeit  und  vom  Standpunkte  seines  Verfassers 
aus  zu  erklären  ist.  So  wird  aller  phantastischen  Kombination,  die  gerade  auf 
dem  Gebiete  der  nordischen  Sagenkunde  in  letzter  Zeit  wieder  angefangen  hat 
sich  breit  zu  machen,  Thor  und  Riegel  vorgeschoben.  Im  ersten  Teile  der  Arbeit 
(Forsog  pu  en  Tvedeling  af  Kilderne  til  Sakses  Oldhistorie  in  den  Aarboger  1892, 
1  ff.)  hatte  A.  Olrik  den  Beweis  geführt,  dass  sich  in  dem  saggeschichtlichen  Teile 
von  Saxos  dänischer  Geschichte  deutlich  zwei  ganz  verschiedene  Quellen  erkennen 
lassen:  eine  norröne,  die  sich  mit  ihrem  bunten  Leben  und  Treiben,  mit  den  Vor- 
stellungen vom  Eingreifen  der  Götter,  besonders  09'ins  in  die  menschlichen  Ge- 
schicke, mit  ihren  Schilderungen  von  Riesen,  Schildmädchen,  Berserkern  u.  dergl. 
ganz  zu  den  isländischen  Pornaldarsögur  stellt,  und  eine  dänische,  die  mit  ihrer 
Ruhe  und  Einfachheit  die  dänische  Heldendichtung  und  Volkssage  erkennen  lässt. 
In  dem  zweiten  Teile  wird  nachgewiesen,  dass  auch  ob  ihrem  Inhalte  die  einen 
Sagen  norwegischen,  die  anderen  dänischen  Ursprungs  sein  müssen;  jede  Sage 
wird  darauf  hin  geprüft  und  ihr  die  Heimstätte  zugewiesen.  Bei  einigen,  wie  z.  B. 
in  der  Sage  von  Hithinus  und  Höginus,  lässt  sich  eine  Mischung  nori-öner  und 
dänischer  Sagenelemeute  nachweisen,  andere  —  und  zwar  dänische  (wie  die  von 
Amlethus)  —  lassen  deutlich  den  Zufluss  mittelalterlicher  Märchen-  und  Novellen- 
stoffe erkennen. 

Am  Schlüsse  des  Werkes  erörtert  A.  0.  die  Verfasser  der  Quellen;  er  schaut 
sich  in  dem  Werke  Saxos  und  dem  Bekanntenkreise  des  Historikers  um  und  kommt 
dabei  zu  dem  Resultate:  die  uorrönen  Sagas  gehen  auf  den  Isländer  Arnaldr  por- 
valdsson  zurück,  der  sich  1168  bei  dem  Erzbischof  Absalon,  Saxos  Gönner,  auf- 
hielt; er  hatte  eine  Skjöldungasaga  nach  norwegischen  Schiffersagas  erzählt.  Die 
dänischen  Sagen  dagegen  gehen  auf  Heldenlieder  und  auf  die  lebendige  Volkssage 
zurück,  wie  sie  namentlich  auf  Seeland  und  Nordjütland  blühte.  Mit  letzteren 
wurden  zuweilen  die  mittelalterlichen  Märchen  und  Legenden  verknüpft,  die  dui-ch 
den  Engländer  Lukas  am  Hofe  des  Erzbischofs  Absalon  bekannt  geworden  waren. 

So  wird  durch  Olriks  Arbeit  die  gesamte  Sagendichtung  Saxos  in  ein  ganz 
neues  Licht  gerückt:  die  ersten  neun  Bücher  der  dänischen  Geschichte  erhalten 
eine  ganz  hervorragende  Bedeutung  sowohl  für  die  isländisch-norwegische  Litteratur- 
geschichte,  indem  sie  uns  einen  bisher  unbekannten  Sagakomplex  aus  dem  12.  Jahr- 
hundert erschliessen,  als  auch  für  die  dänische,  indem  sie  uns  ein  Bild  von  deren 
ältester  Periode  gewähtren  und  die  Anfänge  einer  neuen  Litteratur  zeigen,  die  sich 
unter  abendländischem,  besonders  englischem  Einflüsse  entwickelt  hat. 

Leipzig.  E.  Mogk. 

Deutscher  Liederliort.  Auswahl  der  vorzüglicheren  deutschen  A^'olkslieder. 
nach  Wort  und  Weise  aus  der  Vorzeit  und  Gegenwart  gesammelt  und 
erläutert  von  Ludwig  Erk.  —  Neubearbeitet  und  fortgesetzt  vou 
Frz.  M.  Böhme.  Dritter  Band.  Leipzig,  Breitkopf  &  Härte!  1894. 
S.  rV.  919.     gr.  8». 


Bücheranzeigen.  113 

Den  beiden  ersten  Bänden  dieses  für  das  deutsche  Volkslied  hochwichtigen 
Werkes,  die  wir  in  unserer  Zeitschrift,  IV,  338  f.  anzeigten,  i'-t  der  dritte  gefolgt 
und  damit  der  Schluss  erreicht.  Der  dritte  Band  enthält  eine  Auswahl  von  Rätscl- 
Wett-  und  Wunschliedern,  von  Trinkliedern,  Ansingeiiedern  an  Volks-  und  Kirchen- 
festen, Ständeliedern  (darunter  auch  Soldaten-,  Hofe-  [höfische  LiebesliederJ  und 
einige  Studentenlieder  No.  1682 — 1700),  dann  von  Scherz-,  Spiel-  und  Spottliedern, 
Kinderliedern  und  zuletzt  von  geistlichen  Liedern.  Nachträge  und  zwei  Register 
(Sachregister  und  Register  der  Liederanfänge)  beschliessen  das  Werk. 

Mehr  als  in  den  beiden  früheren  Händen  tritt  der  eklektische  Charakter  heraus. 
Das  XIV.  Kapitel  „Einige  Kinderlioder"  wird  nach  dem  ganzen  Reichtum  des 
Vorhandenen  Herr  Prof.  Böhme  in  einem  besonderen  Buche  ausführen,  an  dem 
er  schon  seit  25  Jahren  sammelt.  Als  Supplement  des  Liederhortes  sollen  noch 
die  Volkstümlichen  Lieder  des  18.  und  VJ.  Jahrhunderts  folgen;  sie  werden 
wahrscheinlich  im  Frühjahr  zur  Ausgabe  gelangen,  können  aber  auch  nur  eine 
Auslese  aus  dem  grossen  Vorrat  bringen. 

Schon  in  der  neulichen  Anzeige  ward  bemerkt,  dass  der  Hauptwert  des  Lieder- 
hortes  in  dem  Musikalischen  liegt,  denn  wie  Erk,  so  ist  auch  Herr  B.  Musiker, 
dem  Philologischen  und  Litterargeschichtlichen  steht  er  ferner.  Zu  No.  lOßl,  dem 
Traugenuindsliede,  hätten  die  Anmerkungen  Müllenhoüs  zu  dem  Texte  in  seinen 
und  Scherers  Denkmälern  No.  XLVIII  benutzt  werden  sollen.  —  Zu  den  Schles. 
Somraerliedern  waren  herbeizuziehen  die  Texte  in  meinen  Beiträgen  zu  einem 
Schles.  Idiotikon  S.  91 ;  P.  Ens,  das  üppaland,  3,  100  f.;  Vierteljahrsschrift  für 
Geschichte  und  Heimatskunde  der  Grafschaft  Glaz,  IV,  30 — 33.  —  Das  Kölner 
Judaslied,  No.  1230  ist  aus  Pirmenichs  Völkerstimmen,  leider  auch  mit  den  miss- 
ratenen  Worterklärungen,  herübergenommeii.  Es  hatte  mit  dem  Judasbrennen 
ursprünglich  nichts  zu  schallen,  sondern  war  ein  Prühlingsbettellied,  bei  dem  die 
Jungen  ein  rotes  Eichhorn  herumtrugen:  die  Worte  rode  roden  eichhön  (von  J. 
W.  Wolf,  der  es  selbst  als  Knabe  gesungen,  in  seinen  Beiträgen  zur  Deutschen 
Mythologie,  1,  74  nide  rate  eichhan  geschrieben)  weisen  darauf  hin,  und  das 
Eichhorn  ist  als  Prühlingstier  überhaupt  bekannt.  —  Das  flämische  Schlachtlied 
No.  1280  ist  zum  mindesten  in  dem  durch  nichts  zu  verteidigenden  letzten  Verse  Met 
Vlanderens  mannen  is  God  en  Wodan  albern  gt-fälscht.  —  Zu  den  Nummern 
1743—45  hätte  mit  Nutzen  auf  den  Aufsatz  von  R.  Köhler  in  Pfeiffers  Germania 
V,  463 — 67  verwiesen  werden  können.  —  In  der  Anmerkung  zu  No.  2145  würde 
man  statt  der  letzten  Zeile  lieber  lesen:  Vgl.  auch  aus  Konrads  v.  Würzburg 
Goldner  Schmiede  Vv.  25611.  —  Doch  genug  dieser  Korrekturen,  welche  die 
Freude  an  der  grossen  Arbeit  nicht  schmälern  sollen.  K.  W. 


Chansons    populaires     recueillies     en    Franche  -  Comte     par    Charles 
Beauquier.     Paris  1894,  Emile  Lechevalier.     S.  388.     8°. 

Diese  Sammlung  enthält  193  Lieder,  wovon  108  mit  der  Musik.  In  seinem 
Vorwort  giebt  der  Sammler  eine  kurze  Darstellung  der  Art  und  Weise,  wie  erst 
seit  der  Mitte  unseres  Jahrhunderts  in  Prankreich  die  Volkslieder  gesammelt  und 
geschätzt  worden  sind. 

M.  Charles  Beauquier  ist  der  Verfasser  von  zwei  geschätzten  Büchern:  Philo- 
sophie de  la  Musique,  La  Musique  et  le  Drame. 

Charles  Marelle. 

Zeitsebr.  d.  Vereins  I.  Volkskunde.    18»5.  8 


114  Weinhold: 

Schneeballen.     Erste  Keihe.     Yon    Heinrich   Hansjakob.     Zweite    ver- 
mehrte Auflage.     Heidelberg.  (Teorg  Weiss,   1895.     S.  VH.  250.    8°. 

Heinrich  Hansjakob  ist  ein  wohlbekannter  Schriftsteller  im  badischen  Lande. 
Er  steht  fest  auf  seinem  heimischen  Boden  und  saugt  aus  demselben  die  Siifte 
seines  zeugenden  Lebens.  Aus  einem  kleinen  Landstädtchen  im  Schwarzwalde 
entsprossen,  ist  er  von  Kindheit  mit  Kleinbürgern  und  Bauersleuten  vertraut  gewesen 
und  hat  im  geistlichen  Stande  genug  Gelegenheit  und  Förderung  zur  Erkundung 
ihres  geheimsten  Lebens  gefunden.  Xun  stellt  er  diese  Mensehen  in  diesen  Bergen 
und  Thäl^rn,  auf  ihren  Höfen  und  Hütten  dar,  nicht  mit  künstlerischen  Um- 
zeichnungen  und  Kompositionen  und  mit  allerlei  ihnen  fremden  Zuthaten,  wie 
dereinst  Auerbach  that,  sondern  in  schlichten  Umrissen,  in  photographischen  Auf- 
nahmen, nur  selten  mit  dem  Versuche  einer  dichtermässigen  Entwickelung.  In 
den  Wilden  Kirschen  hatte  er  mit  grossem  Beifall  Originalmenschen  seiner 
kleinen  Vaterstadt  dargestellt,  in  den  Schneeballen  greift  er  seine  Leute  aus 
dem  Bauernstande  heraus.  Er  nennt  die  Bauern  Schneeballen  aus  verschiedenen 
Gründen.  ,,Um  einen  Schneeball  zu  machen,  kostets  wenig  Studium,  um  ein 
Bauer  zu  werden,  ebenfalls."  .,Mit  Schneeballen  werfen  die  kleinen  Buben  den 
grossen  Leuten  die  Fenster  ein,  mit  dem  Bauernvolk  werfen  die  grossen  Herren 
einander  die  Grenzpfähle  ihrer  Länder  um.-'  „Auf  dem  Schnee  fahren  die  Kultur- 
menschen Schlitten.  Auf  dem  Bauer  prügelt  seit  Jahren  alles  herum.''  .Der 
Schnee  schützt  die  Saaten,  damit  im  Sommer  alles  Brot  habe,  und  der  Bauer 
schützt  die  Staaten  und  verhütet,  dass  nicht  alles  revolutionär  wird."  .,Der  Schnee 
kommt  vom  Himmel  und  kehrt  mit  den  Dünsten  der  Erde  wieder  dahin  zurück, 
lind  der  rechte  Bauer  bewahrt  vorab  den  schönen  Glauben,  dass  er  vom  Himmel 
komme  und  dahin  zurückkehre.  Und  wie  im  Frühjahr  der  Schnee  vergeht,  einsam 
vergeht  in  den  Thälern  und  Bergen  und  spurlos  versinkt  in  der  Erde,  so  vergeht 
des  einfachen  Landniannes  Leben  —  Unbeschrieen  vergehen  diese  Schneeballen 
des  Menschenlebens  zu  Hunderttausenden  und  Millionen." 

Der  Verfasser  unterscheidet  zwei  Sorten  der  Schneeballen:  die  weicheren  sind 
seine  Bauern  vom  Schwarzvvald,  die  härteren,  poesieloseren  sind  die  Rebleute  vom 
Bodensee,  die  er  in  einer  dritten  Reihe  dargestellt  hat.  .,Meine  Schneeballen. 
versichert  er  (und  wir  glauben  es  aus  dem  Buche),  haben  geleibt  und  gelebt  und 
leben  teilweise  noch,  so  wie  ich  sie  dargestellt  habe." 

Diese  erste,  unigearbeitete  Reihe  bringt  vier  Erzählungen:  Die  Karfunkelstadt, 
Der  Wendel  auf  der  Schanz,  Der  letzte  Reichsvogt,  Der  Gotthard  auf  dem  Bühl. 
Weil  die  Leute  dieser  Schilderungen  wirkliche  Schwarzwaldleute  sind  und  man 
an  ihnen  einen  deutschen  Volksstamm  studieren  kann,  haben  wir  die  Schneeballen 
Hansjakobs  in  unserer  Zeitschrift  zur  Anzeige  gebracht.  K.  W. 


Prostonärodni  hr.v  divadelui.  DilL  Vänocni  hryvjHJal  Ferd.  Mencik.  V 
Holesovc  1894  (F.  Mencik  Volksschauspiele,  I.  Teil,  Weihuachtsspiele). 
XXVI  und  168  Ss.     8». 

Hatte  1864  Julius  Fcifalik  \'olksschauspiele  aus  Mähren  herausgegeben,  su 
umfasst  die  M,enriksche  Ausgabe  noniböhnusche  Stücke,  die  durch  Aber  und 
Umfang  zugleich  jene  mährischen  weit  übertreffen.  Nach  einer  Einleitung  über 
böhmische  Volksaufführungen  im  allgemeinen,  wo  über  Inscenierung.  Schauspieler. 
Bühne.  Kosten  u.  dorgl.  gehandelt  ist.    und  über  Weihnachtsspiele  im  Besonderen, 


Bücheranzeigen.  115 

wo  Daten  ihior  Aufführung-  gesammelt,  Verfassungszeit  der  erhaltenen  Texte  und 
dergleichen  onniUclt  wird,  druckt  der  Herausgeber  (S.  1—23)  den  „frommen  Aktus 
über  die  Geburt  etc.".  von  Vac.  Kozmanck.  Schullehrer  in  Deutschbrod  und 
Prag,  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVH.  Jahrhunderts,  hierauf  ein  kürzeres  fS.  27 
bis  6(1)  und  ein  längeres  (S.  63—1(57)  Weihnachtsspiel  ab;  das  längere  war  die 
Quelle  des  kürzeren,  und  da  es  den  Einfluss  des  Leben  Christi  von  Martin  von 
Cochem  —  vgl.  darüber  Zeitschr.  1«93,  20»  (f.  —  nicht  verleugnet,  so  bestimmt 
Meniik  als  Abfassungszeit  die  Jahre  zwischen  1698  (erstmalige  Ausgabe  der 
böhmischen  Übersetzung  Cochems)  und  1769  (Abschaffung-  der  Tortur,  auf  welche 
noch  angespielt  wird).  Es  ist  mteiessant,  diese  letzten  Ausläufer  der  Mysterien 
uiiil  Schuldramen  [nh  solches  tritt  dasjenige  des  Kozmänek  noch  deutlich  auf)  zu 
beobachten;  die  Zähigkeit,  mit  der  sie  haften:  sie  wurden  noch  in  diesem  Jahr- 
hundert aufgefühlt  (die  letzte  Darstellung  der  Passion  fand  1891  statt  ,  gerade 
(las  längere  Weihnauhtsspiel  stammt  aus  der  Abschrift  eines  Regisseurs  aus  dem 
Anfange  des  Jahrhunderts;  chai-akteristische  Züge  namentlich  im  Schäferspiel,  beim 
Auftreten  der  Obrigkeit,  in  den  Judenscenen:  die  Gewandtheit  und  Redseligkeit 
des  oder  eher  der  Verfasser,  weil  auch  hier  ein  älterer  Text  fortwährend 
Änderungen  und  Zusätze  erfuhr:  endlich  in  der  Sprache  dialektische  Eigenheiten. 
Der  Weit  dieser  Publikatiun  wird  durch  die  sachkundigen  Bemerkungen  des 
Herausgebeis,  durch  die  sorgfältige  Wiedergabe  des  Textes  und  auch  durch  die 
gediegene  äussere  Ausstattung  nur  noch  vergrössert.  Wie  Hr.  Ammann,  vgl.  Zeit- 
schrift a.  a.  0.,  möchte  auch  Meiirik  für  das  Wiederbeleben  dieser  Volksschau- 
spiele eintreten,  für  die  er,  wohl  nicht  ohne  Grund,  ein  lebhafteres  Interesse  beim 
einfachen  Volke  noch  voraussetzt.  A.  Brückner. 


Dr.  C.  Zibrt.  Seznain  pover  a  zvyklostt  pohaiiskycii  z  VIII  veku  etc. 
(Cz.  Zibrt.  Iniliculus  superstitioiium  et  pag-aniaruni.  ,  Dessen  Bedeutung 
für  a%emeiiie  Kulturgeschiclitc  und  für  ilas  Stmlium  kultureller  Über- 
lebsel  in  der  heutigen  Volksüberlieferuiig  mit  besonderer  Eiicksielit 
auf  böhniiselie  Volkskunde).  Prag  1894.  (Abhandlungen  der  bölini. 
Akad    d.   Wiss.  I.  KL.  Jahrg.  III,  No.  2.)     174  8s.     gr.  8". 

Uer  Titel  der  Arbeit  klärt  über  die  Aufgabe,  die  sieh  der  \'erfasser  gestellt 
hat,  hinlänglich  auf.  Er  ist  kein  (ierinanist  von  Haus  aus  und  beabsichtigte  daher 
keinesvvegs  neue  Deutungen,  etwa  \on  'dadsisas,  niraidas  und  yrias';  für  ihn  i.st  der 
Indiculns  nur  der  Rahmen,  in  welchen  er  entsprechenden  mittelalterlichen  Aber- 
glauben bei  allen  Völkern,  am  ausführlichsten  jedoch  den  böhmischen,  hineinstellt; 
weitere  Ausblicke  auf  ähnliche  Erscheinungen  bei  Wilden  oder  Barbaren,  werden 
ebenfalls  geboten;  besonders  reich  fallen  dann  die  Nachweise  der  gesamten  ein- 
schlägigen Litteratur  aus.  Das  Material  für  den  deutschen  und  romanischen  Aber- 
glauben wird  zumeist  aus  den  Beschlüssen  der  Synoden  und  aus  Bussbüchern,  für 
den  böhmischen  aus  der  gesamten  Litteratur.  von  der  Chronik  des  Cosnias  und 
dem  Homiliar  des  Prager  Bischofs  an  bis  zu  modernen  Publikationen  herab  ge- 
sammelt: durch  diese  Fülle  des  Stoffes  werden  einmal  die  einzelnen  an  sich  so 
lakonischen  Bezeichnungen  des  Indicuhis  deutlicher  gemacht,  andererseits  ergiebt 
sich  eine  durchgreifende  Übereinstimmung  des  Aberglaubens  bei  Romanen,  Germanen 
und  Slavcn.  Aul  letzteren  Umstand  und  was  daiau.s  zu  folgern  wäre,  geht  Zibrt 
allerdings  nicht  ein,  es  würde  dies  auch  aus  dem  Rahmen  des  Indiculus  vollständig 
heraustreten.     Einzelnheiten    bleiben    allerdings  zweifelhaft  —  so  bezieht  sich  das 


Hg  Brückner: 

Kornwei'fen  auf  den  Heeid  bei  Burchard  von  Worms  kaum  auf  das  Aufsuchen 
einer  für  die  Errichtung  des  Heerdes  günstigen  Stelle  (S.  79  und  97);  eine  und 
die  andere  Deutung  dürfte  vielleicht  zu  weit  hergeholt  sein,  wenn  z.  B.  das  Pflug- 
ziehen ledig  gebliebener  Mädchen  zu  Fasten  aus  dem  Umpflügen  gegen  Pest  und 
dergleichen  hergeleitet  wird  (S.  128):  aber  für  Herbeischaffung  und  lichtvolle  Dar- 
stellung eines  überreichen  Stoffes  bleiben  wir  dem  Verfasser  zu  Danke  verpflichtet. 

A.  Brückner. 


Saiu.  Adalberg.  Liber  proverbiorum  polonicorum  cum  adagiis  ac  tritioribus 
dictis  ad  instar  proverbiorum  usitatis,  colleü-it  et  illustravit  S.  A. 
(Derselbe  Titel  polniscli,  Ksiega  przystow  etc.)  Warschau  1889 — 1894. 
XVni,  31  und  805  Ss.     4°. 

Sammlungen  polnischer  Sprichwörter  beginnen  mit  des  Rysii'iski  proverbiorum 
polonicorum  centuriae  decem  et  octo  vom  Jahre  1618  und  des  Cnapius  Adagia 
von  1632;  dann  nimmt  unser  Jahrhundert  die  Sammelarbeit  auf,  und  unter  den 
einsrhlägigen  Schriften  verdient  auch  eine  deutsche  genannt  zu  werden:  Dr.  Const. 
Wurzbach  die  Sprichwörter  der  Polen  historisch  erläutert  u.  s.  w..  zweite  Ausgabe, 
Wien  1852. 

Von  Jahr  zu  Jahr  wächst  seitdem  das  Material,  namentlich  in  ethnographischen 
Publikationen,  in  Aufsätzen  für  Zeitschriften  und  Sammlungen  für  Kalender  und 
dergleichen;  von  mehreren  Seiten  wurde  auch  der  Versuch  unternommen',  das 
zerstreute  Material  zu  sammeln  und  zu  ordnen,  doch  gedieh  derselbe  meist  zu 
keinem  völligen  Abschlüsse;  grössere  Arbeiten  blieben  in  Handschriften  liegen. 

Was  anderen  nicht  gelungen,  vollbrachte  der  aufo|)fcrndc  Fleiss  eines  jungen 
Sammlers,  S.  Adalberg:  ti'otz  aller  Hindernisse,  namentlich  Umfang  und  Zer- 
streutheit des  Materials,  sowie  inigünstige  äussere  Verhältnisse  des  Sammlers  selbst, 
führte  er  sein  Werk  nach  angestrengter  zehnjähriger  Arbeit  aus  und  schuf  damit 
die  feste  Grundlage  polnischer  Parömiographie  für  alle  Zeiten.  Wie  in  Wanders 
Lexicon  sind  in  dem  seinigen  die  Sprichwörter  nach  Stichwörtern  geordnet:  unter 
einem  jeden  Sfcichworte  folgen  dann  die  einzelnen  Sprichwörter,  z.  B.  die  41  "2  Sprich- 
wörter unter  dem  Stichworte  'Gott'  wieder  nach  der  alphabetischen  Ordnung  ihres 
Eingangswortes,  jedes  einzelne  mit  allen  Varianten  aus  dem  Volksniunde  und 
reichliehen  Citaten  aus  der  älteren  Litteratur,  zumal  des  XVl.  und  XVll.  Jahr- 
hunderts, eventuell  mit  Erläuterungen  seines  Ursprunges  oder  Sinnes.  Bei  dieser 
Einordnung  ergiebt  sich  eine  Schwierigkeit:  Sprichwörter  enthalten  oft  mehrere 
Nemi Worte,  für  die  alphabetische  Ordnung  kaini  aber  nur  eines  massgebend  sein: 
soll  man  —  wie  dies  wirklich  gemacht  worden  ist  —  die  Sprichwörter  unter  den 
einzelnen  Wörtern,  z.  B.  „Viele  Hunde  si«d  des  Hasen  Tod'',  unter  „Hund", 
„Hase"  und  „Tod",  jedesmal  wiederholen?  eine  einmalige  Anführung  des  Sprich- 
wortes genügt  ja  nicht,  man  verraisst  Verweise.  Diesem  Mangel  hilft  bei  Adalberg 
ein  umfassender  Index  ab  (S.  713 — 805),  in  welchem  z.  B.  sowohl  unter  „Hase" 
wie  unter  ..Tod"  auf  ..Hund,  Xo.  x"  verwiesen  würde;  so  kommen  z.  B.  zu  den  412 
mit  den  Nachträgen  444)  Sprichwörtern  unter  dem  Stichwort  „Gott",  im  Index 
weitere  3MÜ  Sprichwörter  hinzu,  in  denen  Gott  erwähnt  wird;  gerade  auf  die  Aus- 
führung dieses  Index  mit  seinen  etwa  40000  Verweisungen  ist  die  grösste  Sorgfalt 
gelegt  worden. 

Allerdings  ist  auch  so  das  Material  noch  nicht  vollständig:  manches  konnte 
offenbar  aus  Rücksicht  auf  die  Warschauer  Zensurbehörden  nicht  aufgenommen 
wei-dcn,  und  es  dürften  nicht  ausschliesslich  obscoena  gewesen  sein,  die  unterdrückt 


Büeheranzeigen.  117 

werden  mussten;  ausserdem  würde  eine  intensivere  Durchforschung  der  älteren 
Litteratur  manchen  schönen  Beitrag  gewähren,  zumal  die  älteste  erreichbare  Form 
des  Sprichwortes  feststellen  helfen  —  in  erster  Linie  kommen  hier  die  Predigt- 
werke des  XV.  Jahrhunderts  mit  ihren  Hinweisen  auf  das  proverbium  vulgare  oder 
commune  in  Betracht,  dann  die  satirische  und  dramatische  Litteratur  des  XVI.  und 
XVII.  Jahrhunderts;  vieles  davon  muss  freilich  erst  durch  Neupublikationen  wieder 
zugänglich  gemacht  werden.  Dann  sind  manche  Sprichwörter  unerklärt  geblieben, 
andere  sind  unvollständig  oder  gar  unrichtig  gedeutet.  Ausserdem  wird  der-  Hin- 
weis auf  den  Ursprung  eines  Sprichwortes  (aus  Bibel,  Klassiker  u.  dgl.),  sowie  die 
Vergleichung  mit  fremden,  zumal  böhmischen  Sprichwörtern,  die  öfters  geradezu 
die  Quelle  des  polnischen  gewesen  sind,  unterlassen. 

Offenbar  jedoch  hält  der  Verfasser  selbst  seine  Arbeit  nicht  für  bereits  für 
immer  abgeschlossen;  er  nimmt  für  sich  nur  das  Verdienst  in  Anspruch,  die 
unerschütterliche,  breiteste  Grundlage  für  jedes  weitere  Studium  des  Sprichwortes 
in  Polen  geschaffen  zu  haben.  Und  in  der  That,  die  Parömiographik  der  Slaven 
wenigstens  kann  kein  Werk  aufweisen,  das  mit  der  „Ksi^ga  przyslöw  Adalbergs 
an  Fülle  des  Materials,  Genauigkeit  der  Anlage  wetteifern  könnte;  nur  Dahls 
Sammlung  russischer  Sprichwörter  verdiente  daneben  genannt  zu  werden,  wenn 
nicht  das  Stoffgebiet  beider  Arbeiten  so  erheblich  auseinander  ginge.  Es  sei  hier 
noch  bemerkt,  dass  über  die  einschlägige  slavische  Litteratur  und  einiges  All- 
gemeinere der  deutsche  Leser  sich  aus  Gr.  Kreks  Einleitung  in  die  slavische 
Litteraturgeschichte,  zweite  Auflage  1887,  S.  787—797  orientieren  kann. 

A.  Brückner. 


Katalog  der  Bibliothek  der  Finnischen  Litteraturgesellschaft.  Litteratur 
über  Finnische  Sprachen  und  Völker.    Helsiugfors  1894.    S.  IX. '276.  8". 

Die  seit  sechzig  Jahren  bestehende  Fimiische  Litteratia-gesellschaft  hat  eine 
sehr  wertvolle  Bibliothek  gesammelt,  die  in  dem  neuen  Gesellschaftsgebäude  nun- 
mehr eine  würdige  Stätte  fand.  Der  Bibliothekar,  Hr.  Gustav  Grotenfelt,  ver- 
öffentlicht im  vorliegenden  Werke  einen  Katalog  über  den  Teil  der  Büchersammhmg, 
der  sich  auf  finnische  Sprache,  Ethnographie,  Landeskimde  und  Geschichte,  .sowie 
auf  die  Geschichte  anderer  finnisch-ugrischer  Völker  bezieht,  und  bietet  damit  nicht 
bloss  den  Benutzern  der  Bibliothek  in  Helsingfors,  sondern  allen,  die  sich  für  finnische 
Sprache.  Litteratur  und  Geschichte  interessieren,  eine  sehr  willkommene  Gabe. 

Julius  Krohn,  Suomeu  suvun  pakaualliiien  jumalanpalvelus  (des  finnischen 
Volkes  heidnische  üottesverehrung).  Helsingissä  (Helsingfors)  1894. 
Ö.  193.     8".     Mit  62  Holzschnitten  im  Text. 

Leider  ist  dieses  hinterlassene  Werk  des  verdienten  finnischen  Forschers  für 
alle,  die  nicht  finnisch  verstehen,  ein  geheimnisvolles.  Wenn  Berichterstatter,  der 
in  derselben  Lage  ist,  dennoch  auf  dieses  Buch,  das  Prof.  Karl  Krohn  einleitete, 
hier  aufmerksam  zu  machen  wagt,  so  geschieht  es  wegen  der  Bedeutung  aller 
Arbeiten  Jul.  Krohns,  und  weU  die  Bilder,  die  das  Buch  schmücken,  doch  eine 
Vorstellung  des  für  Kultus.  Sitten  und  Mythen  der  Pinnen.  Lappen,  Wotjaken, 
Tschereinissen,  Ostjaken  und  Samojeden  ungemein  reichen  Inhalts  geben.  W^ir 
können  nur  wünschen,  dass  sich  ein  Übersetzer  finde,  der  für  uns  die  Schätze 
(lles(-s  "Werkes  zugänglich  mache. 


118  Roediger:  Protokolle. 

Aus  den 

SitziiuRs- Prolokollen  des  Yereius  für  Yolkskuiide. 


Freitag,  den  26.  Oktober  1894.  Herr  Privatdozent  Dr.  R.  M.  Meyer  .spricht 
über  Berlinische  Legenden.  Sie  knüpfen  sich  1.  an  Denkmaler.  So  an  das  Stand- 
bild des  Grossen  Kurfürsten,  Blüchers,  Friedrich  Wilhelms  III.  im  Tiergarten,  an 
die  Viktoria  auf  dem  Brandenburger  Thoro  und  die  Granitschale  im  Lustgarten. 
"2.  An  Hausmarken:  an  den  sogenannten  Neidkopf  in  der  Heiligongciststrasse,  an 
den  Mann  mit  dem  Thor  in  der  Wallstrasse.  3.  Entstanden  Legenden  oder 
Anekdoten  aus  falschen  Namendeutungen,  wie  bei  der  Link-  und  Lützow-  (richtiger 
Lietzow-)  Strasse.  4.  Hefteten  sie  sich  an  bekannte  Persönlichkeiten,  namentlich 
aus  und  seit  der  Zeit  Friedrich  Wilhelms  III ,  wobei  mitunter  ältere  nnd  auch 
anderwärts  verbreitete  Nachreden  und  Aberglauben  erneut  wurden.  Madame  Dntitie. 
Alex,  von  Humbold,  Neander,  Dove,  Wi-ang-el  u.  a.  spielen  hierbei  eine  Rolle. 
Herr  Geheimrat  Friedel  gab  Nitchträge,  machte  auch  auf  die  Sammlung  der 
märkischen  Hauszeichen  im  Märkischen  Provinzialmuseum  aufmerksam.  Herr 
Geheiuirat  Dr.  Weinhold  handelte  sodann  über  die  Re-  oder  Toten brett(M-.  ihie 
Beschalfenheit  und  geographische  Verbreitung.  Es  darf  hierfür  auf  den  4.  Band 
unserer  Zeitschrift,  S.  463  f.  verwiesen  werden.  Herr  Prof.  Dr-.  Roediger  gab 
Nachricht  von  eigentümlichen  Schulzdächei'n  für  Getreidevorräte,  Wagen  und 
Geräte,  die  er  in  Allcrniühe  und  Reitbrook  an  der  Elbe  oberhalb  von  Hamburg 
gesehen.  Sie  lassen  sich  mit  einem  aufgespannten  Regenschii-ni  vergleichen,  der 
nicht  nur  in  der  Mitte,  sondern  auch  am  Rande  gestützt  ist.  t'ber  ein  Vorkommen 
an  anderen  Orten  liess  sich  nichts  ermitteln. 

Freitag,  den  23.  November  1894.  Herr  Prof.  Dr.  Rud.  Lange  handelt  über 
Lokalbräuche  und  Lokalfeste  in  Japan.  Er  benutzte  dabei  namentlich  volkskund- 
liche Zeitschriften,  die  in  japanischer  Sprache  erscheinen  und  die  es  sich  zur 
Aufgabe  machen,  das  nationale  Volkstum  zu  fixieren,  ehe  es  von  den  vordringenden 
europäischen  Sitten  vernichtet  ist.  Immerhin  hängt  das  Volk  an  seinen  alten 
Bräuchen  und  Festen  noch  mit  Zähigkeit,  wozu  eine  deutliche  Liebe  zu  Aufzügen 
und  Feiern  beitragen  mag.  Der  Vortragende  schilderte  eine  ganze  Reihe,  kam 
auch  auf  den  Weiberraub  der  Japaner,  Hochzeitsgebräuche,  den  Aberglauben 
vom  Zusammenhange  gewisser  Familien  mit  Tieren  (Fuchs,  Hund)  zu  sprechen. 
Zum  Schlüsse  erläuterte  er  die  mehrere  Meter  lange  Kopie  eines  altjapanischen 
Pestzuges.  Herr  Bankier  Alex.  Meyer  Cohn  berichtet  über  die  galizische  Landes- 
ausstellung in  Lemberg,  eine  grosse  Zahl  von  Photographieen  vorlegend.  Man 
konnte  die  ganze  Ausstellung  als  eine  volkskundliche  bezeichnen.  Sie  überraschte 
durch  die  Fülle  einheimischen,  dem  Lande  eigentümlichen  Materials,  wenn  man 
damit  z.  B.  die  winzigen  Reste  vergleicht,  die  der  Thüringer  Waldverein  trotz 
aller  Mühe  für  die  Erfurter  Ausstellung  hatte  zusammenbringen  können.  Die 
eigentliche  ethnographische  Abteilung  bestand  aus  einer  Gruppe  von  Häusern  mit 
Edelhof  und  Kirche,  letztere  so  ganz  aus  Holz  hergestellt,  dass  selbst  metallene 
Nägel  und  dergleichen  vermieden  waren.  Die  Ausstellung  umfasste  alle  Erzeug- 
nisse des  Landes,  sogar  die  Gebäcke.  Belebt  war  sie  durch  Gruppen  von  Landes- 
bewohnern, die  ständig  in  ihr  verblieben,  und  die  ergänzt  wui'den  durch  die  höchst 
manigfachen  Typen  der  ländlichen  Besucher. 

Freitag,  den  28.  Dezember  1894.  Herr  Sanitätsrat  Dr.  M.  Bartels  spricht 
über  Krankheitsbeschwörungen.     Der  Vortriig-    ist    in    erweiterter  Form  oben  S.  1 


Zugabe.  Il9 

bis  40  g-edmckt  Herr  Professor  Rud.  Lunge  beendet  seine  Mitteihinijen  über 
japanische  Lol;alfeste  und  Lokalbräuche.  Brückenweihen  durch  Hinübergehen 
einer  P'amiiie  von  möglichst  vielen  Generationen,  Feste  des  Wegegottes,  Teufels- 
feste, das  Rinderfest  in  einem  alten  Tempel,  während  dessen  es  nie  regnen  soll, 
das  Fest  des  Drachengottcs,  der  Wolken  und  Regen  erzeugt,  kommen  zur  Sprache. 
—  Bei  der  Vorstandswahl  wird  auf  Anti'ag  des  Herrn  Oberlehrers  Dr.  Lübke 
durch  Zuruf  der  bisheiige  Vorstand  auch  für  das  Jahr  1895  eingesetzt. 

Max  Roediger. 


Zugabe. 


Zur  süddeutschen  Nameuskunde. 

In  Steiermark  haben  sich  feste  Beinamen,  die  man  als  erbliche  Familien- 
namen auffassen  kann,  schon  gegen  Ende  des  13.  und  im  14.  Jahrhundert  selbst 
in  kleinen  Städten  und  unter  den  Bauern  festgesetzt  Ich  gebe  einige  Belege  aus 
obersteirischen,  meist  Leobencr  Urkunden,  die  ich  vor  Jahren  im  Joanneunis-Archiv 
durchsah. 

1298.  Leoben:  Kridrich  Haller,  Heinrich  Stözel,  Hemrich  Muntvol.  Chunrat 
Vogel,  Otto  Hevsnabel,  Vngefugel,  Hainrich  Mülner. 

1330.  Leoben:  Jacob  Fnihstuchel,  Nicla  Judenhaubpt,  Wulfinch  der  Haerb, 
Rapot  der  Pönstadel. 

1345.  Admont.  Nicla  der  Gugell.  Xikia  der  Läner.  Paul  der  Mosinger 
(Landleute). 

1358.  Leoben:  Dominik  vnd  Hainrich  Glesein,  Otten  svn  von  Edling,  paid 
purger  zu  Lewben. 

1363.    Leoben:    Chvnigunt  Dietleins    des  Spiez   wittyb.     Vellein  der  Lericher. 

1370.  Hartberg:  Agnes  die  Englin.  Hans  der  Mörl  pfairer.  Merichlein  der 
Slaher  richter. 

ungemein  reich  an  Namen  von  bäuerlichen  Holden  ist  die  grosse  Teilungs- 
urkunde der  Brüder  Ott,  Jakob  und  Wulfing  v.  Stubenberg,  vom  23.  April  1390. 
Es  überwiegen  hier  die  Beinamen,  die  von  der  Lage  des  Hofes  genommen  sind, 
z.  B.: 

Michel  an  der  öd,  Wulfing  am  puchl.  Chunrat  am  graben,  Peter  an  der  haide, 
Wulfing  am  feld,  Hainrich  im  slag,  Chunrat  im  fliczmoss,  Chunrat  in  der  grueben. 
Andre  am  wisenthof,  Lewpold  am  rigel,  Maister  am  rewt,  Giessink  im  dorf,  Guet- 
mann  in  der  awen,  Heinzel  am  hawgenperg,  Herman  im  chlachl,  Jekl  im  dorUlein, 
Vedl  an  der  mul,  Vll  in  der  alben,  Chuncz  an  der  gassen,  Chuncz  pawr  in  der 
aynot,  Ottel  vnder  der  linden,  Ottl  im  pach,  Dietrich  in  der  swarczalben,  Ottl  an 
der  stikchl,  Virich  am  aichperg,  Chunigund  am  stain,  Hainrich  am  chogel,  Lewtold 
am  ort,  Vll  vnderm  holcz,  Chunrat  au  der  leitten,  Ludweig  an  der  hinderleitten. 
Eberhart  an  der  svnleitten,  der  Goldl  am  mittergraben,  Ltw-pold  am  swaighof, 
Seyfrid  bey  der  pirchen,  Hainzel  am  hiershof,  Perman  in  der  lakchen,  Chunz  auf 
der  wisen.  Pcrchtnld  an  der  schutt,  fjewtold  am  lehen,  Hainrich  am  schergenhof, 
Ekhart  am  hart,  Ruedl  am  puech. 


120  Znfrabe. 

Allein  es  kommen  auch  Beinamen  vor,  die  für  erblich  gewordene  Geschlechts- 
namen zu  nehmen  sind: 

Haidung  der  pucheler,  die  Himelpachin.  Chunrat  amptman,  Ortl  faist,  Chunrat 
chuerssner,  Virich  Toppler.  der  Geyr,  Ottel  der  Stainpach,  Jekel  christaner,  Virich 
hager,  Vll  awer,  VI]  plewmair,  Hainczl  Glukch,  Wulftng  Costh,  der  Sclczsam, 
Hainrich  lancziug,  Vll  Snabel,  Virich  Chlachel,  Vir.  has,  Fridl  Reinisch,  Hainrich 
der  ayrer,  Ottl  hasauf,  Dietrich  grasser,  Hainczl  czedler  am  steg,  Chunrat  swaiger 
im  wolfspach,  Vll  chuning,  Peter  riser,  Ottl  perrner,  Jekl  cholross,  Hainczl  chiie- 
czagl,  Chuncz  piligreim,  Hainrich  meissner,  der  schrimph,  Herman  chaiser,  Wulfing 
chrannester,  Ghunczl  vingerhuet,  Lewpold  pair,  Herman  Vnger,  "Wulfing  fruewnt, 
hainczl  der  raenschein,  Lewtl  menschein.  Jekl  atakchr,  Dyemut  atakcherin,  Dietrich 
swentenpein,  Wolfl  herdegen,  Herman  dawcher,  Greiml  pinkenschrot,  Dietrich 
posch,  Rudolf  Eysnein,  Lewpold  swarcz,  herman  flekch,  Vll  Rawchman,  Hainrich 
Gozzler. 

In  Salzburg  waren,  wie  sich  aus  Zillner,  Geschi(?hte  der  Stadt  Salzburg  1,  415 
(Salzburg  1885)  ergiebt,  um  140(1  unter  der  Bürgerschaft  erbliche  P'amiliennamen 
durchaus  Brauch.  Anziehend  sind  in  den  einzslnen  Zünften  charakteristische, 
bedeutsame  Geschlechtnaraen.     Dr.  Zillner  hat  zusammengestellt; 

Die  Bäcker:  Fruo  vom  nest,  Urkauf,  Semler.  Suespeckh,  Schuspeck,  Hüebl, 
Sterzl,  Garber. 

Die  Rotschmiede:  Keilhau,  Schwingensclilägl,  Peugnzain,  Schlag  in  den  kessel, 
Praimseysen.  Stürznkessel,  Velseysen,  Schwiiigenhammer,  Segenseysen,  Ringseysen. 

Die  Kupferschuuede:  Marchschlager,  Warmschlager,  Eisencholb. 

Die  Fassbinder:  Stubeuvol,  Crafftmayr,  Vollnhals,  Singhammer,  Balleis. 

Die  Zinimerleute :  Schrott,  Stützenpruckl ,  Schnaidmaun,  Klampffrer,  Swing- 
inmuet. 

Die  Metzger:  Sengsbratl,  Trenkskalb,  Lunglschmid,  Kälbl,  Weisshappl  (-häuptl), 
Pankmaister. 

K.  Weinhold. 


■itsclirift   des   Vereins   für   Volkskunde   1895 


Taf. 


D  IC 

WEBEf\=    -EIMZE 
aus  (VOSSENS  ASS. 


Beitrag  zur  Nixenkunde  auf  Grund  schlesischer  Sagen. 

Von  Karl  Weinhold. 


Die  deutschen  Mxensagen ,  wie  unsere  Sammlungen  sie  überliefern, 
lassen  die  Grundvorstellungeu  des  germanischen  Heidentums  von  diesen 
weiblichen  Wassergeistern,  sowie  die  Veränderungen,  die  darin  im  Laufe 
der  Zeit  gescliahen,  sehr  gut  erkennen.  Im  allgemeinen  erscheinen  die 
Nixen  der  Flüsse  und  Landseen  in  der  Volksvorstellung  als  wohlgebildete, 
den  menschlichen  Frauen  durchaus  gleiche  Wesen,  mit  langem  Haar  gleich 
diesen;  auch  kommen  sie  in  gewöhnlicher  Kleidung  unter  die  Menschen 
und  verraten  nur  am  nassen  Saum  des  Rockes  oder  der  Schürze  ihre 
Herkunft,  wenn  sie  auf  den  Märkten  oder  bei  den  Tänzen  in  Dörfern  oder 
Städten  sicli  einfinden.  Zuweilen  sind  sie  auth  kenntlich  durch  die  Augen 
(Köhler,  Volksbrauch  im  Voigtlande,  S.  474);  denn  die  Augen  sind  an 
göttlichen  Wesen,  die  ihre  Gestalt  ändern,  nicht  wandelbar.  Sie  lieben, 
wie  alle  elbischeu  Geister,  Gesang  und  Tanz,  man  hört  sie  zuweilen 
wunderbar  singen,  und  an  den  Ufern  der  Wasser  sind  ihre  Reigen  von 
den  Menschen  oft  belauscht  worden.  Dabei  verlieben  sich  die  Jünglinge 
nicht  selten  in  sie,  noch  mehr  aber  knüpft  sich  solche  Liebschaft  auf  den 
Tanzplätzen  der  Dörfer,  meist  mit  tragischem  Ausgang:  denn  wenn  der 
Bursche  seine  Tänzerin  heimgeleiten  will  und  er  sie  plötzlich  im  Wasser 
verschwinden  sieht,  erschrickt  er  so,  dass  er  in  drei  Tagen  stirbt  (Gödsche, 
Schlesischer  Sagenschatz,  S.  90).  Öfter  aber  zieht  die  Nixe  ihn  mit  hinab 
,  in  das  Wasserhaus,  und  er  muss  nun  immer  bei  ihr  bleiben  oder  kommt 
erst  nach  Jahren  zu  den  Seinen  zurück.  Die  Kinder  solcher  Verbindungen 
folgen  der  Mutter  und  sind  Wassergeister. ') 

Gewöhnlicher  aber  erzählt  die  Sage  vom  Unheil,  das  über  die  Nixe 
kommt,  wenn  sie  von  dem  Tanze  und  dem  Geliebten  sich  nicht  trennen 
kann  und  die  Stunde  versäumt,  welche  die  Ihren  für  die  Rückkehr  be- 
stimmten. Dann  sieht  der  Bursche,  der  sie  bis  zu  dem  Wasser  geleitete, 
einen  Blutstrahl  aufsteigen  und  erfährt  damit  den  Tod  der  Geliebten. 


1)  J.  Grimm,  Deutsche  Mythol.,  S.  4ü2,  Ausg.  2  hat  aus  Holhergs  Melampns  3,  7  den 
däaischen  Aherglauben  ausgehoben,  dass  ein  auf  See  von  einem  Fischerpaare  erzeugtes 
Kind  als  Seejungfer  (havfru)  geboren  wird. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1895.  9 


122  Weinhold: 

Zuweilen  sieht  man  die  Wasserjungfern  ihre  Wäsche  auf  den  Bach- 
oder Seewiesen  bleichen  oder  trocknen.     Sie  ist  blendend  weiss. 

Im  Gegensatze  zu  dem  menschenfeindlichen  Wassermann  gelten  die 
Wasserfrauen  nach  den  Sagen  meist  als  freundlich,  wie  das  Erzählte  schon 
beweist.  Doch  zeigt  sich  ihre  älteste  wilde  Natur,  die  aus  der  unheim- 
lichen, oft  verderblichen  Gewalt  der  tiefen  Wasser  entspringt,  in  der  Nach- 
stellung nach  dem  Leben  derer,  die  den  Flüssen  oder  Teichen  nahen;  bei 
den  Meerfraueu  auch  in  den  Gefahren,  worein  sie  die  SchifPer  bringen. 

Die  prophetischen  Gaben  der  Wasserfrauen  hat  die  jüngere  Volkssage 
nur  in  soweit  im  Gedächtnis,  als  ihr  Erscheinen  anderes  Wetter,  meist 
Sturm,  verkünden  soll.  Über  die  leibliche  Bildung  der  deutschen  Nixen 
seien  noch  Bemerkungen  gestattet. 

Die  Sage  lässt  sie  in  zwei  Gestalten  sich  zeigen:  1.  in  ganz  mensch- 
licher Form,  2.  von  oben  Weib,  imten  vom  Nabel  ab  geschuppter  Fisch 
mit  Schwanzflossen.  In  der  Volksüberliefernng  mischen  sich  beide  Bilder, 
so  dass  die  Nixe,  die  eben  als  Weibesbild  geschildert  ist,  gleich  nachher 
als  Jungfer  mit  Fischende  erscheint  (z.  B.  die  Sage  in  Mones  Anzeiger 
VIII,  178);  oder  dass  die  Wasserjungfer  z.  B.  der  Leine  in  der  einen  Sage 
ganz  menschengleich  (Schambach-Müller,  Niedersächs.  Sagen  No.  83),  in 
der  anderen  als  halb  Mensch,  halb  Fisch  (No.  92)  beschrieben  wird.  In 
der  einen  Gegend  von  Pommern  stellt  man  sich  die  Seejungfern  als  Misch- 
gestalten, in  der  anderen  ganz  menschlich  vor  (U.  Jahn,  Volkssagen  aus 
Pommern  und  Rügen,  S.  141).  In  der  Oberpfalz  scheidet  das  Volk  die 
Halbgestalten  als  Meerfräulein  (Mirfräl)  von  den  weibergleichen  Wasser- 
fräulein (W^asserfräl :  Schönwerth  aus  der  Oberpfalz  2,  190),  und  weiss, 
dass  die  Meerfräulein  jeden  siebenten  Tag  ganz  menschlich  werden  können.*) 
Es  scheint  dies  also  eine  zeitweise  Entzauberung  zu  bedeuten. 

Es  liegt  sehr  nahe,  bei  unseren  fischschwäuzigen  Nixen  an  die  Meer- 
weiber des  ausgehenden  Altertums  zu  denken"),  bei  denen  neben  der 
Zusammensetzung  halb  Mensch,  halb  Vogel  (mit  Flügeln  und  Klauen) 
bekanntlich  die  von  halb  Mensch,  halb  Fisch  hervortritt  und  immer  mehr 
von  den  bildenden  Künstlern  angenommen  ward.  Seit  dem  10.  Jahrhundert 
sah  das  deutsche  Volk  an  den  Säulenkapitälen,  an  Friesen  und  Portalen 
diese  fischgeschwäuzten  Sirenen  und  Meerwunder,  und  das  dauerte  durch 
die  romanische  und  gotische  Stylperiode  und  die  Renaissancezeit  bis  heute 
fort.  Am  Sebaldusgrabe  in  Nürnberg  stellte  Peter  Vischer  die  Leuchter- 
trägerinnen der  vier  Eckpfeiler  als  zierliche,  geflügelte  Jungfrauen  mit 
Vogelbeinen  und  Vogelschwanz  dar;  andere  Nürnberger  Meister  aber  bildeten 


1)  Die  Niederlaiisitzer  Wenden  glauben,  dass  die  Wasserjungfern  in  der  Mittagsstunde 
Menschengestalt  annehmen,  sonst  sind  sie  anders  gestaltet  (meist  oben  Mensch,  unten  Fisch), 
den  Menschen  feindlich  und  wild  gefrässig:  v.  Schulenburg,  Wendische  Volkssagen  und 
Gebräuche,  S.  128  f. 

2)  Piper,  Mythologie  der  chi'istlichen  Kunst  1,  377—393  (Sirenen). 


Beitrag  zur  Nixeiikundc  auf  (triiiirl  schlesischer  Sagen.  123 

sie  als  Mädchen  mit  Fischscliwauz,  gerade  aucli  zum  Dienst  als  Kerzeii- 
trägerionen,  aber  in  der  Schwebe  gedacht  (die  bekannten,  für  sogenannte 
altdeutsche  Zimmer  nachgeahmten  Lichtelweibel).  Auch  als  Schiff'sbild  war 
diese  Fischjungfrau  beliebt  geworden  und  sie  musste  bei  den  Seefahrern  und 
Fischern  auf  die  phantastische  Yorstellung  von  den  Meerweibern  einwirken. 

Dennoch  lässt  sich  fragen,  ob  sich  diese  Phantasiegestalt  nicht  auch 
unabhängig  von  der  Fremde  bei  den  Deutschen  und  Skaudinaviern  erzeugen 
konnte.  Eines  der  Tierbilder  für  die  Wasserdämonen  ist  der  Fisch :  nord- 
deutsche Sagen  und  Märchen  erzählen  von  dem  Wassermann  oder  Nix  als 
Fisch.')  Eine  Annäherung  an  menschliche  Bildung  ist,  wenn  der  Nickel- 
mann halb  Mensch,  halb  Fisch  erscheint  und  rohe  Fische  frisst,  gleich  der 
Fiscliotter  (Knhn-Schwarz,  Norddeutsche  Sagen  No.  197,  1). 

So  kann  denn  auch  die  Nixe  als  Fisch  von  der  Phantasie  des  Volkes 
in  früher  Zeit  vorgestellt  worden  sein;  durch  die  gemischte  Bildung,  halb 
Fisch,  halb  Mensch,  ging  sie  allmählich  in  die  volle  Mädchengestalt  über. 
Vergleichen  kann  man  dieser  Gestaltenfolge  die  der  Sirenen  in  der  alten 
Kunst:  zuerst  als  Vögel  mit  Mädclienkopf,  dann  als  Mädchen  mit  Vogel- 
füssen  gebildet,    erschienen  sie  endlich  ohne  jede  tierische  Gliedmasseu.^) 

Das  chi-istliche  Volk  hatte  zu  den  Wesen  des  alten  Heidenglaubens 
allmählich  eiu  eigentümliches  Yerhältuis  bekommen.  Wie  die  Priester 
ihm  sagten,  waren  es  Unholde  und  Teufel,  mächtig  genug,  um  Leib  und 
Seele  zu  verdei-beu,  aber  durch  festen  Glauben  und  die  kirchlichen  Segen- 
mittel vermochte  man  ihnen  zu  widerstehen.  Mehr  und  mehr  wurden  sie 
im  Zeitlaufe  machtloser.  Sie  sanken  zu  unseligen,  verfluchten  oder  ver- 
zauberten Geistern  herab,  die  nach  Erlösung  verlaugten  und  durch  berufene 
Menschen  erlöst  werden  konnten.  So  die  weissen  Frauen  der  Berge  und 
Burgen,  die  letzten  Nachfolgerinnen  der  in  den  Wolken  verschlossenen 
Erdgöttin,  und  so  auch  die  Wassergeister.  J.  Grimm  hat  in  der  deutschen 
Mythologie,  2.  Ausg.,  S.  461,  die  rührenden  schwedischen  und  dänischen 
Sagen  vom  Neck  berührt,  der  bitterlich  weint,  wenn  ihm  Menschen  zurufen, 
er  dürfe  auf  keine  Erlösung  und  Auferstehung  hoffen. 

So  begehren  denn  auch  die  Seefräulein  der  schwäbischen  Sage^)  die 
Erlösung  und  erlangen  sie,  wenn  die  dazu  bestimmten  Menschen  das  Werk 
nicht  verderben.  Es  ist  nun  begTeiflich,  dass  sich  der  Glaube  bildete, 
diese  Wasserwesen    seien    nur  durch  Verwünschung  in  ihren  Zustand  ge- 


1)  Grimm,  Deutsche  Sagen  No.  54.  Schambacli-Müller,  Niedersächs.  Sagen  No.  86 
bis  88,  90  und  Auin.  Grimm,  Kinder-  und  Hausmiirchen  No.  19.  Kuhn,  Mark.  Sagen  und 
Märchen,  S.  270.  274.  Gander,  Niederlausitzer  Volkssagen  No.  151.  152.  Die  ahd.  Glosse 
crocodiUus  nichus  (Graft,  Ahd.  Sprachsch.  II,  1018  f.l  beweist  auch  die  alte  Vorstellung 
des  Wassermanns  als  Wassertier. 

2)  So  stellt  sich  auch  der  neugriechische  Volksglaube  die  Neraiden  in  voller  weib- 
licher Schönheit  dar:  nur  selten  werden  ihnen  Beine  oder  Füsse  von  Ziegen  oder  Eseln 
angedichtet:  Beruh.  Schmidt,  Das  Volksleben  der  Neugriechen  1,  105. 

3)  E.  Meier,  Deutsche  Sagen,  Sitten  und  Gebräuche  aus  Schwaben,  S.  68. 

9* 


124  Weinhold: 

kommen,  sie  seien  eigentlich  Menschen,  die  verzaubert  wurden,  und  von  denen 
der  Zauber  genommen  werden  könne.  In  Mönkgut  auf  Rügen  gelten  die 
Seejungfern  für  verwünschte  Prinzessinnen.')  Das  Brunnenfräulein  in  der 
oberpfälzischen  Melusinensage  (Schönwerth.  Aus  der  Oberpfalz  2,  19-i)  hat 
ihre  Mutter  dazu  verflucht.  Und  auch  die  schlesischen  Sagen,  die  ich 
näher  behandeln  wilP),  beruhen  auf  dem  Gedanken  von  Fluch  und  Lösung. 

Der  schlesische  Name  der  Wasserjungfer  ist  Lisse  oder  Wasserlisse; 
durch  die  in  mehreren  Gegenden  (nördlich  vom  Zobten,  auch  in  Breslau) 
auftretetende  Wortform  Lixe  führt  sich  Lisse  ohne  weiteres  auf  Nixe  zurück 
durch  den  Wechsel  von  1  und  n,  der  auch  sonst  im  schlesischen  Dialekt 
an-  und  inlautend  vorkommt .  ganz  entsprechend  dem  Tausche  der  Laute 
in  lympha  und  nympha.  Das  ss  in  Lisse  ist  durch  Assimilation  aus  chs 
entstanden. 

Die  erste  jener  Sagen  lautet: 

Eine  Magd  aus  Neudorf  (bei  Eeichenbach  in  Schi.)  ist  einmal  an  den 
grossen  Teich  gegangen,  um  Schilf  zu  sicheln.  Da  hört  sie  ganz  in  ihrer 
Nähe  ein  Kind  schreien,  und  wie  sie  dem  Weinen  nachgeht,  kommt  sie 
zu  einer  grossen  Kröte.  Die  spricht  nun  zu  der  Magd,  sie  solle  sich  nicht 
fürchten  und  näher  zu  ihr  kommen,  sie  werde  ihr  nichts  thun,  und  dann 
bittet  die  Kröte,  die  Magd  möge  anl  anderen  Morgen  wieder  an  denselben 
Ort  kommen.  Die  thut  es  auch,  und  da  war  aus  der  Kröte  eine  Wasser- 
lisse geworden,  die  war  oben  wie  ein  Mädchen,  aber  unten  hatte  sie  einen 
Fischschwanz.  Da  schlug  die  Lisse  mit  einer  Rute  in  das  Wasser  und  bat 
die  Magd,  mit  ihr  zu  gehen,  und  es  war  ganz  trocken,  wo  sie  gingen.  Sie 
kamen  nun  in  eine  schöne  Stube,  da  kriegte  die  Magd  gut  Essen  und 
Trinken,  soviel  sie  mochte,  und  beim  Fortgehen  bat  die  Lisse,  sie  möchte 
noch  dreimal  wieder  kommen.  Das  hat  sie  auch  gethan,  und  beim  dritten 
Male  stand  anstatt  der  Wasserlisse  ein  schönes  Mädchen  da,  das  dankte 
der  Magd  gar  vielmal  dafür,  dass  sie  es  erlöst  habe  und  erzählte,  es  sei 
die  verwünschte  Tochter  vom  herrschaftlichem  Hofe.  Dann  hat  es  der 
Magd  die  Schürze  mit  frischem  Schilf  voll  geschüttet  und  hat  Abschied 
genommen  und  ist  zu  den  Eltern  aufs  Schloss  gegangen:  da  hat  es  noch 
ein  paar  Jahre  gelebt.  Das  Schilf  aber  war  zu  Gold  geworden,  uml  da 
hat  die  Magd  gleich  ihren  Dienst  aufgesagt. 

Die  Nixe  erscheint  hier  zuerst  dem  Mädchen  als  Kröte.  Auch  in  einer 
Lechthaler  und  in  einer  schwäbischen  Sage  nimmt  die  Wasserfrau  Kröten- 
gestalt an');    nach   der  Yorstellung  der  Niederlausitzer  Wenden  zeigt  sich 


1)  U.  Jahn,  Volkssagen  aus  Pommern  und  Rügen,  S.  142. 

2)  Ich  habe  dieselben  schon  in  meinem  Buche:  Die  deutschen  Frauen  in  dem  Mittel- 
alter, Wien  1851,  S.  46  mitgeteilt.  In  der  zweiten  Auflage  (1882)  wurden  sie  nicht  wieder- 
holt. Eine  Bauersfrau  aus  Keudorf  (Kr.  Eeichenbach)  erzählte  sie  1846  einer  meiner 
Schwestern. 

3)  Zingerls,  Sagen  ans  Tirol.  2.  A..  No.  ;^28  und  Aum.,  und  E.  Meior,  Deutsche  Sagen 
aus  Schwaben,  S.  69. 


Beitrag  zur  NixeTikuiide  iiiif  (Jnnid  sclilesischer  Sagen.  125 

der  Nix  gcni  nh  Frosch,  zaba  (v.  Sclmlenburg-,  Wendische  Volkssagen, 
S.  1-28).')  Doch  lionimt  für  unsere  schlesische  Sage,  in  der  die  Nixe  ein 
verzaubertes  Menschenkind  ist,  auch  die  Wandlung  der  armen  Seelen  zu 
Kröten  in  Betracht.  Gleich  der  Scldange  ist  die  Kröte  ein  unterirdisches 
Wesen.  Tirolei'  Sagen  wissen  von  den  armen  Seelen  in  Krötengestalt  oft 
rührend  zu  erzälilen,  auch  wie  aus  der  Kröte  nach  der  Erlösung  eine 
schöne  Jungfrau  wird.") 

Das  erlöste  Mädchen  vom  Neudorfer  Schlosse  wird  nicht  alt:  Menschen, 
die    in    das  Über-  oder  Unterirdische   entrückt  waren,    sterben  nach  ihrer 
Heimkehr  entweder  gleich  oder  in  kurzer  Zeit. 
Die  zweite  Geschichte  lautet  also: 

Es  war  einmal  in  Langseifersdorf  ein  Junge,  der  ging  zu  dem  neuen 
Teiche,  und  da  war  eine  Wasserlisse,  die  sprach  zu  ihm,   er  solle  mit  ihr 
o-ehen.    Da  gingen  sie  denn  in  den  Teich  hinein  und  kamen  in  ein  schönes 
grosses  Haus.     Der  Junge    musste    in    der    einen  Stube  bleiben,    und  die 
Lisse  sagte  ihm,  er  soHe  ihr  beileibe  nicht  nachkommen.    Der  Junge  aber 
war  neugierig  und  lief  ihr  doch  nach.    Da  sass  die  Lisse  in  der  Kammer  in 
einer  Wanne  und  badete  sich:  sie  war  aber  halb  Mensch,  halb  Eisch  und 
schrie  laut  auf  und  jammerte,    dass  sie  nun  nimmer  erlöst  werden  könne. 
Hernach    ist  eine  andere  Wasserlisse  gekommen  und  hat  den  Jungen 
auf    den  Boden    hinauf    geführt    und  ihm  auch  gesagt,    er  solle  da  warten 
und    hat    ihm    strenge  verboten,    ihr  nachzulaufen.     Sie    stieg  eine  Stiege 
höher,  der  Junge  aber  lief  ihr  bald  nach.     Da  stand  die  Lisse  und  schrie 
vor  Freuden    auf:    sie    gab    ihm    drei  Ohrfeigen,    und    da  war   der  Junge 
augenblicklich    in    eine  Wasserlisse   verwandelt.     Sie  aber  war  nun  erlöst. 
In    dieser    Geschichte    sind    zwei    ganz    verschiedene   Nixensagen    mit 
einander  verknüpft:  das  Gefühl,  die  Ungezogenheit  des  Beugels  der  ersten 
müsse  bestraft  werden,  war  der  Grund  dazu. 

Die  erste  Sage  finden  wir  für  sich  am  böhmischen  Erzgebirge"): 
Neben  dem  Eiseuberger  Walde  am  Erzgebirge  liegt  ein  kleiner  Teich, 
der  Haderwiesteich,  Vor  Zeiten  kam  die  Seebergjungfer  oft  herab,  um 
sich  in  dem  Teiche  zu  baden,  sie  war  halb  Fisch  und  halb  Mensch.  Einst- 
mals war  ein  Hütbub  auf  der  Wiese,  da  stund  sie  plötzlich  vor  ihm  und 
fragte,  ob  er  sie  erlösen  wolle,  sie  werde  ihm  dann  soviel  Geld  geben, 
dass    er    die  Haderwiese   kaufen  könne.     Der  Junge   war  damit  zufrieden. 


1)  Mein  Vater,  der  mehrere  .lalire  seiner  Kindheit  bei  seinem  Grossvater  Fr.  Th. 
Lademann  in  dem  damals  wendischen  Madlow  hei  Kotbus  verlebte,  erzählte  ims,  wie  die 
wendische  Hausmagd  ihn  vor  dem  Gange  zur  Spree  mit  den  Worten  zu  warnen  pflegte: 
Karlchen,  geh  nich  wosserku.  wosserku  zabka.  zabka  norschku  beiss. 

2)  I.  Zingerle  bei  .1.  W.  Wolf,  Zeitsclirift  für  d.  Mythnl  1.  7—18,  2.  Anm.  und  Sagen 
aus  Tirol,  S.  19G— 198. 

3)  Bei  Vernaleken,  Mythen  und  Bräuche  des  Volkes  in  Österreich,  S.  197:  daraus 
entlehnt  von  V.  Grolimanu,  Sagen  aus  Bc'dnnen,  S.  143. 


226  Wciiiliolil: 

Hierauf  sagte  sie  ihm,  er  solle  nun  fortgehen  und  nicht  eher  wiederkommen, 
bis  sie  ihm  winken  werde.  Wenn  er  aber  ohne  Erlaubnis  komme,  solle 
es  ihm  nicht  gut  gehen.  Der  Hütbube  lief  darauf  eiligst  weg  zu  seinem 
Yieh,  und  indessen  badete  sich  die  Seebergjungfer  im  Teiche.  Als  sie 
fertig  war,  winkte  sie  dem  Jungen.  Der  kam  zwar,  aber  er  schimpfte  sie 
und  warf  mit  Steinen  nach  ihr.  Da  kehrte  sie  weinend  nach  dem  Seeberg 
zurück,  und  in  der  nächsten  Nacht  hörte  man  sie  liinab  bis  Bartelsdorf 
jammern  und  weinen. 

Die  Grundzüge  der  Sage  gleichen  denen  der  schlesischen.  Wir  dürfen 
aber  diese  auf  eine  weit  ältere  Gestalt  zurückbringen,  wie  schon  Adalbert 
Kuhn  (Westfälische  Sagen  1,  81)  für  unsere  schlesische  Geschichte  vermutet 
hat.  Darnach  würde  der  Junge  auf  einen  Geliebten  der  Nixe  zurückweisen, 
der  gegen  das  Verbot  sie  in  ihrer  wahren  Gestalt  schaute,  worauf  sie  für 
immer  von  ihm  getrennt  ward.  Es  ist  das  Motiv  der  Melusinensage,  die 
sich  in  Schlesien  an  das  Zeiskenschloss  oder  Czeschhans,  eine  zwischen 
Pürstenstein  und  Adelsbach  gelegene  Burgruine,  geknüpft  findet.') 

Von  dem  zweiten  Teile  unserer  Doppelsage  müssen  wir  die  Neben- 
schösslinge  abschneiden.  Als  Kern  bleibt:  ein  Mann  thnt  gegen  eine 
dämonische  Frau  etwas,  das  ihm  verboten  ist,  und  wird  dafür  verzaubert. 
In  unserer  Sage  beruht  die  Schuld  auf  der  Wiederholung  des  Ungehorsams, 
der  Mensch  soll  die  Nixe  nicht  im  Bade  belauschen.  Die  Strafe  durch 
Ohrfeigen  ist  zugleich  ein  Mittel  der  Verwandlung,  wie  auch  die  griechischen 
Märchen  bei  v.  Hahn,  Griech.  und  albanesische  Märchen  No.  25  und  bei 
Beruh.  Schmidt,  Griech.  Sagen,  Märchen  und  Volkslieder  No.  15.  24  lehren. 
Der  Junge  wird  zum  Weibe,  und  weil  nun  das  Erlösungsverlangen  der 
Wassergeister  hineingetragen  ist,  zur  Nixe,  während  die  Nixe  erlöst  wird. 

Beweise  für  die  mythische  Strafe  der  Verwandlung  des  Geschlechts 
sind  zur  Hand. 

Eine  neugriechische  Sage  von  Nord-Euboea^)  berichtet,  dass  eine 
Nera'ide  einen  Mann,  der  ihrer  Schwester  sein  Wort  nicht  gehalten  hatte, 
verflucht:  „Wenn  du  ein  Mann  bist,  so  sollst  du  eine  Frau  werden,  und 
wenn  du  eine  Frau  bist,  so  sollst  du  zum  Manne  werden."  Und  so  ge- 
schah es. 

Antoninus  liberalis  berichtet  im  17.  Cap.  seiner  Metamorphos.  synagoge^) 
nach  Nikander  von  der  Verwandlung  des  Kreters  Siproites  in  ein  AVeib, 
als  dieser  auf  der  Jagd  die  badende  Artemis  erblickte.  Nahe  liegt  natürlich 
die  Erinnerung  an  Aktaiou,  der  in  einen  Hirsch  verwandelt  ward,  als  er 
auf  der  Jagd  —  es  war  nach  Ovids  Metamorph.  III,  144  f.  in  der  Mittag- 
stunde —  die  nackte  Göttin  im  Bade  schaute. 


1)  Das    ergiebt    sich    trotz    aller   Verb:illlioinuiig-    aus    der   Erzählung    bei    Gödschc, 
Schlesischer  Sagenschatz,  S.  310. 

2)  V.  Hahn,  Griechische  und  albanesische  Märchen  I,  No.  58. 

3)  Mythographoi.  Scriptnros  poeticae  historiae  graeci  ed.  A.  AVestcrinann,  S.  217  f. 


Beitrag  zur  Nixenkunde  auf  Grund  schlesischer  Sagen.  127 

Nach  diesen  Parallelen  dürfen  wir  behaupten,  dass  der  Junge  im 
zweiten  Teile  der  schlesischen  Doppelsage  gleich  dem  ersten  die  Nixe  im 
Bade  sah  und  deshalb  in  ein  Mädclieu  verwandelt  ward.  Unsere  Sage  ist 
daher  tou  grossem  mythologischem  Werte,  und  ich  weiss  ihr  aus  dem 
deutschen  Mythenschatz  nichts  entsprechendes  zur  Seite  zu  stellen.  Nur 
vermuten  will  ich,  dass  der  Beiname  die  Nixe,  welcher  tou  L.  Uhland 
an  schwäbischen  Rittern  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  nachgewiesen  ward, 
und  der  sich  im  U.  Jahrhundert  als  fester  Geschlechtsname  findet'),  auf 
eine  ähnliche  Sage  zurückgehe. 

Nach  westfälischem  Aberglauben  wird  ein  Mädchen  zum  Knaben,  wenn 
es  unter  einem  Regenbogen  durchlauft,  gleich  der  wilden  Johanne  in 
tlravenhorst  bei  Münster.^) 

In  Nordgermanieu  begegnet  im  Mittelalter  der  Geschlechtswechsel 
freilich  in  dem  Volksglaubeu  häufiger.  Männern  wird  vorgeworfen,  ein 
Weib  gewesen  und  sogar  geboren  zu  haben.  So  schilt  im  ersten  Helgi- 
liede  (Str.  37—39.  43)  Sinfjotli  in  gräulichem  Gezänk  den  Gudmund,  dass 
er  eine  Hexe  (vulva)  und  lüstern  nach  ihm,  dem  Sinfjotli  gewesen;  ferner, 
dass  er  eine  Walkürie  war  und  die  Einherjar,  die  seligen  Odiuskämpen, 
zu  eifersüchtigem  Kampfe  verführte,  und  er  erfrecht  sich  selbst  zu  rühmen, 
mit  dem  Gudmund  neun  Wölfe  gezeugt  zu  haben.  Gudmund  dagegen 
beschuldigt  den  Sinfjotli,  dass  er  einst  eine  Stute  gewesen  sei. 

In  der  Lokasenna  wirft  Odin  dem  Loki  vor,  in  der  Unterwelt  acht 
Winter  als  Weib  gelebt  und  Kinder  geboren  zu  haben  (Lokas.  23,  zum 
Teil  33  wiederholt).  Loki  verwandelte  sich  nach  der  Gylfaginniug  C.  43 
in  ein  Weib  (brä  ser  i  konu),  als  er  Frigg  das  Geheimnis  der  verwuud- 
Ijaren  Stelle  an  Baldrs  Leibe  entlocken  wollte  und  zeugte,  in  eine  Stute 
sich  wandelnd,  mit  Svadilfari,  dem  Hengste  des  Riesen,  das  achtfüssige 
Eoss  Odins,  den  Sleipnir  (Gylfaginniug  C.  42). 

Aber  nicht  bloss  in  den  mythischen  Liedern,  auch  in  den  Sagas  be- 
o-eo'uen  wir  solchen  Schelten.  Im  erbitterten  Rechtsstreit  spricht  Flosi 
Thordarson  zu  seinem  Gegner  Skarphedinu,  Niäls  Sohn,  man  wisse  nicht, 
ob  dessen  Yater  ehi  Mann  oder  ein  Weib  sei,  was  den  Skarphedinu  zu  den 
Worten  reizt,  nach  dem  Gerücht  sei  Flosi  der  Geliebte  des  Svinfellsäss 
und  werde  durch  diesen  jede  neunte  Nacht  in  ein  Weib  verwandelt  (Nialss. 
C.  124).  Das  muss  eine  auch  in  Norwegen  verbreitete  böse  Nachrede 
gewesen  sein.  In  den  Gulathiugslog  C.  138')  wird  Friedlosigkeit  darauf 
gelegt,  wenn  jemand  überführt  wird,  dass  er  von  einem  gesagt  habe,  er 
sei  jede  neunte  Nacht  ein  Weib  und  habe  Kinder  geboren. 

Li  der  Kristnissaga  C.  4  wird  erzählt,  dass  auf  dem  Dinge,  wo  Thor- 
wald Kodransson  den  aus  Deutschland  mitgebrachten  Bischof  Friedrich  zur 


1)  Germania  von  Frz.  Pfeifi'er  1,  311. 

2)  Colshorn,  Märchen  und  Sagen.    Hannover  1854.    No.  54. 

3)  Dazu  Gulathingsl.  C.  196  und  Frostathingsl.  X,  35. 


128  Weinholfi: 

Predigt  des  Christeutunis  aufforderte,  Hediu,  ein  voruelimer  Mann  aus 
Svalbard  sich  dem  widersetzte  und  anwesende  Skalden  anreizte,  Scheltlieder 
auf  Thorwald  und  den  Bischof  zu  machen.  Darin  hiess  es:  „Neun  Kinder 
hat  geboren  der  Bischof,  Thorwald  ist  der  Yater  von  allen."  Thorwald 
schlug  dafür  sofoi't  zwei  Männer  tot.') 

Es  sind  scheussliche  Lästerungen,  die  hier  erschallen,  aber  sie  fanden 
ihre  Stütze  in  uraltem  Aberglauben. 

Durch  Fluch  und  Zauberei  galt  es  in  unserem  Heidenthume  für 
möglich,  dass  ein  Mann  ein  Weib  werden  könue;  vornehmlich  die  oberen 
Gottheiten  vermochten  diese  Verwandelung  zu  verhängen,  aber  auch  die 
unteren  waren  mächtig  genug  dazu.  Bestätigung  giebt  die  Vergleichung 
griechischer  und  indischer  Überlieferungen. 

Am  bekanntesten  ist  das  Beispiel  des  Teiresias,  der  aus  einem  Manne 
ein  Weib  und  später  wieder  vom  Weibe  ein  Mann  ward,  zur  Strafe  dafür, 
wie  Hesiod  zuerst  berichtet  hat,  dass  er  auf  dem  Kithäron  oder  dem 
Kylleue,  also  auf  geheiligtem  Boden,  ein  Schlangenpaar  in  der  Begattung 
störte.  In  Thessalien  erzählte  man  von  Kainis,  des  Atrax  Tochter,  die 
Poseidon,  der  sie  liebte,  in  den  unverwundbaren  Lapitheu  Kaineus  ver- 
wandelte. Die  Phaistier  auf  Kreta  feierten  die  durch  Leto  bewirkte  Ver- 
wandelung der  Tochter  der  Galateia  in  den  Knaben  Leukippos  durch  das 
der  Phytia  Leto  geM'idmete  Pest  der  Ey.övoia  (Antonin.  liber.  Metamorphos. 
synag.  c.  17).  In  seinem  Dialoge  vom  Haushahn  verwendet  Lukian  von 
Samosata  den  Geschlechtstausch  in  seinem  Spott  gegen  die  Pythagoräische 
Seelenwauderung. 

In  den  altindischeu  Geschichten  kommt  die  Fabel  vom  Geschlechts- 
wechsel häufig  vor.  Das  älteste  Beispiel  findet  sich  nach  A.  Weber 
(Episches  im  vedischen  Ritual  S.  35°))  bei  Qaunaka  (brihadd.  6.  40)  in  der 
Legende  von  dem  Könige  Asangä,  der  zum  Weibe  verwandelt,  durch  'einen 
rishi  in  Folge  der  Frömmigkeit  der  Gattin  das  männliche  Geschlecht  wieder 
erhielt.  Die  Verwandelungen  treten  gewöhnlich  ein  während  eines  Bades 
oder  durch  einen  Trunk  (so  in  den  Geschichten  des  Siudabadkreises)  oder 
beim  Aufenthalt  an  gefeiten  Orten,  so  in  dem  Walde  des  Siva,  worin  jeder 
Mann  zum  Weibe  werden  muss.  Zuweilen  wechselt  das  Geschlecht 
monatlich;  so  erzählt  das  Siva-Purana  vom  Purüvaras,  dass  er  durch  den 
Fluch  der  Parvati  einen  Monat  Mann,  den  anderen  Weib  sein  musste. ^) 
Auch  kommt  vor,  dass  ein  Geschlechtswechsel  nach  der  Wiedergeburt  sich 
vollzieht,  so  nach  dem  Mahäbhärata  an  der  Amba.  der  Tochter  des  Königs 
von  KäQi  (Benfey  a.  a.  O.  S.  42  f.). 

In  sehr  vielen  der  angeführten  Beispiele  erfolgt  die  Geschlechts- 
wandlung,   wenigstens    die    des  Mannes    in    ein  Mädchen    oder  Weib,    als 


1)  Vgl.  auch  Thorsteius  thattr  Siduhallssonar  C.  3. 

2)  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaft  1891,  No.  38. 

3)  Über  die  Geschlechtsfabeln  Benfev,  Pautschatantra  1,  41—52. 


Beitrag  zur  Nixenkuiule  auf  Giiiiul  schlesischer  Sagen.  129 

Strafe  eines  überirdischen  Wesens:  man  denke  an  Aktaion,  Siproites,  Tei- 
resias,  an  die  indischen  Geschichten  und  die  schlesisclie  Nixensage.  Es 
ist  eine  Erniedrigung  der  Natur,  denn,  so  ungalant  es  klingt,  das  Weib 
gilt  als  zweite  Klasse  des  Menschen. 

Die  Möglichkeit  des  Geschlechtswechsels')  musste  einer  Kulturperiode, 
welche  göttliche  Zwitterwesen  schuf  und  an  Gestaltenwechsel,  namentlich 
Tierverwandlungen,  fest  glaubte,  unbedenklich  erscheinen. 

[n  einer  gewissen  Beziehung  steht  zu  dem  körperlichen  Geschlecht- 
wechsel der  äusserliche,  der  Kleidertausch  von  Manu  und  Weib. 

Ich  meine  hier  nicht  die  romanhafte  Verkleidung,  die  oft  als  List 
vorgenommen  worden  ist.  So,  wenn  Odin  die  Göttin  Rinda  (Rindr)  berückt 
und  bewältigt  durch  die  Verkleidung  als  heilkundiges  Weib  (Saxo  Grammat. 
hist.  dau.  I,  S.  128,  Müller).  Oder,  wenn  sich  Hugdieterich  in  der  Maske 
einer  kunstreichen  Stickerin  zu  der  im  Thurm  versperrten  Prinzess  von 
Salneck  schleicht.  Sondern  ich  denke  an  die  Verkleidung  von  Männern 
als  Weiber,  auch  von  Weibern  als  Männer  in  Aufzügen  bei  gottesdienst- 
lichen Festen,  die  zu  dem  Naturleben  in  nächster  Beziehung  stehen. 

Beschränken  wir  uns  dabei  auf  deutsche  Landschaften,  so  lassen  sie 
sich  vom  Mittelalter  bis  in  die  neuste  Zeit  verfolgen,  von  der  Weihnacht 
bis  Pfingsten;  und  auch  an  Hochzeiten  waren  sie  üblich. 

In  der  märkischen  Grafschaft  Ruppin  ziehen  in  den  Adventen  im 
Gefolge  des  Schimmelreiters  und  des  Christmanns  als  Weiber  verkleidete 
Knechte  mit  geschwärzten  Gesichtern  umher,  Feien  genannt.  Ebendort 
treten  sie  auch  bei  Hochzeiten  auf  und  stören  den  feierlichen  Kirchgang 
durch  allerhand  Possen.^)  Bei  Eberswalde  erschienen  solche  verkleidete 
Männer  am  Abend  des  zweiten  Hochzeittages,  mit  ihnen  gewöhnlich  der 
Erbsbär.  Bei  Templin  kamen  sie  früher  am  dritten  Hochzeittage,  trieben 
Possen  und  tanzten  mit  der  Braut.') 

Eine  Brandenburg-Kulmbachsche  Polizeiverordnuug  von  1622  verbot 
die  Fastnachtvermummungen,  wobei  die  Frauen  in  Manns-,  die  Männer  in 
Frauenkleidern  sich  verstellten  (Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  1,  544). 
Ein  Jahrhundert  früher  berichtet  Joannes  Boemus  in  seinen  1520  zuerst 
erschienenen  Omnium  gentium  mores  leges  et  ritus  im  3.  Buche  von  der 
fränkischen  Fastnacht,  wie  die  Leute  allerlei  Unfug  mit  Larven,  Manns- 
und Weiberverkleidungen  und  geschwärzten  Gesichtern  treiben,   was  dann 

1)  Die  zwölf  Exempel,  die  Heinrich  Kornmann  in  seinem  Buche  de  miraculis  virorum 
seu  de  varia  natura,  variis  singularibus  proprietatibus,  affectionibus  miraudisque  virtutibus, 
facultatibus  et  signis  hominum  virorum  liber  novns  et  singuhiris,  Francof.  161*1  von  der 
Wandlung  einer  Frau  in  einen  Mann  aus  alter  und  neuer  Zeit,  namentlich  ans  Italien  und 
Portugal  gesammelt  hat,  sind  ganz  natürliche  Fälle,  wie  sie  auch  aus  ne\ister  Zeit  berichtet 
sind.  Kornmann  sagt  ausdrücklich :  nunquam  vero  mares  viri  in  foeminas  mutantur.  Vgl. 
auch  Liebrecht,  Zur  Volkskunde,  S.  3(52.  507. 

2)  A.  Kuhn,  Märkische  Sagen  und  Märchen,  S.  346.  362. 

3)  Kuhn  und  Schwartz.  Norddeutsche  Sagen,  Märclien  und  Gehräuche,  S.  433. 


130  Weinhold: 

Seb.  Frauck  iu  seiuem  Weltbuch  (1534)  wiederholt,  hat.  Über  ein  Jahr- 
hundert früher  hatte  schon  Nicolaus  von  Jauer  in  seinem  Traetatus  de 
Snperstitionibus  (141  "J)  die  Kleidertansche  der  Geschlechter  zu  Fastnacht 
unter  Bezieimng  auf  Deuteronom.  2:i,  5  als  scliäudliche  Sitte  verworfeu. 

Dieser  Kleidertausch  der  Geschlechter  ist  namentlich  bei  den  Mai- 
und  Pfingstaufzügen  Brauch  gewesen:  am  frühesten,  von  1224,  ist  er  aus 
deutschen  Landen  für  Lüttich  bezeugt  (Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte 
1,  377).  Aus  unserem  Jahrhundert  lässt  er  sich  für  Schwaben,  Thüringen 
(zugleich  mit  Larven),  die  Altmark  nachweisen.')  Im  Elsass  sind  diese 
Verkleidungen  beim  Feste  der  Weinlese  üblich  (Mannhardt  a.  a.  0.  314). 

Es  sind  uralte  Gebräuche.  Die  Verkleidungen  von  Männern  als  Weiber 
und  umgekehrt  geschehen  noch  heute  bei  den  Tänzen  und  Festspielen  der 
Naturvölker,  wie  sie  zusammen  mit  der  Schwärzung  der  Gesichter,  die 
auch  bei  den  römischen  Saturnalien  vorkam,  mit  Larven  und  Verhüllungen 
in  Tierfellen  von  dem  Altertume  her  durch  das  Mittelalter  hindurch,  wie 
die  Verbote  der  abendländischen  Coucilien  beweisen,  sich  bis  in  die  Gegen- 
wart verfolgen  lassen.  Dramatische  Scenen,  Gesang  und  Musik  begleiteten 
die  gottesdienstliehen  Auf-  und  Umzüge  an  den  Jahresfesten,  den  Ernte- 
und  Frühlingsfeiern.  Die  Vermummungen,  zu  denen  die  Verstellungen 
der  Männer  in  Weiber,  der  Weiber  in  Männer  gehören,  sollten  ursprünglich 
die  der  Gottheit  sich  nahenden  nicht  in  ilirer  wahren  Gestalt  vor  die 
mächtigen  Augen  stellen,  sie  gewissermasseu  decken,  und  sollten  auch  feind- 
liche Dämonen  schrecken.  Das  hat  Pfannenschmid  (Germanische  Erntefeste, 
S.  583)  wenigstens  zum  Teil  erkannt,  wäln-end  Mannhardts  Deutung  (Wald- 
uud  Feldkulte  1,  442.  546)  dieser  Verkleidung  der  Geschlechter  aus  über- 
grossem  Liebesdrang  im  Fi-ühling  verfehlt  ist. 

Ein  direktes  Zeugnis  giebt  ein  Corsischer  Bi'aucli.  In  Xiolo  auf  Corsica 
gingen  früher  die  Mädchen  vom  achten  Jahre  bis  zur  Verheiratung  als 
Knaben  verkleidet,  nicht  bloss  zum  Schutz  gegen  Nachstellungen  der 
Männer,  sondern  auch  zur  Abwehr  der  Hexen  (streghe).  ^) 


Den  oben  mitgeteilten  Nixensagen  aus  der  Gegend  zwisclien  Eulen- 
gebirge und  dem  Zobteu  lasse  ich  eine  Sage  aus  dem  Glogauer  Kreise 
folgen,  die  in  Firmenichs  Germaniens  Völkerstimmen  11,  334 — 339  in  nord- 
niederschlesischer  Mundart  sehr  ausführlich  vorgetragen  ist.  Ich  bringe 
sie  hier  auf  die  Hauptzüge  zurück. 

Sie  lässt  sich  an  ein  schlesisches  Kinderspiel  anknüpfen.  In  der  Mitte 
des  Ki'eises  sitzt  ein  Mädchen,  das  die  Wasserlisse  vorstellt.    Um  sie  tanzen 


1)  E.  Meier,   Sagen  ans   Schwaben   398.    Mannhardt,   Wald-  und  Feldkulte  1,  440' 
Kuhn,  Mark.  Sagen  327. 

2)  Revue  des  traditions  populaii'es  IX,  463. 


Beitrag  zur  Nixenkiindc  auf  Grund  scMesischer  Sagen.  131 

in    geschlossenem   Ringelreihen    die    anderen  Mädchen   herum,    indem'  sie 

sagen : 

"WasserHsse  zieh  micli  rein, 
Schenk  mir  ein  Gläsel  Brantewein! 

Die  Lisse  hascht  dann  ein  Kind  aus  dem  sich  drehenden  Reigen  und  dieses 
muss  an  ihrer  statt  Wasserlisse  werden.') 

Unsere  Sage  lautet: 

Es  waren  einmal  zwei  arme  Waisenmädchen,  die  Mutter  mnsste  als 
Magd  ihr  Brot  suchen,  und  die  Kinder  hatten  sich  als  Hütemädel  zu  einem 
o'eizio-en  Bauer  vermietet.  Es  war  ein  dürrer  Sommer,  und  die  Kühe 
fanden  bald  nichts  mehr  auf  der  Weide.  Sie  magerten  schrecklich  ab, 
und  der  Bauer  prügelte  deshalb  die  Kinder  täglich.  Endlich  zwang  er  sie, 
das  Vieh  zum  Lissteiche  zu  treiben,  wo  es  Gras  genug  hatte,  denn  alle 
Hirten  mieden  den  Platz.  Ans  Furcht  vor  den  Prügeln  trieben  die  Mädel 
am  nächsten  Morgen  richtig  zu  dem  Teiclie,  und  wie  sie  nun  dort  waren, 
da  sangen  sie,  toelsch  wie  die  Kinder  sind,  den  Spielreim: 

Wasserhsse  zieh  mich  rein, 
Wasserlisse  zieh  mich  rein! 

Da  hören  sie  auf  einmal  vom  Teiche  her  schön  singen,  und  eine  hübsche, 
vornehme  Frau  kommt  mit  einer  Weidengerte  auf  sie  zu.  Die  Mädel 
wollen  zwar  fortlaufen,  aber  sie  können  sich  nicht  von  der  Stelle  rühren; 
die  Lisse  aber  war  sehr  freundlich  zu  ihnen  und  fragte,  was  ihnen  fehle, 
denn  sie  sah  die  rotgeweinten  Augen.  Die  Mädel  erzählten  ihr  alles,  und 
da  sagte  die  Wasserjungfer  zu  ihnen:  „Kommt  mit  mir,  ich  will  euch  eine 
Weide  weisen,  wie  sie  in  der  ganzen  Schlesing  nicht  schöner  ist."  Da 
gingen  sie  hinter  der  Lisse  her  und  das  Vieh  hinterdrein,  und  die  Lisse 
schlug  mit  der  Weidengerte  ins  Wasser.  Da  lag  ein  breiter  Viehweg  da 
und  eine  schöne  Wiese  mit  hohem  Grase.  Dort  durfte  das  Vieh  fressen,  so 
viel  es  mochte;  die  Kinder  aber  führte  die  Wasserlisse  in  ein  schmuckes 
Haus,  wo  sie  schöne  Kleider  und  gut  zu  essen  und  trinken  kriegten,  und 
andere  Wasserjungfern  thaten  sie  bedienen. 

Wie  nun  die  Zeit  zum  Eintreiben  kam,  wurden  die  Mädel  wieder  in 
ihre  alten  Klunkern  gesteckt,  und  die  Wasserlisse  gab  ihnen  ein  Weiden- 
rutel  in  die  Hand  und  sagte:  „Wenn  iln-  dass  ihr  mit  dem  Rutel  hinter 
den  Kühen  auf  die  Erde  schlagt,  dann  seid  ihr  gleich  dort,  wo  ich  zuerst 
bei  euch  war.  Hernach  treibt  ein,  hebt  aber  das  Zweigel  gut  auf,  dass  es 
nicht  verdorrt.  Tlmt  es  ins  Wasser,  denn  wenn  es  dürre  wird,  werden 
auch  die  Kühe  wieder  dürre.  Wollt  ihr  aber  wieder  zu  mir  kommen,  so 
schlagt  mit  der  Rute  dort  in  den  Teich,  wo  ich  rein  geschlagen  habe,  dann 
seid  ihr  gleich  bei  mir.     Aber  grün  muss  sie  sein,  sonst  ist  sie  nichts  nütze. 


1)  Ich  kenne  das  Kinderspiel  ans  Eeichenbach  in  Schi.  —  J.  A.  E.  Köhler,  Volks- 
hrauch  im  Voigtlaude,  S.  184  beschreibt  aus  Reichenbach  im  Voigtlande  ein  verwandtes 
Spiel:  Nix  in  der  Grube.     Vgl.  auch  Erk-Böhme,  Liederhort  III,  Nc  1891.  1893. 


132  Weinhold: 

Das  zweite  Mal  gelit  es  aber  nicht  so  wie  lioute.  Dann  kostet's  eiu  Stückel 
von  eurem  Leibe.  Freilicli  tliut's  nicht  weh.  uml  ilir  kriegt  schöne  Dukaten 
dafür.     Xu  wir  werden  ja  sehn,  und  nu  geht  in  Gotts  Xameii!" 

Hat  der  Bauer  die  Augen  aufgerissen,  da  sie  mit  dem  glatten,  fetten 
Yieh  heimkamen!  Er  peinigte  sie  bis  aufs  Blut,  und  da  mussten  sie  alles 
erzählen.  Die  Mädel  steckten  nun  das  Zweigel  in  ein  Töppel  mit  Wasser, 
aber  der  Bauer  uahms  in  der  Nacht  heraus  und  legte  es  auf  den  Ofen, 
dass  es  am  Morgen  ganz  verdorrt  war,  und  da  waren  auch  die  Kühe  wieder 
dürre,  dass  man  alle  Rippen  sah.  Da  flennten  die  Mädel,  und  der  Bauer 
fluchte  und  befahl  ihnen,  dass  sie  wieder  zum  Teiche  trieben.  Nu  half 
eben  keine  Widerrede,  und  da  sie  dorthin  kamen,  mussten  sie  wieder  die 
gute  Wasserlisse  rufen.  Die  kam  auch,  und  es  ging  zuerst  alles  wieder 
wie  gestern.  Aber  da  sie  heim  wollten,  sagte  die  Lisse:  ,,Halt!  heute  gehts 
nicht  so  leicht  fort.  Jede  von  euch  muss  eiu  Glied  vom  kleinen  Finger 
hergeben,  oder  ihr  müsst  Lissjungfern  werden  wie  die  hier,  die  euch  be- 
dient haben.  Das  sind  alles  Hütemädel  gewesen,  wie  ihr  seid."  Da 
sagten  die  Kinder:  „Nee!  Lissjungfern  mögen  wir  nicht  sein,  lieber  wollen 
wir  eiu  Fingerglied  weniger  haben",  und  da  schnitt  ihnen  die  Wasserlisse 
mit  einer  Scheere  ein  Glied  ab,  aber  es  that  garnicht  weh  und  heilte  auch 
gleich,  und  der  Nagel  war  auch  wieder  drauf.  Aus  jedem  Blutstropfen 
war  ein  neuer  Dukaten  geworden  und  die  durften  sie  alle  mitnehmen,  „So 
lange  die  Dukaten  alle  beisammen  bleiben,  sagte  die  Wasserjungfer,  könnt 
ihr  das  Fingerglied  wieder  Imegen,  wenn  ihr  sie  auf  einmal  ins  Fluss- 
wasser schmeisst.  Aber  dass  keiner  fehlt,  und  die  gleichen  müssen  es 
sein,  die  ihr  von  mir  gekriegt  habt.  Sonst  fängt  der  Finger  zu  bluten  an 
und  blutet  immerfort,  und  aus  jedem  Blutstropfen  wird  ein  ganzer  Zuber 
Wasser  und  das  fängt  zu  wirbeln  an  und  reisst  alles  weg.  Tergesst  das 
nicht,  was  ich  euch  jetzt  gesagt  habe  und  nun  zieht  ab  in  Gotts  Namen." 

Das  Ding  war  gut.  Sie  kamen  mit  den  sattgefressen  Kühen  heim 
zu  ihrem  Bauer,  und  der  nahm  ihnen  gleich  die  Dukaten  weg,  und  den 
anderen  Tag  jagte  er  sie  wieder  zum  Lissteiche,  und  da  gings  eben  wie 
den  Tag  zuvor,  und  die  Lisse  schnitt  ihnen  das  zweite  Fingerglied  ab,  und 
so  kam  es  Tag  für  Tag.  bis  die  armen  Dinger  nur  noch  den  Daumen  und 
den  Spiessfinger  an  jeder  Hand  und  nur  noch  die  grosse  Zehe  und  die  zweite 
an  jedem  Fusse  hatten.  Der  Bauer  aber  kriegte  sein  ganzes  Beikästel  in 
der  Lade  von  Dukaten  gepropft  voll  und  wm"de  immer  gieriger  auf  die 
gelben  Gröschel.  An.  einem  Morgen  prügelte  er  die  Hütemädel  selber  zum 
Lissteiche,  sie  sollten  sich  nun  die  Ohren  stückweise  abschneiden  lassen, 
er  aber  wollte  selber  einmal  die  Wasserjungfer  sehen.  In  ihrer  Angst 
schrieen  da  die  Hütemädel:  „Wasserlisse  zieh  uns  neu"  Die  kam  auch, 
und  wie  der  Bauer  sie  genug  augegäult  hatte,  wollte  er  heimgehen.  Aber 
er  konnte  nicht  von  der  Stelle,  und  dann  riss  es  ihn  mit  Gewalt  ins 
Wasser   uunter,    immer    hinter  der  Lisse  her.     Die  hat  ihn  zuerst  tüchtig 


Beitrag  zur  Nixenkunele  auf  Grund  schlesischer  Sagen.  133 

ausgemacht  wegen  seiner  Unbarmherzigkeit  und  seines  Geizes  und  gesagt: 
„Eigentlich  müsste  ich  dir  das  (Tenicke  brechen,  aber  ob  dus  auch  nicht 
verdienst,  ich  will  barmherzig  sein.  Strafe  musst  du  aber  kriegen  und 
deine  Finger  und  Zehen  musst  du  hergeben,  denn  die  Hütemädel  müssen 
ihre  wieder  haben  und  da  machen  wir  sie  von  Bauers  seinen."  Da  kamen 
die  Lissjuugfern  und  schnitten  dem  Kerle  von  jeder  Hand  drei  Finger  und 
von  jedem  Fusse  drei  Zehen  mit  der  Scheere  runter  und  machten  daraus 
den  zwei  Kindern  ihre  Hände  und  Füsse  wieder  ganz  und  heil.  Aus  den 
Blutstropfen  kamen  aber  keine  Dukaten,  sondern  bloss  Tantusse  (Rechen- 
pfennige) und  schmerzen  thateu  ihm  die  Sturzel  auch  tüchtig.  Dann  jagte 
die  Wasserjungfer  ihn  fort,  aber  die  Mädel  behielt  sie  vor  der  Hand  bei  sich. 

Da  der  Bauer  nun  heimkam,  merkte  er  bald,  dass  er  sich  zu  allererst 
ein  paar  Finger  wieder  verschaffen  müsste,  denn  die  brauchte  er  zu  not- 
wendig. Deswegen  nahm  er,  obs  ihm  auch  sauer  ankam,  ein  paar  von 
den  Dukaten  aus  dem  Beikästel,  ging  zur  Bach  und  schmiss  sie  nein,  wie 
ihm  die  Hütemädel  gesagt  hatten.  Weil  er  aber  nicht  die  rechte  Zahl 
genommen,  so  fingen  seine  Finger  von  neuem  zu  bluten  an,  und  da  wurde 
aus  jedem  Tropfen  Blut  Wasser,  ach  so  viel  Wasser,  einen  ganzen  Zuber 
voll,  und  das  Wasser  lief  durch  die  Stube  zu  Thür  und  Fenstern  hinaus, 
und  es  drehte  sich  im  Rade  als  obs  kochte,  die  Finger  aber  bluteten  immer 
weiter  und  das  Wasser  wuchs  immer  höher,  dass  alle  Sachen,  Tische  und 
Stühle  und  Bänke  driun  rumscliwammen  und  den  Bauer  ganz  einmauerten. 
Da  schrie  der  Kerl  unsern  Herrgott  wohl  um  Hilfe  an ,  doch  der  kam 
nicht,  aber  die  grosse  Säge  kam  angeschwommen  und  schnitt  ihm  in  den 
Leib,  und  zuletzt  sägte  sie  den  Bauer  mitten  entzwei. 

Nu,  da  war  er  tot.  Dann  verlief  sich  das  Wasser,  aber  mit  dem 
Wasser  schwammen  die  Dukaten  aus  der  Lade  weg  und  zurück  zu  der 
Wasserlisse.  Die  aber  schenkte  sie  den  beiden  Kindern  und  hiess  sie 
damit  zu  ihrer  Mutter  gehen.  Die  hat  sich  wohl  tüchtig  gefreut,  und  dann 
sind  die  drei  beisammen  geblieben  und  ihre  Lebtage  glücklich  gewesen, 
und  wenn  sie  nicht  gestorben  sind,  leben  sie  noch  heute. 


Diese  schlesische  Sage  enthält  sehr  wichtige  Beiträge  zur  Nixenkunde. 
Wir  erfahren: 

Mädchen,  die  von  den  Wasserfrauen  ins  Wasser  gezogen  sind,  werden 
in  Nixen  verwandelt  und  müssen  Nixen  bleiben,  wenn  sie  sich  nicht  durch 
ein  Glied  ihres  Leibes  lösen. 

Die  Nixe  giebt  für  Blut  und  Fleisch  Gold,  sucht  aber  dasselbe  wieder 
zu  gewinnen      Berühi-t  Wasser  das  Gold,  so  kehrt  dieses  zur  Nixe  zurück. 

Diese  hier  gewonnenen  Sätze  entsprechen  dem  Charakter  der  elbischen 
Geister,  im  besonderen  der  Wasserelben.  Sie  sind  meines  Wissens  noch 
aus  keinen  deutschen  Sagen  geschöpft  worden. 


134  Friedel: 


Anfänge  der  Welje-Kunst. 

Vortrag  im  Verein  für  Volkskunde  gehalten  am  28.  April  1894. 

Von  Ernst  Friedel. 

(Mit  Tafel  II.  III.) 


Nicht  von  dem  Anfange  der  Spinn-  und  AVebekunst  will  ich  sprechen, 
sondern  nur  von  Anfängen  derselben,  denn  der  eigentliche  Anfang  ist  in 
völliges  Dunkel  gehüllt  und  wird  es  bleiben,  wie  der  Anfang  der  Schiffahrt, 
des  Ackerbaues  und  so  vieler  anderer  Kulturübuugen  unseres  Menschen- 
geschlechtes. 

Es  scheint  das  denjenigen  verwunderlich,  welche  sehen  und  darauf 
hinweisen,  wie  manches  der  Textilkunst  ähnliche  sogar  in  mehrfachen 
Zweigen,  innerhalb  der  Tierwelt  ausgeübt  wird  und  welche  deshalb 
meinen,  dass  die  letztere  hierin  die  Lehrmeisterin  des  Menschen  schon  vou 
dessen  frühestem  Auftreten  ab  gewesen  sein  müsse. 

In  erster  Linie  wird  allemal  hier  das  Geschlecht  der  echten  Webe- 
spinnen (Arane'ida),  der  Rad-.  Nest-,  Sack-  und  Röhren -Spinnen  als 
Lehrmeister  des  Menschengeschlechts  ins  Feld  geführt.  Mau  sollte  diese 
Tiere  beiläufig  vielmehr  „Weben"  als  „Spinnen"  nennen,  denn  das  Weben 
ist  das  Kunstvollere  und  setzt  das  Spinnen  voraus. 

Allein  bei  näherer  Überlegung  zeigt  sich  leicht,  dass  der  rrmensch 
von  der  Kunstfertigkeit  der  so  viel  gefürchteten  und  gehassteu,  andererseits 
auch  wieder  so  interessanten  und  bewunderten  Spinnen  sich  für  lange, 
lange  Zeitläufte  uichts  anzueignen  imstande  war.  Denn  die  Spinne  erzeugt 
zunächst  aus  ihrem  eigenen  Leibe,  aus  dem  Drüsensystem,  einen  kunst- 
vollen Faden  und  bringt  diesen  wiederum  mit  ihr  angeborenen  Werkzeugen, 
welche  den  Webestuhl  darstellen,  in  ein  nicht  leicht  übersichtliches,  viel- 
mehr recht  verwickeltes  System  von  Kreuz-  und  Querlinien,  die  sich 
allmählich  zu  einem  Gewebe  verdichten.  Der  Mensch  besass  an  natürlichen 
Fäden  nur  seine  Haare  und  es  hat  sicherlich  eine  gar  lange  Zeitdauer 
erfordert,  bevor  er  auf  die  Idee  gekommen  sein  mag.  an  seinem  Körper 
selbst,  wie  es  bei  den  civilisierten  Yölkern  die  Franen,  bei  manchen  halb- 
oder  uncivilisirten  Völkern  auch  die  Männer  thun^),  die  Haare  zum  Zweck 
des  Schmuckes  und  der  Verschönerung  zu  verflechten.  Abgeschnitten  .iber 
bilden    die    menschlichen   Haare    nicht   Masse    genug,    um    zu    grösseren 


1)  Das  Einflechten  der  Haare  seitens  der  Männer  fand  und  findet  zum  Teil  noch 
bei  den  südflnnischen  und  südslavischen  Völkern  statt,  bei  ugrisch-tatarisehen  Magyaren, 
bei  den  slavischen  Bosniaken,  Kroafeu  u.  s.  f.  Bei  den  nach  ungarischer,  bezw.  bosniakischer 
Art  errichteten  Eeitervölkern  Friedrichs  des  Grossen  wurde  das  Flechten  des  Vorderzopfes 
sogar  von  den  deutschen  Offizieren  nachgeahmt. 


Anfänge  der  Webekunst.  135 

Kleidungsstücken,    Säcken,    Matten  und  dergleichen  verarbeitet  werden  zu 
können. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  vielen  Kerftieren,  z.B.  dem  Seiden- 
spinner (Bombyx  mori),  dessen  Eaupe  der  Spinnstoff  aus  zwei  Offnungen 
der  Unterlippe  quillt;  der  Seidenfaden  kann  bis  600  m  Länge  erreichen, 
wird  kunstvoll  hin-  und  hergezogen  und  verklebt,  bis  er  den  beutelartigen, 
die  Puppe  umschliessenden  Cocon  bildet 

A'iel  eher  demjenigen,  welches  wir  heut  unter  Flechten,  Weben  und 
dergleichen  verstehen,  nähert  sich  die  fast  handwerksmässig  zu  nennende 
Thätigkeit  von  verschiedenen  höher  organisierten  Wirbeltieren.  Namentlich 
unter  den  Säugetieren  und  Vögeln  giebt  es  vollendete  Künstler. 

Unser  Eichhörnchen  (Sciurus  vulgaris)  polstert  in  hohlen  Baum- 
stämmen ein  Nest  mit  einer  filzartigen  Masse  aus  imd  flickt  sogar  im  Be- 
darfsfalle die  Lücken  mit  weichem,  biegsamem  Material  aus. 

Die  Zwergmaus  (Mus  minutus)  wird  von  Alfred  Brehm  eine  Künstlerin 
genannt,  wie  es  wenige  giebt  unter  den  Säugetieren,  eine  Künstlerin, 
welche  mit  den  begabtesten  Textil-Vögeln  zu  wetteifern  versucht.  Die 
äussere  Umhüllung  des  zierlichen  Nestbaues  besteht  aus  den  von  dem 
Tierchen  mit  unendlicher  Sorgfalt  und  Ueberlegung  gänzlich  zerschlitzten 
Blättern  des  Rohrs  oder  Riedgrases,  deren  Stengel  die  Grundlage  des 
ganzen  gäuseeiförmigen  Baues  bilden.  Die  Zwergmaus  nimmt  jedes 
Blättcheu  mit  den  Zähnen  in  das  Maul  und  zieht  es  mehrere  Male  zwischen 
den  -nadelscharfen  Spitzen  durch,  bis  jedes  Blatt  sechs-,  acht-  oder  zehnfach 
geteilt,  gleichsam  in  mehrere  gesonderte  Fäden  getrennt  worden  ist;  dann 
wird  alles  ausserordentlich  sorgfältig  durcheinander  geschlungen,  verwebt 
und  geflochten.  Das  Innere  wird  weich  ausgefüttert  und  geglättet.  Die 
einzelnen  Bestandteile  sind  so  dicht  miteinander  verfilzt  und  verwebt,  dass 
das  Nest  einen  wirklich  festen  Halt  bekommt.  Wenn  man  die  viel  weniger 
brauchbaren  Werkzeuge  dieser  Mäuse  mit  dem  geschickten  Schnabel  der 
Künstlervögel  vergleicht,  wird  man,  wie  Brehm  meint,  jenen  Bau  nicht 
ohne  Verwunderung  betrachten  und  die  Arbeit  der  Zwergmaus  über  die 
Baukunst  manches  Vogels  stellen.  Die  Zwergmaus  verfertigt  Fäden  (spinnt), 
flicht,  filzt  und  webt. 

Unter  den  Vögeln  denkt  man  bei  der  Textil-Branche  zunächst  immer 
au  die  namentlich  im  Süden  hausenden  Webervögel,  für  deren  kunstgerechte 
Thätigkeit  gewöhnlich  als  Zugführer  der  Ploceus  textor  aufgerufen  wird. 
Die  Nester  dieser  Künstler  können  u.  a.  in  dem  von  Dr.  Otto  Hermes 
geleiteten  Berliner  Aquarium  in  Menge  an  Baumzweigen  hängend  beob- 
achtet werden.  Beim  Aufbau  des  Nestes  wird  zuerst  aus  langen  Gras- 
halmen ein  Gerippe  gefertigt  und  an  den  äussersten  Spitzen  von  langen, 
biegsamen  Zweigen  befestigt.  Man  erkennt  in  ihm  die  Gestalt  des  Nestes 
bereits  deutlich;  doch  ist  es  noch  überall  durchsichtig.  Nun  wird  es  ver- 
dichtet.    Die    ersten  Halme    werden    von    oben    nach  unten  gezogen,    die 


B 


236  Friedet: 

später  verwandten  quer  durchgestickt.  Gauz  zuletzt  wird  das  Innere  mit 
einer  Unterlage  von  äusserst  feinen  Grashalmen  vom  Männchen,  das  über- 
haupt der  Künstler  ist.  ausgefüttert.  Das  Weibchen  schlüpft  kurz  vor  dem 
Legen  hinein  und  bessert  lediglich  kleine  rnvollkommenheiten  aus.  Der 
Webervogel  flicht  und  filzt.') 

Wir  brauchen  aber  nicht  bis  nach  Afrika  zu  gehen,  um  bewährte 
Textil-Künstler  in  der  Vogelwelt  zu  finden.  Unsere  Beutelmeise  (Parus 
pendulinus)  verarbeitet  zum  Nestbau  namentlich  Schafwolle,  aber  auch 
Ziegen-  und  Hundehaare  zu  einem  so  gleichmässigen  und  haltbaren  Filz- 
gewebe, dass  die  aufgeschlitzten  Nester  von  polnischen  und  russischen 
Bauern  ihren  Kindern  bei  der  "Winterkälte  als  wärmende  Fausthandschuhe 
o-«o-eben  werden.^")  Die  Beutelmeise  konnte  im  Weben,  Wirken  und 
Sti-icken  dem  Menschen  zum  Yorbild  dienen. 

Wann  aber  hat  der  Homo  sapiens  dies  Vorbild  benutzt?  Sicherlich  erst 
in,    kultiu-geschichtlich    und  vorgeschichtlich  gesprochen,  sehr  später  Zeit. 

Auffallend  ist  es  auch,  dass  die  hochbegabtesten  Säugetiere,  die  Vier- 
händer.  die  uns  am  nächsten  stehenden  menschenähnlichen  Affen,  als  der 
Gorilla,  der  Schimpanse,  der  Tschego,  der  Orang-Utan  und  die  Gibbons 
von  der  Kunst  des  Spinnens,  Flechtens,  Wirkens.  Strickens  und  Webens 
durchaus  nichts  verstehen.  Freilich  sind  sie  durch  ein  haariges  Fell  vor 
Nachtkälte  und  Eegen  einigermassen  geschützt  und  bedürfen  wegen  des 
tropischen  Klimas  ihrer  Heimat  besonders  künstlicher  Erwärmungsmittel 
nicht. 

Das  mag  auch  der  Grund  sein,  weshalb  die  Anfänge  der  Textil-Kunst 
beim  Menschen  erst  so  ausserordentlich  spät  bemerkbar  werden.  Ist  der 
Urmensch  der  Tertiärzeit  oder  welcher  geologischen  Formation  er  seine 
allerfrühste  Entstehung  verdanken  mag,  in  warmen  Kliraaten  entstanden. 
war  er,  wie  Sir  Charles  Darwin  vermutet,  stark  behaart,  so  konnte  er  der 
Webekunst  noch  lange  entraten.') 


1)  Eine  südafrikanische  Art  der  Webeivögel  lässt  sich  an  den  kunstvollen  Nest- 
Geflechten  nicht  genügen,  sondern  verfertigt  ausserdem  noch  über  mehrere  derselben  ein 
gemeinsames,  wie  eine  Matte  geflochtenes  Schutzdach,  um  Eegen  und  Sonnenbrand  ab- 
zuhalten. 

2)  Vgl.  u.  a.  hierzu  Friderich,  Naturgeschichte  der  deutschen  Zimmer-, 
Haus-  und  Jagdviigel.    III.  Aufl.,  1876,  S.  153. 

3)  Die  viel  berufene,  \ie\  gepriesene,  aber  auch  -viel  angegriffene  Stelle  bei  Darwin, 
The  Descent  of  Man,  I,  1871,  S.  206  lautet:  The  early  progenitors  of  man  were  no 
doubt  once  covered  with  hair,  both  sexes  haräg  beards:  their  ears  were  pointed  and  ca- 
pable  of  movement:  and  their  bodies  were  provided  with  a  tail.  having  the  proper  muscles. 
So  behaart  stellte  Gabriel  Mas  den  Urmenschen,  Mann,  Weib  und  Jüngling,  auf  dem 
berühmten  Bilde  dar,  welches  er  dem  Antliropologen  Prof.  Haeckel  in  Jena  zum  Jubiläum 
im  Jahre  1894  verehrte.  —  Auch  Geikie,  Prehistoric  Enrope,  a  geological  sketeh, 
1881,  S.  545  ff.  nimmt  für  das  Erscheinen  des  Menschen  in  Europa  mindestens  die  wärmere, 
auf  das  Miocän  folgende  Pliocänepoche  an,  wo  der  Mensch,  zumal  falls  er  behaart  war, 
der  Kleidung  noch  entraten  mochte. 


Anfänge  der  Webekunst.  137 

Unter  unserer  ältesten  —  altsteinzeitlichen  —  europäischen  Bevölkerung 
sind  zwei  geologische  Altersklassen  zu  unterscheiden,  und  als  die  älteste 
Menschenwelt  gilt  diejenige,  welche  vor  der  ersten  Vergletscherung  sich 
vom  Süden  her  bis  nach  Frankreich,  aber  nicht  bis  nacli  England  hinein 
bewogte.  Wie  wir  von  den  körperlichen  Verhältnissen  dieser  (Teschöpfe 
fast  nichts  wissen,  so  kennen  wir  ausser  ihren  eigentümlich  geformten 
Steingeräten  von  ihren  wirtscliaftlichen  Verhältnissen  ebenfalls  nahezu  nichts, 
wissen  auch  nicht,  ob  sie  etwa  bereits  das  Zusammenstiicken  von  Fellen, 
das  Vorstadium  aller  Webekunst  verstanden.  Wo  diese  Menschheit  ge- 
blieben ist,  scheint  bis  jetzt  ebensowenig  bekannt.  Diese  Bevölkerung 
mag  durch  die  erste  Vereisung,  die  gewaltigste  von  allen  unseren  Eis- 
perioden, verdrängt  worden  sein.^)  In  den  Zwischeneiszeiten  finden  wir 
jedoch  eine  insbesonders,  aber  nicht  ausschliesslich,  durch  Höhlpufunde 
festgestellte  Bevölkerung,  welche  jener  erstgenannten  sich  bereits  durch 
die  Anfertigung  von  Töpferware,  die  Kunst,  Menschen,  Tiere  und  Pflanzen 
bildnerisch  wiederzugeben  und  u.  a.  auch  ferner  durch  rohe  Knochen- 
nadeln überlegen  erweist.  In  den  erwähnten  Darstellungen  der  Höhlen- 
menschen wird  der  Mensch  stets  unbekleidet  gezeichnet,  und  so  mag  er  in 
der  wärmeren  Jahreszeit  einher  gegangen  sein.  Aber  die  zum  Teil  durch- 
bohrten Nadeln  beweisen  doch,  dass  er  bereits  die  Felle  des  von  ihm 
erlegten  Wildes  (Haustiere  gab  es  noch  nicht)  mit  Tier  -  Sehnen  oder 
Pflanzen-Fasern  aneinander  zu  heften  verstand,  also  die,  wie  erwähnt, 
elementarste  Form  der  Textil-Industrie  schon  ausübte. 

Daneben  wird  diese  primitive  Rasse  in  ähnlicher  Weise  auch  bereits 
Rinde,  Bast  und  Mark  geeigneter  Pflanzen,  zähe  Pilze  u.  dgl.  zu  grösseren 
Stück'en  ausgeschlagen  und  zusammengenäht  haben.  Dieser  Ersatz  des 
Gewebes  durch  ausgeschlagene  Pflanzenfaser  war  auf  mjinchen  Inseln  des 
stillen  Oceans  von  jeher  üblich,  wo  man  dagegen  die  Webekuust  nicht 
angetroffen  hat.  Ein  ebenfalls  uralter,  wahrscheinlich  aus  der  paläolithischen 
Zeit  stammender  Ersatz  für  Gespinnst  und  Gewebe  wird  dadurch  gewonnen, 
dass  man  getrocknete  Pflanzenbündel,  Faserpäckchen,  die  nicht  zu  wirk- 
lichen Fäden  gedreht  sind,  nebeneinanderlegt  und  durch  Fäden  oder  Bast- 
streifen zusammenbindet.  Diese  ziemlich  rohe  Übung  findet  sich  noch  jetzt 
bei  den  Maoris  auf  Neu-Seeland  und  bei  Indiauerstämmen  des  nordwest- 
lichen Amerikas.  Bei  uns  hat  sich  diese  primitive  Vorläuferform  des 
Gewebes  noch  bei  der  Anlegung  einer  dadurch  bestimmt  gekennzeichneten 
Art  von  Strohdächern,  z.  B.  in  der  Lausitz,  ferner  beim  Reisbesenbinden, 
namentlich  bei  den  aus  grünen  Stengelpäckchen  des  Ginsters  hergestellten 
sogenannten  Pfingstbesen  erhalten,  die  man  in  der  erwähnten  Festzeit  auf 
unseren  Märkten  feilbietet.  Ausserdem  finden  wir  diese  Päckchenflechterei 
bei  Matten    und  Flaschenfuttern  für  feine  Weine  und  Liköre  noch  immer 


1)  Vgl.  Geikie  a.  a.  0.  ' 

Zeitsohr.  d.  Vereins  f.  Volksliimde.    1895.  10 


138 


Friedel: 


vertri'teii.  Wie  langsam  es  mit  der  Herstellung  des  gesponnenen  Fadens, 
ohne  den  doch  eine  eigentliche  Weherei  nicht  recht  denkbar  ist,  vorwärts 
o-eht,  kann  man  daraus  ersehen,  dass  in  Asien.  Afrika,  Nord-  und  Süd- 
Amerika  sich  Stämme  finden,  welche  ihren  Zwirn  oder  Faden  nicht  besser 
herzustellen  verstehen,  als  din-ch  Drehen  der  Fasern  auf  dem  Schenkel 
mit  der  hohlen  Hand.  Sonderbarerweise  findet  man  in  der  Nachbarschaft 
von  dergleichen  Hordeu  mitunter  Stämme,  welche  die  Spindel  handhaben 
und  sehr  zweckmässig  Garn  damit  zu  verfertigen  wissen. 

Damit  sind  wir  an  den  Schluss  der  paläolithischen  Zeit  (Altsteinzeit), 
geologisch  gesprochen,  an  Jas  Ende  des  Diluviums  gekommen. 

Getrennt  ist  diese  Altsteinzeit  in  den  meisten  Teilen  Europas  ohne 
Übergänge  von  der  Jungsteinzeit  oder  dem  Altalluvium.  Die  wenigen, 
angeblich  vermittelnden  Übergänge,  welche  zwischen  den  zwei  gi-ossen 
letzten  Erdepochen  und  Kultur  ab  schnitten  der  Menschheit  liegen,  seien 
hier  übergangen,  ebenso  die  problematischen  Antworten  auf  die  Frage,  wo 
die  kunstfertig  schnitzende  und  zeichnende  Rentierhöhleu -Bevölkerung 
geblieben  sein  mag. 

Es  genüge,  um  den  Unterschied  zu  charakterisieren,  dass  die  vom 
Altalluviimi  ab  in  Europa  wohnende  Bevölkerung,  von  der  wir  in  der 
weit  überwiegenden  Mehrzahl  uns  persönlich  abzuleiten  habeu,  zwar  die 
eigenartige  plastische  Zeichenkunst  ihrer  Vorgänger  nicht  besass,  dass  sie 
dafür  aber,  neben  den  Anfängen  der  "Vieh-  und  Landwirtschaft,  eine  bereits 
kunstvoll  und  kompliziert  ausgestattete  Spinnerei  und  Weberei  aufweisen 
konnte. 

Wie  und  wo  zuerst  diese  verfeinerten  Textilkünste  entstanden  sind, 
wissen  wir  nicht;  plötzlich  entstanden  können  sie,  nach  alledem,  Was  wir 
von  der  überaus  trägen  Kulturentwickelung  des  Menschengeschlechts  gelernt 
habeu,  nicht  sein.  Es  müssen  darüber  viele  Jahrtausende  vergangen  sein, 
wenn  man  erwägt,  wie  alt  die  kunstgerechte  Webekunst  bei  vielen  halb- 
civilisierten  amerikanischen  Yölkern,  z.  B.  .den  Alt-Peruanern  ist,  und 
wie  eine  hochentwickelte  Kunstweberei  bei  den  Ägyptern,  Assyrern, 
Indern  und  Chinesen  bereits  Jahrtausende  vor  Christi  Geburt  nach- 
gewiesen werden  kann.') 


1)  N.  Joly,  Der  Mensch  vor  der  Zeit  der  Metalle,  1880,  kennt  aus  der  alt- 
steinzeitlichen Epoche  keine  Spinn-  oder  Webegeräte,  aus  den  Höhlenwohnungen  der  fran- 
zösischen Pyrenäen  einen  Wirtelsteiu  und  eine  Spindel  von  Hirschhorn,  S.  liiS.  Die  letztere 
entstammt  zwar  einer  Höhle,  soll  aber  jungsteinzeitlich  sein.  In  den  jungsteinzeitlichen 
Pfahlbauten  der  Schweiz  und  Süddeutschlands  existierte  bereits  das  Weberschiü'chen,  die 
Spulile  der  Spinnerei,  der  zur  Erleichterung  der  Umdrehung  bestimmte  Wirtel,  ja  sogar 
der  Webestuhl  mit  seinen  Zettelstreifen  zum  Spannen  des  Fadens  und  Gewebes  (S.  303). 
Der  verwendete  Flachs  war  aber  nicht  unsere  Spezies  Linum  usitatissimuni ,  sondern  die 
mediterrane  Spezies  I;.  angustifolium.  —  Hanf  kannte  der  protohelvetische  Pfahlbauten- 
Bewohner  nicht.  —  S.  297  Weberläufer  und  Spinnwirtel  von  rotem  Sandstein  aus  dem 
Zeitalter  des  polierten  Steines. 


Anfänge  der  Webekunst.  139 

Was  will  es  gegen  diese  Zeitberechuungen  bedeuten,  wenn  wir  900  bis 
1000  V.  Chr.  Homer  über  die  Spinn-  nnd  Webekunst  singen  und  sagen 
hören?  Der  Göttin  Artemis  wird  in  der  Ilias  als  Attribut  die  goldene 
Spindel  beigelegt;  die  Göttin  der  Jagd  kann  so  als  Schutzgeist  der  Spinnerei, 
wie  die  hehre  Göttin  der  Weisheit  Pallas  Athene  als  Schutzgeist  der 
Weberei  und  wie  im  Mittelalter  die  heilige  Athanasia  als  Schutzpatronin 
der  Weber,  bezeichnet  werden.  Der  Andromache,  die  am  Webestuhl 
kunstvoll  wirkt,  entsinkt  das  Webescliifflein,  als  sie  den  Tod  des  Hektor 
erfährt,  und  was  Odysseus  treue  Gattin  als  Wirkerin  geleistet,  wie  sie  das 
bei  Tage  Geschaffene  nachts  wieder  auftrennt,  um  die  lästige  Vermählung 
mit  den  frech  andringenden  Freiern  hinauszuschieben,  ist  als  eine  Heroi- 
sierung der  edlen  Webekunst  Gemeingut  in  der  Volksvorstellung  aller 
civilisierten  Nationen  geworden.  ^) 

Mit  einem  angelegentlichen,  leidenschaftlichen  Eifer  liegt  das  weibliche 
Geschlecht  dem  Spinnen  und  Weben  ob,  wie  das  aus  der  Sage  der  von 
Athene  in  eine  Spinne  verwandelten  Arachne  hervorgeht.  Die  Überliefe- 
rung hiervon  ist  nicht  bloss  deshalb,  sondern  auch  wegen  der  technischen 
Schilderung  der  hohen  Vollendung  der  Webekunst  bereits  im  sagenhaften 
heroischen  Zeitalter  lehrreich.  Es  sei  mir  daher  vergönnt,  aus  dem  VI.  Buch 
der  Verwandlungen  des  Ovid  wenigstens  einige  der  einschläglichen  Verse 
zu  eitleren: 

„Solchen  Erzählungen  hatte  das  Ohr  Tritonis  geliehen 


Und  nun  lenkt  sie  den  Sinn  auf  das  Loos  der  Mäonschen  Arachne, 
Die  ihr,  wie  sie  gehört,  in  der  wollebereiteuden  Kunst  nicht 

M.  E.  Dupont,  L'hnmme  pcndant  les  Äges  de  la  Pierre  en  Belgique  1873, 
spriclit  sich  für  lediglicli  aus  Fellen  zusammengestücktc  Kleidung  in  der  Altsteinzeit  aus, 
Nadeln  waren  bekannt  S.  148  u.  152. 

Sir  John  Lubbock,  Die  vorgeschichtliche  Zeit,  1874,  Bd.  I  führt  S.  18G  jung- 
steinzeitliehe Spinnwirtel  aus  der  Schweiz,  S.  187  Zeug  aus  Flachsfaser  oder  Stj-oh  von 
Robeiihausen  bei  Zürich  an. 

Fr.  Troyon,  Habitatious  lacustres,  1860  erzählt  S.  265  bei  den  jungsteiuzeit- 
licheii  Ausgrabungen  von  Robeuhausen  u.  a.  auch  von  Hanf:  dies  beruht  auf  der  damaligen 
ungenügenden  Erkenntnis  der  botanischen  Funde  und  ist  ebenso  unrichtig,  wie  wenn  Joly 
a.  a.  0.  S.  144  von  Linum  usitatissimum  in  den  Pfahlbauten  von  Robenhansen  und  Wangen, 
statt  von  L.  angustifolium  spricht. 

Ed.  B.  Tylor,  Forschungen  über  die  Urgeschichte  der  Menschheit  und 
die  Entwickelung  der  Civilisation,  1870,  S.  228:  Die  Webekunst  war  in  den  meisten 
der  von  Asien  abgelegenen  Inseln  unbekannt.  —  S.  229:  Die  einfachste  Art  eines  Webe- 
stuhls hat  sich  im  indischen  Archipel  gefunden.  —  S.  241:  Die  Spindel  kommt  in  Asien, 
Afrika,  Nord-  und  Süd- Amerika  unter  Völkern  vor,  deren  rohere  Nachbarn  ihren  besten 
Zwirn  oder  Faden  nicht  besser  zu  verfertigen  verstanden,  als  durch  Drehen  mit  der  Hand 
auf  dem  Schenkel.  In  Neuseeland  und  unter  den  Indianern  von  Nordwest-Amerika  kommt 
es  vor,  dass  Faserbündel,  die  nicht  zu  wirklichen  Fäden  gedreht  sind,  nebeneinander  gelegt 
und  durch  Querbiuden  oder  Bänder  zusammengebunden  werden  Dergleichen  findet  sich 
bereits  in  den  jungsteinzeitlichen  Pfahlbauten,  z.  B.  von  Wangen. 

1)  Ilias,  XXII,  440.  448.  —  Artemis,  die  Göttin  mit  der  goldenen  Spindel  XVI,  184. 

10* 


140  Fiiedel: 

Nachstehn  wollt'  an  llulim.     Nicht  durch  Stand  und  Geschlecht  war  sie  ruhm- 
reich, 
Sondern  durch  Kunst.     Ihr  Vater,  der  Kolophonier  Idmon, 
Taucht"  einsaugende  WolF  in  die  Purpurmuschel  Phocäas; 


Anzuschauen  ihr  Werk,  das  bewundernswerthe,  verliessen 

Oft  des  Tymolus  Gebirg  mit  Weinpflanzungen  die  Nymphen, 

Von  des  Paktolus  Fluth  auch  nahten  die  Nymphen  nicht  selten: 

Und  es  ergötzte  nicht  nur,  die  gefertigten  Zeuge  zu  schauen. 

Nein,  auch  wie  sie  entstehn;  so  gross  bei  der  Kunst  ist  die  Anmuth. 

Ob  sie  die  rohere  Wolle  zuerst  aufwickelt'  in  Ballen, 

Ob  mit  den  Fingern  den  Stoff  ausschlichtete,  oder  mit  langem 

Zuge  hinwiederum  zupfte  das  Vliess  leichtflockig  wie  Wolken, 

Oder  mit  hurtigem  Daumen  die  rundliche  Spindel  herumschlang. 

Ob  mit  der  Nadel  sie  stickte:  man  sah,  dass  Pallas  sie  lehrte. 

Doch  diess  leugnet  sie  ab,  und  der  trefflichen  Lehrerin  abhold. 

Spricht  sie:  sie  kämpfe  mit  mir!     Nichts  ist,  was  besiegt  ich  vcrweig're.^ 


Nun  beginnt  der  Wettkampf  mit  der  als  altes  Mütterchen  unkenntlich 
verkappten  Athene: 

„Sonder  Verzug  nun  stellen  sich  beid'  an  verschiedene  Orte, 

Und  mit  zartem  Gewebe  bespannt  jedwede  den  Webstuhl. 

Fest  ist  der  Zettel  am  Baum;  der  Rohrkamm  sondert  die  Päden; 

Mitten  geschossen  hindurch  wird  mit  spitzigem  Schiffchen  der  Einschlag, 

Den  abwickelt  die  Hand,  und  zwischen  die  Fäden  gezogen. 

Dann  mit  gestossenem  Kamm  einschlagen  gekerbete  Zähne." 

Bei  der  nun  beginnenden,  au  die  künstlichsten  Gobelin-Darstellungen 
erinnernden  Gebildweberei  zeichnet  die  Arachne  sich  der  Art  aus,  dass  die 
Göttin  in  Neid  und  Zorn  das  Teppichgewirk  zerreisst  und  mit  einem 
i,g;ytorisclien  Webschiff  der  Künstlerin  ins  Gesicht  schlägt.  Tief  gekränkt 
will  dlÄ^®  ^^^^^  aufhängen,  da  verwandelt  die  Gottheit  sie  mit  einer  halben 
Anwandlun<^%^oii  Mitleid  iu  eine  Spinne. 

Auch  von  461'  Spinnerei  als  Hausindustrie  erfahren  wir  bereits  in 
der  Ilias  XU,  433  ff-: 

Gleich  wie  die  Wage  steht,  wenn  ein  Weib,  lohnspinnend  und  redlich 

Abwägt  Woir  und  Gewicht  und  die  Schalen  beid'  in  gerader 

Schwebuu"-  hält,  für  die  Kinder  den  ärmlichen  Lohn  zu  gewinnen." 

Solchero'estalt  ist  das  S|dnnen  und  Weben  für  das  gesamte  weibliehe 
Geschlecht  gewissermassen  typisch  und  symbolisch  geworden,  wie  die 
kriegerische  Beschäftigung  für  ken  Mann.  Nichts  kann  dessen  Erniedrigung 
mehr  kennzeichnen,  als  wenn,  er  mit  den  Attributen  jener  weiblichen 
Künste  iu  Beziehung  gebracht  ^ird.  Dies  drückt  die  hellenisch-asiatische 
Sage  aus,  wenn  sie  die  Omphak  Tochter  des  lydischen  Königs  Jordanes 
und  Gemahlin  des  Tmolos,  dei  Herakles  die  Keule  und  Löwenhaut  ab- 
nimmt imd  ihn  mit  Spindel  unoWocken  ausrüstet.     Um  ein  Beispiel  aus 


) 


Anfänge  der  Webekunst.  141 

der  deutschen  Geschichte  anzuführeu,  so  wurde  der  Sohn  Herzog  Bogislav  X. 
von  Pommern,  Prinz  Barnim,  der  sich  mit  Drehen  und  Drechsehi  be- 
schäftigte, wohl  mitunter  mit  der  Bemerkung  „doar  kümmt  uns  spilklreher" 
(da  kommt  unser  Spillen-  oder  Spindeldreher)  etwas  abfällig  begrüsst,  weil 
er  als  Fürst  sich  herbeiliesse,  Weibergerät  anzufertigen.  Das  altdeutsche 
Recht  teilt  in  dem  Sinne  die  Verwandtschaft  (Magschaft)  in  die  männliche 
Sippe,  die  Schwertmagen,  bezw.  in  die  weibliche  Sippe  der  Spill- 
mageu,  und  wenn  ein  Lehen  ausnahmsweise  der  Spillmagschaft  zufällt,  so 
ist  es  ein  Kunkel-Lehen. 

Fassen  wir  nunmehr  die  Technik  der  Textil-Industrie  zusammen,  so 
scheint  dieselbe  chronologisch  vier  Stadien  der  Entwickelung  durchlaufen 
zu  haben. 

I.    Das  Verbinden  grösserer  mehr  oder   minder  künstlich  zu- 
bereiteter Stücke   von  tierischer  oder  pflanzlicher  Masse  zu 
Decken  und  Säcken,  Vorhängen,  Gewändern  u.  dgl.  mittels 
der  Nadel. 
II.    Die  Erfindung  des  Filzes. 
ni.    Die  Erfindung  des  Flechtens.     Endlieh 
rV.    Das  Spinneu  und  Weben. 
Zu  I    ist    zu  unterscheiden,    ob  die  Volksstämme  mehr  von  der  Jagd 
oder  mehr  von  pflanzlicher  Kost  gelebt  haben,  darnach  überwiegt  jenachdem 
das  Zusammennähen    imd  Verschnüren    von  Fellen    und  Häuten    oder  die 
entsprechende  Verarbeitung  von  Baumrinde,  Bast,  Pflanzenmark  und  weichen 
aber  zähen  pilzartigen  Schwämmen. 

In  Afrika  und  Oceanien  verstehen  viele  Naturvölker  es,  durch  Klopfen 
und  Walzen  Rinde,  Bast  und  Pflanzeumark  zu  grossen  Stücken  auszudehnen, 
die  sicli  zu  Kleidungsstücken,  Vorhängen,  Decken  u.  dgl.  mit  Hilfe  der 
Schnür-  oder  Nähnadel  verbinden  und  verarbeiten  lassen.  Die  Nadeln 
(Heft-,  Schnür-,  Pack-,  Nähnadeln)  gehen  aber  in  Europa,  wie  schon  an- 
gedeutet, vermutlich  bis  in  die  interglaziäre,  paläolithische  Zeit  zurück. 

Dass  bei  unseren  nordischen  Völkern  (Lappen,  Finnen,  Germanen, 
Kelten)  die  Veruähung  von  Fellen  und  Pelzwerk  uralt  sei.  ist  jedermann 
hinlänglich  bekannt,  weniger  bekannt  erscheint  es,  wie  auch  die  Benutzung 
der  vorerwähnten  Pflanzeustoffe  eine  recht  allgemeine  war  luid  teilweise 
noch  ist. 

Pomponius  Mola,  ein  Zeitgenosse  des  Kaisers  Claudius,  sagt  in  seiner 
Schrift  De  chorograph.  Ul,  3  von  den  Germanen:  „die  Männer  hüllen  sich 
in  kurze  Mäntel  oder  in  Baumbast".  Es  ist  darunter  der  zähe  Bast  der 
Linden  und  die  geschmeidige  Rinde  der  Birken  zu  verstehen. 

Karl  Weiuhold  in  seinem  Altnordischen  Leben  (Berlin  1856) 
erwähnt  S.  301,  312,  317  der  schweren  Riudenkleider,  welche  die  skandi- 
navischen Recken  trugen,  mehrfach.  Der  noch  jetzt  im  Nordland  gefeierte 
Örvar-Odd  kam  unbekannt,    ganz  in  ein  Rindeukleid  gehüllt,  an  den  Hof 


142 


Friedel: 


Köiiio-  Herrauds.  Er  uanute  seinen  Nanieu  nicht  und  liiess  deshalb  bloss 
der  Eindenmann.  Immerhin  scheint  schon  damals  die  Bast-  und  Rinden- 
Gewandung  den  Beigeschmack  des  altertümlichen  und  bäurischen  geliabt 
und  mitunter  zum  Spott  herausgefordert  zu  haben.  Mit  Birkenrinde  um- 
wickelten sich  vornelunlich  die  Inlaudstämme  die  Schenkel  und  hiessen 
davon  „Birkibeiner".  Noch  die  dalekarlische  Landmiliz,  auf  welche 
um  1520  sich  Gustav  Wasa,  bei  seiner  Erhebung  gegen  Christian  IV.  und 
die  dänischen  Zwingherrn  stützen  musste,  wurde  zum  Hohn  „Birkenbeiner" 


genannt. 


Noch  jetzt  hat  sich  unter  manclion  der  VölkerschafteJi  des  europäischen 
Rnsslands  die  Bast-  und  Rindenkleidung  erhalten. 

Besonders  seltsam  und  uraltertümlich  mutet  die  Verwendung  von 
Pilzen  als  Kleidungsstücken  an.  Ich  lege  einen  siebenbürgischen  Bauern- 
hut, von  den  dortigeii  deutschen  Sachsen  gefertigt,  vor,  den  icli  iui  Jahre 
1885  in  Budapest  auf  der  ungarischen  National-Ausstellnng  erworben  habe 
und  welcher  aus  dem  gebeizten  und  geklopften  Gewebe  des  Feuer- 
schwamms  (auch  echter  Zunderschwamm,  Polyporus  fomentarius, 
genannt)  angefertigt,  sehr  leicht,  elastisch  und  brauchbar  ist.  Noch  vor 
wenigen  Jahrzehnten  wurden  aus  demselben  Pilze  in  den  neumärkischen 
Dörfern  der  Gegend  um  Küstrin  Mützen,  Handschuhe,  ja  ganze  Westen, 
die  sammetartig  weich  gewesen  sein  sollen,  zusammengenäht.  Ob  diese 
nrsteinzeitliche  Bekleidungsweise  sicli  noch  bis  jetzt  in  unserer  Provinz 
Brandenburg  und  sonst  wo  in  Deutschland  erhalten  hat.  vermag  ich  nicht 
zu  sagen.  ^) 


1)  Geh.  Eegienmgs-Rat  Weinhold  entsinnt  sich  aus  semev  Jugendzeit  der  an  dem 
schlesischen  Gebirge  mit  ihrer  au.s  Polyporus  ibmentarius  gefertigten  Ware  herumziehenden, 
im  Volk  sogenannten  Schwammkappenmänner.  Einen  mit  einer  Sehwammkappe  bekleideten 
Mann  sah  ich  im  Juli  1894  im  Vorarlberg  bei  Reutte.  Apotheker  0.  Fischer  in  Sagan 
schreibt  mir,  dass  er  im  Jahre  18S7  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Bad  Landeck,  Graf- 
schaft Glatz,  wiederholt  bei  Landleuten  aus  Dörfern  unterhalb  des  Schneeberges  und  des 
Puhu,  wie  Seitenberg,  Kiessengrund,  Schreckendorf,  Mützen  aus  diesem  Schwamm  gesehen 
habe.  Ausserdem  befasste  sich  der  Wirt  des  Waldschlösschens  bei  Landeck  mit  dem 
Verkaufe  derartiger  Kopfbedeckungen.  Er  bezog  sie  von  einem  „Schwammkapplamoan" 
in  Seitenberg.  —  Rektor  Eisner  zu  Königshütte  O.-Schl.  teilt  mir  unterm  30.  dcss.  mit: 
Im  Sommer  1889  hielt  ich  mich  als  Tourist  einige  Tage  in  dem  Kaltwasserkurort  Gräfen- 
berg  bei  Freiwaldau  in  Österr.-Schlesien  auf.  Im  Vorllur  des  grossen  Kiu-saales  daselbst 
traf  icli  einen  Mann,  welcher  Mützen,  Hüte,  Pantoffeln  und  Schlafschuhe  aus  Zunder- 
schwamm feilhielt.  Er  meinte  auch,  die  genannten  Kopfbedeckungen  wirkten  gegen  Kopf- 
schmerz. Im  vorigen  Sommer  fand  ich  in  dem  Strassenwirtshaus  „An  der  Gabel''  am 
Pusse  des  Altvaters,  in  der  Nähe  der  Stadt  Wüi-benthal  (Österr.-Schl.)  ebenfalls  ein  ganzes 
Warenlager  solcher  Gegenstände  aus  Zunderschwamm.  —  Herr  Gustav  Klein  von  hier 
schreibt  mir,  dass  ihm  Mützen  von  Schwamm  in  verschiedenen  Formen,  die  durch  rotes 
und  grünes  Band  zusammengenäht  sind,  von  herumziehenden  Händlern  in  Österr.-Schlesien 
zu  Lindewiese  und  Gräfenberg  angeboten,  worden  seien.  —  Da  Knöpfe  zur  Bekleidung 
häufig  nötig  sind,  will  ich  noch  eine  mir  von  dem  hiesigen  Professor  der  Botanik,  Dr.  Paul 
Magnus  gewordene  ^litteilung  anfühi-en,  dass  man  aus  einer  anderen  Polypnrusart,  aus 
Polyporus  annosns,  in  Österreich  Knöpfe  anfertigt. 


Anfänge  der  NYebeknnst.  143 

Zu  n.  Die  Bereitung  des  Filzes,  d.h.  das  Zusammenschlageu  und 
Verarbeiten  von  unregelmässig  verschlungenen  Fasern  und  Haaren  bildet 
bereits  einen  wichtigen  Fortschritt  in  der  Richtung  auf  die  eigentliche 
Textilübung,  und  hier  mögen  zuerst,  \Yie  schon  angedeutet,  verschiedene 
Tiere,  welche  in  der  Bereitung  des  Filzes  eine  grosse  Fertigkeit  erlangt 
haben,  des  Menschen  Lehrmeister  gewesen  sein.  Abgesehen  von  den 
Hüten,  bei  denen  der  Filz  wegen  seiner  geringen  Durchlässigkeit  sich  stets 
behaupten  wird,  ist  derselbe  allmählich  durch  die  Verfeinerung  der  Schaf- 
wolle und  die  schon  früh  erblühende  Wollenweberei  zurückgedrängt  worden. 
Er  hat  sich  aber  in  den  von  bajuvarischen  und  schweizerischen  Volks- 
stämmen bewohnten  Hochgebirgen,  wo  nur  noch  straff  haarige  Schafe  und 
Ziegen  gedeihen,  deren  Haare  sich  zur  Weberei  weniger  eignen,  erhalten 
und  ist  bekanntlich  unter  dem  Namen  „Loden"  in  demselben  Masse  als 
der  alpine  Sport  zugenommen,  sogar  von  der  Mode  für  salonfähig  erklärt 
worden. 

Zu  IH.  Der  eigentlichen  Webekunst  nähern  wir  uns  nunmehr  mit 
dem  Flechten,  das  zunächst  ohne  Gerät,  nur  mit  den  Fingern  geübt  wird. 
Li  einigen  Teilen  Deutschlands,  z.  B.  im  osthavelländischen  Kreise  und  in 
der  Umgegend  von  Lübeck  hat  sich  die  Sitte  mit  je  drei,  also  zusammen 
sechs,  Fingeru  der  beiden  Hände  Peitschenschnüre,  Ketten,  Plattschnüre, 
Schlüssel-  und  Grift'elbänder  u.  s.  w.  aus  zwei  Fäden  (meist  aus  zwei  Strähnen 
zusammengesetzten  Fäden),  gewöhnlich  in  bunten  Mustern  zu  flechten  oder 
weben,  wie  Ihnen  Beispiele  zeigen  mögen,  bis  heutigen  Tags  erhalten. 
Hierhergehörige  Proben,  welche  meine  Tochter,  Gesa  Friedel,  gefertigt, 
lege  ich  hiermit  vor.  Komplizierter  und  dem  Weben  ähnlicher  wird  eine 
andere  Textilkunst  von  unseren  Schulkindern  vielfach  ausgeübt.  Man 
benutzt  dabei  eine  konzentrisch  durchbohrte  Scheibe  aus  Borke,  Pappelholz 
oder  Flaschenkork  mit  vier  oder  fünf  oben  eingespinnten  Stecknadeln  oder 
Dornen,  au  denen  die  Fäden  befestigt  werden.  Mau  strickt  oder  webt  mit 
den  Fingern  dm'ch  die  Öffnung  der  Scheibe  bunte,  innen  hohle  Schnüre, 
in  der  Farbe  abwechselnd,  hintereinander  bunt,  zum  Pferdespiel,  zu  Spring- 
leiuen,  Uhrketten  u.  dgl.  Ich  habe  als  Quartaner  und  Tertianer  auf  dem 
hiesigen  Friedrich- Werderschen  Gymnasium  iu  langweiligen  Schulstunden 
selbst  zum  Zeitvertreib  mit  meinen  Klassengenossen  auf  diese  Weise  gewebt. 
Es    geschieht    dies    noch  jetzt    iu    vielen    höhereu    und  niederen  Schulen 


Endlich  sei  erwähnt,  dass  ein  anderer  bei  uns  gemeiner  Pilz,  der  Riesen-Bovist 
oder  -Püster  (Lycoperdon  gemmatiim,  auch  Wolfsrauch  oder  Kugelschwamm  genannt), 
der  im  geschlossenen  Zustande  so  gross  wie  eine  ansehnliche  Kegelkugel  wird,  der  Art, 
dass  ein  einziges  Exemplar  für  mehr  als  eine  Person  eine  gesunde  Mahlzeit  abgiebt,  in 
seiner  Herbstform  sich  zu  einem  aus  einer  derben,  zähen,  dabei  sammetweiclieu  bräunlichen 
Becher  ausbreitet,  der  nicht  bloss  als  Zunder  beim  Feueranschlagen  und  zum  Blutstilleu, 
sondern  auch  als  Käppchen  von  Kindern  gebraucht  wird.  Es  lassen  sich  von  ihm  auch 
grössere  Mützen  zurechtnäheu.  Paul  Kummer,  Kryptogamisthe  Charakterbilder, 
1878,  S.  202. 


144  Friedel: 

Berlins    und   der  Provinz  Brandenburg,    luid  auch    sonst,    wie  mir  gesagt 
ist,  in  manchen  Teilen  Deutschlands. 

Zu  IV.     In    das  Spinnen  greift  jenes  primitive  Flechtweben  bereits 
insofern    über,    als    es  sich  nur  mit  gleichmässigen  Fäden  bewirken  lässt, 
auf  welche  man  bei  der  feineren  Flechterei  mit  Gras,  Schilf,  Sti-oh  allmählich 
selbst  gekommen  sein  wird.     Bekanntlich  verstehen  ausser  den  hochkunst- 
fertigen Japanesen  verschiedene  Völker  so  dicht  und  fein  zu  flechten,  dass 
sie  wasserdichte  Matten  und  selbst  Gefässe  zum  Kochen  und  Wasserti-ansport 
dadurch  herzustellen  vermögen.     Ist  das  Spinnen  als  Anfertigung  gleich- 
mässiger  Fäden  km-z  zu  definieren,   so  die  Weberei  als  die  regelmässige 
Verschlingung     meistens     rechtwinkelig     sich    kreuzender    Fäden    mittels 
mechanischer  Vorrichtung.     Beim  Webstuhl,   der  in  primitivster  Form  mit 
den  Fingern  und  den  bei  den  malayischen  Stämmen  affenartig  beweglichen 
Fusszehen  betrieben,  im  indischen  Archipelagus  vorkommt,  heissen  die  der 
Länge  lang  laufenden  Fäden,  Kette,  Zettel,  Werfte  oder  Aufzug,  die  meist, 
aber  nicht  immer,  sich  rechtwinkelig  kreuzenden,  der  Breite  nach  laufenden 
Fäden  Einschlag,    Eintrag    oder  Schluss.     Beim  Wirken    vereinigen   sich 
die  Fäden  in  verschiedenen  Richtungen  dergestalt,  dass  Maschen  entstehen, 
wie    beim  Spitzengrund    und    der  Sti'umpfwirkerei.     In  der  volksmässigen 
blossen   Handarbeit    entspricht    also    dem  Weben    das  Flechten    und    dem 
Wirken  das  Stricken. 

Was  das  Spinnen  anlangt,  so  ist  dessen  Entwickelimg  viele  Jahrtausende 
hindurch  eine  überaus  langsame  gewesen,  denn  das  Spinnrad  ist  erst  153Ö 
von  dem  Bildschnitzer  Johann  Jürges  in  Watenbüttel  erfunden.  Jür2;es 
setzte  an  Stelle  der  damals  noch  durchaus  überall  verbreiteten  Handspindel 
die  Flügelspindel  oder  Drossel,  auf  welcher  die  Spuhle  sitzt  und  den  von 
der  Drossel  geführten  Faden  aufnimmt. 

In  den  jungsteinzeitlichen  Pfahlbauten  der  Schweiz,  welche 
einige  tausend  Jahre  vor  Christi  Gebui't  zurückreichen  mögen,  finden  wir 
schon  die  ganze  Ausstattung  der  Spinnerei  und  Weberei  und  deren  Er- 
zeugnisse in  einer  bewundernswürdigen  Ausbildung.  Es  existierte  bereits 
der  Webstuhl  mit  seinem  Webeschififehen.  mit  seinem  Zettelstrecken  zum 
Ausstrecken  des  Gespinustes,  selbsti-edend  auch  die  Kimkel,  die  Spindel 
und  der  zur  Erleichterung  des  Padendrehens  bestimmte  SpLndelstein  oder 
Wirtel,  den  ich  in  Irland  durch  eine  Kartoffelschnitte,  in  Neapel  durch  ein 
Rübenstüek  km-zer  Hand  und  so  urzeitlich  wie  möglich  habe  ersetzen 
sehen.     (Vgl.  Aum.  1  auf  S.  138.) 

Wie  verschiedenartig,  bei  aller  sonstigen  Gleichsinnigkeit  der  Knltur- 
entwickelung,  nahe  verwandte  Völker  dennoch  sich  verhalten  haben,  beweist 
das  verwendete  Material.  In  jenen  m'alten  Webereien  der  schweizerischeu 
Steinzeit  ist  bereits  der  Flachs  versponnen  und  zu  ansprechend  gemusterten 
Köper-    und  Damast-Stoffen    verai'beitet  worden,    aber  nicht  unser  Flachs 


Anfänge  der  Webekunst.  145 

odei'  Lein  (liiiuni  usitatissimum),  sondern  eine  mediterranne  Art,  später 
angeblich  auch  der  vom  Osten  eingewanderte  Häuf. 

Dagegen  scheint  noch  das  Flachsgewebe  bei  den  Germanen  der 
ersten  römischen  Kaiserzeit  etwas  Seltenes  gewesen  zu  sein.  Zwar  wird 
uns  von  Strabo  (VII,  c.  2)  erzählt,  dass  die  grauhaarigen  Priosterinnen 
der  Cimbern  weisse  Gewänder  (?  von  Wolle)  und  darüber  Mäntel  von 
feinstem  Flachs  getragen  hätten,  allein  dies  war  eine  ganz  besondere  kost- 
bare Auszeichnung,  etwa  vergleichbar  den  seidenen  Messgewändern  des 
frühen  Mittelalters,  als  selbst  die  vermögenderen  Stände  Sammet  und  Seide 
wegen  dessen  übergrosser  Kostbarkeit  noch  nicht  zu  tragen  imstande  waren. 

Plinius  (Naturg.  19,  c.  1)  schreibt:  „In  ganz  Gallien  webt  man  Linnen- 
zeug; jetzt  thuu  es  auch  schon  die  Feinde  (d.  s.  die  Germanen)  jenseits 
des  Rheins,  und  kein  anderes,  schöneres  Gewand  kennen  ihre  Weiber.  — 
In  Germauion  betreiben  sie  diese  Arbeit  unter  der  Erde  nnd  gleichsam 
vergraben."  —  Das  sind  die  Anfänge  unserer  von  den  Dichtern  gefeierten, 
leider  auf  dem  Aussterbeetat  stehenden  Spinnstuben. 

Dies  berichtet  Plinius  der  Ältere,  der  beim  Ausbruch  des  Vesuvs, 
70  n.  Chr.  ums  Leben  kam.  Tacitus,  der  noch  den  Tod  des  Kaisers 
Trajan  im  Jahre  117  überlebte,  erzählt  Germania  17  folgendes  von  unseren 
Altvorderen : 

„Als  Körperbedeckung  dient  allen  ein  Mantel,  durch  eine  Spange,  oder, 
wenn  es  daran  fehlt,  durch  einen  Dorn  zusammengehalten.  Im  übrigen 
unbekleidet,  bringen  sie  ganze  Tage  am  Heerde  und  am  Feuer  zu.  Die 
Reichsten  tragen  zum  Uuterschiede  einen  Rock,  der  nicht,  wie  bei  den 
Öarmathen  und  Parthern,  weit  und  bauschig  ist,  sondern  eng  anschliesst 
und  die  einzelnen  Gliedmassen  gleichsam  abformt.  Auch  Tierfelle  tragen 
sie:  die,  welche  hart  am  Rhein  wohnen,  ohne  Achtsamkeit,  die  weiter 
entfernten  mit  mehr  Auswahl,  wie  ihnen  ja  keine  Kultur  durch  den  Handel 
zugeführt  wird.  Sie  wählen  sich  die  Tiere  aus  und  besetzen  die  ab- 
gezogenen Pelle  mit  anderen  buntgefleckten  von  Tieren,  die  der  äussere 
Ocean  und  das  unbekannte  Meer  hervorbringt.')  In  nichts  unterscheidet 
sich  die  Tracht  der  Weiber  von  der  der  Männer.  Nur  hüllen  sich  die 
Weiber  öfters  in  leinene  Gewänder,  welche  sie  bunt  mit  Purpur  verbrämen 
und  verlängern  nicht  den  oberen  Teil  des  Gewandes  zu  Ärmeln:  Arm  und 
Schulter  bleiben  nackt,  aber  auch  noch  der  nächste  Teil  der  Brust  ist 
sichtbar." 

Also  der  Hausschatz  unserer  deutschen  Frauen,  das  Linnenzeug,  war 
auch  damals  noch  den  Germanen  eine  Seltenheit.  Die  erwähnten  an- 
liegenden Gewänder  werden  wir  uns  daher  aus  Wolle  gewebt  denken 
müssen,    und    in    der  That    kommen    schon    in  unseren  Gegenden  Webe- 


1)  üeinoint  sind  die  Felle  der  Seehunde  nnd  Robbon,  Plioca  vitulina,  und  annu- 
lata,  sowie  von  Halichoerus  grypus,  der  bis  8  Fuss  langen  grössten  deutschen  Robbe  u.  s.  w. 


Hß  Pi-iedel:  Anfänge  der  Webekunst. 

gewichte    zur  Zeit    der    ostgermanischeu  Gräberfelder,    also   etwa  500  vor 
Christi  vor. 

Auf  Island  und  auf  der  Zwischenstation  dahin,  den  Faeröer,  haben 
sich  neben  vielen  ursprünglichen  Gebräuchen  und  Sitten,  welche  erst 
kürzlich  in  unserer  Zeitschrift  (III,  155  f.  285  f.)  eine  anziehende  Würdigung 
vou  V.  U;  Hammershaimb  gefunden,  auch  primitive  Webstühle  erhalten, 
von  denen  ich  Ihnen  die  Abbildung  eines  im  Nordischen  Museum  in 
Kopenhagen  aufbewahrten  Exemplars  vorzeige.  Die  Webegewichte  bestehen 
aus  eingekerbten  Steinen;  statt  des  Webeschiffchens  dient  ein  loses,  aus 
Walknochen  gefertigtes  Webeschwert')  oder  ein  geschäfteter  Walrosszahn, 
wie  ich  Ihnen  ein  dergleichen,  von  der  berühmten  Vega-Expedition  von 
Nordenskjölds  herrührendes  Stück,  welches  mir  1882  in  Carlskrona  verehrt 
wurde,  vorlegen  kann. 


Von  den  Tväla'end  des  Vortrages  vorgewiesenen  zahh'cichen  primitiven  (ieräten  und 
Fabrikaten  sind  die  nachfolgenden  abgebildet  worden. 

1.  Flecht-  und  Stricknadel  (..Löser"  in  der  Mark  Brandenburg  genannt!,  aus  Wild- 
tierknochen, 20  an  lang,  mit  durch  den  Gebrauch  entstandenen  Kerben,  aus  dem  Sande 
der  Havel  gebaggert  bei  Zehdenick,  jungsteinzeitlich.    MM.  B.  II,  18395.-) 

2.  Flachhohle  Platte  aus  feinem  Kalkstein,  11  cm  lang,  4,5  cm  breit;  war  mittels  der 
vier  Löcher  auf  Leder  befestigt  und  wurde  durch  Fäden  vor  die  Pulsader  des  linken  Arms 
gebunden,  um  den  gefähidichen  Rückschlag  der  Bogensehne  beim  Abschiesseu  unschädlich 
zu  machen.  Seltenes  Stück,  wii-d  bei  jungsteinzeitlichen,  unverbrannten  Leichnamen  ober- 
halb der  linken  Handwm-zel  der  Gerippe  gefun<len,  stets  nur  dort  und  stets  nur  einzeln, 
niemals  paarweise.    Kleptow,  Kreis  Prenzlau.     MM.  B.  IL  9052. 

3.  Schnümadel  aus  Bein,  9  cm  lang.  Schönwerder,  Kreis  Prenzlau.  Jungsteinzeitlich. 
II,  9065. 

4.  Falzhein  aus  Elentierknochen.  Sehr  glatt,  Sti-eicher  beim  Weben.  .lungstein- 
zeitlich.     17  cm  lang.     Schönwerder,  Kreis  Prenzlau.     II,  90(i6. 

5.  Wirtelstein  aus  feinem  Sandstein,  4,2  cm  Durchmesser,  scharf  gerieft.  Königsberg 
in  der  Neumark.    II,  10  005. 

6.  Wirtelstein,  Scheibe  aus  Sandstein,  3,5  cm.  Durchmesser.  In  Wai'uitz,  Kr.  Königs- 
berg, N.-M.,  auf  einer  Burgwallstelle  gefunden.    Wendisch.     II,  11515. 

7.  Verzierter  hoher  Spinnwirtel  ans  Thou,  Burgwallstelle ,  wie  vorher  gefunden. 
Wendisch.    II,  11518. 

8.  Mit  kleinen  Näpfchen  verzierter  Spinnwirtel,  scheibenförmig,  aus  Sandstein.  Bui'g- 
wallstelle  Warnitz,  wie  vorher.    Wendisch.     II,  11  514. 

9.  Spinnwirtel  aus  Thon,  Peripherie  gezackt,  8  cm  Durchmesser.  Pfalilbau  Möringen, 
Schweiz.    Keltisch.     III,  591. 

10.  Webegewicht  aus  Thon,  5  cm  hoch,  unter  dem  verjüngten  Ende  quer  durchbohrt. 
Püritz,  Kr.  Sorau.     Germanisch.    II,  15  799. 

11.  Leinwandsäckchen,  '■'/s  d^r  Grösse,  wendisch,  mit  Münzen  des  11.  Jahrhunderts,  in 
einem  Thongefäss  mit  sechs  ähnlichen  Beut  eichen  zusammen  gefunden  bei  Sonnenwalde, 
Kr.  Luckau.    II,  10053. 


1)  Worsaae,    Nordiske  Oldsager    i    det  K.  Museum  i  Kjöbenhavn.    S.  159, 
Figur  558. 

2)  MM.  pp.  bedeutet  die  Katalognummer,  welche  das  Stück  im  Märkischen  Provinzisl- 
Museum  der  Stadt  Berlin  führt. 


Renk:  Volksrätsel  aus  Tirol.  J4Y 

__  12.  Glättknochen,  wendisch,  beim  Weben  gebraucht.  Mittelfussbiochen  vom  Pferd. 
Ahnliche  Knochengeräte  werden  in  den  wendischen  Bnrgwällcn  des  11.  u.  12.  Jahrhunderts 
nicht  selten  ausgegraben.    Altmark.    VI,  994. 

13.  Glatt-  oder  Gniddelstein  aus  grünem  Glas,  7  cm  Durchmesser,  3  cm  hoch.  Märkiscli. 
Neuzeitlich.     /Cum  Glätten  der  Hausmacher-Leinwand.     VI,  1000. 

14.  Kunkelstein  aus  feinem  Kalkstein,  9  cm  breit,  b  cm  hoch,  450^  schwer.  Mit 
romanischen  Verzierungen,  seltenes  frühcliristliches  Gerät  in  dem  wendischen  Burgwall  von 
Wiek  bei  Gutzkow,  Neu  Vorpommern,  ausgegraben  1.  Hälfte  dos  12.  .Jalirhuiiderts  MM 
B.  11,  7901. 

15.  Kunkelstein  aus  gebranntem  Thon,  9,5  c«(  Dm-chmesser,  Loch  i  cm  laug,  2,2  c;» 
Durchmesser.    Neuendorf,  Kr.  Zauche-Belzig.    IV,  1555. 

16.  Ledderings -Brett,  zum  Stricken  der  Netze  für-  den  Fang  des  Bleis  vBrachseu, 
Brassen,  Abramis  brama).  Bezeichnet  I.  C.  S.  1731,  von  Oderberg  in  der  Mark  MM 
VI,  4403,  15  cm  hoch,  8  cm  breit. 

17.  Netzstrickuadel  aus  Holz  mit  innerem  Dorn,  27  cm  lang,  2  cm  breit,  bezeichnet 
X  •  VI.  1794.     Oderberg  in  der  Mark.     VI,  1952. 

18.  Holzspindel,  36  cm  lang,  mit  aufgewickeltem  Flachs  und  aufgestecktem  thönemem 
Spinnwirtel  MM.  VI,  1210  Provinz  Posen.  Dgl.  Spindeln  und  Spinnwirtel  sind  noch 
üblich  bei  den  Kassuben  Hinterpommerns,  sowie  bei  den  Slaven  Westpreussens  und  Ober- 
schlesiens.  In  letzteren  zwei  Landesteilen  werden  sie  noch  gefertigt.  Sie  sind,  um  ein 
Beispiel  vom  fernen  Westen  Europas  beizubringen,  a>ich  noch  üblich  in  den  spanischen 
und  französischen  Pyrenäen.  Für  die  Dörfler  der  letzteren  werden  noch  jetzt  sehr  zierliche 
kleine  Wirtelsteiue,  glasiert  und  bunt  verziert,  aus  hartem  Steinzeug  und  grobem  Porzellan 
hergestellt.  In  der  Sammlung  der  Berliner  Anthropologischen  Gesellschaft,  befinden  sich 
seit  diesem  Jahre  Exemplare  aus  den  französischen  Pyrenäen. 

19.  Primitives  Weliegerät  eines  Berliner  Schulkindes  von  1894.  Diu-chbohrte  Kork- 
scheibe, fünf  Stecknadeln  zur  Befestigung  der  Fäden,  Anfang  des  rundlichen,  eine  Röhre 
bildendeiv  Geflechtes.     MM.  VI,  11  219. 

20.  Kammartiges  Webebrett  für  Bandweberei,  wie  sie  noch  vielfach  bei  der  Jugend 
üblich.  18.  Jahrhundert.  Aus  der  Altmark  stammend.  24  cm  hoch,  15  cm  breit.  MM 
VI,  11217. 

21.  Päckchen-Geflecht,  rund,  als  Hülle  für  Flaschen.  Zara  in  Dalmatien.  Modern 
MM    VII,  200. 

22.  Hut  aus  einem  einzigen,  sehr  grossen  Schwammpilz,  Polyporus  fomentarius,  gefertigt, 
wiegt  nur-  35  g.     Siebenbürgische  Bauernarbeit  1885.     MM.  VII,  199. 

23.  Webestuhl  der  Jungsteuizeit.  Nach  Funden  in  den  Schweizer  Pfahlbauten.  Links 
Figur  1,  2  und  3  zeigen  die  Vorljereitung  zum  Weben,  bezw.  die  Fadenverschlingung. 
Rechts  Figur  6  auf  dem  Webstuhl  hergestelltes,  damastartiges  Linnengewebe.  3  und  5 
derbe  Geflechte.  Figur  4  Probe  eines  geknoteten  Fischernetzes.  Figur  2  Päckchen- 
Flechtwerk.  Figur  1  korbartiges  Rutenflechtwerk.  Nach  W.  Bär  und  Fi-,  v.  Hellwald,  Der 
vorgeschichtliche  Mensch,  der  Webstuhl  speciell  nach  den  Angaben  und  Versuchen  des 
Bandfabrikant  Paur  in  /ürich. 


Volksrätsel  aus  Tirol. 

Gesammelt  von  Antou  Renk. 


1.    Es  geht  ein  Händler  über  Land,   der  nimmt,  was  er  nicht  findet  mit;  was 
er  findet,  Icässt  er.  ^  (Der  Mensch  uud  die  Läuse.) 

Vintschgau,  Oberinnthal. 


148  Renk: 

2.   Es  stehn  zwei  Latten ')  aufrecht 
Und  obendrau  a  schöns  Haus-') 
Und  obendrau  a  Pederkorb') 
Und  obendrau  a  Brotgromle  *) 
Und  obendrau  a  WakP) 
Und  da  gehn  die  Schafe'^)  auf  die  Wcid.    (Der  Mensch.)    Pendels. 

3.    Zwei  Platten,  zwei  Säulen, 

Ein  Kasten,  eine  Mühl,  4.    Variante: 

Zwei  Ringe'),  zwei  Lichter'*)  Ein  Kasten,  ein  Wald, 

Und  obendrau  a  Wald,  Wo  jung  und  alt  drin  ist. 

Geht  spazieren  jung  und  alt.  (Mensch.)     Pitzthal. 

(Der  Mensch.)     Pitzthal. 
5.    Bote:  Der  Herr  schickt  mich  hieher. 
Du  wirst  schon  wissen  wer. 
Du  sollst  ihm  schicken  das, 
Du  wirst  schon  wissen,  was! 
Weib  (in  der  Schwangerschaft): 
Setz  dich  ein  wenig  nieder 
Und  sag  dem  Herren  wieder: 
Ich  werd  ihm  schicken  das. 
Er  wird  schon  wissen,  was. 
Wenn  der  Berg  vergeht 
Und  es  vor  mir  steht, 
Werd  ich  ihm  schicken  das, 
Er  wird  schon  wissen  was!  (Das  Rind  )     Paznaun. 

G.    Es  sind  zwei  Brüder  zwischen*)  einem  Bühel,  die  sehen  einander  nie. 

(Augen.)     Pendels. 

7.  Ein  Stall  voll  weisse  Schnf.  (Mund  mit  den  Zähnen.)     Pitzthal. 

8.  Timmerl,  Tammerl,  ö.    Zehn  ziehn, 
Dunkles  Kammerl  Zehn  schliefen 

Und  ein  beinernes  Gatterl  vor.  Durch"n  Trantsclienberg  auf. 

(Mund.)     Pitzthal.  (lü  Finger  und  10  Zehen  beim 

Hosenanziehen.)    Lechthal. 

10.  Was  kommt  juchzender  auf  die  Welt?  (Purz.)     Oberinnthal. 

11.  Es  geht  etwas  Totes  durch  den  Wald 

Und  nimmt  das  Lebendige  mit.     (Der  Kamm  beim  Kämmen.)    Eben. '") 

12.  Was  braucht  der  Mensch  am  notwendigsten, 

Wenn   er  auf  die  Welt  kommt?  (Platz.)     Eben. 

13.    Der  Zweifuss 

Hockt  am  Dreifuss, 
Schlägt  den  Vierfuss 
Mit  dem  Einfuss, 
Dass  er  schreien  rauss. 
(Der  Schuster,  am  Schusterstuhl  sitzend,  schlägt  den  Hund  mit  dem  Stock.) 

Pendels. 


1)  Beine.  2)  Rumpf.  3)  Bärtiges  Kiun.  4)  Brotschneidemaschine,  mei.st  ein  an  einer 
Platte  einseitig  befestigtes  Messer  =  der  Mund.  5)  Kopfhaar,  (j)  Läuse.  7)  Augenhöhlen. 
8)  Zwei  Liclitlein.  1»)  zwischen  dialektisch  gebrancht  (durch  einen  Bühel  getrennt). 

10")  Ellen  ist  ein  Dorf  im  Achenthai. 


Volksrätsel  aus  Tirol.  149 

14.  Im  Sommer  ein  Bettelmann, 

Im  Winter  ein  Edelmann.  (Bauer.)     Oberinnthal. 

15.  Es  ist  etwas  im  Himmel, 

Das  ist  von  Menschenhänden  g'macht? 

(Christi  Wunden.)     Fendels. 

16.  Wenn  Wasser  Wein  war, 
Wött  i  wissen,  wer  Wirt  war? 

(Herrgott,  Allitcration.)     Fendels. 

17.  Ich  geh  an  einen  Ort, 
Dort  seh  ich  einen  Mann, 

Der  hebt  dein'  und  meinen  Vater 
Mit  beiden  Händen  dort. 

(Der  Priester,  wenn  er  die  Hostie  erhebt.)    Navis. 

18.  Woher  kommt  Christus  beim  jüngsten  Gericht? 

(Von  dannen  heissts  im  Credo.)     Fendels. 

19.  Welcher  Heilige  hat  kein  Maul? 

(Der  hl.  Geist,  der  hat  einen  Schnabel.)    Alpach. 

20.  Welcher  Heilige  hat  einen  Schwanz?  (Der  hl.  Geist.)     Eben. 

21.  Welcher  Heilige  hat  im  Mutterleib  in  die  Hose  gesch ? 

(Jonas.)    Lechthal. 

22.    Fürchterlich  begräbt  man  mich. 
Ich  hab  mein  Grab,  bewege  mich. 
Zwischen  Himmel  und  Erden 
Wird  mein  Grab  nicht  gefunden  werden.      (Jonas.)     Lechthal. 

23.  Wer  ist  zweimal  geboren?  (Jonas.)    Lechthal. 

24.  Wie  schrieb  sich  Maria? 

(Bitterlich  —  es  weinte  Maria  bitterlich.)     Brixlegg. 

25.  Welcher  Heilige  steht  in  der  Kirchen  auf  der  rechten  Seiten? 

(Keiner,  alle  auf  den  Füssen.)     Fendels. 

26.  Welches  ist  der  grösste  Heilige? 

(Der  Wiesbaum  =  Heuliger.)     Ganz  Tirol. 

27.  Welcher  Heilige  hat  vier  Arschbacken? 

(Der  heilige  Ehestand,  der  Mann  zwei  und  die  Frau  zwei.)    Lechthal. 

28.  Wie  heisst  das  11.  Gebot?     (Lass  dich  nicht  erwischen.)     Oberinnthal. 

29.  Herab  zieht  mans,  hinauf  gehts  selber.  (Altarlicht.)     Brixlegg. 

oO.    Es  steht  auf  der  Mauer 

Und  ruft  alle  Bauern.  (Glocke.)    Pendels. 

31.    Halb  a  Leines, 

Halb  a  Schweines, 

Und  a  hölzernes  Herz.       (Weihbrunnwedel.)     Fendels. 

32.  Wo  ist  in  der  Kirche  der  wärmste  Ort? 

(Auf  der  Kanzel,  da  ist  der  Geistliche  im  Hemd.)     Eben. 

33.  Was  ist  das  Wehleidigste  in  der  Kirche? 

(Die  Orgel.     Wenn  man  dreinschlägt,  schreit  sie.)     Götzis. 

34.  Was  ist  der  ärgste  Lügner  in  der  Kirche? 

(Der  Ministrant,  er  sagt  Amen,  und  es  ist  doch  nit  aus.)    Götzis. 


150  Renk: 

35.  Es  sind  700  Kinder 
In  einem  Mutterleib, 

Wenn  der  Vater  kommt,  schlägt  er  drein; 
Da  schreien  die  Kinder  gross  und  klein, 
Was  wird  das  für  ein  böser  Vater  sein? 

(Die  Orgel  und  der  Organist.)     Fendels. 

36.  Ein  Mann  und  ein  Weib  kanns  thun, 
Zwei  Männer  könnens  thun, 

Zwei  Weiber  könnens  nicht.     (Einander  beichten.)     Fendels. 

37.  Der  Messner  und  sein  Bue, 

Wieviel  braueben  die  Schueh?  ("2  Paar.)    Fendels. 

38.  Was  ist  mitten  im  Vaterunser? 

(Ein  Loch,  in  der  Betkugel  dos  Rosenkranzes.)     Fendels. 

39.  Wer  ist  der  Zuwiderste  in  der  Kirche. 

(Der  Organist,  er  schlägt  die  Orgel.) 

40.  Variante:  Er  schlägt  den  hl.  Geist. 

(d.  h.  spielt  das  hl.  Geistlied  vor  der  Predigt.)     Fendels. 

41.  Wer  ist  der  Unverschämteste  in  der  Kirche? 

(Der  Ministrant,  er  ist  im  Hemd.)    Fendels. 

42.  Wer  ist  der  Dümmste  in  der  Kirche? 

(Der  Geistliche,  er  hat  das  Hemd  übers  Gewand.)  Fendels. 

43.  Wer  kommt  zum  Ersten  in  die  Kirche.  (Der  Zweite.)  Pendels. 

44.  Was  macht  der  Messner  beim  Betläuten?     (Krumme  Pinger.)  Fendels. 

45.  Was  giebts,  wenn  der  Messner  die  Kirchthür  aufthut? 

(Einen  Winkel.)    Fendels. 

46.  Welches  ist  der  kleinste  Winkel  in  der  Kirche? 

(Der  Kerzenlöscher.)     Fendels. 

47.  Welche  Ähnlichkeit   ist   zwischen  einem  Pater  und   einem  Metzgerhund? 

(Beide  haben  einen  Strick  an.)     Kauns. 

48.  Wer  ist  der  Dümmste  in  der  Kirche? 

(Der  Sammler,  er  sagt  Vergeltsgott,  und  ihm  gehört  es  nicht.)    Zillerthal. 

49.  Wer  ist  der  Wunderlichste  in  der  Kirche? 

(Der  Ministrant,  er  schaut  unters  Messkleid.)     Zillerthal. 

50.  Wo  hat  Adam  den  ersten  Nagel  hingeschlagen? 

(Auf  den  Kopf.)    Alpach. 

51.  AVas  ist  das  Dümmste  in  der  Kirche? 

(Dass  man  bei  Tag  Lichter  anzündet.)    Navis. 

52.  Wer  ist  der  Unverschämteste  in  der  Kirche? 

(Der  Organist,  er  dreht  dem  Altar  den  Hintern  zu.)     Navis. 

53.  Was  ist  das  Beste  in  der  Kirche? 

(Dass  die  Heiligen  nicht  seh ,  sonst  würde  man  voll  Dreck.)  Navis. 

54.  Wann  schauen  am  meisten  Köpfe  bei  der  Kü-chthür  aus? 

(Bei  der  Wandlung,  die  Schuhnägel.)    Reith. 

55.  Was  ist  in  der  Kirche  der  höchste  Stuhl?        (Der  Dachstuhl.)     Xavis. 

56.  AVas  ist  mächtiger  als  der  Pabst? 

(Der  Pabst  kann  alles  Bundne  lösen,  der  Müller  auch  das  ünterbundne.)     Navis. 

57.  Ladein,  Friss  und  Saufaus. 

(Die  drei  Nachbardörfer  Ladis,  Viss,  Serfaus.) 


Volksrätsel  aus  Tirol. 


151 


58.  Rabazi.     (Rab  badt  sich.) 

59.  Braunazi.     (Braii[nes]  naht  sie.) 

60.  Bockferbers.     (Bock  des  Färbers.) 

61.  Seinadu.     (Seh  [=  Nimm]  mähe  du.) 

62.  Manchmal  in  epischem  Gewände: 

Ein  Bauer  und  eine  Bäuerin  mähten.  Da  sehen  sie  einen  sich  waschenden 
Raben.  Da  rief  der  Bauer:  , Rabazi".  Dann  kam  eine  Dirne,  ein  braunes  Gewand 
nähend^  Jetzt  rief  die  Bäuerin:  „Braunazi".  In  der  Nähe  aber  war  eine  Wiese, 
da  weidete  der  Bock  des  Färbers.  Da  schrie  der  Mann:  „Bockfärbers".  Endlich 
wurde  die  Bäuerin,  die  bis  jetzt  gemäht  hatte,  müde  und  gab  dem  Manne,  der 
gerechnet  hatte,  die  Sense  mit  den  Worten:  „Semadu". 

63.  Ein  Widum  war  an  die  Kirche  gebaut,  so  dass  der  Geistliche  auf  der 
Kanzel  nicht  weit  von  der  Küche  war.  Die  Häuserin,  welche  Lene  hiess,  hatte 
einmal  während  der  Predigt  eine  Ente  über  dem  Feuer  am  Spiessc.  Sie  wollte 
aber  die  Predigt  auch  hören  und  ging  in  die  Kirche.  Währenddem  brannte  die 
Ente  an.  Der  Geistliche  spürte  den  Geruch  auf  der  Kanzel  und  sah  seine  Haus- 
hälterin unten  in  der  Kirche.  Deshalb  rief  er  hinab:  „Lenewentantum"!  (Lene 
wend'  d'  Ant'  [Ente]  um).  Die  Häuserin  wusstc  nun,  wie  viel  es  geschlagen  hatte 
und  rannte  aus  der  Kirche.  Die  Leute  aber  glaubten  „Lenewentantum"  sei  ein 
lateinischer  Spruch. 

64.  Viere  tragen,  65. 
Zwei  ragen, 
Zwei  zünden. 
Einer  besmet  hinten. 
(Die  Kuh:  Püsse,  Hörner,  Augen, 

Schwanz.)     Pendels. 

6ö. 

(Kuh.)     Pendels. 


67 


Variante : 

Viere  tragen. 

Zwei  ragen  (Zitzen), 

Zwei  thxms  Gatter  auf  (Hörner), 

Zwei  zünden. 

Einer  besmet  hinten.        Pitzthal. 

Es  geht  etwas  durch  den  Wald  auf, 
Macht  auf  und  auf  Loabelen  'j  auf. 

Wenn  ist  die  Kuh  am  dicksten? 

(Wenn  sie  sich  am  Hintern  leckt,  ist  sie  doppelt.)    Pendels. 

68.  Wenns  klein  ist,  tragen's  viere  nit, 
Wenns  gross  ist,  tragen  sie's  leicht 
Wenns  todt  ist,  gehts  in  aller  Welt  herum. 

(Das  Kalb.     Dritter  Vers:  das  Schuhleder.) 

Rund  wie  ein  Kreuzer 

Und  um  und  um  voll  Federn.  (Kuharsch.) 

Vier  Bübele 

Brunzen  in  ein  Kübele.  (Die  Kuhzitzen.) 

Hira  Hara  hockt, 

Limpa,  lampa  hangt, 

Hira  Hara  wött, 

Dass  sie  Limpa,  lampa  hätt. 

(Katze  und  Fleisch. 
Es  springt  etwas  um's  Haus 
Und  hat  a  Lattle  im  Arsch. 

Nolpersteiger  Annele. 


69. 


70. 


71. 


Pendels. 


Pendels. 


Pitzthal. 


72 


Ti 


[Hase?])    Pendels. 

(Katze.)    Patznaun 
(Katze.)     Pendels 


1)  Laibchen. 


152 


Renk: 


74.  Strohschliefers  ürschel.  (Maus.)     Pendels. 

75.  Wegläufers  Gretel.  (Hund.)    Fendels. 

76.  Es  gehn  sieben  übern  Bach 
Und  nur  eins  wird  nass. 

(Packelsau  mit  sechs  Jungen.)     Pendels. 

77.  Welches  Tier  giebt  den  vollständigen  Kaffee? 

(Die  Gais,    sie  giebt  Milch,    macht  Bohnen  und  wenn  man  sie  zwickt,    macht  sie 

einen  Zucker  d.  h.  sie  zuckt.)     Paznaun. 

78.  Wenns  aufwärts  geht,  schauts  abwärts. 

Wenns  abwärts  geht,  schauts  aufwärts.       (Bockhorn.)     Pitzthal. 

79.  Rennst  du  die  Schaf  und  Gaisgagel  auseinander? 

(Nicht  Schaf-  und  Gaisgagl.'     (Ja,  das  eine  sind  Schaf,  das  andre  Dreck.)  Pitzthal. 

80.  Springt  etwas  ums  Haus, 

Hat  ein  Panzele  im  Arsch.  (Henne  mit  Ei.)     Pendels. 

81.  Kommt  der  König  von  Engelland, 
Weiss  und  schwarz  ist  sein  Gewand, 

Ein  fleischener  Kamm,  ein  fleischener  Bart, 

Wers  nit  weiss,  erratet's  hart.  (Hahn.)     Fendels. 

82.  Warum  legen  die  Hennen? 

(Wenn  sie  werfen  würden,  zerbrächen  die  Eier.)     Lechthal. 

83.  Wann  lügen  die  Weiber  am  ärgsten? 

(Wenn  sie  „Hennen  greifen",  sagen  sie:  „Das  Ei  ist  ganz  vorn",  es  ist  aber  ganz 

hinten.)     Pendels. 

84.  Warum  müssen  die  Weiber  Hennen  greifen? 

(Weil  keine  Penster  sind,  sonst  sähen  sie  es.)     Pendels. 

85.  Mutter  thuts  Kuchelkastel  auf 

Und  bringts  nimmer  zu.  (Ei.)     Pendels. 

86.  Mei  Mutter  hat  a  Kastei, 
Um  und  imi  koa  Schlössei, 
Wenn  sie's  aufthut, 

Gehts  nimmer  zu.  (Ei.)    ZUlerthal. 

Variante:    87.   Mei  Mutter  hat  a  Kastei, 

Hat  um  und  um  koan  Astei  u.  s.  w. 

(Astloch.)  (Ei.)    Eben. 

88.    Es  ist  auf  der  DUle, 

Der  Mann  bringts  mit  einem  Wagen  nit  herab, 

Aber  das  Weib  mit  einem  Löffel.  (Ei.)     Paznaun. 

89.    Gigele,  Gagele  auf  der  Bank, 
Wenn  Gigele,  Gagele  abefällt, 
Ist  kein  Doctor  im  ganzen  Ijand, 
Der  Gigele,  Gagele  helfen  kann.  (Ei.) 

Variante :    90.    Adelbadel  auf  der  Wand  u.  s.  w.  (Ei ) 

91.  Ein  weisser  See  und  gelbe  Ilgen  drin? 

(Lge,  Gilge  =  Lilje.    Ei.)     Fendels. 

92.  Eine  gelbe  Ilge  in  weissem  See, 

Errätst  du  dies,  errätst  du  meh(r)!  (Ei.)    Bei  Innsbruck. 


Pendels. 
Pitzthal. 


Volksr.-itsil  ans  Tirol. 


15:- 


93.  Ich  weiss  ein  kleines  Haus. 

Da  ist  iiifhts  von  Fenster.  Tliiir  und  Thor, 

Und  will  der  kleine  Wirt  heraus, 

So  muss  er  erst  die  Wand  durohbohrn.     (Ei.)     Pitzthal. 

94.  Es  schlafen  sechs  in  einem  Tod, 
Der  siebente  jagt  den  achten  fort! 

Ihr  Herren  ratet,  was  das  sei?       (Ein  Vogelnest   mit  li  Jungen  in 
einem  Totenkopf,  dem  die  Alten  abwechselnd  zufliegen.)    Fendels. 
95.    Was  hat  mehr  Puss? 

Ein  Ross  oder  kein  Ross'.-' 
(Kein  Ross,  ein  Ross  hat  4  Füsse,  kein  Ross  hat  fünfe.)     Vorarlberg. 


96.    Was  thut  die  Hennt 


97. 


Lechthal 


Lechtbal. 


Lechthal. 


99. 


100. 


wenn  sie  auf  einem  Fnss  steht> 
(Den  andern  aufheben.) 
Wo  ist  der  Rabe,  wenn  die  Sonne  untergegangen? 

(Im  Schatten.) 
98.    Der  Hupfauf 

Und  der  Baldauf 
Springen  durch  den  Wald  aui'. 
Acht  Füsse  und  ein  Schwanz, 
Das  ist  das  Ganz'.       (Frosch  und  Hase.) 
Wer  hat  dem  Hund  den  Schweif  gesteckt? 

(Ein  Blinder,  er  hat  ih)i  neben's  Loch  gesteckt.)    Lechthal. 
Warara  ist  der  Vorderfuss  des  Hasen  kürzer  als  der  hintere? 

(Weil  der  hintere  länger  ist)     Lechthal. 

101.  Wie  l)ringt  man  eine  Gais,  einen  Kohlkopf  und  einen  Wolf  ohne  Schaden 
über  einen  Pluss?     (Zuerst  Gais,  dann  Krautkopf  und  Gais  zurück,  Wolf  hinüber, 

zuletzt  Gais  nach.)    Lechthal. 

102.  Welches  ist  das  unverfrorenste  Tier? 

(Floh,  er  geht  im  Winter  im  Hemd  spazieren.)     Unterinnihal. 

103.  Welches  ist  der  Unterschied  zwischen  Maikäfer  und  Gensdarm. 
(Maikäfer  ist  braun  und  seh grün,    Gensdarm  ist  grün  und  seh braun.) 

Bei  Innsbruck. 
U)4.    Was  bedeutet  es,  dass  sich  die  Henne  schtittelt,  wenn  der  Hahn  drüber  war. 

(Sie  bettet  für  ein  andermal  auf.)     Navis. 

105.  Vorn  und  hinten  patzet'}, 
In  der  Mitten  glager  ä-). 

106.  Braun  unten, 
GiTin  au, 
Blau 
Obendrau ! 

107.    77  Schwestern  haben  gleiche  Rappeln  auf? 
10».    Klein  inglat^), 
Gross  g-stinglat^) 

Und  obendrau  ein  blaus  Kap|iel? 
109.    1  wachs  im  Acker, 
Toll  und  wacker, 
Hab  neun  Haut 
Und  beiss  die  Leut. 


(Ameise.)     Navis. 


(Flachs.)     Fendels. 
(Flachs.)     Faznaun. 


(Flachs.)     Femlels. 


1)  dick.       '2)  beinahe  ab(,gebruchen). 

Zeitüchr.  d.  Vereins  t.  VolkbkuMde.   löyä. 


b)  eiuj 


(Knoblauch.)    Pendels. 

eingesetzt.        4)  gestengelt. 
11 


1 54  Renk : 

110.    Steht  ein  Vogel  auf  ein  Puss, 
Ist  kein  Muss, 

Trinkt  kein  Wasser,  hat  kein  Wein, 
Rat,  was  für  ein  Vögele  das  wird  sein?      (Kirsche.)    Fendels. 

111.  Es  steht  am  Rain, 

Hat  die  Wampen  voll  Stein.  (Hagebutte.)     Ried. 

112.  Wie  viel  Erbsen  gehn  in  ein  Töpfel? 

(Keine,  alle  schüttet  man  hinein.)     Pendels. 

113.  Es  ist  ein  Pommeranzel, 
Hat  ein  schönes  Ri'anzel 

Und  ein  langen  langen  Stiel.  (Mohn.)     Paznaun. 

114.  Wenns  kommt,  so  koramts  nit: 
Wenns  nit  kommt,  kommts. 

(Wenn    die  Vögel    kommen  und   den  Kornsamen   fressen,    kommt  kein  Korn  (zur 
Frucht),  wenn  sie  nicht  kommen,  geht  es  auf.)     Pendels. 

115.    Ribele,  rabele, 
Z'unterst  a  Stabele, 
Mitten  a  Panzele, 
Zoberst  a  Kranzele.  (Mohn.)     Pusterthal. 

116.    Und  weisst  du  mir  zu  nennen.  Die  Schlehen,  wenn  sie  blühen. 

Was  weisser  ist  als  SchneeV  Sind  weisser  als  der  Schnee. 

Und  weisst  du  mir  zu  nennen,  Die  Schlehen,  wenn  sie  hab'n  verblüht. 

Was  grüner  ist  als  RleeV  Sind  grüner  als  der  Klee. 

Und  weisst  du  mir  zu  nennen,  Die  Schlehen,  wenn  sie  habu  verreift '), 

Was  schwärzer  ist  als  Kohl?  Sind  schwärzer  als  das-)  Kohl: 

Willst  du  ein  reiner  Junggsell  sein?    Ich  wül  ein  reiner  Junggsell  sein, 
Erraten  wii-st  dus  wohl!  Eri-aten  hab  ichs  wohl! 

(Die  Schlehen.  1     Eben. 

117.  Wenn  mans  nicht  sieht,  klaubt^)  maus  auf. 
Wenn  mans  sieht,  lässt  raans  liegen. 

\^  Wenn  man  sieht,  dass  eine  Haselnuss  angestochen  ist,  lässt  man  sie  liegen,  wenn 

mans  nicht  sieht,  nimmt  man  sie.)     Pendeis. 

118.  Kaum  ist  der  Vater  geboren, 

Hängt  der  Sohn  schon  am  Dach.     (Feuer  und  Rauch.)  Fendels. 

119.    Wir  sind  nicht  Fische,  nein.  Des  Kähnen  (?)  sind  wir  oft 

Doch  kommen  wir  vom  Meer,  Und  auch  zuweiTu  Kanonen. 

Wir  sind  nicht  Vögel,  nein,  So  bilden  wir  ein  unbeständig  Leben, 

Doch  fliegen  wü-  daher.  Wie  die  Menschenkinder  eben. 
Wir  schweben  fort  in  obem Regionen,  (Wolken.)    Pendels. 

120.    Es  geht  übers  Stroh  und  rauscht  nicht.         (Sonne.)     Paznaun. 

121.    Ein  wassernes  Gschloss, 

Und  ein  hölzerner  Schlüssel.     (See  mit  Kahn.)     Paznaun. 

122.  Wann  ist  dem  Mond  schlecht? 

(Wenn  er  durch  die  Wolken  bricht.)     Navis. 

123.  Es  hängt  an  der  Wand  mtd  braucht  keinen  Nagel. 

(Schatten.)     Eben. 


1)  ausgereift  sind.        2)  statt  die  Kolüe  allgemein.        3)  hebt. 


Volksrätsi'l  aus  Timl. 


155 


(Teig.)     Paziiiiun. 


Pendels. 


(Wiege.)    Fendels. 


124.  Geht  etwas  zwischen  zwei  Wand, 
Hat  weder  Puss  noch  Hiind. 

125.  Heut  wird  aufgmacht  und  gschossen. 

Was  wird  gethanV  (Gebacken.     Das  Brot  wird  auf  die 

Laden  gelegt  und  in  den  Ofen  geschoben.)     Pendels. 

126.  »'  ist  etwas  im  Kammerle, 

Thut  alleweil  Timmerle,  Tamraerle.  (Uhr.)    Fendels. 

127.  Was  ist  das  I)iimni.ste  im  Haus? 

(Die  Seihe,  das  Gute  liisst  sie  durch,  den  Schmutz  behiilt  sie.) 

128.  Wiga,  Waga 
Hat  Laub  traga; 
Tragt  Leib  und  Seel, 
Laub  nimmermehr. 

129.  Krumm  umbogen, 
Hoch  aufgstoben, 

Und  ein  Mandel  hinten  dran. 
Das  alleweil  klöppeln  kann. 
(Das  Dieschen.     Veis  1:  Plegel,  2:  Spreu,  3:  Bauer.)     Pendels. 

130.  Es  sind  viel,  viel  Frauen,  die  einander  zopfen. 

(Durch  Zweige  verbundene  Zaunlatten.)     Ried. 

131.  Es  geht  allweil  etwas  und  kommt  doch  nicht  weiter. 

(Perpendickel.)     Pendels. 

Variante:      132.    Es  geht  und  geht 

Und  bleibt  doch  an  einem  Ort.  Pitzthal. 

133.    Eine  dicke  Mutter, 
Ein  langer  Vater, 
Ein  weiches  Kind, 
Rat  was  ist  da  drin? 

(Treibkübel,  Kübel,  Stössel,  Butter.)     Paznaun. 

134.  Woll,  woU,  woll  nenn  ichs  dir: 
Woll,  woll,  woll  sag  ichs  dir: 
Woll,  woll,  woll  ists; 

Wenn's  du  nicht  erratest,  ein  Narr  bist! 

(Wortspiel  von  Wohl  und  Wolle  )     Paznaun. 

135.  Woll  nenn  ichs, 
Woll  deut  ichs, 

Woll  ist's!  Lechthal. 

136.  Ich  sag  dirs  Tenn', 
Ich  nenn  dirs  Tenn\ 

Wenn  dus  Tenn  nicht  weisst, 

Ein  Esel  heisst.         (Tenne  und  tenn  =  dann.)     Lechthal. 

137.  Nieder  wie  eine  Maus, 

Und  hoch  wie  ein  Kirchtm-m.       (Zwirnknäul.)     Paznaun. 

138.  Es  kugelt  etwas  übern  Rain, 
Hinab  gehts  allein, 

Herauf  zielvus  sechs  Paar  Ross  nit.         (Knäuel.)     Eben. 

139.    Ein  altes  Weib  trägts  in  einem  Löffel  leicht  über  den  Bühel,   aber  vier 
Ross  bringens  nicht  ganz  hinauf.  (Knäxiel.)     Navis. 

11* 


156  Renk: 

140.    Ein  eiserner  Hund  und  ein  leinenes  Schweiflein,  je  weiter  das  Hündlein 
vorwärts  geht,  je  kürzeres  Schweiflein  wird.  (Nadel  mit  Faden.)     Fendels. 

141.    Es  geht  zum  Trog  trinken, 
Lasst  die  Wampen  dahinten. 

(Bettzieche,  wenn  sie  gewaschen  w-ird.)     Fendels. 

142.    Schwarz,  innen  hohl.  143.    Es  lebt'  und  lebt  nimmer, 
M^as  drin  soll?  Trägt  Leib  und  Seel  immer. 

Ein  grüns  Bröckl  Fleisch.  (Schuh.)    Fendels. 

Spei  in  die  Hand. 

Knüttle  mit  dem  Arsch.  144.    Ein  grüner  See 
Und  dann  gehts.  Und  weisse  Gilgen  drinV 

(Schuh  —  beim  Anziehen.)    Fendels.  (Presse.)     Paznaun. 

145.    Es  geht  durch  den  Wald  auf  und  schaut  stets  zurück.     (Hacke,  die  mit 
der  Schneide  vom  Körper  abgewendet  auf  der  Schulter  getragen  wird.)    Fendels. 

146.    Vier  Ravedenten  (y). 
Zwei  haarige  Schwänz, 
Und  hintennach 
Ein  Gupfermannl 
Mit  der  Schnellbüchs. 
(Fuhrwerk;  die  Schnellbüchs  =  die  Peitsche.)     St.  Leonhard,  Pitzthal. 

147.  Es  geht  etwas  bleich  zum  Bronn 

Und  braun  davon.     (Der  Krapfen  beim  Backen.)   Fendels. 

148.  Der  es  macht,  der  braucht  es  nicht. 
Der  es  kauft,  der  will  es  nicht, 

Der  es  braucht,  der  weiss  es  nicht.    (Sarg.)  Piller,  Pitzthal. 

149.  Es  geht  etwas  vom  Haus, 
Schreit  allweil:  glig,  glagl 
Wenn  ich  nur  alle 

Meine  Kapplen  hatt.  (Dachtraufe.)    Fendels. 

150.  Elle  noch  so  lang, 
Dreh"  den  Arsch. 
Zuck  den  Puss, 
Weisst  was  drin  mussV 

Die  Schaufel,  mit  der  das  Brot  in  den  Ofen  geschoben  wird.)     Fendels. 

151.  Loch  auf  Loch 

Und  Haar  ums  Loch.  (Pfeifenspitze.)     Fendels. 

152.  Loch  auf  Jjoch 
Und  Haar  ums  Loch 

Und  vor  dem  Loch  ists  lustig.     (Blasinstrament.)    Navis. 

153.  Loch  auf  Loch 

Und  Haar  ums  Loch; 
Lustig  am  Loch, 

Und  in  dem  Loch  ist  Kirchtag.     (Blasinstrument.)  Navis. 
154.    Welches  ist  das  heisseste  Fleisch?    (Das  ungesottene,  es  zuckt.)  Fendels. 

155.    Ich  gieb  was  zu  raten: 

Was  zehne  bei  ein'  ürschloch  thateny 

(Öhrloch,  Einfädeln.)     Fendels. 
15i;.    Es  ist  fertig-  und  wird  alle  Tage  gemacht.  (Das  Bett.)     Fendels. 


Volksriilsfl  aus  Tirol.  157 

157.    Bin  Schaft  und  ein  Rühr 
Und  ein  Schloss  liegt  davor 
Und  ein  Stock  steckt  daran, 
Greifs  ja  nichts  an!  (Schiessgewehr.)     Pendels. 

158.  's  erste  ist  rund,  's  zweite  ist  rund, 
's  erste  und  zweite  ist  rund, 

's  dritte  ist  rund,  's  zweite  und  dritte  ist  rund, 
's  erste  und  zweite  und's  dritte  ist  rund? 

(Erdäpfelknödel.)    Bei  Innsbruck. 

159.  Komm  zu  mir  in  Heimgart, 
Nit  bei  Tag-  und  nit  bei  Nacht, 
Xit  bei  Sonnenschein, 

Nit  bei  Mondenschein: 

Wenn  alle  Wand'  ganz  sein'). 

Wenn  der  Fuchs  beim  Laar  steht-). 

Und  der  Tod  das  Lebendige  vergräbt.') 
(In  der  Dämmerung,  wenn  1)  die  Fensterläden  geschlossen  sind,  2)  wenn  der  Fuchs 
auf  der  Lauer  steht  (Redensart  für-,  wenn  nach  dem  Essen  die  Löffel  um  die  lare 
[leere]  Schüssel  liegen)  und  'S)  wenn  am  Herd  die  tote  Asche  über  das  lebendige 

Feuer  gestreut  wird.)     Pendels. 

lüü.    Ein  Glitter,  ein  Glatter, 
Ein  beinernes  Gatter, 
Eine  beinerne  Wiesen, 
Wo  die  Leut  umpisen  (umspringen).     (Friedhof.)  Pendels. 

161.    Variante,  Vers  4:  Und  doch  wachst  Gras.  Pitzthal. 

162.    Immer  und  immer, 
Ein  hohes  Getimmer, 
p]ine  beinerne  Wies ; 
Wenn  du's  errätst, 
Junggsell   bist  gwiss!  (Friedhof.)     Eben. 

163.  Es  kugelt  übern  Rain  und  wird  immer  länger? 

(Zwirnknäuel.)     Brixlegg. 

164.  Es  sind  "24  Herren, 
Die  regieren  die  Welt, 
Sie  essen  kein  Brot, 
Sie  trinken  kein  Wein, 

Was  wer'u  das  für  Herrn  sein?         (24  Buchstaben.)     Pendels. 

165.  Es  hat  eine  tote  Seele, 

Kann  weder  gehn,  noch  fahren 

Und  kann  doch  jedermann  Antwort  geben! 

(Kielfeder.     Ausdruck  für  Mark:  Seele.)    Vintschgau,  Pendels. 

166.  Auf  einem  weissen  See, 
Schwimmt  eine  rote  Rose. 

Willst  du  die  schwarzen  Pischlein  sprechen. 
So  musst  du  zuerst  die  Rose  brechen. 

(Brief  mit  Siegel.)     Brixlegg. 

167.  Wie  viel  Bretter  braucht  man  zu  einem  gut  gedeckten  Dachstuhl? 

(Keines.)    Lechthal. 

168.  Ein  hölzernes  Steinhäusel'?     (Kumpf  für  den  Wetzstein.)         Lechthal. 


158 


KmV 


Lechthal. 
Lechthal. 

Lechthal. 
Lechthal. 
Lechthal. 


Lechthal. 
Lechthal. 


lt;9.    Was  hängt  an  der  W'^and  und  rei>;st's  Maul  auf. 

(Die  Scheere.) 

170.    Was  hiingt  an  der  Wand, 

Wie  Totenhand.-'  (Handschuh.; 

171.  Es  geht  im  Holz 
Und  steht  im  Holz 
Und  lasst  alleweil  PöUelen  fallen':'         (Säge.) 

172.  Ein  hölzernes  Hafele  (Töpfchen), 
Ein  fleischerner  Deckel.  (Abtiitt.) 

173.  Halb  von  Holz, 
Halb  von  Schwein?  (Bürste.) 

174.  Der  Wohlleber'), 
Der  Hitzgeber-'), 
Der  Riimpum^), 
Der  Zugaus^)':' 

(Das  Zimmer:    1)  Tisch,  2)  Ofen,  3)  Boden,  4)  Fenster.) 

175.    Vieltausend  Jungfern  geben  einander  Wasser.     (Schindeln.) 

176.  Es  ist  niedrer  als  eine  Maus 
Und  hat  mehr  Fenster  als  ein  Königshaus.  (Pingerhut.)  Lechthal. 

177.  Es  geht  über  die  Brücken, 
Hat  zwei  Bäuche  und  einen  Rucken.         (Kohlenreiter.)    Eben. 

178.  Es  hängt  an  der  Wand, 
Hat  ein  Stabel  in  der  Hand. 

179.    Vorn  Fleisch. 
Hinten  Fleisch, 
In  der  Mitten 
Holz  und  Eisen. 

180.  Kennst    du    die   alten  Weiber  und    die    Madlerfürtiger  (Fürtücher)    aus- 
einander'y      (Ja,  das  eine  sind  .,alte  Weiber'',  das  andere  „Schürze".)    Pendels. 

181.  Wo  kommen  alle  Säcke  zusamnien'y  (Bei  der  Xaht.)    Pendels. 

182.  Wo  kommen  alle  Schuhe  zusammen'?    (.4m  Knie  des  Schusters.)  Pendels. 

183.  Was  braucht  man  zu  einem  gut  beschlagenen  Stiefel'? 

(Den  zweiten.)     Lechthal. 

184.  Warum  schabt  man  den  Käs'? 

(Wenn  er  Federn  hätt.  könnt  man  ihn  rupfen.)     Lechthal. 

185.  Wie  viel  Flöh  gehn  auf  ein  Pfund? 

(Gar  keiner,  alle  hüpfen  weg.)     Lechthal. 

186.  Unterschied  zwischen  einer  Papierfabrik  und  einem  Wirtshaus? 

(In  die  Fabrik  führt  man  die  Lumpen,  ins  Wirtshaus  gehn  sie.)     Lechthal. 

187.  Welcher  Schlüssel  ist  für  kein  Schloss?        (Uhrschlüssel.)    Lechthal. 

188.  Warum  verlieren  die  Weiber  die  Zähne  früher  als  die  Männer? 

(Weil  sie  mehr  reden.)     Lechthal. 

189.  Welcher  Unterschied  ist  zwischen  einer  langen   Cigarre  (Virginia)  und 
einer  Schwiegermutter?  (Bei  der  Cigarre  ist  der  erste  Zug  der  beste,  bei  der 

Schwiegennutter  der  letzte.)     Unterinnthal. 

190.  Welcher  Unterschied  ist  zwischen  einer  Wurst  und  der  Sonne? 

(Die  Sonne  geht  im  Osten  auf,  die  Wurst  beim  Süden  [Sieden].)     Lechthal. 


(Wandleuchter.)     Eben. 


(Pflug.)     Götzis. 


Volksrätsel  aus  Tirol.  159 

191.  Wie  kennt  man  das  \'ordere  Ende  einer  Wurst  vom  hinteren? 

(Wenn  man  sie  um  die  Achsel  hängt.)     Lechthal. 

192.  Jeder  Tiroler  hat  Sehneid:  Hat  er  sie  sonst  nicht,  so  hat  er  sie  doch  am 
Buckel,  wie  die  Gais.  (Rückgrat.)    Brixlegg. 

193.  Was  ist  besser  als  eine  Geldtasche? 

(Der  Arsch:  er  geht  selber  auf  und  zu.)     Unterinnthal. 
194     Die  Unterländer  habens  in  den  Augen,    da  sieht  maus  uit  viel,   oder  an 
den  Füssen,  da  gehn  sie's  bald  weg?  (Schamgefühl.)     Unterinnthal. 

195.  Wozu  hat  der  Müller  einen  weissen  Hut?    (Zum  Aufsetzen.)     Alpach. 

196.  Was  ist  für  ein  Unterschied  zwischen  einer  Sau  und  einer  Frau? 

(Sau  hat  den  Ring  im  Rüssel,  Frau  an  den  Ohren.)     Alpach. 

197.  Variante:  (Frau  hat  den  Kranz  am  Kopf,  Sau  am  Arsch.)  Navis. 

198.  Was  ist  stärker  als  das  stärkste  Tier? 

(Der  Dreck,  den  erhebt  niemand.)     Navis. 

199.  Welche  Ähnlichkeit  ist  zwischen  Frauenhaar  und  Holz? 

(Beides  kann  gebrannt  werden.)     Navis. 

200.  Welche  Ähnlichkeit  ist  zwischen  einer  Kellnerin  und  einem  Weihbrmm- 
l^yjjjjel?  (Beide  greift  alles  an.)     Zillerthal. 

201.  Welche  sind  die  dümmsten  Leute? 

(Kellnerinnen  und  Messner.    Sie  danken  für  das,  was  andern  gehört.)     Zillerthal. 

■202.    Was  ist  schwerer?     Ein  Zentner  Federn  oder  ein  Zentner  Eisen? 

(Ein  Zentner  Eisen,  der  geht  im  Wasser  unter.)     Eben. 

203.    Lindau  hats  und  Moskau  nit, 

Löffel  hats  und  Pfanne  nit?  (L.)     Pendels. 

204.    Der  Berg  hats,  aber  doch  nicht  der  Gipfel. 
Die  Wurst  hats,  aber  doch  nicht  der  Zipfel, 
Der  Herr  hats  hinten,  die  Frau  davorn, 
<   Und  der  Knecht  und  die  Magd  habens  gar  nit.     (R.)     Pendels. 

205.    Es  ist  nicht  in  Meissen, 
Es  ist  nur  in  Preussen, 
Es  ist  nicht  in  Holland, 
Es  ist  nur  in  Brabant: 
Koustantinopel  ist  eine  grosse  Stadt, 
Die  es  aber  auch  nicht  hat.  (R.)     Eben. 

206.  Ein  Blinder  sah  den  Has  füispringen, 

Ein  Lahmer  eilt  ihm  nach  und  erwischt  ihn. 

Ein  Nackter  steckt  ihn  in  die  Tasche, 

Was  ist  das?        (Eine  Lüge,  weils  nicht  sein  kann,)     Pendels. 

207.  Einem  blinden  Mann  winken, 
Aus  einem  leeren  Glas  trinken, 
Den  Wind  in  eine  Truhen  sperren, 
Und  den  Schnee  im  Ofen  dörren. 

Was  ist  das?  (Viermal  nichts.)     Pendels. 

208.  Kaiser  Karl  hat  einen  Hund, 
Nennt  den  Namen  mit  dem  Hund, 

Rath"  wie  heisst  der  Hund,  (Rathwie,)    Pendels. 

209.  Wer  draussen  ist,  will  hinein. 

Wer  drein  ist.  will  heraus.  (Die  Ehe.)     Pendels. 


IKf)  Englert: 

210.  Ein  Vater  hat  sechs  Töehter.  Jede  hat  einen  Bruder,  wie  viel  sind 
zusammen?  (.\cht,  denn  jede  hat  densellien  Bruder.)     Navis. 

211.  Vorn  und  hinten  gleich,  in  der  Mitte  doppelt.     (Anna,  Otto.)     Pendels. 

212.  Ein  Müller  hat  acht  Säcke.  Auf  jedem  sitzt  eine  Katze  mit  sieben  Jungen. 
Wie  viel  Füsse  sind  in  der  MühleV 

(Zwei,  des  Müllers;  die  Katzen  haben  Tatzen.)     Navis. 

2iy.  In  ein  Kloster  kam  ein  Bursch,  den  eine  Nonne  mit  einem  Kuss  begrüsste. 
Die  Oberin  sah  das  und  stellte  die  Nonne  zur  Rede.  Sie  rechtfertigte  sich  mit 
dem  Worte:  „Seine  Matter  ist  die  einzige  Tochter  meiner  Mutter."     Was  war  erV 

Ihr  Sohn.)     Unterinnthal. 

214.  Zwei  Buben  hüteten  Schafe.  Da  sagte  der  eine:  gieb  mir  eines,  dann 
hab  ich  gleich  viel  wie  du.  Der  andere  aber  antwortete:  gieb  du  mir  eines,  dann 
hab  ich  doppelt  so  viel  wie  du.     Wie  viel  hatte  jeder?  (.'i  —  7.) 

21.").  Ein  Mann  fragte  ein  Mädel,  das  Gänse  hütete,  wie  gross  ihre  Herde  sei. 
Sie  antwortete;  zweimal  so  viel  und  halb  so  viel  und  viertel  so  viel,  und  wenn 
der  Herr  eine  Gaus  war,  dann  wärens  grad  hundert.     Wie  viel  hab'  ich? 

^2x  +  ^  +  ~+l=  100;     llx  =  H96.^ 
216.  Ist  nicht  Esel  die  vor  hat  sie  kann 


:36. 


dies  ein  der       Schrift         sich  und  nicht 

217.  II        Q     Was  heisst  das? 

(Der  ist  dick,  der  ist  dünn,  der  ist  draussen,  der  ist  drin.)     Navis. 

218.  Wie  schreibt  man  einen  Hundsnamen  da  Q  hinein.     (0  Tüptl,  der  Punkt 

heisst  Tüpfel,  Tüpfel  ist  zugleich  ein  Tiroler  Hundename.)     Navis. 

219.  Zwei  Küh  haben  drei  Kälber.     Keine  hat  eins.     Wie  geht  das? 

(Eine  Kuh  heisst  ..Keine")     Navis. 
Innsbruck. 


Zu  Goethes  Sdiweizerlied 

Von  Autoii  Euglert. 

Auf  einer  Wauderung  durch  den  östlichen  Spessart,  welche  ich  im 
Herbst  1892  behufs  Sammlung  volkstümlicher  Reime  unternahm,  jiörte  ich 
in  dem  Dorfe  Esselbach  (westlich  von  Marktheidenfeld)  von  einem  Schul- 
knaben   folgende  Variante   der   ersten  Strophe  von  Cioethes  Schweizerlied: 

Douwm  Boude ')  bin  i  gvväe, 
Hab  Vögele  zugschaut. 
Hat  gepftffe,  hat  gsunge, 
Hat  e  Nestle  gebaut. 


1)  Droben  auf  dein  Buden  (Daelibotleii) 


Zu  Goethes  Schweizerlied.  16J 

Ich   fand   das  Liedelieii    dann  noch    in  dem  südlich  von   Esselbaeli  ge- 
legenen Doi-fe  SchoUbi'uuu,  sowie  in  Kreuzwertheim  in  den  nachstehenden 
Fassungen : 
Drouwm  Bergle  bin  i  gsesse,  Douwm  Boude  bm  i  gschtanne, 
Höi  m  Vöigele  zugschaiit,  Ho  m  Vöigele  zugschaut, 
Hot  gepfiffe,  hot  gesunge,  H;it  gsunge,  hat  gepflffe, 
Hot  e  Nestle  gebaut.     (Schollbrunn.)        Hat  e  Nestle  gebaut.     (Kreuzwertheim,) 

Die  folgende  Variante  aus  Reisteuhausen  am  Main  (bei  Stadtprozelten) 
verdanke    ich    der    gütigen  Mitteilung  des  Herrn  Studierenden  H.  Arnold. 
Ufm  Bergle  bin  i  gsesse, 
Hobm  Vögle  zug.schaut, 
Hot  gesunge,  hot  gepfiffe, 
Hot  e  Nestle  gebaut, 
oder: 

S  bot  wärkli  sehn  glaut. 

Der  Reim,  d(>ssen  Vorkommen  mir  auch  für  Wertheim  und  Amorbach 
bezeugt  ist,  dürfte  wohl  im  südlichen  Spessart  und  in  der  Maingegend  von 
Wertheim  bis  Miltenberg  weiter  verbreitet  sein.  Im  nördlichen  Spessart 
habe  ich  ihn  noch  nicht  gefunden.  Dagegen  liegt  mir  noch  eine  unter- 
fränkische Passung  aus  Forst  l)ei  Schweinfurt  vor,  welche  mir  mein  Kollege 
Dr.  Tli.  Link  mitgeteilt  hat.     Sie  lautet: 

Aufm  Range')     Bin  i  gange, 

Habm  Vögla  zugschaut, 

Hab  gsunge.     Bin  gschprunge, 

Hab  gschriea  gar  laut. 

Schliesslich  teile  ich  noch  eine  Variante  aus  Windsheim  in  Mittel- 
franken mit: 

Afn  Bergla  bin  i  gsessn, 

Hob  n  Vögeln  zugschaut, 

Hern  gsunga,  hem  pfiffen, 

Hein  Nestli  gebaut. 
Es  entsteht  nun  die  für  das  Abhängigkeitsverhältnis  des  Goetheschen 
Schweizerliedes ^)  wichtige  Frage,  ob  der  in  den  obigen  Varianten  vor- 
liegende Reim  auf  das  Goetliesche  Gedicht  zurückzuführen  ist  oder  ob  er 
volkstümlichen  Ursprungs  ist.  Dass  Goethe  bei  der  ersten  Strophe  des 
Schweizerliedes  ein  volkstümliches  Motiv  vorschwebte,  ist  längst  bekannt. 
Als  Vorlage  galt  bisher  das  nachfolgende  Liedchen  aus  dem  Odenwalde, 
welches  im  Anhang  zum  Wunderhorn.  DI,  1808.  S.  71   mitgeteilt  ist: 

Aufm  Bergli  bin  ich  gesessen, 

Hab  dem  Vögele  zug'schaut. 

Ist  ein  Pederle  abe  geflogen, 

HaVn  (v/c)  Häusle  draus  baut. 

1)  Eain. 

•2)  Zuerst  gedruckt  im  1.  Bande  der  Werke,  1815.  —  Zelter  erhielt  das  Lied  am 
IS.  März  1811. 


162  Englert: 

Aus  einer  Vergleichung  dieser  Verse  mit  Jer  ersten  Stroplie  des 
Goetheschen  Gedichtes  ergiebt  sich,  dass  diese  dem  Wortlaut  nach  nur  zur 
Hälfte  mit  dem  Yolksliedchen  übereinstimmt,  während  vom  fibrigen  Teil 
nur  der  Schluss  an  den  Odenwälder  Spruch  anklingt. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  in  Franken  vorkommenden  Liedchen. 
Dieses  stimmt  mit  der  ersten  Strophe  des  Schweizerliedes  nahezu  voll- 
ständig im  Wortlaut  iiberein.  Im  Falle  also  unsere  Fassungen  des  frän- 
kischen Liedchens  nicht  dialektisclie  Umbildungen  der  entsprechenden 
Verse  bei  Goethe,  sondern  volkstümliche  Varianten  des  Odenwälder 
Spruches  sind,  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  "Goethe  den  Reim  in 
einer  mit  diesen  Fassungen  fast  gleichlautenden  Form  gekannt  und  benutzt 
hat.  Für  die  volkstümliche  Herkunft  des  fränkischen  Liedcheus  sprechen 
aber  die  triftigsten  Gründe. 

A^or  allem  fällt  auf,  dass  es  überall,  wo  ich  es  fand,  nur  einstrophig 
vorkommt.  Wenn  es  von  dem  Goetheschen  Gedichte  herstammen  würde, 
so  wäre  sicher  auch  da  und  dort  eine  Spur  von  den  anderen  Strophen  des 
Schweizerliedes  vorhanden.  Es  ist  ferner  zu  beachten,  dass  unser  Liedchen 
in  allen  von  mir  nachgewiesenen  Fassungen  in  lokalmuudartlichem  Gewände 
auftritt.  Es  ist  dies  ein  weiteres  meiner  Ansicht  nach  untrügliches  Zeugnis 
für  seine  Unabhängigkeit  von  dem  Goetheschen  Gedichte.  Ja.  diese  Eigen- 
tümlichkeit lässt  sogar  auf  ein  gewisses  Alter  der  Verse  schliessen.  Eine 
weitere  Stütze  für  unsere  Annahme  liegt  in  dem  Umstände,  dass  sämtliche 
fränkische  Fassungen  einzelne  Testverschiedenheiten  gegenüber  den 
Goetheschen  Versen  aufweisen.  Ausser  den  Varianten  am  Anfang  konmit 
hier  besonders  die  allen  Fassungen,  ausser  der  Forster,  eigentümliche 
Lesart  „gepfiffe(n)''  in  der  fünften,  bezw.  sechsten  Zeile  in  Betracht. 

Wie  der  Text  weist  auch  die  Melodie  des  Liedchens  auf  seine  Un- 
abhängigkeit von  dem  Gedichte  Goethes  hin.  Aufzeichnungen  der  Sing- 
weise liegen  mir  für  Esselbach  durch  die  Güte  des  Herrn  Lehrers  Anton 
Mayer,  für  Reistenhausen  diu'ch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  Studierenden 
H.  Arnold  vor.  An  beiden  Orten  wird  das  Liedchen  nicht  nach  einer  der 
Melodien  gesungen,  in  welchen  Goethes  „üfm  Bergli"  weitere  Verbreitung 
gefunden  hat  (vgl.  Hoffmann  von  Fallersleben,  Unsere  volkstümlichen 
Lieder,  3.  Auflage.  Leipzig  1869.  S.  130),  sondern  nach  der  Weise  des 
bekannten  Liedcheus  ^Kommt  ein  Vogel  geflogen,  Setzt  sich  nieder  auf 
mein  Fuss."  Eine  Dame  aus  Wertheim  versichert  mir,  dass  sie  dortselbst 
in  ihrer  Kindheit  unser  Liedchen  nach  der  gleichen  Melodie  singen  hörte. 
Dasselbe  bestätigt  mir  mein  Kollega  Link  für  Amorbach.  Hoffmann  von 
Fallersleben  bemerkt  a.  a.  0.  S.  94  zu  dem  Liede  „Kommt  ein  Vogel  ge- 
flogen"' folgendes:  „Aus  der  Volkszauberoper:  Aline'),  Test  von  Adolf 
Bäuerle  ....  Musik  von  Wenzel  Müller.  Urspi'ünglich  in  österreichischer 
Mundart,    s.    Bäuerles    Komisches    Theater,    6.  Band  (Pesth  18'26).''     Der 

1)  Nach  ■\^■|ll•zbac,hs  Biographischem  Lexikon  1820  zum  ersten  Alale  aufgeführt. 


Zu  (liii'llirs  Sfliwciznlinl.  163 

Hinweis  ;iut'  din  zuletzt  geuaiintc  S;iiiiiiiliiiiji,'  ist  nicht  richtig.  Uas  fragliche 
Lied  findet  sich  weder  in  dein  bezoiclineten  Drucke  der  „Aline",  noch  iu 
einem  anderen  Stücke  jeuer  Ausgabe.  Sollte  es  aus  dem  Pesther  Drucke 
durch  ein  Versehen  weggeblieben  sein?  Oder  beruht  Hoffmanns  Quellen- 
angabe, mit  der  übrigens  auch  eine  Bemerkung  in  Erks  Germania  (No.  178) 
übereinstimmt,  iiberhau])t  auf  einem  Irrtum.-'  Auffallend  ist,  dass  Holtei 
im  Vorworte  zu  seiner  Liederposse  „Die  Wieuer  in  Beidin"  ^),  in  welche 
ei-  das  fragliche  Lied  mit  zwei  eingeschalteten  Strophen  aufgenommen  hat 
(S.  237  f.),  über  die  Herkunft  desselben  nichts  sagt,  obwohl  er  ausdrücklich 
erwähnt,  dass  er  unter  anderen  beliebten  Liedern  auch  die  Duette  „War's 
vielleicht  eins?"  und  „Was  macht  denn  der  Prater?"  aus  Bäuerles  reizender 
Aline  verwertet  habe.  Wie  sich  iudess  die  Saclie  auch  verhalten  mag, 
soviel  ist  sicher,  dass  Bäuerle  wenigstens  die  erste  Strophe  des  Liedcheus 
nicht  verfasst  hat.  Denn  eine  Variante  derselben  findet  sich  schon  unter 
den  im  Sammler  für  Geschichte  und  Statistik  von  Tirol,  Band  2,  Innsbruck 
1807  mitgeteilten  „Schnodahaggen"  aus  dem  Unterinnthal  (S.  63).  Der 
Vierzeiler  lautet  dort: 

Ist  a  Vögal  heil  güogn, 

Hokt  sie  niedr  auf  mein  Fuess, 

Had  a  Zödal  an  Maul 

Und  von  Dienal  au  Gruess. 

Kommt  also  das  Lied  bei  Bäuerle  wirklich  vor,  so  hat  er,  wie  er  es 
noch  öfter  gethan  hat,  ein  volkstümliches  Motiv  benutzt.  Wahrscheinlich 
hat  er  dann  auch  wie  in  anderen  Fällen  die  Melodie  des  Volksliedchens 
entlehnt.  Es  mag  uns  daher  recht  wohl  in  jener  Weise  eine  ältere  Volks- 
melodie erhalten  sein,  nach  der  auch  das  fränkische  Liedchen  schon  längst 
gesungen  wurde. '') 

Zu  den  oben  angeführten  Beweisen  für  die  volkstümliche  Herkunft 
des  unterfränkischen  Liedchens  gesellt  sich  noch  ein  sehr  wichtiges  Argument. 
Li  einer  Notiz  zu  Goethes  Schweizerlied  im  Goethe- Jahrbuch,  Band  11 
(Frankfurt  1890),  S.  171  hat  G.  von  Loeper  eine  „jedenfalls  ältere"  Fassung 
des  Cfodichtes  mitgeteilt,  „welche  sich  von  der  Hand  von  Goethes  Ver- 
wandten, Friedrich  Schlosser,  in  der  Sammlung  des  Freiherrn  von  Benins 
auf  Stift  Xeuburg  bei  Heidelberg  befindet".  Die  erste  Strophe  dieser 
Fassung  lautet: 

An  ä  Bergh  bin  i  g'sesse, 
No  die  Vögli  han  i  g'schaut, 
han  gesunge, 
han  gepiffe, 
han  ä  Nestli  dran  baut. 

1)  Jahrbuch  deutscher  Bühnensiiicle,  Jahrgai\y  4,  1825.  —  Das  Stück  wurde  zum 
ersten  Male  am  14.  Juni  1824  in  Berlin  aufgeführt. 

2)  Für  den  Unterinnthaler  Vierzeiler  ist  auf  der  Musikbeilage  zwischen  S.  9G  und«97 
eine  Schnaderhüpfelweise  angegeben,  welche  von  der  in  Rede  stehenden  Melodie  verschieden 
ist.    Selbstverständlich  schliesst  dies  nicht  aus,  dass  Bäuerle  eine  andere  Weise  hören  mochte. 


1H4  Englert: 

Diese  Fassimg  hat  also  noch  nicht  „gesunge  :  gesiirimge",  wie  die 
spätere  Gedichtform,  sondern  „gesunge  :  gepiffe".  also  genau  so  wie  das 
Spessartliedchen  und  die  Windsheimer  Variante.  Daraus  ergiebt  sich  un- 
zweifelhaft, dass  Goethe  für  die  erste  Strophe  seines  Gedichtes  ein  den 
fränkischen  Reimen  ganz  ähnliches  Volksliedchen  benutzte.  Bei  der 
späteren  Umarbeitung  suchte  Goethe,  wie  aus  einer  Vergleichung  der  beiden 
ersten  Verszeilen  hervorgeht,  wieder  engeren  Anschluss  au  seine  Vorlage 
(vgl.  auch  die  Variante  ans  Des  Knaben  Wunderhorn)  zu  gewinnen.  AVeun 
er  dagegen  die  anfangs  im  wesentlichen  beibehaltene  dritte  Zeile  des 
Volksliedchens  „Hat  gepiitte,  liat  gsunge"  abänderte,  so  geschah  dies  bloss, 
um  hier  einen  Reim  zu  gewinnen  und  dadurch  die  erste  Strophe  in  völligen 
Einklang  mit  den  übrigen  zu  bringen,  bei  denen  die  entsprechenden  Verse 
scheu  in  der  ersten  Fassung  reimten.  Auffallend  ist,  dass  die  Forster 
Variaute:  „gsunge  :  gschprunge"  hat.  Es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  hier 
das  Goethesche  Lied,  welches  ja  da  nud  dort  eine  gewisse  Volkstümlichkeit 
erlangt  hat,  einwirkte.  Dagegen  spricht  freilich  die  abweichende  Form 
„Hab  gsunge.  Bin  gschprunge".  Auch  lässt  der  innere  Reim  in  der  ersten 
Verszeile  vermuten,  dass  auch  der  in  der  dritten  Zeile  schon  ursprünglich 
vorhanden  war.  In  diesem  Falle  müsste  Goethe  entweder  eine  zweite 
Fassung  des  Volksliedchens  mit  den  Reimworten  „gesunge  :  gesprunge" 
in  der  dritten  Zeile  kennen  gelernt  haben,  oder  er  müsste  zufällig  auf  den- 
selben Reim  gekommen  sein,  was  übrigens  gar  nicht  unwahrscheinlich  wäre. 
Ich  habe  nun  noch  einiges  zur  letzten  Strophe  des  Goetheschen  Ge- 
dichtes zu  bemerken.  In  dem  1882  bei  Hempel  erschienenen  ersten  Bande 
der  Goetheschen  Gedichte  bemerkt  v.  Loeper  zum  Schweizerlied  (S.  349), 
dass  ebenso  wie  zur  ersten  Strophe  auch  zu  den  übrigen  ältere  Motive 
benützt  sein  mögen  und  fährt  fort:  „Wenn  aber  in  Sylvester  Wagners 
Salzburger  Gesängen.  1847,  das  Schnadahüpfl  vorkommt: 

D'  Pinka  hoben  Halm  trogn 

Und  d'  Nöstar  ausgmocht. 

Und  i  und  mein  Dierndl 

Hohn  zuegschaut  und  glocht  — 
so  wird  Goethes  Lied  eingewirkt  haben." 

Ich  halte  es  für  sehr  unwahrscheinlich,  dass  das  Salzburger  Schnader- 
hüpfel  durch  Goethes  Schweizerlied  angeregt  worden  ist,  und  möchte  darauf 
hinweisen,  dass  ein  in  Österreich  und  sonst  weit  verbreiteter  Reim  mit 
ähnlicher  Schlussweudung  schon  im  Wunderhorn  (Bd.  3,  1808,  S.  124) 
vorkommt.     Er  lautet: 

Adam  und  Eva  habens  Lieben  erdacht, 
Ich  und  mein  Schätzle  habeus  auch  so  gemacht. 
In    den    österreichischen  Volksliedern  von  Ziska  und  Sehottky,  Pesth 
1819,  stehen  S.  192  folgende  Varianten'): 


1)  Dfe   beiden    Strophen    erscheiuen    in    der  Sammhiug    als  zusammengehörig-,    doch 
Keigt    das    beigefügte  Sternchen   nach  einer  Bemerkung  im  Vorwort  an.    dass  sie  erst  von 


Zu  Goethes  Schweizerlied.  165 

D'r  Adam  und  d'Everl  Juchhe!  unsa  Pflega 

Hän's  Liäb'n  dad;icht,  Had's  Bussln  afbrächt. 

Und  i  und  main  Regerl  Und  i  und  niain  Regerl 

Häb'n  's  ah  a  so  g'macht.  Hab'n  's  glai  nachi  g'macht. 

Weitere  Varianten  findet  man  in  Birlingers  Schwäbischen  Volksliedern, 
S.  7i),  in  der  Ausgabe  des  Wunderhorn  von  Birlinger  und  Crecelius,  Bd.  2, 
S.  324  (Württemberg),  in  Simrocks  Deutschen  Volksliedern,  S.  341  (wie 
es  scheint,  nach  dem  Wunderhorn  Bd.  3,  1808).  in  den  Rundäs  aus  dem 
Vogtlande  von  H.  Dunger,  8.  140,  und  in  den  Deutsciieii  Volksliedern  aus 
Böhmen  von  Hrusclika  und  Toischer.  S.  -'77.  Die  folgende  Fassung, 
welche  mit  der  böhmischen  ziemlich  gleichlautet,  liabe  ich  von  einer  Frau 
aus  Brück  in  der  Oberpfalz  gehört. 

O 

De^  Adam  und  d  Ev 
Hamms  Li»bm  afbrächt 
Und  i  und  mii  De'-'ndl 
Hflmmes  grod  '■'   so  gmächt. 

Die  Ähnlichkeit,  welche  die  Schlusswendung  des  in  den  obigen 
Fassungen  vorliegenden  Vierzeilers  mit  der  Schlusssti'ophe  des  Goetheschen 
Schweizerliedes  aufweist,  lässt  vermuten,  dass  Goethe  zu  dieser  Stro))lie 
durch  eine  Variante  des  Schnaderhüpfels,  vielleicht  die  im  Wunderhorn, 
oder  wenigstens  durch  ein  ähnliches  Liedchen  angeregt  wurde. 

Für  die  weiteren  Strophen  des  Goetheschen  Gedichtes  sind  bisher 
keine  volkstümlichen  Parallelen  bekannt  geworden.  Freilich  haben  ver- 
schiedene Forscher,  unter  anderen  Düntzer,  in  seinen  Erläuterungen  zu 
Goethes  lyrischen  Gedichten  (2.  Auflage,  Bd.  2,  S.  234  f.),  die  Ansicht  ver- 
treten, dass  das  Schweizerlied  überhaupt  nicht  Goethes  Eigentum,  sondern 
ein  schweizerisches  Volkslied  sei,  das  der  Dichter  mit  geringen  Verände- 
rungen in  seine  Werke  aufgenommen  habe.  Doch  konnte  bis  heute  ein 
älterer  Druck  eines  solchen  Volksliedes  nicht  nachgewiesen  werden. 
Düntzer  (a.  a.  0.)  und  L.  Tobler  (Schweizerische  Volkslieder,  I,  S.  CXXVI) 
weisen  auf  ein  bei  H.  Kurz,  Ältere  Dichter,  Schlacht-  und  Volkslieder  der 
Schweizer,  S.  215  stehendes  Aargauer  Lied  („Erinnerung")  mit  gleichem 
Anfang  liin,  welches  sie  jedoch  selbst  nicht  für  volkstümlich  halten.')  Der 
Verfasser  des  Gedichtes,  welcher  bei  Kurz  nicht  angegeben  ist  und  auch 
Düntzer  und  Tobler  unbekannt  blieb,  ist  der  Volksdichter  Alois  Glutz, 
welcher,  wie  mir  Herr  Stadtschreiber  Th.  Walker  in  Solothurn  nach  Auf- 
zeichnungen im  dortigen  Bürgerbuche  gütigst  mitteilte,  am  2.  April  1789 
in  Ölten    geboren    und    am  6.  September  1827    in    dem    Flecken    Schwyz 


deu  Herausgeberu  wegen  ihres  verwandten  Inhalts  und  ilu'er  gleichen  Siugweise  aneinander- 
gereiht wurden. 

1:  Tohler  bemerkt  auch  a.  a.  0.,  dass  sich  im  Subithurner  Wuchenblatte  1828,  S.  261 
„einige  unbedeutende  Varianten"  zum  Schweizerliedc;  finden.  Mir  war  das  Blatt  nicht 
erhältlich. 


16fi  Englert:  Zu  linetlies  Schweizei-licil. 

gestorben  ist.  Nach  eiuer  im  Januarheft  der  Zeitschrift  „Alpenrosen"'  er- 
schienenen Notiz,  welche  R.  Weber  in  seiner  Poetischen  Nationallitteratur 
der  deutschen  Schweiz,  Glai'us  1867,  Band  1,  S.  413  auftthrt,  zog  Glutz, 
welcher  blind  war,  von  einem  Knaben  geführt'),  von  Ort  zu  Ort  umher 
und  sang  seine  selbst  gedichteten  und  selbst  koni])Ouierten  Lieder,  die  bald 
in  allen  Dörfern  heimisch  wurden.  Weber  teilt  aucli  das  oben  erwähnte 
Gedicht  „Erinnerung"  mit,  welches  zu  den  populärsten  Liedern  des  Volks- 
dichters gehört.  Übrigens  findet  mau  es  schon  im  allgemeinen  Schweizer- 
Liederbuch,  3.  Auflage,  Aarau  1833,  S.  111,  mit  Nennimg  des  Dichters 
und  der  Angabe  „Melodie  vom  Verfasser"  abgedruckt.^)  Vielleicht  steht 
es  auch  schon  in  den  frühereu  Ausgaben  dieser  Sammlung,  die  mir  leider 
nicht  zugänglich  waren.  Der  leichteren  Yergleichuug  halber  lasse  ich  hier 
einen  Teil  des  Gedichtes  folgen: 

1.    Uffem  Bergli  bin  i  g'sesse,  "2.    Uud  durs  Thäii  bin  i  gange, 

Chönnt  i  numine  wieder  hü  Do  isch's  Bethli  mit  nier  cho; 

0!  i  ehas  schier  nit  vergesse,  Dort  am  Bächü,  wo  so  rusciiet, 

0!  wie  lustig  isch  es  g'si  Hei  mer  blaui  Blüemli  gno, 

D'Vögel  hei  so  lieblig  g'sunge.  Hei  enander  Chräiizli  gflochte 

Schöni  Nestli  hei  sie  baut,  Und  enander  Strüsli  g'marht, 

D'Lämmle  sy  im  Grüne  g'sprmige,  Oebbis  zeit,  und  ame-n-einisch 

Und  das  alles  hani  g'schaut.  Zwische-n-ine  herzlich  gMacht. 

3.    ('her  d'Matte  simmer  g'sprmige, 

0  wie  liet  mi  das  erfreut! 

Schöne  Liedli  hei  mer  g'sunge, 

Dass  es  tönt  het  wit  und  breit  etc. 

Der  Schluss  der  dritten  Strophe  schildert  dann,  wie  die  zwei  Verliebten 
vor  der  Sennhütte  sitzen  und  die  Täubchen  füttern,  Strophe  4,  wie  Bethli 
ihren  Hansli  melken  lehrt,  und  wie  er  dann  Abschied  nehmen  muss, 
Strophe  5,  wie  er  sich  freut,  sein  Liebchen  bald  wiederzusehen. 

Abgesehen  von  den  deutlichen  Anklängen  der  ersten  Strophe  an  die 
Anfangsstrophe  bei  Goethe  berührt  sich  auch  die  erste  Verszeile  der  zweiten 
Strophe  (vgl.  auch  Strophe  3,  Zeile  1)  mit  Strophe  8,  Zeile  1  f.  bei  Goethe 
„Uf  d'  Wiese  Bin  i  gange."  Auch  der  Anklang  der  Schlusszeile  der  zweiten 
Strophe  an  das  „Und  mer  lache"  des  Goetheschen  Liedes  beruht  wohl 
ebensowenig  auf  Zufall,  wie  der  Umstand,  dass  in  beiden  Gedicliten  der 
glückliche  Liebhaber  den  Namen  Hans  (Glutz,  Stro])]ie  5,  Zeile  8  Hansli: 
Goethe,  Strophe  4,  Zeile  2  Hansel)  führt. 

Wie  erklären  sich  nun  die  obigen  Übereinstimmungen?  Diese  Frage 
lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  entscheiden,  solange  nicht  festgestellt  ist, 
ob  (ilntz  sein  Gedicht  vor  oder  nach  dem  Bekanntwerden  des  Goetheschen 

1)  budwig  Rotsclii,  später  Dü-ektor  der  Sol.ithurner  Liedertafel,  g-esturbeii  18(;4. 

•2)  .A.ls  Quelle  wii-d  in  der  VoiTede  eine  S:iiiunhmg  „.-Vlois  Glutz's  .A-lpenlieder-  (mit 
Klavier-  uml  Gultarrcbegleitung)  genannt.  Ort  und  .Jahr  des  Erscheinens  ist  nicht  an- 
gegeben.    Eine  spiitere  .\u.sgabe  ist  bei  E.  Kmp  in  Basel  erscbienen. 


Schwartz:  Ein  paar  Misccllen  aus  ili^n  Havellandschafteii.  167 

Liedes')  verfasst  liat.  Die  Auuahme,  dass  letzteres  unter  Anlelmung  au 
die  Glutzsclie  Uiclituug  t-ntstauden  sein  könnte,  erscheint  durch  die  enge 
rhythmische  Übereinstimmung  des  Goetheschen  Schweizerliedes  mit  dem 
Vierzeiler  im  Wunderhorn  und  dem  fränkischen  Liedchen,  sowie  durch  die 
enge  textliche  Verwandtschaft  der  ersten  Strophe  bei  (xoethe  mit  dem 
fränkischen  Volksreim  und  zum  Teil  auch  mit  der  Odenwälder  Variante 
ein  für  allemal  ausgeschlossen.  Dagegen  hat  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
ein  umgekehrter  Einfluss  stattgefunden.  Immerhin  aber  ist  noch  ein  anderer 
Fall  denkbar.  Goethe  und  Glutz  könnten  aus  gleicher  oder  ähnlicher 
Quelle  geschöpft  haben.  Liesse  sich  das  nachweisen,  so  würde  sich  daraus 
die  Folgerung  ergeben,  dass  Goethe  nicht  nur  die  erste  Strophe  entlehnt 
hat,  sondern  dass  ihm  seine  Vorlage  auch  wenigstens  die  Hauptzflge  für 
die  folgenden  Strophen  lieferte.  Eine  eudgiltige  Lösung  dieser  Frage 
würde  durch  Ermittlung  der  Entstehungszeit  des  Glutzschen  Gedichtes 
ermöglicht  werden.  Meine  Nachforschungen  nach  dieser  Richtung  sind 
leider  erfolglos  geblieben. 
München. 


Ein  paar  Miscelleu  aus  den  Havellandscliaften. 

Von  Wilhelm  Schwartz. 

Nachdem  ich  zufällig  entdeckt  hatte,  wie  ich  in  der  Sitzung  unseres 
Vereins  vom  Oktober  1893  schon  berichtet,  dass  im  Havellande  noch  h«ut 
zu  Tage  für  die  Kröte  der  Name  Muggel  volkstümlich  üblich  sei,  kam 
es  mir  darauf  au,  die  Grenzen  festzustellen,  innerhalb  welcher  diese  Eigen- 
tümliclikeit  auftritt,  dann  auch  weiter  zu  untersuchen,  ob  etwa,  wie  ich 
Veranlassung  hatte  zu  vermuten,  für  den  Frosch  und  Regenwurm  auch 
noch  volkstümliche  Soudernainen  existierten. 

Durch  eiuen  umfassenden  Briefwechsel  gelang  die  Orientierung  in 
beiderlei  Hinsicht  über  Erwarten,  ja  die  Untersuchung  zog  allmählich 
immer  weitere  Ka'eise,  so  dass  sie  sich  schliesslich  über  ganz  Norddeutschland 
ausdehnte.  Wenn  ich  die  interessanten  Resultate,  die  sich  namentlich  aus 
der  überall  liervortretenden  landschaftlichen  und  damit  ethnologischen 
Gruppierung  der  betreffenden  Namen  ergeben  haben,  glaube  demnächst 
abschliessen  nud  veröffentlichen  zu  könneu,  so  will  ich  inzwischen  einige 
kleinere  Mitteilungen  nicht  zurückhalten,  welche  mir  aus  den  Havelland- 
schaften, d.  h.  dem  eigentlichen  Havellande  mit  dem  angrenzenden  Teile 
der  Zauche.  sowie  aus  den  beiden  Jerichowschen  Kreisen  bei  dem  an- 
geknüpften Verkehr  zufällig  geworden  sind. 

1)  Zrltor  setzte  das  Lied  am  11.  Mai  1811.  Reichardts  beliebte  Melodie  stammt  aus 
demselben  .Fahre. 


Ißg  Schwartz: 

I.    Monsieur  Schwarzsauer. 

iler  Name  wurde  mir  für  die  Kröte  nebeu  andereu  aus  dem  zweiten 
Jericbower  Kreise  als  eiu  Stück  Volkshuuior  mitgeteilt.  Er  stamme,  liiess 
es,  aus  der  Zeit  der  französischeu  Oceupatiou  in  ilen  Jahren  1806 — 13  und 
sei  bis  in  die  sechziger  Jahre  oft  im  Scherz  gebraucht  worden;  allmählich 
aber,  wie  jene  Zeit  selbst,  mehr  in  den  Hintergrund  getreten.  Damals  also, 
als  das  ganze  Land  voll  französischer  Einquartierung  steckte,  hatte  eine 
Bauerfrau  einem  französischen  Soldaten,  der  bei  ihr  im  Quartier  lag,  beim 
Gänseschlachteu  eine  Schüssel  Sehwarzsauer  vorgesetzt,  jenes  auch  jetzt 
noch  in  weiteren  Kreisen  wohlbekannte  Gericht,  welches  aus  Gänseklein 
mit  Birnen  oder  Backobst  und  Klössen  bereitet  wird  und  durch  das  Gänse- 
blut eine  schwarze  Farbe  erhält.  Der  Franzose  fand  die  Mahlzeit  „tres 
bon"  und  wiederholte  oft  „tres  bon  ce  Schwarzsauer"  und  hieb  tüchtig  ein. 
Plötzlich  kletterte  eine  Kröte  (die  Schüssel  hatte  zur  Abkühlung  etwas  auf 
der  Erde  gestanden,  und  das  Tier  war  hineingeraten,)  aus  der  Schüssel 
am  Rande  in  die  Höhe.  Erschreckt,  aber  nicht  gesonnen,  von  der 
leckeren,  ihm  neuen  Mahlzeit  etwas  entweichen  zu  lassen,  spiesste  der 
Franzose  die  Kröte  auf  seine  Gabel  mit  dem  Zurufe:  „Reste  ici,  Monsieur 
Schwarzsauer",  und  so  behielt  das  Tier  lange  den  Namen. 

H.    „Dei  hürt  de  Pieräser  (die  Regenwürmer)  blaffen"  (bellen). 

sagt  man  am  Pilener  Luch  von  einem  su]ierklugen  Menschen,  der  alles  besser 
-wissen  will  als  andere.  Wie  aber  die  Berliner  Jungen  statt  pieräser  meist 
„pieresel"  sagen,  so  sagt  man,  wie  ich  höre,  in  den  Städten  Westpreussens,  wohin 
das  Wort  durch  vorpommersche  Seefischer  und  weiter  dann  durch  Schiffer 
verpflanzt  sein  soll,  „pie-ratz",  in  Posen  sogar  ,,pirosse",  indem  man  an  andere 
Tiere  dabei  denkt.')  Auch  in  Danzig  und  Marienwerder  zieht  man  nun  „den 
pieratz"  zur  Vergleichung  heran,  indem  man  einen  laugen,  hageren  Menschen 
gelegentlich  mit  dem  Namen  „langer  Pieratz"  belegt,  wie  man  einen  solchen 
in  Berlin  eine  „lange  Latte"  nennt.  Der  Ausdruck  „langer  Pieratz"  ist 
offenbar  von  einem  lang  wie  eiu  Regenwurm  ausgestreckt  daliegenden 
Menschen  entlehnt.  Wie  Homer  Jl.  13,  655  den  vom  Meriones  getöteten 
Harpalion,  als  er  sterbend  langausgestreckt  auf  der  Erde  daliegt,  in  un- 
mittelbarer Anschauung  einem  Regenwurm  vergleicht  (^dv/ior  nsroTTvelojv, 
CO?  Tf  rjy.v'jkiji,  im  yut'i]  y.dro  T(ii)tig).  so  weckte  dort  bei  Fischern  und  Schiftern 
ein  so  „bequem"  hingesti-eckter  „Schlaaks"  (wie  auch  der  Berliner  sagt  und 
davon  das  Zeitwort  „sich  hiuschlaaksen"  formt.)  in  einer  Art  Hohn  eiu 
ähnliches  Bild. 


1)  Der  m-spriuigliclie  Name  pier-aas  bezeiclmet  das  Tier  als  eiiicn  Wurm-Köder  lioim 
Angell),  denn  pier  ist  ursiirünglich  -  wurm  und  aas  =  köder,  in  welcher  Bedeutiuig  es  sich 
noch  namentlich  in  der  Jägersprache  erhalten  hat. 


Ein  paar  Miscelleri  aus  den  Havellandschaften.  169 

III.    Der  Hede-  oder  Herbsthund. 

Mit  dem  Namen  „Hede-"  oder  „Herbsthund"  bezeichnet  der  Volks- 
hmnor  im  Havelland  die  Brake,  das  Gerät,  mit  welchem  man  den  Flachs, 
um  die  Ausscheidung  der  Hede  anzubahnen,  bricht.  Gebrakt  wird 
im  Spätherbst  meist  des  Abends  beim  Laternenlicht,  nachdem  der  Flachs 
•  im  Backofen,  wenn  das  Brot  herausgenommen,  gedörrt  worden  ist. 
Früher  als  noch  mehr  auch  auf  den  Höfen  gesponnen  wurde,  brakten  oft 
20—30  Mädchen  und  junge  Leute  zusammen,  und  dann  ging  es  dabei  lustig 
her.  Eine  alte  Frau,  die  nicht  mehr  recht  die  Kräfte  zum  Braken  hatte, 
zog  immer  eine  Handvoll  Flachs  aus  dem  Ofen  und  reichte  sie  dem  nächsten, 
der  gab  sie  weiter,  bis  alle  damit  versehen  waren,  und  dann  ging  das 
Brechen  mit  der  Brake  los.  Wenn  man  es  so  aus  der  Ferne,  namentlich 
von  mehreren  ausgeführt,  hört,  dann  lässt  sich  das  Klappern  an,  als  wenn 
ein  alter  Hofhund  „kläfft",  und  deshalb  nannte  und  nennt  man  auch  noch 
die  Brake  scherzend  den  „Hede-"  oder  „Herbsthund". 

IV.    Von  Überresten  alter  Hausindustrie. 

Die  reiche  Hausindustrie  früherer  Zeit,  von  der  u.  a.  das  in  Berlin 
neu  begTÜndete  Museum  deutscher  Volkstrachten  ein  beredtes  Zeugnis  ab- 
legt, hat  in  diesem  Jahrhundert  auf  dem  Lande  durch  das  Fabrik-  und 
Hausierwesen  immer  mehr  abgenommen.  Nichtsdestoweniger  werden  noch 
immer  einzelne  Zweige  allgemeiner  gepflegt.  Eine  zufällig  sich  anspinnende 
Recherche  deshalb  im  Havellaude  ergab  folgende  Notizen. 

Die  Frauen  beschäftigen  sich  vor  allem  noch  immer  mit  Spinnen  und 
Weben  von  Wolle  und  auch  von  Flachs.  Das  Spinnen  der  Wolle  geschieht 
meist  gleich  vom  Vliess  aus,  wie  es  von  der  Schur  kommt,  wo  die  Wolle 
noch  wie  Watte  zusammenhängt.  Wenn  die  Wolle  gesponnen,  wird  sie  noch 
einmal  sauber  gewaschen  und  je  nach  dem  beabsichtigten  Verbrauch  meist 
braun  oder  blau  gefärbt.  Auch  der  Flachs  wird  teilweise  blau  gefärbt, 
namentlich  zur  Verwendung  bei  Anfertigung  des  karrierten  Bettzeuges, 
welches  sehr  beliebt  ist.  Eine  besondere  Art  Gewebe  ist  das  sogenannte 
Warp  mit  leinenem  Aufzuge  und  wollenem  Einschlag,  also  ein  halbwollener, 
tuchartiger  Stoff. 

Die  Männer  schnitzen  allerhand  aus  Holz,  z.  B.  Holzpantinen,  fertigen 
sich  auch  Besen,  Harken,  Dreschflegel  u.  dgl.  meist  selbst  an,  flechten 
Körbe  aus  Weidenruten  und  den  feineren,  zähen  Wurzeln  der  Kiefer. 
Treiben  sie  Fischfang,  so  stricken  sie  auch  Netze  und  flechten  Reusen. 
Viele  —  namentlich  Schäfer  —  stricken  auch  Strümpfe  und  Fausthand- 
schuhe, natürlich  von  „selbstgesponuener"  Wolle.  Bei  den  letzteren  kommt 
meist  ein  sehr  mühsamer  Häkelstich  zur  Anwendung,  indem  kleine  Wollen- 
flöckchen  immer  eingehäkelt  oder  eingestrickt  werden,  was  dann  vollständig 
eine  Art  Pelz  giebt. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunae.    1895.  lo 


]70  Scliwartz;  Ein  paar  Miscelleu  aus  den  Havellaurlschaften. 

Vor  50  Jahreu  stand  noch  das  Flachsspinnen  ganz  anders  inmitten 
des  wirtschaftliclien  Lehens.  Seit  der  Zeit  hat  sich  die  Sache  aher  in  den 
Havellandschaften,  wie  iilierhaupt  im  nordöstlichen  Deutschland,  z.  T.  sehr 
geändert.  Während  auf  der  einen  Seite  die  landesüblichen  Spinnstuhen  mit 
ihrer  natürlichen  Ungebnndenheit  bei  den  kirchlichen  wie  staatliehen  Organen 
in  Verruf  kamen,  und  mau  auf  ihre  Beseitigung  drängte,  wurde  auf  der 
anderen  Seite  auch  das  Interesse  des  Volkes  daran  durcli  besondere  Umstände 
selbst  gemindert.  Je  länger,  je  mehr  griff  die  Verwendung  der  wohlfeilen 
Baumwolle  um  sich,  und  allmählich  fingen  auch  Fabriken  an,  die  Leinewand 
so  billig  zu  liefern,  dass  die  viele  Arbeit,  welche  sie  dem  Einzelnen  macht, 
kaum  mehr  zu  lohnen  schien.  Eine  Sache  gab  aber  dem  Spinnen  den 
Hauptstoss.  nähmlich  die  veränderten  Lohnverhältnisse.  Wie  der  Staat 
prinzipiell  überall  Naturalleistungen  in  Geld  „umsetzen"  Hess,  so  trachteten 
auch  die  ländlichen  Dienstleute  zuletzt  danach,  und  so  kam  schliesslich  unter 
Erhöhung  des  Lohnes  das  früher  übliche  Deputat  an  Leinsamenaussaat, 
sowie  das  an  Flachs  und  Wolle  bei  ilinen  Wegfall,  und  damit  wurde  der 
betreffenden  Industrie  die  breite  volkstümliche  (Grundlage,  die  sie  gehabt, 
bedeutend  geschmälert. ') 

V.    Vom  Abnehmen   des   Spinnens   und   vom    Einfluss   davon  auch 
auf  anderem  Gebiete  des  Volkstums. 

Ich  bin  auf  dies  Abnehmen  des  Spinnens  etwas  ausführlicher  ein- 
gegangen, da,  abgesehen  von  dem  socialen  Interesse,  welches  die  Sache  in 
ihrer  ganzen  Entwicklung  hat,  ich  auch  bei  meinen  jetzt  erneuten  Beziehungen 
zu  dem  Volkstum  in  den  Havellandschaften  erfahren  habe,  wie  das  Auf- 
hören des  Spinnens  in  der  Allgemeinheit  noch  ein  altes  Stück  Heidentum 
fast  vollständig  abgebröckelt  hat,  welches  sich  an  die  sogenannten  Zwölften, 
die  Zeit  von  Weihnachten  bis  Grossneujahr  (6.  Jan.)  knüpfte  und  sich  bis 
jetzt,  wenn  auch  nur  äusserlich  in  der  Tradition,  gerade  in  den  Gegenden 
zwischen  Elbe  und  Oder  bis  in  dieses  Jahrhundert  fort  erhalten  hatte. 
Die  Zwölften,  mit  denen  das  christliche  Weihnachtsfest  zusammenfiel, 
waren  im  Heidentum  das  Fest  der  Wintersonnenwende.  Da  musste  jede 
Arbeit  ruhen,  da  durfte  kein  Rad  sich  drehen,  nicht  gewaschen,  vor  allem 
nicht  gesponnen  werden.  Allerhand  Aberglaube  knüpfte  sich  daran.  Wenn 
einer  wusch,  hiess  es:  „Wer  dann  den  tun  bekledt.  muss  im  nächsten 
Jahre  den  Kirchhof  bekleden",  d.  h.  sterben.  Wenn  ein  Jlädchen  den 
Wecken  nicht  abgesponnen  hatte,  also  die  Arbeit  nicht  ruhte,  bekam  es 
Schwären  (Geschwüre)  oder,  wie  es  in  den  Havellandschaften  hiess:  „Frau 


1)  Die  Löhne  der  Mädchen  im  Havellande  betrugen  bis  zum  .Tahre  1855  durch-' 
schnittlich  IS  Thaler,  "2  Pfund  Wolle,  3fi  Ellen  Leinewand  und  ',.,  Scheffel  Leinsamen,  aus- 
gesäet.  In  den  sechziger  Jahren  stiegen  die  Lohuansprüche.  Von  1868 — 70  an  verlangten 
die  Mädchen  nur-  Geld  und  zwar  35—40  Thaler,  erhielten  aber  auch  meist  noch  J  Pfund 
Wolle  und  das  Leinen  ausgesäet.    Jetzt  bekommen  sie  nur  Geld. 


Greussinff:  Die  alte  Jungfer.  171 

Harke  käme  und  besudle  ihr  den  Wocken",  während  der  Uckermärker 
dafür  „dieFrick",  der  Priegnitzer  „FrauGode".  der  mecklenburgische  Bauer 
den  „Wode"  substituierte.  Wenn  in  diesen  Namen,  wie  Kuhn  und  ich  sie 
überall  vor  mehr  als  fünfzig  Jahren  bei  unseren  Wanderungen  durch  jene 
Landschaften  noch  gleichsam  mechaniscli  fortlebend  vorfanden,  damals  noch 
alte  Götternamen  aus  der  heidnischen  Zeit  in  der  betreffenden  Bevölkerung 
fortlebten,  so  hat  das  Aufhören  allgemeinen  Spinnens  seit  jener 
Zeit  dies  charakteristische  Moment  fast  verwischt.  Wie  ich  schon 
vor  einigen  Jahren  in  Pommern  die  Erfahrung  machte,  hörte  ich  jetzt  auch 
aus  dem  Havellande  auf  verschiedene  Anfragen  übereinstimmend,  dass  mit 
dem  Abnehmen  des  Spinnens  auch  Frau  Harke  mit  dem  betreffenden  Aber- 
glauben in  Vergessenheit  gekommen  sei  und  nur  einzelne  alte  Leute  sich 
dessen  erinnerten,  dass  man  früher  es  gesagt.  So  gehen  die  Fäden  im 
Volkstum  herüber  und  hinüber,  und  Veränderungen  auf  einem  Gebiete 
veranlassen  unerwartet  auch  Wandlungen  auf  einem  ganz  anderen. 


Die  alte  Jungfer. 

Lebensbild  aus  dem  Stubai  von  Paul  Greussing. 


Gerade  so  wie  in  den  Städten  giebt  es  im  kleinen  Dörflein  allerlei 
Leute,  gute  und  böse,  komische  und  ernste. 

Jeder  Mensch  hat  seine  Grillen  und  die  zirpen  nicht  nur  im  Frühling, 
sondern  auch  zur  Winterszeit. 

Jedes  Dorf  hat  seinen  Sonderling,  sei  er  männlichen  oder  weiblichen 
Geschlechtes. 

Hier  versieht  diese  Rolle  auf  der  Bühne  des  irdischen  Daseins  ein 
ergrautes  Weiblein;  Eulalia  ist  ihr  schöner  Name.  Sie  ist  auch  einmal 
ein  flottes  „Diendl"  gewesen  und  mancher  Bursche  stieg  vergebens  um 
mitternächtige  Stunde,  wenn  der  Mond  die  Gletscher  und  Wälder  ver- 
silberte, zu  ihrem  Kammerfenster. 

Neulich  noch  zeigte  sich  ein  frohes  Lächeln  um  den  runzligen  Mund, 
ein  spätes  Wetterleuchten  jener  längst  euti-ückten  Sturmeszeiten. 

„I  der  Sepei"  kichert  die  Alte,  „da  isch  a  Bnrschl  gewesen,  das  hat 
nii  gefreudet.  Nu!  itz  thnt  ihm  a  koa  Banl  mehr  weh,  dem  armen  Hascher. 
Gott  sei  seiner  armen  Seel  anädis!" 

„Eulalia,  erzähle  mir  einmal  die  Geschichte  Deines  Lebens,  Du  weisst 
ja,  dass  mich  alles  interessiert!" 

„Du  —  du  warsch  mir  der  letzte,  den  i's  sogen  that  —  moanst  epper, 
kunnst  mit  Zeitung  an  Kreuzer  verdianen?  —  hi  —  hi  —  hi  —  heiliger 
Romedi  samt  dein  Bären!" 

12* 


j'72  Greussing: 

„Aber  Eulalia " 

„Halt  dei  Maul!  —  ondre  luigen  damit,  —  ober  du  luigst  a  mit  der 
Tatzen!"  —  Fort  ist  das  Weiblein,  verschwunden  hinter  der  Thür  der 
kleinen  Hütte. 

Neulich  hat  man  sie  hinausgetragen  zum  Sepei,  dem  Liebsten  ihrer 
Jugend,  darum  kann  ich  wohl  ihre  Geschichte  erzählen.  Der  Herbst-  und 
Frühlingssturm  braust  über  die  Gräber  und  schüttelt  und  rüttelt  au  den 
eisernen  Kreuzen.  Die  knarren  und  ächzen  im  Winde.  Der  alte  Wetter- 
hahn dreht  sich  auf  dem  roten  Turme.  Er  dreht  sich  immer  gleich  — 
gerade  so  wie  das  Leben  unten  im  Dorfe,  das  Jahr  um  Jahr  ein  Riugel- 
spiel  führt.  —  Die  Macht  der  Gewohnheit  ist  das  hölzerne  Rösslein.  welches 
die  schlichten  Leutchen  zirkusmässig  herumträgt. 

Heut  steht  „der  Lugenhansl".  ebenfalls  eine  interessante  Dorfgestalt, 
vor  dem  kleineu  Hügel  eben. 

Thränen  benetzen  die  Wangen  des  „Lumpen",  wie  ihn  die  Leute 
nennen.  Der  Kirchturm  aber  zeigt  auch  für  den  „Verlassenen"  nach  oben, 
und  der  kleine  Friedhof  wird  auch  ihn  einst  in  die  schweigende  Gesell- 
schaft aufnehmen.  Dann  muss  sich  der  stolze  Grossbauer  halt  auch  mit 
diesem  Nachbarn  vertragen,  und  ihnen  allen  singt  das  Rotkröpferl  im 
Weidenbaume  ein  melancholisches  Liedlein. 

Da  steht  er  und  wischt  die  schnapsgeröteten  Augen. 
„Herrgott  —  gelt  Herr  Herrgott",    er  beginnt  zu  schluchzen.     „Gelt, 
Du  verzeihst  ihrs,    dass  sie  mi  zu  an  Inimpen  gmacht  hat?"  —  Er  weint 
wohl  über  seinen  eigenen  Verfall,  und  er  weint  diese  Thränen  auf  der  Stätte, 
wo  sein  erster  Jugendtraum  im  ewigen  Schlummer  ruht. 

Wieder  rüttelt  der  Herbstwind  an  den  eisernen  Kreuzen  und  die  grauen 
Locken  des  Bettlers  flattern  wie  Hobelspäne  ums  entblösste  Haupt. 

Er  setzt  sich  den  schmutzigen  Hut  auf  und  wandert  weiter  und  bittet 
jedermann  um  eine  Gabe.  — 

Frühling  und  Herbst  kommt  alljährlich  nur  einmal.  Nur  einmal  im 
menschlichen  Leben  blühen  die  Blumen,  dann  kommt  der  Sommer,  und 
bald  bleicht  der  Herbst  deine  Haare.  Der  Lügenhansl  hat  auch  seinen 
Lenz  durchlebt,  als  noch  die  Eulalia  ein  junges  Mädl  gewesen  ist. 

Der  kräftige  und  damals  hübsche  Hansl  hatte  auch  ein  heisses  Herz 
in  der  Brust,  und  es  wurde  ihm  ganz  sonderbar  zu  Mute,  so  oft  die  Maid 
in  seinen  Gesichtskreis  trat.  Doch  er  war  ja  nur  ein  armes  Knechtl,  und 
der  „Seppei"  ist  ein  reicher  Bauernsohn  gewesen  und  gerade  so  gut  und 
sauber  wie  der  Hannes  und  gerade  so  vernarrt  wie  letzterer. 

Der  Eulalia  war  da  die  Wahl  nicht  schwer  — .  doch  es  kam  ein 
sonnenheller  Frühlingstag,  und  vier  Jäger  trugen  den  zu  Tode  verletzten 
Seppei  dem  Vater  zu.  Er  war  am  Gamsschrofen  und  hat  Edelweiss  und 
Rauten  geholt  für  sein  schönes  Liebehen.    Wenige  Tage  später  und  wieder 


Die  alte  Jungfer.  173 

trugen  vier  Mäuuer  den  armen  Burschen  hinaus.  Bald  kollerten  darnach 
die  Steine  auf  den  hölzernen  Sarg,  und  aus  war  es. 

Vorbei  ist  es  auch  mit  der  Eulalia  gewesen,  die  wui-de  eine  echte 
Menschenfeindin.  Sie  hat  keine  Thräne  am  Grabe  des  Liebsten  geweint, 
aber  nach  sechzig  Jahren  ist  sie  noch  nie  über  den  Friedhof  gewandert, 
ohne  ein  Tröpfl  Weihbrunu  aufs  Grabhügerl  des  Seppei  zu  werfen. 

Der  arme  Hansl  hat  dem  „Diendl"  vergebens  Lieb  und  Hand  und 
noch  etwas  dazu  ,,a  bisl  Ersparts"  angetragen.  Fortgejagt  hat  sie  ihn  mit 
rauhen  Worten. 

Er  trank  im  Verdruss  —  ein.  zwei  Gläsleiu  —  beim  Bierwirt  —  vor- 
läufig aus  Ärger  —  später  that  er  es  aus  Gewohnheit. 

Ebenfalls  Eulalia  gewöhnte  sich  in  alten  Tagen  ein  „Bisserl  aufs  Glasl." 

Wenig  Wochen  vor  ihrem  Tode  hat  sie  ihr  Lieblingslied  dem  Dorf- 
lumpen vorgesungen. 

Draussen  zog  der  Herbstwind  raschelnd  durchs  welke  Laub ,  und  als 
letzte  Frühlingsreste  fielen  da  und  dort  die  Blätter.  Der  „Lugenhannes" 
und  die  Alte  tranken  zusammen  ein  Glasl,  sie  waren  lustig  nach  ihrer  Art. 

Und  i  bin  halt  a  steinoltes  Madl.  Den  Imt  mir  der  Herrgott  nit  g'lassen, 

Mein  Alter  ist  82  Jahr  —  Itz  schlag  i  mirs  ganz  aus  dem  Sinn, 

I  bin  voller  Kröpf  —  voller  Tadel,  Und  hab  mir  den  Gedanken  glei  g'fassen 

Ganz  glazet  und  grau  is  mei  Haarl  Es  kimmt  scho  a  anderer  um  mi! 

I  hat  wohl  an  Heirat  bekemmen,  Und  mit  meinem  so  langen  Warten 

A  Bäuerl,  wohl  a  nit  a  groass,  Da  wur  i  a  alte  Maschin  — 

Den  hat  i  mit  Kreuzgvvalt  sollt  nehmen  — ;  Und  Imn  halt  nix  mehr  z'derwarteu; 

Er  füttert  im  Winter  zwoa  Goas!  Mei  Schönheit  ist  alle  dahin.  — 

Und  Madien  thiet  enk  nit  lang  bsinnen. 
Wenn  aner  ums  Heiraten  fragt, 
Und  thiet  en  holt  glei  zu  enk  nehmen, 
Wenn  oaner  a  Goasstallele  hat! 

So  sang  das  runzlige  Weiblein.  Der  Lügenhannes  that  aber  einen 
gewaltigen  Schluck  aus  der  Flasche  und  die  Alte  seufzte:  „Jetzts  ists  z'spat 
—  gelt.  Hascher,  hätt  di  holt  do  nehmen  sollen."  Das  erste  Mal  seit  langen 
Jahren  leuchten  ihre  Augen   im  feuchten  Glänze. 

Der  Dorf  lump  will  etwas  sagen,  jedoch  er  bringt  die  Worte  ui(dit 
zusammen. 

Er  lachte,  und  dabei  perlte  es  über  die  gelben  Wangen  wie  glitzernde 
Diamanten. 

Er  schlug  mit  dem  eisenbesetzten  Stocke  die  Dielen  und  erhob  sich: 
„Leb  wohl.  Eulali  —  i  verzeih  dir!" 

„Was  du  —  du  Lump  niederträchtiger,  du  iniar  verzeichen  —  pack 
di  aus  meine  Augen,  suusten  giebts  a  Besenstielsuppeu!" 

Weiter  trollte  sich  der  Bettler.  —  Heute  geht  er  vom  Grabe  seiner 
Jugendliebe  —  ins  Wirtshaus,  und  es  rollt  hie  und  da  ein  Tröpflein  vom 


174  Bahlmann: 

Auge  ins  Schnapsglas!:  „Verzeih  ihr,  Herrgott,  dass  sie  nii  zu  an  Lumpen 
gemacht  hat." 

Drausseu    stürmt    der    Herbstwind,    und    fällt    das  Laub    der  Bäume. 
Frühlingsblumen,  Finkenschlag  vorbei  —  vorbei!  — 

T  elf  es  im  Stubai,  Tirol. 


Die  Lambertus-Feier  zu  Münster  i.  W. 

Von  Paul  Balilmann. 

Über  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  des  seit  midenklichen  Zeiten 
in  der  Stadt  Münster,  aber  an  keinem  anderen  Orte  des  ganzen  vormaligen 
Hochstiftes  üblichen  St.  Lambertus-Festes  waren  die  Kulturhistoriker  bis 
in  die  neueste  Zeit  gar  verschiedener  Ansicht.  Professor  G.  B.  Depping 
in  Paris,  ein  geborener  Münsteraner  (1784—1853),  sucht  die  Feier  in  dem 
1810  bei  Waldeck  in  Münster  erschienenen,  jetzt  leider  nicht  mehr  auf- 
zufiudenden  Tageblatte  „Eos,  Zeitsclirift  für  üebildete"')  unter  Hinweis 
auf  das  Lied: 

Jammer,  Jammer,  höret  zu. 

Was  ich  euch  will  sagen: 

Hab  verloren  meinen  Schatz 

Wohl  auf  Lamberti-Abend!-) 

von  ägyptischen,  bezw.  heidnischen  Mysterien  herzuleiten,  während  sie  der 
Münsterische  Major  H.  A.  Flensberg  (1750—1824)  mit  der  am  Larabertus- 
tage  beginnenden  Abendarbeit  der  Handwerker  in  Verbindung  bringt. 
„Münster  —  schreibt  Flensberg")  —  eine  Stadt  vormals  voller  Gewerbe, 
war  in  ältesten  Zeiten  von  vielen  kleinen  Handwerkern  und  Gewerbsleuten 
bewohnt  auf  Stellen,  die  jetzt  von  Klöstern  und  anderen  Prachtgebänden 
eingenommen  sind.  Wenn  die  neueste  Volkszählung  keine  15  000  Seelen*) 
ausfindet,  so  glaube  ich  (ohne  eben  Volkslisten  aus  den  ältesten  Zeiten  vor 
mir  zu  haben)  jene  vor  300  Jahren  auf  40  000  in  Anschlag  bringen  zu 
dürfen  °)  ....     In  dieser  Stadt  voller  Gewerbfleiss  war,  wenn  die  Gewerbe 

1)  Extrabeilage  No.  2,  Pariser  Correspondenz-Nachrichten:  über  den  Ursprmig  des 
Lambertusfestes  in  Münster. 

2)  Vgl.  Münsterische  Geschichten,  Sagen  und  Legenden.    Münster  1825,  p.  267  ff. 

3)  Eos,  No.  71  und  72:  Lamberti-Abendfeier.  —  Nach  einer  früher  von  ihm  an- 
gefertigten Abschrift  abgedruckt  von  Josef  Weingärtner  (Erzählungen  aus  Westfalen. 
Münster  1890,  p.  yl— 94  imd  Das  Kind,  2.  Ausg.,  Münster  1891,  p.  61—64). 

4)  Die  Stadt  hatte  im  Jahre  1795  nur  13  976,  1816  erst  15  088  Einwohner. 

5)  A.  Tibus  (Die  Stadt  Münster.  Münster  1882,  p.  260)  gelangt  zu  dem  Schluss,  dass 
die  Bevölkerung  Münsters  am  Ende  des  15.  und  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  höchstens 
9000—10000  Köpfe,  im  14.  Jahrhundert  dagegen,  das  ja  auch  die  Zeit  der  grössten  Blüte 
der  Stadt  bildete,  11000—12  000  Köpfe  betragen  haben  möge. 


Die  Lanibertus-Feioi-  zu  Münster  i.  W.  175 

nicht  uuter  der  Willkür  der  Arbeits-  und  Hausgeuossen  erliegen  oder  diese 
von  den  Meistern  misshandelt  werden  sollten,  eine  öffentliclie  Ordnung 
vounöten,  welche  die  Arbeitsamkeit  regulierte,  wobei  auch  auf  die  Zeit 
der  Arbeit  vorzügliche  Kücksicht  zu  nehmen  war.  Die  Arbeitsstunden 
waren  daher  für  den  Sommer  und  Winter  besonders  festzusetzen.  Wenn 
in  jenem,  welcher  von  Ostern  bis  Michaelis  gerechnet  wird,  die  Arbeit 
früh  um  5  Uhr  anfangen  und  bis  zum  Einbrucli  der  Nacht  fortdauern  sollte, 
so  gewannen  die  Arbeiter  ungemein.  Nach  dem  Solstitium  (der  Sonnen- 
wende) mit  Ausgang  Augusts  kann  schon  um  7  Uhr  abends  ohne  Licht 
nicht  melir  gearbeitet  werden,  und  das  letzte  Drittel  des  Septembers 
erfordert  dieses  schon  um  6  Uhr.  Hier  war  also  der  Yerlust  für  die  Brot- 
herren und  Meister  zu  überwiegend,  wenn  bis  Michaelis,  als  dem  Zeitpunkte, 
von  welchem  an  auf  dem  umherliegenden  platten  Lande  noch  jetzt  die 
Arbeitsstunden  anfangen  nach  Sonnenuntergang  fortgesetzt  zu  werden,  für 
die  gTOsse  Menge  Tagelöhner  und  Gesellen  der  städtischeu  Gewerbe  das- 
selbe stattfinden  sollte.  Ein  bis  zwei  Stunden  Arbeit  weniger  auf  einen 
ganzen  Monat  für  viele  hundert  Menschen  musste  ein  Gegenstand  obrigkeit- 
licher Aufmerksamkeit  werden.  Diese  wählte  den  Mittelweg  und  ver- 
ordnete den  Anfang  der  Arbeit  bei  Lichte  auf  die  Mitte  Septembers,  als 
Lamberti  Abendfeier'),  welche  Polizei- Verfügung  noch  gegenwärtig  bei 
verschiedenen  Gewerben  in  voller  Kraft  ist.  —  WelcJier  Anlass  ist  wohl 
natürlicher,  als  dass  der  Abend,  wo  auf  einmal  alle  Häuser  und  Werkstätten 
zuerst  erleuchtet  werden,  der  Klasse  arbeitender  Menschen  eine  besondere 
Feier  wurde,  woran  Kinder  und  Hausgesinde  ohne  Unterschied  Teil  nahmen? 
Der  erste  Arbeitsabend  wurde  uuter  allgemeiner  Freude  zugebracht,  das 
Licht  aus  den  Werkstätten  für  dies  einzige  Mal  ins  Freie  auf  die  öffent- 
lichen Strassen  getragen.  Man  sang,  man  tanzte  und  stärkte  sich  durch 
diese  Feier  zu  den  Arbeitsstunden  des  bevorstehenden  Winters." 


Am    nächsten  liegt  es,    unser  Pest  —  wie  dies  auch  von  Tibus  (1. 


c. 


p.  272)  geschehen  ist  -^  mit  dem  Heiligen  in  Zusammenhang  zu  bringen, 
an  dessen  kirchlichem  Gedächtnistage  es  gefeiert  wird,  zumal  die  Lamberti- 
kirche  fast  das  ganze  12.  Jahrhundert  hindm'ch  die  einzige  Pfarrkirche  für 
die  ganze  Stadtmark  am  rechten  Ufer  der  Aa  war^).  die  ganze  Stadt  also 

r  Als  Anfangstermin  einer  neuen  Arbeitsperinde  wird  Lamberti  auch  in  den  Ver- 
ordnungen vom  1"J.  Aug.  1765  und  31.  Aug.  1801  bezeichnet,  nach  denen  von  Lichtmess 
bis  Mai  10  Stunden,  von  Mai  bi.s  Lamberti  ll'/s  Stunden,  von  Lamberti  bis  Martini 
10  Stunden,  von  Martini  bis  Lichtmess  von  einem  Licht  bis  zum  anderen  (exkl.  1  Stunde 
zum  Essen)  gearbeitet  wenlen  sollte.  Vgl.  Sammlung  der  Gesetze  und  Verordnungen, 
welche  in  .  .  .  Munster  .  .  .  ergangen  sind.     Band  IL     Münster  1842,  p.  19  und  372. 

2i  Von  den  Zeiten  Ludgers  (f  809)  bis  zum  Jalu-e  1040  war  der  Dom  die  einzige 
PfaiTkirche  für  Münstei'  und  dessen  weitere  Umgebung.  Bisehof  Hermann  L  erbaute  etwa 
1U40  in  Überwasser  die  Marien-  oder  Liebfrauenkirche  und  überwies  derselben  vom 
Dompfarrbezirke  alles,  was  jenseits  der  Aa  (trans  aquas)  liegt.  Um  das  Jakr  1070  errichtete 
Bischof  Friedrich  I.  die  St.  Mauritzkirche  und  etwa  20  Jahre  später  BischofErpho  die 
Lambertikirche,  worauf  dann  der  diesseits  der  Aa  (eis  aquas)  gelegene  Teil  des  Dom- 


J76  Bahlmanu; 

Grund  genug  hatte,  gerade  den  hl.  Lambertus')  besonders  zu  ehren.') 
Auch  ist  die'  Verehrung  eines  Heiligen  durch  „öffentliche  Beleuchtung  und 
Tänze  auf  oifener  Strasse  bei  nächtlicher  Weile"')  —  wie  die  bekannte 
Martinsfeier*)  zeigt  —  dui'chaus  nichts  Ungewöhnliches:  in  der  Regel  wurde 
am  Martinsfeste  allerdings  um  sogenannte  Martinsfeuer^)  herumgetanzt, 
doch  traten  später  auch  anstatt  der  Feuer  Papierlaternen  und  Lichter  auf*), 
so  dass  man  das  Lichterbrennen  am  Lambertusabend  immerhin  für  einen 
kümmerlichen  Rest  früher  üblicher  Feuerbrände  halten  könnte.  Da  aber 
in  keinem  einzigen  der  am  Lambertustage  gesungenen  Lieder  dieser  Heilige 
geschildert  und  gepriesen,  ja  sogar  nur  in  drei  (weiter  unten  mitgeteilten) 
Liedern  überhaupt  genannt  wird,  darf  trotzdem  die  Feier  auf  ihn  nicht 
zurückgeführt  werden. 

Hinsichtlich  der  von  Depping  und  Flensberg  gegebenen  Erklärungen 
ist  zu  bemerken,  dass  die  erstere.  die  ohnehin  schon  längst  keinen  Yer- 
treter  mehr  gefunden,  einer  besonderen  Widerlegung  nicht  mehr  bedarf, 
nachdem  die  an  und  für  sich  nur  mit  Yorsicht  aufzunehmenden  Auslassungen 
Flensbergs')  infolge  der  schätzenswerten  Mitteilungen  des  Prof  Dr.  Worra- 


pfarrbezirkes  zwischen  diesen  beiden  Kirchen  derart  geteüt  wurde,  dass  zum  Kirchspiel 
St.  Mauritz  nur  ausserhalb  des  nachmaligen  geschlossenen  ümfanges  der  Stadt  gelegene 
Wohnsitze  gehörten.  Der  Dom  blieb  nur  noch  Pfan'kirche  für  die  ihm  adscribierten  Geist- 
lichen. Gegen  1180  erfolgte  die  Abzweigung  der  Martiuipfarrei  von  der  Manritzpfarrei 
und  der  Ludgeri-  und  Agidiipfarrei,  sowie  um  1"J00  der  Serratipfarrei  vom 
Lambertipfarrgebiet.  —  Die  Jakobikirche,  in  der  letzten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
gegründet,  war  die  Pfarekirche  der  Dienerschaft  der  Domherren  und  seit  dem  17.  Jahrb. 
auch  der  bischöflichen  Beamten.  Sie  wiude  1814  abgebrochen  und  die  dazu  gehörige 
Pfarrei  in  den  Dom  zurückverlegt. 

1)  Bischof  von  Maestricht,  verdient  um  die  .\usbreitimg  des  ('hristentimis  in  den 
Niederlanden,  weshalb  man  die  Feuer  oder  Lichter  auch  wohl  als  Sinnbilder  des  Glaubens- 
lichtes, das  er  um  sich  ausgebreitet,  betrachtet  hat.  Er  wiu-de  im  Jahre  708  ermordet. 
Seine  Gebeine  brachte  der  hl.  Hubertus  etwa  720  nach  T.üttich,  als  er  den  Bischofssitz 
von  Maestricht  dorthin  verlegte. 

2)  Die  einstige  Bedeutiuig  der  Lambertipfarrei  scheint  Flensberg  nicht  gekannt  zu 
haben,  da  er  fragt:  ^Aber  was  könnte  unsere  Väter  bestimmt  haben,  die  Feier  nicht  viel- 
mehr dem  hl.  Ludger,  erstem  Bischof  und  Patron  des  ganzen  Stifts,  zu  widmen?" 

3)  Worin  auch  Flensberg  das  Charakteristische  der  Lambertnsfeier  erblickt. 

4)  Hierüber  vgl.  hauptsächlich  H.  Pfannenschmid.  Germanische  Erntefeste  im  heid- 
nischen und  christlichen  Cultus,  Hannover  1878,  p.  193—248,  woselbst  sich  auch  p.  468 
bibUograbhische  Nachweise  über  Martiaslieder  und  p.  469 — 483  Texte  hannoverischer 
MartinsHeder  vorfinden.  —  Der  hl.  Martin  (Bischof  v.  Tours,  f  401)  ist  auch  in  Westfalen 
einer  der  am  häufigsten  vorkommenden  Kircheupatrone. 

5)  In  der  Stadt  Münster  wird  das  am  St.  Martinsabend  (11.  November  herkömmliche, 
wie  jedes  anderweitige  brandgefährliche  Anzünden  von  Freudenfeuern  auf  den  Strassen  am 
2.  Oktober  1705  unter  Androhung  von  25  Goldgulden  Geldbusse,  bezw.  einer  ^villkürlichen 
Leihesstrafe  für  Unvermögende,  für  alle  Zukunft  verboten  (Sammlung  der  Gesetze  u.  s.  w. 
L  c.  No.  251). 

6)  0.  Frhi-.  V.  Keinsberg-Uüringsfeld,  Das  festliche  Jahi-.    Leipzig  1863,  p.  344. 

7)  Seiner  .Abhandlung,  die  auch  sonst  nicht  ganz  einwandsfrei  ist  vgl.  p.  174  An- 
merkung 5  und  oben  Anm.  2),  fehlt  jeder  Beleg. 


Die  Lamberfcus-Feier  zu  Münster  i.  W.  177 

stalP)  für  zutreffend  erachtet  M'erdfii  müssen.  Wormstall  sah  nämlich  in 
den  Dörfern  am  linken  Ufer  der  unteren  Lippe  neben  dem  Lambertustage 
den  Tag  von  Petri  Stuhlfeier  (22.  Februar)  ebenfalls  als  eine  Lichtfeier 
bei  Abend  festlich  begehen  und  hört^  dort  ausser  dem  Drohliedchen  des 
Gesindes  gegen  den  Brotherrn 

He  sünte  Lammert! 

Lammerst  du  te  froh. 

Petern  wi  te  froh, 

He  sünte  Lammert!-) 

das  den  Zusammenhang  beider  Lustbarkeiten  deutlich  bekundet,  auch  als 
Grund  für  den  alten  Brauch,  dass  am  Lambertustage  —  in  alter  Zeit 
regelmässig,  und  stellenweise  noch  jetzt  —  bei  den  Bauern  und  Hand- 
werkern die  Lampen  für  die  Abendarbeit  wieder  angesteckt  wurden,  und 
dieses  Abendarbeiten  bei  Licht  —  in  der  Spinnstube  und  Webekammer, 
wie  in  allen  Werkstätten  —  dann  den  Herbst  und  Winter  durch  bis  zum 
St.  Peterstage  dauerte,  an  welchem  das  Arbeiten  bei  Licht  wieder  ein- 
gestellt wurde  und  mit  der  Dunkelheit  Feierabend  eintrat. 

über  die  Art  und  Weise,  wie  der  in  Rede  stehende  Tag  gefeiert  wurde, 
sind  wir  ziemlich  genau  unterrichtet.  Am  Vorabende  des  hl.  Lambertus 
erbaten  sich  die  Kinder  von  den  Naclibarn  Licliter,  Ol  and  Geld,  indem 
sie  sangen: 

Hier  wuent  wull  en  gueden  Mann, 

De  uss  wull  wat  giewen  kann. 

Laot  uss  hier  uich  lange  staohn, 

Wi  müett  en  Hüesken  wider  gaohn.') 

1)  Monatsschi'ift  füi-  rboinisch-westfälische  Greschichtsforsi-liuug  und  Altertuiiiskuntle. 
Herausgegeben  von  R.  Pick,  Jahrgang  II,  Trier  1876,  p.  133  f. 

2)  d.h.  Steckst  du  uns  am  Lambertustage  zu  früh  das  Arbeitslicbt  an,  so  werden 
wirs  am  Peterstage  desto  früher  löschen.  —  In  Bezug  auf  das  Drohliedchen  erinnert 
.1.  Evelt  (Monatsschrift  .  .  .  v.  R.  Pick,  Jahrg.  II,  p.  404)  an  de»  Ausdruck  .belämmern, 
(1.  h.  anfüliren,  in  unangenehmer  Weise  überraschen,  der  sich  vielleicht  vom  Lambertustage 
berschreibt  uuil  die  gegebene  Erklärung  bestätigt. 

3)  Ähnliche  Lieder  sind  in  Herford  am  Hl.  Drei-Königs-  uuil  St.  Martiustage  üblich 
(s.  J.  Weingärtner,  Das  Kind  und  s.  Poesie  in  plattdeutscher  Mundart.  Münster  1880, 
p.  37  und  41).  —  Zu  Sassenberg  im  Münsterlaiide  wird  nach  einer  Mitteilung  von  Fräulein 
E.  Bath  am  Michaelisabend  gesungen: 

Van  Aowend  iss  Michelis-Aowend  Dann  schiär  wi  u,ss  alle  futt. 

Da  köff  mine  Moor  en  Häriuk.  Hilgenblatt,  schöne  Stadt, 

Min  Moor  en  Stück,  Schöne  Jungfrau,  giewt  uss  wat! 

Min  Vaar  en  Stück,  (Nach  einer  Pause:) 

Alle  Kinuer  kriegt  en  lück.  :,:  Krieg  wi  auk  wat?  :,; 

Giewt  uss  enen  Appel,  (Nach  einigem  Warten:) 

Dao  könn'n  wi  gued  nao  schnappen:  Laot  uss  uich  so  lange  staohn, 

Giewt  uss  ene  Biäre,  Wi  müett  noch  eu  Hüesken  vorder  gaohn. 

Dao  könn"n  wi  gued  nao  schmiären:  :,:  Krieg  wi  auk  wat?  :.: 

Giewt  uss  ene  Prume,  (Wenn  nichts  gegeben  worden:) 

Dao  köun'n  wi  gued  nau  snuweu;  0  du  olle  Pirkeltirwe 

Giewt  uss  ene  Nuett,  Hest  uss  nix  to  friätteu  gieweu. 


178  Bahlmann: 

Diese  Verse  vergleicht  ein  Münstermaiiii  iin  Münsterischeii  gemein- 
nützlichen  Wochenblatt")  mit  dem  Liede  der  Kinder  auf  Samos  beim 
Einsammeln  der  Gaben  am  Apollofeste,  das  uns  in  der  etwa  140  v.  Chr. 
abgefassten  pseudoherodotischen  Vita  Homeri  *)  erlialteu  ist. 

Am  Lambertustage  (17.  Septemljer)  selbst  wurde')  die  ganze  Stadt 
beleuchtet;  Kränze,  in  allerhand  Formen  geflochten  und  mit  vielen  Lichtern 
prangend,  sehwebten  quer  über  den  Strassen,  wo  sie.  an  Seilen  in  die 
Höhe  gezogen,  die  Spitzen  der  Häuser  und  Dächer  erhellten.  Unter  diesen 
Kränzen  versammelten  sich  die  Kinder,  Hausgenossen.  Mägde  und  Arbeits- 
gesellen und  sangen  im  Kerzen-  oder  Fackelscheine  (bezw.  um  eine  mit 
Lichtern.  Blumen  und  Laub  verzierte  Holzpyramide)  unter  stetem  Reigen 
eigene  Lieder*),  teils  älteren,  teils  neueren  Ursprungs,  welche  hoch  über 
alle  Strassen,  durch  die  ganze  Stadt  erschallten  und  a,'\  der  umstehenden 
Menge,  die  an  Gesang  und  Tanz  nicht  teilnahm,  aufmerksame  Zuiiörer 
fanden.     Begonnen  wurde  in  der  Regel  mit  dem  Liede 

Lambertns  sali  liäwen, 
De  hett  uss  so  leif; 
Well  dat  nich  will  gleiwen. 
Dat  iss'n  rechten  Sleif! 

statt  dessen  Joseph  Aunegarn^),  der  von  1819 — 1880  Vikar  an  der  St. 
Lambertikirche  zu  Münster  war.  vor  etwa  70  Jahren  ein  von  ihm  verfasstes 
hochdeutsches  Lied  (IB  Strophen)  einführte.")     Dann  folgte 

Liiinmert  in  den  Sekenki-anz,  Lam  pack  to! 

Röret  uss  nich  an,  Krieg  se  bi  de  Schob, 

Dao  wi  noch  so  stille  staoht,  Krieg  se  bi  de  Wips 

Röret  uss  nich  an!  ün  smiet  se  mi  to! 


1)  Jahrg.  VII,  Münster  1791,  p.  159  f.  —  Auch  erwähnt  in  ü.  Fischers  Boschreiljung 
typographischer  Seltenheiten.    Lief.  5.    Nürnberg  1804,  p.  168.     ' 

2)  Biogvaphi  ed.  A.  Westermann.  Brunsvigae  1845.  p.  17,  445  bis  p.  18,  464.  —  Ab- 
gedr.  in:  Homeri  Hymui,  Epigiammata  ...  ed.  E.  Abel.    Lipsiae  1886.  p.  124  t'.  (Epigr.  XV). 

3)  Nach  Flensberg.  —  Ganz  ähnlich  waren  die  von  dem  münsterischen  Domkantor 
Melchior  Röcheil  (f  1606)  beschriebenen  Feuertänze  am  Fastna<hts-Üienstage  s.  P.  Bahl- 
mann i.  d.  Zeitschr.  f.  Kultui'gesch.,  Bd.  I.  Berlin  1894,  p.  227  f.),  in  denen  deshalb  auch 
L.  Schücking  (Westcrmanns  illustr.  dtsch.  Monatshefte,  Bd.  51.  Braunschweig  1882,  p.  771) 
die  Anfänge  der  Lambertusfeier  erblickt. 

4)  d.  h.  für  diese  Feier  üblich  gewordene,  wenn  auch  uiclit  eigens  fiu'  sie  verfasste 
Lieder. 

5)  Aiinegaru  war  am  13.  Oktober  1794  zu  Ostbevern  im  Münsferlande  geboren, 
besuchte  von  1808  —  1818  das  Gymnasium  und  die  Universität  zu  Münster,  wurde  1830 
Pfarrer  in  Seim  bei  Münster  und  1836  Professor  der  Kirchengeschichte  und  des  Kirchen- 
rechfs  am  Lyceum  Hosianum  zu  Braunsberg,  woselbst  er  am  8.  .hili  1843  starb.  Vgl. 
Westfäl.  Hausschatz.     Münster  1894,  p.  243f. 

6)  Vgl.  J.  Evelt  (Monatsschrift  .  .  .  v.  K.  Pick,  Jahi-g.  II.  1876.  p.  464).  —  Die  erste 
Strophe  lautet 

Lasst  uns  froh  und  nmnter  sein  Lustig,  lustig,  trallerallera. 

Und  uns  heut  im  Herrn  ei-freu'n.  :,:  Nun  ist  liamberts-Abend  da.  :,: 


Die  Lambertus-Feier  zu  Münster  i.  W.  179 

und      Van  Aowend  iss  Sunt  Lammerts-Aowend, 
Köff  min  Moor  en  Härink; 
Min  Vaar  en  Stück, 
Min  Moor  en  Stück, 
De  Rinner  kriegt  den  Röggelink!') 

Hieran  schlössen  sich  in  ganz  willkürlicher  Ordnung  eine  Reihe  platt- 
uud  später  auch  hochdeutscher  Lieder,  in  denen  aber  der  Name  des  hl. 
Lambertus  nicht  vorkommt. 

Man  ging,  man  stand,  man  drängte  sich  durch  die  wogenden  Haufen; 
alles    war  Leben.     Bis    tief    in    die  Nacht  dauerte  das  Spiel,    welches  bei 
günstiger    Witterung    wohl    an    drei    Abenden    wiederholt    wurde.      Doch 
mancherlei  Ausschreitungen,  hauptsächlich  durch  eine  zu  grosse  Teilnahme 
Erwachsener  hervorgerufen,  veranlassten  die  Ortsbehörde,  die  schon  früher 
die  Feier   auf  den  Vorabend,    den  Fest-  und  folgenden  Abend  beschränkt 
hatte,    am  6.  September  1854 ')  zu  weiteren  Schritten.     Im  Einverständnis 
mit    dem  Magistrate    verordnete    der  Oberbürgermeister    von  Olfers    unter 
Androhung  einer  Geldstrafe  bis  zu  drei  Thalern.    an  deren  Stelle  im  Un- 
vermögensfalle   eine  Gefängnisstrafe   bis  zu  drei  Tagen  treten  sollte,    dass 
das  öffentliche  Tanzen  und  Lichterbrennen  nur  von  eintretender  Dunkelheit 
bis  abends  10  Uhr  gestattet,    das  Aufstelleu  von  Pyramiden  in  engen  und 
häufig  befahrenen  Strassen,  ebenso  wie  lautes  Schreien  und  Rufen  und  das 
Absingen    unanständiger    Lieder,    aber    ganz    verboten    sei.      Die  mit    der 
Durchführung    dieser    Bestimmungen    beauftragten    Polizeibeamten    hatten 
dabei,    schon    ihrer   geringen  Zahl  halber,    einen  recht  schwierigen  Stand. 
Die  Kinder,    für  welche   in  neuerer  Zeit  das  Fest  hauptsächlich  bestimmt 
war,  waren  nach  einem  1873  vom  Polizei-Kommissar  erstatteten  Berichte') 
bereits    gegen    acht  ülu'    ganz    von    halbwüchsigen   Burschen    und   Dirnen 
verdrängt,    die,    obgleich    nur    an  den  Pyramiden  selbst  gesungen  werden 
sollte,    Arm    in  Arm    von  einer  Pyi-amide  zur  anderen  zogen,    durch  ihre 
wüsten,  zum  Teil  schmutzigen  Lieder  das  Ohr  der  anständigen  Bevölkerung 
beleidigend  und  diese  zu  Umwegen  zwingend.    Am  tollsten  war  das  Treiben 
an  denjenigen  Pp-amiden,  welche  sich  in  der  Nähe  eines  oder  gar  mehrerer 
Wirtshäuser  befanden,  deren  Inhaber  die  Herstellung  derselben  mit  Rück- 
sicht auf  den  ihnen  aus  der  Trunksucht  der  Tänzer  erwachsenden  Gewinn 
vielfach    selbst    veranlasst    hatten;    eine    in    der    Nähe    der   Mauritzstrasse 
errichtete  Pyramide    trug  z.  B.    auf    ihrer  Spitze    eine    grosse  Flasche  mit 
Schnaps    und  ein  Glas  zu  beliebigem  Gehrauch.     Feierabend  musste  nach 
zehn  Uhr  an  ein  und  derselben  Stelle  häufig  genug  mehrere  Male  geboten, 
mitunter    sogar  eine  Militär-Patrouille  zur  Unterstützung  der  Polizei  ge- 
rufen   werden.     Und  war  der  Schluss  des  Tanzes  und  das  Auslöschen  der 

1)  Vgl.  das  p.  177  (Anin.  3)  mitgeteilte  Sassenberger  Lieil. 

2)  Amtsblatt  der  Kgl.  Regierung  zu  Münster  1854,  p.  502. 

3)  s.  Akten  des  Magistrats  zu  Münster. 


180  Haase: 

Lichter  auch  endlich  glücklich  überall  erzwungen,  dann  durchstreiften  die 
meist  angetrunkenen  Scharen  immer  noch  lärmend  und  Unfug  treibend 
die  Sti'assen.  Im  öffentlichen  Interesse  sah  sich  deshalb  der  Oberbürger- 
meister  Offenberg  genötigt,  am  13.  Oktober  1873*)  die  althergebrachte 
Lambertusfeier  in  den  Strassen  und  anf  den  öffentlichen  Plätzen  gänzlich 
zu  untersagen,  und  das  Ansprechen  des  Publikums  um  Gaben  zu  diesem 
Spiele  mit  den  für  Bettelei  festgesetzten  Sti-afen  zu  belegen. 

Seitdem  würden  die  Kinder  das  Lanibertnsfest  nur  in  Gärten  und 
Höfen  bei  beschränkter  Teiluehmerzahl  haben  feiern  können,  wenn  ihnen 
nicht  das  Allgemeine  Bürger-Schützeu-Corps  auf  seinem  Schützenhofe  all- 
jährlich an  einem  Sonntage  des  Monats  September  eine  Pyramide  errichtete. 
Der  für  die  dortige  Feier  ernannte  z.  Kommissar  L.  Koch  hat  auch,  um 
„die  bei  der  ursprünglichen  Feier  von  alters  lier  gesungenen  Lieder  mit 
ihren  eigentümlichen  Melodien  nicht  ganz  in  Vergessenheit  geraten  zu 
lassen  und  um  dem  Lambertusfeste  nach  Möglichkeit  seinen  volkstümlichen 
Charakter  zu  wahren",  eine  neue  Sammlung  dieser  Lieder  unter  Beifügung 
der  Melodien'')  veranstaltet,  für  die  bereits  1825  Fr.  Steinmaun')  und 
dessen  litterarische  Jugendfreunde  Funke.  Schlüter,  Sprickmann.  Waldeck 
und  Wermuth  eine  gute  Vorarbeit*)  geliefert,  die  um  so  dankenswerter 
ist.  da  schon  damals  ,, wildfremde"  Lieder  die  alten  zu  verdi-ängen  drohten. 


Yolksrätsel  aus  Thüringen  (fireussen). 

Gesammelt  von  K.  Ed.  Haase. 

1.  Welcher  Aplel  wird  nicht  reify  —  Der  faule. 

2.  Es  geht  ums  Holz  herum  und  legt  Teller.  —  Die  Frau,  die  den  Tisch  deckt. 

3.  Es  geht  im  Holze  (Walde)  herum  und  setzt  Teller.  —  Die  Kuh. 

4.  Ein  Mädchen  ist  vom  Gerichte  zum  Tode  verurteih.  doch  soll  ihr  die 
Strafe  erlassen  werden,  wenn  sie  ein  Rätsel  aufgiebt.  das  die  Richter  innerhalb 
dreier  Tage  nicht  erraten  können.     Sie  spricht: 

1)  Amtsblatt  u.  s.  w.  1873,  p.  322. 

■-!)  Lieder  für  die  Lambertusfeier  auf  dein  Schützenhilfe  zu  Münster.  Münster  1878. 
2.  Aufl.:  ibid.  1880:  3  Aufl.:  ibid.  1885.  —  .4.11e  plattdeutsch eu  l.ambertusliedev  finden  sich 
auch  bei  .1.  Weingärtner,  Das  Kind  u.  s.  w.,  1880.  p.  48—58. 

3)  Geb.  1801,  seit  1827  ( )berlandesgerichts-Sekretär  zu  Münster,  1854  wegen  seiner 
1849  erschienenen  ..Geschichte  der  Kevolution  in  Preussen"  seiner  amtlichen  .Stehung  ent- 
hoben, gest.  1875. 

4)  Münsterische  Geschichten,  Sagen  und  Legenden,  uebst  einem  Anhange  von  Volks- 
liedern und  Sprichwörtern.    Münster  1825,  p.  255—276:  Lanibertslieder. 

Die  Herausgeber  sagen  in  der  vom  Oktober  1824  datierten  Vorrede:  Die  Lambertus- 
lieder  . . .  sind  im  übrigen  Deutschland  durchaus  imbekannt;  ein  Teil  derselben  enthält 
nm'  Wörter,  welche  bloss  der  Melodie  wegen  da  sind.  —  Schüeking  1.  c.  urteilt:  Der 
Inhalt  derselben  ist  sehr  sinnlos  und  nichtssagend,  also  wohl  schwerlich  der  alte  ursprüng- 
liche Text,  sondern  in  späteren  Zeiten  ileui  altheidnisehen  und  unverständlich  gewordeneu 
untergeschoben. 


Volksrätst'l  ;iiis  Tliüriiii,'fii  i'GronsstMi).  181 

„Auf  Pilo  geh  ich,  auf  Filo  steh  ich, 
Auf  Filo  will  ich  eine  Jungfer  bleiben. 
Wer  dies  kann  raten, 
Dem  will  ich  eine  Gans  braten; 
Wer's  kann  erdenken, 

Dem  will  ich  ein  Gläschen  Wein  einschenken." 
Sie  trägt  Hantoffeln,  die  aus  dem  Pelle  ihres  Hundes,  namens  Pilo,  gemacht  sind. 
Vgl.  III.  -lahrg.,  S.  72,  No.  17. 

5.    Es  liegt  im  Holze  und  schreit.  —  Das  Kind  in  der  Wiege. 
6.    Ich  ging  einmal,  da  ritt  ich  nicht; 

Ich  sah  einen  Hasen,  den  kriegt  ich  nicht. 
Der  Blinde  sah  ihn,  der  Lahme  kriegt  ihn, 
Der  Nackte  nahm  ihn  und  steckte  ihn  in  den  Busen. 
Was  ist  dasV  —  Zwei  Wahrheiten  und  drei  Lügen. 
7.    Ein  Angeklagter  soll  von  der  Strafe  befreit  werden,  wenn  er  den  Richtern 
ein  Rätsel    aufgiebt,    das  diese  nicht  erraten  können.     Lange  sinnt  er  nach,    aber 
vergebens.     Da    kommt    er  bei  seiner  Heimkehr  durch  den  Wald  und  sieht  einen 
Sperling  in  seiner  Nähe  auffliegen.    Er  tritt  näher  und  findet  sechs  Junge  in  einem 
Pferdeschädel.     Jetzt    hat    er  das  Rätsel  gefunden.     Schleunigst  kehrt  er  um  und 
spricht  zu  den  Richtern: 

,.Da  ich  ausging,  da  ich  einging. 
Sechs  Lebendige  in  einem  Toten  fing; 
Der  siebente  macht  den  achten  frei. 
Ratet,  ihr  Herren,  was  dies  wohl  sei."' 
Da  niemand  das  Rätsel  lösen  kann,  muss  er  von  der  Stiafe  freigesprochen  werden. 
».    Es  fällt  ins  Wasser  und  plumpst  nicht.  —  Die  Peder. 
9.    Es  liegt  im  Wasser  und  verfault  nicht.  —  Die  Zunge. 
10.    Es  liegt  im  Grabe  und  verwest  nicht.  —  Der  Name. 

11.    Rat,  rat! 

Es  steckt  im  Brat  (Brot); 

Berlin  ist  eine  grosse  Stadt, 

Die  das  Ding  nur  einmal  hat.  —  Der  Buchstabe  R. 
12.    Was  war  gross  au  Napoleon?  —  Das  N. 
13.    In  einem  rosaroten  Garten 

Sind  32  Leoparden: 

Es  regnet  nicht  hinein, 

Es  schneit  nicht  hinein 

Und  ist  doch  immer  nass  darin.  —  Der  Mund  mit  den  Zähnen. 

14.  Oranien  |  Liegt  nicht  in  Spanien, 

Auch  nicht  in  Polen.  |  Der  Kuckuck  soll  mich  holen. 

Leipzig  ist  ne  grosse  Stadt,  |  Die  es  aber  doch  nicht  in  sich  hat. 

In  Dresden  ist's  zu  finden:  |  Die  Braut,  die  trägt's  nicht  hinten: 

Es  steckt  wohl  in  der  Braut,  |  Aber  nicht  in  der  Haut.  —  Der  Buchstabe  R. 

15.  Es  geht  auf  dem  Boden  und  trappt  nicht.  —  Die  Sonne  und  der  Mond. 

16.  Es  geht  durch' s  Zimmer  und  trappt  nicht.  — 

Die  Sonne  und  der  Mond,  aber  auch  der  Rauch. 

17.  Wer  hat  das  meiste  Recht  in  der  RircheV  — 

Die  Fliege:  denn  sie  kackt  dem  Prediger  auf  die  Nase. 


182  Haase:  Volksrätsel  aus  Thüringen  (Greussen). 

18.    Krickelkrackt'lkrause 

Wohnt  hinter  dem  Herrenhause. 

Je  sehrer  dass  der  Wind  geht. 

Je  sehrer  dass  Krickelkrackelkrause  sich  bewegt.  —  Der  Blaukohl. 

19.    Ich    habe    ne  Benedicte    vor  meinem  Leibe   sitzen:    damit   kann   ich  ver- 
dienen Zucker  und  Rosinen.  —  Das  Spinnrad. 

20.  Es  fallt  en  Wellichen  (Bündel  Reissholz) 
Vom  Herrn  sin  Stäliichen 

Und  kann's  kein  Goldschmidt  wieder  machen.  —  Das  Ei. 

21.  Vorn  wie  ein  Knäuel. 

In  der  Mitte  wie  ein  Plane!  (Holzklöpfel  zum  Flachsklopfen). 

Hinten  wie  ein  Spiess; 

Rat,  wie  es  hiess.  —  Die  Katze. 

22.    Es    kommt  was  zur  Treppe  runter,    und  tausend  Pferde  können  es  nicht 
halten.  —  Der  Rauch. 

23.    Der  Müller  schlägt's.     Das  Wasser  trägt's. 
Die  Flamme  zehrt's.     Dem  Froste  wehrt's, 
Der  Krämer  wiegt's.     Das  Mäuschen  riecht's.  —  Das  Öl. 
24.    Zwei  Kleine  und  zwei  Grosse  2.x    Ich  kenne  einen  Mann. 

Laufen  auf  allen  Strassen.  Der  hat  für  Deutschland  \nel  gethan: 

Laufen  die  Grossen  noch  so  sehr.  Das  Erste  ist  ein  Bindewort, 

Die  Kleinen  kommen  doch  noch  eh'r.         Das  Zweite  ist  ein  Geldstück. 

Die  vier  Räder  des  Wagens.  Bismarck. 

•26.    Es    kriecht  durch  den  Zaun  und  schleppt  die  Kaidaunen  hinter  sich  her. 
Die  Nadel  mit  dem  Faden.     Vgl.  Jahrg.  III,  S.  72,  No.  9. 

27.  Es  hängt  unterm  Dache.     Hat  Zähne  wie  ein  Drache.  —  Die  Harke. 

28.  Es  hängt  unterm  Dache,     Hat  Augen  vpie  ein  Drache.  —  Die  Fenster. 

29.  Wann'  ich  dich  nenne. 

Und  du  kannsts  nicht  erkenne, 

Dass  du  so'n  grosser  Narre  bist. 

Du  weisst  nicht,  was  das  ist.  —  Die  Wanne. 

30.  Ich  ging  einmal  durch  ein  enges  Gässchen, 
Da  begegnete  mir  ein  schwarzes  Pfäffchen: 
Wenn  ich  nicht  hätte  zugesprochen, 

Hätte  es  mich  in  die  Seiten  gestochen.  —  Der  Floh. 

31.  \u{  welchem  Acker  pflanzt  man  Steine?  —  Auf  dem  Gottesacker. 

32.  Welche  Städte   haben   keine  Häuser  und  welche  Flüsse  kein  Wasser'?  — 

Die  auf  der  Landkarte. 

33.  Was  für  ein  Eisen  lässt  sich  nicht  schmieden?  —  Das  Felleisen. 

34.  Welche  Mühle  treibt  kein  Wasser'?  —  Die  Windmühle. 

35.  Die  lottrige  Tochter,    der  faule  Sohn,   der  dünne  Papa,  die  dicke  Mama. 
Was  ist  das'?  —  Das  Feuer,  die  Asche,  das  Holz,  der  Ofen. 

36.    Stand  ein  Männchen  im  Reine  (Rain  Feldgrenze), 
Hat  ein  Bäuchelchen  voll  Steine. 
Hat  ein  rotes  Röckchen  an 
Und  ein  schwarzes  Hütchen  auf.  —  Die  Hagebutte. 


IiOinkt'.-  Uraltes  KiiidtTspielzeug.  183 

3t).    Welches  ist  das  g'rösste  Fest  im  .lahre?  — 

Das  Schlachtefest,  weil  man  das  Fleisch  im  Kessel  kocht. 
öS.    Welches  ist  das  höchste  Fest  im  .Jahre ?  — 
Das  Vogelschiessen,  weil  es  auf  einem  Berge  gefeiert  wird  (in  Bleicherode). 

39.  Was  ist  das  grösste  Unrecht  in  der  Welt?  — 

Dass  der  Hauptmann  von  Kapernauni  noch  nicht  Major  geworden  ist. 

40.  Wie  viel  Löcher  hat  die  Hölle?  — 

Zehn;   denn  es  heisst:   Da  wird  sein  Heulen  und  zehn  Klappen  (Zähneklappen). 

41.  W;iruni    kommen   die   alten  Leute   nicht  in  die  Hölle?  —  Weil  sie  keine 
Zähne  haben:   denn  es  heisst:    Da  wird  sein  Heulen  und  Zähnklappen. 

42.  Welches  Geschlecht  hatte  die  Taube,  die  aus  der  Arche  Noahs  flog?  — 
Männliches;  denn  sie  hatte  ein  Blatt  vor  den  Mund  genommen,  und  das  können 
die  Weiber  nicht. 

43.  Auf  einem  weissen  See  schwimmt  eine  rote  Rose  und  drinnen  sind 
schwarze  Fischlein;  wer  die  schwarzen  Fischlein  will  sprechen,  muss  erst  die  rote 
Rose  brechen.  —  Der  Brief  mit  einem  Siegel. 

Neu-Ruppiii. 


Uraltes  Kinderspielzeug. 

Von  Elisabeth  Lemke. 


Aus  meinem  am  22.  Februar  d.  J.  im  Verein  für  Volkskunde  gehaltenen 
Vortrage  über  „Grabbeigaben  und  Weihgeschenke"  ziehe  ich  einige  Mit- 
teilungen aus,  die  sich  auf  uraltes  Kinderspielzeug  beziehen.  Ich 
biete  nichts  neues;  da  sich  aber  die  zu  berücksichtigenden  Angaben  in  der 
Litteratur  verstreut  finden,  so  möchte  es  manchem  nicht  unlieb  sein,  sie 
beisammen  zu  haben.  Sie  erheben  indess  wahrlich  keinen  Anspruch  auf 
Vollständigkeit,  sondern  geben  nur  ein  kleines  Bild  von  Dingen  und 
Fragen,  die  gleich  ungezählten  anderen  ein  unübersehbares  Gebiet  betreffen 
und  gleich  jenen  anderen  unsere  Teilnahme  herausfordern  oder  doch  ver- 
lüeiien. 

Das  Spielen  der  Kinder  folgert  so  sehr  aus  dem  Leben  an  sich,  es 
gehört  so  zu  demselben,  wie  die  ersten  Blättehen  zum  Keimlinge  des 
Baumes  gehören;  es  ward  von  jeher  so  fraglos  in  den  Dienst  einer  Leib 
und  Seele  stärkenden  Erziehung  gestellt,  dass  es  nicht  befremden  kann, 
wenn  seiner  in  einem  wissenschaftlichen  Vereine  gedacht  wird.  Die  Spur 
vieler  Thatsacheu,  welche  die  Forschung  beschäftigen,  ist  —  wie  wir  wissen 
—  beim  eigentlichen  Volke  und  bei  den  Kindern  zu  finden. 

„In  anscheinend  einfachsten  Kinderliedern  und  Abzählreimen,  in  zahl- 
reichen Spielen  und  Spielgebräuchen  zeigen  sich  unverkennbare  Abzeichen. 
dass  sie  das  Vermächtnis  aus  längst  entschwundenen  Zeiten,    Beste  selbst 


184  L^mkr: 

vorgeschichtlicher  Jahrhunderte  sind,  die  sich  bis  heute  ungestört  erhalten 
haben  und  sich  nur  in  Nebensachen  nach  Mundarten  und  Örtlichkeiten 
abänderten.  Sie  sind  bei  den  Kindern  auf  Island,  in  Norwegen,  auf  den 
britischen  Inseln  und  in  den  Alpen  mitunter  wörtlich  übereinstimmend  mit 
den  in  Deutschland  gebräuchlichen  und  weisen  zweifellos  darauf  hin,  dass 
sie  bereits  in  der  Zeit  der  Völkerwanderung  vorhanden  waren.  Bis  nach 
Frankreich  und  Italien  lassen  sich  die  letzten  Ausläufer  vieler  altgermanischer 
Spiele  und  Kinderreime  verfolgen.  Die  vorchristlichen  Opfertänze,  Pest- 
gesänge, Ringelreihen,  die  altehrwürdigen  Götter  als  personifizierte  Natur- 
kräfte und  ihr  Gefolge  von  Kobolden  haben  in  der  Kinderwelt  in  Namen 
und  Formen  die  tausendfachen  Umwandlungen  überlebt,  denen  sie  in  der 
Welt  der  Erwachsenen  unterlagen."') 

Ist  uns  so  in  unbewusster,  mündlicher  Überlieferung  eine  ferne  Ver- 
gangenheit nahe  gerückt,  so  vervollständigen  die  Grabfunde  das  Bild  nach 
anderer  Seite  hin. 

Auch  in  Bezug  auf  das  Spielen  sind  Stein  und  Knochen  die  ältesten 
beredten  Zeugen  in  den  stummeu  Gräbern.  Das  einfache,  natürliche  Spiel 
mit  kleinen  Steinen  —  unter  den  Namen  „Schirken",  „Wassermännle 
werfen"  u.  s.  w.  bekannt  —  wird  bereits  von  den  alten  Griechen  gemeldet 
(s.  H.  Wagner,  a.  a.  0.,  Rochholz,  S.  465).  Zufällig  abgeschliffene  Steinchen 
eignen  sich  am  besten  dazu,  so  über  die  Oberfläche  des  Wassers  geworfen 
zu  werden,  dass  diese  von  den  in  leichter  Schwingung  dahinschwebenden 
mehrmals  flüchtig  berührt  und  in  kreisförmigen  Wellen  bewegt  wird.  Nun 
finden  wir  in  den  Gräbern  ausserordentlich  viele  glatte  Steinchen,  die 
verschiedene  Deutung  veranlasst  haben.  Man  spricht  von  Käse-,  Eier- 
und  Brotsteinen,  Schwalben-  und  Gewittersteinen,  Schrecksteinen  und 
Amuletplättcheu  u.  s.  w.  Warum  sollte  niclit  in  vielen  Fällen  ein  einfaches 
Spielzeug  vorliegen?  Mitunter  sind  Jene  denn  auch  für  Schleudersteine 
erklärt  worden.  (Was  die  Namen  Käse-,  Eier-  und  Brotstein  anbetrifft, 
so  hat  die  Ähnlichkeit  der  Formen  dazu  Veranlassung  gegeben;  und  es 
ist  auch  schon  behauptet  worden,  dass  die  so  geformten  Steine  Speise- 
symbole vorstellen.)  —  In  den  Kurganen  im  Gouvernement  Kiew  fand 
man,  nach  Bobrinsky^),  Sprungbeine  wilder  Ziegen,  „die  offenbar  als 
Spielzeug  zu  deuten  sind".  Das  Fangspiel  mit  Astragalen,  namentlich  von 
Schafen,  war  bei  den  Griechen  und  Römern  allgemein.  Unser  heutiges 
Fangspiel  mit  Steinchen  ist  mit  jenem  eng  verwandt.  Andererseits  ist  ein 
Spiel  mit  Knochen  auch  bei  uns  üblich  gewesen,  wie  der  Ausdruck 
„knöcheln"    für    „würfeln"    noch    heute    beweist.^)     „Jede  Fläche  solchen 

1)  H.  Waguer  —  J.  D.  G-eorgens,  Illustriertes  Spielbuch  für  Knaben,  1882,  S.V. 
[E.  L.  Rochholz,  Alemannisches  Kinderlied  und  Kinderspiel  aus  der  Schweiz.  Sitten- 
und  sprachgeschichtlich  erklärt.    Leipzig  1857.  | 

■2)  S.-B.  der  Altertumsges.  Prussia,  1887—88,  S.  T2. 

3)  [Rochholz  a.  a.  0.,  447.  720.     R.  Hildebrand  im  Deutschen  Wörterb.  V,  1453.] 


Uraltes  Kiuderspielzeug.  Jg5 

Knöchels  Bedeutete  dann  eine  der  Augenzahlen  unseres  Würfels,  die  öfters 
auch  durch  Punkte  angedeutet  waren.  Wichtig  sind  hier  zwei  Fundstücke, 
welche  aus  dem  Kaukasus  in  das  Berliner  Museum  für  Vöjkerkunde  ge- 
langten: ganz  genaue  Abgüsse  von  Astragalen  in  Bronze."^)  Das  Fangspiel 
mit  Steinen  oder  Knöcheln  steht  dem  eigentlichen  Ballspiel  ganz  nahe. 
Von  Ballspielen  erzählt  Homer  in  der  Odyssee.  In  Sparta  und  Kreta 
spielten  im  Altertume  die  Männer  bis  zum  dreissigsten  Jahre;  sie  waren 
dabei  iu  besondere  Scharen  geteilt.  Dem  Ballspieler  Alexander  des  Gr., 
Aristonikos,  errichteten  die  Athener  eine  Bildsäule,  nachdem  sie  ihm  das 
Bürgerrecht  verliehen  hatten.  Grosse  Liebhaber  von  Ballspiel  waren  auch 
die  Araber  unter  dem  Khalifen  Harun  al  Raschid;  und  in  Amerika  war 
zur  Zeit  der  Entdeckung  das  Ballspiel  weit  verbreitet  (H.  Wagner,  a.  a.  0. 
Rochholz,  Alem.  Kinderspiel,  S.  383).  Uralt  ist  auch  der  Brauch,  kleine 
Bälle,  also  Kugeln,  nach  irgend  einem  Spielgesetz  rollen  zu  lassen,  d.  li. 
an  ein  Ziel  zu  bringen.  Eisel  in  Gera  berichtet  von  einem  dort  üblichen 
Spiel:  Bälle  oder  Kugelu  in  eine  Tülle  (eine  Röhre)  hinein  zu  prakti- 
zieren^) und  erinnert  an  die  Mitteilung  von  W.  Adler,  dass  in  den  Ranisser 
La  Teue-Gräberu  irdene  Näpfchen  (sogenannte  Zwergnäpfe)  mit  roten 
Thonkugeln  bei  den  Toten  vorgefunden  wurden.  Freilich  setzt  Eisel 
hinzu:  „Diese  offenbaren  Blitzsymbole  sollten  dem  Toten  wohl  zur  Wehr 
dienen."') 

Unser  Kreiselspiel  war  bereits  unter  dem  Namen  strombos  oder  strobilos 
bei  den  Griechen,  unter  dem  Namen  tm'bo  bei  den  Römern  verbreitet 
(H.  Wagner,  a.  a.  0.  Rochholz,  S.  419).  Auf  dem  grossen  römischen 
Grabfelde  bei  Worms  fand  man  neben  einer  schönen  Glasschale  25  Spiel- 
steine, dabei  zwei  durchbohrte,  kleine  Brouzescheiben,  die  ofpenbar  — 
verbunden  durch  ein  Holzstäbchen,  das  nicht  mehr  vorhanden  war  —  als 
Kreisel  gedient  haben.  Wie  aus  einer  kleinen,  in  der  Mitte  eingekerbten 
Handhabe  von  Knochen  hervorgeht,  ist  der  Kreisel  mittelst  einer  Schnur 
in  Bewegung  gesetzt  worden.*)  Von  grossem  Literesse  ist  ein  thönerner 
Kreisel,  welcher  der  Schliemanu  -  Sammlung  des  Berliner  Museums  für 
Völkerkunde  angehört.  „Der  Kreisel  ist  etwa  kegelförmig,  doch  mit  ab- 
gerundeter Spitze:  in  der  oberen  Fläche  befinden  sich  drei  Vertiefungen, 
in  die  man  die  drei  ersten  Finger  der  rechten  Hand  einsetzt:  durch 
Schnellen  mit  diesen  Fingern  wird  der  Kreisel  in  Drehung  gebracht.  — 
Auch  viele  der  durchbohrten  Thonscheiben,  die  man  gewöhnlich  für  Spinn- 
wirtel  anspricht,  mögen  nichts  anderes  als  Schwungsteine  für  Kreisel 
gewesen  sein"  (E.  Krause,  a.  a.  0.). 

1)  E.  Krause,  Der  Bazar,  1893,  S.  452. 

2)  [Vgl.  dazu  Rochholz  a.  a.  0.,  S.  :395,  No.  14.] 

3j  Verh.  d.  Berl.  Ges.  f.  Anthr.,  Ethn.  u.  Urg.,  1888,  S.  474. 
4)  S.-B.  d.  deutsch,  fies.  f.  Antlirop..  Ethn.  u.  Urg.,  1885,  S.  60. 

Zeitschr.  d.  Verciiis  1'.  Volkskunde.    1835.  lij 


18ß  Lemke:  Uralte;»  KüiderspielzeuK'. 

Eine  Puppe  aus  vorgesclüclitlicher  Zeit  ward  bei  Rhiuow  in  der  Mark 
gefunden;  sie  besteht  aus  gebranntem  Thon.  ist  fingerlang  und  zeigt  in 
roher  Form  einen  Menschen,  der  mit  der  linken  Hand  sein  Gewand,  das 
um  die  rechte  Schulter  geschlagen  ist,  festhält. 

Pnppenartige  Thonfiguren  wurden  u.  a.  auf  dem  Totenfelde  von  Ancon 
in  Peru  gefunden.  In  jenen  der  Incazeit  angehörenden  Gräbern  ist  von 
den  Erforschern  derselben,  den  Herren  Reiss  und  Stübel,  die  ganz  allgemeine 
Sitte  nachgewiesen,  den  Kindern  ihr  Spielzeug  mitzugeben.  Wie  die 
grossen  Leute  Haudwerksgeräte,  Ehrenzeichen  u.  s.  w.  mitbekamen,  so 
beerdigte  man  u.  a.  mit  den  Kindern  kleine,  gezähmte  Tiere,  die  während 
des  Lebens  ihre  Spielgenossen  gewesen  waren,  z.  B.  Meerschweinchen,  Taube 
und  Papagei.  Diese  Tiere  waren  in  den  Gräbern  entweder  sorgfältig  in  Tücher 
gehüllt  oder  in  Arbeitskörbchen  untergebracht.  Hunde  und  Lamas  waren 
indessen  minder  sorgfältig  behandelt  und  ohne  Umhüllung.  Das  Lama  ist 
sehr  oft  vei-treten.  Man  fand  auch  ein  aus  Wollfäden  geflochtenes,  au 
dessen  Seite  ein  Junges  befestigt  war.  Die  Puppen  bestehen  meistens  aus 
Zeug.  Auf  der  Brust  einer  Kindermumie  fand  man  eine  aus  Hirschliorn 
geschnitzte  Figur:  einen  knieenden  Indianer,  der,  wie  es  scheint,  eine 
Huldigung  darbringt. ') 

Bei  den  Tierfigureu,  wo  es  sich  um  Funde  aus  vorgeschichtlichen 
Zeiten  handelt,  machen  sich  verschiedene  Meinungen  geltend,  auf  die  hier 
nicht  näher  eingegangen  werden  kann.  Schon  für  die  Steinzeit  ist  die 
Thatsache  festgestellt,  dass  die  Menschen  eine  üborraschomle  Kunstfertigkeit 
in  der  gezeichneten  oder  plastisch  dargestellten  Nachbildung  von  Menschen 
und  Tieren  besasseu.  Es  sei  au  die  bekaimten  Bernsteinschnitzereien 
erinnert.  Plastische  Darstellungen  von  Menschen  und  Tieren  kommen  n.  a. 
vielfach  in  den  ältesten  Funden  Siebenbürgens  vor,  z.  B.  kleine,  primitive 
Statuetten  von  Thon,  welche  entfernt  an  Schliemanns  Idole  von  Hissarlik 
mahnen.  Verwandte  Gebilde  finden  sich  in  annähernd  derselben  oilor 
relativ  wenig  jüngerer  Periode  in  ganz  Mittel-Europa:  Tierchen  in  Thon, 
besonders  Schweine,  in  Menge  auf  den  Steinzeit- Wohnplätzen  in  Ungarn, 
Menschen-  und  Ti(>rfiguren  im  Laibacher  und  Mondsee-Pfahlbau  n.  s.w.") 
Die  weitverbreiteten,  kleinen,  kupfernen  Ochsen  u.  dgl.,  sowie  die  Vögel 
mit  breitem  Schnabel  gehören  der  Hallstatt-Zeit  an.  In  dieselbe  Zeit  ist 
wohl  die  Mehrzahl  der  kleinen,  mit  Tiergestalten  besetzten  Brouzewagen 
zu  zählen ,  die  sich  von  Etrurien  über  die  östlichen  Alpen  bis  in  unsere 
norddeutschen  Gebiete  erstrecken  und  mehrfach  gedeutet  worden  sind,    so 

1)  [Auf  griecMschen  Kindergrabsteinen  des  4.  5.  Jahrh.  v.  Chr.  lindet  sich  häufig  die 
Darstellung,  wie  eine  weibliche  Gestalt  einem  Mädchen  (d.  i.  dem  verstorbenen)  eine  Puppe 
oder  einen  Vogel  reicht.  Auch  ohne  diese  ältere  Figur  ist  das  Kind  mit  Puppe  oder 
Vogel  in  der  Hand  dargestellt,  vor  ihm  zuweilen  ein  sitzender  oder  springender  Hund.  — 
Die  Puppen  sind  auf  diesen  Reliefs  gewöhnlich  olme  Anne  und  Beine,  doch  kommen  auch 
schön  gearbeitete  nackte  Figürchen  vor.] 

2)  S-B.  d.  deutsch,  ües.  f.  Anthrop.,  Etlm.  u.  ürg.,  188i,  S.  llö. 


Peter:  Doilkuizweil  im  Bölimerwalde.  187 

als  Symbole  des  Ackerbaues,  als  Cult-  und  Votivgegenstände,  ferner  als 
Transportmittel  für  Trinkgeräte  auf  dem  Esstische  (Kemble)  u.  s.  w.  Belila 
sagt:  „Spielzeuge  waren  es  wohl  sicherlich  nicht." ^)  E.  Krause  dagegen 
sieht  sie  mit  Überzeugung  als  Spielzeug  an.  „Wir  haben  erwähnt"  —  sagt 
er  a.  a.  0.  —  „dass  im  klassischen  Altertume  Kinder  mit  kleinen  Wagen 
spielten.  Auch  in  unseren  Gegenden  wird  dies  der  Fall  gewesen  sein. 
Fahren  nicht  auch  heute  unsere  Kinder  ihr  Pferdchen,  ihr  Nickvögelchen 
u.  dergl.  auf  Rädern  umher?  Warum  sollen  nicht  die  altgermanischen  Kinder 
gleich  zwei  Stiere   und   drei  Vögelchen   auf  einem  Wagen  gehabt  haben?" 

Im  Vordergründe  des  Interesses  stehen  auch  jene  Gegenstände,  welche 
von  den  undsten  Forschern  als  Kinderklappern  erklärt  werden,  während 
andere  in  ihnen  Rasseln  sehen,  wie  solche  bei  heutigen  Naturvölkern  zur 
Verscheuchung  von  Dämonen  u.  s.  w.  angefertigt  und  gehandhabt  werden. 
Die  in  unseren  vorgeschichtlichen  Gräbern  gefundenen  bestellen  aus  Thou 
und  sind  mit  kleinen  Steinchen  oder  ähnlichem  gefüllt.  Unter  den 
Exemplaren,  welche  das  Mark.  Museum  zu  Berlin  besitzt,  befinden  sich 
mehrere  in  Vogelform.  °)  Andere  dort  sind  schildkröteuförmig.  tünnchen- 
und  muschelförmig,  apfel-  und  birnenförmig  u.  s.  w.  Die  Formen  der  im 
Berliner  Museum  befindlichen  Klappern  sind  u.  a.  Töunchen,  Säckehen 
oder  Täschchen,  Bälle  mit  Henkel,  Flasche  und  auch  wiederholt  Vögel. 
„Die  meisten  von  ihnen  haben  Löcher  zum  Durchziehen  einer  Schnur.  — 
Ein  bisher  alleinstehender  Fund  (von  Bentow,  Hannover)  ist  ebenfalls  eine 
Kinderklapper"  (E.  Krause,  a.  a.  O.).  —  S.  Verh.  d.  Berl.  Ge.s.  f.  Anthrop., 
Ethn.  u.  Urg.,  1875,  S.  93;  Voss,  Kiuderklappern. 

Wenn  so  viele  Dinge  zum  Spiel  der  Kinder  in  Beziehung  gebracht 
werden,  so  können  wir  uns  wohl  der  so  oft  ausgesprochenen  Meinung 
überlassen,  dass  ein  grosser  Teil  der  kleinen  imd  kleinsten  Beigefässe  — 
im  übrigen  als  Gebrauchsgegenstände  für  die  Toten,  als  Erinnerungsgaben 
der  Angehörigen,  als  Symbole,  Thränennäpfehen  u.  s.  w.  bezeichnet  — 
auch  Kinderspielzeüg  bedeuten. 


Dorfkurzweil  im  Böhmerwalde. 

Von  Johann  Peter. 

Im  Frühling,  wenn  auf  Wiesen  und  Brachen  der  Schnee  geschmolzen 
ist  und  das  erste  Grün  spriesst,  wenn  sich,  an  sonnigen  Plätzen  und  am 
Walllessaume  das  gesellige  Völklein  der  schleierweisson  Buschwindröschen 
zeigt,    beginnt  das  Wiesenräumen,    eine  leichte  Arbeit,  die  mit  Gesang 


1)  Verh.  d.  Berl.  Ges.  f.  Aiitlirup.,  Ethu.  u.  Urg.,  1882,  S.  43. 

2)  [Das  Museum   schlesischer  Altertümer  in  Breslau  besitzt  mit  Firuisfarbeu  bemalte 
Kindorklappern  iu  Vogelgestalt.] 

13* 


188  Peter: 

und  Kurzweil  mancherlei  Art  gewürzt  wird.  Mit  dem  Rechen  in  der  Hand 
werden  die  Steinchen  und  Maulwm-fshaufen  zusammengescharrt,  und  dabei 
giebt  es  ein  Geschäker  und  Geplauder,  ein  Hänseln  und  Poppen,  dass  man 
es  gar  nicht  merkt,  wie  lange  bereits  so  ein  Lenztag  dauert.  Der  „Bua" 
hat  dem  „Mensch"  soviel  von  seinen  Liebesabenteuern  zu  berichten,  bis 
aucli  dieses  in  die  Hitze  gerät  und  so  recht  aus  der  Schule  zu  scliwätzen 
beginnt.  Der  schmunzelnde  Bauer  rückt  seine  Holzpfeife  von  Mundwinkel 
zu  Mundwinkel  und  berichtet  mit  haarkleiner  Genauigkeit  aus  seinem 
Jugendleben,  wie  er  um  seine  „Alte"  gefreit,  was  er  einmal  für  ein  „Höll- 
sakra"  gewesen,  wie  er  mit  der  „Seinigen"  getanzt,  und  wie  er  sich  die- 
selbe später  nach  seinem  Geschmacke  „erzogen"  habe.  Wenn  <lann  der 
stille  Abend  herniedersinkt  und  im  Hause  alles  zur  Ruhe  geht,  beginnt 
die  eigentliche  Dorfidylle:  das  „Fensterin",  das  sicli  im  Böhmerwalde 
noch  lebendig  erhalten  hat.  Anfangs  wird  bei  stillem  Mondenschein  in 
kameradschaftlicher  Geselligkeit  Strasse  auf-  und  abgewandelt  und  ein 
zwei  oder  dreistimmiger  Jodler,  der  mit  Volksliedern  abwechselt,  klingt 
hinaus  in  die  Nacht.  Manche  Maid  lauscht  im  dunklen  Kämmerlein  diesen 
verheissungsvollen  Klängen,  das  Herz  pocht  unter  der  warmen  Decke,  denn 
die  Erwartung  ist  gespannt.  Da  klopft  es  ganz  leise  ans  Kammerfensterl, 
und  bald  singt  es  von  draussen  leise  herein: 

„Diandl,  steh  auf,  oder  kennst  mi  net? 
Oda  san  dos  deine  Pensta  net?" 

Und  ein  übermütiger  Jauchzer  beschliesst  dieses  Gstanzl.  Doch  die 
Dirn  ist  klüger.  Sachte  kommt  sie  ans  Feusterl  geschlichen  und  warnt 
den  Verwegenen,  nicht  allzu  laut  zu  sein  —  demi  der  „Alte",  der  in  der 
Stube  nebenan  schläft,  hat  feine  Ohren  und  könnte  mit  einem  argen 
Donnerwetter  dreiufahren.  Doch  wird  diese  Vorsicht  ausser  acht  gelassen, 
wenn  die  Dirne  auf  dem  Dachboden  oder  im  Heu  oder  Grummet  nachtet; 
da  haben  die  Mäuse  gute  Zeiten,  weil  sie  vor  der  Katze  sicher  sind. 

Nun  beginnt  ein  „Fischpein"  (Lispeln)  und  Kosen  durclis  halb  ge- 
öffnete Fenster,  lange  sträubt  sich  die  Jungfer,  bis  es  der  Überredungskunst 
des  Burschen  endlich  gelingt,  Einlass  zu  erluilten.  Und  nun  kann  er 
beherzt  singen: 

„Drum  müasst's  Kurraschi  hob'n, 

Net  long  beim  Penstal  frog'n: 

Ös  müasst's  glei  eini  steig'n, 

Sunst  zoigt's  enk  d'Peig'u!"  — 

Und  die  Folgen  dieser  Kurzweil?  Wir  wollen  sie  übergelieu.  — 
Dass  es  bei  dem  Fenstenn  mitunter  auch  recht  ungemütlich  liergehen 
kann,  wird  einleuchten,  wenn  mau  bedenkt,  dass  so  manches  Diandl  ein 
gar  weites  Herz  hat,  indem  es  den  Handel  mit  jedem  aufnimmt,  der  ans 
Fenster  pocht.  Kommt  in  solchem  Momente  just  der  eigentliche  Liebhaber, 
der  Liebhaber  vor  der  Welt  dazu,    dann  giebt's  ein   „Crraft'",    wobei  niclit 


Dorfkuizweil  im  Böhmerwalde.  189 

selten  Blut  fliesst;  deun  die  Burschen  tragen  in  einem  Hosensacke  das 
lange  Raufmesser  bei  sich,  mit  dem  sie  sich  die  Köpfe  bearbeiten  wie  bei 
Tische  die  Knödel.  Auch  hier  gilt  der  Grundsatz:  Der  Stärkere  hat  Recht! 
und  der  Besiegte  muss  mit  zerschlagenen  Knochen  und  wehvollem  Herzen 
abziehen,  so  dass  er  jetzt  singen  kann: 

.1  hon  a  Diaiidl  g'liabt, 
Hon's  mit  koan  Woat  betrüabt, 
Hon  ihr  in  d'Augerl  guckt, 
Hon's  au  mein  Herzerl  'druckt  — 
Hiatzt  hot's  an  ondern  gern, 
I  möcht'  ma  d'Soi  ausplärr'n, 
Weil  um  mei"  Herzenslad 
Roa  Hohn  am  Mist  mehr  kräht!" 

Besonders  kurzweilig  gestaltet  sich  das  Sonntagsleben.  Frühmorgens 
putzt  man  sich  stattlich  heraus  und  bögiebt  sich  gruppenweise  in  die 
Kirche.  Die  Burschen  gesellen  sich  auf  dem  oft  mehrstündigen  Wege  zu 
den  Mädchen,  wobei  so  manches  Stelldiehein  für  den  Nachmittag  im 
grünen  Wald  ausgemacht  wird.  Auf  dem  Kirchplatze  wird  Halt  gemacht, 
denn  hier  herrscht  bereits  eitel  Lust  und  Kurzweil.  Die  Kegelbahn 
wimmelt  von  schneidigen  Burschen  mit  keck  aufgedrehten  Schnurrbärtlein, 
ein  Wetten  und  Preisscliieben  ist  los  wie  zur  Kirmess  und  das  Brauubier 
fliesst  dabei  in  Strömen.  Hier  steht  unter  einer  Gruppe  festlich  gekleideter 
Mädchen  ein  werbender  Bursch,  um  bald  dieser,  bald  jener  eine  mitunter 
recht  derbe  Artigkeit  zu  sagen  oder  seine  Witze  anzubringen,  die  mit 
lautem  Gelächter  quittiert  werden:  dort  strecken  zahnlose  Altweiber  neu- 
gierig die  Köpfe  zusammen  und  tauschen  ihre  Beobachtungen  und  Neuig- 
keiten aus;  vor  dem  Wirtshause  lärmt  eine  Gruppe  vollbärtiger  Männer, 
die  die  Fragen  der  Zeit  und  heikle  Gemeindeangelegenheiten  erörtern, 
und  im  Wirtshaus  drinnen  ist  auch  nicht  ein  Plätzchen  zu  finden,  denn 
dicht  stehen  die  Zecher  beiderlei  Geschlechtes,  das  volle  Deckelglas  in 
den  Händen,  beisammen,  um  sich  des  braunen  Saftes  zu  freuen,  den  die 
rasche  Wirtin  oder  die  schmucke  Kellnerin  in  geschäftiger  Eile  kredenzt. 
Der  Bursche  „bringt  es"  der  Dirn,  diese  nippt  und  giebt  es  weiter  an  die 
Kameradin  oder  Mutter;  der  Bauer  wandert  mit  seinem  gläsernen  Tabak- 
büchsl  oder  mit  seiner  Birkenholzdose  unermüdlich  in  der  Runde  herum, 
um  seinen  Bekannten  ein  Schnüpfl  anzubieten,  und  so  geht  es  fort  bis 
zum  Zusammenläuten,  worauf  alles  in  die  Kirche  drängt,  um  nach  derselben 
das  vorkirchliche  Herrgottsleben  in  der  Schenke  und  auf  dem  Kirchplatze 
aufs  neue  zu  beginnen,  das  mitunter  bis  spät  in  den  Nachmittag  hinein 
und  zuweilen  auch  in  die  geschlagene  Nacht  andauert,  was  natürlich  der 
Bäuerin  durchaus  nicht  gefallen  will. 

Gruppenweise  wandert  man  heim,  wo  ein  bescheidenes,  aber  stärkendes 
Mahl    den    hungrigen  Magen    labt,    und    nun    geht  jedes  Familienmitglied 


190  Peter: 

seiner  eigeneu  Kurzweil  nach.  Uie  Kiuder  versainmehi  sich  entweder  auf 
der  Dorfstrasse  oder  in  irgend  einem  Hause,  um  sich  den  Spielen  hin- 
zugeben, die  Burschen  eilen  auf  die  Kegelbahn,  die  Männer  ins  Wirtshaus, 
woselbst  sich  auch  bald  die  Dorfmusikanten  einfinden  —  und  nun  hebt 
die  „Suntamusi"  au,  wobei  gestampt,  gezecht  und  gesungen  und  zur  Ab- 
wechslung mitunter  auch  dreingeschlagen  wird,  bis  in  die  späte  Nacht,  ja 
nicht  selten  auch  bis  zum  Morgen. 

Wird  keine  Musik  abgehalten,  so  nehmen  die  Mädchen  Töpfe.  Kannen 
und  Eimer  zur  Hand,  um  hinauszuwandern  in  die  Sonntagsstille  des 
blumigen  Waldschlages  ins  Bierlklaub'n  (Beerensammeln).  An  Beeren 
ist  der  Böhmerwald  überreich,  und  der  Waldler  weiss  auch  diesen  Segen 
zu  schätzen,  er  geuiesst  dieses  sein  Obst  in  vollstem  Masse.  Hier  reift  im 
üppigen  Grün  die  würzige  Erdbeere;  dort  auf  sonnigem  Waldgrunde  glüht 
der  Scharlach  weitausgedehnter  Preiselbeerplätze:  die  unheimlich  in  die 
Waldnacht  aufragenden  Wurzeln  sturmgefällter  Baumrieseu,  sowie  die  in 
Vermoderung  begriffenen  Baumleichen,  Ronen  genannt,  ziert  das  lebens- 
frische Rot  vollbackiger  Himbeeren;  um  die  Felskanten  und  Steinritzen 
schlingt  sich  das  stachelige  Geäst  des  Brombeerstrauches  mit  seinen  glänzend 
schwarzen  Beeren ,  und  wohin  das  Auge  sonst  auch  gleitet,  begegnet  ihm 
schier  endloses  Heidelbeergestrflpp  mit  den  erfrischenden  Schwarzbeeren, 
den  Trauben  des  Hochwaldes. 

Kein  Wunder,  dass  solche  Schätze  eine  grosse  Anziehungskraft  auf 
die  Waldler  ausüben.  Unter  Zwiegesang  voll  Lebenslust  und  Daseinswonue 
ziehen  die  Waldlerdiandln  hinaus  in  die  grüne,  feiernde  Waldung,  wo  sie 
sich  einen  ausgiebigen  Bierlplotz  aussuchen  und  emsig  darauf  losklauben, 
bald  in  den  Mund,  bald  in  die  Gefässe,  bis  sich  diese  allmählich  füllen 
und  der  Abend  auf  die  schwarzen,  regungslosen  Wipfel  sinkt. 

Manche  Maid  hat  sich  indes  unbemerkt  vou  der  Gesellschaft  losgemacht, 
sie  hat  dem  geliebten  Burschen  das  Plätzchen  des  auf  dem  Kirchwege 
verabredeten  Stelldicheins  genau  bestimmt,  und  dort  giebt  es  nun  auch 
eine  Kurzweile,  freilich  eine  ganz  andere,  die  uns  aber  nichts  angeht. 
So  kommt  es  oft  vor,  dass  sich  ein  Mädchen  nach  dem  anderen  in  der 
grünen  Waldesweite  verliert,  so  dass  jedes  unter  Geleite  auf  geheimen 
Pfaden  den  Waldweg  verlässt.  Wird  aber  der  Rückweg  in  Gemeinschaft 
augetreten,  so  geht  ein  Singen  und  Klingen  durch  den  abendstillen  Wald, 
das  dem  Herzen  des  Lauschers  ungemein  wohlthut;  denn  des  Gesanges 
Quell  sprudelt  im  Böhmerwalde  reich  und  frisch. 

Haben  die  Burschen  just  nichts  anderes  zu  thun,  so  beginnen  sie  am 
Wirtshaustische  das  „Fingerhakeln".  Auf  seine  Kraft  ist  jeder  stolz, 
und  jeder  will  im  Dorfe  der  stärkste  und  gewandteste  sein;  deshalb  probt 
er  seine  „Stirk"  (Stärke)  so  gerne,  sei  es  im  Lastenheben,  im  Ringkampfe 
auf  dem  Dorfanger,  beim  „G'raff"  auf  dem  Tanzboden  oder  beim  „Hakein" 
am  Wirtshaustische,  das  sich  ganz  besonderer  Beliebtheit  erfreut.    Meisten- 


Dorfkui'zweil  im  Bnhinerwalde.  191 

teils  wird  „über  den  Tisch"  gehäkelt.  Mit  dem  hakenförmig  aufgebogenen 
Mittelfinger  fasst  man  sich  gegenseitig  an,  und  nun  gilt  es,  einer  den 
anderen  „aufzuhakeln".  d.  h.  ihn  entweder  zum  Auslassen  zu  bewegen 
oder  ihn  an  sich  zu  ziehen.  Stolz  und  herausfordernd  blickt  der  Sieger  in 
der  Kunde  herum,  ob  es  nicht  etwa  ein  zweiter  mit  ihm  aufnehmen  wolle. 
Alle  zieht  er  heute  auf,  meint  er  prahlerisch;  sie  sollen  nur  herkommen, 
wenn  sie  eine  Schneid  hätten!  Doch  alle  haben  schon  Respekt  vor  dem 
Gewaltigen,  bis  es  schliesslich  doch  einem  „zu  dumm"  wird  und  er  den 
Wettkampf  aufnimmt.  Oft  häkelt  ein  und  derselbe  Bursche  das  ganze 
Wirtshaus  auf,  und  will  er  besonders  grossmütig  sein,  so  häkelt  er  auch 
mit  dem  kleinen  Finger,  dabei  dem  Gegner  die  Gunst  bezeigend,  dass 
dieser  den  eigentlichen  Hakler,  den  stäi'kereu  Mittelfinger  gebrauchen  darf. 
Freilich  liegt  der  Erfolg  nicht  immer  in  der  körperlichen  Stärke,  sondern 
oft  und  zumeist  im  Vorteil,  der  beim  Hakein  augewendet  werden  muss, 
und  diesen  weiss  so  mancher  Bursche  mit  besonderer  Berechnung  imd 
Kraftschonung  anzuwenden,  indem  er  sich  anfänglich  nach  und  nach  auf- 
hakein lässt,  dabei  aber  so  eine  Gegenwehr  heuchelt,  bis  der  Gegner  ganz 
ermüdet.  Jetzt  drückt  er  plötzlich  mit  ganzer  Kraft  zusammen,  den  Ober- 
körper lehnt  er  stramm  zurück,  die  Beine  stemmt  er  fest  in  den  Boden, 
und  auf  einen  liuck  hat  er  den  siegesgewissen  Gegner  so  urplötzlich  an 
sich  gerissen,  dass  alles  in  lautes  Spott-  und  Beifallsgelächter  ausbricht: 

Ähnlich  geht  es  auch  beim  Ringkampfe  und  „Drosseln"  auf  dem 
Dorfanger  her,  doch  nicht  immer  läuft  diese  Kurzweil  so  glatt  ab,  zuweilen 
artet  sie  auch  in  ein  „Wartein"')  und  Streiten  aiis,  bis  .sich  aus  diesem 
ein  ganz  heisses  „G'raff"  entwickelt,  wobei  Biergläser,  Stuhlfüsse  und 
sonstige  Hieb-  und  Wurfgeräte  eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielen,  bis 
es  dem  schlichtenden  Wirte  oder  einem  beherzten  Manne  mit  grosser 
Mühe  gelingt,  den  Frieden  wieder  herzustellen. 

Zur  Sonntagskurzweil  gehören  auch  die  Ausflüge  mit  Musik  in  den 
herrlichen  Hochwald,  wohin  der  Wirt  Bier  und  dergleichen  geschafft  hat. 
Wacker  wird  im  Schatten  der  uralten  Baumriesen  gezecht  und  gesungen. 
Reden  werden  gehalten  und  Toaste  ausgebracht,  bei  denen  selbstverständlich 
alles  „hoch"  leben  muss.  Kinder  tragen  Gedichte  vor  und  Spassmacher 
sorgen  für  „Narretei"  und  Gelächter,  bis  bei  hellem  Sternenschimmer  der 
Rückzug  ins  Dörfchen  angetreten  wird,  wo  mau  im  Wirtshause  das  Fest 
mit  eiuem  flotten  Tanze  schliesst.  Ähnlich  machen  es  auch  iu  den  kleinen 
Waldstädten  die  Schützen,  die  gern  im  grünen  Tann  das  Scheibeu- 
schiessen  pflegen  und  sich  dabei  ungemein  wolil  fühlen. 

Eine  andere  Kurzweil  ist  das  Schwämmesuchen,  w^obei  man  mit 
dem  Augenehmen  das  Nützliche  verbindet  und  die  Langeweile  des  Sountags- 
nachmittages    bannt.     Zumeist   liegt    dieses  Geschäft    den    mehr  ans  Haus 


1)  [Wortein:  Wurtc  macliou,  mit  Worten  streiten.] 


192  Pt't"- 

gebumleiien  Weibern  und  Kindern  ob,  die  nacli  gethaner  Arbeit  gern  mit 
Körben,  Tüchern  und  Messern  hinauswandern  in  den  Wahl,  um  den 
lockenden  braunköpfigen  Herrenpilzen  und  den  dottergelben  Pfifferlingen, 
Rehgeisslein  genannt,  nachzustellen.  Zeigt  sich  so  ein  Pilz,  so  wird  er 
mit  lautem  Freudeusrufe  „hopp  genommen",  sorgfältig  geputzt  und  in  den 
Korb  gegeben.  Nachhause  gekommen,  geht  es  dann  sofort  an  das  Zer- 
schneiden und  Trocknen  der  Schwämme.  Köpfe  und  wurmfreie  Strünke 
werden  in  feine  Spalten  zerschnitten,  diese  auf  Bretter  „aufgeglichen"  und 
dann  an  die  Sonne  oder  über  den  warmen  Ofen  gelegt,  bis  die  Schwämme 
ganz  dürr  sind,  worauf  sie  sodann  ins  Schwommasackl  wandern,  um  für 
den  Winter  aufbewahrt  zu  werden.  — 

Hat  die  Hausfrau  an  Sonntagsnachmittagen  just  keine  andere  Be- 
schäftigung, so  vertreibt  sie  sich  die  Langeweile  mit  Flicken.  Die  Werk- 
tagskleider ihrer  Angehörigen  befinden  sich  oft  in  erbärmlichem  Zustande, 
dass  Fleck,  Nadel  und  Zwirn  eine  Notwendigkeit  sind.  Ohne  sich  die 
geringsten  Skrupel  zu  machen,  steppt  die  geübte  Flickerin  einen  schnee- 
weissen  Fleck  auf  die  lichtblaue  Leinenhose  des  Mannes  oder  einen  kohl- 
schwarzen auf  den  weissen  Wollsocken;  mitunter  muss  ein  Fleck  buch- 
stäblich den  anderen  halten,  alle  möglichen  Farben  vereinigen  sich  und 
mau  heisst  den  Träger  solcher  Kleidung  nicht  mit  Unrecht  einen  Aller- 
handfleck. — 

Grosse  Kurzweil  giebt  es  auch  beim  Riffeln  und  Brechen  des 
Leines,  Arbeiten,  die  fast  ausschliesslich  den  Mädchen  obliegen,  und 
unter  Scherz,  Gesang  und  Gelächter  verrichtet  werden.  Und  erst  beim 
Brechltanz,  den  die  Flachsbrecherinnen  nach  der  Breche  im  Dorfwirtshaus 
abhalten  und  wobei  sie  die  leitende  Rolle  spielen!  Wie  lustig  geht  es 
dabei  her!  Die  Brecherin  hat  die  Tänzerwahl,  sie  zahlt  heute  die  Spiel- 
leute, singt  ihnen  ihre  „G'sang'ln"  vor  und  wacht  über  die  Ordnung  des 
Reigens.  Spät  in  die  Winternacht  hinein  dauei't  der  Tanz,  wobei  die 
volkstümlichen  Tänze:  der  Rundum  und  der  Langaiis,  der  Auf  und  Ab 
und  Hin  und  Her  und  der  Durchanand  zu  vollen  Ehren  gelangen,  nicht 
zu  vergessen  des  Gebirgsländlers,  den  die  lustige  Dirn  mit  solcher  Ge- 
wandtheit und  solchem  Feuer  tanzt,  dass  Zöpfe  und  Gewänder  fliegen  und 
sich  drehen  wie  ein  Spinnradi. 

Mit  dem  „Brechltanz"  beginnt  die  Kurzweil  des  Winters.  Die 
lange  rauhe  Jahreszeit  fesselt  den  Waldler  mehr  als  erwünscht  ans  Haus, 
und  ruhig  vollführt  sich  in  Stube  und  Scheuer  die  Winterarbeit.  Wenn 
aber  die  „Sitzweil"  anbricht  und  der  Buchenspan  am  Spanleuchter  flackert 
und  das  Spinnrad  schnurrt,  dann  geht  man  in  d'Häuaa.  d.  h.  ins  Nach- 
bavshaus  in  die  Gesellschaft.  Oft  finden  sich  in  irgend  einer  Stube  fast 
aus  jedem  Hause  Leute  ein,  Männer  und  Weiber,  Burschen  und  Mädchen, 
um  sich  durch  Gespräch  imd  Geschichtenerzählen  den  langen  Winterabend 
zu    kürzen.     Jedem    (xast    kommt    die  Hausfrau    mit  Brotlaib    und  Messer 


Dorflviirzweil  im  Böhmerwalde.  193 

eiitceu-en.  ihn  aufforderud,  sich  abzuschneiden,  was  auch  olme  Widerrede 
oeschielit.  Höchstens  dass  man  sagt:  „Bin  jo  eh  net  hungri!"  darauf  aber 
(loch  absclmeidet.  um  der  Sitte  zu  entsprechen.  Dann  setzt  man  sich  auf 
die  Ofenbank  oder  die  "Wandbänke  und  stopft  die  Pfeife.  Im  grossen, 
altmodischen  Kamin  prasselt  der  dürre  Kien,  yernehmlich  tickt  die  Schwarz- 
wälderin  an  der  Wand  und  dichter  Tabakdampf  erfüllte  die  Stube.  Mag  es 
nun  draussen  stürmen  und  wettern  nach  Belieben:  drinnen  im  traulichen 
Gemach  geht  es  lebhaft  zu,  Neuigkeiten  werden  ausgetauscht,  und  wenn 
nichts  mehr  zu  berichten  ist,  so  geht  es  ans  Märchen-  und  Geschichteu- 
erzählen.  was  zumeist  Aufgabe  des  „Näl"  und  der  „Nal"  (Grossvater  und 
Grossmutter)  ist.     Erst  in  später  Nachtstunde  endet  das  „Häusergehen".  — 

Wieder  an  einem  anderen  Winterabend  kommen  die  Dorfmädcheu 
mit  Rocken,  Spinnrädern  und  Haspeln  in  einem  zuvor  bestimmten  Hanse 
zusammen,  man  nennt  das  die  Rocken  reise.  Meist  geschieht  sie  in 
mondhellen  Nächten.  Sobald  im  Stalle  abgefüttert  und  die  sauere  Milch- 
suppe mit  Brot  imd  Kartoffeln  eingenommen  ist,  wird  der  Rocken  mit 
einem  ausgiebigen  Flachsbund  besteckt  und  das  Spinnrad  geschmiert.  Nun 
geht  es  hurtig  über  den  festgefrorenen  knisternden  Schnee  zur  Rockenstube, 
wo  alles  bis  auf  die  Wandbänke  ausgeräumt  ist,  damit  die  Spinnerinnen  Platz 
haben.  Der  Grossvater  sitzt  am  Bettrande  und  schmaucht  sein  Pfeifchen, 
die  Ahne  hat  sich  am  warmen  Herd  ein  Plätzchen  gesucht,  und  jetzt  beginnt 
ein  emsiges  Spinnen,  Plaudern  und  Singen,  das  bis  gegen  Mitternacht  währt. 
In  das  Rädergeschnurre  und  Haspelgesurre  mischt  sich  das  lustige  Purren 
des  Herdfeuers;  Gesang,  Gelächter  und  Erzählung  wechseln  in  bunter  Folge 
ab,  und  wenn  die  Mitternacht  naht  und  die  Rocken  abgesponnen  sind,  er- 
scheinen aucli  die  Burschen  in  der  Rockenstube:  einer  zieht  aus  der  Tasche 
eine  Mundharmonika  und  bläst  darauf  Ländlerwoisen  auf,  worauf  die  Rocken 
und  Räder  beiseite  fliegen  mid  ein  Tanzen  losgeht,  bis  die  vorgerückte  Zeit 
endlich  zum  Aufbruche  ermahnt,  und  jede  Spinnerin  in  Begleitung  ilires 
„Buam"  den  Heimweg  antritt. 

Ähnlich  geht  es  auch  beim  Federnschleissen  her,  wobei  sich  die 
Dorfmädchen  in  dem  Hause  versammeln,  welches  das  Schleissen  angesagt 
hat,  und  so  oft  kommen,  bis  der  mitunter  stattliche  Yorrat  von  Federn 
aufgeschlissen  ist.  Denn  im  Böhmerwalde  schauen  die  Mädchen  auf  eine 
ordentliclie  Heiratsausstattung,  bei  welcher  die  Betten  die  erste  Rolle 
spielen,  und  eben  deshalb  trifft  man  in  jedem  Hause  neben  heiratsfähigen 
Mädchen  auch  eine  ganz  respektable  Anzahl  von  Gänsen  an,  die  der 
Federn  genug  liefern.  Auch  beim  Federnschleissen  vergnügt  man  sich  auf 
volkstümliche  Weise,  des  Gesanges  Macht  kommt  dabei  wie  überall  zu 
voller  Geltung,  und  auch  die  Burschen  versäumen  nicht,  ihre  „Menscher" 
um  die  Zeit  des  Nachhausegehens  abzuholen.  Ist  der  ganze  Vorrat  auf- 
geschlissen, so  werden  die  Schleisserinuen  mit  Branntwein  und  Weissbrot 
bewirtet.  — 


1Ö4  Kahle: 

Kommt  oiidlich  die  stille  und  ernste  Fastenzeit,  wo  tagsüber  im 
milderen  Strahl  der  Sonne  der  Schnee  „leint"  (auftaut),  um  in  der  kalten 
Stermiacht  darauf  um  so  fester  zu  gefrieren,  dauu  hebt  näciitlicherweile 
das  Schlittenfahren  an,  das  oft  bis  s])ät  nach  Mitternacht  geübt  wird. 
Droben  auf  dem  Hügel  oder  Bergliange  findet  sicii  das  junge  Dorfvolk 
ein;  die  Burschen  ziehen  grosse  Holzschlitten  iierbei,  diese  besetzen  sich 
mit  einer  stattliclien  Anzahl  von  Mädchen  und  Burschen  uni1  Kindern; 
einer,  der  eine  besondere  Schneid"  hat  imd  selbst  „den  Teufel  nicht 
fürchtet",  setzt  sich  vorn  auf  die  die  Hörner  verbindende  Holzspauge,  um 
den  Schlitten  zu  lenken,  und  nun  saust  derselbe,  gefolgt  von  einem  zweiten, 
dritten  und  vierten,  mit  Blitzesschnelle  den  Abhang  hinab,  dass  der  Schnee 
unter  seinen  Kufen  knirscht.  In  dem  Walde  aber  hallt  das  helle  Lachen 
und  der  muntere  Gesang  der  Schlittenfahrer  wieder,  die  die  schöne  Winter- 
nacht zu  geniessen  verstehen. 

Auf  solche  Art  vergnügt  man  sich  im  Bölimerwalde.  Viel  Poesie  steckt 
in  dieser  Kurzweil,  die  uns  den  wackeren  deutsclien  Volksstamm  im  vollen 
Lichte  zeigt  und  unsere  ganze  Sympathie  für  denselben  svachruft.  — 

Grossmeiseldorf,  Post  Ziersdorf  bei  Wien. 


Krankheitsbescliwöningeii  des  Nordens. 

Von  B.  Kahle. 

Zu  den  in  dieser  Zeitschrift  V.  1  ff.  von  M.  Bartels  angeführten 
Krankheitsbescliwöruugen  vermag  ich  einige  hauptsächlich  aus  Schweden 
stammende  hinzuzufügen,  die  vielleicht  des  Interesses  nicht  entbehren. 
Auch  hier  herrscht  die  Auffassung,  dass  man  die  Krankheit  aus  dem 
Menschen  heraus  in  einen  Gegenstand  bannen  könne.  Hat  jemand  ein 
Gerstenkorn,  so  ergreift  ein  anderer  einen  Schemel  mit  drei  Füssen,  dreht 
dessen  Füsse  dreimal,  d.  h.  jeden  Fuss  einmal,  von  Westen  nach  Osten 
gegen  das  kranke  Auge,  indem  er  jedesmal  sagt,  „ich  bohre,  ich  bohre". 
„Was  bohrst  Du"?  fragt  der  Kranke.  „Das  Gerstenkorn  aus  dem  Auge  in 
den  Schemel",  lautet  die  Autwort.  Jedesmal,  nachdem  man  mit  dem 
Schemel  auf  das  Auge  gebohrt  liat,  bohrt  man  gegen  die  Kaminmauer, 
wobei  dasselbe  wie  vorher  gesprochen  wird,  nur  dass  die  Schluss werte  des 
Bohrenden  alle  dreimal  lauten:  „Das  Gerstenkorn  aus  dem  Schemel  und 
in  die  Mauer".  Bei  der  letzteu  Bohrung  gegen  die  Mauer  wird  hinzugefügt: 
„und  dort  soll  es  sitzen",  wobei  man  kräftig  gegen  die  Mauer  mit  dem 
Fusse    stösst,    mit    dem   man  zuletzt  gebohrt  hat.')     Bei  der  Heilung  von 


1)  Nyare   bidrag   tili    känDedom    nm    de    svenska   landsmälen    ok  svenskt  folMif  II, 
Heft  5,  S.  24. 


Krankheitsbeschwörunf!en  des  Nordens.  195 

Magenkrampf  oder  einer  Wassergescliwulst.  bei  Mensclien,  wie  bei  Tieren, 
führt  man  einen  Feuerstahl  neunmal  um  die  kranke  Stelle,  wobei  ftian 
sagt:  „Du  hässlicher  Magenkrampf,  du  garstiger  Magenkrampf,  morgen 
sollst  du  sterben;  leg  dich  tief  in  einen  See,  da  niemand  rudert,  da  niemand 
wohnt;  leg  dich  tief  unter  einen  in  der  Erde  wurzelnden  Stein,  und  sei 
keinem  Menschen  zum  Schaden.  Geh  neunmal  von  Osten  und  neunmal 
von  Westen  und  neunmal  zum  Jordanfluss.  Du  (Magenkrampf)  sollst  ab- 
nehmen und  du  (der  Kranke)  sollst  zunehmen,  imd  dein  Leib  und  Glied 
sollen  in  Frieden  sein.  Bei  jedem  Streichen  spuckt  man  neunmal  nach 
Osten  und  neunmal  nach  Westen."  Das  Ganze  wird  besiegelt  durch  den 
Namen  der  Dreieinigkeit. ') 

In  einem  Protokoll  vom  Jahre  1722,  das  bei  einem  Hexenprozess 
aufgeuommen  wurde,  finden  sich  auch  einige  hierher  gehörende  Formeln. 
Wenn  man  Frost  hat.  soll  man  nüchtern  am  Sonntag  Morgen  seine  Hand 
auf  den  Ofen  legen  und  sagen:  „Lehm  und  Stein  nehmen  den  Frost  von 
mir,  zuerst  einen  Monat,  dann  ein  Jahr  und  endlich  so  lange  die  Sonne 
geht.     Im  Xamen  Gottvaters  u.  s.  w.') 

Aus  Ängermannland  gehören  hierher:  Bei  einer  Prozedur,  die  man 
vornimmt,  um  ein  Kind  von  der  englischen  Ki'ankheit  zuheilen,  sagt  man: 

„Oben  auf  einem  Berge,  wo  niemand  wohnen  kann, 

Über  einem  See,  der  kein  Ende  hat, 

In  Stock  und  in  Stein, 

Dort  sollen  N.  N.'s  neimerlei  Arten  engl.  Krankheit  wachsen  und  wohnen 

Und  nicht  in  deinen  Eingeweiden,  Fleisch  oder  Blut  — 

In  den  drei  Namen,  Gottvater,  Sohn  und  hl.  Geist."') 

Hat  jemand  eine  Muskelzerrung  im  Arm.  so  legt  er  diesen  auf  ein 
Stück  Holz,  und  der  „kluge  Mann"  nimmt  eine  Axt  in  die  Hände  und 
sagt  „ich  haue".  Der  Kranke  fragt  „was  haust  du?"  worauf  der  andere 
antwortet  „die  Muskelzerrung"  und  tü-eimal  mit  der  Axt  auf  jede  Seite 
des  Gliedes  haut,  wobei  er  ebenso  oft  sagt  „aus  dem  Glied  und  ins  Holz".*) 
Einen  Hautausschlag  heilt  man,  indem  man  brennenden  Zunder  dreimal 
von  oben  nach  unten  zwischen  dem  Körper  des  Kranken  und  dem  Bett- 
linnen durchzieht,  den  Schwamm  dann  in  eine  Tasse  legt  und  dann  den 
Inhalt  vor  dem  Hause  ausschüttet  unter  den  Worten: 

„Nimm  das  hier 

Und  rauch'  und  renn' 

Über  Wasser  und  Land, 

In  AVetter  imd  Wind 

Und  in  die  Hölle  hinein. 

Und  lass  N.  N. 

Seine  Gesundheit  wieder  bekommen." •') 

1)  a.  a,  0.,  S.  24  f.  2)  a.  a.  0.,  XLij.  3)  a.  a.  0.,  VII,  Heft  2,  S.  4. 

4)  a.  a.  0.,  VIT,  Heft  2,  S.  9,  5)  a.  a.  0.,  S.  13. 


196  Kahle: 

Auch  das  Bannen  der  Krankheit  in  Bäume  kennt  man.  So  ging  ein 
Mädchen  in  Nord-Fünen.  das  Zahnschmerzen  hatte,  mit  einem  Manne  zu 
einem  Baume,  und  der  schnitt  den  Zahnschmerz  in  den  Baum,  so  dass  er 
sogleich  fort  war  und  blieb.  ^)  Hat  man  einen  schlimmen  Rücken,  so  muss 
der  Kranke,  dessen  Röcken  vorher  mit  einem  heissen  Stein  gerieben,  unter 
einem  Baum  dreimal  dm'chkriechen.  dessen  Spitze  ein  anderer  nach  unten 
gebogen  hat.  Dann  lässt  man  den  Baum  wieder  nach  oben  schnellen, 
ohne  dass  ihm  ein  Schaden  geschieht.  Fällt  nun  «liesen  Baum  später 
jemand,  dann  gnade  ihm  Gott,  denn  dann  erhält  er  die  Krankheit,  die 
dann  wieder  auf  dieselbe  Weise  geheilt  werden  kann.*)  Hier  finden  wir 
den  bedeutsamen,  weitverbreiteten  Zug,  dass.  wenn  jemand  später  mit 
einem  Gegenstände  in  Berührung  kommt,  in  den  eine  Krankheit  gebannt 
ist,  er  seinerseits  diese  erhält.  So  z.  B.,  wenn  man  ein  Geschwür  mit  einem 
Pfennig  bestreicht  und  diesen  dann  auf  einen  Kreuzweg  wirft:  wer  den 
Pfennig  aufhebt,  bekommt  das  Geschwür.')  Hierher  gehört  wohl  auch 
eine  Formel,  die  deshalb  besonders  interessant  ist,  weil  in  ihr  bestimmt 
die  Krankheit  als  Schickung  irgend  eines  bösen  Wesens  angesehen  wird. 
Nach  einer  umständlichen  Procedur.  dm'ch  die  man  herausgebracht  hat, 
dass  böse  Geister  die  Krankheit  verursacht  haben,  bindet  man  Haare  und 
Nagelabschnitte  vom  Kranken  zusammen  mit  glühender  Kohle  und  Blei  in 
Lappen.  Dann  geht,  wenn  möglich,  der  Kranke  selber  an  eine  abgelegene 
Stelle  und  wirft  das  Packet  mit  der  rechten  Hand  über  die  linke  Achsel 
mit  den  Worten :  „Nimm  nun  das  und  spiele  damit  und  lass  den  Kranken 
in  Frieden."*)  Dass  man  böse  Geister  oder  auch  Satan  selbst  als  Urheber 
von  Krankheiten  ansieht,  geht  auch  aus  einer  Beschwörung  hervor,  die 
mau  anwendet,  weim  man  jemandem  eine  Krankheit  auf  den  Hals  schicken 
will.  Man  nimmt  einen  Stein  von  einem  Kirchhof  und  schlägt  damit  einen 
verrosteten  Sargnagel  an  die  Stelle  in  die  Erde,  wo  die  Person,  der  man 
die  Krankheit  senden  will,  ihr  Wasser  gelassen  hat  und  sagt  dazu:  „Dieser 
Nagel  ist  bei  einem  Toten  gewesen,  nun  sollst  du  Satan  Krankheit  in  den 
Schnee  setzen.'"*) 

Gelegentlich  wird  auch  beim  Fortwei-fen  des  Bündels  von  Haaren. 
Nägeln  u.  s.  w.  ausdrücklich  gesagt,  dass  die  bösen  Geister  weichen  mögen.*) 
Als  lebende  Wesen  begegnen  die  Krankheiten  besonders  in  den  Sprüchen, 
in  denen  erzählt  wird,  wie  Christus  oder  Maria  den  Dämonen  beaegnen 
und  sie  an  der  Ausführung  ihres  Vorhabens,  einen  Menschen  zu  überfallen, 
hindern.  Solche  Sprüche  sind  die  folgenden:  „Nässe  und  Tasse  gingen 
den  Weg  entlang,  da  ti-afeu  sie  Jesus  Christus  selber.  Wo  willst  du  hin- 
gehen? sagt  Jesus  Christus  selbst:  so  sagten  sie.  ich  will  gehen  zu  N.  N., 
ich  will  sein  Fleisch  zerreissen,  sein  Blut  saugen,  seine  Knochen  zerbrechen. 
Nein,    antwortete  Jesus  Christus,    ich  will's   dir  verbieten,    du  sollst  nicht 


1)  Dania  H,  •22-2,  No.  5.  -2)  S\r.  landsm.,  II,  XLIV.  3)  a.  a.  0.,  Lij. 

4)  a.  a.  0.,  Lij.  5)  a.  a.  0.,  VII,  Heft  2,  S.  8.  6)  a.  a.  0.,  H,  Lij. 


Krankheitsljt'schwönuigeu  des  Nordens.  197 

sein  Fleisch  zerreissen  oder  sein  Blut  saugen  oder  seine  Knochen  zerbrechen, 
du  sollst  nie  ihm  mehr  Übel  zufügen,  als  die  Maus  zufügt  einem  in  der 
Erde  wurzelnden  Stein.  Im  Namen  Gottes,  des  Vaters,  des  Sohnes  und 
des  heiligen  Geistes,  Amen."  Dieser  Spruch  wird  dreimal  wiederholt  und 
zuletzt  das  Vaterunser  aufgesagt.  Auf  Befragen,  was  Nässe  und  Tasse 
bedeutet,  antwortet  die  der  Hexerei  beschuldigte  Frau,  die  den  Spruch 
angefüla-t  hatte,  es  wären  lange,  schmale  Würmer  im  Wasser,  wie  Zwirns- 
fäden, die  man  bösen  Biss  nenne,  und  es  sei  wunderbar,  dass  sie  in 
früheren  Zeiten,  da  sie  doch  so  klein  wären,  hätten  reden  können,  worüber 
sie  sich  schon  oft  gewundert  habe. ') 

Aus  einem  andereu  Protokolle  vom  Jahre  1735  stammt  ein  Spruch 
gegen  Krötenbiss:  „Jesus  ging  den  Weg  entlang;  der  hässliche  Krötenbiss 
begegnete  ihm.  Wo  willst  du  hingehen?  sagte  Jesus.  Ich  will  gehen  und 
zerbrechen  N.  N.'s  Knochen,  essen  sein  Fleisch  und  trinken  sein  Blut. 
Nein,  sagte  Jesus,  icli  begegne  dir  und  banne  dich 

Aus  seinem  Bein 
Und  in  Stein, 
Aus  seinem  Fleisch 
und  in  Erde, 
Aus  seinem  Blut 
Und  in  die  Flut, 

im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  lieiligen  Geistes."*) 

Eine  Beschwörung,  die  man  anwendet,  wohl  wenn  eine  Kuh  keine 
oder  schleclite  Milch  giebt,  lautet: 

„Wohin  willst  du  gehen,  sagte  das  Kreuz: 

Wohin  willst  du  gehen,  sagte  Christus; 

Wohin  willst  du  gehen,  sagte  Jungfrau  Maria. 

Du  willst  gehen  zu  N.  N.'s  Kuh; 

Nein  du  sollst  es  nicht,  sagte  das  Kreuz; 

Nein  du  sollst  es  nicht,  sagte  Christus; 

Nein  du  sollst  es  nicht,  sagte  Jungfrau  Maria; 

Du  sollst  umkehren, 

Ihre  Kuh  ihre  Gesundheit  wieder  bekommen  lassen 

Bevor  der  Tag  tagt,  bei  den  heiligen  drei  Namen: 

Des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes,  Amen."') 

Eine  schmerzstillende  Formel  lautet: 

„Jesus  ging  auf  den  Kirchhof, 

Um  alle  Wunden  zu  heilen, 

Jesus  schläft  ein, 

Der  Schmerz  wird  betäubt 

In  den  drei  Namen  Gott  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  hl.  Geistes." ') 

Hier  reilien  sich  die  Formeln  an,  in  denen  erzählt  wird,  wie  Christus 
oder  Maria  irgend  etwas  heilt,  oder  wie  er  selbst  geheilt  wird.    Interessant 


1)  a.  a.  0.,  XLIV.  9)  a.  a.  O..  XLVI.  .S)  a.  a.  0..  XLVI  f.  4)  a.  a.  0., 

Vir,  Heft  -2,  S.  7  f. 


108  Kahle:  Rrankheitsbescliwöniiigen  des  Nordens. 

ist  hier  besonders  der  von  Bartels  angeführte  Spruch  der  Siebenbürger 
Sachsen,  in  dem  Christus  das  Beiu  des  heiligen  ]\Iatthias  heilt,  also  niclit 
sein  eigenes  oder  das  seines  Pferdes,  weil  es  vortrefflich  zu  dem  von  A. 
Kock  aus  einem  Gerichtsprotokoll  vom  Jahre  1672  aus  Bohuslen  angeführten 
stimmt:  „Unser  Herr  Jesus  Christus  und  St.  Peter  gingen  oder  ritten  über 
Brattebro.  St.  Peters  Pferd  bekam  eine  A'^errenkung.  Unser  Herr  stieg 
vom  Pferde  zu  segnen  St.  Peters  Pferd  (gegen)  Verrenkung:  Blut  zu  Blut. 
Glied  zu  Glied.  So  wurde  St.  Peters  Pferd  geheilt,  in  drei  Namen  u.  s.  w." ') 
Und  ähnlich:  „St.  Peter  und  unser  Herr  wanderten  eine  Strasse;  da  ver- 
letzte sich  St.  Peters  Pferd,  und  unser  Herr  stieg  vom  Pferde  imd  segnete 
es  mit  Stroh.'"") 

Diese  Sprüche  sind  deshalb  von  besonderer  Wichtigkeit,  weil  man  sie 
als  Stütze  dafiü'  angeführt  hat,  dass  in  dem  Merseburger  Zaubersprucli  es 
nicht  das  Ross  Wodans  ist.  das  er  selbst  heilt,  also  nicht  Balderes  als 
Appellativum  zu  Wodan  zu  fassen  ist,  sondern,  dass  liier  die  Rede  von 
Balder  dem  Gott  ist,  an  dessen  Stelle  in  unseren  Sprüchen  St.  Peter,  bezw. 
Matthias  getreten  ist.') 

Anreihen  möchte  ich  hier  einen  isländischen  Spruch: 

Gebet  geg-eii  Geschwür. 

Christus  sass  vor  der  Kirchenthür: 
Eine  Kei-ze  hatte  m  der  Hand 
Das  gesegnete  Kind, 
Ein  Buch  in  der  anderen. 
Was  sorgst  du,  mein  Sohn? 
Sagte  die  seelige  Maria. 
Ich  bin  wund  und  siech, 
Sagte  Gott  mein  Herr. 

„Ich  will  dir  heilen  das  Beingeschwür,  das  Steingeschwüi-,  das  Fuss- 
geschwür,  das  Handgeschwür,  das  Eingeweidegeschwür,  das  Hauptgeschwür 
und  die  allerki'äftigsten  mächtigsten  Geschwüre."  Er  ward  ledig  seiner 
Tvrankheit.*) 

Dieser  Spruch  stellt  sich  auch  zu  den  von  Bartels  S.  31  f.  angeführten, 
in  denen  eine  ganze  Reihe  von  verschiedenen  Arten  einer  Krankheit  an- 
geführt werden.  So  kennt  man  z.  B.  auch  in  Angermanland  neunerlei 
Arten  von  englischer  Krankheit  und  hat  neunerlei  Arten,    sie  zu  heilen.^) 

Auch  die  magische  Art  des  Rückwärtszählens,  von  der  Bartels  S.  37 
Beispiele  anführt,  ist  im  Norden  bekannt.  So  erzählt  eine  Frau  in  Däne- 
mark, dass  sie  sich  ihr  schlimmes  Bein  durch  eine  kluge  Frau  habe  lieilen 

1)  a.  a.  0.,  VI,  CXLVIfe. 
•2)  a.  a.  0.,  11,  XLVII. 

3)  vgl.  Bugge.  Stildien  über  die  Entstehung  der  nordischen  Götter-  und  Heldensage, 
S.  305  ff. 

4)  Arnason  isleuzk.  pjödsögur  II,  S.Cüf. 

5)  Sv.  laudsm.  VII,  Heft  2,  S.  4. 


Müller:  KiiKlorreiiiU'  aus  LL'ipzig-  und  Umgehend  199 

lassen,  die  nichts  anderes  gethan  liabe,  als  dass  sie  an  drei  Donnerstagen 
mit  ihrem  Finger  um  die  kranke  Stelle  gestrichen  und  dabei  von  8—1 
gezählt  habe.') 

Sicherlich  finden  sich  auch  in  Norwegen  Sprüche  ähnlicher  Art,  doch 
ist  mir  leider  hier  kein  Material  hierfür  zu  Gebote. 

Heidelberg. 


Kindeneime  aus  Leipzig  und  Umgegeud. 

Von  Kurt  Müller. 

Die  Klage,  «lass  die  Gestaltung  unseres  modernen  Volkslebens,  be- 
sonders die  Entwicklung  der  allem  Alten  feindliehen  sozialistischen  Be- 
strebungen unseren  volkstümlichen  Überlieferungen  und  Erinnerungen  den 
Untergang  bereite,  indem  sie  deren  Vergessen  fördere,  ist  wohlberechtigt, 
wenn  sie  auch  glücklicherweise  etwas  übertreibt.  Eine  Gattung  volks- 
tümlicher Überlieferung  wird  mit  Sicherheit  noch  lange  ihr  altes  dankbares 
Publikum  selbst  in  den  Grossstädten  finden:  die  Reime  und  Spiele  der 
Kimlerwelt.  Die  folgenden  von  mir  in  Leipzig  und  Umgegend  gesammelten 
Liedcheu  mögen  als  ein  Beweis  der  Zähigkeit  gelten,  mit  der  unsere 
grossstädtische  Kinderwelt  altes  Gut  forterbt.^) 

Von  historischen  Reimen  fand  icli  die  folgenden  beiden  verbreitet,  die 
aus  der  Franzoseuzeit  stammend  in  der  Leipziger  Kinderwelt  sich  erhalten 
haben.  Das  sinnlose  „Tanz"  in  dem  Zählspruche  No.  2  für  „Danzig",  wie 
es  anstatt  „Moskau"  in  allen  sonst  verbreiteten,  meist  kürzeren  Varianten 
heisst  (A.  Richter,  Über  deutsche  Kinderreime.  —  Frischbier,  Preussische 
Volksreime  und  Volksspiele,  No.  585.  —  Simrock,  Das  deutsche  Kinder- 
buch, No.  797.  —  Dunger,  Kinderlieder  und  Kinderspiele  aus  dem  Vogt- 
hüKle,  No.  278),  zeugt  allerdings  für  ein  Schwinden  des  Verständnisses. 

1.    In  Connewitz 
Da  hat's  geblitzt, 

Da  hab'n  die  Jud'n  (Franzosen,  Soldaten)  Blut  geschwitzt. 
Da  hatten  sie  sich  ein  Haus  gebaut 
Von  Leberwurst  und  Sauerkraut,  ■ 
Da  ist  es  wieder  eingekracht, 
Da  haben  sie  sich  halbtot  gelacht. 


1)  Dania  II,  S.  •224. 

^)  [Diese  Leipziger  Reime    zeigen    sehr  deutlieh  eiue  ganz  andere  Physioguumie  als 
die  aus  kleinen  Stlldtoii  und  vun  abgelegeneu  Dörfern.] 


200  Müller: 

2.  Eins,  zwei  u.  s.  w.  zwanzig.  Rannten  sie  nach  Prankreich  zu. 

Die  Pjanzosen  hatten  einen  Tanz,  In  Frankreich  war  ein  wildes  Schwein, 

Der  Tanz  fing  an  zu  brennen.  Das  biss  den  Hauptmann  in  das  Bein, 

Die  Franzosen  mussten  rennen.  Der  Hauptmann  schrie:  „Oweh!  o  weh! 

Ohne  Sti-ümpf  und  ohne  Schuh  .Mir  thut  mein  linkes  Bein  so  wehl" 

Ein  kleines  Kabinetstück  der  Gattung  Lügeulied,  Lügenmärchen')  ist 
ohne  Zweifel  das  folgende: 

3.  Eine  Kuh  die  sass  im  Schwalbennest       Der  Esel  zog  Pantoffeln  an, 
mit  sieben  jungen  Ziegen.  ist  über's  Haus  geflogen, 

die  feierten  ihr  Jubelfest  und  wenn  das  nicht  die  Wahrheit  ist, 

und  tingen  an  zu  fliegen.  so  ist  es  doch  gelogen. 

Diese  Passung  berührt  sich  eng  mit  einem  von  Simrock  (Deutsches 
Kinderbuch,  No.  469)  mitgeteilten  Lügenliede. 

Einen  Beleg  für  die  einst  beliebten  Kettenreime  ^),  in  dem  die  Spannung 
der  Hörer  durch  die  Führung  von  aussen  nach  innen  immer  lebhafter 
erregt  wird,  bietet  ein  Zählsprucli: 

4.    Ein  Mann  hatte  einen  Garten, 
in  dem  Garten  stand  ein  Baum, 
auf  dem  Baume  war  ein  Nest, 
in  dem  Xeste  w-ar  ein  Ei, 
in  dem  Ei  war  ein  Dotter, 
in  dem  Dotter  war  eine  Laus. 
A  Es  U 
Raus  bist  du! 

vgl.  Dunger,  327.  —  Wegeuer,  volkstümliche  Lieder  aus  Norddeutschland. 
No.  169. 

Mit  wenig  Woi-ten.  aber  derbem  Humor  wird  uns  erzählt: 

5.    Ich  lag  einmal  auf  Latten  bei  Wasser  und  bei  Brot, 

Mein  Leib  war  wie  ein  Schatten,  mein  A  .  .  .  war  feuerrot. 

6.    Schott,  wie  de  wott,  was  macht  der  Schneider? 
,,        „      „      ,      er  hat  gestohln. 
„         „      „      „      er  hängt  am  Galgen. 
„         „      „      „      er  wackelt  schon, 
vgl.  Dunger  No.  153. 

Harmloserer  Humor  kommt  zum  Ausckuck  in  den  folgenden  Ge- 
schichtchen: 

7.    Das  Häslein  sitzt  im  grünen  Grand 
und  geigt  sich  schier  die  Finger  wund. 
Dideldum,  dideldei! 
Wer  tanzen  will,  komm  schnell  herbei! 


1)  Alte   Proben    in    \V.  Wackernagels    .41tdentschem  Lesebuch,    5.  Auflage,    S.  1150. 
Meisterlieder  der  Kolmarer  Handseluift  herausg.  von  Bartsch.  No.  CXLII. 

2)  Alte  Kettemreime  bei  W.  Wackemagel,   Altdeutsches  Losebuch,  S.  1147  5.   (Aufl.) 


Kinderreime  aus  Leipzig:  und  Umgegend. 


201 


8.  Auf  einem  hohen  Berge, 

Da  zankten  sich  zwei  Zwerge 
Um  einen  halben  Kloss, 
Da  ging  der  Teufel  los. 
vgl.  Dunger  No.  326. 

9.  Auf  einem  Berge 
Da  steht  ene  Kerche. 
Die  zerruppen  zwee  Zwerge. 
Herr  Gott,  ist  das  ä  Gewtärge 


Da  unten  in  dem  Thale, 
Da  giebt  es  Freuden  viel, 
Da  zankten  sich  zwei  Zwerge 
Um  einen  Birnenstiel. 


11. 


10.    Eine  kleine  Fettmadame 
wollte  zwei  Karnickel  han. 
Zwei  Rarnickel  gab  es  nicht, 
Fettmadame  druckte  sich, 
vgl.  Dunger  No.  312. 

In  Badewaug,  in  Badewang 
Da  baden  sich  die  G<änse, 
Da  tritt  der  kleine  Hahn  herein 
Und  haut  sie  auf  die  Schwänze. 


Bedeutend  derber  sind: 
12.    Auf  dem  Berge  Sinai 

wohnt  der  Schneider  Kikriki, 
knöppt'r  seine  Hosen  auf, 
huppt  ein  grosser  Floh  heraus. 
Seine  Frau,  die  alte  Lerche, 
Hess  e  Förzchen  in  der  Kerche, 


oder: 
13. 


Auf  dem  Berge  Sinai 
sass  der  Schneider  Kikeriki. 
Seine  Frau,  die  alte  Beere, 
sass  auf  dem  Balkon  und  nähte. 


auf  dei'  grossen,  langen  Bank 
war  e  grosser  Forzgestank. 
Kam  der  Pastor  hergesprungen: 
„Frau,  Sie  hab'n  falsch  gesungen.'* 
Und  der  Kutscher  auf  dem  Bock 
schiss  vor  Angst  gleich  in  den  Rock. 

Sie  liel  herab,  sie  fiel  herab, 
und  ihr  linkes  Bein  fiel  ah. 
Da  kam  der  Doktor  Tellermann 
und  klebte  es  mit  Spucke  an. 


14.  In  der  bim,  bam,  bolschen  Kirche  (Küche) 
Geht  es  bim,  bam,  bolisch  zu, 

Tanzt  der  bim,  bam,  bolsche  Ochse 
Mit  der  bim,  bam,  bolschen  Kuh. 
Und  die  bim,  bam,  bolsche  Mutter 
Kocht  den  bim,  bam,  bolschen  Brei, 
Und  die  bim,  bam,  bolschen  Kinder 
Greifen  mit  den  Fingern  nein, 
vgl.  Wegener  No.  622. 

15.  Auf  der  Klaffenbacher  Schenk 

Hat  der  Schwammbmami  sich  erhängt. 

Warum  hat  er  sich  erhängt? 

Weil  sei  Schwamm  nicht  Feuer  fängt 

16.    Gemütlich  fährt  sichs  heute 

auf  der  Pferdebahn:  17. 

das  eine  Pferd,  das  zieht  nich, 

das  andre  das  ist  lahm, 

der  Kutscher  der  ist  bucklich, 

der  Kondukteur  ist  dumm, 

und  alle  fünf  Minuten 

da  kracht  die  Karre  um. 

:^eitsdir.  il.  Vul■eiu^  1.   VolkikliMcle.     ISJi. 


(Chemnitz.) 


Max  und  Moritz  ging'n  emal 
durch  das  grüne  Rosenthal, 
kamen  vor  en  kleinen  Laden: 
„Für  eu  Dreier  Käsemaden!" 
„Käsemaden  giebt  es  nicht." 
Max  und  Moritz  drückten  sich. 

14 


202 


Müller: 


18.    Ich  sollt  meiner  Mutter  eine  Stecknadel  holen- 
Das  that  ich  nicht. 
Da  haut  sie  mich.  • 
Da  huppt'  ich  in  die  Höh'. 
Das  that  nicht  weh. 


19.    Bimmelingling,  die  Schul  ist  aus. 

Da  huppt  der  Floh  zum  Fenster  raus. 

Huppt  er  of  n  Pflastersteen, 

Bricht  er  sich  sei  Nasenbeen. 

Huppt  er  of  die  Brücke. 

Da  bricht  er  sei  Genicke, 

Da  huppt  er  in  den  Dreck, 

Sieh!  da  war  er  weg! 
vgl.  Dunger  No.  144. 


20.  Bei  Müllers  (Bäikers)  um  die  Ecke 
Da  lag  ein  grosser  Stein. 
Da  fiel  ich  drüber  wege 
und  brach  das  Nasenbein. 
Da  ging  ich  zu  dem  Doktor. 
Das  Luder  war  nicht  heem. 
Da  sass  er  in  der  Schenke 
Und  kam  besotfen  heem. 


21.    Unsre  Katz  hat  Junge, 
sieben  an  der  Zahl, 
sechs  davon  sind  Kater. 
Das  ist  ganz  egal. 


22. 


Beim  Pingerspiel  wird  gesagt: 
Zwei  Mädchen   wollten  Wasser  holn. 
zwei  Knaben  wollten  plumpen, 
da  guckt  der  Herr  zum  Fenster  'raus 
und  sagt:  „Ihr  seid  ja  Lumpen. *- 


Da  kroch  er  wieder  rein, 
da  guckten  sie  alle  nein. 
Da  kroch  er  wieder  raus, 
da  riss'n  sie  alle  aus. 


Die  folgenden  längeren  Texte  werden  meist  gesungen,  No.  28,  29  als 
Spiellieder.  Es  sind  keine  Kinderreime,  sondern  aus  Kindermund  auf- 
gezeichnete, meist  entstellte  Volkslieder. 

23.    Ein  Bauer  fuhr  ins  Heu,   Heisa  Viktoria,  ein  Bauer  fuhr  ins  Heu. 

Der  Bauer  nahm  sich  ein  Weib,  u.  s.  w. 

Das  Weib  nahm  sich  ein  Kind,  u.  s.  w. 

Das  Rind  nahm  sich  eine  Muhme. 

Die  Muhme  nahm  sich  ein'n  Knecht. 

Da  schied  der  Bauer  vom  W^eib. 

Da  schied  das  Kind  von  der  Muhme. 

Da  schied  die  Muhme  vom  Knecht. 

Da  stand  der  Knecht  allein. 
Vgl.  Erk-Böhme.  Liederhort.  No.  987. 


24.  Es  war  einmal  ein  Mann,  es  war  ein- 
mal ein  Mann,  es  wai'  einmal  ein 
Mi.  Ma,  Mausemann. 

Er  hatte  eine  Maus.  u.  s.  w. 

Was  macht  er  mit  der  Maus/  ii.  s.  w. 

Er  zog  ihr  ab  (his  Fell. 

Was  macht'  er  mit  dem  Fell.^ 

Er  flickte  sich  ein'n  Sack. 

Was  macht'  er  mit  dem  Sack? 


Er  that  hinein  sein  Geld. 
Was  macht  er  mit  dem  Geld'/ 
Er  kaufte  sich  ein'n  Bock. 
Was  macht'  er  mit  dem  Bock? 
Da  ritt  er  in  den  Krieg. 
Er  schlug  sie  alle  tot. 
Was  macht"  er  mit  den  Toten? 
Er  scharrt'  sie  unter'n  Sand. 
Er  klitscht'ii  an  die  Wand. 


Kinderreime  aus  J.eipzig  und  Umgegend.  203 

25.    Es  war  einmal  ein  Mann,  es  war  einmal  Da  niusst  er  in  den  Krieg, 

ein  Ledermann,  si  sa  Lederniann  U.S.  w.  Da  witrd'  er  totgeschossen. 

Der  Mann  nahm  sich  ein   Weih.  Da  brachten  sie  ihn  rein. 

Da.s   Weib  nahm  sich  ein'n  Sohn.  Da  ruht  der  liebe  Sohn. 

Der  Sohn  musst'  in  die  Schul.  Da  stand  er  wieder  auf. 

Da  lernt'  er's  ABO.  Da  freuten  sie  sich  all. 

[No.  24.  25  sind  verscliiedeiR'  Formen  desselben  Liedes,  gesungen 
nach  der  Melodie  „Was  kommt  dort  von  der  Höh.''  Die  frühste  Spur 
dieses  studentischen  Fuclisliedes  ist  in  Holbergs  Jeppe  am  Berge  (1722) 
gefunden.  \vn  das  Lied  beginnt:  In  Leipsig  war  en  Mand.  In  Leipsig  war 
en  laederen  Mand,  Li  Leipsig  war  en  Mand.  (Kommersbuch,  herausgegeben 
von  M.  Priedländer.  No.  154.)] 

2(i.    ^Madam,  Madam,  zu  Hause  solfn  Sie  koramenl 
Ihr  Mann,  der  ist  ja  krank." 
„Ist  er  krank,  so  ist  er  krank, 
haut  ihn  auf  die  Ofenbank! 
Ich  komme  nicht,  ich  komme  nicht." 

„Madam,  Madam,  zu  Hause  solfn  Sie  kommen! 
Ihr  Mann,  der  ist  ja  tot." 
„Ist  er  tot,  so  ist  er  tot, 
Ist  er  doch  aus  seiner  Not. 
Ich  komme  nicht,  ich  komme  nicht." 

„Madam,  Madam,  zu  Hause  soll'n  Sie  kommen! 
Die  Träger  sind  im  Haus." 
„Sind  sie  im  Haus,  so  sind  sie  im  Haus, 
hamt  sie  mit  dem  Besen  naus! 
Ich  komme  nicht,  ich  komme  nicht." 

|Vgl.   Erk-Böhine.  Liederhort.  No.  910"— 910-^.] 

27.    Es  war  einmal  eine  Jüdin,  ein  wunderschönes  Weib, 
sie  hatte  eine  Tochter,  zum  Tode  war  sie  bereit. 

,..\ch  Mutter,  hebste  Mutter,  mir  thu(  mein  Kopf  so  weh, 
lass  mich  ein  kleines  Weilchen  spazieren  gehn  an  den  See!" 

„Ach  Tochter,  liebste  Tochter,  allein  kannst  du  nicht  gehn. 
nimm  deinen  jüngsten  Bruder,  dei'  kann  ja  mit  dir  gehn!" 

,Lass  mich,  lass  mich  o  Mutter,  das  ist  ja  nur  ein  Kind, 
der  sieht  nach  allen  Vöglein,  die  in  dem  Walde  siud. 

Ach  Mutter.  Hebste  Mutter,  mir  thut  mein  Kopf  so  weh!" 
Die  Mutter  legt'  sich  schlafen,  die  Tochter  ging  an  den  See. 

Sie  ging  solang'  spazieren,  bis  sie  den  Fischer  fand. 


„Ach  Fischer,  liebster  Herr  Fischei'.  was  machen  Sie  hier  so  früh?" 
„Ich  such'  den  verlornen  Prinzen,  der  hier  ertrunken  ist." 

Was  zog  sie  von  dem  Fingery     Ein  n  King  von  echtem  Gold. 

„Das  nehmen  Sie.  lieber  Heri'  Fischer,  und  kaufen  den  Kindern  Brot!" 

14* 


204  Müller:  Kinderreime  aus  Leipziff  und  Umgegend. 

Was  nahm  sie  von  dem  Halse?     Ein  gold'nes  Kettelein. 

„Das  nehmen  Sie.  jieber  HeiT  Fischer,  das  soll  Ihr  Denkmal  sein!" 

Dann  sprang  sie  über  die  Mauer  hinab  in  den  tiefen  See. 

„Leben  Sie  wohl,  leben  Sie  wohl,  Herr  Fischer!    Wir  sehn  uns  nimmermehr. " 

(Tgl.  Erk-Böhme.  Liederhort,  No.  98»— 98".] 

28.    Es  wohnt  ein  Kaiser  an  dem  Rhein, 
der  hat  drei  schöne  Töchterlein. 
Die  erste  wollf  die  reichste  sein, 
die  zweite  ging  ins  Kloster  ein, 
die  dritte  in's  französche  Land, 
da  war  sie  fremd  und  unbekannt. 
Bei  einer  Wirtin  klopft  sie  an. 
da  ward  die  Thür  ihr  aufgethan. 
,Wer  steht  da  draussen  vor  der  Thür?" 
„Eine  arme  Dienstmagd  steht  hier  für." 
„So  eine  Dienstmagd  mag  ich  nicht. 
die  mir  des  Nachts  vor  den  Thüi'en  liegt." 
Sie  nahm  sie  auf  ein  halbes  Jahr, 
sie  aber  diente  sieben  Jahi-. 
Da  ward  das  Mädchen  krank  und  schwach. 
Frau  Wirtin  bringt  ein  Gläschen  Wein 
und  fragt,  wer  ihre  Eltern  sein. 
„Mein  Vater  ist  Kaiser  an  dem  Rhein, 
und  ich  bin  Kaisers  Töchterlein." 
„Das  hätt'st  Du  eher  sollen  sagen, 
gestickte  Kleider  sollst  Du  tragen. - 
„Gpstickte  Kleider  brauch'  ich  nichj, 
nach  meiner  Heimat  sehn'  ich  mich." 
ünd  als  sie  nun  gestorben  war, 
drei  Lilien  wuchsen  auf  ihrem  Grab, 
darunter  (darinnen)  stand  geschrieben: 
„Bei  Gott  ist  sie  geblieben." 
[Vgl.  Erk-Böhme,  Liederhort.  No.  182"— 182".] 

29.    Mariechen  sass  auf  einem  Stein,  einem  Stein,  einem  Stein. 
Da  kämmte  sie  ihr  goldnes  Haar,  u.  s.  w.  (Wiederh.) 
Und  als  sie  damit  fertig  war,  (Wiederh.) 

Da  kam  ihr  Bruder  Heinerich,  u.  s.  w.  (Var. :  der  alte  Heinerich) 
Was  zog  er  aus  der  Tasche? 
Ein  grosses,  scharfes  Messer. 
Er  stachs  der  Maria  in  die  Bi'ust. 
Da  kamen  ihre  Eltern  "rein. 
„Wo  ist  denn  unser  Engelein? 
Es  liegt  schon  längst  im  Grabe. 
Da  stand  es  wieder  fröhlich  auf. 
Var.  zu  V.  9;  „Maria,  warum  weinest  Du?  gesprochen:  weil  ich  sterben  muss, 
vgl.  Wegener,  No.  673. 

[Eine    entstellte    Form    der  Ballade  vom  Ritter  Ulrich:    Erk-Böhme, 
No.  42-^- 42^] 


Weinhulfl:  Die  WidderprozessioD  vnn  Viralen  und  Prägratten.  205 

Die  Widderprozession  von  Virgen  und  Prägratten 
nach  Lavant  im  Pusterthal. 

Von  Karl  Weinhold. 

lu  dem  Burggräfler,  dem  iu  Meraii  erscheineuden  klerikalen  Blatte, 
vom  14.  April  1894  (No.  30)  findet  sich  ein  Bericht  über  die  sogenannte 
Widderprozession,  die  von  den  Gemeinden  Virgen  und  Prägratten  im 
Virgenthal  (hinter  Windischmatrei)  in  der  Osterwoche  zu  der  Wallfahrts- 
kirche S.  Mariae  über  Lavant  bei  Lienz  im  Pusterthale  alljährig  gehalten 
wird.     Wir  entnehmen  dem  Artikel  folgendes  Thatsächliche. 

In  Virgen  und  Prägratten  v?ütete  vor  langen  Jahren  eine  Seuche,  die 
viel  Opfer  forderte.  Da  verlobten  sie  sich  endlich,  alle  Jahre  einen  schönen 
Widder  am  Gnadeiiorte  zu  Lavant  zu  opfern.  Darauf  wurden  sie  von  der 
Seuche  befreit.  Al.s  sie  aber  einmal  das  Opfer  unterliessen,  brach  die 
pestartige  Krankheit  sofort  wieder  aus  und  wich  erst  nach  Erneuung  des 
Gelöbnisses.  So  wird  seitdem  regelmässig  das  Opfer  feierlich  dargebracht. 
Der  Widder  wird  ein  Jalir  vorher  ausgewählt  und  sorgsam  gepflegt.  Er 
wird  nicht  geschoren,  hat  Zutritt  zu  allen  Häusern,  wo  er  mit  dem  besten 
gefüttert  wird  u.  s.  w. 

Am  Freitag  nach  Ostern  bricht  nun  die  Prozession  der  weiten  Ent- 
fernung halber  schon  früh  morgens  um  2  Uhr  auf,  hinter  der  Fahne 
schreitet  der  Widder.  Gegen  Mittag  erst  langt  man  in  Lienz  an,  wo  das 
Tier  in  der  Stadt  umhergeführt  und  in  verschiedenen  Häusern  mit  allerlei 
Zierraten  geschmückt  wird.  Um  3  Uhr  geht  die  Wallfahrt  weiter  über 
die  Tristacher  Pfarrkirche  nach  Lavant.  Dort  erwartet  ein  Wäglein  das 
Tier,  das  den  Berg  zur  Gnadenkirche  hinauf  gefahren  wird.  Der  feierliche 
Einzug  in  diese  schliesst  den  ersten  Tag.  Am  zweiten  füllt  sich  die  Kirche 
schon  um  vier  Uhr  früh  mit  Wallfahrern,  die  beichten  und  kommunizieren 
wollen.  Zwanzig  Stunden  weit,  aus  Tirol  und  Kärnten,  strömt  das  Volk 
zusammen.  Während  der  Predigt  steht  der  Widder  mitten  in  der  Kirche 
unter  der  Kanzel. 

Nachmittags  wird  er  versteigert,  und  der  Kaufpreis  ist  das  Opfer,  das 
die  Gemeinden  der  Wallfahrtskirche  bringen.  Das  gewöhnliche  Ende  des 
Opfertieres  ist,  dass  es  als  Best  ausgeschoben  wird. 

Laut  Urkunde  des  Pabstes  Innocenz  VHL  voni  7.  Juni  1491  ist  die 
Wallfahrtkirche  auf  dem  Hügel  bei  Lavant  von  Pabst  Leo  TV.  im  J.  850 
persönlich  geweiht  und  mit  vielen  Ablässen  ausgestattet  worden.  Dies, 
sowie  die  Gründung  der  Wallfahrt  dm-ch  ein  von  Hirten  gefundenes  Marien- 
bild') sind  für  uns  hier  Nebensachen. 

1)  J.  Zingerle,  Sagen  aus  Th-ol,  2.  A.,  No.  897. 


206  WeiiihoM : 

In  der  Lavanter  Widderprozessioii  haben  wir  eine  uralte,  vorchristliche 
Culthandlung  zu  erkennen,  die  von  der  Kirche  bei  den  Bekehrten  zunächst 
geduldet  und  dann  unter  die  landschaftlichen  oder  örtlichen  Feierlichkeiten 
aufgenommen  worden  ist. 

Es  ist  eine  Siihnprozessiou,  der  Gottheit  gebracht  für  Befreiung  von 
einer  Seuche:  das  Sühnopfer  ist  ein  Widder.  Unterbleibt  das  Opfer,  so 
sendet  der  erzürnte  iiott  die  Krankheit  wieder.  Vergleichungen  mit  antiken 
Gebräuchen  werden  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  bevreisen. 

Hermes  hatte  den  Beinamen  des  Widderträgers,  des  xoiotpÖQo^ ,  weil 
er  der  Sage  nach  die  Stadt  Tanagra  durch  Umtragung  eines  Widders  von 
der  Pest  befreit  hatte.  Bei  seinem  Feste  wiederholte  der  schönste  mann- 
bare Jüngling  die  That  des  Gottes,  indem  er  mit  dem  Widder  auf  der 
Schulter  die  Stadt  umschreiten  niusste  (Preller,  (triech.  Mythol.  1.  307). 
Der  Widder  ist  das  Symbol  der  befruchtenden  Regenwolke  in  den  griecliischen 
Mythen,  und  erscheint  auch  als  uraltes  Sinnbild  des  Zeus  jueiMxio^,  des 
gnädigen.  In  dem  Sühnfeste  von  Tanagra  ist  die  Erinnerung  bewahrt, 
deass  Hermes  durch  Sendung  des  reinigenden  Regens  die  schwüle  Seuche 
gebannt  hatte.  Um  solchen  erqnickenden  und  reinigenden  Regen  ging 
auch  die  Prozession  aus  der  Stadt  Demetrias  auf  den  obersten  Gipfel  des 
Pelion  zu  dem  Heiiigtume  des  Bergzeus,  des  Zevs  axQniog.  Wenn  der 
Hundsstern  aufging,  also  beim  Beginn  des  heissesten  Sommers,  stiegen  die 
Jünglinge  von  Demetrias,  mit  frischen  und  recht  zottigen  Widderteilen 
bekleiilet  (Dikiearch  bei  Müller  Fragm.  bist,  grapc.  II,  262)  auf  den  Berg- 
gipfel und  beteten  zum  Gotte  (Preller  ],  112).  Das  war  allgemeiner 
Bi'auch,  das  Flies  eines  dem  Zeus  geopferten  Widders  (J«k  y.o'jdtov)  um- 
zunehmen oder  sich  darauf  zn  stellen,  wenn  man  ihn  um  Regen  und 
Kühlung  anflehte  (Preller  1,  94,  2,  312). 

Auch  iu  der  ältesten  indischen  Mythologie  hat  der  Widder  dieselbe 
Bedeutung  als  in  der  griechischen.  Indra,  der  Gewitter-  und  Regengott. 
wird  in  den  Hymnen  des  Rigveda  als  Widder  vorgestellt,  ein  Bild  des 
wolkigen,  fruchtbaren  Himmels  (Gubernatis.  Die  Tiere  in  der  indogerman. 
Mythologie,  313.  337). 

Wenn  sich  aus  dem  Mitgeteilten  ergiebt,  dass  b(!i  indogermanischen 
Völkern  in  alten  Zeiten  Sühnprozessionen  auf  heilige  Berge  üblich  waren, 
bei  denen  der  Widder  eine  symbolische  Bedeutung  hatte,  so  müssen  wir 
mm  fragen,  da  Inder  und  Griechen  niemals  im  oberen  Drauthale  und 
seinen  Nebenthälern  gewohnt  haben,  welchen  nationalen  Untergrund  hat 
die  Lavanter  Wallfahrt  mit  dem  Widder? 

Heute  ist  jene  Gegend  ganz  deutsch,  aber  den  Deutsclien  bayerischen 
Stammes  sind  die  Karantaner  Slaven  vorangegangen  und  diesen  Noriker 
oder  nach  anderer  Meinung  illyrische  Veneter.  Bis  in  die  zweite  Hälfte 
des  6.  Jahrh.  n.  Chr.  sassen  in  Kärnten  noch  keine  Slaven:  dann  aber 
brachen  diese  von  Osten  herein  und  drängten  das  Drauthal  hinauf  bis  auf 


l)ie  Widderprozpssion  von  Virjjen  mid  Präaratten  nach  Lavant  im  Pnsterthal.         207 

die  Wasserscheide  zwischeu  schwarzem  'und  adriatischem  Meere.  Die 
Bayernherzöge  Thassilo  I.  und  sein  Sohn  Garibald  haben  in  harten  Kämpfen 
595  und  um  610  bei  Innichen  (Agunta)  und  auf  dem  Toblacher  Hochfelde 
den  Slaven  blutige  Marksteine  gesetzt,  und  tou  hier  aus  ist  dann  später 
das  Christentum  und  allmählich  auch  deutsche  Sprache  das  Drauthal  hinab 
vorgedrungen.  Im  9.  Jahrii..  wohin  die  päbstliche  Weihe  des  Bergkirchleins 
von  Lavant  gesetzt  wird,  war  jene  Gegend  slavisch,  noch  im  10.  Jahrh. 
hiess  sie  das  Slaveuland,  imd  laugsam  erst  hat  sich  hier  die  windische 
Sprache  verloren.  Sie  haftet  noch  jetzt  iu  Teilen  des  dem  oberen  Drau- 
thal parallelen  Gailthales. 

Für  slavisch  -  heidnischen  Ursprunges  halte  ich  daher  die  Widder- 
prozession und  führe  zur  Stütze  dieser  Annahme  verwandte  südslavische 
Bergwallfahrten  an. 

In  Bosnien  giebt  es  eine  Anzahl  von  Bergen,  auf  welche  katholische 
wie  mohamedanische  Bosniaken  bei  grosser  Trockenheit  wallfahrten,  um 
Regen  zu  erflehen,  so  die  Cardakplaniua  bei  Travnik,  ein  Berg  bei  Janjice, 
der  Eliasberg  bei  Srbrnik,  in  der  Herzegovina  der  Hum  bei  Mostar.  Auch 
in  Slavonien  wird  auf  mehrere  Berge  mit  Kapellen  in  dürrer  Zeit  gezogen, 
um  Regen  zu  erbitten.  Den  Widder  finden  wir  bei  der  Georgsprozession 
zu  einer  steilen  Höhe  hinter  dem  Franziskanerkloster  von  Sutjeska  iu 
Bosnien,  die  von  den  vermummten  Laudieuten  gehalten  wird.  In  der 
grössten  der  drei  Berghöhlen  wird  ein  Hammel  gebraten  und  unter  Gesaug 
und  Tanz  verschmaust.  ^) 

Auch  bei  den  Winden  in  Steiermark  und  Kärnten  finden  wir  mit  be- 
sonderer Vorliebe  die  Berggipfel  mit  Ka])ellen  und  Kircheu  gekrönt.  Gleich 
von  den  windischen  Büheln,  au  denen  die  Grenze  des  deutschen  und 
slavischen  Sprachgebietes  in  Steiermark  läuft,  winken  sie  hinunter  in  den 
üppigen  Thalboden.  Und  sie  stehen  nicht  einsam  und  öde:  das  Volk 
kommt  an  den  Festtagen  zu  ihnen  herauf,  seine  Andacht  zu  verrichten. 
Mir    ist    ein  Himmelfahrtstag  an   einer  dieser  Kirchen  fest  im  Gedächtnis. 

Ebenso  ist  es  auch  in  Kärnten.  Überall  sind  die  Berge  mit  Kirchlein 
geschmückt:  so  die  vier  höchsten  Berge  des  Glanthales,  der  Helenen-, 
Veit-,  Laurenz-  und  Ülrichsberg,  zu  denen  das  unterkärntische  Volk  seit 
undenklichen  Zeiten  am  Dreinageltage  (d  i.  dem  zweiten  Freitage  nach 
Ostern)  wallfahrtet.  Der  Gottesdienst  beginnt  um  Mitternacht  in  dem 
Helenenkirchleiu,  und  von  da  zieht  sich  die  fromme  Bergfahrt  bei  Kien- 
fackellicht nach  dem  Ulrichsberge,  dem  Veitsberge  und  zuletzt  zum  Lorenz- 
berge. Sie  dauert  24  Stunden,  und  gar  mancher  der  „Vierberger"  hat  mit 
Krankheit  uud  Tod  die  übermässige  Anstrengung  bezahlt,  wie  schon  Me- 
giser    vor    mehr    als   280  Jahren    in    seineii  Annales  Carinthias    berichtete. 


1)  V.  Andrian,    Der   Höhenkultus    asiatischer    uud    europäischer  Völker.    Wien  1891. 
S.  343.  34f!.  3R7,  nach  Mitteilungen,  die  Dr.  Fr.  S.  Krauss  gemacht  hat. 


208  Stiefel: 

Der  Sage  nach  liat  diese  Vierbergfahrt  ihren  Ursprung  bei  einer  Hungersnot 
gehabt,  die  infolge  grosser  Dürre  eintrat.*) 

Wir  dürfen  diese  kärntische  Bergprozession  mit  der  Pusterthaler  ver- 
gleichen. Sie  ist  wegen  grosser  Dürre  gestiftet,  die  Lavanter  wegen  einer 
Seuche,  Landplagen,  die  wie  die  Hermes-  und  Zeusprozessioneu  zeigen, 
im  selben  Grunde  wurzeln,  und  durch  reinigenden  Regen  gebannt  werden. 
In  Lavant  ist  das  Opfer  bis  jetzt  erhalten,  im  Grlanthal  ist  es  mit  der  Zeit 
verschwunden.  Die  Zeit  der  Wallfahrt  ist  die  gleiche,  die  Osterzeit,  der 
beginnende  Lenz,  in  dem  der  über  das  Gedeihen  alles  Lebens  waltenden 
Gottheit  Bitt-  und  Dankopfer  auf  den  Berghöhen  gebracht  wurden,  auf 
denen  man  sie  in   den  segenbringenden  Wolken  vorzüglich  weilend  dachte. 

Die  Widderprozession  der  Virgenthaler  nach  der  Lavanter  Bergkirche 
ist  also  ursprünglich  keine  katholische  Wallfahrt,  sondern  ist  vorchristlichen 
religiösen  Ursprunges.  Die  Kirclie  Hess  sie  bestehen  wegen  ihrer  frommen 
Meinung. 


Kleine  Mitteilungen. 


Ein  Eulenspiegelstreich  aus  Franken. 

Vor  vielen  Jahren  hörte  ich  an  den  Ufern  der  fränkischen  Saale  eine  Eulen- 
spiegelgeschichte erzählen,  die  ziemlich  unbekannt  zu  sein  scheint  und  eine  Nach- 
erzählung- wohl  verdienen  dürfte.     Ich  gebe  sie  hier: 

Eulenspiegel  ging  einmal  nach  einer  Stadt,  woselbst  ein  Viehmarkt  stattfinden 
sollte.  Er  führte  am  Sti-icke  eine  Ziege,  die  er  dort  zu  verkaufen  beabsichtigte. 
Unterwegs  holten  ihn  Bauern  ein,  die  ihn  anredeten  und  fragten,  wohin  er  ginge 
und  was  er  vorhabe.  Eulenspiegel  versetzte:  „Ich  gehe  zum  Viehmarkt,  um  dort 
meine  Kuh  zu  verkaufen."  „Eure  KuhV"  riefen  die  Bauern,  „wo  habt  ihr  die?" 
„Hier",  sagte  der  Schalk  und  deutete  auf  die  Ziege.  Die  Bauern  lachten.  „Eine 
schöne  Kuh  das",  sagte  der  eine,  „die  meckert  ja!"  „Seid  ihr  verrückt",  rief  ein 
anderer,  „dass  ihr  eine  Geiss  für  eine  Kuh  ausgebt!"  „Na",  meinte  ein  dritter, 
„eine  Kuh  ist  es  wohl,  aber  eine  Bartkuh."  „Was  kostet  das  Tierlein?"  fragten 
endlich  die  Bauern.  „Hundert  Thaler",  sagte  Eulenspiegel.  „Hundert  Thaler", 
riefen  die  Bauern,  wie  aus  einem  Munde,  „Mensch,  wo  denkt  ihr  hin?  Das  Vieh 
ist  mit  4  Thalern  gut  bezahlt."  Eulenspiegel  versetzte  ruhig:  „Wo  hörte  man  je, 
dass  eine  Kuh  um  4  Thaler  verkauft  ward?  Meine  Kuh  ist  100  Thaler  wert,  und 
ich  gebe  sie  nicht  um  99^4  her."  „Lasst  ihn  gehen!"  rief  ein  Bauer,  „der  Kerl 
gehört  ins  Narrenhaus:  solchen  Leuten  geht  man  am  besten  aus  dem  Wege!" 
Die  Bauern  entfernten  sich  lachend,  aber  Eulenspiegel  rief  ihnen  nach:  „Wartet 
nur,    ihr  Saubauern,    ihr  selbst  sollt  mir  die  100  Thaler  dafür  geben!"     Auf  dem 


1)  Frz.  Francisci,  Kulturstudien  über  Volksleben  in  Käruteu.    Wieu  1»79.    S.  44— 4S 


Kleine  Mittoiliingpii.  209 

Markte  angekommen,  bot  Eulenspiegel  seine  „Kuh"  zum  Verkauf  aus,  und  ähnliche 
Auftritte  wie  der  obige  wiederholten  sieh.  Endlich  schlug  er  sie  für  4  Thaler  los. 
Sogleich  ging  er  zu  einem  Hutmacher  und  kaufte  sich  für  einen  Thaler  einen 
neuen  Hut.  Dann  begab  er  sich  in  drei  Wirtshäuser,  wo  die  Bauern  einzukehren 
pflegten,  bestellte  sich  in  jedem  ein  Mittagessen  für  einen  Thaler.  bezahlte  im 
voraus,  und  nachdem  er  noch  mit  den  Wirten  verabredet  hatte,  dass  er  zum 
Zeichen  der  Vorausbezahlung  nur  nach  seinem  Hute  greifen  würde,  sobald  er  das 
Mahl  verzehrt  habe,  ging  er  fort  und  wartete  ruhig  die  Essenszeit  ab.  Endlich 
schlug  die  Stunde,  und  Eulenspiegel  kam  zu  dem  ersten  Wirt.  Die  Stube  war 
gefüllt  mit  Bauern.  Der  Schalk  hatte  seinen  eigenen  feingedeckten  Tisch  und  Hess 
sich  auftragen  wie  ein  Fürst.  Die  Bauern  machten  grosse  Augen,  den  schlecht- 
gekleideten Gast  so  fein  essen  zu  sehen.  _Was  wird  der  zu  zahlen  haben!"  riefen 
sie  bei  jedem  neuen  köstlichen  Gericht,  das  aufgetragen  wurde.  Endlich  ist  Eulen- 
spiegel fertig,  er  steht  auf.  greift  nach  dem  Hute  und  ruft  laut  durch  die  Stube 
dem  Wirte  zu: 

„Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut!" 
Hierauf  sagt  der  Wirt: 

„Ja,  ja,  es  ist  schon  gut!" 
Die  Bauern  sind  verblüfft,  und  als  Eulenspiegel  das  Wirtshaus  verlassen, 
folgen  ihm  viele  auf  die  Strasse,  um  ihn  über  das  seltsame  Essen  zu  befragen. 
Aber  Eulenspiegel  trat  schnell  in  das  zweite  Wirtshaus.  Die  Bauern  kamen  nach 
und  sahen  wie  der  Schalk,  als  ob  er  noch  ganz  nüchtern  wäre,  sich  ein  zweites, 
nicht  minder  köstliches  Essen  auftragen  Hess.  Auch  hier  erhebt  er  sich  zuletzt, 
greift  nach  dem  Hute  und  ruft  laut: 

„Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut!" 
Und  der  Wirt  erwiderte: 

„Ja,  ja,  es  ist  schon  gut!" 
Die  Bauern    wissen    nicht,    was   sie   von  der  Sache  denken  sollen  und  folgen 
Eulenspiegel  in  das  dritte  Wirtshaus,  wo  der  Unersättliche  ein  neues  vortreffliches 
Mahl  zu  sich  nimmt.     Auch  hier  ruft  er  schliesslich: 

„Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut!" 
Worauf  der  Wirt  bemerkt: 

„Ja,  ja.  es  ist  schon  gut!" 

Als  Eulenspiegel  das  dritte  Wirtshaus  verlassen,  kamen  ihm  die  Bauern  nach 
und  fragten  ihn,  wie  es  käme,  dass  er  so  herrlich  gegessen  habe,  ohne  zahlen  zu 
müssen  Der  Schelm  will  erst  nicht  mit  der  Sprache  heraus,  endlich  giebt  er  dem 
Drängen  der  Bauern  nach  und  gesteht,  sein  Hut  besitze  Zauberkraft:  Wenn  man 
das  köstlichste  Essen  verzehrt  habe  und  greife  nach  dem  Hute  mit  den  AVorten: 
„Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut",  so  könne  kein  Wirt  die  Zahlung  der  Zeche  mehr 
verlangen.  Die  Bauern  meinen,  das  wäre  ein  nützlicher  Hut  für  sie.  Sie  berieten 
sich  und  beschliessen ,  dem  Fremden  den  Zauberhut  um  jeden  billigen  Preis  ab- 
zukaufen und  ihn  als  gemeinsames  Eigentum  in  Gebrauch  zu  nehmen.  Sogleich 
wird  Eulenspiegel  gefragt,  ob  er  den  Hut  nicht  verkaufen  wolle?  „Nein",  erwiderte 
der  Schalk,  indem  er  seinen  Weg  fortsetzte,  „der  Hut  ist  mir  nicht  feil!"  Aber 
die  Bauern,  einmal  nach  dem  Hute  lüstern,  folgen  ihm  und  bieten  ihm  20  Thaler; 
Eulenspiegel  würdigte  sie  keiner  Antwort:  sie  l)ieten  ihm  30  Thaler,  er  lacht 
höhnisch;  sie  bieten  ihm  40  Thaler  und  steigen  dann,  als  auch  das  Gebot  erfolglos 
bleibt,  stufenweise  bis  zu  lOO  Thaler.  Nun  thut  der  Gauner,  als  ob  er  schwankend 
werde.  Er  nimmt  den  Hut  ab  und  betrachtet  ihn  seufzend.  Die  Bauern  benutzen 
diese  Stimmung  und   laufen  Sturm:    sie  zeigen  ihm  die  blanken  Thalerstücke  und 

/ 


210  Kraiiss: 

fassen  den  Hut  au.  Eulenspiegel  nimmt  das  Geld,  und  die  Bauern,  aus  Furcht, 
der  Handel  könne  ihn  gereuen,  laufen  sofort  mit  dem  Hute  davon.  Alsbald  losen 
sie,  wer  zuerst  die  Kraft  des  Zauberhuies  erproben  solle.  Der  Glückliche,  den 
das  Los  traf,  ging,  von  den  anderen  begleitet,  in  das  Wirtshaus  und  liess  sich  die 
besten  Speisen  und  Getränke  auftragen.  .41s  er  fertig  war.  griff  er  zuversichtlich 
nach  dem  Hute  und  rief  dem  Wirte  zu: 

..Herr  Wiit.  ich  iiick  den  Hut!" 
und  wollte  das  Zimmer  verlassen:  doch  der  Wirt  rief:  „Halt  Bauer,  zahlt  mir  meine 
Zeche,  dann  könnt  ihr  gehen."     Der  Bauer-  dachte,  der  Wirt  habe  ihn  nicht  gehört 
und  rief  nochmals: 

„Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut!'" 

..Ruckt  so  viel  ihr  wollt",  erwiderte  der  Wirt,  „aber  zahlt  mir  meine  Zeche, 
die  macht  einen  Thaler!*  „Aber  so  schaut  doch  meinen  Hut  an!*^  rief  der  Bauer 
zornig.  -Ei,  was  schert  mich  euer  Hut?"  sagte  ärgerlich  der  Wirt,  „zahlt  einen 
Thaler.  ich  lass  euch  sonst  nicht  aus  dem  Hause.'"  ..Aber  da  hat  doch  heute  einer 
hier  gesessen",  sagte  der  verzweifelte  Bauer.  ,der  hat  eingesihoben  wie  der  Teufel 
und  nichts  gezahlt.     Er  hat  nur  gerufen: 

.Herr  Wirt,  ich  ruck  den  Hut!" 
und  da  habt  ihr  gesagt:  -Ja  ja.  es  ist  schon  gut!'"  und  er  ist  fortgegangen !'' 
.Meint  ihr  den"?,  sagte  der  Wirt,  -der  hat  schon  vorher  bezahlt."  Jetzt  ging  den 
Bauern  ein  Licht  auf.  sie  sahen,  dass  sie  unerhört  betrogen  worden  waren.  Sie 
eilten  Enlenspiegel  nach,  um  ihm  das  Geld  wieder  abzunehmen,  aber  der  Schalk 
war  längst  über  alle  Berge. 

Es  ist  mir  nicht  geglückt.  Parallelen  zu  diesem  Schwank  in  der  älteren 
Schwankdichtung  aufzufinden.  Verwandt  ist  die  Erzählung  von  St.  Othomars  un- 
erschöpflicher Flasche  bei  Bebel  (Opuscula  \5\4,  Sign.  Ic  1  h  De  rustico  Held, 
hoc  est  gigante.  vera  historia). 

Nürnberg.  A.  L.  Stiefel. 


Eiu  montenegrisches  Tagelied. 

In  meiner  in  unserer  Zeitschrift  IV,  S.  97  abgednickten  Besprechung  der 
Studie  Dr.  Ludwig  Pränkels  über  ..Shakespeare  und  das  Tagelied*^  bemerkte 
ich.  Dr.  Fränkel  hätte  mit  mehr  Nachdruck  die  tiefe,  innige  Verwandtschaft  des 
germanischen  mit  dem  romanischen  Volkstum  hervorheben  sollen,  und  seine  Unter- 
suchung wäre  für  die  Volkskunde  ergebnisreicher  ausgefallen.  Es  sei  nämlich 
kein  blosser  Zufall,  dass  z.  B.  weder  die  Südslaven  noch  die  Kleinrussen  in  ihren 
Volkdichtungen  eine  halbwegs  vollwertige  Parallele  zum  Tageliede  bei  Shakespeare 
besitzen,  obgleich  es  an  .Voraussetzungen"  zu  Liebesscenen  wie  die  zwischen 
Romeo  und  Julie  gewiss  auch  unter  den  Slaven  niemals  gefehlt  haben  könne. 

Man  darf  in  tmserer  Wissenschaft  nichts  verreden  und  sich  eigentlich  nur  in 
seltenen  Fällen  entschliessen,  endgiltig  nur  auf  Grund  der  gedruckt  vorliegenden 
Sammlungen  über  eine  Erscheinung  der  Volkseele  abzuurteilen,  namentlich  dann 
nicht,  wenn  es  .sich  um  einen  „Völkergedanken"  handelt.  Das  Tagelied  gehört 
aber  unstreitig  zu  jenen  Themen,  in  denen  sich  die  ursprüngliche  geistige  Ge- 
meinsamkeit des  Menschengeschlechtes  wiederspiegelt  (im  Sinne  Bastians).  Der 
Zufall  beschert  uns  nämlich  gerade  jetzt  eine  vollwertige  serbische  Parallele  zu 
Shakespeares  Tagelied  und  zwar  eine  aus  Montenegro.  Freilich  ist  diese  neue 
Fassung  kein  Liebelied  nach  romanischem  und  germanischem  Litteratengeschmaeke 


Kleine  Mitteilungen.  211 

und  durchaus  keine  Entlehnung  aus  westeuropäischen  Litteraturen .  sondern  ein 
echtes,  aus  slavischeni  Boden  entsprossenes  Liedchen.  Die  Scene  spielt  sich  auch 
gar  nicht  zwischen  ledigen  Liebeleuten,  sondern  zwischen  einem  Ehepaare  ab.  Den 
Vorgang  versteht  man  erst,  wenn  man  sich  vor  Augen  hält,  dass  bei  den  Serben 
der  eheliche  Umgang  für  sündhaft  gilt,  und  dass  junge  Eheleute  nur  verstohlen 
einander  froh  werden  dürfen.  Darübeu  mag  man  in  meinem  Buche  über  „Sitte 
und  Brauch  der  Südslaven"  (Wien  18«.'))  nachlesen.  In  Montenegro  besteht  nach 
dem  Gewohnheitrechte  die  Kaufehe  noch  zu  kraft.  Der  Kauf  schliesst  die  Liebe 
nicht  aus.  Wenn  Jüngling  und  Mädchen  einander  lieben,  so  ist  das  ihre  An- 
gelegenheit, doch  es  fiele  darum  weder  den  Eltern,  noch  anderen  nahen  Verwandten 
des  Mädchens  ein.  auf  den  Kaufpreis  zu  verzichten.  Die  junge  Frau  ist  in  ihres 
Mannes  Hausgenossenschaft  die  Fremde,  sie  niuss  sich  zunächst  ihr  Heimrecht 
erwerben  und  erkämpfen,  indem  sie  den  Schwiegereltern  und  den  Schwägern  er- 
geben dient.  Selbst  ihr  Gatte  darf  ihr  nur  verstohlen  nahen,  aber  der  entflammte 
Geschlechttrieb  zeigt  sich  stärker  als  der  von  der  Sitte  auferlegte  Zwang.  In 
dieser  Lage  ergiebt  sich  die  Gelegenheit  zur  Entstehung  eines  Tageliedes.  Die 
Schwiegermutter  als  Wahrerin  des  Auslandes  und  althergebrachten  Brauches  rügt 
die  Liebenden,  aber  die  Schnur  denkt  schon  nach  modernen  Anschauungen  freier 
über  das  ihr  zustehende  Recht  und  weist  die  Tadlerin  kurz  und  bündig  ab. 

Dies  eigentümliche  Lied  findet  sich  in  dem  soeben  erschienenen  zweiten  Hefte 
der  montenegrischen  Revue  Luca,  Knjizevni  list  drustva  „Gorski  vijenac"  (Die 
Fackel,  Litterarische  Zeitschrift  des  Vereins  .Alpenkranz".  Oetinje  189.^>.  S.  128). 
Die  Fackel  ist  eine  ganz  hübsch  redigierte  Zeitschrift  für  Familie  und  Haus  nach 
dem  Vorbilde  abendländischer  Rundschauen  und  bringt  nebst  belletristischen  auch 
populär  wissenschaftliche  und  Beiträge  zur  Volkskunde  Montenegros.  Das  vor- 
liegende Heft  enthält  unter  anderem  sieben  lyrische  und  vier  Kinderlieder  aus  dem 
Volksmunde.  Man  vergisst  natürlich  auch  hier,  wie  sonst  gewöhnlich  in  süd- 
slavischen  Volksliedersammlungen,  alle  und  jede  Mitteilung  über  die  Fundstätten, 
Verbreitung,  den  Vorti'ag  und  die  Aufzeichnung  der  Texte.  Die  Überschrift  zenske 
pjesme  (Frauenlieder)  geht  auf  Karadzics  Bezeichnung  zuiück,  sie  ist  aber  weder 
zutreffend  noch  volkstümlich.  Im  Volke  heissen  solche  Lieder  kolske  (Reigen- 
lieder). Im  Reigen  singen  Burschen  und  Mädchen  zusammen,  und  an  der  Dichtung 
beteiligen  sich  beide  Geschlechter.  Der  Reigenführer  oder  die  Reigenführerin 
stimmt  ihr  Lied  Zeile  für  Zeile  an.  der  Reigen  wiederholt  die  Worte,  und  so  er- 
lernt man  ein  Lied  und  bringt  es  unter  die  Leute. 

unser  Lied  lautet: 

Jovo  zdragora  nojcu  boravljase:  Opet  Jovo  dragoj  govorase: 

dokle  prvi  pjetli  zapjevase  —  Ver  je  vakat  da  se  rastavijamo! 

Jovo  dragoj  tiho  govorase:  —  P''ogj  se  dragi  tu  su  gjeca  luda, 

—  Vec  je  vakat  da  se  rastanemo!  sto  ih  raajke  biju  na  uranku! 

—  Progj  se  dragi  to  su  pjetli  laznil  AI  eto  ti  Jovanova  majka, 
AI  zauci  sabah  na  dzamiju.  stade  karat  Jova  sina  svoga. 
Opet  Jovo  dragoj  govorase:  Üdgovara  Jovanova  Ijuba: 

—  Vei-  je  vakat  da  se  rastanemo!  —  Kutko  jedna  a  ne  svekrvice! 

—  Progj  se  dragi  to  je  hodza  stari.  i  ako  si  ti  rodila  sina, 

on  ne  znade  kad  je  sabah  pravi!  ti  ga  rodi  ali  ga  ja  dobih! 

AI  eto  ti  gjeca  po  sokaku. 

Die  Nacht  verbrachte  Jovo  mit  der  Liebsten, 

Bis  früh  der  erste  Hahnensang  erklang. 

Da  sprach  mit  leisem  Laut  zur  Liebsten  Jovo : 


'212  TrSnkpl: 

—  Schön  ist  die  Zeit  herangenaht  zum  Scheiden! 

—  „Gieb,  Liebster,  Ruh,  das  sind  die  Lügenhähne!" 
Da  scholl  vom  Miuaret  dei-  Morgenraf, 

Und  Jovo  sprach  voii  neuem  zu  der  Liebsten: 

—  Schon  ist  die  Zeit  herangenaht  zum  Scheiden! 

—  .,Gieb,  Liebster,  Ruh,  das  ist  der  alte  Hodza, 
Der  weiss  ja  nicht,  wann  wahres  Morgengrauen!" 
Da  hört  man  Kinder  durch  die  Gasse  tollen, 
Und  Jovo  sprach  von  neuem  zu  der  Liebsten: 

—  Schon  ist  die  Zeit  herangenaht  zum  Scheiden! 

—  „Gieb,  Liebster,  Ruh,  das  sind  ja  tolle  Kinder, 
Die  von  den  Müttern  Schlag"  am  Morgen  kriegen!" 
Doch  kam  auch  schon  herbei  die  Mutter  Jovos, 
Hub  an  zu  rügen  Joto,  ihren  Sohn. 

Daraul'  zu  Antwort  giebt  ihr  Jovos  Liebste: 

—  „Du  Hündin  du,  doch  nimmer  Schwiegermutter! 
L"nd  wenn  du  schon  geboren  hast  den  Sohn, 
Gebarst  ihn  du,  doch  mir  er  ward  zu  eigen!" 

Wien.  Dr.  Friedrich  S.  Krauss. 


Bräuche  portugiesischen  Volksglaubens 

teilte  die  .,Kölnische  Volkszeitiuig"  Anfang  Juli  1894  in  einem  Berichte  aus  Lissabon 
mit,  die  hier  in  Kürze  wiederholt  seien. 

Vor  den  Pesten  der  Heiligen  Antonius,  Johannes,  Peter  imd  Paul,  die  hier 
gebotene  Feiertage  sind,  bringen  die  Frauen  aus  dem  Volke  ihre  kleinen  Kinder 
zu  den  öffentlichen  Brunnen  und  waschen  ihnen  dort  den  Kopf,  um  sie  vor  den 
bösen  Fiebern')  zu  behüten.  Ferner  brennen  die  jungen  Mädchen  eine  Artischocken- 
blüte an,  und  wenn  diese  am  nächsten  Tage  wieder  aufblüht,  dann  heisst  es,  dass 
der  Bräutigam  treu  ist.  Auch  legt  man  eine  Münze  0  ins  Wasser  und  giebt  sie 
am  folgenden  Tage  einem  Armen,  den  man  dabei  nach  seinem  Taufnamen  fragt: 
so  wie  er,  wird  der  künftige  Gatte  heissen.  Dann  wirft  man  einen  Schuh  die 
Stiege  hinunter,  und  soviel  Stufen  er  hinunterkollert,  soviel  Jahre  muss  man  noch 
auf  die  Ehe  warten.  Auch  schlägt  man  ein  Ei  ins  Wasser,  und  hält  dafür,  dass 
je  nach  der  Form,  die  es  über  Nacht  annimmt,  das  Schicksal  der  Person  sich 
entscheiden  wird.  Wenn  es  eine  Kirche  (!)  bildet,  wird  man  in  demselben  Jahre 
heiraten;  wenn  es  ein  Schiff  darstellt,  soll  der  Auserwählte  ein  Seemann  sein, 
wenn  jedoch  einen  Sarg,  so  muss  man  noch  im  selben  Jahre  sterben. 

Parallelen  zu  diesen  Sitten  lassen  sich  anderwärts  mehrfach  herbeiholen, 
namentlich  zu  den  allenthalb  beliebten  Variationen   des  Heiralsorakels.^)     Für  die 

1)  Nämlicli  denen  der  Hundstage:  denn  die  genannt eu  Gedächtnistage  fallen  iu  deu 
Frähsommer. 

2)  Obgleich  es  sich  hier  natürlich  um  ein  Geldstück  liaudelt,  will  ich  doch  nicht 
unterlassen,  hinzuzufügen,  das.s  ich  Gelegenheit  hatte,  mich  von  der  noch  heute  im  Volke 
fortlebenden  erotischen  Bedeutung  der  Pflanze  „Münze"  —  die  ja  auch  im  klassischen 
Altertum  belegt  ist  —  zu  überzeugen,  als  ich  zur  Erprobung  die  erste  Hälfte  obigen 
Satzes  einem  einfachen  Manne  vorlas. 

3)  Vgl.  auch  deu  Schwank  vom  Bader,  nach  Minsicht,  Albertäten,  S.  199,  bei  W 
Menzel,  Gesch.  d.  dtsch.  Dichtung,  IL  S.  98, 


Kleine  Mitteihmgi^n.  '213 

genannte  Aitischockenblüte  ti'eten  in  den  nordeuropäischen  Landern  in  der  Regel 
duftende  Blumen  ein,  die  oft  von  Provinz  zu  Provinz  wechseln. ')  Man  vergleiche 
beispielsweise  über  einschlägige  Verwendung  der  Rose  die  verstreuten  reichhaltigen 
Notizen  bei  Gh.  Joret,  La  rose  dans  l'antiquite  et  au  moyen  age  (Paris  1892), 
Kap.  V  (S.  390  ff.);  gerade  sie  spielt  auch  nach  den  , Statuts  du  mouastere  de  Xante" 
eine  Rolle  ,aux  fetes  de  saint  Jean  et  de  saint  Pierre  et  Paul"  (ebenda  S.  392)'^). 
Das  Werfen  des  Schuhes  .als  aphrodisisches  Symbol"  wozu  P.  Sartoris  stotfreiche 
Abhandlung  ^Der  Schuh  im  Volksglauben"  in  dieser  Zeitschrift  1894,  S.  41 — 54 
und  148—180  mancherlei  Verwandtes  enthält,  ist  eine  allgemeine  Gewohnheit; 
Liebrecht,  Gernian.,  V,  480.  , Zur  Volkskunde'',  S.  492  bietet  allerhand  Belege.')  Ein 
weiteres  eigentümliches  portugiesisches  Heiratsprognostikon  steht  am  Anfange  eines 
mir  englisch  vorliegenden  Märchens  „The  enchanted  maiden"'):  „There  was  once 
a  man  who  had  three  daughters.  In  the  country  where  he  lived  it  was  the  custom 
to  hang  up  a  gold  ball  at  the  door  when  they  wanted  husbands  for  the  girls  who 
were  single,  as  a  sign  to  the  young  men.  When  the  eklest  daughter  wished  to 
get  married  the  father  hung  a  gold  ball  over  the  street  door." 

München.  Ludwig-  Pränkel. 


Heutiger  Volksglauben. 

In  den  „Münchener  Neuesten  Nachrichten",  47.  Jahrg.,  No.  313  (10.  Juli  1894), 
Seite  3,  steht  unter  bayerischen  Provinznachrichten : 

Stadt&teinach.  3.  Juli.  (Unverzeihlicher  Aberglaube.)  Gehört  der  Honig,  diese 
edle  Gottesgabe,  für  gesunde  oder  füi-  kranke  Menscheny  so  möchte  man  in  Bezug 
auf  einen  vorgekommenen  Fall  fragen.  Ist  da  ein  junger  Mensch  zum  Tode  krank 
und  verlangt  zur  Linderung  etwas  Honig.  Die  besorgten  Eltern  schicken  zu  einem 
wegen  seines  Aberglaubens  schon  bekannten  Bauern,  dei-  seine  lö  Stöcke  stdlien 
und  wahrlich  seinen  Zentner  Honig  in  Töpfen  hai.  um  für  Geld  und  gute  Worte 
etwas  von  der  Fülle  seines  Segens  für  den  armen  Kranken  zu  bekommen.  Aber 
weit  gefehlt!  Der  Bauer  sagt  hartnäckig,  nachdem  er  erfahren,  für  welche  Person 
das  Labsal  gehören  soll:  „Ich  habe  keinen  Honig!'"  Er  hat  schon  welchen,  aber 
„für  einen  Sterbenskranken  darf  man  keinen  Honig  hergeben,  sonst  sterben  die 
Bienenstöcke  ans!"     Wann  kommt  Licht  in  dieses  finstere  ThalV     („A.  Z.") 

Ob  der  Schwerpunkt  hier  auf  der  Angst  vor  Berührung  mit  dem  dem  Tode 
Geweihten  oder  auf  einem  an  den  Bienen  haftenden  Glauben  liegt,  ist  wohl  nicht 
ganz  sicher.  Die  den  letzteren  beigeschriebene  Eigenschaft  der  Todesverkündiger 
(0.  Schwebel,  Tod  und  ewiges  Leben  im  deutschen  Volksglauben,  1887,  S.  125) 
passt  nicht  hierher,  eher  schon  der  Brauch,  der  „sich  in  einzelnen  Gegenden 
Deutschlands  bis  diesen  Tag  erhalten"  hat,  den  Tod  des  Hausvaters  den  Bienen 
im  Stocke  anzusagen  (s.  ebenda  und  S.  233).  Dass  Menschen  sich  vor  Sterbenden 
zurückhalten,  findet  sich  vielfach. 

„A.  Tj.'-  =  (Münchener)  Allgemeine  Zeitung. 

München.  Ludwig  Fränkel. 


1)  Vgl.  auch  Rochholz,  Alemanu.  Kiuderlied  uud  Kinderspiel,  8.  171  oben. 

2)  Belegt  diu-cb  Binterini,  Denkwürdigkeiten,  ap.  Adam  Eeiners.  op.  laud.  p.  39. 

3)  Derselbe,   Zur  Volkskunde    S.  324    ein   .seltsames  norwegisches  Todesorakel  durch 
Werfen  eines  Schuhes  am  Weihnachtsabend  oder  ..weissen  Dienstag''. 

4)  Portuguese   Kolk-Tales  collected  b_v  Pedi-osn,  englisch  von   H.  Mouti-iro,  mit  Ein- 
leitung von  Ralston  (Lond..  Folk  Lore  Society.  1882).  S.  37. 


214  Wossidlo.  W.niiholrl: 

Die  grüne  Wiese. 

Eine  alte  Hiiuslerfrau  in  Bartelshagen  bei  Ribnitz.  gebürtig  aus  dem  nahe 
gelegenen  Völkshagen,  aus  deren  Munde  ich  in  den  letzten  Weihnachtsferien  eine 
grosse  Zahl  wertvoller  Sagen  aufzeichnen  konnte,  erzählte  mir  folgendes: 

Uppe  Tressentiner  raähl  is'n  möllergesell  west,  de  süht  eins  den  drak  trecken, 
de  het  swer  laden  hatt.  Dor  röppt  de  gesell:  ^du,  smiet  dal".  Der  sraitt  de  drak 
.sin  ladung  dal  un  niakt'n  fürchterlichen  gestank  un  röppt  dorbi: 

., häud  di  vor  de  grön  wisch." 
_Du  kannst  mi  in'ii  nui's  licken".    segt  de  gesell;    dordörch,    dat  he  dat  seggt  het, 
is  he  von  em  af  west  und  het  sin  viert  geld  hatt. 

Wat  dat  mit  de  grön  wisch  sin  sali,  weit  ik  ok  nich,  fügte  die  Alte  auf  meine 
Frage  hinzu:  auch  ihr  Mann  erklärte:  Je,  wer  weit,  wo  de  sin  grön  wisch  hatt 
het.  —  Vergleich  über  die  grüne  Wiese  unsere  Zeitschrift  IV,  457. 

R.  Wossidlo. 


Über  ein  schlesisehes  Wiegenlied. 

In  No.  4,  S.  45  der  Mitteilungen  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  Volks- 
kunde (I)  hat  Herr  Professor  Fr.  Vogt  aus  dem  Nachlasse  von  Friedrich  Pfeiffer 
folgendes  schlesisches  Wiegenliedchen  veröffentlicht: 

Hunne  hunne  hunne. 
der  Tud  sitzt  uf  der  Tunne, 
er  hoat  a  langen  Kittel  oan. 
er  will  die  klenen  Kinder  hoan. 

Er  knüpfte  die  Frage  an,  ob  etwas  ähnliches  noch  bekannt  sei.  Da  in  No.  ö 
der  Mitteilungen  niemand  darauf  antwortete,  will  ich  hier  eine  Menge  ähnlicher 
Reime  aufführen,  aus  denen  sich  auch  ergeben  wird,  dass  die  von  Prof.  Vogt  mit 
Beziehung  auf  den  Siebsschen  Todesgott  Henno  vorgetragene  Deutung  des  Anfangs- 
wortes hunne  sich  nicht  halten  lässt. 

Das  Liedchen  will  das  Kind  durch  Furcht  zum  Einschlafen  bringen,  es  ist 
also  dem  weitverbreiteten 

Schlaf  Kindchen  schlaf  |  vor  der  Thüre  steht  ein  Schaf, 

ein  schwarzes  und  ein  weisses  |  und  wenn  das  Kind  nicht  schlafen  will, 

so  kommt  das  schwarze  und  beisst  es  (Simrock,  Deutsch.  Kinderbuch.  No.  22.H) 

nahe  verwandt;  nur  ist  in  ihm  an  Stelle  des  schwarzen  Schafes  der  Tod  gesetzt,  der 
das  Kind  nehmen  wird,  wenn  es  nicht  einschläft.  Für  den  Tod  finden  wir  auch 
den  Hubu,  das  Schreckgespenst,  und  zwar  in  einem  dem  Hunne  hunne  sehr  ähn- 
lichen Wiegenliedchen  aus  Reichenbach,  das  ich  schon  in  meinen  Beiträgen  zu 
einem  schlesischen  Wörterbuche  S.  (iba  mitteilte: 

Nunne  nunne  luame. 

der  Bubu  steckt  in  der  Tunne, 

er  hat  ein  weissen  Kittel  an, 

er  will  das  liebe  Kindel  han, 

das  kriegt  er  nicht,  das  kriegt  er  nicht! 

Dieses  Schlummerlied,  in  dem  der  Tod  als  Schreckmittel  für  das  Kind,  das 
nicht  einschlafen  will,  dient,  ist  im  schlesischen  Sprachgebiet,  d.  i.  in  Schlesien 
preussischen    und   österreichischen  AnteiKs   und  am  böhmischen  Riesengebirge  und 


Kleine  Mitteihinofen. 


215 


dem    Lausitzei-  Gebirge    zu  Hause;    ausserdem    kenne    ich    es    nur  noch   aus  dem 
westlichen  Böhmen  (Plan).     Ich  gebe  die  mir  bekannt  gewordenen  Varianten, 

Der  Tod  steckt  in  der  Tunne  (Reim:  nunne  oder  hunne)  nur  in  der  Pfeiffer- 
schen und  der  Reichenbacher  Aufzeichnung.     Häufiger  sitzt  er  auf  der  Stange: 

1.  2. 

Schlöf  tunna')  lange,  Schlü"f  .lenghi  lange, 

der  Tod  sitzt  uff  dar  Stange,  Dar  Tüd  setzt  of  der  Stange, 

a  höt  an  weissa  Kittl  uen.  Ar  hod  an  weissa  Kettl  oun, 

a  wil  de  Anna  mette  hiäen.  Ar  wel  dos  Jengla  mette  hii°n. 

(Pommerswitz  bei  Leobschütz.)  Schlupf  Jengla  sehlü"f. 

(Oppaland:  Firmenich  2,  361.) 

3.  4. 

Schlöf  ock  Kendia  lange, 
der  Tud  setzt  of  der  Stange, 
a  höt  dos  weisse  Juppla  6, 
\s  Kendia  will  a  mite  hon.') 
(Altrognitz  bei  Trautenau :  Rnothe,  Wörter- 
buch der  schles.  Mundart  in  Nordböhmeu, 

S.  179.) 


Schlöf  Kendia  lange, 
der  Tüd  setzt  of  der  Stange, 
a  höd  en  waissa  Kittl  oan. 
a  wil  de  bise  Kender  hoan. 
schlöf  Kendia  schlöf. 
(Weidenau;    Peter,   Volkslümliches  aus 
Österr. -Schlesien   1,5.) 


5. 
Schlöf  Hanslii   lange, 
der  Tud  setzt  of  der  Stange, 
er  hot  an  weisse  Kettl  ön, 
ar  wil  mei  Uansla  mette  hön. 


:  Leobschütz.) 


Nicht  minder  oft  steht  der  Tod  hinterm  Hanse;  der  Reim  auf  sause  (süse) 
im  ersten  Verse  bedingt  diesen  Versteck  des  Todes,  wie  der  Reim  auf  nunne.  hunne 
den  in  der  Tonne.  Süse  (sause)  ist  ebenso  alt  in  Kinder-  und  Ammenreimen,  d.  i. 
in  Wiegenliedchen,  wie  ninne  (Nebenform  nunne). 

1. 

Ninne  ninne  sause, 

der  Tod  steckt  hinterm  Hause, 

er  hat  ein  kleines  Körberlein, 

er  steckt  die  bösen  Kinder  nein, 

die  guten  liisst  er  sitzen 

und  kauft  in  rote  Mützen. 


3. 

Ninei  prupei  sausa '), 
der  Tud  stiht  hentern  Hausa, 
hot  an  weissen  Kittel  on, 
well  mei  Kendl  mitla  hon, 


(Gabel:    Hruschka  -  Toischer,   Deutsche  nier  gam's  ne,  mer  gam's  no. 

Volkslieder  a.  Böhmen,  S.  394,  No.  78b.)  Ha  fehrt  dich  ei  de  Sitta, 

2  ha  brengt  dich  vviedr  mitta, 

Ninini  nause')  '''*^*  '^^^^  °^°  Kerchhuf. 

der  Tüd  stit  henderm  Hause,  schmasst  Sten  on  Ära  druf. 

a  höt  en  langa  Kittl  ö,  (Rochlitz:    Hruschka-Toischer,  S.  393.) 
a  will  di  bisii  Jonga  hön. 

(Alü-ognitz:  Knothe,  S.  179.) 

1)  tunnen,  in  ilrr  Kinde rsprache  .sclüafen;  dazu  intensives  tunzen. 
2'  Variante:    iJer  Tüd    setzt    of  der  Stange.    A  höt  ii  lemta  Jeppla  ö,    A  schmeisst 
gebackan  Berna  r<>.     Knothe.  ebda.,  dazu  das  vollständigeie  Gläzer  Liedchen  No.  6. 

3)  Entstellt  aus  nine  nine  süse. 

4)  So  ist  zu  lesen  statt  Kinei  prupei  's  Hausa. 


216 


Wfiinholfl: 


6. 
Trott  sause,  trott  sause, 
dei-  Tüd  stiht  of  dam  Hause, 
a  hol  a  leimpta  Jipla  6, 
on  schmeisst  gebackn  Berna  rö. 
Trott  sause,  ti'ott  sause, 
der  Tüd  stiht  <>i'  dam  Hause. 
(Vierteljahrsschrift  für  Gesch.  u. 
künde  der  Grafschaft  Glatz  IV, 

7. 
Schiauf  Kiniial  sause 
da  Taud  stäiht  uiitan  Hause, 
haut  ar  an  graussn  Schlidn  mit. 
nimmt  a  döia  schreiata  Kinna  aksamm  mit. 
(Plan  im  Pilsene)-  Kr. :  Hi-uschka-Toischer, 
S.  394,  No.  79c. 


Heimats- 
160  f.) 


4. 
Brubbe  nine  sause, 
der  Tüd  stackt  hindern  Hause, 
a  hout  ii  klenes  Körbelei, 
a  steckt  dö  klenen  Kinder  nei. 
Dö  güden  kriegen  Honchschniten, 
Dö  bisen  kriegen  Pachschniten. 
(Böhmisch-sächs.     Grenze:     Hruschka- 
Toischer,  S.  394.  Pirmenich  2,  377. 

5. 
Pripp  sause,  pripp  sause, 
der  Tüd  stiht  hingerm  Hause, 
a  hot  an  langa  Kittel  oan, 
a  wil  de  flennija  Kinder  hoan. 
a  nimt  se  olle  mite, 
a  fährt  se  ufE  am  Schiita, 
a  fährt  se  dass  se  quitscha, 
a  fährt  se  iwer  a  Lorwelstag, 
Uli  schmesst  de  ganza  Ängster  in  Drack. 
(Landeshuter  Kr.  in  Schlesien:  F.  W. 
Brendel,  Klänge  meiner  Heimat,  F'rey- 
bui-g  1852,  S.  7.) 

Das  Haus  verschwindet  im  folgenden  Reim,  der  den  Garten  dafür  einsetzt, 
den  wir  in  Varianten  des  Liedchens  vom  schwarzen  Schafe  haben: 

Schiauf,  ma  Kinnerl  schlauf. 

in'n  Garten  sitzt  da  Taud, 

haut  a  goldas  Waghol  mit, 

wennst  net  schläfst,  nimmt  a  di  mit 

(Plan:  Hruschka-Toischer,  S.  394,  No.  79d. 

In  einem  anderen  westböhmischen  Wiegenliedchen  unserer  Gattung  (Hruschka- 
Toischer,  ebenda  No.  80)  ist  ein  Graf  für  den  Tod  eingesetzt,  auch  des  Reimes 
wegen! 

Maidrl  schlauf  schlauf, 

hintan  Stodl  sitzt  a  Grauf, 

haut  a  guldnas  ZistrI  mit, 

wennst  net  schlaufst,  (afa)  nimmt  a  di  mit. 

Ein  Wort  noch  über  das  einleitende  luunie  in  der  Pfeifferschen  Variante 
unseres  Wiegenliedes.  Ks  läge  nahe  dasselbe  unmittelbar  mit  nunne,  nunnei.  der 
Nebenform  zu  ninue.  ninnei  in  Verbindung  zu  setzen.  Es  ist  aber  selbständig  aus 
der  Interjektion  hu  entstanden,  die  wir  als  P^inleitung  von  schlesischen  Schlummer- 
liedchen, verstärkt  durch  folgendes  ausi'ufendes  ei,  kennen.  Aus  dem  Leobschützer 
Kreise  stammende,  mir  vor  Jahren  vom  damaligen  Studios.  Bartsch  aus  Pomnierswitz 
mitgeteilte  Reime  zeigen  die  Entwicklungsstufen  jener  Interjektion: 

Hu  ei,  tunn  och  ei.  Hui  ei.  sausa 

ward  der  kocba'n  Uirschebrci  s  Kitschla  mag  nech  luausa 

ond  a  Steckla  Poittr  nei.  's  Bömmerla  mag  nech  Hösla  jön, 

*ort!  bir  wams  'm  A''otr  sön. 


Bücheranzeigen.  217 

HuUci  siiusa  Huiinei,  sclilof  och  ei  1     bsch  bsch'  bsch ! 

's  Kitschla  lue  nech  uiausa,  draussen  auf  dem  Tenne     hu  la  la  lä! 

's  Hindia  me  nech  Häslen  jäen.  liegt  'ne  gebnvtne  Henne     bsch  bschl 

wort!  wer  warn's  am  Vöter  säen.  met  dam  Taller  zugedackt, 

(Wanowitz.)  gih  och  hin  on  nam  drsch  wag-,    bsch  bsch! 

Zu  diesem  hunnei  ist  hunno  die  unter  Einfluss  von  nunne  =  ninne  entstandene 
Nebenform:  das  n  ist  wie  1  in  hullei  nur  Deckung  des  Hiatus. 

Iv.   Weinholtl. 


Nachrichten  aus  dem  Bereiche  der  Yolkskiiiide. 

Der  Verein  für  österreichische  Volkskunde  in  Wien,  über  dessen 
Gründung  am  20.  Dezember  v.  J.  wir  oben  S.  109  berichtet  haben,  hat  bereits 
zwei  Hefte  seiner  Zeitschrift,  zu  32  S..  gr.  8",  veröffentlicht.  Jeden  Monat  soll 
ein  solches  Heft  erscheinen,  der  Band  wird  also  24  Bogen  enthalten.  Die  Anlage 
ist:  1.  Abhandlungen,  2.  Kleine  Mitteilungen,  o.  Ethnographische  Chronik  aus 
Osterreich,  4.  Litteratur  der  österreichischen  Volkskunde  (Besprechung  einschlägiger 
Bücher  und  Aufsätze),  .j.  A'^ereinsnachrichten.  Jedes  Heft  bringt  auch  mehrere  Ab- 
bildungen im  Text, 

Über  den  Fortgang  seiner  im  Auftrage  der  Gesellschaft  zur  Pördei-mig  deutscher 
Wissenschaft,  Kunst  und  Litteratur  in  Böhmen  unternommenen  Sammlung  der 
volkstümlichen  Überlieferungen  in  Deutsch-Böhmen  hat  Privatdocent  Dr,  Adolf 
Hauffen  in  Prag  in  Mitteilung  III  genannter  Gesellschaft  einen  Bericht  erstattet 
(Januar  isyö).  Es  sind  .Jöü  Fragebogen  verteilt  und  das  Interesse  in  20  deutsch- 
böhmischen Bezirken  angeregt  worden.  Besonders  reiche  Ausbeute  hat  bereits  der 
Böhmerwald  ergeben.  .Aus  den  gesammelten  Sagen  sind  zwei  Seegeistergeschichten 
(vom  Teufelssee  und  vom  Arbersee)  als  Probe  mitgeteilt. 

In  Siebenbürgen  hat  der  Verein  für  siebenbürgisshe  Landeskunde  die  Herreu 
Dr.  A.  Schullerus  und  0.  Wittstock  mit  volkskundlichen  Sammlungen  be- 
auftragt. 

.\m  '.:».  Februar  189.')  hat  sich  in  Lemberg  ein  Verein  für-  Volkskunde  (To- 
warzystwo  Uidoznawce)  konstituiert.  Den  Vorsitz  führt  üniversitätsprofessor  Dr. 
Anton  Kaiina,  Schriftführer  ist  Herr  Adolf  Strzelecki.  Das  Forschungsgebiet  ist 
das  polnische  Volk  und  seme  Nachbarstämme.  Der  Verein  hat  sich  alsbald  niit 
dem  unseren  in  freundliche  Beziehung  gesetzt.  Das  erste  Heft  der  Zeitschrift  Lud, 
Organ  towarzystwa  ludoznawczego  we  Lwowie,  ist  im  April  erschienen.      K.  W. 


Bücheraiizeigen. 

Völkerkunde.  Von  Prof.  Dr.  Friedrich  RatzeL  Zweite  gänzlich  neu- 
bearbeitete Auflage.  Zweiter  Band.  Mit  513  Abbildungen  im  Text. 
15  Farbendruck-  und  13  Holzsclmitttafelu ,  sowie  4  Karten.  Leipzig 
und  Wien.  Bibliographisches  Institut.     1895.    SS.  X.    779.    8». 

Dem  ersten  Bande  dieses  trefflichen  Werkes,  den  wir  im  ersten  Hefte  dieses 
Jahrganges  unserer  Zeitschrift  S.  108  anzeigten,  ist  der  zweite  bald  gefolgt.     Der- 

Ztiis.lii-.  d.  V.;ieins  1.  Vulkskuiiüe.    ISa.i.  15 


218  Kuhn: 

selbe  bringt  in  eingehender  Behandlung  zuerst  die  Negervölker  Afrikas  und  im 
zweiten  Hauptteil  die  Kulturvölker  der  alten  Welt:  1.  die  afrikanischen,  das  sind 
die  Abessynier,  Berber,  die  Völker  der  Sahara,  die  Sudanvölker,  die  Fulhe  oder 
Fellata  und  die  dunkeln  Völker  des  Westsudan:  '2.  die  asiatischen  Kulturvölker: 
Mongolen  und  Turkvölker,  Indier.  Iranier,  Hinterindier  und  Ostasiaten,  Chinesen, 
Japaner  und  Koreaner.  Aligemeine  Kapitel  über  Kultur,  Lebens-  und  Glaubens- 
formen sind  an  passenden  Stelleu  gegeben.  Den  Schluss  machen  kurze  Bemerkungen 
über  die  Kaukasusvölker  und  die  Europäer.  Der  Schwerpunkt  der  Ratzeischen 
Völkerkunde  liegt  also  auf  den  Naturvölkern,  und  das  hängt  mit  der  ganzen  heutigen 
Richtung  der  Ethnologie  und  Anthropologie  zusammen. 

Sehr  wertvoll  ist  auch  in  diesem  Bande  die  bildliche  Austattung.  Wir  möchten 
den  vorti'cff liehen  Textabbildungen  noch  den  Vorzug  vor  den  prächtigen  Farben- 
drucken geben.  W. 


Richard  Pischel.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  deutschen  Zigeuner.  Abdruck 
aus  der  Festschrift  zur  zweihuudertjährigen  Jubelfeier  der  Universität 
Halle.     Halle  a.  S..   Max  Niemeyer.   1894.     50  S.     4°. 

Diese  gründliche  Abhandlung  ist  mit  ihren  \ier  Kapiteln  (1.  Das  erste  Er- 
scheinen der  Zigeuner  in  Deutschland.  "2.  Mitteilungen  aus  schlesischen  Urkunden. 
•3.  Geschichte  der  Zigeunerkolonie  Friedrichslohra.  4.  Blankenburgs  Wortverzeichnis) 
ein  nach  mehreren  Seiten  hin  lehn-eicher  Beitrag  zur  Zigeunerkunde,  welcher  sich 
vor  manchen  neueren  Publikationen  über  den  Gegenstand  durch  absolute  Zuver- 
lässigkeit auszeichnet.  Im  ersten  Kapitel  hält  Pischel  gegenüber  anderweitigen 
Annahmen  mit  gutem  Recht  daran  fest,  dass  die  Zigeuner  zuerst  1417  in  Deutsch- 
land erschienen  seien.  Das  zweite  giebt  interessante  Auszüge  aus  dem  Aktenbestande 
des  Breslauer  Staatsarchivs.  Das  dritte  behandelt  den  1830 — 1837  vom  Missions- 
Hilfsverein  zu  Naumburg  unternommenen  Versuch,  die  Zigeuner  von  Friedrichslohra 
hei  Nordhausen  zu  nützlichen  Mitgliedern  der  bürgerlichen  Gesellschaft  zu  erziehen, 
dessen  anfänglich  günstiger  Verlauf  und  schliessliches  Seheitern  auf  Grund  eines 
reichen,  bisher  unbenutzten  Materials  im  Missionsarchiv  zu  Naumburg  und  im 
Evangelischen  Missionshause  zu  Berlin  eingehend  vorgeführt  wird.  Das  vierte 
Kapitel  endlich  bringt  uns  zunächst  den  Abdruck  eines  von  Wilhelm  Blankenburg, 
dem  tüchtigen  und  gewissenhaften  Vorsteher  der  Friedrichslohraer  Ajistalt,  im  Jahre 
1832  aufgezeichneten  Vokabulariums,  dessen  Angaben  Pischel  im  persönlichen 
Verkehre  mit  einer  Zigeunerbande  kontrollieren  konnte:  daran  schliesst  sich  ein 
sorgfältiger  und  gelehrter  Kommentar  mit  mehreren  wichtigen  Exkm'seu,  von  denen 
der  über '  den  Igel  als  Lieblingsspeise  der  Zigeuner  (S.  26  t.)  und  der  über  die 
Zahlen  (S.  44  f.)  die  von  Miklosich  zuerst  nachgewiesene  Herkiuift  der  Zigeuner 
aus  dem  Nordwesten  Indiens,  speciell  dem  Hindüküs-Gebiete.  aufs  neue  bestätigen, 
während  der  über  den  Keuschheitsgürtel  der  Zigeunerinnen  (S.  32  f.)  ein  allgemein 
kulturhistorisches  Interesse  beanspruchen  kann.  Von  Einzelheiten  verdient  etwa 
folgendes  hervorgehoben  zu  werden. 

S.  i'4  (wo  übrigens  zu  dem  Worte  möl  ,Pott  II,  455"  zu  lesen  ist)  wird  zig. 
lulav  „ich  kehi-e-  sehr  überzeugend  auf  prälu-.  chollai  „reiben,  putzen,  reinigen" 
und  weiter  auf  skr.  k~ur  zui'ückgeführt.  Dass  aber  durch  solches  ch  palatales  k 
für  die  Lautgruppe  k,i  erwiesen  werde,  steht  wohl  nicht  ganz  fest:  wenigstens 
stimmen  die  Dialekte  im  Gebrauche  von  kh  und  oh  nicht  immer  zusammen.  So 
entspricht  dem  zig.  akhor  .Wallnuss"  =  mar.  akhod=skr.  äksota,  äksoda  und 


Büclierauzeigcn.  219 

akhota  Tikhocja  (über  die  Bedeutung-  „Wallnussbaum'"  s.  Loiseleur  Deslongchamps 
zum  Aniarakosa  -',  4,  2,  9  und  Pictet,  ürig-ines  indu-europi'eunes  I',  247.  249) 
im  Sina  ar[h]o  (über  skr.  akota  „Betelnus^''  imil  lündi  äkhroi  „Wallnus"  weiss 
ich  nichts  genaueres  zu  sagen).  —  S.  o2  inuv  ..ich  ziehe  an"  entspricht  hindi 
uvhnri  oder  orhnä,  welches  von  Hoernle  auf  skr.  upavest  zurückgeführt  wird. 
—  Treirend  ist  die  Gleichsetzung  von  damadira.  davantira  „Schürze"  mit  prov. 
davantiero  u.  s.  w.  (S.  '^3 — .34),  ebenso  sicher  wohl  die  von  beso  „dick''  mit 
rum.  abesu  (S.  37),  an  welche  Pischel  die  durch  zig.  nado  (=  magy.  näd  und 
nicht  =  skr.  na  da,  nada)  gut  begründete  Warnung  anschliesst,  nicht  gar  zu  schnell 
mit  Sanskrit-Wörtern  bei  der  Hand  zu  sein.  —  Das  Schwanken  zwischen  den 
Bedeutungen  „Gewölk"  und  ,,Hiramel"  (S.  39)  kennen  auch  die  Hindfiküs-Dialekte, 
wo  wir  aus  dem  Sina  aghai  hi  der  Bedeutung  ..Himmel",  aus  dem  Bäskarik  ägah 
und  aus  dem  Torwäläk  dgä  in  der  Bedeutung  „Wolke"  aufgeführt  finden  (skr. 
äkfisa'.-').  —  In  ravale  „Kinder!"  (S.  44)  wird  eine  für  die  deutschen  Zigeuner 
bisher  unbelegte  Vokativforni  nachgewiesen. 

Da  der  Verfasser  auf  S.  43  die  Meinung  ausspricht,  dass  die  Zigeuner  Europas 
schon  bei  ihrem  ersten  Auftreten  kein  einheitliches  Volk  waren,  und  dabei 
meine  Behauptung  anführt,  dass  der  Woitschatz  des  Zigeunerischen  bald  zu 
diesem,  bald  zu  jenem  Dialekte  des  Hindfiküs  nähere  Beziehungen  aufweise,  möge 
es  mir  zum  Schlüsse  gestattet  sein,  diese  Äusserung  durch  einige  Beispiele  zu 
begründen.  Zig.  stär  (so  und  nicht  stfir  hätte  Pischel  S.  44  sehreiben  müssen) 
für  „vier"  stimmt  allein  zum  -tah  des  Basgali  und  dem  ""atri  u.  s.  w.  der  übrigen 
KTifir-Dialekte;  alle  übrigen  Dialekte  des  (Jebietes  haben  c;ir,  ror  u.  s.  w.  Von 
den  Metallnamen  findet  sich  europ.-zig.  sastir  nur  im  Ka^mlri  wieder  als  sistar 
=  skr.  sastra.  dem  also  die  Lexikographen  mit  Recht  auch  die  Bedeutung  „Eisen" 
beilegen:  die  anderen  Hindiikus-Dialekte  haben  das  nordasiatische  timir  in  der 
Gestalt  rimer  u.  s.  w.  übernommen  und  nur  Paspatis  asiatische  Zigeuner  haben 
lui  „Eisen"',  loh  „Amboss"  aus  sla-.  loha.  Dromin  „Thaler",  bei  Liebich  S.  133 
auch  noch  dröchanien,  drnhamen,  neben  rupono  stimmt  allein  zu  khauar 
drokhum  „Silber".  Für  „Fluss"  sagen  die  deutsehen  Zigeuner  einfach  panin 
..Wasser";  die  übrigen  europäischen  Zigeuner  gebrauchen  das  etymologisch  dunkle 
len,  jene  asiatischen  nei  =  skr.  nadf,  welches  auch  torwäläk  nad  und  den  ent- 
sprechenden Wörtern  des  Bäskarik,  Narisati  und  Bäsgali  zu  Grunde  liegt,  während 
gauro  sind  und  die  Entspi'eehungen  im  Sina  und  i'ilis  natürlich  auf  skr.  sindhu 
zurückgehen.  Sämtliche  europäische  Zigeuner  sagen  für  skr.  pändu  „weiss" 
parno,  aber  die  asiatischen  nach  Paspati  buniiri,  penäri  entsprechend  bäskarik 
pänner.  Mlis  pänaio.  Dazu  nehme  man  die  dui'ch  v.  Sowa  S.  4  zusammen- 
gestellten Beispiele,  in  denen  das  Zigeunerische  gegen  den  sonstigen  Gebrauch 
mehr  mit  den  eigentlich  indischen  als  mit  den  Hindüküs-Dialekten  in  Übereinstimmung 
steht.  —  Viele  noch  ungelöste  Rätsel  der  Zigeunerkunde  würden  sicher  gelöst  werden, 
wenn  endlich  einmal  unsere  Kenntnis  der  asiatischen  Zigeuner  die  längst  wünschens- 
werte Erweiterung  erführe;  auch  das  dankenswerte  Buch  des  trelflichen  Patkanov 
zeigt  doch  erst  recht,  wie  sehr  wir  noch  zurück  sind.  Aufkläi-ung  bedarf  aber  nicht 
nur  die  Sprache,  sondern  auch  die  Verhältnisse  der  verschiedenen  Stämme,  über 
welche  man  ausser  Patkanovs  Zusammenstellungen  auch  die  Nachweise  des  Grafen 
Gobineau  in  ZDMG.  XI,  689  fC.  und  Dorns  Oaspia  S.  79  b  vergleichen  mag.  Hier 
wäre  für  philologisch  gebildete  Orientreisende  eine  reiche  Ernte  einzuheimsen. 

München.  Ernst  Kuhn. 


15* 


220  Weinholrl : 

Hauffeu,  Adolf,  Die  deutsche  Sprachinsel  üottschee.  Geschichte  und 
Mundart,  Lebensverhältnisse,  Sitten  und  Gebräuche.  Sagen,  Märchen 
und  Lieder.  Mit  vier  Abbildungen  und  einer  Sprachkarte.  (Quellen 
und  Forschungen  zur  Geschichte,    Litteratur  und  Sprache  Österreichs 

und    seiner    Kronländer herausgegeben    von  J.  Hirn   und  .1.  E. 

Wackernell.    Bd.  III.)     Graz,  Styria  1895.    Ss.  XVI.  466.    8". 

In  den  Jahren  18G9  und  1870  veröffenthchte  K.  Jul.  iSchröer  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  Studien  über  die  deutsche 
Sprachinsel  Gottschee  in  Krain  (Ein  Ausflug  nach  Gottschee.  —  Weitere  Mitteilungen 
über  die  Mundart  von  Gottschee).  Sie  betrafen  hauptsächlich  die  Mundart,  für 
welche  Sehr,  ein  Wörterbuch  zusammenstellte,  einschliesslich  von  Personen-  und 
Ortsnamen,  und  mit  Einschaltung  der  von  ihm  in  Gottschee  gesammelten  Volks- 
lieder. Diese  verdienstliclie  Arbeit  ist  bis  jüngst  die  ausführlichste  Mitteilung  über 
jene  südöstliche  ins  Slavische  eingesprengte  deutsche  Kolonie  geblieben,  und  sie 
wird  auch  ferner  ihren  Wert  behalten,  da  das  neuste,  von  uns  hier  angezeigte 
Buch  sich  ein  weiteres  Ziel  gesteckt  und  eine  umfängliche  Sammlung  der  Gottscheer 
Volkslieder  mit  Untersuchungen  darüber  zur  Hauptaufgabe  gemacht  hat. 

Herr  Dr.  A.  Hauffen  in  Prag,  der  dreimal  Gottschee  besucht  hat,  giebt  zuerst 
eine  Übersicht  über  das  geographische  und  geschichtliche  der  Sprachinsel,  handelt 
dann  von  der  Mundart,  die  er.  wie  ich  auch  gethan,  für  bayerisch-österreichisch  erklärt, 
mit  den  Zeichen  fremder  Einwirkung,  spricht  darauf  von  den  Lebensverhältnissen 
der  Gottscheer,  von  Tracht  und  Hausbau,  Sitten  und  Aberglauben,  teilt  aus  den 
Märchen,  Sagen  und  Schwänken  manches  mit  und  wendet  sich  dann  zu  den  Volks- 
liedern. Er  schickt  eine  Charakteristik  derselben  voraus,  geht  auf  stylistisches  und 
metrisches  ein  unter  Beifügung  von  Exkursen  und  giebt  dann  die  Texte  von 
141  Liedern,  an  welche  sich  noch  mehrei-e  Kinderbedchen  und  Auszählreime  an- 
schliessen,  denen  erläuternde  Anmerkungen  mit  vergleichenden  Hinweisen  auf  ver- 
wandte deutsche  und  slavische  Lieder  folgen.  K.  W. 


Starohrvatska  Prosvjeta.  Glasilo  hrvatskoga  stariuarskog  druztva  u  Kuinu 
(Altkroatische  Aufklärung.  Zeitschrift  der  archäologischen  Gesellschaft 
in  Kuin).    Eed.  von  F.  Radic  zu  Curzola.    Jahrg.  I.    Heft  1.    67  S.    4". 

Die  Gründer  sagen,  sie  hätten  die  Gesellschaft  aus  kroatischem  Patriotismus 
ins  Leben  gerufen,  auch  appellieren  sie  wiederholt  in  dem  Hefte  an  den  Patriotismus 
der  Kroaten  und  die  kroatischen  Patrioten,  als  ob  wissenschaftliche  Forschimg  von 
kroatischem  Patriotismus  unzertrennlich  wäre.  Dies  fällt  um  so  greller  in  die 
Augen,  als  es  sich  in  dem  stattlichen  und  prächtig  geratenen  Hefte  dieses  viel- 
versprechenden Unternehmens  weder  um  die  alten,  noch  die  jungen  Kroaten 
handelt,  sondern  vielmehr  um  kulturhistorische,  ethnographische  und  volkskuudliche 
Gegenstände  auf  dalmatischem  und  bosnisch-herzögischem  Boden.  Wir  erfahren, 
dass  im  Knin  ein  „Erstes  Museum  kroatischer  Denkmäler''  besteht  und  finden 
gleich  auf  S.  8  das  Bild  eines  Frauenzimmers  von  einem  „kroatisch"-byzantmischen 
Tegurium  (Grabdeckung).  Es  ist  ein  Madonnenkopf  nach  übbcher  Schablone  mit 
einem  Steinkranz  als  Heiligenschein  ums  Haupt  Radio,  der  Beschreiber,  vergleicht 
ihn  mit  zweien  ähnlichen  Steindenkmälern,  die  sich  in  Konstantinopel  vorfinden, 
während  doch  der  Kopf  und  die  ganze  Haltung  der  Figur  fast  in  jeder  griechisch- 
orientalischen Kirche  auf  Bildern  wiederzufinden  sind.  —  Frater  Stefan  Zlatovi'^ 


Büchoranzeigen.  221 

beginnt  eine  historisch-ethnogTaphiseln'  Untersuchung  über  altkroatische  Zupen  (terri- 
torialrechtliche Sippen-  und  Stammverbändc)  in  Dalraatien  und  den  alten  Städten'  auf 
dem  Pestlande  vom  Velebit  an  bis  zur  Narenta.    Die  Klaic  und  SmiMklas,  die  er  (S.  8) 
citiert.  sind  für  die  Peststellung  dieser  Sachen  unzureichende  Kompetenzen.     Inter- 
essant   ist    nur    die  Zusammenstellung  der  Zupennamen.    dagegen  sehr  anfechtbar, 
was  er  über  die  alten  Burgen  mitteilt,  da  er  einfach  mittelalterliche,  abendländische 
Burggehöfte  mit  den  Donjons  beschreibt.    Ein  anschauliches  Bild  z.  B.  der  Neeven- 
Veste    im    Kniner  Bezirk    giebt    samt    dem  Grundriss  (S.  46—50)    Grgur   Urlic 
Ivanovic.    aber    das    sind   ja  unsere  alten  deutschen,    oder  wenn  man  will  fran- 
zösischen Burgen,  die  man  doch  füglich  nicht  ,. altkroatische  Burgen''  nennen  darf, 
weil    einmal    ein    kroatischer  Rittersmann    auf   der  Burg  gehaust.    AVichtiger  und 
ergebnisreicher    wären    eingehende    Untersuchungen   über    den  Haus-    und  Block- 
häuserbau   und   über  Dorfanlagen  im  dalmatischen  Karstgebiete  bis  an  die  monte- 
negrische  Grenze.    Schlichte  Beschreibungen  und  gute  Abbildungen  der  vorhandenen 
Baulichkeiten  zu  liefern,  wäre  hier  an  und  für  sich  schon  ein  Verdienst.  —  Frater 
Ivan  Barbic  beschreibt  einen  im  Pranziskanerkloster  befindlichen,  wie  er  vermutet, 
aus  St.  Gallen  im   14.  Jahrh.  stammenden  Codex  von  lateinischen  und  griechischen 
Kircheiigesängen,    die  mit  einer,    wie  versichert  wird,    seltsamen  Notenschrift  ver- 
sehen sind.     (Evans  und)  Radii-    besprechen   ein  zu  Knin  befindliches  Filastrum 
aus  dem  6.- oder  T.Jahrhundert.  —  Lehrreich  verspricht  zu  werden  die  Studie  des 
Pfarrers  Peter  Kai'r    über  altbosnischc  Grabdenkmäler  (S.  27—34),    die  hier  mit 
2  Tafeln    verschiedener,    auf   Grabsteinen    vorkommender  Kreuze    illustriert    wird. 
Darunter  ist  auch  das  Hakenkreuz  in  mehreren  Formen  vertreten.     Anschliessend 
daran    bespricht  Vid  Vuletic  Vukasovic,    der    eigentliche  Begründer   der  süd- 
slavischen  Palaeographie    der  Grabsteine    einen    alten    herzögischen  Grabstein  aus 
dem  Dorfe  Vlahoviri.     Der  Stein  ist  einem  Herzog  (voevoda)  Vukosav  Vlacevic 
gesetzt  worden.    Ein  noch  wenig  behandeltes  Thema  versucht  Frater  A.  Vukioevic 
aufzunehmen    mit    seiner    Studie    über    Dalraatien    und    die    albanesische    Sprache 
(S.  42—45).  '  Seiner,  auf  gewagten  Etymologien  beruhenden  Beweisführung  vermag- 
ich    nicht    zu    folgen.     Er  gelangt  zum  Ergebnis,    dass  Dalraatien  „Heldenland", 
dolaraa    „Heldengewand'-.    Delminium   ..Heldenburg"   und  Dalmatae  „Helden'" 
bedeute.     Seltsam  mutet  einen  an.  dass  er  zur  Peststellung  der  Bedeutung  einzelner 
albanesischer    Worte    die    albanesische    Übersetzung    eines    Missales    citiert,    von 
v.  Hahns  und  Gustav  Meyers    grundlegenden  Studien   aber  keine  Notiz  nimmt. 

Der  Zeitschrift  ist  eine  gedeihliche  Entwicklung  zu  wünschen. 

Wie,].  Dr.  Friedrich  S.  Krauss. 


A   pliilological   essay   concerning   the    Pygmles   of  tlie    ancients.     By 

Edw.  Tyson,  M.  D.  a.  d.  1699.  Now  edited  witli  an  introduction 
treatiug  of  Pigmy  races  and  Fairy  tales,  by  Bertr.  C.  A.  Windle, 
1).  Sc.  M.  D.  .  .'.  .  London  MDCCCXCIY.  David  Nutt  SS.  CIV. 
103.     8». 

Der  neunte  Band  der  Bibliotheque  de  Carabas  von  M.  Andr.  Lang  bringt  den 
Xeudruck  der  Abhandlung  des  englischen  Mediziners  E.  Tyson  von  1699  über  die 
Pygmäen,  Kynocephali.  Satyrs  und  Sphinxe  der  Alten,  welcher  beweisen  wollte, 
dass  das  alles  Affen  und  nicht  menschenartige  "Wesen  waren.  Ein  moderner  Kollege 
des  alten  Gelehrten.  Dr.  Windle,  Professor  der  Anatomie  am  Mason-Coliege  in 
Birmingham,    hat.  dazu  eine  ebenso  lange  Einleitung  geschrieben,  welche  zunächst 


222 


Wfinhold: 


ausführt,  dass  es  in  Afrika.  Asien  und  Oceanien  Menschenrassen  giebt,  die  kleiner 
als  unsere  sind,  so  zu  sagen  Pygmäen.  In  Europa  und  Amerika  Hessen  sich  keine 
Spuren  davon  finden.  Darauf  weist  Herr  W.  die  Pygmäen  der  Alten  (namentlich 
nach  Herodot  und  Plinius;  in  heutigen  Völkerschaften  nach.  Drittens  handelt  er 
über  die  Sagen  von  Feen.  Trollen  und  Kobolden,  die  sich  an  alte  Stein-  vmd 
Grabdenkmäler  knüpfen.  Zuletzt  wendet  sich  Herr  W.  gegen  Herrn  Mac  Ritchie, 
welcher,  wie  früher  schon  andere,  in  dem  Peenglauben  die  Spuren  einer  vor- 
historischen Pygmäenrasse  in  Europa  finden  will.  Das  ethnographische  Material 
über  die  Zwergvölker,  das  in  diesei'  Abhandlung  niedergelegt  ist,  wird  das  meiste 
Interesse  beanspruchen.  Wir  müssen  aber  auf  die  Abhandlung  von  Dr.  J.  Kolluiann 
in  Basel  aufmerksam  machen:  Das  Schweizersbild  bei  Schaffhausen  imd  Pygmäen 
in  Europa'),  worin  auf  Grund  von  Skelettfunden  aus  der  älteren  neolithischen 
Periode  erwiesen  wird,  dass  neben  hochgewachsenen  Varietäten  des  Menschen 
auch  eine  pygmäenhafte  Varietät  in  Europa  gelebt  hat,  wie  das  noch  heute  in 
anderen  Erdteilen  der  Fall  ist  und  schon  in  den  ältesten  Zeiten  der  Fall  war. 
Dr.  Kollmann  behauptet  auch  für  Amerika  die  Existenz  von  Pygmäen.-) 

K.  W. 


Niederlausitzer  A^olkssageii.  (gesammelt  und  zusammengestellt  von  Karl 
U  ander.  Berlin.  Dtnitsrhc  Schriftstoller  -  Hcnossenschaft.  ]8^4. 
S.  XYII.   197.     8°. 

Für  die  Jetzt  noch,  oder  vor  kurzem  noch  wendischen  Teile  der  Niederlausitz 
hat  W.  V.  Schulenburg  die  Sagen  und  Gebräuche  zuverlässig  und  mit  Verständnis 
gesammelt.^)  In  dem  vorliegenden  Buche  hat  der  Verf.  vornehmlich  den  Kreis 
Guben,  ein  schon  länger  germanisirtes  Gebiet,  in  jahrelanger  Sammlung  der  Sagen 
ausgebeutet  und  was  ihm  sonst  noch  aus  der  Xiederlausitz  erreichbar  war,  ein- 
gefügt. Wir  können  das  Buch  loben:  es  ist  lleissig,  sorgsam,  mit  grosser  Liebe 
zur  Sache  ausgeführt.  Die  überwiegende  Zahl  der  Sagen  floss  unmittelbar  aus 
dem  Volksmnnde. 

Auf  dem  ursprünglich  wendischen  Boden  sind  eigentlich  slavische  Sagen  nicht 
geerntet  worden:  wir  begegnen,  was  Hr.  G.  in  dem  Vorworte  S.  VII  ebenfalls 
hervorhebt,  denselben  Sagen,  wie  im  rein  deutschen  Lande.  Kritische  Forscher  in 
slavischer  Mythologie  haben  ja  längst  erkannt,  wie  die  westlichen  Slaven  von  dem 
deutschen  Geistesleben,  selbst  in  dem  Bereiche  religiöser  Phantasie,  aufs  stärkste 
durchtränkt  waren,  und  so  darf  die  deutsche  Natur  der  Sagen  der  Spree-Sorben 
nicht  überraschen,  zumal  die  älteste  Grundlage  der  Slaven  und  Germanen  dieselbe 
gewesen  ist. 

Im  einzelnen  will  ich  aus  dem  Ganderschen  Buctie  aufmerksam  machen  .-aif 
die  vielen  Sagen  vom  Nachtjäger,  wie  der  wilde  Jäger  in  der  Nieder-  und  Ober- 
lausitz, gleichwie  in  Schlesien,  auf  Rügen  und  im  Elsass  heisst:  auch  Grenzjäger 
heisst  er  hier  (No.  11).  weil  er  auf  Dorfgrenzen  jagt:  auch  Feldjäger  (No.  6). 
Hervorzuheben  ist  sein  Auftreten  in  Vogelgestalt,  namentlich  als  Raubvogel:  in 
Schlesien  nimmt  er  Kuckucks-Gestalt  an.  wie  ich  aus  einer  Sage  vom  Fusse  des 
Eulengebirges  weiss.    Wenn  er  in  No.  !'  als  kleines  Männchen  sich  zeigt,  sn  beruht 

1)  Zeitschrift  flu-  Ethnologie.    Bd.  XXV I.  S.  I,s9--2.ö4  (Berlin  1894). 
-~  Eine  Hinweismig    anf   diese  Aliliandhmg  hat  Dr.  WiiiiUe  .-ielbst,    wie  ich  sehe,    iu 
einer  Note  auf  S.  XXXVItl  gemacht. 

3)  Veckenstedts  Sannnlnug  kann  nur  uiit  Vorsicht  benutzt  werdeu. 


Büi:lioraii7.iiigpn.  223 

das  auf  moderner  Vermischung  von  Nachtjäger  und  Unterirdischem.  Meist  erscheint 
er  kopflos,  gleich  anderen  unseligen  Geistern,  die  „umgehen"  müssen. 

Die  Zwerge  oder  Unterirdischen  führen  in  der  Niederlausitz  meist  den  Namen 
Heinchen  (ob  Heinzelmännchen  echt  lausitzisch  ist,  möchte  ich  bezweifeln);  auch 
der  Name  Jüdehen,  Jüdelchen,  Jülchen  kommt  nicht  selten  vor,  was  auf  Gütchen 
zurückgeht,  die  guten  Leutchen,  die  goodfellows  englischer  Sage:  Erdleute  heissen 
sie  in  den  No.  116 — llis.  Der  Name  Luttchen  ist.  wie  Hr.  G.  selbst  anmerkt, 
aus  dem  wend.  ludky,  die  Leutchen,  entsprungen.  Bemerkenswert  sind  die  Irr- 
lichtersagen No.  122 — 135.  257,  welche  die  Koboldnatur  dieser  Feuerelben  bezeugen. 
Hervorhebung  verdient  die  aus  dem  altschlesischen  Kreise  Kressen  stammende 
Sage  No.  90.  wonach  der  Drache  (Peuerkobold)  in  Gestalt  eines  Hütejungen  dem 
Bauer  dient.  Unter  den  Sagen  von  Wassergeistern  hebe  ich  No.  151  u.  152  hervor, 
weil  sie  den  Nix  in  Pischgestalt  zeigen.  Die  Ausführungen  der  Anmerkung  dazu 
sind  verfehlt. 

Die  Lausitz  ist  sehr  reich  an  Spuk-  und  Gespenstergeschichten  von  dem 
allgemeinen  Charakter  dieser  aus  altem  Seelenglauben  entsprungenen  Sagen  (S.  77 
bis  112).  Auch  sogenannte  Dorftiersagen  kommen  vor,  wie  denn  überhaupt  fast 
alle  mythischen   Überlieferungen  vertreten  sind. 

Aus  den  geschichtlichen  Sagen  sei  die  vom  alten  Fritz  als  Handwerksbui'sehe 
angemerkt  (No.  282),  die  sich  auch  in  Pommern  findet.  Die  Belagerung  der  kleinen 
Festung  Peitz  (No.  334)  kam  im  siebenjährigen  Kriege  vor.  Bei  meinem  Urgross- 
vater,  dem  Pastor  F.  Th.  Lademann  in  Madlow  bei  Kottbus  verkehrte  eine  Frau 
Domeyer,  die  als  junges  Mädchen  die  wunderbare  Rettung  der  Belagerten  miterlebt 
hatte,  welche  auf  dem  Marktplatz  im  Gebete  knieend,  jeden  Augenblick  erwarteten, 
in  die  Luft  zu  fliegen.  K.  Weinhold. 


Strack,  H.  L.  Der  Blutaberglaubo  in  der  Menschheit,  Blutniorde  und 
Bhitritus.  Zugleich  eine  Antwort  anf  die  Herausforderung  des  Osser- 
vatoi-e  ciittülico.  IV.  Auflage.  München,  C.  11.  Beck  (Oskar  Beek.) 
1892.     1^5  S.     8". 

Die  Thatsiiche.  dass  alljährlich  um  die  Osterzeit  den  Juden  der  Vorwurf 
gemacht  wird,  sie  verwendeten  Christenblut  zu  ihren  rituellen  Zwecken,  giebt  dem 
bekannten  Verfasser  Anlass  zu  einer  Betrachtung  des  Blutglaubens  der  Menschheit 
überhaupt  und  der  Juden  im  Besonderen.  Er  lässt  dabei  vorwiegend  die  Quellen 
selber  reden,  hält  sich  fern  von  jeder  Liitiation  und  will  so  ein  um  so  objektiveres, 
gleichsam  historisches  Urteil  im  Leser  hervorrafen.  Obwohl  schwer  gereizt  durch 
die  hämischen  Angriffe  des  Osservatore  cattolico.  hält  sich  der  Verfasser  stets 
durchaus  sachlich  und  abstrahiert,  mit  Ausnahme  unumgänglicher  Namensnennung 
seiner  Feinde  in  der  Einleitung,  im  Buche  selber  beinahe  völlig  von  der  Person 
derselben.     Seine  Ausführungen  sind  folgende: 

Alle  Religionen  des  Altertums  sind,  weil  auf  Opfer,  auf  Blut  gegründet;  als 
edelstes  und  folglich  als  wirksamstes  Opfer  galt  das  Blut,  und  zwar  das  Blut  des 
Menschen.  Wachsende  Kultur  erst  verwarf  den  Blutritus,  aber  diese  Kultur  hat 
ihren  Sitz  immer  nur  in  verhältnismässig  wenigen  Vertretern  der  Nation ;  diebreite 
Masse  des  Volkes  hält  am  Hergebrachten  noch  lange  zähe  fest,  —  was  Ritus  war, 
wird  Aberglaube.  Da  spielt  denn  das  Blut  seine  Rolle.  Es  dient  zur  Bekräftigung 
des  gegebenen  Wortes,  wie  wir  es  in  unserem  Germanien  von  dem  Blutbrüder- 
schafttrinken her  kennen,  wie  es  von  den  Scythen,  Lydern,  Medern  und  zahlreichen 


224  Siihiis: 

anderen  Völkern  des  Altertums  beglaubigt  ist.  es  dient  (nnd  hier  besonders  das 
Menstrnulblnt!)  seit  den  ältesten  Zeiten  zu  Heilzwecken,  es  dient  nach  Ansicht 
besonders  unseres  Mittelalters  (der  arme  Heinrich!)  zur  Heilung  des  Aussatzes. 
Dabei  braucht  es  nicht  fremdes  Blut  zu  sein,  was  auf  den  Körper  wirkt,  es  kann 
nach  landläufiger  Meinung  auch  das  eigene  sein,  das  Blutungen.  Wassersucht, 
Fieber,  Zahnschmerzen  u.  s.  w.  heilt.  Für  besonders  wirksam  wurde  und  wiril 
noch  in  unserem  erleuchteten  Jahrhundert  das  Blut  von  Hingerichteten  und  Selbst- 
mördern gehalten,  ja  den  Leichen  selbst  wird  —  z  B.  bei  der  Berührung  irgend 
eines  kranken  Gliedes  mit  dem  verwesenden  Körper  —  ziemlich  allgemein  eine 
heilkräftige  Wirkung  (Geschwülste,  Warzen!)  zugeschrieben.  Sogar  dem  Tierblute 
sollen  wunderbare  Wirkungen  anhaften,  \vie  aus  zahlreichen  Quellen  und  Mit- 
teilungen nachgewiesen  wird.  Indessen  empfiehlt  sich  bei  den  Menschen  als 
besonders  dankbares  Objekt  das  Blut  von  neugeborenen  Kindern  und  schwangeren 
Frauen,  aus  dem  unter  Benutzung  auch  der  Fettsubstanzen  des  Objektes  allerlei 
Dinge,  wie  Diebskerzen,  heilkräftiges  Menschenfett  und  gar  wunderbare  Zauber- 
raittel  zubereitet  werden.  Natürlich  hat  dieser  Aberglaube  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte zu  zahllosen  Verbrechen  geführt,  von  denen  Stiack  eine  reiche  Auslese 
l)ietet.  Auch  der  Hexenhammer  weiss  davon  zu  erzählen.  Der  Ritus  des  Kultur- 
volkes aber  weiss  vom  Menschenmorde  nichts  mehr,  auch  der  des  jüdischen 
Volkes  nicht.  Nicht  bei  den  Juden  findet  sich  der  Ritualmord,  wohl  aber  ist  er  für 
einzelne  gnostische  und  karpokratianische  Sekten  der  Christen  wahrscheinlich  gemacht. 
So  kann  man  von  einem  Blutritus  der  Juden  nicht  reden:  dass  aber  Blutmorde  auch 
aus  dem  sehr  lebhaften  und  durch  den  Umgang  des  Volkes  mit  allen  möglichen 
anderen  Nationen  nur  noch  gesteigerten  jüdischen  Aberglauben  hervorgegangen 
sind,  wer  will  es  leugnen?  Giebt  es  doch  auch  Belege  dafür.  Wer  aber  wollte 
für  derartige  Ausgeburten  des  Aberglaubens  das  Christentum  oder  das  Judentum 
an  sich  verantwortlich  machen?  Für  das  Judentum  steht  jedenfalls  soviel  fest, 
dass  weder  in  dem  Talmud,  noch  in  der  sonstigen  auf  das  mosaische  Religions- 
gesetz bezüglichen  Litteratur  eine  Stelle  beigebracht  werden  kann,  aus  der  man 
schiiessen  dürfte,  dass  bei  ihnen  Menschenblut  zu  vergiessen  gestattet  gewesen 
sei.  Dadurch  wird  die  Nachrede,  als  bedienten  sie  sich  des  Christenblutes  zu 
ihren  ritualen  Bräuchen,  von  selbst  hinfällig,  immer  zugegeben,  dass  wohl  hier 
und  da  vom  Aberglauben  derlei  Dinge  veranlasst  sein  können.  Warum  sollte  nicht 
auch  jüdischem  Aberglauben  möglich  sein,  was  dem  chiistlichen  möglich  gewesen? 
Nun  —  wir  wiederholen  das,  weil  es  den  Kern  der  Untersuchungen  des  Strackschen 
Buches  bildet,  —  nur  für  den  Ritualmord  finden  sich  durchaus  keine  Belege,  und 
die  Stellen  des  Talmud,  aus  welchen  man  derlei  herausgelesen  hat,  sind  sämtlich 
(und  oft  nicht  ohne  Absicht,  wie  im  Osservatore  cattolico  und  den  deutschen 
Nachbarn  desselben)  Kritiklos  behandelt  und  falsch  gedeutet.  Auf  der  Folter 
erpresste  Zeugnisse  und  Angaben  können  keinen  Anspruch  auf  Glaubwürdigkeit 
machen,  und  alle  die  nach  dieser  Richtung  hin  erhobenen  Beschuldigungen  haben 
sich  (bekanntlich  auch  noch  in  unserer  Zeit)  als  unhaltbar  erwiesen. 

Alles  das  klar  dargelegt  zu  haben,  ist  das  Verdienst  des  auch  für  den  Folk- 
loristen in  vieler  Hinsicht  interessanten  Strackschen  Buches,  das.  wie  bereits  her- 
vorgehoben, tim  so  mehr  wirken  wird,  als  es  stets  die  Quellen,  amtlichen  Mit- 
teilungen und  Entscheidungen  reden  und  das  eigene  Urteil  dagegen  zurücktreten 
lässt.  Wir  haben  durchaus  keine  Vorliebe  für  das  israelitische  Volk,  besonders 
nicht  für  die  wuchersüchtigen  und  anmassenden  Vertreter  desselben,  wie  sie  uns 
in  diesen  Tagen  nicht  seifen  entgegentreten  und  bei  dem  allgemeinen  Tanze  um 
das    goldene    Kalb    ihre    Rolle    spielen,    aber  höher  als  persönliches  Gefühl  steht 


Bnchci'anzi'igpu.  225 

die  Wahrheit,  und  von  diesem  Standpunkte  aus  begrüssen  wir  die  Darlegungen 
Stracks  mit  Freude.  Sie  sind  zu  gleicher  Zeit  die  beste  Mannesautwort  auf  die 
gehässigen  und  unwiü-digen  Verdächtigungen  und  Schmähungen  des  Osservatore, 
und  wenn  sie  des  Ferneren  dazu  beitragen  werden,  den  auch  in  unserer  Zeit  noch 
üppig  wuchernden  Auswüchsen  des  krassesten  Aberglaubens  allmählich  den  Boden 
zu  entziehen,  so  wird  ein  Herzenswunsch  des  Verfassers,  jedes  Guten  seiner  Nation 
und  zweifellos  auch  der  Gebildeten  und  Wohlmeinenden  der  jüdischen  Nation 
erfüllt  sein. 

Gandersheim.  Dr.  Sohns. 


Georg  Schläger,    Studli'ii  über  das  Tagelied.     Jena,  Frominami,  1895.  — 

89  S.     8". 

Obwohl  das  Tagelied  in  den  mittelalterlichen  Litteraturen  vorzugsweise  von 
höfischen  oder  gelehrten  Dichtern  gepflegt  worden  ist,  hat  doch  die  ganze  Gattung 
srhon  wegen  ihrer  starken  Vertretung  im  Volksliede  Bedeutung  für  die  Volkskunde. 
Auch  fasst  Schläger  das  Thema  in  seiner  vollen  Breite,  indem  er  zwar  eine  alt- 
französische „aubade"  in  den  Vordergrund  stellt,  aus  Untersuchung  ihrer  Ursprünge 
aber  sofort  in  allgemeine  Erörterungen  über  das  Tagelied  eintritt.  Er  unterscheidet 
das  volkstümliche  Lied  von  Liebesgcnuss  und  Scheiden  (S.  15  f.)  von  dem  höfischen 
Tagelied  (S.  24),  das  in  der  provenzalischen  Poesie  seine  charakteristische  Aus- 
bildung (S.  oQ  f.)  findet  und  vor  allem  durch  die,  nach  Schläger  völlig  konventionelle, 
Figur  des  Wächters  gekennzeichnet  wird  (S.  39).  Das  geistliche  Wächterlied 
(S.  46  f)  habe  mit  der  alba  nicht  das  mindeste  zu  schaffen,  sondern  ruhe  ganz 
und  gar  auf  biblischer,  bezw.  kirchlich-traditioneller  Grundlage  (S.  57).  Die  alt- 
IVanzösischen  Tagclieder  (S.  57  f )  sind  ein  weniger  gepflegter  Nebenschössling  der 
provenzalischen  (S.  70);  diese  selbst  aber  sollen  sich  nicht  (wie  Scherer  und  Ref. 
annahmen)  aus  dem  Wächterruf  (S.  79)  entwickelt  haben,  auch  nicht  (wie  Schack 
und  Otto  meinten)  aus  der  arabischen  Poesie  stammen  (S.  83),  sondern  sie  wären 
durch  Vermittelung  der  Kleriker-  aus  dem  klassischen  Altertume  herzuleiten,  und 
zwar  sei  der  pseudoovidische  Brief  Ijeanders  an  Hero  (S.  87)  eine  Hauptquelle.  — 
Mir  will  es  nicht  allzu  wahrscheinlich  scheinen,  dass  eine  ganze  reich  entfaltete 
Dichtungsgattung  einen  so  engen  Ursprung  haben  soll :  auch  pflegten  die  Vaganten, 
wo  sie  Klassiker  nachahmten,  und  die  Dichter  der  Nationallitteraturen,  wo  sie 
wieder  den  Klerikern  folgten,  nicht  so  viel  abzustreifen,  wie  sie  hiernach  beseitigt 
haben  iniissten.  Für  die  Volkskunde  behält  aber  jedenfalls  die  scharfe  Scheidung 
zwischen  dem  der  Kunstpoesie  angehörigen  „Tagelied"  und  verwandten  volks- 
tümlichen Gattungen  ihre  Bedeutung;  nicht  minder  das,  was  der  gelehrte  und 
scharfsinnige  Verfasser  (besonders  S.  22,  Anni.)  über  die  Volkspoesie  im  allgemeinen 
und  (S.  19  f.)  über  die  älteste  mittelhochdeutsche  Dichtimg  vorträgt. 

Berlin.  Richard  H.  Meyer. 


Kluge,    Friedrich.      Deutsche    Studentensprache.     Strassburg,    Trübner. 

1895.     136  S.     8». 

1. 

Ein  Buch  von  der  deutschen  Studentensprache  nehmen  wir  nicht  wie  ein 
anderes  Wortregister  bloss  zu  wissenschaftlicher  Belehrung  und  vielleicht  einei 
auf   das    grosse  Vaterland    oder    die    engere  Heimat    gerichteten  Erbauung   in  die 


226 


StOiinidt: 


Hand,  sondern  halb  frohe,  halb  wehmütige  Gedanken  an  den  hoffnungsvollen  Hoch- 
sinn   wie    an  den  vergnügten  Unsinn  entschwundener  Jugend  umrankt  das  Spalier 
mit  frischem  Grün.     ..Ihr  bringt  mit  euch  die  Bilder   froher  Tage"  .  .  .     Man  muss 
selbst  Student   gewesen    und    auf   die    rechte  Art  geblieben  sein,    um  ein  solches 
Werk  gehörig  zu  lesen  und  zu  verstehen,  um  sich  HaulTs  beredte  Frage  zu  beant- 
worten: „Wie  soll  ich  dich  nennen,  du  hohes,  rohes,  edles,  barbarisches,  liebliches, 
unharmonisches,    gesangvolles,    zuriickstossendes    und  doch   so   mild  erquickendes 
Leben  der  Burschenjahre?"  und  diese  Dissonanzen  einhellig  aufzulösen.     Für  eine 
umfassende  Geschichte  des  deutschen  Studententums  liegt  ein  ungeheures  gedrucktes 
und  auch  handschriftliches  Material  vor.  das  den  Darsteller  aber  leicht  beirrt.    Da 
alle  Satire  und  Strafpredigt  ihre  Wucht  aus  der  Übertreibung  zieht,  darf  man  etwa 
das  Schönsten-    und  Pennalwesen  des   siebzehnten  Jahrhimderts  nicht  bloss  durch 
die  scharfen  Gläser  der  Meyfart  anschauen;    ein  Fehler,   den  auch  Tholuck  kaum 
vermieden    hat.     In  Jena  ist  nicht  bloss  „renommiert  und  in  Leipzig  nicht  bloss 
„gelöff'elt"'  worden,  so  sehr  beide  Elemente  ihren  privaten  und  litterarischen  Nieder- 
schliig   gefunden    haben    und  wie  gewandt  sie  Zachariä  einander  gegenübergestellt 
hat.     Weil    Laukhard    ein   Lüdrian    war    und    nur    die  Wüstheit  Giessischer   und 
Hallischer  Burschen  im  Hohlspiegel  aufzufangen  vermochte,  gab  er  eine  Rarikatui', 
kein  Abbild    der    akademischen  Zustände    beider  Orte,    und   wir  werden  den  ver- 
kommenen Gesellen,    trotz  Merck    und    trotz    der    von    dem    jungen  Goethe  nach 
Giessen  gesandten  \Varnung  ,.Gewöhnt  Euch  keine  akademistische  Sitten  an",  nicht 
für   den    treuen  Geschichtschreiber  des  Studentenlebens  in  Goethes  Jugendzeit  er- 
achten, wie  Kluge  geneigt  ist.     Dass  in  der  Litteratur.  der  romanhaften  besonders, 
das  Rüde  verwaUet  und  auch  zahmere  Blätter  mehr  vom  Raufen  und  Saufen,  von 
Nymphen,    Schnurren    und  Philistern    berichten   als  von  der  ernsten  Erfüllung  des 
Die    cm-    liic.    ist    nur    zu    begreiflich,    kann    allein    Sauertöpfe    verdriessen,    darf 
aber  den  Historiker  nicht  in  schwarzfärbende  Einseitigkeit  hineintreiben.     Er  muss 
von    den  namenlosen  Helden  jener  Suiten  auf  die  Semler,    die  Reiske,   die  Heyne 
blicken,    deren  harte  Jugend  nichts  Burschikoses  kennt,    und  überhaupt  nach  den 
Früchten    älteier  Wissenschaft  die  Tüchtigkeit  des  Stammes  beurteilen;    wie  denn 
nicht    nur  Klopstocks    i'ciner  Jugendbund,    sondern   auch  Lessings   anakreontischer 
Kreis    den    akademischen  Schlendrian    samt    seinem  teils   niedrigen,    teils  lustigen 
Rauderwälsch  ganü  verleugnet,    später  aber  die  Überfüllung  der  Hörsäle  Schillers. 
Reinholds,  Fichtes,  Schellings  einen  höheren,  über  das  Brotstudium  hinwegfliegenden 
Bildungseifer  bezeugt,  den  die  strenge  Spezialschuluug  unserer  Zeit  nicht  aufwiegt. 
Die    der  Geschichte    einzelner  Universitäten    gewidmeten  AA'erke  kommen  mit 
Suhilderangen  imd  Aktenstücken  auch  der  Kunde  älteren  Studentenlebens  zu  Gute, 
verweilen  aber  selten  in  den  Niederungen.     Nur  das  bunte  Treiben  an  der  so  ein- 
flussreichen  und  als  Wiege   der  Burschenschaft  ausgezeichneten  Jenaischen  Hoch- 
schule hat  seine  besonderen  Historiographen  in  den  Gebrüdern  Keil  gefunden,  denen 
wir    auch   reiche  Gaben  aus  Stammbüchern  'md  Liederheften  verdanken:    und  ob- 
wohl   ein  geprüftes  Auge  an  diesen  Arbeiten  mancherlei  zu  bemängeln  findet,    so 
folgt  es  doch  Robert  Keil  im  akademischen  Bereiche  lieber  als  in  Goethes  Revier 
seiner    abgeschmackten  Gehässigkeit   gegen  Frau  v.  Stein.     Ein    hübsches  Allerlei 
bot  das  „Stammbuch  des  Studenten",  Stuttgart  (Spemann)  o.  J.    Aus  der  Studenten- 
dichtung   habe    ich    einige    zusammenhängende   Komödien  de  rita  siudiosorum    des 
IC.  und  17,  Jahrhunderts   herausgegriffen  (Leipzig  1880)    und    untersucht    und    im 
raschen  Epilog    weitere  Ausblicke  geboten:    diese  Blätter  hätten  trotz  den  flüchtig 
aufgerafften    Anmerkungen    immerhin    ein    Citat    in    der    trefl'liohen    Ausgabe    des 
Schochschen  Spieles    von  W.  Fabricius  (München  1892),    dem  um  die  Geschichte 


Bticlii'raii/.oiyeli.  227 

der  Orden  (1891)  wohl  verdienten  Forscher.  Riiden  können.  Zarnckes  Gelehrsamkeit 
hat  sich,  von  kleinen  Spenden  :iba'es<'hon.  nui-  dm  krausen  und  verwegenen  Spielen 
der  Humanistenzeit  zugewandt.  Aber  auch  was  noch  heute  an  Kneiptischen  erklingt, 
das  Kommerslied,  wird  nach  einzelnen  Anliiul'en  Hoffmanns  von  Fallersleben, 
Schwetschkes  u.  a.  neuerdings  durch  Bolte  und  vor  allem  durch  Priedländers  auf 
Texte  und  Weisen  gleichmässig  erstreckte  Sorgfalt  wissenschaftlicher  Betrachtung 
u-ewürdigt.  IHlettantisch  im  guten  und  im  üblen  Sinn  gab  1.S82  Pernwei'th  von 
Barnstein  ein  Verzeichnis  der  Studentenlitteratur,  dessen  freilich  überall  der  Er- 
gänzung und  Nachprüfung  bedürftige  Rubriken  zu  eindringender  Arbeit  auffordern 
mussten.  In  Pernwerth  war  der  Altbursch  starker  als  der  Gelehrte,  aber  ohne 
eio'ene  mnige  Fühlung  mit  dem  Burschentum  wird  es  auch  der  belesenste  und 
geschulteste  Germanist  nicht  zwingen.  Der  Burgkeller  oder  Lichtenhain  kami  ihm 
oft  mehr  liefern  und  erläutern  als  Studierstube  und  Bibliothek.  Als  daher  ver- 
lautete, F.  Kluge  plane  eine  Darstellung  der  Studentensprache,  weckte  ausser  seiner 
zweifellosen  wissenschaftlichen  Legitimation  auch  der  Umstand,  dass  er  in  Jena 
an  der  unversiegten  und  unversiegbaren  Quelle  sass,  ein  sehr  günstiges  Vorurteil, 
das  seit  1892  durch  vorläufige  Mitteilungen  niu-  gesteigert  wurde. 

Der  Lexikograph  verfolgt  heute  nicht  bloss  die  .Wisicht  der  Kindleben  und 
Augustin,  ihrer  Vorgänger  seit  1749  und  ihrer  Nachfolger  bis  zum  Breslauer  Register 
von  1862.  Diese  alle  buchen  als  Exstudenten,  was  ihnen  selbst  von  einer  odei- 
mehreren  Universitäten  her  ganz  geläufig  ist.  Sie  schöpfen  aus  der  lebendigen 
Umgangspiache.  nicht  aus  der  gedruckten  Überlieferung.  Der  wüste  schweizerische 
Pseudonynuis  A'ollmann  verrät  zwar  1846  in  dem  zweibändigen  burschikosen 
Wörterbuche  seine  Vertrautheit  mit  älteren  Gewährsmämiern,  vor  allem  jedoch 
seine  erstaunliche  Beherrschuni;'  der  umlaufenden  Worte.  Formeln  und  Bräuche: 
leider  mit  einer  grobianisehen  Neigung,  in  den  Pfützen  niedrigster  Minne  zu 
plätschern.  .Aber  zimperlich  darf  man  auf  diesem  Gebiete  nicht  sein,  sondern  muss, 
Lutherisch  zu  reden,  auch  in  den  Dreck  hineingreifen.  Der  lebenden  Sage  Herr, 
hat  der  wissenschaftliche  Lexikograph  dagegen  die  gesamte  gedruckte  und  schrift- 
liche Überlieferung  von  Alters  her  durchzuackern,  den  Ursprüngen  und  Wandelungen, 
dem  Blühen  und  Welken  aller  Ausdrücke,  stets  Wort  und  Sache  verbindend,  nach- 
zugehen, lokale  Begrenztheit  imd  weite  Verbreitung  zu  beobachten.  Obsoletes, 
Langlebiges  und  jüngste  Neubildungen  zu  verzeichnen.  Er  wird  gewiss  immer 
nur  Stückwerk  liefern,  denn  die  Quellen  veisagen  ihm  oft  eine  Auskunft,  und 
eine  örtliche  Scheidung  z.  B.  kann  in  vielen  Fällen,  wo  Jena,  Tjeipzig,  Halle  Ge- 
meinbesitz zeigen  und  ihn  weithin  ausgeteilt  haben,  nur  allgemeiner  für  Nord  und 
Süd  angedeutet,  der  älteste  Beleg  nur  unsicher  an  die  Spitze  gestellt  werden. 
Selten  findet  man  so  volle  Nester  wie  in  gewissen  Romanen,  wie  bei  Laukhard. 
wie  in  F.  Schnabels  läppischen  Universitätsjahren  oder  in  der  fortreissenden  Jugend- 
geschichte des  leidenschaftlichen  Heinrich  Leo.  Schwergelehrte  Dissertationen  über 
akademische  Bräuche.  iH^iniiuiUnies  hidicrae,  deren  noch  das  18.  Jahrhundei't  einige 
kostliche  geliefert  hat.  Biographien  und  Briefwechsel,  Lieder  und  Stammbücher, 
Romane  und  Novellen  müssen  in  erschreckender  Menge  bewältigt  werden;  aber 
wie  vieles,  was  von  fern  eine  gute  Ausbeute  zu  versprechen  scheint,  geht  man 
ganz  fiuchtlos  durch!  .Alberne  Löffeleien,  schwülstige  Liebesavantüren,  dürre  Er- 
zählungen tragen  wohl  ein  lockendes  akademisches  Aushängeschild,  doch  —  um 
nur  zwei  Beispiele  aus  dem  Wust  zu  heben  —  so  ein  Parthenophilus  (Das  bey 
Universitäten  lebende  galante,  ehrliche  und  tugendhafte  Frauenzimmer,  Leipzig  1719) 
oder  so  ein  Irenius  (Begebenheiten  eines  leipziger  Studentens.  1765)  schicken  uns 
mit    leeren  Händen    heim.     Man    müsste    von  Bibliothek   zu  Bibliothek  gehen  und 


228  Schmidt: 

auch  Haiidscliriftliohes  ausnutzen.  Nicht  auf  den  Höhen  der  schönen  Littei'atui-. 
sondern  in  ihren  Th;ilcrn  und  gar  oft  in  den  Sümpfen  der  unschönen  füllt  sich 
das  Herbarium  am  reichsten:  denn  ein  vornehmerer  Schriftsteller  verachtet,  ausser 
in  launiger  Rede  oder  zu  bestimmtem  Zwecke,  die  Spuren  des  Studententums.  die 
ein  nachlässiger,  ungebildeter,  spekulierender  geflissentlich  zur  Schau  trägt.  Um 
so  erwünschter  ist  es,  in  einem  Wörterbuche  möglichst  viele  Belege  aus  der 
höheren  Litteratur  zu  finden.  Ich  halte  es  überhau|)t  gleich  Littre  mit  dem 
Voltaireschen  Spruch  //  me  semble  qu'on  ■■i'etail  fail  une  loi  de  ne  point  citer:  mah 
im  dictiomiaire  saus  vilalion  est  im  si/nehtle.  und  möchte  hier  zu  manchem  Wort 
auch  den  und  jenen  Kommersliedvers,  der  ihm  Schwingen  gegeben  hat,  anklingen 
hören. 

Kluge  war  seit  längerer  Zeit  emsig  am  Werk,  als  das  Hallische  Jubiläum  1894 
zwei  seinem  Plan  nahverwandte  Schriften  rasch  zu  Tage  förderte.  Burdaeh  gab 
mit  den  Genossen  des  ,,Deutschen  Abends"  das  burschikose  Wörterbuch  Augustins 
zur  Centennarfeier  neu  heraus,  berichtete  über  den  im  alten  Halle  grausam  be- 
handelten Verfasser  und  begleitete  die  einzelnen  Artikel,  zu  deren  gründlicher 
Erläuterung  die  Müsse  fehlte,  wenigstens  mit  lehrreichen  Auskünften  über  die 
heutige  Ausdrucksweise  der  Studenten  und  Pennäler  an  verschiedenen  Orten. 
John  Meier  dagegen  gruppierte,  von  Kluge  angeregt  und  olfeubar  sehr  hastig,  das 
Material  älterer  Lexika  und  allerlei  Lesefrüchte  zu  einem  gewandten  Büchlein,  dem 
er  den  nicht  ganz  zutieffenden  Titel  „Hallische  Studentensprache"  gab.  Sein 
Verhältnis  zu  Kluge  hat  er  in  diesen  Tagen  auf  einem  Plugblatt  auseinandergesetzt 
und  den  mittelbar  erhobenen  Vorwurf  des  Plagiats  abgewehrt.  Seine  bisherigen 
wissenschaftlichen  Leistungen  schützen  ihn  vor  solchem  Verdacht;  auch  ist  es 
richtig,  diiss  er  als  Schnelläufer  hie  und  da  eigene  Pfade  eingeschlagen  hat  und 
dass  zwei  philologische  Bearbeiter  desselben  Materials  mehrfach  zu  gleichen  Zu- 
sammenstellungen gelangen  mussten.  Man  begreift  aber  auch  Kluges  Ärger  über 
solches  Vorwegnehmen  und  die  Besorgnis,  es  möchten  bald  weitere  Streifzüge  in  das 
von  ihm  öllentlich  besetzte  Jagdgebiet  erfolgen.  Schade  nur,  dass  er  selbst  dadurch 
zu  übergrosser  Eile  angestachelt  worden  ist,  denn  sein  Wörterbuch  hätte  durch 
ruhigere  Verarbeitung  des  Gewonnenen,  ausgedehntere  Lektüre,  reichere  Belege  und 
Erklärungen,  sowie  durch  das  Bestreben,  der  eigenen  mangelhaften  Beherrschung 
der  lebenden  Sprache  auf  dem  Wege  des  ümfragens  bei  den  Burschen  und  den 
Füchsen  verschiedener  Universitäten  abzuhelfen,  zur  erreichbaren  Vollkommenheit 
reifen  können. 

Eine  längere,  Wiederholungen  nicht  meidende  Einleitung  orientiert  uns  zunächst 
über  die  Quellen  und  betrachtet  dann  die  Terminologie  der  beiden  Hemisphären, 
des  Studententums  und  des  Philistertums:  wie  der  Barsch  seine  Hochschulen,  die 
Stufen  der  Akademiker,  die  arbeitsamen  Kommilitonen,  die  Professoren,  die  Wissen- 
schaften, wie  er  die  Büi'ger.  den  Postillon,  die  Handwerker,  die  verhassten  Polizisten, 
Nachtwächter  und  Pedelle,  das  Carcer,  das  schöne  Geschlecht  benamsete.  Der 
Abschnitt  „Trunkenlitanei'"  bietet  nach  einem  grossen,  dem  Natioualteufel  Sauf 
heiligen  Register  alter  Biernamen  Bemerkungen  über  die  Gelage,  das  Schmollieren, 
die  Masse  und  Gefässe,  den  Wechsel  und  die  Geldnöte.  Philologischer  werden 
dann  die  „Antiken  Elemente"  des  Wortschatzes  und  der  hybriden  Flexionen  unter- 
sucht, mit  besonderer  Rücksicht  auf  Maccaronisches,  fischartisierende  Verdrehungen, 
auf  das  gnssatum  und  seine  Sippen,  auf  die  im  Wort  „burschikos"  fortlebenden 
Adverbialgebilde  mit  der  Endung  -xou?.  Die  „Burschikose  Zoologie"  liefert  allerlei 
tierische  Neck-  und  Ekelnamen  und  einen  vorsichtigen  Exkurs  über  den  jungen 
Brauch    des    Salamandei'reibens,    wie    im  Mittelpunkt    der  „Biblisch -theologischen 


Bücheraiizt'igeii.  229 

Nachklänge"  die  Herkunft  des  Namens  „Philister''  (Jena,  um  1690)  erörtert  \vird. 
Die  rotwälschen  Einschläge,  spärlich  belegt,  führen  zu  dem  Spiel  der  eo-Sprache 
und  einzelnen  Missgeburten.  Die  „Französischen  Einflüsse",  für  die  ein  weiter 
ausholendes  und  umschauendes  Studium  erspricsslich  wäre,  streifen  das  renom- 
mistische Zeitalter  und  jüngere  Bildungen  auf  -ier  und  -age.  Der  Abschnitt 
„Grammatische  Eigenart"  mustert  früher  Beobachtetes  aus  einem  neuen  Gesichts- 
punkt und  ti-ägt  Niederdeutsches.  Hybrides,  Jokoses  zusammen:  das  Schluss- 
kapitelchen  „Ursprung  und  Verbreitung'"  deutet  grosse,  schwierige  Probleme  viel 
mehr  an,  als  dass  es  sie  erledigte  .  .  .  aber  all  diese  Skizzen  zeigen  belehrend 
und  anregend  unseren  Gewährsmann  als  einen  Pfadfinder,  der  zur  EiTeichung  der 
Ziele  nur  den  beharrlichen  Willen  anzustrengen  braucht.  Darauf  folgt  das  Wörter- 
buch, dessen  Würdigung  zum  Teil  schon  in  meinen  allgemeineren  Sätzen  liegt. 
Ich  will  hinzufügen,  dass  Kluge  auch  den  von  ilim  nach  den  Jahreszahlen  citierten 
Lexicis  manches  Wort  mehr  hätte  entnehmen  können,  obwohl  er  z.  B.  das 
Göttingische  Register  von  1813  aufgearbeitet  hat,  dass  andererseits  zahlreiche, 
nicht  eigentlich  burschikose  Ausdrücke  —  doch  ist  die  Grenze  schwer  zu  ziehen 
—  Eingang  gefunden  haben. 

Meine  Dankbarkeit  möchte  ich,  „wie  der  Ährenleser  folgt  dem  Schnitter", 
durch  einige  Nachträge  bekunden:  mit  der  ausdrücklichen  Erklärung,  dass  ich 
keineswegs  alle  diese  Belege  bei  Kluge  vermisse  oder  in  einer  neuen  Ausgabe  zu 
finden  hoffe,  aber  allerdings  für  Picander,  Sylvanus,  ältere  und  jüngere  Lyriker, 
Immermann,  E.  T.  A.  Hoffmann,  Leo  u.  s.  w.  ihr  Platzrecht  fordere,  ferner  dass 
ich  nichts  aus  Wörterbüchern  geschöpft,  sondern  auch  das  Grimmsche  nirgends 
nachgeschlagen  und  Meiers  Schrift  nicht  wieder  zur  Hand  genommen  habe.') 


1)  Meine  Sammlungen  stannueii  erst  aus  der  jüugsteu  Zeit.  Ich  habe  nachgeschlagen, 
was  mir  eben  einflel  oder  in  den  Katalogen  der  Kgl.  Bibliothek  beachtenswert  vorkam, 
aber  ohne  irgend  systematisch  und  umfassend  zu  verfahren.  Manclies,  was  ich  gern  ein- 
gesehen hatte,  blieb  mir  unzugänglich,  z.  B.  Polauders  „Lustige  Studierstube"  Leipzig  1703 
(Johanueums-Bibliothek  in  Hahiburg),  das  „Taschenbucli  für  Studenten  imd  ihre  Freunde'' 
Halle  1797  (vgl.  VV.  Schlegel  ed.  Böcking  11,  ;^06'i.  Des  Melissus  „Salinde"  eitlere  ich 
nach  der  1.  Ausgabe  vou  1718  (398  S.);  die  i.  von  1744  ist  nur  ein,  allerdings  nicht  als 
solcher  bezeichneter,  wörtlicher  Neudruck,  so  dass  alle  diesem  wichtigen  Roman  von  Kluge 
entnommenen  Belege  um  sechsnndzwanzig  Jahre  zurückzudatieren  sind.  Im  Berliner  Exemplar 
findet  man  a.  R.  viele  verhüllte  Namen  gedeutet.  Nicht  minder  ergiebig  ist  ein  bisher 
iibeisehenes  verwandtes  Buch:  ..Das  verwöhnte  Mutter-Scihngen  oder:  Polidors  gantz  be- 
sondrer und  überaus  lustiger  Lebens-Lauff  auf  Schulen  und  Universitäten  .  .  .  vou  Sylvano" 
Freyberg  1728,  240  S.,  dessen  Held  aus  dem  Hallischeu  Waisenhaus  nach  Salane-Jeua 
kommt  (S.  149,  167,  183,  193  studentische  Verse:  S.  52  ff.  ein  Schneidermärchen).  —  J.  D. 
Richters  studentisches  Interludiuni  des  geistlichen  Spiels  „Von  der  streitenden  Kirche" 
(Gotha  um  1660):  Zeitschrift  dos  Vereins  füi'  Thüringische  Geschichte,  Jena  1882.  — 
Rüdiger:  Auswahl  guter  Trinklieder.  ■_'.  Autl.  Halle  1795  (1.  1791,1.  Schwali:  Neues 
deutsches  allgemeines  Kommers-  uiul  Liederbuch.  "_'.  Auflage.  Germania  1816  (1.  1815). 
Clodius:  Hymnorum  stadiosorum  pars  prima  1669,  hsl.  Liederbuch  des  Leipziger  Studenten 
Christian  Clodius  aus  Neustadt  (geb.  1647):  die  Melodien  sind  in  W.  Niessens  Berliner 
Dissertation  vom  Jahre  1891  besprochen,  die  Texte  noch  einmal  näher  zu  würdigen.  Einige 
Nummern  werde  ich  anderswo  mitteilen.  Kgl.  Bibliothek  Mscr.  genn.  S"  231.  Crails- 
heim: Mscr.  germ.  4"  722,  grosses  Liederbuch  (um  1755)  mit  manchen  nach  Altdorf  und 
„Saalathen"  weisenden  Nrn.,  galant  schmachteuden  Stücken,  fiucbtbaren  Zoten,  das 
wunderlich  genug  eine  junge  Baronesse  v.  Crailsheim  vou  ihrem  „Bapa  zu  einem  Bresend" 
erhalten  und  in  den  siebziger  Jahren  öfters  zu  tagebucbartigeu  Randnotizen  über  Liebes- 
nöte benutzt  hat.  Vgl.  Bolte,  Seufferts  Vierteljahi'schrift  1,  249  (Gaudeainus);  EUinger, 
Goethe- Jahrbuch  10,  237   (zu  Jeri  und  Bätely,   „Ein  Quodlibet  wer  hört  es  gern");  Fried- 


230  Scliiindt ; 

Voran  ein  paar  lose  Bemerkungen  zur  Einleitung.  S.  8  Namen  der  Universi- 
täten. Athen:  Haller  dichtet  17-24  von  Tübingen  als  dem  ..edlen  Teck-Athen- 
(Hirzel.  S.  2-25):  Bürger  nennt  Halle  1772  ..Cartoffel-Atheu-  Strodtmann  l,  tjo: 
Heidelberg  heisst  1817  „Neckar- Athen":  KeU,  Stammbücher.  S.  318.  Leipzig: 
„P/(.s.se"  Sylvamis,  S.  139  u.  ö.;  Picander.  Gedichte  1,67  „Philuris",  ..Philuräa". 
94  „Philm-ene";  Gottsched,  Gedichte,  S.  103  ii.  ö.  „Philurene",  198  ^Philuris-: 
„Philurene''  auch  in  Schwabes  Belustigungen  2  (2.  Aufl.),  431.  in  den  Oden  der 
deutschen  Gesellschaft,  S.  204  neben  „Salaue".  Dies  ist  nicht  so  selten,  wie  es 
nach  Kluge  Schemen  könnte,  abna  Salano  vielmehr  auch  als  offizielle  Bezeichnung 
der  Universität  Jena  zu  finden:  .Salane''  durchweg  bei  Sylvanus.  Halle -Salinde-: 
Jungfer  Robinsoue,  S.  19  fl.:  ,Salanis":  Gottsched.  Gedichte,  S.  304:  „Friederichs- 
Athen"":  Menantes,  Akadem.  Nebenstunden,  S.  1G8.  Wittenberg  .Leucoris":  Pi- 
cander 1,  122:  „Leucorea"  ibid.  S.  123  (126  Elb-Athen),  Gottsched,  Gedichte. 
S.  304  (138  Elb-Athen).  Prankfurt  .jViadrine":  Gottsched,  S.  304.  Ern'ähnenswert 
ist  auch  die  Bezeichnung  der  Medizinpatronin  als  .yjeditrine:  oft  bei  Günther: 
A.  Gryphius,  Gedichte  ed.  Palm.  S.  .Jö4:  Gottsched.  S.  Ol.').  —  S.  10  die  Fuchs- 
namen von  „Rabschnabel-  bis  zu  _Schlindhol"  finden  sich  in  dir  Rinteler  Disser- 
tation De  orifime  roch  Bursse".  S.  43.  —  S.  12  Ob  -Fräulein  Schlegel"  als  Bonner 
Spitzname  August  Wilhelms  gelten  darf,  ist  mir  nach  Robbes  Erinnerungen  1,  12, 
offenbar  Kluges  Quelle,  sehr  fi'aglich;  es  scheint  ein  Heidelberger  Witz.  —  S.  13 
.Pix":  Clodius,  S.  30  ..Eine  fraucki ortische  Nymphe",  „Wohl  Der,  die  mehr 
Studenten  liebet,  als  Pixe  die  das  Kaufhauss  hat",  „Pixenknecht":  charissimi  Picea: 
Faceliae.  fac.  S.  491.  —  S.  17  .Pechfartzer":  Grimmeishausen  ed.  Kurz  1,  405: 
„Pech-Page-:  Jungfer  Robiusone,  S.  10.  „Pausthammer"  ist  kein  studentischer 
Neckname  der  Strassburger  Polizisten,  sondern  auch  in  H.  L.  Wagners  „Kinder- 
mürderin-  ihr  ehrlicher  Titel  nach  der  Wafle  (Gargautua  2.  Aufl.  A  3-',  Grimmels- 
hauscn  3,  98);  eher  wäre  der  „BUiustrumpf-  bei  Günther  und  bei  Schiller  an- 
zumerken (Salinde.  S.  10),  und  gewiss  burschikos  ist  die  Bezeichnung  der  früheren 
Weimarischen  Soldaten  als  .Laubfrösche"  wegen  des  grasgrünen  Rockes.  -Die 
Klauditchen  zu  Leipzig":  Grj^jhius.  Lustspiele  ed.  Palm,  S.  168.  —  S.  18  Finken- 
bauer: Sommer-Wichgrev.  Cornelius  D  7-  ..Finckenbawr":  Sivers,  Gedichte,  S.  132 
(Rostock  1730).  Bärenkasten  auch  H(>lmstediisch:  Keil,  Stammbücher,  S.  254. 
Talidat  (Stockwerk:  vgl.  Hases  Schilderung  des  alten  Paulinums):  Salinde,  S.  92  ff.: 
Sylvanus.  S.  104;  Stammbücher,  S.  2ö4:  Michaelis,  Raisonnement  4,  299.  —  S.  22 
ßieruamen.  V"-!.  Facetidc  faceliomm  S.  Ö74  (=  Themata  medka  di'  Beuuorum  cuia- 
//oHf,  Bl)  und  61.  ^Breihahn'^;  Sommer-Wichgrev  H  2  „Brühan-;  Weimar.  Jahrbuch 
2.  4ö2  flalberstadicam  Breiltaiiam:  B  -  Schenke  zwischen  Merseburg  und  Halle. 
.Dorfteufel":  Menantes,  Akad.  Nebenstunden  1713,  S.  108  Epigramm  .Über  das 
Jenaische  Dorff-Bier,  Dorff-Teuffel  genandt";  Salinde  1718,  S.  40  Ammerbacher  D. 

länder,   Vierteljahrsschrift   füi-    Musikwissenschaft  1894    S.  208    hat    hiei-  S.  576—578  sein 

geliebtes    Kanapeelied   wiedergeftmden:    ,Das  Canufje   ist    mein  Vergnügen",    6  Strophen. 

S.  24  --Vi-ia  von  Gespenstern-'.  Lessing,  mit  kleinen  Äiuleruugen:  S.  -250  -Die  Türken  haben 

schöne  Töchter"  mit  Aier  interpolierten  Strophen.     S.  574  in   dem  sprichwövterreichen  Ge- 

dicht    „Ich  weit  dass  ich  im  Himmel  war"   lautet  der  Schluss    s.  li.ietbes  Wi-rke  4,  161): 

Lass  regneu  wann  e&  regnen  väW,  lass  allem  seinen  lauft 

und  wann  es  nicht  mehr  regnen  will  höi-t  von  sich  selber  auü. 

Lass  reden  tag  und  nacht  die  leut  sie  werden  gwiss  noch  müd 

und  singen  endlich  mit  der  zeit  widil  ganz  ein  andres  lied. 

Ich   behalte   mir    weitere  Mitteilungen    vuv.  —  Andere  Abkürzimgen   bereiten    keine 
Schwierigkeit. 


Büfheraiizoigen.  231 

der    l'este.      „Duchstein":    Weise,    Überflüssige    ..Gedancken".    nicht    „Gedichte": 
Picaiider  2,  535    und   545    neben    Rastmm,  3,  461   und  464  ,,Tuchstein-Keller'''  in 
Leipzig.     Gi-atia  (Grätzer):    Weimar.    Jahrbuch  2.  452.     Gukguksbier  Wittenberg: 
Jean  Paul,    Q.  Fixloin.    Menschenfett;    vgl.  Grimmelshausen  ed.  Kurz  2,  177  „ein 
pures  Menschengedicht  (wie  etliche  das  liebe  Bier  nennen)''  —  was  aber  ist  3,  306 
der  „edle  Tranck  Peter  Simon"  (ein  Wein.  FacHiav  fac.  S.  61)?  oder  warum  nennen 
Picander,    der    Krambambulist    u.  a.    den    Schnaps    „Pinkeljochen^    (Jochen  =  Jo- 
hannisberger)?      Schöps:    Grimmelshausen  3,  409    „Scheps",    dazu    die    von    Kurz 
S.  499  citierte  Stelle  S.  Dachs,  wo  auch  „der  tolle  Wrangel  zu  Bresslau"  erscheint. 
Zerbster:  Wichgrev;    „Rheinische  Dinte   und  Zerbster  Papier"   spasst  Pickelhering 
bei  Schoch  1,  4.  —  S.  28  Murlepujf:    Sommer -Wichgrev  Ä6  „Curie  Murle  Puff"; 
Brehme,  Gedichte  1637  M  V-  .Correl  morrel  puff".  —  S.  32  Fischarts  „Trinks  gar 
aus!     Totum  ex!"    steht    allerdings    unter  massenhaften  Liederfetzen  der  Trunken- 
htanei,  aber  diese  Stelle  des  Gargantua  2.  Auflage  ./  7  stammt  aus  Lindeners  pro- 
saischen Regi/Iae  potatoriim  (Lichtenstein,  S.  191):  Totum  ex.     Deivde  fit.  ex  per  f ex \ 
wie  der  gleich  darauf  wohl  nach  Keils  Stammbüchern,  S.  232  (1767)  citierte  Spott- 
vers Sic  Jacet  in   Trecko  qiii  muclo  Reuter  erat  bei  Pischart  /v  6-  lautet    F/n  Jacet  in 
treckis  qui  modo  pulqer  erat  und  bei  Lindener  (S.  133),  der  ihn  gewiss  auch  schon 
in  alteren  Quodlibets  gefunden  und  variiert  hat,  .Tarn  jacet  in  dreck  is  qui  modo  Grollus 
erat.  —  S.  35  ff'.  Kluges  Vermutung,    die   ja    keineswegs  auf  burschikoses  Gebiet 
beschränkte  Form  „der  Kerles"  (auch  „der  Kerls"),    z.  B.  massenhaft  bei  Rebhu, 
möge  auf  ein  maccaronisches  Kerlut;  zurückgehen,   leuchtet  mir  ein,  auch  im  Hin- 
blick   auf   das    -e.s    in  nd.  Namen,    auf  die  Form  „Kaiser  Karies",    auf  Grimmeis- 
hausens   u.    a.    „Karges"    (ein  Geizhals,  3,  304)    und    seinen    Wechsel    zwischen 
„Lumpus"    und    .,Lumpes-    (3,  209).    ~  S.  35  Facetiae  fac.  S.  340    „wann  sie  die 
Mistgabelinum    oder  Flegelinum    zu    der  Hand  nehmen".  —  S.  37  kussibilis  schon 
Facetiae  fac.  S.  288  (oÜ  hasihilis).    Thomasius,  Kl.  Schriften,  2.  Aufl.,   1707.  S.  203: 
arme  Studenten    haben    „in   ihren  Kalendern  nicht  viele  diex  bratibiles'^ .     Sylvanus 
S.  141    „die    alte    Schachtilis-.     Ayrer  5.  2935    „Er    weit    studirn    in  Naribus,    In 
Dildappio,   Fantastibus".     Pickelhäring    im  Singspiel    des  17.  Jahrhunderts    (Bolte, 
S.  135)  sagt  „mein  eigen  Fleisch  xmA.  blutibuaque'-:  Rebhu,  Simplician.  Weltkucker 
1679,  II,  53  „ins  Carceribus  geleget"  (2,  137  „Kratzibiliteter"  akademische  Ständchen- 
bringer):    Andre.    Korn.  Versuche  1767.    S.  47;    der    unwissende    Student    kauder- 
wälscht  II.  a.,  dass  die  Römer  die  alten  Germanen  Deutschibus  genannt.     „Olitäten'- 
italienische  Öle:  Grimmelshausen  ed.  Kurz  1,  383;  Mencke,  Scherzhafte  Gedichte, 
S.    12.     .^Florikos    trinken"    (vgl.  Wagners   Archiv    1,  45)    konnte    genauer    erklärt 
werden:  das  Ghis  zwischen  die  Lippen  pressen  und  auf  einen  Zug  hinter  giessen, 
so  dass  nm-  etwas  vom  Schaum  auf  dem  Grunde  bleibt.     I»e  jure  potandi,  Facetiae 
fiic.    S.  61:    „C'"7!h>i«e"    quundo    uno    liauxtu    t'/tnm    ecavuatur ;    Idque    expeditur   rel 
floricwc,    vel   hausticüjg.     Floricwc,   bibitur ,    cum  os  pocli  labris  circumchiditur ,    nnoqut 
impetii  potus  ad  t/utiurem  demitlitur,  cujua  rejiexio  bullulas  quasdam  efflat,  quas  flores 
iiontri  dicunt.     Hnusticvi;,  cum  uxitalo  modo  totum  sine  rexpiratione  extrahitnr.     „Bucke- 
lorium"  Rücken:  Grimmelshausen  ed.  Kurz  4,330  (3,  3 !  2  „Flegelius").     Der  Ver- 
fasser der  überaus  heiteren  (Juriösen  Inaugural- Disputation  von  dem  Recht,   Frivileyiis 
und  Praerof/alireii  der  Atheniensischen  Professoren-Fmsche  wider  die  Bürger-Pursche 
und  Communitäter",    unter    dem  Präsidium    des  Herrn  Horribilii  B-ustii  1-tenomisti, 
nennt  sich  nicht  „Schlinkschlangschlorum"   (Kluge,  S.  41:    vgl.  Weimar.  Jahrbuch 
2,  447),  sondern  „Schlingschlangschlorum"  (Schlinkschlank  heisst  ein  Bummler  bei 
Hermes,  Sophiens  Reise,  2.  Aufl.,  1,  406),  und  bei  dem  Spass  per  omnia  kliuglavg- 
oniut    wäre     an    das  alte  </liiiii-iilaiig-gIoriu  zu  erinnern,    aber  auch  an  die  Parodie 


232  Schmidt: 

per  pociila  poculonim  in  Rists  Depositionstaufe  (Akademische  Blätter  1884,  S.  445) 
oder  '»  pocula  poeulorum  Amen.    Rüdiger.  S.  176.  —  S.  44  vermisse  ich  herbatim. 
das    wie    stellatim    (auch  Crailsheim,    S.  517    „Ich    muss    einmahl    stellatim  gehn^, 
sehr  saftig)    sowohl    ehrbar  wissenschaftlich  als  zweideutig  gebraucht  wird:    denn 
herbalim  reitet  oder  geht  man  im  Allegorischen  Curricuhim  vilae  (von  A.   1697  bis 
1710)    Eines  Academis.  Bürgers  S.  6  f.,    flerbatum   geht  der  Professor  der  Medizin 
und    Botanik    mit    seinem    Coetus    in    der    Salinde.    S.  238,    2.  Aufl.,  S.  807,    aber 
„herbatim  wandern''  bedeutet  ein  erotisches  Ausgrasen  bei  Picandei-,  Gedichte  5,  34 
(1734).     Kluges  Citat  aus  dem  ^Krambambulisten'-  ist  ungenau:  V.  1  fehlt  „noch" 
nach  „ich":  V.  2  „Von".  —  S.  45  Rebhu,  Simplician.  Weltkucker  1679,  141  ,Sau- 
borstianer",    43   „Stimplerianer";    „den    Sclilenlrianismuni'-.    Geh.    Nachrichten    von 
Menantes,    S.  11.  —  S.  47    Die  „Bockiade"    ist    ein    Cranzsches   Pamphlet   gegen 
Wieland  und  Nicolai  von  1779.  —  S.  48  f.    Die  Schreibung  jener   griechisch   ge- 
bildeten Adverbia  erfolgt  meiner  Wahrnehmung  nach  so,  dass  fast  immer  nur  das 
xous,  nicht  schon  der  Vokal  i,  mit  griechischen  Lettern  gedruckt  wird,  auch  machen 
diese    bereits   vor  der  2.  Hälfte  des   18.  Jahrhunderts  häufig  den  lateinischen  oder 
deutschen  Platz.     Schlingschlanglonim    kennt  jiorixmc,    aber  neben  dem  purschicua 
und    pmvchice    zwar    ein  SiucleniixSic    (S.  9  „der  .  .  .  Pursch-Manier  verstehet,    mit 
einem  Wort  der  St.  lebet'',  vgl.  De  excussione  fenestrarinn   1737,  S.  29  „^y»orf  xit  ita 
moris  apud  Sttidiosos:    es    wäre    Purschen-Manier    oder    StudentixuOc"),    doch    kein 
purttcfimmc.     Die  genaue  Schreibung  bei  Schoch  ist  SiiidenTLxwc:   ßo-jpnxwc  steht  in 
einem    lateinischen    Eintrag-    in    Keils    Stammbüchern,    S.  222    (Wittenberg   1720), 
^pur.'iicds    gelebt"    in  Klotzens  Brief  an  Bürger,    12.  Jan.  1771.    Strodtmann  1,  16. 
Facetiae  facetiarum   S.  403    (Hans  Pumbsack)    „vp  Vnversteten  .  .  dar    et    hergeit, 
fiorikoes.    hantikoes,    rimtikoes,    nnidar,    laeti    sodals,    heruth    du  Pinnall".     Rebhu, 
Weltkucker  2,  44    „He,    ihr  Brütler,  allo  .Studmticds',    46  „Es  gienge  .S''.  her'",  47 
„das  hiess  <S'/.";   2,  139    vom  Hofleben    „wie  Lusticdi-,    wie  Foläicos,    wie  Aidiedx, 
alles   in  ßoribns'^.     Picander,    Gedichte  1,  4il   _.4  la  Studentixwc,    iedennoch  nicht 
im  Luder'-,    563  „es  last  stndennxu';;''.     Salinde,   S.  72  .,Stiide.7itikik ,    ncmlich   mit 
vier    Laternen    begraben".     Keil.    Stammbücher,    S    21s   (Leipzig  1725)    „als    wir 
xtudenlixwz  geschwärmt,  gelärmt,  gehicht":  Schwabes  Belustigungen  1743   (2.  Aufl.) 
S.  464  „Wenn  man  nur  sprechen  kann:  es  ist  studentikos,  so  liat  man  sich  genug 
gerechtfertiget,    und  dieses  Wort  allein  giebt  uns  das  Recht,   so  zu  seyn.  wie  wir 
sind"  (S.  469  ..auf  gut  akademisch");  studentikos  in  Holbergs  verdeutschtem  Erasmus 
Montanus,    Schaubühne  1752,  II  286.     Keil,  Stamnibiichcr,  S.  272    _In  Jena  weiss 
man    frey    und    buj-sciükos    zu    leben"  (1763);    Schwab,    S.  50  dem  Philister  „ein 
burschikos  Gesicht"  machen.     S.  56  „Ölberger":  Moscherosch:  „ülburger"  Richter 
2,  2.     „Mosen  habe  ich  auch  in  der  Tasche"  Heimes,  Sophiens  Reise,  2.  Auflage, 
1,  171.     S.  57    auf   das  Helmstedter  Siiuson- Wappen    verweist    auch    Brentano  — 
nach  Meibom,    mit   dem  Citat    „Was   bist  du  Museusohn,    wenn  du  nicht  Spiesse 
hast  ...  Ein  Simson,  dem  man  ruft:  Philister  über  dir!"  (vgl.  z.  B.  Keil,  Stamm- 
bücher.   S.  243)  —    am  Schlüsse    seiner   barocken,    geistreichen  Abhandlung,    die 
schlechterdings  angeführt  werden  rausste,    obwohl  man  nicht  verlangen  kann,  dass 
im  Studenten-Lexikon  das  ganze  höhere  Leben  des  Wortes  ..Philister'-  in  klassischen 
und  romantischen  Tagen  erschöpft  -werde. ')    Zu  Brentanos  herrlichem  Finale  stimmt 

1)  Zwei  Stellen  möchte  ich  anfühi-en.  J.  (J.  Müller  sclu-eibt  den  1.  Juli  1S07  aii 
Johannes  (Briefwechsel,  S.  419),  Görres  habe  neulich  in  Heidelberg  ein  Kolleg  über  das 
Weltgebäudc  begonnen:  „Meine  Herren,  es  giebt  nur  zwei  Klassen  von  Menschen.  1.  die 
mit  ])(:etiseheiii  Geist  gesalbet  sind,  2.  die  Philister-'.  Eichendortf.  Krieg  den  Philistern 
S.  W.  4.  105:  Sieli,  ein  Phibster  —  Das  ist  dir  su'n  Vieh  illustre,  Gar  nichts  versteht  er  und 
viel  liest  er,  Spottweuig  trinkt  er  und  viel  isst  er,  Kiu-z:  so  ein  schofler,  fahler,  trister"  u.  s.  w. 


Bücheranzeigen.  233 

Schopenhauers  bündige  Erklärung:  der  Ph.  ist  der  a-ix^^ta-oc,  iv^p  (Reclam  4,  385). 
Die  biblischen  Scherze  liessen  sich  natürlich  ins  Unabsehbare  vermehren,  aber 
Burschikos-Theologisches,  Pastörliches,  protestantischer  Volkshumor  laufen  durch- 
einander. Burschikos  ist  die  Verbindung  in  der  Salinde,  S.  181  „schelmischen 
Philister  und  betriegerischen  Gergesener" ;  doch  auch  ein  Nichtstudent  konnte  die 
Karten  das  Buch  der  (vier)  Könige  nennen  (Kindermann  1644;  Voss,  Gedichte 
4,  140,  vgl.  Crailsheim,  S.  516),  und  die  Redensart  „nach  Bethlehem  gehn"  habe 
ich  von  einem  thüringischen  Hausknecht  gehört  (Richter  2,  2  „zu  Betlehem  auf 
den  Pedermarckt'';  Picander,  Gedichte  2,  470  .,nach1ßetleheim  sich  zu  verfügen*; 
Jungfer  Robinsone,  S.  83  ,sich  .  .  nach  Bethleheim  verfüget").  —  S.  64  -age: 
„Freyage''  Singspiele  od.  Bolte  S.  132.  „Spendaschen "  Weise,  Überflüss.  Gedancken 
A  6-;  „Spendasche"  und  .,Spentasche''  Jungfer  Robinsone,  S.  37,  82.  Nd.  „Kle- 
dasche'" u.  s.  w.  wie  „Spermang"  u.  s.  w.  —  S.  68  aine  vgl.  Keil,  Lieder,  S.  153 
„Sauffen  alisque  Complimenten". 

(Die  umfangreicheren  Bemerkungen  und  Nachträge  zum  Wörterbuch  wird  das 
nächste  Heft  dieser  Zeitschrift  bringen.)  Erich  Schmidt. 


Östnordiska  och  latinska  Medeltids  ordspräk.  —  Peder  Läles  ordspräk 
och  eil  mötsvareiide  svcusk  saraling.  I.  Texter  med  inledning 
utgivua  av  Axel  Keck  och  Carl  af  Petersens.  Kubeuhavn  1889 
bis  1894.  S.  VIII.  148.  283.  —  II.  Kommentar  av  Axel  Kock. 
Kobeuhavii  1891—92.     S.  IV.  445.     8". 

Unter  dem  Titel  Ostnoidische  und  lateinische  mittelalterliche  Sprichwörter 
bringt  diese  dankenswerte  Publikation  des  Samfund  til  udgivelse  af  gammel  nordisk 
litteratur  im  1.  Teile  1.  eine  sorgsame  Ausgabe  der  unter  dem  Namen  Peder  Lales 
bekannton  lateinisch-altdänischen  Sprichwörtersamralung,  die  um  1500  allgemein 
als  Schulbuch  gebraucht  ward.  Es  ist  hier  der  Druck  der  ersten  dänischen  Aus- 
gabe von  1506  zu  Grunde  gelegt  und  mit  den  Varianten  von  1508  und  1515 
begleitet.  Zweitens  ist  die  altschwedisch-lateinische  Sprichwörtersammlung  einer 
Handschrift  in  Uppsala  (No.  405,  Palmsköld)  genau  zum  Abdruck  gebracht.  —  In  der 
Einleitung  zum  1.  Bande  hat  Herr  A.  Kock  über  die  alten  Drucke  und  Handschriften 
der  Sammlung  Peder  L:iles  gehandelt,  das  wichtigste  über  die  Lautbezeichnung 
in  den  Handschriften  hervorgehoben,  die  Anordnung  der  Sammlung  und  verwandte 
Sprichwortbücher  untersucht  und  die  Frage  nach  dem  Urheber  des  in  Dänemark  und 
Schweden  verbreiteten  Werkes  aufgeworfen.  Das  Ergebnis  seiner  Untersuchung  ist, 
dass  derselbe  in  der  That  Pedor  Laie  (Pedrus  Laglandicus)  geheissen  haben  wird, 
dass  er  den  Zunamen  Legista  führte,  weil  die  ersten  Sprichwörter  das  Wort  lex 
enthalten,  und  dass  er  wahrscheinlich  Geistlicher  oder  Schulmann,  vermutlich 
beides,  war.  Annehmbar  scheint,  dass  er  Probst  von  Röskilde  gewesen  und  im 
14.  Jahrhundort  gelobt  hat.  Wir  heben  aus  der  Einleitung  noch  die  Betrachtung 
über  die  Form  der  nordischen  und  der  lateinischen  Sprichwörter  hervor.  Biblio- 
graphisches und  ein  Verzeichnis  (von  C.  v.  Petersens)  der  gedruckten  schwedischen 
Sprichwörterlitteratur  schliessen  diesen  Band.  —  In  dem  zweiten  giebt  Hr.  A.  Kock 
einen  sehr  wortvollen  Kommentar  sowohl  zu  der  altdänischen  als  der  altschwedischen 
Sammlung;  für  den  lateinischen  Teil  beider  wünscht  er  die  Behandlung  durch  einen 
lateinischen  Philologen,  von  der  er  trotz  des  äusserst  barbarischen  Lateins  nicht 
uninteressante  Ergebnisse  erwartet.  K.  \\  . 

Zcilsclir.  (i.  VtTciiis  f.  V.ilk^k^llnle.     189.^.  1'' 


234  Brückner: 

Oesky  Lid  (Böhmisches  Volk).     Bami   HI,    Heft  6   und  Band  R^    Heft  1 
und  2  (S.  481—591  und  1—192).     Prag-,  1894.     8°. 

Kennzeichnend  für  diese  Zeitschrift,  über  die  wir  zuletzt  Jahrg.  1894,  S.  224  f. 
berichtet  haben,  sind  die  ausführlichen  Mitteilungen  über  Hausindustrie,  sowie  über 
Bau  und  Ausschmückung  des  böhmischen  Hauses  und  Hofes;  die  vorliegenden 
Hefte  bringen  wieder  einschlägige  Texte  und  Abbildungen,  z.  B.  über  Verzierungen 
der  Peitschenstiele  bei  Mährern  und  Slovaken,  der  Stühle,  Särge:  über  Hausweberei, 
nationale  Stickmuster,  Hauben  (sogenannte  Colombinen)  u.  s.  w.  Dann  eingehende 
Schilderungen  volkstümlicher  Bräuche,  zumal  Hochzeitsbräuche,  Maifeiern,  Pfingst- 
umziige,  Erntefeste,  Tänze  aus  älterer  und  neuester  Zeit;  hier  sei  nur  der  Umzug 
mit  der  Perchta  am  Abend  vor  dem  Dreikönigsfest  in  der  Budweiser  Gegend 
genannt:  eine  Prozession  von  17  Personen,  voran  der  „Bohrer-  mit  Bohrer  und 
Laterne,  dann  der  ^ Husar",  der  die  .^ Perchta"  antreibt:  sie  selbst  in  weissem 
Laken,  mit  einem  Pferdekopf  auf  hoher  Stange,  behängt  mit  Schellen :  um  sie  vier 
oder  fünf  „Ziegen",  ähnlich  ausgestattet,  nur  statt  eines  Pferdekopfes  Bocksköpfe; 
hinter  ihnen  vier  Sänger  (genannt  Vater.  Mutter  u.  s.  w.)  und  vier  Spieler;  zuletzt 
der  „Borstenmann-,  der  die  Gaben  einsammelt;  man  singt  und  tanzt,  neckt  die 
Hofleute  u.  s.  w.:  der  letzte  Umzug  fand  1891  statt.  Urkundliche  Mitteilungen 
betreffen  namentlich  Auszüge  aus  Hexenprozessen  des  XVI.  Jahrh.  iu  Kuttenlierg, 
Schilderung  der  ökonomischen  Lage  des  frohnenden  Volkes  in  der  Podiebra  der 
Herrschaft  im  XVIll.  Jahrhundert  u.  a.  Texte  alter  Weihnachts-  und  Dreikönigs- 
spiele werden  abgedrackt,  denen  sich  Untersuchungen  über  das  Reportoii-  der 
Puppenspiele,  zumal  über  dessen  Räuberdramen  anreiht;  ein  Studium  über  Alter 
und  Verbreitung  des  Stoffes  von  der  blühenden  Gerte  (des  Aaron,  des  Pi-emysl  u.  a.) 
kann  als  Beitrag  zur  vergleichenden  Sagenkunde  gelten:  ausserdem  ein  Studium 
über  den  Veles  (altböhniischer  Dämon)  u.  a. 

Aus  den  bibliographischen  Angaben  heben  wir  nur  den  erschöpfenden  Jahres- 
bericht über  böhmischen  Folklore  für  1892  hervor;  den  gesamten  archäologischen 
Teil  übergehen  wir  und  verweisen  nur  noch  auf  den  ebenfalls  charakteristischen 
Zusammenhang  der  Aufsätze  im  Cesky  Lid  mit  lokalen  Ausstellungen  und  der 
grossen  ethnographischen  Ausstellung,  die  für  1895  geplant  ist:  die  Aufsätze  sind 
oft  aus  denselben  hervorgegangen  oder  bereiten  auf  dieselben  vor.  wie  u.  a.  der 
Aufsatz  von  Zibrt  über  altböhmische  Holzkirchen,  von  Adämek  über  alte  V'olks- 
rechenbücher  u.  dgl.  m.  So  rechtfertigt  die  Zeitschrift  ihren  Titel  vollständig:  sie 
ist  dem  Volke  gewidmet  und  schöpft  fast  nur  aus  seinen  eigenen  reichen  Beständen. 

A.  Brückner. 


Jak  se  kdy  t  Cechäch  tancovalo.  (Wie  mau  je  in  Böhmen  getanzt  hat. 
Geschichte  des  Tanzes  in  Böhmen,  Mähren,  Schlesien  und  der  Slovakei 
seit  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Neuzeit  mit  besonderer  Beziehung  auf 
Geschichte  des  Tanzes  überhaupt.)  Von  Dr.  C.  Zibrt,  mit  136  Illu- 
strationen.    Prag.  Simäcek  1895.     XX,  391  und  XXXH  Ss.     8». 

Dr.  C.  Zibrt,  Privatdocent  für  Kulturgeschichte  an  der  böhmischen  Universität 
in  Prag,  entwickelt  eine  ausserordentliche  Thätigkeit:  er  ist  zwar  erst  seit  1888 
litterariseh  hervorgetreten  imd  vermag  bereits  so  viele  und  so  vielerlei  Arbeiten 
aufzuweisen,  dass  dieselben,  auch  w  \jn  verteilt  auf  mehrere  Verfasser,  immer  noch 
für  jeden  eine  ganz  respektable  Leistung  bedeuten  würden.    In  der  Zeitschrift  haben 


Bücheranzeigeii.  235 

wir  mehrfach  diese  Arbeiten,  die  Leitung  des  Cesky  Lid,  Geschichte  der  Ti'achten 
m  Böhmen  u.  a.  hervorgehoben;  seine  zahlreichen  Neudrucke  (altböhmi^ches 
Kochbuch;  Vetters  Beschreibung  von  Island  aus  dem  Jahre  1613;  altböhraisches 
Rätselbuch;  Zunftbuch  vom  Jahre  l(i30  u.  a.),  seine  Einzeibeiträge  (Geschichte 
des  Schachspieles  in  Böhmen;  Jagdaberglauben:  Tischbräuchc;  Spiele;  Bier  und 
Brauerei  u.  a.),  sowie  eine  ausführliche  Bearbeitung  altböhmischer  Pestbräuche 
haben  wii-  dabei  gar  nicht  genannt;  wir  verweilen  dafür  bei  seiner  letzten  grösseren 
Publikation,  die  schon  durch  ihre  äusserst  luxuriöse  Ausstattung,  namentlich  durch 
die  zahlreichen,  trefflichen  Illustrationen  den  Leser  besticht. 

Diese  Geschichte  des  Tanzes  in  Böhmen  zerfällt  in  vier  Bücher;  das  erste, 
kürzeste,  handelt  über  die  Anfänge;  das  zweite  ist  dem  XIV.  und  XV.  Jahrhundert 
gewidmet,  stellt  dar  die  verschiedenen  Musikinstrumente,  die  Stellung  der  Prediger 
und  Moralisten,  den  Veits-  und  Totentanz,  Bauern-  und  Herrntanz,  Schwert-  und 
Packeltänze.  Das  dritte  Buch  bespricht  die  Verhältnisse  bis  zur  Mitte  des 
XVII.  Jahrh.,  zuerst  wiederum  die  Anfeindungen,  denen  der  Tanz  in  der  Litteratur 
ausgesetzt  ist,  besonders  werden  abgedruckt  handschriftliche  Traktate,  die  in  der 
böhmischen  Brüdergemeinde  gegen  den  Tanz  kursierten ,  dann  das  Büchlein  des 
S.  Lomnicky  vom  Tanze  (1597),  welches  veischollen  schien,  nachdem  es  einmal 
von  Waldau  in  seiner  Geschichte  des  böhmischen  Nationaltanzes  (1861)  citiert 
worden  war,  sowie  die  vorher  ganz  unbekannte  Schrift  des  Tob.  Mouieni'n  über 
die  Schminke  der  tanzgierigen  Mädchen  und  Prauen  (1594):  die  Tanzverbote,  die 
zumal  von  den  Landtagen  ausgingen;  wo,  wann  und  wie  man  tanzte;  Volkstänze; 
modische  Tänze  und  Ballette;  die  Volkserzählungen  vom  Zaubertanze  (altböhmische 
Bearbeitungen  des  Thema  „Mönch  im  Dornbusch",  welches  Bolte  eingehend  aus- 
geführt hat;  Abdruck  der  böhmischen  Übersetzung  des  Albrechtschen  Gedichtes, 
von  160-1,  desselben  Tob.  Mouienin),  von  gespenstischen  und  Teufelstänzen; 
Überlieferung  von  der  tanzenden  Sonne;  über  Tanz  in  Sprichwort  und  Rätsel; 
Musik  und  Musikanten.  Das  vierte  und  ausführlichste  Buch  (S.  "242 — 391)  ist  der 
Neuzeit  gewidmet:  was  Moralisten  gegen  den  Tanz  einwenden;  Tanzverbote: 
Modetänze;  Tanzmeisterzunft  in  Prag:  Volkstänze;  Redouten  und  Bälle;  die  ersten 
böhmischen  Bälle  und  deren  soziale  und  nationale  Bedeutung;  über  die  Polka, 
Geschichte  und  Verbreitung  derselben;  Aufzählung,  in  alphabetischer  Polge,  aller 
gebräuchlichen  ^'olkstänze  in  Böhmen:  in  Mähren;  in  Schlesien:  in  der  Slovakei, 
alle  von  erstaunlicher  Pülle;  Nachträge  über  Musik.  In  den  Anhang  sind  An- 
merkungen, Citate  u.  dergl.  verwiesen. 

Das  Buch  ist  in  erster  Reihe  für  ein  grösseres  Publikum  bestimmt,  daher 
Ton  und  Breite  der  Darstellung:  aber  auch  der  Kultur-  und  Litterarhistoriker  wird 
hier  Belelirung  und  Anregung,  durch  Sammlung  von  allerlei  Angaben,  Abdruck 
verschollener  Sachen  u.  s.  \v.  in  reichem  Masse  finden.  Einwendungen  gegen 
einzelnes  wollen  wir  hier  nicht  erheben;  wir  möchten  hier  nur  darauf  verweisen, 
dass,  wenn  der  Verf.  für  das  XIV.  Jahrh.  z.  B.,  das  Collectum  de  chorea  contra 
corizantes  et  ovizantes  des  Prager  Predigers  Konrad  Waldhauser,  das  wir  hand- 
schriftlich kennen,  eingesehen  hätte,  er  für  die  folgenden  Jahrhunderte,  für  einen 
Lomnicky  u.  a.,  die  Waldhausers  Argumente  nur  wiederholen,  sich  hätte  kürzer 
fassen  können;  ausserdem  verdienten  Angaben  polnischer  Schriftsteller  des  XVI. 
und  XVII.  Jahrh.  über  Tänze  und  Tänzer,  die  sich  mit  böhmischen  Verhältnissen 
vielfach  eng  berühren,  noch  mehr  herangezogen  zu  werden;  übrigens  wird  jede 
neue  Publikation  böhmischer  Texte,  z.B.  das  von  Bolte  veröfientlichte  böhmische 
Plugblatt  vom  Nemo  aus  der  ersten  Hälfte  des  XVI.  Jahrh.,  die  Angaben  vermehren 
und  ergänzen  helfen. 

16* 


236  Brückner: 

Aber  auch  so  ist  der  vom  Verfasser  zusammengebrachte  Stoff  von  ausser- 
ordentlichem Reichtum:  namentlich  muss  man  über  die  Fülle  moderner  Volkstänze 
—  jede  Gegend  hat  ihre  besonderen  —  geradezu  staunen  Die  Sammlung  und 
Sichtung  des  Stoffes  macht  dem  Verfasser,  die  glänzende  Ausstattung  des  Buches 
der  Prager  Druckerei  alle  Ehre.  A.  Brückner. 


Wisla  (Die  Weichsel,  geographisch-etliiiographische  Monatschrift,  polnisch). 
Band  VII.     Warschau  1893.      803  Ss.     gr.  8".      Mit  Vollbildern    und 

Illustrationen. 

i'ber  die  früheren  Bände  dieses  zeitlich  ersten  folkloristischen  Organs  bei  den 
Slaven.  das  bald  Nachahmung  unter  Russen.  Böhmen  und  Rleinrussen  gefunden 
hat,  berichteten  wir  mehrfach  früher  (zuletzt  Zeitschr.  1893,  115).  Der  Inhalt  des 
neuen  Bandes  übertrifft  noch  die  vorausgehenden  an  Menge  und  Vielseitigkeit  des 
Stoffes.  Allgemeineres  behandelt  der  Artikel  von  L.  Krzywicki  über  die  Rolle 
der  Tierwelt  in  der  primitiven  Kultur,  wo  neben  treffender  Charakteristik  des 
Wandels  dieser  Rolle  (Verehrung  der  Tiere  überhaupt,  Schlangen  etc.;  Verehrung 
der  Urtiere.  Schlangenkönig  etc. :  Tiere  bloss  Begleiter  der  Gottheit)  eine  sinnreiche 
Hypothese  zur  Erklärung  des  Totemismus  vorgetragen  wird;  dann  die  Artikel  von 
H.  Ciegeleisen  und  Wl.  Bugiel:  ersterer  über  die  Spuren,  welche  alter  Mädchen- 
raub in  den  Hochzeitsbräuchen  aller  Völker  und  Zeiten  hinterlassen  hat:  letzterer 
sammelt  alle  Varianten  des  Märchens  vom  Geschwistermord  und  der  denselben 
veri-atenden  Pfeife  u.  ä.  und  versucht  die  Kulturstufe  zu  charakterisie:  en,  der  dieses 
Motiv  entwachsen  konnte;  zuletzt  handelt  J.  Witort  über  Morgengabe,  Bedeutung, 
einstige  Verbreitung  und  heutige  Reste  derselben. 

Von  Beiträgen  zur  polnischen  Volkskunde  speciell  sind  zu  nennen  mehrere 
Beschreibungen  von  Hochzeitsbräuchen  aus  verschiedenen  Gegenden,  mit  mancherlei 
Reden  und  Liedern;  Kinderspiele,  Sagen  u.  a.  Das  wichtigste  liefert  K.  Matyas, 
„Unser  Dorf,  der  innerhalb  eines  en^en  örtlichen  Rahmens  diu  phantastische 
Welt,  das  übei sinnliche,  was  davon  in  den  Köpfen  der  Bauern  seines  Heimats- 
dorfes lebt  und  webt,  anziehend  charakterisiert:  dann  der  Pfarrer  A.  Pleszczy liski, 
welchei'  über  die  sog.  Koziaren,  einen  Bauernadel  mehrerer  Pfarreien  im  Zukower 
Kreise  (Kgr.  Polen),  mazurischer  Abkunft,  über  ihre  Sprache,  Sitten,  Aberglauben, 
interessant  berichtet.  Dann  Angaben  aus  alten  Inventaren  u.  dgl.  über  Kleidung 
und  Nahrung;  Beschreibung  von  Werkzeugen  der  Hausindustrie;  Rechtsbräuche; 
Krippenspiele  u.  s.  w. 

Die  Übersetzung  des  Töppenschen  Werkes  über  Glauben  und  Märchen  der 
Masuren  i.^t  in  diesem  Bande  vollendet  und  begonnen  die  Übersetzung  der  Hoch- 
zeitsbräuche aus  Wiclona.  welche  Juszkiewicz  litauisch  geschildert  hatte.  Zur 
litauischen  A'olkskunde  bringt  der  Band  auch  originale  Beiträge,  von  J.  Kibort, 
über  das  samogitische  Zeidlerrecht,  Proben  von  Volkshumoristik,  Traditionen  u.  a. 
Kleinere  Beiträge  aller  Art  betreffen  einzelne  Sprichwörter,  populäre  Stoffe  (vom 
Judenkriege,  wie  sie  durch  ein  Leinfeld  schwimmen,  als  war'  es  ein  Meer;  vom 
Hundekönig),  Namengebung.  Volksmedizin  u.  dergl.  m. 

Jedem  Hefte  ist  eine  ausführliche  Bibliographie,  Anzeigen  und  Inhaltsangaben 
von  Zeitschriften,  Auszüge  aus  Zeitungen  u.  dgl.  beigegeben. 

A.  Brückner. 


Roediger:  Protokolle.  237 

Aus  den 

Sitziiiigs-ProtokoUen  des  Vereins  für  Volkskunde. 

Freitag,  den  26.  Januar  1896.  Herr  Oberlehrer  Dr.  H.  Lübke,  der  an 
Urt  und  Stelle  griechische  Liebes-  und  Tanzlieder  gesammelt  und  seine  Scammluugen 
aus  fremden  vermehrt  hat,  teilt  eine  grosse  Zahl  von  ihm  herrührender  poetischer 
Übertragungen  mit  und  knüpft  daran  Bemerkungen  über  die  Eigentümlichkeiten 
der  Lieder.  Ihre  Süsse  und  Lieblichkeit  fiel  auf,  dazu  ihr  blühender  Ausdruck, 
wodurch  sie  sich  von  dem  zwar  nicht  minder  innigen,  aber  doch  im  ganzen 
herberen  deutschen  Volkslied  unterscheiden.  Es  Hessen  sich  auch  nur  wenige 
Parallelen  finden,  doch  sei  auf  die  Forderung  unmöglicher  Dinge  und  das  Ver- 
Bchliessen  des  Geliebten  im  Herzen  hingewiesen.  Auch  in  den  Balladen  fanden 
sich  Übereiustinimuiigeii,  und  der  Vortragende  glaubt  an  Überiiiittelung  nordischer 
Stoffe  durch  die  Waräger.  Herr  Lübke  beabsichtigt,  seine  (Übersetzungen  als 
Buch  zu  veröffentlichen.  —  Der  Schriftführer  verlas  den  von  Herrn  Geheimrat 
Wein  hold  zusammengestellten  Jahresbericht,  aus  dem  hervorzuheben  ist,  dass  eine 
Anzahl  von  Magistraten  deutscher  Städte  dem  Vereine  beigetreten  ist.  (Ihre  Zahl 
hat  sich  inzwischen  in  erfreulicher  Weise  vermehrt.)  Der  Schatzmeister,  Herr 
Bankier  Alex.  Meyer  Cohn  gab  über  den  Stand  der  Kasse  Auskunft.  Er  ist  Dank 
der  Unterstützung  des  königl.  preussischen  Unterrichtsministeriums  ein  günstiger. 
Zum  Schlüsse  fand  die  Wahl  des  Ausschusses  statt,  in  den  abgeordnet  wurden  die 
Herren  Bartels,  Bastian,  Priedel  (Vorsitzender),  Frl.  Lemke,  HerrenMoebius, 
Mielke,  Erich  Schmidt,  Voss,  Waiden,  Goerke,  Lübke,  Zupitza. 

Freitag,  den  22.  Februar  1896.  Frl.  Lemke  sprach  über  Gräberbeigaben 
und  Weihgeschenke.  Der  Grundgedanke  solcher  Beigaben  ist,  dass  man  dem 
Verstorbenen  den  Aufenthalt  im  Jenseits  erlefchteru  möchte;  man  giebt  ihm  daher 
dazu  dienliche  Sachen  oder  auch  blosse  Abbilder  davon  mit.  Spendet  man  eine 
grössere  Anzahl  gleichai'tiger  Gegenstände,  so  mögen  dabei  die  Besitzverhältnisse 
der  Angehörigen  oder  ihre  Zahl  oder  sonstige  Beweggründe  ähidicher  Art  mass- 
gebend gewesen  sein.  Gewisse  Gegenstände,  wie  z.  B.  glatte  Steinchen,  puppen- 
artige Figuren,  sind  bisweilen  wohl  als  Kinderspielzeug,  bisweilen  aber  auch  als 
Amulette  aufzufassen.  Die  Vortragende  gab  eine  systematische  Übersicht  über  die 
Begräbnisweisen  der  verschiedenen  Länder  und  Völker  und  knüpfte  daran  Ver- 
gleiche mit  noch  üblichen  volksäimlichen  Bräuchen.  —  Darauf  legte  Herr  Prof. 
Dr.  Frey  ein  Pala  (vor  dem  Altar  hängende  Platte)  benanntes  Stück  aus  Bronze 
mit  Emaileinlage  vor.  Es  gehört  dem  Herrn  Minister  Friedberg  und  ist  ihm  vom 
hochseligen  Kaiser  Friedrich  geschenkt  worden.  Es  handelt  sich  um  eine  oblonge, 
ungefähr  1  //(  lange  Platte,  die  mit  einem  etwa  '/a  m  hohen  Rande  umgeben  ist. 
An  diesem  zieht  sich  ein  augenscheinlich  modernes  Ornament  hin.  Das  innere 
Feld  ist  durch  Säulen,  die  Rundbogen  tragen,  in  fünf  Nischen  eingeteilt,  welche 
die  Mutter  Gottes  nebst  den  vier  Evangelisten  enthalten,  jene  in  byzantinischem 
Stil,  diese  bereits  in  freieren,  an  die  Antike  sich  lehnenden  Formen.  Man  musste 
das  Werk  demnach  ins  11.  oder  12.  Jahrhundert  setzen.  Aus  dem  Umstände, 
dass  die  Säulen  nicht  senkrecht  stehen,  und  der  sinnlosen  Zerreissung  eines 
Spruchbandes  schloss  der  Vortragende,  dass  die  Komposition  ursprünglich  für  ein 
rundes  Gefäss  bestimmt  gewesen  sei.  Mit  Hilfe  der  lateinischen  Inschrift  stellte 
er  fest,  dass  ein  Erzpriester  Gotofredus  von  S.  Ambrogio  in  Mailand  der  Besteller 
war.  Er  lässt  sich  in  den  Jahren  1116—27  urkundlich  nachweisen  und  hat  für 
die  Krönung  Kaiser  Konrads  IL    das--  Original    dieser    sogenannten  Pala  anfertigen 


238  Roediger:  Protokolle. 

lassen.  Es  hat  sich  ini  Domschatz  zu  Mailand  -wiedergefunden  und  ist  ein  aus 
Elfenbein  geschnitztes,  kegelförmiges  Weihwassergefass,  das  bei  der  Nachbildung 
in  Bronze  gewissermassen  aufgerollt  «oirde.  Alter  ist  nur  das  Weihwassergefäss 
des  Aachener  Domes. 

Freitag,  den  22.  März  1896.  Herr  Geheirarat  Prof.  Dr.  W.  Schvvartz 
sprach  ül)or  Reste  Lirdeutschen  Volkstums  in  den  Havellandschaften.  Er  ging 
davon  aus,  dass  im  ganzen  Westhavelland,  im  nördlichen  Teil  der  angrenzenden 
Zauche,  sowie  in  den  Jerichowschen  Kreisen  die  Kröte  Muggel,  Äkscherauggei, 
.Äkschehuggel,  Akschemugge.  Akschemoije  genannt  wird,  der  Regenwurm  Pierlauke 
d.  i.  Pierlork.  Diese  Xamen  sind  anderwärts  nicht  gebräuchlich.  In  denselben 
Gegenden  war  bis  in  die  60er  und  70er  Jahre  noch  der  Glaube  an  die  Frau 
Hai-ke  (Harfe,  Arche)  lebendig.  Sie  sondern  sich  dadurch  als  eine  eigene 
Provinz  aus,  und  zwar  sind  es  die  Stiiche,  in  denen  zum  Teil  schon  vor  Albrecht 
dem  Bären,  zum  Teil  seit  seiner  Zeit  Slawen  und  Deutsche  vermischt  sassen. 
Das  Land  ist  von  Wasser  und  Sümpfon  umgeben  und  dadurch  abgeschlossen.  Es  hat 
ursprünglich  deutsche  Bevölkerung  gehabt,  die  es  dann  aufgab,  sodass  die  Wenden 
eindringen  und  es  slawisieren  konnten.  Aber  ein  Rest  deutscher  Bevölkerang  ist 
zurückgeblieben,  und  auf  ihn  ist  urdeutsches  Volkstum  dort  zurückzuführen,  nicht 
auf  die  niederländischen  und  flandrischen  Kolonisten,  die  Albrecht  der  Bär  und 
schon  sein  Vater  herbeizogen.  Denn  sie  wurden  nicht  im  ganzen  hier  in  Betracht 
kommenden  Landstrich,  sondern  nur  in  der  Altmark,  Priegnitz,  den  Jerichower 
Kreisen  zwischen  Havel  und  Elbe  bis  hinunter  nach  Zerbst  und  Anhalt  angesiedelt. 
Der  Einzug  neuer  germanischer  Bevölkei^ung  hat  nur  die  Kraft  der  unter  den 
Wenden  zurückgebliebenen  Germanen  wieder  gestärkt  Denn  in  den  Niederlanden 
und  Flandern  sind  jene  Benennungen  und  die  Fi-au  Harke  unbekannt.  Die  Debatte 
drehte  sich  hauptsächlich  um  die  Xamen  des  Regenwurms  und  der  Kröte.  —  Herr 
Dr.  F.  Weinitz  legte  eine  Anzahl  von  Werken  der  japanischen  Kleinkunst  vor. 
namentlich  Knöpfe  mit  eingelassenen  Metallplatten,  worauf  figürliche  Darstellungen ; 
kleine  Holzmasken,  Bronzegegenstände.  Er  erläuterte  ihre  Beziehungen  auf  Mythen 
und  Sagen.  Auch  Photographien  und  ein  japanisches  Werk  mit  landschaftlichen 
Ansichten  hatte  er  ausgelegt.  Herr  Prof.  Lange  knüpfte  Bemerkungen  an  und 
verwies  namentlich  für  die  japanische  Malerei  auf  die  Werke  von  Andersen.  —  Auf 
eine  Anfrage  des  Vorsitzenden,  Herrn  Geheimrat  Weinhold,  wegen  der  Hillebille 
gab  Herr  Bankrepräsentant  Waiden  Nachträge  zu  dem  Aufsatze  von  R.  Andree 
in  dieser  Zeitschrift  ö,   103  ff.  Max  Roediger. 


Berichtigungen. 

In    dem  Verzeichnis  der  Mitarbeiter,    welches  dem  vierten  Bande  beigegeben 
ward,  ist  durch  ein  unliebsames  Versehen  ausgelassen: 
Prato,  Stanislaus,  Dr.  Prof.  am  K.  Lyceimi  zu  Sessa-Aurunca,  Prov.  Caserta,  Italien. 

Ben-  Fr.  S.  Krauss  in  Wien,  ist  Dr.  phil.,  nicht  Dr.  med. 

In  dem  Artikel  des  Herrn  Dr.  L.  Fränkel,  Bd.  IV,  327-329  siud  folgende 
Fehler  zu  verbessern:  man  lese  S.  327.  Z.  12  drinen;  Z.  16  es:  Z.  23  Marckt; 
S.  328,  Z.  2  Schweine-Igels:  Z.  17  Steine;  Z.  18  Zäserchen;  Z.  21  Kelbraische: 
Z.  25  Überschlag;  Z.  26  wolle;  Z.  27  einen:  Z.  29:  101,  Z.  30  andre:  Z.  35  Nahmen: 
Z.38  dunckel;  S.  329,  Z.  2  den  Fusse;  Z.  3  genante;  Z.  13  Dorf;  Z.  17  Oeffnungen: 
Z.  21  wieder:  Z.  29  Gegen;  ebd.  band. 

In  dem  Referat  des  Herrn  Prof.  Dr.  Fr.  Stolz  über  Schnellers  Beiträge  II, 
Bd.  V,  S.  109  f.  ist  zu  verbessern;  S.  109,  Z.  8  von  unten  lies  conus  statt  conrms. 
S.  110,  Z.  20  v.  o.  1.  Pflun  st.  Pfliu,  S.  110,  Z.  36  v.  o.  I.  mn  statt  mm. 


Zeitschrift   des  Vereins  für  Volkskunde  1895. 


Taf. 


3. 


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V 


I 


18. 


Zeitschrift   des    Vereins  für   Volkskunde  1895. 


Taf.    III. 


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Die  Sage  von  dem  Be(!jräl)nis  König  Erik  Ejegods 
von  Dänemark  anf  Cypern. 

Von  H.  F.  Feilberg. 


Durch  die  Anfrage  eines  Freundes  wurde  vor  einiger  Zeit  meine  Auf- 
merksamkeit auf  die  Erzählung  Saxos  von  dem  Tode  und  Begräbnis  des 
dänischen  Königs  Erik  Ejegods  gelenkt.  Die  Worte  lauten  (Müllers  Ausg., 
S.  613)  1.  „Cyprum  contendit.  Cujus  in.sulae  natura  adeo  quondam  tumu- 
loruni  impatiens  fuit,  ut  mandata  sibi  interdiu  corpora  proxima  nocte  reji- 
ceret.  Hie  rex,  febri  implicatus,  quum  vicinum  sibi  fatum  adesse  cognosceret, 
apud  celeberrimani  Cypri  urbem  corpus  suum  fuuerari  petivit,  praefatus, 
tellureni  aliorum  cineres  respuentem  suos  quietius  habituram.  Igitur  pro 
voto  tumulum  nactus,  corporis  sui  beneficio  vetustam  humi  indignationem 
repressit,  eamque,  humauis  ante  cadaveribus  reluctantem,  non  solum  suae, 
sed  etiara  alienae  sepulturae  patientem  effecit."  So  weit  Saxo.  Aus  dem 
Chronicon  Sialaudiae  (Script.  Eer.  Dan.  IT.  606)  ziehe  ich  einige  Zeilen 
herbei:  „Interim  immiuente  termino  tanti  viri  laboris,  correptus  febre  diem 
sui  transitus  .  .  .  assistentibus  praedicebat,  locum  eis  assegnans,  quo  humari 
optabat.  Intuentibus  his  loci  importunitatem  et  affirmantibus,  neminem  ibi 
sepeliri  posse,  ait:  „domini  est  terra,  qui  etsi  inde  me  projecerit  extra 
coemeterium  sepelite."  Regis  sermo  adimpletur.  Die,  qua  praedixerat, 
moritur;  ubi  optavit,  sepelitur,  et  factus  est  in  pace  locus  ejus.  Mirabile 
niiraculum;  locus  ille,  qui  omni  mortuo  illocalis  antea  extitit,  rege  sepulto, 
cujuslibet  sepulturae  de  caetero  satis  aptus  apparuit."') 

Noch  erlaube  ich  mir  Dr.  E.  Müllers  Anmerkung  zu  der  Erzählung 
Saxos  beizufügen:  „Narrat  Villibrandus  Oldenburgensis,  anno  1211  adterram 
sanctam  profectus  (in  Leonis  AUatii  Symmictis,  p.  14.3),  in  Cypro  daemoues 
quavis  nocte  cadavera  humo  condita  ejecisse  et  in  domos  retulisse,  donec 
imperatrix  Helena,  cum  cruce  Christi  ad  insulam  appulsa,  ope  sanctae 
crucis  insultus  daemoniacos  avertisset." 

Den  Bericht  von  Yillibrandns  habe  ich  nicht  nachschlagen  können, 
kann  aber  an  der  zuverlässigen  Wiedergabe  seiner  Erzählung  nicht  zweifeln. 


1)  cfr.  H.  Olrik,    Danske  Helgeners  Levned,  S.  120,  Uebersetzung  der,  von  G.  Waitz 
publizierten,  ungedruckten  Lebensbeschreibung  des  Herzogs  Knud  Laward  ^Göttingen  1858). 

Zeitschr,   ü.  Vereins  f.  Volk-kuiide.    1895.  1-7 


240  Feilberg: 

Wo  der  Keim  dieser  Sage  zu  finden  sei,  und  wie  sie  gross  gewachsen, 
weiss  ich  nicht.  Einige  neuere  Varianten  derselben  mögen  yielleicht  einiges 
Interesse  haben. 

Im  Chronicon  sind  die  Ausch'ücke  unbestimmt:  „es  kann  auf  Cypern 
niemand  begraben  werden";  Saxo  in  seiner  gezierten  Sprache  sagt:  „die 
Natur  der  Insel  habe  vormals  in  dem  Grade  Gräber  nicht  geduldet,  dass 
sie  die  ihr  anvertrauten  Leichen  in  der  nächsten  Nacht  ausgeworfen  habe." 
Willibraud  giebt  die  deutlichere  Erklärung,  es  seien  persönliche  Wesen, 
daemones,  welche  die  Leichen  ausgeworfen  und  in  die  Häuser  zurück- 
gebracht hätten. 

Bloss  im  Vorbeigehen  notiere  ich:  was  die  Sage  südlicher  Länder  der 
Kaiserin  Helena  und  dem  Kreuze  des  Erlösers  zuteilt,  wird  hier  der  Kraft 
der  sterblichen  Reste  des  frommen  dänischen  Königs  beigelegt. 

Das  vorliegende  Motiv,  dass  die  Erde  den  Frieden  der  Toten  störe, 
oder  dass  Dämone  Leichen  aus  der  Erde  hinauswerfen,  gehört  zu  den 
selteneren  im  Vergleich  mit  dem  anderen,  dass  Tote,  ausser  dem  Kirchhofe 
beerdigt,  sich  nach  dem  geweihten  Euheplatze  sehnen.  Ich  werde  eine 
Reihe  von  Sagen  mit  jenem  Motiv  anführen.  Verwandte  Motive,  die  ich 
sonst  angetroffen,  füge  ich  bei,  um  das  Bild  klarer  und  farbenreicher  zu 
machen. 

2.  Hr.  Hartvig  Limbek  war  ein  sehr  strenger  Herr.  Eine  arme  Frau 
hatte  sich  einst  in  seinem  Walde  ein  wenig  Holz  gesammelt.  Sie  wurde 
auf  frischer  That  ertappt  und  zu  ihm  gebracht,  er  liess  sie  peitschen.  Da 
fluchte  sie  ihm,  seine  ITnthat  sollte  gerächt  werden,  nach  dem  Tode  solle 
er  ohne  Sarg  in  die  Erde  kommen.  So  wie  sie  gesagt,  geschah  es.  Er 
starb  und  sollte  auf  dem  Kirchhofe  von  Gaardslev  beerdigt  werden;  als 
man  aber  den  Sarg  hinabsenken  wollte,  verschloss  sich  das  Grab,  und  so 
oft  man  es  auch  versuchte,  das  Erdreich  fiel  stets  zusammen,  bis  die 
Bauern  die  Leiche  aus  dem  Sarge  nahmen.  Da  war  nichts  mehr  im  Wege, 
und  so  wurde  der  stolze  Gutsbesitzer  begraben. 

Thiele,  Danske  Folkesagn  (1843)  I,  125  (Jütland). 

3.  Eine  alte  „Auszüglerin"  (pröventukona)  hatte  Sti-eit  mit  den  Dienst- 
leuten nnd  wurde  von  einem  Knechte,  namens  Jon,  öfters  übel  mitgenommen. 
Sie  drohte  ihm  kurz  vor  ihrem  Tode,  dass  sie  sich  dafür  an  ihm  rächen 
werde.  Jon  verkam  im  Unwetter  im  Gebirge  (varö'  üti),  seine  Leiche 
wurde  später  gefunden  und  begraben,  über  Nacht  aber  wurde  das  Grab 
aufgewühlt  und  der  Sarg  zerbrochen.  Ein  zweites  und  drittes  Mal  begrub 
mau  den  Toten,  immer  wiederholte  sich  derselbe  Spuk.  Da  that  der  Pfarrer 
endlich  die  Gebeine  in  einen  Sack  und  leg-te  diesen  hinter  der  Kirchenthür 
nieder.  —  Neue  Motive  mischen  sich  jetzt  in  die  Erzählung:  eine  Magd, 
Guöriin,  holt  in  der  Nacht  den  Sack  mit  Jons  Gebeinen,  um  als  Wettlohn 
eine  Schnupftabakdose  und  Tabak  zu  erhalten;   der  Tote  erscheint  ihr  im 


Die  Sage  von  dem  Begräbnis  König  Erik  Ejegods  von  Dänemark  auf  Cypern.      241 

Traume  und  bittet  sie,  wenn  die  Toteu  in  der  Weihnachtsnacht  alle  in 
der  Kirche  versammelt  seien,  einer  Frau  mit  einer  roten  Haube  zu  sagen: 
„vergi«b  dem  Knoehengerippe,  das  hinter  der  Kirchenthür  liegt".  So 
wurde  alles  wieder  in  Ordnung  gebraclit,  die  Magd  hielt  das  Versprechen 
dem  Verstorbeneu,  nochmals  wurde  die  Bestattung  der  Gebeine  versucht, 
und  diesmal  behielt  das  Grab  die  Leiche. 

(Maurer,  Isl.  Sagen,  S.  75,  Aruasons  pjöösögur  I,  306.) 

4.  In  der  Stadt  Baden  war  einst  ein  reicher  Kornhändler,  der  den 
Armen  während  der  Hungerszeiten  manchen  Sack  Korns  oft  zur  Hälfte 
bloss  mit  Spreu  gefüllt  verkaufte.  Nach  seinem  Tode  begrub  man  ihn 
stattlich  auf  dem  Kirchhofe,  aber  die  Erde  wollte  ihn  nicht  leiden.  Jeden 
Morgen  fand  sicli  das  Grab  frisch  aufgedeckt  und  der  Totenbaum  aus  dem 
Grabe  herausgeworfen.  Zweimal  hatte  man  ihn  wieder  beerdigt,  da  erkannte 
man  die  vergebliche  Bemühung.  Die  Leiche  wird  auf  einen  Wagen  mit 
Stieren  bespannt  gesetzt;  die  bleiben  vor  einer  Grube  im  Walde  stehen, 
und  da  wird  der  böse  Mann  in  einem  Spreuhaufen  begraben. 

Eochholz,  Argauer  Sagen  H,  129.  ss?. 

5.  Die  folgende  Erzählung  war  mir  nur  aus  zweiter  Hand  zugänglich: 
Fra  Pilippo    da  Siena    erzählt    von  Eltern,    die    einen   kranken  Sohn 

hatten,  und  da  sie  von  Gott  seine  Genesung  nicht  erhalten  konnten,  suchten 
sie  bei  einer  Zauberin  Hülfe;  diese  übergab  das  Kindlein  im  Namen  der 
Eltern  dem  Teufel.  Anfänglich  schien  der  Knabe  besser  zu  werden,  starb 
aber  nach  Verlauf  dreier  Monate.  Er  ward  dreimal  begraben  und  dreimal 
von  der  geweihten  Erde  des  Kirchhofes  wieder  ausgeworfen.  Geweihte 
Erde  nämlich  empfängt  nur  unwillig  die  Leichen  der  Verdammten.  Zuletzt 
wurden  die  zerrissenen  Glieder  des  Kindleins  in  einem  Wäldchen  in  der 
Nähe  des  Kirchhofes  umhergestreut  gefunden. 

Graff,  Miti,  Legende  e  Superstizione  I,  300. 

6.  Mit  den  vorangehenden  Sagen  verwandt  ist  die  folgende: 

Die  Hexe  von  Aristau  wird  an  einer  Hecke  erhenkt  gefunden.  Nach 
Landesgebrauch  sollte  nun  die  Leiche  des  Nachts  in  einer  Wüstung  des 
Waldes  begraben  werden.  Den  Wagen,  auf  den  man  sie  lud,  brachte  man 
nicht  eher  von  der  Stelle,  als  bis  man,  statt  des  vorgespannten  Wucher- 
stieres acht  schwarze  Rosse  angeschirrt  hatte.  Da  man  nun  gegen  den 
Heiniweiher  kam.  erschien,  trotz  des  hellen  Mondscheines,  alles  Laub  des 
Waldes  schwarz,  alle  Zweige  senkten  sich  zusammen  gegen  Wagen  und 
Rosse  und  versperrten  völlig  den  Weg.  So  blieb  man  abermals  mit  der 
Fuhre  stecken.  Endlich  setzte  sich  der  Kutscher  auf  die  Leiche  statt  aufs 
Sattelross,  und  ritt  sie  solange,  bis  der  Wagen  zum  Weiher  durchgeschleppt 
war.     Dort  wurde  die  Hexe  in  ein  Sumpfloch  geworfen. 

Rochholz,  Argauer  Sagen  11,  171.  395. 

17* 


242  Feilberg: 

7.  Die  Leichen  der  Heiligen  sind  bisweilen  ein  wenig  anspruchsvoll. 
In  der  Nähe  einer  Stelle  Four-mile-water  in  Wexford  ist  ein  alter  Kirch- 
hof mit  lauter  Heiligen-Gräbern.  Ursprünglich  lag  der  Kirchhof  jenseits 
des  Flusses,  es  wurde  aber  die  Leiche  eines  schlechten  Menschen  unter 
die  der  Heiligen  bestattet;  die  Folge  davon  war,  dass  der  ganze  Kirchhof 
nach  der  anderen  Seite  während  der  Nacht  umzog,  der  Verbrecher  wurde 
einsam  zurückgelassen.  Man  hätte  glauben  sollen,  fügt  der  englische  Mit- 
teiler hinzu,  es  wäre  leichter  gewesen,  den  bösen  Körper  zu  entfernen: 
die  Heiligen  zogen  aber  vor,  alles  mit  Aufwand  zu  vollbringen. 

Yeats,  Fairy  and  Folk  Tales  of  the  Irish  Peasantry  (1888),  S.  214. 

8.  Joa.  Moschius  in  der  Prakt.  Spiritualis,  Cap.  88  und  Evagrus  Pon- 
tensis  L.  4,  Cap.  35  gedenken  eines  heiligen  Einsiedlers  Thomas,  der 
mehrere  Male  seinem  Grabe  entlief,  weil  man  ihn  neben  einige  unfromme 
Menschen  beerdigt  hatte.    Vgl.  auch  Mone,  Anzeiger  1839,  S.  536,  Xo.  72. 

Wolf,  Niederl.  Sagen,  S.  684.  ,5ü. 

9.  Ein  böser  Vogt  wird  auf  dem  Kirchhofe  begraben.  In  der  nächsten 
Nacht,  als  der  Glöckner  in  seiner  Stube  schlief,  erhob  sich  auf  dem  Kirch- 
hofe ein  gewaltiger  Lärm  und  eine  Stimme  rief  dui'ch  das  Fenster:  „Wirf 
dein  Grabgerät  heraus,  wir  wollen  es  haben!"  Der  Mann  war  so  er- 
schrocken, dass  er  dem  Befehle  Folge  leistete,  und  nun  begann  ein  fürchter- 
liches Graben  und  Schaufeln,  und  hinterher  erhob  sich  ein  Sturm,  der  die 
ganze  Kirche  erschütterte.  Als  es  still  geworden  war,  wagte  der  Glöckner 
hinauszugehen:  das  Grab  des  Vogtes  war  leer.  Er  bestieg  eine  Anhöhe: 
im  Norden    war  inmitten  eines  Waldes    ein    heller  Feuerschein,    wie  von 

einem  grossen  Seheiterhaufen  zu  sehen Am  nächsten  Tage  sah  man 

zwischen  zwei  Eichen  eine  Eisenstange  liegen,  an  welcher  die  verkohlten 
Überreste  eines  menschlichen  Körpers  hingen  und  unter  der  Stange  war 
eine  gewaltige  Grube,  welche  deutliche  Spuren  aufwies,  dass  in  ihr  ein 
mächtiges  Feuer  gelodert  hatte. 

Gering,  Islendzk.  Aefentyri  H,  91. 

10.  Ein  General,  Besitzer  von  Odersberga  in  Schweden,  musste  doch 
am  Ende,  wie  trotzig  er  auch  war,  sterben.  Zuerst  wurde  er  in  der  Kirche 
begraben,  von  dannen  kehrte  er  aber  in  sein  Haus  zurück  mit  Sarg  imd 
allem.  Nachher  bestattete  man  ihn  auf  dem  Kirchhofe;  umsonst,  er  kam 
wieder.  Darnach  wurde  er  nach  Barnahöl  in  der  Nähe  geführt;  dort  pflegte 
man  solche  widerspänstige  Tote  zu  versenken;  denn  du  verstehst  wolil. 
Barnahöl  ist  ganz  bodenlos.  Sobald  aber  der  Sarg  hineingeworfen  worden 
war,  wurde  aus  der  Tiefe  gerufen:  „Wir  wollen  den  General  nicht  hier!" 
und  augenblicklich  schwamm  der  Sarg  wieder  herauf.  Nun  öffnete  man 
den  Sargdeckel  und  legte  schwere  Steine  um  die  Leiche,  dass  der  Sarg 
unmöglich  mehr  schwimmen  konnte:  aber  es  half  nicht  das  fferinarste,  der 
Sarg   kam   wiederum  lii-rauf  und  der  General  kehrte  in  sein  Haus  zurück. 


Die  Safje  von  rlein  Bei^räbnis  Könis  Erik  Rjeijofls  von  Dänemark  auf  Cypern.       243 

Niemand  wusste  mehr  Rat,  doch  eiu  „khiger  Manu"  wurde  geholt,  der  Hess 
deu  Geueral  in  eine  Wiese,  zu  Odersberga  gehörend,  begraben  und  ihm 
einen  Pfahl  durch  den  Leib  schlagen.  Jetzt  musste  er  ruhig  im  Grabe 
bleiben.  £.  Wigström,  Folkdiktning  II,  108  (Schweden). 

11.  Eine  Verbreeherin  wurde  gerädert,  ihre  Familie  bewog  vier  Per- 
sonen, deren  einer  mein  Urgrossvater  nach  der  Sage  gewesen  sein  soll^ 
sie  zu  begraben.  Bei  Nacht  nahmen  sie  die  Leiche  vom  Rade  herab,  um 
dieselbe  auf  dem  Kirchhofe  zu  beerdigen.  Es  überstieg  aber  ihre  Kräfte. 
Am  Zaune  des  Kirchhofs  angelangt,  wurde  die  Leiche  so  schwer,  dass  es 
ihnen  beinahe  unmöglich  wurde  sie  zu  erheben,  und  als  sie  die  Tote  über 
den  Zaun  zu  führen  versuchten ,  wurde  es  ihnen,  wo  sie  auch  hinkamen, 
gewehrt,  bis  sie  nach  der  Ecke  kamen,  wo  die  Selbstmörder  begraben  sind; 
da    konnten  sie  die  Leiche  hinüberbringen  und  dort  wurde  sie  verscharrt. 

Skattegraveren  X,  188  (Jütland). 

12.  Eine  Frau  in  einem  Kirchspiele  auf  dem  Lande  in  Norwegen 
nahm  sich  selber  das  Leben.  Es  geschah  früh  im  Jahre,  und  man  war 
gezwungen,  um  dem  Eise  zu  entgehen,  nach  dem  Skejsvik  hinüberzurudern, 
dort  wurde  gelandet.  Nachher  wurde  der  Sarg  nach  dem  Kirchhofe  Opheims 
getragen;  am  Thore  aber  angelaugt,  war  es  den  Trägern  unmöglich,  den 
Sarg  hindurchzubringen;  doch  konnte  niemand  etwas  sehen,  das  ihnen 
hin(h?rlich  entgegenträte.  Dann  versuchten  sie  den  Sarg  über  die  Mauer 
zu  heben;  auch  umsonst,  obschon  sie  alle  mit  gutem  Willen  arbeiteten. 
Dann  rief  einer  von  den  Begleitern,  indem  er  gewaltig  fluchte,  dass  der 
Sarg  hinüber  müsste,  ob  auch  der  leidige  Teufel  ihn  selber  hinüb erbringen 
sollte  Augeublicldich  war  alles,  das  ihnen  den  Weg  versperrte,  fort,  der 
Sarg  kam  ganz  leicht  hinüber. 

Th.  S.  Haukenäs,  Natur,  Folkeliv,  Folketro  FV,  504. 

13.  In  Enslöf  ist  ein  Widder  lebendig  unter  dem  Fundament  der 
Kirche  begraben  worden.  Ein  solches  Tier,  der  Schutzgeist  der  Kirche, 
wird  „Kyrkegrime"  genannt  und  wird  oft  von  Mensehen  gesehen;  er  bestraft 
Personen,  welche  sich  in  der  Kirche  ungebührlieh  betragen  haben  und  jagt 
zudem  aus  dem  Kirchhofe  alle  „Myringar".  d.  h  ermordete  Personen  oder 
Kindlein,  die  ohne  kirchliche  AVeihe  begraben  worden  sind.  Dieselben 
müssen  demnächst  als  Nachtraben  (Gerippe,  die  einen  knarrenden, 
kreischenden  Laut  von  sich  geben)  umherflattern. 

Hofberg,  Nägra  Drag  ur  det  forna  Skogsbygarelifvet 
i  Halland  (1880—81),  S.  32  (Schweden). 

14.  Noch  muss  hierzu  eine  irische  Sage  gefügt  werden :  Auf  der  Insel 
Inismurray  sind  zwei  Kirchhöfe,  einer  für  Männer,  eiu  anderer  für  Frauen. 
Es  ist  allgemeiner  Volksglaube,  dass,  wenn  eine  Frau  zufälligerweise  in 
dem  Hofe    der  Männer  bestattet  werden    sollte,    so  würde  die  Leiche  bei 


244  Foilberg: 

K^aclit  durch  unsichtbare  Hände  nach  dem  der  Frauen  geführt  werden,  und 
so  umgekehrt.  Folklore  V,  161. 

Wenn  ich  nun  auf  diese  Sagen  zurückblicke,  so  bleibt  das  Hauptmotiv 
in  allen  dasselbe:  der  Todte,  die  Leiche,  kann  oder  will  nicht  im  Grabe 
verbleiben.  Hier  ist  nicht  von  Wiedergängern,  deren  ruhelose  Seeleu 
keinen  Frieden  finden  können,  die  Rede,  sondern  von  den  toten  Körpern 
verstorbener  Menschen,  die  freiwillig  oder  gezwungen  ihr  Grab  verlassen 
müssen.  Insofern  ist  hier  eine  gewisse  Einheit.  Wenn  man  dagegen  um 
den  Grund  fragt,  warum  die  Toten  nicht  ruhig  liegen  können,  werden 
verschiedene  Erklärungen  gegeben.  In  einigen  der  Sagen  (2.  3)  ist  es  ein 
ausgesprochener  Fluch,  welcher  das  Grab  den  Leichen  verschliesst,  ein 
Motiv,  das  sehr  häufig  im  Volksglauben  ist,  wo  das  gesprochene  Wort  in 
Segen  oder  Fluch  unabwendbar  in  Erfüllung  geht.  In  anderen  (4,  5,  6) 
weigert  sich  das  in  des  heiligen  Gottes  Xamen  geweihte,  gesegnete  Erd- 
reich des  Grabes  den  Sünder  oder  das  Kindlein,  welches  dem  Teufel  über- 
geben ward,  zu  empfangen.  Damit  stelle  ich  die  Sage  (6)  zusammen,  wo 
selbst  die  Bäume  des  Waldes  den  Trägern  des  Leichnams  der  Hexe  den 
Weg  versperren.  Ein  drittes  Verhältnis  erscheint,  wo  der  Heilige  mit  dem 
losen  Gesindel,  unter  welches  sein  Körper  begraben  ist.  unzufrieden,  sich 
von  seinem  Kuheplatze  unter  ihnen  entfernt  (8),  ein  Motiv,  das  einen  Aus- 
druck, der  keltischen  Phantasie  würdig,  in  der  Erzählung  vom  Umzüge 
eines  ganzen  Kirchhofes  (7)  findet.  Demnächst  sind  es  die  Toten,  welche 
die  Polizeiaufsicht  auf  dem  Kirchhofe  selber  besorgen,  sie  werfen  aus  und 
verbrennen  den  gottlosen  Vogt  (9,':  und  in  der  dänischen  Sage  (11,  cfr.  12) 
denke  ich  mir,  dass  es  die  gerechton  Toten  sind,  die  überall  am  Zaune 
der  Verbrecherin  den  Zutritt  zum  Grabe  wehren.  Eigentümlich  wird  auch 
offenbart,  welch  ein  böser,  gottloser  Bube  der  verstorbene  General  gewesen, 
indem  selbst  die  schlechtesten  von  den  Toten  ihn  in  ihrer  Mitte  nicht 
ertragen  (10);  auch  kann  man  sich  kaum  eines  Lächelns  erwehren,  wenn 
von  der  strengen  Sonderung  zwischen  Männern  und  Frauen  auf  dem  Kirch- 
hofe die  Rede  ist  (14).  Zuletzt  übernimmt  „Kp"kegrimen"  in  der 
schwedischen  Sage  das  Polizeiamt  und  jagt  heimatloses  Gesindel  von  den 
Wohnungen  gesetzter  Bürger  fort  (13).  Diesen  Sagen  reiht  sich  nun  die 
von  Saxo  und  Willibrand  mitgeteilte  an  (1),  dass  böse  Geister,  Dämone, 
jedem  Toten  einen  Platz  in  dem  Erdreiche  Cyperns  wehren.  Ob  diese 
nun  eine  morgenländische  Wandersage  ist,  welche  bodeufest  auf  Cypern 
geworden,  oder  ob  sie  derjenigen  eine  ist,  die  da,  wo  Christentum  und 
Heidentum  sich  begegnen,  zur  Verherrlichung  der  siegenden  Macht  des 
Christentums  entspriessen,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Man  könnte  dann  noch  fragen,  ob  sich  mit  diesen  verwandte  An- 
schauungen auch  unter  anderen  Verhältnissen  finden.  Ja  freilich,  ein  paar 
habe  ich  mir  notirt,  andere  mögen  sich  finden. 


Die  Sage  vou  dem  Begräbnis  König  Erilv  Ejegods  von  Dänemark  auf  Cypern.       245 

15.  Eine  Stelle  nördlich  in  Hafnarfjall  in  BorgarfjariVarsyssel  wird 
HröarsskörO  genannt.  Dort  ist  ein  Teicli,  von  welchem  man  erzählt,  er 
habe  die  Eigenschaft,  dass,  wenn  jemand  einen  Stein  hineinwerfe,  er  aus 
dem  Teiche  ans  Land  zurückkehre.  Und  wirft  man  zum  zweiten  Mal  den 
Stein  hinein,  so  fliegt  er  zurück  und  trifft  und  verwundet  den  Werfenden. 
Wirft  man  zum  dritten  Male,  so  kehrt  er  zurück  und  schlägt  den  Mann 
tot,  der  ihn  hineinwarf.  Aruason  pjöO'sögur  I,  663. 

16.  Warum  will  das  Wasser  die  Zauberinnen  nicht  sinken  lassen? 
Die  Vorstellung,  die  dem  Ordale  des  „Hexenbades"  zu  Grunde  liegt,  findet 
sich  bei  Hincmar  dahin  entwickelt,  dass  das  Wasser,  geheiligt  durch  die 
Taufe  Christi  im  Jordan,  keine  Verbrecher  aufnimmt,  wenn  es  darauf 
ankommt,  sie  zu  entdecken. 

Soldan-Heppe,  Hexenprozesse  I,  395,  Grimm  R.  A.  923.  -i 

Noch  eine  kurze  Bemerkung  sei  mir  erlaubt.  In  einer  Sagensammlung, 
„Legends  of  the  Lincolnsliire  Cars",  wird  von  der  Erde  als  einem  lebendigen 
Wesen  gesprochen.  Diese  Erzählungen  scheinen  mir  das  merkwürdigste 
und  eigentümlichste,  was  je  in  meine  Hände  von  neueren  Sagensammlungen 
gelaugt  ist,  und  jeder  Zweifel  au  ihre  Echtheit  muss  durch  die  Publizierung 
in  der  Folklore  von  vorn  herein  abgewiesen  werden.  Leider  ist  sie  in 
starkem  Dialekt  niedergeschrieben,  sodass  es  einem  Ausländer  nicht  ganz 
leicht  ist,  sich  den  Inhalt  eigen  zu  machen.  Neben  der  weit  fortgeschrittenen 
englischen  Kultur  führen  uns  diese  Erzählungen  nicht  nur  in  die  von 
Nebel  umschlossenen  Sümpfe  und  Marschen  des  Lincolnsliire,  sondern  unter 
Menscheu,  deren  Denkweise  und  Aberglaube  uns  iu  die  Nebel  ferner  Zeiten 
versetzt. 

17.  Wie  ich  dirs  schon  früher  sagte,  ich  würde  nicht,  ob  ich  es  auch 
wollte,  dir  alles  erzähleu  köunen,  was  unsere  Leute  zu  thun  gewohnt  waren. 
Mehr  als  in  den  anderen  Zeiten  des  Jahres  waren  sie  im  Frühling  mit 
iiiren  Bitten  und  Beschwörungen  beschäftigt.  Sie  dachten,  die  Erde  schliefe 
den  ganzen  Winter  hindurch,  und  alle  die  Gespenster  —  du  kannst  sie 
nennen,  wie  du  willst  —  sie  machten  während  der  ganzen  Zeit  nur  böse 
Streiche,  sie  hatten  nämlich  nichts,  womit  sie  sich  auf  den  Feldern  be- 
schäftigen konnten  und  wurden  darum  besonders  iu  der  langen,  finsteren 
Winterszeit  gefürchtet,  bereit  wie  sie  waren  und  Gelegenheit  suchend. 
Böses  den  Menschen  zuzufügen.  Wenn  aber  der  Winter  schwand,  meinten 
die  Leute,  die  Zeit  wäre  gekommen,  die  schlafende  Erde  zu  wecken,  und 
die  Gespenster  seien  in  Arbeit  für  die  keimende  Saat  und  die  kommende 
Ernte.  Im  Spätjahre  wurde  die  Erde  wieder  müde  und  schlief  allmählich 
ein,  und  die  Leute  versäumten  deshalb  nicht  allerlei  Wiegenlieder  (hushieby 
songsj  an  Herbstabenden  auf  den  Feldern  zu  singen.  Im  Frühling  aber 
gingen  sie  —  die  Leute  natürlich,  welche  den  alten  Glauben  hatten  —  auf 
alle  Felder  dos  Dorfes  und  nahmen  ein  bischeu  Erde  von  den  Maulwurfs- 


246  Schwartz  : 

bügeln  (a  spud  o'  yarth  fro'  th'  inools)  und  sprachen  sonderbare  Worte, 
welcbe  sie  selbst  kaum  vei-stehen  konnten,  und  die  durch  hunderte  von 
Jahren  gesprochen  worden  waren.  Jeden  Morgen,  wenn  der  Tag  zu  grauen 
anfing,  standen  sie  an  der  Thürschwelle  auf  der  Wache  mit  Salz  und  Brot 
in  ihren  Händen  auf  den  grünen  Nebel  wartend,  der  sich  mit  der  freudigen 
Botschaft  erheben  sollte,  die  Erde  sei  wiederum  wach,  das  Leben  kehre 
zu  Bäumen  und  Pflanzen  zurück,  die  Saat  keime,  der  Frühling  sei  im 
Anbruch.  Folklore  II  (1891),  p.  260. 

Aus  dem  Boden  einer  solchen  oder  äTinlicher.  abergläubischer,  poetischer 
Naturanschauungen  lässt  sich  leicht  verstehen,  dass  Sagen,  wie  die  ange- 
führten, entspriessen  konnten. 

AskoT  bei  Yejen,  Dänemark. 


Die   volkstümlichen  Xamen   für  Kröte,   Frosch   und 

ßegenwurni  in  Nord-Deutschland  nach  ihren 

landschaftlichen  Gruppierungen 

(mit  den  einzelnen  Ortsaugaben). 
Von  Wilhelm  Schwartz.-') 


Die  folgenden  Zusammenstellungen  der  noch  jetzt  üblichen  volks- 
tümlichen, aber  meist  alten  Bezeichnungen  für  die  Kröte,  den  Frosch  und 
den  Regenwurm  in  Norddeutschland  beruhen  weder  auf  litterarischen,  den 
verschiedenen  dialektischen  Idiotiken  entnommenen  Zeugnissen,  noch  auf 
einer  mechanisch  (etwa  durch  allgemeine  Fragebogen)  vorgenommenen 
Enquete,  noch  sind  sie  das  Resultat  einer  zufälligen,  sondern  einer  im  ein- 
zelnen wohl  überlegten  individuellen  Recherche. ")  Sie  sind  gewissermassen 
das  sich  organisch  entfaltende  und  auf  einzelne  Korrespondenzen 
begTündete  Korrelat  einer  dialektisch  -  historischen  Studie,  welche  sich 
allmählich  an  der  Wahrnehmung  entwickelte,  dass,  wie  in  der  Sache  selbst 
sich  ein  eigentümliches  Stück  Volkstum  bekundet,  so  speziell  in  den 
landschaftlich  verschieden  hervortretenden  „Gruppierungen  der  Namen  jener 
Amphibien"  noch  fast  durchgehends  sich  alte  „Stammesverhältnisse"  in  be- 
sonderer Weise  „wie  in  Zonen"  abspiegeln,  so  dass  neben  anderen  dialektischen 

1)  Mit  einer  Spezialkarte  der  Havellandschaften  (Tafel  IV). 

21  Dass  die  Namen  fast  durchgehends  alt,  lässt  sich  teils  durch  historische  Zeugnisse 
belegen,  teUs  ergiebt  es  sich  aus  der  Analogie  entsprechender  schwedischer,  dünischer, 
englischer  (angelsächsischer),  sowie  niederländischer  Bezeiclmungen  derselben  Tiere.  Nm- 
für  die  Frösche  treten  verschiedentlich  modeme,  zum  Teil  onomatopoietische  Varianten 
wie  Marxe,  Quak,  Röhle,  Schäks  (in  Guben)  u  s.  w.  auf. 


Die  volkstümlichen  Nameu  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  247 

Uiitersucluiugeu  auch  die  mamiigfaclisteu  historischen  Erörterungen  und 
Sclilüsse  sich  daran  knüpfen  Hessen,  und  auch  so  eine  möglichst  umfassende 
Übersicht  „im  Interesse  der  Wissenschaft"  wünschenswert  erschien. 

Die  äussere  Veranlassung  zu  jener  Studie  gab  die  Entdeckung,  welche 
ich  zufcillig  im  Jahre  1893  machte  und  die  auch  seiner  Zeit  unsere  Zeit- 
schrift erwähnt  hat'),  dass  nämlich  im  ganzen  Havellande  nicht  weit  von 
den  Thoren  Potsdams,  wie  die  diesem  Aufsatz  beigefügte  Karte  zeigt,  für 
die  Kröte  noch  ein  besonderer  Name  volkstümlich  üblich  sei,  nämlich 
„Muggel",  ein  bis  dahin  litterarisch  ganz  unbekanntes  Faktum.  Bedeutsam 
wurde  die  Sache  besonders  noch,  als  sich  bald  feststellen  liess,  dass  dabei 
von  einer  slavischen  Reminiscenz  aus  der  Zeit  der  Wendenherrschaft  hier- 
selbst  nicht  die  Rede  sei,  vielmehr,  da  auch  sonst  auf  deutschem  Boden, 
wenngleich  jenseits  des  Rheins,  ein  Analogen  sich  fand,  —  indem  au  der 
Eifel  wie  am  Oberlauf  der  Mosel  und  an  der  Nahe  die  Stanmiform  „muck", 
von  der  „muggel"  nur  eine  Diminutivform  ist,  als  Bezeichnung  desselben 
Tieres  sich  ermittelte,  —  der  deutsche  Typus  des  Namens  auf  diese  Weise 
ausdrücklich  gewährleistet  wurde  und  das  Ganze  damit  als  ein  Stück 
alten  deutschen  Volkstums  hierselbst  erschien. 

Die  freiere  Zeit,  welche  mir  das  im  vorigen  Jahre  eintretende  Aus- 
scheiden aus  meiner  amtlichen  Thätigkeit  gewährte,  veranlasste  mich, 
nachdem  ich  die  Muggel  im  ganzen  Havellande  verbreitet  vorgefunden 
hatte  und  daneben  auch  noch  eigentümliche  Bezeichnungen  unter  anderem 
für  Frosch  und  Regenwurm,  zu  immer  in  weitere  Kreise  sich  nach  Westen 
ausdehnenden  Korrespondenzen  namentlich  mit  den  Geistlichen  und  Lehrern 
auf  dem  flachen  Lande,  und  das  freundliche  Eingehen  auf  die  Sache,  welches 
ich  von  allen  Seiten  dabei  erfuhr,  —  indem  fast  umgehend  auf  Karte  oder 
Brief  eine  Gegenantwort  erfolgte,  —  orientierten  mich  bald  immer  weiter 
in   der  überraschendsten  Weise  und  führten  zu  stets  neuen  Entdeckungen. 

Einmal  stellte  sich  nämlich  bald  heraus,  dass  die  Muggel-Zone,  wie 
ich  sie  nennen  möchte,  nicht  nur  die  Dörfer  des  Havellandes  umfasst, 
sondern  auch  des  angrenzenden  nördlichen  Teiles  der  Zauche,  sowie  der 
Jericho  wer  Kreise  und  zwar  in  erster  Linie  mit  der  Form  muggel  (oder  moggel), 
dann  aber  auch  mit  den  Varianten  ekschemuggel,  erdschemuggel  .erdkröte), 
erdschemull,  huggel,  mugge,  muije  u.  s.  w.  (s.  Tab.  I  und  die  Karte)  und 
der  Name  Kröte,  wie  die  meisten  der  Berichte  hervorheben,  fast  nur  im 
Banne  der  Schule  existiert,  ferner,  dass  merkwürdigerweise  daneben  noch 
ein  anderer  volkstümlicher  Name  deutch-altertümlicher  Art  sich  für  eine 
zweite  Amphibie  in  denselben  Gegenden  erhalten  hat.  Wenn  nämlich  bei 
den  Recherchen  nach  der  Muggel  die  Bezeichnung  „padde"  für  den  Frosch 
nicht  weiter  auffiel,    da  sie  fast  in  der  ganzen  Mark  üblich  ist,    so  über- 


1)  Berliner  Zeitschi-,  f.  Volkskunde  III,  S.  4C9.    V,  1G7.  238.     Vgl.  Berliner  Zeitschi-, 
f.  Ethnologie,  Anthi-opologie  und  l'rgescli    XXVI,  '2  ff. 


248  Schwartz : 

raschte  es,  für  ilen  Reoenwiirm,  der  beim  Angeln  eine  besondere  Rolle 
spielt  und  dadurch  dem  Menschen  praktisch  näher  tritt,  fast  überall,  wo 
die  Muggel  erscheint,  auch  eine  eigenartige  deutsehe  Bezeichnung,  nämlich 
pierlank,  pierlag,  pierloag  u.  s.  w.  zu  finden,  die  sich  dann  in  der  Altmark 
zuletzt  zu  der  reinen  Form  „pierlork"'  entpuppte,  welche  ich  von  Anfang  an 
schon  augeuommeu  hatte.  ^) 

Auch  dieser  Name  war.  wie  der  der  Muggel,  litterariseh  bisher  nicht 
bekannt  gewesen,  indem  nur  die  Bezeichnung  pieraas,  d.  h.  „Wurmköder" 
zum  Angeln  (mit  der  volkstümlichen  A'ariante  „pieresel",  die  sich  an  den 
üblichen  pluralis  „pieräser"  anschliesst,)  namentliclifür  Berlin  und  Umgegend 
und  die  Bezeichnung  „piermade"  für  die  Priegnitz  bis  dahin  in  die  ÖfPent- 
lichkeit  gedrungen  waren,  s.  Höfer  „Über  Märkische  Glossare  und  Märkische 
Spracheigentümlichkeiten"  im  I.  Bande  der  „Märkischen  Forschungen"  vom 
Jahre  1841. 

Der  Name  „pierlork"  zieht  sich  aber  dann  selbständig,  ohne  „muggel", 
nicht  bloss,  wie  bemerkt,  westlich  von  der  Elbe  auch  in  die  Altmark 
hinein,  (wo  übei'haupt  die  verschiedensten  Gruppen  im  Volkstum  auf- 
treten, so  dass  es  sich  lohnte,  sie  einmal  noch  .spezieller  zu  verfolgen  und 
zu  behandeln,)  sondern  tritt  auch  südlicher  davon  in  der  Börde  im  Kreise 
Wolmirstedt  auf,  wenngleich  auch  hier  daueben  „piermade"   vorkommt. 

Wie  sich  so  allmählich  bei  dieser  Studie  der  Horizont  immer  mehr 
geweitet  hatte,  indem  immer  neue  Fäden  sich  knüpften  und  zu  einem 
immer  fortschreitendem  Wandern  nach  Westen  einluden,  auch  die  Suche 
nach  volkstümlichen  Bezeichnungen  jetzt  gleichmässig  für  alle  drei  Tiere, 
Kröte,  Frosch  und  Regenwurm  immer  mehr  zur  ausgesprochenen  Parole 
-wurde,  stiess  ich  immer  auf  neue  Zonen  von  eigentümlichen  Namen 
des  einen  oder  anderen,  die  sich  oft  durcheinander  hinzogen,  in  sich 
aber  immer  eine  mehr  oder  weniger  feste  landschaftliche  Begrenzung  auf- 
wiesen, so  dass  sie  überall  auf  ein  altes  Volkstum  zurückzugreifen  schienen. 

Trat  mit  der  Altmark  z.  B.  für  die  Kröte  der  Name  „lork"  ein  (Tab.  V). 
so  ergab  sich  bei  weiterer  Verfolgung  desselben,  dass  sein  Gebiet  sich  auf 
den  ganzen  östlichen  und  südöstlichen  Teil  Niedei'sachsens  bis  zum  Harz, 
dem  Braunschweigischeu,  dem  Fürstentum  Hildesheim  und  Hannover  er- 
streckt, während  im  Göttingschen  sowie  in  den  nordwestlichen  Teilen  Nieder- 
sachsens die  „üze"  die  Stelle  des  „lork"  einnimmt,  welche  sich  dann  auch 
durch  den  grössten  Teil  Westfalens  fortsetzt,  wobei  in  den  verschiedensten 
Gruppen  daueben  mannigfache  Bezeichnungen  für  Frosch  und  Regenwurm 


1)  Wenn  Lork  sonst  vorwiegend  die  Kröte  bezeichnet,  so  kann  es  doch  in  jener 
Verbindung  pierlork  nicht  auffallen,  da  die  ÄmpMbiennamen  sich  fibertragen.  Erscheint 
so  z.  B.  veraUgemeinert  auch  das  Wort  -Wium"  und  bezeichnet  zuletzt  alles,  was  kriecht, 
so  tritt  ähnliches  auch  bei  Lork  (Lurche)  sowie  bei  Unke  hervor,  welche  Wörter  gelegent- 
lich selbst  für  Schlange  gebraucht  werden,  siehe  u.  a.  Sanders,  Deutsches  Wörterbuch. 
Pierlork  ist  also  in  der  Bedeutung  und  Bildung  gleich  „piermade". 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  249 

wechseln,  oft  auch  das  letztere  Tier,  wo  eben  nicht  besonders  Fischerei 
betrieben  und  es  nicht  als  Köder  benutzt  wird,  mehr  zurücktritt  und  es 
einfach  „wurm"  genannt  wird,  s.  Tabelle  VI,  VII,  VIII. 

Wie  zu  der  havelländischen  muggel  oder  moggel  sich  aber  das  nament- 
lich lothringische  mug  oder  mog  stellt,  so  eröffnet  sich  in  anderer  Weise 
mit  Osnabrück,  Münster,  Cleve  und  dem  Niederrhein  sowie  Holland  (siehe 
Tab.  VII,  VIII)  für  den  Namen  des  eben  erwähnten  Regenwurmes  eine  neue 
Perspektive  besonderer  Art,  indem  wir  auf  dem  Gebiet  der  Sprache  dort 
Verwandte  der  östlichen  pieräser,  piermaden  und  pierlorken  finden, 
nämlich  das  Simplex  pier  und  das  Kompositum  pier-  oder  pielwurm 
gleichfalls  als  Bezeichnung  für  den  Regenwurm  auftritt. 

Ich  will  mich  auf  die  so  in  Ost  und  West  anklingenden  Namen  etwas 
eingehender  einlassen,  da  es  einmal  auch  den  pierlork  in  der  so  bedeut- 
samen muggel-pierlork-Zone,  welche  die  Veranlassung  zu  der  vorliegenden 
ganzen  Studie  gegeben  hat,  berührt,  dann  im  Verein  mit  jener  recht 
charakteristisch  als  Beispiel  dafür  dienen  kann,  dass  derartige  Beziehungen, 
wie  sie  die  Tabellen  bieten,  eine  besondere  ethnologische  Verwertung 
und  Bedeutung  finden  können. 

Es  handelt  sich  nämlich  in  diesem  Falle  darum,  ob,  wenn  schon  der 
Volksglaube  besonders  der  westlichen  Teile  der  Mark  mit  seinen  Ge- 
bräuchen und  Aberglauben  deutlich  lehrt,  dass  sich  hier  in  der  Isoliertheit 
des  flachen  LaTides,  zumal  in  den  von  Wasser  und  Sümpfen  geschützten 
Strichen  der  Havellandschaften  (s.  die  Karte),  entschieden  Überreste  einer 
alten  deutschen  Urbevölkerung  als  Träger  solches  Volkstumes  während 
der  Slavenherrschaft  in  ländlich-hörigem  Zustande  erhalten  haben'):  — 
,,unter  dieser  Voraussetzung  auch  in  jenen  eigenartig-deutschen  Be- 
zeichnungen für  die  Amphibien  ebendaselbst  ein  wenngleich  kleines, 
so  doch  bedeutsames  Stück  alten  deutschen  Volkstums  in  realer  sowie 
sprachlicher  Beziehung  charakteristisch  hervortrete,  oder  ob  speziell  jene 
mit  „pier"  zusammengesetzten  Namen  wie  „pierlork"  u.  s.  w.  in  Rücksicht 
auf  gewisse  Analogien  im  Westen  darauf  führen,  sie  in  der  Mark  nur  als 
von  Kolonisten  aus  jenen  Gegenden  erst  eingeführt  anzusehen."'') 

Allerdings  spricht  das  Zusammenfallen  des  pierlork  mit  der  muggel 
gerade  in  den  Gegenden,  in  denen  sich  selbst  in  allerhand  Gebräuchen  noch 

1)  Siehe  meine  Schrift  ^Der  heutige  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum  mit  Bezug 
auf  Norddeutschland,  besonders  die  Mark  Brandenburg  und  Mecklenburg".  II.  Auflage. 
Berlin.  1862.  Desgl.  den  Aufsatz  in  den  «Märkischen  Forschungen"  vom  Jahre  1SS7,  .Zur 
Stammbevölkerungsfrtge  der  Mark  Brandenburg",  sowie  die  „Protokolle  der  Generalver- 
sammlung des  Gesamnitvereius  der  deutschen  Geschiclits-  und  Altertumsvereine".  Berlin 
1890,  S.  133  ff. 

2)  Untersuchungen  über  den  beiderseitigen  Wortschatz,  namentlich  in  Bezug  auf 
solche  und  ähnliche  Spezialitäten  wie  die  vorliegenden  wüi'den  überhaupt  schon  mehr  Licht 
über  die  Beziehung  der  Sprachen  hier  und  dort  verbreitet  haben.  Es  fehlen  aber  dazu 
noch  bis  jetzt  eingehende  Idiotika  in  verschiedenen  Landesteilen  der  Mark. 


250  Schwartz: 

Reininiscenzen  an  deu  heiduisclien  Kult  einer  deutschen  Gottheit  er- 
halten haben,  nämlich  einer  sogenannten  Frau  Harke,  welche  sich  fast 
in  allem  mit  der  thüringischen  Frau  Holle  identifiziert,  für  die  erstere 
Annahme.  Und  das  Auftreten  „analoger"  deutscher  Elemente  „in  getrennten 
Gegenden"  in  Gebrauch  und  Sprache  wäre  dabei  au  sich  nicht  auffallend; 
es  reflektiert  eben  ein  solches  öfter  auf  gemeinsame  Analogien  früherer 
Zeit,  die  bald  hier  bald  dort  verschiedentlich  festgehalten  und  entwickelt 
sind.')  Bei  den  historisch  feststehenden  Kolonisationen  aber  in  den  Marken 
aus  Westfalen  und  vom  Niederrhein  bedürfen  doch  die  oben  erwähnten. 
au  beide  Punkte  mit  dem  Wort  „pier"  sich  knüpfenden  Beziehungen  noch 
einer  besonderen  Erörterung  bei  der  Entscheidung  der  betreffenden  Frage. 

Bedeutsam  wird  dabei  sofort,  dass  die  westfälisch -niederrlieiuisch- 
holländischen  Formen,  sowohl  „das  einfache  pier"  wie  „pier-  oder  pielwurm" 
gerade  nur  in  Niederlassungen  an  der  Mündung  der  Havel  in  die  Elbe  und 
au  der  letzteren,  sowie  in  der  Altmark  und  an  den  Grenzen  derselben  vor- 
kommen. Um  Sandau  heisst,  wie  die  Tabellen  (s.  Camern  und  Kuhlhausen) 
ergeben,  der  Regenwurm  „pier",  in  der  ältmärkischen  Wische,  wo  es  mit 
„loske"  statt  „lork"  aueli  schon  gleichsam  fremdunorganisch  dem  Gebrauch  des 
benachbarten  Landes  gegenüber  anklingt,  gleichfalls  „pier",  ebenso  jenseits 
in  der  Lenzer  Wische  und  weiter  hinauf  bei  Dömitz  und  dem  gegenüber- 
liegenden Gartow.  ^)  In  Salzwedel  und  den  benachbarten  Dörfern  Diesdorf 
und  Lageudorf  kennt  man  das  Kompositum  pier-  bezw.  pielwurm,  desgl. 
in  Stendal  und  ebenso  in  dem  an  das  altmärkische  Gebiet  angrenzenden 
Dörfern  Wittingen  und  Brome,  sowie  im  Drömling  (s.  Tab.  V). 

Wenn  dies  aber  nur  mehr  vereinzelte  Stellen  sind,  wo  diese  Namen 
auftreten,  und  sie  sich  charakteristisch  nur  in  Gegenden  finden,  in  denen 
zur  Zeit  Albrechts  des  Bären  nachweislich  westfälische,  niederrheinische 
und  holländische  Kolonisten  angesiedelt  wurden,  —  teils  zur  Eindeichung 
der  Havel  uud  Elbe,  teils  um  die  vielfach  verödeten  Stellen  zu  bebauen, 
teils  um  deu  verschiedenen  wendischen  Dörfern  ses'enüber  oder  un- 
mittelbar  in  solchen  ein  deutsches  Gegengewicht  zu  schaffen,  —  so  wird 
man  allerdings  zunächst  volle  Veranlassung  haben,  diese  Namen  hier 
als   Reminiscenzen    aus    der   Zeit  jener   Kolonisationen   anzusehen.     Aber 


1)  z.  B.  wenn  an  die  Frau  Harke  oder  Herke  eine  Frau  Here  (wovon  jenes  nur  ein 
Uiminutiviun  ist)  im  Lippisclien  anklingt,  die  ähnlich  wie  jeue  in  den  Zwölften  (zur  jetzigen 
Weihnachtszeit)  durchs  Land  ziehen  sollte,  oder  für  den  „Wilden  Jäger"  nicht  bloss  in 
Schweden  der  charakteristische  Name  .Nachtjäger"  auftritt,  sondern  „der  Nachtjäger" 
auch  auf  Rügen,  sowie  im  Riesengebirge  und  in  dem  angrenzenden  Schlesien  erscheint, 
ja  endlich  nach  Stöber  auch  plötzlich  im  Elsass  auftaucht.  —  Haben  wir  doch  auch  schon 
im  muggel  und  mug  etwas  ähnliches,  berührt  sich  doch  auch  das  schwedische  forsk  für 
Frosch  mit  dem  nieden-heiuischen  vorsk,  sowie  dem  holländischen  vorsch,  wobei  von 
einer  Übertragung  doch  nicht  die  Rede  sein  kann. 

2)  Über  die  Kolonisten  der  Lenzer  Wische  s.  Virchow  in  der  Berl.  Zeitschrift  für 
Ethnologie,  Bd.  XVIIl.  S.  4-20. 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  251 

ebensowenig  wie  man  die  Niichricliten  von  den  Kolonisationen  speziell 
Albrechts  des  Bären  hierselbst  auf  andere  Strecken  im  Osten  ohne  weiteres 
übertragen  darf,  wird  man  auch  nicht  mit  den  kleinen  pier-  und  pierwurm- 
Distrikten  jene  verhältnismässig  grossen  piermade-,  pieräs-  und  vor  allem 
die  an  die  ganz  eigenartige  muggel  sich  anschliessende  Pierlork-Zone  in 
eine  unmittelbare  Verbindung  bringen  und  durch  jene  erklären  können. 
Und  dass  die  letzteren  überhaupt  nicht  durch  Kolonisten  vom  Niederrhein 
importiert  worden,  dagegen  sprechen  schon  die  verschiedenen,  selbständig  ge- 
bildeten Zusammensetzungen,  welche,  soweit  ich  habe  ermitteln  können,  im 
Westen  und  speziell  in  den  Niederlanden  nicht  üblich  sind,  indem  dort  als 
zweiter  Teil  des  Kompositums  immer  nur  „wurm"  eintritt,  während  anderer- 
seits gerade  das  hier  hervortretende  „made",  bezw.  „lork"  auch  sonst  hier- 
selbst im  Osten  für  den  Regenwurm  oder  überhaupt  als  Amphibienuame 
vorkommt,  und  die  entsprechenden  Formen  so  auf  alte  Beziehmigen  hier- 
selbst hindeuten. 

Dass  aber  etwa  die  Namen  „piermade"  u.  s.  w.  erst  später  unter  dem  Ein- 
Huss  verschiedener  Kolonisationen  hier  entstanden,  dagegen  spricht  neben 
der  Gruppierung  derselben  im  engsten  Anschluss  an  die  alten  landschaftlichen 
Kreise  imd  deren  übriges,  deutsch  anklingendes  Volkstum  vor  allem  noch 
der  Umstand,  dass  in  der  wasser-  und  seenreichen  hiesigen  Gegend 
schwerlich  erst  durch  die  Kolonisten  die  Fischerei  mit  dem  Eegenwui'm  und 
der  Name  desselben  eingeführt  sein  dürfte,  sondern  dieselben  beides  gewiss 
schon  vorgefunden  haben,  ebenso  wie,  wenn  die  Namen  des  Tieres,  das  als 
Köder  diente,  deutsche  Formen  zeigen,  solche  auch  auf  Überreste  deutscher 
Bevölkerung  zurückgreifen,  und  endlich,  wenn  ein  slavischer  Name  für  den 
Regenwurm  sich  hier  nicht,  sondern  nur  in  der  Lausitz  -erhalten  hat,  dies 
auch  dafür  spricht,  dass  in  den  westlichen  Teilen  des  Landes  hierselbst 
bei  den  biglottischen  Verhältnissen,  die  in  den  Grenzdistrikten  überhaupt 
anzunehmen,  das  deutsche  Element  in  den  elementaren  Lebenskreisen 
sich  doch  im  Durchschnitt  in  solchen  Gruppen  gehalten  hatte,  dass 
es  auch  hierin  eine  gewisse  deutsche  Kontinuität  neben  der  slavischen 
wahrte  und  jeuer  zuletzt   wieder  zur  allgemeinen  Geltung  verhalf.') 

Für  eine  auch  hier  allgemein  geltende,  selbständige  Grundlage  des 
Stammworts  „pier"  in  prähistorischer  Zeit  aber,  —  was  doch  das  behauptete 
selbständige  Entstehen  der  verschiedenen  Komposita  pierlork.  piermade  u.  s.  w. 
hierselbst  voraussetzen  würde,  —  spricht  noch  in  besonderer  Weise  ein 
Moment,  welches  erst  kurz  vor  dem  Abschluss  dieser  Arbeit  zufällig  zu 
meiner  Kenntnis  gekommen  ist,  das  ich  aber  noch  so  weit  verfolgen  konnte, 
um  es  hier  in  die  Erörterung  hineinzuziehen. 


1)  Solche  biglottische  Verhältnisse  machen  sich  überall  von  selbst,  wo  zwei  Nationalitäten 
sich  begegnen:  sie  haben  z.  B.  in  den  Lausitzen  lange  bestanden  und  bestehen  zum  Teil 
iiuch  noch,  ebenso  wie  in  ähnlicher  Weise  an  den  benachbarten  böhmischen  Grenzen  u.  s.  w. 


252  Schwartz : 

Nicht  bloss  nämlich  beim  Fischfang  in  den  besprochenen  zusammen- 
gesetzten Namen  für  den  Regenwurm  wie  piermade  u.  s.  w.  tritt  der  Stamm 
pir  hier  verschiedentlich  auf,  sondern  auch  selbständig  in  einer  von  ihm 
gebildeten  Diminutivform  pirkeu  (plur.  =  Maden)  zeigt  er  sieb  als  eine 
eigenartige  Erscheinung  zwischen  Oder  und  Elbe  und  zum  Teil  noch 
über  die  letztere  hinaus  auf  dem  Gebiete  der  Jagd  wie  der  Viehzucht 
weitverbreitet  in  den  verschiedensten  Varianten  und  zwar  speziell  für 
„kleine"  Maden,  wie  sie  sich  unter  dem  Stich  von  Bremsen  und  Fliegen  im 
Rücken  lebender  Rehe  und  Hirsche,  dann  auch  überhaupt  im  Fleisch,  sowie 
im  Käse  bilden. 

Zuerst  stiess  ich  auf  das  Faktum,  als  mir  aus  dem  Ruppiuschen 
verschiedentlich  „pirken''  als  Bezeichnung  für  Käsemaden  gemeldet  wurde, 
während  bei  weiteren  Nachfragen  sich  ergab,  dass  es  im  Ober-Barnim 
(Lichterfelde)  für  die  kleinen,  an  Schiukenknochen  auftretenden  Maden, 
im  Havellande  (Liepe,  Kriele)  für  Fleischmaden  überhaupt  üblich  sei, 
schliesslich  aber  Herr  Pastor  Schäfer  aus  Tuchheim  am  Fiener  Luch 
das  interessante  Faktum  berichtete,  dass  es  dort  nur  für  die  erwähnten 
Engerlinge  bei  Rehen  u.  s.  w.  im  Gebrauch  sei,  ebenso  wie  Herr  Pastor 
Nitschke  in  Schmitsdorf,  nördlich  vom  Fiener,  „pirken"  auch  nur  wieder 
für  die  Maden  am  Wild  (die  erwähnten  Engerlinge),  Herr  Pastor  Purrucker 
in  Hohengöhren  den  Ausdruck  primo  loco  auch  nur  für  dieselben,  dann 
überhaupt  für  Fleischmaden  konstatierte,  während  die  Käsemaden  plattdeutsch 
einfach  mojen,  bezw.  moaden  hiesseu.  Der  Fiener  und  der  nördlich  an- 
grenzende Teil  des  H.  Jerichower  Kreises  nimmt,  wie  er  auch  sonst  viel 
Altertümliches  bewahi-t  hat,  mit  der  Beschränkung  auf  die  Jagdverhältnisse 
eine  charakteristisch  primitive  Sonderstellung  ein,  indem  auch  weiterhin, 
wo  eine  analoge  Bezeichnung  in  der  Priegnitz,  Altmark  u.  s.  w.  eintritt, 
sie  sich  meist  nur  auf  die  Käsemaden  und  die  gewöhnlichen  kleinen 
Maden  am  Schinken  u.  s.  w.,  also  auf  die  mehr  landwirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse bezieht. 

Was  die  Variationen  des  Namens  anbetrifft,  so  hat  Neu-Ruppin  und 
zum  Teil  auch  das  Ländchen  Loewenberg,  sowie  Bellin  und  der  Ober- 
Barnim  (mit  Lichterfelde)  „pirken"'.  Dasselbe  tritt  durchgehends  im  Havel- 
lande und  im  Süden  des  H.  Jerichower  Kreises  am  Fiener  u.  s.  w.  auf. 
Im  Ländcheu  Rhinow  giebt  Herr  Pastor  Niendorf  für  Wolsier  „pirpen"  und 
für  das  links  von  der  Havel  im  H.  Jerichower  Kreise  liegende  Garz:  „kirken" 
an.  In  der  Priegnitz  entspricht  dem,  wie  Herr  Pastor  Dirksen-Seddiu 
schreibt,  das  Wort  „kirten",  in  der  Altmark,  in  Bellingen  und  Umgegend 
heissen  die  Fleisch-  und  Käsemaden  nach  Mitteilung  des  Herrn  Lamlrichters 
Joete  hierselbst  „cirken",  in  Arendsee  sowie  Osterburg  die  SchinkeUmaden 
„kilken",  in  Berge  bei  Werben:  „kirken",  in  Lagendorf,  sowie  in  der  Prieg- 
nitz: „kirten",  in  Burgstall,  jenseits  der  Elbe  im  Wolmirstedter  Kreise,  wo 
auch  der  pieidork  zu  Hause:  „kirken";  alles  sprachlich  erklärbare  Vai'ianten. 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  253 

Auf  anderer  Seite  tritt  auch  in  Mecklenburg-Schwerin,  wie  mir  Herr 
Dr.  Cirotli  vom  Luisen-Gymnasium  hierselbst,  welcher  aus  der  Gegend 
stammt,  mitteilt,  der  Name  in  der  gedehnten  Form  „pürrick"  für  Made  über- 
haupt ein,  was  mir  Herr  Dr.  Seelmann,  Bibliothekar  an  der  hiesigen  Kgl. 
Universitätsbibliothek,  noch  dahin  präcisierte,  dass  es  nach  Wiggers  (aus 
Rostock)  Grammatik  der  plattdeutschen  Sprache,  Hamburg  1858,  S.  98  und 
Mi,  Wörterbuch  der  mecklenburg-vorpommerschen  Mundart,  Leipzig  1876, 
S.  66,  auch  noch  für  Vorpommern  gelte  und  man  genau  dort  unterscheide 
zwischen  maddik  =  Regenwurm  und  pürrik  =  made. 

Diese  weite  Verbreitung  des  Wortes  „pirken"  u.  s.  w.  hierselbst  für  die 
verschiedenen  Maden  gewinnt  noch  eine  besondere  Folie,  als  sie  nach  den 
von  mir  gemachten  Recherchen  eigenartig  und  im  Westen  nicht  üblich  ist. 
So  schreibt  mir  noch  unter  dem  27.  Mai  Herr  W.  Plyte,  Couservator  aan's 
Rijksmuseum  van  Oudheden  in  Leiden,  dass  die  Maden  im  Fleisch  und 
Käse  im  Holländischen  kurzweg  madjen  genannt  werden.') 

Zwei  Resultate  glaube  ich  aber  aus  dem  Obigen  erschliesseu  zu  können, 
einmal  dass  das  in  den  verschiedensten  Beziehungen  eines  ländlich  bäurischen 
Lebens  neben  den  piermaden,  pierlorken  u.  s.  w.  sich  im  Osten  so  weit 
ausdehnende  Terrain  der  „pirken"  auch  seinerseits  auf  eine  hier  ursprünglich 
eigenartige  sprachliche  Grundlage  zurückweist  und  damit  den  oben  be- 
haupteten gleichsam  autochthonen  Charakter  des  Stammwortes  einst  auch  für 
diese  Gegenden  bestätigt  und  sodann  dass,  wenn  auch  gerade  in  den  Havelland- 
schaften die  ursprüngliche  Form  „pirken"  am  reinsten  und  kompaktesten 
auftritt,  dies  auch  nur  wieder  neben  dem  dortigen  Volksglauben  und  der  so 
eigenartig  sich  abhebenden  muggel-pierlork-Zone  den  relativ-deutsch-autoch- 
thonen  Charakter  gerade  dieser  Gegend  erhärtet. 


Wenn  ich  schliesslich  mit  einigen  Worten  noch  auf  den  alten  Volks- 
glauben in  dieser  Gegend,  auf  den  ich  schon  oben  hingedeutet  habe,  ein- 
gehe, so  geschieht  es,  weil  bei  Gelegenheit  der  Recherchen  nach  den 
Namen  der  Amphibien  daselbst  ich  noch  nachträglich  einzelne  Erfahrungen 
auch  auf  diesem  Gebiete  machte,  die  den  Zusammenhang  mit  unseren  Unter- 
suchungen nur  noch  voller  bestätigen. 

Wie  ich  schon  verschiedentlich  anderweitig  ausführlich  dargelegt  und 
auch  oben  bereits  berührt  habe,  hat  eine  Sammlung  der  auf  dem 
flachen  Laude  zwischen  dem  Unterlauf  der  Oder  und  Elbe  noch  bis  in  die 
neusten  Zeiten  stellenweis  fortlebenden  Gebräuche,  die  mit  dem  Aberglauben 
und  alten  Sagen  in  Verbindung  stehen,  das  Faktum  ergeben,  dass  hierin  noch 
Überbleibsel  eines  alten  deutschen  Heidentums  sich  in  der  Tradition  erhalten 
haben,  ja  sogar  noch  Anklänge  an  alte  deutsche  Götter  hervortreten: 
speziell    im  Mecklenburgischen  solche  an  den  Wodan,    in  der  Uckermark 

1")  Nur  in  Krefeld  und  Neuss  (s.  Tabelle  VIII)  konnüt  vereinzelt  pirken  und  pirchen, 
aber  auch  nur  für  den  Regenwurm  vor. 


254  Schwartz: 

an  die  Frigg,  in  der  Priegnitz  an  eine  Fru  Gode,  in  den  Havellandschaften 
an  ein  entsprechendes  Wesen,  Frau  Harke  genannt.  Im  Havellande  tr^t, 
wie  ich  einst  mit  Kuhn  durch  wiederholte  Wanderungen  feststellen  konnte, 
die  Erinnerung  an  die  Frau  Harke  am  kompaktesten  und  noch  von  einem 
eigentümlichen  Sagenkranz  umgeben  auf,  der  sich  besonders  an  die  Stöllen- 
schen  und  Camerschen  Berge  knüpfte.  Das  eigentümlich  durch  Wasser  und 
Sumpf  nach  aussen  abgegrenzte  und  auch  im  Innern  durch  die  Ausläufer 
des  Luches  mannigfach  gegliederte  und  früher  in  sich  auch  schon  schwer 
passierbare  Land,  welches  erst  durch  Friedrich  Wilhelm  I.  und  Friedrich 
den  Grossen  durch  Entwässerung  des  Luches  dem  Verkehr  erschlossen 
worden  ist,  hat  eben,  wie  ich  schon  oben  unter  Hinweis  auf  die  bei- 
gefügte Karte  hervorgehoben  habe,  von  allen  Teilen  der  Mark  in  be- 
sonderer Weise  den  alten  Yolksglanben  bis  auf  die  neusten  Zeiten  in  der 
Tradition  festgehalten. 

Die  nach  „muggel"  und  „pierlork"  daselbst  unternomraenenForschungen 
gaben  nun  eine  Yeranlassung,  o;leichsam  noch  eine  Revision  der  Ausdehnung 
des  alten  Harkekultus  in  den  „angrenzenden"  Landstrichen,  die  Kuhn  und 
ich  bei  unseren  Wanderungen  einst  weniger  berücksichtigt  hatten,  vor- 
zunehmen. Waren  wir  doch  damals  erst  bemüht,  das  mannigfache  Material 
zusammenzubi'ingen;  auf  das  Moment  aber  der  geographischen  Verbreitung 
im  einzelnen  zu  achten,  dazu  wurden  wir  erst  mehr  durch  die  über 
ganz  Norddeutschland  sich  allmählich  fortsetzenden  Wanderungen  ver- 
anlasst. ') 

Die  erwähnten  neueren  Nachforschungen  ergaben  nun  jetzt  das  bedeut- 
same Faktum,  dass,  wenngleich  in  den  dazwischen  liegenden  50  Jahren  die 
Zeit  manches  noch  wieder  weggespült  hat.  doch  ausser  im  Havellande  auch 
in  der  Zauche  (namentlich  um  Lehnin),  sowie  in  den  Jerichower  Kreisen  die 
Erinnerung  an  Frau  Harke  auch  jetzt  noch  nicht  ganz  geschwunden  ist, 
und    so    ihr  Terrain  auch  diese  Gegenden  voll  umfasst. '')     Und  wenn  nun 


1)  Siehe  Kuhn  und  Schwartz,  Norddeutsche  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus 
Mecklenburg,  Pommern,  der  Mark,  Sachsen,  Thüringen,  Braunschweig,  Hannover,  Olden- 
burg und  Westfalen,  Leipzig  1?48,  vergl.  meinen  Vortrag  im  Archiv  der  Gesellschaft 
für  Heimatkunde  der  Provinz  Brandenburg,  Berlin  1894,  „Erinnerungen  aus  meinen 
Wanderungen  (behufs  Sagensammelns)  in  den  Jahren  1837 — 49." 

2)  In  den  Jerichower  Kreisen  hörte  ich  noch  Frau  Harke  aus  Schollene,  Frau  Harfe 
in  Tuchheim,  sowie  in  Jerchel  bei  Milow.  ,die  freie  Harfe!"  in  Viesen  und  Mahlenzien, 
.Frau  Arche"  in  Rogäsen,  —  wenn  der  Name  dem  Volke  nur  an  ein  bekanntes  Wort  anklingt, 
so  genügt  dies  zu  einer  entsprechenden  Metamorphose,  —  in  Boecke  „Frau  Haake",  in  der 
Zauche  wieder  „Frau  Harfe"  und  zwar  in  Erahne,  dann  in  der  Gegend  von  Lehnin,  be- 
sonders in  Netzen  und  Nabmitz  und  endlich  im  Osten  in  der  Bliesendorfer  Parochie.  — 
Wenn  Kuhn  in  den  Anmerkungen  zu  der  Sage  von  der  Frau  Harke  an  den  Camernschen 
Bergen  im  Jerichower  Kreise  II  in  betreff  des  Lockrufs  „Pickel,  Pickel",  womit  sie  ihre 
Tiere  lockt,  bemerkt,  dass  dies  offenbar  auf  Schweine  hindeute,  so  wird  dies  durch  eine 
Mitteilung  des  Herrn  Kantor  Schmidt  in  Jerchel  jetzt  bestätigt,  der  mir  schreibt,  dass 
man  in  dortiger  Gegend  die  Ferkel  „Pickel"  nenne. 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  255 

zu  allem  anderen  dies  Moment  noch  hinzukommt,  dass  die  Frau  Harke, 
sowie  die  muggel-pierlork-Zone  sich  so  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  fast 
wunderbar  genau  geradezu  decken,  so  wird  dadurch  meine  alte  Behauptung 
nur  immer  mehr  bestätigt,  dass  hier  eine  bis  auf  die  alten  deutsch-heidnischen 
Zeiten  reichende  Kontinuität  hervortritt,  und  wenngleich  die  Namen  der 
Dörfer  meist  an  die  slavische  Landesorganisation  während  der  Wenden- 
herrschaft erinnern,  doch  in  der  Bevölkerung  soviel  deutsche  Volkselemente 
sich  erhalten  hatten,  dass  sie  stark  genug  waren,  Träger  einer  gewissen 
deutschen  Kontinuität  zu  sein,  bezw.  zu  bleiben.  — 

Die  obige  Untersuchung  sollte  nur  ein  Beispiel  sein  von  der  Ver- 
wertung, welche  die  landschaftliche  Znsammenstellung  der  volkstümlichen 
Namen  der  Amphibien  auch  für  die  Feststellung  selbst  historischer  Ver- 
hältnisse unter  Umständen  finden  kann.  Es  würde  zu  weit  führen,  auf 
ähnliches  derartiges  auch  nur  hinzuweisen,  zumal  ich  noch  ein  paar  Punkte 
allgemeiner  Art  in  betreff'  der  ganzen,  in  den  Tabellen  vorliegenden  Arbeit 
zum  Schluss  hervorheben  möchte,  und  das  Meiste  in  den  Tabellen  selbst 
anschaulich  von  selbst  hervortritt.^) 

Wenn  ich  gleich  anfangs  zur  Orientierung  in  der  Sache  in  Rück- 
sicht auf  die  volkstümlichen  Namen  von  Kröte  u.  s.  w.  zunächst  auch 
die  vorhandenen  landschaftlichen  Idiotika  einsah,  so  stand  ich  doch 
bald  davon  ab,  sie  zu  Grunde  zu  legen,  ja  auch  nur  einzelnes  aus  ihnen 
aufzunehmen,  da  der  von  mir  gerade  als  wichtig  erkannte  geographische 
HintergTund  in  ihnen  meist  nicht  volle  Berücksichtigung  gefunden  hat 
und  sie  so  für  die  vorliegenden  Zwecke  nicht  ganz  brauchbar  erschienen. 
Bei  dem  allgemeinen  Charakter  nämlich,  den  sie  durchschnittlich  innehalten, 
bringen  sie  z.  B.  oft  nur  die  in  dem  betreffenden  Landstrich  bekanntesten 
Namen  und  gehen  nicht  ins  einzelne,  so  dass  eine  gewisse  UnVollständigkeit 
schon  einfach  davon  die  Folge  ist,  wie  z.  B.  die  Altmark  in  der  Tabelle 
bei  einer  Vergleichung  mit  dem  sonst  trefflichen  Idiotikon  von  Danneil  zeigt. 
Dann  gehen  sie  verschiedentlich  in  dem  Bestreben,  zunächst  nur  die  volks- 
tümlichen Namen  zu  mehren,  oft  über  die  Grenzen  ihres  Landstriches  in 
benachbarte  hinüber,  indem  sie  Namen,  von  denen  die  Herausgeber  nur 
obenhin  gehört,  ohne  Feststellung  der  Lokalität  aufnahmen,  und  so  werden 
die  Angaben  in  dieser  Hinsicht  oft  unzuverlässig.  So  bietet  Curtzes  sonst 
sehr  korrektes  Waldecksches  Idiotikon  vom  Jahre  1860  z.  B.  neben  pedde 
und  üze  auch  noch  hutske  für  die  Kröte,  was  ich  im  Waldeckschen 
(s.  Tabelle  VII)  nirgends  habe  auffinden  können  und  das  wohl  nur  aus  dem 


1)  Nur  auf  die  an  sich  interessante  Muck-Zone  im  Lothringischen  möchte  ich  noch 
besonders  verweisen,  indem  sie  in  ihrer  scharfen  Abgrenzung  gegen  das  sogenannte  Mayen- 
feld  wie  den  Hunsrück  am  Unterlauf  der  Mosel  auch  wohl  bei  der  Betrachtung  der  ver- 
schiedenen Stammesverhältuisse  dort  nicht  ohne  Bedeutung  sein  dürfte.  Eine  spezielle 
Untersuchung  der  an  die  Havellandschaften  sich  anschliessenden  Gruppen  in  der 
Mark  ist  auch  noch  besonders  einladend,  doch  muss  ich  sie  mir  schon,  da  sie  verschiedene 
historische  Auseinandersetzungen  erfordert,  für  eine  besondere  Gelegenheit  aufsparen. 

Zeitscbr.  il.  Vereins  1.   Vulkskuuile.    1895.  18 


256  Schwartz: 

benachbarten  Arnsberg  stammt,  wo  das  Tier  aber  allgemein  hucke,  nicht 
hutske  heisst,  in  welcher  Form  es  nun  aber  seitdem  iu  andere  Schriften, 
z.  B.  in  Schillers  „Tier-  und  Kräuterbuch"  vom  Jahre  1881  übergegangen 
ist.  —  So  figuriert  iu  vielen  Büchern,  z.  B.  in  J.  ten  Doornkaat  Koolmans 
Ostfries.  Wörterbuch  auf  Vilmars  Namen  „lork"  als  Bezeichnung  für  Kröte  in 
Hessen,  während  sie  gerade  demselben,  wie  sich  ergeben  hat,  in  diesem  Sinne 
fremd  ist  und  erst  nördlicher  auftritt. ')  Derartiges  fand  ich  so  vielfach  in 
den  Idiotiken,  dass  ich  prinzipiell  zunächst  von  ihnen  absah  und  in  der  An- 
sicht nur  bestärkt  wurde,  gleichsam  eine  durchgehend  neue  Aufnahme 
im  Anschluss  an  einzelne  Orte,  namentlich  Dörfer,  vorzunehmen, 
wobei  ich  dieselben  gruppenweise  auswählte,  um  so  auch  eine  allgemeine, 
aber  sichere  Grundlage  zu  legen,  indem  keine  Mitteilung  aus  der  Ferne 
für  einen  Ort  ohne  besondere  lokale  Prüfung  aufgenommen  ist,  sondern  erst, 
wenn  sie  durch  eine  Recherche  an  Ort  und  Stelle  sich  bestätigte. 

Über  dritthalb  hundert  Briefe  sind  in  dieser  Sache  von  mir  geschrieben 
und  ebensoviel  Berichte  eingegangen,  an  welche  sich  öfter  wieder  neue 
Erörterungen  schlössen. 

Bei  der  Zahl  jener  Korrespondenzen  kann  ich  nicht  allen  den  Herren, 
die  denselben  Folge  gegeben,  im  einzelnen  meinen  Dank  aussprechen  und 
bitte,  ihn  in  der  Erklärung  finden  zu  wollen,  dass,  wie  ilire  Unterstützung 
die  Arbeit  seiner  Zeit  überhaupt  ermöglichte,  mir  das  durchgehend  freund- 
liche Entgegenkommen,  welches  ich  dabei  in  so  reichem  Masse  gefunden 
habe,  noch  eine  besondere  Förderung  bei  derselben  gewesen  ist. 

In  betreff  der  Schreibart  namentlich  der  gleichartigen  Namen  noch  die 
Bemerkung,  dass  ich  dieselbe  nicht  uniformiert,  sondern  beibehalten  habe, 
wie  sie  mir  in  den  Berichten  entgegentraten.  Das  Gesamtbild  blieb  so 
ein  farbigeres,  und  in  einzelnen  Fällen,  wo  es  sich  um  Entwickeluug  und 
Feststellung  der  ursprünglichen  Form  handelte,  war  es  auch  direkt  not- 
wendig, z.  B.  um  muije  mit  muggel,  pierlanke,  pierlag  schliesslich  durch 
verschiedene  Zwischenstufen,  wie  pierlauk,  pierloak  mit  pierlork,  zusammen- 
zubringen. In  der  Mark,  sowie  in  Mecklenburg  und  Pommern  dürfte  ein 
solches  Verfahren  bei  der  ursprünglich  gemischten  Bevölkerung  noch  in 
spezieller  Weise  öfter  wichtig  werden,  da  eigenartige  KoiTuptionen  der 
Namen,  besonders  ein  stellenweises  Anhäufen  derselben,  Schlüsse  auf  be- 
sondere Volkselemente  (Kolonisten  oder  germanisierte  Wenden)  an  den 
betreffenden  Stellen  ermöglichen  könnte.  —  Die  reichhaltigen  Mitteilungen, 
welche  mir  die  Herren  Wossidlo  in  Waren  und  Gillhoff  in  Parchim  über 
Variationen  solcher  Namen  besonders  in  Mecklenburg  gemacht,  veranlassen 
mich,  den  Wunsch  auszusprechen,  den  angeregten  Punkt  besonders  für  ihre 
Heimat  einmal   einer  eingehenderen  Erwägung  unterziehen  zu  wollen. 

1)  s.  Tabelle  VII  unter  Kassel  u.  s.  w.,  wozu  ich  bemerke,  dass,  wenn  ich  auch  in 
Solz  mich  erkundigte,  dies  geschah,  weil  os  der  Geburtsort  Vilmars  ist  und  so  in  dem 
Punkte  hätte  von  Bedeutung-  werden  können. 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte.  Frosch  und  Regenwurm. 


257 


Tabellen  In  acht  Gruppen. 

I.    Mecklenlnirg-,  rouiuieru  und  die  Marken 

(mit  Ausschluss  der  Havellandschaften). 


Ort 


Kröte    I   Frosch 


räiicmarf 


Regen- 
wurm 


Sthlcswig,' 
fjolftcin 

ianciiburij 

Sdiroerin 

(^IPeliningen) 
Koftorf 
Strclitj 

rorpoinmcrn 
unb  Siigen 

Stettin 

Jjintcr= 
ppmmern 

puttli^  1 
fcbbin  / 
(ffieitpnegnie) 

Sccborf 
bei  Senden 

(K-6gl) 

I)cmiucrtl]in 
(CftpriCGHiW 

IleU'Huppin 

£ubnngshoi-ft 
[b.  (5van\ee) 

IDuftrau 

llcuftabta.I). 

(Iküifdie 
l^äufcr 

fiörocnbcrg 

jjfcl^rhcllin, 
^^fcnhcr«, 

Dedjtou), 
darmefec  ' 

£en3fc, 

Brunne, 

Be^in 

Kul^tjorft 


tudse 
padde 

(als  Scbelt- 
wort 

POg) 

tuds.  ütz ') 
kröt 

tudse') 

padde 


padde 
fro 


Pog 

pogg 
pogge 

pog,  poch  pog.  poch 
'""."""'"J    nuadux 

wenig  vor)  |      1 

padde 

hüx«)     !  pogg(e) 

pogg') 
schorf- 


pogg 


kröte 


padde 

e 

padde 


hucksche  !P0g|;°der 


hucksche 

pogg' 

hucksche 

höpper 

hucksche 

oder 

pogge 

padde 

hucksche 

padde 

hucksche 

padde 

hucksche 

padde 

pogge 

frosch 

hucksche, 
pogge 

parre  oder 
padde 

pogge 

padde 

pogge 
pogge 


padde 
padde 


regnorm  j 

metten-) 

metten 
maddik*) 

piren, 
pinen  *) 

pie-ratz 
mad(e) 

maddik 
marrick 

pie-ratz 

pie-ratz  *) 

pierlake 

piere, 
aalpiere, 
daupiere 

piermade 

piermade 
pieratze 
pieresel 

piermoade 

piermade 

piermade 

piermade 
pieresel 

piermade 


piermade 

(pier- 
moase) 


piermade 
daumade^) 

pieräser 


Ort 


Kröte    I   Frosch 


Bccti 
:  im  (5Iin ; 

paaren, 
pcruicnitj 

paufin 

IPansborf 

lT!arnut5, 
Sdimantc 

ZceubcUanb 
(üücSoibaniim; 

gcblenborf 


Wanticlift 


güt^Isborf 


Biefcntbal 
(Cterbarium) 

prenben 

£i*tcrfclbe 

i£bcvsa)albc 

pren3lan 
(Uderraarf) 

£vd?en 

Zlngcrmünbe 

Solbin 
(JleuinatE) 

Jlrnsujalbe 


Sömenbrud; 
(im  Si'lto») 


hucksche 
pogge 

hucksche 
od.  pogge 

pogge 

pogge 

pogge 

kröte 

pogge 

(uUe  Kröte) 

kraete 

(eine  Krott) 

pogge 

pogge 

krät' 

oder 

pogge 

pogge 

kröte 

kröate 

krät 

kröte 
(unke) 

kröt 
padde 

kraut' 

kraete 

(Erdsche- 

kräte) 


ticucnborf 
bei  Brürf 

Käbigfe 
bei  itiemcgf 

pfliigFuff 
unb  gcubcn 

3iitcrbog 


kraete  '*) 


padduck- 
sche 

padde") 

padde 
padde  '■) 

padde  ") 

padde 

padde  '*) 

padde 
padde 

pogge 

padde 

padde 

padde 

padde 
padd' 

padde 
padde 

frosch 

padd' 
padda 

padde 
padde 


Regen- 
wurm 


padde 


krete 


padde 


pier- 
made") 

piermaden 
pieräser 

pieroas 

pieroas 

pieraas 
piermade 

piermade 

pieraas 

piermade 
pieräs 
pieräser 

piermade 

pieräs 

pieräser 

pieresel 

piermade 
pieraas 
pieresel 

piermade 

pie-ratz 

pier-oas 

pier- 
moad  '^) 

piermade 

pieratz 
pierroatz 

pie-rase 

pieross 
pieroahs 

pieraas 
pieresel 
pie-renzel 

pieraas 
pieresel 
piermade 

piermade 
hiermade 


kräte 


padde 
18' 


pieraas 

pieräser 

j  pieresel 


258 


Schwartz: 


Ort 


Kröte        Frosch 


Regen- 
wurm 


Ort 


Kröte     i    Frosch       ^^^«°- 
wurm 


Zlabme 
(SStnb.:6ottbu§) 


padde 
skrödawa      zaba 


regen- 
wurm 

pezak 


Kropftäbt 
(sr.Sittenterfl) 

Ilcffau 


kröte 
krete 


frosch 
padde 

frosch 


wurm 
renwuriu 


II.   Ost-  und  Westharelland 

(mit  Einschluss  des  Ländchen  Ehinow,  unter  Ausschluss  des  Bellin  und  Glin: 
über  dieselben  s.  Tab.  I  und  die  Karte\ 


Ort 


Kröte        Frosch 


Eegen- 
wurm 


Ort 


I 


Kröte     j    Frosch 


Regen- 
wurm 


^atjrlanb  unb 

Sa^forn 

bei  Siotäbam 

pare^  a.  B. 

Ifuftermarf 

IHarfan, 

ntarfee, 

Brebotti 

(bei  3!aiieii) 

^riefacf 

.  Selbelang, 
Hct50tti' 

£iepe 

y?ageiiit5 

Krielc  unb 
Saiibin 

(Sörtie  unb 
Klceßen 

Hl^inoro 

(Stbt.) 


mnggel 
oder 
pogge 

muggel 

muggel 


padde 
(murks) 

padde 


pieraas 


muggel ")     padde    1   pieraas 


muggel 

muggel  u. 
muchel 

muggel 
muggel 
muggel 
muggel 


padde 
padde 
padde 
padde 
padde 
padde 


muggel        padde 


muggel 

(der) 


pai'uck- 

sche  '*) 


piermade 
pierlauke 

pierlanke 

pierlank, 
pielauke 

pierlauke 
'pierlauke 

pierlauke 

pierlanke 


-paaß 

priegcn 

IPoIfier, 
Parey 

€lslafe 

(b.  ^olieuoucn) 

Katbcnoni 


prigerbe 

inar3afine 
^erdjefar 
lüac^on) 

Kosfott) 

23rauben  = 
bürg  a.  ß. 


muggel 

(der) 

muggel 

muggel 

(der) 

muggel 

muggel 

meist: 
eksche- 
muggel 

eksche- 
muggel 

muggel 

muggel 

muggel 

muggel 

muggel 

kröte 
muggel? 


parucke    pierlauke 
(die^  (die) 

padde      pierlauke 

mcTs'che  ,  Pi'-ri«^« 
pierlauke 


paducke    pierlanke 


P^lde      i,Pp^ 


padde 

padde 
padde 
padde 
padde 
padde 

padde 


pierlank 

pierlauke 

pierlauke 

pieraas 

pieraas 

pieraas 

pieraas 
pieräser 


m.   Zanche. 


Ort 


Kröte        Frosch 


Eegen- 
wnrm 


Krabne 

(Soljon) 
Ziegen 

(Sro§=Kreu5 

J?t!oeben  unb  ' 
rdjmergoni    1 

iTeljmig      , 


j   eksche- 
od.  esche- 
mugge 

eksche;- 
mugge 

erdsche- 
muggel 

eksche- 
muggel 

muggel 

cksche- 
mnggel 


padde 

padde 
padde 
padde 
padde 
padde 


pillauke,  | 
pielauke, 
pieraas. 
pieresel 

pieraas 
pieresel 

pieraas 

pieraas 

pieratz, 
pieresel  ; 

pieraas 


Ort 


Kröte        Frosch 


Regen- 
wurm 


£cfinin, 
ICaltcnbauffn 

I^remit, 

piögtn 

Sliefenborf 

Kanin 
£anaern>ifd) 


eksche- 
mnggel 

muil 

moel 

muije  >°) 

äksche- 
mnije 

muije 


padde       pieraas 

padde 
padde 
padde 

padde 

padde 


IPilbenbruc^       kröte 


padde 
padde 


pieraas 

pieroas, 
pieräser 

pieraas 

pierlauke 
pieratz 
pieresel 

regen- 
wurm 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm. 
IV.  Die  Jerichower  Kreise. 


259 


Ort 


Kröte 


Frosch 


Regen- 
wurm 


Ort 


Kröte 


Frosch 


Regen- 
wurm 


Kulilbaufcii 

(Sar5       I 
jln-i  ©aiiDQU)  j 

H\intiiu     I 
(£anicni 

fjolien^     \ 
ijöbrcn      | 

|'d)öitl]au|'LMi  h 

fifdjberf 

Sdjmitjborf 

iriubirfc    1 
f'tecfelsbovf  J 

5d;Iagentl;in 
Hebefiii 


huggel, 
auch  lork, 
lurk  und 
krupschke 


huggel 

muggel, 

erdscho- 

muU 


eksche- 
mull 


erdschc- 
muU 


eksche- 
mucke 


paruschke: 

Wort 

„Kröte" 

unbekannt 

erdsche- 
muggel 

(alK-  Kiote) 

ähksche- 

muggel 


padde 


id£; 


a- 


rucksche 

padde, 
röhlen 


pa- 
rucksche 


padde 


padde 


padde 

padde, 

marxe  od 

paruck- 

sche'") 


padde 
paddexe 


pier  oder 

pierlauk, 

pälau 


pierlag' 


pier, 
pierla^') 

pierlauke 


pierlaak, 
pierlauke 


pierlauke 

oder 
piermade 


pierlauke 


pierlauke 
pierlauke 


milotp 
3crd;el 

(Sentliin  . 

iarou) 
Bücfni^ 

Soecfe 

Diefcn      | 
lITalilcnjin  j 

Cndjeim 

f^obcnjiatj 
§tefat 


Hofian 
(bei  Sobm'ii) 


mog, 
erdsche- 
moggel 

erdsche- 
muggel 

sand- 

huggel, 
erdsche- 
niuggel 

muggel-') 

muggel 

eksche- 

mumme, 

eksche- 

moije 

muggel, 
ärtsch- 
muggel 

muggel 

(olle 
äkschera.) 

muggel 
murkel 

krete, 
lorke 

(luuggel 
imbekannt) 

muggel, 
äksche- 
muggel, 
murkel, 
muTchel 


paruschke 
paddexe 

padde 
padde 

padde 


padde 
paddex 

padde 


padden^*) 


padde, 
paddhexe, 
pannhexe 


paddeckse 
lurch 


pierlauke 
pierlaupe 

pierlauke 
pierlauke 

pierlauke 

pieraas 


pierlauke 

pierlauke, 
perlauke, 
pillauke 

pierlauke, 
piermade 


parlauke 
pallauke 


perlauke, 
räenmade 


V.   Altmark. 


Ort 


Kröte        Frosch 


Regen- 
wurm 


Sal3tDebcI 

fiagenborf 

Biesborf 

JIrenbfee 

i^ciliaenfclbe  ! 
(bei  ärrenbjcc) 

©ftcrburg 

Iferbcii 

JSerge 
(bei  ffietben) 


lo    k 
lorch,  üze 

lork, 
üzs 

lork 


padde 


poch,plur, 
poggen 

pogg 
pogge 


padd,  pogg 


padd 
lorch 

lüske 
loske 


pogg 
padde 

padde 
padde 


jpierwurm 
piermade 
jpisswurm 

piel-  oder 
jpierwurni 

pierwurm 

,piermoad 

regen- 
\  wurm 
piermade 

pier, 
'  pii'made 

pier, 
piermade 


Ort 


Kröte        Frosch 


2lrneburg 
Stenbal 

Staffclbe 

Sud;t;ol5 

®ft.   Urtb 
lücftßeeren 

ScUtugen 
Dcmfer  tiub 
Daljrcnftcbt 

Eübevitj 

(Sarbelcgcn 


lork  2^) 

huggel 
(das"),unke 

lork, 
lurche 

erdsch- 
lork 

prdslork 


erdslork 

padde 
padde 


padde 

padde, 
pogge-") 


frosch 
padde 

])adde 

frosch 
frosch 


Regen- 
wurm 


biermoase 

piermade, 
pierlork 


piermaoje, 
pierlak 

pierlork 


pierlork 

pierloak 
piermade 


•260 


Schwartz : 
yi.   Die  Xordseeküste  und  NiedersacLsen. 


Ort 


Kröte        Frosch 


Kegen- 


©ftfrieslanb 

©Ibenburg 
Bcberfcfa 


Viambm\\n 
(Scaciib 

£üncbiiroi 

ßitiacfcr 

lUctiniiigen 
(öftl-  öec  eibe) 

Ül3cn 

(Sartoip 
irittingeu 

J?romc 

Derben 

a.  b.  Snier 

u.  Umgegenb 

ileUe, 

cbeiiio  oberlioll) 

Der  aner 

in  If  infen 

foiDie  untetbalb 
in  nienbagen 

(Siffjorn 

lltübcii 
a.  b.  :illcr 

ITicinerfcn 


(bbisfclbe 


J?urgftall 

lüolmirftäbt 
11.  Soitfdjc 


purre 
oder  üze 


uetze 

uitsch. 
ütsch 


porge, 
pogge, 
kikker 


pogge 


puog 


Ort 


Kröte 


pogg,  pugg 
üz.       i 
poggütz  I 

poggütz,  1 
pugütz    ' 


pogg-uz 

ütsche 
quadütsch 

üze 
uetze 
lork 

lork, 
lorch, 
ühtse 

lork 


pogge, 
poch 
(.lork) 

pogge 
poch 


pogge 

pogg 
pogge 


ütz(e) 


pogge ''^) 


dauwurm, 
dau- 

striker^\) 

inoddick, 
moddeck 

metten 

motte, 
metje 


mettje'*) 

motte 
matten 

regen- 
wurm     I 

piermade 
pier 

pielwumi 

pielwurm 

metge 


ZteubalbcnS' 
leben 

Ubrslcben 

l?cbnborf 
Ibei  .vieimitaDt 


Frosch 


Reffen- 


Sörgum 
QJueblinburg 

mansfelb 

(@cbiri)8-  Ulli) 

SecErcie) 

IPernigerobe  '      lork 


lork 

lork,  lurk 

lork 

lork      I 

padde    I 

meist: 
padde 


ütsche     piermage 
pielwurm 


pier- 
I    maoge 

wurm  od. 
snake 


(Söttingen 
(■©tiibenliaäen) 


ütsche, 
unke 


ütze  pogge      daumade 

ütze      ,    pogge 


ütze 

lork, 
itsche 


pogge 


itsche 


regen- 
worm 

regen-  od. 
dauwurm 


lork,  lürk,'  ize  oder  i     worm, 
lerk  itje       '     werm 

lork 


Ejilbeslieim         lork 
Hautenberg  !    kröte 


lurk 

lork 

lork 

lork, 
krüte 

lork 

lork 

lork 

lork, 
unke 


rjannoper     !      ütze 


lork 


ütze, 

im  Osten 

poch  oder 
padde 

lurke  u.       itsche, 
lorke      karutsche 


pilauke 

pierlauke, 
tauwurm 


niiinbcn 
a.  b.  Ilcii'ter 

(Elbagfen 

(Scftorf 
Sdjulenburg 

Benftorf 
£anenftcin 


ütsche 

ütsche 
lork 

frosch 

itsche 

1 

pogge     1  dauworm 


ränemade 


pogge, 
ütsche 

pogge, 
ütsche 


dlauen 

(St.  'Beine  1 

■~at\tät>t 
iUcHc 

Sel^lbe 
©tlifrefen 

13cttinar 

Babbecfen- 

ftcbt 

^raljbetfurtb         lork         höpper 


uitze 

pogge 
itsche 

pogge 

uitze 
oitsche 

pogge, 
uitze 

uitsche 


worm, 
wörm 

regen- 
wärm 

regen- 
wärm 


lork, 
lorch 

lork, 
lurch 

lork 

lork 

Kröte  weuig 
bekannt 


pogge, 
pagge 

pogge, 
uitze 

ütze, 
pogge, 
nüpper 

frusch 

pogge, 
padde 

pogge, 
höpper 


unke         höpper 


I    regen- 
wörm 

rähen- 
worm 

snake 

rägen- 
I     worm 

rägen- 
worm 

rägen- 
worm 

worm, 
wörm 

räenworm 

regen- 
wurm 

tauwurm 

rägen- 
wurm 

wörm 

räenworm 


Die  volkstümlichen  Nameu  für  Kröte.  Frosch  uud  Regenwurm. 
VII.   Westphalen  niid  Hessen. 


261 


Ort 


Kröte 


(£;oIIäTibifdj 

rticnborg('=g 
Prcbcn      g| 

iniinfter 
(aud)  in  l'iugcn) 

©siuüu-iicf 

nüiiben 

i?ielcfolb^ 
iun-fori) 

Kiiitdit 

£ippe 
(liorn) 

i?cfiniiifelbe 

pYvmotit 

^öjtcr 
pabcrborn 


padde 

pedde 
uisse 

padde 
od.  uisse 

üze 

üze 

uize 

uetze 

üsse 

uetze 
(plattd. 
ausse) 

usse, 
unke 

üze 

nehsse 


Frosch 


Regen- 
wurm 


vorsch 

vorsk 
vorsk 

foarsk, 
pogge 

pogge 

pogge 

pogge 

pogge 

höpper, 
poppe  ^■) 

höpper 

höpper 

höpper 
höpper 


pier) 

pielwnrm 
pile 

pileworm 

piere 

mieke 

mieke"'), 
pl.  mieker 

mäke 

mieke, 
worm 

mieke 


meke'^) 
mieke 


Ort 


Kröte     i    Frosch 


Soeft 
((Srafld).  anctrt) 

Unna 

l£üi)enfd;ctb 

2Jrnsberg 

mefdjcöe^-') 

Brilon»*) 

Jlrolfen  1  »b 


hücke, 
padde 

hucke 
hucke 

hucke 

pedde 

pedde, 
padde 

idsche 
idsche 
itsche 
itsche 
unke 


Regen- 
wurm 


forsk, 
pogge 

forsch 

fuas, 
pl.  füaske 

fuosk, 
pl   füoske 

höpper, 
pogge 

höpper, 
pogge"*) 

frosch 
frosch 
frosch 
frosch 
frosch 


schleuk 
od.schleik 

sUek 

sliek 


nagen 
wurm, 
wuorm 


worm 

schleiche 

regen- 
wurm 

regen- 
wurm 

regen- 
wurm 

regen- 
wumi 

regen- 
wnrm 


Ort 


I^oUäubifd) 


Jlntu'crpeu 

niörs 

€ffcii      ] 

HüffcIiJorf   J 

ircfelb 

Dierfen 

(Slabbad; 

U>ics&orf 
(üt.  ÄOliiiiieti) 

Köln 
Jladjeu 


Kröte     I    Frosch 


padde 

padd, 
pedde 

pedde 

pett 
(pedden) 

pedde 

pedd 
pedd 
pett 

krat 

krat 

krilt 

kroddel 


Regen- 
wurm 


vorsch, 

kicker, 

kick- 

vorsch 

kikvorsch, 

vorsch, 
kikker,puit 

kikfross'*) 
keckvorst 

kek- 
forsch 

vorsk 

keckert 

keckert 

kickforsch 

hüppelenk 
hüppling 
höppekrät 
I    froisch 


pier»') 


pier 

(u.uuenll. 
im  plural) 


pier 

pier, 
pierwurm 

pier 

pirk 
piering 


pirre, 
pircher 

wurm 

ränwurm 

schlick 

lorm 

perek»') 


Ort 


Ki-öte 


(Enpen 

(Sobcsbcrgi 

(Eitorf 
(an  bcr  Sieg) 

ricU'lUieb 


Hettesljeim 
lÄr.  ©dileiDeii) 


lUaYcn 

(taftellaun 
(fiuiiSrütf) 

Krcu3nod; 

Crarbadj 

prüni 

Sitbur^ 


Frosch 


Regen- 
wurm 


kroddel 

ki-ad") 

krat, 

mukrat, 

schmöller 

krotsche, 
I     krotte 

kröte, 
krutsch, 
kruetsch 

krut, 

krusch, 

ki-utsch"),' 

auch  quaqi 

krotte 

krott 

krott 

muck*^) 

moock, 
muck 


pädd 
hüppeling 


frosch 


ranworm 


ön  (eine) 
schlich 


freusch  i  ränwurm 


frosch 


ITlettlad;     1     mook 


frosch 


quäk 
frosch 
frosch 


regen- 
wurm 


regen- 
wurm 


regen- 
wunn 


262  Schwartz: 

Anmerkungen  zu  den  Tabellen. 

1)  angelsächsisch  ycc,  padde.    In  Wagrien  bredfoot  =  kröte,  in  Garding  poggütz  =  pog. 

2)  Zum  Aalfang  dienende  grosse:  aalmetten;  in  der  Marsch  für  metton:  mattjen. 

3)  „olle  üze"  als  Scheltwort. 

4)  padde  =  bufo,  pogge  =  rana  im  Lübecker  Voc.  v.  J.  1550,  s.  Schiller,  Tier-  und 
Kräuterbuch.    Schwerin  1861.    S.  4. 

5)  So  bei  den  Fischern  und  in  der  Umgegend  an  der  Eide,  in  Dömitz  selbst  mehr 
maddigen,  z  B.  „maddigen  purren,  Regenwürmer  ausgraben";  „De  niaddigen  blöken  hören, 
das  Gras  wachsen  liören." 

6)  „hüksche"  in  Blumenow  bei  Fürstenberg. 

7)  Zwischen  Kröte  und  Pi-osch  macht  das  Plattdeutsche  dort  keinen  Unterschied; 
beides  ist  in  Vorpommern  und  Rügen:  pogg'.  Daneben  hcisst  aber  die  Kröte  wegen  ihrer 
warzigen,  rauhen  Haut  schorfpogg';  weil  sie  durch  ihre  unterirdischen  Gänge  die  Erde 
aufreisst  „rietpogg",  aucli  „rietwornr'  z.  B.  in  Mohrdorf  und  Prohn.  —  Nebenformen  für 
schorfpogg  sind:  schortpogg  und  schottpogg  i^in  Demmin:  schaporg  oder  schaporch). 
Dähnert  führt  auch  für  Frosch  lork  an  (?). 

8}  In  Rügenwalde  „mettke". 

9)  Die  dicken  Würmer,  welche  nach  staikem  Regen  oder  Tau  zwischen  den  Steinen 
oder  sonst  in  die  Höhe  kommen. 

10)  Wolfsmilchraupe:  dhausldder  =  Thauotter  (der  Höcker  gilt  als  giftig). 

11)  Laubfrösche  =  loofpadden. 

12)  Der  an  warmen  Abenden  im  Wasser  quakende  Frosch  „rühle". 

13")  Frosch  wird  nur  in  der  Schule  gebraucht,  ausserhalb  derselben  heisst  es:  padde, 
z.  B.  die  padden  schreien  u.  s.  w. 

14)  Grüner  Wasserfrosch  „olle  marks"  (moerks). 

15)  „De  ole  piermoaden  hebben  mi  bi  dat  matt  wera  (bei  dem  matten  Wetter)  all 
min  schön  bohnen  affreten",  sagte  die  Frau  des  Berichterstafters  von  jenseits  der  Ucker, 
als  gerade  die  Regenwürmer  ihr  die  Wurzeln  der  Bohnen  abgefressen  hatten. 

l(i;  In  dem  Neuendoi-fschen  Filial  Freienthal,  einer  1755  von  Friedrich  dem  Grossen 
begründeten  Kolonie   ausgedienter  Soldaten,  offenbar  aus  den  Havelgegenden:  äxemuggel. 

17)  „muggeln"  sagt  man  von  einem  Menschen,  der  einen  schwerfälligen,  schleppenden 
Gang  hat:  „er  muggelt  man  noch  so."  Der  bezeichnete  Gang  wird  auch  sonst  bei  der 
Kröte  gegenüber  dem  „hüpfenden"  Frosch  hervorgehoben,  und  damit  hängen  auch  die 
Ausdrücke  für  kleine  Kinder,  die  noch  mehr  „kriechen"  als  gehen,  wie  „kleine  Kröte" 
oder,  wenn  man  sich  über  sie  ärgert,  „infame  Kröte"  zusammen,  s.  Anm.  25  und  27. 

18)  Wohl  eine  Bildung  wie  padducksche,  da  auch  sonst  parre  für  padde  vorkommt, 
s.  oben  Löwenberg  (ähnlich  in  Ostfriesland,  purre  für  pudde).  Hr.  Pfarrer  Niendorf  in 
Spaatz  hebt  dabei  hervor,  dass  der  Name  „Kröte"  im  Ländchen  Rhinow  kaum  bei  den 
Leuten  bekannt  sei. 

111)  Desgl.,  piermade,  pieraas,  pieresel,  pieratz,  auch  einfach  piere. 

20)  muije  stellt  sich  zu  mugge  ähnlich,  wie  in  der  Priegnitz  aus  Frau  Gode,  Godeke 
auch  Joicke  geworden  ist,  s.  auch  die  anderen  Varianten  mull,  mogl,  moije. 

21)  Hr.  Pastor  Reinecke  bemerkt  dazu  „pierla",  „das  a  wird  lang  gesprochen,  so  dass 
es  fast  wie  pierläe  i^das  „e"  weniger  gesprochen  als  dumpf  angedeutet)  lautet.  Meines  Er- 
achtens  ist  das  Wort  abgekürzt  aus  pierlauke."  Dazu  stimmt  auch  pierlag'  in  dem  benach- 
barten Garz  und  Warnau,  wie  auch  in  betreff  der  muggel  die  Orte  mit  Kulilhausen  eine 
eigene  „Huggelgruppe"  bilden.  —  In  betreff  der  Röhlen  bemerkt  Hr.  Reinecke,  dass  dies 
nicht  Unken  seien,  wie  man  vielfach  meine,  denn  sie  hätten  einen  weit  helleren  Ton,  nicht 
den  dumpfen  Ruf  jener. 

22)  Der  an  warmen  Sommerabenden  schreiende  Frosch  heisst  „Röhle",  der  grosse, 
grünliche,  in  Sumpfen  und  Torfmooren  „Marxe".  —  parucksche  ist  auch  nach  Hrn.  Pastor 
Nitschke  in  Neuenklitsche  und  Gr.  Wulkow  u.  a    üblich  (vergl.  Anm.  18). 


Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte,  Frosch  und  Regenwurm.  263 

23)  „Kröte  nur  in  der  Schule  bekannt  und  bleibt  auch  da  schlecht  haften"  bemerkt  Hr. 
Pastor  Schulz  in  Carow  und  Hr.  Pastor  Schäfer  in  Tucheim  erzählt,  als  er  in  der  I.  Knahen- 
klasse  zu  T.  auf  die  Kröte,  bezw.  Muggel,  eine  Probe  machte  und  fragte,  wer  eine  Kröte 
kenne,  sich  nur  wenige  erhoben,  als  er  aber  nach  der  Muggel  fragte,  alle. 

24)  padden  im  Teich,  paddexen  auf  den  Wiesen,  Frösche  im  Laubholz. 

25)  Wat  so  immer  int  water  is,  dat  sin  „unken",  wat  so  „huppt",  dat  sin  „padden" 
wat  so  .kranchen"  deiht,  dat  sin  „lörken". 

26)  Auch  pong  und  lakus,  sowie  der  Regenwurm  auch  pierlauke,  pierlake,  piel(e)wurm, 
piermoi,  pierrasen,  pieresel  und  pieregel  heisst  nach  Recherche  des  Hrn.  Direktor  Gutsche. 

27)  Obige  Angaben  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  des  Hrn.  Lehrer  Sudermaun  in 
Norden,  der  aus  langjährigen  Beobachtungen  die  volkstümlichen  Vorhältnisse  Ostfrieslands 
genau  kennt.  Aus  seinem  eingehenden  Berichte  noch  Folgendes :  „Für  die  Kröten  giebt  es 
dort  auch  noch  die  Namensformen:  purden  oder  pudden,  aber  nicht  padden.  Bezeichnen 
jene  Namen  die  gemeine  Land-  und  Kreuzkröte ,  so  geht  Uze  mehr  auf  die  im  ganzen 
seltenere  Feuerkröte  (Tnke)  und  Knoblauchskröte,  besonders  in  den  an  Oldenburg  an- 
grenzenden Gebieten.  Allgemein  ist  sonst  üze  eine  spöttelnde  Bezeichnung  für  watschelnde 
Personen,  namentlich  für  kleine,  weitbeiuige  und  plattfüssige  Menschen,  während  lork  einen 
verwegenen  Bursch  bezeichnet,  dem  es  auf  einen  tollen  Streich  nicht  ankommt.  —  Der 
Frosch  heisst  „kicker",  der  Kicherer,  Schreier,  wegen  seines  Geschreies  bei  der  Laichung  zur 
Friihjahrszeit;  der  Regenwurm  Tauwurm,  seines  nächtlichen  und  mit  der  Periode  des 
Taufalls  am  frühen  Morgen  zusammentreffenden  Aufwurfs  halber.  „Pier''  für  denselben  ist 
ursprünglich  nicht  ostfriesisch,  sondern  holländisch  und  erst  in  diesem  Jahrhundert  von 
holländischen  Schiffern  hier  eingeführt  worden  füi'  den  sogen.  Sandwurm  (Arenicola  pisca- 
torum),  der  sich  nur  in  den  Strandregionen  findet  und  zum  Angeln  gebram-ht  wird."  —  An 
letzteres  reihe  ich,  was  mir  Hr.  Ämtsrichter  Reinecke  aus  Kuxhaven  schreibt:  Der  Regen- 
wurm wird  hier  Mette  genannt.  Die  Art,  die  im  Watt  vorkommt  und  von  den  Fischern 
(auch  Helgoländem)  als  Köder  verwendet  wird,  heisst  porre  (pnrre).  Zum  Angeln  kleiner 
Fische,  Aale  u.  s.  w.  werden  diese  Tiere  der  Länge  nach  auf  wollene  Fäden  gezogen, 
mehrere  ohne  Haken  zusammengebunden;  die  Fische  beissen  sich  an  den  Wollfäden  fest. 
Diese  Art  des  Fischens  heisst  „poddern";  vergh  zm'  Sache:  J.  ten  Doornkaat  Koolmau, 
Ostfries.  Wörterbuch,  II,  720.    Norden  1882,  unter  piren. 

28;  Nach  Mitteilung  des  Herrn  Oberl.  Karl  Bückniaim  in  Lüneburg:  „medk  i^Deutsch- 
E-sern),  megge  (Kirchgellersen),  megn  (Wisselhörde),  niettn  ("Winsen  an  der  Luhn),  meck, 
pl.  mecken  (Bleckede).    An  der  Elbe  heisst  gehackter  Regenwurm  als  Köder:  mork." 

29)  pilepogge  =  Kaulquappe. 

30)  Überhaupt  dort  an  der  holländischen  Grenze. 

31)  „He  hürt  de  mieken  bellen"  von  einem  superklugen  Menschen. 

82)  Südlich  des  Teutoburger  Waldes:  höpper  für  Frosch,  südlich  derBega:  pogge  und 
uisse,  nördlich  von  derselben:  pobbe  und  nike,  in  Augustdorf  in  der  lippischen  Senne 
poebbe  nach  freundlichen  Mitteilungen  des  Hrn.  Gymn.-Dir.  a.  D.  Freytag-Lingen ,  der 
mich  u.  a.  auch  über  Rinteln  und  seine  Heimat  Gartow  orientiert  hat. 

33)  „Die  Hühner  gehen  „meken",  sie  holen  sich  Eegenwürmer." 

34)  Meschede:  Frosch  auch  pogge.  Von  einem,  der  gern  trinkt,  heisst  es:  he  is  kin 
pogge  (der  nämlich  nur  Wasser  trinkt). 

35)  Medebach  iKr.  Brilon),  Frosch  =  lüppefuos,  nach  Mitteilung  des  Hm.  Prof.  Hocken- 
beck über  Ai-nsberg  und  Umgegend. 

36)  Seltener  röhling. 

37)  AUgem.  im  Niederl. ;  in  West-Flandern:  terik,  tering  und  tettiug,  in  Ost-Flandern 
teek,  obwohl  man  in  beiden  Flandern  auch  das  Wort  piereland  (Wurniland)  noch  als  Be- 
zeichnung für  Kirchhof  kennt,  z.  B.  in  Ostflandern  es  heisst:  „hij  is  naar't  piereland"  für 
„ist  tot".  Nach  Mitteilungen  des  Konservators  am  ethnographischen  Rijksmuseum  in  Leiden, 
Hrn.  J.  D.  E,  Schmeltz.  —  Aus  Meurs  bringt  Firmenich  in  Gernian.  Völkerstimmen,  I,  407 
auch  bei:  he  mäckt  en  Reis  en  et  Piereland,  ins  Würmerland  =  „ist  tot". 

38)  s.  Anm.  27. 


264  Pränkel: 

39)  perk  nach  Düren  zu.     Auch  der  Engerling  heisst  dort  so. 

40)  „Schwellfcrad-'  heisst,  nach  einer  von  dort  durch  Hm.  Prof.  J.  Joest  hiers.  mir 
yermittelten  Angahe,  die  grosse  Kröte,  welche  sich  in  alten  Gemäueni  und  Kellern  findet; 
die  sogen,  „feldki-ad"  lebt  in  Sümpfen  und  Wiesen,  ist  froschähnlich  und  hat  nur  kürzere 
Beine.  Die  kleinen  Kröten,  welche  im  Sommer  vor  eintretendem  Regen  massenhaft  auf- 
treten, heissen  „muchen". 

41)  Auf  dem  Mayfelde  zwischen  Koblenz  und  Mayen:  ,.krüt",  wie  mii-  Hr.  Aubart, 
Lelirer  an  der  landwirtschaftl.  Schule  in  Bitburg,  freundlichst  mitteilt;  in  den  Kreisen 
Daun  und  Adenau,  nach  Angabe  des  Hrn.  Prof.  Roderich  in  Prüm,  „hötsch".  Über  das 
sonstige  Vorkommen  des  letzteren  siehe  am  Schluss  der  Tabellen. 

42)  Hr.  Direktor  Dr.  Asbach  aus  Prüm  schrieb  im  Oktober  1893  darüber:  „niuch 
(fem.)  für  Kröte  ist  in  einem  grossen  Teil  der  Eifel,  an  der  oberen  Mosel,  im  ganzen 
Saargebiet  gäng  und  gäbe.  Im  Kreise  Bitliurg  kennt  der  gewöhnliche  Mann  nur  umck, 
nicht  Kröte.  Aa  der  ganzen  Saar  wird  mook  gesprochen,  desgl.  an  der  mittleren  Nahe. 
Auch  in  dem  Grenzgebiet  gegen  Luxemburg  ist  muck  jedermann  geläufig". 


In  Thüringen  l»eisst  die  Kröte:  krät,  in  der  Oberpfalz:  hetsch,  in  Schlesien:  hetsche, 
wetsche,  tachse;  in  der  Umgegend  von  Dresden:  hutsche,  hutschkc;  in  Bayern:  broz,  in 
Österreich:  krot,  hecking,  desgl.  trautel;  in  Steiermark:  anke;  in  Tirol:  hötsch,  im  lunthal 
aber  höppin  und  an  der  Etsch:  hottel,  auch  hotz,  wie  in  den  Sette  communi  bei  Yicenza. 


Feen-  und  Mxenfang  nebst  Polyphems  Überlistung. 

Von  Ludwig  Fränkel. 

Die  Thatsache,  dass  die  Hauptscliriften  über  Wesen  und  Walten  der 
Feen  von  Gelelirten  Englands  stammen,  darf  nicht  wundernehmen.  Denn 
wir  schöpfen  unsere  Kenntnisse  darüber  guten  Teils  aus  britischen  Quellen, 
und  nirgends  hat  der  Glaube  an  diese  Gattung  überirdischer  Geister  fester 
im  Volksgemüt  Wurzel  geschlagen  als  im  Inselkönigreiche.  Von  den  vier 
umfänglichsten  Büchern  ist  das  älteste,  das  von  T.  Keightley'),  ins  Deutsche 
übersetzt,  von  dem  bekannten  Vielschreiber  0.  L.  B.  Wolff:  „Mythologie 
der  Feen  und  Elfen:  vom  Ursprünge  dieses  Glaubens  bis  auf  die  neuesten 
Zeiten.  Aus  dem  Englischen"  (2  Bände  mit  12  Tafeln.  Weimar  1828). 
Die  andern  knüpfen  an  Shakespeare  und  seinen  „Sommernachtstraum "^3 
an:  William  Bell,  Shakespeare's  Puck  and  his  folkslore[!J,  illustrated  from 
the  superstitions  of  all  nations  (2  Bände,  London  1852),  J.  0.  Halliwell 
(—  Phillips),  niustrations  of  the  Fairy  Mythology  of  A  Midsummer  Niglrt's 


1)  „Palry  Mythology"  (zuletzt  1889),  das  Hauptwerk. 

2)  Ich  behalte  diese  übliche  deutsche  Wiedergabe  bei,  obzwar,  wie  mich  küi-zlich  wieder 
Eduard  Grisebach  erinnerte,  „Johannisnachtstraum"  richtiger  wäre;  aber  wir  sind  es  einmal 
seit  Eschenburgs  Überarbeitung  von  Wielands  erster  Verdeutschung  (1TÖ2;  daselbst:  „Ein 
St.  Johannis  Nachts  Traum"!)  in  Bd.  I  von  „W.  Ss.  Schauspielen"  (1775),  der  auch  „Sturm" 
und,   auch  Volkskundliches  berührende  Anmerkungen  zu  beiden  enthält,  einmal  gewöhnt. 


Feen-  und  Nixenfang  nebst  Polyphems  Überlistung.  265 

Dream '),  und  W.  C.  Hazlitt,  Fairy  Tales,  Legends  and  Romances  illustrating 
Shakespeare  (Loudou  1875). 

Im  Vorübergehen  sei  hier  kurz  darauf  hingedeutet,  dass  die  beiden 
merkwürdigen  Elementargeister  aus  dem  Feenreiche,  die  Meister  William, 
der  am  häufigsten  und  am  eindringlichsten  in  volkstümliche  Anschauung 
und  Überlieferung  hineingreifende  grosse  Kuustdichter^),  verewigt  hat, 
Puck  (in  Schlegels  Übersetzung  Droll)  und  Ariel,  reichen  Anlass  zu  ver- 
gleichenden Betrachtungen  vom  Standpunkte  der  Volkskunde  bieten.  Zu- 
mal Ariel,  der  „spirit"  in  der  Phantasiekomödie  „The  tempest",  den  uns 
ja  auch  die  romantische  Walpurgisnacht  des  Goethescheij  „Faust"  auf- 
frischte, einen  längeren  Umblick  in  der  vergleichenden  Mythologie  sowie 
in  der  Märchenkunde  erforderte,  als  an  diesem  Flecke  erlaubt  scheint, 
ohne  zu  weit  abzuschweifen,  und  bei  ihm  auch,  trotz  ihres  arg  proble- 
matischen Wertes,  Edwin  Bormanns  einschlägige  naturwissenschaftliche 
Erklärung  in  seinem  Aufsehen  erregenden  Buche  „Das  Shakespeare- 
Geheimnis"  (1894)")  S.  11  f.,  17,  zu  berücksichtigen  wären,  möge  heute 
nur  für  Puck  in  Gestalt  einiger  bisher  unbeachteter  deutscher  Nachrichten 
über  gleichartige  Kobolde  auf  die  Gemeinsamkeit  des  Untergrundes  für  diese 
Gebilde  aufmerksam  gemacht  werden.  Die  wichtigste  davon  steht  bei 
Lambertus  Danaeus  (,Iacobus  Vallick  vnud  Vlricus  Molitor').  Von  den 
Zauberern,  Hexen  vnd  Vnholden.  Göln  1576,  S.  162 — 164:  „Denn  da  die 
Menschen  nicht  nach  dem  wort  Gottes  leben,  verstellet  sich  der  Sathan  in 
eiuen  Engel  des  Hechts,  vnnd  bekompt  auch  von  Got  gewalt,  die  Menschen 
vnderm  schein  der  warheit  zu  bedriegeu.  Gleich  wie  bey  vns  zu  Elten 
im  jar  do  man  schreib  21.  vnd  24.  geschehnt  ist.  Auf  S.  Authonisz 
Meierhoff  war  ein  Teuffei  vnder  gestalt  eines  Zwerglin,  dasselbige  nennt 
sich  Eckerken,  dasselbige  begienge  vil  wunderliches  dings,  zu  nachts 
warff  es  die  garbe  oben  herab  auff  die  Tenne  welchs  das  gesind  am  tage 
solte  trescheu;  welchs  gesind  im  arbeit  nacliliessig  war  solch  schlüge  es, 
es  futerde  die  Pferdt,  vnnd  lagt  sich  zu  nacht  bey  die  dienstmägde. 
Dasz  volck  so  ober  die  Heid  bey  dem  Hoff  reiszde  schlüge  es.  Die 
frawen  zöge  es  bey  jreni  heimlichen  vnnd  verborgene  haar,  welche  zu 
Wagen  reiszden  den  warff  es  den  Wagen  vmb,  welche  aber  zu  pferde, 
dieselbige  zöge  es  von  den  Rossen.  Wie  mir  sölchs  einer,  Wessel  von 
Berffelt  genät  selbs  erzelet  hatt,  denn  jhm  sölchs  auch  selbs  wider- 
faren,  vnnd  sölchs  Zwerglin  liess  niemant  vor  solchem  hofe  hin  reisen, 
er  muste  jm  zuuor  ein  ort  oder  eiuen  halben  steuber  geben.  Sölchs  weret 
bey  die  zwey  vn  drey  jar  lang,  bisz  so    lang    ein    alte  Hexen    verbrennet 


1)  London  1845;  Publications  der  Shakespeare  Society,  No.  25. 

2)  Vgl.  Fränkel,  Shakespeare  u.  das  TageHed,  S.  1  f.,  27  f.,  68  ff.,  82  f.,  95  f.  u.  ö. 

3)  Damit  diese  Äusserung  nicht  etwa  niissdeutet  werden  könnte,  verweise  ich  auf 
meine  ausfülirliche  Kritik  dieses  Werkes  in  den  Englischen  Studien  XX,  419 — 436  und 
meinen  Aufsatz  im  (219.)  Juniheft  von  „Nord  und  Süd"  1895,  S.  368—378. 


266  Pränkel: 

wardt,  welche  aldo  wonhaftig  war,  vnnd   bekandte    dasz    sie    sölchs  durch 
jhren  lieben  breutigatn  deu  Sathan  angerichtet  hatte,  wie  sölchs  der  gantzen 
landschafft  kündig  ist".^)    Man  findet  im  verwandten  Schrifttum  auch  ander- 
wärts   ähnliches.      David    Meder(us),    Acht  Hexenpredigten  .  .  .  (Leipzig, 
J.  Apel,  1C04)  S.  23b    sagt    von  Zauberern:    „So    tragen    sie    den  Namen 
Milchdiebe  auch  von  jhrem  werck,  weil  sie  durch  hülffe  des  Teufels  andern 
Leuten  jlire  Küe  ausmelcken,  Rahm  und  Butter  stelen,  vnd  das  so  wunder- 
barlich,  das  sie  aucii  offt  nur  daheimen  einen  Pflock,  den  sie  in  die  Wand 
geschlagen,  melcken,  vnd  dennoch  derselbe  Milch  giebet."  °),  ferner  S.  54b : 
„.  .  .  .  Denn  zu  dem,  das  sie  andern  Leuten  jhren  Wein  aus  den  Kellern, 
das  Getreidig  von  den  Böden,  vnnd  die  Milch    aus    den  Eutern    der  Küe 
vnd  Schaffe    (vnd  also  auch  Butter  vnd  [55  a]  Käse,   so  daraus  könten  ge- 
macht werden)  stehlen  ...";  auch  S.  56,  80b,  92a,  106b  bringen  derlei.^) 
Man    sehe    dazu    die   bei  C.  C.  Hense,    „Shakespeare,    Untersuchungen  u. 
Studien"  (1884),  S.  147ff.  —  vorher  Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neuer.  Sprach,  u. 
Litt.  X,  181  ff.;  XI,  323  ff.,  wo  viel  und  wichtiges  Material  zum  germanischen 
Feenglauben  mitgeteilt  ist,   aufgestapelten  Parallelen,  W.  Müller,  Beiträge 
z.  Volkskd.  d.  Deutsch,  in  Mähren,  S.  139 f.,  über  zauberhaftes  Melken  W. 
Schwartz,  Ztschr.  f.  Völkerpsych.  XIX,  66 ff.,  Ztschr.  f.  Ethnol.  XXVI,  9  ff. 
Von  allgemeineren  Werken  gediegenen  Gehalts,  die  unsern  Gegenstand 
streifen,  wie  C.  Crowe,    The  night  side  of  the  nature  or  ghosts  and  ghost 
seers  (2  Bde.,    London  1849),    sei  abgesehen,    ebenso    von    der  Unzahl   in 
Grossbritannien    beziehentlich    in    englischer  Sprache    erschienener  Sagen- 
und  Märchensammlungen,  die  einschlägige  Nummern  veröffentlichten;  allein 
an    die    fünf    speziellen    von    „Fairy  Tales"    von   Joseph  Jacobs   (London, 
Nutt  1890 — 94)    sei  erinnert.     Doch    gedenken    wir    der  wahrscheinlichen 
Ursache  dieser  zunächst  auffälligen  Erscheinung:  des  Überwiegens  keltischen 
Einflusses   auf    dem    ganzen    betreffenden    Gebiete    der  Überlieferung,    auf 
britischem  Boden    nicht  nur,    sondern  auch  auf   dem  Festlande,    d.  h.   in 
Frankreich   und   Deutschland.      Aus    der    mit    reichem  Denkmälermaterial 
aufgebauten  Abhandlung  Heinrich  Schreibers  „Die  Feen  in  Europa.    Eine 
historisch-archäologische  Monographie"  (Freibui'g  i.  Br.  1842,  Uuiversitäts- 
Festschrift)    geht    dies    deutlich   hervor;    z.  B.   finden    sich    die   mäclitigen 
Reste   von    angeblichen  Feenschlössern    und    dergl.    nur  auf   ursprünglich 
keltischer  Erde*). 


1)  Ist  in  „Eckerken"  etwa  „der  getreue  Eckart"  verballhornt? 

2)  Zu  der  verwandten  deutschen  Anekdote  vom  Weinzauber  des  Mephistopheles  habe 
ich  Goethe-Jahrbuch  XIV,  290—292  mit  Neuem  die  Belege  verzeichnet. 

3)  Neuhochdeutsch  „Quälgeist",  in  Wörterbüchern  (man  vgl.  Grimm  VII,  2307,  auch 
Sanders  Ergänzungswörterbuch  s.  V.)  ungenügend  erklärt,  hängt  wohl  damit  zusammen;  ich 
wähle  aus  Langbein  (Schriften  VII,  294)  die  (bei  Grimm  eitierte)  Stelle:  „sie  warfen  auf 
diese  Person  den  Verdacht,  dass  sie  selbst  der  (in  der  Nacht  umgehende)  Quälgeist  sei." 

4)  Vgl.  P.  W.  Joyce,  Old  Celtic  Legends,  Translated  from  the  Gaelic.  2.  Ausgabe, 
1894  (s.  diese  Zeitschr.  IV  339  f.),  S.  177  ff. 


Feen-  und  Nixenfang  nebst  Polyphems  Überlistung.  267 

Ebenfalls  aus  England  stammt  eine  Anweisung,  Feen  zu  fangen,  die 
uns  hier  beschäftigen  soll.  Sie  ist  deutsch  mitgeteilt  worden  in  „Rose 
und  Distel.  Poesien  aus  England  und  Schottland,  übertragen  von  Gisbert 
Freiherrn  Vincke.  Dessau  1853"')  S.  165f.  und  sei  hier  diesem  Wortlaute 
gemäss  eingerückt : 

„Für  die  Feenkunde  werden  noch  folgende  Notizen  von  Interesse  sein, 
einem  Foliobande  entnommen,  welcher  den  Titel  führt:  ,Relation  von  des 
Dr.  John  Dee  Verhandlungen  mit  Geistern  1659.' 

Ein  fürtreffliches  Mittel,  um  eine  Fee  zu  fangen. 

Erstlich  nimm  einen  breiten  viereckigen  Krystall  oder  ein  Venetianisches 
Glas,  drei  Zoll  in  Länge  und  Breite.  Dann  lege  das  Glas  oder  den  Krystall 
in  das  Blut  einer  weissen  Henne  an  drei  Mittwochen  oder  drei  Freitagen. 
Dann  niiii  es  heraus  und  wascli  es  mit  geweihtem  Wasser  und  räucher' 
es.  Dan  nimm  di-ei  Haselstäbe  oder  Ruthen  von  jährigem  Schuss,  schäle 
sie  fein  und  weiss  und  mache  sie  so  lang  als  du  des  Geistes  oder  der  Fee 
Namen  schreibst,  die  du  citiren  willst,  und  jeder  Stab  muss  an  einer 
Seite  dreimal  platt  gemacht  werden.  Dann  vergrabe  sie  unter  einem 
Hügel,  wo  du  meinst,  dass  Feeen  hinkomen,  am  Mittwochen  bevor  du 
sie  citirst;  und  am  folgenden  Freitag  niin  die  Stäbe  wieder  -heraus  und 
citire  sie  um  acht  oder  um  drei  oder  um  zehn  Uhr,  denn  das  sind  gute 
Planeten  und  Stunden  für  ein  solches  (reschäft;  aber  wen  du  sie  citirst, 
befleissige  dich  eines  reinen  Lebnuswandels  und  kehre  das  Gesicht  nach 
Osten.     Und  wenn  du  sie  hast,  binde  sie  zu  dem  Stein  oder  Glas. 

Eine  Salbe,  unter  die  Augenlider    und  auf  die  Augenlider  zu 
schmieren,    Abends    und    Morgends,    sonderlich    aber    wen    du  sie 
citiren  willst  oder  dein  Auge  nicht  klar  findest. 
Ein  Mass  Baumöl  thu  in  eine  Phiole,  aber  wasche  sie  zuvörderst  mit 
Rosenwasser     und    Ringelblumenwasser:     die    Blumen    dazu   müssen    gen 
Osten  gepflückt  werden.     Wasch  es  bis  das  Oel  weiss  wird,    dann    thu   es 
in  das  Glas  ut  supra^):    und  daü  thu  dazu  die  Knospen  der  Rosenpappel, 
die  Blumen  der  Ringelblume,  die  Blumen  oder  Spitzen  von  wildem  Thymian, 
die  Knospen  von    jungem  Hasel;    und    der  Thymian  muss    nah    an   einem 
Hügel  gepflückt  werden,    wo  Feeen  hinzukomen  pflegen,    und    hier    rupfe 
auch  das  Gras  eines  Feeenthrones  aus.    All  das  thu  in  das  Oel  in  das  Glas 
und  setz  es  drei  Tage  in  die  Sonne,  damit  es  sich  auflöse,   und  dann  be- 
wahr es  zu  deinem  Gebrauch;  ut  supra^). 


1)  Zu  dieser  vorzüglichen  Sammlung  eigener  Verdeutschungen  s.  meinen  Artikel  über 
Gisbert  von  Viucke  im  39.  Bande  der  „Allgemeinen  deutschen  Biographie".  Das  „zweite 
Buch"  dieses  Bändchens  enthält  fast  nur  auf  Feen  bezügliche  Lyrik. 

2)  Man  beachte  den  mediciuisch-pharmazeutischen  ßezeptenstil. 


268 


Fränkel: 


Nach  diesem  Kecept  folgt  eine  Beschwörungsformel,  worin  der  Alchymist 
eine  Fee  namens  Elaby  Gathon  citiert,  „ihm  zu  erscheinen  in  dem  Krystallglas 
hold  und  freundlich,  ihm  wahrhafte  Auskunft  zu  geben  auf  Fragen  aller 
Art  und  allen  seinen  Geboteu  folgsam  zu  sein,  bei  Strafe  der  Yerdammuug." 

Darauf  folgt  bei  Yineke  S.  166  noch  folgender  Passus:  „Die  älteren 
Dichter  bezeichnen  Feen  und  Kobolde  mit  der  allgemeinen  Benennung 
,die  Geister  der  Berge'.  Ip  Irland  heissen  die  Feen  in  der  Volkssprache 
,das  gute  Völklein")"  und  dahinter  steht  in  Klammer:  ,(Eeliques  etc.  by 
Percy)'.  Danach  könnte  man  meinen,  die  ganze  erläuternde  Auseinander- 
setzung samt  den  beiden  Recepten  Dees  sei  aus  Percys  „Reliques  of  ancient 
english  poetry"  (1765)  übersetzt.  Doch  dem  ist  nicht  so,  sondern  dieser 
Quellenhiuweis  meint  nur,  dass  das  Gedicht  „Die  Feenkönigin ")",  S.  87—89 
übersetzt,  auf  das  sich  diese  Anmerkung,  S.  165  durch  den  Satz  „Das 
Gedicht  ist  aus  einer  im  Jahre  1648  zu  London  gedruckten  Sammlung" 
zurückbezieht,  dorther  stammt.  In  A.  Schröers  Neuausgabe  der  Percyschen 
Sammlung')  steht  es  S.  697—99,  im  Originaldruck  III  206— 208,  und  be- 
ginnt „Come,  follow,  follow  mee,  Ye,  fairye  elves  that  bee".  Yineke  hat 
seine  Glossen  selbständig  hinzugefügt.     Woher  stammen  sie  nun? 

Das  von  Yineke  benutzte  Buch  kann  nichts  anderes  sein  als  „True 
and  faithfüll  Relation  of  what  passed  for  raany  yeares  betwen  Dr.  John  Dee 
and  some  spirits.  Tending  (had  it  Succeeted)  To  a  General  Alteration  of 
most  STATES  and  KINGDOMES  in  the  World.  His  Private  Conferences 
with  Rudolphe  Emperor  of  Germany,  Stephen  K.  of  Poland,  and  diverses 
Princes  about  it",  zu  London  1659  durch  Mericus  Casanbonus  in  Folio 
herausgegeben.  Dieses  heute  äusserst  seltene  und  mit  den  höchsten  Preisen 
bezahlte*)  Werk  muss  Vincke  im  Original  vorgelegen  haben,  da  es  keine 
Verdeutschung  davon  giebt.  Es  ist  nun  aber  auffällig,  dass  die  neuere 
Dee-Forschung  an  dessen  systematischen  Feen-Citationen  vorübergegangen  ist 
und  sich  nur  mit  dem  Lebeusgang  und  dem  Geisterverkehr  dieses  seltsamen 
Mannes  beschäftigt  hat.  Carl  Kiesewetter,  der  hervorragendste  Kenner 
und  fruchtbarste  Schriftsteller  auf  dem  Felde  der  Geschichte  der  Geheim- 
wissenschaften, hat  Dee  ein  eindringliches  Studium  gewidmet,  dessen 
Niederschlag  wir  nun  in  der  spezielleren  Monographie  „John  Dee,  ein 
Spiritist  des  16.  Jahrhunderts.    Kulturgeschichtliche  Studie"  (Lpzg.  1893)^), 


1)  Ähnliche  Namen  auch  in  Skandinavien  und  Deutschland  in  mannigfacher  Variation. 

2)  Englisch  bei  Halliwell,  Illnstrations  etc.,  p.  269,  verdeutscht  bei  F.  H.  Bothe, 
Volkslieder  u.  s.  w.  (1795),  S.  188,  nach  beiden  bei  C.  C.  Hanse,  Shakespeare,  S.  158  f. 

3)  Vgl.  Weinhold  in  dieser  Ztschr.  IV,  96;  Fränkel,  Engl.  Stud.  XIX,  423. 

4)  1804  von  einem  Leipziger  Antiquariat  für  mehrere  hundert  Mark  ausgeboten:  vgl. 
auch  Kiesewetters  (s.  u.)  Angaben.  „Tlie  Private  Diary  of  Dr.  .lohn  Dee"  gab  1852  der 
obengenannte  J.  0.  Halliwell  heraus. 

5)  Zum  grössten  Teile  wörtlich  abgedruckt  aus  den  „Akademischen  Monatsheften" 
VII  (1890/91),  348—355,  424-430,  493—499,  560-568.  In  der  Monographie  lies  S.  10 
1527  statt  1524  als  Dees  Geburtsjahr. 


Peen-  und  Nixenfang  nebst  Polyphems  Überlistung.  269 

S.  473—477  seines  stoöreichen  Werkes  „Faust  in  der  Geschichte  und 
Tradition  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  occulten  Phänomenalisnius 
und  des  mittelalterlichen  Zauberwesens"  (ebd.  1893)'),  endlich  in  dem 
fleissigen  Kompendium  „Die  Geheimwissenschaften.  Zweiter  Teil  der  Ge- 
schichte des  neueren  Occultismus"  (Lpz.  1895)^)  S.  96  ff.  und  543  u.  ö. 
besitzen.  Einen  scharfen  Angriff  hat  nun  Kiesewetter,  auf  dessen  an  über- 
raschenden Mitteilungen  aus  allen  Nachbargebieten  überreiche  Bücher  hiermit 
genaue  Aufmerksamkeit  gelenkt  sein  möge,  erlitten  in  dem  Aufsatze 
Jakob  Caros  „Aus  den  Tagen  der  Königin  Elisabeth  von  England  (John 
Dee.  Albrecht  Laski.  Giordano  Bruno.  Shakespeare)":  Zeitschrift  für 
Kulturgeschichte.  N.  F.  I  (1893/94)  S.  353—395.  Jedoch  geht  dieser 
Kritiker,  der  Kiesewetter  besonders  eine  Anzahl  historischer  Uurichtigkeiten 
vorhält'),  zwar  auf  die  Geisterbesuche  bei  Dee  ein*),  soweit  sein  Angriff 
auf  Kiesewetters  Behandlung  der  Personalien  es  erfordert,  auf  die  Feen- 
bannung  aber  ebensowenig  wie  der  Kritisierte  selbst. 

Bei  letzterem  °)  nämlich  erfahren  wir  nur  einiges  über  das  Haupthilfs- 
mittel, dessen  sich  Dee  bei  dem  Experimente  der  Feeucitation  bedient 
liaben  soll.  In  Kiesewetters  Dee-Monographie  lesen  wir  S.  22 f.*):  „Dee 
gebrauchte,  wie  Smith')  pag.  45  ausdrücklich  sagt,  mehrere  grössere  Krystalle, 
von  denen  er  jedoch  nicht  sagen  könne,  ob  sie  natürliche  oder  künstliche 
gewesen  wären  und  wie  Dee  zu  ihnen  gekommen  sei.  Der  berühmteste 
von  Dees  Kristallen  ist  sein  ,Shew-stone'  oder  ,Skry-stone',  auch  ,Lapis 
manifestationis',  ,Lapis  sacer  et  mysticus,  primo  sanctificatus  et  praecipuus' 
und  Eeceptaculum  genannt  (Smith,  pag.  44).  Dee  behauptet  diesen  Stein 
in  der  .Action'  vom  21.  November  1582  von  einem  Engel,  welcher  am 
westlichen  Fenster  seines  Studierzimmers  in  der  Grösse  eines  vierjährigen 
Knaben  erschienen  sei,  erhalten  zu  haben  (Smith,  pag.  24).  Er  liess  einen 
goldenen  Fuss  an  denselben  machen  und  hielt  ihn  lebenslänglich  in  den 
höchsten  Ehren.  —   In  welche  Hände   der  Stein  nach  Dees  Tod    kam,    ist 


1)  Über  dessen  Bedeutung  füi-  Volkskunde  s.  Fränkel  in  „Am  Ur-Quell"  V,  201 ;  K.'s 
stoffreiche  historisch-occultistische  Bücher  erschienen  seit  1891  bei  W.  Frietlrich  in  Leipzig. 

2)  Über  die  hohe  Wichtigkeit  der  darin  enthaltenen  neuen  Thatsachen  für  die  Volks- 
kunde berichtet  W.  Eumpelt  in  „An-i  Ur-Quell"  VI,  135  f.    K.  f  15.  4.  1895  in  Armut! 

3)  Die  Nachweise  in  J.  G.  Th.  Grässes  „Lehrbuch  der  allgemeinen  Litteraturgeschichte" 
III,  1  (1852),   S.  978,   976,    A.  18  u.  19,    979   über  Dee    entgingen  Kiesewetter  und  Caro. 

Über  Dees  Krystallglaskugeln   siehe  jetzt  ausführliches  in  „The  Edinbm-gh  Review",  1895 
(No.  371),  S.  82  ff.,  bes.  S.  88  ff. 

4)  S.  382  f.  die  „Engel"-Erscheinung  bei  Dee,  14.  Juni  1583,  S.  384  die  vom  2B.  Juni; 
S.  366  f.  harte  Abführung  von  Dees  „mediumistischem"  Humbug  bei  Kiesewetter. 

5}  Vgl.  auch  M.  Osborn,  Die  Teufellitteratur  des  XVI.  Jahrhunderts,  S.  48;  Kiese- 
wetter, Faust  in  der  Geschichte  und  Tradition,  S.  368  f. 

6)  In  den  „Akadem.  Monatsheften"  a.  a.  O.,  S.  354  b. 

7)  „Vita  Joannis  Dee,  Mathematici  Angli,  Scriptore  Thoma  Smitho,  S.  Theologiae 
Doctore  et  Ecclesiae  Anglicanae  Presbytero"  in  dessen  „Vitae  quorundorum  ernditissimornm 
et  illustrium  Virorum"  i,Londin.  1707);  vgl.  Kiesewetter,  S.  9. 


270 


Pränkel : 


nicht  bekannt;  jedoch  befand  er  sich  nach  Berkenhout*)  in  der  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  in  denen  des  Horace  Walpole.  Vielleicht  verkaufte 
ihn  Walpole  1752  samt  seinen  übrigen  Sammlungen  an  Katharina  von 
Russland.  Der  Krystall  soll  aus  glänzender  schottischer  Steinkohle  be- 
standen haben").  Dieses  Instrument  stand  auf  dem  ,heiligen  Tisch',  der 
,Mensa  Foederis,  Leage  Table  oder  Table  of  Covenant',  welcher  sich  noch 
in  der  Cottonschen  Bibliothek  befindet."  Ferner  lesen  wir  bei  Kiesewetter 
S.  55:  „Anfangs  September  [1584]  erhielt  denn  auch  Dee  eine  Audienz 
beim  Kaiser  ....  Smith  (pag.  19)  hat  uns  seine  Rede  an  Rudolf  auf- 
bewahrt.     Dee    sagte,     Gott   habe    endlich    sein    inbrünstiges 

Gebet  erhört  und  vor  2  'A.  Jahren  seine  Engel  zu  ihm  gesandt,  welche  ihn 
erleuchtet  und  in  alle  himmliche  Weisheit  und  ewigen  Geheimnisse  ein- 
geweiht hätten,  und  zwar  vermittelst  eines  Krystalls,  der  alle  Schätze  der 
Erde  weit  übertreffe,  indem  alle  Erscheinungen  durch  ihn  geschehen.  Dies 
sei  so  wahr,  als  Gott  lebe,  vor  dessen  Augen  er  hier  stehe." 

Natürlich  schweben  alle  diese  Notizen  völlig  in  der  Luft  und  sind 
unkontrollierbar.  Nicht  um  eine  etwaige  Aussprache  über  positive  Unter- 
lao-en  der  hereiuspielenden  spiritistischen  Phänomene  zu  entfesseln  ^),  wurden 
sie  hier  eingeflochten,  sondern  nur  um  zu  zeigen,  wie  der  alte  Volksglaube, 
man  könne  unter  gewissen  Umständen  Feen  citieren  und  festbannen,  bis 
in  der  Königin  Elisabeth  Zeit  nachwirkt,  wo  noch  so  viele  ererbte  Bräuche 
in  Kraft  waren  bezw.  diirch  die  Litteratur  neu  belebt  wurden. 

Bei  H.  Schreiber,  Die  Feen  in  Europa  (s.  o.),  S.  35  f  kann  man  die 
Gründe  finden,  die  es  dem  Menschen  infolge  der  den  Feen  anhaftenden 
Eigenschaften  erwünscht  erscheinen  lassen,  jene  einzufangen*).  Seltsam  zu 
kontrastieren  damit  scheint  die  fast  durchgängige  Annahme  der  deutschen 


1)  Biographical  History,  T.  I,  p.  427. 

2)  Vgl.  Theophrastus  Paracelsus:  Philosophia  sagax  Lib.  I  „Was  Nektromantia  sey": 
,.Also  folgt  auf  das  die  Kunst  Nektromantia,  dass  dieselbige  Flaga  feine  Art  Elementar- 
geister)  dieser  Kunst  krafft  müssen  gehorsam  seyn  vnd  auff  dasselbig  sichtbar  machen, 
durch  ein  Spiegel,  Prillen,  Köln  "  —  „Also  möglich  ist's  auch,  die  Flaga  zu  zwingen,  dass 
sie  sich  offenbar  machen  in  Spiegeln,  Barillen,  Kolen,  Nageln  etc." 

3)  Ich  stehe  dem  landläufigen  Spiritismus  zwar  schroff  gegenüber,  muss  aber  gegen- 
über Caro  (s.  0.),  der  Dee  einfach  für  einen  Schwindler  und  Hochstapler  hält,  erklären,  dass 
er  auf  mich  durchaus  den  Eindi'uck  eines  ehrlichen  und  überzeugten  Mannes  macht,  zumal 
er  infolge  seines  spiritistischen  Auftretens  unablässige  Widrigkeiten  des  Schicksals  er- 
duldet hat. 

4)  Es  wäre  lehrreich,  einmal  eine  Übersicht  über  die  verschiedenen  Methoden  zu 
versuchen,  nach  denen  der  Volksglauben  die  Feen  und  ähnlichen  Wesen  citiert  und  bezw. 
verbannt.  Es  sei  hier  beispielshalber  nur  auf  zwei  neuerdings  gelegentlich  erwähnte  Mittel 
und  Wege  hingewiesen:  „Nunnen"  (=Nornen?)  kann  man  nach  Wiegenliedern  und  Kinder- 
märchen im  Spessart  durch  Drehen  eines  von  ihnen  empfangenen  Ringes  (über  dessen 
zaulierischen  Gebrauch  z.  B.  Fränkel,  Shakespeare  und  das  Tagelied,  S.  87,  Ä.  2,  dazu  Stokes, 
IndianFairy  Tales,  p.  291,  A.  2)  citieren  (A.  Englert,  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskd.  IV,  56  f.), 
Dämonen  durch  frische  Vegetation  fernhalten  (Ernst  Maass,  Orpheus  [1895],  S.  208,  Anm.; 
ebd.  u.  S.  292,  Anm.  91  Belege  für  entsprechende  Verwendung  des  Mistelzweigs). 


Feen-  iiml  NLxenfang  nebst  Polypliems  Üljerlistung.  271 

Volksanschauung':  „eiue  Nixe  faugeu  bringt  Unheil."  Doch  darf  man  nie 
vergessen,  dass  diese  Wassergeister  ebenso  wie  die  Riesen  der  Menschen 
Feinde  sind,  weil  diese  iiires  Reiches  Frieden  stören,  während  die  Feen, 
solange  sie  sich  nicht  selbst  melden.  Rulie  vor  den  vorwitzigen  Menschen- 
kindern haben,  es  müsste  denn  ein  solches  eben  ein  Mittel  zum  Eiufangeu 
besitzen.  Im  folgenden  entnehme  ich  W.  Menzels  „Geschichte  der  deutschen 
Dichtung"  I  88 f.  (wo  obiger  Satz  als  Motto  an  der  Spitze  steht)  etliche 
Belege  für  das  Fangen  der  Nixen,  um  jedem  Vorwurfe  einseitiger  Auswahl 
von  vornherein  zu  entgehen: 

„Zu  Mäusen  im  Jeverlande  fing  man  eine,  die  trotz  flehentlicher  Bitte 
nicht  losgelassen  wurde,  sich  aber  plötzlich  durchwand  und  entkam,  worauf 
eine  Sturmflut  das  ganze  Dorf  begrub.  Kuhn,  Xordd[eutsche]  S[agen|  No.  332. 
Eine  gefangene  Meerfrau  drohte,  so  weit  man  sie  wegschleppe,  so  weit  werde 
das  Land  vom  Meere  verschlungen  werden,  wie  auch  geschah.  Müllenhoff, 
[Schlesw. -Holstein.  Lauenb.  Sag.]  No.  4.53.  Eine  Meerfrau,  die  man  für  eine 
Hexe  hielt  und  ersäufen  wollte,  drehte  den  Kahn  um,  ersäufte  ihre  Henker 
und  schwamm,  von  Wasserlilien  umgeben,  behaglich  davon,  das.  No.  4.')4 
Ein  gefangener  Nickel  sollte  den  Leuten  Mittel  gegen  alle  möglichen  Ge- 
brechen angeben,  that  es  aber  nicht,  entwischte  und  rächte  sich  durch  eine 
Sturmflut.     Firmenich.  Germaniens  Völkerstimmen  L  23." 

Allerdings  schliessen  sich  bei  Menzel  S.  89  unmittelbar  folgende  weitere 
Beiego  an,  wo  den  Schuldigen  zwar  kein  Unheil  erwächst,  aber  auch  nichts 
angenehmes  zuteil  wird  wie  beim  Fesseln  der  Feen:  „Ein  gefangener  Nix 
vom  Aussee  bot  grosses  Lösegeld,  v.  Muchar,  Steyermark.  1,  15S).  Der 
Erzberg  in  Steyermark  bei  der  Stadt  Eisenerz  soll  seinen  Reichtum  von 
einem  Wassermann  erhalten  haben.  Ein  solcher  war  nämlich  gefangen 
worden  und  bot  als  Loskanfpreis  einen  Berg  voll  Silber,  der  aber  bald 
leer  werden  sollte,  oder  einen  Berg  voll  Eisen,  der  nie  zu  erschöpfen  sei. 
Man  erwählte  das  letztere.  Schaubach,  Alpen  HI,  244.  Bei  Deetz  in  der 
Altmark  kam  eine  Wassernixe  zu  einem  Fischer  auf  den  Nachen,  als  er 
sich  gerade  Fische  briet,  setzte  sich  zu  ihm  und  frug  wie  er  heisse?  Der 
Fischer  antwortete:  Selbergethan.  Darauf  spie  sie  ihm  Kröten')  auf  die 
Pfanne,  denn  sie  hatte  das  ganze  Maul  voll  solcher  Tiere.  Er  aber  nahm 
den  Stock  und  schlug  sie  krumm  und  lahm.  Da  schrie  sie  um  Hilfe  und 
von  allen  Seiten  kamen  die  Nixen  herbei  und  frugeu,  wer  sie  so  zugerichtet 
habe.  Als  sie  aber  immer  rief:  Selbergethan!  so  beruhigten  sie  sicli  und 
der  Fischer  kam  davon.     Kulm  in  Haupts  Zeitschr.  lY,  392". 

1)  „Die  Kröte  erscheint  im  fjermanischen  Volksglauben  oft  bei  geheimnisvollen  An- 
lässen (vgl.  Ztschr.  d.  Vereins  f  Volkskde.  I,  191),  besonders  wo  Zauberspuk  im  Werke  ist 
(Shakesp.  Macb.  IV,  1,  6).  Vgl.  Gubematis,  Die  Tiere  in  der  indogerman.  Mythologie  (^dtsch. 
V. Hartmann),  S.  (i-23  ff.:  A.  Wuttke.  Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegenwart,  S.  62,  191, 
250,  bes.  111  ff.;  Jos.  Grohmann,  Apollo  Smiutheus  und  die  Bedeutung  der  Mäuse  in  der 
Mythologie  (1862),  51,  81;  Tschischwitz,  Nacliklänge  germanischer  Mythe  bei  Shakespeare, 
S.  22";  Fränkel,  Shakespeare  u.  das  Tagelied,  S.  59  f.  Siehe  aucli  den  vorhergehenden  .Aufsatz I 

Zeitschr.  d.  Vereius  1.    Volkskunde.   189.i.  19 


272  fränkei: 

An  letztere,  mehr  schwankhafte  Sage  ist  es  nötig  einep  kleinen  Ex- 
kui's  anzuschliessen.  Mau  erkennt  in  ihr  ja  auf  den  ersten  Augenblick 
eine  Variante  zur  Polyphem-Fabel  und  zwar  eine,  deren  Hauptabweichuug, 
nämlich  das  „Selbergethan!"  nicht  eben  glücklich  gewählt,  sondern  viel- 
mehr zu  der  bereits  vorhandenen  Handlung  als  pikantere  Steigerung  nach- 
träglich hinzuerfunden  scheint.  Das  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Denn  in 
ähnlichen  Sageii  verschiedenster  Herkunft  findet  sich  diese  Formel  und 
zwar,  was  gleichfalls  beachtenswert,  stets  bei  Nixen  oder  verwandten  Ge- 
schöpfen. Bei  J.  F.  Vonbun,  Volkssageu  aus  Vorarlberg  (Wieu  1S47) 
S.  5  f.  No.  5,  kommt  eine  neugierige  Fenggi  zu  einem  Holzhauer  und  fragt 
nach  seinem  Namen.  Schalkhaft  antwortet  er:  „Salb".  Nachher  Hess  er 
sie,  die  es  gern  versuchen  wollte,  einmal  statt  seiner  sägen,  als  sie  aber 
im  Eifer  die  Hand  zwischen  ein  klaffendes  Holzstück  einklemmte,  befreite 
er  sie  nicht.  Nun  kamen  andre  Fengge,  erhielten  aber  auf  die  Frage, 
wer  ihr  solches  angethan.  immer  nur  den  Antwortsschrei:  „Salb  tho." 
W.  Menzel,  der  (a.  a.  0.  I,  101)  auch  diese  Nummer  mitteilt  und  eingangs 
an  des  Cyklopen  Überlistung  in  der  Odyssee  erinnert'),  fügt  bei:  „Ein 
Erdmännchen  bei  Gutannen,  das  einem  Mädchen  nachstellte,  wurde  von 
dessen  Liebhaber  ebenso  betrogen.  Kohlrausch,  Schweizersagen  I,  26. 
Vgl.  Wolf,  Zeitschr.  [f.  dtsch.  Mythol.  u.  Sittenkunde]  IV,  !)7.  Eine  ähn- 
liche Sage  der  Normandie  bei  Bosquet,  la  Norm.  p.  131."  Nun  besitzen 
wir  nebeneinander  zwei  hergehörige  lappländisclie  Märchen.  In  dem  einen, 
in  J.  C.  Poestions  deutscher  Auslese  (1886),  S.  72,  kommt  ein  Lappe  in 
die  Hütte  einer  Hexe,  nennt  sich  gefragt  „Selbst"  und  verbrennt  ihr  mit 
siedendem  "Wasser  «ins  Gesicht.  Als  ihre  Genossen  dann  die  Ursache  ihres 
Gejammers  wissen  wollen,  erwidert  sie:  „Selbst  mich  verbrannte".  Indem 
Angriffe  aufs  Antlitz  mit  Feuer  liegt  wohl  ein  alter  Nachliall  und  sclion 
ein  Übergang  zur  wirklichen  Polyphem-Version.  der  wir  bei  Poestion, 
S.  122  ff.  begegnen:  ein  Lappe,  mit  Gefährten  in  die  Höhle  eines  Riesen 
geraten,  blendet  diesen  mit  geschmcrlzenem  Blei,  das  er  ihm  statt  einer 
Augensalbe  hineinträufelt,  giebt  als  Namen  „Garniemand"  (also  wie  bei 
Homer  Ovrig^)  an  und  rettet  sich  mit  der  Gesellschaft  in  Häuten  ge- 
schlachteter Böcke  aus  der  Höhle.  G.  Meyer,  der  diese  beiden  Fassungen 
zusammenhält"),  stellt  sie  in  Zusammenhang  mit  der  russischen  Tradition*). 
Dabei  übersah  er  leider  das  reiche  Material,  das  W.  R.  S.  Ralston,  Russian 


1)  Vonhun  bemerkt  S.  6,  Anni.:  ..Erinnert  fast  an  die  Geschichte  des  schlauen  Utis 
üiit  dem  dickleibigen  Kyklops."    Vgl    zum  Ganzen  W.  Müller  (s.  o.  S.  266),  S.  137  f. 

2)  Zur  Nachg-eschichte  dieses  Scherzes  im  Reformationszeitalter  vgl.  auch  meine 
Bemerkungen  i.  d.  German.  XXXVI,  18G  f.  und  .1.  Bolte  im  Jahrb.  d.  dtsch.  Shakespeare- 
Gesellschaft  XXIX/XXX,  S.  18  u.  bes.  S.  19  nebst  Anm.  2,  auch  S.  90f. 

:•<')  Essays  und  Studien  zur  Sprachgeschichte  und  Volkskunde  II,  179  f. 

4)  Ebenda  S.  375  (Hinweis  auf  Thomsen,  Deutsche  Litteratnrzeitung  1887,  Sp.  427 
auch  Schiefm-r  im  Bulletin  de  la  classe  bist.-phil.  d.  Petersburg.  Akad.  d.  Wissensch.  XII 
369  SX 


Feen-  und  Nixenfanof  nebst  Polyphenis  ITberlistnng.  273 

Polk-Tales  IJjOikIoh  1873),  S.  182  ff.  ilarbietet.  Hier  seien  nur  Ealstons 
Parallelen-Gitate  zusammengestellt:  W.  Grimm,  Abhaiull.  d.  Berl.  Akad.  d. 
Wiss.  Phil.-Hist.  Kl.  1857,  S.  1—30  [=  W.  Grimm,  Kl.  Sehr.  lY,  428—62]; 
Buslaef,  Ist.  Och.  I,  327—331:  Campbell.  West  Highland  Tales  I,  p.  132; 
Grimm,  Kinder- und  llausraärclien^  (1870),  Xo.  130  etc.;  Afanasief,  Narod- 
nuiya  Kusskiya  Skazki  VI.  No.  55  und  VIII,  p.  260.  Gerade  aber  der 
wichtige,  ja  unentbehrliche  Zug,  dass  das  übermenschliche  Wesen  vom 
Erdenkinde  —  in  dessen  Gewalt  es  unmittelbar  oder  mittelbar  sich  befindet 

—  mit  dem  Namen  hinters  Licht  oefuhrt  wird,  fehlt  hier  wie  oben  nirs'eiids, 
wo  die  Situation  Anlass  gewährt. 

Und  daher  erkennt  man  in  ihm  ein  altvererbtes  Motiv,  einen  uralten 
Scherz,  den  man  sich  mit  den  überirdischen  Mächten  —  die  Elfen  und  Nixen 
sind  Naturpersonifikationen  wie  der  Cyklop  —  erlaubte  Wenn  also 
A.  Wiedemann  in  seiner  Studie  „Zur  Polyphem-Sage"  Am  Ur-Quell  V.  86 
sagt:  „Eine  Kombination  der  beiden  arabischen  Versionen')  zeigt  die 
wesentlichen  Züge    des    homerischen  Polyphem   in   solcher  Vollständigkeit 

—  nur  die  Einäugigkeit ^)  fehlt,  obwohl  sie  die  Blendung  sehr  erleichtert 
hätte  —  dass  an  einer  Beeinflussung  der  arabischen  Sage  durch  die 
griecliische  kaum  gezweifelt  werden  kann",  so  durfte  er  die  „Vollständig- 
keit" nicht  als  Argument  für  seine  sonst  gewiss  stichhaltige  These  ver- 
werten. Denn  eben  den  in  jenen  Nixenmärchen  selbständig  ausgestalteten 
Spott  mit  dem  falschen  Namen  verlor  das  internationale  Thema  auf  der 
Wanderung  zu  den  Semiten.  Man  hat  hier  nämlich  einen  der  flüssigsten 
jener  Wanderstoffe  vor  sich,  die  Morgen-  und  Abendland  seit  Jahrtausenden 
unterhalten  haben;  das  darf  man  nie  vergessen,  sobald  man  einen  Kern 
dieser  reich  belegten  Fabel  herausschälen  will  und  einem  gleichsam  unter 
den  Fingern  ein  Zug  nach  dem  anderen  abbröckelt  und  kaum  irgend  ein 
gemeinsames  Motiv  im  Bodensatz  zurückbleibt.  Einer  der  belesensten 
und  geschicktesten  Fabulisten  unseres  ersten  dichterischen  Glanzes,  der 
Stricker"),  hat  sich  die  dankbare  Episode  nicht  entgehen  lassen,  und  wir 
können  sie  jetzt  in  G.  Eosenhagens  tüchtiger  Ausgabe  seines  „Daniel"''). 
V.  3194  ff.,  S.  70  sauber  mit  den  anderen  Bearbeitungen  des  Themas 
kollationieren.  Des  Herausgebers  Anmerkung  auf  S.  1U4  sagt  dazu:  „Dass 
diese  Erzählung    von    dem  Riesen,    der  die  Ritter  eingesperrt,    geblendet 

1)  Tausend  und  eine  Nacht  I  (Stuttgart  1872),  366  ff.  und  II,  34  ff. 

2)  Doch  s.  z.  B.  oben  das  lappische  Märchen;  Wiedemann  verweist  S.  85  auf  die 
Litteratur  bei  B.  Sauer,  Torso  von  Belvedcre  [30 ff.:  97  ff.],  wonach  die  antike  Kunst 
zwei  Augen  als  natüi-licher  einführte  i^vgl.  Lübker,  Eeallex.  d.  klass.  Alterts.'',  S.  629  b, 
s.  v.  Kyklopen  a.  E.,  und  Willaniowitz-MöUendorff,  Euripides'  Herakles-  I,  105,  A.  188. 

3;  Seine    einschlägig:e   Bedeutung   zog  ich  au  AUg.  dtsch.  Biogr.  XXXVI,  583 — 586. 

4)  „Dauiel  von  dem  Blühenden  Tal,  ein  Artusroman  von  dem  Stricker"  (1894:  Ger- 
manistische Abhandlungen,  begründet  von  K.  Weinliold,  herausgegeben  von  Fr.  Vogt, 
Heft  IX);  vgl.  mein,  auf  die  vulkskuudlicbon  Anmerkungen  achtendes  Referat  Litterar. 
Centralblatt  1894,  Sp.  1068  f. 

19* 


274  Fränkel:  Feen-  und  Nixeivfang  nebst  Polypheras  Überlistung. 

wird  und  tobt,  einem  Polypliemmärchen  entstammt,  ist  schon  l^uge  erkannt. 
Es  ist  aber  besonders  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  die  Quelle  des 
Strickers  nicht  dem  klassischen  Altertume,  sondern  der  verborgen  fliessenden, 
nur  hier  und  da,  scheinbar  ohne  Zusammenhang,  an  das  Tageslicht  der 
Litteratur  tretenden,  internationalen  Überlieferung  angehört.  (Vgl.  G. 
Meyer,  Essays,  Bd.  I,  S.  218  ff.  W.  Grimm,  Kl.  Schriften.  4,  428.)  Derselbe 
Stoff  liegt  auch  dem  bhpel  vom  Vrdz  zu  Grunde.  Wackernagels  Lesebuch, 
4.  Auflage,  S.  619."  Daran  schliessen  wir  endlich  den  Hinweis  auf  eine 
Verwertung  in  der  Spätzeit  der  mittelalterlichen  Ritterromautik.  in 
Bojardos  „Orlando  Inamorato"  begegnet  uns  I.  6,  24  ff.')  ein  Abenteuer 
Rolands,  zu  dem  J,  D.  Gries^)  mit  vollem  Rechte  glossiert:  ^Dass  diese 
ganze  Episode  dem  Abenteuer  des  Ulysses  mit  dem  Polyphem  nachgebildet 
ist,  bedarf  kaum  einer  Erwähnung."  Ja,  Bojardo')  fand  an  dem  Thema 
solchen  Gefallen,  dass  er  nicht  nur  den  hellenischen  Sagen-Unhold  in  dem 
vom  gewaltigsten  Paladin  auf  eines  Eremiten  Winseln  hin  in  der  Höhle 
getöteten  Riesen  auferstehen  liess.  sondern  auch  I,  10,  29?  dem  Könige 
Argante  das  Epitheton  „das  Auge  ganz  verkrochen"  *)  leiht,  also  noch  einen 
einäugigen  „Heiden"  einführt,  durch  dessen  Beseitigung  sein  Lieblingsheld 
—  man  vergesse  nebenbei  nicht,  dass  der  Italiener  ein  Karlsdichter  war 
wie  der  mittelhochdeutsche  Genosse  —  sich  den  Ruhm  der  mithandelnden 
Personen  und  den  Dank  der  Leser  erwirbt.  Wir  stossen  hier  also  auf 
die  Kehrseite  der  Medaille:  während  in  der  ersten  Hälfte  unserer  Notizen 
die  rein  volkstümliche  Anschauung  über  die  dem  Menschen  offene  Möglich- 
keit, überirdische  halbgöttliche  Wesen  zu  bezwingen,  überwog,  hat  sodann 
die  litterarische  Gestaltung  des  Problems  sich  nicht  gescheut,  des  Effekts 
halber  Lichter  aufzusetzen,  die  des  Hörers  Gemüt  blenden  sollen,  wie 
Odyss  den  ungeschlachten  Herrn  auf  dem  exotischen  Ziegeneilaud,  Grosse 
Sorgfalt  nicht  allein,  auch  geschultes  Verständnis  gehört  dazu,  die  ur- 
sprünglichen, d.  h.  die  wirklich  volksmässigen  Bestandteile  solcher  fort- 
erbenden Erzählungen,  deren  Motive  im  Volksglauben  wurzeln,  richtig  und 
reinlich  loszulösen. 


1)  Wagners  Pamasso  italiano  continuato,  S.  28 f.;  Panizzis  Ausgabe  des  Bojardo  und 
Ariost,  II,  S.  111  ff. 

2)  Original-Ausgabe  seiner  Bojardo-Übersetznng,  Bd.  I,  S.  388;  jene  Strophen  s. 
deutsch  in  meiner  Nenausgabe  Yon  Gries'  deutschem  Bojardo  (Stuttgart  1895),  I,  S.  104  ff. 

3)  Eegis  in  seiner  Übersetzung  des  Bojardo  S.  337  weist  zu  I.  6,  52  das  Fortleben 
von  der  Zauberin  Circe  Verhältnis  zum  Helden  der  Odyssee  in  Circella  und  Dohs  auf  dem 
Wege  der  Volksfcradition  nach:  vgl.  Panizzi  a.  a   0.,  ü,  235 f. 

4)  ,rocchio  piccolino'  im  Original:  Regis  (S.  55)  ,von  kleinen  Augen'  übersah  es. 


Schlossar:  Kinderreiiiie  aus  Steiermark.  275 

Kinderreime  aus  Steiermark. 

Mitgeteilt  von  Antoii  Schlossar. 


Seit  vielen  Jahren  wiir  ich  ni^ben  meinen  übrigen  Sammlungen  und 
Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  der  Volkskunde  insbesondere  der  deutschen 
Steiermark  auch  bemüht  die  im  Lande  vorkommenden  Reime  und  Sprüche 
der  Kinder  zu  sammeln.  Dem  teils  im  Hause  und  in  meinem  Aufenthalts- 
orte, teils  auf  Reisen  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes  selbst  Auf- 
gefundenen wurde  reichliche  Vermehrung  durch  verschiedene  verlässliche 
Gewährsmänner  zu  teil,  welche  wie  in  anderer  Beziehung  so  auch  auf 
diesem  Felde  mir  freundliche  Unterstützung  gewährten. 

Wenn  ich  nun  hier  eine  Zusammenstellung  von  weit  mehr  als  hundert 
Nummern  vorlegen  kann,  so  verdanke  ich  dies  insbesondere  den  erwähnten 
Gewährsmännern,  von  denen  ich  die  hochw.  Herren  Pfarrer:  A.  Meixner 
in  Kirchberg  a.  d.  Raab  und  J.  Sehänzl  in  Schäffern,  sowie  die  Herren 
Lehrer  Carl  Reiterer  in  Dounersbachwald,  J.  Moser  in  Scharsdorf,  J.  Lux 
in  Mariazell  und  J.  Lerch  in  Anger  insbesondere  zu  nennen  und  ihnen 
zu  danken  mich  verpflichtet  fühle  Es  ist  kein  Zweifel,  dass  sich  diese 
Sammlung  bei  längerem  Abvrarten  noch  erheblich  vermehren  liesse.  Da 
nun  aber  doch  einmal  ein  Anfang  gemacht  werden  muss  und  die  Geltung 
der  Reime  und  Sprüchlein  von  mir  bis  auf  etwa  40  Jahre  zurück  nach- 
gewiesen werden  kann,  auch  für  etwaige  Nachträge  ja  immer  Gelegenheit 
geboten  ist,  so  hielt  ich  es  für  angemessen,  die  Zusammenstellung  deu 
Freunden  der  Volkskunde  nicht  länger  vorzuenthalten;  es  schien  mir  dies 
um  so  berechtigter,  als  eine  Sammlung  solcher  Kinderreime  aus  Steiermark 
in  grösserer  Zahl  bisher  noch  gar  nirgends  veröffentlicht  worden  ist. 
Rosegger  in  seinem  prächtigen  Buche:  „Das  Volksleben  in  Steiermark" 
(H.  Aufl.  Wien.  Hartleben  1888)  bot  wohl  einiges,  jedoch  eigentlich  doch 
nur  als  Verbrännmg  seiner  eigenen  Darstellung.  In  meiner  Sammlung: 
„Deutsche  Volkslieder  aus  Steiermark"  (Innsbruck.  Wagner.  1881)  nahm 
ich  Kinderliedchen  nicht  auf,  weil  ich  deren  noch  zu  wenig  hatte. 

Die  Litteratur  der  Kinderreime  und  -Liedchen  kann  ich  an  dieser 
Stelle  wohl  als  bekannt  voraussetzen,  wenigstens  soweit  es  sich  um  die 
wichtigeren  der  deutschen  Sammlungen  handelt.  Sie  alle  wären  bei 
näherem  Eingehen  zum  Vergleiche  beizuzieheu,  obenan  Simrocks  „deutsches 
Kinderbuch"  im  LX.  Bande  seiner  deutschen  A^olksbücher  (Frankfurt  a.  M. 
185H).  Allerdings  findet  sich  in  dem  genannten  Buche  zumeist  dem  nörd- 
licheren Deutschland  entstanmiendes  Material,  süddeutsche  Gebiete  sind 
weniger  berücksichtigt.  Die  gründlichen  Untersuchungen  von  Rochholz 
(Alemannisches  Kinderlied  und  Kinderspiel  aus  der  Schweiz.    Leipzig  1857) 


•27fi  Schlossar: 

sinrl  noch  immer  unübertroffen  auf  (lie;<em  Felde  und  werden  aucli  für 
manches  von  mir  gebofene  Stück  Erläuterung  bieten.  Granz  besonders 
möchte  ich  zur  Yergleichung  anregen  mit  den  Ländern,  welche  an  den 
deutschen  Teil  der  Steiermark  grenzen,  es  sind  dies  Salzburg.  Nieder- 
österreich und  Kärnten,  und  wären  in  dieser  Richtung  daher  die  Kinder- 
liedcheu  in  der  Sammlung  der  „Salzburgischen  Volkslieder  von  M.  V.  Süss" 
(Salzburg  1865),  die  „Spiele  und  Reime  der  Kinder  in  Österreich,  ges.  v. 
Th.  Vernaleken  und  F.  Brauky"  (Wien  1876),  die  bezüglichen  Liedchen 
in  Y.  Pogatschniggs  und  Em.  Herrmanns:  „Deutschen  Volksliedern  aus 
Kärnten."  IL  Band  (Graz  1869)  in  Betracht  zu  ziehen.  Was  Kärnten  be- 
trifft, so  möchte  ich  hier  auf  noch  eine  neue  Veröffentlichung  hinweisen, 
die  niemand  übergehen  darf,  der  sich  mit  diesem  Stoffe  beschäftigt.  F.^ 
ist  dies  die  vom  Lehrer  Balthasar  Schüttelkopf  im  oberen  Görtschitzthalf. 
am  Krapfelde  und  um  Ostei'witz  gesammelte  reiche  Zahl  solcher  Reime 
und  Liedcheu,  welche  der  Genannte  in  der  Zeitschritt:  _Neue  Carinthia" 
(red.  von  S.  Laschitzer),  Klagenfurt  1890,  p.  131  ff.  und  lül  ff.  fortgesetzt 
in  der  „Carinthia",  Klagenfurt  1891,  81.  Jahrg..  p.  23  ff.  80  ff  121  ff  157  ff 
und  82.  Jahrg.  1892,  p.  188  ff.  publiziert  hat,  wobei  i)isbesondere  auch  die 
Kinderspiele  eingehend  Berücksichtigung  erfuhren.  Dagegen  liat  sich  in 
einem  anderen  Grenzlande  Steiermarks,  in  Oberösterreich,  noch  leider 
keine  Persönlichkeit  gefunden,  welche  diesem  Stoffe  Aufmerksamkeit 
geschenkt  hätte,  wie  wir  ja  überhaupt  bis  heute  auch  keine  Zusammen- 
stellung der  oberösterreichischen  Volkslieder  besitzen,  wenn  man  von  dem 
schätzenswerten,  aber  doch  nur  kurze  Alpenlieder  bietenden  und  mehr  die 
musikalische  Riclitung  ins  Auge  fassenden  Buche:  „Die  österreichischen 
(d.  h.  oberösterreichischen)  Volksweisen",  gesammelt  von  Anton  R.  von 
Spaun,  Wien  1845  absieht.  Freudig  überraschen  muss  jedoch  die  Mit- 
teilung F.  M.  Böhmes  anlässlich  der  Herausgabe  des  grossartigen  „Deutschen 
Liederhortes"  aus  dem  Nachlasse  Ludwig  Erks.  der  soeben  vollständig 
erschienen  ist,  dass  ein  „Deutsches  Kinderbuch"  aus  demselben  Nachlasse 
als  eigenes  Werk  demnächst  an  die  Öffentlichkeit  fareten  soll.  Ist  doch 
dieser  „Liederhort"  selbst  ein  Werk  erstaunlichen  deutschen  Sammelfleisses 
und  man  kann  daher  auch  eine  Kinderliedersammlung  erwarten,  welche 
au  Reichhaltigkeit  alle  ähnlichen  unserer  Werke  überflügeln  dürfte. 

Noch  sei  mit  Bezug  auf  das  vorliegend  von  mir  Veröffentlichte  bemerkt, 
dass  jenes  am  Schlüsse  beigefügte  Scherzlied:  „Veitls  Reitrüstüng".  w-elches 
mir  vor  längeren  Jahren  von  Herrn  Dr.  lyudwig  Sprung  dankenswert  mit- 
geteilt worden  ist  und  das  im  Ennsthale  von  den  Kimleru  gern  gesungen 
wird,  so  manche  Varianten  auf  verschiedeneu  deutsehen  Gebieten  aufweist.') 


1)  Vgl.  Deutscher  LiederLort  von  Erk  und  Böhme.  Band  ITT.  No.  1753.  1754.  - 
Hoffmann  n.  Richter,  Schlesische  Volkslieder,  No.  261  mit  Anm.  —  v.  Ditfurth,  Fränkische 
Volkslieder  II,  No.  384, 


Kinderreime  aus  Steiermark. 


277 


Die  ganz  kurz  beigefügten  Krlänteruiigen  beziehen  sich  bloss  auf 
einige  besonders  im  nördlichen  Deutschland  wohl  weniger  oder  gar  nicht 
bekannte  mundartliche  Ausdrücke  und  wollen  keinen  weiteren  Anspruch 
erheben. 

Vermischte  Kinderreime  und  -verschen. 


1.    Hiazt  soll  i  oans  singen, 
Und  wenn  i  koans  kann, 
Sing  i  mit  d'  Heaner '), 
Aft  packt  lui  der  Hahn. 

(Donnersbrtchwald,  Ennstlial.) 

3.    Bin  i  al'  die  Alma,  Alma  ganga 
Hab  a  Pipahani  hani  g'fanga 
Pipahani  schreit  Pipi, 
Pipahani  jetzt  giix  di!     (St.  Martin 
bei  Graz,    auch  Obersteier    überhaupt.) 

5.    Reiter  sammt  Pferd 
Und  der  Sattel  is  leer, 
Hiazt')  möcht'  i  wissen 
Wo  der  Reiter  is  her! 
Bux  is  er  abig'falin.        (Ennsthal.) 


"2.    Eio  popeio 

Katzerl  lauft  in  Stei  o-'), 
Lauft  a  zottas  Hiuiderl  no, 
Beisst  'n  Katzerl  "s  Fuasserl  o. 

(Schäffern.) 

4.    Dort  inten  bei  der  Linden 
Thuns  Büschel  zsammbinden. 
Mit  Seiden  und  Gaden^) 
Und  türkischen  Faden. 

(St.  Martin.     Allgemein.) 

6.    Hop  hop  ho])  hop  Rösschen, 
Im  Walde  liegt  ein  Schlössehen, 
Im  Schlüsschen  liegt  ein  blanker  Saal, 
Da  hält  der  Giaf  sein  Hochzeitsmahl. 

(Graz.) 


7.  Patsch  Handerl  z'samnv,  patsch  Handerl  z'samni'! 
Was  wird  der  Papa  (die  Mama)  bringenV 

Rote  Schuh  mit  Mascherln  dran. 

Da  wird  die  (der) springen.  (Allgemem.) 

8.  Rührl,  rührl  hoassen  Brein '), 

Legn  mar  a  Trümmerl')  Bratwurst  drein.  '        (Allgemein.) 


9.    Menscharl  popo, 

Heunt  bin  i's  erstemal  do, 
Wann  i  no  amal  kimm '), 
Wir  i  gar  eini  spring. 

(Paltenthal.) 

1 1 .    Wart  a  bissei,  wart  a  bissei. 
Bleib  a  bissei  stehn, 
Der  Vater  is  schon  schlafen  gangen, 
Die  Mutter  wird  erst  gehn 

(Graz.     Allgemein.) 


10.    Regen,  Regen,  Tropfen, 

Die  Buama  muss  man  klopfen, 
Die  Mädeln  g'hörn  ins  Federbett, 
Die  Buama  g'hörn  in  Saudr  .  .  . 

(Paltenthal.     Allgemein.) 

12.    Roter  Apfel,  süassa  Kern, 

Gelt  du  Spitzbua,  hast  mi  gern. 
So  oan  Spitzbuam  wia  du  bist 
Findt  man  aufn  jeden  Mist. 

(Scharsdorf) 


13.  Wetz  wohl,  wetz  wohl,  hat  koan  Schneid; 
I  hab  oan  Buabn,  wohl  gar  oan  kloan"), 

I  schau  ma  no  um  um  oan.  (Scharsdorf) 

14.  ABC  Taferl  Schütz 

Gehst  in  d'  Schul,  kannst  no  nix.  (Ennsthal.) 


1)  Heaner  =  Hühner.    2)  Stei  o  =  den  Steig  hinab.    3)  Gaden  =  Garn.     4)  Hiazt  =  jetzt. 
i5)  Breiu  =  Hirse,     6)  Trümmerl  =  Stückchen.     7)  komme.      8)  uan  kloan  =  eineu  kleinen. 


278 


Schlossar; 


17. 


15.    Sechs  mal  sechs  is  sechsunddreissig, 
San  die  Buama  gar  recht  fleissig, 
San  die  Dirndl  gar  recht  dumm, 
Draht  der  Lehrer  's  Staberl  um. 


(Allgemein.) 


16.    Spaziern,  spaziern, 

Geh  leih  mir  dein  Dirn, 

Zan  Waschen,  zan  Backen,  zan  Kawasser ')  machen, 

Zan  Flicken,  zan  Trenn,  zan  Buda  Ausnehm' ^).    (Donnersbachwald.) 


Hotthotthott  Dieserlmonn,  18. 

's  Katzerl  hat  Stiefel  on, 
Fohr  ma's  über  Gmunden. 
A  kloan's  Kindel  hob  ma  g'funden. 
Der  Pfarrer  von  Laufen, 
Der  vvirds  taufen;  19. 

Wer  wird  Windel  waschen? 
'n  Pfarrer  sei  Tant,  die  Plaudertaschen. 
(Aussee,  Ennsthal.) 


20. 


22. 


's  steigt  a  Mäuserl 
Übers  Häuserl; 
Wo  wirds  rasten? 
Aufn  N.  N.  sein  Kasten. 

(Allgemein.) 


Waberl  wi,  Waberl  weh! 
Steign  die  Buam  um  d'  Kranabee  ■*). 
Lass's  nur  steigen,  lass's  nur  steigen, 
Wird's  der  Wind  wohl  abitreiben. 
(Donnersbachwald.) 


24.    Heita  pum  peita, 
Heita  so  so! 

Und  wennst  mir  nit  schlafen  willst 
Pritsch  i  di  o!  (Ennsthal.) 


26.    Die  Spirken*),  die  mirken. 
Die  Moasen'^),  die  zoasen. 
Die  Schwolbm  fliagn  über  die  Ulm. 
(Sulmthal.) 


Ziperde,  zaperde. 

Halt  a  weng  still, 

Wennst  alleweil  zappelst 

Hast  ja  koan  Hüll.  (Ebendort.) 

Lipperl,  Lapperl,  schau  di  an. 
Hast  ja  z'rissne  Hosen  an, 
Lipperl,  Lapperl,  lauf  davon, 
Du  verluist^)  dein  Hemat  schou. 

(Ebendort.) 


21.    Annamirl,  Zuckerschnürl, 
Geh  Tnit  mir  in'  Keller 
Um  a  Weinl,  um  a  Bierl, 
Um  ein'  Muskateller. 

(Graz.     Allgemein.) 

23.    Wawarl  wir,  Wawarl  wir, 

D'  Buama  steigen  ins  Kranabir. 
Loss  nur  steign,  loss  nur  steign, 
's  Wawerl  wirds  scho  oba  treibn. 
's  Wawarl  nimmt  an  Steckn, 
Thuat  die  Buama  schreckn, 
D'  Buama  frogn  nix  danoch, 
Kennen  all  da  Wawerl  noch. 

(Mariazeil.) 

25.    Heita  pumpeita, 

Mei  hascht  kropfets  Rind, 
Wennst  mi  nit  schlafen  lasst 
Streich  i  di  g'schwind.     (Ennsthal.) 

27.    Schlaf,  Kinderl,  schlaf. 
Dein  Vater  is  a  Graf, 
Dei  Muata  is  a  Bauerndirn, 
Sie  muass  ihr  Kinderl  selber  wiagn. 
Schlaf,  Kinderl,  schlaf. 
Dein  Vater  is  a  Graf.     (Allgemein.) 


1)  Kawasser  =  das  Käsewassr,  aus  dem  Topfen  gemacht  wud.  2)  Buda  Ausnehm 
=  Butter  ausnehmen.  3)  vcrluist  =  verlierst.  4)  Kranabee  =  Kronawetter  d.  h.  Wachholder- 
beeren.     5)  Spirken  =  Spatzen,  Sperhnge.     fi)  Moasen  =  Meisen, 


Kinderreime  ans  Steiermark. 


279 


29. 


32. 


34. 


28.    Morgen  wern  ma  auf  die  Alm  roasen, 

Giebt  uns  d'  Schwoagerin  Butter  und  Moasen  '), 

Butter  und  Moasen  sind  no  net  gnua, 

Saure  Suppen  g'hört  a  noch  dazua.  (Gegend  um  Hartberg!) 


Heidi,  nutz  heidi, 
Geh,  gib  mir  a  EidP\ 
Geh,  gib  mir  a  Schraatzl, 
Sonst  frisst  di  das  Katzl. 


30.    Hops,  hops,  hops, 

Fahr  ma  in  die  Stadt, 
Um  a  Seidel  Wein 
Und  a  Kipfel  drein. 


(Ennsthai.) 


(Allgemein.) 


31. 


Pantoffel,  Pantoffel, 

Der  Himmel  is  offen. 

Der  mir  was  giebt  kommt  ins  Himmelreich, 

Der  mir  nix  giebt  kommt  in  d'  Messerschneid.') 


Strohmandl,  Strohmandl, 
Thua  mir  nit  weh, 
Mach'n  grossen  Hupfer 
In  d'  Höh'!*) 

(Donnersbachwald.) 

Bauer,  henk  dein  Schimmel  an, 
Dass  er  mi  nit  beissen  kann, 
Beisst  er  mi,  klag  ich  die. 
Hundert  Thaler  zahlst  du  mi. 

(Ebendort.) 


(Donnersbachwald .) 

33.    Ei,  ei,  ei 

Singt  mei  Wei 

Was  snll  ich  kochen? 

Han  koa  Schmalz, 

Han  koa  Salz 

HäfcrP)  is  mir  brochen. 

(Paltenthal.) 

35.    Unsre  Katz  hat  Katzli  ghabt, 
Oans,  zwoa,  drei,  vier,  fünfi, 
Oans  hat  schwärzt  Pratzli  ghabt, 
Das  anneri  weissi  Schinkli. 

(Ebendort.) 


37. 


38. 


36.    Jikerl,  Jakerl,  schau  dich  an, 
Hast  ja  z'rissne  Hosen  an, 
Jikerl,  Jakerl  lauf  davon. 
Du  verlierst  dein  Hemat")  schon. 

Heut  hat  mir  tramt 

Die  Ratz  hätt  die  Milch  abg' rahmt. 

Der  Hund  hätt  g'rührt 

Und  der  N.  N.  hat  Butter  z'sammg'schmiert. 


(Donnersbachwald). 


(Irdning.     Ennsthai.) 


Hanserl,  zupfs  Ganserl,  steck's  Federl  am  Hut, 
Frau  Muada,  Frau  Muada,  die  Krapfen  san  gut. 
Wann  die  Frau  Muada  die  Krapfen  bacht, 
Is  er  der  erste,  der  zubi  tappt 'j. 
Wann  die  Frau  Muada  den  Stecken  nimmt, 
Is  er  der  erste,  der  bei  der  Thür  aussi  springt. 


(Mariazeil.) 


1)  Moasen  =  kleine  Stückchen  von  Butterresten.welche  die  Sennerin  erhält.  2)  Lieb- 
kosung des  Kindes.  3)  Während  das  Kind  dieses  Sprüchlein  an  ein  anderes  Kind  richtet, 
hält  es  sich  mit  der  linken  Hand  die  Augen  zu  und  dem  anderen  Kinde  die  offene  Rechte 
entgegen,  gleichsam  bittend,  man  möge  ihm  etwas  geben,  z.  B.  Brot,  einen  Apfel  oder 
dergl.  4)  Sprüchlein  der  Kinder,  wenn  sie  irgendwo  herabspringen.  5)  Häferl  =  Töpfchen. 
6)  Hemat  =  Heuid     7)  zu  tappt,  zugreift. 


280 


Schlossar: 


?!9.    Hopsa  Lieserl, 
Wart  a  bisserl, 
Bleib  a  bisserl  stehn. 
D'  Muetter  is  schon  schlafen  gangen, 
Der  Vater  muss  erst  gehn. 


(Allgemein.) 


40.    's  geht  a  Mannerl  über  d'Leiten '), 
Hat  a  KraxerP)  an  der  Seiten, 
Kimmt  a  grosser  Widder, 
Stosst  das  Mannerl  nieder, 
Kommt  a  kloane  Fledermaus, 
Hebt  das  Mannerl  wieder  auf. 
Dank  dir  Gott,  mei  Maus, 
Komm  du  morgen  in  mein  Haus, 
Gib  dir  Käs  und  Butter, 
Rnoll,  knoll, 
A  ganze  Pfann  voll.        (Ennsthal.) 

43.    Enters  Bach,  intcrs  Bach 
Sitzen  zwoa  Hasen, 
Der  oani  thuat  Zithern  schlag'n. 
Der  anderi  thuat  blasen. 

(Ebend.) 

4.'i.    Dort  oben  auf  dem  Bergerl, 
Wo  die  QuelTn  aussispritzt, 
Dort  tanzen  zwoa  Bauern, 
Dass  der  Kot  danniflitzt^). 


41.  Dort  enten')  bei  der  Mur 
Steht  a  kohlschwarzer  Bua, 
Er  that  si  gern  waschen, 
Is  's  Wasser  gar  z'ldoa. 

(St    Georgen  a.  d.  Stiefing.) 

42.  Dort  enten  beim  Bacherl, 
Dort  hamraerlt  a  Schmied, 
Hiarz  nimm  i  mein  Hammerl 
Und  hammerl  a  mit.       (Ebendort.) 

44.    Dort  oben  aufm  Bergerl  gugu. 
Sitzt  a  so  a  WutzeH)  wie  du. 
Geh  her,  du  liabs  Wutzerl  zu  mu- 
Und  mach  a  kloans  Tanzerl  mit  mir. 

(Ebend.) 


46.    In  Wald  bin 


janga, 


Hab's  Schlagerl  aufgricht, 
An  olt's  Weib  hab  i  gfanga. 
Dös  Ding  h:it  mi  gift. 


(Ebend.) 


47. 


A  neugebaut's  Häusel 
Mit  Lebzelt  eindeckt, 
Hiazt  kommen  die  Kinner 

Und  essen  es  weg. 


(Mariazell.) 


(St.  Georgen  a.  d.  Stiefing.) 


48.    Ziserlbam,  Ziserlbam 
Wachst  in  mein'  Garten, 
Wann  die  scheani  Liesel  kimmt, 
Sag  sie  soll  warten; 

Wann  sie  aft  wieder  kimmt. 
Sag  i  war  g'storben, 
Wann  sie  stark  weinen  thuat. 
Sag  i  kam  morgen.       (Allgemein.) 

•")('.    Beim  intern  Gries') 

Werd'n  d'Weinbeer  süss, 
Bei  der  obern  Lend^) 
Hats  der  Reif  verbrennt. 


49.    Gestern  ham  ma  Zwetschgen  g'habt, 
Heunt  Rleatzen*^)  ä, 
Is  das  nit  a  süassi  Speis, 
Trallalalalä. 

Gestern  is  a  Sunta  gwen, 

Heunt  halt  so  a  Ta, 

Gestern  ham  ma  Kleatzen  g'habt, 


Heunt  is  nix  da. 


(Stiefingthal.) 


Bei  der  Weinzerlbrucken 

Is  guat  abigucken, 

Wo  die  Mur  vorbeirinnt. 


(Graz.) 


1)  Leite  =  Bergabhang.  2)  Kraxerl,  Kraxe  =  eine  Trage  für  den  Rücken.  3)  enten 
=  drüben,  jenseits.  4)  Wutzel,  Wutzerl  =  Kosewort  für  Kinder.  5)  danniflitzt  =  uniher- 
spritzt.  6)  Kleatzen  =  gedörrte  Birnen-  und  Äpfelschnitten.  7)  (Jrics  =  das  sandige  Fluss- 
ufer.   8)  Lend  -  Landungsplatz 


Kinderreime  aus  Steiermark. 


281 


'51.    Diarndl  schau,  schau, 

Hiazt  kimnit  der  Wauwau, 

Hat's  Kraxerl  am  Buckel 

Und  vorn  eine  Sau  (Var. :  Und's  Pl'eiferl  im  Maul.) 


Hiazt  is  er  kemmen, 
Was  hat  er  mitbracht? 
A  Ringerl  äfs  Fingerl, 
A  Busserl  af  d'Nacht. 


Kathnna  bist  drina? 
Loss  mi  eini,  moch  auf, 
Mi  g-frirt  mi  mei  Pinga, 
A  SchneberP)  is  dräust. 

(Oberes  Murthal.) 


Das  Pfeifer!  is  brochen, 
Spricht  nimmer  lulehr. 
Das  Diamd  is  grandet'), 
Rimmt  nimmermehr  her. 
(Stiefingthal.     Erste  Strophe  allein  allgemein.) 

5;i    Stieglitz  musst  nit  krank  sein. 

Ich  schmierdir'nBauch  mitBranntwein, 
Ich  schmierdir'nBauch  mitPl'etferkern, 
Wird  schon  wieder  besser  wem. 
(Paltenthal.) 


.')J.    Inten  im  Edli')  thuts  Läberl  rauschen. 

Kimm  mein  Habs  Schätzer!,  thu  mr  Ilerzerl  lauschen. 


(Paltenthal.) 


Dort  enten  im  Graben, 
Dort  sitzen  a  Paar  Tauben, 
Oani  thuet  Wasser  trag'n, 
Da  andri  thuet  klauben. 

(Obersteiermark  allgemein.) 


56.    1  woas  nit  was  die  Annern  thoan, 
Dass  sie  allwei  so  scheani  Parier')  han, 
Bei  mir,  bei  mir 
San  sie  allweil  zäun  dürr. 

(St.  Georgen  a.  d.  Stiefing.) 


57.    Es  reiten  drei  Schneider  über  d'  Radkersburger  Brücken 

Und   tragt  a  jeder  an  Rossbraten  am  Rucken.  (Ebend.) 


58.  Unsa  Annamirl  kocht  das  Brennkoch  ^), 
Wie  das  Brennkoch  halt  ist, 

Muass  äner  a  guati  Goschen  haben, 
Der  das  Brennkoch  gern  frisst. 

59.  Mach  Binkerl'X  mach  Sack, 
Muess  wandern,  muess  weg. 


(Ebend.) 


(Ebend.) 


60.    I   hin  a  kloans  Binkerl 
Und  stell  mi  ins  Winkerl 
Und  wann  i  nix  kann, 
So  schaut  mi  niemd')  an. 
(Var. :  Und  weil  i  nix  kann, 
So  fang  i  nix  an.) 


(Allgemein.) 


62.    Heut  bei  der  Nacht 
Bin  ich  erwacht 
Da  hat  mir  der  Engel 
A  Botschaft  bracht. 


61.    Kloan  bin  i,  kloan  bin  i. 
Gross  will  i  nit  wern. 
Schön  munket  und  punket") 
Wi  a  Haselnusskera. 

(Mariazeil.) 

I  denk  hin  und  her 
Was  denn  das  für  a  Botschaft  war. 
Endlich  fallt  mir  ein, 
Dass  heut  dem  N.  N.  sein  Tag  thuat 
sein.»)         (Ennsthal.) 


1)  grandet  =  missniutig.  2)  Sclmeberl  =  Dimin.  von  Schriee.  3)  Edli  =  Erleuhain. 
4j  Farler  =  Ferkel.  5)  Brennkoch,  eine  landesübliche  Mehlspeise.  6)  Bündel.  7)  niemd 
=  niemand.    8)  kurz  und  dick.    9)  Ein  Gratulationsverschen  für  Kinder. 


282 


Schlossar: 


63. 
(Abzählen  der  Finger  eines  Kindes,  beim  Daumen  beginnend;) 
Der  Bauer  is  in  Bach  g'fallen, 
Der  Knecht  hat'n  aussazogen, 
Die  Dirn  hat'n  hoamtroagen, 
Die  Bäurin  hat'n  niederg'legt 
Und's  kloane  "Wuzerl  hat'n  gar  versteckt.  (Allgemein.) 

64. 
(Wie  das  vorige.) 
Das  ist  der  Daumen, 
Der  schüttelt  die  Pflaumen, 
Der  klaubt  sie  auf. 
Der  tragt  sie  nach  Haus, 
Und  der  kloane  isst  sie  alle  auf.  (Allgemein.) 


Auszähl verse    und    -reime. 


1.    Es  ging  ein  Mann  in  Garten, 

Im  Garten  war  ein  Haus,  2. 

Im  Haus  da  war  ein  Tisch, 

Drauf  lag  ein  bratner  Fisch, 

Ein  bratner  Fisch  lag  drauf, 

Den  ess  ma  leisara ')  auf. 

Wer  ist  von  euch  dabei? 

Eins,  zwei,  drei  —  du  bist  frei! 

(Ennsthal.) 

.    Eins,  zwei,  drei,  pigapogapei,  4. 

Pigapoga  Besenstiel, 
Und  der  letzte  hat  das  Spiel. 
Witz,  wutz  —  aussig'stutzt. 

(Untervogau.     Graz.) 


5.    Eins,  zwei,  drei,  pigapoganei 
Pigapoga  Hobathurn, 
Zehni  Kinder  sein  geborn. 
Liegt  der  Fisch 
Aufn  Tisch, 

Kimmt  die  Katz  und  frisst'n  Fisch, 
Kimmt  der  Keilner  mit  der  Taschen 
Giebt  der  Katz  a  bravi  Flaschen') 
Witz,  wutz,  aussig'stutzt.     (Anger.) 

7.    Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf, 
Strick  mir  ein  paar  Strumpf, 
Nicht  zu  gross  und  nicht  zu  klein. 
Sonst  bist  du  ein  Eselein.  •") 

(Irdning-Ennsthal.) 


6. 


Egati,  pegati  Tintenfass, 

Geh  in  d'  Schul  und  lerne  was, 

Wenn  du  was  gelernet  hast 

Komm  zu  mir  und  sag  mir  was. 

Wix,  Wux, 

Aussig'stutzt. 

(Schäffern.) 

Eins,  zwei,  drei,  piggapaggahei, 
Piggapagga  Besenstiel, 
Sitzt  ein  Mannerl  auf  der  Mühl', 
Hat  ein  stäubers 0  Hüterl  auf, 
Um  und  um  san  Federn  drauf! 

(Donnersbach  wald.) 

Eins,  zwei,  drei, 

Auf  der  Polizei 

Ist  ein  kleines  Kind  geboren; 

Wie  soll  es  heissen, 

Karl  oder  Rumpeltaschen? 

Wer  wird  die  Windel  waschen? 

Ich  oder  du. 

Die  grösste  Sau  bist  du. 

(Anger.J 

Eins,  zwei,  drei,  geh  nur  schnell 
Zu  der  Muada  um  a  Mehl, 
Vier,  fünf,  sechs,  du  bleibst  da 
Und  fängst  uns  a. 

(Ennsthal.) 


1)  leisam  =  es  ist  gleichsam  am  besten.    2)  stäubers  =  bestäubtes.    3)  Flaschen  =  eine 
Ohrfeige.    4)  [Var.:  Sonst  wirst  du  der  Fänger  sein.    (Mariazell.)J 


Kinderreime  aus  Steiermark. 


283 


9.    Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben, 
Ein  altes  "Weib  kocht  Rüben, 
Ein  altes  Weib  kocht  Speck, 
Eines  muss  jetzt  davon  weg.  (Allgemein.) 

10.  Ein,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  siebn. 
Der  Schneider  liegt  im  Hausstall  drin'; 
Lass  ihn  lieg'n,  lass  ihn  lieg'n, 

Den  verdankten  Pfifferling.  (Scharsdorf.) 

1 1 .  Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben. 
Da  Grabenbauer  hat  sein  Weib  vertrieben, 
Grabenbauer  hin,  Grabenbauer  her. 

Der  Grabenbauer  kriegt  sein  Weib  nit  mehr.  (Anger.) 

12.  Eins,  drei,  fünf,  sechs,  sieben,  acht, 
Der  muss  naus,  der  da  lacht; 
Neun,  zehn,  eilf,  zwölf  und  dreizehn. 

Geh  hin  am  Korn,  geh  hin  am  Weizen.  (Ennsthal.) 


13.    Ini  ani  türkitani 
Ti  wi  compani 
Pfefferracker 
Tiki  taker, 
Hei  wi  wum. 
Du  bist  dumm. 


14.    Anggerle,  Wanggerle, 
Zeggerle  buh, 
Draggerle,  Waggerle 
Dräust  bist  du. 


(Ennsthal.) 


(Graz.) 


15.    Angerli  Wangerli, 
Ziggerli  bu, 
Ergeli  Wergeli, 
Neunter  bist  du. 

(St.  Stefan  im  Rosonthal.) 


16.    Angger,  Wangger, 
Digger,  Dangger, 
Digger,  Dagger 
Mosmeragger, 

Ora  —  wia  —  waschbach  —  wum! 
(Ennsthal.) 


17.    Anger  Wauger 
Tigger  Tangei-, 
Sia  wia  Kumpernia, 
Wira  wara  Wia  wum. 


Anggerle,  Wanggerle,  schlag  nii  nit. 
Kraut  und  Suppen  mag  i  nit, 
Backne  Fisch,  die  ass  i  gern. 
So  wird  da  Herr  bedienet  werd'n. 
Kropfeter  Hahn,  spring  mi  an, 
Achti,  neuni,  aussithan!   (Ennsthal.) 

Hammer,  Hammer,  schlag  mi  nit, 
Kraut  und  Bohnl  mag  i  nit, 
ßratne  Fisch,  die  ass  i  gern. 
Trau  mi  nit  vor  meinen  Herrn; 
Herr  sitzt  im  Garten, 
Spielt  sich  mit  die  Karten, 
Kommt  der  Gigatz  Gogatz  Mann, 
Jaigt')  die  Hühna  all  davon. 

(Scharsdorf.) 


(Donnersbachswald.) 

19.    Variante: 

Kraut  und  Ruabn  —  Kloane  Fischin 
Trau  mi  nit  vor  meinen  Herrn, 
Bix  bax  krumpen  Fuass, 
Ganer  is  der  aussi  muass. 

(Faltenthal.) 

"21.    Ederweder,  Fingerhuat, 

Stirbt  der  Bauer  auf  sein  Guat, 
Stirbt  die  Bäuerin  a  zugleich, 
Gengen  d'  Engerl  mit  der  Leich. 
Eins,  zwei,  drei. 
Du  bist  frei! 

(Ennsthal.) 


1)  Jaigt  =  jäukt,  jagt. 


284 


Schlossar : 


22.    Petrus  ging  in  Garten, 

In  dem  Garten  war  ein  Baum, 
In  dem  Baum  war  ein  Loch, 
In  dem  Loch  war  ein  Nest, 
In  dem  Nest  war  ein  Ei. 
Eins,  zwei.  drei,  jetzt  bist  du  frei. 
(Scharsdorl'.) 


25. 


29. 


.'52 


23.    Schuster  Peter  flick  ma  oan  Schuah, 
's  Leder  gib  i  selbst  dazua, 
Is  kein  Schuster  in  der  Stadt. 
Der  a  solches  Leder  hat. 
Unsre  Dirn  is  schriftgelehrt. 
Weiss  nicht  wem  das  Leder  g'hört. 
G'hjrt  nüt  dein,  g'hört  not  mein, 
Müss'n  Alle  bei  einander  sein. 

(Ebendort.) 


24.    Vater.  Mutter  kaufen  Birn, 
Fallen  unterwegs  aufs  Hirn, 
Schütten  alle  Birn  dann  aus 
Eins,  zwei,  drei,  du  bist  jetzt  draus. 


(Enn.sthal.) 


Ene,  bene, 
Dunke,  munke. 
Abe  schnabe, 
Dicke  dacke, 
UUe  bulle, 
Reiter  Ross, 
Du  bist  jetzt  los. 

(Donnersbach  wakl.) 

Asel,  wasel, 
Thomas  Glasel, 
Wiz,  wuz 
Aussig'stutzt. 

(Paltenthal.    Allgemein.) 

Um  und  um  Wiigel, 
Im  Summa  flieg'n  d"  Vögel, 
D'  Vögel  fliegn  im  Summa, 
Der  Bauer  der  geht  umma. 
Umma  geht  der  Bauer, 
D'  Milli  wird  schon  sauer. 
Sauer  wird  die  Mill", 
Die  Katz  frisst  immer  viel, 
Viel  frisst  immer  d'  Katz, 
Scher  dich  aussi  schiacher-)  Fratz. 
(Irdning.) 

31.    Der  Hansel  ist  in  Garten  gangen. 
Wollte  kleine  V'öglein  fangen, 
D'  Vöglein  flogen  alle  fort. 
Der  Hansel  aber  sagt  kein  Wort, 
Geht  nach  Haus, 

(Auszählvers  beim 

's  Püchslein  wollte  Vögel  fangen. 
Ist  dann  in  den  Wald  gegangen, 
D'  Vögerln  flogen  alle  fort. 


2G.    Matzl,  Katzl, 

Gib  mirs   Pratzl: 
Nutzl,  wutzl, 
Hast  an  Zuzcl?') 
Eins,  zwei,  drei, 
Du  bist  frei! 


(Ennsthal.) 


"28.    Disel,  dusel,  dasei.  Tag-, 

Soll  nii  fangen,  wer  da  mag, 

Disel,  dusel,  dasei,  Tag, 

Du  gehst  hiaz  weg!         (Ennsthal.) 


•lO.    Rauber  i,  Pandiir  du. 

Laiifst  in  Wald  und  spielst  Gugu. 

Spring  dir  nach 

Und  will  dich  fangen, 

Dass  man  kann 

Den  Rauber  hangen. 

Eins,  zwei,  drei. 

Du  bist  frei. 
(Auszählvers   beim  „Räuber  und  Fandur" 
Spiel.     Ennsthal.) 

Fangt  a  Maus, 

Wirft  sie  dann  dem  Katzerl  für. 
"s  Katzerl  springt  dann  aus  zur  Thür 
Eins,  zwei,  drei  tux, 
Du  bist  der  Fuchs. 
„Fuchs  und  Hühner"  Spiel.     Ennsthal.) 

's  Füchslein  blieb  allein  am  Ort. 
Eins,  zwei,  drei, 
Du  bist  frei. 


(Auszählvers  beim  „Fuchsspiel'".     Ennsthal.) 


1)  Zuzel  =  gefülltes  Säugläppchen  für  Kinder.        2)  schiach  =  hiisslich.  garstig. 


Kinderreime  aus  Steiermark.  285 

33.    Adam  ist  in  Garten  gangen,  34.    Beim  Angerln,  beim  Fischen, 

Weil  er  wollte  Vöglein  fangen.  Wer  wird  nü  erwischen? 

Eins,  zwei  drei,  Beim  Ringa  und  Springa, 

Du  bist  frei.                     (Ennsthal.)  Wem  wird  es  gelingaV 

Beim  Sigel,  beim  Sagel, 

35.    J  und  du  Beim  Hulzbirnbambaum, 

Müllers  Ruh,  Du  gehst  hiaz  wek, 

Müllers  Esel,  Du  bist  mein  Mann! 

Der  bist  du.                          (Anger.)  (Donnersbaclnvald.) 

Verse  bei  Kinderspielen  und  dergleichen. 

Beim  Blinde  Maus  Spiel  (anderwärts  Blinde  Ruhspiel.) 
Von    mehreren  Kindern    werden    dem    einen   die  Augen  verbunden  und  dasselbe  wird  von 
einem  Ausführer   gegen    die  Zimmerthür   geführt,    dal)ei   sprechen   der  Ausführer  und  die 

blinde  Maus: 

Blinde  Maus,  i  fühi-  di  aus.  Greif  zan  Boden. 

Wohin?  Is  koan  da. 

Ins  Hochzeithaiis  Was  hast  gfunden? 

Was  thuen?  Schuehschnallen. 

Suppen  essen.  Lass  allen  D  .  .  .  .  durchfallen. 

Han')  koan  Löffel.  (St.  Georgen  a.  d.  Stiefing.) 

Beim  Spiel:  Übern  Semmering  fahren. 
Die  Spielgesellsehaft  singt  folgende  Reime  und  hört  vor  dem  letzten  Worte  plötzlich  auf. 

Wer  fehlt  giebt  ein  Pfand. 
Hirz  fahrn  ma  übern  Semmering, 
Hirz  fahrn  ma  übern  See 
Mit  einem  hölzern"  Löffel, 
Löffel,  Lüilel,  Löffel, 
Mit  einem  hölzern (Leoben.) 

Beim  Bindel  bandel  Spiel. 
Der  den  Plumpsack  um  den  Kreis  herumtragende  spriclit: 
Bindel  bandel  umatrageu'^), 
Wer  hintri  schaut  wird  aufft  g'schlagen. 

(St.  Georgen  a.  d.  Stiefing.) 

Beim  Leih  mir  die  Scheer  Spiel". 
Schneider  leih  mer  d'  Schär, 
Sie  geht  net  lär, 
Leih  ma  dei  Rumpelfass, 
Scher  di  umi  boss.  (Ober-Murthal.) 

Beim  sog.  Grillen-  und  Schneckenbannen. 
Beim  Grillenliannen  stiert  das  Kind  während  des  Sprechens  mit  einem  Grashalm  im 

Grillenloclie. 

Grill,  Grill,  komm  heraus, 
Vater  und  Mutter  is  nit  zu  Haus. 

Grill,  Grill,  komm  heraus, 

Sunst  brenn  ich  an  dein  Hof  und  Haus. 


l)  han  =  habe.        i}  umatragen  =  herumtrageu. 


286 


Schlossar: 


Schneck,  Schneck  kumm  heraus, 

Zeig  mir  deine  Uirn  heraus.  (Stieflngthal.) 

Schneck,  Schneck  zeig  die  Hörn, 

Kriegst  dann  Brot  und  Haferkern.  (Ennsthal.) 


Beim  Plumpsackspiel: 
Schauts  nit  um,  schauts  nit  um, 
's  geht  a  schwarzes  Mauderl  um. 
Hat  Weinberl  und  Zibeben 
Und  wird  euch  Schlag-  brav  geben. 
(Ennsthal.) 


Ein  anderes  beim  Plumpsackspiel: 
Hast  von  mir  nit  Spazi '), 
Kriegst  von  mir  an  Schlag, 
Vizi,  Vuzi,  Vazi, 
Weisst,  weil  i  dich  mag. 

(Ennsthal.) 


Beim  Katz  und  Mausspiel: 
Bin  der  Bruder  Um  und  um, 
Fang  die  Mausl  rings  herum, 
Mäuslein  lauf,  Mauslein  lauf. 
Sonst  frisst  dich  das  Katzeil  auf. 


(Ennsthal.) 


Beim  Tanzspiel: 


Die  Steirer  sein  lustig. 

Die  Steirer  sein  froh, 

Sie  machen  gern  a  Tanzerl 

Und  tanzen  so  und  so  (Tanz). 

Z'erst  dreht  sich  das  Weiberl. 


Dann  droht  sich  der  Mann. 
Sie  fassen  die  Hände 
Und  tanzen  mitsamm ! 
Tralalala,  tralalala! 

(Tanz  im  Kreise.) 

( Donnersbach  wald.) 


Beim  Reigen: 
Florian,  Florian 
Lebet  sieben  Jahre, 
Sieben  Jahre  sind  schon  um 
Und  die  goldne  N.  N.  dreht  sich  um. 
Die  goldne  N.  N.  hat  sich  umgedi'eht. 
Hat  den  grünen  Kranz  gedreht 
Florian,  Florian  etc.  (wie  oben  bis  dreht  sich  um). 

'2.   Gestern  hab  ich  Kegel  schieb'n, 
Is  mir  a  Kreuzer  über  bliebn, 
Kreuzer  hab  ich  Bauer  geb'n, 
Bauer  hat  mir  Körndl  geb'n, 
Körndl  hab  ich  'n  Müller  geb'n, 
Müller  hat  mir  Mehl  geb'n, 
Mehl  hab  ich  'n  Bäcker  geb'n, 
Bäcker  hat  mir  Wecken  geb'n, 
Wecken  hab  ich  der  Mutter  geb'n, 
Mutter  hat  mir  Krapfen  geb'n, 
Krapfen  hab  i  'n  Vater  geb'n, 
Vater  hat  mir  Staberl  geb'n, 
Staberl  hab  i  '^  Lehrer  geb'n, 
Lehrer  hat  mir  Patzen-)  geb'n, 
Patzen  hat  mi  brennt. 
Bin  aus  der  Schul  gerennt. 


1)  Spazi  =  Furcht.        2)  Patzen  =  Schläge  auf  die  Hand. 


Kinderreime  aus  Steiermark. 


287 


3.    Morgen  steh  ich  früh  auf, 
Ti-eib  die  Schaf  und  Ivüh  aus, 
D'  Schaf  über  die  Mauern. 
Aft  komm  i  zu  an  Bauern, 
Bauer  giebt  mir  Hafer, 
Hafer  gib  i  'n  Padl '), 
's  Padel  giebt  mir  Borsten, 
D'  Borsten  geb  i  'n  Schuster, 
Schuster  giebt  mir  Stiefel, 
D'  Stiefel  gib  i  'n  Herrn, 


Ringa,  ringa  reia, 

San  ma  unser  dreia, 

Steign  mir  af'n  Hollerbam^), 

Es  ma  lauter  Milch  und  Rahm, 


Herr  giebt  mir  Kreuzer, 

Kreuzer  gib  i  'n  Back, 

Der  Back  giebt  mir  Semmel, 

D'  Semmel  gib  i  d'  Muata, 

D'  Muata  giebt  mir  Krapfen, 

D'  Krapfen  gib  i  'n  Fuhrmann, 

Der  Fuhrmann  lasst  mi  reiten 

Bis  nach  Frohnleiten, 

Dort  wirft  er  mi  auf  d'  Seiten. 

(Donnersbachwald.) 

Beim  Ringel  Reien  Spiel. 

Milch  und  Rahm  is  teuer, 
Supperl  steht  beim  Feuer, 
Supperl  geht  schon  über, 
Hupferl,  hupferl  nieder. 

(Ennsthal.) 


2.   Ringa,  ringa  reia 
San  ma  unser  dreia, 
Sitz  ma  af'n  Hollerbara, 
Schaun  ma  ob  der  Niklo^)  net  kam.  (Palteuthal.) 

3.    Ringa,  ringa  rosa, 
Schöne  Aprikosa, 
Veilchen  und  'Vergissmeinnicht, 
Und  alle  Kinder  setzen  sich. 

Mit  den  Händen  klatsch,  klatsch,  klatsch  (klatschen). 
Mit  den  Füssen  Trab,  trab,  trab  (trappen) 
Du  g'hörst  mein,  ich  g'hör'  dein, 
Morgen  soll  die  Hochzeit  sein.  (Ennsthal.) 

Kinder Spruch: 
Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm', 
Begegnet  ihm  a  Henn. 
„Ha  Henn,  was  giebst  denn  du  dazu?" 
I  gib  mein'  Zipf  dazu. 

Hehnerzipf, 

Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch. 
Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm', 
Begegnet  ihm  a  Hahn, 
„Ha  Hahn,  was  giebst  denn  du  dazu?" 
I  gib  mein'  Kamm  dazu. 

Hahnenkamm,  Hehnerzipf, 

Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch. 
Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm'. 
Begegnet  ihm  a  Has'. 
„Ha  Has',  was  giebst  denn  du  dazu?" 
I  gib  mein'  Schwanz  dazu. 

Hasenschwanz,  Hahnenkamm,  Hehnerzipf, 

Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch. 


1)  Padl  =  aus  Pari,  Ferkel.    2)  Hollerbam  ^  Hollunder  (Sambucus).    3)  Niklo  =  Nikolaus. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volliskunde.    WJi.  20 


288  Schlossar:  Kiiulerreime  ans  Steiermark. 

Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm', 
Begegnet  ihm  a  Fuchs. 
,jHa  Fuchs,  was  giebst  denn  du  dazu?" 
I  gib  mein  Tanz  dazu. 

Fuchstanz,  Hasenschwanz,  Hahnenkanim,  Hehnerzipf, 

Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch. 

Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm', 
Begegnet  ihm  a  Ross. 
„Ha  Ross,  was  Riebst  denn  du  dazu?" 
l  gib  mein  Rucken  dazu. 

Rossrucken,  Fuchstanz,  Hasenschwanz,  Hahnenkamm,  Hehnerzipf, 

Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch. 

Schneider  macht  'n  Kittel  z'samm', 

Begegnet  ihm  a  Kapuziner. 

„Ha  Kapuziner,  was  giebst  denn  du  dazu?" 

I  gib  mein  Kutten  dazu. 

Kapuzinerkutten,  Rossrucken,  Fuchstanz,  Hasenschwanz,  Hahnen- 
Schöner  Kittel,  du  bist  hübsch.  [kämm,  Hehnerzipf, 

(Ennsthal.) 

Veitls  Reitrüstung. 

Unser  Knecht  der  Veitl, 

Der  will  a  Reiter  wer'n; 

Hat  er  d'r  kaan  Sattel  nit. 

Wie  soll  er  aner  wcr'n? 

Nimmt  sein'  Mueter  d'  grosse  G'spatel ') 

Macht  'n  Veitl  drauss  an  Sattel  — 

Veitl  hiez  kannst  reiten, 

Reit,  Veitl,  reit. 

Unser  Knecht  der  Veitl,  Unser  Knecht  der  Veitl, 

Der  will  a  Reiter  wer'n;  Der  will  a  Reiter  wer'n. 

Hat  er  d"r  kaan  Säbel  nit.  Hat  er  d"r  kaan  Stiefel  nit, 

"Wie  soll  er  aner  wer'n?  Wie  soll  er  aaner  wer'n? 

Nimmt  sein'  Mueter  d'  Ofengabel  Nimmt  sein'  Mueter  d'  Rührkübei 

Macht  'n  Veitel  draus  an  Säbel  —            Macht  'n  Veite!  draus  au  Stiefel  — 

Veitl  hiez  etc.  Veitel  hiez  etc. 

Unser  Knecht  der  Veitl,  Unser  Knecht  der  Veitl, 

Der  will  a  Reiter  wer'n.  Der  will  a  Reiter  wer'n, 

Hat  er  d'r  kaan  Mantel  nit.  Hat  ja  kaane  Handschuech  nit, 

Wie  soll  er  oaner  wer'n?  Wie  soll  er  aaner  wer'n? 

Nimmt  sein  Mueter  d'  Stubenthür  Nimmt  sein  Mueter  'n  haassen  Brein, 

Henkts  'n  Veitel  hinten  für  —  Steckt  'n  Veitel  d'  Bratzen  drein  — 

Veitl  hiez  etc.  Veitl  hiez  etc. 

(Ennstlial  und  Murthal.) 


1)  Gspatel  =  Schachtel. 


Amalfi:  Eine  Nuvellette  des  Vottiero  in  littiu-arischeu  und  volkstümlichen  Passungen.     1*89 

Eine  Novellette  des  Vottiero  in  litterarisclien  und 
volkstümlichen  Fassungen. 

Von  Dr.  Gaetauo  Ainalfl. 

Nicola  Vottiero  erzählt  in  st'incin  im  Dialekt  goschriebenen  Galateo 
Napolitauo*)  wie  folgt: 

„  .  .  .  .  Ein  Mann  kaiifte  sich  eine  Amsel.  Seine  Frau  aber  sagte, 
als  sie  dieselbe  sah,  es  sei  ein  Weibchen  und  könne  nicht  singen.  Der 
Mann  erwiderte  darauf:  „Es  ist  ein  Männchen!"  Und  sie:  „Es  ist  ein 
Weibchen!"  Endlich  versetzte  der  Mann  ihr  einige  tüchtige  Schläge;  aber 
sie  behauptete  steif  und  fest,  es  sei  ein  Weibchen.  Er  band  sie  mit 
einem  Stricke  fest,  und  sie  wiederholte,  es  sei  ein  Weibchen  Er  warf  sie 
in  den  Brunnen,  und  sie  wiederholte  doch:  „Es  ist  ein  Weibchen."  Er 
warf  sie  in  das  tiefste  Wasser,  so  dass  nur  noch  der  Kopf  heraus  sah  und 
fragte  sie:  „Entweder  sagst  Du,  dass  es-  ein  Männchen  ist,  oder  ich  ertränke 
Dich."  Und  sie  bestand  darauf:  „Es  ist  ein  Weibchen!"  Er  stiess  sie  init 
dem  Kopf  unter  das  Wasser,  so  dass  nur  noch  die  Hände  heraus  sahen  und 
fragte  noch  einmal:  „Ist  es  ein  Männchen  oder  Weibchen?"  Und  sie  bog 
den  Zeigefinger,  als  ob  sie  hätte  sagen  wollen,  dass  es  ein  Weibchen  sei. 
So  liess  sie  denn  der  Mann  in  dem  Brunnen  ertrinken  und  zog  sich  dieses 
Unglück  auf  den  Hals." 

Die  Geschichte  ist  im  Volke  sehr  verbreitet.  Wenn  man  von  dem 
Eigensinne  irgend  eines  Menschen  spriclit,  dann  deutet  man  oft  auf  die 
Frau,  welche  mitten  im  Brunnen  „Scheere,  Scheere"  (forbici,  forbici!)  rief, 
wie  eine  Variante  unserer  Erzählung  berichtet.  Aber  nur  sehr  wenige 
ahnen,  dass  die  Geschichte  keinen  lokalen  Hintergrund  hat,  sondern  sich 
eines  ziemlich  alten  Ursprungs  rühmen  kann.  Es  sei  mir  gestattet,  meine 
Behauptung  zu  beweisen. 

In  dem  Annuaire  des  traditions  populaires  (Paris  1888,  Jahrg.  III 
S.  19)  findet  sich  eine  russische  Geschichte,  übersetzt  von  Leon  Sichler, 
La  femme  entetee,  welche  eine  Variante  der  unsrigeu  ist  ^) 

Der  Mann  hat  sich  den  Bart  abrasiert  und  die  Frau  behauptet,  er 
liabe  ihn  sich  nur  abgeschnitten,  und  hieraus  entspinnt  sich  der  Streit. 
Die  Frau  bleibt  bei  ihrem  Eigensinn    „ne  peut  plus  parier;  mais  eile 


1)  Neapel  1789,  Porcclli,  S.  112  f.,  No.  98  „'Ncocciare".  Edit.  Chiurazzi  1879,  S.  98  f. 
No.  99.  Eine  biographische  Notiz  daraus  findet  sich  ia  Martorana  Notizie.  Neapel  1874. 
S.  416. 

2)  Mau  vergleiche  hiermit  das  Journal:  La  vie  Franco-Eusse  illustree,  No.  VI.  24. 
III.  1888. 

20* 


290  Amalfi: 

leve  Tille  main  hors  de  l'eaii  et  avec  deux  doigts  fait  signe,  qua 
c'est  tondu"  (sie  kann  nicht  mehr  sprechen,  aber  sie  hebt  noch  eine 
Hand  aus  dem  "Wasser  heraus  und  macht  mit  zwei  Fingern  das  Zeichen, 
dass  er  mit  der  Scheere  abgeschnitten  sei). 

Eine  andere  Variante  steht  in  den  Facezie  von  Poggio  Fiorentino 
(Rom.  Sommaruga  1884,  S.  64-65,  No.  LVni): 

„Von  einer  eigensinnigen  Frau,  welche  ihren  Mann  „lausig"  nannte." 
Die  Geschichte  ist  dieselbe.  „Als  auch  sie  im  Begriffe  war  zu  ertrinken 
und  nichts  mehr  mit  der  Stimme  vermoclite.  drückte  sie  sich  noch  mit 
dem  Zeigefinger  aus.  Sie  hob  die  Hände  über  den  Kopf,  und  presste  die 
Daumuägel  zusammen,  als  ob  sie  damit  die  Läuse  ihres  Mannes  knicken 
wolle." 

Auch  Federico  Mistral  berichtet  eine  gleiche  Geschichte,  die  man  ihm 
folgendermassen  erzälilt  hat'): 

Die  Frau  wiederholt  immerwährend:  poui Ileus!  Der  Mann  wirft  sie 
umsonst  in  den  Brunnen  .  .  .  La  noyee  reunit  les  malus  en  l'air,  et 
ne  pouvant  lancer  le  mot  fatal,  eile  faisait  le  gesto  d'ecacher 
entre  ses  ongles.  (Die  Ertrinkende  vereint  ihre  Hände  in  der  Luft, 
und  da  sie  das  verhängnisvolle  Wort  nicht  mehr  ausstosseu  kann,  macht 
sie  die  Bewegung  des  Zerquetschens  mit  den  Nägeln.)  Aber  der  Mann, 
der  im  Grunde  ein  guter  Kerl  ist,  zieht  sie  schliesslich  heraus. 

Es  fehlt  nicht  an  anderen  Parallelen,  wobei  ich  mich  auf  das  beziehe, 
was  Bedier  gesagt  hat  in  seinen  Les  Fabliaux  etc.  (Paris,  Bouillon,  1893, 
S.  19f.):  auf  die  Revue  des  patois  gallo-romans,  1888,  Band  H,  S.  288; 
Blade,  Contes  popul.  de  la  Gascogne,  Band  HL  S.  284  und  Contes 
populaires  recueilles  eu  Agenais,  Paris,  Baer,  1874,  S.  42,  mit  ver- 
gleichenden Anmerkungen  von  R.  Köhler:  „La  femme  mechante".  Eine 
deutsche  Variante  findet  sich  in  P.  Hebels  Schatzkästlein  des  rhein- 
ländischen  Hausfreundes:  Das  letzte  Wort.  Vgl.  auch  Liebrecht,  im 
Orient  und  Occident,  HL  376.  Aus  Simrocks  Buch  Deutsche  Märchen 
(Stuttgart  1861)  nähertsich  dieNo.61  einer  Variante  der  uusrigen  im  Decame- 
ron  IX,  7;  aber  sie  haben  weiter  nichts  gemeinsames  als  den  Eigensinn  der 
Frau.  Was  aus  dem  allen  hervorgeht  ist  folgendes.  Man  findet  den  Scherz 
erzählt  um  ungefähr  1260,  in  den  Werken  des  Dominikaners  Etienne  de 
Bourbon').  Vielleicht  ist  er  in  jener  Zeit  als  Beispiel  in  mehr  als  einer 
Predio-t  der  Bettelmönche  angeführt  worden,  l^tienne  selbst  schreibt  ihn 
dem  Jacques  von  Vitry,  dem  Verfasser  cler  Sermones  vulgares  zu,  der 
später  Bischof  von  Acre  war  (f  1240). 


1)  Lis  isclo  d'or,  Avignon-Paris  1878,  Cacho-Peson.  S.  302. 

2)  p.  p.  Lecoy  de  la  Marclie,  Paris  1877,  No.  242—243.  Vyl.  Wright,  A  selection 
of  latin  stories.  Band  II,  S.  548,  S.  12:  le  peuilleux,  S.  13:  le  pre  tondu:  Andivi 
de  quadani  muliere  litigiosa  u.  s  w. 


Eine  Novellette  des  Vottiem  in  litterarischeii  und  volkstümlichen  Fassungen.       -illl 

Nach  Etiemio  haben  wir  zwei  Receiisionen:  die  des  pidocchioso  (des 
lausigen)  bei  Poggio,  Mistral  u.  a.,  und  die  andere  des  prato  tosatd  (der 
geschorenen  Wiese):  Un  mari,  so  promenant  avec  sa  femme  le  long 
d'im  pre,  lui  dit:  „Vois,  comme  ce  pre  a  ete  bieu  fanche!  —  II 
u'a  pas  ete  fauche,  replique-t-elle,  mais  tondu!  (Ein  Mann  geht 
mit  seiner  Frau  an  einer  Wiese  entlang  und  sagt  zu  ihr:  „Sieh  wie  gut 
diese  Wiese  geschoren  ist!"  —  „Sie  ist  nicht  geschoren",  erwidert  sie, 
sondern  geschnitten!).  So  geraten  sie  in  Streit,  luul  da  sie  nicht  nachgeben 
will,  schneidet  ihr  der  Mann  die  Zunge  aus.  Aber  obgleich  sie  nicht  mehr 
sprechen  konnte,  machte  sie  doch  noch  mit  d»n  Fingern  die  Bewegung 
der  Scheere,  welche  sich  öffnet  und  schliesst.  Dieser  zweiten  Recension 
schliesst  sich  die  russische  Erzählung  an.  Wenn  wir  Abteilungen  liebten, 
könnten  wir  der  Geschichte  des  Vottiero  die  Typusnummer  3  geben.  Aber 
im  Grunde  bilden  alle  drei  ein  und  dasselbe,  und  es  handelt  sich  nur  um 
Variationen  einer  und  derselben  Geschichte,  welche  den  weiblichen,  hart- 
näckigen Eigensinn  beweisen  soll. 

Vielleicht  brachte  Jacques  de  Vitry  diese  Geschichte  aus  dem  Orient 
mit,  gelegentlich  einer  seiner  Reisen  im  heiligen  Lande;  aber  die  zweite 
Recension  wenigstens  existierte  schon  vor  seiner  Zeit  in  Frankreich  und 
England,  denn  um  1180  erzählte  sie  Marie  de  France  in  Versen,  und  so 
fand  sie  einen  Platz  in  der  Sammlung  von  Fabeln,  die  unter  dem  Namen 
Romolus  bekannt  ist.  Die  Erzählung  ist,  mit  Ausnahme  einiger  kleiner 
Umstände,  dieselbe').  Diese  beiden  letzten  Bearbeitungen  greifen,  wie  es 
scheint,  auf  einen  altenglischen  Text  zurück,  der  wahrscheinlich  schon  vor 
dem  ersten  Kreuzzuge  entstanden  ist. 

Unter  der  Form  des  pre  tondu  ist  von  einem  ungenannten  Autor 
des  XIII.  Jahrhunderts  ein  Fabliau  bekannt,  das  man  im  Recueil 
general  et  complet  des  Fabliaux  von  Montaiglon  und  Raynaud  (Paris, 
Jouaust,  1872—90,  IV,  104)  finden  kann.  In  den  beiden  Formen  finden  wir  die 
Geschichte  auch  weiter  im  Mittelalter:  in  deutschen  Versen  in  Adalbert 
von  Kellers  Erzählungen  aus  altdeutschen  Handschriften:  von  der  Übeln 
Adelheit  und-ir  man,  S.  204;  in  deutscher  Prosa  in  J.  Paulis  Schimpf 
und  Ernst  (Ausgabe  von  Österley,  Stuttgart  1866)  No.  595:  vom  lüskneller. 

Die  französischen  und  italienischen  Erzähler  des  XVE.  u.  XVIII.  Jahr- 
hunderts sammelten  und  bereiteten  das  Gericht  auf  verschiedene  Manier 
zu,  so  dass  ein  förmlicher  kleiner  Himmel  von  eigensinnigen  Weibern 
entstand.  Zu  dieser  schönen  Zahl  gehören  auch  die  beiden  Erzählungen, 
welche  sich  in  dem  Buche  La  chasse  ennuy  ou  l'honneste  entretien 
des  bonnes  compagnies  von  Ludwig  Garon  (Paris  1681,  Centuria  IV, 
Vni,  S.  321)  finden:  die  eine  der  Frauen,  welche  den  Ausdruck  coupeur 
de  bourse  nicht  zurücknehmen  will,    ist  das  Gegenstück  zu  der,    welche 

1)  Vgl.  Hervieux,  Les  Fabulistes  latins,  1884,  Band  11,  S.  548.  No.  73:  De 
homin«  et  uxore  litigiosa. 


292     Ainalfl:  Eine  Novellette  des  Vottiero  in  litterarischen  und  volkstümlichen  Fassungen. 

die  Finger  krumm  macht.  In  der  Elite  des  contes  du  sieur  d'Ou- 
ville  (herausg.  von  Ristelhuber,  S.  22)  findet  sich  eine  Yariante.  die  beinahe 
genau  der  Erzählung  des  Vottiero  entspricht.  Der  Streit  beginnt  zwischen 
zwei  Eheleuten  mit  der  Frage,  ob  der  für  den  Fastnachtsabend  zubereitete 
Yoo-el  eine  männliche  oder  weibliche  Amsel  sei.  und  sie  prügeln  sich.  Im 
folgenden  Jahre,  am  selben  Fastnachtsabend  erinnert  der  Mann  die  Frau 
an  den  Streit  des  vergangenen  Jahres  wegen  des  Amselmännchens, 
und  sofort  antwortet  sie  „es  war  ein  Weibchen".  So  wiederholt  sich  das 
an  allen  Fastnachtabenden.  "Wie  man  sieht,  ist  diese  kleine  Erzählung 
sinnreicher  und  graziöser  als  die  des  Vottiero. 

Auch  fehlt  es  nicht  an  anderen  Versionen,  die  Liebrecht  (in  Pfeiffers 
Germania  I,  2"0),  und  in  seiner  Übersetzung  von  Dunlops  Geschichte 
der  Prosadichtungen  (Berlin.  Müller.  1851,  Anm.  475a,  S.  516)  anführt.  Ich 
führe  daraus  die  folgenden  an:  Lcs  Bigarrures  et  Touches  du  seigneur 
des  Accords  (1648,  Kap.  VQ,  S.  117);  Contes  ä  rire  ou  Recreations 
Fran^aises  (1787,  I,  102:  Dispute  d"un  homme  avec  sa  femme):  Demo- 
critus  ridens  (1701,  S.  121  Mulierum  pertinacia);  Additamenta  Phil. 
Hermotimi  ad  Bebelii  Facetias  '(1660,  S.  299:  De  uxore  cujusdam 
nobilis  vapulante);  Le  moyen  de  parveuir  (1781,  DI,  160:  La  femme 
opiniätre);  Abstenii  Fabulae,  edid.  Nevelet  (1660,  S.  587:  De  muliere  ob 
tui-dos  verberata);  Gellerts  Fabeln  und  Erzählungen  (1787,  S.  55:  Die 
Widevsprecherin);  Dufresne's  Lustspiel,  l'Esprit  de  Contradiction  u.  s.  w. 
Man  erinnere  sich  auch  der  beiden  folgenden  Verse: 

Chi  sta  neir  acqua  sino  alla  gola, 

Ben  e  ostinato,  se  merce  non  gi'ida: 

Wer  im  Wasser  bis  au  die  Kehle  steht, 

Ist  sehr  eigensinnig,  wenn  er  um  Gnade  nicht  fleht. 

Eine  andere  Variante,  dem  Dialogus  creaturarum  des  Nicolaus 
Pergamenus  entnommen,  findet  sich  in  den  Poesies  inedites  du  moyen- 
äge  von  Du  Meril;  eine  andere  in  den  Epidorpidi,  und  schliesslich  noch 
eine  in  dem  Buche  des  Pater  Carlo  Casalicchio:  L'Utile  col  dolce. 
overo  quattro  centurie  di  argutissimi  detti  e  fatti  di  savissimi 
uomini  (Venedig,  Baglioni,  1761);  eine  andere  im  Fapani,  Lo  speziale 
burlone  (Venedig,  Grimaldo,  1871,  S.  6).  Vgl.  auch  Tresor  des 
recreations  contenant  histoires  facesieuses  et  honnestes,  Douay, 
Balthasar  Belleze,  1616,  S.  43:  Arlotto,  Facezie,  Ausgabe  Baccini, 
Firenze,  Salani,  1894,  S.  232. 

Aber  schon  vor  mehr  als  drei  Jahrhunderten  war  unsere  Geschichte 
das  Entzücken  der  Türken  in  Stambnl,  wie  man  folgern  kann  aus  den 
Fahles  turques,  traduites  de  J.  A.  Decourdemanche  (Paris  1882, 
S.  13),  die  vielleicht  zum  Teil  aus  den  Facetien  des  Poggio  entnommen 
sind.  Wir  finden  sie  auch  wieder  in  der  No.  257  der  Fiabe,  Novelle  e 
Raeconti  popolari  siciliani  vonPitre,  unter  dem  Titel  Forfici  foru. 


Heilig:  Segen  aus  Handschuhsheim.  293 

Auch  unser  Tommaso  Costa  erzählt  dieselbe  Novelle  im  Piace- 
volissimo  Fuggilozio,  in  dem  Bosheiten  der  Weiber  und  Schlechtigkeiten 
der  Männer  geschildert  werden,  und  er  spricht  darin  von  „Marito  e  moglie 
inquieti",  dem  ser  Provredi  und  von  Monna  Rossetta  (Venedig,  Barezzi,  1600, 
Tag  IV,  No.  25,  S.  269).  Die  Anekdote  lebt  im  Volke  weiter,  wenn  es  sagt: 
„Ich  bin  wie  die  Frau  des  Tägliapidocchi,  die  ihr  Mann  ihrer  bösen  Zunge 
we"en  in  den  Brunnen  geworfen  hatte,  um  sie  zu  ertränken.  Und  als  ihr  Kopf 
schon  unter  das  Wasser  gesunken  war,  reckte  sie  noch  die  Arme  heraus  und 
machte  tkcchete  täcchete  mit  den  Nägeln,  als  ob  sie  die  Läuse  töten  wollte." 

Ich  könnte  noch  weitere  Beispiele  anführen  und  an  andere  Bearbeiter 
dieser  Fabel  erinnern;  aber  die  erwähnten  genügen  vorläufig  meinem 
Zwecke  und  es  ist  besser,  einen  Schluss  zu  machen. 

Neapel,  Casoria. 


Segen  aus  Handschiilisheim. 

Veröffentlicht  von  Otto  Heilig. 


Die  nachfolgenden  Segen  finden  sich  in  emem  1818  von  Joh.  M.  Wink  f  zu 
Handschuhsheim  bei  Heidelberg  geschriebenen  Rezeptbucho,  genannt  „Browadera- 
büchlein"  (von  lat.  probatum).  Wir  geben  die  sehr  imorthograplüsch  (teilweise 
dialektisch)  geschriebenen  Proben  unter  Beibehaltung  des  Wortlautes  in  geregelter 
Orthographie.  Zum  Vergleiche  sind  herangezogen  die  im  Volksbuche:  Albertus 
Magnus  „Egyptische  Geheimnisse"  I,  1840,  Braband;  II  ohne  Jahreszahl,  Reading; 
III,   1834  stehenden  Beschwörungsformeln. 

1.    Gegen  den  Flug  (Augenkrankheit). 

a'  Hast  du  den  Flug  oder  Brand  in  deinem  Leib,  [so  sprich  |:  ich  segne 
dich,  ich  sehe  ein  wildes  Feuer  brennen;  wildes  Feuer,  lass  dein  Brennen 
sein.     In  24  Stunden  sollst  du  tot  und  getötet  sein,     f  t  t 

b)  Flug!  ich  streiche  dich,  du  ziehst  (erzeugst?)  keine  Gewalt;  du 
nmsst  vergehen;  du  kannst  nicht  bestehen,     f  f  f 

Varianten:  Albertus  Magnus  II,  21.  Plug,  ich  beschwöre  dich  neun  Klafter 
tief  unter  die  Erde;  so  bitt  Gott  für  dich  N.  N.,  dass  dir  der  Plug  verschwind  imd 
verschweb  etc. 

11,  38.  Das  walte  Gott  der  Vater,  Gott  der  Sohn  und  Gott  der  heiüge  Geist. 
Du  wildes  Peuer,  ich  dämme  dich ;  da  hilf  mir  der  liebe  Herr  Jesu  Christ,  du 
wildes  Peuer,  ich  dämme  dich  im  Namen  Jesu  Christ,  dass  dir  kein  Mensch  kann 
helfen,  weder  ich,  da  helf  dir  der  liebe  Herr  Jesus  Christ;  wildes  Peuer,  ich  bin 
der  Mann,  dass  ich  dich  zwingen  kann,     t  t  t 

2.    Gegen  das  rote  Harnen. 

a)  Hast  du  das  Geblüt  in  deinem  Leib,  [so  sprich]:  ich  segne  dich; 
unsere  liebe  Frau  ging  durch  eine  lange,  breite,  schmale  Gasse;  darin 
steht  viel  Blut  und  Wasser;  du  sollst  fortgehen!     f  f  f 


294  Heilig: 

b)  Hani  weich!  Ich  suche  dich;  Harn  weich!  Ich  finde  dich;  Harn, 
ich  verbind  dich.  Das  zähle  ich  dir  zur  Busse,  dass  du,  Harn,  weich 
nachlassen  musst. 

3.    Gegen  Krebs. 

Weich  aus!  Unrein!  Ich  streiche  dich  mit  einem  Donnerstein;  ich 
weiss  nicht,  was  du  bist  oder  was  du  werden  willst,  bis  dir  der  liebe  Herr 
Jesu  Christ  f  f  f-  Kreljs!  dass  ich  dich  begrüsse!  Sollst  du  still  stehen, 
soll  dir  dein  Schmerz  vergehen.  Sollst  du  vergehen  gleich  wie  die,  so 
unsern  Herrn  Jesum  Christum  gekreuzigt  haben,     f  f  f 

4.    Gegen  den  Wurm. 

Gott  der  Herr  ging  durch  einen  grünen  Acker;  zackert  drei  Furchen; 
zackert  drei  Würmer  heraus.  Der  erste  war  grau,  der  zweite  war  blau, 
der  dritte  war  rot.     Der  da  frisst  sich  den  (?)  Wurm  in  drei  Tagen  tot. 

4a.    Gegen  den  Haarwurm. 
Wurm  und  Würmlein!  lass  euch  Haut  und  Haar  Adern  fliessen,  Bein 
und  Hörn    verboten    sein!     Soll  euch  einer  mehr  sein,    als  der  Mann,  der 
im  Finsteren    sitzt    und    sein  Urteil    spricht.     Es    mögen  sein  grün,    gelb, 
schwarz,  weiss  oder  rot,  so  müssen  sie  sein  in  drei  Tagen  alle  tot. 

Varianten:  II,  22.  Gott  der  Herr  ging  za  Acker  in  einen  guten  Acker,  er 
thiit  drei  Furcht,  er  fing  drei  Würmer,  der  erste  ist  der  Streitwurm,  der  andere 
der  Gneitwurm,  der  dritte  der  Haarwurm;  Stieitwurm,  Gneitwurm  und  Haarwurm 
fahren  aus  diesem  Fleischwurm,     t  t  t 

II,  61.  Christus  der  Herr  fuhr  zu  Acker  auf  Josefs  Acker,  er  reisst  drei 
Furch,  er  fing  drei  "Wurm;  der  erste  war  weiss,  der  andere  war  schwarz,  der  dritte 
war  tot;  hiermit  sind  dir,  N.  N.,  alle  deine  Würmer  tot. 

5.    Gegen  den  bösen  Hals. 
Unkraut!     Ich  nähe  (?)  dich  mit  meinem  Mund;  ich  segne  dicli,  dass  du 
kein  Fleisch  und  Blut  ansiehst. 

6.    Gegen  Feibel  und  Darmgicht. 
Hast  du  die  Feibel  und  Darmgieht  oder  kannst  du  nicht  mästen  oder 
stallen,    so    haben    die  Juden  den  Jesum  gegeisselt;    er  hat  uns  zu  Liebe 
gethan,  was  uns  nicht  schadet  ...  so  wenig  uns  nicht  schadet.    Diese  deine 
fünf  Krankheiten.     Das  zähle  ich  dir  zur  Busse. 

Variante  I,  48:  0  Jerusalem  du  Judenstadt,  darin  man  Christus  gekreuzigt 
hat;  da  ist  er  worden  zu  Wasser  und  Blut,  das  sei  dir,  Pferd,  für  Wurm  und 
Darmgicht  gut  etc. 

7.    Gegen  den  Brand. 

a)  Trockener  Brand!  Dass  du  nicht  nach  unten  und  nach  oben  gehst! 
Dass  du  in  drei  Tagen  so  glatt  heraus  heilst,  wie  ein  Ei.  Das  zähle  ich 
dir  zur  Busse. 

b)  Gott  der  Herr  geht  über  Land.  Er  kann  löschen  allen  Brand;  er 
kann  löschen  aus  (auf)  und  nieder.     Das  zähle  ich  dir  zur  Busse. 


Segen  aus  Handschuhsheim.  "295 

c)  Gott  der  Herr  geht  über  Land.  Da  begegnet  ihm  ein  brennender 
Brand.  Gott  der  Herr  hebt  auf  seine  gebenedeite  Hand  und  lässt  ab  den 
brennenden  Brand!  Du  sollst  nicht  hehren  (seren  =  schmerzen),  nicht 
verschwären,  nicht  hitzen  und  nicht  schiessen.  Du  sollst  in  kurzer  Zeit 
erheilet  werden,     f  t  t 

Varianten.  II,  55:  Unser  Herr  Jesus  zog  über  Land,  er  segnet  den  kalten 
und  warmen  Brand,  dass  der  Brand  ihn  nicht  brenne  und  nicht  in  den  Leib  begehr, 
bis  dass  die  Mutter  Gottes  einen  Sohn  gebär.  — 

I,  10;  Weich  aus,  Brand!  und  ja  nicht  ein;  du  seist  kalt  oder  warm,  lass 
das  Brennen  sein!  Gott  behüte  dir  dein  Fleisch,  dein  Blut,  dein  Mark,  dein  Bein 
und  alle  Äderlein,  die  sollen  vor  dem  Brand  bewahret  sein  etc. 

8.    Gegen  das  Herzspaunen. 

Hast  du  das  Herzgespann  und  Nierenstrang,  [so  sprich:]  weiche  ab 
von  deinen  Rippen  wie  unser  Herr  Jesus  von  seiner  Krippe. 

Variante  I,  50:  Für  das  Darmgicht  bei  Kindern.  Hast  du  das  Herzgespann 
und  Danngicht,  so  weich  du  von  dieser  Ripp  N.  N.,  wie  Jesus  Cristus  von  seiner 
Rripp  t  t  t-    Dreimal  gesprochen. 

9.    Blut  zu  stillen. 
Willkommen,    Adams  Blut!     Ich   gebiete  dir,    Adams  Blut,    du  sollst 
still  stehen,  wie  Jesus  an  der  ?  gestanden,   wie  Stefanus  am  Baume.     Das 
gebiet  ich  dir  durch  die  Allmacht,   -f  t  t 

10.    Für  böse  Wunden. 

Glückselig  ist  die  Stunde,  wo  Jesus  geboren  ist.  Glückselig  ist  die 
Stunde,  wo  Jesus  gekreuzigt  worden  ist.  Glückselig  ist  die  Stunde,  wo 
Jesus  auferstanden  ist.  Glückselig  sind  die  drei  Stunden.  Das  blase  ich 
dir  in  die  Wunde,  dass  sie  nicht  geschwille  noch  geschwiere,  bis  dass  die 
Mutter  Gottes  einen  andern  Sohn  gebiert. 

Varianten.     II,  o7:  0  du  Geschwulst bei  unseres  Herrn  Jesu  Christi 

heiligen  fünf  Wunden,  die  nicht  geschwären  und  nicht  geschwellen  etc.  — 

II,  38:  Für  das  Blut  zu  stellen.  Ist  das  nicht  eine  glückhafte  Stund,  da 
Jesus  Christus  geboren  ward;  ist  das  nicht  eine  glückhafte  Stund,  da  J.  Chr.  ge- 
storben ist;  ist  das  nicht  eine  glückhafte  Stund,  wo  J.  Chr.  wieder  auferstanden 
ist?  Diese  drei  glückselige  Stunden  stellen  dir  das  Blut  und  heilen  deine  Wunden, 
dass  sie  nicht  geschwellen  noch  geschwären  und  in  drei  oder  neun  Tagen  wieder 
heil  werden. 

1,  -23:  Frisch  ist  die  Wund,  heilsam  ist  der  Tag  und  glückselig  ist  die  Stund, 
sobald  ich  dich  ergreif,  dass  du  weder  geschwüllst  noch  geschwärst,  bis  Maria 
einen  andern  Sohn  gebähr. 

11.    Gegen  Rotläufen. 
Das  Rotlaufen  und  der  Drach  gingen  miteinander  über  die  Bach.    Der 
Drach  ertrank  und  das  Rotlaufen  verschwand,     f  f  f 


29(J  Hcibg: 

12.    Gegen  den  Wolf  am  Schwanz. 
Der  Wolf  und  der  Drach  die  gingen  miteinander  über  die  Bacdi.    Der 
Wolf  verschwand;  der  Drach  ertrank,     f  f  f 

13.    Schmerzen  zu  legen. 
Nenne    denselben    mit    seinem  Namen   [und  sj)ricli:]  ich  stille  dir  die 
Schmerzen,  wie  unserem  lieben  Herrn  Jesu  gestanden  sind  am  Stamm  des 
Kreuzes,     f  f  f 

14.    Gegen  das  wilde  Feuer  (Gesichtsrose). 
Wildfeuer!  lerne  (?)  reissen,  lerne  (?)  Blut;    du  sollst  weichen,  Kopf- 
blut, wie  die  Wolken  am  Himmel  steigen  bei  Anrufung  der  drei  Personen. 

15.    Gegen  Gicht. 

a)  Man  muss  zuerst  den  Taufnamen  sagen  und  sprechen:  77  Tage  die 
reissenden  Gichter,  die  Wehgiohtor,  die  schwimmenden  Gichter,  die  Milz- 
gichter  und  die  verfluchten  Gesichter.  So  soll  sie  die  erste  Rulie  in  der 
Grube  [nehmen].  Ich  zähle  dir  dies  zur  Busse,  dass  du  sagen  und  sprechen 
musst:  hast  du  77  Nachtgesichter  und  Gichter,  die  tobenden  Gichter, 
Lendengichter,  die  stechenden  Muttergichter,  die  Brustgichter  und  Nacht- 
gichter  und  der  Mannsbiss?  [Lücke]  das  seinige  genommen  hat,  dass  Ziel- 
gichtfluss  weichen  muss. 

b)  Man  muss  erst  nehmen  drei  Bündel  Heu  und  sie  auf  deu  Mist 
legen  und  die  Sonne  hierüber  untergehen  lassen;  hernach,  wenn  man  es 
braucht,  es  herausnehmen  und  nachts  unberufen  in  den  Hof  gehen;  unter 
freiem  Himmel  mit  schwachen  Füssen  draussen  stehen  und  sagen:  liier 
stehe  ich  auf  dem  Heu  und  sehe  in  das  zwei  und  sehe  der  drei,  die  lösen 
mir  das  reissende  Gicht,  das  wütende  Gicht,  das  laufende  Gicht,  das 
tobende  Gicht  und  alle  bösen  Naclitgesicht(er).     t  t  t 

c)  Christus  der  Herr  ist  geboren  zu  Bethlehem,  erzogen  zu  Nazareth, 
getötet  zu  Jerusalem,  und  das  ist  so  gewiss  wahr,  dass  der  Herr  Christus 
helfen  kann.     Das  zähle  ich  dir  zur  Buss. 

d)  [Anfang  verderbt!] 

....  0  du  Gicht,  0  du  Gicht,  also  du  mich  wo  willst  aufreissen,  wo 
willst  einreissen.  Ich  will  gehn  in  des  Menschen  sein  Herz  und  will  ihm 
fressen  sein  Fleisch  und  sein  Blut,  wie  er  es  zuvor  gehabt  hat. 

Im  Namen  Jesu  von  Nazareth.  Du  sollst  ausrinnen  und  sollst  dem- 
jenigen sein  Fleisch  und  Blut  gehen  lassen;  o  du  KOPFgicht,  o  du  Augen- 
gicht, 0  du  Mageugicht;  o  du  KOPFgicht,  o  du  Augengicht,  o  du  Magen- 
gicht, 0  du  Bodenkrampfgicht,  o  du  schwarziges  Gicht,  o  du  fallendes 
Gicht,  0  du  schweissiges  Gicht,  o  du  schwellendes  Gicht,  o  du  „gelbsiges" 
Gicht,  0  du  Zahngicht.     Amen;  in  Gottes  Namen  Amen. 

Varianten,  ad  b)  und  d),  III,  o4:  0  Gicht,  o  Gicht,  wie  marterst  du  mich, 
das  klag-  ich  Gott  über  dich  und  deinen  höchsten  Namen,  der  den  Tod  am 
Stammen  des  Kreuzes  unschuldig  leiden  müssen,  N.  N.  Gicht  und  Gichtern  wahren 


Segen  aus  Haudschulisheim.  297 

Tod  über  einer  grünen  Auen,  begegnet  ihm  St.  Anna  und  unsern  lieben  Frauen, 
St.  Anna  sprach  f  Gicht  und  Gichtern,  wo  wollet  ihr  hin;  die  Gichtern  sprachen, 
wir  wollen  dahin  zu  N.  N.  in  des  Menschen  Leib  fahren  und  wollen  ihm  sein 
Fleisch  laufen  und  sein  Blut  aussaugen;  da  sprach  die  heilige  Frau  St.  Anna  f 
und  t  Gicht  und  Gichtern,  ich  gebiete  euch  bei  der  Kraft  Gottes  und  bei  dem 
höchsten  Bann,  du  laufendes  Gicht,  du  stetes  Gicht,  du  raffendes  Gicht,  du  habendes 
Gicht,  du  kaltes  Gicht,  du  hitziges  Gicht,  du  Hirngicht,  du  Hauptgicht,  du  Fleisch- 
gicht, du  Blutgicht,  du  Markgicht,  du  Markolisches  Gicht,  du  über  alle  Gichter  und 

Gichtern,  ich  gebiete  euch in  das  wilde  Gramant,  daraus  ihr  kommen  seid, 

dalün  sollt  ihr  wieder  gehen  etc. 

ad  a),  I,  44:  Vor  die  fallende  Sucht  oder  Gichter:  Weidenstock,  ich  reg  dich 
an,  ich  bitte  dich,  verlasse  mir  meine  siebenzig  und  siebenzigerlei  Gichter  etc. 

ad  c),  vgl.  II,  11:  Eine  Blutstellung  von  einer  Hebamme  aus  Nürnberg.  Jesus 
war  zu  Bethlehem  geboren,  Jesus  war  zu  Jerusalem  getötet,  so  wahr  diese  Worte 
sind,  so  wahr  verstehe  dir  N.  N.  das  Blut  etc. 

16.    Für  das  Leintuch  (Bettnässen?). 

Ich  ging  durch  eine  Stadt;  darin  fand  ich  eine  Gasse;  darin  fleusst 
nichts  als  Blut  und  Wasser  Blut,  du  sollst  stille  stehen;  Wasser,  du  sollst 
fort  gehen,     f  f  f 

17.    Los  zu  machen. 

Der  dich  hierher  gestellet,  der  mache  dich  wiederum  frei.  Lege  mir 
nieder,  was  du  gestohlen  hast.  Gehe  hin  in  Frieden  und  halte  die  Gebote 
Gottes. 

18.    Gegen  das  Aufgelaufensein  der  Kuh. 

Schwarzbraune  Kuh!  Hast  du  dich  übernommen,  wie  Christus  der 
Herr  am  Kreuz  ist  gekommen.  Hat  dem  nichts  gethan,  so  wird  dirs  auch 
nichts  thun!     t  t  t 

Variante  II,  13:  Für  den  Brand.  Ich  habe  mich  gebrannt,  Christus  den 
Herrn,  den  hat  man  erhenkt,  schadet  ihm  sein  Henken  nichts,  so  schadet  dir  dein 
Verbrennen  nichts.  —  Vgl.  auch  II,  5  Für  die  Flüss-,  Zahn-  und  Kopfschmerzen; 
II,  -27  Wenn  sich  einer  verrenkt  hat;  II,  59  Für  das  Henken  am  Vieh. 

19.    Dass  ein  Dieb  kommen  muss,  sobald  er  dir  etwas 
gestohlen  hat. 
Kehre    innerhalb    24  Stunden    den  Staub    überall  zusammen,    wo  der 
Dieb    gegangen    oder    gestanden    sein  kann.     Kaufe  sodann  einen  irdenen 
Hafen,    brüte  ihn  in  Teufels  Namen;    thue  den  zusammengekehrten  Staub 
herein,  lass  es  stark  sieden.     So  muss  der  Dieb  stark  laufen. 
Ein  ähnliches  Mittel  siehe  Alb.  Blagu.  I,  24. 

20.    Diebsstellung. 

a)  Gehe  dreimal  abends  um  dein  Gut,  ebenso  morgens  vor  der  Sonne 

Aufgang  und  sprich:  Maria  in  dem  Kindbett  lag,  drei  Engel  Gottes  thaten 

ihrer  pflegen.     Der  erste  war  St.  Michael;    der  zweite  Gabriel,    der  dritte 

St.  Rapha.     Es    kommen    drei  Diebe    daher,    sie    wollen  Maria  ihr  liebes 


298  Gittee: 

Kind  stehlen.  Maria  sprach:  St.  Peter,  bind!  St.  Peter  sprach:  Ich  habe 
gebunden  mit  eisernen  Banden,  mit  Gottes  selbst  eigenen  Händen. 
Daher  muss  [er]  stehen  wie  ein  Stock,  aussehen  wie  ein  Bock,  bis  er  mir 
kann  zählen  alle  Sternschnuppen,  Schneeflocken,  Regentropfen;  alle  Tropfen 
in  dem  Meere,  allerhand  Körnlein  in  dem  Meere,  dass  er  stille  stehe  und 
nimmer  wieder  gehe,  bis  dass  ich  selbst  darüber  komme  und  mit  meiner 
fleischlichen  Zunge  darüber  sage  die  drei  Personen  Vater,  Sohn  und  heiliger 
Geist. 

b)  Petrus,  Petrus,  Petrus!  Nimm  von  Gott  die  Gewalt,  was  du  hier 
binden  wirst  mit  dem  Band  der  Christenhand;  alle  Diebe  und  Diebinnen, 
die  mir  mein  Gut  von  der  Hofraite  wollen  wegtragen,  sie  seien  jung  oder 
alt,  gross  oder  klein,  sollen  sie  Gott  dem  Yater  gestellet  sein,  von  Gott 
dem  Sohn  gehalten,  von  Gott  dem  heiligen  Geist  gebunden  und  durch  diese 
drei  [in]  24  Stunden  versöhnt  sein;  und  kein  Dieb  nunmehr  weiter  hinter 
noch  vor  sich,  bis  ich  sie  mit  meiuen  Augen  sehen  und  mit  meiner  Zunge 
Erlaubnis  geben  kann,  dann  sie  zählen  mir  zuvor  alle  diese  Steine,  die 
zwischen  Himmel  und  Erde  liegen,  und  alle  Regentropfen,  Laub  und  Gras; 
dazu  helfe  mir  Gott  Vater,  Sohn  und  heiliger  Geist. 

Varianten.  IT,  14:  Bind  Petrus,  bind  Petrus,  bind  Petrus,  bind  mir  alle 
diejenigen  Diebe  mid  Diebinnen,  die  mir  aus  meinem  Haus  oder  Güter  etwas 
nehmen  oder  stehlen  wollen:  bind  sie  mit  eisernen  Banden  und  mit  Gottes  Händen, 
mit  den  heiligen  fünf  Wunden  imd  mit  den  wahren  zwölf  Stunden,  dass  sie  mir 
müssen  stehen  wie  ein  Stock  und  schauen  wie  ein  Bock,  zählen  mir  die  Sterne, 
die  am  Himmel  und  Firmament  stehen,  die  schauen  auf  Gottes  Laub  und  Gras  etc. 

n,  "25:  Maria  ging  spazieren  mit  ihrem  lieben  Rind,  zwei  Dieb  kommen 
gegangen,  die  nahmen's  ihr  geschwind:  Maria  aber  sprach  zu  St.  Petrus:  bind  St. 
Petrus,  bind  St.  Petrus,  bind  St.  Petrus  Petrus  sprach:  ich  hab  es  gebunden  mit 
Jesu  Banden,  mit  seinen  heiligen  fünf  Wunden,  ist  mir  mein  Gut  verbunden,  wer 
mir  etwas  stiehlt,  der  soll  stehen  bleiben  zu  einem  Stock  und  über  sich  schauen 
als  ein  Bock,  kann  er  mehr  zählen  als  alle  Sterne  die  am  Himmel  stehen,  all 
Laub  und  Gras,  Regen  oder  Schneeflocken,  so  kann  er  mit  seinem  gestohlenen  Gute 
laufen,  wo  er  will;  kann  er  es  nicht,  so  soll  er  stehen  bleiben  zu  einem  Pfand, 
bis  ich  ihn  mit  meinen  leibUchen  Augen  überschauen  kann  und  ihn  mit  meiner 
Zunge  heiss  weiter  gehen.  —  Vgl.  auch  II,  27. 

Heidelberg. 


Dienstrecht  und  Dienstboteiigewolinheiten  in  Flandern. 

Von  Angust  Gittee. 

I.    Die  "Wechselzeit. 

Knechte  und  Mägde  vermieten  (verhuren)  sich  gewöhnlich  auf  ein 
Jahr:  in  neuerer  Zeit  ist  in  einigen  Gegenden  auch  Vermietung  auf  einen 
Monat  nicht  selten  eingetreten. 


Uienstreoht  und  Dienstbotengewohtiheiten  in  Flandern.  299 

Jedenfalls  kann  man  mitten  im  Jahre  abziehen  (verhuizen);  dann 
niuss  man  aber  diese  Absicht  vierzelui  Tage  voraus  ankündigen.  „Ich  bin 
in  meinen  Vierzehn  Tagen"  heisst  es,  oder  „man  hat  die  Vierzehn 
Tage  angesagt  (opgezegd)".  Der  Bauer  oder  die  Bäuerin  (die  gewöhu- 
liclie  Anrede  zu  der  ländlichen  Dienstherrschaft  ist  in  Flandern,  sowie  in 
Zeeland  und  Friesland,  Boer  und  Boerinne,  in  Limburg  Pachter  und 
Pachtos'))  „giebt  dem  Kneobte  oder  der  Magd  seine  (oder  ihre)  Viei-zehn 
Tage",  d.  i.  sagt  ihm  auf. 

In  der  Umgegend  von  Gent  heisst  das  Abziehen  der  Dienstboten 
byzen^j,  ursprünglich  vom  Vieh  gesagt  in  der  Bedeutung  „links  und  rechts 
irre  laufen".     „Onze  Knecht  is  op  3.  Mei  gebezen"  sagt  man. 

In  der  ganzen  Provinz  Ost-Flandern  scheint  der  Wechseltag  für  Dienst- 
boten durchgängig  der  3.  Mai  zu  sein. 

Am  3.  Mai  muss  jedermann  am  Abendtische  anwesend  sein. 

Diejenigen,  welche  ein  ganzes  Jahr  geblieben  sind,  können  schon  am 
1.  Mai  morgens  fortziehen,  die  anderen  nur  am  2.  Mai  nach  dem  Mittag- 
essen. Die  Magd  geht  nicht  fort  ohne  vorher  ihre  Schüsseln  gewaschen 
zu  haben. 

Vor  Fastnacht  fragt  der  Bauer,  falls  er  seinen  Knecht  zu  behalten 
wünscht:  „Blyfde  't  jaar?"  Erfolgt  diese  Frage  nicht,  so  weiss  der 
Dieustbotb,  dass  er  sich  einen  anderen  Plerrn  zu  suchen  hat.  Er  (oder  sie) 
kann  sich  „op  een  ander  vorzien",  heisst  es.  —  „'k  en  ben  nie 
gevraagd",  sagt  man  dann. 

Der  Wechseltag  und  der  davon  abhängige  Fragetag  ist  sehr  ver- 
scliieden,  je  nach  den  Gegenden. 

In  Antwerpen  fällt  der  Wechseltag  auf  St.  Peter  und  Paul  (-"J.  Juni), 
luid  der  Fragetag  auf  Halfmeert  (Halbmärz). 

In  Brabant  ist  Halbmärz  an  vielen  Orten  Wechseltag;  ebenfalls  in 
Limburg.  Oft  ist  der  15.  März  merkwürdigerweise  auch  der  Heiratstag 
für  Dienstboten.     In  anderen  Orten  Brabants  ist  es  wieder  St.  Peterstag "). 

In  Brabant  besteht  auch  die  Gewohnheit,  dass  neugemietete  Dienstboten 
mit  dem  Wagen  ihres  neuen  Herrn  geholt  werden.  Früher  geschah  dies 
mehr  als  jetzt.  Bei  dieser  Gelegenheit  sah  man  in  den  Dörfern  eine 
Anzahl  mit  Ästen  und  Laub  geschmückter  Wagen.  Natürlich  sind  die 
Kehlen  durstig,  man  besucht  fleissig  die  Schenke,  luid  es  giebt  ein  Leben, 
als  ob  es  Kirmess  wäre.  Dabei  ertönt  oft  eine  Variaute  des  altvlämischen 
Liedes  Naar  Oostland  willen  wy  ryden*),  wobei  Oostland  in  Rooze- 


1)  Die   Endung   -os    entstand   aus    -ors,    der   Nebenform    zur   flandrischen  Endung 
-erse:  Pachtos  =  Pachterse. 

2)  Grimm,  Deutsches  Wöi-terbuch  11,  3:  biesen. 

3)  Willems,    Oud-Vlaamsche  Liederen,    No,  19,  sagt  jedoch  um  Johannis,  im 
Monat  Juni.    Dies  scheint  ein  Irrtum  zu  sein. 

4)  Hoffmann  von  Pallersleben,  Horae  Belgicae,  IT',  No.  105, 


300  Gittoe: 

land  umgewandelt  wird;  Roozelaud  soll  die  neue  Stelle  bedeuten,  indem 
es  ja  stets  im  neuen  Dienst  hesser  sein  muss. 

Im  wallouischen  Teile  Belgiens  fällt  der  Wechseltag  gewöhnlieh  später. 

In  Süd-Brabaut  und  in  Namur  ist  es  Allerheiligen,  in  Lüttich 
Martini.^)  Der  maiss  (d.  h.  der  maitre,  Bauer)  fragt  seinen  Knecht 
einen  Monat  im  Voraus. 

In  Luxemburg  mietet  man  Knechte  und  -Mägde  auf  dem  sogenannten 
Gesinnesmarkt,  ein  formeller  Dienstbotenmarkt,  welcher  vom  26.  Dezbr. 
bis  zum  6.  Januar  abgehalten  wird.  Man  vermietet  sich  am  Stephanstag 
„von  Gln-isttag  zu  Christtag".     Ein  Volksreim  sagt: 

„Am  Stephaustag  (26.  Dezember) 
Mach'  deinen  Pack." 

II.    Lohn  und  Vorteile. 

Der  gewöhnliche  Lohnsatz  ist,  im  Südosten  Ost-Flanderns  wenigstens, 
wie  folgt: 

a)  für  einen  Kühbuben  (Koejongen)  einen  Stuiver  (=  Stüber,  d.  i. 
0,09  fr.)  jeden  Tag.     Also  ungefähr  26  Mark  auf  ein  Jahr; 

b)  für  eine  Magd  2  Stuivers  (etwa  53  Mk.  auf  ein  Jahr).  Obendrein 
erhält  sie  20  Ellen  Leiuewand,  zwei  blauleinene  Schürzen  und,  falls  sie 
auf  den  Markt  zu  gehen  hat  („de  Merkt  doen),  ein  Paar  lederne  Schuhe; 

e)  für  einen  Knecht  3  Stuivers  (etwa  80  Mark  auf  ein  Jahr): 

d)  für  eiuen  Pferdebuben  („Peerdeknaap")  4  Stuivers  (etwa 
104  Mk.  jährlich). 

All  diese  Löhne  verstehen  sich  natürlich  incl.  Kost  und  Wohnung. 

In  den  Ardennen  war  bis  vor  ungefähr  50  Jahron  der  Dieustbotenlohn 
jährlich  nur  24  Mark  (st  pes',  d.  h.  six  pieces  oder  6  Pünffrankstücke) ; 
obendrein  ein  Paar  Schuhe  auf  Weihnachten.^) 

Gewöhnlich  werden  von  den  sich  vermietenden  Dienstboten  ein  paar 
freie  Tage  beansprucht,  besonders  um  nach  der  Kirmess  ihres  Kirchspiels 
zu  gehen,  falls  sie  zu  einem  anderen  Orte  gehören. 

Bisweilen  kommt  noch  ein  zweiter  freier  Tag  hinzu,  zum  Besuche 
eines  oder  anderen  Lokalfestes;  so  z.  B.  im  Süden  Ost-Flanderns,  zum 
Besuch  des  Jahrmarktes  zu  S.  Lievenshautem  oder  mehr  noch  des  sogen. 
Toogs  in  Geeraardsbergen.  Der  erste  Toog  wird  am  1.  Montag  im  März, 
der  zweite  Toog  am  1.  Montag  im  April  abgehalten.  Je  nach  den  Gegenden 
sind  diese  Gewohnheiten  verschieden. 

Zu  dem  a-enannteu  Lohn  kommen  noch  kleinere  Vorteile. 


1)  Aber  auch  der  1.  oder  sogar  der  15.  März. 

2)  Die  Verantwortlichkeit   für    diese  Angabe   bleibe   aber   dem  (Juestionnaire   de 
Folklore  public  par  la  Societe  du  Folklore  Wallon,  Frage  1584. 


Dienstrecht  und  Dionstboten^ewolmheiten  in  Flandern.  301 

In  Lüttich  und  walirscheiulich  noch  anderswo  erhält  die  gemietete 
Magd  einen  Denier  a  Dien  (Gottespfennig).  Bleibt  die  Landmagd  länger 
als  sechs  Monat  im  Dienst,  die , Stadtmagd  länger  als  ein  Jahr,  so  ist  der 
Gottespfennig  ihr  Eigentum. 

Wenn  der  Bauer  Vieh  verkauft,  hat  der  Käufer  dem  Dienstboten,  der 
das  verkaufte  Tier  zu  ihm  führt,  ein  Trinkgeld  zu  zahlen,  welches  Steert- 
geld  (=  Schwanzgeld)  heisst. 

Dieses  Steertgeld  beträgt: 

a)  bei  dem  Verkauf  eines  Schweines  einen  Stuiver  für  den  Kuhbuben; 

b)  bei  dem  Verkaufe  eines  Kalbes  eine  Tlaket  (d.  li.  S'/j  Stuivers) 
für  die  Magd; 

c)  bei  dem  Verkauf  einer  Kuh  einen  Sclielling  (=7  Stuivers)  für 
den  Kuhbuben  und  für  die  Magd ; 

d)  bei  dem  Verkauf  eines  Pferdes  zwei  Gulden  (migefär  3,40  Mark) 
für  den  Pferdebuben. 

Der  Kuhbube  erhält  weiter  einen  Stuiver  für  je  hundert  gesammelte 
Eier;  der  Knecht  einen  Stuiver  für  jeden  verkauften  Sack  Getreide  oder 
Saat. 

m.    Die  Pacht. 

Wenn  ein  Haus  oder  ein  Stück  Land  auf  drei,  sechs,  neun  Jahre  vermietet 
wird,  so  wird  ein  geschriebener  Mietsvertrag  (Pacht)  gemacht.  Wird  es 
nur  auf  ein  Jahr  vermietet,  so  reicht  der  mündliche  Vertrag  hin. 

Das  Schliessen  von  Verträgen,  das  Kaufen  von  Tieren,  Bäumen, 
Früchten  u.  s.  w.,  das  Mieten  von  Häusern,  Äckern,  Wiesen  u.  s.  w.,  das 
Mieten  von  Knechten  und  Mägden  geschieht  ohne  Zeugen. 

Das  gegebene  Wort  ist  genug;  der  Handschlag  ist  nur  beim  Tierkauf 
gebräuchlich.     „Een  man,  ecn  man;  een  woord,  een  woord!" 

Auf  den  Wortbrüchigen  wird  nicht  nur  mit  Fingern  gewiesen,  die 
Schande  fällt  sogar  auf  die  ganze  Familie:  „Hüte  dich  vor  dem  oder  den; 
sie  halten  ihr  Wort  nicht!" 

Die  Ehrfurcht  vor  dem  verbüKgten  Wort  spricht  ebenfalls  aus  der 
Scheu,  welche  der  Dienstbote  zeigt,  vor  Jahresfrist  aus  dem  Dienste  zu 
treten. 

Das  geschieht  auf  dem  Lande  selten  mitten  im  Jahre  und  wird  stets 
zum  Nachteil  des  Bauern  oder  des  Dienstboten  gedeutet.  Geschieht  es 
raolü-nuils  auf  demselben  Bauernhofe,  so  stehen  dem  Bauer  Schwierigkeiten 
zu  erwarten.  „Dat  hy  er  zieh  een  beddeken  zaaie"  (er  säe  sich  deren 
ein  Beetchen)  heisst  es  beim  spottlustigeu  Volke.  Dem  Knecht  oder  der 
Magd  geht  es  in  diesem  Falle  auch  nicht  immer  gut,  denn  er  (oder  sie) 
findet  nicht  leicht  eine  neue  Stelle.  Ohne  Stelle  bleiben  heisst  man:  „op 
de  Klavers  geraken"  (auf  den  Klee  geraten),  warum  weiss  ich  nicht. 
Dergleichen  Dienstleuten  traut  man  allgemein  nicht.    Während  der  „strengen 


302  Wossidlo: 

Jahreszeit"  (im  Winter)  wird  kein  Bauer  einen  Dienstboten  fortschicken, 
und  während  der  Arbeitsperiode  wird  kein  Mietling  weggehen,  bestünden 
auch  wichtige  Gründe  zur  Unzufriedenheit,  immer  aus  Ehrfurcht  vor 
dem  gegebenen  Wort. 

Lüttich. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  xMecklenburger  Volkes. 

Von  R.  Wossidlo. 


Der  in  der  vorliegenden  Zusammenstellung  verarbeitete  Stoff  ist  im  wesent- 
lichen von  mir  selbst  seit  1 884  in  den  verschiedensten  Teilen  des  Schweriner  und 
Strelitzer  Landes  gesammelt  worden.  Die  seemännischen  Ausdrücke  über  Wind, 
Wasser  u.  s.  w. ,  die  mir  besonderer  Beachtung  wert  scheinen,  habe  ich  alten 
Matrosen  und  Kapitänen  in  den  Dörfern  der  Ostseeküste  entlockt  und  zwar  zumeist 
dadurch,  dass  ich  ihnen  früher  gehörte  Ausdrücke,  unter  dem  Yorwande,  dieselben 
nicht  völlig  zu  verstehen,  vorlegte  und  um  genauere  Erklärung  bat:  in  solchen 
Erklärungen  kam  dann  oft  ein  ganzes  Nest  verwandter  Ausdrücke  zum  Vorschein. 

Einzelne  wertvolle  Ergänzungen  meiner  Sammlungen  habe  ich  aus  den  Bei- 
trägen einiger  Mitarbeiter  an  dem  Sammelwerke  des  Altertumsvereins  schöpfen 
können;  ich  nenne  hier  mit  besonderem  Danke  die  Herren  Maler  Schack  in  Pinnow, 
Lehrer  Dunze  in  Bartelshagen,  Lehrer  Gosselk  in  Stresendorf,  Lehrer  Lübbe  in 
Nienhagen,  Lehrer  Brandt  in  Börgerende  und  Frau  Ida  Alm  in  Dierhagen.  Auch 
diese  Arbeit  erschöpft  natürlich  den  Besitz  unseres  Volkes  nicht  im  entferntesten; 
jede  Gegend  hat  ihre  eigenen  Ausdrücke. 

Volksreime,  Anrufe  an  Sonne,  Mond,  Regenbogen  u.  s.  w..  sowie  Wetter-  und 
Ralenderregeln  habe  ich  hier  bei  Seite  gelassen.  Alles,  was  sich  bei  Bartsch 
bereits  findet,  habe  ich  nur  in  Hinweisen  berührt. 

I.   Gutes  und  schlechtes  Wetter,  Wetteranssichten  u.  s  w. 

Gutes  Wetter: 
Dat  is  hüt  moi.  amösch,  macklig  weder,  gladdes,  kommodes  weder. 
Dit  weder  gädt  enen  ornlich. 
Dit  kann  'n  oll  minsch  god  uthollen. 
Dit  is  grad  so  niulrecht,  moltrecht. 

An  einem  schönen,  warmen  Märztage  heisst  es: 

Nu  kann  man  sik  all  bargen. 
-     Hüt  is  de  snider  ok  'n  minsch. 

Nu  kann  de  haudwarksburss  all  achter'n  tun  liggen  gähn  un  sik  'n 
ding  afgripen;  nu  kann  man  sik  all  'n  putiug  achter  de  häg  afsöken, 
afstöten. 


Das  Natiirlebeu  im  Munde  iles  Mecklenburger  Volkes.  303 

Schlechtes  Wetter: 

Dat  is  'n  höllenweder,  himmehveder,  swiusweder,  kohweder. 

Is  'n  grausames,  ruchloses,  verwedertes,  dwerslägsches,  meschautes, 
iuiunsches,  hundsföttsches,  uuflediges,  schinniges,  schaddiges,  schawwiges 
weder. 

Is  'n  richtiges  schapwaschweder,  tüffelrackerweder  hflt. 

Anderes  siehe  unter  „Regen". 

Is  so  'n  ungestüm,  uugestürni,  unstür,  unlustig,  unrustig,  unrüstig, 
unnasch,  unnoselig,  untröstlich,  unbarmherzig  weder. 

Is  so  'n  undankbor  Witterung. 

Is  so  'n  unwitterung  hüt. 

Hut  is  't  graunsch,  graunschig,  galstrig  buten. 

De  (scheper)  möt  der  buten  spott  un  schand  (stürm  un  Ungeduld) 
utliollen. 

Is  so  'n  oll  snuppisch  weder. 

Is  so  'n  oll  grises,  gruseliges  weder. 

Is  so  schudderig,  schauderig,  pustig,  rusig,  rüschig,  rauschig,  susig  hüt. 

Is  'n  weder,  dor  ward  enen  bi  liuddelu,  schuddern,  grasen. 

Anderes  siehe  unter  „Frost"  und  „Wind". 

Dit  is  'n  weder  vor  'n  pracher. 
Is  'u  weder  as  niidden  in  'n  nors. 

Is  'n  weder,  as  wenn  Haus  (Hansjochen)  frigt  un  het  gor  keu  brut. 
Dit  's  grad  so  'u  weder  as  dünn,  as  wi  achter  "n  aben  seien. 
Is  'u  weder,  dat  kann  'n  hund  jammern. 
Is  'n  weder  to  'n  kehl  tosneren. 

Is  'n  weder,  dor  kann  'n  lüs  un  flüh  bi  krigeu;  dor  kann  'n  dat  lachen 
nich  bargen;  dor  kann  enen  dat  frigen,  dat  flöhhöden  bi  vergahn. 
So,  bi  dit  weder  ward  de  zeg  wol  bücken. 
Dit  weder  is  minsehen  un  buern  ower. 
Dit  weder  hüllt  frünn  von  de  dör. 
Is  god  weder  to  'n  hunuhängen,  kamen  ken  tokikers. 
Is    'n    weder,    dor    mag    man    keneu    hund    achter  'n  aben  rutlocken; 
wenn  de  buer  'u  goden  hund  het,  joggt  he  em  nich  rut. 

Is    u    weder,    dor  kann  ken  pird  'n  og  updohu,    öwer  de  mann  kann 
rut,  sagt  wohl  die  Hausfrau  scherzend. 

Hüt  het  't  sin  däg,  sin  ort,  sin  ümstämi,  sin  grissmussen. 

Dat  weder  is  upstunus  ganz  ut  'n  schick,  ut  de  reihg,  ut  'n  curs,  ut  'n 
lim,  ut  de  fangen. 

Dat  weder  will  ok  gor  nich  upstäds. 

Wo  will  dit  weder  lien! 

Hüt  lett  he  sinen  dullen  wedder  ut. 

Hüt  lett  de  oll  wat  los. 

21 

Eeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1895. 


304  Wossiillo : 

Hut  spält  (blast)  lie  öwer  wedder  up! 

De  wedermaker  is  wol  uicli  to  hus,  is  wol  'u  auiieni  an  't  regier. 

Uns  herrgott  is  up  iiahwern  gähn. 

Nu  is  uns  herrgott  wedder  nich  to  luis,  nu  deiht  de  anner  (de  diiwel) 
wedder,  wat  he  will. 

Uns  herrgott  is  verreist,  Petrus  het  't  wurt;  sin  adjudanten  hebben  de 
regierung;  nu  wirtschaften  de  jungens;  nu  spälen  sin  dummen  jungeus; 
Petrus  het  't  sin  jungens  öwergeben. 

Andere,  rohere  Ausdrücke  übergehe  ich  hier. 

Willn  man  enen  rupschicken  na  Petrus,  dat  wi  annor  weder  krigen 
(dat  he  't  weder  dreiht). 

Willn  na  'n  krog  gähn  un  versupeu  't  weder;  dat  weder  niöt  rüm- 
sapen  warden;  willn  rein  luft  drinken. 

Willn  klor  weder  danzen. 

Willn  rein  uteten,  dat  't  god  weder  ward. 

Brennt  de  stubenbessens  up,  dat  't  klor  luft  ward. 

De  frugenslüd  möten  de  katt  god  straken,  dat  se  "n  stirt  hoch  höllt 
u.  ä.  m. 

Huhu,  wo  geiht  uns  riken  dat.  wo  "t  de  armen  nu  wol  geiht. 

So  nu  up  See  uu  denn  ken  schipp  nnner  de  föt  (un  denn  ken  henid  au). 

Öwer  slicht  weder  hebben  wi  seelüd  nich  väl  utdrücke,  sagte  mir  ein 
alter  Älatrose,  bi  uns  heit  dat:  so  as  't  kümmt  so  gelt  't;  un  wenn  "t  up 
dod  un  leben  geiht,  denn  het  jederein  sin  arbeit,  denn  hebben  wi  to  "n 
snacken  ken  tid. 

Bei  argem  Wetter  auf  See  heisst  es  sonst  wohl: 

Nu  krigen  uns  de  makrelen  wol. 

Nu  geiht  't  wol  rin  na  'n  keller,  na  'n  gottskeller,  na  'n  kabeljaukeller, 
na  "n  haikeller,  na  'n  haifischrachen. 

Hu  vadderniann,  wo 't  buten  wol  hunnt,  harr  de  voss  to 'n  wulf  seggt, 
harr  achter  "n  mardelhalm  legen  (harr  de  has  seggt,  harr  achter  'n  distel- 
busch  seten;  harr  de  fischer  seggt,  harr  "n  finger  dörch  't  netz  steken}. 

Halw  busch,  halw  rock,  säd  de  scheper  un  seet  achter  'n  knüttelsticken. 

So,  hier  (hinter  dem  Ofen,  in  der  warmen  Stube)  sitten  wi  beter,  as 
in  'n  Zierker  see. 

Dit  's  hier  dat  best  flagg  up  de  ganze  N.sche  feldmark. 

Ik  gah  hier  nich  rat  achter  'n  aben,  un  wenn  trummein  un  trumpeten 
gähn. 

So  nu  lat  't  man  husen,  toben. 

Nu  lat  'n  scheper  man  höden  (blaseu),  wi  sitten  in  'n  drögen. 

Is  man  god,  dat  wi  sniders  sünd. 

Unsere  Seeleute  sagen  von  einer  guten  Ankerstelle:  hier  liggen  wi  as 
in  Abrahams  schoss. 


Das  Natiirlelion  im   Muiid.^  drs  Meckleiiburgpr  Volkes.  305 

Hier  is  tlat  Sfliulig,  öwcrscluiliL;;  willii  'n  beten  achter  de  sclmluug 
gähn,  achter  öwerwind  gähn,  in  'n  öwerschulen,  in  't  öwerschur  gähn,  in  'n 
schnlingen  führen,  'n  beten  schulnng  snkon. 

In  der  Sehifferspraohe  wird  spriehwörtlieh  gebraucht:  willn  'n  beten 
achter  Bornholni  lopen. 

Wi  willn  dat  ihrst  utwedern. 


Wetter-Aussicliten  u.  s.  w.: 

Wenn  dat  weder  man  gods  deiht. 

Wer  weit,  wat  dat  weder  in  'n  kopp  liet. 

Bat  weder  steiht  noch  in  bedenken,  in  twifelniot,  is  noch  wankelmödis. 

Dat  weder  landdagt  (aucli  bei  Reuter). 

Dat  weder  lurt,  horkt,  is  in  't  horken,  steiht  inno  hork,  uppe  lur. 

Dat  is  so  'n  drusig,  drüsig  weder;  dat  weder  is  in  'n  drus,  in  'n  dusel, 
in  "n  düsel. 

Dat  weder  lig'gt  so  in  't  gewöhl. 

Dat  weit  nich,  wo  "t  lien  will. 

Dat  lunst  so;  is  so  "ii  oll  lunseli,  lünsch,  quackelig,  unbestand,  brüdig, 
uarrig  weder;  dat  weder  briidt  ünimer  so  weg;  is  so  'u  oll  tarrweder;  he 
narrt  uns  hüt;  he  lunt  umher  u.  ä.  m.,  vgl.  „Wind". 

Dat  weder  smitt  üni,  smitt  umband:  ändert  sich. 

Dat  weder  mag  sik  wol  noch  besinnen,  bekihren. 

Dat  breckt  wol  noch  dörch  (ja  ower  dörch  kittel  un  iack). 

Dat  mag  sik  wol  noch  dörchnmnkeln,  dörchmuddeln,  dörchkloren, 
(lörchbunten,  dörchhellen,  dörchgludern,  dörchschulen,  dörchwasson,  dörcli- 
arbeiten,  dörchfreteu,  dörchrusen,  afrusen,  ntrusen. 

Dat  ward  klor  achter  de  auken.  achter  Danierow,  Ciörgelow,  to  Käselow 
schint  de  sünn,  vgl.  „Wolken". 

ünuer  ward  't  klor,  harr  de  oll  fru  (de  bur)  seggt,  harr  'n  rom  von 
de  melk  sapen. 

Dat  ward  noch  blankmützenweder. 

Dat  driwwt  sik  af. 

Dat  unful,  de  unflat  müt  iiirst  rut. 

Dat  verdort  sik  'n  beten. 

Dat  weder  schint  sik  to  setten;  dat  treckt  to  weder. 

Wenn  wi  enen  to  narren  bruken  willen,  fragen  wi  eni,  ob  he  ens  in 
't  weder  kikeu  will;  wenn  he  denn  ja  seggt,  denn  ward  "u  rocksärniel  in 
de  hoch  hellen,  dor  möt  he  sinen  kopp  rinsteken  uu  dörchkiken,  dor  gütt 
denn  en  von  haben  to  'n  emmer  vull  water  rin,  dat  is  denn  de  regen. 

Ik  büu  so  wederweik,  ik  fohl  ümmer  vorher  so  'n  riten,  so  'n  rajolen, 
so    n  ramenteu  in  de  knaken. 


He  is  wedersüchtig,  wedersüksch. 


21' 


306  WosSidlo: 


II.    Regen. 


Regenwolken: 

Hut  giwwt  noch  wat  uppe  jack,  up  \\  kittel,  uji  'n  naschkittel,  uppe 
lunten,  uppe  plünn,  uppe  hotkrempen,  uppe  naht,  in  't  laken,  uppe  rabatten, 
uppe  räuw,  in  't  fellisen,  up  'n  dak,  up  'n  deckt,  uppe  lüs  u.  s.  w. 

Hut  ward  he  uns  noch  schön  weck  inswengen,  instoppen,  inspölen, 
instöwen,  inbulleru. 

Hut  schickt  he  uns  noch  wat. 

Wenn  de  uns  fat  't  kriggt,  driwwt  uns  dat  water  noch  ut  'n  mors. 

Hut  sünd  wi  inweikt,  morgen  warden  wi  wasclit. 

Hut  bringt  he  uns  dat  noch  to  hus. 

Hut  ward  he  uns  dat  anstriken. 

De  ward  uns  upspälen. 

De  ward  uns  schön  begawen,  begurrern,  begarrern,  liegassehi,  besudehi. 

Hut  begiitt  he  uns  noch. 

De  ward  uns  inseipen,  dörchseipen. 

Hut  lohnt  't  noch  weck. 

Hut  giwwt  noch  tunner,  priemtoback,  granaten. 

Hut  giwwt  noch  ne  bür  vull,  ne  lawei,  'n  loppen. 

Hut  giwwt  noch  wat  von  "t  fett  cud. 

Hut  giwwt  noch  wat  vor  wörtel  un  boliueu. 

Hut  krigeu  wi  wol  noch  "n  natten  nors. 

Seiht  jug  man  na  kittel  nn  kort  iack  um. 

Wir  'n  ding  asn  fustlumdschen,  .het  uns  doch  von  de  arbeit  jagt. 

Hut  ward  "t  wol  noch  "n  saebenviertelsdag;  hüt  niöten  wi  wol  noch  "n 
viertel,  'n  blagen  maken. 

Willn  all  'n  beten  scharp  henkiken  (denn  mag  he  jo  wol  bang  warden). 

Leiw  gott  ümmer  so  rüm,  hier  is  regen  nog  (wi  sünd  all  god  lud). 

Dat  ward  wol  regen  hüt:  du  meinst  wol  unnei-'n  ruhgen  himmel 
(obscön). 

Von  dicken  Wolken: 

De  ward  öwer  utspigen,  utspucken. 

Wo  de  utladt  (utpackt,  utschürrt,  loslott,  platzt),  dor  lohnt  "t  wat,  dor 
rögt  sik  wat,  dor  ward  't  klaetern. 

De  het  wat  in  sik.  dor  sitt  wat  in. 

De  het  öwer  insackt,  dor  hängt  n  schönen  sack  an,  de  het  'n  schönen 
sack  vull  bi  sik. 

De  het  öwer  kesbodder  laden,  vgl.  „Wolken". 

Wo  süht  dat  einmal  dick  ut:  je,  dat  kann  noch  so  dünn  warden,  dat  't 
nich  up  'n  spohn  to  hoUen  is. 

Wenn  dat  dick  all  ihrst  dünn  ward ! 

Dat  klort  dick  up  un  kümmt  dünn  dal. 


Das  Natiirlebeu  im  Munde  des  Mecldenlnirger  Volkes.  307 

Dat  giwwt  wol  uoch  n  husch,  u  lütten  hutsch,  rutsch,  lütteu  nassauer, 
lütten  öwergät,  lütten  ströper,  kratzei-,  fegert. 

De  dick  dutt  geiht  um  uns  weg,  'n  lütten  spraut,  swanz,  stripen,  sträng, 
sprägel,  ne  lütt  eck,  ue  lütt  spitz  krigeii  wi  ok  wol. 

De  düllst  marach  is  na  N.  röwergahn. 

Mit  de  butt  sünd  de  N.schen  wedder  dörch  de  latten  gähn. 

Dat  best  fett  is  na  N.  kamen. 

Dat  hebben  de  N.schen  sik  wedder  hahlt. 

Dat  is  uns  wedder  wegwitscht;  dat  scluier  is  uns  miss  gähn. 

Dit  is  man  ne  lütt  törnung. 

Is  man  'n  öwergang,  haiT  de  voss  ok  seggt,  as  se  em  dat  feil  öwer 
de  uhren  treckten. 

Dat  wir  man  so  'n  beten  öwerbradels. 

Dat  wir  man  "n  beten  sprangregen  (sprangwark,  spraugwesen),  de  butt 
kümmt  noch. 

Dat  snuckt  noch  na. 

Dat  spillt,  spillert,  sprenzelt,  sprenkelt,  quenkelt  noch  'n  beten. 

De  guss  is  öwer,  dit  is  noch  'n  beten  spriukelwark. 

Por  sweitdruppen  kamen  noch  achteran. 

Dit  is  noch  so  \\  lütt  naspill,     i\  lütten  naschuss,   naschüwer,    naguss. 

Nu  het  't  utmult,  utlunt,  utlurt,  utgludert. 

Frühregeu: 

Oll,  dit  is  mau  "n  beten  oll  frugenspiss. 

De  ollen  frugens  in  'n  himmel  sünd  nu  upstahn,  de  pissen  ihrst. 

Teglermuddersch  het  uoch  nich  utpisst. 

De  N.schen  hebben  dat  morgenpissen  noch  nich  dahn. 

Nu  het  Petrus  nog  pisst. 

Dit  is  'n  beten  mückenpiss,  mückenpissels. 

Der  pissen  de  öwerlandschen  mucken. 

De  Witten  dirnens  (die  Möwen)  hebben  noch  nich  utpisst. 

Auch:  wi  möten  utpissen,  dat  "t  god  weder  ward. 

De  frugenslüd  hebben  de  bräug  noch  nich  farig. 

Morgenregen  is  ken  dagregen;  morgengäst  bliben  ken  nacht;  de  heri-en 
de  tidig  kamen,  führen  vor  abend  wedder  weg:  aber:  de  gast,  de  na  uägen 
kamen,  de  sitteu  'n  ganzen  dag. 

Feiner  Regen: 

Dat  fimmelt.  fisselt,  fusselt,  stöwt,  sprudelt,  stuwwelt,  sweit  "t  so  'n  beten. 

Dat  is  so  'u  beten  duss,  beten  fissels;  is  so  n  finen  smudd;  dat  is  "n 
smurrregen,  smullregen,  smuddelkram,  muddregen,  dreckregen,  beten  spölter- 
kram,  so  'n  finen  sprüddelregen,  dakregen,  miestregen,  sweitregen,  stömregen. 

Beten  stoff  het  't  all  wedder  geben  hüt  middag. 


308  Wossidlo: 

Regenwetter: 

Dat  ast,  saut,  dreckt,  pisst,  sielit,  slunimt,  slargt,  smudelt,  smuddt, 
smuddelt,  smaurt,  sniurt,  smiirrt,  sinaust,  sniausselt  ümmer  to. 

Dat  saust  sik  euen  au  upstunns. 

Dat  is  bi  enen  sälent. 

Dat  sust  un  brüst  \\  ganzen  dag. 

Is  "n  asweder,  slackweder,  smuddelweder,  smausweder,  slatschweder; 
is  'n  saukram. 

Dat  is  so  'n  schurig  weder;  dat  schuert  ümmer  to  (vgl   unter  „Wolken"). 

Dat  is  so  'n  asig,  dreckig,  klattig,  klattrig,  klatschig,  messig,  muddelig, 
musselig,  muschig,  uascliig,  nasselig,  ölschig,  rackerig,  sälig,  slackerig, 
slakig,  slarkig,  slatschig,  sehiti»',  smnddelig,  smusselig,  smausig,  smolk, 
smölk,  snusslig,  suppig  weder. 

Nu  regent  't  pütten  un  pöl  vull  uii  nahst  früst  "t  to. 

Is  'n  weder,  dat  de  weg  driben. 

Dat  ward  all  en  blank. 

Dat  is  all  pflttig  un  plampig;  dat  is  all  en  matsch,  en  maratz,  en 
maus,  en  plamp,  en  plirrer,  en  supp. 

Dat  is  ne  schöne  gähr. 

Dat  is  so  matschig,  watschig,  gatschig  to  gähn. 

Hut  hamelt  man  sik  god  in,  hüt  warden  de  hamel  noch  billig,  hest  "n 
schönen  hamel,  kannst  di  sünndag  ne  supp  kaken. 

Regenweder  is  herrenweder,  bi  god  weder  kann  jederein  reisen. 

Starker  Regen: 

Dat  wir  öwer  'n  gät! 

Dat  wir  wedder  'n  gadlichen  schülp. 

Dat  is  'n  drangen,  strammen  regen;  is  "n  dreidrätigen  regen  (Reuter). 

Is  "n  störkregeu,  Strichregen,  platzregen,  pladderregen. 

Dit  ward  so  'n  ebendrächtigen  landregen. 

Dat  regent  gor  nicli  as  "t  mod  is. 

Dat  regent,  as  wenn  "t  up  "n  buern  (up  'n  buern  sin  schöttel,  up  n 
eddelmann,  up  'n  gemeinen  minschen)  regent. 

Dat  regent,  as  wenn  't  all  wegswemmen  sali. 

Auf  See:  Dat  regent,  de  spigaten  känen  't  water  nich  verdangen  (ver- 
delgen). 

Dit  liöllt  kiewig  an. 

Dat  regent  drell,  neuslich,  knasch,  glupsch,  vor  dull,  ümmer  egal  weg, 
na  'n  strich,  ut  vullen  bauch,  ümmer  glatt  dal. 

Regen  ded  "t  all  wat  't  heilig  tüg  hellen  wull. 

Wenn  grosse  Tropfen  fallen,  sagen  die  Dassower  Fischer: 
Dat's  von  de  groten  swedschen  (d.  h.  beringen). 


Das  Naturleben  im  Munrlo  dct^  Mecklenburger  Volkes.  309 

Dat  regent  in  gäten  dal;  as  wenn  't  mit  mollen  gaten  ward;  as  wenn 
en  mit  kannen  (emmers)  gütt;  as  wenn  t  mit  de  worpschüpp  ninsmeten 
ward. 

Dat  regent,  dat  "t  so  stöwt;  dat  liult  man  so;  hür  wo  't  sust. 

De  regenslag  sleiht  an  't  finster;  dat  huscht  an  't  finster;  dat  feitscht 
mau  so  an  de  laden. 

Dat  regent  hell  up  de  kapp  rup. 

Hut  flöscht  he  run,  hüt  lurzt  he  schön  weck  run. 

Dat  gütt  ümmer  lik,  pil,  pall,  piplings  dal. 

Dat  planscht  man  so  von  'n  heben  dal. 

Dat  pladdert,  pliddert,  plärrt,  plastert,  klaetert,  klabatscht,  rastert, 
rasselt,  hangt  gegen  de  finstern. 

Dat  pirrt  un  platscht  von  de  böm. 

Hür,  wo  't  plutscht,  wo  't  plützt.  ^ 

Dat  plurrt  so  unner  de  auken,  dat  giwwt  noch  mihr. 

Hür  wo  dat  buddert,  bungt,  gurrt,  gnrrert. 

Dat  buddelt;  dat  regent  buddeln  (blasen);  dat  regent,  dat  de  bluwwen 
up    ü  water  stahn;  nu  regent  't  büwwel,  regent  't  morgen  wedder. 

Dat  regent  bindfaden,  handspaken,  vigelinsiden. 

Ik  kam,  un  wenn  dat  kloppstein,  kieselsteiu,  teigelstein,  bummskülen, 
bilen  und  stakelforkeu,  schottforken  un  wagenrungen,  buerjungens,  spitz- 
boben  regent. 

Auch:  Is  beter,  as  wenn  't  stakelforkeu  regen  ded,  künuen  uns  ok 
noch  drapen. 

Hüt  regent  't  noch  swin  dod. 

Dat  regent  so  vel,  dat  de  poggen  versupen. 

Dat  helpt  nich,  dit  möten  wi  all  ihrst  her  hebben. 

Wi  maken  't  as  de  Wesenbarger  (Hagenower):  de  laten  't  regen. 

Hüt  regent  dat  'n  ganzen  leiwen  langen  dag. 

Hüt  regent  "t  wedder  man  einmal  (d.  h.  ohne  Aufhören). 

Wenn  't  man  ihrst  uphöl:  oh,  uphollen  deiht  "t  jo  all,  wenn  "t  man 
ihrst  tohöl. 

Stopp  't  regenlock  man  to! 

Uns  herrgott  schurrt  sinen  segen  ut. 

Petrus  treckt  de  schütten,  de  slüsen  up,  het  dat  schott  apen  makt, 
het  alle  locker  apen  makt. 

Petrus  het  't  grot  emmer  umstülpt. 

Hüt  stött  he  den  punschpott  um. 

Petrus  is  bi  't  brugen. 

Petrus  röhrt  sik  de  ogen  dick. 

Hüt  het  Petrus  grot  wasch;  de  hellen  haben  grot  wasch;  de  N. sehen 
geiten  't  waschwater  ut;  dor  sünd  'n  por  oll  wittfrugens  in  "n  himmel,  de 
känen  nich  nog  spöltert  ki'igen. 


310  Wossidlo; 

Weun  de  witten  (hellen)  wulkeu  regen,  nn  de  ollen  wiwer  dauzeu.  is 
ken  uphüreu  (is  de  deuwel  los). 

Wer  nu  in  'n  drögen  krupen  kann,  de  will  "t  wol  dohn. 

Dat  best  is,  dat  de  hüser  boU  sünd. 

Ik  bün  lütt,  ik  lop  unner  döreb. 

Wider  as  bet  up  den  kittel,  den  vadder  uns  mitgeben  het  (d.  h.  bis 
aufs  Fell),  kann  't  jo  nich  kamen. 

Zu  Kindern: 

Gab  man  rut,  du  büst  nich  von  zucker,  du  versmöltst  nich,  wardst 
nich  upweiken  buten;  dat  beten  regen  föllt  di  nich  dod;  de  mihrst  föllt  bito. 

Wat  het  diu  grossmudder  di  seggt:  sasst  drei  dag  vor  "n  regen  to  hus 
kamen. 

Dat  wir    noch    kort    vor  tickverlöw,    vor  "n  dumeu,    vor  'n  dursluten. 

Wi  hebben  uns  noch  dörchsleken,  dörchschüert,  dörchdrückt,  ranluert. 
rannerschult. 

Wi  sünd  noch  jüst  ranhardt. 

Auf  See:  Von  dat  schuer  sünd  wi  noch  eben  frisliert. 

Dat  het  uns  doch  fat  't  kregen,  het  uns  begrismult,  het  uns  uphackt. 

Wi  hebben  "n  schön  bad.  ne  scliöne  dracht  kregen. 

Wi  sünd  dörchbükt  bet  up  "t  feil,  dörchnätt't  bet  up  de  graden,  ik 
bün  dörchdüpd  bet  up  de  grawe  grund. 

Ik  wir  quatschnatt  (Reuter),  quutschendig-,  klatschendig-,  klatsch-, 
kläterigen-,  kläterfasen-,  klatter-,  messigen-,  putschen-,  platschen-,  pudel- 
natt,  dribend  natt. 

Ik  harr  nich  'n  drögen  faden  au  'n  liw. 

Natt  as  'n  klattigeu  heister;  klattrig  as    n  afruht  schap. 

Is  man  god,  het  de  lütt  dirn  seggt,  dat  ik  min  mudder  ehr  hemd  an 
hef,  süss  wir  "t  dörch  un  dörch  gähn. 

Unerwünschter  und  erwünschter  Eegen: 

Dit  is  austköstenweder;  hüt  is  strümpstopperdag,  kortenspälerdag: 
Regentag  während  der  Ernte. 

Dit  is  ne  frätaust  öwer  johr:  wenn  die  Ernte  vielfach  durch  Regen- 
wetter unterbrochen  wird.     De  supaust  (drinkorn)  is  uns  leiwer. 

Dit  is  'ne  ki'äpelaust,  brüdaust. 

Man  möt  alles  kurn  rinstehlen,  rinlauschen,  rinluern. 

Bi  slicht  austweder  krigeu  de  bm'hunn  släg  (hüt  sleiht  de  bur  sinen 
hund  wedder). 

Dat  pladdert  rin  in  de  popiren  fins  Heu):  dat  het  em  twischen  bullert 
(ballert);  den  het  "t  ok  "n  beten  mank  gasselt. 

De  het  trüggors  heut  hüt. 

Nu  het  uns  herr  wedder  verkihrt  rekent,  uu  möt  he  wedder  ümslagen, 
'n  frisch  blatt  anleggen  u.  ä.  m 


Das  Natiirleben  im  Mundo  des  Mecklenburger  Volkes.  31 1 

Oh,  wer  "t  uatt  makt,  makt  't  ok  wedder  drög. 

Dat  heu  suppt  alles  vull,  messt  in,  lig'gt  all  in  de  mullsch. 

All  dat  leivv  kiirn  liggt  in  schiet  un  dreck,  is  luter  mess. 

Von  den  velen  regen  is  dat  foder  all  utlogt,  utheert,  utwittert,  utwedert; 
dat  fett  is  dor  von  af,  de  bodder  is  dor  rut,  de  bodder  is  up  'n  felln  bieben. 

Dat  quält  uu  quält  sik,  öwer  dat  kann  nich  ankamen  an  'n  regen. 

Dat  Wühlt  'n  ganzen  dag. 

Dat  müsst  alle  dag  regen  un  sünndags  tweiinal. 

Dat  het  sik  rein  afregent. 

Petrus  is  verreist,  het  de  slätel  niitnahuien. 

Leiw  gott,  giww  ünimer  dale! 

Man  los  von  de  waterkant! 

De  acker  is  so  hart,  wenn  he  man  'n  beten  spöltern  würd,  vgl.  III. 

Vor  Johanni  möt  de  preister  um  regen  bidden,  na  Johanni  kann  't  de 
köster  dohn. 

Dat  het  so  'n  beten  andäut,  andogt,  anwelkt,  het  so  'u  beten  feucht  't. 

Is  so  'n  beten  in  de  hartpöll,  beten  vor  de  lütt  saat. 

Is  "n  beten  beter  vor  de  likdürn  worden  (is  nich  mihr  so  hart  to  gähn). 

Dit  is  nich  dörch  de  pöll,  dörch  de  kost,  dörch  de  swort,  an  de  wörtel 
kamen. 

Dit  is  em  nich  an  't  leben,  an  de  graden  kamen. 

Dit  sleiht  nich  an. 

Dit  is  so  'n  beten  tähnentarren,  so  "n  beten  tick  un  tack. 

Dat  lickt  de  sünn  bald  wedder  weg,  dat  hahlt  de  wind  bald  weg. 

Dat  's  grad,  as  wenn  de  mügg  in  'n  oceau  (in  't  meer,  in  de  müritz) 
spuckt  (pisst). 

Dor  kann  ken  höhn  von  drinken. 

Dit  is  'n  dankboren  regen. 

Dit  het  drüttels,  preusch  dahlers,  goldstflcke  regent. 

Diss  regen  is  uns  beter  as  ue  iaek  vull  släg  (as  wenn  uns  sähen 
buern  goden  morgen  beden). 

Dit  het  autreckt,  bitreckt,  anhahlt,  dörchdräugt;  dit  fött  em  an;  de 
haugt  in;  uu  ward  dat  leiw  kurn  sik  wol  nahelpen. 

Dit  is  wasslich,  graskienig,  graswasseu  weder. 

Hut  wasst  dat  gras  ne  äl. 

Dat  bülgt,  wöhlt,  sprudelt,  brüllt  man  so  rut. 

Dit  is  'n  weder  as  in  'n  driwhus. 

Hut  knackt  dat  gras  orulich. 

Hflt  kann  man  't  gras  wassen  hüren  (seihn). 

Bi  dit  weder  wasst  sik  dat  'n  kopp,  knick  un  kragen  af,  ut  saft  un 
kraft,  ut  de  macht,  ut  rand  un  band  u.  ä. 

Uns  wasst  dat  gras  jo  in  de  ogen. 

Dit  is  glatt  weder  vor  \\  leiwen  salat  un  de  jmigen  hasen  (gösset). 


312  Wossidlo: 

Die  Aprilschauer  (prillschueni)  lieissen  auch:  adborflageu,  adbor- 
stüweu,  äber(ädber)stüweD,  adeborszüg,  hannotteschuern;  an  der  Elbe: 
stintschuern,  stintflagen. 

Von  schweren  Regengüssen  im  Mai  heisst  es:  dit  is  de  maibük,  dit 
sünd  de  maifläuten. 

Regnet  es  bei  Sonnenschein  (ut  de  kloren  wulken),  so  hört  mau 
sagen : 

Nu  deiht  den  wulf  de  buk  weih. 

Nu  pissen  de  wülw. 

Nu  kümmt  'n  snider  in  'n  himmel. 

Nu  hangt  de  düwel  sin  fru  (vgl.  Bartsch  II,  4). 

Nu  ward  'n  hurkind  makt  oder  süss  ward  en  döfft. 

Na  sünnenregen  (auch:  mairegen)  wasst  man  god  na. 

Von  Hexen,  die  Regen  erzeugen  konnten,  hörte  ich  mehrfach  erzählen. 
Eine  alte  Frau  berichtete  mir:  en  oll  mann  säd  mi,  in  Engelland  künnen 
se  regen  laten,  wenn  se  wullen. 

Der  Regenbogen  heisst  auch  sünnenbagen  oder  gnadenbagen. 

Züh  dor,  de  leiw  gott  is  uns  noch  gnädig. 

Petrus  spannt  sinen  regenschirm  up. 

Ein  Arbeiter  bei  Neubraudenburg  sagte  mir,  er  habe  einen  neunzig- 
jährigen Greis  öfter  beim  Erscheinen  eines  Regenbogens  sagen  hören: 

uns  herrgott  treckt  hüt  de  slagfohr  an  de  scheid. 

III.   Helsses,  trockenes  Wetter. 

Is  ne  stickhitt,  backhitt,  snirrhitt,  bökenhitt  (Stillfried),  eine  hahne- 
büchene  Hitze  (Reuter). 

Is  'ne  jämmerliche  hitt  hüt. 

Dat  is  so  swaul,  swaulwarm,  swäulig,  swullmig;  is  so  beklummt;  is  so 
'ne  battige  luft,  is  so  battwarm,  so  brottwarm,  brottig,  bruddig,  bratwarm, 
stickwarra. 

Hüt  is  't  buddig  warm,  bös  warm  u.  a.  m. 

Dat  versakt  sik  noch  to  'n  gewitter. 

Is  so  luswarm,  waterwarm. 

Is  hüt  so  'n  oll  lurig,  läkrig,  läsig,  lungerig,  lauig,  laumig,  lummig, 
lummerig  weder. 

Is  so  amachtswarm;  so  'n  oll  amachtig,  amächtig,  machtläsig  weder; 
so  'n  oll  lahm,  lahmig,  ful,  möd  weder;  is  so  "n  oll  mör  luft  hüt. 

Hüt  sengt  dat  god,  hüt  brad  't  ornlich,  he  smöltt  hüt  ornlich. 

Dat  schräudt  hüt  richtig. 

Hier  glummt  't  öwer  richtig. 

Dat  is  'n  beten  hell  hüt. 

Hüt  het  de  oll  wat  mit  uns  in  "n  sinn. 

Hüt  brukt  he  dat  prickelisen  ornlich,  hüt  prickelt  he  enen  up  'n  kopp. 


Das  Naturlehen  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  313 

Hut  meint  uns'  sünn  dat  weddor  tru. 
He  schint  enen  hüt  bannig  up  'n  pelz. 
Hier  blitzt  he  schön  dörch. 

Dat  is  ne  hitt,  de  luft  de  finmielt,  flämniert,  flockert,  flunkert  ornlich; 
diit  ämert,  mickert  ornlich;  man  kann  dat  ornlich  swemmern  seihn:  von 
der  zitternden  Bewegung  der  Luft 

Dat  is  so  hirrig  hier,  de  hitt  hirrert  ornlich. 
Hüt  gährt  man  'n  ganzen  dag. 

Hüt  kümnit  man  gor  uich  rut  ut  de  giss,  ut  de  gähr,  ut  de  brad,  ut  'n 
sniiidd. 

Nu  geiht    t  sniuren  wedder  los. 
Hüt  giwwt  "t  noch  graten. 

Hüt  ward  "t  heit,  säd  de  hex,  harr  in  "n  aben  süUt. 
Hüt  joggt  he  uns  den  kittel  noch  af,    treckt  dat  hemd  noch  ut,  helpt 
uns  de  iack  noch  ut;  hüt  warden  se  uns  de  west  noch  uttrecken. 

Hüt  wardeu  de  flomen,  hüt  ward  dat  speck  noch  dünn;  hüt  bradt  he 
enen  dat  fett  ut  de  knaken;  hüt  kämmt  't  fett  na  buten. 

Hüt  gütt  enen  dat  man  so  ut;  hüt  pröddelt  enen  dat  so  ut  'n  liw. 
Hüt  ward  dat  speck  noch  lecken;  hüt  kann  man  wedder  speck  drägen; 
hüt  giwwt  't  noch  'n  sadel  up  'n  puckel  u.  ä.  m. 

Wi  hebben  sweit't  as  n  bull,  as  'n  buUoss,  as  'n  pird  u.  s.  w.;  dat  de 
pogg  up  "u  puckel  swemmen  künn. 

Petrus  bött  so  dull  unner  hüt,  het  bannig  nabött,  het  frisch  nasteken, 
het  stamm  upsmeten. 

Hüt  het  he  düchtig  knuppen  insteken. 
Nu  is  he  bi,  bött  mit  steinkahlen  na. 
Hüt  schurrt  he  öwer  up;  hüt  schört  he  in. 
Petrus  het  de  höU  apen  makt 
Ik  gab  nich  rut  hüt,  de  stirn  sitt  mi  in  "n  weg. 

Hüt  giwwt  "t  noch  vel  stirn;  dat  stirn  is  so  hoch  hüt;  dat  stirn  liggt 
enen  bannig  up  'n  liw. 

Dor  is  so  vel  süini  an  'n  heben,  bring  mau  ne  schündör  mit. 
Is  ne  hitt,  as  wenn  man  in  'n  backaben  sitt. 
Dat  is  ne  hitt,  dor  kann  man  'n  ossen  bi  braden. 
Is  so  heit,  de  kreih  quackt  (jappt)  up  'n  tun 
Is  ne  hitt  hüt,  dat  de  lüs  ut  't  knoplock  springen. 
Ist  dies  ne  hitze,  seggt  Krischan  Bück,  dor  möt  man  rein  mit  "n  kopp 
in  "n  neddel  krupen. 

Vel  warm  un  wenig  hier. 

Bi  so  'n  hitt  sünd  de  flitigen  un  de  fulen  god  von  en  to  kennen. 
Is  ne  hitt  to  'n  umfallen,    to  'n  ümsmiten,    to    n  brennen,    to  'n  ver- 
smölten,  to  'n  versmachten,  to  'n  platzen,  to  "n  dull  warden,  to  'n  utriten, 
to  "n  utspanuen. 


314  Wossidlo: 

Is  rein  to  'n  basta  inaken. 

Dor  kann  "n  dat  für  bi  krigen. 

De  hitt  benimmt,  benebelt,  benaugt  enen  ornlich. 

Hut  kann  man  rein  beswimen,  beswögen,  benüsseln;  dor  kann  man 
rein  de  swölung,  de  swölniss,  de  swöguiss,  de  swiuhod,  dat  swinhöden  bi 
ki-igen. 

Wenn  jemand  bei  starker  Hitze  ermüdet  oder  erkrankt,  heisst  es: 

De  ollscli  backt  em  up. 

Den  het  de  gel  bi  de  iack;  de  gel  kriggt  em  faft 

Den  het  de  sünn  ümschint,  ümstött,  dalschint,  dalkregen,  ünnerkregen. 

Den  is  Marik  to  nah  west;  het  Marikeu  di  dalwöhlt? 

Den  het  de  swinegel  stekeu. 

Den  is  de  katt,  de  ap  uphackt;  em  het  "t  uphackt. 

Den  het  de  kreih  kregen. 

Und  in  der  Erntezeit  am  häufigsten: 

Den  het  de  austbuck  (austbull)  stött. 

Oder  im  Ratzeburgischen  und  im  Nordwesten  des  Schweriner  Landes: 

De  het  dat  ornkind  ki'egen. 

Sehr  häufig  sind  Ausdrücke  wie: 

Em  is  Johann  Mör  öwer  worden,  uphackt;  Johann  Mör  kickt  em  öwer 
de  schullern;  de  niöt  mit  Johann  Mör  rundümslepen  u.  a.  Diese  Personi- 
fikation des  Johann  Mör  ist  unserem  Volke  so  geläufig,  dass  man  sogar 
Arbeiter  in  der  Ernte,  wenn  ein  Genosse  schlafi'  zu  werden  droht,  sagen 
hört:  Johann,  lat  den  minschen  gähn! 

Em  het  dat  ful  ünuer:  den  het  Fuljan  to  hollen  u.  s.  w. 

Und  weiter: 

De  het  sik  enen  wegluert. 

De  is  beit,  spack,  fack,  bucklahm  worden  u.  s.  w. 

Den  möten  wi  ok  wol  noch  in  de  buttkiep  na  hus  dregeu. 

Vom  Acker  und  Korn: 

Dat  jankt  all  na  regen. 
■    Uns  ded  grot  'n  por  drupp  nödig,  de  acker  is  all  so  döstig,  so  hellig, 
dor  is  gor  ken  frucht  mihr  in. 

Dat  is  all  all  aschig. 

De  acker  is  so  brettig,  borkig,  is  all  so  todelt. 

Dat  foder  snii-rt  ornlich. 

Dat  steiht  all  as  puder;  dat  brennt  all  to  peper,  to  grus;  de  kiewer 
vergrust  all. 

Dat    is  all   so  sturrdrög;    so  stm-r  as  wenn  "t  uppe  röst  liggt  u.  ä.  m. 

De  hitt  het  den  roggen  benaugt,  hesnirrt,  bedi'angt,  belopen. 

De  hitt  is  em  öwer. 

Dat  kurn  is  rein  verbradt,  verblickt;  dat  verschänt,  verschräudt  all 
up  'n  halm,  dat  stumpt  so  to. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  315 

Auf  die  Bemerkung:  dat  drögt  hüt  mal  schön!  erfolgt  wohl  die  Frage : 
!0,  is  de  uäsdrüppel  all  weg? 

Sor  trocken;  wenn  't  sor  weder  bliwwt;  wenn  dat  upsoren  deiht,  känen 
;vi  morgen  inführeu. 


IV.   Kaltes  Wetter.    Frost.    Eis. 

Strenge  Kälte: 

Dat  wir  ene  hindige  külde  (Gryse). 

Dat  wir  ene  streffe,  leidige,  graunsche,  flämsehe,  swinsche,  schäwsche, 
grimmige,  gottsjämmerliche,  infernalsche,  zackermentsche,  zackerlegsche, 
bittrige  küll. 

Ene  brandbitterböse  küll  (Brinckraan). 

Dat  wir  ne  hunnküll. 

Dat  wir  \\  knulligen  frost. 

Hüt  is  dat  bitterlich  kolt,  asig,  basig,  bannig,  borig,  buddig,  bestig, 
deftig,  knurrig,  klotzig,  gräsig,  grausig,  grugelmässig,  grauwellig,  hunnsch, 
luindsföttsch,  kannibalisch,  kalleborisch,  borborschen,  räsonnabel,  liderlich, 
hidermässig,  nichtswürdig,  schinnig,  schinnermässig,  deuwelhaftig,  mordsch, 
mordalsch,  zetermorig,  zittermordsch,  zetermässig,  zitterbreunig,  utver- 
schamten,  utermaten,  uterwis,  utbanuig,  uunoren  kolt. 

Is  hüt  degern  kolt,  krus  kolt,  herzhaft  kolt. 

Dat  is  so  maiköhl  hüt,  im  Scherz,  von  strenger  Kälte. 

So  auch:  De  sünn  schient  euen  in  'n  nacken,  dat  enen  de  thranen  ut 
de  ogen  lopen. 

Is  so  'n  schuddrig,  klamig  weder,  vgl.  „Wetter". 

Is  doch  schruderig,  wenn  'n  ken  hemd  an  het. 

Dat  grisselt  enen  dörch  de  Imt. 

Is  so  schietkolt,  dreckkolt,  fingerkolt,  heimlich  kolt,  lusig  kolt. 

Dat  is  so  frätsch  hüt. 

Is  sniden  kolt  hüt. 

Öwer  nacht  giwwt  't  freisen,  ward  't  borig  freiseu,  fix  frieren. 

Hüt  knippt,  klemmt  dat  ornlich,  hüt  weit  't  to  klemmen. 

Hüt  fött  he  still  an. 

Hüt  meint  he  't  trug,  hüt  meint  he  't  god. 

Hüt  fröggt  he  enen  na  't  gemöt. 

Hüt  fröggt  he  enen,  wo  'n  henhürt. 

Hüt  fröggt  he  enen,  ob  man  wat  um  un  an  het. 

Hüt  kann  man  god  twei  büxen  liden. 

Hüt  joggt  he  enen  hinner  "n  aben. 

Hüt  abend  kann  enen  dat  hojahneu  (dat  frigen)  vergahn. 

Dat  friert  stein  un  bein,  bickerstein,  bickelsteiu,  pickelstein. 


316  Wossidlo: 

Dat  früsst  dörch  mark  un  bein. 

Hut  fött  't  an  de  näs:  hüt  snüwwt  he  enen  de  uäs  ut. 

Hut   früsst  enen  binah  de  snut  to;    hüt  früsst  enen  de  snappen  an  de 
näs  fast;  dat  friert  istappen  an  de  uäs. 

Is  so  kolt  hüt,  dat  firamelt,  flimmt,  krimmelt,  kriwwelt,  riwwelt.  snirrt 
enen  ornlich  an  de  uhren. 

Is  ne  küll,  dat  enen  de  ogen,  de  hör  frieren. 

Dat  enen  de  seel  in  'n  liw  bewert,  danzt,  piept,  knackt. 

Dat  enen  dat  liart  in  "n  liw  (dat  feil  up  "n  ]uickel)  tosamenkrüppt. 

Dat  sik  de  darm  in  "n  liw  ümkihreu. 

Dat  de  tähnen  in  "u  kopp  klaetern. 

Dat  enen  de  tung  an  'n  bän  (Gaumen)  fastfriert. 

Dat  enen  de  kätel  in  "n  uors  danzt. 

Dat  enen  de  büxen  vor  "n  nors  bewern. 

Is  ne  küll,  dat  man  water  in  "n  sack  dregen  kann 

Is  ne  küll,  dat  de  böm  knacken,  basten. 

Is  ne  küll,  de  borrms  dampen  in  "t  holt. 

Dat  is  ne  küll,  de  voss  bellt  (bläkt)  ornlich. 

Is  ne  küll,  dat  de  hnnn  hulen. 

Is  ne  küll,  dat  de  höhner  mit  "n  nors  bellen. 

Is  ne  küll,  dat  de  kreih  up  "n  tun  jappt  (vgl.  III). 

Hüt  piept  de  uhl  in  't  holt. 

Is  ne  küll,  dat  de  swin  in  "n  stall  verfriereu. 

Is  ne  küll,  dat  de  pirkätel  klaetern. 

Dat  de  vägel  ut  de  luft  fallen. 

Dat  de  has  gor  ken  ei  leggen  kann,  de  nors  snappt  em  to. 

Is  so  kolt,  dat  glimmt  ornlich,  de  finsteru  glimmern  ornlich. 

De  stirn  glemmern,  glummen,  glumniern,  flammen,  flämmern.  flinimern, 
mickern  ornlich. 

Hür,  wo  jucht  de  snei! 

De  snei  röppt  „grip,  grip". 

De  snei  gnirrt,  gnurrt,  gnurrscht,  fläuft,  cjuiekt  ornlich. 

Dat  gnastert,  dat  singt  ornlich. 

De  Wagens  pipen,  gnarren  firnlich. 

Hüt  friert  de  düwel  noch  vor  de  höll  dod. 

Uppe  oltstadt  stind  all  kinner  in  de  weig  verfroren. 

Hüt  frieren  noch  weck  tosam. 

Öwer  nacht  ward  "t  twischen  twei  verleiwte  frieren  (wenn  s"  ok  in  'n 
backaben  sitten). 

Öwer  nacht  wir  "t  ne  küll,  in  Warnemünd  hebben  de  flöli  up  n  piss- 
pott  stridschoh  lopen. 

So  nu  de  pudelmütz  öwer  de  uhren  un  de  bein  in  "t  rühr. 
Bi  dit  weder  is  'n  pelz  beter  as    n  por  handmanschetten. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  317 

Bi  teil!  grad  küll  süiid  'n  jior  fustliandscheu  beter,  as  wenn  eiien  teiu 
buern  goden  abend  seggen. 

Gah  nich  rut,  du  kriggst  'ii  kiiipuagel;  di  kiiggt  de  nägelpürrick,  de 
nägelworm,  de  kniperworm. 

Gabt  nich  rut,  hüt  is  de  kniper  buten,  de  kirl  mit  de  knip. 

De  klemmerklas  is  buten. 

De  mann  sitt  buten  mit  de  rod  näs  (mit  de  spillbömeru  ogen  un  de 
messhaken  tähnen). 

Gah  nich  rut,  de  küllvägel  biten  di. 

Gah  nich  rut,  rasselbuck  steiht  an  de  eck. 

Wenn  wi  enen  dämelhaus  anführen  willen,  denn  seggen  wi  bi  scharp 
küll  to  em,  he  sali  rutgahn  un  'n  bewer  fangen,  de  bewerfeil  wiren  düer. 
Denn  ward  'n  lock  in  'n  tun  makt,  dor  möt.  he  vor  stahn  gähn  uu  'n  sack 
apen  hellen;  wi  annern  seggen  denn,  wi  willen  em  den  bewer  todriben; 
wenn  wi  flauten  deden,  denn  kem  he.  Dor  laten  wi  em  denn  so  lang 
stahn,  bet  he  richtig  "n  bewer  fungen  het.  (Wortspiel  zwischen  bewer, 
Biber  und  bewer,  bewern). 

Bei  Teterow  hörte  ich  dafür  kürzlich:  Gah  rut,  sasst  'n  miunken  (otter) 
fangen;  doch  verstehe  ich  nicht  das  Wortspiel,  das  auch  dieser  Bezeichnung 
zu  Grunde  liegen  muss.  An  der  Ostseeküste  bei  Klüz  wird  den  Betreffenden 
vorgeredet,  er  solle  bowerhöhuer  fangen,  auch:  'n  bewervagel  krigen, 
bewernadel  krigen.  Oder  man  sagt  ihm,  er  solle  bewer  höden,  dann  wird 
ihm  ein  Eimer  voll  kalten  Wassers  auf  den  Kopf  gegossen.  Bei  Crivitz 
heisst  es:  Gah  rut,  hüt  abend  treckt  de  staulmort,  denn  willen  wi  di 
todr"iben. 

Jungens  warden  bi  scharp  küll  dormit  anführt,  dat  man  to  ehr  seggt: 
hoU  diu  tung  an  'n  pumpenswengel  (an  de  dörenklink,  au  't  emmerseil), 
denn  kannst  de  engel  in  'n  himmel  singen  liüren. 

Kalter,  rauher  Wind: 

Dat  is  \i  spöttschen,  spitschen,  brennen,  sniden  wind. 

Is  so  'n  hellroden  wind  hüt. 

Is  'n  kolleu  wind:  ja  min  is  warmer. 

Dat  wir  'n  blinneu  nui'dost  (Brinckman). 

Hüt  kümmt  de  wind  her  ut  den  urt,  wo  de  swin  verklamen. 

Hüt  is  "t  nich  sauber  buten. 

Hüt  snüwwt  dat  uich  fin  up  "n  barg. 

Hüt  fött  he  enen  in  de  näslöcker. 

Hüt  kohlt  he  enen  dat  hart  in  "n  liw  ut  (vgl.  oben). 

Hüt  kann  man  fohlen,  wo  he  herkümmt. 

Hüt  langt  he  öwer  hen. 

Hüt  schurrt  he  enen  ornlich. 

Dat  grast,  schuddert,  hahlt,  snitt  enen  dörch. 


318  Wossidlo: 

Hut  feitscht,  pietscht,  rast,  ritt,  hust  he  enen  dörch. 

Hut  pfeift  he  enen  dörch  rock  un  kamsol;  hüt  geiht  he  enen  hell 
dörch  't  tüg;  dit  geiht  dörch  kittel  nn  kort  iop. 

Wenn  de  nurdost  so  lang  simmt,  denn  seggt  he:  liest  nich  mihr  büxen 
an  as  dissss. 

Frieren: 

De  is  so  hufrostig,  hukfrostig,  hutfrostig. 

Olle  frostkätel,  oll  hurricklischen,  wat  hest  hier  rümtohurricken;  gah 
man  rut  achtern  aben,   dodfreiseu  deihst  nich;    de  nors  snappt  di  nich  to. 

De  verfrüsst  noch  in  'n  Johannsniand  un  denn  uppe  sünneusid. 

Hier  is  dat  jo  kolt  as  in  'n  hunnstall. 

Brrr,  seggt  de  düwel,  wenn  he  in  de  kirch  kickt. 

Ik  frier  hier  noch  to  grütt  un  maus,  to  graus  un  maus,  to  appelmaus, 
to  grus  un  wormmehl,  to  "n  kätel,  to  pepernät,  pimpernät,  klappernät, 
kläternät. 

Mi  gräselt  bet  up  't  blöd. 

Em  früsst,  as  wenn  de  düwel  em  uppe  schnrrgaffel  het. 

He  friert  as  'n  snider  un  bewert  as  "n  linnenwebor. 

He  snuttert  ornlich  (mit  de  tähnen). 

Ik  wir  so  verklamt,  ik  küuu  nich  zipp,  pipp,  nicli  ach  un  ja,  nich 
vadder  oder  mudder,  nich  tatter  oder  mömme  seggen. 

Beter  stiw  frieren  as  stiw  arbeiten. 

Trägt  einer  noch  spät  im  Frühling  die  Winterhandschuhe,  so  muss  er 
hören:  Lat  di  man  nich  von  'n  kukuk  in  de  handschen  schiten. 

Verschiedenes: 

Beim  ersten  Prost  heisst  es:  Nu  het  de  voss  den  nuirer  wat  in  'n 
lehm  makt;  nu  is  de  voss  den  murer  mank  "n  kalk  west:  nu  sflnd  de 
dreckswälken  dor  ok  mit  lang.  Oder  auch  zu  den  Maurern  selbst:  Öwer 
nacht  het  he  jug  enen  indefft,  inmeugt. 

Wenn  hai'wstöwers  vel  hochtiden  sünd,  seggen  wi  liier:  dat  ward  "n 
kollen  winter.  De  sommers  frigeu,  seggen  wi,  de  frigen  ut  leiw;  öwer  de 
winters  frigen,  de  frigen  blos  von  wegen  de  warmniss,  dat  so  bi  "n  anneru 
inkrupen  käneu,  wenn  de  küll  stramm  autreckt. 

Wenn  de  kienner  kolt  weder  hüllt  (d.  h.  anzeigt),  möt  he  in  "t  rühr 
leggt  warden. 

Twischen  de  sünn  un  den  dag 
het  de  VOSS  sin  gröttst  plag, 
d.  h.  kurz  nach  Sonnenaufgang  ist  es  am  kältesten. 

De  harwstnacht  het  nägenunnägentigerlei  ort  lun;  de  winternacht  het 
uägnerlei  ort  lun;  de  winternacht  is  as  "n  kinnernors,  bald  schiten  s"  un 
bald  migen  s'. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  319 

Wenn  viel  Schnee  gefallen  ist:  Nu  kann  de  küll  nich  in  de  ird  kamen, 
IUI  treckt  (drängt)  se  to  timmer. 

Blackfrost:  Frost  olme  Schnee. 

Dat  is  so  "n  ollen  unwederfrost,  seggeu  wi  in  "n  november,  wenn  dat 
nachts  friert  un  dags  wedder  däut. 

Dat  wintert  gor  nich  ornlicli.     So  auch:  Dat  will  nich  sommern. 

Februori:  sclieper  wohr  di. 

De  februor  het  seggt:  wenn  ik  so  künn,  as  ik  will,  let  ik  bickelsteiu 
frieren. 

De  februor  het  to  'n  jenner  seggt: 

Hätt  ich  das  Recht  wie  du, 

Liess  ich  verfrieren  das  Kalb  in  der  Kuh. 

Oder  auch:  Wenn  ik  de  macht  harr  as  du,  let  ik  de  pött  vor  kaken 
un  liinnen  frieren. 

Wenn  ik  so  väl  kraft  harr  as  min  broder  Januar,  let  ik  dat  kind  in 
de  weig  verfrieren. 

Ein  alter  Fischer  in  Börgerende  sagte  mir  kürzlich:  Min  oll  vadder 
j)kggte  (immer  to  seggen:  wenn  de  Januar  de  büx  nicli  tosnitt,  kann  de 
februar  se  nich  trechtueiht  lirigen. 

Dickkopp  heisst  bei  Neubrandenburg  der  Januar:  wenn  wi  mit  den 
dickkopp  man  ihrst  dörcli  sünd,  hörte  ich  dort.  Hier  iu  Waren  wird  von 
dvn  Arbeitern  der  Donnerstag  als  dickkopp  bezeichnet:  Nu  is  de  woch 
bald  wedder  to  end,  den  dickkopp  hebben  wi  nu  all  wedder  trecht. 

De  sparling  het  eus  in  "n  koUeu  winter  to  Petrus  seggt:  wenn  ik  so 
vel  künn  as  du,  denn  schöw  ik  knu])i)en  in  as  min  kül  dick,  denn  süll  't 
wol  warm  wardeu. 

De  tunliönig  het  to  'n  adebor  seggt:  bliw  doch  in  'n  winter  bi  ims, 
liier  to  land  steken  se  knuppen  in  as  min  kül  diclv  un  dor  nocli  riesholt 
mank. 

Den  buern  is  dat  leiwer,  wenn  he  lichtmissen  "n  wulf  up'ii  hof  süht 
as  n  döscher  in  hemdsärmeln  (denn  is  dat  weder  to  god,  denn  ward  dat 
naher  wedder  slicht). 

Lichtmissen  röppt  de  wulf  de  schap. 

Wenn  lichtmissen  de  sünn  in  "u  schapstall  kickt,  dat  's  so  god,  as 
wenn  de  wulf  in  de  dör  kickt  (denn  giwwt  dat    u  schrägen  frühjohr). 

Ein  Handwerksbursche  hat  au  schönen  Märztagen  Stiefel  und  Strümpfe 
vertrunken  und  verspielt.     Als  es  dann  wieder  kalt  wird,  bittet  er: 

Liebe  sonne,  komm  und  scheine  mir  doch  wieder  auf  die  beiue,  ich 
will  aucli  nie  wieder  brauntwein  trinken;  oder:  ich  will  auch  mein  lebstag 
nich  wieder  tuckmegansch  (ein  altes  Kartenspiel)  sjjieleu. 

Eu  handwarksburss  het  seggt:  die  lerch  hat  mich  betrogen  (as  de 
sungeu  het,    het  he  all  sin  wintertüg  wegsmeten),    aber  der  kukuk  das  is 

Zeitschr.  d.  Vereius  f.  Volkskunde.     1095.  22 


320  Wossidlo: 

der  rechte  soniniervogel.  Ower  dat  is  ok  uich  wolir,  de  richtige  sonimer- 
vagel  is  de  grot  bromms;  weim  de  ihrst  maiik  de  köh  is,  denu  is  de 
sommer  dor. 

Dit  is  de  slelidurnskiill,  seggen  wi  in  'n  npril;  mi  breckt  (hit  steinawt 
up,  seggen  wi  ok,  denn  is  ümmer  rnsig  weder. 

De  hawdurnsküll  is  in    n  Juni. 

Ihrer  de  feldros  bläuhgt,  sali  man  dat  unnertüg  nicli  uttrecken,  un 
wenn  se  utbläuhgt  hat,  sali  man  't  wedder  antrecken. 

Wenn  dat  ruriept  het,  seggen  wi:  „hüt  hecken  de  böm",  denn  krigen 
wi  awt,  vgl.  Bartsch  II,  250. 

Wenn  riep  liggt  morgens  un  dat  is  nich  recht  kolt  dorbi,  denn  seggen 
wi:  de  riep  bepisst  sik  hüt  noch,  dat  ward  noch  regen.  —  Wenn  de  riep 
rasch  updäut  un  so  lopen  ward,  denn  seggen  wi:  nu  het  de  dögt  sik 
bemegen,  vgl.  Bartsch  II,  212. 

De  nachtfröst  bliben  noch  nich  ut.  harr  de  oll  fru  seggt,  harr  nijohr- 
morgen  den  nors  ut  't  finster  liollen  (harr  ülenspeigel  seggt,  harr  nijohr 
ut  de  dör  keken). 

Wenn  de  rogg  man  öwer  nacht  ken  blag  näs  kriggt;  wenn  em  de  näs 
man  nich  verfrüsst. 

Öwer  nacht  is  de  rogg  'n  wittkopp  worden. 

Einmal  hörte  ich  auch:  Wo  de  rogg  wol  brüllt,  holt  "n  stirt  in  "t  end. 

Eis: 

Dat  ward  all  harden. 

Öwer  nacht  het  't  'n  beten  anhardt,  drögt,  andrögt,  updrögt,  röst't, 
anröst't,  anstort,  antalgt:  vom  Erdboden. 

ne  lütt  kesköst  is  all  öwer  kamen. 

Öwer  nacht  het  't  'n  beten  öwerschelwert,  öwerschülpert,  öwerschräugt, 
öwerschräudelt,  öwerschröchelt,  öwerschrumpelt:  vom  Wasser. 

Dor  wii"  'n  beten  schrampelis. 

Dat  water  ward  dick;  wi  führen  so  lang,  as  't  water  dünn  is. 

Dat  is  knallt,  bröllt,  hult,  bautzt,  dat  giwwt  vel  küll;  dat  dunst  orulich; 
de  see  de  bullert;  de  see  brüllt  as  so  'n  haud  wülw. 

Man  unterscheidet:  Bollis,  grunnis,  grottis,  grummis  und  schlampis. 

Hartbost  heisst  ein  grosser  Riss  im  Eise.  Auch:  Öwer  nacht  sünd 
buchel  Sprüngen.  Bei  Xeubrandenburg  hörte  ich:  bungerätsch;  brumm- 
ratzeu  bringt  Boll  bei  im  Archiv  für  mecklenburgische  Laudeskunde, 
1853,  15. 

De  leiw  gott  kann  am  besten  brücken  bugen. 

De  Juden  seggen:  Moses  hat  keine  Balken  unter  gelegt. 

Neben  stridschoh  wird  auch  strikschoh  gebraucht:  schritschoh  hat 
Reuter. 


Das  Naturleben  im  Muude  des  Mecklenburger  Volkes.  321 

Neben  „glitschen"  hörte  ich:  gliseu,  glisken,  glirsen,  gliddern,  glinschen, 
glanneni,  glandern  (auch  bei  Reuter),  glännern,  gläuschern,  schliddern, 
schlirreii.  sclilirricken,  schlittschen,  schohbaningen,  scliohbännigen,  schi- 
paningen,  scbipauern. 

Wenn  de  jiingeiis  up  "n  is  sünd,  denn  ward  liier  bi  uns  „hüker  trecken" 
speit:  de  vördelst  geilit  denn  un  treckt,  de  aunern  gahu  all  in  de  buk 
Sitten  un  liollen  sik  an  de  kittelslipjien  von  ehren  Vordermann  fast. 

De  jungeiis  speien  hier  ok  „liekt  döben";  mit  den  linken  bein  glitschen 
se  denn  uu  mit  den  rechten  backen  haugen  se  dal  up  "t  is.  Anderwärts 
lieisst  das:  poggen  stekeu,  bei  Doberau:  schostern. 

„Katten  pusten"  hebben  wi  ok  speit  as  jungens;  denn  würd  mit  de 
peik  n  lock  rinsteken  na  "t  is  un  dor  würd  denn  rinpusft,  denn  lopen 
dor  so  'n  luftblasen  laug,  de  nennten  wi  katten. 

Wenn  hier  morgens  Eiszapfen  vom  Dach  herunterhängen,  wird  zu  den 
Kindern  gesagt :  Öwer  nacht  het  Johann  Laug  sik  uphängt  mit  fru  uu 
kinner.     Auch:  Johann  Blank,  Blankmeier  het  sik  uphäugt, 

Dat  het  glarrist,  glurrist. 

Dat  slarkt  so. 

Dat  is  heil  falsch  to  gähn  hüt;  dat  is  so  gliwwerig,  glibberig,  glittschig, 
snüwwelig  to  gähn:  hüt  möt  man  richtig  klauben  slalui. 

Tauwetter: 

Dat  weder  smitt  um. 
Dat  weder  tempereirt. 
Dat  ward  weik  weder,  apen  weder. 
Dat  is  in    n  andäu. 

Dat  gliedt,  liedt,  liedigt,  lierigt  hüt  ii  beten;  is  liod,  liedig  weder;  dat 
liet  "n  beten  auliedt,  wegliert. 

V.   Scliuee,  Hagel,  Nebel,  Marieusommer,  Irrliclit. 

Schnee: 

Dat  fisselt,  fimmelt,  krömelt,  sniwwelt  "u  beten. 

Dat  scliuirrt  buten. 

Wo  sniet  dat:  sneden  is  't  gistei'u  all,  hüt  ward  "t  blos  runfegt. 

Dor  slahn  sik  de  handwarksburssen,  de  fierburssen,  de  möllergesellen: 
nu  prügeln  sik  de  möllers  uu  bäckers;  nu  speien  de  möllers  grip. 

De  möller  het  all  sin  mehl  verloren. 

Auch:  Wenn  't  melil  wir,  künnen  wi  jiaunkokeu  backen. 

Dor  prügeln  de  huren  sik. 

Petrus  (Moses)  schurrt  (stöwt)  de  bedden  ut,  is  bi  't  beddeumaken, 
säwt  de  feddern  ut. 


De  düwel  fegt  de  liöll  ut. 


22» 


322 


Wossidlo : 


Nu  kriggt  de  scheper  "n  kuecht  (weuu  suei  inföllt,  denn  biukt  he  jo 
nicli  mihi-  to  hödeu). 

Wenn  ein  Bekannter  gestorben  ist:  Ob.  nu  is  X.  lup,  de  ward  uns 
wol  wecken  dalriwweln:  oder:  X.  is  uu  dod,  de  makt  de  stücken  so  grot. 
Fallen  grosse  Flocken,  so  sagi  mau  bei  Grevismüblen :  Dat  is  Ton  de 
langmütigen,  dat  dohn  de  goden. 

Sonst  auch:  Nu  hebben  se  dat  grot  säw  anstellt. 

Beiwohren,  dat  sünd  jo  bannige  flochten. 

Die  Maurer  sageu  beim  ersten  Schnee:  Xu  giwwt  "t  frömdzettels. 
Andererseits  hört  man  auch:  Xu  kriggt  he  sinen  frömdzettel,  wenn  der 
Schnee  vom  Kegen  vertrieben  wird.     Sonst:  De  sünn  hat  em  weglickt. 

Dat  wir  "n  sneidrewel  (ne  sneidriwwt).  man  künn  nirh  "n  og  updohn.  dat 
gesicht  nich  bargen. 

De  hollweg  wir  pick  un  dick  tosniet. 

Dor  is  nich  husch  oder  bom  to  seihn. 

Dat  is  so  "u  ollen  sneislagg,  sneislamm,  sneislatsch,  sneislupp. 

Dat  is  so  "u  oll  klacksnei,  slacksnei,  slackigen  snei  (de  furts  to  water  is). 

Wenn  in  "n  harwst  so'n  witte  bauk  an  "n  heben  steiht,  denn  seggen 
wi:  nu  bläuht  de  snei. 

Hagel: 

Von  den  Frühlingsschaueru  heisst  es:  Petrus  seit  sin  arften,  nu  fallen 
Petrus  sin  arfteu;  auch:  de  adebor  seit  sin  arften  up  gottsirdbodden.  vgl. 
aprilschuern  unter  II. 

Dor  kern  ne  hagelburr. 

Dat  regent  gruben;  dat  wir  liagel  as  kiunerköpp,  as  kükenköpi).  as 
dubeneier,  as  hasenkätels,  as  hasseluät. 

Ein  Hirtenjunge  ist  der  Buchweizengrütze  überdrüssig  geworden.  Als 
er  nun  draussen  ein  schweres  Hagelschauer  heraufkommen  sieht,  ruft  er: 
Leiw  gott,  verschon  all  uns  leiw  kurn,  öwer  den  verflüchtigen  dreieck  kik 
öwer  't  heck,  den  giww  th-äw  öwer  dräw. 

Xebel: 

Is  so  'n  oll  dakig.  dakrig,  diesig,  dickig,  miestig,  miskerig.  smokig, 
smüstrig  weder. 

Wi  seien  in  'n  dicken,  in  de  dickde;  dat  wir  dicknebelt  weder:  dick 
as  drank;  picknebel. 

Dat  is  so  dick  as  wenn  "n  in  "n  sack  sitt. 

Dor  kann  "n  nich  von  vor  na  achter  kiken  (auf  dem  Schiffe). 

Dat  will  gor  ken  dag  wedder  warden. 

Steinen  abends  Xebel  aus  den  Wiesen  auf.  so  heisst  es:  De  voss  brugt, 
auch:  de  voss  badt  sik. 


Das  Naturleboii  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  323 

Wenn  am  Fiisso  des  Vietingberges  Lei  Parchini  nueli  starken  Regen- 
schauern Wassenlünste  wie  Rauchwolken  emporsteigen,  sagt  der  Landmann: 
Vieting  is  all  up  im  brut  kof'li  oder  bloss:  Vieting  brut  (Archiv  f.  meckl. 
Landeskunde,  1859,  435). 

Mariensommer: 

De  sommermätens  trecken,  de  sommermä.t,  sommermett  treckt,  de 
motten  flüggt  (Brinckman),  de  metten  treckt  (Reuter),  de  sommermetten 
teihn  (Reuter),  de  sommerfrugens  trecken. 

Dit  is  de  mätensommer,  de  mätensommer  spinnt. 

Dat  ward  noch  ken  winter,  dat  harwstmätcn  het  noch  nich  treckt. 

Dit  is  de  michelsommer,  de  ollfrugeussommer,  Smöltsch  ehr  sommer, 
Smöltsch  ehr  tüffelaust. 

Het  de  öwer  brutens  an!     Den  hacken  de  Jungfern  an. 

Für  Irrlicht  kommen  auch  vor  die  Bezeichnungen:  Irrwisch,  irdlicht, 
irdHämmken,  fläniuistirn,  flackerfür,  fläkerfür  (Brinckman). 

VI.   Gewitter. 

Die  alte  aus  dem  Bremer  Wörterbuch,  Schütze  und  Schambach  be- 
kannte Bezeichnung  leiw  weder  lebt  noch  heute;  dor  kann  'n  leiw  weder 
kamen  un  slahn  dörch,  hörte  ich  vor  kurzem  aus  dem  Munde  einer  alten 
Frau. 

Kasper  rög  di,  is   u  billerballer  in  de  luft. 

Über  Gewitterwolken  vgl.  X. 

Dat  wedert;  dat  grummelt  so  in  de  firn. 

Min  sahn  kumm  rin,  sagt  die  Mutter,  leiw  gott  is  bös  (quad). 

De  oll  is  nich  god  an  'u  kopp,  he  smitt  all  wedder  so. 

Nu  smiten  s"  all  wedder  mit  arm  un  bein  umher  in  de  höll. 

Petrus  speit  kegel  (mit  de  dodenköpp),  (nu  smitt  he  rummelie).  Hier 
in  Waren  hörte  ich  auch:  De  Röbelsclien  sünd  de  kegelkugel  weglopen. 

Nu  is  Petrus  bi  't  inführen,  inausten;  dor  haben  führen  se  all  wedder 
in;  Petrus  (de  düwel)  führt  mess,  nu  joggt  he  to  hus. 

Petrus  reist  mit  holten  tüffel  to  mark. 

Petrus  is  bi  't  pölltüö'el  afgeiten;  de  oll  schurrt  de  pölltüff'el  up  'n 
disch;  Petrus  schurrt  appel  in  de  tunn. 

Beim  Blitz:  Petrus  piukert;  Petrus  ratzt  sik  u  sticken  an,  bött  sik 
ne  pip  an. 

Pastor  N.  spökt  von  haben. 

Eine  Arbeiterfrau  in  Klüz  sagte  mir:  Wenn  dat  so  in  de  firn  dunnern 
ded,  säd  min  oll  vadder  öfter:  Nu  jagt  de  düwel  de  godeu;  öwer  wenn  u 
hellen  blitz  kern,  denn  säd  he:  nu  sünd  de  engel  hinner'n  düwel,  vergl. 
darüber  D.  M."  HL  490,  No.  61  und  Kuhn,  Westf.  S.  H,  24. 

Dat  wiren  so  vel  blitzingen,  de  ganze  heben  wir  ein  für  (ein  blank). 


324  Wossidlo:  Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes. 

Dat  lücht't,  de  ganze  heben  detl  sik  apen. 
Dat  wir,  as  wenn  liiniinel  un  höll  in  einssen  riten  wull. 
Dat  wir  all  en  liichtung. 
Dat  lücht  un  leit  (Briuckman). 

Dat  wir  ne  krüzlüclitung-,  dat  man  de  sandkiirn  uppe  ird  teilen  künn; 
dat  man  sik  de  ogen  verwricken  kttnn. 

Für  Wetterleuchten  kenne  ich:  heblicken,  heiblicken,  heublicken, 
heidblicken,  heidblncken,  hittblicken,  häbläken,  lieulüchten,  hittlflchten, 
hiringslüchten,  dröglüchten. 

Dat  wir  en  fermes  gewitter. 
Nu  ward  't  swönner,  strenger. 
Hut  bungt  he  weck  los. 
Dat  is  noch  nich  in  de  stillheit. 

Nu  het  't  sik  afarbeit't,  uttowt;  de  rukläs  hebben  sik  aftowt;  vor  "t 
ihrst  hebben  wi  nu  wedder  fred. 

Dat  gewitter  stünn  pall  (knall)  öwer  uns. 
Knall  un  fall  de  prallt  tosamen  (Reuter). 
De  blitz  kem  daltorudeln,  daltoriisen,  daltohulen. 
Dat  kern  snart  dal,  dat  gnittert  dal,  dat  gnätert  dal,  dat  snirt't  dal. 
Dat  buttert  un  butzt  all,  dat  schuddert  ornlich,  dat  rautscht  ornlich. 
Dat  het  riubratzt,  rinballert. 

De  blitz  het  alles  tersmettert;  het  de  ganze  schit  in  "n  dutt  slalni;  in 
enen  sus  wir  de  ganze  hof  in  für. 

Scharp  gegen  scharp,  säd  de  düwel,  dor  sehet  he  gegen  "n  dunner- 
wetter  an. 

Nu  ward  de  kopj)  in  "n  sack  staken. 

Johann  kam  run  von  'n  biiii,  dat  dunjert:  o  lierr,  dat  kann  "k  hier 
haben  ok  hüren. 

Ut  de  angst  kümmt  man  gor  nich  rut,  säd  de  jung,  in  "n  sommer 
dunnert't  un  in  "n  winter  möt  man  na  de  schob 

Wies  nich  na    n  blitz,  leiw  gott  sleiht  di  "n  finger  af. 
Für  Blitzableiter  sagen  die  Alten:  wederstang. 

Wederp il,  gewitterpiler,  dunnerpil,  duuuerpiler  heisst  der  Donner- 
keil. 

Abschabsei  vom  Donnerkeil  wird  als  Mittel  gegen  allerlei  Krankheiten 
gebraucht,  so  gegen  Stich,  Fieber,  schlimme  Augen,  Bettnässen  u.  a.  m. 

De  dunnerpil  ward  in  t  melkschapp  leggt,  denn  sali  de  melk  god 
römen. 

Dunnerpiler  möten  in  de  dranktunn  leggt  warden,  denn  het  dat  veih 
god  deg. 

Wenn  man  'n  dunnerpil  bi  "t  gewitter  vor  't  finster  stellt,  sali  "t  nich 
inalahn. 

Andere  Mittel,  nni  den  Blitzschaden  abzuwehren,  übergehe  ich  hiei-. 


Weinhold:  Kleine  Mitteilungen.  325 

Ell  buer  an  de  hannoversch  grenz  het  dat  ens  seihn,  dat  de  gewitter- 
slag  bi  sinen  backaben  dalgalin  is;  as  lie  dor  nagröwwt,  findt  he  'n  .stein. 
Wenn  'n  gewitter  kamen  is,  het  de  stein  ümmer  sweit't;  je  düUer  dat 
gt'witter  worden  is,  desto  mihr  het  de  stein  sweit't  un  bewert. 

Min  vadder  het  mi  verteilt:  de  blitz  het  ens  to  Dammerstörp  inslagen; 
as  de  lud  sik  üniseihu,  liggt  dor  "u  klumpen  für  up  de  fast  von  de  schün 
as  11  waterspanii  grot.  Dor  judiciereu  de  lud  doröwer,  ob  se  söt  melk 
halilen  sälen  nn  geiten  't  dorniit  iit,  oder  ob  se  dat  dalhahlen  sälen  von  de 
schün;  middels  löppt  dat  iippe  fast  lang  as  ne  katt  un  mit  eins  is  dat 
ganz  tinimer  in  brand  west.  So  erzählte  mir  wörtlich  ein  alter  Tagelöhner 
bei  Ribnitz. 

Wenn  dat  wedert,  sali  man  up  "ii  hird  für  brennen  hebben.  En  fru 
het  dat  eins  nicli  dahn,  dor  is  ne  stimm  von  haben  kamen:  wisst  du  ken 
für  anböten,  denn  will  ik  wat  böten;  dor  is  ehr  hus  afbrennt. 

Dor  sünd  drei  west,  de  en  het  ümmer  eten  bi  'n  gewitter,  de  en  het 
slapen  un  de  drüdd  het  sik  süss  nie  an  gottswurt  kihrt,  blos  bi  'n  gewitter 
liet  he  in  de  bibel  lest.  Dor  het  dat  eins  ropen:  den  esser  lass  essen,  den 
schläfer  lass  schlafen,  aber  den  leser  schlag  tot.  —  Sonst  auch:  den  slaper 
lat  slapen,  öwer  den  freier  slag  dod  u.  ä.  m. 

Von  ne  eik,  wo  dat  gewitter  inslahn  het,  sali  man  sik  nicks  na  hus 
nehmen;  de  lud  hebben  den  globen,  wenn  man  so  'n  holt  verbrennt,  denn 
sleiht  dat  ihrste  gewitter,  wat  nah  kflmmt,  in  dat  hus  in. 

Wenn  dat  toihrst  in  'n  frühjohr  wedert,  seggen  wi:  nu  scheidt  sik 
winter  un  sommer.  —  Wenn  't  toihrst  duunert,  dor  löst  sik  de  irdbodden  na. 

Waren  in  Mecklenburg. 

(Schluss  folgt.) 


Kleine  Mitteilungeu. 


Zu  den  Anfängen  der  Webekunst. 

(Zeitschrift  V,  134-147.) 
1. 
Mr.  Otis  T.  Mason,    Kurator    des  United  States   Museum  in  Washington,    hat 
eine  Zuschrift  an  mich  gerichtet,  aus  der  ich  folgendes  ausziehe: 

„"Was  mich  in  Herrn  E.  Priedels  Aufsatz  über  die  Anfänge  der  "W^ebekunst 
besonders  interessiert,  ist  Figur  20  auf  Tafel  3.  Ich  habe  in  unserni  National- 
museum eine  grosse  Anzahl  Geräte  derselben  Art;  eines  aus  Lappland  ist  völlig 
gleich  der  Figur  20,  nur  ist  der  obere  Teil  nicht  verziert,  sondern  dicker  ge- 
schnitzt, weil  er  als  Griff  dient.   Aus  dem  Staate  Connecticut  habe  ich  zwei  Exem- 


326  Weinhold: 

plare,  deren  eines  unten  schaufelfönnig  verlängert  ist,  um  es  fest  zwischen  den 
Knieen  zu  halten.  Ein  anderes  aus  Connecticut  ist  auf  einen  Holzblock  befestigt, 
der  ihm  als  Ständer  dient.  Ähnliche  Geräte  finden  sich  in  andern  ländlichen 
Gegenden  Amerikas.  —  In  dem  Patentamt  der  Vereinigten  Staaten  habe  ich  Zeich- 
nungen eines  aus  Belgien  eingereichten  Webegerätes  gesehen,  das  der  Figm-  20 
sehr  ähnlich  ist.  Aber  was  die  Leser  Ihrer  Zeitschrift  besonders  interessieren 
wird,  ist,  dass  ich  fünfzig  Exemplare  dieses  Apparates  unter  den  Pueblo-Indianern 
in  Arizona  und  Neu-Mexiko  gesammelt  habe:  Der  einzige  Unterschied  zwischen 
dem  europäischen  und  dem  indianischen  Gerät  ist  der,  dass  letzteres  aus  zwei 
horizontalen  Hölzern  besteht,  auf  welchen  ein  Dutzend  oder  mehr  senkrechter 
Stäbchen  befestigt  sind,  die  entweder  aus  Holzsplittern  oder  ans  dem  zu  Pfeilen 
verwandten  Rohr  gefertigt  wurden.  Durch  die  Stäbe  sind  Löcher  gebrannt,  und 
sie  stehen  in  Zwischenräumen  gerade  wie  auf  Figur  20. 

Auf  Grund  der  weiten  Verbreitimg  dieses  .Apparates  lege  ich  den  Lesern  der 
Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  die  Frage  vor:  Ist  dieses  hölzerne 
Bandwebegerät  den  Indianern  des  Südwestens  der  Vereinigten  Staaten 
und  Mexikos  vor  der  spanischen  Eroberung  bekannt  gewesen?  und 
zweitens:  Kennt  man  dieses  Gerät  aus  Spanien  oder  einer  der  spanischen 
Rolonieen  oder  aus  mohamedanischen  Ländern?  Es  wäre  wunderbar, 
wenn  die  Erfindung  davon  unabhängig  in  Arizona  und  in  Europa  gemacht  worden 
wäre."  R-  Weinhold. 

2. 

Zu  den  vorstehenden  interessanten  Mitteilungen  des  Herrn  Otis  T.  Mason 
erlaube  ich  mir  Folgendes  zu  bemerken. 

Bezüglich  der  Webekunst  scheinen  mir  die  amerikanischen  Urvöiker  in  zwei 
grosse  Gruppen  verteilt  werden  zu  können.  Die  civilisierteren  Südamerikaner 
(Peruaner),  die  Maya-Völker,  die  Azteken  und  Tolteken  haben  die  Webekunst  ge- 
kannt. Columbus  traf  im  Jahre  1Ö02  ein  Maya-Fahrzeug  von  beträchtlicher  Grösse 
mit  Segeln  nahe  der  Insel  Ruatan,  dessen  Ladung  aus  einer  Menge  verschiedener 
Textilerzeugnisse  und  von  daraus  gefertigten  Kleidungsstücken  bestand.  Verarbeitet 
wurden  mehrere  Gespinstpflanzen,  bei  den  Peruanern  .\lpaka-  und  Lama-Wolle. 
Die  Mound-Builders  in  der  Ohio-Gegend  besassen  Webereien  aus  Gespinstpflanzen, 
teils  Handgewebe,  teils  Gerätgewebe,  wie  .1.  W.  Poster  (Description  of  samples  of 
ancient  cloth,  from  the  Mounds  of  Ohio.  Proc.  Amer.  Assoc.  for  the  Advancement 
of  Science,  Albany  Meeting,  1851,  p.  375,  und  derselbe:  Pre-historic  Races  of  the 
United  States  of  America.    Chicago  1873,  p.  223 — 259)  nachgewiesen  hat. 

Da  nun  bei  allen  Völkern  das  Weben  selbstredend  mit  ganz  einfachen  Ge- 
räten, ähnlich  dem  von  mir  Tafel  III  Figur  20,  begonnen  hat,  da  ferner  dies  Gerät 
für  Bänder,  Streifen,  Schärpen  und  Borten  genügt,  da  weiter  dergleichen  Webe- 
erzeugnisse an  den  penianischen  Mumien  sich  finden,  so  ist  anzunehmen,  dass  die 
Peruaner  auch  ganz  ähnliche  Vorrichtungen  benutzt  haben  werden.  Dort  handelt 
es  sich  um  in  Städten  und  sonstigen  festen  Ansiedelungen  wohnende,  Ackerbau 
und  Viehzucht,  Gewerbe  und  regelmässigen  Handel  treibende  Nationen  und  Stämme. 

Anders  liegt  die  Sache  in  Südamerika  bei  den  ganz  wilden  Stämmen,  z.  B.  im 
Amazonas-Gebiet,  bei  denen  mehr  geklopfte  vegetabilische  Materie  benutzt  wurde 
und  noch  benutzt  wird,  und  bei  den  eigentlichen  w-i!den  Indianer-Stämmen  Nord- 
amerikas, die,  vorzugsweise  von  der  Jagd  lebend,  sich  der  Thierfelie  als  Kleidung 
bedient  haben.  Bei  diesen  Völkerschaften  scheint  in  vorkolumbischer  Zeit  aller- 
dings die  Webekunst  nicht  verbreitet  gewesen  zu  sein. 


Kleine  Mitteilungen.  327 

Bei  dem  merk  würdigen  Umstiinde,  den  Herr  Miison  mit  Recht  hervorhebt,  dass 
die  Piieblo-Indianer  in  Arizona  und  Neu-Mexiko  den  Bandwebeapparat  Tafpl  111 
Figur  iO  besitzen,  während  letzterer,  wie  ich  annehme,  zur  Zeit  von  den  Nachbar- 
stämmen nicht  gekannt  ist,  drängt  sich  eine  doppelte  Frage  auf:  zunächst,  ob  sich 
nicht  doch  ein  Zusammenhang  mit  den  nächstbelogenen  Völkerschaften,  bei  denen 
in  vorkolumbischer  Zeit  das  Weben  bekannt  war  (z.  B.  mit  den  Moundbuilders) 
nachweisen  lässt,  und  in  zweiter  Linie  erst,  ob  das  betreffende  primitive  Gerät 
etwa  durch  Europäer,  bei  denen  allerdings  z\inächst  an  die  Spanier  gedacht  werden 
nuiss,  eingeführt  worden  sein  mag.  Was  die  ersterc  der  beiden  Möglichkeiten  an- 
langt, so  hat  man  zu  berücksichtigen,  dass  sich  Webegeräte  aus  Holz,  Hörn  und 
Bein  ebenso  schlecht  die  Jahrhunderte  hindurch  erhalten,  wie  die  mit  ihnen  her- 
gestellten Gewebe,  und  dass  es  ein  reiner  Zufall  ist,  wemi  sich  in  einer  kon- 
servierenden Aschen-  und  Kohlenschicht  einmal  dergleichen  stückweise  in  unvoll- 
kommenster Art  konserviert  vorfindet. 

Wegen  Kürze  der  Zeit  und  längerer  Abwesenheit  von  Berlin  ist  es  mir  noch 
nicht  möglich  gewesen,  auf  der  pyi'enäischen  Halbinsel  nach  Webegeräten  der 
fraglichen  Art  Umschau  zu  halten;  ich  werde  aber  die  nötigen  Nachforschungen 
versuchen. 

Hinzufügen  will  ich  noch,  dass  das  mehrerwähnte  Gerät  Tafel  HI  Figur  20, 
das  mit  dem  bekannten  Laubsägeapparat  von  Geübteren  leicht  hergestellt  werden 
kann,  hier  in  Berlin  und  an  anderen  Orten  der  Provinz  Brandenburg  mitunter 
durch  grosse  Pferdekämme  mit  möglichst  langen  und  geraden  Zähnen  ersetzt  wird, 
welche  letzteren  von  den  Rindern  durch  ein  Querholz,  in  das  sie  die  Zähne  ein- 
bohren, parallel  dem  Griff  des  Kammes  verbunden  werden.  In  der  hiesigen 
egyptischen  Abteilung  des  Königlichen  Museums  befindet  sich  ein,  wie  mir  scheint, 
zum  Weben  von  lakenartigen  Handtüchern  und  dergleichen  benutzter  Apparat  aus 
alter  Zeit,  welcher  insofern  dem  Pueblo-Gerät  ähnelt,  als  es  nicht  aus  einem  Stück, 
vielmehr  aus  einer  Art  Rahmen  besteht,  in  welchen  die  Längshölzer,  aus  besonders 
angefertigten  Stäbchen  gefertigt,  eingepasst  wurden. 

Endlich  benutze  ich  die  Gelegenheit,  um  zu  berichtigen,  dass  auf  Tafel  II  ver- 
sehentlich die  Nummern  1  und  4  vertauscht  sind.  Das  brei'ere  Falzbein  muss  mit 
No.  4,  der  pfriemartige  Löser  mit  No.  1,  um  den  Text  S.  146  mit  den  Abbildungen 
in  Einklang  zu  bringen,  bezeichnet  werden. 

E.  Friedel. 


Zur  Hillebille. 

1. 

Rieh.  Andrees  Aufsatz  über  das  alte  Harzer  Schallgerät,  das  die  Köhler ')  zu 
bestimmten  Zeiten  benutzten  (unsere  Zeitschrift  V,  10;  — 106),  hat  vielseitig  Auf- 
merksamkeit erregt.  In  dem  4.  Heft  der  neubegründeten  Zeitschrift  für  öster- 
reichische Volkskunde  (Wien  1895.  I,  127.  128)  finden  sich  zwei  Mitteilungen  zur 
Sache.  Merkwürdigerweise  wird  Andrees  Aufsatz  dabei  gar  nicht  erwähnt,  gewiss 
nicht  im  Sinne  der  beiden  einsendenden  Herren.  Die  eine,  von  Professor  Börnes 
in  Graz,  der  berichtet,  dass  er  vor  länger  als  dreissig  Jahren  im  Ödenburger 
Komitat    in  Ungarn    vor    den  Bauernhäusern,    in    denen  Kavalleristen  im  Quartier 


1)  H.  Pröhle  hat  in  seiner  Volksschrift  „Das  Leben  des  alten  Köhlermeisters  Hille- 
bille" (Hamburg,  Rauhes  Haus,  1S5'.))  das  harzische  Wort  zum  Familiennamen  eines  Köhler- 
geschlechtes erhoben. 


328  .     Weinhold: 

lagen,  ein  der  Hillebille  ganz  gleiches  Gerät  gesehen  habe:  nur  war  in  der  Regel 
die  eine  der  beiden  senlcrechten  Stangen  bedeutend  verlängert  und  trug  oben  einen 
Strohwisch').  Der  Soldat  hatte  bei  gewissen  Anlässen  (Fütterung,  Zapfenstreich) 
seine  Anwesenheit  im  Quartier  zu  melden,  indem  er  mit  zwei  hölzernen  Hämmer- 
chen auf  das  hangende  Brett  schlug. 

Herr  Joh.  Kreinz  in  Graz  erzählt  sodann  von  dem  sogenannten  Klopf,  der 
am  Eisenerzer  Grubenliause  nach  seiner  Erinnerung  aufgestellt  war.  An  einem 
Stangengerüst  hingen  zwei  kleine  metallene  (bronzene)  Täfelchen,  welche  mit 
einem  kleinen  Hammer  geschlagen  wurden  zum  Zeichen,  dass  gesprengt  werden 
solle  oder  dass  die  Gefahr  vorüber  sei.  Die  beiden  Berichten  beigegebenen  Zeich- 
nungen zeigen  die  genaue  Verwandtschaft  mit  der  Hillebille. 

.4uch  in  Kurland  war  oder  ist  noch  auf  Gutshöfen  ein  der  Hillebille  ganz 
gleiches  Schallgerät  gebräuchlich,  um  das  Gesinde  zum  Essen  zu  rufen.  Das  Brett 
wird  mit  zwei  hölzernen  Klöppeln  geschlagen. 

Wenn  bisher  schon  ausgesprochen  ist,  dass  wir  in  der  Hillebille-),  d.  i.  einem 
Schallgerät,  das  aus  einer  aufgehängten  Tafel  von  Holz  oder  Metall  besteht,  woran 
durch  Klopfen  Zeichen  gegeben  werden,  ein  sehr  altes  Instniment  haben,  so  sind, 
abgesehen  von  den  Berichten  über  den  sächsischen  Prinzenraub,  deren  einer 
(Albinus)  unter  dem  Einfluss  vorgefasster  Etymologie  steht,  keine  historischen  Be- 
weise gegeben.     Ich  liefere  hier  einige  aus  dem  Mittelalter. 

Der  altfranzösische  Dichter  Chrestiens  de  Troies  erzählt  (ungefähr  1170)  in 
seinem  Chevalier  au  lyon  212  ff.  von  einer  kupfernen  Tafel,  die  vor  dem  Burgthor 
hing  und  auf  welche  der  sich  Meldende  mit  einem  Hammer  schlug.  Unser  Hart- 
mann von  Aue  giebt  in  seinem  Iwein  (ungefähr  1204)  V.  299  dies  so  wieder: 
nu  hienc  ein  tavel  vor  dem  tor  an  zwein  ketenen  enbor,  da  sluoc  er  an  daz  ez 
erhal  und  daz  ez  in  die  burc  erschal. 

G.  P.  Beneke  hat  schon  zu  dieser  Haitmannschen  Stelle  auf  die  hölzernen 
Tafeln  hingewiesen,  an  die  in  den  Klöstern  des  Mittelalters  geschlagen  ward,  um 
die  Mönche  oder  Nonnen  zur  Mette  oder  zu  A'^ersammlungen  zu  berufen,  oder  auch 
das  Sterben  eines  Konventualen  anzuzeigen.  Du  Gange  im  Glossar,  med.  et  infira. 
latinit.  Yin,  5  (Ausgabe  Niort,  1887)  verzeichnet  viele  Belege-  Es  wird  hier  auch 
aus  dem  Briefe  des  Bischofs  Odo  an  P.  Innocens  IV.  von  1249  eine  Stelle  aus- 
gehoben, wonach  an  den  Kirchen  der  bekehi'ten  Tataren  hölzerne  Tafeln  als 
Schallgeräle  hingen.  Auch  unser  deutsches  Gedicht  Salman  und  Morolf  erzählt 
Str.  191  von  einer  Tafel  auf  dem  Hofe  Königs  Fore,  mit  der  das  Zeichen  zimi 
Kirchgang  gegeben  ward.  In  den  letzten  Tagen  der  Karwoche,  an  denen  die 
Glocken  schweigen,  trat  der  Schall  der  hölzernen  Tafeln  an  ihre  Stelle,  die  heute 
durch  Schnarren  oder  Ratschen,  z.  B.  in  Steiermark,  ersetzt  werden. 

K.  Weinhold. 

2. 

Zur  Etymologie  der  Hillebille. 

Pi.ichard  Andree  hat  auf  S.  103 — 106  des  5.  Bandes  dieser  Zeitschrift  einen 
höchst  interessanten  und  belangreichen  Bericht  über  das  im  Aussterben  begriffene 
Signalinstrument  der  Harzer  Köhler,   die  sogenannte  Hillebüle,  gegeben.     Er  lässt 


1)  Als  Zeichen  der  Einquartierung. 

2)  Pröhle  sagt  in  dem  Vorwort  zu  dem  Köhlermeister  Hillebüle:  „Die  Hüle-Bille  ist 
ein  Brett,  welches  der  Köhlermeister  neben  seiner  Hütte  an  einem  Baume  befestigt.  Wenn 
er  daran  schlägt,  so  hallt  es  durch  den  ganzen  Wald  und  ruft  seine  Knechte  und  Knaben 
zusammen." 


Kleine  Mitteilungen.  329 

sich  dabei  auch  über  die  Etymologie  des  Wortes  und  die  Geschichte  des  Instru- 
mentes selbst  aus  und  stellt  fest,  dass  die  älteste  Form  des  Wortes  „hellcbyllc" 
lautete,  und  dass  das  Instrument  bereits  zur  Zeit  des  sächsischen  Prinzenraubes 
(1445)  bei  den  Köhlern  des  Erzgebirges  in  Gebrauch  war  und  höchst  wahrschein- 
lich bei  der  Besiedeiung  des  Oberharzos  durch  sächsische  Bergleute  von  diesen 
dahin  mit  genommen  wurde. 

Was  nun  die  Etymologie  des  Wortes  betrifft,  so  hat  Schambach  in  seinem 
Wörterbuch  der  niederdeutschen  Mundart  von  Göttingen  und  Grubenhagen  das 
Wort  von  dem  niederdeutschen  hille  =  schnell,  eilig  und  dem  mittelhochdeutschen 
liillen  =  klopfen  abzuleiten  versucht.  Aber  diese  Erklärung  hat  schon  Andree  als 
unrichtig  zurückgewiesen.  Aus  seinen  historischen  Darlegungen  geht  überzeugend 
genug  hervor,  dass  das  Instrument  und  damit  auch  der  Name  nicht  niederdeutschen, 
sondern  mitteldeutschen  Ursprungs  ist. 

Andree  selbst  bringt  dann  den  zweiten  Bestandteil  des  Namens,  „bille",  mit 
dem  Wort  „bille"  =  ascia,  liga,  Axt,  und  den  ersten  mit  dem  „heim"  =  Stiel,  das 
wir  in  Axthelm  und  Hellebarte  haben,  in  Verbindung,  obwohl  er  an  der  Richtig- 
keit dieser  Erklärung  nachher  selbst  Zweifel  äussert. 

Sie  ist  nur  zur  Hälfte  richtig.  Ausgehen  müssen  wir  bei  einem  Erklärungs- 
vensuch  jedenfalls  von  der  ältesten  uns  erhaltenen  Form:  hellebylle,  aus  der  das 
neuere  Ilillebille  offenbar  durch  Anreiraung  des  ersten  Bestandteils  an  den  zweiten 
entstanden  ist.  In  dieser  Form  hellebylle  nun  ist  „bylle"  jedenfalls  das  alte  Wort 
für  „Axt".  Aber  der  erste  Bestandteil,  helle,  hat  nichts  mit  dem  helle-  von  helle- 
barte zu  thun,  sondern  ist  einfch  unser  neuhochdeutsches  Adjektiv  hell,  helle 
=  mittelhochdeutsch  hei,  althochdeutsch  gahelli,  belli,  welches  zur  Wurzel  hai- 
hallen gehört  und  ursprünglich  nicht  von  Gesichts-,  sondern  von  Gehörenipfindungen 
gebraucht  wurde.  In  althochdeutscher  Zeit  bedeutet  es  noch  ausschliesslich,  in 
mittelhochdeutscher  vorwiegend  „sonorus.  hell  tönend".  Danach  würde  also  helle- 
bille  soviel  wie  „tönende  Axt,  Signalaxt"  heissen. 

Damit  ist  zugleich  der  Ursprung  des  Instrumentes  selbst  aufgehellt.  Dasselbe 
war  ursprünglich  eine  blosse  Holzaxt,  die  man  durch  Schlagen  mit  einem  Messer 
oder  dergleichen  in  tönende  Schwingungen  versetzte.  Und  diese  Annahme  wird 
ja  auch  durch  den  von  Andree  citierten  Bericht  des  Albinus  über  den  Prinzenraub 
deutlich  genug  bestätigt.  Es  heisst  da  von  des  Köhlers  Weib:  „Sie  gibt  als- 
bald ein  Zeichen,  welches  bei  den  Kölern  und  Weidnern  breuchlich  ist,  das  sie 
mit  ein  Zschöper  oder  grossem  Messer  auf  ein  Holzaxt  schlagen" 
(a.  a.  0.  105).  Später  ist  dann  dieses  primitive,  dem  Handwerk  der  Holzhauer 
und  Köhler  entsprungene  Signalinstrunient  in  der  von  Andree  beschriebenen  Weise 
vervollkommnet  worden,  während  der  ursprüngliche  Name  beibehalten  wurde. 
Tübingen.  Johannes  Hoops. 


Heiuricli  Prölile  |. 

Am  28.  Mai  1895  starb  in  Steglitz  bei  Berlin  Professor  Dr.  Heinrich  Pröhle, 
emeritierter  'Oberlehrer  des  Louisenstädtischen  Realgymnasiums  in  Berlin,  geboren 
den  4.  Juni  1822  im  Pfarrhause  von  Satuelle  bei  Neuhaldensleben,  Sohn  des  Pastors 
Heinrich  Pröhle,  der  18.35  nach  Hornhausen  bei  Aschersleben  versetzt  ward,  eines 
vortrefflichen,  auch  dichterisch  begabten  Geistlichen,  der  durch  sein  Buch  „Kirch- 
liche Sitten.  Ein  Bild  aus  dem  Leben  evangelischer  Gemeinen.  Berlin  1858" 
auch  zu  der  Kunde  des  niederdeutschen  Volkslebens  erheblich  beigetragen  hat. 
Heinrich  Pröhle  ward  von  der  Domschule  in  Halberstadt  und  dem  Gymnasium  in 


330  Weinhold: 

Merseburg  für  die  akademischen  Studien  vorbereitet.  Er  studierte  zuerst  in  Halle, 
wo  er  in  dem  studentischen  Leben  sehr  hervortrat,  und  dann  in  Berlin  Theologie, 
Geschichte  und  Litteratur.  Nach  ein  paar  Wanderjahren  setzte  er  sich  im  Harz 
fest,  in  Zelierfeld,  Lerbach,  Wernigerode,  um  die  Sagen,  Märchen,  Sitten  und 
Lieder  des  Volkes  zu  sammeln,  und  veröffentlichte  seit  1851  eine  Reihe  Bücher, 
die  seine  glücklichen  Funde  bekannt  machten.  Er  lebte  im  traulichsten  Verkehr 
mit  dem  Volke;  Heinrich  Pröhle  ist  der  Harzische  Sagen-  und  Märchenmann  ge- 
worden. In  den  Vorreden  zu  seinen  Büchern,  namentlich  zu  seinen  Harzsagen 
(Leipzig  1854),  zu  den  Unterharzischen  Sagen  (Aschersleben  1855)  und  im  Prutzschen 
deutschen  Museum  1856,  No  15  hat  er  von  den  Erlebnissen  und  den  Freuden 
eines  deutschen  Sammlers  berichtet.  Im  Jahre  1855  erwarb  er  sich  mit  der 
Dissertation  „De  Bructeri  nominibus  et  fabulis"  den  Doktortitel  in  Bonn.  Nach 
abgelegten  Prüfungen  ward  er  1858  Lehrer  an  der  Realschule  zu  Mühlheim  am 
Rhein  und  kam  1859  an  die  Louisenstädtische  Realschule  zu  Berlin,  der  er  bis 
zu  seinem  Übertritt  in  den  Ruhestand  treu  geblieben  ist.  Pröhle  hat  in  der 
späteren  Zeit  manche  Beiträge  zui'  deutschen  Litteraturgeschichte  geliefert,  von 
denen  hier  die  Schrift  über  J.  Gottfr.  Bürger  erwähnt  werden  mag.  für  den  er  als 
Sohn  des  Unterharzes  und  Freund  des  Halberstädter  Gleim,  ebenso  wegen  seiner 
Berührungen  mit  dem  Volksliede  sich  besonders  interessierte.  Er  gehörte  auch 
dem  Kuratorium  der  Gleimstiftung  in  Halberstadt  an,  deren  Schätze  er  für  manche 
seiner  litterargeschichtlichen  Schriften,  z.  B.  für  sein  Buch  „Friedrich  der  Grosse 
und  die  deutsche  Litteratur"  bequem  benutzen  konnte. 

K.  Weinhold. 


Von  Dr.  Stanislaus  Prato,  Professor  am  K.  Lyceum  in  Sessa  Aurunca, 
Prov.  Caserta  in  Italien,  hat  das  Archivio  per  lo  studio  delle  tradizioni  popolari 
im  "2.  Heft  des  XIV.  Bandes  jüngst  eine  Fortsetzung  seiner  Abhandlung  Le  dodici 
parole  della  veritit  (novellina-cantilena  popolare  considerata  nelle  varie  redazioni 
italiene  e  straniere)  gebracht.  Es  wird  darin  jenes  Lied,  das  wir  im  Deutscheu  als 
das  von  den  zwölf  heiligen  Zahlen  kennen  fErk-Böhme,  Liederhort  III,  825—833), 
nach  seiner  weiten  Verbreitung  hin  untersucht.  Die  vergleichende  Litteratur- 
forschung,  in  der  besondern  Richtung  auf  die  volkstümlichen  Stoffe,  ist  bekanntlich 
das  Feld  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  Dr.  St.  Pratos,  den  wir  zu  unsern  Mit- 
gliedern und  Mitarbeitern  mit  Vergnügen  zählen.  Der  Herausgeber  der  Tradition, 
M.  Henry  Carnoy,  hat  im  3.  Bande  seiner  Zeitschrift,  1889,  eine  bio-bibliographische 
Skizze  über  den  italienischen  Gelehrten  gebracht.  Was  uns  von  den  seit  1889 
erschienenen  in  den  verschiedensten  volkskundlichen  Zeitschriften  versti-euten 
Arbeiten  Dr.  Pratos  bekannt  ward,  wollen  wir  hier  verzeichnen: 

Le  Menusier  le  Tailleur  et  le  Sophia:  notes  comparatives  (Extr.  de  la  Tradi- 
tion.   1891.   No.  X.  XL),  Paris. 

Le  dodici  parole  (vgl.  oben),  seit  1892  im  Archivio  von  Pitre.    Palermo. 

Bibliographie  des  variantes  de  trois  contes  les  nuisiciens  de  Breme,  les  deux 
bossus  et  les  nains,  Psyche.  Estr.  du  Bulletin  de  Folklore  I.  316 — 335,  11,  68  f. 
78  f.    London  1893. 

Inceputul  Cintecelor  populäre  rominesti  (Extr.  din  Sezätoarea.  1894),  Fälticeni. 

La  scene  de  Tavocat  et  du  berger  de  la  farce  Maitre  Pathelin  dans  les  re- 
dactions  litteraires  et  populaires,  francaises  et  etrangeres  (Extr.  de  la  Revue  des 
Trad.  pop.  1894),  Paris. 


Bücheranzeigen.  331 

Zwei  Episoden  aus  zwei  tibetanischen  Novellen  in  der  orientalischen  nnd 
occidentalen  Überlieferung  (Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  1894),    Berlin. 

In  einem  der  niichsten  Hefte  unserer  Zeitschrift  wird  ein  Längerer  Aufsatz 
Dr.  Pratos  erscheinen:  Sonne,  Mond  und  Sterne  als  symbolische  Bilder  der  Schön- 
heit in  Volkssagen  und  Volksliedern.  K.  W. 


Büclieranzeken. 


Volkslitteratiir  der  Aronmneu  vou  Gustav  Weigand.  Mit  4  Licht- 
drucken und  1  Holzschnitt-Tafel.  Leipzig,  Johann  Ambrosius  Barth, 
1894.     S.  XVIII.    383.     H". 

Das  vorliegende  Buch  ist  der  II.  Band  eines  grösseren  Werkes,  das  unter  dem 
Titel:  „Die  Aromunen.  Ethnographisch -philologisch-historische  Untersuchungen 
über  das  Volk  der  sogenannten  Makedo-Romanen  oder  Zinzaren"  von  demselben 
Verfasser  erscheinen  soll  und  kann  als  eine  erwünschte  Bereicherung  unserer 
Kenntnisse  über  ein  bis  jetzt  wenig  erforschtes  Gebiet  angesehen  werden.  Das 
hier  gebotene  Material  ist  in  folgende  zwölf  Kapitel  eingeteilt:  I.  Liebeslieder, 
II.  Tanz-  und  Hochzeitslieder,  III.  Abschicdslieder,  IV.  Räuber-  und  Kampflieder, 
V.  Religion,  Moral,  Aberglaube,  Feste  und  Bräuche,  VI.  Lieder  verschiedenen 
Inhalts,  VII.  Zwei  Balladen,  VIII.  Lieder  aus  der  Manjana  in  Akarnanien, 
IX.  Farseriotenlieder,  X.  Totenklagen,  XI.  Neun  Märchen,  XII.  Rätsel,  Sprich- 
wörter, Grüsse,  Dankesformeln,  Trinksprüche,  Flüche,  Spiele. 

Von  rein  folkloristischem  Standpunkte  aus  wäre  es  vielleicht  wünschenswert, 
wenn  der  aus  dem  Inhalte  geschöpfte  Einteilungsgrund  überall  eingehalten  worden 
wäre;  der  Sprachforscher  wird  allerdings  zufrieden  sein,  die  unter  Vlll.  und  IX. 
verzeichneten  dialektisch  gefärbten  Lieder  beisammen  zu  sehen.  Jedem  Kapitel 
geht  eine  mehr  oder  weniger  ausführliche  Einleitung  voran,  in  welcher  über  den 
Inhalt  der  gebotenen  Texte  im  Zusammenhang  gesprochen  wird,  wobei  auch  der 
Varianten  Erwähnung  geschieht,  die  sich  entweder  in  den  frülieren  Publikationen 
des  Verfassers  oder  in  anderen  Sammlungen  vorfinden.  Mitunter  ist  die  Einleitung 
bei  weitem  umfangreicher  als  die  unter  dem  betreffenden  Kapitel  veröffentlichten 
Texte,  so  besonders  im  Kapitel  V,  wo  acht  kurzen  Nummern  der  Texte  eine  Ein- 
leitung von  nicht  weniger  als  16  Seiten  gegenübersteht.  Einiges  entnahm  der 
Verfasser  seinen  früheren  Sammlungen,  was  besonders  für  diejenigen  von  Be- 
deutung ist,  die  des  Rumänischen  nicht  mächtig  sind:  W.  hat  nämlich  hier  die 
vortreffliche  Einrichtung  getroffen,  dass  er  jedem  Original  zugleich  auch  eine 
deutsche  möglichst  getreue  sorgfältige  Übersetzung  gegenüber  stellt.  Nur  weniges 
ist  in  dieser  Beziehung  zu  beanstanden,  was  der  Schreiber  dieser  Zeilen  in  einer 
anderen  die  sprachliche  Seite  berücksichtigenden  Recension  zu  thun  sich  entschlossen, 
die  demnächst  in  der  Zeitschrift  für  romanische  Philologie  erscheinen  wird.  Es 
möge  auch  bemerkt  werden,  dass  der  Verfasser  des  vortrefflichen  Werkes  ,5Basmele 
romäne"  Sainenu  das  vorliegende  Buch  wenigstens  in  den  Anmerkungen  hat 
benutzen  können. 


332  Jarnik: 

Die  hinzugefügten  hübschen  Illustrationen  veranschaulichen  uns  nuuiclie  Seite 
des  Volkslebens  der  Aromunen,  und  ebenso  ist  sowohl  das  Glossar  (S.  289 — 340) 
als  auch  die  Abhandlung  über  dialektische  Verschiedenheiten  im  Aroniunischen 
als  eine  willkommene  Zugabe  zu  dem  trefflichen  Werke  anzusehen.  In  einer 
dritten  Beilage:  „Die  Methode  beim  Sammeln  der  Volkslitteratur  zu  sprachwissen- 
schaftlichen Zwecken"  äussert  der  Verfasser  verständige  Ansichten  dai'über,  was 
und  wie  gesammelt  und  das  Gesammelte  veröffentlicht  werden  soll,  damit  die 
Texte  auch  in  spi'achlicher  Beziehung  allen  Anforderungen  entsprechen.  Man  kann 
in  der  That  im  Interesse  der  Wissenschaft  nicht  nachdrücklich  genug  wiederholen, 
der  Sammler  möge  es  als  seine  erste  Pflicht  ansehen,  seine  Person  möglichst  in 
den  Hintergrund  treten  zu  lassen:  nur  so  werden  uns  Texte  geboten,  die  von 
Gelehrten  als  wichtige  und  verlässliche  Dokumente  zu  sprachgcschichtlichen  Studien 
verwendet  werden  können. 

Erster  Jaliresbericht  des  Instituts  für  rumäiiisclio  Sprache  (Rumäiüsches 
Seminar)  zu  Leipzig.  Herausgegeben  von  dem  Leiter  des  Instituts, 
Dr.  Gustav  Weigand.     1894.     S.  VIIL   155.    8".. 

Nach  einem  kurzen  Bericht  über  die  Thätigkeit  des  Seminars  im  Jahre  189:3 
bis  1894  verötfentlicht  das  Seminarmitglied  Hr.  Paul  Dachselt  eine  arom.  Predigt 
vom  heil.  Antonius.  Zunächst  wird  der  betreffende  Abschnitt  einer  mit  griechischer 
Schrift  geschriebenen  Handschrift  aus  dem  Anfange  dieses  Jahrhunderts  im  Original 
abgedruckt.  Darauf  folgt  eine  Transcription  mit  lateinischen  Buchstaben,  wo  der 
romanische  Charakter  eigentlich  erst  klar  wird  mit  hinzugefügter  Übersetzung,  die 
allerdings  einige  Mängel  aufweist,  woran  sich  Anmerkungen  und  ein  Glossar  an- 
schliessen.  Der  Text  ist  sehr  interessant,  indem  hier  über  das  Leben  der  Seele 
nach  dem  Tode  gesprochen  wird.  — 

Ferner  bespricht  Hr.  Kurt  Schladebach  die  auch  von  W.  verötfentlichte 
Ballade  von  der  Artabrücke,  indem  er  dieselbe  mit  ähnlichen  Erzeugnissen  der 
Nachbarvölker  vergleicht.  —  Endlich  veröffentlicht  Weigand  selbst  zwölf  Schwanke 
in  istiorum.  Sprache,  die  sowohl  wegen  ihres  Inhaltes  als  auch  als  Sprachproben 
volle  Beachtung  verdienen.  Auch  hier  erleichtert  eine  wortgetreue  Übersetzung 
das  Verständnis  der  sonst  auch  dem  des  Rumänischen  Kundigen  ziemlich  schwer 
zugänglichen  Texte.  —  Nach  diesen  Proben  kann  man  den  weiteren  Publikationen 
dieses  nützlichen  Institutes  mit  Interesse  entgegensehen. 

Prag.  Dr.  Johann  Urban  Jarnik. 


Tales  of  tlie  Fairies  autl  of  the  ghost  world,  collected  from  oral  traditiou 
in  South-West  Munster  by  Joromiab  Curtin.  Published  by  David 
Nutt  in  the  Strand.     1895.     S.  XII.    198.    8°. 

Mr.  Jer.  Curtin  ist  den  Freunden  irischer  Volksüberlieferungen  wohl  bekannt 
durch  seine  Myths  and  Folklore  of  Ireland  (Boston  und  London  1890)  und 
die  Hero  Tales  of  Ireland  (Boston  1894),  sowie  durch  eine  reiche  Sammlung, 
die  er  in  der  Sonntagausgabe  des  Sun  (New-York)  erscheinen  Hess.  Die  Myths 
enthalten  die  irischen  Fassungen  durch  Europa  verbreiteter  Märchen;  die  Hero 
Tales  sind  gälische  Geschichtssagen;  das  vorliegende  Buch  unterrichtet  uns  über 
den  Glauben  des  südirischen  Landvolkes  an  die  Geisterwelt,  und  ergänzt  Crokers 
Fairy  legends  and  traditions  of  the  South  of  Ireland  durch  glückliche  Funde.    In- 


Bücheranzeigen.  333 

tcressant  ist,  wie  uralte  Überlieferung-  modernisiert  und  lokalisiert  wird.  So  ist  in 
der  Geschichte  von  John  Sea  and  thc  treasure  archaistische  giilische  Romantik 
auf  einen  im  Jahre  1847  verstorbenen  Mann  übertragen  und  der  Zeit  gemäss  ge- 
ändert worden,  nur  der  Name  des  Wunderlandes  Lochiin  ist  beibehalten  (Lochiin 
which  the  people  call  Denmark  now).  —  Die  Geschichten  sind  frisch  und  treu 
nach  den  Erzählungen  mehrerer  Landleute  niedergeschrieben,  die  von  dem  Glauben 
an  Feen,  Hexen ')  und  Geister  ganz  erfüllt  waren,  wie  denn  nach  den  "Wahrnehmungen 
von  Mr.  Curtin  in  Südirland  noch  neun  von  zehn  fest  in  jenem  Gl-auben  leben, 
wenn  sie  auch  gegen  Fremde  damit  zurückhalten. 


A.  Le  Braz,  La  legende  de  la  Mort  en  Basse-Bretagne.  Croyances,  traditions 
et  usages  des  Bretons  Armoricains.  Avec  uiie  introduetion  de  L.  Ma- 
rillier.     Paris,  Houore  Champion.     1893.     SS.  LXXL     495.     8». 

Ein  reichhaltiges  und  wichtiges  Buch  für  die  Vorstellungen  vom  Tode  und 
dem  Geschick  der  Verstorbenen  in  der  Niederbretagne,  die  hier  recht  eigentlich 
als  ein  Gebiet  des  Todes  erscheint,  wo  die  Abgeschiedenen  unter  den  Lebenden 
weiter  wohnen  und  mit  ihnen  verkehren.  Ist  die  Bretagne  doch  das  Land,  wo 
das  Wunderbare  von  dem  Wirklichen  nicht  getrennt  ist,  und  das  Gefühl  der  Ver- 
gänglichkeit sowie  die  fortwährende  Beschäftigung  mit  dem  andern  Leben,  die 
E.  Renan  einen  charakteristischen  Zug  der  keltischen  Rasse  genannt  hat,  alles, 
selbst  die  Liebeslieder  durchdringt. 

Der  Reichtum  der  Niederbretague  an  volkstümlichen  ÜberUeferungen  scheint 
unerschöpflich.  Herr  Le  Braz  hat  nur  in  drei  Bezirken,  dem  Trecor,  dem  Goelo 
und  dem  Quimperrois  gesammelt,  am  meisten  im  Trecor  und  im  besondern  in 
den  zwei  Gemeinden  Begard  und  Penvenan.  In  letzterer  zeigte  sich  der  Weiler 
le  Port-Blanc  besonders  ergiebig,  der  von  Schiffern  und  Fischern  bewohnt  ist. 
Dabei  ist  zu  bemerken,  dass  eine  grosse  Anzahl  der  von  M.  Le  Braz  gesammelten 
Geschichten  keine  Parallelen  in  den  sieben  Bänden  des  „Grimms  der  Nleder- 
Bretagne"  findet,  des  verdienten  Fr.  M.  Luzel  (Contes  bretons.  Veillees  bretonnes. 
Legendes  chretiennes  de  la  Basse-Bretagne.  Contes  populaires  de  la  Basse- 
Hretagne).  Man  ersieht  daraus,  dass  ies  derniers  paysans  Emil  Souvestres  auch 
nach  fast  fünfzig  Jahren  noch  fortleben  und  keine  Neigung  zum  Sterben  haben, 
wofür  auch  Lottis  pecheurs  islandais  Zeugnis  geben  konnten. 

Die  Sammlungen  des  Herrn  Le  Braz  machen  den  Eindruck  der  grössten  Sorg- 
falt und  Treue.  Am  Schluss  jedes  Stückes  ist  die  Person  genannt,  die  es  ihm 
erzählt  hat  und  wann  sie  es  ihm  erzählte.  Auch  die  Personen  und  die  Orte  der 
Geschichten  selbst  sind  genau  bezeichnet. 

Das  Buch  zerfällt  in  neun  Kapitel:  1.  Die  Vorzeichen.  2.  Der  Ankou  d.  i.  der 
personifizierte  Tod.  3.  Nach  dem  Eintritt  des  Todes:  Totenwache.  Die  abge- 
schiedene Seele.  Das  Buch  Agrippa.  Die  Totenmessen.  4.  Kirchhöfe  und  Bein- 
häuser. 5.  Gewaltsamer  Tod  und  Selbstmord.  Versunkene  Orte.  6.  LAnaon 
d.  i.  die  armen  Seelen.  7.  Die  guten  Geister.  8.  Verdammte  Gespenster.  Be- 
schwörungen.    9.    Hölle  und  Paradies. 

Überall  bietet  sich  der  interessanteste  Stoff,  der  zugleich  die  Übereinstimmung 
der  bretonischen  Vorstellungen  vom  Tode  und  dem  Leben  der  Abgeschiedenen 
mit  denen  der  andern  Völker  beweist.  K.  W. 


1)  In  den  Fairies  ist  sehr-  oft  die  laü-y  uud  die  witch  vermischt. 


334  Schmidt: 

Sagen  aus  dem  Lande  Braunschweig,   gesammelt  von   Tb.  Voges.    Mit 
einer  Karte.     Braunschweig,  B.  Göritz.     1895.     SS.  XVI.     340.     8°. 

Die  vorliegende  Sagensamralung  aus  dem  Herzogtum  Braunschweig  ist  will- 
kommen zu  heissen,  da  sie  mit  grossem  Sammelfleisse  und  nach  treuen  zu- 
verlässigen Aufzeichnungen  gemacht  ist.  Das  Land  Braunschweig  ist  kein  ge- 
schlossenes Ganze,  sondern  zerstückt  in  verschiedene  Teile,  es  hat  aber  durch 
den  durchaus  niederdeutschen  Charakter  seiner  Bewohner  die  Einheit  in  sich. 
Über  das  Geographische  belehrt  die  Karte,  auf  der  alle  in  den  Sagen  erwähnten 
Orte  eingetragen  sind.  —  Der  Herausgeber  und  Sammler  hat  die  Sagen  nach 
ihrem  Inhalt  geordnet;  vom  wilden  Jäger,  von  verwünschten  Jungfrauen,  Riesen 
und  Zwergen  u.  s.  w.  bis  zu  den  Ortssagen,  geschichtlichen  Überlieferungen  mid 
einem  Kapitel  Verschiedenes.  Die  meisten  Stücke  sind  Parallelen  oder  Varianten 
zu  Sagen,  die  allgemein  verbreitet  oder  wenigstens  aus  Medersachsen  bekannt 
sind.  Es  fehlt  aber  auch  nicht  an  eigentümlichen  oder  selteneren  Zügen.  Ich 
weise  nur  auf  einiges  davon  hin.  So  die  Sage  vom  Untergang  der  Zwerge  auf 
der  Homburg,  die  durch  blutigen  Kampf  untereinander  vernichtet  wurden,  S.  52; 
dann  die  vom  Auszuge  der  Zwerge  aus  dem  Kanstein,  einem  Kalkberge  bei  Ast- 
feld, die  in  der  Neujahrsnacht  18(H)  fortzogen  und  verheissen  haben,  gerade  nach 
hundert  Jahren  wiederzukommen.  Die  Geschichte  vom  Teufel,  der  als  zehnter 
sich  zu  neun  Burschen  beim  Plumpsackspiel  dazufand,  S  58.  Die  Erzählung 
vom  Urian  im  Thurm  zu  Schöppenstedt,  der  geisterhafte  Schweine  hütet,  S.  59. 
(Über  den  Urian  giebt  noch  das  Meiste  D.  Sanders  Wörterbuch  d.  deutsch. 
Sprache  3,  1414.  c.  Ergänzungswörterb.  586.  c.)  Vom  Hirtenfluche,  den  iler  äkesto 
Hirt  einem  feindlichen  Reiter  nachsendet,  der  zufällig  das  Versteck  der  Herden 
aufgefunden  hat.  Der  Reiter  stürzt  von  einer  Klippe  des  Ith,  S.  lOIJ.  Von  Vor- 
spuk und  zweitem  Gesicht,  S.  145  f.  Zum  Volkskalender  gehört  der  Woldmannstag 
auf  dem  Solling,  ein  Feiertag  der  Waldarbeiter  am  2.  Januar,  S.  170.  Die  vielen 
Sagen  von  alten  Stein-  oder  Sühnkreuzen.  Dieselben  sollen  nicht  von  ihrer  Stelle 
genommen  oder  anders  verwandt  werden,  sonst  kommt  Unheil  über  Stall  und 
Feld,  S.  250  f.  255  f.  Wenn  die  Kinder  krank  sind,  schaben  die  Mütter  etwas 
vom  Gestein  ab  und  geben  es  den  Kranken  in  einem  Trunk,  S.  250.  251.  Es 
wird  das  genügen,  um  den  Wert  dieser  braunschweigischen  Sagen  anzudeuten. 

K.  Wein  hold. 


Kluge,    Friedrich.      Deutsche   Studentensprache.     Strassburg,    Trühner, 
1895.     136  S.     8°. 

2.') 

Ahhaven,  aus  der  Gaunersprache:  Neue  Erweiterungen  der  Erkenntnis  mid 
des  Vergnügens  1754  St.  15,  227  in  einem  kleinen  Rotwälschverzeichnis.  —  abfallen: 
Das  Berliner  Exemplar  des  „Göttinger  Studenten"  von  1813  ist  dadurch  interessant, 
dass    in    neuerer  Zeit    ein  Korpsbursch    die    abgekommenen   und  veralteten  Worte 


1)  Siehe  oben  S.  225  ff.  Ich  bitte  S.  229  (S.  4  des  Sonderabzugs)  nachzulesen  und 
verzeichne  noch  als  Abkürzung  ,,Erdenwallen'' :  „Des  Burschen  Erdenwiillen.  Eine  acht 
walu-e  Burleske",  Bremen  1822,  ein  albernes  anonjnnes  Drama  von  Kobbe  (Erinnerungen 
2,  G5).  S.  228,  2.  Absatz,  Z.  5  lies  ..Kindleben"  statt  „Verfasser"  (.vgl.  auch  Almanach 
der  Bellettristen  1782  S.  22Ö).  —  „Teckathen"  Stuttgart:  Schiller  1,  51.  —  Bierc:  inter- 
essant  ist  das  Kapitel   „Der  Bier-c/ioisiVe/ide  Student"  in  Henr.  üasp.  Abdii  D  . . .  Refor- 


Bücheranzeigeu.  335 

bezeichnet  und  allerlei  nachgeti'agen  hat,  wie  „abfallen"  beim  Trinken,  „Aschauti" 
(vgl.  „Kaffer")  wer  für  sich  aus  der  Garküche  speist,  „bombenfest'',  „haarig", 
„Löwens"  gute  Groschen  und  Geld  überhaupt,  „Patentschniepel",  „Person"'  Auf- 
wiirterin,  „zähmen"  anschaffen.  —  abführen  auf  der  Mensur.  —  able/jen  für  deponere: 
Jungfer  Robinsone  1724  S.  92  (im  geringern  Nachdruck  ohne  das  altüberlieferte 
Cornelianische  Kupfer).  —  abmucken  töten:  Immermann,  Epigonen  V  Cap.  4.  — 
absegeln  sich  entfernen:  Zwey  im  Coffee-Lande  herumschweiffende  Avanturiers  1744 

5.  280;  Bürger,  Strodtmann  1,   108.  —  abstechen  1.  ausstechen:  Günther,  Gedichte 

6.  Aufl.  S.  989  „Als  er  von  seinem  Nebenbuhler  abgestochen  zu  werden  besorgte". 
2.  auf  der  Mensur.  3.  erotisch.  —  Abstemius  in  der  Liebe:  Sylvanus  S.  214;  beim 
Trmkeu:  Michaelis,  Raisonnement  4,471.  —  Access-Schmaus  der  Füchse  („Pennal- 
Schmaus"  Dürer,  Tychander  1668  S.  6):  Schoch  3,  3  (3,  7  f.  „^4/«ofo/r-Schraauss"), 
Salinde  S.  76;  neuer  Tischburschen.  —  Ackerstudetil:  Schon  G.  Rollenhagen, 
Amanles  amentes  3,  4  „ackerstaudenten"  mit  einer  im  16.  und  17.  Jahrhundert 
spottweis  beliebten  Verballhornung;  W.  Schorffer,  Gedichte  1652  S.  648  „Lustig  ihr 
Pauren,  ihr  Akker-Studenten".  —  Action  Rauferei,  Mensur:  Schlingschlangschlorum 
S.  15;  Sylvanus  S.  137.  agiren  einen  Fuchs,  vexieren:  Moscherosch;  Richter  2,  2 
„Opulenti  Sohn  penalisiret  und  wird  agiret" ;  Salinde  S.  185.  —  Aga  Häscherführer: 
Michaelis  4,  471  (Halle?);  Vollmann.  — Amasia:  Sarcander,  Amor  auf  Universitäten 
1710  S.  108;  Sylvanus  S.  194.  —  Anschiss:  Die  Stelle  Hauffs  (Werke  2,  57)  wäre 
wegen  der  genauen  Definition  im  Wortlaut  anzuführen  „Es  ist  mehr  als  ein  Zoll, 
klafft  und  blutet,  also  A."  angeschissen  abgeführt:  Erdenwallen  S.  14,  25,  37  f. 
Als  Mensurwort  abgekommen.  In  älteren  Paukbüchern,  z.  B.  dem  Bismarckschen, 
llndet  sicli  der  nicht  identische  Ausdruck  „Anriss".  —  anschiiarchen,  wie  so  manches 
von  Kluge  aufgenommene  Wort,  „prostituieren-  u.  s.  w.,  kaum  speziell  burschikos, 
auch  in  älterer  gelehrter  Polemik;  Mencke,  Scherzh.  Gedichte  1706  S.  49.  — 
aiischjuirren:  Leo,  Meine  Jugendzeit  S.  96  „dass  er  .  .  das  Philistervolk  von  Auf- 
wärtei'n  .  .  auf  gut  studentisch  angeschnurrt  und  abgefegt  hätte".  —  ^angestiefelt 
kommen,  modern":  Schwab  schreibt  1816  „kommt  herübergestiefelt"  (Klüpfel, 
Leben  S.  81);  „angestochen  K."  Sylvanus  S.  157;  „angestapelt  K."  Bahrdt,  Leben 
1,  147;  „angeprelit  K."  Schwabs  Kommersbuch  S.  50;  „angeschissen  K."  neu.  — 
Arm:  „auf  den  A.  gehen"  leichtere  Mensur  mit  geschützter  Brust,  Sylvanus  S.  202; 
ebenso  „Armfuchsen"  Schluck  S.  16  (Kluges  Citat  ist  unklar).  —  Arsch:  H.  L. 
Wagner,  Kindermörderin  S.  40  des  Heilbronner  Neudrucks  „da  wird  gewiss  einer 
auf  den  A.  gesetzt"  im  Duell:  Arnim  mildert  „auf  die  Kniee  gesetzt",  Halle  und 
Jerusalem  1,  15;  „auf  den  Hund  s."  Buckeliade  S.  108.  —  auclioniren  die  Gesund- 
heiten bis  auf  zwanzig,  dreissig  Gläser  steigern:  Sylvanus  S.  108.  —  aufdonnern: 
Hauff,  Controverspredigt  W.  3,  299.  —  Au/nehmen  der  Hiebe  diu-ch  den  Sekundanten: 
Richter  2,  6.  —  auf  wichsen  traktieren:  Arnim,  Halle  3,  14;  Hauff,  Phantasien  3,  353. 


iiiirtem  und  gantz  vollkommenem  Leih-Medicus  der  Studenten,  Leipzig  1790  S.  4G9ff. 
Dieser  kuriose  Pedant  bespricht  das  Naumbm-ger,  Torgauer,  Erfurter,  Merseburger;  „Eiss- 
lebisch-Bier  ist  hingegen  ein  rechter  Kopff-Brecher  und  Vernunfft-Zerstörer,  heisset  mit 
Recht  Krappel  an  der  Wand,  vielleicht  a  crapvla  .  .  .  auch  Mord  und  Todschlag": 
Puff,  ungesundes  Hallisches  Bier;  Neu-Wereker;  Leipziger  Rastrum  und  Wittenbergischer 
Guckguck  gleiche  dem  Puff;  „Der  Dorff-Teuffel  in  Jena  (welches  Wort  sehr  sündUch  und 
straflbar)  ist  noch  gar  gut,  hat  es  gleich  keine  grosse  Krafft";  Wurzner,  Eilenburger, 
Zerbster  ..ein  gutes  Studenten-Bier",  Garley,  Löbginer  „ein  recht  St.-B",  Keuterhng; 
„Unter  den  Breyhans  wird  gerühmet  der  Quedhnburger,  Hannoversche  und  Wolften- 
büttelsche,  aber  der  Halberstädtische  behält  den  Preiss,  dem  der  Dornnburgische  ohnweit 
Zerbst  nahe  kömmt";  „Duffstein".  —  Kerles:  Weckherlin  ed.  Fischer  2,  404  „Wiss,  wan 
von  Carl  und  Carolas  Ein  Kerl  und  Kerlis  kommen  muss." 

Zeitschr,  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1895.  23 


336  Schmidt: 

—  aasschmieren  einen  auf  der  Mensur:  auch  Leo,  Jugendzeit  S.  118;  ebenso  „an- 
geschmiert" Harring,  Faust  S.  96.  —  Avantage  wird  gebucht,  aber  nicht  erklärt. 
„Sich  in  A.  setzen"  durch  meist  thätliche  Abwehr  des  nunmehr  zur  Forderung 
gezwungenen  Gegners,  Stockschläge  u.  s.  w.:  Michaelis,  Raisonnement  4.  381 
(ebenda  „der  in  Desavantage  Gesetzte");  Schluck  eingehend  §  14;  Statut  der 
Amicisten  dagegen,  besonders  gegen  den  Gebrauch  der  Hetzpeitsche,  s.  Graf  von 
Taufkirchen  1799  S.  89.  Göttinger  Student  1813  S.  107:  wer  in  A.  ist,  hat  sich 
um  nichts  zu  kümmern,  sondern  wartet  die  Terminbestiramung  durch  seines 
Gegners  Sekundanten  ab  und  führt  den  „Aushieb",  während  der  zuerst  Beleidigende, 
aber  Über.rtürzte  in  Desav.  ist,  das  Zimmer  besorgen  muss  und  den  „Nachhieb" 
hat.  Leo  erzählt  S.  144,  „das  in  A.  setzen"  sei  1817  in  Verruf  gewesen,  während 
früher  die  Reihe  der  A.  nach  körperlichen  Misshandlungen  durch  das  Spucken 
unter  den  Zopf  —  dieselbe  „Realavantage"  nebst  dem  Begiessen  mit  dem  Kammer- 
topf, Buckeliade  S.  107  —  beschlossen  worden  und  dem  das  Duell  gefolgt  sei. 
Schopenhauer,  Reclam  4,  419.  —  Backfist-h  imreifer  Fuchs:  Frisch,  Ohnvorgreifliches 
Bedencken,  Regensburg  1686  A  2  „unzeitiger  B."  (Gitat).  In  den  Facetiae  fac. 
S.  355  heissen  die  Beani  „Bengel,  Büffel",  die  Baccalaurei  -,vnlgo  Backfisch, 
Larissen,  Plateissen,  Speckerbes,  Stantzenfresser."  —  ^Monsieur  ßadium  oder  den 
Braunen,  das  ist  den  Bierkrug":  Abel,  Leih-Medicus  der  Studenten  1720  S.  100. — 
Bank:  Erdenwallen  S.  37  „LTngeheures  Pech  in  Bänken"  und  S.  40  „isch  Poch  in 
Bänke".    Ebenda  S.  15  wird  der  Primaner  „Bänkenrutscher,  Frosch,  Penal"  genannt. 

—  bekneipen  jemand,  sich  frei  halten  lassen:  Leo  S.  119  „einen  Fuchs  b."  Vgl. 
Schoch  4,  1  Pennale  „corrigiren",  in  Geldstrafe  nehmen,  und  „beschmausen"; 
Weimaiisches  Jahrbuch  2,  453  euniquc  beschmausat;  Dürer,  Tychandcr  S.  6  „besuchen 
(beschmausen  nennens  die  Pennale)",  S.  17  „neue  einkömmlinge  vexiren,  be- 
schmausen". —  bemoostes  Haupt  im  G.  Semester:  auch  Holtei,  Der  Solofänger  Sc.  3; 
Benedix.  —  bene  wäre  längst  vor  1789  in  der  Verbindung  mit  „thun"  (auch  „sich 
sich  ein  b.  thun")  zu  belegen;  z.  B.  hcisst  es  im  Dressdener  Avanturier  1755  S.  Ki: 
Pursch  Schmidt  trug  sein  Geld  „zu  Dorfe,  und  that  sich  davor  nach  der  gewöhn- 
lichen academischen  Redensart,  etwas  bene'^.  —  Bettehtudent:  über  neuere  Bear- 
beitungen des  Weidmannschen  Stückes  von  1776  vgl.  Holtei,  Theater  S.  12.  — 
xich  bezapfen:  Forsch,  Studentenbilder  oder  Deutschlands  Arminen  und  Germanen 
1835  S.  172  im  Liede  „Smd  wir  wieder  einmal".  —  Bibel:  1.  Der  Biercomment 
(Vollmann  „die  nasse  B.",  „der  nasse  Koran");  das  Kommersbuch  (Österreich). 
2.  „dass  er  in  die  B.  müsse"  („Die  B.  ist  der  geistliche  Karcer  zu  Stuttgart"), 
Seybold,  Hartmann  1778  S.  255.  —  Bier:  Die  massenhaften  Composita  bis  zum 
jungen  „Bierhuhn"  (früher  „Bierhahn";  vgl.  „Sumpfhuhn")  können  gewiss  nicht 
alle  angeführt  und  belegt  werden;  doch  dürfte  z.  B.  „Bierstaat"  kaum  fehlen.  Leo 
berichtet  S.  165,  wie  in  Jena  1817  die  politische  Gährung  der  Burschenschaft  dem 
Lichtenhainer  „Bierherzogtum"  eine  Ziegenhainer  „Bierrepuldik"  entgegengestellt 
habe  (vgl.  Forsch,  Studentenbilder  1835  S.  211).     bieren:  Erdenwallen  S.  11,  21,  32. 

—  „bindet  die  Klingen"  („sind  gebunden",  „los")  Mensurkommando,  auch  bei 
Hauff  2,  56.  —  Bindfaden  Häscher:  Salinde  S.  224  „Monsieur  B."  —  Flame:  Sar- 
cander,  Amor  S.  109;    blamiren:    Salinde  S.  306,  Zwey  .  .  Avanturiers  1744  S.  92. 

—  „blanc  stehen"  auf  Mensur:  Sylvanus  S.  202.  —  Blech  Geld:  Seybold,  Reizeu- 
stein  1778  H  245  ein  „beblechter"  Pursch.  —  Blutiger:  leichter  Hieb.  —  Brand- 
brief Bettelbrief:  Quistorp,  Gottscheds  Schaubühne  4,  476.  —  Unter  Brander  (s. 
auch  Goethes  Auerbacher  Scene,  wo  Br.  —  Urfaust  S.  28  —  stilgerecht  „junger 
Herr"  genannt  wird)  oder  Brenner  vermisst  man  einen  Hinweis  auf  Leos  grosse 
Schilderung,  Jugendzeit  S.  130,   wie  roh  noch  1817  in  Breslau  das  „Brennen"  der 


Bücheraiizeigeii.  337 

Brandfüchse  bis  zum  Ausstossen  des  Fidibus  auf  der  Wange  geübt  wurde,  während 
er  S.  144  für  Jen.i  einen  gelinderen  Brauch  angiebt.  Vgl.  Hase,  Ideale  u.  Irrtümer 
S.  115  f.,  über  das  „Brennen"  in  Erlangen,  auch  über  das  „Wischen":  den  Füchsen 
wurde  das  Auge  gereinigt;  Buckeliade  S.  35  „Brennerei",  S.  43  „gebrannt,  ge- 
wischt". —  Bnmlfi'iln-er  Häscher:  SaHnde  S.  92,  126.  —  bringen  zutrinken:  alte 
Gesellschaftslieder;  Gargantua  2.  Aufl.  J7;  Brehme,  Gedichte  1637  S  4'  „Ich  will 
dirs  verbringen".  —  Unter  Bruder  wäre,  abgesehen  von  manchen  Compositis  (z.  B. 
Sylvanus  S.  34  „ein  lustiger  Bier-  und  Tobacks-Bruder")  die  Art  der  Anrede  „Br." 
„Herr  Br."  (daneben  z.  B.  in  Reuters  Ehrlicher  Frau  Monsieur  frere  und  Man  frere, 
dies  auch  Salinde  S.  15  u.  s.  w.,  Monsieur  bei  Schoch)  „Brüderchen"  „Bruderherz" 
zu  betrachten  gewesen;  auch  über  das  förmliche  Anreden  in  der  3.  Person  („Der 
Herr  Bruder  gehe"),  das  Ihrzen,  Siezen,  Duzen  Hesse  sich  chronologisch  viel  sagen. 
Bruder  Studio:  Keil,  Stammbücher  S.  140  (1692)  „wie  es  Bruder  studio  ergangen" 
(in  den  „Zwey  .  .  .  Avanturiers"  steht  durchweg  „Bruder  Studeo'^,  nicht  stiideo  wie 
Kluge  angiebt),  S.  222  Bruderstudio  (Wittenberg  1720),  S.  198  „Bruder  Studio'' 
(Jena  1722).  „Die  Brüder  Studio'^:  Laukhard,  Mosellaner  S.  27;  „die  Brüder 
Studio's":  Erdenwallen  S.  3.  „Studio"  allein:  Pyra,  Bibliotartarus.  Dummer  Witz 
Studio-sus  in  Schregers  St.  juvialis  2.  A.  1751  S.  70ü  und  im  Vorwort.  —  Büchse 
(s.  hier  „Spritzbüchse"):  Maler  Müller,  Faust  S.  115  „lustige  B.,  Nymphen"  „Mädels". 

—  „Akademischer  Bürger^  wird  erst  für  1831  belegt,  läuft  aber  längst  vom  17.  Jahr- 
hundert her  neben  civis  academicus  (cives  illiiteraii,  der  Universität  und  den  Studenten 
verbundene  Leute  mit  besonderen  Rechten;  vgl.  Michaelis,  Raisonnement  4,  505). 

—  Burgfriede  Urfehde,  Verbot  der  Contrahagen  für  Commerse  und  andere  Feste: 
der  noch  heute  ganz  übliche  Ausdruck  stammt  wohl  vom  Wartburgfest  1817  nach 
den,    durch  Leo  S.  154    bestätigten,    zeitgenössischen  Berichten.   —  Bursc/i.     Das 
Femininum    „die    Pursche",    hursa,    Studentenschaft:    Richter  3,  4.      Zu  verfolgen 
wäre    die    Terminologie    des    Burschenideals.      Der    „brave   Kerl",    Schelmuffskys 
Leibwort,    zieht   sich  im  akademischen  Gebrauch  weit  ins  18.  Jahrhundert  hinein: 
Thomasius,  Kl.  Schriften  2.  Aufl.  S.  575  „ein  praver  K.",  Salinde  S.  80  „ein  praver 
Kerls"  (Abels  Leib-il/erf/cw.«  S.  79  „der  guten  und  braven  Pursche  oder  der  ehrlichen 
Brüder"),    Michaelis  4,  307,    Gramer,    Geschichte    C.  Saalfelds  S.  22  f.     „honetter 
Bursche":  Sarcander,  Amor  S  40,  Sylvanus  S.  178.     „honorig"  (s.  Kluge):  Schluck 
sagt    immer  hurscAius  /lonoricus   oder  hunoricus\    Laukhard,    Mosellaner  S.  74   „ein 
h.  B.,    wie   man    in    der  Studentensprache   zu   reden  pflegt";    Tafellieder  S.  136  f. 
Natürlich  können  nicht  all  die  zahllosen  Composita  gebucht  werden,    doch  ist  die 
Auswahl  hier  zu  karg  geraten.     „Bursch-Manier"  Schelmuffsky  Neudr.   S.  116  und 
oft;  „Burschenehre"  Arnim,  Halle  1,  5;  „Burschenhut"  ebenda  1,  2  und  1,  5  (vgl. 
im  Lied  „0  alte  Burschenherrlichkeit":    „Den  B.   bedeckt  der  Staub);    „Burschen- 
lieder"   Schluck    §  9;    „Burschenrock"    Iramermann,    Epigonen   V  4.      Besonders 
fruchtbar  ward  das  Stiftungsjahr  der  Burschenschaft  1815:  z.B.  heisst  der  Convent 
(„Burschenconvent"  Leo  S.  167,  176)  „Burschengemeinde",  auch  auf  der  Wartburg ; 
das    „Commerschhaus",    die  Tanne,    „Burschenhaus".    Der  Ruf  „Bursche  heraus" 
(Jena  1794  Weimar.  Jahrbuch  6,  16;  Leo  S.  136;  vgl.  das  bekannte  Lied.    Bucke- 
liade S.  98  „Schnurr'  heraus")    sollte   nicht  bloss  unter  „raus"  mit  der  -Jahreszahl 
1831  vermerkt  sein  („B.  raus",  Fichte  an  Voigt  16.  Febr.  1795);  daneben  „Bursche 
ins  Gewehr"  Keil,  Stammbücher  S.  290  (Jena  1792),  „Bursch'  ins  G'wehi-"  Schwab 
S.  109.    Wann  ist  von  den  Corpsstudenten  („Corpsiers";  Erdenwallen  S.  3  „Choristen") 
der   Spottname  „Büxier"    für    die  Burschenschafter  aufgebracht  worden?     „Haupt- 
sächlich,   weil    sie    auf   die   Moralität    der   Mitglieder    sahen",    erklärt  H.  Forsch, 
Studentenbilder  oder  Deutschlands  Arminen  und  Gennanen  1835  S.  67.    Er  hängt 

23* 


338  Schmidt: 

wohl  mit  Büxe,  Hose,  zusammen,  bezeichnet  also  zuniichst  die  Schisser  und  mag 
in  der  Zeit,  als  die  Arminen  nicht  schlugen,  aufgekommen  sein.  —  campiren  auf 
Dörfern  nächtigen,  wohnen:  Sylvanus  S.  191;  die  Michaelisehe  Stelle  könnte  aus- 
geschrieben werden,  ,, Auslager,  auf  Universitäten  hiesse  es  mit  dem  Kunstwort, 
C."  _  Cerems  Bier:  Keil,  Gründung  S.  36;  Erdeuwallen  S.  11  (S.  31  „auf  C'."); 
Immermann,  Epigonen  V  3.  Couleurmützchen,  Deckelchen:  ohne  den  Namen  an- 
schaulich beschrieben  von  Hauff  2,  43  „Auf  dem  Kopfe  hatte  der  Studiosus  ein 
Stückchen  rotes  Tuch  in  Form  eines  umgekehrten  Blumenscherben  gehängt,  das  er 
mit  vieler  Kunst  gegen  den  Wind  zu  balanciren  wusste;  es  sah  komisch  aus,  fast, 
wie  wenn  man  mit  einem  kleinen  Trinkglas  ein  grosses  Kohlhaupt  bedecken 
wollte."  —  Champagnern:  Voss,  Briefe  1,  95  (1772)  „champagnerten  und  burgunderten 
wir".  —  Charmante:  17.  Jahrhundert;  noch  Körner,  Nachtwächter  Sc.  4.  —  Circim- 
flex  Schmiss  (S.  33  bei  Sarcander  belegt):  Salinde  S.  238;  Der  Gesellige  1  (1748), 
79.  Burschikos  wird  auch  „Paragraphus"  für  Hieb  sein,  Grimmeishausen  ed.  Kurz 
1,  46.  —  citiren  mit  dem  Zusatz  ad  magnificiim,  in  consUium  schiin  im  16.  f.  Jahr- 
hundert. Der  Pedell  schreibt  oder  klebt  diese  Citation  an  die  Stubenthür;  Wich- 
grev-Sommer,  Conii-Ihis  relegaliis.  Eine  forma  citationis,  Zarncke  S.  158.  —  jiro 
confirmalione  Hut  beim  Zutrinken:  Keil,  Stammbücher  S.  274  (Jena  1766).  —  covira 
(s.  auch  re)  in  Antworten  auf  Herausforderungen;  De  excussione  fenestrarum  1737 
S.  42  pereat  contra  nach  dem  Ruf  ^Pereat  N.  N.  tief",  „i'«/.-  contra  steh  Hundsvott"; 
S.  39  ^contra  wetzen",  ein  häufiger  Ausdruck.  „Aus  und  ein.  Dick  Dack,  und 
contra  Puff"  obscön:  Geländer,  Der  verliebte  Studente  1709  S.  84.  Cuntrnpart 
Mensurgegner:  Salinde  Vorr.  S.  24,  Sylvanus  S.  203.  —  Cornelius:  zu  R.  Kühler 
vgl.  Wendeler,  Ztschr.  f.  deutsches  Altertum  21,  456  ff.  —  Corpus  juris  zweideutig: 
Leben  einer  Tirolerin  1744  S.  60.  —  „Der  Studenten  CorrelaHv^  Mädel:  Keil, 
Stammbücher  S.  149  (Marburg  17.  Jahrb.).  —  Cotileur  wird  mit  dem  Wort  „Blase 
1831"  zu  flüchtig  abgethan.  Ziir  couleur  perdue,  d.h.  den  verbummelten  Studenten 
(eigentlich  aber  einer  engeren  radikalen  Gruppe  der  Germanen:  Forsch,  Studenten- 
bilder 1835  S.  173)  rechnet  Dambach,  nach  Bailleus  Mitteilung  aus  den  Akten, 
1834  Fritz  Reuter.  —  Einen  crescit  venler  kriegen:  Jungfer  Robinsone  S.  40.  — 
Degen:  interessant  beschreibt  Sylvanus  S.  192  die  „Satanische  Manier",  den  Degen 
in  die  morsche  Stubendecke  der  Dorf  kneipe  zu  stechen.  —  deponiren  obscön,  schon 
in  Misch versen  des  16.  Jahrhunders:  V.  Schumann  ed.  Bolte  S.  268  (^(yrnlamini, 
Deponier  sie"),  vgl.  409;  Clodius  S.  10  semper  oscidanter  semper  deponenter,  S.  52 
Si  vultis  nie  deponere  (im  Mischlied  Pertransibat  clericus;  der  Text  von  1506,  Zarncke 
S.  88,  bietet  amare);  1691  (Reuter?)  Schnorrs  Archiv  13,  437.  Depoaitor  16.  bis 
18.  Jahrhundert.  Depositionszetignis:  Leo  S.  133.  —  desinentia:  Schlingsclilang- 
schlorum  S.  17  „Waschmädgen  und  andere  desinentia  in  ,r",  also  lotrix  netrix 
meretrix  und  andere  nomina  in  JX,  die  nach  den  Fac.  fac.  S.  301  generis  communis 
Stammb.  200,  269)  sind;  „desinentia  in  a,  ut  Anna,  Susanna,  also  auch  cerevisia"' 
Kindermann  1664.  —  dimiltiren  weniger  als  relegieren:  Paulus  an  Voigt  Febr.  1795. 
—  Doctor  bei  der  Bierfehde:  Keil,  Gründung  S.  37  (Jena  um  1804)  „Gelehrt  und 
D.  muss  hinein  In  unser  durstges  Wänstelein,  In  unsern  durstgen  Wanst".  Beide 
Zechgrade  verbindet  auch  G.  Preytag,  Erinnerungen  aus  meinem  Leben  S.  118.  — 
dnrchxtänkern  von  „stankern",  auch  Lessing  geläufig,  im  Sinne  von  suchen,  wühlen 
ist  nicht  speciell  studentisch  (durchstanckert"  Gryphius,  Trauerspiele  ed.  Palm 
S.  325,  Schelmuffsky  S.  111);  durchlesen:  Rebhu,  Der  Simplicianische  Weltkucker 
1679  II  54  „durchstänckerte  etliche  P/ulosophos^  („durchschnarchcn"  sagt  Grimniels- 
hausen  so,  Kiu'z  3,  391).  —  Jhizhruder:  17.  Jahrhundert;  Thomasius,  Kl.  Sehr.  1707 
S.  304  „Dutz-Brüder".     Das  Citat  aus  den  Faceiiae  facetianuu  ist  nicht  ganz  genau: 


Bücheranzeigen.  339 

„Briiderschafft,  oder  auffn  Dutz  tr.";  Finkelthaas,  Lustige  Lieder  1645  LVI  „Dutz- 
schwesterlied" :    trinkt    mit    den  Schönen    „auf!'  den  Dutz   das  Gliissgen";    Clodius 
S.  KO  auf  den  „Tuz"  trinken  und  einem  Mädchen  das  Glas  auf  den  „Tuz''  bringen; 
Lied  1645    „Der  säuft  dem  zu  Auf  einen  Du",    Birlinger  und  Crecelius,    Wnnder- 
horn  2,  388;    Schupp,    Freund  in  der  Not  S.  7  des  Neudrucks  „truncken  mit  ein- 
ander  auf   Brüderschaft".      Erwähnenswert    ist    auch    das   1762    und  1778    (Keil, 
Stammbücher  S.  272,  282)    als  Wittenbergisch    bezeichnete,    aber   keineswegs  auf 
M'ittenberg  zu  beschränkende.    Trinken  ä  boitne  amitie.     In  der  Salinde  S.  77  und 
387    ist    das  Trinken    „auf  bon  amitie"'    soviel    als  SchmoUieren;    Sylvanus  S.  150 
„beliebten    sie    allerseits    Brüderschaft    zu    machen    und  o  bon  amilie  zu  trincken, 
welches    auch    mit    einem    erschrecklichen  Geschrey:   Es  leb§n  die  Herrn  Brüder 
wohl!    in    guter    Eintracht    vollzogen    worden".     Rüdiger  S.  203    vermerkt    es  als 
Zuruf  beim  Anstossen  mitten  im  Rundgesang,   und  in  Keils  Deutschen  Studenten- 
liedern S.  153    steht    „Drum,    Herr  Bruder,    du  sollst  leben,    A  hon  amitie'^.    Der 
„Krambambulist"  (Druck  von  1767  S.  20)  sagt  „Ich  trinke  gleich  a  bon  ami  Sechs 
ganze  vom  K.".  —  Ehrengericht:    in    der  Verfassung  der  Burschenschaft  1815;    es 
wies  „Renommagen",    absichtliche    grundlose   Forderungen  ab:    Hase,    Ideale  und 
Irrtümer  S.  81;  Kobbe  1,  41  ff'.  —  einheimsen  modern:  der  Vater  ruft  oder  holt  den 
Sohn  heim.  —  einspringen    in    eine  Verbindung.  —  sich  eclipsiren  ohne  Bezahlung 
abreisen:    Michaelis,    Raisonnement  4,  585.   —  Er:siii!ier:    Erdenwallen    S.  31.  — 
etcetera  bedeutet  in  der  angezogenen  Stelle  der  Salinde  (2.  Aufl.  S.  67;  I  78)  nicht 
„Taugenichts",    sondern    ist    blosse    Chiffre    für    „Hundsfott"    (ehrenhalber    öfters 
„Hundsvogt"  geschrieben);  auf  derselben  Seite  steht  ja  „du  bist  deswegen  ein  &c." 
und    „ein  Hunds&c."    (dies    auch    S.  89  f.,    wo    der  2.  Druck  „Hunds--"  bietet); 
S.  233  „einen  ic."     Sylvanus  S.  166  „ein  &c"   nach  „Hundsfott".     Gleich  „Hure": 
Faceiiae  fac.  S.  481    „Die  Etc.    spilet  auff  dem  Jägerhorn".     Es  ist  überhaupt  die 
verschämte  Sigle  für  unsaubere  Worte:  Schlingschlangschlorum  S.  20  „lassen  sich 
kaum  von  einer  Fliege  auf  die  Nase  &c".    Auf  dasselbe  Blatt  gehört  die  Anwendung 
von    Zahlen    für  Unanständiges:    wenn    das    bekannte   böse  W^ort    „Fünfzehnhut", 
eigentlich    „Fotzenhut"    {Vulva-piJeus:    Facetiae  fac.  S.  161)    von  Picander    immer 
„15.  Huth"    gedruckt    wird    (z.  B.  Gedichte  5,  126),    und  so  muss  wohl  auch  das 
„Unleserliche"  m  Keils  Stammbüchern  S.  173  ergänzt  werden.     Was  ist  aber  eine 
„24.  Frau",  wie  Geländer,  Der  verliebte  Studentc  1709  S.  17,  eine  hübsche  Dame 
im  Gegensatz    zu  ihrer  hübschen  Magd  nennt?  —  exkneifen:   Holtei,  Theater  S.  7. 
—  Experimentalphijsik:  Die  Hmioldsche  Stelle  lautet  genauer  .„em  collegium  physicum 
oder  die  Geheimnisse   der  Natur  bey  ihr  zu  e.rperimeniiren'";    vgl.  „Anthropologie" 
für  Menscherkunde.  —  e.vtra  gehn:    Keil,   Stammbücher  S.  217    (Leipzig  1724).  — 
Famulus   wäre    vom  16.  Jahrhundert   (s.  Mohl,  Sitten  und  Betragen  der  Tübinger 
Studierenden  S.  31)    zu  Goethes  Piiust  hin  und  weiter  zu  verfolgen  und  auch  das 
in  Winckelmanns  Tagen  übliche  „Famuliren"    (Sylvanus  S.  122)  armer  Hallischer 
Studenten    bei   reichen,    adeligen    zu  erwähnen;   vgl.  Fabricius  zu  Schoch  S.  105. 
Wallensteins  F.:  Lager  Sc.  7.  —  Fechtboden:  Gargantua  2.  Aufl.   Y  7;  Zoi'gas  Leben 
1,  22.  —  Feger:    Arnim,    Halle  1,  5    „guter  F."    („der  beste  Fechter");    „fegen": 
Immermann,    Cardenio  3,  3;    „zusammenfegen"    (wie  Goethes  Valentin    vom   „zu- 
sammenschmeissen"  spricht):  Keü,  Stammbücher  S.  272  (176,i).  —  Fenster:  Treibers 
gelehrte  y,Commentatio  juridica  de  excussione  fenestrarum  von  Fenster-Einschmeissen" 
mit  einer  grossen,  frischeren  Beilage  Lünemanns  „De  studiosis  hacchavtibus  tumuUu- 
antibusi/ue  von  schwermenden  und  tumultuirenden  Studenten  Item:  von  derPurschen- 
Preyheit,    Wetzen,    Lichtweg-,    Vivat-   und  Perea« -Ruffen"    Halle  1737.     F.  „aus- 
schmeissen":    Menantes,    Akademische  Nebenstunden  S.  111;    oft  „auswerfen".  — 


340  Schmidt: 

fidel:  riPour  fidel ^  meine  Herrn,  willkommen!"  Keil,  Stammbücher  S  260  (Jena 
1754,  gleich  darauf- „Da  geht's  fidel  zu").  Altes  verbreitetes  Lied  , Studenten  sind 
fidele  Brüder",  z.  B.  Rüdiger  S.  15.  „Pidclitäten"  Kneipereien:  Keil,  Gründung 
S.  39  (Jena  1805).  Fidelite:  Keil,  Studentenlieder  S.  147  (Jena  1770).  fiddüer: 
Keil,  Stammbücher  S.  288  (Jena  1791),  die  Verse  auch  bei  Schwab  S.  21.  fidoliter: 
Erdenwallen  S.  28  aus  dem  Lied.  —  Fidibus:  Clodius  1)4-.  —  „wie  fiii"-:  Erden- 
wallen S.  23.  —  fix  rasch,  gewandt:  Griramelshausen  ed.  Kurz  ),  226.  —  Flaus  — 
s.  u.  „Gottfried"  —  Winterrock:  Zoegas  Leben  1,  173  (1778);  Burschenrock:  „Es 
sank  der  F.  in  Trümmer".  —  Unter  ß oll  dürfte  der  „flotte  Bursch"  nicht  fehlen: 
altes  Lied,  Schwab  S.  50;  Keil,  Stammbücher  S.  2G0  „ein  flotter  und  fideler 
Jenenser".  —  Finke:  „Pinkenburg"  hiess  das  Leipziger  Paulinum,  in  dessen  Tabu- 
laten  die  „Paulinermusen"  hausten  (Hase,  Ideale  und  Irrtümer  S.  41).  —  forciren 
Ti'inkzwang  üben:  Sylvanus  S.  152  „das  so  genannte  Forciren  im  Sauffen".  — 
fraternisiren :  Leo,  Meine  Jugendzeit  S.  94.  —  Wo  ist  die  Akademische  Freiheit  ge- 
blieben und  wann  der  Ausdruck  aufgekommen,  der  soviel  Edles  und  Übles  begreift? 
Dürer,  Tychander  1668  S.  5;  Thomasius  beruft  sich  1691  darauf  (Kl.  Schi-.  2.  Aufl. 
S.  406).  —  Freitisch :  Schlingschlangschlonmi  S.  12  (=  Weimar.  Jahrbuch  2,  462) 
„die  so  beym  Professore  mensam  gratuilam  haben,  die  man  sonst  Preyfresser  nennet". 

—  Fress- Professor  (vgl.  Crailsheim  S.  516  „dass  fress  Collegium"')  Speisewirt: 
Sylvanus  S.  153.  —  Fuchs:  „Püchsgen"  „Siinsonisches  Thierlein"  Sylvanus  S.  197. 
fuchsen  obscön:  Crailsheim  S.  460.  Fuchsprobe:  Leo  S.  144.  —  fundilus:  f.  e.r- 
bibendum  im  alten  Lied,  Schwab  S.  106;  ^funditus  trinken"  oft,  noch  in  Reuters 
Pestungstid  5,  92  „dat  en  forschen  Voss  ümmer  /.  drinken  müsst".  —  ganz:  „ein 
ganzes"  Rebhu,  Weltkucker  2,  45;  Keil,  Stammbücher  S.  212  u.  s.  w.;  Ossenfelder, 
Oden  S.  87  „Ihr  Miekchen,  trinkt  ganze";  Sylvanus  S.  157  „ein  Halbes  oder 
Gantzes".  —  Gaudium:  Salinde  S.  155;  Frau  Rat,  Betfina  u.  a. ;  „Gaudi"  „Gaudeh" 
österreichisch.  —  Geir/e  obscön:  Günther,  6.  Aufl.  Anhang  S.  5  im  „Studentenlied" 
„So  lebe  denn  die  beste  Geige,  Worauf  der  Pursch  sein  Runda  greift"  (=  Keil, 
Lieder  S.  142).  Im  Jenaischen  Gaudeamus-Text  von  1776  ist  Str.  5  zu  erganzen: 
„Es    leben    auch    die    Weiber    hoch    Die    sich    lassen   geigen"    (faciles   agressu). 

—  Gevatter  stehn:  Picander,  Gedichte  1,  541  und  2,  501  (1723),  dazu  1 ,  565 
„alles  .  .  Steht,  wie  ein  Pursche  sagt,  ietzt  zur  Gevatterschaft";  Schwabes 
Belustigungen  1743  2.  Aufl.  S.  465  „Der  Jude  muss  herausrücken,  sobald  ich 
ihm  Gevattern  schaffe";  Crailsheim  S.  506  „Der  Gevatterschaften  sind  zu  viel". 
Geratterin  nicht  bloss  die  Obsthändlerin  in  Halle  (vgl.  auch  „Stammbuch  des 
Studenten"  S.  131),  denn  in  den  „Tafelliedern"  S.  26  fordert  der  Biu'sch  von 
„Frau  Gevatter  Kätherlein"  „eine  Warme";  Kupplerin  (vgl  „Tante"  „Mutter"): 
Lenz,  Lustspiele  nach  dem  Plautus  W.  2,  10.  —  Goldfüchse:  „Goldfinklein"  im 
Studentensang  bei  Ditfurth,  Deutsche  Volks-  und  Gesellschaftslieder  1872  S.  221; 
„goldne  Füchse"  Schiller,  Wallensteins  Lager  V.  127.  —  Gossenrecht  bedarf  der 
Erklünuig:  wer  in  Göttingen  die  Gosse  zur  Rechten  hatte,  musste  ausweichen 
(1813  S.  106).  —  Gottfried:  im  alten  Lied  bei  Schwab  S.  50  heisst  es  „Hält  den 
Bratenrock  der  Schneider  gleich  zurücke,  Hab'  ich  doch  den  alten  G.  noch,  Den 
ich  mir  zuweilen  selber  flicke,  Posito  der  Kerl  bekam'  ein  Loch"  (anders  bei 
Crailsheim  S.  505  „Hält  der  Schneider  mir  das  Kleid  zurücke  Hab  ich  doch  den 
alten  Kittel  noch  Den  ich  mir  indessen  selber  flicke  Und  gesezt  es  bleibet  noch 
ein  Loch"),  im  jungem  S.  52  „Ein'n  alten  G.  hab'  ich  noch.  Der  hat  am  Arm  ein 
grosses  Loch".  In  der  Haufi'schen  Stelle  steht  der  Kosename  , Gottfried  Flaus", 
und  so  zeigt  uns  C.  J.  Weber  182G  die  „Musen"  Tübingens  „im  schlichten  Flaus 
oder  Gottfried"  (Stammbuch  des  Studenten  S.  180);  beide  Ausdrücke  sind  auch  in 


Bttcheranzeigen.  34I 

der  ßuckeliade  S.  49  verbunden.  —  Grossvater:  Schlingsclilangschlorum  S.  16  die 
Professorenburschen  haben  „bei  Hochzeiten,  wenn  sie  den  G.  holen,  beym  Tantz 
und  allenthalben  den  Vorzug";  Studententanz,  nicht  bloss  auf  Hochzeiten,  Sylvanus 
S.  \6'2.  —  //öa/7o»ser  Friseur:  Keil,  Stammbücher  S.  274  (Jena  1766).  —  „Ilaiiderer 
Lohnkutscher  1846",  ein  später  und  unnützer  Beleg.  —  Bauboden:  Vischer,  Altes 
und  Neues  3,  261.  —  altes  Haus:  Leo  S.  183,  eine  köstliche  Anekdote;  Hauff  2,  44 
„zwei  alte  Hiiuser"  „altes  fideles  H.";  „fideles  H."  im  Wartburglied,  Beschreibung 
S.  62.  —  Hausbuisc/i  schon  im  17.  Jahrhundert,  z.  B.  Reuter.  Ehrliche  Frau  S.  2, 
Schelniuffsky  S.  119.  Und  wie  oft  beglückwünschen  die  H.,  die  „Tisch-Pursche" 
(Schoch  .5,  1),  die  „Tisch-Gesellschaft",  die  von  Schlingschlangschlorura  so  übermütig 
nach  Rang  und  Würden  gepriesenen  „Professoren-Pursche"  ihren  Professor,  ihr 
promoviertes  Mitglied,  den  contubernalis,  collegialis,  cominejtsalis  mit  einem  Carmen! 
JJaiisji/ii/ister:  Chamisso,  Göttingen  8.  Nov.  1805.  Bauspump:  Immermann,  Epi- 
gonen V  4.  Hausen  beim  Hospiz  u.  s.  w.  mithalten:  „Wer  nicht  mit  hauset"  im 
alten  Lied  „Sa  sa  geschmauset";  Crailsheim  S.  476  „schwermt  und  haust".  — 
Her:o(]  im  Bierstaat,  längst  vor  1831.  —  hochbeinige  Zeilen  nicht  speziell  studentisch; 
Frau  Rat  Goethe  u.  a.  —  Hoch-Schmaus  grosses  Hospiz:  Sylvanus  S.  167;  S.  224 
„hoch  schmausen".  —  Bufhurq,  Jenaische  Bezeichnung  der  ländlichen  Exkneipe, 
fehlt  gleich  „Hoftag"  u.  s.  w.,  vgl.  auch  Leo  S.  149  (1817);  der  Wirt  führt  denselben 
Titel  „Rurgvogt",  den  Scheidler  auf  der  Wartburg  mit  Ehren  trug.  Leo  erzählt 
unter  anderem  lustig,  wie  Buttmann  als  Herzog  Thus  VllL  von  Lichtenhain  den 
lehrhaften  Massmann  zum  „Oberhofhurenkinderschulmeister"  ernannte.  —  Ob  das 
„horizontale  Handwerk"  (wie  die  Pariser  Dirnen  les  horizontales  heissen)  über 
Heines  „Harzreise"  hinaus  als  studentischer  Ausdruck  gelten  darf?  Vollmann,  in 
diesen  Dingen  so  beschlagen,  kennt  es  nicht  neben  „liegend".  —  Hospiz  kleinere 
Kneiperei,  18.  Jahrhundert.  „Hospitz-Liedcr"  Leipziger  Kommersbuch  1815  S.  60  ff. 
hospitiren  im  CoUeg:  es  ^pro  hospite  besuchen,  hören",  Michaelis  3,  377.  —  ^Bölel 
de  Brnbach  [Brühbach],  oder  wie  es  jetzt  heisst,  Hotel  de  Grefe"  Forsch  1835 
S.  81  mit  Beiiifung  auf  Heine;  s.  Kluge  S.  18.  —  „hujen  stibitzen  1749":  denselben 
Sinn  könnte  „huyen"  Salinde  S.  38  haben,  aber  auch  allgemein  bedeuten  „aus- 
gelassen sein",  von  ,,hui"  abgeleitet.  — •  Bund  Carcer  in  Altdorf:  Wallensteins 
Lager  Sc.  7;  auch  Hase,  Ideale  und  Irrtümer  S.  149  hält  die  Legende  fest,  daher 
stamme  die  Redensart  „auf  den  Hund  kommen".  —  hutschen:  zur  Sache  s.  Schöttgen, 
Pennal- Wesen  1747  Kap.  3.  Leos  famose,  auf  mündliche  Berichte  alter  Herren 
gegründete  Erzählung  S.  118  (vgl.  144),  die  auch  das  Wort  „Hutschung"  enthält, 
müsste  citiert  werden.  —  in  dubio:  Erdenwallen  S.  14.  —  „m  dulci  jubilo  leben" 
verzeichnet  Kluge  seltsamerweise  —  er  möge  aber  dies  „seltsam"  nicht  für  Tusch 
nehmen  —  erst  aus  dem  zweiten  Viertel  unseres  Jahrhunderts.  —  infamia:  cum 
pro  (Schwab  S.  133),  infamiren.  —  Jocits,  burschikos  auch  in  Müllers  „Siegwart", 
wo  der  Ingolstädter  ein  „fideles  Mensch,  mit  der  man  einen  wahren  J.  haben  kann" 
rühmt;  „Jux"  ist  der  bairisch-österreichischen  Volkssprache  längst  ganz  geläufig. 
—  Junge:  zu  erwähnen  wäre  die  seit  dem  16.  Jahrhundert  geltende,  bei  Opitz  (in 
dem  oft  variirten  „Holla,  Junger,  geh")  und  vielen  Nachfolgern  Utterarisch  auf- 
tretende Bezeichnung  des  Dieners  als  „Junger"  oder  „Junge"  (Reuter,  Ehrl.  Frau 
S.  21  braucht  in  diesem  Sinn  „Junggeselle"),  aber  auch  die  „Junge  Magd",  Auf- 
wärterin, die  in  älteier  burschikoser  Litteratur,  freilich  nicht  bloss  dort,  eine  so 
grosse,  meist  bedenkliche  Rolle  spielt.  „Junge"  ist  Tuschwort  schon  im  Schelniuffsky 
S.  115  f.;  sonst  sind  die  älteren  massiver:  Hundsfott,  Bärenhäuter,  Kanaille. 
„Dummer  Junge":  Schluck  S.  23  „D.  Jung,  est  niaxima  et  atrocissima  injuria,  quia 
agitur  de  Sana  mente  et  supientia  Studiosi"" ;    vgl.    Knebel    an  Henriette  S.  634  nach 


342  Sehmidt: 

Karls  Duell.  —  Caball:  Abel,  heih-Medicus  der  Studenten  1720  S.  92.  —  Kalb: 
Sylvamis  S.  156  „dass  fluide  Kälber  in  grosser  Menge  passirten'^.  —  Kaldaunen- 
sclduckfr:  Schoch  1,-3;  Schlingschlangschlorum  S.  35  von  den  Kommunitatern; 
Keil,  Stammbücher  S.  272  „In  AVittenberg  K."  —  Kabneuser ,  kidmeuseni  fehlt 
(etymologisch  aufgeklärt  durch  J.  Meier).  —  kanaülös:  Calander,  Der  verliebte 
Studente  1709  S  66  „canalliüs'^;  Salinde  S.  122,  1,32  ^canadkua'^ ;  Brentano  1809, 
Grimm-Steig  1,  261.  —  „C'önan'en-  (Comilien-)  Vögel"  leichtfertige  genäschige 
Weiber:  Abel,  hcib-Medicus  der  Studenten  1720  S.  78.  —  Kanonen:  Holteis  Student 
Schmollis  schwört  „bei  Hieber  und  K.",  Soiofänger  Sc.  3.  —  kaput  stammt  vom 
französischen  Kartenspiel:  Sperontes,  Singende  Muse  3.  Forts.  No.  33  .„Komm 
Kindchen,  lass  uns  Rummel  spielen  Dass  ich  dich  gar  capot  gemacht".  —  Kar:er- 
farbeii:  Die  Jenenser  trugen  noch  in  den  siebziger  Jahren  braungelbgrüne  Bänder. 
—  Kartell  (bei  Weckherlin  eine  Gattung  höfischer  Festgedichte)  Herausforderung: 
„ein  CarteU.  schicken"  Sarcander,  Amor  S.  41;  „das  kriegrische  (.'."  Zachariä 
Buch  V.  Die  von  einem  anderen,  der  heute  allgemein  „Kartellträger"  heisst,  über- 
brachte Forderung  oder  Anfrage  wird  „Constitution"  genannt:  z.  B.  Graf  v.  Tauf- 
kirchen, Amicistenorden  1799  S.  91;  Göttinger  Student  1813  S.  15  „constituieren": 
jemand  fragen,  meist  durch  einen  Freund,  ob  er  habe  beleidigen  wollen;  Schluck 
S.  25  unterscheidet  mündliche  Forderung:  „««  de  certamine  per  internuncios  monitus 
fiierit  (wenn  der  Injuriant  constituirt  worden)"  und  schriftliche:  injurians  ab  injurialo 
litteris  denunciatoriis ,  cartel,  provocatus.  —  Katzenjammer  (^Cornelius;  Salinde  Vorr. 
S.  21  „das  Crapula  oder  Kopff-Wehe"):  der  Vers  des  Westöstlichen  Divan,  der 
dem  bm-schikosen  Wort  einen  Freipass  gegeben  hat,  sollte  nicht  fehlen.  Platen 
ed.  Redlich  I,  555  (1822)  und  569.  Eichendorff,  Dichter  und  ihre  Gesellen  W. 
1883  n  152:  „Der  Otto  war  beständig  in  poetischem  Thrane,  das  musste  ein  Ende 
mit  K.  nehmen".  Auerbach,  Briefe  1,  17  (Tübingen)  leistet  sich:  miseria  velis  (so). 
Mörike  an  Kauffmann,  Oktober  1828:  „Tübingen  .  .  .  liegt  wie  in  einem  recht  leeren 
und  stillen  K.  da".  Erdenwallen  S.  47.  Katzenmusik  nach  Lichtwehrs  Fabel? 
„Fensterkonzert"  Jena  1795.  —  Klinge:  Leo  S.  138  „der  eine  vortreffliche  K. 
schlug";  Heine,  29.  Okt.  1820  „eine  gute  K.  schlagen";  Keil,  Stammbücher  S.  272 
(1762)  „vor  blanker  K.  liegen".  —  Kloss:  Neue  Erweiterungen  der  Erkenntnis  und 
des  Vergnügens  1753  St.  8,  93  „Mit  Klösen,  das  ist  mit  solchen,  die  ihre  Collegia 
fleissig  abwarten,  machte  er  [ein  Jenaischer  Student]  sich  nicht  gemein";  Claudius 
in  Urians  Reiselied  „Da  schalt  ich  einen  einen  K."  —  kneifen  bei  Forderungen. 
■ —  Kneipe  Zimmer:  „Ich  hab'  den  ganzen  Vormittag  Auf  meiner  Kneip'  studirt"; 
Heine,  Göttingen  17.  Mai  1824.  Kneipjacke  modern,  ein  verschnürtes  Jöppchen  in 
den  Verbindungsfarben.  —  Knochen:  Schwab  S.  37  „Studenten  sind  Adele  Brüder. 
C/ior.  Pidele  Brüder!  (Knochen!)".  S.  122  (auch  Buckeliade  S.  122)  heisst  der 
Tod  „Knochenhauer".  —  Knote:  Schluck  §  9  gnotus  mit  richtiger  Etymologie;  im 
alten  Lied,  Schwab  S.  50,  „Kam  ein  grosser  Knote  angeprellt".  Frau  Körner, 
August  1806,  über  Z.  Werner:  „sein  Aussehen  ist  schmutzig  und  knotig".  In  der 
Buckeliade  ist  stets  nur  „G-n"  gedruckt.  —  kniill:  Erdenwalkn  S.  12.  —  kohlen: 
Erdenwallen  S.  28,  im  Examen.  —  CoUe:  „C.  schleppen"  im  Liede  bei  Keil, 
Gründung  S.  17  (==  Schwab  S.  33);  „C.  führen"  Buckeliade  S.  98.  ^Collet  stosen" 
schwere  Mensur,  wobei  im  Gegensatz  zum  Armfuchsen  ohne  Sekundanten  auf  die 
Brust  gezielt  wird:  Schluck  §  16.  Obscön  Crailsheim  S.  21  „Wollan  so  lege  dich 
Colle  Wir  wollen  Bdliardiren":  —  Culleg:  „C.  halten"  besuchen,  von  Studenten 
gesagt,  öfters,  z.  B.  Schlingschlangschlorum  S.  20.  Collegium  subterraneiim  Keller: 
ebenda.  —  Colloquium:  im  Leipziger  Kommersbuch  1815  steht  über  dem  ersten 
einleitenden  Gedicht  Ad  loca!  Siteiitiuw!,    über  dem  zweiten  ■'Smultis!  Fiducit!  und 


Bücheranzeigen.  343 

darunter  CoUoqnium!  Schwab  stellt  an  die  Spitze  der  ersten  Abteilung  in  Majuskeln 
das  Comniando  ad  loca  nileniium  und  ebenso  S.  134  ans  Ende  einer  feuchtfröhlichen 
Gruppe  die  Worte  Smollis.  Fiduz  sit,  CoJloqnmm.  —  Commenl:  gegenüber  der 
späteren  Schluckschen  —  der  Pseudonynius  war  Gleiss  in  Erlangen  —  Wiedergabe 
norina  acliüimm  studhsormn  muss  der  Lateiner  schaudern  vor  seinem  älteren  Neben- 
titel de  quomodone  (177(i;  verdeutscht  von  Paulus  1840).  Altes  Lied  bei  Keil, 
Lieder  S.  1 1 1  „Sa  denk  ein  dummer  Teufel,  Der  noch  nicht  den  Comment  versteht . . . 
Der  noch  nicht  commerciren  kann".  Commenl  sti.<spei)di/,  es  wird  nicht  kontrahiert: 
Forsch  1835  S.  190.  —  Kommersch  hätte  reichlicher  bedacht  und  von  der  älteren 
Form  commerce,  dann  „Commerz"  (Tafel lieder  1820),  zur  jüngeren  „Comraers" 
verfolgt  werden  sollen,  auch  mit  mehr  Belegen  für  Composita.  „Commersch- 
Lieder"  Rüdiger,  „Leipziger  Gommersbuch  1815",  „Commers-  und  Liederbuch" 
Schwab  1815,  „Commercelied"  Immermann,  Epigonen  V  3.  „commerciren"  Klinge- 
mann, Faust  S.  80;  „conimerschiren"  altes  Lied,  Rüdiger  S  24.  „Kommerschhaus" 
der  Burschenschaft,  die  Tanne  1815.  „Koramerschsaal":  Arnim,  Halle  1,  18.  — 
^Kommdttonen  schon  oft  1744  Salinde":  freilich,  also  auch  in  der  Salinde  von  1718, 
aber  bereits  im  16.  Jahrhundert  (z.  B.  Meyer,  Studentica  S.  57)  u.  s.  f.  Auf 
Schüler  angewandt:  Spelta-Messerschmid,  Sapiens  slidlitia  1615  II  21;  Steinbach, 
Günthei's  Leben  S.  17.  —  Communität,  Ccnnmunitäter  gleich  C'onvict,  Conviclorist: 
vgl.  Pabricius  zu  Schoch  S.  105,  besonders  die  Disputation  des  Schlingschlang- 
schlorum  über  Professorenburschen  und  C.;  Clodius  S.  47-  in  einem  Polterabend- 
gedicht „Freuet  euch,  ihr  dürren  Knochen,  springt  aus  der  Communität";  Frisch, 
Ohnvorgreifliches  Bedencken,  Regensburg  1686  A  3  „denen  armen  Communitätern 
und  Schwartzmänteln,  wie  man  sie  verächtlich  tilnliret'^.  Die  Amicisten  erklären 
den  C.  für  satisfaktionsfähig:  Graf  v.  Taufkirchen  S.  99.  „Uns  hat  schon  das 
Convict  gespeist"  ruft  der  Halbchor  in  Goethes  für  den  Paust  skizzierter  Disputa- 
tionsscene.  —  consiliiert  v/erden:  Heine,  4.  Febr.  1821.  —  C'o7i.stoiif7i  österreichisch : 
jemand  wird  mit  so  und  so  viel  C,  auf  sein  Wohl  getrunkenen  Quantis,  „in  die 
Luft  gesprengt".  —  Kopfhänger  nach  Schluck  S.  22.  —  ^coram  kriegen"  (die 
Magd):  Fuhrmann,  Leben  Hausens  1772  S.  24.  „Coramation"  Jena  1815.  —  Korb: 
„im  K.  liegen",  besonders  nach  unglücklicher  Mensur;  2.  K.  des  Schlägers,  z.  B. 
Hauff  2,  56.  —  Corona  des  Hörsaals,  der  Kneipe.  —  crainbambuliren:  im  Knoten- 
lied, Mittler  S.  938,  von  „den  Herrn  Studiosibus"  gesagt.  —  Kräntzcje.n  in  den 
Stuben  herumgehendes  Hospiz,  Schmaus:  Salinde  S.  83;  schon  im  16.  Jahrhundert 
studentische  „Kränzlein",  wo  „gesetzt"  wird  (Mo hl,  Sitten  und  Betragen  der  Tüb. 
St.  S.  36,  40).  —  ,,krasse  Füchse":  Rüdiger  S.  32;  „das  crasse  Füchslein"  Tafel- 
lieder S.  27.  Nur  „den  Crassen":  Erdenwallen  S.  33.  —  „ein  kreuzfideler  Kerl": 
Schwab  S.  122.  Kreuzp/ulister:  früher  und  später  „Blitzph.",  „Erzph."  —  Kuchen- 
professor: Keil,  Stammbücher  S.  262  (Jena  um  1756);  Arnim,  Halle  1,2;  Brentano, 
Grimm-Steig  1,  17.  —  Kümmeliilrke:  Arnim;  der  Rudolstädter  Leo  spricht  S.  92 
„vom  Kleben  meiner  Landsleute  in  Jena";  Bu'keliade  S.  107,  Nürnberger  in  Alt- 
dorf. F.  Schlegel,  an  Wilhelm  6.  März  1801,  tauft  italienische  Romanfiguren  Horns 
auf  gut  Jenaisch  um:  „Schwerenothera"  und  „Kümmeltürkaldi".  Keil,  Gnindung 
S.  41  (Jena  1810):  „während  der  Ferien  im  Kümmelland".  Auffällig  ist  Schlucks 
burleske  Erklärung  S.  23:  „Kümmel-türk  derivatur  a  cuuiinum  et  lurca.  Hoc  nomine 
veniimt  thrasones'^,  die  wie  Türken  losstüi'raen,  aber  in  Gefahr  zurückspringen  sicid 
cuminuin,  si  ßierit  adipi  fervidae  intermistum.  —  Kuhschluck:  „Kuhzug"  Schubart 
(Strauss,  Ges.  Sehr.  8,  88).  —  Kuramrie  glaubte  ich  hier  mit  einem  Fragezeichen 
einordnen  zu  sollen  —  Jungfer  Robinsone  S.  58  „Ertz-Curannie",  S  104  „alte 
Curannie"    im  Sinne    von  Hure,  Vettel    —    finde    aber  bei  Grimmeishausen  3,  60 


344  Schmidt: 

„Kiirania"  und  erschliesse  aus  Kurzens  gewiss  richtiger  Deutung  „carogna  (Aas)" 
pikarischen  Ursprung.  —  curanzen:  Erdenwallen  S.  33.  —  Ladenschwengel  schon  in 
den  neunziger  Jahren  Jenaisch:  Keil,  Lieder  S.  91.  —  Landescater  (unigedichtet 
von  Arnim  22,  20):  Voss,  Briefe  1,  95  „Nun  musste  auch  ein  Landesvater  gemacht 
werden,  der  erste  für  mich",  mit  einer  Beschreibung  der  Ceremonie  „Landcs- 
vaterey"  das  Zeichen,  das  Loch:  Schwab  S.  41  „Am  grossen  Hut  prangt  feierlich 
die  L."  —  Durch  die  Lappe7i  gehen,  aus  der  Jägersprache.  —  Laus  Deo  für 
Rechnung  wäre  zu  erklären:  Lindener  ed.  Lichtenstein  S.  82  „Wie  die  kauffleüt 
pflegen  imm  anfange  der  brief  zuschrcyben:  Laus  Deo  semper'^\  Grimmeishausen 
ed.  Kurz  4,  381  „da  muss  das  L.  D.  bey  den  Apoteckern,  Kauffleuthen  und 
Krämern  in  allen  Conten  obenan  stehen".  —  „aufs  Leder  saufen":  vgl.  Sylvanus 
S.  197  „trunck  ihm  tapffer  auf  die  Haut";  Der  Dressdner  Avanturier  1755  S.  17 
über  studentisches  Zutrinken  „Sie  soffen  ihn  (ihm)  also  tapfer  auf  den  Leib,  damit 
er  recht  voll  werde";  Bahrdt,  Leben  1,  67  jemand  „eins  auf  den  Pels  (so)  trinken". 
Leo  S.  215  „lederner  Kerl",    S.  218  „1.  Philister".  —  Leibfuchs:  Leo  S.  113,  120. 

—  Lerohempiesti  Puchsdegen:  Sylvanus  S.  102.  —  Licht  weg  Randalierruf  in  der 
Nacht  unter  den  Philisterfenstern:  s.  De  excussione  ftnestrarum  und  Schluck  §  6. 
Vgl.  „Kopf  weg"  beim  Ausschütten  der  Töpfe  auf  die  Strasse:  Schiller  an  Körner, 
29.  August  1787.  —  ad  loca  s.  o.  „Kolloquium".  St.  Schütze,  Abenteuerliche 
"Wanderung  o.  J.  S.  21,  verzeichnet  ad  locum  als  Jenaisches  Kneipkommando. 
Anders  in  dem  alten  Liede  (Keil,  Lieder  S.  149,  Rüdiger  S.  31,  Schwab  S.  33): 
„mein  Gläschen  leeren.  Das  mich  ad  locum  zog"'  und  „Kehrt  bald  ad  Zocmto  wieder". 

—  Lochgeld  Zahlung  an  den  Carcerwärter:  Mohl  S.  25.  —  sich  löffeln:  Forsch  1835 
S.  64.  —  los  Mensurkommando:  Hauff  2,  56;  und  in  der  Bierfehde,  loskriegen:  die 
Pandecten,  Heine,  17.  Mai  1824.  —  lumpen:  Goethe,  Faust  II  5  „Er  sich  gewiss 
nicht  1.  lässt".  —  Lungenhieb:  Fuhrmann,  Leben  Hausens  1772  Vorr.  —  Warum 
Magnificus  nur  mit  der  Zahl  1831  citiert  wird  und  Magnificenz  fehlt,  verstehe  ich 
nicht,  will  aber  bloss  erwähnen,  dass  Haller  (Hirzel  S.  225)  den  Tübinger  Rektor 
1724  ansingt  „magnifiquer  Schweder".  —  Was  bedeutet  Mamaz  im  Studentensang 
bei  Ditfurth,  Deutsche  Volks-  und  Gesellschaftslieder  1872  S.  222?  Burlesk  für 
„Matz"?  —  Manichäer:  Sylvanus  S.  103  „Pferde-Philister,  und  andere  M.";  Scheibel, 
Unerkannte  Sünden  der  Poeten  1734  S.  203.  Das  famose  Lied  „Lasst  doch  den 
verdammten  M.  klopfen"  (Schwab  S.  49)  wird  1743  in  Jena  citiert  (Keil,  Stamm- 
bücher S.  211),  beginnt  aber  bei  Crailsheim  S.  505  „Lass  die  6V?rf/<ores  immer  kl." 
Sperontes,  3.  Forts.  No.  47  „Bruder  auf  und  packe  dich  Eilends  hin  zu  dem  Ebräer! 
Hohle  Geld  vor  dich  und  mich!  Unsre  alten  Machemäer  [so]  Müssen  schon  auf 
andre  Art  Uns  ein  paarmahl  diese  Parth,  Und  das  Geld  zu  dem  Ergötzen,  Künftig 
wiederum  ersetzen";  1755  Keil,  Lieder  S.  444  „Bald  klopft  ein  bärtiger  Hebräer 
Und  bald  ein  andrer  M."  („Hebrä'r"  Schwab  S.  46;  „Geld-Hebräer"  Günther  I  175); 
Rüdiger  S.  15  „Zwar  muss  der  M.  borgen",  S.  271  „Lasst  die  M.  schreyen",  S.  212 
„Wenn  uns  die  M.  treiben".  Schluck  S.  31  citiert  das  Ausrücklied  „Fort  von  hier, 
die  M.  wachen  etc.  (Mnnichaei  creditores  a  secta,  pessima  principia  fovente)"'.  ,Mani- 
chejas  Helden"  Buckeliade  S.  73.  Zur  Sache  vgl.  Michaelis'  antisemitisches  Rai- 
sonnement  4,  561  ff.  über  den  „Juden".  —  Manschetten:  Erdenwallen  S.  22,  41. 
„Ruft  Manschettare,  der  Name  schreckt  uns  nicht"  im  Lied  bei  Pabricius,  Die 
Studentenorden  S.  60  (diese  Str.  fehlt  bei  Forsch  1835  S.  17);  „Manschettar" 
Buckeliade  S.  99;  „eines  Manschettarii"  Kobbe,  Erinnerungen  1,  65.  —  Markus: 
Forsch  1835  S.  76  u.  ö.  —  Mist:  „Bin  auf  den  M.  gesetzt"  im  „Klagelied  eines 
verschuldeten  Studenten"  gegen  Philister  und  Manichäer,  Commersch-Buch  1795 
S.  64.  —  Möpse:    Gramer,    Geschichte    C.  Saalfelds    S.  16    „die    blanken   M."   — 


Bücheranzeigen.  345 

Mo/mn  im  Sinne  von  Pech:  Erdenwallen  S.  "25.  —  muckerii:  Keil,  Stammbücher 
S.  272  „In  Halle  muckert  er"  (1762)  und  „In  Halle  giebt  es  viele  Mucker"; 
Sylvanus  S.  SO;  Crailsheim  S.  458  „Und  wer  ihm  nicht  Bescheide  thut,  Der  soll 
ein  M.  sein".  —  Musenkmd  oft  neben  „Musensohn":  z.  B.  Salinde  S.  1411,  210,  305. 
Masenlieder:  z.  B.  Stammbücher  S.  218.  —  Mutlerpfennig  weist  Kluge  oben  S.  30 
für  das  17.  Jahrhundert  nach.  (Richter  2,  2  „die  alten  Mutter  und  Milchheller" 
eines  Fuchses.)  Sylvanus  S.  44,  195;  Picander,  Gedichte  2,  538;  König,  Dressdner 
Frauen  Sclilendrian  S.  6;  Quistorp,  Gottscheds  Schaubühne  4,  499  auf  Füchse  mit 
vollen  Taschen  bezüglich  (ebenso  „Muttergulden":  Keil,  Lieder  S.  149).  Die  M. 
„dünne  machen":  Salinde  S.  141,  195.  —  JSacbhieb  unkomnientmässiger  nach  dem 
Halt:  Erdenvvailen  S.  37.  —  JS'äpjfijex-Stützer  stehen  zwischen  den  Professoren- 
burschen und  den  Communitätern:  Schlingschlangschlorum  S.  29.  —  nass  vertrunken, 
voll:  „nasser  Knab"  u.  dgl.  iu  alten  Volksliedern;  Wichgrev-Sommer  F  2^  „die 
nassen  Gast";  das  Soldatenlied  in  Moscheroschens  6.  Gesicht  verbindet  die  Aus- 
drücke „Bruder  Nass"  und  „versoffne  Flieg";  Schoch,  Gedichte  UiGO  Zuschrift 
„Holuncken,  Nassen-Fliegen  und  Bier-Zapfen";  studentische  „nasse  Brüder",  Ver- 
nunft. Tadlerinnen  2,  99;  Zachariä  IV  „der  nasse  Bursch";  Crailsheim  S.  474  „der 
nasse  Praeses".  Obscön  sehr  oft  bei  Vollmann.  —  Natur:  Erdenwallen  S.  39  und 
52  „Das  ist  klar,  das  ist  Natur".  —  Nymphe  ist  aus  der  Renaissancelyrik  des 
17.  Jahrhunderts  heruntergekommen.  Man  beachte  auch  sowohl  für  das  Simplex 
als  für  Composita  die  Facdiae  fac.  S.  507:  „Meretrix  se  prostituit  in  sylvis,  ut  propter 
Noribergam,  im  Newen  Wald  .  .  .  Lipsiae  aufl'm  Ruhbeth,  da  sie  das  Grass  mit  dem 
Hintern  abmäyen,  uride  vocantur  Nymphae,  sylvestres,  Pccora  campi,  Waldgöttinnen"  ; 
S.  29  ^quaeJain  denique  in  sylvis,  pratis,  aut  campis,  Schleyr,  Wiltpret  vel  ut  Gallis 
sonat\  Geschleyerte  Wachtelen,  alias  nominatae  Nymphae  nemoraUs  et  campestres, 
jiecora  campi,  die  das  Grass  mit  dem  Hindern  abmehen".  „Land-.Y//w;)/((";  Sylvanus 
S.  190  (S.  194  „Dreck-Banise",  wie  Trömer  1720  von  Wald-  und  Feld-Banisen 
der  Dörfer  spricht.  „Banise"  habe  ich  selbst  noch  als  Bezeichnung  dünkelhafter, 
anspruchsvoller  Damen  gehört;  vgl.  Sperontes,  2.  Ports.  No  26  „Ihr  städtischen 
B.,  was  prahlet  ihr  so  viel?").  Die  Salinde  bietet  neben  dem  von  Kluge  citierten 
,,Land-A'y//7)//p"  (S.  129,  383)  auch  „Land-Hure''  (S.  384)  und  öfters  das  einfache 
A'.  Eine  berühmte  des  Jenaischen  Reviers,  die  schwarze  D.,  erscheint  hier  und 
bei  Sylvanus.  „Dorfnymphe":  Schwabes  Belustigungen  1743  2.  A.  S.  467.  „Gras- 
Nymphen",  „Wäscher  -  Nymphen"  Wieland,  Kom.  Erzählungen  S.  132,  201.  — 
Obscurant:  Leo  S.  146  (Jena  1817)  „die  sogenannten  0.  (d.  h.  die  Studenten,  die 
sich  zu  keiner  Landsmannschaft  hielten)";  Buckeliade  S.  14.  —  ochsen:  Erdenwallen 
S.  42;  Leo  S.  94  „burschikos  zu  reden,  0.";  Heine,  29.  Okt.  1820  „ochsen"  und 
„die  Ferien  durchochsen".  —  Ohrfeigengesichi:  Arnim,  Halle  1,  1.  —  Papst:  Kluge 
hat  auch  oben  S.  58  das  von  mir  in  Seufferts  Vierteljahrschrift  2,  590  hervor- 
gezogene Lied  Wasserhuns  übersehen,  wonach  die  Papstwahl  und  das  Saufen  mit 
den  Kardinälen  schon  1644  üblich  war;  Leben  einer  Tirolerin  1744  8.  48  „ich 
musste  mit  ihnen  sauffen,  als  wenn  ich  solle  Pabst  werden";  Arnim  1,  18  „wählen", 
1,  5  sich  zum  P.  trinken;  Leo  S.  144  (Jena  1817)  „Das  Bravoursaufen  zum  P. 
war  Tuehr  nur  noch  eine  Erinnerung  älterer  Biertapferkeit".  —  Farduzloch  ist  nach 
Picander,  Akademischer  Schlendrian  S.  2  ein  Leipziger  Bordell:  der  Lüdrian  geht 
vom  Zechen  „in  das  Partuz-Loch,  in  die  Fuhrmanns  Deichsel  oder  wohl  gar  in  die 
Sieben  Brether".  —  Pariser,  parisiens  Stossdegen  in  Jena  u.  a.  —  patent:  Heine, 
29.  Okt.  1820,  tadelt  den  „steifen,  patenten,  schnöden  Ton"  Göttingens;  s.  u. 
„Pomadenhengst",  modern  „Patentscheisser."  —  Pathmos  Carcer:  Salinde  S.  184, 
392.  —  ad  patres:  ^ad  p.  reist"  s.  die  Varianten  des  „Sa  sa  geschmauset"  in  Keils 


346  Schmidt: 

Liedern  S.  105,  Stammbücher  S.  157,  Schwab  S.  29;  ad  p.  gehn,  Rüdiger  S.  HO; 
in  paliiam  reisen,  Schwab  S.  36;  ad  patrhm  r.,  Keils  Lieder  S.  157;  m  patria, 
Salinde  S.  76,  Bahrdts  Leben  1,  140:  Rüdiger  S.  212  „Wenn  wir  dem  Miisensitz 
entnommen.  Gebückt  zu  unsern  Vätern  gehn".  —  Paukage:  Erdenwallen  S.  11,  13, 
17.  Pauksatz  für  den  Seliundanten,  die  Zeugen,  den  Mediziner:  1813.  —  pechös: 
Erdenwallen  S.  39  .,p.  Doppelklinge".  Pechphilister:  „der  alte  P."  wird  in  Immer- 
manns Cardenio  3,  3  der  Ivanzier  geschimpft.  —  per:  Leo  S.  221  „einen  sogenannten 
per  et  per'',  Stoss  der  die  Degenspitze  durchs  Fleisch  wieder  heraustreibt  („durch 
und  durch"  Sylvanus  S.  202).  —  pereat:  die  in  der  Fussnote  von  Kluge  abgedruckte 
Nachricht  Struves  weckt  chronologische  Bedenken,  wenn  mir  auch  jetzt  keine 
älteren  Belege  zur  Hand  sind.  Keil,  Lieder  S.  182  „Pereat  wer  sie  touchiret'-; 
Stammbücher  S.  201  (Jena  1733)  „p.  Hornvieh",  „vivat  pietas  hoch,  p.  pietismiis 
tief";  Leben  einer  Tirolerin  1744  S.  48  „Sie  .  .  fiengen  nach  lustiger  Purschen  Art 
an  zu  schreyen:  pereant  alle  Hunsfötter  tief,  Hunsfott  komm  heraus".  Zachariä  V 
„Sogleich  durchdringt  die  Luft  ein  lautes  f."  Lichtenberg  an  Heynes,  3.  März  1772: 
„ein  solcher  Philister  als  jemals  einer  pereiret  worden  ist".  —  „Pereat  (auch  Lustig 
meine  Sieben,  besonders  in  Jena  genannt)"  ein  Kartenspiel  mit  Sang-  und  Trank: 
Kobbo,  Erinnerungen  1,  45.  —  Pferdephilister:  Sylvanus  S.  103,  156,  ebenda  „Pferde- 
Jubilirer"  (wie  Salinde  Vorr.  S.  20),  vgl.  S.  151  „der  alte  Grillen-Jubilirer,  Bruder 
Plato";  Keil,  Stammbücher  S.  262  und  274  aus  Jena  1756  und  1766;  Seybold, 
Reizenstein  1778  I  101  „Panegyrikus  auf  die  Erlanger  Pf.";  Ai-nim,  Halle  1,  2. 
,,Stallphilister":  Picander,  Gedichte  1,  562.  Vgl.  auch  Sperontes,  3.  Forts.  No.  47 
„Spannt,  Philister,  Schlitten  an!"  —  Pflastertreter:  Bummler,  Gargantua  2.  Aufl.  A  1, 
Schoch  1,  3;  Stutzer,  Mencke  Scherzhafte  Gedichte  1706  S.  54;  einheimischer 
Student:  warum  übergeht  Kluge  die  Stelle  Schlucks  S.  22  f.,  der  er  doch  das  Sy- 
nonymum  ,, Quark"  entnommen  hat?  „Pflastertreter,  Quark;  eo  nomine  audiunt, 
auToj^&oi's; ,  seil  indigenae.  Pfl.  dicuntur,  qui  in  ipso  loeo  universitatis  nati,  ideoque 
semper  super  eadein  viae  ambulant  stratura.  Quark  significat  lac  concretum,  et  ita 
vocantur  universitatis  affines,  quoruin  patria  non  longe  ab  universüate  disjuncta,  ita, 
ut  alma  mater  commodissime  Jilüs  lac  concretnm  (Quark)  loco  mensae  secundariae 
mittere  possit.''  —  Philister:  Hofmannswaldausche  Gedichte  6,  228  (Jena  1731); 
Hauswirt:  Lenz  1,  23  u.  s.  w.  „Philistergaul":  Palthen,  Anakreontische  Versuche 
2.  Aufl.  1751  II  261  (Jena).  „Philisterpferd":  Schwabes  Belustigungen  1742  (2.  Aufl.) 
S.  407,  vom  „Postpferd"  unterschieden.  „Philisterland":  Keil,  Gründung  S.  38 
(Jena  1804);  im  Lied  „Sie  zogen  mit  gesenktem  Blick  In  das  Ph.  ziu'ück". 
„Philisterwache"  Polizei:  Maler  Müller,  Faust  S.  85.  Ins  Geistliche  wagt  Günther 
das  Wort  „Ph."  für  Gläubiger,  Ankläger  zu  übertragen  im  „Busslied"  (6.  Auflage 
S.  57):  „Höllische  Philister!  Nehmt  mein  Schuldregister  In  den  Abgrund  mit".  — 
Pinsel:  studentisch  Picander,  Gedichte  1,  564;  Herr  P.  heisst  ein  ungebildeter 
Student  in  den  Vernunft.  Tadlerinnen  2,  1 74 ;  „wie  ein  P.  leben"  Geliert,  Loos  3,  3 ; 
„blöde  und  pinselhaftig"  wird  in  Picanders  Akadem.  Schlendrian  S.  9  von  ehrbaren 
Studenten  gesagt;  ebenda  S.  96,  in  der  Jungfer  Robinsone  S.  5  und  bei  Sylvanus 
S.  198  steht  „Einfalts-Pinsel",  also  lange  vor  Lessings  Jungem  Gelehrten  oder  der 
Riccautscene.  —  Pomadenhengst  geschniegelter  Stutzer,  Schniepel:  „Pomadehengst" 
„im  parfumirten  Rock",  Schwab  S.  42;  Heine,  9.  Nov.  1820  „patente  P.";  als 
Widerspiel  des  Renommisten,  Buckeliade  S.  51.  Dagegen  „pomadiger  Philister": 
E.  T.  A.  Hofl'mann,  Kater  Murr  W  8,  323  in  den  von  Kluge  nicht  berührten 
parodistischen  Schilderungen  des  Katzburschentums  (S.  325  „Commerschiren" 
„Haare  auflegen",  327  „Tusch"  .,tuschiren"  „coramiren",  328  „sich  in  Avantage 
setzen"  u.  s.  w.).    —  poussiren:    Erdenwallen    S.  34;    S.  37    „Sophie    Denker  Soll 


Bücheranzeigen.  347 

mein  Poussement  jetzt  seyn".  —  prellen  die  Philister  (wie  „schwänzen"):  der  Vers 
bei  Schwab  S.  37  ,,So  führt  er  die  Ph.  an"  entspricht  genau  dem  alten  weitver- 
breiteten Spruch  „Wer  ist  ein  rechter  Pursch?  Der  die  Ph.  prellt";  Th.  Körner 
ed.  Stern  1,322  „Und  der  Ph.  wird  geprellt".  Füchse  „prellen,  verdammt  prellen" : 
Michaelis  4,  584  als  abgekommen.  —  privaiissime  Lectiones  geben,  obscün:  Geländer, 
Der  verliebte  Studente  1709  S.  l.")0.  —  pro  patria:  Keil,  Stammbücher  S.  209.  — 
pro  victnria  Schluck  S.  19:  Ruf  nach  dem  „Mädgenlied"  „Was  den  Musen  soll 
o-efallen",  wenn  die  Schöne,  um  deren  Besitz  man  ohne  ihr  Wissen  trinkt,  „ab- 
gesoffen" ist.  —  Professor  (s.  „Pressprofessor",  „Kuchenprofessor"):  Schlingschlang- 
schlorum  S.  5  „Bier-,  Brod-  und  Kuchen-Pro/csso)?*",  „Kegel- Professor"  (mit  Angabe 
von  Namen  für  mehrere  Universitäten),  S.  20  „denen  Bier-  und  'Wem-Professoribus''. 

—  Profaner:  Erdenwallen  S.  34.  —  Profax:  Erdenwallen  S.  14  —  promoviren 
schiessen,  entwenden:  Schoch  3,  6.  —  proprium  seit  dem  17.  Jahrhundert,  gemäss 
ähnlichen  Refrains  (Ditfurth  1872  S.  276),  oft  in  der  Verbindung  „Studenten 
proprium"  Art,  Recht,  z.  B.  Stammbücher  S.  131,  259.  —  prosit  beim  Trinken: 
schon  in  einer  Studentenanekdote  Lindeners  ed.  Lichtenstein  S,  34;  „jirosil,  meine 
Herrn",  Stammbücher  S  274  (176G);  Immermann,  Cardenio  1,  1;  neuestens  „pröst- 
chen".  -  Putlel:  Erdenwallen  S.  38.  —  Pumpregister  („Pumpbuch"):  Schwab  S.  46 
„Dann  kommen  die  Philister  Mit  ihrem  Burabregister";  Keil,  Stammbücher  S.  323; 
Hauff  2,  G4  „Ph.  }nit  Piunpregistem".  —  Der  Tod  „macht  Punctum"  mit  einem: 
Schwab  S.  122.  —  Quasimodogenitus:  Irenius,  Begebenheiten  eines  leipziger 
Studentens  17C5  187.  —  raison:  sich  schlagen  „avec  oder  sans  raison  (dieses  war 
die  gewöhnliche  .S'<ito»'sche  Expression)".  Sylvanus  S.  202,  schwere  oder  leichte 
Mensur.  —  rappelköpfig:  „rappelköpftsch"  im  „Sa  sa  geschmauset".  —  Der  Jenenser 
Germanen  Krakehllied  findet  sich  schon  bei  Hauff  2,  68  als  „das  erhabene  Rauiscli, 
rautsch,  rautschitschi,  Revolution".  —  re:  Kluge  erklärt  „recouclie  Retourkutsche" 
mit  Berufung  auf  Schluck  S.  23,  wo  aber  couche  recouclie  contrecouche  als  be- 
leidigende Silenzrufe  hin  und  her  vermerkt  sind,  wie  ja  der  Hund  kuschen  muss. 
Allerdings  bedeutet  „Retourchaise"  und  „-kutsche"  das  Zurückgeben  der  Beleidigung. 
reprosi  Ruf  beim  Herumreichen  des  Horns.  „re  stürzen"  einem  eine  Beleidigung: 
Erdenwallen  S.  14,  39.  —  Recliuhil  Weinverächter:  Rüdiger  S.  25.  178  (=  Hage- 
dorn, üden  und  Lieder  S.  47).  —  Beceptionsliturgie  Aufnahmeformeln  der  Burschen- 
schaft 1815:  Keil,  Geschichte  S.  364.  —  recta  oft  füi-  recta  via,  z.  B.  Salinde  S  92. 

-  Relegat  Relegation:  Keil,  Stammbücher  S.  294.  Lied  bei  Forsch  1835  S.  207 
„Drei  und  dreissig  Demagogen  Haben's  Relegat  bezogen."  Es  wurde  publice, 
durch  Anschlag  am  schwarzen  Brett  (s.  u.),  oder  tacite  relegiert:  Schoch  5,  5.  — 
Renconire  Balgerei  aus  dem  Stegreif  im  Unterschied  vom  ausgemachten  Duell: 
Michaelis,  Raisonnement  4,  379;  Schluck  §  25.  —  Rippel:  der  von  Kluge  citierte 
Kobbe  1,  149  f.  bezeichnet  R.  auch  als  „Avantagewort"  und  als  dritten  Grad  in 
der  Heidelberger  Bierfehde  (Gelehrter,  Doktor,  R.,  Papst).  —  Ruineur  „Aufbinder", 
Renommist:  Tafellieder  S.  137.  —  mmpiren  des  Gegners  Klinge,  ligieren,  ent- 
waffnen: Sylvanus  S.  203.  —  Runda  als  Tusch  des  Musikanten  bei  Gesundheiten: 
Sylvanus  S.  178.  Rundgesang:  17.  Jahrhundert;  oft  in  Rüdigers  Kommersbuch, 
wo  z.  B.  der  Landesvater  S.  74  diese  Überschrift  hat.  „Es  geht  ein  Rmulgesang": 
dafür  Schwab  S.  126  „Es  geht  ein  Burschcomment  [Saufcomment]  An  unserm  Tisch 
herum  herum".  —  Ruppici:  Keil,  Gründung  S.  39  Jena  1805  f.  —  .V.  C.  Senioren- 
convent;  Kösener.  —  Sapienzknaster  wird  ausdrücklich  als  Ekelname  für  jene 
Heidelberger  bezeichnet  neben  „Gonvicturisten"  (Jena)  und  „Waisenhäuser"  (Halle): 
Tafellieder  S.  137.  —  Satisfaction  leisten,  Rebhu,  Weltkucker  2,  5;  geben,  Schel- 
muffsky  S.  90  u    s.  w.    -  Saustoss:    Schelmuffsky  S.  26  f.  —  Sbirren:    Sperontes, 


348  Schmidt: 

2.  Ports.  No.  13.  —  scharrev:  Picander,  Akadem.  Schlendrian  S.  55;  Der  Gesellige 
1748  S.  421;  Das  „Scharren  und  Trampen"  (so)  bespricht  Michaelis,  Raisonnenient 

3,  377.  —  sich  sc.hieheyi:  Heine,  4.  Febr.  1821;  mir  ist  „schieb  dich"  aus  der 
Jenaischen  Schule  bekannt,  „ins  Colleg  seh."  Tafellieder  S.  25,  vgl.  „steigen".  — 
schiessen:  aus  der  zu  kahl  angegebenen  Schilderung  der  Salinde  S.  135  fr.  wäre 
das  Wort  „Schiess-Brüder"  herauszuheben;  Michaelis  4,  304  f.  mit  interessanten 
Hallischen  Erinnerungen;  Schluck  §  4  nebst  den  von  Kluge  übernommenen  Syno- 
nymis  „promovieren,  schieben".  —  Schkser.  Pamos  behandelt  Schluck  S.  21  diese 
verbalis  injuria:  Vocabulum  germanicum  Schisser;  est  vocabuluni  recentius  et  nuper  ab 
universitate  peregrina  allatum.  In  derwationc  hujus  vocabuli plurimi philologi  dissentiunt: 
nonnulli  contendunt,  Schisser  derivari  a  formidine  hominis,  qui  ob  anxietatem  aivum 
in  braccas  explodit;  alii  nun  tarn  bono  fimdamento,  quam  potius  modesttae  amore  ducii, 
derivani  a  verbo  gallico :  chassen  (.  e.  fugare,  et  sie  chasser,  corrupte  chesser  sigjti- 
ficat  hominem  timidimi  ac  fiigacem.  Inde  terminus  technicus  im  Verschiss  seyn,  denotat 
statum  infamiae  quemdam,  neiiipe  quoad  Burschen-comment,  quia  studiusus,  qui  est  im 
Verschiss,  excluditur  ex  qualibet  hunorica  compania,  et  cum  Gnotis  versari  cogitur. 
Im  alten  Mischlied  bei  Schwab  S.  105  „Wo  der  flotte  Bursch  kein  Seh.  ist";  Keil, 
Stammbücher  S.  292  Pereant  Schisseri  et  Critici.  —  schlugen  (Schoch  4,  2);  dafür 
„sich  schmeissen":  z.  B.  Richter  2,  6  (2,  2  s.  schl.);  Quistorp,  Schaubühne  4,  476  f. 
„Schlagianer"  und  „Nichtschlagianer"  wurden  1814  in  Jena  unterschieden:  Keil, 
Gründung  S  83.  —  Schlampamp  im  Sinne  von  Narr,  auch  adjektivisch:  Abel,  Leib- 
Medicus  der  Studenten  1720  S.  374  f  —  Scldenker-prime:  Arnim,  Halle  1,  1.  — 
SchmoUis:  Stammbücher  S.  286  „Auf,  auf,  lasst  leere  Gläser  füllen  Und  lauter 
Schm.  schenken  ein"  (Jena  1776);  Schwab  S.  21  „Wir  wollen  Gläser  füllen  und 
Sm.  schenken  ein "  In  diesem  und  anderen  Artikeln  sollten  die  Bräuche  ent- 
wickelt und  geschildert  werden;  also  wann  ist  das  Niederknieen  auf-  und  ab- 
gekommen, wann  das  Verschränken  der  Arme  zuerst  nachzuweisen,  das  1813 
zugleich  mit  Bruderkuss,  Händedruck  und  der  Schlussformel  „Bleib  mein  Preund, 
ich  heisse  Y  und  bin  aus  Z"  erwähnt  wird?  Schmollis  anbieten  darf  auch  heute 
nur  der  ältere  Student;  1813  darf  es  der  alte  Bursch,  vom  4.  Semester  an,  auch 
Philistranden  und  bemoosten  Häuptern  gegenüber.  —  schneuzen  einen  um  etwas: 
Geländer,  Der  verliebte  Studente  1709  S.  58,  92.  —  Schnödler  reissen,  Witze: 
Forsch  1835  S.  52.  —  schnüren  Geld  abnehmen:  Buckeliade  S.  43.  —  Schnurrbart 
(s.  o.):  Leos  Worte  (=  Meine  Jugendzeit  S.  118)  beziehen  sich  auf  das  Jahr  1817. 
Schnurre:  Schwabes  Belustigungen  1743  (2.  A.)  S.  353  f.;  Der  Gesellige  1  (1748), 
420;  Immermann,  Cardenio  3,  3  „Drück  dich,  Schnurre",  Pedell  „Ich  bin  weder 
Sehn,  noch  Schleife".  —  schrauben  die  Gläser:  Picander,  Akadem.  Schlendrian 
S.  56;  Sylvanus  S.  168,  203.  —  Schreckenlierger  Geldstück:  Schoch  ed.  Pabricius 
S.  50;  Weise,  Überfl.  Gedanken  1671  MO,  und  J/lPf.  Soviel  wie  Schreckschuss: 
Brentanos  Frühlingskranz,  Neudr.  S.  253.  —  Der  Artikel  Schidfuchs  beschränkt 
sich  auf  ein  paar  ganz  junge  Belege  und  fragt  keinen  Ableitungen  nach.  —  schuppen 
anrempeln:  Schluck  §  13;  Graf  von  Taufkirchen,  Amicistenorden  S.  90.  —  schwadro- 
niren:  anders  Goethe,  Claudine  „im  Lande  herumschwadronirt"  (D.  j.  G.  3,  547), 
Stella  3,  653  „all  das  suchen  und  fahren  und  seh.";  aber  im  Clavigo  IV  „schwa- 
dronirende  Hofjunkers".  —  Schwager.  Picander,  Akadem.  Schlendrian  S.  57 :  der 
Studentendiener  Harlekin  nennt  den  Bauer  ,, Bruder"  und  „Schwager";  .,Herr 
Bruder"  heisst  der  Dorfwirt  in  Schöps  bei  Jena,  „Schwager"  (wie  Salinde  S.  182) 
der  Bauer:  Sylvanus  S.  156,  185.  „Schwager  Hallor",  Tafellieder  S.  26,  — 
Schwanen  Neckname  der  Jenaischen  Arminen  —  wegen  ihrer  Sittenremheit?  —  in 
den    ersten    dreissiger  Jahren:    Forsch  1835    S.  163.  —  schwänzen    1.  das  Kolleg: 


Bücheranzeigen.  349 

Andre,  Komische  Versuche  1767  S.  44;  zahmer  „die  Kollegia  aussetzen"  Schummel, 
Lustspiele  ohne  Heyrathen  1773  S.  173.  2.  nicht  bezahlen,  prellen:  ürfaust  S.  14,  vgl. 
meine  Anmerkung  3.  Aufl.  S.  XLII,  doch  habe  ich  mich  durch  Laukhard  verleiten 
lassen,  den  Ausdr.  „die  Philister  seh."  besonders  für  Giessen  in  Anspruch  zu 
nehmen,  während  er  allgemein-burschikos  ist  (Keil,  Stammbücher  S.  210  Jena  1743, 
195  Helmstädt  1747,  242  Altdorf  1765,  280  Jena  1774;  (Contius)  Aufgefangener 
litterarischer  Briefwechsel  der  Dodsleyschen  Kunstrichter  2  (1773),  38:  Geheimde- 
rat  Klotz  sagt  „Ey  was  Schulden?  die  infamen  Ph.  müssen  sie  schw.,  denn  sie 
sind  nichts  bessers  werth."  Schwanz  restierende  Schuld:  Keil,  Lieder  S.  146 
(Altdorf  1765).  —  scinvarzes  Breit:  Mencke,  Scherzhafte  Gedichte  S.  46  (1697). 
„ans  Bret  geschlagen"  relegiert:  Menantes,  Akadem.  Nebenstunden  1713  S.  111 
„publice  angesehlagen"  Schoch  5,  5.  schwarze  Wand  Tafel  zum  Ankreiden  der 
Schulden:  Keil,  Stammbücher  S.  245  Erfurt  1759,  S.  243  Altdorf  1765  (=  Lieder 
S.  146),  Lieder  S.  163  Jena  1775.  —  Schwein  Glück:  Erdenwallen  S.  24,  2ß.  — 
SchwernStergen  kleine  Frisur  im  Unterschied  vom  Haarbeutel:  Schluck  S.  29.  — 
Schwester:  „barmherzige"  Salinde  S.  196;  Andj-e,  Komische  Versuche  1767  S.  44 
„Die  Bierstube  war  mein  Hörsaal,  der  Wirt  mein  Professor  und  barmherzige 
Schwestern  meine.  Musen":  Hermes,  Sophiens  Reise  2.  Anfl  2,  367;  ,.allerbarm- 
hertzigste"  Leben  einer  Tirolerin  1744  S.  46.  „mitleidige".  Neue  Erweiterungen 
der  Erkenntnis  und  des  Vergnügens  1756  St.  39,  246.  Daher  ist  das  Beleidigende 
in  Justs  hämischer  Rede  zur  Pranciska  „Zwar  es  giebt  mancherley  Schwestern  — " 
und  ihr  empörtes  „Unverschämter!"  zu  verstehen  (Minna  von  Barnhelm  2,  6).  — 
Schwulität:  Keil,  Lieder  S.  156  „In  allen  Schwulitatibus".  —  Secwndant  („Secunde" 
Schoch  3,  5  und  4,  2),  secundiren  (einen:  Sarcander,  Amor  S.  42;  Salinde  S.  85 
secoundiren^    S.  87  secondiren  —  diese  Form  noch  bei  Kobbe,    Erinnerungen  1,  68 

—  einen)  war  füi's  17.  Jahrhundert  zu  belegen.  —  semper  siehe  oben  S.  33:  Keil, 
Stammbücher  S.  142  „Semper  lustig,  nunquam  traurig'"  1680;  Picander,  Gedichte  2,  166 
., Semper  lustig,  numquam  Grillen"  (Keil,  Stammbücher  S.  211,  Jena  1743  dasselbe 
und  „Semper  zerrissne  Hosen,  nunquam  Geld");  dagegen  Stammbücher  S.  187 
„Allzeit  hilaris,  niehmals  tristis^K  Sperontes,  2.  Forts.  No.  12  „Immer  lustig,  ohne 
Grillen!  Allzeit  fröhlich,  stets  vergnügt!"  Oft  loujours,  z.  B.  Stammbücher  S.  206. 
semper-hei.  —  Senior  der  ,, Landesleute"  „absolviert"  die  Füchse:  Schoch  3,  8; 
ist  pater  curae  beim  Pennalschmaus  3,  9.     S.  der  Landsmannschaft:  Salinde  S.  24. 

—  rivat  sequetis  (Schluck  S  6  v.  s.,  pereat  remanens  beim  Kneipgang)  oft  als  Trink- 
und  Singlosung  in  Schwabs  Kommersbuch  u  a.  —  setzen:  Erdenwallen  S.  45  „Und 
da  sollst  als  Fuchs  du  setzen".  —  Silentium:  s.  o.  unter  „Kolloquium";  Leo  S.  183. 

—  sine:  Vulpius  an  August  Goethe,  21.  Sept.  1808  „Dein  Vater  ist  recht  wohl  aus 
dem  Bade  gekommen,  schmal,  und  s/«e  Bauch".  —  „.%anrfa/ geben"  sich  austoben: 
Arnim,  Halle  2,  10.  —  sich  skisiren  {skissiren  Buckeliade  S.  99)  sich  drücken:  H. 
L,  Wagner,  Die  Kindermörderin  Neudr.  S.  40  „Der  Chevalier  de  fortune  skisirte 
sich  endlich";  Erdenwallen  S.  43  „Ich  squisirte  mich  ganz  leise".  —  sonderbar: 
Immermann,  Epigonen  V  3  „sonderbar".  „Sonderbar?  Tusch!"  .  .  .  „Sonderbar 
ist  unter  allen  Umständen  l\isch".  —  Speranzen  machen:  Erdenwallen  S.  33.  — 
Spiesse  Gelder:  „goldene  Spiessen"  im  Studentenlied  bei  Ditfurth  1872  S.  228; 
auch  Brentano  citiert  aus  Meibom  den  Vers  „Was  bist  du,  Musensohn,  wenn  du 
nicht  Spiesse  hast?"  Tafellieder  S.  17  ,.spieslos";  Leipziger  Kommersbuch  1815 
S.  121  „Sp.  haben  die  Philister";  Schwab  S.  46;  Heine,  4.  Febr.  1821;  Erden- 
wallen S.  11  „keinen  Spiess".  —  Spitz:  Keil,  Lieder  S.  116  „Und  trinkt  sich 
jedesmal  nen  Sp.",  Gründung  S.  36  „Wer  niemals  einen  Sp.  (Perinet  „Rausch") 
gehabt";  Arnim,  Kronenwächter  W.  4,  307  (ebenda  ,jsich  bespitzen");  Schwab  S.  47 


350  Schmidt: 

„bespitzt".  spitzi(j:  Salinde  S.  95  „ihr  seine  spitzige  Gedaiicken  4  Zoll  tief!'  in  den 
Leib  wünschete";  aber  ein  Nomenclator  araoris  würde  für  die  galante  Zeit  so 
umfangreich  werden  wie  für  das  15.  und  16.  Jahrhundert  und  das  eigentlich 
Burschikose  schwer  auszusondern  sein.  —  Sponsirer:  z.  B.  Paust  II  1.  —  Spritz- 
bäc/ise  s.  0.  „Büchse";  „Dienstspritze",  „Spritze".  Spritzfahrt  braucht  P.  Reuter 
1834  im  Verhör  über  sein  Jenaisches  Treiben;  „Spritze"  heisst  oder  hiess  in  Jena 
der  vom  Studio  selbst  kutschierte  elende  Mietwagen,  aber  auch  der  Ausflug; 
„spritzen".  —  stechen  auf  Stoss  fechten:  Arnim,  Halle  2,  16.  „Collegienstecher" 
in  die  Rank  einzubohrendes  Tintenfass:  Immermann,  Epigonen  V  4.  —  .,zu  Dorfe 
steigen'^:  Keil,  Stammbücher  S.  206  (Jena  1739,  Lieder  S.  111  „zu  Dorfe  gehn"); 
Stammbuch  des  Studenten  8.  131  (1803);  Sylvanus  S.  183  „zu  Dörffchen  st." 
Zoega,  Leben  1,  25  (Göttingen  1774)  „das  Collegsteigen,  wie  man  hier  spricht " 
,, Steigt  dir",  „steigt  nach":  Forsch  1835  S.  183.  „Ins  Glas,  in  die  Kanne  steigen". 
„Das  Lied  steigt".  —  stipitzen:  „Stiwitzer"  Mencke,  Scherzhafte  Gedichte  170G 
S.  35.  —  Stiftler  kann  sich  doch  nur  auf  Tübingen  beziehen,  wo  die  ,, Seminaristen" 
oder  „Schwarzen",  im  Stift,  nach  älterer  Bezeichnung  im  ,, Stipendium"  hausend, 
von  den  freien  „Stadtburschen"  (Klüpfel,  Schwabs  Leben  S.  42;  Vischer,  Altes 
und  Neues  3,  261)  unterschieden  werden.  —  Stric/i:  „Lerchenstrich"  Arnim,  Halle 
1,  2,  vgl.  „Schnepfenstrich".  —  Stubengenell:  Dürer,  Tychander  1668  S.  10.  Stuben- 
sitzer:  auch  Schluck  S.  22.  —  Studentenfutter:  „Studenten- r/weneZ  oder  Putter"  eine 
Medizin,  Abel,  hc\h-Medicus  S.  708.  Picander,  Gedichte  1.  459:  Brentano  2,  598 
„Rosinen,  Mandeln,  Futter  für  Studenten";  Immermann,  Spemann  I  1,  77  „Rosinen 
und  Krachmandeln  sind  St.".  Dagegen  bedeutet  „Studenten-Con/ec;"  in  der  Salinde 
S.  77  Bier  und  Taback.  —  Studirens  ivegen,  halber  häufig  im  18.  Jahrhundert; 
boois  causa  sagt  Vollmaun  gern  statt  des  alten  studii  causa  (Zarncke  S  3,  162). 
—  Stürmer:  die  nicht  ganz  korrekt  citierte  Schrift  ist  von  Stark;  G.  Freytag,  Er- 
innerungen S.  119  „Ich  .  .  .  trug  das  Festkostüm,  einen  unförmlichen  hohen  Zwei- 
stutz mit  Silberagraffe,  welcher  St.  hiess,  beschnürtes  CoUet,  ungeheure  Kanonen- 
stiefel, an  der  Seite  den  Glockenschläger."  —  stürzen  einen  ..dummen  Jiuigeu": 
Leo  S.  144;  jemand  st.,  fordern:  Forsch  1835  S.  15;  „überstürzen".  —  Suite:  Keil, 
Gründung  S.  109  mit  lustigen  Compositis.  —  Sulphurist,  von  Kluge  nur  seit  1822 
belegt:  Sulphuria  (,, Schwefelbande")  oder  Sulphurea  wurde  schon  1808  in  Jena 
die  Gegenpai-tei  der  Orden  und  Landsmannschaften  gescholten  (Keil,  Gründung 
S.  36,  52),  dann  kam  dieser  Name  1810  f.  in  Leipzig  (Zarncke,  Allg.  Zeitung  1882 
No.  249  f.  über  Th.  Körners  Relegation)  und  1817  in  Halle,  wie  aus  Immernianns 
Händeln  wohl  bekannt  ist,  wieder  auf,  und  auch  Leo  erzählt  S.  154,  dass  „die 
hallesche  Opposition  in  eine  sogenannte  <S'.  auslief."  —  Theekessel:  Ritschi  1853 
an  Pernice  (Ribbeck  2,  164),  es  komme  ihm  den  Burschen  gegenüber  trefflich  zu 
Statten,  ,,dass  ich  selbst  kein  Th.  war,  sondern  Lusate  in  Leipzig,  und  ihnen  das 
experto  crede  Buperlo  zurufen  kann".  —  Thorn:  der 'Purst  von  Thoren  ist  princeps 
stultorum.  1697  Schnorrs  Archiv  13,  443  „den  Fürst  von  Thoren  singt";  „Ich  bin 
der  P.  V.  Thoren"  Schwab  S  129  mit  der  Anweisung  „Hier  steht  immer  einer 
auf  einen  Tisch,  Sessel  oder  so  etwas";  Leipz.  Kommersbuch  1815  S.  86:  vgl. 
ßirlinger  und  Crecelius,  Wundcrhorn  2,  350,  357.  —  Tobich:  Keil,  Stammbücher 
S.  142  (Kiel  1688)  ,,topack  oder  liera,  i.  e.  tobich".  —  Todtenkammer:  Forsch  1835 
S.  173.  —  Touche:  Salinde  S.  84  touchement,  S.  209  „zum  Touchee'-^;  Erdenwallen 
S.  22  „Seine  Touche  zieht  aufs  Rappier";  Immermann  (s.  o.  „sonderbar"), 
Cardenio  1,  1  „Tusch",  touchiren  (Salinde  S.  89,  Sylvanus  S.  165  u.  s.  w.)  in  der 
ersten  sinnlichen  Bedeutung  bietet  Mencke,  Scherzhafte  Gedichte  1706  S.  54:  einer, 
„Der  dem  Don  Hudibras  den  Ermel  hat  tuuchirt'\  muss  sich  mit  ihm  schlagen.  — 


Bücheranzeigen.  351 

Traugott  Häscher,  Gläubiger?  Lichtenberg  an  Heynes,  3.  Miirz  1772  „wie  einen 
Purschen.  der  keinen  Tr.  und  keinen  Pedellen  zu  furchten  hat".  —  treten  an  ein<> 
Herausforderung  mahnen:  Erden  wallen  S  20.  —  Tröster  altes  Buch:  Geh.  Nach- 
richten von  Menantes  S.  55;  Schoch  1,  1  „in  Büchern  und  alten  ßachanten-Tröstern'', 
„alte  Tr."  Liscow  1739  S.  350,  Sophiens  Reise  2.  Aufl.  1,  142  und  3,  29.  Ebenso 
„alter  Stornier",  Sylvanus  S.  166.  —  Truischelchen  kann  schwerlich  als  burschikos 
bezeichnet  werden;  „Trutschel"  ,,Trutscherl"  bairisch-österreichisch;  „Trutschele" 
ist  stehende  Anrede  im  ., Leben  einer  Tirolerin"  1744  S.  21  u.  s.  w. ;  ,, meine  dicke 
Trutschel"  sagt  Hölty  in  der  Petrarchischen  Bettlerode  gegen  Jacobi.  —  umsaltehr. 
SaJinde  1718  S.  354.  —  ungehobelt.  Den  Zusammenhang  mit  einem  Depositions- 
brauch  belegt  gut  Sarcander,  Amor  auf  Universitäten  1710  S.  120:  ein  Dorfstudent 
zeigte  „wie  viel  die  Pursche  ihm  von  den  Bauern-Spänen  tnodo  Academico  ab- 
gehobelt". —  verkeile)!  (vgl.  Keil,  Lieder  S.  91  „den  letzten  Rock  Verstössen"): 
„verkailen"  Hermes,  Sophiens  Reise  2.  Aufl.  1,  400  (S.  397  ,, vermauscheln"); 
Keil,  Lieder  S.  119  „die  Bücher  zu  v.";  Commerschbuch  1795  S.  46  „Wie  sii 
so  flott  V.  müssen"  (Leipziger  C.  1815  S.  88  ,, flott  versetzen"),  Schwab  —  dem 
darin  das  Berliner  C.  1817  S.  36  folgt  —  schreibt  S.  38  „verkeulen",  ebenso 
S.  47  „Das  Hemd  vom  Leib  verkeulen"  und  S.  123  „Verkeult  die  Bibel". 
sich  verkeile?)  verlieben:  „Wenn  die  Besen  sich  v. "  Erdenwallen  S.  33.  — 
„verplempern  sich  platonisch  verlieben"?  Auch  Hermes  (Sophie  1,  551),  Bürge;' 
(Strodtraann  1,  199),  Körner  (an  Schiller  5.  Juni  1789)  brauchen  es  nicht  eben  in 
diesem  Sinne.  Sehr  unplatonisch  Grimmeishausen  ed.  Kurz  2,  162;  Hofmanns- 
waldausche  Gedichte  5,  41;  Menantes,  Satyr.  Roman  S.  6.  „verplempert"  verliebt, 
Hagedorn.  Oden  u  Lieder  S.  100.  —  Verruf:  Leo  S.  139.  —  sieh  versrJiiesxm 
(Itluge  1828):  Sarcandei-,  Amor  auf  Universitäten  1710  S.  105  „sich  äusserst  in 
sie  verschossen";  Gramer,  Geschichte  C.  Saalfelds  S.  36  „so  geschossen,  so  aufs 
rechte  Fleckchen  getroffen".  —  Verscliiss  s.  o.  „Schisser":  „auf  dem  V.  sein"  und 
„aus  dem  V.  thun"  Graf  v.  Taufkirchen,  Amicistenorden  S.  97,  99;  Arnim  an 
Görres,  Heidelberg  22.  Oct.  1808  „der  Wirt  von  Karlsberg  ist  im  ^^":  Schwab 
S.  45  in  der  bekannten  burschikosen  Bearbeitung  des  Goethischen  Liedes  „Mit 
Männern  sich  geschlagen":  die  Wii-te  „kommen  .  .  in  V."  Schwab  S.  113  „Ver- 
schiss-Lied"  „Der  X.  N.  hat  V.  gemacht"  (vgl.  den  Gesang  „Ein  Bock  gemacht- 
bei  Hofmann,  Der  verführte  und  wieder  gebesserte  Studente  1770  Scene  2,  6: 
H.  V.  F.,  Findlinge  S.  129),  schlecht  getrunken  („angeschissen"  in  der  Bierfehde), 
und  muss  ziehen,  bis  er's  „brav  gemacht";  vgl.  Bornemanns  Hallischen  Vers  vom 
Präses  „Und  straft,  wird  ein  Y.  gemacht",  Tafellieder  S.  27.  „Verschissener", 
wer  im  Verruf  ist.  schon  in  der  Biu-schenschaftsverfassung  1815.  Goethes  Dar- 
legung über  .,  Verwandlung  eines  deutschen  Worts  durch  französische  akademische 
Jugend.  Verjus  (unreifer  Traubensaft)  .  .  .  Ver-ruf"  ist  natürlich  ebenso  falsch, 
wie  die  ihm  in  ,. Kunst  und  Alterthum"  entgegengestellte  und  auch  von  Vollmann 
(^S.  488  f  u.  ö.)  gegebene  umgekehrte  Ableitung,  Hempel  29,  258.  —  ,,via  lactea 
(Milchstrasse)"  Busen:  Jungfer  Robinsone  S.  78.  —  „  U/ce-Wirth"  (Salinde  S.  76 
Vice-llospes)  der  statt  des  Hospes  präsidiert  imd  die  Gesundheiten  vortrinkt:  Syl- 
vanus S.  224.  —  Vorsteher:  der  Burschenschaft  1815  11'.:  „Sprecher".  Die  Kom- 
posita mit  -wart,  Kueipwart,  Paukwart.  Schriftwart  (Immermann,  Epigonen  V  4) 
sind  wohl  erst  turnerisch -burschenschafllich.  —  Waschlappen:  über  „den  Mord 
des  alten  Waschlappens'  Kotzebue  schreibt  Solger  1819  an  Hegel  —  Wechsel: 
Schoch  1,  4;  Keil,  Lieder  S.  135  (um  1667)  „Herr  Bruder,  dein  W.  ist  kommen"; 
Dürer,  Tychander  S.  42  ,,mein  wexel  bliebe  aussen".  —  wegbogsiren:  Erdenwallen 
S.  37.  —  „Weihev-Sripeiidia  (Besoldung  von  vei-hurten  Weibern)",  Jungfer  Robin- 

24 


352  Weinhold:  Bücheranzeigen. 

soiie  S.  109;  Menantes,  Satyr.  Roman,  Vorr.  S.  ö;  Zwey  .  .  Avanturiers  1744  S.  85; 
Lustspiel  „Die  Weiberstipendien"  1781.  Picander,  Gedichte  2,  542  „Galante  "Weiber 
brauchen  Geld  Für  die  Stipendiaten".  —  wetzen  (Kluge  1749  11.):  Frisch,  Ohn- 
vorgreiflichos  Bedenken  1686  B  \-\  Geschrei  „Wetz!  -wetz!"  Schoch  1,  3  (5,  3 
,, schärften  in  die  Steine-');  Salinde  S.  89  und  coH/ro-wetzen  (s.  o.):  Schilderung 
des  ArV.  und  C'on/rorufens  der  Herrn  Steinhauer,-  Vernunft.  Tadlerinnen  2,  169  f.; 
Picander,  Erzsäufer  S.  65,  Schlendrian  S.  55;  Sylvanus  S.  158  „w.,  dass  die  Steine 
Feuer  geben";  Hofmannswaldausche  Gedichte  6,  228  (Jena  1731  „durch  niarckt 
und  gasseu  w.");  Keil,  Lieder  S.  138  (17.  Jahrhundert)  .,Dass  man  durch  die 
Strassen  w.";  Schwab  S.  50  altes  Lied  „Als  ich  neulich  meinen  Schläger  auf  dem 
Pflaster  w.";  Arnim,  Halle  2,  14  der  Degen  „blitzet  wetzend  auf  den  Pflastei- 
steinen";  ZachariäV;  Schelmuffsky  S.  33,  ebenda  „Nacht- W'etzer"  (vgl.  „Nachtrab'- 
bei  Zarncke  S.  130,  Somnier-AVichgrev,  Moscherosch,  Schoch).  Lebhafte  macca- 
ronische  Schilderungen:  "Weimarisches  Jahrbuch  2,  444  f.  (1689)  und  S.  453  (vgl. 
Keil,  Stammbücher  S.  201,  209).  Edikte  gegen  das  "VS'etzen,  Helmstädt  1725, 
Preussen  1724:  De  excussione  fenestraruin  Halle  1737  S.  32,  38.  Erwähnt  sei  auch, 
dass  Goethes  Leipziger  Kuchenprofessor  Händel  „"Wetzsteine"  und  ..Maulschellen" 
buk:  Nicolai,  Nothanker  2.  Aufl.  1,  78.  —  Wichs:  Immermann,  Cardenio  1,  1  „Der 
AYix  stand  mir  ponijiös".  v:ichsen.  prügeln,  ist  alt;  auch  bei  Günther  —  Wilden- 
schaft Jena  1815:  Keil,  Gründung  S.  77.  —  Wipp  trinkt  der  Renonce:  Erden- 
wallen S.  3.  —  ziehen:  1.  trinken,  nicht  nur  pro  poena,  Zachariä  V  „der  sich  im 
Ziehn  verweilt".  2.  Immermann,  Epigonen  Y  3  ,,dass  du  Philister  bist,  mithin 
von  dir  nichts  zieht",  was  von  einem  Burschen  Contrahage  sein  würde.  3.  Keil. 
Stammbücher  S.  291  (Jena  1793)  „Pereant  dann  Philistri,  Die  das  Geld  sonst 
zogen".  4.  Erdenwallen  S.  52  „Kopenhagen  zieht  nicht",  wird  ein  dänischer 
Student  bedeutet.  —  Zobelgen:  Grimmeishausen  ed.  Kurz  3,  12.  —  Zotolofjie: 
Gottsched,  Critische  Dichtkimst  1730  S.  509  in  einem  Knittelversgedicht. 

Cloudite  jam  rivos!  Ich  kann  schliesslich  nur  hofl'en.  dass  unser  "Werk  durch 
den  gleichen  Erfolg,  den  Kluges  Etymologisches  "Wörterbuch  sich  verdient  hat, 
zu  immer  grösserer  Fülle  und  Zuverlässigkeit  befördert  werde. 

Berlin,  April  1895.  Erich  Schmidt. 


Volkslieder  und  Volksreime  aus  Westpreussen.    Gesammelt  von  Alex. 
Treichel,  Daiizig.  Th.  Bertling,  1895.     S.  Vlll.    174.    s». 

Der  um  die  Volkskunde  "Westpreussens  eifrig  bemühte  imd  sehr  verdiente 
Besitzer  des  Rittergutes  von  Hoch-Palleschken  übergiebt  hier  der  Ötlentlichkeit 
eine  Sammlung  von  Liedern  und  Reimen,  die  er  fast  sämtlich  seinem  im  Kieise 
Bereut  gelegenen  Wohnsitze  entnommen  hat.  Manches  geht  auch  auf  schriftliche 
Sammlungen  und  auf  sogenannte  Jahrmarktsdrucke  zurück.  Herr  Treichel  konnte 
sich  bei  Nachweisung  der  Verbreitung  der  Lieder  der  Hilfe  eines  der  besten 
Kenner,  des  Oberlehrers  Dr.  Joh.  Bolte  in  Berlin,  erfreuen.  Der  älteste  und  beste 
Bestand  liegt  in  der  ersten  Abteilung,  den  balladenartigen  Liedern:  doch  findet 
sich  auch  hier  viel  recht  junges,  und  allgemein  macht  sich  die  Verschlechtermig 
der  Texte  im  Munde  der  jüngeren  Zeit  recht  bemerklich.  Vergleicht  man  z.  B. 
No.  16  „In  Stücke  möcht  ich  mich  reissen'*  mit  andern  Aufzeichnungen  dieses 
Liedes,  so  übertrifft  die  westpreussische  an  Rohheit  noch  die  oberhessische  bei 
Böckel;  die  beste  ist  die  schwäbische  bei  E.  Meier.  —  Zu  No.  17  will  ich  be- 
merken,   dass  ich   mich  eines  Jahrmarktsdruckes  dieses  lüsternen  Machwerks  aus 


Roediger:  Protokolle.  353 

den  dreissiger  Jahren  erinnere.  —  No.  20  giebt  ein  Exempel,  in  welcher  Art  die 
alten  guten  Volkslieder  allmählich  herunterkommen,  natürlich  nicht  durch  das 
Volk  selbst,  sondern  durch  die  neuen  Drucker  der  Lieder  und  ihre  reimenden 
Spiessgesellen.  Beachtenswert  ist  auch  die  Umgestaltung  der  Dichtungen  bekannter 
Poeten,  vergl.  No.  25.  35.  46.  48.  —  Auf  die  Abteilung  5  „Lieder  und  Sprüche 
für  besondere  Gelegenheiten"  möchte  ich  hinweisen,  weil  hier  manches  weniger 
bekannte  gesammelt  ist.  In  Abteilung  9  sind  allerlei  Reime  zusammengebracht, 
u.  a.  gereimte  Redensarten  beim  Kartenspiel,  Worte  zu  Tänzen,  Reime  auf  Vor- 
namen und  dergleichen.     Mit  geringer  Ausnahme  ist  alles  hochdeutsch. 

K.  Wein  hold. 


Zu  der  Kecension  von  Strack,  Der  Blutaberglaube. 
(Zeitschrift  V,  223  ff.) 

Herr  Dr.  phil.  Friedr.  S.  Krauss  in  Wien,  unser  geschätzter  Mitarbeiter,  der 
Herausgeber  der  Zeitschrift  Am  Urquell,  hat  sich  durch  die  Besprechung  des 
Strackschen  Buches  von  Herrn  Dr.  Sohns  veranlasst  gesehen,  einen  Protest  gegen 
die  Äusserungen  des  Herrn  Recensenten  in  den  letzten  Zeilen  auf  S.  224  einzu- 
senden. Ich  teile  dieses  hier  mit,  kann  mich  aber  nicht  zum  Abdruck  der  Er- 
klärung cntschliessen,  da  es  sich  um  keinen  Angriff  auf  bestimmte  Personen,  am 
wenigsten  auf  Herrn  Dr.  Krauss  handelt.  K.  Wein  ho  Id. 


Aus  deu 

Sitziinffs-Protokolleii  des  Vereins  für  Yolkskimde. 


Freitag,  den  26.  Api-il  1895.  Herr  Professor  Charles  Mar  eile  trug  in 
französischer  Sprache  über  volkstümliche  Erzählungen  und  Lieder  aus  der  Cham- 
pagne, seiner  Heimat,  vor.  Er  erörterte  den  Ton  und  Stil  solcher  ^'o)ksdichtungen, 
die  Verderbnisse,  denen  sie  ausgesetzt  sind,  ihre  sonstigen  Umwandlungen.  Als 
Beispiel  gab  er  zuerst  mehrere  Fassungen  einer  gereimten  Legende,  in  der  Sanct 
Nicolas  drei  ermordete  Knaben  wiedererweckt,  und  seine  eigene  Neudichtung  im 
Volkston.  Das  Lied  „Le  petit  navire"  in  französischer  und  schweizerischer  Passung 
folgte,  letztere  eine  Parodie.  Vom  bekannten  Liede  „Marlborough  s'en  va-t-en 
guerre"  führte  Herr  Marelle  eine  Form  vor,  die  mittelalterlichen  Anstrich  hat. 
Endlich  las  er  aus  seiner  Sammlung  von  volkstümlichen  Erzählungen  „Eva,  Aifen- 
schwanz,  Queue-d'chat  etc."  die  erste  „Eva",  worin  die  Schöpfung  des  Weibes  in 
scherzhafter  Weise  behandelt  wird.  —  Herr  Bankrepräsentant  Waiden  sprach 
über  die  Kuhhirten  des  Thüringer  Waldes  und  ihre  Tiere.  Die  Kühe  werden 
nicht  nur  zur  Milcherzeugung,  sondern  auch  zum  Ziehen  verwandt,  was  ihre  Er- 
giebigkeit sehr  beeinträchtigt.  Im  Sommer  treibt  man  sie  samt  dem  Stier  auf  die 
Weide,  wo  sie  unter  Obhut  des  Dorfhirten  stehen.  Er  hat  sie  gegen  etwaige  Be- 
hexungen zu  schützen,  übt  aber  sonst  keine  Heilkunst  an  Vieh  oder  Menschen  aus. 
Einen  sehr  klugen  Gehilfen  hat  er  an  seinem  Hunde,  wird  aber  auch  noch  durch 
einen  Jungen  unterstüzt.  Die  Glocken  der  Kühe  sind  aus  einem  Stück  zusammen- 
genietet und  verlötet,  erst  in  neuester  Zeit  mitunter  gegossen.    Der  Klöppel  hängt 

24* 


354  Eoediger:  Protokoüe. 

an  einem  Draht  mit  Ledersehleife.  Man  befestigt  die  Glocken  an  geschnitzten  und 
bemalten  Kummeten,  so  ziemlich  dem  einzigen  Reste  volkstümlicher  Kunst  in 
Thüringen,  mit  den  oberen  Enden  jener  Lederriemen.  Die  Glocken  werden  haupt- 
sächlich in  Schmalkalden  und  Brotterode  gefertigt.  Jedes  Geläute,  das  aus  mehreren 
Glocken  besteht,  bildet  verschiedene  Akkorde.  Ihre  Töne  haben  volkstümliche 
Benemiungen.  Verstimmungen  durch  irgend  welche  Beschädigungen  heilt  der  Hirt 
oder  besondere  Stimmer  oder  Schellenrichter.  Der  Hirt  besitzt  auch  ein  Hörn, 
entweder  ein  zum  Blasen  eingerichtetes  Kuhhorn  oder  eine  Metall-  oder  Holztuha. 
Im  Winter  befindet  sich  das  Vieh  im  Stall.  Der  Hirt  bessert  dann  die  Gestelle 
und  Glocken  aus  und  fertigt  neue  Kummete  an.  Auch  nach  dem  Austrieb  kehrt 
man  Nachts  in  den  Stall  zurück.  Abgeweidet  werden  zuerst  alle  zweischürigen, 
dann  alle  einschürigen  Wiesen,  endlich  die  Waldweiden.  Bei  schlechtem  Wetter 
treibt  man  nicht  aus.  Gemolken  wiid  im  Hause.  BMiher  hatten  die  Hirten  ihre 
besonderen  Festtage  und  kamen  am  goldenen  Sonntag,  dem  Sonntag  vor  Pfingsten, 
an  bestimmten  Plätzen  zusammen,  z.  B.  an  der  Tanzbuche  bei  Friedrichroda. 
Hii-tenlieder  fehlen  in  Thüruigen. 

Freitag,  den  24.  Mai  1895.  Herr  Zeichenlehrer  Mielke  spricht  über  Toten- 
kult ip  der  Mark  Brandenburg,  wobei  er  eine  reiche  Sammlung  gewebter  und  be- 
malter Bänder  von  Totenkränzen  und  -krönen,  sowie  Zeichnungen  von  Gedächtnis- 
tafeln und  Grabdenkmälern  vorlegt.  Der  Kult  teilt  sich  in  Handlungen,  die  das 
Wolü  des  Toten  fördern,  und  solche,  die  sein  Andenken  erhalten  sollen.  Letzterem 
Zwecke  dienen  die  Ki'onen  und  Ivränze,  die  man  südlich  von  Berlin,  dann  nament- 
lich in  der  Uckermark  aufs  Grab  legt.  Gegen  die  Elbe  hin  verliert  sich  der 
Brauch,  der  aber  auch  im  südlichen  Baiern  vorkommt,  wo  man  ein  Kreuz  mit 
Kranz  und  Krone  zu  zieren  pflegt.  Man  hängt  in  Xorddeuischland  die  Kränze 
auch  in  die  Rii'che  an  Bretter,  worauf  Personalangaben  gesetzt  werden.  Mitunter 
vertritt  sie  ein  beschriebenes,  gern  herzförmiges  Blatt  Papier.  Die  Kränze  werden 
mit  bunten  Bändern  geziert.  Sie  sind  samt  den  Brettern  jetzt  vielfach  aus  den 
Kirchen  entfernt  worden.  Als  Grabdenkmäler  dienen  Pfahl,  Kreuz,  Stele,  zunächst 
aus  Holz,  jetzt  oft  aus  Eisen.  Der  Pfahl  ist  die  älteste  Form.  Auch  ein- 
fache Steinblöcke  kommen  vor.  anderseits  Gedenktafeln.  An  eigentümlich  ge- 
staltete Erinnerungszeichen  sowie  Bäume  auf  und  an  Gräbern  knüpfen  sich  öfters 
Sagen.  Zur  Feier  beim  Begräbnis  gehört  mitunter  ein  Umtragen  der  Leiche  um 
die  Kirche.  In  Mecklenburg  brannten  für  vornehme  Tote  ein  Jahr  lang  auf  dem 
Altar  zwei  umflorte  Lichte.  Alier  mid  Ausbreitungsgebiet  der  Kultformen  bleiben 
zu  untersuchen.  Hierzu  bemerkte  Herr  Geheimrat  Weinhold,  dass  auch  in 
Schlesien  Kronen  und  Kränze  gebräuchlich  sind  und  dass  sie  auf  altchristlicher 
Sitte  beruhen.  Der  Pfahl  dagegen  erinnert  an  die  Bautasteine,  gewissermassen 
Steinpfähle.  Dazu  stimmt,  dass,  wie  HeiT  Geheinirat  Schwarz  hervorhob,  die 
Geistlichen  den  Pfahl  als  heidnisch  verpönen.  Herr  Geheinirat  Bastian  erinnerte 
an  die  Totenpfähle  der  Indianer,  die  Totems,  an  die  Ahnentafeln  der  Chinesen 
u.  s.  w.  Beziehungen  der  Toten  zu  Pflanzen  sind  speziell  deutsch.  Herr  Bank- 
repräsentant Waiden  führte  namentlich  jüdische  Bräuche  beim  Todesfall  an. 

Max  Roediger. 


Berichtigung. 
S.  262,  Z.  6  V.  u.  Huggelgruppe  I.  Muggelgruppe. 


Lesefrüchte  zum  Volkslied. 

Von  Erich  Schmidt. 


1.  Praetorius,  Antliropoflemus  Plutoiiicus  1667  II  491 :  „Die  Schwalben 
sprechen,  medel,  merlel  halt  mir  mein  spiess  oder  wie  ich  wecke  zog,  wie 
ich  wecke  zog,  war  alles  gnug:  als  icli  wieder  kam,  als  ich  wieder  kam, 
war  alles  verzehrt."  Im  „Storchs  und  Schwalben  Winter-Quartier"  S.  225 
<'itiert  er  als  bekanntes  Kinderlied: 

Klapperstorch,  Langbein, 

Bring  meiner  Mutter  ein  Kind  boiui, 

Leg  es  in  den  Garten, 

Ich  wil  es  fein  warten. 

Leg  es  auf  die  Stiegen, 

Ich  wil  es  fein  wiegen,  etc. 

2.  Christian  "Weise,  der  über  alte  Knittelverse  und  den  Stil  des 
Heldenbuches  so  verächtlich  abspricht,  auch  vom  Umzug  der  heiligen  drei 
Könige  oder  vom  Knecht  Ruprecht  statt  eines  „manierlichen  Engels"  nichts 
wissen  will,  bietet  doch,  ausser  einem  Citat  des  „besten  Buhlen",  mehrmals 
geläufige  Volksreime.  Die  zuuäclist  folgenden  sind  mir  aus  Österreich 
ungefähr  bekannt.  Überflüssige  Gedanken  S.  lOÜ  „Das  uärrisclie  Ding 
lue  Liebe": 

Ihr  Leute  lasset  euch  in  liebessachen  ein! 
Dann  wo  die  liebe  nicht  auf  erden  solte  seyn. 
So  war  das  liebe  Ding  die  Eva  nicht  geschaffen. 
Und  wann  es  Sünde  war,  so  thäteus  nicht  die  pfaffen. 
Es  kan  nicht  uiu-echt  seyn,  weils  die  Juristen  thun: 
Es  ist  nicht  ungesund,  weil  nicht  die  Aertzte  riüuK 
Wanns  unnatürlich  war,  so  wiu-d  es  die  nicht  jucken, 
Die  der  Philosophie  biss  an  den  Nabel  gucken  .  . 

Weist  die  Arie  „Ich  hab  ein  Wort  geredt,  mein  Kind,  ich  liebe  dich". 
Des  Jephtha  Tochtermord  2,  7,  in  eine  höhere,  von  Spitta  musterhaft 
untersuchte  Sphäre  (doch  steht,  von  Kretsclmier  1,  475  abgesehen,  noch 
in  Prutzens  Deutschem  Museum  1862  II  79!)  ff.  eiue  Gmnpoldskircher 
Aufzeichnung)  und  nimmt  der  vorige  Text  mit  der  Philosophie  eine  halb- 
o-elehrte  Wendung,    so   zeigt   sich  Weise   im  Bibeldrama  „Jacobs  doppelte 

Zeitsrlir.  il.  Vereins  f.  Volkskunde.    IS'.IS.  ""^ 


35(i  Er.  Schmidt: 

Heiratli",  naiv  genug  um  alles  hebräische  Kostüm  unbekümmert,  als  Kenner 
echter  deutscher  Volkslieder.  Die  uralte  Kindermuhme  Debora  singt  1,  13. 
Kräuter  für  die  Hochzeit  suchend,  ein  Susaninne,  das  im  Deutschen  Wörter- 
buch 3,  1726  angefühi-t  wird  und  dessen  Eingang  z.  B.  bei  Hoffmann  und 
Richter,  Schlesische  Volkslieder  S.  325  erscheint: 

Sause,  liebe  Ninne,  was  nistelt  im  Sti'uh? 
Schabe  mir  die  Klette,  nim  Manstreu  darzu, 
Enzian,  Allrain,  Knaben-Kraut, 

So  schmutzelt  der  Bräutgani,  so  fläschelt  die  Braut. 
Je  nu  nu. 

(Schmutzein  auch  bei  Hagedorn  W.  1,  100;  fläscheln:  lächeln  s.  Weinhold. 
Beiträge  zu  einem  schlesischen  Wörterbuche  S.  21.)  Und  in  der  hübschen 
Scene  4,  10  schmücken  die  Mädchen  am  Hochzeitsmorgen  die  Maie  mit 
Störchen,  Kindern,  Papplöffeln;  die  Bäurinuen  aber  gedenken  ihres  guten 
Liedis,  das  für  Vornehme  „nichts  tüge": 

Vorm  Jahre  trug  sie  einen  güldiien  Ring. 

Heur  hertzt  sie  einen  Jüngeling, 

Und  eine  grüne  Meye, 

Die  Rlümgen  mancherleye. 

Vorm  Jahre  trug  sie  einen  güldnen  Zopi!', 

Heuer  kratzt  sie  den  Muss-Topff. 

Sie  wollen  beim  Alten  bleiben,  wie  der  graue  Edelmann  in  Goethes 
Claudin(%  und  sagen:  „Die  alten  Lieder  reimen  sich  viel  besser:  die  neuen 
Narrou-Posseu  haben  irgend  gar  kein  Geschicke  und  kein  Gelencke.  Ey 
giengs  nicht  köstlich  her,  wie  unser  sei.  Grossvater  noch  in  der  Schencke 
sang:  Juch,  juch  über  die  Heide,  funffzehn  Messer  in  einer  Scheide"  (in 
Brentanos  Märchen  vom  Fanferlieschen  citiert,  mir  sonst  unbekannt)  oder 
auf  den  Hochzeiten  „Ach  Taunebaum,  ach  Tannebauni.  du  bist  mir  ein 
edler  Zweig". 

3.  Die  grosse  Beliebtheit  des  Tannenbaumliedes  ist  für  das  sieb- 
zehr.te  Jahrhundert  zu  allem  Überfluss  durch  Logau  bezeugt  (siehe  auch 
Weimarisches  Jahrbuch  3,  472).  Seine  älteste  Überlieferung  aus  dem 
Jahre  1584  bietet  Uhland  No.  151  „Es  hieng  ein  stallknecht  seinen  zaiim 
gar  liocli  an  einen  tannenbaum",  wo  die  '.).  und    10.  Strophe  lauten: 

0  tanne!  du  bist  ein  edler  zweig, 
du  grünest  winter  und  die  liebe  Sommerzeit. 

Wenn  alle  beume  dürre  sein, 
so  grünst  du,  edles  tannenbeumelein! 

Brentano  im  Godwi  1801  H  92  beginnt,  frei  fortdichtend  (vgl.  den  Gegen- 
satz der  Untreue  in  Mittlers  Volksliedern  S.  474),  das  „Lied  einer  Jägerin. 
deren  Schatz  ungetreu,  und  stellen  Sie  sich  vor  —  ein  Peruckenmacher 
sewordeu  ist" : 


Lesefrüchte  zum  Volkslied.  357 

Chor: 
0  Tannebaum!  o  Tannebaum! 
Du  bist  mir  ein  edler  Zweig, 
So  treu  bist  du,  man  glaubt  es  kaum 
Grünst  Sommers  und  Winters  gleich. 

Mädchen: 
Wenn  andre  Bäume  schneeweiss  seyn 
Und  traurig  um  sich  sehen. 
Sieht  man  den  Tannebaum  allein 
Ganz  grün  im  Walde  stehen. 

Chor: 
0  Tannebaum,  o  Tannebaum!  etc. 

Mädchen: 
Mein  Schätzel  ist  kein  Tannebaum, 
Ist  auch  kein  edler  Zweig, 
Ich  war  ihm  treu,  man  glaubt  es  kaum. 
Doch  blieb  er  mir  nicht  gleich  .  .  . 

Des  Knabeu  Wunderhorn  3,  70  bietet  unter  den  Kinderliedern  zwei  Strophen: 

O  Tannebaum,  o  Tannebaum!  Warum  sollt  ich  nit  grünen. 

Du  bist  ein  edles  Reis.  Da  ich  noch  grünen  kann? 

Du  grünst  in  dem  Winter,  Ich  hab  kein  Vater  und  Mutter, 

Als  wie  zur  Sommerszeit.  Der  mich  versorgen  kann. 

die  aber  einem  längeren  populären  Liebeslied  angehören:  z.  B.  Mittler 
S.  649  (vgl.  473  f.  650);  Hrusclika  u.  Toischer,  Deutsche  Volkslieder  aus 
Böhmen  No.  51c. 

Von  einer  geistlichen  Coutrafactur  (Fliegendes  Blatt,  München  1642, 
aus  Maltzahns  Besitz)  teilt  Böhme  im  Altdeutschen  Liederbuch  No.  656 
den  Anfang  mit:  „0  Dannebaum,  o  Danuebaum,  holdselig  ist  dein  Nam  .... 
Du  grünst  im  winter  und  sommer,  im  herbst  und  frülizeit".  Weltliches 
und  Geistliches  ist  zusammengestückelt  in  dem  Züricher  Liede,  das  Tobler, 
Schweizerische  Volkslieder  2,  174,  mit  Varianten  einer  anderen  Fassnng 
mitteilt:  „0  Tannebaum,  o  Taunebaum,  Du  bist  ein  edles  Zwig".  Toblers 
zweitem  Text  entsprechen  ziemlich  genau  die  einundzwanzig  bisher  un- 
beachteten Strophen  in  Göckings  „Vollkommener  Emigrations-Geschichte 
von  denen  aus  dem  Ertz-Bissthum  Saltzburg  vertriebenen  .  .  Lutheranern", 
der  Quelle  für  „Hermann  und  Dorothea",  2  (1737),  302,  wo  es  nach  allerlei 
Gebeten  heisst:  „Hans  Merlecker  aber,  der  im  Dorfe  Rangerdien  wohnet, 
brachte  eine  ganze  Menge  Papistischer  Lieder  [2,  563  ff.  Malinlieder  der 
„Catholisch  ruffenden Glaubens-Stimme"].  Sie  sind  gutentheils  sehr  lächerlich. 
Nur  eines  eintzigen  zu  gedencken,  welches  die  Papisten  Morgens  und 
Abends  bey  ihrer  Arbeit  mit  Jauchzen  und  Frolocken  singen  so  klinget 
dasselbe  also."  Darauf  folgt  der  lange  Text,  den  ich  nicht  wiederhole. 
Die    geistlichen    Strophen   14—21    sind    schwäch    und    zusammenhangslos; 

25* 


358  Er.  Schmiflt: 

offenbar  beg-iimt  die  Aiistückeluug  schon  mit  der  zwölften  „O  Nachtigall, 
o  Hiramels-Saal".  Das  (lanze  aber  verdient  doch  nicht  Göckings  aberweise 
Bemerkung:  ,,Die  guten  Leute  niussteu  recht  darüber  lachen,  wenn  sie  es 
nur  herlesen  mussten.  Sie  machten  gar  keinen  Aberglauben  aus  dergleichen 
Zeuge,  weil  es  bey  den  meisten  niu'  ohngefehr  unter  den  Sachen  geblieben 
war."  Solche  rationalististische  Rockenphilosophie  hat  unserer  Volkskunde 
im  vorigen  Jahrhundert  manchen  Abbruch  gethan,  und  gewiss  entsprach 
es  nicht  dem  „gereinigten  Geschmack",  wenn  Hanswurst  iu  Wien  aucli 
alte  poetische  Habe  zum  Besten  gab: 

4.  Die  Handschrift  der  „Teutschen  Arien"  von  Kurz-Bernardon 
auf  der  Wiener  Hofbibliothek  enthält  so  manche  volksmässige  Lieder: 
ein  paar  mögen  hier  Platz  finden. 

2,  161  Ich  bin  ein  Schatzerl  zugethan, 

Das  wohnt  beym  Wirth  im  Keiler, 
Es  hat'ein  höltzern  Mieder  an, 
Und  heisset:  Muscateller  .  .  . 

Ich  trink  im  Wein  mir  einen  Peltz, 
Damit  ich  nicht  erfriere. 
Und  dass  ich  nicht  vor  Hitz  zerschmeltz, 
Halt  ichs  auch  mit  dem  Biere. 

1,  &2i3  Hanswui'sts  Schönheitsideal,  den  alten  Listen  vom  Ifi  .lahrli. 
her  entsprechend : 

Soll  ein  schönes  Kind  mich  laben, 
Muss  sie  achtzehn  Stücke  haben, 
Weil  sie  sonst  mich  nicht  gefreut; 
Schwartz  und  weisse,  kurtz  und  lange, 
Rothe,  faiste,  und  gedrange, 
Runde  und  auch  zierlich  breit: 
Hat  sie  dann  von  jedem  zwey. 
Glaub  ich,  dass  sie  herzig  sey. 

Ich  verhing  von  meiner  Schöne 

I.  Weisse  Haut  und  2.  weisse  Ziilme; 

3.  Schwartze  Augen.  4.  schwiu'tzen  Schopf: 
5.  Rothe  Lippen.  G.  rothe  Wangeu, 
7.  Maul  und  ö.  Leib  schmal  zu  umfangen, 
9.  Runde  Nase,   10.  runden  Kopf: 

II.  Breite  Brust,  .und  12.  breiten  Kern, 
Dies  beysammen  sieh  ich  gern. 

13.  Hals  und  14.  Rucken,  wie  ein  Kertzerl, 
Lang  und  grad,  das  freut  mein  Hertzerl, 
Kurtz  begehr  ich  15.  Ohr  und  IG.  Püss, 
17.  Hand  und  18.  Arnierl  muss  im  Spieh'n 
Seyn  hübsch  moUet  anzufühlen. 
So  wird  sie  mein  Weib  gewiss; 
Dium.  die  diese  achtzehn  hat. 
Komm  herbei,  sie  kriegt  mein  Gnud. 


Lesefrüchte  zum  Volkslied.  359 

•-',  197.     Zu  1,  3  f.  vgl.  Bolto,  V.  Schumann  S.  396;    Beniays,  Goethe- 
Jahrbuch  (i,  337: 

Niti7nur  in  retitiim,  Vivimiis  wie  Hund  ei  Katz, 

Dcis  ist  a  schöne  Eh!  Das  ist  a  schöne  Eh! 

Wann  der  Mann  brichts  ilal'e-deck.  Er  marschiert  zum  Tempel  naus, 

Wirfft  das  Weib  das  Höl'erl  weg,  Sie  schmeist's  Haus  zum  Fenstei-  raus, 

Das  ist  a  Eh!  Das  ist  a  Eh! 

Will  er  gehn,  so  will  sie  rasten,  Will  er  süss,  so  will  sie  sauer. 

Will  er  fressen,  will  sie  fasten,  Will  er  Regen,  will  sie  Schauer, 

Will  er  Strick,  so  will  sie  Zwirn,  Er  saufft  Wasser,  sie  den  Wein, 

Rufft  er  Knecht,  so  schreyt  sie  Dirn,  Sie  frisst  Brocken,  er  die  Bein, 

Will  er  kalt,  so  will  sie  warm.  Er  singt  den  Alt  und  sie  den  Bass, 

Das  ist  a  Eh!  Das  ist  a  Eh! 

Dem  Himmel  erbarm.  Dem  Geyer  zum  Spass. 

1,  Ü4.      Ein   Stücklein    der  von  Anakreou  bis   Shelley  und  weiter  un- 
vergänglichen „Love's  philosophy" : 

Ein  jedes  Vieh  auf  dieser  Welt 
Sucht  das,  was  sich  zu  ihm  gesellt; 
Der  Ochs  rufft  die  geliebte  Ruh, 
Und  singt:  Muh  Muh!  muh  muh! 
Der  Löwe  brüllt,  der  Budel  murrt. 
Der  Sperling  pfeift,  der  Tauber  gurrt. 
Der  Frosch  folgt  seiner  Ikniiina, 
Und  schreyt:   Qua  qua!  qua  qua! 

Das  schöne  Thior,  der  Ziegen-Bock, 
Springt  über  Sta.uden,  Stein,  und  Stock, 
Lauirt  nach  der  Gaiss  durch  Staub  und  D  .  .  . 
Und  rulft  meck  meck!  meck  meck! 
Der  Bar,  der  brummt  nach  seinem  Schatz, 
Der  Ratz  begehret  seinen  Fratz, 
Der  Rather  schreyt  nach  seiner  Frau 
Allstätts:  mi  au!  nii  au! 

Der  Sau-Bar  will  nicht  seyn  allein. 
Er  rennt  nach  ^seinem  Weib,  dem  Schwein, 
Er  rührt  die  Schnautz  und  zerrt  die  Roy, 
Und  spricht,  Oy,  oy!  oy,  oy! 
So  gar  der  Esel  spitzt  das  Ohr, 
Schaut  traurig  aus  dem  Stall  hervor. 
Wann  seine  Estin  nicht  ist  da. 
Er  weint!     i,  a!  i,  a! 

Drum  da  mein  Schatz  nicht  bey  mir  ist 
Was  Wunder,  dass  es  mich  verdrüst, 
Und  dass  ich  armer  Schöps  für  weh, 
Auch  schrey,  hlee  biee!  blee  hlee! 
Mein  Schatz,  mein  Fratz!  mein  Weibelein! 
Hörst  du  dann  nicht  dein  Mandel  schreyn? 
.Antworte  doch!  und  ruf  mü-  zu: 
Hanns- Wiu'st:  Gu  gu!  gu  gu! 


mO  Er.  Schmidt: 

2,  27  finden  sich  hübsche  Metamorphosen: 

W<är  mein  Schatz  ein  Hasel-Stauden, 
Möcht  ich  em  Aich-Katzel  seyn; 
Dann  da  wollt  ich  mich  befleissen, 
Und  so  lange  kiefeln,  beissen, 
Biss  der  Nuss-Kern  wäre  mein. 

Wann  ihr  Goscherl  wiir  ä  Honig 
Macht  ichs  halt  als  wie  der  Bär; 
Thät  sie  mit  der  schönen  Bratzen 
Halt  so  lange  sfereichlen,  kratzen, 
Biss  das  Honig  kostet  war. 

Wann  ihr  Hertzerl  war  ä  Mäuäerl, 
Macht  ich  halt  zur  Mauss-Fall  mich; 
Ging  das  Mäuserl  dann  zum  naschen, 
Wolt  ichs  halt  fein  stät  [stat,  leise]  erhaschen, 
Biss  es  war  vergnügt  wie  ich. 

5.  Das  Schamperliedel.  dass  Lessing  in  einer  übermütigen  Stunde 
mehrfach  verdolmetscht  hat  (s.  Nicolais  Fussnote  unter  dem  Brief  vom 
•25.  Mai  1777),  sogar  griechisch,  doch  nicht  zur  Freude  der  Philologen 
(Wilamowitz,  Vorr.  zum  Hippolytos),  ist  wohl  anderweitig  unbekanut;  um- 
Picander  spielt  zweimal  darauf  an:  Gedichte  2  (1729),  543  „Und  Jungfer 
Liessgens  Finger-Hut  Ist  gut  zu  allen  Dingen"  und  5  (1751),  232  „Und 
Jungfer  Liessgens  Fiugerhuth  Wird  bald  ein  Loch  bekommen". 

6.  Ein  Bündel,  in  dem  Goethe  sogenannte  Matinees  der  ersten 
Weimarischen  Zeit  zusammengelegt  hat,  enthält  auch,  ohne  Bezeichnung, 
auf  zwei  Foliobogen  blauen  Packpapiers  zwei  burleske  Volkslieder.  Die 
ersten  neun  Zeilen  hat  Goethe  selbst  sehr  hastig  hingeschrieben,  alles 
übrige  dem  Hoffräulein  Luise  v.  Göchhausen  rasch  in  die  Feder  diktiert, 
offenbar  ohne  Vorlage,  sondern  aus  dem  Gedächtnis  mit  Sprüngen  und 
Lücken,  improvisatorischen  Änderungen  und  Ergänzungen.  Durch  Suphan 
ist  mir  die  gnädige  Erlaubnis  geworden,  beide  Texte  hier  abzudrucken. 
Ich  habe  die  Strophen  beziffert  und  iuterpungiert,  auch  manche  unzwei- 
deutige Hörfehler  stillschweigend  verbessert. 

Das  erste  Gedicht  erscheint  mit  zahlreichen  Varianten  im  Wunder- 
horu  2,  399  (Aiuims  Werke  14,  421)  als  „Construction  der  Welt  (Mündlich)-': 
danach  Mittler  S.  416  (zum  Anfang  vgl.  Mündel,  Elsäss.  Volkslieder  S.  244). 
Birlinger  imd  Crecelius  in  ihrer  höchst  willkürlichen,  halbschürigen  Aus- 
gabe des  Wunderhorns  bieten  2,  20 — 25  den  langen  Text,  zwanzig  Strophen 
zu  acht  Zeilen,  aus  der  „Anderen  Tracht  des  Ohren-verguügenden  und 
Gemüth-ergötzenden  Tafel-Confects"  (Augsbm-g  1737)  uud  S.  -'ä — 27  einen 
kürzeren  hsl.  aus  Arnims  Nachlass  mit  Varianten  einer  rheinischen  Auf- 
zeichnung Hoffmanns  v.  F. 


Lesefrnchte  zum  Vulksliod. 


3«1 


4. 


5. 


(). 


<). 


10. 


Als  Gott  die  Welt  erschaffen,  U. 

Die  Vogel  und  ander  Gethier, 

Könnt  er  nit  ruhig  schlaffen. 

Er  hat  noch  etwas  für. 

Ist  dann  kein  Mensch  auf  Erden?       \i. 

Dacht  er  in  seinem  Sinn, 

Die  Welt  muss  voller  werden, 

Es  sei  was  rechtes  drinn. 

Man  kann  doch  alles  nuzzen  lo. 

Was  schon  [schön?]  g'cniacht  voraus. 

Er  nahm  ein  Erden  butzen 

Und  macht  ein  Mann  daraus. 

Sobald  er  ihn  gestaltet,  14. 

Blies  er'n  ein  wenig  an! 

Da  erstund  alsobalde 

Adam  der  erste  Mann. 

Aufm  Stein  wo  Adam  sassc,  15. 

Der  war  sehr  kühl  und  nass. 

Es  fror  ihm  an  der  Nase, 

Drum  legt  er  sich  ins  Gras. 

Da  kam  der  Herr  geschlichen,  Ki. 

Dass  man  ihn  kaum  verspürt, 

Er  nahm  ihm  eine  Rippe 

Aus  Adams  Seiten  für. 

Adam  der  thät  erwachen,  17. 

Er  hatte  das  Ding  gespürt; 

Es  war  ihm  nicht  ums  Lachen, 

Dram  thät  er  [sich]  herfär: 

0!  Herr,  wo  ist  meine  Rippe?  18. 

Ich  bin  kein  ganzer  Mann. 

Wenn  ich  dernach  ward  dippe. 

So  ist  kein  Rippe  mehr  dran. 

Adam,  sey  du  zufrieden,  19. 

Schlaf  fort  in  guter  Ruh! 

Vor  Schaden  will  ich  dich  hüten. 

Ich  stell  dirs  wieder  zu. 

Ein  Weib  will  ich  draus  machen,       20. 

Ein  wunderschönes  Kind, 

Du  sollst  mir  drüber  lachen, 


Kannst  du  so  schöne  Sachen, 

Mein  lieber  Gott  und  Herr, 

Aus  meiner  Rippe  machen. 

So  nimm  der  Rippen  mehr.  • 

Komm  her,  meine  liebe  Rippe, 

Sey  tausendmal  Willkomm!  — 

Adam,  nimm  du  die  Schippe 

Und  grab  die  Erde  um! 

Noch  eins  will  ich  euch  sagen: 

Den  Baum  lasst  mir  mit  Fried! 

Die  Frucht,  die  er  wird  tragen, 

Sollt  ihr  verkosten  nit. 

Des  Tods  sollt  ihr  gleich  sterben. 

So  bald  ihrs  habt  gewagt, 

Zu  eurm  grossen  Verderben 

Zum  Gart'n  werd'n  nausgejagt! 

Adam,  ich  hab  gebissen 

Mit  Lust  zum  Apfel  hinein. 

Es  kanns  ja  niemand  wissen. 

Wir  beyde  sind  allein. 

Eva,  du  lose  Zuchtel, 

Du  machst  ein  schlimme  Sach! 

Adam  erwischt  die  Fuchtel, 

Die  Eva  brav  abstraft. 

Adam,  du  kannst  nicht  wissen, 

Wie  gut  die  Äpfel  seyn; 

Hier  hast  du  nur  ein  Bissen, 

Den  iss  geschwind  hinein! 

Thu  du  es  nur  probiren. 

Wie  gut  sie  immer  seyn; 

Du  brauchst  nicht  zu  studiren. 

Dein  Docktor  will  ich  seyn. 

Packt  euch,  ihr  liederlich  G'sindel, 

Packt  euch  zum  Garten  naus! 

Geschwind  macht  euer  Bindel, 

Der  Engel  jagt  euch  naus  [raus?]. 

In  Arbeit  sollt  ihr  schwitzen, 

Dieweil  ihrs  habt  gethan, 

Eva  beym  Spinnrad  sitzen. 

Das  ist  der  Sünder  Lohn. 


Weil  Weiber  schöne  sind. 
3,  1  f.  „Dem  köunt  wohl  alles  nutzen  So  schön  gemacht  voraus"  Wuuder- 
horn.  5,  3  „ihn  ans  Gesasse"  W.  Nach  :>,  4  hat  das  W.  zwei  Strophen, 
wie  Gott  seinen  grossen  „Bua"  betrachtet  und  dem  jungen  Blut  ein  Weib 
zu  schaffen  beschliesst,  damit  Adam  gut  thue.  7,  4  „Drum  er  so  heftig 
schrie"  W.  10,  2  „Ein  wunderliches  Thier"  W.  10,  4  „Schau  gschwiud, 
da  stehts  schon  hier"  W.  13,  3  „so  er  thut"  W.  Von  Str.  15  an  ist  das 
W.  viel  ausführlicher.  Goethe  offenbar  von  seinem  Gedächtnis  im  Sticli 
"•elassen  worden.     18,  3  f.  berulit  auf  Evas  Worten  im  W.:  „Braucht  nicht 


362  Er.  Schmidt:  Lesefrüclite  zum  Volkslied. 

lang  zu  Studiren,  Könnt  bald  ein  Doctor  sein"-  Dann  bietet  das  W.  viel 
mehr  als  Goethe,  der  dem  Ende  zueilt.  Auch  hat  das  W.  noch  einen 
derben  Schluss:  Adam  wünscht,  das  „alte  Leder"  nie  gesehen  zu  haben, 
und  spricht  von  der  Kirmess  und  vom  Kinderkriegen. 

Das  zweite  Gedicht  findet  sich  minder  abweichend,  aber  doch  mit 
vielen  kleinen  Varianten,  gleich  nach  dem  ersten  im  Wimderhorn  '2.  403 
(Arnim  13,  367)  als  „Aussicht  in  die  Ewigkeit  (Fliegendes  Blatt)"  und 
bei  Mittler  S.  806  (zur  2.  Strophe  vgl.  S.  80.5). 

'.    Wie  geht  es  denn  im  Himmel  zu? 
Als  wie  [Und?]  im  ewigen  Leben. 
Da  kann  man  alles  haben  genug, 
Und  braucht  kein  Geld  zu  geben. 
AUes  kann  man  borgen, 
Braucht  für  nichts  zu  sargen: 
Wenn  wir  einmal  d  rinne  wären, 
Wollten  wii'  nicht  mehr  raus  begehren. 

'i.    Fallet  uns  ein  Fasttag  ein, 
So  essen  wir  Forellen. 
Petrus  ging  in  Keller  nein, 
Thät  uns  Wein  bestellen: 
David  spielt  die  Harfe  [Harpfen], 
Ulrich  brächt  [brät]  die  Karpfen, 
Margrethe  backt  uns  Kuchen  gnug, 
Paulus  schenckt  uns  Wein  in  Krug. 

3.  Lorentz  hinter  der  Küchenthür 
Der  thät  sich  auch  bewegen. 

Trat  mit  seinem  Rost  herfür, 
Thät  Leberwurst  auflegen. 
Kuiiigunde  und  Sabine, 
Elisabethe  und  Chi'istme, 
Alle  die  um  Herd  rum  stehen, 
Thäten  nichts  als  Vögel  drehen. 

4.  Wenn  wir  nun  zu  Tische  gehn 
Die  beste  Speis  zu  rüsten  [essen]. 

Die  Englein  alle  mit  Tellern  rumstehn. 

Die  Gläser  mit  M'ein  gemessen. 

Da  thun  wir  uns  delectiren; 

Auch  Barthel  thut  tranchiren, 

Joseph  thut  uns  legen  für  [vor], 

Cäcilia  stellt  uns  ein  Music  vor  [Musikchoi^. 

5.  Wenn  wir  nun  gegessen  hab'n, 
Da  thun  wir  uns  delectiren. 

Machen  uns  eine  Comoediam  [Commodität]. 

Thun  uns  resolviren 

Zu  dem  Kegelscheiben, 

Unsre  Zeit  vertreiben, 

Lassen  der  Kugel  ihren  Lauf, 

Zachäus  setzt  die  Regel  auf. 


Prato:  Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Scliönhoitssymbole.  8fi3 

().    Martin  auf  dem  Schimmel  reit. 
Der  thiit  recht  galoppireii: 

Blasticus  [Blasius]  mit  dem  Schmierrad  scheut  [erscheint?], 
Der  thät  die  Chaise  schmieren. 
Da  wären  wir  ja  Narren, 
Wenn  man  könnte  fahren, 
Dass  man  thät  zu  Fusse  gehn, 
Lasst  [Liesse]  Ross  und  Wagen  g-ehn  [stehn]. 

7,    Nun  adieu  [ade],  du  schnöde  Welt, 
Du  thust  mich  nun  [nur]  verdriessen! 
Im  Himmel  es  mir  besser  gefällt, 
Wo  nichts  als  Freuden  fliessen, 
Bey  dir  ist  alles  gleich  vergänglich, 
Alles  ist  verfänglich. 
Wenn  ich  einmal  den  Himmel  hab. 
Scheu  [Seh  ,  .  s?]  ich  auf  die  Welt  hinab. 

3,  5  f.  Wimd(3rhorn :  „Dorthe  iiud  Sabiiia,  Liesbeth  und  Catliriiia".     4,  3  f. 
„Die  Engel    um    den   Tisch    rum    stehn,    Schenken  Wein    in    d'  Gläser". 

4,  5  aus  5  ,2,    „Sie  thuu  uns  iuvitireu".     6,  3  „Bl,  hält  die  Schmier  bereit". 
7,  8  „Husf  ich". 

Die  Schilderungen  des  himmlischen  Schlaraöenreiches,  liesonders  in 
Volksliedern  Schlesiens,  Böhmens,  des  Kuhländchens,  Baierus,  denke  ich 
einmal  in  grösserem  Zusammenhang  zu  behandeln. 

Berlin,  Pfingsten   189.5. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Scbönlieitssymbole 
in  Volksmärchen  und  -Liedern. 

Ein  kritischer  Beitrag  zur  vergleichenden   Völkerpsychologie 
von  Dr.  Stanislaus  Prato. 


In  seinen  Essais  de  mythologie  comparee,  traduetion  francjaise 
de  Ct.  Perrot,  S.  118  ff.  stellt  IMax  Müller  das  Sanskritwort  Karitas,  das 
die  (mit  Flügeln  geschmückten  und  so  die  sieben  Schwestern  genannten) 
Rosse,  genauer  Stuten,  der  Sonne  bezeichnet,  zu  dem  griechischen  Xagireg, 
dem  Namen  der  Grazien,  die  Aphrodite,  die  JVIutter  des  Liebesgottes, 
als  Begleiterinnen  umgeben;  Eros  identificiert  er  mit  'EcfMg  (Agni  Aush- 
asya),  einer  männlichen  Jflorgenröte  oder  vielmehr  einer  Art  aufgehender 
Sonne  in  den  Veden,  wie  sich  die  Liebe  in  der  That  bei  ihrem  ersten 
Nahen  für  uns  ausnimmt.     Sonne  und  Licht,   die  Ursachen  der  Schönheit, 


364  Prat"; 

gleich  den  Grazien,  die  sie  lenken,  und  der  Liebesgott,  der  seine  eigene 
Existenz  daher  entlehnt  und  seinerseits  auf  sie  Einfluss  ausübt,  würden  in 
einander  verschmolzen  werden  und  der  Mythus  wäre  so,  wie  er  es  wirklich 
ist,  die  Allegorie  einer  "Wahrheit  und  zwar  derjenigen  Wahrheit  hier,  dass 
die  Schönheit  der  Schöpfung  das  Ergebnis  der  Thätigkeit  des  Lichtes  ist. 
des  Hauptprincipes  des  Lebens  und  der  Schönheit  des  Universmus:  hieraus 
erkläi't  sich  der  Name  Deus  (ital.  Dio,  von  der  Sanskritwurel  div. 
leuchten)  füi"  das  höchste  Wesen'),  sowie  die  Bezeichnung  desselben  als 
Sonne  der  Gerechtigkeit,  oder,  wie  man  im  Evangelium  des  St.  Johannes 
liest,  als  Lux  quae  illuminat  omneni  hominem  venienteni  in  hunc 
mundum.  Anderswo  wird  von  Gott  gesagt:  In  sole  posuit  taber- 
naculum  suum,  et  ipse  tamquam  sponsus  procedens  de  thalamo 
suo*);  Amictus  lumine.  sicut  vestimento.  St.  Paulus.  ].  Timoth.  6,  Ifi 
sagt,  dass  Gott  in  einem  unnahbaren  IJchte  wohne,  das  kein  Mensch  je 
geschaut  habe  noch  schauen  könne,  und  aus  diesem  Grunde  heisst  es  von 
ihm  auch  in  der  Heiligen  Schritt,  dass  er  in  Ruhm  und  Glanz  gehüllt 
sei.  Es  sei  auch  darauf  hingewiesen,  dass  die  verschiedenartigen  Farben, 
mit  denen  sich  alle  Gegenstände  nach  ihrer  jeweiligen  Natur  unter  den 
Strahlen  der  Sonne  schmücken,  die  Schönheit  derselben  bilden  und  somit 
die  Schönheit  des  Universums  ausmachen.  Hieran  hat  Dante  wahrscheinlich 
gedacht,  als  er  sich  der  Wörter  fregiare,  adoruo  und  addobbare  im 
1.  Ges.  des  Purgatoriums  und  an  zwei  Steiles  des  Paradieses,  Ges.  1.  und 
14,  bediente,  wo  er  eben  vom  Lichte  spricht.  Der  heilige  Franciscus 
erhält  vom  göttlichen  Dichter  den  allegorischen  Beinamen  Sonne'):  wenn 


1)  Gott  ist  das  Woseu  der  Güte;  aber  aucli  .gut"  identificiert  sicli  mit  .Licht-,  da 
lat.  bonus,  altlatein.  duonus,  über  divonus  von  div,  gläuzeD,  stammt;  im  Griechischen 
bedeutet  dyailöc,  von  äyaoOai  vbewundern).  bewundert,  bewunderunfjswort.  was  darthut, 
dass  auch  die  Grieclien  den  Äbstraktbegxiff  gut  aus  dem  Konkretbegriff  schön  schöpften, 
da  das,  was  bewundert  wird,  eben  das  Schöne  ist:  umgekehrt  gebrauchte  man  ?:cd6;.  das 
schön  bedeutet,  manchmal  in  dem  Sinne  von  gut.  In  den  slav.  Sprachen  dient  die  Wurzel 
swit  als  Ausdruck  für  Licht,  Heiligkeit  und  Welt,  vgl.  poln.  swit  Morgendämmerung, 
swiatlo  Licht,  swient-y  heUig,  swiat  Welt,  und  das  entsprechende  russische  W'ort 
asviatil'o,  Licht. 

2)  Aus  diesem  Grunde  stellt  Dante  im  1.  Gesänge  der  Hölle  Gott  in  der  Sonne,  die 
mit  ihrem  Lichte  den  Gipfel  des  allegorischen  Berges  umhüllt,  sinnbUdlich  dar-;  so  nennt 
er  auch  im  4.  Gesänge  des  Pm-gatoiiums  die  Sonne  den  Spiegel  Gottes,  denkt  er  sich 
ferner,  dass  die  am  Horizont  strahlende  Sonne  ihr  Licht  von  der  Sonne  der  Gerechtig- 
keit, d.  i.  von  Gott,  empfange  nnd  versetzt  er  die  Gottesgelehi-ten  in  den  Sonnenhimmel 
seines  Paradieses. 

3)  Im  12.  Gesauge  des  Paradieses  sagt  Dante  vom  heiligen  Domiuicus.  V,  64—66: 
La  donna  che  per  lui  (den  jimgen  St.  Dominicus)  Tassenso  diede  am  Taufbecken,  nämlich 
die  Taufpatin)  Vide  nel  sonno  il  mirabile  frutto,  Ch'uscir  dovea  di  lui  e  delle  rede  i^seinen 
Erben).  Die  Taufpatin  träumte  der  Legende  nach,  der  Knabe  habe  vor  der  Stmi  und 
auf  dem  Nacken  (wie  in  verschiedenen  Volksmärchen,  die  wir  in  einem  späteren  Abschnitte 
namhaft  machen  werden,  die  kleinen  Kinder)  einen  Stein,  das  Symbol  nämlich  des  Lichtes, 
das  Orient  und  Occideut  dank  der  seltenen  Tugend  des  heil.  Dom.  von  dem  Dominikaner- 
orden empfangen  sollten. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.     3(i5 

(xott  die  Sonne  der  Gerechtigkeit  ist  (Sonne,  weil  er  als  Schöpfer 
der  Welt  Spender  von  Leben  und  Schönheit  an  das  Geschöpf  ist),  'so  ist 
der  Heilige  eine  zweite  Sonne  göttlicher  Tugend  zufolge  und  ein  Spiegel 
jener.  Die  vom  Lichte  erzeugten  mannigfaltigen  Farben  aber,  die  den 
Regenbogen  und  die  einzelnen  Gegenstände  schmücken,  gehen  auf  das 
Weiss  zurück;  aus  diesem  Grunde  verwendet  Dante  im  1.  Gesänge  des 
Paradieses  weiss  (bianco)  im  Sinne  von  glänzend  und  im  2.  Gesang  der 
Hölle  imbiancare')  für  beleuchten;  in  ähnlicher  Weise  bedeutet  candido 
(vom  sanskr.  (;and,  glänzen)  weiss,  glänzend.  So  sind  auch  Galatea 
(lactea  virgo),  die  Jungfrau  der  sicilischen  Sage,  so  Leukothea  oder 
Leucosia,  die  weisse  Göttin  mit  dem  weissen  Fusse,  so  die  Venus  der 
Inder  (Qri  oder  Lakshmi),  die  Aphrodite  der  Griechen,  welche  die 
aus  dem  weissen  Meeresschaume  geborene  bezeichnet  und  auf  den  Ursprimg 
beider  hinweist,  nach  ihrer  weissen  Farbe  benannt  worden.'')  Weiss  ist 
bei  den  arisclieu  Völkern  immer  für  das  Grundelement  physischer  Schön- 
heit') gehalten  worden,  denn  es  hat  seine  Quelle  in  der  Gesamtfarbe  des 
Lichtes,  das  die  Gegenstände  bestrahlt  und  ihnen  wie  gesagt  die  ver- 
schiedenen Farben  verleiht,  von  denen  die  Schönheit  herrührt.  Weiss 
wm-de  auch  das  Symbol  der  moralischen  Schönheit;  demzufolge  sah  Foscolo 
in  Galatea  die  Bescheidenheit  versinnbildlicht,  jenen  feinen  Takt  einer 
edlen  Seele,  die  das  eigene  Verdienst  wohl  empfindet,  es  aber,  um  andere 
nicht  zu  verletzen,  verhüllt.  Man  darf  hier  auch  auf  die  Bezeichnung  als 
die  beiden  Augen  des  Himmels  hinweisen,  die  Sonne  und  Mond  gleich- 
falls, und  zwar  bei  den  Chinesen,  Indern,  Griechen,  Skandinaviern  und 
auch  bei  den  Ägyptern  erfahren  haben.  Daher  kommt  es  denn  vielleicht, 
dass  das  Volk  in  Toscana  ein  hübsches  Mädchen  ein  occhio  di  sole 
nennt;  auch  Petrarca  singt  im  4.  Son.  des  1.  Teiles  seines  Canzoniere  von 
seiner  Laura: 

Ed  or  d'un  picciol  borgo  un  sol  n'ha  dato. 

Tal  che  natura  e  "1  loco  si  ringrazia, 

Onde  si  bella  Donna  al  mondo  uacque. 

Und  in  seiner  allegorischen  Canzone  über  den  Ruhm  (Canzoniere  Teil  IV, 
Canz.  3)  sagt  er: 

Una  douna  piii  bella  assai  che  1  sole 

E  piü  luceute  e  d'altrettanta  etade  .  .  . 

1)  Vom  dtsdi.  blank,  das  seinerseits  von  dem  Vb.  blinken  kommt. 

•2)  Dem  Schaume  des  Meeres  entsprossen  ausser  Lakshmi  (der  Venus,  Fortuna  der 
Vcden)  auch  die  Apsaras,  die  himmlische  Nereide,  und  das  Unsterblichkeitsgetränk 
amrita,  dessen  Name  mit  d.  griech.  ambrosia  verwandt  ist  und  die  gleiche  Bedeutung 
trägt. 

3)  Ln  den  griech.  Volksliedern  des  2.  Bandes  der  Sammlung  von  Tommaseo  heisst 
es  S.  270  von  einer  schönen  Frau;  "-io.^c»]  y.arda:iQt],  d.  h.  ganz  weiss. 


366  Piat,.: 

Aus  den  bisherigen  Betrachtungen  ergiebt  sich,  dass  die  Ideen  weiss, 
glänzend,  gut,  die  Idee  Schönheit,  Lebeu  und  Tugend,  die  Idee  Schöpfung 
und  Geschöpf,  Gott  und  Mensch,  Himmel  und  "Welt  völlig  gleichbedeutend 
sind;  soeben  haben  wir  ferner  gi^sehen,  dass  die  weisse  Farbe,  das  Symbol 
der  physischen  Schönheit,  auch  zum  sinnbildlichen  Ausdruck  für  moralische 
Schönheit  geworden  ist;  auch  ist  zu  Anfang  berührt  worden,  dass  Gott. 
das  geistige,  übersinnliche  Licht,  mit  seinem  eigenen  Namen,  nämlich  Dens 
oder  Dio.  und  mit  verschiedenen  Bildern,  die  ihn  vom  Standpunkte  phy- 
sischen Lichtes  aus  betrachten,  treffend  bezeichnet  ist:  Dante  singt  schon 
so  im  30.  Gesänge  seines  Paradieses: 

Luce  intellettual  piena  damore. 
Amor  di  vero  beu  pien  di  letizia. 
Letizia  che  traseende  ogni  dolzore. 

Auch  sagt  er  im  L  Gesänge  der  Hölle  von  Gott  (als  Umbildung  der 
Liebesgottheit,  des  kosmogonischen  Gottes  bei  den  Heiden,  zu  fassen) 

.  .   .  lAmor  Diviuo 
Mosse   dapprima   quelle  cose  belle. 

Ebenso  gilt  ihm  Gott,  den  er  hier  nicht  mehr  als  Schöpfer,  sondern  als 
Beherrscher  der  Welt  betrachtet,  im  L  Gesänge  des  Paradieses  als  .  .  . 
Amor  ch'l  ciel  governi,  und  im  33.  Ges.  desselben  als  .  .  .  Amor  che 
muove  il  sole  e  l'alti-e  stelle.  Auch  Torquato  Tasso  beginnt  ein  Sonett 
mit  dem  allegorischen  Verse:  Amor  alma  e  del  mondo,  amor  e  meute. 
Diese  anmutigen  Bilder,  die  sich  in  glücklicher  Weise  dem  kosmogonischen 
Mythus  des  Liebesgottes  anschliessen.  können  die  hübsche,  feierliche  An- 
rufung der  Venus,  der  Mutter  Amors  und  der  Göttin  der  Schönheit,  iu 
ihrer  Geltung  als  kosmogonischer  Gottheit,  in  Erinnerung  bringen,  mit 
welcher  Lucrez   seine  Dichtung  De   rerum    natura  beginnt.    Aeneadum 

genetrix.    hominum   divumque  voluptas,    Alma  Venus Es 

erinnert  dieselbe,  besonders  in  ihrem  Schlüsse,  an  das  ganz  bekannte 
Volksmärchen  von  der  Schlange  (oder  einem  sonstigen  Tiere),  die  von 
einer  holden  Jungfrau  geliebt  uud  geheiratet  wird,  hierdurch  ihre  ursprüng- 
liche menschliche  Gestalt  wiedergewinnt  und  so  die  allbekannte  psycho- 
logische Tliatsache  von  dem  gewaltigen  Einfluss,  den  die  Liebe  auf  die 
beseelten  Wesen  und  das  Dasein  ausübt,  erhärtet  und  uus  darthut,  welche 
Wunder  sie  vermag,  sie,  die  deu  Weg  des  Lebens  mit  Rosen  bestreut, 
alles  mit  Anmut  begabt  und  verführerisch  erscheinen  lässt.  Doch  man 
möge  nicht  denken,  dass  wir  uns  hiermit  von  der  Idee  des  Lichtes, 
dem  Gegenstande  unserer  Untersuchung,  entfernen,  denn,  wie  jeder  weiss, 
wurde  die  Göttin  Venus  auch,  um  Dantes  Worte  im  Purgatorium.  C.  1 
zu  gebrauchen. 

Lo  bei  pianeta.  chad  amar  conforta, *) 
1)  Nach  Petrarca  TAinorosa  Stella. 


Soune,  Mond  uiul  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.     367 

uikI  in  tlen  Venushimmel  seines  Paradieses  versetzt  Dante  ja  ilie  liebenden 
Geister. 

Was  die  Liebesgottheit  anbetrifft,  so  ist  die  seelische  Kegung,  die  sie 
verkörpert,  ein  Feuer,  das  sowolil  im  guten  Sinne  zu  verstehen  ist  (wie 
ilenn  in  der  That  die  Metaphern  Eifer,  Inbrunst,  Glut  als  uachdrückliehe 
Bezeichnungen  rühmlicher  Arten  von  Liebe,  z.  B.  derjenigen  gegen  Gott, 
gegen  das  Vaterland  etc..  allgemein  bekannt  sind),  als  auch  schlimme 
Bedeutung  haben  kann,  wie  das  Feuer  als  Strafe  zeigt,  denn  in  den 
Flammen  lässt  Dante  im  Purgatorium  die  Geister  iler  Wollüstigen,  da  ja 
Wollust  ausschweifende  Liebe  ist,  martern;  es  ist  aber  das  Feuer,  die  vom 
Lichte  untrennbare  Wärme,  ein  wesentliches  Element  des  Lebens,  wie  wir 
schon  gesehen  haben,  und  somit  auch  ein  Symbol  dieses. 

In   den  Volksliedern  Italiens  sowie  einiger  anderer  Länder  klingt  der 
heidnisch-kosmogonische  Mythus    des  Liebesgottes    nicht  selten  nach,    und 
zwar    in    der  Identificierung   der  Geburt  einer  schönen  Frau  mit  der  Ent- 
stehung   der  Welt,    des  Lichtes    und  der  Blumen;    daher  rühren  die  aus- 
gezeichneten Feste,  zu  denen  jene  Geburt  überall  Anlass  giebt,  daher  aucli 
der    lebhafte  Streit    unter    all    den   lieblichen  Dingen  der  Welt,    wenn  sie 
der  Jungfrau,    die  geboren  werden  soll,    ihre  Schönheit  leihen,    um  sie  in 
treffsicher   Weise    schmücken    zu    können.      Man    darf   hierbei    aber   nicht 
vergessen,    dass    die  Schönheit    die  Ursache   der  Liebe  ist  (daher  bei  den 
Alten    die   Vorstellung    von    Aplirodite,    der    Göttin    der    Schönlieit,    als 
Mutter  des  Eros,  der  Liebesgottheit),    und  hieraus  glaube  ich  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  folgern  zu  dürfen,    dass  sich  alles,    was  in  den  Volks- 
und Kunstliedern  von  der  Schönheit  der  Frau  gesagt  wird,  in  dem  Mythus 
der  zur  Gottheit  erhobenen  Liebe  wiederfinden  werde,  die  nicht  allein  die 
lioldeste    unter    den  Gottlieitmi    geworden,    sondern    auch    die  älteste   (ein 
Prädikat,    das  ihr  Petrarca  in    dem   1.  Verse  einer  Canzone  des  "2.  Teiles 
seines  Canzoniere  verleiht:  Quell'autiquo  mio  dolce,  empio  signore), 
war   sie    doch  schon  beim  Beginne  aller  Dinge  neben  Chaos  und  Erde  — 
so  scliildert  sie  in  der  That  Hesiod  —  vorhanden.     In  einem  Hymnus  des 
Atharvavedn  wird,   wie  Prof.  Mich.  Kerbaker')   in  einer  Anmerkung  zu 
der    daraus    entstandenen  Prosaversion    bemerkt    hat,    die  Liebe   (Kania) 
nicht  sowohl    in  ihrer  menschlichen  und  psychologischen,    als  vielmehr  in 
ihrer    kosmogonischen  Bedeutung  betrachtet,    und  zwar  als  die  Naturkraft 
angesehen,  die  die  lebenden  Spezies  fortpflanzt  und  vervollkommnet,  indem 
sie    in    dem  Wettkampf    des  Lebens    den   besseren  Individuen   zum  Siege 
hilft.     Auswahl    bedeutet    notwendigerweise  Ausschluss   von  Mitbewerbern, 
und    so   ist   dieser  die  Herzen  versöhnende  und  Freude  spendende  Genius 
zu  gleicher  Zeit  der  Genius  des  Hasses  und  der  Zerstörung,    fast  wie  der 

1,1  S.  Has.M^i;iia   dclla  lettera t ura  italiana  e  stranicra  1.  No.  ll>,  v.  30.  Nov. 
IS'JO,  S.  2. 


368  Prato: 

Schaft  des  Achilles,  der  gleichzeitig  verwundete  und  heilte.  Virag"  (vgl. 
das  ital.  virago,  das  ein  kräftiges,  stämmiges  Weib  bezeichnet)  ist  der 
Name,  der  dem  weiblichen,  materiellen  Princip,  d.  h.  der  allgemeinen 
Natur,  auch  Prakriti  geheissen,  gegeben  worden,  und  dieses  besteht  von 
Ewigkeit  an  neben  dem  aktiven,  bildenden  Princip  her,  darum  heisst  es: 
„Di  padre  eterno  coeterna  figlia*.  Jene  Yirag'  (deren  Name 
strahlend  bedeutet)  wurde  Vac  oder  Stimme  genannt,  insofern  sie  sich  in 
sinnlich  wahrnehmbarer  Weise  offenbart  und  spricht'),  und  unter  dem 
Sinnbild  der  Kuh  dargestellt,  um  ihre  unerschöpfliche,  endlose  Fruchtbar- 
keit anzudeuten.  Die  kosmogonische  Auffassung  der  Liebe,  die  sich  hierin 
kennzeichnet,  zeigt  einige  Berührungspunkte  mit  den  Lehren  der  gTiechischen 
Philosophen.  Es  mag  genügen  hier  folgende  Stelle  aus  Piatos  Symposion 
zu  eitleren :  „Eros  hatte  keine  Erzeuger  und  niemals  ist  von  irgend  einem 
gewöhnlichen  Menschen  oder  einem  Dichter  gesagt  worden,  dass  er  deren 
zuvor  gehabt  habe.^)  Parmenides  bemerkt  zur  Schöpfungsgeschichte,  dass 
Eros  vor  allen  übrigen  Göttern  eingesetzt  worden.  Auch  Acusilaos  stimmt 
mit  Hesiod  überein.  Soviele  Zeugnisse  treffen  in  der  Anschauung  zusammen, 
dass  Eros  eine  sehr  alte  Gottheitt  sei."  (Symp.  VI.)  „Die  wohlthätige 
Liebe,  sagt  Aristophanes,  die  mit  goldenen  Flügeln  geschmückt  ist.  gab. 
nachdem  sie  sich  mit  dem  Chaos  vereinigt,  Männern  und  Frauen  ihren 
ürsprimg;  bevor  die  Liebe  alle  Dinge  von  einander  schied,  gab  es  noch 
keine  Gottheiten  und  nur  jene  Mischung  erzeugte  den  Himmel  und  die 
Erde,  wie  auch  das  Geschleclit  der  unsterblichen  Götter." 

Li  dem  oben  angezogenen  Hymnus  des  Atharvaveda  ist  das  weibliche 
kosmogonische  Princip  die  Stimme,  das  Wort,  und  in  der  Genesis  lässt 
das  thaumaturgische  Wort  Gottes  (in  dem  echten  griechischen  Sinne  zu 
verstehen):    Fiat    lux,    das  Licht,    das  Princip  von  Leben  und  Schönheit 


1)  Im  Griech.  stammt  das  Vb.  (piffii,  sagen,  von  cpäw,  dessen  Bedeutung  glänzen 
ist,  daher  «y'cöc,  cpwrös.  wie  auch  im  Lateinischen  loquor  (vgl  lucet)  nach  Bopp, 
Glossarium  comparativum  linguae  sanskritae  vom  sanskr.  lok,  glänzen,  her- 
stammt. So  kommt  auch  das  lateinische  Vb.  dico  (altlat.  deico'  von  SeUo),  zeigen,  ent- 
hüllen (und  da  das  Wort  den  (Jedanken  zeigt,  enthüllt,  sprechen):  da  nun  aber  das  Licht 
dieses  ennöglicht,  so  haben  wir  auch  hier  eine  mit  den  vorhergehenden  übereinstimmende 
Metapher.  Dante  sagt  demgemäss  im  1.  Gesänge  des  Inferno:  Mi  ripingeva  lä  dove 
il  sol  tace  (d.  h.  nicht  glänzt)  und  desgleichen  im  5.  Gesänge  ibid.:  Jo  venni  in  loco 
d'ogni  luce  muto  (d.  h.  beraubt'.  Schon  Jesaia  hatte  gesagt:  Ne  taceat  pupilla 
oculi  tui.  Thatsächlich  reden  ja  die  sinnlich  wahi'nehmbaren  Dinge,  indem  sie  sich 
vermöge  der  Farben,  mit  denen  das  Licht  sie  bekleidet,  unserm  Auge  in  angenehmen 
Formen  offenbaren,  eine  ästhetische  Sprache,  die  uns  zwar-  nur  durch  den  Gesichtssinn 
mitgeteilt  wird:  ein  moderner  Dichter  sagt  darnm  von  der  untergehenden  Sonne: 

Da  im  pio  saluto  alle  campagne,  ai  monti. 
E  in  niistico  Unguaggio 
Sembra  annmiziare  che  ogni  cosa  intorno 
E  nasce  e  muor  coll'armonia  del  giorno. 

2)  Nach  anderen  hätte  wirklich  .Amor  in  Venus  eine  Mutter  nuliabt. 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Scliönheitssynibcde  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      369 

im  Weltall,  entstehen;  das  Wort  ist  der  Verkünder  der  Weisheit')  ixnd 
diese  lässt  Salonio,  der  sie  im  8.  Buche  der  Sprüche  als  persönliches 
Wesen  einführt,  V.  2'2  ff.  von  sich  sagen:  V.  22  Dominus  possedit  me  in 
initio  viarum  suarum,  antequam  quidquani  faceret  a  principio;  V.  23  Ab 
aeterno  ordinata  sum  et  ex  antiquis,  antequam  terra  fieret  .  .  .;  V.  27 
Quando  praeparabat  coelos  adoram,  quando  certa  lege  et  gyro  vallabat 
abyssos  .  .  .  ;  V.  30  Cum  eo  eram  cimcta  componens  .... 

Den  kosmogonischen  Mythus  von  dem  männlichen  Princip  der  Liebe 
bei  den  Indern  und  Griechen  hat  Vincenzo  Monti  ohne  Zweifel  im  Auge 
gehabt,  als  er  sich  in  seinem  schönen  Capitel  La  Bellezza  dell'  Universo 
gerade  so,  wie  in  der  Heiligen  Schrift  die  Weisheit  als  Personificierung 
der  Ewigen  Kraft  gedacht  wird,  die  Schönheit  vorstellte  als: 
Della  mente  di  Dio  Candida  figlia, 

Prima  d'amor  germana  e  di  natura, 

Amabile  compagna  e  maraviglia: 
Madre  de'  dolci  affetti  e  dolce  cura 

DelFuom  che  varca  pellegrino,  errante 

Questa  valle  d'esiglio  e  di  sciagura  .  .  . 

In  diesem  Capitel  denkt  sich  der  Dichter  auch,  dass  die  Schönheit  in 
Verbindung  mit  der  Ewigen  Weisheit  und  mit  (rott  die  Ordnung  und  die 
Formen  der  Welt  eingerichtet  und  ihr  somit  Dasein  und  Leben  gegeben 
habe,  wie  es  der  oben  angedeuteten  biblischen  Vorstellung  entspricht. 
Bekennt  man  sich  übrigens  zu  der  schon  erwähnten  von  Max  Müller  auf- 
gestellten Etymologie  von  Eros,  das  er  mit  'Emog  (Agni  Aushasya),  einer 
männlichen  Morgenröte  oder  vielmehr  einer  Art  aufgehender  Sonne  in  den 
Veden  (so  dünkt  uns  die  Liebe  in  der  That  zuerst),  für  identisch  hält,  so 
würde  sich  die  läebe,  die  Urheberin  des  Weltalls  wie  im  Mythus,  mit  der 
Sonne  und  dem  Lichte,  der  Quelle  und  dem  Princip  des  Lebens,  identi- 
ficieren  lassen,  und  zwar  nicht  ohne  psychologische  und  mythologische  Be- 
rechtigung^); denn  wenn  die  Liebe  als  Gefühl  die  Vermehrung  der  lebenden 

1)  Man  beachte:  Weisheit  ist  Wahrheit,  das  Licht  des  Intellektes;  aus  diesem  Grunde 
wird  jene  denn  in  dem  nachher  zu  erwähnenden  l'^apitel  bei  Monti  mit  der  Schönheit,  dem 
Lichte  der  Phantasie,  und  mit  Gott,  dem  unerschafi'enen,  geistigen  Lichte,  verbunden, 
lind  sehr  wohl  vertragen  sich  Weisheit  und  Schönheit,  d.  i.  Kunst,  mit  einander,  nicht 
allein  weil  sie  beide  Liclit  sind,  sondern  auch  weil  das  Schöne,  um  mit  Plato  zu  reden, 
der  Glcinz  des  Wahren  und  des  Guten  ist. 

2)  Guido  «iuinicelli  singt  in  seiner  Canzone  A  cor  geutil  ripara  sempre  amore, 
Str.  1: 

Ne  fe'  amor  anti  che  gentil  core, 

Ne  gentil  cor  anti  che  amor  natura, 

Ohe  adesso,  com'  fu  il  sole, 

Si  testo  fue  lo  spleudor  lucente, 

Ne  fu  davanti  al  sole. 

E  prende  amore  in  gentilezza  loco 

Cosi  propr'iamcnte, 

Come  il  calore  in  chiaritä  di  foco. 


370  Prato : 

Wesen  und  den  Bestand  des  menschlichen  Lebens  bewirkt,  so  sind  Sonne 
und  Licht  physisch  Princip  und  Ursache  der  Fortdauer  des  menschlichen 
Lebens  wie  desjenigen  des  Universums.  Im  vedischen  Mythus  wird  Arusha 
(die  liiebe)  beim  Beginne  eines  jeden  Tages  neu  geboren,  aber  Kama, 
der  wahre  Liebesgott  in  den  Veden,  wird  als  eine  Scliöpfungskraft  dar- 
gestellt, und  im  AtharvaTeda  wird  nach  dem  oben  citierten  Hymnus  Kama, 
insofern  er  erschaffende  und  zerstörende  Gottheit  ist,  mit  dem  Gotte  des 
Feuers  und  des  Lichtes.  Agni,  verwechselt;  daher  denn  für  Lucrez  das 
Recht  zur  Anrufung  der  als  Princip  des  Lebens  und  der  Schönheit  des 
Universums  gedachten  Aphrodite,  der  Mutter  Amors.  Oben  habe  ich  darauf 
hingewiesen,  dass  die  Liebe  als  Gefühl,  sei  es  die  edle  (vgl.  die  genannten 
metaphorischen  Ausdrücke  Eifer,  Inbrunst,  Glut),  sei  es  die  unedle 
Liebe  oder  Wollust  (vgl.  die  von  Dante  im  Purg.  über  sie  verhängte 
Peuerstrafe)  ein  in  der  Seele  glühendes  Feuer  ist,  das  im  ersteren  Falle 
der  vortrefflichen,  rühmlichen,  heroischen  Handlungen  wegen,  die  es  her- 
vorruft. Princip  des  Lebens,  im  anderen  Falle  aber  auf  Grund  der  Misse- 
thaten  und  Vergehen,  die  es  anstiftet,  Princip  des  Todes  ist.  Deswegen 
ist  sie  auch  psychologisch  betrachtet  schaffendes  und  zerstörendes  Princip 
und  als  Feuer,  Glut  im  Wesen  mit  der  Seele  verwandt,  die  darum  von 
den  Griechen  Qi'jlios.  Dampf,  Rauch  (vgl.  skr.  d'ümä),  von  Oveiv,  brennen, 
genannt  wird,  ein  Umstand,  aus  dem  sich  erklärt,  dass  die  Seele  ideo- 
graphisch oft  unter  dem  Bilde  einer  hüpfenden  Flamme  dargestellt  ist. 
Man  wird  sich  hier  des  Prometheus  erinnern,  der  aus  dem  Sonueurade 
den  Feuerfunken  entwendete  und,  nachdem  er  ihn  in  dem  Stengel  der 
Rutenpflanze  (vaadijg)  verborgen,  auf  die  Erde  brachte.  Die  Commentatoren 
dieses  Mythus  haben  sich  unter  demselben  verschiedene  Arten  von  Feuer 
vorgestellt,  nämlich  unser  Herdfeuer  und  die  Wärme  des  menschlichen 
Körpers,  die  Seele;  Prometheus  wäre  also  der  Begründer  des  physischen, 
geistigen .  und  sittlichen  Lebens  gewesen  und  hätte  das  Menschengeschlecht 
um  eine  der  kostbarsten  Wohlthaten  bereichert,  daher  denn  die  Apotheose 
dieses  Heroen  durch  den  -griechischen  Geist.  Man  weiss  ferner  allgemein, 
dass  Vesta  (griech. 'Eor/a)  die  Göttin  des  Feuers  war.  eine  Personificierung 
des  letzteren,  in  der  es  wiederum  die  Bedeutung  als  Zerstörer,  Verzehrer, 
aber  zugleich  auch  als  Pfleger,  Ernährer  annimmt  (vgl.  das  verwandte  Vb. 
io3kiv  verschlingen,  verzehi'en  und  essen,  sich  nähren,  von  sdeiv,  womit 
<his  lat.  edere,  essen,  skr.  ad,  sich  nähren,  urverwandt  ist).  In  der  That 
hatten  ja  die  Priesterinneu  dieser  Göttin  die  Verpfliclitung  das  heilige  Feuer 
derselben  sorgsam  zu  hüten,  da  von  seiner  Erhaltung  diejenige  des  Lebens, 
sowie  die  Fortdauer  der  Stadt  und  des  Staates,  woselbst  es  brannte, 
abhing;  lebendig  wurden  diejenigen  von  ihnen  verbraiuit.  die  es  ausgehen 
Hessen.  Auch  in  diesem  Mythus  ist  das  Feuer  Symbol  des  Lebens.  Im 
Semitischen  tragen  Tliä  und  Tä,  Sciaa  und  Sciä  die  Bedeutungen  einer- 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.      371 

seits  strahlende  Sonne,  Lieht,  Glanz,  Waehi3tum  der  Ähren, 
andererseits  brennen,  verbrennen.  Feuerfangen,  das  Feuernähren, 
die  alle  an  das  ägyptische  Wort  Phtah,  Feuer,  gemahnen.  Die  Griechen 
liatten  als  Gott  des  Feuers  noch  den  Hephaestos,  Vulkan  (der  der  himm- 
lische Schmied  der  Götter  war  und.  wie  die  Sage  ging,  unter  dem  feuer- 
s|>eienden  Aetna,  dem  flammenrlen,  von  a'i'&siv  brennen,  wohnte);  er  ent- 
sprielit  dem  Abesto  der  Semiten  (gebildet  aus  ab  und  esto),  der  besagt: 
Vater  des  Feuers,  und  dieser  ist  sicher  identisch  mit  dem  ägyptischen 
Phtä,  dessen  Sinn  ist:  Nährer  des  Feuers,  befruchtende  Wärme 
der  Vegetation,  derjenige,  der  bestrahlt,  erwärmt  und  verbrennt, 
und  der  somit  auch  mit  dem  griech.  Hephaestos  und  dem  indischen  Agni 
vollkommen  sinnverwandt  ist.  Die  arabische  Wurzel  lehrt  uns.  dass  Plith 
den  Urheber  des  Feuers,  das  Princip  der  befruchtenden  Wärme,  be- 
zeichnet, und  liierauf  passt  ebenso  sehr  das  mystische  Tetreschar 
(tetrescare),  das  Michelangiolo  Lanci')  entdeckt  und  erklärt  hat.  wie 
die  für  seinen  Namen  gefundenen  Hieroglyphen  Die  drei  Symbole,  die 
den  Phtk  ideographisch  darstellen,  sind  zudem  ein  durchfurchtes  Feld, 
die  Hemisphäre  und  die  drei  Sonnen  darüber  innerhalb  eines  Kreises;  das 
erste  Sinnbild  ist  das  ph.  das  zweite  das  t  oder  th,  <las  dritte  ain  und 
alle  drei  zusammen  sind  soviel  wie  Phtä.  Gleichzeitig  geben  sie  aber 
dem  Kenner  lieiliger  Inschriften,  der  von  dem  Grundsatze  ausgeht  die 
Hieroglyphen  nach  zwiefacher  Manier,  phonetisch  und  symbolisch  zu  lesen, 
deutlich    zu  verstehen,    dass  der    Gott    des  Feuers,    das  Princip    der 

;      Sonnenwärme  in  den  drei  Momenten  des  Aufganges,  des  Mittags 

[  und  des  Unterganges^),  gemeint  ist,  dass  er  jeden  Tag  im  Jahre  den 
II  immelsbogen    auf  unserer    Hemisphäre   durchmisst    und  dass  er 

j  allezeit  die  Saaten  befruchtet.  Dem  Phtk  steht  im  ägyptischen 
Kultus  Anuki  gegenüber,  die  abend-  und  morgenländische  Vesta,  die 
von  ihren  Dienerinnen  das  Gelübde  der  Keuschheit  verlangte.  Im  Kultus 
der  Göttin  Anuki  gelangte  die  Priesterin  Tebbä  zur  Berühmtheit,  und 
die  alten  Araber  pflegten  mit  dem  Namen  Anuki  auch  den  Herd  oder 
Leuchter    zu    bezeichnen,    der    der  Götthi  geweiht  war.     Der  Gott  Miti-a 

'  bei  den  Orientalen  verkörperte  die  beiden  entgegengesetzten  Principien 
der  Zerstönmg  uiul  der  Erhaltung,  des  Todes  und  des  Lebens;  Mitra 
cider  Metra    ergiebt    rückwärts    gelesen  Artem    mit   dem   gleichen  Sinne. 

1)  Michelangiolo  Lauci,  Paralipomeni  alla  illustrazioiie  dclla  Sacra 
Scrittura  per  inonumenti  feuicoassiri  ed  egiziaui,  Bd.  1,  Paris,  Dondey-Dupre, 
1845,  Gap.  3. 

2)  Daher  liest  mau  denn  in  der  Oper  Aida,  die  einen  ägyptischen  Stoff  behandelt, 
folgenden  Hymnus  an  Phtä,  den  Gott  der  Sonne  und  des  Feuers: 

Allmäclit'ger  Phta,  urew'ger      Allmiicht'ger  Phtä,  Befruchter,      Dich,    unerschaffnes  Feuer, 
Lebenshauch  der  Welt.  Schöpferhaucb  der  Welt,  '  Der  Sonne  Lebenslicht, 

Dich  rufen  wir!  Dich  rufen  wir!  Dich  rufen  wir! 

Zeitsi'ljr.  .1.  Vereins  f.  Volkskunde.     lsi(;i.  26 


37-2 


Fiato : 


Zerlegt    man    das  Wort    in    seine    beiden  Hälften  niet-ra,    so   führen  die 
semitischen    Wurzeln    ganz    klar    auf   die    Bedeutungen    verderben    und 
ernähren,    sterben    und    leben    lassen  nacheinander:    wenn  man  aber 
das  Wort    in    der    umgekehrten  Lautfolge  Artem    betrachtet    und   sich  in 
ar-tem    abteilt,    so    ergeben    hier   die   hebräischen  AVörter   die   eutgegen- 
»esetzte  Bedeutungsordnung  erwecken  und  aufzehren,  sodass,  während 
in  Mitra  oder  nach  orientalischer  Aussprache  Metra  das  Leben  dem  Tode 
folgt,    es    in   Artem    diesem    voraufgeht.     Zu    beachten    ist    auch,    dass   iu 
sinnbildlicher  Darstellung  der  Gott  auf  der  einen  Seite  zwar,  wenn  er  den 
Stier    umbringt,    die    Zerstörung    vergegenwärtigt,    andererseits    aber    mit 
Hilfe  der  reifen  Ähren,   die  er  statt   des  Büschels   des  Stierschwanzes  dar- 
bietet, darauf  hinweist,   dass  er  zugleich  Erhalter  der  lebenden  Wesen  sei. 
So  scheint  denn  Mitra  etwas  mit  dem  ägjqjtischen  Refö  und  dem  mosaischen 
Hohi.    d.  h.    mit    dem    verkehrt    ausgesprochenen    und    dann  zu  profanen 
Zwecken  verwendeten  heiligen  Worte  gemein  gehabt  zu  haben.    Es  scheint 
sogar    auch,    als  sei  hiervon  die  griechische  Artemis  (wie  Diana  bei  den 
Griechen    bezeichnet  wurde)    ausgegangen,    wenn  m;u»  in  Erwägung  zieht, 
dass  Mitra    und  Artem,    ähnlich    wie    das    geheime    und    offene   Tetra- 
grammaton  der  Hebräer,   zwei  Wortanfänge  haben,  die  einen  Gegensatz 
ausmachen.     Mitra  und  Artem  (mau  beachte,  dass  Plioebus  und  Diana 
im    griechisch-lateinischen  Mythus  Geschwister  heissen,    gleicliwie  Apollo 
und  Artemis,    die    nur    andere  Benennungen    derselben  Gottheiten    sind) 
sind  also  zwei  Namen,  die  auf  den  Gegensatz  in  der  Person  eines  einzigen, 
zwiefach  gearteten  Gottes  hinweisen,    und  von  diesen  Namen  machten  die 
Mystagogen,    da   ja    der    eine  vom  Tode,  der  andere  vom  Leben  ausging, 
unter  verschiedenartigen  Verhältnissen  im  Kultus  Gebrauch.  Und  zwar  riefen 
die    Orientalen,    wenn    sie    die    göttliche    Gerechtigkeit,    die    Hüteriii    der 
Völkerrechte,    erflehen    wollten,    vielleicht    den  Mitra   au.    richteten  aber 
dann    ihr  Gebet    um    die  Gnade    und  Wohlthat    des  Himmels   an   Artem: 
hieraus   entsprang   die  Form  Artemis,    die  die  weibliche  Seite  der  Sonne 
und    nicht  vielmehr   des  Mondes  ist.     Diese  Betrachtungen  über  das  Wort 
metra  folgen  ganz  der  Methode,  nacli  welcher   die  semitischen  Völker  im 
Orient,    der  Weisung    ihrer  Buchstaben   und  ihrer  natürlichen  Empfindung 
gemäss,   jene    Gottheit    verstanden.     Sollten   jedoch    gelehrte   Archäologen 
und  hervorragende  Interpreten  in  Mitra  die  Geltung  des  indischen  Namens 
io  (ahäm,  von  gleicher  Wurzel  mit  ah.  sagen,  sprechen),  der.  ein  japhe- 
tisches  Wort,  den  Sinn  von  /ö/os,  Wort,  besitzt,  ermitteln,  als  wäre  mitra 
das  Wort,    der  Spruch  iu  höherem  Sinne',    so  beseitigt  dies  keineswegs 


1)  Vergleiche  die  oben  erwähnte  Virag'  oder  Prakriti,  als  weibliches  kosmo- 
gonisches  Princip  Vac,  Stimme,  gelieissen:  auch  vgl.  die  kosmogonische  Göttin  der 
Inder  Sarawati,  die  Gattin  Brahmas,  die  Göttin  des  Wortes  und  das  Wort  selbst,  eine 
Persouificierung  der  Macht  und  Weisheit  Brahmas:  und  schliesslich  die  Vorstellung  von 
der  Wei.slieit    als    kosmogonischom    Princip.    das    von  Ewigkeit  an  besteht,    der  ('hristus- 


Sonne,  Mnnd  und  Sterne  als  Scliönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -I^iedern.     373 

die  Idee  vom  Tode  und  vom  Leben,  die  wir  in  demselben  wahrgenommen 
iiaben,  da  auch  die  Hebräer,  wenn  sie  für  erhabene  Rede  ihr  heiliges 
Tetragrammaton  als  Name,  Wort,  Losung,  gelten  Hessen,  die  tiefen 
religiösen  Bedeutungen,  die  es  enthielt,  nicht  von  ihm  ausschlössen.  Spürten 
also  die  Inder  oder  die  Perser  in  Mitra  ewig  den  Sinn  Wort,  so  darf  man 
glauben,  dass  dies  seine  offene  Bedeutung  gewesen  sei,  auch  ist  ja  allgemein 
l)ekannt,  in  welclier  Weise  sich  Jehova,  wenn  er  erschien,  den  Hebräern 
im  allgemeinen  zu  erkennen  gab.  Wie  dieser  aber  auch  mystische  Züge 
trug,  die  man  gemeinhin  niclit  kannte,  so  musste  auch  Mitra  mystische 
Bedeutungen  in  sich  fassen,  die  sich  nicht  weit  von  dem  Charakter  und 
der  Natur  entfernten,  die  sich  durch  alle  heiligen  Tetragrammata  zieht  und 
ihnen  allen  Form  und  Gestalt  giebt.  Sollte  man  nicht  vielleicht  annehmen 
dürfen,  dass  Mitra,  der  Tod  und  Leben  verleihende  Gott,  der  von  den 
Asiaten  nach  den  beiden  Namen  Madbaco  und  Selamani,  Verwunder 
und  Heiler,  geschieden  worden,  aus  gewissen  schriftlichen  Normen,  die  die 
göttliche  Allmacht  ausdrückten,  hervorgegangen  sei.  wie  z.  B.  die  folgende 
im  5.  Buch  Mose.  Deuter.  Gap.  32,  39  ist:  Ich  kann  töten  und  lebendig 
machen,  ich  kann  schlagen  und  kann  heilen.  Und  wenn  der  Mitra- 
le; ultus  der  mosaischen  Gesetzgebung  zeitlich  vorausgegangen  ist,  sollte 
man  nicht  in  diesen  heiligen  Worten  einen  Vorwurf  gegen  die  Verehrer 
einer  fremden  Gottheit  zu  sehen  haben  und  zwar  glauben,  dass  sich  in  ihr 
das  doppelte  Vermögen  sterben  zu  lassen  und  leben  zu  lassen,  wie 
es  eben  der  Name  Mitra  zu  erkennen  giebt,  vereinigt  habe  —  jenes  Ver- 
mögen, das  den  Gott  Israels  so  ganz  cliarakterisiert? 

Humboldt  stellt  in  seinem  Kosmos  viele  Beispiele  von  Mythen  ver- 
schiedener Länder  zusammen,  aus  denen  sich  der  kosmogonische  Charakter 
der  Sonnen-  und  der  Mondgottheit  ergiebt.  Bei  den  Indern  und  Amerikanern 
wäre  die  allgemeine  Sintflut  durch  Schia  (die  Mondgöttin),  die  Gattin  des 
Botchika  (des  Sonnengottes),  erzeugt  worden,  die  sich  damals  noch  niclit 
im  Himmel,  sondern  noch  auf  der  Erde  befand;  der  letztere  empfand 
Mitleid  mit  den  Menschen,  vertrieb  den  Mond,  seine  Gattin,  von  der  Erde 
und  schaffte  sie  in  den  Himmel.  Nach  den  Huronen  veranlasst  die  Mond- 
göttin Aataentsic,  die  Mutter  oder  Grossmutter  des  Sonnengottes  Jouseka, 
die,  obwohl  Schöpferin  der  Erde  und  des  Menschen,  doch  Urheberin  seines 
Verderbens  ist.  den  Tod  desselben  und  beherrscht  das  Reich  der  Seelen, 
während  Jouseka  umgekehrt  für  das  Heil  des  Menschen  sorgt  und  das 
Prineip  der  Erhaltung  seines  Lebens  darstellt.  Nach  Dupuy  (Origine  de 
la  fable)  wurde  in  einem  indischen  Tempel  eine  Bronzetafel  gefunden, 
die    ein    kosmogonisches  Denkmal  von  hoher  Bedeutung  bildet;    sie  zeigt 


Personifikation  bei  Salomo  und  die  Vorstellung  von  der  Schönheit  (in  Verbindung  mit 
der  Weisheit  und  mit  Gott)  als  kosmogonischem  Prineip  bei  Monti  an  den  angeführten 
Stellen. 

2ü* 


374  Prato: 

das  ins  Meer  getauchte  kosmische  Ei  und  einen  aufrecht  stehenden  Stier. 
der  seinen  Fuss  auf  das  Ei  gehoben  hat:  der  Stier  ist  in  dem  Sternen- 
glauben der  Inder  Symbol  der  Lebenskraft  in  der  Welt  und  heisst  als 
solcher  Taurus,  exaltatio  Lunae.  Es  ist  eine  Anspielung  auf  die  all- 
gemeine Sintflut,  jene  unter  den  Völkern  der  Welt  so  verbreitete  Tradition, 
die  in  dem  Wasser  zur  Anschauung  gebracht  ist.  Das  Ei,  die  künftige 
Fruchtbarkeit,  repräsentiert  den  Mondkontineut.  Schia,  Tulla  die  Last  der 
Erde,  deren  Erhöhung  dem  Menschen  den  Besitz  der  fruchtbaren  Regionen 
unter  dem  Wasser  wiedergeben  wird,  und  der  Taurus,  exaltatio  Lunae. 
versinnbildlicht  die  Allmacht,  welche  das  traditionelle  Wunder  der  Erd- 
liildung  vollbringt. ') 

Aus  den  bisherigen  Beobachtuugen  erhellt  nicht  nur  die  Verwandtschaft 
Gottes  und  seiner  Schöpferkraft  mit  der  Sonne  und  dem  Lichte,  das 
gleichsam  sein  erlesenstes  Symbol  ist.  sondern  auch  mit  der  Liebe,  als 
kosmogonische  Gottheit  betrachtet,  und  so  die  Berechtigung  für  Dante  zu 
behaupten,  dass  lAmor  Divino  Messe  dapprima  quelle  cose  belle 
(d.  h.  das  Universum)  und  eben  dieser  Amore  il  ciel  governa.  Die 
Sonne  ist  vermöge  ihres  Lichtes  und  der  Wärme  Prinzip  des  Lebens  (wir 
haben  oben  die  Identificieruug  des  Gottes  der  Sonne  mit  dem  (Jotte  des 
Feuers  —  beides  Prinzipe  der  Erzeugung  und  Erhaltung  des  Lebens  — 
gesehen)  und  gleichzeitig  ist  sie  Prinzip  der  Schönheit*),  da  sie  den 
Gegenständen  die  mannigfaltigen  Farben  verleiht,  denen  sie  ihren  Reiz 
verdanken.  Gott  ist  der  Schöpfer  und  Erhalter  des  menschlichen  Lebens 
und  der  Welt,  und  als  solcher  ist  er  eben  die  unerschaffene  Schönheit. 
Audi  der  Mond,  der  das  Licht,  das  ihn  erfüllt,  von  der  Sonne  empfänüt. 
kann  zum  Sinnbild  der  Schönheit  werden.  Die  Liebe  als  kosmogonische 
Gottheit  ist  der  allegorische  Ausdruck  des  Gefühls,  das  die  Menschen  ver- 
brüdert und  für  die  Vervielfätigung  der  lebenden  Wesen,  insonderheit  des 
Menschen  Sorge  trägt;  sie  ist  gleichfalls  Prinzi])  des  Lebens  sowie  der 
Schönheit,  ist  sie  doch  die  Wirkung,  die  der  Anblick  menschlicher  Schön- 
heit in  Personen  verschiedenen  Geschlechtes  hinterlässt,  und  begeistert  sie 
doch  deu,  der  von  ihr  ergriffen  wird,  zum  Preise  der  Schönheit,  der  sich 
aus    dem  Lichte,    dem  Prinzip    physischer  Schönheit,    also    aus   der  Sonne 

1)  Morel  Rathsam  hausen,  Descrijition  de  1  ad  eruiere  epoquegeologiqne: 
Mythes  et  Legendes  cosmogoniques  dos  divers  peuples  de  l'antiquiti'; 
L'liumanite  ä  l'epoque  tertiaire,  Paris,  Fischbachcr,  S.  16. 

2)  Kvü.ö;  stammt  von  y.aleir  brennen;  auch  hei  den  Russen  floss  aus  dem  Rot  des 
Feuers  (krasni)  die  Idee  des  Schönen  (pvokrasni^;  auch  das  ital.  hello,  aus  tat. 
bellus  =  altlat.  duellus,  divellus,  geht,  wie  die  Sanskrit-Wui'zel  div  zeigt,  deren  Be- 
deutung leuchten  ist,  aus  der  Idee  des  Lichtes  hervor,  pul  eher  aus  tioUk  und  ;?eo'o,  as 
Farbe  (also  aus  vielfältigen  Farben  bestehend)  verknüpft  sich  gleichfalls  mit  der  Idee  des 
Lichtes,  die  in  diesem  AYorte  umschrieben  (setzt  sich  doch  das  Licht  aus  den  Farben 
zusammen)  zum  Ausdruck  gelangt:  und  geht  der  Name  für  die  Wissenschaft  des  Schöneu, 
die  Ästhetik,  auf  das  griech.  alado;,  Wärme,  Hitze  zurück. 


Scjiiiic,  Mdiid  1111(1  Sfcruo  al«  iSchönlieilssynibnle  in  Viilksiiiarclini  und  -Lioderii.      375 

und  aiH'li  dem  Moiulü  und  don  Sternen  erscliliesst.  Die  jisychologische 
Thatsache  von  dem  Ursprung  der  Liebe  in  dem  Anschauen  weiblicher 
Schönheit  flösste  den  Alten  den  Mythus  von  dem  Grotte  Eros  als  Sohn  der 
Aphrodite,  der  Göttin  der  Schönheit,  ein. 

Um  nun  von  einer  anderen  Seite  das  Bild  der  Sonne  zu  beleuchten, 
das  Verwendung  fand,  um  von  der  Schönheit  junger  Mätlchen  einen  Begriff 
zu  geben,  so  sei  es  mir  gestattet,  ein  hübsches  sicilianisches  Volkslied 
anzuführen,  das  Prof.  Alessaudro  d'Ancona  sich  mit  Recht  litterarischen 
Ursprungs  denkt:  es  lautet: 

La  luna  e  bianca,  e  vu'  (voi)  brunetta  siti  (siete); 

Idda  (ella)  e  d'argentu,  e  vu'  l'oru  purtati  (portate); 

La  luua  nun  (non)  ä  ciammi  (flamme)  e  vu'  Taviti  (Favete); 

Idda  la  luci  (luee)  spanni  (spande)  e  vu'  la  dati  (date); 

La  luua  manca  e  vu'  sempre  crisciti  (erescete); 

Idda  saggrissa  rs'eclissa)  e  vu'  uun  vaggrissati  (eclissate); 

Adunca  ca  la  luna  vu'  viuciti  (vincete), 

Bedda  (bella)  suli  (sole)  e  no'  (non)  luna  vi  chiamati  (chiamate).') 

Bei  den  Provonzalen  ist  der  Gebrauch  dieses  hübschen  Bildes  nicht 
selten;  Beinard  v.  Ventadorn  drückt  seine  Bewunderung  für  die  Schönheit 
seiner  Dame  in  einem  den  vorhergeheuden  ähidichen  Bilde  aus:  „In  ihrer 
Schönlieit  glänzt  sie  wie  ein  schöner  Tag  und  strahlt  sie  in  der  dunklen 
Nacht."  Und  Carcamon  schreibt:  „Wenn  die  W^elt  finster  wird,  so  strahlt 
es  da,  wo  sie  (die  Dame)  weilt."  Li  dem  Gedicht  über  Boethius  liest 
man:  „Das  Haus,  in  das  sie  eintritt,  empfängt  von  ihr  hellglänzendes 
Lieht."  Dante  sagt  von  den  Augen  der*Beatrice  im  2.  Gesänge  der  Hölle: 
Lucevan  gli  occhi  suoi  piü  che  la  stella  (die  Sonne). '')     Petrarca  sagt  von 


1)  Eine  calabrcsische  Version  lautet: 

li»  luna  e  bianca  o  vu'  brunotta  siti, 

Iddha  (ella)  l'argentu  e  vu'  Foru  purtati, 

La  luna  aiiinianca  e  vu'  seuipre  crisciti, 

Iddha  perdi  la  luci,  e  vu'  la  dati; 

Iddha  lu  scuru  (l'oscuro)  e  vu'  a  iddha  viuciti, 

Iddha  s'accrissa  e  vu'  nun  v'accrissati: 

Vu'  lu  suli  e  la  luna  ca  (qua)  vi  uniti, 

Ma  ue  suli,  ne  luna  vi  chiamati. 

2)  Bei  Achille  Millieu,  Chants  populaires  de  la  Greco,  de  la  Serbie  et 
du  Montenegro,  Paris,  Alph.  Lemerre  1891;  Chants  grecs  S.  50—51  liest  man:  Die 
Stolze  Schöne:  Zwischen  zwei  Meeren  erhebt  sich  ein  gar  fester  Turm.  Ein  junges 
Mädchen  mit  blondem  Haar  steht  auf  ihm  in  stolzer  Haltung.  Sie  setzt  sich  nieder, 
l)reitet  die  Geschmeide  aus,  mit  denen  sie  ihre  Schönheit  zu  schmücken  liebt,  bewundert 
sie,  öü'net  sie  und  schliesst  sie  wieder.  Sie  spricht  zur  Sonne:  „Wie  lange  währt  doch 
dein  Kommen!  0,  Sonne,  wer  hemmt  dich  denn  nur  und  verzögert  so  sehr  deinen  Lauf? 
%;ige  ilich,  tritt  hervor  aus  der  ■Wulkenmitte,  zu  derselben  Zeit,  da  auch  ich  vor  dir 
erscheinen  will.  —  Sonne,  arme  Sonne,    deine  Flamme,    die  feurigste,    kaum  kann  sie  das 


37()  Prato: 

Laura:  wenn  sie  von  dauuen  geht,  so  verfinstert  sicli  alsbak)  der  Himmel 
nnd  Stürme  erheben  sich;  kehrt  sie  aber  zurück,  so  wird  der  Himmel 
wieder  heiter  und  die  Luft  wieder  sauft  und  ruhig;  geht  er,  der  Dichter, 
lim  Laura  zu  begrüssen,  so  verhüllt  sich  die  Sonne  vor  Eifersucht  mi'' 
einer  Wolke  und  Lauras  Klagen  erregen  der  Sonne  Neid  und  betäuben 
die  Elemente. 

In  den  Volksmärchen  ist  dieses  Bild  melir  oder  weniger  umgestaltet 
häufig  anzutreffen.  So  gebiert  in  der  ersten  umbrischen  Version  der  zweiten 
Erzählung  meiner  Quattro  novelline  popolari  livornesi,  Spoleto' 
Bassoni.  1880,  4°,  die  Tochter  eines  Koches,  die  den  König  geheiratet  hat, 
drei  schöne  Knaben,  den  ersten  mit  einem  Stern  auf  der  Stirn,  den  zweiten 
mit  einer  Schrift  hinter  dem  Ohr  und  den  dritten  mit  einem  Apfel  in  der 
Hand;  in  der  darauf  folgenden  umbrischen  Version  gebiert  die  Frau  des 
Königs  zwei  Söhne,  einen  Knaben  mit  goldener  Kette  um  den  Hals  und 
ein  Mädchen  mit  einem  goldenen  Apfel  in  der  Hand,  und  genau  so  in  der 
vorletzten  umbrischen  Variante.  In  einer  anderen  umbrischen  Erzählung 
aus  Spoleto,  die  in  den  „Vergleichenden  Anmerkungen"  kurz  zu- 
sammengefasst  ist,  genest  die  Gattin  eines  Königs  zweier  Knaben,  von 
denen  der  eine  einen  Stern  auf  der  Stirn,  der  andere  einen  Apfel  in  der 
Hand  hat.  In  einer  weiteren  umbrischen  Version  aus  Rieti  bringt  die 
Gattin  des  Königs  einen  Knaben  mit  einem  Stern  auf  der  Stirn  und  ein 
Mädchen  mit  einer  Kette  um  den  Hals  zur  Welt;  der  gleiche  Zug  begegnet 
auch  in  einem  sicilianischen  Volksmärchen  bei  Pitre,  Fiabe,  Novelle, 
Racconti  popolari  siciliani,  Palermo,  L.  Pedone  Lauriel,  1875,  B.  I, 
No.  36:  Li  figghi  di  lu  cavuliciddaru  (die  Kinder  eines  Suchers  und  Ver- 
käufers von  wilden  Rettichen).  In  dem  Feenmärchen  La  Princesse 
Belle-Etoile  et  le  Prince  Gheri,  s.  Cabinet  des  fees,  Geneve  1786, 
16°,  B.  IV:  Contes  des  fees,  von  Mme.  D'Aulnoy,  gebiert  die  Gattin 
des  Königs  zwei  schöne  Knaben  und  ein  Mädchen  mit  einem  Stern  auf 
der  Stirn  und  einer  kostbaren  goldenen  Kette  um  den  Hals,  sowie  mit 
lockigem  Haar,  aus  dem  Edelsteine  herausfallen.  In  der  3.  Novelle  der 
4.  Nacht  bei  Straparola  (s.  seine  Piacevoli  Notti)  gebiert  die  Frau  des 
Ancilotto,  des  Königs  von  Provino,  zwei  Knaben  und  ein  Mädchen  mit 
aufgebundenem  Haar,  das  mit  feinstem  Golde  durchsetzt  ist.  einer  Kette 
um    den  Hals    und    einem  Stern    vor    der  Stirn.     Bei  Wuk   Stephanovicli, 

Gras  unserer  Felder  dörreu,  Und  ich,  sobald  ich  mich  zeige,  in  einem  Augenblick  vermag- 
ich  den  Feuerbrand  in  die  Herzen  der  Jünglinge  zu  senken!" 

In  der  Dianea  von  G.  F.  Loredano,  s.  die  Erzählung-  Astidamo,  princijie  di 
Greta,  trifft  man  folgenden  analogen  Passus:  „Die  Morgenröte  -war  schon  hervorgetreten, 
und  die  Vögel  betäubten  die  Luft  mit  ihrem  Gesang'e,  als  Dianea  mich  ihre  Schönheit 
schauen  liess.  Da  vergab  ich  der  Sonne  ihr  Säumen;  denn  mit  Recht  geschah  es,  dass 
sie  ihren  Platz  jener  überliess.  Ich  tadelte  es  als  eine  Vermessenbeit,  wenn  die  Kunst 
mit  dem  Pinsel  ein  Werk  so  schön,  dass  es  jede  Vorstellung  übertraf,  nachzuahmen  vei^ 
suchen  würde." 


Soniii',  Mniiil  und  Stevnu  als  Schiiiiliuitssyiiibuk:  in  Vcilksriiärrlicn  iiiicl  -I.ii^ilcni.     377 

Srpskc  iiaiMiilnc  Pripowjietkc  No.  2'):  Uic  l)öse  ScIiwiegiTinutter 
wiril  ili<'  (lattiii  eines  Fürsten  von  zwei  Söliiieu  mit  goldenen  Annen  luul 
einer  'roeliter  mit  einem  goliieneu  Stern  vor  der  Stirn  entbunden.  Bei 
Laura  Gonzenbacli.  Sicilianisclie  Märcheu,  No.  ä:  Die  verstossene 
Königin  und  ihre  beiden  ausgesetzten  Kinder  bringt  die  Gattin 
eines  Königs  ein  männliches  und  ein  weibliches  Kind  mit  einem  goldenen 
Stern  auf  der  Stirn  zur  Welt.  Bei  A.  Schiefner,  Awarische  Texte  (in 
den  Memoires  de  lAcademie  imperiale  des  scieuces  de  Saint- 
Petersbourg,  VII,  B.  19)  No.  12  giebt  die  Gemahlin  des  Königs  einem 
Knaben  mit  Perlenzähnen  und  einem  Mädchen  mit  goldenen  Locken  das 
Leben,  vgl.  für  ähnliche  Züge  in  anderen  Versionen  desselben  Sujets 
meine  Vergleichenden  Anmerkungen  zu  der  zweiten  Erzählung  der 
bereits  citierten  Quattro  novelline  popolari  livornesi.  Unter  diesen 
Versionen  verdient  jedoch  eine  ])olnische  im  2.  Bde..  No.  46,  von  Glinski, 
Bajarz  Polski,  4  Bände,  Wilna  1853,  besondere  Aufmerksamkeit,  in 
welcher  die  Tochter  des  Königs  von  zwei  Kindern  entbunden  wird,  die 
auf  iler  Stirn  den  Mond  und  auf  dem  Haupte  Sterne  zeigen.  Bei  Gaal 
Stier.  Ungarische  Volksmärchen,  Pest  1857,  S.  390  gebiert  die  Ge- 
mahlin lies  Königs  Zwillinge  mit  goldenem  Haupthaar,  von  denen  der  eine 
auf  der  Stirn  einen  Stern,  der  andere  eine  Sonne  und  um  den  Arm  zwei 
goldene  Ringe  trägt.  Bei  v.  Hahn.  Griechische  und  Albanesische 
Märclien.  No  69  (Lesart  von  Syra)  bringt  die  Gattin  des  Königssohnes 
drei  Kinder  zur  Welt,  die  Sonne,  den  Mond  und  Lucifer  (den  Morgen- 
stern)'): in  einer  epirischeu  Variante  ebendaselbst  gebiert  die  Frau  des 
Königs  zwei  Kinder,  einen  Knaben  und  ein  Mädchen,  die  so  schön  sind 
wie  Lucifer  und  Hesperus  (der  Morgenstern  und  der  Abendstern).  In 
einem  serbischen  Märclien  bei  Wuk  Stephanovicii.  No.  30  der  genannten 
Sammlung  (Die  Prinzessin  und  der  Schweinhirt),  das  jedoch  zu 
einem  anderen  Thema  gehört,  kommt  eine  Prinzessin  vor,  die  drei  Wunder- 
niale  am  Körper  trägt,  einen  Stern  auf  der  Stirn,  einen  Mond  auf  der 
Brust  und  eine  Sonne  auf  dem  Knie.  In  einem  serbischen  Märcheu  der 
Frau  Mijatovics,  s.  Populär  Tales,  selected  and  translated,  edited 
with  an  introductiou  by  the  Rev.  W  Deuten,  London  1874.  S.  173, 
erscheint  eine  Prinzessin,  die  einen  Stern  am  Halse  und  eine  Sonne  und 
einen  Mond  am  Busen  hat,  und  in  einem  Zigeunermärcheu  bei  Miklosich, 
Zigeunermärciien  der  Bukowina.  No.  7,  hat  die  Prinzessin,  die  die 
Heldin  der  Geschichte  ist,  eine  Sonne  auf  der  Stirn,  einen  Mond  auf  dem 
Busen  uud  einen  Stern  auf  dem  Rücken.  Bei  A.  Afauasiefl'.  Narodnija 
Russkija  Skazki,    Moskau  1863,    gebiert    eine  Prinzessin   drei   liebliche 

r  Derselbe  begegnet  in  den  NoMtjvtxä  'Avd^.e/jn,  Atlien  1870,  I,  1,  No.  4.  Dort 
>\m\  die  zur  Welt  gebrachten  Kinder,  die  von  blendender  Scliöulieit  sind,  die  Sonne,  der 
Mond  und  der  Stern, 


378  Prato: 

Kinder  mit  bis  zum  Knie  silbernen  Beinen,  mit.  goldener  Brust,  mit  einer 
Stirn,  die  dem  Monde  gleicht,  und  mit  sternenbedecktem  Leibe.  In  einem 
russischen  Märchen,  das  in  den  Aimierkungen  zu  Buch  3.  No.  6  und  13 
derselben  Sammlung-  mitgeteilt  ist,  wird  die  Gemahlin  eines  Königs  von 
einem  Knaben  entbunden,  dessen  Arme  bis  zum  Ellbogen  und  dessen 
Beine  bis  zum  Knie  von  Silber  sind  und  der  auf  der  Stirn  eine  Sonne 
und  auf  dem  Nacken  einen  Stern  hat.  In  No.  7  des  gleichen  Buches  der 
genannten  Sammlung  bringt  eine  junge  Königin  zwei  Kinder  zur  Welt, 
von  denen  das  eine,  auf  der  Stirn  einen  Mond,  das  andere  auf  dem  Nacken 
einen  Stern  zeigt.  Die  böse  Schwester  der  Königin  scharrt  die  beiden 
Kinder  barbarischen  Sinnes  ein,  aber  ein  goldenes  und  ein  silbernes  Reis 
spriessen  aus  ihrem  Grabe  hervor.')  In  einem  serbischen  Märchen  von 
Wuk  Stephanovich,  das  mit  den  oben  angeführten  nichts  gemein  hat.  s. 
in  der  Wiener  Ausgabe  (der  dtsch.  Übersetzung)  S.  74.  treffen  wir  ein 
Kind  mit  goldenen  Armen  und  goldenem  Haar,  und  ibid.  S.  128  ein 
Mädchen  mit  einem  Stern  auf  dem  rechten  Knie.  Im  Serbischen  Jahr- 
buch, 1872,  Heft  114,  S.  141  begegnen  zwei  goldene  Knäblein.  Man 
darf  hier  auch  an  folgenden  Passus  aus  der  Apokalypse  des  St.  Johannes 
erinnern:  Signum  magnum  apparuit  in  coelo.  mnlier  pulcherrima 
iuter  mulieres,  amicta  sole  et  Inna  sub  pedibus  eius  et  in  capite 
eins  Corona  stellarum  duodecim,  sowie  an  die  Nachahmung  dieses 
hübschen  Bildes  durch  Petrarca  im  Eingang  seiner  Canzone  an  die  Jung- 
frau (s.  Cauzoniere,  Teil  H,  Ganz,  8): 

Vergine  bella  che  di  sol  vestita, 
Coronata  di  stelle  al  somme  Sole*^ 
Piacesti  si  che  in  te  sua  luce  ascose  .  .  . 

Torquato  Tasse  sagt  in  seinem  Befreiten  Jerusalem.  C.  I,  Oct.  2.  V.  4 
gleichfalls  von  der  Jungfrau: 

Hai  di  stelle  imraortali  am-ea  eorona. 

Für  das  im  vorhergehenden  behandelte,  den  Volksmärchen  eiüentüm- 
liehe  Bild  hat  man  auf  die  Vedamythen  zurückzugehen  (vgl.  De  Gubernatis. 
Mythologie  zoologique  II,  33  u.  34).  und  zwar  vergleiche  man  im 
Rigveda,  ou  livre  des  hymnes,  1.  1,  Hymnus  3')  (An  verschiedene 


1)  Eine  Ziege  frisst  dieselben  nnd  zeugt  darauf  zwei  Böcklein,  von  denen  das  eine 
mit  einem  Monde  auf  dem  Kopfe,  das  andere  mit  einem  Stern  am  Halse  geschmückt  ist: 
die  gute  rechtmässige  Königin  verzehrt  sie  uud  gebiert  aufs  neue  die  erwähnten  beiden 
Kinder. 

2)  Nämlich  Gott;  auch  in  der  4.  Str.  spricht  der  Dichter  so  zur  Jungfrau: 

Tu  partoristi  il  fönte  di  pietate, 
E  di  giustizia  il  Sol  che  rasserena 
II  secol  pien  d'errori  oscuri  e  folti. 

3)  Traduction  du  sanskrit  par  A.  Langlois,  2'  edition,  augmentee  d'un 
index  analytique  par  Ph.  Ed   Poucaux,  Paris  1871,  gr.  S",  zweispaltig,  S.  6ä0. 


Sonne,  Moud  und  Sterne  als  Scliönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.     S'O 

(i  Otter)  den  7.  Vers,  welcher  lautet:  Ich  flehe  Savitri  mit  der  goldenen 
Hand  (hiranyahasta)  um  Beistand  für  uus  au.  In  der  That  istSavitri 
oder  Savitar  der  Gott  mit  den  goldenen  Augen  (hiranyäkssha)  und 
den  goldenen  Händen  (hiranyapäni,  hiranyahasta).  Die  Hände  und 
Arme  Savitris  (d.  i.  des  Sonnengottes)  sind  die  Strahlen  der  Sonne. 
Hierzu  erzählt  man  folgende  Legende:  Bei  einem  Opfer  versah  Savitri  das 
Amt  des  Priesters.  Als  seine  Gehilfen  ihm  eine  Spende,  präsitra  genannt, 
überreichten,  zeigte  sich  die  Hand  des  Priesters  verstümmelt.  Man  machte 
ihm  aus  Gold  eine  neue,  die  sich  seinem  Arme  anfügte.  Lauglois  deutet 
diese  legendäre  Begebenheit  folgendermassen:  Das  grosse  Opfer,  das  die 
Sonne  vollzieht,  ist  die  Verrichtung,  die  sie  in  der  Welt  ausübt.  Die 
Spende  (präsitra)  ist  die  Wolke,  die  sich  zwischen  die  Sonnenstrahlen 
schiebt  und  sie  verstümmelt.  Die  Sonne,  dieser  Haupt-papi  (d.  h.  Trinker), 
kann  nicht  umhin  sich  die  goldenen  Hände,  die  ihr  für  einen  Augenblick 
genommen  worden,  wieder  anzueignen.  In  den  slavischen  Märchen,  die 
auf  arische  Quellen  zurückweisen,  wird  die  Sonne  unter  menschlicher 
(Testalt  mit  goldenem  Haar  dargestellt,  vergl.  so  das  böhmische  Volks- 
märchen: Die  drei  Haare  des  Grossvaters  Allwisseiid  (Dede 
Useved)'),  das  Emilio  Teza  auch  ins  Italienische  übertragen  hat.  Wii- 
sehen  auch  in  den  vedischen  Traditionen  Vadliriniati  (d.  i.  das  mit  einem 
Stumpf  behaftete  Weib)  von  den  AqwIu  (den  indischen  Dioskuren) 
eine  goldene  Hand  bekommen,  ebenso  wie  in  dem  Volksmärchen  von  der 
verfolgten  Jungfrau  das  arme  Mädchen,  dem  man  die  Hände  verstümmelt 
hat.  Auch  Indra,  der  Veda-Zeus,  hatte  eine  Hand  aus  Gold^):  „Hört  üu' 
das  Lärmen  jener  Rosse?  Indra  ist  es,  der  Donnergott  mit  der  goldenen 
Hand."  Man  sehe  auch  bei  Glinski,  a.  a.  0.  I,  S.  43  die  Erzählung  von 
dem  Prinzen  mit  der  goldenen  Hand  nach,  die  Alexander  Chodzko 
in  seinen  Contes  des  paysans  et  patres  slaves,  Paris,  Hachette,  1864 
französisch  übertragen  hat.  J.  W.  Wolf  hat  in  seinen  Beiträgen  zur 
Deutchen  Mythologie,  Göttingen  1857,  II,  S.  127  zahlreiche  Notizen 
über  die  goldenen  Kinder  der  Volksmärchen  gesammelt.  W.  Schwartz^) 
äussert  einmal  über  dieses  Motiv  folgendes:  „Nach  der  griechischen  Mythe 
war  Asklepios    als  Kind  vom  Blitzglanz  umflossen,    glühte  Achilles  in  der 

1)  In  diesem  Volksmärchen  begegnet  auch  eine  goldene  Ente  i^arauykacsa),  auf 
iler  das  Schloss  der  Fee  Ilona  ruht,  das  auf  der  7(i.  lusel  des  blauen  Meeres  gelegen 
ist;  aus  Versehen  ist  sie  dann  anderswo  in  einen  goldenen  Truthahn  (aranypulyka) 
verwandelt  worden,  sodann  in  ein  goldenes  Hufeisen  (aranypatkö  ^,  einen  goldenen 
Lappen  (aranytörlö)  und  eine  goldene  Striegel  (aranylovakard);  aber  das  Hufeisen 
wird  weiter  eine  Bürste  (lökefe)  für  Hufeisen, 

2)  Rigveda,  B.  III,  S.  81  in  der  französischen  Übersetzung  von  Langlois. 

B)  Die  Poetischen  Natnranschannngen  der  Griechen,  Römer  und 
Deutschen  in  ihrer  Beziehung  zur  Mythologie,  B.  I:  Sonne,  Mond  u.  Sterne 
u.  s.  w.,  BerMn,  Hertz,  ls(i4,  SS.  179,  Ibl,  202,  235;  vgl.  die  gelehrte  Euüeitung  von  Prof. 
A.  Wesselofsky  zur  Novella  della  figlia  del  Re  di  Dacia,  Pisa,  Nistri,  lö(i6,  S.  XXXI 
u.  Anm. 


380  Pratn: 

Wiege  im  Feuer  uiul  erglänzte  bei  des  Apollo  uiul  der  Athene  (ieburt 
alles  von  Gold:  alle  diese  Sagen  beziehen  die  Mythologen  einstimmig  auf 
die  Yorstellung  von  der  Neugeburt  der  Sonne.  Die  goldenen  Kinder  der 
Yolkssagen  sind  also  nur  ein  blasser  Nachklang  jenes  mythologischen 
Typus  von  der  Geburt  des  Sonnenwesens  Sie  haben  goldenes  Haar  oder 
irgend  ein  goldenes  Abzeichen  bei  der  Geburt,  werden  mit  Goldregen 
wunderbar  überschüttet,  und  wenn  uns  dies  schon  an  die  analoge  Yor- 
stellung der  Griechen  von  den  im  Gewitter  neugeborenen  Sonueukindern 
erinnert,  so  ist  besonders  charakteristisch,  trotz  seiner  christlichen  Meta- 
morphose, das  Märchen  vom  Marienkind,  welches  stumm  im  Walde  sitzt, 
von    seinem    goldenem  Haar    bis    zu    den  Fusszehen    bedeckt,    bis   es  der 

Königssohn  findet.     Es  ist  die  goldene  Sonne in  ihre  Sonnenstrahlen 

gehüllt,  die  im  Wolkeuwalde  sitzt,  der  Erlösung  im  Frühling  harrend,  wie 
Dornröschen,  Bruidiild  und  Menglöd." 

Aus  unseren  Betrachtungen  erhellt  also,  dass  das  Gold  die  sinnbildliche 
Bezeichnung  für  die  Sonne  ist,  wie  das  Silber  diejenige  für  den  Mond 
bildet.  So  giebt  denn  in  einem  Märchen  von  Cougalo  Pernandez  Traueoso. 
Contos  do  proveito  e  exemplo  (Geschichten  zu  Nutz  und  Yorbild\  das 
Adolpho  Coelho,  Contos  populäres  portuguezes,  Lisboa,  187!).  Ein!. 
S.  XVHI,  mitteilt,  eine  Königin  zweien  Knaben,  die  schön  wie  Gold,  und 
ein-em  Mädchen,  das  schön  wie  Silber  ist.  das  Leben.  In  einem  arabischen 
^'olksmärchen.  das  aus  Mardin  in  Mesopotamien  stammt  (s.  Z.  d.  dtsch. 
Morgenl.  Gesellschaft  1882,  S.  "2d9),  wird  eine  Königin  von  einem 
Knäblein  mit  goldenem  und  silbernem  Haar  entbunden:  in  einer  arabischen 
Erzählung  aus  Tausend  und  eine  Nacht  (der  Geschichte  von  den  zwei 
Schwestern,  die  auf  ihre  jüngere  Schwester  eifersüchtig  sind) 
gebiert  die  letztere,  die  des  Sultans  Gattin  geworden,  einen  Prinzen,  dessen 
Haar  auf  der  einen  Seite  aus  Silber,  auf  der  anderen  aus  Gold  besteht: 
wenn  ei;  weint,  so  sind  die  aus  seinen  Augen  rinnenden  Thränen  ebenso- 
viele  Perlen,  und  jedesmal  wenn  er  lacht,  sclieinen  seine  roten  Li])pen 
eiue  aufbrechende  Roseukuospe  (vielleicht  eine  Variation  des  in  Geschichten 
einer  anderen  Gattung  nicht  ungewöhnlichen  Bildes,  dass  er  jedesmal  wenn 
er  lacht,  Rosen  aus  dem  Munde  fallen  lässt).  In  einem  arabischen  Yolks- 
märchen.  das  man  vor  einiger  Zeit  in  Ägypten  entdeckte  (vgl.  für  dasselbe 
Spitta-Bey.  Contes  arabes  modernes,  Leyden  1883).  gebiert  ferner  eine 
Königin  einen  Knaben  und  ein  Mädchen,  die  abwechselnd  ein  Gold-  und 
ein  Hyacinthhaar  haben:  wenn  sie  weinen,  so  wecken  sie  den  Donner, 
lachen  sie  aber,  so  beginnen  Sonui»  und  Mond  zu  scheinen.') 


r  Wir  werden  hier  an  einen  bereits  erwähnten  Gedanken  in  einem  Sonett  Petrarcas 
erinnert,  wo  er  zum  Preise  seiner  Laura  sagt,  der  Himmel  verfinstere  sich  und  Stürme 
brechen  aus,  sobald  sie  von  dannen  geht,  bei  ihrer  Rückkehr  aber  kläre  sich  der  Himmel 
wieder  auf  und  santtc  Windstille  ziehe  wieder  ein. 


Sonne,  Mnnrt  und  Sh'riu^  als  Si-höiiheitssyiiilKiln  in  VolksmärcliPn  iinfl  -Liedi^n.     381 

Der  Hinweis  auf  den  Mond,  der  besonders  in  den  Volksmärchen 
Asiens  oft  begegnet,  zeigt  uns  deutlich,  dass  ausser  der  Sonne  auch  der 
Mond,  den  die  Orientalen  sogar  zu  bevorzugen  scheinen,  als  sehr  häufiges 
Bild  zur  Bezeichnung  der  Schönheit  dient.  Thatsächlich  trägt  denn  auch 
in  der  Geschichte  von  Aladin  aus  Tausend  und  eine  Nacht  eine 
Prinzessin  den  arabischen  Namen  Bedr-oul-bou-dour  (Vollmond  der 
Vollmonde)'),  heisst  ein  König  daselbst  Qamar  Ez-zeniän  (Mond  der 
Epoche)  und  der  Sohn  eines  Veziers  Bedr-ed-din  (Vollmond  des 
Glaubens).  In  der  arabischen  Erzählung  Le  roi  Solaiman-Chah,  ses 
fils  et  sa  niece')  liest  man  folgenden  Passus:  Der  Mörder  stand  still 
und   dachte    nach,    weil  das  Antlitz  seines  Neffen  leuchtete  wie  der  Mond. 

In  einem  indischen  Volksmärchen  aus  Bengalen  von  Maive  Stokes, 
s.  Indian  Fairy  Tales,  collected  and  trauslated,  with  notes  by 
Mary  Stokes  and  an  introduction  by  W.  R.  S.  Ralston,  London, 
Ellis  und  White,  1880,  No.  20,  gebiert  eine  Königin  einen  Sohn  mit  einem 
Monde  auf  der  Stirn  und  einem  Stern  am  Kinn;  in  demselben  Werke, 
No.  1,  ist  die  Heldin  des  indischen  Volksmärchens  Phulmati  Rani  (oder 
Königin  Rosen-Stock),  Tochter  eines  Rajah  und  einer  Rani,  so  schön, 
dass,  wenn  sie  in  ein  stockfinsteres  Zimmer  tritt,  dieses  plötzlich  bloss 
ihrer  Schönheit  zufolge  ganz  hell  wird.  Über  ihrem  Haupte  ist  die  Sonne, 
auf  jeder  ihrer  Hände  ein  Mond,  und  ihr  Antlitz  ist  mit  Sternen  bedeckt. 
Ihr  Haujjthaar  ist  so  lang,  dass  es  bis  zum  Fussboden  reicht^  ,  und  es 
schien  wirklich  aus  lauterem  Golde  zu  sein.  In  No.  10  derselben  Sammlung, 
Tlie  Monkey  Prince,  bezaubert  dieser  Prinz,  der  Held  des  Märchens, 
mit  seinem  goldenen  Haar  die,  die  ihn  anschauen  derart,  dass  sie  vor 
Staunen  ohnmächtig  werden;  in  demselben  Märchen  pflegt  die  Prinzessin 
Jahuran,  wenn  sie  sich  unter  ihrem  Laubeugange  zeigt,  ihr  langes 
goldenes  Haar  zu  lösen,  das  fast  so  schön  wie  das  des  vorher  erwähnten 
Prinzen  ist.  In  No.  11  hat  Sonahri  Rani  (d.  i.  goldene  Königin) 
goldenes  Haar  und  goldene  Zähne.  In  No.  15  gleicht  das  Haar  von  Jahur 
Rani    rotem  Golde    (der    echten  Farbe    der  Sonne).     In   einem   (den  An- 


1)  Vgl.  ein  analoges  toskauisches  Volkslied,  in  welchem  es  von  einer  schönen  Frau 
heisst:  Ihr  seid  schöner  als  der  Mond  ist,  wenn  er  als  Vollmond  emporsteigt. 

2)  Contcs  arabes,  Histoire  des  dix  vizirs  (Bakhtiar-Nameh),  traduite 
et  annotee  pai  Rene  Basset,  Paris,  E.  Leroux,  1883,  lOf  Journee,  10=  Histoire, 
S.  135,  und  vgl.  hierzu  die  Anm.  ^i  am  Ende  des  Buches. 

3)  In  einem  sicilianischen  Volkslied  (s.  S.  Salomone-Marino,  Canti  popolari 
siciliani,  Palermo,  Francesco  (liliberti  l«(i7,  No.  37)  heisst  es  V.  li:  Li  trizzi  cu  11  pedi 
vi  tirati;  V.  4  hiess  es  bereits:  Lu  suli  'n  testa  pri  (per)  cruna  (Corona)  purtati  Der 
Vorzug  dichtes,  bis  zu  den  Füssen  wallendes  Haar  zu  besitzen  ist,  wie  Salomone-Marino 
in  einer  Anmerkung  äussert,  in  Italien  fast  allen  Frauen  auf  dem  Lande  eigen,  jenen 
kecken  Bäuerinnen,  die  dem  guten  Parini  so  sehr  gefielen.  In  den  Städten  und  zumal  in 
den  besseren  Familien  ist  eine  Frau,  die  sich  eines  langen  Zopfes  rühmen  könnte,  nur 
selten  zu  finden.  Giulio  Oarcaiio  ergeht  sich  in  der  Angiola  Maria,  wenn  ich  nicht 
irre,  im  Preise  der  vollen,  langen  Haarflechte  der  Bä,uerinnen. 


3.S2  Prato: 

merkuugeu  zur  2.  Nummer  derselben  Sammlung  einverleibten)  Märchen 
erscheint  der  Prinz  Dimä-ahmad,  ein  wahres  Wunder  von  Schönheit: 
auf  seinem  Haupte  ruht  die  Sonne,  auf  seinem  Antlitz  strahlt  der  Mond, 
seine  Hände  schmücken  Sterne,  und  langes  goldenes  Haar  trägt  er;  er 
heiratet  die  Prinzessin  Atäsa.  die  gleichfalls  auf  dem  Haupte  die  Sonne, 
im  Antlitz  den  Mond  und  auf  den  Händen  Sterne  zeigt;  ihr  Haupthaar, 
das  aus  reinem  Golde  ist,  wallt  bis  zur  Erde  hernieder.^)  In  No.  13 
ebendaselbst  funkelt  das  Antlitz  der  Prinzessin  Hirali  wie  ein  Demant. 
In  No.  22  leuchtet  Prinzessin  Laban  wie  der  Mond,  ihre  Schönheit  ver- 
wandelt Nacht  in  Tag;  der  König,  ihr  Vater,  verbietet  den  ünterthanen 
in  seinem  Lande  irgend  ein  Licht  anzuzünden^),  da  seine  Tochter,  wenn 
die  Abenddämmerung  beginnt,  sich  auf  das  Dach  seines  Palastes  setzt  und 
so  strahlt,  dass  sie  das  ganze  Land  und  alle  Häuser  erleuchtet,  so  dass 
man  vortrefflich  im  Innern  eines  jeden  derselben  zur  Arbeit  sehen  kann, 
gerade  als  sei  es  heller  Tag.  Bei  Miss  Frere,  Old  Deccan  Days,  2.  Aufl., 
London  1870,  blendet  der  Leichnam  des  Prinzen,  der  an  der  Spitze  einer 
Lanze  befestigt  ist,  dermassen  die  Zuschauer,  dass  sie  ihn  nicht  ansehen 
können.  Panch  Phul  Rani,  ibid.  S.  14{t.  strahlt  im  dunkeln  Walde  wie 
ein  Stern,  so  auch  die  Prinzessin  in  dem  dunkeln  Zimmer  des  Chundun 
rajah.  S.  229.  In  einem  von  Damant,  s.  Indian  Antiquary  vom  Febr. 
1875,  B.  I.  S.  54,  veröfientlichten  Volksmärchen  von  Dinajpur  erleuchtet 
die  Traumnymphe  Tiiottama  durch  ihre  Schönheit  den  ganzen  Ort,  wo 
immer  sie  erscheinen  mag;  bei  jedem  Atemzuge,  den  sie  im  Schlafe  thut, 
zuckt  eine  Flamme,  die  einer  Blume  gleicht,  aus  ihrer  Nase,  und  atmet 
sie  zurück,  so  verschwindet  die  Feuerblume  wieder  darin:  ihre  Schönheit 
erleuchtet  ihr  Haus,  als  ob  es  unaufhörlich  vor  ihm  blitzte.  Man  sehe 
den  Anhang  A  zu  dem  erwähnten  Buche  nach.  Bei  Naake.  Slavonic 
Fairy  Tales.  S.  96  findet  man  das  bereits  erwähnte  Volksmärchen  von 
der  Prinzessin  Goldhaar.  Allmorgentlieh  beim  Anbruch  des  Tages 
kämmt  sie  sich  die  goldenen  Locken,  deren  Glanz  vom  Meere  und  oben 
von  den  Wolken  zurückgesti-ahlt  wird.  S.  102.  Wenn  sie  dann  ruht,  so 
strahlt  sie  wie  die  aufgehende  Sonne  und  fast  blendet  das  strahlende  Licht 
ihres  Körpers,  Irik,  S.  107.  Die  goldigen  Kinder  (s.  Schott,  Walachische 
Märchen,  Stuttgart  und  Tübingen  1845,  S.  125)  schimmern  in  den  finsteren 
Zimmern  wie  die  Morgensonne  im  Mai.     Ein  von  A.  de  Gubernatis,  My- 


1)  Vielp  Helden  und  Heldinnen  in  den  europäischen  Feenmärchen  sind  besonders 
wegen  ihres  blendenden  Goldhaares  bemerkenswert:  unter  ihnen  verdient  die  Prinzessin 
(Joldhaar  Erwähnung,  deren  Haar  laut  erklingt,  wenn  es  zur  Erde  herabfällt,  s.  Naake, 
Slavonic  Fairy  Tales,  London  1874.  S.  100. 

"2")  In  einem  neapolitanischen  Volkslied  finden  wir  folgenden  analogen  Gedanken  mit 
Beziehung  auf  eine  Schöne: 

Quando  sse  corca  (si  coricaX  non  ge  vo'lumera  (ci  vuolc  lume  , 
Ra  (da)  l'aria  re  (le)  cale  lo  sbiannore  (splendore)  .... 


Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheitssymbole  in  Volksmärchen  und  -Liedern.    38H 

thologie  zoolo^iqui»  (franz.  Übersetzung)  II,  S.  32  erwähntes  Kiud  be- 
steht ganz  aus  (iold,  das  mit  Sternen  besetzt  ist  und  das  Sonne  und'Mond 
bedecken.  Man  begegnet  ihm  in  einem  russischen  Volksmärchen  von 
Afanasieft':  wird  sein  Körper  beim  Hinreichen  an  seinen  Vater  entblösst, 
so  strahlt  helles  Licht*)  in  seinem  ganzen  Zimmer.  Auf  S.  60  ebendaselbst 
citiert  er  ein  anderes  Märchen  von  Afanasieff,  in  welchem  eine  verfolgte 
Prinzessin,  die  drei  Kinder  hat,  jeden,  der  in  ihrer  Nähe  ist,  beleuchtet. 
Thorpe  sagt  auf  Grund  der  Skirnisför  in  seiner  Northern  Mythology  I,  S.  47 
von  der  Gerd  in  Jötmiheim,  dem  schönen  Rieseumädclien  mit  den  grossen 
schimmernden  Armen,  dass  diese,  wenn  sie  sie  liob  um  die  Thür  zu  öffnen,  auf 
Luft  und  Wasser  solchen  Glanz  warfen,  dass  die  ganze  Welt  hierdurch  Licht 
empfing.  Der  Eber  Truith,  der  einstmals  König  gewesen,  auf  Veranlassung 
seiner  Söhne  aber  in  einen  Eber  verwandelt  word(>n  war,  liatte  nach  seinem 
Sturze'  noch  etwas  von  seinem  königlichen  Glänze  an  sich,  denn  seine 
Borsten  schienen  Silberfäden,  und  strich  er  durch  Wälder  und  Ebenen, 
so  verriet  der  Glanz  seiner  Borsten  stets  seine  Spur  (s.  Lady  Cliarlotte 
Guest,  The  Mabinogiou  trauslated,  3  Bände,  Llandovery  1849,  Bd.  II, 
S.  310).  Ebenda  (Bd.  III,  S.  27!:))  kommt  im  Traum  von  Maxen  Vledig 
ein  kleines  Mädchen  vor,  das  zu  der  Bemerkung  veranlasst,  es  sei  nicht 
schwieriger  in  die  vollstralilende  Sonne  zu  sehen,  als  sie  anzuschauen,  des 
Glanzes  ihrer  Schönheit  wegen,  und  als  in  dem  Märchen  von  dem  Gold- 
haar (s.  Joseph  Haltrich,  Dentsclie  Volksmärchen  aus  dem  Sachsen- 
lande in  Siebenbürgen,  Berlin  1856,  S.  61)  die  Kappe  des  Helden  zu 
Boden  fällt,  zeigt  er  sich  in  dem  vollen  Glänze  der  goldenen  Locken,  die 
sein  Haupt  umwallen,  und  glänzt  wie  die  Sonne.  In  eit»em  santhalischen 
Volksmärchen,  das  vom  Rev.  F.  T.  Cole,  Indiau  Antiquary,  Jan.  1875, 
S.  10  veröffentlicht  ist  und  den  Titel  Toria  der  Ziegenhirt  und  die 
Tochter  der  Sonne  führt,  sind  die  Augen  eines  Bettlers  von  der  be- 
zaubernden Schönheit  der  Sonnentochter  fast  geblendet,  gleich  als  ob  er 
ilie  Sonne  selbst  geschaut.  Die  in  der  schon  mehrmals  citierten  Sammlung 
Indian  Fairy  Tales  von  Maive  Stokes,  SS.  1,  119  u.  253  beoeanende 
sinnbildliehe  Verwendung  von  Sonne,  Mond  und  Sternen,  die  des  Phul- 
mati  Rani,  des  Prinzen  Dimä-ahmud  und  der  Prinzessin  Atdsa  Haupt 
und  Körper  zieren,  erinnert  daran,  dass  in  dem  ungarischen  Volksmärchen 
von  den  zwei  Königskindern,  s.  G.  Stier,  Ungarische  Märchen  und 
Sagen,  Berlin  1850,  S.  77,  der  Held  eine  Braut  heimführt,  die  auf  der 
Stirn  eine  Sonne,  auf  der  rechten  Seite  des  Busens  einen  Mond  und  auf 
der  linken  drei  Sterne  zeigt. 

1)  Asviatilo,  wie  das  entsprechende  russische  Wort  lautet:  vgl.  die  schon  erwähnte 
slavische  Wurzel  swit,  die  gleichzeitig  Licht,  Heiligkeit  und  Welt  ausdrückt. 

(Fortsetzung  folgt.) 


384  Storck: 


Spnicligedichte  und  Yolksbräuche  aus  der 
Vorderschweiz. 

Mitgeteilt  von  Karl  Storck. 


Südwestlicli  von  Basel  erstreckt  sich  zwischen  niederen  Hügelketten, 
nach  Süden  hin  durch  den  einige  hundert  Meter  hohen  Blauen  abgeschlossen, 
das  Birsigthal,  ein  gesegneter  Landstrich.  Ton  einer  wohlhabenden  katho- 
lischen Bevölkerung  bewohnt.  Manches  Alte  hat  sich  in  den  kleinen  Ort- 
schaften bis  auf  den  heutigen  Tag  bewahrt;  einiges  dürfte  auch  allgemeineres 
Interesse  beanspruchen. 

Dazu  gehören  vor  allem  einige  Spruchgedichte,  die  ich  in  Ettiugen, 
einem  etwa  800  Einwohner  zählenden  Orte  hörte.  Zum  Teil  sind  dieselben 
auch  schon  in  einer  kleinen  Schrift  Paul  Brodmanns:  „Heimatkunde 
Ettingens"  mitgeteilt:  da  diese  aber  kaum  über  die  nächste  Umgebung 
des  Dörfleins  hinausgedrungen  ist,  dürfte  ihr  Wieilerabdruck  hier  er- 
wünscht sein. 

Wenn  wir  dem  Jahreslaufe  folgen,  haben  wir  zunächst  ein  längeres 
Gedicht  auf  die  heil,  drei  Könige. 

Wie  an  vielen  Orten  gingen  auch  in  Ettingen.  allenliugs  meist  am 
Vorabend  vor  Weihnachten,  drei  weissgekleidete  Bur.schen  umher,  eine 
goldene  Krone  auf  ihrem  Haupte,  —  die  heiligen  drei  Könige.  Sie  zogen 
von  Haus  zu  Haus  und  sprachen  folgendes  Gedicht: 

Hört  zu,  ihr  Christen  allgemein, 

Die  Gnad'  zu  referieren. ') 

Hört  zu,  was  ich  euch  zeigen  will, 

Ein  kleines  Spiel  zu  führen. 

Wir  allesammen  sind  geneigt, 

Um  Audienz  zu  bitten. 

Höret  zu,  was  grosse  Freud" 

Bei  dieser  kalten  Winterszeit 

Von  einem  Stern  aus  Morgenland, 

Den  wir  haben  gesehen, 

Ist  uns  Juden  (?)  (Heiden?)  anbekannt. ■■^) 

Dabei  wir  wohl  verstehen. 

Dass  uns  ein  Kind  geboren  ist 

Von  einer  Jungfrau  klar. 

Drum  freuet  euch  zu  dieser  Frist 

Weil  dies  der  Heiland  war. 

Wir  trösten  uns  in  gnädger  Gunst 

Und  fangen  in  Gottes  Namen  an. 

Bis  hierher  wurde  gesprochen,  das  folgende  Lied  aber  gesungen: 


V,  d.  h.  gebt  mir  die  Gnade,  gewährt  mir,  eiuh  referieren  zu  dürfen. 
2}  ankennen  =  ankündigen. 


Sfinichgedichtf  und  Volksbräuchi'  aus  iler  Vorderschweiz.  385 

I.  II. 

Wo  mitz  (mitten)  in  der  Naciit  Diu  Hirten  im  Vc\  (Feld), 

Die  Hirten  aufwacht'),  Sie  laufen  so  schnell. 

Die  himmlischen  Stimmen  Sie  rennen  und  laufen. 

Das  Gloria  sinken.  Mag's  keiner  verschnaufen. 

Die  englische  Schaar,  —  Der  Hirt  und  sein  Bue  (Bub') 

Geboren  Gott  war.  Dem  Krippelein  zue. 

ni.  IV. 

Gott  Vater,  schau  an,  Gott  Vater  schau  bald. 

Was  finden  wir  dann.  Wie  ist  es  so  kalt; 

Ein  herzigs  schön  Kindlein  Möcht'  einer  verfriereii. 

In  schneeweissen  Windlein,  Sein  Loben  verlieren. 

Wohl  zwischen  zwei  Tier  Ach  wie  geht  doch  der  Wind-'), 

Ochs  und  Eselein  hier.  Wie  trauert^)  das  Kind. 

V. 

Gott  Vater  erbarm". 
Wie  sind  wir  so  arm! 
Wii-  haben  kein  Pfannlein, 
Zu  kochen  dem  Kindlein, 
Kein  Mehl  und  kein  Salz, 
Kein  Brot  und  kein  Schmalz. 

Diese  Klage  wird  auch  verstanden,  und  die  Hausfrau  bringt  den 
Siingern  allerlei  Speisen  oder  findet  sie  mit  Geld  ab. 

Die  Melodie  des  Liedes  konnte  mir  niemand  mitteilen,  da  der  Brauch 
schon  seit  Jahren  ausser  Übung  ist.  Die  Sprache  ist.  wie  bei  allen  ernsten 
(ielegenlieiten,  der  Schi'iftsprache  genähert.   — 

Wie  in  allen  katholischen  Gegenden  ist  die  Fastenzeit  besonders  reich 
an  Gebräuchen. 

Zuerst  kam  die  sogenannte  Herrenfastnacht. 

Am  Fastnachtsmontag  versammelten  sich  alle  „Knaben",  d.  h.  Jüng- 
linge, welche  „ein  Mädchen  haben",  holten  ihre  Geliebten  und  gingen 
Paar  an  Paar  zur  Kirche,  wo  eine  Messe  für  sie  gelesen  wurde.  Während 
derselben  war  Oiifergang,  wol)ei  das  älteste  Paar  den  Vortritt  hatte. 

Nachmittags  folgte  man  dann  der  Musik  auf  den  Tanzboden,  wo  liis 
Mittwoch  früh  durchgetanzt  wurde.  Die  Mahlzeiten  fanden  jeweils  um 
Mitternacht  statt.  Am  Mittwoch  Morgen  führte  nun  jeder  Knabe  sein 
Mädchen  nach  Hause  und  war  für  diesen  Mittag  ihr  Gast. 

Nachmittags  aber  wurde  von  den  Knaben  die  Fastnacht  für  dieses 
Jahr  begraben.  Eine  grosse  Puppe  wurde  mit  bimten  Lappen  behangen, 
im    Dorfe    herumgeführt    und    endlich    in    irgend    einer    Ecke    verscharrt. 


1)  Der  Anfang'    ist   verderbt,   vgl.    das  Weihnachtlied  bei   L.  Tcibler,    Schweizerische 
Volkslieder  I,  74:  In  Mitten  der  Nacht,  |  Ihr  Hirten  gebt  acht. 
■2)  Wie  kalt  geht  der  Wind. 
;'.;  Mich  dauert,  Tobler  a.  a.  0.,  S.  75. 


386  Storck: 

Dabei  wurde  eine  grosse  „Kruse"  (Krug)  voll  des  trefPlichen  Rotweins, 
der  auf  den  umliegemleu  Hügeln  gedeiht,  niitgeführt.  aus  der  jeder,  der 
dem  Zug  begegnete,  trinken  musste. 

Jetzt  kam  endlich  der  Ernst  der  Fastenzeit  zur-  Geltung. 

Nur  noch  eine  kleine  Nachfeier  wurde  am  folgenden  Sonntag,  der 
sogenannten  „alten  Fastnacht"  abgehalten,  indem  dann  die  Knaben  bei 
ihren  Mädchen  sich  die  „Pastnachtsküchlein"  holten,  wobei  auch  der  Spruch 
„liquidum  non  frangit  ieiunium"  nicht  vergessen  wurde. 

An  diesem  Abend  wurden  auch  die  Fastnachtsfeuer  angezinidet. 
Es  waren  deren  zwei  auf  verschiedenen  Plätzen,  eines  für  die  Männei-, 
das  andere  für  die  Frauen.  Während  das  der  Frauen  auf  freiem  Felde 
aufgeschichtet  war.  bildete  den  Grundstock  für  das  der  Jlänner  eine  Tanne, 
auf  deren  Aste  Stroh  gehäuft  wurde,  zu  oberst  aber  waren  die  alten  Körbe 
und  das  unbrauchbar  gewordene  Pferdegeschirr  befestigt.  Vor  dem  An- 
zünden wurde  noch  gemeinschaftlich  der  Rosenkranz  gebetet.  Dann  aber 
loderten  die  Flammen  auf.  um  die  Junge  und  Alte  tanzten  und  Scheiben 
warfen.  Aber  man  verfehlte  auch  nicht  darauf  zu  achten,  woher  der  Wind 
wehte,  denn  daher  kamen  im  darauf  folgenden  Sommer  die  Gewitter.  Die 
Tanne,  die  natürlich  abstand,  erhielt  der  jüngste  Ehemann,  der  dafür  als 
Gegenleistung  bei  den  Bittgängen  die  Kirchenfahne  tragen  musste. 

Nun  begab  man  sich  prozessionsweise,  brennende  Fackeln  in  der  Hand, 
nach  dem  Orte,  wo  der  Holzhaufen  der  Frauen  aufgescheitet  war. 

War  auch  dieser  von  den  Flammen  verzehrt,  machte  mau  sich  nach 
dem  Wirtshause  auf,  um  die  „Fastnachtsküchli"  zu  verzehren  und  sich  an 
einem  Tänzlein  zu  erfreuen. 

Jetzt  aber  war  alles  ruhig,  nur  für  die  Kinder  gab  es  noch  ein  Fest 
„Mittelfasten".  Noch  heute  wird  der  vierte  Sonntag  in  der  Fastenzeit  fast 
als  Freudenfest  selbst  in  den  Kirchen  oefeiert. 

Au  diesem  Tage  nun  ziehen  noch  heute')  die  Kinder  in  zwei  Ab- 
teilungen, Knaben  und  Mädchen,  von  Haus  zu  Haus,  um  Eier,  Mehl  und 
dergleichen  zu  erbetteln.     Die  Knaben  haben  dabei   ein  Sprüchlein: 

Stiü'et,  stüret-)  em  o  alte  Mieschma'): 
Hingerem  Bütteneloch ')  e  Hus  ^)  gha. 
Siebe  Johr  im  Chömi'^)  ghonge, 
Erst  nachte')  abegfalle, 
Bolle.  Bolle,  so  ehalt"). 


1)  Heute  thim  es  nur  die  aimen  Kinder,  früher  aber  war  es  allgemein.  2)  Steuert 
-  gebet.  3)  Moosmann.  Ein  Mann,  der  so  arm  ist.  dass  er  nur  Moos  zu  seiner  Be- 
kleidung hat.  4  Bütteneloch  ist  eine  wilde  Kluft  bei  Ettingen.  Hinter  derselben  ist  fiü- 
kein  Haus  Platz;  wer  also  dort  sein  Haus  liegen  hat,  besitzt  eben  kemes.  —  [In  Basel 
ist  der  Führer  der  Fastnaehtknaben  verlarvt,  Temiumnit  und  mit  einem  Schellengm-t 
umgürtet,   er  heisst  Huzgür  (ungeheuer':    Seiler,  Basler  Mundart,   S.  ISii.]  5)  Haus. 

6)  Kamin.        7)  Nächten,  letzte  Nacht.        S^  kalt. 


Spruchgedichte  und  Volksbräuche  aus  der  Vorderschweiz.  387 

Will  die  Hausfrau  keine  Eier  herausgeben,  so  folgt  die  Verwünschung: 

Wenn  d'r  nüt  weit')  ghä, 

Muess  ech  der  Iltis  d'Hühner  näh 

Met  samt  em  Giggel-). 

Das  Lied  der  Mädchen  hat  folgenden  Wortlaut: 

Hut')  esch  Mettelfaste, 
Mer  trete  in  die  Lache''). 

Drü  ^)  roti  Röseli  vor  em  grünere  Wald ! ") 
Mer  sehn's  an  de  Wulche '), 
d'Frau  het  noni")  g'mulchc. 

Drü  roti  Röseli  etc. 
Mer  sehn's  an  de  Sterne, 
d'Frau  get  is  Kerne'').  — 
Mer  höre  s'Hühnli  singe, 
d'Frau  will  es  Uli  bringe.  — 
Mer  höre  d'Frau  ins  Chämerli  goh; 
Sie  will  is  Nüssli  abeloh. 

Drü  roti  Röseli  vor  em  grünere  Wald. 
Helandüois'")!     Hut  über  drei  Woche  esse  mer  Eier  un  Fleisch")! 

Von  den  erlialtenen  Gaben  backt  dann  irgend  eine  Frau  den  Kindern 
einen  grossen  „Eierdotsch"  (Eierkuchen).  Es  folgt  Ostern.  Das  Eier- 
lanfon'^)  ist  schon  lange  abgestellt,  weil  sich  der  Läufer  einmal  eineii 
Blutsturz  holte. 

Dagegen  wird  nocli  heute,  wenn  auch  in  geringerem  Umfange  das 
Werfen  des  Osterkügelchens  geübt. 

Am  Ostersonutag  Nachmittag  nach  der  Vesper  Tersammelu  sich  die 
Jünglinge  des  Dorfes  auf  den  unterhalb  desselben  gelegenen  Wiesen.     Sie 

Co  o  o 

werden  in  zwei  Haufen  geteilt,  welche  einander  eine  kleine  Kugel  zu- 
werfen. Diejenige  Partei,  welche  sie  am  weitesten  werfen  kann,  bezw. 
die  andere  am  meisten  zurücktreibt,  hat  gewonnen  imd  muss  bei  dem 
darauf  folgenden  Trünke  von  den  Gegnern  frei  gehalten  werden. 

Der  sogenannte  „Pfingstblütter"  besteht  darin,  dass  die  Knaben 
scharenweise  in  den  Wald  gehen  und  dort  einen  von  sich  mit  grünen 
Reisern  vollständig  bedecken.  Derselbe  wird  dann  durch  das  Dorf  gejagt 
und  schliesslich  in  den  durch  dasselbe  fliessenden  Bach  geworfen.  — 


1)  wollt.  2)  Hahn.  3)  heute.  4)  Der  Vers  ist  wohl  korrumpiert.  In  der  benach- 
barten Ortschaft  Bliiucn  lautet  er:  Mer  trete  nf  di  Gasse.  5)  drei.  (i)  Der  Vers  kehrt 
als  Refrain  nach  je  zwei  Versen  wieder.  Wähi-end  dic^  beiden  wechselnden  Verse  recto 
tono  recitiert  werden,  geht  es  bei  „drü"  eine  Terz  in  die  Höhe,  und  der  Refrain  ist,  wenn 
auch  nur  einfach,  moduliert.  —  [Die  Verse  „Mer  sehns  —  gniulche"  kommen  auch  sonst 
vor,  so  mit  gebotener  Änderung  in  einem  sclilesischen  Liedchen:  Weiuhold,  Beiti'äge  z.  e. 
schles.  Wörterbuche  108*.]  7)  Wolken.  8)  noch  nicht.  Vt)  giebt  uns  Bohnen.  10)  Heiland 
eleis  -  Kyrie  (deison.  LI)  Auch    dieser  Vers    wird  .gesungen.  12)  Vgl.  unsere  Zeit- 

schrift III,  17. 

Zeitscbr.  d.  Vereins  I.    Volkskunde,    isa.i.  27 


388  Storck: 

Es  kommt  der  Wiuter,  uud  mit  ihm  die  Zeit,  in  der  ilie  wohl- 
habenderen Bauern  schlachten.  Das  "Wurst mahl  wird  noch  heute  mit 
Freunden  uud  Bekannten  gefeiert,  aucli  erhält  jetzt  noch  der  Pfarrer  oder 
Lehrer  seine  „Wurschtete",  aus  einigen  Würsten  und  besseren  Stücken 
Fleisches  bestehend. 

Dagegegen  ist  es  nicht  mehr  in  der  Übung,  dass  die  Armeu  kommen 
und  „das  Würstlein  singen"^),    was    frülier  mit  folgendem  Liede  geschah: 

Wurst  heraus!    Wurst  heraus! 
Glück  und  Heil  in  diesem  Haus!^) 

d'Sau,  die  hat')  a  grosse  Chopf: 
Das  get  de  Jude  ne  Opferstock.  — 

d'Sau,  die  hat  e  grossi  Schnure, 
Gänt^)  mer  e  Stück  vo  hingedure^).  — 

d'Sau,  die  hat  so  grossi  Ohre, 
d'Jude  seil  der  Teufel  hole.  — 

d'Sau,  die  hat  e  lange  Hals, 

Giint  mer  e  Stück  und  's  Anger '^)  all's!  — 

d'Sau,  die  hat  so  grossi  Site') 

Gänt  mer  e  Stück,  so  chani')  witer.  — 

d'Sau,  die  hat  e  grosse  Mage, 
Gent  mer,  was  i  cha  vertrage.  — 

d'Sau,  die  hat  so  dicki  Darm, 
Machet  ke  so  grüssli*)  Glärm!  — 

d'Sau,  die  hat  so  grossi  Füess, 

0  wie  sin  die  Schnitz  '")  so  süess.  — 

Un,  Jumpfere  mit  em  rote  Rock, 
Loset,  wie  das  Surchrut  chochti")  — 

d'Sau,  die  hat  so  dicki  Knie, 

Gänt  mer  e  bezli  vom  rote  Wi!'*)  — 

d'Sau,  die  hat  so  grossi  Chleue'^), 
Loset,  wie  die  Chatze  maue.  — 

d'Sau,  die  hat  e  chrumm  Bei, 

Gäut  mer  e  Wurst,  so  chan  i  hei.  — 

d'Sau,  die  iiiit  e  lange  Schwanz 
Get  der  Jüdene  e  Hochzitclu-anz. 

Wurst  heraus!    Wurst  heraus! 
Glück  und  Heil  in  diesem  Haus! 


1)  Vgl.  dazu  L.  Tobler,  Schweizerische  Volkslieder  I,  S.  CXLIO,  207.  U,  S.  238. 
2)  Dieser  Refrain  wird  nach  je  zwei  Versen  wiederholt  Er  ist  in  der  Schriftsprache  (bis 
auf  das  ^in"  statt  .für"),  während  alles  andere  im  Dialekt  abgefasst  ist.  3)  hat  =  hat. 
4)  Gebt.  5)  Von  hinten  diu-ch.  Also  dem  besten  Teil  des  Schweines.  6)  Das  Andere. 
7)  Seiten.  8)  kann  icli.  9)  grussliches  —  stark.     Macht  keinen  so  starken  Lärm. 

10)  gedörrtes  Obst.       11)  Horchet  wie  das  Sauerkraut  kocht.       12)  Gebt  mu  ein  bischen 
roten  Wein.        13)  Klauen. 


Spruchgedichte  und  Volksbräuche  aus  der  Vorderschweiz.  389 

Noch    seien   einige  Gebräuche  bei  Hochzeit  und  Taufe  erwähnt. 

Gleich  beim  Abholen  der  Braut  haben  wir  eine  eigentümliche  Sitte. 
Der  Bräutigam  durfte  das  Haus  nicht  selbst  betreten,  an  seiner  Stelle  ging 
der  Brautführer,  „Vorknab"  genannt,  hinein.  Der  brachte  aber  nicht  gleich 
die  rechte  heraus,  sondern  etwa  ein  Kind  oder  mit  Vorliebe  eine  alte, 
hässliche  Person,  die  natürlich  unter  Gelächter  zurückgewiesen  wurde.  ^) 
Kam  dann  die  Rechte  „tief  gerührt"  heraus,  so  spielte  der  Geiger  unter 
dem  Gesänge  der  Gäste  die  übermütige  Weise:  „Magst  weinen  wie  du 
willst,  hilft  alles  nichts,  musst  dennoch  mit.  Hast  dir  die  Rute  selbst  auf 
den  Rücken  bunden.     Hilft  alles  nichts;  magst  weinen  wie  du  willst." 

Der  fremde  Bursche,  der  sich  eine  Braut  aus  dem  Dorfe  holt,  hat 
zuerst  noch  eine  andere,  oft  sehr  kostspielige  Sitte  zu  bestehen,  das 
Spannen,  das  darin  besteht,  dass  die  Burschen  an  irgend  einer  Stelle 
dem  Gefährte,  welches  das  Brautpaar  fortführt,  auflauern,  dem  Pferde  in 
die  Zügel  fallen  und  mit  Bändern  den  Weg  sperren.  Hierauf  hält  einer, 
in  besondere  Uniform  gekleidet,  der  Braut  eine  Rede.  Dann  hält  er  einen 
Toller  vor,  auf  dem  sich  Geld,  meist  Goldstücke  befinden,  deren  Betrag 
der  Bräutigam  verdoppeln  muss.  Ist  das  geschehen,  wird  gemeinschaftlich 
eine  Flasche  Rotwein  auf  das  Wohl  des  Brautpaares  geleert. 

Kam  nun  das  Brautpaar  aus  der  Kirclie  und  war  vor  dem  Eingang  in 
das  neue  Heim  angelangt,  so  warf  die  Braut  über  ihren  Kopf  unter  die 
Nachfolgenden  den  sogenannten  Brautweckeu^).  Wer  ihn  auffing,  verteilte 
ihn  unter  die  sich  streitende  Jugend.  Die  Balgerei  wurde  natürlich  noch 
eine  grössere,  wenn  die  Braut  Zuckererbsen  oder  gar  Scheidemünze  unter 
die  Kinder  warf. 

Noch  erwähne  ich  den  Vortanz,  der  nach  dem  Hochzeitsmahle  im 
Freien  abgehalten  wurde.  In  die  Mitte  des  Hofraums  wurde  ein  Stuhl 
hingestellt,  auf  den  sich  der  Geiger  setzte.  Den  Reigen  eröffnete  der 
„Vorknab"  mit  der  „Vorbraut",  dann  folgte  das  Brautpaar,  endlich  die 
übrigen  Gäste.  Die  Männer  trugen  dabei  weite  schwarze  Mäntel.  Nach 
vollendetem  Vortanze,  der  etwa  eine  Stunde  dauerte,  nahm  der  Bräutigam 
lue  Braut  unter  den  Mantel  und  führte  sie  so,  von  den  Übrigen  gefolgt, 
auf  den  eigentlichen  Tanzboden. 

Schon  lange  nicht  mehr  geübt  sind  zwei  Bräuche  bei  der  Taufe,  das 
Schlottern  und  das  Witz'gen  =  Witzigmachen. 

Ersteres  bestand  darin,  dass  am  Sonntage  nach  der  Taufe  des  neuen 
Weltbürgers  die  Patin  denselben  nach  der  Kirche  brachte  und  ihn  nach 
der  Opferung,  gefolgt  von  allen  anwesenden  Jimgfrauen,  um  den  Altar 
trug:  „Schlottern"  also  wohl  von  dem  langsamen,  schlotternden  Gange 
genannt. 


1)  Weinhold,  die  deutscheu  Frauen  im  Mittelalter  1",  385. 

2)  Vgl.  das  niederösterreichische  Baugwerfen,  unsere  Zeitschrift  IV,  215. 

27* 


ßQQ  Klemm : 

Das  Witzigmachen  hoffte  man  dadurcli  zu  erreichen,  dass  die  Patin 
nochmals  nach  der  Kommunion  den  Täufling  zum  Altare  brachte,  wo  nun 
der  Priester  ihm  ein  Tröpflein  der  Ablutio  zu  trinken  gab  und  mit  der 
Patena  seine  Stirn  berührte. 

Zum  Schlüsse  sei  auch  noch  eines  alten  Rechtbrauches  gedacht,  der 
noch  1784  durch  bischöfliche  Verordnung  neu  cingeschäi'ft  wurde,  —  das 
Beschauen  des  Etters.  Etter  ist  die  durch  eine  Hecke  bezeichuote 
Dorfgrenze,  ausserhalb  deren  nicht  gebaut  werden  durfte,  im  weiteren 
Sinne  dann  auch  die  Banngrenze.  Jährlich  wurde  nun  durch  die  Feld- 
gerichte oder  Gescheide  der  Etter  besichtigt,  um  zu  sehen,  ob  noch  alles 
in  Ordnung  sei.  Dabei  wurden  die  Knaben  mitgenommen,  damit  auch 
sie  „von  den  bezüglichen  Rechton  und  Gerechtsamen  Erfahrung  erwürben". 
Es  wird  erzählt,  dass  Ettingens  Gemeindeväter  als  das  erfolgreichste 
Mittel,  der  Jugend  Gedächtnis  zu  schärfen,  ansahen,  bei  jedem  Bannsteine 
jedem  Jungen  eine  tüchtige  Ohi'feigo  zu  geben,  dass  er  der  Stelle  sich 
wohl  erinnere. 

Nachher  wurde  der  Schmerz  und  die  Arbeit  bei  einem  Gemeiudo- 
schoppen  vertrunken. 

Die  meisten  dieser  Gebräuche  sind  heute  geschwunden,  und  die  noch 
bestehenden  hat  unsere,  das  Charakteristische  verwischende  Zeit  ab- 
geschwäclit. 


Suuubai  Dscliai. 

Ein  A s eil e 71  b r '6 d e  1  m ä r (•  1 1  e n . 
Mitgeteilt  von  Kurt  Klemm. 

Seit  Jahren  erfreut  eine  Parsidame  Putlibai  D.  H.  Wadia,  nunmeJu- 
Frau  P.  J.  Kabraji.  die  Leser  des  Indian  Anticjuary  mit  anziehenden  Bei- 
trägen zur  Volkskunde  von  Gudscharät.  Einer  derselben  berührt  sich  so 
nahe  mit  einem  unserer  bekanntesten  Volksmärchen,  dass  wir  uns  nicht 
versagen  können,  darauf  näher  einzugehen. 

Den  indischen  Verhältnissen  entsprechend,  vertreten  hier  die  älteren 
Schwägerinnen  die  Stelle  der  Stiefmutter,  deren  Begriff  in  Indien  bekanntlich 
wenig  entwickelt  ist.  Zwar  ist  unsere  Stiefmutter  auch  dem  Inder  nicht 
unbekannt,  sie  spielt  aber  lange  nicht  die  hervorragende  Rolle  wie  bei 
uns.  Wenn  das  Petersburger  Wörterbuch  vimätar  mit  „Stiefmutter"  über- 
setzt, so  ist  jene  deutsche  Wiedergabe  doch  nur  ein  Notbehelf,  weil  uns 
das  Wort  für  den  damit  o'emeinten  Begriff  fehlt.  Der  eigentlichen  Be- 
deutunu-  näher  kommen  würde  etwa  „Nebenmutter",   insofern  vimätar  die- 


Sunäbai  Dschai.  391 

jenige  Frau  ist,  welche  uicht  die  leibliche  Mutter  der  Kinder  ihres  Mannes 
ist,  zu  denen  sie  in  Beziehung  gesetzt  wird.  Sie  als  Stiefmutter,  zu  be- 
zeichnen, geht  nicht  an,  da  die  leibliche  Mutter  noch  am  Leben  sein  kann. 
Erst  wenn  ihre  Nebenbuhlerin  gestorben  ist,  würde  ihr  jene  Benennung 
zukommen.  Sind  aber  die  Eltern  gestorben,  so  bleibt  die  Familie  ungeteilt 
als  sogenannte  Hauskommnnion  beisammen,  und  die  Frauen  der  Söhne 
übernehmen  das  Regiment  im  Hause,  dem  auch  die  unverheirateten  Töchter 
der  Familie  unterworfen  sind. 

In  eine  Hauskommunion  dieser  Art  führt  uns  nun  das  nachstehende 
Märchen  ein,  das  sich  im  Indian  Antiquary  XV,  365 — 368  findet.') 

„Es  war  einmal  ein  reicher  Kaufmann  Dantä  Seth,  der  hatte  sieben 
Söhne  aber  keine  Tochter.  Da  betete  er  und  sein  Weib  unaufhörlich, 
Gott  möge  ihnen  ein  Mädchen  schenken.  Endlich  wurde  ihr  Gebet  erhört 
und  ihnen  ein  Töchterchen  geboren.  Sie  waren  darüber  so  erfreut ''),  dass 
sie  ein  grosses  Fest  veranstalteten,  bei  dem  sie  grosse  Summen  unter  die 
Brahmanen  als  Almosen  verteilten.  Von  da  ab  schwenkte  jeden  Morgen 
die  Mutter  eine  Perlenschnur  über  dem  Haupt  des  kleinen  Mädchens  und 
gab  sie  dann  den  Armen"). 

Auch  eine  goldene  Schaukel  Hessen  die  Eltern  für  iln-  Kind  anfertigen, 
welche  ihre  sieben  Schwägerinnen  beständig  in  Bewegung  halten  mussten. 
So  wuchs  Sunäbai  Dschai,  so  hiess  das  Mädchen,  in  Glück  und  Wohlstand 
auf,  verzärtelt  von  den  Freunden  und  Verwandten  ihrer  Eltern.  Aber  acli! 
nicht  lange  sollte  das  Glück  währen.  Noch  ehe  sie  sieben  oder  acht  Jahre 
alt  war,  starben  ihre  Eltern  und  hinterliessen  sie  der  Hut  ihrer  sieben . 
Brüder  und  deren  Frauen.  Sogleich  änderte  sich  das  Benehmen  der 
Letzteren  gegen  sie,  und  die  Frauen,  welche  zu  Lebzeiten  der  Eltern  in 
Liebesbezeugungen  gegen  ihre  kleine  Schwägerin  gewetteifert  hatten, 
weigerten  sieh  nun  nicht  nur  geradezu,  sie  noch  zu  schaukeln  oder  ihr 
sonst  einen  Dienst  zu  erweisen,  sondern  jagten  sie  nur  zu  oft  aus  der 
Schaukel  und  nötigten  sie  die  Arbeiten  des  Haushaltes  zu  verrichten. 

Nicht  lange  nachdem  die  alten  Eltern  zur  Ruhe  eingegangen  waren, 
dachten  die  jungen  Männer,  ihre  Söhne,  daran,  in  ferne  Länder  zu  gehen, 
lim  Handel  zu  treiben.  So  segelten .  sie  denn  in  einem  Schiff  davon  und 
überliessen    Sunäbai   Dschai    der  Gnade    ihrer    Frauen.      Doch   bevor    sie 


1)  Ein  anderes,  aucli  zur  Aschüiibrödelfamilie  gehöriges  indisches  Märchen,  Bäpkhädi, 
ist  im  20.  Bande  des  Indian  Antiquary  (April  18'il)  S.  142—147  mitgeteilt,  vgl.  Cinderella 
Ijy  Mar.  Roalfe  Cox.    I.ondon  1893.     S.  260  ff. 

2)  Man  beachte,  dass  die  Geburt  einer  Tochter  sonst  in  Indien  nicht  freudig  be- 
grüsst  wird. 

3)  Weil  man  glaubt,  dass  Gegenstände  wie  Reis,  Kokosnüsse,  Zucker,  Betelnüsse, 
dürre  Datteln,  die  über  jemandes  Kopf  geschwungen  und  daim  weggeworfen  oder  ver- 
schenkt werden,  alles  Unglück  wegnehmen,  welches  der  betreflenden  Person  bevorstehon 
könnte.  Zu  demselben  Zweck  schwingen  reiche  Leute  kostbare  Gegenstände,  wie  Perlcn- 
schnüi-e,  über  den  Köpfen  ihrer  Kinder. 


392  Klemm: 

Al)schioil  nahmen,  enipfahleu  sie  das  kleine  Mädclien  ihrer  Obhut  und 
schäi'ften  ihnen  ein,  dass  sie  es  ihrer  Schwester  an  nichts  fehlen  lassen 
sollten,  solange  sie  abwesend  seien.  Kaum  aber  hatten  sie  den  Rücken 
gewendet  und  das  Kind  der  Gewalt  seiner  Schwägerinnen  überlassen,  als 
diese  ihm  alle  Arbeit  im  Hause  aufbürdeten,  die  sie  selbst  zu  Lebzeiten  ihrer 
Schwiegermutter  hatten  verrichten  müssen.  Nicht  zufrieden  damit,  schlugen 
und  schalten  sie  es  oft,  und  bald  machten  sie  ihm  das  Leben  so  schwer, 
wie  nur  möglich. 

Eines  Tages  befahl  ihr  eine  ihrer  Schwägerinnen  in  den  Wald  zu 
gehen  und  trockenes  Brennholz  zu  holen.  Als  sich  das  Mädchen  nun  nach 
einem  Strick  umschaute,  um  damit  das  Bündel  zu  schnüren,  liessen  sie  das 
nicht  zu  und  fuhren  auf  sie  los.  „Dass  du  nicht  das  Holz  zusammen- 
bindest!" sagten  sie,  „aber  nimm  dich  in  acht,  dass  du  nicht  weniger 
bringst,  als  wir,  da  wir  dich  in  deiner  goldenen  Schaukel  schwingen 
mussten." 

So  ging  das  arme  Mädchen  ohne  Strick,  und  als  es  eine  grosse  Menge 
Reisig  gesammelt  hatte,  fand  es,  dass  es  kaum  drei  oder  vier  Reiser  auf 
einmal  auf  dem  Kopfe  tragen  konnte,  ohne  dass  sie  zusammengebunden 
waren.  Da  setzte  sich  das  arme  Kind  nieder  und  fing  au  zu  weinen. 
Darauf  ki'och  eine  grosse  Schlange  aus  ihrem  Loche  und  sagte  zu  ihr: 

„Nun,  Sunäbai  Dschai,  warum  weinest  du?" 

Darauf  erwiderte  das  kleine  Mädchen: 

„Vater  hatte  sieben  Söhne  und  danach  Sunäbai  Dschai, 
Jeden  Morgen  schwang  die  Mutter  Perlenschnüre  über  ihr; 
Aber  nun  die  sieben  Brüder  sind  gegangen  über  See, 
Einsam  bei  den  Schwägerinnen  blieb,  gehasst,  Sunäbai  Dschai." 

„Und",  fuhr  sie  fort,  „sie  haben  mich  geheissen  Brennholz  zu  liolen, 
haben  mir  aber  keinen  Strick  gegeben  die  Stecken  zusammenzubinden, 
und  nun  sehe  ich,  dass  ich  nicht  mehr  als  zwei  oder  drei  Reiser  auf 
einmal  auf  dem  Kopfe  tragen  kann,  und  doch  haben  sie  mir  befohlen,  ein 
grosses  Bündel  heimzubringen." 

Die  Schlange  fühlte  Mitleid  mit  ihr  und  sprach:  „Sei  getrost,  gute 
Sunäbai  Dschai,  sogleich  will  ich  deine  Sorge  beseitigen.  Sieh  hier;  ich 
werde  mich  meiner  ganzen  Länge  nach  auf  dem  Boden  ausstrecken,  dann 
musst  du  deine  Stecken  mitten  auf  meinen  Körper  legen;  hast  du  hernach 
so  viel  aufgehäuft,  als  du  zu  tragen  vermagst,  so  werde  ich  mich  wie  ein 
Sti'ick  darum  winden,  und  so  wirst  du  imstande  sein,  das  Bündel  leicht 
zu  tragen." 

Sunäbai  Dschai  bedankte  sich  bei  der  Schlange,  die  sich  bald  um  die 
Stecken  wand,  welche  auf  ihren  Körper  gehäuft  waren,  und  das  kleine 
Mädchen  ging  mit  dem  Bündel  auf  dem  Kopfe  heim.  Als  sie  das  Bündel 
auf  dem  Hofe  zu  Boden  warf,  kamen  alle  sieben  Schwägerinnen  aus  dem 


Sunäbai  Dschai.  393 

Hause  gelaufen,  um  sie  zu  sclielten,  weil  sie  luir  ein  paar  Reiser  aus  dem 
"Walde  gebracht  hätte.  Aber  wie  erstaunt  waren  sie,  als  sie  ein  so  grosses 
Bündel  erblickten,  wie  kaum  eine  von  ihnen  tragen  konnte.  Sie  waren 
stumm  vor  Erstaunen  und  konnten  um  ihr  Leben  nicht  begreifen,  wie  das 
kleine  Kind  so  viele  Stecken  auf  seinem  Kopfe  hatte  tragen  können,  ohne 
sie  zusammenzubinden;  denn  die  Schlange  war  davon  geschlichen,  ehe  sie 
ihrer  ansiclitig  werden  konnten. 

Ärgerlich  darüber  beschlossen  die  Schwägerinnen,  sie  strengeren 
Prüfungen  zu  unterwerfen.  So  beschmierte  eines  Tages  eine  jener  würdigen 
Damen  ein  grosses  schweres  Polster  mit  geschmolzener  Butter  uud  Ol. 
Darauf  befahl  sie  Sunäbai  Dschai,  ans  Meeresufer  zu  gehen  und  es  sauber  zu 
waschen,  fest  davon  überzeugt,  dass  sie  bei  solchem  Versuch  entweder 
ertrinken  oder,  wenn  sie  heimkehrte,  eine  tüchtige  Tracht  Prügel  ein- 
heimsen werde.  Die  arme  Sunäbai  Dschai  zog  das  Polster  zum  Gestade, 
setzte  sich  dort  auf  einen  Stein  und  fing  an  zu  weinen,  angesichts  der 
völligen  Unmöglichkeit,  einen  so  schmutzigen,  öligen  und  schweren  Gegen- 
stand mit  einer  Hand  und  ohne  Seife  oder  dergleichen  zu  waschen.  Doch 
machte  sie  sich  nach  einiger  Zeit  an  die  Arbeit;  aber  obgleich  sie  all  ihre 
Kraft  anstrengte,  bis  sie  beinahe  ganz  erschöpft  war,  so  blieb  doch  das 
Polster  so  schmutzig  wie  zuvor.  Da  setzte  sie  sich  denn  enttäuscht  wieder 
nieder  und  weinte  bitterlicher  als  je  zuvor. 

Niemand  befand  sich  in  ihrer  Nähe  ausser  einigen  Kranichen,  die,  die 
ganze  Zeit  über,  das  arme  Mädchen  beobachtet  hatten.  Als  sie  ihr  Weinen 
hörten,  flogen  sie  alle  zu  ilir,  und  einer  von  ihnen  fragte  sie,  warum  sie 
weine.     Sunäbai  Dschai  antwortete: 

„Vater  hatte  sieben  Söhne  und  danach  Sunäbai  Dschai, 
Jeden  Morgen  schwang  die  Mutter  Perlenschnüre  über  ihr; 
Aber  nun  die  sieben  Brüder  sind  gegangen  über  See, 
Einsam  bei  den  Schwägerinnen  blieb,  gehasst,  Sunäbai  Dschai." 

Darauf  erzählte  sie  ihnen,  wie  die  Schwägerinnen  sie  geschickt  hätten, 
das  schmutzige  Polster  auszuwaschen. 

„Ist  das  Alles?"  sagte  der  Kranich,  welcher  das  Wort  führte,  „dann 
trockne  deine  Thräuen,  wir  werden  es  dir  im  Nu  waschen." 

Sunäbai  Dschai  war  einverstanden,  und  sogleich  machten  sich  die 
Kraniche  an  die  Arbeit,  indem  sie  mit  den  Flügeln  vorwärts  und  rückwärts 
schlugen  und  das  Polster  dann  und  wann  ins  Wasser  tauchten,  bis  sie  es 
in  kurzer  Zeit  so  weiss  gemacht  hatten,  wie  ihr  eigenes  Gefieder.  Sunäbai 
Dschai  war  ihnen  dafür  sehr  dankbar,  und  trug  das  Polster  im  Triumph 
heim  zu  ihren  Schwägerinnen. 

Die  waren  sehr  ärgerlich  darüber,  dass  Sunäbai  Dschai  gesund  heim- 
sekehrt  war  und  noch  dazu  das  Polster  rein  und  weiss  über  Erwarten 
zurückgebracht    hatte.     Sie    sagten   jedoch    nichts,    aber    in    ihrem  Innern 


394  Klemm: 

schworen  sie  ihr  noch  grösseres  Ungemach  zu,  um  zu  erproben,  ob  sie 
auch  dieses  überwinden  werde.  So  mischten  sie  nach  einigen  Tagen  eiuon 
Sclieffel  Reis  und  einen  Scheffel  Gerste  unter  t'lnauder,  und  befahlen  ihr, 
auf  den  Hof  zu  gehen  und  die  Körner  aus  einander  zu  lesen. 

„Nimm  dich  in  acht",  sagten  sie,  „dass  du  nicht  ein  einziges  Körnchen 
verlierst,  denn  wir  haben  sie  alle  gezählt!" 

Das  arme  Mädchen  trug  die  Mischung  auf  den  Hof,  wie  ihr  befohlen 
war,  und  setzte  sich  an  die  Arbeit.  Aber  sie  wusste  nicht,  wie  sie  es 
anfangen  sollte,  so  viele  kleine  Körner  richtig  zu  scheiden.  Da  fing  sie 
an  zu  weinen  und  weinte,  bis  selbst  die  Sperlinge  auf  den  hohen  Bäumen 
im  Hof  von  ihren  Thränen  gerührt  wurden,  und  zu  ihr  herab  kamen,  um 
nach  der  Ursache  ihres  Kummers  zu  fragen  Darauf  wiederholte  Sunäbai 
Dschai  ihr  Verschen: 

„Vater  hatte  sieben  Söhne  und  danach  Sunäbai  Dschai, 
Jeden  Morgen  schwang  die  Mutter  Perlenschnüre  über  ihr; 
Aber  nun  die  sieben  Brüder  sind  gegangen  über  See, 
Einsam  bei  den  Schwägerinnen  blieb,  gehasst,  Sunäbai  Dschai." 

Und  sie  berichtete,  was  ihr  die  Schwägerinneu  aufgetragen  hatten. 
Sogleich  machte  sich  eine  grosse  Schaar  Sperlinge  an  die  Arbeit,  sonderte 
mit  ihreu  Schnäbeln  den  Reis  von  der  Gerste,  und  in  kurzer  Zeit  war 
jede  Sorte  auf  einen  grossen  Haufen  zusammengetragen.  Erfreut  trug 
Sunäbai  Dschai  das  ausgelesene  Getreide  ins  Haus.  Die  Schwägerinnen 
trauten  kaum  ihi-en  Augen,  so  erstaunt  waren  sie,  als  sie  die  Arbeit  so 
rasch  vollendet  sahen.  Doch  eine  von  ihnen  stellte  sich,  als  ob  sie  die 
Körner  zähle  und  sagte: 

„Halt,  halt!  So  also,  Sunäbai  Dschai,  verrichtest  du  deine  Arbeit? 
An  dem  Reis  fehlt  ja  ein  Koi-n,  wie  erklärst  du  das?  Augenblicklich 
hole  es  herbei,  oder  du  bekommst  tüchtige  Prügel!" 

Das  arme  Kind  ging  wieder  auf  den  Hof  und  suchte  nach  dem  Reis- 
körnchen mit  thränengefüllten  Augen,  als  sie  einen  Sperling  ins  Haus 
fliegen  sah.  Sie  folgte  ihm,  und  zum  Erstaunen  aller  Hess  der  Vogel  ein 
Reiskorn  auf  den  Haufen  fallen  und  flog  davon. 

Darauf  wurden  die  Frauen  noch  mehr  erzürnt  gegen  i das  arme  Kind 
und  überlegten,  wie  sie  es  am  sichersten  verderben  könnten.  Deshalb 
befahlen  sie  ihr  eines  Tages  in  den  Wald  zu  gehen  und  Tigermilch  für 
sie  zu  holen,  fest  davon  überzeugt,  dass  sie  bei  solchem  Versuch  ihr  Leben 
lassen  werde.  Klein  Sunäbai  Dschai  ahnte  nichts  von  der  Gefahr  eines 
solchen  Auftrages  und  wanderte  furchtlos  hierhin  und  <Iorthin,  um  eine 
Tigerin  zu  suchen,  fand  aber  zu  ihrem  Glück  keine.  So  sank  sie  endlicli 
müde  und  matt  im  Dickicht  zu  Boden  und  fing  an  zu  weinen,  als  plötzlich 
eine  Tigerin  aus  dem  Busch  sprang  und  zu  ihr  sagte: 

„Nun,  Sunäbai  Dschai,   was  thust  du  hier   und  warum  weinst  tlu  so?" 


Sunäbai  Dschai.  395 

Da  erzählte  Sunäbai  Dschai  ihre  Geschichte  in  folgenden  Worten: 

„Vater  hatte  sieben  Söhne  unti  danach  Sunäbai  Dschai, 
Jeden  Morgen  schwang  die  Mutter  Perlenschnüre  über  ihr; 
Aber  nun  die  sieben  Brüder  sind  gegangen  über  See, 
Einsam  bei  den  Schwägerinnen  blieb,  gehasst,  Sunäbai  Dschai." 

„Meine  Schwägerinnen",  fuhr  sie  fort,  „haben  mich  ausgeschickt, 
Tigermilch  zu  liolen,  aber  ich  weiss  wirklich  nicht,  woher  ich  sie  be- 
kommen soll." 

Da  hatte  die  Tigerin  Mitleid  mit  ihr  und  gab  ihr  von  ihrer  Milch, 
die  das  Mädchen  in  der  Gelte  heimtrug,  welche  es  zu  dem  Zweck  mit- 
genommen hatte. 

Gross    war    das  Erstaunen    und    die  Enttäuschung   der  sieben  Frauen, 
als  sie  Sunäbai  Dschai  wieder  unverletzt  zurückkehren  sahen,   und  als  sie 
dann    den    Eimer  mit  der  Tigermilch    vor    sie    hinsetzte,    kannte    ihr  Er- 
staunen   keine    Grenzen.     Jetzt    sahen    sie    deutlich,    dass    sie    unter   dem 
besonderen  Schutze    der  Vorsehung  stand,  und  dass  jeder  Versuch,  sie  los 
zu  werden,  ohne  Erfolg  sein  werde.    Denuoch  hielten  sie  an  ihrem  Vorsatze 
fest.     Eines  Tages  gaben  sie  ihr  ein  grosses  Stück  Zeug  und  befahlen  ihr 
'^lamit  zum  Strande  zu  gehen  und  darin  den  Schaum  des  Meeres  aufzufangen. 
Ohne    eine  Ahnung    von    der  Erfolglosigkeit  eines   solchen   Unternehmens, 
"■ins    das    kleine  Mädchen   zum  Strande  und  brachte  fast  den  ganzen  Tag 
auf    ihren  Knieen    im  Wasser    zu.    indem    sie   versuchte   wenigstens  etwas 
von    dem  Schaume  zu   erhaschen,    der  um  sie  herum  schwamm.     Aber  zu 
ilirer  grossen  Enttäuschung  erkannte  sie,  wie  fruchtlos  jeder  Versuch  war. 
Thränen  entströmten  ihren  Augen  als  sie  sah,    dass  es  dunkel  wurde,  und 
als    sie    daran    dachte,    wie    weit    sie    noch    zu  gehen   habe,  und  wie  ihre 
Schwägerinnen    sie    mit  den  schwersten  Strafen  belegen  würden,    falls  sie 
mit  leeren  Händen  zurückkehrte,  als  ihre  Aufmerksamkeit  auf  ein  einsames 
Segel  gelenkt  wm'de.     Sie  beobachtete  genau  die  Bewegungen  des  Schilfes, 
welches  sich  rasch  dem  Gestade  näherte:  als  es  näher  herankam,  erkannte 
sie  es  als  das  ihrer  Brüder  und  nun  kannte  ihr  Entzücken  keiue  Grenzen. 
Von  dem  Wunsche  beseelt,   ihre  Brüder  zu  überraschen,  verbarg  sich 
klein  Sunäbai  Dschai  hinter  einem  Felsen  bis  sie  landeten.     Nach  einiger 
Zeit  warf  das  Schiff  Anker,    und   die  sieben  jungeu  Männer  näherten  sich 
in    einem  Boote    dem  Strande.     Sobald    sie    festen  Boden  betreten  hatten, 
konnte    sich    das    kleine  Mädchen    nicht  länger  halten,    raunte  auf  sie  zu, 
und    wurde    von    ihren  Armen    aufgefangen.     Als    die  Erregung    über  das 
unerwartete  Zusammentreffen  vorüber  war,  fragten  sie  die  Brüder,  was  sie 
am  Meeresufer,  so  weit  von  Hause,  thue.     Da  erzählte  sie  ihnen  alles,  was 
ihr  seit  ihrer  Abreise  begegnet  war,  uud  berichtete  ihnen,  dass  sie  geschickt 
worden    sei,    Schaum  aus  dem  Meere  zu  holen.     Die  Brüder  waren  heftig 
erzürnt,    als    sie    das    uumenschliche  Gebalu-en  ihrer  Frauen  erfuhren  und 


396  Haase: 

beschlossen,  sie  nach  Gebühr  zu  bestrafen.  Inzwischen  brachten  sie  Suuäbai 
Dschai  auf  ihr  Schiff  und  behielten  sie  dort  bis  zum  nächsten  Morsen. 
Dann  schnitt  einer  von  ihnen  seinen  Schenkel  auf,  steckte  seine  kleine 
Schwester  hinein  und  nähte  den  Riss  zu.  Darauf  gingen  sie  ans  Land  und 
wanderten  langsam  heim.  Als  sie  ankamen,  waren  ihre  Frauen  höchlichst 
erstaunt  sie  zu  sehen,  denn  sie  hStten  ihre  Rückkehr  so  bald  nicht  erwartet. 
Unter  dem  Vorgeben  nichts  von  Sunäbai  Dschai  zu  wissen,  fragten  sie 
wo  sie  wäre;  worauf  die  bösen  Frauen  antworteten,  sie  habe  sich  sehr 
schlecht  betragen,  wäre  nach  Belieben  umhergewandert,  ohne  auf  ilu-e 
Ermahnungen  zu  achten,  und  so  sei  sie  auch  heute  Morgen  ohne  Erlaubnis 
weggegnngen,  aber  am  Abend  werde  sie  sicher,  wie  sonst,  wiederkommen. 

„Gut",  sagten  die  Männer,  „jetzt  gebt  uns  etwas  zum  Frühstück,  wenn 
aber  Sunäbai  Dschai  nicht  am  Abend  zm'ückkommt,  so  seid  ihr  für  ihr 
Leben  verantwortlich." 

Bei  diesen  Worten  fingen  die  sieben  Frauen,  welche  das  arme  Mädchen 
den  ganzen  Tag  vorher  nicht  gesehen  hatten,  an  zu  zittern  und  beteten 
inständig  für  ihre  sichere  Rückkehr.  Beim  Mahle  aber  bemerkten  sie, 
dass  einer  der  Männer  immer  einen  Bissen  auf  seinen  Schenkel  legie,  von 
dem  es  bald  verschwand,  um  durch  einen  anderen  ersetzt  zu  werden:  da 
sie  aber  gewahrten,  wie  schlechter  Laune  ihre  Männer  waren,  wagten  sie 
nicht  zu  fragen.  Endlich,  als  die  Nacht  anbrach  und  Sunäbai  Dschai  sich 
nicht  sehen  Hess,  wurden  die  Brüder  wütend  und  zwangen  ihre  Frauen 
bei  Todesstrafe  zu  gestehen,  was  sie  mit  ihr  gethan  hätten.  Da  sie  die 
Nutzlosigkeit  jeder  weiteren  Ausflucht  einsahen,  bekannten  sie  ihre  Schuld 
und  gaben  der  Befürchtung  Ausdruck,  dass  Sunäbai  Dschai  im  Meere 
ertrunken  sei.  Da  öffnete  zu  ihrem  gTössten  Schrecken  einer  der  Brüder 
den  Riss  in  seinem  Schenkel,  und  zog  Sunäbai  Dschai  so  munter  und 
frisch  wie  zuvor  heraus.  Darauf  warfen  sich  die  bösen  Weiber  auf  ihre 
Kniee  nieder  und  baten  laut  um  Verzeihung.  Doch  ihre  Gatten  waren 
unerbittlich,  sie  schoren  ihnen  das  Haar,  schnitten  ihnen  die  Nasen  ab, 
setzten  sie  auf  Esel  und  schickten  sie  ihren  Eltern  zurück,  wo  sie  den 
Rest  ihres  Lebens  in  Schimpf  und  Schande  verbrachten." 


Yolksrätsel  aus  der  Grafschaft  Euppin  und  Umgegend. 

Gesammelt  von  K.  Ed.  Haase. 

(Fortsetzung  von  Zeitschrift  III,  71.) 


123.    Man  ist  darein  mid  kömmt  darein.  Ins  Aber. 

124.    Es  kam  ein  Mädchen  von  Aachen  (wohl  richtiger:  Aken) 
Mit  einem  weissen  Laken 
Und  wollte  die  ganze  Welt  bedecken 
Und  konnt's  doch  nicht  über  die  Elbe  strecken. 

Der  Schnee.     Vgl.  No.  3,  Jahrg.  ID,  S.  71. 


Volksrätsel  aus  der  Grafschaft.  Rui)]iin  uiul  llmgegenci.  397 

125.    Es  ist  vom  Leben  und  hat  kein  Leben 

Und  muss  Red'  und  Antwort  geben.  Die  Feder. 

126.    Wer  hat  den  Wolf  über  den  Berg  getragen?  Die  Wölfin. 

127.    Vorne  wie  ein  Kamm, 

In  der  Mitte  wie  ein  Lamra, 

Hinten  wie  eine  Sichel; 

Rat,  mein  lieber  Michel.  Der  Hahn. 

128.  Vorne  wie  eine  Gabel,  in  der  Mitte  wie  ein  Fass,  hinten  wie  ein  Besen. 

Die  Kuh. 

129.  Hoch  wie  ein  Haus,  |  Klein  wie  eine  Maus, 

Rot  wie  Blut;  1  Wenn  man's  isst,  schmeckt's  gut.  Die  Kirsche. 

130.  Der  es  macht,  der  will  es  nicht; 
Der  es  trägt,  behält  es  nicht; 

Der  es  kauft,  der  braucht  es  nicht; 

Der  es  hat,  der  weiss  es  nicht.  Der  Sarg. 

131.  Ein  Weg  ohne  Staub, 
Ein  Wald  ohne  Laub, 
Ein  Reich  ohne  Diebe, 

Eine  Gesellschaft  ohne  Liebe. 
Die  Wasser-  (oder  Milch-)  Strasse,    der  Fichtenwald,  das  Himmelreich,  die  Hölle. 

Vgl.  No.  31   (III.  Jahrg.,  S.  74). 
132.    Zwei  Löcher  hab'  ich, 
Zwei  Finger  brauch'  ich. 
So  mach'  ich  Lang  und  Grosses  klein 
Und  trenne,  was  nicht  soll  beisammen  sein.        Die  Schere. 

133.  Welche  Scheren  werden  nicht  geschliffen?  Die  Krebsscheren. 

134.  Wieviel  Nägel  gehören  zu  einem  wohlbeschlagenen  Pferde? 

Reine;  denn  sie  sind  vollzählig. 
135.    Unter  unserm  Schuppen 

Liegt  ein  kleines  Pässchen, 
Es  hat  weder  Spundloch  noch  Zäpfchen 
Und  ist  doch  zweierlei  Öl  drein.  Das  Ei. 

13fi.  Fleisch  ist  es  nicht;  von  Fleisch  ist  es  geboren.  Es  hat  weder  Nase 
noch  Ohren.  Man  schneidet  ihm  den  Kopf  ab,  man  gicbt  ihm  zu  trinken,  man 
lässt  es  spazieren  gehen,  dann  kann  es  vor  Herren  und  Fürsten  bestehn. 

Die  Schreibfeder. 

137.  Es  sieht  aus  wie  eine  Katze,  hat  Haare  wie  eine  Katze,  maust  wie  eine 
Katze  und  ist  doch  keine  Katze.  Der  Kater. 

138.  Wie  ich  bin,  so  bleib'  ich:  Bin  ich  jung,  so  bleib'  ich  jung;  bin  ich  alt, 
so  bleib'  ich  alt;  bin  ich  heiter,  so  bleib'  ich  heiter;  bin  ich  finster,  so  bleib'  ich 
finster.  Ich  habe  Augen  und  sehe  nicht,  ich  habe  Ohren  und  höre  nicht,  ich  habe 
einen  Mund  und  rede  nicht,  ich  habe  eine  Nase  und  rieche  nicht.         Das  Bild. 

139.    Hoch  erhoben. 
Krumm  gebogen. 
Wunderlich  erschallen. 
Wer  mir  dies  kann  raten. 
Dem  geh'  ich  einen  Dukaten: 
Wer's  mir  kann  erdenken. 
Dem  will  ich  ein  Glas  Wein  einschenken.    Der  Regenbogen. 


398  Haase: 

140.  Mein  Körper  ist  so  hart  wie  Stein, 
Und  harte  Nahrung  nehm'  ich  ein; 
Bald  liebt  und  ehrt  mich  jedermann. 
Bald  wieder  sieht  kein  Mensch  mich  an; 
Am  meisten  werd'  ich  dann  verehrt, 
Wenn  jeder  mir  den  Rücken  kehrt. 

Der  Ofen.     Vgl.  No.  63  (111  Jahrg..  S.  7.i). 

141.  Ich  bin  durchnagelt  in  der  Mitten, 
Von  Frauenzimmern  wohl  gelitten, 
Bei  Schneidern  halt'  ich  übel  Haus, 

Man  sticht  mich  (V  mit  mir)  leicht  die  Augen  aus. 

Doch  pfleg'  ich  meinen  langen  Rachen 

Gleich  einem  Schnabel  aufzumachen, 

Tuch,  Leder,  Leinwand  und  Papier, 

Das  fress"  ich  alles  mit  Begier.  Die  Schere. 

142.  Ich  rede  ohne  Zunge 
Und  schreie  ohne  Lunge, 

Ich  nehme  teil  an  Freud"  imd  Schmerz 
Und  habe  doch  kein  (fühlend)  Herz.  Die  Glocke. 

14Ö.    Wer  kaim  wohl  fester  bauen  als  Maurer  und  ZimmermannV 

Der  Totengräber. 
144.    Hoch  wie  ein  Haus, 
Klein  wie  eine  Maus, 
Grün  wie  Gras, 

Ach,  wie  schön  schmeckt  mir  das! 
Der  Nussbaum  und  die  Nuss.     Vgl.  Xo.  51  (Hl.  Jahrg.,  S.  7ö)  u.  l'Id. 

Üb.    Im  Eila')  geh  ich. 
Im  Eila  steh  ich. 
Im  Eila  bin  ich  säuberlich. 
Wer  mir  das  rat, 
Dem  geh  ich  einen  Hascubrat', 
Wer  mir  das  ausdenkt. 
Dem  ich  eine  Kanne  Wein  einscheuk: 
Da.s  Füll  eines  Hundes,  Namens  Eila.    A^gl.  No.  17  (III.  Jahrg ,  S.  72)  und  in  Bezug 

auf  den  Schhiss  No.  13S). 
146.   Es  lebt  und  läuft, 

Ist  zweimal  geboren  und  nicht  einmal  getauft; 

Und  hat  doch  so  ein  kluges  Haupt, 

Daran  die  ganze  Erde  glaubt.  Der  Hahn. 

147.  Es    kann   geraubt    werden    und    ist   doch    nicht    weg;    es  kann  in  viele 
hundert  Teile  geteilt  werden  und  ist  doch  noch  ganz.  Das  Herz. 

148.  Die  Sonne  kocht's,  die  Hand  bricht's,  der  Fuss  tritt's,  der  Mund  geniesst's. 

Der  Wein. 

149.  Man    kocht's    nicht,    mau    kaut's    nicht,    man    schlingt's    nicht  und  doch 
schmeckt  es  vielen  gut.  Der  Rauchtabak. 

150.  Welche  Leiber  werden  nicht  geboren  und  welche  sterben  nicht? 

Die  Schnürleiber. 


1)  'Vielleicht  aus  „Filo"  verschrieben. 


Volksrätsel  aus  der  (Jrafschaft  Euppin  und  Umgegend.  399 

151.  Es  stehn  zwei  Stangen  auf  der  Erde,  aul'  den  Stangen  ist  ein  Rasten, 
auf  dem  Kasten  ist  eine  Rönne  (=  Rinne),  auf  der  Rönne  ist  ein  Wald,  da 
spazieret  jung  und  alt.  Der  Menscli. 

152.  Es  rennt  und  kommt  nimmer  zur  Stadt. 

Die  Windmühle.     Vgl.  No.  85  (III.  Jahrg.,  S.  77). 

153.  Ein  Müller  ging  in  seiner  Mühle,  die  vier  Ecken  hatte.  In  jeder  Ecke 
standen  vier  Säcke,  auf  jedem  Sacke  sassen  vier  alte  Katzen,  jede  alte  Katze  hatte 
viel-  Junge.     Wieviel  Püsse  waren  nun  in  der  Mühle?  Zwei,  die  des  Müllers; 

denn  die  Katzen  haben  Pfoten.     Vgl.  No.  20  (III.  Jahrg.,  S.  73). 

154.  Es  geht  durch  den  Zaun  und  rasselt  nicht.  Die  Sonne. 

155.  Der  Herr  baut  ein  Haus,  |  Auswendig  ist  es  kraus. 
Inwendig  sind  Kiimmerlein,  |  Wo  die  Bewohner  drein  sein. 

Der  Mohnkopf. 

156.  Jedermann  verlangt  mich,  und  wenn  mau  mich  hat,  so  hasst  man  mich. 

Die  Gesundheit. 

157.  Was  macht  man,  wenn  man  aus  dem  Bette  aufsteht?  Platz. 

158.  Wo  wird  das  Wasser  am  teuersten  verkauft?  In  der  Apotheke. 

159.  Es  guckt  nach  allen  Seiten  und  sieht  nicht;  die  Leute  sehen  es  und 
wissen  gleich,  woran  sie  smd.  Die  Wetterfahne. 

160.  Welches  Tier  ist  dem  Wolf  am  ähnlichsten?  Die  Wölfin. 

161.  Warum  hängt  der  Dieb?  Weil  der  Strick  zu  kurz  ist. 

162.  Wann  schwimmen  die  Gihise?     Wenn  sie  keinen  Grund  mehr  haben. 

163.  Wem  sieht  ein  durchgeschnittener  Strohhalm  am  ähnlichsten? 

Der  andern  Hälfte. 

164.  Ich  bin  eine  Mutter  mit  vier  Kindern.  Sie  können  alle  gut  singen;  aber 
wenn  nicht  einer  kömmt,  der  sie  hin  und  her  reisst,  dass  sie  zittern  imd  beben, 
so  können  sie  keinen  Laut  von  sich  geben.  Die  Violine. 

165.  Wer  kommt  zum  Ersten  in  der  Kirche?  Der  Zweite. 

166.  Welches  Pferd  sieht  hinten  so  gut  wie  vorne?  Das  blinde. 

167.  Ohne  Sünde  geboren,  ohne  Sünde  gestorben  und  Gott  gedienet  und  doch 
nicht  selig  geworden.  Der  Esel. 

16S.  Was  sind  das  wohl  für  Leute,  die  den  Menschen  alles  vor  dem  Munde 
wegnehmen?  Die  Barbiere. 

1G9.    Gott  sprach  ein  Wort  und  meint  es  nicht. 

Der  Mensch  vollbrachts  und  that  es  nicht.  Isaaks  Opferung. 

170.  Es  rasselt,  es  prasselt  an  eisernen  Ketten. 
Soldaten,  Kameraden,  könnt's  nicht  erretten. 

Der  Wind.     Vgl.  No.  84  (III.  Jahrg.,  S.  77). 

171.  Wo  hat  der  Esel  so  stark  geschrieen,  dass  es  die  ganze  Welt  hat  hören 
können?  I"  tl^r  Arche  Noahs. 

172.  Ein  stählernes  Pferd  mit  einem  wollenen  Schwanz. 

Die  Stopfnadel  mit  dem  Faden.    Vgl.  No.  62  (IIL  Jahrg.,  S.  75). 

173.  Wann  war  die  Welt  am  engsten?  Als  Noah  in  dem  Kasten  sass. 

174.  Wann  war  der  Tag  am  längsten?    Als  Josua  sagte:  „Sonne,  stehe  still." 

175.  Welche  Krankheit  war  die  erste  in  der  Welt?  Das  Heimweh. 

176.  Der  Tisch  ist  gedeckt, 
Die  Magd  liegt  gestreckt, 

Der  Herr  kommt  und  Adelt  ihr  mang  die  Beine  Der  Gänsebraten. 


400  Haase: 

177.    Ich  wachse  aus  der  Erde 
Und  kleide  jeden  Maiui 
Vom  Kaiser  bis  zum  König 

Und  auch  den  Bettelmann.  Der  Flachs.     Vgl.  No.  4 1 

(III.  Jahrg..  S  74),  wo  die  beiden  letzten  Zeilen  jedenfalls  richtiger  sind. 

178.  Ruarippel,  |  Gelb  ist  der  Zippel, 

Schwarzbraun  ist  das  Loch,  |  Wo  Rirarippel  rein  kroch. 

Die  Mohrrübe     Vgl    No.  47  (lü.  Jahrg.,  S.  75). 

179.  Wie  tief  ist  das  Meer?  Einen  Steinwurf. 

180.  Wie  hoch  ist  der  Himmel?  Eine  Tagereise. 

181.  Welche  Kinder  sehen  ihren  Vater  taufen?  Die  des  Pastors. 

182.  Ich  ging  einmal  über  ein  Schilf, 
Da  mii-  der  liebe  Gott  hilf, 

Da  fand  ich  ein  klein  Meisterstück, 
Das  war  wie  mein  klein  Finger  dick. 
Daraus  könnt  ich  schneiden 
Zwei  Mollen  und  zwei  Speckseiten 
Und  eine  Priesterkäpi)elmütz. 

Die  Eichel.     Vgl.  No.  34  (III.  Jahrg.,  S.  74). 

183.  Wenn  ich  lob",  bin  ich  dumm  (oder  stumm?); 
Wenn  man  mich  bringet  um, 

Legt  man  mich  in  Sarg  und  Eisen, 

Dann  muss  ich  zu  Peuor  reisen, 

Dann  fang  ich  ein  Gerumpel  an, 

Dass  niemand  mich  verstehen  kann.  Der  Fisch. 

184.  Welcher  Wagen  geht  ohne  Rüder?  Das  Schilf. 

185.  Was  ist  schwärzer  als  der  Rabe?  Seine  Federn. 

186.  Mit  welchen  Augen  kann  man  nicht  sehen?       Mit  den  Elsteraugen.') 

187.  Wie  sind  die  Erbsen  nach  England  gekommen?  Rund. 

188.  Wer  ist  geschickt?  Der  Bote. 

189.  Drei   Bauern    schlachten    einen  Ochsen,    und  Jeder   bekam    einen  Kopf. 
Wie  ist  das  möglich?  Der  eine  Bauer  hiess  Jeder. 

190.  W^as  haben  eine  gestohlene  Uhr  und  ein  Waisenkind  Gemeinsames? 

Sie  werden  von  Fremden  aufgezogen. 

191.  Wozu  giebt  es  Hühneraugen?  Damit  die  Hühner  sehen  können. 

192.  Ein  Blinder  sieht  einen  Hasen  laufen,    ein  Lahmer  rennt  ihm  nach  und 
ein  Nackter  steckt  ihn  in  die  Tasche.     Was  ist  das?  Eine  Lüge. 

193.  Wat  rumpelt  un  pumpelt  in  der  hohlen  Käsern'? 

Botterfass.     Vgl.  No.  53  (lU.  Jahrg.,  S.  75). 

194.  Zwei  Köpfe,  zwei  Arme,  sechs  Püsse,  zehn  Zehen. 

Wie  soll  ich  das  verstehen?  Der  Reiter  mit  dem  Pferde. 


1"!  Die  Rätsel  123  —  186  sind  einem  geschriebenen  Büchlein  iu  12"  entnonim^,  das 
den  Titel  trägt:  „Eätsel-Buch  für  Ludwig  Grunow.  Neu-KiippLn,  d.  1.  Junins  1825."  Es 
enthält  auf  21  Seiten  73  Rätsel,  von  denen  jedoch  das  letzte  (Welches  sind  die  besten  a 
prima  vista  Sänger?)  nicht  den  Charakter  des  Volksrätsels  trägt,  und  auf  6  Seiten 
72  Lösungen;  die  letzte  Lösung  fehlt.  Der  Saromler  dieser  Rätsel  ist  iu  Neu-Ruppin  vor 
3  Jaliren  in  hohem  Alter  als  Rentner  gestorben.  Diejenigen  Rätsel,  die  mit  Nummern 
der  von  mir  im  III.  Jahrgang,  S.  71 11.  veröffentliehteu  übereinstimmen,  habe  ich  einfach 
ausgelassen. 


Volksrätsel  aus  der  Grafschaft  Ruppin  und  Umgegend.  401 

195.    Welcher  König  hat  keine  Krone? 

Der  Zaunkönig.     Vgl.  No.  29  u.  :;()  (111.  Jahrg.,  S.  73  u.  ,74). 
196.    Bald  kurz,  bald  lang. 

Bald  geschlilTen  und  auch  blank; 

Wenn  der  Bauch  ist  gefüllt 

Und  der  Hunger  gestillt. 

Sag'  ich:  ^Schnapp!"  und  auch  „Klapp! 

Ins  Hoseugemach!"  Das  Taschenmesser. 

197.  Er    schlief.     Sie    rief   ihn    mit    dem  Namen   des  Baumes,    unter  dem  er 
schlief.     Wie  rief  sie?  Wachholder. 

198.  Auf  welche  Seite  fällt  der  Hase,  wenn  er  geschossen  ist? 

Auf  die  rauhe  Seite. 

199.  Welches  ist  das  gefr.ässigste  Tier? 

Der  Hase;  denn  er  frisst  mit  zwei  LölTehi. 

200.  Was  riecht  zuerst,  wenn  man  in  die  Apotheke  kommt?  Die  Nase. 

201.  Welches  Wasser  hat  keinen  Fisch?  Das  Brmmenwasser. 

202.  Hoch  wie  ein  Haus, 
Klein  wie  eine  Maus, 
Bitter  wie  Galle, 
Süss  wie  Zucker. 

Die  Wallnuss.     Vgl.  No.  51   (Hl.  Jahrg.,  S.  75),   129  u.   144. 

203.  Vorne  Fleisch  und  hinten  Fleisch, 
In  der  Mitte  Holz  und  Eisen. 
Wer  dies  Rätsel  raten  kann, 
Mag  aufs  Feld  mich  weisen. 

Der  Bauer  mit  Pferd  und  PUug. 

204.  Welche  Biere  schäumen  am  meisten.  Die  Barbiere. 

205.  Welcher  Baum  hat  keine  Krone? 

Der  Schlagbaum.     Vgl.  No.  113  (III.  Jahrg.,  S.  78). 

206.    a)   In  mine  Kämer, 

Do  schlöppt  Hans  Hämer; 
De  bimmelt  mi  so  sacht 
Dat  ik  nernst  an  dacht. 
b)    Ik  ging  in  uns  Kämer, 
Begegnet'  mi  Hans  Hämer. 
De  kriegt'  mi  so  nerrer. 
Besah  mi  det  Lerrer; 
Dat  däh'  mi  so  sacht, 

Dat  ik  nernst  an  dacht.  De  Schlöp. 

207.    Wenn    sich  Leib    und  Seele  vom  Menschen  geschieden  haben,    was  hat 
dieser  dann  noch  für  ein  Verlangen? 

Einen  Teller  Suppe  (verlangt  die  Wöchnerin,  wenn  sie  geboren  hat). 

208.    Ging  im  Garten  spitz  spazieren, 
Hatt'  ein  Rock  von  Damascieren, 
Hatt'  ein'  buntes  Jacken  an: 
Wer  mir  das  wohl  raten  kann?  Die  Raupe. 

209.    Wann  hiit  man  die  meisten  Löcher  unter  den  Beinen? 

Wenn  man  über  ein  Stoppelfeld  geht. 


402  Haase: 

21U.    Hinner  unsen  Owen 
Stohu  en  Paar  Kloben, 
üp  de  Kloben  steiht  ne  Tunne, 
Up  de  Tunne  steiht  en  Trichter, 
üp  den  Trichter  liggt  ne  Kugel, 
Up  de  Kugel  is  en  Wald, 

Da  spazieren  jung  und  alt.     Der  Mensch.    Vgl.  No   151. 
i'll.    Wie  schreibt  man  trocknes  Gras  mit  di-ei  Buchstaben?  Heu. 

212.    Trocknes  Gras,  mit  drei  Buchstaben  geschrieben,    waram  kann  das  kein 
kathoHscher  Priester  raten?  Weil  er  nicht  „heuratcn"  darf. 

213.    En  Mann  will  de  ganze  Welt  bedecken 
Un  kann  nich  öwer't  Wäter  recken. 

Der  Schnee.    Vgl.  No.  3  (III.  Jahrg.,  S.  71)  u.   124. 

214.    Der  Arme  schmeisst's  weg  und  der  Reiche  steckt's  in  die  Tasche. 

Der  Nasenschleim. 
21.').    Wer  es  macht,  der  nimmt  es  nicht. 
Wer  es  höh,  der  braucht  es  nicht, 
Und  wer  es  nimmt,  der  kennt  es  nicht.  Die  Medizin. 

216.    Welcher  Unterschied    ist    zwischen    einem  Förster  und  einem  Maikäfer? 
Der  Förstei'  ist  grün  und  macht  braun,  der  Maikäfer  aber  ist  braun  und  macht  grün. 

217.    Et  kümmt  en  Mann  ut  Hickenpricken, 
He  hett  en  Rock  ut  dusend  Flicken, 
He  hett  en  knackem  Angesich, 
He  hett  enen  Kamm  un  kämmt  sich  nich, 
He  hett  enen  roden  Bart; 
Kiek,  wo  de  Schelm  rärt. 

Der  Hahn.     Vgl.  No.  12  (lU.  Jahrg.,  S.  72). 

218.  Was  war  früher  auf  der  Welt,  das  Huhn  oder  das  Ei? 

1.  Das  Ei;  denn  das  Huhn  ist  daraus  entstanden. 

2.  Das  Huhn;  denn  es  hat  das  Ei  gelegt. 

219.  Was    ist    der  Mensch,    wenn    er  nackend  ist?  —  Xichts;    denn  er  kann 

nicht  einmal  für  einen  Dreier  Semmel  in  die  Tasche  stecken. 

220.  Was  sind  die  Zähne?  —  Ein  dreifaches  Weh;   denn  wenn  sie  kommen, 
hat  man  Weh;  wenn  man  sie  hat,  thun  sie  weh,  und  wenn  sie  ausgezogen  werden, 

thun  sie  auch  weh. 

221.    u)    Hans  stunn  hüiner  de  JardLu 
Un  besach  sich  sin. 

_.4ch  Gott!  wat  bist  du  schlapp  un  dünn! 
Wenn  du  wist  bi  de  Maekens  gähn, 
Dann  müsst  du  noch  'n  bet  stiwer  stähn.^ 

b)   Unse  Knecht  Stodien 
Steiht  himier  de  Jardiu 
Un  besieht  sich  sin 
Un  denkt  in  sinem  Smn : 
„Du  bist  jo  hüet  so  schlapp, 
Ik  hebb'  die  doch  all  straffer  hat.'' 

Der  Mann  mit  dem  Geld-  oder  Tabaksbeutel. 


Volksrätsel  aus  der  (Ji-arschart  Ru|i]iin  iiiul  Uingfegond.  4(tH 

222.    Iliingt   an  ilc  Wand  as  iio  dodige  Gans:    wonn  dol  Ding-  runnoi-  küniml, 
wibbolt  do  Dicrns  de  Näs  van.  Die  Geig'e. 

22;!.    Der  Vater    ist  kaum  geboren,    da  sitzt  der  Sohn  schon  auf  dem  Dache. 

Feuer  und  Rauch. 
224.    Hinner  unse  Hus 
Ploegt  Vatei  Krus 
Unner  Distel  un  Dorn, 
Jewt  jrojc  Farn. 

Der  Mull.     Vgl.  No.  2G  (III.  Jahrg.,  S.  7;!). 
22.').    Isern  l'erd  niet  hültern  Ben.  Der  Bohrer. 

22G.    Witschel  de  Watschel  gciht  öwor  de  Brück 

Vn  droegt  den  König  sin  Bett  up'n  Rücken.  Die  Gans. 

227.  Ik  ging  öwert  Straetken  (=  Strässchen), 
Begegnet  mi  en  klein  Aepken  (ÄfTchen), 
Bot  mi  en  Runzelfunzel  an; 

Ik  segg',  ik  hebb  allen  klein  Mann, 

De  mi  runzclfunzeln  kann.  Der  Floh. 

228.  Unse  Tante  Dickbuck 

Hett  en  Mul  wie  ne  Heustallluk.  Der  Backofen. 

229.  Wann  hobb"n  de  Frauensleut'  den  meisten  Schüm  mang  de  Ben'? 

Beim  Molken. 

230.  Ich  ging  einmal  in  n  Wald, 

Da  fand  ich  ein  klein  Meisterstück, 

Das  war  so  ungefähr  wie  ein  klein  Finger  dick. 

Da  macht'  ich  draus  zwei  Mühlen,  zwei  S|inlcn,  ein  Nilpfchen 

mit  "nem  langea  Stiel ; 
Und  wer  das  rät,  der  weiss  sehr  viel. 

Die  Eichel.     Vgl.  No.  U  (III.  Jahrg.,  S.  74)  u.  182. 
io\.    Vorn  schitt  es,  hinten  frisst  es.  Die  Häcksellade. 

232.    Du  schwarzes  Rabentier, 

Hast  mich  gebissen  und  gekniffen. 
Nun  sollst  du  sterben  müssen: 

Knipps!  das  ist  dafür.  Der  Floh. 

23.S.    Acht  Jungfern  schloepen  in  en  Bett.         Die  Speichen  des  Spinnrades. 
234.    Kam  'n  klein  Männken  von  Hüttenlütteii, 

Hat  'n  Täbelken  (=Kober)  up  sinon  Rücken, 
Darin  hat  er  Sich-sich, 
Darin  hat  er  Stich-stich, 
Darin  hat  er  weiss  gewaschen 

Ohne  Seife  und  ohne  Aschen.  Spiegel,  Nadel,  Ei. 

235.    Welcher  Ring  ist  nicht  rund?  Der  Hering. 

23ß.    Wennihr  is  de  Voss  en  Voss? 

Wann  he  allen  is;  sind  et  mihr,  so  sind  et  Voss. 
237.    Ich  kenne  eine  Ritze, 

Sieht  aus  wie  eine  Schlitze, 
Oben  und  unten  sind  Haare  dium, 

Manchmal  kommt  auch  Wasser  raus.  Das  Auge. 

238.    Bauch  an  Bauch,  Haar  an  Haar  und  eine  Stange  dazwischen. 

Das  Zweigespann. 

Zeitscbr.  d.  Vereiiib  f.  Volkskuude.   1895.  ^° 


404  Haase: 

239.    Steif  rein,  schlapp  wieder  heraus. 

Das  Holz,  das  als  Asche  wieder  aus  dem  Ofen  gezogen  wird. 

240.  Rummel,  rummel,  rub  di. 

ü 

Hüet  Abend  kumm  ik  up  di: 

Ik  will  di  punipinellen, 

Der  Bück,  der  soll  di  quellen. 

Das  Spinnrad.     Vgl.  Xo.  86  (HI.  Jahrg.,  S.  77). 

241.  Aussen  ist's  haarig,  |  Innen  ist's  hohl; 

Hab'  ich  was  drin.  |  So  ist  mir  wohl.  Die  Muffe. 

242.  Hängt  an  de  Wand, 

Hett  twe  Botterstullen  inne  Hand.  Die  Schere. 

243.  Kümmt  von  't  Feld  un  geiht  nah  alle  Hoew'  rup.  Der  Pusssteig. 

244.  En  ganzen  Stall  vull  brüne  Perd  uu  cn  Schimmel  damang. 

Ein  Ofen  voll  Brote  mit  einem  Schützel.     Vgl.  No.  87  (HI.  Jalirg..  S.  77). 

245.    Steiht  en  Mann  up  ön  Ben, 

Baut  sin  Hus  sich  ganz  allen, 

Baut  sich  lutei-  Kämern  drin, 

Schutt  sich  all  dat  Karn  darin.  Der  Mohn. 

24Ü.    Ik  lag  inne  Fohr  un  dückert  mi. 

Da  kam  en  Mann  un  bückert  mi, 

Ik  segg  em,  he  sali  weggähn, 

Hüet  Abend  sali  he  wcrrer  koni.  Der  Schlaf. 

247.    Ik  hebb'  ne  Schitterie  an't  Knie, 
Daniet  kann  ik  mi  verdienen 
Zucker  un  Rosinen; 
Dabi  hebb"  ik  immer  noch  ne  Schitterie  an't  Knie. 

Der  Spinnrocken. 

248.  Konstantinopel, 
Gross  ist  der  Popel, 
Klein  ist  das  Loch. 

Rin  muss  er  doch.  Der  Schornsteini'egei'. 

249.  Sitt  up'n  Klötzkeu 
Leckt  sich  sin  Vötzken; 
Je  länger  det  leckt. 

Je  kötter  et  wött.  '  Das  Licht. 

250.  Vier  ninne  Rollen, 
Vier  knacke  Dollen, 
En  Klippklapp, 

En  Schwippschwapp, 
En  lerrern  Purasack. 
Räj  mal,  wat  is  dat':* 

Ein  Planwagen  mit  4  Pferden,  Kutscher  und  Peitsche. 

251.  Es  giebt  einen  Vogel,  hat  lange  rote  Beine,  langen  roten  Schnabel, 
weiss  und  schwarzes  Gefieder,  baut  sein  Nest  auf  Scheunen,  legt  Eier  und  brütet 
sie  aus.     "Was  ist  das  für  ein  Vogel?  Ein  Storch.  —  Nein!     Eine  Störchin. 

252.  Welches  ist  der  Unterschied  zwischen  Kuh-  und  Ochsenschwanz? 
Der  Kuhschwanz  pendelt  vor  zwei  Löchern,  der  Ochsenschwanz  vor  einem. 

253.  Wie  deckt  der  Hengst  die  Stute?  Halb  zu  Fuss.  halb  zu  Pferde. 


VollisrJitsol  aus  Aor  Grafsrliaft  Ruppin  und  riiiscS''"''-  405 

"254.    Haumi  und  Baumi 
Die  bauten  ein  Haus; 
Haumi  ging  vorn  raus, 
15auiui  ging-  hinten  raus. 
Wer  blieb  im  Haus? 

Und.     Vgl.  No.  117  (111.  Jahrg.,  S.  78). 
255.    Es  wächst  im  Gärtlein, 
Hat  viele  Röhrlein, 
Hat  viele  Häute, 
Beisst  alle  Leute. 

Die  Zwiebel.     Vgl.  No.  53  (III.  Jahrg.,  S.  75). 
25G.    Wie  heisst  die  Frau  vom  Papagei?  Maniagei. 

257.    Sieben  Jungfern  greifen  sich 

Und  kriegen  sich  im  Leben  nicht. 

Die  Garnhaspel.     Vgl.  No.  GS  und  83. 
258.    Welcher  Ai'zt  hat  noch  keinen  Menschen  unter  die  Erde  gebracht? 

Der  Tierarzt. 
259.    Kaiser  Karolus  hatte  einen  Hund, 

Er  gab  ihm  einen  Namen  aus  seinem  Mund: 
Wie  hiess  Kaiser  Karolus  sein  Hund?  Wie. 

260.    Auf  einem  weissen  See,  |  Da  schwimmt  eine  rote  Rose 

Und  wer  den  weissen  See  will  sprechen,  |  Muss  erst  die  rote  Rose  brechen. 

Der  Brief  mit  dem  Siegel. 
2G1.    Mus  molus,  Reh  kolus,  Jungfer  ablus;  was  ist  das? 

Maus  im  Mohn,  Reh  im  Kohl,  Jungfer  ,.bladet"  den  Kohl  (=  abblättern). 
2G2.    Ich  lebe  ohne  Seel  und  höre  ohne  Ohren, 

Ich  rede  ohne  Mund,  werd'  in  der  Luft  geboren.  Das  Echo. 

263.    Lies  von  hinten  oder  vorn, 
Ich  klinge  doch  stets  einerlei; 
Durch  meine  langen  Zähne  wird 
Das  Feld  von  Unkraut  frei; 
Ich  mache  stets,  was  grob  ist,  klar, 

Der  Landmann  braucht  mich  jedes  Jahr.  Die  Egge. 

264.    Der  dicke  Papa,  die  braune  Mama,  das  weisse  Kind. 

Das  Bierfass,  das  Bier,  der  Schaum  auf  dem  Bier. 
2G5.    Am  Tage  hab  ich  nichts  zu  thun. 
Da  lässt  man  mich  im  Winkel  ruhn. 
Und  nun  bricht  kaum  die  Nacht  herein. 
So  schluck'  ich  Feuer  und  Flammen  ein. 

Die  Lichtputzschere. 

266.    Unser  kleiner  Knobelknecht 

Knobelt  unsre  Magd  zurecht.  Schlüssel  und  Schloss. 

267.  Es  fliegt  in  der  Luft,  hat  vier  Beine  und  schreit  „kräh!"  —  Zwei  Krähen. 

268.  Wer  hatte  den  grössten  A  .  .  .  .  ? 

Joseph;  denn  er  wurde  über  ganz  Ägypten  gesetzt. 

269.  Uinner  unse  Owen,  da  stähn  en  Pär  Klowen;  up  die  Klowen  steiht  ne 
Tunn,  up  de  Tunn  steiht  en  Tröchter,  upn  Tröchter  steiht  en  Biter,  upn  Biter 
(=  Beisser)  steiht  en  Riker,  upn  Riker  steiht  en  Kiker,  upn  Kiker  steiht  en  Wald, 
da  spazieret  jung  und  alt.  Der  Mensch.     Vgl.  No.  151  u.  210. 

28* 


406  Haasc^:  Volksrätspl  aus  der  Grafschaft  Ruppiti  und  ümgegeiid. 

270.    Zwei  Väter  und  zwei  Sühne  gingen  zusammen  auf  die  Jagd;  sie- schössen 
drei  Hasen,  davon  erhielt  ein  jeder  einen  ganzen.     Wie  ist  das  möglich? 

Die  Jäger  waren  Vater,  Sohn  und  Enkel. 

271.  Es  leben  vier  Brüder  in  der  Welt, 

Die  haben  sich  zusammengesellt.  Die  vier  Jahreszeiten. 

272.  Es  leben  vier  Brüder  in  der  Welt, 
Die  haben  sich  zusammengesellt: 
Der  erste  läuft  und  wird  nicht  matt, 
Der  zweite  frisst  und  wird  nicht  satt, 
Der  dritte  trinkt  und  wird  nicht  voll. 
Der  vierte  singt  und  klingt  nicht  wohl. 

Wasser,  Feuer,  Erde  und   Wind. 

273.  Es  kamen  zwei  gegangen, 
Die  brachten  einen  gefangen, 

Sie  brachten  ihn  nach  Kribbeidewitz. 
Von  Kribbeidewitz  nach  Fribbeldewitz. 
Von  Fribbeldewitz  nach  Nagelspitz, 
Da  wurde  er  geschlachtet. 
Zwei  Finger,  die  einen  Floh  gefangen  u.  s.  w.     Vgl.  No.  11,  Jahrg.  111.  S.  72. 

274.  Warum  guckt  sich  der  Hase  um,  wenn  er  läuft? 

Weil  er  hinten  kein  Auge  hat. 

275.  Warum    läuft    der  Hase    vor    einem    weissbunten  Hunde    toller  wie  vor 
einem  schwarzen?  Weil  er  denkt,  der  Hund  läuft  in  Hemdsärmeln. 

27G.    Wer  kommt  „verquer"  nach  der  Kirche? 

Das  Kind,  das  zur  Taufe  gebracht  wird. 

277.  Wir  Bauern  sehen   es  alle  Tage,    der  Kaiser  und  König  sieht  es  selten, 
aber  Gott  sieht  es  nie.  Seines  Gleichen. 

278.  Es  kriecht  durch  den  Zaun  und  rührt  sich  nicht.  Die  Sonne. 

279.  Welcher  König  hat  keinen  Thron?  Der  Rartenkönig. 
^0.    Es  fällt  nach  Brunnen  und  plumpt  nicht.  Die  Sonne. 

281.  Wer  ist  am  dreistesten  in  der  Kirche?  Die  Fliege. 

282.  Ein  altes  Mütterchen  hat  sich  in  hundert  Tücher  gewickelt. 

Der  Kohlkopf. 

283.  Jungfer,    ich    will  Ihr    was    auf  zu  raten  geben  tiuin.    und  wenn  Sie  es 
erraten  thut,  dann  heirate  ich  Sie: 

Wo  ist  wohl  ein  König  ohne  Land? 
AVo  ist  wohl  ein  Wasser  ohne  Sand? 
Wo  ist  wohl  ein  Häuschen  ohne  Tisch? 
Wo  ist  wohl  ein  Wasser  ohne  Fisch? 
Wemvs  der  Herr  mir  nicht  vor  übel  will  nehmen  thun,   so  will  ich  ihm 
wohl  sagen  thun  den  rechten  wahren  Grund: 

Der  König  auf  der  Karte  ist  ohne  Land, 
Das  Wasser  im  Auge  ist  ohne  Sand, 
Das  Häuschen  der  Tauben  ist  ohne  Tisch. 
Das  Wasser  im  Brunnen  ist  ohne  Fisch. 

284.  Ein  grosser  Prophet,  der  sich  in  allen  Landen  hören  lässt.    Er  ist  auch 
ein  Liebhaber  der  Gärtnerei  und  hat  beim  Leiden  Christi  sehr  viel  gethan. 

Der  Hahn. 


Rüitercr:  Hexen-  und  Wililererglimbe  in  Steiermark.  407 

285.  Wie  hiess  der  erste  Dichter? 

Nebel;  denn  es  heisst:  Dichter  Nebel  schwebte  auf  dem  Wasser. 

286.  Wer  war  der  erste  Adlige? 

Der  Herr  von  Ferne;    denn  es  heisst:  Da  sprach  der  Herr  von  rcrnc. 

287.  Wie  hiess  Davids  Kutscher? 

Leid;  denn  er  sagt:  Leid  soll  mir  nicht  wieder  fahren. 

288.  Was  war  David  für  ein  Landsmann? 

Ein  Berliner;  denn  er  sagt:  Leid  soll  mir  nicht  wieder  fahren. 

289.  Wie  viel  Eier  konnte  der  Riese  Goliath  nüchtern  essen? 

Eins;  denn  beim  zweiten  war  er  nicht  mehr  nüchtern. 

290.  Wie  heisst  Gott  mit  seinem  Vornamen? 

Ernst;  denn  es  heisst:  Du  sollst  Gott  mit  Ernst  anrufen. 

291.  Wer  war  der  erste  Jäger? 

Nimrod;  denn  es  heisst:  Er  war  ein  grosser  Jäger  vor  dem  Herrn. 

292.  Wer  hatte  das  grösste  Bett? 

Salomo;  denn  es  heisst:  Er  fuhr  aus  seinem  Bette. 
293     Wer  war  der  erste  Krämer  (Kaufmann)? 

Simsen;  denn  es  heisst:  Der  Herr  nahm  von  ihm  seine  t-tärke. 

294.  Wie  hiess  Isak  in  seiner  Jugend?  Ibeutelchen. 

295.  Wie  hiess  Esau  in  seiner  Jugend?  Eferkel. 
296.')    Wer  hat  zuerst  Skat  gespielt? 

Die  Juden;  denn  Moses  sagt:  Die  Kinder  Israel  wimmeln. 

Neii-Kuppiii. 


Hexen-  und  Wildererglanben  in  Steiermark. 

Gesammelt  vom  Lehrer  Karl  Heiterer. 


Mitten  unter  dem  Volke  lebend,  hatte  ich  (Jelegenlieit,  in  verscliiedeuen 
Gebietsteilen  Steiermarks  den  Volksglauben  aus  eigener  Erfahrung  kennen 
zu  lernen.  Ausserdem  stehen  mir  verlässliche  Gewährsmänner,  die  sich 
für  das  Volksleben  interessieren,  mit  ihrem  Wissen  zur  Verfügung.  Ich 
kann  also  für  meine  Mitteilungen  bürgen. 

Der  Viehzucht  treibende  Bergbewohner  behauptet,  dass  sich  als  Schutz- 
mittel gegen  die  Hexen  der  Piingsttau  gebrauchen  lasse.  Man  wandelt 
beispielsweise  in  den  Ennsthaler  Bergen  noch  heute  am  Pfingstsonntag- 
morgen  barfuss  im  thaunassen  Grase  herum,  um  das  Jahr  über  gegen  das 
böse  Spiel  der  Hexen  gefeit  zu  sein.    Nicht  nur  dem  Menschen,  auch  dem 


1)  Die  Rätsel  von  No.  187-296  sind  gesammelt  m  Alt-Ruppin  (No.  259-261),  Keclilin 
(No.  206a,  213,  262  u.  263),  Bindenwalde  (No.  198-196),  Dabergotz  (No.  265-269),  Ganzer 
(No.  231-232  u.  238-240),  Kantow  (No.  187-192),  Krenzlin  (No.  206b,  221b,  224-229, 
233  245-250  u.  254),  Küdow  (No.  270-281),  Langen  (No.  255  und  264),  Nakel  (No.  237 
u.  241),  Neu-Ruppin  (No.  197-205,  207-212,  214-221  a,  222-223,  230,  2;!5-236,  251 
bis  253,  256—258,  283-290)  und  Rheiusbcrg  (No.  234). 


408  Keiteivr : 

lieben  Vieh  nützt  der  Pfiugsttau.  Wird  dieser,  auf  ein  Stück  Schwarzbrot 
gestrichen,  den  Kühen  verabreicht,  so  sind  sie  vor  Verhexungeu  sicher. 
Ist  das  Vieh  schon  einmal  trotz  aller  Vorsichtsmassregeln  verhext  worden, 
so  nimmt  die  Bäuerin  Eier,  welche  am  Antlasspfinztag  (Gründonnerstag) 
gelegt  wurden  und  vergräbt  sie  vor  der  Thür  ihres  Stalles,  in  dem  die 
Rinder  stehen.  Es  sind  dies  die  sogenannten  Antlasseier,  von  denen  der 
bekannte  Volkslebenforscher  F.  Franziszi  in  Grafendorf  im  Gailthale  in 
Kärnten  im  ersten  Heft  der  neuen  ,,Zeitsc]irift  für  österreichische  Volks- 
kunde", 1.  Jahrg.,  S.  13  sagt,  dass  sie  schon  von  der  Henne  weg  geweiht 
sind  und  sich  das  ganze  Jahr  frisch  erhalten.  Nach  Franziszi  schützt  ein 
Antlassei,  das  während  des  Ausklingens  der  fortziehenden  Glocken  am 
Gründonnerstag  über  das  Hausdach  geworfen  wird,  vor  Feuersgefahr.  Es 
darf  aber  nicht  mit  der  blossen  Hand  berührt,  sondern  muss  mit  einem 
Tuche  vom  Neste  genommen  werden.  Wenn  ferner  eine  Kuh  verhext  ist 
und  im  Stalle  keine  Milch  giebt,  so  nehme  man  von  einem  Antlassei  das 
Dotter  und  brenne  es  mit  einem  glühenden  Herznagel  von  einem  Wagen, 
auf  dem  eine  Leiche  in  den  Friedhof  geführt  wurde;  dann  ist  die  Hexe  ge- 
brannt und  kann  nicht  mehr  schaden,  wenn  man  das  gebrannte  Dotter  in 
einer  Kanne  Milch  der  Kuh  zu  trinken  giebt.  Wir  sehen  daraus,  dass  der 
Volksglaube  in  Steiermark  und  Kärnten  hier  eine  auffallende  Ähnlichkeit 
aufweist. 

Wenn  eine  Butterhexe,  sagt  man  in  der  nordwestlichen  Steiermark, 
ihr  Vieh  auf  die  Alm  treibt,  so  trachtet  sie  im  Lenze  die  erste  Weide, 
genannt  Spitzweide,  zu  bekommen.  Dann  kann  die  Sennerin,  welche  eine 
Butterhexe  ist,  viel  Butter  und  Käse  zusammenbringen.  Die  echten  Butter- 
hexeu,  heisst  es,  können  alles,  sogar  einen  Stuhlfuss  oder  Strick  melken, 
d.  h.  sie  bringen  es  zustande,  dass  aus  jedem  beliebigen  länglichen  Gegen- 
staude auf  Wunsch  Milch  herausfliesst,  wenn  Bohnen,  Toteugebein  und 
Haare  im  Stalle  der  benachbarten  Sennerin,  der  man  die  Milch  weghexen 
will,  vergraben  werden.  Eine  Butterhexe  ist  auch  imstande,  einer  beliebigen 
Sennerin,  der  man  abhold  ist,  die  Käsemaden,  eine  Art  Engerlinge,  welche 
in  ganzen  Schuaiseu  (Reihen)  kommen,  in  die  Alpenhütte  zu  zaubern.  Ein- 
mal über  die  Thürschwelle  gekommen,  sind  diese  unheimlichen  Tiere  nicht 
mehr  zu  vertreiben.  Sie  fressen  Butter,  Käse,  Sahne  und  Milch  auf.  Wie 
Eingeweihte  wissen  wollen,  giebt  es  nur  ein  einziges  Mittel,  sich  der  Käse- 
maden zu  entledigen,  nämlich  dies,  dass  man  die  Maden  sammelt  und  in 
einer  Pfanne  beim  offenen  Feuer  röstet.  Es  werden  dann  der  Hexe, 
welche  die  Maden  schickte,  die  Füsse  verbrannt.  W^er  diese  Tiere  auf 
dem  Wege  antrifft,  macht  mit  dem  rechten  Fusse  vor  ihnen  drei  Kreuze, 
worauf  sie  umkehren  und  unschädlich  gemacht  sind.  Die  Käsemaden 
werden  dem  Volksglauben  nach  mit  dem  (iuatenibergarn  erzeugt.  Dieses 
muss  von  einem  unschuldigen  Kinde  an  einem  Freitag  in  der  (Juatenibei-- 
woche  gesponnen  werden. 


Hexen-  und  Wildererglaube  in  Steiermark.  409 

Man  erzählt  sich,  dass  Viehhexen  erst  erkannt  werden,  wenn  sie  ge- 
storben sind,  denn  sie  werden  nach  ihrem  Tode  im  Gesicht  kohlschwarz; 
diese  Volksraeinmig  ist  von  uns  sowohl  im  steierischen  Ober-  als  im 
Unterlande  getroffen  worden.  Wer  in  der  Christnacht  auf  einem  Schemel, 
der  aus  neun  Gattungen  Nadelholz  zusammengefügt  ist,  hinter  dem  Altare 
sitzt,  der  kann  die  Hexen  in  der  Kirche,  wenn  sie  während  der  Mette 
opfern -gehen,  erkennen.  Einer  soll  dies,  wie  uns  versichert  wurde,  ver- 
sucht haben,  worauf  ihm  eine  Hexe  den  Schemel  unter  dem  Leibe  wegzog; 
der  Lauscher  wusste  nun  von  dem,  was  er  gesehen,  nichts  mehr.  Die 
Wetterhexen  bringen,  wie  in  Doiinersbachau  geglaubt  wird,  dadurch  ein 
vernichtendes  Hagelwetter  zustande,  dass  sie  Kitzhaare  nehmen  und  in  die 
Luft  zaubern.  Solche  Haare  junger  Ziegen  findet  man  hernach  in  den 
zur  Erde  fallenden  Hagelkörnern.  In  Kleinsölk,  einem  Gebirgsdorfe  bei 
Gröbming,  behaupten  die  Leute,  die  Wetterhexeu  aus  der  Luft  schiessen 
zu  können,  wenn  sie  den  Namen  derselben  während  des  Schiessens  er- 
raten. Man  schiesst  zu  diesem  Behufe  oft  einen  ganzen  Kalender  in  einem 
Böller  in  die  Luft,  in  der  Meinung,  in  diesem  Falle  müsse  gewiss  der 
Taufname  der  Hexe  erraten  werden:  denn  in  einem  Kalender  sind  alle 
Namen,  meint  mau  naiv. 

In'  den  Ennsthaler  Bergen  kann  man  hören,  dass  es  Hexen  gebe,  die 
sich  auf  jedem  Steinhaufen  aufzuhausen  (gut  zu  wirtschaften)  getrauen.  Im 
Dorfe  Donnersbach  soll  sich  eine  solche  Hexe  heute  noch  befinden. 

Die  Weilmachtskerze,  welche  der  Älpler  in  der  ganzen  Christuacht 
brennen  lässt,  soll  unter  an.lerem  auch  gegen  Hexenspuk  schützen.  —  Eine 
Sennerin,  welche  sieben  Jahre  hinter  einander  auf  die  Alm  zieht,  kann 
hexen.  Eine,  die  zweimal  sieben  Jahre  lang  Sennerin  war,  kann  gar 
zaubern.  Zwei  Bursche  trafen  auf  dem  Messerrücken,  einem  Gebirgskamme 
der  nördlichen  Steiermark,  neun  schwarze  Pferde  im  Gänsemarsch  eiuher- 
marschieren.  Das  letzte  Pferd  fingen  sie  ab,  worauf  es  plötzlich  zu  reden 
begann  und  sagte:  „Hättet  ihr  euch  nur  die  erste  vorn  angehalten,  so 
wären  wir  erlöst!"  Nun  wussten  die  Bursche,  dass  sie  es  mit  neun  ver- 
wunschenen Sennerinnen  zu  thun  hatten,  die  in  Pferdegestalt  einherziehen 
mussten,  weil  sie  einst  auf  der  Alm  das  Hexenwerk  betrieben  hatten. 

Die  Landbevölkerung  Steiermarks  glaubt  auch,  dass  es  Hexensalbe 
gebe.  Tief  in  den  obersteierischen  Bergen,  südlich  vom  mittleren  Enns- 
thale,  am  linken  Ufer  dos  brausenden  Donnersl)aeh,  liegt  der  gigantische 
Hexstein  (Höchsteiii),  dessen  Gipfel  ein  Pelsblock  bildet,  von  dem  die 
Sage  erzählt,  der  Teufel  habe  ihn  einst  von  den  Glasener  Feuergruben, 
Felsen  im  nördlichen  Teil  der  Ortsgemeinde  Donnersbachwald,  geholt. 
Vor  Zeiten  befand  sich  hinter  dem  Hexstein  ein  Schatzloeh.  Den  Namen 
Hexstein  erhielt  der  Berg  vom  Volke  deshalb,  weil  man  früher  auf  dem- 
selben allerlei  Hexen  traf.  Es  wird  erzählt,  ein  Weber  habe  in  der  Wal- 
purgisnacht „auf  der  Ster«  eine  Bäuerin  belauscht,  die  sich  mit  einer  Hexeu- 


410  .  Reitei-er: 

salbe  bestrich,  auf  einer  Ofeugabel  ritt  und  zum  Raiichfang  hinausflog. 
Sie  gelangte  auf  den  Hexstein,  wohin  ihr  der  AVeber,  der  sich  aucli  mit 
jener  Salbe  bestrich,  gefolgt  war. 

Vom  2236  m  hohen  Gumpeueck,  der  zwischen  dem  Sölker  und 
Donnersbacher  Gebiete  liegt,  erzählt  das  Volk  auch,  dass  es  einst  Hexen 
zum  Tummelplatz  gedient  habe.  Der  Jager  Peterl  soll  einstens  mit  neun- 
undneunzig Paar  Katzen  auf  das  Gumpeneck  einen  Halbstartin  Wein  ge- 
fahren haben.  Das  Getränk  war  für  die  Hexen  in  der  Walpurgisnacht 
bestimmt.  Nebenbei  sei  erwähnt,  dass  sich  auf  dem  Gumpeneck  wie  auf 
dem  Hexstein  ein  grosser  erratischer  Felsblock  befindet.  Die  Leute  er- 
zählen, dass  diesen  Stein  der  Teufel  über  das  Gumpeueck  werfen  wollte. 
Es  galt  eine  Wette,  die  der  Böse  verspielte. 

Mossheim  bei  Gröbming  hat  ein  Schloss  namens  Thurnfelden.  Ein 
Besitzer  dieses  Schlosses,  dessen  Grabmal  sich  in  der  katholischen  Pfarr- 
kirche zu  Gröbming  befindet,  hatte  vor  Zeiten  auf  der  Alm  eine  Sennin, 
die  hexen  konnte.  Sie  rührte  Butter.  Aus  dem  erhaltenen  Molken  ver- 
mochte sie  noch  einmal  Butter  zu  rühren.  Der  Thurnfelder  liess  die 
Sennin  im  Schlosshofe  wegen  Hexerei  verbrennen.  Eiu  Bild  in  erwähnter 
Kirche  zu  Gröbming  zeigt  heute  noch  die  Sennin,  wie  sie  Butter  rülnt 
und  ihr  der  Teufel  dabei  hilft. 

Das  Volk  vermeint,  gewisse  Zauber-  und  Hexenbücher  lehrten,  wie 
man  hexen  könne.  Im  Dorfe  Kleinsölk  schlüpften  einst  zwei  Bauern,  die 
man  belauschte,  nackt  durch  eine  gespaltene  Lärche,  in  der  Meinung  dann 
hexen  zu  können.  Der  Baum  war  dadurch  gespalten,  dass  ein  entstandener 
Sclilitz  durcli  Holzkeile  erweitert  worden  war. 

Hexen  können  den  Kühen  die  Milch  nicht  „nehmen",  wenn  die  Tiere 
über  das  Kreuz  gemolken  werden,  wie  mau  sich  ausdrückt.  Es  sind  uns 
bäuerliclie  Mägde  bekannt,  welche  heute  noch  die  Kühe  übers  Kreuz 
melken  sollen,  in  der  Meinung,  dann  könne  ilinen  die  Milch  nicht  verliext 
(genommen)  werden. 

Nach  der  Volksmeinuug  können  einem  die  Hexen  niciit  scliaden, 
wenn  man  in  einem  Zinnner  drei  Lichter  brennen  lässt.  Zwischen  den 
Frauentageu,  d.  i.  vom  15.  August  bis  8.  September,  haben  die  Hexen 
keine  Macht  mein-.  Dass  Hexeu  nach  dem  Tode  vom  Teufel  geholt 
werden,  ist  allgemein  verbreitet.  Bäuerliche  Hellseher  sagen,  dass  man 
eine  Hexe,  wenn  sie  mit  ihrem  Vieh  von  der  Alm  heimfahre,  au  gewissen 
Erscheinungen  erkenne. 

Verhexte  Kälber  sollen  bei  lebendigem  Leibe  verbi'annt  werden,  weil 
dann  die  Hexe  unschädlich  wird.  Im  Koralpengebiete,  dem  Gebirgsstocke 
zwischen  Steiermark  imd  Kärnten,  herrscht  der  Volksglaube,  das  Hagel- 
wetter werde  im  steierischen  Mittellande  von  den  Wetterfliegen  erzeugt. 
Diese  seien  verhexte  abgewirtschaftete  obersteierische  Bauersleute:  das 
bori<ht('te  Lehrer  Walcher    aus  Kloster,    einem  Gebirgsdorfe    in   der  Kor- 


Hexen-  und  Wildererglanbe  in  Steiermark.  411 

ali>e.  Uas  von  Hagelkönifni  ausgedroscheiie  Koni,  glaubt  man,  wonle  von 
don  gedacliteu  Wetterfiiegeu  aufgelesen  und  in  den  Steinwändmi  des  Ober- 
landes verzehrt. 

Einer  Hexe  vermag  mau  nichts  anzuhaben,  denn  sie  wirft  einem  eine 
(Vwalt  au.  Ein  Bauer,  der  eiust,  wie  mir  ein  Donuersbachwalder  erzählte, 
nach  einer  Hexe,  die  er  sah,  schiesseu  wollte,  konnte  durchaus  nicht  los- 
drücken: die  Hexe  hatte  ihm  „eine  GValt  angeworfen".  Derselbe  Gewährs- 
mann versicherte  ferner,  beim  vulgo  Strobel  in  Dounersbachwald  sei 
einstens  eine  ganze  Hexeufamilie  gewesen.  Sie  verhexte  das  Yieh  des 
vulgo  Kiesner  im  Orte.  Man  holte  den  Pfarrer,  der  den  Stall  „aussegneu" 
nuisste.  Es  war,  wie  uns  erzählt  wurde,  der  vor  einigen  Jahren  in  St. 
Stefan  ob  Leoben  verstorbene  Pfarrer  Polley.  Das  „Ausseguen",  trotzdem 
es  wiederholt  erfolgte,  nützte  nichts.  Nun  ging  mau  zu  einem  Wunder- 
doktor, dem  Hexeu-Girgl,  in  Alt-Irdning.  Dieser  kam  und  fand,  dass  die 
Hexen  im  Stalle  etwas  vergraben  hätten.  Mau  durchwühlte  den  ganzen 
Stall  und  fand  unter  einem  „Trauibäume"  wirklich  Kitzhaare,  Totengebein 
und  anderes  vergraben.  Als  dies  entfernt  war,  wurde  kein  Yieh  mehr 
verhext.  Solches  trug  sich  erst  vor  kurzem  zu;  die  betreffenden  Gewährs- 
männer leben  noch  heute.  So  erzählte  uns  ein  noch  lebender  Schneider 
unseres  Dorfes,  er  habe  auf  der  „Ster"  arbeitend,  beim  vorhin  erwähnten 
Strobl  eiu  Hexeubuch  gefunden  und  es  heimlich  in  den  Bach  geworfen. 

Was  nun  den  Wildereraberglaubeu  in  Steiermark  betrifft,  so  sei 
vor  allem  bemerkt,  dass  er  ebenso  verbreitet  ist,  wie  der  Hexenglauben. 
Wir  gedenken  der  vermeintlichen  Wirkungen,  welche  das  Wildpret  als 
Heilmittel  haben  soll.  Der  Sohn  der  Berge  weiss  allerlei  von  der  Heil- 
kraft des  Fleisches  der  Tiere  des  Waldes  und  der  Alpen  zu  erzählen. 
Ferner  heisst  es  im  steirischeu  Oberlande,  man  könne  mit  Hilfe  des 
Teufels  Gemsen  „bauneu".  Es  soll  dies  aber  eine  „grosso  Sund"  sein, 
weil  es  eine  Tierquälerei  ist.  Gemsenbanuer  vermögen,  dass  Gemsen,  in 
die  Schusslinie  kommend,  wie  angewurzelt  stehen  bleiben  müssen,  wobei 
ihnen  die  Thränen  herabrollen  —  aus  Schmerz.  Mau  glaubt  ferner, 
dass  Wilderer  eine  geweihte  Hostie  unter  die  Haut  nähen,  damit  sie  sich 
schuss-  uud  hiebhaft  machen.  Wenn  einer  dies  thut,  bekommt  er,  wie 
mau  sich  ausdrückt,  die  „zeitliche  Gfrier",  d.  h.  er  kann  sich  „gefroren" 
machen  und  in  Stein  oder  Holz  verwandeln.  Nebst  der  „zeitlichen"  Gfrier 
giebt  es  auch  eine  „ewige".  Letztere  bekommt  der,  welcher  vor  dem  Sterben 
die  Hostie  nicht  mehr  aus  der  Haut  entfernen  konnte.  Der  die  ewige 
(xfrier  bekommt,  wird  vom  Teufel  geholt,  denn  es  ist  dem  Volksglauben 
nach  eine  Todsünde,  mit  einer  Hostie  zu  freveln.  Ln  Donuersbacher 
Gebiete  bezeichnete  man  uns  mehrere  Stelleu,  wo  Leute  vergraben  sind, 
die  die  ewige  Gfrier  hatten. 

Wenn  ein  Hase  über  den  Weg  läuft,   so  winl  dies  in  Steiermark  wie 
überall  übel  gedeutet.     Es  bringt  Unheil  bei  der  Jagd,  die  man  zu  unter- 


4.12  Reitcrer:  Hexen-  und  Wildorerglaube  in  Steiermark. 

iieliiiien  im  Begriffe  ist.  Abergläubische  kehren  sofort  um,  weuu  ilnieii 
ein  Hase  auf  offener  Strasse  begegnet.  Ein  "Weib  in  gesegneten  Umständen 
soll  sieh,  wie  wir  im  steierischen  Sulmthale-  hörten,  in  keinen  Hasen  „ver- 
schaun",    damit    das  Kind    im  Mutterleibe    keine  Hasenscharte    bekommt. 

In  Donnersbachwald  bei  Irduing  glaubt  man,  die  gedörrte  Zunge 
eines  Auerhahnes,  der  im  abnehmenden  Mond  geschossen  wurde,  vertreibe 
das  Fraisen  (Krämpfe)  der  Kinder.  Eine  solche  Zunge  muss  dem  Kinde, 
welches  vom  Fraisen  befallen  wurde,  im  Zeichen  des  Krebses  umgehängt 
werden,  weil  da  die  Krankheit  „zurückgeht",  wie  mau  sagt.  Das  Fraisen 
bannen  auch  die  Eückenwirbelknocheu  einer  Ringelnatter,  wenn  sie,  auf 
einen  Faden  geschnaist  (gereiht),  dem  Kinde  umgehängt  werden.  Im  Enns- 
thale  trägt  man  ein  Wieselgebiss,  in  Silber  gefasst,  an  der  Uhrkette.  Es 
ist  dies  ein  Sympathiemittel.  Dem  Wiesel,  im  Volksmuude  auch  „Harmel" 
(Hermelin)  geheissen,  schreibt  der  Yolksglaube  allerlei  zu.  Unter  anderem 
heisst  es,  man  soll  kein  Wiesel  zornig  machen,  damit  es  einem  nicht  „an- 
blast". Der  Atem  dieses  kleinen  Raubtieres  ist  nämlich  giftig,  weiss  uns 
der  Mann  aus  dem  A'olke  zu  bedeuten.  AVir  fiudeu  diesen  Glauben  sowohl 
in  sanz  Steiermark  als  in  Kärnten.  Im  steierischen  Oberlande  wird  über- 
dies  noch  geglaubt,  das  „Wieselschmalz"  sei  gegen  die  Gicht.  Ein  bäuer- 
licher „Schwarzkünstler"  lehrte  folgendes:  Nimm  ein  Wiesel  imd  reisse 
ihm  das  Herz  aus,  so  kauust  du  verborgene  Schätze  finden. 

Sehr  viel  hält  man  auf  dem  Lande  auf  das  Hirschunschlitt.  Es  heilt, 
wie  wir  in  St.  Peter  im  Sulmthale  hörten,  offene  Wunden  und  das  Podagra. 
Angeschossene  Hirsche  finden  dem  Volksglauben  nach  ein  Ki-äutlein, 
welches  eine  besondere  Heilkraft  besitzt.  Manche  meinen,  es  sei  die 
Edelraute  (artemisia  abrotanura?)  Mit  „Hirschkruckenpulver"  ist  die 
Epilepsie  zu  vertreiben,  wenn  man  solches  von  einem  Hirsch  bekommt, 
der  in  der  Brunstzeit  geschossen  wurde. 

Ganz  originell  ist  die  bäuerliche  Anschauung,  dass  Wilderer  dem 
Wilde  geweihtes  Steinsalz  geben,  um  es  leichter  zu  bekommen.  Bekanntlich 
ist  es  auf  dem  Lande  üblich,  am  Stephauitage  in  der  Kirche  Salz  weihen 
zu  lassen,  das  sogenannte  Stephanisalz,  welches  den  Haustieren,  vornehmlich 
dem  Rinde,  gegeben  wird,  damit  allerlei  Übel  abgewendet  werden.  Des- 
lialb  finden  wir  es  auch  erklärlich,  warum  geglaubt  wird,  geweihtes  Stein- 
salz könne  auch  eine  Wirkung  auf  das  Wild  haben.  Es  wird  als  „Leck- 
salz" auf  die  Berge  gebracht,  und  das  Wild  wird  dadurch  zahmer  und 
leichter  zugänglich. 

Mit  einer  Bleikugel,  die  im  Wildfleisch  stak,  kann  man,  wie  aber- 
gläubische Jäger  behaui)ten,  allerlei  Kunststücke  ausführen.  Sie  heilt 
unter  anderem  als  „Sympathie"  den  Zalinsclimerz,  stillt  das  Nasenbluten 
und  hilft  gegen  die  rote  Ruhr.  Diese  kann  mau  „einstellen",  wenn  von 
iler  Ku^i'el  ein  Teil  abgeschabt  und  genossen  wird. 


Haupt:  V.  A.  Eeuss'  Saiiinilungoii  zur  fränkischen  Volkskunde.  413 

Fuchssclimalz  liilft  Brustleidendeii,  es  wird  als  „Scbmirb"  verwendet. 
Die  Fuchsleber  dagegen  soll  purgierende  Eigenschaften  haben.  Die  Lungen- 
schwindsucht soll  Lunge  und  Leber  vom  Fuchs  heilen. 

Gemsblut,  frisch  vom  aufgebrochenen  Tiere  getrunken,  macht  flechsig 
und  schwindelfrei.  Geschabte  Gemskrickel  stillen  das  Nasenbluten.  Gems- 
unschlitt  wird  gegen  die  Gicht  angewendet.  Wer  einen  Gemsbart  auf  dem 
Hute  trägt,  ist  sieghaft.  Ist  jemand  „kopfschiacli"  (schwindlich),  so  soll 
man  ihn  bei  den  Schläfen  mit  Gemsfett  bestreichen.  Wer  einer  ver- 
endenden Gemse  die  Zunge  herausschneidet  und  diese  um  den  Leib  bindet, 
sieht  bei  der  Nacht  wie  bei  Tage:  er  bekommt,  sagt  man,  Katzenaugen 
und  vernimmt  das  kleinste  Geräusch  seiner  Umgebung. 

Donnorsbachwald  im  Bezirk  L'dning. 


F.  A.  Keuss'  Sammlimgen  zur  fränkiselien  Volkskunde. 

Von  Hermann  Haupt. 

Dr.  Friedrich  A.  Reuss  (geb.  1810  zu  Kitzingen,  von  1840—1857 
Professor  der  deutschen  Litteratur,  zeitweilig  auch  Bibliothekar  an  der 
Universität  Würzburg,  gestorben  zu  Nürnberg  am  4.  März  1868),  dem  die 
deutsche  Litteraturgeschichte  und  die  fränkische  Geschichtsforschung  so 
manchen  wertvollen  Beitrag  verdankt,  hat  sich  in  langen  Jahren  eifrig  mit 
der  Sammlung  von  volkstümlichen  Überlieferungen  aus  Franken 
beschäftigt.  Seine  tiefgehenden  Studien  zu  abschliessender  Darstellung 
zusammenzufassen,  war  allerdings  nicht  Sache  des  jeder  neuen  Auregmig 
geschäftig  nachgehenden  Gelehrten,  der  in  seiner  für  ihn  verhängnisvoll 
gewordenen  Vertrauensseligkeit  lieber  anderen  aus  seinen  Sammlungen 
und  Arbeiten  mit  geradezu  unbegreiflicher  Freigebigkeit  mitteilte.  So  ist 
er  auch  bei  seineu  breit  angelegten  volkskundlichen  Forschimgen,  die  auf 
die  Absicht  einer  Gesamtdarstellung  der  ostfränkischen  Kulturentwickelung 
und  Volkskunde  hinweisen,  über  die  Anlegung  der  nachfolgend  verzeichneten 
Stoffsammlungen  nicht  hinausgekommen,  die,  völlig  ungesichtet  und  auf 
lose  Blätter  und  Blattschnitzel  hingeworfen,  von  Reuss  noch  bei  seinen 
Lebzeiten  dem  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg  überwiesen  worden  sind: 

1.  Hs.  7013.  Analekten  zur  Geschichte  der  Medizin,  die  auch  die 
Volksmedizin  und  den  medizinischen  Aberglauben  berücksichtigen. 

2.  Hs.  7089.  Materialien  zu  einer  geschichtlichen  Darstellung  der 
Entwickeluug  und  Fortbildung  der  Besprechungen  und  Segen  in  Krankheiten 
bei  den  Griechen,  Römern  und  im  Mittelalter  und  deren  Übergang  in  die 
Benedictionen  der  christlichen  Kirche    (Reiche  Sammlung  von  Citaten  aus 


414  Haupt: 

sclniftstollorisclieü    uud    geschiclitlicheu  Quellen,    Abschriften  von  Gebets- 
formeln, Anmieten  u.  s.  w.). 

3.  Sammlung  von  500  Notizblättern,  enthaltend  Materialien  zur  Archäo- 
logie, Mythologie,  Ethnographie,  älteren  Natur-  und  Heilkunde  des  Kreises 
Untei-franken. 

4.  Analekten  zur  naturhistorischen  und  medizinischen  Beschreibung 
von  Mittelfranken. 

5.  Sammlung  von  50  Notizblättehen,  betreffend  Volksaberglauben,  Brauch 
und  Sitte,  Lieder,  Sprichwörter  u.  s.  w.  aus  Oberfrauken,  Unterfranken  und 
Mittelfranken. 

Lidern  wir  die  Freunde  der  fränkischen  Volkskunde  auf  diese  unseres 
Wisseus  bisher  nicht  beuutzten,  aber  zweifellos  manche  beachtenswerten 
Nachweise  enthaltenden  Sammlungeu  aufmerksam  machen,  glauben  wir  aus 
der  zuletzt  angeführteu  Stoffsammlung  einige  wenige,  deren  Inhalt  und 
Umfang  charakterisierende  Proben  im  Folgenden  mitteilen  zu  sollen.  Die 
bezüglichen  Aufzeichnungen  sind  offenbar  durchweg  aus  dem  Volksmunde 
geschöpft,  iu  eiuzelueu  Fällen  ist  der  Name  des  Gewährsmannes,  aus- 
nahmslos aber  die  Angabe  der  örtlichen  Zugehörigkeit  der  betreffenden 
Gebräuche,  Lieder  u.  s.  w.  beigefügt.  Die  von  Reuss  verwandten  Chiffren 
für  Würzburg  (W.)  und  Nürnberg  (N.)  sind  von  uns  beibehalten. 

L    Kinderreime  uud  Volkslieder. 

1.  2. 

Auf  der  Blücher  Spitz')  Heile,  heile  Kätzle, 

Sitzt  e  blinder  Stigelitz,  Kälzle  hat  e  Schwänzle, 

Richt'n  Pudel  ab.  Hat  e  Löchle  auch  derbei, 

Sie  laufen  auf  und  al).     (W.)  Pritzlc,  steck  dei  Wewelc  neu     (W.) 


Heia  popcia  die  Nunne 

Habn  mir  mei  Rindle  gcnumme, 

Habn  mirs  genurame  und  nimmer  gebracht 

(W.)') 

4. 

Man  setzt  den  Tfiuber  wohl  hinter  den  Tisch, 

Man  trug  ihm  auf  gebackenen  Fisch, 

Man  stellt  ihm  vor  den  besten  Wein, 

Der  Tauber,  der  wollte  nicht  lustig  sein.  — 

Der  Tauber  ilog  vor  dem  Goldschmied  sein  Haus, 

Der  Goldschmied  der  schaute  zum  Fenster  heraus: 


1)  d.  h.  Spitze  des  Pl'arrtuiins  des  l'leichacher  Stadtviertels  in  Würzbiirg. 

2)  Vgl.  die  übereinstimmenden  Formen  dieses  Wiegenliedes  in  der  Abhandhiug  von 
A.  Englert  über  „Wiegenlieder  aus  dem  Spcssait"  (Zeitschrift  des  Vereins  für  Volks- 
kiinilc  IV,  54  ff.\ 


F.  A.  Rouss's  Samnilimg-on  zur  fninkischoii  Volkskunde.  415 

Goldschmied,  schniied  mir  ein  feins  Riiigoleiii, 
Diis  will  ich  u-['bcn  der  Liebsten  mein.  — 
Und  wer  einen  solchen  Tauber  will  haben. 
Der  muss  einen  solchen  Taubenschlag-  haben. 
Er  muss  ihm  auch  geben  das  Allerbest, 
Damit  nur  der  Tauber  bleibt  in  seinem  Nest.  — 
Wer  hat  wolil  das  Liedlein  erdacht? 
Es  haben's  zwei  weisse  Täublein  gemacht; 
Sie  haben's  gemacht  und  wohl  bedacht, 
Drum,  meine  Lieben,  gute  Nacht!     (W.)') 

n.    Fränkischer  Aberglaube,  Braucli  und  Bitte. 

1.  Wer  eine  dreifarbige  Katze  im  Hause  hiilt,  dessen  Haus  ist  vor  Peuers- 
gefahr  sicher.  ,  (N.) 

2.  Leckt  die  Katze  ihre  rechte  Pfote,  so  bedeutet  dies  angenehmen  Besuch, 
lockt  sie  die  linke  Pfote,  unangenehmen  Besuch.  (,W.) 

3.  Neu  erworbene  Katzen  werden,  um  sie  im  Hause  anzugewöhnen,  dreimal 
um  den  Tisch  getragen:  oder  man  lässt  sie  in  den  Spiegel  sehen.  (W.) 

4.  Schwarze  Katzen  ohne  jedes  weisse  Haar  sind  Hexen  und  sollen  nicht 
genommen  werden.  (W.) 

.").    Wenn  die  Katzen  des  Nachts  miauen,  soll  man  nicht  zum  Fenster  hinaus- 
schauen, sonst  geschwillt  das  Gesicht.  (W.) 
ti.    Floh  auf  der  Hand,  Brief  über  Land.                                                      (W.) 

7.  Eine  Aalraupe,  in  der  Tasche  getragen,  schützt  vor  Geldmangel. 

(Schweinfurt.) 

8.  In  der  Andreas-  und  Christnacht  trete  man  nachts  12  Uhr  nach  rückwiirts 
in  die  Bettstatt  und  spreche  dreimal: 

„Heiliger  Andreas,  ich  bitt. 
Wenn  ich  in  mein  Bettlein  tritt, 
Du  wollest  mir  erscheinen, 
Bescheer  mir  doch  einen, 
Den  Herzallerliebsten  mein, 
Der  wird  mein." 
Der  Geliebte  kommt  dann  zur  Thür  herein.  (Schwarzach.) 

Andere  Weise:     „Bettladenbrett,  ich  tritt  dich, 
Heiliger  Andreas,  ich  bitt  dirh, 
Lass  mir  erschemen 
Den  Liebsten  meinen.  (W.) 

9.  Dem  Mildchen,  das  sich  in  der  Christnacht  nackt  ausgezogen  und  an  den 
gedeckten  Tisch  gesetzt,  erscheint  der  Geliebte.  Wenn  er  von  den  daselbst  ge- 
sehenen Gegenständen,  im  F'alle  einer  späteren  Ehe,  an  der  Frau  etwas  sieht,  so 
vergeht  die  Liebe.  (W.) 

10.  Ein  Scheit  Holz  in  der  Christnacht  aus  dem  Holzstoss  gezogen  und  rück- 
wärts geworfen  soll  Bezug  auf  den  zukünftigen  Gatten  haben.  (W.)  —  Am 
Andreastag  wirft  man  eine  Armvoll  Holz  ins  Zimmer;  wenn  das  Holz,  paarweise 
gelegt,    gleiche  Stösse  giebt,  so  heiratet  das  Mädchen  im  Hause.  (W.) 

1)  [Das  Lied  im  ganzen  ist  eiue  Variante  des  alten  Liedes  von  der  Nachtigall, 
Uldand,  Alte  h.  u.  nd.  Volksl.  No.  38.  Die  erste  nicht  zugehörige  Strophe  findet  ihr  ent- 
sprechendes iu  der  14.  Str.  von  Uhlands  No.  122  (Graf  Friedrich).] 


416  -  Weinhold; 

11.  In  der  Christnacht  12  Uhr  sind  eine  Minute  linig  alle  IJrunnenwasser 
Wem.  (W.) 

12.  Redet  man  in  Gegenwart  tou  Hunden  oder  Vögeln  davon,  dass  man  sie 
kaufen  oder  verkaufen  wolle,  so  sterben  sie.  (W-) 

13.  Sieht  man  nachts  in  den  Spiegel,  so  schaut  der  Teufel  heraus        (W.) 

14.  Wenn  man  in  einem  Hafen  mit  dem  KochlöfTel  rührt  und  dabei  lebhaft 
an  jemand  in  der  Ferne  denkt,  so  kann  derselbe  nicht  mehr  ruhig  am  Orte  bleiben. 

(W.) 

15.  Der  Besen  soll  des  Abends  nicht  verkehrt  gestellt  werden,  sonst  zieht  das 
die  Hexen  herbei.  (W.) 

16.  Wenn  die  jüngere  Schwester  eher  als  die  ältere  heiratet,  giebt  sie  der 
letzteren  zum  Spott  eine  Geiss.  (W.) 

17.  Kann  ein  Mädchen  von  einem  Apfel  die  Schale  ganz  ohne  Unterbrechung 
abschälen,  so  dass  nichts  abfällt,  so  darf  es  heiraten.  Wirft  es  die  Schale  hintei' 
sich,  so  bildet  diese  die  Anfangsbuchstaben  des  zukünftigen  Mannes.  (W.) 

18.  Wenn  ein  Mädchen  in  der  Christnacht  ihi'e  Pantoffel  rückwärts  wirft  uml 
dann  die  Hinterseite  derselben  ihren  Füssen  entgegensteht,  so  wird  sie  das  Regiment 
im  Hause  bekommen.  (W.)  —  Wackelt  der  Tisch,  so  ist  die  Frau  Herr  im  Hause. 
(W.)  —  Wer  am  Hochzeitsabend  zuerst  einschläft,  wird  Herr  im  Hause.      (W.) 

19.  Beim  Umzug  in  eine  neue  Wohnung  bringt  man  vor  allem  anderen  ein 
Kruzifix  und  ein  Laib  Brot  oder  ein  Stück  Brot  dahin.  (W.)  —  Das  Brot  soll 
immer  auf  die  Mehlseite  gelegt  werden,  sonst  giebt  es  Verdruss  oder  Unglück. 
(W.)  —  Brot  soll  ebengleich  geschnitten  werden,  sonst  wird  man  nicht  reich;  wer 
das  Brot  ungleich  anschneidet,  geht  mit  Lügen  um.  (W.)  —  Aus  der  Hand  ge- 
fallenes Brot  ist  nicht  gegönnt.  (W.) 

20.  Des  Kreuzschnabels  Krankheit  und  Tod  sagt  gleiches  Schicksal  für  dessen 
Besitzer  voraus.  (N.) 

21.  Steckt  man  eine  auf  dem  Wege  gefundene  Nadel  zu  sich,  so  hat  deren 
früherer  Besitzer  keine  Ruhe  und  muss  dem  Finder  nachlaufen.  (W.) 

22.  Wenn  die  Pferde  beim  Vorübergehen  an  einem  Hause  dort  gern  entleeren, 
so  bedeutet  das  Glück  für  das  Haus.  (N.) 

23.  Wenn  man  auf  der  Strasse  über  einen  Stein  stolpert,  sagt  man,  es  sei  da 
ein  Musücant  begraben.  (W.) 

24.  Am  Nicasiustage  (9.  Dezember)  wird  an  jeder  Thür  im  Hause  der  Name 
Nicasius  angeschrieben.  (W.) 

Giessen. 


Vom  heiligen  Ulricli. 

Von  Karl  Weinhold. 


Die  Zeit  ist  vorüber,  in  der  manche  deutsche  Mythologen  jeden 
Kirchenheiligen  darauf  hin  untersuchten,  welcher  germanische  Heidengott 
sich  unter  seine  Gewänder  versteckt  habe.  Heute  begnügt  man  sich  dabei, 
die  Volksmeinungen  von  jenen  Gestalten  gläubiger  Vei-ehrung  loszulösen 
und  sie  zu  prüfen.     So  will  ich  es  hier  mit  dem  heil.  Ulrich  thuu,  wozu 


Vom  heiligen  Ulricli.  417 

niicli  eine  Mitteilinii;-  aus  dem  Eisaktbale  bewogen  hat.  Eine  Untersuchung 
seiner  Legenden,  die  L.  Uhhmd  beabsichtigte,  liegt  nicht  in  meinem,  Sinne. 
Ich  will  nur  gewisse  Kräfte  uml  golieime  Wirkungen,  ilio  <las  Volk  dem 
Heiligen  übertragen  hat,  besprechen,  wobei  sich  manches  niclit  unwichtige 
ergeben  wird. 

Bischof  Uodalrich  von  Augsburg')  war  ein  Sohn  des  Grafen  Hugbald 
von  Dillingen,  und  durch  seine  Mutter  Diotbirg  Neffe  des  Herzogs  Burk- 
liart  I.  von  Scliwaben  (f  1)26).  Er  war  um  890  geboren;  Ende  'J23  zum 
Biscliof  von  Augsburg  erwählt,  blieb  er  es  fast  volle  fünfzig  Jahre  bis  zu 
seinem  Tode  am  4.  Juli  973.  Im  J.  993  sprach  ihn  Papst  Joliann  XV. 
auf  Grund  der  wunderbaren  Heilungen,  die  er  beim  Leben  und  nach  dem 
Tode  gewirkt,  durch  die  Bulle  vom  3.  Febr.  heilig.  Es  war,  wie  man 
annimmt,  die  erste  vom  päpstlichen  Stuhl  vollzogene  Canonisation.  Der 
Todestag  Ulrichs  ward  zum  Tage  seiner  kirchliciieu  Verehrung  bestimmt. 
Dieselbe  breitete  sich  für  ihn,  den  Sprössling  hohen  schwäbischen  Adels 
und  den  tüchtigen,  frommen  und  tapferen  schwäbischen  Bischof  ganz  be- 
sonders im  schwäbiscli-alemanniselion  Ijande  aus;  aber  auch  im  Elsass  und 
in  der  alten  Salzburger  Kirclienprovinz  (Baiern,  Tirol,  Österreich,  Steier- 
mark, Kärnten)  ist  er  nocli  lieute  als  volkstümlicher  Heiliger  bekannt. 
Ihm  geweihte  Kirchen  finden  sich  aucli  in  Thüringen  (Sangerhausen, 
Weberstedt  bei  Mühlhausen,  S.  Ulrich  bei  Mücheln);  in  der  Magdeburger 
Erzdiöcese:  so  in  Magdeburg,  in  Halle;  in  Niedersachsen:  Braunschweig, 
Goslar;  auch  in  Belgien. 

Zehn  Jahr  nach  Ulrichs  Tode  begann  der  Priester  Gerhard,  der  dem 
Biscliof  nahe  gestanden,  dessen  Vita,  die  dem  Papst  Johann  XV.  bei  der 
Heiligs]n'eclmng  vorlag.  Auch  noch  dem  10.  Jahrhundert  gehört  die 
Lebensbeschreibung,  welche  Biscliof  Gebhard  von  Augsburg  (99G— 1001 
Bischof)  verfasste.  Geschichtlich  unbedeutend  ist  die  vom  Abt  ßerno  von 
der  Reichenau  um  1030  geschriebene  Vita  S.  Udalrici,  die  um  1200  von 
einem  Geistlichen  Namens  Albert  in  deutschen  Versen  bearbeitet  ward 
(herausgeg.  von  J.  A.  Schmeller,  München  1844).  Im  11.  Jahrh.  sagte  und 
sang  das  Volk  vom  heil.  Ulrich,  wie  Eckehard  IV.  in  den  casus  S.  Galli 
berichtet^),  und  lateinische  Sequenzendichter  des  12.  Jahrh.  hielten  sein 
Gedächtnis  fest,  das  auch  späterhin  bei  den  Dichtern  oder  Reimern  nicht 
erlosch.  So  trägt  ein  Meistersiugerlied  des  Jörg  Breining  (c.  1480)  zwei 
Wunder  S.  Ulrichs  vor'):    den  Beistand,    den    er  einer  Gräfin  zu  Köln  in 


1)  Konr.  Raffler,  Der  hl.  Ulrich,  Bischof  von  Augsburg.  München  1866.  Zweite 
Ausgabe  1870.  Jnl.  Koch,  Geschichte  und  Cult  rles  hl.  Ulrich,  Bischofs  von  Augsburg. 
Halle  1875  (,Doct.  Dissert.).  —  Eine  ansprechende  Charakteristik  Bischof  Ulrichs  entwarf 
Alb.  Hauck  in  seiner  Kirchengeschichte  Deutschlands,  III,  1,  47  ff.    Leipzig  1893. 

2)  plura  quae  de  eo  concinnantur  vulgo  et  canuutur,  Pertz  Monum.  II.  109.  Meyers 
V.  Knonau  Ausg ,  ö.  221. 

3)  Görres  Altdeutsche  Volks-  und  Meisterlieder,  S.  311  ff. 


418  Wcinhold: 

einem  Erbstroite  leistet,  und  die  Rettung  der  Unschuld  einer  Gräfin  von 
Leiningen  netst  Wiederbelebung  des  Ritters,  der  liingerichtet  ward,  weil 
er  mit  ihr  in  falschem  Verdacht  gewesen  war.  Diese  CTCscIiirlite  wird 
auch  in  der  Zimmernschen  Clironik  und  sonst  erzälilt  (F.  Liebrecht  in  der 
üerniania  XIV,  oOl).  Über  andere  Sagen  vom  hl.  Ulrich  s.  Sclimeller  in 
seiner  Ausgabe  des  Albertschen  Gedichtes  S.  XVI. 

Wie  vorhin  erwähnt,  fiel  für  die  Heiligsprechung  des  Bischofs  Ulrich 
besonders  ins  Gewicht,  dass  er  sich  als  grosser  Helfer  in  Krankheiten 
bewährt  hatte.  Das  Ol,  das  er  am  Gründonnerstag  weihte,  stellte  viele 
Kranke  her  und  machte  Blinde  sehend  (Gerhardi  vita  S.  Oudalr.  c.  Iß). 
Der  Glaube  au  seine  Hilfe  ist  noch  nicht  erloschen.  In  Tirol  gilt  er 
neben  dem  hl.  Sebastian  als  Krankheitspatron,  auch  hilfreich  gegen  die 
Cholera  (Schöpf,  Tirol.  Idiotik.,  S.  780). ')  In  der  Schweiz  sind  ihm  nach 
dem  Oltener  Kalender  auf  1859  Milchopfer  für  die  Gesundheit  der 
Kinder  gebracht  worden  (Schweizerisches  Idiotik.  1,  184).  Ein  Trunk  aus 
dem  vom  hl.  Ulrich  gebrauchten  Messkelch  im  Schloss  Firmian  in  Tirol 
sollte  von  schweren  Beängstigungen  befreien  (Schmeller,  Bayrisches  Wörter- 
buch P,  63).  Trünke  „in  der  Lieb  und  in  den  Ehren"  S.  Ulrichs  haben 
in  Schwaben  als  Segnung  und  Schutz  gegen  alle  Widerwärtigkeit  und 
gegen  den  Tod  durchs  Schwert  an  diesem  Tage  gegolten.  Grössere  Ge- 
sellschaften vereinigten  sich,  zu  trinken  „in  der  Lieb  von  S.  Ulrich" 
(Birlinger,  Schwab.  Augsburg.  Wörterb.,  S.  41Ü  f.).  Hier  haben  wir  also 
eine  S.  Ulrichsniinne,  die  sich  der  Johannis-  und  der  Gertrudenminne 
■zur  Seite  stellt,  und  zuletzt  den  Opfertrünken  zum  Gedächtnis  des  Thorr, 
des  Freyr  und  anderer  nordgermanischer  Götter. 

Dass  der  heil.  Ulrich  auch  übermässige  Trünke  gesegnet  habe,  ist 
unbegründeter  Versuch,  die  weitverbreitete  Redensart  für  erbrechen :  Ulrich 
rufen  oder  den  heil.  Ulrich  anrufen,  die  nur  auf  Klangähnliclikeit  beruht, 
au  den  Bischof  Ulrich  anzuknüpfen. 

Von  Göttern  und  Helden  geht  bei  allen  Völkern  die  Überlieferung, 
dass  sie  lebens-  und  heilkräftige  Quellen  aus  dem  Schosse  der  Erde 
erweckten.^)  So  auch  von  manchem  Heiligen  und  nicht  zuletzt  von  S. 
Ulrich.  Ulrichsbrunneu  kennt  man  heute  noch  namentlich  in  Schwaben 
und  auf  bajuwarischem  Boden.  An  dem  von  Eresing  unfern  des  Ammer- 
sees haftet  die  Sage,  dass  ihn  der  Bischof  hervorgerufen,  um  seinen  Durst 
zu  löschen;  ebenso  an  dem  Ulrichsbrünnlein  über  dem  Weiler  Paterzeil 
bei  dem  Pfarrdorfe  Forst.  Von  dem  Ulrichsbrunnen  in  Seibranz  geht  die 
Sage,  dass  dort  kein  Wasser  war,  und  das  Volk  klagte  darob  dem  Bischof. 
Der    stiess    nach    einem  Gebet  seinen  Stab  in  die  Erde  und  sofort  sprang 


1)  Vgl.  auch  unten  S.  42E  das  über  die  Wirltung  der  Ulrichkreuze  Gesagte. 
'J)  QuelUm  stossen  in  german.  Sage  aus  der  Erde  die  Götter  Wodan  und  Bahlr,    die 
Heiligen  Ulrich,    Gaugolf,  Wolfgang,  Bnnifaz,  die  Heroen  Karl,  Arnold  von  Holland  u.  a. 


Vom  heiligen  ülricli.  419 

eine  reiche  Quelle  hervor,  zu  der  bis  in  unsere  Zeit  jährlich  am  Ulrichs- 
tage  eine  feierliche  Prozession  ging  (Birlinger,  Volkstümliches  aus  Schwaben 
1,  407).  Ähnlich  heisst  es  von  dem  Uorlisbrunn  im  Walde  Weinhart  bei 
Klimmach,  dass  ihn  der  Bischof,  als  sein  Jagdgefolge  dürstete,  mit  dem 
Stabe  aus  der  Erde  gestossen  habe  (Birlinger,  Aus  Schwaben  1,  48). 

Nach  unserm  Heiligen  benannte  gute  Quellen  finden  sich  auch  bei 
dem  oberbayrischen  Pfarrdorfe  Happach^),  ferner  in  Dehliugen  bei  Ohmen- 
heim im  Oberamte  Neresheim  und  in  Höchreute  bei  Pfrungen  im  Oberamte 
Saulgau  (Alemannia  XII,  161).  Das  Wasser  der  Dehlinger  Quelle  soll  der 
Heilige    durch    hineingeworfene  Holzstückcheu    trinkbar  gemacht  haben.') 

Auch  in  Neuburg  a.  d.  Donau,  in  Priedberg  an  der  Strasse  nach 
Aischach  und  beim  Markte  Kirchheim  in  Schwaben  waren  früher  Ulrichs- 
brunnen bekannt  (Birlinger,  Schwab.  Augsb.  Wörterb.  419). 

Besonders  heilsam  gilt  das  Wasser  dieser  Quellen,  namentlich  der 
Eresinger  und  Paterzeller,  für  die  Augen.  Bei  mehreren  Brunnen,  so  in 
Eresiug,  Paterzeil  und  Höchreute,  wurden  dem  Heiligen  geweihte  Kapellen 
erbaut.  Unweit  von  Heiligenkreuz  am  Wasen,  Bezirk  Wilden  in  Steier- 
mark, steht  ein  Ulrichskirchlein,  neben  ihm  eine  mächtige  Linde,  unter 
derselben  eine  Kanzel,  von  der  am  Patrociniumsfest  (4.  Juli)  dem  zusammen- 
strömenden Volke  gepredigt  wird.  Fünf  Minuten  davon  entspringt  eine 
Quelle  mit  vortrefflichem  Wasser,  über  der  sich  eine  steinerne  Ulrichs- 
statue erhebt.') 

Ein  wirkliches  Volksfest  wii'd  am  Sonntag  nach  dem  4.  Juli,  wenn 
dieser  nicht  selbst  auf  einen  Sonntag  fällt,  am  Ulrichsbrunnen  am  nördlichen 
Abhänge  des  Eeunerkogels  bei  Graz,  der  steirischen  Hauptstadt,  begangen. 
Schon  am  Vorabend  ist  in  dem  Kirchlein  Gottesdienst,  am  Tage  selbst 
vormittags  Messe  und  Predigt,  die  im  Freien  von  einer  dazu  errichteten 
Kanzel  gehalten  wird.  Auch  nachmittags  ist  Gottesdienst.  Viele  Hunderte 
bürgerlichen  und  ländlichen  Standes  aus  Stadt  und  Umgegend  strömen  da 
zusammen.  Kaufbuden  mit  Lebkuchen  in  verschiedenen  Formen,  mit 
Eosenkräuzen  (Beten)  und  anderen  kirchlichen  und  weltlichen  Dingen, 
Schaukstätteu  aus  grünen  Ästen  gebaut,  in  denen  vornehmlich  Met  ge- 
schenkt wird,  sind  errichtet.  Die  Besucher  des  Festes  wohnen  den  Gottes- 
diensten bei,  lagern  sich  im  Walde  und  bleiben  meist  bis  zur  sinkenden 
Sonne.  Sie  trinken  auch  aus  der  heilkräftigen  Quelle,  die  hinter  dem 
Altar  des  Kirchleins  entspringt  und  ins  Freie  geleitet  ist.  Sie  waschen 
sich  auch  darin.     Am  Abend  ziehen  sie  nach  Hause,  die  Lebkuchen  oder 


1)  Dieser  fons  S.  Udalrici  wird  schon  in  einer  Freisinger  Grenzurkunde  des  13.  Jahr- 
hunderts genannt:  Oberbayr.  Archiv  IV,  427. 

2)  K.  Eaffler,  Der  hl.  Ulrich,  2.  A.,  S.  163.  166. 

3)  Mitteilung    vom   Regierungsrat   Dr.   Fr.   Ilwof   in    Graz,    der    auch    meine    Auf- 
zeichnungen über  den  ITlrichsbrunnen  bei  Graz  vervollständigt  hat. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volksknnile.    1S95. 


420  Weinhold: 

was    sie    sonst    beim  Ulrichskirchlein  gekauft  haben,    an  Bändern  um  den 
Hals  gehängt. 

Diesem  steirischen  Ulrichssountag  vergleicht  sich  nun  durchaus  der  old 
Midsummer  Sunday,  der  in  Erringburn  bei  Bingfield  im  North  Tyndale 
gefeiert  wird.  Mr.  Hall  in  seiner  Abhandlung  Modern  Survivals  of  ancient 
Well  worship  in  North  Tyndale  (Arch.  Aeliana.  N.  S.  vol.  "NTII,  60—87) 
erzählt  davon,  dass  sich  am  ersten  Sonntage  nach  dem  4.  Juli,  der  als 
Mitsommertag  nach  altem  Styl  zu  betrachten  sei,  das  Volk  der  Umgegend 
an  dem  Bore  well  versammele.  Es  werde  eine  Art  Jahrmarkt  gehalten. 
Erfrischungen  feil  geboten,  und  stufenweise  sitzen  die  Leute  am  Hügel 
hinauf.  Weiber,  die  gern  Kinder  hätten,  beten  still  an  der  Quelle;  binnen 
zwölf  Monden  erfüllen  sich  die  Wünsche.  Der  Sonntag  heisst  der  Bore 
Well  Sunday. 

Ein  ähnliches  Volksfest  fand  nach  Mr.  Hodgson  in  der  Hist.  of  North- 
umberland  an  den  Our  Lady's  Wells  oder  Holy  Wells  bei  Langwitton, 
besonders  an  der  östlichsten  Quelle,  der  Eye  Well  am  Midsummers  Sunday 
und  dem  folgenden  Sonntage  statt.  Die  Bewohner  der  Gegend  assen  Ingwer- 
brot, tranken  aus  der  Quelle  und  vergnügien  sich  mit  Wettlaufen.  Nach 
der  Sage  hauste  einst  an  der  Quelle  ein  Drache,  den  Guy  of  Warwick 
erschlug. 

Nach  Mr.  Hall  sammelte  sich  auch  an  den  Gilsland  Wells  in  Nortb 
Tyndale  einst  das  Volk  am  Sonntag  nach  dem  alten  Mitsommertag,  dem 
sogen.  Head  Sunday.') 

Bei  diesen  nordenglischen  Volksfesten  zeigt  sich  keine  Beziehung  auf 
den  heiligen  Ulrich.  Es  sind  zum  Sunnwendcyklus  gehörige  Kultreste,  und 
doshalb  helfen  sie  uns  zum  Verständnis,  dass  die  deutschen  ülrichsbruunen 
ursprünglich  nicht  zu  S.  Ulrich  gehörten  und  dass  die  an  sie  geknüpften 
Sagen  und  Verehrungen  erst  später  auf  den  Bischof  übertragen  wurden, 
nachdem  sein  geschichtlich  feststehender  Todestag  (4.  Juli)  zum  örtlichen 
Kirchfest  geworden,  das  sich  mit  den  altheiligen  Sunnwenden  zeitlich 
berührte.  Dafür  zeugt  auch  die  Hereinziehung  S.  Ulrichs  in  die  Sunn- 
weudfeuerheiligen.  Im  österreichischen  Inuviertel  wird  das  Holz  zum 
Sunnwendfeuer  auf  die  Namen  der  heiligen  Veit,  Ulrich,  Nikolaus  (Nigl) 
und  Florian  erbettelt  (Am.  Baumgart,  Aus  der  volksmässigen  Überlieferung 
der  Heimath,  1,  27).  Im  kärntischen  Lesachthaie  werden  am  Abend  vor 
ülrichstag  Feuer  angezündet  und  brennende  Holzscheiben  getrieben  ^),  zum 
Abschluss  der  Sunnwendfeuer,  die  am  Abend  vor  Johannes  dem  Täufer,  vor 
Peter  und  Paul  und  vor  Ulrich  üblich  sind,  und  für  eine  vierzehntägige 
Dauer  des  altdeutschen  Mitsommerfestes  zeugen,  die  auch  aus  Schwaben 


1)  Vgl.  The  Denhams  Tracts.    A    collection  of  Folklore  by  M.  A.  Denham.    Edited 
by  J.  Hardy.    Vol.  II.    S.  156  f.   London  1895. 

2)  M.  Leier  in  Wolf-Mannhardts  Zeitschr.  f.  deutsche  Mythol.  3,  31. 


VoBi  heiligen  Ulrich.  421 

und  Bayern  durch  die  Peuerabende  vor  S.  Veit,  S.  Johaunes  und  S.  Peter 
und  Paul  sich  ergiebt  (Panzer,  Bayer.  Sagen  und  Bräuche,  1,  213—217). 
Der  ülrichstag  gilt  in  Oberösterreich  auch  als  Losstag.  Wenns 
am  Ulrichstag  (Durästag)  regnet,  so  regnet  es  ins  Urbkübel,  d.  i.  den 
Urhabkübel,  das  Gefäss,  worin  der  Sauerteig  (urhab)  zum  Brot  gemacht 
wird;  das  Getreide  giebt  schlechtes  Mehl  (Am.  Baumgart,  Aus  der  Heimat, 

1,  50).  In  Nord-Schottland  gilt  der  4.  Juli,  der  dort  St.  Blartins  of  Bullions 
day  (Festum  S.  Martini  Bullionis,  Fete  S.  Martin  Bouillant)  heisst,  auch 
als  Losstag,  der  wenn  nass,  vierzigtägigen  Regen  anzeigt.')  Wenn  es  am 
ülrichstage  ein  Gewitter  giebt,  heisst  es  in  der  Schweiz:  der  Ule  donnert 
d'  Nuss  abe.     Die  Nussernte  ist  missraten. 

Der  hl.  Ulrich  galt  auch  als  Beschützer  der  Reisenden,  wie  ein 
Segen  einer  ehemals  Weingartener  Handschrift  des  12.  Jahrhunderts  (Grati; 
Diutiska  2,  70.  Müllenhoff  —  Scherers  Denkmäler  IV,  8)  bezeugt.  Der 
Segen  schliesst:  Des  guten  Sankt  Ulrichs  Segen  sei  vor  dir  uud  hinter  dir 
und  über  dir  und  neben  dir  gethau,  wo  du  auch  wohnest  und  wo  du  seiest, 
dass  da  eben  so  guter  Friede  sei  als  dort  war,  wo  meine  Franc  Sancta 
Maria  des  heiligen  Christs  genas. 

Eine  ganz  besondere  Bedeutung  hat  S.  Ulrich  als  Helfer  gegen  die 
Haus-  und  Feldplage  der  Ratton  und  Mäuse  gewonnen. 

Neben  ihm  schützen  bekanntlich  gegen  dieses  Ungeziefer  die  heilige 
Gertrud  (Unsere  Zeitschrift  I,  444.  H,  199). 

S.  Nicolaus  (A.  Wuttke,  Volksaberglaube,  §  616.  Schleicher,  Volks- 
tüml.  aus  Sonneberg,  S.  140.    Eng.  Schnell,  S.  Nicolaus,  Brunn  1883.  1,  37). 

S.  Nicasius  (A.  Wuttke,  Volksaberglaube,  §  614.  616.  Grohmann, 
Apollo  Smintheus,  S.  63.  Baumgarten,  Aus  der  Heimat  1,  83.  A.  Stöber, 
Alsatia.    1852.    S.  132.     Pröhle,  Harzbilder,  S.  84). 

S.    Medardus    (Wuttke,    §  616.      Bartsch,    Mecklenburgische    Sagen, 

2,  176.  285). 

In  Meysterlins  (f  1490)  Nürnberger  Chronik  wird  zu  den  Wundern 
des  hl.  Ulrich  gerechnet,  dass  zwischen  Lech  und  Weitach  keine  Ratte  am 
Leben  bleibe. 

Die  Zimmernsche  Chronik  (III,  272  ff.  der  Barackschen  Ausgabe  von 
1869)  erzählt,  dass  im  Jahre  1538  zu  Mösskirchen  so  viel  Ratzen  waren, 
dass  man  alles  versuchte,  sie  zu  vertilgen.  Graf  Gotfried  Wernher  v.  Zimmern 
„hat  Sanct  Ulrichs  ertrichs  etlichmal  von  Augsburg  holen  lassen  der  hof- 
nung,  es  solte  die  Ratzen  vertribeu,  wie  dann  ein  gemeiner  leumat  dess- 
halber,  aber  es  wolts  nit  thuen".  Es  kam  dann  ein  Abenteurer,  der  die 
Ratten  aus  der  Stadt  verbannte.  • 

In  Veringen  an  der  Lächert,  wird  in  selber  Chronik  (III,  273)  weiter 
berichtet,  „sei  in  etlich  hundert  Jahren  kein  Ratz  gespurt  worden;  so  auch 


11  Hampson  Meclii  aevi  Calendariuiii.     London  1841.    I,  332. 

29» 


422  Weinhold: 

eiu  lübendiger  Ratz  dahiu  gebracht  oder  ungeferdt  dahin  kam,  so  starb  er. 
Das  soll  S.  Ulrich  denen  von  Veringen,  sagt  man,  uinb  Got  erworben 
haben,  dann  er  von  der  Mutter  ein  Graf  von  Veringen,  auch  im  Stotle  zu 
Veringen  soll  geboren  sein  worden." 

Der  Kapuziner  Athanasius  von  Dillingen  berichtet  in  seiner  Vinea 
evangelica  (Dillingen  1694),  dass  die  Mäuse  oder  Ratzen  die  Erde  vom 
Grabe  des  hl.  Ulrich  fliehen  und  sich  in  seinem  Bistum  nicht  aufhalten 
oder  Schaden  zufügen  mögen  (Birlinger,  Aus  Schwaben  1,  294).  Als  einst 
in  der  Rottenburger  Markung  zahllose  Mäuse  hausten,  holte  man  S.  Ulrichs 
Stab  von  Augsburg,  trug  ihn  in  Prozession  um  die  Feldei',  und  die  Mäuse 
sollen  alle  verschwunden  sein  (Birlinger,  Volkstümliches  aus  Schwaben 
1,  407). 

Im  Lechrain,  der  zum  Augsburger  Bistum  gehört,  wird  S.  Ulrich 
gegen  den  Schaden  der  Mäuse  und  Ratzen  mit  grossem  Erfolge  angerufen, 
weshalb  die  Feier  des  Ulriehstages,  obschon  öfter  abgeschafft,  immer  wieder 
erlaubt  werden  musste  (v.  Leoprechting,  Aus  dem  Lechrain,  S.  189). 

Nach  Stadlers  Vollständigem  Heiligen-Lexikon  (Augsburg,  Band  5, 
S.  597)  wird  der  hl.  Ulrich  zuweilen  mit  Ratten  zu  seinen  Füssen  ab- 
gebildet. 

In  den  angeführten  Zeugnissen  ist  mehrmals  die  Erde  vom  Grabe 
des  hl.  Ulrich  als  Mittel  gegen  das  Ungeziefer  genannt  werden.  Es  ist 
das  älteste  Grab  in  der  St.  Afrakirche  zu  Augsburg  gemeint,  wo  sich 
Bischof  Ulrich  auf  blosser  Erde,  nur  mit  einem  hölzei-nen  Deckel  bedeckt, 
hatte  bestatten  lassen.  Nach  einer  alten  Aufzeichnung  hat  diese  Graberde 
die  besondere  Kraft,  naclidem  Gebete  und  gute  Werke  dabei  verrichtet  waren, 
die  Ratten  aus  den  Häusern  und  den  nächst  gelegenen  Orten  zu  vertreiben, 
wo  sie  mit  Vertrauen  aufbewahrt  wird  ;K.  Raffler  S.  163).  Die  Ulrichs- 
erde wird  in  die  von  Btäusen  bevölkerten  Äcker  eingegraben  oder  dort, 
wo  Ratten  sich  zeigten,  aufgestreut.  Nach  Stadlers  Vollständigem  Heiligen- 
Lexikon  (V,  597;  Anm.)  wird  noch  jetzt  von  S.  Ulrichs  Grab  entnommene 
Erde  als  Mittel  gegen  die  Ratten  in  den  Häusern  aufbewahrt. 

Frommer  Glaube  hat  aber  auch  die  Erde  vom  Kirchhofe  dem  hl. 
Ulrich  geweihter  Kirchen  dieselbe  Kraft  zugesprochen.  Wenigstens 
ist  mir  solches  von  der  Pfarrkirche  St.  Ulrich  im  Grödener  Thale  (Südtirol) 
glaubwürdig  berichtet  worden.  In  St.  Ulrich,  dem  Hauptort  von  Gröden, 
soll  es  keine  Ratten  geben  Einmal  trug  man  eine  lebende  Ratte  dorthin 
uud  Hess  sie  beim  Mittagsläuten  innerhalb  der  Freithofmnuer  laufen.  Sofort 
starb  sie,  gleich  der  Ratte  in  Veringen.  Erde  von  diesem  St.  Ulricher 
Kirchhof  wird  in  Dörfer  der  Nachbarschaft  geholt  und  als  Rattenmittel 
ausgestreut.  Es  hat  auch  für  lange  geholfen,  wie  eine  Wirtin  in  Gufidaun 
versicherte. 

Die  Erde  von  heiligen  Gräbern  vernichtet  schädliches.  So  tötet  Erde 
vom    Grabe    des    hl.  Julian    in  Judicarien  Schlangen   augenblicklich.     Um 


Vom  heiligen  Ulrich.  423 

seine  Grabkapelle   lebt  kein  Gewürm  (Schueller,    Märchen  und  Sagen  aus 
Wälschtirol,  S    222).') 

Gleich  der  Ulrichserde  galten  und  gelten  auch  die  Ulrichskreuze 
als  Schutzmittel  gegen  Ratten  und  Mäuse,  wenn  sie  in  die  Erde  vergraben 
oder  an  Häusern  und  Ställen  aufgehängt  oder  darin  vermauert  wurden. 
Diese  Kreuze  dienen  und  dienten  am  Halse  getragen  auch  als  Amulette 
gegen  allerlei  Anfechtungen,  sowie  gegen  Krankheiten,  besonders  gegen 
Pest  und  Cholera,  ferner  bei  Kriegsgefahren  und  Gewittern.^) 

Diese  Ulrichskreuze  waren  ursprünglich  Erinnerungen  an  die  Walfahrt 
zum  Grabe  des  hl.  Ulrich  und  zugleich  an  das  dort  aufbewahrte  sehr  alte 
KreuZj  das  mit  einer  grossen  Partikel  vom  heiligen  Kreuz  in  sich,  waln-- 
scheinlich  von  Bischof  Ulrich  als  Pectorale  getragen  worden  ist.  Nur  die 
Sage  hat  es  mit  der  Ungarschlacht  von  955  in  Verbindung  gebracht,  und 
daher  stammt  auch  die  häufigste  Inschrift  der  Ulrichskreuze :  Crux  victorialis 
S.  Udalrici. 

Durch  die  Benedictiner,  welche  Kaiser  Heinrich  H.  1012  in  das  Ulrichs- 
kloster einsetzte,  kam  der  hl.  Benedict  nebst  dem  Benedictussegen  auf  das 
Ulrichskreuz;  er  gewann  sogar  das  Übergewicht  über  den  hl.  Ulrich. 

Diese  Kreuze,  kirchlich  geweiht  und  mit  dem  alten  echten  Ulrichskreuz 
berührt,  bildeten  sich  zu  Amuletten  aus,  die  in  den  oben  bezeichneten 
Fällen  als  Schutz-  und  Heilmittel  von  den  Gläubigen  gebraucht  wurden. 
Die  Beifügung  des  Zachariassegens  machte  das  Ulrichskreuz  zum  besonderen 
Schutzmittel  gegen  die  Pest  (Friesenegger  S.  40—42). 

Attribut  des  hl.  Ulrich  ist  der  Fisch,  den  er  auf  seiner  linken 
Hand  trägt;  zuweilen  hat  der  Fisch  ein  Buch  als  Unterlage.  Nach  der 
Legende  (in  der  vom  Ulrichskloster  bei  Silv.  Otmar  in  Augsburg  1516 
herausgegebenen  Lebensbeschreibung  der  Augsburger  Heiligen)  hatte 
Bischof  Ulrich  eine  Nacht  von  Donnerstag  zu  Freitag  mit  Bischof  Konrat 
von  Konstanz  in  frommem  Gespräch  zugebracht,  und  so  fand  ihn  noch  am 
Morgen  ein  Bote  des  Herzogs  von  Baiern.  Der  Bischof  reichte  diesem 
als  Botenbrot  ein  Stück  Fleisch,  das  noch  auf  dem  Tische  vor  den  beiden 
Herreu  lag.  Der  Bote  benutzte  aber  die  Gabe,  um  die  Bischöfe  der 
Übertretung  des  kirchlichen  Fastongebotes  zu  beschuldigen.  Aber  als  er 
den  Beweis  seiner  Anklage  durch  das  Fleischstück  geben  sollte,  zog  er 
statt  desselben  einen  Fisch  heraus.     Gott  hatte  ein  Wunder  gewirkt. 

An  dem  Feste  des  Heiligen  scheint  in  alter  Zeit  ein  Fischmarkt  bei 
seinen  Kirchen  gehalten  worden  zu  sein.  Aus  England  wenigstens  wird  aus 
früherer  Zeit    berichtet,    dass,    wo  Ulrichskirchen    sich  fanden,    am  Patro- 


1)  Über  die  vernichtende,  aber  aucli  die  heilende  Kraft  von  Graberde  überhaupt  nacli 
schottischem  und  irischem  Glauben:    Gomnie,  Ethnology  in  folklore,  S.  113—115. 

2)  Eine  sorgsame,  mit  vielen  Abbildungen  geschmückte  Abhandlung  Über  die  Ulrichs- 
kreuze gab  jüngst  der  Stadtpfarrer  bei  St.  Ulrich  und  Afra  in  Augsburg,  Jos  M.  Friesen 
egger,  (Augsburg  1895)  heraus.     Ich  habe  diese  tretfliclic  Arbeit  hier  benutzt. 


424  Wossidlo: 

ciniumsfest  in  dem  Kiroheiischiff  nahe  dem  Altar  Leute  mit  Karpfen  und 
anderen  Fischen  sasseu.  Die  Käufer  glaubten  damit  des  hl.  Ulrichs  (iunst 
zu  erwerben.^)  Als  eine  Spur  davon  kann  der  Vers  „Ulrich  brät  die 
Karpfen"  in  dem  Liede  „Wie  geht  es  denn  im  Himmel  zu"  (Unsere  Zeit- 
schrift 5,  362)  genommen  werden. 

Ich  will  mit  einer  Mutmassung  schliessen. 

Die  hübsche  Legende  von  dem  in  Fisch  verwandelten  Fleisch  ti-itt 
spät  auf.  Bei'no  hat  sie  noch  nicht,  sie  kommt  erst  in  jüngeren  Anhängen 
zu  seiner  Vita,  und  auch  nicht  in  allen  Handschriften  derselben  vor.  Im 
Anfang  des  16.  Jahrh.  scheint  sie  erst  allgemein  bekannt. 

Vielleicht  hängt  der  Fisch  mit  dem  Quellenheiligen  zusammen,  denn 
der  Fisch  ist  eine  bekannte  Gestalt  der  alten  Wassergeister  (Unsere  Zeit- 
schrift V,  123.  Gomme,  Ethnology  in  folklore,  92  f.  101).  Die  Ulrichs- 
brunnen sind,  wie  wir  oben  schon  bemerkten,  heilige  Quellen  aus  vor- 
christlichem Kult,  die  durch  Übertragung  auf  einen  kirchlichen  Heiligen 
ihre  Bedeutung  behielten.  Das  alte  Idol  des  Wassergeistes  ward  zum 
Symbol  des  heiligen  Bischofs,  und  zur  Erklärung  desselben  erfand  frommer 
Sinn  die  Legende  von  dem  Fasttagfisch. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes. 

Von  R.  Wossidlo. 


Zweiter  Teil. 

Für  den  folgenden  zweiten  Teil  haben  mich  ausser  den  oben  S.  302  genannten 
Mitarbeitern  auch  die  Herren  P.  Schrievcr  in  Kisserow,  Lehrer  Warnke  in  Krickow 
und  Fischer  Ivlüss  in  Wendorf  unterstützt;  vor  allem  dem  letztgenannten  Herrn 
verdanke  ich  wertvolle  Mitteilungen  über  „Wind"  und  „Wasser". 

Der  mythologische  Gehalt  vieler  Ausdrücke,  namentlich  über  Wolkenbildung, 
ist  klar  erkennbar;  doch  habe  ich,  um  Raum  zu  sparen,  alle  Hinweise  unterlassen. 

VII.   Sonne. 

Einen  alten  Tagelöhner  hörte  ich  mehrfach  snnn  als  Masculinum  ge- 
brauchen. 

De    leiw  sünn  wird  viel  gesagt,  vgl.  de  sünn  schient  ken  armot  in't  land. 

Die  Sonne  heisst  auch:  de  ollsch,  de  oll  madam  dor  haben  (bei  Still- 
fried),   oder:    mudder   gläunig:    mudder  gläunig  kickt  all  wedder  achter'n 

1)  Hampson,  Medü  aevi  Caleudarium,  S.  325  fülu-t  dafüi-  eine  Stelle  aus  Baruabe 
Googe  an.  Wie  der  Fisch  beweist,  ist  niclit  an  den  englischen  Heiligen  ülricus  presb 
Erem.  (20.  Febr.)  zu  denken. 


Das  Naturlebeii  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  425 

barg  rut,  und  iu  hiesiger  Gegend  sehr  liäufig:    Mariken:    Mariken  lett  sik 
all  wedder  seihn,  Mariken  kickt  all  öwer'n  tun  u.  ä.  m.  vgl.  unten.. 

Tagesanbruch. 

De  sünn  grint  all  dörch. 

Dat  grimmelt  all  gegen  osten,  dat  grämolt  all,  uu  ;;'ragt  de  dag  all  an, 
de  dag  griest. 

Dat  schemmert,  de  dag  schämert. 

De  dag  ward  hellen. 

De  dag  rakt  an. 

Vor  dau  un  nebel,  vor  dau  un  dag,  vor  däuen  dag  (Brinckman),  vor 
dau  un  dak  (Brinckman). 

Drei  dumdick  (dumbreit)  vor  dag. 

"Wer  den  öwer't  uhr  hangen  will,  de  möt  upstahn,  ihr  de  düwel  sin 
strünip  antreckt. 

Stah  up,  Petrus  lieft  licht  anstickt. 

Stall  up,  de  haliu  röppt:  Petrus  bött  füer. 

Stah  up,  de  gant  röppt:  dat  is  dag,  dat  is  dag,  un  de  gössel  ropen: 
klock  is  fiw,,  klock  is  fiw. 

Nu  is  dat  rod  all  von  de  sünn;  vgl.  de  lett  dat  rod  ilirst  von  de  sünn, 
(de  steiht  nich  ihrer  up,  as  bet  eni  de  sünn  in'n  nors  schint):  vom  Lang- 
schläfer. 

De  sünn  steiht  up  middag. 

De  sünn  sitt  noch  bomshoch,  vresbomhoch,  bänshoch,  kirlslioch,  hus- 
hoch. 

Sonnenuntergang. 

De  sünn  geiht  to  gar,  to  rüst,  is  bi't  afrüsten. 
De  sünn  is  bi't  rutschen,  bi't  liden,  fängt  an  to  gliden. 
De  sünn  sitt  uppe  neig,    uppe  naht,    uppe  rak,  up'n  raud,  uppe  wipp, 
uppe  rutsch,  up'n  glas,  up'n  glär,  up'n  glerr,  up'n  lär,  up'n  glir,  uppe  glipp, 
up'n  glipper,  uppe  glutsch. 

Die  Schiffer  sagen:  De  sünn  sitt  uppe  kimm  (Horizont);  wenn  se  in'n 
letzten  is,  seggen  wi,  nu  geiht  so  uppe  kimnriug  dal;  so  seggen  wi  ok, 
wenn  mit  'n  oktanten  hochde  nahmen  ward:  wi  kahlen  uns  de  sünn  in  de 
kimming. 

De  sünn  krü])pt  ünner,  dükert  ünner. 
De  sünn  geiht  to  ncst,  to  kahn. 

Wenn  de  sünn  so  tickert. 
Wenn  de  sünn  so  mickort. 
Wenn  se  up'n  gläden  steiht, 
Denn  se  bald  ünnergeiht. 


426  Wossidlo : 

0,  mi  kann  Joliaiin  N.  (Name  eines  langen  Kerls)  bald  ankamen. 

De  Hamborger  jungens  känen  noch  nich  anhäkelt  kamen. 

De  Doberaner  schosters  hebben  noch  ken  pick  upsmeten. 

Nu  hebben  de  buerjungens  se  all  au'n  reip. 

De  Rostocker  (Lübecker,  Crivitzer  etc.)  jungens,  de  Wesenbarger 
schosterjungens  hebben  se  all  inne  treck;  de  groten  trecken  all  dal,  wenn 
de  lütteii  all  ihrst  anfaten,  is  se  weg. 

Leiw  sünn  gah  dinen  gang, 

Uns  hawdeinsten  frugens  ward  de  tid  all  lang. 
oder: 

Sünning,  wohr  dinen  unnergang. 

Uns  lud  ward  de  tid  all  gor  to  lang: 
so  hört  man  bei  der  Erntearbeit  auf  dem  Felde. 

Den  Kindern  wird  wohl  abends  zuarerufen: 

De  sünn  geiht  ünuer,  de  buk  ward  dünner, 

De  köh  gähn  sitten,    krigen  melk  in  de  titten,    kamt  rin  un  ät't  wat. 

Nu  is  fierabend,  de  bur  slütt  de  dör  to;  auch:  Petrus  slütt  to. 

Feierabend  hat  der  liebe  gott  gemacht, 
Nachtarbeit  hat  der  teufel  erdacht. 

De  sünn  kickt  dorch  de  luk:  wenn  sie  zwischen  Wolken  untergeht. 

De  sünn  geiht  dick  weg,  dat  giwwt  morgen  wat. 

De  sünn  geiht  in'n  busch,  morgen  giwwt't  'n  husch. 

De  sünn  krüppt  in'n  burrick  (durrick;  hurrick  bei  Bartsch  II  no.  1047), 
morgen  regent't  unsern  horrn  in  de  furrick  (d.  h.  Tasche). 

De  sünn  geiht  to  sump,  morgen  regent't  klump  (phinip  bei  Bartsch  II, 
no.  1048). 

Dat  sünd  de  sünn  ehr  taschendök,  dor  wischt  se  sik  den  sweit  mit  af : 
wird  hie  und  da  gesagt,  wenn  am  Abend  die  Wolken  neben  der  Sonne 
goldige  Ränder  zeigen. 

De  sünn  geiht  inne  blink:  in  stille,  blanke  See. 

Dämmerung,  Dunkel. 

Dat  wir  in  de  dänimering,  in'n  halfschummern,  bi'n  auschummern,  in 
de  schummoi'igen,  in  de  schuniraering,  schimmcring,  in  de  schubstund,  dat 
wir  schummerabend. 

Dat  wir  in'n  tweilichten. 

Dat  will  all  düstern. 

Dat  aukert  all;  dat  ward  all  aukerig,  abendhaftig. 

In'n  dunkeln  is  god  munkeln. 

In'n  düstern  is  god  smüstern,  auch  mit  dem  Zusätze:  öwer  ken  god 
flöhfangeu  (hasenjagen). 


Das  Niiturleben  im  Mundil  des  Mecklenburger  Volkes.  427 

Datwir  stockendig  düster,  stockenstirndüster,  stickstirn-,  stickenhimmel-, 
stickenbalken-,  himmelbalken-,  stirnbalken-,  dickenbalken-,  bickbalkeu-, 
pickendüster. 

Dat  is  balkondick  buten. 

Dat  wir  gnätern düster,  späuken-,  bräken-,  raben-,  s wartend üster. 

Dat  is  to'n  gripen  düster. 

Hier  is  't  düster,  as  wenn  man  in'n  sack  is. 

Dat  wir  pickeuuacht  (Stillfried),  pickenrabenswarte  naclit,  sticken- 
swai'te,  himmelswarte  nacht. 

Ken  stirn  to  seihn,  säd  de  bur,  dor  kek  he  in't  brotschapp. 

Dat  is  doch  rein  so  düster,  dor  kann  man  sin  fru  in"n  bedd  nicli  finneii. 

Verschiedenes. 

Wenn  de  wnlken  so  öwer  de  süun  lopen,  seggen  wi:  dat  weder  belöppt 
so,  dat  is  belopon  weder,  uplöpsch  weder;  de  sünn  het'n  öwerlop. 

Dat  is  beswulkt  hüt:  vgl.  „Wolken". 

De  süun  verkrüppt  sik,  versteckt  sik,  schugt  sik. 

De  ollsch  krüppt  achter  de  gardinen. 

Mariken  treckt  sik  'n  flur  öwer,  bin  dt  sik  'n  sleuer  vor. 

Nu  geiht  se  verschütt:  wenn  sie  hinter  Wolken  vorschwindet. 

De  süun  w.äuhlt,  waust,  krüppt  so. 

De  sünn  wadt  so,  dat  ward  noch  regen;  de  sünn  wndt  in  de  botter- 
nielk;  de  sünn  woddt  so  duU  in  't  dick. 

De  sünn  quält  sik  so,  se  het  hüt  ken  macht  to  schineu. 

De  sünn  schult  sik  so  bi  sid  rüm:  im  Winter. 

Turwis  blickt  de  sünn  so  up,  dat  giwwt  bald  wat. 

Dat  wir  sünnenschint  weder. 

De  sünn  scliint  so  prell,  so  knallig;  dat  is  so  'n  streffe  süini;  vgl. 
„Heisses  Wetter". 

De  sünn  de  galt  so,  lacht  so  gäl,  pliert  so,  grient  sik  so.  wi  krigen 
anner  weder. 

De  sünn  smitt  so'n  blass. 

De  sünn  süht  so  blennsch,  so  blindsch,  so  flömig  ut. 

De  süun  watert  so,  süht  so  waterig  ut;  vgl.  auch  „Wolken". 

Wenn  de  sünn  morgens  so  bläustert,  seggen  wi  u]i  see:  nu  liet  he  't 
signal  all  upheisst,  denn  giwwt't  regen  un  dreck. 

De  sünn  steiht  up  stütten:  wenn  bei  starkem  Wassergehalt  der  Atmo- 
sphäre die  Strahlen  die  Sonnenscheibe  zu  stützen  scheinen. 

Wenn  de  sünn  ne  gall  het,  giwwt  dat  regen. 

Dor  is  hüt  frömd  sünn  an'n  heben;  is  noch  ne  blinu  sünn  tokamen; 
de  sünn  het  ne  gegensünn,  dat  giwwt  slicht  weder:  hüt  mnkt  de  sünn  'n 
cluwwelt  gesiebt. 


428  Wossidlo: 

Wenn    de    sünn    water    süygt,    treckt   se  fisch  un  alles  mit  hoch;    dat 
kümmt  vor,  dat  dat  nahst  poggen  regent. 
Hut  danzt  de  sünn,  dat  giwwt  vel  küll. 
Sik  sünuigen:    sich  sonnen;   gah  dor  rut.  du  bradst  nocli  to  pepernät. 

Die  sonn,  die  morgens  früh  aufgeht. 
Pflegt  man  selten  spät  zu  scheinen. 
Das  glück,  was  morgens  früh  schon  lacht. 
Das  thut  am  abend  weinen. 


VIII.   Mond. 

Man,  mand  wird  oft  als  Femininum  gebraucht:  se  schient  all,  se  is 
upgahn  u.  s.  w. 

De  rogg  liet  ne  gode  man,  \\  goden  wadel  drapen:  ist  zu  günstiger 
Zeit  gesäet  worden. 

Der  Mond  heisst  auch:  Johann  Friedrich  sin  sünn,  Ulenspeigel  sin 
sünn,  den  Nigendörper  kohhird  sin  sünn  u.  ä.  m.;  de  Wesenbarger  sünn 
(vgl.  nu  ward  "t  dag  in  Weseubarg,  de  mand  geiht  up),  de  Stirnbargor; 
bei  den  Schiffern:  de  Swedsche  sünn,  in  Hamburg  und  Holstein:  de  Meckel- 
borger  sünn;  vgl.  noch:  in  Klokow  schient  de  sünn  abends  klock  elben 
noch  bonishoch  öwer'n  schapstall. 

En  swinhird  het  ordre  ki'egen,  he  süll  so  lang  höden,  bet  de  sünn 
unnergahn  wir.  He  bliwwt  öwer  drei  dag  buten,  im  as  de  herr  em  fragt, 
worum  he  nicli  na  hus  kamen  wir,  giwwt  he  to  antwurt:  je,  wenn  ein 
düwel  weg  is,  kümmt  de  auner  wedder,  (auch:  wenn  de  Meckelborger 
sünn  weg  is,  kümmt  de  preusch  wedder). 

Herr  Duuze  berichtet  mir  aus  Bartelshagen:  Auf  der  Pantlitzer  Heide 
nahe  der  Landesgrenze  erschienen  den  Jungens,  wenn  sie  Pferde  hüteten, 
öfter  Sonne  und  Mond  zugleich  am  Himmel  und  machten  ihnen  ihre 
Pferde  scheu. 

Die  Deminutivform  mäning  wird  namentlich  Kindern  gegenüber  oft 
gebraucht. 

De  Stirnbarger  mäning  is  Jochen  sin  best  kost,  vgl.  Reuter  V,  p.  408; 
Stirnbarger  mänings  heissen  nach  Stillfried  (Biweglang  p.  36)  auch  die 
den  Mineralogen  als  „Sternberger  Kuchen"  bekannten  Gesteinreste. 

Petrus  stickt  dat  abendlicht  an:  wenn  der  Mond  aufgeht. 

De  mau  fangt  au  nie  to  warden. 

Nu  het  Petrus  de  brodköst  all  wedder  rutsteken:  beim  ersten  Viertel. 

Dat  will  swin  het  den  mand  anfreten:  beim  Halbmond. 

Petrus  höllt  den  blanken  nors  ut't  finster:  beim  Vollmond. 

Iii'n  afbreken  man,  in'n  nauen  mau,  wenn  de  man  dat  afnelimont  liet: 
dat  is  minne  mand. 


Das  Natiu-leben  im  Mundfi  des  Mecklenburger  Volkes.  429 

De  man  geiht  to  bier  (to  wirtshus,  to  krog),  seggen  wi,  wenn  vull- 
mand  west  is  un  se  denn  nich  glik  rutkümmt,  dat  dat  ne  tid  lang  'düster 
is;  wo  lang  geiht  he  all  to  krog? 

Wenn  de  timpen  vöröwer  steiht,  seggen  wi:  de  mand  gütt  nt,  schiirrt 
ut,  steiht  uppe  leck;  de  mand  liggt  uppe  nick,  dat  giwwt  regen. 

Wenn  de  mand  upn  rügg  liggt,  giwwt  dat  frostweder;  denn  seggen 
wi:  de  mand  steiht  in  de  drög,  (steiht  up't  drögen,  hängt  drög,  nu  liöllt 
ho  drög). 

Nu  kann  de  ossenhäker  sin  pietsch  uphängen;  nu  kann  man  saddel 
un  tom,  kiep  un  lechel  anhängen. 

Wenn  de  man  up'n  rüggen  liggt,  seggen  wi  seelüd:  he  führt  kalin. 

He  fiert  sin  boot  to  sik  an,  dat  ward  stormsch  weder,  heisst  es  auf 
dem  Fischlande,  wenn  die  Abendsonne  nahe  am  Monde  steht,  auch:  he 
liet  de  boot  ranhalilt;  anderenfalls:  de  boot  is  lang  achteranbunnen. 

Wenn  no  grot  stirn  dicht  bi  de  mand  steiht,  seggen  wi  np  see:  de 
mand  het  sinen  verklicker  (d.  li.  Verräter)  bi  sik;  denn  ward't  weiligen, 
w  oneger,  wo  arger. 

Krink  um  "n  man,  dat  kann  wol  gähn, 

Öwer  sünnenkrink  bedrowt  männig  fru  un  kind. 

oder: 

Krink  um  'n  man,  denn  het't  gedahn, 

Krink  um  de  sünn,  denn  sall't  beginnen,     (seil,  der  Sturm.) 

Vgl.  noch  Bartsch  II,  no.  964. 

De  mand  frett  dat  up,  lickt  dat  weg:  das  dicke  Gewölk. 

De  mand  vertehrt  alles,  hadd  de  Hollänner  (de  Swed)  ok  seggt,  liadd 
om  't  ganz  grot  segel  vertehrt. 

Je  wenn  wi  nich  wiren,  säd  de  lücht  to  'n  mand,  denn  güng  se  ut. 

Petrus  het  nich  ornlich  putzt:  wenn  das  Mondlicht  nicht  durchs  Gewölk 
zu  dringen  vermag.  Sonst  heisst  es  auch:  de  ollen  Jungfern  möten  den 
mand  blank  putzen. 

Ein  Pastor  sagt  einem  totkranken  Greis,  um  ihn  zu  trösten,  oben  im 
Himmel  werde  er  ewige  Ruhe  haben.  Ach  ne,  herr  paster,  dat  weit  ik 
all;  dor  heit  dat  glik:  putz  den  mand,  sieht  den  hagel  trecht,  schuw  de 
walken,  dor  het  ok  jeder  sin  last. 

En  mäten  het  fohrten  mit  de  knechts  makt.  Ens  is  se  mit  ehr  toliop 
rut  gähn  un  het  den  mand  utgeiten  wuUt.  Dat  mäten  het  'n  emmer  vull 
water  nahmen;  as  se  öwer  to  geiten  will,  is  de  mand  dalfollen  up  dat 
mäten  un  de  knechts  un  het  se  all  verbrennt:  aus  Wismar  mitgeteilt. 

Eine  hiesige  Ackerbürgerfrau  erzählte  mir:  Ik  wir  nülich  in'u  goren 
bi  fru  N.  Dor  segg  ik  so  quanswis:  wi  hebben  jo  all  nie  mand.  Dor 
fängt  se  mit  einmal  an  to  knicksen  un  to  dohn  un  as  ik  ehr  frög,  wat 
dat  bedüden   süll,    verteilt  se  mi,    ehr  mudding  hadd  ümmer  seggt,    wenn 


430  Wossidlo: 

man  den  niemaiul  toihrst  solig,  müsst  man  em  na  alle  vier  weitteile  lien 
begrüssen. 

Wenn  man  den  Neumond  zuerst  sieht,  soll  man  dreimal  den  Hut  ab- 
nehmen, dann  bekommt  man  etwas  geschenkt:  von  einer  Frau  aus  der 
Laager  Gegend. 

Wer  im  Augenblick  des  Neumondes  geboren  ist,  ist  nicht  fortpflanzungs- 
fähig. 

Anderes  siehe  bei  Bartsch  11,  p.  198  ff. 

Über  die  Spinnerin  in  der  Sonne  und  den  Mann  im  Monde  vgl. 
Bartsch  I,  no.  643  und  11,  no.  936. 

Früher  würd,  wenn  mandfinsterniss  wir,  de  börmtrogg  todeckt,  süss, 
säden  se,  bleiw  dat  veih  dod.  Bi  sünnenfinsterniss  sali  man  alle  stall  god 
tomaken. 

IX.   Sterne. 

Namen  der  Milchstrasse: 

Melkstrahl. 

Wildbahn,  wildgang:  dor  richt't  sik  dat  wild,  dat  vagelwark  na,  wenn 
se  nachts  trecken;  wildstrat,  dor  steiht  wild,  dor  hebben  sik  de  ollen 
jägei's  früher  na  richt't. 

Wederbahn,  wederstrang;  wenn  de  wederstrang  dwas  öwer  't  dörp  sitt, 
denn  ward  't  god  weder,  wird  in  Börgerende  gesagt. 

Min  oll  grossvadder  säd  ümmer  weltbahn,  sagte  mir  ein  Statthalter 
aus  hiesiger  Gegend. 

Der  grosse  Bär  heist: 

De  nordwagen,  de  himmelswagen. 

Bei  Boizenburg  hörte  ich  sagen:  de  soltwag  führt  na  Lüneburg. 

Am  häufigsten  ist  die  Bezeichnung:  dümk  (dümick,  duming,  düming 
düwk,  düwkt,  säbendünk,  säbendümker,  Stofferdünk);  Stofferdünk  führt 
weiten  na  Russlaud;  dümk  is  eigentlich  blos  de  fiilirmann,  de  lütte  funk, 
de  up  dat  middelst  pird  upsitt;  mit  dat  en  rad  het  he  sik  fastführt,  dat  is 
ganz  trügg.  —  Nu  führt  de  dümk  wedder  bargdal,  nu  giwwt  "t  frostweder, 
seggen  wi,  denn  drückt  de  küll  haben  em  dal;  auch:  de  dümick  führt 
trüggor  s. 

Petri  staff,  auch  scheperstaff,  Jacobs  staff  heisst  der  Orion. 

Drei  stirn  sitten  in  de  dreikant,  de  nennen  wi  dat  hakisen,  hörte  ich 
in  Börgerende;  näheres  konnte  ich  nicht  ei'fahren. 

De  stahn  sik  as  kukuk  un  säbeustirn,  ist  eine  allgemein  gebrauchte 
Hedensart. 

En  mann  un  fru  hebben  sik  nich  verdregen  künnt,  de  hebben  söss 
kinner  hatt,  de  sünd  ut'n  anner  flflcht't;  he  is  nu  de  kukuk,  wenn  he 
kümmt,  kukukt  he  na  de  sähen,  dat  he  so  ranlocken  will,  üwer  so  kamen 
nich.  —   Der    kukuk    und  das  Siebengestirn  soll  ein  verwünschtes  ehepaar 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  431 

seiu,  das  sich  nicht  hat  vertragen  können.  Daher  treten  beide  nie  zugleich 
auf.  Kommt  der  kukuk,  so  ruft  er  zuerst  nicht  kukuk,  sondern  kiekut, 
aber  das  Siebengestirn  kuckt  nicht  aus:  aus  Bartelshagen.  Auf  dem  Fisch- 
lande heisst  der  Kukuk  allgemein  kukut. 

De  säbenstirn  sali  man  nich  teilen,  dat  sali  unglück  bringen. 

Wenn  ein  Komet  (stirn  mit  de  rod)  erscheint,  kommt  Krieg,  (ßai'tsch  U, 
no.  977).     In  Börgereude  sagt  man  aber  auch:  nu  starwt  \i  könig. 

Für  Planet  hörte  ich  den  Ausdruck:  dat  waudelstirn. 

Hunn,  de  Venus  heiten,  känen  nich  behext  warden;  dat  is  jo  "n  stirn, 
dor  het  de  bös  ken  macht  öwer. 

Ik  sehg  ens  'n  liümpel  stirn,  dat  sehg  ut  as  ne  1  un  ne  8  un  ne  6; 
dor  slögeu  wi  den  gesang  186  up,  öwer  dat  wull  nich  stimmen,  erzählte 
uiir  ein  Tagelöhner  aus  der  Ribnitzer  Gegend. 

Vel  stirns  bedüdt  südlichen  wind. 

Sitten  in  de  nijohrsnacht  vel  stirns  an'n  heben,  denn  giwvi't't  vel  hiring. 

Wenn  man  mit  n  finger  na  de  stirns  rinwiest,  dat  is  as  wenn  man 
sik  int  hart  steckt  (auch:  denn  steckt  man  unsern  herrgott  in  de  ogen, 
vgl.  auch  Bartsch  11,  no.  909). 

Sternschnuppen. 

Dat  is  stirnscheitent  hüt  abend ;  de  stirn  scheiten  so,  dat  giwwt  unweder. 

Dor  is  "n  blänkstirn  dalschaten. 

Jeder  minsch  het  'u  stirn;  wenn  de  stirn  dalföllt,  bliwwt  dejenig 
minseh  dod. 

So  hört  man  allgemein:  Nu  bliwwt  en  dod;  dor  is  eneu  dat  licht  utblast; 
dor  leggt  ok  wedder  en  den  läpel  dal;  auch:  nu  bliwwt  'n  jnd  dod;  dor 
is  ne  seel  ufn  himniel  smeten.     Vgl.  Bartsch  II,  no.  975. 

Wo  de  stirnsnupp  henföllt,  dor  starwt  en. 

Wo  de  stirn  henfallen  deiht,  in  de  richtung  kümmt  'n  annei-n  dag  de 
wind. 

Wenn  'n  stirn  föllt,  möt  man  nich  seggen  dor,  denn  geiht  dat  glück, 
wat  eneu  todacht  wir,  von  enen  weg;  man  möt  sik  stillswigens  wat  wünschen. 

Stirnschott  is  'n  witten  klumpen  as  so  \\  glor;  wi  sünd  dor  eins  bi  'n 
haken  öwer  tokameu,  dat  süht  nt,  willn  mal  gradut  seggen,  as  snappen; 
wenn  man  dat  in  de  melksupp  makt,  dat  sali  god  sin,  wenn  de  kinner  dat 
inpissen  hebben. 

X.   Wolken. 

Wolkenbildung. 

Wenn  dat  so  liuwulkig  is,  wenn  de  wulken  so  stramelig  (so  scheckig, 
so  krillig)  sünd,  seggen  wi:  Abraham  höddt  scliap 

Wenn  dat  so  loppig  utseihn  ward,  denn  seggen  wi:  nu  höddt  Petrus 
schap,  denn  ward't  god  weder. 


432  Wossidlo: 

De  scheper  lett  sik  seilm,    driwwt,  fläut't  an  "n  heben;    iiu  is  de  schepe 
mit  de  lämmer  to  gaug;  dat  is  so  scheperwulkig  hüt. 

Dor    is   de   schapwull  all  wedder;    dat  is  luter  lämmerwull;    dor  is  so 
vel  lämmergewölk. 

Dat  bläukt  up  iu  de  uui'denkaut,  dor  ward  de  wind  wol  herkamen. 
De  heben  süht  so  dörchbraken  ut. 
Dat  ward  buntwulkig;  dat  süht  ut  as  bunten  kattun. 
De  luft  is  so  dünukläteriü;. 
De  heben  is  vuU  tüftengruben. 

Dat  süht  ut  as  boddermelk;  dor  stahn  so  vel  boddernielkswulken;  dat 
siilit  ut  as  klütergrütt,  as  flötmelk,  klüotermelk. 

De  heben  ward  all  wedder  klütrig,  klüutrig,  klüttig  utseihn. 
Dat  ward  all  wedder  dünn,  bunt,  brakig  utseihn. 
Dat  munkelt  up,  nu  kann  de  scheper  wedder  dribeu. 
Dat  is  as  Inter  lütt  griut,   dat  giwwt  drög  tid. 
Dat  is  'n  beten  godwedergewölk. 

Dat   is    hebenschätsk,    sagen    die  Alten  in  der  Ludwigsluster  Gegend, 
wenn  Wolken  an  der  Soune  vorbeischiesseu;  vgl.  „Sonne". 
Dat  is  hebenschattig:  von  bedecktem  Himmel. 
De  heben  süht  lustig  ut:  ist  unbewölkt. 

Dor  sünd  so  vel  wiudstrahlen,  windsti'äk,  windroden  an'n  heben. 
Dor    sünd    so  vel  melkerstig  au'n  heben:    von  laugen  "Wolkenstreifen. 
Dor  steiht  ue  bannige  blom:    ein  Wolkeustreifen,  dor  sich  nach  oben 
hin  strahlenförmig  erweitert. 

Dor  stahn  so  vel  fischflomen. 
Dor  treckt  sik  all  wedder  son  fischernett  öwer. 

"Wenn  dat  so  griesgrimmelig  utsüht,  un  de  wulken  so  in  dichten  stripen 
liggeu,  Seggen  wi:  dor  sünd  so  vel  katten,  denn  ward't  uu weder;  dat  süht 
so  kattenhorig  ut;  dor  sitten  so  vel  kattenhor  ann  heben. 
Dor  sünd  so  vel  krusköpp  an'n  heben. 

"Wenn  dor  son  witt  kleben  mauk  sünd,  seggen  wi,  dat  sünd  de  perrüken- 
köpp,  de  bringen  slicht  weder. 

Dat  is  so  dickwulkig,  grotwulkig. 

Dor    stahn    so    vel   kohwulken;    dat    is    as  wenn  "n  osseu  an"n  heben 
steiht. 

Petrus  höddt  hüt  mit  de  ossen. 

"Wenn  so  grote,  swere  wulken  trecken,  seggen  wi :  uu  kümmt  de  ossen- 
hirer  (de  kohhird),  dat  giwwt  regen. 

Dat  is  en  von  de  löpers,  von  de  griesen. 

Wenn  de  witten  husoren  so  lopen  wardeu,  denn  ward"t  nich  dägen. 
Wenn    de    witten  wulken   so  lopen  vör'n  regen,  seggen  wi:    de  wind- 
hunn  lopen  all  so. 


Das  Naturkben  im  Muude  des  Mecklenburger  Volkes.  4:33 

Wenn    de    wulken    so    rasch    ganz    sid  ünner   de  sünn  trecken,    denn 
seg-gen    wi:    kiok,    wo    de    waterhunn  lopen,    de  liebben  't  öwer  liild  liüt; 
wenn  de  so  jagen  morgens,  giwwt  dat  iip'n  dag  meist  regen. 
Kiek,  wo  de  waterslepers  dat  liild  hebben. 

De  regonmudder  steiht  an'n  heben,  de  regeumudder  löppt  öwer:  wenn 

Uli  er  son  lütt  wulken  an'n  heben  stahn,   as  wenn  dat  dörch'n  säw  säwt  is. 

Dat    regenschipp  lett  sik  wedder  seihn;    dor  steiht  'n  regenschip]),    \\ 

Noahskasten:  wenn  die  Sonne  hinter  einer  langgestreckten  dunklen  "Wolke 

verschwindet. 

Wenn    son    appelwolken    an  'n    himmel  stahn,    seggen   wi:    dat  is  de 
wederbom;  wenn  de  in  'n  nurden  steiht,  ward  't  in  drei  dag  regen;  steiht 
he  in  'n  westen,  giwwt  't  noch  den  sülben  dag  wat. 
De  wulken  riben  sik;  de  wulken  jagen  so. 

Dat  gruUt  so  öwer  'n  anner;  de  wulken  gludern  so  on  öwer  't  anner. 
De  wulken  käselu  sik  all  en  dörch  't  anner. 
De  luft  is  so  wäuhlig. 
Dat  is  so  hängig  hüt. 

De  heben  is  so  hoch,  dat  gewülk  liggt  so  dal. 
Dat  sülit  ut,  as  wenn  de  weit  unnergahn  will. 
Dat  süht  so  schulsch  ut  unner  de  auken. 

Dat  süht  so  bullbätsch,  bnllenbätsch,  bittelbätsch,  so  bulkaterig,  so 
bullerig,  so  ballstürig  ut. 

Dat  süht  so  späukig,  munklig,  drusig,  grämlich,  äümbüxig  ut. 
De  luft  süht  noch  so  lünsch  ut. 
Dat  süht  so  rüg  ut. 
Dat  süht  so  bliblag,  so  kopprig  ut. 

Dat  süht  so  kattengries  ut;  dat  het  sik  ganz  gries  totreckt. 
Dat  ward  so  eben  utseihn;  dat  süht  so  dickig  ut. 

Dat  süht  so  flömig,  swulkig,  swulsterig,  snierig,  smökig,  smökerig, 
blökig,  rökerig,  rebäusterig  ut. 

Dat  süht  so  bläuschig,  bläuscherig,  bläustig,  gälbläusterig  ut,  dat  giwwt 
unweder;  wenn  dat  so  rottlich  utseihn  ward,  seggen  wi,  dat  bläustert  so; 
vgl.  „Sonne". 

Dat  süht  so  gluderig  ut;  de  Südwest  gludert  so;  dat  gludert  so  unner 
de  auken  rut;  dor  kümmt  en  rnptogludern ;  kiek,  wat  dor  vor  'n  gluder, 
gluderkopp  steiht. 

Kiek,  wo  de  Kalschen  (die  Bewohner  von  Neukaien)  gludern. 

Ähnliche  Ausdrücke  lokaler  Färbung  finden  sich  in  grosser  Zahl:  z.  B. 

De  Penzliner  sünd  sucht  upstahn  (schlecht  bei  Laune). 

De  Grüssowschen  maken  all  wedder  'n  dick  mul. 

Mudder  N.  makt  all  wedder  ne  dick  unuerlipp. 

De  N.sclie  herr  kickt  all  wedder  mit  scheiw  ogen. 

Mudder  N.  hat  ehren  blagen  unnerrock  all  wedder  ruthängt. 


434  Wossidlo: 

De  Dierhäger  wardeu  all  wedder  unklok. 

De  Malehowschen  speien  sik  up. 

De  Krukowscheu  schicken  uns  wat  to;  de  Damer owselieu  jageu  uns 
enen  her. 

Nu  willen  de  Röbelschen  uns  wedder  schaweruackeu. 

De  Röbelschen  lateu  wedder  enen  los,  schuhen  all  wedder  au. 

De  Börgerender  brugeu. 

De  Dänscheubörger  färben  all  wedder  enen  trecht  u.  ä.  ni. 

De  ost  köppt  all  wedder,  krigt  all  wedder  köpp;  de  wulken  krigen 
all  wedder  so  'n  dicken  kopp. 

Dat  grote  water  smitt  so  ut:  wenn  im  Norden  schwere  Wolken  auf- 
steigen. 

De  Swed  bölkt  so  up:  ebenso;  de  Swed  schüwwt  ut;  wenn  de  Swed 
sik  so  upspelt,  is't  lang  god  weder  west. 

Dat  ütert  so. 

De  Lieps  (See  bei  Prillwitz)  ürert,  dat  ward  regen. 

De  blag  koh  ürert  all  wedder,  de  ward  bald  melk. 

Hut  ward  de  Külenbarg  noch  melk,  heisst  es  bei  Stargard,  wenn  auf 
dem  „Külenbarg"  schwere  Wolken  lagern. 

Dat  quellt  so  up,  dat  quülmt  ümmer  wedder  up. 

Dat  swolkt,  swülkt,  swarkt,  swäkt  up;  dat  swulkt  noch  ümmer. 

De  heben  besworkt  so. 

Dat  wölkt  up. 

Dor  smölkt  all  wedder  en  rup. 

Dat  bülgt  up,    dat  bömt  up,    dat  bort  up,  dat  burrt  up,  dat  bölkt  uj). 

Dat  turnt  up,  türmt  up,  dat  formt  so  rut. 

Dat  bläuht  all  wedder  so  an'n  heben;  dat  schwäugt  un  bläuhgt  ge- 
fährlich up. 

Dor  sakt  sik  wat  an,  up,  tosam;  in  de  Peccatelsch  eck  versakt  sik 
all  wedder  wat;  vgl.  „Regen". 

Dor  höllt  öwer  wat  prat. 

Dor  steiht  all  wedder  en  uppe  hier;  dat  luert  so. 

He  makt  sik  all  wedder  enen  farig,  enen  klor;  dor  tliedt  he  sik  wedder 
enen  trecht. 

He  het  all  wedder  enen  uppe  Witterung. 

Nu  het  he  god  vörtreckt. 

Dat  klort  achter  dick  vor;  vgl.  „Wetter". 

Dat  dick  höllt  hinnen;  de  butt  hängt  noch  an;  vgl.  „Regen*. 

Dat  blag  höllt  sik  dor  so  fast,  wenn  dor  man  nix  wedder  na  upwakt. 

Drangt  het  dat  recht  god;  hüt  drangt' t,  morgen  drücktet. 

Hut  Sucht  Petrus  noch  'n  beten  tosam. 

Hüt  ward  't  noch  spöken  in  't  gewölw. 

Hüt  ward  't  noch  bautzon,  stowen,  hör  scheren. 


Das  Natui'leben  im  MuncU'  des  Mecklenburger  Volkes.  435 

Hut  hangt  Ins  uns  uocli  ouüii  iu:  vgl.  „Regou". 

Hut  giwwt  't  uocli  'n  gewitter  mit  druwappels    (mit  rossappel,'  priem- 
toback;  preuscli  dalilers;  mit  mannslücl,  brüjams,  griep  tli  mau  eneu  mauk 
rut:  mit  Jungfern,  frugenslüd,  oll  wiwer,  willn  rut  uu  sammeln  se  up). 
Hut  giwwt  "t  wiudsuigen  un  sneiregen  (glurrisen). 
Jochen    treck  de  brok  up  (bind  de  büx  up),    kümmt  'n  düster  weder 
up!  vgl.  „Gewitter". 

Dor  stalm  so  'n  gewitterpuppen,  gewittertüru;  dor  stahn  öwer  bannige 
knuppen,    knurren;    wenn    eu    knurren    weg    is,    brugt  he  sik  den  anuern 
farig;  auch:  wenn  en  düwel  weg  is,  is  de  anner  wedder  dor.   vgl.  „Moud". 
Dor  steiht  öwer  ne  bauk,  'n  swai'k,  'n  swalk. 

Dor  kümmt  'n  schönen  bullkater,  bulekater,  bukater,  burrkater,  buler, 
'n  schönen  mummelsack,  'n  schönen  pustengrugel  her. 

Dor   kümmt  flag  öwer  flag  au  den  bracken  rup;    dat  is  so  flagig  hüt. 
Dor  kümmt  'n  schönen  schuwut  to  höclid. 
Dor  treckt  ne  leidige  bült,  ne  schöne  burr  to  höchd. 
Dor  kümmt  'n  fixen  stöwer,  ströper,  'n  schönen  blauster  rup. 
Dor  brennt  schön  euen  rüm. 
Dor  geiht  ornlich  'n  Imler  rüm. 
Dor  kümmt  wedder  'n  dräwel  antoreisen. 
Dor  kümmt  'n  schönen  bullen  ruptobösten. 
Dor  smitt  sik  öwer  \\  kätel  up. 
Dor  kümmt  'n  schönen  sunij)  rup. 
Dor  kümmt  de  swarte  nacht  up. 
Dor  kümmt  öwer  'n  swarteu  deuwel  her. 
Dor  wiest  de  deuwel  siuen  swarten  uors  ok  all  wedder. 
Dat  liaklt  sik  so  rüm. 
Dat  twält  sik. 
Dat  schuer  erhewt  sik  bet. 
Dor  smitt  sik  noch  ümmer  mihr  to  an. 
Nu  steckt  sik  de  wind  achter  dat  schuer. 
Dor  kümmt  de  wind  mit  en  antowöhlen. 

De  wind  brockt  noch  wat  los;   de  wind  hahlt  em  rup;   de  wind  hahlt 
regen  tohop;  vgl.  „Wind". 
Dat  as  het  poggen  ladt. 

Züh,  wo  de  wölken  wiss  uu  swor  schubeu,  de  hebben  wat  in  de  plüuu. 
Dat  wellt  sik  so,  (de  wulken  bülgen)  dor  sitt  wind  achter. 
Dat  recht  blag  is  mihrst  wind,  öwer  wenn  dat  so  asebgries  utsüht,  dor 
sitt  hagel  in. 

Dat  is  bald  öwerrust. 

De  is  afreist. 

De  is  wedder  versackt;  de  sackt  bald  weg. 

Dat  is  'n  blind  schuer. 

30 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     1895. 


4,36  Wossidlo: 

De  seggt  uns  nix. 

Dat  geiht  uns  ut  "n  weg;  wi  süud  noch  keu  schuer  wirt;  de  N.schen 
gähn  wedder  mit  de  beut  döreh  (gähn  dor  wedder  mit  schiieru),  wi  möten 
stahu  un  brummen  (im  kiken  dat  au);  vgl.  „Regen". 

Wenn  'n  lütten  püster  kflmmt,  is  "t  wedder  üwer  'n  barg. 

De  wind  mag  dat  noch  öwerjagen. 

De  wind  schüwwt  dat  rüm. 

Dat  schult  sik  rüm  um  de  dannen;  de  schüeru  sik  rüm. 

Yerschiedenes. 

De  düwel  stickt  de  höll  an,  sagt  mau  auf  dor  Insel  Peel,  wenn  der 
Himmel  rot  gefärbt  ist. 

Das  Nordlicht  heisst  auch:  nurdschiu,  uurdblass. 

De  uurd  hellt  hüt  abend  so. 

De  Swed  het  sik  ue  lücht  anstickt. 

Dat  niu'dlicht  küninit  dorvon  her,  weuu  de  grön  hiring  laikt;  dat  smitt 
son  blass  au  'n  heben. 

Weuu  dat  land  so  hoch  utsüht  (durch  Luftspiegelung),  dat  nennen  wi 
updracht;  denn  seggeu  wi  ok:  dat  dahmt  up,  öwer;  de  küst  dahmt  dor  so 
her;  dat  vertont  sik  so. 

Wenn  männigmal  in  de  firu  sou  dobeu  duust  steiht,  de  as  laud  utsüht, 
denu  seggeu  wi  up  see:  dor  is  Johann  Koopen  sin  land  wedder;  dat  is 
wild  land;  dat  is  bodderland,  wenn  de  sünn  kümmt,  is  't  weg. 

Nu  höddt  de  düwel  siu  schap  up  laud,  seggeu  wi,  weuu  dat  so  flämmert, 
wenn  de  luft  so  wackelt,  dat  de  schipper  dat  laud  nich  genau  seihu  kauu. 

De  luft  is  so  heiig,  so  wimmelig,  dat  is  so  blennsch  hüt;  vgl.  „Heisses 
Wetter". 

AVenu  de  rok  ut  'n  schostein  kümmt  uu  küselt  sik  so,  dat  he  so 
rundum  söcht,  denu  seggeu  wi:  de  rok  must,  denn  ward  't  regen.  Auch: 
de  rok  mihlt. 

XI.   Wind. 

Musch  Püsterich  heisst  der  Wiud  einmal  bei  Reuter. 

Wer  het  de  dör  wedder  apen  makt?  dat  het  Stöwhas  dalm.  Dat 
kümmt  rup,  dor  is  Stöwhas  achter,  sagen  die  Müller. 

Ein  Bauer  bei  Grevismühleu  erzählte  mir,  er  habe  den  alten  Häusler, 
der  bei  ihm  dresche,  wiederholt  sagen  hören:  ik  hef  ümmerto  deu  sabbath 
up  de  dör  hatt.  Das  ist  doch  wohl  als  euphemistische  Bezeichnung  für 
satau  zu  erklären. 

Richtung  des  Windes. 

Wo  kümmt  de  wind  her?  je,  herr  paster,  as  ik  upstünn,  kern  he  ut  'u  nors. 
Willu  mal  na  't  adeborsnest  kiken,  de  höllt  den  nors  na  den  wind. 


Das  Naturlebcii  im  Jlmule  des  Mecklenburger  Volkes.  437 

He  weiht  liüt  osteu,  süden  etc. 
De  est  het  iie  tid  laug  blast. 
De  ost  würd  herr,  he  krog  de  westensee  dod. 
De  wind  is  stiekost,  strickest. 
Norsorswind:  scherzhaft  für  nordostwind. 

He  küramt  ut  'u  scheiweu:  aus  Westen  oder  Süden;  von  de  eck:  aus 
Südwesten. 

He  kümmt  ut  'u  weiken,  legen,  natten,  smerigon,  smutzigen,  sniuddigeu 
urt;  nu  is  he  wedder  na  sineu  smuddurt  heu;  de  wind  kümmt  ut  "n  regen- 
urt,  ut  'u  dreckurt:  aus  Südwesten. 
Nu  kümmt  Südwest  mit  smudd. 

Wenn  wi  westwind  hebben,  seggen  de  ollen  lud:  hüt  kümmt  de  wind 
ut  düwels  sod. 

Hier  in  Waren:  de  wind  kümmt  ut  de  Breidluk  (bei  Stavenhagen), 
regent  noch  drei  dag  ut  un  dut. 

So  auch:  He  kümmt  ut  de  Lieper  klapp,  ut  't  Everstörper  lock  u.  ä.  m. 
Hüt  kümmt  he  ut  'u  kellen  urt;  vgl.  „Frost". 
De  wärmst  wind  kümmt  ümmer  ut  'n  hinnelsten. 

De  nurdenwind  is  ümmer  kolt,  säd  de  oll  fru,  wenn  he  ok  ut  'n 
hinnelsten  kümmt. 

Nurdenwind  un  südeusünn  mag  de  voss  girn. 

De  nurdenwind  fröggt:  wo  vel  büxen  best?  Denn  seggt  de  west:  en, 
de  Süd:  mihr  brukst  ok  nich,  de  ost:  stücker  drei;  vgl.   „Frost". 

De  wind  kann  kamen  ut  um-den  oder  westeu,  achter  'n  aben  is  't 
ümmer  am  besten. 

Lat  'u  wind  sin,  as  he  will,  ost  oder  west,  to  hus  is  't  best,  badd  de 
flöh  seggt,  wir  ut  vadder  sineu  krempstewel  in  mudder  ehren  wullen 
unnerrock  sprungen. 

Nurdost  mit  regen  is  noch  arger,  as  wenn  de  ollen  wiwer  dat  heiraten 
krigen;    nurdost    uu    wenn    de    ollen  frugens    anfangen    to    huren,    wohrt 

drei  dag. 

Südost  mit  regen,  steiht  he  di-ei,  steiht  he  ok  negen. 
Südenblaser  giwwt  'n  westenmaser. 

Günstiger  und  ungünstiger  Wind. 
De  wind  kümmt  butt,    baff  von  vor;    pil  von  achtern,  lik  von  achter. 
De  wind  kümmt  von  achtern,  säd  de  lütt  dirn,  is  god  vor  de  madroseu. 
De  wind  is  stick  in  'n  stäben. 

Dat  is  backstagschen  wind:  wenn  he  \\  por  strek  von  achtern  kümmt. 
Wi  hadden  dwaswind;  wi  liggen  dwas  winds. 
Is  'n  scheiweu  wind,  he  kümmt  heil  verschrag. 
Dat  is  öwerlannigen,  öwerlannscheu  wind:  de  ut  land  kümmt;  uplanuigen 

wind:  de  up  "t  land  to  steiht. 

30» 


438  Wossidlo: 

De  wind  is  cuutra,  is  'n  schä-wschen,  schawernackschen  wind  liiit. 

De  wind  kümmt  to  gunsten. 

Dat  is  passlicheu  wind,  wi  bruken  nicli  to  krüzen. 

De  wind  steiht  vor  rum;  he  rümt  up. 

He  steiht  recht  platt  Tör  "t  laken;  wi  hadden  den  wind  platt. 

He  föllt  weg,    he  schräudt  af,   he  schralt,  uu  schralt  sin  satan  heil  af. 

Nu  föllt  he  wedder  Schrapper:  wenn  man  't  nich  mihr  besegeln  kann. 

Ji  verfluchten  jungeus  hehhen  de  huren  wedder  nich  betahlt  (de 
maken  nn  slichten  wind):  sagt  der  Kapitän  wohl,  wenn  bald  nach  der 
Ausfahrt  aus  dem  Hafen  ungünstige  Winde  eintreten. 

Windstille. 

Dat  is  borastill,  musenstill,  musigenstill,  mausenstill,  blattstill,  blatten- 
still, dodstill,  dodenblattenstill,  dodendampenstill. 

Is  dodig  luft;  is  ne  dodige  windstill  (Brinckman). 

Dat  wir  bi  stillde;  as  wi  in  de  stillde  drehen. 

De  wind  is  up  un  dal. 

Is  keneu  fäs  wind,  ken  spierken,  keueu  di'uppen,  nich  "n  flocken  wind. 

Is  nich  "n  lüifken  au  "u  heben;  is  ken  treck  in  de  luft. 

Dat  is  grad,  as  wenn  dor  ken  wind  in  de  weit  is. 

Dor  rögt  sik  ken  blatt  an  'n  bom. 

Dat  is  so  still,  man  kann  feddern  (dunen,  hawern)  soihgeu. 

Die  Müller  schelten: 

De  wind  is  so  still,  dat  man  de  hunn  in  Hamburg  bellen  hüren  kann: 
is  'n  wind,  dat  de  hund  in  de  roden  schitt;  dat  de  sparling  in  de  rad  bugt. 

Oder  sie  sagen  mit  Galgenhumor:  w^enn  du  nich  geihst,  gab  ik. 

De  möliergesell  het  to  'u  meister  seggt:  de  wind  is  so  still,  dat  t  ne 
Inst  is,  un  dat  is  'n  weder,  dat  mau  sik  't  lachen  nich  bargen  kann:  dor 
het  he  öwer  fui'ts  den  frömdzettel  kregen. 

De  wind  Inert  uppc  brakers,  seggen  wi  möllers.  wenn  harwstöwers  de 
wind  up  'n  dag  still  is. 

Auf  See: 

Kumm,  willu  den  wind  herfläuteu:  bss,  bss,  bss  bss,  bläh  up,  bss  bss, 
pus  up. 

En  lütt  paus!     Noch  en  lütt  käuhl! 

Kumm,  bris,  kumm;  kumm  an  wind,  lat  di  nich  lang  nödigen;  bris  up 
bet  sünndag  hen,  bris  up,  dat  't  sünndag  ward. 

Kumm,  bris,  up,  brek  stengen  un  mästen :  wind,  weih  up,  dat  ajipel  un 
beren  affallen;  bris  up,  wind,  dat  sik  de  mästen  bögen;  weih  up,  du 
galgenhund  (himmelhund),    dat  de  mast  knackt,    dat  rung  uu  rad  bewern. 

Min  oll  captain  pleggie  to  seggen:  hadd  ik  den  wind  in  'u  sack,  wo 
wull  ik  em  slahn. 


Das  NatiU'lebeu  im  Munde  des  Mecklenliurger  Volkes.  439 

Wenn  ken  wind  is,  wanl  ut  jux  'u  tauend  an  de  niast  bunnen,  deuu 
niüten  de  unbefohreu  trecken,  denn  geiht  mihi*  fohrt  dörch. 

Oder  de  jung  möt  vor  uppe  bog  up  de  pallpöst,  wo  de  lins  up  fast- 
niakt  warden,  mit  de  musskühl  up  hangen,  dat  heit  denn:  he  möt  wind 
kloppen. 

Oder  wi  madrosen  seggen  to  den  jung:  jung  pus  inne  smack;  jung 
lat  enen  gähn. 

Willn  'u  bessen  verbrennen,  dat  wi  wind  krigen. 

Flauer  Wind. 

Is  'u  beten  bladwind,  bladluft,  'n  beten  blading;  blarwind  niöten  wi 
hobben,  wenn  de  rogg  in  de  bläuh  steiht;  de  wind  bladet:  bewegt  so  eben 
die  Blätter;  he  blädert  ornlich  'n  beten  in  de  böra.  Bör  'n  bein  up,  dor 
kümmt  'n  bladwind,  rufen  sieh  die  Binderinnen  bei  der  Ernte  scherzend 
zu,  wenn  ein  erfrischender  Luftzug  die  Hitze  mildert. 

Hier  käulilt  he  'n  beten  lang. 

Is  'n  beten  lawweluft,  seggen  wi,  dat  't  so  jüst  segeln  will. 

Is  son  ollen  lauigen  wind. 

Is  'n  beten  fusselwind,  fisselwind. 

He  fusselt,  musselt,  raust,  glast  'n  beten. 

Dor  kümmt   n  lütten  fischgräler  dörch:  sagen  die  Fischer  in  Wendorf. 

Anwachsen  und  Abnehmen  des  Windes. 

He  wasst,  he  riest  an,  he  stiggt  up,  he  nimmt  sik  up,  he  frischt  up, 
he  bladert  up,  he  blist  up,  he  blösst  sik  up. 

He  kauhlt,  lie  kaulilt  up. 

De  nurdost  wakt  up. 

He  betert  sik,  he  is  in  'u  beternt. 

Nu  fött  he  na. 

He  ward  sik  all  'n  beten  bet  rügen. 

Nu  fängt  he  an  to  blurren. 

Nu  brüst  he  wedder  an. 

He  ward  all  stiwer,  kruser,  liarder,  luder,  fetter. 

He  mackt  af,  maut  af,  maugt  af,  moit  af,  iie  flaut  af,  hfe  flaut  in,  he 
flaut,  he  laut  af. 

He  ward  mojer,  he  ward  hanniger:  denn  is  dat  schipp  ihrer  to  han- 
tieren, dat  is  segelbor  weder. 

Nu  ward  lie  gar. 

De  sünn  klarrt  em  noch  dal  liüt. 

Nu  lett  he  all  sacken. 

Em  geiht  de  pnst  bald  ut. 

Nu  ward  he  sik  wol  tänisen. 


440  Wossifllo: 

He  flüggt  mit  de  liöhner  to  wieni;  wenn  de  wind  mit  de  höhner  to 
wiem  flüggt,  flüggt  he  ok  wedder  mit  raf. 

Nach  starkem  Sturm: 

He  blast  sik  af,  he  rast  sik  af. 

Nu  het  he  sin  wut  utöwt. 

He  ward  möd  von  all  sin  teraperamenten. 

Nu  het  he  sik  afbrust,  afbrüllt,  afburrert,  afdakert,  aflarmt,  afrast, 
afrust,  afrauscht. 

Nu  het  he  utballert,  uttowt,  utrust. 

Nu  het  he  sik  dod  lacht,  dod  röhrt,  dod  bölkt,  dod  snaben,  dod  blött. 

Nu  hebben  wi  wedder  ne  hett  lang  (eine  Weile)  fred. 

Ho  ward  wedder  all,  dor  steiht  son  dodenblink  in  'n  nurden:  sagen 
die  Fischer  in  Wendorf  und  verstehen  unter  dodenblink  „den  auf  der  See 
in  der  kinimung  stehenden  Dunst". 

He  kümmt  hüt  noch  dörch. 

Hut  warden  wi  de  büren  (die  Segel)  noch  vull  krigen. 

Do  (die  Wolke)  schurrt  gewiss  noch  wecken  ut;  enen  sack  schurrt 
he  noch  ut;  vgl.  „Wolken". 

Dor  luert  noch  wat. 

Dor  is  noch  wat  in  de  achterkant. 

Dor  sitt  noch  wat  achter,  mit  \i  schuwstaken  ward  so  nich  horschaben; 
wenn  bei  Windstille  und  ruliigem  Wetter  eine  See  in  irgend  einer  Richtung 
aufkommt. 

Hüt  möt  he  noch  weihgen,  dat  de  prcister  sinen  kragen  drögen  kann, 
wird  am  Sonnabend  oft  gesagt. 

Unbeständiger  Wind. 

De  wind  is  so  bladdcrig,  fladderig,  flanderig,  fläkerig. 

Dat  is  'n  fladderwind,  fläkerwind,  läkorwind,  prillwind. 

He  fläkert  hen  un  her,  he  flackert,  he  flandert  rundum,  he  lawwert 
hon  un  her,  hüt  läkert  he,  he  flankiert,  he  flüggt  so.  he  hüppt  hen  uu 
her,  he  käselt  hen  un  her,  he  mallt  rundum. 

De  wind  luert  so,  schilt  der  Bauer  beim  Säen. 

He  het  enen  to  narren;  he  lunt,  dat  is  son  ollen  hinsehen  wind  liüt; 
he  mult  so;  hüt  het  he  sin  grissmussen,  sin  ümstänn  u.  ä.  m. 

Bald  steiht  't,  bald  geiht  't  (seil,  die  Mühle),  schelten  die  Müller. 

He  steiht  in  'n  drus,  in  bedenken;  he  weit  nich,  wo  he  hen  will;  he 
het  kenen  wissen  stand;  nu  het  he  sik  wol  endlich  fastsett't. 

He  hahlt  sik  bet  rüm;  he  het  sik  rümgeben;  nu  smitt  lie  sik  um;  he 
schifft  um. 

De  wind  is  kentert. 

He  geiht  öwer  stüer:  von  Nordwest  nach  Südwest. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  441 

He  krimpt,  he  is  so  krimpig  hüt,  dat  sünd  all  son  krimpers.    Südosteu- 
(Südeu-)  krimper  is  'n  westeustiuker. 
He  drängt  na  süd. 

Böiger  Wind. 

Dat  is  büig  weder. 

Dat  is  drellwind,  burrwind,  störkwind. 

Is  dreiischen,  fusigen  wind. 

He    is    hüt    so  fohrig,    so  liurrig,    brekig,  ruekig,  rissig,  stötig,  stotig, 
stukig. 

He  kflmmt  so  glupsch,  so  stukwis,  ruckwis. 

He  kümmt  so  bi  huschwis. 

He  schuert  liüt. 

He  käkt,  he  käkt  in,  he  käkt  twisclieu  de  bärge  dörch,  he  is  so  käkig, 
dor  kümmt  'n  käker,  'n  kükwind. 

He  stukt  deuwelhaftig  hüt. 

He  stött  in;  he  stött  encn  nocli  dat  gnick  af 

Eben  brummt  he  in. 

Turwis  breckt  he  gruglich  an. 

Nu  kümmt  wedder  'n  puff. 

Nu  kümmt  he  wedder  antofegen,  antobösten,  antofnsen. 

Starker  Wind.     Sturm. 

Is  'n  ossenwind,  'n  streffen  wind. 

Is  'n  flegenden  nurdost,  'n  flegendigen  storm,  'n  riten  storm. 
Is  'n  kanonenstorm,    'n  generalstorm,    'n  kohstorm;    auch  ironisch  bei 
"Windstille:  wer  sali  in  den  kohstorm  bettokamen. 
Is  ne  schöne  mutz  vull  wind. 
Is  ne  stiwe  kuhlde;  is  ne  stiwe  brumm. 
He  stürmt,  dat  is  stormsch  weder,  dat  störmt  up  düwelhahl. 
He  brist  fix,  he  ward  brisen. 
Dat  stümt,  dor  sitt  stüm  achter. 
Nu  bargt  de  höd,  he  ward  klemmen. 

He  lett  em  riten,  he  stukt  eni,  he  het  em  god  onen  steken. 
Hüt  lett  he  sik  eus  richtig  los. 
Hüt  pietscht  he;  hüt  huscht  he  ornlich. 
Dat  is  heil  rüg  hüt. 
Nu  speit  he  brav  up. 
Upstunns  is  he  dick  nog. 

He  fängt  to  basch,  to  glupsch  an;  de  strengen  herren  richten  nich  lang. 
Dat  smitt  richtig  wind. 
WiUn  uns  'n  beten  in  de  mieth  setten,  sagen  die  Müller  bei  starkem 

Winde. 


442  Wossidlo: 

Hut  blüst  he  um  de  eck. 

Hut  söcht  he  de  achtersh-ateu  ok  eiis  na 

Hut  möt  man  alle  locker  tostoppen. 

Hut  het  he  schön  bädelt,  sädelt,  towt. 

He  will  gor  nich  utseheiden,  utschäugen. 

Hut  schurrt  he  ens  richtig  ut;  dat  is  'n  wind  as  ut  "n  sack  schurrt: 
wenn  he  so  parforce  ankümmt,  seggen  wi:  im  kümnit  he  ut  'n  sack  to 
weihgen. 

Unsern  Herrgott  is  de  windbüdel  reten;  nu  makt  he  den  sack  apen; 
de  jungens  hebben  den  sack  apen  makt;  de  jungeus  hebben  den  band 
afsnedeu;  de  jungens  käuen  den  kropp  nich  tohollen:  Petrus  het  den  kropp 
upsneden;  em  is  wol  de  nath  reten. 

De  oll  is  nich  to  hus;  dat  is,  as  wenn  de  oll  rein  nich  an  't  regier 
is;  vgl.  „Wetter". 

Hut  regiert  Satm-n.  Sankturnus. 

Petrus  is  ut  "t  wirtshus  kamen,  nu  sjielt  he  up. 

Petrus  het  de  windlukon  ujitreekt. 

Petrus  het  alle  jungens  utlaten. 

Wenn  dat  sünndags  dull  weihgt,  seggeu  wi  up  see:  nu  driwwt  de 
jireister  den  düwel  von  land  af,  nu  kümmt  he  bi  uns.  —  Wenn  de  preister 
uppe  kanzel  stiggt,  ward  't  weihgen 

De  wind  blast  so  holl;  is  sou  sturren  wind,  son  spröden  ost;  vgl.  „Frost". 

Dat  brüst  so  holl  in  de   böm,  dor  kümmt  noch  ungestüm. 

Hut  fläut't  dat  ornlich. 

Hiir,  wo  de  wind  lärmt,  hult.  sust,  brüllt. 

Ilüt  bölkt  he  öwer. 

Dit  flöscht,  flitscht  öwer. 

He  pfeift  in  de  block  as  de  uhl;  he  brummt  in  dat  tauwark;  he  klätert 
mit  dat  taugod. 

He  weiht,  dat  alle  telgen  zittern,  dat  't  schiet  stöwt,  dat  de  schiet  ut 
de  achterdör  stöwt. 

Dor    speit,    spaukt  sik  hüt  rein  de  düwel  (Bekmann  sin  deuwel)  mit. 

Dat  is  'u  storm,  dat  man  gor  nich  mal  dat  stahn  het. 

Dat  is  'n  storm,  dat  sähen  (negen)  oll  wiwer  nich  'n  bessenstel  (ken 
kalwfell,  schapfell,  schötteldok)  hellen  känen. 

Is  'n    storm,    sähen    suiders  känen  nich  en  fedder  in  de  wind  hellen. 

Achter  mudder  liggen  is  't  best;  wenu  ok  ens  "n  storm  stinkt,  öwer 
weihgen  deiht  he  nich 

Dat  is  'n  wind,  dor  is  nix  vor  wessen. 

De  maracht  hüt  alles  um  un  dum. 

Öwer  nacht  het  he  mauk  dat  awt  schön  haust:  hüt  het  he  schön  wat 
dalbraken,  dalnahmeu,  dalklätert,  dalgurrert.  dalräst,  dalrammelt,  dalstukt, 
afstormt,  afquetscht,  afklabatscht. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  "Volkes.  443 

Hut  lialilt  he  de  hocken  schön  ut. 

Hut  hat  he  den  natten  roggen  schön  dörchluchf  t,  dörchballert,  dörchpepert. 

Hut  het  he  velen  schönen  haweru  utpietscht,  utschält,  uträst,  utrasselt, 
utswutscht. 

Vel  wind,  vel  krieg,  hadd  de  oll  fru  seggt. 

Nu  hct  sik  wol  'n  oll  wiw  uphungen:  wird  in  der  Btargarder  Gegend 
bei  starkem  Sturm  gesagt. 

Windhose.     Wirbelwind. 

Windbü,  wiudburr,  windhas;  dor  löppt  de  has  öwer  de  see;  seih  di 
vor,  dor  kümmt  de  has. 

Dor  kamen  son  swart  hirsen  antolopen. 

Sandhas;  de  luft  süht  gries  ut  von  stom. 

Küselwind,  krüselwind,  dwarrelwind,  dwervviud,  'n  dwer  (vgl.  dat  di 
de  dwerr!     Monatsschrift  von  und  für  Mecklenburg  1801,  p.  24). 

Man  rufe  dem  Wirbelwinde  zu:  olle  swienskätel! 

Wenn  man  seihn  will,  wat  in  'n  küselwind  in  is,  möt  man  dörcli  de 
linke  jacksmaug  kiken;  vgl.  Bartsch  H,  no.  1086. 

Den  rock  möt  man  arwt  hebben. 

De  kittel  möt  nich  bleikt  sin,  ungewaschen  linnen  möt  dat  sin. 

Mau  möt  dörch  de  linke  mang  kiken  von  dat  hemd,  wat  man  bi  't 
abendmahl  anhatt  het. 

Man  möt  de  hemdmaugslipp  vor  ogen  hollen  un  dor  dörchkiken. 

Mau  möt  dörch  de  linke  büxeukül  kiken,  deuu  kann  mau  de  frugenslüd 
uakt  mit  'n  düwel  danzen  seilm. 

Man  möt  sik  ganz  nakt  uttrecken  un  dörch  de  bein  kiken,  deun  kann 
man  seihn,  wo  de  düwel  towt,  ob  he  'n  wiw  oder  'n  kirl  to  faten  het. 

Mau  möt  dörch  'u  säw  kiken,  dörch  'n  arwslätel,    dörch  "n  Wagenrad. 

Man  niuss  zur  Mühle  gehen  und  die  umgekehrten  Kocksärmel  durch 
eins  der  Kreuzlöcher  in  den  wänden  stecken  und  durchsehen. 

Wenn  de  fru  tüg  spölen  deiht  un  dor  kümmt  denn  'n  küselwind  uu 
se  kickt  dörch  de  hemdslipp  vou  ehren  mann  sin  hemd,  deuu  kann  se 
Hans  Wurst  in  danzeu  seihn. 

In  'n  küselwind  süht  man  'n  deuwel  riden  up  'n  witten  schimmel. 

Tu  'u  küselwind  danzt  de  düwel  mit  'n  roden  hahn,   mit  de  messfork. 

In  'n  küselwind  ägt  de  düwel  mit  sin  grossmudder,  danzt  de  düwel 
mit  sin  grossmudder,  danzt  de  düwel  sin  grossmudder  dod. 

In  ollen  tiden  is  ens  de  düwel  mit  sin  grotmoder  up  ne  hochtid  laden 
west  un  dor  krigt  he  sik  mit  ehr  dat  vorturnen;  dor  sali  he  mit  ehr  ut  de 
dör  herute  fohrt  sin  un  den  küsel  mit  ehr  danzt  hebben,  dat  de  sand  man 
so  flageu  het  un  se  in  den  stom  toletzt  gor  nich  mihr  to  seihn  west  süud. 

Der  Teufel  kommt  im  Wirbelwind,  um  nicht  sichtbar  zu  sein  und 
fährt  öfter  in  demselben  durch  den  Schornstein  auf  die  Feuerstelle  liinab. 


444  Wossidlo : 

Im  Küselwiud  ist  der  Teufel,  der  einem  etwas  nimmt  und  dem 
anderen  zuträgt.  So  nahm  er  einer  Frau  Leinewand  und  brachte  sie  einer 
anderen  hin. 

Wenn  man  mit  'n  metz  rinsteckt,  kümmt  de  düwel  vor  enen  to  stahn. 

Man  möt  'n  metz  rinsmiten  na  'n  küselwiud,  dor  löppt  de  düwel  sik 
up  af,  denn  towt  he  sik  ut,  wider  geiht  dat  denn  nich. 

Enen  hadden  se  ok  seggt,  he  süll  'n  metz  na  'n  küselwiud  rinsmiten; 
<lat  het  nahst  to  hus  up  'n  disch  legen,  de  düwel  het  dat  mit  up- 
grappst  hatt. 

In  'n  küselwiud  is  'n  kirl  mit  ne  rod  jack;  ne  fru  mit  'n  kind;  'n 
swarten  pudelhund;  'n  kattenkopp. 

In  'n  küselwiud  danzen  de  hexen.  Wenn  en  glöwt,  ho  is  behext  un 
kickt  dörch  'n  jacksarm  na  'n  küselwiud  rin,  denn  kann  he  de  hex  dor 
in  danzen  seihn,  denn  fegt  de  düwel  dor  mit  af. 

Dat  in  'n  küselwiud  wat  in  is,  dat  glow  ik.  En  halfwassen  knecht 
geiht  ens  achter  de  schüu  stahn,  dor  kümmt  'n  küselwiud  au  un  de  knecht 
süht  dat  ganz  utdrücklicli,  dat  dor  Schultenmudder  insitt.  He  verteilt  dat 
ualist,  dor  ward  he  krank  un  'n  drüddeu  dag  is  he  dod. 

En  dirn  het  dörch  'n  jacksarm  keken  un  ropen:  dor  sitt  'n  groten, 
dicken,  starken  kirl  in.  Dor  krigt  he  se  furts  bi  de  uhreu  un  het  se 
terreten,  dorüm  dat  se  dat  ropen  het. 

Up  'u  Scliwensiu  meihgt  en,  dor  kümmt  'n  küsidwind;  he  smitt  sinen 
strohhot  rin,  dor  dreiht  de  bot  sik  um  un  füllt  dal;  as  he  tokickt,  is  de 
bot  ganz  un  gor  vull  bokweitengrütt  west. 


XII.    Wasser. 

Ruhige,  wenig  bewegte  See. 

Dat  is  blankstill,  blänkenstill,  blinkenstill,  blackstill,  bleckenstill, 
blickstill,  blickenstill,  dodstill. 

Dat  is  ganz  blank,  bleck,  black,  is  iieil  blick  uppe  see. 

Dor  is  keu  riwwel  nich,  is  keu  rüfel  up. 

Dat  water  is  as  wenn  't  liuwelt  is. 

De  see  is  glatt  as  'u  speigel. 

Dat  is  smul  watei\ 

Dor  kümmt  'n  beton  krüsel  up  't  water;  is  u  beten  krüsels,  "n  beten 
krüsing. 

Dat  ward  'n  beten  rüg. 

Dat  is  so  'n  beten  gragde. 

Liggt  so  'u  beten  grios  up  't  water. 

Is  so  'u  beten  schäling. 

Is  so  'n  beten  seeslag-  buteu. 


Das  Niiturlebcu  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  445 

Welleugiing. 

Dor  steilit  ne  korthackensee;  dor  is  ne  hackige  see;  de  see  hackt  dor 
so,  de  löppt  kort  af. 

De  see  löppt  lang;  dor  is  rullen  see;  he  ruUt  langssid. 

De  Strom  kawwelt  so  dull,  seggen  wi,  wenn  de  ström,  ton  bispill  in  't 
Kattegatt,  gegen  den  wind  anlöppt;  de  see  kawwelt;  dor  is  'n  beten 
kawweling;  dor  steiht  vel  kawwelsee. 

Dor  stünn  sou  oll  quawwelsee  (de  so  dörch  'n  anner  löppt). 

Dor  is  hüt  son  külpsee;  de  see  löppt  so  külpig:  wenn  se  so  holl  nt- 
löppt  un  bi  flacke  grund  mit  'n  mal  so  dalföllt. 

He  koppelt  öwer;  he  klappt  holl  öwer;  de  see  breckt  sik;  de  see 
krempt  um;  hüt  stülpt  he,  is  stülpsee  hüt. 

Wenn  de  wind  sik  leggt  het,  öwer  de  see  noch  üinmer  hoch  geiht, 
dat  nennen  wi  düning,  dat  sünd  de  dowen  wellen,  de  ken  köpp  hebben. 
Dow  düning,  dow  rulluug  is  in  de  Atlantic  ümmer  in  de  gang,  wenn  de 
wind  ok  ganz  still  is,  de  scheidt  gor  nich  ut.  Diss  dow  düning  nennen 
wi  ok  spansch  bück;  de  spanschen  bück  de  stöten,  seggen  wi.  Wi  seggen 
jo  spansch  see,  de  Atlantic  fängt  för  uns  ihrst  dor  an,  wo  ken  loth  mihr 
gründt. 

Wenn  de  wind  still  is  un  de  see  rullt  trotzdem  an  't  land,  denn  seggen 
wi  hier  in  Wustrow:  de  südwestenstrand  de  röhrt  so,  dat  giwwt  unweder. 

Ähnlich  überall  an  der  Ostseeküste:  de  Südenstrand  röhrt;  de  strand 
de  brüllt,  grält,  hnlt  so;  hüt  höllt  he  gruglich  hus;  he  rästert  so  mit  de 
stein;  de  westenstrand  rummelt  so;  hür,  wo  de  röhr  geiht;  de  röhr  brüst, 
brüllt  an  'n  Heiligen  Damm  u.  ä.  m. 

Hür,  wo  de  Grahler  schult  brüllt,  hörte  ich  in  Müritz;  ähnlich  auch 
sonst:  grot  Jochen  brugt,  Peter  Ramm  brugt  all  wedder,  de  Harnaksnider 
brugt  u.  ä.  m. 

Wellen  mit  weissen  Köpfen. 

Hüt  het  he  sik  de  mau  upströpt;  hüt  geiht  he  in  hemdsmaugen;  hüt 
het  he  sik  de  jack  uttreckt. 

Hüt  het  he  ne  huw  up;  hüt  hebben  se  witt  kappen,  "n  witten  kämm. 

He  bläuhgt  hüt  ornlich. 

Wenn  de  wellen  so  krus  utbreken,  seggen  wi:  hüt  krüst  ho;  nu  kamen 
se  mit  krus  köpp. 

He  smitt  ut;   he  breckt  ut;   he  kickt  ut;    he  spiet,  spuckt  so  witt  ut; 

he  kest  so  witt  ut. 

He  köppt;  he  smitt  köpp. 
Kiek,  wo  he  uns  de  tähnen  wiest. 
Dor  kamen  so  vel  blästen  her. 
Hüt  smitt  he  schimmeis  rut. 


446  Wossidlo: 

Kiek,  wo  de  witteii  länmier  spriugen;  clor  süud  so  vc4  schap  iune  see; 
de  scliapherd  kümmt. 

Der  sünd  so  vel  gös  up  't  water. 

Züh  de  Witten  swanen  up  de  Tollens. 

De  butt  (Maischollen)  swemmen  luit  up  'n  rügg  (wo  sie  weiss  gefärbt  sind). 

Spritzwasser.     Sturzseen. 

Dat  boot  wir  vull  külpt;  he  külpt  ümmer  so  rin. 

Pass  up,  hüt  stülpt  (jülpt)  he  uns  den  kahn  noch  vull:  hüt  krigen  wi 
noch  ne  schöne  jülp  rin. 

Hüt  kickt  he  öwer;  he  kek  ümnier  in  hüt 

Hüt  ward  he  uns  schön  weck  henlangen,  inswengen;  hüt  het  he  uns 
schön  weck  insmökt,  röwergeben,  röwerjagt,  röwerballert,  röwerdampt. 

Hüt  spuckt  he  uns  noch  weck  in  de  jack. 

Hüt  het  he  uns  schön  afbadt. 

Petrus  het  mi  schön  döfft  hüt. 

Rassmus  het  mi  schön  begawt  in  de  bog. 

Ik  lief  mi  up  'n  klüverbom  "n  schönen  uatten  nors  weghahlt. 

Dor  kümmt  ne  see  öwer. 

Wenn  wi  vor  den  wind  segeln,  seggt  de  madros:  nu  kamen  de 
preuschen  dahlers  öwer  "t  heck  to  rullen,  denn  hebben  wi  captaius  jo 
goden  verdeinst;  uu  rullen  de  dahlers  in  de  klüsen:  de  vierschillingsstücker 
kamen  iu  de  klüs  (für  die  Matrosen). 

De  hecklöpers,  de  sünd  slicht  vor  den  mann  an  't  roder,  de  würd 
früher  fastbuunen. 

Wenn  son  breker  dat  schipp  begeiht,  de  nimmt  allens  mit. 

He  haugt  öwer  deck;  he  wascht  öwer. 

De  het  alles  wegswiept;  de  het  luft  malet,  rein  deck,  rein  strat  makt. 

Dor  kümmt  Rassmus  öwer;  den  het  Rassraus  hahlt:  eine  Sturzwelle 
hat  ihn  über  Bord  gespült;  Rassmns  kümmt  langsids.  will  wat  to  freten 
hebben. 

Starker  Wellengang. 

Wi  hebben  hüt  vel  see  in  't  water. 

Dat  is  ne  himmelhoge  see;  dor  steiht  ne  graw-e,  swore  see;  dor  is  ne 
snurrig  see  in  'n  gang. 

Dor  is  vel  hell  see  hüt. 

De  see  is  to  stiw. 

De  herrschaften  hier  up  'n  Heiligen  Damm  seggen  jo  widlcn.  de 
madros  seggt  see. 

De  Müritz  is  in  "n  sprnng. 

Dor  is  ne  starke  swell  hüt. 

Dor  stünn  ne  mächtige  jüch. 


Das  Naturleben  im  Munde  des  Mecklenburger  Volkes.  447 

Wat  gähn  de  bülgoii !  Hier  bei  Waren:  liüt  galui  de  wacliteu,  de 
waggen  öwer  hoch;  he  (der  Dampfer)  will  de  wacht  vor  sik  liebben. 

Hut  speit  Kassmus  god  up. 

Hut  is  he  ai'g;  hat  is  he  nich  schön. 

Hut  trudelt,  trmmelt  he  (der  Wind)  noch  weck  tosam;  hiit  pietscht 
he  weck  up. 

He  (die  Ostsee)  ward  gähren,  he  gährt  hiit. 

Wo  wäuhlt  de  see! 

Hut  jurapt  he  öwer! 

Hut  speit  he  weck  ut. 

Dor  kümmt  öwer  'u  zatan  an. 

Dor  kümmt  öwer  en  au  to  wäuhleu,  au  to  Woltern,  au  to  bülgeu,  au 
to  maracheu. 

Dor  kam  ne  grossmudder  au. 

De  elft  well  is  de  best. 

Uns'  captain  winkte  ümuier  mit  de  band  af,  wenn  sou  grot  see  ankern. 

Dor  is  breniiing  uppe  reff,  seggen  wi,  ton  bispill  up  'n  Schagon;  he 
(dat)  brennt  up  't  refP. 

Dat  girsst  un  gährt  all;  is  all  en  giss  un  giihr. 

Is  all  en  rok  uu  damp. 

Dat  wir  'n  halsbreken  weder;  vgl.  „Wetter". 

Dat  schipp  is  to  pol  gahu;  he  is  to  pol  gähn. 

Ja,  water  het  kou  telgen  (wo  man  sik  an  wiss  hoUeu  kann). 

De  Kattegatt  uiakt  mäuuicheuen  den  nors  uatt. 

An  't  Kattegatt  weint  sik  manch  schipper  satt. 

Kattegatt  bedröwt  mäunich  nioders  hatt  (=  hart). 

Seekrankheit. 

He  is  seedull,  seedun;  he  het  de  seesük. 

De  is  bootskrank  worden,  z.  B.  auf  der  Fahrt  von  Wisnuir  mich  Poel. 

He  federt  de  lisch,  de  uiaischuUen,  de  kabeljaus. 

Dat  krigt  de  grot  hund,  dat  is  den  groten  hund  sin  foder,  dat  sali 
dat  meer  sin;  so  seggen  wi  ok,  wenn  de  kock  eten  öwer  burd  schurrt;  de 
grot  hund  frett  allens  up. 

He  betahlt  Rassmusseu;  liest  Rassmussen  all  betahlt?  Rassmus  will 
sin  kuutorbut  afhahleu;  Rassmus  will  ok  leben;  Rassmus  kümmt  mit  de 
leddern  boot;  is  he  all  hier  west  mit  de  leddern  boot?  u.  ä.  m. 

Verschiedenes. 

Sou  watertrechter  de  hahlt  dat  water  steidel  na  'u  himmel  rup.  Denn 
seggen  wi  ok:  Petrus  pumpt  water  up. 

He  sniegt  mit  water:  denn  joggt  he  (der  Wind)  dat  water  von  de 
see  up  un  weihgt  dat  as  suei  betto. 


448  Stiefel: 

Dat  is  leg  water:  niedriger  Wasserstaue!. 

Dat  water  is  Ifitt  —  grot:  so  auf  Poel. 

Dat  water  riest  uj),  wasst,  löppt  an;  dat  water  sackt. 

Dor  kann  man  all  god  in  'u  stahn  drinken. 

Dor    is    noch  'u  schönen  druuk  up:    auf  der  überschwemmten  Wiese. 

Dat  water  kern  strickenstrom  antolopeu. 

Wenn  slick  in  't  water  is,  seggeu  wi,  dat  water  bläuht. 

W^enn  't  water  riek  is,  is  't  land  arm. 

Wenn  eu  sik  de  stewel  vulltüppt,  seggeu  wi:  de  het  ne  quabb  grepeu 
(fangen,  slahu);  de  het  'n  hekt  steken  (angelt);  de  het  sik  'n  aal  hahlt. 

In  Seiten  water,  wenn  dat  schümt  öwer  'u  gegenständ,  'n  stein,  'n  stock 
oder  so,  sali  man  de  bein  nich  riuholleu,  denn  ki-igt  man  wratteu. 

Waren  in  Mecklenburg. 


Kleine  Mitteilungen. 


Die  stärksten  Dinge. 

Unter  diesem  Titel  hat  Reinhold  Kühler  im  zweiten  Bande  von  Pfeiffers 
Germania  (1857)  S.  481  einen  Aufsatz  veröffentlicht,  worin  er  das  Thema, 
dass  ein  starkes  Ding  immer  von  einem  noch  stärkeren  stufenweise  überboten 
wird,  durch  die  Weltlitteratur  verfolgte.  Sein  Ausgangspunkt  bildete  ein  Gedicht 
in  einem  alten  Rätselbüchlein ').  Zum  Vergleich  zieht  er  einen  äthiopischen 
Spmch,  dann  die  rabbiiiische  Legende  vom  Erzvater  Abraham  und  Nimrod,  das 
indische  Märchen  von  der  in  ein  Mädchen  verwandelten  Maus,  die  Fabel  La- 
fontaines IX,  7,  die  Strickersche  Fabel  vom  freienden  Kater,  eine  Stelle  in  dem 
indischen  Epos  Harivansa  und  endlich  den  Wettstreit  der  drei  Leibwächter  des 
Darius  (im  3.  Buche  Esdrae)  heran. 

Diese  Nachweisungen  lassen  sich  bedeutend  vermehren,  indessen  begnüge  ich 
mich  hier,  eine  Version  bekannt  zu  geben,  die  ich  als  die  Quelle  des  deutschen 
und  äthiopischen  Spruches  und  jedenfalls  als  die  älteste  uns  erhaltene  Darstellung 
überhaupt  betrachte.  Ich  verdanke  ihre  Kenntnis  der  „Rabbinischen  Blumenlese" 
von  Leopold  Dukes  (Leipzig  1844).  In  diesem  Buche  wird  der  Spruch  auf 
Seite  76/77  hebräisch  und  deutsch  angeführt.  Da  aber  als  Quelle  der  Midrasch 
Koheleth  angegeben  ist,  so  benutzte  ich  noch  diesen  Midrasch  in  der  Übersetzung 
von  August  Wünsche.  Nach  diesen  beiden  lautete  die  Stelle  —  die  sich  an  den 
Vers  in  Eccles.  VII,  26  „dass  ein  Weib  dessen  Herz  Palistricke  ....  bittrer  als 
der  Tod  sei"  etwa  folgendermassen : 

„R.  Jehuda  sagte:  Vierzehn  Dinge  giebt  es,  von  denen  eines  stärker  als  das 
andere  ist  und  von  denen  sich  eines  über  das  andere  erhebt. 


1)  Nach  der  Beschreibung,  die  Köhler  davon  giobt,  entspricht  das  Büchlein  No.  23 — 27 
in  Hugo  Hayns  Verzeichnis  „Die  deutsche  Rätscl-Litteratur"  (Centralblatt  für  Bibliotheks- 
wesen Vif,  S.  527  ff.). 


Kleine  Mitteilungea.  449 

Stark  ist  der  Abgrund  (1)  (oder  Meeresgrund),  allein  die  Erde  erhebt  sich 
darüber;  stark  ist  die  Erde  (2),  mächtig  erheben  sich  die  Berge  über  sie;  stark 
ist  der  Berg  (3),  allein  das  Eisen  erhebt  sich  über  ihn  und  zertrümmert  ihn; 
stark  ist  das  Eisen  (4),  allein  das  Feuer  löst  es  schmelzend  auf;  stark  ist  das 
Peuer  (5),  das  Wasser  überwältigt  und  löscht  es;  stark  ist  das  Wasser  (6), 
allein  Wolken  tragen  es  von  dannen;  stark  sind  die  Wolken  (7),  allein  der  Wind 
zerstreut  sie;  stark  ist  der  Wind  (8),  allein  die  Mauer  widersteht  ihm;  stark  ist 
die  Mauer  (9),  aber  der  Mensch  reisst  sie  nieder;  stark  ist  der  Mensch  (10), 
allein  Leiden  machen  ihn  mürbe;  stark  sind  die  Leiden  (11),  aber  Wein  bringt 
sie  in  Vergessenheit;  stark  ist  der  Wein  (12),  allein  der  Schlaf  entkrüftigt  ihn; 
stark  ist  der  Schlaf  (13),  allein  die  Krankheit  verscheucht  ihn;  stark  ist  die 
Krankheit  (14),  allein  der  Todesengel  (15)  überwältigt  sie;  jedoch  ein  böses 
Weib  (16)  ist  das  Schlimmste  (oder  Stärkste)  von  allen." 

Das  sind  nicht  14,  sondern  eigentlich  16  Dinge,  aber  R.  Jehuda  scheint  Todes- 
engel und  Weib  nicht  dazu  gerechnet  zu  haben. 

Vergleicht  man  mit  dem  althebräischen  Spruch  das  von  Köhler  an  erster 
Stelle  angefülirte  deutsche  Gedicht,  so  haben  wir  in  letzterem  10  Dinge  in  nach- 
stehender Reihenfolge:  Stein  (=Berg3),  Eisen  (4),  Peuer  (5),  Wasser  (6),  Wolken 
(7),  Wind  (S),  Mensch  (10),  Wein  (12),  Schlaf  (13),  Tod  (15)  und  Gottes  Gerechtig 
keit  (fehlt  im  Midrasch). 

Ln  äthiopischen  Spruche  haben  wir  11  Dinge,  nämlich:  Eisen  (4),  Feuer  (.5) 
Wasser  (6),  Sonne  (fehlt  im  Midrasch),  Wolken  (7),  Erde  (2),  Mensch  (10),  Trauer 
(=  Leiden  11),  Wein  (12),  Schlaf  (13)  und  Weib  (16). 

Ich  dachte  anfangs,  dass  der  deutsche  wie  der  äthiopische  Spruch  in  einem 
direkten  Zusammenhang  mit  dem  Midrasch  stehen,  welchen  sie  gekürzt  und  mit 
kleinen  Änderungen  wiedergeben,  wenn  mich  nicht  der  Schluss  des  deutschen 
Gedichtes  stutzig  gemacht  hätte.    Dieser  lautet: 

Jedoch  Gottes  Gerechtigkeit 

mit  Stärk  den  Tod  übertrifft  weit, 

dann  durch  den  Propheten  spricht  Gott: 

Die  Gerechtigkeit  erretet  vom  Tod. 

Diese  ganze  Wendung,  insbesondere  der  Hinweis  auf  den  Bibelvcrs  —  der 
nebenbei  bemerkt,  wie  schon  R.  Köhler  erwähnt,  nicht  den  Propheten,  sondern 
den  Sprüchen  Salomonis  (10,  2)  entnommen  ist  —  trägt  echt  talmudischen  Charakter. 
Ich  schloss  daraus,  dass  nicht  der  Midrasch,  sondern  eine  andere  äluiliche  Quelle 
den  Stoff'  des  deutschen  Gedichtes  geliefert  haben  müsse.  Dukes  erwähnte  nun  in 
einer  Anmerkung  zum  obigen  Citat:  „Etwas  verändert  findet  sich  die  ganze 
Stelle  auch  in  Baba  batra  10a  und  Jalkut  Jes.  §345."  Ich  verschaffte  mir  die 
Übersetzung  der  betreffenden  Stellen,  die  beinahe  gleich  lauten,  und  gebe  sie  hier 
wieder: 

Er  (R.  Jehuda)  sagte:  Zehn  starke  (oder  harte)  Dinge  sind  in  der  Welt 
erschaffen  worden  (Jalkut:  ....  giebt  es,  von  denen  eines  immer  stärker  als 
das  andere  ist):  Stark  ist  der  Fels  (oder  Berg),  das  Eisen  zerschlägt  ihn;  stark 
ist  das  Eisen,  das  Peuer  macht  es  weich;  stark  ist  das  Peuer,  das  Wasser 
löscht  es  aus;  stark  ist  das  Wasser,  Wolken  tragen  es  empor;  stark  sind  die 
Wolken,  der  Wind  zerstreut  sie;  stark  ist  der  Wind,  der  Mensch  (eigentlich  der 
Körper)  widersteht  ihm:  der  Mensch  (oder  Körper)  ist  stark,  die  Furcht  drückt 
ihn  nieder;  stark  ist  die  Furcht,  der  Wein  verscheucht  sie;  stark  ist  der  Wein, 
der  Schlaf  besiegt  ihn.     Der  Tod   ist    stärker   als    alle:    doch    die  Schrift 


450 


Hanauer: 


sagt  (Jalkut:  der  Tod  ist  stärker  als  er  und  die  Gerechtigkeit  errettet  von 
allen;  denn  es  heisst):  Die  Gerechtiglicit  errettet  vom  Tode. 

Auch  hier  erscheint  R.  Jehuda  als  der  Verfasser  oder  Verbreiter  des  Spruches, 
und  offenbar  haben  wir  es  nur  mit  einer  älteren  Überlieferung  des  Spruches  zu 
thun,  der  erst  im  Midrasch  erweitert  wurde.  Die  Übereinstimmung  des  deutschen 
Spruches  damit  und  zwar  mit  der  Passung  des  Jalkut  ist  vollkommen  und  diesen 
dürfen  wir  ohne  weiteres  als  seine  letzte  Quelle  ansehen.  Wie  sie  ihm  vermittelt 
worden  ist,  weiss  ieh  nicht. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  äthiopischen  Spruche.  Dieser  steht  der 
Passung  des  Midrasch  näher;  denn  sie  begreift  zwei  Dinge  in  sich,  die  im  Jalkut 
fehlen:  Erde  und  Weib.  Welcher  Zusammenhang  aber  zwischen  der  äthiopischen 
und  rabbinischen  Litteratur  besteht,  entzieht  sich  meiner  Kenntnis. 

Nürnberg.  A.  L.  Stiefel. 


Abzählreime  aus  dem  Kurpüilzisclien. 

Folgende  kleine  Sammhmg,  welche  leicht  vergrössert  werden  konnte,  bietet 
einige  beachtenswerte  Vergleiehsmomente  zu  der  Serie,  die  0  Schell  in  dieser 
Zeitschrift  V,  67 — 71  veröffentlicht  hat.  Möglich,  dass  mir  manches  schon  Ge- 
druckte unterlaufen  ist. 

1.   Ene,  dene,  deze; 
Wer  backt  Breze? 
Wer  backt  Riiehe? 
Der  muss  suche; 
Wer  backt  Brei, 
Der  is  frei. 

2.  Ene,  dene,  Dindefass, 

Geh'  in  d'  Schul'  imd  lerne  was; 
Kommschde  heim  und  kannschde  nix, 
Wirschde  mit  dr  Rüde  gfizt. 

(Mosbach.) 

4.  Herumlibus,  herumlibus, 
Ise  Isedor, 
Sakramenter  Mohr! 
Ära,  ara,  diseda. 
Schlag'  die  Benedeitia, 
Ara,  ka.  (?) 

(Mosbach.) 

6.  (wird  gesungen.) 

Die  Brück'  ist  zerbrochen. 

Wer  hat's  gethan? 

Der  Maurer  und  seine  Tochter; 

Wir  wollen  sie  wieder  bauen  lassen. 

Mit  Steinen,  mit  Beinen, 

Mit  Silber  imd  Gold  beschlagen. 

So  fahrt  nur  zu,  so  fahrt  nur  zu! 

Der  letzte  muss  bezah  —  —  —  len. 

(Wer  an  —  len  kommt,  wird  geschlagen.)  (Mosbach.) 


(Mosbach  a.  Neckar.) 

Eins,  zwei siwwe, 

E  Schissel  voll  Riwe, 
E  Schissel  voll  Brei, 
Un  du  bisch  frei. 

(Mosbach.) 

Eins,  zwei zwanzig; 

Die  Pranzose  ginge  nach  Danzig, 
Danzig  fing  an  zu  brenne, 
Da  bekamen  sie  das  Renne 
Blit  Schiabbe  un  Schuh; 
Der  bisch  du. 

(Mannheim  bis  Mosbach.) 


Kleine  Mitteilungen. 


451 


7.  Eins,  zwei,  drei, 
Hicke,  hacke,  lici, 
Hicke,  hacke,  Löffelstiel, 
Aide  Weiwer  fresse  viel. 
Junge  messe  faschde, 
S'  Brod  liegt  im  Kaschde, 
S'  Messer  liegt  drnewe. 
Budder  is  vertrede, 
Katz  kehrt  Stuwwe  aus, 
Maus  dräschd  de  Dreck  deraus, 
Hockt  e  Vechele  ufm  Dach, 
Hot  sich  halber  schebb  gelacht. 

(Heidelberg.) 

Mosbacher  Variante: 
S'  Messer  liegt  drnewe. 
Wer  esse  will,  muss  bede, 
Bede,  bede  kann  i  net, 
Bede  liegt  in  Hamburg, 
Hambui'g  is  e  grosse  Stadt, 
Do  werre  mer  all  mitnander  satt. 


8.  Eins,  zwei,  drei siwwe, 

Helf  mir  doch  de  Sclnibkarrich  schiwe! 
Wo  denn  hin? 

Nach  Berlin, 

Wo  die  schene  Mediin  sin; 
Mediin  träche  Lorbeerkränz, 
Büwe  träche  Raddeschwänz. 

(Heidelberg.) 

9.  Eins,  zwei siwwe, 

Ei,  wo  ist  der  Hans  gebliwwe? 
Ei,  er  steckt  im  Budderfass! 
Himmel  noch  emol,  was  is  denn  dass! 
(Heidelberg.) 

10.  Ich  un  du  un  noch  en  Bü 

Hewwe  mitnander  ins  Heffele  gsch  . . . ; 

Vadder  hot  gfröcht: 

Wer  hots  gedün? 

Ich  un  du  un  noch  en  Bii. 

(Besonders  in  Heidelberg.) 


11.  Eins,  zwei,  drei,  vier; 
Auf  dem  Klavier, 

Da  ist  ein  Ding, 
Das  macht  kling,  kling. 
Kling,  kling  macht  es 
Und  du  bist  es. 

12.  Ri  ra  rutsch, 

Wir  fahre  mit  der  Kutsch. 


(Sehr  verbreitet.) 


(Mosbach.) 


13.  Blauer,  blauer  Pingerhut!  (Federhut) 
Stehst  dem  Mädchen  gar  zu  gut! 
Mädchen,  du  musst  tanzen 

Mit  dem  grünen  Ranzen: 

Mädchen,  du  musst  stille  stehn, 

Musst  dich  dreimal  rummedrehn.    (An  verschied.  Orten.) 

14.  Apfel,  Birne,  Cirkel,  Dopf, 
Ente,  Feige,  Geige,  Hopf, 
Igel,  Katze,  Löwe,  Maus, 

Roter  Peter,  komm  heraus!  (Mosbach.) 

15.    No.  24,   27,   28  und  39  der  Schell  sehen  Sammlung  finden  sich  überall  in 
der  Pfalz. 

Heidelberg.  G.  Hanauer. 


Bemerkungen  zu  einem  ostfriesischen  Martiniliede. 

In  seiner  Schrift  „Alte  Heimatklänge"  bietet  Lüpkes  auf  S.  49—64  verschiedene 
Martinilieder  mit  Erklärungen.  Das  letzte,  „Martini,  St.  Nikolaus  und  Nei^abr" 
überschriebe QO  Lied  auf  S.  64  schliesst  er  mit  folgender  Bemerkung:  „Ich  verweise 


Zeitschr,  d.  Vereins  f.  VolUnltunde.    1895. 


31 


452  Dii-ksen: 

zum  Schhiss  noch  auf  zwei  Martinischeizreime  bei  Herrn,  Meier:  „Heissa,  Sünder 
Märten"  und  .,Sünder  Märten  pikkedrüd"'.  Lüpkes  fügt  sodann  auf  Grund  von 
§  4ü  u.  73  in  Siinrocks  Mythologie  erklärend  hinzu:  auf  den  ewigen  Juden  wurde 
der  grosse  Schuh  Widars  übertragen,  und  so  wurde  der  ewige  Jude,  indirekt  also 
"Wuotan  selbst,  zum  Schuster  gemacht.  —  Martin  ist  hier  aber  der  maskierte 
Wuotan. 

Ich  fühle  in  vorliogeudem  Falle  nicht  das  Bedürfnis,  auf  mythologische  Vor- 
stellungen zurückzugehen')  und  erkläre  mir  den  nachfolgenden  Scherzreim  oder 
Spottreim  auf  eine  höchst  einfache  Weise,  wobei  ich  mich  streng  an  den  Wortlaut 
desselben  halte.     Der  Reim  lautet: 

Sünner  Märten  pikkedräd, 

hei  ji  geld,  dan  wet  ik  räd: 

kopt  jo  'n  ortjes  kerse, 

gät  darmit  na  Rheiderland 

un  stekt  jo  sünuermarten  in  brand. 

Mit  dem  Sünner  Märten  (Sankt  Martin)  ist  in  erster  Linie  Luther  selbst  ge- 
meint, der  hier  im  Gegensatz  zu  dem  Bischof  Martin  als  Sünner  Märten  ..pikkedräd" 
bezeichnet  wird.  Dann  geht  die  Bezeichnung  auch  auf  seine  Anhänger,  welche 
der  Spotti'eim  als  geringe,  dem  Handwerkerstande  angehörige  Leute  aufführt.  In 
dem  Reim  ist  überdies  noch  ausdrücklich  von  der  Armut  der  betreffenden  die 
Rede,  und  es  wird  ironisch  bemerkt:  Wenn  ihr  überhaupt  Geld  habt,  so  rate  ich 
euch,  eine  Viertelstüberkerze  zu  kaufen  und  mit  eurem  Martinilicht  (ostfr.  sünuer- 
marten) nach  dem  Rheiderlande  zu  gehen,  da  werdet  ihr  schon  zu  der  Einsicht 
kommen,  dass  man  euch  dort  nicht  duldet.  Das  Rheiderland  war  nämlich  zur 
Zeit  der  Entstehung  obigen  Spottreimes  und  ist  auch  heute  noch  fast  ausschliesslich 
reformiert.  Der  Spottreim  weist  mithin  auf  die  im  eigenen  Lager  der  Evangelischen 
herrschende  Unduldsamkeit  und  Zwietracht. 

Ostfriesland  war  gleich  anfangs  zum  Protestantismus  übergetreten;  ums  Jahr 
1528  gab  es  kaum  noch  einen  Anhänger  der  alten  Riiche  in  dem  kleinen  Ländchen. 
Unter  dem  Grafen  Edzard  IL  und  seinem  gemeinsam  mit  ihm  regierenden  Bruder 
Johann,  von  welchen  ersterer  dem  lutherischen,  letzterer  dem  reformierten  Glauben 
zugethan,  brach  ein  heftiger  Streit  zwischen  Reformierten  und  Lutheranern  aus, 
der  beinahe  zwei  Jahrhunderte  währte  und  die  Gemüter  beider  Parteien  mit  un- 
erbittlichem Hass  erfüllte.  Während  dieses  Glaubensstreites  fanden  sich  allmählich 
wieder  Katholiken  in  Ostfriesland  ein,  deren  Zahl  mit  jedem  Jahrzehnt  zunimmt. 
Obgleich  in  der  Minderzahl,  durften  dieselben  sich  schon  einen  derartigen  kleinen 
Spott,  wie  er  in  obigem  Reim  zur  Erscheinung  tritt,  erlauben. 

Meiderich.  C.  Dirksen. 


Lesefriiclite. 

I. 

Das  Notfeuer  im  Braunschweigischen  behandelt  ein  Aufsatz  von 
Dr.  Richard  Andree  in  dem  Braunschweigischen  Magazin  No.  1,  der  Beilage  zu 
No.  242  der  Braunschweigischen  Anzeigen,  vom  1.  Sept.  1895.  Unter  Notfeuer 
versteht  mau  bekanntlich  das  beim  Sterben  der  Menschen  und  bei  Viehseuchen, 
also  in  der  Not,  entzündete  reinigende  Feuer,  das  auf  die  ursprünglichste  Art  durch 

1)  [Die  Deutung  auf  Widar  und  Wuotan  ist  mythologischer  Unsimi.     K.  W.] 


Kleine  MitteUungen.  453 

Reiben  zweier  Hölzer  unter  besonderen  Bedingungen  erzeugt  ward.  Mit  diesen^ 
reinen  Feuer  ward  ein  Holzstoss  in  Brand  gesetzt,  durch  den  das  kranke  Vieh 
mehrere  Mal  hindurchgejagt  ward.  Auch  die  Menschen  sprangen  hinüber.  (Vgl. 
die  zusammenfassende  Darstellung  von  Ulr.  Jahn,  Die  deutschen  Opfergebriiuche 
bei  Ackerbau  und  Viehzucht,  Breslau  1884.  S.  26—49.)  Die  iiltesten  Zeugnisse 
für  dieses  heilige  Feuer  (niedfyr,  nödfyr)  reichen  bis  743  und  742  hinauf  und 
erloschen  ist  es  erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  in  Deutschland  und  England;  in 
Bosnien  und  der  Herzegovina  dauert  es  noch  fort,  und  für  Polen  und  Russland 
sind  Zeugnisse  noch  aus  den  achtziger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  vorhanden. 

Dr.  R.  Andree  hat  in  dem  erwähnten  Aufsatz  sechs  Beweise  beigebracht,  dass 
das  Notfeuer  im  Braunschweigischen  noch  um  die  Wende  dos  18./19.  Jahrhunderts 
lebendig  war.  Die  Erzeugung  des  Feuers  hat  der  Wolfenbüttler  Schulrektor 
Joh.  Reiske  (Reiskius)  in  seiner  Untersuchung  des  Notfeuers,  Frankf.  u.  Leipz. 
I69ii,  S.  51  am  klarsten  gegeben.  Die  von  R.  Andiee  ausgehobene  Stelle  lautet: 
„Wenn  nur  sicli  etwan  unter  dem  grossen  und  kleinen  Viehe  eine  böse  Seuche 
hat  herfürgethan  und  die  Hcerde  dadurch  bereit  grossen  Schaden  erlitten,  werden 
die  Bauern  schlüssig,  ein  Nothfüer  oder  Nothfeuer  anzumachen.  Auf  bestimmten 
Tag  muss  in  keinem  Hause,  noch  auf  dem  Heerde  sich  eine  einzige  Flamme 
finden;  aus  jedem  Hause  muss  etwas  von  Wasen  u.  Stroh  u.  Buschholz  herzu- 
gebracht werden;  dai-auf  wird  ein  starker  Eichenpfahl  in  die  Erde  festgeschlagen 
und  ein  Loch  durch  diesen  gebohrt,  in  dasselbe  wird  eine  hölzerne  Winde  ein- 
gestecket,  mit  Wagenpech  und  Theer  wohlgeschmieret,  auch  so  lange  umgedrchet, 
bis  es  aus  heftiger  Hitze  und  Nothzwang  Flammen  geben  kann.  Solche  wird  sofort 
mit  Materialien  aufgcfassct,  durch  Stroh,  Heide  und  Buschholz  gemehret,  bis  es 
zu  einem  vollen  Nothfeuer  ausschlägt;  dieses  aber  muss  in  die  Länge  zwischen 
Wänden  oder  Zäunen  sich  etwas  ausbreiten  und  das  Vieh  nebst  den  Pferden  mit 
Stecken  und  Peitschen  drei-  oder  zweimal  hindurchgejagt  werden.  Andere  schlagen 
anderswo  zwey  durchbolirete  Pfähle,  stecken  in  die  Löcher  eine  Walle  oder  Winde 
nebst  alten  Pettbeschmiereten  Lumpen;  Andere  gebrauchten  einen  harnen  oder 
gemeinen  dichten  Strick,  suchen  neunerley  Holtz  zusammen  und  halten  so  lange 
mit  gewaltsamer  Bewegung  an,  bis  Feuer  herabfalle.  Vielleicht  mögen  noch  mehr 
Arten  bei  dieses  Feuers  Generation  oder  Anzündung  sich  finden,  alle  dennoch 
werden  bloss  auf  die  Kur  des  Viehs  eingerichtet.  Nach  drei-  oder  zweimaligem 
Durchgange  wird  das  Vieli  zu  Stalle  oder  ins  Feld  getrieben,  und  der.  zusammen- 
gebrachte Holzhaufe  wieder  zerstört,  jedoch  solchergestalt  an  etlichen  Orten,  dass 
jedweder  Hausvater  einen  Brand  mit  sich  tragen,  in  der  Wasch-  oder  Spültonne 
ablöschen  und  solchen  in  die  Krippe,  worin  das  Vieh  gefüttert  wird,  auf  einige 
Zeit  beilegen  lasse.'' 

Die  Zeugnisse  für  die  Fortdauer  des  Notfeuers,  auch  dat  wilde  oder  wille  füer 
genannt,  die  Herr  Dr.  Andree  aus  dem  Braunschweigischen  gesammelt  hat,  reichen 
von  1802  bis  1850/60.  Bemerkenswert  ist,  dass  in  die  Flamme  auch  Getreide- 
körner und  Brot  geworfen  wurden. 

K.  Weinhold. 

n. 

1.    Zwei  Bräuche  von  der  oberbayerisch-tiroler  Grenze. 

Die  „Münchoner  Neuesten  Nachrichten"  bringen  in  ihrer  Nummer  192  vom 
26.  April  1895  folgende  Zuschrift:  „Kufstein,  24.  April.  (Totschlag.)  In  der 
Gemeinde  Buchberg  bei  Kufstein  besteht  noch  der  alte  Brauch  des  „Einläutens" 
bei   der  Geburt    des    ersten  Kindes    einer  Frau.    Da  ziehen  die  jungen  Burschen 

31* 


454  Friinkel ; 

mit  Glocken  dreimal  um  das  Haus  der  Wöchnerin,  indem  sie  dabei  den  Spruch 
hersagen:  „Bauer,  gieb  an  Hafer  her!",  d.  h.  er  solle  Wein  zahlen.  Dazu  finden 
sich  immer  noch  Gegner,  ..die  ausläuten",  wodurch  der  Bauer  der  Pflicht  des  Wein- 
schenkens entbunden  wird.  Bei  dieser  Gelegenheit  kommt  es  öfters  zu  Raufereien. 
Am  vergangenen  Sonntag  war  wieder  ein  solches  Ein-  und  Ausläuten.  Als  der 
Altvorsteher  Ritzer  zwischen  den  beiden  Parteien  Ruhe  stiften  wollte,  wurde  er 
mit  Stockschlägen  derart  misshandelt,  dass  er  vorgestern  bereits  den  erlittenen 
Verletzungen  erlegen  ist." 

Dasselbe  Blatt  —  das  übrigens  mit  sehr  verdienstlichem  Eifer  die  in  Bayern 
gar  nich(  spärlichen  Reste  forterbender  Volksanschauungen,  die  zu  seiner  Kenntnis 
gelangen,  mitteilt  —  veröITentlicht  in  der  Nummer  205  vom  3.  Mai  1895  eine  aus  Bad 
Reichenhall  vom  2.  Mai  datierte  Notiz  folgenden  Wortlauts:  „Die  Philippsnacht. 
Wie  fast  in  jeder  Gegend  alte  Gebräuche  und  Sitten  (oder  auch  Unsitten)  bestehen, 
denen  an  gewissen  Tagen  gehuldigt  wird,  so  hat  in  unserer  Gegend  die  „Philipps- 
nacht" solche  Gebräuche  aufzuweisen.  Es  werden  nämlich  von  den  jungen,  meist 
ledigen  Bursehen  der  umliegenden  Ortschaften  fast  von  jedem  Flause  einige  Wirt- 
schaftsgeräte heimlich  weggenommen  und  an  einem  hierzu  erwühlten  Platze  auf- 
gestellt und  diese  Gegenstände,  als  Fensterläden,  Tische,  Sessel,  Leitern,  Bänke, 
Schubkarren,  sogar  die  schwersten  Odeltruhen  und  Wagen  u.  s.  w.,  turmartig  auf- 
gerichtet. Am  anderen  Morgen  müssen  natürlich  die  gefoppten  Eigentümer,  die  in 
der  Regel  gute  Miene  zum  bösen  Spiel  machen,  sich  die  Sachen  unter  dem  Ge- 
lächter der  Zuschauer  wieder  abholen.  Dass  diese  Gegenstände  mitunter  sehr 
schwer  zu  „erwischen"  und  zu  transportieren  sind,  versteht  sich  von  selbst  nnd 
richtet  sich  auch  der  Erfolg  des  Abends  darnach,  ob  bei  diesen  Pseudo-Diebstählen 
mehi'  oder  minder  schwer  erreichbare  Requisiten  auf  den  Plan  gebracht  werden. 
Leider  werden  auch  oftmals  diese  Gebräuche  ganz  und  gar  übertrieben  und  wiid 
manchem  Eigentümer,  welcher  sich  durch  irgend  etwas  missliebig  gemacht,  von 
den  Spassvögeln,  welche  in  dem  Glauben  handeln,  in  dieser  Nacht  alles  auf  ihre 
Rechnung  schreiben  zu  können,  durch  Beschmutzen  der  Häuser  arg  mitgespielt. 
Auch  durch  Aufstellen  von  Karrikaturen,  welche  diese  oder  jene  Person  vorstellen 
sollen,  wird  viel  Spott  getrieben.  Da  die  geschädigten  Eigentümer  es  auch  in  den 
schwersten  Fällen  nicht  wagen,  eine  Anzeige  zu  erstatten,  so  wird  dieser  „Ulk" 
wohl  noch  lange  erhalten  bleiben." 

2.    Die  Käth,  ein  erzgebirgisches  Volksfest. 

Die  „Beilage  zum  Leipziger  Tageblatt  und  Anzeiger  Nummer  283,  Mittwoch, 
12.  Juni  1895.  (Abend-Ausgabe.)"  schreibt:  „Annaberg,  11.  Juni.  Am  Sonntag 
nahm  hier  das  acht  Tage  andauernde  eigenartige  erzgebirgische  Volksfest,  die 
,Käth'  genannt,  seinen  Anfang.  Der  etwas  sonderbar  klingende  Name  ist  ver- 
mutlich abgeleitet  vom  Feste  der  Dreieinigkeit  —  Dreieinigkect.  Ursprünglich 
dürfte  das  Fest  ein  Bergfest  in  grossem  Massstabe  gewesen  sein.  An  der  Gottes- 
ackerkirche —  Hospitalkirche  —  angebaut  ist  in  der  Richtung  nach  dem  Gottes- 
acker eine  freistehende  Kanzel,  von  der  aus  früher  für  das  unten  im  Freien  harrende 
Volk  gepredigt  wurde.  Später  w;ird  dieser  schöne  Brauch,  wie  viele  andere,  ab- 
geschafft, bis  ihn  vor  einigen  Jahren  unsere  Kirchenbehörde  aufs  neue  wieder  ein- 
führte, so  dass  gegenwärtig  wieder  alljährlich  am  Trinitatisfeste  die  oben  beschriebene 
Kanxx'l  zu  einem  Festgottesdienstc  in  Gottes  freier  Natur  benutzt  wird.  Auch  am 
Sonntag  Mittag  war  dies  der  Fall;  das  Wetter  war  prächtig,  und  der  auf  das 
Köstlichste  mit  Blumen  geschmückte  Friedhof,  zu  dessen  Sehenswürdigkeiten  die 
Auferstehimgslinde    und    das  Barbara-Uttmarm-Grab-Denkmal    gehören,    ward    von 


Klfiiie  Mitteilungen.  455 

Tausenden  von  Menschen  von  nah  und  fern  besucht.  Die  Schnuickung-  der  Gräber 
mit  Blumen,  die  anderwärts  zumeist  am  Johannistage  erfolgt,  geschieht  hier  stets 
am  Trinitatisfeste.  Von  dem  Gottesacker  weg  lenken  die  festlich  geschmückten 
Menschenscharen  zumeist  ihre  Schritte  nach  dem  etwa  10  Minuten  entfernten  Pest- 
platze, auf  dem  von  früh  bis  spät  abends  ein  ungewöhlich  lebhaftes,  fröhliches 
Leben  und  Treiben  herrscht." 

Die  Sitte,  bei  bestimmten  volkstümlichen  Anlässen  im  Freien,  sei  es  auf  einer 
wirklichen  Naturkanzel,  sei  es  auf  einem  eigens  errichteten  Piedestal  zu  predigen, 
dürfte  bis  in  die  Zeiten  der  Bekehrung  zurückgehen  —  man  denke  z.  B  an  die 
Legende  von  Winfried-Bonifacius'  Tod  —  und  hat  sich  vielerorts  erhalten,  nament- 
lich in  Gebirgsgegenden.  Ob  die  obige  Auslegung  des  Namens  ,Räth'  richtig  sei. 
lassen  wir  dahingestellt;  es  kann  ebenso  gut  eine  Volksetymologie,  die  einen 
fals<'hen  Zusammenhang  anbahnen  will,  zu  Grunde  liegen,  als  wirklicher  Zusammen- 
hang mit  Katharina.     Nur  Lokalhistoriker  können  das  entscheiden. 

3.  In  den  „Münchener  Neuesten  Nachrichten"  vom  20.  Juli  1895  (48.  Jahrg., 
No.  330),  Vorabend-Blatt,  S.  3  lesen  wir  als  Korrespondenz:  Berchtesgaden, 
18.  Juli.  (Aberglaube.)  Auf  dem  Lande  herrscht  vielfach  noch  der  Aberglaube, 
dass  wenn  ein  Totes  aus  dem  Hause  getragen  wird,  im  selben  Augenblick  der 
„Imb"  (Bienenstock)  und  das  „Krautfassl"  gehoben  werden  müssen,  „damit's  net 
absteh'n".  Li  Befolgung  dieses  abergläubischen  Brauches  wurden  am  Dienstag 
auch  die  sechs  Bienenstöcke  des  Bauers  Kerscher  von  Gattering  gerüttelt,  als 
dessen  verstorbene  Mutter  in  feierlichem  Kondukt  aus  dem  Hofe  getragen  wurde. 
Die  Bienen  aber  verstanden  zur  jetzigen  heissen  Hochtrachtszeit  keinen  Spass. 
Gereizt  und  gestört  in  ihrer  Arbeit,  stürzten  sich  die  Schwärme  wütend  auf  den 
Leichenzug,  so  dass  die  auseinanderstiebeuden  Leidtragenden,  besonders  aber  die 
Geistlichkeit,  die  Lehrer,  Sängerinnen,  Fahnenträger  u.  s.  w.  sich  kaum  mehr  der 
rachenehmenden  Bienen  erwehren  konnten  und  die  Sargträger  ob  der  vielen  Stiche 
laut  aufjammerten.  Ausser  den  Gefahrbereich  gekommen,  hielt  der  Zug  sofort 
inne.  um  sich  von  dem  ausgestandenen  Schrecken  zu  erholen  und  an  Bach  und 
Brunnen  Waschungen  vorzunehmen.  Li  der  Otterings-Pfarrei  und  noch  weiterhin 
sieht  man  jetzt  genug  der  schöngeschwollenen  Gesichter.  („Berchtesgadener  An- 
zeiger".) 

4.  Die  „Münchener  Neuesten  Nachrichten"  berichten  in  ihrer  Nummer  499  vom 
28.  Oktober  1895,  Seite  9  unter  der  Spitzmarke  Augsburg,  26.  Oktober.  (Ein 
moderner  Mazeppa):  „Am  1.  Dezember  1894  wurde  der  Kijährige  Dienstbube 
Frauenknecht  in  Adelzhausen  von  einem  Pferde,  auf  dessen  Rücken  er  gefesselt 
war.  zu  Tode  geschleift.  Heule  hatten  sich  wegen  dieser  That  vor  dem  Land- 
gericht die  jugendlichen  Dienstburschen  D.  Riedlberg,  J.  Dollinger,  G.  Neumeier 
und  J.  Steininger,  sämtlich  von  Adelzhausen,  zu  verantworten.  Die  Ursache  der 
unseligen  That,  die  sich  nach  der  Anklageschrift  als  fahrlässige  Tötung  darstellte, 
war  folgende:  Im  , Bayerischen  draussen'  herrscht  unter  der  Landbovolkcrung  der 
uralte  Brauch,  jenem  Bauern,  der  zuletzt  mit  dem  Dreschen  fertig  wird,  ein  sog. 
,Drischl'  in  den  Stadel  zu  werfen,  eine  aus  Stroh  gebundene  Figur,  meist  ein 
Schwein  darstellend.  Man  fasst  diesen  Spott  absolut  harmlos  auf,  ertappt  man 
den  Drischlwerfer  aber,  erlaubt  man  sich  einen  Schabernack  mit  ihm.  So  war 
es  auch  hier.  Die  Angeklagten  wurden  als  die  letzten  im  Dorf  mit  dem  Dreschen 
fertig  und  hatten  in  Erfahrung  gebracht,  dass  Frauenknecht  ein  Drischl  werfen 
wolle.  Als  sie  ihn  dabei  abfassten,  transportierten  sie  ihn  in  die  Knechtekammer, 
banden    ihm    mit    einem  Taschentuch  die  Hände  auf  den  Rücken  und  schwärzten 


456  Weinhold: 

sein  Gesicht.  Frauenknecht  lachte  zu  dem  Scherz.  Nachdem  dies  geschehen, 
führte  der  14jährige  Riedlberg,  ein  aufgeweckter  Bursche,  der  mit  Pferden  gut 
umzugehen  verstand,  einen  Gaul  aus  dem  Stall  und  Frauenknecht  wurde  mit  seinem 
Einverständnis  in  reitender  Stellung  darauf  gebunden.  Die  herabhängenden  Ftisse 
band  man  unter  dem  Bauch  des  Pferdes  mit  einem  Strick  fest.  Frauenknecht 
freute  sich  sehr  über  den  Spass  Während  nun  Riedlberg  das  Pferd  am  Leitseil 
durchs  Dorf  führte,  schritt  Dollinger  hinterdrein  und  trommelte  auf  einer  Giess- 
kanne.  Vor  der  in  der  Mitte  des  Dorfes  gelegenen  Wagnerschon  Wirtschaft  machte 
man  Halt  und  trank  eine  Stehmass,  der  auch  Prauenknecht  fleissig  zusprach.  Die 
Dorfjugend  umstand  gaffend  den  seltsamen  Aufzug.  Einige  meinten,  nun  sei  es 
Zeit,  den  Gefesselten  loszubinden.  Rädelsführer  Riedlberg  wollte  aber  nichts 
davon  wissen;  sein  Vater,  der  am  anderen  Ende  des  Dorfes  wohnte,  sollte  die 
Hetz  auch  mit  ansehen.  Man  setzte  sich  wieder  in  Bewegung.  Plötzlich  bäumte 
das  Pferd  hoch  auf,  entriss  sich  seinem  Führer  und  gallopierte  wie  rasend,  selbst 
vor  einem  Flüsschen  nicht  Halt  machend,  zum  heimischen  Stall  zurück.  Der 
Zeugen  des  Vorfalls  bemächtigte  sich  ein  lähmendes  Entsetzen,  als  sie  sahen,  dass 
der  gefesselte  Frauenknecht  plötzlich  vom  Rücken  des  scheu  gewordenen  Tieres 
herabglitt  und  mit  dem  Kopf  abwärts  auf  dem  Boden  schleifte,  unzählige  Hiebe 
von  den  Rosshufen  empfangend.  Als  Dienstknecht  Steininger  das  Pferd  bei  Kiefers 
Anwesen  auffing,  war  Frauenknecht  tot:  er  blutete  aus  schrecklichen  Wunden,  die 
Stirnhaut  hing  wie  ein  loses  Tuch  am  Kopf  Die  Angeklagten  sind  geständig. 
Dem  Zeugenverhör  ist  zu  entnehmen,  dass  das  Pferd  beim  Wagnerwirt  ohne  eine 
äussere  Ursache  scheute,  w^eshalb  in  dem  absonderlich  gelagerten  Fall  gegen 
sämtliche  Angeklagte  auf  Freisprechung  erkannt  werden  musste." 

München.  Ludwig  Fränkel. 


Untersuchungen  über  die  Geschichte  des  deutschen  Bauernhauses. 

Mit  grosser  Freude  können  wii-  berichten,  dass  die  Untersuchung  über  Ursprung 
und  Entwickelung  des  deutschen  Bauernhauses  jetzt  von  den  Technikern  in  die 
Hand  genommen  worden  ist  Der  Verband  deutscher  Architekten-  und  Ingenieur- 
vereiue  hat  sich  dazu  mit  den  entsprechenden  österreichischen  und  schweizerischen 
Vereinen  verbunden,  und  die  Vertreter  der  drei  Körperschaften  haben  am 
10.  August  d.  J.  in  Garmisch  in  Oberbayern  beraten  und  beschlossen  ein  gemein- 
sames Werk  auszuarbeiten:  .Das  deutsche  Bauernhaus  im  deutschen  Reich,  in 
Österreich- Ungarn,  in  der  Schweiz  und  in  den  Grenzgebieten  dieser  Länder."  Der 
1.  Abschnitt  des  Werkes  soll  den  Text  bringen,  der  2.-4.  die  Zeichnungen  im 
Massstabe  von  1  :  100  oder  auch  1  :  50.  Die  letzte  Frist  für  die  Einlieferung  der 
Aufnahmen  ist  auf  den  1.  Juli  1897  gesetzt.  Wir  wünschen  dem  grossen  Unter- 
nehmen von  Herzen  den  besten  Foi-tgang,  da  wir  durch  diesen  Zutritt  der  Techniker 
zu  den  geschichtlich  -  archäologischen  Forschern  eine  gedeihliche  Lösung  der 
wichtigen  Frage  über  die  Bedeutung  des  alten  Bauernhauses  für  die  Stammgeschichto 
hoffen. 


Ludwig  Tobler  f. 

Am  19.  August  1895  erlöste  der  Tod  von  längerem  schwerem  Leiden  den 
ord.  Professor  an  der  Züricher  Universität,  Dr.  Ludwig  Tobler.  Der  Verstorbene 
war  Mitglied    des  Vereins    für  Volkskunde    seit    seiner  Gründung  und  Mitarbeiter 


Bücheranzeigen.  457 

an  unserer  Zeitschrift;  an  der  Vorgängerin  derselben,  der  Lazarus-Steinthalschen 
Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft  hat  er  sehr  thätigen 
Anteil  genommen:  die  psychologische  Behandlung  sprachlicher  Vorgänge  'und  Er- 
scheinungen war  das  eigentliche  Feld  liir  seine  Begabung  und  Neigung. 

L.  Tobler  war  am  1.  Juni  1827  in  dem  Pfarrhause  von  Hirzel  im  Ranton 
Zürich  geboren:  sein  Vater  Salomon  war  als  Dichter  bekannt,  ein  jüngerer  Bruder 
von  Ludwig  ist  Adolf  Tobler,  der  ord.  Prof  der  romanischen  Philologie  an  der 
Berliner  Universität.  Ludwig  studierte  in  Zürich  Theologie  und  erhielt  auch  die 
geistliche  Ordination.  Auf  der  Akademie  von  Lausanne  und  den  Universitäten 
Berlin  und  Leipzig  suchte  er  seine  weitere  Ausbildung  und  übernahm  nach  seiner 
Heimkehr  eine  Lehrstelle  an  der  Bezirksschule  in  Aarau,  ging  1860  an  die  Kanton- 
schule in  Bern  und  habilitierte  sieb  1864  daneben  als  Privatdocent  für  allgemeirie 
und  deutsche  Sprachwissenschaft.  iVach  einigen  Jahren  ward  er  zum  ao.  Professor 
ernannt  Anfang  1871  traf  ihn  das  Unglück,  infolge  der  Pocken,  die  er  sich  in 
einem  durch  französische  Internierte  verseuchten  Eisenbahnwagen  geholt,  sein  eines 
Auge  und  zugleich  die  Kraft  der  Stimme  einzubüssen.  Mit  seiner  Gattin,  einer 
Tochter  des  durch  Herausgabe  von  Sankt  Gallens  altdeutschen  Sprachschätzen 
bekannten  Prof  Heinr.  Hattemer,  gründete  er  187.^  zu  Hottingen  bei  Zürich  eine 
Privatschule  und  lehrte  zugleich  in  seinen  Fächern  an  der  Züricher  Universität. 
Er  ist  aber  erst  sehr  spät  zu  einem  Ordinariat  gelangt.  Nicht  leicht  war  sein 
Lebensweg  überhaupt.  Die  Kunst  sich  geltend  zu  machen  und  sein  Licht  strahlen 
zu  lassen,  besass  der  fein  angelegte,  innerlich  lebende  Mann  nicht. 

In  der  Schweiz  kann  Ludw.  Toblers  Name  nicht  vergessen  werden  durch 
seine  lange  und  treue  Mitarbeit  an  dem  Schweizerischen  Idiotikon,  Wörter- 
buch der  Schweizerdeutschen  Sprache  (Prauenfeld,  bis  jetzt  Band  I,  II 
und  III  bis  Sp.  1408).  Neben  Fr.  Staub  hat  er  von  Anfang  dem  grossen  Werke 
aufopfernden  Pleiss  zugewandt  und  besonders  die  Bedeutungsentwickelung  der 
Worte  auf  sich  genommen.  Ganz  allein  gehört  ihm  die  treffliche  Sammlung  der 
Schweizerischen  Volkslieder.  Mit  Emleitung  und  Anmerkungen  (2  Bände. 
Frauenfeld,  1882.  1884.  Nachtrag  im  Anzeiger  für  Schweizerische  Geschichte. 
1885.  No  2.  Vergleiche  auch  die  Aufsätze:  Über  die  historischen  Volkslieder 
der  Schweiz  im  Archiv  des  histor.  Vereins  VII.  und  Über  die  Volkslieder  der 
romanischen  Schweiz  im  Sonntagsblatt  Der  Bund.    März  1886). 

Mit  besonderer  Liebe  arbeitete  L.  Tobler  auf  sprachwissenschaftlichem  Gebiete, 
besonders  wo  es  sich  um  Ergründung  der  psychischen  Vorgänge  handelt.  Sein 
Buch  Über  die  Wortzusammensetzung,  Berlin  1868  sei  hier  in  Erinnerung  gebracht, 
ausserdem  eine  grössere  Reihe  feiner  Beiträge  zu  Kuhns  Zeitschrift  für  ver- 
gleichende Sprachforschung,  Lazarus  —  Steinthals  Zeitschrift  für  Völkerpsychologie, 
Promniuns  Zeitschrift  Die  deutschen  Mundarten,  Pleilfers  Germania,  Zachers  Zeit- 
schrift für  deutsche  Philologie,  Paul-Braunes  Beiträgen  Von  kleineren  Arbeiten, 
die  zur  Volkskunde  gehören  oder  ihr  näher  stehen,  seien  erwähnt:  Haus,  Kleid, 
Leib:  Germania  IV,  160 — 184  (1859).  Über  die  dichterische  Behandlung  der  Tiere: 
Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  III.  Über  Wunn  und  Weid  im  altdeutschen 
Recht:  Neues  Schweiz.  Museum  IV  (1864).  Biblische  und  vaterländische  Sage, 
eine  Parallele:  Reform.  Zeitstimmen  aus  der  schweizerischen  Kirche  IX.  Die  alten 
Jungfern  im  Glauben  und  Brauch  des  deutschen  Volkes:  Zeitschr.  f  A'ölkcr- 
psychologie  XIV.  Ethnographische  Gesichtspunkte  der  schw-eizerischen  Dialekt- 
forschung: Jahrbuch  für  schweizerische  Geschichte  XII.  Das  germanische  Heidentum 
und  das  Christentum:  Theologische  Zeitschrift  aus  der  Schweiz  II.  Morgenstunde 
hat  Gold  im  Munde:  Germania  XXV,  80.     Über  sagenhafte  Völker  des  Altertums 


458  Meyer: 

und  des  Mittelalters:  Zeitschr.  f.  Yölkerpsychologie  XVIII.    Mythologie  u.  Religion: 
Zeitschr.  des  Vereins  für  Volkskunde  I,  369—377  (1891). 

Ein    vollständiges    bibliographisches    Verzeichnis    wird    von    den    Professoren 
J.  Bächtold  und  A.  Bachmanu  vorbereitet. 

K.  Weinhold. 


Büclieranzeigeu. 


Otis  T.  Mason.  The  origiris  of  iuvention.  TVith  illustrations.  London. 
Walter  Scott,  1895.  (The  Contemporary  Science  Series  ed.  by  Havelock 
Ellis  XXYin.)     41!)  S. 

Ein  amerikanischer  Ethnolog  legt  in  diesem  hübsch  ausgestatteten  Werkchen 
die  allmählich  fortschreitende  Entwickelung  der  Industrie  unter  den  Naturvölkern 
dar.  Es  ist  nur  natürlich,  dass  er  sich  von  den  Beständen  des  Smithsoniun 
Instituts  —  an  dem  er  angestellt  ist  —  abhängig  zeigt;  weniger  ist  es  zu  recht- 
fertigen, dass  er  auch  bei  Benutzung  der  Litteratur  sich  fast  ganz  auf  amerikanische 
Bücher  beschränkt:  Schweinfurths  ^Artes  .4.fricanae"  sind  das  einzige  europäische 
Werk,  das  wiederholt  citiert  wird.  Ganz  besonders  in  wissenschaftlichen  Arbeiten 
von  jenseits  des  W^eltmeeres  ist  endlich  auch  ein  imerfreulich  witzelnder  und 
burschikoser  Ton  beliebt,  wie  er  sich  hier  breit  macht.  Wenn  Swift  einmal  sagt: 
„The  dean  was  famous  in  his  time  and  had  a  kind  of  knack  of  rhynie",  so  giebt 
dieser  W^itz  dem  Verf  gleich  Anlass,  zu  erklären,  alle  Genialität  bestehe  nur  in 
geschickten  Kunstgriffen  (S.  26).  Dann  freilich  wäi-e  „der  Ursprung  der  Erfindungen" 
leicht  erklärt,  während  jetzt  das  Buch  für  die  Psychologie  des  Erfinde  s  kaum 
etwas  leistet.  Überhaupt  ist  M.  in  Sätzen  allgemeinen  Inhalts  nicht  glücklich. 
Natürlich  ist  die  Webekunst  älter  als  das  Menschengeschlecht  (S.  224),  wenn  man 
eben  die  analogen  Künste  der  Tiere  schon  hereinzieht;  welche  Kunst  ist  aber  in 
diesem  Sinn  nicht  älter  als  der  Mensch?  Ein  wahres  Musterstück  von  'lationaler 
Verblendung  ist  der  wunderbare  Satz:  .Bis  Benjamin  Franklin  die  üfen  erfand, 
wärmte  die  ganze  Welt,  vom  Anfang  der  Zeiten  an,  sich  am  offenen  Feuer"  (S.  ICö). 
Weil  Amerika  die  englischen  Kamine  übernommen  hat,  werden  die  geschlossenen 
Öfen  der  Germanen  und  Slaven  einfach  geleugnet!  Auch  wissenschaftliche  Leit- 
sätze wie  der:  .die  Frage  nach  dem  Alter  ist  eine  geologische*  (S.  124)  sind  mehr 
blendend  als  zuverlässig.  —  Endlich  stört  noch  ein  überflüssiger  Wortreichtum: 
wie  viel  gleichartige  Fälle  zählt  M.  z.  B.  auf,  um  die  Bedeutung  der  Präcisions- 
Instrumente  klar  zu  machen  (S.  67)! 

Aber  all  diese  Mängel  betreffen  doch  mehr  das  Aussenwerk.  Der  Gang  der 
Untersuchung  selbst  ist  von  der  berechtigten  Scheu  vor  dem  „sehn  eil  fertigen 
Raten"  (S.  102)  beherrscht  und  besteht  in  einer  streng  methodischen  Anordnung 
der  Entwicklungsstufen.  Der  Reihe  nach  werden  die  Werkzeuge,  die  Anwendung 
des  Feuers,  die  Bearbeitung-  von  Stein,  die  Töpferei,  die  älteste  Verwertung  der 
Pflanzen,  die  Textilindustrie,  der  Krieg  mit  dem  Tierreich,  Fang  und  Zähmung 
der  Tiere,    das  Reisen    und    der  Transport,    endlich    die  Kriegskunst    besprochen. 


Bücheranzeigen.  459 

Jedesmal  werden  die  bei  Naturvölkern  aulV.uweisenden  Erscheinungen  von  den 
einfachsten  zu  den  kompliziertesten  geordnet  und  etwaige  „t'berlebser'  an  ihren 
Platz  eingefügt;  dies  nicht  ohne  Kühnheit,  wie  denn  z.  B.  das  Scepter  und  all  seine 
Nebenformen  bis  zu  dem  in  unserer  Zeitschrift  mehrfach  behandelten  Schulzenstab 
(S.  330)  schwerlieh  aus  dem  Stock,  auf  den  der  Reisende  sich  stützt,  abzuleiten 
sind.  Gut  gewühlte  Abbildungen  dienen  der  Erläuterung.  Am  lehrreichsten 
scheinen  mir  die  beiden  Kapitel  über  das  Feuer  (III)  und  den  Krieg  (XI),  auch 
das  über  die  Haustiere  (XI)  verdient  besonders  hervorgehoben  zu  werden.  —  Ein 
Schlusskapitel  zieht  Polgerungen  aus  diesem  Material,  ziemlich  kurz  aber  doch 
vielseitig;  der  Gi'undgedanke  ist  der,  dass  Erfindungsgabe  der  menschlichen  Natur 
angeboren  sei  (S.  410).  Dieser  Satz,  der  den  Haupttitel  ja  eigentlich  negiert, 
macht  es  doppelt  bedauerlich,  dass  der  reiche  Inhalt  des  fleissigen  Buches  nicht 
besser  durch  alleinige  Wahl  des  Nebentitels  gekennzeichnet  wurde:  „eine  Unter- 
suchung über  die  gewerbliche  Thätigkeit  unter  den  Naturvölkern". 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 


Basmele  roinäne.      Studiu    coniparatiTü    de  Lazär  Säineuu.     Bucuresci 
1895.     SS.  XIV.    IIU. 

Der  Inhalt  des  vorliegenden  Werkes  geht  aus  der  Wiedergabe  des  vollständigen 
Titels  hervor.  Derselbe  lautet  in  wortgetreuer  Übersetzung:  „Rumänische  Märchen 
im  Vergleich  mit  den  antiken  klassischen  Legenden  und  in  Verbindung  mit  den 
Märchen  der  benachbarten  und  aller  romanischer  Völker."  Dies  ist  zugleich  der 
Wortlaut  einer  Preisfrage,  welche  die  rumänische  Akademie  in  Bukarest  im  Jahre 
1889  gestellt  hatte,  denn  S.s  Werk  ist  als  Antwort  darauf  erschienen.  Die  Arbeit 
wurde,  nachdem  ihr  einstimmig  der  Preis  zuerkannt,  auf  Kosten  der  Akademie 
herausgegeben. 

In  der  Vorrede  rechtfertigt  der  Verfasser  die  ihm  auferlegte  Beschränkung  auf 
einen  bestimmten  Kreis  und  bespricht  die  Methode,  deren  er  sich  dabei  bedient 
hatte.  In  der  Einleitung  erklärt  er,  wie  zu  einer  ursprünglichen  allgemein  anthro- 
pologischen Grundlage  der  Volksmärchen  später  eine  enger  begrenzte  ethnographische 
sich  gesellte;  darauf  verfolgt  er  die  Entwickelung  der  Volksmärchen  im  Allgemeinen 
von  den  alten  Ägyptern  bis  zu  den  modernen  Italienern;  zugleich  wird  auch  der 
äusseren  Gestalt  der  Märchen  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  eine  neue  Einteilung 
versucht,  welche  dann  in  der  eigentlichen  Arbeit  ihre   spezielle  Anwendung  findet. 

Es  dürfte  manchen  Leser  dieser  Zeitschrift  interessieren  etwas  näheres  über 
diese  Klassifikation  zu  erfahren;  es  möge  daher  das  ganze  System  hier  aufgestellt 
werden,  wobei  bemerkt  wird,  dass  mit  römischen  Ziffern  die  einzelnen  Zyklen,  in 
welche  jede  Abteilung  zerfällt,  mit  grossen  Anfangsbuchstaben  jedoch  die  ver- 
schiedenen Typen  eines  jeden  Zyklus  bezeichnet  werden. 

Die  erste  Abteiliuig  umfasst  mythisch-phantastische  Märchen  (231— 5bU)  mit 
folgenden  Unterabteilungen:  I.  Das  Verlassen  oder  der  Mensch  als  Tier:  A.  Amor 
und  Psyche,  B.  Melusina,  C.  Die  Neraide;  —  II.  Das  Weib  als  Pflanze:  A.  Daphne, 
B.  Die  drei  Orangen;  —  HI.  Die  Verbote:  A.  Die  verbotenen  Orte,  B.  Das  ver- 
botene Zimmer;  —  IV.  Die  Gelöbnisse:  A.  Jephta.  B.  Die  versprochenen  Feeen; 
—  V.  Die  Metamorphosen:  A.  Jason,  B.  Die  goldenen  Kinder;  —  VI.  Die  Herab- 
steigung zur  Hölle:  A.  Theseus,  B.  Die  Hesperiden,  C.  Die  Rätsel;  —  VII.  Das 
Hinaufsteigen  in  die  Lüfte:  A.  Der  Himmelsbaum,  B.  Die  Tiere  als  Schwager;  — 
VIII.  Die  Aussetzung:  A.  Andromeda,  B.  Danae;  —   IX.  Die  Heldenthaten:  A.  Das 


^gQ  Jarnf  k : 

lebendige    und    das    tote  Wasser,    B.    Ilona    Cosinzena;    —    X.    Das   kriegerische 
Mädchen. 

Die  zweite  Abteilung  (537 — 840),  p^xhologische  Märchen  enthaltend,  zerfällt 
in  folgende  Teile:  I.  Die  drei  Brüder:  A.  Die  treulosen  Brüder,  B.  Die  wunder- 
baren Gefährten;  —  II.  Die  beiden  Brüder:  A.  Die  Dioscuren,  B.  Die  beiden 
Wahlbrüder;  —  III.  Die  dankbaren  Tiere;  —  IV.  Das  treulose  Weib:    A.  Scylla, 

B.  Dalila;  —  V.  Die  Blutschande:  A.  Die  Eselshaut,  B.  Das  Mädchen  mit  den  ab- 
gehauenen   Händen;    —    VI.    Die    Stiefmutter:    A.    Holle,    B.    Das  Aschenbrödel, 

C.  Phryxos,    D.  Der  Granatapfel;    —  VII.    Die  Werbung:    A.  Üdip,  B    Eno]uaus: 

—  Vin.  Das  Schicksal:    A.  Moira,    B.  Nemesis;  —  IX.   Die  Riesen  und  Zwerge: 

—  X.  Der  Mensch  als  Held:  A.  Orion,  B.  Hercules  —  Pacalä. 

Die  dritte  Abteilung  (841  —  910)  umfasst  Märchen  religiösen  Inhaltes:  1  Gott: 
A.  Die  Wünsche,  B.  Die  Talismane;  —  11.  Der  Teufel;  -  III.  Der  Tod:  A.  Der 
Tod  als  Gevatter,  B.  Die  Wanderung  des  Todes  Die  vierte  Abteilung  (910-994) 
enthält  scherzhafte  Erzählungen:  I.  Das  kluge  Mädchen,  II.  Pacalä  (Eulenspiegel), 
woran  sich  endlich  945 — 953  ein  Anhang  über  die  bei  den  Rumänen  dürftig  ver- 
tretene Tierfabel  anschliesst. 

Was  nun  die  Methode  im  einzelnen  betrifft,  so  wird  bei  jedem  Zyklus  und 
bei  allen  Typen  zunächst  deren  Hauptgedanken  mit  einigen  Worten  zusammen- 
gefasst  und  dann  sowohl  das  typische  Märchen  als  auch  dessen  Varianten  auf- 
gezählt. Darauf  folgt  die  im  Buchtitel  angeküuiügte  Vergleichung  mit  Anmerkungen 
über  Einzelheiten,  worauf  das  Kapitel  mit  einer  gedrängten,  alle  wesentlichen  Züge 
der  einzelnen  typischen  Märchen  und  deren  Varianten  umfassenden  Inhaltsangabe 
geschlossen  wiid.  Die  lüerher  nicht  passenden  Anmerkungen  und  Ergänzungen 
werden  unter  der  Aufschrift  „Adnotatiuni"  auf  den  Seiten  967 — 1000  zum  Abdruck 
gebracht. 

Das  ganze  ausserordentlich  reichhaltige  Material  wird  endlich  in  einem  volle 
100  Seiten  füllenden,  zweispaltig  gedruckten  Realindex  zusammengefasst.  Der  Wert 
eines  derartigen  Behelfes  ist  in  der  That  sehr  bedeutend,  da  auf  diese  Weise  die 
Ähnlichkeit  und  die  ^'erschiedenheit  einzelner  Züge  überblickt  werden  kann.  Im 
ganzen  kann  diese  Arbeit  (bei  welcher  H.  Aurel  Candrea  als  Mitarbeiter  genannt 
wird),  was  die  dabei  angewandte  Methode  anbelangt,  als  eine  gelungene  bezeichnet 
werden.  Schade  nur,  dass  sich  im  einzelnen  darin  manche  Lücken  und  Ungenauig- 
keiten  nachweisen  lassen.  Was  die  ersteren  betrifft,  so  meine  ich  weniger  die 
Weglassung  mancher  Stichworte,  da  dies  mehr  oder  weniger  einer  subjektiven 
Auffassung  unterliegt,  sondern  eher  die  unvollständige  Aufzählung  der  einzelnen 
Gegenstände  unter  den  betreffenden  Wörtern  und  vor  allem  den  Umstand,  dass 
nirgends  angedeutet  wird,  dass  die  Aufzählung  nicht  vollständig  sei.  Man  kann 
doch  nicht  annehmen,  der  Verfasser  habe  auf  die  Lückenhaftigkeit  des  Index  mit 
den  vor  demselben  abgedruckten  Worten  Gaidoz'  aufmerksam  machen  wollen, 
welche  lauten:  „Meme  incomplet,  un  dictionnaire  de  ce  genre  rendrait  de  grands 
Services.'^  Diese  Lücken  können  dreierlei  sein:  1.  Es  fehlen  die  Stichworte 
selbst,  was  entweder  absichtlich  ist  oder  sich  durch  ungenaue  Revision  der  Arbeit 
erklärt.  2.  Es  fehlen  einige  unter  den  einzelnen  Stichworten  anzubringende  die- 
selben näher  bestimmende  oder  begrenzende  Worte.  Endlich  o.  fehlen  mehr  oder 
weniger  zahlreiche  Belegstellen.  Am  auffallendsten  sind  diese  Lücken  bei  den 
unter  „iniiner"'  aufgezählten  Zahlen:  nicht  weniger  als  40  im  Texte  vorkommende 
Ziffern  werden  im  Index  gar  nicht  citiert,  bei  anderen  fehlen  Citate  der  damit 
verbundenen  Sachbenennungen,  so  bei  <i — 12,  bei  9 — 20.  bei  4—23,  bei  7 — 25,  bei 
12 — 31,  bei  2 — 50,  bei  3  sogar  1241     Man  könnte  dies  hier  für  absichtlich  halten 


Bücheranzeigen.  461 

es  geschieht  jedoch  auch  bei  olb  (—8),  (»y/f»;  ( — 5),  aur  ( — 25),  ntisdrfwan  ( — 1-2), 
neyi-ii  ( — 14)  u.  a. 

Auch  bei  den  Ziffernnachweisen  liabe  ich  mehr  als  600  Versehen  gefunden, 
was  für  die  Seite  dui  chsciinittlieh  sechs  ausmacht.  Im  Vergleiche  mit  dem  überaus 
reichen,  richtig-  eitierten  Material  ist  diese  Zahl  allerdings  eine  verhiiltnisniiissig 
geringe,  hiitte  jedoch  bei  etwas  grösserer  Achtsamkeit  noch  bedeutend  reduziert 
werden  können.  Man  nimmt  es  oben  gar  zu  oft  mit  der  Abfassung  von  Indices 
und  Glossaren  nicht  genau  genug  und  doch  sind  manche  Werke  ohne  dieselben 
gar  nicht  brauchbar  und  die  ersteren  haben  erst  dann  einen  Wert,  wenn  sie  mit 
der  grössten  Genauigkeit  angelegt  werden 

Bei    der  nun   folgenden  kleinen  Auswahl  sonstiger  üngenauigkeiten  richte  ich 

die  Sache   der  Kürze  halber  so  ein,    dass  ich  zunächst  die  Seitenzahl  mit  Ausser- 

achthissung    der  Zahl    1000    mit  1,  "2,  3  u.  s.  w.   bezeichne,   daneben   rechts   durch 

einen  Beistrich    getrennt  die  die  Zeile  bezeichnende  Ziffer  setze;    darauf  folgt  das 

Versehen  und  nach  einem  Liingestriche  die  Korrektur.     Wenn  sich  das  betreffende 

Wort    in    der   zweiten  Spalte    befindet,    so  wird  dies  mittels  einer  kleinen,    rechts 

von  der  Seitenzahl  angebrachten  „2"  bezeichnet.     So  5-,  14  padure  {Wa.\d)  248  — 

podurt  (Brücken);   7-,  19  repede  (schnell)  —  departe  (weit);  7-,  43  biserira  (Kirche) 

—  paserea  (Vogel);    8,  6  copilA  (Kind)    Gl 2    —   peru   (Haar);    8,   11    feciorü-perii. 

(Haar);    8,  25  perii  arhore  (I?irnbaum)    273    und    480    gehört    unter   pSra  =■  Ylnar; 

8,39  zme%  (Drachen)  —  podul  (die  Brücke);  9^,  6  arare  (ackern)  —  semönare  (säen); 

9^  12  pietre  scumpe  (Edelsteine)  813  —  foc  (Feuer);    Ui,  7  zu  390,  596,  GU2,  C17 

passt  nicht  der  Zusatz  Aame  cu  (Kleider  mit);  16^,  4  dece  (zehn)  —  duve-spre-dece 

(zwölf);  18^  25  shhii  (Siibel)  —  sidcii   (Weiden);  21,  5  palatii  (Palast)  —  palmitii 

(Planke);    33,  32  Farma-pieire    —    Sfarnia-petrcr,    34,  33    ovesü    (Hafer)    —    orfizii 

(Reis);  36'^,  37  bdta  (Stock),  sowie  46  toiaga  (Stab)  249  gehören  nicht  unter  /<•?•(/ 

(Eisen),    weil    sie    von    ottlü  (Stahl)    sind;    55,  29    nicht  lupü  aßatü  inir^un  icpure 

(Wolf,  gefunden  in  einem  Hasen)  sondern  umgekehrt;  63'-,  9  gehört  583  weder  zu 

leiniiii  (Holz)    noch    zu    öie    (Schaf,',    sondern  zu  ou  (Ei),    sowie    daselbst   820  zu 

pele  de  boii    (Ochsenhaut);    65^,    18  Nuda-Nvjda  (Nuida)    auch    im    Texte;    67,  13 

rrnduri  de  haine  ist  zu  streichen  (vergl.  66'",  44,  wo  es  bei  12  richtig  ist);  68^^,  42 

mare    cdtä   unü  phigü    (gross    wie    ein    Pflug)  —  vi.  c.  u.  plopu    (Pappel);    71,  36 

boUii  (Laden)  —  balth  (Teich);  75,  15  se  därueace  (wird  geschenkt)  —  se  dauresce 

(wird  vergoldet),    so  auch  85''',  29  daruindii  —  dhurindii;    85'-,  32  Stele  (Sterne)  — 

steble  (Halme);    SC>\  43  Serilä   (Name    des    am  Abend    geborenen    Kindes)   498  — 

Seiilci  (einer  der  immer  Durst  hat).  —  24,  27  wird  ein  alb.  Märchen  (st.  /.  lies  h. 

=  basmu)  Copilulii  gasitn  (das  gefundene  Kind)  mit  der  Seitenzahl  147  citiert  und 

zwei  Zeilen   weiter   ein    anderes  auf  derselben  Seite  unter  der  Aufschrift  Copilulii 

perdutii  (das  verlorene  Kind).     Auf  der  eitierten  Seite  nun  steht  nur  die  zweite  der 

beiden  Benennungen    mit  Hinweis    auf   No.  13    der  Contes    albanais    von    Dozon. 

Daselbst    nachsehend    finde    ich  weder  das  eine  noch  das  andere,  sondern  l^enfant 

vendii,  d.  h.  Copilulii  rinduiu  (das  verkaufte  Kind),  was  einzig  und  allein  mit  dem 

Inhalte    des  Märchens   übereinstimmt.     Unliebe  Verunstaltungen  sind  auch  79*,  17 

prik:itka  st.  jtrikazka  und  77=,   18  pokaligoro^ek  st.  polkaigoro^ek.     Auch  im  Werke 

selbst  kommen  einige  Druckfehler  vor,    so  148,  26  cu  ce  —  cu  cei;    178,  3  chaire 

—  c/iair;    216,  21   taglaitevi  —  tagliatevi;    288,  23   und  620,   10  iiumat  (nur)  —  nu 

mal  (nicht  mehr);  304,  2  tipula  —  tipiitui;  396,  22  ?i(t  weggelassen;  435,  12  Vizorii 

d  C'raiuUi  serpilord  ist  vi  (=  und)  zu  streichen;  G47,  25  bolnavii  —  bolnavii;  442,  3 

bolele  (Krankheiten)   —  bdelele  (Ungemach). 

Was  das  Werk  selbst  betrifft,  so  könnte  man  besonders  gegen  den  allgemeinen 
Teil  vielleicht  manches  einwenden:  dass  der  Verf.  sich  nicht  überall  deutlich  genug 


462  Weinhold: 

über  die  verschiedenen  Erklärungsversuche  äussere,  dass  er  selbst  etwas  gar  zu 
eklektisch  verfahre,  dass  er  sich  nicht  immer  streng  konsequent  bleibe  u.  dergl., 
alle  derartige  Einwendungen  können  jedoch  den  Wert  des  eigentlichen  die 
rumänischen  Märchen  speziell  behandelnden  Werkes  nicht  schmälern.  Dies  ist 
doch  der  Hauptzweck,  wie  dies  schon  aus  dem  Titelblatt  hervorgeht,  während  der 
allgemeine  Teil  als  eine  nebensächliche  Zugabe  anzusehen  ist,  da  es  nicht  Aufgabe 
eines  jeden  Arbeiters  auf  diesem  Gebiete  sein  kann,  auch  dann  Betrachtungen 
allgemeiner  Art  anzustellen,  wenn  er  ein  beschränktes  Gebiet  behandelt.  Auch 
gegen  die  Einteilung  in  Zyklen  und  Typen  und  Einreihung  der  einzelnen  Märchen 
in  dieselben  könnte  manche  Einwendung  vorgebracht  werden.  Man  muss  jedoch 
bedenken,  dass  wenn  die  auf  S.  1001  citierte  Defuiition  der  Märchen  von  Gaidoz 
richtig  ist,  es  meistens  von  der  subjektiven  Auffassung  der  einzelnen  Forscher 
abhängt,  welcher  von  den  Zügen  als  der  wesentliche  in  den  Vordergrund  gestellt 
wird,  während  die  übrigen  als  nebensächliche  figurieren.  Bei  alledem  kann  nicht 
geleugnet  werden,  dass  das  Werk  nach  einem  bestimmte  Plane  gearbeitet  und  so 
beschaffen  sei,  dass  es  den  Forschern  auf  diesem  Gebiete  vortreffliche  Dienste 
leisten  könne. 

Prag.  Dr.  Johann  Urban  Jarnik. 


The  DeuLam  Tracts.  A  collectioii  of  folklore  by  Michael  Aislabio  Den- 
hani,  and  repriuted  froni  the  original  tracts  aiul  pamphlets  printed  by 
Mr.  Denham  between  1.S46  und  1859.  Edited  by  Dr.  James  Havdy. 
Vol.  II.  London:  publislied  for  the  Folklore  Society  by  David  Nutt. 
1895.     S.  XI.     396.     8". 

Die  englische  Folklore  Society  hat  unter  ihre  schätzbaren  Veröffentlichungen 
eine  Sammlung  der  Privatdrucke  aufgenommen,  welche  ein  Freund  volkstümlicher 
Überlieferungen,  Mr.  M.  A.  Denham,  in  einer  Zeit,  da  die  Volkskunde  in  Eng- 
land nur  ein  Zeitvertreib  ohne  wissenschaftliche  Methode  war,  veranstaltet  hat. 
Diese  in  den  Jahren  184ö — 1859  gedruckten  und  verteilten  Bogen  und  Blätter,  die 
oft  ohne  Jahreszahl  und  ohne  Beziehungen  unter  einander  sind,  wurden  selten; 
eine  vollständige  Sammlung  giebt  es  nirgends,  die  des  British  Museum  ist  lücken- 
haft, eine  grosse  Menge  jener  Originaldrucke  hat  die  Society  of  Antiquaries  in 
London.  Dr.  Hardy,  der  selbst  eine  grosse  Anzahl  der  Denhamtracts  besass, 
unternahm  es  daher  für  die  Folklore  Society  und  von  ihr  unterstützt  eine  möglichst 
vollständige  Ausgabe  jener  Aufzeichnungen  zu  veranstalten.  Der  erste  Band  dieses 
Unternehmens  ist  mir  nicht  zu  Gesicht  gekommen,  der  zweite,  die  No.  VIll — XXI 
umfassend,  liegt  vor.  Da  Dr.  Hardy  schwer  erkrankte,  als  der  halbe  Band  gedruckt 
war,  übernahm  Mr.  G.  L.  Gomrae  die  Vollendung  und  schrieb  auch  das  Vorwort. 

Wir  haben  keine  systematische,  wohlgeordnete  Sammlung  vor  uns,  die  unter 
bestimmten  Gesichtspunkten  und  zu  gewissen  wissenschaftlichen  Zwecken  angelegt 
ward.  Mr.  Denham  hat  aufgezeichnet  was  er  hörte  und  wie  er  es  hörte,  und  darin 
liegt  der  grosse  Wert  dieser  Aufzeichnmigen,  die  aus  dem  Norden  Englands 
stammen.  Hier  und  da  benutzte  er  auch  Bücher  als  Quellen.  Geister  und  Ge- 
spenster sind  dem  nordenglischen  ^'olksglauben  sehr  vertraut;  ebenso  die  Ver- 
ehrung von  Quellen  und  Bächen,  von  Steinen  und  Steinkreisen.  Das  ergeben  auch 
diese  Denhamtracts.  Mit  Pflanzenglnuben  (besonders  Meinungen  über  Plantago 
lanceolata)    beschäftigt    sich  No.  XXI.     Ein    reicher  Stofl'    ist    in    dem  Bande  auf- 


Bücheranzeigen.  463 

gespeichert,  dessen  Benutzung  durcli  das  Register  erleichtert  ist  Besondere  Auf- 
merksamkeit fordert  die  Sammhing  von  Namen  geisterhafter  Wesen,  S.  77 — 80, 
deren  Erklärung  englischen  Forschern  eine  zum  Teil  schwierige,  aber  interessante 
Aufgabe  stellt.  ,  K.  W. 


Zwei  altdeutsche  Rittennären.  Moriz  von  Craon.  Peter  von  Staufeiiberg. 
Neu  herausgegeben  von  Edward  Schröder.  Berlin.  Weidmaunsclie 
ßuflihandlung.  1894.     LH  und  102  S.     8°. 

Schon  bei  dem  Hinweise  auf  die  enge  Verwandtschaft  zwischen  dem  Melusinon- 
stoff  und  der  Geschichte  von  der  schönen  Meerfei  des  Ritters  von  Staufenberg  in 
meinem  Aufsatze  „Altes  und  Neues  zur  Melusinensage" '),  Zeitschr.  d.  Vereins  f. 
Volkskunde  IV,  habe  ich  S.  391,  Anm.  1  auf  vorliegende  Neuausgabe  der  bisher 
durch  M.  Haupt  und  O  Jänicke  zugänglich  gewordenen  Dichtungen  und  ihre 
Wichtigkeit  für  die  vergleichende  Erforschung  dieser  beiden  Fabeln  hingewiesen. 
Ein  genaueres  Studium  des  Schröderschen  Buches  hat  mich  veranlasst,  an  dieser 
Stelle,  unter  Verzicht  auf  die  nicht  hergehörige  Kritik  vom  nächstliegenden,  dem 
germanistischen  Standpunkte-'),  nochmals  ausdrücklich  auf  das  reiche  Material  zu 
volkskundlichcr  Untersuchung  aufmerksam  zu  machen,  das  sowohl  in  den  beiden  alt- 
deutschen Rittermären  selbst  wie  auch  in  dem  einleitenden  Apparate,  den  des  Heraus- 
gebers Umsicht  aus  meist  vereinzelten  Bausteinchen  zusammengefügt  hat,  ohne  Zweifel 
steckt.  Die  Texte  liegen  hier  in  der  möglichst  zuverlässigen  Form  vor  und  bieten 
also  in  dieser  Hinsicht  den  nur  auf  den  Inhalt  sich  erstreckenden  Studien  kaum 
noch  einen  Anstand  dar.  Die  Einleitung  führt  in  den  uns  hier  angehenden  Teilen 
S.  VllI— XXIX  und  S.  XXXVllI— LI  zwei  vortreffliche  Typen  für  den  Ursprung 
von  Geschichtssagen  auf  dem  Boden  von  Thatsachen,  die  heute  zum  guten  Teile 
noch  urkundlich  verfolgt  werden  können,  und  deren  Übertritt  ins  Reich  der  Poesie 
vor.  Was  innerhalb  der  erstgenannten  Seitenzifl'orn  von  Schröder  über  die  Familien- 
geschichte der  Craon  gesammelt  und  mit  deren  litterarischen  Zeugnissen  und 
Erwähnungen  geschickt  verknüpft  ist,  wird  durch  Bertrand  de  Broussillon,  La 
raaison  de  Craon  1050—1480.  Etüde  historique  etc.  (2  Bde.,  Paris  1893)  bestätigt 
(vgl.  Schröder  im  Anzg.  f.  dtsch.  Altert.  XX,  407  f.).  Die  Staufenbergische  Ge- 
schlechtssage, um  die  es  sich  im  anderen  Falle  handelt,  überragt  durch  ihre  aus- 
gebreitete Vütternschaft  jene  noch  an  Bedeutung;  man  beachte  da  namentlich  die 
wertvollen  Bemerkungen  S.  XLVIII  f. 

München.  Ludwig  Pränkel. 


J.  Kohler,    Der  Ursprung  der  Melusinensage.     Eine  ethnologische  Unter- 
suchung.    Leipzig,  Ed.  Pfeiffer,  1895.     S.  66.     8°. 

Wir  wollen  hier  nur  kurz  auf  diese  bedeutsame  ethnologische  Untersuchung 
über  einen  uralten  weitverbreiteten  Märchenstoff  aufmerksam  machen,  da  der 
Referent,    der   eine    ausführliche  Anzeige    übernommen    hatte,    wegen    mancherlei 

1)  Ich  benutze  die  Gelegenheit,  die  dortige  Belegsammlung  durch  den  Hinweis  auf 
J.  Kohler,  Der  Ursprung  der  Melusinensage  (18'.)5)  wesentlich  zu  ergänzen. 

2)  Vgl.  in  dieser  Hinsicht  Schröder  selbst,  Ztschr.  f.  dtsch.  Altert.  XXXVIU,  95 ff. 
(-111)  und  112. 


464  Bolte: 

Widrigkeiten  sein  Vorhaben  nicht  ausführen  konnte.  Der  Herr  Verfasser,  der  Be- 
gründer der  vergleichenden  Rechtswissenschaft,  hat  auch  in  dieser  Schrift  seinen 
Grundgedanken,  dass  das  Recht  immer  in  Verbindung  mit  der  ganzen  Volks- 
anschauung zu  erfassen  sei,  zum  Ausgangspunkt  genommen,  und  ausführen  wollen, 
vvie  auch  bei  der  Mythenbildung  die  Rechtsorganisation  von  grosser  Bedeutung 
gewesen  sei  und  von  dem  Mythenerkliirer  in  Betracht  gezogen  werden  müsse. 
Die  ausgebreitete  Gelahrtheit,  die  dichterische  Kombinationsgabe  und  fesselnde 
Darstellung  Prof.  Kohlers  zeichnen  auch  diese  Untersuchung  aus,  in  der  er  den 
Melusinenmythus  als  „Kindheitstraum  der  Weltgeschichte"  zu  erweisen  unternimmt. 


Hans  Sachs-Forschnngeu.  Festschrift  zur  400.  Geburtsfeier  des  Dichters. 
Im  Auftrage  der  Stadt  Nürnberg  herausgegeben  von  A.  L.  Stiefel. 
Nürnberg,  J.  Ph.  Eaw.     VII,  472  S.    gr.  8°. 

Unter  den  festliclien  Veranstaltungen,  die  im  November  des  verflossenen 
Jahres  am  400.  Geburtstage  des  Hans  Sachs  in  Deutschland  getroffen  wurden, 
nahm  die  Nürnberger  Feier  gebührendermassen  die  erste  Stelle  ein.  Der  Stadt- 
archivar Mummenhoff  lieferte  ein  anschaulich  geschriebenes  und  hübsch  illustriertes 
Büchlein,  E.  Goetze,  der  bewährte  Editor  des  Dichters,  einen  auf  intimer  Kenntnis 
beruhenden  Festvortrag',  während  andere  Forscher  sich  unter  der  Führung  des 
Nürnbergers  Stiefel  zu  der  obengenannten  Festschrift  vereinigten,  der  Karl  Weinhold 
eine  einleitende  Inhaltsübersicht  beigegeben  hat. 

Unter  dem  bunten  Inhalte  des  stattlichen  Bandes  hebe  ich  zuerst  die  für  die 
Textkritik  imd  Metrik  des  Dichters  wichtigen  Beiträge  hervor.  E.  Goetze 
(S.  193 — 208)  giobt  über  die  20  in  Zwickau,  Leipzig,  Dresden,  Berlin  und  Nürnberg 
aiifbewahrten  Handschriftenbände  des  Hans  Sachs  Rechenschaft.  —  K.  Drescher 
(S.  209 — 252)  vergleicht  die  erhaltenen  Spruclibücher  und  den  1558  vom  Dichter 
selbst  redigierten  ersten  Band  der  Folioausgabo  und  weist  interessante  Fälle  einer 
Erweiterung  der  Darstellung,  Ausmerzung  von  Derbheiten,  Abänderung  von  Zahlen- 
angaben, von  sprachlichen  Formen  nach,  die  auch  Veranlassung  dazu  gaben,  dass 
Hans  Sachs  das  Datum  der  ersten  Niederschrift  öfter  durch  das  der  Um- 
arbeitung ersetzte.  —  Von  ähnlichen  Erwägungen  über  die  Entstehung  des  ge- 
druckten Hans  Sachsischen  Textes  geht  M.  Herrmann  in  seiner  Untersuchung 
über  Stichreini  und  Dreireim  bei  H.  S.  und  anderen  Dramatikern  des  15.  und 
Itl.  Jahrhunderts  (S.  407  — 471)  aus.  Er  bemerkt,  dass  das  hsl.  Gesamtregister  der 
Dramen,  dem  die  Verssummen  beigeschrieben  sind,  nicht  auf  den  erhaltenen  hsl. 
Spruchbüchern,  sondern  auf  verlorenen  älteren  Einzelliandschriften  beruht.  Diese 
Einzelhandschriften  scheint  der  Dichter  auch  beim  Drucke  der  Folioausgabe  teil- 
weise zu  Grunde  gelegt,  teilweise  umgearbeitet  zu  haben.  Bei  dieser  komplizierten 
Sachlage  beschränkt  H.  vorsichtiger  als  einst  Rachel  seine  Untersuchung  auf  die 
vermutlich  noch  in  ursprünglicher  Gestalt  vorliegenden  Dramen  und  ermittelt  aus 
ihnen  die  keineswegs  auf  eine  einfache  Regel  zu  bringende  Verwendung  des 
Stichreims  und  Dreireims  im  Dialoge  und  beim  Scenenwechsel.  Er  unterscheidet 
dabei  vier  Entwickelungsperioden  des  Dichters:  1517 — 40,  1540—50,  1550—55, 
1555-61. 

Unter  den  weiteren  Studien  über  die  Werke  des  Hans  Sachs  stehen  zwei 
dem  Bereiche  unserer  Zeitschrift  besonders  nahe:  Charles  Schweitzer,  der  ver- 
dienstvolle Pariser  Biograph  des  Nürnberger  Poeten  hat  (S.  352 — 381)  die  bei 
H.  Sachs  erscheinenden  Sprichwörter  und  sprichwörtlichen  Redensarten  gesammelt 


Bücheranzeigen.  465 

und  nach  sachlichen  Kategorien  zusammengestellt,  während  Stiefel  (S.  33—192) 
über  die  Quollen  der  Fabeln,  Märchen  und  Schwanke  des  H.  Sachs  gelehrte  und 
eindringende  Forschungen  angestellt  hat,  die  sich  nicht  mit  einem  Hinweis  auf 
die  Vorlage  begnügen,  sondern  auch  auf  die  Abänderungen  und  Zuthaten  des 
Dichters  eingehen.  Zu  bedauern  ist  nur,  dass  er  noch  nicht  den  zweiten  Band 
von  Goetzes  trelllicher  Ausgabe  .  der  „Sämtlichen  Fabeln  und  Schwanke"  (Halle 
1894)  benutzen  konnte,  der  ihm  hier  und  da  eine  Mühe  erspart  hätte.  Auf  Nach- 
träge möchte  ich  mich  im  Räume  einer  kurzen  Anzeige  nicht  einlassen;  nur  bei- 
spielshalber verweise  ich  zu  No.  1  auf  Imbrianis  Ausgabe  der  Posilecheata  Pompeo 
Sarnellis  1885,  S.  120. 

Für  einen  einzelnen  Schwank,  die  EngeUiut,  zeigt  ein  Anonymus  S.  351  seine 
Abstammung  aus  Agricolas  Sprichwörtern.  Das  Verhältnis  des  Dichters  zur 
deutschen  Heldensage  betrachtet  H.  Wunderlich  S.  253—262  in  einer  Unter- 
suchung seines  Nibclungendramas.  W.  Golther  bespricht  S.  263 — 277  die  aus 
der  dänischen  Chronik  des  Al^iert  Krantz  geschöpften  Historien  und  die  Schauspiele 
Rosimunda  und  Hagwartus. 

Förderliche  Betrachtung  ist  auch  den  jüngeren  Zeitgenossen  und  Schülern 
unseres  Meisters  zu  teil  geworden.  Besonders  interessant  ist  der  von  V,  Michels 
(S.  1 — 82)  in  einer  Berliner  Handschrift  gemachte  Fund  zweier  von  dem  Nürn- 
berger Kaufherrn  Niclas  Praun  in  Anlehnung  an  Hans  Sachs  verfasste  Dialoge 
„Der  podagrisch  Traum"  und  „Kopf  und  Barett",  die  Sachs  1549  nach  Prauns 
Tode  selber  redigiert  und  mit  einem  Vorworte  versehen  hat.  Ein  alphabetisches 
Verzeichnis  der  Meistersinger  des  16.  Jahrhunderts  liefert  P.  Keinz  S.  320 — 351. 
E.  Martin  druckt  zwei  1580  dem  Strassburger  Rate  übersandte  Loblieder  Adam 
Puschmanns  auf  das  Strassburger  Münster  ab.  Th.  Hampe  giebt  S.  397 — 406 
über  einen  anderen  Schüler  Hans  Sachs',  den  1557 — 69  als  Schreiber,  Meistersinger 
und  Theaterunternehmer  thätigen  Ambrosius  Österreicher  Naclu-icht.  E.  Mummen- 
hoff endlich  macht  uns  mit  der  Meistersingschulordnung  bekannt,  die  1616  von 
Hans  Glöckler  und  Georg  Hager  auf  Grund  der  älteren  Schulzettel  von  1.540,  1561 
und  1583  zusammengestellt  wurde,  und  handelt  über  die  verschiedenen  Lokale  der 
Singschulen,  •  J.  Bolte. 


Sagen,  Gebräuche  und  Spi-ichwörter  des  Allgäus.  Aus  dem  Munde  des 
Volkes  gesammelt  und  herausgegeben  vou  Dr.  Karl  Reiser.  Kempten, 
Jos.  Köselsche  Buchhandlung.  1895,  Lief.  1 — 3.  8".  Mit  zahlreichen 
Bildern. 

Das  schöne  Allgäu  hatte  bisher  noch  nicht  eine  besondere  Sammlung  seiner 
Sagen,  Gebräuche  und  Sprichwörter.  Dafür  erhält  es  nun  ein  gutes  Buch,  das 
von  einem  seiner  Söhne  sorgsam  und  emsig  zusammengetragen  ist  aus  dem  Munde 
des  Volkes  selbst  und  das  in  schlichter  einfacher  Art,  wie  sich  gehört,  die  Über- 
lieferungen vorträgt.  Von  den  10 — 12  in  Aussicht  gestellten  Lieferungen  liegen 
nun  3  ä  64  SS,  vor,  welche  bis  in  den  4.  Abschnitt  der  Sagen  gehen:  1.  Götter- 
mythen: Wotan,  Donar,  Gütterurazug.  Männliche  Sagengestalten.  2.  Göttinnen, 
Nornen,  Weisse  Frauen;  weibliche  Dämonen  und  Sagengestalten.  3.  Eiben,  Wilde 
Leute,  Zwerge,  Venedigermännle,  Kobolde.  4,  Hexen,  Schratt  und  Trudon,  Der 
Herkunftsort  der  Überlieferungen  ist  immer  angegeben,  und  wo  die  Sage  sich 
etwa  schon  in  anderen  Sammlungen  benachbarter  Landschaften  (Tirol,  Schwaben) 
findet,    ward    auch    das  bemerkt.    Einen  hübschen  Schmuck  geben  die  vielen  Ab- 


466  Weinhold: 

bildungen  in  Holzschnitt,  welche  teils  nach  photographischen  Aufnahmen  von  Ort- 
schaften und  Bergen,  teils  nach  Zeichnungen  ausgeführt  sind.  Man  durchwandert 
so  im  Bilde  das  schöne  alemannische  Gebirgsland.  Über  das  Ergebnis  des  Buches 
für  die  Volkskunde  liisst  sich  erst  nach  seinem  Abschluss  urteilen.  K.  W. 


Volkstümliches  ans  Meiderich   (Xiederrhein)  von   Carl  Dirksen.     (Zur 
deutschen  Volkskunde  No.  2.)    Bonn,  Hansteins  Verlag,  1895.    S.  58.   8°. 

Herr  Lehrer  C.  Dirksen  in  Meiderich,  Bezirk  Düsseldorf,  unser  gesciiiitzter 
Mitarbeiter,  hat  in  diesem  Heftchen  das  Ergebnis  seiner  fleissigen  Sammlung  in 
seinem  Wohnort  zusammengestellt.  Meiderich,  das  im  Anfang  des  19.  Jahrh.  ein 
kleines  Dorf  war,  ist  jetzt  durch  seine  Berg-  und  Hüttenwerke  zu  einem  Orte  von 
25  000  Seelen  angewachsen.  Fabrikorte,  deren  Einwohner  meist  aus  anderen 
Dörfern  und  Städten  zusammengeflossen  sind,  haben  wenig  Ergiebigkeit  für  volks- 
kundliche Forschung.  Trotzdem  hat  Herr  D.  es  verstanden,  das  alte  Meiderich 
zu  entdecken  und  viel  echt  Niederrheinisches  in  Sitte  und  Brauch  und  Volksrede 
zu  erschürfen.  Er  fülirt  uns  in  das  alte  Meidericher  Haus,  erzahlt  von  der  Hoch- 
zeit, vom  Leben  in  Feld  und  Hof,  belauscht  die  Spiele  der  Kinder,  teilt  Volks- 
rätsel und  Sprichwörter  mit  und  giebt  Proben  aus  dem  Aberglauben.  Möge  der 
wackere  Ostfriese,  der  an  den  Niederrhein  versetzt  ist,  uns  noch  manche  solche 
Gabe  schenken.  R.  Weinhold. 


Louisiana  Folktales  in  freuch  dialect  and  english  translation  collected  and 
edited  by  Alcee  Fortier.  Prof.  of  Romance  Languages  in  Tulane 
University  of  Louisiana.  Boston  and  New  V'ork.  jiublished  for  the 
American  Folklore  Society  by  Houghtou,  Miffliu  and  Company.  1895. 
S.  XI.    122.     8°. 

■  Der  Präsident  der  American  Folklore  Societ)',  Prof.  Fortier  in  New  Orleans, 
veröffentlicht  in  diesem  Buche  fünfzehn  Tiergeschichten  und  zwölf  Märchen,  wie 
sie  die  Neger  in  Louisiana  erzählen,  im  französischen  Dialekt  derselben,  dem  so- 
genannten Greolischen,  mit  einer  treuen  englischen  Cbersetziuig.  Ein  Anhang 
bringt  in  einer  englischen  Übertragung  vierzehn  Geschichten,  die  schon  1888  in 
den  Transactions  of  the  Modern  Language  Association  of  America  und  in  dem 
Journal  of  American  Folklore  gedruckt  wurden,  hier  aber  wiederholt  sind,  um  eine 
vollständige  Sammlung  der  Louisiana  Folktales  in  einem  Bande  zu  vereinigen,  was 
jedenfalls  Dank  verdient.  Prof.  Portier  hat  die  Geschichten  teils  selbst  gesammelt, 
teils  ward  er  dabei  von  Verwandten  und  Freunden  unterstützt.  In  den  An- 
merkungen giebt  er  die  persönlichen  Quellen  genau  an. 

Die  Tiergeschichten  sind  wohl  sämtlich  mit  den  Negern  aus  Afrika  nach 
Louisiana  gekommen:  sie  ti-agen  eine  kindliche  Naivität  an  sich,  sind  auch  nicht 
ohne  Humor  und  poetische  Empfindung.  Andere  Geschichten  und  Märchen  sind 
Umänderungen  bekannter  Erzählungen  durch  die  Neger  und  deshalb  ethnologisch 
interessante  Varianten.     Einzelne  führen  sich  auf  Tanzlieder  zurück. 

Die  Sammlung  ist  eine  gute  Fundgrube  für  die  Kenntnis  des  CreoUschen 
Dialekts,  der,  wie  Prof  Fortier  in  seinen  Louisiana  Studies  (New-Orleans,  1894) 
nachgewiesen  hat,  kein  verdorbenes  Französisch  ist,  sondern  ein  Dialekt  mit  eigener 
Morphologie  und  Grammatik.  K.  W. 


Bticheranzeigen.  467 

Paul  Sebillot.     Legendes    et    Curiosites    des    Metiers.     Oiivi-age    orne    de 
220  Gravures.    Paris,  Ernest  Flanimarion.    (s.  a.)    20  Hefte  ä  32  S.    4°. 

Dieses  seit  Anfang  1895  erscheinende  Werk  ist  jetzt  beendet.  Herr  P.  Sebillot, 
der  Herausgeber  der  Revue  des  traditions  populaires,  der  Verfasser  des  Buches 
Les  travaux  publics  et  les  mines  dans  les  traditions  et  les  superstitions  de  tous 
les  pays  und  vieler  Sammlungen  von  Märchen.  Sagen,  Sitten  und  abergläubischen 
Meinungen,  namentlich  der  Haute-Bretagne  u.  s.  w.,  wollte  damit  für  die  Handwerke 
leisten,  was  für  das  Landvolk  so  eifrig  seit  längerer  Zeit  gethan  ist:  eine  Sammlung 
geben  der  Sagen,  Meinungen,  Redensarten  und  Spöttereien,  die  sich  auf  einzelne 
Gewerbe  beziehen.  In  den  zwanzig  Heften  werden  nach  dieser  Richtung  vorgeführt 
die  Schneider,  Bäcker,  Schmiede,  Friseure  und  Barbiere,  Näherinnen,  Spitzen- 
klöpplerinnen und  Putzmacherinnen,  Schuster  und  Hutmacher,  Pasteten-  und  Zucker- 
bäcker, Schlächter,  Zimmerleute  und  Tischler,  Steinhauer,  Maurer  und  Dachdecker, 
Holzhauer  und  Köhler,  Müller,  Kesselschmiede,  Schlosser  und  Korbmacher,  Spinne- 
rinnen, Besenbinder,  Holzschuhmacher  und  Böttcher,  Wäscherinnen  und  Bleiche- 
rinnen, Wagner,  Drechsler,  Anstreicher  etc.,  Weber  und  Seiler,  Buchdrucker. 
Gute  Holzschnitte  dienen  zur  Erläuterung  und  zum  Schmuck,  meist  Nachbildungen 
von  Stichen  des  16.  bis  18.  Jahrh.  Wir  empfehlen  das  Werk  auch  deutschen 
Lesern,  denn  es  bietet  einen  interessanten  Stoff  in  angenehmer  Darstellung. 

R.  W. 


Was  sich  das  Volk  erzählt.  Deutscher  Volkshumor.  Gesammelt  und 
nacherzählt  von  Heinrich  Merkens.  L  Band.  Jena,  Herm.  Coste- 
noble,  1892.  2.  Aufl.  ebd.  1895.  XTV  u.  280  S.  H.  Band.  ebd.  1895. 
IX  und  209  S.     8°. 

Wer  Gelegenheit  gehabt  hat,  wie  der  Unterzeichnete,  bei  stotf  liehen  Forschungen 
auf  dem  Felde  der  vergleichenden  Litteraturgeschichte  die  verschiedenfachen  Ver- 
öffentlichungen von  Heinrich  Merkens  aus  dem  Gebiete  unseres  Volkshumors 
älteren  und  neueren  Datums  mit  ganz  erheblichem  Nutzen  zu  Rate  zu  ziehen,  der 
wird  ihm  sein  mühsames  Sammeln  allein  schon  als  wahres  Verdienst  anrechnen. 
Seine  einschlägigen  älteren  Bücher  „Deutscher  Humor  alter  Zeit"  (mit  R.  Weit- 
brecht, 1879),  „Deutscher  Humor  neuer  Zeit"  (1881),  „Deutscher  Humoi-.  Schwanke 
und  Erzählungen  aus  älterer  Zeit"  (1891),  letzteres  in  „Meyers  Volksbüchern"  für 
20  Pfennige  (!)  erschienen'),  folgen  lediglich  chronologischen  Grundsätzen  der 
Anordnung.  Das  neueste,  nunmehr  zweibändige  Werk  (vgl.  unsre  Ztschr.  IE,  344) 
dagegen  besitzt  schon  auf  Grund  seiner  systematischen  Entstehimg  eine  innere 
Gliederung:  „Deutsche  Schwabenstreiche",  „Legenden  und  Teufelsgeschichten", 
„Köl[ni]sche  Krätzcher",  „Allerlei  Geister".  Das  originellste  Kapitel  beider  Bände 
ist  das  dritte,  worin  der  Verfasser,  gebürtiger  Kölner  und  auf  seine  alten  Tage  in 
dessen  nächste  Nähe  zurückgekehrt,  einen  bislang  ungehobenen  oder  wenigstens 
volkskundlich  noch  unverwerteten  reichen  Schatz  urwüchsiger  Laune  und  Witzlust 
zugänglich  macht.  Mit  Leib  und  Seele  Rheinländer  hat  Merkens  auch  in  die 
übrigen  Abschnitte  sich  etliche  naive  Scherze  und  Spässe  verirren  lassen,  ja, 
beide  Mal    noch    einen,    kaiun    zufälligen  Nachtrag  Kölnischen  Scherzes   angefügt. 


1)  Der  siebente  Bogen  davon  erregte  in  prüden  Kreisen  Anstoss  und  so  veranlasste 
der  Verleger  den  Herausgeber  ilm  meist  durch  anderes  zu  ersetzen;  ich  besitze  aus  des 
letzteren  Hand  ein  unkastriertes  Exemplar. 

Zeitachr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1896.  o2 


468  WeinhoH: 

Den  Schluss  beider  Bätide,  und  das  macht  dies  höchst  dankenswerte  Unternehmen 
für  die  Wissenschaft  erst  recht  brauchbar,  bilden  genaue  Xachweise  und  Be- 
merkungen, die  sich  sowohl  auf  Quellenangaben  (der  Ort  der  Herkunft  ist  vorn  bei 
jedem  Geschichtchen  verzeichnet)  gewissenhaftester  Art  wie  auf  mannigfaltige 
Parallelen  erstrecken.  Wir  bewillkommnen  das  von  Merkens  gebotene  wichtige 
Hilfsmitte)  der  Materialien  und  Kongruenzen  wegen  aufs  wärmste,  zumal  es  höchst 
kurzweilig  zu  lesen  ist.  ■  Ludwig  Fränkel. 


Meteorologische  Volksbücher.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Meteorologie 
und  zur  Kulturgeschichte.  Von  Prof.  Dr.  G.  Hellmaun.  Zweite 
verm.  u.  verb.  Aufl.     Berlin,  Herrn.  Paetel,   1895.     S.  68.     gr.  8". 

Ein  Meteorologe  von  Fach  hat  hier  einen  Sti-eifzug  tu  die  Litteraturgeschichte 
der  deutschen  Wetterkunde  gethan.  Er  behandelt  eine  Reihe  seit  dem  Mittelalter 
verbreiteter  und  zum  Teil  noch  heute  volkstümlicher  Bücher,  zuerst  den  auf  An- 
regung Heinrichs  des  Löwen  entstandenen  Lucidarius,  dann  Konrad  von  Megen- 
bergs  Buch  der  Natur  (14.  Jahrh.)  nach  dessen  meteorologischen  Kapiteln.  Darauf 
werden  das  Wetterbüchlein  Leonh.  Reynmanns,  die  Bauernpraktik  und  die  anderen 
Praktiken  mid  Prognostiken,  zuletzt  des  Abts  M.  Knauers  hundertjähriger  Kalender 
besprochen  und  nach  einigen  alten  Drucken  Facsimilia  gegeben.  Es  hätten  wohl 
auch  die  Bilderhefte  von  den  sieben  Planeten  erwähnt  werden  können,  die  im 
15.  Jahi-h.  in  Italien  entstunden,  in  den  Niederlanden  und  Deutschland  bald  Nach- 
ahmung fanden  und  mit  Versen  begleitet  wurden,  über  die  Priedr.  Lippmann  in 
der  schönen  Publikation  der  chalkographischen  Gesellschaft  für  1895  jüngst  er- 
freulich gehandelt  hat. 

Zu  der  Bemerkung  S.  o5,  dass  die  „Bauern-Practica  —  durch  Honi-icura  von 
Uri''  bei  uns  längst  von  den  Jahrmarktstischen  verschwunden  sei,  will  ich  erwähnen, 
dass  dies  in  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  noch  nicht  der  Fall  war.  Ich 
besitze  ein  aus  Schlesien  stammendes  Exemplar  mit  recht  altem  Text  und  alten 
Holzstöcken,  das  gegen  1820,  und  einen  noch  jüngeren  Druck,  der  um  1850  zu 
setzen  ist 

Die  S.  48,  49  erwähnten  kleinen  Bauerkalender  leben  nicht  bloss  kroatisch  in 
Agramer  Drucken  fort,  sondern  auch  deutsch  z.  B.  in  Steiermark. 

Die  vorliegende  Schrift  berührt  sich  zum  Teil  mit  der  bibliographisch  weit 
ausgiebigeren  von  Wilh.  Uhl:  Unser  Kalender  in  seiner  Entvvickelung  von  den 
ältesten  Anlangen  bis  heute.    Paderborn  \Sd'6.  K.  W. 


Berichtigungen. 

S.  263,  10.     Sudermann  1.  Sundermann. 

S.  271.  In  der  von  Kuhn  bei  Haupt  IV,  393  (nicht  392)  erzählten  Geschichte 
Selberjedän  tritt  nicht  eine  Nixe,  sondern  ein  Nix  (en  wäternix)  auf. 

S.  354  gegen  Schluss:  Hr.  Geh.  Rat  Schwartz  bezog  sich  nicht  auf  jetzige 
Geistücbe,  sondern  auf  Otto  v.  Bamberg,  der  statt  der  Pfähle  Kreuze  forderte. 

Die  Berichtigung  S.  354,  Z.  1  v.  u.  ist  zu  streichen. 


Register. 


Aberglaube,  Berchtesgadener  455.     ostfräuki- 
scher415.    steirisclier  407.    thüringischer  93. 
Abu  Hanifa  57.     A.  Nuwäs  55.  öl. 
Abzählreime  67-71.  282-235.  450. 
Adabbüchor  48. 
Adern  12. 
Aktaion  126. 
Albrecht  der  Bär  250. 
Allgäuer  Sagen  460. 

Als  Gott  die  Welt  erschaffen  (Lied)  361. 
Amt,  goldenes  85. 

S.  Andreas  5.  415.     Andreasnacht  97.  415. 
S.  Anna  31.     Annabcrger  Volksfest  454. 
Antlassei  408.     Antlasspfinztag  408. 
S.  Antonius  332. 
Apfel  416. 

Arabische  Schwankbüclier  47. 
Ariel  265. 
Ai'omunen  331. 
Arouya,  die  schöne  73. 
Artemis  372. 

Aschenbrödelinärchen,  indisches  390. 
Auerhalm  412. 

Aufm  Bergli  bin  i  gsessen  161. 
Augen  des  Himmels  365.    unwandelbare  121. 
Augensalbe  267.    A.-weh  4.  293. 
Auka  264. 

Ausläuten  454.    ausseguen  411. 
Aussatz  11.     Ausschlag  15. 
Avantage  336. 

Ballspiel  184. 
Bandwebegerät  326. 
Bär,  grosser  (Gestirn)  430. 
Barfu'ss  im  Thau  407. 
Basmele  romäne  459. 
Basset,  R. 

Bauer  imd  Schaffer  91. 
Baueiiihaus,  deutsches  456. 
Bauernlcalender,  B.praktik  463. 
Baum,  gespaltener  410. 
Baumbast  141. 

Bäume  nehmen  Krankheit  ab  8.  25. 
Beinbruch  18. 

Bekleidung  von  Götterbildern  100. 
Benedictuskreuz  423. 
Berberisches  Schwankbuch  45. 
Berenklauben  190. 
Bergwalfahrten  206. 

Beschwörungsformeln  3-40.     194-199.    293 
bis  298. 


Bettelgeld  84. 

Beulen  39. 

Beutelmeise  136. 

Bienen  213.  455. 

Biei  334-336. 

Birsigthal  384. 

S.  Blasius  5. 

Blattwind  (.Bladwind,  Bl.luft,  Blading)  439. 

Bleikugel  412. 

Blitzableiter  325. 

Blumen  als  Heiratsorakel  212. 

Blutaberglaube,  Bl.ritus  223. 

Blutsegen  12.  20.  37.  39.  295. 

Bofist  143. 

Böhmerwalder  Volksleben  187. 

Böiger  Wind  441. 

Bohnen  408. 

Bojardo  274. 

Bonus  364. 

Bore  well  suuday  420. 

Bosnien  207. 

Brand  23.  27.  294  (Krankheit). 

Braunschweigische  Sagen  334. 

Brautwecken  werfen  389. 

Brecheltanz  192. 

Bretagne  333. 

Bronzewageu  186. 

Brot  416. 

Bruder  (Anrede)  387. 

Bruststiche  7. 

Bürle,  Märchen  59. 

Bursch  337. 

Butterhexe  408. 

Cechische  Tänze,  Volkskunde  234. 

Celtische  Märchen  111. 

Cerevis  338. 

Champagne,  Volksüberlieferungen  353. 

Chinesische  Novellen  72. 

Christnacht  97.  416. 

Communität  343. 

Craon,  Moriz  von  463. 

Creolisch  466. 

Cnrannie  343. 

Curtin,  Jcr.  332. 

Dämmerung  426. 
Dante  364  f.  374. 
Das  ist  a  schöne  Eh  359. 
Dee,  John  26S. 
Denhani,  M.  A.  462. 

32* 


470 


Register. 


Deus  364. 

Diebsegen  297. 

Dienstbotenbraucli,  flandrischer  298. 

Donnerkeil  324. 

Drache  223. 

Drauthal  206. 

Dreikönigslied  384. 

Drischel  455. 

Drohungen  21. 

Drüsen  24. 

Dschuhä  46.  48.  50.  59. 

Dumniheitsschwänke  49. 

Dümk  (Stern)  430. 

Duzbruder  338. 

Eckerken  265. 

Ei,  kosmogonisches  374. 

Eierlauf  387. 

Eichhorn  113.  135. 

Ein  jedes  Tieh  auf  dieser  Welt  359. 

Einhirn,  Schwank  59. 

Einläuten  453. 

Eis  320. 

Eksche  258. 

El  Fihrist  47. 

Epilepsie  26. 

Erde,  lebendes  Wesen  24.5. 

Erdsche  259. 

Eremit  und  Engel  76. 

Erfindungen,  ihr  Ursprung  458. 

Erik  Ejegods  Begräbnis  239. 

Erlösungsbedürfnis  der  Eiben  123. 

Erntebrauch  455. 

Eros  363.  367. 

Etcetera  339. 

Etterbeschau  390. 

Eulenspiegelstreich  208. 

Familiennamen  119. 

Fastiiachtbräuclie,  -feuer  385  f 

Eederschleisseu  193. 

Feen  264  f,    -bannung  269,    -fang  267.    270, 

-Schlösser  266. 
Feibel  294. 
Feien  129. 
Fellkleidung  139. 
Fensterin  188. 
Feuer  8.  32.  370. 
Feuerschwamm  142. 
Fieber  6.  10.  16.  20.  25.  40. 
Fihrist  47. 
Filz  143. 

Fingerhakeln  190. 

Finnische  Bibliothek,  F.  Gottesverehrung  117. 
Fisch  123.  222.  424  (Nix).  423  (Symbol). 
Flachsgewebe  145.    F\.  spinnen  170. 
Flandern   298—302. 
Flechte  7. 
Flechtkunsf  143. 
Flosi  127. 
Fluss  25.  32. 
Fortier,  A.  466. 
Fraisen  412. 

Frass  vom,  Beispiel  274. 
Frauentage  410. 
Freunde,  falsche  74. 
Fritz,  der  alte  223. 
Frosch  125.  247  f.  257—64. 
Fi-ost  318. 


Fuchsleber,  -schmalz  413. 
Pusssparr  38. 

(«alizische  Ausstellung  118. 

Galland  44. 

Gefrier  411. 

Geisterglaube,  irischer  332. 

Gelbsucht  22.  30.  35. 

Gemsen  bannen  411. 

Gemsblut,  -fett  413. 

S.  Gertrud  421. 

Gerippe,  Spuk  240. 

Gesclueehtswandlung  126  f. 

Geschwiü-e  4.  19.  21.  22.  31.  198. 

Gesindelohn  170. 

Gestirne  6. 

Getreidedächer  118. 

Gevatter  340 

Gewalt  anwerfen  411. 

Gewitter  323—25. 

Gicht  4.  5.  25.  31.  32.  29G. 

Glättknochen  147. 

Glutz,  Alois  165. 

Gold  133.  380.     goldene  Haare.   Hände  397  f. 

381  f. 
Goethes  Aufzeichnungen  von  Volksliedern  360. 

„     ,,    Schweizorlied  160. 
Götterbilder,  bekleidete  100. 
Götternamen  in  der  Mark  171. 
Gottfried  340. 
Gottschee  220. 
Grab  wirft  Tote  aus  239. 
Graberde  422.     Grabpfähle  354. 
Gräberbeigaben  237. 
Gräzer  Ulrichsfest  419. 
Griechische  Lieder  237. 
Grillenbannen  285. 
Gröden  422. 
Guardian,  Lied  106. 
Gumpeneck  410. 
Gütchen  (Elbe)  223. 

Habannaka  49. 

Hagel  322.  409—11. 

Handwerke  462 

Hans  Wurst  (Teufel)  443. 

Harke,  Frau  171.  250.  264. 

Harmel  412. 

Hai-naksnider  (Teufel)  445. 

Hainen  294. 

Hase  411. 

Haselstäbe  267. 

Hausindustrie  169. 

Häusergehn  192. 

Havelland  167  f.  233.  249. 

Headsunday  420. 

Hedehund  169. 

Heiratsorakel  212. 

Heiss  Wetter  312.  436. 

Herbsthund  169. 

Hermes  20G. 

Herzschmerzen  5. 

Hetsche  264. 

Hexen  93—99.  241.  407-09. 

Hexenbad  245.     -schuss  15. 

Hexstein  (Höchstein)  409 

Hillebüle  103.  327. 

Himmlisches  Schlauraffeni-eich  362. 

Hirschkruekenpulver,  Hirschunschlitt  412. 


Register. 


471 


Hirtenfluch  334. 

Hochzeitbrauch  389. 

Holle,  Frau  250. 

Holy  wells  4i0. 

Honig,  Aberglaube  213. 

Höpper  2ü0.  263. 

Hottel,  Hotz  264. 

Huggel247  259.262.  Hucke  261.  Hucksche267. 

Hund  416     Hunde  =  Wolken  432  f. 

Hundebiss  98. 

Hunue  uunne  214.  216. 

Hiipper  2(:0.  263. 

Huren  438. 

Husten  16. 

Hutsche,  Hutschke  264. 

Ihn  el  Dschanzi  50.     el   Mausili   48.     -Mam- 

m:Ui  50. 
Ich  bin  ein  Schatzerl  zugethan  358. 
Inih  heben  455. 
Indiculus  superstitionum  115. 
Irischer  Geisterglaube  332. 
Irrlicht  323. 
Isländisches  98  f. 
Itsche  261. 

Japanische  Bräuche  und  Feste  118.  Klein- 
kunst 238. 

.Taufen  88. 

R.  Jehuda  448. 

Jochen,  t^rot  445. 

Johann  Blank,  -Laug  321.  -Mür  314,  -Koopcn 
436. 

Judaslied  113. 

Jüdchen  =  Gütchen  223. 

Judenknochen   101. 

Junge  331. 

Jungfer,  alte  171.    J.  im  Bade  101. 

Kaineus,  Kainis  128. 

Kaiser  und  Abt,  Schwank  64. 

Kälte  315. 

Karakiisch  50.  52.  66. 

Kärnten  207.  408. 

Kartell  342. 

Käsemaden  408. 

Käth,  die,  Volksfest  454. 

Kattegatt  447. 

Katzen  410,  =  W  olken  432. 

Katzenjammer  342. 

Kessel  kriegt  ein  Junges  56. 

Kettenreime  200. 

Kicker,  Kickvorsch  261.  263. 

Kiesewetter  268. 

Kiuderreime,    kärntische  276.    Leipziger  199. 

ostfräukische  414.     steirische  275. 
Kinderspeise  98. 

Kinderspiele    130.  285     Kinderspielzeug  183. 
Kirken,  Kirteu  252. 

Kitab  el-adkijä,  el-faschüsch,  el  humaka  50. 
Kitzhaare  409. 
Klappern  187. 

Kleidertausch  der  Geschlechter  129. 
Knappen  im  Pflerschthal  90. 
Knochenbrüche  40.     Ku.-nadeln  137. 
Knöchelspiel  185. 
Kohler,  J.  463. 
Kolik  22. 
Kolonisation  250. 


Kommersch  343. 

Kopfschmerzen  15. 

Krämpfe  IV).  27-29. 

Krankheiten  1  f .  14.  19.  196. 

Ki-ankheitsbesch-wörungen  1—40.  194—99. 

Krankheitspatrone  418. 

Krätze  26. 

Krauss,  Fr.  S.  353. 

Krautfassel  heben  455. 

Kreisel  185. 

Kreolisch  461. 

Kreuz,  übers  410. 

Kreuzschnabel  416. 

Kroatische  Zeitschi-ift  220. 

Kröte  124  f.  271.    Namen  247—264. 

Krystalle  269. 

Kugelspiel  185. 

Kuhglocken  354. 

Kuhhirt  =  Wolkentreiher  432.    Kuhwolken  432. 

Kuhhirten,  thüringische  353. 

Kuhsegen  197.    Kuhverhexung  408. 

Kümmeltürke  343. 

Kurpfalz  450. 

Kurz-Bernardon  358. 

Kyrke  grime  243. 

Lambcrtslieder  180. 
Lanibertusfeier  174  f. 
Lämmer  =  Wolken  432.  433. 
Lausige,  der.  Schwank  291. 
Lavant  im  Pusterthal  205. 
Ledderingsbret  147. 
Legenden,  berlinische  118. 
Leinwand  145. 
Leipziger  Kinderreime  199. 
Lichtarbeit  175. 
Liebe  367.  370.  374. 
Liebhaber,  geprellte  74. 
Lied  vom  Tauber  414. 
Lieschens  Fingerhut  360. 
Lisse,  Lixe  =  Ni.xe  124. 
Lochiin  333. 
Loki    127. 
Lork  248.  259.  260. 
Losstag  421. 
Louisiana  folktales  466. 
Lügenlieder  200. 
Luttchen  223. 
Luzel,  Fr.  M.  333. 

Maddik.  Matten  252.  260. 

Maidäni  49. 

Manichäer  344. 

Märchen,  rumänische  459. 

S.  Maria  4.  5.  9.  12.    Mariensommer  323. 

Mariken  =  Sonne  425. 

S.  Martins  of  Bnllions  day  420. 

■Martinslieder  176.  451. 

Mars  262. 

Mäuse-  und  Ratteuhelfer  421. 

Mason,  0.  458.  ,     ,,^ 

Mecklenburger  Redensarten  302-325.  424-448. 

Medardus  421. 

Megge  263. 

Meiderich,  Velkstümliches  466. 

Melusine  126.  463. 

Meerfräulein  122. 

Merkens,  H.  467. 

Merseburger  Segen  13. 


472 


Register. 


Meerweiber  122. 

Meteorologische  Bücher  468. 

Methode  beim  Sammeln  832. 

Metiers  467. 

Mette,  Mettje  260.  263.    Medk  263. 

Michaelislie'der  177. 

Midrasch  Koheleth  448. 

Midsummer  .sunday  420. 

MilchmUdcheu,  Fabel  42.  66. 

Milchopfer  418.    Milchstrasse  480. 

Minuetrunk  418. 

Mitra  371. 

Mittelfasten  386. 

Mittsommerfest,  Dauer  420. 

Moddeck,  Mök  260.  264. 

Monatsorakel  97. 

Mond  6.  375.  428.    Mondgottheit  373. 

Montenegriner  Tagelied  210. 

Mork  263. 

Möwen  307. 

Much,  Muck  264.  261. 

Muggel  167 

Mundfäule  7. 

Münster  i.  W.  174. 

Nachtjäger  222.  250. 
Nachtraben  24ii. 
Nackt  410.  415. 
Nadel  416. 

Namen,  Salzburger  120.     steirische  119. 
Namengebuug  nacli  Verstorbeneu  99. 
Narr,  weiser  41. 
Nass  345. 

Nasr  eddin  Hodscha,  Schwanke  44 — 46. 
Naturleben  302—325.  424  -448. 
Nebel  322. 
Neraiden  123.  126. 
Neujahrsnacht  77. 
Neumond  430. 

Neun  334.  409.    neunerlei  Holz  409. 
Neun  Kinder  127. 
Nicasius  416.  421. 
Nicolaus  421 

Niederlausitzer  Volkssagen  222. 
Ninive,  Herr  von,  Lied  106. 
Ninne  nunne  214. 
Nix  122.  123.    Nixe,  Beiname  127. 
Nixen  121  f.    271.    Nixenkinder    121.     Nixen- 
sagen 124.  131.  271. 
Nordische  Kiankheitsbeschwörungen  193—99. 
Nordlicht  436. 
Notfeuer  452. 
Nunnen  270.  414. 
Nymphe  345. 

Ochsenhirt  (ossenhirer)  =  Wolkentreiber  432. 

Ohm  (Geschwür)  5. 

Ohrenschmerzen  11. 

Ohrfeigen  verwandeln  126. 

Orion  430. 

Ortsnamen,  Tiroler  109. 

Osmanische  Kultur  46. 

Osterkügelchen  387. 

Pabst  345. 

Päckcheuüechterei  137. 
Padde  247.  257.  260—63. 
Padducksche.  Parrucksche  262. 
Pala,  Mailänder  237. 


234. 


Passeier  88. 
Pehrkons  7. 
Perchta  in  Böhmen 
Pereat  346. 
Perk  264. 
Perseus  110. 
Pest  25. 

Peter  Ramm  445. 
Petrarka  365.  375. 
Petri  Stuhlfeicr  177. 
Petrus  298.  304.  307 

432.  434. 
Pferde  409.  416. 
Pfingstblütter  387 
Pflanzenfasern  13' 
Pflastertreter  346. 
Philister  346. 
Pickel  254. 
Pielwui-m  250. 
Pier   250.    a52 

Pierken   252 

262.    Pierlor 
Piereland  (Kirchhof)  263. 
Pilepogge  263. 
Plantago  lanceolata  458. 
Pocken  16. 
Pogge  257.  260.  262. 
Polnische  Volkskunde  236 
Polyphemfabel  272. 
Pomadenhengst  346. 
Porre  Purre  263. 
Prato,  St.  330. 
Praetorius,  J.,  355. 
Pröhle,  H.   329. 
Puck  'J65. 
Puppen  186. 
Purde  Pudde  263. 
Pürrik  253. 
Pygmäen  221. 


309.  311.  322.  425.  428. 


Pfing.sttau  407. 


263.  Pieras  168.  248.  257  f. 
Pierla  262.  Pierlauke  258. 
248.    Piermade  247.  257.  259. 


Quälgeist  266. 
(iuatembergarn  408. 
Quellenverehrung  413- 


-420.  458. 


Rasmus  (Teufel)  447. 

Rätsel  147  f.  180  f. 

Ratten-  und  Mäusehelfer  421. 

Regen   306—312.    Regenbogen    312.    Eegen- 

mutter.   Regenschift'  433.    Regenwurm  248. 

257-64. 
Reigen  286. 
Reisesegen  421. 
Rendez-vous  72. 
Reuss,  Fr.  A.  413. 
Rheumatismus  22.  38. 
Eietpogg,  Rietworm  262. 
Rindenkleider  141. 
Ringelnatter  412.    Ringelreihen  287. 
Rockenreise  193. 
Rühle,  Rühle  262.    Rohling  263. 
Rose  (Krankheit")  7.  16.  18.  26.  29.  37.  35. 
Rotlauf  295. 

Rückwäi-ts  zählen  37.  198. 
Rudolf,  Kronprinz  90. 

Sachs,  Hans  464. 

Sagen,  Allgäuer  465.     Braunschweiger  334. 

Saläh  eddin  51. 

Salz  412. 


Register. 


473 


Saujungfer  101. 

Saxo  Grammaticus  112.  23i). 

Stibillot  467. 

Seebergjungfer  125. 

Seefräulein"  123. 

Seekrauklieit  447. 

Seele  nach  dem  Tode  332. 

Segen  1-40.  1114—99.  293—98. 

Seidenspinner  135. 

Seitensticho  23. 

Selbergethan  271. 

Selbstmörder  241.  243. 

Semper  349. 

Sennerin  409.  410. 

Seuchen  gesühnt  205. 

Siebengestirn  430 

Silber  38U. 

Siiitiotli   117. 

Siproites  126. 

Sirenen  122. 

Skorpion  17. 

Sliek  261. 

Soll  ein  schönes  Kiud  mich  laben  358. 

Somnierfäden  323. 

Sommerlieder  113. 

Sonne  364  f.  374  f.  424  f.  427.  432  f. 

Sonnenuntergang  425 

Sonntag,  goldener  354. 

Sonntagsleben  im  Böhmerwald  189. 

Spielsteine  184. 

Spiesse  349. 

Spindel  139. 

Spinnerei  140.  144.  169.  170. 

Sprichwörter  arabische  49.  däniscli-scliwedisch- 
lateinische  233.    polnische  116. 

Spitz  349. 

Star,  grauer  5. 

Stärkste  Dinge  448. 

Staufenlierg,  Eitler  46S. 

Stein  ins  \Vas§er  geworfen  245. 

Steinkreuze  334. 

Steinmann,  Fr    180 

Steii-ische  Kinderreime  275 — 88. 

Stephanisalz  412. 

Sterne  430  f„  im  Märchen  376  f.  381. 

Sternschnuppen  431. 

Sterzing  8b. 

Stolle  (Verwandtschaft)  80. 

Stöwhas  436. 

Stricker  273. 

Stubai  171. 

Studentensprache  225-33.  334—52. 

Sturm  441. 

Stm-zsee  446. 

Suaheligeschichten  62.  64. 

Sülmkreuze  334. 

Sühuprozessionen  206. 

Sulphuria  350. 

Sunnwendfeuer  420. 

Snsaninne  356. 

Schaffer  91. 

Schalk  41. 

Schimpfen  21. 

Schisser  348. 

SchlagÜuss  4.  24. 

Schlangenbiss  17-19.  21.  26  f.  32. 

Schleiche,  Schleik  261. 

Schlesisches  Wiegenlied  214. 


SchmoUis  348. 

Schneckenbannen  285. 

Schneiderlied  287. 

Schnee  321. 

Schönheit  369.  Schönheitsideal  358  Sch.- 
svmbole  363-383. 

Schwager  348. 

Schwämme  suchen  191. 

Schwammkappe  142. 

Schwanke,  arabiscli-islamische  40 — 67.  rumä- 
nische 332. 

Schwankbücher  43. 

Schwänzen  348. 

Schwarzsauer  168. 

Schwein,  Erntefigur  455. 

Schweizerische  Ktdksbräuche  384. 

Schwester  349. 

Tagelied  225.     Montenegriner  210. 

Tagesanbruch  425. 

Tanagra  206. 

Tannebaumlied  356. 

Tänze  192.  234.    Tanzlieder  237. 

Taufbrauch  389. 

Tausend   und    eine  Nacht   66.     T.  und  einen 

Tag  73. 
Tauwetter  321.    Tauwiu-m  263. 
Teiresias  128. 

Terink,  Teriug,  Tetting  263. 
Teufel  334.  409   435  f.  443  f.  445. 
Thauotter  262. 
Thierbildchen  186. 
Thierbräutigani  366. 
Thoren,  Fürst  von  350. 
Thüringen  180.  353. 
Thymian  267. 
Tiger  15. 

Tii-ol  80-93.  109  f.  147  f. 
Tobler,  L.  456. 
Too,  Leben  danach  333. 
Tollwut  5. 
Tot  scheinen  56. 

Tote  im  Grabe  nicht  geduldet  239  f. 
Totenaberglaube  97.  333.    Totenbräncbe  354. 

455.   Toteubretter  US.    T.burg  85.  T.kränze 

354.     T.pfähle  354. 
Touchieren  350. 
Trinitatisfest  454. 
Tmtschel  351. 
Tudse  257. 
Türkisches  Volksbuch  44. 

S.  Ulrich  416—424.  Ulrichsbrunuen  418.  U.- 
feuer  420.  U.kapellen  419.  U.kreuze  423. 
Uminne  418.    U.sonntag  419. 

Unglück  wegwerfen  391. 

Unke  260  f.  263. 

Upakosä  74. 

Ureinwohner  des  Havellandes  249—55. 

Urian  334. 

Ütsche,  Üze  259ff. 

Yeitls  Reitrüstung  276.  288. 
Venus  366. 
Verkeilen  351. 
Vermmnmungen  129. 
Verplempern  351. 
Verrenkungen  7.  13.  198. 
Verschiessen  351. 


474 


Register. 


Verschiss  351. 

Verwandlungen  223. 

Vesta  370. 

Vierbergfahrt  in  Kärnten  207. 

V.  Vincke,  Gisb.  267. 

Vieting  323. 

Virag  3i;8. 

Virgenthaler  Prozession  205. 

Vögel  41H. 

Völkerkunde  108.  217. 

Volksbücher  468. 

Volkshumor  467. 

Volkskunde,    ostfränkische  413.     Vereine  107. 

217. 
Volkslieder  113.  161.  202.  352-63.  414. 
Volksrätsel  147-60.  180—83.  396    407. 
Volksschauspiele,  cechische  114. 
Voltaires  Zadig  71  f. 
Vorspuk  334. 
Vortanz   389. 
Vottiero  289. 

War  mein  Schatz  ein  Haselstauden  360. 
Wasser  7,  414—448.     Wasserfrauen  121.    W.- 

hunde  iWolken)  433.    W.mann  122.   W.lisse 

131-  124. 
Waterhunn,  Watcrslepers  433. 
Webegerät   32.Ö  f.     W.gewicht    146.    W.kunst 

134.  169.     W.schwert  146. 
Weberschiffchen  138.     W.vögel  135. 
Weber-Zenze,  die  80  -93. 
Webstuhl  144. 

Weib,   eigensinniges,    Geschichtchen  289 -93. 
AVeihnachtlied  'd^'ö.    W  spiele  115. 
Weinzauber  266. 
Weise,  Christian  355. 
Weisheit  369. 
Weiss  365. 
Wellengang  445  f. 
Wetter  in  Mecklenburger  Volksrede  302—06. 

312-17.  434.  442. 


Wetterfliegen  410.  W  hexen  409.  W.leuchten 
324. 

Wettläuf  420. 

Wetzen  352. 

Widder  206.  208.  243. 

Widderprozession  205  —  08. 

Wie  geht  es  denn  im  Himmel  zu  362. 

Wiegenlied,  schlesisches  214. 

Wiese,  geschorene  291.    grüne  214. 

Wiesel  412. 

Wildererglaube  411. 

Wildfleisch  411. 

Wind  317.  435—44.  Windhose  443.  Wind- 
hunde i,Wolken)  432.  Windpfeil  4.  Wind- 
stille 438. 

Wirbelwind  443. 

Wü-tel  138.   146. 

Witzigen   389. 

Wöchnerin  107. 

Woldmannstag  334. 

Wolfsniilchraupe  262. 

Wolken  306.  431 

Wort,  seine  Macht  2.  37. 

Wundsegen  197.  295. 

Wurm  260.     Wurmsegen  294. 

VViu-mer  9.  10.  29.  32. 

WurstUed  388. 


Zachariassegen  423. 
Zadig  71. 

Zahlen  der  Krankheiten  33. 
Zahnschmerzen  4.  7.  20. 
Zaubern  416. 
Zeus   206. 
Ziehen  352. 
Zigeuner  216. 
Zöpfe  134. 

Zungenband  gelöst  107. 
Zwerge  334.     Zwergmaus  135. 
222. 


Zwergvölker 


Druck   von  Gebr.  Unger  in  Berlin,  Bernbnrgerstr.  30. 


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Jg.  5 


Zeitschrift  für  Volkskunde 


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