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I
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
begründet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Auftrage des Vereins
herausgegeben
von
Karl Weinhold.
Pttnfter Jahrgang.
1895.
Mit vier Tafeln und mehreren Abbildungen im Text.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
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7^
Inlialt.
Abhandlungen.
Seite
Über KrankheitsbeschwöruDgen. Von M. Baiiels 1
Seliwänke und Schnurren im islamischen Orient. Von M. Hartmann 40
Abzählreime aus dem Bergischen. Von 0. Schell 67
Zwei orientalische Episoden in Voltaires Zadig. Von G. Amalfi 71
Die Weber-Zenze. Eine Tiroler Dorffigur. Von M. Rehsener 80
Beispiele von Hexen- und Aberglauben aus Thüringen. Von M. Lehmann-Filhes . . 93
Beitrag zur Nixenkunde auf Urund schlesischer Sagen. Von K. Weinhold 121
Anfänge der Webekunst. Von E. Friedel 134
Volksrätsel aus Tirol. Von A Renk 147
Zu Goethes Schweizerlied. Von A. Englert 160
Miscellen aus den Havellaudschaften. Von W. Schwarte 167
Die alte Jungfer. Lebensbild aus dem Stubai. Von P. Greussing 171
Die Lambertusfeier zu Münster. Von P. Bahlmann 174
Volksrätsel aus Thüringen, Von K. E. Haase 180
Uraltes Kiuderspielzeug. Von Elisabeth Lemke 183
Dorfkurzweil im Böhmerwalde. Von J. Peter 187
KraukheitsbeschwöruDgon des Nordens. Von B. Kahle 194
Kinderreime aus Leipzig und Umgegend. Von K. Müller 192
Die Widdorprozession von Virgen und Prägratten. Von K. Woinhold 205
Die Sage vom Begräbnis K. Eriks v. Dänemark auf Cypern. Von H. F. Feilberg . 239
Die voUcstümlichen Namen von Kröte, Frosch und Regenwurm in Norddcutschland.
Von W. Schwartz 246
Feen- und Nixenfang nebst Polyphems Überlistung. Von L. Frünkel 264
Kinderreime aus Steiermark. Von A. Schlossar 275
Eine Novellette des Vottiero. Von G. Amalfi 289
Segen ans Handschuhheim. Von 0. Heilig 293
Dienstrecht uud Gewohnheiten in Flandern. Von A. Gittee 298
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. Von R. Wossidhj. . . 302. 424
Lesefrüchte zum Volkslied. Von Erich Schmidt 355
Sonne, Mond, Sterne als Schöuheitssymbole. I. Von Stanislaus Präto 363
Spruchgedichte und Volksbräuche aus der Vorderschweiz. Von K. Storck 384
Sunäbai Dschai. Ein Aschenbrödelmärchcn. Von K. Klemm 390
Volksrätsel aus der Grafschaft Ruppin. Von K. E. Haase 3'J6
Hexen- und Wildererglauben in Steiermark. Von K. Reiferer 407
F. A. Reuss Sammlungen zur fränkischen Volkskunde. Von H. Haupt 413
Vom heiligen Uli-ich. Von K. Weinhold 416
Kleine Mitteilungen.
Zur Volkskunde Islands. Von Kourad Maurer 98
Bekleidete Götterbilder. Von G. M. Godden 100
Die Jungfer im Bade. Von M. Höfler 101
Die HillebiUe. Von R. Andree 103. Weinhold 327. J. Hoops 328
Das Kinderlied von Ninive. Zum Liede vom P. Guardian. Von H. F. Feilberg . . 106
Das Lösen des Zungenbandes. Von L. Wcinhold 107
Nachrichten aus dem Bereiche der Volkskunde 207. -217
Zur süddeutschen Namenskunde. Von K. Weinhold 119
Ein Eulenspiegelstreich aus Franken. Von Ä. L. Stiefel 208
Ein montenegrisches Tagelied. Von Fr. S. Krauss ', . 210
Portugiesischer Volksglauben 212. Heutiger Volksglauben. Von L. Fränkel .... 212
Die grüne Wiese. Von R. Wossidlo 214
Über ein schlesisches Wiegenlied. Von K. Weinhold 214
Zu den Anfängen der Webekunst. Von Mason und Friedel 325
IV Inhalt.
Seite
Nekrologe: H. Pröhle 329. L. Tobler '. 456
Stanislaus Prato 330
Die stärksten Dinge. Von A. L. Stiefel 448
Abzählreime aus Kurpfalz. Von G. Hanauer 450
Bemerkungen zu einem ostfriesischen Martiniliede. Von C. Dirksen . 451
Lesefrüchte. Von K. Weinhold und L. Fränkel 452
Untersuchungen über das deutsche Bauernhaus 456
Bücheranzeigen.
Ratzel, Fr., Völkerkunde I. II. Von K. W 108. 217
Schneller, Chr., Beiträge zur Ortsnamenkunde Tirols. 2. Von Fr. Stolz 109
Hartland, E, S-, The legend ot Perseus I 110
Jacobs, J., More Celtie fairy tales 111
Olrik, A., Sakses Oldhistorie. Von E. Mogk . . ■ 112
Erk, L. und Böhme, Fr., Deutscher Liederhort. Bd. III 112
Beauquier, Ch , Chansons populaires recueillies en Franche-Comte Von Ch. Marelle 113
Hansjacob, H, Schneeballen. 1 » 114
Menöik, F., Prostonärodni hry divadelni. Von A. Brückner 114
Zibrl, C, Seznani povgr a zvyklostf pohanskych z VIII veku. Von A. Brückner . 115
Adalbcrg, S, Liber proverbiorum polonicorum Von A. Brückner 116
Katalog der Bibliothek der Finnischen Litteraturgesellsehaft 117
Kr.ohn, J., Suomen suvun pakanallinen jumalaripalvelus 117
Pischel, R., Beiträge zur Kennhiis der deutschen Zigeuner. Von E. Kuhn .... 218
Hauffen, A., Die deutsche Sprachinsel Gottschee 220
Starohrvatska Prosvjeta. Ztschr. d. archäol Gesellschaft in Knin. Von Fr. S. Krauss 220
Tyson, E., A essay concerning the Pygmies of the, ancients. Now ed. by V/indle . 221
Gander, K., Niederlausitzer Volkssagcn. Von K. Weinhold 222
Strack, H. L., Der Blutaberglaube in der Menschheit. Von Sohns 223. 353
Schläger, G., Studien über das Tagelicd. Von R. M. Meyer 225
Kluge, Fr, Deutsche Studentensprache. Von E Schmidt 225. 334
Östnordiska och latinska Medeltids ordspräk. I. II 233
Öesky lid. III, 6. IV, 1. 2. Von A. Brückner 234
Zibrt, C, Jak se kdy v Cechäch tancovalo. Von demselben 234
Wisla VIL Von demselben 236
Weigand, G., Volkslitteratur der Aromnucn. Von Jarnik ' 331
Erster Jaliresbericht des Rumäuisehen Seminars zu Leipzig. Von demselben. . . . '332
Tales of the Fairies and of the ghost world, collected by Jeremiah Curtin .... 332
Le Braz,. A., La legende de la Mort en Basse-Bretagne 333
Voges, Th., Sagen aus dem Lande Braunschweig. Von K. Weinhold 334
Treichel, A, Volkslieder und Volksreime aus Westpreussen 352
Mason, 0. T., The origins of invention. Von R. M. Meyer 458
Sainenu, Basmele romänc. Von J. U. Jarnik 459
The Denham ti-acts. Edited by J. Hardy. Von K. W 462
Zwei altdeutsche Rittermären. Herausgegeben von Edw. Schröder. Von L. Fränkel 463
Kohler, J., Ursprung der Melusinensage 463
Hans-Sachs-Forschungen. Herausgegeben von Stiefel. Von Bolte 464
Reiser, Sagen des AUgäus 465
Dirksen, Volkstümliches aus Meiderich 466
Louisiana Folktales, edit. by A. Fortier 466
Sebillot, P., Legendes et cnriosites des metiers 467
Merkens, Was sich das Volk erzählt. Von L. Fränkel 467
Hellmann, G., Meteorologische Volksbücher. Von K. W 468
Berichtigiyigcn 468
Auszüge aus den Sitzungs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. Von Max
Roedigor 118. 237. 353
Register 469
über Kranklieits-Bescliwönmgeu.
Von Max Bartels.
Vorbemerkung: Die iu der folgeiulen Arbeit angeführten Beschwörungsformeln
sind im Texte, um Wiederholungen zu vermeiden, nur mit der Seitenzahl oder der Numnier-
zahl des Originalwerkes versehen worden. Es wurden entlehnt: diejenigen der Ost-
preussen aus H. Frischbier: Hexeuspruch und Zauberhann (Berlin 1870), diejenigen
der Pommern aus Ulrich Jahn: Hexenwesen und Zauberei in Pommern (Stettin I8S6):
diejenigen dos Voigtlandes aus Job. Aug. Ernst Köhler: Volksbrauch, Aberglauben,
Sagen und andere alte Überlieferungen im Vuigtlaude, mit Berücksichtigung des Orlagaus
und des Pleissnerlandes (Leipzig 18G7); diejenigen der Schwaben aus Anton Bir-
linger: Aus Schwaben, Sagen, Legenden, Aberglauben, Sitten, Rechtsbräuche, Orts-
ueckereien, Lieder, Kinderreime. Neue Sammlung. Band I. (Wiesbaden 1874); diejenigen
der Sachsen in Siebenbürgen aus Heinrich von Wlislocki: Volksglaube und Volks-
brauch der Siebenbürger Sachsen (Berlin 1893); diejenigen der Magyaren aus Heinrich
von Wlislocki: Aus dem Volksleben der Magyaren. (München 1893); diejenigen der
Zigeuner aus Heinrich von Wlislocki: Aus dem inneren Leben der Zigeuner
(Berlin 1892): diejenigen der Bosuiaken aus Leopold Glück: Skizzen aus der Volks-
niedicin und dem medicinischen Aberglauben in Bosnien und der Hercegovina (iu
M. Hoernes: Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina, Bd. II,
S. 39?— 454, Wien 1894): diejenigen der Ehsten aus Fr. Kreutzwald und H. Neus:
Mythische und magische Lieder der Ehsten (St, Petersbui-g 1854); diejenigen der Letten aus
J. .\lksnis: Materialien zur lettischen Volksmedicin (iu Rudolf Kobert: Historische Studien
aus dem Pharmakologischen Institute der Kaiserlichen Universität Dorjjat. IV. S. 166 — 283.)
(Halle a. S. 1894); diejenigen der Finnen aus .\.nton Schiefner: Kalewala, das National-
Epos der Finnen (Helsingfors 1852); diejenigen der alten luder ms Julius (irill:
Hundert Lieder des Atharva-Veda (Stuttgart 1889); diejenigen der alten Sumerer aus
Francois Lenormant: Die Geheimwissenschaften Asiens. Die Magie und Wahrsagekunst
iler Chaldäer (Jena 1878); diejenigen der Buru-Timorlao und Watuhela-Insulaner
aus Johann Gerhard Friedrich Riedel: De sluik-en kroesharige Rassen tuschen
Sidebcs en Papua (s'Gravenhage 188G) und diejenige der Navajo-Indianer aus
Washington Matthews: The Mountain chant, a Navajo ceremony. (Fifth Annual
Report of the Bureau of Ethnology. W^ashington 1887, p. 379—467.)
EinleituDg.
Bei einer sehr grossen Zahl der Völker unseres Erdballs herrscht, wie
wohl allgemein bekannt sein dürfte, die Anschauung, dass die Krankheiten
belebte Wesen sind. In menschlicher, oder häufiger noch in dämonischer
Gestalt, bisweilen auch als giftiges Tier, z. B. als Schlange, wandern sie
durch das Land, durchziehen die Lüfte, lauern im Walde, an Flüssen,
Sümpfen oder Einöden, oder am Meeresstrande den Menschen auf und
suchen sich ihrer zn bemächtigen. Aber auch in die Städte und Dörfer
suchen sie einzudringen, wobei sie sich bisweilen als blinder Passagier auf
irgend einem Fuhrwerk, als Partner eines Reiters auf dem Rücken seines
Zeitschr. d. Vereins f. VoUiskunde. 1893. 1
2 Bartels:
Pferdes, odei- als Aufhucker auf dem Rücken eines einsamen Wanderers
einfinden. Nur wenigen Bevorzugten werden sie sichtbar; von der Mehrzahl
der Sterblichen können sie nicht gesehen werden. Um so deutlicher aber
empfindet man iln-e Nälie. 8ie stürzen sich auf ihr Opfer und „befallen"
es, sie packen und ergreifen dassell)e, sie schütteln es und werfen es
nieder; sie saugen ihm das Mark und die Lebenssäfte aus, sie zehren an
ihm und fressen ilnn das Herz ab. Das alles sind Ausdrücke, wie man
sie täglich noch im Volke hören kann. Entweder hält der Krankheits-
Dämon also von aussen Inn- den Mensclien umklammert, ganz so, wie wir
einen Gegner fassen würden, um ihn in unsere Gewalt zu bringen, oder
der Dämon ist in den Kranken hineingefahren, das Innere des Kranken
wird von ilim in Besitz genommen, der Kranke ist von dem Dämon besessen.
Bei einer derartigen Auffassung der Krankheit ist der Weg klar vor-
gezeichnet, welchen die ärztliche Behandlung einzuschlagen hat. Über-
natürlich, wie die Ursache des Krankseins, muss auch der therapeutische
Eingriff sein. Man nniss auf irgend eine Weise bewirken, dass der
Krankheits-Dämon sein Opfer wieder frei giebt, und man muss ihn aus
dem Bereiche des Kranken und aus der Ortschaft liinauszuschaffen suchen.
Wie das von den gemeinhin als Wilden bezeichneten Volksstämmen ge-
handhabt wird, das habe ich in einem Buche über die Medicin der Natur-
völker^) ausführlich auseinandergesetzt. Es finden sich dort allerlei
Analogien mit dem, was die Zauberärzte unseres Landvolkes treiben. Ich
will hier auf alle die absonderlichen Manipulationen nicht näher eingehen
und will hier nur von einer Massnahme sprechen, welche bei fast keiner
derselben zu fehlen pflegt, nämlich von den Beschwörungen oder, wie
man bei uns im Volke sagt, von den Besprechungen. Dieselben werden
niclit innner gesprochen; oft werden sie geflüstert oder gemurmelt, oft
auch geschrieen, und bei vielen A'ölkern müssen sie gesungen werden,
ähnlich wie die liturgischen Gesänge unseres Gottesdienstes.
Die Macht des Wortes spielt eine grosse Rolle bei allen Völkern; ihm
müssen sich die Dämonen beugen. Das finden wir in einer Beschwörung
in dem altindischen Atharva-Veda mit klaren Worten ausgesprochen:
„Die Alaudu ui)d Talanu
Zermalmen alle wir durch's Wort!
Mit mäeht'ger Waffe tot' ich die AläinUi,
Ob sie verbrannt, ob nicht, — sie sind unschädlich.
Was übrig, wie das Abgethane, zwing' ich
Dui'ch's Wort: kein einz'ger Wurm soll iUnig bleiben!
Der Wurm, der in dem Eingeweid",
Und was in Kopf und Rippen sitzt,
Avaskavii, Viadhvara
Zermalmen wir durch unser Wort!" (0.)
1) Ma.x Bartels: Dir :\Iodicin der Naturvölker. Kthnulogisclu: lieiträsc zur Ur-
geschichte der Mcclicin. L. ipzii;- 1893.
Üb(ir Krankheits-BL>scli-w(iniiigeii. 3
Bei solchen Aiiscliauiingen, wie sie soeben entwickelt \Yunlen, sollte
man glauben, dass die Beschwörungsformeln aller Völker im grossen und
ganzen sämtlich über einen Leisten geschlagen wären. Eine eingehendere
Beschäftigung mit denselben zeigt aber, dass dieses keineswegs der Fall
ist. Man kann nicht genug staunen über die Fülle der verschiedenen
Formen, unter denen diese Beschwörungsformeln auftreten. Sicherlich
sind eine grosse Reihe von Jahrhunderten nötig gewesen, um diese viel-
fachen Variationen herauszubilden, und es ist nicht immer ganz leicht,
den Gresichtspunkt richtig zu erfassen, nach dem sie aufgebaut worden
sind. Dazu kommt noch, dass manches nur in missverstandener und ver-
stümmelter Form auf uns gekommen ist, und dass nicht selten auch nach
dem altbewährten Grundsatze: „Doppelt reisst nicht" mehrere Formeln
mit einander verquickt worden sind.
Solch eine Vielseitigkeit der Beschwörungsformeln würde nicht not-
wendis: a-eworden sein, wenn die Dämonen sich immer dem einfachen, be-
fehlenden Worte, dem „Apage, Satanas!" gefügt haben würden. Aber
Dämonen, und namentlich diejenigen der Krankheiten, sind hartnäckige,
widerspenstige Gesellen, und da bleibt dann nichts Anderes übrig, als,
wenn sie der einen Beschwörungsformel nicht weichen wollen, eine andere
zu ersinnen, und so fort, bis endlich die Krankheit abgelaufen ist. Und
dann ist die zuletzt angewendete Beschwörung natürlicherweise das Medica-
mentuni probatum; aber die Vorsicht gebietet doch, dass man auch die
anderen wohl im Gedächtnis bewahre. Denn gegen einen anderen Kraiik-
heitsdämon kann gerade wiederum eine von ihnen am wirksamsten sein.
Es liegen uns bereits eine recht erhebliche Anzahl von Beschwörungs-
formeln vor. welche verschiedenen Ländern und Zeiten entstammen. Ich
will den Versuch machen, an einem Teile von ihnen festzustellen, nach
welchen Gesichtspunkten der Auffassung sie konstruiert worden sind. Sie
sind bekannten Werken entnommen, deren Titel, um endlose Wieder-
holungen zu vermeiden, in der Vorbemerkung angeführt worden sind.
Sie stammen aus Ost- und Westpreuss en, Pommern, dem Voigt-
lande und Schwaben, von den Sachsen in Siebenbürgen, den
Magyaren und Zigeunern, den Bosniaken, den Ehsten und Letten
inul aus dem alten Heldengesauge der Finnen, der Kalewala Dazu
kommen Formeln von den östlichen Inseln des malayischen Archipels
(Buru, Timoriao- und Watubela-Inseln), von Indianern Amerikas
und aus dem schon erwähnten Atharva-Veda der alten Inder, dessen
Entstehungszeit zwischen 1500 und 600 vor Christo gesetzt wird, und
endlich treten noch die sumerischen Zauberformeln hinzu, welche sich
in der Thontafel- Bibliothek des Sardanapal gefunden haben. Diese
Thontafeln entstammen dem 8. vorchristlichen Jahrhundert; die Texte aber,
welche sich in der Sprache der alten Sumerer mit assyrischer Inter-
linear-Übersetzung darauf finden, müssen um viele Jahrhunderte älter sein.
1*
4 Bartels:
Denn «lamals. als der König Assurbaiihalial sie sammeln Hess, ver-
mochte mau schon die Bedeutung von einer Eeihe von "Worten nicht
mehr festzustellen.
I. Die Hilfe der Gottheit gegen die Kranklieits- Dämonen.
Nach dieser Abschweifung kommen wir wieder zu unserem Thema
zurück. Vorsichtige Gemüter bauen in solchen kritischen Augenblicken
nicht auf ihre eigene Kraft; sie rufen die Hilfe der Gottheit an, der auch
die Dämonen sich beugen müssen. Dementsprechend finden wir viele
Beschwörungen, welche im Grunde genommen eigentlich Gebete sind.
In Littauen sagt man bei Zahnschmerzen:
„Gott Vater, Sohn und heiiger Geist,
Gebenedeite Drei,
0 Du, um den der Himmel kreist,
Den jeder heilig, heilig preist,
Ich bitte Dich, Du Weltenherz,
Erlöse mich von jedem Schmerz!" (Frischb. 102.)
Ein Spruch der Ehsten gegen die Gicht endet mit den Worten:
nMöge Du den Schmerz vermindern,
Heilge Maria, Sohn und Geist 1- (94.)
Gegen Angenweh sprechen die Magyaren:
„Im Namen des Vaters, bei der Liebe des Sohnes, der Segen des heiligen
Johannes breite sich darüber ausi Die Milch der gebenedeiten Jimgfrau Maria
wasche, wasche, wasche ab dies Leidl" (126.)
Bei eiternden Geschwüren spricht der serbische Wander-
Zigeuner einen Spruch mit folgendem Schluss:
„0 süsser Gott im Himmel töte
Den Bösen, welcher in mir
Ist und mlf mir, o Mohamed!" (24.)
Besonders lehrreich sind hier eine Reihe von Beschwörungen, wie
sie bei den Letten gebräuchlich sind. Gegen den Schlagfluss, den
sogenannten Windpfeil heisst es da:
„Hilf Du, gnädiger Gott und Vater, die stiuumen Geister zu pflegen und zu
bewahren, um sie tummeln sich in dunklen Nächten und hellen Tagen die unreinen
Teufel und Geister, die Knechte des Teufels, welche sich ihm ergeben haben.
Hilf Du selbst, gnädiger Gott und Vater, das Blut aufzufrischen! Halte fern. Du
gnädiger Gott und Vater, halte fern die Windpfeile imd Zauberinnen, uad die
Bluttropfen, die Hexen und die iu der Luft Fliegenden!" (Xo. 209.)
Die Letten fordern die Gottheiten auch direkt zum Kampfe gegen
die Dämonen auf, z. B.:
..Liebe Mahra (das ist Maria) nimm den Teufel, nimm den Sturmwind,
nimm den bösen Geist, trage ihn auf den Lehmberg, zerreisse ihn mit der eisernen
Egge, zerreisse ihn mit der eisernen Rolle! Es bleibe der Mensch bei seiner
ersten Gesundheit! Im Xameii Jesu Christi ist er heilig getauft!" (No. 33.)
IJber Krankheits-Beschwönmgen. 5
Das wii'd bei der Tollwut gesprochen. Bei Brandwunden soll wieder
dio Malira helfen:
„Ein roter Hahn liiuft ums Feuer! Nimm, liebe Mahra, einen Besen, schlage
und spritze, schlage und spritze, damit das Übel verschwinde, wie ein Feuer-
funke!" (No. 102.)
und gegen Schmerzen in der Herzgegend richtet sich der Spruch:
„Du gnädiger Gott und Vater hilf! Du, Gottes Sohn! Liebe Maria, unseres
Herrn Jesus Christus Mutter, Jungfrau Maria! Hilf die grossen Schmerzen
besänftigen, zügeln und bewältigen, welche raschen Pusses sich hin und her
werfen und hin und her fliegen, welche sich rasch in den Leib des Menschen, in
sein Herz geworfen haben! Sie mögen vergehen, rein und ganz, wie die Mondleere,
welche rein vom Monde ist, — so sollen die Übel und Schmerzen vergehen!"
(No. 15.)
Die Schwaben wenden sich an den heiligen Andreas, damit er
ilnion die Gicht verjage:
„Ach heüiger Andreas mein!
Lass Dich doch gebeten sein:
Treibe aus das böse Gicht,
Das mich so im Leibe sticht!" (-149.)
Bei dem Ohm, einem ei ternden Geschwüre, sprechen die Sieben-
Inirger Sachsen:
„Heiüger Blasius, Du frommer Knecht!
Thu' mir recht.
Erhör mein Gebet,
Treib in den Wald meinen Ohm!" (9.'>.)
Derartige Beschwörungsformeln spricht der Kranke entweder selbst
über sein Gebresten, oder der Zauberarzt spricht sie für ihn, als ob der
Kranke sie selber spräche. So spricht bei einer höchst komplizierten
Hoilceremonie der Navajo - Indianer in Arizona'), dem sogenannten
„Gesänge gegen den Berg", der Medicinmann für die Kranke:
„Ragender in den Bergen! Stelle mir meine Stimme wieder her!
Herr der Berge! Steile all meine Schönheit wieder her!
Junger Mann! Mache alles schönheitsvoll vor mir!
Oberhaupt! Mache alles schönheitsvoll hinter mir!
Ich habe Dir ein Opfer gebracht! Mache schönheitsvoll meine Worte!
Ich habe ein Rauchen für Dich bereitet! Es ist vollendet in Schönheit!
Stelle mir meine Beine wieder her! Es ist vollendet in Schönheit!
Stelle mir meinen Körper wieder her! Es ist vollendet in Schönheit!
Stelle mir meinen Geist wieder her! Es ist vollendet in Schönheit!"
Der Beschwörer tritt aber nicht selten ancli direkt als ein Fürbittender
i'ür den Kranken auf. So bei den Ehsten:
„Klaren Aug's geheimer Ordner!
Klaren Auges Überwacher!
Spring', das Mal hinweg zu rahmen.
Spring', dem grauen Staar zu wehren!
1) Bartels, a. a. 0., 178, 197 ff.
g Bartels:
Kral't cntwend' der Otter Augen,
Klarheit aus des Wiesels Anblick,
Löschung von der Braue Kongos'),
Heilung für die Qucllend-Engel'" (lOG.)
In dem Atliarva-Yeda heisst es:
„Nicht tödte sie das Oberhaupt von diesen,
Verhiit', Agni, dass er entwurzelt werde!
Lös' kundig Du die Schlingen der Unholdin,
Es sollen alle Götter Dir willfahren!" u. s. w. (15.)
oilor:
„Dacavixa-), mach diesen hier
Vom Hexentuck der Grahi^) los,
Die seine Glieder hat erfasst,
und führe, Herr der Bäume, ihn
Zur Welt der Lebenden empor! (8.)
Niclit solten wird es ratsam ersclieiuen, wenn man sich gleichzeitig
die Boiliilfe mehrerer Gottheiten sichert. Das muss natürlicherweise einen
um so wirksameren Schutz gewähren. So liabeu die Formeln der Sumerer
für gewöhnlich mindestens zwei (xottheiten, welche sie anrufen, z. B. :
.,Das schmerzhafte Fieber, das heftige Fieber,
Das Fieber, das dem Menschen hartnäckig anhaftet,
Das Fieber, das nimmer verlässt.
Das Fieber, welches nicht schwindet, das bösartige Fieber,
Geist des Himmels, beschwöre es!
Geist der Erde, beschwöre es! (7.)
In einer anderen Formel werden ausser diesen beiden Geistern auch noch
neun weitere Gottheiten angerufen.
Bei dem weitverbreiteten Animismus niederer Volksscliichten. der jedes
Stück der umgebenden Natnr mit einer eigenen Seele versielit und über-
irdische Wesen darin erkennt, müssen wir es auch als einen Appell an
die Gottheit betrachten, wenn die Beschwörungsformeln sich an die Elemente
odrr an die Gestirne, an Bäume u. s. w. wenden. Die Gestirne erwähnt
der Atharva-Ved a:
„Die Morgen- und die Abendsonn'
Zerstöre strahlend das Gewürm,
Die Würmer innen in der Kuh!" (7.)
Bei unserem Volke, spielt bekanntlich der Mond mit seinen Phasen eine
grosse Kolle. Im Voigtlaude sagt man:
„Mond, Du spitzt Dich,
Meine Zähne schwitzen mich.
Spitzt Du Dich heut oder morgen
Meine Zähne sollen nicht mehr schwitzen!" (^07.)
1) Ein Wassergeist.
2) Zehnerlei Holz.
;'.■' Weiblicher Dämon.
über Krankheits-Bescliwörungcri. 7
An den Mond wendet sich auch der Lette bei Zahnschmerzen':
„Guter Mond, ich kluge Dir,
Zahnscliraerzen quiUen mich!
Ich bitte Dich,
Nimm diese von N. zu Dir!" (7o.)
Die Sterne ruft der alt indische Zauberarzt an:
„Die Lös er, jenes Zwiegestirn
Am Himmel, das Beglückende,
Das löse Deiner Krankheit Band,
Das untre mit dem obersten!
Wenn der Gestirne Strahlen geh'n.
Der Morgenröte Strahlen geh'n.
Dann geh' von uns, was irgend schlimm,
Und es vergeh' das Xetriya')!" (9.)
Der Lette wendet sich vorsichtigerweise gleichzeitig an mehrere
Gestirne. Er beginnt einen Zauberspruch gegen die Rose:
„Die Sonne, der Himmel, die Erde, die Sterne, Gottes Sohn, heiliger Geist.
Iiüf mir, den Menschen retten und die Schmerzen nehmen!" (No. 180.)
Auch der altheidnische Blitzgott Pehrkous ist in den lettischen
Beschwörungsformeln noch in Kraft. So heisst es bei Bruststichen:
,,Der Stich sticht, ich habe Angst! Drei Pohrkoni sollen ihn erschlagen!
Der Stich sticht, ich habe Angst! Neun Pchrkoni sollen ihn erschlagen! Der
Stich sticht, ich habe Angst! Dreimal neun Fehrkoni sollen ihn erschlagen!" (No. S.)
Yon den Elementen sind wir der Erde bereits begegnet, welche ja
allerdings auch den Gestirnen hinzugerechnet werden könnte. Die über-
natürliche Hilfe der Luft, d. h. des Windes wird ebenfalls von den Letten
angerufen und zwar bei Verrenkungen:
„Möge die Mutter Laima-), die Mutter des Windes, die Göttin der Meere und
die heilige Mahrii.ia helfen, einrichten, einzupassen und zu heilen!" (Xo. 142.)
Das klingt auch noch nacli in einem Spruch aus Ostpreussen:
„Mundfaul", walfischgelber Zahn!
Ein kühler Wind, der weht Dich an,
Du magst sein weiss oder rot,
So musst Du sein in dreien Tagen tot!" (90.)
Audi folgende Formel der Sachsen in Siebenbürgen gemalmt hieran:
„Leb' wohl, Flechte!
Reich' mir die Rechte,
Reich' sie zum Abschied,
Geh', wohin der Wind zieht!" (90.)
Das Wasser wird in dem Atharva-Veda bescliworen:
„Die Wasser sind so heilsam ja.
Die Wasser scheuchen Krankheit fort.
Die Wasser heilen jedes Ding,
Die seien seine Arzenei!" (14-)
1) Wahrscheinlich i'in augeborenes orgaiiisclies Leiden.
2) Die Göttin des Glücks.
8 Bartels:
An das Feuer wendet sich ein lettischer Spruch bei Yer-
breunungeu:
„Mutter des Feuers, Jungfrau mit dem goldenen Wamras. mit dem kupfernen
Besen in der Hand! Schlage luid spritze! schlage und spritze! damit das Übel
verschwinde, wie ein Peuerfunke!" (No. 104.)
oder:
„Ach Feuergott! Ach Feuergott! Rette dieses Kind von den unglücldiclien
Wunden!" (No 106.)
Au die Bäume sind viele deutsche Sprüche gerichtet, und natiirliclHU'-
weiso sind damit eigentlich die G-ottheiteu gemeint, welclu^ die Häiune
bewohnen, z.B. sagt man in Pommern:
„Apfelbaum, ich klage Dich,
Die siebenundsiebzigerJei Gichten die ])higen mich!
Nimm Du sie mir ab,
Nimm Du sie mir ab,
Bis au mein kühles Grab!" (98.)
Älnilich heisst es in Schwaben:
„Nussbaum, ich komme zu Dir!
Nimm eines von den siebenundsiebzigerlci Fiebern von mir!
Dabei will ich verbleiben u. s. w." (447.)
Es zeugt aber von wenig Ehrfureld. vor diesen Naturgeisterii , wenn
die Siehenbürger Sachsen sagen:
„Hollunder-Strauch, Du elender Hund!
Mein Kind hat die Schol') am Mund,
Nimmst Du sie ihm bis morgen nicht weg,
So verreck! Im Namen" u. s. w. (102.)
Verständiger ist es nun allerdings, sich mit der Gottheit gut zu stellen,
seine Sünden zu bekennen, die Macht der Ki'aukheits-Dänionen als eiiu:'
wohlverdiente Strafe der begangenen Sünden anzusehen und Busse zu
thun. Dann ist um so eher auf die göttliche Hilfe zu rechnen. Eine
sumerische Thontafel lautet:
„Entscheide das Los dieses Menschen, offenbare, was seiner wartet, bestinune
sein Schicksal!
Du leitest in Deinem Laufe das Menschengeschlecht!
Lass über ihm leuchten einen friedlichen Strahl, der ilui befreie von seinen
Leiden!
Der Mensch, Sohn seines Gottes, hat seine Sünde und Missethat vor Dir
bekannt:
Seine Hände und Füsse verursachen ihm heftigen Schmerz, seine Krankheit
verunreinigt ihn schrecklich!
Auf Deinen Befehl sei seine Sünde vergeben, seine Missethat vergessen!
Dass ihn sein Ungemach verlasse, dass er von seiner Kränkelt genese!"
(60.)
1) Blaseu.
irber Krankheits-Beschwörungen. 9
Noch weiter demütigt sicli der Bittende, wenn er sogar das Lob der
Kranklieit singt, wie in einer Beschwörung der E listen:
„Gichtergegurre, Stechergesurre,
Peinigerplage, Nagender Genage!
Selber an den Knien erkranket.
An dem Schulterblatt gebrechlich.
Unter'm Kniebug aufgeschwollen!
Wie so selig, wert des Preises,
Wem hier, in des Elends Thale
Leiden als Geschenk verlieh'n sind.
Wer zum Schmerz ward angeworben
Ward für lange Pein gebunden!''
Aber dieser glückselige Dulder schliesst dann doch seine Bescliwörnng
mit dem (lebete:
„Möge Du den Schmerz vermindern.
HeiFge Maria, Sohn und Geist!" (94.)
Nicht selten wird in der Beschwörung die Gottheit daran erinneit,
dass sie Opfer erhalten habe, wie wir das bereits oben in dem (!(d)ete
ik's Navajö-jMedieinmannes gesehen haben; oder es werden ihr OiifergabtMi
in Aussicht g(>stellt. Das belegt eine Stelle im Atharva-Veda:
„Du woll'st, 0 Agni, diesen Mann mir lösen.
Der, ganz und gar gefesselt. Wirres redet!
Er wird hernach Dich, wahrlich, nicht verkürzen.
Wenn er vom Wahnsinn ist befreit!" (21.)
In einer Beschwörungsformel der Zigeuner, in welcln-r von der
i'jlster die Rede ist, heisst es:
„Des Mannes Verstand Zwei schöne' spanische Fliegen.
Schicke (zurück) in (sein) Herz: Zweier Hunde Zähne.
Vertreib' Du den Nebel, Zwei schöne Frösche.
(Deines) Vaters Nebel! Und in sechs Tagen
Dem Bösen ich gebe. Aus dem Menschen
(Seinen) zwei Köpfen ich gebe. Den Nebel sollen sie vertreiben!" (li.)
Bitte um Hilfe wird auch dadurch motiviert, dass die Gottheit ja auch
anderen geholfen habe. So sprechen die Siebenbürger Sachsen:
„N. N. hat ein grosses Kreuz:
Würmer fressen ihm Blut und Seh weiss!
0. Du lieber Jesus Christ,
Der Du im Himmel bist!
Hast dem Lazarus geholfen im Leid,
Sei dem N. N. zur Hilfe bereit!" (lOß.)
Aber bescheidene Leute wollen die Gottheit auch nicht unnütz be-
mühen. Sie erbitten nur die Spendung einer geheiligten Waffe; dann
wollen sie den Kampf mit den Krankheits-Dämouen schon selber auf-
nehmen. Li der Kalewala der Finnen findet sich eine hierher gehörige
Stelle:
10 Bartels:
.,Ukko") Du, 0 Gott dort oben, Dieses Siechtum zu vertreiben!
Höchster, auf den Wolken oben, Bringe mir ein Schwert voll Feuer!
Komm' herbei, Du bist von Nöten! Bring' mir eine Feuerklinge!
Eile her, da man Dich bittet, Dass die Bösen ich bezwingen.
Diese Qualen wahrzunehmen. Ich die garst'gen bannen könne,
Dieses Unheil abzuwehren, Auf des Windes Bahn die Schmerzen
Dieses Übe! zu verscheuchen. Auf das weite Feld die Qualen!" (263.)
Solche göttliche Waffe behauptet der Beschwover im Atliarva-Veda
bereits zu besitzen:
.,Der grosse Stein, den Indra hat,
Der jeden Wurm zerquetschende,
Damit zerstampf die Würmer ich,
Wie mit dem Stein man Körner mahlt!
Den Sichtbar'n und den Unsichtbar'n
Zerquetsch ich, den Kuriiru auch!" (fl.)
Als eine Waffe, welche von der Gottheit verliehen ist, niiissen wir
auch das Medicament betrachten, und ein Vers des Atliarvn-Yeda ^iebt
iiiorfür einen deutlichen Beleg:
„Den Göttern und Brahmanen ward's,
Wie man Dich, Holz, zusammenlegt,
Die Götter all' ersah'n, wie man
Zur Erde Dich zusammenlegt!
Der es gemacht, der stelle her!
Der ist der allerbeste Arzt!" («.)
Es scheint aber, dass noch eine besondere Segnung darüber gosjn'ocliiMi
W('r(]en nuiss, die seine Tugenden scliildert. Auch solciie Stellen finden
sich im A th arva-A'oda,:
„Der Du der Bergeshöh' cntsprosst,
Du Kräftigster der Pflanzenwelt,
Geh', Kustha-), Takman')-Tilger, Du,
Den Takman tilge weg von hier!
Vom Berg, der Adler Brutstatt, stammst.
Vom Schneegebirge kommst Du her,
Mit Schätzen sucht Dich, wer's gehört,
Man weiss, dass Du den Takman tilgst!
Du bist von göttlichem Geschlecht
Und bist Soma's Geselle traut.
So thu dem Lebenshauch in mir
Und diesem meinem .4uge wohl!
Drum alles Siechtum lass vergeh'n
Und nimm dem Takman seine Kiaft!
Kopfschmerz, Verlust des Augenlichls.
Verletzung eines Körperteils —
1) Der Doiuicrgott.
2) Oostus s)iccit)sus oilor iirabii/us.
3) Fieber.
über Krankheits-Beschwiirmigeii. 11
Der Kustha heilt von alledem,
Ein göttlich, kräftig Mittel, traun I
Den Mann, Kustha, den ich hier hab'.
Den stelle her, den bring zurecht,
Den mache Du mir ganz gesund!" ('.). IC)
Das Lob des Medikamentes preist auch der Siobenbiirgev Sachso.
Eine seiner Bescliwörnngeu gegen Olirenschmerz lautet:
„Christus fuhr über das Meer,
Da kam der Sturm daher;
Dich, Kraut, steckte er ins Ohr
Und war unversehrt!'" (100.)
Der Atliarva-Veda riilunt ein iMittel, weil es von der Grazelle ge-
tragen wird, welche die Krankheit gleich verfolgt, und ein anderes, weil
es die o-egenteiligen Eigenschaften besitzt, als die Krankheit sie hervorruft:
„Die hurtige Gazelle trägt
Ein heilsam Mittel auf dem Haupt,
Treibt mit dem Hörn das Xetriya')
Nach allen Seiten von Dir aus.
Auf seinen Vieren folgt er Dir,
Der kräftige Gazellenbock;
Lös' auf, o Hörn, das Xetriya,
Damit sein Hörn durchfloehten ist!
Es gleicht, was von dort oben glänzt,
Dem Dach, das auf vier Pfosten ruht;
Wir treiben alles Xetriya
Dir damit aus den (gliedern aus!" (8.)
Die andere Beschwörung, welche gegen den Aussatz gerichtet ist, hat
folgenden Wortlaut, wobei daran erinnert sein möge, dass eine besonders
nuffallendi^ Erscheinung, welche der Aussatz hervorruft, in dem Auftreten
grauer oder ganz weisser Flecken in der Haut bestellt:
„Bei Xacht bist Du hervorgesprosst,
Kohlrabenschwarze Pflanze Du!
So färbe hier, Nachtfarbige!
Was Aussatzmal und grauer Fleck!
Die Aussatzmäler lass vergehn.
Das Graue und das Schreckliche!
Nimm in Dich seine Farbe auf,
Verfliegen lass das Weissliche!
Schwarz ist ja Deine Lagerstatt,
Schwarz ist der Grund, darauf Du stehst.
Die Schwarze bist Du, Pflanze, ja:
So lass vergehen, was schrecklich hier!'" (li).)
Manche Beschwörer begnügten sich nicht damit, die Gottheit im
nilgemeinen um die Vertreibung und Unschädlichmaehnng iler Krankheits-
Dämoneu anzuoehen, sondern sie flehten die (iottlirit aiu-li an, dass sie
1) Ein augoborc-nes orgaiiischo.s Ijpiileu.
12
Bartels:
die angerichteten Beschädigungen wiederherstelle und der grösseren
Sicherheit wegen zählten sie diese Schäden ganz ausführlich auf.
ist am klarsten
Kalewala:
ausgesprochen bei den Finnen. Es heisst in
Das
der
.Schlankgewachs'ne Ader-Göttin,
Suonetar, Du Ader-Jungfrau,
Schöne Spinnerin der Adern,
Mit dem schlanken Spindelholze,
Mit dem kupferreichen Wirtel,
Mit dem eisenreiclien Kade,
Komm" herbei! Du bist von Nöten!
Komm' herbei! Du wirst gerafen!
In dem Arm das Aderbündel,
Auf dem Schoss das Häutebündel,
Um die Adern fest zu binden,
Ihre Enden festzuknüpfen,
Bei den Wunden, die noch offen,
Bei den aufgeriss'nen Löchern!
Sollte das genug nicht scheinen,
Giebt es oben in den Lüften,
In dem Rupferbrot ein Mädchen,
In dem rotgestrichnen Nachen!
Komm", o Jungfrau, aus den Lüften.
Mädchen, von des Himmels Nabel!
Rudre durch die Adern, Mädchen!
Fahre heftig durcli die Glieder!
Rudre durch der Knochen Höhlung,
Mitten durch der Glieder Spalten!
Leg' die Adern an die Stelle,
Bringe sie in ihre Lage,
Stopfe Du die grossen Adern,
Bring' die Pulse an einander,
Dann vereinige die Sehnen,
Und der kleinen Adern Enden!
Nimm Dir eine weiche Nadel,
Einen Seidenfaden drinnen!
Nähe mit der weichen Nadel,
Stopfe mit der Ziunesnadel,
Knüpf" die Spitzen von den Adern,
Bind' sie mit dem Seidenfaden!
Sollte das genug nicht scheinen,
Selbst, 0 Gott, Du Offenkuud'ger,"
Schirre Deine raschen Füllen,
Rüste Deine raschen Renner,
Fahre her im bunten Schlitten.
Durch die Knochen, durch die Glieder,
Durch das Fleisch, das sich beweget,
Pahi'e rauschend durch die Adern,
Bind' das Fleisch fest an die Knochen,
Bind' die Adern an die Adern,
Senke Silber in die Fugen,
Gold Du in die Aderspalten!
Wo die Haut entzweigegangen,
Dort lass neue Haut entstehen!
Wo die Adern durchgerissen,
Binde Du sie fest zusammen!
Wo das Blut davongeflossen,
Dort lass neues Blut Du iliessen!
Wo die Knochen sich zerschlagen,
Dort lass neue Knochen wachsen!
Wo das Fleisch sieh abgelöset.
Binde fest das Fleisch zusammen.
Banne es an seine Stelle,
Setze es in seine Lage,
Bein an Bein und Fleisch zum Fleische,
Füge Glieder an die Glieder!" (TS. Id.)
Vielleicht haben wir einen Änldaug au die in dieser langen Zauber-
formel erwähnte Ader-Jungfrau in folgender Beschwörung der Letten zu
finden:
„Hinter dem Jordan fluss sind drei dichtbelaubte Linden: jede Linde hat
neun Zweige, jeder Zweig neun Jungfrauen: sie vernähen dort, sie verstricken
dort, wie unser Heiland vernäht und verstrickt die Blutadern! Blut, bleibe ruhig.
(No. -100.)
Auch die heilige Jungfrau tritt bei den Letten als Näherin der
Adern auf:
^Die heilige Maria, Gottes Mutter, sitzend auf weissem Meer, hält in der
Hand eine Nadel mit weissem Seidenfaden, näht alle Adern zusammen!- (No. 87.)
Ober Krankheits-Beschwörimgen.
13
Es möge liier sogleich eine der finnischen ähnliche Beschwörung
aus dem Atharva-Veda folgen:
Es schliesse sich das Mark zum Mark,
Die Haut verwachse mit der Haut!
Zusammengeh' Dein Blut, Dein Bein!
Das Fleisch verheile mit dem Fleisch,
Das Haar dem Haare füge an.
Die Haut füg' wieder zu der Haut,
Zusammengeh" Dein Blut, Dein Bein!
Verein'ge, Pflanze, was zerriss!" (IS.)
Wem fiele bei diesen Versen nicht die bekannte Zauberformel von
Vol und Wodan aus einer Merseburger Handschrift des 10. Jahrhunderts
ein, welche den Lesern niemals erspart zu werden pflegt, wo von Be-
s chwiiruugen die Kede ist. Ich muss sie auch hier anführen:
„Was Dir zerrissen, was geknickt
An Knochen Dir im Leibe ist.
Das richte Dhätar glücklich ein.
Und füg' zusammen Ghed an Glied!
Das Mark verbinde sich mit Mark,
Mit dem Gelenke Dein Gelenk!
Es wachse Dein verfallnes Flcisrh
Zusammen und der Knochen auch!
Vol und Wodan
Fuhren zu Holze,
Da ward Balders Fohlen
Sein Fuss verrenket.
Da besang ihn Sinthgunt,
Sonne ihre Schwester;
Da besang ihn Frua,
Volla ihre Schwester:
Da besang ihn Wodan.
Vergleichen wir hiermit eine in
Beschwörung der Ehsten:
„Jesus ging dahin zur Kirche,
Mit dem Rotross, mit dem Eappen,
Mit dem Lachsschwarzraohrenköpfgen,
Mit dem Fischfarbmäusefahlen.
Da verrenkte das Pferd den Fuss.
Nieder bei dem Rade Jesus,
Zu besprechen des Pferdes Fuss:
Hier ist ein Gelenk verrenket.
Der es wohl vermochte:
So die Beinverrenkung,
So die Blutverrenkung,
So die Gliederverrenkung,
Bein zu Beine,
Blut zu Blute,
Glied zu Gliedern,
Als ob sie geleimt wäien!"
nudireren Variauten vorkoniuiiMide
Hier die Sehn' übergesprungen.
Hier ein Sprungbein aüsgestemrael!
Geh' Gelenk an Gelenk hinwieder.
Gehe Sehn' an Sehn' hinwieder,
Gehe Sprung an Sprung hinwieder.
Gehe Bein an Bein hinwieder.
Gehe Fleisch an Fleisch hinwieder!
Streiche Nass darauf Maria!" (97.)
Bei den Siebeubürger Sachsen werden die Verrenkungen folgender-
nuissen besprochen :
„Christus, der Herr und der heilige Matthias
Kamen mit einander über die Brück';
Brach das Bein des heiligen Matthias in Stück'.
Was thut Deinem Bein so weh?
Mein Bein ist krank, ich bin lahm!
Nimm Schmer und Salz,
Schmier' Dein Gebein.
Schmier' Deine Adern!
Bein an Bein',
Ader an Ader!
Fleisch an Fleisch!
So soll's sein, wie Christus, der Hcit,
Es haben will, Amen!" (10-1.)
14 Baitels:
Die Magyareu sageu iu solchem Falle:
^Machte sich auf den Weg der kleine Jesus auf seinem Esel, auf seines
Esels Rücken, auf steinerner Brücke; verrenkte sich den Fuss sein Esel: kam
hinzu Ficze-patcr, las darauf, blies es an mit seinem heiligen Munde, streichelte
es mit seiner heiligen Hand. Bein an Bein! Fleisch an Fleischl Blut an Blutl
Dann aber werde es so, wie es war!" (147.)
Ganz vei-stümmelt hat sich endlich die Formel auch uoch in West-
preussen erhalten:
.,Ich rate Dir vor Verrenkt,
Streich' Ader mit Ader,
Streich' Blut mit Blut.
Streich" Knochen mit Knochen!" (Frischb. 92.)
oder :
„Unser Herr Jesus Christus kam geritten nach Jerusalem; sein Ross
stiess wider einen Stein und der Puss des Pferdes war verrenkt. Bein soll wieder
werden Bein, Ader zu Ader, im Namen Gottes!" (93.)
Uänzlich eingeschrumpft ist die Zaiiberformel bei den Letten:
Knöchleiii zu Knöchlein!
Sehne zur Sehne!
Splitter zum Splitter!
Faser zur Faser!"' (No. 137.)
oder:
,,Knöchlein zum Knöchlein!
Weichteile zu Wcichteilen!
Sehne zur Sehne!
Rotes Blut mitten durch!" (Xo. 138.)
Wir sehen, dass auch Iner bei den Beschwörungen die alten heid-
nischen Gottheiten von Christus und seinen Heiligen siegreich aus dem
Felde geschlagen sind. Wir sehen aber ferner auch, wie aus langen,
komjilizierten Formeln allniählicli ganz kurze und kaum noch verständliche
Sprüche werden.
II. Die €apititlation mit deu Kraiiklieits-Dänionen.
Wir haben iu den bisherigen Zauberformeln gesehen, wie der Mensch
immer die Gottheit für sich in den Kampf mit deu Krankheits-Dämoneu
schickte, und somit war der Kampf, den er mit ihnen führte, doch immer
nur ein indirekter. Man wälzte auf die Gottheit die gefährliche Sorge,
sich mit den Dämonen abzufinden. Xun fehlt es aber auch nicht an
Leuten, welche sich selbst vor den Teufeln nicht fürchten und es mutig
unternehmen, ihnen direkt auf den Leib zu rücken. Bei so gefährlichen
Gegnern aber, wie es die Krankheits-Dämonen sind, ist es docdi geraten,
vorsichtig und behutsam zu Werke zu gehen und nicht durch unbedachte
Übereilung alles auf das Spiel zu setzen. Mit Höflichkeit kommt mau
durch die Welt, ujul so soll man es auch bei diesen bösen Geistern in
i'her Kraiililioits-Bcsclnviirimgen. '15
erster Liiiio mit Höflichkeit versuchen. Auf den Watubela-Inselii im
malayischen Archipel redet mau die Kranklieit mit „Herr" au; auf
dem nahen Buru sagt mau sogar „Herr Grossvater Pocken". Aber
aucli bei uns betitelt man bestimmte besonders hartnäckige oder gefährliche
Ivranklieiteu mit besonders ehrenvollen Namen. So nennt man die Rose
aucli woiil „das heilige Ding" oder „das heilige Werk ", oder kni'zweg
„das Heilige". Auch Sanct Johannis-Feuer oder Sanct Antonius-
Feuer wird sie genannt. Die Epilepsie nennt man in Preussen „das
Höchste". Die Letten l)ezeichuen einen akuten Bläschenaussclilag,
ein Eczem, wie wir Ärzte sagen, als „die heiligen Jungfrauen".
Von dem gleichen Gesichtspunkte aus pflegt man in Indien den Tiger,
der in den Augen der Eingeborenen natürlicherweise auch ein Dämon der
Vernichtung ist, nicht bei seinem rechten Namen, sondern mit dem
Schineichelnameu „Grossvater" zu nennen, und eine Beschwörung der
Schlange bei den Letten lautet:
„Die ehrliche, gniidige Frau schläft am Wegrande auf dem Sande, der Mund
ist voll mit Wolle; die ehrliche gnädige Frau schläft im Sumpfe auf einem Erd-
liiigel, der Mund ist voll mit Wolle; die ehrliche, gnädige Frau schläft im Walde
unter der Wurzel, der Mund ist voll mit Wolle!" (No. 128.)
Gut ist es überiiaupt, den Krankheits-Dämonen zu schmeicheln:
„Ihr kleine Leut',
Ihr liebe Leut'
Alle die Ihr .seid" (75.)
beginnt eine Beschwörungsformel in Preussen gegen „die kleinen
Jjeute", eine Füi'm der Kopfsciimerzen. In einem Zauberspruche gegen
eine als „Scliuss des Kudra" auftretende Krankheit, die wir uns wohl
unserem Hexenschuss ähnlich zu denken haben, heisst es in dem
Atharva-Veda:
„Ehr' sei Dir, Rudra')! wenn Du schiesst!
Ehr' sei dem angelegten Pfeil,
Dem abgeschossenen Pfeil sei Ehr',
Und Ehre auch dem Treffenden!" (14.)
Hat man sich nun mit den Dämonen gut gestellt, dann soll man ihnen
höflich und freundlich zureden, dass sie doch lieber fortziehen möchten.
„0 Ki-ankheit ziehe von hier fort! Kehre zurück! Was thust Du hier in
diesem armen Lande?"
sagt man auf den Timorlao-Inst^n.
Bei den Letten schliesst ein Spruch gegen die als „die heiligen
J u n g f r a u en " bezeichnete Au s s chlags k r a n k h e i t :
„Ihr Heiligen! Heiligen!
Heiligen! Gehet Euern Weg!
Hier habt Ihr kein Leben!" (No. 59.)
1) Einer der Donnergötter.
jg Bartels:
Die Watubela-Iiisulaiiei- sagen:
„Herr Seuche! Am Strande habt Ihr jetzt keine Wohnung mehr! Die
Wohnung ist in Staub zerfallen! Zieht fort von hier nach einem günstigeren und
besseren Orte!"
Die Letten fordern den Hust.Mi auf, dass er sicli etwas Schmack-
hafteres suchen möge:
„Husten, geh" heraus! Du Husten des X. Ivratze nicht dem N. den Leib!
Husten, geh' heraus! Du Husten des N., kratze nicht dem N. den Knochen! Du
Husten des N., kratze nicht dem N. das Herz! Geh" das Meer entlang, kratze
die Steine des Meeres, kratze den Meeressand! Die sind Dir schmackhafter, als
der Leib des N.!" (No. -2.)
Die Siebenbiirgischeu Sachsen machen die Dämonin der Rose
darauf aufmerksam, dass die Genossen sie vermissen und sich nach ihr
sehnen:
„Es sitzen drei Jungfern auf einem Marmelstein,
Die eine heisst „Weisse^, die andere .,Griine'', diu dritt' .Röselein".
Sie gingen über die grüne Brück",
Die Rose blieb bei N. N. zurück.
Nun weinen die andern beiden,
Und klagen in ihren Leiden.
Komm', Rose, ich führ' Dich zu ihnen zurück!" (100.)
Die Letten stellen der Krankheit vor, dass sie doch eigentlich
Besseres zu thun habe. Es handelt sicli wieder um den schon mehrfach
erwähnten Aussehlag „die heiligen Jungfrauen."
„Drei liebe, heilige Jungfrauen gehen auf alten Wegen, auf alten Brach-
feldern, lesen feine Kiesel und Steinchen zusammen. Leget sie zu Haufen, da habt
Ihr Arbeit genug! Was kümmert liir Euch um einige kleine Menschen!" (No. '>;>.)
Auch sagt man dem Fieber:
„Fieber, Fieber! ich sage Dir, verlasse mich! Gehe, schüttle graue Steine!
Gehe, schüttle Baumstümpfe im Walde.'' (No. 47.)
Man versucht den Dämonen auch wolil vorzustellen, dass sie an anderen
Orten viel besser aufgehoben siud. In Ostpreussen schliesst der vorher
schon in seinem Anfange citierte Zauberspruch gegen die „kloinen
Leute" mit den Worten:
„Geht hinaus aus dem Haupt!
Geht hinaus aus dem Leib und Bein!
Geht hin zum Wasser, da liegt ein breiter Stein!
Da werdet Ihr finden zu essen und zu trinken!" (7.5.)
Auf der Insel Burü im malayischen Archi])el sagt man:
„Herr Grossvater Pocken! Geht weg! Geht gutwillig weg! Geht, und
besucht ein anderes Land! Wir haben Euch Speisen für die Reise zurechtgelegt!
Wir haben jetzt nichts mehr zu geben!"
An das Malaria-Fieber, den Takmau. wendet sich eine Be-
scliworung des Atharva- Voda:
über Kraukheits-Beschwörungen.
17
„Abwärts schick ich den Taknian fort.
Xachdem ich Ehre ihm bezeugt. —
Ja, von Geburt an, Takman bist
Du heimisch bei den Bahlika').
Takman, Du stummer, tückischer.
Gliedloser, halt geflissen fern!
Der läufischen Sklavin rück' zu Leib!
Auf diese schleudre Dein Geschoss!
Geh' zu den Müjavat'-), Takman!
Auch weiter zu den Bahlikal
Das geile Qüdra-Weib pack' an!
Das, Takman. schüttle etwas durch!
Mahiivrsa und Müjavat,
Die Deinen, such' auf und verzehr'!
Die raten wir dem Takman an.
Auch wohl, was fremdes Land hierum !
Im fremden Land behagt Dirs nicht,'
Willfährig drum verschone uns!
Schon rüstet Takman sich zur Reis',
Er zieht gleich zu den Bahlika.
Wenn Du jetzt kalt, und hitzig jetzt,
Vereint mit Husten, leben machst,
Takman, vor Deiner Waffen Wucht
Graut uns; verschone uns damit!
Mach' ja mit diesen keinen Bund:
Mit Schwindsucht, Husten, üdyugal^)
Komm' ja von dort nicht wieder her.
Darum, Takman, sprech' ich Dich an!
Mit Deinem Bruder Husten geh',
Mit Deiner Schwester Schwindsucht auch,
Nimm auch den Vetter Ausschlag mit.
Takman, zu jenem fremden Volk!" (12.)
Wollen nun ilie Krankheits-Diinioneu auf alles freundliche Zureden
doch nicht weichen, so soll man doch noch nicht gleich zur Offensive
übergehen, sondern man soll es noch mit vernünftigen Vorstellungen
anderer Art in Güte versuchen. Da gilt es, ihnen dann in erster Linie
klar zu machen, dass ihre Massnahmen ja doch ganz imtzlose sind. So
wird von den Letten der Schlangenbiss beschworen:
„Eine rotbraune, graue Schlange schlaft an der Kirche, die Zähne entblösst.
Ich gehe vorüber, sie will mich beissen, aber kann nicht! u. s. w." (No. 123.)
Ähnlich ist
Atharva- Veda:
ein gegen den Scorpion
gerichteter
Spruch des
„Der Skorpion ist kraftlos schon,
Der da am Boden kriecht heran.
Ich nahm ihm jetzt sein Gift hinweg,
Dann hab' ich ihn gleich umgebracht!
Mit beiden Armen, die Du hast,
Mit Kopf und Leib vermagst Du nichts!
Was trägst Du so heimtückisch denn
Am Schwänze für ein winz'ges Ding?" (6.)
Sollten die Dämonen aber trotz alledem noch scliaden wollen, so giebt
man ihnen die Versicherung, dass man gegen die Wirkungen ihrer schäd-
lichen AngrifPe im Besitze eines unfehlbaren Mittels sei. Das besagt
wieder eine Beschwörungsformel des Atharva-Veda:
„Ob's„Querstreif" oder schwarze Schlang', Es heilet, was gebrochen ist.
Ob es die Naja beigebracht.
Ob's von der rauhen Otter ist.
Dies Kraut vernichtet solches Gift,
Dies Kraut, es ist ein Honigspross,
Von Honig triefend, honigsüss;
1) Die Baktrer.
2) Ein Bergvolk.
3) Vielleicht der Krampfhusten.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1895.
Und auch die Mücken bringt es um!
Wardst Du gebissen, angesaugt,
W^o's immer sei, viir rufen Dir
Das Gift des hastig beissenden
Mückleins, eh's schadet, aus dem Leib ! " (5.)
18 Bartels:
Eine andere Formel betont aucli nocli besonders, dass es die Gottheit
gewesen ist, welche dem Menschen das unfehlbare Mittel gespendet habe:
,Das Blei hut Varuna geweiht, Durch dieses habe ich die Brut
Dem Blei ist Agni zugethan, Picäcis-) allzumal besiegt!
Das Blei gab Indra mir zur Hand, Sei es ein Rind, das Du ims schlägst,
Das ist es, das den Spuk verscheucht. Sei es ein Ross, sei es ein Mensch,
Das zwingt das Viskandha') hinweg, Wir treffen sicher Dich mit Blei
Das drängt die „Fresser" von der Stell', Dass unsre Mannen Du verschonst." (1.)
Die Dämonen werden dann auch aufgefordert, dass sie sich vor der
Gottheit hüten mögen. So heisst es in einer Beschwörung des Schlangen-
bisses in Bosnien:
„Schlange, beisse doch die Schlange! Böse Seele! Veisuche nicht dengrossen
Gott!" (385.)
Ferner sagt man auch wohl den D.ämonen, dass allerlei Heiliges den
Schaden, den sie bringen wollen, unwirksam machen. Das kommt in
folgender Besprechung der Letten zum Ausdruck:
„In allen Kirchen liiutet man, an allen Festtagen singt man, das heilige
Evangelium wird verkündigt. Hierdurch beschwöre ich das Böse, die Rose, die
weisse, die schwarze, die rote, die tötliche, die juckende, die nässende, damit sie
nicht so sehr breche noch schmerze!" (No. 194.)
Ähnlich heisst es im Yoigtlande und zwar ebenfalls bei der Eose:
„Sprich: Alle Glocken werden geklungen,
Alle Messen werden gesungen,
Alle Evangelien werden gelesen;
Damit segne ich die Rose und das Wesen!" (407.)
Auf demselben Gedankengange beruht wohl auch der schwäbische
Spruch :
„Jerusalem, Jerusalem,
Du jüdische Stadt!
Wo man unsern lieben Herrn
Jesum gekreuziget hat!
Zwischen Mörder ihn aufhängen that,
Ist für Gicht und Grimmen und Darmgieten gut!" (448.)
Für sehr wirksam wird auch die Erklärung an die Kraukheits-Dämonen
angesehen, dass sie ja allerdings dem Menschen einen Schaden zugefügt
hätten; derselbe sei aber schon wieder gut. Das versichert ein Spruch
des Atharva-Veda:
„Er kam ja, sehet, er kam auf.
Kam zu der Schar der Lebenden!
Besinnung hat er neu erlangt,
Fand Bergung bei den Lebenden!" (6.)
Die Sachsen in Siebenbürgen sagen:
„Die Schlange sticht,
Christus spricht,
Christus hat gesprochen:
Diese Schlange hat nicht giftig gestochen!" (103.)
1) Vielleicht Rheumatismus der Schuller.
2) Blutsauger, vampyrartige Diiiiioueu.
über Kraiiliheits-BcschwöniiigeD. 19
In PoiiiiiKM'n heisst es:
Maria sagt:
Was die Schlange stach,
Was die Natter biss,
Maria schwur,
Dass der Schlangenstich ausfuhr!" (113.)
Zwei S])rüche der Letten sind nach demselben Prinzipe gebildet, der
eine gegen Schmerzen, der andere gegen Blntungen:
„Lindenbaum, Schlangcnblut, es schmerzt nicht mehr." (Xo. 23.)
und
.,Dreimal neun Jungfrauen waten durchs Blutmeer; je weiter sie ^^aten, um
so trockner!" (Xo. 79.)
Ist dieses alles vergeblich, so versucht man es damit, den Dämonen
selber Furcht einzujagen. Mau stellt ihnen vor, dass ihnen hier Gefahren
drohen, denen sie sich doch lieber entziehen möchten. Dem Skorpion
wird in der oben citierten Beschwörung des Atharva-Veda zugerufen:
,,Dich fressen die Ameisen auf, Pfauhennen auch zerpicken Dich!" (6.)
und in dem ebenfalls schon angeführten Spruch der Letten gegen den
Husten heisst es zum Schlüsse:
„Komme nicht nachHause, dennHunde, Katzen werden Dich zerreissen!" (No.29.)
Bei den Krämpfen der Kinder sagen sie:
„Neun schwarze Männer, neun schwarze Pferde, neun schwarze Hunde, die
liefen zusammen, die fuhren zusammen an drei Kreuzwegen, zwischen drei Steinen.
Dort fassten die Männer, dort schlugen die Pferde, dort zerrissen die Hunde den,
welcher mein Kindlein sehreckt, welcher es nicht schlafen lässt. Schlummere,
schlafe, Ferkelchen, von der Wiese heimgelaufen!'' (No. 257.)
Die Besprechung eines Gescliwüres beginnt bei ihnen:
,.Drohe dorn Geschwür, drohe dem Geschwür: jetzt wird man Dich braten,
jetzt wird man Dich verfolgen!" (No. 168.)
Ein ferneres Mittel, dem Krankheits-Dämon den Aufenthalt in dem
Kranken zu verleiden, besteht auch darin, dass man ihm ankündigt, dass
man ihn mit ekelhaften, unappetitlichen Dingen füttern würde. Das besagt
eine Beschwörungsformel der AVander-Zigeuner (21), welche ich hier
übergehen will.
Es zeichnen sich in der Phantasie aller "Völker, die Teufel niclit nur
durch ihre Bosheit, sondern aucli durch eine grosse Portion von DunnnJieit
aus. Die dummen Teufel sind ja sprichwörtlich, und auch mit den Krauk-
heits-Dämonen weiss man allerlei anzustellen, um aus ihrem Unverstände
iXutzen zu ziehen. Auch solche Beschwörungen, welche die Dämonen
versichern, entweder dass sie nicht zu schaden vermöchten, oder dass der
Schaden, den sie verursacht haben, schon wieder ausgeglichen sei, ist doch
im Grunde genommen weiter nichts, als ein Appell an ihre Dummheit.
Ein solcher tritt uns auch in folgendem Spruche der Letten entgegen:
2*
20 Bartels :
„Geh' hinaus, du welkes Fieber! zur Brücke des grossen Flusses. Schau den
Fluss hinab: auf dem Flusse da tanzen fünf rote Jungfrauen auf Eisstücken! —
Dorthin schautest Du, da bleibe! Es verschwinden die Jungfrauen, es schmelzen
die Eisstücke, es vergeht das welke Fieber!" (No. 44.)
Der Sinn dieser Beschwürung scheint mir folgender zu seiu. Der
Dämon des Fiebers wird durch die Mitteilung von den auf dem Eise
tanzenden Jungfrauen veranlasst, seine Aufmerksamkeit von seinem Opfer
abzuwenden, und dieses vermag nun den Augenblick zu benutzen, um sich
der Gewalt des Dämons zu entziehen. Auch noch in anderer Weise ver-
sucht man die Kranklieits-Teufel zu übertölpeln. Man stellt sicli so, als
wäre man vollkommen damit einverstanden, dass sie ihre schädliche Wirkung
ausüben und an ihrem Opfer ihr Mfltclien kühlen. Aber sie sollen das
nicht sofort thuu, sondern zu einem späteren Termine, welchen ihnen ihr
Opfer oder sein Zauberarzt selber stellt. Dieser Zeitpunkt ist dann immer,
wie man im Volke sagt, ein Nimmerstag; es ist der Tag, an dem ein
Ereignis eintreten wird, das überhaupt niemals eintreten kann. Entweder
wird der Tag bestimmt, an welchem die Mutter Gottes zum zweiten Male
Mutter werden wird, oder wo Christus ein neues Evangelium schreibt u. s. w.
Es mögen dies einige Beispiele erläutern:
In Pommern heisst es:
„Unser Herr Jesus zog über Land,
Er segnet den kalten und warmen Brand,
Dass der Brand ihn nicht brenne und in den Leib begehr',
Bis dass die Mutter Gottes einen anderen Sohn gebärt!" (87.)
Gegen die Rose benutzt man in Ostpreussen folgenden Spruch:
„S. N. ich rate Dich vor das Feuer und die Glut,
Ich löse Dich mit meinem Schweiss und meinem Blut;
Du sollst nicht reissen und auch nicht spleissen.
Du sollst nicht schwellen und auch nicht schwären,
Bis die Mutter Jesu den anderen Sohn wird gebären!" (82.)
In einer Zauberformel der Siebenbürger Sachsen gegen das Fieber
gebietet Christus „der Heiliaud" den „Wenken"'):
„Ihr sollt hier im Brunnen ruh'n,
Bis ich schreib' ein neues Evangelium!" (90.)
Die Ostpreussen besprechen Blutungen mit dem Zauberspruche:
„Blut, ich besprech' Dich!
Du magst stille stehn.
Bis die Toten aus dem Grabe gehn!" (36.)
Die Letten sagen bei Zahnschmerzen:
Ich suche Dich, Mond, mit zwei Spitzen, auf dass meine Zähne nicht schwitzen
sollen, noch heiss werden, solange ich Dich nicht sehe mit drei Spitzen!" (No. 71.)
1) Das Fieber.
über Krankheits-Beschwörungen. 21
Ganz älmlicli ist ein pommerscher Spruch:
„Guten Abend, Herr neuer und alter Mond!
Ich sehe Deine beiden Zaclcon;
Ich habe zwei Zähne in meinem Kinnbacken,
Die sollen mir solange nicht wehe thun,
Bis ich sehen werde Deine drei Zacken!" (Ib9.)
III. Der Kampf mit den Krauklieits-Dämonen.
Nun reisst dem Medicinmanne aber die Geduld, wenn die Krankheits-
teufel jetzt immer noch nicht weichen wollen. Das Mass seiner Liebens-
würdigkeit ist erschöpft. Die Galle läuft ihm über und er rüstet sich
zum Kampfe. Dieser Kampf vollzieht sich garnicht unähnlich den
Prügeleien, wie sie unter der Dorfjugend ausgekämpft werden. Bevor
man auf einander einstürmt, und bevor es die ersten Prügel setzt, steht
man sich mit drohender Miene gegenüber; man schimpft sich und man
ruft dem Gegner zu, dass er schleunigst ausreissen solle. Das ist nun,
wie gesagt, den Dämonen gegenüber nicht anders.
So beschimpfen die Letten die „heiligen Jungfrauen" mit einem
höchst despektierlichen Worte, das ich hier nicht wiedergeben will. (No. Gl.)
Bei der Beschwörung des Schlangenbisses sagen sie:
„Wohin läufst Du, lumpige Hexe? Wohin gehst Du mit der kahlen Stirne?
Du hast mehr Sünden, als Sand am Meeresstrande. Steinhaufenkriecherin, Nasen-
brecherin, Meerwassertaucherin, Sandbergestreicherin u. s. w." (No. 116.)
Auf das Schimpfen folgt dann naturgemäss die Drohung, dass man
die Dämonen vernichten werde. Im Atharva-Veda sagt der Beschwörer:
„Dem allgestalt'gen Wurm, der bunt,
Der weisslich, der vieräugig ist.
Dem drücke ich die Rippen ein.
Dem trenne ich den Kopf vom Leib.
Wie Atri und Jamadagni,
AVie Kanva tot' ich, Würmer, Euch,
Mit des Agastya") Zauberspruch,
Zerstampf das Ungeziefer ich!" (7.)
Dem Geschwüre ruft der Lette zu:
„Ich bin ein eisernes Weih, ich habe eine stählerne Zunge, ich spalte das
Geschwür in neun Stücke, wie einen aUen Mahlstein. Es vergehe, werde zu
Staub, wie ein alter Bovist!" (No. 165.)
Mau droht dem Dämon auch, dass er auf seiner Hut sein möge; denn
wenn er es wagen sollte, zuzuschlagen, dann würde man ihn gründlich
verhauen und jeden Schlag würde er in duplo wiedererhalten. Auch hier
mögen Zaubersprüche der Letten als Belege gelten. Sie wiederholen
sich bei verschiedenen Krankheiten und sind alle ausserordentlich ähnlich
aufgebaut:
1) Alle vier Namen waren Brahmanen.
22 Bartels:
„Sodbrennen sengt mich, ich senge das Sodbrennen." (No. 9.)
„Die Leesa') stach das Pferd, ich stach die Leesa, Leesa stach einmal,
ich stach zweimal; Leesa stach zweimal, ich stach dreimal u. s. \v." (No. 337.)
„Die Schlange biss einmal, ich biss dreiniall" (No. 33.)
„Der Seiten st ich sticht mich einmal, ich steche ihn zweimal; der Seiten-
stich sticht mich einmal, ich steche ihn dreimal u. s. w. Der Seitenstich sticht
mich einmal, ich steche ihn neunmal!" (No. 4.)
Hat. man die Dämonon in dieser Weise in Sclirecken gesetzt, so ruft
man ihnen zu, dftss sie tiielien mögen:
„Fliehe! Fliehe! FluSs!" ruft der Lette dem Rheumatismus zu, ..ich
werde Dich zu fangen suchen, ich werde Dich einholen, ich werde Dich fangen,
ich werde Dich schlagen, ich werde Dich peitschen, ich werde Dich zerreissen
mit der eisernen Egge!" (No. 27.)
(ianz ähnlich werden die „heiligen Jungfrauen" angerufen:
„Fliehet, fliehet, heilige Jungfrauen! ich werde Euch jagen, ich werde Euch
einholen, ich werde Euch fangen, ich werde Euch peitschen, ich werde Euch
schlagen! Mir gehört die Stube, der Tisch, das Bett, die Wiege!" (No. 54.)
Ausgebildeter noch ist ein Zauberspruch gegen das Geschwür, jedoch
ist derselbe schon wieder mit dem Hinweis auf die göttliche Hilfe verquickt:
„Fliehe, Geschwür! Fliehe, Geschwür! Fliehe, jegliches t^bel! Woher Du
kommst, da bleibe! Hier wird man Dich zerren, hier wird man Dich reissen,
hier wird man Dir nichts Gutes thun! Flieh! Flieh zum Meere! Vergrabe
Dich im Meeressande! Dort ist Dein Ort, dort schlafe! Pehrkons wird Dich
jagen mit (seinen) neun Söhnen. Verschwinde, wie der abnehmende Mond, wie
ein alter Bovist, wie Morgentau!" (No. 164.)
Wie man wohl bei dem Kämpfen und Raufen, bevor man zuschlägt,
ilem angreifenden Gegner zuruft, dass er loslasssen solle und dass er das
wieder in Ordnung bringen möge, was er unordentlich gemacht hat, so
fordert man aucli die Krankheits-Teufel auf, loszulassen, keinen Schaden
zu tluiu und das angerichtete Unheil wieder gut zu maclien:
„Ich verbiete Dir, Feuer und Schwulst,
Du sollst nicht schwelle,
Du sollst nicht quelle.
Du sollst nicht riete,
Du sollst nicht spliete!" (84)
sagt man in Ostpreussen, oder:
„Koolke, gehe auf Dein heiliges Bettchen und verursache mir keine Schmerzen
in meinem Kopfe, in meinem Marke, in meinem Herzen, in meiner Plauz, in
meiner Leber, in meinen Eingeweiden!" (71.)
In Siebenbürgen bei den Sachsen lieisst es:
„Pfui Dich! Du leidige Gelbsucht!
Du sollst nicht verzehren dieses Leib und Blut!
Du sollst vergehen, wie die Weth-),
Da man den lieben Jesuni mit band!" (92.)
1) Die Milzkranklioit.
2) Die Gerte, Wite.
tTjcr Krankheits-BrsehwÖriingeii. 23
Fast niöclito man mm glauben, wir niüssten bald am Ende sein, und
dennoch kommen wir erst jetzt zu <lenjenigen Beschwörungen, welche
naturgemäss eigentlich überhaupt den Anfang machen sollten. Das ist
die energische Aufforderung, dass die Dämonen sich zum Teufel scheren
möcliteu. Ein ostproussischer Spruch lautet:
„0 Du wilder, verfluchter Flugbrandl
Du hast schon lang geherrscht in diesem Rand,
In dieser Galle, in Fleisch und Blut,
Drum ziehe aus. Du verdammtes Gut!
Weich" aus der Galle,
Weich' aus dem Fk'isch und Bhit und aus den Adern allen I" (41.)
Ein anderer beginnt:
„Weichet, Ihr weissen Leute, von diesem Getauften, fort aus seiner Haut,
aus seinem Leihe, aus seinem Blute, aus seinen Adern, aus seinen Gelenken, aus
seinen Gliedern 1" Cfö.)
In Schwaben beschwört man den Brand mit folgenden Worten:
„Weich' aus, Brand, und ja nicht ein!
Du seiest kalt oder wann,
So lass Dein Brennen sein!" u. s. w. (442.)
Hierher gehört auch wieder eine Stelle aus der Kalewala:
,,Bist Du, Übel, hergeleitet Lass' das Herzblatt unvcrsehret,
In das Herz, das nichts verschuldet, Lass' die Milz mir ungestöret.
In den Bauch, der nichts verbrochen. Meinen Magen uiigewalket,
Ihn zu fressen, zu verzehren. Meine Lunge ungewendet.
Ihn zu beissen, ihn zu spaUen? Meinen Nabel undurchbohret,
Weich' von hinnen, Hund des Hiisi'), Meine Schläfen ungefährdet,
Stürze nieder, Welp' Manala's-) Quäle nicht den Rückenknochen,
Geh' mir, Scheusal, aus dem Leibe. Hau nicht los auf meine Hüften!
Aus der Leber mir, o Untier.
Gehe, Scheusal, auf die Wand'rung,
Fliehe fort, des Landes Plage,
Ximmer ist hierselbst Dein Wohnsitz!" u. s. w. (90. 91.)
Viele Beschwörungsformeln, welche die Krankheits-Dämouen verjagen
wollen, weisen denselben auch sogleich eine Stelle an, wo sie gebannt
bleiben sollen. Die Erde, das Meer, die Flüsse, der Wind und die Luft,
einsame Wüsteneien, Eis und Schnee spielen dabei eine grosse EoUe.
Auch in die Hölle werden sie gejagt, aber auch in Bäume oder in wilde
Tiere, und bisweilen werden mehrere solche Verbannuugsplätze gleichzeitig
genannt, so dass dem Dämon gleichsam die Wahl überlassen bleibt, welchen
derselben er wählen will.
Gegen Seitenstiche sagen die Letten:
„Höre auf zu reissen, Feuer! zu stechen, wildes Feuer! geh' durch die Erde
stechend! Bleibe still, wie ein Ruhiger!'" (No. 6.)
1) Das böse Prinzip.
2) Das Totenreich.
24 Bartels:
Gegen Drüsenscliwelluug sprechen sie:
„Die ohne Füsse, ohne Hiinde laufen, die mögen zum Meere laufen, zum
Meeresstrand! Sie mögen feine Kiesel, Steine durchsieben!'' (Xo. "200.)
Der Bannspriicli der Ostprevisseii gegen die „weissen Leute",
dessen Anfang wir vorher kennen gelernt haben, fährt fort:
„Fern im Meere ist ein grosser Stein. Dahingehet! dahin f;ün'et! dort trinket!
dort zehret!" (76.)
Der Rose wird zugerufen:
„Ros" ins andre!
Du musst wandre
Über das rote und weisse Meer
Und thu" nimmer weh!" (83.)
Im Atliarva-Yeda heisst es:
„In Rauch, in Liclitatome gehe über!
In Dunst verflieg, in Nebel lös Dich, Übel!
Im Schaum der Flüsse magst Du Dich verlieren!" (15.)
Der Zahnschmerz soll liei den Elisten:
„In des Nordens "Wind entweichen,
Aus dem Wind hinaus ins Leere!" (87.)
und das Fieber beschwören sie:
„Weg der Graue
Zu Wolfes Baue!
In die Schneetrift,
In den Eisstift
Weich' er, wo sein wohnlich Erbe!" (91.)
[n Bosnien verbannt man den Schlag:
„O Du Schlag! 0 Du Schmerz! Wo keine Kuh bridlt!
Heb" Dich weg, Du Schlag! Wo kein Schaf blökt!
Auf die höchste Alpe! Wo keine Ziege meckert!
Auf die dicke Serbin! Wo kein Hahn kräht!
Wo kern Ochse brüllt! Wo keine Henne gackert!" (-107.)
Das Bannen der Krankheits-Dämonen in wilde Tiere finden wir
namentlich in Zauberformeln der Ehsten. So heisst es gegen den Zahn-
s c h m e r z :
„In des Hunds Zahn mög' er schwinden.
In des Wolfs Zahn mög' er wachsen!" (87.)
Und wenn Kinder einen kleinen Schaden genommen haben, so
sagen sie:
.Krankheit auf die Elster I
Wehe zu der Krähe!
Andre Schwäche dem schwarzen Vogel!
Herbes zum Hunde hin!
Heimliches der Katze!
Gichtrisch Weh' auf die Wanze!
Unser Kind genese!" (88.)
über Kranklieits-Beschwörungen. 25
Die Strava, „das Entsetzen", eine besondere Krankheitsgruppe bei
den Bosniaken, wird von denselben mit folgenden Worten vertrieben:
„Heb' Dich weg', Eiitsetzeii! Es jagt Dich der Mutter Hauch und des Vaters
Kraft in ein graues Pferd, iivs Roggenstroh, in einen vermoderten Stamm!" (407.)
Wir finden in dieser Beschwörungsformel schon den Übergang zu der
Bannung in die Bäume. Da ist es bei den Elisten der AVald im ganzen,
wo die Krankheit liin soll:
„Senli" au alten Ort das Blut sich,
In den Wald des Weh's Gewalt sich,
Sich die Spannung in's diclitste Diclvicht." (90.)
„Krätze in den Wald!
Wolf unter die Bank!" (No. 64.)
sagt der Lette, wenn er die Badestube betritt. Der Bosniake ruft:
„Bist Du die Gicht, so fahre in den Hagedorn!" (387.)
Aber auch bestimmte Bäume werden den Krankheiten angewiesen.
Der Lette droht dem Fluss, dass er ihn an eine knarrende Espe binden
werde (No. 28); auch sagt er bei dem schon wiederholentlich erwähnten
B 1 ä s c h e n a u s s c h 1 a g :
„Heilige Jungfrau! Heilige Jungfrau! Heilige Jungfrau! Was spinnst Du?
Was zwirnst Du? Wirke den Seidenfaden im schwarzen EUernbaum, in der Espe!
(No. 64.)
Eine Formel der Ehsten. gegen <len Ziegenpeter schliesst:
„Weich' zur Tanne die Beule!
Die Geschwulst zur Kienbaumwurzel!" (89.)
Die Wander-Zigeuuer fordern das Fieber auf:
„Geh' weg, Fieber!
Geh' weg, mein Schmerz!
Geh' weg in den Baum,
Woher Du gekommen bist!
Dahin geh', Du Fieber!" (82.)
Es wurde schon gesagt, dass man die Dämonen auch direkt zur Hölle
jagt, und so müssen wir das kupferne Thor auch wohl als das Höllenthor
auffassen, welches in einer lettischen Beschwörung genannt wii-d:
„Drei Ottern haben sich verkrochen im feinen, dichten Gesträuch: die eine
ist weiss, die andere bunt, die dritte braun. Öffne Dich, kupfernes Thor, damit
sie alle hindurchkriechen!" (No. 131.)
Um die Dämonen schneller aus dem Wege zu schaffen, versorgt man
sie auch mit Erleichterungen für ihre Reise. So lautet ein Spruch der
Finnen:
„Flieh' von dannen, böse Geissei! Dich zu tragen. Dich zu retten;
Flieh' von dannen,^böse Pest! Einen Renner, dessen Hufe
Fliehe weit vom nackten Fleische! Nimmer gleiten auf dem Eise,
Ein hurtig Pferd will ich Dir geben. Nimmer gleiten auf dem Felsen!
2g Bartels:
Fliehe nun. wie ich befehle. Stürze in die ew'ge Tiefe,
Auf dem Höllen-Renner, Dass Du nimmer wiederkehrsti
Auf dem wilden Hengst der Berge! Fliehe mm, wie ich befehle.
Fliehe hin in Turja's') Berge! In den dichten Wald der Lappen,
Fliehe hin zum Fels von Eisen! In das finstere Pohjola-')!"
Fliehe durch der Hölle Wüsten! (Lenormant 2ö2.)
Die Magyai'en beschwören die Krämpfe mit der Formel:
_ Würmer können nicht fliegen. Ich gebe ihnen Flügel! Sie mögen nun
fliegen ins Freie, in den Leib der Bösen!" (139.)
und der Epilepsie eröffnen sie:
„Epilepsie, ich gebe Dir Erde zur Rast, ich gebe Dir Wasser zur Erquickung
und befehle Dir im Namen unseres Erlösers, dass Du zu dem Volke gehest, dass
unseren Heiland getötet hat!- (loo.)
Nun geht es endlich zum wirklichen Kampf, und da ist es wohl be-
o-reiflich, dass man in erster Linie sein Augenmerk auf die besonders ge-
fährlichen Teile seines Gegners richtet und ihn derselben zu berauben,
oder ihn kampfunfähig zu machen bemüht ist. Den Schlangen ruft der
Beschwörer iu dem Atharva-Veda zu:
„Der Zähne Reih'n drück' ich Dir zu,
Zusammen auch der Kiefer Paar:
Zusammen drück" ich Dir die Zung!
Das Maul au^ch drücke ich Dir zu!" (5.)
An einer anderen Stelle sagt er:
„Ich hau Dir beide Hörner ab.
Die Du zu Stoss und Stich gebrauchst,
Ich ritze Dir das Bläschen auf.
Das Da als Giftbehälter hast!" (7.)
In einer Schlangenbiss-Besprechung der Ehsten findet sich die
Stelle:
„Wolf in den Mund Du-!
Woir aufs Haupt Dir!
Wollenhaar das Züngleiu Dir!
Wolle werde Dir Dein Hut!
Wolle ganz und gar Du selber!"
Fliehe von hinnen. Du Feind und Gegner!" (70.)
Dann sucht man aber auch den Feind zu packen und ihn gänzlich
in seine Gewalt zu bekommen, wie das z. B. der Kose von den Ehsten
eröffnet wird:
.Orraporra, Höllenschweif! Unter'm Tische, überm Tische,
Du, des Feuers Hahnenbart! Ob dem Tisch auf gleiche Weise!
Fest umschürz' ich Deine Adern, Fest umdrückf ich, schwur gefangen,
Fest umstrick' ich Deine Klauen, Fest umdiückt" ich Deine Klauen,
Mit Spannketten Deine Füsse, Spannf iu Ketten Deine Füsse,
Zur Gefängnis Deine Zehlein, Band die Ader Deuies Herzens!" (82.)
1) Das Nachbai-land der Lappen.
2) Das Nordland.
über Krankheits-Beschwörungeii. 27
Ganz ähnlich ist noch ein mulGrei- Spruch, der sich gleichfalls gegen
die Rose richtet:
„Flog- her, llog her ein Feuerschweil! Flog her, flog her ein Feuorschweif!
Fest umdriick" ich Deine Hiinde, Fest umdrück" ich Deine Hände,
Pest umfessl' ich Deine Füsse. Gebe Feuer vom Feuerstein,
Fest die Adern Deines Herzens! Fährt vom Feuerstahl ein Funk' aus
Unterm Tische, itber'm Tische Fest umstrick' ich Deine Füsse,
Eins, vermöge nichts zu nehmen! Fest die Adern Deines Herzens!
Weich' hinweg, unreinerGeist!" u.s.w. (2.)
Gegen den Krnnipf spricht man im Voigtlande:
„Ich greife Dich an mit meiner rechten Hand, Du reissender Krämpfen!
Du Krampf! Du sollst stille stehn! Du sollst nicht weiter! Du sollst vergehn!
Geschwind, wie der Rauch vom Wind, wie der Nebel von der Sonne sollst Du
gehn von dannen!" (408.)
Hier ist auch eine Zauberformel anzureilien, wie sie die Ostprenssen
gegen den Brand benutzen:
„Ich umfang' und bind' den kalten Brand.
Kommt ihm Luft oder Zug,
So thue er keinen Flug!
Haut, Fleisch und Bein
Soll ausseh'n, wie es war von Anfang — rein!" (40.)
Jetzt giebt man den Dämonen die Versicherung, da.ss mau sie bereits
getötet und umgebracht habe:
„Ich nahm den Kienspahn, erstach den Teufel. Es lief ein schwarzer Hund
herbei, biss ab den Schmerz. Es lief eine schwarze Katze herbei, durchbiss den
Schmerz. Es lief ein Hase herhei, durchbiss den Schmerz!" (No. 25.)
Das ist ein Spruch, der bei den Letten die Schmerzen beseitigen
soll. Im Atharva-Veda heisst es in einer der Besprechungen des
Sclilangonbisses:
„Erschlagen liegt der Würmer Fürst,
Erschlagen ihr Statthalter auch.
Samt seiner Mutter starb der Wurm,
Und Bi-üdcr, Schwestern auch nut ihm.
Dahin sind seine Hörigen,
Dahin die Zugehörigen,
Ob auch kleinwinzig anzusehn,
Jedweder Wurm ist umgebracht!" (7.)
Wenn wir die Räume unseres Museums für Völkerkunde durchschreiten,
dann wird uns die gTOsse Menge zum Teil sehr abscheulicher Masken auf-
fallen, welche sich in den verschiedensten Abteilungen des Hauses vor-
finden. Wir ersehen daraus, wie der Gebrauch solcher Masken weit über
unseren Erdball verbreitet ist. Nicht alle gehören zu den Requisiten des
Theaters; ein grosser Teil hat rituellen Zwecken zu dienen, und unter
diesen letzteren sind niclifwenige, welche zu dem Armamentarium der
Medicinmänner gehören. Diese pflegen sich durch eine ganz besondere
28 Bartels:
Wildheit und Scbeussliclikeit des Ansehens auszuzeichnen. Was ist der
Sinn dieser absonderlichen Vermummuug? Das ist in wenigen Worten
gesagt. Die Masken stellen die Abbilder der gefürcliteten Krankheits-
Dämonen vor, und dadurch, dass der Medicinmanu diesen letzteren in
ihrer eigenen scheussliehen Gestalt entgegentritt, erschrecken sie vor ihrem
eigenen Aussehen, wie ein vom Zorne entstellter Mensch erschrickt, wenn
er sein verzerrtes Gesicht im Spiegel sieht. Will man die Krankheits-
Dämonen also verscheuchen, dann muss man ihnen zeigen, wie sie aus-
sehen. Dieser Gedankengang klingt nach in einer Reihe von Beschwörungs-
formeln. Da man mit dem gesprochenen Worte nicht das Bild hervoi'-
zurufen vermag, so muss der Beschwörende wenigstens versuchen, die
widerwärtige Gestalt der Teufel eingehend zu schildern. Solche Schilderung
finden wir in einer langatmigen Zauberformel, welche die Ehsten gegen
den Schlangenbiss gebrauchen:
„Drum hat die Mad' ein Meisenauge,
Wurmesaug' aus dem Gehölze!
Zung-' entnahmst Du des Speeres Spitze,
Dein Gebiss des Beiles Schärfe!
Deine Hüll' ist hundsbeerfarbig.
Doch das Haupt gleich wie die Weide!" (68.)
Dass die vorher entwickelte Deutung des Gedankengauges die richtige
ist, das beweist uns ein Zauberspruch der Letten, der sich auf die
Krämpfe der Kinder beziehen soll:
„Eine schwarze Schlange watet durch den Sumpf, ein kupferner Sattel auf ihrem
Rücken. Füi'chte Dich selbst, Teufel smutler, vor Deinen Schreckbildern!'' (No. 271.)
W^enn die Dämonen der Krankheiten auf den Menschen eindringen,
so ist das, was am ersten in die Augen fallen muss, d. h. für denjenigen,
der sie zu sehen vermag, natürlicherweise ihre Farbe. Die Beschreibung
der Farbe gehört daher ganz unvermeidlich zu der Schilderung von der
äusseren Erscheinung der Krankheits-Dämonen. Es kann uns also nicht
überraschen, wenn wir vielfach auf Beschwörungsformeln stossen, welche
in ganz ausführlicher Weise die Färbung der Teufel zu schildern bestrebt
sind. So beginnt z. B. die ehstnische Schlangenbiss-Pormel, aus
welcher vorher schon Stücke mitgeteilt wurden, mit folgenden Versen :
„Welcher Farbe bist Du, Lene? Leichenfarbne Holzwurmmade!
Höre, holde Lene, höre! Dachtest Du in Holz zu bohren,
Herrin Du des weiten Moores. Weidenborke zu zerbeissen,
Goldne Frau im Gras, dem welken, Da des Menschen Du begehrtest.
Könnt' ich etwa Dich erkunden? Du ein schwach Geschöpfe stachest?
Haselbaumfarben, blauer Farbe, Komm' zu baden das Gebresten,
Eidechsenaugenfarben, Wohl des Wundenmals zu warten,
Tümpelfarben, grasesfarben, Das Gebissene zu bessern!
Hügelfarben, föhrenfarben! Kennst ja wohl des Zahnes Zeichen,
Lasse Du den Schmerz sich lindern. Deines Gaumengeifers Stiitte,
Die Geschwulst zusammenschwinden! Deines Züngelleckens Lager!"
Schwarze Schlange Du, schlammfarbnel
über Kiankheits-Beschwörungen. 29
Nachher geht es dann weiter:
,,Deine Hüll' ist hundsbeerfarbig, Aufgerollet unterm Baumsturz,
Doch das Haupt gleich wie die Weide! Sei gekraust, sei bogenförmig,
Kieselfarl)ne, lettenf'arbne, Oder spiel' auf Rasenhümpeln,
Heidekrautesfäulnisl'arbne! ' Lauf die Rain' entlang des Ackers,
Wiir'st etwa Du woltenfarben, Zwischen dichten Dickichts Waldung:
Himmel-, wölken-, sternenfarben: Bist der Knecht, ich bin der Herr!
Dennoch kenn' ich Deine Sip])schaft, Auf Dich find' ich in der Nähe,
Meiner Macht entrinnst Du nimmer! Scheuche fort Dich aus der Ferne."
Sei gestrecket unterm Stein, (*^7-)
M<in hat aber auch sorgfältig darauf zu achten, dass man in der Be-
sprechung keinen Farbenton anslässt, und dass, wenn mehrere Dämonen
von verschiedenen Farben anrücken, die Färbung keines einzigen derselben
zu ei'wähnen vergessen werde. Dadurch erklären sich Beschwörungen,
wie die folgende bei den Letten, welche sich ebenfalls gegen den
Schlangenbiss richtet:
„Der Schlangenkönig geht auf dem Meeresdamme, die Schlangenkrone auf
dem Haupte, das stählerne Schwert in der Hand. Alle Schlangen kommet heraus:
die blaue, die braune, die schwarze, die weisse, die rote, die graue! Allen wird
der Kopf abgehauen, man wird sie in Stücke zerhacken, wie Rauch werden sie
vergehen, wie ein Bovist zerstäuben!" (No. 109.)
In einer Beschwörung der Rose, welche ebenfalls von den Letten
stammt, kommt die Stelle vor:
„So müssen alle Rosen vergehen und nicht wiederkehren, die weisse, die rote,
die schwarze, die blaue, die grüne, die gelbe!" (No. 191.)
Ein alter schwäbischer „Segen für die Wurm" sagt:
„Sie seind schwarz, gra, bla, weiss oder rot,
Dass sie seien alle tot!" (44.5.)
In Ostpreussen heisst es:
„N. N., ich rate Dir für die kleinen Leute:
Für die roten.
Für die blauen,
Piü' die schwarzen,
Für die grauen,
Für die gelben,
Für die grünen,
Für die weissen —
Kleine Leute, geht von dem N. N. fort." (74.)
Allmählich schleifen sich solche Formeln ab und vereinfachen sich,
wobei die heilige Dreizahl dann gewöhnlich massgebend wird, und dann
werden am häufigsten die drei Farben genannt, welche uns Deutschen
ganz besonders sympathisch sind, schwarz weiss und rot. Hierbei mag
der Reim der letzteren Farbe auf tot allerdings auch seine Rolle gespielt
haben. Wir finden diese Farbenzusammenstellung in der Provinz Preussen,
im Voigtlande, in Schwaben und bei den Letten. Bei den letzteren
30 Bartels:
koranit al)er auch bisweilen blau, weiss, rot und einuial aucli weiss, bunt
und brauu gemeinsam vor. Es ist interessant zu sehen, dass mit den
Farben schwarz, weiss und rot fast immer "Würmer gemeint sind.
„Roter Wurm!
\\^isser Wurm!
Schwarzer Wurm!" (444.)
beginnt eine Beschwörung in Schwaben. Im Voigtlande heisst es:
.Der Herr Christus ging in den Acker; er ackerte drei Würmer aus. Der
eine sah weiss, der andere schwarz, der dritte rot: das zähl' ich Dir zu Gute an
Deinem Fleisch und Blute!" (405.)
Ähnlich sagt mau in Preussen:
„Es zog ein guter Mann durchs Land
Er hatte drei AVürmer in seiner Hand,
Der eine war weiss, der zweite schwarz, der dritte rot,
Drum mach' ich diesen Wurm tot!" (98.)
Es ist damit der Wurm am Finger gemeint. Die betreffende Be-
sprechung der Letten wendet sich gegen den Zahnwurm:
.Feuerflüsse, Zähnewürmer, schwarze, weisse, rötliche u. s. w. I- (No. 70.)
Es mag hier als eine Einschaltung angeführt werden, dass man aus
einer Anzahl von Besprechungsformeln ersehen kann, unter welcher Haupt-
farbe man sich bestimmte Kraukheits-Dämonen vorstellt. Die Gelbsucht
ist natürlich gelb und die Eose rot; ebenso auch die Blutung und das
Augenleiden. Die Mundfäule ist walfischgelb, das Fieber grau, die
Schwellung rot, die Geschwulst gelb und das Geschwür blau, rot und
weiss. Die heiligen Jungfrauen sind rot, gelb und weiss oder auch
„weiss und rundherum rot". Man sieht, dass hier überall Krankheits-
symptome die Entscheidung über die Farbe abgegeben haben. Es mögen
aber auch noch einige Beispiele hier ihre Stelle finden, welche zeigen
sollen, was für eine grosse EoUe diese der Krankheit zugeschriebene
Färbung nun in dem Wortlaute der Beschwörimgen spielt.
Die Sachsen in Siebenbürgen sagen:
.Drei gelbe Frauen nahmen ihre drei gelben Äxte; sie nahmen sie in ihre
gelben Hände; sie legten sie auf ihre gelben Schultern; sie gingen auf drei gelben
Wegen; sie kamen in drei gelbe Wälder; sie hackten drei gelbe Bäume; sie gingen
auf drei gelben AVegen und kamen zum gelben Hofe : aus dem gelben Hofe kamen
sie in die gelbe Stube: sie kamen zum gelben N. N.: sie schlugen mit den drei
gelben Bäumen die gelbe Gelbsucht tot; sie schlugen sie im Namen Gottesaiso
tot!^ (91.)
Die Letten beschwören „die heiligen Jungfrauen" mit folgendem
hierher gehörigen Spruch:
.Drei Jungfrauen kommen zu meinen Händen: die eine hat rote Schuhe, rote
Strümpfe, rote Decke, rote Brosche, rote Handschuhe, rotes Tuch; die zweite bat
eine gelbe Decke, gelbe Brosche, gelbes Tuch, gelbe Handschuhe, gelbe Schuhe,
gelbe Schütze: die dritte hat eine weisse Decke, eine weisse Brosche, ein weisses Tuch,
weisse Schuhe, weisse Strümpfe. Fort! Fort! Fort von meinen Händen!" (No. 63.)
über Krankheits-Beschwörungen. 31
Die drei Hauptstadieii in der Färbung eines Gescliwürs sind in einer
Beschwörung der Letten angedeutet, welche zugleich ein recht charak-
teristisches Beispiel dafür abgiebt, wie oft in derselben Beschwörungsformel
ganz verschiedene Gedankengänge mit einander verbunden sind. Sie
lautet:
„Drohe dem Geschwür, drohe dem Geschwür: jetzt wird man Dich braten,
jetzt wird man Dich vcrlblgeii! Das Geschwür ist im Zuwachsen — im Zu-
wachsen der Espe! Das Geschwür ist im Zuwachsen — im Zuwachsen des
Apfelbaumes! Das Geschwür ist im Zuwachsen — im Zuwachsen der Birke!
Das Geschwür ist im Zuwachsen — im Zuwachsen der Weide! Das Geschwür
ist im Zuwachsen — im Zuwachsen der Eiche! Das Geschwür ist im Zu-
wachsen — im Zuwachsen der Fichte! Das Geschwür ist im Zuwachsen — im
Zuwachsen der Tanne! Das Geschwür ist im Zuwachsen — im Zuwachsen der
Linde! Es fallen die Berge zusammen, es fallen zusammen die Thäler; es wird
glatt, wie der Fussboden. Der rote Apfel im weissen Taschentuch eingewickelt,
fällt zusammen: es fällt das blaue Geschwür zusammen, das rote Geschwür, das
weisse Geschwür. Im Winde verschwinde, Geschwür, vergehe wie der abnehmende
Mond, wie ein alter Bovist!" (No. 1G8.)
Bevor wir in unserem Gegenstande weitergehen, sei es mir gestattet,
an ein allbekanntes Märchen zu erinnern, nämlicli an das von dem
Rumpelstilzchen. Bekanntlich löst sich hier die Braut von dem
unliebsamen Eheversprechen noch in dem letzten kritischen Augenblicke
dadurch, dass sie das Erdmännchen, welches sie nun fortzuführen gedenkt,
mit seinem richtigen Namen anredet. In diesem Märchen klingt, wie ich
glaube, eine uralte mystische Anschauung nach: Man kann sich aus der
Gewalt des Dämons erretten, wenn man imstande ist, ihn bei dem richtigen
Namen zu nennen. Wenn wir uns dieses vergegenwärtigen, dann muss
es uns wohlverständlich werden, dass auch in den Beschwörungsformeln
der Volksmediciu so häufig absonderlichem Namen vorkommen. Aber wohl-
verstanden, nur die Nennung des wahren und richtigen Namens vermag
es, den befreienden, den erlösenden und verscheuchenden Zauber zu be-
wirken; und um nun liier nur ja nicht fehlzugreifen, werden nicht selten
gleich eine ganze Reihe von Namen auf einmal angerufen. Solch ein
Zauberspruch führt uns dann sofort sämtliche Dämonen vor, welche nach
dem Glauben des Volkes eine bestimmte Krankheitsgruppe zu verursachen
vermögen, und so ist diese Nomenklatur von hohem Interesse für die
Volksmediciu und namentlich für die in derselben herrschenden An-
schaiumgeu über die pathologischen Prozesse. So werden uns z. B. von
der Gicht allein in einer Beschwörung der Schwaben siebzehn ver-
schiedene Arten vorgeführt. Dieser „Gichtsegen" lautet:
„Ich klage Gott über Gicht und Gichtei- und den allerhöchsten Mann, der
den Tod am Stamme des heiligsten Kreuzes annahm! Die Gicht und Gichter
wanderten über ein Grund. St. Anna begegnete ihnen. Sancta Anna sprach:
Gicht und Gichter, wo wollet Ihr hin? Die Gichter sprachen: Wir wollen dahin
in des Menschen Leib fahren, wollen sein Fleisch drahten und sein Blut saugen.
32
Bartels:
Da sprach die heilige Frau Sanct Anna: Gicht und Gichtcr, ich gebiete Euch
in das wilde Gehör"), woraus Ihr gekommen seid! Du laufendes Gicht: Du
tobendes Gicht! Du stechendes Gicht! Du brennendes Gicht! Du Markgicht!
Du hitziges Gicht! Du kaltes Gicht! Du Hauptgicht! Du Hirngicht! Du
Krampfgicht! Du fressendes Gicht! Du Armgicht! Du Beiugicht! Du Darm-
gicht! Du Fleischgicht! Du merkliches Gicht! Du verzaubertes Gicht und
Gicbter! Du über alle Gicht und Gichter! Ich verbiete Euch und Dir bei der
Kraft Gottes und bei dem höchsten Baut (Bann'.-') in das wilde Gehör, woraus
Ihr gekommen seid!" (448.)
Die Siebeilbürger Sachsen keuiieu ausser der hier scheu er-
wähnten kalten und heissen Gicht auch noch die reisseiule, die zwickende,
die schreiende und die stumme Gicht! Pommern bietet uns nichts
Neues, denn hier hat mau nur die reissende und die laufende Gicht. Die
Letten treten mit dem Fluss hinzu und unterscheiden den Eisfluss, den
kalten Fluss, den heissen. den stechenden, den laufenden Fluss und die
Feuerflüsse. Die Ostpreussen unterscheiden von dem Feuer das Kind-
feuer, das Rindfeuer, das Mägdleinfeuer und ausserdem noch ein gichtisclies
Feuer, ein süchtiges Feuer und ein fichtiges Feuer. Von der als Wurm
bezeichneten Krankheit kennt man den Streitwurm und den Haarwurm
in Preussen, Pommern und Schwaben, bei den beiden letzteren Yolks-
stämmen auch noch den Gneitwurm. Dann kommt in Preusseu der
Gehwurm hinzu, im Yoigtlande der Reitwurra, der Fresswurm und der
liegende Wurm und bei den Letten der Steinwurm, der Zeitwurm, der
nagende Wurm und die Zähnewürnier. Bei dem Schwindel besprechen
die Pommeru den Knochenschwindel, den Fleischschwindel und den
Blutschwindel. Die Rose führt in den Beschwörungen der Letten
folgende Namen: Gehirnrose, Zahnrose, Sehneurose, Stahlrose, Knochen-
rose, W^asserrose, Sclilangenrose, Blatterrose, Weichteilrose, Viehrose, Feuer-
rose, breite, schlagende, tötliche, juckende und nässende Rose.
Dass auch die Sehlangen in der Volksmedicin den Kraukheits-
üämonen gleichgeachtet werden, das haben wir schon wiederholeutlich
gesehen. Auch sie werden mit Namen genannt. Wir begegneten schon
in einer Beschwörung der Ehsten dem Namen Lena für die Schlange.
Die Masureu beschwören die „Schlangen und weiblichen Schlangen, die
Ottern und weiblichen Ottern, die Feldwürmer und sämtliches Gewürm."
Bei den Letten lautet eine Beschwörung:
,Wipu, wapu! Moosschleicherin, Pettwurst, glattschlüpferige Haut, buntes
Sti-umpfband, Ameisenscliatten. Koppelseil in der Sonnenhitze!" (No. 130.)
Von einer ähnlichen Wirkung, wie die Nennung des Namens, scheint
es auch zu sein, wenn man den Krankheits-Dämonen erklärt, dass mau
ihr Geschlecht und ihre Herkunft kenne und wenn man ihnen dieselbe
berichtet. Darum fmden wir in dem grossen Zauberspruche der Ehsten
gegen den Schlaugenbiss die Stelle:
[1) Für Gehör ist Geröhr, Röhricht, zu lesen. K. W.]
über Kranklieits-Beschwöningen. 33
.,Satlsam kenn' ich Deine Sippschaft, Aus der Angorkröte Laich,
Das Geschlechte Deiner Zeugung, Aus zu Grund gegangenem Nebel,
Die Gemächer Deiner Buhlschaft! Aus dem Thau der Herdenstapfen!
Dein Geschlecht stammt aus dem Dunge, Seinen Hauch hauchte der Herr ein,
Aus der Räudenkröte Schaume, Seel' ein dem Gewürm Maria!" (68.)
Ahnlich aber kürzer heisst es in einer anderen Besprechung:
„Zur Genüge kenn' ich Dich!
Zur Genüge Dein Geschlecht!
Das entstammt des Dunges Orte,
Aus dem Laich der Kröt' in Furthen!" (70.)
Darauf beziehen sicli auch wahrscheinlich die folgenden Stellen der
Kai cwala:
„Hob dann an mit Zaubersprüchen,
Selbst beginnt er da zu sprechen
Ursprungsworte für die Übel,
Jedes Grundwort recht vollkommen." (38.)
und etwas weiter:
„Ist schon Grösseres gedämmet,
Ist schon Stärkeres bezwungen
Durch drei Worte nur des Schöpfers,
Durch Erzählung von dem Ursprung!" (39.)
Als ein Nachklingen dieser Art der Beschwörungen werden wir es zu
betrachten haben, wenn die Unterarten der Krankheits-Dämonen zwar
nicht mehr mit besonderem Namen genannt werden, wenn aber, um keinen
auszulassen und zu übergehen, ihre Gesamtzahl in der Besprechungsformel
angeführt wird. So treffen wir in Ostpreussen neunerlei Feuer, bei
ilen Letten dreimal neun Würmer, heilige Jungfrauen und Gelb-
suchten, bei den Pommern siebenundsiebzigerlei Rosen, ausserdem
auch, ebenso wie in Ostpreussen und in Schwaben siebenundsiebzigerlei
Fieber. Die Pommern und die Siebenbürger Sachsen führen auch
siebenundsiebzigerlei Gichten an, und in Ostpreussen kennt man sogar
neunuudiieunzigerlei Gichten, aucli kommen dort neunundneunzigerlei
Feuer vor. Wir sehen, dass die heiligen Zahlen drei, sieben und neun
hierbei eine wichtige Rolle spielen.
Ein Beispiel möge hier genügen, da diese Formeln alle sehr älinlich
sind. Man sagt in Ostpreussen:
„Ich komme zu Dir, Ficht'
Und klage Dir meine neunundneunzigerlei Gicht!
Ich klage sie nicht mir.
Sondern Dir!" (63.)
Es braucht hier wolil nicht erst daran erinnert zu werden, dass die
Mehrzahl dieser Besprechungen nicht die Bestimnmng hat, aliein und ohne
weiteres Beiwerk die Teufelsvertreibung auszuführen. Es gehören noch
allerlei oft recht verwickelte Handtierungen dazu, welche den Zauber erst
Zcitschv. d. Vereins f. Vollisitiimle. 1895. S
3^ Bartels :
zu voller Kraft gelaugeu lassen. Da müssen uoch heilige Xanieu geflüstert,
in bestimmten Zwischenräumen Kreuze geschlagen, die kranken Teile
gestrichen, geknetet, gesalbt, bepustet oder bespieen werden; da muss der
Zauberarzt Opfer streuen und allerlei mystische Handlungen vornehmen.
Das alles soll hier nicht näher aus einander gesetzt werden. Wir müssen
uns diese Dinge aber in die Erinnerung zurückrufen, wenn wir eine
gewisse Gruppe von Beschwörungsformeln verstehen wollen. Dieselben
schildern verschiedenartige Yorgänge, welche sich nicht anders deuten und
erklären lassen, als dass wir uns vorstellen, dass hier solche Manipulationen
beschrieben werden, wie sie der Heilkünstler als mystische Beihülfe während
der Beschwörung zu verrichten hat. und walu-scheinlich führt er immer zu
der Zeit die betreffenden Handlungen aus. wo sie im Texte seiner Zauber-
formel erwähnt werden. Es mögen hier einige charakteristische Beispiele
ihre Stelle finden.
Die Letten habeu -eine Besprechuugsformel gegen „die heiligeu
Jungfrauen", deren "Wortlaut folgender ist:
„Ich umkreise die heiligen Jungfrauen mit einer Xadell In der Mitte der
heiligen Jungfrauen ist es weiss, nind herum rot. Heilige Jungfrauen im Vergehen,
verschwinden wie Morgentau, wie der abnehmende Mond, wie ein alter Bovist!"
(Xo. 60.)
Die Ehsten gebrauchen eine hierher gehörige Beschwörung gegen die
Geschwulst:
..Der ümwender der "Wiesenschnur,
Der Zerpflücker des Plattgewürms,
Der Erringer des Steins vom Raben
Schmiegt auf das^Geschwür den Pinger:
Wieder drücke flach das Fleisch sich,
Senk an alten Ort das Blut sich.
In den Wald des Weh's Gewalt sich. ,
Sich die Spannung ins dickste Dickicht." (90.)
Ganz besonders bemerkenswert ist folgende Beschwörungsformel aus
der sumerischen Thontafel-Bibliothek des Sardanapal:
„Nimm das Fell eines weiblichen Kameeis, das sieh nie begattete.
Die Zauberin stelle sich zur Rechten, auch treffe sie ihre Vorrichtungen ziu'
Linken (des Kranken):
Zerteile dieses Fell in zweimal sieben Stücke xmd teile ihnen den Zauber mit,
der da kommt^von Eridhu.
Umhülle das Haupt des Kranken,
Umhülle den Sitz seines Lebens,
Umhülle seine Hände und Füssel
Lasse ihn sich niedersetzen auf seinem Lager und
Benetze ihn mit den bezauberten Wassern.
Dass die Krankheit seines Hauptes in den Himmelsraum entführt werde,
gleich einem reissenden Sturmwind I
Dass sie von der Erde verschlungen werde, wie die zeitweise übertretenden
Wasser!
über Kraiikheits-Beschwörungen. 35
Dass Ea\s Vorschrift ihn heile!
Dass Davkina ihn heile!
Dass Silik-mulu-khi, des Oueans Erstgeborener, dem Bilde die heilsame
Kraft leihe!" (43.)
Wir hatten weiter obeu eine Besprecliuiigsformel angeführt, welche
die Magyaren bei Verrenkungen in Anwendung ziehen. Aus derselben
möge folgendes liierher Gehörige wiederholt werden:
.,Kam hinzu Picze-pater, las darauf, blies es an mit seinem heiligen
Munde, streichelte es mit seiner heiligen Hand" u. s. w. (147.)
Die folgende Stelle der Kalewala verdient ebenfalls unsere volle
Beachtung, weil sie zeigt, wie die Gottheit aufgefordert wird, die von dem
Bescliwörer ausgeführten Heil -Manipulationen fortzusetzen und zu ver-
vollkommnen:
„Werde selber nichts vermögen. Seine Hände sind weit rascher!
Wenn's mein Schöpfer nicht erlaubet; Komme Schöpfer, um zu zaubern!
Hilfe musst Du, Schöpfer, geben. Komme Gott, Du, um zu sprechen!
Hilfe Gott, Du, Höchster, bringen! Machterfüllter, zuzuschauen!
Da mit eig'nem Aug' ich schaute, Lass' sie in der Nacht gesunden,
Mit der eig'nen Hand berührte, Lind'rung sie bei Tage finden.
Mit dem Munde ich gesprochen, Dass der Schmerz nicht oben fühlbar.
Mit dem Atem ich gehauchet! Qual nicht in der Mitte drücke.
Wohin meine Hand nicht gehet, Nicht die Angst zum Herzen dringe!
Mögen Gottes Hände gehen! Dass sie keinen Schmerz empfinden.
Wohin niemals meine Finger, Selbst Beschwerde nicht ein wenig
Mögen Gottes Finger reichen! In dem Laufe dieser Zeiten,
Schöner sind des Schöpfers Finger, Nicht, so lang" der Goldmond glänzet!"
(264. 265.)
Die mj'stischeu Handlungen, welche die Beschwörung begleiten, stellen
selbstverst<ändlich irgendwie in natürlicher oder in übernatürlicher Beziehung
zu den Symptomen der Krankheit. Solch eine Beschwörungsformel der
alten Sumerer hat es mir einmal ermöglicht, die darin beschriebene
Krankheit Tiu, oder wie sie assyrisch genannt wird Murus kakkadi,
in sicherer Weise zu diagnostizieren'). 3Ian wusste bisher nicht, welche
Krankheit es war, aber die Beschreibung der Eigenschaften des Dämons,
die Bitte des Beschwörenden, dass dem Krankeu bestimmte Dinge wieder-
gegeben werden möchten und endlich die Schilderung seiner Handtierungen
machten es mir unzweifelhaft, dass es sich um die schwere Form der
Kopfrose liandeln müsse, welche nicht selten als Wanderrose über den
ganzen Körper hinzieht. Diese Beschwörung ist viel zu lang, um sie voll-
ständig hier wiederzugeben. Als Probe daraus möge eine der mystischen
Vornahmen hier vorgeführt werden, wie sie sich auf die nach einer schweren
Roso immer sich einstellende fetzenförmige Abschälung der Oberhaut
bezieht:
1) Bartels: Tiu. Zeitschrift für Assyrioloi^ie, Bd. VIII, S. 179-184. Berlin 1890
3*
36 Bartels:
.,Wie dieser Knoblauch abgeschält und in das Feuer geworfen wird.
Die verbrennende Flamme hat ihn verbrannt.
In den Gemüsegarten w^ird er nicht gepflanzt werden,
An dem See oder Graben wird er nicht gesetzt werden.
Seine Wiuzel wird den Boden nicht fassen,
Sein Stengel wird nicht hervorsprossen und die Sonne wird ihn nicht sehen,
Zur Speise der Gottheit oder des Königs wird er nicht genommen werden, —
So möge er diese Beschreibung herausreissen.
Und verjagen das Joch
Der Krankheit, der Fein, des Verbrechens, des Fehls, des Unrechts, des
Frevels.
Die Krankheit, die in meinem Körper, in meinem Fleisch, in meinem
Lager ist,
0 dass wie dieser Knoblauch sie abgeschält werde!
Die zu dieser Zeit verbrennende Flamme, o dass sie doch sie verbrenne!
Die Beschreiung, o dass sie herausgehe und ich, o dass ich das Licht sehen
möge!" ')
Schhiss.
Durch die bisherigen Erörterungen werden wir es wohl bestätigt
finden, worauf schon im Anfange hingewiesen wurde, dass die Gesichts-
punkte, nach welchen die Beschwörungen stattfinden, eine ganz unendliche
Zahl von Verschiedenheiten und Abstufungen darbieten. Trotzdem ist es
uns, wie ich hoffe, gelungen, den, wenn auch häufig recht versteckten,
roten Faden logischen Denkens aufzufinden, welcher sich durch diese
Zauberformeln hindurchzieht. I^atürlicherweise dürfen wir uns aber die
Sache nicht derart vorstellen, dass die in der von uns aufgestellten Reihen-
folge spätere Formel als ein direkter Abkömmling der nächst vorher-
gehenden betrachtet werden müsse, und dass sie, ohne dass die letztere vor-
hergegangen wäre, überhaupt nicht hätte entstehen können. Ganz sicherlich
sind die grösste Zahl ilieser Besprechungen vollkommen unabhängig
von einander entstanden, und der eine Heilkünstler hat von diesem, der
andere von jenem Gesichtspunkte aus seine Zaubersprüche zusammengestellt,
ohne sich die Möglichkeit anderer Gedankengänge klar zu machen, oder
sich den Kopf darüber zu zerbreclien.
Somit könnte eine folgerichtige Aufstellung, wie wir sie hier zu geben
bestrebt gewesen sind, als etwas höchst Zweckloses und LTjerflüssiges
erscheinen. Das ist es nun aber, wie ich glaube, doch nicht gewesen.
Denn nur an der Hand von solch einer logischen Eeihenfolge ist es möglich
geworden, bei einer nicht geringen Anzahl dieser oft recht verworrenen
Bespreclmngsformeln den dicht von Wust und Unsinn umrankten und über-
wucherten Gedaukeukern herauszulösen.
Wir haben nun aber trotz der unendlichen Fülle von Beschwörungs-
1) Bartels: Die Medicin der Naturvölker, S. 266.
über Krniikheits-Beschwöriingen. 37
arten, die wir bisher keimen gelernt haben, und wobei wir uiclit vergessen
dürfen, (hiss häufig mehrere Arten in einander geschachtelt werden, die
Möglichkeiten der Beschwörungsformeln noch keineswegs vollständig er-
schöpft. Es bleiben noch immer einige Gru]ipen übrig, über die aber
schon so vielfach gehandelt worden ist, dass wir sie hier, einzig um die
Vollständigkeit zu wahren, nur andeutungsweise erwähnen wollen.
Die Kraft des Wortes wurde im Anfange schon gerühmt; sie treffen
wir in vielen Beschwörungen wieder. Es ist das magische Wort oder die
magische Formel, beide für uns Epigonen nicht immer verständlich, weil
sicherlich niclit selten jeder Buchstabe der Zauberworte, das Symboluni
eines ganzen AVortbildes ist, ähnlich dem Ichthys der alten christlichen
Kirche. Bisweilen hat beides auch wohl nur deshalb eine übernatürliche
Heilkraft, weil es von vorn oder von hinten gelesen vollständig oder bei-
nahe von dem gleichen Klange ist, wie z. B. Abrakadabra oder Sator
arepo tenet ojjcra rotas.^) Hieran reiht sich das verstellte Wort, dessen
Buchstaben erst in anderer Reihenfolge geordnet den wirklichen Sinn
ergeben. Auch das unverständliche, vor allen Dingen aber das unverstandene
Wort spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Der Doppelsinn des Wortes
tritt ebenfalls in Kraft, beispielsweise bei der Rose. Auch der Reim
gewinnt seine Bedeutung, wie wir schon oben bei der Besprechung der
Farben gesehen haben. Dem Reime ähnlich ist etwas, was ich als den
personifizierten Befehl bezeichnen möchte: Das bannende Wort wird als
handelnde Person eingeführt, deren Namen eben das Bannwort ist. Folgende
Beschwörung der Ostpreussen gegen Blutungen möge hierfür als Beispiel
dienen :
„Es gingen drei heilige Prau'n
'' Des Morgens früh im Tau'n.
Die eine hiess Aloe,
Die zweite hiess Blutvergeh',
Die dritte hiess ßlutstillesteh'!^ (36.)
Eine besondere Form der Besprechung bildet auch das abnehmende
Wort, d. h. ein Wort, das mehrfach wiederholt werden muss, aber in der
Weise, dass ihm bei jeder Wiederholung der Reihe nach ein Buchstabe
verloren geht. Etwas ganz Ähnliches hat man auch in dem Zahlenzauber,
bei welchem man rückwärts zählt, um die Krankheit zu vertreiben. So
beschwört man in Bosnien die Knochenschmerzen:
„Dieses Leiden hat neini Augen, zieh eins ab, bleiben acht; zieh eins ab,
bleiben sieben u. s. w. bis zieh eins ab, bleibt keins!" (405.)
1) Es werden allerdings von einigen auch diest; beiden Formeln als ans symbolischen
Zeichen zusammengesetzt aufgefasst. Abra(cada)bra soll bedeuten: A = AI (Vater\ B - Ben
(Sohn), E=Euh (Geist). Die Sator-Formel ist von Fritsch ausfülii-lich in der Berliner
anthropologischen Gesellschaft besprochen. (Zeitschr. f. Ethnologie, XV, 1883; Verhandl.,
S. 535). Sie enthält acht verschiedene Anrufungen des Satans.
38 Bartels:
In Ostpreussen beschwört man Jen Fxisssparr:
„N. N., Du hast den Pusssparr siebenmal,
Nein, nicht siebenmal — sechsmal,
Nein, nicht sechsmal — fünfmal u. s. w.
Du sollst nicht dreimal — zweimal,
Nicht zweimal — einmal,
Du sollst nicht einmal — keinmal!^ (58.)
Über die Würmer beim Vidi spricht der Magyare:
„Neun ist nicht neun, sondern acht u. s. \v. bis
Eins ist nicht eins, sondern keins!" (148.)
Während die erste dieser drei Formeln die animistische Anschauung
des Volkes noch deutlich erkemien Hess, ist dieselbe in den beiden letzteren
Beschwörungen schon nicht mehr deutlich aufzufinden. Das Gleiche gilt
von der Mehrzahl der Bes])rocluingsformeln, bei welchen dem Worte in
irgend einer Form die lieilemlo "Wirkung zugeschrieben wird. Als beseelt
erscheint die Krankheit, d. h. also als wirklicher Krankheits-Dämon, in
einer Anzahl von Beschwörungen, welche in die Form einer Erzälilung
eingekleidet sind. Gewöhnlich tritll't irgend eine heilige Persönlichkeit auf
der Wanderung den Krankheits-Dämon und legt diesem dann die Frage
vor, wollin er zu gehen beabsichtige. Der Dämon nennt dann einen
bestimmten Menschen, nämlich den Kranken, und erzählt, in welcher Weise
er ihn zu quälen und zu peinigen gedenke. Das wird ihm dann von der
heiligen Person auf das allerstrengste untersagt, und die Krankheit muss
unverrichteter Sache wieder in ihre Heimat zurückkehren. Eine voigt-
ländische Beschwörung gegen das Reissen möge dieses erläutern:
„Gott, der Herr, ging über das Feld; da kam der Hosti Hostis. Gott, der
Herr, sprach: "Wo willst Du hin? Ich will in diesen Menschen und will in ihm
reissen, wüten und toben. Gott, der Herr, sprach: Das sollst Du nicht thun und
in ihm reissen, wüten und toben, soudern gehe hin in diesen wilden Wald;
daselbst ist ein Brünnlein mit Milch und Honig beflossen. Da sollst Du hingehen
und nicht wiederkommen!" (404.)
Wir werden es wahrscheinlich wohl bereits als eine Degeneration
dieser Formeln betrachten müssen, wenn die heilige Person nicht mehr
mit dem Krankheits-Dämon, sondern mit dem Patienten selber, oder mit
einer anderen, aber im Range stets geringeren, heiligen Persönlichkeit,
welche dann als der Erkrankte eingeführt wird, sich in eine Unterhaltung
einlässt. Sie fragt dann nach der Ursache der Traurigkeit des Patienten
und erhält zur Antwort die Klagen von seinen Leiden, welch letztere sie
dann durch ihren göttlichen Machtspruch heilt.
Die Einkleidung der Kraukheits-Beschwörungen in eine erzählende
Form ist eine weit verbreitete, und wir haben in den früheren Abschnitten
schon mancherlei Beispiele dafür kennen gelernt. Die Arten der Erzählungen
sind sehr verschiedene; es würde uns aber viel zu weit führen, wenn wir
sie alle hier analysieren wollten. Für gewölinlich bildet die Erzählung
(Tbei- Kranklu'its-Rcsclnvöniiipen. 39
die Einleitung und führt allniälilicli in die Besprechung über. In einer
Beschwörung der alten Sumerer aber finden wir die Erzählung hinten
angehängt:
„Der böse Namtar') verbrennt das Land, wie das Feuer!
Der Namtar fällt den Menschen an, wie der Idpa'')!
Der Namtar breitet sich über die Ebene aus, wie eine Kette!
Der Namtar nimmt den Menschen gefangen, wie ein Feind!
Der Namtar entzündet den Menschen, wie eine Flamme!
Der Namtar hat keine Hand, keinen Fuss, er überfällt den Menschen, wie
eine Schlinge!
Der Namtar schnürt den Siechenden, gleich einem Bündel!
Er unterschlägt
Er verdirbt
Er beraubt den Menschen des günstigen
Er erfasst
Diesen Menschen, sein Gott verlässt ihn!
Seine Göttin entfernt sich aus seinem Körper.
Silik-mulu-khi ist ihm zu Hilfe geeilt;
Er ist in die Behausung seines Vaters Ea getreten und hat zu ihm gesprochen:
Mein Vater, der böse Namtar verheert das Land, wie das Feuer!
Ein zweites Mal hat er zu ihm gesprochen:
Was dieser Mensch that, er weiss es nicht; wodurch wird er Genesung erlangen?
Ea hat seinem Sohn Silik-mulu-khi erwidert:
Mein Sohn, was wüsstest Du nicht, was sollte ich Dich weiter noch lehren?
Was ich weiss, das weisst Du doch auch !
Tritt heran, mein Sohn Silik-mulu-khi!
Knete (den Schlamm) des Oceans
Und forme daraus das ihm (dem Namtar) älmliche Bild!^)
Lege den Menschen nieder, nachdem Du ihn einer Reinigung unterzogen hast!
Lege (das Büd) auf seinen enthlössten Unterleib!
Teile ihm den Zauber mit der von Eridhu kommt!
Wende sein Antlitz nach Westen!
Dass der böse Namtar, der seinem Körper innewohnt, sich anderswohin
niederlasse!" (51,)
Nun bleibt noch eine Gruppe von Beschwörungsformeln übrig, welchen
wir auch bei dem besten Willen einen Sinn oder Gedankengang nicht
hinein zu interpretieren vermögen. Was fängt man z. B. mit Formeln an,
wie die folgenden?
„Rohrbett, Steinpolster, Dornenleintuch, Käsloser Hirse Christi, und der Spruch
Jesus: Verschwinde der Ausschlag!" (1"29.)
Mit diesen Worten besprechen die Magyaren eineuBeulenausschlag.
Eine Beschwörung von Blutungen bei den Letten lautet:
„Die schwarze Schlange flog durch die Luft, schwarzes Blut vergiessend, die
feinen Brennesseln beissend. Voll die Sümpfe von schwarzen Birken, voll die
1) Die Pest.
2) Das Fieber.
3) Hier wird wieder der Ki-ankheits-Dämou durch Vorhalten seines Abbildes vertriel)eii.
40 Hiutniaiiu:
Felder von Knochen gefallenen Viehes, voll das Meer von Haufen Eis, voll die
Felder von Ackerleuten! Nimm, o Meer, Dein Eis zusammen — Mütterchen Deine
Ackerleute!" (No. 93.)
Fieberhitze beschwören die Lotteu folgendermasseii :
„Eis im Brunnen! Eis im Graben! Heisses Wasser hinter der Schwelle!
Hammelfleisch kocht im Kessel, Eisholz darunter! Eine blaue Ziege liegt auf dem
Stoppelfelde, die Füsse ausgestreckt! Zieh' in die Hölle, zieh" in die Hölle mit
allen Schmerzen. Eine rote Jungfrau watet dureh's Meer, einen weissen Stab in
der Hand!" (No. 32.)
Knochenbrüclie bespreclieii die Letten mit dem Zauberspruche:
„Eine weisse Henne, weisser Zopf, läuft in den grünen Wald, bleibt am
trockenen Baum. Je.sus geht übers Meer, dort glüht Eichenholz im Ofen!"
(No. 14G.)
Ob es sich hier um symbolische Worte handelt, deren Nennung ver-
steckte und auf die Heilung der Krankheit bezügliche Ideenassociationen
auslöst, oder ob es einstmals verständliche Formeln waren, welche durch
immer mehr und mehr zunehmende A'erstümmelung nllmählicli bis zu
diesem unsinnigen Wortlaute gelangt sind, das werden wir wohl nicht zu
entscheiden vermögen. Aber auch der heutige Besprecher selber wird
wohl kaum imstande sein, uns hierüber die nötige Aufklärung zu ver-
schaffen, und so werden wir uns wohl bescheiden müssen.
Wir sind hiermit bei dem Schlüsse unserer Erörterungen angelangt.
Es geht aus denselben wohl deutlich hervor, was für eine bedeutende
Rolle auch heute noch in der Volksmedicin die animistische Auffassung
der Krankheiten als dämonisclier Wesen spielt und wie unendlich gering
in dieser Beziehung die Grenzsclieide ist zwischen rlen civilisierten Nationen
und den so häufig noch als Wilde betrachteten Naturvölkern. Immer mehr
und mehr wird es klar, wie wenig wir uns in unseren Gedankengängen von
ihnen unterscheiden, und wie namentlich in Bezug auf die medieinischen
Anschauungen das niedere A^olk noch immer ein Naturvolk ist.
Schwanke und Schnurren im islamischen Orient.
Von Martin Hartmaun.
Zu alleu Zeiten und bei allen Völkern hat es solche gegeben, die sich
auszeichneten durch eine hervorragende Gabe, die Erscheinungen und
Äusserungen der umgebenden Welt schnell zu erfassen, sie im eigenen
Denken schnell zu verarbeiten und schnell zu handeln, und das alles richtig
und unter Bereclmung des eigenen Vorteils; daneben solche, die gerade
Schwanke und Schnurren im islamischen Orient. 41
im Gegenteil ungewöhnlich schwach im Auffassen und ungeschickt in der
Verwertung des Wahrgenommenen zu Äusserungen in Wort und That
waren: mit einem Worte, sehr Schlaue und sehr Dumme. Solche Persönlich-
keiten haben stets die Aufmerksamkeit der grossen Masse, des auch in
diesen Beziehungen auf einer Mittelstufe stehenden Durchschnittsmenschen
erregt, und man hat sich mit Vorliebe mit ihnen beschäftigt. Hier trat
zu dem Element des Aussergewöhnlichen mit seinem gewaltigen Reiz für
die breite Menge noch das des Lächerlichen, Komischeu, für das ja nicht
alle Völker und Zeiten in gleicher Weise empfänglich waren, dessen Rolle
aber unter den Äusserungen der Volksseele nicht zu unterschätzen ist.
Erregt der Dumme mit seinen thörichten Einfällen und Handlungen ohne
weiteres die Lachlust, so ist es bei den Geschichten von den Schlauen
der Geschädigte oder Gefoppte, der die Kosten der Heiterkeit bezahlt.
Neben den beiden eben genannten Typen kommen noch andere vor: da
ist der Schalk, den Goethe definiert als „eine Person, die mit Heiterkeit
und Freude jemandem einen Possen spielt"; da ist vor allem der weise
Narr, der wahrhaft Gute und Kluge, der unter dem Scheine thörichten
Redens und Thuns eitel Weisheit lehrt, die menschlichen Schwächen und
Leidenschaften verspottet und die Mitmenschen bessern und bekehren will.
Schon der eben gebrauchte Ausdruck „Typen" weist auf die Neigung
hin, das rein Persönliche bei den Personen, die sich durch besondere
Schlauheit, Dummheit, Schalkheit, weise Narrheit auszeichneten, hintan zu
stellen, es zu vergessen und das von den Verschiedenen Überlieferte alles
auf ehien Einzigen zu vereinigen, der als das Urbild der mit jenen Eigen-
schaften Versehenen gilt. An diesen Einen knüpfte sich dann auch, was
nicht wirklich gesehen, erlebt war, sondern der freien Erfindung heiterer
Gemüter und witziger Köpfe seine Entstehung verdankte.
Gerade die letzte Art lustiger Geschichten ist besonders zahlreich und
wichtig. Siud sie doch zum grössten Teil Darstellungen eines allgemeinen
Gedankens, einer oft gemachten Beobachtung menschlicher Schwächen und
Untugenden in Form einer Erzählung. Diese Thätigkeit des Volkes, eine
Wahrheit, eine Thatsache, eine Erfahrung an einem handgreiflichen Beispiel
deutlich zu machen, kann wohl zu den Äusserungen des Völkergedankens
gerechnet werden, deren selbständiges Hervortreten bei räumlich und
zeitlich einander fernstehenden Völkern so oft mit Recht betont worden
ist. In zahlreichen Fällen wird es allerdings nicht leicht sein, mit Sicher-
lieit festzustellen, ob die Darstellung eines und desselben Motivs — dieser
Ausdruck wird im Folgenden für den oder die Leitgedanken der Er-
zählungen angewandtwerden — durch mannigfaltige Formen in verschiedenen
Litteraturen auf eine ursprüngliche, selbständige Form für das Motiv bei
jedem einzelnen Volke zurückgeht, oder ob eine Urfassung anzunehmen
ist, aus der jene mannigfaltigen uns vorliegenden Versionen herzuleiten
sind. Denn das ist keine Frage, dass eine Herübernahme aus einem
42 Hai'tmami:
Volks- und Kulturkreise in eiuen anderen unter gleiclizeitiger Anpnssung
des Entlehnten an die Vorstellungen und Gebräuche der Entlehnenden oft
stattgefunden hat, dass also aus Abweichungen, selbst wenn sie bedeutender
sind, nicht ohne weiteres auf selbständige Entstehung geschlossen werden
darf. Die Beispiele hierfür sind zahllos. Jedermann kennt die Fabel vom
Milchmädchen^), das mit dem Topf auf dem Kopfe zur Stadt geht, aus
dem Erlös grossen Reichtum erträumt und durch den Fall des Topfes um
das ganze Glück kommt. Das Motiv ist klar: Verspottung thörichter
Projektenmacherei, unverständiger Gewinnberechnung, die, kaum angestellt,
durch einen an sich unbedeutenden Umstand zu Schanden wird. Nun
lese man die neunte Erzählung im fünften Buche der alten indischen
Sammlung lehrhafter Geschichten Pautschatantra, der zerbrochene Topf"):
Ein Brahmane hat die Reste des erbettelten Reisbreies in einem Topfe
über seiner Bettstelle aufgehängt; eines Nachts malt er sich aus, wie
er den Reisbrei bei einer Hungersnot verkaufen könne, wie er Ziegen,
dann Rinder, dann BüfPel, dann Stuten, damit Gold, mit diesem ein sehr
schönes Haus erwerben, eine schöne Frau bekommen und von dieser ein
Söhnchen haben werde; sitze er dann eines Tages hinten im Stall beim
Studieren, so werde der Junge bei ihm spielen wollen, er werde seiner
Frau rufen, das Kind fort zu nehmen, diese aber nicht hören und dafür
von ihm einen Fusstritt bekommen; er schlägt aus mit dem Fusse, der
Topf wird getroffen und sein Inhalt überschüttet ihn. Noch ziemlich eng
schliesst sich an diese Darstellung des Blotivs die wahrscheinlich aus einem
älteren Grundwerke geflossene arabische Fabelsanimlung Kaiila und Dimna
au^), mit der bis auf unbedeutende Varianten Ibu 'Abd rabbihi'') über-
einstimmt. Es ist wohl kaum eine Frage, dass auch die Lafontaine sehe
Fabel auf dieselbe Quelle zurückgeht, und doch, wie viele Verschiedeu-
heiten im einzelneu!
In manchen Fällen wird sich die Frage: Entlehnung oder Ursprüng-
lichkeit? beantworten lassen, sobald eine vollständige Sammlung des
Materials vorliegt, sobald die gesicherten Beweisstücke da sind, deren es
bei derartigen Forschungen bedarf; auf die Notwendigkeit, zunächst diese
zu beschafPen, ist mit Recht wieder neuestens von Bastian in seinem
„Ideale Welten in Wort und Bild" hingewiesen worden. Nur dass die
von ihm ausgesprochene Warnung vor Vermutungen über mythologische
Grundbegriffe sich hier in eine solche vor Vermutungen über soziale und
ethische Grundbegriffe gestalten wird. Ein Zuweitgehen im Schematisieren
1) Lafontaine VII, No. 8.
2) Benfey II, 345.
3) ed. de Sacy, p. 217. Der arabische Bearbeiter, 'Abdallah ihn Elmukafl'a' starb
139 d. H. (756/7 n. Chr.).
4) El-'ikd el-farid, III, 445: auch Kaljübi (.s. nnteu) hat die Gescliichte und nach
ihm ist sie MadscliänJ I, 102 abgedruckt.
Schwanke mi<l SchimiTen im islamischen Orient. 43
könnte hier leicht zn Terhäugnisvolleu Irrtümern führen, und die Fanatiker
eines solchen Verfahrens würden sclaiell dazu gelangen, die Erzengnisse
der naiven Thiitigkeit der Volksseele anzusehen als eine Sammlung von
Beispielen zu nioralisehen Gemeinplätzen.
Natürlich soll damit in keiner Weise eine Zustimmung zu den ober-
flächlichen Worten ausgesprochen werden, in welchen Decourdemauche in
der Einleitung zu seiner Bearbeitung der Nasr eddin-Schwänke jede ver-
gleichende Thätigkeit ablehnt. Es wäre reiner Zeitverlust, sagt er'), zu
untersuchen, welche europäischen oder orientalischen Autoren mehr oder
minder ähnliche Geschichten wie die von Nasr eddin Hodscha geboten
haben.
Was sich bei fleissiger, vergleichender Bearbeitung des Materials für
Ermittlung der Zusammenhänge und damit der Faktoren, welche bei den
verschiedenen Völkern auf die Gestaltung eines und desselben Stoffes
Einfluss haben, gewinnen lässt, ersieht man aus der hübschen Studie von
Eduard Grisebach über die Wanderung der Geschichte von der treulosen
Witwe durch die Weltlitteratur. Systematische Bearbeitung einer Anzahl
von lustigen Geschichten der Art. die uns hier beschäftigt, würde ähnlich
eine reiche Fülle bemerkenswerter Ergebnisse zeitigen.
Ebenso wenig soll damit eine andere Art ordnender Thätigkeit aus-
geschlossen werden, nämlich die, welche die Vorstellungen von Recht und
Sitte, Erlaubtem und Unerlaubtem, Schlauheit und Dummheit, die Be-
trachtungen der Volksseele über die Äusseruugen der Menschennatur,
namentlich die weniger nachahmenswerten, zu ermitteln und mit einander
in vergleichende Beziehungen zu bringen strebt. Naturgemäss wird eine
vergleichende, ordnende Thätigkeit solcher Art um so intensiver sein, je
besser, d. h. je vollkommener und zuveidässiger das Material ist, auf das
sie sich stützt. Dieses Material bilden hauptsächlich die Sammlungen von
Schnurren und Schwänken, welche in Volksbüchern und in Litteratur-
werken anderer Art vorliegen.
Sind solche (^lellenwerke für den Forscher aus den occidentalischeu
Litteraturen in verhältnismässig grosser Zahl und guter Art zugänglich
gemacht, so lässt sich nicht das Gleiche von denen des Orients sagen,
ausgenommen etwa Indien, dessen ältere Sammlungen dieser Art im
Originaltexte und in zum Teil vorzüglicher Bearbeitung von jedermann benutzt
werden können. Recht gering ist die Sammelthätigkeit gewesen auf dem
Gebiete der arabischen Litteratur und der Litteraturen und Volksäusserungen,
welche dem Kreise der arabisch-islamischen Kultm' angehören. Es ist um*
ein einziges der in diesen Kreis gehörenden Volksbücher, das bisher voll-
ständig den Forschern erschlossen worden ist. Das ist die bekannteste
aller orientalischen Schnurrensammlungen, die sich an den Namen des
1) Decourdemanche, Sottisier XI.
44 Hartmann :
türkischen Eulenspiegels, wie er wohl genannt worden ist. des Xasr eddin
Hodscha knüpft. Über den Namen selbst ist niclit viel zu sagen. Als
Schauplatz seiner Thätigkeit als Hodscha, d. h. als Geistliclier und Scliul-
meister, werden verschiedene Orte Kleinasiens genannt, des öfteren Siwri
Hissar und Konia; sein Grab wird in Akschehir in Kleinasien zwischen
Kutahja und Konia gezeigt. Als seine Zeit kann die Mitte des 14. Jahr-
hunderts angenommen werden, denn wird er oft in Verbindung mit dem
im Jahre 1405 verstorbenen Mongolenherrscher Timurlenk gebracht, so
erscheint daneben auch der ein Jahrhundert früher gestorbene Seldschukide
'Ali! eddm. Wichtig ist die Frage nach seiner Zeit und seinen Lebens-
umständen nicht, denn die Geschichten, deren Held er ist, sind zum Teil
Gemeingut der Weltlitteratur, zum Teil Ausflüsse des specifisch türkischen
Wesens, das sich in diesem Manne wie in einem Generalvertreter kon-
zentriert hat. Als erster scheint der bekannte Gallaud, dem ja Europa
auch die Bekanntschaft mit den Erzählungen der 1001 Nacht verdankt (gest.
1715), Mitteilungen aus den Xasr eddm-Schwänkcn gemacht zu haben.
Für die Paroles Kemarquables et Maximes des Orientaux') benutzte er,
neben vielen anderen Werken auch „deux recueils de bons Mets en Türe",
von denen man wohl annehmen kann, dass sie Nasreddin-Schwänke ent-
hielten, obwohl in keiner der von G. gebrachten Geschichten dieser Xame
vorkommt; denn er habe nur eine Auswahl treffen können: „les autres ....
etaient trop vulgaires.ou trop libres et indignes de la curiosite des honnetes-
gens"-); das passt ganz auf die türkischen Produkte dieser Art. Im Jahre
1857 erschienen dann in Triest „Meister Nasr eddins Schwanke und Eäuber
und Richter, aus dem Türkischen übersetzt von von Camerloher und Prelog",
von denen der erstere, nach der Vorrede zu schliessen, jene Schwanke
zuerst entdeckt und der Öifentlichkeit zugänglich gemacht zu haben glaubt.
Wichtig wurde diese an sich nicht hervorragende Arbeit durch die aus-
führliche Besprechung, welche ihr der verstorbene Meister der Folklore-
Forschung, Reiuhold Köhler im „Orient und Occident"') zu Teil werden
liess. Im Jahre 1872 behandelte Ethe in seineu Essais und Studien den
Stoff, aber erst 1878 wm'de das türkische Volksbuch vollständig zugänglich
gemacht: Decoui-demanche, der schon 1876 126 Schwanke (soviel wie bei
1) Zuerst gedi-uckt Paris 1694, später aufgenommen in den Neudi'uck von d'Herbelots
Bibliotheque Orientale, Haag 1777—79, IV, 453 jff. lu diesem Druck hat der Name des
Verfassers immer die Form Galand.
2) Mit Sicherheit sind als Sasreddin-Schwänke um wenige zu erkennen, so der von
dem Schulmeister (p. 467), welcher ein Depositum herausgeben soll, aber den Unterricht
nicht unterbrechen will: der Deponent bietet an, statt seiner so lange ,mit dem Kopfe
zu wackeln"; er hatte nämlich das für- die Hanpttliätigkeit des Lehrers beim Unterrichte
angesehen (a. a. 0. 467; vgl. Recl Bu 120); der andere Scherz: .er könne wohl in seiner
Vaterstadt die Klugen zählen, nicht die Dummen", wird von G. mit Bezug auf Bahlül und
die Stadt Basra erzählt (ib. p. 467; vgl. Recl Bu 121).
3) I, 431—448. 764—766.
Schwanke und Schnurren im islamischen Orient. 45
CaiiK-rlolier) in „les plaisanteries de Niisr eddin hodja" (Paris 1876) mitgeteilt
hatte, liess 1878 sein „Sottisier de Nasr eddin hodja, bouffon de Tamerlan,
suivi d'autres faceties turques trad. sur des manuscrits inedits" (Bruxelles)
erscheinen, welches nicht weniger als 321 Geschichten enthält, die aus
gedruckten und handschriftlichen Quellen geschöpft sind. In demselben
Jahre erschien die Bearbeitung des Nasr eddm durch den unter seinem
türkischen Namen Bluräd Efendi bekannteren Österreicher Franz von
Werner '), und vor niclit lauger Zeit wurde den weitesten Kreisen das
türkische Witzbuch durch das Heftchen der Reclamschen Universalbibliothek
zugänglich gemacht, das den Titel führt: Die Schwanke des Nassr ed-din
und Buadem von Mehemed Tewfik, mit Genehmigung des Verlegers aus
dem Türkischen übersetzt und stellenweise erläutert von Dr. E. Müllendorff.
Wie aus dem Vorwort des Übersetzers und der Einleitung des Mehemed
Tewfik hervorgeht, ist letzterer nichts weiter als der Herausgeber der
beiden Schwänke-Sammlungen von Nassr-ed-din und Buadem (71 + 130 Er-
zählungen). Von der Buadem-Sammlung gehört ein Teil eigentlich in die
erstere, sofern eine Anzahl Geschichten älteren Sammlungen der Schwanke
des Nasr eddin entnommen sind, in dem zuerst herausgegebenen Drucke
aber keine Aufnahme gefunden hatten. Die Reclamsche Sammlung zeichnet
sich dadurch — in wissenschaftlichem Sinne allerdings in unvorteilhafter
"Weise — aus, dass die Spässe derber und schamloser Natur, von denen
o-erade die plumpesten von den Türken am meisten erzählt und belacht
werden, sorgfältig auso-emerzt sind.
Ein wertvoller Beitrag zu der Forschung über die sich um den Namen
Nasreddin gruppierende Schwanklitteratur liegt vor in dem hübschen Büch-
lein: „Les fourberies de Si Djeh'a, contes cabyles rocueillis et traduits par
Monlieras. Trad. frauQ. et notes avec une etude sur Si Djeh'a et les
anecdotes qui lui sont attribuees par Rene Basset" (Paris 1892).'^) Die
60 lierberischen Erzählungen, welche den eigentlichen Text des Buches
ausmachen, sind interessante Beispiele der Gestalt, welche die meist auch
sonst bekannten Stücke im Munde der Kabylen, der berberisch sprechenden
Bewohner Algeriens angenommen haben. Weit wichtiger ist aber die
Einleitung des vielbelesenen und kenntnisreichen Rene Basset, welcher
sich die Mühe genommen hat, die „Version turque", d. h. die Bearbeitung
von Decourdemanche, die „Version arabe" d. h. einen gleich zu besprechenden
ägyptischen Druck, und die „Version herbere", d. i. eben die Moulierassche
Sammlung, in einer vergleichenden Tabelle von drei Spalten zusammen-
zustellen und in zalilreichen Anmerkungen Parallelen aus allen Litteraturen
1) Nassreddin Chodja. Ein osmanischer Exilenspiegel. Oldenburg. — 29 Schwanke
in poetischer Form.
2) Der berberische Text im Zonaoua-Dialekt war von Moulieras kurz vorher publiziert
worden.
46 Hartmann :
beizubringen. Von besonderem Werte ist, dass Herr Rene Basset, der
als ausgezeichneter Kenner des Berberischen und der arabischen Vulgär-
dialekte Nordafrikas auch selbst sammelnd thätig gewesen ist, die zahl-
reichen Publikationen, die der französischen Herrschaft in Algier die Ent-
stelmng Terdanken, auf ihre Beziehungen zu der Nasreddin-Gruppe durch-
gearbeitet hat.
Bei der Frage nacli der Herkunft der fremden Einflüsse, soweit solche
für Entstehung der Schwanke des Xasr eddln-Kreises anzunehmen sind,
liegt es am nächsten, dieselben da zu suchen, von wu aus in so vielen
anderen Bezieliuugeu eine tief eingreifende Einwirlcung auf das Geistes-
leben des türkischen Volksstammes stattgefunden hat: in der arabisch-
islamischen Kulturwelt. Als im östlichen Chalifat das türkische Element
an Bedeutung gewann, und beim Zerfall des Ohalifenreiches eine Anzahl
kleinerer Staaten mit meist türkischen Dynastien entstanden, hatte arabiscli-
islamisches Wesen in Yordei'asien so festen Bestand gewonnen, dass kein
fremdes Volksthum sich iluu entziehen konnte, vielmehr alle Äusserungen
der nicht arabischen Bevölkerungselemente stark von ihm durchsetzt
erscheinen. Erst der kräftigsten aller Tflrkdynastien, dem Hause Osman,
gelaug es, mit der Schaffung eines grossen Reiches auch bleibende Äusse-
rungen des Geisteslebens hervorzurufen, welche Eigentümlichkeiten des
türkischen Charakters aufweisen. Im grossen und ganzen stehen aber auch
sie vollständig unter dem Banne jener Kultur, welche soeben melu-facli
als arabisch-islamisch bezeichnet worden ist, weil ihre Haupterzeugnisse in
arabischer Sprache vorliegen, wenn auch mancherlei fremde Einflüsse thätig
gewesen sind, bis (um das Jahr 500 der Flucht, d. i. um 1107 n. Chr.)
im sunnitischen Islam die Formen bleibende wurden, welche zu jeuer Zeit
von der siegreichen Orthodoxie für diese Kultur festgelegt waren und
welche ja noch heute Geltung haben. Am eliesteu wird man nocli auf
dem Gebiete des Märcliens, des Liedes, der volkstümlichen Erzählung,
besonders lustiger Art, Spuren des ursprünglichen Volksgeistes zu finden
hoffen dürfen, welcher durch den Einfluss der fremden Kultur fast «anz
verwisclit ist. In den vorliegenden Nasreddin - Sammlungen zwischen
Originellem und Fremdem reinlicli zu scheiden, ist deshalb so schwer, weil
die arabischen Quellen, denn an solche ist bei dem Fremden zunächst zu
denken, so sehr spärlich fliessen. Niclit kommen hier in Betracht die
heut uuter dem Namen Nawadir Dschuhä, d. Ii. Anekdoten von Dschuha im
arabischen Orient beliebten Schwankbücher'); denn diese sind durchaus
1) Nawädir el-choilscha nasr ed-din offendi elmulakkab bidschuha er-
rümi, Lithogr. o. 0. und J., 36 S., 8°, liegt mir vor, -wohl identisch mit der Lithogr.
„Bulalt" (? in B. sind nie solche Bücher gedruckt und sind fast ausschliesslich bewegliche
Typen verwandt worden, wahrscheinlich in einer der zahlreichen kleineren Steindruckereien
Kairos hergestellt, daher hier mit „Kairo" bezeichnet) bei Basset in Fourberies 9, an deren
Ohronogramm für 1041 B. wohl zu weitgehende Schlüsse für einen Zusammenhang mit
Schwanke und Srlinurreii im islamischen Orient. 47
niclits aiiik'ics, als arabische Bearbeituugeu des türkischen Volksbiiches,
wenn auch in ihnen clor Name des türkischen Hchnurrenhelden durch den
gut arabischen Dschuha ersetzt ist und hin und wieder Stücke aus arabischen
Quellen herübergenomnien scheinen.') Ebenso können die in 1001 Nacht
eingestreuten schwankartigen Erzählungen nicht herangezogen werden, da
die uns vorliegende Redaktion dieser Sammlung kaum früher als um 1450
wird angesetzt werden dürfen.
Die erste Nachricht von arabischen Schwankbüchern scheint vor-
zuliegen in dem ausserordentlich wertvollen Werke des wahrscheinlich um
400 der Flucht (= 1010 n. Chr.) gestorbenen Ibn Abu Jaküb en-Nadim,
das unter dem Namen El-Eihrist eine Übersicht über das damals an
arabischen Werken aller Litteraturgattuugen Vorhandene giebt. Es enthält
folgende kurze Notiz"): Namen von dummen Menschen, von denen Anek-
doten von Unbekannten in Büchern zusammengestellt sind: Anekdoten A'on
Dschuliä — Abu Dimdim — Ibn Ahmar — Süra el-A'i'3bi — Ibn el-Mausih
— Ibn Ja'küb — Abu 'übaid el-Hazmi — Abu 'Alkama — Sifflje (viel-
leicht Sibüje oder Sibawaihi zu lesen).') Von den hier genannten Männern
Kaljübi kiiüiift. Eine ältere Lithographie von 'AH Riila Kairo 1274 lag Pertsch vor. zur
Vergleichung mit Jem Fragment einer kist^at dschuliä Ms. Gotha ar. Mo. 2747 (IV 459),
welches nach den wenigen hei P. mitgeteilten Worten wahrscheinlich mit einer Variante
der Geschichte von Rabi'at el-bakka' (s. Maidäni I, 197 = Ibn lluddscha I, 145) beginnt-
Ferner liegt mir vor kissat dschuliä, Beirut 1886, gedruckt auf Kosten des Buchhändlers
Chalil El-Chürl, 40 S. (hier mit „Beirut" bezeichnet).
1) Aus diesen arabischen Bearbeitungen stammt gewiss auch ein Teil der in Italien
und Albanien an den Namen Dchuha geknüpften Gesclüchten : sicher sind Giufä (Palermo),
Giucca (Trapani und Toscaua), Giuxa (Albanien) nur Umbildungen der alten arabischen
Urform. Siehe über Giufä u. s. w. Marc Monnier, les contes populaii'os en Italie (Paris
1880) 11 (nach Basset in Fourberies 13); auch Prym-Socin, Neuarmen. Dialekt des Tür
'Abdin XXV, Anm., werden diese italienisch-albauesischen Umbildungen erwähnt, wohl nach
Mitteilung Köhlers. An die türkische Form des Namens: Nasr eddin Hodscha schliesst
sieh die an, welche die Romanen für- diesen Schwankhelden haben, die bisher freilich nur
aus deren romanischer Versifizierung des türkischen Volksbuches in Nasdravanüle lui
Nastratiü Hogea von Pann (Anton), gedruckt zuerst 1853, dann 1873 und später in Bucu-
resti 0. J. bekannt ist. Auszüge aus diesem, mir nicht zugänglich gewordenem Buche giebt
Gaster (Literatiu'a pop. romäna 164 ff.). Welche Rolle mag dieser Nastradin neben dem
romänischea Nationalnarren Pakala spielen?
2) Kitäh al-fihrist ed. G. Flügel I, 313.
3) An diese Aufzählung des Fihrist knüpft Basset (Fourberies 13 ff.) folgende De-
duktion: „Am Ende des vierten Jahrhunderts d. Fl. gab es arabische Schnmrensammlungen:
davon blieb nur eine überlebend ,et Ton grouppa autour de son heros Djoha les anecdotes
qui se rapportaient ä ceux qu'enumerent l'auteur du Filirist et d'auti'es'; diese Sammlung
ging mündlich in den Occident und wurde im 15. oder 16. Jahrhundert ins Türkische
übersetzt und die Hauptperson identifiziert mit einem gewissen Nasr eddin Hodja ,dont
l'existence est au moins douteuse'. Er scheint uur die Personifikation der Naivität zu
sein, die in jedem Lande einem Ort zugeschrieben wird (vgl. Abdera, Böotien, Hini!.;,
St. Jago, St. Maixent, Siwri Hissar, Beni Dschennad); diese türkische Version wurde oft
bearbeitet, auch arabisch mit Zusätzen gegen 1050 d. Fl.; die mündliche Überlieferung
hatte auch ,peut-etre k la suite de la conquete turque' eine grosse Zahl Schuurren in das
Maghrib gebracht, wo einige bei den Kabylen Eingang fanden." Das Wesentliche dieser
48 Hartmann :
lässt sicli nur eiuer mit Sicherheit mit einer auch sonst bekannten Per-
sönlichkeit identifizieren: Der Ibn el-Mausill ist jedenfalls der ebenso wie
sein Yater Abu Isliäk Ibrahim als Dichter und Sänger bekannte, im Jahre
235 oder 236 d. Fl. (also etwa 850 n. Chr.) gestorbene Abu Muhammed
IshSk ibn el-Mausili, von dem sich in die spätere Litteratur scherzhafte
Erzählungen hinein gerettet haben. Über den an erster Stelle genannten
Dschuha herrscht l'neinigkeit: manche halten ihn für identisch mit dem
Traditionsüberlieferer Abul-Ghusn Dudschain ibu Täbit, der um 150 d. Fl.
(767 u. Chr.) gelebt haben muss, die Identität beider wird jedoch von
anderen bestritten.*)
Von den im Fihrist genannten Schnurreubücheru ist uns nichts erhalten.
Doch hat sich, sei es nun aus ihnen, sei es aus der lebendigen Über-
lieferung des Yolkes. manches in jene grosse Klasse von Werken der
arabischen Litteratm* hinüber gerettet, die mau mit dem Namen Adab-
Bücher bezeichnet, d. h. die Werke, in denen allerlei historische, sprach-
liche, litterarische Notizen mit sehr loser Beziehung auf eine Anzahl von
Materien, in die das Ganze geteilt ist, aneinander gereiht sind. Gerade die
ältesten Werke dieser Art sind auch in dieser Beziehung am reichhaltigsten
Ausführung ist ansprechend; nur ist befremdlich, dass von der arabischen Dschnha-Sainmlung,
die alle anderen arabischen Sammlungen gleichsam aufgesogen haben soll, sich gar keine
Spuren zu linden scheinen; ferner ist die Existenz des Nasreddin Hodscha kaum unsicherer
als die des Till Eulenspiegel: dass nach der Eroberung Syriens und Ägyptens um 1516
die Türken durch die Berührung mit diesen arabischen Provinzen auch mancherlei Arabisches
aufnahmen, wird zuzugeben sein, aber das damals schon feststehende Volksbuch vom
Nasreddin Hodscha wird dadurch nur geringe Beeinflussung erfahren haben. Dass das
Maghrib in seiner Schwanklitteratur von den Türken beeinflusst worden sei, ist wenig
wahrscheinlich. Was neuestens in magluibinischen Dialekten von ErzäMungen publiziert
worden ist i^Stumme, Tuaische Märchen: Sociu, Zum arab. Dialekt von Marokko: Socin
imd Stumme, Der arabische Dialekt der Houwära) spricht nicht dafiu'. Endlich sei noch
der Annahme gedacht, der neuere arabische Dschuhä sei nichts als eine durch Yerschreibung
entstandene Form des türkischen Chodscha, die ja bei der Ähnlichkeit der AYorte in
arabischer Schrift und der Ungenauigkeit in Setzung und Weglassung der die Vokale
bezeichnenden schwachen Buchstaben denkbar ist: doch es wäre höchst sonderbar, wenn
durch diese Verschreibimg ganz zufällig ein aus der ältesten arabischen Litteratur aufs
beste bezeugter Name herausgekommen wärel Yielmehr wird die Erinnerung an den
nationalen Dschuhä sieh immer in arabischem Lande erhalten haben, wenn auch Schwänke-
sammlungen sich an seinen Namen nicht knüpften: als dann die Araber in Syrien und
Ägypten vertürkten, mag der Gleichklang von Chodscha und Dschuha zu der Zusammeu-
werfimg beigetragen haben. Dass die Türken aus dem Dschuhä sollten einen Chodscha
gemacht haben, daran ist sicher nicht zu denken.
1) Die Hauptsachen hierüber sind gut zusammengestellt im Tädsch el-^arus s. v.
dschuha: etwas abweichend Scheicho in Medschäni el-adab, Konun. 65, der richtig bemerkt,
dass die heute unter dem Namen Dschuha umgehenden Geschichten mit diesem Dschuha
nichts zu thun haben, .sondern dem Dschuha er-Rümi, d. h. dem Romäer Dsch. angehören.
— Unhaltbar ist ^die Vermutung Pihrist, II, 154 f. (zu I, 313), dass Hudschaij zu lesen,
mit'[der Bemerkung: .doch wäre auch Dschuhaij möglich, da Ibn Duraid 65, Anm. d.
bemerkt ist: wadschahä aiilan bitakdira eldschim": es ist unerklärlich, wie die
Verfasser von Fihr IT zu dieser Heranziehung der Stelle des I. D. gekommen sind, da in
derselben nur von dem Verbum hadschä die Rede ist.
Schwäuke und SrliiiuiR'ii im islamisolion Orient. 49
und für uns am wichtigsten; so das el-Käniil des Mubarrad, gest. 285' d. Fl.
(= 898 u. Chr.), und das el-'Ikd el-farid dos Ibn 'Abd Rabbihi, gest.
.328 d. Fl. (940 n. Chr.). Unter den späteren Werken, welche dieser Klasse
zugerechnet werden können, ist besonders wichtig die grosse Sprichwörter-
sammlung des Abul-Fadl Ahmed el-Maidäni, gest. 511 (= 1124 n. Chr.),
der in seinem niadsclima' el-amtäl') bei den zahlreichen Sprichwörtern,
welche beginnen mit „dümmer als" über die Personen, die so gekennzeichnet
werden, Angaben macht, soweit er Material hat. ^) Von den Personen, von
welchen er Dummheitsschwänke erzählt, ist am bekanntesten Habannaka,
welcher eigentlich Jezid ibn 'Parwau hiess, dem Stamme Fazära augehörte
und den Beinamen Abul-ghusn hatte. ^) Er scheint schon sehr früh wegen
seiner Unschlauheit sprichwörlich gewesen zu sein, denn sclion der um
100 d. Fl. (719 n. Chr.) gestorbene Dichter el-Farazdak erwähnt ihn in
einem der Spottverse auf seinen grossen Xebenbuhler Dscherir mit Be-
ziehung auf die Hauptdunimheit, die ihm nachgesagt wird, und die sehr
liäufig erzählt wird: H. hatte sich eine Halskette von Knochen und Muscheln
gemacht und sagte auf Befragen, er trüge sie, um nicht verloren zu gehen.
Da stahl sie ihm sein Bruder eines Nachts und that sie selbst an. Als H.
ihn sah, sagte er: Mein Bruder, du bist ja ich, wer bin ich denn nun?*)
Von dieser Halskette hatte er den Namen der Muschelmann. Ausser dieser
hat Maidmii noch drei Geschichten von ihm: Einst, heisst es, trieb er beim
Weiden der Schafe die fetten Tiere in das dichte Futtergras und hielt
die mageren abseits. Auf die Vorwürfe darüber erwiderte er: „Ich werde
doch nicht bessern, was Gott schlecht gemacht hat, und nicht verderben, was
Gott gutgemacht hat! ^) Die anderen beiden Geschichten sind weniger lustig. °)
1) Öfters im Orient gciü'uckt; mir liegt vor die ed. Kairo v. J. 1284.
2) Es sind folgende: 1. Abu Ghabschan, I, 191 f., vgl. Ibn Huddscha, I, 14.5: 2. Ha-
bannaka, I, 192, vgl. Ibn Doreid214, TAY, 534; 3. Dschahize, I, 193; 4. Dugha, I, 193 f.;
5. Scharanbat, I, 196 f.; 6. Baihas. I, 197; 7. Dschulia, I, 197; 8. Rabi'at el-bakka, 1,197,
vgl. Ibn Huddscha, I, 145.
3) Nach Maidani, I, 192: Abul-ghu^n ist auch der Beiname des Dschulia (s. hier
S. 48); es scheint hier ein Zusammenfliessen stattgefunden zu haben.
4) Dies ist die am häufigsten von ihm erzählte Geschichte; schon bei Maidani a. a. 0.;
den Vers des Farazdak , der wohl auf sie Bezug uimmt , s. bei Ibn Doreid 214, wo er
unverständlich und nach TA V, 534 zu korrigieren ist (a'ni fiir 'anni). — Das Motiv des
Sichiiichtmelu'kennens infolge einer äusserlichen Veränderung auch in Grimm, KM, No. 34
(die kluge Else, nachdem ihr das Vogelgarn mit den Schellen angethan ist) und No. 59
(Katerlieschen, das sich selbst halb träumend die Kleider vom Leibe geschnitten).
5) Maidauj a, a. 0.; auch Medschäni, I, 92.
6) Von dem verlorenen Kameel, das dem Finder gleich von vornherein als Geschenk
versprochen wird, um doch die Süssigkeit des Fiudens zu gemessen, und von der Ent-
scheidung über den Mann, der von zwei Stämmen als Angehöriger in Anspruch genommen
wurde, den band tafäwa (dem „Schwimmstamm") und den banü rasib (dem „Untergeh-
stamm") und den nun der als Richter angerufene Dumme in den Fluss werfen lassen
will, damit er zeige, zu welchem Stamme er gehöre; aus Maidani hat wohl Ibn Huddscha
geschöpft (I, 144 f.), der diese Geschichten ebenfalls von Habaunaiva erzählt. Im H>d,
III, 319 ist der Richter in der zweiten Sa'd er-rabija und die Sache spielt vor dem Emii' Zijad.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1895. 4
50 Hartmann :
Auch den bereits erwähteii Dschuhä hat MaidänT und erzählt drei
Geschichteu von ihm, von denen sich eine in den bekannten Sammlungen
des Nasreddin-Kreises findet: Er stösst beim Herausgehen aus seinem Hause
im Gange auf einen Toten und wirft ihn in den Hausbrunnen; sein Vater
fürchtet Gefahr, zieht den Toten heraus und wirft einen toten Hammel
hinein; die Verwandten des Ermordeten laufen in den Strassen el-Küfas
(danach wohnte Dschuhä in dieser Stadt) herum, ihn zu suchen, treffen
Dschuhfi, der ihnen gleich sagt, in unserem Hause ist ein Toter; sie lassen
ilm in den Brunnen hinab, er findet den Widder und ruft sofort: „Hatte
der Gesuchte Hörner?" So zogen sie ab.') Die beiden anderen Geschichten
bei Maidänl sind folgende: Dschuhä gräbt an einem Orte ausserhalb el-
Küfas, um einen Schatz wiederzufinden, den er früher dort vergraben, und
klagt, er könne die Stelle nicht wiederfinden; auf die Frage, ob er sich
denn keiu Zeichen gemacht, erwidert er: „Ja, eine Wolke am Hiiimiel, die
die Stelle damals gerade beschattete." — Als Abu Muslim als Statthalter
nach el-Küfa kam, fragte er, wer den Dscliuhä kenne; es meldet sich ein
Mann namens Jaktm; er solle ihn bringen; sie kommen zusammen zu Abu
Muslim, der ganz allein im Gemache ist; Dschuhä: „Du, Jaktm, wer von
Euch beiden ist nun Abu Muslim?'"')
Die ältesten ims erhaltenen, rein um ihrer selbst willen angefertigten
Zusammenstellungen von lustigen Geschichten scheinen die beiden Werke
des im Jahre 597 d. FI. (1201 n. Chr.) gestorbenen Ibn el-Dschauzi'') zu
sein, von denen das eine, das Kitäb el-adkijä, d. h. das Buch der
Schlauen, im Orient gedruckt*) ist, das andere, das Kitäb el-humakü
wal-mughaffalin, d.h. das Buch der Dummen und Tölpel, sich hand-
schriftlich in Paris findet. ^) Beide werden von Ibn Huddscha ") unter den
Quellen seines tamarät el-auräk genannt (1, 142). Nicht lange nach dem
Tode des Ibn el-Dschauzi verfasste der i. J. 606 gestorbene, einer vornehmen
christlichen Familie in Kairo entstammende As'ad Mammäti '), bekannter unter
dem Namen Ibn Mammäti, sein Kitäb el-faschüsch fi ahkum karaküsch,
d. h. Buch des Schwachköpfigen über die Entscheidungen des Karaküsch").
1) Maidäni, I, 193, vgl. zu dieser Fassung Fourberies No. 21, Stumme, II, 131: der
Wurstregen, wo das andere Motiv liineiu verflochten ist, dass der Schuldige von einem
Wurstregen spricht und deshalb für unzurechnungsfüliig gehalten wii-d; zu diesem Wurst-
regen vgl. auch den Kringelregen bei U. Jahn, Schwanke und Schnui-ren, 51.
2) Maidäni a. a. 0.; am Schlüsse des Artikels erörtert M. noch die Form des Namens
Dschulia und seine Ableitung.
3) s. über ihn Wüstenfeld, Geschichtsschreiber der Araber, No. 287.
4) Kairo, Scheref 1804.
5) a. f. ar. 1616; suppl. ar. 3547.
(!) Gestorben 837 d. Fl. (= 1433 n. Chr.).
7) s. über ihn Wüstenfeld, Geschichtsschreiber, No. 295.
8) Wie es sich mit dem gleichnamigen Werke verhält, das dem im .Jahre 911 (1505/6
n. Chr.) in Kairo verstorbenen Vielschreiber Dschelal eddin es-Sujüti zugeschrieben wird,
ist noch nicht ganz aufgeklärt. Basset (Fom-beries 7, Anm. 3) hält es für eine Bearbeitung
Schwanke iiud Schnmreii im isliiniisclien Orient. 51
In einem Schulbuch des Beiruter Jesuiteugymnasiums ') siud vier Schei'ze von
ihm und Bemerkungen über sein Leben aus einer Handschrift mitgeteilt. Nach
der dort gegebenen biographischen Notiz war er ein Eunuch, hiess mit
seinem vollen Namen Bahä eddm Karaküsch el-Asadi er-Rümi^) und war
Vezir des berühmten Aijubideu-Sultans Saläii ed-din (Saladin). Er war
ein frommer Mann; der Sultau kannte aber seine Unschlauheit, und wenn
er ihm bei seiner Übersiedelung von Kairo nach Damaskus im Frühling
jedes Jahres die Regierungsgeschäfte übertrug, so gab er ihm dazu weislich
einen seiner Söhne bei. Als er nun einmal im Jahre 561 d. Fl. (= 1165/6
n. Chr.) etwa einen Monat die Regierung allein führen musste, weil der
ihm beigegebene Thronfolger plötzlich starb, machte er gar grosse Dumm-
heiten, „und es wurden ihm die ergötzlichen Geschichten beigelegt". Der
Kompilator ist sich also bewusst, dass der Minister nicht in Wirkliclikeit
all die Narrheiten verschuldet hat, die man iimi zur Last gelegt.'') Vor-
trefflich stimmen übrigens diese Angaben über den Manu damit, dass
der Ibn Manimatischen Sammlung; nadi Wüstenfeld a. a. 0. ist das Manuskript Paris a.
f. ar. 1548 mit Unrecht als ein Werk des SujüJ bezeichnet; gedruckt scheint es nicht zu
sein. Aus einem anderen Werke betitelt et-tarz el-manküsch fi hukm essultan
karaküsch finden sich Stücke in der Handschrift München Nn. 637 (Aumer p. 275), und
wahrscheinlich aus demselben solche auch in Cod. Gotha, No. 2175 (Pertsch, IV, 197); da
hier K als Sultan bezeichnet ist, wii'd die Schrift aus späterer Zeit stammen; vielleicht
ist sie das Sujutische Plagiat des Mammatischen Werkes.
1) Lammens, cours gradue de traductions fr.-ar. I, No. 113.
2) Ist die Bezeichnung als er-Rümi, d. li. der liomäer, nur ein zufälliges Zusammen-
trefl'en mit der gleichen Dschuhas als Vertreter des Nasr ed-din liodscha?
3) Vgl. auch die Erwähnung des Karaküsch bei Abd-AUatif Relation d'Egypte 171,
wo von diesem „homme de genie'' erzählt wird, dass die Zerstörung zahlreicher kleinerer
PjTamidcn in üizeh zur Zeit des grossen Saläh eddin sein Werk gewesen sei. De Saey
hat zu dieser Stelle eine ausführliche Anmerkung (p. 206 ff.), in welcher er ans dem
Werkchen des Sujuti Man. ar. a. f. No. 154« die biographische Notiz übereinstimmend
mit dem oben Mitgeteilten und ausserdem vier Anekdoten giebt, von denen mu- eine sich
unter den vier bei Lammens a. a. 0. findet, die von der Frau und dem Leichentuch. Die
anderen sind folgende: 1. Ein Soldat hat durch Schlagen das Abortieren einer Frau im
siebenten Monat herbeigeführt; K. verurteilt ihn auf die Klage, die Frau zu sich zu nehmen,
sie bis zu einer erneuten Schwangerschaft von 7 Monaten zu ernähren und sie dann dem
Kläger zurück zu liefern; der Ehemann zieht natürlich seine Klage zurück. 2. Ein armer
Schuldner behauptet, wenn er soviel gespart, um die Schuld zahlen zu können, treffe er
den Gläubiger nicht; diesy komme inmier, wenn er das Gesparte wieder ausgegeben: K.
will den Gläubiger einsperren, damit er immer zu finden sei. 3. Ein Bestolüener klagt:
K. lässt die Bewohner des Viertels zusammen rufen und das l'hor des Viertels bringen:
das Thor wird wie ein Sträfling geschlagen und erklärt dabei angeblich, der Dieb habe
eine Feder auf seinem Kopfe; der Dieb fährt sofort mit der Hand nach diesem und wird
so erkannt. Hier finden sich zwei Motive vereint, die auch als Sondergeschichten auftreten:
a) das Thor als Zeuge, s. Recl. Bu. 26 ; b) die ven'äterischen Federn in Specimens d'ecriture
arabe Beir. 1885. — Bei 'Imäd eddin el-Katib, dem V^ertrauten und Generalsekretär Saläli
eddins, dessen el-fath elkussi über die Kämjife S.'s gegen die Kreuzfahrer 583 bis 587
Landberg im Jahre 1888 herausgab, sjiielt Karaküsch durchaus eine ernsthafte Rolle.
Makkari nennt K. als Mamluken der Eijubideu II, 6% und giebt ihm den Beinamen el-
ermenl, der Armenier, II, 71.
4*
52 Harfmann:
gerade Ibu Mammäti die Schwanke von ihm gesammelt liat; denn dieser
Schriftsteller flüchtete aus seiner Vaterstadt Kairo infolge politischer Feind-
schaften nach Aleppo unter den Schutz des Sultans el-Malik ez-Zähir Ghnzi,
des Sohnes eben jenes Salfdi ed-dTn, an dessen Hofe er auch starb und
verfasste nach dem Zeugnis Ibn Challikfuis (No. 554) eine Vita eben des
Saläh eddin, dessen Minister KarakOsch war.
Die vier aus der Handschrift mitgeteilten Scherze sind auch sonst
bekannt: im ersten ist das zum Trocknen aufgehängte Hemd des K. vom
Strick gefallen; er schenkt auf die Nachricht davon den Armen 1000 Silber-
stücke; denn, sagt er, hätte ich drin gesteckt, und es wäre mit mir her-
untergefallen, so hätte ich mir Hals und Beine gebrochen. Dieselbe
Geschichte findet sich in den Anekdoten des Kaljübi') dem Dsohuha
zugeschrieben in einer nur redaktionell abweichenden Form°). Eine etwas
andere Wendung hat sie in der türkischen Fassung^): Des Meisters Frau
hat seinen Oberrock gewaschen, einen Stock durch die Ärmel gesteckt und
ihn im Garten aufgehängt; in der Nacht sieht er, dass da ein Mensch mit
abgeschnitteneu Händen steht, er nimmt sofort Pfeil und Bogen und schiesst
die Gestalt durch und durch. Am Morgen sieht er, es war sein Oberrock.
„Gott sei Dank!" ruft er. „dass ich nicht darin gesteckt habe!" Die türkische
Fassung ist hier reicher als die arabische: das Motiv dieser ist das närrische
Anknüpfen einer Möglichkeit an ein dincli äussere Umstände herbeigeführtes
Ereignis, in der türkischen Fassung ist die Narrheit noch schlimmer, da
dieses Ereignis, die Beschädigung des Kleidungsstückes durch den, der an
sie eine Folge für sich selbst knüpft, herbeigeführt ist. Es giebt auch
eine berberische Version der Geschichte beiMoulieras*): Die Frau Dschuhas
hängt den gewaschenen Burnus auf einen Baumstamm, ein Feind hält ihn
für Dschuha selbst und Jurchschiesst ihn; während die Frau jammert,
lacht und tanzt Dschuha, weil er es nicht sei, der getroffen wurde. Hier
ist kaum noch ein Witz. Dasselbe Motiv, die närrische Schlussfolgerung
aus dem vorausgesetzten ZusammeutrefFen von Ereignissen, die in Wirk-
lichkeit gar nicht zusammentreffen können, findet sich auch in der kleinen
türkischen Geschichte der Reclamschen Sammlung^), in welcher der Meister,
der seinen Esel verloren hat, Gott dankt inid das damit erklärt, dass er
1) Das Kitüb liiküjat wagharä'ib etc. des Schiliab ed-din Ahmed el-Kaljübi,
bekannt unter dem Namen nawadir el-kaljübi, ist in Calcutta und Kairo mehrfach
gedruckt.
2) Dschuha fragt seinen Nachbarn, ob er nicht am letzten Abend sein Gesclirei
gehört. — „Ja, was gabs denny — .Mein Rock ist vom Dach auf die Erde gefallen." —
„Was schadet das?" — „Du Thor, wenn ich drin gewesen wäre, hätte ich mir dann nicht
alles zerbrochen und wäre gestorben?"
3) Bei Decourdemanche No. 229, Camerloher No. 79, Reclam No. 65.
4) Fourberies No. 57.
5) No. 9.,
Schwanke und Scliimnoii im islaniisclifn Orient. 53
froh sein müsse, nicht dabei gewesen zu sein, <lenn sonst wäre er ja mit
verloren gegangen.
In dem zweiten der vier Karakuscli-Schwänke vertröstet er eine Frau,
die mit Rücksicht darauf, dass er jährlicli zu einer gewissen Zeit Almosen
auszuteilen })flegte, ihn um Geld zum Leichentuch für iln-en verstorbenen
Mann bittet, auf das nächste Jahr, da solle sie ein Leichentuch haben.
Diese Erzählung gehört in den grossen Kreis derjenigen, deren Motiv das
Verlegen einer Handlung in eine Zeit ist, in welcher ihr Zweck völlig
verfehlt ist. Zu der hier vorliegenden besonderen Darstellung dieses
Motivs ist mir nur eine Parallele bekannt, die einen feinen Nebenzug
hat^): hier hat der Mann, der seinem Freunde Geld zum Leichentuch für
den verstorbenen Bruder nach zwei Tagen geben will, während doch im
Orient spätestens zwölf Stunden nach dem Ableben beerdigt wird, keinen
Namen, schliesst sich also äusserlich nicht an einen der bekannten Schnurren-
helden an; neu ist in ihr die beissende Antwort des Hingehaltenen: „So
gieb mir wenigstens Geld zu Salz, um den Toten bis übermorgen frisch
zu erhalten." — Es mag hier gleich erwähnt werden, dass das närrische
Verlegen einer Tliätigkeit, die für eine gewisse Zeit und Gelegenheit
anbefohlen oder vorteilhaft ist, auf eine solche, wo sie völlig nutzlos ist,
schädlich wirkt oder zu drolligen Verwickelungen Anlass giebt, in orien-
talischen Geschichten ausserordentlich beliebt ist. So hat in einer arabischen
Erzählung") der Arzt einem Manne Medicin verordnet; der stirbt, ohne sie
zu nehmen; drei Tage nachher findet eine zum Besuch kommende Ver-
wandte den kerngesunden, zwanzigjährigen Sohn des Toten, wie er die
Medicinflasche austrinkt; er erklärt: „Es wäre doch schade, wenn die
Medicin verkäme, ich könnte ja von der Krankheit des Seligen betroffen
werden; habe icli dann die Medicin schon intus, so ist meine Heilung
sicher." — In einer anderen') hat ein Herr seinem beschränkten und ver-
gesslicheu Diener eindringlich eingeschärft, immer drei Sachen, Stock,
Überzieher und Stiefel, bereit zu halten, falls er in GJeschäften auszugehen
habe. Erkrankt schickt er den Diener zum Arzt; der Junge kommt mit
drei Männern zurück, die er als Arzt, Schreiner und Totengräber vorstellt:
wie er für seinen gesunden Herrn Stock, Überzieher und Stiefel bereit
halten sollte, habe er nun für den Kranken gleich den Arzt, den Sarg
und das Grab bereit gemacht. — Zum Nasr ed-din-Kreise gehört die ver-
kehrte Anwendung der Formel inschii alläh, d. h. so Gott will, welche der
fromme Muslim immer hinzufügen muss, wenn er von einer Handlung
spricht, die er vornehmen will, um dadiu'ch sein Bewusstsein von der
Gebundenheit aller Dinge an den Willen des Allmächtigen kund zu thun:
1) Nuzhat el-chawatir (Beirut 1877), V, 167.
2) Nuzhat, V, 176.
3) Nuzhat, V, 169.
54 Harhnann :
Dschuha, der eineu Esel kaufen will, erzählt dies auf dem Wege einem
Freunde, ohne jene Worte dazu zu setzen und meint, als dieser ihn darauf
aufmerksam macht, das sei doch nicht nötig, die Esel seien doch auf dem
Markte und das Geld in seiner Tasche. Das Geld wird ihm gestohlen,
und als er jenen Freund wieder trifft, sagt er: „Ich kam auf den Markt,
inschä alläh, da wurde mir das Geld gestohlen, inschä alliili. und ich kam
ohne Esel heim, inschä allah. und Gott verfluche Deinen Yater, inschä
allah!')
Im di-itten Schwank ist Karaküschs Jagdfalke davongeflogen, und er
befiehlt nun, die beiden Hauptthore") Kairos zu schliessen, denn dann,
sagt er, findet der Falke keine Stelle, wo er hinausfliegen kann. Das
Motiv ist klar: der A'ersuch, einem drohenden Schaden durch ein Mittel
vorzubeugen, welches gänzlich ungeeignet ist, und an das eben nur jemand
denken kann, der das richtige Verhältnis zwischen den Handlungen und
ihren Wirkungen nicht abzuschätzen vermag. Zahlreiche Darstellungen
dieses Gedankens durch Erzählungen von närrischen Menschen finden sich
wohl in allen Litteratureu. Eine Parallele zu der hier vorliegenden Ein-
kleidung ist mir nicht vorgekommen.
Ebenso wenig kann ich den vierten Schwank an anderer Stelle finden:
Zwei Männer verklagten bei Karakusch einen dritten, bartlosen, er habe
sie geschlagen und ihnen die Barte gerauft. Da sie nun grosse Barte,
jener aber keinen hatte, so entschied Karakusch: Nein, ihr habt ihm den
Bart ausgerissen, und liess sie einsperren, bis jenem der Bart wieder
wüchse. So blieb ihnen nichts übrig, als den Mann zu versöhnen, so dass
er bei Karakusch ihre Freilassung erbat. Hier liegen zwei widersinnige
Vorstellungen vor, die eine, dass einem von Natur Bartlosen der Bart aus-
gerauft sein und wieder wachsen könne, die andere, dass von zwei Personen,
von denen die eine beschuldigt ist, der anderen den Bart gerauft zu haben,
notwendig die der schuldige Teil sein müsse, welche beim Erscheinen vor
dem Richter bebärtet ist.
Die Motive der vier eben mitgeteilten Karaküsch-Geschichten haben
etwas Gemeinsames und weisen uns auf einen der Grundgedanken, welche
in den Schwänken und Schnurren ausgesprochen sind. Es ist der falsche
Schluss auf Ursache oder Wirkung, in einem Falle die Niehtberechnuns
der Wirkung. Das erstere bei dem vom Strick gefallenen Hemd, dem
1) Kairo 5, Beirut G, Fouiberies 2. Abweichend Uecoiu-demanche Xo. 76: N. kommt
vom Felde heim; seine Fi-au: , Hast Du viel geschnitten ?- S.: .Ich habe noch bis morgen
Mittag zu thun." Sie: .Du musst inschä alläh sagen." N.: .Ich werde auch so fertig
werden." Am nächsten Morgen wird er jedoch von Reitern gezwungen, als Führer zu
dienen (echt orientalisch.'); erst gegen Mittemacht kommt er nach Haus. Sie: .Wer ist
da?" N.: „Ich, inschä alläh, mach auf'.- — Vgl. AUaoua, recueil de theraes etc. (Mosta-
ganem 1890\ No. 8G.
2) Das Bäb en-Xajr und das Bäh Znwele, die noch heute so heissen s. Baedeker-,
Unterägypten, 291 und 300.
Schwanke und Scliiiurron im islamischen Orient. 55
Schliesseii der Tliore, um den Falken festzuhalten, der Verurteilung der
unschuldigen Bärtigen; Nichtbeachtung der Wirkung bei der Vertröstung
der Frau, die um das Leichenhemd bittet, auf das nächste Jahr. Sehr
zahlreich sind die Schwanke, welche dieser Klasse angehören.
Handelt es sich bei dieser Art Geschichten um Darstellung der Un-
fähigkeit, richtig zu denken, so ist die Zahl derer, welche eine Verherr-
lichung der Schlauheit sind, kaum minder gross. Fast immer zeigt sich
die Findigkeit des Schlauen darin, dass er sich oder auch einem anderen,
dem er dienen will, einen Vorteil verschafft, zu Ungunsten eines Dritten,
der dabei mehr oder minder empfindlich geschädigt oder gefoppt wird.
Zuweilen ist der Schlaue von Anfang an der Handelnde; er verfolgt ein
Ziel, besonders mit Rechnung auf menschliche Schwächen und Leiden-
schaften und führt die von ihm ersonnene List, dasselbe zu erreichen, mit
Geschick durch. In anderen Fällen sieht er sich ohne sein Zuthun der
Begehrlichkeit oder der Dummheit eines andern gegenüber und kann nun
nicht umhin, dieselben auszubeuten. Das von dem Schlauen verfolgte Ziel
ist bisweilen auch Rache. Mehrfach finden sich in ein und demselben
Schwank Züge, welchen das schlaue Rechnen auf menschliche Schwächen
u-emeinsam ist, die aber im einzelnen interessante Verschiedenheiten
zeitigen.
Ein Beispiel für das einfache Erreichen eines Vorteils durch List
bietet die Geschichte, welche sich im Volksmunde von Tunis ^) und in
einer Suaheli-Fassung'') an den Namen des Abu Nuwas, jenes lied- und
witzreichen Dichters am Hofe des Härün er-Raschid und seiner Söhne
el-Amln und el-Ma'mün knüpft. A. N. hat eines Tages gar kein Geld
mehr, einfach betteln kann er nicht, er geht daher zu Harun er-Raschid,
lügt diesem vor, seine Frau sei gestorben, und erbittet die Mittel zu ihrer
Beerdigung. In gleicher Weise geht seine Frau zu Zubede, der Gemahlin
des Chalifen, und erhält das Nötige, um ihren angeblich verstorbenen
Gatten würdig bestatten zu können. In der Suaheli-Version finden die
Leute, welche der Sultan ausgeschickt hat, um sich von der Richtigkeit
der Nachricht zu überzeugen, die Frau mit dem Toten beschäftigt, der
aber, als sie ihn auf die Bahre legen wollen, aufspringt und dem Chalifen
erklärt: „Icli habe die Wahrheit gesagt; am Morgen starb ich, da meldete
meine Frau meinen Tod, dann bin ich auferstanden und sie starb, da
meldete ich ihren Tod." Weit witziger ist der Schluss der Geschichte in
der arabischen Fassung: Ärgerlich über den Widerspruch seiner Frau
schickt der Chalife den Oberstthürsteher, um nachzusehen; Abu Nuwas
sitzt vergnügt mit seiner Frau am Fenster; als der Abgesandte sich zeigt,
muss sie sich schnell tot stellen. Zubede will die Nachricht nicht glauben
1) Stumme, Tunisische Märehen, II, 112 ff.
2) Büttner, Anthologie, II, 92 f.
5g Hartuiaini :
und schickt den Eumiclienobersteu aus. der natürlich mit der Nachricht
zurückkommt, Abu Nuwäs sei wirklich tot. So bleibt dem Fürstenpaar
nichts übrig, als sich selbst an Ort und Stelle zu begeben. Da lagen sie
beide, laug und gerade hingesti-eckt, kalt und tot. Der Chalife rief: „Wer
mir das erklären kann, dem gebe ich gern tausend Goldstücke." Da
setzte sich Abu Nuwäs aufrecht hin. „Her damit!" Und seine Frau stand
auch auf, und alle lachten. — Dieses Motiv des Sichtotstellens, um dadurch
einen Geldvorteil zu erwerben, ist ein auch sonst beliebtes; eine Parallele
bietet der romanische Faktilakreis: in dem sicher dem Volke nacherzählten
Heftchen Pakala si Tändala von Silvesti-u Moldovan ') kommt Tändala, um
Pacala an eine Schuld zu mahnen: dieser lässt sich zum Schein im Garten
begraben, T. wird von P.s Frau zum Grabe geführt und ahmt nun durch
Springen und Brüllen auf demselben einen Ochsen nach: P. fällt darauf
herein und fängt innen zu schreien an. Noch ein zweites Mal sucht
er durch verstellten Tod seineu Gläubiger zu täuschen; dieser hält, damit
der Verschmitzte ihm ja nicht entwische, bei dem in der Kirche Auf-
gebahrten die Totenwache. Um Mitternacht versteckt er sich aus Furcht.
Es kommen Diebe, um dort ungestört die Beute zu verteilen: der Tote
springt auf. die Diebe fliehen entsetzt. P. und T. teilen sich in den Kaub.
Einfacher Art ist auch die lustige Erzählung vom Kessel, der ein
Junges bekommen hat; sie findet sich in den meisten Sammlungen von
Nasr eddin-Schwäukeu. Der Hodscha leiht eines Tages von einem Nachbarn
einen Kessel, nach einiger Zeit bringt er ihn zurück mit einem kleineren.
Auf die Frage des erstaunten Besitzers erklärt er, der Kessel habe ein
Junges bekommen. Erfreut nimmt jener deu unerwarteten Zuwachs in
Empfang. Bald darauf leiht der Hodscha den Kessel wieder. Der Nachbar
wartet und wartet, vergebens, der Hodscha bringt ihn nicht zurück.
Endlich mahnt er ihn. „Ja, der Kessel — der Kessel ist längst gestorben!"
— Natürlich entscheidet der Eichter, der angerufen wird, zu gunsten des
Hodschas: Kann der Kessel ein Junges bekommen, so kann er eben auch
sterben.^) — Ist in dieser kleinen Erzählung die Hauptsache die List,
durch welche sich der Held in den Besitz einer Sache setzt, so spielt doch
diu'ch die Haltung des Geschädigten, die der Schlaue sich zu Nutze macht,
ein anderes Motiv hinein, das nicht selten in besonderen Erzählungen seine
Darstellung findet, der Gedanke: wer sich einen Vorteil, der gegen alle
1) Biblioteca poporala a Tribimei No. 5. Sibiiu (Hermaimstadt) 1886.
2) Kaii-o 14, Beirut IG, Decoui-demanche No. 111, Cain. ivo. 35, Dieterici 34 und
danach Ethe 246 f. mit dem Nebenzuge, dass der Nachbar beim zweiten Entleihen einen
recht grossen Kessel giebt, damit das Junge, das dieser etwa haben werde, auch recht
gross gerate; Clouston or. wit 67, Mallouf No. 279, Pharaon 179, Machuel 220, Stumme.
n, 1301'. mit dem hübschen Nebenzuge, dass der zweite Kessel ,.im Wochenbette" gestorben
ist; Büttner, II, 88 f. Bei Reclam fehlt die Geschichte sonderbarerweise. In den occi-
dentalischen Litteraturen scheinen sich zu diesem Beispiel für das Motiv: Beilegung
unmöglicher Fühis'keiten an unvernünftige Dinge keine Parallelen zu finden.
Schwanke' unil Sehimncii im islamischen Orient. 57
Vernunft ist, gefallen lässt, niiiss auch den widersinnigen Schaden, der
jenem entspricht, hinnehmen. ') Dass der naturwidrige Vorteil und Schaden
darauf hinausläuft, dass einem leblosen Dinge Eigenschaften der lebenden
Wesen beigelegt werden, ist ein Nebenzug, der sich ausserordentlich häufig
in den Schwanken findet, ebenso wie auch den unvernünftigen Tieren nicht
selten Verstandes- und Willensäusserungeu, wie sie nur dem Menschen
eigen sind, zugeteilt werden.
Angrenzend an eine sehr ausgedehnte Klasse von Schwänken, die in
allen Litteraturen zahlreiche Vertreter hat, ist die Unterart der Schlauheits-
geschichten, in welchen der Listige sich den Vorteil durch eine geschickte
Verteilung verschafft ^). Die beiden folgenden Schwanke sind der Moulieras-
schen Sammlung berberischen Ursprungs entnommen''), und wie Bassot zu
beiden keinen einzigen Vergleich beibringt, so kann auch ich eine gleiche
oder ähnliche Fassung aus einem anderen Litteraturkreise nicht belegen.
Si Dscheha bringt mit zwei Freunden zwei Schafe und einen Hammel vom
Markt; als es zum Teilen kommt, übernimmt er das Geschäft und ent-
scheidet: „Ihr beide nehmt ein Schaf, der Hammel und ich nehmen das
andere Schaf."' — Ein anderes Mal ist Si Dscheha mit mehreren Freunden
auf der Reise. Bei der Hast sollen die mitgenommeneu Brote verteilt
werden; bescheiden erklärt Si Dscheha, er verzichte auf ein ganzes Brot,
(las sei ihm zu viel; er sei schon zufrieden, wenn jeder ihm die Hälfte
von seinem abgebe.
In allen diesen Erzählungen ist das Hauptmotiv ein einfaches: der
Schlaue verschafft sich durch List einen Vorteil. Mannigfaltiger ist der
folgende Schwank, in welchem zwei Schlauheitsproben hübsch miteinander
verknüpft sind, in der Weise, dass der bei der ersten Geprellte seine Eache
nimmt und dem, der ihn betrogen hat, einen Schaden zufügt. Die älteste
mir bekannte Fassung ist die in dem Kitäb el-adkijä des Ibn el-DschauzT *),
wo als der betrogene Betrüger kein geringerer erscheint, denn der berühmte
Stifter der einen der vier kanonischen Schulen des sunnitischen Islams,
Abu Uauifa''). Eines Tages, heisst es, klagte ein armer junger Mann, der
1) Vgl. die Geschichte von dem Krämer, der einen Hammel als Geschenk des Erz-
engels Gabriel hinmmmt, dafür aber auch nachher, obwohl er ganz gesund ist, den Tod
erleiden muss, der ihm vom Tudeseugcl 'Izrail geschickt ist. Stumme, II, 127 ff.
2) Andere Arten von Verteilungsgescliichteu s. Räuber und Richter bei ( 'am. 69 f.
Huth, Reisen der drei Söhne etc., 20.
3) Pom-beries No. 12 u. 14.
4) S. 178.
5) Dass Ibn el-DschauzI das Geschichtchen mit offenbarem Behagen erzählt, ist nicht
so sehr wunderbar, denn er folgte der Schule des Ibn Hanbai und ist sogar verdächtig,
mit den Schiiten geliebäugelt zu haben; aber merkwürdig ist es, dass das Hanefitische
Publikum an der etwas respektlosen Erzählung keinen Anstoss genommen zu haben scheint.
Vielleicht ist die ungünstige Beleuchtung des Meisters eine absichtliche Übertreibung seines in
den Augen mancher wohl nicht gottgefälligen milden Sinnes, von dem eine lustige Probe im
Kitüb el-aghäni, I, 165 gegeben ist (nacherzählt bi'i Krenier, Kulturgeschichte, I, 493 f.,).
58 Hartmann :
sich in ein Mädclieu verliebt hatte, dem A. H. seine Not, man werde sie
ihm nicht geben, weil er arm sei. A. H.: „Verkaufst Du mir Deinen
kleinen Finger') für 12000 Silberstücke?" — Er: „Nein!" — Abu H. :
„Sage nur den Verwandten des Mädchens, dass ich Dich kenne." — Der
Bursehe hält an und beruft sich auf Abu H. ]\Ian geht zu ihm. AbuH.:
„Ich weiss von dem Menschen nur, dass man ihm eines Tages in meiner
Gegenwart für etwas, was er besass, 12000 Silberstücke bot, und er es
doch nicht verkaufen wollte." Natürlich halten ihn die Verwandten für
reich, und er heii'atet. Das Mädchen sieht sehr bald, dass er nichts hat.
„Warte nur", sagt sie bei sich zu Abu IL, „das sollst Dn mir büssen!"
Sie putzt sich auf, tritt, augeblich um ein Rechtsgutacliten zu holen, bei
Abu H. ein und entschleiert sich, will sich auch nicht wieder bedecken,
denn, sagt sie, „nur Du kannst mich aus meiner fatalen Lage retten. Ich
bin nämlich die Tochter des Krämers an der Strassenecke, bin im Heirats-
alter und will einen Manu haben. Mein A^ater schickt aber alle Freier
fort, weil ich einäugig und kahlköpfig sei und verkrüppelte Hände hätte
(dabei zeigt sie den dichtbehaarten Kopf und die wohlgeformten Hände)
und behauptet, ich sei schon ältlich (und dabei macht sie kokette Be-
wegungen). Ich will nun, dass Du mir hilfst." A. H. ist erregt geworden:
„Willst Du meine Frau werden?" Sie küsst seine Füsse: „Gieb mich
Deinem Diener, wenn Du willst!" — Abu H. lässt den Krämer kommen
und bietet ihm als Heiratsgut für die schöne Tochter 150 Goldstücke,
wovon er ihm 50 sofort zahlt, die übrigen 100 im Falle der Scheidung.
Der Krämer macht Ausflüchte: „0 Herr", sagt er, „verdecke, was Gott
verdeckt hat. Ich sollte eine Tochter haben, die ich Dir verheiraten
könnte?" — A. H.: „Lass nur, Freund, ich bin mit Deiner einäugigen,
kahlköpfigen, ältlichen Tochter mit den verstümmelten Händen zufrieden."
Der Handel wurde abgeschlossen um 150 Goldstücke, uud am Abend brachte
sie der Vater in einem Korbe, den er mit seinem Diener trug, zu Abu II.
Der war sehr bestürzt, der Krämer aber verschwor sich, er habe keine
andere Tochter. Abu IL: „Sie soll unwiderruflich von mir geschieden
sein, ich trete vom Heiratsvertrage zurück, und Du magst Deine 50 Gold-
stücke behalten." Einen ganzen Monat dachte A. IL nach über das, was
ihm passiert war; da kam die Frau zu ihm, die ihm den Streich gespielt
hatte, und als er ibr Vorwürfe machte, entgegnete sie: „Was hat Dich
denn getrieben, uns mit einem armen Manne zu betrügen?"^ — Sehr hübsch
sind in dieser Geschichte verschiedene Motive miteinander verknüpft. A. H.
betrügt zu gunsten seines Schützlings das Mädchen und ihre Verwandten,
indem er auf ihre leichtgläubige Begehrlichkeit rechnet; die betrogene
1) So Nuzhat, IV, 5; bei Ibn el-Dschauzi obscön.
2) Eine etwas abweichende Fassung, in welcher A. H. nicht genannt ist, und der
Rachestreich nicht von dem Mädchen, sondern von ihrer Mutter ausgefülirt wird, siehe
Nuzhat, IV, 5 ff.
Schwanke und Schnurron im islamischen Orient. 59
Frau betrügt, um sich zu rächen, und A. H. geht in die Falle, die sie
seiner Sinnlichkeit stellt.
Höchst mannigfaltig sind die Formen, unter denen der Schlaue seine
Zwecke erreicht, die Schwächen, dereu Ausbeutung ihm als Mittel dient,
in jener Keihe sich aneinander knüpfender Schwanke, deren bekannteste
Repräsentanten die lustigen Geschichten vom Bürle in den Grimmschen
und vom grossen und kleineu Klaus in den Audersenschen Märchen sind.')
Sehr charakteristisch sind hier die Abweichungen der orientalischen Fassung
von den uns bekannten occidentalischen, die ja auch Varianten, aber doch
verhältnismässig unbedeutende zeigen. Von orientalischen Fassungen kann
ich allerdings nur eine beibringen, die jener zusammenhängenden Reihe
entspricht; einzelne Züge finden sich auch sonst verstreut. In Tuuis hat
die Bürle-Reihe, wie sie genannt werden mag, folgende Form: Dschuha
besass nur ein Kalb, dieses aber gedieh besser als das Rindvieh seiner
Verwandten, mit dem er es auf die Weide trieb. So wurden jene sehr
zornig, schlachteten es und assen es, und Dschuha konnte nur noch das
Fell von ihnen erbetteln. Er verkauft es auf dem Markt für einen Heller,
in diesen macht er ein Loch, zieht einen roten Faden durch und schlingt
ihn um seinen Finger. Auf dem Heimwege sieht er zwei Männer, die
sich in das Gold, das sie in einem Kasten gefunden, teilen. Er schleicht
sich hiuzu, wirft den gekennzeichneten Heller in ihr Gold und zwingt sie,
mit ihm Halbpart zu machen, „denu", sagt er „dieses Gold ist ein von
mir vergrabener Schatz, wie der Heller mit dem roten Faden beweist,
der sich darin finden muss." Wie viel witziger ist doch die Ai't, wie das
Bürle, der kleine Klaus, der romanische Pakäla, und wie alle die Vettern
dieser lustigen Personen heissen mögen, aus dem Felle Kapital schlagen !
Da ist der betrogene Ehemann, der für das wertlose Leder, das seine
Wahrsagerkunst zeigt, oder für eine Bethätigung dieser Kunst — wie bei
Grimm — eine hohe Summe zahlt, woran sich in der romanischen Fassung
der heitere Nebenzug schliesst, dass die treulose Frau dem Schlauen auch
noch eine grosse Summe zahlt, um den lästigen Wahrsager durch ein
sicheres Mittel wieder los zu werden, während bei Andersen der auf ver-
botenen Wegen ertappte Pfaff sich teuer loskaufen muss, um nicht die
verdiente Strafe zu erleiden. Nichts dergleichen in der arabischen Fassung,
welche dagegen in der nächsten Episode dieses komischeu Dramas einen
feinen Streich hat, der allen anderen Versionen zu mangeln scheint. In
diesen schlachten einfach die dimimen Bauern alle ihre Kühe, um die Felle
1) Aus dem reichen Material, das nun schon zu dieser Schwankreihe zusammen-
getragen ist, sei hier nur hingewiesen auf die kurzen, aber höchst inhaltreichen Artikel
„Unibos" von K. Goedeke in Germania, I, 369 f., zu welchem R. Köhlers ,Die Schwanke
vom Bauer Einhirn und dem Bauer Grillet", Germania, XVIII, 152 ff. eine weitere Aus-
führung mit Nachträgen ist, und auf die höchst witzige romanische Fassung in Slavici,
Pacala in satul lui (,Bibliot. Popolara a Tribunei, No. '28, Sibiiu 1886). Reich an hübschen
Sünderzügen ist auch die Version bei Jahn, Schwanke 125— 13'J „Der Kuhliiri und die Bauern".
gQ Hartmaim :
auch so teuer zu verkaufen, wie der Schlaue tlas seine verkauft haben
will, und werden mit ihren Forderungen ausgelacht; im tunisischen Schwank
giebt ihnen Dschuha ausserdem noch den guten Rath, die Häute nicht ein-
zusalzen, damit sie stinkig und also noch wertloser werden, und erst, als
er nach drei oder vier Tagen die Würmer auf den Häuten herumkriechen
sieht, schickt er die Dummen damit auf den Markt zum Verkauf, die
natürlich nicht bloss ausgelacht werden, sondern noch Scldäge bekommen.')
Gemeinsam ist allen Fiissungen der nun folgende Entschluss der Betrogenen,
den gefährlichen Menschen in einem Sacke zu ersäufen; abweichend sind,
wie auch bei den verschiedenen westlichen Fassungen unter einander, die
näheren Umstände und die List, durch welche das Opfer einen Hirten, der
mit seiner Herde vorbeikommt, in den Sack lockt.") Bei Stumme ent-
fernen sich die Leute etwas, um in der Nähe einen Trunk Milch zu
nehmen; dem Hirten spiegelt Dschuha vor, wenn er in den Sack krieche,
werde er zu einem Meister gebracht werden, durch dessen Unterricht er
zum Erblicken des von Gott verwahrten Schicksalsbuches gelangen werde.
Als Dschuha mit der Herde ins Dorf kommt, sind alle erstaunt. „Ja",
erklärte er ihnen, „die Schafherde habe ich aus dem Meere heraufgeholt."
Bekannt ist, wie nun alle gierig sind, auch solch Wasservieh zu bekommen,
und sich schleunigst in den Fluss oder See stürzen, um den gleichen
Gewinn zu haben. Ln Tunisischen schliesst damit die Reihe dieser Er-
zählungen nicht ab, wie in den anderen Lesungen; denn hier giebt Dschuha
den Leuten den Rat, ihre Kinder in Säcke zu stecken und ins Meer zu
werfen, die würden dann gegen Sonnenuntergang die Schafe Inüugen. Als
die Kinder nicht zurückkommen, lacht Dschuha die Betrogenen aus: „An
Euren Kindern haben sich heut die Fische gütlich gethan!" Vielleicht
darf man in dieser Fassung einen Ausfluss jener besonderen Grausamkeit
finden, von der nach einer schon oft gemachten Bemerkung das Volk mit
Vorliebe Züge in seine Märchen und Erzählungen einflicht. In der
tunisischen Fassung geht es nun weiter, freilich ohne Abschluss: Dschuha
wird in ehisamer Gegend an einen Baum gebunden, um von den Tieren
zerrissen zu werden. Da kommt ein stattlicher Greis heraugeritten, auf
vieles Drängen erklärt Dschuha, er sei 100 Jahre alt gewesen, da sei er
au diesen Baum des Sidi 'Abd el-KSdir gebunden und zu einem Dreissig-
jährigeu geworden, das sei so eine Eigenschaft dieses Baumes. Dschuha
lässt sich endlich erbitten, sich losbinden zu lassen, und den Greis an den
Verjünguugsbaum zu fesseln. Auf dessen Ross und in dessen kostbaren
Kleidern kommt er in sein Dorf zurück.
1) Parallelen zu dem geschickten Verkauf eiues wertlosen Feiles s. Fourberies No. 35,
wozu Basset vergleicht Marion, nouvelle methode etc., No. 15.
2) Am witzigsten sind ohne Frage die Einzelnheiten dieser Episode und überhaupt
der ganzen Erzälilnng in der romanischen Fassung dargestellt.
Schwanke uud Schnurren im islamischen Orient. 61
Von den zerstreuten Varianten der einzelnen Episoden dieser ganzen
Reihe erwähne ich hier nur die sehr originelle Suaheli-Version der See-
viehgeschichte, in welcher auch Leute aus Eigennutz ins Wasser springen,
nur dass sie nicht Tiere finden wollen, sondern Datteln. Ein Araber,
heisst es'), verschifft eine Anzahl Säcke Datteln nach Lamu. Das Schiff
ist zu schwer, die Schiffsleute halten die Datteln für Tamarinden und
werfen alle Säcke bis auf einen über Bord. Ein Mann sclineidet den Sack
an und findet, dass der Inhalt sehr süss ist. Die anderen probieren die
köstliche Speise auch, und der Kapitän bestimmt, zurückzufahren dahin,
wo man die Säcke über Bord geworfen hatte. Der erste taucht und ertrinkt.
„Aha", sagen sie, „der sitzt unten und schmaust." Der zweite ertrinkt
auch, und so springen alle nach einander hinein, um ja etwas von den
süssen Früchten zu bekommen. — Noch sei hingewiesen auf die Mannig-
faltigkeit der Triebe, deren der Schlaue in der Bürle-Reihe sich bedient,
um seine Zwecke zu erreichen: wird doch in dem letzten Gliede der
tunisischen Geschichtenkette der Greis mit der Sehnsucht nach der ent-
schwundenen Jugend geködert; der Hirt muss in den Sack, weil er durchaus
im Schicksalsbuche lesen lernen will — in der That Züge, welche uns
mehr anmuten als die grobsiunlichen Begehrlichkeiten, deren Reizung in
den meisten anderen Fällen die Hauptrolle spielt.
Einer besonderen Unterklasse kann man wohl die Schlauheitsgeschichten
zuweisen, in welchen, wie schon angedeutet, derSchlaue durch die Dumm-
heit und die Begehrlichkeit anderer gleichsam gezwungen wird, diese
Schwächen zu seinem Vorteil auszubeuten oder auch zu der List seine
Zuflucht nehmen muss, um sich für einen erlittenen Schaden zu rächen.
Eine recht lustige Geschichte, die hierher gehört, und für die mir Parallelen
nicht bekannt sind, knüpft der Volksmund in Tunis an den Namen des
trink- und liebefreudigen, aber auch wegen seiner genialen Verlumptheit
berüchtigten arabischen Dichters Abu Nuwas, von dem bereits die Geschichte
erzählt ist, wie er sich zugleich mit seiner Frau totstellt.
Abu Nuwäs hat vom Chalifen Harun er-Raschid einen kostbaren Pelz
zum Geschenk erhalten; er kommt in demselben an dem Hause eines
befreundeten Vezirs vorüber; dessen Frau sieht ihn vom Fenster aus, lässt
ihn zu sich rufen, bittet ihn um den Pelz und erhält ihn dafür, dass der
Dichter sie küssen darf. ^) Beim Fortgehen bereut A.N. den Verlust; die
Dienerin muss ihm ein Glas "Wasser reichen, er trinkt, lässt das Glas
fallen, dass es zerbricht und fängt bitterlich zu weinen an. Da kommt
der Vezir nach Haus: „Was hast Du, Abu Nuwäs?" — „Man hat mir
meinen Pelz abgenommen, weil ich das Unglück hatte, das Glas zu zer-
brechen." Die Dienerin erklärt: „Der Mann ist geistesschwach!" — Abu
1) Büttner, Anthol. II, 107 ff.
2) So in Stummes Übersetzung; das Original obscön.
62 Hart mann:
Nuwns: „Icli habe in meiner Geistesscliwachheit gesprochen, Du kannst ja
nun die Sache mit klarem Verstände erzählen." Er erhielt natürlich seinen
Pelz wieder.*)
Dieser Schwank ist eine der lustigsten Einkleidungen des Gedankens,
wie der Gierige um den Gegenstand, den er gewonnen zu haben meint,
von dem Schlauen, der auf diese Gier spekuliert, um sich einen Genuss
zu verschaffen, geprellt wird. Die Gescliichteu, welche das Gefopptwerden
des Lüsternen darstellen, sind besonders zahlreich. In dem eben erzählten
Schwanke von Abu Nuwns und dem Pelz ist es die Putz- und Gefallsucht,
die der Begierde die Richtung giebt; der sinnliche Genuss ist nur ein
Nebenzug, denn ebenso gut wie das hier dem Abu Nuwfis Gewährte hätte
irgend etwas anderes genannt werden können, von dessen Fortgeben an
einen Fremden der Gemahl nichts erfahren durfte. In der Eegel ist es
aber der sinnliche Genuss selbst, der begehrt wird, und zu dessen Er-
reichung Opfer gebracht werden, um den aber der Lüsterne geprellt wird.
Sehr charakteristiscli ist die Geschichte: Eine Frau für 100 Rinder,
welche sich in Büttners Anthologie aus der Suaheli-Litteratur findet.'')
Ein junger Mann besitzt nur hundert Rinder. Sie alle muss er hingeben,
um die Tochter eines sehr reichen Viehbesitzers zur Frau zu bekommen.
So hat das Paar nichts zu leben, und sie sind auf die Gutherzigkeit der
Nachbarn angewiesen. Ein Nichtswürdiger schleicht um die junge Frau
herum. Eines Tages erhält sie Besuch von ihrem Vater. Da sie nichts
hat, ist sie wegen seiner Bewirtung in grosser Not; da stellt sieh der Ver-
führer ein, will ein gutes Stück Fleisch gegen Gewährung ihrer Gunst
herbeischaffen und bringt auch ein Rinderviertel. Sie bereitet es zu, man
setzt sich zum Essen. Es erscheint auch wie zufällig der Geber und wird
nach orientalischer Sitte gebeten teilzunehmen. Die Frau lädt ein zuzu-
langen mit den Worten: „So esst nun, Ihr drei Narren!" Ihr Vater ist
höchst entrüstet und will durchaus seine Narrheit wissen. Sie: „Du hast
etwas Teures für etwas Billiges verkauft; icli bin Dein einzig Kind, und
Du hast 6000 Rinder, und mich hast Du für Imndert hingegeben." Nun
will auch ihr Mann seine Narrheit kennen. Sie: „Du hattest nur hundert
Rinder, schon für zehn oder zwanzig hättest Du eine Frau haben können.
Du gabst aber alle für mich hin, und nun liast Du nichts und musst
anderen dienen." Der Fremde muss Folgendes hören: „Du bist der grösste
Narr, Du wolltest etwas, was für hundert Rinder gekauft war, für ein
einziges Rinderviertel bekommen. Ist das nicht dumm?" Der Vater aber
schenkte dem jungen Paare die Imndert Rinder, die er bekommen, und
noch zweihiuidert dazu.
Einem anderen Kreise gehören die Schlauheitsgeschichten an, in
welchen der Held sich durch eine geschickte Wendung in Wort oder That
1) Stumme II, 121 f. (No. 11).
2) Büttner II, 128 ff.
Schwanke und SchniuTon im islamischen Orient. 63
aus einer "Verlegenheit befreit, sei es, dass er durch eigene Schuld in die-
selbe geraten, sei es, dass andere ihn plötzlich in eine schwierige Lage
gebracht haben. In den Schwanken der ersten Art läuft der "Witz meist
auf eine geschickte Entschuldigung des bei einer Unredlichkeit oder einer
niedrigen Handlung Ertappten hinaus. In zahlreichen Litteraturen findet
sich die hübsche Geschichte von dem unerlaubten Verzehren des einen
Beines eines gebrateneu Vogels. In einer deutschen Fassung sind es
Christus und Petrus, von denen der letztere dem Herrn und Meister ein
Hühuerbein wegisst, als er den gebratenen Vogel bringt, und dann be-
hauptet, hier zu Lande hätten die Hühner nur ein Bein, das auch an
Hühnern, die gerade in der Nähe auf einem Beine herumstehen, ad oculos
demonstriert. Der Herr ruft putt, putt, und sofort kommen die Hühner
auf beiden Beinen angelaufen. „Ja", sagt Petrus, „hättest Du zum
gebratenen Huhn auch putt, putt gemacht, so hätte es auch zwei Beine
bekommen." Von den türkischen Fassungen sei die der Reclamschen
Sammlung erwähnt, in welcher die Geschichte zwischen Nasr eddin und
einem Richter spielt, und der gebratene Vogel eine Gans ist. Auch hier
wird der Lügner sofort überführt, indem der Richter die Gänse mit grossen
Stöcken aufscheuchen lässt. Aber auch hier ist der Überführte um eine
Antwort nicht verlegen: „Bekämt Ihr diese Stöcke zu kosten, Ihr würdet
vierbeinig werden!" Ganz ähnlich ist die Geschichte bei Camerloher
erzählt, wo an die Stelle des Richters der Mongolenfürst Timurlenk getreten
ist.^) — Plumper sind die türkischen Scherze, in denen Diebesgelüste
beschönigt werden: Eines Tages brach Nasr eddin in einen fremden
Gemüsegarten ein und füllte einen mitgebrachten Sack mit allerlei Früchten.
Gärtner: „"Was suchst Du hier?" — Nasr eddln: „Ein heftiger "Wind hat
mich hierher geschleudert." — G.: „"Wer hat das hier ausgerissen?" —
N.: „Der Wind warf mich hierhin und dorthin, woran ich mich auch immer
festhalten mochte, das blieb in meiner Hand." — G.: „Und wer hat das
in den Sack gefüllt?" — N. : „Sieh mal an, darüber wundere ich mich
auch!"') — Ein anderes Mal ist Nasr eddm mit der Leiter in einen
fremden Garten geklettert; ertappt entschuldigt er sich, indem er zu der
nachgezogenen Leiter läuft: „Ich verkaufe Leitern!"*) — Auf einem fremden
Obstbaum betroffen, erklärt er: „Ich bin eine Nachtigall und singe gerade."
Auf die Frage, „was ist das für eine Art Singen?" antwortet er: „So singt
eine ungelernte Nachtigall."^) Nicht viel witziger sind die Geschichten,
in denen Buadem seine Trunksuclit oder Betrunkenheit entschuldigt.')
1) Mitgeteilt von Direktor Schwarz in der Sitzung des Vereins vom 27. April 1894.
2) Reclam No. 39, Cani. No. 75.
3) Reclam No. 21.
4) Reclam No. 47, Cam. No. 18.
5) Reclam No. 57, Cam. No. 125.
6) Recl. Buad No. 58. 60. 66.
64 Harhiiann:
Geschickter ist die Art, wie Si Dsclielia sich weiss brennt, als mau den
Mantel, den er dem betrunken und schlafend von ilim angetroffenen Kadi
weg-genommeu hat, bei ihm findet. Vor den Kadi gebracht, erklärt er:
„Ich fand einen Betrunkenen an der Strasse liegen, habe ihn verunreinigt
und nahm ihm den Mantel weg. Ist er Dein, so kannst Du ihn haben." ^)
Unter den Schwänken, welche die Fähigkeit verherrlichen, sich in
kritischer Lage schnell Rats zu wissen, und die, die aus Bosheit dieselbe
herbeigeführt haben, heimzuschicken, ist einer der originellsten der von Nasr
eddin und seinen Freunden im Bade. Diese wollen die Bezahlung aller
Bäder Si Dscheha aufhalsen, indem sie plötzlich erklären: „Wer im Bade
kein Ei legt, muss für alle bezahlen." Jeder gackert und legt ein mit-
gebrachtes Ei unter sich. Si Dscheha aber, nicht verlegen, schlägt mit
den Armen, als ob es Flügel wären, und kräht gewaltig: „Haben soviel
Hennen nicht einen Hahn nötig?" ^)
Das Wesentliche in dieser Erzählung ist die Geschicklitdikeit und
Schnelligkeit, mit welchen hier Handlung gegen Handlung gesetzt wird.
Verwandt ist sie mithin jener zahlreichen Klasse, in welcher der Scharfsinn
auf die Probe gestellt wird, und es auf die schnelle und sichere Beant-
wortung scheinbar unlösbarer Rätselfragen ankonmit. Zu bekannt ist die
Geschichte vom Kaiser und dem Abt, als dass sie hier erzählt zu werden
brauchte.") Von den orientalischen Parallelen sei hier zunächst die No. 70
der Camerloherschen Sammlung angeführt. Einst, heisst es, erschienen bei
dem Sultan 'Ala oddin drei christliche Mönche, die zum Islam übertreten
wollten, wenn ihnen drei Fragen beantwortet würden. Keiner der Weisen
konnte sie lösen. Es blieb nichts übrig, als den weisen Narren Nasr eddin
zu rufen. Der erste Mönch: „Wo ist der Mittelpunkt der Welt?" — Nasr
eddiu: „Da, wo der Fuss meines J^sels steht." — Mönch: „Woher weisst
Du das?" — N.: Glaubst Du nicht daran, so miss." — Der zweite Mönch
tritt vor: „Wie viel Sterne stehen am Himmel?" — N. : „Soviel mein Esel
Haare auf sich hat; wenn Du es nicht glaubst, so zähle." — Mönch:
1) Fourbcries No. 17: iu der Fassung Caiu. No. 120 ist, die mit dem Kadi vor-
genommene Prozedur so türkisch roh, dsss selbst Cam. die bezüglichen Stellen nui" lateinisch
wiedergiebt.
2) Kaüo 11 f., Beirut 12, Cam. 26„Reclani No. 50, Deourdemanche No. 171 (Timurlenk
spielt herein; der wiclitige Zug, dass der, der kein Ei legt, zahlen soll, fohlt), Fourberics
No. 13, Kaljübi 53.
3) Über Bürgers Kaiser und Abt und die Parallelen dazu s. R. Köhler, Or. u. Occ. I
zu Camerloher No. 70. Von orientalischen Parallelen nenne ich Nuzhat V, 173 ff.: Ein
Kaufmann wird zum nächsten Morgen zum Könige bestellt, um bei Todesstrafe sofort auf
drei Fragen zu antworten; sein Diener geht an seiner Statt. Frage 1: Wie viel Fuss ist
das Meer tief? — Antwort : „Mein Vater schlug vor einem Jahre im Meere Holz, da entfiel
ihm sein Beil; er ist ihm nachgesprungen in die Tiefe; wenn er wiederkommt, wird er
mir sagen, wie viel Fuss das Meer tief ist." Frage 2: Wie viel Piaster bin ich wert? —
A.: „27 Silberpara; denn für dreissig SilborKnge wurden Jesus und Joseph verkauft."
Frage 3: Was denke ich? — A.: .Dass ich der Kaufmann bin; bin aber nur sein Diener."
Schwäiiki' und Sdimirrcn im islamischen Orient. 65
„Lassi'n sich dio Haare Deines Esels zählen?" — N. : „Und soviel Sterne,
lassen die sich zählen?" — Der dritte Minicli tritt vor: „Wieviel Haare
hat mein Bart?" — N. : „Genau so viel, als ini Schvranz meines Esels
sind; wenn Du es nicht glaubst, zähle!" — Der Mönch will sich mit dieser
Antwort nicht abspeisen lassen. „Komm", sagt N., „machen wir die Probe.
Wir ziehen immer ein Haar ans Deinem Bart und ein Haar aus dem
Schwänze des Esels aus. Du wirst sehen, es stimmt." — In der Reclamschen
Sammlung finden sich nur die beiden ersten Fragen und zwar getrennt');
in der ersten ist es ein Atheist, der Nasr eddin in Versuchung fuhrt, in
der zweiten erklärt sich Buadeni auf ilie Frage nach der Zahl der Sterne
für unfällig, sie zu lösen; denn dazu müsse man ja nach dem Himmel
gehen und die Sterne zählen; bei Tage lassen ihm seine Geschäfte dazu
keine Zeit, in der Nacht aber werde er, da er im Himmel nicht bekannt
sei, weder ein Wachslicht noch eine Kerze finden, und in der Finsternis
sei doch ein Zählen der Sterne nicht möglich.
In dieser letzten Fassung tritt uns nicht der weise Narr, sondern der
dumme Narr entgegen, derselbe närrische Kauz, der, als nachts seine Frau
zu ihm sagt: „Zünde das Licht au, das rechts vom Bett steht", ärgerlich
erwidert: „Es ist doch stockfinstre Nacht, wie kann ich denn da sehen,
wo rechts und links ist?"") — So gehen in den Schwanken, welche die
Volksbücher au den Namen dieser und anderer mehr oder minder historischen
Persönlichkeiten knüpfen, die Schlauheit, welche die grössten Schwierig-
keiten zu überwinden vermag, und die Einfalt, welche den Wald vor den
Bäumen nicht sieht und alles verkehrt macht, durcheinander; nicht selten
ist die trrenze zwischen ihnen eine flüssige. Nasr edilin und seines Gleichen
erscheinen als ein tremisch von Einfalt und Geist.
Welchen Wert aber auch immer die Früchte der ernsteren Durch-
forschung der Schwanklitteratur der arabisch-islamischen Kulturwelt haben
mögen, ob das, was dabei als verwertbares Material für die höheren Ziele
der volkskundlichen Forschung sich herausstellt, bedeutend oder unbedeutend
ist — keiner, der hier durch den Weg seiner Studien mitzuarbeiten berufen
ist, darf diese Mitarbeit von sich weisen oder dieser Pflicht durch eine
scherzende Wendung sich entziehen wollen, etwa wie Nasr eddin es that
mit der Pflicht, am Freitage, dem islamischen Feiertage, zu predigen. „He,
Ihr Gläubigen", rief er die in der Moschee Versammelten an, „wisst Ihr,
was ich Euch sagen werde?" — „Nein", riefen alle. — „Nun, dann braucht
Ihr es nicht zu wissen." — Am folgenden Freitage antwortete die Gemeinde
Verabredetermassen auf die gleiche Frage: „Ja, wir wissen es." — „Nun,
dann brauche ich es Euch nicht erst zu sagen." — Und wieder stieg er
von der Kanzel. — „Den wollen wir fangen", sagten die klugen Leute und
1) Reclam No. 51 und Reflam Buadem No. 96.
2) Reclam No. 27.
^eitachr. d. Vereins (. Volkskunde. 1895-
(jf; Hartiuauii: Schwankt- uud Sclimirrcn im isbimisclifii Orient.
hielten Rat. was zu thun wäre. Am folgenden Freitag fragte der Ilodsclia
abermals: „Ihr Gläubigen, wisset Ihr, was ich Euch sagen werde?" — Da
antworteten sie weislich: „Einige von uns wissen es. andere wissen es nicht."
— Der Hodscha: „Das trifft sich gut, so mögen die, welche es wissen, es
denen sagen, welche es nicht wissen!" und damit stieg er von der Kanzel.')
Nachträgliches.
Zu Seite 42. Zeile ß 1^'. Die hauptsächlichen Parallelen zu der Milch-
mädchen-Geschichte sind bereits beigebracht von Benfey, Pantschatantra I,
499 ff. (§ 209). Eine musterhafte Behandlung ist der Geschichte dieser
Fabel zu teil geworden in dem Vortrage Max Müllers „On the Migration
of Fables". der in Contemporary Review, vol. XIY (April-July 1870),
S. 572 fl". abgedruckt ist, und in welchem der Ijerühmte Sprach- und
Mythenforscher das erste Auftreten der Milchverkäuferin an Stelle des
Brahmanen, Büssers oder Bettlers in dem wahrscheinlich im 13. Jahrhundert
verfassten, zuerst im Jalire 1480 gedruckten Dialogus Creaturarum optime
moralizatns nachweist. Zu den von Benfey und M. Müller gegebenen
Parallelen trage ich nach: Eine zigeunerische Version aus Südungarn und
eine ungarische der Siobenbürger Szekler bei von Wlislocki. Beiträge zu
Benfeys Pantschatantra in Ztschr. d. Dtschen Morgenl. Ges., Bd. 42. p. 13G ff',
und die mit behaglicher Breite ausgeführte und mit einer langen „Allegoria.
das ist geistliche Deutung" versehene Wiedergabe der Geschichte in
Kirchhofs AVendunmuth ed. Österley I. 20.') ff.
Zu Seite 47, Zeile 4 ff. Das, was hier von der uns vorliegenden
Redaktion der 1001 Nacht gesagt ist, dass sie kaum früher als 1450 wird
angesetzt werden dürfen, gilt nur von den Handschriften und Ausgaben,
welche die ägyptische Fassung darstellen. Nach den Ausführungen Noeldekcs
Wiener Zeitschr. f. d. Kunde d. Morgenl., II, 1'2 wird man annelimen
müssen, dass die Entstehung der Stücke, welche allen drei von Zotenberg,
histoire d"'Ala al-Din ou la lampe merveilleuse angenommenen Hand-
schriftengruppen gemeinschaftlich sind, in einer ziemlich frühen Zeit liegen
muss (etwa 900?). Ob auch in diese ältesten Stücke schon Schwanke ein-
gestreut sind, wird erst eine eingehendere Untersuchung feststellen können.
Zu Seite 51, Zeile 2 ff. Eine wertvolle Monographie unter dem Titel
„Karakoüch" veröffentlichte Casanova in den Memoires publies par les
membres de la Mission Archeologiciue fran<;aise au Caire, Bd. 6, fasc. 3
(Paris 1893), p. 447—491. Sein Resultat ist: Kai-aküsch war ein tapferer,
etwas rauher Haudegen, der in der politisch bewegten Zeit nach dem Tode
Sahih eddms keine glückliche Rolle spielte und aus politischer und per-
sönlicher Feindschaft von dem Bureaumenschen Ibn Mammati in dem
Pamphlet Kitäb elfäschüsch etc. (s. S. 50) als ein grausamer Schwachkopf
hingestellt wurde. Von einem Zusammenhange des türkischen Schatten-
1) Reclam No. 30, (Jam. No. 1. .
Scliell: Abzählnume aus dem Bergischen. 67
Spieles Karagöz mit dem so arg vermiglimpfteii ägyptischen Baumeistei",
Soldaten und Staatsmann, wie ihn aucli Casanova als möglich anzimehmen
scheint (s. S. 46ri) ist keine Rede. Sehr nnn'kwürdig ist, dass derselbe
Karalvfiscli bei den westlichen Historikern der Kreuzzüge als eine durch
Weisheit und Tugenden ausgezeichnete Persönlichkeit erscheint: ihr
Cai'acois ist ein sagenumwobener, ehrwürdiger Patriarcli. Casanova giebt
den Text der Handschriften eines Auszuges des Ihn Mammatischen Werkes
(Ms. Kairo), des Sujutischen Werkchens (Ms. Paris a. f. ar. 1548) und des
attarz elmanküsch (Ms. München 637) mit Übersetzung. Die hier mit-
geteilten Erzählungen finden sicii auch bei Casanova.
Zu Seite 51, Anmerkung 2. Die Frage ist bejahend zu beantworten:
Karakiisch entstammte in Wirklichkeit einer der Provinzen des byzan-
tinischen Reiches, vielleicht Armenien (vgl. die folgende Anmerkung,
Schluss); in der Bezeichnung des Dschuha als er-rümi spricht sich das
Bewusstsein der fremden Herkunft der Schwanke aus.
Abzählreime aus dem Bergisclieu.
Gesammelt von 0. Schell.
1. Ine, mine, mine; Gieb mir eine Butterbrot.
Kamen drei Kanine. Butterbrot mag ich niclit;
Josef ist der l)estc Mann, Zuckerplätzchen kriegst du nicht.
Hat die schönsten Kleider an. Eins, zwei, drei
Mutter tot — Vater tot, Und du musst sein. (Wiilfratli.)
Ganz ähnlich in Hambach bei Heppenheim an der Bergstrasse. Dort
lautet der Reim nach einer Aufzeichnung im handschriftlichen Nachlass
von Prof. Wilh. Crecelius:
Ane, mäne, Dienche; Mutter tot — Vater tot,
Es kamen drei Kaninchc, Gebt dem Josef Zuckerbrot.
Fragten nach dem Josef Zuckerbrot verlang' ich nit,
Josef ist der beste Mann; Hansel Dänel heiss' ich nit.
Er hat die schönschde Kleider an.
•-'. Wie welle nit lang Hukespukes mäken; du mots sin.
(Wülfrath, Kronenberg und Elberfeld.)
y. Is, mis, müs; 5. Ine mme Mitz
On du bös US. (Wülfrath.) Gong en der Laden,
Waul för en Penning Zucker han.
4. Eine kleine Mi — Maus För en Penning Zucker kritt man nit.
Lief über's Rathaus; Ine mine Mitz
Schine — wipp, schine — vvapp — Dat ärgert sich.
On du bös al). (WidlVath.) Eins, zwei, drei
On du bös frei. (Wülfrath.)
5*
68 Schell:
6. Kine, zwei, drei — acht, 7. Et söt eii Düffchen op dem Dach,
Die Kirsche kracht, Dat hat sich baul kapott gelacht.
Das Haus fällt ein Zehn, zwanzig — hundert;
Und du musst sein. (WüUrath.) Und du niusst sein. (Wülfiath.)
8. Ipp, tipp, tapp.
Und du bist ab. (Wülfrath.)
9. Kuckuk woer am Muhren schrappen,
Woss nicht, wie he et an saul packen.
Pack an;
On du bös dran. (Wülfrath.)
10. Abraham und Isaak
Schlugen sich mit Hackepack (Zwieback).
Abraham kann besser schlaun,
Isaak moss laupen gon. (Wülfrath und Elberfeld.)
11. Ech deil ut.
We do nit met tefreden es,
De kritt wat öm die Schnüt. (Wülfrath.)
12. Min Väder leid (liess) ein old Karrenrat beschlonn;
Road ens, wievöll Näel to tau saulen gönn. (Wülfrath.)
13. [ane, wiane, wessla, 14. Henken. Penken, Schorstenken.
Titlatessla, Tien möl honget es düsend.
Titlatei, (Kronenberg.)
Du biss frei. (Kronenberg.)
1."). Aken, backen, Buanenstäken ;
Piff, paff, all:
Ongen kömmt de Paff:
Üngen kömmt de Mus —
Du bös US. (Elberfeld.)
16. Apriküsen schmusen:
Ronterbank :
En wat för Hank?
Em N. N. sing Hank! (Elberfeld.)
(Nur bei einem bestimmten Ballspiel angewandt.)
17. Eins, zwei, drei — sieben; IS. Eine alte Schwiegermutter
Wo bist du so lang gebliebenV Mit dem krummen Puss,
In Stadt Hagen, in Stadt Hagen, Sieben Jahr" im Himmel g wesen
Wo die sieben Kaninchen waren. Muss sie wieder rus.
Sieben Kaninchen backen Brot. Ist das nicht ein dummes Weib,
Schlagen alle M.äuse tot. Dass sie nicht im Himmel bleibtV
(Elberfeld.) I — a — u — s = aus. (Elberfeld
19. En, twei, drei —
Dat Pucklen-Gretschen kockt den Brei. (Elberfeld.)
20. (Vergl. No. 12.)
Use aule Bestevader
Liat ens en aul Käreiu'adt beschlonn.
Rot ens, wivöll Nägel dat dotu gönnt?
Seg du. wat du woss! (Elberfeld.)
Abzählreime aus dem Bergischen. 69
Eine beliebige Zahl wird genannt und zwar von einem Kinde, dem
ein anderes mit der Hand die Angen versciiliesst, etwa 7. Dann zäiilt
man die Umstehenden bis zum Siebenten ab und sagt hierauf:
Dö böstu van den allerersten ener drüt.
Audi in Barmen und anderen Teilen des Bergischen ist der Reim bekannt.
Ebenfalls in Westfalen (Woeste, Wörterbuch der Westfälischen Mundart,
S. 28) imd Oldenburg (Strackerjan, Aus dem Kinderleben, S. 53).
Nach Bindewald lautet derselbe im Vogelsberg folgendermassen:
Es wollt ein Schmied ein Pferd beschlagen.
Wieviel Nägeljmuss er haben?
Eins, zwei, drei;
Magd hol' Wein;
Knecht, schenk ein;
Herr, sauf aus —
Du bist aus.
Ahnlich bei Sinu'ock, Das deutsche Kinderbuch, 2. Aufl., No. 788.
21. So vi ens wedden
Um en Fust voll Pedden?
Eck well se hacken;
Du söss se backen;
Eck well se mcten;
Du söss se freten. (Elberfeld.)
22. Aenneken, Aenneken (auch Ene, dene) Dintenfass,
Geh' zur Schul' und lerne was;
Wenn du was geleruet hast
Komm nach Haus luid sag' mir was.
(oder; Steck die Feder in die Tasch".)
Mein Vater ist ein Schreiner.
Schreinert mir ein Hölzchen,
Da pfeif" ich jeden Morgen drauf
(oder; Schreinert mir ein Häuschen
Und flarin ein Mäuschen). (Elberfeld.)
23. Bauer, bind' den Pudel an. 24. Eins, zwei, drei, vier,
Dass er mich nicht beissen kann; "W^ein oder Bier?
Beisst er mich, verklag' ich dich; Bier oder Wein?
Hundert Thaler kost't es dich. Du musst sein! (Elberfeld.)
25. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs,
Kraut ist ein Gewächs;
Kraut ist ein gut' Gericht,
Liebes Kiiul, verschmäh' es nicht. (Elberfeld.)
26. Eins, zwei, drei — sieben, Knaben, das sind Gassenbengel;
Wo bist du so lang geblieben? Mädchen tragen M)'rthenkränze;
In Berlin, in Stettin, Buben tragen Rattenschwänze;
Wo die schönen Mädchen blühn. Mädchen gehen früh nach Haus,
Mädchen, das sind Zuckerengel, Buben bleiben laufj-e aus. (Elberfeld).
(Eine Variante dazu bringt Norrenberg in seiner Geschichte der
Herrlichkeit Grefrath.)
70 Schell: Abzählreime aus dem Bergischen.
•21. Eins, zwei, drei,
Und du bist frei. (Elberfeld.)
28. Eins, zwei, drei:
Meine Mutter die kocht Brei ;
Meine Mutter die kocht Speck;
Ich oder du musst wegl
Die beiden ersten Verse lauteu auch wohl :
Eins, zwei — sieben:
Meine Mutter die kocht Rüben. (Elberfeld.)
Im Yogelsberg lautet dieser Reim nach Biiulewalds handschriftlichen
Aufzeichnungen :
Eins, zwei, drei:
Meine Mutter die kocht Brei:
Mein Vater der heisst Sauerknuit:
Meine Schwester ist 'ne schöne Braut.
29. Eins, zwei — sieben. 30. Um was wollen wir wetten?
Wo sind die Franzosen geblieben V Um drei goldne Ketten:
In Russland, in dem tiefen Schnee. Um ein Gläschen Wein.
Da riefen alle: ,0 weh. o wehl^ Peter, du musst sein!
(Elbtrfeld.) (Elberfeld.)
31. Op der Se" ess größte Nöd, Ammer, •wammer,
Ess en Feschken bleven d6»t; Rotterdammer.
On we riit met der Lik well gönn. Piff, paff, puff:
De raot de Kost betfüen. Schlag äff! (Elberfeld.)
32. Oewer üse böge Hüs
Flog ene gelle Gos (= Gans),
De say: Giga bös:
Zehn, zwanzig — hundert:
Do bösstu ran den alleriaschten enen drut. (Burmen.'
33. En, twei, drei, .Aken, bäken,
Rische rasche, rei; Bönenstäken.
Rische rasche, Ri — ra — rutsch.
Plüdertasche. (Barmen. Vergl. No. 15).
En, twei, drei. (Barmen.)
35. En, twei, drei, fier, föf, sess, sewen, acht:
Op die Jagd;
Sure Kappes on Speck —
Du böss leck. (Barmen.)
36. Inne wiune witsel, . 37. Ene mene metze;
We mag Britzel? Wer mag BretzeV
We mag Kauken? Wer mag Koken?
De mot raupen. Der möt soeken.
We mag Brei? A — B — but:
Di" ess frei Du böss di-üt:
Van de Börgemesteri. Du scherst dich üt dem Kreis herüt.
(Barmen.) (Leichüngen.)
Aiiialü: Zwei oriontalische Episoilim in Voltaires Zacligf. 71
38. Ich ging einmal in meines Grossvaters Garten.
In dem Garten stand ein Baum.
An dem Baum da war ein Ast.
Auf dem Baum da wai' ein Nest.
In dem Ne.st da war ein Ei.
Auf dem Ei da war geschrieben:
Wer bis hundert zählt, der muss kriegen.
(Dann zählt mau bis 100.)
(An verschiedenen Orten. J
39. Ich und du,
Müllers Kuh;
Müllers Esel
Der bist du. (An verschiedenen Orten.)
Einige Litteraturnachweise mit besonderer Berücksichtigung Rheinlands:
Arnim - Brentano, Des Knaben Wunderhorn (Reclamsclie Ausgabe),
S. 827 ff'.
Firmen ich, Germauiens Völkerstimmeu, I, 459. II, 556. 560.
Simrock, Das deutsche Kinderbuch, 2. Ausgabe, No. 737 — 814.
Woeste, Wörterbuch der Westfäl. Mundart, an verschiedenen Stellen.
Woeste, Volksüberlieferungen in der Grafschaft Mark, S. 9.
Kehrein, Volkstümliches aus Nassau, S. 115 ft".
Birlingers Alemannia, nameutlich Band 14, S. 207 ff'.
Zwei orientalische Episoden in Voltaires Zadig.
Von Dr. Gaetauo Amalfi.
Es ist erwiesen, dass Voltaire in Nachahmung orientalischer Geschichten
und voll Erinnerungen daran, diesen kleinen Roman verfasste. ^) Ja, bis
zu einem kleinen Grade, könnte derselbe für ein dem geläuterten modernen
Geschmacke angepasstes Rifacimento (Wiederherstellung) gelten.
Hiervon unterrichtet uns Voltaire selbst in seinen Widmungsworten
an die Sultauiu Shei-aa: j,Icli bringe euch die Übersetzung eines Buches
eines alten Weisen dar ... Es wurde in altchaldäischer Sprache geschrieben,
die weder ihr versteht noch ich. Man übertrug es ins Arabische, um den
berühmten Sultan Ulungbeb zu unterhalten. Es war zu der Zeit, wo die
Araber und die Perser Tausend und eine Nacht"), Tausend und
1) Oeuvres etc., Paris, Furne 1836, Band VIII, 8. 329-.57 „Zadig, uu le destinee,
liistoire Orientale, 1747''.
2) Les niille et une uuits. Coutes arabes, trad. en frani,-ais par (ialland etc.,
herausg. v. A. Loiseleur-Desloiigchanips, Paris, 1838. — Tausend und eine Nacht,
zum erster Mal u. s. w. vun Max Habicht u. s. w., Breslau, 1835.
72 Amalfi:
einen Tag u. s. w. zu srhreibcn anfingen. Ulung hatte ilie Lektüre des
Zadig lieber, aber die Sultaniunen bevorzugten Tausend und
Und er sprach zu ihnen die tadelnden Worte: „Wie könnt Ihr nur für
Erzählungen, die ohne Zusammenhang und ohne Motiv sind, Vorliebe
hegen?" Sie entgegneten: „Gerade deswegen lieben wir sie!" ....
Lässt man den Witz und den mehr oder weniger wahren .... oder
erfundenen Ursprung bei Seite, so ist die orientalische Nachahmung offen-
kundig. Es würde genügen das 2. Cap. „Le nez" anzuführen, eine Variante
der „Matrone von Ephesus" '), die vielleicht aus der „Matrone von Soung"
in den Chinesischen Novellen^): und das 3. Cap. „Le chien et le
cheval"'). Aber diese Darlegung ist nicht erforderlich. Kommen wir
vielmehr zu unserer Aufgabe.
Im 13. Cap. „Le rendez-vous" wird folgende kleine Geschichte erzählt:
Als Zadig sich auf der Reise nach Bassora befand, beschlossen die
Priester der Gestirne ihn zu strafen, indem sie als Vorwand gebrauchten,
er habe sich astronomischer Ketzerideeu schuldig gemacht! Er hatte, welch
Verbrechen! zu behaupten gewagt, dass die Gestirne nicht im Meere aus-
ruhten! Sie hatten ihn zu langsamer Verbrennung — zum Vivicomburium,
würde man in andern Zeiten gesagt haben — verurteilt. Der verzweifelte
Setoc bemüht sicli vergebens, den Freund zu retton. Die junge Witwe
Almona, die sehr viel Gefallen am Leben gefunden hatte und die sich
Zadig verbindlich fühlte, weil er sich über den Missbrauch des Scheiter-
haufens aufgeklärt hatte, nimmt sich vor, ihn zu retten. Sie sagt niemandem
ein Wort davon. Die Vollstreckung sollte am folgenden Tage stattfinden,
und so gewann sie um- die Nacht für sich. Die wunderschöne Frau putzt
sich in verführerischer Weise und stellt sich so dem Oberhaupte jener
Priester vor. So lange macht sie und redet sie, bis der ehrwürdige Greis
in seinen alten Gliedern das Prickeln der Liebe wieder erwachen fühlt.
Sie verheisst sich ihm in ihrer Wohnung, und so erreicht sie die Unter-
zeichnung des Begnadigungsbriefes. Aber das reicht nicht hin! Es bedarf
noch der Zustimmung di-eier Ordensbrüder. Sie wiederholt die Scene auch
mit diesen, und die Unterzeichnung ist vollständig. Mit allen giebt sie
sich das Stelldichein auf dieselbe Stunde. Inzwischen lässt sie die Richter
benachrichtigen, sich in einer wichtigen Angelegenheit zu ihr zu begeben.
Sie zeigt ihnen die vier Unterschriften, indem sie ihnen angiebt, für welchen
Preis jene Herren Zadigs Begnadigung verkauft hätten. Alle kommen zur
festgesetzten Stunde an. Sie sind erstaunt, die Ordensbrüder und obendrein
1) Grisebach, Die Wanderung der Novelle von der treulosen Wittwe
durch die Weltlitteratur, Berlin, Lehmauu, 1866, S. b6— 88.
2) Oontes chinois, Paris 1827, Band I, Einleitung. — Loi.seleur-Dcslong-champs,
Essai sur les fables indiennes, etc., Paris, Techner, 1838.
3) Prato, Zwei Episoden aus zwei tibetanischen Novellen in der orien-
tali.srhen und occidentalen Überlieferung in der Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde 1894, Heft 4 und Sonderabdi-uck.
Zwei orioutalischc Episoden in Voltaires Zadig. 73
die Kichter dort zu treffen, bevor ihre Schande bekannt geworden. Zadig
ist gerettet. Setoc, der von Almonas Gewandheit entzückt ist, macht sie
zu seiner Frau.
Für den ersten Teil der Erzählung kommt einem jeden der Name
Galileis auf die Lippen, der gezwungen worden, die Bewegung der Erde
zu widerrufen; und in der anmutigen Gestalt der Almona entdeckt man
eine »ewisse flüchtige Ähnlichkeit mit Juditli, die sich zu Holofernes
begiebt. Aber nicht hiermit will ich mich beschäftigen.
Gedachte Erzählung ist in Wirklichkeit orientalischen Ursprungs, und
findet sich in dem Buche: Les Mille et un jours'), unter dem Titel
„Geschichte der schonen Arouya". Und zwar handelt es sich in dieser um
Folgendes:
Ein alter Kaufmann aus Damaskus, mit Namen Banu. der sehr reich
ist und eine sehr schöne Frau hat. gerät in Not, und wendet sich vergeblich
an seine Freunde, denen er früher so viel Gutes erwiesen hatte. Unter
diesen hatte er dem Doctor Danischmeude tausend Zechinen geliehen, und
er schickt nun seine Frau aus, um sie zurück zu fordern. Er verweigert
sie; aber er ist bereit zweitausend Zechinen herzugeben unter der Be-
dingung . . . dass sie sich in seine Wünsche ergebe. Sie sträubt sich hier-
gegen, und so entlässt er sie auf wenig höfliche Manier. Auf Banns Verlangen
nimmt sie zum Cadi und zum Statthalter ihre Zuflucht, und alle zeigen
sich bereit sie zufrieden zu stellen, vorausgesetzt dass . . . der Gefälligkeit
die Erkenntlichkeit vorhergehe. Die schöne Aronya kommt trostlos nach
Hause; zuletzt aber giebt ihr der Gatte volle Handelsfreiheit in der Absicht,
seinen Zweck zu erreichen. Sie geht zu einem Korbmacher und versieht
sich mit drei gut gefertigten Körben, deren jeder einen Menschen zu fassen
vermag. Sie putzt und parfümiert sich verführerisch; dann begiebt sie
sich wieder auf ihre via crucis. Sie zeigt sich reuig über ihren früheren
Starrsinn und verspricht einem jeden in ihrem Hause für die folgende
Nacht, so zwar, dass sie die Zeit vom einen zum anderen nur gering sein
lässt, — Liebesumgang. Der erste, der kommt, ist der Doctor. Während
er Konfitüren nascht und Liköre schlürft, wird endlicii ein Geräusch ver-
nehmbar: es ist der Cadi. Indem man vorschützt, es sei dies der Bruder
der Frau, der aus Cairo gekommen, wird der Doctor in einem der
erwähnten Körbe verborgen. Der Auftritt wiederholt sich im grossen und
ganzen mit den beiden anderen; auch sie werden in die Körbe gesteckt.
Am Morgen eilt sie zum "Vezir und erzählt ihm den Vorfall — bis auf den
letzten Teil und versichert, die Zeugen dafür in den Körben zu haben.
Diese werden geöffnet — und imn spielen jene drei die köstliche Rolle,
die man sich vorstellen kann. Der Vezier tadelt sie öffentlich heftig; er
1) Contes Persans, trad. en franijais par Petis de Lacroix etc. Paris, Desrez,
1850. S. 190—198. Es giebt anch eine italienische Uhersetzinig von G. C. Neapel, Grinialdi,
185(J, S 350—354, mit einigen operativen Eiugriü'en.
74 Aiiuilfi:
verurteilt den Doetor zur ZahluDg von viertausend Zecliineu, setzt den
Cadi ab und vertraut den Statthalter einer hohen Persönlichkeit des Hofes
an. I^achdem er darauf die Körbe hat entfernen lassen, fordert er die
schöne Ai'ouya auf, iliren Schleier hochzulieben, indem er sagt: Zeigt uns
diese gefährlichen Züge, deren Anblick für jene (hei Personen so ver-
hängnisvoll geworden ist, dass sie sieh dadurch haben betören lassen!
Zu den falschen Freunden, die den Wohlthäter in seiner Not ver-
leugnen, kann man vergleichen, abgesehen von dem, was in meiner Schrift:
Uu fönte dei Ceuto Racconti di M. Somma, Neapel, Priore, 1892,
S. 22 gesagt ist, das oben erwähnte Buch J\Iille et un jours, S. 117 — 8;
La Fontaine, Le Tresor et las deux liommes (ES, Fab. 16), eine
aus Ausouius, Epigr. 22—23 geschöpfte Erzählung, die er selbst aus der
Griechischen Anthologie entnommen hatte; Rua, Di alcune uovelle
inserite nell" „Esopo" di Francesco del Tuppo, Torino 188!), S. 15,
Fab. LXII u. s. w.
Die Geschichte im ganzen wurde unter die luder durch persische
Erzähler verbreitet. Ihr Typus findet sich in einer Erzählung der Sanskrit-
Sammlung Urihat-Kathii, die etwa folgendermassen lautet:
Upakosä, eine ehrbare und tugendhafte Frau, zieht währeml der Ab-
wesenheit ihres Gatten, des Brahnianen Yararutchi, die Blicke vieler Lieb-
haber') auf sich, unter denen sich der Kaplan des Königs, der Befehls-
haber der Leibwache und der Hofmeister des jimgen Prinzen, befinden.
Diese belästigen sie derniassen mit ihren Bitten und Drohungen, dass sie
sich endlich eutschliesst. sie zu züchtigen. Sie bestellt die drei Buhlen
auf denselben Abend, mit einer Stiunle Abstand vom einen zum anderen,
zu sich. Li der Absiclit, die Götter sich günstig zu stimmen, schickt sie
zu einem Bankier, eine hinterlegte Summe einzuziehen, um sie als Almosen
auszuteilen. Dieser, der gleichfalls in die Frau verliebt ist, antwortet, es
nur unter der Bedingung thun zu wollen, dass sie darinwillige, ihn zu
empfangen. Aus Furcht, das (Jeld zu verlieren, gewährt sie wie den
anderen so auch ihm das Stelldichein, doch eine Stunde später. Zuerst
kommt der Hofmeister des kleinen Prinzen an. Nach einem freundlichen
Empfange schlägt sie ihm vor ein Bad zu nehmen: jener geht darauf ein.
Sie führt ihn in ein dunkles Gemach, wo das Bad fix und fertig steht.
Nachdem er sich entkleidet, legt sie auf den Platz seiner Kleider ein
wohlriechendes, mit Russ bestreutes Betttuch. Er benutzt es zum Abtrocknen,
als er aus dem Bade heraustritt, und wird schwarz, schwarz wie Ebenholz
vom Scheitel bis zur Sohle. Zwischen diesen Vorbereitungen vergeht eine
1) Vgl. Penelope und die Freier in der Odyssee etc. Zu dem Aj-gumente von den
Possen, die die Damen ikron Liebhabern, um sie zu hintergehen, spielen, s. Boccaccio,
Dec. VIJ, 2; IX, 1; passende Erläuterungen bei Landau, Quellen etc.; Straparola,
Piac. Not. II, 2 u. 5: vgl. ferner die Studie von llua, Intorno etc., Torino, Loescher,
1890, S. 50— 51; 53—54: übrigens ist es ein bei den NoveUisten verarbeitetes Thema.
Zwei orientalischL' Eiiisutlen in Voltaires Zadig. 75
StuiuU'. So wird es für den zweiten Bulileii Zeit zu ersclieiuen. ' Die
Mädchen geben zu verstehen, es sei ein Freund ihres Herrn, und so drängen
sie den ersten in einen grossen Korb und spei-reu ihn dort ein. Auf die
andern beiden Galaue findet das gleiche Rezept Anwendung. Es ist nur
noch der Bankier übrig. Als er angelangt, führt ihn Upakosä in die Nähe
der Körbe und lässt ihn schwören, dass er das anvertraute Geld zurück-
erstatten werde. Auch ihm macht sie das Anerbieten mit dem Bade. Er
nimmt es an. In dem Augenblicke, wo er das Bad verlässt, beginnt er
weiss zu werden, und ganz nackt setzen ihn die Dienerinnen vor die Thür . . .
Er bringt sich in Sicherheit, indem er in seine Wohnung flüchtet, von
allen Hunden des Stadtviertels verfolgt. Am nächsten Morgen geht sie in
den Palast des Königs Nanda, um den Bankier anzuklagen, er wolle sich
das Geld, das ihr gehöre, aneignen. Herbeigerufen bestreitet er die Hinter-
legung. Sie antwortet: „Als mein Gräfte abreiste, steckte er unsere Haus-
götter in drei Körbe. Sie haben gehört, wie dieser das hinterlegte Geld
anerkannte, und werden zu meinen Gunsten Zeugnis ablegen können. Die
drei Körbe werden gebracht. Upakosä befragt ihre Gefangenen, die aus
Furcht, der Deckel möge abgenommen werden, sich beeilen, ihrem Wunsche
gemäss zu antworten. Der Bankier wird gezwungen, seine Schuld an-
zuerkennen. Aber der König, der begierig dst, die Hausgötter zu sehen,
lässt die Körbe öffnen und zieht aus ihnen, unter dem Gelächter der
ganzen Versammlung . . . die drei armen Teufel hervor. Entrüstet jagt
der König sie aus seinem Reiche. ^)
Es fehlt nicht an ferneren Rezensionen und Umarbeitungen dieser
selben Erzählung. Vor allem ist anzuführen die „Geschichte der Dame
von Cairo und ihrer vier Liebhaber" aus dem Nachtrage von Tausend
und eine Nacht, den Jonathan Scott. Arabian Niohts, Band VI,
S. 380, in englischer Sprache veröffentlicht hat (in der französ. Übersetzung
von Destains auf S. "285). Von ihr stammt auch die „Geschichte von Cohera"
in der Behar -danisch. Band lU, S. 279 der euglischen Übersetzung her.
Sie bildet auch eine der Erzählungen des kleinen Romans von den Sieben
Vezieren, mit dem Titel: „Die Frau des Kaufmannes und ihre Galaue".
Ein junges Mädclien hat ihren Liebhaber im Gefängnis und dringt der
Reihe nach in den Polizeimeister, den (Jadi, den Vezier und den Gouverneur
der Stadt, ihn frei zu geben. Sie sind von ihrer Schönheit geblendet und
machen ihr sämtlich Anerbietungen, — die sie nicht annimmt. Sie bestellt
einen jeden von ihnen, und zwar immer auf eine andere Stunde zu sich.
Als sie eintreffen, lässt sie sie unter einem Verwände in einen eigens so
angelegten Schrank mit Abteilungen einsperren. So rettet sie sich vor den
Liebhabern. Der Mann bemerkt bei seiner Rückkehr diesen Schrank, aus
dem Stimmen an sein Ohr dringen, und lässt ihn in den Palast des Sultans
1) Quarterly ciriental magaziiie, Calcutta. März 1824, S. 71.
7g Amalfi:
schaffen. Dort kriechen sie denn übel zugericlitet und mit Schande bedeckt
aus ihrem Behälter heraus.') Nur hat der Verfasser des Romans hier die
moralische Seite der Erzählung etwas verändert, um sie seinem Zwecke
anzupassen, nach welchem alle Erzählungeu darauf gerichtet sind, die
Verworfenheit der Frauen darzuthuu'), als ob diese allein die Schuldigen
wären und wir Männer nicht auch unsere Schuld hätten!
Ausserdem ist diese Erzählung eine von denjenigen, die frühzeitig
nach Europa gedrungen sind. Zweifelsohne ist sie das Urbild des Fabliau.
das den Titel führt: De la dame qui attrapa un pretre, un prevöt
et un forestir.') Eine entfernte Übereinstimmung kömite man auch mit
der Fabel Lafontaines: Le Remois, und anderen Erzählungen feststellen.
Aber das wenige hierher üesagte kann für meinen Zweck genügen.
Und unn gehen wir zur zweiten Episode dos Zadig, Ca]i. XX „L'ei'mite"
über, die gleichfalls orientalisclien Ursprung hat.
Auf seiner Wanderung stösst Zadig auf einen durcli sein greises Haar
ehrwürdigen Einsiedler, der das Buch des Schicksals in der Hand liat.
Aber uuser Held bringt es, obwohl er in vielen Sprachen bewandert ist,
nicht zur Entzifferung irgend eines Wortes. Der Alte weissagt ihm Unheil
und erbietet sich, ilm zu begleiten, indem er versichert, die Unglücklichen
manchmal getröstet zu haben. Zadig ist von ihm begeistert und fleht ihn an,
ihn bis zn seiner Rückkehr nach Babylon nicht zu verlassen. Sie brechen
auf und kommen am Abend zu einem ])rächtigen Schlosse. Jlan nimmt
sie dort gastfreundlich auf, trägt ihnen ein auserlesenes Mahl ;iuf und lädt
sie ein, sich in einem goldenen, mit Smaragden und Rubinen gezierten
Becken zu waschen. Am nächsten Morgen erhält jeder von iliuen vor dem
Aufbruche eine Goldmünze. Unterwegs nimmt Zadig, während er sagt,
der Hanslierr scheine ihm ein hochherziger, wenn auch etwas stolzer Mann
zu sein, wahr, dass der Eremit in geschickter Weise jenes kostbare Becken
o-estohlen habe und in einer Art Tasche bei sich trage. Er wagt kein
1) Loiseleur-Desloiigchanips, Notice sur les coiites turcs, trad. par
Pfiti.s de la Croix, et sur le livre de Sendabad, in dem erwähnten Buche Les
mille et un jnurs etc.. S. 294. Yg\. Behrnauer, Dii- Vierzig Veziere etc., Leipzig
1851.
2) Quid aliud e.-it luulier, nisi inimica amicitia, ineffugax poena,
necessarium maluni, naturalis tentatio? St. Joh. Chrysostonius, in Matth. 19.
Ausser der Satire auf die Frauen von Simonides, und vielen anderen Schriften über den
Gegenstand, s. Imbriani, Posilecheata di P. Sarnelli, Nea]). Morano 1885, S. 5 u.
129, Anni. 10: Lu vivu mortn, etc., v. Antonio Damiani, Palermo 1816, in sizil.
Dialekt, etc.
3) Fabliaux v. Legrand d"Auss.y, Band IV, S. 24G-Ö5. Vgl. Bedier, Les
fabliaux, etc., Paris, Bouillon. 1893.
Zwei orientalische Ejjisoden in Vciltaii-es Zadi^. 77
Wort zu sagen, alier es befremdet iliii sehr. Ciegeii Mittag klopft der
Eremit an die Tln'ir eines Häuscliens. das ein reieher Geizlials Tiowohnt.
und begehrt für einige Stunden Gastfreundschaft. Kin alter Diener
empfängt ihn barscli, führt ilm in den Stall, wo er ihnen verfaulte Oliven,
verdorbenes Brot und umgeschlagenes Hier anbietet. Der Eremit speist
munteren Sinnes, giebt dem Diener die beiden Goldmünzen, die sie am
Morgen emjifangen. und dankt ihm ffir seine Zuvorkommenheit. Dann
lässt er sich zum Hausherrn hineinführen und schenkt diesem das goldene
Becken. Zadig findet dieses Verfahren sonderbar; wie könnt ihr, sprach
er, das kostbare Becken einem Herrn stehlen, der euch grossartig auf-
genommen, und es einem Knicker schenken, der euch so schlecht behandelt
liat? Der Alte erwidert: Mein Sohn, der Reiche, iler aus Eitelkeit und
um seine Scliätze bewundern zu lassen Fremde beherbergt, wird weiser
werden, der Geizhals wird Gastfreundschaft üben lernen: wundert euch
über nichts, und folgt mir. Am Abend kamen sie zu einem anderen
Häuschen, wo man weder etwas von Verschwendung noch von Geiz merkte.
Der Eigentümer war ein von der Welt zurückgezogen lebender Philosoph,
der in Frieden W^eisheit und Tugend jifiegte, und der sich inzwischen nicht
langweilte. Er nimmt die Fremden mit einem Edelsinn auf, der nichts
von Frahlsucht an sich hat. Er empfängt selber die beiden Reisenden, lässt
sie in einem bequemen Räume ausruhen und lädt sie zu einem schmucken
Mahle ein. während dessen er mit Umsicht über die letzten Aufstände
in Babylon etc. spricht und den Satz aufstellt, dass die Dinge auf dieser
Welt nicht vernunftgemäss vor sich gehen. Der Eremit widerlegt ihn mit
der Behauptung, er kenne die Wege der Vorsehung nicht, und die Menschen
thäten Unrecht über ein Ganzes zu urteilen, von dem sie nur ein kleines
Teilchen begriffen. Mit einem Worte, er beherbergt sie auf die beste
Weise. Beim Aufbruch sagt der Eremit, er wolle ihm ein Zeichen seiner
Achtung und seiner Zuneigung zurücklassen, ergreift eine Fackel und
steckt das Haus in Brand. Vergebens sucht Zadig es zu verhindern: die
Flammen verschlingen alles. Der Eremit betrachtet die Feuersbrunst und
findet Vergnügen an ihr. während der andere verdutzt dasteht. Man geht
zu einer barmherzigen und tugendhaften Witwe, die einen lieblichen,
vierzehnjährigen Neffen, ihre einzige Hoffnung, hat. Sie bemüht sich so
gut wie möglich die Gäste zu ehren, und am anderen Morgen lässt sie sie
sogar von dem Neffen begleiten. Aber wie sie auf die Brücke gekommen
sind, packt der Eremit den Jüngling bei den Haaren und ertränkt ihn in
dem Strome. Zadig entrüstet sich hierüber, doch der andere entgegnet:
Ihr habt mir grössere Geduld versprochen. Wisset, dass der Hausherr
unter den Trümmern des verbrannten Gebäudes einen gewaltigen Schatz
gefunden hat; der junge Mann hier würde binnen einem Jahre seine Tante,
und binnen zweien euch ermordet haben, etc. Unnötig hinzuzufügen, dass
der Greis ein Engel ist, der darauf verschwindet.
78 Amalfi:
Im Gegensatze zu ilein. was auf ileii ersten Blick scheinen könnte,
ist die Erzählung nicht neu: auch fehlt es nicht an abweichenden Dar-
stellungeti und Umarbeitungen.
Hervorragend ist eine Version, die in jeiier bekannten prächtigen
Sammlung mittelalterlicher Novellen, den Gesta Romanorum. unter dem
TiteP): De versutia diaboli et quomodo ilei judicia sunt occulta, ent-
halten ist.
Ein Eremit befindet sich in seiner Hütte. In geringer Entfernung
davon weilt ein Hirt, der seine Herde weidet. Eines Tages kommt plötzlich,
während er schläft, ein Räuber heran, der sämtliche Schafe fortträgt. Er
bringt es nicht dahin, sich vor seinem Hei-rn zu rechtfertigen, der ihn vom
Zorne hingerissen tötet. Der Eremit, der über den Tod eines Unschuldigen
empört ist, entsagt der Einsamkeit und beginnt durch die Welt zu schweifen.
Es begleitete ihn ein Engel in menschlicher Gestalt. Sie kommen zu dem
Hause eines Kriegers, der ein einziges angebetetes Söhnchen hat. und
werden dort freundlich beherbergt. Während der Xacht erhebt sich der
Engel und erwürgt dieses in seiner Wiege. Einem sie glänzend bei sich
aufnehmenden Edelmanue, der einen goldenen, ihm sehr teuren Becher
besitzt, entwendet diesen der Engel. Auf die Brücke eines Flusses
gekommen, lassen sie sich von einem Bettler die Strasse, die nach der
Stadt führt, zeigen und dann ertränkt ihn der Engel im Wasser. In der
Stadt klopfen sie an die Thür eines reichen Mannes, der sie im Schweine-
stall ruhen lässt, und am anderen Morgen schenkt ihm der Engel den
Becher. Der Eremit ist davon dermassen beti'offen, dass er glaubt, es
handele sich statt des Engels um den Teufel. Jener legt ihm dar. dass
der Hirt wegen alter, ungesühnter Vergehen getötet worden: der Knabe,
weil sein Vater seit seiner Geburt ein arger Geizhals und ein schlechter
Christ geworden war. Der Becher wm'de weggenommen, weil sein Herr,
seitdem er ihn bekommen, dadurch, dass er viel daraus ti-ank, ausschweifend
geworden war, und der Bettler ertränkt, weil er, ein wie guter Christ er
auch war, der Todsünde zu verfallen drohte. Er gab den Becher dem,
der ihm den ScEweiuestall eim-äumte, um ihm zu beweisen, dass auf Erden
nichts gTundlos ist, und der dort nach seinem Tode in die Hölle fahren
wird. Als der Eremit diese Dinge vernommen, fällt er dem Enarel zu
Füssen, bittet um Verzeihung und wird ein guter Christ.
Diese Erzählung könnte man betiteln „Der Eremit und der Engel",
und füglieh vereinigt sie sich zum Vergleiche mit einer anderen Novelle
der gleichen Sammlung, die den Titel führt ^): De justitia et equitate
dissertissimi judicis Christi per occulta judicia.
Die ferner angedeuteten Seitenstücke ') sind Jac. de Vitriaco; Seala
1) Ausg. von Oesterley, Berlin 18T2. II. 8.39(5-99, cap. 80.
2) Ibid. S. 478—80, cap. 1-27.
3) Ibid S. 724-25, No. 80; 733, No. 127.
Zwei oi'ientalichc Episodoii iu Vullaires Zadig. 79
celi, 15; Promtuar. exemplor. de teiiip. 24. Doch icli will nicht ver-
felili'ii, einige andere mit unserer Erzählnng zu vergleichende Stücke mit-
zuteilen, die von dem ausgezeichneten Herausgeber ebenfalls angegeben
werden :
Vitae patrum, 5, !I3; Alb. Patavins, evaug. domin. passionis, 93;
Pelbartus, aestiv. 32, H. (J. deVitr.); Discipulus de temp. 109, K.;
Specul. exem])lor. 2,210; Maj., S. 571; Wriglit, 7; Exemplos, 161,
vgl. 34; Doctrinal de sap., bl. 8; L<' Cirand, 1779, 2, 1 (5, 211); Moon,
2, 21(); Bluet d'Arberes, oeuvr. 1(!04, 105; Hist. littör. de la
France, 23, S. 116; Geiler, arbore hum. 129 b; Pauli, 682; H. Sachs,
3, 1, 236, vgl. 1, 95; Schiebel, 2, 254; Zuschauer, 3, S. 332; Geliert, 1,
S.116; Grimm, Dentsclie Mythol. XXXVII; Parnell, The hermit. 6;
Swan 1, 376; H. More. Div. dialogues, 1669, I, S. 321— 22; Howell,
I;ettres, 4,7; Pt. Herbert, Conceptions, I, 1650; Warton, I, CLYHI;
Koran, 18, 64; Hammer, Rosenöl, I, 162; Hurwitz, Hebrev tales 8;
Weil, bibl. legend, d. muselm.; Dunlop - Liebrecht, Gesch. d.
Prosadichtungen, Berlin 1851, S. 309; und schliesslich Tausend und
ein Tag, 27 — 29, etc. Doch zu welchem Zwecke fortfahren.''
Wie man sieht, ist der Ursprung orientalisch. Und noch in unseren
Tagen lebt dieser Schwank bei dem Volke; mehr als eiimial habe ich ihn
in Abendnnterhaltungen erzählen hören. Nur wird der Engel bisweilen
dnr(di den himmlischen Herrn in eigener Person ersetzt.
Ich erwähne bei dieser Gelegenheit eine Version von paitieller Über-
einstimmung, die Pitre: San Petru e In vacili d'argentu') berichtet.
Er selbst verweist in einer Anmerkung auf eine römische Variaute mit
einigen Verschiedenheiten (in hlinzeldingen) im einzelnen, die von Busk,
Folk-Jjore of Ronie, S. 117, No. 5 gegeben wird, und für den Schluss
auf Gesü e S. Pietro, No. 27 seiner Novelle toscane.
Teilweise Übereinstimmungen zeigt auch Michele Somma, Cento
Racconti No. 64 „Quello che sembra ingiusto agli occhi degli uomini, e
giusto agli occhi del Sig-nore'' (s. meine Schrift; Un fönte etc., Neapel,
Priore, 1892).
Mir kommt eine fast identische Version in Piano di Sorrento ins Ge-
dächtnis. Aber nach meiner Meinung müssen wir bei dieser Erzählung
zwei Stadien in Anschlag bringen; ein anfängliches, in dem sie vom Volke
erzählt wurde und aus der mündlichen Überlieferung in die Büclier drang,
und ein späteres — das gegenwärtige — , in dem sie aus den Büchern
unter das Volk zurückgewandert ist. Sie gleicht dem, was der Volksglaube
von den Flüssen sagte, nämlich dass sie, nachdem sie aus dem Meere
heraustreten, zum Meere zurückkehren. ")
1) Bibl. Fiabe o Leg., vol. uuiro, Palenno 1888, S. 168—69, No. 40.
2) Es bildet dies eine der vier Fragen, die von Tnrandot dem Calaf vorgelegt werden,
s. Tausend und ein Tag, in der erw. ital. Übersetzung S. 187.
80 Behsencr:
Zum Schlüsse köiinoii wir sagen, dass Voltaire unter Hinzusetzung
eines i>rickclnilon uiul witzigen Tones diese alten Erzählungen umgearbeitet
hat. deren er sich als einer Watte voll komischer und karrikierender Kraft
bediente. Ebenso hat Boccaccio gethan und viele andere echte Dicliter.
die, angewidert von dem Gedanken, nur das Alte wiederholen zu sollen,
aus den alten Wurzeln die Keime des modernen Lebens haben spriessen
lassen.
Neapel.
Die Weber-Zenze.
Eine Tiroler Dorffigur nach dem Leben.
Von Marie Rehsener.
vMit Bihhiis. Tafel I.)
Die Weber-Zenze (Creszenz Holzmann), der wir das Jleiste unserer
Sammlungen von txossensass verdanken, ist am 9. März 1813 auf dem
Ausser-Gfiggelberg geboren. ') Dort, wo ihr Elternhaus steht, glaubt man
noch Spulten des höchsten Gletscherrandes aus der Eiszeit zu erkennen.
Von der heiligen Crescentia, nach der sie getauft, weiss sie nur, was
einmal ein „Herr" in der , Predige' gehabt — man habe die Heilige für
eine Hexe gehalten.
Der Zuname Weber kommt, wie hier meistens gebräuchlich, vom
Hause ^) und ist bekannt; nicht so der eigentliche Name Holzmann. Wir
machten, als wir ihn bei unserem ersten Ausgange gebrauchten, eine alte
Gossensasserin ganz welsch (verwirrt). Erst als wir die Lage unserer
Wohnung beschrieben, rief die Frau lebhaft: „Ja, so! jetzt bin ich schon
deutsch") (jetzt verstelle ich). Sie wohnen bei der Weber-Zenze."
Uns, wie anderen Deutscheu, tielen diese Bezeichnungen angenehm
auf, und wir achteten ferner auf die Ausdrucksweise des Volkes.
Unsere treuherzige Erzählerin ist die letzte Stolle*) der Nocker Ge-
schwister, „Naturen wie ans Eisen", nannte sie bezeichnend ein alter Arzt.
1) Über deu tJiggolberg- führt eiu steiler Weg von Schelleberg iiaeh Brenuerbail.
2) In dem ihrigen ist früher Weherei betrieben.
3) Häng+ wohl mit der Lage Tirols zwischen Deutschland und Italien zusammen.
Eben höre ich auch bedeutschen = jemandem etwas deutlich maclieu. Und s])ottweise
„deutsch auf einer Seiten (halbverstanden) 1"
4) Stollen heissen üeschwister, .4ste (ieschwisterliinder. Die Ausdrücke stammen
aus der Knajjpeuzeit. Stolleu sind die Haupt- und Äste die Nebengänge im Bergwerk.
Die Weber-Zenze. 81
„Die hat wohl eine Antwort hergegeben", sagte ein Jugendbekannter
von ihr. und zu ihr ein junger Manu: „Da hast Du wohl die Wahrheit
derfragt, Zeuze!" (Doch thut sie keine Frage, zu der sie nicht bereclitigt
wäre.)
8ie ist gleich „reasch" (heftig, gradaus; aber nicht bösartig), klagte
eine junge Magd.
„Icli denke, so seid Ihr alle hier", erwiderte ich. Nein, es giebt auch
milde Leute.
Die Zenze selbst aber sagte, als ich sie um Geduld mit dem Mädchen bat:
„Das hab" ich allm (immer) so zu einem Brauch gehabt: eine jede
Rede wägen und etwa schmeicheln'), das kann ich nicht. Wegen der
steck ich die (iosclie nicht in den Sack. Wenn sie das nicht derleidet,
was ich gesagt habe, dann ist sie noch delikater (empfindlicher) als eine
Kindsbetterin." Und als sie einem Manne etwas nicht recht gemacht,
meinte sie: „Der wird einen Zorn kriegen! Wegen dem gehe ich nicht
rechts und nicht links und nicht die Uuer. Ich leugne niclit, was ich
gesagt habe: ich habe nie gelogen, und bei der Wahrheit Ideib ich." —
Am Herde schiebt sie den Deckel auf der plappernden (wallenden)
8up])e etwas zurück; denn „einen Athem muss der Hafen haben, sonst
wirft er die Platte (Deckel) überschi (über sich = aufwärts)." Bald hat
sie die Suppe am Schwanz, die Erdäpfel sperren das Maul auf, und es
wäre eine Beleidigung gegen die Pfanne, nicht wenigstens eine Kartoffel
zu kosten. Ja, <lie Zenze hat allm (immer) Hamor (Humor): „Sieden ihre
Erbsen gern (leicht, schnell)?" fragt sie scherzend, und dann das Wort
„gern" im eigentlichen Sinne nehmend, fügt sie hinzu: „dann werden Sie
lang Arbeit haben, dann sieden sie lang."
Eine Kaffeebohne fällt zur Erde und ist nicht zu finden. „Wegen der
fallt der Himmel nicht öer (herab), und weun er fallt, hupfen wir alle eini."
Heute ist es wohl so schön, dass man in den Himmel steigen möchte.
„Binden Sie sich die Loatern (Leitern) nur z'sammen, es sein genug da. aber
es wird Sie wohl noch einer von oben auseilen (heraufziehen) müssen." —
Ihr Kuuter (Kleinvieh) erbarmt sie: „Mich wundert, dass die Lasche
(Hündin, Schimpfname für Mädchen) die Tiere nicht derbarmen; aber ein
Galgviech hat nie eins derbarmt. Es giebt Menschen, die alles können
und alles thun (aucii hexen), weil sie mit niemand Erbarmen haben."
Sie spricht auch zu den Tieren, als wenn sie sie verständen. Mit
einem Hausierer war dessen Hund ins Haus gekommen und schnupperte
in den Ecken umher. „Du", rief die Alte, „in einem fremden Hause lauft
man nicht überall umauaud (ringsherum, hin und her), da hockt man still
in einem Ort nieder!" Der Hund blieb stehen, sah zu ihr auf, wedelte
und setzte sich. „Ich sehe, dass Du verstehst."
1) G'schmackige (die nach dem Geschmack der Menschen reden) ertappt man auch
auf Lugen (Lügen).
Zeitschr. il. Vereins I. Volk>.kiiiidL-. 13'J5. 6
g2 Rehsener:
„Schwarze Laster, mühselige Schwänz", seid Ihr schon wieder über
der Milch!" rief sie den Katzen zu. und „jS^apoleon 'das galt dem Kater)
wie thut es, muss ich Dich einsperren!" Wissen Sie denn, wer Napoleon
war? „Nein, es ist mir nur so eingefallen. Der Lotter geht so weit, bis
er etwas kriegt." Die Katze kuaute. „Mehr willst Du zu fressen? Ich
kann Dir nicht helfen; z"wui (warum) hast Du eine Katze ögeben (ab-
gegeben) und keinen Fäken" (der wird gemästet).
Als etwas Verkehrtes geschehen sollte, sagte sie: „Da lacheten recht
(wohl) die Gänse! C4äbig, gäbig (verkehrt) hat der Ganter beim Kauner
(einem Verwandten von ilir) gesagt, als man ihn statt der Gansin auf die
Oare (Eier) zum Brüten gesetzt hatte. Er wird wohl verstanden haben,
dass man den Unrechten derwuscheu hat." Und als das Verkehrte wirklich
geschehen war. rief sie: „Da wird mau noch lachen, wenn man nur noch
ein halbes Maul hat. und sellenes (selbes) auf einer Seiten sitzen."
Die Zenze kommt gewöhnlich Samstag Abend, um die Wochenrechnuug
zu berichtigen, zu uns ins liolzgetäfelte Stübchen. Was wir schuldig sind,
weiss sie nicht, sie vertraut, dass wir das Genommene richtig aufschreiben
und zahlen; was sie aber mitunter von uns leiht, und seien es nur ein
paar Kreuzer, das weiss sie genau.
Es ist für sie ein Augenblick der Ruhe: das Haus ist bestellt, das
Nachtmahl verzehrt und die Heiligen sind gezahlt (es ist gebetet). Sie
sitzt ims gegenüber auf der Bank am Ofen, und das Läm])chen steht aus-
o;elöscht vor ihr.
An solchen Abenden erzählte sie manches aus dem Dorfe und der
Gegend, Redensarten. Sprüche, die im Volke leben: manches, was an ihren
Glauben sich schliesst. Standen wir zusammen am Herde, da flössen Be-
merkungen über die Lebensweise und den Brauch in das Gespräch, und
traten wir zu ihr auf den Söller oder auf das Feld, so waren es Beob-
achtungen in der Natur und was sich daran knüpft, die uns als merkwürdig
auffielen.
Aus dem eigenen Leben erzählte sie im Laufe der Zeit: Unsre Leut
(die Familie, die Vorfahren) sollen von Obernberg ummer (herüber)
kemmen sein. Von dort ist auch der Engel über der Thür und das
Hirschgeweih. Andere sind vom Ziller- und Pusterthal hergezogen. Ein
Pusterer wurde gefragt, was er aus seiner Heimat mitgebracht habe. „O",
antwortete er, „eine Kuh. zwei Goase und einen alten Vater."
Der Nenl (Grossvater), unserer Mutter Vater, wohnte nicht weit von
uns: sein Haus ist s|iäter vom Donner niedergebrennt. Er hat vor langer
Zeit, als hier noch die Charfreitagsspiele gegeben wurden - - es wird wohl
so gewesen sein wie noch im Bairischen — dabei unseren Herrgott gemacht.
Da haben sie ihm mit einem Schindelmesser den Bart abgeschnitten —
das hätte wehe gethan — erzählte er, und den Herrgott machte er
Die Wc'bor-Zenze. 83
nicht wieder. Icli glaube nicht, dass einer allein alle Leiden auszustehen
ü,'eliabt hat, es werden wohl mehrere dafür gewesen sein.
Der Nenl ist 80 Jahr alt geworden und hat alle seine Ziihnde gehabt,
und es hat ihm nie einer wehe gethan. Auch war er bis in sein Alter
ganz gesund, da — er hatte das Kirchendach gedeckt und ging heim —
hat ihm aber einer etwas in den Weg gelegt, damit er krank würde —
einen mehrmals geknoteten Spaget (Bindfaden) — auf diesen ist er getreten
und wurde krump. Nachdem er 28 Wochen gelegen und alle Medizin
lieimlich zum Fenster hinausgegosseu hatte, wurde er wieder gesund. „Der
Tuifel hat mich arg abgenagt", sagte er aber doch zum Kurateu, und als
dieser ihn zu versehen da war (mit dem Abendmahl): „Sprecht e wenig
läuterer, ich verstehe zu wenig."
Die Nandl (Grossmutter), meiner Mutter Mutter, ist aufgestauden , als
sie mit ihrem neugeborenen Kind zur Taufe gegangen waren und hat für
die Leute etwas gekociit. Und ihre Mutter haben sie auch allein gelassen,
als sie zur Kirche gingen, und fanden sie tot, als sie hoamkanien.
Lang vor mein (mir) hat der Vater «inen halblappeteu (halbschwach-
sinnigen) Buabn mit einem Kalbl zum Markt geschickt, hat ihm aber noch
nachgerufen: „Einem Ploderer giebst Du es nicht!" Der Bua meinte, er
dürfe es keinem geben, der redte, und da er nur solche auf dem Markt
fand, die redeten, trieb er das Kalb wiedei' huam. Unterwegs fragte er
einen Herrgott (Wegkreuz), ob er es haben möchte, und als der nicht
redete, dachte er: das ist kein Ploderer, dem giebs, band das Kalbl am
Kreuze fest, sagte, w^as er dafür wolle und ging, und — er soll, als er
ums lield kam, es wohl gefunden haben. —
Im Kriege 1809 sind die Franzosen — nein, jetzt besinn ich mich,
es waren die Baiern — auch auf imseren Berg kemmen. Die Kinder
(alteren Geschwister) waren schon aus dem Hause geflohen: eines trug
einen Sack mit Brot, und der ging auf, und die Loabeu (Laibe) rollten
alle davon. Sie waren hinterher, das Brot einzufangen, und das hat sie
aufgehalten. Die Baieru kamen über den Rain auer (herauf) und liabeu
auergeschossen — sie waren schien (schön), haben geglitzet, und die
Kinder freute das — sie blieben an der Hecke stehen imd lachten, weil
sie es nicht verstanden, dass sie getroffen werden konnten. Doch da kam
schon einer von den Grossen und hat sie fortgebracht. Die Mutter war
auch schon geflohen, aber noch einmal zurückgegangen, dem Vater etwas
zu kochen, und da hat ein Soldat ihr mit dem Säbel in den Arm gehauen.
Schleunig haben unsre Leut" vom lötzen (kleinsten) Bruder, der noch in
der Fatsche (Windel) lag, das Zeug genommen und die Mutter verbunden.
Nachher wollten die Soldaten die Häuser anschüren (anzünden), aber ein
Knecht von uns ist zu ihnen gangen und hat gesagt, es wohnten nur
Nothige (arme Häuter) drein — da haben sie es gelasseu. Drui Mal ist
auf dem Giggelberge geplündert worden. Wir haben alles im Walde
6*
34 Rehsener:
vergraben und nicht mehr verloren als ein Gollerle (weissen Hals-
kragen). —
Wir hatten die Blattern, und es war ein Wächter aus Sterzing wegen
der Erblichkeit (Ansteckung) da. Er musste 18 Kreuzer den Tag kriegen
und eine gute Kost, l'jin Wasser hat er uns Kranken wohl gereicht, wenn
die Mutter zu der Arbeit aussnging. Drei Wochen blieb er bei uns und
bei den Huiselers nebenan nur drei Tage — dort stellte er die schwarze
Tafel auf — und doch waren bei uns nur zwei krank und bei den Huiselers
fünf. Die Mutter sprach darüber. „Hiittst Du", sagte er, „auch Butter
und Oare (Eier) ochn(hinab)gebracht, wäre ich nicht so lange geblieben."
Jene hatten ihn gescliniirlit (durcli Geschenke ihren Wünschen geneigt
gemacht).
Ein Bruder ist an der schiechen (bösen) Krankheit gestorben, und von
mir sagte der Docter zur Mutter: „Morgen liabt ilir sie schon da auf dem
Tische liegen!" Ich hörte das und musste immer darüber nachdenken,
weshalb ich auf dem Tische liegen sollte; der Doctor aber hatte damit
gemeint, d'en nächsten Tag würde ich tot sein.
Ins Nachbarhaus, zur Huiselern, ist der Knap])en Thumme (Thomas)
oft in Hoamgart kemmen. Wir haben gerne gelost (gehorcht), aber seine
Kinder kamen ihn 1)a]d zum Essen lioleu. Dann sagte er zur Huislern:
„Auchn (liinauf) geh ich zu Dir auf einer Loater (Leiter), wie ein .Tunger
die Sprissel (Sprossen) in die Höhe klettert, und ochn (hinab) mit einem
Stecken (wie ein Alter, der sich stützen nmss)." —
Ehnder (früher) passierte mehr spassiges Zeug, und e Weile (eine Zeit
lang) gingen auch mehr umanand (herum), die es erzählten. Da war der
Holer-Simen (Simon). Weisst Du noch, Huis, wie er die Schnecken, die
er sich selbst mitgebracht, lendig (lebendig) gekocht hat und sie sein ausser
krochen. Wir haben ihn mit der Ofenschaufel geschlagen und aussngejagt.
„Ihr Tuifelskinder, rief er, ihr schlagt zu grobe!" Wir waren allein, er
hat sich, wenn er kam, alles gleich selbst im Hause zusammengeliolt.
Der Peter und die Urschl kamen immer mitanand betteln, aber sie
waren nicht Mann und Frau. Oft haben sie bei uns zunacht gelegen.
„Urschl", sagte der Peter. „Du gehst auf den Ofen und ich liege auf der
Ofenbank — sie ist lang und breit."
Ein anderer, der Thumme, ist am Lueg tot liegen geblieben, und man
hat einen gTossen Packen mit Geld bei ihm gefunden. Als mau ihn auf-
machte, um ihn in den Bach zu werfen, sollen Fuirglansterln (Funken)
aufgeflogen sein. Es war zusammengidietteltes, nicht redlich verdientes Geld.
Jetzt, wenn ein Lotter (Bettler) kommt, giebt man ilini gleich den
Kreuzer, und er geht. Der Vater hat wolil allm (allwege, immer) gefragt:
„Wer bist Du. wo kommst Du her", jetzt fragt man nicht mehr. —
Wie mühsam war es früher, vom Berge in die Kirche und zur Schule
zu kommen! Was war für Schnee! so fällt er nimmer.
L)it' WebLT-Zenzc. ^5
Einmal an einem Köuigstage (lieil. Drei König) mussten, als ilie
Mutter mit mir zur Kirche wollte, zwei Männer vor uns her Schnee
schaufeln, und ein andermal wären wir Kinder vor Schnee gar nicht hoam-
kemmen, wenn nicht auch ßranntweinträger des Wegs gegangen wären.
Da nahmen die Buabu die Branutweinfässer auf den Rücken, und die
Männer trugen uns Gitschen (Mädchen).
Die Mutter ist, mein ich. gar nicht in die Schule gangen; aber sie
wusste immer, wenn eins falscJi las, wie es heissen sollte, und eine
Schwester von ihr ist nur sieben Tage in die Schule gangen und konnte
doch lesen und schreiben. Jetzt lernen die Kinder alles anders als früher.
Keinen Buchstaben sprechen sie mehr so aus wie wir; die alten Bücher
sind verworfen und in den neuen steht gar drein, wie man beim Sprechen
das Maul machen muss: beim N muss man es zukneifen.
Wenn wir zum goldenen Amt — il. h. in der Adventszeit zur Früh-
messe — kirchengingen, bekamen wir ein Bündel ganz feingespaltenen
speckigen (harzigen) Holzes mit, dass an mehreren Stellen mit einem
Faden zusammengebunden war. Die Nanne musste diese Kentel (Zünder,
Kienspäne) anstecken und sich und uns damit zünden, dass wir den Weg
durch die Schlucht und den Wald nicht fehlten — es reichte gerade so
lange — ; doch einmal, ich weiss es noch ganz genau, hat sich die Nanne
auch damit die Kappe angeschürt (angezündet), dass man das Fuir g'schmeckt
(gerochen) hat, aber wir haben es bald derdruckt.
In dem Hause, in dem wir mit Schulegehen zukehrten, war ein Mann,
iler mit dabei gewesen, wie sie eine , gefährliche Schule, Leichen-Totenburg'
gemacht haben. Das geschah, um sich unsichtbar zu machen und das
Wild zu stellen. Ich weiss nichts Ebnes (Genaues). Zwölf Mann mussten
in der Christuacht eine Leiche ausgraben — ich meine eine Kindsbetterin
— und diese um die Kirche tragen. Auf der Leiche hockten die Geister
mid Teufel auf, und die mussten ogschlagen (abgeschlagen) werden. Die
Menschen konnten ums Leben kemmen. Einer war immer verloren, aber
man wusste nicht, welcher. Oft derwehrten sie sich nicht der Teufel;
mussten alles liegen lassen und davon laufen.^)
Sie meinen, in der Apotheke brauchen sie kein Menschenfleisch? 0,
woll. Ich weiss, wie sie einen tranchirt haben: ich habe das Herz selbst
gesellen. Sie hatten es auf einen Teller gelegt und aufs Fenster gestellt
zum Kuhlen (Abkühlen). „Füi-s Zaubern verschaffte man sich junges Blut
wegen der Unschuld. Die Macht, welche gesucht wurde, gab die Unschuld",
hat ein Mann (Ehemann) gesagt.')
1) Zu diesem abergläubischen Brauch; Zingerle, Sitten, Bräuche Meinungen des
Tiroler Volkes, No. 312, 880. v. Leoprechting, Aus dem Lechraiu, 45. Wlislocki, Volks-
glaube der Zigeuuer, 141.
2^ Es war vom Dopijelt'raueuiiiDrdo in Ambras die Rede.
8ß liehseuer:
Au eiiieiii AUerlieiligeiiabend liesseu wir, wie der Brauch, Krapfen
(ein fTebiiek) für die armen Seelen auf dem Tische stehen. Wir hatten
vorher Scherz gemacht und die Kanftlen (Ränder) von den Krapfen ögessen,
weil die armen Seelen sie doch nicht derkäuen könnten. Xacldier sein
nachts Arme kemmen, haben die Fensterscheibe aus dem Blei genommen
und die Krapfen durch, und auch einen teigigen Torten, den wir ruud-
unimer ogessen, haben sie mit fortgenommeu und l)oim Tenniges, unserem
Xachbarn, sich aufgewärmt.
Den Niklas hat uns ein Knecht vor Weihnacliteu gemacht. Er hatte ein
Goasfell um. die Hörner obendran auf dem Kojife und Stegeiseu an den
Füssen. Fangen wollte er micli uml trat mir auf den Fuss. ilen Eiseu-
stachel durch das Fleisch, dass ich nicht weiter konnte.
Ich war 13 Jahr alt, als die Mutter mit mir zum Kurateu ging, mich
von der Schule losbitten. Der Kurat sagte: „Wenn Du nicht gern kommst,
so kannst Du auch zu Hause genug lernen" und gab mich frei. Es war
aber eben von ihm eiu Bübl getauft, was vom tTiggelberge her war: ich
nahm es auf meine Arme und hab es den gauzoii Weg lieimgetragen.
Bald darauf starl) der Vater, und der älteste Bruder bekam den Hof,
wurde Schaffer (Besitzer, Herr). Zwei Jahr bin ich wohl noch auf dem
(riggelberg unianandg'schachert (herumgestossen), und dann kam ich in den
Schwarzeu Adler nach Sterzing in Dienst.
War das ein Leben dort! Die vielen Fuhrleute, die zur bestimmten
Zeit durchfulu-en , wie jetzt die Buhne (Eisenbahn). Die verlangten alles
fein, und wenn es nicht so war, hiess es gleich: „Man wird wohl auch
noch anderwärts etwas zu essen finden!" Die herrischen (vornehmen)
lieisewagen hatten Postpferde und alle Postknechte trugen hellrote Jacken.
In Sterzing hab ich auch viele wilde Tiere gesehen: aber ich wüsste
nicht, dass ich davon g'scheiter geworden war. Ich hatte das Essen hin-
zutragen für die Männer, die sie zeigteu. und durfte einmal hinter den
Ffirhang lugen. Ich weiss nimmer, was ich alles gesehen habe, doch auch
Kameltiere und Aü'eu.
Die Affen, sagen sie, stammen von uns Menschen her. Haben Sie
das nie gehört? Es hat einer Kinder „Affen" geheissen, und da sind sie
als Affen davongelaufen. Von denselbigen stammen alle anderen ab.
Ein Tier hatten sie, so gross wie mein Arm — hinwärts hat man es
streichen können, aber herwärts nicht, da hat es geschnitten — ; sie haben
es ins Wasser geworfen, und da ist es so dick geworden, wie das grosseste
Fatschkind (Wickelkind). Krokodil haben sie es geheissen. Am besten,
ich muss es rein sagen, hat mir eine Goas (Geis) gefallen, deren Beiuer
ganz wie hölzern waren, und die lauge Haare gehabt hat. —
Die Kinder aus dem schwarzen Adler sind mir beständig nachgereunt;
sie waren gut gezogen. Wir Ehhalten (Dienstboten) mussteu iu ihrem
Die Webcr-Zoiize. 87
Sitielziiuiner iiiisre Sadieii flicken; al)er sie durften nichts vertragen. Das
tliaten sie auch nicht. Es ist sogar ort gescliehen, dass ich gerufen wurde
und schleunig gehen niusste, elmder icii das Zeug zusammenlegen konnte
und dass, wenn icli zuriickkam, es zu tliun, die Kinder mir schon entgegen-
kanuMi und riefen: „Zenz. Zenz. wir haben Dir alles sauber aufgeräumt!"
Ich schützte sie vor dem Xiklaus und Klaubauf, die ein altes Weib
ihueu vor Weihnachten nuichte, sie zu schrecken. Wozu die kleinen
Kinder so ängstigen, das ist ja Dummheit!
An einem Kirchtage haben mich die Männerleut wollen sternvoll
anfüllen, — machen, dass ich einen Rausch bekäme wie die Kindsin
(Kindermädchen), die gespieen hat wie eine Katze — ; aber ich hab mich
durphgemacht (davon gemacht).
Im Adler war ein sonderbarer Spiegel (wohl ein Guckkasten). In
ihm sali man ein junges Mädchen, wenn man ihn aber dreiite einen Mönch,
drelite man weiter ein Gerippe und zuletzt sah man den Tuifel. —
Yon Sterzing kam icli nach Gossensass zum Karl-^^'irt.
Sie hatten nur ein Kind, die Kattl. Die ging sclion etliclie Jahre zur
Schule, und man hat nie gehört, dass ilir etwas gefehlt hätte. Da erkrankte
sie. Sie sagten, sie hätte die Blattern, und die wären nicht ausserkemnien
— nur drei hatte sie am Bein. Sie hat allni verlangt, die Kruuimer-Moidl
sollte zu ihr umraer (herum) kemmen — eine andere Gitsche (Mädclien),
mit der sie zur Schule ging — aber d(>ren Leut' Hessen das Kind — auch
ilu- einziges — nicht ummen (hinum). weil sie sich so viel geforehten
haben vor der Erblichkeit Ansteckung). Wenn die drei einzigen Kinder
— die Karlwirt-, Krummer- und Schmiedgitsche sterlx-n — dann mag
unser Herr im Ilinnnol nur aufpacken, hiess es.
Zuletzt bekam das Kind noch die Preisen (Krämpfe) und hat so ge-
schrieen, dass man es bis auf die Strasse gehört hat. Unter den Fenstern
standen Fremde, und da stand auch der Weber-Huisele — ein Webers-
knecht, der es mit der Kattl allm (immer) liatte: Sie wissen wohl, wie
man es mit einem Kinde haben kann. Er hat mich gefragt, ob er wohl
einikemmen dürfe zur Kattl. „Ja, Huisele", hab ich gesagt, „wenn Du
willst, kimm nur eier (herein)." Als er kam, fragte ich die Kranke:
„Kennst Du den Huisele?" Ja, gekannt hat sie ihn wohl und schleunig
iJnn die Hand gereckt!
Aber allm hat sie wieder nach der Krummer-Moidl verlangt, und in
der Nacht, kurz ehe sie starb, ist die auch kemmen. Schleunig liat das
Kind ihr die Hand gereckt; aber die hat die ihrige zurückgezogen — sie
liat sich geforehten. „Die Hand geben, magst Du ihr wohl, Moidl", sagte
ich, „deshalb stirbst Du nicht früher; sieh' nur, wie sie Dich anschaut!"
und endlich, und endlich hat sie sie der Sterbenden gereckt. Nicht drei
Vaterunser lang hat die Kattl stille gelegen. Am Kopfende stand die
Seilersfrau und au der Seite ich, und einmal hat ihr Kopf auf der Seilerin
gg lleliseiier:
Hand gelegen und einmal auf der nieinigeii. nnd auf der nieinigen ist sie
gestorben. Dann hab(>n sie es wohl eilig gehabt, die Tote zu begraben,
weil es vor Ostern war. und sie haben gesagt, dass sie etliche Stunden
früher gestorben war. als es war: damit sie es sobald thun durften. —
Vor ebbis (etwa) vierzig Jahren kam ich nach (aisteig, eine Stunde
von Sterzing, am Aufsteig zum .Taufen. Die alte "Wirtin hatte den Spruch:
Von geschehenen Dingen ist es gut allni im Besten zu reden. Zerbrachen
wir etwas, mussten wir es schleunig in den Bach werfen. Wenn sie
einen guten Sinn hatte, hat sie mir manches angezeigt. Sie sagte gleich
zu mir und den anderen Ehhalten: „Dass sich keines untersteht, bei
meinen Lebzeiten eines meiner Kinder" — und sie hatte grosse Söhne —
„zu ihritzen" (ihr, im Dialekt ös') statt du zu ihnen zu sagen). Das
bäurische Gewand, was icli dort getragen, hab ich noch, auch die Pfoaten
(Hemden), die ich zum Lohn erhalten. Ich trage sie nicht, sie sind für
meine Godlen (Pathen). damit, wenn icli tot bin. sie etwas haben, an mich
zu denken.
Von Gasteig führt der Weg ins Passeier nnd nach Marun (Meran).
Früher sah man täglich lange Züge von bepackten Maultieren mit ihren
Führern vorbeikommen und Kraxenträger (Männer, die in einem Holz-
gestell auf dem Rücken Waaren trugen). Wenn wir die Passeirer mit
ihren nackigen Knieen den sticklen (steilen) Weg 6ei-(herab)kommen
sahen, haben wir allm gerufen: „Da kommen die Drei-G'sichter!"') —
Auch die Tochter des Sandwirth (Andreas Hofer) kam durch. Es v.'ar
schon vorher gesagt, und wir passten alle auf, „aber war die dick!" so
etwas glaubt man nicht; sie nahm ein Pferd und ritt weiter.
Einmal warf ein Fuhrmann gerade vor unserem Hause um, und ein
Mensch kam imter die Räder. Sie riefen: ..Bringt etwas für ihn!" und
ich lief mit Essig — denen im Unverwoas (den Besinnungslosen) muss
man ja Geist (spii-ituöses) anstreichen - der Mann erholte sich auch wieder,
hat sogar etwas gegessen, wenn auch nicht viel. Nachher will der Fuhrmann
weiterfahren den sticklen (steilen) Weg anclni, sieht aber einen Pfarrer
und einen Schullehrer mitanand ihm entgegenkommen. Diese ruft er an:
„Habt ihr etwa einen Tuifel auf dem Wege gesehen unter einer Staude
ausserlugen (hervorsehen)? Bei mir geht heut alles z'unters-öbers (durch-
einander)!" Und als sie gesagt, dass sie keinen gesehen hätten, trieb er
die Rosse an imd rief: „Dann mag ich weiter fahren."
Derselbige Fuhrmann fuhr einmal, als er um die Ecke bog. gegen
den Widum (Pfarrhaus). „Dass es aber auch just am Widum sein muss".
rief er zornig, wo ich nicht fluchen kann; anderwärts ging es schon."
1) Die alten Bauern, wenn sie fein roden wollen, nennen auch den Pfarrer ös:
Schmcller, Die Mundarten Bayerns, §§ TIS. 721.
2) Die zwei nackten Knie und das Gesiclit.
Die Wrlier-Zcnze. 89
Sider (spit) der Buliiif (Bahn) ist alles anders. In Hall, bat der Huis
erzählt, war ein Halbzritter gewesen — einer, der nieht ganz gescheit
lind aiicli nicht ganz narrit war — der habe laut gerufen: „Es werden
nicht viel Leute mehr über den Brenner gehen! Es wird ein Wagen
kommen und viele drangehängt und Alle werden anhocken." Und der . . .
hat gesagt: „Noch wisset ihr es nicJit, wie es werden wird: aber ilir werdet
es schon erfahren!" Er selbst ist auf nichts kemmen (verarmt).
Die Apotheker menglen (vermissen) nicht das Geld, was jetzt sider
der Buhne weniger ist, aber die Wirte und die Färber. Was waren da
für Sachen zur Färbe: rot, blau, die ganze Stube voll! Die Geldmühle
hat man die Färberei genannt, weil dort am meisten Geld verdient wurde.
In Pflersch wurde der Loden gewalkt.
■ Ich bin nicht weit unianand kemmen.*) Mit der Luegerin (sie war
narrit) bin ich zum blinden Herrgott nach Bardaun, rechts vom Brenner
See, kirchfahrten gangen (gewallfahrtet). Unterwegs sagte sie: „Jetzt ist
zu Hause lauter Unglück: die Schnapsfiasclie ist dei-sprungen, die Reifen
von den Meltern (Eimern) springen 6 (ab)" und noch etwas hat sie gesagt,
das hab ich aber vergessen. Und es war so, als wir zurückkamen. Der
Tuifel wird es ihr wohl so fürgebracht haben. Einmal war sie im schwarzen
.\.dler in Sterzing und wollte den anderen Morgen weiterfahren. Sie hat
alles bereit gehabt, ist aber nachher doch nicht gefahren. Dann ist sie zu
uns kommen und hat erzählt: „Alles, was mein Bruder und ich Gutes
gethan haben, dafür hab ich allein zu büssen, und wenn man von allem
Holz auf der Erde kleine Kreuzlen maclite, gäbe es nicht so viel ab. als
ich Kreuz habe."
Nach Steinach und auf Innsbruck aussn bin ich wohl kemmen und
auch von dort nach Absam kirchfahrten gangen. Dort ging ich mit einer
Innsbruckerin. Da kam uns ein ganz altes Weibis, ein kurzes, entgegen.
Es hatte ein Körbl auf dem Rücken und einen Stecken in der Hand.
Als die Frau, die mit mir war. die zu sehen bekam, rief sie reasch: „Na,
Du Teufelsweibis, lebst Du ä (auch) noch?" Und reasch und lachentl
erwiderte die Alte : „Ich werde a nicht ehnder hin, bevor ich nicht muss."
Es hat mich gefreudet, dass das alte Weibis so frisch geantwortet hat.
Von Gasteig kam ich hierlier. Die Nanne war Witwe geworden und
liatte den Hof ihres Mannes, des Webermeisters, gekauft. Sie war länger
als ich, aber schaffen konnte sie nie recht: weil sie keine Kinder hatte,
wollte sie. ich sollte da bleiben, und das that ich.
Sider (seit) sie tot ist, wirtschafte ich mit dem Huisum.")
1) Sie ist nicht einmal in Strassberg und Steckholz gewesen, eine halbe Stunde von
hier. ..Ich habe dort nichts zn thun gehabt", iagte sie.
2) üass Bi-iidcr und Schwester einen Hof bewirtschaften, tindet man hier hantig.
<(0 Rcliscner:
Das Haus — uiue alte Kiiappeuluitte — hatte kugelitte FeiistersclK'ibuu
(Butzeuscheibeu). die Xaiine hat sie erst fortg-eschaift.
Früher haben Ja die mehrigsten Häuser in (iosseusass Jeu Knappen
gehört, auch das Warbles-Kirchl') und fast das ganze Pflerschthal. Sie
haben in den Bergen gearbeitet und viel Erz gefunden. Silber und Blei.
Ehnder sie eichn (hinein) gangen sein in die Löcher, haben sie allm lange
gebetet. Einer konnte hier noch das Gebet:
0, heilige Baibara, D\i edle Braut,
Mein Seel und Leib sind Dil' anveiii'aut, u. s. w.
Ihr Hochmut war gross; sie hatten selbst silberne Schuhnägel. Als
es am ärgigsten mit ihnen war, hat ein Bauer, wenn er heiraten wollte,
keine Dirn kriegt: sie gaben alle den Knappen den Vorzug. Einmal aber
schunden sie einen Ochsen bei lebendigem Leibe und streuten Salz auf
ihn. Der Ochse schaute zum Himmel auf und rerte. Da hat man von
den Bergen ein Klingen von Silber und Gold gehört, und das Bergwerk
war verfallen.
„In Rom haben sie gesagt", unterbrach ich die Erzählerin. ,,die Knappen
wären lutherisch gewesen."
„Lntterisch müssen sie wohl gewesen sein", rief unerwartet die mehr
als achtzigjährige Moidl (eine ältere Schwester der Zenze)-) von ihrem
letzten Lager unter dem Herrgott; „sonst hätten sie das ja nicht gethan!" —
Als wir im Frühling 1889 von einem Winteranfenthalt in Innsbruck,
wo wir die Aufregungen über den Tod des Kronprinzen Eudolf mit durch-
lebt hatten, nach Gossensass zurückkamen, fanden wir die Geschwister
noch in gewohnter Weise thätig. Die Zenze fragte in der ersten Stunde:
„Wissen Sie, wie es mit dem Kaiserssohn gewesen ist, der den Wirter
gestorben? Ich weiss es. Ein Handwerker — er war gut montirt —
der von Wien kam und bei Silbergassei-s über Nacht lag, hat es ungesagt
(angesagt, erzählt).
Der Kaiserssohu hat dem Kaiser di'ei Rosse hingeführt: ein blindes,
ein mageres und ein fettes. Zuerst hat er das blinde hingeführt und
gefragt: „Verstehst Du das, was das heisst?" — „Nein", sagte der Kaiser,
„ich verstehe es nicht." — „Nicht? so will ich es Dir sagen. Das heisst,
dass Du blind bist gegen Deine Monister (Minister)." Nachher hat er das
magere Ross vorgeführt und gefragt: „Dieses verstehst Du doch?" —
„Nein", hat wieder der Kaiser gesagt, „ich verstehe es nicht." — „Nicht!
so will ich es Dir sagen. Das sind die Kleinbauern und armen Leut\
die hungern, mid um die Du Dich zu wenig kümmerst." Und endlich
hat er das fette Ross vorgeführt und gesagt: „Aber das verstehst Du doch."
l'i Die schöne, kleine Barbara-Kapelle ist 1515 von den Knappen crbant und nacli
dem Verfall der Gruben 1786 geschlossen worden.
2) Als ^VitT\-e fand sie im Hause Aufnahme und Pflege, überstand im holien Alter
drei Lunsenentzündungen und starb Sliährig.
Die Wrlioi-Zfiize. !)1
— „Nein", sagte wieder der Kaiser, uiul der Kaiserssohii sagte: „Das sind
Deine guten Lout', die Du viel zu sehr mästest." Da haben die outen
Lent', als sie gehört was der Kaiserssohn von ilmen gesagt hatte, diesen
umgebracht und tot ins Piett gelegt." —
1'jiu Jahr darauf kehrten wir aus Deutschland wieder. Da konnte die
Zenze ihre Arbeit nicht mehr allein leisten. Es war früher Morgen, sie
melkte die Kühe, und auf der Schwelle neben ihr hockte der treue Huisum,
um ihr den Melter (Milcheimer) zu tragen. Beiden stürzten die Thränen
aus den Augen, als sie uns erblickten.
Waren Sie sehr allein den Wintert fragte ich. „0 woll, manchmal
hab ich gewünscht, wenn die (vei'storbene) Moidl nur wenigstens einmal
in die Thüre träte."
Doch bald scherzte sie wieder in alter Weise: „Sie waren hei den
Schwaben (in Stuttgart)? Sein Sie sicher gewesen vor ihnen?" und
erzählte lachend von einem alten Mittel gegen Schwaben und M'anzen.
„Man fängt drei Scliwaben und thut sie lebendig mit drei Vierlern (alte
Kreuzer) in eine Büchse; diese trägt man auf den Freithof und stellt sie
dort nieder. Wer sie aufhebt, der hat die Schwaben, ebenso die Wanzen,
d. h. nicht mir die in der Büchse, sondern alle, die man im Hause liatte.
Der M. hat es hier versucht, aber ich glaube, er ist kaum mehr loskemmen
von der Beichte; weil man damit andern etwas schleclites zuwendet. Ich
thäte es niclit."
Diesen Sommer (1894) verlor sie ancli iliren bis zum letzten Augen-
blicke arbeitenden Bruder. Er wurde 84 Jahre alt.
„Ich dachte, wir gingen mitanand!" sagte die Vereinsamte mit bebenden
Lippen.
Als sie nach der Beerdigung wieder in der grossen Stube den Rosen-
kranz betete und zwar mit einer alten Origgelbergerin, die ihr die nötigste
Hilfe geleistet hatte, sagte diese: „Auch etwas für den Huis beten!"
„Willst Du verbeten, Liese?"
„Nein, vorbeten muss der Bauer')" (der Besitzer oder die Besitzerin
des Hauses). —
„Was mach ich jetzt" — sprach die Zenze vor sich hin, das sonst so
Iidihafte braune Auge gesenkt, „das Land ernährt schon drei Leut", wenn
man sicli plagt, aber für alles Tagewerker anstellen, das tragt es nicht
aus. Die Arbeit hat keinen Furwärtsgaug. Ja, wenn ich arbeiten könnte,,
war ich glückselig!
1) Einmal fragte ich eim™ jungen Burschen, der vor dem Hause seines verstorbenen
Onkels mit dessen Scliwester und .seinem Bruder sass, oh er jetzt der Schaffer wäre.
„Nein", antwortete dieser, „Schaffcr ist er" und zeigte auf die Tante: „ich bin es erst,
wenn ich mündis;'."
92 KehsL'iier: Die Webei-Zenzo.
Verkauf ich deu Nutzen vom Felde (was dieses Jahr darauf gewachsen
ist;? Gebe ich es zu Bestaüde (verpachte ich es)? Den Hof verkaufen
könnte ich alle Tage. Aber soll ich mit anderen zusanimenwohuen und
andere über mir haben!
Kleinweis hat der H. ums Haus gefragt. Zuerst fragte er um etwas
Land für Kobis. dann für Erdä])fel. Nachher meinte er. es wäre schade
das Land, was für Roggen so gut wäre, von jenem zu trennen: nachher
sprach er von der Tenne und dem Stall, die er auch noch für seinen
ältesten Sohu zu einer Werkstatt brauchen könne und endlich vom Haus,
was er für den jüngeren Sohn, der aber erst zu spielen (zum Soldaten zu
losen) hätte — kaufen könnte, man müsste sich bei Zeiten vorsehen u. s. w.
Haben möchten die drei Äschte^) (erbende Geschwisterkinder) es ein
jedes: aber dass sie so schnurgrad alles derzwingen. seile glaube ich nicht."
Schon längst kommt die Weber -Zenze ohne .Stecken- nicht mehr
weiter; ihre gTOsse, schlanke Gestalt ist gebeugt, als müsste sie zusammen-
brechen. Schwer wird es ihr, sich eine Dirn zu verschaffen, denn sie
sagen hier: Juug und Alt geht nicht zusammen.
Zur Kirche kommt sie schon seit Jahren nicht mehr, aber sie betet
während der Kirchzeit und liest in ihren grossgedruckteu Gebetbüchern.
Vor hohen Festtagen kommt der Geistliche mit .unserm Herrn' sie zu
versehen, nachdem sie abends zuvor dem Teufel die Herbige aug'sagt (die
Herberge gekündigt, gebeichtet hat).
So oft die Sonne scheint, sitzt sie vor der Thür und hütet die Hennen.
Jetzt kehrt eine Nachbarin zu. Wie geht es Dir. Zenze?
„O, weiter gut", ist die Antwort.
Hat es sie aber die ganze Nacht ög'kehrt (umgedreht) und struppe-
lantig gemacht, dann heisst es:
„Wie es geht? Das ist bald gesehen. Ja. wenn die Krumpe (Rheu-
matismus) nicht war und ich gehen könnte wie andere I
Das Jörgele ging auch erst mit einem Stock, hat viel unnötig ver-
doktert, jetzt geht es mit zwei Krücken. Heute liab ich es gesehen und
gesprochen. Für mein Schinkeuweh. sagte es, hat mir nxu' der Bold
(Leopold, ein beliebter Arzt) die Wahrheit gesagt: „Du. Dein Weh musst
Du mit Deinen Schinken zu Grabe tragen!" Die Wahrheit niuss ein jedes
derleiden !
Ob ich noch einen Docter frage? Ich habe nicht das Herz. Die alte
Krippe (das alte Gestell) ist nicht drum wert: anschüren sollte man sie.
Wenn man mal so weit ist. soll der liebe Gott ein Mittel machen:
ich dermach keins!"
1) Im Bergwerk heisseu .^ste die Nebengänge, die in die Stolleu münden.
Lehmaim-Filhes: Einige Beispiele vini Hexen- und Abcrglaubm in Thüringen. 93
Unter ihren Kleinodien hebt sie ein grösseres Goldstiiek auf, welches
ilir der , der sie heiraten wollte, als Capare (Harre, arrha, Urau-
gekl')) gegeben hat. „Es war in Gasteig in der Kuciil und alle haben es
gesehen", erzählte sie uns; „aber seine Verwandten haben ihm abgei'edet
— er blieb ledig. Als ich ihm nachher das Geld, wie es der Brancli,
zurückgeben wollte, sagte er, ich solle es kalten (behalten). — Ich bin
im Jungt'rauenbuud."
Auch ihr schönes Taufzeug — rot. weiss, grün mit Golds])itzen —
zeigte sie uns, und als wir das lebhafteste Wohlgefallen über die feine
und frische Färbung und noch besonders über das kleine Häubchen
äusserten, in welchem sie, alle ihre Geschwister, Mutter und Grossmutter
getauft worden, sagte sie: „Nehmen Sie es, und wenn Sie sterben, müssen
Sie es jemand lassen, den Sie lieli haben."
Gossensass.
Einige Beispiele von Hexen- und Aberglauben aus der
Gegend von Arnstadt und Ilmenau in Thüringen.
Von M. Lehmaun-Pilhes.
Ein durch viele Jahre fortgesetzter Sonimeraufenthalt in Arnstadt gab
mir Gelegenheit, dort und in den Dörfern der Umgegend, namentlich im
Verkehr mit Pfarrersfamilien, Kantoren und Landleuten über den dort
noch herrschenden Glauben an Hexenkünste und allerlei abergläubische
Ansichten und Gebräuche einiges zu erfahren, was icli in Folgendem mit-
teilen möchte.
Zunächst mögen einige Beispiele des Hexenglaubens hier stehen.
Ludwig Sehr, in Unterpörlitz bei Ilmenau, jetzt etwa 75 Jahre alt,
hat in seiner Jugend Folgendes erlebt. Bei seinen Eltern daselbst wurde
ein Stück Jungvieh krank; es war eine einjährige Kuh, die bekam ent-
setzlich viel Läuse und wurde immer elender. Der Tierarzt wurde geholt
und sagte, das wären keine natürlichen Läuse, sondern Hexenläuse. Das
Tier ging zu Grunde und wurde vergraben, nachdem man ihm die Zunge
ausgeschnitten hatte; der Tierarzt sagte nämlich, die sollte man in den
Schlot hängen, denn sobald sie verdorrte, würde auch die Zunge derjenigen
Person verdorren, welche das Tier verhext habe. Und so geschah es auch.
Eine arme Witwe, die innner ins Hans gekomnnm war, wo sie spann und
1) Italieniscli caparra.
9-1 Lohmanii-Fillu'f;:
alku'lei bekam, tiiig, wüliruiid die Zunge im Sclilotu liiiiij,', plötzlich an zu
lallen uml konnte seitdem bis an ilir Lebensende nieht wieder ordentlieh
sprecheu. Der alte Sclirickel aber sagt an einer Stelle beim Dorfe allemal
zu seiueu Enkeln: „Da unten liegt unsere Kalbin."
In Unterpörlitz giebt es noch jetzt verschiedene Leute, die Läuse
machen können. Eine junge Frau sass in der Kirclie und hatte eine ganz
neue Mütze auf. Da verspürte sie auf einmal ein heftiges Jucken am
Kopfe, das von Läusen herrührte. Sie war überzeugt, dass ihre Schwieger-
mutter iiü' dieselben angehext habe.
Ein Mann in Unterpörlitz, R., ist ein Hexericli. Alles Geld, das er
anderen auszahlt, hext er wieder zu sich zurück; er ist dadurch schon
ziemlich wohlhabend geworden und hat alle auf seinem Hause lastenden
Schulden abzahlen können, obgleich er nur Holzhauer und A'ater von
vielen Kindern ist. — Ein in demselben Dorfe ansässiger Bauer, GüntJier
Kr., hatte bei ilnn Geld stehen; er bemerkte nun, dass die Geldstücke,
die E. ihm als Zinsen brachte, nachher unter seinem übrigen Gelde nie
wieder zu finden waren. Da gab ihm jemand den Rat, er sollte sogleich,
wenn R ihm die Zinsen abgeliefert hätte, das Geld in ein Glas thun und
dieses fest zubinden, dann würde das Geld wohl im Glase unruhig werden.
Kr. machte es so, und richtig, als E. eine Weile fort war, so dass er etwa
mitten im Dorfe angelangt sein konute, begannen die Geldstücke in dem
Glase zu hü])fen und in die Höhe zu springen, als wollten sie mit Gewalt
hinaus, bis sie sich nach einer halben Stunde beruhigten. Von nun an
verfuhr Kr. immer auf diese Weise mit dem ihm von R. gezahlten Gelde
und büsste es nie wieder ein. — Auch der Schenkwirt hat bemerkt, dass
R. sein Geld wieder zu sich hext, denn in der Schenke lässt R. sich stets
aus einem Thaler herausgeben, doch ist der Thaler hernach niemals vor-
handen.
Ein anderer Manu im Dorfe, St., bat R. einmal, ihn seine Künste zu
lehren. Da bestellte ihn dieser auf zwölf Uhr nachts nach der oberhalb
des Düi-fes bei einem Teiche belegenen Kräkelswiese. Als St. sieh zur
festgesetzten Zeit daselbst einfand, erschien auch R.; gross war aber St.'s
Entsetzen, als jener, nachdem er einen Spruch hergesagt, ])lötzlich ganz
von Flammen umgeben war. Voll Todesangst lief er davon und sagte
später, nie iu seinem Leben würde ihn wieder danach verlangen, das
Hexen zu erlernen. ^
Dass R. mit dem Teufel im Bunde ist, wissen die Dorfbewohner ganz
bestimmt, denu wenn sie nachts sein Haus beobachten, sehen sie um zwölf
Uhr allemal eine Menge Funken oder feurige Strahlen in den Schlot
hinein fahren; (bis ist der Böse, der da zu ilnn kommt. Wenn bei ihm
im Hause die „Gesellschaft" ist (nämlich die jungen Mäihiien und Bursche,
die jeden Abend in irgend einem Hause zusammen komnioii), so hören sie
um Mitternacht, wie es drausseii an iler Thür einen Bums tjiut, und dann
Einige Beispiele von Hexen- und Aberglauben in Tluli-in!,'eu. 95
kauu R. nicht in der Stube bleiben, sondern miiss liinaus, weil der l'eufel
kommt, ilm zu besuchen.
R. ist ein kleines, schmächtiges Männchen und selir furchtsam. Wenn
im Walde die anderen Holzhauer, mit denen er auf Arbeit geht, zu schnell
"■eben und er zurück bleibt, grault er sicli so, dass er ganz jämmerlich
schreit: „Nehmt mich doch mit! nehmt mich doch mit!" Dann müssen
sie ihn in die Mitte nehmen.
Vor wenigen Jahren ging in dem Dörfchen Espenfeld (eine Stunde von
Arnstadt) die „Speckdoctern" aus und ein. Etwa die Hälfte der rund 200 Seelen
zählenden Einwohnerschaft Espenfelds steht im Verdachte der Hexerei, und
die andere Hälfte glaubt daran, wodurch viel Zank und Feindschaft entsteht.
Die „Speckdoctern", eine in dem unfern gelegenen Dosdorf wohnhafte Frau,
gab den J^spenfeldern Schutz- und Heilmittel gegen Hexerei, zu welchem
Zwecke sie allwöchentlich nach Espenfeld wanderte. Wenn sie auf die Höhe
kam, wo man des Dorfes zuerst ansichtig wird, schwenkte sie ein Bündel
Kräuter nach jedem der Häuser, in denen sie verkehrte. Den Kindern gab
sie irgend etwas — ich weiss nicht was — das diese unter der Kleidung um
den Hals tragen mussten; dies entdeckten die anderen, d. h. die Kinder
der aufgeklärten Leute; sie verhöhnten nun ilire Gespieleu. und es kam
zu so heftiger Erbitterung, dass der Schullehrer Frieden stiften musste.
indem er alle Spöttereien untersagte. — Ihren Namen hatte die Speck-
doctern davon, dass sie ihr Honorar in Speck und Würsten ausgezahlt
bekam: es fiel oft so reichlich aus, dass sie noch eine Person zum Tragen
mitnehmen musste; darum riefen die Dorfkinder, sobald sie sich blicken
liess: „De Speckdoctern kömmt!" — Eines Tages machte sie ihren Hokus-
pokus bei einem erkrankten Schweine und versicherte beim Verlassen des
Stalles, das Schwein werde gesund wei-den; sie war jedoch noch nicht zum
Dorfe hinaus, da verendete es. Seitdem ging es mit ilirem Ruhme bergab
und jetzt kommt sie nicht mehr nach Espenfeld.
Eine Frau in Espeufeld hatte von ihren Manne Geld bekommen, um
auf dem Arnstädter Wochenmarkt ein Schweinehen zu kaufen. Dies hat
sie, wie sie sagte, gethan, aber als sie heimkehrte, war das Schwein aus
ihrem Tragkorbe verschwunden. Auf dem Heimwege hat sich ein Mann
zu ihr gesellt, mit dem sie ein Weilchen am Chausseeraude gesessen hat;
dieser soll das Schwein aus ihrem Korbe gehext haben. Der Mann,
Christoph Elias S., gleichfalls in Espenfeld ansässig, steht ebenso wie seine
älteste Tochter im Verdachte der Hexerei; seine zweite Tochter hat lange
bei uns gedient, und ich kenne die ganze Familie als sehr rechtschaffene
und kluge Menschen, die selber nicht an Hexenkünste glauben.
Eine arme Frau in Arnstadt kam eine Zeit laug oft in unser Haus:
sie schlich dann innner, ohne zu klingeln, die Treppe hinauf und in die
ICorridore und stand, wenn man aus dem Zimmer trat, unversehens vor
einem; ids Vorwand bot sie dann z.B. Mottenkraut (Melilotus) und Scheuer-
9fi Lehmann-Pilhes:
kraut (Equisetum) au. hatte jedoch nie welches bei sich, weun man es
kaufen wollte. Da sie als sehr diebisch bekannt ist und gern Dinge, die
sie erwischen kann, unter ihrem grossen Thüringer Mantel mitnimmt, war
sie dieses Eiuschleichens wegen schon oft bei uns ziireclit gewiesen worden.
Eines Tages kam ich mit einer Freundin aus der Stadt, da trat mis draussen
von unserem Hause her die Sp. entgegen. Als sie an uns vorüber und
etwa 20 Schritte hinter uns wai% saheu wir uns zufällig um. Da stand sie
auf der Chaussee uns zugewendet, bewegte die Hand, als schriebe sie
Figui'en in die Luft, und sprach dabei etwas vor sich hin, was wir der
Entfernung wegen nicht verstehen konnten. Zu Hause erfuhren wir, dass
sie dagewesen und wieder bis an die Zimmerthüren geschlichen war.
weshalb meine Mutter sie sehr nachdrücklich zur Rede gestellt hatte.
Dafür hatte sie uns etwas anthun wollen, denn dass sie selbst an ihren
Zauber glaubte, nehme icli deshalb an, weil sie ihn liinter xmserem Rücken
ausübte.
In Dauuheim. eine Stunde von Arnstadt, wurde vor einigen Jalireu
ein Junge krank. Als es schlimm wurde. Hessen die Eltern den alten
Sanitätsrat X. aus Arnstadt kommen, der den Jungen untersuchte und dann,
ohne sich etwas dabei zu denken, kopfschüttelnd sagte: „Ich weiss nicht,
was der Junge hat; es ist gerade, als wäre er behext.'' Das nahmen die
Leute für Ernst und gingen zu einem beriUimten Hexenmeister in Rudis-
leben, ein paar Stunden von Dannheim. Derselbe verordnete allerlei
Verhaltungsmassregeln: u. a. durfte kein Glied der Familie „ja" oder „nein"
sagen oder etwas verborgen; selbst die Pfarrerin konnte nichts dagegen
ausrichten, sondern musste — was sonst nicht üblich war — alles ihr
Gelieferte, z. B. Milch, sofort bezahlen. Die Hexe sollte die Schmiedsfrau
sein, die täglich an dem Hause vorbei gegangen war: sie verstärkte den
Verdacht dadurch, dass sie gerade jetzt kam. um sich von den Eltern des
Jungen Thee zu borgen. Die Sache wurde so ernsthaft, dass es zu einer
Beleidigungsklage vor Gericht und in gewissem Sinne zu einem Hexen-
prozesse kam. Der Junge wurde übrigens wieder gesund.
Die Frau des Kantors H. in Dannlieim war vorigen Sommer lange
krank imd konsultierte ohne Wissen ihres Mannes eine alte Frau, die ihr
unter andei'em streng verbot, etwas zu verborgen oder zu erlauben, dass
ihr Manu dies thue. Nun kam aber gerade der Tischler zu ihm. klagte,
dass es ihm zur Ausführung eines dringenden Auftrages an einem passenden
Brett fehle und sagte, der Kautor habe ein solches, das möge er ihm doch
geben. Der Kantor Hess sieh endlich erbitten und gab dem Tischler das
Brett. Seine Frau hörte zum Unglück etwas davon, entlockte ihi-em
Manne die Wahrheit und geriet darüber in solche Aufregung, dass er
hingehen und sich das Brett bezahlen (oder wiedergeben?) lassen musste.
Der Festtagsaberglaube sei durch folgende Beispiele hier ver-
treten.
Einige Beispiele von Hexen- und Aberglauben in Thüringen. 97
In der Christnacht werden um elf Uhr zwölf Häufchen klar geschnittene
Zwiebeln rundum auf den Tisch gelegt und erhalten die Namen der zwölf
Monate. Alle Viertelstunden (soll wohl heissen: nach einer Stunde) sieht
man nach, welche von ihnen trocken geworden sind und erfährt dadurch,
welche Monate des nächsten Jahres trocken und welche nass sein werden.
Ebenso werden in der Christnacht um elf Uhr vier Tassenköpfe voll
Roggen abgemessen und auf den Tisch geschüttet. Um zwölf Uhr werden
sie wieder gemessen, ob ihrer mehr oder weniger geworden sind; danach
wird der Getreidepreis in den nächsten vier Vierteljahren vorhergesagt.
In der Neujahrsnacht um zwölf Uhr stellt man sich auf den Friedhof,
an einen Kreuzweg oder auf die grüne Saat; dann ziehen die an einem
vorüber, die im nächsten Jahre in der Gemeinde sterben werden.
In der Neujahrsnacht horcht die Jungfer in die Wasserblase im Ofen;
dann hört sie das Gewerbe ihres Zukünftigen, das Hobeln des Tischlers,
das Hämmern des Schmieds u. s. w.
Ein Brauch, der in der Andreasnacht geübt wird, ist aus folgendem
Vorfall zu ersehen. Beim Kantor H. in Dannheim war ein Verwandter
zum Besuch. Am Abend legte er einen preussischeu Thaler auf die
Schwelle, drehte sich mit dem rechten blossen Fusse dreimal von der
Linken zur Rechten darauf um und sagte dabei einen Vers, dessen der
Kantor sich nicht entsinnt. Alsdann legte er sich in die Hölle und schlief.
Um zwölf Uhr nachts springt er mit einem Schrei auf und stürzt bai-fuss
zur Thür hinaus und nach Hause. Nach langer Zeit erst hat er erzählt,
er habe seine Liebste gesehen, die ihn an der rechten grossen Zehe gepackt
und mit sich fort gezogen habe. Diese hat er geheiratet.
Die beiden letzten Stücke gehören auch unter die Ehestandsorakel;
als solchen seien ihnen noch die folgenden angereiht.
Bauernhochzeiten werden nur bei zunehmendem Monde gefeiert, sonst
geht es mit dem Vermögen ziu'ück.
Zu Hochzeiten wird der sogenannte „dicke Kuchen" gebacken; es ist
ein gewöhnlicher gemangelter Kuchen; je höher er aufgeht, desto glücklicher
wird die Ehe. (Gerät er nicht nach Wunsch, so bäckt man indessen rasch
einen anderen, wohl gar einen dritten, bis er hoch genug aufgeht.)
Vom Totenaberglauben konnte ich ausser einem oben bereits mit-
geteilten Zuge (aus der Neujahrsnacht) folgende Beispiele erfahren.
Der Totengräber verwahrt Spaten und Hacke in einem Winkel seines
Hauses, der sich manchmal in seiner eigenen Schlafkammer befindet und
die. Grabes- oder Todesecke heisst. In dieser Ecke stehen Spaten und
Hacke ganz allein, nichts anderes dabei. Wenn nun im Dorfe ein Todes-
fall bevorsteht, klingen sie nachts aneinander.
Wenn der Totengräber vor einem Begräbnisse die Bahre von der
Glockenhauskammer nach dem Leichenhause trägt und es begegnet ihm
dabei eine männliche Person, so stirbt im Dorfe demnächst ein Mann,
Zcitschr. d. Vereins 1. Volkskunde, isai. 7
98 Maurer :
während die Begeguuug mit einer weiblichen Person den Tod einer solchen
bedeutet. Dieser Todesfall wird sich in der Familie dessen ereignen, der
dabei znfällig zunächst hinter der Bahre eiuhergeht.
Die Schwiegermutter des Kantors H., Frau Pfarrer G. in Möhrenbacli,
hat den Tod ihres Mannes (1851) vorher gewusst, weil sie im Garten
unter ihren Bohnenpflanzen eine ganz weisse gehabt hat. Auch weisse
Kohlstauden und dergleichen haben dieselbe Bedeutung. Der Kantor
glaubt, dass dieser Aberglaube von den Wenden stamme, auf die ver-
schiedene Ortsnamen jener Gegend hinweisen.
Der Schwiegervater des Kantors studierte in Jena und verlobte sich
mit einem Mädchen dort in der Nähe. Darauf wurde er Pfarrer in
Möhrenbach (auf dem Thüringer Walde), konnte aber wegen seines geringen
Gehaltes noch nicht heiraten. Da erfuhr er, seine Braut sei erkrankt und
gräme sich sehr, dass er nicht zu ihr konnte. In dieser Zeit geht er
einmal spazieren nach Gehren zu; plötzlich hört er seinen Namen rufen
und das Rauschen eines seidenen Kleides vor sich, ohne etwas zu sehen.
In derselben Stunde ist seine Braut gestorben.
Nun zum Schlüsse noch ein paar kleine Züge verschiedenen Charakters.
Wenn eine Kuh gekalbt hat, wird die erste Milch ausgemolken und,
mit Ei gebacken, kleinen Kindern zu essen gegeben; davon werden sie in
ihrem Geiste sehr verständig.
Auf einem Arnstädter Gehöft wurde mein Bruder von einem Hunde
gebissen; sogleich schickte die Besitzerin ein Büschel Haare, die sie
demselben Hunde abgeschnitten hatte, damit sie auf die Bisswuude
gelegt würden, wovon diese schnell heilen sollte.
„An änu Fuchse is kei gut Haar", sagte eine bei uns dienende
Thüringerin beim Anblicke eines rotscheckigen Schweincheus, das ihre
Mutter auf dem Arnstädter Markt gekauft hatte.
Kleine Mitteilunaen.
Zur Volkskunde Islands.
In No. 31 — 34 der Zeitschrift „pjöffviljin ungi" giebt der verdienstvolle
isländische Geograph porvaldur Thoroddsen einige vorläufige Mitteilungen
über eine Zaubergeschichte, welche im 17. Jahrh. auf Island spielte, und über
welche der noch ungedruckte Teil seiner Geschichte der Erdkunde Islands (Land-
frseäissaga Islands) Bericht geben wird. Um einen Hexenprozess handelt es sich
dabei, der mehrere UnglückHche auf den Scheiterhaufen führte; interessant ist aber
dabei die eigentümhche Mischung einheimischen und fremden Aberglaubens, welche
der Prozess zeigt. Die Zurückführung der Zauberei auf die Hilfe des Teufels
Kleine Mitteilungen. ' S9
und die Strafe des Feuertodes ist offenbar aus der Fremde herübcrgenorrimen,
doch wohl zunächst aus Deutschland, durch Vcrmittelung des dänischen und
norwegischen Gesetzbuches des Königs Christians V.; aber von einem eigentlichen
Teufelsbunde, einer ßuhlschaft mit dem Teufel, einem Hexensabbath u. dergi. ist
in dem Berichte nicht die Rede und ebenso wenig vom Wettermachen, während
die Heimsuchungen der Verhexton durch höllische Geister wesentlich den Charakter
von „sendingar", d. h. Zuschickungen tragen, wie sie den nationalen isländischen
„galdrasagnir" geläufig sind Ich behalte mir bevor, beim Erscheinen der Fort-
setzung des angeführten Werkes auf den Gegenstand zurückzukommen, da dieses
jedenfalls noch weitere Mitteilungen über das Zaubertreiben auf Island im 17. Jahrh.
bringen wird; dagegen möchte ich noch eine kurze Notiz besprechen, welche No, 33
der genannten Zeitschrift in einem Nekrologe enthalt, den sie über einen am 12. Juli
letzten Jahres zu Skälavik im Mjoflfjörffur der IsafjarcTarsysla verstorbenen Gemeinde-
vorsteher (hreppstjori) namens Gunnarr Halldorsson bringt. Es heisst hier:
„Während die Mutter Gunnars mit ihm schwanger war, träumte sie eine Nacht
nach der anderen von Gunnar von Hliöarendi, dass er, wie inan es nennt, um des
Namens willen komme (acT hann vitjaffi nafns, sem kallaff er), und als ihr dann
ein Sohn geboren wurde, wollte sie diesen nach ihm nennen lassen; der Vater
Gunnars war aber dem entgegen, bis er einmal des Nachts träumte, dass Gunnarr
von Hh'flarendi sehr zornig zu ihm komme, mit gezücktem Speer, und dass er
ihn durchbohren wolle; daraufhin hörte der alte Mann auf, sich gegen den Namen
zu widersetzen."
Wir wissen, dass es in der alten Zeit als ein Glück betrachtet wurde, wenn
jemand nach einem Verstorbenen benannt wurde. So lässt sich nach der Vatns-
dasla, Cap. 3. Jökull Ingimundarson von porsteinn Ketilsson, der ihn tütlich ver-
wundet hat, als Lohn für das ihm geschenkte Leben versprechen, dass er, vpenn
er einst einen Sohn gewinnen werde, diesen nach ihm benennen werde; „denn",
sagt er, „davon erwarte ich mir Vorteil." Dieselbe Forderung erhebt später,
Cap. 6, der alte Ingimundr demselben porsteinn gegenüber, und seinem Wunsche
wird entsprochen, wogegen dann Ingimundr porsteinsson einem seiner Söhne den
Namen Jökull giebt. So schenkt ferner nach der Finnboga s. hins ramma,
Cap. 9 der sterbende Finnbogi Bäröarson dem Uröarköttr zum Dank für ihm
geleistete Hilfe seinen Namen, in der Hoffnung, dass er selbst Ehre davon haben
werde, wenn ein so tüchtiger Manu seinen Namen trage; ebenso wünscht ferner,
Cap. 36, der sterbende Asbjörn dettiäss, dass Finnbogi einen Sohn seinen Namen
tragen lasse, weil er davon Glück erhoffe. Nach der Svarfdsela, Cap. 5 richtet
der totwunile pörölfr eine ähnliche Bitte an seinen Bruder porsteinn, und ähnlich
bittet, Cap. 26, Karl, seinen Tod ahnend, seine Frau, den Sohn, mit dem sie
schwanger geht, nach ihm benennen zu lassen, beide Male mit derselben Be-
gründung. Aber auch das kommt bereits in älteren Quellen vor, dass ein Ver-
storbener durch eine Traumerscheinung seinen Wunsch zu erkennen giebt, ein
bestimmtes Kind nach seinem Namen genannt zu sehen, wie etwa K. Ölafr Geir-
staiJadlfr nach der Flbk., II, S. 8—9 diesen Wunsch bezüglich des heiligen Olafs
ausspricht, oder wie der Hügelbewohner, d. h. doch wohl in einem Erdhügel
begrabene Held Brynjarr nach Flbk., I, S. 255 im Tiaumc den porstein uxaföt
einen zukünftigen Sohn auf seinen Namen taufen zu lassen bittet. Auch die A rmanns-
saga, allerdings ein Machwerk aus dem vorigen Jahrhundert, lässt an ihrem
Schlüsse den Riesen Ärmann von dem Pferdeknechte HallvarÖ" im Traume ver-
langen, dass er seinen Namen unter die Taufe und das Christentum bringe (skalto
koma nafni mijno imder scijrn oc christni). Aus dem vorigen Jahrhundert habe
ich ferner in meinen Isländischen Volkssagen, S. 193 — 94, und hat dann auch
7»
100 Godden:
Jon Amason in seinen Islenskar pjöffsögur og aefiutyri, II, S. 22 — 23 die
Geschichte des Natan Ketilsson erzählt, zu dessen Mutter während der Dauer ihrer
Schwangerschaft der Teufel im Traume gekommen war, mit der Bitte, ihrem
Kinde seinen Namen zu geben; „aiT vitja nafns" lautet auch hier der Ausdruck.
Dem Volksglauben folgend, dass solchen Wünschen nachzukommen, dem Kinde
Glück bringe, wollten die Eltern das Kind wirklich Satan taufen lassen ; der Pfarrer
ging hierauf nicht ein und taufte das Kind dafür Natan, dennoch wurde dieses
zwar sehr begabt, aber auch sehr schlimm und starb schliesslich eines gewaltsamen
Todes. Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 311, und nach ihm Nyrop, Navnets
magt, S. 197 (in den Mindre Afhandlinger udgivne af det philologisk-historiske
Samfund) hat einen ganz ähnlichen Glauben aus Norwegen nachgewiesen, wo man
von der Traumerscheinung des Verstorbenen sagt, dass er »gaaer efter Navnet",
d. h. dem Namen nachgeht; so fasst wenigstens Ivar Aasen, Norsk Ordbog, S. 523,
die Redensart auf, während Liebrecht „gaar efter Navne" schreibt, und vom Suchen
eines Namensvetters spricht. Ich bin schon früher einmal, bei Besprechung der
angeführten Abhandlung Nyrops in Band I, S. 111 dieser Zeitschrift auf diesen
Aberglauben zu reden gekommen; der Eingangs erwähnte Beleg für dessen fort-
wärendes Fortleben auf Island dürfte aber eine eingehendere Behandlung des
Gegenstandes rechtfertigen.
Konrad Maurer.
Bekleidete Götterbilder.
Ich erlaube mir die geehrten Leser der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde
auf einen interessanten Zweig des primitiven Kultus aufmerksam zu machen, für
dessen Erläuterung ich dieselben um weitere Thatsachen ersuche.
Die Darbringung des Peplos an die Athene an dem Haupttage der Pana-
thenaeen könnte als Typus angenommen werden für das Opfer eines Gewandes
an ein Götterbild; aber es scheint wahrscheinlich, dass ähnliche Gebräuche sich
durch alle Stadien der Kultur ziehen. Ich frage also: Können weitere Beispiele
angeführt werden der Opferung von Gewandern oder Bedeckungen für
Götterbilder oder geweihte Gegenstände insbesondere bei Festen oder aus-
gezeichneten Anlässen?
Als Beispiele für das Bekleiden von Götterbildern und geweihten Gegenständen
kenne ich: 1. Die sehr primitive Bekleidung eines heiligen Steines durch Zweige
in Samoa, „um den Gott warm zu halten;" die Zweigbekleidung ward sorgfältig
erneuert, wenn man wegen Krieges, Dürre, Hungersnot oder einer Epidemie betete').
2. Die Einhüllung einer Paradiesfeige in weibliche Gewänder während der Cere-
monien, welche bei der Weihung des Bildes der Hindostanischen Göttin Durga
(Parvati) stattfanden'). 3. Die Einhüllung der Götzenbilder in die Haut von Opfer-
tieren im alten Ritual. 4. Das mexikanische Fest von Huitzilopochli, wo ein
Götzenbild aus Teig und Holz gemacht wurde und mit dem Gewände bekleidet
ward'), und das grosse mexikanische Fest von Tezcatlipoca, an dessen Vorabend
das Götzenbild mit neuen Gewändern angethan wmde'').
Wenn die Gottheit durch eine lebende Person dargestellt wird, wie in dem
Hindostanischen Ritus der Anbetung der Töchter eines Braminen als Vertreterinnen
1) Tui-ner, Samoa, p. 62.
2) Ward, Hindoos. 1817, Vol. II, p. 13.
3) Bancroft, Native Races of the S. Pacific. Vol. II, p. 321.
4) Bancroft ibid.. Vol. II. p. 318.
Rleine Mitteilungen. 101
der Göttin, wo man denselben Tücher, Farben und Schmucksachen während der
Ceremonie darbietet'): oder im mexikanischen Ritus, in welchem Menschenopfer
mit dem Putz der Thaloc Götter geschmückt werden, denn man sagte: sie wären
Bildnisse dieser Götter'-), so hat dies natürlich dieselbe Bedeutung als die Dar-
bringung an die Götterbilder.
Beispiele für solche Bekleidungen würden von grossem Werte sein, besonders
im Zusammenhange mit Pesten bei der Geburt (oder der Wiederkehr), der Hochzeit
oder dem Tode eines Gottes; wie auch alle Beispiele irgend welcher Bekleidung
von dem barbarischen Bemalen bis zu Tempel-Gewändern erwünscht wären.
Ridgefield, Wimbledon, England. G. M. Godden.
Die Jungfer im Bade.
Eine volksmedizinische Rarität aus der Anatomia culinaris.
A. Birlingers Volkstümliches aus Schwaben enthält folgende Mitteilungen
(1, 122, 360):
Vom Schwein.
Die Sau hat unter dem ..Hochrucken" im Genick ein Wirheibein, das da aussieht, als
sitze ein Mädchen im Zuber. Dies nemit man die „Sanjungfer": wer diese beim Essen
bekommt, wird ausgelacht — denn es ist eine Jüdin.
(Vgl. die Legende vom Juden, der Christum gefragt, was unter dem Metzgerzuber sei.)
Ertingen.
Jesus und der Pharisäer.
Mal gingen Jesus und Petrus über Feld und kamen in eine Stadt; da sass ein Pharisäer
auf seiner Hausbank; dachte der, den Gescheidten da will ich geh' doch fragen. He, he,
ihr HeiTeu, rief er, was meint ilir, was unter diesem Zuber sei? Es hatte der Pharisäer
am selbigen Tage eine Sau geschlachtet, und war der Zuber zum Austrocknen umgestürzt
worden. Es hatten sich aber des Phai'isäers Kinder spielend darunter gesetzt. Entgegnete
der Herr: Deine Kinder sind di'unten. Lachte der Pharisäer und rief: Weit gefehlt, meine
Sauen sind drunten. Sprach der Herr: ..Nun, so soUeu's auch Sauen sein", und plötzlich
rannten des Pharisäers Kinder grunzend unter dem Zuber als Säulein hervor. Von dorther
schreibt sich's. dass die Juden kein Sautlcisch essen dürfen, und dass die Sauen Eingeweide
haben gleich denen der Menschen: ist auch von selbiger Stunde an den Sauen im Rückgrat
ein Bein gewachsen, welches aussieht wie ein Zuber, in dem eine Jungfer sitzt, „die Sau-
jungfer'', nach der man bei Tische so gierig langt.
Auf der Suche nach diesem Knochen in der Litteratur wurde das Finden
desselben etwas schwierig, da unter diesen beiden Namen „Saujungfer" und
. „Jungfer im Bade" nichts zu finden und auch die Nachforschungen bei den Ver-
tretern der Anatomia culinaris, sowie bei den Tierärzten hierorts ebenfalls erfolglos
waren. Der Fund eines „Judenknochens" bei Kulmus (1740) und A. von Haller (1756)
machte die Birlingersche Notiz noch etwas schwerer erklärlich. Rulmus (Anatomie,
S. 52) sagt: „Es träumen die Rabbineu noch von einem besonderen Beinlein, so
sie Lus nennen, welches ausser allen diesen bemeldten Knochen am mensch-
lichen Körper zu finden und so hart sein sollte, dass es durch keine Gewalt
zerschlagen, noch durch Feuer oder einige andere mögliche Zernichtung verdorben
werden könne, sondern bis an den letzten Tag unverweslich dauern, woraus alsdann
1) Ward, Hindoos. 1817, Vol. I, p. 245—46.
9) Bancroft ibid . Vol. III, p. 342.
102
Höfler:
der ganze Mensch wieder solle gebildet und aufgewecket werden. Sie sind aber
bei dieser Fabel selber nicht einig, indem es einige bald hier, bald da zwischen
den Wirbelbeinen, im Genicke, in den Lenden, am Heiligbeine, bald auch am
grossen Zehen vergeblich suchen wollen". A. von Haller (Onomatologia medica,
n, S. 925) sagt über dasselbe Judenknöchlein: „Es soll dies ein besonderes kleines
Bein am menschlichen Leibe sein, so hart und fest, dass es weder durch das
Feuer, noch auf irgend andere Art zernichtet werden kann, und die Juden sollen
sich davon bereden, es bleibe bis an die Auferstehung der Toten unverändert, und
aus ihm werde bei der Auferstehung der ganze Mensch gleichsam wieder von
neuem hervorgebracht; inzwischen sind sie noch nicht unter einander einig ge-
worden, was dies eigentlich für ein Knochen sei; denn einige behaupten, er liege
zwischen verschiedenen Wirbelbeinen; andere geben vor, er sitze im Nacken, und
wiederum andere setzen ihn ins Kreuzbein."
Da in der menschlichen Osteologie ein derartiger Knochen, wie ihn die
schwäbische Volkssage bei dem Schweine annimmt, sich nicht vorfindet, so waren
Rulmus und Haller in vollem Rechte, wenn sie die Existenz des Judenknochens
beim Menschen in das Gebiet der Volksfabel zu verweisen geneigt waren. Immerhin
konnte aber doch beim Schweine ein solches Knochengebilde vorhanden sein.
Figur 1.
Figur 2.
welches eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Wanne oder einem Zuber hätte, und
wenn dies der Fall wäre, so musste dasselbe im sogenannten Kränzl, dem ge-
suchtetsten Stücke beim Ferkelbraten, zu suchen sein. In der That zeigen der
erste und zweite Halswirbel beim Schweine eine solche Bildung (Fig. 1), dass man
sie beiläufig mit einem solchen Geräte bei einiger Vorstellungsgabe vergleichen
kann; den Badezuber stellt dann die Gelenkhöhle des sogenannten Atlasbeines
(Fig. 2) dar, welche dieser erste Halswirbel mit den Gelenkflächen des Hinter-
hauptbeines bildet; der in diesen wannenförmigen Raimi hineinragende Zahn oder
Reibnagel (processus odontoideus), welcher einen zapfenförmigen Fortsatz des
zweiten Halswirbels (axis oder vertebra dentata) (Fig. 2) darstellt, müsste dann,
wie beigegebene Zeichnung beiläufig illustrieren könnte, den aus der Badewanne
noch hervorragenden Kopf der Jungfrau vorstellen (No. 3). Da der Bruch dieses
Knochenfortsatzes durch den Druck auf das verlängerte Mark sofortigen Tod her-
beiführt, so möchte sich damit auch erklären, dass die Juden nach Kulmus und
Haller in ihn den Sitz der unsterblichen Seele verlegten. Diese anatomischen
Ergebnisse beim Schweine (Lus = weibliches Schwein) wurden vielleicht schon
früh, d. h. ehe menschliche Leichen ein anatomisches Objekt waren, auch auf den
Menschen übertragen. In der Nachbarschaft dieses Knochens, in der sogenannten
Kleine Mitteilungen. 1Ö3
Zirbeldrüse des Gehirns suchte schon Cartesius den Sitz der Seele, fand ihn 'aber
nicht; die stets schaffende Volksseele aber knüpfte an den Knochennamen eine
Sage an, um dieses oder jenes ihm Unverständliche zu erklären. So bilden sich
Volkssageu.
Tölz. Dr. Höfler.
Die milebille.
Von Richard Andree.
Als ich im Sommer 1894 zu Lauterborg am Südrande des Harzes weilte,
erregte der Name „Hillebille" meine Aufmerksamkeit. So nannte man einen gut
bewaldeten, etwa GOO m hohen Berg im Norden des Städtchens zwischen Oder und
Sperrlutter. Nach langem Umfragen wusste ein alter Mann Rescheid: Die Hillebille,
so sagte er, sei ein Gerät gewesen, mit dem die Kühler sich Zeichen in die Ferne
gegeben hätten; vor Zeiten möge wohl ein solches auf dem Berge gestanden haben,
der davon seinen Namen erhalten hätte.
Heute ist es schwer, noch eine Hillebille aufzutreiben ; sie ist in der zweiten
Hälfte unseres Jahrhunderts verstummt, und es bleibt mir nur übrig, ihr den
Nekrolog zu schreiben, nach Berichten, die ich bei Förstern und ehemahgen
Köhlern gesammelt habe, welche das Gerät noch kannten, dessen helle Stimme
einst weit durch die Thäler und Berge des Harzes erschallte. Die Hillebille ver-
schwand mit der Köhlerei aus dem Harze, denn heute giebt es dort keine herr-
schaftlichen Köhler mehr, wie früher, sondern nur noch kleine Privatköhler, welche
hier und da Holz aufkaufen und es zu Schmiedekohlen verkohlen. Als die Hoch-
öfen noch mit Holzkohlen gespeist wurden, statt wie jetzt mit Steinkohlen, da
blühte die Köhlerei. Das Holz lässt sich als solches jetzt besser verwerten, es
wird auf den guten Wegen und Eisenbahnen schnell fortgeführt und braucht nicht
mehr in die leichte transportfähigere Kohle verwandelt zu werden.
Noch erinnern aber ausser den leicht kenntlichen kreisförmigen Meilerstätten
die „Röten" an die alte Köhlerei; sie werden von Waldarbeitern oder Jägern
genau in der alten Kegelform aus Fichtenstämmen zusammengesetzt und mit
Rasen oder Rindenlappen gedeckt. Und wie die Kote die uralte Form der Be-
hausung ist, vergleichbar den kegelförmigen Hütten, die durch den ganzen Norden
der alten Welt gehen und bis zu den Stämmen in Nordamerika reichen, so ist
die Hillebille die älteste Form eines Signalgerätes.
Die Hillebille besteht aus einem fingerdicken, ungefähr 75 cm langen und
20 cm breiten glatten Brette aus hartem Buchenholze, das an zwei Schnüren oder
Lederriemen an einer Stange hängt, die in ein paar gegabelten, im Boden stehenden
Ästen befestigt ist. Sie wird mit einem hammerförmigen Klöppel aus Haine-
buchenholz geschlagen und giebt dann einen hellen Ton, der mindestens auf eine
halbe Stunde weit, bei gutem Wind und Wetter noch weiter gehört werden kann.
Die verschiedenen Meiler, die von einer Kote aus überwacht und regiert
wurden, oft fünf oder sechs an der Zahl, lagen in mehr oder weniger grossen
Entfernungen zerstreut in den Bergen und Wäldern, je nachdem das zur Ver-
kohlung gelangende Holz von den Förstern den Köhlern angewiesen war. Alle
diese Meilerstätten bildeten zusammen den „Kohlhai" (hai von hauen). Sollten
nmi die au entfernten Meilern mit ihren „Hulpen" (Gehilfen) beschäftigten Köhler
zusammenkommen, so wurde mit der weithin schallenden „Hülebille" dazu das
Zeichen gegeben.
104
Andrep :
Nach einer Mitteilung des Herrn Oberförsters Bäbenroth, jetzt in Riddagshauseii:
der früher lange Jahre Förster im Harze war, wurden mit der Hillebille vier
verschiedene Signale gegeben;
1. Das Gefahrsignal. Zuweilen geraten die Meiler aus ilirem ruhigen,
schwelenden Glimmen in völligen Brand, der durch Dämpfen erstickt werden muss.
Dann erschallen schnell hintereinander die Schläge der Hillebille, etwa in dem
Takte der Sturmglocken.
2. Die Hilfsignale ertönen in langsamen Schlägen hintereinander, wenn der
Köhler bei der Meilerarbeit mit seinen „Hulpen" nicht allein auskommt und die
Unterstützung der benachbarten Genossen gebraucht.
3. Der Ruf zum Essen: Dreimal drei Schläge, wenn der ,,KöhlerpufC" aus
Brotscheiben (daher „SchiebenS^ippe") fertig war, und die Köhler bei der Kote zu
diesem spartanischen Gerichte sich versammelten.
Die Hillebille.
4. Der Jägerruf, ein zwischen dem Förster des Reviers und dem Köhler
des Reviers verabredetes Zeichen, welches den ersteren herbeirief, falls der Köhler
ihm über Wild oder sonstige Dinge eine Mitteilung zu machen hatte. Gewöhnlich
bestand dieses Signal in zwei kurzen Schlägen, die nach Bedarf wiederholt wurden.
Nur zu diesen Signalen durfte die Hillebille benutzt werden, und es war
streng untersagt, sie griuidlos zu schlagen. So galt sie als eine Art Palladium der
Köhler, und die Köhlerjungen widmeten ihr besondere Liebe und Aufmerksamkeit,
indem sie das Gerät mit Sprüchen und Schnitzerei in freien Sonntagsstunden ver-
zierten. Gewöhnlich wurde darauf ein Tannenbaum oder die Harzer Hirschhörner
eingeschnitzt, dazu die Sprüche wie ,,Bet' u. arbeite" oder der Harzspruch:
Es grüne die Tanne,
Es wachse das Erz.
Gott schenke uns allen
Ein fröhliches Herz.
Kleine Mitteilungen. 105
Schambach hat das Wort Hillebille in sein Wörterbuch der niederdeutschen
Mundart von Göttingen und Grubenhagen aufgenommen und erklärt es von nieder-
deutsch hille. schnell, eilig und mittelhochdeutsch billen. klopfen. Zu erinnern
wäre auch an das englische bell, Glocke.
Ob aber diese Ableitung die richtige, erscheint mir zweifelhaft, denn ich
möchte die Vermutung aufstellen, dass die Hillebille, Sache und Namen, aus
Mitteldeutschland nach dem Harze gekommen ist. Es steht fest, dass die Be-
völkerung des Oberharzes, namentlich diejenige der sogenannten Bergstädte, aus
dem Erzgebirge eingewandert ist') und den Bergbau im Harze in Schwung gebracht
hat. So bildet die Umgebung von Clausthal, Zellerfeld, Andreasberg u. s. w. noch
heute eine oberdeutsche Sprachinsel im niedersächsichen Gebiete. Mit dem Bergbau
und Hüttenwesen aber eng verschwistert ist die Köhlerei, und wenn die „Hillebille"
sich auch im oberdeutschen Sprachgebiete nachweisen lässt, so ist die Ableitung
des Namens zur Hälfte aus niederdeutschem Sprachgute hinfällig. Und diesen
Nachweis vermag ich in der That zu führen.
In landläufigen Schilderungen des sächsischen Prinzenraubes (1445) hatte ich
gelesen, dass die Köhler, welche dem Kunz von Kauffujigen die Prinzen Ernst
und Albrecht bei Geyer im Erzgebirge wieder abjagten, sich Zeichen gegeben
hätten, auf welche hin alle zusammengeströmt und den Raubritter überwältigt
hätten. Waren diese Zeichen mit der Hillebille gegeben, so war nicht nur ein
Zeugnis für deren Alter gewonnen, sondern auch deren Herkunft aus dem Erz-
gebirge wahrscheinlich gemacht.
Auf eine in diesem Sinne gehaltenen Anfrage hatte Herr Professor Puckert
in Leipzig die Güte, die Quellenberichte über den Prinzenraub nachzusehen, und
dabei ergab sich folgendes. Albinus (Meissner Land- und Bergchronik. Dresden
1589. S. -270. Tit. XXI) erzählt: ,.Da sie (des Kölers Weib) nun ihren Mann auf
Cuntzen schlagen sieht, denket sie es sei ein Reuber. gibt alsbald ein Zeichen,
welches bei den Kölern und Weidnern breuchlich ist, das sie mit ein Zschöper
oder grossem Messer auf ein Holzaxt schlagen. Hierauf laufen alsbald die andern
Köler zu, kommen mit ihren Äxten mid Scheuerbeumen" u. s. w. Hier haben wir
also das Köhlersignal, doch ist das Gerät der Schilderung nach anderer Art: dass
es aber Hillebille genannt wurde, dafür liegt das Zeugnis des Ursinus vor (Chronicon
Thuringic. bei Mencke, Script, rer. German. III, 1333), wo es heisst: Do ergreif
alsbald der Köler Curthen (statt Kuntzen) von Kouftüngen Pferde bei dem Zeune und
sein Weib schlugk an die hellebylle, das ihme die andern Koeler zu Hilfl'e kämen..,
Hellebille scheint danach die ursprüngliche Form zu sein, womit das nieder-
deutsche hille hinfällig wird. Nimmt man, wie Ursinus schildext, für das Signal-
gerät die Form einer Holzaxt an, so stellt sieb für die Ableitung des Namens das
Wort Bille zur Verfügung, was Grimm (D. W.) als ligo, ascia, doppelschneidige
Flarhhaue giebt. Für „Helle" wäre alsdann auf „Helm" zui-ückzugreifen, womit
der Stiel einer Waffe bezeichnet wird (Axthelm, Hellebarte, vergl. Grimm, D. W.
unter diesen Wörtern). Allein dem widerspricht die ganze offenbar uralte Form
des Gerätes, wie es sich bis auf unsere Tage im Harze erhalten hatte, und wie
mit einer Holzaxt, die mit einem Messer geschlagen wurde, weithinschallende
Signale gegeben werden konnten, erscheint mir- nicht klar.
Mit der Hillebille, die der Neuzeit, wie so vieles andere, weichen musste, ist
sicher eines der ältesten und urwüchsigsten Geräte im Harze verstummt und diesem
[1) Em. Bochmann, ZusammeuhUnge zwischen den Bevölkerungen des Erzgebirges
und des Oberharzes. Dresden 1889 (Progr. des Gymnas. zu Dresden-Neustadt). — Haus-
halter, Die Mimdarten des Harzgebietes. Halle 1884. S. IS f.]
106 FeUberg:
ein Stückchen Poesie geraubt worden. Ethnographisch genommen, ordnet sich
die Hillcbille neben manchen ähnlichen weit verbieiteten Geräten bei Naturvölkern
eiu. Es sind zunäclist damit zu vergleichen die Tromnielsignale, die weit durch
Afrika gehen und von Kamerun bis Südabessinien reichen (Andree in Verhandl.
Berliner Anthropol. Ges. 1888, S. 410); die „Trommel" ist nur ein ausgehöhlter
Holzklotz. Über diese Trommeln ist in der letzten Zeit viel geschrieben worden,
und ich brauche bloss darauf zu verweisen. Nahe verwandt ist der Hillebille auch
der ausgehöhlte Signalklotz (Angramut) Neu-Guineas, der mit Klöppeln geschlagen
wird, zu Festlichkeiten und Tanz mit bestimmten Signalen ruft und weit über
Melanesien verbreitet ist (0. Finsch, Ethnologische Erfahrungen aus der Südsee.
Wien 1893. Erste Abteilung, S. 111). Wenn auch der StolT wechselt und Stein an
die Stelle des Holzes tritt, so sind doch die mannichfach vorkommenden Klang-
platten, die in Venezuela und auch in China vorkommen (Verhandl. Berliner
Anthropol. Ges. 1885, S. 128 u. 312. 1888. S. 467), genau mit der Hillebille in
Parallele zu stellen. Im metallenen „Gong" der Chinesen hat die Hillebille
schliesslich ihren vornehmsten Vetter, und in unseren Gasthöfen ruft es heute zur
Wirtstafel, wie einst die Hillebille die Harzer Köhler zu ihrer urwüchsigen
„Schiebensuppe".
Das Kinderlied vom Herrn von Ninive.
Da Hr. J. Bolte (oben S. 182) nicht die dänische Variante zu kennen scheint (die
Hinweise zu Grundtvig betreffen andere Spiollieder), füge ich dieselbe zu, wie sie in
meinem Buche „Dansk Bondeliv", S. 241, als ein Spiel in der „Juulstube" sich findet:
1. Nu kommer de ksekke Nonner, Hr. Dominik, sedru, aedru, sandelig, Hr.
Dominik.
2. Hvad vil de ksekke Nomier, Hr. Dominik y u. s. w.
3. De vil med Paven tale.
4. Paven er ikke hjemme.
5. De vil med Bispen tale.
6. Bispen er ikke hjemme.
7. De vil med Prassten tale.
8. Praesten er ikke hjemme.
9. Hvor monne hau vel vsere?
10. Han er pä Skrivekontoret.
11. Hvad gör han pä Konto ret?
12. Han skriver de Kaerlighedsbreve.
13. Hvad stär der i de Breve?
14. Der stär: de to skal sammen, Hr. Dominik, aedru, aedru, sandelig, Hr.
Dominik.
H. F. Feilberg.
Zu dem Liede vom Pater Guardian.
(Zeitschrift IV, 335. 437.)
Es ist mir eingefallen, dass wir vielleicht in dem allbekannten Kinderspiele
„Put Bajlte", „verbirg den Güj-tel" eine Parallele zu diesem Liede haben. A. steht
in der Mitte, rund herum sitzen im Kreise die Mitspieler, im Schosse eines der-
selben verbiigt A. den Gürtel. B. steht etwas entfernt und muss erraten, wo der
Gürtel verborgen ist. Ohne das Spiel weiter zu erklären, füge ich noch hinzu,
dass am Schlüsse A. oder B. verlieren muss; ein Richter wird ernannt, sagen wir,
Kleine Mitteiluugen. 107
B. verliert, dann wird er zum Tode vorarteilt, sein Kopf soll abgehauen werden,
und er muss zuerst l>eichten, A. ist der Beichtvater. Ich gebe den ursprünglichen
Text, wie ich denselben in jülländischem Dialekte kenne, nebst deutscher Über-
setzung:
A. „Hwa h:ir do sondet a hwa här do bret, hwa h;'ir do gjor, do har ett fätret?
B. A här oet en snet surmjaelk uflot!
A. — Hwa här do gjor mier?
B. Vaelt en kand' tier.
A. — Hwa här do gjor war'?
B. A här pesset i oen fad gjar.
A. A. b. bak', di hue skal ä alter di nakk."
A. Was hast du gesündigt, was hast du verbrochen, was hast du gethan, das
du nicht hast gereuet?
B. Ich habe einen Teller Sauermilch mit dem Rahm gegessen.
A. Was hast du mehr gethan?
B. Eine Kanne voll Theer umgestossen.
A. Was hast du schlimmeres gethan?
B. Ich habe in einen Teller Gäscht gepisst.
A. A. b. bak, dein Kopf soll von deinem Nacken!')
Darnach werden ein paar Mützen auf des Sünders Kopf gelegt, welche A.
durch einen raschen Schlag mit seiner flachen Hand weit fortschleudert. Hiermit
spielt sich die Sache ab, und man kann von vorn anfangen. Die Beichte scheint
mir einen fernen Anklang an das obige Lied, das man wohl als weit verbreitet
voraussetzen darf, zu enthalten.
H. P. Feilberg.
Das Lösen des Zungenbandes.
Das Zungenbändchen wird in Schlesien in der Reichenbacher Gegend noch
oft gelöst. Früher thaten es die Bademuttern (Hebammen), ob mit oder ohne
„Sprüchel", ist nicht mehr zu erfragen. Jetzt machen die Ärzte, wenn nötig, die
Operation.
Bei dieser Gelegenheit hörte ich von einem anderen Brauche, der auf den
hiesigen Dürfern vor nicht langer Zeit noch vorkam. Bald nach der Geburt eines
Kindes kocht die Bademutter der Wöchnerin eine Wassersuppe, wovon diese einen
Teller voll essen muss. Der noch tropfende Teller wird ihr dann über die blosse
Brust gestülpt und ein blecherner Löffel ein paar Mal längs und ([uer darüber
gelegt. Unterbliebe das, so würden Mutter und Kind krank werden.
Reichenbach i. Schi. L. Weinhold.
Nachrichten aus dem Bereiche der Yolkskunde.
Wir haben die erfreuliche Mitteilung zu machen, dass die Regierungen und
Stände der Grossherzogtüraer Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz auf
dem letzten Landtage in Malchin 7000 Mark für das Sammelwerk mecklenburgischer
Volksüberlieferungen bewilligt haben, das von Oberlehrer R. Wossidlo in Waren
seit längerer Zeit besonnen worden ist. Eine Rommission wird die Leitung der
1) Vgl. auch Feilberg, Biih-ag til en Ordbog over Jyske almuesmäl, I, 153. Kopen-
hagen 1886-1893.
108 Weinhokl:
Arbeiten übernelimen Es ist sehr dankbar anzuerkennen, dass die Schätze, welche
in Mecklenburg an Sagen, Märchen, Gebräuchen, an altem sprachlichem Gute noch
liegen, durch diese staatliche Bewilligung gerettet werden.
In Wien hat sich am 20. Dezember im alten Rathaussale die Gesellschaft
für österreichische Volkskunde unter zahlreicher Beteiligung aller Schichten
der Bewohner Wiens konstituiert. Der Obmann des vorbereitenden Comites,
Dr. Mich. Haberlandt, begrüsste in einer längeren Ansprache über die Aufgaben
und Ziele der neuen Gesellschaft die Anwesenden, die dann zu der Wahl von
Vorstand und Ausschuss schritten. Zum ersten Vicepräsidenten ward Wirklicher
Geheinirat Bai-on Belfert, zum zweiten Graf Franz Coronini gewählt, zum ersten
Schriftführer Dr. Haberlandt. Die Stelle des Präsidenten blieb vorläufig unbesetzt.
Zum Schlüsse hielt Dr. W^. Hein einen Vortrag über das nordische Museum in
Stockholm. Das Hauptziel der Gesellschaft ist die Gründung eines Museums füi'
österreichische Volkskunde in Wien. Ausserdem sollen eine Zeitschrift, periodische
Versammlungen mit Vorträgen und Ausstellungen, allenfalls auch eine Reihe von
Monographieen die Zwecke der Gesellschaft fördern.
Der Verein für Volkskunde in Berlin hat die Wiener konstituierende Ver-
sammlung vom 20. Dezember durch seinen Vorsitzenden telegraphisch begrüsst,
was von derselben mit lebhaftestem Beifall aufgenommen worden ist.
Von den Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde,
herausgegeben von F. Vogt und 0. Jiriczek, sind die ersten drei Xummem erschienen.
Das Blatt ist bestimmt, die Verbindung unter den Mitgliedern aufrecht zu halten
und Anregungen für das Sammeln zu geben.
Bticlieranzeigen.
Völkerkunde. Von Prof. Dr. Friedrich Ratzol. Zweite gänzlich neu-
bearbeitete Auflage. Erster Band. Mit 590 Ahbildungen im Text,
15 Farbendruck- und 13 Holzschnitt-Tafeln, sowie 2 Karten. Leipzig
und. Wien. Bibliographisches Institut. 1894. SS. XIV. 748. 8°.
Prof. Ratzeis Völkerkunde hat schon in der ersten Auflage einen bedeutenden
Platz unter den deutschen Büchern gewonnen, welche die Ergebnisse wissenschaft-
licher Forschungen in gediegener Form dem gebildeten Volke veimitteln. Die
zweite, gänzlich umgearbeitete Atiilage ist noch wertvoller geworden durch noch
reichere Mitteilungen aus dem täglich sich füllenden Schatzhause der Völkerktmde
und durch die reiche Erläuterung und Veranschaulichung des ethnologischen
Materials in den sehr zahlreichen Abbildungen, die dem Texte ein- und angefügt
wurden. Sie sind kein illustrierender äusserlicher Schmuck, sondern sie bilden
einen wertvollen Bestand der Arbeit: von w-ü'klichen Künstlern gezeichnet nach
den Originalen unserer Museen, namentlich des grossen Völkermuseums in Berlin,
dienen sie vortrefflich, die Worte und Scliilderungen des Gelehrten dem Verständnis
einzuprägen und zu beleuchten.
In diesem ersten Bande giebt Prof. Ratzel zuerst eine Einleitung in die Völker-
kunde, dann beschreibt er den pazifisch amerikanischen Volkerkreis (Ozeanier,
Bticheranzpigen. 109
Australier, Malaycn und Madagassen, Amerikaner und die Arktiker der alten Welt).
Die hellen Völker Afrikas (Buschmänner, Hottentotten, Zwergvölker) bilden den
Schluss dieses Bandes. Die Körperbeschaffenheit und das geistige Leben, Sprache,
Religion, Familie und Staat, Tracht und Waffen, Arbeit, Haus und Nahrung der
verschiedenen Gruppen werden behandelt. Der Grundzug geht durch das Ganze,
die Verbindungsglieder zwischen den tieferen Schichten der Menschheit, den
Naturvölkern, und den höchst entwickelten, den Kulturvölkern zu finden, und die
Völkerkunde als die Wissenschaft von dem Werden der Menschheit zu erweisen.
Wie falsch es ist, auf die sogenannten Wilden als auf Völker, die von uns durch
eine tiefe Kluft getrennt seien, herabzublicken, erkennen wir, je genauer wir die
Kulturentwicklung des eigenen Volkes geschichtlich durchforschen. Wir stossen
da in noch fortglimmenden uralten Gebräuchen auf Spuren einer uns erschreckenden
Rohheit und Wildheit, die uns beweisen können, wie die Germanen in einer nicht
bloss prähistorischen Zeit auf derselben Stufe gestanden haben, als die heutigen
Naturvölker. Das im einzelnen nachzuweisen, wird sich der Mühe lohnen.
K. W.
Ch. Schneller, Beiträge zur Ortsnamenkunde Tirols. 11. Heft. Innsbruck,
Vereinsbuchhandlung. 1894. 112 SS.
Das erste Heft dieser sehr dankenswerten Beiträge zur Ortsnamenkunde Tirols
habe ich im Jahrgang 1893 dieser Zeitschrift, S. 464 f., einer kurzen Besprechung
unterzogen, die zu meiner grossen Freude auch von dem bekannten Romanisten
W. Förster als eine zutreffende bezeichnet worden ist. Den Inhalt dieses zweiten
Heftes bildet zunächst eine Abteilung unter dem Titel „Zur Verständigung" (S. 1 — IG),
in welcher Seh. sich mit einigen abweichenden Ausführungen des Herrn Dr. W.
Götzinger und zweier Recensenten des ersten Heftes dieser Beiträge auseinander-
setzt. Ich werde darüber später Bericht erstatten, indem ich zuerst eine Übersicht
des in dem umfangreicheren zweiten Teile enthaltenen Stoffes gebe. Es wird
behandelt „Das Wasser in Namen" und „Landschaft, Bodengestaltung". Die
Gliederung des ersten Abschnittes ist nach folgenden Gesichtspunkten erfolgt;
A. Pliessendes Wasser (amnis, aqua, fons, fontana, gurga, rivus, torrens).
B. Stehendes Wasser (lacca, lacus, lama, mosa, palus, puteus). C. Kanäle
und Gräben (canalis, fossa, *refortia). D. Am Wasser befindlich, durch das-
selbe bewirkt. In dieser letzten Unterabteilung werden folgende Etyma für die
in Betracht kommenden Ortsnamen aufgestellt: *alluviosa sc. terra, arca „Arche,
Dammbau", arena, glarea lat. „Sand, Kiesfläche", grava rät. „Kiesfläche, Bach-
geschiebe, Gerolle", pons. In dem folgenden Abschnitte sind zehn Unterabteilungen:
A. Ebene, Platz (area, planus, platea, *tabulaceum). B. Vertiefungen
(concha, fovea, panna). C. Thal, Schlucht (bucca, chrinna [ahd., auch ins
Romanische übergegangen] gula, vallis). D. Winkel, Gilinde (imgulus, fundus,
Saccus). E. Strich, Stand (plaga, ora, sponda). P. Abhang (clivus, podium, ripa).
G. Hügel, Kegel, Ecke (collis, dorsum [dossum], grumus, tumulus, connns,
canthus, Costa, flexus). H. Berg, Bergübergang (fastigium, furca, *fissa,
iugum, mons, mota). I. Felsen, Gestein (cingulum, cornu, Corona, covalum,
crep- [churw. crap lad. crap crep „brüchiger Felsen, Stein"], erista, musna
[mittel- und westrätisch „Steinhaufe"], petra, platta, saxum). K. Felsabsturz,
Erdbrüche (frana it. „Erdbuch, Abrutschung", ganda lomb. tirol. churw. „Stein-
getrümmer", labina, *marra, ruina, ruptus). Unter die eben aufgezählten
Rubriken, die ich absichtlich ausdrücklich aufgeführt habe, um den Lesern dieser
110 Weinhold:
Zeitschrift eine richtige Anschauung dessen zu bieten, was sie in diesem Hefte
finden können, werden etwas mehr als 1100 Namen eingereiht, die zum grössten
Teile gewiss richtig gedeutet sind. Pi-eilich. auch kühne Deutungen fehlen nicht,
aber, wenn ich mich nicht täusche, sind sie in geringerer Zahl vertreten, als in den
früheren Schriften unseres Verfassers
In dem „Zui- Verständigung" überschriebenen ersten Teile wird unter spezieller
Berücksichtigung einer Äusserung Götzingers der Übergang von — cl — in — dl
— auch nach vorausgehendem Konsonanten in der ladinischen Mundart von Gröden
nachgewiesen und demselben Gelehrten gegenüber die schon in den Tirol. Namen-
forschungen, 27 f, aufgestellte Ansicht von der deutschen Herkunft der unter dem
Stichworte *braida gesammelten Ortsnamen mit Glück verfochten. Auffallend ist
nur, dass gerade in Oberitalien diese Namen in frühmittelalterlicher Zeit so häufig
vorkommen. Doch mag dies ja durch die langobardische Besiedlung seine Er-
klärung finden. Auch die gegen Dr. R. Müller gerichtete Verteidigung der Ansicht
über die Herkunft von Tri- und Rosanna aus Drusiana mnss als wohlgelungen
bezeichnet werden. Von besondereni Belange natürlich ist die für das Jahr 1394
nachgewiesene Namensform Truschana und das Vorkommen dergleichen Namen
„auf beiden Abdachungen des Gebirges und dei- AVasserscheide, in Montavon und
in Patznaun" (Vermont-Thal. Verbeller- oder Verbellner-Thal in Vorarlberg,
Verwall-Thal in Tirol, Kafluna-Thal auf vorarlbergischer Seite imd Pfliu-
Thal auf tirolischer). — Ein vierter Abschnitt ist gegen eine vom Referenten vor-
gebrachte Einwendung gegen die Erklärung der Namen Stams, Zams u. s. w.
gerichtet. Um die Erklärung von Stams zu retten, nimmt Seh. jetzt an, dass „das
s des Plurals sich an eine schon feststehende Singular-Form auf -m. -me gefügt
habe, also sedame-s, sedilume-s, pilume-s, solume-s, und dann m teilweise
verdoppelt worden sei. was bei dem Umstände, dass diese Namen im Munde von
Deutschen auch deutschen Lautregeln unterliegen mussten, garnicht verwunderlich
erscheinen kann." Dadurch erscheint die lautliche Seite dieser Frage allerdings
in einem anderen Lichte. Dagegen vermag ich nicht einzusehen, mit welchem
Rechte bei dem Übergänge des romanischen Zannes in den Mund der Deutschen
Vandel in Zammes angenommen wird Die beigebrachten Analogien rechtfei-tigen
diese Annahme nicht. Denn it. pam u. s. w. für pane ist eine satzphonetische
Erscheinung, die mit dem Übergange unseres intervokalischen — nn — in — mm
— ganz und garnichts zu thun hat. Dagegen ist allerdings, wenn der Zusammen-
hang von Schams und Sexamnes richtig ist, wahrscheinlich, dass möglicherweise
nicht im ganzen rätischen Gebiete dieselbe Behandlung der Inlautsgruppe — mm —
obwaltete. Ich bemerke dies ausdrücklich, weil ich früher leider übersehen habe,
der eben angeführten Namen Erwähnung zu thun. Im ganzen, muss ich gestehen,
bin ich auch jetzt noch keineswegs von der Stichhaltigkeit der Deutung der
Namen Stams, Zams u. s. w. überzeugt, wenn ich auch nichts Besseres vorzubringen
weiss.
Innsbruck. Fr. Stolz.
Grimm Library. No. 2. The Legend of Perseus. A study of traJitiou
in story custoni and belief: byEdw. Sidney Hartland. Vol. L The
superstitional birth. London, David Nutt. 1894 SS. XXXIT. 228. 8°.
Mr. Edw. Sidn. Hartland, der Verfasser des Buches The science of fairy tales
(London 1891) hat sich in dem vorliegenden Werke die Aufgabe gestellt, den
Perseusmythus wissenschaftlich zu untersuchen. Der Held ist der gottgeborene
Bücheranzeigeu. 111
Drachentöter, der zum Erlöser der Welt wird. Die Mutter des Helden ist die
Jungfrau, die auf wunderbare Weise das Kind empfängt. Im l.Cap. behandelt
der Verf. die Sage nach den antiken Quellen (den Danaetypus) unter Herbeiziehung
einiger modernen Überlieferungen; im 2. tritt die moderne Überlieferung in den
Vordergrund (der Pischkünigstypus, nach einem bretonischen Märchen von H.
betitelt), worin zu den Motiven der übernatürlichen Geburt, des Drachensieges und
des Medusazaubers noch das M<itiv des Lebenszeichens (the Life-token) kommt;
im 3. Cap. verfolgt der Verf. die Mythengestalt, die er den Seejungfer(Mermaid)-
typus nennt, durch die verschiedensten Volksgeschichten. Es sind vier Haupt-
motive, die für die Perseuslegende von H. aufgestellt werden: die übernatürliche
Geburt, das Lebenszeichen, die Erlösung der Andromeda und das Suchen nach
dem Gorgonenhaupt. In den vier letzten Capiteln des ersten Bandes verfolgt nun
der Verf. das erste Motiv, die übernatürliche Geburt, in allen möglichen Analogien
durch mündliche Überlieferung und Sitten der verschiedensten Völker. In dem
letzten wird Geburt und Tod als Wiedergeburt und Verwandlung in die ver-
schiedensten Gestalten in Märchen, Sage und Aberglauben aufgesucht. Der zweite
Band des interessanten Werkes wird die drei übrigen Motive ebenso durch die
Völker verfolgen und dann die Urform und die Mittel der Verbreitung über die
östliche Erdhälfte festzustellen suchen.
More Celtic Fairy Tales selected and edited by Joseph Jacobs, illustrated
by Johu D. Batten. London, David Nutt, 1894.
Mr. J. Jacobs hat das Buch seinen vielen kleinen unbekannten Freunden
gewidmet, die er sich durch seine Bücher erworben hat, die English Fairy Tales,
More English Fairy Tales und die Celtic Fairy Tales, von denen wir in unserer
Zeitschrift, II, 95. III, 4G7 gesprochen, und die wir als allerliebste Geschenke an
die englische Rinderwelt gerühmt haben. Diese neue Folge keltischer Märchen,
zwanzig an Zahl aus Irland und den Gaelisch sprechenden Teilen Schotlands, soll
den letzten der vier Bände bilden, obgleich Mr. Jacobs selbst sagt, dass das
keltische Märchengebiet noch lange nicht erschöpft sei. Es sind nur Proben von
dem reichen Ertrage, den Erin und Alba gewähren. Als ein Beispiel der mittel-
alterlichen Heldensagen Irlands hat Mr. J. die Geschichte von den Kindern König
Lirs aufgenommen, die mit den Märchen von den sieben Raben oder Schwänen
verwandt ist, und welche Dr. Joyce in seinen Old Celtic Romances 1 — 36 frei
wiedergegeben hat. In der Vortragsart der Märehen blieb Mr. J. seiner früheren
Methode treu; da das Buch für Kinder bestimmt ist, erzählte er oft schlichter als
seine keltische Quelle, und ausserdem nahm er zuweilen aus parallelen Versionen
ein Motiv auf, das ihm zur Verstärkung der Erzählung geeignet schien. In den
Anmerkungen gab er jedesmal Rechenschaft darüber.
Auch in der allgemeinen Schätzung dieser Volksgeschichten hat Mr. J. seinen
Standpunkt gewahrt, d. h. skeptischer als manche seiner Freunde verhält er sich
zu dem Werte der Märchen als anthropologischen Niederschlägen.
Auch die More Celtic Fairy Tales hat der treffliche Künstler J. D. Batten
mit seinen Zeichnungen geschmückt. Ausser vielen in den Text gedruckten Holz-
schnitten und hübschen Initialen zieren acht Vollbilder das schön ausgestattete
Buch. Wie in den Märchen selbst Trauriges und Heiteres wechselt, so spricht
auch aus den Bildern Ernst und Schrecken, wie Scherz und Humor.
K. W.
•\ ] 2 Weinhold :
A. Olrik, Sakses Oldhistorie. (Norröne Sagaer og danske Sagu.) En
literarhist. Undersagelse. (Kilderue til Sakses Oldhistorie II.) Keben-
havn 1894. S. XH, 316.
Die vorliegenden Untersuchungen über die ersten neun Bücher des Saxo
grammat. sind in Bezug auf Methode wie auf Inhalt ein Werk von hoher Bedeutung.
Der Verf. lehrt durch das Beispiel den unanfechtbaren Satz, dass ein saggeschicht-
liches Werk nicht zerrissen werden darf, sondern dass es zunächst als litterar-
geschichtliches Produkt aus seiner Zeit und vom Standpunkte seines Verfassers
aus zu erklären ist. So wird aller phantastischen Kombination, die gerade auf
dem Gebiete der nordischen Sagenkunde in letzter Zeit wieder angefangen hat
sich breit zu machen, Thor und Riegel vorgeschoben. Im ersten Teile der Arbeit
(Forsog pu en Tvedeling af Kilderne til Sakses Oldhistorie in den Aarboger 1892,
1 ff.) hatte A. Olrik den Beweis geführt, dass sich in dem saggeschichtlichen Teile
von Saxos dänischer Geschichte deutlich zwei ganz verschiedene Quellen erkennen
lassen: eine norröne, die sich mit ihrem bunten Leben und Treiben, mit den Vor-
stellungen vom Eingreifen der Götter, besonders 09'ins in die menschlichen Ge-
schicke, mit ihren Schilderungen von Riesen, Schildmädchen, Berserkern u. dergl.
ganz zu den isländischen Pornaldarsögur stellt, und eine dänische, die mit ihrer
Ruhe und Einfachheit die dänische Heldendichtung und Volkssage erkennen lässt.
In dem zweiten Teile wird nachgewiesen, dass auch ob ihrem Inhalte die einen
Sagen norwegischen, die anderen dänischen Ursprungs sein müssen; jede Sage
wird darauf hin geprüft und ihr die Heimstätte zugewiesen. Bei einigen, wie z. B.
in der Sage von Hithinus und Höginus, lässt sich eine Mischung nori-öner und
dänischer Sagenelemeute nachweisen, andere — und zwar dänische (wie die von
Amlethus) — lassen deutlich den Zufluss mittelalterlicher Märchen- und Novellen-
stoffe erkennen.
Am Schlüsse des Werkes erörtert A. 0. die Verfasser der Quellen; er schaut
sich in dem Werke Saxos und dem Bekanntenkreise des Historikers um und kommt
dabei zu dem Resultate: die uorrönen Sagas gehen auf den Isländer Arnaldr por-
valdsson zurück, der sich 1168 bei dem Erzbischof Absalon, Saxos Gönner, auf-
hielt; er hatte eine Skjöldungasaga nach norwegischen Schiffersagas erzählt. Die
dänischen Sagen dagegen gehen auf Heldenlieder und auf die lebendige Volkssage
zurück, wie sie namentlich auf Seeland und Nordjütland blühte. Mit letzteren
wurden zuweilen die mittelalterlichen Märchen und Legenden verknüpft, die dui-ch
den Engländer Lukas am Hofe des Erzbischofs Absalon bekannt geworden waren.
So wird durch Olriks Arbeit die gesamte Sagendichtung Saxos in ein ganz
neues Licht gerückt: die ersten neun Bücher der dänischen Geschichte erhalten
eine ganz hervorragende Bedeutung sowohl für die isländisch-norwegische Litteratur-
geschichte, indem sie uns einen bisher unbekannten Sagakomplex aus dem 12. Jahr-
hundert erschliessen, als auch für die dänische, indem sie uns ein Bild von deren
ältester Periode gewähtren und die Anfänge einer neuen Litteratur zeigen, die sich
unter abendländischem, besonders englischem Einflüsse entwickelt hat.
Leipzig. E. Mogk.
Deutscher Liederliort. Auswahl der vorzüglicheren deutschen A^'olkslieder.
nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesammelt und
erläutert von Ludwig Erk. — Neubearbeitet und fortgesetzt vou
Frz. M. Böhme. Dritter Band. Leipzig, Breitkopf & Härte! 1894.
S. rV. 919. gr. 8».
Bücheranzeigen. 113
Den beiden ersten Bänden dieses für das deutsche Volkslied hochwichtigen
Werkes, die wir in unserer Zeitschrift, IV, 338 f. anzeigten, i'-t der dritte gefolgt
und damit der Schluss erreicht. Der dritte Band enthält eine Auswahl von Rätscl-
Wett- und Wunschliedern, von Trinkliedern, Ansingeiiedern an Volks- und Kirchen-
festen, Ständeliedern (darunter auch Soldaten-, Hofe- [höfische LiebesliederJ und
einige Studentenlieder No. 1682 — 1700), dann von Scherz-, Spiel- und Spottliedern,
Kinderliedern und zuletzt von geistlichen Liedern. Nachträge und zwei Register
(Sachregister und Register der Liederanfänge) beschliessen das Werk.
Mehr als in den beiden früheren Händen tritt der eklektische Charakter heraus.
Das XIV. Kapitel „Einige Kinderlioder" wird nach dem ganzen Reichtum des
Vorhandenen Herr Prof. Böhme in einem besonderen Buche ausführen, an dem
er schon seit 25 Jahren sammelt. Als Supplement des Liederhortes sollen noch
die Volkstümlichen Lieder des 18. und VJ. Jahrhunderts folgen; sie werden
wahrscheinlich im Frühjahr zur Ausgabe gelangen, können aber auch nur eine
Auslese aus dem grossen Vorrat bringen.
Schon in der neulichen Anzeige ward bemerkt, dass der Hauptwert des Lieder-
hortes in dem Musikalischen liegt, denn wie Erk, so ist auch Herr B. Musiker,
dem Philologischen und Litterargeschichtlichen steht er ferner. Zu No. lOßl, dem
Traugenuindsliede, hätten die Anmerkungen Müllenhoüs zu dem Texte in seinen
und Scherers Denkmälern No. XLVIII benutzt werden sollen. — Zu den Schles.
Somraerliedern waren herbeizuziehen die Texte in meinen Beiträgen zu einem
Schles. Idiotikon S. 91 ; P. Ens, das üppaland, 3, 100 f.; Vierteljahrsschrift für
Geschichte und Heimatskunde der Grafschaft Glaz, IV, 30 — 33. — Das Kölner
Judaslied, No. 1230 ist aus Pirmenichs Völkerstimmen, leider auch mit den miss-
ratenen Worterklärungen, herübergenommeii. Es hatte mit dem Judasbrennen
ursprünglich nichts zu schallen, sondern war ein Prühlingsbettellied, bei dem die
Jungen ein rotes Eichhorn herumtrugen: die Worte rode roden eichhön (von J.
W. Wolf, der es selbst als Knabe gesungen, in seinen Beiträgen zur Deutschen
Mythologie, 1, 74 nide rate eichhan geschrieben) weisen darauf hin, und das
Eichhorn ist als Prühlingstier überhaupt bekannt. — Das flämische Schlachtlied
No. 1280 ist zum mindesten in dem durch nichts zu verteidigenden letzten Verse Met
Vlanderens mannen is God en Wodan albern gt-fälscht. — Zu den Nummern
1743—45 hätte mit Nutzen auf den Aufsatz von R. Köhler in Pfeiffers Germania
V, 463 — 67 verwiesen werden können. — In der Anmerkung zu No. 2145 würde
man statt der letzten Zeile lieber lesen: Vgl. auch aus Konrads v. Würzburg
Goldner Schmiede Vv. 25611. — Doch genug dieser Korrekturen, welche die
Freude an der grossen Arbeit nicht schmälern sollen. K. W.
Chansons populaires recueillies en Franche - Comte par Charles
Beauquier. Paris 1894, Emile Lechevalier. S. 388. 8°.
Diese Sammlung enthält 193 Lieder, wovon 108 mit der Musik. In seinem
Vorwort giebt der Sammler eine kurze Darstellung der Art und Weise, wie erst
seit der Mitte unseres Jahrhunderts in Prankreich die Volkslieder gesammelt und
geschätzt worden sind.
M. Charles Beauquier ist der Verfasser von zwei geschätzten Büchern: Philo-
sophie de la Musique, La Musique et le Drame.
Charles Marelle.
Zeitsebr. d. Vereins I. Volkskunde. 18»5. 8
114 Weinhold:
Schneeballen. Erste Keihe. Yon Heinrich Hansjakob. Zweite ver-
mehrte Auflage. Heidelberg. (Teorg Weiss, 1895. S. VH. 250. 8°.
Heinrich Hansjakob ist ein wohlbekannter Schriftsteller im badischen Lande.
Er steht fest auf seinem heimischen Boden und saugt aus demselben die Siifte
seines zeugenden Lebens. Aus einem kleinen Landstädtchen im Schwarzwalde
entsprossen, ist er von Kindheit mit Kleinbürgern und Bauersleuten vertraut gewesen
und hat im geistlichen Stande genug Gelegenheit und Förderung zur Erkundung
ihres geheimsten Lebens gefunden. Xun stellt er diese Mensehen in diesen Bergen
und Thäl^rn, auf ihren Höfen und Hütten dar, nicht mit künstlerischen Um-
zeichnungen und Kompositionen und mit allerlei ihnen fremden Zuthaten, wie
dereinst Auerbach that, sondern in schlichten Umrissen, in photographischen Auf-
nahmen, nur selten mit dem Versuche einer dichtermässigen Entwickelung. In
den Wilden Kirschen hatte er mit grossem Beifall Originalmenschen seiner
kleinen Vaterstadt dargestellt, in den Schneeballen greift er seine Leute aus
dem Bauernstande heraus. Er nennt die Bauern Schneeballen aus verschiedenen
Gründen. ,,Um einen Schneeball zu machen, kostets wenig Studium, um ein
Bauer zu werden, ebenfalls." .,Mit Schneeballen werfen die kleinen Buben den
grossen Leuten die Fenster ein, mit dem Bauernvolk werfen die grossen Herren
einander die Grenzpfähle ihrer Länder um.-' „Auf dem Schnee fahren die Kultur-
menschen Schlitten. Auf dem Bauer prügelt seit Jahren alles herum.'' .Der
Schnee schützt die Saaten, damit im Sommer alles Brot habe, und der Bauer
schützt die Staaten und verhütet, dass nicht alles revolutionär wird." .,Der Schnee
kommt vom Himmel und kehrt mit den Dünsten der Erde wieder dahin zurück,
lind der rechte Bauer bewahrt vorab den schönen Glauben, dass er vom Himmel
komme und dahin zurückkehre. Und wie im Frühjahr der Schnee vergeht, einsam
vergeht in den Thälern und Bergen und spurlos versinkt in der Erde, so vergeht
des einfachen Landniannes Leben — Unbeschrieen vergehen diese Schneeballen
des Menschenlebens zu Hunderttausenden und Millionen."
Der Verfasser unterscheidet zwei Sorten der Schneeballen: die weicheren sind
seine Bauern vom Schwarzvvald, die härteren, poesieloseren sind die Rebleute vom
Bodensee, die er in einer dritten Reihe dargestellt hat. .,Meine Schneeballen.
versichert er (und wir glauben es aus dem Buche), haben geleibt und gelebt und
leben teilweise noch, so wie ich sie dargestellt habe."
Diese erste, unigearbeitete Reihe bringt vier Erzählungen: Die Karfunkelstadt,
Der Wendel auf der Schanz, Der letzte Reichsvogt, Der Gotthard auf dem Bühl.
Weil die Leute dieser Schilderungen wirkliche Schwarzwaldleute sind und man
an ihnen einen deutschen Volksstamm studieren kann, haben wir die Schneeballen
Hansjakobs in unserer Zeitschrift zur Anzeige gebracht. K. W.
Prostonärodni hr.v divadelui. DilL Vänocni hryvjHJal Ferd. Mencik. V
Holesovc 1894 (F. Mencik Volksschauspiele, I. Teil, Weihuachtsspiele).
XXVI und 168 Ss. 8».
Hatte 1864 Julius Fcifalik \'olksschauspiele aus Mähren herausgegeben, su
umfasst die M,enriksche Ausgabe noniböhnusche Stücke, die durch Aber und
Umfang zugleich jene mährischen weit übertreffen. Nach einer Einleitung über
böhmische Volksaufführungen im allgemeinen, wo über Inscenierung. Schauspieler.
Bühne. Kosten u. dorgl. gehandelt ist. und über Weihnachtsspiele im Besonderen,
Bücheranzeigen. 115
wo Daten ihior Aufführung- gesammelt, Verfassungszeit der erhaltenen Texte und
dergleichen onniUclt wird, druckt der Herausgeber (S. 1—23) den „frommen Aktus
über die Geburt etc.". von Vac. Kozmanck. Schullehrer in Deutschbrod und
Prag, aus der ersten Hälfte des XVH. Jahrhunderts, hierauf ein kürzeres fS. 27
bis 6(1) und ein längeres (S. 63—1(57) Weihnachtsspiel ab; das längere war die
Quelle des kürzeren, und da es den Einfluss des Leben Christi von Martin von
Cochem — vgl. darüber Zeitschr. 1«93, 20» (f. — nicht verleugnet, so bestimmt
Meniik als Abfassungszeit die Jahre zwischen 1698 (erstmalige Ausgabe der
böhmischen Übersetzung Cochems) und 1769 (Abschaffung- der Tortur, auf welche
noch angespielt wird). Es ist mteiessant, diese letzten Ausläufer der Mysterien
uiiil Schuldramen [nh solches tritt dasjenige des Kozmänek noch deutlich auf) zu
beobachten; die Zähigkeit, mit der sie haften: sie wurden noch in diesem Jahr-
hundert aufgefühlt (die letzte Darstellung der Passion fand 1891 statt , gerade
(las längere Weihnauhtsspiel stammt aus der Abschrift eines Regisseurs aus dem
Anfange des Jahrhunderts; chai-akteristische Züge namentlich im Schäferspiel, beim
Auftreten der Obrigkeit, in den Judenscenen: die Gewandtheit und Redseligkeit
des oder eher der Verfasser, weil auch hier ein älterer Text fortwährend
Änderungen und Zusätze erfuhr: endlich in der Sprache dialektische Eigenheiten.
Der Weit dieser Publikatiun wird durch die sachkundigen Bemerkungen des
Herausgebeis, durch die sorgfältige Wiedergabe des Textes und auch durch die
gediegene äussere Ausstattung nur noch vergrössert. Wie Hr. Ammann, vgl. Zeit-
schrift a. a. 0., möchte auch Meiirik für das Wiederbeleben dieser Volksschau-
spiele eintreten, für die er, wohl nicht ohne Grund, ein lebhafteres Interesse beim
einfachen Volke noch voraussetzt. A. Brückner.
Dr. C. Zibrt. Seznain pover a zvyklostt pohaiiskycii z VIII veku etc.
(Cz. Zibrt. Iniliculus superstitioiium et pag-aniaruni. , Dessen Bedeutung
für a%emeiiie Kulturgeschiclitc und für ilas Stmlium kultureller Über-
lebsel in der heutigen Volksüberlieferuiig mit besonderer Eiicksielit
auf böhniiselie Volkskunde). Prag 1894. (Abhandlungen der bölini.
Akad d. Wiss. I. KL. Jahrg. III, No. 2.) 174 8s. gr. 8".
Uer Titel der Arbeit klärt über die Aufgabe, die sieh der \'erfasser gestellt
hat, hinlänglich auf. Er ist kein (ierinanist von Haus aus und beabsichtigte daher
keinesvvegs neue Deutungen, etwa \on 'dadsisas, niraidas und yrias'; für ihn i.st der
Indiculns nur der Rahmen, in welchen er entsprechenden mittelalterlichen Aber-
glauben bei allen Völkern, am ausführlichsten jedoch den böhmischen, hineinstellt;
weitere Ausblicke auf ähnliche Erscheinungen bei Wilden oder Barbaren, werden
ebenfalls geboten; besonders reich fallen dann die Nachweise der gesamten ein-
schlägigen Litteratur aus. Das Material für den deutschen und romanischen Aber-
glauben wird zumeist aus den Beschlüssen der Synoden und aus Bussbüchern, für
den böhmischen aus der gesamten Litteratur. von der Chronik des Cosnias und
dem Homiliar des Prager Bischofs an bis zu modernen Publikationen herab ge-
sammelt: durch diese Fülle des Stoffes werden einmal die einzelnen an sich so
lakonischen Bezeichnungen des Indicuhis deutlicher gemacht, andererseits ergiebt
sich eine durchgreifende Übereinstimmung des Aberglaubens bei Romanen, Germanen
und Slavcn. Aul letzteren Umstand und was daiau.s zu folgern wäre, geht Zibrt
allerdings nicht ein, es würde dies auch aus dem Rahmen des Indiculus vollständig
heraustreten. Einzelnheiten bleiben allerdings zweifelhaft — so bezieht sich das
Hg Brückner:
Kornwei'fen auf den Heeid bei Burchard von Worms kaum auf das Aufsuchen
einer für die Errichtung des Heerdes günstigen Stelle (S. 79 und 97); eine und
die andere Deutung dürfte vielleicht zu weit hergeholt sein, wenn z. B. das Pflug-
ziehen ledig gebliebener Mädchen zu Fasten aus dem Umpflügen gegen Pest und
dergleichen hergeleitet wird (S. 128): aber für Herbeischaffung und lichtvolle Dar-
stellung eines überreichen Stoffes bleiben wir dem Verfasser zu Danke verpflichtet.
A. Brückner.
Saiu. Adalberg. Liber proverbiorum polonicorum cum adagiis ac tritioribus
dictis ad instar proverbiorum usitatis, colleü-it et illustravit S. A.
(Derselbe Titel polniscli, Ksiega przystow etc.) Warschau 1889 — 1894.
XVni, 31 und 805 Ss. 4°.
Sammlungen polnischer Sprichwörter beginnen mit des Rysii'iski proverbiorum
polonicorum centuriae decem et octo vom Jahre 1618 und des Cnapius Adagia
von 1632; dann nimmt unser Jahrhundert die Sammelarbeit auf, und unter den
einsrhlägigen Schriften verdient auch eine deutsche genannt zu werden: Dr. Const.
Wurzbach die Sprichwörter der Polen historisch erläutert u. s. w.. zweite Ausgabe,
Wien 1852.
Von Jahr zu Jahr wächst seitdem das Material, namentlich in ethnographischen
Publikationen, in Aufsätzen für Zeitschriften und Sammlungen für Kalender und
dergleichen; von mehreren Seiten wurde auch der Versuch unternommen', das
zerstreute Material zu sammeln und zu ordnen, doch gedieh derselbe meist zu
keinem völligen Abschlüsse; grössere Arbeiten blieben in Handschriften liegen.
Was anderen nicht gelungen, vollbrachte der aufo|)fcrndc Fleiss eines jungen
Sammlers, S. Adalberg: ti'otz aller Hindernisse, namentlich Umfang und Zer-
streutheit des Materials, sowie inigünstige äussere Verhältnisse des Sammlers selbst,
führte er sein Werk nach angestrengter zehnjähriger Arbeit aus und schuf damit
die feste Grundlage polnischer Parömiographie für alle Zeiten. Wie in Wanders
Lexicon sind in dem seinigen die Sprichwörter nach Stichwörtern geordnet: unter
einem jeden Sfcichworte folgen dann die einzelnen Sprichwörter, z. B. die 41 "2 Sprich-
wörter unter dem Stichworte 'Gott' wieder nach der alphabetischen Ordnung ihres
Eingangswortes, jedes einzelne mit allen Varianten aus dem Volksniunde und
reichliehen Citaten aus der älteren Litteratur, zumal des XVl. und XVll. Jahr-
hunderts, eventuell mit Erläuterungen seines Ursprunges oder Sinnes. Bei dieser
Einordnung ergiebt sich eine Schwierigkeit: Sprichwörter enthalten oft mehrere
Nemi Worte, für die alphabetische Ordnung kaini aber nur eines massgebend sein:
soll man — wie dies wirklich gemacht worden ist — die Sprichwörter unter den
einzelnen Wörtern, z. B. „Viele Hunde si«d des Hasen Tod'', unter „Hund",
„Hase" und „Tod", jedesmal wiederholen? eine einmalige Anführung des Sprich-
wortes genügt ja nicht, man verraisst Verweise. Diesem Mangel hilft bei Adalberg
ein umfassender Index ab (S. 713 — 805), in welchem z. B. sowohl unter „Hase"
wie unter ..Tod" auf ..Hund, Xo. x" verwiesen würde; so kommen z. B. zu den 412
mit den Nachträgen 444) Sprichwörtern unter dem Stichwort „Gott", im Index
weitere 3MÜ Sprichwörter hinzu, in denen Gott erwähnt wird; gerade auf die Aus-
führung dieses Index mit seinen etwa 40000 Verweisungen ist die grösste Sorgfalt
gelegt worden.
Allerdings ist auch so das Material noch nicht vollständig: manches konnte
offenbar aus Rücksicht auf die Warschauer Zensurbehörden nicht aufgenommen
wei-dcn, und es dürften nicht ausschliesslich obscoena gewesen sein, die unterdrückt
Büeheranzeigen. 117
werden mussten; ausserdem würde eine intensivere Durchforschung der älteren
Litteratur manchen schönen Beitrag gewähren, zumal die älteste erreichbare Form
des Sprichwortes feststellen helfen — in erster Linie kommen hier die Predigt-
werke des XV. Jahrhunderts mit ihren Hinweisen auf das proverbium vulgare oder
commune in Betracht, dann die satirische und dramatische Litteratur des XVI. und
XVII. Jahrhunderts; vieles davon muss freilich erst durch Neupublikationen wieder
zugänglich gemacht werden. Dann sind manche Sprichwörter unerklärt geblieben,
andere sind unvollständig oder gar unrichtig gedeutet. Ausserdem wird der- Hin-
weis auf den Ursprung eines Sprichwortes (aus Bibel, Klassiker u. dgl.), sowie die
Vergleichung mit fremden, zumal böhmischen Sprichwörtern, die öfters geradezu
die Quelle des polnischen gewesen sind, unterlassen.
Offenbar jedoch hält der Verfasser selbst seine Arbeit nicht für bereits für
immer abgeschlossen; er nimmt für sich nur das Verdienst in Anspruch, die
unerschütterliche, breiteste Grundlage für jedes weitere Studium des Sprichwortes
in Polen geschaffen zu haben. Und in der That, die Parömiographik der Slaven
wenigstens kann kein Werk aufweisen, das mit der „Ksi^ga przyslöw Adalbergs
an Fülle des Materials, Genauigkeit der Anlage wetteifern könnte; nur Dahls
Sammlung russischer Sprichwörter verdiente daneben genannt zu werden, wenn
nicht das Stoffgebiet beider Arbeiten so erheblich auseinander ginge. Es sei hier
noch bemerkt, dass über die einschlägige slavische Litteratur und einiges All-
gemeinere der deutsche Leser sich aus Gr. Kreks Einleitung in die slavische
Litteraturgeschichte, zweite Auflage 1887, S. 787—797 orientieren kann.
A. Brückner.
Katalog der Bibliothek der Finnischen Litteraturgesellschaft. Litteratur
über Finnische Sprachen und Völker. Helsiugfors 1894. S. IX. '276. 8".
Die seit sechzig Jahren bestehende Fimiische Litteratia-gesellschaft hat eine
sehr wertvolle Bibliothek gesammelt, die in dem neuen Gesellschaftsgebäude nun-
mehr eine würdige Stätte fand. Der Bibliothekar, Hr. Gustav Grotenfelt, ver-
öffentlicht im vorliegenden Werke einen Katalog über den Teil der Büchersammhmg,
der sich auf finnische Sprache, Ethnographie, Landeskimde und Geschichte, .sowie
auf die Geschichte anderer finnisch-ugrischer Völker bezieht, und bietet damit nicht
bloss den Benutzern der Bibliothek in Helsingfors, sondern allen, die sich für finnische
Sprache. Litteratur und Geschichte interessieren, eine sehr willkommene Gabe.
Julius Krohn, Suomeu suvun pakaualliiien jumalanpalvelus (des finnischen
Volkes heidnische üottesverehrung). Helsingissä (Helsingfors) 1894.
Ö. 193. 8". Mit 62 Holzschnitten im Text.
Leider ist dieses hinterlassene Werk des verdienten finnischen Forschers für
alle, die nicht finnisch verstehen, ein geheimnisvolles. Wenn Berichterstatter, der
in derselben Lage ist, dennoch auf dieses Buch, das Prof. Karl Krohn einleitete,
hier aufmerksam zu machen wagt, so geschieht es wegen der Bedeutung aller
Arbeiten Jul. Krohns, und weU die Bilder, die das Buch schmücken, doch eine
Vorstellung des für Kultus. Sitten und Mythen der Pinnen. Lappen, Wotjaken,
Tschereinissen, Ostjaken und Samojeden ungemein reichen Inhalts geben. W^ir
können nur wünschen, dass sich ein Übersetzer finde, der für uns die Schätze
(lles(-s "Werkes zugänglich mache.
118 Roediger: Protokolle.
Aus den
SitziiuRs- Prolokollen des Yereius für Yolkskuiide.
Freitag, den 26. Oktober 1894. Herr Privatdozent Dr. R. M. Meyer .spricht
über Berlinische Legenden. Sie knüpfen sich 1. an Denkmaler. So an das Stand-
bild des Grossen Kurfürsten, Blüchers, Friedrich Wilhelms III. im Tiergarten, an
die Viktoria auf dem Brandenburger Thoro und die Granitschale im Lustgarten.
"2. An Hausmarken: an den sogenannten Neidkopf in der Heiligongciststrasse, an
den Mann mit dem Thor in der Wallstrasse. 3. Entstanden Legenden oder
Anekdoten aus falschen Namendeutungen, wie bei der Link- und Lützow- (richtiger
Lietzow-) Strasse. 4. Hefteten sie sich an bekannte Persönlichkeiten, namentlich
aus und seit der Zeit Friedrich Wilhelms III , wobei mitunter ältere nnd auch
anderwärts verbreitete Nachreden und Aberglauben erneut wurden. Madame Dntitie.
Alex, von Humbold, Neander, Dove, Wi-ang-el u. a. spielen hierbei eine Rolle.
Herr Geheimrat Friedel gab Nitchträge, machte auch auf die Sammlung der
märkischen Hauszeichen im Märkischen Provinzialmuseum aufmerksam. Herr
Geheiuirat Dr. Weinhold handelte sodann über die Re- oder Toten brett(M-. ihie
Beschalfenheit und geographische Verbreitung. Es darf hierfür auf den 4. Band
unserer Zeitschrift, S. 463 f. verwiesen werden. Herr Prof. Dr-. Roediger gab
Nachricht von eigentümlichen Schulzdächei'n für Getreidevorräte, Wagen und
Geräte, die er in Allcrniühe und Reitbrook an der Elbe oberhalb von Hamburg
gesehen. Sie lassen sich mit einem aufgespannten Regenschii-ni vergleichen, der
nicht nur in der Mitte, sondern auch am Rande gestützt ist. t'ber ein Vorkommen
an anderen Orten liess sich nichts ermitteln.
Freitag, den 23. November 1894. Herr Prof. Dr. Rud. Lange handelt über
Lokalbräuche und Lokalfeste in Japan. Er benutzte dabei namentlich volkskund-
liche Zeitschriften, die in japanischer Sprache erscheinen und die es sich zur
Aufgabe machen, das nationale Volkstum zu fixieren, ehe es von den vordringenden
europäischen Sitten vernichtet ist. Immerhin hängt das Volk an seinen alten
Bräuchen und Festen noch mit Zähigkeit, wozu eine deutliche Liebe zu Aufzügen
und Feiern beitragen mag. Der Vortragende schilderte eine ganze Reihe, kam
auch auf den Weiberraub der Japaner, Hochzeitsgebräuche, den Aberglauben
vom Zusammenhange gewisser Familien mit Tieren (Fuchs, Hund) zu sprechen.
Zum Schlüsse erläuterte er die mehrere Meter lange Kopie eines altjapanischen
Pestzuges. Herr Bankier Alex. Meyer Cohn berichtet über die galizische Landes-
ausstellung in Lemberg, eine grosse Zahl von Photographieen vorlegend. Man
konnte die ganze Ausstellung als eine volkskundliche bezeichnen. Sie überraschte
durch die Fülle einheimischen, dem Lande eigentümlichen Materials, wenn man
damit z. B. die winzigen Reste vergleicht, die der Thüringer Waldverein trotz
aller Mühe für die Erfurter Ausstellung hatte zusammenbringen können. Die
eigentliche ethnographische Abteilung bestand aus einer Gruppe von Häusern mit
Edelhof und Kirche, letztere so ganz aus Holz hergestellt, dass selbst metallene
Nägel und dergleichen vermieden waren. Die Ausstellung umfasste alle Erzeug-
nisse des Landes, sogar die Gebäcke. Belebt war sie durch Gruppen von Landes-
bewohnern, die ständig in ihr verblieben, und die ergänzt wui'den durch die höchst
manigfachen Typen der ländlichen Besucher.
Freitag, den 28. Dezember 1894. Herr Sanitätsrat Dr. M. Bartels spricht
über Krankheitsbeschwörungen. Der Vortriig- ist in erweiterter Form oben S. 1
Zugabe. Il9
bis 40 g-edmckt Herr Professor Rud. Lunge beendet seine Mitteihinijen über
japanische Lol;alfeste und Lokalbräuche. Brückenweihen durch Hinübergehen
einer P'amiiie von möglichst vielen Generationen, Feste des Wegegottes, Teufels-
feste, das Rinderfest in einem alten Tempel, während dessen es nie regnen soll,
das Fest des Drachengottcs, der Wolken und Regen erzeugt, kommen zur Sprache.
— Bei der Vorstandswahl wird auf Anti'ag des Herrn Oberlehrers Dr. Lübke
durch Zuruf der bisheiige Vorstand auch für das Jahr 1895 eingesetzt.
Max Roediger.
Zugabe.
Zur süddeutschen Nameuskunde.
In Steiermark haben sich feste Beinamen, die man als erbliche Familien-
namen auffassen kann, schon gegen Ende des 13. und im 14. Jahrhundert selbst
in kleinen Städten und unter den Bauern festgesetzt Ich gebe einige Belege aus
obersteirischen, meist Leobencr Urkunden, die ich vor Jahren im Joanneunis-Archiv
durchsah.
1298. Leoben: Kridrich Haller, Heinrich Stözel, Hemrich Muntvol. Chunrat
Vogel, Otto Hevsnabel, Vngefugel, Hainrich Mülner.
1330. Leoben: Jacob Fnihstuchel, Nicla Judenhaubpt, Wulfinch der Haerb,
Rapot der Pönstadel.
1345. Admont. Nicla der Gugell. Xikia der Läner. Paul der Mosinger
(Landleute).
1358. Leoben: Dominik vnd Hainrich Glesein, Otten svn von Edling, paid
purger zu Lewben.
1363. Leoben: Chvnigunt Dietleins des Spiez wittyb. Vellein der Lericher.
1370. Hartberg: Agnes die Englin. Hans der Mörl pfairer. Merichlein der
Slaher richter.
ungemein reich an Namen von bäuerlichen Holden ist die grosse Teilungs-
urkunde der Brüder Ott, Jakob und Wulfing v. Stubenberg, vom 23. April 1390.
Es überwiegen hier die Beinamen, die von der Lage des Hofes genommen sind,
z. B.:
Michel an der öd, Wulfing am puchl. Chunrat am graben, Peter an der haide,
Wulfing am feld, Hainrich im slag, Chunrat im fliczmoss, Chunrat in der grueben.
Andre am wisenthof, Lewpold am rigel, Maister am rewt, Giessink im dorf, Guet-
mann in der awen, Heinzel am hawgenperg, Herman im chlachl, Jekl im dorUlein,
Vedl an der mul, Vll in der alben, Chuncz an der gassen, Chuncz pawr in der
aynot, Ottel vnder der linden, Ottl im pach, Dietrich in der swarczalben, Ottl an
der stikchl, Virich am aichperg, Chunigund am stain, Hainrich am chogel, Lewtold
am ort, Vll vnderm holcz, Chunrat au der leitten, Ludweig an der hinderleitten.
Eberhart an der svnleitten, der Goldl am mittergraben, Ltw-pold am swaighof,
Seyfrid bey der pirchen, Hainzel am hiershof, Perman in der lakchen, Chunz auf
der wisen. Pcrchtnld an der schutt, fjewtold am lehen, Hainrich am schergenhof,
Ekhart am hart, Ruedl am puech.
120 Znfrabe.
Allein es kommen auch Beinamen vor, die für erblich gewordene Geschlechts-
namen zu nehmen sind:
Haidung der pucheler, die Himelpachin. Chunrat amptman, Ortl faist, Chunrat
chuerssner, Virich Toppler. der Geyr, Ottel der Stainpach, Jekel christaner, Virich
hager, Vll awer, VI] plewmair, Hainczl Glukch, Wulftng Costh, der Sclczsam,
Hainrich lancziug, Vll Snabel, Virich Chlachel, Vir. has, Fridl Reinisch, Hainrich
der ayrer, Ottl hasauf, Dietrich grasser, Hainczl czedler am steg, Chunrat swaiger
im wolfspach, Vll chuning, Peter riser, Ottl perrner, Jekl cholross, Hainczl chiie-
czagl, Chuncz piligreim, Hainrich meissner, der schrimph, Herman chaiser, Wulfing
chrannester, Ghunczl vingerhuet, Lewpold pair, Herman Vnger, "Wulfing fruewnt,
hainczl der raenschein, Lewtl menschein. Jekl atakchr, Dyemut atakcherin, Dietrich
swentenpein, Wolfl herdegen, Herman dawcher, Greiml pinkenschrot, Dietrich
posch, Rudolf Eysnein, Lewpold swarcz, herman flekch, Vll Rawchman, Hainrich
Gozzler.
In Salzburg waren, wie sich aus Zillner, Geschi(?hte der Stadt Salzburg 1, 415
(Salzburg 1885) ergiebt, um 140(1 unter der Bürgerschaft erbliche P'amiliennamen
durchaus Brauch. Anziehend sind in den einzslnen Zünften charakteristische,
bedeutsame Geschlechtnaraen. Dr. Zillner hat zusammengestellt;
Die Bäcker: Fruo vom nest, Urkauf, Semler. Suespeckh, Schuspeck, Hüebl,
Sterzl, Garber.
Die Rotschmiede: Keilhau, Schwingensclilägl, Peugnzain, Schlag in den kessel,
Praimseysen. Stürznkessel, Velseysen, Schwiiigenhammer, Segenseysen, Ringseysen.
Die Kupferschuuede: Marchschlager, Warmschlager, Eisencholb.
Die Fassbinder: Stubeuvol, Crafftmayr, Vollnhals, Singhammer, Balleis.
Die Zinimerleute : Schrott, Stützenpruckl , Schnaidmaun, Klampffrer, Swing-
inmuet.
Die Metzger: Sengsbratl, Trenkskalb, Lunglschmid, Kälbl, Weisshappl (-häuptl),
Pankmaister.
K. Weinhold.
■itsclirift des Vereins für Volkskunde 1895
Taf.
D IC
WEBEf\= -EIMZE
aus (VOSSENS ASS.
Beitrag zur Nixenkunde auf Grund schlesischer Sagen.
Von Karl Weinhold.
Die deutschen Mxensagen , wie unsere Sammlungen sie überliefern,
lassen die Grundvorstellungeu des germanischen Heidentums von diesen
weiblichen Wassergeistern, sowie die Veränderungen, die darin im Laufe
der Zeit gescliahen, sehr gut erkennen. Im allgemeinen erscheinen die
Nixen der Flüsse und Landseen in der Volksvorstellung als wohlgebildete,
den menschlichen Frauen durchaus gleiche Wesen, mit langem Haar gleich
diesen; auch kommen sie in gewöhnlicher Kleidung unter die Menschen
und verraten nur am nassen Saum des Rockes oder der Schürze ihre
Herkunft, wenn sie auf den Märkten oder bei den Tänzen in Dörfern oder
Städten sicli einfinden. Zuweilen sind sie auth kenntlich durch die Augen
(Köhler, Volksbrauch im Voigtlande, S. 474); denn die Augen sind an
göttlichen Wesen, die ihre Gestalt ändern, nicht wandelbar. Sie lieben,
wie alle elbischeu Geister, Gesang und Tanz, man hört sie zuweilen
wunderbar singen, und an den Ufern der Wasser sind ihre Reigen von
den Menschen oft belauscht worden. Dabei verlieben sich die Jünglinge
nicht selten in sie, noch mehr aber knüpft sich solche Liebschaft auf den
Tanzplätzen der Dörfer, meist mit tragischem Ausgang: denn wenn der
Bursche seine Tänzerin heimgeleiten will und er sie plötzlich im Wasser
verschwinden sieht, erschrickt er so, dass er in drei Tagen stirbt (Gödsche,
Schlesischer Sagenschatz, S. 90). Öfter aber zieht die Nixe ihn mit hinab
, in das Wasserhaus, und er muss nun immer bei ihr bleiben oder kommt
erst nach Jahren zu den Seinen zurück. Die Kinder solcher Verbindungen
folgen der Mutter und sind Wassergeister. ')
Gewöhnlicher aber erzählt die Sage vom Unheil, das über die Nixe
kommt, wenn sie von dem Tanze und dem Geliebten sich nicht trennen
kann und die Stunde versäumt, welche die Ihren für die Rückkehr be-
stimmten. Dann sieht der Bursche, der sie bis zu dem Wasser geleitete,
einen Blutstrahl aufsteigen und erfährt damit den Tod der Geliebten.
1) J. Grimm, Deutsche Mythol., S. 4ü2, Ausg. 2 hat aus Holhergs Melampns 3, 7 den
däaischen Aherglauben ausgehoben, dass ein auf See von einem Fischerpaare erzeugtes
Kind als Seejungfer (havfru) geboren wird.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1895. 9
122 Weinhold:
Zuweilen sieht man die Wasserjungfern ihre Wäsche auf den Bach-
oder Seewiesen bleichen oder trocknen. Sie ist blendend weiss.
Im Gegensatze zu dem menschenfeindlichen Wassermann gelten die
Wasserfrauen nach den Sagen meist als freundlich, wie das Erzählte schon
beweist. Doch zeigt sich ihre älteste wilde Natur, die aus der unheim-
lichen, oft verderblichen Gewalt der tiefen Wasser entspringt, in der Nach-
stellung nach dem Leben derer, die den Flüssen oder Teichen nahen; bei
den Meerfraueu auch in den Gefahren, worein sie die SchifPer bringen.
Die prophetischen Gaben der Wasserfrauen hat die jüngere Volkssage
nur in soweit im Gedächtnis, als ihr Erscheinen anderes Wetter, meist
Sturm, verkünden soll. Über die leibliche Bildung der deutschen Nixen
seien noch Bemerkungen gestattet.
Die Sage lässt sie in zwei Gestalten sich zeigen: 1. in ganz mensch-
licher Form, 2. von oben Weib, imten vom Nabel ab geschuppter Fisch
mit Schwanzflossen. In der Volksüberliefernng mischen sich beide Bilder,
so dass die Nixe, die eben als Weibesbild geschildert ist, gleich nachher
als Jungfer mit Fischende erscheint (z. B. die Sage in Mones Anzeiger
VIII, 178); oder dass die Wasserjungfer z. B. der Leine in der einen Sage
ganz menschengleich (Schambach-Müller, Niedersächs. Sagen No. 83), in
der anderen als halb Mensch, halb Fisch (No. 92) beschrieben wird. In
der einen Gegend von Pommern stellt man sich die Seejungfern als Misch-
gestalten, in der anderen ganz menschlich vor (U. Jahn, Volkssagen aus
Pommern und Rügen, S. 141). In der Oberpfalz scheidet das Volk die
Halbgestalten als Meerfräulein (Mirfräl) von den weibergleichen Wasser-
fräulein (W^asserfräl : Schönwerth aus der Oberpfalz 2, 190), und weiss,
dass die Meerfräulein jeden siebenten Tag ganz menschlich werden können.*)
Es scheint dies also eine zeitweise Entzauberung zu bedeuten.
Es liegt sehr nahe, bei unseren fischschwäuzigen Nixen an die Meer-
weiber des ausgehenden Altertums zu denken"), bei denen neben der
Zusammensetzung halb Mensch, halb Vogel (mit Flügeln und Klauen)
bekanntlich die von halb Mensch, halb Fisch hervortritt und immer mehr
von den bildenden Künstlern angenommen ward. Seit dem 10. Jahrhundert
sah das deutsche Volk an den Säulenkapitälen, an Friesen und Portalen
diese fischgeschwäuzten Sirenen und Meerwunder, und das dauerte durch
die romanische und gotische Stylperiode und die Renaissancezeit bis heute
fort. Am Sebaldusgrabe in Nürnberg stellte Peter Vischer die Leuchter-
trägerinnen der vier Eckpfeiler als zierliche, geflügelte Jungfrauen mit
Vogelbeinen und Vogelschwanz dar; andere Nürnberger Meister aber bildeten
1) Die Niederlaiisitzer Wenden glauben, dass die Wasserjungfern in der Mittagsstunde
Menschengestalt annehmen, sonst sind sie anders gestaltet (meist oben Mensch, unten Fisch),
den Menschen feindlich und wild gefrässig: v. Schulenburg, Wendische Volkssagen und
Gebräuche, S. 128 f.
2) Piper, Mythologie der chi'istlichen Kunst 1, 377—393 (Sirenen).
Beitrag zur Nixeiikundc auf (triiiirl schlesischer Sagen. 123
sie als Mädchen mit Fischscliwauz, gerade aucli zum Dienst als Kerzeii-
trägerionen, aber in der Schwebe gedacht (die bekannten, für sogenannte
altdeutsche Zimmer nachgeahmten Lichtelweibel). Auch als Schiff'sbild war
diese Fischjungfrau beliebt geworden und sie musste bei den Seefahrern und
Fischern auf die phantastische Yorstellung von den Meerweibern einwirken.
Dennoch lässt sich fragen, ob sich diese Phantasiegestalt nicht auch
unabhängig von der Fremde bei den Deutschen und Skaudinaviern erzeugen
konnte. Eines der Tierbilder für die Wasserdämonen ist der Fisch : nord-
deutsche Sagen und Märchen erzählen von dem Wassermann oder Nix als
Fisch.') Eine Annäherung an menschliche Bildung ist, wenn der Nickel-
mann halb Mensch, halb Fisch erscheint und rohe Fische frisst, gleich der
Fiscliotter (Knhn-Schwarz, Norddeutsche Sagen No. 197, 1).
So kann denn auch die Nixe als Fisch von der Phantasie des Volkes
in früher Zeit vorgestellt worden sein; durch die gemischte Bildung, halb
Fisch, halb Mensch, ging sie allmählich in die volle Mädchengestalt über.
Vergleichen kann man dieser Gestaltenfolge die der Sirenen in der alten
Kunst: zuerst als Vögel mit Mädclienkopf, dann als Mädchen mit Vogel-
füssen gebildet, erschienen sie endlich ohne jede tierische Gliedmasseu.^)
Das chi-istliche Volk hatte zu den Wesen des alten Heidenglaubens
allmählich eiu eigentümliches Yerhältuis bekommen. Wie die Priester
ihm sagten, waren es Unholde und Teufel, mächtig genug, um Leib und
Seele zu verdei-beu, aber durch festen Glauben und die kirchlichen Segen-
mittel vermochte man ihnen zu widerstehen. Mehr und mehr wurden sie
im Zeitlaufe machtloser. Sie sanken zu unseligen, verfluchten oder ver-
zauberten Geistern herab, die nach Erlösung verlaugten und durch berufene
Menschen erlöst werden konnten. So die weissen Frauen der Berge und
Burgen, die letzten Nachfolgerinnen der in den Wolken verschlossenen
Erdgöttin, und so auch die Wassergeister. J. Grimm hat in der deutschen
Mythologie, 2. Ausg., S. 461, die rührenden schwedischen und dänischen
Sagen vom Neck berührt, der bitterlich weint, wenn ihm Menschen zurufen,
er dürfe auf keine Erlösung und Auferstehung hoffen.
So begehren denn auch die Seefräulein der schwäbischen Sage^) die
Erlösung und erlangen sie, wenn die dazu bestimmten Menschen das Werk
nicht verderben. Es ist nun begTeiflich, dass sich der Glaube bildete,
diese Wasserwesen seien nur durch Verwünschung in ihren Zustand ge-
1) Grimm, Deutsche Sagen No. 54. Schambacli-Müller, Niedersächs. Sagen No. 86
bis 88, 90 und Auin. Grimm, Kinder- und Hausmiirchen No. 19. Kuhn, Mark. Sagen und
Märchen, S. 270. 274. Gander, Niederlausitzer Volkssagen No. 151. 152. Die ahd. Glosse
crocodiUus nichus (Graft, Ahd. Sprachsch. II, 1018 f.l beweist auch die alte Vorstellung
des Wassermanns als Wassertier.
2) So stellt sich auch der neugriechische Volksglaube die Neraiden in voller weib-
licher Schönheit dar: nur selten werden ihnen Beine oder Füsse von Ziegen oder Eseln
angedichtet: Beruh. Schmidt, Das Volksleben der Neugriechen 1, 105.
3) E. Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, S. 68.
9*
124 Weinhold:
kommen, sie seien eigentlich Menschen, die verzaubert wurden, und von denen
der Zauber genommen werden könne. In Mönkgut auf Rügen gelten die
Seejungfern für verwünschte Prinzessinnen.') Das Brunnenfräulein in der
oberpfälzischen Melusinensage (Schönwerth. Aus der Oberpfalz 2, 19-i) hat
ihre Mutter dazu verflucht. Und auch die schlesischen Sagen, die ich
näher behandeln wilP), beruhen auf dem Gedanken von Fluch und Lösung.
Der schlesische Name der Wasserjungfer ist Lisse oder Wasserlisse;
durch die in mehreren Gegenden (nördlich vom Zobten, auch in Breslau)
auftretetende Wortform Lixe führt sich Lisse ohne weiteres auf Nixe zurück
durch den Wechsel von 1 und n, der auch sonst im schlesischen Dialekt
an- und inlautend vorkommt . ganz entsprechend dem Tausche der Laute
in lympha und nympha. Das ss in Lisse ist durch Assimilation aus chs
entstanden.
Die erste jener Sagen lautet:
Eine Magd aus Neudorf (bei Eeichenbach in Schi.) ist einmal an den
grossen Teich gegangen, um Schilf zu sicheln. Da hört sie ganz in ihrer
Nähe ein Kind schreien, und wie sie dem Weinen nachgeht, kommt sie
zu einer grossen Kröte. Die spricht nun zu der Magd, sie solle sich nicht
fürchten und näher zu ihr kommen, sie werde ihr nichts thun, und dann
bittet die Kröte, die Magd möge anl anderen Morgen wieder an denselben
Ort kommen. Die thut es auch, und da war aus der Kröte eine Wasser-
lisse geworden, die war oben wie ein Mädchen, aber unten hatte sie einen
Fischschwanz. Da schlug die Lisse mit einer Rute in das Wasser und bat
die Magd, mit ihr zu gehen, und es war ganz trocken, wo sie gingen. Sie
kamen nun in eine schöne Stube, da kriegte die Magd gut Essen und
Trinken, soviel sie mochte, und beim Fortgehen bat die Lisse, sie möchte
noch dreimal wieder kommen. Das hat sie auch gethan, und beim dritten
Male stand anstatt der Wasserlisse ein schönes Mädchen da, das dankte
der Magd gar vielmal dafür, dass sie es erlöst habe und erzählte, es sei
die verwünschte Tochter vom herrschaftlichem Hofe. Dann hat es der
Magd die Schürze mit frischem Schilf voll geschüttet und hat Abschied
genommen und ist zu den Eltern aufs Schloss gegangen: da hat es noch
ein paar Jahre gelebt. Das Schilf aber war zu Gold geworden, uml da
hat die Magd gleich ihren Dienst aufgesagt.
Die Nixe erscheint hier zuerst dem Mädchen als Kröte. Auch in einer
Lechthaler und in einer schwäbischen Sage nimmt die Wasserfrau Kröten-
gestalt an'); nach der Yorstellung der Niederlausitzer Wenden zeigt sich
1) U. Jahn, Volkssagen aus Pommern und Rügen, S. 142.
2) Ich habe dieselben schon in meinem Buche: Die deutschen Frauen in dem Mittel-
alter, Wien 1851, S. 46 mitgeteilt. In der zweiten Auflage (1882) wurden sie nicht wieder-
holt. Eine Bauersfrau aus Keudorf (Kr. Eeichenbach) erzählte sie 1846 einer meiner
Schwestern.
3) Zingerls, Sagen ans Tirol. 2. A.. No. ;^28 und Aum., und E. Meior, Deutsche Sagen
aus Schwaben, S. 69.
Beitrag zur NixeTikuiide iiiif (Jnnid sclilesischer Sagen. 125
der Nix gcni nh Frosch, zaba (v. Sclmlenburg-, Wendische Volkssagen,
S. 1-28).') Doch lionimt für unsere schlesische Sage, in der die Nixe ein
verzaubertes Menschenkind ist, auch die Wandlung der armen Seelen zu
Kröten in Betracht. Gleich der Scldange ist die Kröte ein unterirdisches
Wesen. Tirolei' Sagen wissen von den armen Seelen in Krötengestalt oft
rührend zu erzälilen, auch wie aus der Kröte nach der Erlösung eine
schöne Jungfrau wird.")
Das erlöste Mädchen vom Neudorfer Schlosse wird nicht alt: Menschen,
die in das Über- oder Unterirdische entrückt waren, sterben nach ihrer
Heimkehr entweder gleich oder in kurzer Zeit.
Die zweite Geschichte lautet also:
Es war einmal in Langseifersdorf ein Junge, der ging zu dem neuen
Teiche, und da war eine Wasserlisse, die sprach zu ihm, er solle mit ihr
o-ehen. Da gingen sie denn in den Teich hinein und kamen in ein schönes
grosses Haus. Der Junge musste in der einen Stube bleiben, und die
Lisse sagte ihm, er soHe ihr beileibe nicht nachkommen. Der Junge aber
war neugierig und lief ihr doch nach. Da sass die Lisse in der Kammer in
einer Wanne und badete sich: sie war aber halb Mensch, halb Eisch und
schrie laut auf und jammerte, dass sie nun nimmer erlöst werden könne.
Hernach ist eine andere Wasserlisse gekommen und hat den Jungen
auf den Boden hinauf geführt und ihm auch gesagt, er solle da warten
und hat ihm strenge verboten, ihr nachzulaufen. Sie stieg eine Stiege
höher, der Junge aber lief ihr bald nach. Da stand die Lisse und schrie
vor Freuden auf: sie gab ihm drei Ohrfeigen, und da war der Junge
augenblicklich in eine Wasserlisse verwandelt. Sie aber war nun erlöst.
In dieser Geschichte sind zwei ganz verschiedene Nixensagen mit
einander verknüpft: das Gefühl, die Ungezogenheit des Beugels der ersten
müsse bestraft werden, war der Grund dazu.
Die erste Sage finden wir für sich am böhmischen Erzgebirge"):
Neben dem Eiseuberger Walde am Erzgebirge liegt ein kleiner Teich,
der Haderwiesteich, Vor Zeiten kam die Seebergjungfer oft herab, um
sich in dem Teiche zu baden, sie war halb Fisch und halb Mensch. Einst-
mals war ein Hütbub auf der Wiese, da stund sie plötzlich vor ihm und
fragte, ob er sie erlösen wolle, sie werde ihm dann soviel Geld geben,
dass er die Haderwiese kaufen könne. Der Junge war damit zufrieden.
1) Mein Vater, der mehrere .lalire seiner Kindheit bei seinem Grossvater Fr. Th.
Lademann in dem damals wendischen Madlow hei Kotbus verlebte, erzählte ims, wie die
wendische Hausmagd ihn vor dem Gange zur Spree mit den Worten zu warnen pflegte:
Karlchen, geh nich wosserku. wosserku zabka. zabka norschku beiss.
2) I. Zingerle bei .1. W. Wolf, Zeitsclirift für d. Mythnl 1. 7—18, 2. Anm. und Sagen
aus Tirol, S. 19G— 198.
3) Bei Vernaleken, Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich, S. 197: daraus
entlehnt von V. Grolimanu, Sagen aus Bc'dnnen, S. 143.
226 Wciiiliolil:
Hierauf sagte sie ihm, er solle nun fortgehen und nicht eher wiederkommen,
bis sie ihm winken werde. Wenn er aber ohne Erlaubnis komme, solle
es ihm nicht gut gehen. Der Hütbube lief darauf eiligst weg zu seinem
Yieh, und indessen badete sich die Seebergjungfer im Teiche. Als sie
fertig war, winkte sie dem Jungen. Der kam zwar, aber er schimpfte sie
und warf mit Steinen nach ihr. Da kehrte sie weinend nach dem Seeberg
zurück, und in der nächsten Nacht hörte man sie liinab bis Bartelsdorf
jammern und weinen.
Die Grundzüge der Sage gleichen denen der schlesischen. Wir dürfen
aber diese auf eine weit ältere Gestalt zurückbringen, wie schon Adalbert
Kuhn (Westfälische Sagen 1, 81) für unsere schlesische Geschichte vermutet
hat. Darnach würde der Junge auf einen Geliebten der Nixe zurückweisen,
der gegen das Verbot sie in ihrer wahren Gestalt schaute, worauf sie für
immer von ihm getrennt ward. Es ist das Motiv der Melusinensage, die
sich in Schlesien an das Zeiskenschloss oder Czeschhans, eine zwischen
Pürstenstein und Adelsbach gelegene Burgruine, geknüpft findet.')
Von dem zweiten Teile unserer Doppelsage müssen wir die Neben-
schösslinge abschneiden. Als Kern bleibt: ein Mann thnt gegen eine
dämonische Frau etwas, das ihm verboten ist, und wird dafür verzaubert.
In unserer Sage beruht die Schuld auf der Wiederholung des Ungehorsams,
der Mensch soll die Nixe nicht im Bade belauschen. Die Strafe durch
Ohrfeigen ist zugleich ein Mittel der Verwandlung, wie auch die griechischen
Märchen bei v. Hahn, Griech. und albanesische Märchen No. 25 und bei
Beruh. Schmidt, Griech. Sagen, Märchen und Volkslieder No. 15. 24 lehren.
Der Junge wird zum Weibe, und weil nun das Erlösungsverlangen der
Wassergeister hineingetragen ist, zur Nixe, während die Nixe erlöst wird.
Beweise für die mythische Strafe der Verwandlung des Geschlechts
sind zur Hand.
Eine neugriechische Sage von Nord-Euboea^) berichtet, dass eine
Nera'ide einen Mann, der ihrer Schwester sein Wort nicht gehalten hatte,
verflucht: „Wenn du ein Mann bist, so sollst du eine Frau werden, und
wenn du eine Frau bist, so sollst du zum Manne werden." Und so ge-
schah es.
Antoninus liberalis berichtet im 17. Cap. seiner Metamorphos. synagoge^)
nach Nikander von der Verwandlung des Kreters Siproites in ein AVeib,
als dieser auf der Jagd die badende Artemis erblickte. Nahe liegt natürlich
die Erinnerung an Aktaiou, der in einen Hirsch verwandelt ward, als er
auf der Jagd — es war nach Ovids Metamorph. III, 144 f. in der Mittag-
stunde — die nackte Göttin im Bade schaute.
1) Das ergiebt sich trotz aller Verb:illlioinuiig- aus der Erzählung bei Gödschc,
Schlesischer Sagenschatz, S. 310.
2) V. Hahn, Griechische und albanesische Märchen I, No. 58.
3) Mythographoi. Scriptnros poeticae historiae graeci ed. A. AVestcrinann, S. 217 f.
Beitrag zur Nixenkunde auf Grund schlesischer Sagen. 127
Nach diesen Parallelen dürfen wir behaupten, dass der Junge im
zweiten Teile der schlesischen Doppelsage gleich dem ersten die Nixe im
Bade sah und deshalb in ein Mädclieu verwandelt ward. Unsere Sage ist
daher tou grossem mythologischem Werte, und ich weiss ihr aus dem
deutschen Mythenschatz nichts entsprechendes zur Seite zu stellen. Nur
vermuten will ich, dass der Beiname die Nixe, welcher tou L. Uhland
an schwäbischen Rittern des 13. und 14. Jahrhunderts nachgewiesen ward,
und der sich im U. Jahrhundert als fester Geschlechtsname findet'), auf
eine ähnliche Sage zurückgehe.
Nach westfälischem Aberglauben wird ein Mädchen zum Knaben, wenn
es unter einem Regenbogen durchlauft, gleich der wilden Johanne in
tlravenhorst bei Münster.^)
In Nordgermanieu begegnet im Mittelalter der Geschlechtswechsel
freilich in dem Volksglaubeu häufiger. Männern wird vorgeworfen, ein
Weib gewesen und sogar geboren zu haben. So schilt im ersten Helgi-
liede (Str. 37—39. 43) Sinfjotli in gräulichem Gezänk den Gudmund, dass
er eine Hexe (vulva) und lüstern nach ihm, dem Sinfjotli gewesen; ferner,
dass er eine Walkürie war und die Einherjar, die seligen Odiuskämpen,
zu eifersüchtigem Kampfe verführte, und er erfrecht sich selbst zu rühmen,
mit dem Gudmund neun Wölfe gezeugt zu haben. Gudmund dagegen
beschuldigt den Sinfjotli, dass er einst eine Stute gewesen sei.
In der Lokasenna wirft Odin dem Loki vor, in der Unterwelt acht
Winter als Weib gelebt und Kinder geboren zu haben (Lokas. 23, zum
Teil 33 wiederholt). Loki verwandelte sich nach der Gylfaginniug C. 43
in ein Weib (brä ser i konu), als er Frigg das Geheimnis der verwuud-
Ijaren Stelle an Baldrs Leibe entlocken wollte und zeugte, in eine Stute
sich wandelnd, mit Svadilfari, dem Hengste des Riesen, das achtfüssige
Eoss Odins, den Sleipnir (Gylfaginniug C. 42).
Aber nicht bloss in den mythischen Liedern, auch in den Sagas be-
o-eo'uen wir solchen Schelten. Im erbitterten Rechtsstreit spricht Flosi
Thordarson zu seinem Gegner Skarphedinu, Niäls Sohn, man wisse nicht,
ob dessen Yater ehi Mann oder ein Weib sei, was den Skarphedinu zu den
Worten reizt, nach dem Gerücht sei Flosi der Geliebte des Svinfellsäss
und werde durch diesen jede neunte Nacht in ein Weib verwandelt (Nialss.
C. 124). Das muss eine auch in Norwegen verbreitete böse Nachrede
gewesen sein. In den Gulathiugslog C. 138') wird Friedlosigkeit darauf
gelegt, wenn jemand überführt wird, dass er von einem gesagt habe, er
sei jede neunte Nacht ein Weib und habe Kinder geboren.
Li der Kristnissaga C. 4 wird erzählt, dass auf dem Dinge, wo Thor-
wald Kodransson den aus Deutschland mitgebrachten Bischof Friedrich zur
1) Germania von Frz. Pfeifi'er 1, 311.
2) Colshorn, Märchen und Sagen. Hannover 1854. No. 54.
3) Dazu Gulathingsl. C. 196 und Frostathingsl. X, 35.
128 Weinholfi:
Predigt des Christeutunis aufforderte, Hediu, ein voruelimer Mann aus
Svalbard sich dem widersetzte und anwesende Skalden anreizte, Scheltlieder
auf Thorwald und den Bischof zu machen. Darin hiess es: „Neun Kinder
hat geboren der Bischof, Thorwald ist der Yater von allen." Thorwald
schlug dafür sofoi't zwei Männer tot.')
Es sind scheussliche Lästerungen, die hier erschallen, aber sie fanden
ihre Stütze in uraltem Aberglauben.
Durch Fluch und Zauberei galt es in unserem Heidenthume für
möglich, dass ein Mann ein Weib werden könue; vornehmlich die oberen
Gottheiten vermochten diese Verwandelung zu verhängen, aber auch die
unteren waren mächtig genug dazu. Bestätigung giebt die Vergleichung
griechischer und indischer Überlieferungen.
Am bekanntesten ist das Beispiel des Teiresias, der aus einem Manne
ein Weib und später wieder vom Weibe ein Mann ward, zur Strafe dafür,
wie Hesiod zuerst berichtet hat, dass er auf dem Kithäron oder dem
Kylleue, also auf geheiligtem Boden, ein Schlangenpaar in der Begattung
störte. In Thessalien erzählte man von Kainis, des Atrax Tochter, die
Poseidon, der sie liebte, in den unverwundbaren Lapitheu Kaineus ver-
wandelte. Die Phaistier auf Kreta feierten die durch Leto bewirkte Ver-
wandelung der Tochter der Galateia in den Knaben Leukippos durch das
der Phytia Leto geM'idmete Pest der Ey.övoia (Antonin. liber. Metamorphos.
synag. c. 17). In seinem Dialoge vom Haushahn verwendet Lukian von
Samosata den Geschlechtstausch in seinem Spott gegen die Pythagoräische
Seelenwauderung.
In den altindischeu Geschichten kommt die Fabel vom Geschlechts-
wechsel häufig vor. Das älteste Beispiel findet sich nach A. Weber
(Episches im vedischen Ritual S. 35°)) bei Qaunaka (brihadd. 6. 40) in der
Legende von dem Könige Asangä, der zum Weibe verwandelt, durch 'einen
rishi in Folge der Frömmigkeit der Gattin das männliche Geschlecht wieder
erhielt. Die Verwandelungen treten gewöhnlich ein während eines Bades
oder durch einen Trunk (so in den Geschichten des Siudabadkreises) oder
beim Aufenthalt an gefeiten Orten, so in dem Walde des Siva, worin jeder
Mann zum Weibe werden muss. Zuweilen wechselt das Geschlecht
monatlich; so erzählt das Siva-Purana vom Purüvaras, dass er durch den
Fluch der Parvati einen Monat Mann, den anderen Weib sein musste. ^)
Auch kommt vor, dass ein Geschlechtswechsel nach der Wiedergeburt sich
vollzieht, so nach dem Mahäbhärata an der Amba. der Tochter des Königs
von KäQi (Benfey a. a. O. S. 42 f.).
In sehr vielen der angeführten Beispiele erfolgt die Geschlechts-
wandlung, wenigstens die des Mannes in ein Mädchen oder Weib, als
1) Vgl. auch Thorsteius thattr Siduhallssonar C. 3.
2) Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaft 1891, No. 38.
3) Über die Geschlechtsfabeln Benfev, Pautschatantra 1, 41—52.
Beitrag zur Nixenkuiule auf Giiiiul schlesischer Sagen. 129
Strafe eines überirdischen Wesens: man denke an Aktaion, Siproites, Tei-
resias, an die indischen Geschichten und die schlesisclie Nixensage. Es
ist eine Erniedrigung der Natur, denn, so ungalant es klingt, das Weib
gilt als zweite Klasse des Menschen.
Die Möglichkeit des Geschlechtswechsels') musste einer Kulturperiode,
welche göttliche Zwitterwesen schuf und an Gestaltenwechsel, namentlich
Tierverwandlungen, fest glaubte, unbedenklich erscheinen.
[n einer gewissen Beziehung steht zu dem körperlichen Geschlecht-
wechsel der äusserliche, der Kleidertausch von Manu und Weib.
Ich meine hier nicht die romanhafte Verkleidung, die oft als List
vorgenommen worden ist. So, wenn Odin die Göttin Rinda (Rindr) berückt
und bewältigt durch die Verkleidung als heilkundiges Weib (Saxo Grammat.
hist. dau. I, S. 128, Müller). Oder, wenn sich Hugdieterich in der Maske
einer kunstreichen Stickerin zu der im Thurm versperrten Prinzess von
Salneck schleicht. Sondern ich denke an die Verkleidung von Männern
als Weiber, auch von Weibern als Männer in Aufzügen bei gottesdienst-
lichen Festen, die zu dem Naturleben in nächster Beziehung stehen.
Beschränken wir uns dabei auf deutsche Landschaften, so lassen sie
sich vom Mittelalter bis in die neuste Zeit verfolgen, von der Weihnacht
bis Pfingsten; und auch an Hochzeiten waren sie üblich.
In der märkischen Grafschaft Ruppin ziehen in den Adventen im
Gefolge des Schimmelreiters und des Christmanns als Weiber verkleidete
Knechte mit geschwärzten Gesichtern umher, Feien genannt. Ebendort
treten sie auch bei Hochzeiten auf und stören den feierlichen Kirchgang
durch allerhand Possen.^) Bei Eberswalde erschienen solche verkleidete
Männer am Abend des zweiten Hochzeittages, mit ihnen gewöhnlich der
Erbsbär. Bei Templin kamen sie früher am dritten Hochzeittage, trieben
Possen und tanzten mit der Braut.')
Eine Brandenburg-Kulmbachsche Polizeiverordnuug von 1622 verbot
die Fastnachtvermummungen, wobei die Frauen in Manns-, die Männer in
Frauenkleidern sich verstellten (Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 544).
Ein Jahrhundert früher berichtet Joannes Boemus in seinen 1520 zuerst
erschienenen Omnium gentium mores leges et ritus im 3. Buche von der
fränkischen Fastnacht, wie die Leute allerlei Unfug mit Larven, Manns-
und Weiberverkleidungen und geschwärzten Gesichtern treiben, was dann
1) Die zwölf Exempel, die Heinrich Kornmann in seinem Buche de miraculis virorum
seu de varia natura, variis singularibus proprietatibus, affectionibus miraudisque virtutibus,
facultatibus et signis hominum virorum liber novns et singuhiris, Francof. 161*1 von der
Wandlung einer Frau in einen Mann aus alter und neuer Zeit, namentlich ans Italien und
Portugal gesammelt hat, sind ganz natürliche Fälle, wie sie auch aus ne\ister Zeit berichtet
sind. Kornmann sagt ausdrücklich : nunquam vero mares viri in foeminas mutantur. Vgl.
auch Liebrecht, Zur Volkskunde, S. 3(52. 507.
2) A. Kuhn, Märkische Sagen und Märchen, S. 346. 362.
3) Kuhn und Schwartz. Norddeutsche Sagen, Märclien und Gehräuche, S. 433.
130 Weinhold:
Seb. Frauck iu seiuem Weltbuch (1534) wiederholt, hat. Über ein Jahr-
hundert früher hatte schon Nicolaus von Jauer in seinem Traetatus de
Snperstitionibus (141 "J) die Kleidertansche der Geschlechter zu Fastnacht
unter Bezieimng auf Deuteronom. 2:i, 5 als scliäudliche Sitte verworfeu.
Dieser Kleidertausch der Geschlechter ist namentlich bei den Mai-
und Pfingstaufzügen Brauch gewesen: am frühesten, von 1224, ist er aus
deutschen Landen für Lüttich bezeugt (Mannhardt, Wald- und Feldkulte
1, 377). Aus unserem Jahrhundert lässt er sich für Schwaben, Thüringen
(zugleich mit Larven), die Altmark nachweisen.') Im Elsass sind diese
Verkleidungen beim Feste der Weinlese üblich (Mannhardt a. a. 0. 314).
Es sind uralte Gebräuche. Die Verkleidungen von Männern als Weiber
und umgekehrt geschehen noch heute bei den Tänzen und Festspielen der
Naturvölker, wie sie zusammen mit der Schwärzung der Gesichter, die
auch bei den römischen Saturnalien vorkam, mit Larven und Verhüllungen
in Tierfellen von dem Altertume her durch das Mittelalter hindurch, wie
die Verbote der abendländischen Coucilien beweisen, sich bis in die Gegen-
wart verfolgen lassen. Dramatische Scenen, Gesang und Musik begleiteten
die gottesdienstliehen Auf- und Umzüge an den Jahresfesten, den Ernte-
und Frühlingsfeiern. Die Vermummungen, zu denen die Verstellungen
der Männer in Weiber, der Weiber in Männer gehören, sollten ursprünglich
die der Gottheit sich nahenden nicht in ilirer wahren Gestalt vor die
mächtigen Augen stellen, sie gewissermasseu decken, und sollten auch feind-
liche Dämonen schrecken. Das hat Pfannenschmid (Germanische Erntefeste,
S. 583) wenigstens zum Teil erkannt, wäln-end Mannhardts Deutung (Wald-
uud Feldkulte 1, 442. 546) dieser Verkleidung der Geschlechter aus über-
grossem Liebesdrang im Fi-ühling verfehlt ist.
Ein direktes Zeugnis giebt ein Corsischer Bi'aucli. In Xiolo auf Corsica
gingen früher die Mädchen vom achten Jahre bis zur Verheiratung als
Knaben verkleidet, nicht bloss zum Schutz gegen Nachstellungen der
Männer, sondern auch zur Abwehr der Hexen (streghe). ^)
Den oben mitgeteilten Nixensagen aus der Gegend zwisclien Eulen-
gebirge und dem Zobteu lasse ich eine Sage aus dem Glogauer Kreise
folgen, die in Firmenichs Germaniens Völkerstimmen 11, 334 — 339 in nord-
niederschlesischer Mundart sehr ausführlich vorgetragen ist. Ich bringe
sie hier auf die Hauptzüge zurück.
Sie lässt sich an ein schlesisches Kinderspiel anknüpfen. In der Mitte
des Ki'eises sitzt ein Mädchen, das die Wasserlisse vorstellt. Um sie tanzen
1) E. Meier, Sagen ans Schwaben 398. Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 440'
Kuhn, Mark. Sagen 327.
2) Revue des traditions populaii'es IX, 463.
Beitrag zur Nixenkiindc auf Grund scMesischer Sagen. 131
in geschlossenem Ringelreihen die anderen Mädchen herum, indem' sie
sagen :
"WasserHsse zieh micli rein,
Schenk mir ein Gläsel Brantewein!
Die Lisse hascht dann ein Kind aus dem sich drehenden Reigen und dieses
muss an ihrer statt Wasserlisse werden.')
Unsere Sage lautet:
Es waren einmal zwei arme Waisenmädchen, die Mutter mnsste als
Magd ihr Brot suchen, und die Kinder hatten sich als Hütemädel zu einem
o'eizio-en Bauer vermietet. Es war ein dürrer Sommer, und die Kühe
fanden bald nichts mehr auf der Weide. Sie magerten schrecklich ab,
und der Bauer prügelte deshalb die Kinder täglich. Endlich zwang er sie,
das Vieh zum Lissteiche zu treiben, wo es Gras genug hatte, denn alle
Hirten mieden den Platz. Ans Furcht vor den Prügeln trieben die Mädel
am nächsten Morgen richtig zu dem Teiclie, und wie sie nun dort waren,
da sangen sie, toelsch wie die Kinder sind, den Spielreim:
Wasserhsse zieh mich rein,
Wasserlisse zieh mich rein!
Da hören sie auf einmal vom Teiche her schön singen, und eine hübsche,
vornehme Frau kommt mit einer Weidengerte auf sie zu. Die Mädel
wollen zwar fortlaufen, aber sie können sich nicht von der Stelle rühren;
die Lisse aber war sehr freundlich zu ihnen und fragte, was ihnen fehle,
denn sie sah die rotgeweinten Augen. Die Mädel erzählten ihr alles, und
da sagte die Wasserjungfer zu ihnen: „Kommt mit mir, ich will euch eine
Weide weisen, wie sie in der ganzen Schlesing nicht schöner ist." Da
gingen sie hinter der Lisse her und das Vieh hinterdrein, und die Lisse
schlug mit der Weidengerte ins Wasser. Da lag ein breiter Viehweg da
und eine schöne Wiese mit hohem Grase. Dort durfte das Vieh fressen, so
viel es mochte; die Kinder aber führte die Wasserlisse in ein schmuckes
Haus, wo sie schöne Kleider und gut zu essen und trinken kriegten, und
andere Wasserjungfern thaten sie bedienen.
Wie nun die Zeit zum Eintreiben kam, wurden die Mädel wieder in
ihre alten Klunkern gesteckt, und die Wasserlisse gab ihnen ein Weiden-
rutel in die Hand und sagte: „Wenn iln- dass ihr mit dem Rutel hinter
den Kühen auf die Erde schlagt, dann seid ihr gleich dort, wo ich zuerst
bei euch war. Hernach treibt ein, hebt aber das Zweigel gut auf, dass es
nicht verdorrt. Tlmt es ins Wasser, denn wenn es dürre wird, werden
auch die Kühe wieder dürre. Wollt ihr aber wieder zu mir kommen, so
schlagt mit der Rute dort in den Teich, wo ich rein geschlagen habe, dann
seid ihr gleich bei mir. Aber grün muss sie sein, sonst ist sie nichts nütze.
1) Ich kenne das Kinderspiel ans Eeichenbach in Schi. — J. A. E. Köhler, Volks-
hrauch im Voigtlaude, S. 184 beschreibt aus Reichenbach im Voigtlande ein verwandtes
Spiel: Nix in der Grube. Vgl. auch Erk-Böhme, Liederhort III, Nc 1891. 1893.
132 Weinhold:
Das zweite Mal gelit es aber nicht so wie lioute. Dann kostet's eiu Stückel
von eurem Leibe. Freilicli tliut's nicht weh. uml ilir kriegt schöne Dukaten
dafür. Xu wir werden ja sehn, und nu geht in Gotts Xameii!"
Hat der Bauer die Augen aufgerissen, da sie mit dem glatten, fetten
Yieh heimkamen! Er peinigte sie bis aufs Blut, und da mussten sie alles
erzählen. Die Mädel steckten nun das Zweigel in ein Töppel mit Wasser,
aber der Bauer uahms in der Nacht heraus und legte es auf den Ofen,
dass es am Morgen ganz verdorrt war, und da waren auch die Kühe wieder
dürre, dass man alle Rippen sah. Da flennten die Mädel, und der Bauer
fluchte und befahl ihnen, dass sie wieder zum Teiche trieben. Nu half
eben keine Widerrede, und da sie dorthin kamen, mussten sie wieder die
gute Wasserlisse rufen. Die kam auch, und es ging zuerst alles wieder
wie gestern. Aber da sie heim wollten, sagte die Lisse: ,,Halt! heute gehts
nicht so leicht fort. Jede von euch muss eiu Glied vom kleinen Finger
hergeben, oder ihr müsst Lissjungfern werden wie die hier, die euch be-
dient haben. Das sind alles Hütemädel gewesen, wie ihr seid." Da
sagten die Kinder: „Nee! Lissjungfern mögen wir nicht sein, lieber wollen
wir eiu Fingerglied weniger haben", und da schnitt ihnen die Wasserlisse
mit einer Scheere ein Glied ab, aber es that garnicht weh und heilte auch
gleich, und der Nagel war auch wieder drauf. Aus jedem Blutstropfen
war ein neuer Dukaten geworden und die durften sie alle mitnehmen, „So
lange die Dukaten alle beisammen bleiben, sagte die Wasserjungfer, könnt
ihr das Fingerglied wieder Imegen, wenn ihr sie auf einmal ins Fluss-
wasser schmeisst. Aber dass keiner fehlt, und die gleichen müssen es
sein, die ihr von mir gekriegt habt. Sonst fängt der Finger zu bluten an
und blutet immerfort, und aus jedem Blutstropfen wird ein ganzer Zuber
Wasser und das fängt zu wirbeln an und reisst alles weg. Tergesst das
nicht, was ich euch jetzt gesagt habe und nun zieht ab in Gotts Namen."
Das Ding war gut. Sie kamen mit den sattgefressen Kühen heim
zu ihrem Bauer, und der nahm ihnen gleich die Dukaten weg, und den
anderen Tag jagte er sie wieder zum Lissteiche, und da gings eben wie
den Tag zuvor, und die Lisse schnitt ihnen das zweite Fingerglied ab, und
so kam es Tag für Tag. bis die armen Dinger nur noch den Daumen und
den Spiessfinger an jeder Hand und nur noch die grosse Zehe und die zweite
an jedem Fusse hatten. Der Bauer aber kriegte sein ganzes Beikästel in
der Lade von Dukaten gepropft voll und wm"de immer gieriger auf die
gelben Gröschel. An. einem Morgen prügelte er die Hütemädel selber zum
Lissteiche, sie sollten sich nun die Ohren stückweise abschneiden lassen,
er aber wollte selber einmal die Wasserjungfer sehen. In ihrer Angst
schrieen da die Hütemädel: „Wasserlisse zieh uns neu" Die kam auch,
und wie der Bauer sie genug augegäult hatte, wollte er heimgehen. Aber
er konnte nicht von der Stelle, und dann riss es ihn mit Gewalt ins
Wasser uunter, immer hinter der Lisse her. Die hat ihn zuerst tüchtig
Beitrag zur Nixenkunele auf Grund schlesischer Sagen. 133
ausgemacht wegen seiner Unbarmherzigkeit und seines Geizes und gesagt:
„Eigentlich müsste ich dir das (Tenicke brechen, aber ob dus auch nicht
verdienst, ich will barmherzig sein. Strafe musst du aber kriegen und
deine Finger und Zehen musst du hergeben, denn die Hütemädel müssen
ihre wieder haben und da machen wir sie von Bauers seinen." Da kamen
die Lissjuugfern und schnitten dem Kerle von jeder Hand drei Finger und
von jedem Fusse drei Zehen mit der Scheere runter und machten daraus
den zwei Kindern ihre Hände und Füsse wieder ganz und heil. Aus den
Blutstropfen kamen aber keine Dukaten, sondern bloss Tantusse (Rechen-
pfennige) und schmerzen thateu ihm die Sturzel auch tüchtig. Dann jagte
die Wasserjungfer ihn fort, aber die Mädel behielt sie vor der Hand bei sich.
Da der Bauer nun heimkam, merkte er bald, dass er sich zu allererst
ein paar Finger wieder verschaffen müsste, denn die brauchte er zu not-
wendig. Deswegen nahm er, obs ihm auch sauer ankam, ein paar von
den Dukaten aus dem Beikästel, ging zur Bach und schmiss sie nein, wie
ihm die Hütemädel gesagt hatten. Weil er aber nicht die rechte Zahl
genommen, so fingen seine Finger von neuem zu bluten an, und da wurde
aus jedem Tropfen Blut Wasser, ach so viel Wasser, einen ganzen Zuber
voll, und das Wasser lief durch die Stube zu Thür und Fenstern hinaus,
und es drehte sich im Rade als obs kochte, die Finger aber bluteten immer
weiter und das Wasser wuchs immer höher, dass alle Sachen, Tische und
Stühle und Bänke driun rumscliwammen und den Bauer ganz einmauerten.
Da schrie der Kerl unsern Herrgott wohl um Hilfe an , doch der kam
nicht, aber die grosse Säge kam angeschwommen und schnitt ihm in den
Leib, und zuletzt sägte sie den Bauer mitten entzwei.
Nu, da war er tot. Dann verlief sich das Wasser, aber mit dem
Wasser schwammen die Dukaten aus der Lade weg und zurück zu der
Wasserlisse. Die aber schenkte sie den beiden Kindern und hiess sie
damit zu ihrer Mutter gehen. Die hat sich wohl tüchtig gefreut, und dann
sind die drei beisammen geblieben und ihre Lebtage glücklich gewesen,
und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
Diese schlesische Sage enthält sehr wichtige Beiträge zur Nixenkunde.
Wir erfahren:
Mädchen, die von den Wasserfrauen ins Wasser gezogen sind, werden
in Nixen verwandelt und müssen Nixen bleiben, wenn sie sich nicht durch
ein Glied ihres Leibes lösen.
Die Nixe giebt für Blut und Fleisch Gold, sucht aber dasselbe wieder
zu gewinnen Berühi-t Wasser das Gold, so kehrt dieses zur Nixe zurück.
Diese hier gewonnenen Sätze entsprechen dem Charakter der elbischen
Geister, im besonderen der Wasserelben. Sie sind meines Wissens noch
aus keinen deutschen Sagen geschöpft worden.
134 Friedel:
Anfänge der Welje-Kunst.
Vortrag im Verein für Volkskunde gehalten am 28. April 1894.
Von Ernst Friedel.
(Mit Tafel II. III.)
Nicht von dem Anfange der Spinn- und AVebekunst will ich sprechen,
sondern nur von Anfängen derselben, denn der eigentliche Anfang ist in
völliges Dunkel gehüllt und wird es bleiben, wie der Anfang der Schiffahrt,
des Ackerbaues und so vieler anderer Kulturübuugen unseres Menschen-
geschlechtes.
Es scheint das denjenigen verwunderlich, welche sehen und darauf
hinweisen, wie manches der Textilkunst ähnliche sogar in mehrfachen
Zweigen, innerhalb der Tierwelt ausgeübt wird und welche deshalb
meinen, dass die letztere hierin die Lehrmeisterin des Menschen schon vou
dessen frühestem Auftreten ab gewesen sein müsse.
In erster Linie wird allemal hier das Geschlecht der echten Webe-
spinnen (Arane'ida), der Rad-. Nest-, Sack- und Röhren -Spinnen als
Lehrmeister des Menschengeschlechts ins Feld geführt. Mau sollte diese
Tiere beiläufig vielmehr „Weben" als „Spinnen" nennen, denn das Weben
ist das Kunstvollere und setzt das Spinnen voraus.
Allein bei näherer Überlegung zeigt sich leicht, dass der rrmensch
von der Kunstfertigkeit der so viel gefürchteten und gehassteu, andererseits
auch wieder so interessanten und bewunderten Spinnen sich für lange,
lange Zeitläufte uichts anzueignen imstande war. Denn die Spinne erzeugt
zunächst aus ihrem eigenen Leibe, aus dem Drüsensystem, einen kunst-
vollen Faden und bringt diesen wiederum mit ihr angeborenen Werkzeugen,
welche den Webestuhl darstellen, in ein nicht leicht übersichtliches, viel-
mehr recht verwickeltes System von Kreuz- und Querlinien, die sich
allmählich zu einem Gewebe verdichten. Der Mensch besass an natürlichen
Fäden nur seine Haare und es hat sicherlich eine gar lange Zeitdauer
erfordert, bevor er auf die Idee gekommen sein mag. an seinem Körper
selbst, wie es bei den civilisierten Yölkern die Franen, bei manchen halb-
oder uncivilisirten Völkern auch die Männer thun^), die Haare zum Zweck
des Schmuckes und der Verschönerung zu verflechten. Abgeschnitten .iber
bilden die menschlichen Haare nicht Masse genug, um zu grösseren
1) Das Einflechten der Haare seitens der Männer fand und findet zum Teil noch
bei den südflnnischen und südslavischen Völkern statt, bei ugrisch-tatarisehen Magyaren,
bei den slavischen Bosniaken, Kroafeu u. s. f. Bei den nach ungarischer, bezw. bosniakischer
Art errichteten Eeitervölkern Friedrichs des Grossen wurde das Flechten des Vorderzopfes
sogar von den deutschen Offizieren nachgeahmt.
Anfänge der Webekunst. 135
Kleidungsstücken, Säcken, Matten und dergleichen verarbeitet werden zu
können.
Ähnlich verhält es sich mit vielen Kerftieren, z.B. dem Seiden-
spinner (Bombyx mori), dessen Eaupe der Spinnstoff aus zwei Offnungen
der Unterlippe quillt; der Seidenfaden kann bis 600 m Länge erreichen,
wird kunstvoll hin- und hergezogen und verklebt, bis er den beutelartigen,
die Puppe umschliessenden Cocon bildet
A'iel eher demjenigen, welches wir heut unter Flechten, Weben und
dergleichen verstehen, nähert sich die fast handwerksmässig zu nennende
Thätigkeit von verschiedenen höher organisierten Wirbeltieren. Namentlich
unter den Säugetieren und Vögeln giebt es vollendete Künstler.
Unser Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) polstert in hohlen Baum-
stämmen ein Nest mit einer filzartigen Masse aus imd flickt sogar im Be-
darfsfalle die Lücken mit weichem, biegsamem Material aus.
Die Zwergmaus (Mus minutus) wird von Alfred Brehm eine Künstlerin
genannt, wie es wenige giebt unter den Säugetieren, eine Künstlerin,
welche mit den begabtesten Textil-Vögeln zu wetteifern versucht. Die
äussere Umhüllung des zierlichen Nestbaues besteht aus den von dem
Tierchen mit unendlicher Sorgfalt und Ueberlegung gänzlich zerschlitzten
Blättern des Rohrs oder Riedgrases, deren Stengel die Grundlage des
ganzen gäuseeiförmigen Baues bilden. Die Zwergmaus nimmt jedes
Blättcheu mit den Zähnen in das Maul und zieht es mehrere Male zwischen
den -nadelscharfen Spitzen durch, bis jedes Blatt sechs-, acht- oder zehnfach
geteilt, gleichsam in mehrere gesonderte Fäden getrennt worden ist; dann
wird alles ausserordentlich sorgfältig durcheinander geschlungen, verwebt
und geflochten. Das Innere wird weich ausgefüttert und geglättet. Die
einzelnen Bestandteile sind so dicht miteinander verfilzt und verwebt, dass
das Nest einen wirklich festen Halt bekommt. Wenn man die viel weniger
brauchbaren Werkzeuge dieser Mäuse mit dem geschickten Schnabel der
Künstlervögel vergleicht, wird man, wie Brehm meint, jenen Bau nicht
ohne Verwunderung betrachten und die Arbeit der Zwergmaus über die
Baukunst manches Vogels stellen. Die Zwergmaus verfertigt Fäden (spinnt),
flicht, filzt und webt.
Unter den Vögeln denkt man bei der Textil-Branche zunächst immer
au die namentlich im Süden hausenden Webervögel, für deren kunstgerechte
Thätigkeit gewöhnlich als Zugführer der Ploceus textor aufgerufen wird.
Die Nester dieser Künstler können u. a. in dem von Dr. Otto Hermes
geleiteten Berliner Aquarium in Menge an Baumzweigen hängend beob-
achtet werden. Beim Aufbau des Nestes wird zuerst aus langen Gras-
halmen ein Gerippe gefertigt und an den äussersten Spitzen von langen,
biegsamen Zweigen befestigt. Man erkennt in ihm die Gestalt des Nestes
bereits deutlich; doch ist es noch überall durchsichtig. Nun wird es ver-
dichtet. Die ersten Halme werden von oben nach unten gezogen, die
B
236 Friedet:
später verwandten quer durchgestickt. Gauz zuletzt wird das Innere mit
einer Unterlage von äusserst feinen Grashalmen vom Männchen, das über-
haupt der Künstler ist. ausgefüttert. Das Weibchen schlüpft kurz vor dem
Legen hinein und bessert lediglich kleine rnvollkommenheiten aus. Der
Webervogel flicht und filzt.')
Wir brauchen aber nicht bis nach Afrika zu gehen, um bewährte
Textil-Künstler in der Vogelwelt zu finden. Unsere Beutelmeise (Parus
pendulinus) verarbeitet zum Nestbau namentlich Schafwolle, aber auch
Ziegen- und Hundehaare zu einem so gleichmässigen und haltbaren Filz-
gewebe, dass die aufgeschlitzten Nester von polnischen und russischen
Bauern ihren Kindern bei der "Winterkälte als wärmende Fausthandschuhe
o-«o-eben werden.^") Die Beutelmeise konnte im Weben, Wirken und
Sti-icken dem Menschen zum Yorbild dienen.
Wann aber hat der Homo sapiens dies Vorbild benutzt? Sicherlich erst
in, kultiu-geschichtlich und vorgeschichtlich gesprochen, sehr später Zeit.
Auffallend ist es auch, dass die hochbegabtesten Säugetiere, die Vier-
händer. die uns am nächsten stehenden menschenähnlichen Affen, als der
Gorilla, der Schimpanse, der Tschego, der Orang-Utan und die Gibbons
von der Kunst des Spinnens, Flechtens, Wirkens. Strickens und Webens
durchaus nichts verstehen. Freilich sind sie durch ein haariges Fell vor
Nachtkälte und Eegen einigermassen geschützt und bedürfen wegen des
tropischen Klimas ihrer Heimat besonders künstlicher Erwärmungsmittel
nicht.
Das mag auch der Grund sein, weshalb die Anfänge der Textil-Kunst
beim Menschen erst so ausserordentlich spät bemerkbar werden. Ist der
Urmensch der Tertiärzeit oder welcher geologischen Formation er seine
allerfrühste Entstehung verdanken mag, in warmen Kliraaten entstanden.
war er, wie Sir Charles Darwin vermutet, stark behaart, so konnte er der
Webekunst noch lange entraten.')
1) Eine südafrikanische Art der Webeivögel lässt sich an den kunstvollen Nest-
Geflechten nicht genügen, sondern verfertigt ausserdem noch über mehrere derselben ein
gemeinsames, wie eine Matte geflochtenes Schutzdach, um Eegen und Sonnenbrand ab-
zuhalten.
2) Vgl. u. a. hierzu Friderich, Naturgeschichte der deutschen Zimmer-,
Haus- und Jagdviigel. III. Aufl., 1876, S. 153.
3) Die viel berufene, \ie\ gepriesene, aber auch -viel angegriffene Stelle bei Darwin,
The Descent of Man, I, 1871, S. 206 lautet: The early progenitors of man were no
doubt once covered with hair, both sexes haräg beards: their ears were pointed and ca-
pable of movement: and their bodies were provided with a tail. having the proper muscles.
So behaart stellte Gabriel Mas den Urmenschen, Mann, Weib und Jüngling, auf dem
berühmten Bilde dar, welches er dem Antliropologen Prof. Haeckel in Jena zum Jubiläum
im Jahre 1894 verehrte. — Auch Geikie, Prehistoric Enrope, a geological sketeh,
1881, S. 545 ff. nimmt für das Erscheinen des Menschen in Europa mindestens die wärmere,
auf das Miocän folgende Pliocänepoche an, wo der Mensch, zumal falls er behaart war,
der Kleidung noch entraten mochte.
Anfänge der Webekunst. 137
Unter unserer ältesten — altsteinzeitlichen — europäischen Bevölkerung
sind zwei geologische Altersklassen zu unterscheiden, und als die älteste
Menschenwelt gilt diejenige, welche vor der ersten Vergletscherung sich
vom Süden her bis nach Frankreich, aber nicht bis nacli England hinein
bewogte. Wie wir von den körperlichen Verhältnissen dieser (Teschöpfe
fast nichts wissen, so kennen wir ausser ihren eigentümlich geformten
Steingeräten von ihren wirtscliaftlichen Verhältnissen ebenfalls nahezu nichts,
wissen auch nicht, ob sie etwa bereits das Zusammenstiicken von Fellen,
das Vorstadium aller Webekunst verstanden. Wo diese Menschheit ge-
blieben ist, scheint bis jetzt ebensowenig bekannt. Diese Bevölkerung
mag durch die erste Vereisung, die gewaltigste von allen unseren Eis-
perioden, verdrängt worden sein.^) In den Zwischeneiszeiten finden wir
jedoch eine insbesonders, aber nicht ausschliesslich, durch Höhlpufunde
festgestellte Bevölkerung, welche jener erstgenannten sich bereits durch
die Anfertigung von Töpferware, die Kunst, Menschen, Tiere und Pflanzen
bildnerisch wiederzugeben und u. a. auch ferner durch rohe Knochen-
nadeln überlegen erweist. In den erwähnten Darstellungen der Höhlen-
menschen wird der Mensch stets unbekleidet gezeichnet, und so mag er in
der wärmeren Jahreszeit einher gegangen sein. Aber die zum Teil durch-
bohrten Nadeln beweisen doch, dass er bereits die Felle des von ihm
erlegten Wildes (Haustiere gab es noch nicht) mit Tier - Sehnen oder
Pflanzen-Fasern aneinander zu heften verstand, also die, wie erwähnt,
elementarste Form der Textil-Industrie schon ausübte.
Daneben wird diese primitive Rasse in ähnlicher Weise auch bereits
Rinde, Bast und Mark geeigneter Pflanzen, zähe Pilze u. dgl. zu grösseren
Stück'en ausgeschlagen und zusammengenäht haben. Dieser Ersatz des
Gewebes durch ausgeschlagene Pflanzenfaser war auf mjinchen Inseln des
stillen Oceans von jeher üblich, wo man dagegen die Webekuust nicht
angetroffen hat. Ein ebenfalls uralter, wahrscheinlich aus der paläolithischen
Zeit stammender Ersatz für Gespinnst und Gewebe wird dadurch gewonnen,
dass man getrocknete Pflanzenbündel, Faserpäckchen, die nicht zu wirk-
lichen Fäden gedreht sind, nebeneinanderlegt und durch Fäden oder Bast-
streifen zusammenbindet. Diese ziemlich rohe Übung findet sich noch jetzt
bei den Maoris auf Neu-Seeland und bei Indiauerstämmen des nordwest-
lichen Amerikas. Bei uns hat sich diese primitive Vorläuferform des
Gewebes noch bei der Anlegung einer dadurch bestimmt gekennzeichneten
Art von Strohdächern, z. B. in der Lausitz, ferner beim Reisbesenbinden,
namentlich bei den aus grünen Stengelpäckchen des Ginsters hergestellten
sogenannten Pfingstbesen erhalten, die man in der erwähnten Festzeit auf
unseren Märkten feilbietet. Ausserdem finden wir diese Päckchenflechterei
bei Matten und Flaschenfuttern für feine Weine und Liköre noch immer
1) Vgl. Geikie a. a. 0. '
Zeitsohr. d. Vereins f. Volksliimde. 1895. 10
138
Friedel:
vertri'teii. Wie langsam es mit der Herstellung des gesponnenen Fadens,
ohne den doch eine eigentliche Weherei nicht recht denkbar ist, vorwärts
o-eht, kann man daraus ersehen, dass in Asien. Afrika, Nord- und Süd-
Amerika sich Stämme finden, welche ihren Zwirn oder Faden nicht besser
herzustellen verstehen, als din-ch Drehen der Fasern auf dem Schenkel
mit der hohlen Hand. Sonderbarerweise findet man in der Nachbarschaft
von dergleichen Hordeu mitunter Stämme, welche die Spindel handhaben
und sehr zweckmässig Garn damit zu verfertigen wissen.
Damit sind wir an den Schluss der paläolithischen Zeit (Altsteinzeit),
geologisch gesprochen, an Jas Ende des Diluviums gekommen.
Getrennt ist diese Altsteinzeit in den meisten Teilen Europas ohne
Übergänge von der Jungsteinzeit oder dem Altalluvium. Die wenigen,
angeblich vermittelnden Übergänge, welche zwischen den zwei gi-ossen
letzten Erdepochen und Kultur ab schnitten der Menschheit liegen, seien
hier übergangen, ebenso die problematischen Antworten auf die Frage, wo
die kunstfertig schnitzende und zeichnende Rentierhöhleu -Bevölkerung
geblieben sein mag.
Es genüge, um den Unterschied zu charakterisieren, dass die vom
Altalluviimi ab in Europa wohnende Bevölkerung, von der wir in der
weit überwiegenden Mehrzahl uns persönlich abzuleiten habeu, zwar die
eigenartige plastische Zeichenkunst ihrer Vorgänger nicht besass, dass sie
dafür aber, neben den Anfängen der "Vieh- und Landwirtschaft, eine bereits
kunstvoll und kompliziert ausgestattete Spinnerei und Weberei aufweisen
konnte.
Wie und wo zuerst diese verfeinerten Textilkünste entstanden sind,
wissen wir nicht; plötzlich entstanden können sie, nach alledem, Was wir
von der überaus trägen Kulturentwickelung des Menschengeschlechts gelernt
habeu, nicht sein. Es müssen darüber viele Jahrtausende vergangen sein,
wenn man erwägt, wie alt die kunstgerechte Webekunst bei vielen halb-
civilisierten amerikanischen Yölkern, z. B. .den Alt-Peruanern ist, und
wie eine hochentwickelte Kunstweberei bei den Ägyptern, Assyrern,
Indern und Chinesen bereits Jahrtausende vor Christi Geburt nach-
gewiesen werden kann.')
1) N. Joly, Der Mensch vor der Zeit der Metalle, 1880, kennt aus der alt-
steinzeitlichen Epoche keine Spinn- oder Webegeräte, aus den Höhlenwohnungen der fran-
zösischen Pyrenäen einen Wirtelsteiu und eine Spindel von Hirschhorn, S. liiS. Die letztere
entstammt zwar einer Höhle, soll aber jungsteinzeitlich sein. In den jungsteinzeitlichen
Pfahlbauten der Schweiz und Süddeutschlands existierte bereits das Weberschiü'chen, die
Spulile der Spinnerei, der zur Erleichterung der Umdrehung bestimmte Wirtel, ja sogar
der Webestuhl mit seinen Zettelstreifen zum Spannen des Fadens und Gewebes (S. 303).
Der verwendete Flachs war aber nicht unsere Spezies Linum usitatissimuni , sondern die
mediterrane Spezies I;. angustifolium. — Hanf kannte der protohelvetische Pfahlbauten-
Bewohner nicht. — S. 297 Weberläufer und Spinnwirtel von rotem Sandstein aus dem
Zeitalter des polierten Steines.
Anfänge der Webekunst. 139
Was will es gegen diese Zeitberechuungen bedeuten, wenn wir 900 bis
1000 V. Chr. Homer über die Spinn- nnd Webekunst singen und sagen
hören? Der Göttin Artemis wird in der Ilias als Attribut die goldene
Spindel beigelegt; die Göttin der Jagd kann so als Schutzgeist der Spinnerei,
wie die hehre Göttin der Weisheit Pallas Athene als Schutzgeist der
Weberei und wie im Mittelalter die heilige Athanasia als Schutzpatronin
der Weber, bezeichnet werden. Der Andromache, die am Webestuhl
kunstvoll wirkt, entsinkt das Webescliifflein, als sie den Tod des Hektor
erfährt, und was Odysseus treue Gattin als Wirkerin geleistet, wie sie das
bei Tage Geschaffene nachts wieder auftrennt, um die lästige Vermählung
mit den frech andringenden Freiern hinauszuschieben, ist als eine Heroi-
sierung der edlen Webekunst Gemeingut in der Volksvorstellung aller
civilisierten Nationen geworden. ^)
Mit einem angelegentlichen, leidenschaftlichen Eifer liegt das weibliche
Geschlecht dem Spinnen und Weben ob, wie das aus der Sage der von
Athene in eine Spinne verwandelten Arachne hervorgeht. Die Überliefe-
rung hiervon ist nicht bloss deshalb, sondern auch wegen der technischen
Schilderung der hohen Vollendung der Webekunst bereits im sagenhaften
heroischen Zeitalter lehrreich. Es sei mir daher vergönnt, aus dem VI. Buch
der Verwandlungen des Ovid wenigstens einige der einschläglichen Verse
zu eitleren:
„Solchen Erzählungen hatte das Ohr Tritonis geliehen
Und nun lenkt sie den Sinn auf das Loos der Mäonschen Arachne,
Die ihr, wie sie gehört, in der wollebereiteuden Kunst nicht
M. E. Dupont, L'hnmme pcndant les Äges de la Pierre en Belgique 1873,
spriclit sich für lediglicli aus Fellen zusammengestücktc Kleidung in der Altsteinzeit aus,
Nadeln waren bekannt S. 148 u. 152.
Sir John Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit, 1874, Bd. I führt S. 18G jung-
steinzeitliehe Spinnwirtel aus der Schweiz, S. 187 Zeug aus Flachsfaser oder Stj-oh von
Robeiihausen bei Zürich an.
Fr. Troyon, Habitatious lacustres, 1860 erzählt S. 265 bei den jungsteiuzeit-
licheii Ausgrabungen von Robeuhausen u. a. auch von Hanf: dies beruht auf der damaligen
ungenügenden Erkenntnis der botanischen Funde und ist ebenso unrichtig, wie wenn Joly
a. a. 0. S. 144 von Linum usitatissimum in den Pfahlbauten von Robenhansen und Wangen,
statt von L. angustifolium spricht.
Ed. B. Tylor, Forschungen über die Urgeschichte der Menschheit und
die Entwickelung der Civilisation, 1870, S. 228: Die Webekunst war in den meisten
der von Asien abgelegenen Inseln unbekannt. — S. 229: Die einfachste Art eines Webe-
stuhls hat sich im indischen Archipel gefunden. — S. 241: Die Spindel kommt in Asien,
Afrika, Nord- und Süd- Amerika unter Völkern vor, deren rohere Nachbarn ihren besten
Zwirn oder Faden nicht besser zu verfertigen verstanden, als durch Drehen mit der Hand
auf dem Schenkel. In Neuseeland und unter den Indianern von Nordwest-Amerika kommt
es vor, dass Faserbündel, die nicht zu wirklichen Fäden gedreht sind, nebeneinander gelegt
und durch Querbiuden oder Bänder zusammengebunden werden Dergleichen findet sich
bereits in den jungsteinzeitlichen Pfahlbauten, z. B. von Wangen.
1) Ilias, XXII, 440. 448. — Artemis, die Göttin mit der goldenen Spindel XVI, 184.
10*
140 Fiiedel:
Nachstehn wollt' an llulim. Nicht durch Stand und Geschlecht war sie ruhm-
reich,
Sondern durch Kunst. Ihr Vater, der Kolophonier Idmon,
Taucht" einsaugende WolF in die Purpurmuschel Phocäas;
Anzuschauen ihr Werk, das bewundernswerthe, verliessen
Oft des Tymolus Gebirg mit Weinpflanzungen die Nymphen,
Von des Paktolus Fluth auch nahten die Nymphen nicht selten:
Und es ergötzte nicht nur, die gefertigten Zeuge zu schauen.
Nein, auch wie sie entstehn; so gross bei der Kunst ist die Anmuth.
Ob sie die rohere Wolle zuerst aufwickelt' in Ballen,
Ob mit den Fingern den Stoff ausschlichtete, oder mit langem
Zuge hinwiederum zupfte das Vliess leichtflockig wie Wolken,
Oder mit hurtigem Daumen die rundliche Spindel herumschlang.
Ob mit der Nadel sie stickte: man sah, dass Pallas sie lehrte.
Doch diess leugnet sie ab, und der trefflichen Lehrerin abhold.
Spricht sie: sie kämpfe mit mir! Nichts ist, was besiegt ich vcrweig're.^
Nun beginnt der Wettkampf mit der als altes Mütterchen unkenntlich
verkappten Athene:
„Sonder Verzug nun stellen sich beid' an verschiedene Orte,
Und mit zartem Gewebe bespannt jedwede den Webstuhl.
Fest ist der Zettel am Baum; der Rohrkamm sondert die Päden;
Mitten geschossen hindurch wird mit spitzigem Schiffchen der Einschlag,
Den abwickelt die Hand, und zwischen die Fäden gezogen.
Dann mit gestossenem Kamm einschlagen gekerbete Zähne."
Bei der nun beginnenden, au die künstlichsten Gobelin-Darstellungen
erinnernden Gebildweberei zeichnet die Arachne sich der Art aus, dass die
Göttin in Neid und Zorn das Teppichgewirk zerreisst und mit einem
i,g;ytorisclien Webschiff der Künstlerin ins Gesicht schlägt. Tief gekränkt
will dlÄ^® ^^^^^ aufhängen, da verwandelt die Gottheit sie mit einer halben
Anwandlun<^%^oii Mitleid iu eine Spinne.
Auch von 461' Spinnerei als Hausindustrie erfahren wir bereits in
der Ilias XU, 433 ff-:
Gleich wie die Wage steht, wenn ein Weib, lohnspinnend und redlich
Abwägt Woir und Gewicht und die Schalen beid' in gerader
Schwebuu"- hält, für die Kinder den ärmlichen Lohn zu gewinnen."
Solchero'estalt ist das S|dnnen und Weben für das gesamte weibliehe
Geschlecht gewissermassen typisch und symbolisch geworden, wie die
kriegerische Beschäftigung für ken Mann. Nichts kann dessen Erniedrigung
mehr kennzeichnen, als wenn, er mit den Attributen jener weiblichen
Künste iu Beziehung gebracht ^ird. Dies drückt die hellenisch-asiatische
Sage aus, wenn sie die Omphak Tochter des lydischen Königs Jordanes
und Gemahlin des Tmolos, dei Herakles die Keule und Löwenhaut ab-
nimmt imd ihn mit Spindel unoWocken ausrüstet. Um ein Beispiel aus
)
Anfänge der Webekunst. 141
der deutschen Geschichte anzuführeu, so wurde der Sohn Herzog Bogislav X.
von Pommern, Prinz Barnim, der sich mit Drehen und Drechsehi be-
schäftigte, wohl mitunter mit der Bemerkung „doar kümmt uns spilklreher"
(da kommt unser Spillen- oder Spindeldreher) etwas abfällig begrüsst, weil
er als Fürst sich herbeiliesse, Weibergerät anzufertigen. Das altdeutsche
Recht teilt in dem Sinne die Verwandtschaft (Magschaft) in die männliche
Sippe, die Schwertmagen, bezw. in die weibliche Sippe der Spill-
mageu, und wenn ein Lehen ausnahmsweise der Spillmagschaft zufällt, so
ist es ein Kunkel-Lehen.
Fassen wir nunmehr die Technik der Textil-Industrie zusammen, so
scheint dieselbe chronologisch vier Stadien der Entwickelung durchlaufen
zu haben.
I. Das Verbinden grösserer mehr oder minder künstlich zu-
bereiteter Stücke von tierischer oder pflanzlicher Masse zu
Decken und Säcken, Vorhängen, Gewändern u. dgl. mittels
der Nadel.
II. Die Erfindung des Filzes.
ni. Die Erfindung des Flechtens. Endlieh
rV. Das Spinneu und Weben.
Zu I ist zu unterscheiden, ob die Volksstämme mehr von der Jagd
oder mehr von pflanzlicher Kost gelebt haben, darnach überwiegt jenachdem
das Zusammennähen imd Verschnüren von Fellen und Häuten oder die
entsprechende Verarbeitung von Baumrinde, Bast, Pflanzenmark und weichen
aber zähen pilzartigen Schwämmen.
In Afrika und Oceanien verstehen viele Naturvölker es, durch Klopfen
und Walzen Rinde, Bast und Pflanzeumark zu grossen Stücken auszudehnen,
die sicli zu Kleidungsstücken, Vorhängen, Decken u. dgl. mit Hilfe der
Schnür- oder Nähnadel verbinden und verarbeiten lassen. Die Nadeln
(Heft-, Schnür-, Pack-, Nähnadeln) gehen aber in Europa, wie schon an-
gedeutet, vermutlich bis in die interglaziäre, paläolithische Zeit zurück.
Dass bei unseren nordischen Völkern (Lappen, Finnen, Germanen,
Kelten) die Veruähung von Fellen und Pelzwerk uralt sei. ist jedermann
hinlänglich bekannt, weniger bekannt erscheint es, wie auch die Benutzung
der vorerwähnten Pflanzeustoffe eine recht allgemeine war luid teilweise
noch ist.
Pomponius Mola, ein Zeitgenosse des Kaisers Claudius, sagt in seiner
Schrift De chorograph. Ul, 3 von den Germanen: „die Männer hüllen sich
in kurze Mäntel oder in Baumbast". Es ist darunter der zähe Bast der
Linden und die geschmeidige Rinde der Birken zu verstehen.
Karl Weiuhold in seinem Altnordischen Leben (Berlin 1856)
erwähnt S. 301, 312, 317 der schweren Riudenkleider, welche die skandi-
navischen Recken trugen, mehrfach. Der noch jetzt im Nordland gefeierte
Örvar-Odd kam unbekannt, ganz in ein Rindeukleid gehüllt, an den Hof
142
Friedel:
Köiiio- Herrauds. Er uanute seinen Nanieu nicht und liiess deshalb bloss
der Eindenmann. Immerhin scheint schon damals die Bast- und Rinden-
Gewandung den Beigeschmack des altertümlichen und bäurischen geliabt
und mitunter zum Spott herausgefordert zu haben. Mit Birkenrinde um-
wickelten sich vornelunlich die Inlaudstämme die Schenkel und hiessen
davon „Birkibeiner". Noch die dalekarlische Landmiliz, auf welche
um 1520 sich Gustav Wasa, bei seiner Erhebung gegen Christian IV. und
die dänischen Zwingherrn stützen musste, wurde zum Hohn „Birkenbeiner"
genannt.
Noch jetzt hat sich unter manclion der VölkerschafteJi des europäischen
Rnsslands die Bast- und Rindenkleidung erhalten.
Besonders seltsam und uraltertümlich mutet die Verwendung von
Pilzen als Kleidungsstücken an. Ich lege einen siebenbürgischen Bauern-
hut, von den dortigeii deutschen Sachsen gefertigt, vor, den icli iui Jahre
1885 in Budapest auf der ungarischen National-Ausstellnng erworben habe
und welcher aus dem gebeizten und geklopften Gewebe des Feuer-
schwamms (auch echter Zunderschwamm, Polyporus fomentarius,
genannt) angefertigt, sehr leicht, elastisch und brauchbar ist. Noch vor
wenigen Jahrzehnten wurden aus demselben Pilze in den neumärkischen
Dörfern der Gegend um Küstrin Mützen, Handschuhe, ja ganze Westen,
die sammetartig weich gewesen sein sollen, zusammengenäht. Ob diese
nrsteinzeitliche Bekleidungsweise sicli noch bis jetzt in unserer Provinz
Brandenburg und sonst wo in Deutschland erhalten hat. vermag ich nicht
zu sagen. ^)
1) Geh. Eegienmgs-Rat Weinhold entsinnt sich aus semev Jugendzeit der an dem
schlesischen Gebirge mit ihrer au.s Polyporus ibmentarius gefertigten Ware herumziehenden,
im Volk sogenannten Schwammkappenmänner. Einen mit einer Sehwammkappe bekleideten
Mann sah ich im Juli 1894 im Vorarlberg bei Reutte. Apotheker 0. Fischer in Sagan
schreibt mir, dass er im Jahre 18S7 wahrend seines Aufenthaltes in Bad Landeck, Graf-
schaft Glatz, wiederholt bei Landleuten aus Dörfern unterhalb des Schneeberges und des
Puhu, wie Seitenberg, Kiessengrund, Schreckendorf, Mützen aus diesem Schwamm gesehen
habe. Ausserdem befasste sich der Wirt des Waldschlösschens bei Landeck mit dem
Verkaufe derartiger Kopfbedeckungen. Er bezog sie von einem „Schwammkapplamoan"
in Seitenberg. — Rektor Eisner zu Königshütte O.-Schl. teilt mir unterm 30. dcss. mit:
Im Sommer 1889 hielt ich mich als Tourist einige Tage in dem Kaltwasserkurort Gräfen-
berg bei Freiwaldau in Österr.-Schlesien auf. Im Vorllur des grossen Kiu-saales daselbst
traf icli einen Mann, welcher Mützen, Hüte, Pantoffeln und Schlafschuhe aus Zunder-
schwamm feilhielt. Er meinte auch, die genannten Kopfbedeckungen wirkten gegen Kopf-
schmerz. Im vorigen Sommer fand ich in dem Strassenwirtshaus „An der Gabel'' am
Pusse des Altvaters, in der Nähe der Stadt Wüi-benthal (Österr.-Schl.) ebenfalls ein ganzes
Warenlager solcher Gegenstände aus Zunderschwamm. — Herr Gustav Klein von hier
schreibt mir, dass ihm Mützen von Schwamm in verschiedenen Formen, die durch rotes
und grünes Band zusammengenäht sind, von herumziehenden Händlern in Österr.-Schlesien
zu Lindewiese und Gräfenberg angeboten, worden seien. — Da Knöpfe zur Bekleidung
häufig nötig sind, will ich noch eine mir von dem hiesigen Professor der Botanik, Dr. Paul
Magnus gewordene ^litteilung anfühi-en, dass man aus einer anderen Polypnrusart, aus
Polyporus annosns, in Österreich Knöpfe anfertigt.
Anfänge der NYebeknnst. 143
Zu n. Die Bereitung des Filzes, d.h. das Zusammenschlageu und
Verarbeiten von unregelmässig verschlungenen Fasern und Haaren bildet
bereits einen wichtigen Fortschritt in der Richtung auf die eigentliche
Textilübung, und hier mögen zuerst, \Yie schon angedeutet, verschiedene
Tiere, welche in der Bereitung des Filzes eine grosse Fertigkeit erlangt
haben, des Menschen Lehrmeister gewesen sein. Abgesehen von den
Hüten, bei denen der Filz wegen seiner geringen Durchlässigkeit sich stets
behaupten wird, ist derselbe allmählich durch die Verfeinerung der Schaf-
wolle und die schon früh erblühende Wollenweberei zurückgedrängt worden.
Er hat sich aber in den von bajuvarischen und schweizerischen Volks-
stämmen bewohnten Hochgebirgen, wo nur noch straff haarige Schafe und
Ziegen gedeihen, deren Haare sich zur Weberei weniger eignen, erhalten
und ist bekanntlich unter dem Namen „Loden" in demselben Masse als
der alpine Sport zugenommen, sogar von der Mode für salonfähig erklärt
worden.
Zu IH. Der eigentlichen Webekunst nähern wir uns nunmehr mit
dem Flechten, das zunächst ohne Gerät, nur mit den Fingern geübt wird.
Li einigen Teilen Deutschlands, z. B. im osthavelländischen Kreise und in
der Umgegend von Lübeck hat sich die Sitte mit je drei, also zusammen
sechs, Fingeru der beiden Hände Peitschenschnüre, Ketten, Plattschnüre,
Schlüssel- und Grift'elbänder u. s. w. aus zwei Fäden (meist aus zwei Strähnen
zusammengesetzten Fäden), gewöhnlich in bunten Mustern zu flechten oder
weben, wie Ihnen Beispiele zeigen mögen, bis heutigen Tags erhalten.
Hierhergehörige Proben, welche meine Tochter, Gesa Friedel, gefertigt,
lege ich hiermit vor. Komplizierter und dem Weben ähnlicher wird eine
andere Textilkunst von unseren Schulkindern vielfach ausgeübt. Man
benutzt dabei eine konzentrisch durchbohrte Scheibe aus Borke, Pappelholz
oder Flaschenkork mit vier oder fünf oben eingespinnten Stecknadeln oder
Dornen, au denen die Fäden befestigt werden. Mau strickt oder webt mit
den Fingern dm'ch die Öffnung der Scheibe bunte, innen hohle Schnüre,
in der Farbe abwechselnd, hintereinander bunt, zum Pferdespiel, zu Spring-
leiuen, Uhrketten u. dgl. Ich habe als Quartaner und Tertianer auf dem
hiesigen Friedrich- Werderschen Gymnasium iu langweiligen Schulstunden
selbst zum Zeitvertreib mit meinen Klassengenossen auf diese Weise gewebt.
Es geschieht dies noch jetzt iu vielen höhereu und niederen Schulen
Endlich sei erwähnt, dass ein anderer bei uns gemeiner Pilz, der Riesen-Bovist
oder -Püster (Lycoperdon gemmatiim, auch Wolfsrauch oder Kugelschwamm genannt),
der im geschlossenen Zustande so gross wie eine ansehnliche Kegelkugel wird, der Art,
dass ein einziges Exemplar für mehr als eine Person eine gesunde Mahlzeit abgiebt, in
seiner Herbstform sich zu einem aus einer derben, zähen, dabei sammetweiclieu bräunlichen
Becher ausbreitet, der nicht bloss als Zunder beim Feueranschlagen und zum Blutstilleu,
sondern auch als Käppchen von Kindern gebraucht wird. Es lassen sich von ihm auch
grössere Mützen zurechtnäheu. Paul Kummer, Kryptogamisthe Charakterbilder,
1878, S. 202.
144 Friedel:
Berlins und der Provinz Brandenburg, luid auch sonst, wie mir gesagt
ist, in manchen Teilen Deutschlands.
Zu IV. In das Spinnen greift jenes primitive Flechtweben bereits
insofern über, als es sich nur mit gleichmässigen Fäden bewirken lässt,
auf welche man bei der feineren Flechterei mit Gras, Schilf, Sti-oh allmählich
selbst gekommen sein wird. Bekanntlich verstehen ausser den hochkunst-
fertigen Japanesen verschiedene Völker so dicht und fein zu flechten, dass
sie wasserdichte Matten und selbst Gefässe zum Kochen und Wasserti-ansport
dadurch herzustellen vermögen. Ist das Spinnen als Anfertigung gleich-
mässiger Fäden km-z zu definieren, so die Weberei als die regelmässige
Verschlingung meistens rechtwinkelig sich kreuzender Fäden mittels
mechanischer Vorrichtung. Beim Webstuhl, der in primitivster Form mit
den Fingern und den bei den malayischen Stämmen affenartig beweglichen
Fusszehen betrieben, im indischen Archipelagus vorkommt, heissen die der
Länge lang laufenden Fäden, Kette, Zettel, Werfte oder Aufzug, die meist,
aber nicht immer, sich rechtwinkelig kreuzenden, der Breite nach laufenden
Fäden Einschlag, Eintrag oder Schluss. Beim Wirken vereinigen sich
die Fäden in verschiedenen Richtungen dergestalt, dass Maschen entstehen,
wie beim Spitzengrund und der Sti'umpfwirkerei. In der volksmässigen
blossen Handarbeit entspricht also dem Weben das Flechten und dem
Wirken das Stricken.
Was das Spinnen anlangt, so ist dessen Entwickelimg viele Jahrtausende
hindurch eine überaus langsame gewesen, denn das Spinnrad ist erst 153Ö
von dem Bildschnitzer Johann Jürges in Watenbüttel erfunden. Jür2;es
setzte an Stelle der damals noch durchaus überall verbreiteten Handspindel
die Flügelspindel oder Drossel, auf welcher die Spuhle sitzt und den von
der Drossel geführten Faden aufnimmt.
In den jungsteinzeitlichen Pfahlbauten der Schweiz, welche
einige tausend Jahre vor Christi Gebui't zurückreichen mögen, finden wir
schon die ganze Ausstattung der Spinnerei und Weberei und deren Er-
zeugnisse in einer bewundernswürdigen Ausbildung. Es existierte bereits
der Webstuhl mit seinem Webeschififehen. mit seinem Zettelstrecken zum
Ausstrecken des Gespinustes, selbsti-edend auch die Kimkel, die Spindel
und der zur Erleichterung des Padendrehens bestimmte SpLndelstein oder
Wirtel, den ich in Irland durch eine Kartoffelschnitte, in Neapel durch ein
Rübenstüek km-zer Hand und so urzeitlich wie möglich habe ersetzen
sehen. (Vgl. Aum. 1 auf S. 138.)
Wie verschiedenartig, bei aller sonstigen Gleichsinnigkeit der Knltur-
entwickelung, nahe verwandte Völker dennoch sich verhalten haben, beweist
das verwendete Material. In jenen m'alten Webereien der schweizerischeu
Steinzeit ist bereits der Flachs versponnen und zu ansprechend gemusterten
Köper- und Damast-Stoffen verai'beitet worden, aber nicht unser Flachs
Anfänge der Webekunst. 145
odei' Lein (liiiuni usitatissimum), sondern eine mediterranne Art, später
angeblich auch der vom Osten eingewanderte Häuf.
Dagegen scheint noch das Flachsgewebe bei den Germanen der
ersten römischen Kaiserzeit etwas Seltenes gewesen zu sein. Zwar wird
uns von Strabo (VII, c. 2) erzählt, dass die grauhaarigen Priosterinnen
der Cimbern weisse Gewänder (? von Wolle) und darüber Mäntel von
feinstem Flachs getragen hätten, allein dies war eine ganz besondere kost-
bare Auszeichnung, etwa vergleichbar den seidenen Messgewändern des
frühen Mittelalters, als selbst die vermögenderen Stände Sammet und Seide
wegen dessen übergrosser Kostbarkeit noch nicht zu tragen imstande waren.
Plinius (Naturg. 19, c. 1) schreibt: „In ganz Gallien webt man Linnen-
zeug; jetzt thuu es auch schon die Feinde (d. s. die Germanen) jenseits
des Rheins, und kein anderes, schöneres Gewand kennen ihre Weiber. —
In Germauion betreiben sie diese Arbeit unter der Erde nnd gleichsam
vergraben." — Das sind die Anfänge unserer von den Dichtern gefeierten,
leider auf dem Aussterbeetat stehenden Spinnstuben.
Dies berichtet Plinius der Ältere, der beim Ausbruch des Vesuvs,
70 n. Chr. ums Leben kam. Tacitus, der noch den Tod des Kaisers
Trajan im Jahre 117 überlebte, erzählt Germania 17 folgendes von unseren
Altvorderen :
„Als Körperbedeckung dient allen ein Mantel, durch eine Spange, oder,
wenn es daran fehlt, durch einen Dorn zusammengehalten. Im übrigen
unbekleidet, bringen sie ganze Tage am Heerde und am Feuer zu. Die
Reichsten tragen zum Uuterschiede einen Rock, der nicht, wie bei den
Öarmathen und Parthern, weit und bauschig ist, sondern eng anschliesst
und die einzelnen Gliedmassen gleichsam abformt. Auch Tierfelle tragen
sie: die, welche hart am Rhein wohnen, ohne Achtsamkeit, die weiter
entfernten mit mehr Auswahl, wie ihnen ja keine Kultur durch den Handel
zugeführt wird. Sie wählen sich die Tiere aus und besetzen die ab-
gezogenen Pelle mit anderen buntgefleckten von Tieren, die der äussere
Ocean und das unbekannte Meer hervorbringt.') In nichts unterscheidet
sich die Tracht der Weiber von der der Männer. Nur hüllen sich die
Weiber öfters in leinene Gewänder, welche sie bunt mit Purpur verbrämen
und verlängern nicht den oberen Teil des Gewandes zu Ärmeln: Arm und
Schulter bleiben nackt, aber auch noch der nächste Teil der Brust ist
sichtbar."
Also der Hausschatz unserer deutschen Frauen, das Linnenzeug, war
auch damals noch den Germanen eine Seltenheit. Die erwähnten an-
liegenden Gewänder werden wir uns daher aus Wolle gewebt denken
müssen, und in der That kommen schon in unseren Gegenden Webe-
1) üeinoint sind die Felle der Seehunde nnd Robbon, Plioca vitulina, und annu-
lata, sowie von Halichoerus grypus, der bis 8 Fuss langen grössten deutschen Robbe u. s. w.
Hß Pi-iedel: Anfänge der Webekunst.
gewichte zur Zeit der ostgermanischeu Gräberfelder, also etwa 500 vor
Christi vor.
Auf Island und auf der Zwischenstation dahin, den Faeröer, haben
sich neben vielen ursprünglichen Gebräuchen und Sitten, welche erst
kürzlich in unserer Zeitschrift (III, 155 f. 285 f.) eine anziehende Würdigung
vou V. U; Hammershaimb gefunden, auch primitive Webstühle erhalten,
von denen ich Ihnen die Abbildung eines im Nordischen Museum in
Kopenhagen aufbewahrten Exemplars vorzeige. Die Webegewichte bestehen
aus eingekerbten Steinen; statt des Webeschiffchens dient ein loses, aus
Walknochen gefertigtes Webeschwert') oder ein geschäfteter Walrosszahn,
wie ich Ihnen ein dergleichen, von der berühmten Vega-Expedition von
Nordenskjölds herrührendes Stück, welches mir 1882 in Carlskrona verehrt
wurde, vorlegen kann.
Von den Tväla'end des Vortrages vorgewiesenen zahh'cichen primitiven (ieräten und
Fabrikaten sind die nachfolgenden abgebildet worden.
1. Flecht- und Stricknadel (..Löser" in der Mark Brandenburg genannt!, aus Wild-
tierknochen, 20 an lang, mit durch den Gebrauch entstandenen Kerben, aus dem Sande
der Havel gebaggert bei Zehdenick, jungsteinzeitlich. MM. B. II, 18395.-)
2. Flachhohle Platte aus feinem Kalkstein, 11 cm lang, 4,5 cm breit; war mittels der
vier Löcher auf Leder befestigt und wurde durch Fäden vor die Pulsader des linken Arms
gebunden, um den gefähidichen Rückschlag der Bogensehne beim Abschiesseu unschädlich
zu machen. Seltenes Stück, wii-d bei jungsteinzeitlichen, unverbrannten Leichnamen ober-
halb der linken Handwm-zel der Gerippe gefun<len, stets nur dort und stets nur einzeln,
niemals paarweise. Kleptow, Kreis Prenzlau. MM. B. IL 9052.
3. Schnümadel aus Bein, 9 cm lang. Schönwerder, Kreis Prenzlau. Jungsteinzeitlich.
II, 9065.
4. Falzhein aus Elentierknochen. Sehr glatt, Sti-eicher beim Weben. .lungstein-
zeitlich. 17 cm lang. Schönwerder, Kreis Prenzlau. II, 90(i6.
5. Wirtelstein aus feinem Sandstein, 4,2 cm Durchmesser, scharf gerieft. Königsberg
in der Neumark. II, 10 005.
6. Wirtelstein, Scheibe aus Sandstein, 3,5 cm. Durchmesser. In Wai'uitz, Kr. Königs-
berg, N.-M., auf einer Burgwallstelle gefunden. Wendisch. II, 11515.
7. Verzierter hoher Spinnwirtel ans Thou, Burgwallstelle , wie vorher gefunden.
Wendisch. II, 11518.
8. Mit kleinen Näpfchen verzierter Spinnwirtel, scheibenförmig, aus Sandstein. Bui'g-
wallstelle Warnitz, wie vorher. Wendisch. II, 11 514.
9. Spinnwirtel aus Thon, Peripherie gezackt, 8 cm Durchmesser. Pfalilbau Möringen,
Schweiz. Keltisch. III, 591.
10. Webegewicht aus Thon, 5 cm hoch, unter dem verjüngten Ende quer durchbohrt.
Püritz, Kr. Sorau. Germanisch. II, 15 799.
11. Leinwandsäckchen, '■'/s d^r Grösse, wendisch, mit Münzen des 11. Jahrhunderts, in
einem Thongefäss mit sechs ähnlichen Beut eichen zusammen gefunden bei Sonnenwalde,
Kr. Luckau. II, 10053.
1) Worsaae, Nordiske Oldsager i det K. Museum i Kjöbenhavn. S. 159,
Figur 558.
2) MM. pp. bedeutet die Katalognummer, welche das Stück im Märkischen Provinzisl-
Museum der Stadt Berlin führt.
Renk: Volksrätsel aus Tirol. J4Y
__ 12. Glättknochen, wendisch, beim Weben gebraucht. Mittelfussbiochen vom Pferd.
Ahnliche Knochengeräte werden in den wendischen Bnrgwällcn des 11. u. 12. Jahrhunderts
nicht selten ausgegraben. Altmark. VI, 994.
13. Glatt- oder Gniddelstein aus grünem Glas, 7 cm Durchmesser, 3 cm hoch. Märkiscli.
Neuzeitlich. /Cum Glätten der Hausmacher-Leinwand. VI, 1000.
14. Kunkelstein aus feinem Kalkstein, 9 cm breit, b cm hoch, 450^ schwer. Mit
romanischen Verzierungen, seltenes frühcliristliches Gerät in dem wendischen Burgwall von
Wiek bei Gutzkow, Neu Vorpommern, ausgegraben 1. Hälfte dos 12. .Jalirhuiiderts MM
B. 11, 7901.
15. Kunkelstein aus gebranntem Thon, 9,5 c«( Dm-chmesser, Loch i cm laug, 2,2 c;»
Durchmesser. Neuendorf, Kr. Zauche-Belzig. IV, 1555.
16. Ledderings -Brett, zum Stricken der Netze für- den Fang des Bleis vBrachseu,
Brassen, Abramis brama). Bezeichnet I. C. S. 1731, von Oderberg in der Mark MM
VI, 4403, 15 cm hoch, 8 cm breit.
17. Netzstrickuadel aus Holz mit innerem Dorn, 27 cm lang, 2 cm breit, bezeichnet
X • VI. 1794. Oderberg in der Mark. VI, 1952.
18. Holzspindel, 36 cm lang, mit aufgewickeltem Flachs und aufgestecktem thönemem
Spinnwirtel MM. VI, 1210 Provinz Posen. Dgl. Spindeln und Spinnwirtel sind noch
üblich bei den Kassuben Hinterpommerns, sowie bei den Slaven Westpreussens und Ober-
schlesiens. In letzteren zwei Landesteilen werden sie noch gefertigt. Sie sind, um ein
Beispiel vom fernen Westen Europas beizubringen, a>ich noch üblich in den spanischen
und französischen Pyrenäen. Für die Dörfler der letzteren werden noch jetzt sehr zierliche
kleine Wirtelsteiue, glasiert und bunt verziert, aus hartem Steinzeug und grobem Porzellan
hergestellt. In der Sammlung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft, befinden sich
seit diesem Jahre Exemplare aus den französischen Pyrenäen.
19. Primitives Weliegerät eines Berliner Schulkindes von 1894. Diu-chbohrte Kork-
scheibe, fünf Stecknadeln zur Befestigung der Fäden, Anfang des rundlichen, eine Röhre
bildendeiv Geflechtes. MM. VI, 11 219.
20. Kammartiges Webebrett für Bandweberei, wie sie noch vielfach bei der Jugend
üblich. 18. Jahrhundert. Aus der Altmark stammend. 24 cm hoch, 15 cm breit. MM
VI, 11217.
21. Päckchen-Geflecht, rund, als Hülle für Flaschen. Zara in Dalmatien. Modern
MM VII, 200.
22. Hut aus einem einzigen, sehr grossen Schwammpilz, Polyporus fomentarius, gefertigt,
wiegt nur- 35 g. Siebenbürgische Bauernarbeit 1885. MM. VII, 199.
23. Webestuhl der Jungsteuizeit. Nach Funden in den Schweizer Pfahlbauten. Links
Figur 1, 2 und 3 zeigen die Vorljereitung zum Weben, bezw. die Fadenverschlingung.
Rechts Figur 6 auf dem Webstuhl hergestelltes, damastartiges Linnengewebe. 3 und 5
derbe Geflechte. Figur 4 Probe eines geknoteten Fischernetzes. Figur 2 Päckchen-
Flechtwerk. Figur 1 korbartiges Rutenflechtwerk. Nach W. Bär und Fi-, v. Hellwald, Der
vorgeschichtliche Mensch, der Webstuhl speciell nach den Angaben und Versuchen des
Bandfabrikant Paur in /ürich.
Volksrätsel aus Tirol.
Gesammelt von Antou Renk.
1. Es geht ein Händler über Land, der nimmt, was er nicht findet mit; was
er findet, Icässt er. ^ (Der Mensch uud die Läuse.)
Vintschgau, Oberinnthal.
148 Renk:
2. Es stehn zwei Latten ') aufrecht
Und obendrau a schöns Haus-')
Und obendrau a Pederkorb')
Und obendrau a Brotgromle *)
Und obendrau a WakP)
Und da gehn die Schafe'^) auf die Wcid. (Der Mensch.) Pendels.
3. Zwei Platten, zwei Säulen,
Ein Kasten, eine Mühl, 4. Variante:
Zwei Ringe'), zwei Lichter'*) Ein Kasten, ein Wald,
Und obendrau a Wald, Wo jung und alt drin ist.
Geht spazieren jung und alt. (Mensch.) Pitzthal.
(Der Mensch.) Pitzthal.
5. Bote: Der Herr schickt mich hieher.
Du wirst schon wissen wer.
Du sollst ihm schicken das,
Du wirst schon wissen, was!
Weib (in der Schwangerschaft):
Setz dich ein wenig nieder
Und sag dem Herren wieder:
Ich werd ihm schicken das.
Er wird schon wissen, was.
Wenn der Berg vergeht
Und es vor mir steht,
Werd ich ihm schicken das,
Er wird schon wissen was! (Das Rind ) Paznaun.
G. Es sind zwei Brüder zwischen*) einem Bühel, die sehen einander nie.
(Augen.) Pendels.
7. Ein Stall voll weisse Schnf. (Mund mit den Zähnen.) Pitzthal.
8. Timmerl, Tammerl, ö. Zehn ziehn,
Dunkles Kammerl Zehn schliefen
Und ein beinernes Gatterl vor. Durch"n Trantsclienberg auf.
(Mund.) Pitzthal. (lü Finger und 10 Zehen beim
Hosenanziehen.) Lechthal.
10. Was kommt juchzender auf die Welt? (Purz.) Oberinnthal.
11. Es geht etwas Totes durch den Wald
Und nimmt das Lebendige mit. (Der Kamm beim Kämmen.) Eben. '")
12. Was braucht der Mensch am notwendigsten,
Wenn er auf die Welt kommt? (Platz.) Eben.
13. Der Zweifuss
Hockt am Dreifuss,
Schlägt den Vierfuss
Mit dem Einfuss,
Dass er schreien rauss.
(Der Schuster, am Schusterstuhl sitzend, schlägt den Hund mit dem Stock.)
Pendels.
1) Beine. 2) Rumpf. 3) Bärtiges Kiun. 4) Brotschneidemaschine, mei.st ein an einer
Platte einseitig befestigtes Messer = der Mund. 5) Kopfhaar, (j) Läuse. 7) Augenhöhlen.
8) Zwei Liclitlein. 1») zwischen dialektisch gebrancht (durch einen Bühel getrennt).
10") Ellen ist ein Dorf im Achenthai.
Volksrätsel aus Tirol. 149
14. Im Sommer ein Bettelmann,
Im Winter ein Edelmann. (Bauer.) Oberinnthal.
15. Es ist etwas im Himmel,
Das ist von Menschenhänden g'macht?
(Christi Wunden.) Fendels.
16. Wenn Wasser Wein war,
Wött i wissen, wer Wirt war?
(Herrgott, Allitcration.) Fendels.
17. Ich geh an einen Ort,
Dort seh ich einen Mann,
Der hebt dein' und meinen Vater
Mit beiden Händen dort.
(Der Priester, wenn er die Hostie erhebt.) Navis.
18. Woher kommt Christus beim jüngsten Gericht?
(Von dannen heissts im Credo.) Fendels.
19. Welcher Heilige hat kein Maul?
(Der hl. Geist, der hat einen Schnabel.) Alpach.
20. Welcher Heilige hat einen Schwanz? (Der hl. Geist.) Eben.
21. Welcher Heilige hat im Mutterleib in die Hose gesch ?
(Jonas.) Lechthal.
22. Fürchterlich begräbt man mich.
Ich hab mein Grab, bewege mich.
Zwischen Himmel und Erden
Wird mein Grab nicht gefunden werden. (Jonas.) Lechthal.
23. Wer ist zweimal geboren? (Jonas.) Lechthal.
24. Wie schrieb sich Maria?
(Bitterlich — es weinte Maria bitterlich.) Brixlegg.
25. Welcher Heilige steht in der Kirchen auf der rechten Seiten?
(Keiner, alle auf den Füssen.) Fendels.
26. Welches ist der grösste Heilige?
(Der Wiesbaum = Heuliger.) Ganz Tirol.
27. Welcher Heilige hat vier Arschbacken?
(Der heilige Ehestand, der Mann zwei und die Frau zwei.) Lechthal.
28. Wie heisst das 11. Gebot? (Lass dich nicht erwischen.) Oberinnthal.
29. Herab zieht mans, hinauf gehts selber. (Altarlicht.) Brixlegg.
oO. Es steht auf der Mauer
Und ruft alle Bauern. (Glocke.) Pendels.
31. Halb a Leines,
Halb a Schweines,
Und a hölzernes Herz. (Weihbrunnwedel.) Fendels.
32. Wo ist in der Kirche der wärmste Ort?
(Auf der Kanzel, da ist der Geistliche im Hemd.) Eben.
33. Was ist das Wehleidigste in der Kirche?
(Die Orgel. Wenn man dreinschlägt, schreit sie.) Götzis.
34. Was ist der ärgste Lügner in der Kirche?
(Der Ministrant, er sagt Amen, und es ist doch nit aus.) Götzis.
150 Renk:
35. Es sind 700 Kinder
In einem Mutterleib,
Wenn der Vater kommt, schlägt er drein;
Da schreien die Kinder gross und klein,
Was wird das für ein böser Vater sein?
(Die Orgel und der Organist.) Fendels.
36. Ein Mann und ein Weib kanns thun,
Zwei Männer könnens thun,
Zwei Weiber könnens nicht. (Einander beichten.) Fendels.
37. Der Messner und sein Bue,
Wieviel braueben die Schueh? ("2 Paar.) Fendels.
38. Was ist mitten im Vaterunser?
(Ein Loch, in der Betkugel dos Rosenkranzes.) Fendels.
39. Wer ist der Zuwiderste in der Kirche.
(Der Organist, er schlägt die Orgel.)
40. Variante: Er schlägt den hl. Geist.
(d. h. spielt das hl. Geistlied vor der Predigt.) Fendels.
41. Wer ist der Unverschämteste in der Kirche?
(Der Ministrant, er ist im Hemd.) Fendels.
42. Wer ist der Dümmste in der Kirche?
(Der Geistliche, er hat das Hemd übers Gewand.) Fendels.
43. Wer kommt zum Ersten in die Kirche. (Der Zweite.) Pendels.
44. Was macht der Messner beim Betläuten? (Krumme Pinger.) Fendels.
45. Was giebts, wenn der Messner die Kirchthür aufthut?
(Einen Winkel.) Fendels.
46. Welches ist der kleinste Winkel in der Kirche?
(Der Kerzenlöscher.) Fendels.
47. Welche Ähnlichkeit ist zwischen einem Pater und einem Metzgerhund?
(Beide haben einen Strick an.) Kauns.
48. Wer ist der Dümmste in der Kirche?
(Der Sammler, er sagt Vergeltsgott, und ihm gehört es nicht.) Zillerthal.
49. Wer ist der Wunderlichste in der Kirche?
(Der Ministrant, er schaut unters Messkleid.) Zillerthal.
50. Wo hat Adam den ersten Nagel hingeschlagen?
(Auf den Kopf.) Alpach.
51. AVas ist das Dümmste in der Kirche?
(Dass man bei Tag Lichter anzündet.) Navis.
52. Wer ist der Unverschämteste in der Kirche?
(Der Organist, er dreht dem Altar den Hintern zu.) Navis.
53. Was ist das Beste in der Kirche?
(Dass die Heiligen nicht seh , sonst würde man voll Dreck.) Navis.
54. Wann schauen am meisten Köpfe bei der Kü-chthür aus?
(Bei der Wandlung, die Schuhnägel.) Reith.
55. Was ist in der Kirche der höchste Stuhl? (Der Dachstuhl.) Xavis.
56. AVas ist mächtiger als der Pabst?
(Der Pabst kann alles Bundne lösen, der Müller auch das ünterbundne.) Navis.
57. Ladein, Friss und Saufaus.
(Die drei Nachbardörfer Ladis, Viss, Serfaus.)
Volksrätsel aus Tirol.
151
58. Rabazi. (Rab badt sich.)
59. Braunazi. (Braii[nes] naht sie.)
60. Bockferbers. (Bock des Färbers.)
61. Seinadu. (Seh [= Nimm] mähe du.)
62. Manchmal in epischem Gewände:
Ein Bauer und eine Bäuerin mähten. Da sehen sie einen sich waschenden
Raben. Da rief der Bauer: , Rabazi". Dann kam eine Dirne, ein braunes Gewand
nähend^ Jetzt rief die Bäuerin: „Braunazi". In der Nähe aber war eine Wiese,
da weidete der Bock des Färbers. Da schrie der Mann: „Bockfärbers". Endlich
wurde die Bäuerin, die bis jetzt gemäht hatte, müde und gab dem Manne, der
gerechnet hatte, die Sense mit den Worten: „Semadu".
63. Ein Widum war an die Kirche gebaut, so dass der Geistliche auf der
Kanzel nicht weit von der Küche war. Die Häuserin, welche Lene hiess, hatte
einmal während der Predigt eine Ente über dem Feuer am Spiessc. Sie wollte
aber die Predigt auch hören und ging in die Kirche. Währenddem brannte die
Ente an. Der Geistliche spürte den Geruch auf der Kanzel und sah seine Haus-
hälterin unten in der Kirche. Deshalb rief er hinab: „Lenewentantum"! (Lene
wend' d' Ant' [Ente] um). Die Häuserin wusstc nun, wie viel es geschlagen hatte
und rannte aus der Kirche. Die Leute aber glaubten „Lenewentantum" sei ein
lateinischer Spruch.
64. Viere tragen, 65.
Zwei ragen,
Zwei zünden.
Einer besmet hinten.
(Die Kuh: Püsse, Hörner, Augen,
Schwanz.) Pendels.
6ö.
(Kuh.) Pendels.
67
Variante :
Viere tragen.
Zwei ragen (Zitzen),
Zwei thxms Gatter auf (Hörner),
Zwei zünden.
Einer besmet hinten. Pitzthal.
Es geht etwas durch den Wald auf,
Macht auf und auf Loabelen 'j auf.
Wenn ist die Kuh am dicksten?
(Wenn sie sich am Hintern leckt, ist sie doppelt.) Pendels.
68. Wenns klein ist, tragen's viere nit,
Wenns gross ist, tragen sie's leicht
Wenns todt ist, gehts in aller Welt herum.
(Das Kalb. Dritter Vers: das Schuhleder.)
Rund wie ein Kreuzer
Und um und um voll Federn. (Kuharsch.)
Vier Bübele
Brunzen in ein Kübele. (Die Kuhzitzen.)
Hira Hara hockt,
Limpa, lampa hangt,
Hira Hara wött,
Dass sie Limpa, lampa hätt.
(Katze und Fleisch.
Es springt etwas um's Haus
Und hat a Lattle im Arsch.
Nolpersteiger Annele.
69.
70.
71.
Pendels.
Pendels.
Pitzthal.
72
Ti
[Hase?]) Pendels.
(Katze.) Patznaun
(Katze.) Pendels
1) Laibchen.
152
Renk:
74. Strohschliefers ürschel. (Maus.) Pendels.
75. Wegläufers Gretel. (Hund.) Fendels.
76. Es gehn sieben übern Bach
Und nur eins wird nass.
(Packelsau mit sechs Jungen.) Pendels.
77. Welches Tier giebt den vollständigen Kaffee?
(Die Gais, sie giebt Milch, macht Bohnen und wenn man sie zwickt, macht sie
einen Zucker d. h. sie zuckt.) Paznaun.
78. Wenns aufwärts geht, schauts abwärts.
Wenns abwärts geht, schauts aufwärts. (Bockhorn.) Pitzthal.
79. Rennst du die Schaf und Gaisgagel auseinander?
(Nicht Schaf- und Gaisgagl.' (Ja, das eine sind Schaf, das andre Dreck.) Pitzthal.
80. Springt etwas ums Haus,
Hat ein Panzele im Arsch. (Henne mit Ei.) Pendels.
81. Kommt der König von Engelland,
Weiss und schwarz ist sein Gewand,
Ein fleischener Kamm, ein fleischener Bart,
Wers nit weiss, erratet's hart. (Hahn.) Fendels.
82. Warum legen die Hennen?
(Wenn sie werfen würden, zerbrächen die Eier.) Lechthal.
83. Wann lügen die Weiber am ärgsten?
(Wenn sie „Hennen greifen", sagen sie: „Das Ei ist ganz vorn", es ist aber ganz
hinten.) Pendels.
84. Warum müssen die Weiber Hennen greifen?
(Weil keine Penster sind, sonst sähen sie es.) Pendels.
85. Mutter thuts Kuchelkastel auf
Und bringts nimmer zu. (Ei.) Pendels.
86. Mei Mutter hat a Kastei,
Um und imi koa Schlössei,
Wenn sie's aufthut,
Gehts nimmer zu. (Ei.) ZUlerthal.
Variante: 87. Mei Mutter hat a Kastei,
Hat um und um koan Astei u. s. w.
(Astloch.) (Ei.) Eben.
88. Es ist auf der DUle,
Der Mann bringts mit einem Wagen nit herab,
Aber das Weib mit einem Löffel. (Ei.) Paznaun.
89. Gigele, Gagele auf der Bank,
Wenn Gigele, Gagele abefällt,
Ist kein Doctor im ganzen Ijand,
Der Gigele, Gagele helfen kann. (Ei.)
Variante : 90. Adelbadel auf der Wand u. s. w. (Ei )
91. Ein weisser See und gelbe Ilgen drin?
(Lge, Gilge = Lilje. Ei.) Fendels.
92. Eine gelbe Ilge in weissem See,
Errätst du dies, errätst du meh(r)! (Ei.) Bei Innsbruck.
Pendels.
Pitzthal.
Volksr.-itsil ans Tirol.
15:-
93. Ich weiss ein kleines Haus.
Da ist iiifhts von Fenster. Tliiir und Thor,
Und will der kleine Wirt heraus,
So muss er erst die Wand durohbohrn. (Ei.) Pitzthal.
94. Es schlafen sechs in einem Tod,
Der siebente jagt den achten fort!
Ihr Herren ratet, was das sei? (Ein Vogelnest mit li Jungen in
einem Totenkopf, dem die Alten abwechselnd zufliegen.) Fendels.
95. Was hat mehr Puss?
Ein Ross oder kein Ross'.-'
(Kein Ross, ein Ross hat 4 Füsse, kein Ross hat fünfe.) Vorarlberg.
96. Was thut die Hennt
97.
Lechthal
Lechtbal.
Lechthal.
99.
100.
wenn sie auf einem Fnss steht>
(Den andern aufheben.)
Wo ist der Rabe, wenn die Sonne untergegangen?
(Im Schatten.)
98. Der Hupfauf
Und der Baldauf
Springen durch den Wald aui'.
Acht Füsse und ein Schwanz,
Das ist das Ganz'. (Frosch und Hase.)
Wer hat dem Hund den Schweif gesteckt?
(Ein Blinder, er hat ih)i neben's Loch gesteckt.) Lechthal.
Warara ist der Vorderfuss des Hasen kürzer als der hintere?
(Weil der hintere länger ist) Lechthal.
101. Wie l)ringt man eine Gais, einen Kohlkopf und einen Wolf ohne Schaden
über einen Pluss? (Zuerst Gais, dann Krautkopf und Gais zurück, Wolf hinüber,
zuletzt Gais nach.) Lechthal.
102. Welches ist das unverfrorenste Tier?
(Floh, er geht im Winter im Hemd spazieren.) Unterinnihal.
103. Welches ist der Unterschied zwischen Maikäfer und Gensdarm.
(Maikäfer ist braun und seh grün, Gensdarm ist grün und seh braun.)
Bei Innsbruck.
U)4. Was bedeutet es, dass sich die Henne schtittelt, wenn der Hahn drüber war.
(Sie bettet für ein andermal auf.) Navis.
105. Vorn und hinten patzet'},
In der Mitten glager ä-).
106. Braun unten,
GiTin au,
Blau
Obendrau !
107. 77 Schwestern haben gleiche Rappeln auf?
10». Klein inglat^),
Gross g-stinglat^)
Und obendrau ein blaus Kap|iel?
109. 1 wachs im Acker,
Toll und wacker,
Hab neun Haut
Und beiss die Leut.
(Ameise.) Navis.
(Flachs.) Fendels.
(Flachs.) Faznaun.
(Flachs.) Femlels.
1) dick. '2) beinahe ab(,gebruchen).
Zeitüchr. d. Vereins t. VolkbkuMde. löyä.
b) eiuj
(Knoblauch.) Pendels.
eingesetzt. 4) gestengelt.
11
1 54 Renk :
110. Steht ein Vogel auf ein Puss,
Ist kein Muss,
Trinkt kein Wasser, hat kein Wein,
Rat, was für ein Vögele das wird sein? (Kirsche.) Fendels.
111. Es steht am Rain,
Hat die Wampen voll Stein. (Hagebutte.) Ried.
112. Wie viel Erbsen gehn in ein Töpfel?
(Keine, alle schüttet man hinein.) Pendels.
113. Es ist ein Pommeranzel,
Hat ein schönes Ri'anzel
Und ein langen langen Stiel. (Mohn.) Paznaun.
114. Wenns kommt, so koramts nit:
Wenns nit kommt, kommts.
(Wenn die Vögel kommen und den Kornsamen fressen, kommt kein Korn (zur
Frucht), wenn sie nicht kommen, geht es auf.) Pendels.
115. Ribele, rabele,
Z'unterst a Stabele,
Mitten a Panzele,
Zoberst a Kranzele. (Mohn.) Pusterthal.
116. Und weisst du mir zu nennen. Die Schlehen, wenn sie blühen.
Was weisser ist als SchneeV Sind weisser als der Schnee.
Und weisst du mir zu nennen, Die Schlehen, wenn sie hab'n verblüht.
Was grüner ist als RleeV Sind grüner als der Klee.
Und weisst du mir zu nennen, Die Schlehen, wenn sie habu verreift '),
Was schwärzer ist als Kohl? Sind schwärzer als das-) Kohl:
Willst du ein reiner Junggsell sein? Ich wül ein reiner Junggsell sein,
Erraten wii-st dus wohl! Eri-aten hab ichs wohl!
(Die Schlehen. 1 Eben.
117. Wenn mans nicht sieht, klaubt^) maus auf.
Wenn mans sieht, lässt raans liegen.
\^ Wenn man sieht, dass eine Haselnuss angestochen ist, lässt man sie liegen, wenn
mans nicht sieht, nimmt man sie.) Pendeis.
118. Kaum ist der Vater geboren,
Hängt der Sohn schon am Dach. (Feuer und Rauch.) Fendels.
119. Wir sind nicht Fische, nein. Des Kähnen (?) sind wir oft
Doch kommen wir vom Meer, Und auch zuweiTu Kanonen.
Wir sind nicht Vögel, nein, So bilden wir ein unbeständig Leben,
Doch fliegen wü- daher. Wie die Menschenkinder eben.
Wir schweben fort in obem Regionen, (Wolken.) Pendels.
120. Es geht übers Stroh und rauscht nicht. (Sonne.) Paznaun.
121. Ein wassernes Gschloss,
Und ein hölzerner Schlüssel. (See mit Kahn.) Paznaun.
122. Wann ist dem Mond schlecht?
(Wenn er durch die Wolken bricht.) Navis.
123. Es hängt an der Wand mtd braucht keinen Nagel.
(Schatten.) Eben.
1) ausgereift sind. 2) statt die Kolüe allgemein. 3) hebt.
Volksrätsi'l aus Timl.
155
(Teig.) Paziiiiun.
Pendels.
(Wiege.) Fendels.
124. Geht etwas zwischen zwei Wand,
Hat weder Puss noch Hiind.
125. Heut wird aufgmacht und gschossen.
Was wird gethanV (Gebacken. Das Brot wird auf die
Laden gelegt und in den Ofen geschoben.) Pendels.
126. »' ist etwas im Kammerle,
Thut alleweil Timmerle, Tamraerle. (Uhr.) Fendels.
127. Was ist das I)iimni.ste im Haus?
(Die Seihe, das Gute liisst sie durch, den Schmutz behiilt sie.)
128. Wiga, Waga
Hat Laub traga;
Tragt Leib und Seel,
Laub nimmermehr.
129. Krumm umbogen,
Hoch aufgstoben,
Und ein Mandel hinten dran.
Das alleweil klöppeln kann.
(Das Dieschen. Veis 1: Plegel, 2: Spreu, 3: Bauer.) Pendels.
130. Es sind viel, viel Frauen, die einander zopfen.
(Durch Zweige verbundene Zaunlatten.) Ried.
131. Es geht allweil etwas und kommt doch nicht weiter.
(Perpendickel.) Pendels.
Variante: 132. Es geht und geht
Und bleibt doch an einem Ort. Pitzthal.
133. Eine dicke Mutter,
Ein langer Vater,
Ein weiches Kind,
Rat was ist da drin?
(Treibkübel, Kübel, Stössel, Butter.) Paznaun.
134. Woll, woU, woll nenn ichs dir:
Woll, woll, woll sag ichs dir:
Woll, woll, woll ists;
Wenn's du nicht erratest, ein Narr bist!
(Wortspiel von Wohl und Wolle ) Paznaun.
135. Woll nenn ichs,
Woll deut ichs,
Woll ist's! Lechthal.
136. Ich sag dirs Tenn',
Ich nenn dirs Tenn\
Wenn dus Tenn nicht weisst,
Ein Esel heisst. (Tenne und tenn = dann.) Lechthal.
137. Nieder wie eine Maus,
Und hoch wie ein Kirchtm-m. (Zwirnknäul.) Paznaun.
138. Es kugelt etwas übern Rain,
Hinab gehts allein,
Herauf zielvus sechs Paar Ross nit. (Knäuel.) Eben.
139. Ein altes Weib trägts in einem Löffel leicht über den Bühel, aber vier
Ross bringens nicht ganz hinauf. (Knäxiel.) Navis.
11*
156 Renk:
140. Ein eiserner Hund und ein leinenes Schweiflein, je weiter das Hündlein
vorwärts geht, je kürzeres Schweiflein wird. (Nadel mit Faden.) Fendels.
141. Es geht zum Trog trinken,
Lasst die Wampen dahinten.
(Bettzieche, wenn sie gewaschen w-ird.) Fendels.
142. Schwarz, innen hohl. 143. Es lebt' und lebt nimmer,
M^as drin soll? Trägt Leib und Seel immer.
Ein grüns Bröckl Fleisch. (Schuh.) Fendels.
Spei in die Hand.
Knüttle mit dem Arsch. 144. Ein grüner See
Und dann gehts. Und weisse Gilgen drinV
(Schuh — beim Anziehen.) Fendels. (Presse.) Paznaun.
145. Es geht durch den Wald auf und schaut stets zurück. (Hacke, die mit
der Schneide vom Körper abgewendet auf der Schulter getragen wird.) Fendels.
146. Vier Ravedenten (y).
Zwei haarige Schwänz,
Und hintennach
Ein Gupfermannl
Mit der Schnellbüchs.
(Fuhrwerk; die Schnellbüchs = die Peitsche.) St. Leonhard, Pitzthal.
147. Es geht etwas bleich zum Bronn
Und braun davon. (Der Krapfen beim Backen.) Fendels.
148. Der es macht, der braucht es nicht.
Der es kauft, der will es nicht,
Der es braucht, der weiss es nicht. (Sarg.) Piller, Pitzthal.
149. Es geht etwas vom Haus,
Schreit allweil: glig, glagl
Wenn ich nur alle
Meine Kapplen hatt. (Dachtraufe.) Fendels.
150. Elle noch so lang,
Dreh" den Arsch.
Zuck den Puss,
Weisst was drin mussV
Die Schaufel, mit der das Brot in den Ofen geschoben wird.) Fendels.
151. Loch auf Loch
Und Haar ums Loch. (Pfeifenspitze.) Fendels.
152. Loch auf Jjoch
Und Haar ums Loch
Und vor dem Loch ists lustig. (Blasinstrament.) Navis.
153. Loch auf Loch
Und Haar ums Loch;
Lustig am Loch,
Und in dem Loch ist Kirchtag. (Blasinstrument.) Navis.
154. Welches ist das heisseste Fleisch? (Das ungesottene, es zuckt.) Fendels.
155. Ich gieb was zu raten:
Was zehne bei ein' ürschloch thateny
(Öhrloch, Einfädeln.) Fendels.
15i;. Es ist fertig- und wird alle Tage gemacht. (Das Bett.) Fendels.
Volksriilsfl aus Tirol. 157
157. Bin Schaft und ein Rühr
Und ein Schloss liegt davor
Und ein Stock steckt daran,
Greifs ja nichts an! (Schiessgewehr.) Pendels.
158. 's erste ist rund, 's zweite ist rund,
's erste und zweite ist rund,
's dritte ist rund, 's zweite und dritte ist rund,
's erste und zweite und's dritte ist rund?
(Erdäpfelknödel.) Bei Innsbruck.
159. Komm zu mir in Heimgart,
Nit bei Tag- und nit bei Nacht,
Xit bei Sonnenschein,
Nit bei Mondenschein:
Wenn alle Wand' ganz sein').
Wenn der Fuchs beim Laar steht-).
Und der Tod das Lebendige vergräbt.')
(In der Dämmerung, wenn 1) die Fensterläden geschlossen sind, 2) wenn der Fuchs
auf der Lauer steht (Redensart für-, wenn nach dem Essen die Löffel um die lare
[leere] Schüssel liegen) und 'S) wenn am Herd die tote Asche über das lebendige
Feuer gestreut wird.) Pendels.
lüü. Ein Glitter, ein Glatter,
Ein beinernes Gatter,
Eine beinerne Wiesen,
Wo die Leut umpisen (umspringen). (Friedhof.) Pendels.
161. Variante, Vers 4: Und doch wachst Gras. Pitzthal.
162. Immer und immer,
Ein hohes Getimmer,
p]ine beinerne Wies ;
Wenn du's errätst,
Junggsell bist gwiss! (Friedhof.) Eben.
163. Es kugelt übern Rain und wird immer länger?
(Zwirnknäuel.) Brixlegg.
164. Es sind "24 Herren,
Die regieren die Welt,
Sie essen kein Brot,
Sie trinken kein Wein,
Was wer'u das für Herrn sein? (24 Buchstaben.) Pendels.
165. Es hat eine tote Seele,
Kann weder gehn, noch fahren
Und kann doch jedermann Antwort geben!
(Kielfeder. Ausdruck für Mark: Seele.) Vintschgau, Pendels.
166. Auf einem weissen See,
Schwimmt eine rote Rose.
Willst du die schwarzen Pischlein sprechen.
So musst du zuerst die Rose brechen.
(Brief mit Siegel.) Brixlegg.
167. Wie viel Bretter braucht man zu einem gut gedeckten Dachstuhl?
(Keines.) Lechthal.
168. Ein hölzernes Steinhäusel'? (Kumpf für den Wetzstein.) Lechthal.
158
KmV
Lechthal.
Lechthal.
Lechthal.
Lechthal.
Lechthal.
Lechthal.
Lechthal.
lt;9. Was hängt an der W'^and und rei>;st's Maul auf.
(Die Scheere.)
170. Was hiingt an der Wand,
Wie Totenhand.-' (Handschuh.;
171. Es geht im Holz
Und steht im Holz
Und lasst alleweil PöUelen fallen':' (Säge.)
172. Ein hölzernes Hafele (Töpfchen),
Ein fleischerner Deckel. (Abtiitt.)
173. Halb von Holz,
Halb von Schwein? (Bürste.)
174. Der Wohlleber'),
Der Hitzgeber-'),
Der Riimpum^),
Der Zugaus^)':'
(Das Zimmer: 1) Tisch, 2) Ofen, 3) Boden, 4) Fenster.)
175. Vieltausend Jungfern geben einander Wasser. (Schindeln.)
176. Es ist niedrer als eine Maus
Und hat mehr Fenster als ein Königshaus. (Pingerhut.) Lechthal.
177. Es geht über die Brücken,
Hat zwei Bäuche und einen Rucken. (Kohlenreiter.) Eben.
178. Es hängt an der Wand,
Hat ein Stabel in der Hand.
179. Vorn Fleisch.
Hinten Fleisch,
In der Mitten
Holz und Eisen.
180. Kennst du die alten Weiber und die Madlerfürtiger (Fürtücher) aus-
einander'y (Ja, das eine sind .,alte Weiber'', das andere „Schürze".) Pendels.
181. Wo kommen alle Säcke zusamnien'y (Bei der Xaht.) Pendels.
182. Wo kommen alle Schuhe zusammen'? (.4m Knie des Schusters.) Pendels.
183. Was braucht man zu einem gut beschlagenen Stiefel'?
(Den zweiten.) Lechthal.
184. Warum schabt man den Käs'?
(Wenn er Federn hätt. könnt man ihn rupfen.) Lechthal.
185. Wie viel Flöh gehn auf ein Pfund?
(Gar keiner, alle hüpfen weg.) Lechthal.
186. Unterschied zwischen einer Papierfabrik und einem Wirtshaus?
(In die Fabrik führt man die Lumpen, ins Wirtshaus gehn sie.) Lechthal.
187. Welcher Schlüssel ist für kein Schloss? (Uhrschlüssel.) Lechthal.
188. Warum verlieren die Weiber die Zähne früher als die Männer?
(Weil sie mehr reden.) Lechthal.
189. Welcher Unterschied ist zwischen einer langen Cigarre (Virginia) und
einer Schwiegermutter? (Bei der Cigarre ist der erste Zug der beste, bei der
Schwiegennutter der letzte.) Unterinnthal.
190. Welcher Unterschied ist zwischen einer Wurst und der Sonne?
(Die Sonne geht im Osten auf, die Wurst beim Süden [Sieden].) Lechthal.
(Wandleuchter.) Eben.
(Pflug.) Götzis.
Volksrätsel aus Tirol. 159
191. Wie kennt man das \'ordere Ende einer Wurst vom hinteren?
(Wenn man sie um die Achsel hängt.) Lechthal.
192. Jeder Tiroler hat Sehneid: Hat er sie sonst nicht, so hat er sie doch am
Buckel, wie die Gais. (Rückgrat.) Brixlegg.
193. Was ist besser als eine Geldtasche?
(Der Arsch: er geht selber auf und zu.) Unterinnthal.
194 Die Unterländer habens in den Augen, da sieht maus uit viel, oder an
den Füssen, da gehn sie's bald weg? (Schamgefühl.) Unterinnthal.
195. Wozu hat der Müller einen weissen Hut? (Zum Aufsetzen.) Alpach.
196. Was ist für ein Unterschied zwischen einer Sau und einer Frau?
(Sau hat den Ring im Rüssel, Frau an den Ohren.) Alpach.
197. Variante: (Frau hat den Kranz am Kopf, Sau am Arsch.) Navis.
198. Was ist stärker als das stärkste Tier?
(Der Dreck, den erhebt niemand.) Navis.
199. Welche Ähnlichkeit ist zwischen Frauenhaar und Holz?
(Beides kann gebrannt werden.) Navis.
200. Welche Ähnlichkeit ist zwischen einer Kellnerin und einem Weihbrmm-
l^yjjjjel? (Beide greift alles an.) Zillerthal.
201. Welche sind die dümmsten Leute?
(Kellnerinnen und Messner. Sie danken für das, was andern gehört.) Zillerthal.
■202. Was ist schwerer? Ein Zentner Federn oder ein Zentner Eisen?
(Ein Zentner Eisen, der geht im Wasser unter.) Eben.
203. Lindau hats und Moskau nit,
Löffel hats und Pfanne nit? (L.) Pendels.
204. Der Berg hats, aber doch nicht der Gipfel.
Die Wurst hats, aber doch nicht der Zipfel,
Der Herr hats hinten, die Frau davorn,
< Und der Knecht und die Magd habens gar nit. (R.) Pendels.
205. Es ist nicht in Meissen,
Es ist nur in Preussen,
Es ist nicht in Holland,
Es ist nur in Brabant:
Koustantinopel ist eine grosse Stadt,
Die es aber auch nicht hat. (R.) Eben.
206. Ein Blinder sah den Has füispringen,
Ein Lahmer eilt ihm nach und erwischt ihn.
Ein Nackter steckt ihn in die Tasche,
Was ist das? (Eine Lüge, weils nicht sein kann,) Pendels.
207. Einem blinden Mann winken,
Aus einem leeren Glas trinken,
Den Wind in eine Truhen sperren,
Und den Schnee im Ofen dörren.
Was ist das? (Viermal nichts.) Pendels.
208. Kaiser Karl hat einen Hund,
Nennt den Namen mit dem Hund,
Rath" wie heisst der Hund, (Rathwie,) Pendels.
209. Wer draussen ist, will hinein.
Wer drein ist. will heraus. (Die Ehe.) Pendels.
IKf) Englert:
210. Ein Vater hat sechs Töehter. Jede hat einen Bruder, wie viel sind
zusammen? (.\cht, denn jede hat densellien Bruder.) Navis.
211. Vorn und hinten gleich, in der Mitte doppelt. (Anna, Otto.) Pendels.
212. Ein Müller hat acht Säcke. Auf jedem sitzt eine Katze mit sieben Jungen.
Wie viel Füsse sind in der MühleV
(Zwei, des Müllers; die Katzen haben Tatzen.) Navis.
2iy. In ein Kloster kam ein Bursch, den eine Nonne mit einem Kuss begrüsste.
Die Oberin sah das und stellte die Nonne zur Rede. Sie rechtfertigte sich mit
dem Worte: „Seine Matter ist die einzige Tochter meiner Mutter." Was war erV
Ihr Sohn.) Unterinnthal.
214. Zwei Buben hüteten Schafe. Da sagte der eine: gieb mir eines, dann
hab ich gleich viel wie du. Der andere aber antwortete: gieb du mir eines, dann
hab ich doppelt so viel wie du. Wie viel hatte jeder? (.'i — 7.)
21."). Ein Mann fragte ein Mädel, das Gänse hütete, wie gross ihre Herde sei.
Sie antwortete; zweimal so viel und halb so viel und viertel so viel, und wenn
der Herr eine Gaus war, dann wärens grad hundert. Wie viel hab' ich?
^2x + ^ + ~+l= 100; llx = H96.^
216. Ist nicht Esel die vor hat sie kann
:36.
dies ein der Schrift sich und nicht
217. II Q Was heisst das?
(Der ist dick, der ist dünn, der ist draussen, der ist drin.) Navis.
218. Wie schreibt man einen Hundsnamen da Q hinein. (0 Tüptl, der Punkt
heisst Tüpfel, Tüpfel ist zugleich ein Tiroler Hundename.) Navis.
219. Zwei Küh haben drei Kälber. Keine hat eins. Wie geht das?
(Eine Kuh heisst ..Keine") Navis.
Innsbruck.
Zu Goethes Sdiweizerlied
Von Autoii Euglert.
Auf einer Wauderung durch den östlichen Spessart, welche ich im
Herbst 1892 behufs Sammlung volkstümlicher Reime unternahm, jiörte ich
in dem Dorfe Esselbach (westlich von Marktheidenfeld) von einem Schul-
knaben folgende Variante der ersten Strophe von Cioethes Schweizerlied:
Douwm Boude ') bin i gvväe,
Hab Vögele zugschaut.
Hat gepftffe, hat gsunge,
Hat e Nestle gebaut.
1) Droben auf dein Buden (Daelibotleii)
Zu Goethes Schweizerlied. 16J
Ich fand das Liedelieii dann noch in dem südlich von Esselbaeli ge-
legenen Doi-fe SchoUbi'uuu, sowie in Kreuzwertheim in den nachstehenden
Fassungen :
Drouwm Bergle bin i gsesse, Douwm Boude bm i gschtanne,
Höi m Vöigele zugschaiit, Ho m Vöigele zugschaut,
Hot gepfiffe, hot gesunge, H;it gsunge, hat gepflffe,
Hot e Nestle gebaut. (Schollbrunn.) Hat e Nestle gebaut. (Kreuzwertheim,)
Die folgende Variante aus Reisteuhausen am Main (bei Stadtprozelten)
verdanke ich der gütigen Mitteilung des Herrn Studierenden H. Arnold.
Ufm Bergle bin i gsesse,
Hobm Vögle zug.schaut,
Hot gesunge, hot gepfiffe,
Hot e Nestle gebaut,
oder:
S bot wärkli sehn glaut.
Der Reim, d(>ssen Vorkommen mir auch für Wertheim und Amorbach
bezeugt ist, dürfte wohl im südlichen Spessart und in der Maingegend von
Wertheim bis Miltenberg weiter verbreitet sein. Im nördlichen Spessart
habe ich ihn noch nicht gefunden. Dagegen liegt mir noch eine unter-
fränkische Passung aus Forst l)ei Schweinfurt vor, welche mir mein Kollege
Dr. Tli. Link mitgeteilt hat. Sie lautet:
Aufm Range') Bin i gange,
Habm Vögla zugschaut,
Hab gsunge. Bin gschprunge,
Hab gschriea gar laut.
Schliesslich teile ich noch eine Variante aus Windsheim in Mittel-
franken mit:
Afn Bergla bin i gsessn,
Hob n Vögeln zugschaut,
Hern gsunga, hem pfiffen,
Hein Nestli gebaut.
Es entsteht nun die für das Abhängigkeitsverhältnis des Goetheschen
Schweizerliedes ^) wichtige Frage, ob der in den obigen Varianten vor-
liegende Reim auf das Goetliesche Gedicht zurückzuführen ist oder ob er
volkstümlichen Ursprungs ist. Dass Goethe bei der ersten Strophe des
Schweizerliedes ein volkstümliches Motiv vorschwebte, ist längst bekannt.
Als Vorlage galt bisher das nachfolgende Liedchen aus dem Odenwalde,
welches im Anhang zum Wunderhorn. DI, 1808. S. 71 mitgeteilt ist:
Aufm Bergli bin ich gesessen,
Hab dem Vögele zug'schaut.
Ist ein Pederle abe geflogen,
HaVn (v/c) Häusle draus baut.
1) Eain.
•2) Zuerst gedruckt im 1. Bande der Werke, 1815. — Zelter erhielt das Lied am
IS. März 1811.
162 Englert:
Aus einer Vergleichung dieser Verse mit Jer ersten Stroplie des
Goetheschen Gedichtes ergiebt sich, dass diese dem Wortlaut nach nur zur
Hälfte mit dem Yolksliedchen übereinstimmt, während vom fibrigen Teil
nur der Schluss an den Odenwälder Spruch anklingt.
Anders verhält es sich mit dem in Franken vorkommenden Liedchen.
Dieses stimmt mit der ersten Strophe des Schweizerliedes nahezu voll-
ständig im Wortlaut iiberein. Im Falle also unsere Fassungen des frän-
kischen Liedchens nicht dialektisclie Umbildungen der entsprechenden
Verse bei Goethe, sondern volkstümliche Varianten des Odenwälder
Spruches sind, unterliegt es keinem Zweifel, dass "Goethe den Reim in
einer mit diesen Fassungen fast gleichlautenden Form gekannt und benutzt
hat. Für die volkstümliche Herkunft des fränkischen Liedcheus sprechen
aber die triftigsten Gründe.
A^or allem fällt auf, dass es überall, wo ich es fand, nur einstrophig
vorkommt. Wenn es von dem Goetheschen Gedichte herstammen würde,
so wäre sicher auch da und dort eine Spur von den anderen Strophen des
Schweizerliedes vorhanden. Es ist ferner zu beachten, dass unser Liedchen
in allen von mir nachgewiesenen Fassungen in lokalmuudartlichem Gewände
auftritt. Es ist dies ein weiteres meiner Ansicht nach untrügliches Zeugnis
für seine Unabhängigkeit von dem Goetheschen Gedichte. Ja. diese Eigen-
tümlichkeit lässt sogar auf ein gewisses Alter der Verse schliessen. Eine
weitere Stütze für unsere Annahme liegt in dem Umstände, dass sämtliche
fränkische Fassungen einzelne Testverschiedenheiten gegenüber den
Goetheschen Versen aufweisen. Ausser den Varianten am Anfang konmit
hier besonders die allen Fassungen, ausser der Forster, eigentümliche
Lesart „gepfiffe(n)'' in der fünften, bezw. sechsten Zeile in Betracht.
Wie der Text weist auch die Melodie des Liedchens auf seine Un-
abhängigkeit von dem Gedichte Goethes hin. Aufzeichnungen der Sing-
weise liegen mir für Esselbach durch die Güte des Herrn Lehrers Anton
Mayer, für Reistenhausen diu'ch die Freundlichkeit des Herrn Studierenden
H. Arnold vor. An beiden Orten wird das Liedchen nicht nach einer der
Melodien gesungen, in welchen Goethes „üfm Bergli" weitere Verbreitung
gefunden hat (vgl. Hoffmann von Fallersleben, Unsere volkstümlichen
Lieder, 3. Auflage. Leipzig 1869. S. 130), sondern nach der Weise des
bekannten Liedcheus ^Kommt ein Vogel geflogen, Setzt sich nieder auf
mein Fuss." Eine Dame aus Wertheim versichert mir, dass sie dortselbst
in ihrer Kindheit unser Liedchen nach der gleichen Melodie singen hörte.
Dasselbe bestätigt mir mein Kollega Link für Amorbach. Hoffmann von
Fallersleben bemerkt a. a. 0. S. 94 zu dem Liede „Kommt ein Vogel ge-
flogen"' folgendes: „Aus der Volkszauberoper: Aline'), Test von Adolf
Bäuerle .... Musik von Wenzel Müller. Urspi'ünglich in österreichischer
Mundart, s. Bäuerles Komisches Theater, 6. Band (Pesth 18'26).'' Der
1) Nach ■\^■|ll•zbac,hs Biographischem Lexikon 1820 zum ersten Alale aufgeführt.
Zu (liii'llirs Sfliwciznlinl. 163
Hinweis ;iut' din zuletzt geuaiintc S;iiiiiiiliiiiji,' ist nicht richtig. Uas fragliche
Lied findet sich weder in dein bezoiclineten Drucke der „Aline", noch iu
einem anderen Stücke jeuer Ausgabe. Sollte es aus dem Pesther Drucke
durch ein Versehen weggeblieben sein? Oder beruht Hoffmanns Quellen-
angabe, mit der übrigens auch eine Bemerkung in Erks Germania (No. 178)
übereinstimmt, iiberhau])t auf einem Irrtum.-' Auffallend ist, dass Holtei
im Vorworte zu seiner Liederposse „Die Wieuer in Beidin" ^), in welche
ei- das fragliche Lied mit zwei eingeschalteten Strophen aufgenommen hat
(S. 237 f.), über die Herkunft desselben nichts sagt, obwohl er ausdrücklich
erwähnt, dass er unter anderen beliebten Liedern auch die Duette „War's
vielleicht eins?" und „Was macht denn der Prater?" aus Bäuerles reizender
Aline verwertet habe. Wie sich iudess die Saclie auch verhalten mag,
soviel ist sicher, dass Bäuerle wenigstens die erste Strophe des Liedcheus
nicht verfasst hat. Denn eine Variante derselben findet sich schon unter
den im Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol, Band 2, Innsbruck
1807 mitgeteilten „Schnodahaggen" aus dem Unterinnthal (S. 63). Der
Vierzeiler lautet dort:
Ist a Vögal heil güogn,
Hokt sie niedr auf mein Fuess,
Had a Zödal an Maul
Und von Dienal au Gruess.
Kommt also das Lied bei Bäuerle wirklich vor, so hat er, wie er es
noch öfter gethan hat, ein volkstümliches Motiv benutzt. Wahrscheinlich
hat er dann auch wie in anderen Fällen die Melodie des Volksliedchens
entlehnt. Es mag uns daher recht wohl in jener Weise eine ältere Volks-
melodie erhalten sein, nach der auch das fränkische Liedchen schon längst
gesungen wurde. '')
Zu den oben angeführten Beweisen für die volkstümliche Herkunft
des unterfränkischen Liedchens gesellt sich noch ein sehr wichtiges Argument.
Li einer Notiz zu Goethes Schweizerlied im Goethe- Jahrbuch, Band 11
(Frankfurt 1890), S. 171 hat G. von Loeper eine „jedenfalls ältere" Fassung
des Cfodichtes mitgeteilt, „welche sich von der Hand von Goethes Ver-
wandten, Friedrich Schlosser, in der Sammlung des Freiherrn von Benins
auf Stift Xeuburg bei Heidelberg befindet". Die erste Strophe dieser
Fassung lautet:
An ä Bergh bin i g'sesse,
No die Vögli han i g'schaut,
han gesunge,
han gepiffe,
han ä Nestli dran baut.
1) Jahrbuch deutscher Bühnensiiicle, Jahrgai\y 4, 1825. — Das Stück wurde zum
ersten Male am 14. Juni 1824 in Berlin aufgeführt.
2) Für den Unterinnthaler Vierzeiler ist auf der Musikbeilage zwischen S. 9G und«97
eine Schnaderhüpfelweise angegeben, welche von der in Rede stehenden Melodie verschieden
ist. Selbstverständlich schliesst dies nicht aus, dass Bäuerle eine andere Weise hören mochte.
1H4 Englert:
Diese Fassimg hat also noch nicht „gesunge : gesiirimge", wie die
spätere Gedichtform, sondern „gesunge : gepiffe". also genau so wie das
Spessartliedchen und die Windsheimer Variante. Daraus ergiebt sich un-
zweifelhaft, dass Goethe für die erste Strophe seines Gedichtes ein den
fränkischen Reimen ganz ähnliches Volksliedchen benutzte. Bei der
späteren Umarbeitung suchte Goethe, wie aus einer Vergleichung der beiden
ersten Verszeilen hervorgeht, wieder engeren Anschluss au seine Vorlage
(vgl. auch die Variante ans Des Knaben Wunderhorn) zu gewinnen. AVeun
er dagegen die anfangs im wesentlichen beibehaltene dritte Zeile des
Volksliedchens „Hat gepiitte, liat gsunge" abänderte, so geschah dies bloss,
um hier einen Reim zu gewinnen und dadurch die erste Strophe in völligen
Einklang mit den übrigen zu bringen, bei denen die entsprechenden Verse
scheu in der ersten Fassung reimten. Auffallend ist, dass die Forster
Variaute: „gsunge : gschprunge" hat. Es wäre nicht unmöglich, dass hier
das Goethesche Lied, welches ja da nud dort eine gewisse Volkstümlichkeit
erlangt hat, einwirkte. Dagegen spricht freilich die abweichende Form
„Hab gsunge. Bin gschprunge". Auch lässt der innere Reim in der ersten
Verszeile vermuten, dass auch der in der dritten Zeile schon ursprünglich
vorhanden war. In diesem Falle müsste Goethe entweder eine zweite
Fassung des Volksliedchens mit den Reimworten „gesunge : gesprunge"
in der dritten Zeile kennen gelernt haben, oder er müsste zufällig auf den-
selben Reim gekommen sein, was übrigens gar nicht unwahrscheinlich wäre.
Ich habe nun noch einiges zur letzten Strophe des Goetheschen Ge-
dichtes zu bemerken. In dem 1882 bei Hempel erschienenen ersten Bande
der Goetheschen Gedichte bemerkt v. Loeper zum Schweizerlied (S. 349),
dass ebenso wie zur ersten Strophe auch zu den übrigen ältere Motive
benützt sein mögen und fährt fort: „Wenn aber in Sylvester Wagners
Salzburger Gesängen. 1847, das Schnadahüpfl vorkommt:
D' Pinka hoben Halm trogn
Und d' Nöstar ausgmocht.
Und i und mein Dierndl
Hohn zuegschaut und glocht —
so wird Goethes Lied eingewirkt haben."
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das Salzburger Schnader-
hüpfel durch Goethes Schweizerlied angeregt worden ist, und möchte darauf
hinweisen, dass ein in Österreich und sonst weit verbreiteter Reim mit
ähnlicher Schlussweudung schon im Wunderhorn (Bd. 3, 1808, S. 124)
vorkommt. Er lautet:
Adam und Eva habens Lieben erdacht,
Ich und mein Schätzle habeus auch so gemacht.
In den österreichischen Volksliedern von Ziska und Sehottky, Pesth
1819, stehen S. 192 folgende Varianten'):
1) Dfe beiden Strophen erscheiuen in der Sammhiug als zusammengehörig-, doch
Keigt das beigefügte Sternchen nach einer Bemerkung im Vorwort an. dass sie erst von
Zu Goethes Schweizerlied. 165
D'r Adam und d'Everl Juchhe! unsa Pflega
Hän's Liäb'n dad;icht, Had's Bussln afbrächt.
Und i und main Regerl Und i und niain Regerl
Häb'n 's ah a so g'macht. Hab'n 's glai nachi g'macht.
Weitere Varianten findet man in Birlingers Schwäbischen Volksliedern,
S. 7i), in der Ausgabe des Wunderhorn von Birlinger und Crecelius, Bd. 2,
S. 324 (Württemberg), in Simrocks Deutschen Volksliedern, S. 341 (wie
es scheint, nach dem Wunderhorn Bd. 3, 1808). in den Rundäs aus dem
Vogtlande von H. Dunger, 8. 140, und in den Deutsciieii Volksliedern aus
Böhmen von Hrusclika und Toischer. S. -'77. Die folgende Fassung,
welche mit der böhmischen ziemlich gleichlautet, liabe ich von einer Frau
aus Brück in der Oberpfalz gehört.
O
De^ Adam und d Ev
Hamms Li»bm afbrächt
Und i und mii De'-'ndl
Hflmmes grod '■' so gmächt.
Die Ähnlichkeit, welche die Schlusswendung des in den obigen
Fassungen vorliegenden Vierzeilers mit der Schlusssti'ophe des Goetheschen
Schweizerliedes aufweist, lässt vermuten, dass Goethe zu dieser Stro))lie
durch eine Variante des Schnaderhüpfels, vielleicht die im Wunderhorn,
oder wenigstens durch ein ähnliches Liedchen angeregt wurde.
Für die weiteren Strophen des Goetheschen Gedichtes sind bisher
keine volkstümlichen Parallelen bekannt geworden. Freilich haben ver-
schiedene Forscher, unter anderen Düntzer, in seinen Erläuterungen zu
Goethes lyrischen Gedichten (2. Auflage, Bd. 2, S. 234 f.), die Ansicht ver-
treten, dass das Schweizerlied überhaupt nicht Goethes Eigentum, sondern
ein schweizerisches Volkslied sei, das der Dichter mit geringen Verände-
rungen in seine Werke aufgenommen habe. Doch konnte bis heute ein
älterer Druck eines solchen Volksliedes nicht nachgewiesen werden.
Düntzer (a. a. 0.) und L. Tobler (Schweizerische Volkslieder, I, S. CXXVI)
weisen auf ein bei H. Kurz, Ältere Dichter, Schlacht- und Volkslieder der
Schweizer, S. 215 stehendes Aargauer Lied („Erinnerung") mit gleichem
Anfang liin, welches sie jedoch selbst nicht für volkstümlich halten.') Der
Verfasser des Gedichtes, welcher bei Kurz nicht angegeben ist und auch
Düntzer und Tobler unbekannt blieb, ist der Volksdichter Alois Glutz,
welcher, wie mir Herr Stadtschreiber Th. Walker in Solothurn nach Auf-
zeichnungen im dortigen Bürgerbuche gütigst mitteilte, am 2. April 1789
in Ölten geboren und am 6. September 1827 in dem Flecken Schwyz
deu Herausgeberu wegen ihres verwandten Inhalts und ilu'er gleichen Siugweise aneinander-
gereiht wurden.
1: Tohler bemerkt auch a. a. 0., dass sich im Subithurner Wuchenblatte 1828, S. 261
„einige unbedeutende Varianten" zum Schweizerliedc; finden. Mir war das Blatt nicht
erhältlich.
16fi Englert: Zu linetlies Schweizei-licil.
gestorben ist. Nach eiuer im Januarheft der Zeitschrift „Alpenrosen"' er-
schienenen Notiz, welche R. Weber in seiner Poetischen Nationallitteratur
der deutschen Schweiz, Glai'us 1867, Band 1, S. 413 auftthrt, zog Glutz,
welcher blind war, von einem Knaben geführt'), von Ort zu Ort umher
und sang seine selbst gedichteten und selbst koni])Ouierten Lieder, die bald
in allen Dörfern heimisch wurden. Weber teilt aucli das oben erwähnte
Gedicht „Erinnerung" mit, welches zu den populärsten Liedern des Volks-
dichters gehört. Übrigens findet mau es schon im allgemeinen Schweizer-
Liederbuch, 3. Auflage, Aarau 1833, S. 111, mit Nennimg des Dichters
und der Angabe „Melodie vom Verfasser" abgedruckt.^) Vielleicht steht
es auch schon in den frühereu Ausgaben dieser Sammlung, die mir leider
nicht zugänglich waren. Der leichteren Yergleichuug halber lasse ich hier
einen Teil des Gedichtes folgen:
1. Uffem Bergli bin i g'sesse, "2. Uud durs Thäii bin i gange,
Chönnt i numine wieder hü Do isch's Bethli mit nier cho;
0! i ehas schier nit vergesse, Dort am Bächü, wo so rusciiet,
0! wie lustig isch es g'si Hei mer blaui Blüemli gno,
D'Vögel hei so lieblig g'sunge. Hei enander Chräiizli gflochte
Schöni Nestli hei sie baut, Und enander Strüsli g'marht,
D'Lämmle sy im Grüne g'sprmige, Oebbis zeit, und ame-n-einisch
Und das alles hani g'schaut. Zwische-n-ine herzlich gMacht.
3. ('her d'Matte simmer g'sprmige,
0 wie liet mi das erfreut!
Schöne Liedli hei mer g'sunge,
Dass es tönt het wit und breit etc.
Der Schluss der dritten Strophe schildert dann, wie die zwei Verliebten
vor der Sennhütte sitzen und die Täubchen füttern, Strophe 4, wie Bethli
ihren Hansli melken lehrt, und wie er dann Abschied nehmen muss,
Strophe 5, wie er sich freut, sein Liebchen bald wiederzusehen.
Abgesehen von den deutlichen Anklängen der ersten Strophe an die
Anfangsstrophe bei Goethe berührt sich auch die erste Verszeile der zweiten
Strophe (vgl. auch Strophe 3, Zeile 1) mit Strophe 8, Zeile 1 f. bei Goethe
„Uf d' Wiese Bin i gange." Auch der Anklang der Schlusszeile der zweiten
Strophe an das „Und mer lache" des Goetheschen Liedes beruht wohl
ebensowenig auf Zufall, wie der Umstand, dass in beiden Gedicliten der
glückliche Liebhaber den Namen Hans (Glutz, Stro])]ie 5, Zeile 8 Hansli:
Goethe, Strophe 4, Zeile 2 Hansel) führt.
Wie erklären sich nun die obigen Übereinstimmungen? Diese Frage
lässt sich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, solange nicht festgestellt ist,
ob (ilntz sein Gedicht vor oder nach dem Bekanntwerden des Goetheschen
1) budwig Rotsclii, später Dü-ektor der Sol.ithurner Liedertafel, g-esturbeii 18(;4.
•2) .A.ls Quelle wii-d in der VoiTede eine S:iiiunhmg „.-Vlois Glutz's .A-lpenlieder- (mit
Klavier- uml Gultarrcbegleitung) genannt. Ort und .Jahr des Erscheinens ist nicht an-
gegeben. Eine spiitere .\u.sgabe ist bei E. Kmp in Basel erscbienen.
Schwartz: Ein paar Misccllen aus ili^n Havellandschafteii. 167
Liedes') verfasst liat. Die Auuahme, dass letzteres unter Anlelmung au
die Glutzsclie Uiclituug t-ntstauden sein könnte, erscheint durch die enge
rhythmische Übereinstimmung des Goetheschen Schweizerliedes mit dem
Vierzeiler im Wunderhorn und dem fränkischen Liedchen, sowie durch die
enge textliche Verwandtschaft der ersten Strophe bei (xoethe mit dem
fränkischen Volksreim und zum Teil auch mit der Odenwälder Variante
ein für allemal ausgeschlossen. Dagegen hat aller Wahrscheinlichkeit nach
ein umgekehrter Einfluss stattgefunden. Immerhin aber ist noch ein anderer
Fall denkbar. Goethe und Glutz könnten aus gleicher oder ähnlicher
Quelle geschöpft haben. Liesse sich das nachweisen, so würde sich daraus
die Folgerung ergeben, dass Goethe nicht nur die erste Strophe entlehnt
hat, sondern dass ihm seine Vorlage auch wenigstens die Hauptzflge für
die folgenden Strophen lieferte. Eine eudgiltige Lösung dieser Frage
würde durch Ermittlung der Entstehungszeit des Glutzschen Gedichtes
ermöglicht werden. Meine Nachforschungen nach dieser Richtung sind
leider erfolglos geblieben.
München.
Ein paar Miscelleu aus den Havellandscliaften.
Von Wilhelm Schwartz.
Nachdem ich zufällig entdeckt hatte, wie ich in der Sitzung unseres
Vereins vom Oktober 1893 schon berichtet, dass im Havellande noch h«ut
zu Tage für die Kröte der Name Muggel volkstümlich üblich sei, kam
es mir darauf au, die Grenzen festzustellen, innerhalb welcher diese Eigen-
tümliclikeit auftritt, dann auch weiter zu untersuchen, ob etwa, wie ich
Veranlassung hatte zu vermuten, für den Frosch und Regenwurm auch
noch volkstümliche Soudernainen existierten.
Durch eiuen umfassenden Briefwechsel gelang die Orientierung in
beiderlei Hinsicht über Erwarten, ja die Untersuchung zog allmählich
immer weitere Ka'eise, so dass sie sich schliesslich über ganz Norddeutschland
ausdehnte. Wenn ich die interessanten Resultate, die sich namentlich aus
der überall liervortretenden landschaftlichen und damit ethnologischen
Gruppierung der betreffenden Namen ergeben haben, glaube demnächst
abschliessen nud veröffentlichen zu könneu, so will ich inzwischen einige
kleinere Mitteilungen nicht zurückhalten, welche mir aus den Havelland-
schaften, d. h. dem eigentlichen Havellande mit dem angrenzenden Teile
der Zauche. sowie aus den beiden Jerichowschen Kreisen bei dem an-
geknüpften Verkehr zufällig geworden sind.
1) Zrltor setzte das Lied am 11. Mai 1811. Reichardts beliebte Melodie stammt aus
demselben .Fahre.
Ißg Schwartz:
I. Monsieur Schwarzsauer.
iler Name wurde mir für die Kröte nebeu andereu aus dem zweiten
Jericbower Kreise als eiu Stück Volkshuuior mitgeteilt. Er stamme, liiess
es, aus der Zeit der französischeu Oceupatiou in ilen Jahren 1806 — 13 und
sei bis in die sechziger Jahre oft im Scherz gebraucht worden; allmählich
aber, wie jene Zeit selbst, mehr in den Hintergrund getreten. Damals also,
als das ganze Land voll französischer Einquartierung steckte, hatte eine
Bauerfrau einem französischen Soldaten, der bei ihr im Quartier lag, beim
Gänseschlachteu eine Schüssel Sehwarzsauer vorgesetzt, jenes auch jetzt
noch in weiteren Kreisen wohlbekannte Gericht, welches aus Gänseklein
mit Birnen oder Backobst und Klössen bereitet wird und durch das Gänse-
blut eine schwarze Farbe erhält. Der Franzose fand die Mahlzeit „tres
bon" und wiederholte oft „tres bon ce Schwarzsauer" und hieb tüchtig ein.
Plötzlich kletterte eine Kröte (die Schüssel hatte zur Abkühlung etwas auf
der Erde gestanden, und das Tier war hineingeraten,) aus der Schüssel
am Rande in die Höhe. Erschreckt, aber nicht gesonnen, von der
leckeren, ihm neuen Mahlzeit etwas entweichen zu lassen, spiesste der
Franzose die Kröte auf seine Gabel mit dem Zurufe: „Reste ici, Monsieur
Schwarzsauer", und so behielt das Tier lange den Namen.
H. „Dei hürt de Pieräser (die Regenwürmer) blaffen" (bellen).
sagt man am Pilener Luch von einem su]ierklugen Menschen, der alles besser
-wissen will als andere. Wie aber die Berliner Jungen statt pieräser meist
„pieresel" sagen, so sagt man, wie ich höre, in den Städten Westpreussens, wohin
das Wort durch vorpommersche Seefischer und weiter dann durch Schiffer
verpflanzt sein soll, „pie-ratz", in Posen sogar ,,pirosse", indem man an andere
Tiere dabei denkt.') Auch in Danzig und Marienwerder zieht man nun „den
pieratz" zur Vergleichung heran, indem man einen laugen, hageren Menschen
gelegentlich mit dem Namen „langer Pieratz" belegt, wie man einen solchen
in Berlin eine „lange Latte" nennt. Der Ausdruck „langer Pieratz" ist
offenbar von einem lang wie eiu Regenwurm ausgestreckt daliegenden
Menschen entlehnt. Wie Homer Jl. 13, 655 den vom Meriones getöteten
Harpalion, als er sterbend langausgestreckt auf der Erde daliegt, in un-
mittelbarer Anschauung einem Regenwurm vergleicht (^dv/ior nsroTTvelojv,
CO? Tf rjy.v'jkiji, im yut'i] y.dro T(ii)tig). so weckte dort bei Fischern und Schiftern
ein so „bequem" hingesti-eckter „Schlaaks" (wie auch der Berliner sagt und
davon das Zeitwort „sich hiuschlaaksen" formt.) in einer Art Hohn eiu
ähnliches Bild.
1) Der m-spriuigliclie Name pier-aas bezeiclmet das Tier als eiiicn Wurm-Köder lioim
Angell), denn pier ist ursiirünglich - wurm und aas = köder, in welcher Bedeutiuig es sich
noch namentlich in der Jägersprache erhalten hat.
Ein paar Miscelleri aus den Havellandschaften. 169
III. Der Hede- oder Herbsthund.
Mit dem Namen „Hede-" oder „Herbsthund" bezeichnet der Volks-
hmnor im Havelland die Brake, das Gerät, mit welchem man den Flachs,
um die Ausscheidung der Hede anzubahnen, bricht. Gebrakt wird
im Spätherbst meist des Abends beim Laternenlicht, nachdem der Flachs
• im Backofen, wenn das Brot herausgenommen, gedörrt worden ist.
Früher als noch mehr auch auf den Höfen gesponnen wurde, brakten oft
20—30 Mädchen und junge Leute zusammen, und dann ging es dabei lustig
her. Eine alte Frau, die nicht mehr recht die Kräfte zum Braken hatte,
zog immer eine Handvoll Flachs aus dem Ofen und reichte sie dem nächsten,
der gab sie weiter, bis alle damit versehen waren, und dann ging das
Brechen mit der Brake los. Wenn man es so aus der Ferne, namentlich
von mehreren ausgeführt, hört, dann lässt sich das Klappern an, als wenn
ein alter Hofhund „kläfft", und deshalb nannte und nennt man auch noch
die Brake scherzend den „Hede-" oder „Herbsthund".
IV. Von Überresten alter Hausindustrie.
Die reiche Hausindustrie früherer Zeit, von der u. a. das in Berlin
neu begTÜndete Museum deutscher Volkstrachten ein beredtes Zeugnis ab-
legt, hat in diesem Jahrhundert auf dem Lande durch das Fabrik- und
Hausierwesen immer mehr abgenommen. Nichtsdestoweniger werden noch
immer einzelne Zweige allgemeiner gepflegt. Eine zufällig sich anspinnende
Recherche deshalb im Havellaude ergab folgende Notizen.
Die Frauen beschäftigen sich vor allem noch immer mit Spinnen und
Weben von Wolle und auch von Flachs. Das Spinnen der Wolle geschieht
meist gleich vom Vliess aus, wie es von der Schur kommt, wo die Wolle
noch wie Watte zusammenhängt. Wenn die Wolle gesponnen, wird sie noch
einmal sauber gewaschen und je nach dem beabsichtigten Verbrauch meist
braun oder blau gefärbt. Auch der Flachs wird teilweise blau gefärbt,
namentlich zur Verwendung bei Anfertigung des karrierten Bettzeuges,
welches sehr beliebt ist. Eine besondere Art Gewebe ist das sogenannte
Warp mit leinenem Aufzuge und wollenem Einschlag, also ein halbwollener,
tuchartiger Stoff.
Die Männer schnitzen allerhand aus Holz, z. B. Holzpantinen, fertigen
sich auch Besen, Harken, Dreschflegel u. dgl. meist selbst an, flechten
Körbe aus Weidenruten und den feineren, zähen Wurzeln der Kiefer.
Treiben sie Fischfang, so stricken sie auch Netze und flechten Reusen.
Viele — namentlich Schäfer — stricken auch Strümpfe und Fausthand-
schuhe, natürlich von „selbstgesponuener" Wolle. Bei den letzteren kommt
meist ein sehr mühsamer Häkelstich zur Anwendung, indem kleine Wollen-
flöckchen immer eingehäkelt oder eingestrickt werden, was dann vollständig
eine Art Pelz giebt.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunae. 1895. lo
]70 Scliwartz; Ein paar Miscelleu aus den Havellaurlschaften.
Vor 50 Jahreu stand noch das Flachsspinnen ganz anders inmitten
des wirtschaftliclien Lehens. Seit der Zeit hat sich die Sache aher in den
Havellandschaften, wie iilierhaupt im nordöstlichen Deutschland, z. T. sehr
geändert. Während auf der einen Seite die landesüblichen Spinnstuhen mit
ihrer natürlichen Ungebnndenheit bei den kirchlichen wie staatliehen Organen
in Verruf kamen, und mau auf ihre Beseitigung drängte, wurde auf der
anderen Seite auch das Interesse des Volkes daran durcli besondere Umstände
selbst gemindert. Je länger, je mehr griff die Verwendung der wohlfeilen
Baumwolle um sich, und allmählich fingen auch Fabriken an, die Leinewand
so billig zu liefern, dass die viele Arbeit, welche sie dem Einzelnen macht,
kaum mehr zu lohnen schien. Eine Sache gab aber dem Spinnen den
Hauptstoss. nähmlich die veränderten Lohnverhältnisse. Wie der Staat
prinzipiell überall Naturalleistungen in Geld „umsetzen" Hess, so trachteten
auch die ländlichen Dienstleute zuletzt danach, und so kam schliesslich unter
Erhöhung des Lohnes das früher übliche Deputat an Leinsamenaussaat,
sowie das an Flachs und Wolle bei ilinen Wegfall, und damit wurde der
betreffenden Industrie die breite volkstümliche (Grundlage, die sie gehabt,
bedeutend geschmälert. ')
V. Vom Abnehmen des Spinnens und vom Einfluss davon auch
auf anderem Gebiete des Volkstums.
Ich bin auf dies Abnehmen des Spinnens etwas ausführlicher ein-
gegangen, da, abgesehen von dem socialen Interesse, welches die Sache in
ihrer ganzen Entwicklung hat, ich auch bei meinen jetzt erneuten Beziehungen
zu dem Volkstum in den Havellandschaften erfahren habe, wie das Auf-
hören des Spinnens in der Allgemeinheit noch ein altes Stück Heidentum
fast vollständig abgebröckelt hat, welches sich an die sogenannten Zwölften,
die Zeit von Weihnachten bis Grossneujahr (6. Jan.) knüpfte und sich bis
jetzt, wenn auch nur äusserlich in der Tradition, gerade in den Gegenden
zwischen Elbe und Oder bis in dieses Jahrhundert fort erhalten hatte.
Die Zwölften, mit denen das christliche Weihnachtsfest zusammenfiel,
waren im Heidentum das Fest der Wintersonnenwende. Da musste jede
Arbeit ruhen, da durfte kein Rad sich drehen, nicht gewaschen, vor allem
nicht gesponnen werden. Allerhand Aberglaube knüpfte sich daran. Wenn
einer wusch, hiess es: „Wer dann den tun bekledt. muss im nächsten
Jahre den Kirchhof bekleden", d. h. sterben. Wenn ein Jlädchen den
Wecken nicht abgesponnen hatte, also die Arbeit nicht ruhte, bekam es
Schwären (Geschwüre) oder, wie es in den Havellandschaften hiess: „Frau
1) Die Löhne der Mädchen im Havellande betrugen bis zum .Tahre 1855 durch-'
schnittlich IS Thaler, "2 Pfund Wolle, 3fi Ellen Leinewand und ',., Scheffel Leinsamen, aus-
gesäet. In den sechziger Jahren stiegen die Lohuansprüche. Von 1868 — 70 an verlangten
die Mädchen nur- Geld und zwar 35—40 Thaler, erhielten aber auch meist noch J Pfund
Wolle und das Leinen ausgesäet. Jetzt bekommen sie nur Geld.
Greussinff: Die alte Jungfer. 171
Harke käme und besudle ihr den Wocken", während der Uckermärker
dafür „dieFrick", der Priegnitzer „FrauGode". der mecklenburgische Bauer
den „Wode" substituierte. Wenn in diesen Namen, wie Kuhn und ich sie
überall vor mehr als fünfzig Jahren bei unseren Wanderungen durch jene
Landschaften noch gleichsam mechaniscli fortlebend vorfanden, damals noch
alte Götternamen aus der heidnischen Zeit in der betreffenden Bevölkerung
fortlebten, so hat das Aufhören allgemeinen Spinnens seit jener
Zeit dies charakteristische Moment fast verwischt. Wie ich schon
vor einigen Jahren in Pommern die Erfahrung machte, hörte ich jetzt auch
aus dem Havellande auf verschiedene Anfragen übereinstimmend, dass mit
dem Abnehmen des Spinnens auch Frau Harke mit dem betreffenden Aber-
glauben in Vergessenheit gekommen sei und nur einzelne alte Leute sich
dessen erinnerten, dass man früher es gesagt. So gehen die Fäden im
Volkstum herüber und hinüber, und Veränderungen auf einem Gebiete
veranlassen unerwartet auch Wandlungen auf einem ganz anderen.
Die alte Jungfer.
Lebensbild aus dem Stubai von Paul Greussing.
Gerade so wie in den Städten giebt es im kleinen Dörflein allerlei
Leute, gute und böse, komische und ernste.
Jeder Mensch hat seine Grillen und die zirpen nicht nur im Frühling,
sondern auch zur Winterszeit.
Jedes Dorf hat seinen Sonderling, sei er männlichen oder weiblichen
Geschlechtes.
Hier versieht diese Rolle auf der Bühne des irdischen Daseins ein
ergrautes Weiblein; Eulalia ist ihr schöner Name. Sie ist auch einmal
ein flottes „Diendl" gewesen und mancher Bursche stieg vergebens um
mitternächtige Stunde, wenn der Mond die Gletscher und Wälder ver-
silberte, zu ihrem Kammerfenster.
Neulich noch zeigte sich ein frohes Lächeln um den runzligen Mund,
ein spätes Wetterleuchten jener längst euti-ückten Sturmeszeiten.
„I der Sepei" kichert die Alte, „da isch a Bnrschl gewesen, das hat
nii gefreudet. Nu! itz thnt ihm a koa Banl mehr weh, dem armen Hascher.
Gott sei seiner armen Seel anädis!"
„Eulalia, erzähle mir einmal die Geschichte Deines Lebens, Du weisst
ja, dass mich alles interessiert!"
„Du — du warsch mir der letzte, den i's sogen that — moanst epper,
kunnst mit Zeitung an Kreuzer verdianen? — hi — hi — hi — heiliger
Romedi samt dein Bären!"
12*
j'72 Greussing:
„Aber Eulalia "
„Halt dei Maul! — ondre luigen damit, — ober du luigst a mit der
Tatzen!" — Fort ist das Weiblein, verschwunden hinter der Thür der
kleinen Hütte.
Neulich hat man sie hinausgetragen zum Sepei, dem Liebsten ihrer
Jugend, darum kann ich wohl ihre Geschichte erzählen. Der Herbst- und
Frühlingssturm braust über die Gräber und schüttelt und rüttelt au den
eisernen Kreuzen. Die knarren und ächzen im Winde. Der alte Wetter-
hahn dreht sich auf dem roten Turme. Er dreht sich immer gleich —
gerade so wie das Leben unten im Dorfe, das Jahr um Jahr ein Riugel-
spiel führt. — Die Macht der Gewohnheit ist das hölzerne Rösslein. welches
die schlichten Leutchen zirkusmässig herumträgt.
Heut steht „der Lugenhansl". ebenfalls eine interessante Dorfgestalt,
vor dem kleineu Hügel eben.
Thränen benetzen die Wangen des „Lumpen", wie ihn die Leute
nennen. Der Kirchturm aber zeigt auch für den „Verlassenen" nach oben,
und der kleine Friedhof wird auch ihn einst in die schweigende Gesell-
schaft aufnehmen. Dann muss sich der stolze Grossbauer halt auch mit
diesem Nachbarn vertragen, und ihnen allen singt das Rotkröpferl im
Weidenbaume ein melancholisches Liedlein.
Da steht er und wischt die schnapsgeröteten Augen.
„Herrgott — gelt Herr Herrgott", er beginnt zu schluchzen. „Gelt,
Du verzeihst ihrs, dass sie mi zu an Inimpen gmacht hat?" — Er weint
wohl über seinen eigenen Verfall, und er weint diese Thränen auf der Stätte,
wo sein erster Jugendtraum im ewigen Schlummer ruht.
Wieder rüttelt der Herbstwind an den eisernen Kreuzen und die grauen
Locken des Bettlers flattern wie Hobelspäne ums entblösste Haupt.
Er setzt sich den schmutzigen Hut auf und wandert weiter und bittet
jedermann um eine Gabe. —
Frühling und Herbst kommt alljährlich nur einmal. Nur einmal im
menschlichen Leben blühen die Blumen, dann kommt der Sommer, und
bald bleicht der Herbst deine Haare. Der Lügenhansl hat auch seinen
Lenz durchlebt, als noch die Eulalia ein junges Mädl gewesen ist.
Der kräftige und damals hübsche Hansl hatte auch ein heisses Herz
in der Brust, und es wurde ihm ganz sonderbar zu Mute, so oft die Maid
in seinen Gesichtskreis trat. Doch er war ja nur ein armes Knechtl, und
der „Seppei" ist ein reicher Bauernsohn gewesen und gerade so gut und
sauber wie der Hannes und gerade so vernarrt wie letzterer.
Der Eulalia war da die Wahl nicht schwer — . doch es kam ein
sonnenheller Frühlingstag, und vier Jäger trugen den zu Tode verletzten
Seppei dem Vater zu. Er war am Gamsschrofen und hat Edelweiss und
Rauten geholt für sein schönes Liebehen. Wenige Tage später und wieder
Die alte Jungfer. 173
trugen vier Mäuuer den armen Burschen hinaus. Bald kollerten darnach
die Steine auf den hölzernen Sarg, und aus war es.
Vorbei ist es auch mit der Eulalia gewesen, die wui-de eine echte
Menschenfeindin. Sie hat keine Thräne am Grabe des Liebsten geweint,
aber nach sechzig Jahren ist sie noch nie über den Friedhof gewandert,
ohne ein Tröpfl Weihbrunu aufs Grabhügerl des Seppei zu werfen.
Der arme Hansl hat dem „Diendl" vergebens Lieb und Hand und
noch etwas dazu ,,a bisl Ersparts" angetragen. Fortgejagt hat sie ihn mit
rauhen Worten.
Er trank im Verdruss — ein. zwei Gläsleiu — beim Bierwirt — vor-
läufig aus Ärger — später that er es aus Gewohnheit.
Ebenfalls Eulalia gewöhnte sich in alten Tagen ein „Bisserl aufs Glasl."
Wenig Wochen vor ihrem Tode hat sie ihr Lieblingslied dem Dorf-
lumpen vorgesungen.
Draussen zog der Herbstwind raschelnd durchs welke Laub , und als
letzte Frühlingsreste fielen da und dort die Blätter. Der „Lugenhannes"
und die Alte tranken zusammen ein Glasl, sie waren lustig nach ihrer Art.
Und i bin halt a steinoltes Madl. Den Imt mir der Herrgott nit g'lassen,
Mein Alter ist 82 Jahr — Itz schlag i mirs ganz aus dem Sinn,
I bin voller Kröpf — voller Tadel, Und hab mir den Gedanken glei g'fassen
Ganz glazet und grau is mei Haarl Es kimmt scho a anderer um mi!
I hat wohl an Heirat bekemmen, Und mit meinem so langen Warten
A Bäuerl, wohl a nit a groass, Da wur i a alte Maschin —
Den hat i mit Kreuzgvvalt sollt nehmen — ; Und Imn halt nix mehr z'derwarteu;
Er füttert im Winter zwoa Goas! Mei Schönheit ist alle dahin. —
Und Madien thiet enk nit lang bsinnen.
Wenn aner ums Heiraten fragt,
Und thiet en holt glei zu enk nehmen,
Wenn oaner a Goasstallele hat!
So sang das runzlige Weiblein. Der Lügenhannes that aber einen
gewaltigen Schluck aus der Flasche und die Alte seufzte: „Jetzts ists z'spat
— gelt. Hascher, hätt di holt do nehmen sollen." Das erste Mal seit langen
Jahren leuchten ihre Augen im feuchten Glänze.
Der Dorf lump will etwas sagen, jedoch er bringt die Worte ui(dit
zusammen.
Er lachte, und dabei perlte es über die gelben Wangen wie glitzernde
Diamanten.
Er schlug mit dem eisenbesetzten Stocke die Dielen und erhob sich:
„Leb wohl. Eulali — i verzeih dir!"
„Was du — du Lump niederträchtiger, du iniar verzeichen — pack
di aus meine Augen, suusten giebts a Besenstielsuppeu!"
Weiter trollte sich der Bettler. — Heute geht er vom Grabe seiner
Jugendliebe — ins Wirtshaus, und es rollt hie und da ein Tröpflein vom
174 Bahlmann:
Auge ins Schnapsglas!: „Verzeih ihr, Herrgott, dass sie nii zu an Lumpen
gemacht hat."
Drausseu stürmt der Herbstwind, und fällt das Laub der Bäume.
Frühlingsblumen, Finkenschlag vorbei — vorbei! —
T elf es im Stubai, Tirol.
Die Lambertus-Feier zu Münster i. W.
Von Paul Balilmann.
Über den Ursprung und die Bedeutung des seit midenklichen Zeiten
in der Stadt Münster, aber an keinem anderen Orte des ganzen vormaligen
Hochstiftes üblichen St. Lambertus-Festes waren die Kulturhistoriker bis
in die neueste Zeit gar verschiedener Ansicht. Professor G. B. Depping
in Paris, ein geborener Münsteraner (1784—1853), sucht die Feier in dem
1810 bei Waldeck in Münster erschienenen, jetzt leider nicht mehr auf-
zufiudenden Tageblatte „Eos, Zeitsclirift für üebildete"') unter Hinweis
auf das Lied:
Jammer, Jammer, höret zu.
Was ich euch will sagen:
Hab verloren meinen Schatz
Wohl auf Lamberti-Abend!-)
von ägyptischen, bezw. heidnischen Mysterien herzuleiten, während sie der
Münsterische Major H. A. Flensberg (1750—1824) mit der am Larabertus-
tage beginnenden Abendarbeit der Handwerker in Verbindung bringt.
„Münster — schreibt Flensberg") — eine Stadt vormals voller Gewerbe,
war in ältesten Zeiten von vielen kleinen Handwerkern und Gewerbsleuten
bewohnt auf Stellen, die jetzt von Klöstern und anderen Prachtgebänden
eingenommen sind. Wenn die neueste Volkszählung keine 15 000 Seelen*)
ausfindet, so glaube ich (ohne eben Volkslisten aus den ältesten Zeiten vor
mir zu haben) jene vor 300 Jahren auf 40 000 in Anschlag bringen zu
dürfen °) .... In dieser Stadt voller Gewerbfleiss war, wenn die Gewerbe
1) Extrabeilage No. 2, Pariser Correspondenz-Nachrichten: über den Ursprmig des
Lambertusfestes in Münster.
2) Vgl. Münsterische Geschichten, Sagen und Legenden. Münster 1825, p. 267 ff.
3) Eos, No. 71 und 72: Lamberti-Abendfeier. — Nach einer früher von ihm an-
gefertigten Abschrift abgedruckt von Josef Weingärtner (Erzählungen aus Westfalen.
Münster 1890, p. yl— 94 imd Das Kind, 2. Ausg., Münster 1891, p. 61—64).
4) Die Stadt hatte im Jahre 1795 nur 13 976, 1816 erst 15 088 Einwohner.
5) A. Tibus (Die Stadt Münster. Münster 1882, p. 260) gelangt zu dem Schluss, dass
die Bevölkerung Münsters am Ende des 15. und im Anfange des 16. Jahrhunderts höchstens
9000—10000 Köpfe, im 14. Jahrhundert dagegen, das ja auch die Zeit der grössten Blüte
der Stadt bildete, 11000—12 000 Köpfe betragen haben möge.
Die Lanibertus-Feioi- zu Münster i. W. 175
nicht uuter der Willkür der Arbeits- und Hausgeuossen erliegen oder diese
von den Meistern misshandelt werden sollten, eine öffentliclie Ordnung
vounöten, welche die Arbeitsamkeit regulierte, wobei auch auf die Zeit
der Arbeit vorzügliche Kücksicht zu nehmen war. Die Arbeitsstunden
waren daher für den Sommer und Winter besonders festzusetzen. Wenn
in jenem, welcher von Ostern bis Michaelis gerechnet wird, die Arbeit
früh um 5 Uhr anfangen und bis zum Einbrucli der Nacht fortdauern sollte,
so gewannen die Arbeiter ungemein. Nach dem Solstitium (der Sonnen-
wende) mit Ausgang Augusts kann schon um 7 Uhr abends ohne Licht
nicht melir gearbeitet werden, und das letzte Drittel des Septembers
erfordert dieses schon um 6 Uhr. Hier war also der Yerlust für die Brot-
herren und Meister zu überwiegend, wenn bis Michaelis, als dem Zeitpunkte,
von welchem an auf dem umherliegenden platten Lande noch jetzt die
Arbeitsstunden anfangen nach Sonnenuntergang fortgesetzt zu werden, für
die gTOsse Menge Tagelöhner und Gesellen der städtischeu Gewerbe das-
selbe stattfinden sollte. Ein bis zwei Stunden Arbeit weniger auf einen
ganzen Monat für viele hundert Menschen musste ein Gegenstand obrigkeit-
licher Aufmerksamkeit werden. Diese wählte den Mittelweg und ver-
ordnete den Anfang der Arbeit bei Lichte auf die Mitte Septembers, als
Lamberti Abendfeier'), welche Polizei- Verfügung noch gegenwärtig bei
verschiedenen Gewerben in voller Kraft ist. — WelcJier Anlass ist wohl
natürlicher, als dass der Abend, wo auf einmal alle Häuser und Werkstätten
zuerst erleuchtet werden, der Klasse arbeitender Menschen eine besondere
Feier wurde, woran Kinder und Hausgesinde ohne Unterschied Teil nahmen?
Der erste Arbeitsabend wurde uuter allgemeiner Freude zugebracht, das
Licht aus den Werkstätten für dies einzige Mal ins Freie auf die öffent-
lichen Strassen getragen. Man sang, man tanzte und stärkte sich durch
diese Feier zu den Arbeitsstunden des bevorstehenden Winters."
Am nächsten liegt es, unser Pest — wie dies auch von Tibus (1.
c.
p. 272) geschehen ist -^ mit dem Heiligen in Zusammenhang zu bringen,
an dessen kirchlichem Gedächtnistage es gefeiert wird, zumal die Lamberti-
kirche fast das ganze 12. Jahrhundert hindm'ch die einzige Pfarrkirche für
die ganze Stadtmark am rechten Ufer der Aa war^). die ganze Stadt also
r Als Anfangstermin einer neuen Arbeitsperinde wird Lamberti auch in den Ver-
ordnungen vom 1"J. Aug. 1765 und 31. Aug. 1801 bezeichnet, nach denen von Lichtmess
bis Mai 10 Stunden, von Mai bi.s Lamberti ll'/s Stunden, von Lamberti bis Martini
10 Stunden, von Martini bis Lichtmess von einem Licht bis zum anderen (exkl. 1 Stunde
zum Essen) gearbeitet wenlen sollte. Vgl. Sammlung der Gesetze und Verordnungen,
welche in . . . Munster . . . ergangen sind. Band IL Münster 1842, p. 19 und 372.
2i Von den Zeiten Ludgers (f 809) bis zum Jalu-e 1040 war der Dom die einzige
PfaiTkirche für Münstei' und dessen weitere Umgebung. Bisehof Hermann L erbaute etwa
1U40 in Überwasser die Marien- oder Liebfrauenkirche und überwies derselben vom
Dompfarrbezirke alles, was jenseits der Aa (trans aquas) liegt. Um das Jakr 1070 errichtete
Bischof Friedrich I. die St. Mauritzkirche und etwa 20 Jahre später BischofErpho die
Lambertikirche, worauf dann der diesseits der Aa (eis aquas) gelegene Teil des Dom-
J76 Bahlmanu;
Grund genug hatte, gerade den hl. Lambertus') besonders zu ehren.')
Auch ist die' Verehrung eines Heiligen durch „öffentliche Beleuchtung und
Tänze auf oifener Strasse bei nächtlicher Weile"') — wie die bekannte
Martinsfeier*) zeigt — dui'chaus nichts Ungewöhnliches: in der Regel wurde
am Martinsfeste allerdings um sogenannte Martinsfeuer^) herumgetanzt,
doch traten später auch anstatt der Feuer Papierlaternen und Lichter auf*),
so dass man das Lichterbrennen am Lambertusabend immerhin für einen
kümmerlichen Rest früher üblicher Feuerbrände halten könnte. Da aber
in keinem einzigen der am Lambertustage gesungenen Lieder dieser Heilige
geschildert und gepriesen, ja sogar nur in drei (weiter unten mitgeteilten)
Liedern überhaupt genannt wird, darf trotzdem die Feier auf ihn nicht
zurückgeführt werden.
Hinsichtlich der von Depping und Flensberg gegebenen Erklärungen
ist zu bemerken, dass die erstere. die ohnehin schon längst keinen Yer-
treter mehr gefunden, einer besonderen Widerlegung nicht mehr bedarf,
nachdem die an und für sich nur mit Yorsicht aufzunehmenden Auslassungen
Flensbergs') infolge der schätzenswerten Mitteilungen des Prof Dr. Worra-
pfarrbezirkes zwischen diesen beiden Kirchen derart geteüt wurde, dass zum Kirchspiel
St. Mauritz nur ausserhalb des nachmaligen geschlossenen ümfanges der Stadt gelegene
Wohnsitze gehörten. Der Dom blieb nur noch Pfan'kirche für die ihm adscribierten Geist-
lichen. Gegen 1180 erfolgte die Abzweigung der Martiuipfarrei von der Manritzpfarrei
und der Ludgeri- und Agidiipfarrei, sowie um 1"J00 der Serratipfarrei vom
Lambertipfarrgebiet. — Die Jakobikirche, in der letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts
gegründet, war die Pfarekirche der Dienerschaft der Domherren und seit dem 17. Jahrb.
auch der bischöflichen Beamten. Sie wiude 1814 abgebrochen und die dazu gehörige
Pfarrei in den Dom zurückverlegt.
1) Bischof von Maestricht, verdient um die .\usbreitimg des ('hristentimis in den
Niederlanden, weshalb man die Feuer oder Lichter auch wohl als Sinnbilder des Glaubens-
lichtes, das er um sich ausgebreitet, betrachtet hat. Er wiu-de im Jahre 708 ermordet.
Seine Gebeine brachte der hl. Hubertus etwa 720 nach T.üttich, als er den Bischofssitz
von Maestricht dorthin verlegte.
2) Die einstige Bedeutiuig der Lambertipfarrei scheint Flensberg nicht gekannt zu
haben, da er fragt: ^Aber was könnte unsere Väter bestimmt haben, die Feier nicht viel-
mehr dem hl. Ludger, erstem Bischof und Patron des ganzen Stifts, zu widmen?"
3) Worin auch Flensberg das Charakteristische der Lambertnsfeier erblickt.
4) Hierüber vgl. hauptsächlich H. Pfannenschmid. Germanische Erntefeste im heid-
nischen und christlichen Cultus, Hannover 1878, p. 193—248, woselbst sich auch p. 468
bibUograbhische Nachweise über Martiaslieder und p. 469 — 483 Texte hannoverischer
MartinsHeder vorfinden. — Der hl. Martin (Bischof v. Tours, f 401) ist auch in Westfalen
einer der am häufigsten vorkommenden Kircheupatrone.
5) In der Stadt Münster wird das am St. Martinsabend (11. November herkömmliche,
wie jedes anderweitige brandgefährliche Anzünden von Freudenfeuern auf den Strassen am
2. Oktober 1705 unter Androhung von 25 Goldgulden Geldbusse, bezw. einer ^villkürlichen
Leihesstrafe für Unvermögende, für alle Zukunft verboten (Sammlung der Gesetze u. s. w.
L c. No. 251).
6) 0. Frhi-. V. Keinsberg-Uüringsfeld, Das festliche Jahi-. Leipzig 1863, p. 344.
7) Seiner .Abhandlung, die auch sonst nicht ganz einwandsfrei ist vgl. p. 174 An-
merkung 5 und oben Anm. 2), fehlt jeder Beleg.
Die Lamberfcus-Feier zu Münster i. W. 177
stalP) für zutreffend erachtet M'erdfii müssen. Wormstall sah nämlich in
den Dörfern am linken Ufer der unteren Lippe neben dem Lambertustage
den Tag von Petri Stuhlfeier (22. Februar) ebenfalls als eine Lichtfeier
bei Abend festlich begehen und hört^ dort ausser dem Drohliedchen des
Gesindes gegen den Brotherrn
He sünte Lammert!
Lammerst du te froh.
Petern wi te froh,
He sünte Lammert!-)
das den Zusammenhang beider Lustbarkeiten deutlich bekundet, auch als
Grund für den alten Brauch, dass am Lambertustage — in alter Zeit
regelmässig, und stellenweise noch jetzt — bei den Bauern und Hand-
werkern die Lampen für die Abendarbeit wieder angesteckt wurden, und
dieses Abendarbeiten bei Licht — in der Spinnstube und Webekammer,
wie in allen Werkstätten — dann den Herbst und Winter durch bis zum
St. Peterstage dauerte, an welchem das Arbeiten bei Licht wieder ein-
gestellt wurde und mit der Dunkelheit Feierabend eintrat.
über die Art und Weise, wie der in Rede stehende Tag gefeiert wurde,
sind wir ziemlich genau unterrichtet. Am Vorabende des hl. Lambertus
erbaten sich die Kinder von den Naclibarn Licliter, Ol and Geld, indem
sie sangen:
Hier wuent wull en gueden Mann,
De uss wull wat giewen kann.
Laot uss hier uich lange staohn,
Wi müett en Hüesken wider gaohn.')
1) Monatsschi'ift füi- rboinisch-westfälische Greschichtsforsi-liuug und Altertuiiiskuntle.
Herausgegeben von R. Pick, Jahrgang II, Trier 1876, p. 133 f.
2) d.h. Steckst du uns am Lambertustage zu früh das Arbeitslicbt an, so werden
wirs am Peterstage desto früher löschen. — In Bezug auf das Drohliedchen erinnert
.1. Evelt (Monatsschrift . . . v. R. Pick, Jahrg. II, p. 404) an de» Ausdruck .belämmern,
(1. h. anfüliren, in unangenehmer Weise überraschen, der sich vielleicht vom Lambertustage
berschreibt uuil die gegebene Erklärung bestätigt.
3) Ähnliche Lieder sind in Herford am Hl. Drei-Königs- uuil St. Martiustage üblich
(s. J. Weingärtner, Das Kind und s. Poesie in plattdeutscher Mundart. Münster 1880,
p. 37 und 41). — Zu Sassenberg im Münsterlaiide wird nach einer Mitteilung von Fräulein
E. Bath am Michaelisabend gesungen:
Van Aowend iss Michelis-Aowend Dann schiär wi u,ss alle futt.
Da köff mine Moor en Häriuk. Hilgenblatt, schöne Stadt,
Min Moor en Stück, Schöne Jungfrau, giewt uss wat!
Min Vaar en Stück, (Nach einer Pause:)
Alle Kinuer kriegt en lück. :,: Krieg wi auk wat? :,;
Giewt uss enen Appel, (Nach einigem Warten:)
Dao könn'n wi gued nao schnappen: Laot uss uich so lange staohn,
Giewt uss ene Biäre, Wi müett noch eu Hüesken vorder gaohn.
Dao könn"n wi gued nao schmiären: :,: Krieg wi auk wat? :.:
Giewt uss ene Prume, (Wenn nichts gegeben worden:)
Dao köun'n wi gued nau snuweu; 0 du olle Pirkeltirwe
Giewt uss ene Nuett, Hest uss nix to friätteu gieweu.
178 Bahlmann:
Diese Verse vergleicht ein Münstermaiiii iin Münsterischeii gemein-
nützlichen Wochenblatt") mit dem Liede der Kinder auf Samos beim
Einsammeln der Gaben am Apollofeste, das uns in der etwa 140 v. Chr.
abgefassten pseudoherodotischen Vita Homeri *) erlialteu ist.
Am Lambertustage (17. Septemljer) selbst wurde') die ganze Stadt
beleuchtet; Kränze, in allerhand Formen geflochten und mit vielen Lichtern
prangend, sehwebten quer über den Strassen, wo sie. an Seilen in die
Höhe gezogen, die Spitzen der Häuser und Dächer erhellten. Unter diesen
Kränzen versammelten sich die Kinder, Hausgenossen. Mägde und Arbeits-
gesellen und sangen im Kerzen- oder Fackelscheine (bezw. um eine mit
Lichtern. Blumen und Laub verzierte Holzpyramide) unter stetem Reigen
eigene Lieder*), teils älteren, teils neueren Ursprungs, welche hoch über
alle Strassen, durch die ganze Stadt erschallten und a,'\ der umstehenden
Menge, die an Gesang und Tanz nicht teilnahm, aufmerksame Zuiiörer
fanden. Begonnen wurde in der Regel mit dem Liede
Lambertns sali liäwen,
De hett uss so leif;
Well dat nich will gleiwen.
Dat iss'n rechten Sleif!
statt dessen Joseph Aunegarn^), der von 1819 — 1880 Vikar an der St.
Lambertikirche zu Münster war. vor etwa 70 Jahren ein von ihm verfasstes
hochdeutsches Lied (IB Strophen) einführte.") Dann folgte
Liiinmert in den Sekenki-anz, Lam pack to!
Röret uss nich an, Krieg se bi de Schob,
Dao wi noch so stille staoht, Krieg se bi de Wips
Röret uss nich an! ün smiet se mi to!
1) Jahrg. VII, Münster 1791, p. 159 f. — Auch erwähnt in ü. Fischers Boschreiljung
typographischer Seltenheiten. Lief. 5. Nürnberg 1804, p. 168. '
2) Biogvaphi ed. A. Westermann. Brunsvigae 1845. p. 17, 445 bis p. 18, 464. — Ab-
gedr. in: Homeri Hymui, Epigiammata ... ed. E. Abel. Lipsiae 1886. p. 124 t'. (Epigr. XV).
3) Nach Flensberg. — Ganz ähnlich waren die von dem münsterischen Domkantor
Melchior Röcheil (f 1606) beschriebenen Feuertänze am Fastna<hts-Üienstage s. P. Bahl-
mann i. d. Zeitschr. f. Kultui'gesch., Bd. I. Berlin 1894, p. 227 f.), in denen deshalb auch
L. Schücking (Westcrmanns illustr. dtsch. Monatshefte, Bd. 51. Braunschweig 1882, p. 771)
die Anfänge der Lambertusfeier erblickt.
4) d. h. für diese Feier üblich gewordene, wenn auch uiclit eigens fiu' sie verfasste
Lieder.
5) Aiinegaru war am 13. Oktober 1794 zu Ostbevern im Münsferlande geboren,
besuchte von 1808 — 1818 das Gymnasium und die Universität zu Münster, wurde 1830
Pfarrer in Seim bei Münster und 1836 Professor der Kirchengeschichte und des Kirchen-
rechfs am Lyceum Hosianum zu Braunsberg, woselbst er am 8. .hili 1843 starb. Vgl.
Westfäl. Hausschatz. Münster 1894, p. 243f.
6) Vgl. J. Evelt (Monatsschrift . . . v. K. Pick, Jahi-g. II. 1876. p. 464). — Die erste
Strophe lautet
Lasst uns froh und nmnter sein Lustig, lustig, trallerallera.
Und uns heut im Herrn ei-freu'n. :,: Nun ist liamberts-Abend da. :,:
Die Lambertus-Feier zu Münster i. W. 179
und Van Aowend iss Sunt Lammerts-Aowend,
Köff min Moor en Härink;
Min Vaar en Stück,
Min Moor en Stück,
De Rinner kriegt den Röggelink!')
Hieran schlössen sich in ganz willkürlicher Ordnung eine Reihe platt-
uud später auch hochdeutscher Lieder, in denen aber der Name des hl.
Lambertus nicht vorkommt.
Man ging, man stand, man drängte sich durch die wogenden Haufen;
alles war Leben. Bis tief in die Nacht dauerte das Spiel, welches bei
günstiger Witterung wohl an drei Abenden wiederholt wurde. Doch
mancherlei Ausschreitungen, hauptsächlich durch eine zu grosse Teilnahme
Erwachsener hervorgerufen, veranlassten die Ortsbehörde, die schon früher
die Feier auf den Vorabend, den Fest- und folgenden Abend beschränkt
hatte, am 6. September 1854 ') zu weiteren Schritten. Im Einverständnis
mit dem Magistrate verordnete der Oberbürgermeister von Olfers unter
Androhung einer Geldstrafe bis zu drei Thalern. an deren Stelle im Un-
vermögensfalle eine Gefängnisstrafe bis zu drei Tagen treten sollte, dass
das öffentliche Tanzen und Lichterbrennen nur von eintretender Dunkelheit
bis abends 10 Uhr gestattet, das Aufstelleu von Pyramiden in engen und
häufig befahrenen Strassen, ebenso wie lautes Schreien und Rufen und das
Absingen unanständiger Lieder, aber ganz verboten sei. Die mit der
Durchführung dieser Bestimmungen beauftragten Polizeibeamten hatten
dabei, schon ihrer geringen Zahl halber, einen recht schwierigen Stand.
Die Kinder, für welche in neuerer Zeit das Fest hauptsächlich bestimmt
war, waren nach einem 1873 vom Polizei-Kommissar erstatteten Berichte')
bereits gegen acht ülu' ganz von halbwüchsigen Burschen und Dirnen
verdrängt, die, obgleich nur an den Pyramiden selbst gesungen werden
sollte, Arm in Arm von einer Pyi-amide zur anderen zogen, durch ihre
wüsten, zum Teil schmutzigen Lieder das Ohr der anständigen Bevölkerung
beleidigend und diese zu Umwegen zwingend. Am tollsten war das Treiben
an denjenigen Pp-amiden, welche sich in der Nähe eines oder gar mehrerer
Wirtshäuser befanden, deren Inhaber die Herstellung derselben mit Rück-
sicht auf den ihnen aus der Trunksucht der Tänzer erwachsenden Gewinn
vielfach selbst veranlasst hatten; eine in der Nähe der Mauritzstrasse
errichtete Pyramide trug z. B. auf ihrer Spitze eine grosse Flasche mit
Schnaps und ein Glas zu beliebigem Gehrauch. Feierabend musste nach
zehn Uhr an ein und derselben Stelle häufig genug mehrere Male geboten,
mitunter sogar eine Militär-Patrouille zur Unterstützung der Polizei ge-
rufen werden. Und war der Schluss des Tanzes und das Auslöschen der
1) Vgl. das p. 177 (Anin. 3) mitgeteilte Sassenberger Lieil.
2) Amtsblatt der Kgl. Regierung zu Münster 1854, p. 502.
3) s. Akten des Magistrats zu Münster.
180 Haase:
Lichter auch endlich glücklich überall erzwungen, dann durchstreiften die
meist angetrunkenen Scharen immer noch lärmend und Unfug treibend
die Sti'assen. Im öffentlichen Interesse sah sich deshalb der Oberbürger-
meister Offenberg genötigt, am 13. Oktober 1873*) die althergebrachte
Lambertusfeier in den Strassen und anf den öffentlichen Plätzen gänzlich
zu untersagen, und das Ansprechen des Publikums um Gaben zu diesem
Spiele mit den für Bettelei festgesetzten Sti-afen zu belegen.
Seitdem würden die Kinder das Lanibertnsfest nur in Gärten und
Höfen bei beschränkter Teiluehmerzahl haben feiern können, wenn ihnen
nicht das Allgemeine Bürger-Schützeu-Corps auf seinem Schützenhofe all-
jährlich an einem Sonntage des Monats September eine Pyramide errichtete.
Der für die dortige Feier ernannte z. Kommissar L. Koch hat auch, um
„die bei der ursprünglichen Feier von alters lier gesungenen Lieder mit
ihren eigentümlichen Melodien nicht ganz in Vergessenheit geraten zu
lassen und um dem Lambertusfeste nach Möglichkeit seinen volkstümlichen
Charakter zu wahren", eine neue Sammlung dieser Lieder unter Beifügung
der Melodien'') veranstaltet, für die bereits 1825 Fr. Steinmaun') und
dessen litterarische Jugendfreunde Funke. Schlüter, Sprickmann. Waldeck
und Wermuth eine gute Vorarbeit*) geliefert, die um so dankenswerter
ist. da schon damals ,, wildfremde" Lieder die alten zu verdi-ängen drohten.
Yolksrätsel aus Thüringen (fireussen).
Gesammelt von K. Ed. Haase.
1. Welcher Aplel wird nicht reify — Der faule.
2. Es geht ums Holz herum und legt Teller. — Die Frau, die den Tisch deckt.
3. Es geht im Holze (Walde) herum und setzt Teller. — Die Kuh.
4. Ein Mädchen ist vom Gerichte zum Tode verurteih. doch soll ihr die
Strafe erlassen werden, wenn sie ein Rätsel aufgiebt. das die Richter innerhalb
dreier Tage nicht erraten können. Sie spricht:
1) Amtsblatt u. s. w. 1873, p. 322.
■-!) Lieder für die Lambertusfeier auf dein Schützenhilfe zu Münster. Münster 1878.
2. Aufl.: ibid. 1880: 3 Aufl.: ibid. 1885. — .4.11e plattdeutsch eu l.ambertusliedev finden sich
auch bei .1. Weingärtner, Das Kind u. s. w., 1880. p. 48—58.
3) Geb. 1801, seit 1827 ( )berlandesgerichts-Sekretär zu Münster, 1854 wegen seiner
1849 erschienenen ..Geschichte der Kevolution in Preussen" seiner amtlichen .Stehung ent-
hoben, gest. 1875.
4) Münsterische Geschichten, Sagen und Legenden, uebst einem Anhange von Volks-
liedern und Sprichwörtern. Münster 1825, p. 255—276: Lanibertslieder.
Die Herausgeber sagen in der vom Oktober 1824 datierten Vorrede: Die Lambertus-
lieder . . . sind im übrigen Deutschland durchaus imbekannt; ein Teil derselben enthält
nm' Wörter, welche bloss der Melodie wegen da sind. — Schüeking 1. c. urteilt: Der
Inhalt derselben ist sehr sinnlos und nichtssagend, also wohl schwerlich der alte ursprüng-
liche Text, sondern in späteren Zeiten ileui altheidnisehen und unverständlich gewordeneu
untergeschoben.
Volksrätst'l ;iiis Tliüriiii,'fii i'GronsstMi). 181
„Auf Pilo geh ich, auf Filo steh ich,
Auf Filo will ich eine Jungfer bleiben.
Wer dies kann raten,
Dem will ich eine Gans braten;
Wer's kann erdenken,
Dem will ich ein Gläschen Wein einschenken."
Sie trägt Hantoffeln, die aus dem Pelle ihres Hundes, namens Pilo, gemacht sind.
Vgl. III. -lahrg., S. 72, No. 17.
5. Es liegt im Holze und schreit. — Das Kind in der Wiege.
6. Ich ging einmal, da ritt ich nicht;
Ich sah einen Hasen, den kriegt ich nicht.
Der Blinde sah ihn, der Lahme kriegt ihn,
Der Nackte nahm ihn und steckte ihn in den Busen.
Was ist dasV — Zwei Wahrheiten und drei Lügen.
7. Ein Angeklagter soll von der Strafe befreit werden, wenn er den Richtern
ein Rätsel aufgiebt, das diese nicht erraten können. Lange sinnt er nach, aber
vergebens. Da kommt er bei seiner Heimkehr durch den Wald und sieht einen
Sperling in seiner Nähe auffliegen. Er tritt näher und findet sechs Junge in einem
Pferdeschädel. Jetzt hat er das Rätsel gefunden. Schleunigst kehrt er um und
spricht zu den Richtern:
,.Da ich ausging, da ich einging.
Sechs Lebendige in einem Toten fing;
Der siebente macht den achten frei.
Ratet, ihr Herren, was dies wohl sei."'
Da niemand das Rätsel lösen kann, muss er von der Stiafe freigesprochen werden.
». Es fällt ins Wasser und plumpst nicht. — Die Peder.
9. Es liegt im Wasser und verfault nicht. — Die Zunge.
10. Es liegt im Grabe und verwest nicht. — Der Name.
11. Rat, rat!
Es steckt im Brat (Brot);
Berlin ist eine grosse Stadt,
Die das Ding nur einmal hat. — Der Buchstabe R.
12. Was war gross au Napoleon? — Das N.
13. In einem rosaroten Garten
Sind 32 Leoparden:
Es regnet nicht hinein,
Es schneit nicht hinein
Und ist doch immer nass darin. — Der Mund mit den Zähnen.
14. Oranien | Liegt nicht in Spanien,
Auch nicht in Polen. | Der Kuckuck soll mich holen.
Leipzig ist ne grosse Stadt, | Die es aber doch nicht in sich hat.
In Dresden ist's zu finden: | Die Braut, die trägt's nicht hinten:
Es steckt wohl in der Braut, | Aber nicht in der Haut. — Der Buchstabe R.
15. Es geht auf dem Boden und trappt nicht. — Die Sonne und der Mond.
16. Es geht durch' s Zimmer und trappt nicht. —
Die Sonne und der Mond, aber auch der Rauch.
17. Wer hat das meiste Recht in der RircheV —
Die Fliege: denn sie kackt dem Prediger auf die Nase.
182 Haase: Volksrätsel aus Thüringen (Greussen).
18. Krickelkrackt'lkrause
Wohnt hinter dem Herrenhause.
Je sehrer dass der Wind geht.
Je sehrer dass Krickelkrackelkrause sich bewegt. — Der Blaukohl.
19. Ich habe ne Benedicte vor meinem Leibe sitzen: damit kann ich ver-
dienen Zucker und Rosinen. — Das Spinnrad.
20. Es fallt en Wellichen (Bündel Reissholz)
Vom Herrn sin Stäliichen
Und kann's kein Goldschmidt wieder machen. — Das Ei.
21. Vorn wie ein Knäuel.
In der Mitte wie ein Plane! (Holzklöpfel zum Flachsklopfen).
Hinten wie ein Spiess;
Rat, wie es hiess. — Die Katze.
22. Es kommt was zur Treppe runter, und tausend Pferde können es nicht
halten. — Der Rauch.
23. Der Müller schlägt's. Das Wasser trägt's.
Die Flamme zehrt's. Dem Froste wehrt's,
Der Krämer wiegt's. Das Mäuschen riecht's. — Das Öl.
24. Zwei Kleine und zwei Grosse 2.x Ich kenne einen Mann.
Laufen auf allen Strassen. Der hat für Deutschland \nel gethan:
Laufen die Grossen noch so sehr. Das Erste ist ein Bindewort,
Die Kleinen kommen doch noch eh'r. Das Zweite ist ein Geldstück.
Die vier Räder des Wagens. Bismarck.
•26. Es kriecht durch den Zaun und schleppt die Kaidaunen hinter sich her.
Die Nadel mit dem Faden. Vgl. Jahrg. III, S. 72, No. 9.
27. Es hängt unterm Dache. Hat Zähne wie ein Drache. — Die Harke.
28. Es hängt unterm Dache, Hat Augen vpie ein Drache. — Die Fenster.
29. Wann' ich dich nenne.
Und du kannsts nicht erkenne,
Dass du so'n grosser Narre bist.
Du weisst nicht, was das ist. — Die Wanne.
30. Ich ging einmal durch ein enges Gässchen,
Da begegnete mir ein schwarzes Pfäffchen:
Wenn ich nicht hätte zugesprochen,
Hätte es mich in die Seiten gestochen. — Der Floh.
31. \u{ welchem Acker pflanzt man Steine? — Auf dem Gottesacker.
32. Welche Städte haben keine Häuser und welche Flüsse kein Wasser'? —
Die auf der Landkarte.
33. Was für ein Eisen lässt sich nicht schmieden? — Das Felleisen.
34. Welche Mühle treibt kein Wasser'? — Die Windmühle.
35. Die lottrige Tochter, der faule Sohn, der dünne Papa, die dicke Mama.
Was ist das'? — Das Feuer, die Asche, das Holz, der Ofen.
36. Stand ein Männchen im Reine (Rain Feldgrenze),
Hat ein Bäuchelchen voll Steine.
Hat ein rotes Röckchen an
Und ein schwarzes Hütchen auf. — Die Hagebutte.
IiOinkt'.- Uraltes KiiidtTspielzeug. 183
3t). Welches ist das g'rösste Fest im .lahre? —
Das Schlachtefest, weil man das Fleisch im Kessel kocht.
öS. Welches ist das höchste Fest im .Jahre ? —
Das Vogelschiessen, weil es auf einem Berge gefeiert wird (in Bleicherode).
39. Was ist das grösste Unrecht in der Welt? —
Dass der Hauptmann von Kapernauni noch nicht Major geworden ist.
40. Wie viel Löcher hat die Hölle? —
Zehn; denn es heisst: Da wird sein Heulen und zehn Klappen (Zähneklappen).
41. W;iruni kommen die alten Leute nicht in die Hölle? — Weil sie keine
Zähne haben: denn es heisst: Da wird sein Heulen und Zähnklappen.
42. Welches Geschlecht hatte die Taube, die aus der Arche Noahs flog? —
Männliches; denn sie hatte ein Blatt vor den Mund genommen, und das können
die Weiber nicht.
43. Auf einem weissen See schwimmt eine rote Rose und drinnen sind
schwarze Fischlein; wer die schwarzen Fischlein will sprechen, muss erst die rote
Rose brechen. — Der Brief mit einem Siegel.
Neu-Ruppiii.
Uraltes Kinderspielzeug.
Von Elisabeth Lemke.
Aus meinem am 22. Februar d. J. im Verein für Volkskunde gehaltenen
Vortrage über „Grabbeigaben und Weihgeschenke" ziehe ich einige Mit-
teilungen aus, die sich auf uraltes Kinderspielzeug beziehen. Ich
biete nichts neues; da sich aber die zu berücksichtigenden Angaben in der
Litteratur verstreut finden, so möchte es manchem nicht unlieb sein, sie
beisammen zu haben. Sie erheben indess wahrlich keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, sondern geben nur ein kleines Bild von Dingen und
Fragen, die gleich ungezählten anderen ein unübersehbares Gebiet betreffen
und gleich jenen anderen unsere Teilnahme herausfordern oder doch ver-
lüeiien.
Das Spielen der Kinder folgert so sehr aus dem Leben an sich, es
gehört so zu demselben, wie die ersten Blättehen zum Keimlinge des
Baumes gehören; es ward von jeher so fraglos in den Dienst einer Leib
und Seele stärkenden Erziehung gestellt, dass es nicht befremden kann,
wenn seiner in einem wissenschaftlichen Vereine gedacht wird. Die Spur
vieler Thatsacheu, welche die Forschung beschäftigen, ist — wie wir wissen
— beim eigentlichen Volke und bei den Kindern zu finden.
„In anscheinend einfachsten Kinderliedern und Abzählreimen, in zahl-
reichen Spielen und Spielgebräuchen zeigen sich unverkennbare Abzeichen.
dass sie das Vermächtnis aus längst entschwundenen Zeiten, Beste selbst
184 L^mkr:
vorgeschichtlicher Jahrhunderte sind, die sich bis heute ungestört erhalten
haben und sich nur in Nebensachen nach Mundarten und Örtlichkeiten
abänderten. Sie sind bei den Kindern auf Island, in Norwegen, auf den
britischen Inseln und in den Alpen mitunter wörtlich übereinstimmend mit
den in Deutschland gebräuchlichen und weisen zweifellos darauf hin, dass
sie bereits in der Zeit der Völkerwanderung vorhanden waren. Bis nach
Frankreich und Italien lassen sich die letzten Ausläufer vieler altgermanischer
Spiele und Kinderreime verfolgen. Die vorchristlichen Opfertänze, Pest-
gesänge, Ringelreihen, die altehrwürdigen Götter als personifizierte Natur-
kräfte und ihr Gefolge von Kobolden haben in der Kinderwelt in Namen
und Formen die tausendfachen Umwandlungen überlebt, denen sie in der
Welt der Erwachsenen unterlagen."')
Ist uns so in unbewusster, mündlicher Überlieferung eine ferne Ver-
gangenheit nahe gerückt, so vervollständigen die Grabfunde das Bild nach
anderer Seite hin.
Auch in Bezug auf das Spielen sind Stein und Knochen die ältesten
beredten Zeugen in den stummeu Gräbern. Das einfache, natürliche Spiel
mit kleinen Steinen — unter den Namen „Schirken", „Wassermännle
werfen" u. s. w. bekannt — wird bereits von den alten Griechen gemeldet
(s. H. Wagner, a. a. 0., Rochholz, S. 465). Zufällig abgeschliffene Steinchen
eignen sich am besten dazu, so über die Oberfläche des Wassers geworfen
zu werden, dass diese von den in leichter Schwingung dahinschwebenden
mehrmals flüchtig berührt und in kreisförmigen Wellen bewegt wird. Nun
finden wir in den Gräbern ausserordentlich viele glatte Steinchen, die
verschiedene Deutung veranlasst haben. Man spricht von Käse-, Eier-
und Brotsteinen, Schwalben- und Gewittersteinen, Schrecksteinen und
Amuletplättcheu u. s. w. Warum sollte niclit in vielen Fällen ein einfaches
Spielzeug vorliegen? Mitunter sind Jene denn auch für Schleudersteine
erklärt worden. (Was die Namen Käse-, Eier- und Brotstein anbetrifft,
so hat die Ähnlichkeit der Formen dazu Veranlassung gegeben; und es
ist auch schon behauptet worden, dass die so geformten Steine Speise-
symbole vorstellen.) — In den Kurganen im Gouvernement Kiew fand
man, nach Bobrinsky^), Sprungbeine wilder Ziegen, „die offenbar als
Spielzeug zu deuten sind". Das Fangspiel mit Astragalen, namentlich von
Schafen, war bei den Griechen und Römern allgemein. Unser heutiges
Fangspiel mit Steinchen ist mit jenem eng verwandt. Andererseits ist ein
Spiel mit Knochen auch bei uns üblich gewesen, wie der Ausdruck
„knöcheln" für „würfeln" noch heute beweist.^) „Jede Fläche solchen
1) H. Waguer — J. D. G-eorgens, Illustriertes Spielbuch für Knaben, 1882, S.V.
[E. L. Rochholz, Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz. Sitten-
und sprachgeschichtlich erklärt. Leipzig 1857. |
■2) S.-B. der Altertumsges. Prussia, 1887—88, S. T2.
3) [Rochholz a. a. 0., 447. 720. R. Hildebrand im Deutschen Wörterb. V, 1453.]
Uraltes Kiuderspielzeug. Jg5
Knöchels Bedeutete dann eine der Augenzahlen unseres Würfels, die öfters
auch durch Punkte angedeutet waren. Wichtig sind hier zwei Fundstücke,
welche aus dem Kaukasus in das Berliner Museum für Vöjkerkunde ge-
langten: ganz genaue Abgüsse von Astragalen in Bronze."^) Das Fangspiel
mit Steinen oder Knöcheln steht dem eigentlichen Ballspiel ganz nahe.
Von Ballspielen erzählt Homer in der Odyssee. In Sparta und Kreta
spielten im Altertume die Männer bis zum dreissigsten Jahre; sie waren
dabei iu besondere Scharen geteilt. Dem Ballspieler Alexander des Gr.,
Aristonikos, errichteten die Athener eine Bildsäule, nachdem sie ihm das
Bürgerrecht verliehen hatten. Grosse Liebhaber von Ballspiel waren auch
die Araber unter dem Khalifen Harun al Raschid; und in Amerika war
zur Zeit der Entdeckung das Ballspiel weit verbreitet (H. Wagner, a. a. 0.
Rochholz, Alem. Kinderspiel, S. 383). Uralt ist auch der Brauch, kleine
Bälle, also Kugeln, nach irgend einem Spielgesetz rollen zu lassen, d. li.
an ein Ziel zu bringen. Eisel in Gera berichtet von einem dort üblichen
Spiel: Bälle oder Kugelu in eine Tülle (eine Röhre) hinein zu prakti-
zieren^) und erinnert an die Mitteilung von W. Adler, dass in den Ranisser
La Teue-Gräberu irdene Näpfchen (sogenannte Zwergnäpfe) mit roten
Thonkugeln bei den Toten vorgefunden wurden. Freilich setzt Eisel
hinzu: „Diese offenbaren Blitzsymbole sollten dem Toten wohl zur Wehr
dienen."')
Unser Kreiselspiel war bereits unter dem Namen strombos oder strobilos
bei den Griechen, unter dem Namen tm'bo bei den Römern verbreitet
(H. Wagner, a. a. 0. Rochholz, S. 419). Auf dem grossen römischen
Grabfelde bei Worms fand man neben einer schönen Glasschale 25 Spiel-
steine, dabei zwei durchbohrte, kleine Brouzescheiben, die ofpenbar —
verbunden durch ein Holzstäbchen, das nicht mehr vorhanden war — als
Kreisel gedient haben. Wie aus einer kleinen, in der Mitte eingekerbten
Handhabe von Knochen hervorgeht, ist der Kreisel mittelst einer Schnur
in Bewegung gesetzt worden.*) Von grossem Literesse ist ein thönerner
Kreisel, welcher der Schliemanu - Sammlung des Berliner Museums für
Völkerkunde angehört. „Der Kreisel ist etwa kegelförmig, doch mit ab-
gerundeter Spitze: in der oberen Fläche befinden sich drei Vertiefungen,
in die man die drei ersten Finger der rechten Hand einsetzt: durch
Schnellen mit diesen Fingern wird der Kreisel in Drehung gebracht. —
Auch viele der durchbohrten Thonscheiben, die man gewöhnlich für Spinn-
wirtel anspricht, mögen nichts anderes als Schwungsteine für Kreisel
gewesen sein" (E. Krause, a. a. 0.).
1) E. Krause, Der Bazar, 1893, S. 452.
2) [Vgl. dazu Rochholz a. a. 0., S. :395, No. 14.]
3j Verh. d. Berl. Ges. f. Anthr., Ethn. u. Urg., 1888, S. 474.
4) S.-B. d. deutsch, fies. f. Antlirop.. Ethn. u. Urg., 1885, S. 60.
Zeitschr. d. Verciiis 1'. Volkskunde. 1835. lij
18ß Lemke: Uralte;» KüiderspielzeuK'.
Eine Puppe aus vorgesclüclitlicher Zeit ward bei Rhiuow in der Mark
gefunden; sie besteht aus gebranntem Thon. ist fingerlang und zeigt in
roher Form einen Menschen, der mit der linken Hand sein Gewand, das
um die rechte Schulter geschlagen ist, festhält.
Pnppenartige Thonfiguren wurden u. a. auf dem Totenfelde von Ancon
in Peru gefunden. In jenen der Incazeit angehörenden Gräbern ist von
den Erforschern derselben, den Herren Reiss und Stübel, die ganz allgemeine
Sitte nachgewiesen, den Kindern ihr Spielzeug mitzugeben. Wie die
grossen Leute Haudwerksgeräte, Ehrenzeichen u. s. w. mitbekamen, so
beerdigte man u. a. mit den Kindern kleine, gezähmte Tiere, die während
des Lebens ihre Spielgenossen gewesen waren, z. B. Meerschweinchen, Taube
und Papagei. Diese Tiere waren in den Gräbern entweder sorgfältig in Tücher
gehüllt oder in Arbeitskörbchen untergebracht. Hunde und Lamas waren
indessen minder sorgfältig behandelt und ohne Umhüllung. Das Lama ist
sehr oft vei-treten. Man fand auch ein aus Wollfäden geflochtenes, au
dessen Seite ein Junges befestigt war. Die Puppen bestehen meistens aus
Zeug. Auf der Brust einer Kindermumie fand man eine aus Hirschliorn
geschnitzte Figur: einen knieenden Indianer, der, wie es scheint, eine
Huldigung darbringt. ')
Bei den Tierfigureu, wo es sich um Funde aus vorgeschichtlichen
Zeiten handelt, machen sich verschiedene Meinungen geltend, auf die hier
nicht näher eingegangen werden kann. Schon für die Steinzeit ist die
Thatsache festgestellt, dass die Menschen eine üborraschomle Kunstfertigkeit
in der gezeichneten oder plastisch dargestellten Nachbildung von Menschen
und Tieren besasseu. Es sei au die bekaimten Bernsteinschnitzereien
erinnert. Plastische Darstellungen von Menschen und Tieren kommen n. a.
vielfach in den ältesten Funden Siebenbürgens vor, z. B. kleine, primitive
Statuetten von Thon, welche entfernt an Schliemanns Idole von Hissarlik
mahnen. Verwandte Gebilde finden sich in annähernd derselben oilor
relativ wenig jüngerer Periode in ganz Mittel-Europa: Tierchen in Thon,
besonders Schweine, in Menge auf den Steinzeit- Wohnplätzen in Ungarn,
Menschen- und Ti(>rfiguren im Laibacher und Mondsee-Pfahlbau n. s.w.")
Die weitverbreiteten, kleinen, kupfernen Ochsen u. dgl., sowie die Vögel
mit breitem Schnabel gehören der Hallstatt-Zeit an. In dieselbe Zeit ist
wohl die Mehrzahl der kleinen, mit Tiergestalten besetzten Brouzewagen
zu zählen , die sich von Etrurien über die östlichen Alpen bis in unsere
norddeutschen Gebiete erstrecken und mehrfach gedeutet worden sind, so
1) [Auf griecMschen Kindergrabsteinen des 4. 5. Jahrh. v. Chr. lindet sich häufig die
Darstellung, wie eine weibliche Gestalt einem Mädchen (d. i. dem verstorbenen) eine Puppe
oder einen Vogel reicht. Auch ohne diese ältere Figur ist das Kind mit Puppe oder
Vogel in der Hand dargestellt, vor ihm zuweilen ein sitzender oder springender Hund. —
Die Puppen sind auf diesen Reliefs gewöhnlich olme Anne und Beine, doch kommen auch
schön gearbeitete nackte Figürchen vor.]
2) S-B. d. deutsch, ües. f. Anthrop., Etlm. u. ürg., 188i, S. llö.
Peter: Doilkuizweil im Bölimerwalde. 187
als Symbole des Ackerbaues, als Cult- und Votivgegenstände, ferner als
Transportmittel für Trinkgeräte auf dem Esstische (Kemble) u. s. w. Belila
sagt: „Spielzeuge waren es wohl sicherlich nicht." ^) E. Krause dagegen
sieht sie mit Überzeugung als Spielzeug an. „Wir haben erwähnt" — sagt
er a. a. 0. — „dass im klassischen Altertume Kinder mit kleinen Wagen
spielten. Auch in unseren Gegenden wird dies der Fall gewesen sein.
Fahren nicht auch heute unsere Kinder ihr Pferdchen, ihr Nickvögelchen
u. dergl. auf Rädern umher? Warum sollen nicht die altgermanischen Kinder
gleich zwei Stiere und drei Vögelchen auf einem Wagen gehabt haben?"
Im Vordergründe des Interesses stehen auch jene Gegenstände, welche
von den undsten Forschern als Kinderklappern erklärt werden, während
andere in ihnen Rasseln sehen, wie solche bei heutigen Naturvölkern zur
Verscheuchung von Dämonen u. s. w. angefertigt und gehandhabt werden.
Die in unseren vorgeschichtlichen Gräbern gefundenen bestellen aus Thou
und sind mit kleinen Steinchen oder ähnlichem gefüllt. Unter den
Exemplaren, welche das Mark. Museum zu Berlin besitzt, befinden sich
mehrere in Vogelform. °) Andere dort sind schildkröteuförmig. tünnchen-
und muschelförmig, apfel- und birnenförmig u. s. w. Die Formen der im
Berliner Museum befindlichen Klappern sind u. a. Töunchen, Säckehen
oder Täschchen, Bälle mit Henkel, Flasche und auch wiederholt Vögel.
„Die meisten von ihnen haben Löcher zum Durchziehen einer Schnur. —
Ein bisher alleinstehender Fund (von Bentow, Hannover) ist ebenfalls eine
Kinderklapper" (E. Krause, a. a. O.). — S. Verh. d. Berl. Ge.s. f. Anthrop.,
Ethn. u. Urg., 1875, S. 93; Voss, Kiuderklappern.
Wenn so viele Dinge zum Spiel der Kinder in Beziehung gebracht
werden, so können wir uns wohl der so oft ausgesprochenen Meinung
überlassen, dass ein grosser Teil der kleinen imd kleinsten Beigefässe —
im übrigen als Gebrauchsgegenstände für die Toten, als Erinnerungsgaben
der Angehörigen, als Symbole, Thränennäpfehen u. s. w. bezeichnet —
auch Kinderspielzeüg bedeuten.
Dorfkurzweil im Böhmerwalde.
Von Johann Peter.
Im Frühling, wenn auf Wiesen und Brachen der Schnee geschmolzen
ist und das erste Grün spriesst, wenn sich, an sonnigen Plätzen und am
Walllessaume das gesellige Völklein der schleierweisson Buschwindröschen
zeigt, beginnt das Wiesenräumen, eine leichte Arbeit, die mit Gesang
1) Verh. d. Berl. Ges. f. Aiitlirup., Ethu. u. Urg., 1882, S. 43.
2) [Das Museum schlesischer Altertümer in Breslau besitzt mit Firuisfarbeu bemalte
Kindorklappern iu Vogelgestalt.]
13*
188 Peter:
und Kurzweil mancherlei Art gewürzt wird. Mit dem Rechen in der Hand
werden die Steinchen und Maulwm-fshaufen zusammengescharrt, und dabei
giebt es ein Geschäker und Geplauder, ein Hänseln und Poppen, dass man
es gar nicht merkt, wie lange bereits so ein Lenztag dauert. Der „Bua"
hat dem „Mensch" soviel von seinen Liebesabenteuern zu berichten, bis
aucli dieses in die Hitze gerät und so recht aus der Schule zu scliwätzen
beginnt. Der schmunzelnde Bauer rückt seine Holzpfeife von Mundwinkel
zu Mundwinkel und berichtet mit haarkleiner Genauigkeit aus seinem
Jugendleben, wie er um seine „Alte" gefreit, was er einmal für ein „Höll-
sakra" gewesen, wie er mit der „Seinigen" getanzt, und wie er sich die-
selbe später nach seinem Geschmacke „erzogen" habe. Wenn <lann der
stille Abend herniedersinkt und im Hause alles zur Ruhe geht, beginnt
die eigentliche Dorfidylle: das „Fensterin", das sicli im Böhmerwalde
noch lebendig erhalten hat. Anfangs wird bei stillem Mondenschein in
kameradschaftlicher Geselligkeit Strasse auf- und abgewandelt und ein
zwei oder dreistimmiger Jodler, der mit Volksliedern abwechselt, klingt
hinaus in die Nacht. Manche Maid lauscht im dunklen Kämmerlein diesen
verheissungsvollen Klängen, das Herz pocht unter der warmen Decke, denn
die Erwartung ist gespannt. Da klopft es ganz leise ans Kammerfensterl,
und bald singt es von draussen leise herein:
„Diandl, steh auf, oder kennst mi net?
Oda san dos deine Pensta net?"
Und ein übermütiger Jauchzer beschliesst dieses Gstanzl. Doch die
Dirn ist klüger. Sachte kommt sie ans Feusterl geschlichen und warnt
den Verwegenen, nicht allzu laut zu sein — demi der „Alte", der in der
Stube nebenan schläft, hat feine Ohren und könnte mit einem argen
Donnerwetter dreiufahren. Doch wird diese Vorsicht ausser acht gelassen,
wenn die Dirne auf dem Dachboden oder im Heu oder Grummet nachtet;
da haben die Mäuse gute Zeiten, weil sie vor der Katze sicher sind.
Nun beginnt ein „Fischpein" (Lispeln) und Kosen durclis halb ge-
öffnete Fenster, lange sträubt sich die Jungfer, bis es der Überredungskunst
des Burschen endlich gelingt, Einlass zu erluilten. Und nun kann er
beherzt singen:
„Drum müasst's Kurraschi hob'n,
Net long beim Penstal frog'n:
Ös müasst's glei eini steig'n,
Sunst zoigt's enk d'Peig'u!" —
Und die Folgen dieser Kurzweil? Wir wollen sie übergelieu. —
Dass es bei dem Fenstenn mitunter auch recht ungemütlich liergehen
kann, wird einleuchten, wenn mau bedenkt, dass so manches Diandl ein
gar weites Herz hat, indem es den Handel mit jedem aufnimmt, der ans
Fenster pocht. Kommt in solchem Momente just der eigentliche Liebhaber,
der Liebhaber vor der Welt dazu, dann giebt's ein „Crraft'", wobei niclit
Dorfkuizweil im Böhmerwalde. 189
selten Blut fliesst; deun die Burschen tragen in einem Hosensacke das
lange Raufmesser bei sich, mit dem sie sich die Köpfe bearbeiten wie bei
Tische die Knödel. Auch hier gilt der Grundsatz: Der Stärkere hat Recht!
und der Besiegte muss mit zerschlagenen Knochen und wehvollem Herzen
abziehen, so dass er jetzt singen kann:
.1 hon a Diaiidl g'liabt,
Hon's mit koan Woat betrüabt,
Hon ihr in d'Augerl guckt,
Hon's au mein Herzerl 'druckt —
Hiatzt hot's an ondern gern,
I möcht' ma d'Soi ausplärr'n,
Weil um mei" Herzenslad
Roa Hohn am Mist mehr kräht!"
Besonders kurzweilig gestaltet sich das Sonntagsleben. Frühmorgens
putzt man sich stattlich heraus und bögiebt sich gruppenweise in die
Kirche. Die Burschen gesellen sich auf dem oft mehrstündigen Wege zu
den Mädchen, wobei so manches Stelldiehein für den Nachmittag im
grünen Wald ausgemacht wird. Auf dem Kirchplatze wird Halt gemacht,
denn hier herrscht bereits eitel Lust und Kurzweil. Die Kegelbahn
wimmelt von schneidigen Burschen mit keck aufgedrehten Schnurrbärtlein,
ein Wetten und Preisscliieben ist los wie zur Kirmess und das Brauubier
fliesst dabei in Strömen. Hier steht unter einer Gruppe festlich gekleideter
Mädchen ein werbender Bursch, um bald dieser, bald jener eine mitunter
recht derbe Artigkeit zu sagen oder seine Witze anzubringen, die mit
lautem Gelächter quittiert werden: dort strecken zahnlose Altweiber neu-
gierig die Köpfe zusammen und tauschen ihre Beobachtungen und Neuig-
keiten aus; vor dem Wirtshause lärmt eine Gruppe vollbärtiger Männer,
die die Fragen der Zeit und heikle Gemeindeangelegenheiten erörtern,
und im Wirtshaus drinnen ist auch nicht ein Plätzchen zu finden, denn
dicht stehen die Zecher beiderlei Geschlechtes, das volle Deckelglas in
den Händen, beisammen, um sich des braunen Saftes zu freuen, den die
rasche Wirtin oder die schmucke Kellnerin in geschäftiger Eile kredenzt.
Der Bursche „bringt es" der Dirn, diese nippt und giebt es weiter an die
Kameradin oder Mutter; der Bauer wandert mit seinem gläsernen Tabak-
büchsl oder mit seiner Birkenholzdose unermüdlich in der Runde herum,
um seinen Bekannten ein Schnüpfl anzubieten, und so geht es fort bis
zum Zusammenläuten, worauf alles in die Kirche drängt, um nach derselben
das vorkirchliche Herrgottsleben in der Schenke und auf dem Kirchplatze
aufs neue zu beginnen, das mitunter bis spät in den Nachmittag hinein
und zuweilen auch in die geschlagene Nacht andauert, was natürlich der
Bäuerin durchaus nicht gefallen will.
Gruppenweise wandert man heim, wo ein bescheidenes, aber stärkendes
Mahl den hungrigen Magen labt, und nun geht jedes Familienmitglied
190 Peter:
seiner eigeneu Kurzweil nach. Uie Kiuder versainmehi sich entweder auf
der Dorfstrasse oder in irgend einem Hause, um sich den Spielen hin-
zugeben, die Burschen eilen auf die Kegelbahn, die Männer ins Wirtshaus,
woselbst sich auch bald die Dorfmusikanten einfinden — und nun hebt
die „Suntamusi" au, wobei gestampt, gezecht und gesungen und zur Ab-
wechslung mitunter auch dreingeschlagen wird, bis in die späte Nacht, ja
nicht selten auch bis zum Morgen.
Wird keine Musik abgehalten, so nehmen die Mädchen Töpfe. Kannen
und Eimer zur Hand, um hinauszuwandern in die Sonntagsstille des
blumigen Waldschlages ins Bierlklaub'n (Beerensammeln). An Beeren
ist der Böhmerwald überreich, und der Waldler weiss auch diesen Segen
zu schätzen, er geuiesst dieses sein Obst in vollstem Masse. Hier reift im
üppigen Grün die würzige Erdbeere; dort auf sonnigem Waldgrunde glüht
der Scharlach weitausgedehnter Preiselbeerplätze: die unheimlich in die
Waldnacht aufragenden Wurzeln sturmgefällter Baumrieseu, sowie die in
Vermoderung begriffenen Baumleichen, Ronen genannt, ziert das lebens-
frische Rot vollbackiger Himbeeren; um die Felskanten und Steinritzen
schlingt sich das stachelige Geäst des Brombeerstrauches mit seinen glänzend
schwarzen Beeren , und wohin das Auge sonst auch gleitet, begegnet ihm
schier endloses Heidelbeergestrflpp mit den erfrischenden Schwarzbeeren,
den Trauben des Hochwaldes.
Kein Wunder, dass solche Schätze eine grosse Anziehungskraft auf
die Waldler ausüben. Unter Zwiegesang voll Lebenslust und Daseinswonue
ziehen die Waldlerdiandln hinaus in die grüne, feiernde Waldung, wo sie
sich einen ausgiebigen Bierlplotz aussuchen und emsig darauf losklauben,
bald in den Mund, bald in die Gefässe, bis sich diese allmählich füllen
und der Abend auf die schwarzen, regungslosen Wipfel sinkt.
Manche Maid hat sich indes unbemerkt vou der Gesellschaft losgemacht,
sie hat dem geliebten Burschen das Plätzchen des auf dem Kirchwege
verabredeten Stelldicheins genau bestimmt, und dort giebt es nun auch
eine Kurzweile, freilich eine ganz andere, die uns aber nichts angeht.
So kommt es oft vor, dass sich ein Mädchen nach dem anderen in der
grünen Waldesweite verliert, so dass jedes unter Geleite auf geheimen
Pfaden den Waldweg verlässt. Wird aber der Rückweg in Gemeinschaft
augetreten, so geht ein Singen und Klingen durch den abendstillen Wald,
das dem Herzen des Lauschers ungemein wohlthut; denn des Gesanges
Quell sprudelt im Böhmerwalde reich und frisch.
Haben die Burschen just nichts anderes zu thun, so beginnen sie am
Wirtshaustische das „Fingerhakeln". Auf seine Kraft ist jeder stolz,
und jeder will im Dorfe der stärkste und gewandteste sein; deshalb probt
er seine „Stirk" (Stärke) so gerne, sei es im Lastenheben, im Ringkampfe
auf dem Dorfanger, beim „G'raff" auf dem Tanzboden oder beim „Hakein"
am Wirtshaustische, das sich ganz besonderer Beliebtheit erfreut. Meisten-
Dorfkui'zweil im Bnhinerwalde. 191
teils wird „über den Tisch" gehäkelt. Mit dem hakenförmig aufgebogenen
Mittelfinger fasst man sich gegenseitig an, und nun gilt es, einer den
anderen „aufzuhakeln". d. h. ihn entweder zum Auslassen zu bewegen
oder ihn an sich zu ziehen. Stolz und herausfordernd blickt der Sieger in
der Kunde herum, ob es nicht etwa ein zweiter mit ihm aufnehmen wolle.
Alle zieht er heute auf, meint er prahlerisch; sie sollen nur herkommen,
wenn sie eine Schneid hätten! Doch alle haben schon Respekt vor dem
Gewaltigen, bis es schliesslich doch einem „zu dumm" wird und er den
Wettkampf aufnimmt. Oft häkelt ein und derselbe Bursche das ganze
Wirtshaus auf, und will er besonders grossmütig sein, so häkelt er auch
mit dem kleinen Finger, dabei dem Gegner die Gunst bezeigend, dass
dieser den eigentlichen Hakler, den stäi'kereu Mittelfinger gebrauchen darf.
Freilich liegt der Erfolg nicht immer in der körperlichen Stärke, sondern
oft und zumeist im Vorteil, der beim Hakein augewendet werden muss,
und diesen weiss so mancher Bursche mit besonderer Berechnung imd
Kraftschonung anzuwenden, indem er sich anfänglich nach und nach auf-
hakein lässt, dabei aber so eine Gegenwehr heuchelt, bis der Gegner ganz
ermüdet. Jetzt drückt er plötzlich mit ganzer Kraft zusammen, den Ober-
körper lehnt er stramm zurück, die Beine stemmt er fest in den Boden,
und auf einen liuck hat er den siegesgewissen Gegner so urplötzlich an
sich gerissen, dass alles in lautes Spott- und Beifallsgelächter ausbricht:
Ähnlich geht es auch beim Ringkampfe und „Drosseln" auf dem
Dorfanger her, doch nicht immer läuft diese Kurzweil so glatt ab, zuweilen
artet sie auch in ein „Wartein"') und Streiten aiis, bis .sich aus diesem
ein ganz heisses „G'raff" entwickelt, wobei Biergläser, Stuhlfüsse und
sonstige Hieb- und Wurfgeräte eine nicht unbedeutende Rolle spielen, bis
es dem schlichtenden Wirte oder einem beherzten Manne mit grosser
Mühe gelingt, den Frieden wieder herzustellen.
Zur Sonntagskurzweil gehören auch die Ausflüge mit Musik in den
herrlichen Hochwald, wohin der Wirt Bier und dergleichen geschafft hat.
Wacker wird im Schatten der uralten Baumriesen gezecht und gesungen.
Reden werden gehalten und Toaste ausgebracht, bei denen selbstverständlich
alles „hoch" leben muss. Kinder tragen Gedichte vor und Spassmacher
sorgen für „Narretei" und Gelächter, bis bei hellem Sternenschimmer der
Rückzug ins Dörfchen angetreten wird, wo mau im Wirtshause das Fest
mit eiuem flotten Tanze schliesst. Ähnlich machen es auch iu den kleinen
Waldstädten die Schützen, die gern im grünen Tann das Scheibeu-
schiessen pflegen und sich dabei ungemein wolil fühlen.
Eine andere Kurzweil ist das Schwämmesuchen, w^obei man mit
dem Augenehmen das Nützliche verbindet und die Langeweile des Sountags-
nachmittages bannt. Zumeist liegt dieses Geschäft den mehr ans Haus
1) [Wortein: Wurtc macliou, mit Worten streiten.]
192 Pt't"-
gebumleiien Weibern und Kindern ob, die nacli gethaner Arbeit gern mit
Körben, Tüchern und Messern hinauswandern in den Wahl, um den
lockenden braunköpfigen Herrenpilzen und den dottergelben Pfifferlingen,
Rehgeisslein genannt, nachzustellen. Zeigt sich so ein Pilz, so wird er
mit lautem Freudeusrufe „hopp genommen", sorgfältig geputzt und in den
Korb gegeben. Nachhause gekommen, geht es dann sofort an das Zer-
schneiden und Trocknen der Schwämme. Köpfe und wurmfreie Strünke
werden in feine Spalten zerschnitten, diese auf Bretter „aufgeglichen" und
dann an die Sonne oder über den warmen Ofen gelegt, bis die Schwämme
ganz dürr sind, worauf sie sodann ins Schwommasackl wandern, um für
den Winter aufbewahrt zu werden. —
Hat die Hausfrau an Sonntagsnachmittagen just keine andere Be-
schäftigung, so vertreibt sie sich die Langeweile mit Flicken. Die Werk-
tagskleider ihrer Angehörigen befinden sich oft in erbärmlichem Zustande,
dass Fleck, Nadel und Zwirn eine Notwendigkeit sind. Ohne sich die
geringsten Skrupel zu machen, steppt die geübte Flickerin einen schnee-
weissen Fleck auf die lichtblaue Leinenhose des Mannes oder einen kohl-
schwarzen auf den weissen Wollsocken; mitunter muss ein Fleck buch-
stäblich den anderen halten, alle möglichen Farben vereinigen sich und
mau heisst den Träger solcher Kleidung nicht mit Unrecht einen Aller-
handfleck. —
Grosse Kurzweil giebt es auch beim Riffeln und Brechen des
Leines, Arbeiten, die fast ausschliesslich den Mädchen obliegen, und
unter Scherz, Gesang und Gelächter verrichtet werden. Und erst beim
Brechltanz, den die Flachsbrecherinnen nach der Breche im Dorfwirtshaus
abhalten und wobei sie die leitende Rolle spielen! Wie lustig geht es
dabei her! Die Brecherin hat die Tänzerwahl, sie zahlt heute die Spiel-
leute, singt ihnen ihre „G'sang'ln" vor und wacht über die Ordnung des
Reigens. Spät in die Winternacht hinein dauei't der Tanz, wobei die
volkstümlichen Tänze: der Rundum und der Langaiis, der Auf und Ab
und Hin und Her und der Durchanand zu vollen Ehren gelangen, nicht
zu vergessen des Gebirgsländlers, den die lustige Dirn mit solcher Ge-
wandtheit und solchem Feuer tanzt, dass Zöpfe und Gewänder fliegen und
sich drehen wie ein Spinnradi.
Mit dem „Brechltanz" beginnt die Kurzweil des Winters. Die
lange rauhe Jahreszeit fesselt den Waldler mehr als erwünscht ans Haus,
und ruhig vollführt sich in Stube und Scheuer die Winterarbeit. Wenn
aber die „Sitzweil" anbricht und der Buchenspan am Spanleuchter flackert
und das Spinnrad schnurrt, dann geht man in d'Häuaa. d. h. ins Nach-
bavshaus in die Gesellschaft. Oft finden sich in irgend einer Stube fast
aus jedem Hause Leute ein, Männer und Weiber, Burschen und Mädchen,
um sich durch Gespräch imd Geschichtenerzählen den langen Winterabend
zu kürzen. Jedem (xast kommt die Hausfrau mit Brotlaib und Messer
Dorflviirzweil im Böhmerwalde. 193
eiitceu-en. ihn aufforderud, sich abzuschneiden, was auch olme Widerrede
oeschielit. Höchstens dass man sagt: „Bin jo eh net hungri!" darauf aber
(loch absclmeidet. um der Sitte zu entsprechen. Dann setzt man sich auf
die Ofenbank oder die "Wandbänke und stopft die Pfeife. Im grossen,
altmodischen Kamin prasselt der dürre Kien, yernehmlich tickt die Schwarz-
wälderin an der Wand und dichter Tabakdampf erfüllte die Stube. Mag es
nun draussen stürmen und wettern nach Belieben: drinnen im traulichen
Gemach geht es lebhaft zu, Neuigkeiten werden ausgetauscht, und wenn
nichts mehr zu berichten ist, so geht es ans Märchen- und Geschichteu-
erzählen. was zumeist Aufgabe des „Näl" und der „Nal" (Grossvater und
Grossmutter) ist. Erst in später Nachtstunde endet das „Häusergehen". —
Wieder an einem anderen Winterabend kommen die Dorfmädcheu
mit Rocken, Spinnrädern und Haspeln in einem zuvor bestimmten Hanse
zusammen, man nennt das die Rocken reise. Meist geschieht sie in
mondhellen Nächten. Sobald im Stalle abgefüttert und die sauere Milch-
suppe mit Brot imd Kartoffeln eingenommen ist, wird der Rocken mit
einem ausgiebigen Flachsbund besteckt und das Spinnrad geschmiert. Nun
geht es hurtig über den festgefrorenen knisternden Schnee zur Rockenstube,
wo alles bis auf die Wandbänke ausgeräumt ist, damit die Spinnerinnen Platz
haben. Der Grossvater sitzt am Bettrande und schmaucht sein Pfeifchen,
die Ahne hat sich am warmen Herd ein Plätzchen gesucht, und jetzt beginnt
ein emsiges Spinnen, Plaudern und Singen, das bis gegen Mitternacht währt.
In das Rädergeschnurre und Haspelgesurre mischt sich das lustige Purren
des Herdfeuers; Gesang, Gelächter und Erzählung wechseln in bunter Folge
ab, und wenn die Mitternacht naht und die Rocken abgesponnen sind, er-
scheinen aucli die Burschen in der Rockenstube: einer zieht aus der Tasche
eine Mundharmonika und bläst darauf Ländlerwoisen auf, worauf die Rocken
und Räder beiseite fliegen mid ein Tanzen losgeht, bis die vorgerückte Zeit
endlich zum Aufbruche ermahnt, und jede Spinnerin in Begleitung ilires
„Buam" den Heimweg antritt.
Ähnlich geht es auch beim Federnschleissen her, wobei sich die
Dorfmädchen in dem Hause versammeln, welches das Schleissen angesagt
hat, und so oft kommen, bis der mitunter stattliche Yorrat von Federn
aufgeschlissen ist. Denn im Böhmerwalde schauen die Mädchen auf eine
ordentliclie Heiratsausstattung, bei welcher die Betten die erste Rolle
spielen, und eben deshalb trifft man in jedem Hause neben heiratsfähigen
Mädchen auch eine ganz respektable Anzahl von Gänsen an, die der
Federn genug liefern. Auch beim Federnschleissen vergnügt man sich auf
volkstümliche Weise, des Gesanges Macht kommt dabei wie überall zu
voller Geltung, und auch die Burschen versäumen nicht, ihre „Menscher"
um die Zeit des Nachhausegehens abzuholen. Ist der ganze Vorrat auf-
geschlissen, so werden die Schleisserinuen mit Branntwein und Weissbrot
bewirtet. —
1Ö4 Kahle:
Kommt oiidlich die stille und ernste Fastenzeit, wo tagsüber im
milderen Strahl der Sonne der Schnee „leint" (auftaut), um in der kalten
Stermiacht darauf um so fester zu gefrieren, dauu hebt näciitlicherweile
das Schlittenfahren an, das oft bis s])ät nach Mitternacht geübt wird.
Droben auf dem Hügel oder Bergliange findet sicii das junge Dorfvolk
ein; die Burschen ziehen grosse Holzschlitten iierbei, diese besetzen sich
mit einer stattliclien Anzahl von Mädchen und Burschen uni1 Kindern;
einer, der eine besondere Schneid" hat imd selbst „den Teufel nicht
fürchtet", setzt sich vorn auf die die Hörner verbindende Holzspauge, um
den Schlitten zu lenken, und nun saust derselbe, gefolgt von einem zweiten,
dritten und vierten, mit Blitzesschnelle den Abhang hinab, dass der Schnee
unter seinen Kufen knirscht. In dem Walde aber hallt das helle Lachen
und der muntere Gesang der Schlittenfahrer wieder, die die schöne Winter-
nacht zu geniessen verstehen.
Auf solche Art vergnügt man sich im Bölimerwalde. Viel Poesie steckt
in dieser Kurzweil, die uns den wackeren deutsclien Volksstamm im vollen
Lichte zeigt und unsere ganze Sympathie für denselben svachruft. —
Grossmeiseldorf, Post Ziersdorf bei Wien.
Krankheitsbescliwöningeii des Nordens.
Von B. Kahle.
Zu den in dieser Zeitschrift V. 1 ff. von M. Bartels angeführten
Krankheitsbescliwöruugen vermag ich einige hauptsächlich aus Schweden
stammende hinzuzufügen, die vielleicht des Interesses nicht entbehren.
Auch hier herrscht die Auffassung, dass man die Krankheit aus dem
Menschen heraus in einen Gegenstand bannen könne. Hat jemand ein
Gerstenkorn, so ergreift ein anderer einen Schemel mit drei Füssen, dreht
dessen Füsse dreimal, d. h. jeden Fuss einmal, von Westen nach Osten
gegen das kranke Auge, indem er jedesmal sagt, „ich bohre, ich bohre".
„Was bohrst Du"? fragt der Kranke. „Das Gerstenkorn aus dem Auge in
den Schemel", lautet die Autwort. Jedesmal, nachdem man mit dem
Schemel auf das Auge gebohrt liat, bohrt man gegen die Kaminmauer,
wobei dasselbe wie vorher gesprochen wird, nur dass die Schluss werte des
Bohrenden alle dreimal lauten: „Das Gerstenkorn aus dem Schemel und
in die Mauer". Bei der letzteu Bohrung gegen die Mauer wird hinzugefügt:
„und dort soll es sitzen", wobei man kräftig gegen die Mauer mit dem
Fusse stösst, mit dem man zuletzt gebohrt hat.') Bei der Heilung von
1) Nyare bidrag tili känDedom nm de svenska landsmälen ok svenskt folMif II,
Heft 5, S. 24.
Krankheitsbeschwörunf!en des Nordens. 195
Magenkrampf oder einer Wassergescliwulst. bei Mensclien, wie bei Tieren,
führt man einen Feuerstahl neunmal um die kranke Stelle, wobei ftian
sagt: „Du hässlicher Magenkrampf, du garstiger Magenkrampf, morgen
sollst du sterben; leg dich tief in einen See, da niemand rudert, da niemand
wohnt; leg dich tief unter einen in der Erde wurzelnden Stein, und sei
keinem Menschen zum Schaden. Geh neunmal von Osten und neunmal
von Westen und neunmal zum Jordanfluss. Du (Magenkrampf) sollst ab-
nehmen und du (der Kranke) sollst zunehmen, imd dein Leib und Glied
sollen in Frieden sein. Bei jedem Streichen spuckt man neunmal nach
Osten und neunmal nach Westen." Das Ganze wird besiegelt durch den
Namen der Dreieinigkeit. ')
In einem Protokoll vom Jahre 1722, das bei einem Hexenprozess
aufgeuommen wurde, finden sich auch einige hierher gehörende Formeln.
Wenn man Frost hat. soll man nüchtern am Sonntag Morgen seine Hand
auf den Ofen legen und sagen: „Lehm und Stein nehmen den Frost von
mir, zuerst einen Monat, dann ein Jahr und endlich so lange die Sonne
geht. Im Xamen Gottvaters u. s. w.')
Aus Ängermannland gehören hierher: Bei einer Prozedur, die man
vornimmt, um ein Kind von der englischen Ki'ankheit zuheilen, sagt man:
„Oben auf einem Berge, wo niemand wohnen kann,
Über einem See, der kein Ende hat,
In Stock und in Stein,
Dort sollen N. N.'s neimerlei Arten engl. Krankheit wachsen und wohnen
Und nicht in deinen Eingeweiden, Fleisch oder Blut —
In den drei Namen, Gottvater, Sohn und hl. Geist."')
Hat jemand eine Muskelzerrung im Arm. so legt er diesen auf ein
Stück Holz, und der „kluge Mann" nimmt eine Axt in die Hände und
sagt „ich haue". Der Kranke fragt „was haust du?" worauf der andere
antwortet „die Muskelzerrung" und tü-eimal mit der Axt auf jede Seite
des Gliedes haut, wobei er ebenso oft sagt „aus dem Glied und ins Holz".*)
Einen Hautausschlag heilt man, indem man brennenden Zunder dreimal
von oben nach unten zwischen dem Körper des Kranken und dem Bett-
linnen durchzieht, den Schwamm dann in eine Tasse legt und dann den
Inhalt vor dem Hause ausschüttet unter den Worten:
„Nimm das hier
Und rauch' und renn'
Über Wasser und Land,
In AVetter imd Wind
Und in die Hölle hinein.
Und lass N. N.
Seine Gesundheit wieder bekommen." •')
1) a. a, 0., S. 24 f. 2) a. a. 0., XLij. 3) a. a. 0., VII, Heft 2, S. 4.
4) a. a. 0., VIT, Heft 2, S. 9, 5) a. a. 0., S. 13.
196 Kahle:
Auch das Bannen der Krankheit in Bäume kennt man. So ging ein
Mädchen in Nord-Fünen. das Zahnschmerzen hatte, mit einem Manne zu
einem Baume, und der schnitt den Zahnschmerz in den Baum, so dass er
sogleich fort war und blieb. ^) Hat man einen schlimmen Rücken, so muss
der Kranke, dessen Röcken vorher mit einem heissen Stein gerieben, unter
einem Baum dreimal dm'chkriechen. dessen Spitze ein anderer nach unten
gebogen hat. Dann lässt man den Baum wieder nach oben schnellen,
ohne dass ihm ein Schaden geschieht. Fällt nun «liesen Baum später
jemand, dann gnade ihm Gott, denn dann erhält er die Krankheit, die
dann wieder auf dieselbe Weise geheilt werden kann.*) Hier finden wir
den bedeutsamen, weitverbreiteten Zug, dass. wenn jemand später mit
einem Gegenstände in Berührung kommt, in den eine Krankheit gebannt
ist, er seinerseits diese erhält. So z. B., wenn man ein Geschwür mit einem
Pfennig bestreicht und diesen dann auf einen Kreuzweg wirft: wer den
Pfennig aufhebt, bekommt das Geschwür.') Hierher gehört wohl auch
eine Formel, die deshalb besonders interessant ist, weil in ihr bestimmt
die Krankheit als Schickung irgend eines bösen Wesens angesehen wird.
Nach einer umständlichen Procedur. dm'ch die man herausgebracht hat,
dass böse Geister die Krankheit verursacht haben, bindet man Haare und
Nagelabschnitte vom Kranken zusammen mit glühender Kohle und Blei in
Lappen. Dann geht, wenn möglich, der Kranke selber an eine abgelegene
Stelle und wirft das Packet mit der rechten Hand über die linke Achsel
mit den Worten : „Nimm nun das und spiele damit und lass den Kranken
in Frieden."*) Dass man böse Geister oder auch Satan selbst als Urheber
von Krankheiten ansieht, geht auch aus einer Beschwörung hervor, die
mau anwendet, weim man jemandem eine Krankheit auf den Hals schicken
will. Man nimmt einen Stein von einem Kirchhof und schlägt damit einen
verrosteten Sargnagel an die Stelle in die Erde, wo die Person, der man
die Krankheit senden will, ihr Wasser gelassen hat und sagt dazu: „Dieser
Nagel ist bei einem Toten gewesen, nun sollst du Satan Krankheit in den
Schnee setzen.'"*)
Gelegentlich wird auch beim Fortwei-fen des Bündels von Haaren.
Nägeln u. s. w. ausdrücklich gesagt, dass die bösen Geister weichen mögen.*)
Als lebende Wesen begegnen die Krankheiten besonders in den Sprüchen,
in denen erzählt wird, wie Christus oder Maria den Dämonen beaegnen
und sie an der Ausführung ihres Vorhabens, einen Menschen zu überfallen,
hindern. Solche Sprüche sind die folgenden: „Nässe und Tasse gingen
den Weg entlang, da ti-afeu sie Jesus Christus selber. Wo willst du hin-
gehen? sagt Jesus Christus selbst: so sagten sie. ich will gehen zu N. N.,
ich will sein Fleisch zerreissen, sein Blut saugen, seine Knochen zerbrechen.
Nein, antwortete Jesus Christus, ich will's dir verbieten, du sollst nicht
1) Dania H, •22-2, No. 5. -2) S\r. landsm., II, XLIV. 3) a. a. 0., Lij.
4) a. a. 0., Lij. 5) a. a. 0., VII, Heft 2, S. 8. 6) a. a. 0., H, Lij.
Krankheitsljt'schwönuigeu des Nordens. 197
sein Fleisch zerreissen oder sein Blut saugen oder seine Knochen zerbrechen,
du sollst nie ihm mehr Übel zufügen, als die Maus zufügt einem in der
Erde wurzelnden Stein. Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und
des heiligen Geistes, Amen." Dieser Spruch wird dreimal wiederholt und
zuletzt das Vaterunser aufgesagt. Auf Befragen, was Nässe und Tasse
bedeutet, antwortet die der Hexerei beschuldigte Frau, die den Spruch
angefüla-t hatte, es wären lange, schmale Würmer im Wasser, wie Zwirns-
fäden, die man bösen Biss nenne, und es sei wunderbar, dass sie in
früheren Zeiten, da sie doch so klein wären, hätten reden können, worüber
sie sich schon oft gewundert habe. ')
Aus einem andereu Protokolle vom Jahre 1735 stammt ein Spruch
gegen Krötenbiss: „Jesus ging den Weg entlang; der hässliche Krötenbiss
begegnete ihm. Wo willst du hingehen? sagte Jesus. Ich will gehen und
zerbrechen N. N.'s Knochen, essen sein Fleisch und trinken sein Blut.
Nein, sagte Jesus, icli begegne dir und banne dich
Aus seinem Bein
Und in Stein,
Aus seinem Fleisch
und in Erde,
Aus seinem Blut
Und in die Flut,
im Namen des Vaters, des Sohnes und des lieiligen Geistes."*)
Eine Beschwörung, die man anwendet, wohl wenn eine Kuh keine
oder schleclite Milch giebt, lautet:
„Wohin willst du gehen, sagte das Kreuz:
Wohin willst du gehen, sagte Christus;
Wohin willst du gehen, sagte Jungfrau Maria.
Du willst gehen zu N. N.'s Kuh;
Nein du sollst es nicht, sagte das Kreuz;
Nein du sollst es nicht, sagte Christus;
Nein du sollst es nicht, sagte Jungfrau Maria;
Du sollst umkehren,
Ihre Kuh ihre Gesundheit wieder bekommen lassen
Bevor der Tag tagt, bei den heiligen drei Namen:
Des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen."')
Eine schmerzstillende Formel lautet:
„Jesus ging auf den Kirchhof,
Um alle Wunden zu heilen,
Jesus schläft ein,
Der Schmerz wird betäubt
In den drei Namen Gott des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes." ')
Hier reilien sich die Formeln an, in denen erzählt wird, wie Christus
oder Maria irgend etwas heilt, oder wie er selbst geheilt wird. Interessant
1) a. a. 0., XLIV. 9) a. a. O.. XLVI. .S) a. a. 0.. XLVI f. 4) a. a. 0.,
Vir, Heft -2, S. 7 f.
108 Kahle: Rrankheitsbescliwöniiigen des Nordens.
ist hier besonders der von Bartels angeführte Spruch der Siebenbürger
Sachsen, in dem Christus das Beiu des heiligen ]\Iatthias heilt, also niclit
sein eigenes oder das seines Pferdes, weil es vortrefflich zu dem von A.
Kock aus einem Gerichtsprotokoll vom Jahre 1672 aus Bohuslen angeführten
stimmt: „Unser Herr Jesus Christus und St. Peter gingen oder ritten über
Brattebro. St. Peters Pferd bekam eine A'^errenkung. Unser Herr stieg
vom Pferde zu segnen St. Peters Pferd (gegen) Verrenkung: Blut zu Blut.
Glied zu Glied. So wurde St. Peters Pferd geheilt, in drei Namen u. s. w." ')
Und ähnlich: „St. Peter und unser Herr wanderten eine Strasse; da ver-
letzte sich St. Peters Pferd, und unser Herr stieg vom Pferde imd segnete
es mit Stroh.'"")
Diese Sprüche sind deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil man sie
als Stütze dafiü' angeführt hat, dass in dem Merseburger Zaubersprucli es
nicht das Ross Wodans ist. das er selbst heilt, also nicht Balderes als
Appellativum zu Wodan zu fassen ist, sondern, dass liier die Rede von
Balder dem Gott ist, an dessen Stelle in unseren Sprüchen St. Peter, bezw.
Matthias getreten ist.')
Anreihen möchte ich hier einen isländischen Spruch:
Gebet geg-eii Geschwür.
Christus sass vor der Kirchenthür:
Eine Kei-ze hatte m der Hand
Das gesegnete Kind,
Ein Buch in der anderen.
Was sorgst du, mein Sohn?
Sagte die seelige Maria.
Ich bin wund und siech,
Sagte Gott mein Herr.
„Ich will dir heilen das Beingeschwür, das Steingeschwüi-, das Fuss-
geschwür, das Handgeschwür, das Eingeweidegeschwür, das Hauptgeschwür
und die allerki'äftigsten mächtigsten Geschwüre." Er ward ledig seiner
Tvrankheit.*)
Dieser Spruch stellt sich auch zu den von Bartels S. 31 f. angeführten,
in denen eine ganze Reihe von verschiedenen Arten einer Krankheit an-
geführt werden. So kennt man z. B. auch in Angermanland neunerlei
Arten von englischer Krankheit und hat neunerlei Arten, sie zu heilen.^)
Auch die magische Art des Rückwärtszählens, von der Bartels S. 37
Beispiele anführt, ist im Norden bekannt. So erzählt eine Frau in Däne-
mark, dass sie sich ihr schlimmes Bein durch eine kluge Frau habe lieilen
1) a. a. 0., VI, CXLVIfe.
•2) a. a. 0., 11, XLVII.
3) vgl. Bugge. Stildien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensage,
S. 305 ff.
4) Arnason isleuzk. pjödsögur II, S.Cüf.
5) Sv. laudsm. VII, Heft 2, S. 4.
Müller: KiiKlorreiiiU' aus LL'ipzig- und Umgehend 199
lassen, die nichts anderes gethan liabe, als dass sie an drei Donnerstagen
mit ihrem Finger um die kranke Stelle gestrichen und dabei von 8—1
gezählt habe.')
Sicherlich finden sich auch in Norwegen Sprüche ähnlicher Art, doch
ist mir leider hier kein Material hierfür zu Gebote.
Heidelberg.
Kindeneime aus Leipzig und Umgegeud.
Von Kurt Müller.
Die Klage, «lass die Gestaltung unseres modernen Volkslebens, be-
sonders die Entwicklung der allem Alten feindliehen sozialistischen Be-
strebungen unseren volkstümlichen Überlieferungen und Erinnerungen den
Untergang bereite, indem sie deren Vergessen fördere, ist wohlberechtigt,
wenn sie auch glücklicherweise etwas übertreibt. Eine Gattung volks-
tümlicher Überlieferung wird mit Sicherheit noch lange ihr altes dankbares
Publikum selbst in den Grossstädten finden: die Reime und Spiele der
Kimlerwelt. Die folgenden von mir in Leipzig und Umgegend gesammelten
Liedcheu mögen als ein Beweis der Zähigkeit gelten, mit der unsere
grossstädtische Kinderwelt altes Gut forterbt.^)
Von historischen Reimen fand icli die folgenden beiden verbreitet, die
aus der Franzoseuzeit stammend in der Leipziger Kinderwelt sich erhalten
haben. Das sinnlose „Tanz" in dem Zählspruche No. 2 für „Danzig", wie
es anstatt „Moskau" in allen sonst verbreiteten, meist kürzeren Varianten
heisst (A. Richter, Über deutsche Kinderreime. — Frischbier, Preussische
Volksreime und Volksspiele, No. 585. — Simrock, Das deutsche Kinder-
buch, No. 797. — Dunger, Kinderlieder und Kinderspiele aus dem Vogt-
hüKle, No. 278), zeugt allerdings für ein Schwinden des Verständnisses.
1. In Connewitz
Da hat's geblitzt,
Da hab'n die Jud'n (Franzosen, Soldaten) Blut geschwitzt.
Da hatten sie sich ein Haus gebaut
Von Leberwurst und Sauerkraut, ■
Da ist es wieder eingekracht,
Da haben sie sich halbtot gelacht.
1) Dania II, S. •224.
^) [Diese Leipziger Reime zeigen sehr deutlieh eiue ganz andere Physioguumie als
die aus kleinen Stlldtoii und vun abgelegeneu Dörfern.]
200 Müller:
2. Eins, zwei u. s. w. zwanzig. Rannten sie nach Prankreich zu.
Die Pjanzosen hatten einen Tanz, In Frankreich war ein wildes Schwein,
Der Tanz fing an zu brennen. Das biss den Hauptmann in das Bein,
Die Franzosen mussten rennen. Der Hauptmann schrie: „Oweh! o weh!
Ohne Sti-ümpf und ohne Schuh .Mir thut mein linkes Bein so wehl"
Ein kleines Kabinetstück der Gattung Lügeulied, Lügenmärchen') ist
ohne Zweifel das folgende:
3. Eine Kuh die sass im Schwalbennest Der Esel zog Pantoffeln an,
mit sieben jungen Ziegen. ist über's Haus geflogen,
die feierten ihr Jubelfest und wenn das nicht die Wahrheit ist,
und tingen an zu fliegen. so ist es doch gelogen.
Diese Passung berührt sich eng mit einem von Simrock (Deutsches
Kinderbuch, No. 469) mitgeteilten Lügenliede.
Einen Beleg für die einst beliebten Kettenreime ^), in dem die Spannung
der Hörer durch die Führung von aussen nach innen immer lebhafter
erregt wird, bietet ein Zählsprucli:
4. Ein Mann hatte einen Garten,
in dem Garten stand ein Baum,
auf dem Baume war ein Nest,
in dem Xeste w-ar ein Ei,
in dem Ei war ein Dotter,
in dem Dotter war eine Laus.
A Es U
Raus bist du!
vgl. Dunger, 327. — Wegeuer, volkstümliche Lieder aus Norddeutschland.
No. 169.
Mit wenig Woi-ten. aber derbem Humor wird uns erzählt:
5. Ich lag einmal auf Latten bei Wasser und bei Brot,
Mein Leib war wie ein Schatten, mein A . . . war feuerrot.
6. Schott, wie de wott, was macht der Schneider?
,, „ „ , er hat gestohln.
„ „ „ „ er hängt am Galgen.
„ „ „ „ er wackelt schon,
vgl. Dunger No. 153.
Harmloserer Humor kommt zum Ausckuck in den folgenden Ge-
schichtchen:
7. Das Häslein sitzt im grünen Grand
und geigt sich schier die Finger wund.
Dideldum, dideldei!
Wer tanzen will, komm schnell herbei!
1) Alte Proben in \V. Wackernagels .41tdentschem Lesebuch, 5. Auflage, S. 1150.
Meisterlieder der Kolmarer Handseluift herausg. von Bartsch. No. CXLII.
2) Alte Kettemreime bei W. Wackemagel, Altdeutsches Losebuch, S. 1147 5. (Aufl.)
Kinderreime aus Leipzig: und Umgegend.
201
8. Auf einem hohen Berge,
Da zankten sich zwei Zwerge
Um einen halben Kloss,
Da ging der Teufel los.
vgl. Dunger No. 326.
9. Auf einem Berge
Da steht ene Kerche.
Die zerruppen zwee Zwerge.
Herr Gott, ist das ä Gewtärge
Da unten in dem Thale,
Da giebt es Freuden viel,
Da zankten sich zwei Zwerge
Um einen Birnenstiel.
11.
10. Eine kleine Fettmadame
wollte zwei Karnickel han.
Zwei Rarnickel gab es nicht,
Fettmadame druckte sich,
vgl. Dunger No. 312.
In Badewaug, in Badewang
Da baden sich die G<änse,
Da tritt der kleine Hahn herein
Und haut sie auf die Schwänze.
Bedeutend derber sind:
12. Auf dem Berge Sinai
wohnt der Schneider Kikriki,
knöppt'r seine Hosen auf,
huppt ein grosser Floh heraus.
Seine Frau, die alte Lerche,
Hess e Förzchen in der Kerche,
oder:
13.
Auf dem Berge Sinai
sass der Schneider Kikeriki.
Seine Frau, die alte Beere,
sass auf dem Balkon und nähte.
auf dei' grossen, langen Bank
war e grosser Forzgestank.
Kam der Pastor hergesprungen:
„Frau, Sie hab'n falsch gesungen.'*
Und der Kutscher auf dem Bock
schiss vor Angst gleich in den Rock.
Sie liel herab, sie fiel herab,
und ihr linkes Bein fiel ah.
Da kam der Doktor Tellermann
und klebte es mit Spucke an.
14. In der bim, bam, bolschen Kirche (Küche)
Geht es bim, bam, bolisch zu,
Tanzt der bim, bam, bolsche Ochse
Mit der bim, bam, bolschen Kuh.
Und die bim, bam, bolsche Mutter
Kocht den bim, bam, bolschen Brei,
Und die bim, bam, bolschen Kinder
Greifen mit den Fingern nein,
vgl. Wegener No. 622.
15. Auf der Klaffenbacher Schenk
Hat der Schwammbmami sich erhängt.
Warum hat er sich erhängt?
Weil sei Schwamm nicht Feuer fängt
16. Gemütlich fährt sichs heute
auf der Pferdebahn: 17.
das eine Pferd, das zieht nich,
das andre das ist lahm,
der Kutscher der ist bucklich,
der Kondukteur ist dumm,
und alle fünf Minuten
da kracht die Karre um.
:^eitsdir. il. Vul■eiu^ 1. VolkikliMcle. ISJi.
(Chemnitz.)
Max und Moritz ging'n emal
durch das grüne Rosenthal,
kamen vor en kleinen Laden:
„Für eu Dreier Käsemaden!"
„Käsemaden giebt es nicht."
Max und Moritz drückten sich.
14
202
Müller:
18. Ich sollt meiner Mutter eine Stecknadel holen-
Das that ich nicht.
Da haut sie mich. •
Da huppt' ich in die Höh'.
Das that nicht weh.
19. Bimmelingling, die Schul ist aus.
Da huppt der Floh zum Fenster raus.
Huppt er of n Pflastersteen,
Bricht er sich sei Nasenbeen.
Huppt er of die Brücke.
Da bricht er sei Genicke,
Da huppt er in den Dreck,
Sieh! da war er weg!
vgl. Dunger No. 144.
20. Bei Müllers (Bäikers) um die Ecke
Da lag ein grosser Stein.
Da fiel ich drüber wege
und brach das Nasenbein.
Da ging ich zu dem Doktor.
Das Luder war nicht heem.
Da sass er in der Schenke
Und kam besotfen heem.
21. Unsre Katz hat Junge,
sieben an der Zahl,
sechs davon sind Kater.
Das ist ganz egal.
22.
Beim Pingerspiel wird gesagt:
Zwei Mädchen wollten Wasser holn.
zwei Knaben wollten plumpen,
da guckt der Herr zum Fenster 'raus
und sagt: „Ihr seid ja Lumpen. *-
Da kroch er wieder rein,
da guckten sie alle nein.
Da kroch er wieder raus,
da riss'n sie alle aus.
Die folgenden längeren Texte werden meist gesungen, No. 28, 29 als
Spiellieder. Es sind keine Kinderreime, sondern aus Kindermund auf-
gezeichnete, meist entstellte Volkslieder.
23. Ein Bauer fuhr ins Heu, Heisa Viktoria, ein Bauer fuhr ins Heu.
Der Bauer nahm sich ein Weib, u. s. w.
Das Weib nahm sich ein Kind, u. s. w.
Das Rind nahm sich eine Muhme.
Die Muhme nahm sich ein'n Knecht.
Da schied der Bauer vom W^eib.
Da schied das Kind von der Muhme.
Da schied die Muhme vom Knecht.
Da stand der Knecht allein.
Vgl. Erk-Böhme. Liederhort. No. 987.
24. Es war einmal ein Mann, es war ein-
mal ein Mann, es wai' einmal ein
Mi. Ma, Mausemann.
Er hatte eine Maus. u. s. w.
Was macht er mit der Maus/ ii. s. w.
Er zog ihr ab (his Fell.
Was macht' er mit dem Fell.^
Er flickte sich ein'n Sack.
Was macht' er mit dem Sack?
Er that hinein sein Geld.
Was macht er mit dem Geld'/
Er kaufte sich ein'n Bock.
Was macht' er mit dem Bock?
Da ritt er in den Krieg.
Er schlug sie alle tot.
Was macht" er mit den Toten?
Er scharrt' sie unter'n Sand.
Er klitscht'ii an die Wand.
Kinderreime aus J.eipzig und Umgegend. 203
25. Es war einmal ein Mann, es war einmal Da niusst er in den Krieg,
ein Ledermann, si sa Lederniann U.S. w. Da witrd' er totgeschossen.
Der Mann nahm sich ein Weih. Da brachten sie ihn rein.
Da.s Weib nahm sich ein'n Sohn. Da ruht der liebe Sohn.
Der Sohn musst' in die Schul. Da stand er wieder auf.
Da lernt' er's ABO. Da freuten sie sich all.
[No. 24. 25 sind verscliiedeiR' Formen desselben Liedes, gesungen
nach der Melodie „Was kommt dort von der Höh.'' Die frühste Spur
dieses studentischen Fuclisliedes ist in Holbergs Jeppe am Berge (1722)
gefunden. \vn das Lied beginnt: In Leipsig war en Mand. In Leipsig war
en laederen Mand, Li Leipsig war en Mand. (Kommersbuch, herausgegeben
von M. Priedländer. No. 154.)]
2(i. ^Madam, Madam, zu Hause solfn Sie koramenl
Ihr Mann, der ist ja krank."
„Ist er krank, so ist er krank,
haut ihn auf die Ofenbank!
Ich komme nicht, ich komme nicht."
„Madam, Madam, zu Hause solfn Sie kommen!
Ihr Mann, der ist ja tot."
„Ist er tot, so ist er tot,
Ist er doch aus seiner Not.
Ich komme nicht, ich komme nicht."
„Madam, Madam, zu Hause soll'n Sie kommen!
Die Träger sind im Haus."
„Sind sie im Haus, so sind sie im Haus,
hamt sie mit dem Besen naus!
Ich komme nicht, ich komme nicht."
|Vgl. Erk-Böhine. Liederhort. No. 910"— 910-^.]
27. Es war einmal eine Jüdin, ein wunderschönes Weib,
sie hatte eine Tochter, zum Tode war sie bereit.
,..\ch Mutter, hebste Mutter, mir thu( mein Kopf so weh,
lass mich ein kleines Weilchen spazieren gehn an den See!"
„Ach Tochter, liebste Tochter, allein kannst du nicht gehn.
nimm deinen jüngsten Bruder, dei' kann ja mit dir gehn!"
,Lass mich, lass mich o Mutter, das ist ja nur ein Kind,
der sieht nach allen Vöglein, die in dem Walde siud.
Ach Mutter. Hebste Mutter, mir thut mein Kopf so weh!"
Die Mutter legt' sich schlafen, die Tochter ging an den See.
Sie ging solang' spazieren, bis sie den Fischer fand.
„Ach Fischer, liebster Herr Fischei'. was machen Sie hier so früh?"
„Ich such' den verlornen Prinzen, der hier ertrunken ist."
Was zog sie von dem Fingery Ein n King von echtem Gold.
„Das nehmen Sie. lieber Heri' Fischer, und kaufen den Kindern Brot!"
14*
204 Müller: Kinderreime aus Leipziff und Umgegend.
Was nahm sie von dem Halse? Ein gold'nes Kettelein.
„Das nehmen Sie. jieber HeiT Fischer, das soll Ihr Denkmal sein!"
Dann sprang sie über die Mauer hinab in den tiefen See.
„Leben Sie wohl, leben Sie wohl, Herr Fischer! Wir sehn uns nimmermehr. "
(Tgl. Erk-Böhme. Liederhort, No. 98»— 98".]
28. Es wohnt ein Kaiser an dem Rhein,
der hat drei schöne Töchterlein.
Die erste wollf die reichste sein,
die zweite ging ins Kloster ein,
die dritte in's französche Land,
da war sie fremd und unbekannt.
Bei einer Wirtin klopft sie an.
da ward die Thür ihr aufgethan.
,Wer steht da draussen vor der Thür?"
„Eine arme Dienstmagd steht hier für."
„So eine Dienstmagd mag ich nicht.
die mir des Nachts vor den Thüi'en liegt."
Sie nahm sie auf ein halbes Jahr,
sie aber diente sieben Jahi-.
Da ward das Mädchen krank und schwach.
Frau Wirtin bringt ein Gläschen Wein
und fragt, wer ihre Eltern sein.
„Mein Vater ist Kaiser an dem Rhein,
und ich bin Kaisers Töchterlein."
„Das hätt'st Du eher sollen sagen,
gestickte Kleider sollst Du tragen. -
„Gpstickte Kleider brauch' ich nichj,
nach meiner Heimat sehn' ich mich."
ünd als sie nun gestorben war,
drei Lilien wuchsen auf ihrem Grab,
darunter (darinnen) stand geschrieben:
„Bei Gott ist sie geblieben."
[Vgl. Erk-Böhme, Liederhort. No. 182"— 182".]
29. Mariechen sass auf einem Stein, einem Stein, einem Stein.
Da kämmte sie ihr goldnes Haar, u. s. w. (Wiederh.)
Und als sie damit fertig war, (Wiederh.)
Da kam ihr Bruder Heinerich, u. s. w. (Var. : der alte Heinerich)
Was zog er aus der Tasche?
Ein grosses, scharfes Messer.
Er stachs der Maria in die Bi'ust.
Da kamen ihre Eltern "rein.
„Wo ist denn unser Engelein?
Es liegt schon längst im Grabe.
Da stand es wieder fröhlich auf.
Var. zu V. 9; „Maria, warum weinest Du? gesprochen: weil ich sterben muss,
vgl. Wegener, No. 673.
[Eine entstellte Form der Ballade vom Ritter Ulrich: Erk-Böhme,
No. 42-^- 42^]
Weinhulfl: Die WidderprozessioD vnn Viralen und Prägratten. 205
Die Widderprozession von Virgen und Prägratten
nach Lavant im Pusterthal.
Von Karl Weinhold.
lu dem Burggräfler, dem iu Meraii erscheineuden klerikalen Blatte,
vom 14. April 1894 (No. 30) findet sich ein Bericht über die sogenannte
Widderprozession, die von den Gemeinden Virgen und Prägratten im
Virgenthal (hinter Windischmatrei) in der Osterwoche zu der Wallfahrts-
kirche S. Mariae über Lavant bei Lienz im Pusterthale alljährig gehalten
wird. Wir entnehmen dem Artikel folgendes Thatsächliche.
In Virgen und Prägratten v?ütete vor langen Jahren eine Seuche, die
viel Opfer forderte. Da verlobten sie sich endlich, alle Jahre einen schönen
Widder am Gnadeiiorte zu Lavant zu opfern. Darauf wurden sie von der
Seuche befreit. Al.s sie aber einmal das Opfer unterliessen, brach die
pestartige Krankheit sofort wieder aus und wich erst nach Erneuung des
Gelöbnisses. So wird seitdem regelmässig das Opfer feierlich dargebracht.
Der Widder wird ein Jalir vorher ausgewählt und sorgsam gepflegt. Er
wird nicht geschoren, hat Zutritt zu allen Häusern, wo er mit dem besten
gefüttert wird u. s. w.
Am Freitag nach Ostern bricht nun die Prozession der weiten Ent-
fernung halber schon früh morgens um 2 Uhr auf, hinter der Fahne
schreitet der Widder. Gegen Mittag erst langt man in Lienz an, wo das
Tier in der Stadt umhergeführt und in verschiedenen Häusern mit allerlei
Zierraten geschmückt wird. Um 3 Uhr geht die Wallfahrt weiter über
die Tristacher Pfarrkirche nach Lavant. Dort erwartet ein Wäglein das
Tier, das den Berg zur Gnadenkirche hinauf gefahren wird. Der feierliche
Einzug in diese schliesst den ersten Tag. Am zweiten füllt sich die Kirche
schon um vier Uhr früh mit Wallfahrern, die beichten und kommunizieren
wollen. Zwanzig Stunden weit, aus Tirol und Kärnten, strömt das Volk
zusammen. Während der Predigt steht der Widder mitten in der Kirche
unter der Kanzel.
Nachmittags wird er versteigert, und der Kaufpreis ist das Opfer, das
die Gemeinden der Wallfahrtskirche bringen. Das gewöhnliche Ende des
Opfertieres ist, dass es als Best ausgeschoben wird.
Laut Urkunde des Pabstes Innocenz VHL voni 7. Juni 1491 ist die
Wallfahrtkirche auf dem Hügel bei Lavant von Pabst Leo TV. im J. 850
persönlich geweiht und mit vielen Ablässen ausgestattet worden. Dies,
sowie die Gründung der Wallfahrt dm-ch ein von Hirten gefundenes Marien-
bild') sind für uns hier Nebensachen.
1) J. Zingerle, Sagen aus Th-ol, 2. A., No. 897.
206 WeiiihoM :
In der Lavanter Widderprozessioii haben wir eine uralte, vorchristliche
Culthandlung zu erkennen, die von der Kirche bei den Bekehrten zunächst
geduldet und dann unter die landschaftlichen oder örtlichen Feierlichkeiten
aufgenommen worden ist.
Es ist eine Siihnprozessiou, der Gottheit gebracht für Befreiung von
einer Seuche: das Sühnopfer ist ein Widder. Unterbleibt das Opfer, so
sendet der erzürnte iiott die Krankheit wieder. Vergleichungen mit antiken
Gebräuchen werden die Richtigkeit dieser Auffassung bevreisen.
Hermes hatte den Beinamen des Widderträgers, des xoiotpÖQo^ , weil
er der Sage nach die Stadt Tanagra durch Umtragung eines Widders von
der Pest befreit hatte. Bei seinem Feste wiederholte der schönste mann-
bare Jüngling die That des Gottes, indem er mit dem Widder auf der
Schulter die Stadt umschreiten niusste (Preller, (triech. Mythol. 1. 307).
Der Widder ist das Symbol der befruchtenden Regenwolke in den griecliischen
Mythen, und erscheint auch als uraltes Sinnbild des Zeus jueiMxio^, des
gnädigen. In dem Sühnfeste von Tanagra ist die Erinnerung bewahrt,
deass Hermes durch Sendung des reinigenden Regens die schwüle Seuche
gebannt hatte. Um solchen erqnickenden und reinigenden Regen ging
auch die Prozession aus der Stadt Demetrias auf den obersten Gipfel des
Pelion zu dem Heiiigtume des Bergzeus, des Zevs axQniog. Wenn der
Hundsstern aufging, also beim Beginn des heissesten Sommers, stiegen die
Jünglinge von Demetrias, mit frischen und recht zottigen Widderteilen
bekleiilet (Dikiearch bei Müller Fragm. bist, grapc. II, 262) auf den Berg-
gipfel und beteten zum Gotte (Preller ], 112). Das war allgemeiner
Bi'auch, das Flies eines dem Zeus geopferten Widders (J«k y.o'jdtov) um-
zunehmen oder sich darauf zn stellen, wenn man ihn um Regen und
Kühlung anflehte (Preller 1, 94, 2, 312).
Auch iu der ältesten indischen Mythologie hat der Widder dieselbe
Bedeutung als in der griechischen. Indra, der Gewitter- und Regengott.
wird in den Hymnen des Rigveda als Widder vorgestellt, ein Bild des
wolkigen, fruchtbaren Himmels (Gubernatis. Die Tiere in der indogerman.
Mythologie, 313. 337).
Wenn sich aus dem Mitgeteilten ergiebt, dass b(!i indogermanischen
Völkern in alten Zeiten Sühnprozessionen auf heilige Berge üblich waren,
bei denen der Widder eine symbolische Bedeutung hatte, so müssen wir
mm fragen, da Inder und Griechen niemals im oberen Drauthale und
seinen Nebenthälern gewohnt haben, welchen nationalen Untergrund hat
die Lavanter Wallfahrt mit dem Widder?
Heute ist jene Gegend ganz deutsch, aber den Deutsclien bayerischen
Stammes sind die Karantaner Slaven vorangegangen und diesen Noriker
oder nach anderer Meinung illyrische Veneter. Bis in die zweite Hälfte
des 6. Jahrh. n. Chr. sassen in Kärnten noch keine Slaven: dann aber
brachen diese von Osten herein und drängten das Drauthal hinauf bis auf
l)ie Widderprozpssion von Virjjen mid Präaratten nach Lavant im Pnsterthal. 207
die Wasserscheide zwischeu schwarzem 'und adriatischem Meere. Die
Bayernherzöge Thassilo I. und sein Sohn Garibald haben in harten Kämpfen
595 und um 610 bei Innichen (Agunta) und auf dem Toblacher Hochfelde
den Slaven blutige Marksteine gesetzt, und tou hier aus ist dann später
das Christentum und allmählich auch deutsche Sprache das Drauthal hinab
vorgedrungen. Im 9. Jahrii.. wohin die päbstliche Weihe des Bergkirchleins
von Lavant gesetzt wird, war jene Gegend slavisch, noch im 10. Jahrh.
hiess sie das Slaveuland, imd laugsam erst hat sich hier die windische
Sprache verloren. Sie haftet noch jetzt iu Teilen des dem oberen Drau-
thal parallelen Gailthales.
Für slavisch - heidnischen Ursprunges halte ich daher die Widder-
prozession und führe zur Stütze dieser Annahme verwandte südslavische
Bergwallfahrten an.
In Bosnien giebt es eine Anzahl von Bergen, auf welche katholische
wie mohamedanische Bosniaken bei grosser Trockenheit wallfahrten, um
Regen zu erflehen, so die Cardakplaniua bei Travnik, ein Berg bei Janjice,
der Eliasberg bei Srbrnik, in der Herzegovina der Hum bei Mostar. Auch
in Slavonien wird auf mehrere Berge mit Kapellen in dürrer Zeit gezogen,
um Regen zu erbitten. Den Widder finden wir bei der Georgsprozession
zu einer steilen Höhe hinter dem Franziskanerkloster von Sutjeska iu
Bosnien, die von den vermummten Laudieuten gehalten wird. In der
grössten der drei Berghöhlen wird ein Hammel gebraten und unter Gesaug
und Tanz verschmaust. ^)
Auch bei den Winden in Steiermark und Kärnten finden wir mit be-
sonderer Vorliebe die Berggipfel mit Ka])ellen und Kircheu gekrönt. Gleich
von den windischen Büheln, au denen die Grenze des deutschen und
slavischen Sprachgebietes in Steiermark läuft, winken sie hinunter in den
üppigen Thalboden. Und sie stehen nicht einsam und öde: das Volk
kommt an den Festtagen zu ihnen herauf, seine Andacht zu verrichten.
Mir ist ein Himmelfahrtstag an einer dieser Kirchen fest im Gedächtnis.
Ebenso ist es auch in Kärnten. Überall sind die Berge mit Kirchlein
geschmückt: so die vier höchsten Berge des Glanthales, der Helenen-,
Veit-, Laurenz- und Ülrichsberg, zu denen das unterkärntische Volk seit
undenklichen Zeiten am Dreinageltage (d i. dem zweiten Freitage nach
Ostern) wallfahrtet. Der Gottesdienst beginnt um Mitternacht in dem
Helenenkirchleiu, und von da zieht sich die fromme Bergfahrt bei Kien-
fackellicht nach dem Ulrichsberge, dem Veitsberge und zuletzt zum Lorenz-
berge. Sie dauert 24 Stunden, und gar mancher der „Vierberger" hat mit
Krankheit uud Tod die übermässige Anstrengung bezahlt, wie schon Me-
giser vor mehr als 280 Jahren in seineii Annales Carinthias berichtete.
1) V. Andrian, Der Höhenkultus asiatischer uud europäischer Völker. Wien 1891.
S. 343. 34f!. 3R7, nach Mitteilungen, die Dr. Fr. S. Krauss gemacht hat.
208 Stiefel:
Der Sage nach liat diese Vierbergfahrt ihren Ursprung bei einer Hungersnot
gehabt, die infolge grosser Dürre eintrat.*)
Wir dürfen diese kärntische Bergprozession mit der Pusterthaler ver-
gleichen. Sie ist wegen grosser Dürre gestiftet, die Lavanter wegen einer
Seuche, Landplagen, die wie die Hermes- und Zeusprozessioneu zeigen,
im selben Grunde wurzeln, und durch reinigenden Regen gebannt werden.
In Lavant ist das Opfer bis jetzt erhalten, im Grlanthal ist es mit der Zeit
verschwunden. Die Zeit der Wallfahrt ist die gleiche, die Osterzeit, der
beginnende Lenz, in dem der über das Gedeihen alles Lebens waltenden
Gottheit Bitt- und Dankopfer auf den Berghöhen gebracht wurden, auf
denen man sie in den segenbringenden Wolken vorzüglich weilend dachte.
Die Widderprozession der Virgenthaler nach der Lavanter Bergkirche
ist also ursprünglich keine katholische Wallfahrt, sondern ist vorchristlichen
religiösen Ursprunges. Die Kirclie Hess sie bestehen wegen ihrer frommen
Meinung.
Kleine Mitteilungen.
Ein Eulenspiegelstreich aus Franken.
Vor vielen Jahren hörte ich an den Ufern der fränkischen Saale eine Eulen-
spiegelgeschichte erzählen, die ziemlich unbekannt zu sein scheint und eine Nach-
erzählung- wohl verdienen dürfte. Ich gebe sie hier:
Eulenspiegel ging einmal nach einer Stadt, woselbst ein Viehmarkt stattfinden
sollte. Er führte am Sti-icke eine Ziege, die er dort zu verkaufen beabsichtigte.
Unterwegs holten ihn Bauern ein, die ihn anredeten und fragten, wohin er ginge
und was er vorhabe. Eulenspiegel versetzte: „Ich gehe zum Viehmarkt, um dort
meine Kuh zu verkaufen." „Eure KuhV" riefen die Bauern, „wo habt ihr die?"
„Hier", sagte der Schalk und deutete auf die Ziege. Die Bauern lachten. „Eine
schöne Kuh das", sagte der eine, „die meckert ja!" „Seid ihr verrückt", rief ein
anderer, „dass ihr eine Geiss für eine Kuh ausgebt!" „Na", meinte ein dritter,
„eine Kuh ist es wohl, aber eine Bartkuh." „Was kostet das Tierlein?" fragten
endlich die Bauern. „Hundert Thaler", sagte Eulenspiegel. „Hundert Thaler",
riefen die Bauern, wie aus einem Munde, „Mensch, wo denkt ihr hin? Das Vieh
ist mit 4 Thalern gut bezahlt." Eulenspiegel versetzte ruhig: „Wo hörte man je,
dass eine Kuh um 4 Thaler verkauft ward? Meine Kuh ist 100 Thaler wert, und
ich gebe sie nicht um 99^4 her." „Lasst ihn gehen!" rief ein Bauer, „der Kerl
gehört ins Narrenhaus: solchen Leuten geht man am besten aus dem Wege!"
Die Bauern entfernten sich lachend, aber Eulenspiegel rief ihnen nach: „Wartet
nur, ihr Saubauern, ihr selbst sollt mir die 100 Thaler dafür geben!" Auf dem
1) Frz. Francisci, Kulturstudien über Volksleben in Käruteu. Wieu 1»79. S. 44— 4S
Kleine Mittoiliingpii. 209
Markte angekommen, bot Eulenspiegel seine „Kuh" zum Verkauf aus, und ähnliche
Auftritte wie der obige wiederholten sieh. Endlich schlug er sie für 4 Thaler los.
Sogleich ging er zu einem Hutmacher und kaufte sich für einen Thaler einen
neuen Hut. Dann begab er sich in drei Wirtshäuser, wo die Bauern einzukehren
pflegten, bestellte sich in jedem ein Mittagessen für einen Thaler. bezahlte im
voraus, und nachdem er noch mit den Wirten verabredet hatte, dass er zum
Zeichen der Vorausbezahlung nur nach seinem Hute greifen würde, sobald er das
Mahl verzehrt habe, ging er fort und wartete ruhig die Essenszeit ab. Endlich
schlug die Stunde, und Eulenspiegel kam zu dem ersten Wirt. Die Stube war
gefüllt mit Bauern. Der Schalk hatte seinen eigenen feingedeckten Tisch und Hess
sich auftragen wie ein Fürst. Die Bauern machten grosse Augen, den schlecht-
gekleideten Gast so fein essen zu sehen. _Was wird der zu zahlen haben!" riefen
sie bei jedem neuen köstlichen Gericht, das aufgetragen wurde. Endlich ist Eulen-
spiegel fertig, er steht auf. greift nach dem Hute und ruft laut durch die Stube
dem Wirte zu:
„Herr Wirt, ich ruck den Hut!"
Hierauf sagt der Wirt:
„Ja, ja, es ist schon gut!"
Die Bauern sind verblüfft, und als Eulenspiegel das Wirtshaus verlassen,
folgen ihm viele auf die Strasse, um ihn über das seltsame Essen zu befragen.
Aber Eulenspiegel trat schnell in das zweite Wirtshaus. Die Bauern kamen nach
und sahen wie der Schalk, als ob er noch ganz nüchtern wäre, sich ein zweites,
nicht minder köstliches Essen auftragen Hess. Auch hier erhebt er sich zuletzt,
greift nach dem Hute und ruft laut:
„Herr Wirt, ich ruck den Hut!"
Und der Wirt erwiderte:
„Ja, ja, es ist schon gut!"
Die Bauern wissen nicht, was sie von der Sache denken sollen und folgen
Eulenspiegel in das dritte Wirtshaus, wo der Unersättliche ein neues vortreffliches
Mahl zu sich nimmt. Auch hier ruft er schliesslich:
„Herr Wirt, ich ruck den Hut!"
Worauf der Wirt bemerkt:
„Ja, ja. es ist schon gut!"
Als Eulenspiegel das dritte Wirtshaus verlassen, kamen ihm die Bauern nach
und fragten ihn, wie es käme, dass er so herrlich gegessen habe, ohne zahlen zu
müssen Der Schelm will erst nicht mit der Sprache heraus, endlich giebt er dem
Drängen der Bauern nach und gesteht, sein Hut besitze Zauberkraft: Wenn man
das köstlichste Essen verzehrt habe und greife nach dem Hute mit den AVorten:
„Herr Wirt, ich ruck den Hut", so könne kein Wirt die Zahlung der Zeche mehr
verlangen. Die Bauern meinen, das wäre ein nützlicher Hut für sie. Sie berieten
sich und beschliessen , dem Fremden den Zauberhut um jeden billigen Preis ab-
zukaufen und ihn als gemeinsames Eigentum in Gebrauch zu nehmen. Sogleich
wird Eulenspiegel gefragt, ob er den Hut nicht verkaufen wolle? „Nein", erwiderte
der Schalk, indem er seinen Weg fortsetzte, „der Hut ist mir nicht feil!" Aber
die Bauern, einmal nach dem Hute lüstern, folgen ihm und bieten ihm 20 Thaler;
Eulenspiegel würdigte sie keiner Antwort: sie l)ieten ihm 30 Thaler, er lacht
höhnisch; sie bieten ihm 40 Thaler und steigen dann, als auch das Gebot erfolglos
bleibt, stufenweise bis zu lOO Thaler. Nun thut der Gauner, als ob er schwankend
werde. Er nimmt den Hut ab und betrachtet ihn seufzend. Die Bauern benutzen
diese Stimmung und laufen Sturm: sie zeigen ihm die blanken Thalerstücke und
/
210 Kraiiss:
fassen den Hut au. Eulenspiegel nimmt das Geld, und die Bauern, aus Furcht,
der Handel könne ihn gereuen, laufen sofort mit dem Hute davon. Alsbald losen
sie, wer zuerst die Kraft des Zauberhuies erproben solle. Der Glückliche, den
das Los traf, ging, von den anderen begleitet, in das Wirtshaus und liess sich die
besten Speisen und Getränke auftragen. .41s er fertig war. griff er zuversichtlich
nach dem Hute und rief dem Wirte zu:
..Herr Wiit. ich iiick den Hut!"
und wollte das Zimmer verlassen: doch der Wirt rief: „Halt Bauer, zahlt mir meine
Zeche, dann könnt ihr gehen." Der Bauer- dachte, der Wirt habe ihn nicht gehört
und rief nochmals:
„Herr Wirt, ich ruck den Hut!'"
..Ruckt so viel ihr wollt", erwiderte der Wirt, „aber zahlt mir meine Zeche,
die macht einen Thaler!* „Aber so schaut doch meinen Hut an!*^ rief der Bauer
zornig. -Ei, was schert mich euer Hut?" sagte ärgerlich der Wirt, „zahlt einen
Thaler. ich lass euch sonst nicht aus dem Hause.'" ..Aber da hat doch heute einer
hier gesessen", sagte der verzweifelte Bauer. ,der hat eingesihoben wie der Teufel
und nichts gezahlt. Er hat nur gerufen:
.Herr Wirt, ich ruck den Hut!"
und da habt ihr gesagt: -Ja ja. es ist schon gut!'" und er ist fortgegangen !''
.Meint ihr den"?, sagte der Wirt, -der hat schon vorher bezahlt." Jetzt ging den
Bauern ein Licht auf. sie sahen, dass sie unerhört betrogen worden waren. Sie
eilten Enlenspiegel nach, um ihm das Geld wieder abzunehmen, aber der Schalk
war längst über alle Berge.
Es ist mir nicht geglückt. Parallelen zu diesem Schwank in der älteren
Schwankdichtung aufzufinden. Verwandt ist die Erzählung von St. Othomars un-
erschöpflicher Flasche bei Bebel (Opuscula \5\4, Sign. Ic 1 h De rustico Held,
hoc est gigante. vera historia).
Nürnberg. A. L. Stiefel.
Eiu montenegrisches Tagelied.
In meiner in unserer Zeitschrift IV, S. 97 abgednickten Besprechung der
Studie Dr. Ludwig Pränkels über ..Shakespeare und das Tagelied*^ bemerkte
ich. Dr. Fränkel hätte mit mehr Nachdruck die tiefe, innige Verwandtschaft des
germanischen mit dem romanischen Volkstum hervorheben sollen, und seine Unter-
suchung wäre für die Volkskunde ergebnisreicher ausgefallen. Es sei nämlich
kein blosser Zufall, dass z. B. weder die Südslaven noch die Kleinrussen in ihren
Volkdichtungen eine halbwegs vollwertige Parallele zum Tageliede bei Shakespeare
besitzen, obgleich es an .Voraussetzungen" zu Liebesscenen wie die zwischen
Romeo und Julie gewiss auch unter den Slaven niemals gefehlt haben könne.
Man darf in tmserer Wissenschaft nichts verreden und sich eigentlich nur in
seltenen Fällen entschliessen, endgiltig nur auf Grund der gedruckt vorliegenden
Sammlungen über eine Erscheinung der Volkseele abzuurteilen, namentlich dann
nicht, wenn es .sich um einen „Völkergedanken" handelt. Das Tagelied gehört
aber unstreitig zu jenen Themen, in denen sich die ursprüngliche geistige Ge-
meinsamkeit des Menschengeschlechtes wiederspiegelt (im Sinne Bastians). Der
Zufall beschert uns nämlich gerade jetzt eine vollwertige serbische Parallele zu
Shakespeares Tagelied und zwar eine aus Montenegro. Freilich ist diese neue
Fassung kein Liebelied nach romanischem und germanischem Litteratengeschmaeke
Kleine Mitteilungen. 211
und durchaus keine Entlehnung aus westeuropäischen Litteraturen . sondern ein
echtes, aus slavischeni Boden entsprossenes Liedchen. Die Scene spielt sich auch
gar nicht zwischen ledigen Liebeleuten, sondern zwischen einem Ehepaare ab. Den
Vorgang versteht man erst, wenn man sich vor Augen hält, dass bei den Serben
der eheliche Umgang für sündhaft gilt, und dass junge Eheleute nur verstohlen
einander froh werden dürfen. Darübeu mag man in meinem Buche über „Sitte
und Brauch der Südslaven" (Wien 18«.')) nachlesen. In Montenegro besteht nach
dem Gewohnheitrechte die Kaufehe noch zu kraft. Der Kauf schliesst die Liebe
nicht aus. Wenn Jüngling und Mädchen einander lieben, so ist das ihre An-
gelegenheit, doch es fiele darum weder den Eltern, noch anderen nahen Verwandten
des Mädchens ein. auf den Kaufpreis zu verzichten. Die junge Frau ist in ihres
Mannes Hausgenossenschaft die Fremde, sie niuss sich zunächst ihr Heimrecht
erwerben und erkämpfen, indem sie den Schwiegereltern und den Schwägern er-
geben dient. Selbst ihr Gatte darf ihr nur verstohlen nahen, aber der entflammte
Geschlechttrieb zeigt sich stärker als der von der Sitte auferlegte Zwang. In
dieser Lage ergiebt sich die Gelegenheit zur Entstehung eines Tageliedes. Die
Schwiegermutter als Wahrerin des Auslandes und althergebrachten Brauches rügt
die Liebenden, aber die Schnur denkt schon nach modernen Anschauungen freier
über das ihr zustehende Recht und weist die Tadlerin kurz und bündig ab.
Dies eigentümliche Lied findet sich in dem soeben erschienenen zweiten Hefte
der montenegrischen Revue Luca, Knjizevni list drustva „Gorski vijenac" (Die
Fackel, Litterarische Zeitschrift des Vereins .Alpenkranz". Oetinje 189.^>. S. 128).
Die Fackel ist eine ganz hübsch redigierte Zeitschrift für Familie und Haus nach
dem Vorbilde abendländischer Rundschauen und bringt nebst belletristischen auch
populär wissenschaftliche und Beiträge zur Volkskunde Montenegros. Das vor-
liegende Heft enthält unter anderem sieben lyrische und vier Kinderlieder aus dem
Volksmunde. Man vergisst natürlich auch hier, wie sonst gewöhnlich in süd-
slavischen Volksliedersammlungen, alle und jede Mitteilung über die Fundstätten,
Verbreitung, den Vorti'ag und die Aufzeichnung der Texte. Die Überschrift zenske
pjesme (Frauenlieder) geht auf Karadzics Bezeichnung zuiück, sie ist aber weder
zutreffend noch volkstümlich. Im Volke heissen solche Lieder kolske (Reigen-
lieder). Im Reigen singen Burschen und Mädchen zusammen, und an der Dichtung
beteiligen sich beide Geschlechter. Der Reigenführer oder die Reigenführerin
stimmt ihr Lied Zeile für Zeile an. der Reigen wiederholt die Worte, und so er-
lernt man ein Lied und bringt es unter die Leute.
unser Lied lautet:
Jovo zdragora nojcu boravljase: Opet Jovo dragoj govorase:
dokle prvi pjetli zapjevase — Ver je vakat da se rastavijamo!
Jovo dragoj tiho govorase: — P''ogj se dragi tu su gjeca luda,
— Vec je vakat da se rastanemo! sto ih raajke biju na uranku!
— Progj se dragi to su pjetli laznil AI eto ti Jovanova majka,
AI zauci sabah na dzamiju. stade karat Jova sina svoga.
Opet Jovo dragoj govorase: Üdgovara Jovanova Ijuba:
— Vei- je vakat da se rastanemo! — Kutko jedna a ne svekrvice!
— Progj se dragi to je hodza stari. i ako si ti rodila sina,
on ne znade kad je sabah pravi! ti ga rodi ali ga ja dobih!
AI eto ti gjeca po sokaku.
Die Nacht verbrachte Jovo mit der Liebsten,
Bis früh der erste Hahnensang erklang.
Da sprach mit leisem Laut zur Liebsten Jovo :
'212 TrSnkpl:
— Schön ist die Zeit herangenaht zum Scheiden!
— „Gieb, Liebster, Ruh, das sind die Lügenhähne!"
Da scholl vom Miuaret dei- Morgenraf,
Und Jovo sprach voii neuem zu der Liebsten:
— Schon ist die Zeit herangenaht zum Scheiden!
— .,Gieb, Liebster, Ruh, das ist der alte Hodza,
Der weiss ja nicht, wann wahres Morgengrauen!"
Da hört man Kinder durch die Gasse tollen,
Und Jovo sprach von neuem zu der Liebsten:
— Schon ist die Zeit herangenaht zum Scheiden!
— „Gieb, Liebster, Ruh, das sind ja tolle Kinder,
Die von den Müttern Schlag" am Morgen kriegen!"
Doch kam auch schon herbei die Mutter Jovos,
Hub an zu rügen Joto, ihren Sohn.
Daraul' zu Antwort giebt ihr Jovos Liebste:
— „Du Hündin du, doch nimmer Schwiegermutter!
L"nd wenn du schon geboren hast den Sohn,
Gebarst ihn du, doch mir er ward zu eigen!"
Wien. Dr. Friedrich S. Krauss.
Bräuche portugiesischen Volksglaubens
teilte die .,Kölnische Volkszeitiuig" Anfang Juli 1894 in einem Berichte aus Lissabon
mit, die hier in Kürze wiederholt seien.
Vor den Pesten der Heiligen Antonius, Johannes, Peter imd Paul, die hier
gebotene Feiertage sind, bringen die Frauen aus dem Volke ihre kleinen Kinder
zu den öffentlichen Brunnen und waschen ihnen dort den Kopf, um sie vor den
bösen Fiebern') zu behüten. Ferner brennen die jungen Mädchen eine Artischocken-
blüte an, und wenn diese am nächsten Tage wieder aufblüht, dann heisst es, dass
der Bräutigam treu ist. Auch legt man eine Münze 0 ins Wasser und giebt sie
am folgenden Tage einem Armen, den man dabei nach seinem Taufnamen fragt:
so wie er, wird der künftige Gatte heissen. Dann wirft man einen Schuh die
Stiege hinunter, und soviel Stufen er hinunterkollert, soviel Jahre muss man noch
auf die Ehe warten. Auch schlägt man ein Ei ins Wasser, und hält dafür, dass
je nach der Form, die es über Nacht annimmt, das Schicksal der Person sich
entscheiden wird. Wenn es eine Kirche (!) bildet, wird man in demselben Jahre
heiraten; wenn es ein Schiff darstellt, soll der Auserwählte ein Seemann sein,
wenn jedoch einen Sarg, so muss man noch im selben Jahre sterben.
Parallelen zu diesen Sitten lassen sich anderwärts mehrfach herbeiholen,
namentlich zu den allenthalb beliebten Variationen des Heiralsorakels.^) Für die
1) Nämlicli denen der Hundstage: denn die genannt eu Gedächtnistage fallen iu deu
Frähsommer.
2) Obgleich es sich hier natürlich um ein Geldstück liaudelt, will ich doch nicht
unterlassen, hinzuzufügen, das.s ich Gelegenheit hatte, mich von der noch heute im Volke
fortlebenden erotischen Bedeutung der Pflanze „Münze" — die ja auch im klassischen
Altertum belegt ist — zu überzeugen, als ich zur Erprobung die erste Hälfte obigen
Satzes einem einfachen Manne vorlas.
3) Vgl. auch deu Schwank vom Bader, nach Minsicht, Albertäten, S. 199, bei W
Menzel, Gesch. d. dtsch. Dichtung, IL S. 98,
Kleine Mitteihmgi^n. '213
genannte Aitischockenblüte ti'eten in den nordeuropäischen Landern in der Regel
duftende Blumen ein, die oft von Provinz zu Provinz wechseln. ') Man vergleiche
beispielsweise über einschlägige Verwendung der Rose die verstreuten reichhaltigen
Notizen bei Gh. Joret, La rose dans l'antiquite et au moyen age (Paris 1892),
Kap. V (S. 390 ff.); gerade sie spielt auch nach den , Statuts du mouastere de Xante"
eine Rolle ,aux fetes de saint Jean et de saint Pierre et Paul" (ebenda S. 392)'^).
Das Werfen des Schuhes .als aphrodisisches Symbol" wozu P. Sartoris stotfreiche
Abhandlung ^Der Schuh im Volksglauben" in dieser Zeitschrift 1894, S. 41 — 54
und 148—180 mancherlei Verwandtes enthält, ist eine allgemeine Gewohnheit;
Liebrecht, Gernian., V, 480. , Zur Volkskunde'', S. 492 bietet allerhand Belege.') Ein
weiteres eigentümliches portugiesisches Heiratsprognostikon steht am Anfange eines
mir englisch vorliegenden Märchens „The enchanted maiden"'): „There was once
a man who had three daughters. In the country where he lived it was the custom
to hang up a gold ball at the door when they wanted husbands for the girls who
were single, as a sign to the young men. When the eklest daughter wished to
get married the father hung a gold ball over the street door."
München. Ludwig- Pränkel.
Heutiger Volksglauben.
In den „Münchener Neuesten Nachrichten", 47. Jahrg., No. 313 (10. Juli 1894),
Seite 3, steht unter bayerischen Provinznachrichten :
Stadt&teinach. 3. Juli. (Unverzeihlicher Aberglaube.) Gehört der Honig, diese
edle Gottesgabe, für gesunde oder füi- kranke Menscheny so möchte man in Bezug
auf einen vorgekommenen Fall fragen. Ist da ein junger Mensch zum Tode krank
und verlangt zur Linderung etwas Honig. Die besorgten Eltern schicken zu einem
wegen seines Aberglaubens schon bekannten Bauern, dei- seine lö Stöcke stdlien
und wahrlich seinen Zentner Honig in Töpfen hai. um für Geld und gute Worte
etwas von der Fülle seines Segens für den armen Kranken zu bekommen. Aber
weit gefehlt! Der Bauer sagt hartnäckig, nachdem er erfahren, für welche Person
das Labsal gehören soll: „Ich habe keinen Honig!'" Er hat schon welchen, aber
„für einen Sterbenskranken darf man keinen Honig hergeben, sonst sterben die
Bienenstöcke ans!" Wann kommt Licht in dieses finstere ThalV („A. Z.")
Ob der Schwerpunkt hier auf der Angst vor Berührung mit dem dem Tode
Geweihten oder auf einem an den Bienen haftenden Glauben liegt, ist wohl nicht
ganz sicher. Die den letzteren beigeschriebene Eigenschaft der Todesverkündiger
(0. Schwebel, Tod und ewiges Leben im deutschen Volksglauben, 1887, S. 125)
passt nicht hierher, eher schon der Brauch, der „sich in einzelnen Gegenden
Deutschlands bis diesen Tag erhalten" hat, den Tod des Hausvaters den Bienen
im Stocke anzusagen (s. ebenda und S. 233). Dass Menschen sich vor Sterbenden
zurückhalten, findet sich vielfach.
„A. Tj.'- = (Münchener) Allgemeine Zeitung.
München. Ludwig Fränkel.
1) Vgl. auch Rochholz, Alemanu. Kiuderlied uud Kinderspiel, 8. 171 oben.
2) Belegt diu-cb Binterini, Denkwürdigkeiten, ap. Adam Eeiners. op. laud. p. 39.
3) Derselbe, Zur Volkskunde S. 324 ein .seltsames norwegisches Todesorakel durch
Werfen eines Schuhes am Weihnachtsabend oder ..weissen Dienstag''.
4) Portuguese Kolk-Tales collected b_v Pedi-osn, englisch von H. Mouti-iro, mit Ein-
leitung von Ralston (Lond.. Folk Lore Society. 1882). S. 37.
214 Wossidlo. W.niiholrl:
Die grüne Wiese.
Eine alte Hiiuslerfrau in Bartelshagen bei Ribnitz. gebürtig aus dem nahe
gelegenen Völkshagen, aus deren Munde ich in den letzten Weihnachtsferien eine
grosse Zahl wertvoller Sagen aufzeichnen konnte, erzählte mir folgendes:
Uppe Tressentiner raähl is'n möllergesell west, de süht eins den drak trecken,
de het swer laden hatt. Dor röppt de gesell: ^du, smiet dal". Der sraitt de drak
.sin ladung dal un niakt'n fürchterlichen gestank un röppt dorbi:
., häud di vor de grön wisch."
_Du kannst mi in'ii nui's licken". segt de gesell; dordörch, dat he dat seggt het,
is he von em af west und het sin viert geld hatt.
Wat dat mit de grön wisch sin sali, weit ik ok nich, fügte die Alte auf meine
Frage hinzu: auch ihr Mann erklärte: Je, wer weit, wo de sin grön wisch hatt
het. — Vergleich über die grüne Wiese unsere Zeitschrift IV, 457.
R. Wossidlo.
Über ein schlesisehes Wiegenlied.
In No. 4, S. 45 der Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volks-
kunde (I) hat Herr Professor Fr. Vogt aus dem Nachlasse von Friedrich Pfeiffer
folgendes schlesisches Wiegenliedchen veröffentlicht:
Hunne hunne hunne.
der Tud sitzt uf der Tunne,
er hoat a langen Kittel oan.
er will die klenen Kinder hoan.
Er knüpfte die Frage an, ob etwas ähnliches noch bekannt sei. Da in No. ö
der Mitteilungen niemand darauf antwortete, will ich hier eine Menge ähnlicher
Reime aufführen, aus denen sich auch ergeben wird, dass die von Prof. Vogt mit
Beziehung auf den Siebsschen Todesgott Henno vorgetragene Deutung des Anfangs-
wortes hunne sich nicht halten lässt.
Das Liedchen will das Kind durch Furcht zum Einschlafen bringen, es ist
also dem weitverbreiteten
Schlaf Kindchen schlaf | vor der Thüre steht ein Schaf,
ein schwarzes und ein weisses | und wenn das Kind nicht schlafen will,
so kommt das schwarze und beisst es (Simrock, Deutsch. Kinderbuch. No. 22.H)
nahe verwandt; nur ist in ihm an Stelle des schwarzen Schafes der Tod gesetzt, der
das Kind nehmen wird, wenn es nicht einschläft. Für den Tod finden wir auch
den Hubu, das Schreckgespenst, und zwar in einem dem Hunne hunne sehr ähn-
lichen Wiegenliedchen aus Reichenbach, das ich schon in meinen Beiträgen zu
einem schlesischen Wörterbuche S. (iba mitteilte:
Nunne nunne luame.
der Bubu steckt in der Tunne,
er hat ein weissen Kittel an,
er will das liebe Kindel han,
das kriegt er nicht, das kriegt er nicht!
Dieses Schlummerlied, in dem der Tod als Schreckmittel für das Kind, das
nicht einschlafen will, dient, ist im schlesischen Sprachgebiet, d. i. in Schlesien
preussischen und österreichischen AnteiKs und am böhmischen Riesengebirge und
Kleine Mitteihinofen.
215
dem Lausitzei- Gebirge zu Hause; ausserdem kenne ich es nur noch aus dem
westlichen Böhmen (Plan). Ich gebe die mir bekannt gewordenen Varianten,
Der Tod steckt in der Tunne (Reim: nunne oder hunne) nur in der Pfeiffer-
schen und der Reichenbacher Aufzeichnung. Häufiger sitzt er auf der Stange:
1. 2.
Schlöf tunna') lange, Schlü"f .lenghi lange,
der Tod sitzt uff dar Stange, Dar Tüd setzt of der Stange,
a höt an weissa Kittl uen. Ar hod an weissa Kettl oun,
a wil de Anna mette hiäen. Ar wel dos Jengla mette hii°n.
(Pommerswitz bei Leobschütz.) Schlupf Jengla sehlü"f.
(Oppaland: Firmenich 2, 361.)
3. 4.
Schlöf ock Kendia lange,
der Tud setzt of der Stange,
a höt dos weisse Juppla 6,
\s Kendia will a mite hon.')
(Altrognitz bei Trautenau : Rnothe, Wörter-
buch der schles. Mundart in Nordböhmeu,
S. 179.)
Schlöf Kendia lange,
der Tüd setzt of der Stange,
a höd en waissa Kittl oan.
a wil de bise Kender hoan.
schlöf Kendia schlöf.
(Weidenau; Peter, Volkslümliches aus
Österr. -Schlesien 1,5.)
5.
Schlöf Hanslii lange,
der Tud setzt of der Stange,
er hot an weisse Kettl ön,
ar wil mei Uansla mette hön.
: Leobschütz.)
Nicht minder oft steht der Tod hinterm Hanse; der Reim auf sause (süse)
im ersten Verse bedingt diesen Versteck des Todes, wie der Reim auf nunne. hunne
den in der Tonne. Süse (sause) ist ebenso alt in Kinder- und Ammenreimen, d. i.
in Wiegenliedchen, wie ninne (Nebenform nunne).
1.
Ninne ninne sause,
der Tod steckt hinterm Hause,
er hat ein kleines Körberlein,
er steckt die bösen Kinder nein,
die guten liisst er sitzen
und kauft in rote Mützen.
3.
Ninei prupei sausa '),
der Tud stiht hentern Hausa,
hot an weissen Kittel on,
well mei Kendl mitla hon,
(Gabel: Hruschka - Toischer, Deutsche nier gam's ne, mer gam's no.
Volkslieder a. Böhmen, S. 394, No. 78b.) Ha fehrt dich ei de Sitta,
2 ha brengt dich vviedr mitta,
Ninini nause') '''*^* '^^^^ °^° Kerchhuf.
der Tüd stit henderm Hause, schmasst Sten on Ära druf.
a höt en langa Kittl ö, (Rochlitz: Hruschka-Toischer, S. 393.)
a will di bisii Jonga hön.
(Alü-ognitz: Knothe, S. 179.)
1) tunnen, in ilrr Kinde rsprache .sclüafen; dazu intensives tunzen.
2' Variante: iJer Tüd setzt of der Stange. A höt ii lemta Jeppla ö, A schmeisst
gebackan Berna r<>. Knothe. ebda., dazu das vollständigeie Gläzer Liedchen No. 6.
3) Entstellt aus nine nine süse.
4) So ist zu lesen statt Kinei prupei 's Hausa.
216
Wfiinholfl:
6.
Trott sause, trott sause,
dei- Tüd stiht of dam Hause,
a hol a leimpta Jipla 6,
on schmeisst gebackn Berna rö.
Trott sause, ti'ott sause,
der Tüd stiht <>i' dam Hause.
(Vierteljahrsschrift für Gesch. u.
künde der Grafschaft Glatz IV,
7.
Schiauf Kiniial sause
da Taud stäiht uiitan Hause,
haut ar an graussn Schlidn mit.
nimmt a döia schreiata Kinna aksamm mit.
(Plan im Pilsene)- Kr. : Hi-uschka-Toischer,
S. 394, No. 79c.
Heimats-
160 f.)
4.
Brubbe nine sause,
der Tüd stackt hindern Hause,
a hout ii klenes Körbelei,
a steckt dö klenen Kinder nei.
Dö güden kriegen Honchschniten,
Dö bisen kriegen Pachschniten.
(Böhmisch-sächs. Grenze: Hruschka-
Toischer, S. 394. Pirmenich 2, 377.
5.
Pripp sause, pripp sause,
der Tüd stiht hingerm Hause,
a hot an langa Kittel oan,
a wil de flennija Kinder hoan.
a nimt se olle mite,
a fährt se ufE am Schiita,
a fährt se dass se quitscha,
a fährt se iwer a Lorwelstag,
Uli schmesst de ganza Ängster in Drack.
(Landeshuter Kr. in Schlesien: F. W.
Brendel, Klänge meiner Heimat, F'rey-
bui-g 1852, S. 7.)
Das Haus verschwindet im folgenden Reim, der den Garten dafür einsetzt,
den wir in Varianten des Liedchens vom schwarzen Schafe haben:
Schiauf, ma Kinnerl schlauf.
in'n Garten sitzt da Taud,
haut a goldas Waghol mit,
wennst net schläfst, nimmt a di mit
(Plan: Hruschka-Toischer, S. 394, No. 79d.
In einem anderen westböhmischen Wiegenliedchen unserer Gattung (Hruschka-
Toischer, ebenda No. 80) ist ein Graf für den Tod eingesetzt, auch des Reimes
wegen!
Maidrl schlauf schlauf,
hintan Stodl sitzt a Grauf,
haut a guldnas ZistrI mit,
wennst net schlaufst, (afa) nimmt a di mit.
Ein Wort noch über das einleitende luunie in der Pfeifferschen Variante
unseres Wiegenliedes. Ks läge nahe dasselbe unmittelbar mit nunne, nunnei. der
Nebenform zu ninue. ninnei in Verbindung zu setzen. Es ist aber selbständig aus
der Interjektion hu entstanden, die wir als P^inleitung von schlesischen Schlummer-
liedchen, verstärkt durch folgendes ausi'ufendes ei, kennen. Aus dem Leobschützer
Kreise stammende, mir vor Jahren vom damaligen Studios. Bartsch aus Pomnierswitz
mitgeteilte Reime zeigen die Entwicklungsstufen jener Interjektion:
Hu ei, tunn och ei. Hui ei. sausa
ward der kocba'n Uirschebrci s Kitschla mag nech luausa
ond a Steckla Poittr nei. 's Bömmerla mag nech Hösla jön,
*ort! bir wams 'm A''otr sön.
Bücheranzeigen. 217
HuUci siiusa Huiinei, sclilof och ei 1 bsch bsch' bsch !
's Kitschla lue nech uiausa, draussen auf dem Tenne hu la la lä!
's Hindia me nech Häslen jäen. liegt 'ne gebnvtne Henne bsch bschl
wort! wer warn's am Vöter säen. met dam Taller zugedackt,
(Wanowitz.) gih och hin on nam drsch wag-, bsch bsch!
Zu diesem hunnei ist hunno die unter Einfluss von nunne = ninne entstandene
Nebenform: das n ist wie 1 in hullei nur Deckung des Hiatus.
Iv. Weinholtl.
Nachrichten aus dem Bereiche der Yolkskiiiide.
Der Verein für österreichische Volkskunde in Wien, über dessen
Gründung am 20. Dezember v. J. wir oben S. 109 berichtet haben, hat bereits
zwei Hefte seiner Zeitschrift, zu 32 S.. gr. 8", veröffentlicht. Jeden Monat soll
ein solches Heft erscheinen, der Band wird also 24 Bogen enthalten. Die Anlage
ist: 1. Abhandlungen, 2. Kleine Mitteilungen, o. Ethnographische Chronik aus
Osterreich, 4. Litteratur der österreichischen Volkskunde (Besprechung einschlägiger
Bücher und Aufsätze), .j. A'^ereinsnachrichten. Jedes Heft bringt auch mehrere Ab-
bildungen im Text,
Über den Fortgang seiner im Auftrage der Gesellschaft zur Pördei-mig deutscher
Wissenschaft, Kunst und Litteratur in Böhmen unternommenen Sammlung der
volkstümlichen Überlieferungen in Deutsch-Böhmen hat Privatdocent Dr, Adolf
Hauffen in Prag in Mitteilung III genannter Gesellschaft einen Bericht erstattet
(Januar isyö). Es sind .Jöü Fragebogen verteilt und das Interesse in 20 deutsch-
böhmischen Bezirken angeregt worden. Besonders reiche Ausbeute hat bereits der
Böhmerwald ergeben. .Aus den gesammelten Sagen sind zwei Seegeistergeschichten
(vom Teufelssee und vom Arbersee) als Probe mitgeteilt.
In Siebenbürgen hat der Verein für siebenbürgisshe Landeskunde die Herreu
Dr. A. Schullerus und 0. Wittstock mit volkskundlichen Sammlungen be-
auftragt.
.\m '.:». Februar 189.') hat sich in Lemberg ein Verein für- Volkskunde (To-
warzystwo Uidoznawce) konstituiert. Den Vorsitz führt üniversitätsprofessor Dr.
Anton Kaiina, Schriftführer ist Herr Adolf Strzelecki. Das Forschungsgebiet ist
das polnische Volk und seme Nachbarstämme. Der Verein hat sich alsbald niit
dem unseren in freundliche Beziehung gesetzt. Das erste Heft der Zeitschrift Lud,
Organ towarzystwa ludoznawczego we Lwowie, ist im April erschienen. K. W.
Bücheraiizeigen.
Völkerkunde. Von Prof. Dr. Friedrich RatzeL Zweite gänzlich neu-
bearbeitete Auflage. Zweiter Band. Mit 513 Abbildungen im Text.
15 Farbendruck- und 13 Holzsclmitttafelu , sowie 4 Karten. Leipzig
und Wien. Bibliographisches Institut. 1895. SS. X. 779. 8».
Dem ersten Bande dieses trefflichen Werkes, den wir im ersten Hefte dieses
Jahrganges unserer Zeitschrift S. 108 anzeigten, ist der zweite bald gefolgt. Der-
Ztiis.lii-. d. V.;ieins 1. Vulkskuiiüe. ISa.i. 15
218 Kuhn:
selbe bringt in eingehender Behandlung zuerst die Negervölker Afrikas und im
zweiten Hauptteil die Kulturvölker der alten Welt: 1. die afrikanischen, das sind
die Abessynier, Berber, die Völker der Sahara, die Sudanvölker, die Fulhe oder
Fellata und die dunkeln Völker des Westsudan: '2. die asiatischen Kulturvölker:
Mongolen und Turkvölker, Indier. Iranier, Hinterindier und Ostasiaten, Chinesen,
Japaner und Koreaner. Aligemeine Kapitel über Kultur, Lebens- und Glaubens-
formen sind an passenden Stelleu gegeben. Den Schluss machen kurze Bemerkungen
über die Kaukasusvölker und die Europäer. Der Schwerpunkt der Ratzeischen
Völkerkunde liegt also auf den Naturvölkern, und das hängt mit der ganzen heutigen
Richtung der Ethnologie und Anthropologie zusammen.
Sehr wertvoll ist auch in diesem Bande die bildliche Austattung. Wir möchten
den vorti'cff liehen Textabbildungen noch den Vorzug vor den prächtigen Farben-
drucken geben. W.
Richard Pischel. Beiträge zur Kenntnis der deutschen Zigeuner. Abdruck
aus der Festschrift zur zweihuudertjährigen Jubelfeier der Universität
Halle. Halle a. S.. Max Niemeyer. 1894. 50 S. 4°.
Diese gründliche Abhandlung ist mit ihren \ier Kapiteln (1. Das erste Er-
scheinen der Zigeuner in Deutschland. "2. Mitteilungen aus schlesischen Urkunden.
•3. Geschichte der Zigeunerkolonie Friedrichslohra. 4. Blankenburgs Wortverzeichnis)
ein nach mehreren Seiten hin lehn-eicher Beitrag zur Zigeunerkunde, welcher sich
vor manchen neueren Publikationen über den Gegenstand durch absolute Zuver-
lässigkeit auszeichnet. Im ersten Kapitel hält Pischel gegenüber anderweitigen
Annahmen mit gutem Recht daran fest, dass die Zigeuner zuerst 1417 in Deutsch-
land erschienen seien. Das zweite giebt interessante Auszüge aus dem Aktenbestande
des Breslauer Staatsarchivs. Das dritte behandelt den 1830 — 1837 vom Missions-
Hilfsverein zu Naumburg unternommenen Versuch, die Zigeuner von Friedrichslohra
hei Nordhausen zu nützlichen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen,
dessen anfänglich günstiger Verlauf und schliessliches Seheitern auf Grund eines
reichen, bisher unbenutzten Materials im Missionsarchiv zu Naumburg und im
Evangelischen Missionshause zu Berlin eingehend vorgeführt wird. Das vierte
Kapitel endlich bringt uns zunächst den Abdruck eines von Wilhelm Blankenburg,
dem tüchtigen und gewissenhaften Vorsteher der Friedrichslohraer Ajistalt, im Jahre
1832 aufgezeichneten Vokabulariums, dessen Angaben Pischel im persönlichen
Verkehre mit einer Zigeunerbande kontrollieren konnte: daran schliesst sich ein
sorgfältiger und gelehrter Kommentar mit mehreren wichtigen Exkm'seu, von denen
der über ' den Igel als Lieblingsspeise der Zigeuner (S. 26 t.) und der über die
Zahlen (S. 44 f.) die von Miklosich zuerst nachgewiesene Herkiuift der Zigeuner
aus dem Nordwesten Indiens, speciell dem Hindüküs-Gebiete. aufs neue bestätigen,
während der über den Keuschheitsgürtel der Zigeunerinnen (S. 32 f.) ein allgemein
kulturhistorisches Interesse beanspruchen kann. Von Einzelheiten verdient etwa
folgendes hervorgehoben zu werden.
S. i'4 (wo übrigens zu dem Worte möl ,Pott II, 455" zu lesen ist) wird zig.
lulav „ich kehi-e- sehr überzeugend auf prälu-. chollai „reiben, putzen, reinigen"
und weiter auf skr. k~ur zui'ückgeführt. Dass aber durch solches ch palatales k
für die Lautgruppe k,i erwiesen werde, steht wohl nicht ganz fest: wenigstens
stimmen die Dialekte im Gebrauche von kh und oh nicht immer zusammen. So
entspricht dem zig. akhor .Wallnuss" = mar. akhod=skr. äksota, äksoda und
Büclierauzeigcn. 219
akhota Tikhocja (über die Bedeutung- „Wallnussbaum'" s. Loiseleur Deslongchamps
zum Aniarakosa -', 4, 2, 9 und Pictet, ürig-ines indu-europi'eunes I', 247. 249)
im Sina ar[h]o (über skr. akota „Betelnus^'' imil lündi äkhroi „Wallnus" weiss
ich nichts genaueres zu sagen). — S. o2 inuv ..ich ziehe an" entspricht hindi
uvhnri oder orhnä, welches von Hoernle auf skr. upavest zurückgeführt wird.
— Treirend ist die Gleichsetzung von damadira. davantira „Schürze" mit prov.
davantiero u. s. w. (S. '^3 — .34), ebenso sicher wohl die von beso „dick'' mit
rum. abesu (S. 37), an welche Pischel die durch zig. nado (= magy. näd und
nicht = skr. na da, nada) gut begründete Warnung anschliesst, nicht gar zu schnell
mit Sanskrit-Wörtern bei der Hand zu sein. — Das Schwanken zwischen den
Bedeutungen „Gewölk" und ,,Hiramel" (S. 39) kennen auch die Hindfiküs-Dialekte,
wo wir aus dem Sina aghai hi der Bedeutung ..Himmel", aus dem Bäskarik ägah
und aus dem Torwäläk dgä in der Bedeutung „Wolke" aufgeführt finden (skr.
äkfisa'.-'). — In ravale „Kinder!" (S. 44) wird eine für die deutschen Zigeuner
bisher unbelegte Vokativforni nachgewiesen.
Da der Verfasser auf S. 43 die Meinung ausspricht, dass die Zigeuner Europas
schon bei ihrem ersten Auftreten kein einheitliches Volk waren, und dabei
meine Behauptung anführt, dass der Woitschatz des Zigeunerischen bald zu
diesem, bald zu jenem Dialekte des Hindfiküs nähere Beziehungen aufweise, möge
es mir zum Schlüsse gestattet sein, diese Äusserung durch einige Beispiele zu
begründen. Zig. stär (so und nicht stfir hätte Pischel S. 44 sehreiben müssen)
für „vier" stimmt allein zum -tah des Basgali und dem ""atri u. s. w. der übrigen
KTifir-Dialekte; alle übrigen Dialekte des (Jebietes haben c;ir, ror u. s. w. Von
den Metallnamen findet sich europ.-zig. sastir nur im Ka^mlri wieder als sistar
= skr. sastra. dem also die Lexikographen mit Recht auch die Bedeutung „Eisen"
beilegen: die anderen Hindiikus-Dialekte haben das nordasiatische timir in der
Gestalt rimer u. s. w. übernommen und nur Paspatis asiatische Zigeuner haben
lui „Eisen"', loh „Amboss" aus sla-. loha. Dromin „Thaler", bei Liebich S. 133
auch noch dröchanien, drnhamen, neben rupono stimmt allein zu khauar
drokhum „Silber". Für „Fluss" sagen die deutsehen Zigeuner einfach panin
..Wasser"; die übrigen europäischen Zigeuner gebrauchen das etymologisch dunkle
len, jene asiatischen nei = skr. nadf, welches auch torwäläk nad und den ent-
sprechenden Wörtern des Bäskarik, Narisati und Bäsgali zu Grunde liegt, während
gauro sind und die Entspi'eehungen im Sina und i'ilis natürlich auf skr. sindhu
zurückgehen. Sämtliche europäische Zigeuner sagen für skr. pändu „weiss"
parno, aber die asiatischen nach Paspati buniiri, penäri entsprechend bäskarik
pänner. Mlis pänaio. Dazu nehme man die dui'ch v. Sowa S. 4 zusammen-
gestellten Beispiele, in denen das Zigeunerische gegen den sonstigen Gebrauch
mehr mit den eigentlich indischen als mit den Hindüküs-Dialekten in Übereinstimmung
steht. — Viele noch ungelöste Rätsel der Zigeunerkunde würden sicher gelöst werden,
wenn endlich einmal unsere Kenntnis der asiatischen Zigeuner die längst wünschens-
werte Erweiterung erführe; auch das dankenswerte Buch des trelflichen Patkanov
zeigt doch erst recht, wie sehr wir noch zurück sind. Aufkläi-ung bedarf aber nicht
nur die Sprache, sondern auch die Verhältnisse der verschiedenen Stämme, über
welche man ausser Patkanovs Zusammenstellungen auch die Nachweise des Grafen
Gobineau in ZDMG. XI, 689 fC. und Dorns Oaspia S. 79 b vergleichen mag. Hier
wäre für philologisch gebildete Orientreisende eine reiche Ernte einzuheimsen.
München. Ernst Kuhn.
15*
220 Weinholrl :
Hauffeu, Adolf, Die deutsche Sprachinsel üottschee. Geschichte und
Mundart, Lebensverhältnisse, Sitten und Gebräuche. Sagen, Märchen
und Lieder. Mit vier Abbildungen und einer Sprachkarte. (Quellen
und Forschungen zur Geschichte, Litteratur und Sprache Österreichs
und seiner Kronländer herausgegeben von J. Hirn und .1. E.
Wackernell. Bd. III.) Graz, Styria 1895. Ss. XVI. 466. 8".
In den Jahren 18G9 und 1870 veröffenthchte K. Jul. iSchröer in den Sitzungs-
berichten der Wiener Akademie der Wissenschaften Studien über die deutsche
Sprachinsel Gottschee in Krain (Ein Ausflug nach Gottschee. — Weitere Mitteilungen
über die Mundart von Gottschee). Sie betrafen hauptsächlich die Mundart, für
welche Sehr, ein Wörterbuch zusammenstellte, einschliesslich von Personen- und
Ortsnamen, und mit Einschaltung der von ihm in Gottschee gesammelten Volks-
lieder. Diese verdienstliclie Arbeit ist bis jüngst die ausführlichste Mitteilung über
jene südöstliche ins Slavische eingesprengte deutsche Kolonie geblieben, und sie
wird auch ferner ihren Wert behalten, da das neuste, von uns hier angezeigte
Buch sich ein weiteres Ziel gesteckt und eine umfängliche Sammlung der Gottscheer
Volkslieder mit Untersuchungen darüber zur Hauptaufgabe gemacht hat.
Herr Dr. A. Hauffen in Prag, der dreimal Gottschee besucht hat, giebt zuerst
eine Übersicht über das geographische und geschichtliche der Sprachinsel, handelt
dann von der Mundart, die er. wie ich auch gethan, für bayerisch-österreichisch erklärt,
mit den Zeichen fremder Einwirkung, spricht darauf von den Lebensverhältnissen
der Gottscheer, von Tracht und Hausbau, Sitten und Aberglauben, teilt aus den
Märchen, Sagen und Schwänken manches mit und wendet sich dann zu den Volks-
liedern. Er schickt eine Charakteristik derselben voraus, geht auf stylistisches und
metrisches ein unter Beifügung von Exkursen und giebt dann die Texte von
141 Liedern, an welche sich noch mehrei-e Kinderbedchen und Auszählreime an-
schliessen, denen erläuternde Anmerkungen mit vergleichenden Hinweisen auf ver-
wandte deutsche und slavische Lieder folgen. K. W.
Starohrvatska Prosvjeta. Glasilo hrvatskoga stariuarskog druztva u Kuinu
(Altkroatische Aufklärung. Zeitschrift der archäologischen Gesellschaft
in Kuin). Eed. von F. Radic zu Curzola. Jahrg. I. Heft 1. 67 S. 4".
Die Gründer sagen, sie hätten die Gesellschaft aus kroatischem Patriotismus
ins Leben gerufen, auch appellieren sie wiederholt in dem Hefte an den Patriotismus
der Kroaten und die kroatischen Patrioten, als ob wissenschaftliche Forschimg von
kroatischem Patriotismus unzertrennlich wäre. Dies fällt um so greller in die
Augen, als es sich in dem stattlichen und prächtig geratenen Hefte dieses viel-
versprechenden Unternehmens weder um die alten, noch die jungen Kroaten
handelt, sondern vielmehr um kulturhistorische, ethnographische und volkskuudliche
Gegenstände auf dalmatischem und bosnisch-herzögischem Boden. Wir erfahren,
dass im Knin ein „Erstes Museum kroatischer Denkmäler'' besteht und finden
gleich auf S. 8 das Bild eines Frauenzimmers von einem „kroatisch"-byzantmischen
Tegurium (Grabdeckung). Es ist ein Madonnenkopf nach übbcher Schablone mit
einem Steinkranz als Heiligenschein ums Haupt Radio, der Beschreiber, vergleicht
ihn mit zweien ähnlichen Steindenkmälern, die sich in Konstantinopel vorfinden,
während doch der Kopf und die ganze Haltung der Figur fast in jeder griechisch-
orientalischen Kirche auf Bildern wiederzufinden sind. — Frater Stefan Zlatovi'^
Büchoranzeigen. 221
beginnt eine historisch-ethnogTaphiseln' Untersuchung über altkroatische Zupen (terri-
torialrechtliche Sippen- und Stammverbändc) in Dalraatien und den alten Städten' auf
dem Pestlande vom Velebit an bis zur Narenta. Die Klaic und SmiMklas, die er (S. 8)
citiert. sind für die Peststellung dieser Sachen unzureichende Kompetenzen. Inter-
essant ist nur die Zusammenstellung der Zupennamen. dagegen sehr anfechtbar,
was er über die alten Burgen mitteilt, da er einfach mittelalterliche, abendländische
Burggehöfte mit den Donjons beschreibt. Ein anschauliches Bild z. B. der Neeven-
Veste im Kniner Bezirk giebt samt dem Grundriss (S. 46—50) Grgur Urlic
Ivanovic. aber das sind ja unsere alten deutschen, oder wenn man will fran-
zösischen Burgen, die man doch füglich nicht ,. altkroatische Burgen'' nennen darf,
weil einmal ein kroatischer Rittersmann auf der Burg gehaust. AVichtiger und
ergebnisreicher wären eingehende Untersuchungen über den Haus- und Block-
häuserbau und über Dorfanlagen im dalmatischen Karstgebiete bis an die monte-
negrische Grenze. Schlichte Beschreibungen und gute Abbildungen der vorhandenen
Baulichkeiten zu liefern, wäre hier an und für sich schon ein Verdienst. — Frater
Ivan Barbic beschreibt einen im Pranziskanerkloster befindlichen, wie er vermutet,
aus St. Gallen im 14. Jahrh. stammenden Codex von lateinischen und griechischen
Kircheiigesängen, die mit einer, wie versichert wird, seltsamen Notenschrift ver-
sehen sind. (Evans und) Radii- besprechen ein zu Knin befindliches Filastrum
aus dem 6.- oder T.Jahrhundert. — Lehrreich verspricht zu werden die Studie des
Pfarrers Peter Kai'r über altbosnischc Grabdenkmäler (S. 27—34), die hier mit
2 Tafeln verschiedener, auf Grabsteinen vorkommender Kreuze illustriert wird.
Darunter ist auch das Hakenkreuz in mehreren Formen vertreten. Anschliessend
daran bespricht Vid Vuletic Vukasovic, der eigentliche Begründer der süd-
slavischen Palaeographie der Grabsteine einen alten herzögischen Grabstein aus
dem Dorfe Vlahoviri. Der Stein ist einem Herzog (voevoda) Vukosav Vlacevic
gesetzt worden. Ein noch wenig behandeltes Thema versucht Frater A. Vukioevic
aufzunehmen mit seiner Studie über Dalraatien und die albanesische Sprache
(S. 42—45). ' Seiner, auf gewagten Etymologien beruhenden Beweisführung vermag-
ich nicht zu folgen. Er gelangt zum Ergebnis, dass Dalraatien „Heldenland",
dolaraa „Heldengewand'-. Delminium ..Heldenburg" und Dalmatae „Helden'"
bedeute. Seltsam mutet einen an. dass er zur Peststellung der Bedeutung einzelner
albanesischer Worte die albanesische Übersetzung eines Missales citiert, von
v. Hahns und Gustav Meyers grundlegenden Studien aber keine Notiz nimmt.
Der Zeitschrift ist eine gedeihliche Entwicklung zu wünschen.
Wie,]. Dr. Friedrich S. Krauss.
A pliilological essay concerning the Pygmles of tlie ancients. By
Edw. Tyson, M. D. a. d. 1699. Now edited witli an introduction
treatiug of Pigmy races and Fairy tales, by Bertr. C. A. Windle,
1). Sc. M. D. . .'. . London MDCCCXCIY. David Nutt SS. CIV.
103. 8».
Der neunte Band der Bibliotheque de Carabas von M. Andr. Lang bringt den
Xeudruck der Abhandlung des englischen Mediziners E. Tyson von 1699 über die
Pygmäen, Kynocephali. Satyrs und Sphinxe der Alten, welcher beweisen wollte,
dass das alles Affen und nicht menschenartige "Wesen waren. Ein moderner Kollege
des alten Gelehrten. Dr. Windle, Professor der Anatomie am Mason-Coliege in
Birmingham, hat. dazu eine ebenso lange Einleitung geschrieben, welche zunächst
222
Wfinhold:
ausführt, dass es in Afrika. Asien und Oceanien Menschenrassen giebt, die kleiner
als unsere sind, so zu sagen Pygmäen. In Europa und Amerika Hessen sich keine
Spuren davon finden. Darauf weist Herr W. die Pygmäen der Alten (namentlich
nach Herodot und Plinius; in heutigen Völkerschaften nach. Drittens handelt er
über die Sagen von Feen. Trollen und Kobolden, die sich an alte Stein- vmd
Grabdenkmäler knüpfen. Zuletzt wendet sich Herr W. gegen Herrn Mac Ritchie,
welcher, wie früher schon andere, in dem Peenglauben die Spuren einer vor-
historischen Pygmäenrasse in Europa finden will. Das ethnographische Material
über die Zwergvölker, das in diesei' Abhandlung niedergelegt ist, wird das meiste
Interesse beanspruchen. Wir müssen aber auf die Abhandlung von Dr. J. Kolluiann
in Basel aufmerksam machen: Das Schweizersbild bei Schaffhausen imd Pygmäen
in Europa'), worin auf Grund von Skelettfunden aus der älteren neolithischen
Periode erwiesen wird, dass neben hochgewachsenen Varietäten des Menschen
auch eine pygmäenhafte Varietät in Europa gelebt hat, wie das noch heute in
anderen Erdteilen der Fall ist und schon in den ältesten Zeiten der Fall war.
Dr. Kollmann behauptet auch für Amerika die Existenz von Pygmäen.-)
K. W.
Niederlausitzer A^olkssageii. (gesammelt und zusammengestellt von Karl
U ander. Berlin. Dtnitsrhc Schriftstoller - Hcnossenschaft. ]8^4.
S. XYII. 197. 8°.
Für die Jetzt noch, oder vor kurzem noch wendischen Teile der Niederlausitz
hat W. V. Schulenburg die Sagen und Gebräuche zuverlässig und mit Verständnis
gesammelt.^) In dem vorliegenden Buche hat der Verf. vornehmlich den Kreis
Guben, ein schon länger germanisirtes Gebiet, in jahrelanger Sammlung der Sagen
ausgebeutet und was ihm sonst noch aus der Xiederlausitz erreichbar war, ein-
gefügt. Wir können das Buch loben: es ist lleissig, sorgsam, mit grosser Liebe
zur Sache ausgeführt. Die überwiegende Zahl der Sagen floss unmittelbar aus
dem Volksmnnde.
Auf dem ursprünglich wendischen Boden sind eigentlich slavische Sagen nicht
geerntet worden: wir begegnen, was Hr. G. in dem Vorworte S. VII ebenfalls
hervorhebt, denselben Sagen, wie im rein deutschen Lande. Kritische Forscher in
slavischer Mythologie haben ja längst erkannt, wie die westlichen Slaven von dem
deutschen Geistesleben, selbst in dem Bereiche religiöser Phantasie, aufs stärkste
durchtränkt waren, und so darf die deutsche Natur der Sagen der Spree-Sorben
nicht überraschen, zumal die älteste Grundlage der Slaven und Germanen dieselbe
gewesen ist.
Im einzelnen will ich aus dem Ganderschen Buctie aufmerksam machen .-aif
die vielen Sagen vom Nachtjäger, wie der wilde Jäger in der Nieder- und Ober-
lausitz, gleichwie in Schlesien, auf Rügen und im Elsass heisst: auch Grenzjäger
heisst er hier (No. 11). weil er auf Dorfgrenzen jagt: auch Feldjäger (No. 6).
Hervorzuheben ist sein Auftreten in Vogelgestalt, namentlich als Raubvogel: in
Schlesien nimmt er Kuckucks-Gestalt an. wie ich aus einer Sage vom Fusse des
Eulengebirges weiss. Wenn er in No. !' als kleines Männchen sich zeigt, sn beruht
1) Zeitschrift flu- Ethnologie. Bd. XXV I. S. I,s9--2.ö4 (Berlin 1894).
-~ Eine Hinweismig anf diese Aliliandhmg hat Dr. WiiiiUe .-ielbst, wie ich sehe, iu
einer Note auf S. XXXVItl gemacht.
3) Veckenstedts Sannnlnug kann nur uiit Vorsicht benutzt werdeu.
Büi:lioraii7.iiigpn. 223
das auf moderner Vermischung von Nachtjäger und Unterirdischem. Meist erscheint
er kopflos, gleich anderen unseligen Geistern, die „umgehen" müssen.
Die Zwerge oder Unterirdischen führen in der Niederlausitz meist den Namen
Heinchen (ob Heinzelmännchen echt lausitzisch ist, möchte ich bezweifeln); auch
der Name Jüdehen, Jüdelchen, Jülchen kommt nicht selten vor, was auf Gütchen
zurückgeht, die guten Leutchen, die goodfellows englischer Sage: Erdleute heissen
sie in den No. 116 — llis. Der Name Luttchen ist. wie Hr. G. selbst anmerkt,
aus dem wend. ludky, die Leutchen, entsprungen. Bemerkenswert sind die Irr-
lichtersagen No. 122 — 135. 257, welche die Koboldnatur dieser Feuerelben bezeugen.
Hervorhebung verdient die aus dem altschlesischen Kreise Kressen stammende
Sage No. 90. wonach der Drache (Peuerkobold) in Gestalt eines Hütejungen dem
Bauer dient. Unter den Sagen von Wassergeistern hebe ich No. 151 u. 152 hervor,
weil sie den Nix in Pischgestalt zeigen. Die Ausführungen der Anmerkung dazu
sind verfehlt.
Die Lausitz ist sehr reich an Spuk- und Gespenstergeschichten von dem
allgemeinen Charakter dieser aus altem Seelenglauben entsprungenen Sagen (S. 77
bis 112). Auch sogenannte Dorftiersagen kommen vor, wie denn überhaupt fast
alle mythischen Überlieferungen vertreten sind.
Aus den geschichtlichen Sagen sei die vom alten Fritz als Handwerksbui'sehe
angemerkt (No. 282), die sich auch in Pommern findet. Die Belagerung der kleinen
Festung Peitz (No. 334) kam im siebenjährigen Kriege vor. Bei meinem Urgross-
vater, dem Pastor F. Th. Lademann in Madlow bei Kottbus verkehrte eine Frau
Domeyer, die als junges Mädchen die wunderbare Rettung der Belagerten miterlebt
hatte, welche auf dem Marktplatz im Gebete knieend, jeden Augenblick erwarteten,
in die Luft zu fliegen. K. Weinhold.
Strack, H. L. Der Blutaberglaubo in der Menschheit, Blutniorde und
Bhitritus. Zugleich eine Antwort anf die Herausforderung des Osser-
vatoi-e ciittülico. IV. Auflage. München, C. 11. Beck (Oskar Beek.)
1892. 1^5 S. 8".
Die Thatsiiche. dass alljährlich um die Osterzeit den Juden der Vorwurf
gemacht wird, sie verwendeten Christenblut zu ihren rituellen Zwecken, giebt dem
bekannten Verfasser Anlass zu einer Betrachtung des Blutglaubens der Menschheit
überhaupt und der Juden im Besonderen. Er lässt dabei vorwiegend die Quellen
selber reden, hält sich fern von jeder Liitiation und will so ein um so objektiveres,
gleichsam historisches Urteil im Leser hervorrafen. Obwohl schwer gereizt durch
die hämischen Angriffe des Osservatore cattolico. hält sich der Verfasser stets
durchaus sachlich und abstrahiert, mit Ausnahme unumgänglicher Namensnennung
seiner Feinde in der Einleitung, im Buche selber beinahe völlig von der Person
derselben. Seine Ausführungen sind folgende:
Alle Religionen des Altertums sind, weil auf Opfer, auf Blut gegründet; als
edelstes und folglich als wirksamstes Opfer galt das Blut, und zwar das Blut des
Menschen. Wachsende Kultur erst verwarf den Blutritus, aber diese Kultur hat
ihren Sitz immer nur in verhältnismässig wenigen Vertretern der Nation ; diebreite
Masse des Volkes hält am Hergebrachten noch lange zähe fest, — was Ritus war,
wird Aberglaube. Da spielt denn das Blut seine Rolle. Es dient zur Bekräftigung
des gegebenen Wortes, wie wir es in unserem Germanien von dem Blutbrüder-
schafttrinken her kennen, wie es von den Scythen, Lydern, Medern und zahlreichen
224 Siihiis:
anderen Völkern des Altertums beglaubigt ist. es dient (nnd hier besonders das
Menstrnulblnt!) seit den ältesten Zeiten zu Heilzwecken, es dient nach Ansicht
besonders unseres Mittelalters (der arme Heinrich!) zur Heilung des Aussatzes.
Dabei braucht es nicht fremdes Blut zu sein, was auf den Körper wirkt, es kann
nach landläufiger Meinung auch das eigene sein, das Blutungen. Wassersucht,
Fieber, Zahnschmerzen u. s. w. heilt. Für besonders wirksam wurde und wiril
noch in unserem erleuchteten Jahrhundert das Blut von Hingerichteten und Selbst-
mördern gehalten, ja den Leichen selbst wird — z B. bei der Berührung irgend
eines kranken Gliedes mit dem verwesenden Körper — ziemlich allgemein eine
heilkräftige Wirkung (Geschwülste, Warzen!) zugeschrieben. Sogar dem Tierblute
sollen wunderbare Wirkungen anhaften, \vie aus zahlreichen Quellen und Mit-
teilungen nachgewiesen wird. Indessen empfiehlt sich bei den Menschen als
besonders dankbares Objekt das Blut von neugeborenen Kindern und schwangeren
Frauen, aus dem unter Benutzung auch der Fettsubstanzen des Objektes allerlei
Dinge, wie Diebskerzen, heilkräftiges Menschenfett und gar wunderbare Zauber-
raittel zubereitet werden. Natürlich hat dieser Aberglaube im Laufe der Jahr-
hunderte zu zahllosen Verbrechen geführt, von denen Stiack eine reiche Auslese
l)ietet. Auch der Hexenhammer weiss davon zu erzählen. Der Ritus des Kultur-
volkes aber weiss vom Menschenmorde nichts mehr, auch der des jüdischen
Volkes nicht. Nicht bei den Juden findet sich der Ritualmord, wohl aber ist er für
einzelne gnostische und karpokratianische Sekten der Christen wahrscheinlich gemacht.
So kann man von einem Blutritus der Juden nicht reden: dass aber Blutmorde auch
aus dem sehr lebhaften und durch den Umgang des Volkes mit allen möglichen
anderen Nationen nur noch gesteigerten jüdischen Aberglauben hervorgegangen
sind, wer will es leugnen? Giebt es doch auch Belege dafür. Wer aber wollte
für derartige Ausgeburten des Aberglaubens das Christentum oder das Judentum
an sich verantwortlich machen? Für das Judentum steht jedenfalls soviel fest,
dass weder in dem Talmud, noch in der sonstigen auf das mosaische Religions-
gesetz bezüglichen Litteratur eine Stelle beigebracht werden kann, aus der man
schiiessen dürfte, dass bei ihnen Menschenblut zu vergiessen gestattet gewesen
sei. Dadurch wird die Nachrede, als bedienten sie sich des Christenblutes zu
ihren ritualen Bräuchen, von selbst hinfällig, immer zugegeben, dass wohl hier
und da vom Aberglauben derlei Dinge veranlasst sein können. Warum sollte nicht
auch jüdischem Aberglauben möglich sein, was dem chiistlichen möglich gewesen?
Nun — wir wiederholen das, weil es den Kern der Untersuchungen des Strackschen
Buches bildet, — nur für den Ritualmord finden sich durchaus keine Belege, und
die Stellen des Talmud, aus welchen man derlei herausgelesen hat, sind sämtlich
(und oft nicht ohne Absicht, wie im Osservatore cattolico und den deutschen
Nachbarn desselben) Kritiklos behandelt und falsch gedeutet. Auf der Folter
erpresste Zeugnisse und Angaben können keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit
machen, und alle die nach dieser Richtung hin erhobenen Beschuldigungen haben
sich (bekanntlich auch noch in unserer Zeit) als unhaltbar erwiesen.
Alles das klar dargelegt zu haben, ist das Verdienst des auch für den Folk-
loristen in vieler Hinsicht interessanten Strackschen Buches, das. wie bereits her-
vorgehoben, tim so mehr wirken wird, als es stets die Quellen, amtlichen Mit-
teilungen und Entscheidungen reden und das eigene Urteil dagegen zurücktreten
lässt. Wir haben durchaus keine Vorliebe für das israelitische Volk, besonders
nicht für die wuchersüchtigen und anmassenden Vertreter desselben, wie sie uns
in diesen Tagen nicht seifen entgegentreten und bei dem allgemeinen Tanze um
das goldene Kalb ihre Rolle spielen, aber höher als persönliches Gefühl steht
Bnchci'anzi'igpu. 225
die Wahrheit, und von diesem Standpunkte aus begrüssen wir die Darlegungen
Stracks mit Freude. Sie sind zu gleicher Zeit die beste Mannesautwort auf die
gehässigen und unwiü-digen Verdächtigungen und Schmähungen des Osservatore,
und wenn sie des Ferneren dazu beitragen werden, den auch in unserer Zeit noch
üppig wuchernden Auswüchsen des krassesten Aberglaubens allmählich den Boden
zu entziehen, so wird ein Herzenswunsch des Verfassers, jedes Guten seiner Nation
und zweifellos auch der Gebildeten und Wohlmeinenden der jüdischen Nation
erfüllt sein.
Gandersheim. Dr. Sohns.
Georg Schläger, Studli'ii über das Tagelied. Jena, Frominami, 1895. —
89 S. 8".
Obwohl das Tagelied in den mittelalterlichen Litteraturen vorzugsweise von
höfischen oder gelehrten Dichtern gepflegt worden ist, hat doch die ganze Gattung
srhon wegen ihrer starken Vertretung im Volksliede Bedeutung für die Volkskunde.
Auch fasst Schläger das Thema in seiner vollen Breite, indem er zwar eine alt-
französische „aubade" in den Vordergrund stellt, aus Untersuchung ihrer Ursprünge
aber sofort in allgemeine Erörterungen über das Tagelied eintritt. Er unterscheidet
das volkstümliche Lied von Liebesgcnuss und Scheiden (S. 15 f.) von dem höfischen
Tagelied (S. 24), das in der provenzalischen Poesie seine charakteristische Aus-
bildung (S. oQ f.) findet und vor allem durch die, nach Schläger völlig konventionelle,
Figur des Wächters gekennzeichnet wird (S. 39). Das geistliche Wächterlied
(S. 46 f) habe mit der alba nicht das mindeste zu schaffen, sondern ruhe ganz
und gar auf biblischer, bezw. kirchlich-traditioneller Grundlage (S. 57). Die alt-
IVanzösischen Tagclieder (S. 57 f ) sind ein weniger gepflegter Nebenschössling der
provenzalischen (S. 70); diese selbst aber sollen sich nicht (wie Scherer und Ref.
annahmen) aus dem Wächterruf (S. 79) entwickelt haben, auch nicht (wie Schack
und Otto meinten) aus der arabischen Poesie stammen (S. 83), sondern sie wären
durch Vermittelung der Kleriker- aus dem klassischen Altertume herzuleiten, und
zwar sei der pseudoovidische Brief Ijeanders an Hero (S. 87) eine Hauptquelle. —
Mir will es nicht allzu wahrscheinlich scheinen, dass eine ganze reich entfaltete
Dichtungsgattung einen so engen Ursprung haben soll : auch pflegten die Vaganten,
wo sie Klassiker nachahmten, und die Dichter der Nationallitteraturen, wo sie
wieder den Klerikern folgten, nicht so viel abzustreifen, wie sie hiernach beseitigt
haben iniissten. Für die Volkskunde behält aber jedenfalls die scharfe Scheidung
zwischen dem der Kunstpoesie angehörigen „Tagelied" und verwandten volks-
tümlichen Gattungen ihre Bedeutung; nicht minder das, was der gelehrte und
scharfsinnige Verfasser (besonders S. 22, Anni.) über die Volkspoesie im allgemeinen
und (S. 19 f.) über die älteste mittelhochdeutsche Dichtimg vorträgt.
Berlin. Richard H. Meyer.
Kluge, Friedrich. Deutsche Studentensprache. Strassburg, Trübner.
1895. 136 S. 8».
1.
Ein Buch von der deutschen Studentensprache nehmen wir nicht wie ein
anderes Wortregister bloss zu wissenschaftlicher Belehrung und vielleicht einei
auf das grosse Vaterland oder die engere Heimat gerichteten Erbauung in die
226
StOiinidt:
Hand, sondern halb frohe, halb wehmütige Gedanken an den hoffnungsvollen Hoch-
sinn wie an den vergnügten Unsinn entschwundener Jugend umrankt das Spalier
mit frischem Grün. ..Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage" . . . Man muss
selbst Student gewesen und auf die rechte Art geblieben sein, um ein solches
Werk gehörig zu lesen und zu verstehen, um sich HaulTs beredte Frage zu beant-
worten: „Wie soll ich dich nennen, du hohes, rohes, edles, barbarisches, liebliches,
unharmonisches, gesangvolles, zuriickstossendes und doch so mild erquickendes
Leben der Burschenjahre?" und diese Dissonanzen einhellig aufzulösen. Für eine
umfassende Geschichte des deutschen Studententums liegt ein ungeheures gedrucktes
und auch handschriftliches Material vor. das den Darsteller aber leicht beirrt. Da
alle Satire und Strafpredigt ihre Wucht aus der Übertreibung zieht, darf man etwa
das Schönsten- und Pennalwesen des siebzehnten Jahrhimderts nicht bloss durch
die scharfen Gläser der Meyfart anschauen; ein Fehler, den auch Tholuck kaum
vermieden hat. In Jena ist nicht bloss „renommiert und in Leipzig nicht bloss
„gelöff'elt"' worden, so sehr beide Elemente ihren privaten und litterarischen Nieder-
schliig gefunden haben und wie gewandt sie Zachariä einander gegenübergestellt
hat. Weil Laukhard ein Lüdrian war und nur die Wüstheit Giessischer und
Hallischer Burschen im Hohlspiegel aufzufangen vermochte, gab er eine Rarikatui',
kein Abbild der akademischen Zustände beider Orte, und wir werden den ver-
kommenen Gesellen, trotz Merck und trotz der von dem jungen Goethe nach
Giessen gesandten \Varnung ,.Gewöhnt Euch keine akademistische Sitten an", nicht
für den treuen Geschichtschreiber des Studentenlebens in Goethes Jugendzeit er-
achten, wie Kluge geneigt ist. Dass in der Litteratur. der romanhaften besonders,
das Rüde verwaUet und auch zahmere Blätter mehr vom Raufen und Saufen, von
Nymphen, Schnurren und Philistern berichten als von der ernsten Erfüllung des
Die cm- liic. ist nur zu begreiflich, kann allein Sauertöpfe verdriessen, darf
aber den Historiker nicht in schwarzfärbende Einseitigkeit hineintreiben. Er muss
von den namenlosen Helden jener Suiten auf die Semler, die Reiske, die Heyne
blicken, deren harte Jugend nichts Burschikoses kennt, und überhaupt nach den
Früchten älteier Wissenschaft die Tüchtigkeit des Stammes beurteilen; wie denn
nicht nur Klopstocks i'ciner Jugendbund, sondern auch Lessings anakreontischer
Kreis den akademischen Schlendrian samt seinem teils niedrigen, teils lustigen
Rauderwälsch ganü verleugnet, später aber die Überfüllung der Hörsäle Schillers.
Reinholds, Fichtes, Schellings einen höheren, über das Brotstudium hinwegfliegenden
Bildungseifer bezeugt, den die strenge Spezialschuluug unserer Zeit nicht aufwiegt.
Die der Geschichte einzelner Universitäten gewidmeten AA'erke kommen mit
Suhilderangen imd Aktenstücken auch der Kunde älteren Studentenlebens zu Gute,
verweilen aber selten in den Niederungen. Nur das bunte Treiben an der so ein-
flussreichen und als Wiege der Burschenschaft ausgezeichneten Jenaischen Hoch-
schule hat seine besonderen Historiographen in den Gebrüdern Keil gefunden, denen
wir auch reiche Gaben aus Stammbüchern 'md Liederheften verdanken: und ob-
wohl ein geprüftes Auge an diesen Arbeiten mancherlei zu bemängeln findet, so
folgt es doch Robert Keil im akademischen Bereiche lieber als in Goethes Revier
seiner abgeschmackten Gehässigkeit gegen Frau v. Stein. Ein hübsches Allerlei
bot das „Stammbuch des Studenten", Stuttgart (Spemann) o. J. Aus der Studenten-
dichtung habe ich einige zusammenhängende Komödien de rita siudiosorum des
IC. und 17, Jahrhunderts herausgegriffen (Leipzig 1880) und untersucht und im
raschen Epilog weitere Ausblicke geboten: diese Blätter hätten trotz den flüchtig
aufgerafften Anmerkungen immerhin ein Citat in der trefl'liohen Ausgabe des
Schochschen Spieles von W. Fabricius (München 1892), dem um die Geschichte
Bticlii'raii/.oiyeli. 227
der Orden (1891) wohl verdienten Forscher. Riiden können. Zarnckes Gelehrsamkeit
hat sich, von kleinen Spenden :iba'es<'hon. nui- dm krausen und verwegenen Spielen
der Humanistenzeit zugewandt. Aber auch was noch heute an Kneiptischen erklingt,
das Kommerslied, wird nach einzelnen Anliiul'en Hoffmanns von Fallersleben,
Schwetschkes u. a. neuerdings durch Bolte und vor allem durch Priedländers auf
Texte und Weisen gleichmässig erstreckte Sorgfalt wissenschaftlicher Betrachtung
u-ewürdigt. IHlettantisch im guten und im üblen Sinn gab 1.S82 Pernwei'th von
Barnstein ein Verzeichnis der Studentenlitteratur, dessen freilich überall der Er-
gänzung und Nachprüfung bedürftige Rubriken zu eindringender Arbeit auffordern
mussten. In Pernwerth war der Altbursch starker als der Gelehrte, aber ohne
eio'ene mnige Fühlung mit dem Burschentum wird es auch der belesenste und
geschulteste Germanist nicht zwingen. Der Burgkeller oder Lichtenhain kami ihm
oft mehr liefern und erläutern als Studierstube und Bibliothek. Als daher ver-
lautete, F. Kluge plane eine Darstellung der Studentensprache, weckte ausser seiner
zweifellosen wissenschaftlichen Legitimation auch der Umstand, dass er in Jena
an der unversiegten und unversiegbaren Quelle sass, ein sehr günstiges Vorurteil,
das seit 1892 durch vorläufige Mitteilungen niu- gesteigert wurde.
Der Lexikograph verfolgt heute nicht bloss die .Wisicht der Kindleben und
Augustin, ihrer Vorgänger seit 1749 und ihrer Nachfolger bis zum Breslauer Register
von 1862. Diese alle buchen als Exstudenten, was ihnen selbst von einer odei-
mehreren Universitäten her ganz geläufig ist. Sie schöpfen aus der lebendigen
Umgangspiache. nicht aus der gedruckten Überlieferung. Der wüste schweizerische
Pseudonynuis A'ollmann verrät zwar 1846 in dem zweibändigen burschikosen
Wörterbuche seine Vertrautheit mit älteren Gewährsmämiern, vor allem jedoch
seine erstaunliche Beherrschuni;' der umlaufenden Worte. Formeln und Bräuche:
leider mit einer grobianisehen Neigung, in den Pfützen niedrigster Minne zu
plätschern. .Aber zimperlich darf man auf diesem Gebiete nicht sein, sondern muss,
Lutherisch zu reden, auch in den Dreck hineingreifen. Der lebenden Sage Herr,
hat der wissenschaftliche Lexikograph dagegen die gesamte gedruckte und schrift-
liche Überlieferung von Alters her durchzuackern, den Ursprüngen und Wandelungen,
dem Blühen und Welken aller Ausdrücke, stets Wort und Sache verbindend, nach-
zugehen, lokale Begrenztheit imd weite Verbreitung zu beobachten. Obsoletes,
Langlebiges und jüngste Neubildungen zu verzeichnen. Er wird gewiss immer
nur Stückwerk liefern, denn die Quellen veisagen ihm oft eine Auskunft, und
eine örtliche Scheidung z. B. kann in vielen Fällen, wo Jena, Tjeipzig, Halle Ge-
meinbesitz zeigen und ihn weithin ausgeteilt haben, nur allgemeiner für Nord und
Süd angedeutet, der älteste Beleg nur unsicher an die Spitze gestellt werden.
Selten findet man so volle Nester wie in gewissen Romanen, wie bei Laukhard.
wie in F. Schnabels läppischen Universitätsjahren oder in der fortreissenden Jugend-
geschichte des leidenschaftlichen Heinrich Leo. Schwergelehrte Dissertationen über
akademische Bräuche. iH^iniiuiUnies hidicrae, deren noch das 18. Jahrhundei't einige
kostliche geliefert hat. Biographien und Briefwechsel, Lieder und Stammbücher,
Romane und Novellen müssen in erschreckender Menge bewältigt werden; aber
wie vieles, was von fern eine gute Ausbeute zu versprechen scheint, geht man
ganz fiuchtlos durch! .Alberne Löffeleien, schwülstige Liebesavantüren, dürre Er-
zählungen tragen wohl ein lockendes akademisches Aushängeschild, doch — um
nur zwei Beispiele aus dem Wust zu heben — so ein Parthenophilus (Das bey
Universitäten lebende galante, ehrliche und tugendhafte Frauenzimmer, Leipzig 1719)
oder so ein Irenius (Begebenheiten eines leipziger Studentens. 1765) schicken uns
mit leeren Händen heim. Man müsste von Bibliothek zu Bibliothek gehen und
228 Schmidt:
auch Haiidscliriftliohes ausnutzen. Nicht auf den Höhen der schönen Littei'atui-.
sondern in ihren Th;ilcrn und gar oft in den Sümpfen der unschönen füllt sich
das Herbarium am reichsten: denn ein vornehmerer Schriftsteller verachtet, ausser
in launiger Rede oder zu bestimmtem Zwecke, die Spuren des Studententums. die
ein nachlässiger, ungebildeter, spekulierender geflissentlich zur Schau trägt. Um
so erwünschter ist es, in einem Wörterbuche möglichst viele Belege aus der
höheren Litteratur zu finden. Ich halte es überhau|)t gleich Littre mit dem
Voltaireschen Spruch // me semble qu'on ■■i'etail fail une loi de ne point citer: mah
im dictiomiaire saus vilalion est im si/nehtle. und möchte hier zu manchem Wort
auch den und jenen Kommersliedvers, der ihm Schwingen gegeben hat, anklingen
hören.
Kluge war seit längerer Zeit emsig am Werk, als das Hallische Jubiläum 1894
zwei seinem Plan nahverwandte Schriften rasch zu Tage förderte. Burdaeh gab
mit den Genossen des ,,Deutschen Abends" das burschikose Wörterbuch Augustins
zur Centennarfeier neu heraus, berichtete über den im alten Halle grausam be-
handelten Verfasser und begleitete die einzelnen Artikel, zu deren gründlicher
Erläuterung die Müsse fehlte, wenigstens mit lehrreichen Auskünften über die
heutige Ausdrucksweise der Studenten und Pennäler an verschiedenen Orten.
John Meier dagegen gruppierte, von Kluge angeregt und olfeubar sehr hastig, das
Material älterer Lexika und allerlei Lesefrüchte zu einem gewandten Büchlein, dem
er den nicht ganz zutieffenden Titel „Hallische Studentensprache" gab. Sein
Verhältnis zu Kluge hat er in diesen Tagen auf einem Plugblatt auseinandergesetzt
und den mittelbar erhobenen Vorwurf des Plagiats abgewehrt. Seine bisherigen
wissenschaftlichen Leistungen schützen ihn vor solchem Verdacht; auch ist es
richtig, diiss er als Schnelläufer hie und da eigene Pfade eingeschlagen hat und
dass zwei philologische Bearbeiter desselben Materials mehrfach zu gleichen Zu-
sammenstellungen gelangen mussten. Man begreift aber auch Kluges Ärger über
solches Vorwegnehmen und die Besorgnis, es möchten bald weitere Streifzüge in das
von ihm öllentlich besetzte Jagdgebiet erfolgen. Schade nur, dass er selbst dadurch
zu übergrosser Eile angestachelt worden ist, denn sein Wörterbuch hätte durch
ruhigere Verarbeitung des Gewonnenen, ausgedehntere Lektüre, reichere Belege und
Erklärungen, sowie durch das Bestreben, der eigenen mangelhaften Beherrschung
der lebenden Sprache auf dem Wege des ümfragens bei den Burschen und den
Füchsen verschiedener Universitäten abzuhelfen, zur erreichbaren Vollkommenheit
reifen können.
Eine längere, Wiederholungen nicht meidende Einleitung orientiert uns zunächst
über die Quellen und betrachtet dann die Terminologie der beiden Hemisphären,
des Studententums und des Philistertums: wie der Barsch seine Hochschulen, die
Stufen der Akademiker, die arbeitsamen Kommilitonen, die Professoren, die Wissen-
schaften, wie er die Büi'ger. den Postillon, die Handwerker, die verhassten Polizisten,
Nachtwächter und Pedelle, das Carcer, das schöne Geschlecht benamsete. Der
Abschnitt „Trunkenlitanei'" bietet nach einem grossen, dem Natioualteufel Sauf
heiligen Register alter Biernamen Bemerkungen über die Gelage, das Schmollieren,
die Masse und Gefässe, den Wechsel und die Geldnöte. Philologischer werden
dann die „Antiken Elemente" des Wortschatzes und der hybriden Flexionen unter-
sucht, mit besonderer Rücksicht auf Maccaronisches, fischartisierende Verdrehungen,
auf das gnssatum und seine Sippen, auf die im Wort „burschikos" fortlebenden
Adverbialgebilde mit der Endung -xou?. Die „Burschikose Zoologie" liefert allerlei
tierische Neck- und Ekelnamen und einen vorsichtigen Exkurs über den jungen
Brauch des Salamandei'reibens, wie im Mittelpunkt der „Biblisch -theologischen
Bücheraiizt'igeii. 229
Nachklänge" die Herkunft des Namens „Philister'' (Jena, um 1690) erörtert \vird.
Die rotwälschen Einschläge, spärlich belegt, führen zu dem Spiel der eo-Sprache
und einzelnen Missgeburten. Die „Französischen Einflüsse", für die ein weiter
ausholendes und umschauendes Studium erspricsslich wäre, streifen das renom-
mistische Zeitalter und jüngere Bildungen auf -ier und -age. Der Abschnitt
„Grammatische Eigenart" mustert früher Beobachtetes aus einem neuen Gesichts-
punkt und ti-ägt Niederdeutsches. Hybrides, Jokoses zusammen: das Schluss-
kapitelchen „Ursprung und Verbreitung'" deutet grosse, schwierige Probleme viel
mehr an, als dass es sie erledigte . . . aber all diese Skizzen zeigen belehrend
und anregend unseren Gewährsmann als einen Pfadfinder, der zur EiTeichung der
Ziele nur den beharrlichen Willen anzustrengen braucht. Darauf folgt das Wörter-
buch, dessen Würdigung zum Teil schon in meinen allgemeineren Sätzen liegt.
Ich will hinzufügen, dass Kluge auch den von ilim nach den Jahreszahlen citierten
Lexicis manches Wort mehr hätte entnehmen können, obwohl er z. B. das
Göttingische Register von 1813 aufgearbeitet hat, dass andererseits zahlreiche,
nicht eigentlich burschikose Ausdrücke — doch ist die Grenze schwer zu ziehen
— Eingang gefunden haben.
Meine Dankbarkeit möchte ich, „wie der Ährenleser folgt dem Schnitter",
durch einige Nachträge bekunden: mit der ausdrücklichen Erklärung, dass ich
keineswegs alle diese Belege bei Kluge vermisse oder in einer neuen Ausgabe zu
finden hoffe, aber allerdings für Picander, Sylvanus, ältere und jüngere Lyriker,
Immermann, E. T. A. Hoffmann, Leo u. s. w. ihr Platzrecht fordere, ferner dass
ich nichts aus Wörterbüchern geschöpft, sondern auch das Grimmsche nirgends
nachgeschlagen und Meiers Schrift nicht wieder zur Hand genommen habe.')
1) Meine Sammlungen stannueii erst aus der jüugsteu Zeit. Ich habe nachgeschlagen,
was mir eben einflel oder in den Katalogen der Kgl. Bibliothek beachtenswert vorkam,
aber ohne irgend systematisch und umfassend zu verfahren. Manclies, was ich gern ein-
gesehen hatte, blieb mir unzugänglich, z. B. Polauders „Lustige Studierstube" Leipzig 1703
(Johanueums-Bibliothek in Hahiburg), das „Taschenbucli für Studenten imd ihre Freunde''
Halle 1797 (vgl. VV. Schlegel ed. Böcking 11, ;^06'i. Des Melissus „Salinde" eitlere ich
nach der 1. Ausgabe vou 1718 (398 S.); die i. von 1744 ist nur ein, allerdings nicht als
solcher bezeichneter, wörtlicher Neudruck, so dass alle diesem wichtigen Roman von Kluge
entnommenen Belege um sechsnndzwanzig Jahre zurückzudatieren sind. Im Berliner Exemplar
findet man a. R. viele verhüllte Namen gedeutet. Nicht minder ergiebig ist ein bisher
iibeisehenes verwandtes Buch: ..Das verwöhnte Mutter-Scihngen oder: Polidors gantz be-
sondrer und überaus lustiger Lebens-Lauff auf Schulen und Universitäten . . . vou Sylvano"
Freyberg 1728, 240 S., dessen Held aus dem Hallischeu Waisenhaus nach Salane-Jeua
kommt (S. 149, 167, 183, 193 studentische Verse: S. 52 ff. ein Schneidermärchen). — J. D.
Richters studentisches Interludiuni des geistlichen Spiels „Von der streitenden Kirche"
(Gotha um 1660): Zeitschrift dos Vereins füi' Thüringische Geschichte, Jena 1882. —
Rüdiger: Auswahl guter Trinklieder. ■_'. Autl. Halle 1795 (1. 1791,1. Schwali: Neues
deutsches allgemeines Kommers- uiul Liederbuch. "_'. Auflage. Germania 1816 (1. 1815).
Clodius: Hymnorum stadiosorum pars prima 1669, hsl. Liederbuch des Leipziger Studenten
Christian Clodius aus Neustadt (geb. 1647): die Melodien sind in W. Niessens Berliner
Dissertation vom Jahre 1891 besprochen, die Texte noch einmal näher zu würdigen. Einige
Nummern werde ich anderswo mitteilen. Kgl. Bibliothek Mscr. genn. S" 231. Crails-
heim: Mscr. germ. 4" 722, grosses Liederbuch (um 1755) mit manchen nach Altdorf und
„Saalathen" weisenden Nrn., galant schmachteuden Stücken, fiucbtbaren Zoten, das
wunderlich genug eine junge Baronesse v. Crailsheim vou ihrem „Bapa zu einem Bresend"
erhalten und in den siebziger Jahren öfters zu tagebucbartigeu Randnotizen über Liebes-
nöte benutzt hat. Vgl. Bolte, Seufferts Vierteljahi'schrift 1, 249 (Gaudeainus); EUinger,
Goethe- Jahrbuch 10, 237 (zu Jeri und Bätely, „Ein Quodlibet wer hört es gern"); Fried-
230 Scliiindt ;
Voran ein paar lose Bemerkungen zur Einleitung. S. 8 Namen der Universi-
täten. Athen: Haller dichtet 17-24 von Tübingen als dem ..edlen Teck-Athen-
(Hirzel. S. 2-25): Bürger nennt Halle 1772 ..Cartoffel-Atheu- Strodtmann l, tjo:
Heidelberg heisst 1817 „Neckar- Athen": KeU, Stammbücher. S. 318. Leipzig:
„P/(.s.se" Sylvamis, S. 139 u. ö.; Picander. Gedichte 1,67 „Philuris", ..Philuräa".
94 „Philm-ene"; Gottsched, Gedichte, S. 103 ii. ö. „Philurene", 198 ^Philuris-:
„Philurene'' auch in Schwabes Belustigungen 2 (2. Aufl.), 431. in den Oden der
deutschen Gesellschaft, S. 204 neben „Salaue". Dies ist nicht so selten, wie es
nach Kluge Schemen könnte, abna Salano vielmehr auch als offizielle Bezeichnung
der Universität Jena zu finden: .Salane'' durchweg bei Sylvanus. Halle -Salinde-:
Jungfer Robinsoue, S. 19 fl.: ,Salanis": Gottsched. Gedichte, S. 304: „Friederichs-
Athen"": Menantes, Akadem. Nebenstunden, S. 1G8. Wittenberg .Leucoris": Pi-
cander 1, 122: „Leucorea" ibid. S. 123 (126 Elb-Athen), Gottsched, Gedichte.
S. 304 (138 Elb-Athen). Prankfurt .jViadrine": Gottsched, S. 304. Ern'ähnenswert
ist auch die Bezeichnung der Medizinpatronin als .yjeditrine: oft bei Günther:
A. Gryphius, Gedichte ed. Palm. S. .Jö4: Gottsched. S. Ol.'). — S. 10 die Fuchs-
namen von „Rabschnabel- bis zu _Schlindhol" finden sich in dir Rinteler Disser-
tation De orifime roch Bursse". S. 43. — S. 12 Ob -Fräulein Schlegel" als Bonner
Spitzname August Wilhelms gelten darf, ist mir nach Robbes Erinnerungen 1, 12,
offenbar Kluges Quelle, sehr fi'aglich; es scheint ein Heidelberger Witz. — S. 13
.Pix": Clodius, S. 30 ..Eine fraucki ortische Nymphe", „Wohl Der, die mehr
Studenten liebet, als Pixe die das Kaufhauss hat", „Pixenknecht": charissimi Picea:
Faceliae. fac. S. 491. — S. 17 .Pechfartzer": Grimmeishausen ed. Kurz 1, 405:
„Pech-Page-: Jungfer Robiusone, S. 10. „Pausthammer" ist kein studentischer
Neckname der Strassburger Polizisten, sondern auch in H. L. Wagners „Kinder-
mürderin- ihr ehrlicher Titel nach der Wafle (Gargautua 2. Aufl. A 3-', Grimmels-
hauscn 3, 98); eher wäre der „BUiustrumpf- bei Günther und bei Schiller an-
zumerken (Salinde. S. 10), und gewiss burschikos ist die Bezeichnung der früheren
Weimarischen Soldaten als .Laubfrösche" wegen des grasgrünen Rockes. -Die
Klauditchen zu Leipzig": Grj^jhius. Lustspiele ed. Palm, S. 168. — S. 18 Finken-
bauer: Sommer-Wichgrev. Cornelius D 7- ..Finckenbawr": Sivers, Gedichte, S. 132
(Rostock 1730). Bärenkasten auch H(>lmstediisch: Keil, Stammbücher, S. 254.
Talidat (Stockwerk: vgl. Hases Schilderung des alten Paulinums): Salinde, S. 92 ff.:
Sylvanus. S. 104; Stammbücher, S. 2ö4: Michaelis, Raisonnement 4, 299. — S. 22
ßieruamen. V"-!. Facetidc faceliomm S. Ö74 (= Themata medka di' Beuuorum cuia-
//oHf, Bl) und 61. ^Breihahn'^; Sommer-Wichgrev H 2 „Brühan-; Weimar. Jahrbuch
2. 4ö2 flalberstadicam Breiltaiiam: B - Schenke zwischen Merseburg und Halle.
.Dorfteufel": Menantes, Akad. Nebenstunden 1713, S. 108 Epigramm .Über das
Jenaische Dorff-Bier, Dorff-Teuffel genandt"; Salinde 1718, S. 40 Ammerbacher D.
länder, Vierteljahrsschrift füi- Musikwissenschaft 1894 S. 208 hat hiei- S. 576—578 sein
geliebtes Kanapeelied wiedergeftmden: ,Das Canufje ist mein Vergnügen", 6 Strophen.
S. 24 --Vi-ia von Gespenstern-'. Lessing, mit kleinen Äiuleruugen: S. -250 -Die Türken haben
schöne Töchter" mit Aier interpolierten Strophen. S. 574 in dem sprichwövterreichen Ge-
dicht „Ich weit dass ich im Himmel war" lautet der Schluss s. li.ietbes Wi-rke 4, 161):
Lass regneu wann e& regnen väW, lass allem seinen lauft
und wann es nicht mehr regnen will höi-t von sich selber auü.
Lass reden tag und nacht die leut sie werden gwiss noch müd
und singen endlich mit der zeit widil ganz ein andres lied.
Ich behalte mir weitere Mitteilungen vuv. — Andere Abkürzimgen bereiten keine
Schwierigkeit.
Büfheraiizoigen. 231
der l'este. „Duchstein": Weise, Überflüssige ..Gedancken". nicht „Gedichte":
Picaiider 2, 535 und 545 neben Rastmm, 3, 461 und 464 ,,Tuchstein-Keller''' in
Leipzig. Gi-atia (Grätzer): Weimar. Jahrbuch 2. 452. Gukguksbier Wittenberg:
Jean Paul, Q. Fixloin. Menschenfett; vgl. Grimmelshausen ed. Kurz 2, 177 „ein
pures Menschengedicht (wie etliche das liebe Bier nennen)'' — was aber ist 3, 306
der „edle Tranck Peter Simon" (ein Wein. FacHiav fac. S. 61)? oder warum nennen
Picander, der Krambambulist u. a. den Schnaps „Pinkeljochen^ (Jochen = Jo-
hannisberger)? Schöps: Grimmelshausen 3, 409 „Scheps", dazu die von Kurz
S. 499 citierte Stelle S. Dachs, wo auch „der tolle Wrangel zu Bresslau" erscheint.
Zerbster: Wichgrev; „Rheinische Dinte und Zerbster Papier" spasst Pickelhering
bei Schoch 1, 4. — S. 28 Murlepujf: Sommer -Wichgrev Ä6 „Curie Murle Puff";
Brehme, Gedichte 1637 M V- .Correl morrel puff". — S. 32 Fischarts „Trinks gar
aus! Totum ex!" steht allerdings unter massenhaften Liederfetzen der Trunken-
htanei, aber diese Stelle des Gargantua 2. Auflage ./ 7 stammt aus Lindeners pro-
saischen Regi/Iae potatoriim (Lichtenstein, S. 191): Totum ex. Deivde fit. ex per f ex \
wie der gleich darauf wohl nach Keils Stammbüchern, S. 232 (1767) citierte Spott-
vers Sic Jacet in Trecko qiii muclo Reuter erat bei Pischart /v 6- lautet F/n Jacet in
treckis qui modo pulqer erat und bei Lindener (S. 133), der ihn gewiss auch schon
in alteren Quodlibets gefunden und variiert hat, .Tarn jacet in dreck is qui modo Grollus
erat. — S. 35 ff'. Kluges Vermutung, die ja keineswegs auf burschikoses Gebiet
beschränkte Form „der Kerles" (auch „der Kerls"), z. B. massenhaft bei Rebhu,
möge auf ein maccaronisches Kerlut; zurückgehen, leuchtet mir ein, auch im Hin-
blick auf das -e.s in nd. Namen, auf die Form „Kaiser Karies", auf Grimmeis-
hausens u. a. „Karges" (ein Geizhals, 3, 304) und seinen Wechsel zwischen
„Lumpus" und .,Lumpes- (3, 209). ~ S. 35 Facetiae fac. S. 340 „wann sie die
Mistgabelinum oder Flegelinum zu der Hand nehmen". — S. 37 kussibilis schon
Facetiae fac. S. 288 (oÜ hasihilis). Thomasius, Kl. Schriften, 2. Aufl., 1707. S. 203:
arme Studenten haben „in ihren Kalendern nicht viele diex bratibiles'^ . Sylvanus
S. 141 „die alte Schachtilis-. Ayrer 5. 2935 „Er weit studirn in Naribus, In
Dildappio, Fantastibus". Pickelhäring im Singspiel des 17. Jahrhunderts (Bolte,
S. 135) sagt „mein eigen Fleisch xmA. blutibuaque'-: Rebhu, Simplician. Weltkucker
1679, II, 53 „ins Carceribus geleget" (2, 137 „Kratzibiliteter" akademische Ständchen-
bringer): Andre. Korn. Versuche 1767. S. 47; der unwissende Student kauder-
wälscht II. a., dass die Römer die alten Germanen Deutschibus genannt. „Olitäten'-
italienische Öle: Grimmelshausen ed. Kurz 1, 383; Mencke, Scherzhafte Gedichte,
S. 12. .^Florikos trinken" (vgl. Wagners Archiv 1, 45) konnte genauer erklärt
werden: das Ghis zwischen die Lippen pressen und auf einen Zug hinter giessen,
so dass nm- etwas vom Schaum auf dem Grunde bleibt. I»e jure potandi, Facetiae
fiic. S. 61: „C'"7!h>i«e" quundo uno liauxtu t'/tnm ecavuatur ; Idque expeditur rel
floricwc, vel hausticüjg. Floricwc, bibitur , cum os pocli labris circumchiditur , nnoqut
impetii potus ad t/utiurem demitlitur, cujua rejiexio bullulas quasdam efflat, quas flores
iiontri dicunt. Hnusticvi;, cum uxitalo modo totum sine rexpiratione extrahitnr. „Bucke-
lorium" Rücken: Grimmelshausen ed. Kurz 4,330 (3, 3 ! 2 „Flegelius"). Der Ver-
fasser der überaus heiteren (Juriösen Inaugural- Disputation von dem Recht, Frivileyiis
und Praerof/alireii der Atheniensischen Professoren-Fmsche wider die Bürger-Pursche
und Communitäter", unter dem Präsidium des Herrn Horribilii B-ustii 1-tenomisti,
nennt sich nicht „Schlinkschlangschlorum" (Kluge, S. 41: vgl. Weimar. Jahrbuch
2, 447), sondern „Schlingschlangschlorum" (Schlinkschlank heisst ein Bummler bei
Hermes, Sophiens Reise, 2. Aufl., 1, 406), und bei dem Spass per omnia kliuglavg-
oniut wäre an das alte </liiiii-iilaiig-gIoriu zu erinnern, aber auch an die Parodie
232 Schmidt:
per pociila poculonim in Rists Depositionstaufe (Akademische Blätter 1884, S. 445)
oder '» pocula poeulorum Amen. Rüdiger. S. 176. — S. 44 vermisse ich herbatim.
das wie stellatim (auch Crailsheim, S. 517 „Ich muss einmahl stellatim gehn^,
sehr saftig) sowohl ehrbar wissenschaftlich als zweideutig gebraucht wird: denn
herbalim reitet oder geht man im Allegorischen Curricuhim vilae (von A. 1697 bis
1710) Eines Academis. Bürgers S. 6 f., flerbatum geht der Professor der Medizin
und Botanik mit seinem Coetus in der Salinde. S. 238, 2. Aufl., S. 807, aber
„herbatim wandern'' bedeutet ein erotisches Ausgrasen bei Picandei-, Gedichte 5, 34
(1734). Kluges Citat aus dem ^Krambambulisten'- ist ungenau: V. 1 fehlt „noch"
nach „ich": V. 2 „Von". — S. 45 Rebhu, Simplician. Weltkucker 1679, 141 ,Sau-
borstianer", 43 „Stimplerianer"; „den Sclilenlrianismuni'-. Geh. Nachrichten von
Menantes, S. 11. — S. 47 Die „Bockiade" ist ein Cranzsches Pamphlet gegen
Wieland und Nicolai von 1779. — S. 48 f. Die Schreibung jener griechisch ge-
bildeten Adverbia erfolgt meiner Wahrnehmung nach so, dass fast immer nur das
xous, nicht schon der Vokal i, mit griechischen Lettern gedruckt wird, auch machen
diese bereits vor der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig den lateinischen oder
deutschen Platz. Schlingschlanglonim kennt jiorixmc, aber neben dem purschicua
und pmvchice zwar ein SiucleniixSic (S. 9 „der . . . Pursch-Manier verstehet, mit
einem Wort der St. lebet'', vgl. De excussione fenestrarinn 1737, S. 29 „^y»orf xit ita
moris apud Sttidiosos: es wäre Purschen-Manier oder StudentixuOc"), doch kein
purttcfimmc. Die genaue Schreibung bei Schoch ist SiiidenTLxwc: ßo-jpnxwc steht in
einem lateinischen Eintrag- in Keils Stammbüchern, S. 222 (Wittenberg 1720),
^pur.'iicds gelebt" in Klotzens Brief an Bürger, 12. Jan. 1771. Strodtmann 1, 16.
Facetiae facetiarum S. 403 (Hans Pumbsack) „vp Vnversteten . . dar et hergeit,
fiorikoes. hantikoes, rimtikoes, nnidar, laeti sodals, heruth du Pinnall". Rebhu,
Weltkucker 2, 44 „He, ihr Brütler, allo .Studmticds', 46 „Es gienge .S''. her'", 47
„das hiess <S'/."; 2, 139 vom Hofleben „wie Lusticdi-, wie Foläicos, wie Aidiedx,
alles in ßoribns'^. Picander, Gedichte 1, 4il _.4 la Studentixwc, iedennoch nicht
im Luder'-, 563 „es last stndennxu';;''. Salinde, S. 72 .,Stiide.7itikik , ncmlich mit
vier Laternen begraben". Keil. Stammbücher, S 21s (Leipzig 1725) „als wir
xtudenlixwz geschwärmt, gelärmt, gehicht": Schwabes Belustigungen 1743 (2. Aufl.)
S. 464 „Wenn man nur sprechen kann: es ist studentikos, so liat man sich genug
gerechtfertiget, und dieses Wort allein giebt uns das Recht, so zu seyn. wie wir
sind" (S. 469 ..auf gut akademisch"); studentikos in Holbergs verdeutschtem Erasmus
Montanus, Schaubühne 1752, II 286. Keil, Stamnibiichcr, S. 272 _In Jena weiss
man frey und buj-sciükos zu leben" (1763); Schwab, S. 50 dem Philister „ein
burschikos Gesicht" machen. S. 56 „Ölberger": Moscherosch: „ülburger" Richter
2, 2. „Mosen habe ich auch in der Tasche" Heimes, Sophiens Reise, 2. Auflage,
1, 171. S. 57 auf das Helmstedter Siiuson- Wappen verweist auch Brentano —
nach Meibom, mit dem Citat „Was bist du Museusohn, wenn du nicht Spiesse
hast ... Ein Simson, dem man ruft: Philister über dir!" (vgl. z. B. Keil, Stamm-
bücher. S. 243) — am Schlüsse seiner barocken, geistreichen Abhandlung, die
schlechterdings angeführt werden rausste, obwohl man nicht verlangen kann, dass
im Studenten-Lexikon das ganze höhere Leben des Wortes ..Philister'- in klassischen
und romantischen Tagen erschöpft -werde. ') Zu Brentanos herrlichem Finale stimmt
1) Zwei Stellen möchte ich anfühi-en. J. (J. Müller sclu-eibt den 1. Juli 1S07 aii
Johannes (Briefwechsel, S. 419), Görres habe neulich in Heidelberg ein Kolleg über das
Weltgebäudc begonnen: „Meine Herren, es giebt nur zwei Klassen von Menschen. 1. die
mit ])(:etiseheiii Geist gesalbet sind, 2. die Philister-'. Eichendortf. Krieg den Philistern
S. W. 4. 105: Sieli, ein Phibster — Das ist dir su'n Vieh illustre, Gar nichts versteht er und
viel liest er, Spottweuig trinkt er und viel isst er, Kiu-z: so ein schofler, fahler, trister" u. s. w.
Bücheranzeigen. 233
Schopenhauers bündige Erklärung: der Ph. ist der a-ix^^ta-oc, iv^p (Reclam 4, 385).
Die biblischen Scherze liessen sich natürlich ins Unabsehbare vermehren, aber
Burschikos-Theologisches, Pastörliches, protestantischer Volkshumor laufen durch-
einander. Burschikos ist die Verbindung in der Salinde, S. 181 „schelmischen
Philister und betriegerischen Gergesener" ; doch auch ein Nichtstudent konnte die
Karten das Buch der (vier) Könige nennen (Kindermann 1644; Voss, Gedichte
4, 140, vgl. Crailsheim, S. 516), und die Redensart „nach Bethlehem gehn" habe
ich von einem thüringischen Hausknecht gehört (Richter 2, 2 „zu Betlehem auf
den Pedermarckt''; Picander, Gedichte 2, 470 .,nach1ßetleheim sich zu verfügen*;
Jungfer Robinsone, S. 83 ,sich . . nach Bethleheim verfüget"). — S. 64 -age:
„Freyage'' Singspiele od. Bolte S. 132. „Spendaschen " Weise, Überflüss. Gedancken
A 6-; „Spendasche" und .,Spentasche'' Jungfer Robinsone, S. 37, 82. Nd. „Kle-
dasche'" u. s. w. wie „Spermang" u. s. w. — S. 68 aine vgl. Keil, Lieder, S. 153
„Sauffen alisque Complimenten".
(Die umfangreicheren Bemerkungen und Nachträge zum Wörterbuch wird das
nächste Heft dieser Zeitschrift bringen.) Erich Schmidt.
Östnordiska och latinska Medeltids ordspräk. — Peder Läles ordspräk
och eil mötsvareiide svcusk saraling. I. Texter med inledning
utgivua av Axel Keck och Carl af Petersens. Kubeuhavn 1889
bis 1894. S. VIII. 148. 283. — II. Kommentar av Axel Kock.
Kobeuhavii 1891—92. S. IV. 445. 8".
Unter dem Titel Ostnoidische und lateinische mittelalterliche Sprichwörter
bringt diese dankenswerte Publikation des Samfund til udgivelse af gammel nordisk
litteratur im 1. Teile 1. eine sorgsame Ausgabe der unter dem Namen Peder Lales
bekannton lateinisch-altdänischen Sprichwörtersamralung, die um 1500 allgemein
als Schulbuch gebraucht ward. Es ist hier der Druck der ersten dänischen Aus-
gabe von 1506 zu Grunde gelegt und mit den Varianten von 1508 und 1515
begleitet. Zweitens ist die altschwedisch-lateinische Sprichwörtersammlung einer
Handschrift in Uppsala (No. 405, Palmsköld) genau zum Abdruck gebracht. — In der
Einleitung zum 1. Bande hat Herr A. Kock über die alten Drucke und Handschriften
der Sammlung Peder L:iles gehandelt, das wichtigste über die Lautbezeichnung
in den Handschriften hervorgehoben, die Anordnung der Sammlung und verwandte
Sprichwortbücher untersucht und die Frage nach dem Urheber des in Dänemark und
Schweden verbreiteten Werkes aufgeworfen. Das Ergebnis seiner Untersuchung ist,
dass derselbe in der That Pedor Laie (Pedrus Laglandicus) geheissen haben wird,
dass er den Zunamen Legista führte, weil die ersten Sprichwörter das Wort lex
enthalten, und dass er wahrscheinlich Geistlicher oder Schulmann, vermutlich
beides, war. Annehmbar scheint, dass er Probst von Röskilde gewesen und im
14. Jahrhundort gelobt hat. Wir heben aus der Einleitung noch die Betrachtung
über die Form der nordischen und der lateinischen Sprichwörter hervor. Biblio-
graphisches und ein Verzeichnis (von C. v. Petersens) der gedruckten schwedischen
Sprichwörterlitteratur schliessen diesen Band. — In dem zweiten giebt Hr. A. Kock
einen sehr wortvollen Kommentar sowohl zu der altdänischen als der altschwedischen
Sammlung; für den lateinischen Teil beider wünscht er die Behandlung durch einen
lateinischen Philologen, von der er trotz des äusserst barbarischen Lateins nicht
uninteressante Ergebnisse erwartet. K. \\ .
Zcilsclir. (i. VtTciiis f. V.ilk^k^llnle. 189.^. 1''
234 Brückner:
Oesky Lid (Böhmisches Volk). Bami HI, Heft 6 und Band R^ Heft 1
und 2 (S. 481—591 und 1—192). Prag-, 1894. 8°.
Kennzeichnend für diese Zeitschrift, über die wir zuletzt Jahrg. 1894, S. 224 f.
berichtet haben, sind die ausführlichen Mitteilungen über Hausindustrie, sowie über
Bau und Ausschmückung des böhmischen Hauses und Hofes; die vorliegenden
Hefte bringen wieder einschlägige Texte und Abbildungen, z. B. über Verzierungen
der Peitschenstiele bei Mährern und Slovaken, der Stühle, Särge: über Hausweberei,
nationale Stickmuster, Hauben (sogenannte Colombinen) u. s. w. Dann eingehende
Schilderungen volkstümlicher Bräuche, zumal Hochzeitsbräuche, Maifeiern, Pfingst-
umziige, Erntefeste, Tänze aus älterer und neuester Zeit; hier sei nur der Umzug
mit der Perchta am Abend vor dem Dreikönigsfest in der Budweiser Gegend
genannt: eine Prozession von 17 Personen, voran der „Bohrer- mit Bohrer und
Laterne, dann der ^ Husar", der die .^ Perchta" antreibt: sie selbst in weissem
Laken, mit einem Pferdekopf auf hoher Stange, behängt mit Schellen : um sie vier
oder fünf „Ziegen", ähnlich ausgestattet, nur statt eines Pferdekopfes Bocksköpfe;
hinter ihnen vier Sänger (genannt Vater. Mutter u. s. w.) und vier Spieler; zuletzt
der „Borstenmann-, der die Gaben einsammelt; man singt und tanzt, neckt die
Hofleute u. s. w.: der letzte Umzug fand 1891 statt. Urkundliche Mitteilungen
betreffen namentlich Auszüge aus Hexenprozessen des XVI. Jahrh. iu Kuttenlierg,
Schilderung der ökonomischen Lage des frohnenden Volkes in der Podiebra der
Herrschaft im XVIll. Jahrhundert u. a. Texte alter Weihnachts- und Dreikönigs-
spiele werden abgedrackt, denen sich Untersuchungen über das Reportoii- der
Puppenspiele, zumal über dessen Räuberdramen anreiht; ein Studium über Alter
und Verbreitung des Stoffes von der blühenden Gerte (des Aaron, des Pi-emysl u. a.)
kann als Beitrag zur vergleichenden Sagenkunde gelten: ausserdem ein Studium
über den Veles (altböhniischer Dämon) u. a.
Aus den bibliographischen Angaben heben wir nur den erschöpfenden Jahres-
bericht über böhmischen Folklore für 1892 hervor; den gesamten archäologischen
Teil übergehen wir und verweisen nur noch auf den ebenfalls charakteristischen
Zusammenhang der Aufsätze im Cesky Lid mit lokalen Ausstellungen und der
grossen ethnographischen Ausstellung, die für 1895 geplant ist: die Aufsätze sind
oft aus denselben hervorgegangen oder bereiten auf dieselben vor. wie u. a. der
Aufsatz von Zibrt über altböhmische Holzkirchen, von Adämek über alte V'olks-
rechenbücher u. dgl. m. So rechtfertigt die Zeitschrift ihren Titel vollständig: sie
ist dem Volke gewidmet und schöpft fast nur aus seinen eigenen reichen Beständen.
A. Brückner.
Jak se kdy t Cechäch tancovalo. (Wie mau je in Böhmen getanzt hat.
Geschichte des Tanzes in Böhmen, Mähren, Schlesien und der Slovakei
seit den ältesten Zeiten bis zur Neuzeit mit besonderer Beziehung auf
Geschichte des Tanzes überhaupt.) Von Dr. C. Zibrt, mit 136 Illu-
strationen. Prag. Simäcek 1895. XX, 391 und XXXH Ss. 8».
Dr. C. Zibrt, Privatdocent für Kulturgeschichte an der böhmischen Universität
in Prag, entwickelt eine ausserordentliche Thätigkeit: er ist zwar erst seit 1888
litterariseh hervorgetreten imd vermag bereits so viele und so vielerlei Arbeiten
aufzuweisen, dass dieselben, auch w \jn verteilt auf mehrere Verfasser, immer noch
für jeden eine ganz respektable Leistung bedeuten würden. In der Zeitschrift haben
Bücheranzeigeii. 235
wir mehrfach diese Arbeiten, die Leitung des Cesky Lid, Geschichte der Ti'achten
m Böhmen u. a. hervorgehoben; seine zahlreichen Neudrucke (altböhmi^ches
Kochbuch; Vetters Beschreibung von Island aus dem Jahre 1613; altböhraisches
Rätselbuch; Zunftbuch vom Jahre l(i30 u. a.), seine Einzeibeiträge (Geschichte
des Schachspieles in Böhmen; Jagdaberglauben: Tischbräuchc; Spiele; Bier und
Brauerei u. a.), sowie eine ausführliche Bearbeitung altböhmischer Pestbräuche
haben wii- dabei gar nicht genannt; wir verweilen dafür bei seiner letzten grösseren
Publikation, die schon durch ihre äusserst luxuriöse Ausstattung, namentlich durch
die zahlreichen, trefflichen Illustrationen den Leser besticht.
Diese Geschichte des Tanzes in Böhmen zerfällt in vier Bücher; das erste,
kürzeste, handelt über die Anfänge; das zweite ist dem XIV. und XV. Jahrhundert
gewidmet, stellt dar die verschiedenen Musikinstrumente, die Stellung der Prediger
und Moralisten, den Veits- und Totentanz, Bauern- und Herrntanz, Schwert- und
Packeltänze. Das dritte Buch bespricht die Verhältnisse bis zur Mitte des
XVII. Jahrh., zuerst wiederum die Anfeindungen, denen der Tanz in der Litteratur
ausgesetzt ist, besonders werden abgedruckt handschriftliche Traktate, die in der
böhmischen Brüdergemeinde gegen den Tanz kursierten , dann das Büchlein des
S. Lomnicky vom Tanze (1597), welches veischollen schien, nachdem es einmal
von Waldau in seiner Geschichte des böhmischen Nationaltanzes (1861) citiert
worden war, sowie die vorher ganz unbekannte Schrift des Tob. Mouieni'n über
die Schminke der tanzgierigen Mädchen und Prauen (1594): die Tanzverbote, die
zumal von den Landtagen ausgingen; wo, wann und wie man tanzte; Volkstänze;
modische Tänze und Ballette; die Volkserzählungen vom Zaubertanze (altböhmische
Bearbeitungen des Thema „Mönch im Dornbusch", welches Bolte eingehend aus-
geführt hat; Abdruck der böhmischen Übersetzung des Albrechtschen Gedichtes,
von 160-1, desselben Tob. Mouienin), von gespenstischen und Teufelstänzen;
Überlieferung von der tanzenden Sonne; über Tanz in Sprichwort und Rätsel;
Musik und Musikanten. Das vierte und ausführlichste Buch (S. "242 — 391) ist der
Neuzeit gewidmet: was Moralisten gegen den Tanz einwenden; Tanzverbote:
Modetänze; Tanzmeisterzunft in Prag: Volkstänze; Redouten und Bälle; die ersten
böhmischen Bälle und deren soziale und nationale Bedeutung; über die Polka,
Geschichte und Verbreitung derselben; Aufzählung, in alphabetischer Polge, aller
gebräuchlichen ^'olkstänze in Böhmen: in Mähren; in Schlesien: in der Slovakei,
alle von erstaunlicher Pülle; Nachträge über Musik. In den Anhang sind An-
merkungen, Citate u. dergl. verwiesen.
Das Buch ist in erster Reihe für ein grösseres Publikum bestimmt, daher
Ton und Breite der Darstellung: aber auch der Kultur- und Litterarhistoriker wird
hier Belelirung und Anregung, durch Sammlung von allerlei Angaben, Abdruck
verschollener Sachen u. s. \v. in reichem Masse finden. Einwendungen gegen
einzelnes wollen wir hier nicht erheben; wir möchten hier nur darauf verweisen,
dass, wenn der Verf. für das XIV. Jahrh. z. B., das Collectum de chorea contra
corizantes et ovizantes des Prager Predigers Konrad Waldhauser, das wir hand-
schriftlich kennen, eingesehen hätte, er für die folgenden Jahrhunderte, für einen
Lomnicky u. a., die Waldhausers Argumente nur wiederholen, sich hätte kürzer
fassen können; ausserdem verdienten Angaben polnischer Schriftsteller des XVI.
und XVII. Jahrh. über Tänze und Tänzer, die sich mit böhmischen Verhältnissen
vielfach eng berühren, noch mehr herangezogen zu werden; übrigens wird jede
neue Publikation böhmischer Texte, z.B. das von Bolte veröfientlichte böhmische
Plugblatt vom Nemo aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrh., die Angaben vermehren
und ergänzen helfen.
16*
236 Brückner:
Aber auch so ist der vom Verfasser zusammengebrachte Stoff von ausser-
ordentlichem Reichtum: namentlich muss man über die Fülle moderner Volkstänze
— jede Gegend hat ihre besonderen — geradezu staunen Die Sammlung und
Sichtung des Stoffes macht dem Verfasser, die glänzende Ausstattung des Buches
der Prager Druckerei alle Ehre. A. Brückner.
Wisla (Die Weichsel, geographisch-etliiiographische Monatschrift, polnisch).
Band VII. Warschau 1893. 803 Ss. gr. 8". Mit Vollbildern und
Illustrationen.
i'ber die früheren Bände dieses zeitlich ersten folkloristischen Organs bei den
Slaven. das bald Nachahmung unter Russen. Böhmen und Rleinrussen gefunden
hat, berichteten wir mehrfach früher (zuletzt Zeitschr. 1893, 115). Der Inhalt des
neuen Bandes übertrifft noch die vorausgehenden an Menge und Vielseitigkeit des
Stoffes. Allgemeineres behandelt der Artikel von L. Krzywicki über die Rolle
der Tierwelt in der primitiven Kultur, wo neben treffender Charakteristik des
Wandels dieser Rolle (Verehrung der Tiere überhaupt, Schlangen etc.; Verehrung
der Urtiere. Schlangenkönig etc. : Tiere bloss Begleiter der Gottheit) eine sinnreiche
Hypothese zur Erklärung des Totemismus vorgetragen wird; dann die Artikel von
H. Ciegeleisen und Wl. Bugiel: ersterer über die Spuren, welche alter Mädchen-
raub in den Hochzeitsbräuchen aller Völker und Zeiten hinterlassen hat: letzterer
sammelt alle Varianten des Märchens vom Geschwistermord und der denselben
veri-atenden Pfeife u. ä. und versucht die Kulturstufe zu charakterisie: en, der dieses
Motiv entwachsen konnte; zuletzt handelt J. Witort über Morgengabe, Bedeutung,
einstige Verbreitung und heutige Reste derselben.
Von Beiträgen zur polnischen Volkskunde speciell sind zu nennen mehrere
Beschreibungen von Hochzeitsbräuchen aus verschiedenen Gegenden, mit mancherlei
Reden und Liedern; Kinderspiele, Sagen u. a. Das wichtigste liefert K. Matyas,
„Unser Dorf, der innerhalb eines en^en örtlichen Rahmens diu phantastische
Welt, das übei sinnliche, was davon in den Köpfen der Bauern seines Heimats-
dorfes lebt und webt, anziehend charakterisiert: dann der Pfarrer A. Pleszczy liski,
welchei' über die sog. Koziaren, einen Bauernadel mehrerer Pfarreien im Zukower
Kreise (Kgr. Polen), mazurischer Abkunft, über ihre Sprache, Sitten, Aberglauben,
interessant berichtet. Dann Angaben aus alten Inventaren u. dgl. über Kleidung
und Nahrung; Beschreibung von Werkzeugen der Hausindustrie; Rechtsbräuche;
Krippenspiele u. s. w.
Die Übersetzung des Töppenschen Werkes über Glauben und Märchen der
Masuren i.^t in diesem Bande vollendet und begonnen die Übersetzung der Hoch-
zeitsbräuche aus Wiclona. welche Juszkiewicz litauisch geschildert hatte. Zur
litauischen A'olkskunde bringt der Band auch originale Beiträge, von J. Kibort,
über das samogitische Zeidlerrecht, Proben von Volkshumoristik, Traditionen u. a.
Kleinere Beiträge aller Art betreffen einzelne Sprichwörter, populäre Stoffe (vom
Judenkriege, wie sie durch ein Leinfeld schwimmen, als war' es ein Meer; vom
Hundekönig), Namengebung. Volksmedizin u. dergl. m.
Jedem Hefte ist eine ausführliche Bibliographie, Anzeigen und Inhaltsangaben
von Zeitschriften, Auszüge aus Zeitungen u. dgl. beigegeben.
A. Brückner.
Roediger: Protokolle. 237
Aus den
Sitziiiigs-ProtokoUen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 26. Januar 1896. Herr Oberlehrer Dr. H. Lübke, der an
Urt und Stelle griechische Liebes- und Tanzlieder gesammelt und seine Scammluugen
aus fremden vermehrt hat, teilt eine grosse Zahl von ihm herrührender poetischer
Übertragungen mit und knüpft daran Bemerkungen über die Eigentümlichkeiten
der Lieder. Ihre Süsse und Lieblichkeit fiel auf, dazu ihr blühender Ausdruck,
wodurch sie sich von dem zwar nicht minder innigen, aber doch im ganzen
herberen deutschen Volkslied unterscheiden. Es Hessen sich auch nur wenige
Parallelen finden, doch sei auf die Forderung unmöglicher Dinge und das Ver-
Bchliessen des Geliebten im Herzen hingewiesen. Auch in den Balladen fanden
sich Übereiustinimuiigeii, und der Vortragende glaubt an Überiiiittelung nordischer
Stoffe durch die Waräger. Herr Lübke beabsichtigt, seine (Übersetzungen als
Buch zu veröffentlichen. — Der Schriftführer verlas den von Herrn Geheimrat
Wein hold zusammengestellten Jahresbericht, aus dem hervorzuheben ist, dass eine
Anzahl von Magistraten deutscher Städte dem Vereine beigetreten ist. (Ihre Zahl
hat sich inzwischen in erfreulicher Weise vermehrt.) Der Schatzmeister, Herr
Bankier Alex. Meyer Cohn gab über den Stand der Kasse Auskunft. Er ist Dank
der Unterstützung des königl. preussischen Unterrichtsministeriums ein günstiger.
Zum Schlüsse fand die Wahl des Ausschusses statt, in den abgeordnet wurden die
Herren Bartels, Bastian, Priedel (Vorsitzender), Frl. Lemke, HerrenMoebius,
Mielke, Erich Schmidt, Voss, Waiden, Goerke, Lübke, Zupitza.
Freitag, den 22. Februar 1896. Frl. Lemke sprach über Gräberbeigaben
und Weihgeschenke. Der Grundgedanke solcher Beigaben ist, dass man dem
Verstorbenen den Aufenthalt im Jenseits erlefchteru möchte; man giebt ihm daher
dazu dienliche Sachen oder auch blosse Abbilder davon mit. Spendet man eine
grössere Anzahl gleichai'tiger Gegenstände, so mögen dabei die Besitzverhältnisse
der Angehörigen oder ihre Zahl oder sonstige Beweggründe ähidicher Art mass-
gebend gewesen sein. Gewisse Gegenstände, wie z. B. glatte Steinchen, puppen-
artige Figuren, sind bisweilen wohl als Kinderspielzeug, bisweilen aber auch als
Amulette aufzufassen. Die Vortragende gab eine systematische Übersicht über die
Begräbnisweisen der verschiedenen Länder und Völker und knüpfte daran Ver-
gleiche mit noch üblichen volksäimlichen Bräuchen. — Darauf legte Herr Prof.
Dr. Frey ein Pala (vor dem Altar hängende Platte) benanntes Stück aus Bronze
mit Emaileinlage vor. Es gehört dem Herrn Minister Friedberg und ist ihm vom
hochseligen Kaiser Friedrich geschenkt worden. Es handelt sich um eine oblonge,
ungefähr 1 //( lange Platte, die mit einem etwa '/a m hohen Rande umgeben ist.
An diesem zieht sich ein augenscheinlich modernes Ornament hin. Das innere
Feld ist durch Säulen, die Rundbogen tragen, in fünf Nischen eingeteilt, welche
die Mutter Gottes nebst den vier Evangelisten enthalten, jene in byzantinischem
Stil, diese bereits in freieren, an die Antike sich lehnenden Formen. Man musste
das Werk demnach ins 11. oder 12. Jahrhundert setzen. Aus dem Umstände,
dass die Säulen nicht senkrecht stehen, und der sinnlosen Zerreissung eines
Spruchbandes schloss der Vortragende, dass die Komposition ursprünglich für ein
rundes Gefäss bestimmt gewesen sei. Mit Hilfe der lateinischen Inschrift stellte
er fest, dass ein Erzpriester Gotofredus von S. Ambrogio in Mailand der Besteller
war. Er lässt sich in den Jahren 1116—27 urkundlich nachweisen und hat für
die Krönung Kaiser Konrads IL das-- Original dieser sogenannten Pala anfertigen
238 Roediger: Protokolle.
lassen. Es hat sich ini Domschatz zu Mailand -wiedergefunden und ist ein aus
Elfenbein geschnitztes, kegelförmiges Weihwassergefass, das bei der Nachbildung
in Bronze gewissermassen aufgerollt «oirde. Alter ist nur das Weihwassergefäss
des Aachener Domes.
Freitag, den 22. März 1896. Herr Geheirarat Prof. Dr. W. Schvvartz
sprach ül)or Reste Lirdeutschen Volkstums in den Havellandschaften. Er ging
davon aus, dass im ganzen Westhavelland, im nördlichen Teil der angrenzenden
Zauche, sowie in den Jerichowschen Kreisen die Kröte Muggel, Äkscherauggei,
.Äkschehuggel, Akschemugge. Akschemoije genannt wird, der Regenwurm Pierlauke
d. i. Pierlork. Diese Xamen sind anderwärts nicht gebräuchlich. In denselben
Gegenden war bis in die 60er und 70er Jahre noch der Glaube an die Frau
Hai-ke (Harfe, Arche) lebendig. Sie sondern sich dadurch als eine eigene
Provinz aus, und zwar sind es die Stiiche, in denen zum Teil schon vor Albrecht
dem Bären, zum Teil seit seiner Zeit Slawen und Deutsche vermischt sassen.
Das Land ist von Wasser und Sümpfon umgeben und dadurch abgeschlossen. Es hat
ursprünglich deutsche Bevölkerung gehabt, die es dann aufgab, sodass die Wenden
eindringen und es slawisieren konnten. Aber ein Rest deutscher Bevölkerang ist
zurückgeblieben, und auf ihn ist urdeutsches Volkstum dort zurückzuführen, nicht
auf die niederländischen und flandrischen Kolonisten, die Albrecht der Bär und
schon sein Vater herbeizogen. Denn sie wurden nicht im ganzen hier in Betracht
kommenden Landstrich, sondern nur in der Altmark, Priegnitz, den Jerichower
Kreisen zwischen Havel und Elbe bis hinunter nach Zerbst und Anhalt angesiedelt.
Der Einzug neuer germanischer Bevölkei^ung hat nur die Kraft der unter den
Wenden zurückgebliebenen Germanen wieder gestärkt Denn in den Niederlanden
und Flandern sind jene Benennungen und die Fi-au Harke unbekannt. Die Debatte
drehte sich hauptsächlich um die Xamen des Regenwurms und der Kröte. — Herr
Dr. F. Weinitz legte eine Anzahl von Werken der japanischen Kleinkunst vor.
namentlich Knöpfe mit eingelassenen Metallplatten, worauf figürliche Darstellungen ;
kleine Holzmasken, Bronzegegenstände. Er erläuterte ihre Beziehungen auf Mythen
und Sagen. Auch Photographien und ein japanisches Werk mit landschaftlichen
Ansichten hatte er ausgelegt. Herr Prof. Lange knüpfte Bemerkungen an und
verwies namentlich für die japanische Malerei auf die Werke von Andersen. — Auf
eine Anfrage des Vorsitzenden, Herrn Geheimrat Weinhold, wegen der Hillebille
gab Herr Bankrepräsentant Waiden Nachträge zu dem Aufsatze von R. Andree
in dieser Zeitschrift ö, 103 ff. Max Roediger.
Berichtigungen.
In dem Verzeichnis der Mitarbeiter, welches dem vierten Bande beigegeben
ward, ist durch ein unliebsames Versehen ausgelassen:
Prato, Stanislaus, Dr. Prof. am K. Lyceimi zu Sessa-Aurunca, Prov. Caserta, Italien.
Ben- Fr. S. Krauss in Wien, ist Dr. phil., nicht Dr. med.
In dem Artikel des Herrn Dr. L. Fränkel, Bd. IV, 327-329 siud folgende
Fehler zu verbessern: man lese S. 327. Z. 12 drinen; Z. 16 es: Z. 23 Marckt;
S. 328, Z. 2 Schweine-Igels: Z. 17 Steine; Z. 18 Zäserchen; Z. 21 Kelbraische:
Z. 25 Überschlag; Z. 26 wolle; Z. 27 einen: Z. 29: 101, Z. 30 andre: Z. 35 Nahmen:
Z.38 dunckel; S. 329, Z. 2 den Fusse; Z. 3 genante; Z. 13 Dorf; Z. 17 Oeffnungen:
Z. 21 wieder: Z. 29 Gegen; ebd. band.
In dem Referat des Herrn Prof. Dr. Fr. Stolz über Schnellers Beiträge II,
Bd. V, S. 109 f. ist zu verbessern; S. 109, Z. 8 von unten lies conus statt conrms.
S. 110, Z. 20 v. o. 1. Pflun st. Pfliu, S. 110, Z. 36 v. o. I. mn statt mm.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1895.
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Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1895.
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Die Sage von dem Be(!jräl)nis König Erik Ejegods
von Dänemark anf Cypern.
Von H. F. Feilberg.
Durch die Anfrage eines Freundes wurde vor einiger Zeit meine Auf-
merksamkeit auf die Erzählung Saxos von dem Tode und Begräbnis des
dänischen Königs Erik Ejegods gelenkt. Die Worte lauten (Müllers Ausg.,
S. 613) 1. „Cyprum contendit. Cujus in.sulae natura adeo quondam tumu-
loruni impatiens fuit, ut mandata sibi interdiu corpora proxima nocte reji-
ceret. Hie rex, febri implicatus, quum vicinum sibi fatum adesse cognosceret,
apud celeberrimani Cypri urbem corpus suum fuuerari petivit, praefatus,
tellureni aliorum cineres respuentem suos quietius habituram. Igitur pro
voto tumulum nactus, corporis sui beneficio vetustam humi indignationem
repressit, eamque, humauis ante cadaveribus reluctantem, non solum suae,
sed etiara alienae sepulturae patientem effecit." So weit Saxo. Aus dem
Chronicon Sialaudiae (Script. Eer. Dan. IT. 606) ziehe ich einige Zeilen
herbei: „Interim immiuente termino tanti viri laboris, correptus febre diem
sui transitus . . . assistentibus praedicebat, locum eis assegnans, quo humari
optabat. Intuentibus his loci importunitatem et affirmantibus, neminem ibi
sepeliri posse, ait: „domini est terra, qui etsi inde me projecerit extra
coemeterium sepelite." Regis sermo adimpletur. Die, qua praedixerat,
moritur; ubi optavit, sepelitur, et factus est in pace locus ejus. Mirabile
niiraculum; locus ille, qui omni mortuo illocalis antea extitit, rege sepulto,
cujuslibet sepulturae de caetero satis aptus apparuit."')
Noch erlaube ich mir Dr. E. Müllers Anmerkung zu der Erzählung
Saxos beizufügen: „Narrat Villibrandus Oldenburgensis, anno 1211 adterram
sanctam profectus (in Leonis AUatii Symmictis, p. 14.3), in Cypro daemoues
quavis nocte cadavera humo condita ejecisse et in domos retulisse, donec
imperatrix Helena, cum cruce Christi ad insulam appulsa, ope sanctae
crucis insultus daemoniacos avertisset."
Den Bericht von Yillibrandns habe ich nicht nachschlagen können,
kann aber an der zuverlässigen Wiedergabe seiner Erzählung nicht zweifeln.
1) cfr. H. Olrik, Danske Helgeners Levned, S. 120, Uebersetzung der, von G. Waitz
publizierten, ungedruckten Lebensbeschreibung des Herzogs Knud Laward ^Göttingen 1858).
Zeitschr, ü. Vereins f. Volk-kuiide. 1895. 1-7
240 Feilberg:
Wo der Keim dieser Sage zu finden sei, und wie sie gross gewachsen,
weiss ich nicht. Einige neuere Varianten derselben mögen yielleicht einiges
Interesse haben.
Im Chronicon sind die Ausch'ücke unbestimmt: „es kann auf Cypern
niemand begraben werden"; Saxo in seiner gezierten Sprache sagt: „die
Natur der Insel habe vormals in dem Grade Gräber nicht geduldet, dass
sie die ihr anvertrauten Leichen in der nächsten Nacht ausgeworfen habe."
Willibraud giebt die deutlichere Erklärung, es seien persönliche Wesen,
daemones, welche die Leichen ausgeworfen und in die Häuser zurück-
gebracht hätten.
Bloss im Vorbeigehen notiere ich: was die Sage südlicher Länder der
Kaiserin Helena und dem Kreuze des Erlösers zuteilt, wird hier der Kraft
der sterblichen Reste des frommen dänischen Königs beigelegt.
Das vorliegende Motiv, dass die Erde den Frieden der Toten störe,
oder dass Dämone Leichen aus der Erde hinauswerfen, gehört zu den
selteneren im Vergleich mit dem anderen, dass Tote, ausser dem Kirchhofe
beerdigt, sich nach dem geweihten Euheplatze sehnen. Ich werde eine
Reihe von Sagen mit jenem Motiv anführen. Verwandte Motive, die ich
sonst angetroffen, füge ich bei, um das Bild klarer und farbenreicher zu
machen.
2. Hr. Hartvig Limbek war ein sehr strenger Herr. Eine arme Frau
hatte sich einst in seinem Walde ein wenig Holz gesammelt. Sie wurde
auf frischer That ertappt und zu ihm gebracht, er liess sie peitschen. Da
fluchte sie ihm, seine ITnthat sollte gerächt werden, nach dem Tode solle
er ohne Sarg in die Erde kommen. So wie sie gesagt, geschah es. Er
starb und sollte auf dem Kirchhofe von Gaardslev beerdigt werden; als
man aber den Sarg hinabsenken wollte, verschloss sich das Grab, und so
oft man es auch versuchte, das Erdreich fiel stets zusammen, bis die
Bauern die Leiche aus dem Sarge nahmen. Da war nichts mehr im Wege,
und so wurde der stolze Gutsbesitzer begraben.
Thiele, Danske Folkesagn (1843) I, 125 (Jütland).
3. Eine alte „Auszüglerin" (pröventukona) hatte Sti-eit mit den Dienst-
leuten nnd wurde von einem Knechte, namens Jon, öfters übel mitgenommen.
Sie drohte ihm kurz vor ihrem Tode, dass sie sich dafür an ihm rächen
werde. Jon verkam im Unwetter im Gebirge (varö' üti), seine Leiche
wurde später gefunden und begraben, über Nacht aber wurde das Grab
aufgewühlt und der Sarg zerbrochen. Ein zweites und drittes Mal begrub
mau den Toten, immer wiederholte sich derselbe Spuk. Da that der Pfarrer
endlich die Gebeine in einen Sack und leg-te diesen hinter der Kirchenthür
nieder. — Neue Motive mischen sich jetzt in die Erzählung: eine Magd,
Guöriin, holt in der Nacht den Sack mit Jons Gebeinen, um als Wettlohn
eine Schnupftabakdose und Tabak zu erhalten; der Tote erscheint ihr im
Die Sage von dem Begräbnis König Erik Ejegods von Dänemark auf Cypern. 241
Traume und bittet sie, wenn die Toteu in der Weihnachtsnacht alle in
der Kirche versammelt seien, einer Frau mit einer roten Haube zu sagen:
„vergi«b dem Knoehengerippe, das hinter der Kirchenthür liegt". So
wurde alles wieder in Ordnung gebraclit, die Magd hielt das Versprechen
dem Verstorbeneu, nochmals wurde die Bestattung der Gebeine versucht,
und diesmal behielt das Grab die Leiche.
(Maurer, Isl. Sagen, S. 75, Aruasons pjöösögur I, 306.)
4. In der Stadt Baden war einst ein reicher Kornhändler, der den
Armen während der Hungerszeiten manchen Sack Korns oft zur Hälfte
bloss mit Spreu gefüllt verkaufte. Nach seinem Tode begrub man ihn
stattlich auf dem Kirchhofe, aber die Erde wollte ihn nicht leiden. Jeden
Morgen fand sicli das Grab frisch aufgedeckt und der Totenbaum aus dem
Grabe herausgeworfen. Zweimal hatte man ihn wieder beerdigt, da erkannte
man die vergebliche Bemühung. Die Leiche wird auf einen Wagen mit
Stieren bespannt gesetzt; die bleiben vor einer Grube im Walde stehen,
und da wird der böse Mann in einem Spreuhaufen begraben.
Eochholz, Argauer Sagen H, 129. ss?.
5. Die folgende Erzählung war mir nur aus zweiter Hand zugänglich:
Fra Pilippo da Siena erzählt von Eltern, die einen kranken Sohn
hatten, und da sie von Gott seine Genesung nicht erhalten konnten, suchten
sie bei einer Zauberin Hülfe; diese übergab das Kindlein im Namen der
Eltern dem Teufel. Anfänglich schien der Knabe besser zu werden, starb
aber nach Verlauf dreier Monate. Er ward dreimal begraben und dreimal
von der geweihten Erde des Kirchhofes wieder ausgeworfen. Geweihte
Erde nämlich empfängt nur unwillig die Leichen der Verdammten. Zuletzt
wurden die zerrissenen Glieder des Kindleins in einem Wäldchen in der
Nähe des Kirchhofes umhergestreut gefunden.
Graff, Miti, Legende e Superstizione I, 300.
6. Mit den vorangehenden Sagen verwandt ist die folgende:
Die Hexe von Aristau wird an einer Hecke erhenkt gefunden. Nach
Landesgebrauch sollte nun die Leiche des Nachts in einer Wüstung des
Waldes begraben werden. Den Wagen, auf den man sie lud, brachte man
nicht eher von der Stelle, als bis man, statt des vorgespannten Wucher-
stieres acht schwarze Rosse angeschirrt hatte. Da man nun gegen den
Heiniweiher kam. erschien, trotz des hellen Mondscheines, alles Laub des
Waldes schwarz, alle Zweige senkten sich zusammen gegen Wagen und
Rosse und versperrten völlig den Weg. So blieb man abermals mit der
Fuhre stecken. Endlich setzte sich der Kutscher auf die Leiche statt aufs
Sattelross, und ritt sie solange, bis der Wagen zum Weiher durchgeschleppt
war. Dort wurde die Hexe in ein Sumpfloch geworfen.
Rochholz, Argauer Sagen 11, 171. 395.
17*
242 Feilberg:
7. Die Leichen der Heiligen sind bisweilen ein wenig anspruchsvoll.
In der Nähe einer Stelle Four-mile-water in Wexford ist ein alter Kirch-
hof mit lauter Heiligen-Gräbern. Ursprünglich lag der Kirchhof jenseits
des Flusses, es wurde aber die Leiche eines schlechten Menschen unter
die der Heiligen bestattet; die Folge davon war, dass der ganze Kirchhof
nach der anderen Seite während der Nacht umzog, der Verbrecher wurde
einsam zurückgelassen. Man hätte glauben sollen, fügt der englische Mit-
teiler hinzu, es wäre leichter gewesen, den bösen Körper zu entfernen:
die Heiligen zogen aber vor, alles mit Aufwand zu vollbringen.
Yeats, Fairy and Folk Tales of the Irish Peasantry (1888), S. 214.
8. Joa. Moschius in der Prakt. Spiritualis, Cap. 88 und Evagrus Pon-
tensis L. 4, Cap. 35 gedenken eines heiligen Einsiedlers Thomas, der
mehrere Male seinem Grabe entlief, weil man ihn neben einige unfromme
Menschen beerdigt hatte. Vgl. auch Mone, Anzeiger 1839, S. 536, Xo. 72.
Wolf, Niederl. Sagen, S. 684. ,5ü.
9. Ein böser Vogt wird auf dem Kirchhofe begraben. In der nächsten
Nacht, als der Glöckner in seiner Stube schlief, erhob sich auf dem Kirch-
hofe ein gewaltiger Lärm und eine Stimme rief dui'ch das Fenster: „Wirf
dein Grabgerät heraus, wir wollen es haben!" Der Mann war so er-
schrocken, dass er dem Befehle Folge leistete, und nun begann ein fürchter-
liches Graben und Schaufeln, und hinterher erhob sich ein Sturm, der die
ganze Kirche erschütterte. Als es still geworden war, wagte der Glöckner
hinauszugehen: das Grab des Vogtes war leer. Er bestieg eine Anhöhe:
im Norden war inmitten eines Waldes ein heller Feuerschein, wie von
einem grossen Seheiterhaufen zu sehen Am nächsten Tage sah man
zwischen zwei Eichen eine Eisenstange liegen, an welcher die verkohlten
Überreste eines menschlichen Körpers hingen und unter der Stange war
eine gewaltige Grube, welche deutliche Spuren aufwies, dass in ihr ein
mächtiges Feuer gelodert hatte.
Gering, Islendzk. Aefentyri H, 91.
10. Ein General, Besitzer von Odersberga in Schweden, musste doch
am Ende, wie trotzig er auch war, sterben. Zuerst wurde er in der Kirche
begraben, von dannen kehrte er aber in sein Haus zurück mit Sarg imd
allem. Nachher bestattete man ihn auf dem Kirchhofe; umsonst, er kam
wieder. Darnach wurde er nach Barnahöl in der Nähe geführt; dort pflegte
man solche widerspänstige Tote zu versenken; denn du verstehst wolil.
Barnahöl ist ganz bodenlos. Sobald aber der Sarg hineingeworfen worden
war, wurde aus der Tiefe gerufen: „Wir wollen den General nicht hier!"
und augenblicklich schwamm der Sarg wieder herauf. Nun öffnete man
den Sargdeckel und legte schwere Steine um die Leiche, dass der Sarg
unmöglich mehr schwimmen konnte: aber es half nicht das fferinarste, der
Sarg kam wiederum lii-rauf und der General kehrte in sein Haus zurück.
Die Safje von rlein Bei^räbnis Könis Erik Rjeijofls von Dänemark auf Cypern. 243
Niemand wusste mehr Rat, doch eiu „khiger Manu" wurde geholt, der Hess
deu Geueral in eine Wiese, zu Odersberga gehörend, begraben und ihm
einen Pfahl durch den Leib schlagen. Jetzt musste er ruhig im Grabe
bleiben. £. Wigström, Folkdiktning II, 108 (Schweden).
11. Eine Verbreeherin wurde gerädert, ihre Familie bewog vier Per-
sonen, deren einer mein Urgrossvater nach der Sage gewesen sein soll^
sie zu begraben. Bei Nacht nahmen sie die Leiche vom Rade herab, um
dieselbe auf dem Kirchhofe zu beerdigen. Es überstieg aber ihre Kräfte.
Am Zaune des Kirchhofs angelangt, wurde die Leiche so schwer, dass es
ihnen beinahe unmöglich wurde sie zu erheben, und als sie die Tote über
den Zaun zu führen versuchten , wurde es ihnen, wo sie auch hinkamen,
gewehrt, bis sie nach der Ecke kamen, wo die Selbstmörder begraben sind;
da konnten sie die Leiche hinüberbringen und dort wurde sie verscharrt.
Skattegraveren X, 188 (Jütland).
12. Eine Frau in einem Kirchspiele auf dem Lande in Norwegen
nahm sich selber das Leben. Es geschah früh im Jahre, und man war
gezwungen, um dem Eise zu entgehen, nach dem Skejsvik hinüberzurudern,
dort wurde gelandet. Nachher wurde der Sarg nach dem Kirchhofe Opheims
getragen; am Thore aber angelaugt, war es den Trägern unmöglich, den
Sarg hindurchzubringen; doch konnte niemand etwas sehen, das ihnen
hin(h?rlich entgegenträte. Dann versuchten sie den Sarg über die Mauer
zu heben; auch umsonst, obschon sie alle mit gutem Willen arbeiteten.
Dann rief einer von den Begleitern, indem er gewaltig fluchte, dass der
Sarg hinüber müsste, ob auch der leidige Teufel ihn selber hinüb erbringen
sollte Augeublicldich war alles, das ihnen den Weg versperrte, fort, der
Sarg kam ganz leicht hinüber.
Th. S. Haukenäs, Natur, Folkeliv, Folketro FV, 504.
13. In Enslöf ist ein Widder lebendig unter dem Fundament der
Kirche begraben worden. Ein solches Tier, der Schutzgeist der Kirche,
wird „Kyrkegrime" genannt und wird oft von Mensehen gesehen; er bestraft
Personen, welche sich in der Kirche ungebührlieh betragen haben und jagt
zudem aus dem Kirchhofe alle „Myringar". d. h ermordete Personen oder
Kindlein, die ohne kirchliche AVeihe begraben worden sind. Dieselben
müssen demnächst als Nachtraben (Gerippe, die einen knarrenden,
kreischenden Laut von sich geben) umherflattern.
Hofberg, Nägra Drag ur det forna Skogsbygarelifvet
i Halland (1880—81), S. 32 (Schweden).
14. Noch muss hierzu eine irische Sage gefügt werden : Auf der Insel
Inismurray sind zwei Kirchhöfe, einer für Männer, eiu anderer für Frauen.
Es ist allgemeiner Volksglaube, dass, wenn eine Frau zufälligerweise in
dem Hofe der Männer bestattet werden sollte, so würde die Leiche bei
244 Foilberg:
K^aclit durch unsichtbare Hände nach dem der Frauen geführt werden, und
so umgekehrt. Folklore V, 161.
Wenn ich nun auf diese Sagen zurückblicke, so bleibt das Hauptmotiv
in allen dasselbe: der Todte, die Leiche, kann oder will nicht im Grabe
verbleiben. Hier ist nicht von Wiedergängern, deren ruhelose Seeleu
keinen Frieden finden können, die Rede, sondern von den toten Körpern
verstorbener Menschen, die freiwillig oder gezwungen ihr Grab verlassen
müssen. Insofern ist hier eine gewisse Einheit. Wenn man dagegen um
den Grund fragt, warum die Toten nicht ruhig liegen können, werden
verschiedene Erklärungen gegeben. In einigen der Sagen (2. 3) ist es ein
ausgesprochener Fluch, welcher das Grab den Leichen verschliesst, ein
Motiv, das sehr häufig im Volksglauben ist, wo das gesprochene Wort in
Segen oder Fluch unabwendbar in Erfüllung geht. In anderen (4, 5, 6)
weigert sich das in des heiligen Gottes Xamen geweihte, gesegnete Erd-
reich des Grabes den Sünder oder das Kindlein, welches dem Teufel über-
geben ward, zu empfangen. Damit stelle ich die Sage (6) zusammen, wo
selbst die Bäume des Waldes den Trägern des Leichnams der Hexe den
Weg versperren. Ein drittes Verhältnis erscheint, wo der Heilige mit dem
losen Gesindel, unter welches sein Körper begraben ist. unzufrieden, sich
von seinem Kuheplatze unter ihnen entfernt (8), ein Motiv, das einen Aus-
druck, der keltischen Phantasie würdig, in der Erzählung vom Umzüge
eines ganzen Kirchhofes (7) findet. Demnächst sind es die Toten, welche
die Polizeiaufsicht auf dem Kirchhofe selber besorgen, sie werfen aus und
verbrennen den gottlosen Vogt (9,': und in der dänischen Sage (11, cfr. 12)
denke ich mir, dass es die gerechton Toten sind, die überall am Zaune
der Verbrecherin den Zutritt zum Grabe wehren. Eigentümlich wird auch
offenbart, welch ein böser, gottloser Bube der verstorbene General gewesen,
indem selbst die schlechtesten von den Toten ihn in ihrer Mitte nicht
ertragen (10); auch kann man sich kaum eines Lächelns erwehren, wenn
von der strengen Sonderung zwischen Männern und Frauen auf dem Kirch-
hofe die Rede ist (14). Zuletzt übernimmt „Kp"kegrimen" in der
schwedischen Sage das Polizeiamt und jagt heimatloses Gesindel von den
Wohnungen gesetzter Bürger fort (13). Diesen Sagen reiht sich nun die
von Saxo und Willibrand mitgeteilte an (1), dass böse Geister, Dämone,
jedem Toten einen Platz in dem Erdreiche Cyperns wehren. Ob diese
nun eine morgenländische Wandersage ist, welche bodeufest auf Cypern
geworden, oder ob sie derjenigen eine ist, die da, wo Christentum und
Heidentum sich begegnen, zur Verherrlichung der siegenden Macht des
Christentums entspriessen, vermag ich nicht zu entscheiden.
Man könnte dann noch fragen, ob sich mit diesen verwandte An-
schauungen auch unter anderen Verhältnissen finden. Ja freilich, ein paar
habe ich mir notirt, andere mögen sich finden.
Die Sage vou dem Begräbnis König Erilv Ejegods von Dänemark auf Cypern. 245
15. Eine Stelle nördlich in Hafnarfjall in BorgarfjariVarsyssel wird
HröarsskörO genannt. Dort ist ein Teicli, von welchem man erzählt, er
habe die Eigenschaft, dass, wenn jemand einen Stein hineinwerfe, er aus
dem Teiche ans Land zurückkehre. Und wirft man zum zweiten Mal den
Stein hinein, so fliegt er zurück und trifft und verwundet den Werfenden.
Wirft man zum dritten Male, so kehrt er zurück und schlägt den Mann
tot, der ihn hineinwarf. Aruason pjöO'sögur I, 663.
16. Warum will das Wasser die Zauberinnen nicht sinken lassen?
Die Vorstellung, die dem Ordale des „Hexenbades" zu Grunde liegt, findet
sich bei Hincmar dahin entwickelt, dass das Wasser, geheiligt durch die
Taufe Christi im Jordan, keine Verbrecher aufnimmt, wenn es darauf
ankommt, sie zu entdecken.
Soldan-Heppe, Hexenprozesse I, 395, Grimm R. A. 923. -i
Noch eine kurze Bemerkung sei mir erlaubt. In einer Sagensammlung,
„Legends of the Lincolnsliire Cars", wird von der Erde als einem lebendigen
Wesen gesprochen. Diese Erzählungen scheinen mir das merkwürdigste
und eigentümlichste, was je in meine Hände von neueren Sagensammlungen
gelaugt ist, und jeder Zweifel au ihre Echtheit muss durch die Publizierung
in der Folklore von vorn herein abgewiesen werden. Leider ist sie in
starkem Dialekt niedergeschrieben, sodass es einem Ausländer nicht ganz
leicht ist, sich den Inhalt eigen zu machen. Neben der weit fortgeschrittenen
englischen Kultur führen uns diese Erzählungen nicht nur in die von
Nebel umschlossenen Sümpfe und Marschen des Lincolnsliire, sondern unter
Menscheu, deren Denkweise und Aberglaube uns iu die Nebel ferner Zeiten
versetzt.
17. Wie ich dirs schon früher sagte, ich würde nicht, ob ich es auch
wollte, dir alles erzähleu köunen, was unsere Leute zu thun gewohnt waren.
Mehr als in den anderen Zeiten des Jahres waren sie im Frühling mit
iiiren Bitten und Beschwörungen beschäftigt. Sie dachten, die Erde schliefe
den ganzen Winter hindurch, und alle die Gespenster — du kannst sie
nennen, wie du willst — sie machten während der ganzen Zeit nur böse
Streiche, sie hatten nämlich nichts, womit sie sich auf den Feldern be-
schäftigen konnten und wurden darum besonders iu der langen, finsteren
Winterszeit gefürchtet, bereit wie sie waren und Gelegenheit suchend.
Böses den Menschen zuzufügen. Wenn aber der Winter schwand, meinten
die Leute, die Zeit wäre gekommen, die schlafende Erde zu wecken, und
die Gespenster seien in Arbeit für die keimende Saat und die kommende
Ernte. Im Spätjahre wurde die Erde wieder müde und schlief allmählich
ein, und die Leute versäumten deshalb nicht allerlei Wiegenlieder (hushieby
songsj an Herbstabenden auf den Feldern zu singen. Im Frühling aber
gingen sie — die Leute natürlich, welche den alten Glauben hatten — auf
alle Felder dos Dorfes und nahmen ein bischeu Erde von den Maulwurfs-
246 Schwartz :
bügeln (a spud o' yarth fro' th' inools) und sprachen sonderbare Worte,
welcbe sie selbst kaum vei-stehen konnten, und die durch hunderte von
Jahren gesprochen worden waren. Jeden Morgen, wenn der Tag zu grauen
anfing, standen sie an der Thürschwelle auf der Wache mit Salz und Brot
in ihren Händen auf den grünen Nebel wartend, der sich mit der freudigen
Botschaft erheben sollte, die Erde sei wiederum wach, das Leben kehre
zu Bäumen und Pflanzen zurück, die Saat keime, der Frühling sei im
Anbruch. Folklore II (1891), p. 260.
Aus dem Boden einer solchen oder äTinlicher. abergläubischer, poetischer
Naturanschauungen lässt sich leicht verstehen, dass Sagen, wie die ange-
führten, entspriessen konnten.
AskoT bei Yejen, Dänemark.
Die volkstümlichen Xamen für Kröte, Frosch und
ßegenwurni in Nord-Deutschland nach ihren
landschaftlichen Gruppierungen
(mit den einzelnen Ortsaugaben).
Von Wilhelm Schwartz.-')
Die folgenden Zusammenstellungen der noch jetzt üblichen volks-
tümlichen, aber meist alten Bezeichnungen für die Kröte, den Frosch und
den Regenwurm in Norddeutschland beruhen weder auf litterarischen, den
verschiedenen dialektischen Idiotiken entnommenen Zeugnissen, noch auf
einer mechanisch (etwa durch allgemeine Fragebogen) vorgenommenen
Enquete, noch sind sie das Resultat einer zufälligen, sondern einer im ein-
zelnen wohl überlegten individuellen Recherche. ") Sie sind gewissermassen
das sich organisch entfaltende und auf einzelne Korrespondenzen
begTündete Korrelat einer dialektisch - historischen Studie, welche sich
allmählich an der Wahrnehmung entwickelte, dass, wie in der Sache selbst
sich ein eigentümliches Stück Volkstum bekundet, so speziell in den
landschaftlich verschieden hervortretenden „Gruppierungen der Namen jener
Amphibien" noch fast durchgehends sich alte „Stammesverhältnisse" in be-
sonderer Weise „wie in Zonen" abspiegeln, so dass neben anderen dialektischen
1) Mit einer Spezialkarte der Havellandschaften (Tafel IV).
21 Dass die Namen fast durchgehends alt, lässt sich teils durch historische Zeugnisse
belegen, teUs ergiebt es sich aus der Analogie entsprechender schwedischer, dünischer,
englischer (angelsächsischer), sowie niederländischer Bezeiclmungen derselben Tiere. Nm-
für die Frösche treten verschiedentlich modeme, zum Teil onomatopoietische Varianten
wie Marxe, Quak, Röhle, Schäks (in Guben) u s. w. auf.
Die volkstümlichen Nameu für Kröte, Frosch und Regenwurm. 247
Uiitersucluiugeu auch die mamiigfaclisteu historischen Erörterungen und
Sclilüsse sich daran knüpfen Hessen, und auch so eine möglichst umfassende
Übersicht „im Interesse der Wissenschaft" wünschenswert erschien.
Die äussere Veranlassung zu jener Studie gab die Entdeckung, welche
ich zufcillig im Jahre 1893 machte und die auch seiner Zeit unsere Zeit-
schrift erwähnt hat'), dass nämlich im ganzen Havellande nicht weit von
den Thoren Potsdams, wie die diesem Aufsatz beigefügte Karte zeigt, für
die Kröte noch ein besonderer Name volkstümlich üblich sei, nämlich
„Muggel", ein bis dahin litterarisch ganz unbekanntes Faktum. Bedeutsam
wurde die Sache besonders noch, als sich bald feststellen liess, dass dabei
von einer slavischen Reminiscenz aus der Zeit der Wendenherrschaft hier-
selbst nicht die Rede sei, vielmehr, da auch sonst auf deutschem Boden,
wenngleich jenseits des Rheins, ein Analogen sich fand, — indem au der
Eifel wie am Oberlauf der Mosel und an der Nahe die Stanmiform „muck",
von der „muggel" nur eine Diminutivform ist, als Bezeichnung desselben
Tieres sich ermittelte, — der deutsche Typus des Namens auf diese Weise
ausdrücklich gewährleistet wurde und das Ganze damit als ein Stück
alten deutschen Volkstums hierselbst erschien.
Die freiere Zeit, welche mir das im vorigen Jahre eintretende Aus-
scheiden aus meiner amtlichen Thätigkeit gewährte, veranlasste mich,
nachdem ich die Muggel im ganzen Havellande verbreitet vorgefunden
hatte und daneben auch noch eigentümliche Bezeichnungen unter anderem
für Frosch und Regenwurm, zu immer in weitere Kreise sich nach Westen
ausdehnenden Korrespondenzen namentlich mit den Geistlichen und Lehrern
auf dem flachen Lande, und das freundliche Eingehen auf die Sache, welches
ich von allen Seiten dabei erfuhr, — indem fast umgehend auf Karte oder
Brief eine Gegenantwort erfolgte, — orientierten mich bald immer weiter
in der überraschendsten Weise und führten zu stets neuen Entdeckungen.
Einmal stellte sich nämlich bald heraus, dass die Muggel-Zone, wie
ich sie nennen möchte, nicht nur die Dörfer des Havellandes umfasst,
sondern auch des angrenzenden nördlichen Teiles der Zauche, sowie der
Jericho wer Kreise und zwar in erster Linie mit der Form muggel (oder moggel),
dann aber auch mit den Varianten ekschemuggel, erdschemuggel .erdkröte),
erdschemull, huggel, mugge, muije u. s. w. (s. Tab. I und die Karte) und
der Name Kröte, wie die meisten der Berichte hervorheben, fast nur im
Banne der Schule existiert, ferner, dass merkwürdigerweise daneben noch
ein anderer volkstümlicher Name deutch-altertümlicher Art sich für eine
zweite Amphibie in denselben Gegenden erhalten hat. Wenn nämlich bei
den Recherchen nach der Muggel die Bezeichnung „padde" für den Frosch
nicht weiter auffiel, da sie fast in der ganzen Mark üblich ist, so über-
1) Berliner Zeitschi-, f. Volkskunde III, S. 4C9. V, 1G7. 238. Vgl. Berliner Zeitschi-,
f. Ethnologie, Anthi-opologie und l'rgescli XXVI, '2 ff.
248 Schwartz :
raschte es, für ilen Reoenwiirm, der beim Angeln eine besondere Rolle
spielt und dadurch dem Menschen praktisch näher tritt, fast überall, wo
die Muggel erscheint, auch eine eigenartige deutsehe Bezeichnung, nämlich
pierlank, pierlag, pierloag u. s. w. zu finden, die sich dann in der Altmark
zuletzt zu der reinen Form „pierlork"' entpuppte, welche ich von Anfang an
schon augeuommeu hatte. ^)
Auch dieser Name war. wie der der Muggel, litterariseh bisher nicht
bekannt gewesen, indem nur die Bezeichnung pieraas, d. h. „Wurmköder"
zum Angeln (mit der volkstümlichen A'ariante „pieresel", die sich an den
üblichen pluralis „pieräser" anschliesst,) namentliclifür Berlin und Umgegend
und die Bezeichnung „piermade" für die Priegnitz bis dahin in die ÖfPent-
lichkeit gedrungen waren, s. Höfer „Über Märkische Glossare und Märkische
Spracheigentümlichkeiten" im I. Bande der „Märkischen Forschungen" vom
Jahre 1841.
Der Name „pierlork" zieht sich aber dann selbständig, ohne „muggel",
nicht bloss, wie bemerkt, westlich von der Elbe auch in die Altmark
hinein, (wo übei'haupt die verschiedensten Gruppen im Volkstum auf-
treten, so dass es sich lohnte, sie einmal noch .spezieller zu verfolgen und
zu behandeln,) sondern tritt auch südlicher davon in der Börde im Kreise
Wolmirstedt auf, wenngleich auch hier daueben „piermade" vorkommt.
Wie sich so allmählich bei dieser Studie der Horizont immer mehr
geweitet hatte, indem immer neue Fäden sich knüpften und zu einem
immer fortschreitendem Wandern nach Westen einluden, auch die Suche
nach volkstümlichen Bezeichnungen jetzt gleichmässig für alle drei Tiere,
Kröte, Frosch und Regenwurm immer mehr zur ausgesprochenen Parole
-wurde, stiess ich immer auf neue Zonen von eigentümlichen Namen
des einen oder anderen, die sich oft durcheinander hinzogen, in sich
aber immer eine mehr oder weniger feste landschaftliche Begrenzung auf-
wiesen, so dass sie überall auf ein altes Volkstum zurückzugreifen schienen.
Trat mit der Altmark z. B. für die Kröte der Name „lork" ein (Tab. V).
so ergab sich bei weiterer Verfolgung desselben, dass sein Gebiet sich auf
den ganzen östlichen und südöstlichen Teil Niedei'sachsens bis zum Harz,
dem Braunschweigischeu, dem Fürstentum Hildesheim und Hannover er-
streckt, während im Göttingschen sowie in den nordwestlichen Teilen Nieder-
sachsens die „üze" die Stelle des „lork" einnimmt, welche sich dann auch
durch den grössten Teil Westfalens fortsetzt, wobei in den verschiedensten
Gruppen daueben mannigfache Bezeichnungen für Frosch und Regenwurm
1) Wenn Lork sonst vorwiegend die Kröte bezeichnet, so kann es doch in jener
Verbindung pierlork nicht auffallen, da die ÄmpMbiennamen sich fibertragen. Erscheint
so z. B. veraUgemeinert auch das Wort -Wium" und bezeichnet zuletzt alles, was kriecht,
so tritt ähnliches auch bei Lork (Lurche) sowie bei Unke hervor, welche Wörter gelegent-
lich selbst für Schlange gebraucht werden, siehe u. a. Sanders, Deutsches Wörterbuch.
Pierlork ist also in der Bedeutung und Bildung gleich „piermade".
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm. 249
wechseln, oft auch das letztere Tier, wo eben nicht besonders Fischerei
betrieben und es nicht als Köder benutzt wird, mehr zurücktritt und es
einfach „wurm" genannt wird, s. Tabelle VI, VII, VIII.
Wie zu der havelländischen muggel oder moggel sich aber das nament-
lich lothringische mug oder mog stellt, so eröffnet sich in anderer Weise
mit Osnabrück, Münster, Cleve und dem Niederrhein sowie Holland (siehe
Tab. VII, VIII) für den Namen des eben erwähnten Regenwurmes eine neue
Perspektive besonderer Art, indem wir auf dem Gebiet der Sprache dort
Verwandte der östlichen pieräser, piermaden und pierlorken finden,
nämlich das Simplex pier und das Kompositum pier- oder pielwurm
gleichfalls als Bezeichnung für den Regenwurm auftritt.
Ich will mich auf die so in Ost und West anklingenden Namen etwas
eingehender einlassen, da es einmal auch den pierlork in der so bedeut-
samen muggel-pierlork-Zone, welche die Veranlassung zu der vorliegenden
ganzen Studie gegeben hat, berührt, dann im Verein mit jener recht
charakteristisch als Beispiel dafür dienen kann, dass derartige Beziehungen,
wie sie die Tabellen bieten, eine besondere ethnologische Verwertung
und Bedeutung finden können.
Es handelt sich nämlich in diesem Falle darum, ob, wenn schon der
Volksglaube besonders der westlichen Teile der Mark mit seinen Ge-
bräuchen und Aberglauben deutlich lehrt, dass sich hier in der Isoliertheit
des flachen LaTides, zumal in den von Wasser und Sümpfen geschützten
Strichen der Havellandschaften (s. die Karte), entschieden Überreste einer
alten deutschen Urbevölkerung als Träger solches Volkstumes während
der Slavenherrschaft in ländlich-hörigem Zustande erhalten haben'): —
,,unter dieser Voraussetzung auch in jenen eigenartig-deutschen Be-
zeichnungen für die Amphibien ebendaselbst ein wenngleich kleines,
so doch bedeutsames Stück alten deutschen Volkstums in realer sowie
sprachlicher Beziehung charakteristisch hervortrete, oder ob speziell jene
mit „pier" zusammengesetzten Namen wie „pierlork" u. s. w. in Rücksicht
auf gewisse Analogien im Westen darauf führen, sie in der Mark nur als
von Kolonisten aus jenen Gegenden erst eingeführt anzusehen."'')
Allerdings spricht das Zusammenfallen des pierlork mit der muggel
gerade in den Gegenden, in denen sich selbst in allerhand Gebräuchen noch
1) Siehe meine Schrift ^Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum mit Bezug
auf Norddeutschland, besonders die Mark Brandenburg und Mecklenburg". II. Auflage.
Berlin. 1862. Desgl. den Aufsatz in den «Märkischen Forschungen" vom Jahre 1SS7, .Zur
Stammbevölkerungsfrtge der Mark Brandenburg", sowie die „Protokolle der Generalver-
sammlung des Gesamnitvereius der deutschen Geschiclits- und Altertumsvereine". Berlin
1890, S. 133 ff.
2) Untersuchungen über den beiderseitigen Wortschatz, namentlich in Bezug auf
solche und ähnliche Spezialitäten wie die vorliegenden wüi'den überhaupt schon mehr Licht
über die Beziehung der Sprachen hier und dort verbreitet haben. Es fehlen aber dazu
noch bis jetzt eingehende Idiotika in verschiedenen Landesteilen der Mark.
250 Schwartz:
Reininiscenzen an deu heiduisclien Kult einer deutschen Gottheit er-
halten haben, nämlich einer sogenannten Frau Harke, welche sich fast
in allem mit der thüringischen Frau Holle identifiziert, für die erstere
Annahme. Und das Auftreten „analoger" deutscher Elemente „in getrennten
Gegenden" in Gebrauch und Sprache wäre dabei au sich nicht auffallend;
es reflektiert eben ein solches öfter auf gemeinsame Analogien früherer
Zeit, die bald hier bald dort verschiedentlich festgehalten und entwickelt
sind.') Bei den historisch feststehenden Kolonisationen aber in den Marken
aus Westfalen und vom Niederrhein bedürfen doch die oben erwähnten.
au beide Punkte mit dem Wort „pier" sich knüpfenden Beziehungen noch
einer besonderen Erörterung bei der Entscheidung der betreffenden Frage.
Bedeutsam wird dabei sofort, dass die westfälisch -niederrlieiuisch-
holländischen Formen, sowohl „das einfache pier" wie „pier- oder pielwurm"
gerade nur in Niederlassungen an der Mündung der Havel in die Elbe und
au der letzteren, sowie in der Altmark und an den Grenzen derselben vor-
kommen. Um Sandau heisst, wie die Tabellen (s. Camern und Kuhlhausen)
ergeben, der Regenwurm „pier", in der ältmärkischen Wische, wo es mit
„loske" statt „lork" aueli schon gleichsam fremdunorganisch dem Gebrauch des
benachbarten Landes gegenüber anklingt, gleichfalls „pier", ebenso jenseits
in der Lenzer Wische und weiter hinauf bei Dömitz und dem gegenüber-
liegenden Gartow. ^) In Salzwedel und den benachbarten Dörfern Diesdorf
und Lageudorf kennt man das Kompositum pier- bezw. pielwurm, desgl.
in Stendal und ebenso in dem an das altmärkische Gebiet angrenzenden
Dörfern Wittingen und Brome, sowie im Drömling (s. Tab. V).
Wenn dies aber nur mehr vereinzelte Stellen sind, wo diese Namen
auftreten, und sie sich charakteristisch nur in Gegenden finden, in denen
zur Zeit Albrechts des Bären nachweislich westfälische, niederrheinische
und holländische Kolonisten angesiedelt wurden, — teils zur Eindeichung
der Havel uud Elbe, teils um die vielfach verödeten Stellen zu bebauen,
teils um deu verschiedenen wendischen Dörfern ses'enüber oder un-
mittelbar in solchen ein deutsches Gegengewicht zu schaffen, — so wird
man allerdings zunächst volle Veranlassung haben, diese Namen hier
als Reminiscenzen aus der Zeit jener Kolonisationen anzusehen. Aber
1) z. B. wenn an die Frau Harke oder Herke eine Frau Here (wovon jenes nur ein
Uiminutiviun ist) im Lippisclien anklingt, die ähnlich wie jeue in den Zwölften (zur jetzigen
Weihnachtszeit) durchs Land ziehen sollte, oder für den „Wilden Jäger" nicht bloss in
Schweden der charakteristische Name .Nachtjäger" auftritt, sondern „der Nachtjäger"
auch auf Rügen, sowie im Riesengebirge und in dem angrenzenden Schlesien erscheint,
ja endlich nach Stöber auch plötzlich im Elsass auftaucht. — Haben wir doch auch schon
im muggel und mug etwas ähnliches, berührt sich doch auch das schwedische forsk für
Frosch mit dem nieden-heiuischen vorsk, sowie dem holländischen vorsch, wobei von
einer Übertragung doch nicht die Rede sein kann.
2) Über die Kolonisten der Lenzer Wische s. Virchow in der Berl. Zeitschrift für
Ethnologie, Bd. XVIIl. S. 4-20.
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm. 251
ebensowenig wie man die Niichricliten von den Kolonisationen speziell
Albrechts des Bären hierselbst auf andere Strecken im Osten ohne weiteres
übertragen darf, wird man auch nicht mit den kleinen pier- und pierwurm-
Distrikten jene verhältnismässig grossen piermade-, pieräs- und vor allem
die an die ganz eigenartige muggel sich anschliessende Pierlork-Zone in
eine unmittelbare Verbindung bringen und durch jene erklären können.
Und dass die letzteren überhaupt nicht durch Kolonisten vom Niederrhein
importiert worden, dagegen sprechen schon die verschiedenen, selbständig ge-
bildeten Zusammensetzungen, welche, soweit ich habe ermitteln können, im
Westen und speziell in den Niederlanden nicht üblich sind, indem dort als
zweiter Teil des Kompositums immer nur „wurm" eintritt, während anderer-
seits gerade das hier hervortretende „made", bezw. „lork" auch sonst hier-
selbst im Osten für den Regenwurm oder überhaupt als Amphibienuame
vorkommt, und die entsprechenden Formen so auf alte Beziehmigen hier-
selbst hindeuten.
Dass aber etwa die Namen „piermade" u. s. w. erst später unter dem Ein-
Huss verschiedener Kolonisationen hier entstanden, dagegen spricht neben
der Gruppierung derselben im engsten Anschluss an die alten landschaftlichen
Kreise imd deren übriges, deutsch anklingendes Volkstum vor allem noch
der Umstand, dass in der wasser- und seenreichen hiesigen Gegend
schwerlich erst durch die Kolonisten die Fischerei mit dem Eegenwui'm und
der Name desselben eingeführt sein dürfte, sondern dieselben beides gewiss
schon vorgefunden haben, ebenso wie, wenn die Namen des Tieres, das als
Köder diente, deutsche Formen zeigen, solche auch auf Überreste deutscher
Bevölkerung zurückgreifen, und endlich, wenn ein slavischer Name für den
Regenwurm sich hier nicht, sondern nur in der Lausitz -erhalten hat, dies
auch dafür spricht, dass in den westlichen Teilen des Landes hierselbst
bei den biglottischen Verhältnissen, die in den Grenzdistrikten überhaupt
anzunehmen, das deutsche Element in den elementaren Lebenskreisen
sich doch im Durchschnitt in solchen Gruppen gehalten hatte, dass
es auch hierin eine gewisse deutsche Kontinuität neben der slavischen
wahrte und jeuer zuletzt wieder zur allgemeinen Geltung verhalf.')
Für eine auch hier allgemein geltende, selbständige Grundlage des
Stammworts „pier" in prähistorischer Zeit aber, — was doch das behauptete
selbständige Entstehen der verschiedenen Komposita pierlork. piermade u. s. w.
hierselbst voraussetzen würde, — spricht noch in besonderer Weise ein
Moment, welches erst kurz vor dem Abschluss dieser Arbeit zufällig zu
meiner Kenntnis gekommen ist, das ich aber noch so weit verfolgen konnte,
um es hier in die Erörterung hineinzuziehen.
1) Solche biglottische Verhältnisse machen sich überall von selbst, wo zwei Nationalitäten
sich begegnen: sie haben z. B. in den Lausitzen lange bestanden und bestehen zum Teil
iiuch noch, ebenso wie in ähnlicher Weise an den benachbarten böhmischen Grenzen u. s. w.
252 Schwartz :
Nicht bloss nämlich beim Fischfang in den besprochenen zusammen-
gesetzten Namen für den Regenwurm wie piermade u. s. w. tritt der Stamm
pir hier verschiedentlich auf, sondern auch selbständig in einer von ihm
gebildeten Diminutivform pirkeu (plur. = Maden) zeigt er sieb als eine
eigenartige Erscheinung zwischen Oder und Elbe und zum Teil noch
über die letztere hinaus auf dem Gebiete der Jagd wie der Viehzucht
weitverbreitet in den verschiedensten Varianten und zwar speziell für
„kleine" Maden, wie sie sich unter dem Stich von Bremsen und Fliegen im
Rücken lebender Rehe und Hirsche, dann auch überhaupt im Fleisch, sowie
im Käse bilden.
Zuerst stiess ich auf das Faktum, als mir aus dem Ruppiuschen
verschiedentlich „pirken'' als Bezeichnung für Käsemaden gemeldet wurde,
während bei weiteren Nachfragen sich ergab, dass es im Ober-Barnim
(Lichterfelde) für die kleinen, an Schiukenknochen auftretenden Maden,
im Havellande (Liepe, Kriele) für Fleischmaden überhaupt üblich sei,
schliesslich aber Herr Pastor Schäfer aus Tuchheim am Fiener Luch
das interessante Faktum berichtete, dass es dort nur für die erwähnten
Engerlinge bei Rehen u. s. w. im Gebrauch sei, ebenso wie Herr Pastor
Nitschke in Schmitsdorf, nördlich vom Fiener, „pirken" auch nur wieder
für die Maden am Wild (die erwähnten Engerlinge), Herr Pastor Purrucker
in Hohengöhren den Ausdruck primo loco auch nur für dieselben, dann
überhaupt für Fleischmaden konstatierte, während die Käsemaden plattdeutsch
einfach mojen, bezw. moaden hiesseu. Der Fiener und der nördlich an-
grenzende Teil des H. Jerichower Kreises nimmt, wie er auch sonst viel
Altertümliches bewahi-t hat, mit der Beschränkung auf die Jagdverhältnisse
eine charakteristisch primitive Sonderstellung ein, indem auch weiterhin,
wo eine analoge Bezeichnung in der Priegnitz, Altmark u. s. w. eintritt,
sie sich meist nur auf die Käsemaden und die gewöhnlichen kleinen
Maden am Schinken u. s. w., also auf die mehr landwirtschaftlichen Ver-
hältnisse bezieht.
Was die Variationen des Namens anbetrifft, so hat Neu-Ruppin und
zum Teil auch das Ländchen Loewenberg, sowie Bellin und der Ober-
Barnim (mit Lichterfelde) „pirken"'. Dasselbe tritt durchgehends im Havel-
lande und im Süden des H. Jerichower Kreises am Fiener u. s. w. auf.
Im Ländcheu Rhinow giebt Herr Pastor Niendorf für Wolsier „pirpen" und
für das links von der Havel im H. Jerichower Kreise liegende Garz: „kirken"
an. In der Priegnitz entspricht dem, wie Herr Pastor Dirksen-Seddiu
schreibt, das Wort „kirten", in der Altmark, in Bellingen und Umgegend
heissen die Fleisch- und Käsemaden nach Mitteilung des Herrn Lamlrichters
Joete hierselbst „cirken", in Arendsee sowie Osterburg die SchinkeUmaden
„kilken", in Berge bei Werben: „kirken", in Lagendorf, sowie in der Prieg-
nitz: „kirten", in Burgstall, jenseits der Elbe im Wolmirstedter Kreise, wo
auch der pieidork zu Hause: „kirken"; alles sprachlich erklärbare Vai'ianten.
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm. 253
Auf anderer Seite tritt auch in Mecklenburg-Schwerin, wie mir Herr
Dr. Cirotli vom Luisen-Gymnasium hierselbst, welcher aus der Gegend
stammt, mitteilt, der Name in der gedehnten Form „pürrick" für Made über-
haupt ein, was mir Herr Dr. Seelmann, Bibliothekar an der hiesigen Kgl.
Universitätsbibliothek, noch dahin präcisierte, dass es nach Wiggers (aus
Rostock) Grammatik der plattdeutschen Sprache, Hamburg 1858, S. 98 und
Mi, Wörterbuch der mecklenburg-vorpommerschen Mundart, Leipzig 1876,
S. 66, auch noch für Vorpommern gelte und man genau dort unterscheide
zwischen maddik = Regenwurm und pürrik = made.
Diese weite Verbreitung des Wortes „pirken" u. s. w. hierselbst für die
verschiedenen Maden gewinnt noch eine besondere Folie, als sie nach den
von mir gemachten Recherchen eigenartig und im Westen nicht üblich ist.
So schreibt mir noch unter dem 27. Mai Herr W. Plyte, Couservator aan's
Rijksmuseum van Oudheden in Leiden, dass die Maden im Fleisch und
Käse im Holländischen kurzweg madjen genannt werden.')
Zwei Resultate glaube ich aber aus dem Obigen erschliesseu zu können,
einmal dass das in den verschiedensten Beziehungen eines ländlich bäurischen
Lebens neben den piermaden, pierlorken u. s. w. sich im Osten so weit
ausdehnende Terrain der „pirken" auch seinerseits auf eine hier ursprünglich
eigenartige sprachliche Grundlage zurückweist und damit den oben be-
haupteten gleichsam autochthonen Charakter des Stammwortes einst auch für
diese Gegenden bestätigt und sodann dass, wenn auch gerade in den Havelland-
schaften die ursprüngliche Form „pirken" am reinsten und kompaktesten
auftritt, dies auch nur wieder neben dem dortigen Volksglauben und der so
eigenartig sich abhebenden muggel-pierlork-Zone den relativ-deutsch-autoch-
thonen Charakter gerade dieser Gegend erhärtet.
Wenn ich schliesslich mit einigen Worten noch auf den alten Volks-
glauben in dieser Gegend, auf den ich schon oben hingedeutet habe, ein-
gehe, so geschieht es, weil bei Gelegenheit der Recherchen nach den
Namen der Amphibien daselbst ich noch nachträglich einzelne Erfahrungen
auch auf diesem Gebiete machte, die den Zusammenhang mit unseren Unter-
suchungen nur noch voller bestätigen.
Wie ich schon verschiedentlich anderweitig ausführlich dargelegt und
auch oben bereits berührt habe, hat eine Sammlung der auf dem
flachen Laude zwischen dem Unterlauf der Oder und Elbe noch bis in die
neusten Zeiten stellenweis fortlebenden Gebräuche, die mit dem Aberglauben
und alten Sagen in Verbindung stehen, das Faktum ergeben, dass hierin noch
Überbleibsel eines alten deutschen Heidentums sich in der Tradition erhalten
haben, ja sogar noch Anklänge an alte deutsche Götter hervortreten:
speziell im Mecklenburgischen solche an den Wodan, in der Uckermark
1") Nur in Krefeld und Neuss (s. Tabelle VIII) konnüt vereinzelt pirken und pirchen,
aber auch nur für den Regenwurm vor.
254 Schwartz:
an die Frigg, in der Priegnitz an eine Fru Gode, in den Havellandschaften
an ein entsprechendes Wesen, Frau Harke genannt. Im Havellande tr^t,
wie ich einst mit Kuhn durch wiederholte Wanderungen feststellen konnte,
die Erinnerung an die Frau Harke am kompaktesten und noch von einem
eigentümlichen Sagenkranz umgeben auf, der sich besonders an die Stöllen-
schen und Camerschen Berge knüpfte. Das eigentümlich durch Wasser und
Sumpf nach aussen abgegrenzte und auch im Innern durch die Ausläufer
des Luches mannigfach gegliederte und früher in sich auch schon schwer
passierbare Land, welches erst durch Friedrich Wilhelm I. und Friedrich
den Grossen durch Entwässerung des Luches dem Verkehr erschlossen
worden ist, hat eben, wie ich schon oben unter Hinweis auf die bei-
gefügte Karte hervorgehoben habe, von allen Teilen der Mark in be-
sonderer Weise den alten Yolksglanben bis auf die neusten Zeiten in der
Tradition festgehalten.
Die nach „muggel" und „pierlork" daselbst unternomraenenForschungen
gaben nun eine Yeranlassung, o;leichsam noch eine Revision der Ausdehnung
des alten Harkekultus in den „angrenzenden" Landstrichen, die Kuhn und
ich bei unseren Wanderungen einst weniger berücksichtigt hatten, vor-
zunehmen. Waren wir doch damals erst bemüht, das mannigfache Material
zusammenzubi'ingen; auf das Moment aber der geographischen Verbreitung
im einzelnen zu achten, dazu wurden wir erst mehr durch die über
ganz Norddeutschland sich allmählich fortsetzenden Wanderungen ver-
anlasst. ')
Die erwähnten neueren Nachforschungen ergaben nun jetzt das bedeut-
same Faktum, dass, wenngleich in den dazwischen liegenden 50 Jahren die
Zeit manches noch wieder weggespült hat. doch ausser im Havellande auch
in der Zauche (namentlich um Lehnin), sowie in den Jerichower Kreisen die
Erinnerung an Frau Harke auch jetzt noch nicht ganz geschwunden ist,
und so ihr Terrain auch diese Gegenden voll umfasst. '') Und wenn nun
1) Siehe Kuhn und Schwartz, Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus
Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Olden-
burg und Westfalen, Leipzig 1?48, vergl. meinen Vortrag im Archiv der Gesellschaft
für Heimatkunde der Provinz Brandenburg, Berlin 1894, „Erinnerungen aus meinen
Wanderungen (behufs Sagensammelns) in den Jahren 1837 — 49."
2) In den Jerichower Kreisen hörte ich noch Frau Harke aus Schollene, Frau Harfe
in Tuchheim, sowie in Jerchel bei Milow. ,die freie Harfe!" in Viesen und Mahlenzien,
.Frau Arche" in Rogäsen, — wenn der Name dem Volke nur an ein bekanntes Wort anklingt,
so genügt dies zu einer entsprechenden Metamorphose, — in Boecke „Frau Haake", in der
Zauche wieder „Frau Harfe" und zwar in Erahne, dann in der Gegend von Lehnin, be-
sonders in Netzen und Nabmitz und endlich im Osten in der Bliesendorfer Parochie. —
Wenn Kuhn in den Anmerkungen zu der Sage von der Frau Harke an den Camernschen
Bergen im Jerichower Kreise II in betreff des Lockrufs „Pickel, Pickel", womit sie ihre
Tiere lockt, bemerkt, dass dies offenbar auf Schweine hindeute, so wird dies durch eine
Mitteilung des Herrn Kantor Schmidt in Jerchel jetzt bestätigt, der mir schreibt, dass
man in dortiger Gegend die Ferkel „Pickel" nenne.
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm. 255
zu allem anderen dies Moment noch hinzukommt, dass die Frau Harke,
sowie die muggel-pierlork-Zone sich so in ihrer ganzen Ausdehnung fast
wunderbar genau geradezu decken, so wird dadurch meine alte Behauptung
nur immer mehr bestätigt, dass hier eine bis auf die alten deutsch-heidnischen
Zeiten reichende Kontinuität hervortritt, und wenngleich die Namen der
Dörfer meist an die slavische Landesorganisation während der Wenden-
herrschaft erinnern, doch in der Bevölkerung soviel deutsche Volkselemente
sich erhalten hatten, dass sie stark genug waren, Träger einer gewissen
deutschen Kontinuität zu sein, bezw. zu bleiben. —
Die obige Untersuchung sollte nur ein Beispiel sein von der Ver-
wertung, welche die landschaftliche Znsammenstellung der volkstümlichen
Namen der Amphibien auch für die Feststellung selbst historischer Ver-
hältnisse unter Umständen finden kann. Es würde zu weit führen, auf
ähnliches derartiges auch nur hinzuweisen, zumal ich noch ein paar Punkte
allgemeiner Art in betreff' der ganzen, in den Tabellen vorliegenden Arbeit
zum Schluss hervorheben möchte, und das Meiste in den Tabellen selbst
anschaulich von selbst hervortritt.^)
Wenn ich gleich anfangs zur Orientierung in der Sache in Rück-
sicht auf die volkstümlichen Namen von Kröte u. s. w. zunächst auch
die vorhandenen landschaftlichen Idiotika einsah, so stand ich doch
bald davon ab, sie zu Grunde zu legen, ja auch nur einzelnes aus ihnen
aufzunehmen, da der von mir gerade als wichtig erkannte geographische
HintergTund in ihnen meist nicht volle Berücksichtigung gefunden hat
und sie so für die vorliegenden Zwecke nicht ganz brauchbar erschienen.
Bei dem allgemeinen Charakter nämlich, den sie durchschnittlich innehalten,
bringen sie z. B. oft nur die in dem betreffenden Landstrich bekanntesten
Namen und gehen nicht ins einzelne, so dass eine gewisse UnVollständigkeit
schon einfach davon die Folge ist, wie z. B. die Altmark in der Tabelle
bei einer Vergleichung mit dem sonst trefflichen Idiotikon von Danneil zeigt.
Dann gehen sie verschiedentlich in dem Bestreben, zunächst nur die volks-
tümlichen Namen zu mehren, oft über die Grenzen ihres Landstriches in
benachbarte hinüber, indem sie Namen, von denen die Herausgeber nur
obenhin gehört, ohne Feststellung der Lokalität aufnahmen, und so werden
die Angaben in dieser Hinsicht oft unzuverlässig. So bietet Curtzes sonst
sehr korrektes Waldecksches Idiotikon vom Jahre 1860 z. B. neben pedde
und üze auch noch hutske für die Kröte, was ich im Waldeckschen
(s. Tabelle VII) nirgends habe auffinden können und das wohl nur aus dem
1) Nur auf die an sich interessante Muck-Zone im Lothringischen möchte ich noch
besonders verweisen, indem sie in ihrer scharfen Abgrenzung gegen das sogenannte Mayen-
feld wie den Hunsrück am Unterlauf der Mosel auch wohl bei der Betrachtung der ver-
schiedenen Stammesverhältuisse dort nicht ohne Bedeutung sein dürfte. Eine spezielle
Untersuchung der an die Havellandschaften sich anschliessenden Gruppen in der
Mark ist auch noch besonders einladend, doch muss ich sie mir schon, da sie verschiedene
historische Auseinandersetzungen erfordert, für eine besondere Gelegenheit aufsparen.
Zeitscbr. il. Vereins 1. Vulkskuuile. 1895. 18
256 Schwartz:
benachbarten Arnsberg stammt, wo das Tier aber allgemein hucke, nicht
hutske heisst, in welcher Form es nun aber seitdem iu andere Schriften,
z. B. in Schillers „Tier- und Kräuterbuch" vom Jahre 1881 übergegangen
ist. — So figuriert iu vielen Büchern, z. B. in J. ten Doornkaat Koolmans
Ostfries. Wörterbuch auf Vilmars Namen „lork" als Bezeichnung für Kröte in
Hessen, während sie gerade demselben, wie sich ergeben hat, in diesem Sinne
fremd ist und erst nördlicher auftritt. ') Derartiges fand ich so vielfach in
den Idiotiken, dass ich prinzipiell zunächst von ihnen absah und in der An-
sicht nur bestärkt wurde, gleichsam eine durchgehend neue Aufnahme
im Anschluss an einzelne Orte, namentlich Dörfer, vorzunehmen,
wobei ich dieselben gruppenweise auswählte, um so auch eine allgemeine,
aber sichere Grundlage zu legen, indem keine Mitteilung aus der Ferne
für einen Ort ohne besondere lokale Prüfung aufgenommen ist, sondern erst,
wenn sie durch eine Recherche an Ort und Stelle sich bestätigte.
Über dritthalb hundert Briefe sind in dieser Sache von mir geschrieben
und ebensoviel Berichte eingegangen, an welche sich öfter wieder neue
Erörterungen schlössen.
Bei der Zahl jener Korrespondenzen kann ich nicht allen den Herren,
die denselben Folge gegeben, im einzelnen meinen Dank aussprechen und
bitte, ihn in der Erklärung finden zu wollen, dass, wie ilire Unterstützung
die Arbeit seiner Zeit überhaupt ermöglichte, mir das durchgehend freund-
liche Entgegenkommen, welches ich dabei in so reichem Masse gefunden
habe, noch eine besondere Förderung bei derselben gewesen ist.
In betreff der Schreibart namentlich der gleichartigen Namen noch die
Bemerkung, dass ich dieselbe nicht uniformiert, sondern beibehalten habe,
wie sie mir in den Berichten entgegentraten. Das Gesamtbild blieb so
ein farbigeres, und in einzelnen Fällen, wo es sich um Entwickeluug und
Feststellung der ursprünglichen Form handelte, war es auch direkt not-
wendig, z. B. um muije mit muggel, pierlanke, pierlag schliesslich durch
verschiedene Zwischenstufen, wie pierlauk, pierloak mit pierlork, zusammen-
zubringen. In der Mark, sowie in Mecklenburg und Pommern dürfte ein
solches Verfahren bei der ursprünglich gemischten Bevölkerung noch in
spezieller Weise öfter wichtig werden, da eigenartige KoiTuptionen der
Namen, besonders ein stellenweises Anhäufen derselben, Schlüsse auf be-
sondere Volkselemente (Kolonisten oder germanisierte Wenden) an den
betreffenden Stellen ermöglichen könnte. — Die reichhaltigen Mitteilungen,
welche mir die Herren Wossidlo in Waren und Gillhoff in Parchim über
Variationen solcher Namen besonders in Mecklenburg gemacht, veranlassen
mich, den Wunsch auszusprechen, den angeregten Punkt besonders für ihre
Heimat einmal einer eingehenderen Erwägung unterziehen zu wollen.
1) s. Tabelle VII unter Kassel u. s. w., wozu ich bemerke, dass, wenn ich auch in
Solz mich erkundigte, dies geschah, weil os der Geburtsort Vilmars ist und so in dem
Punkte hätte von Bedeutung- werden können.
Die volkstümlichen Namen für Kröte. Frosch und Regenwurm.
257
Tabellen In acht Gruppen.
I. Mecklenlnirg-, rouiuieru und die Marken
(mit Ausschluss der Havellandschaften).
Ort
Kröte I Frosch
räiicmarf
Regen-
wurm
Sthlcswig,'
fjolftcin
ianciiburij
Sdiroerin
(^IPeliningen)
Koftorf
Strclitj
rorpoinmcrn
unb Siigen
Stettin
Jjintcr=
ppmmern
puttli^ 1
fcbbin /
(ffieitpnegnie)
Sccborf
bei Senden
(K-6gl)
I)cmiucrtl]in
(CftpriCGHiW
IleU'Huppin
£ubnngshoi-ft
[b. (5van\ee)
IDuftrau
llcuftabta.I).
(Iküifdie
l^äufcr
fiörocnbcrg
jjfcl^rhcllin,
^^fcnhcr«,
Dedjtou),
darmefec '
£en3fc,
Brunne,
Be^in
Kul^tjorft
tudse
padde
(als Scbelt-
wort
POg)
tuds. ütz ')
kröt
tudse')
padde
padde
fro
Pog
pogg
pogge
pog, poch pog. poch
'""."""'"J nuadux
wenig vor) | 1
padde
hüx«) ! pogg(e)
pogg')
schorf-
pogg
kröte
padde
e
padde
hucksche !P0g|;°der
hucksche
pogg'
hucksche
höpper
hucksche
oder
pogge
padde
hucksche
padde
hucksche
padde
hucksche
padde
pogge
frosch
hucksche,
pogge
parre oder
padde
pogge
padde
pogge
pogge
padde
padde
regnorm j
metten-)
metten
maddik*)
piren,
pinen *)
pie-ratz
mad(e)
maddik
marrick
pie-ratz
pie-ratz *)
pierlake
piere,
aalpiere,
daupiere
piermade
piermade
pieratze
pieresel
piermoade
piermade
piermade
piermade
pieresel
piermade
piermade
(pier-
moase)
piermade
daumade^)
pieräser
Ort
Kröte I Frosch
Bccti
: im (5Iin ;
paaren,
pcruicnitj
paufin
IPansborf
lT!arnut5,
Sdimantc
ZceubcUanb
(üücSoibaniim;
gcblenborf
Wanticlift
güt^Isborf
Biefcntbal
(Cterbarium)
prenben
£i*tcrfclbe
i£bcvsa)albc
pren3lan
(Uderraarf)
£vd?en
Zlngcrmünbe
Solbin
(JleuinatE)
Jlrnsujalbe
Sömenbrud;
(im Si'lto»)
hucksche
pogge
hucksche
od. pogge
pogge
pogge
pogge
kröte
pogge
(uUe Kröte)
kraete
(eine Krott)
pogge
pogge
krät'
oder
pogge
pogge
kröte
kröate
krät
kröte
(unke)
kröt
padde
kraut'
kraete
(Erdsche-
kräte)
ticucnborf
bei Brürf
Käbigfe
bei itiemcgf
pfliigFuff
unb gcubcn
3iitcrbog
kraete '*)
padduck-
sche
padde")
padde
padde '■)
padde ")
padde
padde '*)
padde
padde
pogge
padde
padde
padde
padde
padd'
padde
padde
frosch
padd'
padda
padde
padde
Regen-
wurm
padde
krete
padde
pier-
made")
piermaden
pieräser
pieroas
pieroas
pieraas
piermade
piermade
pieraas
piermade
pieräs
pieräser
piermade
pieräs
pieräser
pieresel
piermade
pieraas
pieresel
piermade
pie-ratz
pier-oas
pier-
moad '^)
piermade
pieratz
pierroatz
pie-rase
pieross
pieroahs
pieraas
pieresel
pie-renzel
pieraas
pieresel
piermade
piermade
hiermade
kräte
padde
18'
pieraas
pieräser
j pieresel
258
Schwartz:
Ort
Kröte Frosch
Regen-
wurm
Ort
Kröte i Frosch ^^^«°-
wurm
Zlabme
(SStnb.:6ottbu§)
padde
skrödawa zaba
regen-
wurm
pezak
Kropftäbt
(sr.Sittenterfl)
Ilcffau
kröte
krete
frosch
padde
frosch
wurm
renwuriu
II. Ost- und Westharelland
(mit Einschluss des Ländchen Ehinow, unter Ausschluss des Bellin und Glin:
über dieselben s. Tab. I und die Karte\
Ort
Kröte Frosch
Eegen-
wurm
Ort
I
Kröte j Frosch
Regen-
wurm
^atjrlanb unb
Sa^forn
bei Siotäbam
pare^ a. B.
Ifuftermarf
IHarfan,
ntarfee,
Brebotti
(bei 3!aiieii)
^riefacf
. Selbelang,
Hct50tti'
£iepe
y?ageiiit5
Krielc unb
Saiibin
(Sörtie unb
Klceßen
Hl^inoro
(Stbt.)
mnggel
oder
pogge
muggel
muggel
padde
(murks)
padde
pieraas
muggel ") padde 1 pieraas
muggel
muggel u.
muchel
muggel
muggel
muggel
muggel
padde
padde
padde
padde
padde
padde
muggel padde
muggel
(der)
pai'uck-
sche '*)
piermade
pierlauke
pierlanke
pierlank,
pielauke
pierlauke
'pierlauke
pierlauke
pierlanke
-paaß
priegcn
IPoIfier,
Parey
€lslafe
(b. ^olieuoucn)
Katbcnoni
prigerbe
inar3afine
^erdjefar
lüac^on)
Kosfott)
23rauben =
bürg a. ß.
muggel
(der)
muggel
muggel
(der)
muggel
muggel
meist:
eksche-
muggel
eksche-
muggel
muggel
muggel
muggel
muggel
muggel
kröte
muggel?
parucke pierlauke
(die^ (die)
padde pierlauke
mcTs'che , Pi'-ri«^«
pierlauke
paducke pierlanke
P^lde i,Pp^
padde
padde
padde
padde
padde
padde
padde
pierlank
pierlauke
pierlauke
pieraas
pieraas
pieraas
pieraas
pieräser
m. Zanche.
Ort
Kröte Frosch
Eegen-
wnrm
Krabne
(Soljon)
Ziegen
(Sro§=Kreu5
J?t!oeben unb '
rdjmergoni 1
iTeljmig ,
j eksche-
od. esche-
mugge
eksche;-
mugge
erdsche-
muggel
eksche-
muggel
muggel
cksche-
mnggel
padde
padde
padde
padde
padde
padde
pillauke, |
pielauke,
pieraas.
pieresel
pieraas
pieresel
pieraas
pieraas
pieratz,
pieresel ;
pieraas
Ort
Kröte Frosch
Regen-
wurm
£cfinin,
ICaltcnbauffn
I^remit,
piögtn
Sliefenborf
Kanin
£anaern>ifd)
eksche-
mnggel
muil
moel
muije >°)
äksche-
mnije
muije
padde pieraas
padde
padde
padde
padde
padde
IPilbenbruc^ kröte
padde
padde
pieraas
pieroas,
pieräser
pieraas
pierlauke
pieratz
pieresel
regen-
wurm
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm.
IV. Die Jerichower Kreise.
259
Ort
Kröte
Frosch
Regen-
wurm
Ort
Kröte
Frosch
Regen-
wurm
Kulilbaufcii
(Sar5 I
jln-i ©aiiDQU) j
H\intiiu I
(£anicni
fjolien^ \
ijöbrcn |
|'d)öitl]au|'LMi h
fifdjberf
Sdjmitjborf
iriubirfc 1
f'tecfelsbovf J
5d;Iagentl;in
Hebefiii
huggel,
auch lork,
lurk und
krupschke
huggel
muggel,
erdscho-
muU
eksche-
mull
erdschc-
muU
eksche-
mucke
paruschke:
Wort
„Kröte"
unbekannt
erdsche-
muggel
(alK- Kiote)
ähksche-
muggel
padde
id£;
a-
rucksche
padde,
röhlen
pa-
rucksche
padde
padde
padde
padde,
marxe od
paruck-
sche'")
padde
paddexe
pier oder
pierlauk,
pälau
pierlag'
pier,
pierla^')
pierlauke
pierlaak,
pierlauke
pierlauke
oder
piermade
pierlauke
pierlauke
pierlauke
milotp
3crd;el
(Sentliin .
iarou)
Bücfni^
Soecfe
Diefcn |
lITalilcnjin j
Cndjeim
f^obcnjiatj
§tefat
Hofian
(bei Sobm'ii)
mog,
erdsche-
moggel
erdsche-
muggel
sand-
huggel,
erdsche-
niuggel
muggel-')
muggel
eksche-
mumme,
eksche-
moije
muggel,
ärtsch-
muggel
muggel
(olle
äkschera.)
muggel
murkel
krete,
lorke
(luuggel
imbekannt)
muggel,
äksche-
muggel,
murkel,
muTchel
paruschke
paddexe
padde
padde
padde
padde
paddex
padde
padden^*)
padde,
paddhexe,
pannhexe
paddeckse
lurch
pierlauke
pierlaupe
pierlauke
pierlauke
pierlauke
pieraas
pierlauke
pierlauke,
perlauke,
pillauke
pierlauke,
piermade
parlauke
pallauke
perlauke,
räenmade
V. Altmark.
Ort
Kröte Frosch
Regen-
wurm
Sal3tDebcI
fiagenborf
Biesborf
JIrenbfee
i^ciliaenfclbe !
(bei ärrenbjcc)
©ftcrburg
Iferbcii
JSerge
(bei ffietben)
lo k
lorch, üze
lork,
üzs
lork
padde
poch,plur,
poggen
pogg
pogge
padd, pogg
padd
lorch
lüske
loske
pogg
padde
padde
padde
jpierwurm
piermade
jpisswurm
piel- oder
jpierwurni
pierwurm
,piermoad
regen-
\ wurm
piermade
pier,
' pii'made
pier,
piermade
Ort
Kröte Frosch
2lrneburg
Stenbal
Staffclbe
Sud;t;ol5
®ft. Urtb
lücftßeeren
ScUtugen
Dcmfer tiub
Daljrcnftcbt
Eübevitj
(Sarbelcgcn
lork 2^)
huggel
(das"),unke
lork,
lurche
erdsch-
lork
prdslork
erdslork
padde
padde
padde
padde,
pogge-")
frosch
padde
])adde
frosch
frosch
Regen-
wurm
biermoase
piermade,
pierlork
piermaoje,
pierlak
pierlork
pierlork
pierloak
piermade
•260
Schwartz :
yi. Die Xordseeküste und NiedersacLsen.
Ort
Kröte Frosch
Kegen-
©ftfrieslanb
©Ibenburg
Bcberfcfa
Viambm\\n
(Scaciib
£üncbiiroi
ßitiacfcr
lUctiniiigen
(öftl- öec eibe)
Ül3cn
(Sartoip
irittingeu
J?romc
Derben
a. b. Snier
u. Umgegenb
ileUe,
cbeiiio oberlioll)
Der aner
in If infen
foiDie untetbalb
in nienbagen
(Siffjorn
lltübcii
a. b. :illcr
ITicinerfcn
(bbisfclbe
J?urgftall
lüolmirftäbt
11. Soitfdjc
purre
oder üze
uetze
uitsch.
ütsch
porge,
pogge,
kikker
pogge
puog
Ort
Kröte
pogg, pugg
üz. i
poggütz I
poggütz, 1
pugütz '
pogg-uz
ütsche
quadütsch
üze
uetze
lork
lork,
lorch,
ühtse
lork
pogge,
poch
(.lork)
pogge
poch
pogge
pogg
pogge
ütz(e)
pogge ''^)
dauwurm,
dau-
striker^\)
inoddick,
moddeck
metten
motte,
metje
mettje'*)
motte
matten
regen-
wurm I
piermade
pier
pielwumi
pielwurm
metge
ZteubalbcnS'
leben
Ubrslcben
l?cbnborf
Ibei .vieimitaDt
Frosch
Reffen-
Sörgum
QJueblinburg
mansfelb
(@cbiri)8- Ulli)
SecErcie)
IPernigerobe ' lork
lork
lork, lurk
lork
lork I
padde I
meist:
padde
ütsche piermage
pielwurm
pier-
I maoge
wurm od.
snake
(Söttingen
(■©tiibenliaäen)
ütsche,
unke
ütze pogge daumade
ütze , pogge
ütze
lork,
itsche
pogge
itsche
regen-
worm
regen- od.
dauwurm
lork, lürk,' ize oder i worm,
lerk itje ' werm
lork
Ejilbeslieim lork
Hautenberg ! kröte
lurk
lork
lork
lork,
krüte
lork
lork
lork
lork,
unke
rjannoper ! ütze
lork
ütze,
im Osten
poch oder
padde
lurke u. itsche,
lorke karutsche
pilauke
pierlauke,
tauwurm
niiinbcn
a. b. Ilcii'ter
(Elbagfen
(Scftorf
Sdjulenburg
Benftorf
£anenftcin
ütsche
ütsche
lork
frosch
itsche
1
pogge 1 dauworm
ränemade
pogge,
ütsche
pogge,
ütsche
dlauen
(St. 'Beine 1
■~at\tät>t
iUcHc
Sel^lbe
©tlifrefen
13cttinar
Babbecfen-
ftcbt
^raljbetfurtb lork höpper
uitze
pogge
itsche
pogge
uitze
oitsche
pogge,
uitze
uitsche
worm,
wörm
regen-
wärm
regen-
wärm
lork,
lorch
lork,
lurch
lork
lork
Kröte weuig
bekannt
pogge,
pagge
pogge,
uitze
ütze,
pogge,
nüpper
frusch
pogge,
padde
pogge,
höpper
unke höpper
I regen-
wörm
rähen-
worm
snake
rägen-
I worm
rägen-
worm
rägen-
worm
worm,
wörm
räenworm
regen-
wurm
tauwurm
rägen-
wurm
wörm
räenworm
Die volkstümlichen Nameu für Kröte. Frosch uud Regenwurm.
VII. Westphalen niid Hessen.
261
Ort
Kröte
(£;oIIäTibifdj
rticnborg('=g
Prcbcn g|
iniinfter
(aud) in l'iugcn)
©siuüu-iicf
nüiiben
i?ielcfolb^
iun-fori)
Kiiitdit
£ippe
(liorn)
i?cfiniiifelbe
pYvmotit
^öjtcr
pabcrborn
padde
pedde
uisse
padde
od. uisse
üze
üze
uize
uetze
üsse
uetze
(plattd.
ausse)
usse,
unke
üze
nehsse
Frosch
Regen-
wurm
vorsch
vorsk
vorsk
foarsk,
pogge
pogge
pogge
pogge
pogge
höpper,
poppe ^■)
höpper
höpper
höpper
höpper
pier)
pielwnrm
pile
pileworm
piere
mieke
mieke"'),
pl. mieker
mäke
mieke,
worm
mieke
meke'^)
mieke
Ort
Kröte i Frosch
Soeft
((Srafld). anctrt)
Unna
l£üi)enfd;ctb
2Jrnsberg
mefdjcöe^-')
Brilon»*)
Jlrolfen 1 »b
hücke,
padde
hucke
hucke
hucke
pedde
pedde,
padde
idsche
idsche
itsche
itsche
unke
Regen-
wurm
forsk,
pogge
forsch
fuas,
pl. füaske
fuosk,
pl füoske
höpper,
pogge
höpper,
pogge"*)
frosch
frosch
frosch
frosch
frosch
schleuk
od.schleik
sUek
sliek
nagen
wurm,
wuorm
worm
schleiche
regen-
wurm
regen-
wurm
regen-
wurm
regen-
wumi
regen-
wnrm
Ort
I^oUäubifd)
Jlntu'crpeu
niörs
€ffcii ]
HüffcIiJorf J
ircfelb
Dierfen
(Slabbad;
U>ics&orf
(üt. ÄOliiiiieti)
Köln
Jladjeu
Kröte I Frosch
padde
padd,
pedde
pedde
pett
(pedden)
pedde
pedd
pedd
pett
krat
krat
krilt
kroddel
Regen-
wurm
vorsch,
kicker,
kick-
vorsch
kikvorsch,
vorsch,
kikker,puit
kikfross'*)
keckvorst
kek-
forsch
vorsk
keckert
keckert
kickforsch
hüppelenk
hüppling
höppekrät
I froisch
pier»')
pier
(u.uuenll.
im plural)
pier
pier,
pierwurm
pier
pirk
piering
pirre,
pircher
wurm
ränwurm
schlick
lorm
perek»')
Ort
Ki-öte
(Enpen
(Sobcsbcrgi
(Eitorf
(an bcr Sieg)
ricU'lUieb
Hettesljeim
lÄr. ©dileiDeii)
lUaYcn
(taftellaun
(fiuiiSrütf)
Krcu3nod;
Crarbadj
prüni
Sitbur^
Frosch
Regen-
wurm
kroddel
ki-ad")
krat,
mukrat,
schmöller
krotsche,
I krotte
kröte,
krutsch,
kruetsch
krut,
krusch,
ki-utsch"),'
auch quaqi
krotte
krott
krott
muck*^)
moock,
muck
pädd
hüppeling
frosch
ranworm
ön (eine)
schlich
freusch i ränwurm
frosch
ITlettlad; 1 mook
frosch
quäk
frosch
frosch
regen-
wurm
regen-
wurm
regen-
wunn
262 Schwartz:
Anmerkungen zu den Tabellen.
1) angelsächsisch ycc, padde. In Wagrien bredfoot = kröte, in Garding poggütz = pog.
2) Zum Aalfang dienende grosse: aalmetten; in der Marsch für metton: mattjen.
3) „olle üze" als Scheltwort.
4) padde = bufo, pogge = rana im Lübecker Voc. v. J. 1550, s. Schiller, Tier- und
Kräuterbuch. Schwerin 1861. S. 4.
5) So bei den Fischern und in der Umgegend an der Eide, in Dömitz selbst mehr
maddigen, z B. „maddigen purren, Regenwürmer ausgraben"; „De niaddigen blöken hören,
das Gras wachsen liören."
6) „hüksche" in Blumenow bei Fürstenberg.
7) Zwischen Kröte und Pi-osch macht das Plattdeutsche dort keinen Unterschied;
beides ist in Vorpommern und Rügen: pogg'. Daneben hcisst aber die Kröte wegen ihrer
warzigen, rauhen Haut schorfpogg'; weil sie durch ihre unterirdischen Gänge die Erde
aufreisst „rietpogg", aucli „rietwornr' z. B. in Mohrdorf und Prohn. — Nebenformen für
schorfpogg sind: schortpogg und schottpogg i^in Demmin: schaporg oder schaporch).
Dähnert führt auch für Frosch lork an (?).
8} In Rügenwalde „mettke".
9) Die dicken Würmer, welche nach staikem Regen oder Tau zwischen den Steinen
oder sonst in die Höhe kommen.
10) Wolfsmilchraupe: dhausldder = Thauotter (der Höcker gilt als giftig).
11) Laubfrösche = loofpadden.
12) Der an warmen Abenden im Wasser quakende Frosch „rühle".
13") Frosch wird nur in der Schule gebraucht, ausserhalb derselben heisst es: padde,
z. B. die padden schreien u. s. w.
14) Grüner Wasserfrosch „olle marks" (moerks).
15) „De ole piermoaden hebben mi bi dat matt wera (bei dem matten Wetter) all
min schön bohnen affreten", sagte die Frau des Berichterstafters von jenseits der Ucker,
als gerade die Regenwürmer ihr die Wurzeln der Bohnen abgefressen hatten.
l(i; In dem Neuendoi-fschen Filial Freienthal, einer 1755 von Friedrich dem Grossen
begründeten Kolonie ausgedienter Soldaten, offenbar aus den Havelgegenden: äxemuggel.
17) „muggeln" sagt man von einem Menschen, der einen schwerfälligen, schleppenden
Gang hat: „er muggelt man noch so." Der bezeichnete Gang wird auch sonst bei der
Kröte gegenüber dem „hüpfenden" Frosch hervorgehoben, und damit hängen auch die
Ausdrücke für kleine Kinder, die noch mehr „kriechen" als gehen, wie „kleine Kröte"
oder, wenn man sich über sie ärgert, „infame Kröte" zusammen, s. Anm. 25 und 27.
18) Wohl eine Bildung wie padducksche, da auch sonst parre für padde vorkommt,
s. oben Löwenberg (ähnlich in Ostfriesland, purre für pudde). Hr. Pfarrer Niendorf in
Spaatz hebt dabei hervor, dass der Name „Kröte" im Ländchen Rhinow kaum bei den
Leuten bekannt sei.
111) Desgl., piermade, pieraas, pieresel, pieratz, auch einfach piere.
20) muije stellt sich zu mugge ähnlich, wie in der Priegnitz aus Frau Gode, Godeke
auch Joicke geworden ist, s. auch die anderen Varianten mull, mogl, moije.
21) Hr. Pastor Reinecke bemerkt dazu „pierla", „das a wird lang gesprochen, so dass
es fast wie pierläe i^das „e" weniger gesprochen als dumpf angedeutet) lautet. Meines Er-
achtens ist das Wort abgekürzt aus pierlauke." Dazu stimmt auch pierlag' in dem benach-
barten Garz und Warnau, wie auch in betreff der muggel die Orte mit Kulilhausen eine
eigene „Huggelgruppe" bilden. — In betreff der Röhlen bemerkt Hr. Reinecke, dass dies
nicht Unken seien, wie man vielfach meine, denn sie hätten einen weit helleren Ton, nicht
den dumpfen Ruf jener.
22) Der an warmen Sommerabenden schreiende Frosch heisst „Röhle", der grosse,
grünliche, in Sumpfen und Torfmooren „Marxe". — parucksche ist auch nach Hrn. Pastor
Nitschke in Neuenklitsche und Gr. Wulkow u. a üblich (vergl. Anm. 18).
Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm. 263
23) „Kröte nur in der Schule bekannt und bleibt auch da schlecht haften" bemerkt Hr.
Pastor Schulz in Carow und Hr. Pastor Schäfer in Tucheim erzählt, als er in der I. Knahen-
klasse zu T. auf die Kröte, bezw. Muggel, eine Probe machte und fragte, wer eine Kröte
kenne, sich nur wenige erhoben, als er aber nach der Muggel fragte, alle.
24) padden im Teich, paddexen auf den Wiesen, Frösche im Laubholz.
25) Wat so immer int water is, dat sin „unken", wat so „huppt", dat sin „padden"
wat so .kranchen" deiht, dat sin „lörken".
26) Auch pong und lakus, sowie der Regenwurm auch pierlauke, pierlake, piel(e)wurm,
piermoi, pierrasen, pieresel und pieregel heisst nach Recherche des Hrn. Direktor Gutsche.
27) Obige Angaben verdanke ich der Freundlichkeit des Hrn. Lehrer Sudermaun in
Norden, der aus langjährigen Beobachtungen die volkstümlichen Vorhältnisse Ostfrieslands
genau kennt. Aus seinem eingehenden Berichte noch Folgendes : „Für die Kröten giebt es
dort auch noch die Namensformen: purden oder pudden, aber nicht padden. Bezeichnen
jene Namen die gemeine Land- und Kreuzkröte , so geht Uze mehr auf die im ganzen
seltenere Feuerkröte (Tnke) und Knoblauchskröte, besonders in den an Oldenburg an-
grenzenden Gebieten. Allgemein ist sonst üze eine spöttelnde Bezeichnung für watschelnde
Personen, namentlich für kleine, weitbeiuige und plattfüssige Menschen, während lork einen
verwegenen Bursch bezeichnet, dem es auf einen tollen Streich nicht ankommt. — Der
Frosch heisst „kicker", der Kicherer, Schreier, wegen seines Geschreies bei der Laichung zur
Friihjahrszeit; der Regenwurm Tauwurm, seines nächtlichen und mit der Periode des
Taufalls am frühen Morgen zusammentreffenden Aufwurfs halber. „Pier'' für denselben ist
ursprünglich nicht ostfriesisch, sondern holländisch und erst in diesem Jahrhundert von
holländischen Schiffern hier eingeführt worden füi' den sogen. Sandwurm (Arenicola pisca-
torum), der sich nur in den Strandregionen findet und zum Angeln gebram-ht wird." — An
letzteres reihe ich, was mir Hr. Ämtsrichter Reinecke aus Kuxhaven schreibt: Der Regen-
wurm wird hier Mette genannt. Die Art, die im Watt vorkommt und von den Fischern
(auch Helgoländem) als Köder verwendet wird, heisst porre (pnrre). Zum Angeln kleiner
Fische, Aale u. s. w. werden diese Tiere der Länge nach auf wollene Fäden gezogen,
mehrere ohne Haken zusammengebunden; die Fische beissen sich an den Wollfäden fest.
Diese Art des Fischens heisst „poddern"; vergh zm' Sache: J. ten Doornkaat Koolmau,
Ostfries. Wörterbuch, II, 720. Norden 1882, unter piren.
28; Nach Mitteilung des Herrn Oberl. Karl Bückniaim in Lüneburg: „medk i^Deutsch-
E-sern), megge (Kirchgellersen), megn (Wisselhörde), niettn ("Winsen an der Luhn), meck,
pl. mecken (Bleckede). An der Elbe heisst gehackter Regenwurm als Köder: mork."
29) pilepogge = Kaulquappe.
30) Überhaupt dort an der holländischen Grenze.
31) „He hürt de mieken bellen" von einem superklugen Menschen.
82) Südlich des Teutoburger Waldes: höpper für Frosch, südlich derBega: pogge und
uisse, nördlich von derselben: pobbe und nike, in Augustdorf in der lippischen Senne
poebbe nach freundlichen Mitteilungen des Hrn. Gymn.-Dir. a. D. Freytag-Lingen , der
mich u. a. auch über Rinteln und seine Heimat Gartow orientiert hat.
33) „Die Hühner gehen „meken", sie holen sich Eegenwürmer."
34) Meschede: Frosch auch pogge. Von einem, der gern trinkt, heisst es: he is kin
pogge (der nämlich nur Wasser trinkt).
35) Medebach iKr. Brilon), Frosch = lüppefuos, nach Mitteilung des Hm. Prof. Hocken-
beck über Ai-nsberg und Umgegend.
36) Seltener röhling.
37) AUgem. im Niederl. ; in West-Flandern: terik, tering und tettiug, in Ost-Flandern
teek, obwohl man in beiden Flandern auch das Wort piereland (Wurniland) noch als Be-
zeichnung für Kirchhof kennt, z. B. in Ostflandern es heisst: „hij is naar't piereland" für
„ist tot". Nach Mitteilungen des Konservators am ethnographischen Rijksmuseum in Leiden,
Hrn. J. D. E, Schmeltz. — Aus Meurs bringt Firmenich in Gernian. Völkerstimmen, I, 407
auch bei: he mäckt en Reis en et Piereland, ins Würmerland = „ist tot".
38) s. Anm. 27.
264 Pränkel:
39) perk nach Düren zu. Auch der Engerling heisst dort so.
40) „Schwellfcrad-' heisst, nach einer von dort durch Hm. Prof. J. Joest hiers. mir
yermittelten Angahe, die grosse Kröte, welche sich in alten Gemäueni und Kellern findet;
die sogen, „feldki-ad" lebt in Sümpfen und Wiesen, ist froschähnlich und hat nur kürzere
Beine. Die kleinen Kröten, welche im Sommer vor eintretendem Regen massenhaft auf-
treten, heissen „muchen".
41) Auf dem Mayfelde zwischen Koblenz und Mayen: ,.krüt", wie mii- Hr. Aubart,
Lelirer an der landwirtschaftl. Schule in Bitburg, freundlichst mitteilt; in den Kreisen
Daun und Adenau, nach Angabe des Hrn. Prof. Roderich in Prüm, „hötsch". Über das
sonstige Vorkommen des letzteren siehe am Schluss der Tabellen.
42) Hr. Direktor Dr. Asbach aus Prüm schrieb im Oktober 1893 darüber: „niuch
(fem.) für Kröte ist in einem grossen Teil der Eifel, an der oberen Mosel, im ganzen
Saargebiet gäng und gäbe. Im Kreise Bitliurg kennt der gewöhnliche Mann nur umck,
nicht Kröte. Aa der ganzen Saar wird mook gesprochen, desgl. an der mittleren Nahe.
Auch in dem Grenzgebiet gegen Luxemburg ist muck jedermann geläufig".
In Thüringen l»eisst die Kröte: krät, in der Oberpfalz: hetsch, in Schlesien: hetsche,
wetsche, tachse; in der Umgegend von Dresden: hutsche, hutschkc; in Bayern: broz, in
Österreich: krot, hecking, desgl. trautel; in Steiermark: anke; in Tirol: hötsch, im lunthal
aber höppin und an der Etsch: hottel, auch hotz, wie in den Sette communi bei Yicenza.
Feen- und Mxenfang nebst Polyphems Überlistung.
Von Ludwig Fränkel.
Die Thatsache, dass die Hauptscliriften über Wesen und Walten der
Feen von Gelelirten Englands stammen, darf nicht wundernehmen. Denn
wir schöpfen unsere Kenntnisse darüber guten Teils aus britischen Quellen,
und nirgends hat der Glaube an diese Gattung überirdischer Geister fester
im Volksgemüt Wurzel geschlagen als im Inselkönigreiche. Von den vier
umfänglichsten Büchern ist das älteste, das von T. Keightley'), ins Deutsche
übersetzt, von dem bekannten Vielschreiber 0. L. B. Wolff: „Mythologie
der Feen und Elfen: vom Ursprünge dieses Glaubens bis auf die neuesten
Zeiten. Aus dem Englischen" (2 Bände mit 12 Tafeln. Weimar 1828).
Die andern knüpfen an Shakespeare und seinen „Sommernachtstraum "^3
an: William Bell, Shakespeare's Puck and his folkslore[!J, illustrated from
the superstitions of all nations (2 Bände, London 1852), J. 0. Halliwell
(— Phillips), niustrations of the Fairy Mythology of A Midsummer Niglrt's
1) „Palry Mythology" (zuletzt 1889), das Hauptwerk.
2) Ich behalte diese übliche deutsche Wiedergabe bei, obzwar, wie mich küi-zlich wieder
Eduard Grisebach erinnerte, „Johannisnachtstraum" richtiger wäre; aber wir sind es einmal
seit Eschenburgs Überarbeitung von Wielands erster Verdeutschung (1TÖ2; daselbst: „Ein
St. Johannis Nachts Traum"!) in Bd. I von „W. Ss. Schauspielen" (1775), der auch „Sturm"
und, auch Volkskundliches berührende Anmerkungen zu beiden enthält, einmal gewöhnt.
Feen- und Nixenfang nebst Polyphems Überlistung. 265
Dream '), und W. C. Hazlitt, Fairy Tales, Legends and Romances illustrating
Shakespeare (Loudou 1875).
Im Vorübergehen sei hier kurz darauf hingedeutet, dass die beiden
merkwürdigen Elementargeister aus dem Feenreiche, die Meister William,
der am häufigsten und am eindringlichsten in volkstümliche Anschauung
und Überlieferung hineingreifende grosse Kuustdichter^), verewigt hat,
Puck (in Schlegels Übersetzung Droll) und Ariel, reichen Anlass zu ver-
gleichenden Betrachtungen vom Standpunkte der Volkskunde bieten. Zu-
mal Ariel, der „spirit" in der Phantasiekomödie „The tempest", den uns
ja auch die romantische Walpurgisnacht des Goethescheij „Faust" auf-
frischte, einen längeren Umblick in der vergleichenden Mythologie sowie
in der Märchenkunde erforderte, als an diesem Flecke erlaubt scheint,
ohne zu weit abzuschweifen, und bei ihm auch, trotz ihres arg proble-
matischen Wertes, Edwin Bormanns einschlägige naturwissenschaftliche
Erklärung in seinem Aufsehen erregenden Buche „Das Shakespeare-
Geheimnis" (1894)") S. 11 f., 17, zu berücksichtigen wären, möge heute
nur für Puck in Gestalt einiger bisher unbeachteter deutscher Nachrichten
über gleichartige Kobolde auf die Gemeinsamkeit des Untergrundes für diese
Gebilde aufmerksam gemacht werden. Die wichtigste davon steht bei
Lambertus Danaeus (,Iacobus Vallick vnud Vlricus Molitor'). Von den
Zauberern, Hexen vnd Vnholden. Göln 1576, S. 162 — 164: „Denn da die
Menschen nicht nach dem wort Gottes leben, verstellet sich der Sathan in
eiuen Engel des Hechts, vnnd bekompt auch von Got gewalt, die Menschen
vnderm schein der warheit zu bedriegeu. Gleich wie bey vns zu Elten
im jar do man schreib 21. vnd 24. geschehnt ist. Auf S. Authonisz
Meierhoff war ein Teuffei vnder gestalt eines Zwerglin, dasselbige nennt
sich Eckerken, dasselbige begienge vil wunderliches dings, zu nachts
warff es die garbe oben herab auff die Tenne welchs das gesind am tage
solte trescheu; welchs gesind im arbeit nacliliessig war solch schlüge es,
es futerde die Pferdt, vnnd lagt sich zu nacht bey die dienstmägde.
Dasz volck so ober die Heid bey dem Hoff reiszde schlüge es. Die
frawen zöge es bey jreni heimlichen vnnd verborgene haar, welche zu
Wagen reiszden den warff es den Wagen vmb, welche aber zu pferde,
dieselbige zöge es von den Rossen. Wie mir sölchs einer, Wessel von
Berffelt genät selbs erzelet hatt, denn jhm sölchs auch selbs wider-
faren, vnnd sölchs Zwerglin liess niemant vor solchem hofe hin reisen,
er muste jm zuuor ein ort oder eiuen halben steuber geben. Sölchs weret
bey die zwey vn drey jar lang, bisz so lang ein alte Hexen verbrennet
1) London 1845; Publications der Shakespeare Society, No. 25.
2) Vgl. Fränkel, Shakespeare u. das TageHed, S. 1 f., 27 f., 68 ff., 82 f., 95 f. u. ö.
3) Damit diese Äusserung nicht etwa niissdeutet werden könnte, verweise ich auf
meine ausfülirliche Kritik dieses Werkes in den Englischen Studien XX, 419 — 436 und
meinen Aufsatz im (219.) Juniheft von „Nord und Süd" 1895, S. 368—378.
266 Pränkel:
wardt, welche aldo wonhaftig war, vnnd bekandte dasz sie sölchs durch
jhren lieben breutigatn deu Sathan angerichtet hatte, wie sölchs der gantzen
landschafft kündig ist".^) Man findet im verwandten Schrifttum auch ander-
wärts ähnliches. David Meder(us), Acht Hexenpredigten . . . (Leipzig,
J. Apel, 1C04) S. 23b sagt von Zauberern: „So tragen sie den Namen
Milchdiebe auch von jhrem werck, weil sie durch hülffe des Teufels andern
Leuten jlire Küe ausmelcken, Rahm und Butter stelen, vnd das so wunder-
barlich, das sie aucii offt nur daheimen einen Pflock, den sie in die Wand
geschlagen, melcken, vnd dennoch derselbe Milch giebet." °), ferner S. 54b :
„. . . . Denn zu dem, das sie andern Leuten jhren Wein aus den Kellern,
das Getreidig von den Böden, vnnd die Milch aus den Eutern der Küe
vnd Schaffe (vnd also auch Butter vnd [55 a] Käse, so daraus könten ge-
macht werden) stehlen ..."; auch S. 56, 80b, 92a, 106b bringen derlei.^)
Man sehe dazu die bei C. C. Hense, „Shakespeare, Untersuchungen u.
Studien" (1884), S. 147ff. — vorher Archiv f. d. Stud. d. neuer. Sprach, u.
Litt. X, 181 ff.; XI, 323 ff., wo viel und wichtiges Material zum germanischen
Feenglauben mitgeteilt ist, aufgestapelten Parallelen, W. Müller, Beiträge
z. Volkskd. d. Deutsch, in Mähren, S. 139 f., über zauberhaftes Melken W.
Schwartz, Ztschr. f. Völkerpsych. XIX, 66 ff., Ztschr. f. Ethnol. XXVI, 9 ff.
Von allgemeineren Werken gediegenen Gehalts, die unsern Gegenstand
streifen, wie C. Crowe, The night side of the nature or ghosts and ghost
seers (2 Bde., London 1849), sei abgesehen, ebenso von der Unzahl in
Grossbritannien beziehentlich in englischer Sprache erschienener Sagen-
und Märchensammlungen, die einschlägige Nummern veröffentlichten; allein
an die fünf speziellen von „Fairy Tales" von Joseph Jacobs (London,
Nutt 1890 — 94) sei erinnert. Doch gedenken wir der wahrscheinlichen
Ursache dieser zunächst auffälligen Erscheinung: des Überwiegens keltischen
Einflusses auf dem ganzen betreffenden Gebiete der Überlieferung, auf
britischem Boden nicht nur, sondern auch auf dem Festlande, d. h. in
Frankreich und Deutschland. Aus der mit reichem Denkmälermaterial
aufgebauten Abhandlung Heinrich Schreibers „Die Feen in Europa. Eine
historisch-archäologische Monographie" (Freibui'g i. Br. 1842, Uuiversitäts-
Festschrift) geht dies deutlich hervor; z. B. finden sich die mäclitigen
Reste von angeblichen Feenschlössern und dergl. nur auf ursprünglich
keltischer Erde*).
1) Ist in „Eckerken" etwa „der getreue Eckart" verballhornt?
2) Zu der verwandten deutschen Anekdote vom Weinzauber des Mephistopheles habe
ich Goethe-Jahrbuch XIV, 290—292 mit Neuem die Belege verzeichnet.
3) Neuhochdeutsch „Quälgeist", in Wörterbüchern (man vgl. Grimm VII, 2307, auch
Sanders Ergänzungswörterbuch s. V.) ungenügend erklärt, hängt wohl damit zusammen; ich
wähle aus Langbein (Schriften VII, 294) die (bei Grimm eitierte) Stelle: „sie warfen auf
diese Person den Verdacht, dass sie selbst der (in der Nacht umgehende) Quälgeist sei."
4) Vgl. P. W. Joyce, Old Celtic Legends, Translated from the Gaelic. 2. Ausgabe,
1894 (s. diese Zeitschr. IV 339 f.), S. 177 ff.
Feen- und Nixenfang nebst Polyphems Überlistung. 267
Ebenfalls aus England stammt eine Anweisung, Feen zu fangen, die
uns hier beschäftigen soll. Sie ist deutsch mitgeteilt worden in „Rose
und Distel. Poesien aus England und Schottland, übertragen von Gisbert
Freiherrn Vincke. Dessau 1853"') S. 165f. und sei hier diesem Wortlaute
gemäss eingerückt :
„Für die Feenkunde werden noch folgende Notizen von Interesse sein,
einem Foliobande entnommen, welcher den Titel führt: ,Relation von des
Dr. John Dee Verhandlungen mit Geistern 1659.'
Ein fürtreffliches Mittel, um eine Fee zu fangen.
Erstlich nimm einen breiten viereckigen Krystall oder ein Venetianisches
Glas, drei Zoll in Länge und Breite. Dann lege das Glas oder den Krystall
in das Blut einer weissen Henne an drei Mittwochen oder drei Freitagen.
Dann niiii es heraus und wascli es mit geweihtem Wasser und räucher'
es. Dan nimm di-ei Haselstäbe oder Ruthen von jährigem Schuss, schäle
sie fein und weiss und mache sie so lang als du des Geistes oder der Fee
Namen schreibst, die du citiren willst, und jeder Stab muss an einer
Seite dreimal platt gemacht werden. Dann vergrabe sie unter einem
Hügel, wo du meinst, dass Feeen hinkomen, am Mittwochen bevor du
sie citirst; und am folgenden Freitag niin die Stäbe wieder -heraus und
citire sie um acht oder um drei oder um zehn Uhr, denn das sind gute
Planeten und Stunden für ein solches (reschäft; aber wen du sie citirst,
befleissige dich eines reinen Lebnuswandels und kehre das Gesicht nach
Osten. Und wenn du sie hast, binde sie zu dem Stein oder Glas.
Eine Salbe, unter die Augenlider und auf die Augenlider zu
schmieren, Abends und Morgends, sonderlich aber wen du sie
citiren willst oder dein Auge nicht klar findest.
Ein Mass Baumöl thu in eine Phiole, aber wasche sie zuvörderst mit
Rosenwasser und Ringelblumenwasser: die Blumen dazu müssen gen
Osten gepflückt werden. Wasch es bis das Oel weiss wird, dann thu es
in das Glas ut supra^): und daü thu dazu die Knospen der Rosenpappel,
die Blumen der Ringelblume, die Blumen oder Spitzen von wildem Thymian,
die Knospen von jungem Hasel; und der Thymian muss nah an einem
Hügel gepflückt werden, wo Feeen hinzukomen pflegen, und hier rupfe
auch das Gras eines Feeenthrones aus. All das thu in das Oel in das Glas
und setz es drei Tage in die Sonne, damit es sich auflöse, und dann be-
wahr es zu deinem Gebrauch; ut supra^).
1) Zu dieser vorzüglichen Sammlung eigener Verdeutschungen s. meinen Artikel über
Gisbert von Viucke im 39. Bande der „Allgemeinen deutschen Biographie". Das „zweite
Buch" dieses Bändchens enthält fast nur auf Feen bezügliche Lyrik.
2) Man beachte den mediciuisch-pharmazeutischen ßezeptenstil.
268
Fränkel:
Nach diesem Kecept folgt eine Beschwörungsformel, worin der Alchymist
eine Fee namens Elaby Gathon citiert, „ihm zu erscheinen in dem Krystallglas
hold und freundlich, ihm wahrhafte Auskunft zu geben auf Fragen aller
Art und allen seinen Geboteu folgsam zu sein, bei Strafe der Yerdammuug."
Darauf folgt bei Yineke S. 166 noch folgender Passus: „Die älteren
Dichter bezeichnen Feen und Kobolde mit der allgemeinen Benennung
,die Geister der Berge'. Ip Irland heissen die Feen in der Volkssprache
,das gute Völklein")" und dahinter steht in Klammer: ,(Eeliques etc. by
Percy)'. Danach könnte man meinen, die ganze erläuternde Auseinander-
setzung samt den beiden Recepten Dees sei aus Percys „Reliques of ancient
english poetry" (1765) übersetzt. Doch dem ist nicht so, sondern dieser
Quellenhiuweis meint nur, dass das Gedicht „Die Feenkönigin ")", S. 87—89
übersetzt, auf das sich diese Anmerkung, S. 165 durch den Satz „Das
Gedicht ist aus einer im Jahre 1648 zu London gedruckten Sammlung"
zurückbezieht, dorther stammt. In A. Schröers Neuausgabe der Percyschen
Sammlung') steht es S. 697—99, im Originaldruck III 206— 208, und be-
ginnt „Come, follow, follow mee, Ye, fairye elves that bee". Yineke hat
seine Glossen selbständig hinzugefügt. Woher stammen sie nun?
Das von Yineke benutzte Buch kann nichts anderes sein als „True
and faithfüll Relation of what passed for raany yeares betwen Dr. John Dee
and some spirits. Tending (had it Succeeted) To a General Alteration of
most STATES and KINGDOMES in the World. His Private Conferences
with Rudolphe Emperor of Germany, Stephen K. of Poland, and diverses
Princes about it", zu London 1659 durch Mericus Casanbonus in Folio
herausgegeben. Dieses heute äusserst seltene und mit den höchsten Preisen
bezahlte*) Werk muss Vincke im Original vorgelegen haben, da es keine
Verdeutschung davon giebt. Es ist nun aber auffällig, dass die neuere
Dee-Forschung an dessen systematischen Feen-Citationen vorübergegangen ist
und sich nur mit dem Lebeusgang und dem Geisterverkehr dieses seltsamen
Mannes beschäftigt hat. Carl Kiesewetter, der hervorragendste Kenner
und fruchtbarste Schriftsteller auf dem Felde der Geschichte der Geheim-
wissenschaften, hat Dee ein eindringliches Studium gewidmet, dessen
Niederschlag wir nun in der spezielleren Monographie „John Dee, ein
Spiritist des 16. Jahrhunderts. Kulturgeschichtliche Studie" (Lpzg. 1893)^),
1) Ähnliche Namen auch in Skandinavien und Deutschland in mannigfacher Variation.
2) Englisch bei Halliwell, Illnstrations etc., p. 269, verdeutscht bei F. H. Bothe,
Volkslieder u. s. w. (1795), S. 188, nach beiden bei C. C. Hanse, Shakespeare, S. 158 f.
3) Vgl. Weinhold in dieser Ztschr. IV, 96; Fränkel, Engl. Stud. XIX, 423.
4) 1804 von einem Leipziger Antiquariat für mehrere hundert Mark ausgeboten: vgl.
auch Kiesewetters (s. u.) Angaben. „Tlie Private Diary of Dr. .lohn Dee" gab 1852 der
obengenannte J. 0. Halliwell heraus.
5) Zum grössten Teile wörtlich abgedruckt aus den „Akademischen Monatsheften"
VII (1890/91), 348—355, 424-430, 493—499, 560-568. In der Monographie lies S. 10
1527 statt 1524 als Dees Geburtsjahr.
Peen- und Nixenfang nebst Polyphems Überlistung. 269
S. 473—477 seines stoöreichen Werkes „Faust in der Geschichte und
Tradition mit besonderer Berücksichtigung des occulten Phänomenalisnius
und des mittelalterlichen Zauberwesens" (ebd. 1893)'), endlich in dem
fleissigen Kompendium „Die Geheimwissenschaften. Zweiter Teil der Ge-
schichte des neueren Occultismus" (Lpz. 1895)^) S. 96 ff. und 543 u. ö.
besitzen. Einen scharfen Angriff hat nun Kiesewetter, auf dessen an über-
raschenden Mitteilungen aus allen Nachbargebieten überreiche Bücher hiermit
genaue Aufmerksamkeit gelenkt sein möge, erlitten in dem Aufsatze
Jakob Caros „Aus den Tagen der Königin Elisabeth von England (John
Dee. Albrecht Laski. Giordano Bruno. Shakespeare)": Zeitschrift für
Kulturgeschichte. N. F. I (1893/94) S. 353—395. Jedoch geht dieser
Kritiker, der Kiesewetter besonders eine Anzahl historischer Uurichtigkeiten
vorhält'), zwar auf die Geisterbesuche bei Dee ein*), soweit sein Angriff
auf Kiesewetters Behandlung der Personalien es erfordert, auf die Feen-
bannung aber ebensowenig wie der Kritisierte selbst.
Bei letzterem °) nämlich erfahren wir nur einiges über das Haupthilfs-
mittel, dessen sich Dee bei dem Experimente der Feeucitation bedient
liaben soll. In Kiesewetters Dee-Monographie lesen wir S. 22 f.*): „Dee
gebrauchte, wie Smith') pag. 45 ausdrücklich sagt, mehrere grössere Krystalle,
von denen er jedoch nicht sagen könne, ob sie natürliche oder künstliche
gewesen wären und wie Dee zu ihnen gekommen sei. Der berühmteste
von Dees Kristallen ist sein ,Shew-stone' oder ,Skry-stone', auch ,Lapis
manifestationis', ,Lapis sacer et mysticus, primo sanctificatus et praecipuus'
und Eeceptaculum genannt (Smith, pag. 44). Dee behauptet diesen Stein
in der .Action' vom 21. November 1582 von einem Engel, welcher am
westlichen Fenster seines Studierzimmers in der Grösse eines vierjährigen
Knaben erschienen sei, erhalten zu haben (Smith, pag. 24). Er liess einen
goldenen Fuss an denselben machen und hielt ihn lebenslänglich in den
höchsten Ehren. — In welche Hände der Stein nach Dees Tod kam, ist
1) Über dessen Bedeutung füi- Volkskunde s. Fränkel in „Am Ur-Quell" V, 201 ; K.'s
stoffreiche historisch-occultistische Bücher erschienen seit 1891 bei W. Frietlrich in Leipzig.
2) Über die hohe Wichtigkeit der darin enthaltenen neuen Thatsachen für die Volks-
kunde berichtet W. Eumpelt in „An-i Ur-Quell" VI, 135 f. K. f 15. 4. 1895 in Armut!
3) Die Nachweise in J. G. Th. Grässes „Lehrbuch der allgemeinen Litteraturgeschichte"
III, 1 (1852), S. 978, 976, A. 18 u. 19, 979 über Dee entgingen Kiesewetter und Caro.
Über Dees Krystallglaskugeln siehe jetzt ausführliches in „The Edinbm-gh Review", 1895
(No. 371), S. 82 ff., bes. S. 88 ff.
4) S. 382 f. die „Engel"-Erscheinung bei Dee, 14. Juni 1583, S. 384 die vom 2B. Juni;
S. 366 f. harte Abführung von Dees „mediumistischem" Humbug bei Kiesewetter.
5} Vgl. auch M. Osborn, Die Teufellitteratur des XVI. Jahrhunderts, S. 48; Kiese-
wetter, Faust in der Geschichte und Tradition, S. 368 f.
6) In den „Akadem. Monatsheften" a. a. O., S. 354 b.
7) „Vita Joannis Dee, Mathematici Angli, Scriptore Thoma Smitho, S. Theologiae
Doctore et Ecclesiae Anglicanae Presbytero" in dessen „Vitae quorundorum ernditissimornm
et illustrium Virorum" i,Londin. 1707); vgl. Kiesewetter, S. 9.
270
Pränkel :
nicht bekannt; jedoch befand er sich nach Berkenhout*) in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts in denen des Horace Walpole. Vielleicht verkaufte
ihn Walpole 1752 samt seinen übrigen Sammlungen an Katharina von
Russland. Der Krystall soll aus glänzender schottischer Steinkohle be-
standen haben"). Dieses Instrument stand auf dem ,heiligen Tisch', der
,Mensa Foederis, Leage Table oder Table of Covenant', welcher sich noch
in der Cottonschen Bibliothek befindet." Ferner lesen wir bei Kiesewetter
S. 55: „Anfangs September [1584] erhielt denn auch Dee eine Audienz
beim Kaiser .... Smith (pag. 19) hat uns seine Rede an Rudolf auf-
bewahrt. Dee sagte, Gott habe endlich sein inbrünstiges
Gebet erhört und vor 2 'A. Jahren seine Engel zu ihm gesandt, welche ihn
erleuchtet und in alle himmliche Weisheit und ewigen Geheimnisse ein-
geweiht hätten, und zwar vermittelst eines Krystalls, der alle Schätze der
Erde weit übertreffe, indem alle Erscheinungen durch ihn geschehen. Dies
sei so wahr, als Gott lebe, vor dessen Augen er hier stehe."
Natürlich schweben alle diese Notizen völlig in der Luft und sind
unkontrollierbar. Nicht um eine etwaige Aussprache über positive Unter-
lao-en der hereiuspielenden spiritistischen Phänomene zu entfesseln ^), wurden
sie hier eingeflochten, sondern nur um zu zeigen, wie der alte Volksglaube,
man könne unter gewissen Umständen Feen citieren und festbannen, bis
in der Königin Elisabeth Zeit nachwirkt, wo noch so viele ererbte Bräuche
in Kraft waren bezw. diirch die Litteratur neu belebt wurden.
Bei H. Schreiber, Die Feen in Europa (s. o.), S. 35 f kann man die
Gründe finden, die es dem Menschen infolge der den Feen anhaftenden
Eigenschaften erwünscht erscheinen lassen, jene einzufangen*). Seltsam zu
kontrastieren damit scheint die fast durchgängige Annahme der deutschen
1) Biographical History, T. I, p. 427.
2) Vgl. Theophrastus Paracelsus: Philosophia sagax Lib. I „Was Nektromantia sey":
,.Also folgt auf das die Kunst Nektromantia, dass dieselbige Flaga feine Art Elementar-
geister) dieser Kunst krafft müssen gehorsam seyn vnd auff dasselbig sichtbar machen,
durch ein Spiegel, Prillen, Köln " — „Also möglich ist's auch, die Flaga zu zwingen, dass
sie sich offenbar machen in Spiegeln, Barillen, Kolen, Nageln etc."
3) Ich stehe dem landläufigen Spiritismus zwar schroff gegenüber, muss aber gegen-
über Caro (s. 0.), der Dee einfach für einen Schwindler und Hochstapler hält, erklären, dass
er auf mich durchaus den Eindi'uck eines ehrlichen und überzeugten Mannes macht, zumal
er infolge seines spiritistischen Auftretens unablässige Widrigkeiten des Schicksals er-
duldet hat.
4) Es wäre lehrreich, einmal eine Übersicht über die verschiedenen Methoden zu
versuchen, nach denen der Volksglauben die Feen und ähnlichen Wesen citiert und bezw.
verbannt. Es sei hier beispielshalber nur auf zwei neuerdings gelegentlich erwähnte Mittel
und Wege hingewiesen: „Nunnen" (=Nornen?) kann man nach Wiegenliedern und Kinder-
märchen im Spessart durch Drehen eines von ihnen empfangenen Ringes (über dessen
zaulierischen Gebrauch z. B. Fränkel, Shakespeare und das Tagelied, S. 87, Ä. 2, dazu Stokes,
IndianFairy Tales, p. 291, A. 2) citieren (A. Englert, Ztschr. d. Vereins f. Volkskd. IV, 56 f.),
Dämonen durch frische Vegetation fernhalten (Ernst Maass, Orpheus [1895], S. 208, Anm.;
ebd. u. S. 292, Anm. 91 Belege für entsprechende Verwendung des Mistelzweigs).
Feen- iiml NLxenfang nebst Polypliems Üljerlistung. 271
Volksanschauung': „eiue Nixe faugeu bringt Unheil." Doch darf man nie
vergessen, dass diese Wassergeister ebenso wie die Riesen der Menschen
Feinde sind, weil diese iiires Reiches Frieden stören, während die Feen,
solange sie sich nicht selbst melden. Rulie vor den vorwitzigen Menschen-
kindern haben, es müsste denn ein solches eben ein Mittel zum Eiufangeu
besitzen. Im folgenden entnehme ich W. Menzels „Geschichte der deutschen
Dichtung" I 88 f. (wo obiger Satz als Motto an der Spitze steht) etliche
Belege für das Fangen der Nixen, um jedem Vorwurfe einseitiger Auswahl
von vornherein zu entgehen:
„Zu Mäusen im Jeverlande fing man eine, die trotz flehentlicher Bitte
nicht losgelassen wurde, sich aber plötzlich durchwand und entkam, worauf
eine Sturmflut das ganze Dorf begrub. Kuhn, Xordd[eutsche] S[agen| No. 332.
Eine gefangene Meerfrau drohte, so weit man sie wegschleppe, so weit werde
das Land vom Meere verschlungen werden, wie auch geschah. Müllenhoff,
[Schlesw. -Holstein. Lauenb. Sag.] No. 4.53. Eine Meerfrau, die man für eine
Hexe hielt und ersäufen wollte, drehte den Kahn um, ersäufte ihre Henker
und schwamm, von Wasserlilien umgeben, behaglich davon, das. No. 4.')4
Ein gefangener Nickel sollte den Leuten Mittel gegen alle möglichen Ge-
brechen angeben, that es aber nicht, entwischte und rächte sich durch eine
Sturmflut. Firmenich. Germaniens Völkerstimmen L 23."
Allerdings schliessen sich bei Menzel S. 89 unmittelbar folgende weitere
Beiego an, wo den Schuldigen zwar kein Unheil erwächst, aber auch nichts
angenehmes zuteil wird wie beim Fesseln der Feen: „Ein gefangener Nix
vom Aussee bot grosses Lösegeld, v. Muchar, Steyermark. 1, 15S). Der
Erzberg in Steyermark bei der Stadt Eisenerz soll seinen Reichtum von
einem Wassermann erhalten haben. Ein solcher war nämlich gefangen
worden und bot als Loskanfpreis einen Berg voll Silber, der aber bald
leer werden sollte, oder einen Berg voll Eisen, der nie zu erschöpfen sei.
Man erwählte das letztere. Schaubach, Alpen HI, 244. Bei Deetz in der
Altmark kam eine Wassernixe zu einem Fischer auf den Nachen, als er
sich gerade Fische briet, setzte sich zu ihm und frug wie er heisse? Der
Fischer antwortete: Selbergethan. Darauf spie sie ihm Kröten') auf die
Pfanne, denn sie hatte das ganze Maul voll solcher Tiere. Er aber nahm
den Stock und schlug sie krumm und lahm. Da schrie sie um Hilfe und
von allen Seiten kamen die Nixen herbei und frugeu, wer sie so zugerichtet
habe. Als sie aber immer rief: Selbergethan! so beruhigten sie sicli und
der Fischer kam davon. Kulm in Haupts Zeitschr. lY, 392".
1) „Die Kröte erscheint im fjermanischen Volksglauben oft bei geheimnisvollen An-
lässen (vgl. Ztschr. d. Vereins f Volkskde. I, 191), besonders wo Zauberspuk im Werke ist
(Shakesp. Macb. IV, 1, 6). Vgl. Gubematis, Die Tiere in der indogerman. Mythologie (^dtsch.
V. Hartmann), S. (i-23 ff.: A. Wuttke. Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, S. 62, 191,
250, bes. 111 ff.; Jos. Grohmann, Apollo Smiutheus und die Bedeutung der Mäuse in der
Mythologie (1862), 51, 81; Tschischwitz, Nacliklänge germanischer Mythe bei Shakespeare,
S. 22"; Fränkel, Shakespeare u. das Tagelied, S. 59 f. Siehe aucli den vorhergehenden .Aufsatz I
Zeitschr. d. Vereius 1. Volkskunde. 189.i. 19
272 fränkei:
An letztere, mehr schwankhafte Sage ist es nötig einep kleinen Ex-
kui's anzuschliessen. Mau erkennt in ihr ja auf den ersten Augenblick
eine Variante zur Polyphem-Fabel und zwar eine, deren Hauptabweichuug,
nämlich das „Selbergethan!" nicht eben glücklich gewählt, sondern viel-
mehr zu der bereits vorhandenen Handlung als pikantere Steigerung nach-
träglich hinzuerfunden scheint. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn in
ähnlichen Sageii verschiedenster Herkunft findet sich diese Formel und
zwar, was gleichfalls beachtenswert, stets bei Nixen oder verwandten Ge-
schöpfen. Bei J. F. Vonbun, Volkssageu aus Vorarlberg (Wieu 1S47)
S. 5 f. No. 5, kommt eine neugierige Fenggi zu einem Holzhauer und fragt
nach seinem Namen. Schalkhaft antwortet er: „Salb". Nachher Hess er
sie, die es gern versuchen wollte, einmal statt seiner sägen, als sie aber
im Eifer die Hand zwischen ein klaffendes Holzstück einklemmte, befreite
er sie nicht. Nun kamen andre Fengge, erhielten aber auf die Frage,
wer ihr solches angethan. immer nur den Antwortsschrei: „Salb tho."
W. Menzel, der (a. a. 0. I, 101) auch diese Nummer mitteilt und eingangs
an des Cyklopen Überlistung in der Odyssee erinnert'), fügt bei: „Ein
Erdmännchen bei Gutannen, das einem Mädchen nachstellte, wurde von
dessen Liebhaber ebenso betrogen. Kohlrausch, Schweizersagen I, 26.
Vgl. Wolf, Zeitschr. [f. dtsch. Mythol. u. Sittenkunde] IV, !)7. Eine ähn-
liche Sage der Normandie bei Bosquet, la Norm. p. 131." Nun besitzen
wir nebeneinander zwei hergehörige lappländisclie Märchen. In dem einen,
in J. C. Poestions deutscher Auslese (1886), S. 72, kommt ein Lappe in
die Hütte einer Hexe, nennt sich gefragt „Selbst" und verbrennt ihr mit
siedendem "Wasser «ins Gesicht. Als ihre Genossen dann die Ursache ihres
Gejammers wissen wollen, erwidert sie: „Selbst mich verbrannte". Indem
Angriffe aufs Antlitz mit Feuer liegt wohl ein alter Nachliall und sclion
ein Übergang zur wirklichen Polyphem-Version. der wir bei Poestion,
S. 122 ff. begegnen: ein Lappe, mit Gefährten in die Höhle eines Riesen
geraten, blendet diesen mit geschmcrlzenem Blei, das er ihm statt einer
Augensalbe hineinträufelt, giebt als Namen „Garniemand" (also wie bei
Homer Ovrig^) an und rettet sich mit der Gesellschaft in Häuten ge-
schlachteter Böcke aus der Höhle. G. Meyer, der diese beiden Fassungen
zusammenhält"), stellt sie in Zusammenhang mit der russischen Tradition*).
Dabei übersah er leider das reiche Material, das W. R. S. Ralston, Russian
1) Vonhun bemerkt S. 6, Anni.: ..Erinnert fast an die Geschichte des schlauen Utis
üiit dem dickleibigen Kyklops." Vgl zum Ganzen W. Müller (s. o. S. 266), S. 137 f.
2) Zur Nachg-eschichte dieses Scherzes im Reformationszeitalter vgl. auch meine
Bemerkungen i. d. German. XXXVI, 18G f. und .1. Bolte im Jahrb. d. dtsch. Shakespeare-
Gesellschaft XXIX/XXX, S. 18 u. bes. S. 19 nebst Anm. 2, auch S. 90f.
:•<') Essays und Studien zur Sprachgeschichte und Volkskunde II, 179 f.
4) Ebenda S. 375 (Hinweis auf Thomsen, Deutsche Litteratnrzeitung 1887, Sp. 427
auch Schiefm-r im Bulletin de la classe bist.-phil. d. Petersburg. Akad. d. Wissensch. XII
369 SX
Feen- und Nixenfanof nebst Polyphenis ITberlistnng. 273
Polk-Tales IJjOikIoh 1873), S. 182 ff. ilarbietet. Hier seien nur Ealstons
Parallelen-Gitate zusammengestellt: W. Grimm, Abhaiull. d. Berl. Akad. d.
Wiss. Phil.-Hist. Kl. 1857, S. 1—30 [= W. Grimm, Kl. Sehr. lY, 428—62];
Buslaef, Ist. Och. I, 327—331: Campbell. West Highland Tales I, p. 132;
Grimm, Kinder- und llausraärclien^ (1870), Xo. 130 etc.; Afanasief, Narod-
nuiya Kusskiya Skazki VI. No. 55 und VIII, p. 260. Gerade aber der
wichtige, ja unentbehrliche Zug, dass das übermenschliche Wesen vom
Erdenkinde — in dessen Gewalt es unmittelbar oder mittelbar sich befindet
— mit dem Namen hinters Licht oefuhrt wird, fehlt hier wie oben nirs'eiids,
wo die Situation Anlass gewährt.
Und daher erkennt man in ihm ein altvererbtes Motiv, einen uralten
Scherz, den man sich mit den überirdischen Mächten — die Elfen und Nixen
sind Naturpersonifikationen wie der Cyklop — erlaubte Wenn also
A. Wiedemann in seiner Studie „Zur Polyphem-Sage" Am Ur-Quell V. 86
sagt: „Eine Kombination der beiden arabischen Versionen') zeigt die
wesentlichen Züge des homerischen Polyphem in solcher Vollständigkeit
— nur die Einäugigkeit ^) fehlt, obwohl sie die Blendung sehr erleichtert
hätte — dass an einer Beeinflussung der arabischen Sage durch die
griecliische kaum gezweifelt werden kann", so durfte er die „Vollständig-
keit" nicht als Argument für seine sonst gewiss stichhaltige These ver-
werten. Denn eben den in jenen Nixenmärchen selbständig ausgestalteten
Spott mit dem falschen Namen verlor das internationale Thema auf der
Wanderung zu den Semiten. Man hat hier nämlich einen der flüssigsten
jener Wanderstoffe vor sich, die Morgen- und Abendland seit Jahrtausenden
unterhalten haben; das darf man nie vergessen, sobald man einen Kern
dieser reich belegten Fabel herausschälen will und einem gleichsam unter
den Fingern ein Zug nach dem anderen abbröckelt und kaum irgend ein
gemeinsames Motiv im Bodensatz zurückbleibt. Einer der belesensten
und geschicktesten Fabulisten unseres ersten dichterischen Glanzes, der
Stricker"), hat sich die dankbare Episode nicht entgehen lassen, und wir
können sie jetzt in G. Eosenhagens tüchtiger Ausgabe seines „Daniel"'').
V. 3194 ff., S. 70 sauber mit den anderen Bearbeitungen des Themas
kollationieren. Des Herausgebers Anmerkung auf S. 1U4 sagt dazu: „Dass
diese Erzählung von dem Riesen, der die Ritter eingesperrt, geblendet
1) Tausend und eine Nacht I (Stuttgart 1872), 366 ff. und II, 34 ff.
2) Doch s. z. B. oben das lappische Märchen; Wiedemann verweist S. 85 auf die
Litteratur bei B. Sauer, Torso von Belvedcre [30 ff.: 97 ff.], wonach die antike Kunst
zwei Augen als natüi-licher einführte i^vgl. Lübker, Eeallex. d. klass. Alterts.'', S. 629 b,
s. v. Kyklopen a. E., und Willaniowitz-MöUendorff, Euripides' Herakles- I, 105, A. 188.
3; Seine einschlägig:e Bedeutung zog ich au AUg. dtsch. Biogr. XXXVI, 583 — 586.
4) „Dauiel von dem Blühenden Tal, ein Artusroman von dem Stricker" (1894: Ger-
manistische Abhandlungen, begründet von K. Weinliold, herausgegeben von Fr. Vogt,
Heft IX); vgl. mein, auf die vulkskuudlicbon Anmerkungen achtendes Referat Litterar.
Centralblatt 1894, Sp. 1068 f.
19*
274 Fränkel: Feen- und Nixeivfang nebst Polypheras Überlistung.
wird und tobt, einem Polypliemmärchen entstammt, ist schon l^uge erkannt.
Es ist aber besonders darauf aufmerksam zu machen, dass die Quelle des
Strickers nicht dem klassischen Altertume, sondern der verborgen fliessenden,
nur hier und da, scheinbar ohne Zusammenhang, an das Tageslicht der
Litteratur tretenden, internationalen Überlieferung angehört. (Vgl. G.
Meyer, Essays, Bd. I, S. 218 ff. W. Grimm, Kl. Schriften. 4, 428.) Derselbe
Stoff liegt auch dem bhpel vom Vrdz zu Grunde. Wackernagels Lesebuch,
4. Auflage, S. 619." Daran schliessen wir endlich den Hinweis auf eine
Verwertung in der Spätzeit der mittelalterlichen Ritterromautik. in
Bojardos „Orlando Inamorato" begegnet uns I. 6, 24 ff.') ein Abenteuer
Rolands, zu dem J, D. Gries^) mit vollem Rechte glossiert: ^Dass diese
ganze Episode dem Abenteuer des Ulysses mit dem Polyphem nachgebildet
ist, bedarf kaum einer Erwähnung." Ja, Bojardo') fand an dem Thema
solchen Gefallen, dass er nicht nur den hellenischen Sagen-Unhold in dem
vom gewaltigsten Paladin auf eines Eremiten Winseln hin in der Höhle
getöteten Riesen auferstehen liess. sondern auch I, 10, 29? dem Könige
Argante das Epitheton „das Auge ganz verkrochen" *) leiht, also noch einen
einäugigen „Heiden" einführt, durch dessen Beseitigung sein Lieblingsheld
— man vergesse nebenbei nicht, dass der Italiener ein Karlsdichter war
wie der mittelhochdeutsche Genosse — sich den Ruhm der mithandelnden
Personen und den Dank der Leser erwirbt. Wir stossen hier also auf
die Kehrseite der Medaille: während in der ersten Hälfte unserer Notizen
die rein volkstümliche Anschauung über die dem Menschen offene Möglich-
keit, überirdische halbgöttliche Wesen zu bezwingen, überwog, hat sodann
die litterarische Gestaltung des Problems sich nicht gescheut, des Effekts
halber Lichter aufzusetzen, die des Hörers Gemüt blenden sollen, wie
Odyss den ungeschlachten Herrn auf dem exotischen Ziegeneilaud, Grosse
Sorgfalt nicht allein, auch geschultes Verständnis gehört dazu, die ur-
sprünglichen, d. h. die wirklich volksmässigen Bestandteile solcher fort-
erbenden Erzählungen, deren Motive im Volksglauben wurzeln, richtig und
reinlich loszulösen.
1) Wagners Pamasso italiano continuato, S. 28 f.; Panizzis Ausgabe des Bojardo und
Ariost, II, S. 111 ff.
2) Original-Ausgabe seiner Bojardo-Übersetznng, Bd. I, S. 388; jene Strophen s.
deutsch in meiner Nenausgabe Yon Gries' deutschem Bojardo (Stuttgart 1895), I, S. 104 ff.
3) Eegis in seiner Übersetzung des Bojardo S. 337 weist zu I. 6, 52 das Fortleben
von der Zauberin Circe Verhältnis zum Helden der Odyssee in Circella und Dohs auf dem
Wege der Volksfcradition nach: vgl. Panizzi a. a 0., ü, 235 f.
4) ,rocchio piccolino' im Original: Regis (S. 55) ,von kleinen Augen' übersah es.
Schlossar: Kinderreiiiie aus Steiermark. 275
Kinderreime aus Steiermark.
Mitgeteilt von Antoii Schlossar.
Seit vielen Jahren wiir ich ni^ben meinen übrigen Sammlungen und
Untersuchungen auf dem Gebiete der Volkskunde insbesondere der deutschen
Steiermark auch bemüht die im Lande vorkommenden Reime und Sprüche
der Kinder zu sammeln. Dem teils im Hause und in meinem Aufenthalts-
orte, teils auf Reisen in verschiedenen Teilen des Landes selbst Auf-
gefundenen wurde reichliche Vermehrung durch verschiedene verlässliche
Gewährsmänner zu teil, welche wie in anderer Beziehung so auch auf
diesem Felde mir freundliche Unterstützung gewährten.
Wenn ich nun hier eine Zusammenstellung von weit mehr als hundert
Nummern vorlegen kann, so verdanke ich dies insbesondere den erwähnten
Gewährsmännern, von denen ich die hochw. Herren Pfarrer: A. Meixner
in Kirchberg a. d. Raab und J. Sehänzl in Schäffern, sowie die Herren
Lehrer Carl Reiterer in Dounersbachwald, J. Moser in Scharsdorf, J. Lux
in Mariazell und J. Lerch in Anger insbesondere zu nennen und ihnen
zu danken mich verpflichtet fühle Es ist kein Zweifel, dass sich diese
Sammlung bei längerem Abvrarten noch erheblich vermehren liesse. Da
nun aber doch einmal ein Anfang gemacht werden muss und die Geltung
der Reime und Sprüchlein von mir bis auf etwa 40 Jahre zurück nach-
gewiesen werden kann, auch für etwaige Nachträge ja immer Gelegenheit
geboten ist, so hielt ich es für angemessen, die Zusammenstellung deu
Freunden der Volkskunde nicht länger vorzuenthalten; es schien mir dies
um so berechtigter, als eine Sammlung solcher Kinderreime aus Steiermark
in grösserer Zahl bisher noch gar nirgends veröffentlicht worden ist.
Rosegger in seinem prächtigen Buche: „Das Volksleben in Steiermark"
(H. Aufl. Wien. Hartleben 1888) bot wohl einiges, jedoch eigentlich doch
nur als Verbrännmg seiner eigenen Darstellung. In meiner Sammlung:
„Deutsche Volkslieder aus Steiermark" (Innsbruck. Wagner. 1881) nahm
ich Kinderliedchen nicht auf, weil ich deren noch zu wenig hatte.
Die Litteratur der Kinderreime und -Liedchen kann ich an dieser
Stelle wohl als bekannt voraussetzen, wenigstens soweit es sich um die
wichtigeren der deutschen Sammlungen handelt. Sie alle wären bei
näherem Eingehen zum Vergleiche beizuzieheu, obenan Simrocks „deutsches
Kinderbuch" im LX. Bande seiner deutschen A^olksbücher (Frankfurt a. M.
185H). Allerdings findet sich in dem genannten Buche zumeist dem nörd-
licheren Deutschland entstanmiendes Material, süddeutsche Gebiete sind
weniger berücksichtigt. Die gründlichen Untersuchungen von Rochholz
(Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz. Leipzig 1857)
•27fi Schlossar:
sinrl noch immer unübertroffen auf (lie;<em Felde und werden aucli für
manches von mir gebofene Stück Erläuterung bieten. Granz besonders
möchte ich zur Yergleichung anregen mit den Ländern, welche an den
deutschen Teil der Steiermark grenzen, es sind dies Salzburg. Nieder-
österreich und Kärnten, und wären in dieser Richtung daher die Kinder-
liedcheu in der Sammlung der „Salzburgischen Volkslieder von M. V. Süss"
(Salzburg 1865), die „Spiele und Reime der Kinder in Österreich, ges. v.
Th. Vernaleken und F. Brauky" (Wien 1876), die bezüglichen Liedchen
in Y. Pogatschniggs und Em. Herrmanns: „Deutschen Volksliedern aus
Kärnten." IL Band (Graz 1869) in Betracht zu ziehen. Was Kärnten be-
trifft, so möchte ich hier auf noch eine neue Veröffentlichung hinweisen,
die niemand übergehen darf, der sich mit diesem Stoffe beschäftigt. F.^
ist dies die vom Lehrer Balthasar Schüttelkopf im oberen Görtschitzthalf.
am Krapfelde und um Ostei'witz gesammelte reiche Zahl solcher Reime
und Liedcheu, welche der Genannte in der Zeitschritt: _Neue Carinthia"
(red. von S. Laschitzer), Klagenfurt 1890, p. 131 ff. und lül ff. fortgesetzt
in der „Carinthia", Klagenfurt 1891, 81. Jahrg.. p. 23 ff. 80 ff 121 ff 157 ff
und 82. Jahrg. 1892, p. 188 ff. publiziert hat, wobei i)isbesondere auch die
Kinderspiele eingehend Berücksichtigung erfuhren. Dagegen liat sich in
einem anderen Grenzlande Steiermarks, in Oberösterreich, noch leider
keine Persönlichkeit gefunden, welche diesem Stoffe Aufmerksamkeit
geschenkt hätte, wie wir ja überhaupt bis heute auch keine Zusammen-
stellung der oberösterreichischen Volkslieder besitzen, wenn man von dem
schätzenswerten, aber doch nur kurze Alpenlieder bietenden und mehr die
musikalische Riclitung ins Auge fassenden Buche: „Die österreichischen
(d. h. oberösterreichischen) Volksweisen", gesammelt von Anton R. von
Spaun, Wien 1845 absieht. Freudig überraschen muss jedoch die Mit-
teilung F. M. Böhmes anlässlich der Herausgabe des grossartigen „Deutschen
Liederhortes" aus dem Nachlasse Ludwig Erks. der soeben vollständig
erschienen ist, dass ein „Deutsches Kinderbuch" aus demselben Nachlasse
als eigenes Werk demnächst an die Öffentlichkeit fareten soll. Ist doch
dieser „Liederhort" selbst ein Werk erstaunlichen deutschen Sammelfleisses
und man kann daher auch eine Kinderliedersammlung erwarten, welche
au Reichhaltigkeit alle ähnlichen unserer Werke überflügeln dürfte.
Noch sei mit Bezug auf das vorliegend von mir Veröffentlichte bemerkt,
dass jenes am Schlüsse beigefügte Scherzlied: „Veitls Reitrüstüng". w-elches
mir vor längeren Jahren von Herrn Dr. lyudwig Sprung dankenswert mit-
geteilt worden ist und das im Ennsthale von den Kimleru gern gesungen
wird, so manche Varianten auf verschiedeneu deutsehen Gebieten aufweist.')
1) Vgl. Deutscher LiederLort von Erk und Böhme. Band ITT. No. 1753. 1754. -
Hoffmann n. Richter, Schlesische Volkslieder, No. 261 mit Anm. — v. Ditfurth, Fränkische
Volkslieder II, No. 384,
Kinderreime aus Steiermark.
277
Die ganz kurz beigefügten Krlänteruiigen beziehen sich bloss auf
einige besonders im nördlichen Deutschland wohl weniger oder gar nicht
bekannte mundartliche Ausdrücke und wollen keinen weiteren Anspruch
erheben.
Vermischte Kinderreime und -verschen.
1. Hiazt soll i oans singen,
Und wenn i koans kann,
Sing i mit d' Heaner '),
Aft packt lui der Hahn.
(Donnersbrtchwald, Ennstlial.)
3. Bin i al' die Alma, Alma ganga
Hab a Pipahani hani g'fanga
Pipahani schreit Pipi,
Pipahani jetzt giix di! (St. Martin
bei Graz, auch Obersteier überhaupt.)
5. Reiter sammt Pferd
Und der Sattel is leer,
Hiazt') möcht' i wissen
Wo der Reiter is her!
Bux is er abig'falin. (Ennsthal.)
"2. Eio popeio
Katzerl lauft in Stei o-'),
Lauft a zottas Hiuiderl no,
Beisst 'n Katzerl "s Fuasserl o.
(Schäffern.)
4. Dort inten bei der Linden
Thuns Büschel zsammbinden.
Mit Seiden und Gaden^)
Und türkischen Faden.
(St. Martin. Allgemein.)
6. Hop hop ho]) hop Rösschen,
Im Walde liegt ein Schlössehen,
Im Schlüsschen liegt ein blanker Saal,
Da hält der Giaf sein Hochzeitsmahl.
(Graz.)
7. Patsch Handerl z'samnv, patsch Handerl z'samni'!
Was wird der Papa (die Mama) bringenV
Rote Schuh mit Mascherln dran.
Da wird die (der) springen. (Allgemem.)
8. Rührl, rührl hoassen Brein '),
Legn mar a Trümmerl') Bratwurst drein. ' (Allgemein.)
9. Menscharl popo,
Heunt bin i's erstemal do,
Wann i no amal kimm '),
Wir i gar eini spring.
(Paltenthal.)
1 1 . Wart a bissei, wart a bissei.
Bleib a bissei stehn,
Der Vater is schon schlafen gangen,
Die Mutter wird erst gehn
(Graz. Allgemein.)
10. Regen, Regen, Tropfen,
Die Buama muss man klopfen,
Die Mädeln g'hörn ins Federbett,
Die Buama g'hörn in Saudr . . .
(Paltenthal. Allgemein.)
12. Roter Apfel, süassa Kern,
Gelt du Spitzbua, hast mi gern.
So oan Spitzbuam wia du bist
Findt man aufn jeden Mist.
(Scharsdorf)
13. Wetz wohl, wetz wohl, hat koan Schneid;
I hab oan Buabn, wohl gar oan kloan"),
I schau ma no um um oan. (Scharsdorf)
14. ABC Taferl Schütz
Gehst in d' Schul, kannst no nix. (Ennsthal.)
1) Heaner = Hühner. 2) Stei o = den Steig hinab. 3) Gaden = Garn. 4) Hiazt = jetzt.
i5) Breiu = Hirse, 6) Trümmerl = Stückchen. 7) komme. 8) uan kloan = eineu kleinen.
278
Schlossar;
17.
15. Sechs mal sechs is sechsunddreissig,
San die Buama gar recht fleissig,
San die Dirndl gar recht dumm,
Draht der Lehrer 's Staberl um.
(Allgemein.)
16. Spaziern, spaziern,
Geh leih mir dein Dirn,
Zan Waschen, zan Backen, zan Kawasser ') machen,
Zan Flicken, zan Trenn, zan Buda Ausnehm' ^). (Donnersbachwald.)
Hotthotthott Dieserlmonn, 18.
's Katzerl hat Stiefel on,
Fohr ma's über Gmunden.
A kloan's Kindel hob ma g'funden.
Der Pfarrer von Laufen,
Der vvirds taufen; 19.
Wer wird Windel waschen?
'n Pfarrer sei Tant, die Plaudertaschen.
(Aussee, Ennsthal.)
20.
22.
's steigt a Mäuserl
Übers Häuserl;
Wo wirds rasten?
Aufn N. N. sein Kasten.
(Allgemein.)
Waberl wi, Waberl weh!
Steign die Buam um d' Kranabee ■*).
Lass's nur steigen, lass's nur steigen,
Wird's der Wind wohl abitreiben.
(Donnersbachwald.)
24. Heita pum peita,
Heita so so!
Und wennst mir nit schlafen willst
Pritsch i di o! (Ennsthal.)
26. Die Spirken*), die mirken.
Die Moasen'^), die zoasen.
Die Schwolbm fliagn über die Ulm.
(Sulmthal.)
Ziperde, zaperde.
Halt a weng still,
Wennst alleweil zappelst
Hast ja koan Hüll. (Ebendort.)
Lipperl, Lapperl, schau di an.
Hast ja z'rissne Hosen an,
Lipperl, Lapperl, lauf davon,
Du verluist^) dein Hemat schou.
(Ebendort.)
21. Annamirl, Zuckerschnürl,
Geh Tnit mir in' Keller
Um a Weinl, um a Bierl,
Um ein' Muskateller.
(Graz. Allgemein.)
23. Wawarl wir, Wawarl wir,
D' Buama steigen ins Kranabir.
Loss nur steign, loss nur steign,
's Wawerl wirds scho oba treibn.
's Wawarl nimmt an Steckn,
Thuat die Buama schreckn,
D' Buama frogn nix danoch,
Kennen all da Wawerl noch.
(Mariazeil.)
25. Heita pumpeita,
Mei hascht kropfets Rind,
Wennst mi nit schlafen lasst
Streich i di g'schwind. (Ennsthal.)
27. Schlaf, Kinderl, schlaf.
Dein Vater is a Graf,
Dei Muata is a Bauerndirn,
Sie muass ihr Kinderl selber wiagn.
Schlaf, Kinderl, schlaf.
Dein Vater is a Graf. (Allgemein.)
1) Kawasser = das Käsewassr, aus dem Topfen gemacht wud. 2) Buda Ausnehm
= Butter ausnehmen. 3) vcrluist = verlierst. 4) Kranabee = Kronawetter d. h. Wachholder-
beeren. 5) Spirken = Spatzen, Sperhnge. fi) Moasen = Meisen,
Kinderreime ans Steiermark.
279
29.
32.
34.
28. Morgen wern ma auf die Alm roasen,
Giebt uns d' Schwoagerin Butter und Moasen '),
Butter und Moasen sind no net gnua,
Saure Suppen g'hört a noch dazua. (Gegend um Hartberg!)
Heidi, nutz heidi,
Geh, gib mir a EidP\
Geh, gib mir a Schraatzl,
Sonst frisst di das Katzl.
30. Hops, hops, hops,
Fahr ma in die Stadt,
Um a Seidel Wein
Und a Kipfel drein.
(Ennsthai.)
(Allgemein.)
31.
Pantoffel, Pantoffel,
Der Himmel is offen.
Der mir was giebt kommt ins Himmelreich,
Der mir nix giebt kommt in d' Messerschneid.')
Strohmandl, Strohmandl,
Thua mir nit weh,
Mach'n grossen Hupfer
In d' Höh'!*)
(Donnersbachwald.)
Bauer, henk dein Schimmel an,
Dass er mi nit beissen kann,
Beisst er mi, klag ich die.
Hundert Thaler zahlst du mi.
(Ebendort.)
(Donnersbachwald .)
33. Ei, ei, ei
Singt mei Wei
Was snll ich kochen?
Han koa Schmalz,
Han koa Salz
HäfcrP) is mir brochen.
(Paltenthal.)
35. Unsre Katz hat Katzli ghabt,
Oans, zwoa, drei, vier, fünfi,
Oans hat schwärzt Pratzli ghabt,
Das anneri weissi Schinkli.
(Ebendort.)
37.
38.
36. Jikerl, Jakerl, schau dich an,
Hast ja z'rissne Hosen an,
Jikerl, Jakerl lauf davon.
Du verlierst dein Hemat") schon.
Heut hat mir tramt
Die Ratz hätt die Milch abg' rahmt.
Der Hund hätt g'rührt
Und der N. N. hat Butter z'sammg'schmiert.
(Donnersbachwald).
(Irdning. Ennsthai.)
Hanserl, zupfs Ganserl, steck's Federl am Hut,
Frau Muada, Frau Muada, die Krapfen san gut.
Wann die Frau Muada die Krapfen bacht,
Is er der erste, der zubi tappt 'j.
Wann die Frau Muada den Stecken nimmt,
Is er der erste, der bei der Thür aussi springt.
(Mariazeil.)
1) Moasen = kleine Stückchen von Butterresten.welche die Sennerin erhält. 2) Lieb-
kosung des Kindes. 3) Während das Kind dieses Sprüchlein an ein anderes Kind richtet,
hält es sich mit der linken Hand die Augen zu und dem anderen Kinde die offene Rechte
entgegen, gleichsam bittend, man möge ihm etwas geben, z. B. Brot, einen Apfel oder
dergl. 4) Sprüchlein der Kinder, wenn sie irgendwo herabspringen. 5) Häferl = Töpfchen.
6) Hemat = Heuid 7) zu tappt, zugreift.
280
Schlossar:
?!9. Hopsa Lieserl,
Wart a bisserl,
Bleib a bisserl stehn.
D' Muetter is schon schlafen gangen,
Der Vater muss erst gehn.
(Allgemein.)
40. 's geht a Mannerl über d'Leiten '),
Hat a KraxerP) an der Seiten,
Kimmt a grosser Widder,
Stosst das Mannerl nieder,
Kommt a kloane Fledermaus,
Hebt das Mannerl wieder auf.
Dank dir Gott, mei Maus,
Komm du morgen in mein Haus,
Gib dir Käs und Butter,
Rnoll, knoll,
A ganze Pfann voll. (Ennsthal.)
43. Enters Bach, intcrs Bach
Sitzen zwoa Hasen,
Der oani thuat Zithern schlag'n.
Der anderi thuat blasen.
(Ebend.)
4.'i. Dort oben auf dem Bergerl,
Wo die QuelTn aussispritzt,
Dort tanzen zwoa Bauern,
Dass der Kot danniflitzt^).
41. Dort enten') bei der Mur
Steht a kohlschwarzer Bua,
Er that si gern waschen,
Is 's Wasser gar z'ldoa.
(St Georgen a. d. Stiefing.)
42. Dort enten beim Bacherl,
Dort hamraerlt a Schmied,
Hiarz nimm i mein Hammerl
Und hammerl a mit. (Ebendort.)
44. Dort oben aufm Bergerl gugu.
Sitzt a so a WutzeH) wie du.
Geh her, du liabs Wutzerl zu mu-
Und mach a kloans Tanzerl mit mir.
(Ebend.)
46. In Wald bin
janga,
Hab's Schlagerl aufgricht,
An olt's Weib hab i gfanga.
Dös Ding h:it mi gift.
(Ebend.)
47.
A neugebaut's Häusel
Mit Lebzelt eindeckt,
Hiazt kommen die Kinner
Und essen es weg.
(Mariazell.)
(St. Georgen a. d. Stiefing.)
48. Ziserlbam, Ziserlbam
Wachst in mein' Garten,
Wann die scheani Liesel kimmt,
Sag sie soll warten;
Wann sie aft wieder kimmt.
Sag i war g'storben,
Wann sie stark weinen thuat.
Sag i kam morgen. (Allgemein.)
•")('. Beim intern Gries')
Werd'n d'Weinbeer süss,
Bei der obern Lend^)
Hats der Reif verbrennt.
49. Gestern ham ma Zwetschgen g'habt,
Heunt Rleatzen*^) ä,
Is das nit a süassi Speis,
Trallalalalä.
Gestern is a Sunta gwen,
Heunt halt so a Ta,
Gestern ham ma Kleatzen g'habt,
Heunt is nix da.
(Stiefingthal.)
Bei der Weinzerlbrucken
Is guat abigucken,
Wo die Mur vorbeirinnt.
(Graz.)
1) Leite = Bergabhang. 2) Kraxerl, Kraxe = eine Trage für den Rücken. 3) enten
= drüben, jenseits. 4) Wutzel, Wutzerl = Kosewort für Kinder. 5) danniflitzt = uniher-
spritzt. 6) Kleatzen = gedörrte Birnen- und Äpfelschnitten. 7) (Jrics = das sandige Fluss-
ufer. 8) Lend - Landungsplatz
Kinderreime aus Steiermark.
281
'51. Diarndl schau, schau,
Hiazt kimnit der Wauwau,
Hat's Kraxerl am Buckel
Und vorn eine Sau (Var. : Und's Pl'eiferl im Maul.)
Hiazt is er kemmen,
Was hat er mitbracht?
A Ringerl äfs Fingerl,
A Busserl af d'Nacht.
Kathnna bist drina?
Loss mi eini, moch auf,
Mi g-frirt mi mei Pinga,
A SchneberP) is dräust.
(Oberes Murthal.)
Das Pfeifer! is brochen,
Spricht nimmer lulehr.
Das Diamd is grandet'),
Rimmt nimmermehr her.
(Stiefingthal. Erste Strophe allein allgemein.)
5;i Stieglitz musst nit krank sein.
Ich schmierdir'nBauch mitBranntwein,
Ich schmierdir'nBauch mitPl'etferkern,
Wird schon wieder besser wem.
(Paltenthal.)
.')J. Inten im Edli') thuts Läberl rauschen.
Kimm mein Habs Schätzer!, thu mr Ilerzerl lauschen.
(Paltenthal.)
Dort enten im Graben,
Dort sitzen a Paar Tauben,
Oani thuet Wasser trag'n,
Da andri thuet klauben.
(Obersteiermark allgemein.)
56. 1 woas nit was die Annern thoan,
Dass sie allwei so scheani Parier') han,
Bei mir, bei mir
San sie allweil zäun dürr.
(St. Georgen a. d. Stiefing.)
57. Es reiten drei Schneider über d' Radkersburger Brücken
Und tragt a jeder an Rossbraten am Rucken. (Ebend.)
58. Unsa Annamirl kocht das Brennkoch ^),
Wie das Brennkoch halt ist,
Muass äner a guati Goschen haben,
Der das Brennkoch gern frisst.
59. Mach Binkerl'X mach Sack,
Muess wandern, muess weg.
(Ebend.)
(Ebend.)
60. I hin a kloans Binkerl
Und stell mi ins Winkerl
Und wann i nix kann,
So schaut mi niemd') an.
(Var. : Und weil i nix kann,
So fang i nix an.)
(Allgemein.)
62. Heut bei der Nacht
Bin ich erwacht
Da hat mir der Engel
A Botschaft bracht.
61. Kloan bin i, kloan bin i.
Gross will i nit wern.
Schön munket und punket")
Wi a Haselnusskera.
(Mariazeil.)
I denk hin und her
Was denn das für a Botschaft war.
Endlich fallt mir ein,
Dass heut dem N. N. sein Tag thuat
sein.») (Ennsthal.)
1) grandet = missniutig. 2) Sclmeberl = Dimin. von Schriee. 3) Edli = Erleuhain.
4j Farler = Ferkel. 5) Brennkoch, eine landesübliche Mehlspeise. 6) Bündel. 7) niemd
= niemand. 8) kurz und dick. 9) Ein Gratulationsverschen für Kinder.
282
Schlossar:
63.
(Abzählen der Finger eines Kindes, beim Daumen beginnend;)
Der Bauer is in Bach g'fallen,
Der Knecht hat'n aussazogen,
Die Dirn hat'n hoamtroagen,
Die Bäurin hat'n niederg'legt
Und's kloane "Wuzerl hat'n gar versteckt. (Allgemein.)
64.
(Wie das vorige.)
Das ist der Daumen,
Der schüttelt die Pflaumen,
Der klaubt sie auf.
Der tragt sie nach Haus,
Und der kloane isst sie alle auf. (Allgemein.)
Auszähl verse und -reime.
1. Es ging ein Mann in Garten,
Im Garten war ein Haus, 2.
Im Haus da war ein Tisch,
Drauf lag ein bratner Fisch,
Ein bratner Fisch lag drauf,
Den ess ma leisara ') auf.
Wer ist von euch dabei?
Eins, zwei, drei — du bist frei!
(Ennsthal.)
. Eins, zwei, drei, pigapogapei, 4.
Pigapoga Besenstiel,
Und der letzte hat das Spiel.
Witz, wutz — aussig'stutzt.
(Untervogau. Graz.)
5. Eins, zwei, drei, pigapoganei
Pigapoga Hobathurn,
Zehni Kinder sein geborn.
Liegt der Fisch
Aufn Tisch,
Kimmt die Katz und frisst'n Fisch,
Kimmt der Keilner mit der Taschen
Giebt der Katz a bravi Flaschen')
Witz, wutz, aussig'stutzt. (Anger.)
7. Eins, zwei, drei, vier, fünf,
Strick mir ein paar Strumpf,
Nicht zu gross und nicht zu klein.
Sonst bist du ein Eselein. •")
(Irdning-Ennsthal.)
6.
Egati, pegati Tintenfass,
Geh in d' Schul und lerne was,
Wenn du was gelernet hast
Komm zu mir und sag mir was.
Wix, Wux,
Aussig'stutzt.
(Schäffern.)
Eins, zwei, drei, piggapaggahei,
Piggapagga Besenstiel,
Sitzt ein Mannerl auf der Mühl',
Hat ein stäubers 0 Hüterl auf,
Um und um san Federn drauf!
(Donnersbach wald.)
Eins, zwei, drei,
Auf der Polizei
Ist ein kleines Kind geboren;
Wie soll es heissen,
Karl oder Rumpeltaschen?
Wer wird die Windel waschen?
Ich oder du.
Die grösste Sau bist du.
(Anger.J
Eins, zwei, drei, geh nur schnell
Zu der Muada um a Mehl,
Vier, fünf, sechs, du bleibst da
Und fängst uns a.
(Ennsthal.)
1) leisam = es ist gleichsam am besten. 2) stäubers = bestäubtes. 3) Flaschen = eine
Ohrfeige. 4) [Var.: Sonst wirst du der Fänger sein. (Mariazell.)J
Kinderreime aus Steiermark.
283
9. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Ein altes "Weib kocht Rüben,
Ein altes Weib kocht Speck,
Eines muss jetzt davon weg. (Allgemein.)
10. Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, siebn.
Der Schneider liegt im Hausstall drin';
Lass ihn lieg'n, lass ihn lieg'n,
Den verdankten Pfifferling. (Scharsdorf.)
1 1 . Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben.
Da Grabenbauer hat sein Weib vertrieben,
Grabenbauer hin, Grabenbauer her.
Der Grabenbauer kriegt sein Weib nit mehr. (Anger.)
12. Eins, drei, fünf, sechs, sieben, acht,
Der muss naus, der da lacht;
Neun, zehn, eilf, zwölf und dreizehn.
Geh hin am Korn, geh hin am Weizen. (Ennsthal.)
13. Ini ani türkitani
Ti wi compani
Pfefferracker
Tiki taker,
Hei wi wum.
Du bist dumm.
14. Anggerle, Wanggerle,
Zeggerle buh,
Draggerle, Waggerle
Dräust bist du.
(Ennsthal.)
(Graz.)
15. Angerli Wangerli,
Ziggerli bu,
Ergeli Wergeli,
Neunter bist du.
(St. Stefan im Rosonthal.)
16. Angger, Wangger,
Digger, Dangger,
Digger, Dagger
Mosmeragger,
Ora — wia — waschbach — wum!
(Ennsthal.)
17. Anger Wauger
Tigger Tangei-,
Sia wia Kumpernia,
Wira wara Wia wum.
Anggerle, Wanggerle, schlag nii nit.
Kraut und Suppen mag i nit,
Backne Fisch, die ass i gern.
So wird da Herr bedienet werd'n.
Kropfeter Hahn, spring mi an,
Achti, neuni, aussithan! (Ennsthal.)
Hammer, Hammer, schlag mi nit,
Kraut und Bohnl mag i nit,
ßratne Fisch, die ass i gern.
Trau mi nit vor meinen Herrn;
Herr sitzt im Garten,
Spielt sich mit die Karten,
Kommt der Gigatz Gogatz Mann,
Jaigt') die Hühna all davon.
(Scharsdorf.)
(Donnersbachswald.)
19. Variante:
Kraut und Ruabn — Kloane Fischin
Trau mi nit vor meinen Herrn,
Bix bax krumpen Fuass,
Ganer is der aussi muass.
(Faltenthal.)
"21. Ederweder, Fingerhuat,
Stirbt der Bauer auf sein Guat,
Stirbt die Bäuerin a zugleich,
Gengen d' Engerl mit der Leich.
Eins, zwei, drei.
Du bist frei!
(Ennsthal.)
1) Jaigt = jäukt, jagt.
284
Schlossar :
22. Petrus ging in Garten,
In dem Garten war ein Baum,
In dem Baum war ein Loch,
In dem Loch war ein Nest,
In dem Nest war ein Ei.
Eins, zwei. drei, jetzt bist du frei.
(Scharsdorl'.)
25.
29.
.'52
23. Schuster Peter flick ma oan Schuah,
's Leder gib i selbst dazua,
Is kein Schuster in der Stadt.
Der a solches Leder hat.
Unsre Dirn is schriftgelehrt.
Weiss nicht wem das Leder g'hört.
G'hjrt nüt dein, g'hört not mein,
Müss'n Alle bei einander sein.
(Ebendort.)
24. Vater. Mutter kaufen Birn,
Fallen unterwegs aufs Hirn,
Schütten alle Birn dann aus
Eins, zwei, drei, du bist jetzt draus.
(Enn.sthal.)
Ene, bene,
Dunke, munke.
Abe schnabe,
Dicke dacke,
UUe bulle,
Reiter Ross,
Du bist jetzt los.
(Donnersbach wakl.)
Asel, wasel,
Thomas Glasel,
Wiz, wuz
Aussig'stutzt.
(Paltenthal. Allgemein.)
Um und um Wiigel,
Im Summa flieg'n d" Vögel,
D' Vögel fliegn im Summa,
Der Bauer der geht umma.
Umma geht der Bauer,
D' Milli wird schon sauer.
Sauer wird die Mill",
Die Katz frisst immer viel,
Viel frisst immer d' Katz,
Scher dich aussi schiacher-) Fratz.
(Irdning.)
31. Der Hansel ist in Garten gangen.
Wollte kleine V'öglein fangen,
D' Vöglein flogen alle fort.
Der Hansel aber sagt kein Wort,
Geht nach Haus,
(Auszählvers beim
's Püchslein wollte Vögel fangen.
Ist dann in den Wald gegangen,
D' Vögerln flogen alle fort.
2G. Matzl, Katzl,
Gib mirs Pratzl:
Nutzl, wutzl,
Hast an Zuzcl?')
Eins, zwei, drei,
Du bist frei!
(Ennsthal.)
"28. Disel, dusel, dasei. Tag-,
Soll nii fangen, wer da mag,
Disel, dusel, dasei, Tag,
Du gehst hiaz weg! (Ennsthal.)
•lO. Rauber i, Pandiir du.
Laiifst in Wald und spielst Gugu.
Spring dir nach
Und will dich fangen,
Dass man kann
Den Rauber hangen.
Eins, zwei, drei.
Du bist frei.
(Auszählvers beim „Räuber und Fandur"
Spiel. Ennsthal.)
Fangt a Maus,
Wirft sie dann dem Katzerl für.
"s Katzerl springt dann aus zur Thür
Eins, zwei, drei tux,
Du bist der Fuchs.
„Fuchs und Hühner" Spiel. Ennsthal.)
's Füchslein blieb allein am Ort.
Eins, zwei, drei,
Du bist frei.
(Auszählvers beim „Fuchsspiel'". Ennsthal.)
1) Zuzel = gefülltes Säugläppchen für Kinder. 2) schiach = hiisslich. garstig.
Kinderreime aus Steiermark. 285
33. Adam ist in Garten gangen, 34. Beim Angerln, beim Fischen,
Weil er wollte Vöglein fangen. Wer wird nü erwischen?
Eins, zwei drei, Beim Ringa und Springa,
Du bist frei. (Ennsthal.) Wem wird es gelingaV
Beim Sigel, beim Sagel,
35. J und du Beim Hulzbirnbambaum,
Müllers Ruh, Du gehst hiaz wek,
Müllers Esel, Du bist mein Mann!
Der bist du. (Anger.) (Donnersbaclnvald.)
Verse bei Kinderspielen und dergleichen.
Beim Blinde Maus Spiel (anderwärts Blinde Ruhspiel.)
Von mehreren Kindern werden dem einen die Augen verbunden und dasselbe wird von
einem Ausführer gegen die Zimmerthür geführt, dal)ei sprechen der Ausführer und die
blinde Maus:
Blinde Maus, i fühi- di aus. Greif zan Boden.
Wohin? Is koan da.
Ins Hochzeithaiis Was hast gfunden?
Was thuen? Schuehschnallen.
Suppen essen. Lass allen D . . . . durchfallen.
Han') koan Löffel. (St. Georgen a. d. Stiefing.)
Beim Spiel: Übern Semmering fahren.
Die Spielgesellsehaft singt folgende Reime und hört vor dem letzten Worte plötzlich auf.
Wer fehlt giebt ein Pfand.
Hirz fahrn ma übern Semmering,
Hirz fahrn ma übern See
Mit einem hölzern" Löffel,
Löffel, Lüilel, Löffel,
Mit einem hölzern (Leoben.)
Beim Bindel bandel Spiel.
Der den Plumpsack um den Kreis herumtragende spriclit:
Bindel bandel umatrageu'^),
Wer hintri schaut wird aufft g'schlagen.
(St. Georgen a. d. Stiefing.)
Beim Leih mir die Scheer Spiel".
Schneider leih mer d' Schär,
Sie geht net lär,
Leih ma dei Rumpelfass,
Scher di umi boss. (Ober-Murthal.)
Beim sog. Grillen- und Schneckenbannen.
Beim Grillenliannen stiert das Kind während des Sprechens mit einem Grashalm im
Grillenloclie.
Grill, Grill, komm heraus,
Vater und Mutter is nit zu Haus.
Grill, Grill, komm heraus,
Sunst brenn ich an dein Hof und Haus.
l) han = habe. i} umatragen = herumtrageu.
286
Schlossar:
Schneck, Schneck kumm heraus,
Zeig mir deine Uirn heraus. (Stieflngthal.)
Schneck, Schneck zeig die Hörn,
Kriegst dann Brot und Haferkern. (Ennsthal.)
Beim Plumpsackspiel:
Schauts nit um, schauts nit um,
's geht a schwarzes Mauderl um.
Hat Weinberl und Zibeben
Und wird euch Schlag- brav geben.
(Ennsthal.)
Ein anderes beim Plumpsackspiel:
Hast von mir nit Spazi '),
Kriegst von mir an Schlag,
Vizi, Vuzi, Vazi,
Weisst, weil i dich mag.
(Ennsthal.)
Beim Katz und Mausspiel:
Bin der Bruder Um und um,
Fang die Mausl rings herum,
Mäuslein lauf, Mauslein lauf.
Sonst frisst dich das Katzeil auf.
(Ennsthal.)
Beim Tanzspiel:
Die Steirer sein lustig.
Die Steirer sein froh,
Sie machen gern a Tanzerl
Und tanzen so und so (Tanz).
Z'erst dreht sich das Weiberl.
Dann droht sich der Mann.
Sie fassen die Hände
Und tanzen mitsamm !
Tralalala, tralalala!
(Tanz im Kreise.)
( Donnersbach wald.)
Beim Reigen:
Florian, Florian
Lebet sieben Jahre,
Sieben Jahre sind schon um
Und die goldne N. N. dreht sich um.
Die goldne N. N. hat sich umgedi'eht.
Hat den grünen Kranz gedreht
Florian, Florian etc. (wie oben bis dreht sich um).
'2. Gestern hab ich Kegel schieb'n,
Is mir a Kreuzer über bliebn,
Kreuzer hab ich Bauer geb'n,
Bauer hat mir Körndl geb'n,
Körndl hab ich 'n Müller geb'n,
Müller hat mir Mehl geb'n,
Mehl hab ich 'n Bäcker geb'n,
Bäcker hat mir Wecken geb'n,
Wecken hab ich der Mutter geb'n,
Mutter hat mir Krapfen geb'n,
Krapfen hab i 'n Vater geb'n,
Vater hat mir Staberl geb'n,
Staberl hab i '^ Lehrer geb'n,
Lehrer hat mir Patzen-) geb'n,
Patzen hat mi brennt.
Bin aus der Schul gerennt.
1) Spazi = Furcht. 2) Patzen = Schläge auf die Hand.
Kinderreime aus Steiermark.
287
3. Morgen steh ich früh auf,
Ti-eib die Schaf und Ivüh aus,
D' Schaf über die Mauern.
Aft komm i zu an Bauern,
Bauer giebt mir Hafer,
Hafer gib i 'n Padl '),
's Padel giebt mir Borsten,
D' Borsten geb i 'n Schuster,
Schuster giebt mir Stiefel,
D' Stiefel gib i 'n Herrn,
Ringa, ringa reia,
San ma unser dreia,
Steign mir af'n Hollerbam^),
Es ma lauter Milch und Rahm,
Herr giebt mir Kreuzer,
Kreuzer gib i 'n Back,
Der Back giebt mir Semmel,
D' Semmel gib i d' Muata,
D' Muata giebt mir Krapfen,
D' Krapfen gib i 'n Fuhrmann,
Der Fuhrmann lasst mi reiten
Bis nach Frohnleiten,
Dort wirft er mi auf d' Seiten.
(Donnersbachwald.)
Beim Ringel Reien Spiel.
Milch und Rahm is teuer,
Supperl steht beim Feuer,
Supperl geht schon über,
Hupferl, hupferl nieder.
(Ennsthal.)
2. Ringa, ringa reia
San ma unser dreia,
Sitz ma af'n Hollerbara,
Schaun ma ob der Niklo^) net kam. (Palteuthal.)
3. Ringa, ringa rosa,
Schöne Aprikosa,
Veilchen und 'Vergissmeinnicht,
Und alle Kinder setzen sich.
Mit den Händen klatsch, klatsch, klatsch (klatschen).
Mit den Füssen Trab, trab, trab (trappen)
Du g'hörst mein, ich g'hör' dein,
Morgen soll die Hochzeit sein. (Ennsthal.)
Kinder Spruch:
Schneider macht 'n Kittel z'samm',
Begegnet ihm a Henn.
„Ha Henn, was giebst denn du dazu?"
I gib mein' Zipf dazu.
Hehnerzipf,
Schöner Kittel, du bist hübsch.
Schneider macht 'n Kittel z'samm',
Begegnet ihm a Hahn,
„Ha Hahn, was giebst denn du dazu?"
I gib mein' Kamm dazu.
Hahnenkamm, Hehnerzipf,
Schöner Kittel, du bist hübsch.
Schneider macht 'n Kittel z'samm'.
Begegnet ihm a Has'.
„Ha Has', was giebst denn du dazu?"
I gib mein' Schwanz dazu.
Hasenschwanz, Hahnenkamm, Hehnerzipf,
Schöner Kittel, du bist hübsch.
1) Padl = aus Pari, Ferkel. 2) Hollerbam ^ Hollunder (Sambucus). 3) Niklo = Nikolaus.
Zeitschr. d. Vereins f. Volliskunde. WJi. 20
288 Schlossar: Kiiulerreime ans Steiermark.
Schneider macht 'n Kittel z'samm',
Begegnet ihm a Fuchs.
,jHa Fuchs, was giebst denn du dazu?"
I gib mein Tanz dazu.
Fuchstanz, Hasenschwanz, Hahnenkanim, Hehnerzipf,
Schöner Kittel, du bist hübsch.
Schneider macht 'n Kittel z'samm',
Begegnet ihm a Ross.
„Ha Ross, was Riebst denn du dazu?"
l gib mein Rucken dazu.
Rossrucken, Fuchstanz, Hasenschwanz, Hahnenkamm, Hehnerzipf,
Schöner Kittel, du bist hübsch.
Schneider macht 'n Kittel z'samm',
Begegnet ihm a Kapuziner.
„Ha Kapuziner, was giebst denn du dazu?"
I gib mein Kutten dazu.
Kapuzinerkutten, Rossrucken, Fuchstanz, Hasenschwanz, Hahnen-
Schöner Kittel, du bist hübsch. [kämm, Hehnerzipf,
(Ennsthal.)
Veitls Reitrüstung.
Unser Knecht der Veitl,
Der will a Reiter wer'n;
Hat er d'r kaan Sattel nit.
Wie soll er aner wcr'n?
Nimmt sein' Mueter d' grosse G'spatel ')
Macht 'n Veitl drauss an Sattel —
Veitl hiez kannst reiten,
Reit, Veitl, reit.
Unser Knecht der Veitl, Unser Knecht der Veitl,
Der will a Reiter wer'n; Der will a Reiter wer'n.
Hat er d"r kaan Säbel nit. Hat er d"r kaan Stiefel nit,
"Wie soll er aner wer'n? Wie soll er aaner wer'n?
Nimmt sein' Mueter d' Ofengabel Nimmt sein' Mueter d' Rührkübei
Macht 'n Veitel draus an Säbel — Macht 'n Veite! draus au Stiefel —
Veitl hiez etc. Veitel hiez etc.
Unser Knecht der Veitl, Unser Knecht der Veitl,
Der will a Reiter wer'n. Der will a Reiter wer'n,
Hat er d'r kaan Mantel nit. Hat ja kaane Handschuech nit,
Wie soll er oaner wer'n? Wie soll er aaner wer'n?
Nimmt sein Mueter d' Stubenthür Nimmt sein Mueter 'n haassen Brein,
Henkts 'n Veitel hinten für — Steckt 'n Veitel d' Bratzen drein —
Veitl hiez etc. Veitl hiez etc.
(Ennstlial und Murthal.)
1) Gspatel = Schachtel.
Amalfi: Eine Nuvellette des Vottiero in littiu-arischeu und volkstümlichen Passungen. 1*89
Eine Novellette des Vottiero in litterarisclien und
volkstümlichen Fassungen.
Von Dr. Gaetauo Ainalfl.
Nicola Vottiero erzählt in st'incin im Dialekt goschriebenen Galateo
Napolitauo*) wie folgt:
„ . . . . Ein Mann kaiifte sich eine Amsel. Seine Frau aber sagte,
als sie dieselbe sah, es sei ein Weibchen und könne nicht singen. Der
Mann erwiderte darauf: „Es ist ein Männchen!" Und sie: „Es ist ein
Weibchen!" Endlich versetzte der Mann ihr einige tüchtige Schläge; aber
sie behauptete steif und fest, es sei ein Weibchen. Er band sie mit
einem Stricke fest, und sie wiederholte, es sei ein Weibchen Er warf sie
in den Brunnen, und sie wiederholte doch: „Es ist ein Weibchen." Er
warf sie in das tiefste Wasser, so dass nur noch der Kopf heraus sah und
fragte sie: „Entweder sagst Du, dass es- ein Männchen ist, oder ich ertränke
Dich." Und sie bestand darauf: „Es ist ein Weibchen!" Er stiess sie init
dem Kopf unter das Wasser, so dass nur noch die Hände heraus sahen und
fragte noch einmal: „Ist es ein Männchen oder Weibchen?" Und sie bog
den Zeigefinger, als ob sie hätte sagen wollen, dass es ein Weibchen sei.
So liess sie denn der Mann in dem Brunnen ertrinken und zog sich dieses
Unglück auf den Hals."
Die Geschichte ist im Volke sehr verbreitet. Wenn man von dem
Eigensinne irgend eines Menschen spriclit, dann deutet man oft auf die
Frau, welche mitten im Brunnen „Scheere, Scheere" (forbici, forbici!) rief,
wie eine Variante unserer Erzählung berichtet. Aber nur sehr wenige
ahnen, dass die Geschichte keinen lokalen Hintergrund hat, sondern sich
eines ziemlich alten Ursprungs rühmen kann. Es sei mir gestattet, meine
Behauptung zu beweisen.
In dem Annuaire des traditions populaires (Paris 1888, Jahrg. III
S. 19) findet sich eine russische Geschichte, übersetzt von Leon Sichler,
La femme entetee, welche eine Variante der unsrigeu ist ^)
Der Mann hat sich den Bart abrasiert und die Frau behauptet, er
liabe ihn sich nur abgeschnitten, und hieraus entspinnt sich der Streit.
Die Frau bleibt bei ihrem Eigensinn „ne peut plus parier; mais eile
1) Neapel 1789, Porcclli, S. 112 f., No. 98 „'Ncocciare". Edit. Chiurazzi 1879, S. 98 f.
No. 99. Eine biographische Notiz daraus findet sich ia Martorana Notizie. Neapel 1874.
S. 416.
2) Mau vergleiche hiermit das Journal: La vie Franco-Eusse illustree, No. VI. 24.
III. 1888.
20*
290 Amalfi:
leve Tille main hors de l'eaii et avec deux doigts fait signe, qua
c'est tondu" (sie kann nicht mehr sprechen, aber sie hebt noch eine
Hand aus dem "Wasser heraus und macht mit zwei Fingern das Zeichen,
dass er mit der Scheere abgeschnitten sei).
Eine andere Variante steht in den Facezie von Poggio Fiorentino
(Rom. Sommaruga 1884, S. 64-65, No. LVni):
„Von einer eigensinnigen Frau, welche ihren Mann „lausig" nannte."
Die Geschichte ist dieselbe. „Als auch sie im Begriffe war zu ertrinken
und nichts mehr mit der Stimme vermoclite. drückte sie sich noch mit
dem Zeigefinger aus. Sie hob die Hände über den Kopf, und presste die
Daumuägel zusammen, als ob sie damit die Läuse ihres Mannes knicken
wolle."
Auch Federico Mistral berichtet eine gleiche Geschichte, die man ihm
folgendermassen erzälilt hat'):
Die Frau wiederholt immerwährend: poui Ileus! Der Mann wirft sie
umsonst in den Brunnen . . . La noyee reunit les malus en l'air, et
ne pouvant lancer le mot fatal, eile faisait le gesto d'ecacher
entre ses ongles. (Die Ertrinkende vereint ihre Hände in der Luft,
und da sie das verhängnisvolle Wort nicht mehr ausstosseu kann, macht
sie die Bewegung des Zerquetschens mit den Nägeln.) Aber der Mann,
der im Grunde ein guter Kerl ist, zieht sie schliesslich heraus.
Es fehlt nicht an anderen Parallelen, wobei ich mich auf das beziehe,
was Bedier gesagt hat in seinen Les Fabliaux etc. (Paris, Bouillon, 1893,
S. 19f.): auf die Revue des patois gallo-romans, 1888, Band H, S. 288;
Blade, Contes popul. de la Gascogne, Band HL S. 284 und Contes
populaires recueilles eu Agenais, Paris, Baer, 1874, S. 42, mit ver-
gleichenden Anmerkungen von R. Köhler: „La femme mechante". Eine
deutsche Variante findet sich in P. Hebels Schatzkästlein des rhein-
ländischen Hausfreundes: Das letzte Wort. Vgl. auch Liebrecht, im
Orient und Occident, HL 376. Aus Simrocks Buch Deutsche Märchen
(Stuttgart 1861) nähertsich dieNo.61 einer Variante der uusrigen im Decame-
ron IX, 7; aber sie haben weiter nichts gemeinsames als den Eigensinn der
Frau. Was aus dem allen hervorgeht ist folgendes. Man findet den Scherz
erzählt um ungefähr 1260, in den Werken des Dominikaners Etienne de
Bourbon'). Vielleicht ist er in jener Zeit als Beispiel in mehr als einer
Predio-t der Bettelmönche angeführt worden, l^tienne selbst schreibt ihn
dem Jacques von Vitry, dem Verfasser cler Sermones vulgares zu, der
später Bischof von Acre war (f 1240).
1) Lis isclo d'or, Avignon-Paris 1878, Cacho-Peson. S. 302.
2) p. p. Lecoy de la Marclie, Paris 1877, No. 242—243. Vyl. Wright, A selection
of latin stories. Band II, S. 548, S. 12: le peuilleux, S. 13: le pre tondu: Andivi
de quadani muliere litigiosa u. s w.
Eine Novellette des Vottiem in litterarischeii und volkstümlichen Fassungen. -illl
Nach Etiemio haben wir zwei Receiisionen: die des pidocchioso (des
lausigen) bei Poggio, Mistral u. a., und die andere des prato tosatd (der
geschorenen Wiese): Un mari, so promenant avec sa femme le long
d'im pre, lui dit: „Vois, comme ce pre a ete bieu fanche! — II
u'a pas ete fauche, replique-t-elle, mais tondu! (Ein Mann geht
mit seiner Frau an einer Wiese entlang und sagt zu ihr: „Sieh wie gut
diese Wiese geschoren ist!" — „Sie ist nicht geschoren", erwidert sie,
sondern geschnitten!). So geraten sie in Streit, luul da sie nicht nachgeben
will, schneidet ihr der Mann die Zunge aus. Aber obgleich sie nicht mehr
sprechen konnte, machte sie doch noch mit d»n Fingern die Bewegung
der Scheere, welche sich öffnet und schliesst. Dieser zweiten Recension
schliesst sich die russische Erzählung an. Wenn wir Abteilungen liebten,
könnten wir der Geschichte des Vottiero die Typusnummer 3 geben. Aber
im Grunde bilden alle drei ein und dasselbe, und es handelt sich nur um
Variationen einer und derselben Geschichte, welche den weiblichen, hart-
näckigen Eigensinn beweisen soll.
Vielleicht brachte Jacques de Vitry diese Geschichte aus dem Orient
mit, gelegentlich einer seiner Reisen im heiligen Lande; aber die zweite
Recension wenigstens existierte schon vor seiner Zeit in Frankreich und
England, denn um 1180 erzählte sie Marie de France in Versen, und so
fand sie einen Platz in der Sammlung von Fabeln, die unter dem Namen
Romolus bekannt ist. Die Erzählung ist, mit Ausnahme einiger kleiner
Umstände, dieselbe'). Diese beiden letzten Bearbeitungen greifen, wie es
scheint, auf einen altenglischen Text zurück, der wahrscheinlich schon vor
dem ersten Kreuzzuge entstanden ist.
Unter der Form des pre tondu ist von einem ungenannten Autor
des XIII. Jahrhunderts ein Fabliau bekannt, das man im Recueil
general et complet des Fabliaux von Montaiglon und Raynaud (Paris,
Jouaust, 1872—90, IV, 104) finden kann. In den beiden Formen finden wir die
Geschichte auch weiter im Mittelalter: in deutschen Versen in Adalbert
von Kellers Erzählungen aus altdeutschen Handschriften: von der Übeln
Adelheit und-ir man, S. 204; in deutscher Prosa in J. Paulis Schimpf
und Ernst (Ausgabe von Österley, Stuttgart 1866) No. 595: vom lüskneller.
Die französischen und italienischen Erzähler des XVE. u. XVIII. Jahr-
hunderts sammelten und bereiteten das Gericht auf verschiedene Manier
zu, so dass ein förmlicher kleiner Himmel von eigensinnigen Weibern
entstand. Zu dieser schönen Zahl gehören auch die beiden Erzählungen,
welche sich in dem Buche La chasse ennuy ou l'honneste entretien
des bonnes compagnies von Ludwig Garon (Paris 1681, Centuria IV,
Vni, S. 321) finden: die eine der Frauen, welche den Ausdruck coupeur
de bourse nicht zurücknehmen will, ist das Gegenstück zu der, welche
1) Vgl. Hervieux, Les Fabulistes latins, 1884, Band 11, S. 548. No. 73: De
homin« et uxore litigiosa.
292 Ainalfl: Eine Novellette des Vottiero in litterarischen und volkstümlichen Fassungen.
die Finger krumm macht. In der Elite des contes du sieur d'Ou-
ville (herausg. von Ristelhuber, S. 22) findet sich eine Yariante. die beinahe
genau der Erzählung des Vottiero entspricht. Der Streit beginnt zwischen
zwei Eheleuten mit der Frage, ob der für den Fastnachtsabend zubereitete
Yoo-el eine männliche oder weibliche Amsel sei. und sie prügeln sich. Im
folgenden Jahre, am selben Fastnachtsabend erinnert der Mann die Frau
an den Streit des vergangenen Jahres wegen des Amselmännchens,
und sofort antwortet sie „es war ein Weibchen". So wiederholt sich das
an allen Fastnachtabenden. "Wie man sieht, ist diese kleine Erzählung
sinnreicher und graziöser als die des Vottiero.
Auch fehlt es nicht an anderen Versionen, die Liebrecht (in Pfeiffers
Germania I, 2"0), und in seiner Übersetzung von Dunlops Geschichte
der Prosadichtungen (Berlin. Müller. 1851, Anm. 475a, S. 516) anführt. Ich
führe daraus die folgenden an: Lcs Bigarrures et Touches du seigneur
des Accords (1648, Kap. VQ, S. 117); Contes ä rire ou Recreations
Fran^aises (1787, I, 102: Dispute d"un homme avec sa femme): Demo-
critus ridens (1701, S. 121 Mulierum pertinacia); Additamenta Phil.
Hermotimi ad Bebelii Facetias '(1660, S. 299: De uxore cujusdam
nobilis vapulante); Le moyen de parveuir (1781, DI, 160: La femme
opiniätre); Abstenii Fabulae, edid. Nevelet (1660, S. 587: De muliere ob
tui-dos verberata); Gellerts Fabeln und Erzählungen (1787, S. 55: Die
Widevsprecherin); Dufresne's Lustspiel, l'Esprit de Contradiction u. s. w.
Man erinnere sich auch der beiden folgenden Verse:
Chi sta neir acqua sino alla gola,
Ben e ostinato, se merce non gi'ida:
Wer im Wasser bis au die Kehle steht,
Ist sehr eigensinnig, wenn er um Gnade nicht fleht.
Eine andere Variante, dem Dialogus creaturarum des Nicolaus
Pergamenus entnommen, findet sich in den Poesies inedites du moyen-
äge von Du Meril; eine andere in den Epidorpidi, und schliesslich noch
eine in dem Buche des Pater Carlo Casalicchio: L'Utile col dolce.
overo quattro centurie di argutissimi detti e fatti di savissimi
uomini (Venedig, Baglioni, 1761); eine andere im Fapani, Lo speziale
burlone (Venedig, Grimaldo, 1871, S. 6). Vgl. auch Tresor des
recreations contenant histoires facesieuses et honnestes, Douay,
Balthasar Belleze, 1616, S. 43: Arlotto, Facezie, Ausgabe Baccini,
Firenze, Salani, 1894, S. 232.
Aber schon vor mehr als drei Jahrhunderten war unsere Geschichte
das Entzücken der Türken in Stambnl, wie man folgern kann aus den
Fahles turques, traduites de J. A. Decourdemanche (Paris 1882,
S. 13), die vielleicht zum Teil aus den Facetien des Poggio entnommen
sind. Wir finden sie auch wieder in der No. 257 der Fiabe, Novelle e
Raeconti popolari siciliani vonPitre, unter dem Titel Forfici foru.
Heilig: Segen aus Handschuhsheim. 293
Auch unser Tommaso Costa erzählt dieselbe Novelle im Piace-
volissimo Fuggilozio, in dem Bosheiten der Weiber und Schlechtigkeiten
der Männer geschildert werden, und er spricht darin von „Marito e moglie
inquieti", dem ser Provredi und von Monna Rossetta (Venedig, Barezzi, 1600,
Tag IV, No. 25, S. 269). Die Anekdote lebt im Volke weiter, wenn es sagt:
„Ich bin wie die Frau des Tägliapidocchi, die ihr Mann ihrer bösen Zunge
we"en in den Brunnen geworfen hatte, um sie zu ertränken. Und als ihr Kopf
schon unter das Wasser gesunken war, reckte sie noch die Arme heraus und
machte tkcchete täcchete mit den Nägeln, als ob sie die Läuse töten wollte."
Ich könnte noch weitere Beispiele anführen und an andere Bearbeiter
dieser Fabel erinnern; aber die erwähnten genügen vorläufig meinem
Zwecke und es ist besser, einen Schluss zu machen.
Neapel, Casoria.
Segen aus Handschiilisheim.
Veröffentlicht von Otto Heilig.
Die nachfolgenden Segen finden sich in emem 1818 von Joh. M. Wink f zu
Handschuhsheim bei Heidelberg geschriebenen Rezeptbucho, genannt „Browadera-
büchlein" (von lat. probatum). Wir geben die sehr imorthograplüsch (teilweise
dialektisch) geschriebenen Proben unter Beibehaltung des Wortlautes in geregelter
Orthographie. Zum Vergleiche sind herangezogen die im Volksbuche: Albertus
Magnus „Egyptische Geheimnisse" I, 1840, Braband; II ohne Jahreszahl, Reading;
III, 1834 stehenden Beschwörungsformeln.
1. Gegen den Flug (Augenkrankheit).
a' Hast du den Flug oder Brand in deinem Leib, [so sprich |: ich segne
dich, ich sehe ein wildes Feuer brennen; wildes Feuer, lass dein Brennen
sein. In 24 Stunden sollst du tot und getötet sein, f t t
b) Flug! ich streiche dich, du ziehst (erzeugst?) keine Gewalt; du
nmsst vergehen; du kannst nicht bestehen, f f f
Varianten: Albertus Magnus II, 21. Plug, ich beschwöre dich neun Klafter
tief unter die Erde; so bitt Gott für dich N. N., dass dir der Plug verschwind imd
verschweb etc.
11, 38. Das walte Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der heiüge Geist.
Du wildes Peuer, ich dämme dich ; da hilf mir der liebe Herr Jesu Christ, du
wildes Peuer, ich dämme dich im Namen Jesu Christ, dass dir kein Mensch kann
helfen, weder ich, da helf dir der liebe Herr Jesus Christ; wildes Peuer, ich bin
der Mann, dass ich dich zwingen kann, t t t
2. Gegen das rote Harnen.
a) Hast du das Geblüt in deinem Leib, [so sprich]: ich segne dich;
unsere liebe Frau ging durch eine lange, breite, schmale Gasse; darin
steht viel Blut und Wasser; du sollst fortgehen! f f f
294 Heilig:
b) Hani weich! Ich suche dich; Harn weich! Ich finde dich; Harn,
ich verbind dich. Das zähle ich dir zur Busse, dass du, Harn, weich
nachlassen musst.
3. Gegen Krebs.
Weich aus! Unrein! Ich streiche dich mit einem Donnerstein; ich
weiss nicht, was du bist oder was du werden willst, bis dir der liebe Herr
Jesu Christ f f f- Kreljs! dass ich dich begrüsse! Sollst du still stehen,
soll dir dein Schmerz vergehen. Sollst du vergehen gleich wie die, so
unsern Herrn Jesum Christum gekreuzigt haben, f f f
4. Gegen den Wurm.
Gott der Herr ging durch einen grünen Acker; zackert drei Furchen;
zackert drei Würmer heraus. Der erste war grau, der zweite war blau,
der dritte war rot. Der da frisst sich den (?) Wurm in drei Tagen tot.
4a. Gegen den Haarwurm.
Wurm und Würmlein! lass euch Haut und Haar Adern fliessen, Bein
und Hörn verboten sein! Soll euch einer mehr sein, als der Mann, der
im Finsteren sitzt und sein Urteil spricht. Es mögen sein grün, gelb,
schwarz, weiss oder rot, so müssen sie sein in drei Tagen alle tot.
Varianten: II, 22. Gott der Herr ging za Acker in einen guten Acker, er
thiit drei Furcht, er fing drei Würmer, der erste ist der Streitwurm, der andere
der Gneitwurm, der dritte der Haarwurm; Stieitwurm, Gneitwurm und Haarwurm
fahren aus diesem Fleischwurm, t t t
II, 61. Christus der Herr fuhr zu Acker auf Josefs Acker, er reisst drei
Furch, er fing drei "Wurm; der erste war weiss, der andere war schwarz, der dritte
war tot; hiermit sind dir, N. N., alle deine Würmer tot.
5. Gegen den bösen Hals.
Unkraut! Ich nähe (?) dich mit meinem Mund; ich segne dicli, dass du
kein Fleisch und Blut ansiehst.
6. Gegen Feibel und Darmgicht.
Hast du die Feibel und Darmgieht oder kannst du nicht mästen oder
stallen, so haben die Juden den Jesum gegeisselt; er hat uns zu Liebe
gethan, was uns nicht schadet ... so wenig uns nicht schadet. Diese deine
fünf Krankheiten. Das zähle ich dir zur Busse.
Variante I, 48: 0 Jerusalem du Judenstadt, darin man Christus gekreuzigt
hat; da ist er worden zu Wasser und Blut, das sei dir, Pferd, für Wurm und
Darmgicht gut etc.
7. Gegen den Brand.
a) Trockener Brand! Dass du nicht nach unten und nach oben gehst!
Dass du in drei Tagen so glatt heraus heilst, wie ein Ei. Das zähle ich
dir zur Busse.
b) Gott der Herr geht über Land. Er kann löschen allen Brand; er
kann löschen aus (auf) und nieder. Das zähle ich dir zur Busse.
Segen aus Handschuhsheim. "295
c) Gott der Herr geht über Land. Da begegnet ihm ein brennender
Brand. Gott der Herr hebt auf seine gebenedeite Hand und lässt ab den
brennenden Brand! Du sollst nicht hehren (seren = schmerzen), nicht
verschwären, nicht hitzen und nicht schiessen. Du sollst in kurzer Zeit
erheilet werden, f t t
Varianten. II, 55: Unser Herr Jesus zog über Land, er segnet den kalten
und warmen Brand, dass der Brand ihn nicht brenne und nicht in den Leib begehr,
bis dass die Mutter Gottes einen Sohn gebär. —
I, 10; Weich aus, Brand! und ja nicht ein; du seist kalt oder warm, lass
das Brennen sein! Gott behüte dir dein Fleisch, dein Blut, dein Mark, dein Bein
und alle Äderlein, die sollen vor dem Brand bewahret sein etc.
8. Gegen das Herzspaunen.
Hast du das Herzgespann und Nierenstrang, [so sprich:] weiche ab
von deinen Rippen wie unser Herr Jesus von seiner Krippe.
Variante I, 50: Für das Darmgicht bei Kindern. Hast du das Herzgespann
und Danngicht, so weich du von dieser Ripp N. N., wie Jesus Cristus von seiner
Rripp t t t- Dreimal gesprochen.
9. Blut zu stillen.
Willkommen, Adams Blut! Ich gebiete dir, Adams Blut, du sollst
still stehen, wie Jesus an der ? gestanden, wie Stefanus am Baume. Das
gebiet ich dir durch die Allmacht, -f t t
10. Für böse Wunden.
Glückselig ist die Stunde, wo Jesus geboren ist. Glückselig ist die
Stunde, wo Jesus gekreuzigt worden ist. Glückselig ist die Stunde, wo
Jesus auferstanden ist. Glückselig sind die drei Stunden. Das blase ich
dir in die Wunde, dass sie nicht geschwille noch geschwiere, bis dass die
Mutter Gottes einen andern Sohn gebiert.
Varianten. II, o7: 0 du Geschwulst bei unseres Herrn Jesu Christi
heiligen fünf Wunden, die nicht geschwären und nicht geschwellen etc. —
II, 38: Für das Blut zu stellen. Ist das nicht eine glückhafte Stund, da
Jesus Christus geboren ward; ist das nicht eine glückhafte Stund, da J. Chr. ge-
storben ist; ist das nicht eine glückhafte Stund, wo J. Chr. wieder auferstanden
ist? Diese drei glückselige Stunden stellen dir das Blut und heilen deine Wunden,
dass sie nicht geschwellen noch geschwären und in drei oder neun Tagen wieder
heil werden.
1, -23: Frisch ist die Wund, heilsam ist der Tag und glückselig ist die Stund,
sobald ich dich ergreif, dass du weder geschwüllst noch geschwärst, bis Maria
einen andern Sohn gebähr.
11. Gegen Rotläufen.
Das Rotlaufen und der Drach gingen miteinander über die Bach. Der
Drach ertrank und das Rotlaufen verschwand, f f f
29(J Hcibg:
12. Gegen den Wolf am Schwanz.
Der Wolf und der Drach die gingen miteinander über die Bacdi. Der
Wolf verschwand; der Drach ertrank, f f f
13. Schmerzen zu legen.
Nenne denselben mit seinem Namen [und sj)ricli:] ich stille dir die
Schmerzen, wie unserem lieben Herrn Jesu gestanden sind am Stamm des
Kreuzes, f f f
14. Gegen das wilde Feuer (Gesichtsrose).
Wildfeuer! lerne (?) reissen, lerne (?) Blut; du sollst weichen, Kopf-
blut, wie die Wolken am Himmel steigen bei Anrufung der drei Personen.
15. Gegen Gicht.
a) Man muss zuerst den Taufnamen sagen und sprechen: 77 Tage die
reissenden Gichter, die Wehgiohtor, die schwimmenden Gichter, die Milz-
gichter und die verfluchten Gesichter. So soll sie die erste Rulie in der
Grube [nehmen]. Ich zähle dir dies zur Busse, dass du sagen und sprechen
musst: hast du 77 Nachtgesichter und Gichter, die tobenden Gichter,
Lendengichter, die stechenden Muttergichter, die Brustgichter und Nacht-
gichter und der Mannsbiss? [Lücke] das seinige genommen hat, dass Ziel-
gichtfluss weichen muss.
b) Man muss erst nehmen drei Bündel Heu und sie auf deu Mist
legen und die Sonne hierüber untergehen lassen; hernach, wenn man es
braucht, es herausnehmen und nachts unberufen in den Hof gehen; unter
freiem Himmel mit schwachen Füssen draussen stehen und sagen: liier
stehe ich auf dem Heu und sehe in das zwei und sehe der drei, die lösen
mir das reissende Gicht, das wütende Gicht, das laufende Gicht, das
tobende Gicht und alle bösen Naclitgesicht(er). t t t
c) Christus der Herr ist geboren zu Bethlehem, erzogen zu Nazareth,
getötet zu Jerusalem, und das ist so gewiss wahr, dass der Herr Christus
helfen kann. Das zähle ich dir zur Buss.
d) [Anfang verderbt!]
.... 0 du Gicht, 0 du Gicht, also du mich wo willst aufreissen, wo
willst einreissen. Ich will gehn in des Menschen sein Herz und will ihm
fressen sein Fleisch und sein Blut, wie er es zuvor gehabt hat.
Im Namen Jesu von Nazareth. Du sollst ausrinnen und sollst dem-
jenigen sein Fleisch und Blut gehen lassen; o du KOPFgicht, o du Augen-
gicht, 0 du Mageugicht; o du KOPFgicht, o du Augengicht, o du Magen-
gicht, 0 du Bodenkrampfgicht, o du schwarziges Gicht, o du fallendes
Gicht, 0 du schweissiges Gicht, o du schwellendes Gicht, o du „gelbsiges"
Gicht, 0 du Zahngicht. Amen; in Gottes Namen Amen.
Varianten, ad b) und d), III, o4: 0 Gicht, o Gicht, wie marterst du mich,
das klag- ich Gott über dich und deinen höchsten Namen, der den Tod am
Stammen des Kreuzes unschuldig leiden müssen, N. N. Gicht und Gichtern wahren
Segen aus Haudschulisheim. 297
Tod über einer grünen Auen, begegnet ihm St. Anna und unsern lieben Frauen,
St. Anna sprach f Gicht und Gichtern, wo wollet ihr hin; die Gichtern sprachen,
wir wollen dahin zu N. N. in des Menschen Leib fahren und wollen ihm sein
Fleisch laufen und sein Blut aussaugen; da sprach die heilige Frau St. Anna f
und t Gicht und Gichtern, ich gebiete euch bei der Kraft Gottes und bei dem
höchsten Bann, du laufendes Gicht, du stetes Gicht, du raffendes Gicht, du habendes
Gicht, du kaltes Gicht, du hitziges Gicht, du Hirngicht, du Hauptgicht, du Fleisch-
gicht, du Blutgicht, du Markgicht, du Markolisches Gicht, du über alle Gichter und
Gichtern, ich gebiete euch in das wilde Gramant, daraus ihr kommen seid,
dalün sollt ihr wieder gehen etc.
ad a), I, 44: Vor die fallende Sucht oder Gichter: Weidenstock, ich reg dich
an, ich bitte dich, verlasse mir meine siebenzig und siebenzigerlei Gichter etc.
ad c), vgl. II, 11: Eine Blutstellung von einer Hebamme aus Nürnberg. Jesus
war zu Bethlehem geboren, Jesus war zu Jerusalem getötet, so wahr diese Worte
sind, so wahr verstehe dir N. N. das Blut etc.
16. Für das Leintuch (Bettnässen?).
Ich ging durch eine Stadt; darin fand ich eine Gasse; darin fleusst
nichts als Blut und Wasser Blut, du sollst stille stehen; Wasser, du sollst
fort gehen, f f f
17. Los zu machen.
Der dich hierher gestellet, der mache dich wiederum frei. Lege mir
nieder, was du gestohlen hast. Gehe hin in Frieden und halte die Gebote
Gottes.
18. Gegen das Aufgelaufensein der Kuh.
Schwarzbraune Kuh! Hast du dich übernommen, wie Christus der
Herr am Kreuz ist gekommen. Hat dem nichts gethan, so wird dirs auch
nichts thun! t t t
Variante II, 13: Für den Brand. Ich habe mich gebrannt, Christus den
Herrn, den hat man erhenkt, schadet ihm sein Henken nichts, so schadet dir dein
Verbrennen nichts. — Vgl. auch II, 5 Für die Flüss-, Zahn- und Kopfschmerzen;
II, -27 Wenn sich einer verrenkt hat; II, 59 Für das Henken am Vieh.
19. Dass ein Dieb kommen muss, sobald er dir etwas
gestohlen hat.
Kehre innerhalb 24 Stunden den Staub überall zusammen, wo der
Dieb gegangen oder gestanden sein kann. Kaufe sodann einen irdenen
Hafen, brüte ihn in Teufels Namen; thue den zusammengekehrten Staub
herein, lass es stark sieden. So muss der Dieb stark laufen.
Ein ähnliches Mittel siehe Alb. Blagu. I, 24.
20. Diebsstellung.
a) Gehe dreimal abends um dein Gut, ebenso morgens vor der Sonne
Aufgang und sprich: Maria in dem Kindbett lag, drei Engel Gottes thaten
ihrer pflegen. Der erste war St. Michael; der zweite Gabriel, der dritte
St. Rapha. Es kommen drei Diebe daher, sie wollen Maria ihr liebes
298 Gittee:
Kind stehlen. Maria sprach: St. Peter, bind! St. Peter sprach: Ich habe
gebunden mit eisernen Banden, mit Gottes selbst eigenen Händen.
Daher muss [er] stehen wie ein Stock, aussehen wie ein Bock, bis er mir
kann zählen alle Sternschnuppen, Schneeflocken, Regentropfen; alle Tropfen
in dem Meere, allerhand Körnlein in dem Meere, dass er stille stehe und
nimmer wieder gehe, bis dass ich selbst darüber komme und mit meiner
fleischlichen Zunge darüber sage die drei Personen Vater, Sohn und heiliger
Geist.
b) Petrus, Petrus, Petrus! Nimm von Gott die Gewalt, was du hier
binden wirst mit dem Band der Christenhand; alle Diebe und Diebinnen,
die mir mein Gut von der Hofraite wollen wegtragen, sie seien jung oder
alt, gross oder klein, sollen sie Gott dem Yater gestellet sein, von Gott
dem Sohn gehalten, von Gott dem heiligen Geist gebunden und durch diese
drei [in] 24 Stunden versöhnt sein; und kein Dieb nunmehr weiter hinter
noch vor sich, bis ich sie mit meiuen Augen sehen und mit meiner Zunge
Erlaubnis geben kann, dann sie zählen mir zuvor alle diese Steine, die
zwischen Himmel und Erde liegen, und alle Regentropfen, Laub und Gras;
dazu helfe mir Gott Vater, Sohn und heiliger Geist.
Varianten. IT, 14: Bind Petrus, bind Petrus, bind Petrus, bind mir alle
diejenigen Diebe mid Diebinnen, die mir aus meinem Haus oder Güter etwas
nehmen oder stehlen wollen: bind sie mit eisernen Banden und mit Gottes Händen,
mit den heiligen fünf Wunden imd mit den wahren zwölf Stunden, dass sie mir
müssen stehen wie ein Stock und schauen wie ein Bock, zählen mir die Sterne,
die am Himmel und Firmament stehen, die schauen auf Gottes Laub und Gras etc.
n, "25: Maria ging spazieren mit ihrem lieben Rind, zwei Dieb kommen
gegangen, die nahmen's ihr geschwind: Maria aber sprach zu St. Petrus: bind St.
Petrus, bind St. Petrus, bind St. Petrus Petrus sprach: ich hab es gebunden mit
Jesu Banden, mit seinen heiligen fünf Wunden, ist mir mein Gut verbunden, wer
mir etwas stiehlt, der soll stehen bleiben zu einem Stock und über sich schauen
als ein Bock, kann er mehr zählen als alle Sterne die am Himmel stehen, all
Laub und Gras, Regen oder Schneeflocken, so kann er mit seinem gestohlenen Gute
laufen, wo er will; kann er es nicht, so soll er stehen bleiben zu einem Pfand,
bis ich ihn mit meinen leibUchen Augen überschauen kann und ihn mit meiner
Zunge heiss weiter gehen. — Vgl. auch II, 27.
Heidelberg.
Dienstrecht und Dienstboteiigewolinheiten in Flandern.
Von Angust Gittee.
I. Die "Wechselzeit.
Knechte und Mägde vermieten (verhuren) sich gewöhnlich auf ein
Jahr: in neuerer Zeit ist in einigen Gegenden auch Vermietung auf einen
Monat nicht selten eingetreten.
Uienstreoht und Dienstbotengewohtiheiten in Flandern. 299
Jedenfalls kann man mitten im Jahre abziehen (verhuizen); dann
niuss man aber diese Absicht vierzelui Tage voraus ankündigen. „Ich bin
in meinen Vierzehn Tagen" heisst es, oder „man hat die Vierzehn
Tage angesagt (opgezegd)". Der Bauer oder die Bäuerin (die gewöhu-
liclie Anrede zu der ländlichen Dienstherrschaft ist in Flandern, sowie in
Zeeland und Friesland, Boer und Boerinne, in Limburg Pachter und
Pachtos')) „giebt dem Kneobte oder der Magd seine (oder ihre) Viei-zehn
Tage", d. i. sagt ihm auf.
In der Umgegend von Gent heisst das Abziehen der Dienstboten
byzen^j, ursprünglich vom Vieh gesagt in der Bedeutung „links und rechts
irre laufen". „Onze Knecht is op 3. Mei gebezen" sagt man.
In der ganzen Provinz Ost-Flandern scheint der Wechseltag für Dienst-
boten durchgängig der 3. Mai zu sein.
Am 3. Mai muss jedermann am Abendtische anwesend sein.
Diejenigen, welche ein ganzes Jahr geblieben sind, können schon am
1. Mai morgens fortziehen, die anderen nur am 2. Mai nach dem Mittag-
essen. Die Magd geht nicht fort ohne vorher ihre Schüsseln gewaschen
zu haben.
Vor Fastnacht fragt der Bauer, falls er seinen Knecht zu behalten
wünscht: „Blyfde 't jaar?" Erfolgt diese Frage nicht, so weiss der
Dieustbotb, dass er sich einen anderen Plerrn zu suchen hat. Er (oder sie)
kann sich „op een ander vorzien", heisst es. — „'k en ben nie
gevraagd", sagt man dann.
Der Wechseltag und der davon abhängige Fragetag ist sehr ver-
scliieden, je nach den Gegenden.
In Antwerpen fällt der Wechseltag auf St. Peter und Paul (-"J. Juni),
luid der Fragetag auf Halfmeert (Halbmärz).
In Brabant ist Halbmärz an vielen Orten Wechseltag; ebenfalls in
Limburg. Oft ist der 15. März merkwürdigerweise auch der Heiratstag
für Dienstboten. In anderen Orten Brabants ist es wieder St. Peterstag ").
In Brabant besteht auch die Gewohnheit, dass neugemietete Dienstboten
mit dem Wagen ihres neuen Herrn geholt werden. Früher geschah dies
mehr als jetzt. Bei dieser Gelegenheit sah man in den Dörfern eine
Anzahl mit Ästen und Laub geschmückter Wagen. Natürlich sind die
Kehlen durstig, man besucht fleissig die Schenke, luid es giebt ein Leben,
als ob es Kirmess wäre. Dabei ertönt oft eine Variaute des altvlämischen
Liedes Naar Oostland willen wy ryden*), wobei Oostland in Rooze-
1) Die Endung -os entstand aus -ors, der Nebenform zur flandrischen Endung
-erse: Pachtos = Pachterse.
2) Grimm, Deutsches Wöi-terbuch 11, 3: biesen.
3) Willems, Oud-Vlaamsche Liederen, No, 19, sagt jedoch um Johannis, im
Monat Juni. Dies scheint ein Irrtum zu sein.
4) Hoffmann von Pallersleben, Horae Belgicae, IT', No. 105,
300 Gittoe:
land umgewandelt wird; Roozelaud soll die neue Stelle bedeuten, indem
es ja stets im neuen Dienst hesser sein muss.
Im wallouischen Teile Belgiens fällt der Wechseltag gewöhnlieh später.
In Süd-Brabaut und in Namur ist es Allerheiligen, in Lüttich
Martini.^) Der maiss (d. h. der maitre, Bauer) fragt seinen Knecht
einen Monat im Voraus.
In Luxemburg mietet man Knechte und -Mägde auf dem sogenannten
Gesinnesmarkt, ein formeller Dienstbotenmarkt, welcher vom 26. Dezbr.
bis zum 6. Januar abgehalten wird. Man vermietet sich am Stephanstag
„von Gln-isttag zu Christtag". Ein Volksreim sagt:
„Am Stephaustag (26. Dezember)
Mach' deinen Pack."
II. Lohn und Vorteile.
Der gewöhnliche Lohnsatz ist, im Südosten Ost-Flanderns wenigstens,
wie folgt:
a) für einen Kühbuben (Koejongen) einen Stuiver (= Stüber, d. i.
0,09 fr.) jeden Tag. Also ungefähr 26 Mark auf ein Jahr;
b) für eine Magd 2 Stuivers (etwa 53 Mk. auf ein Jahr). Obendrein
erhält sie 20 Ellen Leiuewand, zwei blauleinene Schürzen und, falls sie
auf den Markt zu gehen hat („de Merkt doen), ein Paar lederne Schuhe;
e) für einen Knecht 3 Stuivers (etwa 80 Mark auf ein Jahr):
d) für eiuen Pferdebuben („Peerdeknaap") 4 Stuivers (etwa
104 Mk. jährlich).
All diese Löhne verstehen sich natürlich incl. Kost und Wohnung.
In den Ardennen war bis vor ungefähr 50 Jahron der Dieustbotenlohn
jährlich nur 24 Mark (st pes', d. h. six pieces oder 6 Pünffrankstücke) ;
obendrein ein Paar Schuhe auf Weihnachten.^)
Gewöhnlich werden von den sich vermietenden Dienstboten ein paar
freie Tage beansprucht, besonders um nach der Kirmess ihres Kirchspiels
zu gehen, falls sie zu einem anderen Orte gehören.
Bisweilen kommt noch ein zweiter freier Tag hinzu, zum Besuche
eines oder anderen Lokalfestes; so z. B. im Süden Ost-Flanderns, zum
Besuch des Jahrmarktes zu S. Lievenshautem oder mehr noch des sogen.
Toogs in Geeraardsbergen. Der erste Toog wird am 1. Montag im März,
der zweite Toog am 1. Montag im April abgehalten. Je nach den Gegenden
sind diese Gewohnheiten verschieden.
Zu dem a-enannteu Lohn kommen noch kleinere Vorteile.
1) Aber auch der 1. oder sogar der 15. März.
2) Die Verantwortlichkeit für diese Angabe bleibe aber dem (Juestionnaire de
Folklore public par la Societe du Folklore Wallon, Frage 1584.
Dienstrecht und Dionstboten^ewolmheiten in Flandern. 301
In Lüttich und walirscheiulich noch anderswo erhält die gemietete
Magd einen Denier a Dien (Gottespfennig). Bleibt die Landmagd länger
als sechs Monat im Dienst, die , Stadtmagd länger als ein Jahr, so ist der
Gottespfennig ihr Eigentum.
Wenn der Bauer Vieh verkauft, hat der Käufer dem Dienstboten, der
das verkaufte Tier zu ihm führt, ein Trinkgeld zu zahlen, welches Steert-
geld (= Schwanzgeld) heisst.
Dieses Steertgeld beträgt:
a) bei dem Verkauf eines Schweines einen Stuiver für den Kuhbuben;
b) bei dem Verkaufe eines Kalbes eine Tlaket (d. li. S'/j Stuivers)
für die Magd;
c) bei dem Verkauf einer Kuh einen Sclielling (=7 Stuivers) für
den Kuhbuben und für die Magd ;
d) bei dem Verkauf eines Pferdes zwei Gulden (migefär 3,40 Mark)
für den Pferdebuben.
Der Kuhbube erhält weiter einen Stuiver für je hundert gesammelte
Eier; der Knecht einen Stuiver für jeden verkauften Sack Getreide oder
Saat.
m. Die Pacht.
Wenn ein Haus oder ein Stück Land auf drei, sechs, neun Jahre vermietet
wird, so wird ein geschriebener Mietsvertrag (Pacht) gemacht. Wird es
nur auf ein Jahr vermietet, so reicht der mündliche Vertrag hin.
Das Schliessen von Verträgen, das Kaufen von Tieren, Bäumen,
Früchten u. s. w., das Mieten von Häusern, Äckern, Wiesen u. s. w., das
Mieten von Knechten und Mägden geschieht ohne Zeugen.
Das gegebene Wort ist genug; der Handschlag ist nur beim Tierkauf
gebräuchlich. „Een man, ecn man; een woord, een woord!"
Auf den Wortbrüchigen wird nicht nur mit Fingern gewiesen, die
Schande fällt sogar auf die ganze Familie: „Hüte dich vor dem oder den;
sie halten ihr Wort nicht!"
Die Ehrfurcht vor dem verbüKgten Wort spricht ebenfalls aus der
Scheu, welche der Dienstbote zeigt, vor Jahresfrist aus dem Dienste zu
treten.
Das geschieht auf dem Lande selten mitten im Jahre und wird stets
zum Nachteil des Bauern oder des Dienstboten gedeutet. Geschieht es
raolü-nuils auf demselben Bauernhofe, so stehen dem Bauer Schwierigkeiten
zu erwarten. „Dat hy er zieh een beddeken zaaie" (er säe sich deren
ein Beetchen) heisst es beim spottlustigeu Volke. Dem Knecht oder der
Magd geht es in diesem Falle auch nicht immer gut, denn er (oder sie)
findet nicht leicht eine neue Stelle. Ohne Stelle bleiben heisst man: „op
de Klavers geraken" (auf den Klee geraten), warum weiss ich nicht.
Dergleichen Dienstleuten traut man allgemein nicht. Während der „strengen
302 Wossidlo:
Jahreszeit" (im Winter) wird kein Bauer einen Dienstboten fortschicken,
und während der Arbeitsperiode wird kein Mietling weggehen, bestünden
auch wichtige Gründe zur Unzufriedenheit, immer aus Ehrfurcht vor
dem gegebenen Wort.
Lüttich.
Das Naturleben im Munde des xMecklenburger Volkes.
Von R. Wossidlo.
Der in der vorliegenden Zusammenstellung verarbeitete Stoff ist im wesent-
lichen von mir selbst seit 1 884 in den verschiedensten Teilen des Schweriner und
Strelitzer Landes gesammelt worden. Die seemännischen Ausdrücke über Wind,
Wasser u. s. w. , die mir besonderer Beachtung wert scheinen, habe ich alten
Matrosen und Kapitänen in den Dörfern der Ostseeküste entlockt und zwar zumeist
dadurch, dass ich ihnen früher gehörte Ausdrücke, unter dem Yorwande, dieselben
nicht völlig zu verstehen, vorlegte und um genauere Erklärung bat: in solchen
Erklärungen kam dann oft ein ganzes Nest verwandter Ausdrücke zum Vorschein.
Einzelne wertvolle Ergänzungen meiner Sammlungen habe ich aus den Bei-
trägen einiger Mitarbeiter an dem Sammelwerke des Altertumsvereins schöpfen
können; ich nenne hier mit besonderem Danke die Herren Maler Schack in Pinnow,
Lehrer Dunze in Bartelshagen, Lehrer Gosselk in Stresendorf, Lehrer Lübbe in
Nienhagen, Lehrer Brandt in Börgerende und Frau Ida Alm in Dierhagen. Auch
diese Arbeit erschöpft natürlich den Besitz unseres Volkes nicht im entferntesten;
jede Gegend hat ihre eigenen Ausdrücke.
Volksreime, Anrufe an Sonne, Mond, Regenbogen u. s. w.. sowie Wetter- und
Ralenderregeln habe ich hier bei Seite gelassen. Alles, was sich bei Bartsch
bereits findet, habe ich nur in Hinweisen berührt.
I. Gutes und schlechtes Wetter, Wetteranssichten u. s w.
Gutes Wetter:
Dat is hüt moi. amösch, macklig weder, gladdes, kommodes weder.
Dit weder gädt enen ornlich.
Dit kann 'n oll minsch god uthollen.
Dit is grad so niulrecht, moltrecht.
An einem schönen, warmen Märztage heisst es:
Nu kann man sik all bargen.
- Hüt is de snider ok 'n minsch.
Nu kann de haudwarksburss all achter'n tun liggen gähn un sik 'n
ding afgripen; nu kann man sik all 'n putiug achter de häg afsöken,
afstöten.
Das Natiirlebeu im Munde iles Mecklenburger Volkes. 303
Schlechtes Wetter:
Dat is 'n höllenweder, himmehveder, swiusweder, kohweder.
Is 'n grausames, ruchloses, verwedertes, dwerslägsches, meschautes,
iuiunsches, hundsföttsches, uuflediges, schinniges, schaddiges, schawwiges
weder.
Is 'n richtiges schapwaschweder, tüffelrackerweder hflt.
Anderes siehe unter „Regen".
Is so 'n ungestüm, uugestürni, unstür, unlustig, unrustig, unrüstig,
unnasch, unnoselig, untröstlich, unbarmherzig weder.
Is so 'n undankbor Witterung.
Is so 'n unwitterung hüt.
Hut is 't graunsch, graunschig, galstrig buten.
De (scheper) möt der buten spott un schand (stürm un Ungeduld)
utliollen.
Is so 'n oll snuppisch weder.
Is so 'n oll grises, gruseliges weder.
Is so schudderig, schauderig, pustig, rusig, rüschig, rauschig, susig hüt.
Is 'n weder, dor ward enen bi liuddelu, schuddern, grasen.
Anderes siehe unter „Frost" und „Wind".
Dit is 'n weder vor 'n pracher.
Is 'u weder as niidden in 'n nors.
Is 'n weder, as wenn Haus (Hansjochen) frigt un het gor keu brut.
Dit 's grad so 'u weder as dünn, as wi achter "n aben seien.
Is 'u weder, dat kann 'n hund jammern.
Is 'n weder to 'n kehl tosneren.
Is 'n weder, dor kann 'n lüs un flüh bi krigeu; dor kann 'n dat lachen
nich bargen; dor kann enen dat frigen, dat flöhhöden bi vergahn.
So, bi dit weder ward de zeg wol bücken.
Dit weder is minsehen un buern ower.
Dit weder hüllt frünn von de dör.
Is god weder to 'n hunuhängen, kamen ken tokikers.
Is 'n weder, dor mag man keneu hund achter 'n aben rutlocken;
wenn de buer 'u goden hund het, joggt he em nich rut.
Is u weder, dor kann ken pird 'n og updohu, öwer de mann kann
rut, sagt wohl die Hausfrau scherzend.
Hüt het 't sin däg, sin ort, sin ümstämi, sin grissmussen.
Dat weder is upstunus ganz ut 'n schick, ut de reihg, ut 'n curs, ut 'n
lim, ut de fangen.
Dat weder will ok gor nich upstäds.
Wo will dit weder lien!
Hüt lett he sinen dullen wedder ut.
Hüt lett de oll wat los.
21
Eeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1895.
304 Wossiillo :
Hut spält (blast) lie öwer wedder up!
De wedermaker is wol uicli to hus, is wol 'u auiieni an 't regier.
Uns herrgott is up iiahwern gähn.
Nu is uns herrgott wedder nich to luis, nu deiht de anner (de diiwel)
wedder, wat he will.
Uns herrgott is verreist, Petrus het 't wurt; sin adjudanten hebben de
regierung; nu wirtschaften de jungens; nu spälen sin dummen jungeus;
Petrus het 't sin jungens öwergeben.
Andere, rohere Ausdrücke übergehe ich hier.
Willn man enen rupschicken na Petrus, dat wi annor weder krigen
(dat he 't weder dreiht).
Willn na 'n krog gähn un versupeu 't weder; dat weder niöt rüm-
sapen warden; willn rein luft drinken.
Willn klor weder danzen.
Willn rein uteten, dat 't god weder ward.
Brennt de stubenbessens up, dat 't klor luft ward.
De frugenslüd möten de katt god straken, dat se "n stirt hoch höllt
u. ä. m.
Huhu, wo geiht uns riken dat. wo "t de armen nu wol geiht.
So nu up See uu denn ken schipp nnner de föt (un denn ken henid au).
Öwer slicht weder hebben wi seelüd nich väl utdrücke, sagte mir ein
alter Älatrose, bi uns heit dat: so as 't kümmt so gelt 't; un wenn "t up
dod un leben geiht, denn het jederein sin arbeit, denn hebben wi to "n
snacken ken tid.
Bei argem Wetter auf See heisst es sonst wohl:
Nu krigen uns de makrelen wol.
Nu geiht 't wol rin na 'n keller, na 'n gottskeller, na 'n kabeljaukeller,
na "n haikeller, na 'n haifischrachen.
Hu vadderniann, wo 't buten wol hunnt, harr de voss to 'n wulf seggt,
harr achter "n mardelhalm legen (harr de has seggt, harr achter 'n distel-
busch seten; harr de fischer seggt, harr "n finger dörch 't netz steken}.
Halw busch, halw rock, säd de scheper un seet achter 'n knüttelsticken.
So, hier (hinter dem Ofen, in der warmen Stube) sitten wi beter, as
in 'n Zierker see.
Dit 's hier dat best flagg up de ganze N.sche feldmark.
Ik gah hier nich rat achter 'n aben, un wenn trummein un trumpeten
gähn.
So nu lat 't man husen, toben.
Nu lat 'n scheper man höden (blaseu), wi sitten in 'n drögen.
Is man god, dat wi sniders sünd.
Unsere Seeleute sagen von einer guten Ankerstelle: hier liggen wi as
in Abrahams schoss.
Das Natiirlelion im Muiid.^ drs Meckleiiburgpr Volkes. 305
Hier is tlat Sfliulig, öwcrscluiliL;; willii 'n beten achter de sclmluug
gähn, achter öwerwind gähn, in 'n öwerschulen, in 't öwerschur gähn, in 'n
schnlingen führen, 'n beten schulnng snkon.
In der Sehifferspraohe wird spriehwörtlieh gebraucht: willn 'n beten
achter Bornholni lopen.
Wi willn dat ihrst utwedern.
Wetter-Aussicliten u. s. w.:
Wenn dat weder man gods deiht.
Wer weit, wat dat weder in 'n kopp liet.
Bat weder steiht noch in bedenken, in twifelniot, is noch wankelmödis.
Dat weder landdagt (aucli bei Reuter).
Dat weder lurt, horkt, is in 't horken, steiht inno hork, uppe lur.
Dat is so 'n drusig, drüsig weder; dat weder is in 'n drus, in 'n dusel,
in "n düsel.
Dat weder lig'gt so in 't gewöhl.
Dat weit nich, wo "t lien will.
Dat lunst so; is so "ii oll lunseli, lünsch, quackelig, unbestand, brüdig,
uarrig weder; dat weder briidt ünimer so weg; is so 'u oll tarrweder; he
narrt uns hüt; he lunt umher u. ä. m., vgl. „Wind".
Dat weder smitt üni, smitt umband: ändert sich.
Dat weder mag sik wol noch besinnen, bekihren.
Dat breckt wol noch dörch (ja ower dörch kittel un iack).
Dat mag sik wol noch dörchnmnkeln, dörchmuddeln, dörchkloren,
(lörchbunten, dörchhellen, dörchgludern, dörchschulen, dörchwasson, dörcli-
arbeiten, dörchfreteu, dörchrusen, afrusen, ntrusen.
Dat ward klor achter de auken. achter Danierow, Ciörgelow, to Käselow
schint de sünn, vgl. „Wolken".
ünuer ward 't klor, harr de oll fru (de bur) seggt, harr 'n rom von
de melk sapen.
Dat ward noch blankmützenweder.
Dat driwwt sik af.
Dat unful, de unflat müt iiirst rut.
Dat verdort sik 'n beten.
Dat weder schint sik to setten; dat treckt to weder.
Wenn wi enen to narren bruken willen, fragen wi eni, ob he ens in
't weder kikeu will; wenn he denn ja seggt, denn ward "u rocksärniel in
de hoch hellen, dor möt he sinen kopp rinsteken uu dörchkiken, dor gütt
denn en von haben to 'n emmer vull water rin, dat is denn de regen.
Ik büu so wederweik, ik fohl ümmer vorher so 'n riten, so 'n rajolen,
so n ramenteu in de knaken.
He is wedersüchtig, wedersüksch.
21'
306 WosSidlo:
II. Regen.
Regenwolken:
Hut giwwt noch wat uppe jack, up \\ kittel, uji 'n naschkittel, uppe
lunten, uppe plünn, uppe hotkrempen, uppe naht, in 't laken, uppe rabatten,
uppe räuw, in 't fellisen, up 'n dak, up 'n deckt, uppe lüs u. s. w.
Hut ward he uns noch schön weck inswengen, instoppen, inspölen,
instöwen, inbulleru.
Hut schickt he uns noch wat.
Wenn de uns fat 't kriggt, driwwt uns dat water noch ut 'n mors.
Hut sünd wi inweikt, morgen warden wi wasclit.
Hut bringt he uns dat noch to hus.
Hut ward he uns dat anstriken.
De ward uns upspälen.
De ward uns schön begawen, begurrern, begarrern, liegassehi, besudehi.
Hut begiitt he uns noch.
De ward uns inseipen, dörchseipen.
Hut lohnt 't noch weck.
Hut giwwt noch tunner, priemtoback, granaten.
Hut giwwt noch ne bür vull, ne lawei, 'n loppen.
Hut giwwt noch wat von "t fett cud.
Hut giwwt noch wat vor wörtel un boliueu.
Hut krigeu wi wol noch "n natten nors.
Seiht jug man na kittel nn kort iack um.
Wir 'n ding asn fustlumdschen, .het uns doch von de arbeit jagt.
Hut ward "t wol noch "n saebenviertelsdag; hüt niöten wi wol noch "n
viertel, 'n blagen maken.
Willn all 'n beten scharp henkiken (denn mag he jo wol bang warden).
Leiw gott ümmer so rüm, hier is regen nog (wi sünd all god lud).
Dat ward wol regen hüt: du meinst wol unnei-'n ruhgen himmel
(obscön).
Von dicken Wolken:
De ward öwer utspigen, utspucken.
Wo de utladt (utpackt, utschürrt, loslott, platzt), dor lohnt "t wat, dor
rögt sik wat, dor ward 't klaetern.
De het wat in sik. dor sitt wat in.
De het öwer insackt, dor hängt n schönen sack an, de het 'n schönen
sack vull bi sik.
De het öwer kesbodder laden, vgl. „Wolken".
Wo süht dat einmal dick ut: je, dat kann noch so dünn warden, dat 't
nich up 'n spohn to hoUen is.
Wenn dat dick all ihrst dünn ward !
Dat klort dick up un kümmt dünn dal.
Das Natiirlebeu im Munde des Mecldenlnirger Volkes. 307
Dat giwwt wol uoch n husch, u lütten hutsch, rutsch, lütteu nassauer,
lütten öwergät, lütten ströper, kratzei-, fegert.
De dick dutt geiht um uns weg, 'n lütten spraut, swanz, stripen, sträng,
sprägel, ne lütt eck, ue lütt spitz krigeii wi ok wol.
De düllst marach is na N. röwergahn.
Mit de butt sünd de N.schen wedder dörch de latten gähn.
Dat best fett is na N. kamen.
Dat hebben de N.schen sik wedder hahlt.
Dat is uns wedder wegwitscht; dat scluier is uns miss gähn.
Dit is man ne lütt törnung.
Is man 'n öwergang, haiT de voss ok seggt, as se em dat feil öwer
de uhren treckten.
Dat wir man so 'n beten öwerbradels.
Dat wir man "n beten sprangregen (sprangwark, spraugwesen), de butt
kümmt noch.
Dat snuckt noch na.
Dat spillt, spillert, sprenzelt, sprenkelt, quenkelt noch 'n beten.
De guss is öwer, dit is noch 'n beten spriukelwark.
Por sweitdruppen kamen noch achteran.
Dit is noch so \\ lütt naspill, i\ lütten naschuss, naschüwer, naguss.
Nu het 't utmult, utlunt, utlurt, utgludert.
Frühregeu:
Oll, dit is mau "n beten oll frugenspiss.
De ollen frugens in 'n himmel sünd nu upstahn, de pissen ihrst.
Teglermuddersch het uoch nich utpisst.
De N.schen hebben dat morgenpissen noch nich dahn.
Nu het Petrus nog pisst.
Dit is 'n beten mückenpiss, mückenpissels.
Der pissen de öwerlandschen mucken.
De Witten dirnens (die Möwen) hebben noch nich utpisst.
Auch: wi möten utpissen, dat "t god weder ward.
De frugenslüd hebben de bräug noch nich farig.
Morgenregen is ken dagregen; morgengäst bliben ken nacht; de heri-en
de tidig kamen, führen vor abend wedder weg: aber: de gast, de na uägen
kamen, de sitteu 'n ganzen dag.
Feiner Regen:
Dat fimmelt. fisselt, fusselt, stöwt, sprudelt, stuwwelt, sweit "t so 'n beten.
Dat is so 'u beten duss, beten fissels; is so n finen smudd; dat is "n
smurrregen, smullregen, smuddelkram, muddregen, dreckregen, beten spölter-
kram, so 'n finen sprüddelregen, dakregen, miestregen, sweitregen, stömregen.
Beten stoff het 't all wedder geben hüt middag.
308 Wossidlo:
Regenwetter:
Dat ast, saut, dreckt, pisst, sielit, slunimt, slargt, smudelt, smuddt,
smuddelt, smaurt, sniurt, smiirrt, sinaust, sniausselt ümmer to.
Dat saust sik euen au upstunns.
Dat is bi enen sälent.
Dat sust un brüst \\ ganzen dag.
Is "n asweder, slackweder, smuddelweder, smausweder, slatschweder;
is 'n saukram.
Dat is so 'n schurig weder; dat schuert ümmer to (vgl unter „Wolken").
Dat is so 'n asig, dreckig, klattig, klattrig, klatschig, messig, muddelig,
musselig, muschig, uascliig, nasselig, ölschig, rackerig, sälig, slackerig,
slakig, slarkig, slatschig, sehiti»', smnddelig, smusselig, smausig, smolk,
smölk, snusslig, suppig weder.
Nu regent 't pütten un pöl vull uii nahst früst "t to.
Is 'n weder, dat de weg driben.
Dat ward all en blank.
Dat is all pflttig un plampig; dat is all en matsch, en maratz, en
maus, en plamp, en plirrer, en supp.
Dat is ne schöne gähr.
Dat is so matschig, watschig, gatschig to gähn.
Hut hamelt man sik god in, hüt warden de hamel noch billig, hest "n
schönen hamel, kannst di sünndag ne supp kaken.
Regenweder is herrenweder, bi god weder kann jederein reisen.
Starker Regen:
Dat wir öwer 'n gät!
Dat wir wedder 'n gadlichen schülp.
Dat is 'n drangen, strammen regen; is "n dreidrätigen regen (Reuter).
Is "n störkregeu, Strichregen, platzregen, pladderregen.
Dit ward so 'n ebendrächtigen landregen.
Dat regent gor nicli as "t mod is.
Dat regent, as wenn "t up "n buern (up 'n buern sin schöttel, up n
eddelmann, up 'n gemeinen minschen) regent.
Dat regent, as wenn 't all wegswemmen sali.
Auf See: Dat regent, de spigaten känen 't water nich verdangen (ver-
delgen).
Dit liöllt kiewig an.
Dat regent drell, neuslich, knasch, glupsch, vor dull, ümmer egal weg,
na 'n strich, ut vullen bauch, ümmer glatt dal.
Regen ded "t all wat 't heilig tüg hellen wull.
Wenn grosse Tropfen fallen, sagen die Dassower Fischer:
Dat's von de groten swedschen (d. h. beringen).
Das Naturleben im Munrlo dct^ Mecklenburger Volkes. 309
Dat regent in gäten dal; as wenn 't mit mollen gaten ward; as wenn
en mit kannen (emmers) gütt; as wenn t mit de worpschüpp ninsmeten
ward.
Dat regent, dat "t so stöwt; dat liult man so; hür wo 't sust.
De regenslag sleiht an 't finster; dat huscht an 't finster; dat feitscht
mau so an de laden.
Dat regent hell up de kapp rup.
Hut flöscht he run, hüt lurzt he schön weck run.
Dat gütt ümmer lik, pil, pall, piplings dal.
Dat planscht man so von 'n heben dal.
Dat pladdert, pliddert, plärrt, plastert, klaetert, klabatscht, rastert,
rasselt, hangt gegen de finstern.
Dat pirrt un platscht von de böm.
Hür, wo 't plutscht, wo 't plützt. ^
Dat plurrt so unner de auken, dat giwwt noch mihr.
Hür wo dat buddert, bungt, gurrt, gnrrert.
Dat buddelt; dat regent buddeln (blasen); dat regent, dat de bluwwen
up ü water stahn; nu regent 't büwwel, regent 't morgen wedder.
Dat regent bindfaden, handspaken, vigelinsiden.
Ik kam, un wenn dat kloppstein, kieselsteiu, teigelstein, bummskülen,
bilen und stakelforkeu, schottforken un wagenrungen, buerjungens, spitz-
boben regent.
Auch: Is beter, as wenn 't stakelforkeu regen ded, künuen uns ok
noch drapen.
Hüt regent 't noch swin dod.
Dat regent so vel, dat de poggen versupen.
Dat helpt nich, dit möten wi all ihrst her hebben.
Wi maken 't as de Wesenbarger (Hagenower): de laten 't regen.
Hüt regent dat 'n ganzen leiwen langen dag.
Hüt regent "t wedder man einmal (d. h. ohne Aufhören).
Wenn 't man ihrst uphöl: oh, uphollen deiht "t jo all, wenn "t man
ihrst tohöl.
Stopp 't regenlock man to!
Uns herrgott schurrt sinen segen ut.
Petrus treckt de schütten, de slüsen up, het dat schott apen makt,
het alle locker apen makt.
Petrus het 't grot emmer umstülpt.
Hüt stött he den punschpott um.
Petrus is bi 't brugen.
Petrus röhrt sik de ogen dick.
Hüt het Petrus grot wasch; de hellen haben grot wasch; de N. sehen
geiten 't waschwater ut; dor sünd 'n por oll wittfrugens in "n himmel, de
känen nich nog spöltert ki'igen.
310 Wossidlo;
Weun de witten (hellen) wulkeu regen, nn de ollen wiwer dauzeu. is
ken uphüreu (is de deuwel los).
Wer nu in 'n drögen krupen kann, de will "t wol dohn.
Dat best is, dat de hüser boU sünd.
Ik bün lütt, ik lop unner döreb.
Wider as bet up den kittel, den vadder uns mitgeben het (d. h. bis
aufs Fell), kann 't jo nich kamen.
Zu Kindern:
Gab man rut, du büst nich von zucker, du versmöltst nich, wardst
nich upweiken buten; dat beten regen föllt di nich dod; de mihrst föllt bito.
Wat het diu grossmudder di seggt: sasst drei dag vor "n regen to hus
kamen.
Dat wir noch kort vor tickverlöw, vor "n dumeu, vor 'n dursluten.
Wi hebben uns noch dörchsleken, dörchschüert, dörchdrückt, ranluert.
rannerschult.
Wi sünd noch jüst ranhardt.
Auf See: Von dat schuer sünd wi noch eben frisliert.
Dat het uns doch fat 't kregen, het uns begrismult, het uns uphackt.
Wi hebben "n schön bad. ne scliöne dracht kregen.
Wi sünd dörchbükt bet up "t feil, dörchnätt't bet up de graden, ik
bün dörchdüpd bet up de grawe grund.
Ik wir quatschnatt (Reuter), quutschendig-, klatschendig-, klatsch-,
kläterigen-, kläterfasen-, klatter-, messigen-, putschen-, platschen-, pudel-
natt, dribend natt.
Ik harr nich 'n drögen faden au 'n liw.
Natt as 'n klattigeu heister; klattrig as n afruht schap.
Is man god, het de lütt dirn seggt, dat ik min mudder ehr hemd an
hef, süss wir "t dörch un dörch gähn.
Unerwünschter und erwünschter Eegen:
Dit is austköstenweder; hüt is strümpstopperdag, kortenspälerdag:
Regentag während der Ernte.
Dit is ne frätaust öwer johr: wenn die Ernte vielfach durch Regen-
wetter unterbrochen wird. De supaust (drinkorn) is uns leiwer.
Dit is 'ne ki'äpelaust, brüdaust.
Man möt alles kurn rinstehlen, rinlauschen, rinluern.
Bi slicht austweder krigeu de bm'hunn släg (hüt sleiht de bur sinen
hund wedder).
Dat pladdert rin in de popiren fins Heu): dat het em twischen bullert
(ballert); den het "t ok "n beten mank gasselt.
De het trüggors heut hüt.
Nu het uns herr wedder verkihrt rekent, uu möt he wedder ümslagen,
'n frisch blatt anleggen u. ä. m
Das Natiirleben im Mundo des Mecklenburger Volkes. 31 1
Oh, wer "t uatt makt, makt 't ok wedder drög.
Dat heu suppt alles vull, messt in, lig'gt all in de mullsch.
All dat leivv kiirn liggt in schiet un dreck, is luter mess.
Von den velen regen is dat foder all utlogt, utheert, utwittert, utwedert;
dat fett is dor von af, de bodder is dor rut, de bodder is up 'n felln bieben.
Dat quält uu quält sik, öwer dat kann nich ankamen an 'n regen.
Dat Wühlt 'n ganzen dag.
Dat müsst alle dag regen un sünndags tweiinal.
Dat het sik rein afregent.
Petrus is verreist, het de slätel niitnahuien.
Leiw gott, giww ünimer dale!
Man los von de waterkant!
De acker is so hart, wenn he man 'n beten spöltern würd, vgl. III.
Vor Johanni möt de preister um regen bidden, na Johanni kann 't de
köster dohn.
Dat het so 'n beten andäut, andogt, anwelkt, het so 'u beten feucht 't.
Is so 'n beten in de hartpöll, beten vor de lütt saat.
Is "n beten beter vor de likdürn worden (is nich mihr so hart to gähn).
Dit is nich dörch de pöll, dörch de kost, dörch de swort, an de wörtel
kamen.
Dit is em nich an 't leben, an de graden kamen.
Dit sleiht nich an.
Dit is so 'n beten tähnentarren, so "n beten tick un tack.
Dat lickt de sünn bald wedder weg, dat hahlt de wind bald weg.
Dat 's grad, as wenn de mügg in 'n oceau (in 't meer, in de müritz)
spuckt (pisst).
Dor kann ken höhn von drinken.
Dit is 'n dankboren regen.
Dit het drüttels, preusch dahlers, goldstflcke regent.
Diss regen is uns beter as ue iaek vull släg (as wenn uns sähen
buern goden morgen beden).
Dit het autreckt, bitreckt, anhahlt, dörchdräugt; dit fött em an; de
haugt in; uu ward dat leiw kurn sik wol nahelpen.
Dit is wasslich, graskienig, graswasseu weder.
Hut wasst dat gras ne äl.
Dat bülgt, wöhlt, sprudelt, brüllt man so rut.
Dit is 'n weder as in 'n driwhus.
Hut knackt dat gras orulich.
Hflt kann man 't gras wassen hüren (seihn).
Bi dit weder wasst sik dat 'n kopp, knick un kragen af, ut saft un
kraft, ut de macht, ut rand un band u. ä.
Uns wasst dat gras jo in de ogen.
Dit is glatt weder vor \\ leiwen salat un de jmigen hasen (gösset).
312 Wossidlo:
Die Aprilschauer (prillschueni) lieissen auch: adborflageu, adbor-
stüweu, äber(ädber)stüweD, adeborszüg, hannotteschuern; an der Elbe:
stintschuern, stintflagen.
Von schweren Regengüssen im Mai heisst es: dit is de maibük, dit
sünd de maifläuten.
Regnet es bei Sonnenschein (ut de kloren wulken), so hört mau
sagen :
Nu deiht den wulf de buk weih.
Nu pissen de wülw.
Nu kümmt 'n snider in 'n himmel.
Nu hangt de düwel sin fru (vgl. Bartsch II, 4).
Nu ward 'n hurkind makt oder süss ward en döfft.
Na sünnenregen (auch: mairegen) wasst man god na.
Von Hexen, die Regen erzeugen konnten, hörte ich mehrfach erzählen.
Eine alte Frau berichtete mir: en oll mann säd mi, in Engelland künnen
se regen laten, wenn se wullen.
Der Regenbogen heisst auch sünnenbagen oder gnadenbagen.
Züh dor, de leiw gott is uns noch gnädig.
Petrus spannt sinen regenschirm up.
Ein Arbeiter bei Neubraudenburg sagte mir, er habe einen neunzig-
jährigen Greis öfter beim Erscheinen eines Regenbogens sagen hören:
uns herrgott treckt hüt de slagfohr an de scheid.
III. Helsses, trockenes Wetter.
Is ne stickhitt, backhitt, snirrhitt, bökenhitt (Stillfried), eine hahne-
büchene Hitze (Reuter).
Is 'ne jämmerliche hitt hüt.
Dat is so swaul, swaulwarm, swäulig, swullmig; is so beklummt; is so
'ne battige luft, is so battwarm, so brottwarm, brottig, bruddig, bratwarm,
stickwarra.
Hüt is 't buddig warm, bös warm u. a. m.
Dat versakt sik noch to 'n gewitter.
Is so luswarm, waterwarm.
Is hüt so 'n oll lurig, läkrig, läsig, lungerig, lauig, laumig, lummig,
lummerig weder.
Is so amachtswarm; so 'n oll amachtig, amächtig, machtläsig weder;
so 'n oll lahm, lahmig, ful, möd weder; is so "n oll mör luft hüt.
Hüt sengt dat god, hüt brad 't ornlich, he smöltt hüt ornlich.
Dat schräudt hüt richtig.
Hier glummt 't öwer richtig.
Dat is 'n beten hell hüt.
Hüt het de oll wat mit uns in "n sinn.
Hüt brukt he dat prickelisen ornlich, hüt prickelt he enen up 'n kopp.
Das Naturlehen im Munde des Mecklenburger Volkes. 313
Hut meint uns' sünn dat weddor tru.
He schint enen hüt bannig up 'n pelz.
Hier blitzt he schön dörch.
Dat is ne hitt, de luft de finmielt, flämniert, flockert, flunkert ornlich;
diit ämert, mickert ornlich; man kann dat ornlich swemmern seihn: von
der zitternden Bewegung der Luft
Dat is so hirrig hier, de hitt hirrert ornlich.
Hüt gährt man 'n ganzen dag.
Hüt kümnit man gor uich rut ut de giss, ut de gähr, ut de brad, ut 'n
sniiidd.
Nu geiht t sniuren wedder los.
Hüt giwwt "t noch graten.
Hüt ward "t heit, säd de hex, harr in "n aben süUt.
Hüt joggt he uns den kittel noch af, treckt dat hemd noch ut, helpt
uns de iack noch ut; hüt warden se uns de west noch uttrecken.
Hüt wardeu de flomen, hüt ward dat speck noch dünn; hüt bradt he
enen dat fett ut de knaken; hüt kämmt 't fett na buten.
Hüt gütt enen dat man so ut; hüt pröddelt enen dat so ut 'n liw.
Hüt ward dat speck noch lecken; hüt kann man wedder speck drägen;
hüt giwwt 't noch 'n sadel up 'n puckel u. ä. m.
Wi hebben sweit't as n bull, as 'n buUoss, as 'n pird u. s. w.; dat de
pogg up "u puckel swemmen künn.
Petrus bött so dull unner hüt, het bannig nabött, het frisch nasteken,
het stamm upsmeten.
Hüt het he düchtig knuppen insteken.
Nu is he bi, bött mit steinkahlen na.
Hüt schurrt he öwer up; hüt schört he in.
Petrus het de höU apen makt
Ik gab nich rut hüt, de stirn sitt mi in "n weg.
Hüt giwwt "t noch vel stirn; dat stirn is so hoch hüt; dat stirn liggt
enen bannig up 'n liw.
Dor is so vel süini an 'n heben, bring mau ne schündör mit.
Is ne hitt, as wenn man in 'n backaben sitt.
Dat is ne hitt, dor kann man 'n ossen bi braden.
Is so heit, de kreih quackt (jappt) up 'n tun
Is ne hitt hüt, dat de lüs ut 't knoplock springen.
Ist dies ne hitze, seggt Krischan Bück, dor möt man rein mit "n kopp
in "n neddel krupen.
Vel warm un wenig hier.
Bi so 'n hitt sünd de flitigen un de fulen god von en to kennen.
Is ne hitt to 'n umfallen, to 'n ümsmiten, to n brennen, to 'n ver-
smölten, to 'n versmachten, to 'n platzen, to "n dull warden, to 'n utriten,
to "n utspanuen.
314 Wossidlo:
Is rein to 'n basta inaken.
Dor kann "n dat für bi krigen.
De hitt benimmt, benebelt, benaugt enen ornlich.
Hut kann man rein beswimen, beswögen, benüsseln; dor kann man
rein de swölung, de swölniss, de swöguiss, de swiuhod, dat swinhöden bi
ki-igen.
Wenn jemand bei starker Hitze ermüdet oder erkrankt, heisst es:
De ollscli backt em up.
Den het de gel bi de iack; de gel kriggt em faft
Den het de sünn ümschint, ümstött, dalschint, dalkregen, ünnerkregen.
Den is Marik to nah west; het Marikeu di dalwöhlt?
Den het de swinegel stekeu.
Den is de katt, de ap uphackt; em het "t uphackt.
Den het de kreih kregen.
Und in der Erntezeit am häufigsten:
Den het de austbuck (austbull) stött.
Oder im Ratzeburgischen und im Nordwesten des Schweriner Landes:
De het dat ornkind ki'egen.
Sehr häufig sind Ausdrücke wie:
Em is Johann Mör öwer worden, uphackt; Johann Mör kickt em öwer
de schullern; de niöt mit Johann Mör rundümslepen u. a. Diese Personi-
fikation des Johann Mör ist unserem Volke so geläufig, dass man sogar
Arbeiter in der Ernte, wenn ein Genosse schlafi' zu werden droht, sagen
hört: Johann, lat den minschen gähn!
Em het dat ful ünuer: den het Fuljan to hollen u. s. w.
Und weiter:
De het sik enen wegluert.
De is beit, spack, fack, bucklahm worden u. s. w.
Den möten wi ok wol noch in de buttkiep na hus dregeu.
Vom Acker und Korn:
Dat jankt all na regen.
■ Uns ded grot 'n por drupp nödig, de acker is all so döstig, so hellig,
dor is gor ken frucht mihr in.
Dat is all all aschig.
De acker is so brettig, borkig, is all so todelt.
Dat foder snii-rt ornlich.
Dat steiht all as puder; dat brennt all to peper, to grus; de kiewer
vergrust all.
Dat is all so sturrdrög; so stm-r as wenn "t uppe röst liggt u. ä. m.
De hitt het den roggen benaugt, hesnirrt, bedi'angt, belopen.
De hitt is em öwer.
Dat kurn is rein verbradt, verblickt; dat verschänt, verschräudt all
up 'n halm, dat stumpt so to.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 315
Auf die Bemerkung: dat drögt hüt mal schön! erfolgt wohl die Frage :
!0, is de uäsdrüppel all weg?
Sor trocken; wenn 't sor weder bliwwt; wenn dat upsoren deiht, känen
;vi morgen inführeu.
IV. Kaltes Wetter. Frost. Eis.
Strenge Kälte:
Dat wir ene hindige külde (Gryse).
Dat wir ene streffe, leidige, graunsche, flämsehe, swinsche, schäwsche,
grimmige, gottsjämmerliche, infernalsche, zackermentsche, zackerlegsche,
bittrige küll.
Ene brandbitterböse küll (Brinckraan).
Dat wir ne hunnküll.
Dat wir \\ knulligen frost.
Hüt is dat bitterlich kolt, asig, basig, bannig, borig, buddig, bestig,
deftig, knurrig, klotzig, gräsig, grausig, grugelmässig, grauwellig, hunnsch,
luindsföttsch, kannibalisch, kalleborisch, borborschen, räsonnabel, liderlich,
hidermässig, nichtswürdig, schinnig, schinnermässig, deuwelhaftig, mordsch,
mordalsch, zetermorig, zittermordsch, zetermässig, zitterbreunig, utver-
schamten, utermaten, uterwis, utbanuig, uunoren kolt.
Is hüt degern kolt, krus kolt, herzhaft kolt.
Dat is so maiköhl hüt, im Scherz, von strenger Kälte.
So auch: De sünn schient euen in 'n nacken, dat enen de thranen ut
de ogen lopen.
Is so 'n schuddrig, klamig weder, vgl. „Wetter".
Is doch schruderig, wenn 'n ken hemd an het.
Dat grisselt enen dörch de Imt.
Is so schietkolt, dreckkolt, fingerkolt, heimlich kolt, lusig kolt.
Dat is so frätsch hüt.
Is sniden kolt hüt.
Öwer nacht giwwt 't freisen, ward 't borig freiseu, fix frieren.
Hüt knippt, klemmt dat ornlich, hüt weit 't to klemmen.
Hüt fött he still an.
Hüt meint he 't trug, hüt meint he 't god.
Hüt fröggt he enen na 't gemöt.
Hüt fröggt he enen, wo 'n henhürt.
Hüt fröggt he enen, ob man wat um un an het.
Hüt kann man god twei büxen liden.
Hüt joggt he enen hinner "n aben.
Hüt abend kann enen dat hojahneu (dat frigen) vergahn.
Dat friert stein un bein, bickerstein, bickelsteiu, pickelstein.
316 Wossidlo:
Dat früsst dörch mark un bein.
Hut fött 't an de näs: hüt snüwwt he enen de uäs ut.
Hut früsst enen binah de snut to; hüt früsst enen de snappen an de
näs fast; dat friert istappen an de uäs.
Is so kolt hüt, dat firamelt, flimmt, krimmelt, kriwwelt, riwwelt. snirrt
enen ornlich an de uhren.
Is ne küll, dat enen de ogen, de hör frieren.
Dat enen de seel in 'n liw bewert, danzt, piept, knackt.
Dat enen dat liart in "n liw (dat feil up "n ]uickel) tosamenkrüppt.
Dat sik de darm in "n liw ümkihreu.
Dat de tähnen in "u kopp klaetern.
Dat enen de tung an 'n bän (Gaumen) fastfriert.
Dat enen de kätel in "n uors danzt.
Dat enen de büxen vor "n nors bewern.
Is ne küll, dat man water in "n sack dregen kann
Is ne küll, dat de böm knacken, basten.
Is ne küll, de borrms dampen in "t holt.
Dat is ne küll, de voss bellt (bläkt) ornlich.
Is ne küll, dat de hnnn hulen.
Is ne küll, dat de höhner mit "n nors bellen.
Is ne küll, dat de kreih up "n tun jappt (vgl. III).
Hüt piept de uhl in 't holt.
Is ne küll, dat de swin in "n stall verfriereu.
Is ne küll, dat de pirkätel klaetern.
Dat de vägel ut de luft fallen.
Dat de has gor ken ei leggen kann, de nors snappt em to.
Is so kolt, dat glimmt ornlich, de finsteru glimmern ornlich.
De stirn glemmern, glummen, glumniern, flammen, flämmern. flinimern,
mickern ornlich.
Hür, wo jucht de snei!
De snei röppt „grip, grip".
De snei gnirrt, gnurrt, gnurrscht, fläuft, cjuiekt ornlich.
Dat gnastert, dat singt ornlich.
De Wagens pipen, gnarren firnlich.
Hüt friert de düwel noch vor de höll dod.
Uppe oltstadt stind all kinner in de weig verfroren.
Hüt frieren noch weck tosam.
Öwer nacht ward "t twischen twei verleiwte frieren (wenn s" ok in 'n
backaben sitten).
Öwer nacht wir "t ne küll, in Warnemünd hebben de flöli up n piss-
pott stridschoh lopen.
So nu de pudelmütz öwer de uhren un de bein in "t rühr.
Bi dit weder is 'n pelz beter as n por handmanschetten.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 317
Bi teil! grad küll süiid 'n jior fustliandscheu beter, as wenn eiien teiu
buern goden abend seggen.
Gah nich rut, du kriggst 'ii kiiipuagel; di kiiggt de nägelpürrick, de
nägelworm, de kniperworm.
Gabt nich rut, hüt is de kniper buten, de kirl mit de knip.
De klemmerklas is buten.
De mann sitt buten mit de rod näs (mit de spillbömeru ogen un de
messhaken tähnen).
Gah nich rut, de küllvägel biten di.
Gah nich rut, rasselbuck steiht an de eck.
Wenn wi enen dämelhaus anführen willen, denn seggen wi bi scharp
küll to em, he sali rutgahn un 'n bewer fangen, de bewerfeil wiren düer.
Denn ward 'n lock in 'n tun makt, dor möt. he vor stahn gähn uu 'n sack
apen hellen; wi annern seggen denn, wi willen em den bewer todriben;
wenn wi flauten deden, denn kem he. Dor laten wi em denn so lang
stahn, bet he richtig "n bewer fungen het. (Wortspiel zwischen bewer,
Biber und bewer, bewern).
Bei Teterow hörte ich dafür kürzlich: Gah rut, sasst 'n miunken (otter)
fangen; doch verstehe ich nicht das Wortspiel, das auch dieser Bezeichnung
zu Grunde liegen muss. An der Ostseeküste bei Klüz wird den Betreffenden
vorgeredet, er solle bowerhöhuer fangen, auch: 'n bewervagel krigen,
bewernadel krigen. Oder man sagt ihm, er solle bewer höden, dann wird
ihm ein Eimer voll kalten Wassers auf den Kopf gegossen. Bei Crivitz
heisst es: Gah rut, hüt abend treckt de staulmort, denn willen wi di
todr"iben.
Jungens warden bi scharp küll dormit anführt, dat man to ehr seggt:
hoU diu tung an 'n pumpenswengel (an de dörenklink, au 't emmerseil),
denn kannst de engel in 'n himmel singen liüren.
Kalter, rauher Wind:
Dat is \i spöttschen, spitschen, brennen, sniden wind.
Is so 'n hellroden wind hüt.
Is 'n kolleu wind: ja min is warmer.
Dat wir 'n blinneu nui'dost (Brinckman).
Hüt kümmt de wind her ut den urt, wo de swin verklamen.
Hüt is "t nich sauber buten.
Hüt snüwwt dat uich fin up "n barg.
Hüt fött he enen in de näslöcker.
Hüt kohlt he enen dat hart in "n liw ut (vgl. oben).
Hüt kann man fohlen, wo he herkümmt.
Hüt langt he öwer hen.
Hüt schurrt he enen ornlich.
Dat grast, schuddert, hahlt, snitt enen dörch.
318 Wossidlo:
Hut feitscht, pietscht, rast, ritt, hust he enen dörch.
Hut pfeift he enen dörch rock un kamsol; hüt geiht he enen hell
dörch 't tüg; dit geiht dörch kittel nn kort iop.
Wenn de nurdost so lang simmt, denn seggt he: liest nich mihr büxen
an as dissss.
Frieren:
De is so hufrostig, hukfrostig, hutfrostig.
Olle frostkätel, oll hurricklischen, wat hest hier rümtohurricken; gah
man rut achtern aben, dodfreiseu deihst nich; de nors snappt di nich to.
De verfrüsst noch in 'n Johannsniand un denn uppe sünneusid.
Hier is dat jo kolt as in 'n hunnstall.
Brrr, seggt de düwel, wenn he in de kirch kickt.
Ik frier hier noch to grütt un maus, to graus un maus, to appelmaus,
to grus un wormmehl, to "n kätel, to pepernät, pimpernät, klappernät,
kläternät.
Mi gräselt bet up 't blöd.
Em früsst, as wenn de düwel em uppe schnrrgaffel het.
He friert as 'n snider un bewert as "n linnenwebor.
He snuttert ornlich (mit de tähnen).
Ik wir so verklamt, ik küuu nich zipp, pipp, nicli ach un ja, nich
vadder oder mudder, nich tatter oder mömme seggen.
Beter stiw frieren as stiw arbeiten.
Trägt einer noch spät im Frühling die Winterhandschuhe, so muss er
hören: Lat di man nich von 'n kukuk in de handschen schiten.
Verschiedenes:
Beim ersten Prost heisst es: Nu het de voss den nuirer wat in 'n
lehm makt; nu is de voss den murer mank "n kalk west: nu sflnd de
dreckswälken dor ok mit lang. Oder auch zu den Maurern selbst: Öwer
nacht het he jug enen indefft, inmeugt.
Wenn hai'wstöwers vel hochtiden sünd, seggen wi liier: dat ward "n
kollen winter. De sommers frigeu, seggen wi, de frigen ut leiw; öwer de
winters frigen, de frigen blos von wegen de warmniss, dat so bi "n anneru
inkrupen käneu, wenn de küll stramm autreckt.
Wenn de kienner kolt weder hüllt (d. h. anzeigt), möt he in "t rühr
leggt warden.
Twischen de sünn un den dag
het de VOSS sin gröttst plag,
d. h. kurz nach Sonnenaufgang ist es am kältesten.
De harwstnacht het nägenunnägentigerlei ort lun; de winternacht het
uägnerlei ort lun; de winternacht is as "n kinnernors, bald schiten s" un
bald migen s'.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 319
Wenn viel Schnee gefallen ist: Nu kann de küll nich in de ird kamen,
IUI treckt (drängt) se to timmer.
Blackfrost: Frost olme Schnee.
Dat is so "n ollen unwederfrost, seggeu wi in "n november, wenn dat
nachts friert un dags wedder däut.
Dat wintert gor nich ornlicli. So auch: Dat will nich sommern.
Februori: sclieper wohr di.
De februor het seggt: wenn ik so künn, as ik will, let ik bickelsteiu
frieren.
De februor het to 'n jenner seggt:
Hätt ich das Recht wie du,
Liess ich verfrieren das Kalb in der Kuh.
Oder auch: Wenn ik de macht harr as du, let ik de pött vor kaken
un liinnen frieren.
Wenn ik so väl kraft harr as min broder Januar, let ik dat kind in
de weig verfrieren.
Ein alter Fischer in Börgerende sagte mir kürzlich: Min oll vadder
j)kggte (immer to seggen: wenn de Januar de büx nicli tosnitt, kann de
februar se nich trechtueiht lirigen.
Dickkopp heisst bei Neubrandenburg der Januar: wenn wi mit den
dickkopp man ihrst dörcli sünd, hörte ich dort. Hier iu Waren wird von
dvn Arbeitern der Donnerstag als dickkopp bezeichnet: Nu is de woch
bald wedder to end, den dickkopp hebben wi nu all wedder trecht.
De sparling het eus in "n koUeu winter to Petrus seggt: wenn ik so
vel künn as du, denn schöw ik knu])i)en in as min kül dick, denn süll 't
wol warm wardeu.
De tunliönig het to 'n adebor seggt: bliw doch in 'n winter bi ims,
liier to land steken se knuppen in as min kül diclv un dor nocli riesholt
mank.
Den buern is dat leiwer, wenn he lichtmissen "n wulf up'ii hof süht
as n döscher in hemdsärmeln (denn is dat weder to god, denn ward dat
naher wedder slicht).
Lichtmissen röppt de wulf de schap.
Wenn lichtmissen de sünn in "u schapstall kickt, dat 's so god, as
wenn de wulf in de dör kickt (denn giwwt dat u schrägen frühjohr).
Ein Handwerksbursche hat au schönen Märztagen Stiefel und Strümpfe
vertrunken und verspielt. Als es dann wieder kalt wird, bittet er:
Liebe sonne, komm und scheine mir doch wieder auf die beiue, ich
will aucli nie wieder brauntwein trinken; oder: ich will auch mein lebstag
nich wieder tuckmegansch (ein altes Kartenspiel) sjjieleu.
Eu handwarksburss het seggt: die lerch hat mich betrogen (as de
sungeu het, het he all sin wintertüg wegsmeten), aber der kukuk das is
Zeitschr. d. Vereius f. Volkskunde. 1095. 22
320 Wossidlo:
der rechte soniniervogel. Ower dat is ok uich wolir, de richtige sonimer-
vagel is de grot bromms; weim de ihrst maiik de köh is, denu is de
sommer dor.
Dit is de slelidurnskiill, seggen wi in 'n npril; mi breckt (hit steinawt
up, seggen wi ok, denn is ümmer rnsig weder.
De hawdurnsküll is in n Juni.
Ihrer de feldros bläuhgt, sali man dat unnertüg nicli uttrecken, un
wenn se utbläuhgt hat, sali man 't wedder antrecken.
Wenn dat ruriept het, seggen wi: „hüt hecken de böm", denn krigen
wi awt, vgl. Bartsch II, 250.
Wenn riep liggt morgens un dat is nich recht kolt dorbi, denn seggen
wi: de riep bepisst sik hüt noch, dat ward noch regen. — Wenn de riep
rasch updäut un so lopen ward, denn seggen wi: nu het de dögt sik
bemegen, vgl. Bartsch II, 212.
De nachtfröst bliben noch nich ut. harr de oll fru seggt, harr nijohr-
morgen den nors ut 't finster liollen (harr ülenspeigel seggt, harr nijohr
ut de dör keken).
Wenn de rogg man öwer nacht ken blag näs kriggt; wenn em de näs
man nich verfrüsst.
Öwer nacht is de rogg 'n wittkopp worden.
Einmal hörte ich auch: Wo de rogg wol brüllt, holt "n stirt in "t end.
Eis:
Dat ward all harden.
Öwer nacht het 't 'n beten anhardt, drögt, andrögt, updrögt, röst't,
anröst't, anstort, antalgt: vom Erdboden.
ne lütt kesköst is all öwer kamen.
Öwer nacht het 't 'n beten öwerschelwert, öwerschülpert, öwerschräugt,
öwerschräudelt, öwerschröchelt, öwerschrumpelt: vom Wasser.
Dor wii" 'n beten schrampelis.
Dat water ward dick; wi führen so lang, as 't water dünn is.
Dat is knallt, bröllt, hult, bautzt, dat giwwt vel küll; dat dunst orulich;
de see de bullert; de see brüllt as so 'n haud wülw.
Man unterscheidet: Bollis, grunnis, grottis, grummis und schlampis.
Hartbost heisst ein grosser Riss im Eise. Auch: Öwer nacht sünd
buchel Sprüngen. Bei Xeubrandenburg hörte ich: bungerätsch; brumm-
ratzeu bringt Boll bei im Archiv für mecklenburgische Laudeskunde,
1853, 15.
De leiw gott kann am besten brücken bugen.
De Juden seggen: Moses hat keine Balken unter gelegt.
Neben stridschoh wird auch strikschoh gebraucht: schritschoh hat
Reuter.
Das Naturleben im Muude des Mecklenburger Volkes. 321
Neben „glitschen" hörte ich: gliseu, glisken, glirsen, gliddern, glinschen,
glanneni, glandern (auch bei Reuter), glännern, gläuschern, schliddern,
schlirreii. sclilirricken, schlittschen, schohbaningen, scliohbännigen, schi-
paningen, scbipauern.
Wenn de jiingeiis up "n is sünd, denn ward liier bi uns „hüker trecken"
speit: de vördelst geilit denn un treckt, de aunern gahu all in de buk
Sitten un liollen sik an de kittelslipjien von ehren Vordermann fast.
De jungeiis speien hier ok „liekt döben"; mit den linken bein glitschen
se denn uu mit den rechten backen haugen se dal up "t is. Anderwärts
lieisst das: poggen stekeu, bei Doberau: schostern.
„Katten pusten" hebben wi ok speit as jungens; denn würd mit de
peik n lock rinsteken na "t is un dor würd denn rinpusft, denn lopen
dor so 'n luftblasen laug, de nennten wi katten.
Wenn hier morgens Eiszapfen vom Dach herunterhängen, wird zu den
Kindern gesagt : Öwer nacht het Johann Laug sik uphängt mit fru uu
kinner. Auch: Johann Blank, Blankmeier het sik uphäugt,
Dat het glarrist, glurrist.
Dat slarkt so.
Dat is heil falsch to gähn hüt; dat is so gliwwerig, glibberig, glittschig,
snüwwelig to gähn: hüt möt man richtig klauben slalui.
Tauwetter:
Dat weder smitt um.
Dat weder tempereirt.
Dat ward weik weder, apen weder.
Dat is in n andäu.
Dat gliedt, liedt, liedigt, lierigt hüt ii beten; is liod, liedig weder; dat
liet "n beten auliedt, wegliert.
V. Scliuee, Hagel, Nebel, Marieusommer, Irrliclit.
Schnee:
Dat fisselt, fimmelt, krömelt, sniwwelt "u beten.
Dat scliuirrt buten.
Wo sniet dat: sneden is 't gistei'u all, hüt ward "t blos runfegt.
Dor slahn sik de handwarksburssen, de fierburssen, de möllergesellen:
nu prügeln sik de möllers uu bäckers; nu speien de möllers grip.
De möller het all sin mehl verloren.
Auch: Wenn 't melil wir, künnen wi jiaunkokeu backen.
Dor prügeln de huren sik.
Petrus (Moses) schurrt (stöwt) de bedden ut, is bi 't beddeumaken,
säwt de feddern ut.
De düwel fegt de liöll ut.
22»
322
Wossidlo :
Nu kriggt de scheper "n kuecht (weuu suei inföllt, denn biukt he jo
nicli mihi- to hödeu).
Wenn ein Bekannter gestorben ist: Ob. nu is X. lup, de ward uns
wol wecken dalriwweln: oder: X. is uu dod, de makt de stücken so grot.
Fallen grosse Flocken, so sagi mau bei Grevismüblen : Dat is Ton de
langmütigen, dat dohn de goden.
Sonst auch: Nu hebben se dat grot säw anstellt.
Beiwohren, dat sünd jo bannige flochten.
Die Maurer sageu beim ersten Schnee: Xu giwwt "t frömdzettels.
Andererseits hört man auch: Xu kriggt he sinen frömdzettel, wenn der
Schnee vom Kegen vertrieben wird. Sonst: De sünn hat em weglickt.
Dat wir "n sneidrewel (ne sneidriwwt). man künn nirh "n og updohn. dat
gesicht nich bargen.
De hollweg wir pick un dick tosniet.
Dor is nich husch oder bom to seihn.
Dat is so "u ollen sneislagg, sneislamm, sneislatsch, sneislupp.
Dat is so "u oll klacksnei, slacksnei, slackigen snei (de furts to water is).
Wenn in "n harwst so'n witte bauk an "n heben steiht, denn seggen
wi: nu bläuht de snei.
Hagel:
Von den Frühlingsschaueru heisst es: Petrus seit sin arften, nu fallen
Petrus sin arfteu; auch: de adebor seit sin arften up gottsirdbodden. vgl.
aprilschuern unter II.
Dor kern ne hagelburr.
Dat regent gruben; dat wir liagel as kiunerköpp, as kükenköpi). as
dubeneier, as hasenkätels, as hasseluät.
Ein Hirtenjunge ist der Buchweizengrütze überdrüssig geworden. Als
er nun draussen ein schweres Hagelschauer heraufkommen sieht, ruft er:
Leiw gott, verschon all uns leiw kurn, öwer den verflüchtigen dreieck kik
öwer 't heck, den giww th-äw öwer dräw.
Xebel:
Is so 'n oll dakig. dakrig, diesig, dickig, miestig, miskerig. smokig,
smüstrig weder.
Wi seien in 'n dicken, in de dickde; dat wir dicknebelt weder: dick
as drank; picknebel.
Dat is so dick as wenn "n in "n sack sitt.
Dor kann "n nich von vor na achter kiken (auf dem Schiffe).
Dat will gor ken dag wedder warden.
Steinen abends Xebel aus den Wiesen auf. so heisst es: De voss brugt,
auch: de voss badt sik.
Das Naturleboii im Munde des Mecklenburger Volkes. 323
Wenn am Fiisso des Vietingberges Lei Parchini nueli starken Regen-
schauern Wassenlünste wie Rauchwolken emporsteigen, sagt der Landmann:
Vieting is all up im brut kof'li oder bloss: Vieting brut (Archiv f. meckl.
Landeskunde, 1859, 435).
Mariensommer:
De sommermätens trecken, de sommermä.t, sommermett treckt, de
motten flüggt (Brinckman), de metten treckt (Reuter), de sommermetten
teihn (Reuter), de sommerfrugens trecken.
Dit is de mätensommer, de mätensommer spinnt.
Dat ward noch ken winter, dat harwstmätcn het noch nich treckt.
Dit is de michelsommer, de ollfrugeussommer, Smöltsch ehr sommer,
Smöltsch ehr tüffelaust.
Het de öwer brutens an! Den hacken de Jungfern an.
Für Irrlicht kommen auch vor die Bezeichnungen: Irrwisch, irdlicht,
irdHämmken, fläniuistirn, flackerfür, fläkerfür (Brinckman).
VI. Gewitter.
Die alte aus dem Bremer Wörterbuch, Schütze und Schambach be-
kannte Bezeichnung leiw weder lebt noch heute; dor kann 'n leiw weder
kamen un slahn dörch, hörte ich vor kurzem aus dem Munde einer alten
Frau.
Kasper rög di, is u billerballer in de luft.
Über Gewitterwolken vgl. X.
Dat wedert; dat grummelt so in de firn.
Min sahn kumm rin, sagt die Mutter, leiw gott is bös (quad).
De oll is nich god an 'u kopp, he smitt all wedder so.
Nu smiten s" all wedder mit arm un bein umher in de höll.
Petrus speit kegel (mit de dodenköpp), (nu smitt he rummelie). Hier
in Waren hörte ich auch: De Röbelsclien sünd de kegelkugel weglopen.
Nu is Petrus bi 't inführen, inausten; dor haben führen se all wedder
in; Petrus (de düwel) führt mess, nu joggt he to hus.
Petrus reist mit holten tüffel to mark.
Petrus is bi 't pölltüö'el afgeiten; de oll schurrt de pölltüff'el up 'n
disch; Petrus schurrt appel in de tunn.
Beim Blitz: Petrus piukert; Petrus ratzt sik u sticken an, bött sik
ne pip an.
Pastor N. spökt von haben.
Eine Arbeiterfrau in Klüz sagte mir: Wenn dat so in de firn dunnern
ded, säd min oll vadder öfter: Nu jagt de düwel de godeu; öwer wenn u
hellen blitz kern, denn säd he: nu sünd de engel hinner'n düwel, vergl.
darüber D. M." HL 490, No. 61 und Kuhn, Westf. S. H, 24.
Dat wiren so vel blitzingen, de ganze heben wir ein für (ein blank).
324 Wossidlo: Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes.
Dat lücht't, de ganze heben detl sik apen.
Dat wir, as wenn liiniinel un höll in einssen riten wull.
Dat wir all en liichtung.
Dat lücht un leit (Briuckman).
Dat wir ne krüzlüclitung-, dat man de sandkiirn uppe ird teilen künn;
dat man sik de ogen verwricken kttnn.
Für Wetterleuchten kenne ich: heblicken, heiblicken, heublicken,
heidblicken, heidblncken, hittblicken, häbläken, lieulüchten, hittlflchten,
hiringslüchten, dröglüchten.
Dat wir en fermes gewitter.
Nu ward 't swönner, strenger.
Hut bungt he weck los.
Dat is noch nich in de stillheit.
Nu het 't sik afarbeit't, uttowt; de rukläs hebben sik aftowt; vor "t
ihrst hebben wi nu wedder fred.
Dat gewitter stünn pall (knall) öwer uns.
Knall un fall de prallt tosamen (Reuter).
De blitz kem daltorudeln, daltoriisen, daltohulen.
Dat kern snart dal, dat gnittert dal, dat gnätert dal, dat snirt't dal.
Dat buttert un butzt all, dat schuddert ornlich, dat rautscht ornlich.
Dat het riubratzt, rinballert.
De blitz het alles tersmettert; het de ganze schit in "n dutt slalni; in
enen sus wir de ganze hof in für.
Scharp gegen scharp, säd de düwel, dor sehet he gegen "n dunner-
wetter an.
Nu ward de kopj) in "n sack staken.
Johann kam run von 'n biiii, dat dunjert: o lierr, dat kann "k hier
haben ok hüren.
Ut de angst kümmt man gor nich rut, säd de jung, in "n sommer
dunnert't un in "n winter möt man na de schob
Wies nich na n blitz, leiw gott sleiht di "n finger af.
Für Blitzableiter sagen die Alten: wederstang.
Wederp il, gewitterpiler, dunnerpil, duuuerpiler heisst der Donner-
keil.
Abschabsei vom Donnerkeil wird als Mittel gegen allerlei Krankheiten
gebraucht, so gegen Stich, Fieber, schlimme Augen, Bettnässen u. a. m.
De dunnerpil ward in t melkschapp leggt, denn sali de melk god
römen.
Dunnerpiler möten in de dranktunn leggt warden, denn het dat veih
god deg.
Wenn man 'n dunnerpil bi "t gewitter vor 't finster stellt, sali "t nich
inalahn.
Andere Mittel, nni den Blitzschaden abzuwehren, übergehe ich hiei-.
Weinhold: Kleine Mitteilungen. 325
Ell buer an de hannoversch grenz het dat ens seihn, dat de gewitter-
slag bi sinen backaben dalgalin is; as lie dor nagröwwt, findt he 'n .stein.
Wenn 'n gewitter kamen is, het de stein ümmer sweit't; je düUer dat
gt'witter worden is, desto mihr het de stein sweit't un bewert.
Min vadder het mi verteilt: de blitz het ens to Dammerstörp inslagen;
as de lud sik üniseihu, liggt dor "u klumpen für up de fast von de schün
as 11 waterspanii grot. Dor judiciereu de lud doröwer, ob se söt melk
halilen sälen nn geiten 't dorniit iit, oder ob se dat dalhahlen sälen von de
schün; middels löppt dat iippe fast lang as ne katt un mit eins is dat
ganz tinimer in brand west. So erzählte mir wörtlich ein alter Tagelöhner
bei Ribnitz.
Wenn dat wedert, sali man up "ii hird für brennen hebben. En fru
het dat eins nicli dahn, dor is ne stimm von haben kamen: wisst du ken
für anböten, denn will ik wat böten; dor is ehr hus afbrennt.
Dor sünd drei west, de en het ümmer eten bi 'n gewitter, de en het
slapen un de drüdd het sik süss nie an gottswurt kihrt, blos bi 'n gewitter
liet he in de bibel lest. Dor het dat eins ropen: den esser lass essen, den
schläfer lass schlafen, aber den leser schlag tot. — Sonst auch: den slaper
lat slapen, öwer den freier slag dod u. ä. m.
Von ne eik, wo dat gewitter inslahn het, sali man sik nicks na hus
nehmen; de lud hebben den globen, wenn man so 'n holt verbrennt, denn
sleiht dat ihrste gewitter, wat nah kflmmt, in dat hus in.
Wenn dat toihrst in 'n frühjohr wedert, seggen wi: nu scheidt sik
winter un sommer. — Wenn 't toihrst duunert, dor löst sik de irdbodden na.
Waren in Mecklenburg.
(Schluss folgt.)
Kleine Mitteilungeu.
Zu den Anfängen der Webekunst.
(Zeitschrift V, 134-147.)
1.
Mr. Otis T. Mason, Kurator des United States Museum in Washington, hat
eine Zuschrift an mich gerichtet, aus der ich folgendes ausziehe:
„"Was mich in Herrn E. Priedels Aufsatz über die Anfänge der "W^ebekunst
besonders interessiert, ist Figur 20 auf Tafel 3. Ich habe in unserni National-
museum eine grosse Anzahl Geräte derselben Art; eines aus Lappland ist völlig
gleich der Figur 20, nur ist der obere Teil nicht verziert, sondern dicker ge-
schnitzt, weil er als Griff dient. Aus dem Staate Connecticut habe ich zwei Exem-
326 Weinhold:
plare, deren eines unten schaufelfönnig verlängert ist, um es fest zwischen den
Knieen zu halten. Ein anderes aus Connecticut ist auf einen Holzblock befestigt,
der ihm als Ständer dient. Ähnliche Geräte finden sich in andern ländlichen
Gegenden Amerikas. — In dem Patentamt der Vereinigten Staaten habe ich Zeich-
nungen eines aus Belgien eingereichten Webegerätes gesehen, das der Figm- 20
sehr ähnlich ist. Aber was die Leser Ihrer Zeitschrift besonders interessieren
wird, ist, dass ich fünfzig Exemplare dieses Apparates unter den Pueblo-Indianern
in Arizona und Neu-Mexiko gesammelt habe: Der einzige Unterschied zwischen
dem europäischen und dem indianischen Gerät ist der, dass letzteres aus zwei
horizontalen Hölzern besteht, auf welchen ein Dutzend oder mehr senkrechter
Stäbchen befestigt sind, die entweder aus Holzsplittern oder ans dem zu Pfeilen
verwandten Rohr gefertigt wurden. Durch die Stäbe sind Löcher gebrannt, und
sie stehen in Zwischenräumen gerade wie auf Figur 20.
Auf Grund der weiten Verbreitimg dieses .Apparates lege ich den Lesern der
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde die Frage vor: Ist dieses hölzerne
Bandwebegerät den Indianern des Südwestens der Vereinigten Staaten
und Mexikos vor der spanischen Eroberung bekannt gewesen? und
zweitens: Kennt man dieses Gerät aus Spanien oder einer der spanischen
Rolonieen oder aus mohamedanischen Ländern? Es wäre wunderbar,
wenn die Erfindung davon unabhängig in Arizona und in Europa gemacht worden
wäre." R- Weinhold.
2.
Zu den vorstehenden interessanten Mitteilungen des Herrn Otis T. Mason
erlaube ich mir Folgendes zu bemerken.
Bezüglich der Webekunst scheinen mir die amerikanischen Urvöiker in zwei
grosse Gruppen verteilt werden zu können. Die civilisierteren Südamerikaner
(Peruaner), die Maya-Völker, die Azteken und Tolteken haben die Webekunst ge-
kannt. Columbus traf im Jahre 1Ö02 ein Maya-Fahrzeug von beträchtlicher Grösse
mit Segeln nahe der Insel Ruatan, dessen Ladung aus einer Menge verschiedener
Textilerzeugnisse und von daraus gefertigten Kleidungsstücken bestand. Verarbeitet
wurden mehrere Gespinstpflanzen, bei den Peruanern .\lpaka- und Lama-Wolle.
Die Mound-Builders in der Ohio-Gegend besassen Webereien aus Gespinstpflanzen,
teils Handgewebe, teils Gerätgewebe, wie .1. W. Poster (Description of samples of
ancient cloth, from the Mounds of Ohio. Proc. Amer. Assoc. for the Advancement
of Science, Albany Meeting, 1851, p. 375, und derselbe: Pre-historic Races of the
United States of America. Chicago 1873, p. 223 — 259) nachgewiesen hat.
Da nun bei allen Völkern das Weben selbstredend mit ganz einfachen Ge-
räten, ähnlich dem von mir Tafel III Figur 20, begonnen hat, da ferner dies Gerät
für Bänder, Streifen, Schärpen und Borten genügt, da weiter dergleichen Webe-
erzeugnisse an den penianischen Mumien sich finden, so ist anzunehmen, dass die
Peruaner auch ganz ähnliche Vorrichtungen benutzt haben werden. Dort handelt
es sich um in Städten und sonstigen festen Ansiedelungen wohnende, Ackerbau
und Viehzucht, Gewerbe und regelmässigen Handel treibende Nationen und Stämme.
Anders liegt die Sache in Südamerika bei den ganz wilden Stämmen, z. B. im
Amazonas-Gebiet, bei denen mehr geklopfte vegetabilische Materie benutzt wurde
und noch benutzt wird, und bei den eigentlichen w-i!den Indianer-Stämmen Nord-
amerikas, die, vorzugsweise von der Jagd lebend, sich der Thierfelie als Kleidung
bedient haben. Bei diesen Völkerschaften scheint in vorkolumbischer Zeit aller-
dings die Webekunst nicht verbreitet gewesen zu sein.
Kleine Mitteilungen. 327
Bei dem merk würdigen Umstiinde, den Herr Miison mit Recht hervorhebt, dass
die Piieblo-Indianer in Arizona und Neu-Mexiko den Bandwebeapparat Tafpl 111
Figur iO besitzen, während letzterer, wie ich annehme, zur Zeit von den Nachbar-
stämmen nicht gekannt ist, drängt sich eine doppelte Frage auf: zunächst, ob sich
nicht doch ein Zusammenhang mit den nächstbelogenen Völkerschaften, bei denen
in vorkolumbischer Zeit das Weben bekannt war (z. B. mit den Moundbuilders)
nachweisen lässt, und in zweiter Linie erst, ob das betreffende primitive Gerät
etwa durch Europäer, bei denen allerdings z\inächst an die Spanier gedacht werden
nuiss, eingeführt worden sein mag. Was die ersterc der beiden Möglichkeiten an-
langt, so hat man zu berücksichtigen, dass sich Webegeräte aus Holz, Hörn und
Bein ebenso schlecht die Jahrhunderte hindurch erhalten, wie die mit ihnen her-
gestellten Gewebe, und dass es ein reiner Zufall ist, wemi sich in einer kon-
servierenden Aschen- und Kohlenschicht einmal dergleichen stückweise in unvoll-
kommenster Art konserviert vorfindet.
Wegen Kürze der Zeit und längerer Abwesenheit von Berlin ist es mir noch
nicht möglich gewesen, auf der pyi'enäischen Halbinsel nach Webegeräten der
fraglichen Art Umschau zu halten; ich werde aber die nötigen Nachforschungen
versuchen.
Hinzufügen will ich noch, dass das mehrerwähnte Gerät Tafel HI Figur 20,
das mit dem bekannten Laubsägeapparat von Geübteren leicht hergestellt werden
kann, hier in Berlin und an anderen Orten der Provinz Brandenburg mitunter
durch grosse Pferdekämme mit möglichst langen und geraden Zähnen ersetzt wird,
welche letzteren von den Rindern durch ein Querholz, in das sie die Zähne ein-
bohren, parallel dem Griff des Kammes verbunden werden. In der hiesigen
egyptischen Abteilung des Königlichen Museums befindet sich ein, wie mir scheint,
zum Weben von lakenartigen Handtüchern und dergleichen benutzter Apparat aus
alter Zeit, welcher insofern dem Pueblo-Gerät ähnelt, als es nicht aus einem Stück,
vielmehr aus einer Art Rahmen besteht, in welchen die Längshölzer, aus besonders
angefertigten Stäbchen gefertigt, eingepasst wurden.
Endlich benutze ich die Gelegenheit, um zu berichtigen, dass auf Tafel II ver-
sehentlich die Nummern 1 und 4 vertauscht sind. Das brei'ere Falzbein muss mit
No. 4, der pfriemartige Löser mit No. 1, um den Text S. 146 mit den Abbildungen
in Einklang zu bringen, bezeichnet werden.
E. Friedel.
Zur Hillebille.
1.
Rieh. Andrees Aufsatz über das alte Harzer Schallgerät, das die Köhler ') zu
bestimmten Zeiten benutzten (unsere Zeitschrift V, 10; — 106), hat vielseitig Auf-
merksamkeit erregt. In dem 4. Heft der neubegründeten Zeitschrift für öster-
reichische Volkskunde (Wien 1895. I, 127. 128) finden sich zwei Mitteilungen zur
Sache. Merkwürdigerweise wird Andrees Aufsatz dabei gar nicht erwähnt, gewiss
nicht im Sinne der beiden einsendenden Herren. Die eine, von Professor Börnes
in Graz, der berichtet, dass er vor länger als dreissig Jahren im Ödenburger
Komitat in Ungarn vor den Bauernhäusern, in denen Kavalleristen im Quartier
1) H. Pröhle hat in seiner Volksschrift „Das Leben des alten Köhlermeisters Hille-
bille" (Hamburg, Rauhes Haus, 1S5'.)) das harzische Wort zum Familiennamen eines Köhler-
geschlechtes erhoben.
328 . Weinhold:
lagen, ein der Hillebille ganz gleiches Gerät gesehen habe: nur war in der Regel
die eine der beiden senlcrechten Stangen bedeutend verlängert und trug oben einen
Strohwisch'). Der Soldat hatte bei gewissen Anlässen (Fütterung, Zapfenstreich)
seine Anwesenheit im Quartier zu melden, indem er mit zwei hölzernen Hämmer-
chen auf das hangende Brett schlug.
Herr Joh. Kreinz in Graz erzählt sodann von dem sogenannten Klopf, der
am Eisenerzer Grubenliause nach seiner Erinnerung aufgestellt war. An einem
Stangengerüst hingen zwei kleine metallene (bronzene) Täfelchen, welche mit
einem kleinen Hammer geschlagen wurden zum Zeichen, dass gesprengt werden
solle oder dass die Gefahr vorüber sei. Die beiden Berichten beigegebenen Zeich-
nungen zeigen die genaue Verwandtschaft mit der Hillebille.
.4uch in Kurland war oder ist noch auf Gutshöfen ein der Hillebille ganz
gleiches Schallgerät gebräuchlich, um das Gesinde zum Essen zu rufen. Das Brett
wird mit zwei hölzernen Klöppeln geschlagen.
Wenn bisher schon ausgesprochen ist, dass wir in der Hillebille-), d. i. einem
Schallgerät, das aus einer aufgehängten Tafel von Holz oder Metall besteht, woran
durch Klopfen Zeichen gegeben werden, ein sehr altes Instniment haben, so sind,
abgesehen von den Berichten über den sächsischen Prinzenraub, deren einer
(Albinus) unter dem Einfluss vorgefasster Etymologie steht, keine historischen Be-
weise gegeben. Ich liefere hier einige aus dem Mittelalter.
Der altfranzösische Dichter Chrestiens de Troies erzählt (ungefähr 1170) in
seinem Chevalier au lyon 212 ff. von einer kupfernen Tafel, die vor dem Burgthor
hing und auf welche der sich Meldende mit einem Hammer schlug. Unser Hart-
mann von Aue giebt in seinem Iwein (ungefähr 1204) V. 299 dies so wieder:
nu hienc ein tavel vor dem tor an zwein ketenen enbor, da sluoc er an daz ez
erhal und daz ez in die burc erschal.
G. P. Beneke hat schon zu dieser Haitmannschen Stelle auf die hölzernen
Tafeln hingewiesen, an die in den Klöstern des Mittelalters geschlagen ward, um
die Mönche oder Nonnen zur Mette oder zu A'^ersammlungen zu berufen, oder auch
das Sterben eines Konventualen anzuzeigen. Du Gange im Glossar, med. et infira.
latinit. Yin, 5 (Ausgabe Niort, 1887) verzeichnet viele Belege- Es wird hier auch
aus dem Briefe des Bischofs Odo an P. Innocens IV. von 1249 eine Stelle aus-
gehoben, wonach an den Kirchen der bekehi'ten Tataren hölzerne Tafeln als
Schallgeräle hingen. Auch unser deutsches Gedicht Salman und Morolf erzählt
Str. 191 von einer Tafel auf dem Hofe Königs Fore, mit der das Zeichen zimi
Kirchgang gegeben ward. In den letzten Tagen der Karwoche, an denen die
Glocken schweigen, trat der Schall der hölzernen Tafeln an ihre Stelle, die heute
durch Schnarren oder Ratschen, z. B. in Steiermark, ersetzt werden.
K. Weinhold.
2.
Zur Etymologie der Hillebille.
Pi.ichard Andree hat auf S. 103 — 106 des 5. Bandes dieser Zeitschrift einen
höchst interessanten und belangreichen Bericht über das im Aussterben begriffene
Signalinstrument der Harzer Köhler, die sogenannte Hillebüle, gegeben. Er lässt
1) Als Zeichen der Einquartierung.
2) Pröhle sagt in dem Vorwort zu dem Köhlermeister Hillebüle: „Die Hüle-Bille ist
ein Brett, welches der Köhlermeister neben seiner Hütte an einem Baume befestigt. Wenn
er daran schlägt, so hallt es durch den ganzen Wald und ruft seine Knechte und Knaben
zusammen."
Kleine Mitteilungen. 329
sich dabei auch über die Etymologie des Wortes und die Geschichte des Instru-
mentes selbst aus und stellt fest, dass die älteste Form des Wortes „hellcbyllc"
lautete, und dass das Instrument bereits zur Zeit des sächsischen Prinzenraubes
(1445) bei den Köhlern des Erzgebirges in Gebrauch war und höchst wahrschein-
lich bei der Besiedeiung des Oberharzos durch sächsische Bergleute von diesen
dahin mit genommen wurde.
Was nun die Etymologie des Wortes betrifft, so hat Schambach in seinem
Wörterbuch der niederdeutschen Mundart von Göttingen und Grubenhagen das
Wort von dem niederdeutschen hille = schnell, eilig und dem mittelhochdeutschen
liillen = klopfen abzuleiten versucht. Aber diese Erklärung hat schon Andree als
unrichtig zurückgewiesen. Aus seinen historischen Darlegungen geht überzeugend
genug hervor, dass das Instrument und damit auch der Name nicht niederdeutschen,
sondern mitteldeutschen Ursprungs ist.
Andree selbst bringt dann den zweiten Bestandteil des Namens, „bille", mit
dem Wort „bille" = ascia, liga, Axt, und den ersten mit dem „heim" = Stiel, das
wir in Axthelm und Hellebarte haben, in Verbindung, obwohl er an der Richtig-
keit dieser Erklärung nachher selbst Zweifel äussert.
Sie ist nur zur Hälfte richtig. Ausgehen müssen wir bei einem Erklärungs-
vensuch jedenfalls von der ältesten uns erhaltenen Form: hellebylle, aus der das
neuere Ilillebille offenbar durch Anreiraung des ersten Bestandteils an den zweiten
entstanden ist. In dieser Form hellebylle nun ist „bylle" jedenfalls das alte Wort
für „Axt". Aber der erste Bestandteil, helle, hat nichts mit dem helle- von helle-
barte zu thun, sondern ist einfch unser neuhochdeutsches Adjektiv hell, helle
= mittelhochdeutsch hei, althochdeutsch gahelli, belli, welches zur Wurzel hai-
hallen gehört und ursprünglich nicht von Gesichts-, sondern von Gehörenipfindungen
gebraucht wurde. In althochdeutscher Zeit bedeutet es noch ausschliesslich, in
mittelhochdeutscher vorwiegend „sonorus. hell tönend". Danach würde also helle-
bille soviel wie „tönende Axt, Signalaxt" heissen.
Damit ist zugleich der Ursprung des Instrumentes selbst aufgehellt. Dasselbe
war ursprünglich eine blosse Holzaxt, die man durch Schlagen mit einem Messer
oder dergleichen in tönende Schwingungen versetzte. Und diese Annahme wird
ja auch durch den von Andree citierten Bericht des Albinus über den Prinzenraub
deutlich genug bestätigt. Es heisst da von des Köhlers Weib: „Sie gibt als-
bald ein Zeichen, welches bei den Kölern und Weidnern breuchlich ist, das sie
mit ein Zschöper oder grossem Messer auf ein Holzaxt schlagen"
(a. a. 0. 105). Später ist dann dieses primitive, dem Handwerk der Holzhauer
und Köhler entsprungene Signalinstrunient in der von Andree beschriebenen Weise
vervollkommnet worden, während der ursprüngliche Name beibehalten wurde.
Tübingen. Johannes Hoops.
Heiuricli Prölile |.
Am 28. Mai 1895 starb in Steglitz bei Berlin Professor Dr. Heinrich Pröhle,
emeritierter 'Oberlehrer des Louisenstädtischen Realgymnasiums in Berlin, geboren
den 4. Juni 1822 im Pfarrhause von Satuelle bei Neuhaldensleben, Sohn des Pastors
Heinrich Pröhle, der 18.35 nach Hornhausen bei Aschersleben versetzt ward, eines
vortrefflichen, auch dichterisch begabten Geistlichen, der durch sein Buch „Kirch-
liche Sitten. Ein Bild aus dem Leben evangelischer Gemeinen. Berlin 1858"
auch zu der Kunde des niederdeutschen Volkslebens erheblich beigetragen hat.
Heinrich Pröhle ward von der Domschule in Halberstadt und dem Gymnasium in
330 Weinhold:
Merseburg für die akademischen Studien vorbereitet. Er studierte zuerst in Halle,
wo er in dem studentischen Leben sehr hervortrat, und dann in Berlin Theologie,
Geschichte und Litteratur. Nach ein paar Wanderjahren setzte er sich im Harz
fest, in Zelierfeld, Lerbach, Wernigerode, um die Sagen, Märchen, Sitten und
Lieder des Volkes zu sammeln, und veröffentlichte seit 1851 eine Reihe Bücher,
die seine glücklichen Funde bekannt machten. Er lebte im traulichsten Verkehr
mit dem Volke; Heinrich Pröhle ist der Harzische Sagen- und Märchenmann ge-
worden. In den Vorreden zu seinen Büchern, namentlich zu seinen Harzsagen
(Leipzig 1854), zu den Unterharzischen Sagen (Aschersleben 1855) und im Prutzschen
deutschen Museum 1856, No 15 hat er von den Erlebnissen und den Freuden
eines deutschen Sammlers berichtet. Im Jahre 1855 erwarb er sich mit der
Dissertation „De Bructeri nominibus et fabulis" den Doktortitel in Bonn. Nach
abgelegten Prüfungen ward er 1858 Lehrer an der Realschule zu Mühlheim am
Rhein und kam 1859 an die Louisenstädtische Realschule zu Berlin, der er bis
zu seinem Übertritt in den Ruhestand treu geblieben ist. Pröhle hat in der
späteren Zeit manche Beiträge zui' deutschen Litteraturgeschichte geliefert, von
denen hier die Schrift über J. Gottfr. Bürger erwähnt werden mag. für den er als
Sohn des Unterharzes und Freund des Halberstädter Gleim, ebenso wegen seiner
Berührungen mit dem Volksliede sich besonders interessierte. Er gehörte auch
dem Kuratorium der Gleimstiftung in Halberstadt an, deren Schätze er für manche
seiner litterargeschichtlichen Schriften, z. B. für sein Buch „Friedrich der Grosse
und die deutsche Litteratur" bequem benutzen konnte.
K. Weinhold.
Von Dr. Stanislaus Prato, Professor am K. Lyceum in Sessa Aurunca,
Prov. Caserta in Italien, hat das Archivio per lo studio delle tradizioni popolari
im "2. Heft des XIV. Bandes jüngst eine Fortsetzung seiner Abhandlung Le dodici
parole della veritit (novellina-cantilena popolare considerata nelle varie redazioni
italiene e straniere) gebracht. Es wird darin jenes Lied, das wir im Deutscheu als
das von den zwölf heiligen Zahlen kennen fErk-Böhme, Liederhort III, 825—833),
nach seiner weiten Verbreitung hin untersucht. Die vergleichende Litteratur-
forschung, in der besondern Richtung auf die volkstümlichen Stoffe, ist bekanntlich
das Feld der wissenschaftlichen Thätigkeit Dr. St. Pratos, den wir zu unsern Mit-
gliedern und Mitarbeitern mit Vergnügen zählen. Der Herausgeber der Tradition,
M. Henry Carnoy, hat im 3. Bande seiner Zeitschrift, 1889, eine bio-bibliographische
Skizze über den italienischen Gelehrten gebracht. Was uns von den seit 1889
erschienenen in den verschiedensten volkskundlichen Zeitschriften versti-euten
Arbeiten Dr. Pratos bekannt ward, wollen wir hier verzeichnen:
Le Menusier le Tailleur et le Sophia: notes comparatives (Extr. de la Tradi-
tion. 1891. No. X. XL), Paris.
Le dodici parole (vgl. oben), seit 1892 im Archivio von Pitre. Palermo.
Bibliographie des variantes de trois contes les nuisiciens de Breme, les deux
bossus et les nains, Psyche. Estr. du Bulletin de Folklore I. 316 — 335, 11, 68 f.
78 f. London 1893.
Inceputul Cintecelor populäre rominesti (Extr. din Sezätoarea. 1894), Fälticeni.
La scene de Tavocat et du berger de la farce Maitre Pathelin dans les re-
dactions litteraires et populaires, francaises et etrangeres (Extr. de la Revue des
Trad. pop. 1894), Paris.
Bücheranzeigen. 331
Zwei Episoden aus zwei tibetanischen Novellen in der orientalischen nnd
occidentalen Überlieferung (Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1894), Berlin.
In einem der niichsten Hefte unserer Zeitschrift wird ein Längerer Aufsatz
Dr. Pratos erscheinen: Sonne, Mond und Sterne als symbolische Bilder der Schön-
heit in Volkssagen und Volksliedern. K. W.
Büclieranzeken.
Volkslitteratiir der Aronmneu vou Gustav Weigand. Mit 4 Licht-
drucken und 1 Holzschnitt-Tafel. Leipzig, Johann Ambrosius Barth,
1894. S. XVIII. 383. H".
Das vorliegende Buch ist der II. Band eines grösseren Werkes, das unter dem
Titel: „Die Aromunen. Ethnographisch -philologisch-historische Untersuchungen
über das Volk der sogenannten Makedo-Romanen oder Zinzaren" von demselben
Verfasser erscheinen soll und kann als eine erwünschte Bereicherung unserer
Kenntnisse über ein bis jetzt wenig erforschtes Gebiet angesehen werden. Das
hier gebotene Material ist in folgende zwölf Kapitel eingeteilt: I. Liebeslieder,
II. Tanz- und Hochzeitslieder, III. Abschicdslieder, IV. Räuber- und Kampflieder,
V. Religion, Moral, Aberglaube, Feste und Bräuche, VI. Lieder verschiedenen
Inhalts, VII. Zwei Balladen, VIII. Lieder aus der Manjana in Akarnanien,
IX. Farseriotenlieder, X. Totenklagen, XI. Neun Märchen, XII. Rätsel, Sprich-
wörter, Grüsse, Dankesformeln, Trinksprüche, Flüche, Spiele.
Von rein folkloristischem Standpunkte aus wäre es vielleicht wünschenswert,
wenn der aus dem Inhalte geschöpfte Einteilungsgrund überall eingehalten worden
wäre; der Sprachforscher wird allerdings zufrieden sein, die unter Vlll. und IX.
verzeichneten dialektisch gefärbten Lieder beisammen zu sehen. Jedem Kapitel
geht eine mehr oder weniger ausführliche Einleitung voran, in welcher über den
Inhalt der gebotenen Texte im Zusammenhang gesprochen wird, wobei auch der
Varianten Erwähnung geschieht, die sich entweder in den frülieren Publikationen
des Verfassers oder in anderen Sammlungen vorfinden. Mitunter ist die Einleitung
bei weitem umfangreicher als die unter dem betreffenden Kapitel veröffentlichten
Texte, so besonders im Kapitel V, wo acht kurzen Nummern der Texte eine Ein-
leitung von nicht weniger als 16 Seiten gegenübersteht. Einiges entnahm der
Verfasser seinen früheren Sammlungen, was besonders für diejenigen von Be-
deutung ist, die des Rumänischen nicht mächtig sind: W. hat nämlich hier die
vortreffliche Einrichtung getroffen, dass er jedem Original zugleich auch eine
deutsche möglichst getreue sorgfältige Übersetzung gegenüber stellt. Nur weniges
ist in dieser Beziehung zu beanstanden, was der Schreiber dieser Zeilen in einer
anderen die sprachliche Seite berücksichtigenden Recension zu thun sich entschlossen,
die demnächst in der Zeitschrift für romanische Philologie erscheinen wird. Es
möge auch bemerkt werden, dass der Verfasser des vortrefflichen Werkes ,5Basmele
romäne" Sainenu das vorliegende Buch wenigstens in den Anmerkungen hat
benutzen können.
332 Jarnik:
Die hinzugefügten hübschen Illustrationen veranschaulichen uns nuuiclie Seite
des Volkslebens der Aromunen, und ebenso ist sowohl das Glossar (S. 289 — 340)
als auch die Abhandlung über dialektische Verschiedenheiten im Aroniunischen
als eine willkommene Zugabe zu dem trefflichen Werke anzusehen. In einer
dritten Beilage: „Die Methode beim Sammeln der Volkslitteratur zu sprachwissen-
schaftlichen Zwecken" äussert der Verfasser verständige Ansichten dai'über, was
und wie gesammelt und das Gesammelte veröffentlicht werden soll, damit die
Texte auch in spi'achlicher Beziehung allen Anforderungen entsprechen. Man kann
in der That im Interesse der Wissenschaft nicht nachdrücklich genug wiederholen,
der Sammler möge es als seine erste Pflicht ansehen, seine Person möglichst in
den Hintergrund treten zu lassen: nur so werden uns Texte geboten, die von
Gelehrten als wichtige und verlässliche Dokumente zu sprachgcschichtlichen Studien
verwendet werden können.
Erster Jaliresbericht des Instituts für rumäiiisclio Sprache (Rumäiüsches
Seminar) zu Leipzig. Herausgegeben von dem Leiter des Instituts,
Dr. Gustav Weigand. 1894. S. VIIL 155. 8"..
Nach einem kurzen Bericht über die Thätigkeit des Seminars im Jahre 189:3
bis 1894 verötfentlicht das Seminarmitglied Hr. Paul Dachselt eine arom. Predigt
vom heil. Antonius. Zunächst wird der betreffende Abschnitt einer mit griechischer
Schrift geschriebenen Handschrift aus dem Anfange dieses Jahrhunderts im Original
abgedruckt. Darauf folgt eine Transcription mit lateinischen Buchstaben, wo der
romanische Charakter eigentlich erst klar wird mit hinzugefügter Übersetzung, die
allerdings einige Mängel aufweist, woran sich Anmerkungen und ein Glossar an-
schliessen. Der Text ist sehr interessant, indem hier über das Leben der Seele
nach dem Tode gesprochen wird. —
Ferner bespricht Hr. Kurt Schladebach die auch von W. verötfentlichte
Ballade von der Artabrücke, indem er dieselbe mit ähnlichen Erzeugnissen der
Nachbarvölker vergleicht. — Endlich veröffentlicht Weigand selbst zwölf Schwanke
in istiorum. Sprache, die sowohl wegen ihres Inhaltes als auch als Sprachproben
volle Beachtung verdienen. Auch hier erleichtert eine wortgetreue Übersetzung
das Verständnis der sonst auch dem des Rumänischen Kundigen ziemlich schwer
zugänglichen Texte. — Nach diesen Proben kann man den weiteren Publikationen
dieses nützlichen Institutes mit Interesse entgegensehen.
Prag. Dr. Johann Urban Jarnik.
Tales of tlie Fairies autl of the ghost world, collected from oral traditiou
in South-West Munster by Joromiab Curtin. Published by David
Nutt in the Strand. 1895. S. XII. 198. 8°.
Mr. Jer. Curtin ist den Freunden irischer Volksüberlieferungen wohl bekannt
durch seine Myths and Folklore of Ireland (Boston und London 1890) und
die Hero Tales of Ireland (Boston 1894), sowie durch eine reiche Sammlung,
die er in der Sonntagausgabe des Sun (New-York) erscheinen Hess. Die Myths
enthalten die irischen Fassungen durch Europa verbreiteter Märchen; die Hero
Tales sind gälische Geschichtssagen; das vorliegende Buch unterrichtet uns über
den Glauben des südirischen Landvolkes an die Geisterwelt, und ergänzt Crokers
Fairy legends and traditions of the South of Ireland durch glückliche Funde. In-
Bücheranzeigen. 333
tcressant ist, wie uralte Überlieferung- modernisiert und lokalisiert wird. So ist in
der Geschichte von John Sea and thc treasure archaistische giilische Romantik
auf einen im Jahre 1847 verstorbenen Mann übertragen und der Zeit gemäss ge-
ändert worden, nur der Name des Wunderlandes Lochiin ist beibehalten (Lochiin
which the people call Denmark now). — Die Geschichten sind frisch und treu
nach den Erzählungen mehrerer Landleute niedergeschrieben, die von dem Glauben
an Feen, Hexen ') und Geister ganz erfüllt waren, wie denn nach den "Wahrnehmungen
von Mr. Curtin in Südirland noch neun von zehn fest in jenem Gl-auben leben,
wenn sie auch gegen Fremde damit zurückhalten.
A. Le Braz, La legende de la Mort en Basse-Bretagne. Croyances, traditions
et usages des Bretons Armoricains. Avec uiie introduetion de L. Ma-
rillier. Paris, Houore Champion. 1893. SS. LXXL 495. 8».
Ein reichhaltiges und wichtiges Buch für die Vorstellungen vom Tode und
dem Geschick der Verstorbenen in der Niederbretagne, die hier recht eigentlich
als ein Gebiet des Todes erscheint, wo die Abgeschiedenen unter den Lebenden
weiter wohnen und mit ihnen verkehren. Ist die Bretagne doch das Land, wo
das Wunderbare von dem Wirklichen nicht getrennt ist, und das Gefühl der Ver-
gänglichkeit sowie die fortwährende Beschäftigung mit dem andern Leben, die
E. Renan einen charakteristischen Zug der keltischen Rasse genannt hat, alles,
selbst die Liebeslieder durchdringt.
Der Reichtum der Niederbretague an volkstümlichen ÜberUeferungen scheint
unerschöpflich. Herr Le Braz hat nur in drei Bezirken, dem Trecor, dem Goelo
und dem Quimperrois gesammelt, am meisten im Trecor und im besondern in
den zwei Gemeinden Begard und Penvenan. In letzterer zeigte sich der Weiler
le Port-Blanc besonders ergiebig, der von Schiffern und Fischern bewohnt ist.
Dabei ist zu bemerken, dass eine grosse Anzahl der von M. Le Braz gesammelten
Geschichten keine Parallelen in den sieben Bänden des „Grimms der Nleder-
Bretagne" findet, des verdienten Fr. M. Luzel (Contes bretons. Veillees bretonnes.
Legendes chretiennes de la Basse-Bretagne. Contes populaires de la Basse-
Hretagne). Man ersieht daraus, dass ies derniers paysans Emil Souvestres auch
nach fast fünfzig Jahren noch fortleben und keine Neigung zum Sterben haben,
wofür auch Lottis pecheurs islandais Zeugnis geben konnten.
Die Sammlungen des Herrn Le Braz machen den Eindruck der grössten Sorg-
falt und Treue. Am Schluss jedes Stückes ist die Person genannt, die es ihm
erzählt hat und wann sie es ihm erzählte. Auch die Personen und die Orte der
Geschichten selbst sind genau bezeichnet.
Das Buch zerfällt in neun Kapitel: 1. Die Vorzeichen. 2. Der Ankou d. i. der
personifizierte Tod. 3. Nach dem Eintritt des Todes: Totenwache. Die abge-
schiedene Seele. Das Buch Agrippa. Die Totenmessen. 4. Kirchhöfe und Bein-
häuser. 5. Gewaltsamer Tod und Selbstmord. Versunkene Orte. 6. LAnaon
d. i. die armen Seelen. 7. Die guten Geister. 8. Verdammte Gespenster. Be-
schwörungen. 9. Hölle und Paradies.
Überall bietet sich der interessanteste Stoff, der zugleich die Übereinstimmung
der bretonischen Vorstellungen vom Tode und dem Leben der Abgeschiedenen
mit denen der andern Völker beweist. K. W.
1) In den Fairies ist sehr- oft die laü-y uud die witch vermischt.
334 Schmidt:
Sagen aus dem Lande Braunschweig, gesammelt von Tb. Voges. Mit
einer Karte. Braunschweig, B. Göritz. 1895. SS. XVI. 340. 8°.
Die vorliegende Sagensamralung aus dem Herzogtum Braunschweig ist will-
kommen zu heissen, da sie mit grossem Sammelfleisse und nach treuen zu-
verlässigen Aufzeichnungen gemacht ist. Das Land Braunschweig ist kein ge-
schlossenes Ganze, sondern zerstückt in verschiedene Teile, es hat aber durch
den durchaus niederdeutschen Charakter seiner Bewohner die Einheit in sich.
Über das Geographische belehrt die Karte, auf der alle in den Sagen erwähnten
Orte eingetragen sind. — Der Herausgeber und Sammler hat die Sagen nach
ihrem Inhalt geordnet; vom wilden Jäger, von verwünschten Jungfrauen, Riesen
und Zwergen u. s. w. bis zu den Ortssagen, geschichtlichen Überlieferungen mid
einem Kapitel Verschiedenes. Die meisten Stücke sind Parallelen oder Varianten
zu Sagen, die allgemein verbreitet oder wenigstens aus Medersachsen bekannt
sind. Es fehlt aber auch nicht an eigentümlichen oder selteneren Zügen. Ich
weise nur auf einiges davon hin. So die Sage vom Untergang der Zwerge auf
der Homburg, die durch blutigen Kampf untereinander vernichtet wurden, S. 52;
dann die vom Auszuge der Zwerge aus dem Kanstein, einem Kalkberge bei Ast-
feld, die in der Neujahrsnacht 18(H) fortzogen und verheissen haben, gerade nach
hundert Jahren wiederzukommen. Die Geschichte vom Teufel, der als zehnter
sich zu neun Burschen beim Plumpsackspiel dazufand, S 58. Die Erzählung
vom Urian im Thurm zu Schöppenstedt, der geisterhafte Schweine hütet, S. 59.
(Über den Urian giebt noch das Meiste D. Sanders Wörterbuch d. deutsch.
Sprache 3, 1414. c. Ergänzungswörterb. 586. c.) Vom Hirtenfluche, den iler äkesto
Hirt einem feindlichen Reiter nachsendet, der zufällig das Versteck der Herden
aufgefunden hat. Der Reiter stürzt von einer Klippe des Ith, S. lOIJ. Von Vor-
spuk und zweitem Gesicht, S. 145 f. Zum Volkskalender gehört der Woldmannstag
auf dem Solling, ein Feiertag der Waldarbeiter am 2. Januar, S. 170. Die vielen
Sagen von alten Stein- oder Sühnkreuzen. Dieselben sollen nicht von ihrer Stelle
genommen oder anders verwandt werden, sonst kommt Unheil über Stall und
Feld, S. 250 f. 255 f. Wenn die Kinder krank sind, schaben die Mütter etwas
vom Gestein ab und geben es den Kranken in einem Trunk, S. 250. 251. Es
wird das genügen, um den Wert dieser braunschweigischen Sagen anzudeuten.
K. Wein hold.
Kluge, Friedrich. Deutsche Studentensprache. Strassburg, Trühner,
1895. 136 S. 8°.
2.')
Ahhaven, aus der Gaunersprache: Neue Erweiterungen der Erkenntnis mid
des Vergnügens 1754 St. 15, 227 in einem kleinen Rotwälschverzeichnis. — abfallen:
Das Berliner Exemplar des „Göttinger Studenten" von 1813 ist dadurch interessant,
dass in neuerer Zeit ein Korpsbursch die abgekommenen und veralteten Worte
1) Siehe oben S. 225 ff. Ich bitte S. 229 (S. 4 des Sonderabzugs) nachzulesen und
verzeichne noch als Abkürzung ,,Erdenwallen'' : „Des Burschen Erdenwiillen. Eine acht
walu-e Burleske", Bremen 1822, ein albernes anonjnnes Drama von Kobbe (Erinnerungen
2, G5). S. 228, 2. Absatz, Z. 5 lies ..Kindleben" statt „Verfasser" (.vgl. auch Almanach
der Bellettristen 1782 S. 22Ö). — „Teckathen" Stuttgart: Schiller 1, 51. — Bierc: inter-
essant ist das Kapitel „Der Bier-c/ioisiVe/ide Student" in Henr. üasp. Abdii D . . . Refor-
Bücheranzeigeu. 335
bezeichnet und allerlei nachgeti'agen hat, wie „abfallen" beim Trinken, „Aschauti"
(vgl. „Kaffer") wer für sich aus der Garküche speist, „bombenfest'', „haarig",
„Löwens" gute Groschen und Geld überhaupt, „Patentschniepel", „Person"' Auf-
wiirterin, „zähmen" anschaffen. — abführen auf der Mensur. — able/jen für deponere:
Jungfer Robinsone 1724 S. 92 (im geringern Nachdruck ohne das altüberlieferte
Cornelianische Kupfer). — abmucken töten: Immermann, Epigonen V Cap. 4. —
absegeln sich entfernen: Zwey im Coffee-Lande herumschweiffende Avanturiers 1744
5. 280; Bürger, Strodtmann 1, 108. — abstechen 1. ausstechen: Günther, Gedichte
6. Aufl. S. 989 „Als er von seinem Nebenbuhler abgestochen zu werden besorgte".
2. auf der Mensur. 3. erotisch. — Abstemius in der Liebe: Sylvanus S. 214; beim
Trmkeu: Michaelis, Raisonnement 4,471. — Access-Schmaus der Füchse („Pennal-
Schmaus" Dürer, Tychander 1668 S. 6): Schoch 3, 3 (3, 7 f. „^4/«ofo/r-Schraauss"),
Salinde S. 76; neuer Tischburschen. — Ackerstudetil: Schon G. Rollenhagen,
Amanles amentes 3, 4 „ackerstaudenten" mit einer im 16. und 17. Jahrhundert
spottweis beliebten Verballhornung; W. Schorffer, Gedichte 1652 S. 648 „Lustig ihr
Pauren, ihr Akker-Studenten". — Action Rauferei, Mensur: Schlingschlangschlorum
S. 15; Sylvanus S. 137. agiren einen Fuchs, vexieren: Moscherosch; Richter 2, 2
„Opulenti Sohn penalisiret und wird agiret" ; Salinde S. 185. — Aga Häscherführer:
Michaelis 4, 471 (Halle?); Vollmann. — Amasia: Sarcander, Amor auf Universitäten
1710 S. 108; Sylvanus S. 194. — Anschiss: Die Stelle Hauffs (Werke 2, 57) wäre
wegen der genauen Definition im Wortlaut anzuführen „Es ist mehr als ein Zoll,
klafft und blutet, also A." angeschissen abgeführt: Erdenwallen S. 14, 25, 37 f.
Als Mensurwort abgekommen. In älteren Paukbüchern, z. B. dem Bismarckschen,
llndet sicli der nicht identische Ausdruck „Anriss". — anschiiarchen, wie so manches
von Kluge aufgenommene Wort, „prostituieren- u. s. w., kaum speziell burschikos,
auch in älterer gelehrter Polemik; Mencke, Scherzh. Gedichte 1706 S. 49. —
aiischjuirren: Leo, Meine Jugendzeit S. 96 „dass er . . das Philistervolk von Auf-
wärtei'n . . auf gut studentisch angeschnurrt und abgefegt hätte". — ^angestiefelt
kommen, modern": Schwab schreibt 1816 „kommt herübergestiefelt" (Klüpfel,
Leben S. 81); „angestochen K." Sylvanus S. 157; „angestapelt K." Bahrdt, Leben
1, 147; „angeprelit K." Schwabs Kommersbuch S. 50; „angeschissen K." neu. —
Arm: „auf den A. gehen" leichtere Mensur mit geschützter Brust, Sylvanus S. 202;
ebenso „Armfuchsen" Schluck S. 16 (Kluges Citat ist unklar). — Arsch: H. L.
Wagner, Kindermörderin S. 40 des Heilbronner Neudrucks „da wird gewiss einer
auf den A. gesetzt" im Duell: Arnim mildert „auf die Kniee gesetzt", Halle und
Jerusalem 1, 15; „auf den Hund s." Buckeliade S. 108. — auclioniren die Gesund-
heiten bis auf zwanzig, dreissig Gläser steigern: Sylvanus S. 108. — aufdonnern:
Hauff, Controverspredigt W. 3, 299. — Au/nehmen der Hiebe diu-ch den Sekundanten:
Richter 2, 6. — auf wichsen traktieren: Arnim, Halle 3, 14; Hauff, Phantasien 3, 353.
iiiirtem und gantz vollkommenem Leih-Medicus der Studenten, Leipzig 1790 S. 4G9ff.
Dieser kuriose Pedant bespricht das Naumbm-ger, Torgauer, Erfurter, Merseburger; „Eiss-
lebisch-Bier ist hingegen ein rechter Kopff-Brecher und Vernunfft-Zerstörer, heisset mit
Recht Krappel an der Wand, vielleicht a crapvla . . . auch Mord und Todschlag":
Puff, ungesundes Hallisches Bier; Neu-Wereker; Leipziger Rastrum und Wittenbergischer
Guckguck gleiche dem Puff; „Der Dorff-Teuffel in Jena (welches Wort sehr sündUch und
straflbar) ist noch gar gut, hat es gleich keine grosse Krafft"; Wurzner, Eilenburger,
Zerbster ..ein gutes Studenten-Bier", Garley, Löbginer „ein recht St.-B", Keuterhng;
„Unter den Breyhans wird gerühmet der Quedhnburger, Hannoversche und Wolften-
büttelsche, aber der Halberstädtische behält den Preiss, dem der Dornnburgische ohnweit
Zerbst nahe kömmt"; „Duffstein". — Kerles: Weckherlin ed. Fischer 2, 404 „Wiss, wan
von Carl und Carolas Ein Kerl und Kerlis kommen muss."
Zeitschr, d. Vereins f. Volkskunde. 1895. 23
336 Schmidt:
— aasschmieren einen auf der Mensur: auch Leo, Jugendzeit S. 118; ebenso „an-
geschmiert" Harring, Faust S. 96. — Avantage wird gebucht, aber nicht erklärt.
„Sich in A. setzen" durch meist thätliche Abwehr des nunmehr zur Forderung
gezwungenen Gegners, Stockschläge u. s. w.: Michaelis, Raisonnement 4. 381
(ebenda „der in Desavantage Gesetzte"); Schluck eingehend § 14; Statut der
Amicisten dagegen, besonders gegen den Gebrauch der Hetzpeitsche, s. Graf von
Taufkirchen 1799 S. 89. Göttinger Student 1813 S. 107: wer in A. ist, hat sich
um nichts zu kümmern, sondern wartet die Terminbestiramung durch seines
Gegners Sekundanten ab und führt den „Aushieb", während der zuerst Beleidigende,
aber Über.rtürzte in Desav. ist, das Zimmer besorgen muss und den „Nachhieb"
hat. Leo erzählt S. 144, „das in A. setzen" sei 1817 in Verruf gewesen, während
früher die Reihe der A. nach körperlichen Misshandlungen durch das Spucken
unter den Zopf — dieselbe „Realavantage" nebst dem Begiessen mit dem Kammer-
topf, Buckeliade S. 107 — beschlossen worden und dem das Duell gefolgt sei.
Schopenhauer, Reclam 4, 419. — Backfist-h imreifer Fuchs: Frisch, Ohnvorgreifliches
Bedencken, Regensburg 1686 A 2 „unzeitiger B." (Gitat). In den Facetiae fac.
S. 355 heissen die Beani „Bengel, Büffel", die Baccalaurei -,vnlgo Backfisch,
Larissen, Plateissen, Speckerbes, Stantzenfresser." — ^Monsieur ßadium oder den
Braunen, das ist den Bierkrug": Abel, Leih-Medicus der Studenten 1720 S. 100. —
Bank: Erdenwallen S. 37 „LTngeheures Pech in Bänken" und S. 40 „isch Poch in
Bänke". Ebenda S. 15 wird der Primaner „Bänkenrutscher, Frosch, Penal" genannt.
— bekneipen jemand, sich frei halten lassen: Leo S. 119 „einen Fuchs b." Vgl.
Schoch 4, 1 Pennale „corrigiren", in Geldstrafe nehmen, und „beschmausen";
Weimaiisches Jahrbuch 2, 453 euniquc beschmausat; Dürer, Tychandcr S. 6 „besuchen
(beschmausen nennens die Pennale)", S. 17 „neue einkömmlinge vexiren, be-
schmausen". — bemoostes Haupt im G. Semester: auch Holtei, Der Solofänger Sc. 3;
Benedix. — bene wäre längst vor 1789 in der Verbindung mit „thun" (auch „sich
sich ein b. thun") zu belegen; z. B. hcisst es im Dressdener Avanturier 1755 S. Ki:
Pursch Schmidt trug sein Geld „zu Dorfe, und that sich davor nach der gewöhn-
lichen academischen Redensart, etwas bene'^. — Bettehtudent: über neuere Bear-
beitungen des Weidmannschen Stückes von 1776 vgl. Holtei, Theater S. 12. —
xich bezapfen: Forsch, Studentenbilder oder Deutschlands Arminen und Germanen
1835 S. 172 im Liede „Smd wir wieder einmal". — Bibel: 1. Der Biercomment
(Vollmann „die nasse B.", „der nasse Koran"); das Kommersbuch (Österreich).
2. „dass er in die B. müsse" („Die B. ist der geistliche Karcer zu Stuttgart"),
Seybold, Hartmann 1778 S. 255. — Bier: Die massenhaften Composita bis zum
jungen „Bierhuhn" (früher „Bierhahn"; vgl. „Sumpfhuhn") können gewiss nicht
alle angeführt und belegt werden; doch dürfte z. B. „Bierstaat" kaum fehlen. Leo
berichtet S. 165, wie in Jena 1817 die politische Gährung der Burschenschaft dem
Lichtenhainer „Bierherzogtum" eine Ziegenhainer „Bierrepuldik" entgegengestellt
habe (vgl. Forsch, Studentenbilder 1835 S. 211). bieren: Erdenwallen S. 11, 21, 32.
— „bindet die Klingen" („sind gebunden", „los") Mensurkommando, auch bei
Hauff 2, 56. — Bindfaden Häscher: Salinde S. 224 „Monsieur B." — Flame: Sar-
cander, Amor S. 109; blamiren: Salinde S. 306, Zwey . . Avanturiers 1744 S. 92.
— „blanc stehen" auf Mensur: Sylvanus S. 202. — Blech Geld: Seybold, Reizeu-
stein 1778 H 245 ein „beblechter" Pursch. — Blutiger: leichter Hieb. — Brand-
brief Bettelbrief: Quistorp, Gottscheds Schaubühne 4, 476. — Unter Brander (s.
auch Goethes Auerbacher Scene, wo Br. — Urfaust S. 28 — stilgerecht „junger
Herr" genannt wird) oder Brenner vermisst man einen Hinweis auf Leos grosse
Schilderung, Jugendzeit S. 130, wie roh noch 1817 in Breslau das „Brennen" der
Bücheraiizeigeii. 337
Brandfüchse bis zum Ausstossen des Fidibus auf der Wange geübt wurde, während
er S. 144 für Jen.i einen gelinderen Brauch angiebt. Vgl. Hase, Ideale u. Irrtümer
S. 115 f., über das „Brennen" in Erlangen, auch über das „Wischen": den Füchsen
wurde das Auge gereinigt; Buckeliade S. 35 „Brennerei", S. 43 „gebrannt, ge-
wischt". — Bnmlfi'iln-er Häscher: SaHnde S. 92, 126. — bringen zutrinken: alte
Gesellschaftslieder; Gargantua 2. Aufl. J7; Brehme, Gedichte 1637 S 4' „Ich will
dirs verbringen". — Unter Bruder wäre, abgesehen von manchen Compositis (z. B.
Sylvanus S. 34 „ein lustiger Bier- und Tobacks-Bruder") die Art der Anrede „Br."
„Herr Br." (daneben z. B. in Reuters Ehrlicher Frau Monsieur frere und Man frere,
dies auch Salinde S. 15 u. s. w., Monsieur bei Schoch) „Brüderchen" „Bruderherz"
zu betrachten gewesen; auch über das förmliche Anreden in der 3. Person („Der
Herr Bruder gehe"), das Ihrzen, Siezen, Duzen Hesse sich chronologisch viel sagen.
Bruder Studio: Keil, Stammbücher S. 140 (1692) „wie es Bruder studio ergangen"
(in den „Zwey . . . Avanturiers" steht durchweg „Bruder Studeo'^, nicht stiideo wie
Kluge angiebt), S. 222 Bruderstudio (Wittenberg 1720), S. 198 „Bruder Studio''
(Jena 1722). „Die Brüder Studio'^: Laukhard, Mosellaner S. 27; „die Brüder
Studio's": Erdenwallen S. 3. „Studio" allein: Pyra, Bibliotartarus. Dummer Witz
Studio-sus in Schregers St. juvialis 2. A. 1751 S. 70ü und im Vorwort. — Büchse
(s. hier „Spritzbüchse"): Maler Müller, Faust S. 115 „lustige B., Nymphen" „Mädels".
— „Akademischer Bürger^ wird erst für 1831 belegt, läuft aber längst vom 17. Jahr-
hundert her neben civis academicus (cives illiiteraii, der Universität und den Studenten
verbundene Leute mit besonderen Rechten; vgl. Michaelis, Raisonnement 4, 505).
— Burgfriede Urfehde, Verbot der Contrahagen für Commerse und andere Feste:
der noch heute ganz übliche Ausdruck stammt wohl vom Wartburgfest 1817 nach
den, durch Leo S. 154 bestätigten, zeitgenössischen Berichten. — Bursc/i. Das
Femininum „die Pursche", hursa, Studentenschaft: Richter 3, 4. Zu verfolgen
wäre die Terminologie des Burschenideals. Der „brave Kerl", Schelmuffskys
Leibwort, zieht sich im akademischen Gebrauch weit ins 18. Jahrhundert hinein:
Thomasius, Kl. Schriften 2. Aufl. S. 575 „ein praver K.", Salinde S. 80 „ein praver
Kerls" (Abels Leib-il/erf/cw.« S. 79 „der guten und braven Pursche oder der ehrlichen
Brüder"), Michaelis 4, 307, Gramer, Geschichte C. Saalfelds S. 22 f. „honetter
Bursche": Sarcander, Amor S 40, Sylvanus S. 178. „honorig" (s. Kluge): Schluck
sagt immer hurscAius /lonoricus oder hunoricus\ Laukhard, Mosellaner S. 74 „ein
h. B., wie man in der Studentensprache zu reden pflegt"; Tafellieder S. 136 f.
Natürlich können nicht all die zahllosen Composita gebucht werden, doch ist die
Auswahl hier zu karg geraten. „Bursch-Manier" Schelmuffsky Neudr. S. 116 und
oft; „Burschenehre" Arnim, Halle 1, 5; „Burschenhut" ebenda 1, 2 und 1, 5 (vgl.
im Lied „0 alte Burschenherrlichkeit": „Den B. bedeckt der Staub); „Burschen-
lieder" Schluck § 9; „Burschenrock" Iramermann, Epigonen V 4. Besonders
fruchtbar ward das Stiftungsjahr der Burschenschaft 1815: z.B. heisst der Convent
(„Burschenconvent" Leo S. 167, 176) „Burschengemeinde", auch auf der Wartburg ;
das „Commerschhaus", die Tanne, „Burschenhaus". Der Ruf „Bursche heraus"
(Jena 1794 Weimar. Jahrbuch 6, 16; Leo S. 136; vgl. das bekannte Lied. Bucke-
liade S. 98 „Schnurr' heraus") sollte nicht bloss unter „raus" mit der -Jahreszahl
1831 vermerkt sein („B. raus", Fichte an Voigt 16. Febr. 1795); daneben „Bursche
ins Gewehr" Keil, Stammbücher S. 290 (Jena 1792), „Bursch' ins G'wehi-" Schwab
S. 109. Wann ist von den Corpsstudenten („Corpsiers"; Erdenwallen S. 3 „Choristen")
der Spottname „Büxier" für die Burschenschafter aufgebracht worden? „Haupt-
sächlich, weil sie auf die Moralität der Mitglieder sahen", erklärt H. Forsch,
Studentenbilder oder Deutschlands Arminen und Gennanen 1835 S. 67. Er hängt
23*
338 Schmidt:
wohl mit Büxe, Hose, zusammen, bezeichnet also zuniichst die Schisser und mag
in der Zeit, als die Arminen nicht schlugen, aufgekommen sein. — campiren auf
Dörfern nächtigen, wohnen: Sylvanus S. 191; die Michaelisehe Stelle könnte aus-
geschrieben werden, ,, Auslager, auf Universitäten hiesse es mit dem Kunstwort,
C." _ Cerems Bier: Keil, Gründung S. 36; Erdeuwallen S. 11 (S. 31 „auf C'.");
Immermann, Epigonen V 3. Couleurmützchen, Deckelchen: ohne den Namen an-
schaulich beschrieben von Hauff 2, 43 „Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein
Stückchen rotes Tuch in Form eines umgekehrten Blumenscherben gehängt, das er
mit vieler Kunst gegen den Wind zu balanciren wusste; es sah komisch aus, fast,
wie wenn man mit einem kleinen Trinkglas ein grosses Kohlhaupt bedecken
wollte." — Champagnern: Voss, Briefe 1, 95 (1772) „champagnerten und burgunderten
wir". — Charmante: 17. Jahrhundert; noch Körner, Nachtwächter Sc. 4. — Circim-
flex Schmiss (S. 33 bei Sarcander belegt): Salinde S. 238; Der Gesellige 1 (1748),
79. Burschikos wird auch „Paragraphus" für Hieb sein, Grimmeishausen ed. Kurz
1, 46. — citiren mit dem Zusatz ad magnificiim, in consUium schiin im 16. f. Jahr-
hundert. Der Pedell schreibt oder klebt diese Citation an die Stubenthür; Wich-
grev-Sommer, Conii-Ihis relegaliis. Eine forma citationis, Zarncke S. 158. — jiro
confirmalione Hut beim Zutrinken: Keil, Stammbücher S. 274 (Jena 1766). — covira
(s. auch re) in Antworten auf Herausforderungen; De excussione fenestrarum 1737
S. 42 pereat contra nach dem Ruf ^Pereat N. N. tief", „i'«/.- contra steh Hundsvott";
S. 39 ^contra wetzen", ein häufiger Ausdruck. „Aus und ein. Dick Dack, und
contra Puff" obscön: Geländer, Der verliebte Studente 1709 S. 84. Cuntrnpart
Mensurgegner: Salinde Vorr. S. 24, Sylvanus S. 203. — Cornelius: zu R. Kühler
vgl. Wendeler, Ztschr. f. deutsches Altertum 21, 456 ff. — Corpus juris zweideutig:
Leben einer Tirolerin 1744 S. 60. — „Der Studenten CorrelaHv^ Mädel: Keil,
Stammbücher S. 149 (Marburg 17. Jahrb.). — Cotileur wird mit dem Wort „Blase
1831" zu flüchtig abgethan. Ziir couleur perdue, d.h. den verbummelten Studenten
(eigentlich aber einer engeren radikalen Gruppe der Germanen: Forsch, Studenten-
bilder 1835 S. 173) rechnet Dambach, nach Bailleus Mitteilung aus den Akten,
1834 Fritz Reuter. — Einen crescit venler kriegen: Jungfer Robinsone S. 40. —
Degen: interessant beschreibt Sylvanus S. 192 die „Satanische Manier", den Degen
in die morsche Stubendecke der Dorf kneipe zu stechen. — deponiren obscön, schon
in Misch versen des 16. Jahrhunders: V. Schumann ed. Bolte S. 268 (^(yrnlamini,
Deponier sie"), vgl. 409; Clodius S. 10 semper oscidanter semper deponenter, S. 52
Si vultis nie deponere (im Mischlied Pertransibat clericus; der Text von 1506, Zarncke
S. 88, bietet amare); 1691 (Reuter?) Schnorrs Archiv 13, 437. Depoaitor 16. bis
18. Jahrhundert. Depositionszetignis: Leo S. 133. — desinentia: Schlingsclilang-
schlorum S. 17 „Waschmädgen und andere desinentia in ,r", also lotrix netrix
meretrix und andere nomina in JX, die nach den Fac. fac. S. 301 generis communis
Stammb. 200, 269) sind; „desinentia in a, ut Anna, Susanna, also auch cerevisia"'
Kindermann 1664. — dimiltiren weniger als relegieren: Paulus an Voigt Febr. 1795.
— Doctor bei der Bierfehde: Keil, Gründung S. 37 (Jena um 1804) „Gelehrt und
D. muss hinein In unser durstges Wänstelein, In unsern durstgen Wanst". Beide
Zechgrade verbindet auch G. Preytag, Erinnerungen aus meinem Leben S. 118. —
dnrchxtänkern von „stankern", auch Lessing geläufig, im Sinne von suchen, wühlen
ist nicht speciell studentisch (durchstanckert" Gryphius, Trauerspiele ed. Palm
S. 325, Schelmuffsky S. 111); durchlesen: Rebhu, Der Simplicianische Weltkucker
1679 II 54 „durchstänckerte etliche P/ulosophos^ („durchschnarchcn" sagt Grimniels-
hausen so, Kiu'z 3, 391). — Jhizhruder: 17. Jahrhundert; Thomasius, Kl. Sehr. 1707
S. 304 „Dutz-Brüder". Das Citat aus den Faceiiae facetianuu ist nicht ganz genau:
Bücheranzeigen. 339
„Briiderschafft, oder auffn Dutz tr."; Finkelthaas, Lustige Lieder 1645 LVI „Dutz-
schwesterlied" : trinkt mit den Schönen „auf!' den Dutz das Gliissgen"; Clodius
S. KO auf den „Tuz" trinken und einem Mädchen das Glas auf den „Tuz'' bringen;
Lied 1645 „Der säuft dem zu Auf einen Du", Birlinger und Crecelius, Wnnder-
horn 2, 388; Schupp, Freund in der Not S. 7 des Neudrucks „truncken mit ein-
ander auf Brüderschaft". Erwähnenswert ist auch das 1762 und 1778 (Keil,
Stammbücher S. 272, 282) als Wittenbergisch bezeichnete, aber keineswegs auf
M'ittenberg zu beschränkende. Trinken ä boitne amitie. In der Salinde S. 77 und
387 ist das Trinken „auf bon amitie"' soviel als SchmoUieren; Sylvanus S. 150
„beliebten sie allerseits Brüderschaft zu machen und o bon amilie zu trincken,
welches auch mit einem erschrecklichen Geschrey: Es leb§n die Herrn Brüder
wohl! in guter Eintracht vollzogen worden". Rüdiger S. 203 vermerkt es als
Zuruf beim Anstossen mitten im Rundgesang, und in Keils Deutschen Studenten-
liedern S. 153 steht „Drum, Herr Bruder, du sollst leben, A hon amitie'^. Der
„Krambambulist" (Druck von 1767 S. 20) sagt „Ich trinke gleich a bon ami Sechs
ganze vom K.". — Ehrengericht: in der Verfassung der Burschenschaft 1815; es
wies „Renommagen", absichtliche grundlose Forderungen ab: Hase, Ideale und
Irrtümer S. 81; Kobbe 1, 41 ff'. — einheimsen modern: der Vater ruft oder holt den
Sohn heim. — einspringen in eine Verbindung. — sich eclipsiren ohne Bezahlung
abreisen: Michaelis, Raisonnement 4, 585. — Er:siii!ier: Erdenwallen S. 31. —
etcetera bedeutet in der angezogenen Stelle der Salinde (2. Aufl. S. 67; I 78) nicht
„Taugenichts", sondern ist blosse Chiffre für „Hundsfott" (ehrenhalber öfters
„Hundsvogt" geschrieben); auf derselben Seite steht ja „du bist deswegen ein &c."
und „ein Hunds&c." (dies auch S. 89 f., wo der 2. Druck „Hunds--" bietet);
S. 233 „einen ic." Sylvanus S. 166 „ein &c" nach „Hundsfott". Gleich „Hure":
Faceiiae fac. S. 481 „Die Etc. spilet auff dem Jägerhorn". Es ist überhaupt die
verschämte Sigle für unsaubere Worte: Schlingschlangschlorum S. 20 „lassen sich
kaum von einer Fliege auf die Nase &c". Auf dasselbe Blatt gehört die Anwendung
von Zahlen für Unanständiges: wenn das bekannte böse W^ort „Fünfzehnhut",
eigentlich „Fotzenhut" {Vulva-piJeus: Facetiae fac. S. 161) von Picander immer
„15. Huth" gedruckt wird (z. B. Gedichte 5, 126), und so muss wohl auch das
„Unleserliche" m Keils Stammbüchern S. 173 ergänzt werden. Was ist aber eine
„24. Frau", wie Geländer, Der verliebte Studentc 1709 S. 17, eine hübsche Dame
im Gegensatz zu ihrer hübschen Magd nennt? — exkneifen: Holtei, Theater S. 7.
— Experimentalphijsik: Die Hmioldsche Stelle lautet genauer .„em collegium physicum
oder die Geheimnisse der Natur bey ihr zu e.rperimeniiren'"; vgl. „Anthropologie"
für Menscherkunde. — e.vtra gehn: Keil, Stammbücher S. 217 (Leipzig 1724). —
Famulus wäre vom 16. Jahrhundert (s. Mohl, Sitten und Betragen der Tübinger
Studierenden S. 31) zu Goethes Piiust hin und weiter zu verfolgen und auch das
in Winckelmanns Tagen übliche „Famuliren" (Sylvanus S. 122) armer Hallischer
Studenten bei reichen, adeligen zu erwähnen; vgl. Fabricius zu Schoch S. 105.
Wallensteins F.: Lager Sc. 7. — Fechtboden: Gargantua 2. Aufl. Y 7; Zoi'gas Leben
1, 22. — Feger: Arnim, Halle 1, 5 „guter F." („der beste Fechter"); „fegen":
Immermann, Cardenio 3, 3; „zusammenfegen" (wie Goethes Valentin vom „zu-
sammenschmeissen" spricht): Keü, Stammbücher S. 272 (176,i). — Fenster: Treibers
gelehrte y,Commentatio juridica de excussione fenestrarum von Fenster-Einschmeissen"
mit einer grossen, frischeren Beilage Lünemanns „De studiosis hacchavtibus tumuUu-
antibusi/ue von schwermenden und tumultuirenden Studenten Item: von derPurschen-
Preyheit, Wetzen, Lichtweg-, Vivat- und Perea« -Ruffen" Halle 1737. F. „aus-
schmeissen": Menantes, Akademische Nebenstunden S. 111; oft „auswerfen". —
340 Schmidt:
fidel: riPour fidel ^ meine Herrn, willkommen!" Keil, Stammbücher S 260 (Jena
1754, gleich darauf- „Da geht's fidel zu"). Altes verbreitetes Lied , Studenten sind
fidele Brüder", z. B. Rüdiger S. 15. „Pidclitäten" Kneipereien: Keil, Gründung
S. 39 (Jena 1805). Fidelite: Keil, Studentenlieder S. 147 (Jena 1770). fiddüer:
Keil, Stammbücher S. 288 (Jena 1791), die Verse auch bei Schwab S. 21. fidoliter:
Erdenwallen S. 28 aus dem Lied. — Fidibus: Clodius 1)4-. — „wie fiii"-: Erden-
wallen S. 23. — fix rasch, gewandt: Griramelshausen ed. Kurz ), 226. — Flaus —
s. u. „Gottfried" — Winterrock: Zoegas Leben 1, 173 (1778); Burschenrock: „Es
sank der F. in Trümmer". — Unter ß oll dürfte der „flotte Bursch" nicht fehlen:
altes Lied, Schwab S. 50; Keil, Stammbücher S. 2G0 „ein flotter und fideler
Jenenser". — Finke: „Pinkenburg" hiess das Leipziger Paulinum, in dessen Tabu-
laten die „Paulinermusen" hausten (Hase, Ideale und Irrtümer S. 41). — forciren
Ti'inkzwang üben: Sylvanus S. 152 „das so genannte Forciren im Sauffen". —
fraternisiren : Leo, Meine Jugendzeit S. 94. — Wo ist die Akademische Freiheit ge-
blieben und wann der Ausdruck aufgekommen, der soviel Edles und Übles begreift?
Dürer, Tychander 1668 S. 5; Thomasius beruft sich 1691 darauf (Kl. Schi-. 2. Aufl.
S. 406). — Freitisch : Schlingschlangschlonmi S. 12 (= Weimar. Jahrbuch 2, 462)
„die so beym Professore mensam gratuilam haben, die man sonst Preyfresser nennet".
— Fress- Professor (vgl. Crailsheim S. 516 „dass fress Collegium"') Speisewirt:
Sylvanus S. 153. — Fuchs: „Püchsgen" „Siinsonisches Thierlein" Sylvanus S. 197.
fuchsen obscön: Crailsheim S. 460. Fuchsprobe: Leo S. 144. — fundilus: f. e.r-
bibendum im alten Lied, Schwab S. 106; ^funditus trinken" oft, noch in Reuters
Pestungstid 5, 92 „dat en forschen Voss ümmer /. drinken müsst". — ganz: „ein
ganzes" Rebhu, Weltkucker 2, 45; Keil, Stammbücher S. 212 u. s. w.; Ossenfelder,
Oden S. 87 „Ihr Miekchen, trinkt ganze"; Sylvanus S. 157 „ein Halbes oder
Gantzes". — Gaudium: Salinde S. 155; Frau Rat, Betfina u. a. ; „Gaudi" „Gaudeh"
österreichisch. — Geir/e obscön: Günther, 6. Aufl. Anhang S. 5 im „Studentenlied"
„So lebe denn die beste Geige, Worauf der Pursch sein Runda greift" (= Keil,
Lieder S. 142). Im Jenaischen Gaudeamus-Text von 1776 ist Str. 5 zu erganzen:
„Es leben auch die Weiber hoch Die sich lassen geigen" (faciles agressu).
— Gevatter stehn: Picander, Gedichte 1, 541 und 2, 501 (1723), dazu 1 , 565
„alles . . Steht, wie ein Pursche sagt, ietzt zur Gevatterschaft"; Schwabes
Belustigungen 1743 2. Aufl. S. 465 „Der Jude muss herausrücken, sobald ich
ihm Gevattern schaffe"; Crailsheim S. 506 „Der Gevatterschaften sind zu viel".
Geratterin nicht bloss die Obsthändlerin in Halle (vgl. auch „Stammbuch des
Studenten" S. 131), denn in den „Tafelliedern" S. 26 fordert der Biu'sch von
„Frau Gevatter Kätherlein" „eine Warme"; Kupplerin (vgl „Tante" „Mutter"):
Lenz, Lustspiele nach dem Plautus W. 2, 10. — Goldfüchse: „Goldfinklein" im
Studentensang bei Ditfurth, Deutsche Volks- und Gesellschaftslieder 1872 S. 221;
„goldne Füchse" Schiller, Wallensteins Lager V. 127. — Gossenrecht bedarf der
Erklünuig: wer in Göttingen die Gosse zur Rechten hatte, musste ausweichen
(1813 S. 106). — Gottfried: im alten Lied bei Schwab S. 50 heisst es „Hält den
Bratenrock der Schneider gleich zurücke, Hab' ich doch den alten G. noch, Den
ich mir zuweilen selber flicke, Posito der Kerl bekam' ein Loch" (anders bei
Crailsheim S. 505 „Hält der Schneider mir das Kleid zurücke Hab ich doch den
alten Kittel noch Den ich mir indessen selber flicke Und gesezt es bleibet noch
ein Loch"), im jungem S. 52 „Ein'n alten G. hab' ich noch. Der hat am Arm ein
grosses Loch". In der Haufi'schen Stelle steht der Kosename , Gottfried Flaus",
und so zeigt uns C. J. Weber 182G die „Musen" Tübingens „im schlichten Flaus
oder Gottfried" (Stammbuch des Studenten S. 180); beide Ausdrücke sind auch in
Bttcheranzeigen. 34I
der ßuckeliade S. 49 verbunden. — Grossvater: Schlingsclilangschlorum S. 16 die
Professorenburschen haben „bei Hochzeiten, wenn sie den G. holen, beym Tantz
und allenthalben den Vorzug"; Studententanz, nicht bloss auf Hochzeiten, Sylvanus
S. \6'2. — //öa/7o»ser Friseur: Keil, Stammbücher S. 274 (Jena 1766). — „Ilaiiderer
Lohnkutscher 1846", ein später und unnützer Beleg. — Bauboden: Vischer, Altes
und Neues 3, 261. — altes Haus: Leo S. 183, eine köstliche Anekdote; Hauff 2, 44
„zwei alte Hiiuser" „altes fideles H."; „fideles H." im Wartburglied, Beschreibung
S. 62. — Hausbuisc/i schon im 17. Jahrhundert, z. B. Reuter. Ehrliche Frau S. 2,
Schelniuffsky S. 119. Und wie oft beglückwünschen die H., die „Tisch-Pursche"
(Schoch .5, 1), die „Tisch-Gesellschaft", die von Schlingschlangschlorura so übermütig
nach Rang und Würden gepriesenen „Professoren-Pursche" ihren Professor, ihr
promoviertes Mitglied, den contubernalis, collegialis, cominejtsalis mit einem Carmen!
JJaiisji/ii/ister: Chamisso, Göttingen 8. Nov. 1805. Bauspump: Immermann, Epi-
gonen V 4. Hausen beim Hospiz u. s. w. mithalten: „Wer nicht mit hauset" im
alten Lied „Sa sa geschmauset"; Crailsheim S. 476 „schwermt und haust". —
Her:o(] im Bierstaat, längst vor 1831. — hochbeinige Zeilen nicht speziell studentisch;
Frau Rat Goethe u. a. — Hoch-Schmaus grosses Hospiz: Sylvanus S. 167; S. 224
„hoch schmausen". — Bufhurq, Jenaische Bezeichnung der ländlichen Exkneipe,
fehlt gleich „Hoftag" u. s. w., vgl. auch Leo S. 149 (1817); der Wirt führt denselben
Titel „Rurgvogt", den Scheidler auf der Wartburg mit Ehren trug. Leo erzählt
unter anderem lustig, wie Buttmann als Herzog Thus VllL von Lichtenhain den
lehrhaften Massmann zum „Oberhofhurenkinderschulmeister" ernannte. — Ob das
„horizontale Handwerk" (wie die Pariser Dirnen les horizontales heissen) über
Heines „Harzreise" hinaus als studentischer Ausdruck gelten darf? Vollmann, in
diesen Dingen so beschlagen, kennt es nicht neben „liegend". — Hospiz kleinere
Kneiperei, 18. Jahrhundert. „Hospitz-Liedcr" Leipziger Kommersbuch 1815 S. 60 ff.
hospitiren im CoUeg: es ^pro hospite besuchen, hören", Michaelis 3, 377. — ^Bölel
de Brnbach [Brühbach], oder wie es jetzt heisst, Hotel de Grefe" Forsch 1835
S. 81 mit Beiiifung auf Heine; s. Kluge S. 18. — „hujen stibitzen 1749": denselben
Sinn könnte „huyen" Salinde S. 38 haben, aber auch allgemein bedeuten „aus-
gelassen sein", von ,,hui" abgeleitet. — • Bund Carcer in Altdorf: Wallensteins
Lager Sc. 7; auch Hase, Ideale und Irrtümer S. 149 hält die Legende fest, daher
stamme die Redensart „auf den Hund kommen". — hutschen: zur Sache s. Schöttgen,
Pennal- Wesen 1747 Kap. 3. Leos famose, auf mündliche Berichte alter Herren
gegründete Erzählung S. 118 (vgl. 144), die auch das Wort „Hutschung" enthält,
müsste citiert werden. — in dubio: Erdenwallen S. 14. — „m dulci jubilo leben"
verzeichnet Kluge seltsamerweise — er möge aber dies „seltsam" nicht für Tusch
nehmen — erst aus dem zweiten Viertel unseres Jahrhunderts. — infamia: cum
pro (Schwab S. 133), infamiren. — Jocits, burschikos auch in Müllers „Siegwart",
wo der Ingolstädter ein „fideles Mensch, mit der man einen wahren J. haben kann"
rühmt; „Jux" ist der bairisch-österreichischen Volkssprache längst ganz geläufig.
— Junge: zu erwähnen wäre die seit dem 16. Jahrhundert geltende, bei Opitz (in
dem oft variirten „Holla, Junger, geh") und vielen Nachfolgern Utterarisch auf-
tretende Bezeichnung des Dieners als „Junger" oder „Junge" (Reuter, Ehrl. Frau
S. 21 braucht in diesem Sinn „Junggeselle"), aber auch die „Junge Magd", Auf-
wärterin, die in älteier burschikoser Litteratur, freilich nicht bloss dort, eine so
grosse, meist bedenkliche Rolle spielt. „Junge" ist Tuschwort schon im Schelniuffsky
S. 115 f.; sonst sind die älteren massiver: Hundsfott, Bärenhäuter, Kanaille.
„Dummer Junge": Schluck S. 23 „D. Jung, est niaxima et atrocissima injuria, quia
agitur de Sana mente et supientia Studiosi"" ; vgl. Knebel an Henriette S. 634 nach
342 Sehmidt:
Karls Duell. — Caball: Abel, heih-Medicus der Studenten 1720 S. 92. — Kalb:
Sylvamis S. 156 „dass fluide Kälber in grosser Menge passirten'^. — Kaldaunen-
sclduckfr: Schoch 1,-3; Schlingschlangschlorum S. 35 von den Kommunitatern;
Keil, Stammbücher S. 272 „In AVittenberg K." — Kabneuser , kidmeuseni fehlt
(etymologisch aufgeklärt durch J. Meier). — kanaülös: Calander, Der verliebte
Studente 1709 S 66 „canalliüs'^; Salinde S. 122, 1,32 ^canadkua'^ ; Brentano 1809,
Grimm-Steig 1, 261. — „C'önan'en- (Comilien-) Vögel" leichtfertige genäschige
Weiber: Abel, hcib-Medicus der Studenten 1720 S. 78. — Kanonen: Holteis Student
Schmollis schwört „bei Hieber und K.", Soiofänger Sc. 3. — kaput stammt vom
französischen Kartenspiel: Sperontes, Singende Muse 3. Forts. No. 33 .„Komm
Kindchen, lass uns Rummel spielen Dass ich dich gar capot gemacht". — Kar:er-
farbeii: Die Jenenser trugen noch in den siebziger Jahren braungelbgrüne Bänder.
— Kartell (bei Weckherlin eine Gattung höfischer Festgedichte) Herausforderung:
„ein CarteU. schicken" Sarcander, Amor S. 41; „das kriegrische (.'." Zachariä
Buch V. Die von einem anderen, der heute allgemein „Kartellträger" heisst, über-
brachte Forderung oder Anfrage wird „Constitution" genannt: z. B. Graf v. Tauf-
kirchen, Amicistenorden 1799 S. 91; Göttinger Student 1813 S. 15 „constituieren":
jemand fragen, meist durch einen Freund, ob er habe beleidigen wollen; Schluck
S. 25 unterscheidet mündliche Forderung: „«« de certamine per internuncios monitus
fiierit (wenn der Injuriant constituirt worden)" und schriftliche: injurians ab injurialo
litteris denunciatoriis , cartel, provocatus. — Katzenjammer (^Cornelius; Salinde Vorr.
S. 21 „das Crapula oder Kopff-Wehe"): der Vers des Westöstlichen Divan, der
dem bm-schikosen Wort einen Freipass gegeben hat, sollte nicht fehlen. Platen
ed. Redlich I, 555 (1822) und 569. Eichendorff, Dichter und ihre Gesellen W.
1883 n 152: „Der Otto war beständig in poetischem Thrane, das musste ein Ende
mit K. nehmen". Auerbach, Briefe 1, 17 (Tübingen) leistet sich: miseria velis (so).
Mörike an Kauffmann, Oktober 1828: „Tübingen . . . liegt wie in einem recht leeren
und stillen K. da". Erdenwallen S. 47. Katzenmusik nach Lichtwehrs Fabel?
„Fensterkonzert" Jena 1795. — Klinge: Leo S. 138 „der eine vortreffliche K.
schlug"; Heine, 29. Okt. 1820 „eine gute K. schlagen"; Keil, Stammbücher S. 272
(1762) „vor blanker K. liegen". — Kloss: Neue Erweiterungen der Erkenntnis und
des Vergnügens 1753 St. 8, 93 „Mit Klösen, das ist mit solchen, die ihre Collegia
fleissig abwarten, machte er [ein Jenaischer Student] sich nicht gemein"; Claudius
in Urians Reiselied „Da schalt ich einen einen K." — kneifen bei Forderungen.
■ — Kneipe Zimmer: „Ich hab' den ganzen Vormittag Auf meiner Kneip' studirt";
Heine, Göttingen 17. Mai 1824. Kneipjacke modern, ein verschnürtes Jöppchen in
den Verbindungsfarben. — Knochen: Schwab S. 37 „Studenten sind Adele Brüder.
C/ior. Pidele Brüder! (Knochen!)". S. 122 (auch Buckeliade S. 122) heisst der
Tod „Knochenhauer". — Knote: Schluck § 9 gnotus mit richtiger Etymologie; im
alten Lied, Schwab S. 50, „Kam ein grosser Knote angeprellt". Frau Körner,
August 1806, über Z. Werner: „sein Aussehen ist schmutzig und knotig". In der
Buckeliade ist stets nur „G-n" gedruckt. — kniill: Erdenwalkn S. 12. — kohlen:
Erdenwallen S. 28, im Examen. — CoUe: „C. schleppen" im Liede bei Keil,
Gründung S. 17 (== Schwab S. 33); „C. führen" Buckeliade S. 98. ^Collet stosen"
schwere Mensur, wobei im Gegensatz zum Armfuchsen ohne Sekundanten auf die
Brust gezielt wird: Schluck § 16. Obscön Crailsheim S. 21 „Wollan so lege dich
Colle Wir wollen Bdliardiren": — Culleg: „C. halten" besuchen, von Studenten
gesagt, öfters, z. B. Schlingschlangschlorum S. 20. Collegium subterraneiim Keller:
ebenda. — Colloquium: im Leipziger Kommersbuch 1815 steht über dem ersten
einleitenden Gedicht Ad loca! Siteiitiuw!, über dem zweiten ■'Smultis! Fiducit! und
Bücheranzeigen. 343
darunter CoUoqnium! Schwab stellt an die Spitze der ersten Abteilung in Majuskeln
das Comniando ad loca nileniium und ebenso S. 134 ans Ende einer feuchtfröhlichen
Gruppe die Worte Smollis. Fiduz sit, CoJloqnmm. — Commenl: gegenüber der
späteren Schluckschen — der Pseudonynius war Gleiss in Erlangen — Wiedergabe
norina acliüimm studhsormn muss der Lateiner schaudern vor seinem älteren Neben-
titel de quomodone (177(i; verdeutscht von Paulus 1840). Altes Lied bei Keil,
Lieder S. 1 1 1 „Sa denk ein dummer Teufel, Der noch nicht den Comment versteht . . .
Der noch nicht commerciren kann". Commenl sti.<spei)di/, es wird nicht kontrahiert:
Forsch 1835 S. 190. — Kommersch hätte reichlicher bedacht und von der älteren
Form commerce, dann „Commerz" (Tafel lieder 1820), zur jüngeren „Comraers"
verfolgt werden sollen, auch mit mehr Belegen für Composita. „Commersch-
Lieder" Rüdiger, „Leipziger Gommersbuch 1815", „Commers- und Liederbuch"
Schwab 1815, „Commercelied" Immermann, Epigonen V 3. „commerciren" Klinge-
mann, Faust S. 80; „conimerschiren" altes Lied, Rüdiger S 24. „Kommerschhaus"
der Burschenschaft, die Tanne 1815. „Koramerschsaal": Arnim, Halle 1, 18. —
^Kommdttonen schon oft 1744 Salinde": freilich, also auch in der Salinde von 1718,
aber bereits im 16. Jahrhundert (z. B. Meyer, Studentica S. 57) u. s. f. Auf
Schüler angewandt: Spelta-Messerschmid, Sapiens slidlitia 1615 II 21; Steinbach,
Günthei's Leben S. 17. — Communität, Ccnnmunitäter gleich C'onvict, Conviclorist:
vgl. Pabricius zu Schoch S. 105, besonders die Disputation des Schlingschlang-
schlorum über Professorenburschen und C.; Clodius S. 47- in einem Polterabend-
gedicht „Freuet euch, ihr dürren Knochen, springt aus der Communität"; Frisch,
Ohnvorgreifliches Bedencken, Regensburg 1686 A 3 „denen armen Communitätern
und Schwartzmänteln, wie man sie verächtlich tilnliret'^. Die Amicisten erklären
den C. für satisfaktionsfähig: Graf v. Taufkirchen S. 99. „Uns hat schon das
Convict gespeist" ruft der Halbchor in Goethes für den Paust skizzierter Disputa-
tionsscene. — consiliiert v/erden: Heine, 4. Febr. 1821. — C'o7i.stoiif7i österreichisch :
jemand wird mit so und so viel C, auf sein Wohl getrunkenen Quantis, „in die
Luft gesprengt". — Kopfhänger nach Schluck S. 22. — ^coram kriegen" (die
Magd): Fuhrmann, Leben Hausens 1772 S. 24. „Coramation" Jena 1815. — Korb:
„im K. liegen", besonders nach unglücklicher Mensur; 2. K. des Schlägers, z. B.
Hauff 2, 56. — Corona des Hörsaals, der Kneipe. — crainbambuliren: im Knoten-
lied, Mittler S. 938, von „den Herrn Studiosibus" gesagt. — Kräntzcje.n in den
Stuben herumgehendes Hospiz, Schmaus: Salinde S. 83; schon im 16. Jahrhundert
studentische „Kränzlein", wo „gesetzt" wird (Mo hl, Sitten und Betragen der Tüb.
St. S. 36, 40). — ,,krasse Füchse": Rüdiger S. 32; „das crasse Füchslein" Tafel-
lieder S. 27. Nur „den Crassen": Erdenwallen S. 33. — „ein kreuzfideler Kerl":
Schwab S. 122. Kreuzp/ulister: früher und später „Blitzph.", „Erzph." — Kuchen-
professor: Keil, Stammbücher S. 262 (Jena um 1756); Arnim, Halle 1,2; Brentano,
Grimm-Steig 1, 17. — Kümmeliilrke: Arnim; der Rudolstädter Leo spricht S. 92
„vom Kleben meiner Landsleute in Jena"; Bu'keliade S. 107, Nürnberger in Alt-
dorf. F. Schlegel, an Wilhelm 6. März 1801, tauft italienische Romanfiguren Horns
auf gut Jenaisch um: „Schwerenothera" und „Kümmeltürkaldi". Keil, Gnindung
S. 41 (Jena 1810): „während der Ferien im Kümmelland". Auffällig ist Schlucks
burleske Erklärung S. 23: „Kümmel-türk derivatur a cuuiinum et lurca. Hoc nomine
veniimt thrasones'^, die wie Türken losstüi'raen, aber in Gefahr zurückspringen sicid
cuminuin, si ßierit adipi fervidae intermistum. — Kuhschluck: „Kuhzug" Schubart
(Strauss, Ges. Sehr. 8, 88). — Kuramrie glaubte ich hier mit einem Fragezeichen
einordnen zu sollen — Jungfer Robinsone S. 58 „Ertz-Curannie", S 104 „alte
Curannie" im Sinne von Hure, Vettel — finde aber bei Grimmeishausen 3, 60
344 Schmidt:
„Kiirania" und erschliesse aus Kurzens gewiss richtiger Deutung „carogna (Aas)"
pikarischen Ursprung. — curanzen: Erdenwallen S. 33. — Ladenschwengel schon in
den neunziger Jahren Jenaisch: Keil, Lieder S. 91. — Landescater (unigedichtet
von Arnim 22, 20): Voss, Briefe 1, 95 „Nun musste auch ein Landesvater gemacht
werden, der erste für mich", mit einer Beschreibung der Ceremonie „Landcs-
vaterey" das Zeichen, das Loch: Schwab S. 41 „Am grossen Hut prangt feierlich
die L." — Durch die Lappe7i gehen, aus der Jägersprache. — Laus Deo für
Rechnung wäre zu erklären: Lindener ed. Lichtenstein S. 82 „Wie die kauffleüt
pflegen imm anfange der brief zuschrcyben: Laus Deo semper'^\ Grimmeishausen
ed. Kurz 4, 381 „da muss das L. D. bey den Apoteckern, Kauffleuthen und
Krämern in allen Conten obenan stehen". — „aufs Leder saufen": vgl. Sylvanus
S. 197 „trunck ihm tapffer auf die Haut"; Der Dressdner Avanturier 1755 S. 17
über studentisches Zutrinken „Sie soffen ihn (ihm) also tapfer auf den Leib, damit
er recht voll werde"; Bahrdt, Leben 1, 67 jemand „eins auf den Pels (so) trinken".
Leo S. 215 „lederner Kerl", S. 218 „1. Philister". — Leibfuchs: Leo S. 113, 120.
— Lerohempiesti Puchsdegen: Sylvanus S. 102. — Licht weg Randalierruf in der
Nacht unter den Philisterfenstern: s. De excussione ftnestrarum und Schluck § 6.
Vgl. „Kopf weg" beim Ausschütten der Töpfe auf die Strasse: Schiller an Körner,
29. August 1787. — ad loca s. o. „Kolloquium". St. Schütze, Abenteuerliche
"Wanderung o. J. S. 21, verzeichnet ad locum als Jenaisches Kneipkommando.
Anders in dem alten Liede (Keil, Lieder S. 149, Rüdiger S. 31, Schwab S. 33):
„mein Gläschen leeren. Das mich ad locum zog"' und „Kehrt bald ad Zocmto wieder".
— Lochgeld Zahlung an den Carcerwärter: Mohl S. 25. — sich löffeln: Forsch 1835
S. 64. — los Mensurkommando: Hauff 2, 56; und in der Bierfehde, loskriegen: die
Pandecten, Heine, 17. Mai 1824. — lumpen: Goethe, Faust II 5 „Er sich gewiss
nicht 1. lässt". — Lungenhieb: Fuhrmann, Leben Hausens 1772 Vorr. — Warum
Magnificus nur mit der Zahl 1831 citiert wird und Magnificenz fehlt, verstehe ich
nicht, will aber bloss erwähnen, dass Haller (Hirzel S. 225) den Tübinger Rektor
1724 ansingt „magnifiquer Schweder". — Was bedeutet Mamaz im Studentensang
bei Ditfurth, Deutsche Volks- und Gesellschaftslieder 1872 S. 222? Burlesk für
„Matz"? — Manichäer: Sylvanus S. 103 „Pferde-Philister, und andere M."; Scheibel,
Unerkannte Sünden der Poeten 1734 S. 203. Das famose Lied „Lasst doch den
verdammten M. klopfen" (Schwab S. 49) wird 1743 in Jena citiert (Keil, Stamm-
bücher S. 211), beginnt aber bei Crailsheim S. 505 „Lass die 6V?rf/<ores immer kl."
Sperontes, 3. Forts. No. 47 „Bruder auf und packe dich Eilends hin zu dem Ebräer!
Hohle Geld vor dich und mich! Unsre alten Machemäer [so] Müssen schon auf
andre Art Uns ein paarmahl diese Parth, Und das Geld zu dem Ergötzen, Künftig
wiederum ersetzen"; 1755 Keil, Lieder S. 444 „Bald klopft ein bärtiger Hebräer
Und bald ein andrer M." („Hebrä'r" Schwab S. 46; „Geld-Hebräer" Günther I 175);
Rüdiger S. 15 „Zwar muss der M. borgen", S. 271 „Lasst die M. schreyen", S. 212
„Wenn uns die M. treiben". Schluck S. 31 citiert das Ausrücklied „Fort von hier,
die M. wachen etc. (Mnnichaei creditores a secta, pessima principia fovente)"'. ,Mani-
chejas Helden" Buckeliade S. 73. Zur Sache vgl. Michaelis' antisemitisches Rai-
sonnement 4, 561 ff. über den „Juden". — Manschetten: Erdenwallen S. 22, 41.
„Ruft Manschettare, der Name schreckt uns nicht" im Lied bei Pabricius, Die
Studentenorden S. 60 (diese Str. fehlt bei Forsch 1835 S. 17); „Manschettar"
Buckeliade S. 99; „eines Manschettarii" Kobbe, Erinnerungen 1, 65. — Markus:
Forsch 1835 S. 76 u. ö. — Mist: „Bin auf den M. gesetzt" im „Klagelied eines
verschuldeten Studenten" gegen Philister und Manichäer, Commersch-Buch 1795
S. 64. — Möpse: Gramer, Geschichte C. Saalfelds S. 16 „die blanken M." —
Bücheranzeigen. 345
Mo/mn im Sinne von Pech: Erdenwallen S. "25. — muckerii: Keil, Stammbücher
S. 272 „In Halle muckert er" (1762) und „In Halle giebt es viele Mucker";
Sylvanus S. SO; Crailsheim S. 458 „Und wer ihm nicht Bescheide thut, Der soll
ein M. sein". — Musenkmd oft neben „Musensohn": z. B. Salinde S. 1411, 210, 305.
Masenlieder: z. B. Stammbücher S. 218. — Mutlerpfennig weist Kluge oben S. 30
für das 17. Jahrhundert nach. (Richter 2, 2 „die alten Mutter und Milchheller"
eines Fuchses.) Sylvanus S. 44, 195; Picander, Gedichte 2, 538; König, Dressdner
Frauen Sclilendrian S. 6; Quistorp, Gottscheds Schaubühne 4, 499 auf Füchse mit
vollen Taschen bezüglich (ebenso „Muttergulden": Keil, Lieder S. 149). Die M.
„dünne machen": Salinde S. 141, 195. — JSacbhieb unkomnientmässiger nach dem
Halt: Erdenvvailen S. 37. — JS'äpjfijex-Stützer stehen zwischen den Professoren-
burschen und den Communitätern: Schlingschlangschlorum S. 29. — nass vertrunken,
voll: „nasser Knab" u. dgl. iu alten Volksliedern; Wichgrev-Sommer F 2^ „die
nassen Gast"; das Soldatenlied in Moscheroschens 6. Gesicht verbindet die Aus-
drücke „Bruder Nass" und „versoffne Flieg"; Schoch, Gedichte UiGO Zuschrift
„Holuncken, Nassen-Fliegen und Bier-Zapfen"; studentische „nasse Brüder", Ver-
nunft. Tadlerinnen 2, 99; Zachariä IV „der nasse Bursch"; Crailsheim S. 474 „der
nasse Praeses". Obscön sehr oft bei Vollmann. — Natur: Erdenwallen S. 39 und
52 „Das ist klar, das ist Natur". — Nymphe ist aus der Renaissancelyrik des
17. Jahrhunderts heruntergekommen. Man beachte auch sowohl für das Simplex
als für Composita die Facdiae fac. S. 507: „Meretrix se prostituit in sylvis, ut propter
Noribergam, im Newen Wald . . . Lipsiae aufl'm Ruhbeth, da sie das Grass mit dem
Hintern abmäyen, uride vocantur Nymphae, sylvestres, Pccora campi, Waldgöttinnen" ;
S. 29 ^quaeJain denique in sylvis, pratis, aut campis, Schleyr, Wiltpret vel ut Gallis
sonat\ Geschleyerte Wachtelen, alias nominatae Nymphae nemoraUs et campestres,
jiecora campi, die das Grass mit dem Hindern abmehen". „Land-.Y//w;)/(("; Sylvanus
S. 190 (S. 194 „Dreck-Banise", wie Trömer 1720 von Wald- und Feld-Banisen
der Dörfer spricht. „Banise" habe ich selbst noch als Bezeichnung dünkelhafter,
anspruchsvoller Damen gehört; vgl. Sperontes, 2. Ports. No 26 „Ihr städtischen
B., was prahlet ihr so viel?"). Die Salinde bietet neben dem von Kluge citierten
,,Land-A'y//7)//p" (S. 129, 383) auch „Land-Hure'' (S. 384) und öfters das einfache
A'. Eine berühmte des Jenaischen Reviers, die schwarze D., erscheint hier und
bei Sylvanus. „Dorfnymphe": Schwabes Belustigungen 1743 2. A. S. 467. „Gras-
Nymphen", „Wäscher - Nymphen" Wieland, Kom. Erzählungen S. 132, 201. —
Obscurant: Leo S. 146 (Jena 1817) „die sogenannten 0. (d. h. die Studenten, die
sich zu keiner Landsmannschaft hielten)"; Buckeliade S. 14. — ochsen: Erdenwallen
S. 42; Leo S. 94 „burschikos zu reden, 0."; Heine, 29. Okt. 1820 „ochsen" und
„die Ferien durchochsen". — Ohrfeigengesichi: Arnim, Halle 1, 1. — Papst: Kluge
hat auch oben S. 58 das von mir in Seufferts Vierteljahrschrift 2, 590 hervor-
gezogene Lied Wasserhuns übersehen, wonach die Papstwahl und das Saufen mit
den Kardinälen schon 1644 üblich war; Leben einer Tirolerin 1744 8. 48 „ich
musste mit ihnen sauffen, als wenn ich solle Pabst werden"; Arnim 1, 18 „wählen",
1, 5 sich zum P. trinken; Leo S. 144 (Jena 1817) „Das Bravoursaufen zum P.
war Tuehr nur noch eine Erinnerung älterer Biertapferkeit". — Farduzloch ist nach
Picander, Akademischer Schlendrian S. 2 ein Leipziger Bordell: der Lüdrian geht
vom Zechen „in das Partuz-Loch, in die Fuhrmanns Deichsel oder wohl gar in die
Sieben Brether". — Pariser, parisiens Stossdegen in Jena u. a. — patent: Heine,
29. Okt. 1820, tadelt den „steifen, patenten, schnöden Ton" Göttingens; s. u.
„Pomadenhengst", modern „Patentscheisser." — Pathmos Carcer: Salinde S. 184,
392. — ad patres: ^ad p. reist" s. die Varianten des „Sa sa geschmauset" in Keils
346 Schmidt:
Liedern S. 105, Stammbücher S. 157, Schwab S. 29; ad p. gehn, Rüdiger S. HO;
in paliiam reisen, Schwab S. 36; ad patrhm r., Keils Lieder S. 157; m patria,
Salinde S. 76, Bahrdts Leben 1, 140: Rüdiger S. 212 „Wenn wir dem Miisensitz
entnommen. Gebückt zu unsern Vätern gehn". — Paukage: Erdenwallen S. 11, 13,
17. Pauksatz für den Seliundanten, die Zeugen, den Mediziner: 1813. — pechös:
Erdenwallen S. 39 .,p. Doppelklinge". Pechphilister: „der alte P." wird in Immer-
manns Cardenio 3, 3 der Ivanzier geschimpft. — per: Leo S. 221 „einen sogenannten
per et per'', Stoss der die Degenspitze durchs Fleisch wieder heraustreibt („durch
und durch" Sylvanus S. 202). — pereat: die in der Fussnote von Kluge abgedruckte
Nachricht Struves weckt chronologische Bedenken, wenn mir auch jetzt keine
älteren Belege zur Hand sind. Keil, Lieder S. 182 „Pereat wer sie touchiret'-;
Stammbücher S. 201 (Jena 1733) „p. Hornvieh", „vivat pietas hoch, p. pietismiis
tief"; Leben einer Tirolerin 1744 S. 48 „Sie . . fiengen nach lustiger Purschen Art
an zu schreyen: pereant alle Hunsfötter tief, Hunsfott komm heraus". Zachariä V
„Sogleich durchdringt die Luft ein lautes f." Lichtenberg an Heynes, 3. März 1772:
„ein solcher Philister als jemals einer pereiret worden ist". — „Pereat (auch Lustig
meine Sieben, besonders in Jena genannt)" ein Kartenspiel mit Sang- und Trank:
Kobbo, Erinnerungen 1, 45. — Pferdephilister: Sylvanus S. 103, 156, ebenda „Pferde-
Jubilirer" (wie Salinde Vorr. S. 20), vgl. S. 151 „der alte Grillen-Jubilirer, Bruder
Plato"; Keil, Stammbücher S. 262 und 274 aus Jena 1756 und 1766; Seybold,
Reizenstein 1778 I 101 „Panegyrikus auf die Erlanger Pf."; Ai-nim, Halle 1, 2.
,,Stallphilister": Picander, Gedichte 1, 562. Vgl. auch Sperontes, 3. Forts. No. 47
„Spannt, Philister, Schlitten an!" — Pflastertreter: Bummler, Gargantua 2. Aufl. A 1,
Schoch 1, 3; Stutzer, Mencke Scherzhafte Gedichte 1706 S. 54; einheimischer
Student: warum übergeht Kluge die Stelle Schlucks S. 22 f., der er doch das Sy-
nonymum ,, Quark" entnommen hat? „Pflastertreter, Quark; eo nomine audiunt,
auToj^&oi's; , seil indigenae. Pfl. dicuntur, qui in ipso loeo universitatis nati, ideoque
semper super eadein viae ambulant stratura. Quark significat lac concretum, et ita
vocantur universitatis affines, quoruin patria non longe ab universüate disjuncta, ita,
ut alma mater commodissime Jilüs lac concretnm (Quark) loco mensae secundariae
mittere possit.'' — Philister: Hofmannswaldausche Gedichte 6, 228 (Jena 1731);
Hauswirt: Lenz 1, 23 u. s. w. „Philistergaul": Palthen, Anakreontische Versuche
2. Aufl. 1751 II 261 (Jena). „Philisterpferd": Schwabes Belustigungen 1742 (2. Aufl.)
S. 407, vom „Postpferd" unterschieden. „Philisterland": Keil, Gründung S. 38
(Jena 1804); im Lied „Sie zogen mit gesenktem Blick In das Ph. ziu'ück".
„Philisterwache" Polizei: Maler Müller, Faust S. 85. Ins Geistliche wagt Günther
das Wort „Ph." für Gläubiger, Ankläger zu übertragen im „Busslied" (6. Auflage
S. 57): „Höllische Philister! Nehmt mein Schuldregister In den Abgrund mit". —
Pinsel: studentisch Picander, Gedichte 1, 564; Herr P. heisst ein ungebildeter
Student in den Vernunft. Tadlerinnen 2, 1 74 ; „wie ein P. leben" Geliert, Loos 3, 3 ;
„blöde und pinselhaftig" wird in Picanders Akadem. Schlendrian S. 9 von ehrbaren
Studenten gesagt; ebenda S. 96, in der Jungfer Robinsone S. 5 und bei Sylvanus
S. 198 steht „Einfalts-Pinsel", also lange vor Lessings Jungem Gelehrten oder der
Riccautscene. — Pomadenhengst geschniegelter Stutzer, Schniepel: „Pomadehengst"
„im parfumirten Rock", Schwab S. 42; Heine, 9. Nov. 1820 „patente P."; als
Widerspiel des Renommisten, Buckeliade S. 51. Dagegen „pomadiger Philister":
E. T. A. Hofl'mann, Kater Murr W 8, 323 in den von Kluge nicht berührten
parodistischen Schilderungen des Katzburschentums (S. 325 „Commerschiren"
„Haare auflegen", 327 „Tusch" .,tuschiren" „coramiren", 328 „sich in Avantage
setzen" u. s. w.). — poussiren: Erdenwallen S. 34; S. 37 „Sophie Denker Soll
Bücheranzeigen. 347
mein Poussement jetzt seyn". — prellen die Philister (wie „schwänzen"): der Vers
bei Schwab S. 37 ,,So führt er die Ph. an" entspricht genau dem alten weitver-
breiteten Spruch „Wer ist ein rechter Pursch? Der die Ph. prellt"; Th. Körner
ed. Stern 1,322 „Und der Ph. wird geprellt". Füchse „prellen, verdammt prellen" :
Michaelis 4, 584 als abgekommen. — privaiissime Lectiones geben, obscün: Geländer,
Der verliebte Studente 1709 S. l.")0. — pro patria: Keil, Stammbücher S. 209. —
pro victnria Schluck S. 19: Ruf nach dem „Mädgenlied" „Was den Musen soll
o-efallen", wenn die Schöne, um deren Besitz man ohne ihr Wissen trinkt, „ab-
gesoffen" ist. — Professor (s. „Pressprofessor", „Kuchenprofessor"): Schlingschlang-
schlorum S. 5 „Bier-, Brod- und Kuchen-Pro/csso)?*", „Kegel- Professor" (mit Angabe
von Namen für mehrere Universitäten), S. 20 „denen Bier- und 'Wem-Professoribus''.
— Profaner: Erdenwallen S. 34. — Profax: Erdenwallen S. 14 — promoviren
schiessen, entwenden: Schoch 3, 6. — proprium seit dem 17. Jahrhundert, gemäss
ähnlichen Refrains (Ditfurth 1872 S. 276), oft in der Verbindung „Studenten
proprium" Art, Recht, z. B. Stammbücher S. 131, 259. — prosit beim Trinken:
schon in einer Studentenanekdote Lindeners ed. Lichtenstein S, 34; „jirosil, meine
Herrn", Stammbücher S 274 (176G); Immermann, Cardenio 1, 1; neuestens „pröst-
chen". - Putlel: Erdenwallen S. 38. — Pumpregister („Pumpbuch"): Schwab S. 46
„Dann kommen die Philister Mit ihrem Burabregister"; Keil, Stammbücher S. 323;
Hauff 2, G4 „Ph. }nit Piunpregistem". — Der Tod „macht Punctum" mit einem:
Schwab S. 122. — Quasimodogenitus: Irenius, Begebenheiten eines leipziger
Studentens 17C5 187. — raison: sich schlagen „avec oder sans raison (dieses war
die gewöhnliche .S'<ito»'sche Expression)". Sylvanus S. 202, schwere oder leichte
Mensur. — rappelköpfig: „rappelköpftsch" im „Sa sa geschmauset". — Der Jenenser
Germanen Krakehllied findet sich schon bei Hauff 2, 68 als „das erhabene Rauiscli,
rautsch, rautschitschi, Revolution". — re: Kluge erklärt „recouclie Retourkutsche"
mit Berufung auf Schluck S. 23, wo aber couche recouclie contrecouche als be-
leidigende Silenzrufe hin und her vermerkt sind, wie ja der Hund kuschen muss.
Allerdings bedeutet „Retourchaise" und „-kutsche" das Zurückgeben der Beleidigung.
reprosi Ruf beim Herumreichen des Horns. „re stürzen" einem eine Beleidigung:
Erdenwallen S. 14, 39. — Recliuhil Weinverächter: Rüdiger S. 25. 178 (= Hage-
dorn, üden und Lieder S. 47). — Beceptionsliturgie Aufnahmeformeln der Burschen-
schaft 1815: Keil, Geschichte S. 364. — recta oft füi- recta via, z. B. Salinde S 92.
- Relegat Relegation: Keil, Stammbücher S. 294. Lied bei Forsch 1835 S. 207
„Drei und dreissig Demagogen Haben's Relegat bezogen." Es wurde publice,
durch Anschlag am schwarzen Brett (s. u.), oder tacite relegiert: Schoch 5, 5. —
Renconire Balgerei aus dem Stegreif im Unterschied vom ausgemachten Duell:
Michaelis, Raisonnement 4, 379; Schluck § 25. — Rippel: der von Kluge citierte
Kobbe 1, 149 f. bezeichnet R. auch als „Avantagewort" und als dritten Grad in
der Heidelberger Bierfehde (Gelehrter, Doktor, R., Papst). — Ruineur „Aufbinder",
Renommist: Tafellieder S. 137. — mmpiren des Gegners Klinge, ligieren, ent-
waffnen: Sylvanus S. 203. — Runda als Tusch des Musikanten bei Gesundheiten:
Sylvanus S. 178. Rundgesang: 17. Jahrhundert; oft in Rüdigers Kommersbuch,
wo z. B. der Landesvater S. 74 diese Überschrift hat. „Es geht ein Rmulgesang":
dafür Schwab S. 126 „Es geht ein Burschcomment [Saufcomment] An unserm Tisch
herum herum". — Ruppici: Keil, Gründung S. 39 Jena 1805 f. — .V. C. Senioren-
convent; Kösener. — Sapienzknaster wird ausdrücklich als Ekelname für jene
Heidelberger bezeichnet neben „Gonvicturisten" (Jena) und „Waisenhäuser" (Halle):
Tafellieder S. 137. — Satisfaction leisten, Rebhu, Weltkucker 2, 5; geben, Schel-
muffsky S. 90 u s. w. - Saustoss: Schelmuffsky S. 26 f. — Sbirren: Sperontes,
348 Schmidt:
2. Ports. No. 13. — scharrev: Picander, Akadem. Schlendrian S. 55; Der Gesellige
1748 S. 421; Das „Scharren und Trampen" (so) bespricht Michaelis, Raisonnenient
3, 377. — sich sc.hieheyi: Heine, 4. Febr. 1821; mir ist „schieb dich" aus der
Jenaischen Schule bekannt, „ins Colleg seh." Tafellieder S. 25, vgl. „steigen". —
schiessen: aus der zu kahl angegebenen Schilderung der Salinde S. 135 fr. wäre
das Wort „Schiess-Brüder" herauszuheben; Michaelis 4, 304 f. mit interessanten
Hallischen Erinnerungen; Schluck § 4 nebst den von Kluge übernommenen Syno-
nymis „promovieren, schieben". — Schkser. Pamos behandelt Schluck S. 21 diese
verbalis injuria: Vocabulum germanicum Schisser; est vocabuluni recentius et nuper ab
universitate peregrina allatum. In derwationc hujus vocabuli plurimi philologi dissentiunt:
nonnulli contendunt, Schisser derivari a formidine hominis, qui ob anxietatem aivum
in braccas explodit; alii nun tarn bono fimdamento, quam potius modesttae amore ducii,
derivani a verbo gallico : chassen (. e. fugare, et sie chasser, corrupte chesser sigjti-
ficat hominem timidimi ac fiigacem. Inde terminus technicus im Verschiss seyn, denotat
statum infamiae quemdam, neiiipe quoad Burschen-comment, quia studiusus, qui est im
Verschiss, excluditur ex qualibet hunorica compania, et cum Gnotis versari cogitur.
Im alten Mischlied bei Schwab S. 105 „Wo der flotte Bursch kein Seh. ist"; Keil,
Stammbücher S. 292 Pereant Schisseri et Critici. — schlugen (Schoch 4, 2); dafür
„sich schmeissen": z. B. Richter 2, 6 (2, 2 s. schl.); Quistorp, Schaubühne 4, 476 f.
„Schlagianer" und „Nichtschlagianer" wurden 1814 in Jena unterschieden: Keil,
Gründung S 83. — Schlampamp im Sinne von Narr, auch adjektivisch: Abel, Leib-
Medicus der Studenten 1720 S. 374 f — Scldenker-prime: Arnim, Halle 1, 1. —
SchmoUis: Stammbücher S. 286 „Auf, auf, lasst leere Gläser füllen Und lauter
Schm. schenken ein" (Jena 1776); Schwab S. 21 „Wir wollen Gläser füllen und
Sm. schenken ein " In diesem und anderen Artikeln sollten die Bräuche ent-
wickelt und geschildert werden; also wann ist das Niederknieen auf- und ab-
gekommen, wann das Verschränken der Arme zuerst nachzuweisen, das 1813
zugleich mit Bruderkuss, Händedruck und der Schlussformel „Bleib mein Preund,
ich heisse Y und bin aus Z" erwähnt wird? Schmollis anbieten darf auch heute
nur der ältere Student; 1813 darf es der alte Bursch, vom 4. Semester an, auch
Philistranden und bemoosten Häuptern gegenüber. — schneuzen einen um etwas:
Geländer, Der verliebte Studente 1709 S. 58, 92. — Schnödler reissen, Witze:
Forsch 1835 S. 52. — schnüren Geld abnehmen: Buckeliade S. 43. — Schnurrbart
(s. o.): Leos Worte (= Meine Jugendzeit S. 118) beziehen sich auf das Jahr 1817.
Schnurre: Schwabes Belustigungen 1743 (2. A.) S. 353 f.; Der Gesellige 1 (1748),
420; Immermann, Cardenio 3, 3 „Drück dich, Schnurre", Pedell „Ich bin weder
Sehn, noch Schleife". — schrauben die Gläser: Picander, Akadem. Schlendrian
S. 56; Sylvanus S. 168, 203. — Schreckenlierger Geldstück: Schoch ed. Pabricius
S. 50; Weise, Überfl. Gedanken 1671 MO, und J/lPf. Soviel wie Schreckschuss:
Brentanos Frühlingskranz, Neudr. S. 253. — Der Artikel Schidfuchs beschränkt
sich auf ein paar ganz junge Belege und fragt keinen Ableitungen nach. — schuppen
anrempeln: Schluck § 13; Graf von Taufkirchen, Amicistenorden S. 90. — schwadro-
niren: anders Goethe, Claudine „im Lande herumschwadronirt" (D. j. G. 3, 547),
Stella 3, 653 „all das suchen und fahren und seh."; aber im Clavigo IV „schwa-
dronirende Hofjunkers". — Schwager. Picander, Akadem. Schlendrian S. 57 : der
Studentendiener Harlekin nennt den Bauer ,, Bruder" und „Schwager"; .,Herr
Bruder" heisst der Dorfwirt in Schöps bei Jena, „Schwager" (wie Salinde S. 182)
der Bauer: Sylvanus S. 156, 185. „Schwager Hallor", Tafellieder S. 26, —
Schwanen Neckname der Jenaischen Arminen — wegen ihrer Sittenremheit? — in
den ersten dreissiger Jahren: Forsch 1835 S. 163. — schwänzen 1. das Kolleg:
Bücheranzeigen. 349
Andre, Komische Versuche 1767 S. 44; zahmer „die Kollegia aussetzen" Schummel,
Lustspiele ohne Heyrathen 1773 S. 173. 2. nicht bezahlen, prellen: ürfaust S. 14, vgl.
meine Anmerkung 3. Aufl. S. XLII, doch habe ich mich durch Laukhard verleiten
lassen, den Ausdr. „die Philister seh." besonders für Giessen in Anspruch zu
nehmen, während er allgemein-burschikos ist (Keil, Stammbücher S. 210 Jena 1743,
195 Helmstädt 1747, 242 Altdorf 1765, 280 Jena 1774; (Contius) Aufgefangener
litterarischer Briefwechsel der Dodsleyschen Kunstrichter 2 (1773), 38: Geheimde-
rat Klotz sagt „Ey was Schulden? die infamen Ph. müssen sie schw., denn sie
sind nichts bessers werth." Schwanz restierende Schuld: Keil, Lieder S. 146
(Altdorf 1765). — scinvarzes Breit: Mencke, Scherzhafte Gedichte S. 46 (1697).
„ans Bret geschlagen" relegiert: Menantes, Akadem. Nebenstunden 1713 S. 111
„publice angesehlagen" Schoch 5, 5. schwarze Wand Tafel zum Ankreiden der
Schulden: Keil, Stammbücher S. 245 Erfurt 1759, S. 243 Altdorf 1765 (= Lieder
S. 146), Lieder S. 163 Jena 1775. — Schwein Glück: Erdenwallen S. 24, 2ß. —
SchwernStergen kleine Frisur im Unterschied vom Haarbeutel: Schluck S. 29. —
Schwester: „barmherzige" Salinde S. 196; Andj-e, Komische Versuche 1767 S. 44
„Die Bierstube war mein Hörsaal, der Wirt mein Professor und barmherzige
Schwestern meine. Musen": Hermes, Sophiens Reise 2. Anfl 2, 367; ,.allerbarm-
hertzigste" Leben einer Tirolerin 1744 S. 46. „mitleidige". Neue Erweiterungen
der Erkenntnis und des Vergnügens 1756 St. 39, 246. Daher ist das Beleidigende
in Justs hämischer Rede zur Pranciska „Zwar es giebt mancherley Schwestern — "
und ihr empörtes „Unverschämter!" zu verstehen (Minna von Barnhelm 2, 6). —
Schwulität: Keil, Lieder S. 156 „In allen Schwulitatibus". — Secwndant („Secunde"
Schoch 3, 5 und 4, 2), secundiren (einen: Sarcander, Amor S. 42; Salinde S. 85
secoundiren^ S. 87 secondiren — diese Form noch bei Kobbe, Erinnerungen 1, 68
— einen) war füi's 17. Jahrhundert zu belegen. — semper siehe oben S. 33: Keil,
Stammbücher S. 142 „Semper lustig, nunquam traurig'" 1680; Picander, Gedichte 2, 166
., Semper lustig, numquam Grillen" (Keil, Stammbücher S. 211, Jena 1743 dasselbe
und „Semper zerrissne Hosen, nunquam Geld"); dagegen Stammbücher S. 187
„Allzeit hilaris, niehmals tristis^K Sperontes, 2. Forts. No. 12 „Immer lustig, ohne
Grillen! Allzeit fröhlich, stets vergnügt!" Oft loujours, z. B. Stammbücher S. 206.
semper-hei. — Senior der ,, Landesleute" „absolviert" die Füchse: Schoch 3, 8;
ist pater curae beim Pennalschmaus 3, 9. S. der Landsmannschaft: Salinde S. 24.
— rivat sequetis (Schluck S 6 v. s., pereat remanens beim Kneipgang) oft als Trink-
und Singlosung in Schwabs Kommersbuch u a. — setzen: Erdenwallen S. 45 „Und
da sollst als Fuchs du setzen". — Silentium: s. o. unter „Kolloquium"; Leo S. 183.
— sine: Vulpius an August Goethe, 21. Sept. 1808 „Dein Vater ist recht wohl aus
dem Bade gekommen, schmal, und s/«e Bauch". — „.%anrfa/ geben" sich austoben:
Arnim, Halle 2, 10. — sich skisiren {skissiren Buckeliade S. 99) sich drücken: H.
L, Wagner, Die Kindermörderin Neudr. S. 40 „Der Chevalier de fortune skisirte
sich endlich"; Erdenwallen S. 43 „Ich squisirte mich ganz leise". — sonderbar:
Immermann, Epigonen V 3 „sonderbar". „Sonderbar? Tusch!" . . . „Sonderbar
ist unter allen Umständen l\isch". — Speranzen machen: Erdenwallen S. 33. —
Spiesse Gelder: „goldene Spiessen" im Studentenlied bei Ditfurth 1872 S. 228;
auch Brentano citiert aus Meibom den Vers „Was bist du, Musensohn, wenn du
nicht Spiesse hast?" Tafellieder S. 17 ,.spieslos"; Leipziger Kommersbuch 1815
S. 121 „Sp. haben die Philister"; Schwab S. 46; Heine, 4. Febr. 1821; Erden-
wallen S. 11 „keinen Spiess". — Spitz: Keil, Lieder S. 116 „Und trinkt sich
jedesmal nen Sp.", Gründung S. 36 „Wer niemals einen Sp. (Perinet „Rausch")
gehabt"; Arnim, Kronenwächter W. 4, 307 (ebenda ,jsich bespitzen"); Schwab S. 47
350 Schmidt:
„bespitzt". spitzi(j: Salinde S. 95 „ihr seine spitzige Gedaiicken 4 Zoll tief!' in den
Leib wünschete"; aber ein Nomenclator araoris würde für die galante Zeit so
umfangreich werden wie für das 15. und 16. Jahrhundert und das eigentlich
Burschikose schwer auszusondern sein. — Sponsirer: z. B. Paust II 1. — Spritz-
bäc/ise s. 0. „Büchse"; „Dienstspritze", „Spritze". Spritzfahrt braucht P. Reuter
1834 im Verhör über sein Jenaisches Treiben; „Spritze" heisst oder hiess in Jena
der vom Studio selbst kutschierte elende Mietwagen, aber auch der Ausflug;
„spritzen". — stechen auf Stoss fechten: Arnim, Halle 2, 16. „Collegienstecher"
in die Rank einzubohrendes Tintenfass: Immermann, Epigonen V 4. — .,zu Dorfe
steigen'^: Keil, Stammbücher S. 206 (Jena 1739, Lieder S. 111 „zu Dorfe gehn");
Stammbuch des Studenten 8. 131 (1803); Sylvanus S. 183 „zu Dörffchen st."
Zoega, Leben 1, 25 (Göttingen 1774) „das Collegsteigen, wie man hier spricht "
,, Steigt dir", „steigt nach": Forsch 1835 S. 183. „Ins Glas, in die Kanne steigen".
„Das Lied steigt". — stipitzen: „Stiwitzer" Mencke, Scherzhafte Gedichte 170G
S. 35. — Stiftler kann sich doch nur auf Tübingen beziehen, wo die ,, Seminaristen"
oder „Schwarzen", im Stift, nach älterer Bezeichnung im ,, Stipendium" hausend,
von den freien „Stadtburschen" (Klüpfel, Schwabs Leben S. 42; Vischer, Altes
und Neues 3, 261) unterschieden werden. — Stric/i: „Lerchenstrich" Arnim, Halle
1, 2, vgl. „Schnepfenstrich". — Stubengenell: Dürer, Tychander 1668 S. 10. Stuben-
sitzer: auch Schluck S. 22. — Studentenfutter: „Studenten- r/weneZ oder Putter" eine
Medizin, Abel, hc\h-Medicus S. 708. Picander, Gedichte 1. 459: Brentano 2, 598
„Rosinen, Mandeln, Futter für Studenten"; Immermann, Spemann I 1, 77 „Rosinen
und Krachmandeln sind St.". Dagegen bedeutet „Studenten-Con/ec;" in der Salinde
S. 77 Bier und Taback. — Studirens ivegen, halber häufig im 18. Jahrhundert;
boois causa sagt Vollmaun gern statt des alten studii causa (Zarncke S 3, 162).
— Stürmer: die nicht ganz korrekt citierte Schrift ist von Stark; G. Freytag, Er-
innerungen S. 119 „Ich . . . trug das Festkostüm, einen unförmlichen hohen Zwei-
stutz mit Silberagraffe, welcher St. hiess, beschnürtes CoUet, ungeheure Kanonen-
stiefel, an der Seite den Glockenschläger." — stürzen einen ..dummen Jiuigeu":
Leo S. 144; jemand st., fordern: Forsch 1835 S. 15; „überstürzen". — Suite: Keil,
Gründung S. 109 mit lustigen Compositis. — Sulphurist, von Kluge nur seit 1822
belegt: Sulphuria (,, Schwefelbande") oder Sulphurea wurde schon 1808 in Jena
die Gegenpai-tei der Orden und Landsmannschaften gescholten (Keil, Gründung
S. 36, 52), dann kam dieser Name 1810 f. in Leipzig (Zarncke, Allg. Zeitung 1882
No. 249 f. über Th. Körners Relegation) und 1817 in Halle, wie aus Immernianns
Händeln wohl bekannt ist, wieder auf, und auch Leo erzählt S. 154, dass „die
hallesche Opposition in eine sogenannte <S'. auslief." — Theekessel: Ritschi 1853
an Pernice (Ribbeck 2, 164), es komme ihm den Burschen gegenüber trefflich zu
Statten, ,,dass ich selbst kein Th. war, sondern Lusate in Leipzig, und ihnen das
experto crede Buperlo zurufen kann". — Thorn: der 'Purst von Thoren ist princeps
stultorum. 1697 Schnorrs Archiv 13, 443 „den Fürst von Thoren singt"; „Ich bin
der P. V. Thoren" Schwab S 129 mit der Anweisung „Hier steht immer einer
auf einen Tisch, Sessel oder so etwas"; Leipz. Kommersbuch 1815 S. 86: vgl.
ßirlinger und Crecelius, Wundcrhorn 2, 350, 357. — Tobich: Keil, Stammbücher
S. 142 (Kiel 1688) ,,topack oder liera, i. e. tobich". — Todtenkammer: Forsch 1835
S. 173. — Touche: Salinde S. 84 touchement, S. 209 „zum Touchee'-^; Erdenwallen
S. 22 „Seine Touche zieht aufs Rappier"; Immermann (s. o. „sonderbar"),
Cardenio 1, 1 „Tusch", touchiren (Salinde S. 89, Sylvanus S. 165 u. s. w.) in der
ersten sinnlichen Bedeutung bietet Mencke, Scherzhafte Gedichte 1706 S. 54: einer,
„Der dem Don Hudibras den Ermel hat tuuchirt'\ muss sich mit ihm schlagen. —
Bücheranzeigen. 351
Traugott Häscher, Gläubiger? Lichtenberg an Heynes, 3. Miirz 1772 „wie einen
Purschen. der keinen Tr. und keinen Pedellen zu furchten hat". — treten an ein<>
Herausforderung mahnen: Erden wallen S 20. — Tröster altes Buch: Geh. Nach-
richten von Menantes S. 55; Schoch 1, 1 „in Büchern und alten ßachanten-Tröstern'',
„alte Tr." Liscow 1739 S. 350, Sophiens Reise 2. Aufl. 1, 142 und 3, 29. Ebenso
„alter Stornier", Sylvanus S. 166. — Truischelchen kann schwerlich als burschikos
bezeichnet werden; „Trutschel" ,,Trutscherl" bairisch-österreichisch; „Trutschele"
ist stehende Anrede im ., Leben einer Tirolerin" 1744 S. 21 u. s. w. ; ,, meine dicke
Trutschel" sagt Hölty in der Petrarchischen Bettlerode gegen Jacobi. — umsaltehr.
SaJinde 1718 S. 354. — ungehobelt. Den Zusammenhang mit einem Depositions-
brauch belegt gut Sarcander, Amor auf Universitäten 1710 S. 120: ein Dorfstudent
zeigte „wie viel die Pursche ihm von den Bauern-Spänen tnodo Academico ab-
gehobelt". — verkeile)! (vgl. Keil, Lieder S. 91 „den letzten Rock Verstössen"):
„verkailen" Hermes, Sophiens Reise 2. Aufl. 1, 400 (S. 397 ,, vermauscheln");
Keil, Lieder S. 119 „die Bücher zu v."; Commerschbuch 1795 S. 46 „Wie sii
so flott V. müssen" (Leipziger C. 1815 S. 88 ,, flott versetzen"), Schwab — dem
darin das Berliner C. 1817 S. 36 folgt — schreibt S. 38 „verkeulen", ebenso
S. 47 „Das Hemd vom Leib verkeulen" und S. 123 „Verkeult die Bibel".
sich verkeile?) verlieben: „Wenn die Besen sich v. " Erdenwallen S. 33. —
„verplempern sich platonisch verlieben"? Auch Hermes (Sophie 1, 551), Bürge;'
(Strodtraann 1, 199), Körner (an Schiller 5. Juni 1789) brauchen es nicht eben in
diesem Sinne. Sehr unplatonisch Grimmeishausen ed. Kurz 2, 162; Hofmanns-
waldausche Gedichte 5, 41; Menantes, Satyr. Roman S. 6. „verplempert" verliebt,
Hagedorn. Oden u Lieder S. 100. — Verruf: Leo S. 139. — sieh versrJiiesxm
(Itluge 1828): Sarcandei-, Amor auf Universitäten 1710 S. 105 „sich äusserst in
sie verschossen"; Gramer, Geschichte C. Saalfelds S. 36 „so geschossen, so aufs
rechte Fleckchen getroffen". — Verscliiss s. o. „Schisser": „auf dem V. sein" und
„aus dem V. thun" Graf v. Taufkirchen, Amicistenorden S. 97, 99; Arnim an
Görres, Heidelberg 22. Oct. 1808 „der Wirt von Karlsberg ist im ^^": Schwab
S. 45 in der bekannten burschikosen Bearbeitung des Goethischen Liedes „Mit
Männern sich geschlagen": die Wii-te „kommen . . in V." Schwab S. 113 „Ver-
schiss-Lied" „Der X. N. hat V. gemacht" (vgl. den Gesang „Ein Bock gemacht-
bei Hofmann, Der verführte und wieder gebesserte Studente 1770 Scene 2, 6:
H. V. F., Findlinge S. 129), schlecht getrunken („angeschissen" in der Bierfehde),
und muss ziehen, bis er's „brav gemacht"; vgl. Bornemanns Hallischen Vers vom
Präses „Und straft, wird ein Y. gemacht", Tafellieder S. 27. „Verschissener",
wer im Verruf ist. schon in der Biu-schenschaftsverfassung 1815. Goethes Dar-
legung über ., Verwandlung eines deutschen Worts durch französische akademische
Jugend. Verjus (unreifer Traubensaft) . . . Ver-ruf" ist natürlich ebenso falsch,
wie die ihm in ,. Kunst und Alterthum" entgegengestellte und auch von Vollmann
(^S. 488 f u. ö.) gegebene umgekehrte Ableitung, Hempel 29, 258. — ,,via lactea
(Milchstrasse)" Busen: Jungfer Robinsone S. 78. — „ U/ce-Wirth" (Salinde S. 76
Vice-llospes) der statt des Hospes präsidiert imd die Gesundheiten vortrinkt: Syl-
vanus S. 224. — Vorsteher: der Burschenschaft 1815 11'.: „Sprecher". Die Kom-
posita mit -wart, Kueipwart, Paukwart. Schriftwart (Immermann, Epigonen V 4)
sind wohl erst turnerisch -burschenschafllich. — Waschlappen: über „den Mord
des alten Waschlappens' Kotzebue schreibt Solger 1819 an Hegel — Wechsel:
Schoch 1, 4; Keil, Lieder S. 135 (um 1667) „Herr Bruder, dein W. ist kommen";
Dürer, Tychander S. 42 ,,mein wexel bliebe aussen". — wegbogsiren: Erdenwallen
S. 37. — „Weihev-Sripeiidia (Besoldung von vei-hurten Weibern)", Jungfer Robin-
24
352 Weinhold: Bücheranzeigen.
soiie S. 109; Menantes, Satyr. Roman, Vorr. S. ö; Zwey . . Avanturiers 1744 S. 85;
Lustspiel „Die Weiberstipendien" 1781. Picander, Gedichte 2, 542 „Galante "Weiber
brauchen Geld Für die Stipendiaten". — wetzen (Kluge 1749 11.): Frisch, Ohn-
vorgreiflichos Bedenken 1686 B \-\ Geschrei „Wetz! -wetz!" Schoch 1, 3 (5, 3
,, schärften in die Steine-'); Salinde S. 89 und coH/ro-wetzen (s. o.): Schilderung
des ArV. und C'on/rorufens der Herrn Steinhauer,- Vernunft. Tadlerinnen 2, 169 f.;
Picander, Erzsäufer S. 65, Schlendrian S. 55; Sylvanus S. 158 „w., dass die Steine
Feuer geben"; Hofmannswaldausche Gedichte 6, 228 (Jena 1731 „durch niarckt
und gasseu w."); Keil, Lieder S. 138 (17. Jahrhundert) .,Dass man durch die
Strassen w."; Schwab S. 50 altes Lied „Als ich neulich meinen Schläger auf dem
Pflaster w."; Arnim, Halle 2, 14 der Degen „blitzet wetzend auf den Pflastei-
steinen"; ZachariäV; Schelmuffsky S. 33, ebenda „Nacht- W'etzer" (vgl. „Nachtrab'-
bei Zarncke S. 130, Somnier-AVichgrev, Moscherosch, Schoch). Lebhafte macca-
ronische Schilderungen: "Weimarisches Jahrbuch 2, 444 f. (1689) und S. 453 (vgl.
Keil, Stammbücher S. 201, 209). Edikte gegen das "VS'etzen, Helmstädt 1725,
Preussen 1724: De excussione fenestraruin Halle 1737 S. 32, 38. Erwähnt sei auch,
dass Goethes Leipziger Kuchenprofessor Händel „"Wetzsteine" und ..Maulschellen"
buk: Nicolai, Nothanker 2. Aufl. 1, 78. — Wichs: Immermann, Cardenio 1, 1 „Der
AYix stand mir ponijiös". v:ichsen. prügeln, ist alt; auch bei Günther — Wilden-
schaft Jena 1815: Keil, Gründung S. 77. — Wipp trinkt der Renonce: Erden-
wallen S. 3. — ziehen: 1. trinken, nicht nur pro poena, Zachariä V „der sich im
Ziehn verweilt". 2. Immermann, Epigonen Y 3 ,,dass du Philister bist, mithin
von dir nichts zieht", was von einem Burschen Contrahage sein würde. 3. Keil.
Stammbücher S. 291 (Jena 1793) „Pereant dann Philistri, Die das Geld sonst
zogen". 4. Erdenwallen S. 52 „Kopenhagen zieht nicht", wird ein dänischer
Student bedeutet. — Zobelgen: Grimmeishausen ed. Kurz 3, 12. — Zotolofjie:
Gottsched, Critische Dichtkimst 1730 S. 509 in einem Knittelversgedicht.
Cloudite jam rivos! Ich kann schliesslich nur hofl'en. dass unser "Werk durch
den gleichen Erfolg, den Kluges Etymologisches "Wörterbuch sich verdient hat,
zu immer grösserer Fülle und Zuverlässigkeit befördert werde.
Berlin, April 1895. Erich Schmidt.
Volkslieder und Volksreime aus Westpreussen. Gesammelt von Alex.
Treichel, Daiizig. Th. Bertling, 1895. S. Vlll. 174. s».
Der um die Volkskunde "Westpreussens eifrig bemühte imd sehr verdiente
Besitzer des Rittergutes von Hoch-Palleschken übergiebt hier der Ötlentlichkeit
eine Sammlung von Liedern und Reimen, die er fast sämtlich seinem im Kieise
Bereut gelegenen Wohnsitze entnommen hat. Manches geht auch auf schriftliche
Sammlungen und auf sogenannte Jahrmarktsdrucke zurück. Herr Treichel konnte
sich bei Nachweisung der Verbreitung der Lieder der Hilfe eines der besten
Kenner, des Oberlehrers Dr. Joh. Bolte in Berlin, erfreuen. Der älteste und beste
Bestand liegt in der ersten Abteilung, den balladenartigen Liedern: doch findet
sich auch hier viel recht junges, und allgemein macht sich die Verschlechtermig
der Texte im Munde der jüngeren Zeit recht bemerklich. Vergleicht man z. B.
No. 16 „In Stücke möcht ich mich reissen'* mit andern Aufzeichnungen dieses
Liedes, so übertrifft die westpreussische an Rohheit noch die oberhessische bei
Böckel; die beste ist die schwäbische bei E. Meier. — Zu No. 17 will ich be-
merken, dass ich mich eines Jahrmarktsdruckes dieses lüsternen Machwerks aus
Roediger: Protokolle. 353
den dreissiger Jahren erinnere. — No. 20 giebt ein Exempel, in welcher Art die
alten guten Volkslieder allmählich herunterkommen, natürlich nicht durch das
Volk selbst, sondern durch die neuen Drucker der Lieder und ihre reimenden
Spiessgesellen. Beachtenswert ist auch die Umgestaltung der Dichtungen bekannter
Poeten, vergl. No. 25. 35. 46. 48. — Auf die Abteilung 5 „Lieder und Sprüche
für besondere Gelegenheiten" möchte ich hinweisen, weil hier manches weniger
bekannte gesammelt ist. In Abteilung 9 sind allerlei Reime zusammengebracht,
u. a. gereimte Redensarten beim Kartenspiel, Worte zu Tänzen, Reime auf Vor-
namen und dergleichen. Mit geringer Ausnahme ist alles hochdeutsch.
K. Wein hold.
Zu der Kecension von Strack, Der Blutaberglaube.
(Zeitschrift V, 223 ff.)
Herr Dr. phil. Friedr. S. Krauss in Wien, unser geschätzter Mitarbeiter, der
Herausgeber der Zeitschrift Am Urquell, hat sich durch die Besprechung des
Strackschen Buches von Herrn Dr. Sohns veranlasst gesehen, einen Protest gegen
die Äusserungen des Herrn Recensenten in den letzten Zeilen auf S. 224 einzu-
senden. Ich teile dieses hier mit, kann mich aber nicht zum Abdruck der Er-
klärung cntschliessen, da es sich um keinen Angriff auf bestimmte Personen, am
wenigsten auf Herrn Dr. Krauss handelt. K. Wein ho Id.
Aus deu
Sitziinffs-Protokolleii des Vereins für Yolkskimde.
Freitag, den 26. Api-il 1895. Herr Professor Charles Mar eile trug in
französischer Sprache über volkstümliche Erzählungen und Lieder aus der Cham-
pagne, seiner Heimat, vor. Er erörterte den Ton und Stil solcher ^'o)ksdichtungen,
die Verderbnisse, denen sie ausgesetzt sind, ihre sonstigen Umwandlungen. Als
Beispiel gab er zuerst mehrere Fassungen einer gereimten Legende, in der Sanct
Nicolas drei ermordete Knaben wiedererweckt, und seine eigene Neudichtung im
Volkston. Das Lied „Le petit navire" in französischer und schweizerischer Passung
folgte, letztere eine Parodie. Vom bekannten Liede „Marlborough s'en va-t-en
guerre" führte Herr Marelle eine Form vor, die mittelalterlichen Anstrich hat.
Endlich las er aus seiner Sammlung von volkstümlichen Erzählungen „Eva, Aifen-
schwanz, Queue-d'chat etc." die erste „Eva", worin die Schöpfung des Weibes in
scherzhafter Weise behandelt wird. — Herr Bankrepräsentant Waiden sprach
über die Kuhhirten des Thüringer Waldes und ihre Tiere. Die Kühe werden
nicht nur zur Milcherzeugung, sondern auch zum Ziehen verwandt, was ihre Er-
giebigkeit sehr beeinträchtigt. Im Sommer treibt man sie samt dem Stier auf die
Weide, wo sie unter Obhut des Dorfhirten stehen. Er hat sie gegen etwaige Be-
hexungen zu schützen, übt aber sonst keine Heilkunst an Vieh oder Menschen aus.
Einen sehr klugen Gehilfen hat er an seinem Hunde, wird aber auch noch durch
einen Jungen unterstüzt. Die Glocken der Kühe sind aus einem Stück zusammen-
genietet und verlötet, erst in neuester Zeit mitunter gegossen. Der Klöppel hängt
24*
354 Eoediger: Protokoüe.
an einem Draht mit Ledersehleife. Man befestigt die Glocken an geschnitzten und
bemalten Kummeten, so ziemlich dem einzigen Reste volkstümlicher Kunst in
Thüringen, mit den oberen Enden jener Lederriemen. Die Glocken werden haupt-
sächlich in Schmalkalden und Brotterode gefertigt. Jedes Geläute, das aus mehreren
Glocken besteht, bildet verschiedene Akkorde. Ihre Töne haben volkstümliche
Benemiungen. Verstimmungen durch irgend welche Beschädigungen heilt der Hirt
oder besondere Stimmer oder Schellenrichter. Der Hirt besitzt auch ein Hörn,
entweder ein zum Blasen eingerichtetes Kuhhorn oder eine Metall- oder Holztuha.
Im Winter befindet sich das Vieh im Stall. Der Hirt bessert dann die Gestelle
und Glocken aus und fertigt neue Kummete an. Auch nach dem Austrieb kehrt
man Nachts in den Stall zurück. Abgeweidet werden zuerst alle zweischürigen,
dann alle einschürigen Wiesen, endlich die Waldweiden. Bei schlechtem Wetter
treibt man nicht aus. Gemolken wiid im Hause. BMiher hatten die Hirten ihre
besonderen Festtage und kamen am goldenen Sonntag, dem Sonntag vor Pfingsten,
an bestimmten Plätzen zusammen, z. B. an der Tanzbuche bei Friedrichroda.
Hii-tenlieder fehlen in Thüruigen.
Freitag, den 24. Mai 1895. Herr Zeichenlehrer Mielke spricht über Toten-
kult ip der Mark Brandenburg, wobei er eine reiche Sammlung gewebter und be-
malter Bänder von Totenkränzen und -krönen, sowie Zeichnungen von Gedächtnis-
tafeln und Grabdenkmälern vorlegt. Der Kult teilt sich in Handlungen, die das
Wolü des Toten fördern, und solche, die sein Andenken erhalten sollen. Letzterem
Zwecke dienen die Ki'onen und Ivränze, die man südlich von Berlin, dann nament-
lich in der Uckermark aufs Grab legt. Gegen die Elbe hin verliert sich der
Brauch, der aber auch im südlichen Baiern vorkommt, wo man ein Kreuz mit
Kranz und Krone zu zieren pflegt. Man hängt in Xorddeuischland die Kränze
auch in die Rii'che an Bretter, worauf Personalangaben gesetzt werden. Mitunter
vertritt sie ein beschriebenes, gern herzförmiges Blatt Papier. Die Kränze werden
mit bunten Bändern geziert. Sie sind samt den Brettern jetzt vielfach aus den
Kirchen entfernt worden. Als Grabdenkmäler dienen Pfahl, Kreuz, Stele, zunächst
aus Holz, jetzt oft aus Eisen. Der Pfahl ist die älteste Form. Auch ein-
fache Steinblöcke kommen vor. anderseits Gedenktafeln. An eigentümlich ge-
staltete Erinnerungszeichen sowie Bäume auf und an Gräbern knüpfen sich öfters
Sagen. Zur Feier beim Begräbnis gehört mitunter ein Umtragen der Leiche um
die Kirche. In Mecklenburg brannten für vornehme Tote ein Jahr lang auf dem
Altar zwei umflorte Lichte. Alier mid Ausbreitungsgebiet der Kultformen bleiben
zu untersuchen. Hierzu bemerkte Herr Geheimrat Weinhold, dass auch in
Schlesien Kronen und Kränze gebräuchlich sind und dass sie auf altchristlicher
Sitte beruhen. Der Pfahl dagegen erinnert an die Bautasteine, gewissermassen
Steinpfähle. Dazu stimmt, dass, wie HeiT Geheinirat Schwarz hervorhob, die
Geistlichen den Pfahl als heidnisch verpönen. Herr Geheinirat Bastian erinnerte
an die Totenpfähle der Indianer, die Totems, an die Ahnentafeln der Chinesen
u. s. w. Beziehungen der Toten zu Pflanzen sind speziell deutsch. Herr Bank-
repräsentant Waiden führte namentlich jüdische Bräuche beim Todesfall an.
Max Roediger.
Berichtigung.
S. 262, Z. 6 V. u. Huggelgruppe I. Muggelgruppe.
Lesefrüchte zum Volkslied.
Von Erich Schmidt.
1. Praetorius, Antliropoflemus Plutoiiicus 1667 II 491 : „Die Schwalben
sprechen, medel, merlel halt mir mein spiess oder wie ich wecke zog, wie
ich wecke zog, war alles gnug: als icli wieder kam, als ich wieder kam,
war alles verzehrt." Im „Storchs und Schwalben Winter-Quartier" S. 225
<'itiert er als bekanntes Kinderlied:
Klapperstorch, Langbein,
Bring meiner Mutter ein Kind boiui,
Leg es in den Garten,
Ich wil es fein warten.
Leg es auf die Stiegen,
Ich wil es fein wiegen, etc.
2. Christian "Weise, der über alte Knittelverse und den Stil des
Heldenbuches so verächtlich abspricht, auch vom Umzug der heiligen drei
Könige oder vom Knecht Ruprecht statt eines „manierlichen Engels" nichts
wissen will, bietet doch, ausser einem Citat des „besten Buhlen", mehrmals
geläufige Volksreime. Die zuuäclist folgenden sind mir aus Österreich
ungefähr bekannt. Überflüssige Gedanken S. lOÜ „Das uärrisclie Ding
lue Liebe":
Ihr Leute lasset euch in liebessachen ein!
Dann wo die liebe nicht auf erden solte seyn.
So war das liebe Ding die Eva nicht geschaffen.
Und wann es Sünde war, so thäteus nicht die pfaffen.
Es kan nicht uiu-echt seyn, weils die Juristen thun:
Es ist nicht ungesund, weil nicht die Aertzte riüuK
Wanns unnatürlich war, so wiu-d es die nicht jucken,
Die der Philosophie biss an den Nabel gucken . .
Weist die Arie „Ich hab ein Wort geredt, mein Kind, ich liebe dich".
Des Jephtha Tochtermord 2, 7, in eine höhere, von Spitta musterhaft
untersuchte Sphäre (doch steht, von Kretsclmier 1, 475 abgesehen, noch
in Prutzens Deutschem Museum 1862 II 79!) ff. eiue Gmnpoldskircher
Aufzeichnung) und nimmt der vorige Text mit der Philosophie eine halb-
o-elehrte Wendung, so zeigt sich Weise im Bibeldrama „Jacobs doppelte
Zeitsrlir. il. Vereins f. Volkskunde. IS'.IS. ""^
35(i Er. Schmidt:
Heiratli", naiv genug um alles hebräische Kostüm unbekümmert, als Kenner
echter deutscher Volkslieder. Die uralte Kindermuhme Debora singt 1, 13.
Kräuter für die Hochzeit suchend, ein Susaninne, das im Deutschen Wörter-
buch 3, 1726 angefühi-t wird und dessen Eingang z. B. bei Hoffmann und
Richter, Schlesische Volkslieder S. 325 erscheint:
Sause, liebe Ninne, was nistelt im Sti'uh?
Schabe mir die Klette, nim Manstreu darzu,
Enzian, Allrain, Knaben-Kraut,
So schmutzelt der Bräutgani, so fläschelt die Braut.
Je nu nu.
(Schmutzein auch bei Hagedorn W. 1, 100; fläscheln: lächeln s. Weinhold.
Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuche S. 21.) Und in der hübschen
Scene 4, 10 schmücken die Mädchen am Hochzeitsmorgen die Maie mit
Störchen, Kindern, Papplöffeln; die Bäurinuen aber gedenken ihres guten
Liedis, das für Vornehme „nichts tüge":
Vorm Jahre trug sie einen güldiien Ring.
Heur hertzt sie einen Jüngeling,
Und eine grüne Meye,
Die Rlümgen mancherleye.
Vorm Jahre trug sie einen güldnen Zopi!',
Heuer kratzt sie den Muss-Topff.
Sie wollen beim Alten bleiben, wie der graue Edelmann in Goethes
Claudin(% und sagen: „Die alten Lieder reimen sich viel besser: die neuen
Narrou-Posseu haben irgend gar kein Geschicke und kein Gelencke. Ey
giengs nicht köstlich her, wie unser sei. Grossvater noch in der Schencke
sang: Juch, juch über die Heide, funffzehn Messer in einer Scheide" (in
Brentanos Märchen vom Fanferlieschen citiert, mir sonst unbekannt) oder
auf den Hochzeiten „Ach Taunebaum, ach Tannebauni. du bist mir ein
edler Zweig".
3. Die grosse Beliebtheit des Tannenbaumliedes ist für das sieb-
zehr.te Jahrhundert zu allem Überfluss durch Logau bezeugt (siehe auch
Weimarisches Jahrbuch 3, 472). Seine älteste Überlieferung aus dem
Jahre 1584 bietet Uhland No. 151 „Es hieng ein stallknecht seinen zaiim
gar liocli an einen tannenbaum", wo die '.). und 10. Strophe lauten:
0 tanne! du bist ein edler zweig,
du grünest winter und die liebe Sommerzeit.
Wenn alle beume dürre sein,
so grünst du, edles tannenbeumelein!
Brentano im Godwi 1801 H 92 beginnt, frei fortdichtend (vgl. den Gegen-
satz der Untreue in Mittlers Volksliedern S. 474), das „Lied einer Jägerin.
deren Schatz ungetreu, und stellen Sie sich vor — ein Peruckenmacher
sewordeu ist" :
Lesefrüchte zum Volkslied. 357
Chor:
0 Tannebaum! o Tannebaum!
Du bist mir ein edler Zweig,
So treu bist du, man glaubt es kaum
Grünst Sommers und Winters gleich.
Mädchen:
Wenn andre Bäume schneeweiss seyn
Und traurig um sich sehen.
Sieht man den Tannebaum allein
Ganz grün im Walde stehen.
Chor:
0 Tannebaum, o Tannebaum! etc.
Mädchen:
Mein Schätzel ist kein Tannebaum,
Ist auch kein edler Zweig,
Ich war ihm treu, man glaubt es kaum.
Doch blieb er mir nicht gleich . . .
Des Knabeu Wunderhorn 3, 70 bietet unter den Kinderliedern zwei Strophen:
O Tannebaum, o Tannebaum! Warum sollt ich nit grünen.
Du bist ein edles Reis. Da ich noch grünen kann?
Du grünst in dem Winter, Ich hab kein Vater und Mutter,
Als wie zur Sommerszeit. Der mich versorgen kann.
die aber einem längeren populären Liebeslied angehören: z. B. Mittler
S. 649 (vgl. 473 f. 650); Hrusclika u. Toischer, Deutsche Volkslieder aus
Böhmen No. 51c.
Von einer geistlichen Coutrafactur (Fliegendes Blatt, München 1642,
aus Maltzahns Besitz) teilt Böhme im Altdeutschen Liederbuch No. 656
den Anfang mit: „0 Dannebaum, o Danuebaum, holdselig ist dein Nam ....
Du grünst im winter und sommer, im herbst und frülizeit". Weltliches
und Geistliches ist zusammengestückelt in dem Züricher Liede, das Tobler,
Schweizerische Volkslieder 2, 174, mit Varianten einer anderen Fassnng
mitteilt: „0 Tannebaum, o Taunebaum, Du bist ein edles Zwig". Toblers
zweitem Text entsprechen ziemlich genau die einundzwanzig bisher un-
beachteten Strophen in Göckings „Vollkommener Emigrations-Geschichte
von denen aus dem Ertz-Bissthum Saltzburg vertriebenen . . Lutheranern",
der Quelle für „Hermann und Dorothea", 2 (1737), 302, wo es nach allerlei
Gebeten heisst: „Hans Merlecker aber, der im Dorfe Rangerdien wohnet,
brachte eine ganze Menge Papistischer Lieder [2, 563 ff. Malinlieder der
„Catholisch ruffenden Glaubens-Stimme"]. Sie sind gutentheils sehr lächerlich.
Nur eines eintzigen zu gedencken, welches die Papisten Morgens und
Abends bey ihrer Arbeit mit Jauchzen und Frolocken singen so klinget
dasselbe also." Darauf folgt der lange Text, den ich nicht wiederhole.
Die geistlichen Strophen 14—21 sind schwäch und zusammenhangslos;
25*
358 Er. Schmiflt:
offenbar beg-iimt die Aiistückeluug schon mit der zwölften „O Nachtigall,
o Hiramels-Saal". Das (lanze aber verdient doch nicht Göckings aberweise
Bemerkung: ,,Die guten Leute niussteu recht darüber lachen, wenn sie es
nur herlesen mussten. Sie machten gar keinen Aberglauben aus dergleichen
Zeuge, weil es bey den meisten niu' ohngefehr unter den Sachen geblieben
war." Solche rationalististische Rockenphilosophie hat unserer Volkskunde
im vorigen Jahrhundert manchen Abbruch gethan, und gewiss entsprach
es nicht dem „gereinigten Geschmack", wenn Hanswurst iu Wien aucli
alte poetische Habe zum Besten gab:
4. Die Handschrift der „Teutschen Arien" von Kurz-Bernardon
auf der Wiener Hofbibliothek enthält so manche volksmässige Lieder:
ein paar mögen hier Platz finden.
2, 161 Ich bin ein Schatzerl zugethan,
Das wohnt beym Wirth im Keiler,
Es hat'ein höltzern Mieder an,
Und heisset: Muscateller . . .
Ich trink im Wein mir einen Peltz,
Damit ich nicht erfriere.
Und dass ich nicht vor Hitz zerschmeltz,
Halt ichs auch mit dem Biere.
1, &2i3 Hanswui'sts Schönheitsideal, den alten Listen vom Ifi .lahrli.
her entsprechend :
Soll ein schönes Kind mich laben,
Muss sie achtzehn Stücke haben,
Weil sie sonst mich nicht gefreut;
Schwartz und weisse, kurtz und lange,
Rothe, faiste, und gedrange,
Runde und auch zierlich breit:
Hat sie dann von jedem zwey.
Glaub ich, dass sie herzig sey.
Ich verhing von meiner Schöne
I. Weisse Haut und 2. weisse Ziilme;
3. Schwartze Augen. 4. schwiu'tzen Schopf:
5. Rothe Lippen. G. rothe Wangeu,
7. Maul und ö. Leib schmal zu umfangen,
9. Runde Nase, 10. runden Kopf:
II. Breite Brust, .und 12. breiten Kern,
Dies beysammen sieh ich gern.
13. Hals und 14. Rucken, wie ein Kertzerl,
Lang und grad, das freut mein Hertzerl,
Kurtz begehr ich 15. Ohr und IG. Püss,
17. Hand und 18. Arnierl muss im Spieh'n
Seyn hübsch moUet anzufühlen.
So wird sie mein Weib gewiss;
Dium. die diese achtzehn hat.
Komm herbei, sie kriegt mein Gnud.
Lesefrüchte zum Volkslied. 359
•-', 197. Zu 1, 3 f. vgl. Bolto, V. Schumann S. 396; Beniays, Goethe-
Jahrbuch (i, 337:
Niti7nur in retitiim, Vivimiis wie Hund ei Katz,
Dcis ist a schöne Eh! Das ist a schöne Eh!
Wann der Mann brichts ilal'e-deck. Er marschiert zum Tempel naus,
Wirfft das Weib das Höl'erl weg, Sie schmeist's Haus zum Fenstei- raus,
Das ist a Eh! Das ist a Eh!
Will er gehn, so will sie rasten, Will er süss, so will sie sauer.
Will er fressen, will sie fasten, Will er Regen, will sie Schauer,
Will er Strick, so will sie Zwirn, Er saufft Wasser, sie den Wein,
Rufft er Knecht, so schreyt sie Dirn, Sie frisst Brocken, er die Bein,
Will er kalt, so will sie warm. Er singt den Alt und sie den Bass,
Das ist a Eh! Das ist a Eh!
Dem Himmel erbarm. Dem Geyer zum Spass.
1, Ü4. Ein Stücklein der von Anakreou bis Shelley und weiter un-
vergänglichen „Love's philosophy" :
Ein jedes Vieh auf dieser Welt
Sucht das, was sich zu ihm gesellt;
Der Ochs rufft die geliebte Ruh,
Und singt: Muh Muh! muh muh!
Der Löwe brüllt, der Budel murrt.
Der Sperling pfeift, der Tauber gurrt.
Der Frosch folgt seiner Ikniiina,
Und schreyt: Qua qua! qua qua!
Das schöne Thior, der Ziegen-Bock,
Springt über Sta.uden, Stein, und Stock,
Lauirt nach der Gaiss durch Staub und D . . .
Und rulft meck meck! meck meck!
Der Bar, der brummt nach seinem Schatz,
Der Ratz begehret seinen Fratz,
Der Rather schreyt nach seiner Frau
Allstätts: mi au! nii au!
Der Sau-Bar will nicht seyn allein.
Er rennt nach ^seinem Weib, dem Schwein,
Er rührt die Schnautz und zerrt die Roy,
Und spricht, Oy, oy! oy, oy!
So gar der Esel spitzt das Ohr,
Schaut traurig aus dem Stall hervor.
Wann seine Estin nicht ist da.
Er weint! i, a! i, a!
Drum da mein Schatz nicht bey mir ist
Was Wunder, dass es mich verdrüst,
Und dass ich armer Schöps für weh,
Auch schrey, hlee biee! blee hlee!
Mein Schatz, mein Fratz! mein Weibelein!
Hörst du dann nicht dein Mandel schreyn?
.Antworte doch! und ruf mü- zu:
Hanns- Wiu'st: Gu gu! gu gu!
mO Er. Schmidt:
2, 27 finden sich hübsche Metamorphosen:
W<är mein Schatz ein Hasel-Stauden,
Möcht ich em Aich-Katzel seyn;
Dann da wollt ich mich befleissen,
Und so lange kiefeln, beissen,
Biss der Nuss-Kern wäre mein.
Wann ihr Goscherl wiir ä Honig
Macht ichs halt als wie der Bär;
Thät sie mit der schönen Bratzen
Halt so lange sfereichlen, kratzen,
Biss das Honig kostet war.
Wann ihr Hertzerl war ä Mäuäerl,
Macht ich halt zur Mauss-Fall mich;
Ging das Mäuserl dann zum naschen,
Wolt ichs halt fein stät [stat, leise] erhaschen,
Biss es war vergnügt wie ich.
5. Das Schamperliedel. dass Lessing in einer übermütigen Stunde
mehrfach verdolmetscht hat (s. Nicolais Fussnote unter dem Brief vom
•25. Mai 1777), sogar griechisch, doch nicht zur Freude der Philologen
(Wilamowitz, Vorr. zum Hippolytos), ist wohl anderweitig unbekanut; um-
Picander spielt zweimal darauf an: Gedichte 2 (1729), 543 „Und Jungfer
Liessgens Finger-Hut Ist gut zu allen Dingen" und 5 (1751), 232 „Und
Jungfer Liessgens Fiugerhuth Wird bald ein Loch bekommen".
6. Ein Bündel, in dem Goethe sogenannte Matinees der ersten
Weimarischen Zeit zusammengelegt hat, enthält auch, ohne Bezeichnung,
auf zwei Foliobogen blauen Packpapiers zwei burleske Volkslieder. Die
ersten neun Zeilen hat Goethe selbst sehr hastig hingeschrieben, alles
übrige dem Hoffräulein Luise v. Göchhausen rasch in die Feder diktiert,
offenbar ohne Vorlage, sondern aus dem Gedächtnis mit Sprüngen und
Lücken, improvisatorischen Änderungen und Ergänzungen. Durch Suphan
ist mir die gnädige Erlaubnis geworden, beide Texte hier abzudrucken.
Ich habe die Strophen beziffert und iuterpungiert, auch manche unzwei-
deutige Hörfehler stillschweigend verbessert.
Das erste Gedicht erscheint mit zahlreichen Varianten im Wunder-
horu 2, 399 (Aiuims Werke 14, 421) als „Construction der Welt (Mündlich)-':
danach Mittler S. 416 (zum Anfang vgl. Mündel, Elsäss. Volkslieder S. 244).
Birlinger imd Crecelius in ihrer höchst willkürlichen, halbschürigen Aus-
gabe des Wunderhorns bieten 2, 20 — 25 den langen Text, zwanzig Strophen
zu acht Zeilen, aus der „Anderen Tracht des Ohren-verguügenden und
Gemüth-ergötzenden Tafel-Confects" (Augsbm-g 1737) uud S. -'ä — 27 einen
kürzeren hsl. aus Arnims Nachlass mit Varianten einer rheinischen Auf-
zeichnung Hoffmanns v. F.
Lesefrnchte zum Vulksliod.
3«1
4.
5.
().
<).
10.
Als Gott die Welt erschaffen, U.
Die Vogel und ander Gethier,
Könnt er nit ruhig schlaffen.
Er hat noch etwas für.
Ist dann kein Mensch auf Erden? \i.
Dacht er in seinem Sinn,
Die Welt muss voller werden,
Es sei was rechtes drinn.
Man kann doch alles nuzzen lo.
Was schon [schön?] g'cniacht voraus.
Er nahm ein Erden butzen
Und macht ein Mann daraus.
Sobald er ihn gestaltet, 14.
Blies er'n ein wenig an!
Da erstund alsobalde
Adam der erste Mann.
Aufm Stein wo Adam sassc, 15.
Der war sehr kühl und nass.
Es fror ihm an der Nase,
Drum legt er sich ins Gras.
Da kam der Herr geschlichen, Ki.
Dass man ihn kaum verspürt,
Er nahm ihm eine Rippe
Aus Adams Seiten für.
Adam der thät erwachen, 17.
Er hatte das Ding gespürt;
Es war ihm nicht ums Lachen,
Dram thät er [sich] herfär:
0! Herr, wo ist meine Rippe? 18.
Ich bin kein ganzer Mann.
Wenn ich dernach ward dippe.
So ist kein Rippe mehr dran.
Adam, sey du zufrieden, 19.
Schlaf fort in guter Ruh!
Vor Schaden will ich dich hüten.
Ich stell dirs wieder zu.
Ein Weib will ich draus machen, 20.
Ein wunderschönes Kind,
Du sollst mir drüber lachen,
Kannst du so schöne Sachen,
Mein lieber Gott und Herr,
Aus meiner Rippe machen.
So nimm der Rippen mehr. •
Komm her, meine liebe Rippe,
Sey tausendmal Willkomm! —
Adam, nimm du die Schippe
Und grab die Erde um!
Noch eins will ich euch sagen:
Den Baum lasst mir mit Fried!
Die Frucht, die er wird tragen,
Sollt ihr verkosten nit.
Des Tods sollt ihr gleich sterben.
So bald ihrs habt gewagt,
Zu eurm grossen Verderben
Zum Gart'n werd'n nausgejagt!
Adam, ich hab gebissen
Mit Lust zum Apfel hinein.
Es kanns ja niemand wissen.
Wir beyde sind allein.
Eva, du lose Zuchtel,
Du machst ein schlimme Sach!
Adam erwischt die Fuchtel,
Die Eva brav abstraft.
Adam, du kannst nicht wissen,
Wie gut die Äpfel seyn;
Hier hast du nur ein Bissen,
Den iss geschwind hinein!
Thu du es nur probiren.
Wie gut sie immer seyn;
Du brauchst nicht zu studiren.
Dein Docktor will ich seyn.
Packt euch, ihr liederlich G'sindel,
Packt euch zum Garten naus!
Geschwind macht euer Bindel,
Der Engel jagt euch naus [raus?].
In Arbeit sollt ihr schwitzen,
Dieweil ihrs habt gethan,
Eva beym Spinnrad sitzen.
Das ist der Sünder Lohn.
Weil Weiber schöne sind.
3, 1 f. „Dem köunt wohl alles nutzen So schön gemacht voraus" Wuuder-
horn. 5, 3 „ihn ans Gesasse" W. Nach :>, 4 hat das W. zwei Strophen,
wie Gott seinen grossen „Bua" betrachtet und dem jungen Blut ein Weib
zu schaffen beschliesst, damit Adam gut thue. 7, 4 „Drum er so heftig
schrie" W. 10, 2 „Ein wunderliches Thier" W. 10, 4 „Schau gschwiud,
da stehts schon hier" W. 13, 3 „so er thut" W. Von Str. 15 an ist das
W. viel ausführlicher. Goethe offenbar von seinem Gedächtnis im Sticli
"•elassen worden. 18, 3 f. berulit auf Evas Worten im W.: „Braucht nicht
362 Er. Schmidt: Lesefrüclite zum Volkslied.
lang zu Studiren, Könnt bald ein Doctor sein"- Dann bietet das W. viel
mehr als Goethe, der dem Ende zueilt. Auch hat das W. noch einen
derben Schluss: Adam wünscht, das „alte Leder" nie gesehen zu haben,
und spricht von der Kirmess und vom Kinderkriegen.
Das zweite Gedicht findet sich minder abweichend, aber doch mit
vielen kleinen Varianten, gleich nach dem ersten im Wimderhorn '2. 403
(Arnim 13, 367) als „Aussicht in die Ewigkeit (Fliegendes Blatt)" und
bei Mittler S. 806 (zur 2. Strophe vgl. S. 80.5).
'. Wie geht es denn im Himmel zu?
Als wie [Und?] im ewigen Leben.
Da kann man alles haben genug,
Und braucht kein Geld zu geben.
AUes kann man borgen,
Braucht für nichts zu sargen:
Wenn wir einmal d rinne wären,
Wollten wii' nicht mehr raus begehren.
'i. Fallet uns ein Fasttag ein,
So essen wir Forellen.
Petrus ging in Keller nein,
Thät uns Wein bestellen:
David spielt die Harfe [Harpfen],
Ulrich brächt [brät] die Karpfen,
Margrethe backt uns Kuchen gnug,
Paulus schenckt uns Wein in Krug.
3. Lorentz hinter der Küchenthür
Der thät sich auch bewegen.
Trat mit seinem Rost herfür,
Thät Leberwurst auflegen.
Kuiiigunde und Sabine,
Elisabethe und Chi'istme,
Alle die um Herd rum stehen,
Thäten nichts als Vögel drehen.
4. Wenn wir nun zu Tische gehn
Die beste Speis zu rüsten [essen].
Die Englein alle mit Tellern rumstehn.
Die Gläser mit M'ein gemessen.
Da thun wir uns delectiren;
Auch Barthel thut tranchiren,
Joseph thut uns legen für [vor],
Cäcilia stellt uns ein Music vor [Musikchoi^.
5. Wenn wir nun gegessen hab'n,
Da thun wir uns delectiren.
Machen uns eine Comoediam [Commodität].
Thun uns resolviren
Zu dem Kegelscheiben,
Unsre Zeit vertreiben,
Lassen der Kugel ihren Lauf,
Zachäus setzt die Regel auf.
Prato: Sonne, Mond und Sterne als Scliönhoitssymbole. 8fi3
(). Martin auf dem Schimmel reit.
Der thiit recht galoppireii:
Blasticus [Blasius] mit dem Schmierrad scheut [erscheint?],
Der thät die Chaise schmieren.
Da wären wir ja Narren,
Wenn man könnte fahren,
Dass man thät zu Fusse gehn,
Lasst [Liesse] Ross und Wagen g-ehn [stehn].
7, Nun adieu [ade], du schnöde Welt,
Du thust mich nun [nur] verdriessen!
Im Himmel es mir besser gefällt,
Wo nichts als Freuden fliessen,
Bey dir ist alles gleich vergänglich,
Alles ist verfänglich.
Wenn ich einmal den Himmel hab.
Scheu [Seh , . s?] ich auf die Welt hinab.
3, 5 f. Wimd(3rhorn : „Dorthe iiud Sabiiia, Liesbeth und Catliriiia". 4, 3 f.
„Die Engel um den Tisch rum stehn, Schenken Wein in d' Gläser".
4, 5 aus 5 ,2, „Sie thuu uns iuvitireu". 6, 3 „Bl, hält die Schmier bereit".
7, 8 „Husf ich".
Die Schilderungen des himmlischen Schlaraöenreiches, liesonders in
Volksliedern Schlesiens, Böhmens, des Kuhländchens, Baierus, denke ich
einmal in grösserem Zusammenhang zu behandeln.
Berlin, Pfingsten 189.5.
Sonne, Mond und Sterne als Scbönlieitssymbole
in Volksmärchen und -Liedern.
Ein kritischer Beitrag zur vergleichenden Völkerpsychologie
von Dr. Stanislaus Prato.
In seinen Essais de mythologie comparee, traduetion francjaise
de Ct. Perrot, S. 118 ff. stellt IMax Müller das Sanskritwort Karitas, das
die (mit Flügeln geschmückten und so die sieben Schwestern genannten)
Rosse, genauer Stuten, der Sonne bezeichnet, zu dem griechischen Xagireg,
dem Namen der Grazien, die Aphrodite, die JVIutter des Liebesgottes,
als Begleiterinnen umgeben; Eros identificiert er mit 'EcfMg (Agni Aush-
asya), einer männlichen Jflorgenröte oder vielmehr einer Art aufgehender
Sonne in den Veden, wie sich die Liebe in der That bei ihrem ersten
Nahen für uns ausnimmt. Sonne und Licht, die Ursachen der Schönheit,
364 Prat";
gleich den Grazien, die sie lenken, und der Liebesgott, der seine eigene
Existenz daher entlehnt und seinerseits auf sie Einfluss ausübt, würden in
einander verschmolzen werden und der Mythus wäre so, wie er es wirklich
ist, die Allegorie einer "Wahrheit und zwar derjenigen Wahrheit hier, dass
die Schönheit der Schöpfung das Ergebnis der Thätigkeit des Lichtes ist.
des Hauptprincipes des Lebens und der Schönheit des Universmus: hieraus
erkläi't sich der Name Deus (ital. Dio, von der Sanskritwurel div.
leuchten) füi" das höchste Wesen'), sowie die Bezeichnung desselben als
Sonne der Gerechtigkeit, oder, wie man im Evangelium des St. Johannes
liest, als Lux quae illuminat omneni hominem venienteni in hunc
mundum. Anderswo wird von Gott gesagt: In sole posuit taber-
naculum suum, et ipse tamquam sponsus procedens de thalamo
suo*); Amictus lumine. sicut vestimento. St. Paulus. ]. Timoth. 6, Ifi
sagt, dass Gott in einem unnahbaren IJchte wohne, das kein Mensch je
geschaut habe noch schauen könne, und aus diesem Grunde heisst es von
ihm auch in der Heiligen Schritt, dass er in Ruhm und Glanz gehüllt
sei. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die verschiedenartigen Farben,
mit denen sich alle Gegenstände nach ihrer jeweiligen Natur unter den
Strahlen der Sonne schmücken, die Schönheit derselben bilden und somit
die Schönheit des Universums ausmachen. Hieran hat Dante wahrscheinlich
gedacht, als er sich der Wörter fregiare, adoruo und addobbare im
1. Ges. des Purgatoriums und an zwei Steiles des Paradieses, Ges. 1. und
14, bediente, wo er eben vom Lichte spricht. Der heilige Franciscus
erhält vom göttlichen Dichter den allegorischen Beinamen Sonne'): wenn
1) Gott ist das Woseu der Güte; aber aucli .gut" identificiert sicli mit .Licht-, da
lat. bonus, altlatein. duonus, über divonus von div, gläuzeD, stammt; im Griechischen
bedeutet dyailöc, von äyaoOai vbewundern). bewundert, bewunderunfjswort. was darthut,
dass auch die Grieclien den Äbstraktbegxiff gut aus dem Konkretbegriff schön schöpften,
da das, was bewundert wird, eben das Schöne ist: umgekehrt gebrauchte man ?:cd6;. das
schön bedeutet, manchmal in dem Sinne von gut. In den slav. Sprachen dient die Wurzel
swit als Ausdruck für Licht, Heiligkeit und Welt, vgl. poln. swit Morgendämmerung,
swiatlo Licht, swient-y heUig, swiat Welt, und das entsprechende russische W'ort
asviatil'o, Licht.
2) Aus diesem Grunde stellt Dante im 1. Gesänge der Hölle Gott in der Sonne, die
mit ihrem Lichte den Gipfel des allegorischen Berges umhüllt, sinnbUdlich dar-; so nennt
er auch im 4. Gesänge des Pm-gatoiiums die Sonne den Spiegel Gottes, denkt er sich
ferner, dass die am Horizont strahlende Sonne ihr Licht von der Sonne der Gerechtig-
keit, d. i. von Gott, empfange nnd versetzt er die Gottesgelehi-ten in den Sonnenhimmel
seines Paradieses.
3) Im 12. Gesauge des Paradieses sagt Dante vom heiligen Domiuicus. V, 64—66:
La donna che per lui (den jimgen St. Dominicus) Tassenso diede am Taufbecken, nämlich
die Taufpatin) Vide nel sonno il mirabile frutto, Ch'uscir dovea di lui e delle rede i^seinen
Erben). Die Taufpatin träumte der Legende nach, der Knabe habe vor der Stmi und
auf dem Nacken (wie in verschiedenen Volksmärchen, die wir in einem späteren Abschnitte
namhaft machen werden, die kleinen Kinder) einen Stein, das Symbol nämlich des Lichtes,
das Orient und Occideut dank der seltenen Tugend des heil. Dom. von dem Dominikaner-
orden empfangen sollten.
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 3(i5
(xott die Sonne der Gerechtigkeit ist (Sonne, weil er als Schöpfer
der Welt Spender von Leben und Schönheit an das Geschöpf ist), 'so ist
der Heilige eine zweite Sonne göttlicher Tugend zufolge und ein Spiegel
jener. Die vom Lichte erzeugten mannigfaltigen Farben aber, die den
Regenbogen und die einzelnen Gegenstände schmücken, gehen auf das
Weiss zurück; aus diesem Grunde verwendet Dante im 1. Gesänge des
Paradieses weiss (bianco) im Sinne von glänzend und im 2. Gesang der
Hölle imbiancare') für beleuchten; in ähnlicher Weise bedeutet candido
(vom sanskr. (;and, glänzen) weiss, glänzend. So sind auch Galatea
(lactea virgo), die Jungfrau der sicilischen Sage, so Leukothea oder
Leucosia, die weisse Göttin mit dem weissen Fusse, so die Venus der
Inder (Qri oder Lakshmi), die Aphrodite der Griechen, welche die
aus dem weissen Meeresschaume geborene bezeichnet und auf den Ursprimg
beider hinweist, nach ihrer weissen Farbe benannt worden.'') Weiss ist
bei den arisclieu Völkern immer für das Grundelement physischer Schön-
heit') gehalten worden, denn es hat seine Quelle in der Gesamtfarbe des
Lichtes, das die Gegenstände bestrahlt und ihnen wie gesagt die ver-
schiedenen Farben verleiht, von denen die Schönheit herrührt. Weiss
wm-de auch das Symbol der moralischen Schönheit; demzufolge sah Foscolo
in Galatea die Bescheidenheit versinnbildlicht, jenen feinen Takt einer
edlen Seele, die das eigene Verdienst wohl empfindet, es aber, um andere
nicht zu verletzen, verhüllt. Man darf hier auch auf die Bezeichnung als
die beiden Augen des Himmels hinweisen, die Sonne und Mond gleich-
falls, und zwar bei den Chinesen, Indern, Griechen, Skandinaviern und
auch bei den Ägyptern erfahren haben. Daher kommt es denn vielleicht,
dass das Volk in Toscana ein hübsches Mädchen ein occhio di sole
nennt; auch Petrarca singt im 4. Son. des 1. Teiles seines Canzoniere von
seiner Laura:
Ed or d'un picciol borgo un sol n'ha dato.
Tal che natura e "1 loco si ringrazia,
Onde si bella Donna al mondo uacque.
Und in seiner allegorischen Canzone über den Ruhm (Canzoniere Teil IV,
Canz. 3) sagt er:
Una douna piii bella assai che 1 sole
E piü luceute e d'altrettanta etade . . .
1) Vom dtsdi. blank, das seinerseits von dem Vb. blinken kommt.
•2) Dem Schaume des Meeres entsprossen ausser Lakshmi (der Venus, Fortuna der
Vcden) auch die Apsaras, die himmlische Nereide, und das Unsterblichkeitsgetränk
amrita, dessen Name mit d. griech. ambrosia verwandt ist und die gleiche Bedeutung
trägt.
3) Ln den griech. Volksliedern des 2. Bandes der Sammlung von Tommaseo heisst
es S. 270 von einer schönen Frau; "-io.^c»] y.arda:iQt], d. h. ganz weiss.
366 Piat,.:
Aus den bisherigen Betrachtungen ergiebt sich, dass die Ideen weiss,
glänzend, gut, die Idee Schönheit, Lebeu und Tugend, die Idee Schöpfung
und Geschöpf, Gott und Mensch, Himmel und "Welt völlig gleichbedeutend
sind; soeben haben wir ferner gi^sehen, dass die weisse Farbe, das Symbol
der physischen Schönheit, auch zum sinnbildlichen Ausdruck für moralische
Schönheit geworden ist; auch ist zu Anfang berührt worden, dass Gott.
das geistige, übersinnliche Licht, mit seinem eigenen Namen, nämlich Dens
oder Dio. und mit verschiedenen Bildern, die ihn vom Standpunkte phy-
sischen Lichtes aus betrachten, treffend bezeichnet ist: Dante singt schon
so im 30. Gesänge seines Paradieses:
Luce intellettual piena damore.
Amor di vero beu pien di letizia.
Letizia che traseende ogni dolzore.
Auch sagt er im L Gesänge der Hölle von Gott (als Umbildung der
Liebesgottheit, des kosmogonischen Gottes bei den Heiden, zu fassen)
. . . lAmor Diviuo
Mosse dapprima quelle cose belle.
Ebenso gilt ihm Gott, den er hier nicht mehr als Schöpfer, sondern als
Beherrscher der Welt betrachtet, im L Gesänge des Paradieses als . . .
Amor ch'l ciel governi, und im 33. Ges. desselben als . . . Amor che
muove il sole e l'alti-e stelle. Auch Torquato Tasso beginnt ein Sonett
mit dem allegorischen Verse: Amor alma e del mondo, amor e meute.
Diese anmutigen Bilder, die sich in glücklicher Weise dem kosmogonischen
Mythus des Liebesgottes anschliessen. können die hübsche, feierliche An-
rufung der Venus, der Mutter Amors und der Göttin der Schönheit, iu
ihrer Geltung als kosmogonischer Gottheit, in Erinnerung bringen, mit
welcher Lucrez seine Dichtung De rerum natura beginnt. Aeneadum
genetrix. hominum divumque voluptas, Alma Venus Es
erinnert dieselbe, besonders in ihrem Schlüsse, an das ganz bekannte
Volksmärchen von der Schlange (oder einem sonstigen Tiere), die von
einer holden Jungfrau geliebt uud geheiratet wird, hierdurch ihre ursprüng-
liche menschliche Gestalt wiedergewinnt und so die allbekannte psycho-
logische Tliatsache von dem gewaltigen Einfluss, den die Liebe auf die
beseelten Wesen und das Dasein ausübt, erhärtet und uus darthut, welche
Wunder sie vermag, sie, die deu Weg des Lebens mit Rosen bestreut,
alles mit Anmut begabt und verführerisch erscheinen lässt. Doch man
möge nicht denken, dass wir uns hiermit von der Idee des Lichtes,
dem Gegenstande unserer Untersuchung, entfernen, denn, wie jeder weiss,
wurde die Göttin Venus auch, um Dantes Worte im Purgatorium. C. 1
zu gebrauchen.
Lo bei pianeta. chad amar conforta, *)
1) Nach Petrarca TAinorosa Stella.
Soune, Mond uiul Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 367
uikI in tlen Venushimmel seines Paradieses versetzt Dante ja ilie liebenden
Geister.
Was die Liebesgottheit anbetrifft, so ist die seelische Kegung, die sie
verkörpert, ein Feuer, das sowolil im guten Sinne zu verstehen ist (wie
ilenn in der That die Metaphern Eifer, Inbrunst, Glut als uachdrückliehe
Bezeichnungen rühmlicher Arten von Liebe, z. B. derjenigen gegen Gott,
gegen das Vaterland etc.. allgemein bekannt sind), als auch schlimme
Bedeutung haben kann, wie das Feuer als Strafe zeigt, denn in den
Flammen lässt Dante im Purgatorium die Geister iler Wollüstigen, da ja
Wollust ausschweifende Liebe ist, martern; es ist aber das Feuer, die vom
Lichte untrennbare Wärme, ein wesentliches Element des Lebens, wie wir
schon gesehen haben, und somit auch ein Symbol dieses.
In den Volksliedern Italiens sowie einiger anderer Länder klingt der
heidnisch-kosmogonische Mythus des Liebesgottes nicht selten nach, und
zwar in der Identificierung der Geburt einer schönen Frau mit der Ent-
stehung der Welt, des Lichtes und der Blumen; daher rühren die aus-
gezeichneten Feste, zu denen jene Geburt überall Anlass giebt, daher aucli
der lebhafte Streit unter all den lieblichen Dingen der Welt, wenn sie
der Jungfrau, die geboren werden soll, ihre Schönheit leihen, um sie in
treffsicher Weise schmücken zu können. Man darf hierbei aber nicht
vergessen, dass die Schönheit die Ursache der Liebe ist (daher bei den
Alten die Vorstellung von Aplirodite, der Göttin der Schönlieit, als
Mutter des Eros, der Liebesgottheit), und hieraus glaube ich mit grosser
Wahrscheinlichkeit folgern zu dürfen, dass sich alles, was in den Volks-
und Kunstliedern von der Schönheit der Frau gesagt wird, in dem Mythus
der zur Gottheit erhobenen Liebe wiederfinden werde, die nicht allein die
lioldeste unter den Gottlieitmi geworden, sondern auch die älteste (ein
Prädikat, das ihr Petrarca in dem 1. Verse einer Canzone des "2. Teiles
seines Canzoniere verleiht: Quell'autiquo mio dolce, empio signore),
war sie doch schon beim Beginne aller Dinge neben Chaos und Erde —
so scliildert sie in der That Hesiod — vorhanden. In einem Hymnus des
Atharvavedn wird, wie Prof. Mich. Kerbaker') in einer Anmerkung zu
der daraus entstandenen Prosaversion bemerkt hat, die Liebe (Kania)
nicht sowohl in ihrer menschlichen und psychologischen, als vielmehr in
ihrer kosmogonischen Bedeutung betrachtet, und zwar als die Naturkraft
angesehen, die die lebenden Spezies fortpflanzt und vervollkommnet, indem
sie in dem Wettkampf des Lebens den besseren Individuen zum Siege
hilft. Auswahl bedeutet notwendigerweise Ausschluss von Mitbewerbern,
und so ist dieser die Herzen versöhnende und Freude spendende Genius
zu gleicher Zeit der Genius des Hasses und der Zerstörung, fast wie der
1,1 S. Has.M^i;iia dclla lettera t ura italiana e stranicra 1. No. ll>, v. 30. Nov.
IS'JO, S. 2.
368 Prato:
Schaft des Achilles, der gleichzeitig verwundete und heilte. Virag" (vgl.
das ital. virago, das ein kräftiges, stämmiges Weib bezeichnet) ist der
Name, der dem weiblichen, materiellen Princip, d. h. der allgemeinen
Natur, auch Prakriti geheissen, gegeben worden, und dieses besteht von
Ewigkeit an neben dem aktiven, bildenden Princip her, darum heisst es:
„Di padre eterno coeterna figlia*. Jene Yirag' (deren Name
strahlend bedeutet) wurde Vac oder Stimme genannt, insofern sie sich in
sinnlich wahrnehmbarer Weise offenbart und spricht'), und unter dem
Sinnbild der Kuh dargestellt, um ihre unerschöpfliche, endlose Fruchtbar-
keit anzudeuten. Die kosmogonische Auffassung der Liebe, die sich hierin
kennzeichnet, zeigt einige Berührungspunkte mit den Lehren der gTiechischen
Philosophen. Es mag genügen hier folgende Stelle aus Piatos Symposion
zu eitleren : „Eros hatte keine Erzeuger und niemals ist von irgend einem
gewöhnlichen Menschen oder einem Dichter gesagt worden, dass er deren
zuvor gehabt habe.^) Parmenides bemerkt zur Schöpfungsgeschichte, dass
Eros vor allen übrigen Göttern eingesetzt worden. Auch Acusilaos stimmt
mit Hesiod überein. Soviele Zeugnisse treffen in der Anschauung zusammen,
dass Eros eine sehr alte Gottheitt sei." (Symp. VI.) „Die wohlthätige
Liebe, sagt Aristophanes, die mit goldenen Flügeln geschmückt ist. gab.
nachdem sie sich mit dem Chaos vereinigt, Männern und Frauen ihren
ürsprimg; bevor die Liebe alle Dinge von einander schied, gab es noch
keine Gottheiten und nur jene Mischung erzeugte den Himmel und die
Erde, wie auch das Geschleclit der unsterblichen Götter."
Li dem oben angezogenen Hymnus des Atharvaveda ist das weibliche
kosmogonische Princip die Stimme, das Wort, und in der Genesis lässt
das thaumaturgische Wort Gottes (in dem echten griechischen Sinne zu
verstehen): Fiat lux, das Licht, das Princip von Leben und Schönheit
1) Im Griech. stammt das Vb. (piffii, sagen, von cpäw, dessen Bedeutung glänzen
ist, daher «y'cöc, cpwrös. wie auch im Lateinischen loquor (vgl lucet) nach Bopp,
Glossarium comparativum linguae sanskritae vom sanskr. lok, glänzen, her-
stammt. So kommt auch das lateinische Vb. dico (altlat. deico' von SeUo), zeigen, ent-
hüllen (und da das Wort den (Jedanken zeigt, enthüllt, sprechen): da nun aber das Licht
dieses ennöglicht, so haben wir auch hier eine mit den vorhergehenden übereinstimmende
Metapher. Dante sagt demgemäss im 1. Gesänge des Inferno: Mi ripingeva lä dove
il sol tace (d. h. nicht glänzt) und desgleichen im 5. Gesänge ibid.: Jo venni in loco
d'ogni luce muto (d. h. beraubt'. Schon Jesaia hatte gesagt: Ne taceat pupilla
oculi tui. Thatsächlich reden ja die sinnlich wahi'nehmbaren Dinge, indem sie sich
vermöge der Farben, mit denen das Licht sie bekleidet, unserm Auge in angenehmen
Formen offenbaren, eine ästhetische Sprache, die uns zwar- nur durch den Gesichtssinn
mitgeteilt wird: ein moderner Dichter sagt darnm von der untergehenden Sonne:
Da im pio saluto alle campagne, ai monti.
E in niistico Unguaggio
Sembra annmiziare che ogni cosa intorno
E nasce e muor coll'armonia del giorno.
2) Nach anderen hätte wirklich .Amor in Venus eine Mutter nuliabt.
Sonne, Mond und Sterne als Scliönheitssynibcde in Volksmärchen und -Liedern. 369
im Weltall, entstehen; das Wort ist der Verkünder der Weisheit') ixnd
diese lässt Salonio, der sie im 8. Buche der Sprüche als persönliches
Wesen einführt, V. 2'2 ff. von sich sagen: V. 22 Dominus possedit me in
initio viarum suarum, antequam quidquani faceret a principio; V. 23 Ab
aeterno ordinata sum et ex antiquis, antequam terra fieret . . .; V. 27
Quando praeparabat coelos adoram, quando certa lege et gyro vallabat
abyssos . . . ; V. 30 Cum eo eram cimcta componens ....
Den kosmogonischen Mythus von dem männlichen Princip der Liebe
bei den Indern und Griechen hat Vincenzo Monti ohne Zweifel im Auge
gehabt, als er sich in seinem schönen Capitel La Bellezza dell' Universo
gerade so, wie in der Heiligen Schrift die Weisheit als Personificierung
der Ewigen Kraft gedacht wird, die Schönheit vorstellte als:
Della mente di Dio Candida figlia,
Prima d'amor germana e di natura,
Amabile compagna e maraviglia:
Madre de' dolci affetti e dolce cura
DelFuom che varca pellegrino, errante
Questa valle d'esiglio e di sciagura . . .
In diesem Capitel denkt sich der Dichter auch, dass die Schönheit in
Verbindung mit der Ewigen Weisheit und mit (rott die Ordnung und die
Formen der Welt eingerichtet und ihr somit Dasein und Leben gegeben
habe, wie es der oben angedeuteten biblischen Vorstellung entspricht.
Bekennt man sich übrigens zu der schon erwähnten von Max Müller auf-
gestellten Etymologie von Eros, das er mit 'Emog (Agni Aushasya), einer
männlichen Morgenröte oder vielmehr einer Art aufgehender Sonne in den
Veden (so dünkt uns die Liebe in der That zuerst), für identisch hält, so
würde sich die läebe, die Urheberin des Weltalls wie im Mythus, mit der
Sonne und dem Lichte, der Quelle und dem Princip des Lebens, identi-
ficieren lassen, und zwar nicht ohne psychologische und mythologische Be-
rechtigung^); denn wenn die Liebe als Gefühl die Vermehrung der lebenden
1) Man beachte: Weisheit ist Wahrheit, das Licht des Intellektes; aus diesem Grunde
wird jene denn in dem nachher zu erwähnenden l'^apitel bei Monti mit der Schönheit, dem
Lichte der Phantasie, und mit Gott, dem unerschafi'enen, geistigen Lichte, verbunden,
lind sehr wohl vertragen sich Weisheit und Schönheit, d. i. Kunst, mit einander, nicht
allein weil sie beide Liclit sind, sondern auch weil das Schöne, um mit Plato zu reden,
der Glcinz des Wahren und des Guten ist.
2) Guido «iuinicelli singt in seiner Canzone A cor geutil ripara sempre amore,
Str. 1:
Ne fe' amor anti che gentil core,
Ne gentil cor anti che amor natura,
Ohe adesso, com' fu il sole,
Si testo fue lo spleudor lucente,
Ne fu davanti al sole.
E prende amore in gentilezza loco
Cosi propr'iamcnte,
Come il calore in chiaritä di foco.
370 Prato :
Wesen und den Bestand des menschlichen Lebens bewirkt, so sind Sonne
und Licht physisch Princip und Ursache der Fortdauer des menschlichen
Lebens wie desjenigen des Universums. Im vedischen Mythus wird Arusha
(die liiebe) beim Beginne eines jeden Tages neu geboren, aber Kama,
der wahre Liebesgott in den Veden, wird als eine Scliöpfungskraft dar-
gestellt, und im AtharvaTeda wird nach dem oben citierten Hymnus Kama,
insofern er erschaffende und zerstörende Gottheit ist, mit dem Gotte des
Feuers und des Lichtes. Agni, verwechselt; daher denn für Lucrez das
Recht zur Anrufung der als Princip des Lebens und der Schönheit des
Universums gedachten Aphrodite, der Mutter Amors. Oben habe ich darauf
hingewiesen, dass die Liebe als Gefühl, sei es die edle (vgl. die genannten
metaphorischen Ausdrücke Eifer, Inbrunst, Glut), sei es die unedle
Liebe oder Wollust (vgl. die von Dante im Purg. über sie verhängte
Peuerstrafe) ein in der Seele glühendes Feuer ist, das im ersteren Falle
der vortrefflichen, rühmlichen, heroischen Handlungen wegen, die es her-
vorruft. Princip des Lebens, im anderen Falle aber auf Grund der Misse-
thaten und Vergehen, die es anstiftet, Princip des Todes ist. Deswegen
ist sie auch psychologisch betrachtet schaffendes und zerstörendes Princip
und als Feuer, Glut im Wesen mit der Seele verwandt, die darum von
den Griechen Qi'jlios. Dampf, Rauch (vgl. skr. d'ümä), von Oveiv, brennen,
genannt wird, ein Umstand, aus dem sich erklärt, dass die Seele ideo-
graphisch oft unter dem Bilde einer hüpfenden Flamme dargestellt ist.
Man wird sich hier des Prometheus erinnern, der aus dem Sonueurade
den Feuerfunken entwendete und, nachdem er ihn in dem Stengel der
Rutenpflanze (vaadijg) verborgen, auf die Erde brachte. Die Commentatoren
dieses Mythus haben sich unter demselben verschiedene Arten von Feuer
vorgestellt, nämlich unser Herdfeuer und die Wärme des menschlichen
Körpers, die Seele; Prometheus wäre also der Begründer des physischen,
geistigen . und sittlichen Lebens gewesen und hätte das Menschengeschlecht
um eine der kostbarsten Wohlthaten bereichert, daher denn die Apotheose
dieses Heroen durch den -griechischen Geist. Man weiss ferner allgemein,
dass Vesta (griech. 'Eor/a) die Göttin des Feuers war. eine Personificierung
des letzteren, in der es wiederum die Bedeutung als Zerstörer, Verzehrer,
aber zugleich auch als Pfleger, Ernährer annimmt (vgl. das verwandte Vb.
io3kiv verschlingen, verzehi'en und essen, sich nähren, von sdeiv, womit
<his lat. edere, essen, skr. ad, sich nähren, urverwandt ist). In der That
hatten ja die Priesterinneu dieser Göttin die Verpfliclitung das heilige Feuer
derselben sorgsam zu hüten, da von seiner Erhaltung diejenige des Lebens,
sowie die Fortdauer der Stadt und des Staates, woselbst es brannte,
abhing; lebendig wurden diejenigen von ihnen verbraiuit. die es ausgehen
Hessen. Auch in diesem Mythus ist das Feuer Symbol des Lebens. Im
Semitischen tragen Tliä und Tä, Sciaa und Sciä die Bedeutungen einer-
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 371
seits strahlende Sonne, Lieht, Glanz, Waehi3tum der Ähren,
andererseits brennen, verbrennen. Feuerfangen, das Feuernähren,
die alle an das ägyptische Wort Phtah, Feuer, gemahnen. Die Griechen
liatten als Gott des Feuers noch den Hephaestos, Vulkan (der der himm-
lische Schmied der Götter war und. wie die Sage ging, unter dem feuer-
s|>eienden Aetna, dem flammenrlen, von a'i'&siv brennen, wohnte); er ent-
sprielit dem Abesto der Semiten (gebildet aus ab und esto), der besagt:
Vater des Feuers, und dieser ist sicher identisch mit dem ägyptischen
Phtä, dessen Sinn ist: Nährer des Feuers, befruchtende Wärme
der Vegetation, derjenige, der bestrahlt, erwärmt und verbrennt,
und der somit auch mit dem griech. Hephaestos und dem indischen Agni
vollkommen sinnverwandt ist. Die arabische Wurzel lehrt uns. dass Plith
den Urheber des Feuers, das Princip der befruchtenden Wärme, be-
zeichnet, und liierauf passt ebenso sehr das mystische Tetreschar
(tetrescare), das Michelangiolo Lanci') entdeckt und erklärt hat. wie
die für seinen Namen gefundenen Hieroglyphen Die drei Symbole, die
den Phtk ideographisch darstellen, sind zudem ein durchfurchtes Feld,
die Hemisphäre und die drei Sonnen darüber innerhalb eines Kreises; das
erste Sinnbild ist das ph. das zweite das t oder th, <las dritte ain und
alle drei zusammen sind soviel wie Phtä. Gleichzeitig geben sie aber
dem Kenner lieiliger Inschriften, der von dem Grundsatze ausgeht die
Hieroglyphen nach zwiefacher Manier, phonetisch und symbolisch zu lesen,
deutlich zu verstehen, dass der Gott des Feuers, das Princip der
; Sonnenwärme in den drei Momenten des Aufganges, des Mittags
[ und des Unterganges^), gemeint ist, dass er jeden Tag im Jahre den
II immelsbogen auf unserer Hemisphäre durchmisst und dass er
j allezeit die Saaten befruchtet. Dem Phtk steht im ägyptischen
Kultus Anuki gegenüber, die abend- und morgenländische Vesta, die
von ihren Dienerinnen das Gelübde der Keuschheit verlangte. Im Kultus
der Göttin Anuki gelangte die Priesterin Tebbä zur Berühmtheit, und
die alten Araber pflegten mit dem Namen Anuki auch den Herd oder
Leuchter zu bezeichnen, der der Götthi geweiht war. Der Gott Miti-a
' bei den Orientalen verkörperte die beiden entgegengesetzten Principien
der Zerstönmg uiul der Erhaltung, des Todes und des Lebens; Mitra
cider Metra ergiebt rückwärts gelesen Artem mit dem gleichen Sinne.
1) Michelangiolo Lauci, Paralipomeni alla illustrazioiie dclla Sacra
Scrittura per inonumenti feuicoassiri ed egiziaui, Bd. 1, Paris, Dondey-Dupre,
1845, Gap. 3.
2) Daher liest mau denn in der Oper Aida, die einen ägyptischen Stoff behandelt,
folgenden Hymnus an Phtä, den Gott der Sonne und des Feuers:
Allmäclit'ger Phta, urew'ger Allmiicht'ger Phtä, Befruchter, Dich, unerschaffnes Feuer,
Lebenshauch der Welt. Schöpferhaucb der Welt, ' Der Sonne Lebenslicht,
Dich rufen wir! Dich rufen wir! Dich rufen wir!
Zeitsi'ljr. .1. Vereins f. Volkskunde. lsi(;i. 26
37-2
Fiato :
Zerlegt man das Wort in seine beiden Hälften niet-ra, so führen die
semitischen Wurzeln ganz klar auf die Bedeutungen verderben und
ernähren, sterben und leben lassen nacheinander: wenn man aber
das Wort in der umgekehrten Lautfolge Artem betrachtet und sich in
ar-tem abteilt, so ergeben hier die hebräischen AVörter die eutgegen-
»esetzte Bedeutungsordnung erwecken und aufzehren, sodass, während
in Mitra oder nach orientalischer Aussprache Metra das Leben dem Tode
folgt, es in Artem diesem voraufgeht. Zu beachten ist auch, dass iu
sinnbildlicher Darstellung der Gott auf der einen Seite zwar, wenn er den
Stier umbringt, die Zerstörung vergegenwärtigt, andererseits aber mit
Hilfe der reifen Ähren, die er statt des Büschels des Stierschwanzes dar-
bietet, darauf hinweist, dass er zugleich Erhalter der lebenden Wesen sei.
So scheint denn Mitra etwas mit dem ägjqjtischen Refö und dem mosaischen
Hohi. d. h. mit dem verkehrt ausgesprochenen und dann zu profanen
Zwecken verwendeten heiligen Worte gemein gehabt zu haben. Es scheint
sogar auch, als sei hiervon die griechische Artemis (wie Diana bei den
Griechen bezeichnet wurde) ausgegangen, wenn m;u» in Erwägung zieht,
dass Mitra und Artem, ähnlich wie das geheime und offene Tetra-
grammaton der Hebräer, zwei Wortanfänge haben, die einen Gegensatz
ausmachen. Mitra und Artem (mau beachte, dass Plioebus und Diana
im griechisch-lateinischen Mythus Geschwister heissen, gleicliwie Apollo
und Artemis, die nur andere Benennungen derselben Gottheiten sind)
sind also zwei Namen, die auf den Gegensatz in der Person eines einzigen,
zwiefach gearteten Gottes hinweisen, und von diesen Namen machten die
Mystagogen, da ja der eine vom Tode, der andere vom Leben ausging,
unter verschiedenartigen Verhältnissen im Kultus Gebrauch. Und zwar riefen
die Orientalen, wenn sie die göttliche Gerechtigkeit, die Hüteriii der
Völkerrechte, erflehen wollten, vielleicht den Mitra au. richteten aber
dann ihr Gebet um die Gnade und Wohlthat des Himmels an Artem:
hieraus entsprang die Form Artemis, die die weibliche Seite der Sonne
und nicht vielmehr des Mondes ist. Diese Betrachtungen über das Wort
metra folgen ganz der Methode, nacli welcher die semitischen Völker im
Orient, der Weisung ihrer Buchstaben und ihrer natürlichen Empfindung
gemäss, jene Gottheit verstanden. Sollten jedoch gelehrte Archäologen
und hervorragende Interpreten in Mitra die Geltung des indischen Namens
io (ahäm, von gleicher Wurzel mit ah. sagen, sprechen), der. ein japhe-
tisches Wort, den Sinn von /ö/os, Wort, besitzt, ermitteln, als wäre mitra
das Wort, der Spruch iu höherem Sinne', so beseitigt dies keineswegs
1) Vergleiche die oben erwähnte Virag' oder Prakriti, als weibliches kosmo-
gonisches Princip Vac, Stimme, gelieissen: auch vgl. die kosmogonische Göttin der
Inder Sarawati, die Gattin Brahmas, die Göttin des Wortes und das Wort selbst, eine
Persouificierung der Macht und Weisheit Brahmas: und schliesslich die Vorstellung von
der Wei.slieit als kosmogonischom Princip. das von Ewigkeit an besteht, der ('hristus-
Sonne, Mnnd und Sterne als Scliönheitssymbole in Volksmärchen und -I^iedern. 373
die Idee vom Tode und vom Leben, die wir in demselben wahrgenommen
iiaben, da auch die Hebräer, wenn sie für erhabene Rede ihr heiliges
Tetragrammaton als Name, Wort, Losung, gelten Hessen, die tiefen
religiösen Bedeutungen, die es enthielt, nicht von ihm ausschlössen. Spürten
also die Inder oder die Perser in Mitra ewig den Sinn Wort, so darf man
glauben, dass dies seine offene Bedeutung gewesen sei, auch ist ja allgemein
l)ekannt, in welclier Weise sich Jehova, wenn er erschien, den Hebräern
im allgemeinen zu erkennen gab. Wie dieser aber auch mystische Züge
trug, die man gemeinhin niclit kannte, so musste auch Mitra mystische
Bedeutungen in sich fassen, die sich nicht weit von dem Charakter und
der Natur entfernten, die sich durch alle heiligen Tetragrammata zieht und
ihnen allen Form und Gestalt giebt. Sollte man nicht vielleicht annehmen
dürfen, dass Mitra, der Tod und Leben verleihende Gott, der von den
Asiaten nach den beiden Namen Madbaco und Selamani, Verwunder
und Heiler, geschieden worden, aus gewissen schriftlichen Normen, die die
göttliche Allmacht ausdrückten, hervorgegangen sei. wie z. B. die folgende
im 5. Buch Mose. Deuter. Gap. 32, 39 ist: Ich kann töten und lebendig
machen, ich kann schlagen und kann heilen. Und wenn der Mitra-
le; ultus der mosaischen Gesetzgebung zeitlich vorausgegangen ist, sollte
man nicht in diesen heiligen Worten einen Vorwurf gegen die Verehrer
einer fremden Gottheit zu sehen haben und zwar glauben, dass sich in ihr
das doppelte Vermögen sterben zu lassen und leben zu lassen, wie
es eben der Name Mitra zu erkennen giebt, vereinigt habe — jenes Ver-
mögen, das den Gott Israels so ganz cliarakterisiert?
Humboldt stellt in seinem Kosmos viele Beispiele von Mythen ver-
schiedener Länder zusammen, aus denen sich der kosmogonische Charakter
der Sonnen- und der Mondgottheit ergiebt. Bei den Indern und Amerikanern
wäre die allgemeine Sintflut durch Schia (die Mondgöttin), die Gattin des
Botchika (des Sonnengottes), erzeugt worden, die sich damals noch niclit
im Himmel, sondern noch auf der Erde befand; der letztere empfand
Mitleid mit den Menschen, vertrieb den Mond, seine Gattin, von der Erde
und schaffte sie in den Himmel. Nach den Huronen veranlasst die Mond-
göttin Aataentsic, die Mutter oder Grossmutter des Sonnengottes Jouseka,
die, obwohl Schöpferin der Erde und des Menschen, doch Urheberin seines
Verderbens ist. den Tod desselben und beherrscht das Reich der Seelen,
während Jouseka umgekehrt für das Heil des Menschen sorgt und das
Prineip der Erhaltung seines Lebens darstellt. Nach Dupuy (Origine de
la fable) wurde in einem indischen Tempel eine Bronzetafel gefunden,
die ein kosmogonisches Denkmal von hoher Bedeutung bildet; sie zeigt
Personifikation bei Salomo und die Vorstellung von der Schönheit (in Verbindung mit
der Weisheit und mit Gott) als kosmogonischem Prineip bei Monti an den angeführten
Stellen.
2ü*
374 Prato:
das ins Meer getauchte kosmische Ei und einen aufrecht stehenden Stier.
der seinen Fuss auf das Ei gehoben hat: der Stier ist in dem Sternen-
glauben der Inder Symbol der Lebenskraft in der Welt und heisst als
solcher Taurus, exaltatio Lunae. Es ist eine Anspielung auf die all-
gemeine Sintflut, jene unter den Völkern der Welt so verbreitete Tradition,
die in dem Wasser zur Anschauung gebracht ist. Das Ei, die künftige
Fruchtbarkeit, repräsentiert den Mondkontineut. Schia, Tulla die Last der
Erde, deren Erhöhung dem Menschen den Besitz der fruchtbaren Regionen
unter dem Wasser wiedergeben wird, und der Taurus, exaltatio Lunae.
versinnbildlicht die Allmacht, welche das traditionelle Wunder der Erd-
liildung vollbringt. ')
Aus den bisherigen Beobachtuugen erhellt nicht nur die Verwandtschaft
Gottes und seiner Schöpferkraft mit der Sonne und dem Lichte, das
gleichsam sein erlesenstes Symbol ist. sondern auch mit der Liebe, als
kosmogonische Gottheit betrachtet, und so die Berechtigung für Dante zu
behaupten, dass lAmor Divino Messe dapprima quelle cose belle
(d. h. das Universum) und eben dieser Amore il ciel governa. Die
Sonne ist vermöge ihres Lichtes und der Wärme Prinzip des Lebens (wir
haben oben die Identificieruug des Gottes der Sonne mit dem (Jotte des
Feuers — beides Prinzipe der Erzeugung und Erhaltung des Lebens —
gesehen) und gleichzeitig ist sie Prinzip der Schönheit*), da sie den
Gegenständen die mannigfaltigen Farben verleiht, denen sie ihren Reiz
verdanken. Gott ist der Schöpfer und Erhalter des menschlichen Lebens
und der Welt, und als solcher ist er eben die unerschaffene Schönheit.
Audi der Mond, der das Licht, das ihn erfüllt, von der Sonne empfänüt.
kann zum Sinnbild der Schönheit werden. Die Liebe als kosmogonische
Gottheit ist der allegorische Ausdruck des Gefühls, das die Menschen ver-
brüdert und für die Vervielfätigung der lebenden Wesen, insonderheit des
Menschen Sorge trägt; sie ist gleichfalls Prinzi]) des Lebens sowie der
Schönheit, ist sie doch die Wirkung, die der Anblick menschlicher Schön-
heit in Personen verschiedenen Geschlechtes hinterlässt, und begeistert sie
doch deu, der von ihr ergriffen wird, zum Preise der Schönheit, der sich
aus dem Lichte, dem Prinzip physischer Schönheit, also aus der Sonne
1) Morel Rathsam hausen, Descrijition de 1 ad eruiere epoquegeologiqne:
Mythes et Legendes cosmogoniques dos divers peuples de l'antiquiti';
L'liumanite ä l'epoque tertiaire, Paris, Fischbachcr, S. 16.
2) Kvü.ö; stammt von y.aleir brennen; auch hei den Russen floss aus dem Rot des
Feuers (krasni) die Idee des Schönen (pvokrasni^; auch das ital. hello, aus tat.
bellus = altlat. duellus, divellus, geht, wie die Sanskrit-Wui'zel div zeigt, deren Be-
deutung leuchten ist, aus der Idee des Lichtes hervor, pul eher aus tioUk und ;?eo'o, as
Farbe (also aus vielfältigen Farben bestehend) verknüpft sich gleichfalls mit der Idee des
Lichtes, die in diesem AYorte umschrieben (setzt sich doch das Licht aus den Farben
zusammen) zum Ausdruck gelangt: und geht der Name für die Wissenschaft des Schöneu,
die Ästhetik, auf das griech. alado;, Wärme, Hitze zurück.
Scjiiiic, Mdiid 1111(1 Sfcruo al« iSchönlieilssynibnle in Viilksiiiarclini und -Lioderii. 375
und aiH'li dem Moiulü und don Sternen erscliliesst. Die jisychologische
Thatsache von dem Ursprung der Liebe in dem Anschauen weiblicher
Schönheit flösste den Alten den Mythus von dem Grotte Eros als Sohn der
Aphrodite, der Göttin der Schönheit, ein.
Um nun von einer anderen Seite das Bild der Sonne zu beleuchten,
das Verwendung fand, um von der Schönheit junger Mätlchen einen Begriff
zu geben, so sei es mir gestattet, ein hübsches sicilianisches Volkslied
anzuführen, das Prof. Alessaudro d'Ancona sich mit Recht litterarischen
Ursprungs denkt: es lautet:
La luna e bianca, e vu' (voi) brunetta siti (siete);
Idda (ella) e d'argentu, e vu' l'oru purtati (portate);
La luua nun (non) ä ciammi (flamme) e vu' Taviti (Favete);
Idda la luci (luee) spanni (spande) e vu' la dati (date);
La luua manca e vu' sempre crisciti (erescete);
Idda saggrissa rs'eclissa) e vu' uun vaggrissati (eclissate);
Adunca ca la luna vu' viuciti (vincete),
Bedda (bella) suli (sole) e no' (non) luna vi chiamati (chiamate).')
Bei den Provonzalen ist der Gebrauch dieses hübschen Bildes nicht
selten; Beinard v. Ventadorn drückt seine Bewunderung für die Schönheit
seiner Dame in einem den vorhergeheuden ähidichen Bilde aus: „In ihrer
Schönlieit glänzt sie wie ein schöner Tag und strahlt sie in der dunklen
Nacht." Und Carcamon schreibt: „Wenn die W^elt finster wird, so strahlt
es da, wo sie (die Dame) weilt." Li dem Gedicht über Boethius liest
man: „Das Haus, in das sie eintritt, empfängt von ihr hellglänzendes
Lieht." Dante sagt von den Augen der*Beatrice im 2. Gesänge der Hölle:
Lucevan gli occhi suoi piü che la stella (die Sonne). '') Petrarca sagt von
1) Eine calabrcsische Version lautet:
li» luna e bianca o vu' brunotta siti,
Iddha (ella) l'argentu e vu' Foru purtati,
La luna aiiinianca e vu' seuipre crisciti,
Iddha perdi la luci, e vu' la dati;
Iddha lu scuru (l'oscuro) e vu' a iddha viuciti,
Iddha s'accrissa e vu' nun v'accrissati:
Vu' lu suli e la luna ca (qua) vi uniti,
Ma ue suli, ne luna vi chiamati.
2) Bei Achille Millieu, Chants populaires de la Greco, de la Serbie et
du Montenegro, Paris, Alph. Lemerre 1891; Chants grecs S. 50—51 liest man: Die
Stolze Schöne: Zwischen zwei Meeren erhebt sich ein gar fester Turm. Ein junges
Mädchen mit blondem Haar steht auf ihm in stolzer Haltung. Sie setzt sich nieder,
l)reitet die Geschmeide aus, mit denen sie ihre Schönheit zu schmücken liebt, bewundert
sie, öü'net sie und schliesst sie wieder. Sie spricht zur Sonne: „Wie lange währt doch
dein Kommen! 0, Sonne, wer hemmt dich denn nur und verzögert so sehr deinen Lauf?
%;ige ilich, tritt hervor aus der ■Wulkenmitte, zu derselben Zeit, da auch ich vor dir
erscheinen will. — Sonne, arme Sonne, deine Flamme, die feurigste, kaum kann sie das
37() Prato:
Laura: wenn sie von dauuen geht, so verfinstert sicli alsbak) der Himmel
nnd Stürme erheben sich; kehrt sie aber zurück, so wird der Himmel
wieder heiter und die Luft wieder sauft und ruhig; geht er, der Dichter,
lim Laura zu begrüssen, so verhüllt sich die Sonne vor Eifersucht mi''
einer Wolke und Lauras Klagen erregen der Sonne Neid und betäuben
die Elemente.
In den Volksmärchen ist dieses Bild melir oder weniger umgestaltet
häufig anzutreffen. So gebiert in der ersten umbrischen Version der zweiten
Erzählung meiner Quattro novelline popolari livornesi, Spoleto'
Bassoni. 1880, 4°, die Tochter eines Koches, die den König geheiratet hat,
drei schöne Knaben, den ersten mit einem Stern auf der Stirn, den zweiten
mit einer Schrift hinter dem Ohr und den dritten mit einem Apfel in der
Hand; in der darauf folgenden umbrischen Version gebiert die Frau des
Königs zwei Söhne, einen Knaben mit goldener Kette um den Hals und
ein Mädchen mit einem goldenen Apfel in der Hand, und genau so in der
vorletzten umbrischen Variante. In einer anderen umbrischen Erzählung
aus Spoleto, die in den „Vergleichenden Anmerkungen" kurz zu-
sammengefasst ist, genest die Gattin eines Königs zweier Knaben, von
denen der eine einen Stern auf der Stirn, der andere einen Apfel in der
Hand hat. In einer weiteren umbrischen Version aus Rieti bringt die
Gattin des Königs einen Knaben mit einem Stern auf der Stirn und ein
Mädchen mit einer Kette um den Hals zur Welt; der gleiche Zug begegnet
auch in einem sicilianischen Volksmärchen bei Pitre, Fiabe, Novelle,
Racconti popolari siciliani, Palermo, L. Pedone Lauriel, 1875, B. I,
No. 36: Li figghi di lu cavuliciddaru (die Kinder eines Suchers und Ver-
käufers von wilden Rettichen). In dem Feenmärchen La Princesse
Belle-Etoile et le Prince Gheri, s. Cabinet des fees, Geneve 1786,
16°, B. IV: Contes des fees, von Mme. D'Aulnoy, gebiert die Gattin
des Königs zwei schöne Knaben und ein Mädchen mit einem Stern auf
der Stirn und einer kostbaren goldenen Kette um den Hals, sowie mit
lockigem Haar, aus dem Edelsteine herausfallen. In der 3. Novelle der
4. Nacht bei Straparola (s. seine Piacevoli Notti) gebiert die Frau des
Ancilotto, des Königs von Provino, zwei Knaben und ein Mädchen mit
aufgebundenem Haar, das mit feinstem Golde durchsetzt ist. einer Kette
um den Hals und einem Stern vor der Stirn. Bei Wuk Stephanovicli,
Gras unserer Felder dörreu, Und ich, sobald ich mich zeige, in einem Augenblick vermag-
ich den Feuerbrand in die Herzen der Jünglinge zu senken!"
In der Dianea von G. F. Loredano, s. die Erzählung- Astidamo, princijie di
Greta, trifft man folgenden analogen Passus: „Die Morgenröte -war schon hervorgetreten,
und die Vögel betäubten die Luft mit ihrem Gesang'e, als Dianea mich ihre Schönheit
schauen liess. Da vergab ich der Sonne ihr Säumen; denn mit Recht geschah es, dass
sie ihren Platz jener überliess. Ich tadelte es als eine Vermessenbeit, wenn die Kunst
mit dem Pinsel ein Werk so schön, dass es jede Vorstellung übertraf, nachzuahmen vei^
suchen würde."
Soniii', Mniiil und Stevnu als Schiiiiliuitssyiiibuk: in Vcilksriiärrlicn iiiicl -I.ii^ilcni. 377
Srpskc iiaiMiilnc Pripowjietkc No. 2'): Uic l)öse ScIiwiegiTinutter
wiril ili<' (lattiii eines Fürsten von zwei Söliiieu mit goldenen Annen luul
einer 'roeliter mit einem goliieneu Stern vor der Stirn entbunden. Bei
Laura Gonzenbacli. Sicilianisclie Märcheu, No. ä: Die verstossene
Königin und ihre beiden ausgesetzten Kinder bringt die Gattin
eines Königs ein männliches und ein weibliches Kind mit einem goldenen
Stern auf der Stirn zur Welt. Bei A. Schiefner, Awarische Texte (in
den Memoires de lAcademie imperiale des scieuces de Saint-
Petersbourg, VII, B. 19) No. 12 giebt die Gemahlin des Königs einem
Knaben mit Perlenzähnen und einem Mädchen mit goldenen Locken das
Leben, vgl. für ähnliche Züge in anderen Versionen desselben Sujets
meine Vergleichenden Anmerkungen zu der zweiten Erzählung der
bereits citierten Quattro novelline popolari livornesi. Unter diesen
Versionen verdient jedoch eine ])olnische im 2. Bde.. No. 46, von Glinski,
Bajarz Polski, 4 Bände, Wilna 1853, besondere Aufmerksamkeit, in
welcher die Tochter des Königs von zwei Kindern entbunden wird, die
auf iler Stirn den Mond und auf dem Haupte Sterne zeigen. Bei Gaal
Stier. Ungarische Volksmärchen, Pest 1857, S. 390 gebiert die Ge-
mahlin lies Königs Zwillinge mit goldenem Haupthaar, von denen der eine
auf der Stirn einen Stern, der andere eine Sonne und um den Arm zwei
goldene Ringe trägt. Bei v. Hahn. Griechische und Albanesische
Märclien. No 69 (Lesart von Syra) bringt die Gattin des Königssohnes
drei Kinder zur Welt, die Sonne, den Mond und Lucifer (den Morgen-
stern)'): in einer epirischeu Variante ebendaselbst gebiert die Frau des
Königs zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, die so schön sind
wie Lucifer und Hesperus (der Morgenstern und der Abendstern). In
einem serbischen Märclien bei Wuk Stephanovicii. No. 30 der genannten
Sammlung (Die Prinzessin und der Schweinhirt), das jedoch zu
einem anderen Thema gehört, kommt eine Prinzessin vor, die drei Wunder-
niale am Körper trägt, einen Stern auf der Stirn, einen Mond auf der
Brust und eine Sonne auf dem Knie. In einem serbischen Märcheu der
Frau Mijatovics, s. Populär Tales, selected and translated, edited
with an introductiou by the Rev. W Deuten, London 1874. S. 173,
erscheint eine Prinzessin, die einen Stern am Halse und eine Sonne und
einen Mond am Busen hat, und in einem Zigeunermärcheu bei Miklosich,
Zigeunermärciien der Bukowina. No. 7, hat die Prinzessin, die die
Heldin der Geschichte ist, eine Sonne auf der Stirn, einen Mond auf dem
Busen uud einen Stern auf dem Rücken. Bei A. Afauasiefl'. Narodnija
Russkija Skazki, Moskau 1863, gebiert eine Prinzessin drei liebliche
r Derselbe begegnet in den NoMtjvtxä 'Avd^.e/jn, Atlien 1870, I, 1, No. 4. Dort
>\m\ die zur Welt gebrachten Kinder, die von blendender Scliöulieit sind, die Sonne, der
Mond und der Stern,
378 Prato:
Kinder mit bis zum Knie silbernen Beinen, mit. goldener Brust, mit einer
Stirn, die dem Monde gleicht, und mit sternenbedecktem Leibe. In einem
russischen Märchen, das in den Aimierkungen zu Buch 3. No. 6 und 13
derselben Sammlung- mitgeteilt ist, wird die Gemahlin eines Königs von
einem Knaben entbunden, dessen Arme bis zum Ellbogen und dessen
Beine bis zum Knie von Silber sind und der auf der Stirn eine Sonne
und auf dem Nacken einen Stern hat. In No. 7 des gleichen Buches der
genannten Sammlung bringt eine junge Königin zwei Kinder zur Welt,
von denen das eine, auf der Stirn einen Mond, das andere auf dem Nacken
einen Stern zeigt. Die böse Schwester der Königin scharrt die beiden
Kinder barbarischen Sinnes ein, aber ein goldenes und ein silbernes Reis
spriessen aus ihrem Grabe hervor.') In einem serbischen Märchen von
Wuk Stephanovich, das mit den oben angeführten nichts gemein hat. s.
in der Wiener Ausgabe (der dtsch. Übersetzung) S. 74. treffen wir ein
Kind mit goldenen Armen und goldenem Haar, und ibid. S. 128 ein
Mädchen mit einem Stern auf dem rechten Knie. Im Serbischen Jahr-
buch, 1872, Heft 114, S. 141 begegnen zwei goldene Knäblein. Man
darf hier auch an folgenden Passus aus der Apokalypse des St. Johannes
erinnern: Signum magnum apparuit in coelo. mnlier pulcherrima
iuter mulieres, amicta sole et Inna sub pedibus eius et in capite
eins Corona stellarum duodecim, sowie an die Nachahmung dieses
hübschen Bildes durch Petrarca im Eingang seiner Canzone an die Jung-
frau (s. Cauzoniere, Teil H, Ganz, 8):
Vergine bella che di sol vestita,
Coronata di stelle al somme Sole*^
Piacesti si che in te sua luce ascose . . .
Torquato Tasse sagt in seinem Befreiten Jerusalem. C. I, Oct. 2. V. 4
gleichfalls von der Jungfrau:
Hai di stelle imraortali am-ea eorona.
Für das im vorhergehenden behandelte, den Volksmärchen eiüentüm-
liehe Bild hat man auf die Vedamythen zurückzugehen (vgl. De Gubernatis.
Mythologie zoologique II, 33 u. 34). und zwar vergleiche man im
Rigveda, ou livre des hymnes, 1. 1, Hymnus 3') (An verschiedene
1) Eine Ziege frisst dieselben nnd zeugt darauf zwei Böcklein, von denen das eine
mit einem Monde auf dem Kopfe, das andere mit einem Stern am Halse geschmückt ist:
die gute rechtmässige Königin verzehrt sie uud gebiert aufs neue die erwähnten beiden
Kinder.
2) Nämlich Gott; auch in der 4. Str. spricht der Dichter so zur Jungfrau:
Tu partoristi il fönte di pietate,
E di giustizia il Sol che rasserena
II secol pien d'errori oscuri e folti.
3) Traduction du sanskrit par A. Langlois, 2' edition, augmentee d'un
index analytique par Ph. Ed Poucaux, Paris 1871, gr. S", zweispaltig, S. 6ä0.
Sonne, Moud und Sterne als Scliönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. S'O
(i Otter) den 7. Vers, welcher lautet: Ich flehe Savitri mit der goldenen
Hand (hiranyahasta) um Beistand für uus au. In der That istSavitri
oder Savitar der Gott mit den goldenen Augen (hiranyäkssha) und
den goldenen Händen (hiranyapäni, hiranyahasta). Die Hände und
Arme Savitris (d. i. des Sonnengottes) sind die Strahlen der Sonne.
Hierzu erzählt man folgende Legende: Bei einem Opfer versah Savitri das
Amt des Priesters. Als seine Gehilfen ihm eine Spende, präsitra genannt,
überreichten, zeigte sich die Hand des Priesters verstümmelt. Man machte
ihm aus Gold eine neue, die sich seinem Arme anfügte. Lauglois deutet
diese legendäre Begebenheit folgendermassen: Das grosse Opfer, das die
Sonne vollzieht, ist die Verrichtung, die sie in der Welt ausübt. Die
Spende (präsitra) ist die Wolke, die sich zwischen die Sonnenstrahlen
schiebt und sie verstümmelt. Die Sonne, dieser Haupt-papi (d. h. Trinker),
kann nicht umhin sich die goldenen Hände, die ihr für einen Augenblick
genommen worden, wieder anzueignen. In den slavischen Märchen, die
auf arische Quellen zurückweisen, wird die Sonne unter menschlicher
(Testalt mit goldenem Haar dargestellt, vergl. so das böhmische Volks-
märchen: Die drei Haare des Grossvaters Allwisseiid (Dede
Useved)'), das Emilio Teza auch ins Italienische übertragen hat. Wii-
sehen auch in den vedischen Traditionen Vadliriniati (d. i. das mit einem
Stumpf behaftete Weib) von den AqwIu (den indischen Dioskuren)
eine goldene Hand bekommen, ebenso wie in dem Volksmärchen von der
verfolgten Jungfrau das arme Mädchen, dem man die Hände verstümmelt
hat. Auch Indra, der Veda-Zeus, hatte eine Hand aus Gold^): „Hört üu'
das Lärmen jener Rosse? Indra ist es, der Donnergott mit der goldenen
Hand." Man sehe auch bei Glinski, a. a. 0. I, S. 43 die Erzählung von
dem Prinzen mit der goldenen Hand nach, die Alexander Chodzko
in seinen Contes des paysans et patres slaves, Paris, Hachette, 1864
französisch übertragen hat. J. W. Wolf hat in seinen Beiträgen zur
Deutchen Mythologie, Göttingen 1857, II, S. 127 zahlreiche Notizen
über die goldenen Kinder der Volksmärchen gesammelt. W. Schwartz^)
äussert einmal über dieses Motiv folgendes: „Nach der griechischen Mythe
war Asklepios als Kind vom Blitzglanz umflossen, glühte Achilles in der
1) In diesem Volksmärchen begegnet auch eine goldene Ente i^arauykacsa), auf
iler das Schloss der Fee Ilona ruht, das auf der 7(i. lusel des blauen Meeres gelegen
ist; aus Versehen ist sie dann anderswo in einen goldenen Truthahn (aranypulyka)
verwandelt worden, sodann in ein goldenes Hufeisen (aranypatkö ^, einen goldenen
Lappen (aranytörlö) und eine goldene Striegel (aranylovakard); aber das Hufeisen
wird weiter eine Bürste (lökefe) für Hufeisen,
2) Rigveda, B. III, S. 81 in der französischen Übersetzung von Langlois.
B) Die Poetischen Natnranschannngen der Griechen, Römer und
Deutschen in ihrer Beziehung zur Mythologie, B. I: Sonne, Mond u. Sterne
u. s. w., BerMn, Hertz, ls(i4, SS. 179, Ibl, 202, 235; vgl. die gelehrte Euüeitung von Prof.
A. Wesselofsky zur Novella della figlia del Re di Dacia, Pisa, Nistri, lö(i6, S. XXXI
u. Anm.
380 Pratn:
Wiege im Feuer uiul erglänzte bei des Apollo uiul der Athene (ieburt
alles von Gold: alle diese Sagen beziehen die Mythologen einstimmig auf
die Yorstellung von der Neugeburt der Sonne. Die goldenen Kinder der
Yolkssagen sind also nur ein blasser Nachklang jenes mythologischen
Typus von der Geburt des Sonnenwesens Sie haben goldenes Haar oder
irgend ein goldenes Abzeichen bei der Geburt, werden mit Goldregen
wunderbar überschüttet, und wenn uns dies schon an die analoge Yor-
stellung der Griechen von den im Gewitter neugeborenen Sonueukindern
erinnert, so ist besonders charakteristisch, trotz seiner christlichen Meta-
morphose, das Märchen vom Marienkind, welches stumm im Walde sitzt,
von seinem goldenem Haar bis zu den Fusszehen bedeckt, bis es der
Königssohn findet. Es ist die goldene Sonne in ihre Sonnenstrahlen
gehüllt, die im Wolkeuwalde sitzt, der Erlösung im Frühling harrend, wie
Dornröschen, Bruidiild und Menglöd."
Aus unseren Betrachtungen erhellt also, dass das Gold die sinnbildliche
Bezeichnung für die Sonne ist, wie das Silber diejenige für den Mond
bildet. So giebt denn in einem Märchen von Cougalo Pernandez Traueoso.
Contos do proveito e exemplo (Geschichten zu Nutz und Yorbild\ das
Adolpho Coelho, Contos populäres portuguezes, Lisboa, 187!). Ein!.
S. XVHI, mitteilt, eine Königin zweien Knaben, die schön wie Gold, und
ein-em Mädchen, das schön wie Silber ist. das Leben. In einem arabischen
^'olksmärchen. das aus Mardin in Mesopotamien stammt (s. Z. d. dtsch.
Morgenl. Gesellschaft 1882, S. "2d9), wird eine Königin von einem
Knäblein mit goldenem und silbernem Haar entbunden: in einer arabischen
Erzählung aus Tausend und eine Nacht (der Geschichte von den zwei
Schwestern, die auf ihre jüngere Schwester eifersüchtig sind)
gebiert die letztere, die des Sultans Gattin geworden, einen Prinzen, dessen
Haar auf der einen Seite aus Silber, auf der anderen aus Gold besteht:
wenn ei; weint, so sind die aus seinen Augen rinnenden Thränen ebenso-
viele Perlen, und jedesmal wenn er lacht, sclieinen seine roten Li])pen
eiue aufbrechende Roseukuospe (vielleicht eine Variation des in Geschichten
einer anderen Gattung nicht ungewöhnlichen Bildes, dass er jedesmal wenn
er lacht, Rosen aus dem Munde fallen lässt). In einem arabischen Yolks-
märchen. das man vor einiger Zeit in Ägypten entdeckte (vgl. für dasselbe
Spitta-Bey. Contes arabes modernes, Leyden 1883). gebiert ferner eine
Königin einen Knaben und ein Mädchen, die abwechselnd ein Gold- und
ein Hyacinthhaar haben: wenn sie weinen, so wecken sie den Donner,
lachen sie aber, so beginnen Sonui» und Mond zu scheinen.')
r Wir werden hier an einen bereits erwähnten Gedanken in einem Sonett Petrarcas
erinnert, wo er zum Preise seiner Laura sagt, der Himmel verfinstere sich und Stürme
brechen aus, sobald sie von dannen geht, bei ihrer Rückkehr aber kläre sich der Himmel
wieder auf und santtc Windstille ziehe wieder ein.
Sonne, Mnnrt und Sh'riu^ als Si-höiiheitssyiiilKiln in VolksmärcliPn iinfl -Liedi^n. 381
Der Hinweis auf den Mond, der besonders in den Volksmärchen
Asiens oft begegnet, zeigt uns deutlich, dass ausser der Sonne auch der
Mond, den die Orientalen sogar zu bevorzugen scheinen, als sehr häufiges
Bild zur Bezeichnung der Schönheit dient. Thatsächlich trägt denn auch
in der Geschichte von Aladin aus Tausend und eine Nacht eine
Prinzessin den arabischen Namen Bedr-oul-bou-dour (Vollmond der
Vollmonde)'), heisst ein König daselbst Qamar Ez-zeniän (Mond der
Epoche) und der Sohn eines Veziers Bedr-ed-din (Vollmond des
Glaubens). In der arabischen Erzählung Le roi Solaiman-Chah, ses
fils et sa niece') liest man folgenden Passus: Der Mörder stand still
und dachte nach, weil das Antlitz seines Neffen leuchtete wie der Mond.
In einem indischen Volksmärchen aus Bengalen von Maive Stokes,
s. Indian Fairy Tales, collected and trauslated, with notes by
Mary Stokes and an introduction by W. R. S. Ralston, London,
Ellis und White, 1880, No. 20, gebiert eine Königin einen Sohn mit einem
Monde auf der Stirn und einem Stern am Kinn; in demselben Werke,
No. 1, ist die Heldin des indischen Volksmärchens Phulmati Rani (oder
Königin Rosen-Stock), Tochter eines Rajah und einer Rani, so schön,
dass, wenn sie in ein stockfinsteres Zimmer tritt, dieses plötzlich bloss
ihrer Schönheit zufolge ganz hell wird. Über ihrem Haupte ist die Sonne,
auf jeder ihrer Hände ein Mond, und ihr Antlitz ist mit Sternen bedeckt.
Ihr Haujjthaar ist so lang, dass es bis zum Fussboden reicht^ , und es
schien wirklich aus lauterem Golde zu sein. In No. 10 derselben Sammlung,
Tlie Monkey Prince, bezaubert dieser Prinz, der Held des Märchens,
mit seinem goldenen Haar die, die ihn anschauen derart, dass sie vor
Staunen ohnmächtig werden; in demselben Märchen pflegt die Prinzessin
Jahuran, wenn sie sich unter ihrem Laubeugange zeigt, ihr langes
goldenes Haar zu lösen, das fast so schön wie das des vorher erwähnten
Prinzen ist. In No. 11 hat Sonahri Rani (d. i. goldene Königin)
goldenes Haar und goldene Zähne. In No. 15 gleicht das Haar von Jahur
Rani rotem Golde (der echten Farbe der Sonne). In einem (den An-
1) Vgl. ein analoges toskauisches Volkslied, in welchem es von einer schönen Frau
heisst: Ihr seid schöner als der Mond ist, wenn er als Vollmond emporsteigt.
2) Contcs arabes, Histoire des dix vizirs (Bakhtiar-Nameh), traduite
et annotee pai Rene Basset, Paris, E. Leroux, 1883, lOf Journee, 10= Histoire,
S. 135, und vgl. hierzu die Anm. ^i am Ende des Buches.
3) In einem sicilianischen Volkslied (s. S. Salomone-Marino, Canti popolari
siciliani, Palermo, Francesco (liliberti l«(i7, No. 37) heisst es V. li: Li trizzi cu 11 pedi
vi tirati; V. 4 hiess es bereits: Lu suli 'n testa pri (per) cruna (Corona) purtati Der
Vorzug dichtes, bis zu den Füssen wallendes Haar zu besitzen ist, wie Salomone-Marino
in einer Anmerkung äussert, in Italien fast allen Frauen auf dem Lande eigen, jenen
kecken Bäuerinnen, die dem guten Parini so sehr gefielen. In den Städten und zumal in
den besseren Familien ist eine Frau, die sich eines langen Zopfes rühmen könnte, nur
selten zu finden. Giulio Oarcaiio ergeht sich in der Angiola Maria, wenn ich nicht
irre, im Preise der vollen, langen Haarflechte der Bä,uerinnen.
3.S2 Prato:
merkuugeu zur 2. Nummer derselben Sammlung einverleibten) Märchen
erscheint der Prinz Dimä-ahmad, ein wahres Wunder von Schönheit:
auf seinem Haupte ruht die Sonne, auf seinem Antlitz strahlt der Mond,
seine Hände schmücken Sterne, und langes goldenes Haar trägt er; er
heiratet die Prinzessin Atäsa. die gleichfalls auf dem Haupte die Sonne,
im Antlitz den Mond und auf den Händen Sterne zeigt; ihr Haupthaar,
das aus reinem Golde ist, wallt bis zur Erde hernieder.^) In No. 13
ebendaselbst funkelt das Antlitz der Prinzessin Hirali wie ein Demant.
In No. 22 leuchtet Prinzessin Laban wie der Mond, ihre Schönheit ver-
wandelt Nacht in Tag; der König, ihr Vater, verbietet den ünterthanen
in seinem Lande irgend ein Licht anzuzünden^), da seine Tochter, wenn
die Abenddämmerung beginnt, sich auf das Dach seines Palastes setzt und
so strahlt, dass sie das ganze Land und alle Häuser erleuchtet, so dass
man vortrefflich im Innern eines jeden derselben zur Arbeit sehen kann,
gerade als sei es heller Tag. Bei Miss Frere, Old Deccan Days, 2. Aufl.,
London 1870, blendet der Leichnam des Prinzen, der an der Spitze einer
Lanze befestigt ist, dermassen die Zuschauer, dass sie ihn nicht ansehen
können. Panch Phul Rani, ibid. S. 14{t. strahlt im dunkeln Walde wie
ein Stern, so auch die Prinzessin in dem dunkeln Zimmer des Chundun
rajah. S. 229. In einem von Damant, s. Indian Antiquary vom Febr.
1875, B. I. S. 54, veröfientlichten Volksmärchen von Dinajpur erleuchtet
die Traumnymphe Tiiottama durch ihre Schönheit den ganzen Ort, wo
immer sie erscheinen mag; bei jedem Atemzuge, den sie im Schlafe thut,
zuckt eine Flamme, die einer Blume gleicht, aus ihrer Nase, und atmet
sie zurück, so verschwindet die Feuerblume wieder darin: ihre Schönheit
erleuchtet ihr Haus, als ob es unaufhörlich vor ihm blitzte. Man sehe
den Anhang A zu dem erwähnten Buche nach. Bei Naake. Slavonic
Fairy Tales. S. 96 findet man das bereits erwähnte Volksmärchen von
der Prinzessin Goldhaar. Allmorgentlieh beim Anbruch des Tages
kämmt sie sich die goldenen Locken, deren Glanz vom Meere und oben
von den Wolken zurückgesti-ahlt wird. S. 102. Wenn sie dann ruht, so
strahlt sie wie die aufgehende Sonne und fast blendet das strahlende Licht
ihres Körpers, Irik, S. 107. Die goldigen Kinder (s. Schott, Walachische
Märchen, Stuttgart und Tübingen 1845, S. 125) schimmern in den finsteren
Zimmern wie die Morgensonne im Mai. Ein von A. de Gubernatis, My-
1) Vielp Helden und Heldinnen in den europäischen Feenmärchen sind besonders
wegen ihres blendenden Goldhaares bemerkenswert: unter ihnen verdient die Prinzessin
(Joldhaar Erwähnung, deren Haar laut erklingt, wenn es zur Erde herabfällt, s. Naake,
Slavonic Fairy Tales, London 1874. S. 100.
"2") In einem neapolitanischen Volkslied finden wir folgenden analogen Gedanken mit
Beziehung auf eine Schöne:
Quando sse corca (si coricaX non ge vo'lumera (ci vuolc lume ,
Ra (da) l'aria re (le) cale lo sbiannore (splendore) ....
Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volksmärchen und -Liedern. 38H
thologie zoolo^iqui» (franz. Übersetzung) II, S. 32 erwähntes Kiud be-
steht ganz aus (iold, das mit Sternen besetzt ist und das Sonne und'Mond
bedecken. Man begegnet ihm in einem russischen Volksmärchen von
Afanasieft': wird sein Körper beim Hinreichen an seinen Vater entblösst,
so strahlt helles Licht*) in seinem ganzen Zimmer. Auf S. 60 ebendaselbst
citiert er ein anderes Märchen von Afanasieff, in welchem eine verfolgte
Prinzessin, die drei Kinder hat, jeden, der in ihrer Nähe ist, beleuchtet.
Thorpe sagt auf Grund der Skirnisför in seiner Northern Mythology I, S. 47
von der Gerd in Jötmiheim, dem schönen Rieseumädclien mit den grossen
schimmernden Armen, dass diese, wenn sie sie liob um die Thür zu öffnen, auf
Luft und Wasser solchen Glanz warfen, dass die ganze Welt hierdurch Licht
empfing. Der Eber Truith, der einstmals König gewesen, auf Veranlassung
seiner Söhne aber in einen Eber verwandelt word(>n war, liatte nach seinem
Sturze' noch etwas von seinem königlichen Glänze an sich, denn seine
Borsten schienen Silberfäden, und strich er durch Wälder und Ebenen,
so verriet der Glanz seiner Borsten stets seine Spur (s. Lady Cliarlotte
Guest, The Mabinogiou trauslated, 3 Bände, Llandovery 1849, Bd. II,
S. 310). Ebenda (Bd. III, S. 27!:)) kommt im Traum von Maxen Vledig
ein kleines Mädchen vor, das zu der Bemerkung veranlasst, es sei nicht
schwieriger in die vollstralilende Sonne zu sehen, als sie anzuschauen, des
Glanzes ihrer Schönheit wegen, und als in dem Märchen von dem Gold-
haar (s. Joseph Haltrich, Dentsclie Volksmärchen aus dem Sachsen-
lande in Siebenbürgen, Berlin 1856, S. 61) die Kappe des Helden zu
Boden fällt, zeigt er sich in dem vollen Glänze der goldenen Locken, die
sein Haupt umwallen, und glänzt wie die Sonne. In eit»em santhalischen
Volksmärchen, das vom Rev. F. T. Cole, Indiau Antiquary, Jan. 1875,
S. 10 veröffentlicht ist und den Titel Toria der Ziegenhirt und die
Tochter der Sonne führt, sind die Augen eines Bettlers von der be-
zaubernden Schönheit der Sonnentochter fast geblendet, gleich als ob er
ilie Sonne selbst geschaut. Die in der schon mehrmals citierten Sammlung
Indian Fairy Tales von Maive Stokes, SS. 1, 119 u. 253 beoeanende
sinnbildliehe Verwendung von Sonne, Mond und Sternen, die des Phul-
mati Rani, des Prinzen Dimä-ahmud und der Prinzessin Atdsa Haupt
und Körper zieren, erinnert daran, dass in dem ungarischen Volksmärchen
von den zwei Königskindern, s. G. Stier, Ungarische Märchen und
Sagen, Berlin 1850, S. 77, der Held eine Braut heimführt, die auf der
Stirn eine Sonne, auf der rechten Seite des Busens einen Mond und auf
der linken drei Sterne zeigt.
1) Asviatilo, wie das entsprechende russische Wort lautet: vgl. die schon erwähnte
slavische Wurzel swit, die gleichzeitig Licht, Heiligkeit und Welt ausdrückt.
(Fortsetzung folgt.)
384 Storck:
Spnicligedichte und Yolksbräuche aus der
Vorderschweiz.
Mitgeteilt von Karl Storck.
Südwestlicli von Basel erstreckt sich zwischen niederen Hügelketten,
nach Süden hin durch den einige hundert Meter hohen Blauen abgeschlossen,
das Birsigthal, ein gesegneter Landstrich. Ton einer wohlhabenden katho-
lischen Bevölkerung bewohnt. Manches Alte hat sich in den kleinen Ort-
schaften bis auf den heutigen Tag bewahrt; einiges dürfte auch allgemeineres
Interesse beanspruchen.
Dazu gehören vor allem einige Spruchgedichte, die ich in Ettiugen,
einem etwa 800 Einwohner zählenden Orte hörte. Zum Teil sind dieselben
auch schon in einer kleinen Schrift Paul Brodmanns: „Heimatkunde
Ettingens" mitgeteilt: da diese aber kaum über die nächste Umgebung
des Dörfleins hinausgedrungen ist, dürfte ihr Wieilerabdruck hier er-
wünscht sein.
Wenn wir dem Jahreslaufe folgen, haben wir zunächst ein längeres
Gedicht auf die heil, drei Könige.
Wie an vielen Orten gingen auch in Ettingen. allenliugs meist am
Vorabend vor Weihnachten, drei weissgekleidete Bur.schen umher, eine
goldene Krone auf ihrem Haupte, — die heiligen drei Könige. Sie zogen
von Haus zu Haus und sprachen folgendes Gedicht:
Hört zu, ihr Christen allgemein,
Die Gnad' zu referieren. ')
Hört zu, was ich euch zeigen will,
Ein kleines Spiel zu führen.
Wir allesammen sind geneigt,
Um Audienz zu bitten.
Höret zu, was grosse Freud"
Bei dieser kalten Winterszeit
Von einem Stern aus Morgenland,
Den wir haben gesehen,
Ist uns Juden (?) (Heiden?) anbekannt. ■■^)
Dabei wir wohl verstehen.
Dass uns ein Kind geboren ist
Von einer Jungfrau klar.
Drum freuet euch zu dieser Frist
Weil dies der Heiland war.
Wir trösten uns in gnädger Gunst
Und fangen in Gottes Namen an.
Bis hierher wurde gesprochen, das folgende Lied aber gesungen:
V, d. h. gebt mir die Gnade, gewährt mir, eiuh referieren zu dürfen.
2} ankennen = ankündigen.
Sfinichgedichtf und Volksbräuchi' aus iler Vorderschweiz. 385
I. II.
Wo mitz (mitten) in der Naciit Diu Hirten im Vc\ (Feld),
Die Hirten aufwacht'), Sie laufen so schnell.
Die himmlischen Stimmen Sie rennen und laufen.
Das Gloria sinken. Mag's keiner verschnaufen.
Die englische Schaar, — Der Hirt und sein Bue (Bub')
Geboren Gott war. Dem Krippelein zue.
ni. IV.
Gott Vater, schau an, Gott Vater schau bald.
Was finden wir dann. Wie ist es so kalt;
Ein herzigs schön Kindlein Möcht' einer verfriereii.
In schneeweissen Windlein, Sein Loben verlieren.
Wohl zwischen zwei Tier Ach wie geht doch der Wind-'),
Ochs und Eselein hier. Wie trauert^) das Kind.
V.
Gott Vater erbarm".
Wie sind wir so arm!
Wii- haben kein Pfannlein,
Zu kochen dem Kindlein,
Kein Mehl und kein Salz,
Kein Brot und kein Schmalz.
Diese Klage wird auch verstanden, und die Hausfrau bringt den
Siingern allerlei Speisen oder findet sie mit Geld ab.
Die Melodie des Liedes konnte mir niemand mitteilen, da der Brauch
schon seit Jahren ausser Übung ist. Die Sprache ist. wie bei allen ernsten
(ielegenlieiten, der Schi'iftsprache genähert. —
Wie in allen katholischen Gegenden ist die Fastenzeit besonders reich
an Gebräuchen.
Zuerst kam die sogenannte Herrenfastnacht.
Am Fastnachtsmontag versammelten sich alle „Knaben", d. h. Jüng-
linge, welche „ein Mädchen haben", holten ihre Geliebten und gingen
Paar an Paar zur Kirche, wo eine Messe für sie gelesen wurde. Während
derselben war Oiifergang, wol)ei das älteste Paar den Vortritt hatte.
Nachmittags folgte man dann der Musik auf den Tanzboden, wo liis
Mittwoch früh durchgetanzt wurde. Die Mahlzeiten fanden jeweils um
Mitternacht statt. Am Mittwoch Morgen führte nun jeder Knabe sein
Mädchen nach Hause und war für diesen Mittag ihr Gast.
Nachmittags aber wurde von den Knaben die Fastnacht für dieses
Jahr begraben. Eine grosse Puppe wurde mit bimten Lappen behangen,
im Dorfe herumgeführt und endlich in irgend einer Ecke verscharrt.
1) Der Anfang' ist verderbt, vgl. das Weihnachtlied bei L. Tcibler, Schweizerische
Volkslieder I, 74: In Mitten der Nacht, | Ihr Hirten gebt acht.
■2) Wie kalt geht der Wind.
;'.; Mich dauert, Tobler a. a. 0., S. 75.
386 Storck:
Dabei wurde eine grosse „Kruse" (Krug) voll des trefPlichen Rotweins,
der auf den umliegemleu Hügeln gedeiht, niitgeführt. aus der jeder, der
dem Zug begegnete, trinken musste.
Jetzt kam endlich der Ernst der Fastenzeit zur- Geltung.
Nur noch eine kleine Nachfeier wurde am folgenden Sonntag, der
sogenannten „alten Fastnacht" abgehalten, indem dann die Knaben bei
ihren Mädchen sich die „Pastnachtsküchlein" holten, wobei auch der Spruch
„liquidum non frangit ieiunium" nicht vergessen wurde.
An diesem Abend wurden auch die Fastnachtsfeuer angezinidet.
Es waren deren zwei auf verschiedenen Plätzen, eines für die Männei-,
das andere für die Frauen. Während das der Frauen auf freiem Felde
aufgeschichtet war. bildete den Grundstock für das der Jlänner eine Tanne,
auf deren Aste Stroh gehäuft wurde, zu oberst aber waren die alten Körbe
und das unbrauchbar gewordene Pferdegeschirr befestigt. Vor dem An-
zünden wurde noch gemeinschaftlich der Rosenkranz gebetet. Dann aber
loderten die Flammen auf. um die Junge und Alte tanzten und Scheiben
warfen. Aber man verfehlte auch nicht darauf zu achten, woher der Wind
wehte, denn daher kamen im darauf folgenden Sommer die Gewitter. Die
Tanne, die natürlich abstand, erhielt der jüngste Ehemann, der dafür als
Gegenleistung bei den Bittgängen die Kirchenfahne tragen musste.
Nun begab man sich prozessionsweise, brennende Fackeln in der Hand,
nach dem Orte, wo der Holzhaufen der Frauen aufgescheitet war.
War auch dieser von den Flammen verzehrt, machte mau sich nach
dem Wirtshause auf, um die „Fastnachtsküchli" zu verzehren und sich an
einem Tänzlein zu erfreuen.
Jetzt aber war alles ruhig, nur für die Kinder gab es noch ein Fest
„Mittelfasten". Noch heute wird der vierte Sonntag in der Fastenzeit fast
als Freudenfest selbst in den Kirchen oefeiert.
Au diesem Tage nun ziehen noch heute') die Kinder in zwei Ab-
teilungen, Knaben und Mädchen, von Haus zu Haus, um Eier, Mehl und
dergleichen zu erbetteln. Die Knaben haben dabei ein Sprüchlein:
Stiü'et, stüret-) em o alte Mieschma'):
Hingerem Bütteneloch ') e Hus ^) gha.
Siebe Johr im Chömi'^) ghonge,
Erst nachte') abegfalle,
Bolle. Bolle, so ehalt").
1) Heute thim es nur die aimen Kinder, früher aber war es allgemein. 2) Steuert
- gebet. 3) Moosmann. Ein Mann, der so arm ist. dass er nur Moos zu seiner Be-
kleidung hat. 4 Bütteneloch ist eine wilde Kluft bei Ettingen. Hinter derselben ist fiü-
kein Haus Platz; wer also dort sein Haus liegen hat, besitzt eben kemes. — [In Basel
ist der Führer der Fastnaehtknaben verlarvt, Temiumnit und mit einem Schellengm-t
umgürtet, er heisst Huzgür (ungeheuer': Seiler, Basler Mundart, S. ISii.] 5) Haus.
6) Kamin. 7) Nächten, letzte Nacht. S^ kalt.
Spruchgedichte und Volksbräuche aus der Vorderschweiz. 387
Will die Hausfrau keine Eier herausgeben, so folgt die Verwünschung:
Wenn d'r nüt weit') ghä,
Muess ech der Iltis d'Hühner näh
Met samt em Giggel-).
Das Lied der Mädchen hat folgenden Wortlaut:
Hut') esch Mettelfaste,
Mer trete in die Lache'').
Drü ^) roti Röseli vor em grünere Wald ! ")
Mer sehn's an de Wulche '),
d'Frau het noni") g'mulchc.
Drü roti Röseli etc.
Mer sehn's an de Sterne,
d'Frau get is Kerne''). —
Mer höre s'Hühnli singe,
d'Frau will es Uli bringe. —
Mer höre d'Frau ins Chämerli goh;
Sie will is Nüssli abeloh.
Drü roti Röseli vor em grünere Wald.
Helandüois'")! Hut über drei Woche esse mer Eier un Fleisch")!
Von den erlialtenen Gaben backt dann irgend eine Frau den Kindern
einen grossen „Eierdotsch" (Eierkuchen). Es folgt Ostern. Das Eier-
lanfon'^) ist schon lange abgestellt, weil sich der Läufer einmal eineii
Blutsturz holte.
Dagegen wird nocli heute, wenn auch in geringerem Umfange das
Werfen des Osterkügelchens geübt.
Am Ostersonutag Nachmittag nach der Vesper Tersammelu sich die
Jünglinge des Dorfes auf den unterhalb desselben gelegenen Wiesen. Sie
Co o o
werden in zwei Haufen geteilt, welche einander eine kleine Kugel zu-
werfen. Diejenige Partei, welche sie am weitesten werfen kann, bezw.
die andere am meisten zurücktreibt, hat gewonnen imd muss bei dem
darauf folgenden Trünke von den Gegnern frei gehalten werden.
Der sogenannte „Pfingstblütter" besteht darin, dass die Knaben
scharenweise in den Wald gehen und dort einen von sich mit grünen
Reisern vollständig bedecken. Derselbe wird dann durch das Dorf gejagt
und schliesslich in den durch dasselbe fliessenden Bach geworfen. —
1) wollt. 2) Hahn. 3) heute. 4) Der Vers ist wohl korrumpiert. In der benach-
barten Ortschaft Bliiucn lautet er: Mer trete nf di Gasse. 5) drei. (i) Der Vers kehrt
als Refrain nach je zwei Versen wieder. Wähi-end dic^ beiden wechselnden Verse recto
tono recitiert werden, geht es bei „drü" eine Terz in die Höhe, und der Refrain ist, wenn
auch nur einfach, moduliert. — [Die Verse „Mer sehns — gniulche" kommen auch sonst
vor, so mit gebotener Änderung in einem sclilesischen Liedchen: Weiuhold, Beiti'äge z. e.
schles. Wörterbuche 108*.] 7) Wolken. 8) noch nicht. Vt) giebt uns Bohnen. 10) Heiland
eleis - Kyrie (deison. LI) Auch dieser Vers wird .gesungen. 12) Vgl. unsere Zeit-
schrift III, 17.
Zeitscbr. d. Vereins I. Volkskunde, isa.i. 27
388 Storck:
Es kommt der Wiuter, uud mit ihm die Zeit, in der ilie wohl-
habenderen Bauern schlachten. Das "Wurst mahl wird noch heute mit
Freunden uud Bekannten gefeiert, aucli erhält jetzt noch der Pfarrer oder
Lehrer seine „Wurschtete", aus einigen Würsten und besseren Stücken
Fleisches bestehend.
Dagegegen ist es nicht mehr in der Übung, dass die Armeu kommen
und „das Würstlein singen"^), was frülier mit folgendem Liede geschah:
Wurst heraus! Wurst heraus!
Glück und Heil in diesem Haus!^)
d'Sau, die hat') a grosse Chopf:
Das get de Jude ne Opferstock. —
d'Sau, die hat e grossi Schnure,
Gänt^) mer e Stück vo hingedure^). —
d'Sau, die hat so grossi Ohre,
d'Jude seil der Teufel hole. —
d'Sau, die hat e lange Hals,
Giint mer e Stück und 's Anger '^) all's! —
d'Sau, die hat so grossi Site')
Gänt mer e Stück, so chani') witer. —
d'Sau, die hat e grosse Mage,
Gent mer, was i cha vertrage. —
d'Sau, die hat so dicki Darm,
Machet ke so grüssli*) Glärm! —
d'Sau, die hat so grossi Füess,
0 wie sin die Schnitz '") so süess. —
Un, Jumpfere mit em rote Rock,
Loset, wie das Surchrut chochti") —
d'Sau, die hat so dicki Knie,
Gänt mer e bezli vom rote Wi!'*) —
d'Sau, die hat so grossi Chleue'^),
Loset, wie die Chatze maue. —
d'Sau, die hat e chrumm Bei,
Gäut mer e Wurst, so chan i hei. —
d'Sau, die iiiit e lange Schwanz
Get der Jüdene e Hochzitclu-anz.
Wurst heraus! Wurst heraus!
Glück und Heil in diesem Haus!
1) Vgl. dazu L. Tobler, Schweizerische Volkslieder I, S. CXLIO, 207. U, S. 238.
2) Dieser Refrain wird nach je zwei Versen wiederholt Er ist in der Schriftsprache (bis
auf das ^in" statt .für"), während alles andere im Dialekt abgefasst ist. 3) hat = hat.
4) Gebt. 5) Von hinten diu-ch. Also dem besten Teil des Schweines. 6) Das Andere.
7) Seiten. 8) kann icli. 9) grussliches — stark. Macht keinen so starken Lärm.
10) gedörrtes Obst. 11) Horchet wie das Sauerkraut kocht. 12) Gebt mu ein bischen
roten Wein. 13) Klauen.
Spruchgedichte und Volksbräuche aus der Vorderschweiz. 389
Noch seien einige Gebräuche bei Hochzeit und Taufe erwähnt.
Gleich beim Abholen der Braut haben wir eine eigentümliche Sitte.
Der Bräutigam durfte das Haus nicht selbst betreten, an seiner Stelle ging
der Brautführer, „Vorknab" genannt, hinein. Der brachte aber nicht gleich
die rechte heraus, sondern etwa ein Kind oder mit Vorliebe eine alte,
hässliche Person, die natürlich unter Gelächter zurückgewiesen wurde. ^)
Kam dann die Rechte „tief gerührt" heraus, so spielte der Geiger unter
dem Gesänge der Gäste die übermütige Weise: „Magst weinen wie du
willst, hilft alles nichts, musst dennoch mit. Hast dir die Rute selbst auf
den Rücken bunden. Hilft alles nichts; magst weinen wie du willst."
Der fremde Bursche, der sich eine Braut aus dem Dorfe holt, hat
zuerst noch eine andere, oft sehr kostspielige Sitte zu bestehen, das
Spannen, das darin besteht, dass die Burschen an irgend einer Stelle
dem Gefährte, welches das Brautpaar fortführt, auflauern, dem Pferde in
die Zügel fallen und mit Bändern den Weg sperren. Hierauf hält einer,
in besondere Uniform gekleidet, der Braut eine Rede. Dann hält er einen
Toller vor, auf dem sich Geld, meist Goldstücke befinden, deren Betrag
der Bräutigam verdoppeln muss. Ist das geschehen, wird gemeinschaftlich
eine Flasche Rotwein auf das Wohl des Brautpaares geleert.
Kam nun das Brautpaar aus der Kirclie und war vor dem Eingang in
das neue Heim angelangt, so warf die Braut über ihren Kopf unter die
Nachfolgenden den sogenannten Brautweckeu^). Wer ihn auffing, verteilte
ihn unter die sich streitende Jugend. Die Balgerei wurde natürlich noch
eine grössere, wenn die Braut Zuckererbsen oder gar Scheidemünze unter
die Kinder warf.
Noch erwähne ich den Vortanz, der nach dem Hochzeitsmahle im
Freien abgehalten wurde. In die Mitte des Hofraums wurde ein Stuhl
hingestellt, auf den sich der Geiger setzte. Den Reigen eröffnete der
„Vorknab" mit der „Vorbraut", dann folgte das Brautpaar, endlich die
übrigen Gäste. Die Männer trugen dabei weite schwarze Mäntel. Nach
vollendetem Vortanze, der etwa eine Stunde dauerte, nahm der Bräutigam
lue Braut unter den Mantel und führte sie so, von den Übrigen gefolgt,
auf den eigentlichen Tanzboden.
Schon lange nicht mehr geübt sind zwei Bräuche bei der Taufe, das
Schlottern und das Witz'gen = Witzigmachen.
Ersteres bestand darin, dass am Sonntage nach der Taufe des neuen
Weltbürgers die Patin denselben nach der Kirche brachte und ihn nach
der Opferung, gefolgt von allen anwesenden Jimgfrauen, um den Altar
trug: „Schlottern" also wohl von dem langsamen, schlotternden Gange
genannt.
1) Weinhold, die deutscheu Frauen im Mittelalter 1", 385.
2) Vgl. das niederösterreichische Baugwerfen, unsere Zeitschrift IV, 215.
27*
ßQQ Klemm :
Das Witzigmachen hoffte man dadurcli zu erreichen, dass die Patin
nochmals nach der Kommunion den Täufling zum Altare brachte, wo nun
der Priester ihm ein Tröpflein der Ablutio zu trinken gab und mit der
Patena seine Stirn berührte.
Zum Schlüsse sei auch noch eines alten Rechtbrauches gedacht, der
noch 1784 durch bischöfliche Verordnung neu cingeschäi'ft wurde, — das
Beschauen des Etters. Etter ist die durch eine Hecke bezeichuote
Dorfgrenze, ausserhalb deren nicht gebaut werden durfte, im weiteren
Sinne dann auch die Banngrenze. Jährlich wurde nun durch die Feld-
gerichte oder Gescheide der Etter besichtigt, um zu sehen, ob noch alles
in Ordnung sei. Dabei wurden die Knaben mitgenommen, damit auch
sie „von den bezüglichen Rechton und Gerechtsamen Erfahrung erwürben".
Es wird erzählt, dass Ettingens Gemeindeväter als das erfolgreichste
Mittel, der Jugend Gedächtnis zu schärfen, ansahen, bei jedem Bannsteine
jedem Jungen eine tüchtige Ohi'feigo zu geben, dass er der Stelle sich
wohl erinnere.
Nachher wurde der Schmerz und die Arbeit bei einem Gemeiudo-
schoppen vertrunken.
Die meisten dieser Gebräuche sind heute geschwunden, und die noch
bestehenden hat unsere, das Charakteristische verwischende Zeit ab-
geschwäclit.
Suuubai Dscliai.
Ein A s eil e 71 b r '6 d e 1 m ä r (• 1 1 e n .
Mitgeteilt von Kurt Klemm.
Seit Jahren erfreut eine Parsidame Putlibai D. H. Wadia, nunmeJu-
Frau P. J. Kabraji. die Leser des Indian Anticjuary mit anziehenden Bei-
trägen zur Volkskunde von Gudscharät. Einer derselben berührt sich so
nahe mit einem unserer bekanntesten Volksmärchen, dass wir uns nicht
versagen können, darauf näher einzugehen.
Den indischen Verhältnissen entsprechend, vertreten hier die älteren
Schwägerinnen die Stelle der Stiefmutter, deren Begriff in Indien bekanntlich
wenig entwickelt ist. Zwar ist unsere Stiefmutter auch dem Inder nicht
unbekannt, sie spielt aber lange nicht die hervorragende Rolle wie bei
uns. Wenn das Petersburger Wörterbuch vimätar mit „Stiefmutter" über-
setzt, so ist jene deutsche Wiedergabe doch nur ein Notbehelf, weil uns
das Wort für den damit o'emeinten Begriff fehlt. Der eigentlichen Be-
deutunu- näher kommen würde etwa „Nebenmutter", insofern vimätar die-
Sunäbai Dschai. 391
jenige Frau ist, welche uicht die leibliche Mutter der Kinder ihres Mannes
ist, zu denen sie in Beziehung gesetzt wird. Sie als Stiefmutter, zu be-
zeichnen, geht nicht an, da die leibliche Mutter noch am Leben sein kann.
Erst wenn ihre Nebenbuhlerin gestorben ist, würde ihr jene Benennung
zukommen. Sind aber die Eltern gestorben, so bleibt die Familie ungeteilt
als sogenannte Hauskommnnion beisammen, und die Frauen der Söhne
übernehmen das Regiment im Hause, dem auch die unverheirateten Töchter
der Familie unterworfen sind.
In eine Hauskommunion dieser Art führt uns nun das nachstehende
Märchen ein, das sich im Indian Antiquary XV, 365 — 368 findet.')
„Es war einmal ein reicher Kaufmann Dantä Seth, der hatte sieben
Söhne aber keine Tochter. Da betete er und sein Weib unaufhörlich,
Gott möge ihnen ein Mädchen schenken. Endlich wurde ihr Gebet erhört
und ihnen ein Töchterchen geboren. Sie waren darüber so erfreut ''), dass
sie ein grosses Fest veranstalteten, bei dem sie grosse Summen unter die
Brahmanen als Almosen verteilten. Von da ab schwenkte jeden Morgen
die Mutter eine Perlenschnur über dem Haupt des kleinen Mädchens und
gab sie dann den Armen").
Auch eine goldene Schaukel Hessen die Eltern für iln- Kind anfertigen,
welche ihre sieben Schwägerinnen beständig in Bewegung halten mussten.
So wuchs Sunäbai Dschai, so hiess das Mädchen, in Glück und Wohlstand
auf, verzärtelt von den Freunden und Verwandten ihrer Eltern. Aber acli!
nicht lange sollte das Glück währen. Noch ehe sie sieben oder acht Jahre
alt war, starben ihre Eltern und hinterliessen sie der Hut ihrer sieben .
Brüder und deren Frauen. Sogleich änderte sich das Benehmen der
Letzteren gegen sie, und die Frauen, welche zu Lebzeiten der Eltern in
Liebesbezeugungen gegen ihre kleine Schwägerin gewetteifert hatten,
weigerten sieh nun nicht nur geradezu, sie noch zu schaukeln oder ihr
sonst einen Dienst zu erweisen, sondern jagten sie nur zu oft aus der
Schaukel und nötigten sie die Arbeiten des Haushaltes zu verrichten.
Nicht lange nachdem die alten Eltern zur Ruhe eingegangen waren,
dachten die jungen Männer, ihre Söhne, daran, in ferne Länder zu gehen,
lim Handel zu treiben. So segelten . sie denn in einem Schiff davon und
überliessen Sunäbai Dschai der Gnade ihrer Frauen. Doch bevor sie
1) Ein anderes, aucli zur Aschüiibrödelfamilie gehöriges indisches Märchen, Bäpkhädi,
ist im 20. Bande des Indian Antiquary (April 18'il) S. 142—147 mitgeteilt, vgl. Cinderella
Ijy Mar. Roalfe Cox. I.ondon 1893. S. 260 ff.
2) Man beachte, dass die Geburt einer Tochter sonst in Indien nicht freudig be-
grüsst wird.
3) Weil man glaubt, dass Gegenstände wie Reis, Kokosnüsse, Zucker, Betelnüsse,
dürre Datteln, die über jemandes Kopf geschwungen und daim weggeworfen oder ver-
schenkt werden, alles Unglück wegnehmen, welches der betreflenden Person bevorstehon
könnte. Zu demselben Zweck schwingen reiche Leute kostbare Gegenstände, wie Perlcn-
schnüi-e, über den Köpfen ihrer Kinder.
392 Klemm:
Al)schioil nahmen, enipfahleu sie das kleine Mädclien ihrer Obhut und
schäi'ften ihnen ein, dass sie es ihrer Schwester an nichts fehlen lassen
sollten, solange sie abwesend seien. Kaum aber hatten sie den Rücken
gewendet und das Kind der Gewalt seiner Schwägerinnen überlassen, als
diese ihm alle Arbeit im Hause aufbürdeten, die sie selbst zu Lebzeiten ihrer
Schwiegermutter hatten verrichten müssen. Nicht zufrieden damit, schlugen
und schalten sie es oft, und bald machten sie ihm das Leben so schwer,
wie nur möglich.
Eines Tages befahl ihr eine ihrer Schwägerinnen in den Wald zu
gehen und trockenes Brennholz zu holen. Als sich das Mädchen nun nach
einem Strick umschaute, um damit das Bündel zu schnüren, liessen sie das
nicht zu und fuhren auf sie los. „Dass du nicht das Holz zusammen-
bindest!" sagten sie, „aber nimm dich in acht, dass du nicht weniger
bringst, als wir, da wir dich in deiner goldenen Schaukel schwingen
mussten."
So ging das arme Mädchen ohne Strick, und als es eine grosse Menge
Reisig gesammelt hatte, fand es, dass es kaum drei oder vier Reiser auf
einmal auf dem Kopfe tragen konnte, ohne dass sie zusammengebunden
waren. Da setzte sich das arme Kind nieder und fing au zu weinen.
Darauf ki'och eine grosse Schlange aus ihrem Loche und sagte zu ihr:
„Nun, Sunäbai Dschai, warum weinest du?"
Darauf erwiderte das kleine Mädchen:
„Vater hatte sieben Söhne und danach Sunäbai Dschai,
Jeden Morgen schwang die Mutter Perlenschnüre über ihr;
Aber nun die sieben Brüder sind gegangen über See,
Einsam bei den Schwägerinnen blieb, gehasst, Sunäbai Dschai."
„Und", fuhr sie fort, „sie haben mich geheissen Brennholz zu liolen,
haben mir aber keinen Strick gegeben die Stecken zusammenzubinden,
und nun sehe ich, dass ich nicht mehr als zwei oder drei Reiser auf
einmal auf dem Kopfe tragen kann, und doch haben sie mir befohlen, ein
grosses Bündel heimzubringen."
Die Schlange fühlte Mitleid mit ihr und sprach: „Sei getrost, gute
Sunäbai Dschai, sogleich will ich deine Sorge beseitigen. Sieh hier; ich
werde mich meiner ganzen Länge nach auf dem Boden ausstrecken, dann
musst du deine Stecken mitten auf meinen Körper legen; hast du hernach
so viel aufgehäuft, als du zu tragen vermagst, so werde ich mich wie ein
Sti'ick darum winden, und so wirst du imstande sein, das Bündel leicht
zu tragen."
Sunäbai Dschai bedankte sich bei der Schlange, die sich bald um die
Stecken wand, welche auf ihren Körper gehäuft waren, und das kleine
Mädchen ging mit dem Bündel auf dem Kopfe heim. Als sie das Bündel
auf dem Hofe zu Boden warf, kamen alle sieben Schwägerinnen aus dem
Sunäbai Dschai. 393
Hause gelaufen, um sie zu sclielten, weil sie luir ein paar Reiser aus dem
"Walde gebracht hätte. Aber wie erstaunt waren sie, als sie ein so grosses
Bündel erblickten, wie kaum eine von ihnen tragen konnte. Sie waren
stumm vor Erstaunen und konnten um ihr Leben nicht begreifen, wie das
kleine Kind so viele Stecken auf seinem Kopfe hatte tragen können, ohne
sie zusammenzubinden; denn die Schlange war davon geschlichen, ehe sie
ihrer ansiclitig werden konnten.
Ärgerlich darüber beschlossen die Schwägerinnen, sie strengeren
Prüfungen zu unterwerfen. So beschmierte eines Tages eine jener würdigen
Damen ein grosses schweres Polster mit geschmolzener Butter uud Ol.
Darauf befahl sie Sunäbai Dschai, ans Meeresufer zu gehen und es sauber zu
waschen, fest davon überzeugt, dass sie bei solchem Versuch entweder
ertrinken oder, wenn sie heimkehrte, eine tüchtige Tracht Prügel ein-
heimsen werde. Die arme Sunäbai Dschai zog das Polster zum Gestade,
setzte sich dort auf einen Stein und fing an zu weinen, angesichts der
völligen Unmöglichkeit, einen so schmutzigen, öligen und schweren Gegen-
stand mit einer Hand und ohne Seife oder dergleichen zu waschen. Doch
machte sie sich nach einiger Zeit an die Arbeit; aber obgleich sie all ihre
Kraft anstrengte, bis sie beinahe ganz erschöpft war, so blieb doch das
Polster so schmutzig wie zuvor. Da setzte sie sich denn enttäuscht wieder
nieder und weinte bitterlicher als je zuvor.
Niemand befand sich in ihrer Nähe ausser einigen Kranichen, die, die
ganze Zeit über, das arme Mädchen beobachtet hatten. Als sie ihr Weinen
hörten, flogen sie alle zu ilir, und einer von ihnen fragte sie, warum sie
weine. Sunäbai Dschai antwortete:
„Vater hatte sieben Söhne und danach Sunäbai Dschai,
Jeden Morgen schwang die Mutter Perlenschnüre über ihr;
Aber nun die sieben Brüder sind gegangen über See,
Einsam bei den Schwägerinnen blieb, gehasst, Sunäbai Dschai."
Darauf erzählte sie ihnen, wie die Schwägerinnen sie geschickt hätten,
das schmutzige Polster auszuwaschen.
„Ist das Alles?" sagte der Kranich, welcher das Wort führte, „dann
trockne deine Thräuen, wir werden es dir im Nu waschen."
Sunäbai Dschai war einverstanden, und sogleich machten sich die
Kraniche an die Arbeit, indem sie mit den Flügeln vorwärts und rückwärts
schlugen und das Polster dann und wann ins Wasser tauchten, bis sie es
in kurzer Zeit so weiss gemacht hatten, wie ihr eigenes Gefieder. Sunäbai
Dschai war ihnen dafür sehr dankbar, und trug das Polster im Triumph
heim zu ihren Schwägerinnen.
Die waren sehr ärgerlich darüber, dass Sunäbai Dschai gesund heim-
sekehrt war und noch dazu das Polster rein und weiss über Erwarten
zurückgebracht hatte. Sie sagten jedoch nichts, aber in ihrem Innern
394 Klemm:
schworen sie ihr noch grösseres Ungemach zu, um zu erproben, ob sie
auch dieses überwinden werde. So mischten sie nach einigen Tagen eiuon
Sclieffel Reis und einen Scheffel Gerste unter t'lnauder, und befahlen ihr,
auf den Hof zu gehen und die Körner aus einander zu lesen.
„Nimm dich in acht", sagten sie, „dass du nicht ein einziges Körnchen
verlierst, denn wir haben sie alle gezählt!"
Das arme Mädchen trug die Mischung auf den Hof, wie ihr befohlen
war, und setzte sich an die Arbeit. Aber sie wusste nicht, wie sie es
anfangen sollte, so viele kleine Körner richtig zu scheiden. Da fing sie
an zu weinen und weinte, bis selbst die Sperlinge auf den hohen Bäumen
im Hof von ihren Thränen gerührt wurden, und zu ihr herab kamen, um
nach der Ursache ihres Kummers zu fragen Darauf wiederholte Sunäbai
Dschai ihr Verschen:
„Vater hatte sieben Söhne und danach Sunäbai Dschai,
Jeden Morgen schwang die Mutter Perlenschnüre über ihr;
Aber nun die sieben Brüder sind gegangen über See,
Einsam bei den Schwägerinnen blieb, gehasst, Sunäbai Dschai."
Und sie berichtete, was ihr die Schwägerinneu aufgetragen hatten.
Sogleich machte sich eine grosse Schaar Sperlinge an die Arbeit, sonderte
mit ihreu Schnäbeln den Reis von der Gerste, und in kurzer Zeit war
jede Sorte auf einen grossen Haufen zusammengetragen. Erfreut trug
Sunäbai Dschai das ausgelesene Getreide ins Haus. Die Schwägerinnen
trauten kaum ihi-en Augen, so erstaunt waren sie, als sie die Arbeit so
rasch vollendet sahen. Doch eine von ihnen stellte sich, als ob sie die
Körner zähle und sagte:
„Halt, halt! So also, Sunäbai Dschai, verrichtest du deine Arbeit?
An dem Reis fehlt ja ein Koi-n, wie erklärst du das? Augenblicklich
hole es herbei, oder du bekommst tüchtige Prügel!"
Das arme Kind ging wieder auf den Hof und suchte nach dem Reis-
körnchen mit thränengefüllten Augen, als sie einen Sperling ins Haus
fliegen sah. Sie folgte ihm, und zum Erstaunen aller Hess der Vogel ein
Reiskorn auf den Haufen fallen und flog davon.
Darauf wurden die Frauen noch mehr erzürnt gegen i das arme Kind
und überlegten, wie sie es am sichersten verderben könnten. Deshalb
befahlen sie ihr eines Tages in den Wald zu gehen und Tigermilch für
sie zu holen, fest davon überzeugt, dass sie bei solchem Versuch ihr Leben
lassen werde. Klein Sunäbai Dschai ahnte nichts von der Gefahr eines
solchen Auftrages und wanderte furchtlos hierhin und <Iorthin, um eine
Tigerin zu suchen, fand aber zu ihrem Glück keine. So sank sie endlicli
müde und matt im Dickicht zu Boden und fing an zu weinen, als plötzlich
eine Tigerin aus dem Busch sprang und zu ihr sagte:
„Nun, Sunäbai Dschai, was thust du hier und warum weinst tlu so?"
Sunäbai Dschai. 395
Da erzählte Sunäbai Dschai ihre Geschichte in folgenden Worten:
„Vater hatte sieben Söhne unti danach Sunäbai Dschai,
Jeden Morgen schwang die Mutter Perlenschnüre über ihr;
Aber nun die sieben Brüder sind gegangen über See,
Einsam bei den Schwägerinnen blieb, gehasst, Sunäbai Dschai."
„Meine Schwägerinnen", fuhr sie fort, „haben mich ausgeschickt,
Tigermilch zu liolen, aber ich weiss wirklich nicht, woher ich sie be-
kommen soll."
Da hatte die Tigerin Mitleid mit ihr und gab ihr von ihrer Milch,
die das Mädchen in der Gelte heimtrug, welche es zu dem Zweck mit-
genommen hatte.
Gross war das Erstaunen und die Enttäuschung der sieben Frauen,
als sie Sunäbai Dschai wieder unverletzt zurückkehren sahen, und als sie
dann den Eimer mit der Tigermilch vor sie hinsetzte, kannte ihr Er-
staunen keine Grenzen. Jetzt sahen sie deutlich, dass sie unter dem
besonderen Schutze der Vorsehung stand, und dass jeder Versuch, sie los
zu werden, ohne Erfolg sein werde. Denuoch hielten sie an ihrem Vorsatze
fest. Eines Tages gaben sie ihr ein grosses Stück Zeug und befahlen ihr
'^lamit zum Strande zu gehen und darin den Schaum des Meeres aufzufangen.
Ohne eine Ahnung von der Erfolglosigkeit eines solchen Unternehmens,
"■ins das kleine Mädchen zum Strande und brachte fast den ganzen Tag
auf ihren Knieen im Wasser zu. indem sie versuchte wenigstens etwas
von dem Schaume zu erhaschen, der um sie herum schwamm. Aber zu
ilirer grossen Enttäuschung erkannte sie, wie fruchtlos jeder Versuch war.
Thränen entströmten ihren Augen als sie sah, dass es dunkel wurde, und
als sie daran dachte, wie weit sie noch zu gehen habe, und wie ihre
Schwägerinnen sie mit den schwersten Strafen belegen würden, falls sie
mit leeren Händen zurückkehrte, als ihre Aufmerksamkeit auf ein einsames
Segel gelenkt wm'de. Sie beobachtete genau die Bewegungen des Schilfes,
welches sich rasch dem Gestade näherte: als es näher herankam, erkannte
sie es als das ihrer Brüder und nun kannte ihr Entzücken keiue Grenzen.
Von dem Wunsche beseelt, ihre Brüder zu überraschen, verbarg sich
klein Sunäbai Dschai hinter einem Felsen bis sie landeten. Nach einiger
Zeit warf das Schiff Anker, und die sieben jungeu Männer näherten sich
in einem Boote dem Strande. Sobald sie festen Boden betreten hatten,
konnte sich das kleine Mädchen nicht länger halten, raunte auf sie zu,
und wurde von ihren Armen aufgefangen. Als die Erregung über das
unerwartete Zusammentreffen vorüber war, fragten sie die Brüder, was sie
am Meeresufer, so weit von Hause, thue. Da erzählte sie ihnen alles, was
ihr seit ihrer Abreise begegnet war, uud berichtete ihnen, dass sie geschickt
worden sei, Schaum aus dem Meere zu holen. Die Brüder waren heftig
erzürnt, als sie das uumenschliche Gebalu-en ihrer Frauen erfuhren und
396 Haase:
beschlossen, sie nach Gebühr zu bestrafen. Inzwischen brachten sie Suuäbai
Dschai auf ihr Schiff und behielten sie dort bis zum nächsten Morsen.
Dann schnitt einer von ihnen seinen Schenkel auf, steckte seine kleine
Schwester hinein und nähte den Riss zu. Darauf gingen sie ans Land und
wanderten langsam heim. Als sie ankamen, waren ihre Frauen höchlichst
erstaunt sie zu sehen, denn sie hStten ihre Rückkehr so bald nicht erwartet.
Unter dem Vorgeben nichts von Sunäbai Dschai zu wissen, fragten sie
wo sie wäre; worauf die bösen Frauen antworteten, sie habe sich sehr
schlecht betragen, wäre nach Belieben umhergewandert, ohne auf ilu-e
Ermahnungen zu achten, und so sei sie auch heute Morgen ohne Erlaubnis
weggegnngen, aber am Abend werde sie sicher, wie sonst, wiederkommen.
„Gut", sagten die Männer, „jetzt gebt uns etwas zum Frühstück, wenn
aber Sunäbai Dschai nicht am Abend zm'ückkommt, so seid ihr für ihr
Leben verantwortlich."
Bei diesen Worten fingen die sieben Frauen, welche das arme Mädchen
den ganzen Tag vorher nicht gesehen hatten, an zu zittern und beteten
inständig für ihre sichere Rückkehr. Beim Mahle aber bemerkten sie,
dass einer der Männer immer einen Bissen auf seinen Schenkel legie, von
dem es bald verschwand, um durch einen anderen ersetzt zu werden: da
sie aber gewahrten, wie schlechter Laune ihre Männer waren, wagten sie
nicht zu fragen. Endlich, als die Nacht anbrach und Sunäbai Dschai sich
nicht sehen Hess, wurden die Brüder wütend und zwangen ihre Frauen
bei Todesstrafe zu gestehen, was sie mit ihr gethan hätten. Da sie die
Nutzlosigkeit jeder weiteren Ausflucht einsahen, bekannten sie ihre Schuld
und gaben der Befürchtung Ausdruck, dass Sunäbai Dschai im Meere
ertrunken sei. Da öffnete zu ihrem gTössten Schrecken einer der Brüder
den Riss in seinem Schenkel, und zog Sunäbai Dschai so munter und
frisch wie zuvor heraus. Darauf warfen sich die bösen Weiber auf ihre
Kniee nieder und baten laut um Verzeihung. Doch ihre Gatten waren
unerbittlich, sie schoren ihnen das Haar, schnitten ihnen die Nasen ab,
setzten sie auf Esel und schickten sie ihren Eltern zurück, wo sie den
Rest ihres Lebens in Schimpf und Schande verbrachten."
Yolksrätsel aus der Grafschaft Euppin und Umgegend.
Gesammelt von K. Ed. Haase.
(Fortsetzung von Zeitschrift III, 71.)
123. Man ist darein mid kömmt darein. Ins Aber.
124. Es kam ein Mädchen von Aachen (wohl richtiger: Aken)
Mit einem weissen Laken
Und wollte die ganze Welt bedecken
Und konnt's doch nicht über die Elbe strecken.
Der Schnee. Vgl. No. 3, Jahrg. ID, S. 71.
Volksrätsel aus der Grafschaft. Rui)]iin uiul llmgegenci. 397
125. Es ist vom Leben und hat kein Leben
Und muss Red' und Antwort geben. Die Feder.
126. Wer hat den Wolf über den Berg getragen? Die Wölfin.
127. Vorne wie ein Kamm,
In der Mitte wie ein Lamra,
Hinten wie eine Sichel;
Rat, mein lieber Michel. Der Hahn.
128. Vorne wie eine Gabel, in der Mitte wie ein Fass, hinten wie ein Besen.
Die Kuh.
129. Hoch wie ein Haus, | Klein wie eine Maus,
Rot wie Blut; 1 Wenn man's isst, schmeckt's gut. Die Kirsche.
130. Der es macht, der will es nicht;
Der es trägt, behält es nicht;
Der es kauft, der braucht es nicht;
Der es hat, der weiss es nicht. Der Sarg.
131. Ein Weg ohne Staub,
Ein Wald ohne Laub,
Ein Reich ohne Diebe,
Eine Gesellschaft ohne Liebe.
Die Wasser- (oder Milch-) Strasse, der Fichtenwald, das Himmelreich, die Hölle.
Vgl. No. 31 (III. Jahrg., S. 74).
132. Zwei Löcher hab' ich,
Zwei Finger brauch' ich.
So mach' ich Lang und Grosses klein
Und trenne, was nicht soll beisammen sein. Die Schere.
133. Welche Scheren werden nicht geschliffen? Die Krebsscheren.
134. Wieviel Nägel gehören zu einem wohlbeschlagenen Pferde?
Reine; denn sie sind vollzählig.
135. Unter unserm Schuppen
Liegt ein kleines Pässchen,
Es hat weder Spundloch noch Zäpfchen
Und ist doch zweierlei Öl drein. Das Ei.
13fi. Fleisch ist es nicht; von Fleisch ist es geboren. Es hat weder Nase
noch Ohren. Man schneidet ihm den Kopf ab, man gicbt ihm zu trinken, man
lässt es spazieren gehen, dann kann es vor Herren und Fürsten bestehn.
Die Schreibfeder.
137. Es sieht aus wie eine Katze, hat Haare wie eine Katze, maust wie eine
Katze und ist doch keine Katze. Der Kater.
138. Wie ich bin, so bleib' ich: Bin ich jung, so bleib' ich jung; bin ich alt,
so bleib' ich alt; bin ich heiter, so bleib' ich heiter; bin ich finster, so bleib' ich
finster. Ich habe Augen und sehe nicht, ich habe Ohren und höre nicht, ich habe
einen Mund und rede nicht, ich habe eine Nase und rieche nicht. Das Bild.
139. Hoch erhoben.
Krumm gebogen.
Wunderlich erschallen.
Wer mir dies kann raten.
Dem geh' ich einen Dukaten:
Wer's mir kann erdenken.
Dem will ich ein Glas Wein einschenken. Der Regenbogen.
398 Haase:
140. Mein Körper ist so hart wie Stein,
Und harte Nahrung nehm' ich ein;
Bald liebt und ehrt mich jedermann.
Bald wieder sieht kein Mensch mich an;
Am meisten werd' ich dann verehrt,
Wenn jeder mir den Rücken kehrt.
Der Ofen. Vgl. No. 63 (111 Jahrg.. S. 7.i).
141. Ich bin durchnagelt in der Mitten,
Von Frauenzimmern wohl gelitten,
Bei Schneidern halt' ich übel Haus,
Man sticht mich (V mit mir) leicht die Augen aus.
Doch pfleg' ich meinen langen Rachen
Gleich einem Schnabel aufzumachen,
Tuch, Leder, Leinwand und Papier,
Das fress" ich alles mit Begier. Die Schere.
142. Ich rede ohne Zunge
Und schreie ohne Lunge,
Ich nehme teil an Freud" imd Schmerz
Und habe doch kein (fühlend) Herz. Die Glocke.
14Ö. Wer kaim wohl fester bauen als Maurer und ZimmermannV
Der Totengräber.
144. Hoch wie ein Haus,
Klein wie eine Maus,
Grün wie Gras,
Ach, wie schön schmeckt mir das!
Der Nussbaum und die Nuss. Vgl. Xo. 51 (Hl. Jahrg., S. 7ö) u. l'Id.
Üb. Im Eila') geh ich.
Im Eila steh ich.
Im Eila bin ich säuberlich.
Wer mir das rat,
Dem geh ich einen Hascubrat',
Wer mir das ausdenkt.
Dem ich eine Kanne Wein einscheuk:
Da.s Füll eines Hundes, Namens Eila. A^gl. No. 17 (III. Jahrg , S. 72) und in Bezug
auf den Schhiss No. 13S).
146. Es lebt und läuft,
Ist zweimal geboren und nicht einmal getauft;
Und hat doch so ein kluges Haupt,
Daran die ganze Erde glaubt. Der Hahn.
147. Es kann geraubt werden und ist doch nicht weg; es kann in viele
hundert Teile geteilt werden und ist doch noch ganz. Das Herz.
148. Die Sonne kocht's, die Hand bricht's, der Fuss tritt's, der Mund geniesst's.
Der Wein.
149. Man kocht's nicht, mau kaut's nicht, man schlingt's nicht und doch
schmeckt es vielen gut. Der Rauchtabak.
150. Welche Leiber werden nicht geboren und welche sterben nicht?
Die Schnürleiber.
1) 'Vielleicht aus „Filo" verschrieben.
Volksrätsel aus der (Jrafschaft Euppin und Umgegend. 399
151. Es stehn zwei Stangen auf der Erde, aul' den Stangen ist ein Rasten,
auf dem Kasten ist eine Rönne (= Rinne), auf der Rönne ist ein Wald, da
spazieret jung und alt. Der Menscli.
152. Es rennt und kommt nimmer zur Stadt.
Die Windmühle. Vgl. No. 85 (III. Jahrg., S. 77).
153. Ein Müller ging in seiner Mühle, die vier Ecken hatte. In jeder Ecke
standen vier Säcke, auf jedem Sacke sassen vier alte Katzen, jede alte Katze hatte
viel- Junge. Wieviel Püsse waren nun in der Mühle? Zwei, die des Müllers;
denn die Katzen haben Pfoten. Vgl. No. 20 (III. Jahrg., S. 73).
154. Es geht durch den Zaun und rasselt nicht. Die Sonne.
155. Der Herr baut ein Haus, | Auswendig ist es kraus.
Inwendig sind Kiimmerlein, | Wo die Bewohner drein sein.
Der Mohnkopf.
156. Jedermann verlangt mich, und wenn mau mich hat, so hasst man mich.
Die Gesundheit.
157. Was macht man, wenn man aus dem Bette aufsteht? Platz.
158. Wo wird das Wasser am teuersten verkauft? In der Apotheke.
159. Es guckt nach allen Seiten und sieht nicht; die Leute sehen es und
wissen gleich, woran sie smd. Die Wetterfahne.
160. Welches Tier ist dem Wolf am ähnlichsten? Die Wölfin.
161. Warum hängt der Dieb? Weil der Strick zu kurz ist.
162. Wann schwimmen die Gihise? Wenn sie keinen Grund mehr haben.
163. Wem sieht ein durchgeschnittener Strohhalm am ähnlichsten?
Der andern Hälfte.
164. Ich bin eine Mutter mit vier Kindern. Sie können alle gut singen; aber
wenn nicht einer kömmt, der sie hin und her reisst, dass sie zittern imd beben,
so können sie keinen Laut von sich geben. Die Violine.
165. Wer kommt zum Ersten in der Kirche? Der Zweite.
166. Welches Pferd sieht hinten so gut wie vorne? Das blinde.
167. Ohne Sünde geboren, ohne Sünde gestorben und Gott gedienet und doch
nicht selig geworden. Der Esel.
16S. Was sind das wohl für Leute, die den Menschen alles vor dem Munde
wegnehmen? Die Barbiere.
1G9. Gott sprach ein Wort und meint es nicht.
Der Mensch vollbrachts und that es nicht. Isaaks Opferung.
170. Es rasselt, es prasselt an eisernen Ketten.
Soldaten, Kameraden, könnt's nicht erretten.
Der Wind. Vgl. No. 84 (III. Jahrg., S. 77).
171. Wo hat der Esel so stark geschrieen, dass es die ganze Welt hat hören
können? I" tl^r Arche Noahs.
172. Ein stählernes Pferd mit einem wollenen Schwanz.
Die Stopfnadel mit dem Faden. Vgl. No. 62 (IIL Jahrg., S. 75).
173. Wann war die Welt am engsten? Als Noah in dem Kasten sass.
174. Wann war der Tag am längsten? Als Josua sagte: „Sonne, stehe still."
175. Welche Krankheit war die erste in der Welt? Das Heimweh.
176. Der Tisch ist gedeckt,
Die Magd liegt gestreckt,
Der Herr kommt und Adelt ihr mang die Beine Der Gänsebraten.
400 Haase:
177. Ich wachse aus der Erde
Und kleide jeden Maiui
Vom Kaiser bis zum König
Und auch den Bettelmann. Der Flachs. Vgl. No. 4 1
(III. Jahrg.. S 74), wo die beiden letzten Zeilen jedenfalls richtiger sind.
178. Ruarippel, | Gelb ist der Zippel,
Schwarzbraun ist das Loch, | Wo Rirarippel rein kroch.
Die Mohrrübe Vgl No. 47 (lü. Jahrg., S. 75).
179. Wie tief ist das Meer? Einen Steinwurf.
180. Wie hoch ist der Himmel? Eine Tagereise.
181. Welche Kinder sehen ihren Vater taufen? Die des Pastors.
182. Ich ging einmal über ein Schilf,
Da mii- der liebe Gott hilf,
Da fand ich ein klein Meisterstück,
Das war wie mein klein Finger dick.
Daraus könnt ich schneiden
Zwei Mollen und zwei Speckseiten
Und eine Priesterkäpi)elmütz.
Die Eichel. Vgl. No. 34 (III. Jahrg., S. 74).
183. Wenn ich lob", bin ich dumm (oder stumm?);
Wenn man mich bringet um,
Legt man mich in Sarg und Eisen,
Dann muss ich zu Peuor reisen,
Dann fang ich ein Gerumpel an,
Dass niemand mich verstehen kann. Der Fisch.
184. Welcher Wagen geht ohne Rüder? Das Schilf.
185. Was ist schwärzer als der Rabe? Seine Federn.
186. Mit welchen Augen kann man nicht sehen? Mit den Elsteraugen.')
187. Wie sind die Erbsen nach England gekommen? Rund.
188. Wer ist geschickt? Der Bote.
189. Drei Bauern schlachten einen Ochsen, und Jeder bekam einen Kopf.
Wie ist das möglich? Der eine Bauer hiess Jeder.
190. W^as haben eine gestohlene Uhr und ein Waisenkind Gemeinsames?
Sie werden von Fremden aufgezogen.
191. Wozu giebt es Hühneraugen? Damit die Hühner sehen können.
192. Ein Blinder sieht einen Hasen laufen, ein Lahmer rennt ihm nach und
ein Nackter steckt ihn in die Tasche. Was ist das? Eine Lüge.
193. Wat rumpelt un pumpelt in der hohlen Käsern'?
Botterfass. Vgl. No. 53 (lU. Jahrg., S. 75).
194. Zwei Köpfe, zwei Arme, sechs Püsse, zehn Zehen.
Wie soll ich das verstehen? Der Reiter mit dem Pferde.
1"! Die Rätsel 123 — 186 sind einem geschriebenen Büchlein iu 12" entnonim^, das
den Titel trägt: „Eätsel-Buch für Ludwig Grunow. Neu-KiippLn, d. 1. Junins 1825." Es
enthält auf 21 Seiten 73 Rätsel, von denen jedoch das letzte (Welches sind die besten a
prima vista Sänger?) nicht den Charakter des Volksrätsels trägt, und auf 6 Seiten
72 Lösungen; die letzte Lösung fehlt. Der Saromler dieser Rätsel ist iu Neu-Ruppin vor
3 Jaliren in hohem Alter als Rentner gestorben. Diejenigen Rätsel, die mit Nummern
der von mir im III. Jahrgang, S. 71 11. veröffentliehteu übereinstimmen, habe ich einfach
ausgelassen.
Volksrätsel aus der Grafschaft Ruppin und Umgegend. 401
195. Welcher König hat keine Krone?
Der Zaunkönig. Vgl. No. 29 u. :;() (111. Jahrg., S. 73 u. ,74).
196. Bald kurz, bald lang.
Bald geschlilTen und auch blank;
Wenn der Bauch ist gefüllt
Und der Hunger gestillt.
Sag' ich: ^Schnapp!" und auch „Klapp!
Ins Hoseugemach!" Das Taschenmesser.
197. Er schlief. Sie rief ihn mit dem Namen des Baumes, unter dem er
schlief. Wie rief sie? Wachholder.
198. Auf welche Seite fällt der Hase, wenn er geschossen ist?
Auf die rauhe Seite.
199. Welches ist das gefr.ässigste Tier?
Der Hase; denn er frisst mit zwei LölTehi.
200. Was riecht zuerst, wenn man in die Apotheke kommt? Die Nase.
201. Welches Wasser hat keinen Fisch? Das Brmmenwasser.
202. Hoch wie ein Haus,
Klein wie eine Maus,
Bitter wie Galle,
Süss wie Zucker.
Die Wallnuss. Vgl. No. 51 (Hl. Jahrg., S. 75), 129 u. 144.
203. Vorne Fleisch und hinten Fleisch,
In der Mitte Holz und Eisen.
Wer dies Rätsel raten kann,
Mag aufs Feld mich weisen.
Der Bauer mit Pferd und PUug.
204. Welche Biere schäumen am meisten. Die Barbiere.
205. Welcher Baum hat keine Krone?
Der Schlagbaum. Vgl. No. 113 (III. Jahrg., S. 78).
206. a) In mine Kämer,
Do schlöppt Hans Hämer;
De bimmelt mi so sacht
Dat ik nernst an dacht.
b) Ik ging in uns Kämer,
Begegnet' mi Hans Hämer.
De kriegt' mi so nerrer.
Besah mi det Lerrer;
Dat däh' mi so sacht,
Dat ik nernst an dacht. De Schlöp.
207. Wenn sich Leib und Seele vom Menschen geschieden haben, was hat
dieser dann noch für ein Verlangen?
Einen Teller Suppe (verlangt die Wöchnerin, wenn sie geboren hat).
208. Ging im Garten spitz spazieren,
Hatt' ein Rock von Damascieren,
Hatt' ein' buntes Jacken an:
Wer mir das wohl raten kann? Die Raupe.
209. Wann hiit man die meisten Löcher unter den Beinen?
Wenn man über ein Stoppelfeld geht.
402 Haase:
21U. Hinner unsen Owen
Stohu en Paar Kloben,
üp de Kloben steiht ne Tunne,
Up de Tunne steiht en Trichter,
üp den Trichter liggt ne Kugel,
Up de Kugel is en Wald,
Da spazieren jung und alt. Der Mensch. Vgl. No 151.
i'll. Wie schreibt man trocknes Gras mit di-ei Buchstaben? Heu.
212. Trocknes Gras, mit drei Buchstaben geschrieben, waram kann das kein
kathoHscher Priester raten? Weil er nicht „heuratcn" darf.
213. En Mann will de ganze Welt bedecken
Un kann nich öwer't Wäter recken.
Der Schnee. Vgl. No. 3 (III. Jahrg., S. 71) u. 124.
214. Der Arme schmeisst's weg und der Reiche steckt's in die Tasche.
Der Nasenschleim.
21.'). Wer es macht, der nimmt es nicht.
Wer es höh, der braucht es nicht,
Und wer es nimmt, der kennt es nicht. Die Medizin.
216. Welcher Unterschied ist zwischen einem Förster und einem Maikäfer?
Der Förstei' ist grün und macht braun, der Maikäfer aber ist braun und macht grün.
217. Et kümmt en Mann ut Hickenpricken,
He hett en Rock ut dusend Flicken,
He hett en knackem Angesich,
He hett enen Kamm un kämmt sich nich,
He hett enen roden Bart;
Kiek, wo de Schelm rärt.
Der Hahn. Vgl. No. 12 (lU. Jahrg., S. 72).
218. Was war früher auf der Welt, das Huhn oder das Ei?
1. Das Ei; denn das Huhn ist daraus entstanden.
2. Das Huhn; denn es hat das Ei gelegt.
219. Was ist der Mensch, wenn er nackend ist? — Xichts; denn er kann
nicht einmal für einen Dreier Semmel in die Tasche stecken.
220. Was sind die Zähne? — Ein dreifaches Weh; denn wenn sie kommen,
hat man Weh; wenn man sie hat, thun sie weh, und wenn sie ausgezogen werden,
thun sie auch weh.
221. u) Hans stunn hüiner de JardLu
Un besach sich sin.
_.4ch Gott! wat bist du schlapp un dünn!
Wenn du wist bi de Maekens gähn,
Dann müsst du noch 'n bet stiwer stähn.^
b) Unse Knecht Stodien
Steiht himier de Jardiu
Un besieht sich sin
Un denkt in sinem Smn :
„Du bist jo hüet so schlapp,
Ik hebb' die doch all straffer hat.''
Der Mann mit dem Geld- oder Tabaksbeutel.
Volksrätsel aus der (Ji-arschart Ru|i]iin iiiul Uingfegond. 4(tH
222. Iliingt an ilc Wand as iio dodige Gans: wonn dol Ding- runnoi- küniml,
wibbolt do Dicrns de Näs van. Die Geig'e.
22;!. Der Vater ist kaum geboren, da sitzt der Sohn schon auf dem Dache.
Feuer und Rauch.
224. Hinner unse Hus
Ploegt Vatei Krus
Unner Distel un Dorn,
Jewt jrojc Farn.
Der Mull. Vgl. No. 2G (III. Jahrg., S. 7;!).
22.'). Isern l'erd niet hültern Ben. Der Bohrer.
22G. Witschel de Watschel gciht öwor de Brück
Vn droegt den König sin Bett up'n Rücken. Die Gans.
227. Ik ging öwert Straetken (= Strässchen),
Begegnet mi en klein Aepken (ÄfTchen),
Bot mi en Runzelfunzel an;
Ik segg', ik hebb allen klein Mann,
De mi runzclfunzeln kann. Der Floh.
228. Unse Tante Dickbuck
Hett en Mul wie ne Heustallluk. Der Backofen.
229. Wann hobb"n de Frauensleut' den meisten Schüm mang de Ben'?
Beim Molken.
230. Ich ging einmal in n Wald,
Da fand ich ein klein Meisterstück,
Das war so ungefähr wie ein klein Finger dick.
Da macht' ich draus zwei Mühlen, zwei S|inlcn, ein Nilpfchen
mit "nem langea Stiel ;
Und wer das rät, der weiss sehr viel.
Die Eichel. Vgl. No. U (III. Jahrg., S. 74) u. 182.
io\. Vorn schitt es, hinten frisst es. Die Häcksellade.
232. Du schwarzes Rabentier,
Hast mich gebissen und gekniffen.
Nun sollst du sterben müssen:
Knipps! das ist dafür. Der Floh.
23.S. Acht Jungfern schloepen in en Bett. Die Speichen des Spinnrades.
234. Kam 'n klein Männken von Hüttenlütteii,
Hat 'n Täbelken (=Kober) up sinon Rücken,
Darin hat er Sich-sich,
Darin hat er Stich-stich,
Darin hat er weiss gewaschen
Ohne Seife und ohne Aschen. Spiegel, Nadel, Ei.
235. Welcher Ring ist nicht rund? Der Hering.
23ß. Wennihr is de Voss en Voss?
Wann he allen is; sind et mihr, so sind et Voss.
237. Ich kenne eine Ritze,
Sieht aus wie eine Schlitze,
Oben und unten sind Haare dium,
Manchmal kommt auch Wasser raus. Das Auge.
238. Bauch an Bauch, Haar an Haar und eine Stange dazwischen.
Das Zweigespann.
Zeitscbr. d. Vereiiib f. Volkskuude. 1895. ^°
404 Haase:
239. Steif rein, schlapp wieder heraus.
Das Holz, das als Asche wieder aus dem Ofen gezogen wird.
240. Rummel, rummel, rub di.
ü
Hüet Abend kumm ik up di:
Ik will di punipinellen,
Der Bück, der soll di quellen.
Das Spinnrad. Vgl. Xo. 86 (HI. Jahrg., S. 77).
241. Aussen ist's haarig, | Innen ist's hohl;
Hab' ich was drin. | So ist mir wohl. Die Muffe.
242. Hängt an de Wand,
Hett twe Botterstullen inne Hand. Die Schere.
243. Kümmt von 't Feld un geiht nah alle Hoew' rup. Der Pusssteig.
244. En ganzen Stall vull brüne Perd uu cn Schimmel damang.
Ein Ofen voll Brote mit einem Schützel. Vgl. No. 87 (HI. Jalirg.. S. 77).
245. Steiht en Mann up ön Ben,
Baut sin Hus sich ganz allen,
Baut sich lutei- Kämern drin,
Schutt sich all dat Karn darin. Der Mohn.
24Ü. Ik lag inne Fohr un dückert mi.
Da kam en Mann un bückert mi,
Ik segg em, he sali weggähn,
Hüet Abend sali he wcrrer koni. Der Schlaf.
247. Ik hebb' ne Schitterie an't Knie,
Daniet kann ik mi verdienen
Zucker un Rosinen;
Dabi hebb" ik immer noch ne Schitterie an't Knie.
Der Spinnrocken.
248. Konstantinopel,
Gross ist der Popel,
Klein ist das Loch.
Rin muss er doch. Der Schornsteini'egei'.
249. Sitt up'n Klötzkeu
Leckt sich sin Vötzken;
Je länger det leckt.
Je kötter et wött. ' Das Licht.
250. Vier ninne Rollen,
Vier knacke Dollen,
En Klippklapp,
En Schwippschwapp,
En lerrern Purasack.
Räj mal, wat is dat':*
Ein Planwagen mit 4 Pferden, Kutscher und Peitsche.
251. Es giebt einen Vogel, hat lange rote Beine, langen roten Schnabel,
weiss und schwarzes Gefieder, baut sein Nest auf Scheunen, legt Eier und brütet
sie aus. "Was ist das für ein Vogel? Ein Storch. — Nein! Eine Störchin.
252. Welches ist der Unterschied zwischen Kuh- und Ochsenschwanz?
Der Kuhschwanz pendelt vor zwei Löchern, der Ochsenschwanz vor einem.
253. Wie deckt der Hengst die Stute? Halb zu Fuss. halb zu Pferde.
VollisrJitsol aus Aor Grafsrliaft Ruppin und riiiscS''"''- 405
"254. Haumi und Baumi
Die bauten ein Haus;
Haumi ging vorn raus,
15auiui ging- hinten raus.
Wer blieb im Haus?
Und. Vgl. No. 117 (111. Jahrg., S. 78).
255. Es wächst im Gärtlein,
Hat viele Röhrlein,
Hat viele Häute,
Beisst alle Leute.
Die Zwiebel. Vgl. No. 53 (III. Jahrg., S. 75).
25G. Wie heisst die Frau vom Papagei? Maniagei.
257. Sieben Jungfern greifen sich
Und kriegen sich im Leben nicht.
Die Garnhaspel. Vgl. No. GS und 83.
258. Welcher Ai'zt hat noch keinen Menschen unter die Erde gebracht?
Der Tierarzt.
259. Kaiser Karolus hatte einen Hund,
Er gab ihm einen Namen aus seinem Mund:
Wie hiess Kaiser Karolus sein Hund? Wie.
260. Auf einem weissen See, | Da schwimmt eine rote Rose
Und wer den weissen See will sprechen, | Muss erst die rote Rose brechen.
Der Brief mit dem Siegel.
2G1. Mus molus, Reh kolus, Jungfer ablus; was ist das?
Maus im Mohn, Reh im Kohl, Jungfer ,.bladet" den Kohl (= abblättern).
2G2. Ich lebe ohne Seel und höre ohne Ohren,
Ich rede ohne Mund, werd' in der Luft geboren. Das Echo.
263. Lies von hinten oder vorn,
Ich klinge doch stets einerlei;
Durch meine langen Zähne wird
Das Feld von Unkraut frei;
Ich mache stets, was grob ist, klar,
Der Landmann braucht mich jedes Jahr. Die Egge.
264. Der dicke Papa, die braune Mama, das weisse Kind.
Das Bierfass, das Bier, der Schaum auf dem Bier.
2G5. Am Tage hab ich nichts zu thun.
Da lässt man mich im Winkel ruhn.
Und nun bricht kaum die Nacht herein.
So schluck' ich Feuer und Flammen ein.
Die Lichtputzschere.
266. Unser kleiner Knobelknecht
Knobelt unsre Magd zurecht. Schlüssel und Schloss.
267. Es fliegt in der Luft, hat vier Beine und schreit „kräh!" — Zwei Krähen.
268. Wer hatte den grössten A . . . . ?
Joseph; denn er wurde über ganz Ägypten gesetzt.
269. Uinner unse Owen, da stähn en Pär Klowen; up die Klowen steiht ne
Tunn, up de Tunn steiht en Tröchter, upn Tröchter steiht en Biter, upn Biter
(= Beisser) steiht en Riker, upn Riker steiht en Kiker, upn Kiker steiht en Wald,
da spazieret jung und alt. Der Mensch. Vgl. No. 151 u. 210.
28*
406 Haasc^: Volksrätspl aus der Grafschaft Ruppiti und ümgegeiid.
270. Zwei Väter und zwei Sühne gingen zusammen auf die Jagd; sie- schössen
drei Hasen, davon erhielt ein jeder einen ganzen. Wie ist das möglich?
Die Jäger waren Vater, Sohn und Enkel.
271. Es leben vier Brüder in der Welt,
Die haben sich zusammengesellt. Die vier Jahreszeiten.
272. Es leben vier Brüder in der Welt,
Die haben sich zusammengesellt:
Der erste läuft und wird nicht matt,
Der zweite frisst und wird nicht satt,
Der dritte trinkt und wird nicht voll.
Der vierte singt und klingt nicht wohl.
Wasser, Feuer, Erde und Wind.
273. Es kamen zwei gegangen,
Die brachten einen gefangen,
Sie brachten ihn nach Kribbeidewitz.
Von Kribbeidewitz nach Fribbeldewitz.
Von Fribbeldewitz nach Nagelspitz,
Da wurde er geschlachtet.
Zwei Finger, die einen Floh gefangen u. s. w. Vgl. No. 11, Jahrg. 111. S. 72.
274. Warum guckt sich der Hase um, wenn er läuft?
Weil er hinten kein Auge hat.
275. Warum läuft der Hase vor einem weissbunten Hunde toller wie vor
einem schwarzen? Weil er denkt, der Hund läuft in Hemdsärmeln.
27G. Wer kommt „verquer" nach der Kirche?
Das Kind, das zur Taufe gebracht wird.
277. Wir Bauern sehen es alle Tage, der Kaiser und König sieht es selten,
aber Gott sieht es nie. Seines Gleichen.
278. Es kriecht durch den Zaun und rührt sich nicht. Die Sonne.
279. Welcher König hat keinen Thron? Der Rartenkönig.
^0. Es fällt nach Brunnen und plumpt nicht. Die Sonne.
281. Wer ist am dreistesten in der Kirche? Die Fliege.
282. Ein altes Mütterchen hat sich in hundert Tücher gewickelt.
Der Kohlkopf.
283. Jungfer, ich will Ihr was auf zu raten geben tiuin. und wenn Sie es
erraten thut, dann heirate ich Sie:
Wo ist wohl ein König ohne Land?
AVo ist wohl ein Wasser ohne Sand?
Wo ist wohl ein Häuschen ohne Tisch?
Wo ist wohl ein Wasser ohne Fisch?
Wemvs der Herr mir nicht vor übel will nehmen thun, so will ich ihm
wohl sagen thun den rechten wahren Grund:
Der König auf der Karte ist ohne Land,
Das Wasser im Auge ist ohne Sand,
Das Häuschen der Tauben ist ohne Tisch.
Das Wasser im Brunnen ist ohne Fisch.
284. Ein grosser Prophet, der sich in allen Landen hören lässt. Er ist auch
ein Liebhaber der Gärtnerei und hat beim Leiden Christi sehr viel gethan.
Der Hahn.
Rüitercr: Hexen- und Wililererglimbe in Steiermark. 407
285. Wie hiess der erste Dichter?
Nebel; denn es heisst: Dichter Nebel schwebte auf dem Wasser.
286. Wer war der erste Adlige?
Der Herr von Ferne; denn es heisst: Da sprach der Herr von rcrnc.
287. Wie hiess Davids Kutscher?
Leid; denn er sagt: Leid soll mir nicht wieder fahren.
288. Was war David für ein Landsmann?
Ein Berliner; denn er sagt: Leid soll mir nicht wieder fahren.
289. Wie viel Eier konnte der Riese Goliath nüchtern essen?
Eins; denn beim zweiten war er nicht mehr nüchtern.
290. Wie heisst Gott mit seinem Vornamen?
Ernst; denn es heisst: Du sollst Gott mit Ernst anrufen.
291. Wer war der erste Jäger?
Nimrod; denn es heisst: Er war ein grosser Jäger vor dem Herrn.
292. Wer hatte das grösste Bett?
Salomo; denn es heisst: Er fuhr aus seinem Bette.
293 Wer war der erste Krämer (Kaufmann)?
Simsen; denn es heisst: Der Herr nahm von ihm seine t-tärke.
294. Wie hiess Isak in seiner Jugend? Ibeutelchen.
295. Wie hiess Esau in seiner Jugend? Eferkel.
296.') Wer hat zuerst Skat gespielt?
Die Juden; denn Moses sagt: Die Kinder Israel wimmeln.
Neii-Kuppiii.
Hexen- und Wildererglanben in Steiermark.
Gesammelt vom Lehrer Karl Heiterer.
Mitten unter dem Volke lebend, hatte ich (Jelegenlieit, in verscliiedeuen
Gebietsteilen Steiermarks den Volksglauben aus eigener Erfahrung kennen
zu lernen. Ausserdem stehen mir verlässliche Gewährsmänner, die sich
für das Volksleben interessieren, mit ihrem Wissen zur Verfügung. Ich
kann also für meine Mitteilungen bürgen.
Der Viehzucht treibende Bergbewohner behauptet, dass sich als Schutz-
mittel gegen die Hexen der Piingsttau gebrauchen lasse. Man wandelt
beispielsweise in den Ennsthaler Bergen noch heute am Pfingstsonntag-
morgen barfuss im thaunassen Grase herum, um das Jahr über gegen das
böse Spiel der Hexen gefeit zu sein. Nicht nur dem Menschen, auch dem
1) Die Rätsel von No. 187-296 sind gesammelt m Alt-Ruppin (No. 259-261), Keclilin
(No. 206a, 213, 262 u. 263), Bindenwalde (No. 198-196), Dabergotz (No. 265-269), Ganzer
(No. 231-232 u. 238-240), Kantow (No. 187-192), Krenzlin (No. 206b, 221b, 224-229,
233 245-250 u. 254), Küdow (No. 270-281), Langen (No. 255 und 264), Nakel (No. 237
u. 241), Neu-Ruppin (No. 197-205, 207-212, 214-221 a, 222-223, 230, 2;!5-236, 251
bis 253, 256—258, 283-290) und Rheiusbcrg (No. 234).
408 Keiteivr :
lieben Vieh nützt der Pfiugsttau. Wird dieser, auf ein Stück Schwarzbrot
gestrichen, den Kühen verabreicht, so sind sie vor Verhexungeu sicher.
Ist das Vieh schon einmal trotz aller Vorsichtsmassregeln verhext worden,
so nimmt die Bäuerin Eier, welche am Antlasspfinztag (Gründonnerstag)
gelegt wurden und vergräbt sie vor der Thür ihres Stalles, in dem die
Rinder stehen. Es sind dies die sogenannten Antlasseier, von denen der
bekannte Volkslebenforscher F. Franziszi in Grafendorf im Gailthale in
Kärnten im ersten Heft der neuen ,,Zeitsc]irift für österreichische Volks-
kunde", 1. Jahrg., S. 13 sagt, dass sie schon von der Henne weg geweiht
sind und sich das ganze Jahr frisch erhalten. Nach Franziszi schützt ein
Antlassei, das während des Ausklingens der fortziehenden Glocken am
Gründonnerstag über das Hausdach geworfen wird, vor Feuersgefahr. Es
darf aber nicht mit der blossen Hand berührt, sondern muss mit einem
Tuche vom Neste genommen werden. Wenn ferner eine Kuh verhext ist
und im Stalle keine Milch giebt, so nehme man von einem Antlassei das
Dotter und brenne es mit einem glühenden Herznagel von einem Wagen,
auf dem eine Leiche in den Friedhof geführt wurde; dann ist die Hexe ge-
brannt und kann nicht mehr schaden, wenn man das gebrannte Dotter in
einer Kanne Milch der Kuh zu trinken giebt. Wir sehen daraus, dass der
Volksglaube in Steiermark und Kärnten hier eine auffallende Ähnlichkeit
aufweist.
Wenn eine Butterhexe, sagt man in der nordwestlichen Steiermark,
ihr Vieh auf die Alm treibt, so trachtet sie im Lenze die erste Weide,
genannt Spitzweide, zu bekommen. Dann kann die Sennerin, welche eine
Butterhexe ist, viel Butter und Käse zusammenbringen. Die echten Butter-
hexeu, heisst es, können alles, sogar einen Stuhlfuss oder Strick melken,
d. h. sie bringen es zustande, dass aus jedem beliebigen länglichen Gegen-
staude auf Wunsch Milch herausfliesst, wenn Bohnen, Toteugebein und
Haare im Stalle der benachbarten Sennerin, der man die Milch weghexen
will, vergraben werden. Eine Butterhexe ist auch imstande, einer beliebigen
Sennerin, der man abhold ist, die Käsemaden, eine Art Engerlinge, welche
in ganzen Schuaiseu (Reihen) kommen, in die Alpenhütte zu zaubern. Ein-
mal über die Thürschwelle gekommen, sind diese unheimlichen Tiere nicht
mehr zu vertreiben. Sie fressen Butter, Käse, Sahne und Milch auf. Wie
Eingeweihte wissen wollen, giebt es nur ein einziges Mittel, sich der Käse-
maden zu entledigen, nämlich dies, dass man die Maden sammelt und in
einer Pfanne beim offenen Feuer röstet. Es werden dann der Hexe,
welche die Maden schickte, die Füsse verbrannt. W^er diese Tiere auf
dem Wege antrifft, macht mit dem rechten Fusse vor ihnen drei Kreuze,
worauf sie umkehren und unschädlich gemacht sind. Die Käsemaden
werden dem Volksglauben nach mit dem (iuatenibergarn erzeugt. Dieses
muss von einem unschuldigen Kinde an einem Freitag in der (Juatenibei--
woche gesponnen werden.
Hexen- und Wildererglaube in Steiermark. 409
Man erzählt sich, dass Viehhexen erst erkannt werden, wenn sie ge-
storben sind, denn sie werden nach ihrem Tode im Gesicht kohlschwarz;
diese Volksraeinmig ist von uns sowohl im steierischen Ober- als im
Unterlande getroffen worden. Wer in der Christnacht auf einem Schemel,
der aus neun Gattungen Nadelholz zusammengefügt ist, hinter dem Altare
sitzt, der kann die Hexen in der Kirche, wenn sie während der Mette
opfern -gehen, erkennen. Einer soll dies, wie uns versichert wurde, ver-
sucht haben, worauf ihm eine Hexe den Schemel unter dem Leibe wegzog;
der Lauscher wusste nun von dem, was er gesehen, nichts mehr. Die
Wetterhexen bringen, wie in Doiinersbachau geglaubt wird, dadurch ein
vernichtendes Hagelwetter zustande, dass sie Kitzhaare nehmen und in die
Luft zaubern. Solche Haare junger Ziegen findet man hernach in den
zur Erde fallenden Hagelkörnern. In Kleinsölk, einem Gebirgsdorfe bei
Gröbming, behaupten die Leute, die Wetterhexeu aus der Luft schiessen
zu können, wenn sie den Namen derselben während des Schiessens er-
raten. Man schiesst zu diesem Behufe oft einen ganzen Kalender in einem
Böller in die Luft, in der Meinung, in diesem Falle müsse gewiss der
Taufname der Hexe erraten werden: denn in einem Kalender sind alle
Namen, meint mau naiv.
In' den Ennsthaler Bergen kann man hören, dass es Hexen gebe, die
sich auf jedem Steinhaufen aufzuhausen (gut zu wirtschaften) getrauen. Im
Dorfe Donnersbach soll sich eine solche Hexe heute noch befinden.
Die Weilmachtskerze, welche der Älpler in der ganzen Christuacht
brennen lässt, soll unter an.lerem auch gegen Hexenspuk schützen. — Eine
Sennerin, welche sieben Jahre hinter einander auf die Alm zieht, kann
hexen. Eine, die zweimal sieben Jahre lang Sennerin war, kann gar
zaubern. Zwei Bursche trafen auf dem Messerrücken, einem Gebirgskamme
der nördlichen Steiermark, neun schwarze Pferde im Gänsemarsch eiuher-
marschieren. Das letzte Pferd fingen sie ab, worauf es plötzlich zu reden
begann und sagte: „Hättet ihr euch nur die erste vorn angehalten, so
wären wir erlöst!" Nun wussten die Bursche, dass sie es mit neun ver-
wunschenen Sennerinnen zu thun hatten, die in Pferdegestalt einherziehen
mussten, weil sie einst auf der Alm das Hexenwerk betrieben hatten.
Die Landbevölkerung Steiermarks glaubt auch, dass es Hexensalbe
gebe. Tief in den obersteierischen Bergen, südlich vom mittleren Enns-
thale, am linken Ufer dos brausenden Donnersl)aeh, liegt der gigantische
Hexstein (Höchsteiii), dessen Gipfel ein Pelsblock bildet, von dem die
Sage erzählt, der Teufel habe ihn einst von den Glasener Feuergruben,
Felsen im nördlichen Teil der Ortsgemeinde Donnersbachwald, geholt.
Vor Zeiten befand sich hinter dem Hexstein ein Schatzloeh. Den Namen
Hexstein erhielt der Berg vom Volke deshalb, weil man früher auf dem-
selben allerlei Hexen traf. Es wird erzählt, ein Weber habe in der Wal-
purgisnacht „auf der Ster« eine Bäuerin belauscht, die sich mit einer Hexeu-
410 . Reitei-er:
salbe bestrich, auf einer Ofeugabel ritt und zum Raiichfang hinausflog.
Sie gelangte auf den Hexstein, wohin ihr der AVeber, der sich aucli mit
jener Salbe bestrich, gefolgt war.
Vom 2236 m hohen Gumpeueck, der zwischen dem Sölker und
Donnersbacher Gebiete liegt, erzählt das Volk auch, dass es einst Hexen
zum Tummelplatz gedient habe. Der Jager Peterl soll einstens mit neun-
undneunzig Paar Katzen auf das Gumpeneck einen Halbstartin Wein ge-
fahren haben. Das Getränk war für die Hexen in der Walpurgisnacht
bestimmt. Nebenbei sei erwähnt, dass sich auf dem Gumpeneck wie auf
dem Hexstein ein grosser erratischer Felsblock befindet. Die Leute er-
zählen, dass diesen Stein der Teufel über das Gumpeueck werfen wollte.
Es galt eine Wette, die der Böse verspielte.
Mossheim bei Gröbming hat ein Schloss namens Thurnfelden. Ein
Besitzer dieses Schlosses, dessen Grabmal sich in der katholischen Pfarr-
kirche zu Gröbming befindet, hatte vor Zeiten auf der Alm eine Sennin,
die hexen konnte. Sie rührte Butter. Aus dem erhaltenen Molken ver-
mochte sie noch einmal Butter zu rühren. Der Thurnfelder liess die
Sennin im Schlosshofe wegen Hexerei verbrennen. Eiu Bild in erwähnter
Kirche zu Gröbming zeigt heute noch die Sennin, wie sie Butter rülnt
und ihr der Teufel dabei hilft.
Das Volk vermeint, gewisse Zauber- und Hexenbücher lehrten, wie
man hexen könne. Im Dorfe Kleinsölk schlüpften einst zwei Bauern, die
man belauschte, nackt durch eine gespaltene Lärche, in der Meinung dann
hexen zu können. Der Baum war dadurch gespalten, dass ein entstandener
Sclilitz durcli Holzkeile erweitert worden war.
Hexen können den Kühen die Milch nicht „nehmen", wenn die Tiere
über das Kreuz gemolken werden, wie mau sich ausdrückt. Es sind uns
bäuerliclie Mägde bekannt, welche heute noch die Kühe übers Kreuz
melken sollen, in der Meinung, dann könne ilinen die Milch nicht verliext
(genommen) werden.
Nach der Volksmeinuug können einem die Hexen niciit scliaden,
wenn man in einem Zinnner drei Lichter brennen lässt. Zwischen den
Frauentageu, d. i. vom 15. August bis 8. September, haben die Hexen
keine Macht mein-. Dass Hexeu nach dem Tode vom Teufel geholt
werden, ist allgemein verbreitet. Bäuerliche Hellseher sagen, dass man
eine Hexe, wenn sie mit ihrem Vieh von der Alm heimfahre, au gewissen
Erscheinungen erkenne.
Verhexte Kälber sollen bei lebendigem Leibe verbi'annt werden, weil
dann die Hexe unschädlich wird. Im Koralpengebiete, dem Gebirgsstocke
zwischen Steiermark imd Kärnten, herrscht der Volksglaube, das Hagel-
wetter werde im steierischen Mittellande von den Wetterfliegen erzeugt.
Diese seien verhexte abgewirtschaftete obersteierische Bauersleute: das
bori<ht('te Lehrer Walcher aus Kloster, einem Gebirgsdorfe in der Kor-
Hexen- und Wildererglanbe in Steiermark. 411
ali>e. Uas von Hagelkönifni ausgedroscheiie Koni, glaubt man, wonle von
don gedacliteu Wetterfiiegeu aufgelesen und in den Steinwändmi des Ober-
landes verzehrt.
Einer Hexe vermag mau nichts anzuhaben, denn sie wirft einem eine
(Vwalt au. Ein Bauer, der eiust, wie mir ein Donuersbachwalder erzählte,
nach einer Hexe, die er sah, schiesseu wollte, konnte durchaus nicht los-
drücken: die Hexe hatte ihm „eine GValt angeworfen". Derselbe Gewährs-
mann versicherte ferner, beim vulgo Strobel in Dounersbachwald sei
einstens eine ganze Hexeufamilie gewesen. Sie verhexte das Yieh des
vulgo Kiesner im Orte. Man holte den Pfarrer, der den Stall „aussegneu"
nuisste. Es war, wie uns erzählt wurde, der vor einigen Jahren in St.
Stefan ob Leoben verstorbene Pfarrer Polley. Das „Ausseguen", trotzdem
es wiederholt erfolgte, nützte nichts. Nun ging mau zu einem Wunder-
doktor, dem Hexeu-Girgl, in Alt-Irdning. Dieser kam und fand, dass die
Hexen im Stalle etwas vergraben hätten. Mau durchwühlte den ganzen
Stall und fand unter einem „Trauibäume" wirklich Kitzhaare, Totengebein
und anderes vergraben. Als dies entfernt war, wurde kein Yieh mehr
verhext. Solches trug sich erst vor kurzem zu; die betreffenden Gewährs-
männer leben noch heute. So erzählte uns ein noch lebender Schneider
unseres Dorfes, er habe auf der „Ster" arbeitend, beim vorhin erwähnten
Strobl eiu Hexeubuch gefunden und es heimlich in den Bach geworfen.
Was nun den Wildereraberglaubeu in Steiermark betrifft, so sei
vor allem bemerkt, dass er ebenso verbreitet ist, wie der Hexenglauben.
Wir gedenken der vermeintlichen Wirkungen, welche das Wildpret als
Heilmittel haben soll. Der Sohn der Berge weiss allerlei von der Heil-
kraft des Fleisches der Tiere des Waldes und der Alpen zu erzählen.
Ferner heisst es im steirischeu Oberlande, man könne mit Hilfe des
Teufels Gemsen „bauneu". Es soll dies aber eine „grosso Sund" sein,
weil es eine Tierquälerei ist. Gemsenbanuer vermögen, dass Gemsen, in
die Schusslinie kommend, wie angewurzelt stehen bleiben müssen, wobei
ihnen die Thränen herabrollen — aus Schmerz. Mau glaubt ferner,
dass Wilderer eine geweihte Hostie unter die Haut nähen, damit sie sich
schuss- uud hiebhaft machen. Wenn einer dies thut, bekommt er, wie
mau sich ausdrückt, die „zeitliche Gfrier", d. h. er kann sich „gefroren"
machen und in Stein oder Holz verwandeln. Nebst der „zeitlichen" Gfrier
giebt es auch eine „ewige". Letztere bekommt der, welcher vor dem Sterben
die Hostie nicht mehr aus der Haut entfernen konnte. Der die ewige
(xfrier bekommt, wird vom Teufel geholt, denn es ist dem Volksglauben
nach eine Todsünde, mit einer Hostie zu freveln. Ln Donuersbacher
Gebiete bezeichnete man uns mehrere Stelleu, wo Leute vergraben sind,
die die ewige Gfrier hatten.
Wenn ein Hase über den Weg läuft, so winl dies in Steiermark wie
überall übel gedeutet. Es bringt Unheil bei der Jagd, die man zu unter-
4.12 Reitcrer: Hexen- und Wildorerglaube in Steiermark.
iieliiiien im Begriffe ist. Abergläubische kehren sofort um, weuu ilnieii
ein Hase auf offener Strasse begegnet. Ein "Weib in gesegneten Umständen
soll sieh, wie wir im steierischen Sulmthale- hörten, in keinen Hasen „ver-
schaun", damit das Kind im Mutterleibe keine Hasenscharte bekommt.
In Donnersbachwald bei Irduing glaubt man, die gedörrte Zunge
eines Auerhahnes, der im abnehmenden Mond geschossen wurde, vertreibe
das Fraisen (Krämpfe) der Kinder. Eine solche Zunge muss dem Kinde,
welches vom Fraisen befallen wurde, im Zeichen des Krebses umgehängt
werden, weil da die Krankheit „zurückgeht", wie mau sagt. Das Fraisen
bannen auch die Eückenwirbelknocheu einer Ringelnatter, wenn sie, auf
einen Faden geschnaist (gereiht), dem Kinde umgehängt werden. Im Enns-
thale trägt man ein Wieselgebiss, in Silber gefasst, an der Uhrkette. Es
ist dies ein Sympathiemittel. Dem Wiesel, im Volksmuude auch „Harmel"
(Hermelin) geheissen, schreibt der Yolksglaube allerlei zu. Unter anderem
heisst es, man soll kein Wiesel zornig machen, damit es einem nicht „an-
blast". Der Atem dieses kleinen Raubtieres ist nämlich giftig, weiss uns
der Mann aus dem A'olke zu bedeuten. AVir fiudeu diesen Glauben sowohl
in sanz Steiermark als in Kärnten. Im steierischen Oberlande wird über-
dies noch geglaubt, das „Wieselschmalz" sei gegen die Gicht. Ein bäuer-
licher „Schwarzkünstler" lehrte folgendes: Nimm ein Wiesel imd reisse
ihm das Herz aus, so kauust du verborgene Schätze finden.
Sehr viel hält man auf dem Lande auf das Hirschunschlitt. Es heilt,
wie wir in St. Peter im Sulmthale hörten, offene Wunden und das Podagra.
Angeschossene Hirsche finden dem Volksglauben nach ein Ki-äutlein,
welches eine besondere Heilkraft besitzt. Manche meinen, es sei die
Edelraute (artemisia abrotanura?) Mit „Hirschkruckenpulver" ist die
Epilepsie zu vertreiben, wenn man solches von einem Hirsch bekommt,
der in der Brunstzeit geschossen wurde.
Ganz originell ist die bäuerliche Anschauung, dass Wilderer dem
Wilde geweihtes Steinsalz geben, um es leichter zu bekommen. Bekanntlich
ist es auf dem Lande üblich, am Stephauitage in der Kirche Salz weihen
zu lassen, das sogenannte Stephanisalz, welches den Haustieren, vornehmlich
dem Rinde, gegeben wird, damit allerlei Übel abgewendet werden. Des-
lialb finden wir es auch erklärlich, warum geglaubt wird, geweihtes Stein-
salz könne auch eine Wirkung auf das Wild haben. Es wird als „Leck-
salz" auf die Berge gebracht, und das Wild wird dadurch zahmer und
leichter zugänglich.
Mit einer Bleikugel, die im Wildfleisch stak, kann man, wie aber-
gläubische Jäger behaui)ten, allerlei Kunststücke ausführen. Sie heilt
unter anderem als „Sympathie" den Zalinsclimerz, stillt das Nasenbluten
und hilft gegen die rote Ruhr. Diese kann mau „einstellen", wenn von
iler Ku^i'el ein Teil abgeschabt und genossen wird.
Haupt: V. A. Eeuss' Saiiinilungoii zur fränkischen Volkskunde. 413
Fuchssclimalz liilft Brustleidendeii, es wird als „Scbmirb" verwendet.
Die Fuchsleber dagegen soll purgierende Eigenschaften haben. Die Lungen-
schwindsucht soll Lunge und Leber vom Fuchs heilen.
Gemsblut, frisch vom aufgebrochenen Tiere getrunken, macht flechsig
und schwindelfrei. Geschabte Gemskrickel stillen das Nasenbluten. Gems-
unschlitt wird gegen die Gicht angewendet. Wer einen Gemsbart auf dem
Hute trägt, ist sieghaft. Ist jemand „kopfschiacli" (schwindlich), so soll
man ihn bei den Schläfen mit Gemsfett bestreichen. Wer einer ver-
endenden Gemse die Zunge herausschneidet und diese um den Leib bindet,
sieht bei der Nacht wie bei Tage: er bekommt, sagt man, Katzenaugen
und vernimmt das kleinste Geräusch seiner Umgebung.
Donnorsbachwald im Bezirk L'dning.
F. A. Keuss' Sammlimgen zur fränkiselien Volkskunde.
Von Hermann Haupt.
Dr. Friedrich A. Reuss (geb. 1810 zu Kitzingen, von 1840—1857
Professor der deutschen Litteratur, zeitweilig auch Bibliothekar an der
Universität Würzburg, gestorben zu Nürnberg am 4. März 1868), dem die
deutsche Litteraturgeschichte und die fränkische Geschichtsforschung so
manchen wertvollen Beitrag verdankt, hat sich in langen Jahren eifrig mit
der Sammlung von volkstümlichen Überlieferungen aus Franken
beschäftigt. Seine tiefgehenden Studien zu abschliessender Darstellung
zusammenzufassen, war allerdings nicht Sache des jeder neuen Auregmig
geschäftig nachgehenden Gelehrten, der in seiner für ihn verhängnisvoll
gewordenen Vertrauensseligkeit lieber anderen aus seinen Sammlungen
und Arbeiten mit geradezu unbegreiflicher Freigebigkeit mitteilte. So ist
er auch bei seineu breit angelegten volkskundlichen Forschimgen, die auf
die Absicht einer Gesamtdarstellung der ostfränkischen Kulturentwickelung
und Volkskunde hinweisen, über die Anlegung der nachfolgend verzeichneten
Stoffsammlungen nicht hinausgekommen, die, völlig ungesichtet und auf
lose Blätter und Blattschnitzel hingeworfen, von Reuss noch bei seinen
Lebzeiten dem Germanischen Museum zu Nürnberg überwiesen worden sind:
1. Hs. 7013. Analekten zur Geschichte der Medizin, die auch die
Volksmedizin und den medizinischen Aberglauben berücksichtigen.
2. Hs. 7089. Materialien zu einer geschichtlichen Darstellung der
Entwickeluug und Fortbildung der Besprechungen und Segen in Krankheiten
bei den Griechen, Römern und im Mittelalter und deren Übergang in die
Benedictionen der christlichen Kirche (Reiche Sammlung von Citaten aus
414 Haupt:
sclniftstollorisclieü uud geschiclitlicheu Quellen, Abschriften von Gebets-
formeln, Anmieten u. s. w.).
3. Sammlung von 500 Notizblättern, enthaltend Materialien zur Archäo-
logie, Mythologie, Ethnographie, älteren Natur- und Heilkunde des Kreises
Untei-franken.
4. Analekten zur naturhistorischen und medizinischen Beschreibung
von Mittelfranken.
5. Sammlung von 50 Notizblättehen, betreffend Volksaberglauben, Brauch
und Sitte, Lieder, Sprichwörter u. s. w. aus Oberfrauken, Unterfranken und
Mittelfranken.
Lidern wir die Freunde der fränkischen Volkskunde auf diese unseres
Wisseus bisher nicht beuutzten, aber zweifellos manche beachtenswerten
Nachweise enthaltenden Sammlungeu aufmerksam machen, glauben wir aus
der zuletzt angeführteu Stoffsammlung einige wenige, deren Inhalt und
Umfang charakterisierende Proben im Folgenden mitteilen zu sollen. Die
bezüglichen Aufzeichnungen sind offenbar durchweg aus dem Volksmunde
geschöpft, iu eiuzelueu Fällen ist der Name des Gewährsmannes, aus-
nahmslos aber die Angabe der örtlichen Zugehörigkeit der betreffenden
Gebräuche, Lieder u. s. w. beigefügt. Die von Reuss verwandten Chiffren
für Würzburg (W.) und Nürnberg (N.) sind von uns beibehalten.
L Kinderreime uud Volkslieder.
1. 2.
Auf der Blücher Spitz') Heile, heile Kätzle,
Sitzt e blinder Stigelitz, Kälzle hat e Schwänzle,
Richt'n Pudel ab. Hat e Löchle auch derbei,
Sie laufen auf und al). (W.) Pritzlc, steck dei Wewelc neu (W.)
Heia popcia die Nunne
Habn mir mei Rindle gcnumme,
Habn mirs genurame und nimmer gebracht
(W.)')
4.
Man setzt den Tfiuber wohl hinter den Tisch,
Man trug ihm auf gebackenen Fisch,
Man stellt ihm vor den besten Wein,
Der Tauber, der wollte nicht lustig sein. —
Der Tauber ilog vor dem Goldschmied sein Haus,
Der Goldschmied der schaute zum Fenster heraus:
1) d. h. Spitze des Pl'arrtuiins des l'leichacher Stadtviertels in Würzbiirg.
2) Vgl. die übereinstimmenden Formen dieses Wiegenliedes in der Abhandhiug von
A. Englert über „Wiegenlieder aus dem Spcssait" (Zeitschrift des Vereins für Volks-
kiinilc IV, 54 ff.\
F. A. Rouss's Samnilimg-on zur fninkischoii Volkskunde. 415
Goldschmied, schniied mir ein feins Riiigoleiii,
Diis will ich u-['bcn der Liebsten mein. —
Und wer einen solchen Tauber will haben.
Der muss einen solchen Taubenschlag- haben.
Er muss ihm auch geben das Allerbest,
Damit nur der Tauber bleibt in seinem Nest. —
Wer hat wolil das Liedlein erdacht?
Es haben's zwei weisse Täublein gemacht;
Sie haben's gemacht und wohl bedacht,
Drum, meine Lieben, gute Nacht! (W.)')
n. Fränkischer Aberglaube, Braucli und Bitte.
1. Wer eine dreifarbige Katze im Hause hiilt, dessen Haus ist vor Peuers-
gefahr sicher. , (N.)
2. Leckt die Katze ihre rechte Pfote, so bedeutet dies angenehmen Besuch,
lockt sie die linke Pfote, unangenehmen Besuch. (,W.)
3. Neu erworbene Katzen werden, um sie im Hause anzugewöhnen, dreimal
um den Tisch getragen: oder man lässt sie in den Spiegel sehen. (W.)
4. Schwarze Katzen ohne jedes weisse Haar sind Hexen und sollen nicht
genommen werden. (W.)
."). Wenn die Katzen des Nachts miauen, soll man nicht zum Fenster hinaus-
schauen, sonst geschwillt das Gesicht. (W.)
ti. Floh auf der Hand, Brief über Land. (W.)
7. Eine Aalraupe, in der Tasche getragen, schützt vor Geldmangel.
(Schweinfurt.)
8. In der Andreas- und Christnacht trete man nachts 12 Uhr nach rückwiirts
in die Bettstatt und spreche dreimal:
„Heiliger Andreas, ich bitt.
Wenn ich in mein Bettlein tritt,
Du wollest mir erscheinen,
Bescheer mir doch einen,
Den Herzallerliebsten mein,
Der wird mein."
Der Geliebte kommt dann zur Thür herein. (Schwarzach.)
Andere Weise: „Bettladenbrett, ich tritt dich,
Heiliger Andreas, ich bitt dirh,
Lass mir erschemen
Den Liebsten meinen. (W.)
9. Dem Mildchen, das sich in der Christnacht nackt ausgezogen und an den
gedeckten Tisch gesetzt, erscheint der Geliebte. Wenn er von den daselbst ge-
sehenen Gegenständen, im F'alle einer späteren Ehe, an der Frau etwas sieht, so
vergeht die Liebe. (W.)
10. Ein Scheit Holz in der Christnacht aus dem Holzstoss gezogen und rück-
wärts geworfen soll Bezug auf den zukünftigen Gatten haben. (W.) — Am
Andreastag wirft man eine Armvoll Holz ins Zimmer; wenn das Holz, paarweise
gelegt, gleiche Stösse giebt, so heiratet das Mädchen im Hause. (W.)
1) [Das Lied im ganzen ist eiue Variante des alten Liedes von der Nachtigall,
Uldand, Alte h. u. nd. Volksl. No. 38. Die erste nicht zugehörige Strophe findet ihr ent-
sprechendes iu der 14. Str. von Uhlands No. 122 (Graf Friedrich).]
416 - Weinhold;
11. In der Christnacht 12 Uhr sind eine Minute linig alle IJrunnenwasser
Wem. (W.)
12. Redet man in Gegenwart tou Hunden oder Vögeln davon, dass man sie
kaufen oder verkaufen wolle, so sterben sie. (W-)
13. Sieht man nachts in den Spiegel, so schaut der Teufel heraus (W.)
14. Wenn man in einem Hafen mit dem KochlöfTel rührt und dabei lebhaft
an jemand in der Ferne denkt, so kann derselbe nicht mehr ruhig am Orte bleiben.
(W.)
15. Der Besen soll des Abends nicht verkehrt gestellt werden, sonst zieht das
die Hexen herbei. (W.)
16. Wenn die jüngere Schwester eher als die ältere heiratet, giebt sie der
letzteren zum Spott eine Geiss. (W.)
17. Kann ein Mädchen von einem Apfel die Schale ganz ohne Unterbrechung
abschälen, so dass nichts abfällt, so darf es heiraten. Wirft es die Schale hintei'
sich, so bildet diese die Anfangsbuchstaben des zukünftigen Mannes. (W.)
18. Wenn ein Mädchen in der Christnacht ihi'e Pantoffel rückwärts wirft uml
dann die Hinterseite derselben ihren Füssen entgegensteht, so wird sie das Regiment
im Hause bekommen. (W.) — Wackelt der Tisch, so ist die Frau Herr im Hause.
(W.) — Wer am Hochzeitsabend zuerst einschläft, wird Herr im Hause. (W.)
19. Beim Umzug in eine neue Wohnung bringt man vor allem anderen ein
Kruzifix und ein Laib Brot oder ein Stück Brot dahin. (W.) — Das Brot soll
immer auf die Mehlseite gelegt werden, sonst giebt es Verdruss oder Unglück.
(W.) — Brot soll ebengleich geschnitten werden, sonst wird man nicht reich; wer
das Brot ungleich anschneidet, geht mit Lügen um. (W.) — Aus der Hand ge-
fallenes Brot ist nicht gegönnt. (W.)
20. Des Kreuzschnabels Krankheit und Tod sagt gleiches Schicksal für dessen
Besitzer voraus. (N.)
21. Steckt man eine auf dem Wege gefundene Nadel zu sich, so hat deren
früherer Besitzer keine Ruhe und muss dem Finder nachlaufen. (W.)
22. Wenn die Pferde beim Vorübergehen an einem Hause dort gern entleeren,
so bedeutet das Glück für das Haus. (N.)
23. Wenn man auf der Strasse über einen Stein stolpert, sagt man, es sei da
ein Musücant begraben. (W.)
24. Am Nicasiustage (9. Dezember) wird an jeder Thür im Hause der Name
Nicasius angeschrieben. (W.)
Giessen.
Vom heiligen Ulricli.
Von Karl Weinhold.
Die Zeit ist vorüber, in der manche deutsche Mythologen jeden
Kirchenheiligen darauf hin untersuchten, welcher germanische Heidengott
sich unter seine Gewänder versteckt habe. Heute begnügt man sich dabei,
die Volksmeinungen von jenen Gestalten gläubiger Vei-ehrung loszulösen
und sie zu prüfen. So will ich es hier mit dem heil. Ulrich thuu, wozu
Vom heiligen Ulricli. 417
niicli eine Mitteilinii;- aus dem Eisaktbale bewogen hat. Eine Untersuchung
seiner Legenden, die L. Uhhmd beabsichtigte, liegt nicht in meinem, Sinne.
Ich will nur gewisse Kräfte uml golieime Wirkungen, ilio <las Volk dem
Heiligen übertragen hat, besprechen, wobei sich manches niclit unwichtige
ergeben wird.
Bischof Uodalrich von Augsburg') war ein Sohn des Grafen Hugbald
von Dillingen, und durch seine Mutter Diotbirg Neffe des Herzogs Burk-
liart I. von Scliwaben (f 1)26). Er war um 890 geboren; Ende 'J23 zum
Biscliof von Augsburg erwählt, blieb er es fast volle fünfzig Jahre bis zu
seinem Tode am 4. Juli 973. Im J. 993 sprach ihn Papst Joliann XV.
auf Grund der wunderbaren Heilungen, die er beim Leben und nach dem
Tode gewirkt, durch die Bulle vom 3. Febr. heilig. Es war, wie man
annimmt, die erste vom päpstlichen Stuhl vollzogene Canonisation. Der
Todestag Ulrichs ward zum Tage seiner kirchliciieu Verehrung bestimmt.
Dieselbe breitete sich für ihn, den Sprössling hohen schwäbischen Adels
und den tüchtigen, frommen und tapferen schwäbischen Bischof ganz be-
sonders im schwäbiscli-alemanniselion Ijande aus; aber auch im Elsass und
in der alten Salzburger Kirclienprovinz (Baiern, Tirol, Österreich, Steier-
mark, Kärnten) ist er nocli lieute als volkstümlicher Heiliger bekannt.
Ihm geweihte Kirchen finden sich aucli in Thüringen (Sangerhausen,
Weberstedt bei Mühlhausen, S. Ulrich bei Mücheln); in der Magdeburger
Erzdiöcese: so in Magdeburg, in Halle; in Niedersachsen: Braunschweig,
Goslar; auch in Belgien.
Zehn Jahr nach Ulrichs Tode begann der Priester Gerhard, der dem
Biscliof nahe gestanden, dessen Vita, die dem Papst Johann XV. bei der
Heiligs]n'eclmng vorlag. Auch noch dem 10. Jahrhundert gehört die
Lebensbeschreibung, welche Biscliof Gebhard von Augsburg (99G— 1001
Bischof) verfasste. Geschichtlich unbedeutend ist die vom Abt ßerno von
der Reichenau um 1030 geschriebene Vita S. Udalrici, die um 1200 von
einem Geistlichen Namens Albert in deutschen Versen bearbeitet ward
(herausgeg. von J. A. Schmeller, München 1844). Im 11. Jahrh. sagte und
sang das Volk vom heil. Ulrich, wie Eckehard IV. in den casus S. Galli
berichtet^), und lateinische Sequenzendichter des 12. Jahrh. hielten sein
Gedächtnis fest, das auch späterhin bei den Dichtern oder Reimern nicht
erlosch. So trägt ein Meistersiugerlied des Jörg Breining (c. 1480) zwei
Wunder S. Ulrichs vor'): den Beistand, den er einer Gräfin zu Köln in
1) Konr. Raffler, Der hl. Ulrich, Bischof von Augsburg. München 1866. Zweite
Ausgabe 1870. Jnl. Koch, Geschichte und Cult rles hl. Ulrich, Bischofs von Augsburg.
Halle 1875 (,Doct. Dissert.). — Eine ansprechende Charakteristik Bischof Ulrichs entwarf
Alb. Hauck in seiner Kirchengeschichte Deutschlands, III, 1, 47 ff. Leipzig 1893.
2) plura quae de eo concinnantur vulgo et canuutur, Pertz Monum. II. 109. Meyers
V. Knonau Ausg , ö. 221.
3) Görres Altdeutsche Volks- und Meisterlieder, S. 311 ff.
418 Wcinhold:
einem Erbstroite leistet, und die Rettung der Unschuld einer Gräfin von
Leiningen netst Wiederbelebung des Ritters, der liingerichtet ward, weil
er mit ihr in falschem Verdacht gewesen war. Diese CTCscIiirlite wird
auch in der Zimmernschen Clironik und sonst erzälilt (F. Liebrecht in der
üerniania XIV, oOl). Über andere Sagen vom hl. Ulrich s. Sclimeller in
seiner Ausgabe des Albertschen Gedichtes S. XVI.
Wie vorhin erwähnt, fiel für die Heiligsprechung des Bischofs Ulrich
besonders ins Gewicht, dass er sich als grosser Helfer in Krankheiten
bewährt hatte. Das Ol, das er am Gründonnerstag weihte, stellte viele
Kranke her und machte Blinde sehend (Gerhardi vita S. Oudalr. c. Iß).
Der Glaube au seine Hilfe ist noch nicht erloschen. In Tirol gilt er
neben dem hl. Sebastian als Krankheitspatron, auch hilfreich gegen die
Cholera (Schöpf, Tirol. Idiotik., S. 780). ') In der Schweiz sind ihm nach
dem Oltener Kalender auf 1859 Milchopfer für die Gesundheit der
Kinder gebracht worden (Schweizerisches Idiotik. 1, 184). Ein Trunk aus
dem vom hl. Ulrich gebrauchten Messkelch im Schloss Firmian in Tirol
sollte von schweren Beängstigungen befreien (Schmeller, Bayrisches Wörter-
buch P, 63). Trünke „in der Lieb und in den Ehren" S. Ulrichs haben
in Schwaben als Segnung und Schutz gegen alle Widerwärtigkeit und
gegen den Tod durchs Schwert an diesem Tage gegolten. Grössere Ge-
sellschaften vereinigten sich, zu trinken „in der Lieb von S. Ulrich"
(Birlinger, Schwab. Augsburg. Wörterb., S. 41Ü f.). Hier haben wir also
eine S. Ulrichsniinne, die sich der Johannis- und der Gertrudenminne
■zur Seite stellt, und zuletzt den Opfertrünken zum Gedächtnis des Thorr,
des Freyr und anderer nordgermanischer Götter.
Dass der heil. Ulrich auch übermässige Trünke gesegnet habe, ist
unbegründeter Versuch, die weitverbreitete Redensart für erbrechen : Ulrich
rufen oder den heil. Ulrich anrufen, die nur auf Klangähnliclikeit beruht,
au den Bischof Ulrich anzuknüpfen.
Von Göttern und Helden geht bei allen Völkern die Überlieferung,
dass sie lebens- und heilkräftige Quellen aus dem Schosse der Erde
erweckten.^) So auch von manchem Heiligen und nicht zuletzt von S.
Ulrich. Ulrichsbrunneu kennt man heute noch namentlich in Schwaben
und auf bajuwarischem Boden. An dem von Eresing unfern des Ammer-
sees haftet die Sage, dass ihn der Bischof hervorgerufen, um seinen Durst
zu löschen; ebenso an dem Ulrichsbrünnlein über dem Weiler Paterzeil
bei dem Pfarrdorfe Forst. Von dem Ulrichsbrunnen in Seibranz geht die
Sage, dass dort kein Wasser war, und das Volk klagte darob dem Bischof.
Der stiess nach einem Gebet seinen Stab in die Erde und sofort sprang
1) Vgl. auch unten S. 42E das über die Wirltung der Ulrichkreuze Gesagte.
'J) QuelUm stossen in german. Sage aus der Erde die Götter Wodan und Bahlr, die
Heiligen Ulrich, Gaugolf, Wolfgang, Bnnifaz, die Heroen Karl, Arnold von Holland u. a.
Vom heiligen ülricli. 419
eine reiche Quelle hervor, zu der bis in unsere Zeit jährlich am Ulrichs-
tage eine feierliche Prozession ging (Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben
1, 407). Ähnlich heisst es von dem Uorlisbrunn im Walde Weinhart bei
Klimmach, dass ihn der Bischof, als sein Jagdgefolge dürstete, mit dem
Stabe aus der Erde gestossen habe (Birlinger, Aus Schwaben 1, 48).
Nach unserm Heiligen benannte gute Quellen finden sich auch bei
dem oberbayrischen Pfarrdorfe Happach^), ferner in Dehliugen bei Ohmen-
heim im Oberamte Neresheim und in Höchreute bei Pfrungen im Oberamte
Saulgau (Alemannia XII, 161). Das Wasser der Dehlinger Quelle soll der
Heilige durch hineingeworfene Holzstückcheu trinkbar gemacht haben.')
Auch in Neuburg a. d. Donau, in Priedberg an der Strasse nach
Aischach und beim Markte Kirchheim in Schwaben waren früher Ulrichs-
brunnen bekannt (Birlinger, Schwab. Augsb. Wörterb. 419).
Besonders heilsam gilt das Wasser dieser Quellen, namentlich der
Eresinger und Paterzeller, für die Augen. Bei mehreren Brunnen, so in
Eresiug, Paterzeil und Höchreute, wurden dem Heiligen geweihte Kapellen
erbaut. Unweit von Heiligenkreuz am Wasen, Bezirk Wilden in Steier-
mark, steht ein Ulrichskirchlein, neben ihm eine mächtige Linde, unter
derselben eine Kanzel, von der am Patrociniumsfest (4. Juli) dem zusammen-
strömenden Volke gepredigt wird. Fünf Minuten davon entspringt eine
Quelle mit vortrefflichem Wasser, über der sich eine steinerne Ulrichs-
statue erhebt.')
Ein wirkliches Volksfest wii'd am Sonntag nach dem 4. Juli, wenn
dieser nicht selbst auf einen Sonntag fällt, am Ulrichsbrunnen am nördlichen
Abhänge des Eeunerkogels bei Graz, der steirischen Hauptstadt, begangen.
Schon am Vorabend ist in dem Kirchlein Gottesdienst, am Tage selbst
vormittags Messe und Predigt, die im Freien von einer dazu errichteten
Kanzel gehalten wird. Auch nachmittags ist Gottesdienst. Viele Hunderte
bürgerlichen und ländlichen Standes aus Stadt und Umgegend strömen da
zusammen. Kaufbuden mit Lebkuchen in verschiedenen Formen, mit
Eosenkräuzen (Beten) und anderen kirchlichen und weltlichen Dingen,
Schaukstätteu aus grünen Ästen gebaut, in denen vornehmlich Met ge-
schenkt wird, sind errichtet. Die Besucher des Festes wohnen den Gottes-
diensten bei, lagern sich im Walde und bleiben meist bis zur sinkenden
Sonne. Sie trinken auch aus der heilkräftigen Quelle, die hinter dem
Altar des Kirchleins entspringt und ins Freie geleitet ist. Sie waschen
sich auch darin. Am Abend ziehen sie nach Hause, die Lebkuchen oder
1) Dieser fons S. Udalrici wird schon in einer Freisinger Grenzurkunde des 13. Jahr-
hunderts genannt: Oberbayr. Archiv IV, 427.
2) K. Eaffler, Der hl. Ulrich, 2. A., S. 163. 166.
3) Mitteilung vom Regierungsrat Dr. Fr. Ilwof in Graz, der auch meine Auf-
zeichnungen über den ITlrichsbrunnen bei Graz vervollständigt hat.
Zeitschr. d. Vereins f. Volksknnile. 1S95.
420 Weinhold:
was sie sonst beim Ulrichskirchlein gekauft haben, an Bändern um den
Hals gehängt.
Diesem steirischen Ulrichssountag vergleicht sich nun durchaus der old
Midsummer Sunday, der in Erringburn bei Bingfield im North Tyndale
gefeiert wird. Mr. Hall in seiner Abhandlung Modern Survivals of ancient
Well worship in North Tyndale (Arch. Aeliana. N. S. vol. "NTII, 60—87)
erzählt davon, dass sich am ersten Sonntage nach dem 4. Juli, der als
Mitsommertag nach altem Styl zu betrachten sei, das Volk der Umgegend
an dem Bore well versammele. Es werde eine Art Jahrmarkt gehalten.
Erfrischungen feil geboten, und stufenweise sitzen die Leute am Hügel
hinauf. Weiber, die gern Kinder hätten, beten still an der Quelle; binnen
zwölf Monden erfüllen sich die Wünsche. Der Sonntag heisst der Bore
Well Sunday.
Ein ähnliches Volksfest fand nach Mr. Hodgson in der Hist. of North-
umberland an den Our Lady's Wells oder Holy Wells bei Langwitton,
besonders an der östlichsten Quelle, der Eye Well am Midsummers Sunday
und dem folgenden Sonntage statt. Die Bewohner der Gegend assen Ingwer-
brot, tranken aus der Quelle und vergnügien sich mit Wettlaufen. Nach
der Sage hauste einst an der Quelle ein Drache, den Guy of Warwick
erschlug.
Nach Mr. Hall sammelte sich auch an den Gilsland Wells in Nortb
Tyndale einst das Volk am Sonntag nach dem alten Mitsommertag, dem
sogen. Head Sunday.')
Bei diesen nordenglischen Volksfesten zeigt sich keine Beziehung auf
den heiligen Ulrich. Es sind zum Sunnwendcyklus gehörige Kultreste, und
doshalb helfen sie uns zum Verständnis, dass die deutschen ülrichsbruunen
ursprünglich nicht zu S. Ulrich gehörten und dass die an sie geknüpften
Sagen und Verehrungen erst später auf den Bischof übertragen wurden,
nachdem sein geschichtlich feststehender Todestag (4. Juli) zum örtlichen
Kirchfest geworden, das sich mit den altheiligen Sunnwenden zeitlich
berührte. Dafür zeugt auch die Hereinziehung S. Ulrichs in die Sunn-
weudfeuerheiligen. Im österreichischen Inuviertel wird das Holz zum
Sunnwendfeuer auf die Namen der heiligen Veit, Ulrich, Nikolaus (Nigl)
und Florian erbettelt (Am. Baumgart, Aus der volksmässigen Überlieferung
der Heimath, 1, 27). Im kärntischen Lesachthaie werden am Abend vor
ülrichstag Feuer angezündet und brennende Holzscheiben getrieben ^), zum
Abschluss der Sunnwendfeuer, die am Abend vor Johannes dem Täufer, vor
Peter und Paul und vor Ulrich üblich sind, und für eine vierzehntägige
Dauer des altdeutschen Mitsommerfestes zeugen, die auch aus Schwaben
1) Vgl. The Denhams Tracts. A collection of Folklore by M. A. Denham. Edited
by J. Hardy. Vol. II. S. 156 f. London 1895.
2) M. Leier in Wolf-Mannhardts Zeitschr. f. deutsche Mythol. 3, 31.
VoBi heiligen Ulrich. 421
und Bayern durch die Peuerabende vor S. Veit, S. Johaunes und S. Peter
und Paul sich ergiebt (Panzer, Bayer. Sagen und Bräuche, 1, 213—217).
Der ülrichstag gilt in Oberösterreich auch als Losstag. Wenns
am Ulrichstag (Durästag) regnet, so regnet es ins Urbkübel, d. i. den
Urhabkübel, das Gefäss, worin der Sauerteig (urhab) zum Brot gemacht
wird; das Getreide giebt schlechtes Mehl (Am. Baumgart, Aus der Heimat,
1, 50). In Nord-Schottland gilt der 4. Juli, der dort St. Blartins of Bullions
day (Festum S. Martini Bullionis, Fete S. Martin Bouillant) heisst, auch
als Losstag, der wenn nass, vierzigtägigen Regen anzeigt.') Wenn es am
ülrichstage ein Gewitter giebt, heisst es in der Schweiz: der Ule donnert
d' Nuss abe. Die Nussernte ist missraten.
Der hl. Ulrich galt auch als Beschützer der Reisenden, wie ein
Segen einer ehemals Weingartener Handschrift des 12. Jahrhunderts (Grati;
Diutiska 2, 70. Müllenhoff — Scherers Denkmäler IV, 8) bezeugt. Der
Segen schliesst: Des guten Sankt Ulrichs Segen sei vor dir uud hinter dir
und über dir und neben dir gethau, wo du auch wohnest und wo du seiest,
dass da eben so guter Friede sei als dort war, wo meine Franc Sancta
Maria des heiligen Christs genas.
Eine ganz besondere Bedeutung hat S. Ulrich als Helfer gegen die
Haus- und Feldplage der Ratton und Mäuse gewonnen.
Neben ihm schützen bekanntlich gegen dieses Ungeziefer die heilige
Gertrud (Unsere Zeitschrift I, 444. H, 199).
S. Nicolaus (A. Wuttke, Volksaberglaube, § 616. Schleicher, Volks-
tüml. aus Sonneberg, S. 140. Eng. Schnell, S. Nicolaus, Brunn 1883. 1, 37).
S. Nicasius (A. Wuttke, Volksaberglaube, § 614. 616. Grohmann,
Apollo Smintheus, S. 63. Baumgarten, Aus der Heimat 1, 83. A. Stöber,
Alsatia. 1852. S. 132. Pröhle, Harzbilder, S. 84).
S. Medardus (Wuttke, § 616. Bartsch, Mecklenburgische Sagen,
2, 176. 285).
In Meysterlins (f 1490) Nürnberger Chronik wird zu den Wundern
des hl. Ulrich gerechnet, dass zwischen Lech und Weitach keine Ratte am
Leben bleibe.
Die Zimmernsche Chronik (III, 272 ff. der Barackschen Ausgabe von
1869) erzählt, dass im Jahre 1538 zu Mösskirchen so viel Ratzen waren,
dass man alles versuchte, sie zu vertilgen. Graf Gotfried Wernher v. Zimmern
„hat Sanct Ulrichs ertrichs etlichmal von Augsburg holen lassen der hof-
nung, es solte die Ratzen vertribeu, wie dann ein gemeiner leumat dess-
halber, aber es wolts nit thuen". Es kam dann ein Abenteurer, der die
Ratten aus der Stadt verbannte. •
In Veringen an der Lächert, wird in selber Chronik (III, 273) weiter
berichtet, „sei in etlich hundert Jahren kein Ratz gespurt worden; so auch
11 Hampson Meclii aevi Calendariuiii. London 1841. I, 332.
29»
422 Weinhold:
eiu lübendiger Ratz dahiu gebracht oder ungeferdt dahin kam, so starb er.
Das soll S. Ulrich denen von Veringen, sagt man, uinb Got erworben
haben, dann er von der Mutter ein Graf von Veringen, auch im Stotle zu
Veringen soll geboren sein worden."
Der Kapuziner Athanasius von Dillingen berichtet in seiner Vinea
evangelica (Dillingen 1694), dass die Mäuse oder Ratzen die Erde vom
Grabe des hl. Ulrich fliehen und sich in seinem Bistum nicht aufhalten
oder Schaden zufügen mögen (Birlinger, Aus Schwaben 1, 294). Als einst
in der Rottenburger Markung zahllose Mäuse hausten, holte man S. Ulrichs
Stab von Augsburg, trug ihn in Prozession um die Feldei', und die Mäuse
sollen alle verschwunden sein (Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben
1, 407).
Im Lechrain, der zum Augsburger Bistum gehört, wird S. Ulrich
gegen den Schaden der Mäuse und Ratzen mit grossem Erfolge angerufen,
weshalb die Feier des Ulriehstages, obschon öfter abgeschafft, immer wieder
erlaubt werden musste (v. Leoprechting, Aus dem Lechrain, S. 189).
Nach Stadlers Vollständigem Heiligen-Lexikon (Augsburg, Band 5,
S. 597) wird der hl. Ulrich zuweilen mit Ratten zu seinen Füssen ab-
gebildet.
In den angeführten Zeugnissen ist mehrmals die Erde vom Grabe
des hl. Ulrich als Mittel gegen das Ungeziefer genannt werden. Es ist
das älteste Grab in der St. Afrakirche zu Augsburg gemeint, wo sich
Bischof Ulrich auf blosser Erde, nur mit einem hölzei-nen Deckel bedeckt,
hatte bestatten lassen. Nach einer alten Aufzeichnung hat diese Graberde
die besondere Kraft, naclidem Gebete und gute Werke dabei verrichtet waren,
die Ratten aus den Häusern und den nächst gelegenen Orten zu vertreiben,
wo sie mit Vertrauen aufbewahrt wird ;K. Raffler S. 163). Die Ulrichs-
erde wird in die von Btäusen bevölkerten Äcker eingegraben oder dort,
wo Ratten sich zeigten, aufgestreut. Nach Stadlers Vollständigem Heiligen-
Lexikon (V, 597; Anm.) wird noch jetzt von S. Ulrichs Grab entnommene
Erde als Mittel gegen die Ratten in den Häusern aufbewahrt.
Frommer Glaube hat aber auch die Erde vom Kirchhofe dem hl.
Ulrich geweihter Kirchen dieselbe Kraft zugesprochen. Wenigstens
ist mir solches von der Pfarrkirche St. Ulrich im Grödener Thale (Südtirol)
glaubwürdig berichtet worden. In St. Ulrich, dem Hauptort von Gröden,
soll es keine Ratten geben Einmal trug man eine lebende Ratte dorthin
uud Hess sie beim Mittagsläuten innerhalb der Freithofmnuer laufen. Sofort
starb sie, gleich der Ratte in Veringen. Erde von diesem St. Ulricher
Kirchhof wird in Dörfer der Nachbarschaft geholt und als Rattenmittel
ausgestreut. Es hat auch für lange geholfen, wie eine Wirtin in Gufidaun
versicherte.
Die Erde von heiligen Gräbern vernichtet schädliches. So tötet Erde
vom Grabe des hl. Julian in Judicarien Schlangen augenblicklich. Um
Vom heiligen Ulrich. 423
seine Grabkapelle lebt kein Gewürm (Schueller, Märchen und Sagen aus
Wälschtirol, S 222).')
Gleich der Ulrichserde galten und gelten auch die Ulrichskreuze
als Schutzmittel gegen Ratten und Mäuse, wenn sie in die Erde vergraben
oder an Häusern und Ställen aufgehängt oder darin vermauert wurden.
Diese Kreuze dienen und dienten am Halse getragen auch als Amulette
gegen allerlei Anfechtungen, sowie gegen Krankheiten, besonders gegen
Pest und Cholera, ferner bei Kriegsgefahren und Gewittern.^)
Diese Ulrichskreuze waren ursprünglich Erinnerungen an die Walfahrt
zum Grabe des hl. Ulrich und zugleich an das dort aufbewahrte sehr alte
KreuZj das mit einer grossen Partikel vom heiligen Kreuz in sich, waln--
scheinlich von Bischof Ulrich als Pectorale getragen worden ist. Nur die
Sage hat es mit der Ungarschlacht von 955 in Verbindung gebracht, und
daher stammt auch die häufigste Inschrift der Ulrichskreuze : Crux victorialis
S. Udalrici.
Durch die Benedictiner, welche Kaiser Heinrich H. 1012 in das Ulrichs-
kloster einsetzte, kam der hl. Benedict nebst dem Benedictussegen auf das
Ulrichskreuz; er gewann sogar das Übergewicht über den hl. Ulrich.
Diese Kreuze, kirchlich geweiht und mit dem alten echten Ulrichskreuz
berührt, bildeten sich zu Amuletten aus, die in den oben bezeichneten
Fällen als Schutz- und Heilmittel von den Gläubigen gebraucht wurden.
Die Beifügung des Zachariassegens machte das Ulrichskreuz zum besonderen
Schutzmittel gegen die Pest (Friesenegger S. 40—42).
Attribut des hl. Ulrich ist der Fisch, den er auf seiner linken
Hand trägt; zuweilen hat der Fisch ein Buch als Unterlage. Nach der
Legende (in der vom Ulrichskloster bei Silv. Otmar in Augsburg 1516
herausgegebenen Lebensbeschreibung der Augsburger Heiligen) hatte
Bischof Ulrich eine Nacht von Donnerstag zu Freitag mit Bischof Konrat
von Konstanz in frommem Gespräch zugebracht, und so fand ihn noch am
Morgen ein Bote des Herzogs von Baiern. Der Bischof reichte diesem
als Botenbrot ein Stück Fleisch, das noch auf dem Tische vor den beiden
Herreu lag. Der Bote benutzte aber die Gabe, um die Bischöfe der
Übertretung des kirchlichen Fastongebotes zu beschuldigen. Aber als er
den Beweis seiner Anklage durch das Fleischstück geben sollte, zog er
statt desselben einen Fisch heraus. Gott hatte ein Wunder gewirkt.
An dem Feste des Heiligen scheint in alter Zeit ein Fischmarkt bei
seinen Kirchen gehalten worden zu sein. Aus England wenigstens wird aus
früherer Zeit berichtet, dass, wo Ulrichskirchen sich fanden, am Patro-
1) Über die vernichtende, aber aucli die heilende Kraft von Graberde überhaupt nacli
schottischem und irischem Glauben: Gomnie, Ethnology in folklore, S. 113—115.
2) Eine sorgsame, mit vielen Abbildungen geschmückte Abhandlung Über die Ulrichs-
kreuze gab jüngst der Stadtpfarrer bei St. Ulrich und Afra in Augsburg, Jos M. Friesen
egger, (Augsburg 1895) heraus. Ich habe diese tretfliclic Arbeit hier benutzt.
424 Wossidlo:
ciniumsfest in dem Kiroheiischiff nahe dem Altar Leute mit Karpfen und
anderen Fischen sasseu. Die Käufer glaubten damit des hl. Ulrichs (iunst
zu erwerben.^) Als eine Spur davon kann der Vers „Ulrich brät die
Karpfen" in dem Liede „Wie geht es denn im Himmel zu" (Unsere Zeit-
schrift 5, 362) genommen werden.
Ich will mit einer Mutmassung schliessen.
Die hübsche Legende von dem in Fisch verwandelten Fleisch ti-itt
spät auf. Bei'no hat sie noch nicht, sie kommt erst in jüngeren Anhängen
zu seiner Vita, und auch nicht in allen Handschriften derselben vor. Im
Anfang des 16. Jahrh. scheint sie erst allgemein bekannt.
Vielleicht hängt der Fisch mit dem Quellenheiligen zusammen, denn
der Fisch ist eine bekannte Gestalt der alten Wassergeister (Unsere Zeit-
schrift V, 123. Gomme, Ethnology in folklore, 92 f. 101). Die Ulrichs-
brunnen sind, wie wir oben schon bemerkten, heilige Quellen aus vor-
christlichem Kult, die durch Übertragung auf einen kirchlichen Heiligen
ihre Bedeutung behielten. Das alte Idol des Wassergeistes ward zum
Symbol des heiligen Bischofs, und zur Erklärung desselben erfand frommer
Sinn die Legende von dem Fasttagfisch.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes.
Von R. Wossidlo.
Zweiter Teil.
Für den folgenden zweiten Teil haben mich ausser den oben S. 302 genannten
Mitarbeitern auch die Herren P. Schrievcr in Kisserow, Lehrer Warnke in Krickow
und Fischer Ivlüss in Wendorf unterstützt; vor allem dem letztgenannten Herrn
verdanke ich wertvolle Mitteilungen über „Wind" und „Wasser".
Der mythologische Gehalt vieler Ausdrücke, namentlich über Wolkenbildung,
ist klar erkennbar; doch habe ich, um Raum zu sparen, alle Hinweise unterlassen.
VII. Sonne.
Einen alten Tagelöhner hörte ich mehrfach snnn als Masculinum ge-
brauchen.
De leiw sünn wird viel gesagt, vgl. de sünn schient ken armot in't land.
Die Sonne heisst auch: de ollsch, de oll madam dor haben (bei Still-
fried), oder: mudder gläunig: mudder gläunig kickt all wedder achter'n
1) Hampson, Medü aevi Caleudarium, S. 325 fülu-t dafüi- eine Stelle aus Baruabe
Googe an. Wie der Fisch beweist, ist niclit an den englischen Heiligen ülricus presb
Erem. (20. Febr.) zu denken.
Das Naturlebeii im Munde des Mecklenburger Volkes. 425
barg rut, und iu hiesiger Gegend sehr liäufig: Mariken: Mariken lett sik
all wedder seihn, Mariken kickt all öwer'n tun u. ä. m. vgl. unten..
Tagesanbruch.
De sünn grint all dörch.
Dat grimmelt all gegen osten, dat grämolt all, uu ;;'ragt de dag all an,
de dag griest.
Dat schemmert, de dag schämert.
De dag ward hellen.
De dag rakt an.
Vor dau un nebel, vor dau un dag, vor däuen dag (Brinckman), vor
dau un dak (Brinckman).
Drei dumdick (dumbreit) vor dag.
"Wer den öwer't uhr hangen will, de möt upstahn, ihr de düwel sin
strünip antreckt.
Stah up, Petrus lieft licht anstickt.
Stall up, de haliu röppt: Petrus bött füer.
Stah up, de gant röppt: dat is dag, dat is dag, un de gössel ropen:
klock is fiw,, klock is fiw.
Nu is dat rod all von de sünn; vgl. de lett dat rod ilirst von de sünn,
(de steiht nich ihrer up, as bet eni de sünn in'n nors schint): vom Lang-
schläfer.
De sünn steiht up middag.
De sünn sitt noch bomshoch, vresbomhoch, bänshoch, kirlslioch, hus-
hoch.
Sonnenuntergang.
De sünn geiht to gar, to rüst, is bi't afrüsten.
De sünn is bi't rutschen, bi't liden, fängt an to gliden.
De sünn sitt uppe neig, uppe naht, uppe rak, up'n raud, uppe wipp,
uppe rutsch, up'n glas, up'n glär, up'n glerr, up'n lär, up'n glir, uppe glipp,
up'n glipper, uppe glutsch.
Die Schiffer sagen: De sünn sitt uppe kimm (Horizont); wenn se in'n
letzten is, seggen wi, nu geiht so uppe kimnriug dal; so seggen wi ok,
wenn mit 'n oktanten hochde nahmen ward: wi kahlen uns de sünn in de
kimming.
De sünn krü])pt ünner, dükert ünner.
De sünn geiht to ncst, to kahn.
Wenn de sünn so tickert.
Wenn de sünn so mickort.
Wenn se up'n gläden steiht,
Denn se bald ünnergeiht.
426 Wossidlo :
0, mi kann Joliaiin N. (Name eines langen Kerls) bald ankamen.
De Hamborger jungens känen noch nich anhäkelt kamen.
De Doberaner schosters hebben noch ken pick upsmeten.
Nu hebben de buerjungens se all au'n reip.
De Rostocker (Lübecker, Crivitzer etc.) jungens, de Wesenbarger
schosterjungens hebben se all inne treck; de groten trecken all dal, wenn
de lütteii all ihrst anfaten, is se weg.
Leiw sünn gah dinen gang,
Uns hawdeinsten frugens ward de tid all lang.
oder:
Sünning, wohr dinen unnergang.
Uns lud ward de tid all gor to lang:
so hört man bei der Erntearbeit auf dem Felde.
Den Kindern wird wohl abends zuarerufen:
De sünn geiht ünuer, de buk ward dünner,
De köh gähn sitten, krigen melk in de titten, kamt rin un ät't wat.
Nu is fierabend, de bur slütt de dör to; auch: Petrus slütt to.
Feierabend hat der liebe gott gemacht,
Nachtarbeit hat der teufel erdacht.
De sünn kickt dorch de luk: wenn sie zwischen Wolken untergeht.
De sünn geiht dick weg, dat giwwt morgen wat.
De sünn geiht in'n busch, morgen giwwt't 'n husch.
De sünn krüppt in'n burrick (durrick; hurrick bei Bartsch II no. 1047),
morgen regent't unsern horrn in de furrick (d. h. Tasche).
De sünn geiht to sump, morgen regent't klump (phinip bei Bartsch II,
no. 1048).
Dat sünd de sünn ehr taschendök, dor wischt se sik den sweit mit af :
wird hie und da gesagt, wenn am Abend die Wolken neben der Sonne
goldige Ränder zeigen.
De sünn geiht inne blink: in stille, blanke See.
Dämmerung, Dunkel.
Dat wir in de dänimering, in'n halfschummern, bi'n auschummern, in
de schummoi'igen, in de schuniraering, schimmcring, in de schubstund, dat
wir schummerabend.
Dat wir in'n tweilichten.
Dat will all düstern.
Dat aukert all; dat ward all aukerig, abendhaftig.
In'n dunkeln is god munkeln.
In'n düstern is god smüstern, auch mit dem Zusätze: öwer ken god
flöhfangeu (hasenjagen).
Das Niiturleben im Mundil des Mecklenburger Volkes. 427
Datwir stockendig düster, stockenstirndüster, stickstirn-, stickenhimmel-,
stickenbalken-, himmelbalken-, stirnbalken-, dickenbalken-, bickbalkeu-,
pickendüster.
Dat is balkondick buten.
Dat wir gnätern düster, späuken-, bräken-, raben-, s wartend üster.
Dat is to'n gripen düster.
Hier is 't düster, as wenn man in'n sack is.
Dat wir pickeuuacht (Stillfried), pickenrabenswarte naclit, sticken-
swai'te, himmelswarte nacht.
Ken stirn to seihn, säd de bur, dor kek he in't brotschapp.
Dat is doch rein so düster, dor kann man sin fru in"n bedd nicli finneii.
Verschiedenes.
Wenn de wnlken so öwer de süun lopen, seggen wi: dat weder belöppt
so, dat is belopon weder, uplöpsch weder; de sünn het'n öwerlop.
Dat is beswulkt hüt: vgl. „Wolken".
De süun verkrüppt sik, versteckt sik, schugt sik.
De ollsch krüppt achter de gardinen.
Mariken treckt sik 'n flur öwer, bin dt sik 'n sleuer vor.
Nu geiht se verschütt: wenn sie hinter Wolken vorschwindet.
De süun w.äuhlt, waust, krüppt so.
De sünn wadt so, dat ward noch regen; de sünn wndt in de botter-
nielk; de sünn woddt so duU in 't dick.
De sünn quält sik so, se het hüt ken macht to schineu.
De sünn schult sik so bi sid rüm: im Winter.
Turwis blickt de sünn so up, dat giwwt bald wat.
Dat wir sünnenschint weder.
De sünn scliint so prell, so knallig; dat is so 'n streffe süini; vgl.
„Heisses Wetter".
De sünn de galt so, lacht so gäl, pliert so, grient sik so. wi krigen
anner weder.
De sünn smitt so'n blass.
De sünn süht so blennsch, so blindsch, so flömig ut.
De süun watert so, süht so waterig ut; vgl. auch „Wolken".
Wenn de sünn morgens so bläustert, seggen wi u]i see: nu liet he 't
signal all upheisst, denn giwwt't regen un dreck.
De sünn steiht up stütten: wenn bei starkem Wassergehalt der Atmo-
sphäre die Strahlen die Sonnenscheibe zu stützen scheinen.
Wenn de sünn ne gall het, giwwt dat regen.
Dor is hüt frömd sünn an'n heben; is noch ne blinu sünn tokamen;
de sünn het ne gegensünn, dat giwwt slicht weder: hüt mnkt de sünn 'n
cluwwelt gesiebt.
428 Wossidlo:
Wenn de sünn water süygt, treckt se fisch un alles mit hoch; dat
kümmt vor, dat dat nahst poggen regent.
Hut danzt de sünn, dat giwwt vel küll.
Sik sünuigen: sich sonnen; gah dor rut. du bradst nocli to pepernät.
Die sonn, die morgens früh aufgeht.
Pflegt man selten spät zu scheinen.
Das glück, was morgens früh schon lacht.
Das thut am abend weinen.
VIII. Mond.
Man, mand wird oft als Femininum gebraucht: se schient all, se is
upgahn u. s. w.
De rogg liet ne gode man, \\ goden wadel drapen: ist zu günstiger
Zeit gesäet worden.
Der Mond heisst auch: Johann Friedrich sin sünn, Ulenspeigel sin
sünn, den Nigendörper kohhird sin sünn u. ä. m.; de Wesenbarger sünn
(vgl. nu ward "t dag in Weseubarg, de mand geiht up), de Stirnbargor;
bei den Schiffern: de Swedsche sünn, in Hamburg und Holstein: de Meckel-
borger sünn; vgl. noch: in Klokow schient de sünn abends klock elben
noch bonishoch öwer'n schapstall.
En swinhird het ordre ki'egen, he süll so lang höden, bet de sünn
unnergahn wir. He bliwwt öwer drei dag buten, im as de herr em fragt,
worum he nicli na hus kamen wir, giwwt he to antwurt: je, wenn ein
düwel weg is, kümmt de auner wedder, (auch: wenn de Meckelborger
sünn weg is, kümmt de preusch wedder).
Herr Duuze berichtet mir aus Bartelshagen: Auf der Pantlitzer Heide
nahe der Landesgrenze erschienen den Jungens, wenn sie Pferde hüteten,
öfter Sonne und Mond zugleich am Himmel und machten ihnen ihre
Pferde scheu.
Die Deminutivform mäning wird namentlich Kindern gegenüber oft
gebraucht.
De Stirnbarger mäning is Jochen sin best kost, vgl. Reuter V, p. 408;
Stirnbarger mänings heissen nach Stillfried (Biweglang p. 36) auch die
den Mineralogen als „Sternberger Kuchen" bekannten Gesteinreste.
Petrus stickt dat abendlicht an: wenn der Mond aufgeht.
De mau fangt au nie to warden.
Nu het Petrus de brodköst all wedder rutsteken: beim ersten Viertel.
Dat will swin het den mand anfreten: beim Halbmond.
Petrus höllt den blanken nors ut't finster: beim Vollmond.
Iii'n afbreken man, in'n nauen mau, wenn de man dat afnelimont liet:
dat is minne mand.
Das Natiu-leben im Mundfi des Mecklenburger Volkes. 429
De man geiht to bier (to wirtshus, to krog), seggen wi, wenn vull-
mand west is un se denn nich glik rutkümmt, dat dat ne tid lang 'düster
is; wo lang geiht he all to krog?
Wenn de timpen vöröwer steiht, seggen wi: de mand gütt nt, schiirrt
ut, steiht uppe leck; de mand liggt uppe nick, dat giwwt regen.
Wenn de mand upn rügg liggt, giwwt dat frostweder; denn seggen
wi: de mand steiht in de drög, (steiht up't drögen, hängt drög, nu liöllt
ho drög).
Nu kann de ossenhäker sin pietsch uphängen; nu kann man saddel
un tom, kiep un lechel anhängen.
Wenn de man up'n rüggen liggt, seggen wi seelüd: he führt kalin.
He fiert sin boot to sik an, dat ward stormsch weder, heisst es auf
dem Fischlande, wenn die Abendsonne nahe am Monde steht, auch: he
liet de boot ranhalilt; anderenfalls: de boot is lang achteranbunnen.
Wenn no grot stirn dicht bi de mand steiht, seggen wi np see: de
mand het sinen verklicker (d. li. Verräter) bi sik; denn ward't weiligen,
w oneger, wo arger.
Krink um "n man, dat kann wol gähn,
Öwer sünnenkrink bedrowt männig fru un kind.
oder:
Krink um 'n man, denn het't gedahn,
Krink um de sünn, denn sall't beginnen, (seil, der Sturm.)
Vgl. noch Bartsch II, no. 964.
De mand frett dat up, lickt dat weg: das dicke Gewölk.
De mand vertehrt alles, hadd de Hollänner (de Swed) ok seggt, liadd
om 't ganz grot segel vertehrt.
Je wenn wi nich wiren, säd de lücht to 'n mand, denn güng se ut.
Petrus het nich ornlich putzt: wenn das Mondlicht nicht durchs Gewölk
zu dringen vermag. Sonst heisst es auch: de ollen Jungfern möten den
mand blank putzen.
Ein Pastor sagt einem totkranken Greis, um ihn zu trösten, oben im
Himmel werde er ewige Ruhe haben. Ach ne, herr paster, dat weit ik
all; dor heit dat glik: putz den mand, sieht den hagel trecht, schuw de
walken, dor het ok jeder sin last.
En mäten het fohrten mit de knechts makt. Ens is se mit ehr toliop
rut gähn un het den mand utgeiten wuUt. Dat mäten het 'n emmer vull
water nahmen; as se öwer to geiten will, is de mand dalfollen up dat
mäten un de knechts un het se all verbrennt: aus Wismar mitgeteilt.
Eine hiesige Ackerbürgerfrau erzählte mir: Ik wir nülich in'u goren
bi fru N. Dor segg ik so quanswis: wi hebben jo all nie mand. Dor
fängt se mit einmal an to knicksen un to dohn un as ik ehr frög, wat
dat bedüden süll, verteilt se mi, ehr mudding hadd ümmer seggt, wenn
430 Wossidlo:
man den niemaiul toihrst solig, müsst man em na alle vier weitteile lien
begrüssen.
Wenn man den Neumond zuerst sieht, soll man dreimal den Hut ab-
nehmen, dann bekommt man etwas geschenkt: von einer Frau aus der
Laager Gegend.
Wer im Augenblick des Neumondes geboren ist, ist nicht fortpflanzungs-
fähig.
Anderes siehe bei Bartsch 11, p. 198 ff.
Über die Spinnerin in der Sonne und den Mann im Monde vgl.
Bartsch I, no. 643 und 11, no. 936.
Früher würd, wenn mandfinsterniss wir, de börmtrogg todeckt, süss,
säden se, bleiw dat veih dod. Bi sünnenfinsterniss sali man alle stall god
tomaken.
IX. Sterne.
Namen der Milchstrasse:
Melkstrahl.
Wildbahn, wildgang: dor richt't sik dat wild, dat vagelwark na, wenn
se nachts trecken; wildstrat, dor steiht wild, dor hebben sik de ollen
jägei's früher na richt't.
Wederbahn, wederstrang; wenn de wederstrang dwas öwer 't dörp sitt,
denn ward 't god weder, wird in Börgerende gesagt.
Min oll grossvadder säd ümmer weltbahn, sagte mir ein Statthalter
aus hiesiger Gegend.
Der grosse Bär heist:
De nordwagen, de himmelswagen.
Bei Boizenburg hörte ich sagen: de soltwag führt na Lüneburg.
Am häufigsten ist die Bezeichnung: dümk (dümick, duming, düming
düwk, düwkt, säbendünk, säbendümker, Stofferdünk); Stofferdünk führt
weiten na Russlaud; dümk is eigentlich blos de fiilirmann, de lütte funk,
de up dat middelst pird upsitt; mit dat en rad het he sik fastführt, dat is
ganz trügg. — Nu führt de dümk wedder bargdal, nu giwwt "t frostweder,
seggen wi, denn drückt de küll haben em dal; auch: de dümick führt
trüggor s.
Petri staff, auch scheperstaff, Jacobs staff heisst der Orion.
Drei stirn sitten in de dreikant, de nennen wi dat hakisen, hörte ich
in Börgerende; näheres konnte ich nicht ei'fahren.
De stahn sik as kukuk un säbeustirn, ist eine allgemein gebrauchte
Hedensart.
En mann un fru hebben sik nich verdregen künnt, de hebben söss
kinner hatt, de sünd ut'n anner flflcht't; he is nu de kukuk, wenn he
kümmt, kukukt he na de sähen, dat he so ranlocken will, üwer so kamen
nich. — Der kukuk und das Siebengestirn soll ein verwünschtes ehepaar
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 431
seiu, das sich nicht hat vertragen können. Daher treten beide nie zugleich
auf. Kommt der kukuk, so ruft er zuerst nicht kukuk, sondern kiekut,
aber das Siebengestirn kuckt nicht aus: aus Bartelshagen. Auf dem Fisch-
lande heisst der Kukuk allgemein kukut.
De säbenstirn sali man nich teilen, dat sali unglück bringen.
Wenn ein Komet (stirn mit de rod) erscheint, kommt Krieg, (ßai'tsch U,
no. 977). In Börgereude sagt man aber auch: nu starwt \i könig.
Für Planet hörte ich den Ausdruck: dat waudelstirn.
Hunn, de Venus heiten, känen nich behext warden; dat is jo "n stirn,
dor het de bös ken macht öwer.
Ik sehg ens 'n liümpel stirn, dat sehg ut as ne 1 un ne 8 un ne 6;
dor slögeu wi den gesang 186 up, öwer dat wull nich stimmen, erzählte
uiir ein Tagelöhner aus der Ribnitzer Gegend.
Vel stirns bedüdt südlichen wind.
Sitten in de nijohrsnacht vel stirns an'n heben, denn giwvi't't vel hiring.
Wenn man mit n finger na de stirns rinwiest, dat is as wenn man
sik int hart steckt (auch: denn steckt man unsern herrgott in de ogen,
vgl. auch Bartsch 11, no. 909).
Sternschnuppen.
Dat is stirnscheitent hüt abend ; de stirn scheiten so, dat giwwt unweder.
Dor is "n blänkstirn dalschaten.
Jeder minsch het 'u stirn; wenn de stirn dalföllt, bliwwt dejenig
minseh dod.
So hört man allgemein: Nu bliwwt en dod; dor is eneu dat licht utblast;
dor leggt ok wedder en den läpel dal; auch: nu bliwwt 'n jnd dod; dor
is ne seel ufn himniel smeten. Vgl. Bartsch II, no. 975.
Wo de stirnsnupp henföllt, dor starwt en.
Wo de stirn henfallen deiht, in de richtung kümmt 'n annei-n dag de
wind.
Wenn 'n stirn föllt, möt man nich seggen dor, denn geiht dat glück,
wat eneu todacht wir, von enen weg; man möt sik stillswigens wat wünschen.
Stirnschott is 'n witten klumpen as so \\ glor; wi sünd dor eins bi 'n
haken öwer tokameu, dat süht nt, willn mal gradut seggen, as snappen;
wenn man dat in de melksupp makt, dat sali god sin, wenn de kinner dat
inpissen hebben.
X. Wolken.
Wolkenbildung.
Wenn dat so liuwulkig is, wenn de wulken so stramelig (so scheckig,
so krillig) sünd, seggen wi: Abraham höddt scliap
Wenn dat so loppig utseihn ward, denn seggen wi: nu höddt Petrus
schap, denn ward't god weder.
432 Wossidlo:
De scheper lett sik seilm, driwwt, fläut't an "n heben; iiu is de schepe
mit de lämmer to gaug; dat is so scheperwulkig hüt.
Dor is de schapwull all wedder; dat is luter lämmerwull; dor is so
vel lämmergewölk.
Dat bläukt up iu de uui'denkaut, dor ward de wind wol herkamen.
De heben süht so dörchbraken ut.
Dat ward buntwulkig; dat süht ut as bunten kattun.
De luft is so dünukläteriü;.
De heben is vuU tüftengruben.
Dat süht ut as boddermelk; dor stahn so vel boddernielkswulken; dat
siilit ut as klütergrütt, as flötmelk, klüotermelk.
De heben ward all wedder klütrig, klüutrig, klüttig utseihn.
Dat ward all wedder dünn, bunt, brakig utseihn.
Dat munkelt up, nu kann de scheper wedder dribeu.
Dat is as Inter lütt griut, dat giwwt drög tid.
Dat is 'n beten godwedergewölk.
Dat is hebenschätsk, sagen die Alten in der Ludwigsluster Gegend,
wenn Wolken an der Soune vorbeischiesseu; vgl. „Sonne".
Dat is hebenschattig: von bedecktem Himmel.
De heben süht lustig ut: ist unbewölkt.
Dor sünd so vel wiudstrahlen, windsti'äk, windroden an'n heben.
Dor sünd so vel melkerstig au'n heben: von laugen "Wolkenstreifen.
Dor steiht ue bannige blom: ein Wolkeustreifen, dor sich nach oben
hin strahlenförmig erweitert.
Dor stahn so vel fischflomen.
Dor treckt sik all wedder son fischernett öwer.
"Wenn dat so griesgrimmelig utsüht, un de wulken so in dichten stripen
liggeu, Seggen wi: dor sünd so vel katten, denn ward't uu weder; dat süht
so kattenhorig ut; dor sitten so vel kattenhor ann heben.
Dor sünd so vel krusköpp an'n heben.
"Wenn dor son witt kleben mauk sünd, seggen wi, dat sünd de perrüken-
köpp, de bringen slicht weder.
Dat is so dickwulkig, grotwulkig.
Dor stahn so vel kohwulken; dat is as wenn "n osseu an"n heben
steiht.
Petrus höddt hüt mit de ossen.
"Wenn so grote, swere wulken trecken, seggen wi : uu kümmt de ossen-
hirer (de kohhird), dat giwwt regen.
Dat is en von de löpers, von de griesen.
Wenn de witten husoren so lopen wardeu, denn ward"t nich dägen.
Wenn de witten wulken so lopen vör'n regen, seggen wi: de wind-
hunn lopen all so.
Das Naturkben im Muude des Mecklenburger Volkes. 4:33
Wenn de wulken so rasch ganz sid ünner de sünn trecken, denn
seg-gen wi: kiok, wo de waterhunn lopen, de liebben 't öwer liild liüt;
wenn de so jagen morgens, giwwt dat iip'n dag meist regen.
Kiek, wo de waterslepers dat liild hebben.
De regonmudder steiht an'n heben, de regeumudder löppt öwer: wenn
Uli er son lütt wulken an'n heben stahn, as wenn dat dörch'n säw säwt is.
Dat regenschipp lett sik wedder seihn; dor steiht 'n regenschip]), \\
Noahskasten: wenn die Sonne hinter einer langgestreckten dunklen "Wolke
verschwindet.
Wenn son appelwolken an 'n himmel stahn, seggen wi: dat is de
wederbom; wenn de in 'n nurden steiht, ward 't in drei dag regen; steiht
he in 'n westen, giwwt 't noch den sülben dag wat.
De wulken riben sik; de wulken jagen so.
Dat gruUt so öwer 'n anner; de wulken gludern so on öwer 't anner.
De wulken käselu sik all en dörch 't anner.
De luft is so wäuhlig.
Dat is so hängig hüt.
De heben is so hoch, dat gewülk liggt so dal.
Dat sülit ut, as wenn de weit unnergahn will.
Dat süht so schulsch ut unner de auken.
Dat süht so bullbätsch, bnllenbätsch, bittelbätsch, so bulkaterig, so
bullerig, so ballstürig ut.
Dat süht so späukig, munklig, drusig, grämlich, äümbüxig ut.
De luft süht noch so lünsch ut.
Dat süht so rüg ut.
Dat süht so bliblag, so kopprig ut.
Dat süht so kattengries ut; dat het sik ganz gries totreckt.
Dat ward so eben utseihn; dat süht so dickig ut.
Dat süht so flömig, swulkig, swulsterig, snierig, smökig, smökerig,
blökig, rökerig, rebäusterig ut.
Dat süht so bläuschig, bläuscherig, bläustig, gälbläusterig ut, dat giwwt
unweder; wenn dat so rottlich utseihn ward, seggen wi, dat bläustert so;
vgl. „Sonne".
Dat süht so gluderig ut; de Südwest gludert so; dat gludert so unner
de auken rut; dor kümmt en rnptogludern ; kiek, wat dor vor 'n gluder,
gluderkopp steiht.
Kiek, wo de Kalschen (die Bewohner von Neukaien) gludern.
Ähnliche Ausdrücke lokaler Färbung finden sich in grosser Zahl: z. B.
De Penzliner sünd sucht upstahn (schlecht bei Laune).
De Grüssowschen maken all wedder 'n dick mul.
Mudder N. makt all wedder ne dick unuerlipp.
De N.sclie herr kickt all wedder mit scheiw ogen.
Mudder N. hat ehren blagen unnerrock all wedder ruthängt.
434 Wossidlo:
De Dierhäger wardeu all wedder unklok.
De Malehowschen speien sik up.
De Krukowscheu schicken uns wat to; de Damer owselieu jageu uns
enen her.
Nu willen de Röbelschen uns wedder schaweruackeu.
De Röbelschen lateu wedder enen los, schuhen all wedder au.
De Börgerender brugeu.
De Dänscheubörger färben all wedder enen trecht u. ä. ni.
De ost köppt all wedder, krigt all wedder köpp; de wulken krigen
all wedder so 'n dicken kopp.
Dat grote water smitt so ut: wenn im Norden schwere Wolken auf-
steigen.
De Swed bölkt so up: ebenso; de Swed schüwwt ut; wenn de Swed
sik so upspelt, is't lang god weder west.
Dat ütert so.
De Lieps (See bei Prillwitz) ürert, dat ward regen.
De blag koh ürert all wedder, de ward bald melk.
Hut ward de Külenbarg noch melk, heisst es bei Stargard, wenn auf
dem „Külenbarg" schwere Wolken lagern.
Dat quellt so up, dat quülmt ümmer wedder up.
Dat swolkt, swülkt, swarkt, swäkt up; dat swulkt noch ümmer.
De heben besworkt so.
Dat wölkt up.
Dor smölkt all wedder en rup.
Dat bülgt up, dat bömt up, dat bort up, dat burrt up, dat bölkt uj).
Dat turnt up, türmt up, dat formt so rut.
Dat bläuht all wedder so an'n heben; dat schwäugt un bläuhgt ge-
fährlich up.
Dor sakt sik wat an, up, tosam; in de Peccatelsch eck versakt sik
all wedder wat; vgl. „Regen".
Dor höllt öwer wat prat.
Dor steiht all wedder en uppe hier; dat luert so.
He makt sik all wedder enen farig, enen klor; dor tliedt he sik wedder
enen trecht.
He het all wedder enen uppe Witterung.
Nu het he god vörtreckt.
Dat klort achter dick vor; vgl. „Wetter".
Dat dick höllt hinnen; de butt hängt noch an; vgl. „Regen*.
Dat blag höllt sik dor so fast, wenn dor man nix wedder na upwakt.
Drangt het dat recht god; hüt drangt' t, morgen drücktet.
Hut Sucht Petrus noch 'n beten tosam.
Hüt ward 't noch spöken in 't gewölw.
Hüt ward 't noch bautzon, stowen, hör scheren.
Das Natui'leben im MuncU' des Mecklenburger Volkes. 435
Hut hangt Ins uns uocli ouüii iu: vgl. „Regou".
Hut giwwt 't uocli 'n gewitter mit druwappels (mit rossappel,' priem-
toback; preuscli dalilers; mit mannslücl, brüjams, griep tli mau eneu mauk
rut: mit Jungfern, frugenslüd, oll wiwer, willn rut uu sammeln se up).
Hut giwwt "t wiudsuigen un sneiregen (glurrisen).
Jochen treck de brok up (bind de büx up), kümmt 'n düster weder
up! vgl. „Gewitter".
Dor stalm so 'n gewitterpuppen, gewittertüru; dor stahn öwer bannige
knuppen, knurren; wenn eu knurren weg is, brugt he sik den anuern
farig; auch: wenn en düwel weg is, is de anner wedder dor. vgl. „Moud".
Dor steiht öwer ne bauk, 'n swai'k, 'n swalk.
Dor kümmt 'n schönen bullkater, bulekater, bukater, burrkater, buler,
'n schönen mummelsack, 'n schönen pustengrugel her.
Dor kümmt flag öwer flag au den bracken rup; dat is so flagig hüt.
Dor kümmt 'n schönen schuwut to höclid.
Dor treckt ne leidige bült, ne schöne burr to höchd.
Dor kümmt 'n fixen stöwer, ströper, 'n schönen blauster rup.
Dor brennt schön euen rüm.
Dor geiht ornlich 'n Imler rüm.
Dor kümmt wedder 'n dräwel antoreisen.
Dor kümmt 'n schönen bullen ruptobösten.
Dor smitt sik öwer \\ kätel up.
Dor kümmt 'n schönen sunij) rup.
Dor kümmt de swarte nacht up.
Dor kümmt öwer 'n swarteu deuwel her.
Dor wiest de deuwel siuen swarten uors ok all wedder.
Dat liaklt sik so rüm.
Dat twält sik.
Dat schuer erhewt sik bet.
Dor smitt sik noch ümmer mihr to an.
Nu steckt sik de wind achter dat schuer.
Dor kümmt de wind mit en antowöhlen.
De wind brockt noch wat los; de wind hahlt em rup; de wind hahlt
regen tohop; vgl. „Wind".
Dat as het poggen ladt.
Züh, wo de wölken wiss uu swor schubeu, de hebben wat in de plüuu.
Dat wellt sik so, (de wulken bülgen) dor sitt wind achter.
Dat recht blag is mihrst wind, öwer wenn dat so asebgries utsüht, dor
sitt hagel in.
Dat is bald öwerrust.
De is afreist.
De is wedder versackt; de sackt bald weg.
Dat is 'n blind schuer.
30
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1895.
4,36 Wossidlo:
De seggt uns nix.
Dat geiht uns ut "n weg; wi süud noch keu schuer wirt; de N.schen
gähn wedder mit de beut döreh (gähn dor wedder mit schiieru), wi möten
stahu un brummen (im kiken dat au); vgl. „Regen".
Wenn 'n lütten püster kflmmt, is "t wedder üwer 'n barg.
De wind mag dat noch öwerjagen.
De wind schüwwt dat rüm.
Dat schult sik rüm um de dannen; de schüeru sik rüm.
Yerschiedenes.
De düwel stickt de höll an, sagt mau auf dor Insel Peel, wenn der
Himmel rot gefärbt ist.
Das Nordlicht heisst auch: nurdschiu, uurdblass.
De uurd hellt hüt abend so.
De Swed het sik ue lücht anstickt.
Dat niu'dlicht küninit dorvon her, weuu de grön hiring laikt; dat smitt
son blass au 'n heben.
Weuu dat land so hoch utsüht (durch Luftspiegelung), dat nennen wi
updracht; denn seggeu wi ok: dat dahmt up, öwer; de küst dahmt dor so
her; dat vertont sik so.
Wenn männigmal in de firu sou dobeu duust steiht, de as laud utsüht,
denu seggeu wi up see: dor is Johann Koopen sin land wedder; dat is
wild land; dat is bodderland, wenn de sünn kümmt, is 't weg.
Nu höddt de düwel siu schap up laud, seggeu wi, weuu dat so flämmert,
wenn de luft so wackelt, dat de schipper dat laud nich genau seihu kauu.
De luft is so heiig, so wimmelig, dat is so blennsch hüt; vgl. „Heisses
Wetter".
AVenu de rok ut 'n schostein kümmt uu küselt sik so, dat he so
rundum söcht, denu seggeu wi: de rok must, denn ward 't regen. Auch:
de rok mihlt.
XI. Wind.
Musch Püsterich heisst der Wiud einmal bei Reuter.
Wer het de dör wedder apen makt? dat het Stöwhas dalm. Dat
kümmt rup, dor is Stöwhas achter, sagen die Müller.
Ein Bauer bei Grevismühleu erzählte mir, er habe den alten Häusler,
der bei ihm dresche, wiederholt sagen hören: ik hef ümmerto deu sabbath
up de dör hatt. Das ist doch wohl als euphemistische Bezeichnung für
satau zu erklären.
Richtung des Windes.
Wo kümmt de wind her? je, herr paster, as ik upstünn, kern he ut 'u nors.
Willu mal na 't adeborsnest kiken, de höllt den nors na den wind.
Das Naturlebcii im Jlmule des Mecklenburger Volkes. 437
He weiht liüt osteu, süden etc.
De est het iie tid laug blast.
De ost würd herr, he krog de westensee dod.
De wind is stiekost, strickest.
Norsorswind: scherzhaft für nordostwind.
He küramt ut 'u scheiweu: aus Westen oder Süden; von de eck: aus
Südwesten.
He kümmt ut 'u weiken, legen, natten, smerigon, smutzigen, sniuddigeu
urt; nu is he wedder na sineu smuddurt heu; de wind kümmt ut "n regen-
urt, ut 'u dreckurt: aus Südwesten.
Nu kümmt Südwest mit smudd.
Wenn wi westwind hebben, seggen de ollen lud: hüt kümmt de wind
ut düwels sod.
Hier in Waren: de wind kümmt ut de Breidluk (bei Stavenhagen),
regent noch drei dag ut un dut.
So auch: He kümmt ut de Lieper klapp, ut 't Everstörper lock u. ä. m.
Hüt kümmt he ut 'u kellen urt; vgl. „Frost".
De wärmst wind kümmt ümmer ut 'n hinnelsten.
De nurdenwind is ümmer kolt, säd de oll fru, wenn he ok ut 'n
hinnelsten kümmt.
Nurdenwind un südeusünn mag de voss girn.
De nurdenwind fröggt: wo vel büxen best? Denn seggt de west: en,
de Süd: mihr brukst ok nich, de ost: stücker drei; vgl. „Frost".
De wind kann kamen ut um-den oder westeu, achter 'n aben is 't
ümmer am besten.
Lat 'u wind sin, as he will, ost oder west, to hus is 't best, badd de
flöh seggt, wir ut vadder sineu krempstewel in mudder ehren wullen
unnerrock sprungen.
Nurdost mit regen is noch arger, as wenn de ollen wiwer dat heiraten
krigen; nurdost uu wenn de ollen frugens anfangen to huren, wohrt
drei dag.
Südost mit regen, steiht he di-ei, steiht he ok negen.
Südenblaser giwwt 'n westenmaser.
Günstiger und ungünstiger Wind.
De wind kümmt butt, baff von vor; pil von achtern, lik von achter.
De wind kümmt von achtern, säd de lütt dirn, is god vor de madroseu.
De wind is stick in 'n stäben.
Dat is backstagschen wind: wenn he \\ por strek von achtern kümmt.
Wi hadden dwaswind; wi liggen dwas winds.
Is 'n scheiweu wind, he kümmt heil verschrag.
Dat is öwerlannigen, öwerlannscheu wind: de ut land kümmt; uplanuigen
wind: de up "t land to steiht.
30»
438 Wossidlo:
De wind is cuutra, is 'n schä-wschen, schawernackschen wind liiit.
De wind kümmt to gunsten.
Dat is passlicheu wind, wi bruken nicli to krüzen.
De wind steiht vor rum; he rümt up.
He steiht recht platt Tör "t laken; wi hadden den wind platt.
He föllt weg, he schräudt af, he schralt, uu schralt sin satan heil af.
Nu föllt he wedder Schrapper: wenn man 't nich mihr besegeln kann.
Ji verfluchten jungeus hehhen de huren wedder nich betahlt (de
maken nn slichten wind): sagt der Kapitän wohl, wenn bald nach der
Ausfahrt aus dem Hafen ungünstige Winde eintreten.
Windstille.
Dat is borastill, musenstill, musigenstill, mausenstill, blattstill, blatten-
still, dodstill, dodenblattenstill, dodendampenstill.
Is dodig luft; is ne dodige windstill (Brinckman).
Dat wir bi stillde; as wi in de stillde drehen.
De wind is up un dal.
Is keneu fäs wind, ken spierken, keueu di'uppen, nich "n flocken wind.
Is nich "n lüifken au "u heben; is ken treck in de luft.
Dat is grad, as wenn dor ken wind in de weit is.
Dor rögt sik ken blatt an 'n bom.
Dat is so still, man kann feddern (dunen, hawern) soihgeu.
Die Müller schelten:
De wind is so still, dat man de hunn in Hamburg bellen hüren kann:
is 'n wind, dat de hund in de roden schitt; dat de sparling in de rad bugt.
Oder sie sagen mit Galgenhumor: w^enn du nich geihst, gab ik.
De möliergesell het to 'u meister seggt: de wind is so still, dat t ne
Inst is, un dat is 'n weder, dat mau sik 't lachen nich bargen kann: dor
het he öwer fui'ts den frömdzettel kregen.
De wind Inert uppc brakers, seggen wi möllers. wenn harwstöwers de
wind up 'n dag still is.
Auf See:
Kumm, willu den wind herfläuteu: bss, bss, bss bss, bläh up, bss bss,
pus up.
En lütt paus! Noch en lütt käuhl!
Kumm, bris, kumm; kumm an wind, lat di nich lang nödigen; bris up
bet sünndag hen, bris up, dat 't sünndag ward.
Kumm, bris, up, brek stengen un mästen : wind, weih up, dat ajipel un
beren affallen; bris up, wind, dat sik de mästen bögen; weih up, du
galgenhund (himmelhund), dat de mast knackt, dat rung uu rad bewern.
Min oll captain pleggie to seggen: hadd ik den wind in 'u sack, wo
wull ik em slahn.
Das NatiU'lebeu im Munde des Mecklenliurger Volkes. 439
Wenn ken wind is, wanl ut jux 'u tauend an de niast bunnen, deuu
niüten de unbefohreu trecken, denn geiht mihi* fohrt dörch.
Oder de jung möt vor uppe bog up de pallpöst, wo de lins up fast-
niakt warden, mit de musskühl up hangen, dat heit denn: he möt wind
kloppen.
Oder wi madrosen seggen to den jung: jung pus inne smack; jung
lat enen gähn.
Willn 'u bessen verbrennen, dat wi wind krigen.
Flauer Wind.
Is 'u beten bladwind, bladluft, 'n beten blading; blarwind niöten wi
hobben, wenn de rogg in de bläuh steiht; de wind bladet: bewegt so eben
die Blätter; he blädert ornlich 'n beten in de böra. Bör 'n bein up, dor
kümmt 'n bladwind, rufen sieh die Binderinnen bei der Ernte scherzend
zu, wenn ein erfrischender Luftzug die Hitze mildert.
Hier käulilt he 'n beten lang.
Is 'n beten lawweluft, seggen wi, dat 't so jüst segeln will.
Is son ollen lauigen wind.
Is 'n beten fusselwind, fisselwind.
He fusselt, musselt, raust, glast 'n beten.
Dor kümmt n lütten fischgräler dörch: sagen die Fischer in Wendorf.
Anwachsen und Abnehmen des Windes.
He wasst, he riest an, he stiggt up, he nimmt sik up, he frischt up,
he bladert up, he blist up, he blösst sik up.
He kauhlt, lie kaulilt up.
De nurdost wakt up.
He betert sik, he is in 'u beternt.
Nu fött he na.
He ward sik all 'n beten bet rügen.
Nu fängt he an to blurren.
Nu brüst he wedder an.
He ward all stiwer, kruser, liarder, luder, fetter.
He mackt af, maut af, maugt af, moit af, iie flaut af, hfe flaut in, he
flaut, he laut af.
He ward mojer, he ward hanniger: denn is dat schipp ihrer to han-
tieren, dat is segelbor weder.
Nu ward lie gar.
De sünn klarrt em noch dal liüt.
Nu lett he all sacken.
Em geiht de pnst bald ut.
Nu ward he sik wol tänisen.
440 Wossifllo:
He flüggt mit de liöhner to wieni; wenn de wind mit de höhner to
wiem flüggt, flüggt he ok wedder mit raf.
Nach starkem Sturm:
He blast sik af, he rast sik af.
Nu het he sin wut utöwt.
He ward möd von all sin teraperamenten.
Nu het he sik afbrust, afbrüllt, afburrert, afdakert, aflarmt, afrast,
afrust, afrauscht.
Nu het he utballert, uttowt, utrust.
Nu het he sik dod lacht, dod röhrt, dod bölkt, dod snaben, dod blött.
Nu hebben wi wedder ne hett lang (eine Weile) fred.
Ho ward wedder all, dor steiht son dodenblink in 'n nurden: sagen
die Fischer in Wendorf und verstehen unter dodenblink „den auf der See
in der kinimung stehenden Dunst".
He kümmt hüt noch dörch.
Hut warden wi de büren (die Segel) noch vull krigen.
Do (die Wolke) schurrt gewiss noch wecken ut; enen sack schurrt
he noch ut; vgl. „Wolken".
Dor luert noch wat.
Dor is noch wat in de achterkant.
Dor sitt noch wat achter, mit \i schuwstaken ward so nich horschaben;
wenn bei Windstille und ruliigem Wetter eine See in irgend einer Richtung
aufkommt.
Hüt möt he noch weihgen, dat de prcister sinen kragen drögen kann,
wird am Sonnabend oft gesagt.
Unbeständiger Wind.
De wind is so bladdcrig, fladderig, flanderig, fläkerig.
Dat is 'n fladderwind, fläkerwind, läkorwind, prillwind.
He fläkert hen un her, he flackert, he flandert rundum, he lawwert
hon un her, hüt läkert he, he flankiert, he flüggt so. he hüppt hen uu
her, he käselt hen un her, he mallt rundum.
De wind luert so, schilt der Bauer beim Säen.
He het enen to narren; he lunt, dat is son ollen hinsehen wind liüt;
he mult so; hüt het he sin grissmussen, sin ümstänn u. ä. m.
Bald steiht 't, bald geiht 't (seil, die Mühle), schelten die Müller.
He steiht in 'n drus, in bedenken; he weit nich, wo he hen will; he
het kenen wissen stand; nu het he sik wol endlich fastsett't.
He hahlt sik bet rüm; he het sik rümgeben; nu smitt lie sik um; he
schifft um.
De wind is kentert.
He geiht öwer stüer: von Nordwest nach Südwest.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 441
He krimpt, he is so krimpig hüt, dat sünd all son krimpers. Südosteu-
(Südeu-) krimper is 'n westeustiuker.
He drängt na süd.
Böiger Wind.
Dat is büig weder.
Dat is drellwind, burrwind, störkwind.
Is dreiischen, fusigen wind.
He is hüt so fohrig, so liurrig, brekig, ruekig, rissig, stötig, stotig,
stukig.
He kflmmt so glupsch, so stukwis, ruckwis.
He kümmt so bi huschwis.
He schuert liüt.
He käkt, he käkt in, he käkt twisclieu de bärge dörch, he is so käkig,
dor kümmt 'n käker, 'n kükwind.
He stukt deuwelhaftig hüt.
He stött in; he stött encn nocli dat gnick af
Eben brummt he in.
Turwis breckt he gruglich an.
Nu kümmt wedder 'n puff.
Nu kümmt he wedder antofegen, antobösten, antofnsen.
Starker Wind. Sturm.
Is 'n ossenwind, 'n streffen wind.
Is 'n flegenden nurdost, 'n flegendigen storm, 'n riten storm.
Is 'n kanonenstorm, 'n generalstorm, 'n kohstorm; auch ironisch bei
"Windstille: wer sali in den kohstorm bettokamen.
Is ne schöne mutz vull wind.
Is ne stiwe kuhlde; is ne stiwe brumm.
He stürmt, dat is stormsch weder, dat störmt up düwelhahl.
He brist fix, he ward brisen.
Dat stümt, dor sitt stüm achter.
Nu bargt de höd, he ward klemmen.
He lett em riten, he stukt eni, he het em god onen steken.
Hüt lett he sik eus richtig los.
Hüt pietscht he; hüt huscht he ornlich.
Dat is heil rüg hüt.
Nu speit he brav up.
Upstunns is he dick nog.
He fängt to basch, to glupsch an; de strengen herren richten nich lang.
Dat smitt richtig wind.
WiUn uns 'n beten in de mieth setten, sagen die Müller bei starkem
Winde.
442 Wossidlo:
Hut blüst he um de eck.
Hut söcht he de achtersh-ateu ok eiis na
Hut möt man alle locker tostoppen.
Hut het he schön bädelt, sädelt, towt.
He will gor nich utseheiden, utschäugen.
Hut schurrt he ens richtig ut; dat is 'n wind as ut "n sack schurrt:
wenn he so parforce ankümmt, seggen wi: im kümnit he ut 'n sack to
weihgen.
Unsern Herrgott is de windbüdel reten; nu makt he den sack apen;
de jungens hebben den sack apen makt; de jungeus hebben den band
afsnedeu; de jungens käuen den kropp nich tohollen: Petrus het den kropp
upsneden; em is wol de nath reten.
De oll is nich to hus; dat is, as wenn de oll rein nich an 't regier
is; vgl. „Wetter".
Hut regiert Satm-n. Sankturnus.
Petrus is ut "t wirtshus kamen, nu sjielt he up.
Petrus het de windlukon ujitreekt.
Petrus het alle jungens utlaten.
Wenn dat sünndags dull weihgt, seggeu wi up see: nu driwwt de
jireister den düwel von land af, nu kümmt he bi uns. — Wenn de preister
uppe kanzel stiggt, ward 't weihgen
De wind blast so holl; is sou sturren wind, son spröden ost; vgl. „Frost".
Dat brüst so holl in de böm, dor kümmt noch ungestüm.
Hut fläut't dat ornlich.
Hiir, wo de wind lärmt, hult. sust, brüllt.
Ilüt bölkt he öwer.
Dit flöscht, flitscht öwer.
He pfeift in de block as de uhl; he brummt in dat tauwark; he klätert
mit dat taugod.
He weiht, dat alle telgen zittern, dat 't schiet stöwt, dat de schiet ut
de achterdör stöwt.
Dor speit, spaukt sik hüt rein de düwel (Bekmann sin deuwel) mit.
Dat is 'u storm, dat man gor nich mal dat stahn het.
Dat is 'n storm, dat sähen (negen) oll wiwer nich 'n bessenstel (ken
kalwfell, schapfell, schötteldok) hellen känen.
Is 'n storm, sähen suiders känen nich en fedder in de wind hellen.
Achter mudder liggen is 't best; wenu ok ens "n storm stinkt, öwer
weihgen deiht he nich
Dat is 'n wind, dor is nix vor wessen.
De maracht hüt alles um un dum.
Öwer nacht het he mauk dat awt schön haust: hüt het he schön wat
dalbraken, dalnahmeu, dalklätert, dalgurrert. dalräst, dalrammelt, dalstukt,
afstormt, afquetscht, afklabatscht.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger "Volkes. 443
Hut lialilt he de hocken schön ut.
Hut hat he den natten roggen schön dörchluchf t, dörchballert, dörchpepert.
Hut het he velen schönen haweru utpietscht, utschält, uträst, utrasselt,
utswutscht.
Vel wind, vel krieg, hadd de oll fru seggt.
Nu hct sik wol 'n oll wiw uphungen: wird in der Btargarder Gegend
bei starkem Sturm gesagt.
Windhose. Wirbelwind.
Windbü, wiudburr, windhas; dor löppt de has öwer de see; seih di
vor, dor kümmt de has.
Dor kamen son swart hirsen antolopen.
Sandhas; de luft süht gries ut von stom.
Küselwind, krüselwind, dwarrelwind, dwervviud, 'n dwer (vgl. dat di
de dwerr! Monatsschrift von und für Mecklenburg 1801, p. 24).
Man rufe dem Wirbelwinde zu: olle swienskätel!
Wenn man seihn will, wat in 'n küselwind in is, möt man dörcli de
linke jacksmaug kiken; vgl. Bartsch H, no. 1086.
Den rock möt man arwt hebben.
De kittel möt nich bleikt sin, ungewaschen linnen möt dat sin.
Mau möt dörch de linke mang kiken von dat hemd, wat man bi 't
abendmahl anhatt het.
Man möt de hemdmaugslipp vor ogen hollen un dor dörchkiken.
Mau möt dörch de linke büxeukül kiken, deuu kann mau de frugenslüd
uakt mit 'n düwel danzen seilm.
Man möt sik ganz nakt uttrecken un dörch de bein kiken, deun kann
man seihn, wo de düwel towt, ob he 'n wiw oder 'n kirl to faten het.
Mau möt dörch 'u säw kiken, dörch 'n arwslätel, dörch "n Wagenrad.
Man niuss zur Mühle gehen und die umgekehrten Kocksärmel durch
eins der Kreuzlöcher in den wänden stecken und durchsehen.
Wenn de fru tüg spölen deiht un dor kümmt denn 'n küselwind uu
se kickt dörch de hemdslipp vou ehren mann sin hemd, deuu kann se
Hans Wurst in danzeu seihn.
In 'n küselwind süht man 'n deuwel riden up 'n witten schimmel.
Tu 'u küselwind danzt de düwel mit 'n roden hahn, mit de messfork.
In 'n küselwind ägt de düwel mit sin grossmudder, danzt de düwel
mit sin grossmudder, danzt de düwel sin grossmudder dod.
In ollen tiden is ens de düwel mit sin grotmoder up ne hochtid laden
west un dor krigt he sik mit ehr dat vorturnen; dor sali he mit ehr ut de
dör herute fohrt sin un den küsel mit ehr danzt hebben, dat de sand man
so flageu het un se in den stom toletzt gor nich mihr to seihn west süud.
Der Teufel kommt im Wirbelwind, um nicht sichtbar zu sein und
fährt öfter in demselben durch den Schornstein auf die Feuerstelle liinab.
444 Wossidlo :
Im Küselwiud ist der Teufel, der einem etwas nimmt und dem
anderen zuträgt. So nahm er einer Frau Leinewand und brachte sie einer
anderen hin.
Wenn man mit 'n metz rinsteckt, kümmt de düwel vor enen to stahn.
Man möt 'n metz rinsmiten na 'n küselwiud, dor löppt de düwel sik
up af, denn towt he sik ut, wider geiht dat denn nich.
Enen hadden se ok seggt, he süll 'n metz na 'n küselwiud rinsmiten;
<lat het nahst to hus up 'n disch legen, de düwel het dat mit up-
grappst hatt.
In 'n küselwiud is 'n kirl mit ne rod jack; ne fru mit 'n kind; 'n
swarten pudelhund; 'n kattenkopp.
In 'n küselwiud danzen de hexen. Wenn en glöwt, ho is behext un
kickt dörch 'n jacksarm na 'n küselwiud rin, denn kann he de hex dor
in danzen seihn, denn fegt de düwel dor mit af.
Dat in 'n küselwiud wat in is, dat glow ik. En halfwassen knecht
geiht ens achter de schüu stahn, dor kümmt 'n küselwiud au un de knecht
süht dat ganz utdrücklicli, dat dor Schultenmudder insitt. He verteilt dat
ualist, dor ward he krank un 'n drüddeu dag is he dod.
En dirn het dörch 'n jacksarm keken un ropen: dor sitt 'n groten,
dicken, starken kirl in. Dor krigt he se furts bi de uhreu un het se
terreten, dorüm dat se dat ropen het.
Up 'u Scliwensiu meihgt en, dor kümmt 'n küsidwind; he smitt sinen
strohhot rin, dor dreiht de bot sik um un füllt dal; as he tokickt, is de
bot ganz un gor vull bokweitengrütt west.
XII. Wasser.
Ruhige, wenig bewegte See.
Dat is blankstill, blänkenstill, blinkenstill, blackstill, bleckenstill,
blickstill, blickenstill, dodstill.
Dat is ganz blank, bleck, black, is iieil blick uppe see.
Dor is keu riwwel nich, is keu rüfel up.
Dat water is as wenn 't liuwelt is.
De see is glatt as 'u speigel.
Dat is smul watei\
Dor kümmt 'n beton krüsel up 't water; is u beten krüsels, "n beten
krüsing.
Dat ward 'n beten rüg.
Dat is so 'n beten gragde.
Liggt so 'u beten grios up 't water.
Is so 'u beten schäling.
Is so 'n beten seeslag- buteu.
Das Niiturlebcu im Munde des Mecklenburger Volkes. 445
Welleugiing.
Dor steilit ne korthackensee; dor is ne hackige see; de see hackt dor
so, de löppt kort af.
De see löppt lang; dor is rullen see; he ruUt langssid.
De Strom kawwelt so dull, seggen wi, wenn de ström, ton bispill in 't
Kattegatt, gegen den wind anlöppt; de see kawwelt; dor is 'n beten
kawweling; dor steiht vel kawwelsee.
Dor stünn sou oll quawwelsee (de so dörch 'n anner löppt).
Dor is hüt son külpsee; de see löppt so külpig: wenn se so holl nt-
löppt un bi flacke grund mit 'n mal so dalföllt.
He koppelt öwer; he klappt holl öwer; de see breckt sik; de see
krempt um; hüt stülpt he, is stülpsee hüt.
Wenn de wind sik leggt het, öwer de see noch üinmer hoch geiht,
dat nennen wi düning, dat sünd de dowen wellen, de ken köpp hebben.
Dow düning, dow rulluug is in de Atlantic ümmer in de gang, wenn de
wind ok ganz still is, de scheidt gor nich ut. Diss dow düning nennen
wi ok spansch bück; de spanschen bück de stöten, seggen wi. Wi seggen
jo spansch see, de Atlantic fängt för uns ihrst dor an, wo ken loth mihr
gründt.
Wenn de wind still is un de see rullt trotzdem an 't land, denn seggen
wi hier in Wustrow: de südwestenstrand de röhrt so, dat giwwt unweder.
Ähnlich überall an der Ostseeküste: de Südenstrand röhrt; de strand
de brüllt, grält, hnlt so; hüt höllt he gruglich hus; he rästert so mit de
stein; de westenstrand rummelt so; hür, wo de röhr geiht; de röhr brüst,
brüllt an 'n Heiligen Damm u. ä. m.
Hür, wo de Grahler schult brüllt, hörte ich in Müritz; ähnlich auch
sonst: grot Jochen brugt, Peter Ramm brugt all wedder, de Harnaksnider
brugt u. ä. m.
Wellen mit weissen Köpfen.
Hüt het he sik de mau upströpt; hüt geiht he in hemdsmaugen; hüt
het he sik de jack uttreckt.
Hüt het he ne huw up; hüt hebben se witt kappen, "n witten kämm.
He bläuhgt hüt ornlich.
Wenn de wellen so krus utbreken, seggen wi: hüt krüst ho; nu kamen
se mit krus köpp.
He smitt ut; he breckt ut; he kickt ut; he spiet, spuckt so witt ut;
he kest so witt ut.
He köppt; he smitt köpp.
Kiek, wo he uns de tähnen wiest.
Dor kamen so vel blästen her.
Hüt smitt he schimmeis rut.
446 Wossidlo:
Kiek, wo de witteii länmier spriugen; clor süud so vc4 schap iune see;
de scliapherd kümmt.
Der sünd so vel gös up 't water.
Züh de Witten swanen up de Tollens.
De butt (Maischollen) swemmen luit up 'n rügg (wo sie weiss gefärbt sind).
Spritzwasser. Sturzseen.
Dat boot wir vull külpt; he külpt ümmer so rin.
Pass up, hüt stülpt (jülpt) he uns den kahn noch vull: hüt krigen wi
noch ne schöne jülp rin.
Hüt kickt he öwer; he kek ümnier in hüt
Hüt ward he uns schön weck henlangen, inswengen; hüt het he uns
schön weck insmökt, röwergeben, röwerjagt, röwerballert, röwerdampt.
Hüt spuckt he uns noch weck in de jack.
Hüt het he uns schön afbadt.
Petrus het mi schön döfft hüt.
Rassmus het mi schön begawt in de bog.
Ik lief mi up 'n klüverbom "n schönen uatten nors weghahlt.
Dor kümmt ne see öwer.
Wenn wi vor den wind segeln, seggt de madros: nu kamen de
preuschen dahlers öwer "t heck to rullen, denn hebben wi captaius jo
goden verdeinst; uu rullen de dahlers in de klüsen: de vierschillingsstücker
kamen iu de klüs (für die Matrosen).
De hecklöpers, de sünd slicht vor den mann an 't roder, de würd
früher fastbuunen.
Wenn son breker dat schipp begeiht, de nimmt allens mit.
He haugt öwer deck; he wascht öwer.
De het alles wegswiept; de het luft malet, rein deck, rein strat makt.
Dor kümmt Rassmus öwer; den het Rassraus hahlt: eine Sturzwelle
hat ihn über Bord gespült; Rassmns kümmt langsids. will wat to freten
hebben.
Starker Wellengang.
Wi hebben hüt vel see in 't water.
Dat is ne himmelhoge see; dor steiht ne graw-e, swore see; dor is ne
snurrig see in 'n gang.
Dor is vel hell see hüt.
De see is to stiw.
De herrschaften hier up 'n Heiligen Damm seggen jo widlcn. de
madros seggt see.
De Müritz is in "n sprnng.
Dor is ne starke swell hüt.
Dor stünn ne mächtige jüch.
Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes. 447
Wat gähn de bülgoii ! Hier bei Waren: liüt galui de wacliteu, de
waggen öwer hoch; he (der Dampfer) will de wacht vor sik liebben.
Hut speit Kassmus god up.
Hut is he ai'g; hat is he nich schön.
Hut trudelt, trmmelt he (der Wind) noch weck tosam; hiit pietscht
he weck up.
He (die Ostsee) ward gähren, he gährt hiit.
Wo wäuhlt de see!
Hut jurapt he öwer!
Hut speit he weck ut.
Dor kümmt öwer 'u zatan an.
Dor kümmt öwer en au to wäuhleu, au to Woltern, au to bülgeu, au
to maracheu.
Dor kam ne grossmudder au.
De elft well is de best.
Uns' captain winkte ümuier mit de band af, wenn sou grot see ankern.
Dor is breniiing uppe reff, seggen wi, ton bispill up 'n Schagon; he
(dat) brennt up 't refP.
Dat girsst un gährt all; is all en giss un giihr.
Is all en rok uu damp.
Dat wir 'n halsbreken weder; vgl. „Wetter".
Dat schipp is to pol gahu; he is to pol gähn.
Ja, water het kou telgen (wo man sik an wiss hoUeu kann).
De Kattegatt uiakt mäuuicheuen den nors uatt.
An 't Kattegatt weint sik manch schipper satt.
Kattegatt bedröwt mäunich nioders hatt (= hart).
Seekrankheit.
He is seedull, seedun; he het de seesük.
De is bootskrank worden, z. B. auf der Fahrt von Wisnuir mich Poel.
He federt de lisch, de uiaischuUen, de kabeljaus.
Dat krigt de grot hund, dat is den groten hund sin foder, dat sali
dat meer sin; so seggen wi ok, wenn de kock eten öwer burd schurrt; de
grot hund frett allens up.
He betahlt Rassmusseu; liest Rassmussen all betahlt? Rassmus will
sin kuutorbut afhahleu; Rassmus will ok leben; Rassmus kümmt mit de
leddern boot; is he all hier west mit de leddern boot? u. ä. m.
Verschiedenes.
Sou watertrechter de hahlt dat water steidel na 'u himmel rup. Denn
seggen wi ok: Petrus pumpt water up.
He sniegt mit water: denn joggt he (der Wind) dat water von de
see up un weihgt dat as suei betto.
448 Stiefel:
Dat is leg water: niedriger Wasserstaue!.
Dat water is Ifitt — grot: so auf Poel.
Dat water riest uj), wasst, löppt an; dat water sackt.
Dor kann man all god in 'u stahn drinken.
Dor is noch 'u schönen druuk up: auf der überschwemmten Wiese.
Dat water kern strickenstrom antolopeu.
Wenn slick in 't water is, seggeu wi, dat water bläuht.
W^enn 't water riek is, is 't land arm.
Wenn eu sik de stewel vulltüppt, seggeu wi: de het ne quabb grepeu
(fangen, slahu); de het 'n hekt steken (angelt); de het sik 'n aal hahlt.
In Seiten water, wenn dat schümt öwer 'u gegenständ, 'n stein, 'n stock
oder so, sali man de bein nich riuholleu, denn ki-igt man wratteu.
Waren in Mecklenburg.
Kleine Mitteilungen.
Die stärksten Dinge.
Unter diesem Titel hat Reinhold Kühler im zweiten Bande von Pfeiffers
Germania (1857) S. 481 einen Aufsatz veröffentlicht, worin er das Thema,
dass ein starkes Ding immer von einem noch stärkeren stufenweise überboten
wird, durch die Weltlitteratur verfolgte. Sein Ausgangspunkt bildete ein Gedicht
in einem alten Rätselbüchlein '). Zum Vergleich zieht er einen äthiopischen
Spmch, dann die rabbiiiische Legende vom Erzvater Abraham und Nimrod, das
indische Märchen von der in ein Mädchen verwandelten Maus, die Fabel La-
fontaines IX, 7, die Strickersche Fabel vom freienden Kater, eine Stelle in dem
indischen Epos Harivansa und endlich den Wettstreit der drei Leibwächter des
Darius (im 3. Buche Esdrae) heran.
Diese Nachweisungen lassen sich bedeutend vermehren, indessen begnüge ich
mich hier, eine Version bekannt zu geben, die ich als die Quelle des deutschen
und äthiopischen Spruches und jedenfalls als die älteste uns erhaltene Darstellung
überhaupt betrachte. Ich verdanke ihre Kenntnis der „Rabbinischen Blumenlese"
von Leopold Dukes (Leipzig 1844). In diesem Buche wird der Spruch auf
Seite 76/77 hebräisch und deutsch angeführt. Da aber als Quelle der Midrasch
Koheleth angegeben ist, so benutzte ich noch diesen Midrasch in der Übersetzung
von August Wünsche. Nach diesen beiden lautete die Stelle — die sich an den
Vers in Eccles. VII, 26 „dass ein Weib dessen Herz Palistricke .... bittrer als
der Tod sei" etwa folgendermassen :
„R. Jehuda sagte: Vierzehn Dinge giebt es, von denen eines stärker als das
andere ist und von denen sich eines über das andere erhebt.
1) Nach der Beschreibung, die Köhler davon giobt, entspricht das Büchlein No. 23 — 27
in Hugo Hayns Verzeichnis „Die deutsche Rätscl-Litteratur" (Centralblatt für Bibliotheks-
wesen Vif, S. 527 ff.).
Kleine Mitteilungea. 449
Stark ist der Abgrund (1) (oder Meeresgrund), allein die Erde erhebt sich
darüber; stark ist die Erde (2), mächtig erheben sich die Berge über sie; stark
ist der Berg (3), allein das Eisen erhebt sich über ihn und zertrümmert ihn;
stark ist das Eisen (4), allein das Feuer löst es schmelzend auf; stark ist das
Peuer (5), das Wasser überwältigt und löscht es; stark ist das Wasser (6),
allein Wolken tragen es von dannen; stark sind die Wolken (7), allein der Wind
zerstreut sie; stark ist der Wind (8), allein die Mauer widersteht ihm; stark ist
die Mauer (9), aber der Mensch reisst sie nieder; stark ist der Mensch (10),
allein Leiden machen ihn mürbe; stark sind die Leiden (11), aber Wein bringt
sie in Vergessenheit; stark ist der Wein (12), allein der Schlaf entkrüftigt ihn;
stark ist der Schlaf (13), allein die Krankheit verscheucht ihn; stark ist die
Krankheit (14), allein der Todesengel (15) überwältigt sie; jedoch ein böses
Weib (16) ist das Schlimmste (oder Stärkste) von allen."
Das sind nicht 14, sondern eigentlich 16 Dinge, aber R. Jehuda scheint Todes-
engel und Weib nicht dazu gerechnet zu haben.
Vergleicht man mit dem althebräischen Spruch das von Köhler an erster
Stelle angefülirte deutsche Gedicht, so haben wir in letzterem 10 Dinge in nach-
stehender Reihenfolge: Stein (=Berg3), Eisen (4), Peuer (5), Wasser (6), Wolken
(7), Wind (S), Mensch (10), Wein (12), Schlaf (13), Tod (15) und Gottes Gerechtig
keit (fehlt im Midrasch).
Ln äthiopischen Spruche haben wir 11 Dinge, nämlich: Eisen (4), Feuer (.5)
Wasser (6), Sonne (fehlt im Midrasch), Wolken (7), Erde (2), Mensch (10), Trauer
(= Leiden 11), Wein (12), Schlaf (13) und Weib (16).
Ich dachte anfangs, dass der deutsche wie der äthiopische Spruch in einem
direkten Zusammenhang mit dem Midrasch stehen, welchen sie gekürzt und mit
kleinen Änderungen wiedergeben, wenn mich nicht der Schluss des deutschen
Gedichtes stutzig gemacht hätte. Dieser lautet:
Jedoch Gottes Gerechtigkeit
mit Stärk den Tod übertrifft weit,
dann durch den Propheten spricht Gott:
Die Gerechtigkeit erretet vom Tod.
Diese ganze Wendung, insbesondere der Hinweis auf den Bibelvcrs — der
nebenbei bemerkt, wie schon R. Köhler erwähnt, nicht den Propheten, sondern
den Sprüchen Salomonis (10, 2) entnommen ist — trägt echt talmudischen Charakter.
Ich schloss daraus, dass nicht der Midrasch, sondern eine andere äluiliche Quelle
den Stoff' des deutschen Gedichtes geliefert haben müsse. Dukes erwähnte nun in
einer Anmerkung zum obigen Citat: „Etwas verändert findet sich die ganze
Stelle auch in Baba batra 10a und Jalkut Jes. §345." Ich verschaffte mir die
Übersetzung der betreffenden Stellen, die beinahe gleich lauten, und gebe sie hier
wieder:
Er (R. Jehuda) sagte: Zehn starke (oder harte) Dinge sind in der Welt
erschaffen worden (Jalkut: .... giebt es, von denen eines immer stärker als
das andere ist): Stark ist der Fels (oder Berg), das Eisen zerschlägt ihn; stark
ist das Eisen, das Peuer macht es weich; stark ist das Peuer, das Wasser
löscht es aus; stark ist das Wasser, Wolken tragen es empor; stark sind die
Wolken, der Wind zerstreut sie; stark ist der Wind, der Mensch (eigentlich der
Körper) widersteht ihm: der Mensch (oder Körper) ist stark, die Furcht drückt
ihn nieder; stark ist die Furcht, der Wein verscheucht sie; stark ist der Wein,
der Schlaf besiegt ihn. Der Tod ist stärker als alle: doch die Schrift
450
Hanauer:
sagt (Jalkut: der Tod ist stärker als er und die Gerechtigkeit errettet von
allen; denn es heisst): Die Gerechtiglicit errettet vom Tode.
Auch hier erscheint R. Jehuda als der Verfasser oder Verbreiter des Spruches,
und offenbar haben wir es nur mit einer älteren Überlieferung des Spruches zu
thun, der erst im Midrasch erweitert wurde. Die Übereinstimmung des deutschen
Spruches damit und zwar mit der Passung des Jalkut ist vollkommen und diesen
dürfen wir ohne weiteres als seine letzte Quelle ansehen. Wie sie ihm vermittelt
worden ist, weiss ieh nicht.
Anders verhält es sich mit dem äthiopischen Spruche. Dieser steht der
Passung des Midrasch näher; denn sie begreift zwei Dinge in sich, die im Jalkut
fehlen: Erde und Weib. Welcher Zusammenhang aber zwischen der äthiopischen
und rabbinischen Litteratur besteht, entzieht sich meiner Kenntnis.
Nürnberg. A. L. Stiefel.
Abzählreime aus dem Kurpüilzisclien.
Folgende kleine Sammhmg, welche leicht vergrössert werden konnte, bietet
einige beachtenswerte Vergleiehsmomente zu der Serie, die 0 Schell in dieser
Zeitschrift V, 67 — 71 veröffentlicht hat. Möglich, dass mir manches schon Ge-
druckte unterlaufen ist.
1. Ene, dene, deze;
Wer backt Breze?
Wer backt Riiehe?
Der muss suche;
Wer backt Brei,
Der is frei.
2. Ene, dene, Dindefass,
Geh' in d' Schul' imd lerne was;
Kommschde heim und kannschde nix,
Wirschde mit dr Rüde gfizt.
(Mosbach.)
4. Herumlibus, herumlibus,
Ise Isedor,
Sakramenter Mohr!
Ära, ara, diseda.
Schlag' die Benedeitia,
Ara, ka. (?)
(Mosbach.)
6. (wird gesungen.)
Die Brück' ist zerbrochen.
Wer hat's gethan?
Der Maurer und seine Tochter;
Wir wollen sie wieder bauen lassen.
Mit Steinen, mit Beinen,
Mit Silber imd Gold beschlagen.
So fahrt nur zu, so fahrt nur zu!
Der letzte muss bezah — — — len.
(Wer an — len kommt, wird geschlagen.) (Mosbach.)
(Mosbach a. Neckar.)
Eins, zwei siwwe,
E Schissel voll Riwe,
E Schissel voll Brei,
Un du bisch frei.
(Mosbach.)
Eins, zwei zwanzig;
Die Pranzose ginge nach Danzig,
Danzig fing an zu brenne,
Da bekamen sie das Renne
Blit Schiabbe un Schuh;
Der bisch du.
(Mannheim bis Mosbach.)
Kleine Mitteilungen.
451
7. Eins, zwei, drei,
Hicke, hacke, lici,
Hicke, hacke, Löffelstiel,
Aide Weiwer fresse viel.
Junge messe faschde,
S' Brod liegt im Kaschde,
S' Messer liegt drnewe.
Budder is vertrede,
Katz kehrt Stuwwe aus,
Maus dräschd de Dreck deraus,
Hockt e Vechele ufm Dach,
Hot sich halber schebb gelacht.
(Heidelberg.)
Mosbacher Variante:
S' Messer liegt drnewe.
Wer esse will, muss bede,
Bede, bede kann i net,
Bede liegt in Hamburg,
Hambui'g is e grosse Stadt,
Do werre mer all mitnander satt.
8. Eins, zwei, drei siwwe,
Helf mir doch de Sclnibkarrich schiwe!
Wo denn hin?
Nach Berlin,
Wo die schene Mediin sin;
Mediin träche Lorbeerkränz,
Büwe träche Raddeschwänz.
(Heidelberg.)
9. Eins, zwei siwwe,
Ei, wo ist der Hans gebliwwe?
Ei, er steckt im Budderfass!
Himmel noch emol, was is denn dass!
(Heidelberg.)
10. Ich un du un noch en Bü
Hewwe mitnander ins Heffele gsch . . . ;
Vadder hot gfröcht:
Wer hots gedün?
Ich un du un noch en Bii.
(Besonders in Heidelberg.)
11. Eins, zwei, drei, vier;
Auf dem Klavier,
Da ist ein Ding,
Das macht kling, kling.
Kling, kling macht es
Und du bist es.
12. Ri ra rutsch,
Wir fahre mit der Kutsch.
(Sehr verbreitet.)
(Mosbach.)
13. Blauer, blauer Pingerhut! (Federhut)
Stehst dem Mädchen gar zu gut!
Mädchen, du musst tanzen
Mit dem grünen Ranzen:
Mädchen, du musst stille stehn,
Musst dich dreimal rummedrehn. (An verschied. Orten.)
14. Apfel, Birne, Cirkel, Dopf,
Ente, Feige, Geige, Hopf,
Igel, Katze, Löwe, Maus,
Roter Peter, komm heraus! (Mosbach.)
15. No. 24, 27, 28 und 39 der Schell sehen Sammlung finden sich überall in
der Pfalz.
Heidelberg. G. Hanauer.
Bemerkungen zu einem ostfriesischen Martiniliede.
In seiner Schrift „Alte Heimatklänge" bietet Lüpkes auf S. 49—64 verschiedene
Martinilieder mit Erklärungen. Das letzte, „Martini, St. Nikolaus und Nei^abr"
überschriebe QO Lied auf S. 64 schliesst er mit folgender Bemerkung: „Ich verweise
Zeitschr, d. Vereins f. VolUnltunde. 1895.
31
452 Dii-ksen:
zum Schhiss noch auf zwei Martinischeizreime bei Herrn, Meier: „Heissa, Sünder
Märten" und .,Sünder Märten pikkedrüd"'. Lüpkes fügt sodann auf Grund von
§ 4ü u. 73 in Siinrocks Mythologie erklärend hinzu: auf den ewigen Juden wurde
der grosse Schuh Widars übertragen, und so wurde der ewige Jude, indirekt also
"Wuotan selbst, zum Schuster gemacht. — Martin ist hier aber der maskierte
Wuotan.
Ich fühle in vorliogeudem Falle nicht das Bedürfnis, auf mythologische Vor-
stellungen zurückzugehen') und erkläre mir den nachfolgenden Scherzreim oder
Spottreim auf eine höchst einfache Weise, wobei ich mich streng an den Wortlaut
desselben halte. Der Reim lautet:
Sünner Märten pikkedräd,
hei ji geld, dan wet ik räd:
kopt jo 'n ortjes kerse,
gät darmit na Rheiderland
un stekt jo sünuermarten in brand.
Mit dem Sünner Märten (Sankt Martin) ist in erster Linie Luther selbst ge-
meint, der hier im Gegensatz zu dem Bischof Martin als Sünner Märten ..pikkedräd"
bezeichnet wird. Dann geht die Bezeichnung auch auf seine Anhänger, welche
der Spotti'eim als geringe, dem Handwerkerstande angehörige Leute aufführt. In
dem Reim ist überdies noch ausdrücklich von der Armut der betreffenden die
Rede, und es wird ironisch bemerkt: Wenn ihr überhaupt Geld habt, so rate ich
euch, eine Viertelstüberkerze zu kaufen und mit eurem Martinilicht (ostfr. sünuer-
marten) nach dem Rheiderlande zu gehen, da werdet ihr schon zu der Einsicht
kommen, dass man euch dort nicht duldet. Das Rheiderland war nämlich zur
Zeit der Entstehung obigen Spottreimes und ist auch heute noch fast ausschliesslich
reformiert. Der Spottreim weist mithin auf die im eigenen Lager der Evangelischen
herrschende Unduldsamkeit und Zwietracht.
Ostfriesland war gleich anfangs zum Protestantismus übergetreten; ums Jahr
1528 gab es kaum noch einen Anhänger der alten Riiche in dem kleinen Ländchen.
Unter dem Grafen Edzard IL und seinem gemeinsam mit ihm regierenden Bruder
Johann, von welchen ersterer dem lutherischen, letzterer dem reformierten Glauben
zugethan, brach ein heftiger Streit zwischen Reformierten und Lutheranern aus,
der beinahe zwei Jahrhunderte währte und die Gemüter beider Parteien mit un-
erbittlichem Hass erfüllte. Während dieses Glaubensstreites fanden sich allmählich
wieder Katholiken in Ostfriesland ein, deren Zahl mit jedem Jahrzehnt zunimmt.
Obgleich in der Minderzahl, durften dieselben sich schon einen derartigen kleinen
Spott, wie er in obigem Reim zur Erscheinung tritt, erlauben.
Meiderich. C. Dirksen.
Lesefriiclite.
I.
Das Notfeuer im Braunschweigischen behandelt ein Aufsatz von
Dr. Richard Andree in dem Braunschweigischen Magazin No. 1, der Beilage zu
No. 242 der Braunschweigischen Anzeigen, vom 1. Sept. 1895. Unter Notfeuer
versteht mau bekanntlich das beim Sterben der Menschen und bei Viehseuchen,
also in der Not, entzündete reinigende Feuer, das auf die ursprünglichste Art durch
1) [Die Deutung auf Widar und Wuotan ist mythologischer Unsimi. K. W.]
Kleine MitteUungen. 453
Reiben zweier Hölzer unter besonderen Bedingungen erzeugt ward. Mit diesen^
reinen Feuer ward ein Holzstoss in Brand gesetzt, durch den das kranke Vieh
mehrere Mal hindurchgejagt ward. Auch die Menschen sprangen hinüber. (Vgl.
die zusammenfassende Darstellung von Ulr. Jahn, Die deutschen Opfergebriiuche
bei Ackerbau und Viehzucht, Breslau 1884. S. 26—49.) Die iiltesten Zeugnisse
für dieses heilige Feuer (niedfyr, nödfyr) reichen bis 743 und 742 hinauf und
erloschen ist es erst in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und England; in
Bosnien und der Herzegovina dauert es noch fort, und für Polen und Russland
sind Zeugnisse noch aus den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts vorhanden.
Dr. R. Andree hat in dem erwähnten Aufsatz sechs Beweise beigebracht, dass
das Notfeuer im Braunschweigischen noch um die Wende dos 18./19. Jahrhunderts
lebendig war. Die Erzeugung des Feuers hat der Wolfenbüttler Schulrektor
Joh. Reiske (Reiskius) in seiner Untersuchung des Notfeuers, Frankf. u. Leipz.
I69ii, S. 51 am klarsten gegeben. Die von R. Andiee ausgehobene Stelle lautet:
„Wenn nur sicli etwan unter dem grossen und kleinen Viehe eine böse Seuche
hat herfürgethan und die Hcerde dadurch bereit grossen Schaden erlitten, werden
die Bauern schlüssig, ein Nothfüer oder Nothfeuer anzumachen. Auf bestimmten
Tag muss in keinem Hause, noch auf dem Heerde sich eine einzige Flamme
finden; aus jedem Hause muss etwas von Wasen u. Stroh u. Buschholz herzu-
gebracht werden; dai-auf wird ein starker Eichenpfahl in die Erde festgeschlagen
und ein Loch durch diesen gebohrt, in dasselbe wird eine hölzerne Winde ein-
gestecket, mit Wagenpech und Theer wohlgeschmieret, auch so lange umgedrchet,
bis es aus heftiger Hitze und Nothzwang Flammen geben kann. Solche wird sofort
mit Materialien aufgcfassct, durch Stroh, Heide und Buschholz gemehret, bis es
zu einem vollen Nothfeuer ausschlägt; dieses aber muss in die Länge zwischen
Wänden oder Zäunen sich etwas ausbreiten und das Vieh nebst den Pferden mit
Stecken und Peitschen drei- oder zweimal hindurchgejagt werden. Andere schlagen
anderswo zwey durchbolirete Pfähle, stecken in die Löcher eine Walle oder Winde
nebst alten Pettbeschmiereten Lumpen; Andere gebrauchten einen harnen oder
gemeinen dichten Strick, suchen neunerley Holtz zusammen und halten so lange
mit gewaltsamer Bewegung an, bis Feuer herabfalle. Vielleicht mögen noch mehr
Arten bei dieses Feuers Generation oder Anzündung sich finden, alle dennoch
werden bloss auf die Kur des Viehs eingerichtet. Nach drei- oder zweimaligem
Durchgange wird das Vieli zu Stalle oder ins Feld getrieben, und der. zusammen-
gebrachte Holzhaufe wieder zerstört, jedoch solchergestalt an etlichen Orten, dass
jedweder Hausvater einen Brand mit sich tragen, in der Wasch- oder Spültonne
ablöschen und solchen in die Krippe, worin das Vieh gefüttert wird, auf einige
Zeit beilegen lasse.''
Die Zeugnisse für die Fortdauer des Notfeuers, auch dat wilde oder wille füer
genannt, die Herr Dr. Andree aus dem Braunschweigischen gesammelt hat, reichen
von 1802 bis 1850/60. Bemerkenswert ist, dass in die Flamme auch Getreide-
körner und Brot geworfen wurden.
K. Weinhold.
n.
1. Zwei Bräuche von der oberbayerisch-tiroler Grenze.
Die „Münchoner Neuesten Nachrichten" bringen in ihrer Nummer 192 vom
26. April 1895 folgende Zuschrift: „Kufstein, 24. April. (Totschlag.) In der
Gemeinde Buchberg bei Kufstein besteht noch der alte Brauch des „Einläutens"
bei der Geburt des ersten Kindes einer Frau. Da ziehen die jungen Burschen
31*
454 Friinkel ;
mit Glocken dreimal um das Haus der Wöchnerin, indem sie dabei den Spruch
hersagen: „Bauer, gieb an Hafer her!", d. h. er solle Wein zahlen. Dazu finden
sich immer noch Gegner, ..die ausläuten", wodurch der Bauer der Pflicht des Wein-
schenkens entbunden wird. Bei dieser Gelegenheit kommt es öfters zu Raufereien.
Am vergangenen Sonntag war wieder ein solches Ein- und Ausläuten. Als der
Altvorsteher Ritzer zwischen den beiden Parteien Ruhe stiften wollte, wurde er
mit Stockschlägen derart misshandelt, dass er vorgestern bereits den erlittenen
Verletzungen erlegen ist."
Dasselbe Blatt — das übrigens mit sehr verdienstlichem Eifer die in Bayern
gar nich( spärlichen Reste forterbender Volksanschauungen, die zu seiner Kenntnis
gelangen, mitteilt — veröITentlicht in der Nummer 205 vom 3. Mai 1895 eine aus Bad
Reichenhall vom 2. Mai datierte Notiz folgenden Wortlauts: „Die Philippsnacht.
Wie fast in jeder Gegend alte Gebräuche und Sitten (oder auch Unsitten) bestehen,
denen an gewissen Tagen gehuldigt wird, so hat in unserer Gegend die „Philipps-
nacht" solche Gebräuche aufzuweisen. Es werden nämlich von den jungen, meist
ledigen Bursehen der umliegenden Ortschaften fast von jedem Flause einige Wirt-
schaftsgeräte heimlich weggenommen und an einem hierzu erwühlten Platze auf-
gestellt und diese Gegenstände, als Fensterläden, Tische, Sessel, Leitern, Bänke,
Schubkarren, sogar die schwersten Odeltruhen und Wagen u. s. w., turmartig auf-
gerichtet. Am anderen Morgen müssen natürlich die gefoppten Eigentümer, die in
der Regel gute Miene zum bösen Spiel machen, sich die Sachen unter dem Ge-
lächter der Zuschauer wieder abholen. Dass diese Gegenstände mitunter sehr
schwer zu „erwischen" und zu transportieren sind, versteht sich von selbst nnd
richtet sich auch der Erfolg des Abends darnach, ob bei diesen Pseudo-Diebstählen
mehi' oder minder schwer erreichbare Requisiten auf den Plan gebracht werden.
Leider werden auch oftmals diese Gebräuche ganz und gar übertrieben und wiid
manchem Eigentümer, welcher sich durch irgend etwas missliebig gemacht, von
den Spassvögeln, welche in dem Glauben handeln, in dieser Nacht alles auf ihre
Rechnung schreiben zu können, durch Beschmutzen der Häuser arg mitgespielt.
Auch durch Aufstellen von Karrikaturen, welche diese oder jene Person vorstellen
sollen, wird viel Spott getrieben. Da die geschädigten Eigentümer es auch in den
schwersten Fällen nicht wagen, eine Anzeige zu erstatten, so wird dieser „Ulk"
wohl noch lange erhalten bleiben."
2. Die Käth, ein erzgebirgisches Volksfest.
Die „Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger Nummer 283, Mittwoch,
12. Juni 1895. (Abend-Ausgabe.)" schreibt: „Annaberg, 11. Juni. Am Sonntag
nahm hier das acht Tage andauernde eigenartige erzgebirgische Volksfest, die
,Käth' genannt, seinen Anfang. Der etwas sonderbar klingende Name ist ver-
mutlich abgeleitet vom Feste der Dreieinigkeit — Dreieinigkect. Ursprünglich
dürfte das Fest ein Bergfest in grossem Massstabe gewesen sein. An der Gottes-
ackerkirche — Hospitalkirche — angebaut ist in der Richtung nach dem Gottes-
acker eine freistehende Kanzel, von der aus früher für das unten im Freien harrende
Volk gepredigt wurde. Später w;ird dieser schöne Brauch, wie viele andere, ab-
geschafft, bis ihn vor einigen Jahren unsere Kirchenbehörde aufs neue wieder ein-
führte, so dass gegenwärtig wieder alljährlich am Trinitatisfeste die oben beschriebene
Kanxx'l zu einem Festgottesdienstc in Gottes freier Natur benutzt wird. Auch am
Sonntag Mittag war dies der Fall; das Wetter war prächtig, und der auf das
Köstlichste mit Blumen geschmückte Friedhof, zu dessen Sehenswürdigkeiten die
Auferstehimgslinde und das Barbara-Uttmarm-Grab-Denkmal gehören, ward von
Klfiiie Mitteilungen. 455
Tausenden von Menschen von nah und fern besucht. Die Schnuickung- der Gräber
mit Blumen, die anderwärts zumeist am Johannistage erfolgt, geschieht hier stets
am Trinitatisfeste. Von dem Gottesacker weg lenken die festlich geschmückten
Menschenscharen zumeist ihre Schritte nach dem etwa 10 Minuten entfernten Pest-
platze, auf dem von früh bis spät abends ein ungewöhlich lebhaftes, fröhliches
Leben und Treiben herrscht."
Die Sitte, bei bestimmten volkstümlichen Anlässen im Freien, sei es auf einer
wirklichen Naturkanzel, sei es auf einem eigens errichteten Piedestal zu predigen,
dürfte bis in die Zeiten der Bekehrung zurückgehen — man denke z. B an die
Legende von Winfried-Bonifacius' Tod — und hat sich vielerorts erhalten, nament-
lich in Gebirgsgegenden. Ob die obige Auslegung des Namens ,Räth' richtig sei.
lassen wir dahingestellt; es kann ebenso gut eine Volksetymologie, die einen
fals<'hen Zusammenhang anbahnen will, zu Grunde liegen, als wirklicher Zusammen-
hang mit Katharina. Nur Lokalhistoriker können das entscheiden.
3. In den „Münchener Neuesten Nachrichten" vom 20. Juli 1895 (48. Jahrg.,
No. 330), Vorabend-Blatt, S. 3 lesen wir als Korrespondenz: Berchtesgaden,
18. Juli. (Aberglaube.) Auf dem Lande herrscht vielfach noch der Aberglaube,
dass wenn ein Totes aus dem Hause getragen wird, im selben Augenblick der
„Imb" (Bienenstock) und das „Krautfassl" gehoben werden müssen, „damit's net
absteh'n". Li Befolgung dieses abergläubischen Brauches wurden am Dienstag
auch die sechs Bienenstöcke des Bauers Kerscher von Gattering gerüttelt, als
dessen verstorbene Mutter in feierlichem Kondukt aus dem Hofe getragen wurde.
Die Bienen aber verstanden zur jetzigen heissen Hochtrachtszeit keinen Spass.
Gereizt und gestört in ihrer Arbeit, stürzten sich die Schwärme wütend auf den
Leichenzug, so dass die auseinanderstiebeuden Leidtragenden, besonders aber die
Geistlichkeit, die Lehrer, Sängerinnen, Fahnenträger u. s. w. sich kaum mehr der
rachenehmenden Bienen erwehren konnten und die Sargträger ob der vielen Stiche
laut aufjammerten. Ausser den Gefahrbereich gekommen, hielt der Zug sofort
inne. um sich von dem ausgestandenen Schrecken zu erholen und an Bach und
Brunnen Waschungen vorzunehmen. Li der Otterings-Pfarrei und noch weiterhin
sieht man jetzt genug der schöngeschwollenen Gesichter. („Berchtesgadener An-
zeiger".)
4. Die „Münchener Neuesten Nachrichten" berichten in ihrer Nummer 499 vom
28. Oktober 1895, Seite 9 unter der Spitzmarke Augsburg, 26. Oktober. (Ein
moderner Mazeppa): „Am 1. Dezember 1894 wurde der Kijährige Dienstbube
Frauenknecht in Adelzhausen von einem Pferde, auf dessen Rücken er gefesselt
war. zu Tode geschleift. Heule hatten sich wegen dieser That vor dem Land-
gericht die jugendlichen Dienstburschen D. Riedlberg, J. Dollinger, G. Neumeier
und J. Steininger, sämtlich von Adelzhausen, zu verantworten. Die Ursache der
unseligen That, die sich nach der Anklageschrift als fahrlässige Tötung darstellte,
war folgende: Im , Bayerischen draussen' herrscht unter der Landbovolkcrung der
uralte Brauch, jenem Bauern, der zuletzt mit dem Dreschen fertig wird, ein sog.
,Drischl' in den Stadel zu werfen, eine aus Stroh gebundene Figur, meist ein
Schwein darstellend. Man fasst diesen Spott absolut harmlos auf, ertappt man
den Drischlwerfer aber, erlaubt man sich einen Schabernack mit ihm. So war
es auch hier. Die Angeklagten wurden als die letzten im Dorf mit dem Dreschen
fertig und hatten in Erfahrung gebracht, dass Frauenknecht ein Drischl werfen
wolle. Als sie ihn dabei abfassten, transportierten sie ihn in die Knechtekammer,
banden ihm mit einem Taschentuch die Hände auf den Rücken und schwärzten
456 Weinhold:
sein Gesicht. Frauenknecht lachte zu dem Scherz. Nachdem dies geschehen,
führte der 14jährige Riedlberg, ein aufgeweckter Bursche, der mit Pferden gut
umzugehen verstand, einen Gaul aus dem Stall und Frauenknecht wurde mit seinem
Einverständnis in reitender Stellung darauf gebunden. Die herabhängenden Ftisse
band man unter dem Bauch des Pferdes mit einem Strick fest. Frauenknecht
freute sich sehr über den Spass Während nun Riedlberg das Pferd am Leitseil
durchs Dorf führte, schritt Dollinger hinterdrein und trommelte auf einer Giess-
kanne. Vor der in der Mitte des Dorfes gelegenen Wagnerschon Wirtschaft machte
man Halt und trank eine Stehmass, der auch Prauenknecht fleissig zusprach. Die
Dorfjugend umstand gaffend den seltsamen Aufzug. Einige meinten, nun sei es
Zeit, den Gefesselten loszubinden. Rädelsführer Riedlberg wollte aber nichts
davon wissen; sein Vater, der am anderen Ende des Dorfes wohnte, sollte die
Hetz auch mit ansehen. Man setzte sich wieder in Bewegung. Plötzlich bäumte
das Pferd hoch auf, entriss sich seinem Führer und gallopierte wie rasend, selbst
vor einem Flüsschen nicht Halt machend, zum heimischen Stall zurück. Der
Zeugen des Vorfalls bemächtigte sich ein lähmendes Entsetzen, als sie sahen, dass
der gefesselte Frauenknecht plötzlich vom Rücken des scheu gewordenen Tieres
herabglitt und mit dem Kopf abwärts auf dem Boden schleifte, unzählige Hiebe
von den Rosshufen empfangend. Als Dienstknecht Steininger das Pferd bei Kiefers
Anwesen auffing, war Frauenknecht tot: er blutete aus schrecklichen Wunden, die
Stirnhaut hing wie ein loses Tuch am Kopf Die Angeklagten sind geständig.
Dem Zeugenverhör ist zu entnehmen, dass das Pferd beim Wagnerwirt ohne eine
äussere Ursache scheute, w^eshalb in dem absonderlich gelagerten Fall gegen
sämtliche Angeklagte auf Freisprechung erkannt werden musste."
München. Ludwig Fränkel.
Untersuchungen über die Geschichte des deutschen Bauernhauses.
Mit grosser Freude können wii- berichten, dass die Untersuchung über Ursprung
und Entwickelung des deutschen Bauernhauses jetzt von den Technikern in die
Hand genommen worden ist Der Verband deutscher Architekten- und Ingenieur-
vereiue hat sich dazu mit den entsprechenden österreichischen und schweizerischen
Vereinen verbunden, und die Vertreter der drei Körperschaften haben am
10. August d. J. in Garmisch in Oberbayern beraten und beschlossen ein gemein-
sames Werk auszuarbeiten: .Das deutsche Bauernhaus im deutschen Reich, in
Österreich- Ungarn, in der Schweiz und in den Grenzgebieten dieser Länder." Der
1. Abschnitt des Werkes soll den Text bringen, der 2.-4. die Zeichnungen im
Massstabe von 1 : 100 oder auch 1 : 50. Die letzte Frist für die Einlieferung der
Aufnahmen ist auf den 1. Juli 1897 gesetzt. Wir wünschen dem grossen Unter-
nehmen von Herzen den besten Foi-tgang, da wir durch diesen Zutritt der Techniker
zu den geschichtlich - archäologischen Forschern eine gedeihliche Lösung der
wichtigen Frage über die Bedeutung des alten Bauernhauses für die Stammgeschichto
hoffen.
Ludwig Tobler f.
Am 19. August 1895 erlöste der Tod von längerem schwerem Leiden den
ord. Professor an der Züricher Universität, Dr. Ludwig Tobler. Der Verstorbene
war Mitglied des Vereins für Volkskunde seit seiner Gründung und Mitarbeiter
Bücheranzeigen. 457
an unserer Zeitschrift; an der Vorgängerin derselben, der Lazarus-Steinthalschen
Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft hat er sehr thätigen
Anteil genommen: die psychologische Behandlung sprachlicher Vorgänge 'und Er-
scheinungen war das eigentliche Feld liir seine Begabung und Neigung.
L. Tobler war am 1. Juni 1827 in dem Pfarrhause von Hirzel im Ranton
Zürich geboren: sein Vater Salomon war als Dichter bekannt, ein jüngerer Bruder
von Ludwig ist Adolf Tobler, der ord. Prof der romanischen Philologie an der
Berliner Universität. Ludwig studierte in Zürich Theologie und erhielt auch die
geistliche Ordination. Auf der Akademie von Lausanne und den Universitäten
Berlin und Leipzig suchte er seine weitere Ausbildung und übernahm nach seiner
Heimkehr eine Lehrstelle an der Bezirksschule in Aarau, ging 1860 an die Kanton-
schule in Bern und habilitierte sieb 1864 daneben als Privatdocent für allgemeirie
und deutsche Sprachwissenschaft. iVach einigen Jahren ward er zum ao. Professor
ernannt Anfang 1871 traf ihn das Unglück, infolge der Pocken, die er sich in
einem durch französische Internierte verseuchten Eisenbahnwagen geholt, sein eines
Auge und zugleich die Kraft der Stimme einzubüssen. Mit seiner Gattin, einer
Tochter des durch Herausgabe von Sankt Gallens altdeutschen Sprachschätzen
bekannten Prof Heinr. Hattemer, gründete er 187.^ zu Hottingen bei Zürich eine
Privatschule und lehrte zugleich in seinen Fächern an der Züricher Universität.
Er ist aber erst sehr spät zu einem Ordinariat gelangt. Nicht leicht war sein
Lebensweg überhaupt. Die Kunst sich geltend zu machen und sein Licht strahlen
zu lassen, besass der fein angelegte, innerlich lebende Mann nicht.
In der Schweiz kann Ludw. Toblers Name nicht vergessen werden durch
seine lange und treue Mitarbeit an dem Schweizerischen Idiotikon, Wörter-
buch der Schweizerdeutschen Sprache (Prauenfeld, bis jetzt Band I, II
und III bis Sp. 1408). Neben Fr. Staub hat er von Anfang dem grossen Werke
aufopfernden Pleiss zugewandt und besonders die Bedeutungsentwickelung der
Worte auf sich genommen. Ganz allein gehört ihm die treffliche Sammlung der
Schweizerischen Volkslieder. Mit Emleitung und Anmerkungen (2 Bände.
Frauenfeld, 1882. 1884. Nachtrag im Anzeiger für Schweizerische Geschichte.
1885. No 2. Vergleiche auch die Aufsätze: Über die historischen Volkslieder
der Schweiz im Archiv des histor. Vereins VII. und Über die Volkslieder der
romanischen Schweiz im Sonntagsblatt Der Bund. März 1886).
Mit besonderer Liebe arbeitete L. Tobler auf sprachwissenschaftlichem Gebiete,
besonders wo es sich um Ergründung der psychischen Vorgänge handelt. Sein
Buch Über die Wortzusammensetzung, Berlin 1868 sei hier in Erinnerung gebracht,
ausserdem eine grössere Reihe feiner Beiträge zu Kuhns Zeitschrift für ver-
gleichende Sprachforschung, Lazarus — Steinthals Zeitschrift für Völkerpsychologie,
Promniuns Zeitschrift Die deutschen Mundarten, Pleilfers Germania, Zachers Zeit-
schrift für deutsche Philologie, Paul-Braunes Beiträgen Von kleineren Arbeiten,
die zur Volkskunde gehören oder ihr näher stehen, seien erwähnt: Haus, Kleid,
Leib: Germania IV, 160 — 184 (1859). Über die dichterische Behandlung der Tiere:
Zeitschrift für Völkerpsychologie III. Über Wunn und Weid im altdeutschen
Recht: Neues Schweiz. Museum IV (1864). Biblische und vaterländische Sage,
eine Parallele: Reform. Zeitstimmen aus der schweizerischen Kirche IX. Die alten
Jungfern im Glauben und Brauch des deutschen Volkes: Zeitschr. f A'ölkcr-
psychologie XIV. Ethnographische Gesichtspunkte der schw-eizerischen Dialekt-
forschung: Jahrbuch für schweizerische Geschichte XII. Das germanische Heidentum
und das Christentum: Theologische Zeitschrift aus der Schweiz II. Morgenstunde
hat Gold im Munde: Germania XXV, 80. Über sagenhafte Völker des Altertums
458 Meyer:
und des Mittelalters: Zeitschr. f. Yölkerpsychologie XVIII. Mythologie u. Religion:
Zeitschr. des Vereins für Volkskunde I, 369—377 (1891).
Ein vollständiges bibliographisches Verzeichnis wird von den Professoren
J. Bächtold und A. Bachmanu vorbereitet.
K. Weinhold.
Büclieranzeigeu.
Otis T. Mason. The origiris of iuvention. TVith illustrations. London.
Walter Scott, 1895. (The Contemporary Science Series ed. by Havelock
Ellis XXYin.) 41!) S.
Ein amerikanischer Ethnolog legt in diesem hübsch ausgestatteten Werkchen
die allmählich fortschreitende Entwickelung der Industrie unter den Naturvölkern
dar. Es ist nur natürlich, dass er sich von den Beständen des Smithsoniun
Instituts — an dem er angestellt ist — abhängig zeigt; weniger ist es zu recht-
fertigen, dass er auch bei Benutzung der Litteratur sich fast ganz auf amerikanische
Bücher beschränkt: Schweinfurths ^Artes .4.fricanae" sind das einzige europäische
Werk, das wiederholt citiert wird. Ganz besonders in wissenschaftlichen Arbeiten
von jenseits des W^eltmeeres ist endlich auch ein imerfreulich witzelnder und
burschikoser Ton beliebt, wie er sich hier breit macht. Wenn Swift einmal sagt:
„The dean was famous in his time and had a kind of knack of rhynie", so giebt
dieser W^itz dem Verf gleich Anlass, zu erklären, alle Genialität bestehe nur in
geschickten Kunstgriffen (S. 26). Dann freilich wäi-e „der Ursprung der Erfindungen"
leicht erklärt, während jetzt das Buch für die Psychologie des Erfinde s kaum
etwas leistet. Überhaupt ist M. in Sätzen allgemeinen Inhalts nicht glücklich.
Natürlich ist die Webekunst älter als das Menschengeschlecht (S. 224), wenn man
eben die analogen Künste der Tiere schon hereinzieht; welche Kunst ist aber in
diesem Sinn nicht älter als der Mensch? Ein wahres Musterstück von 'lationaler
Verblendung ist der wunderbare Satz: .Bis Benjamin Franklin die üfen erfand,
wärmte die ganze Welt, vom Anfang der Zeiten an, sich am offenen Feuer" (S. ICö).
Weil Amerika die englischen Kamine übernommen hat, werden die geschlossenen
Öfen der Germanen und Slaven einfach geleugnet! Auch wissenschaftliche Leit-
sätze wie der: .die Frage nach dem Alter ist eine geologische* (S. 124) sind mehr
blendend als zuverlässig. — Endlich stört noch ein überflüssiger Wortreichtum:
wie viel gleichartige Fälle zählt M. z. B. auf, um die Bedeutung der Präcisions-
Instrumente klar zu machen (S. 67)!
Aber all diese Mängel betreffen doch mehr das Aussenwerk. Der Gang der
Untersuchung selbst ist von der berechtigten Scheu vor dem „sehn eil fertigen
Raten" (S. 102) beherrscht und besteht in einer streng methodischen Anordnung
der Entwicklungsstufen. Der Reihe nach werden die Werkzeuge, die Anwendung
des Feuers, die Bearbeitung- von Stein, die Töpferei, die älteste Verwertung der
Pflanzen, die Textilindustrie, der Krieg mit dem Tierreich, Fang und Zähmung
der Tiere, das Reisen und der Transport, endlich die Kriegskunst besprochen.
Bücheranzeigen. 459
Jedesmal werden die bei Naturvölkern aulV.uweisenden Erscheinungen von den
einfachsten zu den kompliziertesten geordnet und etwaige „t'berlebser' an ihren
Platz eingefügt; dies nicht ohne Kühnheit, wie denn z. B. das Scepter und all seine
Nebenformen bis zu dem in unserer Zeitschrift mehrfach behandelten Schulzenstab
(S. 330) schwerlieh aus dem Stock, auf den der Reisende sich stützt, abzuleiten
sind. Gut gewühlte Abbildungen dienen der Erläuterung. Am lehrreichsten
scheinen mir die beiden Kapitel über das Feuer (III) und den Krieg (XI), auch
das über die Haustiere (XI) verdient besonders hervorgehoben zu werden. — Ein
Schlusskapitel zieht Polgerungen aus diesem Material, ziemlich kurz aber doch
vielseitig; der Gi'undgedanke ist der, dass Erfindungsgabe der menschlichen Natur
angeboren sei (S. 410). Dieser Satz, der den Haupttitel ja eigentlich negiert,
macht es doppelt bedauerlich, dass der reiche Inhalt des fleissigen Buches nicht
besser durch alleinige Wahl des Nebentitels gekennzeichnet wurde: „eine Unter-
suchung über die gewerbliche Thätigkeit unter den Naturvölkern".
Berlin. Richard M. Meyer.
Basmele roinäne. Studiu coniparatiTü de Lazär Säineuu. Bucuresci
1895. SS. XIV. IIU.
Der Inhalt des vorliegenden Werkes geht aus der Wiedergabe des vollständigen
Titels hervor. Derselbe lautet in wortgetreuer Übersetzung: „Rumänische Märchen
im Vergleich mit den antiken klassischen Legenden und in Verbindung mit den
Märchen der benachbarten und aller romanischer Völker." Dies ist zugleich der
Wortlaut einer Preisfrage, welche die rumänische Akademie in Bukarest im Jahre
1889 gestellt hatte, denn S.s Werk ist als Antwort darauf erschienen. Die Arbeit
wurde, nachdem ihr einstimmig der Preis zuerkannt, auf Kosten der Akademie
herausgegeben.
In der Vorrede rechtfertigt der Verfasser die ihm auferlegte Beschränkung auf
einen bestimmten Kreis und bespricht die Methode, deren er sich dabei bedient
hatte. In der Einleitung erklärt er, wie zu einer ursprünglichen allgemein anthro-
pologischen Grundlage der Volksmärchen später eine enger begrenzte ethnographische
sich gesellte; darauf verfolgt er die Entwickelung der Volksmärchen im Allgemeinen
von den alten Ägyptern bis zu den modernen Italienern; zugleich wird auch der
äusseren Gestalt der Märchen Aufmerksamkeit geschenkt und eine neue Einteilung
versucht, welche dann in der eigentlichen Arbeit ihre spezielle Anwendung findet.
Es dürfte manchen Leser dieser Zeitschrift interessieren etwas näheres über
diese Klassifikation zu erfahren; es möge daher das ganze System hier aufgestellt
werden, wobei bemerkt wird, dass mit römischen Ziffern die einzelnen Zyklen, in
welche jede Abteilung zerfällt, mit grossen Anfangsbuchstaben jedoch die ver-
schiedenen Typen eines jeden Zyklus bezeichnet werden.
Die erste Abteiliuig umfasst mythisch-phantastische Märchen (231— 5bU) mit
folgenden Unterabteilungen: I. Das Verlassen oder der Mensch als Tier: A. Amor
und Psyche, B. Melusina, C. Die Neraide; — II. Das Weib als Pflanze: A. Daphne,
B. Die drei Orangen; — HI. Die Verbote: A. Die verbotenen Orte, B. Das ver-
botene Zimmer; — IV. Die Gelöbnisse: A. Jephta. B. Die versprochenen Feeen;
— V. Die Metamorphosen: A. Jason, B. Die goldenen Kinder; — VI. Die Herab-
steigung zur Hölle: A. Theseus, B. Die Hesperiden, C. Die Rätsel; — VII. Das
Hinaufsteigen in die Lüfte: A. Der Himmelsbaum, B. Die Tiere als Schwager; —
VIII. Die Aussetzung: A. Andromeda, B. Danae; — IX. Die Heldenthaten: A. Das
^gQ Jarnf k :
lebendige und das tote Wasser, B. Ilona Cosinzena; — X. Das kriegerische
Mädchen.
Die zweite Abteilung (537 — 840), p^xhologische Märchen enthaltend, zerfällt
in folgende Teile: I. Die drei Brüder: A. Die treulosen Brüder, B. Die wunder-
baren Gefährten; — II. Die beiden Brüder: A. Die Dioscuren, B. Die beiden
Wahlbrüder; — III. Die dankbaren Tiere; — IV. Das treulose Weib: A. Scylla,
B. Dalila; — V. Die Blutschande: A. Die Eselshaut, B. Das Mädchen mit den ab-
gehauenen Händen; — VI. Die Stiefmutter: A. Holle, B. Das Aschenbrödel,
C. Phryxos, D. Der Granatapfel; — VII. Die Werbung: A. Üdip, B Eno]uaus:
— Vin. Das Schicksal: A. Moira, B. Nemesis; — IX. Die Riesen und Zwerge:
— X. Der Mensch als Held: A. Orion, B. Hercules — Pacalä.
Die dritte Abteilung (841 — 910) umfasst Märchen religiösen Inhaltes: 1 Gott:
A. Die Wünsche, B. Die Talismane; — 11. Der Teufel; - III. Der Tod: A. Der
Tod als Gevatter, B. Die Wanderung des Todes Die vierte Abteilung (910-994)
enthält scherzhafte Erzählungen: I. Das kluge Mädchen, II. Pacalä (Eulenspiegel),
woran sich endlich 945 — 953 ein Anhang über die bei den Rumänen dürftig ver-
tretene Tierfabel anschliesst.
Was nun die Methode im einzelnen betrifft, so wird bei jedem Zyklus und
bei allen Typen zunächst deren Hauptgedanken mit einigen Worten zusammen-
gefasst und dann sowohl das typische Märchen als auch dessen Varianten auf-
gezählt. Darauf folgt die im Buchtitel angeküuiügte Vergleichung mit Anmerkungen
über Einzelheiten, worauf das Kapitel mit einer gedrängten, alle wesentlichen Züge
der einzelnen typischen Märchen und deren Varianten umfassenden Inhaltsangabe
geschlossen wiid. Die lüerher nicht passenden Anmerkungen und Ergänzungen
werden unter der Aufschrift „Adnotatiuni" auf den Seiten 967 — 1000 zum Abdruck
gebracht.
Das ganze ausserordentlich reichhaltige Material wird endlich in einem volle
100 Seiten füllenden, zweispaltig gedruckten Realindex zusammengefasst. Der Wert
eines derartigen Behelfes ist in der That sehr bedeutend, da auf diese Weise die
Ähnlichkeit und die ^'erschiedenheit einzelner Züge überblickt werden kann. Im
ganzen kann diese Arbeit (bei welcher H. Aurel Candrea als Mitarbeiter genannt
wird), was die dabei angewandte Methode anbelangt, als eine gelungene bezeichnet
werden. Schade nur, dass sich im einzelnen darin manche Lücken und Ungenauig-
keiten nachweisen lassen. Was die ersteren betrifft, so meine ich weniger die
Weglassung mancher Stichworte, da dies mehr oder weniger einer subjektiven
Auffassung unterliegt, sondern eher die unvollständige Aufzählung der einzelnen
Gegenstände unter den betreffenden Wörtern und vor allem den Umstand, dass
nirgends angedeutet wird, dass die Aufzählung nicht vollständig sei. Man kann
doch nicht annehmen, der Verfasser habe auf die Lückenhaftigkeit des Index mit
den vor demselben abgedruckten Worten Gaidoz' aufmerksam machen wollen,
welche lauten: „Meme incomplet, un dictionnaire de ce genre rendrait de grands
Services.'^ Diese Lücken können dreierlei sein: 1. Es fehlen die Stichworte
selbst, was entweder absichtlich ist oder sich durch ungenaue Revision der Arbeit
erklärt. 2. Es fehlen einige unter den einzelnen Stichworten anzubringende die-
selben näher bestimmende oder begrenzende Worte. Endlich o. fehlen mehr oder
weniger zahlreiche Belegstellen. Am auffallendsten sind diese Lücken bei den
unter „iniiner"' aufgezählten Zahlen: nicht weniger als 40 im Texte vorkommende
Ziffern werden im Index gar nicht citiert, bei anderen fehlen Citate der damit
verbundenen Sachbenennungen, so bei <i — 12, bei 9 — 20. bei 4—23, bei 7 — 25, bei
12 — 31, bei 2 — 50, bei 3 sogar 1241 Man könnte dies hier für absichtlich halten
Bücheranzeigen. 461
es geschieht jedoch auch bei olb (—8), (»y/f»; ( — 5), aur ( — 25), ntisdrfwan ( — 1-2),
neyi-ii ( — 14) u. a.
Auch bei den Ziffernnachweisen liabe ich mehr als 600 Versehen gefunden,
was für die Seite dui chsciinittlieh sechs ausmacht. Im Vergleiche mit dem überaus
reichen, richtig- eitierten Material ist diese Zahl allerdings eine verhiiltnisniiissig
geringe, hiitte jedoch bei etwas grösserer Achtsamkeit noch bedeutend reduziert
werden können. Man nimmt es oben gar zu oft mit der Abfassung von Indices
und Glossaren nicht genau genug und doch sind manche Werke ohne dieselben
gar nicht brauchbar und die ersteren haben erst dann einen Wert, wenn sie mit
der grössten Genauigkeit angelegt werden
Bei der nun folgenden kleinen Auswahl sonstiger üngenauigkeiten richte ich
die Sache der Kürze halber so ein, dass ich zunächst die Seitenzahl mit Ausser-
achthissung der Zahl 1000 mit 1, "2, 3 u. s. w. bezeichne, daneben rechts durch
einen Beistrich getrennt die die Zeile bezeichnende Ziffer setze; darauf folgt das
Versehen und nach einem Liingestriche die Korrektur. Wenn sich das betreffende
Wort in der zweiten Spalte befindet, so wird dies mittels einer kleinen, rechts
von der Seitenzahl angebrachten „2" bezeichnet. So 5-, 14 padure {Wa.\d) 248 —
podurt (Brücken); 7-, 19 repede (schnell) — departe (weit); 7-, 43 biserira (Kirche)
— paserea (Vogel); 8, 6 copilA (Kind) Gl 2 — peru (Haar); 8, 11 feciorü-perii.
(Haar); 8, 25 perii arhore (I?irnbaum) 273 und 480 gehört unter pSra =■ Ylnar;
8,39 zme% (Drachen) — podul (die Brücke); 9^, 6 arare (ackern) — semönare (säen);
9^ 12 pietre scumpe (Edelsteine) 813 — foc (Feuer); Ui, 7 zu 390, 596, GU2, C17
passt nicht der Zusatz Aame cu (Kleider mit); 16^, 4 dece (zehn) — duve-spre-dece
(zwölf); 18^ 25 shhii (Siibel) — sidcii (Weiden); 21, 5 palatii (Palast) — palmitii
(Planke); 33, 32 Farma-pieire — Sfarnia-petrcr, 34, 33 ovesü (Hafer) — orfizii
(Reis); 36'^, 37 bdta (Stock), sowie 46 toiaga (Stab) 249 gehören nicht unter /<•?•(/
(Eisen), weil sie von ottlü (Stahl) sind; 55, 29 nicht lupü aßatü inir^un icpure
(Wolf, gefunden in einem Hasen) sondern umgekehrt; 63'-, 9 gehört 583 weder zu
leiniiii (Holz) noch zu öie (Schaf,', sondern zu ou (Ei), sowie daselbst 820 zu
pele de boii (Ochsenhaut); 65^, 18 Nuda-Nvjda (Nuida) auch im Texte; 67, 13
rrnduri de haine ist zu streichen (vergl. 66'", 44, wo es bei 12 richtig ist); 68^^, 42
mare cdtä unü phigü (gross wie ein Pflug) — vi. c. u. plopu (Pappel); 71, 36
boUii (Laden) — balth (Teich); 75, 15 se därueace (wird geschenkt) — se dauresce
(wird vergoldet), so auch 85''', 29 daruindii — dhurindii; 85'-, 32 Stele (Sterne) —
steble (Halme); SC>\ 43 Serilä (Name des am Abend geborenen Kindes) 498 —
Seiilci (einer der immer Durst hat). — 24, 27 wird ein alb. Märchen (st. /. lies h.
= basmu) Copilulii gasitn (das gefundene Kind) mit der Seitenzahl 147 citiert und
zwei Zeilen weiter ein anderes auf derselben Seite unter der Aufschrift Copilulii
perdutii (das verlorene Kind). Auf der eitierten Seite nun steht nur die zweite der
beiden Benennungen mit Hinweis auf No. 13 der Contes albanais von Dozon.
Daselbst nachsehend finde ich weder das eine noch das andere, sondern l^enfant
vendii, d. h. Copilulii rinduiu (das verkaufte Kind), was einzig und allein mit dem
Inhalte des Märchens übereinstimmt. Unliebe Verunstaltungen sind auch 79*, 17
prik:itka st. jtrikazka und 77=, 18 pokaligoro^ek st. polkaigoro^ek. Auch im Werke
selbst kommen einige Druckfehler vor, so 148, 26 cu ce — cu cei; 178, 3 chaire
— c/iair; 216, 21 taglaitevi — tagliatevi; 288, 23 und 620, 10 iiumat (nur) — nu
mal (nicht mehr); 304, 2 tipula — tipiitui; 396, 22 ?i(t weggelassen; 435, 12 Vizorii
d C'raiuUi serpilord ist vi (= und) zu streichen; G47, 25 bolnavii — bolnavii; 442, 3
bolele (Krankheiten) — bdelele (Ungemach).
Was das Werk selbst betrifft, so könnte man besonders gegen den allgemeinen
Teil vielleicht manches einwenden: dass der Verf. sich nicht überall deutlich genug
462 Weinhold:
über die verschiedenen Erklärungsversuche äussere, dass er selbst etwas gar zu
eklektisch verfahre, dass er sich nicht immer streng konsequent bleibe u. dergl.,
alle derartige Einwendungen können jedoch den Wert des eigentlichen die
rumänischen Märchen speziell behandelnden Werkes nicht schmälern. Dies ist
doch der Hauptzweck, wie dies schon aus dem Titelblatt hervorgeht, während der
allgemeine Teil als eine nebensächliche Zugabe anzusehen ist, da es nicht Aufgabe
eines jeden Arbeiters auf diesem Gebiete sein kann, auch dann Betrachtungen
allgemeiner Art anzustellen, wenn er ein beschränktes Gebiet behandelt. Auch
gegen die Einteilung in Zyklen und Typen und Einreihung der einzelnen Märchen
in dieselben könnte manche Einwendung vorgebracht werden. Man muss jedoch
bedenken, dass wenn die auf S. 1001 citierte Defuiition der Märchen von Gaidoz
richtig ist, es meistens von der subjektiven Auffassung der einzelnen Forscher
abhängt, welcher von den Zügen als der wesentliche in den Vordergrund gestellt
wird, während die übrigen als nebensächliche figurieren. Bei alledem kann nicht
geleugnet werden, dass das Werk nach einem bestimmte Plane gearbeitet und so
beschaffen sei, dass es den Forschern auf diesem Gebiete vortreffliche Dienste
leisten könne.
Prag. Dr. Johann Urban Jarnik.
The DeuLam Tracts. A collectioii of folklore by Michael Aislabio Den-
hani, and repriuted froni the original tracts aiul pamphlets printed by
Mr. Denham between 1.S46 und 1859. Edited by Dr. James Havdy.
Vol. II. London: publislied for the Folklore Society by David Nutt.
1895. S. XI. 396. 8".
Die englische Folklore Society hat unter ihre schätzbaren Veröffentlichungen
eine Sammlung der Privatdrucke aufgenommen, welche ein Freund volkstümlicher
Überlieferungen, Mr. M. A. Denham, in einer Zeit, da die Volkskunde in Eng-
land nur ein Zeitvertreib ohne wissenschaftliche Methode war, veranstaltet hat.
Diese in den Jahren 184ö — 1859 gedruckten und verteilten Bogen und Blätter, die
oft ohne Jahreszahl und ohne Beziehungen unter einander sind, wurden selten;
eine vollständige Sammlung giebt es nirgends, die des British Museum ist lücken-
haft, eine grosse Menge jener Originaldrucke hat die Society of Antiquaries in
London. Dr. Hardy, der selbst eine grosse Anzahl der Denhamtracts besass,
unternahm es daher für die Folklore Society und von ihr unterstützt eine möglichst
vollständige Ausgabe jener Aufzeichnungen zu veranstalten. Der erste Band dieses
Unternehmens ist mir nicht zu Gesicht gekommen, der zweite, die No. VIll — XXI
umfassend, liegt vor. Da Dr. Hardy schwer erkrankte, als der halbe Band gedruckt
war, übernahm Mr. G. L. Gomrae die Vollendung und schrieb auch das Vorwort.
Wir haben keine systematische, wohlgeordnete Sammlung vor uns, die unter
bestimmten Gesichtspunkten und zu gewissen wissenschaftlichen Zwecken angelegt
ward. Mr. Denham hat aufgezeichnet was er hörte und wie er es hörte, und darin
liegt der grosse Wert dieser Aufzeichnmigen, die aus dem Norden Englands
stammen. Hier und da benutzte er auch Bücher als Quellen. Geister und Ge-
spenster sind dem nordenglischen ^'olksglauben sehr vertraut; ebenso die Ver-
ehrung von Quellen und Bächen, von Steinen und Steinkreisen. Das ergeben auch
diese Denhamtracts. Mit Pflanzenglnuben (besonders Meinungen über Plantago
lanceolata) beschäftigt sich No. XXI. Ein reicher Stofl' ist in dem Bande auf-
Bücheranzeigen. 463
gespeichert, dessen Benutzung durcli das Register erleichtert ist Besondere Auf-
merksamkeit fordert die Sammhing von Namen geisterhafter Wesen, S. 77 — 80,
deren Erklärung englischen Forschern eine zum Teil schwierige, aber interessante
Aufgabe stellt. , K. W.
Zwei altdeutsche Rittennären. Moriz von Craon. Peter von Staufeiiberg.
Neu herausgegeben von Edward Schröder. Berlin. Weidmaunsclie
ßuflihandlung. 1894. LH und 102 S. 8°.
Schon bei dem Hinweise auf die enge Verwandtschaft zwischen dem Melusinon-
stoff und der Geschichte von der schönen Meerfei des Ritters von Staufenberg in
meinem Aufsatze „Altes und Neues zur Melusinensage" '), Zeitschr. d. Vereins f.
Volkskunde IV, habe ich S. 391, Anm. 1 auf vorliegende Neuausgabe der bisher
durch M. Haupt und O Jänicke zugänglich gewordenen Dichtungen und ihre
Wichtigkeit für die vergleichende Erforschung dieser beiden Fabeln hingewiesen.
Ein genaueres Studium des Schröderschen Buches hat mich veranlasst, an dieser
Stelle, unter Verzicht auf die nicht hergehörige Kritik vom nächstliegenden, dem
germanistischen Standpunkte-'), nochmals ausdrücklich auf das reiche Material zu
volkskundlichcr Untersuchung aufmerksam zu machen, das sowohl in den beiden alt-
deutschen Rittermären selbst wie auch in dem einleitenden Apparate, den des Heraus-
gebers Umsicht aus meist vereinzelten Bausteinchen zusammengefügt hat, ohne Zweifel
steckt. Die Texte liegen hier in der möglichst zuverlässigen Form vor und bieten
also in dieser Hinsicht den nur auf den Inhalt sich erstreckenden Studien kaum
noch einen Anstand dar. Die Einleitung führt in den uns hier angehenden Teilen
S. VllI— XXIX und S. XXXVllI— LI zwei vortreffliche Typen für den Ursprung
von Geschichtssagen auf dem Boden von Thatsachen, die heute zum guten Teile
noch urkundlich verfolgt werden können, und deren Übertritt ins Reich der Poesie
vor. Was innerhalb der erstgenannten Seitenzifl'orn von Schröder über die Familien-
geschichte der Craon gesammelt und mit deren litterarischen Zeugnissen und
Erwähnungen geschickt verknüpft ist, wird durch Bertrand de Broussillon, La
raaison de Craon 1050—1480. Etüde historique etc. (2 Bde., Paris 1893) bestätigt
(vgl. Schröder im Anzg. f. dtsch. Altert. XX, 407 f.). Die Staufenbergische Ge-
schlechtssage, um die es sich im anderen Falle handelt, überragt durch ihre aus-
gebreitete Vütternschaft jene noch an Bedeutung; man beachte da namentlich die
wertvollen Bemerkungen S. XLVIII f.
München. Ludwig Pränkel.
J. Kohler, Der Ursprung der Melusinensage. Eine ethnologische Unter-
suchung. Leipzig, Ed. Pfeiffer, 1895. S. 66. 8°.
Wir wollen hier nur kurz auf diese bedeutsame ethnologische Untersuchung
über einen uralten weitverbreiteten Märchenstoff aufmerksam machen, da der
Referent, der eine ausführliche Anzeige übernommen hatte, wegen mancherlei
1) Ich benutze die Gelegenheit, die dortige Belegsammlung durch den Hinweis auf
J. Kohler, Der Ursprung der Melusinensage (18'.)5) wesentlich zu ergänzen.
2) Vgl. in dieser Hinsicht Schröder selbst, Ztschr. f. dtsch. Altert. XXXVIU, 95 ff.
(-111) und 112.
464 Bolte:
Widrigkeiten sein Vorhaben nicht ausführen konnte. Der Herr Verfasser, der Be-
gründer der vergleichenden Rechtswissenschaft, hat auch in dieser Schrift seinen
Grundgedanken, dass das Recht immer in Verbindung mit der ganzen Volks-
anschauung zu erfassen sei, zum Ausgangspunkt genommen, und ausführen wollen,
vvie auch bei der Mythenbildung die Rechtsorganisation von grosser Bedeutung
gewesen sei und von dem Mythenerkliirer in Betracht gezogen werden müsse.
Die ausgebreitete Gelahrtheit, die dichterische Kombinationsgabe und fesselnde
Darstellung Prof. Kohlers zeichnen auch diese Untersuchung aus, in der er den
Melusinenmythus als „Kindheitstraum der Weltgeschichte" zu erweisen unternimmt.
Hans Sachs-Forschnngeu. Festschrift zur 400. Geburtsfeier des Dichters.
Im Auftrage der Stadt Nürnberg herausgegeben von A. L. Stiefel.
Nürnberg, J. Ph. Eaw. VII, 472 S. gr. 8°.
Unter den festliclien Veranstaltungen, die im November des verflossenen
Jahres am 400. Geburtstage des Hans Sachs in Deutschland getroffen wurden,
nahm die Nürnberger Feier gebührendermassen die erste Stelle ein. Der Stadt-
archivar Mummenhoff lieferte ein anschaulich geschriebenes und hübsch illustriertes
Büchlein, E. Goetze, der bewährte Editor des Dichters, einen auf intimer Kenntnis
beruhenden Festvortrag', während andere Forscher sich unter der Führung des
Nürnbergers Stiefel zu der obengenannten Festschrift vereinigten, der Karl Weinhold
eine einleitende Inhaltsübersicht beigegeben hat.
Unter dem bunten Inhalte des stattlichen Bandes hebe ich zuerst die für die
Textkritik imd Metrik des Dichters wichtigen Beiträge hervor. E. Goetze
(S. 193 — 208) giobt über die 20 in Zwickau, Leipzig, Dresden, Berlin und Nürnberg
aiifbewahrten Handschriftenbände des Hans Sachs Rechenschaft. — K. Drescher
(S. 209 — 252) vergleicht die erhaltenen Spruclibücher und den 1558 vom Dichter
selbst redigierten ersten Band der Folioausgabo und weist interessante Fälle einer
Erweiterung der Darstellung, Ausmerzung von Derbheiten, Abänderung von Zahlen-
angaben, von sprachlichen Formen nach, die auch Veranlassung dazu gaben, dass
Hans Sachs das Datum der ersten Niederschrift öfter durch das der Um-
arbeitung ersetzte. — Von ähnlichen Erwägungen über die Entstehung des ge-
druckten Hans Sachsischen Textes geht M. Herrmann in seiner Untersuchung
über Stichreini und Dreireim bei H. S. und anderen Dramatikern des 15. und
Itl. Jahrhunderts (S. 407 — 471) aus. Er bemerkt, dass das hsl. Gesamtregister der
Dramen, dem die Verssummen beigeschrieben sind, nicht auf den erhaltenen hsl.
Spruchbüchern, sondern auf verlorenen älteren Einzelliandschriften beruht. Diese
Einzelhandschriften scheint der Dichter auch beim Drucke der Folioausgabe teil-
weise zu Grunde gelegt, teilweise umgearbeitet zu haben. Bei dieser komplizierten
Sachlage beschränkt H. vorsichtiger als einst Rachel seine Untersuchung auf die
vermutlich noch in ursprünglicher Gestalt vorliegenden Dramen und ermittelt aus
ihnen die keineswegs auf eine einfache Regel zu bringende Verwendung des
Stichreims und Dreireims im Dialoge und beim Scenenwechsel. Er unterscheidet
dabei vier Entwickelungsperioden des Dichters: 1517 — 40, 1540—50, 1550—55,
1555-61.
Unter den weiteren Studien über die Werke des Hans Sachs stehen zwei
dem Bereiche unserer Zeitschrift besonders nahe: Charles Schweitzer, der ver-
dienstvolle Pariser Biograph des Nürnberger Poeten hat (S. 352 — 381) die bei
H. Sachs erscheinenden Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten gesammelt
Bücheranzeigen. 465
und nach sachlichen Kategorien zusammengestellt, während Stiefel (S. 33—192)
über die Quollen der Fabeln, Märchen und Schwanke des H. Sachs gelehrte und
eindringende Forschungen angestellt hat, die sich nicht mit einem Hinweis auf
die Vorlage begnügen, sondern auch auf die Abänderungen und Zuthaten des
Dichters eingehen. Zu bedauern ist nur, dass er noch nicht den zweiten Band
von Goetzes trelllicher Ausgabe . der „Sämtlichen Fabeln und Schwanke" (Halle
1894) benutzen konnte, der ihm hier und da eine Mühe erspart hätte. Auf Nach-
träge möchte ich mich im Räume einer kurzen Anzeige nicht einlassen; nur bei-
spielshalber verweise ich zu No. 1 auf Imbrianis Ausgabe der Posilecheata Pompeo
Sarnellis 1885, S. 120.
Für einen einzelnen Schwank, die EngeUiut, zeigt ein Anonymus S. 351 seine
Abstammung aus Agricolas Sprichwörtern. Das Verhältnis des Dichters zur
deutschen Heldensage betrachtet H. Wunderlich S. 253—262 in einer Unter-
suchung seines Nibclungendramas. W. Golther bespricht S. 263 — 277 die aus
der dänischen Chronik des Al^iert Krantz geschöpften Historien und die Schauspiele
Rosimunda und Hagwartus.
Förderliche Betrachtung ist auch den jüngeren Zeitgenossen und Schülern
unseres Meisters zu teil geworden. Besonders interessant ist der von V, Michels
(S. 1 — 82) in einer Berliner Handschrift gemachte Fund zweier von dem Nürn-
berger Kaufherrn Niclas Praun in Anlehnung an Hans Sachs verfasste Dialoge
„Der podagrisch Traum" und „Kopf und Barett", die Sachs 1549 nach Prauns
Tode selber redigiert und mit einem Vorworte versehen hat. Ein alphabetisches
Verzeichnis der Meistersinger des 16. Jahrhunderts liefert P. Keinz S. 320 — 351.
E. Martin druckt zwei 1580 dem Strassburger Rate übersandte Loblieder Adam
Puschmanns auf das Strassburger Münster ab. Th. Hampe giebt S. 397 — 406
über einen anderen Schüler Hans Sachs', den 1557 — 69 als Schreiber, Meistersinger
und Theaterunternehmer thätigen Ambrosius Österreicher Naclu-icht. E. Mummen-
hoff endlich macht uns mit der Meistersingschulordnung bekannt, die 1616 von
Hans Glöckler und Georg Hager auf Grund der älteren Schulzettel von 1.540, 1561
und 1583 zusammengestellt wurde, und handelt über die verschiedenen Lokale der
Singschulen, • J. Bolte.
Sagen, Gebräuche und Spi-ichwörter des Allgäus. Aus dem Munde des
Volkes gesammelt und herausgegeben vou Dr. Karl Reiser. Kempten,
Jos. Köselsche Buchhandlung. 1895, Lief. 1 — 3. 8". Mit zahlreichen
Bildern.
Das schöne Allgäu hatte bisher noch nicht eine besondere Sammlung seiner
Sagen, Gebräuche und Sprichwörter. Dafür erhält es nun ein gutes Buch, das
von einem seiner Söhne sorgsam und emsig zusammengetragen ist aus dem Munde
des Volkes selbst und das in schlichter einfacher Art, wie sich gehört, die Über-
lieferungen vorträgt. Von den 10 — 12 in Aussicht gestellten Lieferungen liegen
nun 3 ä 64 SS, vor, welche bis in den 4. Abschnitt der Sagen gehen: 1. Götter-
mythen: Wotan, Donar, Gütterurazug. Männliche Sagengestalten. 2. Göttinnen,
Nornen, Weisse Frauen; weibliche Dämonen und Sagengestalten. 3. Eiben, Wilde
Leute, Zwerge, Venedigermännle, Kobolde. 4, Hexen, Schratt und Trudon, Der
Herkunftsort der Überlieferungen ist immer angegeben, und wo die Sage sich
etwa schon in anderen Sammlungen benachbarter Landschaften (Tirol, Schwaben)
findet, ward auch das bemerkt. Einen hübschen Schmuck geben die vielen Ab-
466 Weinhold:
bildungen in Holzschnitt, welche teils nach photographischen Aufnahmen von Ort-
schaften und Bergen, teils nach Zeichnungen ausgeführt sind. Man durchwandert
so im Bilde das schöne alemannische Gebirgsland. Über das Ergebnis des Buches
für die Volkskunde liisst sich erst nach seinem Abschluss urteilen. K. W.
Volkstümliches ans Meiderich (Xiederrhein) von Carl Dirksen. (Zur
deutschen Volkskunde No. 2.) Bonn, Hansteins Verlag, 1895. S. 58. 8°.
Herr Lehrer C. Dirksen in Meiderich, Bezirk Düsseldorf, unser gesciiiitzter
Mitarbeiter, hat in diesem Heftchen das Ergebnis seiner fleissigen Sammlung in
seinem Wohnort zusammengestellt. Meiderich, das im Anfang des 19. Jahrh. ein
kleines Dorf war, ist jetzt durch seine Berg- und Hüttenwerke zu einem Orte von
25 000 Seelen angewachsen. Fabrikorte, deren Einwohner meist aus anderen
Dörfern und Städten zusammengeflossen sind, haben wenig Ergiebigkeit für volks-
kundliche Forschung. Trotzdem hat Herr D. es verstanden, das alte Meiderich
zu entdecken und viel echt Niederrheinisches in Sitte und Brauch und Volksrede
zu erschürfen. Er fülirt uns in das alte Meidericher Haus, erzahlt von der Hoch-
zeit, vom Leben in Feld und Hof, belauscht die Spiele der Kinder, teilt Volks-
rätsel und Sprichwörter mit und giebt Proben aus dem Aberglauben. Möge der
wackere Ostfriese, der an den Niederrhein versetzt ist, uns noch manche solche
Gabe schenken. R. Weinhold.
Louisiana Folktales in freuch dialect and english translation collected and
edited by Alcee Fortier. Prof. of Romance Languages in Tulane
University of Louisiana. Boston and New V'ork. jiublished for the
American Folklore Society by Houghtou, Miffliu and Company. 1895.
S. XI. 122. 8°.
■ Der Präsident der American Folklore Societ)', Prof. Fortier in New Orleans,
veröffentlicht in diesem Buche fünfzehn Tiergeschichten und zwölf Märchen, wie
sie die Neger in Louisiana erzählen, im französischen Dialekt derselben, dem so-
genannten Greolischen, mit einer treuen englischen Cbersetziuig. Ein Anhang
bringt in einer englischen Übertragung vierzehn Geschichten, die schon 1888 in
den Transactions of the Modern Language Association of America und in dem
Journal of American Folklore gedruckt wurden, hier aber wiederholt sind, um eine
vollständige Sammlung der Louisiana Folktales in einem Bande zu vereinigen, was
jedenfalls Dank verdient. Prof. Portier hat die Geschichten teils selbst gesammelt,
teils ward er dabei von Verwandten und Freunden unterstützt. In den An-
merkungen giebt er die persönlichen Quellen genau an.
Die Tiergeschichten sind wohl sämtlich mit den Negern aus Afrika nach
Louisiana gekommen: sie ti-agen eine kindliche Naivität an sich, sind auch nicht
ohne Humor und poetische Empfindung. Andere Geschichten und Märchen sind
Umänderungen bekannter Erzählungen durch die Neger und deshalb ethnologisch
interessante Varianten. Einzelne führen sich auf Tanzlieder zurück.
Die Sammlung ist eine gute Fundgrube für die Kenntnis des CreoUschen
Dialekts, der, wie Prof Fortier in seinen Louisiana Studies (New-Orleans, 1894)
nachgewiesen hat, kein verdorbenes Französisch ist, sondern ein Dialekt mit eigener
Morphologie und Grammatik. K. W.
Bticheranzeigen. 467
Paul Sebillot. Legendes et Curiosites des Metiers. Oiivi-age orne de
220 Gravures. Paris, Ernest Flanimarion. (s. a.) 20 Hefte ä 32 S. 4°.
Dieses seit Anfang 1895 erscheinende Werk ist jetzt beendet. Herr P. Sebillot,
der Herausgeber der Revue des traditions populaires, der Verfasser des Buches
Les travaux publics et les mines dans les traditions et les superstitions de tous
les pays und vieler Sammlungen von Märchen. Sagen, Sitten und abergläubischen
Meinungen, namentlich der Haute-Bretagne u. s. w., wollte damit für die Handwerke
leisten, was für das Landvolk so eifrig seit längerer Zeit gethan ist: eine Sammlung
geben der Sagen, Meinungen, Redensarten und Spöttereien, die sich auf einzelne
Gewerbe beziehen. In den zwanzig Heften werden nach dieser Richtung vorgeführt
die Schneider, Bäcker, Schmiede, Friseure und Barbiere, Näherinnen, Spitzen-
klöpplerinnen und Putzmacherinnen, Schuster und Hutmacher, Pasteten- und Zucker-
bäcker, Schlächter, Zimmerleute und Tischler, Steinhauer, Maurer und Dachdecker,
Holzhauer und Köhler, Müller, Kesselschmiede, Schlosser und Korbmacher, Spinne-
rinnen, Besenbinder, Holzschuhmacher und Böttcher, Wäscherinnen und Bleiche-
rinnen, Wagner, Drechsler, Anstreicher etc., Weber und Seiler, Buchdrucker.
Gute Holzschnitte dienen zur Erläuterung und zum Schmuck, meist Nachbildungen
von Stichen des 16. bis 18. Jahrh. Wir empfehlen das Werk auch deutschen
Lesern, denn es bietet einen interessanten Stoff in angenehmer Darstellung.
R. W.
Was sich das Volk erzählt. Deutscher Volkshumor. Gesammelt und
nacherzählt von Heinrich Merkens. L Band. Jena, Herm. Coste-
noble, 1892. 2. Aufl. ebd. 1895. XTV u. 280 S. H. Band. ebd. 1895.
IX und 209 S. 8°.
Wer Gelegenheit gehabt hat, wie der Unterzeichnete, bei stotf liehen Forschungen
auf dem Felde der vergleichenden Litteraturgeschichte die verschiedenfachen Ver-
öffentlichungen von Heinrich Merkens aus dem Gebiete unseres Volkshumors
älteren und neueren Datums mit ganz erheblichem Nutzen zu Rate zu ziehen, der
wird ihm sein mühsames Sammeln allein schon als wahres Verdienst anrechnen.
Seine einschlägigen älteren Bücher „Deutscher Humor alter Zeit" (mit R. Weit-
brecht, 1879), „Deutscher Humor neuer Zeit" (1881), „Deutscher Humoi-. Schwanke
und Erzählungen aus älterer Zeit" (1891), letzteres in „Meyers Volksbüchern" für
20 Pfennige (!) erschienen'), folgen lediglich chronologischen Grundsätzen der
Anordnung. Das neueste, nunmehr zweibändige Werk (vgl. unsre Ztschr. IE, 344)
dagegen besitzt schon auf Grund seiner systematischen Entstehimg eine innere
Gliederung: „Deutsche Schwabenstreiche", „Legenden und Teufelsgeschichten",
„Köl[ni]sche Krätzcher", „Allerlei Geister". Das originellste Kapitel beider Bände
ist das dritte, worin der Verfasser, gebürtiger Kölner und auf seine alten Tage in
dessen nächste Nähe zurückgekehrt, einen bislang ungehobenen oder wenigstens
volkskundlich noch unverwerteten reichen Schatz urwüchsiger Laune und Witzlust
zugänglich macht. Mit Leib und Seele Rheinländer hat Merkens auch in die
übrigen Abschnitte sich etliche naive Scherze und Spässe verirren lassen, ja,
beide Mal noch einen, kaiun zufälligen Nachtrag Kölnischen Scherzes angefügt.
1) Der siebente Bogen davon erregte in prüden Kreisen Anstoss und so veranlasste
der Verleger den Herausgeber ilm meist durch anderes zu ersetzen; ich besitze aus des
letzteren Hand ein unkastriertes Exemplar.
Zeitachr. d. Vereins f. Volkskunde. 1896. o2
468 WeinhoH:
Den Schluss beider Bätide, und das macht dies höchst dankenswerte Unternehmen
für die Wissenschaft erst recht brauchbar, bilden genaue Xachweise und Be-
merkungen, die sich sowohl auf Quellenangaben (der Ort der Herkunft ist vorn bei
jedem Geschichtchen verzeichnet) gewissenhaftester Art wie auf mannigfaltige
Parallelen erstrecken. Wir bewillkommnen das von Merkens gebotene wichtige
Hilfsmitte) der Materialien und Kongruenzen wegen aufs wärmste, zumal es höchst
kurzweilig zu lesen ist. ■ Ludwig Fränkel.
Meteorologische Volksbücher. Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie
und zur Kulturgeschichte. Von Prof. Dr. G. Hellmaun. Zweite
verm. u. verb. Aufl. Berlin, Herrn. Paetel, 1895. S. 68. gr. 8".
Ein Meteorologe von Fach hat hier einen Sti-eifzug tu die Litteraturgeschichte
der deutschen Wetterkunde gethan. Er behandelt eine Reihe seit dem Mittelalter
verbreiteter und zum Teil noch heute volkstümlicher Bücher, zuerst den auf An-
regung Heinrichs des Löwen entstandenen Lucidarius, dann Konrad von Megen-
bergs Buch der Natur (14. Jahrh.) nach dessen meteorologischen Kapiteln. Darauf
werden das Wetterbüchlein Leonh. Reynmanns, die Bauernpraktik und die anderen
Praktiken mid Prognostiken, zuletzt des Abts M. Knauers hundertjähriger Kalender
besprochen und nach einigen alten Drucken Facsimilia gegeben. Es hätten wohl
auch die Bilderhefte von den sieben Planeten erwähnt werden können, die im
15. Jahi-h. in Italien entstunden, in den Niederlanden und Deutschland bald Nach-
ahmung fanden und mit Versen begleitet wurden, über die Priedr. Lippmann in
der schönen Publikation der chalkographischen Gesellschaft für 1895 jüngst er-
freulich gehandelt hat.
Zu der Bemerkung S. o5, dass die „Bauern-Practica — durch Honi-icura von
Uri'' bei uns längst von den Jahrmarktstischen verschwunden sei, will ich erwähnen,
dass dies in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch nicht der Fall war. Ich
besitze ein aus Schlesien stammendes Exemplar mit recht altem Text und alten
Holzstöcken, das gegen 1820, und einen noch jüngeren Druck, der um 1850 zu
setzen ist
Die S. 48, 49 erwähnten kleinen Bauerkalender leben nicht bloss kroatisch in
Agramer Drucken fort, sondern auch deutsch z. B. in Steiermark.
Die vorliegende Schrift berührt sich zum Teil mit der bibliographisch weit
ausgiebigeren von Wilh. Uhl: Unser Kalender in seiner Entvvickelung von den
ältesten Anlangen bis heute. Paderborn \Sd'6. K. W.
Berichtigungen.
S. 263, 10. Sudermann 1. Sundermann.
S. 271. In der von Kuhn bei Haupt IV, 393 (nicht 392) erzählten Geschichte
Selberjedän tritt nicht eine Nixe, sondern ein Nix (en wäternix) auf.
S. 354 gegen Schluss: Hr. Geh. Rat Schwartz bezog sich nicht auf jetzige
Geistücbe, sondern auf Otto v. Bamberg, der statt der Pfähle Kreuze forderte.
Die Berichtigung S. 354, Z. 1 v. u. ist zu streichen.
Register.
Aberglaube, Berchtesgadener 455. ostfräuki-
scher415. steirisclier 407. thüringischer 93.
Abu Hanifa 57. A. Nuwäs 55. öl.
Abzählreime 67-71. 282-235. 450.
Adabbüchor 48.
Adern 12.
Aktaion 126.
Albrecht der Bär 250.
Allgäuer Sagen 460.
Als Gott die Welt erschaffen (Lied) 361.
Amt, goldenes 85.
S. Andreas 5. 415. Andreasnacht 97. 415.
S. Anna 31. Annabcrger Volksfest 454.
Antlassei 408. Antlasspfinztag 408.
S. Antonius 332.
Apfel 416.
Arabische Schwankbüclier 47.
Ariel 265.
Ai'omunen 331.
Arouya, die schöne 73.
Artemis 372.
Aschenbrödelinärchen, indisches 390.
Auerhalm 412.
Aufm Bergli bin i gsessen 161.
Augen des Himmels 365. unwandelbare 121.
Augensalbe 267. A.-weh 4. 293.
Auka 264.
Ausläuten 454. ausseguen 411.
Aussatz 11. Ausschlag 15.
Avantage 336.
Ballspiel 184.
Bandwebegerät 326.
Bär, grosser (Gestirn) 430.
Barfu'ss im Thau 407.
Basmele romäne 459.
Basset, R.
Bauer imd Schaffer 91.
Baueiiihaus, deutsches 456.
Bauernlcalender, B.praktik 463.
Baum, gespaltener 410.
Baumbast 141.
Bäume nehmen Krankheit ab 8. 25.
Beinbruch 18.
Bekleidung von Götterbildern 100.
Benedictuskreuz 423.
Berberisches Schwankbuch 45.
Berenklauben 190.
Bergwalfahrten 206.
Beschwörungsformeln 3-40. 194-199. 293
bis 298.
Bettelgeld 84.
Beulen 39.
Beutelmeise 136.
Bienen 213. 455.
Biei 334-336.
Birsigthal 384.
S. Blasius 5.
Blattwind (.Bladwind, Bl.luft, Blading) 439.
Bleikugel 412.
Blitzableiter 325.
Blumen als Heiratsorakel 212.
Blutaberglaube, Bl.ritus 223.
Blutsegen 12. 20. 37. 39. 295.
Bofist 143.
Böhmerwalder Volksleben 187.
Böiger Wind 441.
Bohnen 408.
Bojardo 274.
Bonus 364.
Bore well suuday 420.
Bosnien 207.
Brand 23. 27. 294 (Krankheit).
Braunschweigische Sagen 334.
Brautwecken werfen 389.
Brecheltanz 192.
Bretagne 333.
Bronzewageu 186.
Brot 416.
Bruder (Anrede) 387.
Bruststiche 7.
Bürle, Märchen 59.
Bursch 337.
Butterhexe 408.
Cechische Tänze, Volkskunde 234.
Celtische Märchen 111.
Cerevis 338.
Champagne, Volksüberlieferungen 353.
Chinesische Novellen 72.
Christnacht 97. 416.
Communität 343.
Craon, Moriz von 463.
Creolisch 466.
Cnrannie 343.
Curtin, Jcr. 332.
Dämmerung 426.
Dante 364 f. 374.
Das ist a schöne Eh 359.
Dee, John 26S.
Denhani, M. A. 462.
32*
470
Register.
Deus 364.
Diebsegen 297.
Dienstbotenbraucli, flandrischer 298.
Donnerkeil 324.
Drache 223.
Drauthal 206.
Dreikönigslied 384.
Drischel 455.
Drohungen 21.
Drüsen 24.
Dschuhä 46. 48. 50. 59.
Dumniheitsschwänke 49.
Dümk (Stern) 430.
Duzbruder 338.
Eckerken 265.
Ei, kosmogonisches 374.
Eierlauf 387.
Eichhorn 113. 135.
Ein jedes Tieh auf dieser Welt 359.
Einhirn, Schwank 59.
Einläuten 453.
Eis 320.
Eksche 258.
El Fihrist 47.
Epilepsie 26.
Erde, lebendes Wesen 24.5.
Erdsche 259.
Eremit und Engel 76.
Erfindungen, ihr Ursprung 458.
Erik Ejegods Begräbnis 239.
Erlösungsbedürfnis der Eiben 123.
Erntebrauch 455.
Eros 363. 367.
Etcetera 339.
Etterbeschau 390.
Eulenspiegelstreich 208.
Familiennamen 119.
Fastiiachtbräuclie, -feuer 385 f
Eederschleisseu 193.
Feen 264 f, -bannung 269, -fang 267. 270,
-Schlösser 266.
Feibel 294.
Feien 129.
Fellkleidung 139.
Fensterin 188.
Feuer 8. 32. 370.
Feuerschwamm 142.
Fieber 6. 10. 16. 20. 25. 40.
Fihrist 47.
Filz 143.
Fingerhakeln 190.
Finnische Bibliothek, F. Gottesverehrung 117.
Fisch 123. 222. 424 (Nix). 423 (Symbol).
Flachsgewebe 145. F\. spinnen 170.
Flandern 298—302.
Flechte 7.
Flechtkunsf 143.
Flosi 127.
Fluss 25. 32.
Fortier, A. 466.
Fraisen 412.
Frass vom, Beispiel 274.
Frauentage 410.
Freunde, falsche 74.
Fritz, der alte 223.
Frosch 125. 247 f. 257—64.
Fi-ost 318.
Fuchsleber, -schmalz 413.
Pusssparr 38.
(«alizische Ausstellung 118.
Galland 44.
Gefrier 411.
Geisterglaube, irischer 332.
Gelbsucht 22. 30. 35.
Gemsen bannen 411.
Gemsblut, -fett 413.
S. Gertrud 421.
Gerippe, Spuk 240.
Gesclueehtswandlung 126 f.
Geschwiü-e 4. 19. 21. 22. 31. 198.
Gesindelohn 170.
Gestirne 6.
Getreidedächer 118.
Gevatter 340
Gewalt anwerfen 411.
Gewitter 323—25.
Gicht 4. 5. 25. 31. 32. 29G.
Glättknochen 147.
Glutz, Alois 165.
Gold 133. 380. goldene Haare. Hände 397 f.
381 f.
Goethes Aufzeichnungen von Volksliedern 360.
„ ,, Schweizorlied 160.
Götterbilder, bekleidete 100.
Götternamen in der Mark 171.
Gottfried 340.
Gottschee 220.
Grab wirft Tote aus 239.
Graberde 422. Grabpfähle 354.
Gräberbeigaben 237.
Gräzer Ulrichsfest 419.
Griechische Lieder 237.
Grillenbannen 285.
Gröden 422.
Guardian, Lied 106.
Gumpeneck 410.
Gütchen (Elbe) 223.
Habannaka 49.
Hagel 322. 409—11.
Handwerke 462
Hans Wurst (Teufel) 443.
Harke, Frau 171. 250. 264.
Harmel 412.
Hai-naksnider (Teufel) 445.
Hainen 294.
Hase 411.
Haselstäbe 267.
Hausindustrie 169.
Häusergehn 192.
Havelland 167 f. 233. 249.
Headsunday 420.
Hedehund 169.
Heiratsorakel 212.
Heiss Wetter 312. 436.
Herbsthund 169.
Hermes 20G.
Herzschmerzen 5.
Hetsche 264.
Hexen 93—99. 241. 407-09.
Hexenbad 245. -schuss 15.
Hexstein (Höchstein) 409
Hillebüle 103. 327.
Himmlisches Schlauraffeni-eich 362.
Hirschkruekenpulver, Hirschunschlitt 412.
Register.
471
Hirtenfluch 334.
Hochzeitbrauch 389.
Holle, Frau 250.
Holy wells 4i0.
Honig, Aberglaube 213.
Höpper 2ü0. 263.
Hottel, Hotz 264.
Huggel247 259.262. Hucke 261. Hucksche267.
Hund 416 Hunde = Wolken 432 f.
Hundebiss 98.
Hunue uunne 214. 216.
Hiipper 2(:0. 263.
Huren 438.
Husten 16.
Hutsche, Hutschke 264.
Ihn el Dschanzi 50. el Mausili 48. -Mam-
m:Ui 50.
Ich bin ein Schatzerl zugethan 358.
Inih heben 455.
Indiculus superstitionum 115.
Irischer Geisterglaube 332.
Irrlicht 323.
Isländisches 98 f.
Itsche 261.
Japanische Bräuche und Feste 118. Klein-
kunst 238.
.Taufen 88.
R. Jehuda 448.
Jochen, t^rot 445.
Johann Blank, -Laug 321. -Mür 314, -Koopcn
436.
Judaslied 113.
Jüdchen = Gütchen 223.
Judenknochen 101.
Junge 331.
Jungfer, alte 171. J. im Bade 101.
Kaineus, Kainis 128.
Kaiser und Abt, Schwank 64.
Kälte 315.
Karakiisch 50. 52. 66.
Kärnten 207. 408.
Kartell 342.
Käsemaden 408.
Käth, die, Volksfest 454.
Kattegatt 447.
Katzen 410, = W olken 432.
Katzenjammer 342.
Kessel kriegt ein Junges 56.
Kettenreime 200.
Kicker, Kickvorsch 261. 263.
Kiesewetter 268.
Kiuderreime, kärntische 276. Leipziger 199.
ostfräukische 414. steirische 275.
Kinderspeise 98.
Kinderspiele 130. 285 Kinderspielzeug 183.
Kirken, Kirteu 252.
Kitab el-adkijä, el-faschüsch, el humaka 50.
Kitzhaare 409.
Klappern 187.
Kleidertausch der Geschlechter 129.
Knappen im Pflerschthal 90.
Knochenbrüche 40. Ku.-nadeln 137.
Knöchelspiel 185.
Kohler, J. 463.
Kolik 22.
Kolonisation 250.
Kommersch 343.
Kopfschmerzen 15.
Krämpfe IV). 27-29.
Krankheiten 1 f . 14. 19. 196.
Ki-ankheitsbesch-wörungen 1—40. 194—99.
Krankheitspatrone 418.
Krätze 26.
Krauss, Fr. S. 353.
Krautfassel heben 455.
Kreisel 185.
Kreolisch 461.
Kreuz, übers 410.
Kreuzschnabel 416.
Kroatische Zeitschi-ift 220.
Kröte 124 f. 271. Namen 247—264.
Krystalle 269.
Kugelspiel 185.
Kuhglocken 354.
Kuhhirt = Wolkentreiher 432. Kuhwolken 432.
Kuhhirten, thüringische 353.
Kuhsegen 197. Kuhverhexung 408.
Kümmeltürke 343.
Kurpfalz 450.
Kurz-Bernardon 358.
Kyrke grime 243.
Lambcrtslieder 180.
Lanibertusfeier 174 f.
Lämmer = Wolken 432. 433.
Lausige, der. Schwank 291.
Lavant im Pusterthal 205.
Ledderingsbret 147.
Legenden, berlinische 118.
Leinwand 145.
Leipziger Kinderreime 199.
Lichtarbeit 175.
Liebe 367. 370. 374.
Liebhaber, geprellte 74.
Lied vom Tauber 414.
Lieschens Fingerhut 360.
Lisse, Lixe = Ni.xe 124.
Lochiin 333.
Loki 127.
Lork 248. 259. 260.
Losstag 421.
Louisiana folktales 466.
Lügenlieder 200.
Luttchen 223.
Luzel, Fr. M. 333.
Maddik. Matten 252. 260.
Maidäni 49.
Manichäer 344.
Märchen, rumänische 459.
S. Maria 4. 5. 9. 12. Mariensommer 323.
Mariken = Sonne 425.
S. Martins of Bnllions day 420.
■Martinslieder 176. 451.
Mars 262.
Mäuse- und Ratteuhelfer 421.
Mason, 0. 458. , ,,^
Mecklenburger Redensarten 302-325. 424-448.
Medardus 421.
Megge 263.
Meiderich, Velkstümliches 466.
Melusine 126. 463.
Meerfräulein 122.
Merkens, H. 467.
Merseburger Segen 13.
472
Register.
Meerweiber 122.
Meteorologische Bücher 468.
Methode beim Sammeln 832.
Metiers 467.
Mette, Mettje 260. 263. Medk 263.
Michaelislie'der 177.
Midrasch Koheleth 448.
Midsummer .sunday 420.
MilchmUdcheu, Fabel 42. 66.
Milchopfer 418. Milchstrasse 480.
Minuetrunk 418.
Mitra 371.
Mittelfasten 386.
Mittsommerfest, Dauer 420.
Moddeck, Mök 260. 264.
Monatsorakel 97.
Mond 6. 375. 428. Mondgottheit 373.
Montenegriner Tagelied 210.
Mork 263.
Möwen 307.
Much, Muck 264. 261.
Muggel 167
Mundfäule 7.
Münster i. W. 174.
Nachtjäger 222. 250.
Nachtraben 24ii.
Nackt 410. 415.
Nadel 416.
Namen, Salzburger 120. steirische 119.
Namengebuug nacli Verstorbeneu 99.
Narr, weiser 41.
Nass 345.
Nasr eddin Hodscha, Schwanke 44 — 46.
Naturleben 302—325. 424 -448.
Nebel 322.
Neraiden 123. 126.
Neujahrsnacht 77.
Neumond 430.
Neun 334. 409. neunerlei Holz 409.
Neun Kinder 127.
Nicasius 416. 421.
Nicolaus 421
Niederlausitzer Volkssagen 222.
Ninive, Herr von, Lied 106.
Ninne nunne 214.
Nix 122. 123. Nixe, Beiname 127.
Nixen 121 f. 271. Nixenkinder 121. Nixen-
sagen 124. 131. 271.
Nordische Kiankheitsbeschwörungen 193—99.
Nordlicht 436.
Notfeuer 452.
Nunnen 270. 414.
Nymphe 345.
Ochsenhirt (ossenhirer) = Wolkentreiber 432.
Ohm (Geschwür) 5.
Ohrenschmerzen 11.
Ohrfeigen verwandeln 126.
Orion 430.
Ortsnamen, Tiroler 109.
Osmanische Kultur 46.
Osterkügelchen 387.
Pabst 345.
Päckcheuüechterei 137.
Padde 247. 257. 260—63.
Padducksche. Parrucksche 262.
Pala, Mailänder 237.
234.
Passeier 88.
Pehrkons 7.
Perchta in Böhmen
Pereat 346.
Perk 264.
Perseus 110.
Pest 25.
Peter Ramm 445.
Petrarka 365. 375.
Petri Stuhlfeicr 177.
Petrus 298. 304. 307
432. 434.
Pferde 409. 416.
Pfingstblütter 387
Pflanzenfasern 13'
Pflastertreter 346.
Philister 346.
Pickel 254.
Pielwui-m 250.
Pier 250. a52
Pierken 252
262. Pierlor
Piereland (Kirchhof) 263.
Pilepogge 263.
Plantago lanceolata 458.
Pocken 16.
Pogge 257. 260. 262.
Polnische Volkskunde 236
Polyphemfabel 272.
Pomadenhengst 346.
Porre Purre 263.
Prato, St. 330.
Praetorius, J., 355.
Pröhle, H. 329.
Puck 'J65.
Puppen 186.
Purde Pudde 263.
Pürrik 253.
Pygmäen 221.
309. 311. 322. 425. 428.
Pfing.sttau 407.
263. Pieras 168. 248. 257 f.
Pierla 262. Pierlauke 258.
248. Piermade 247. 257. 259.
Quälgeist 266.
(iuatembergarn 408.
Quellenverehrung 413-
-420. 458.
Rasmus (Teufel) 447.
Rätsel 147 f. 180 f.
Ratten- und Mäusehelfer 421.
Regen 306—312. Regenbogen 312. Eegen-
mutter. Regenschift' 433. Regenwurm 248.
257-64.
Reigen 286.
Reisesegen 421.
Rendez-vous 72.
Reuss, Fr. A. 413.
Rheumatismus 22. 38.
Eietpogg, Rietworm 262.
Rindenkleider 141.
Ringelnatter 412. Ringelreihen 287.
Rockenreise 193.
Rühle, Rühle 262. Rohling 263.
Rose (Krankheit") 7. 16. 18. 26. 29. 37. 35.
Rotlauf 295.
Rückwäi-ts zählen 37. 198.
Rudolf, Kronprinz 90.
Sachs, Hans 464.
Sagen, Allgäuer 465. Braunschweiger 334.
Saläh eddin 51.
Salz 412.
Register.
473
Saujungfer 101.
Saxo Grammaticus 112. 23i).
Stibillot 467.
Seebergjungfer 125.
Seefräulein" 123.
Seekrauklieit 447.
Seele nach dem Tode 332.
Segen 1-40. 1114—99. 293—98.
Seidenspinner 135.
Seitensticho 23.
Selbergethan 271.
Selbstmörder 241. 243.
Semper 349.
Sennerin 409. 410.
Seuchen gesühnt 205.
Siebengestirn 430
Silber 38U.
Siiitiotli 117.
Siproites 126.
Sirenen 122.
Skorpion 17.
Sliek 261.
Soll ein schönes Kiud mich laben 358.
Somnierfäden 323.
Sommerlieder 113.
Sonne 364 f. 374 f. 424 f. 427. 432 f.
Sonnenuntergang 425
Sonntag, goldener 354.
Sonntagsleben im Böhmerwald 189.
Spielsteine 184.
Spiesse 349.
Spindel 139.
Spinnerei 140. 144. 169. 170.
Sprichwörter arabische 49. däniscli-scliwedisch-
lateinische 233. polnische 116.
Spitz 349.
Star, grauer 5.
Stärkste Dinge 448.
Staufenlierg, Eitler 46S.
Stein ins \Vas§er geworfen 245.
Steinkreuze 334.
Steinmann, Fr 180
Steii-ische Kinderreime 275 — 88.
Stephanisalz 412.
Sterne 430 f„ im Märchen 376 f. 381.
Sternschnuppen 431.
Sterzing 8b.
Stolle (Verwandtschaft) 80.
Stöwhas 436.
Stricker 273.
Stubai 171.
Studentensprache 225-33. 334—52.
Sturm 441.
Stm-zsee 446.
Suaheligeschichten 62. 64.
Sülmkreuze 334.
Sühuprozessionen 206.
Sulphuria 350.
Sunnwendfeuer 420.
Snsaninne 356.
Schaffer 91.
Schalk 41.
Schimpfen 21.
Schisser 348.
SchlagÜuss 4. 24.
Schlangenbiss 17-19. 21. 26 f. 32.
Schleiche, Schleik 261.
Schlesisches Wiegenlied 214.
SchmoUis 348.
Schneckenbannen 285.
Schneiderlied 287.
Schnee 321.
Schönheit 369. Schönheitsideal 358 Sch.-
svmbole 363-383.
Schwager 348.
Schwämme suchen 191.
Schwammkappe 142.
Schwanke, arabiscli-islamische 40 — 67. rumä-
nische 332.
Schwankbücher 43.
Schwänzen 348.
Schwarzsauer 168.
Schwein, Erntefigur 455.
Schweizerische Ktdksbräuche 384.
Schwester 349.
Tagelied 225. Montenegriner 210.
Tagesanbruch 425.
Tanagra 206.
Tannebaumlied 356.
Tänze 192. 234. Tanzlieder 237.
Taufbrauch 389.
Tausend und eine Nacht 66. T. und einen
Tag 73.
Tauwetter 321. Tauwiu-m 263.
Teiresias 128.
Terink, Teriug, Tetting 263.
Teufel 334. 409 435 f. 443 f. 445.
Thauotter 262.
Thierbildchen 186.
Thierbräutigani 366.
Thoren, Fürst von 350.
Thüringen 180. 353.
Thymian 267.
Tiger 15.
Tii-ol 80-93. 109 f. 147 f.
Tobler, L. 456.
Too, Leben danach 333.
Tollwut 5.
Tot scheinen 56.
Tote im Grabe nicht geduldet 239 f.
Totenaberglaube 97. 333. Totenbräncbe 354.
455. Toteubretter US. T.burg 85. T.kränze
354. T.pfähle 354.
Touchieren 350.
Trinitatisfest 454.
Tmtschel 351.
Tudse 257.
Türkisches Volksbuch 44.
S. Ulrich 416—424. Ulrichsbrunuen 418. U.-
feuer 420. U.kapellen 419. U.kreuze 423.
Uminne 418. U.sonntag 419.
Unglück wegwerfen 391.
Unke 260 f. 263.
Upakosä 74.
Ureinwohner des Havellandes 249—55.
Urian 334.
Ütsche, Üze 259ff.
Yeitls Reitrüstung 276. 288.
Venus 366.
Verkeilen 351.
Vermmnmungen 129.
Verplempern 351.
Verrenkungen 7. 13. 198.
Verschiessen 351.
474
Register.
Verschiss 351.
Verwandlungen 223.
Vesta 370.
Vierbergfahrt in Kärnten 207.
V. Vincke, Gisb. 267.
Vieting 323.
Virag 3i;8.
Virgenthaler Prozession 205.
Vögel 41H.
Völkerkunde 108. 217.
Volksbücher 468.
Volkshumor 467.
Volkskunde, ostfränkische 413. Vereine 107.
217.
Volkslieder 113. 161. 202. 352-63. 414.
Volksrätsel 147-60. 180—83. 396 407.
Volksschauspiele, cechische 114.
Voltaires Zadig 71 f.
Vorspuk 334.
Vortanz 389.
Vottiero 289.
War mein Schatz ein Haselstauden 360.
Wasser 7, 414—448. Wasserfrauen 121. W.-
hunde iWolken) 433. W.mann 122. W.lisse
131- 124.
Waterhunn, Watcrslepers 433.
Webegerät 32.Ö f. W.gewicht 146. W.kunst
134. 169. W.schwert 146.
Weberschiffchen 138. W.vögel 135.
Weber-Zenze, die 80 -93.
Webstuhl 144.
Weib, eigensinniges, Geschichtchen 289 -93.
AVeihnachtlied 'd^'ö. W spiele 115.
Weinzauber 266.
Weise, Christian 355.
Weisheit 369.
Weiss 365.
Wellengang 445 f.
Wetter in Mecklenburger Volksrede 302—06.
312-17. 434. 442.
Wetterfliegen 410. W hexen 409. W.leuchten
324.
Wettläuf 420.
Wetzen 352.
Widder 206. 208. 243.
Widderprozession 205 — 08.
Wie geht es denn im Himmel zu 362.
Wiegenlied, schlesisches 214.
Wiese, geschorene 291. grüne 214.
Wiesel 412.
Wildererglaube 411.
Wildfleisch 411.
Wind 317. 435—44. Windhose 443. Wind-
hunde i,Wolken) 432. Windpfeil 4. Wind-
stille 438.
Wirbelwind 443.
Wü-tel 138. 146.
Witzigen 389.
Wöchnerin 107.
Woldmannstag 334.
Wolfsniilchraupe 262.
Wolken 306. 431
Wort, seine Macht 2. 37.
Wundsegen 197. 295.
Wurm 260. Wurmsegen 294.
VViu-mer 9. 10. 29. 32.
WurstUed 388.
Zachariassegen 423.
Zadig 71.
Zahlen der Krankheiten 33.
Zahnschmerzen 4. 7. 20.
Zaubern 416.
Zeus 206.
Ziehen 352.
Zigeuner 216.
Zöpfe 134.
Zungenband gelöst 107.
Zwerge 334. Zwergmaus 135.
222.
Zwergvölker
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Zeitschrift für Volkskunde
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