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ZEITSCHRIFT
Vereins für Volkskunde
Neue Folge der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft,
bearündet von M. Lazarus und H. Steinthal.
Im Aiiftra<>'e des N^ereins
herausgegeben
von
Karl Weinliold.
Neunter Jahrffaiiff. ^vj \^^ . vlfr^^^A 1899
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Mit fünf Tafeln und Abbildunjren im Text.
BERLIN.
Verlag von A. Asher & Co.
47
Inhalt.
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seite
Heidnische Überreste in den Vulksüberliefermigen der norddeutschen Tiefebene. Von
Wilhelm Schwartz 1. 123. 305
Eine Gesamtdarstellung dos deutscheu Volkstums. Von E. M. Meyer 18
Über Brettchenwelierei. Von Margarete Lehmann-Filhes 24
Quellen und Parallelen zum Novellino des Masuccio. Von G. Amalfi . . . . 33. 136
„0 lass mich doch hinein, Schatzl" Volksliedvergleichung von P. Drechsler. . . 41
Kulturgeschichtliches aus den Wesermarschen.. Von A. Tienken 45. 157. 288
Über alte Beleuchtungsmittel. Von 0. v. Zingcrle 55
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. Von K. L. Lübeck 58. 194. 295
Die alte Gerichtstätte von Cavalese in Südtirol. Von K. Weinhold <)8
Holekreisch. Von A. Landau T2
Geschichten aus dem Etschland und aus Stubai. Von H. Kaff. . 77
Niederdeutsche Sprüche und Redensarten. Von H. Beck 81
Staufes Sammlung rumänischer Märchen. Von J. Bolte 84. 179
Das englische Kinderspiel Sally Wator. Von K. Weinhold 89
Das Huttl erlaufen. Von W. Hein 109
Das Frautragen im Salzburgischen. Von M. Eysn 154
Ein Paar merkwürdige Kreaturen. Von M. Bartels 171. "245
Über Höfdaletur, von ßrynjulfr Junsson, übersetzt von M. Lehmann-Filhes . 181
Vergleichen<le Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel Der Teufel mit dem alten
Weib. Von St. Prato 189. :;il
Volksastronomie und Meteorologie in Nordthüringen. Von E. Reichhardt .... 229
Nichtdeutsche Marterln. Von E. Sieger 236
Tiroler Teufelsglaube. Von A. Dörler 25(;. .-561
Uckermärkische Kinderreime. Von M. Gerhardt und E. Petsch 273. 389
Haussprüche aus dem Stubaithal. Von Fr. Wilhelm 284
Sanct Kumnieniuss. Von K. Weinhold 322
Eiserne AVeihefiguren. Von W. Hein 324
Volkskundliches aus J. W. Wolfs Kölner Jugeuderinneruugen. Von L. Fränkel . . 351
Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde. Von H. Schukowitz .">77
Eine Primiz in Tirol. Von Fr. P. Piger 39G
Mährische Marterln und rumänische Erinnerungskreuze. Von W. Hein 399
Euthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. Von E. F. Kaindl 401
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau. Von A. Petak 420
IV Inhalt.
Kleine Mitteilungen.
Seite
Dreikönigslicder vom Niedorrliciii. Einige Fastnachtlieder vom Niederrhein. Von
0. Schell 90. 91
Der Kulischwanz an der Thüre. Von 0. v. Zingerle 92
Vom Geldwerte im IS. 19. Jalirh. Von H. Beck 93
Aus einer Polizeiverordnung von 17S6. Von R. v. Strele 94
Franz Magnus Böhme f. Von K. Wein hold 95
Die Amsterdamer Trachten-Ausstellung von 1898. Von K. W 204
Die Sjjelte und die Drihe. Von demselben 205
Fledermaus und Maulwurf. Von demselben 207
Das Sommertagsfest in der Pfalz. Von L. Fränkel l'07
Chajim Steinthal f. Von K. Weinhold 208
Von einem Unheimlichen. Von E. Pfeifer 209
Wie man giftige Schlangen anfasst. Von K. Krüger 211
Nachtwächterspruch aus Hindelang. Von M. v. W 212
Wilhelm Schwartz f. Von K. Weiuhold 328
Die Stecknadel im Volksaberglaubeu. Von M. v. Wendheini ?>;>0
Kinderpuppengräber in Nieder-Österreich 333
Niedersächsische Zauberpuppen. Von R. Andre e 333
Wie im Lüneburgischen Pferdekolik geheilt wird. Von demselben ;)35
Zur lö. Erzählung des Siddhi-Kür. Von Th Zachariae 336
Zweideutige Fabeltiere. Von N. W. Thomas 337
Eine braunschweigische Fastnachtfeier. Von 0. Schütte 338
Scheibenschlagen im Breisgau. Von 0. Heilig .\öO
Gestickte Liebestüchlein. Von M. Eysn 436
Aus dem Herzogtum Braunschweig. Von 0. Schütte 438
Die Spinten in Gross-Krausnigk. — Gebräuche und Aberglaube aus Fröhden, Von
P. Otto 441
Gebildbrote und Gebäckformen. Aufruf von M. Höfler 444
Aus der Grafschaft Glatz. Von Fr. Wieth 44<;
Internationaler Kongress für Volkskunde 447
Sammlung volkstümlicher Überlieferungen in Würtemberg 448
Bucheranzeigen.
Die Donauländer. Zeitschrift für Volkskunde 96
Zibrt, C., Literatura kulturne historicka a ethnogralickd 97
Zweck, A., Litauen 97
Smith, Robertson, Die Religion der Semiteu 98. 450
Herrmann, P, Deutsche Mj^thologie 99
Dennett, Notes ou the folklore of the Fjort 100
Hüll, E., The Cuchullin Saga 101
Köhler, Reinh., Kleinere Schi-iften. I 102
Reiser, K., Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des Allgäus 102
Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Prof. Lemke 103
Gomme, A. B., The Traditional Games. II •. . 103
Frömmel, 0., Kinder-Reime, -Lieder und -Spiele 105
Schweizerisches Idiotikon 31 — 3(! lOö
Dachler, A., Bauernhaus in Nieder-Österreich 105
Kaindl, R. F., Ethnographische Streifzüge in den Ostkarpathen 106
ilbersicbt periodischer Publikationen über slavische Volkskunde von A. Brückner . 213
Amman, J. J.. Volksschauspiele aus dem Böhmerwalde. II 220
Küffner, G. M, Die Deutschen im Sprichwort 220
Inhalt. V
Seite
Petsch, R., Neue Beiträge zur Kenntnis des Volksrätsels 222
Sebillot, P., Litterature orale de l'Auvergne ' 22P>
Teit, J., Traditions of the Thompson River Indians 224
Das deutsche Volkslied. Zeitschrift von Pommer und Fraungruber 340
Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, 2. 3 341
Höfler, M., Das deutsche Krankheitsnameu-Buch 342
Haas, A., Schnurren, Schwanke und Erzählungen von Rügen 342
Sebillot, P., Legendes locales de la Haut-Bretagne 343
Derselbe, La Veillee de Noel 343
Zell, Franz, Bauernmöbel aus dem bayerischen Hochland 344
Leite de Vasconcellos, J., Religiües da Lusitania 345
Seh ermann, L. und Kr aus s, F. S., Allgemeine Methodik der Volkskunde .... 448
Müller, Max, Nouvelles etudes de Mythologie. Traduites par L. Job 452
Bugge, S., The home of the Eddie Poems. Translated by W. H. Schofield . ... 452
Bücher, K., Arbeit und Rhythmus 455
Kunz Kisten er, Die Jakobsbrüder, herausg. von K. Euling 456
Pichler, Ad., Aus den Tiroler Bergen 457
Feilberg, H. F., Dansk Bondeliv 457
Chauvet, H., Folklore Catalan 458
Gittee, Aug., Ouriosites de la vie enfantine 459
Flachs, A., Rumänische Hochzeit- und Totengel)räuche 460
Mielke, R., Die Bauernhäuser in der Mark 460
Wigand, P., Der menschliche Körper im Munde des deutschen Volkes 460
Nagl, J. W., Deutsche Mundarten. Zeitschrift I, ;•> 461
Bächtold, J., Kleine Schriften 461
Aus den Sitzuiigs-Protokollen des Vereins für Volkskunde. Von M. Rocdiger.
106. 225. 349. 462"
Register 465^
Heidnisclie Überreste in den Volksilberlieferungen
der norddentschen Tiefebene.
Von Wilhelm Schwartz.^)
Es ist nicht das erste Mal, dass ich von diesem Thema handle.
Schon im Jahre 1849/50 habe ich unter den Eindrücken der Wanderungen,
welche ich im nördlichen, namentlich im nordöstlichen Deutschland in
den Jahren 1837—1849 mit meinem Schwager Adalbert Kuhn fortgesetzt
unternommen hatte*), des eingehenderen in meiner Schrift „Der heutige
Volksglauben und das alte Heidentum" (Berlin bei Hertz 1850) nachgewiesen,
dass auch in diesen Gegenden, abseits von der städtischen Kultiirentwicklung,
noch viele heidnische alte Bezüge, natürlich nur in einer mehr mechanischen
Tradition der ländlichen Bevölkerung, sich von Geschlecht zu Geschlecht
in Sage und Gebrauch erhalten haben und speciell die Sagengruppe
von der sogenannten wilden Jagd sich auf altheidnische deutsche
Gewittermythen beziehe.
Ich habe die Sache dann im Jahre 1862 noch einmal in einer zweiten,
vermehrten Auflage jener Schrift von einem umfassenderen mythologischen
Standpunkt aus behandelt (Berlin bei Hertz 1862), bin aber nicht wieder
darauf zurückgekommen, da meine mythologischen Studien mich inzwischen
auf immer weitere Gebiete führten.
Erst neuerdings sah ich mich durch eigentümliche Verhältnisse ver-
anlasst, wieder auf die erwähnten Ergebnisse zurückzugehen und namentlich
im V. Bande unserer Zeitschrift in dem Artikel „Der Schimmelreiter und
die weisse Frau" die erwähnten Partieen des Volksglaubens in ihrer
Weiterentwicklung auf dem Boden der analogen, nationaler gestalteten
1) Zugleich eine Entgegnung auf die Artikel des Hrn. Kuoop-Rogasen in der
Veckenstedtschen Zeitschrift für Volkskuude in Bd. 2—4, sowie im 5. Bande der Monats-
schrift „Am Urquell" in betreff der Traditionen von der Frau Harke, Frick u. s.w.
2) Siehe meinen Vortrag ..Vom Sagensammcln. Erinnerungen aus meinen Wande-
rungen in den Jahren 1837-49-' im Archiv der „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimats-
kunde der Provinz Brandenburg, Berlin 1894, S. 143—157. Desgl. unsere märkischen und
norddeutschen Sagen u. s. w. v. J. 1843, bezw. 184S. Berlin, bezw. Leipzig.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. ^
2 Schwartz:
Mythologie zu verfolgen. Ich dachte so ein Beispiel für die genetische
Entwicklung- der deutschen 'Mythologie überhaupt zu geben, welche
nur in derartiger Weise, — vollständig befreit von dem bisher in ihr
lierrschenden Synkretismus mit der nordischen, — zu einer eigenartigen
Gestaltung gelangen kann, gleichzeitig aber damit die Bedeutung des Volks-
glaubens, gegenüber einer jetzt verschiedentlich hervortretenden Missachtung
desselben, überhaupt wieder zu erhärten und allerhand aus Missverstand
gegen denselben sich geltend macliende Angriffe zu beseitigen.
Wenn nämlich der wilde Jäger oder Schimmelreiter, — ursprünglich
der Sturm auf dem im grellen Blitzglanz angeblich weiss schimmernden
Donnerross, — wie er in den Traditionen von ganz Deutschland bis in die
neuesten Zeiten noch fortlebt und gerade höchst prägnant in dieser Gestalt
in Sage und Gebrauch in den ostelbischen Landschaften noch sich bekundet,
auf den Wodan, das „deutsch - nationale" Gegenbild des nordischen
Odin, hinzeigt und aucli stellenweise noch in jenen Gegenden der Name
Wode direkt für ihn sich erhalten hat, so weist die weisse Frau, welche
in Süddeutschland Frau Bercht genannt wird, in Thüringen, Hessen und
Franken als Frau Holda, Holle, Hülle und Huldi auftritt, in der nordischen
Tiefebene aber als Frau Harke, Gode, Freke, Frick, Freen oder Frien
erscheint, als volkstümliches Prototyp auf des Wodan Gemahlin Frea oder
Fria hin^), wenn dieselbe als Windsbraut dem Sturm oder, bei einem
sich weiter entwickelnden Gewitter, im Blitzglanz als ein „weisses" Wolken-
gespenst u. a. dem Schimmelreiter auf seinem Donnerross vorauszuziehen,
bezw. von ihm verfolgt zu werden scheint.
Bewegen sich aber beide Arten von Gestalten so in der volkstüm-
lichen niederen Mythologie nur als mehr momentan in den Wolken
auftretende Sturm- und Gewitterwesen und zeigen so nur mehr einen der
Naturanschauung entsprechenden dämonischen Charakter^), so stellt
die nationale Mythologie, nach verschiedenen Phasen und Richtungen
ihrer Entwicklung, sie in einer mehr allgemeineren anthropomorphischen
1) Wenn man jenes Verhältnis noch nicht voll erkannt hat, so trägt dazu viel bei,
dass mau immer nocli in der Auffassung der „weibliclien" Götterwesen in der deutschen
Mythologie in die Irre geführt wird, indem man bei ihnen nicht au Himmelswesen, sondern
zum Teil au eine, von J. Grimm noch festgehaltene ..Erdmutter" denkt, die doch nur
römische Anschauung der von Tacitus erwähnten sogen. Nerthus als Terra Mater suppeditiert
hat. Die Erdmutter ist überhaupt nur meist eine, in den Mythologien weiblichen Wesen
untergeschobene Fiktion, indem sie immer mu- eine Art Abstraktion späterer Zeiten ist,
was ich schou öfter betont habe und wozu auch jetzt Max Müller in seinen „Beiträgen
zu einer wissenschaftlichen Mythologie", Leipzig 1889, S. 262 im Prinzip stimmt.
2) Dieser Unterschied ist für eine genetische Entwicklung der Gestalten festzuhalten,
namentlich verwirrt es, wenn man die Naturweseu schon „als Götter" bezeichnet und
danach behandelt, wie dies bei den oben S. 1, Anm. erwähnten Angriffen des Hrn. Knoop
geschehen ist, von denen ich weiter unten handle, s. W. Schwartz, Die altgriechischen
Schlangengottheiten, ein Beispiel der Anlehnung altheidnischen Volksglaubens an die
Natur. II. Aufl. Berlin bei Hertz 1897. Desgl. unsere Zeitschr. VII, 227.
Heidnisclie Überreste in der norcldeutsclieu Tiofebeno. 3
Fassung überhaupt als Ilimnielsgötter dar, welche, im Verborgenen
dort oben waltend, die Welt regieren, d. li. nach den Vorstellungen jener
Zeit, einfach Glück oder Unglück den Menschen brächten, so dass diese
in allen Lagen zu ihnen Hilfe suchend aufblickten und bei besonderen
Zeiten und Gelegenheiten sie in einem Kultus zu verehren begannen.
Die Verhältnisse aber, die mich veranlassten, in dem erwähnten
Artikel in unserer Zeitschrift noch einmal zur heimischen Mythologie
zurückzukehren, lagen in Angriffen, welche gerade auf die von J. Grimm
begonnene und von Kuhn und mir fortgefülirte Fassung und Darstellung
der erwähnten mythischen Wesen namentlich des norddeutschen Volks-
glaubens in neuester Zeit plötzlich hervorgetreten waren.
Es ist bei der Entscheidung über die Sache von keiner besonderen
Bedeutung, in wie weit jemand speciell mit mir die genannten Gestalten
des Volksglaubens als Prototype, wie erwähnt, der entsprechenden
nationalen Götter anerkennt oder anders sich das Verhältnis beider Gruppen
zurechtlegen will. Schloss sich doch auch Kuhn in dieser Hinsicht in
«inem Gegensatz zu mir mehr .1. Grimm an, welcher bei Begründung der
deutschen Mythologie die mythischen Überlieferungen auch des deutsehen
Volkes zunächst nur „als Nachklänge" einer alten „germanisclien" Mythologie
ansah, welche er im Anschluss au die „nordischen" Sagen der Edda auch
für Deutschland voraussetzte. Die erwähnten Angriffe berühren diesen
Punkt nicht, sondern beziehen sich auf den von J. Grimm überhaupt ge-
zeichneten und von Kuhn mid mir dann auf unseren W^anderungen weiter
festgestellten Volksglauben, indem sie die Bedeutung desselben zu diskre-
ditieren und für die Mythologie fast als imbrauchbar hinzustellen trachten.
Ich dachte zuerst, als ich davon Kenntnis erhielt, dass in der im Anfang
der 90er Jahre aufgetretenen „Veckenstedtschen Zeitschrift für Volkskunde"
allerhand mythologische Artikel erschienen seien, in welchen Herr Knoop
(bei einem auf seinen heimischen Rivalen Ulrich Jahn von ihm unternommenen
Angriff) nicht bloss Kuhns ,jj)ersönliche", in den Anmerkungen zu den Nordd.
Sagen ausgesprochenen „mythologischen Ansichten" sondern auch die von
uns „gemeinsam" auf unseren Wanderungen in betreff des Volksglaubens
neu festgestellten Tliatsachen zu erschüttern suche, es wäre nicht
nötig, mich darauf einzulassen; die Wissenschaft werde sclion nach allem
darüber zur Tagesordnung übergehen.
Nahm ich doch bei Einsicht einzelner Hefte der Veckenstedtschen
Zeitschrift und des 5. Bandes von der Zeitschrift „Am Urquell" einerseits
wahr, dass die betreffenden Erörterungen des Herrn Knoop, insofern sie
speciell gegen die von Kuhn in den Anm. zu den Nordd. Sagen persönlich
ausgesprochenen mythologischen Ansichten sich richteten^), meist alte
1) Wie Kulm in der Vorrede (S. XVI) bemerkt, hatten wir bei Herausgabe der Nordd.
Sagen uns die Arbeit so geteilt, dass er die Redaktion des (janzen und die Anmerkungen
übernahm, während ich das Register anfertigte.
1*
4 Schwartz:
Sachen beträfen und an Vorstellungen anknüpften, welche einer Zeit an-
gehörten, als noch fast sämtliche deutsche Mythologen mit Grimm alle
nordischen Götter der Edda in den deutschen Sagen wiederfinden zu können
wähnten, während dies jetzt schon längst, prinzipiell wenigstens, als ein
überwundener Standpunkt angesehen wird, so dass Kuhn, wenn er noch
lebte, auch selber seine damaligen Erörterungen speciell jener Art nicht
mehr aufrecht erhalten würde und danach auch für mich kein Grund vor-
läge, darüber noch jetzt eine besondere Debatte zu beginnen, zumal Kuhns
Bedeutung für die Wissenschaft nicht von den betr. Bemerkungen in
der Yeckenstedtschen Zeitschrift abhängig sein dürfte. ^)
Die anderen Angriffe aber,, welche HerrKnoop gegen die schon von
J. Grimm im Volksglauben der norddeutschen Tiefebene in ihrer Be-
deutung für die deutsche Mythologie nachgewiesenen und dann von Kuhn
und mir auf unseren AVanderungen weiter verfolgten Beziehungen und
Nachklänge altheidnischen Charakters richtete, zeigten doch teil-
weise einen geradezu wunderlichen und mit Behauptungen der sonder-
barsten Art verbundenen Anstrich, so dass mit ihnen eine wissenschaftliche
Verständigung kaum möglich schien.
Ging doch überhaupt Herr Knoop — wie ich sah, — bei allen seinen
Untersuchungen nicht von dem allgemeiuen deutschen Volksglauben aus,
wie ihu z. B. Wuttke in seinem Buche „Der deutsche Volksglaube der
Gegenwart" (Berlin 1862, 2. Aufl. 1869) so eingehend erörtert hat, sondern
meist nur von einer einseitigen, aus kleinen Verhältnissen und einer be-
schränkten Litteratur geschöpften Kenntnis der Dinge aus. Die Verhält-
nisse, wie sie namentlich in seiner hinterpommerschen Heimat, — deren
volkstümliche Traditionen einen relativ abgeblassten Charakter in Bezug
auf Sage und Gebrauch zeigen, — ihm zuerst entgegentraten, sind meist
für ihn massgebend geblieben, und nach ihnen beurteilt er dann alles
Weitere. Weil dort z. B. die Leute bei allerhand dämonischen Erscheinungen
noch jetzt den Teufel im Hintergrund stehend erachten, wie es im XVI.
und XVn. Jahrhundert ganz allgemein war^), wird ihm auch dies zu einer
Art von wissenschaftlichem Axiom. Statt eines in den Dingen hervortretenden
Zusammenhanges, erscheinen dieselben ihm meist nur in einer gewissen
Vereinzelung, und er gerät so auf die eigenartigsten Erklärungen der-
selben, bezw. bei Debatten gegen jemand auf die wunderbarsten An-
srriffsideen.
1) Spricht doch auch Herr Veckenstedt noch im Jahre 1882, ein Jahr nach Kuhns
Tode, von ihm als einem eminenten Forscher, über dessen hohe und zum Teil unvergäng-
liche Leistungen ein Zweifel nicht obwalte, (s. Vorrede zu seinen litauischen Sagen S. 23.)
In seiner Zeitschrift klingt es dann freilich anders, vergl. vor allem IV, 393, al. <i.
2) Siehe u. a. „Den höllischen Proteus" von Francisci, Hochgräfl. Hohenlohe-Langen-
burgischen Rat, ISIüi-nberg 1()95, „das Kapitel von der boshafften Gauckel-Jagt dess Satans".
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 5
So findet er — um nur ein paar Beispiele von den Kontrasten anzuführen,
zu denen er so gegenüber der deutschen Mythologie in der Auffassung
einzelner mythischen Wesen gekommen ist, — in dem an den Küsten der
Ostsee in Schleswig-Holstein, sowie in Mecklenburg, Vorpommern und den
angrenzenden Inseln in Sage und Gebrauch bis auf die neusten Zeiten
noch fortlebenden Wo de (oder Wand) nur eine Erinnerung an einen
slavischen Woiwod (!), trotzdem an den gegenüber liegenden dänischen
und schwedischen Küstenstrichen in derselben Weise noch Odin als Pendant
zu ihm auftritt, was doch auf eine gegenseitige Kontinuität aus altheid-
nischer Zeit hinweist. So deutet er die thüringisch-hessische „Frau Holle"
als „die Olle", so denkt er bei der analogen „Frau Gode" im nördliclien
Teil der Altmark sowie in der Priegnitz und den angrenzenden Strichen
Mecklenburgs, wegen einiger sich an sie schliessender, sekundärer Züge,
an die Jungfrau Maria als „die gode vrouwe", von welcher Bezeichnung
eben nur der erste Teil übrig geblieben sei, oder ist geneigt, eine zwar
nicht in Mecklenburg, aber sonst nachweislich für die Taufpate übliche Be-
zeichnung „Frau Gode" als Erklärung für den Namen des gleicliklingenden
dämonischen Wesens heranzuziehen, das mit der wilden Jagd auftritt.
Bei solchen Vorstellungen schien es mir, wie gesagt, zunächst nicht
glaublich, dass die Wissenschaft auf weitere, daran sich reihende Expekto-
rationen der Art ernsthaft eingehen werde und so für mich eine Notwendigkeit
Torliege, auf daran sich schliessende Angriffe gegen die von Kuhn und
mir einst mühsam in elf Jahren aus dem Volksglauben zusammengebrachten
„Thatsachen" überhaupt mich einzulassen.
Seit 50 Jahren lagen dieselben in unseren märkischen und in den
norddeutschen Sagen öffentlich vor aller Welt da und hatten in den be-
treffenden Kreisen nie Widersprucli. sondern nur zustimmenden Wiederhall
und Bestätigung gefunden, waren wissensoliaftlich in ihrer Homogenität mit
analogen Traditionen im übrigen Deutschland erfolgreich überall verwandt
worden, und da sollte ich, nach zwei Menschenaltern, weil ich zufällig noch
am Leben, als hoher Siebziger auf eine Art Auseinandersetzung in Einzeln-
heiten mich einlassen, wo der Angi'iff gegen die von Kuhn und mir einst
auf unseren Wanderungen festgestellten Resultate, wie ich sah, nur auf aller-
hand Einfälle der luftigsten Art sich stützte, die, was das Unerfreulichste
war, stets mit allerhand bösen Verdächtigungen sich paarten, so dass in
eine Debatte mit den betrefi'enden Erörterungen einzutreten nicht nui*
nicht angenehm, sondern überhaupt bei dem in jener ganzen Zeitschrift
meist platzgreifenden Ton bedenklich erschien!
Wurden doch auch fast alle deutschen Folkloristen und Mythologen
im Anschluss an die Artikel des Herrn Knoop noch in rücksichtsloserer
Weise von Herrn Veckenstedt in seiner Zeitschrift be- oder vielmehr
misshandelt und gab doch der Ton, den er besonders in dem Karapf wiegen
seiner litauischen Sagen mit Gaidozs „Melusine", wie auch schon früher in
6 Schwartz:
Angriffen gegen Wilibald von Schulenburg, seinen Rivalen in betreffs der
Wendisclien Sagen, angeschlagen hatte *), keine Ermunterung, sich mit seiner
Zeitschrift in eine Specialdebatte einzulassen, zumal es auch im Interesse
der Wissenschaft zu liegen schien, nicht auf diese Weise zu veranlassen,
dass auch unser Berliner Verein für Yolkskunde und seine Zeitschrift in
die Sache mit hineingezogen werde.
Bewogen mich aber alle derartigen Erwägungen zuerst zu einer ge-
wissen Reserve, so änderte sich doch die Situation, als ich aus Golthers
Mythologie ersah, dass auch in diesem Falle der alte Spruch: „Semper aliquid
haeret" sich zu beitunden anfange und namentlich in betreff der Frau
Harke in den Havellandschaften und der Frick in der Uckermark doch
wider Erwarten in weiterem Kreise Misstrauen erregt sei. Ich glaubte
mich da im Interesse der Wissenscliaft verpflichtet, doch jedes weitere
Bedenken fallen zu lassen, und legte in einem Aufsatz in der Berliner
Zeitschrift für Ethnologie^), der von „Volkstümlichem aus Lauterberg nm
Harz" handelte und die betreffenden Wesen gerade streifte, eine Ver-
wahrung gegen die Angriffe des Herrn Knoop ein, indem icli dieselben
als unbegründet bezeichnete und erklärte, ich würde die von mir einst
mit Kuhn in dieser Hinsicht festgestellten Thatsachen, nach der jetzt
gemachten Erfahrung, noch einmal an geeigneter Stelle, gegenüber den
teils unvollständigen, teils meist verzerrt wiedergegebenen Berichten des
Herrn Knoop, vollständig und objektiv darlegen, um ihnen „im Interesse
deutscher Mythologie und Prähistorie" die Geltung, welche sie ver-
dienen und seit 50 Jahren in der Wissenschaft allgemein gehabt, auch
fernerhin „ungeschmälert" zu erhalten.
Wenn die angekündigte Widerlegung noch nicht früher erfolgt ist. so
waren zwei Gründe die Veranlassung zu einer Verzögerung.
Erstens veranlasste eine solche der Umstand, da ich, durch die erwähnten
Verhältnisse angeregt, noch einmal nach fast 50 Jahren den betreffenden
mythischen Partieen wieder näher trat und so nicht bloss ein reich, in-
zwischen vermelirtes, das ganze Deutschland umfassendes Material jetzt vorfand,
sondern ich auch selbst unterdessen durch langjährige mythologische Studien
noch gereifter alle dabei zur Sprache kommenden Fragen erfasste, dass sich
bei diesen neuen Studien Schritt für Schritt stets ein weiterer Horizont
und neue Perspektiven entwickelten und immer von neuem mich fesselten,
aber auch — aufhielten.
Wenn z. B. die irgendwie „weiss" am Gewand oder auch am Körper so
ausgestatteten mythischen Wesen, wie der Schimmelreiter und die weisse
Frau, in ihrer Beziehung zu den grell aufleuchtenden Blitzen immer mehr
1) In seiner Schrift „Pumphiit, Der Kulturdämon der Deutschen, Wenden, Litauer
und Zainaitcn. Leipzig 1885*"
2) V. J. 189(;, S. 152.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 7
sich, selbst auch auf indogermanischem Boden, in ihrer ursprünglichen An-
lehnung an die Xatur als Gewitterwesen irgend welcher Art ergaben,
so reihten sich die uns hier besonders beschäftigenden Gestalten wie Frau
Berchta, Holle u. s. w. nicht bloss dem an, wenn sie in Gebräuchen als
weissgekleidete Frauen auftraten, sondern sie entpuppten sich auch überhaupt
in den Sagen immer voller als „weibliche" Pendants zu dem wilden Sturm-
und Gewitterjäger und Schimmelreiter Wode, dem ich sie schon einst im
„Heutigen A^olksglauben u. s. w.« in ihrer Beziehung zum Sturm als
Windsbraut beim Beginn eines Unwetters zur Seite gestellt hatte.
Erschienen sie doch in immer sich mehrenden Sagen bald selbst aucli
als wilde Jägerinnen, bald zogen sie wie der Wode auf dem von Wolken
verhüllten Donnerwagen einher^) oder fuhren bei den in herabstürzenden
Regenströmen sich „in Wasser" wandelnden Wolkenmassen in einer „tief-
gehenden" Gewitterwolke „wie auf einem Schiff"" am Himmel dahin ^).
Daneben bewährten die betreffenden Wesen auch in ihrem Handeln that-
sächlich immer voller ihre Gewitternatur, wenn sie die ihnen zufällig bei ihrem
Umzüge nähertretenden Menschen „blendeten" oder wie der wilde Jäger
mit ihrem Schlage „lähmten" ^), ja das „Sichsehenlassen der weissen Frau"
liberhaupt schon stets „den Tod" jemandes als bevorstehend verkünden sollte.
Stimmten doch auch immer allseitiger noch andere Momente mit dem
Gewitter-Naturkreis überein, namentlich neben Gebräuchen zur Frühlings-
zeit, in denen man den Ein- und Umzug der „neuen" Gewittergottheiten
festlich begrüsste und im Gebrauch nachahmte und neben allerhand sich
daranschliessendem Aberglauben vor allem die Forderung, dass, wenn jene
Gewitterwesen umzögen, eine gewisse „sabbatartige Arbeitsruhe" ein-
treten müsse, weil man sonst allerhand Strafen der umziehenden Wesen
auf sich lade.
Konnte ich docli noch jüngst verschiedentlich feststellen*), dass dann
nicht bloss die Weiber nicht spinnen und waschen, sondern auch die
Männer nichts im Walde vornehmen durften, weil jenen sonst Tod angedroht
und den letzteren auch ähnliches Unglück bevorstehen sollte, da dann dort
der wilde Jäger vor allem auch umgehe und das Zusammentreffen mit
ihm oefährlich sei.
1) Wobei dann besonders bei ihnen die Sage charakteristisch hervortritt, dass, wenn das
Gewitter, d. h. mythisch gesprochen „der Donnerwagen-' am Himmel oben „zu halten" scheine,
in einem vorangehenden krachenden Donner etwas an ihm gebrochen sei und erst (durch
einen Keil) repariert werden müsse, ehe er weiter gehen könne; s. unsre Ztschr. III, 234.
2) Wenn dieser Zug in den meisten Sagen mehr in einer irdischen Lokalisierung
auftritt, so zeigt er bei der niederländischen Wanne Thekla oder „fahrenden Mutter" noch
zum Teil deutlich auf den Himmel und die Gewitternacht hin: s. die Ursulasage von
Schade, Hannover 1854, S. 98: in unserer Zeitschrift VII, t::U, Anm.
3) Siehe El. Hugo Meyer, Germ. MythoL, Berlin 1891 bei den betr. Wesen.
4) Berliner Zeitschrift für Ethnologie vom Jahre 1896, S. 153 ff.
8 Scliwartz :
Dass derartige Vorstellungen aber uralt sind, beweisen neben dem
Umstand, dass auch noch jetzt bei einem irgend starken Gewitter, besonders
auf dem Lande, allerhand Reserven beobachtet werden, die sogar das Essen
während eines Gewitters verbieten und damit die „primitivste Natürlichkeit''
einer Art heiliger Scheu während dessen bekunden*), in charakteristischer
Weise noch die eigentümlichsten Parallelen mit mythischen Vorstellungen
derselben Art bei anderen Völkern. So straft z. B. in griechischer Sage
Dionysos es schwer an den Minyaden, dass „bei seinem Umzug mit den
Bacchantinnen" sie ruhig weiter weben''), und wie bei Nord- und Süd-
germanen das Verbot des Spinnens am Donnerstage — in Mecklenburg auch
am Mittwoch, dem Wodanstage, — also an den betr., den Gewittergöttern
geweihten Tagen streng galt, so galt dasselbe ebenso auch für die Dänen
und Schweden, ja auch bei Ehsten und Finnen tritt es für den Donnerstag
auf. Bei den Litauern wird sogar noch voller die Arbeitsruhe dann gefordert,
indem sie sich auch bei ihnen wie auch bei den Deutschen an alt-
heiligen Zeiten auf „das Waschen" erstrecken muss^).
Fesselte mich aber so bald dieser, bald jener neue Gedankengang und
hielt auf, so wurde ich zweitens auch sonst noch in anderer Weise,
selbst im Interesse der vorliegenden Sache mit Herrn Knoop, in Anspruch
genommen und der Abschluss immer wieder hinausgeschoben.
Wenngleich ich nämlich selbst jetzt nicht mehr wandern konnte, so hatte
ich doch brieflich inzwischen nach der Enquete über Kröte und Regenwurm,
die ich im 5. Bande unserer Zeitschrift behandelt habe, noch andere Unter-
suchungen meist dialektischer Art, namentlich in den brandenburgischen und
angrenzenden Landstrichen, begonnen, zumal dieselben bei dem freundlichen
Entgegenkommen der Geistlichen und Lehrer immer reichhaltiger und inter-
essanter wurden. Dabei kam ich dann gelegentlich auch auf den, an das
Spinnen zu Fastnacht oder Weihnachten oder überhaupt des Sonnabends in
diesen Gegenden sich knüpfenden Aberglauben zurück, wenngleich ich kaum
glaubte, dass, nachdem seit der Zeit, wo Kuhn und ich gesammelt, schon zwei
Geschlechter in die Grube gefahren und das Spinnen seit mehr als 30 Jahren
auch fast abgekommen war, sich noch Erinnerungen daran würden auffinden
lassen. Zwar erhielt ich auch aus allen Gegenden im allgemeinen die Be-
stätigung hiervon, aber dem eingehenden Bemühen einzelner Herren war es
dennoch fast in allen dabei zur Sprache kommenden Landschaften gelungen,
stellenweise noch einzelne Erinnerungen an die Vergangenheit aufzufinden,
so dass im ganzen sich docli interessante Resultate ergaben, die ich auch
am Sc hl US s in einem eigenen Kapitel zusammenstellen werde. Aber auch
dieses Moment trug dazu bei, die Sache immer noch hinzuziehen.
1) s. Berliner Zeitschrift für Ethnologie a. a. 0.
2) Ael. V. h. M-2. Anton. Lib. 10. Ovid Metam. IV, 1-10, 389 ff.
3) Schleicher, Litauische Märchen. Weimar 1857. S. 97.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 9
Als ich aber jüngst bei einer neuen Auflage der germanischen Mytho-
logie von Mogk wahrnahm, dass auch in dieser sich Zweifel an der Be-
deutung der Frau Harke und Frick unter Hinweis auf Herrn Knoops Artikel
zeigten, schien es mir im Interesse der Wissenschaft doch zu liegen,
jetzt jedes Bedenken und Zögern, — auch die Fortsetzung des Artikels über
den Schimmelreiter und die weisse Frau in dieser Zeitschrift, — zunächst
aufzugeben und erst für die unverkümmerte Geltung der von Herrn Knoop
angefochtenen mythischen Wesen noch einmal einzutreten, die unter ver-
schiedenen Namen durch ganz Deutschland gehen und auch in der nord-
deutschen Tiefebene, wo sich das Heidentum ein paar Jahrhunderte länger
erhalten hat, zum Teil sogar noch besonders charakteristisch in einer eigen-
tümlichen, geographischen Gliederung erhalten haben.
Also zunächst Frau Harke,
die ich voranstelle, teils wegen ihrer verschiedenen Bedeutung, teils weil
sie die Angriffsmethode des Herrn Knoop am eingehendsten zeigt.
ZurOrientierung bemerke ich zunächst, dassKuhn zuerst beieineniBericht
über Sagen in den Marken in einer Sitzung des Vereins für Geschichte
der Mark Brandenburg im Jahre 1841 unter besonderem Bezug auf Walthers
Singularia Magdeburgensia neben dem wilden Jäger die Frau Harke im
ßrandenburgischen aufführte und ausführlicher dann über dieselbe in den
„Märkischen Sagen'' vom Jahre 1843 berichtete.
Der Hauptpunkt war, dass in den sogenannten Zwölften, in welchen
Holda und Berchta in Mittel- und Süd-Deutschland aufträten, im Havellande
in fast allen Dörfern noch der Aberglaube fortlebe, wenn zu jener Zeit
„nicht" abgesponnen sei, so käme Frau Harke (oder Frau Harfe) und
zerkratze die Mädchen oder besudele den Flachs, den sie noch auf
den Wecken vorfände, wie es im Süden Frau Holle und die Bercht
thun sollten. Ausserdem erzähle man aber noch, namentlich im Umkreise
der Stöllenschen Berge, mancherlei von ihr als einer grossmächtigen
„Riesenfrau" und „Zauberin", und am Fusse der Stöllenschen Berge, wo
sie besonders gehaust, habe lange ein gewaltiger Felsblock gelegen, mit
dem hätte sie den Dom zu Havelberg einwerfen wollen, der Stein sei ihr
aber aus der Hand geglitten und dort niedergefallen^).
1") Wenn Herr Knoop zu der Bezeichnung der Frau Harke hier auch als einer ge-
waltigen Zauberin die Bemerkung (Veckenstedts Zeitschr. IV, S. 82) hinzufügt: „Dies sei
nicht richtig, mindestens denn doch aus Sagen oder sonstigen Überlieferungen zu erweisen",
so liegt dabei seinerseits ein Missverständnis zu Grunde. Nicht wir, sondern die Leute
bezeichneten Frau Harke nicht bloss als eine Riesin, sondern auch als eine gewaltige
Zauberin, was wir eben nur berichteten. — Ich habe dies angeführt, weil ein derartiges
Missverständnis öfter Herrn Knoop begegnet. So führen wir bei den Nebenformen für
den Namen Harke auch an „der Haken (in Ütz)", wie ich es seinerzeit speciell gehört hatte.
Herr Knoop fasst dies aber wieder nur als eine Deutung unsrerseits für ein weibliches
„de Haken", was er voraussetzt, und sagt dazu in der Weise, die er in seinen ersten
\Q Schwartz:
J. Griniiii uahm dann nach den Angaben Kuhns die Frau Harke im
Anschluss an Frau Holle und Bevchte als sogenannte Zwölftengottheit in
der n. Auflage seiner Deutschen Mythologie vom Jahre 1844 auf, indem er
noch gleich selbst ein zweites Auftreten derselben in Jessen bei Wittenberg
unter der Variante „Frau Herken" anführt. Mein alter Universitätsfreund
Emil Sommer fand sie dann in derselben Weise unter den Formen Frau
Harfe, Archen und Frau Harre, bezw. Harren (wie er in seinen sächsisch-
thüringischen Sagen vom Jahre 1846 berichtet) in der Umgegend von Halle,
während Kuhn und ich sie gleichzeitig auf unseren Wanderungen nicht
IjIoss weiter an der Havel, sondern fast nach allen Himmelsrichtungen hin
von dort aus verfolgen konnten. Wie in unseren Norddeutschen Sagen
das Terrain vollständig angegeben ist, habe ich es auch auf der Karte,
welche ich einem Aufsatz über den verschiedenen Stamm Charakter der
Bevölkerung in den Marken in den „Märkischen Forschungen" vom Jahre-
1887 beigegeben habe, in seiner charakteristischen Begrenzung nach allen
Seiten klargelegt, indem es im Norden an das Gebiet der Frau Gode und
Frick, im Westen und Südwesten an das der Frau Holle grenzt, während
nach Südosten die slavische Murraue dafür eintritt, in der Eichtung nach
Osten hin aber in den bekanntlich je weiter ab, je mehr germanisierten
Strichen Frau Harke nur noch zerstreuter auftaucht.
Neben diesem weiten volkstümlichen Hintergrund, in dem sich der
durch ganz Deutschland gehende Aberglaube in betreff des Nichtspinnens-
namentlich in den Zwölften, aber auch zu Fastnacht, hier an der Frau
Harke erhalten hat, fanden wir zu unserer Überraschung, dass, wie im
Havellande die Stöllenschen Berge besonders als ihr Quartier daneben
galten, auch links von der Havel im nördlichen Teil des Jerichower
Kreises an den Heil-Bergen bei Camern sich noch ein ganzer, bis dahin
litterarisch ebenfalls unbekannter Sagenkranz von Frau Harke gehalten hatte.
Hier heisst von ihr der grösste Berg „der Frau Harkenberg"; ein Grund, der
nach dem Schönfeldischen See hinabführt, „der Frau Harkengrund"; eine
Grube „die Frau Harkengrube". Hier führt nach ihr das Gras Flunkerbart
oder Straussengras (stipa pennata) den Namen „Frau Harfengras". Auch
hier kehrt bei einem grossen Stein die Sage wieder, dass sie mit dem-
selben den in der Ferne sichtbaren Havelberger oder Stendaler Dom habe
einwerfen wollen.
Dann aber waren hier Sagen eigentümlich mythischen Inhalts noch haften
geblieben, welche sie mit der wilden oder überhaupt mit allerhand ge-
spensterhafter Jagd, dann aber noch in besonderer Weise mit der Frau Holle
und Berchte in Analogie brachten. So wollte man Frau Harke mit gespenster-
haftem Wild des Nachts aus dem Berge, wie die wilde Jagd, haben her-
Erörterungen sich seinem Kivalen Ulrich Jahn gegenüber angewöhnt hat: „Kuhn hat aber
fälschlich [1] der Haken daraus gemacht, was uns wieder zeigt, wie wenig er die platt-
deutsche Volkssprache verstand [!!]"
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 1 1
vorkommen sehen oder sich an dem Fang eines wunderbaren Jagdstücks,
eines „einäugigen" Dachses oder eines „klumpfüssigen Hasens" mit ihrem
Zuruf haben beteiligen hören, Jagdscenen mythischer Art, wie sie auch
sonst in der Mark von der wilden Jagd erzählt wurden und wie sie au&
dem Yoigtland noch später Eisel in ähnlicher Art berichtet hat^).
Aber nicht dies allein: der Frau Harkenberg ist überhaupt ein „Spuk-
berg", wie der thüringische Hörselberg. Wenn in diesem Frau Holle
wohnte, so wohnte im Frau Harkenberge neben allerhand Gezwerg an-
geblich auch Frau Harke selbst. Wie Frau Bercht an der Bister oder an
der Orla oder Saale mit ihren Wichtein auf „tiefgehendem" Kahne sich
angeblich übersetzen lässt, so wird auch von Frau Harke an der Elbe
bei Arneburg berichtet, dass sie sich hier übersetzen lässt. Es ist, wie ich
schon oben angedeutet, ein alter Mythus von den „in den Regenwolken-
schichten" dahinziehenden Gewitterwesen, der sich verschiedentlich an
einem grösseren Wasser lokalisiert hat, indem bei der Frau Berchte nur
ein einmaliges „zufälliges" Übersetzen auftritt, bei der Frau Harke aber
es als ihr Abzug gefasst wird, da es mit der Zeit unter verändertem Ver-
hältnis ihr im llarkenberge unheimlich geworden sei"'').
Sind alles dies nur Brocken alter Überlieferungen, so weisen sie doch
in der angedeuteten Homogenität mit ähnlichen in ihrem Ursprung auf
alt mythische Zeiten zurück und ergeben sich nur, wie noch eingehender
der Artikel von der weissen Frau zeigen wird, als verschiedene „Spiel-
arten" derselben mythischen Vorstellungen und vorleihen dadurch den
einzelnen Wesen, an die sie sich geheftet haben, eine gemeinsame, sich
im einzelnen ergänzende Bedeutung für die niedere 3Iythologie.
Wie verhält sich aber nun zu alledem Herr Knoop?
Nach einer eigentümlichen Einleitung über das Sprichwort „ik wil di
wisen, wat n' harke is" zerpflückt er zunächst (Veckeustedts Zeitschr. IV,
81 ff.) die an die Frau Harke sich anschliessenden Traditionen in der
willkürlichsten Weise, so dass er schliesslich auf „drei" angeblich ver-
schiedene Wesen des Namens dabei kommt, mit denen er dann ein wunder-
liches Spiel treibt.
Echt ist ihm eigentlich nur die Riesin von den Stöllenschen oder
vom Frau Harkenberge [Xo. IJ. Über das Mythische, das sich nach der
Volksüberlieferung an letzterer Stelle besonders an sie knüpft, geht er leicht
fort, indem er die sich dabei ergebende Gestalt nicht in ihrer Beziehung-
zu Gewittererscheinungen „als ein Naturwesen der niederen Mythologie"
in Parallele zur Frau Holle, Berchte u. s. w. fasst, sondern sie kurzweg
als eine Göttin bezeichnet imd nun mit der sonderbaren Schlussfolgeruno;:
1) Kuhn, Märkische Sagen, Berlin 1843, S. 145. Eisel, Sagenbuch des Voigtlandes,
Gera 1871, No. 311 f. üreibeinige Hasen sind gewöhnliche Spnktiere: Schwartz, Ursprung
der Mythologie, Berlin 18G0, S. 227 ff.
2) Über derartige Umzüge s unsere Zeitschr. YU, 228.
1-2 Schwartz:
„Frau Harke ist eine Riesin, also kann sie nicht eine Göttin sein!" diese [nach
ihm No. II] mit dem ganzen sich an sie schliessenden Sagenmaterial „als
beseitigt" erachtet!! — Dass beide im Volksbewusstsein der Bevölkerung im
Jerichower Kreise eine Person sind, dass die Gewitterwesen in deutscher
wie griechischer Mythologie meist einen riesenhaften Charakter zeigen ^), zu
einer Aufstellung einer solchen Sonderung also keine Veranlassung vorliegt,
dass der Volksglaube überhaupt nicht, sondern nur eine theoretische Be-
handlung desselben solche Kategorien in allgemeiner Geltung aufstellt, das
kümmert Herrn Knoop nicht! Sein Schema ist entscheidend.
Nachdem er dann in einem langen mythologischen Excurse sich auf
allerhand Theorien Woestes und Simrocks einlässt, die ihrer Zeit Be-
ziehungen zu unserer Frau Harke auch in Westfalen mit einer Hirke oder
Hurke oder mit dem Gebrauch des sogenannten Harkelmai finden wollten,
— was für die vorliegenden Verhandlungen aber, auch wenn es richtig
wäre, doch ganz gleichgültig ist, — kommt er wieder auf seinen früher
aufgestellten diktatorischen, ihm feststehenden Ausspruch zurück: „Frau
Harke sei keine Göttin, sondern nur eine Riesin", und knüpft daran die
Behauptung, dieser käme auch nur allein der Name Harke eigentlich zu,
da er vom Harkenberge stamme!
Dieser Ansicht versucht er dann eine Stütze zu geben, indem er eine
Etymologie vom Namen Harkenberg aufstellt oder vielmehr gleich „zwei''
für eine beliebige Auswahl, nämlich eine deutsche und eine slavisch-
deutsche.
Vom deutschen Standpunkt aus erklärt er den Namen Harkenberg
„als waldige Anhöhe", für die Annahme aber einer bei dem Namen
influierenden slavischen Bezeichnung, heisst es, bietet sich die Gleichstellung
von Harke mit dem polnischen görka, kleiner Berg, Anhöhe, von selbst [!j
dar. „Der Wechsel von g und h ist nicht auffallend. Aus einem Görken-
berg [also einer slavisch- deutschen Wörtermischung] wurde ein Garken-
berg und Harkenberg, und diese Vermutung wird uns zur Gewissheit [!J
dadurch, dass bei Stollen, dem Harkenberg gegenüber [?] sich ein anderer
Berg befindet, welcher der GoUenberg heisst. Dieser Name hängt aber
zusammen mit dem slavischen Kolno, Höhe, Gipfel."
Wenn dieses ganze etymologische Gebäude schon im höchsten Grade
luftig ist, so verliert es mit allen seinen verschiedenen Hypothesen über-
haupt schon dadurch jede Bedeutung, dass „ein Harken borg" gar
nicht existiert und ein solcher plötzlich nur von Herrn Knoop dazu
a a. 0. S. 93 bei seinen Konjekturen angenommen wird. Das Volk
kennt nur einen „Frau Harkenberg" sowie einen „Frau Harkengrund",
eine ,,Frau Harkengrube" und ein „Frau Harkengras". Herr Knoop müsste
da also erst weiter noch, wenn man ihm folgen sollte, annehmen und be-
1) In der Ilias des Homer erscheinen z. B. noch fast alle Götter riesenhaft.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 13
weisen, dass die Leute, nachdem sie einen deutsehen oder slavisch-
deutschen Namen „Harkenberg" für den Berg geschaffen und von dem-
selben der Riesin den Namen Harke gegeben und sich weiter gewöhnt
hätten, mit der letzteren dann den Zusatz „Frau" zu verbinden, schliesslich
nun auch noch „eine Umtaufung" des Berges, des Grundes, der Grube und
des Grases „mit ebendemselben Zusätze" nachträglich vorgenommen haben.
Aber einstweilen bleibt es wohl noch dabei, dass, was die erwähnten
Punkte anbetrifft, nicht Frau Harke von einem imaginären Harkenberg,
sondern von der Frau Harke, die im Frau-Harkenberge mit den Zwergen
hauste und dort sich in der verschiedensten Weise bemerkbar gemacht
haben sollte, mit der man drohte, wenn zu Zeiten, wo sie angeblich um-
zog, gesponnen würde, sie werde kommen und es strafen, — die also in
der verschiedensten Weise in der Erinnerung der dortigen Bevölkerung ge-
heimnisvoll haftete, — gerade umgekehrt der Frau Harkenberg und die
anderen ähnlichen Namen herzuleiten seien. Wenn ihr Name weiter dann
bei den auch dort, sowie im Havellande sich vielfach findenden Steinblöcken
und daran sich, ähnlich wie anderweitig, knüpfenden Sagen hineingezogen
wurde, so wäre das nicht weiter auffallend, falls nicht hierin noch, wie
manche annehmen^), es an die Zeit der Einführung des Christentums in
dem Lande anklingt, dass gerade Frau Harke mit ihren Steinwürfen über-
haupt den Bau christlicher Kirchen angeblich hier zu stören beabsichtigte.
Zunächst habe ich freilich noch die oben erwähnte Frau Harke,
welche beim Spinnen in den Zwölften oder zu Fastnacht in der Havel-
landschaft auftritt und, wie schon ausgesprochen, noch in weiterem Um-
kreise sich erhalten hat, überhaupt vor der Vernichtung zu retten, mit
der Herr Knoop sie bedroht. Derselbe sagt nämlich a. a. 0, S. 97 : „Kuhn
und Schwartz haben noch eine andere" [nach ihm also eben eine dritte]
„Frau Harke entdeckt, die mit der Camernschen Riesin weiter nichts als
den Namen gemeinsam hat." „Sie erscheint," heisst es "dann weiter,
„unter verschiedenem Namen." Herr Knoop sieht nämlich in den volks-
tümlichen Variationen, die neben dem Namen Harke stellenweise auf-
treten, — ähnlich wie es z.B. auch bei der Frau Holle, Bercht u. s. w.
erscheint, — besonders zu erörternde selbständige Namen, die er einzeln
dann behandelt, so dass das ganze Sagengespinnst sich ihm schliesslich
in Flocken auflöst.
Zuerst bringt er eine Zusammenstellung der Namen, welche aber zu
einem höchst unvollständigen Bilde von der Verbreitung der Frau Harke
Veranlassung giebt und auch an sich ungenau ist. So fehlt z B. der
Name Frau Herken, welche Form zuerst J. Grimm, wie oben erwähnt,
aus Jessen berichtete und in Parallele zu unserer havelländischen Frau
1) z.B. Platner. s. Schwartz, Zur Stammbevölkeruugsfrage der Mark Brandenburg
in den Mark. Forsch, v. J. 1887. S. 120, Anmerk. — s. Kuhn u. Schwartz, Nordd. Sagen.
S. 126, den Bericht des Kantors Görnemann. Auch Lokalberichte fassen es so.
14; Schwartz:
Harke stellte und die wir dann erst später selbst auch anderweitig be-
legen konnten.
Die weitere Untersucliung beginnt Herr Knoop nun mit einer Yer-
<iächtigung dieser [seiner HI.] Frau Harke überhaupt, indem er sagt: „Zu-
nächst sei bemerkt, dass sich 8agen von dieser Frau Harke nicht vorfinden:
das beweist schon, dass ihr niclit recht zu trauen ist [!], sie muss im
Volksbewusstsein „recht geringen Halt" gehabt haben, denn anders wäre
es nicht möglich, dass sie, der ein so weites Gebiet zugewiesen wird, nicht
in Sagen verflochten wäre." — Sagen, die Herr Knoop vermisst, sind ja
aber da an den Stöllenschen wie an den Hellbergen, sie werden ja nur
bei dem Teilungsverfahren des Herrn Knoop isoliert und ihr Zusammen-
hang mit der von Herrn Knoop gesonderten I. und H. Frau Harke, geleugnet,
knüpfen sich aber gerade höchst charakteristisch, wie ich noch nachträglich
hervorheben will, wie bei der Frau Holle, „an Berge", in denen beide
wohnen sollten. Es ist nämlich im Mythos ursprünglich „der Wolkenberg",
iius dem die Sturmeswesen herausfahren und in dem sie wohnen sollten,
sobald sie sich nicht bemerkbar machten, ebenso wie es auch von Wode
gilt. Die Substituierung dann eines Berges, der den Leuten in der Nähe war,
gehört erst der individuellen Lokalisierung der Sage an, ebenso wie beim
Übersetzen der Harke und Berchte die Elbe. Saale u. s. w. die himmlischen
Wasser vertritt.
Doch gehen wir nun auf die Namen ein, die Herr Knoop einzeln
behandelt und in seiner Weise deutet. Er greift nämlich unter den ver-
schiedenen Varianten die Formen Herken, Harre, auch die olle
Hak seh heraus, mit denen er sein Spiel treibt. Herken, welche Form,
wie erwähnt, zuerst J. Grimm beigebracht hat, ist, wie Herr Knoop sagt,
„sehr einfach zu erklären! Sie ist auf „Herr" zurückzuführen. Derjenige,
-der ursprünglich den faulen Spinnerinnen etwas Hässliches in den Wecken
steckt, um sie für ihre Langsamkeit zu verhöhnen oder dem Spotte der
Übrigen auszusetzen, ist „der Herr — Herke oder die Herrin, de
Herrsch"! —
„Und so," heisst es weiter ganz ernsthaft, ^.verdankt der Brauch einem
Scherze [!] seine Entstehung, wie das auch bei vielen anderen Gebräuchen
der Fall ist, die mythologisch gedeutet zu werden pflegen."
Die Frau Harre aber, bei der es noch besser kommt, hatte, wie ich
schon erwähnt, mein alter üniversitätsfreund E.Sommer im Jahre 1844 oder 45
bei Halle aufgefunden neben den auch in der Mark vorkommenden Neben-
formen Frau Harfe und Frau Arche. Jene Form Harre aber, die Sommer
aus Gutenberg anführt, hebt Herr Knoop besonders hervor und sucht sie
in einer Weise zu beseitigen, dass ich schon in Rücksicht auf Sommer
noch besonders darauf eingehen muss und, um keinen Zweifel an der
Oenauigkeit der Darstellung aufkommen zu lassen, am besten Herrn
Xnoop selbst, von Herrn A^eckenstedt unterstützt, hier redend einführe.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 15
Nachdem Herr Knoop also erwähnt, dass Herr Yeckenstedt trotz der
sorgfältigsten Nachforschung in Gutenberg bei Halle eine Frau Harre als
Göttin f!] nicht habe entdecken können, fährt er fort: „Wie mir Herr
Yeckenstedt mitteilt, hat er bei seiner Anwesenheit in Gutenberg [doch erst in
den 80er Jahren?] in Gegenwart des Lehrers Schlegel, eines alten Herrn, der
schon lange [wie lange?] an dem Orte lebt, etwa 15 — 20 Personen aus allen
Klassen des Dorfes nach den von Sommer [vor 50 Jahren!] angeführten Gott-
heiten [!J Frau Wolle, Rolle und Frau Harke ausgeforscht, aber niemand hatte
etwas von solchen gewusst. Und auf Grund weiterer Nachforschungen schreibt
dann noch Herr Lehrer Schlegel, der zugleich auch wieder nach den übrigen
Somraerschen Göttergestalten (Rolle, Wolle. Holle) dort forschte: „Nach
neu angestellten Nachforschungen hat sich die ganze Sache als Mumpitz
ergeben; in Gutenberg weiss kein Mensch etwas von all' diesen Dingen,
und so wird es wohl auch an anderen Orten sein." Die Namen Holle,
sowie die Nebenform Wolle, Rolle hatte, nebenbei bemerkt, Sommer auch
nicht in Gutenberg, sondern in anderen Dörfern westlicher nach Thüringen
zu angegeben und in Gutenberg nur eben Frau Harre, in Ffützenthal
Frau Harren.
Herr Knoop fährt aber unverdrossen fort: „Haben also ganz alte
Leute keine Ahnung jnehr von einer Frau Harre als Göttin [!] oder Hexe,
so sind wir berechtigt oder vielmehr gezwungen [!], eine Frau Harre
als solche zurückzuweisen: wahrscheinlich [!| hat Sommer nur gehört:
„de Fru harre, d. i. hatte [!!], woraus er dann eine Frau Harre (!!) gemacht
hat!"^) — Was heisst das: „gemacht hat I" Das klingt bös. Herr Yecken-
stedt hat es auch so verstanden, wenn er in demselben Bande Seite 343
Anm. von Sommer sagt: er habe „Pseudogestalten" in die Wissenschaft
eingeführt, „die noch heute in den Schriften, z. B. von Weinhold, vor
allem Mogk eine Hauptrolle spielen, trotzdem Weinhold deutsche Mytho-
logie liest, hier in Halle [vor 50 Jahren] gelehrt und gelebt hat. auf jedem
Dorfe, welches Sommer als Fundort seiner Pseudogestalten angiebt, fest-
stellen konnte, was an den Sommerschen Sagen Volksgut, was subjektive
Zuthat. was falsches Verständnis und Unkenntnis der Volkssprache, was
„Fälschung" ist."
Weinhold und Mogk bedürfen wegen dieses Ausfalls gegen sie wohl
keiner Verteidigung, aber dagegen, dass mein verstorbener Freund Sommer
so behandelt wird, muss ich Verwahrung einlegen. Er war wahrhaft inul
zuverlässig, wie nur einer, und hatte auch etwas gelernt, so dass er zu
den schönsten Hoffnungen berechtigte, wie er auch nicht blos den Brüdern
Grimm wert war, sondern auch [wie ich weiss,] Lachmann, weimgleich
1) Wenn diese Fiction dem Herrn Knoop in der ihn damals belicrrschenden Stimmung
wahrscheinlich dünkte, so glaube ich doch, dass er jetzt bei ruhiger Überlegung selber
sie nicht mehr dafür hält und bedauert, es seiner Zeit so haben drucken zu lassen.
\(j Schwartz:
dieser einmal in einem Briefe an Haupt in seiner Weise wegen eines
metrischen Verfahrens über ihn gescholten hat [s. Veck. Ztschr. ebendaselbst].
Nachdem ich: dieser Pflicht genügt, gehe ich zur „ollen Häksch"
am Harz und Elm über, die Herr Knoop neben Frau Harke und Harre
a. a. 0. S. 99 f. ähnlich behandelt. Er leugnet, dass sie, wie Kuhn in Haupts
Zeitschrift seiner Zeit behauptete, mit der Harke zusammenhänge. Das ist
eine Ansicht, über die sich streiten lässt. Herr Knoop knüpft aber an
die ,.olle Haksch" noch folgendes, was ich auch niedriger hängen muss.
Herr Veckenstedt, sagt er, habe ihm mitgeteilt, dass in seinem
Heimatsdorfe Vehlitz (im H. Jerichower Kreise) eine Frau Schulze
gelebt, welche auf einer Handmühle Grütze hergestellt habe und deshalb
die Grützschulzen genannt wurde. Mit der hätten die Eltern den Kindern,
wie mit einem Gespenst, oft gedroht. „So ist," fährt er fort, „in den
Dörfern am Elm, wo man den unartigen Kindern droht „de olle Haksche
kümmt" — die alte Hacksche eine wirkliche Persönlichkeit gewesen [?] und
ihr Name hat dann auch in den Norddeutschen Sagen — [also als Schreck-
gespenst beim Spinneu] — Verwendung gefunden!" —
Wie die Annahme einer „wirklichen" Frau Haksche kühn ist, so ist es
auch der Glaube an die Wanderung des Namens von Dorf zu Dorf. Aber
Herr Knoop hat auch wieder noch eine andere Deutung für ,,die olle
Haksch" auf Lager. „Indessen", fährt er nämlich fort, „ist auch noch
für die Kuhnsche „olle Häksch" eine andere Deutung möglich. Hakschen
ist ein nicht unbekanntes Verbum und „der Hakschkomment" ist ein der
studentischen Sprache geläufiger Ausdruck. Hakschen heisst Zoten,
Zotereien reden und gehört zu Hacksch, welches Schwein bedeutet. In
Giebichenstein fand Herr Veckenstedt, „dass das Wort Hocksch gesprochen
wurde, obgleich die Leute behaupteten, dass sie a sprächen." „Das
mögen", fährt Herr Knoop fort, „die Sagensammler gehört haben, und
daraus konnten sie dann leicht [!], da sie den Vokal hörten und sich
„einer" ausgefallen," — [es soll offenbar heissen ein „r" ausgefallen], —
wähnten, zu der Form Häksch und von da „mit sanfter L^mwandlung"
[was soll das heissen?] „zu Harke gelangen. Dass man die Person oder
das Wesen, welches den Rocken besudelte, Hacksch, d. h. Schwein, nannte,
wussten die Sagensammler offenbar nicht!" —
Es bleibt etwas unbestimmt, was Herr Knoop eigentlich mit dieser
Auseinandersetzung erweisen will? Will er die Angabe einer Frau Harke
in den Zwölften, die er in ihrem weiteren Auftreten verdächtigen möchte,
damit erklären oder kommt es ihm nur darauf an, die „olle Haksch",
d. h. eigentlich eine Bezeichnung für „Schwein", in die Debatte einzuführen
und so darin eine Bestätigung dafür zu schaffen, dass auch die Leute, wo
sie „Haksch" sagten, das Ganze für eine Zote hielten, wie er es fasst?
Das letztere stimmt zu der Art, wenn er, wie wir sehen werden, in der
Uckermark die Frick mit einem unwilligen „Pfui Teufel" der Leute in
Heidnische Überreste in der norddeutsclieu TiefebeDe. 17
Verbindung zu bringen sucht. Das erstere aber stimmt mit dem Schluss
des geschilderten Artikels über die Frau Harke, wo er S. 101 im Anschluss
an seine Expectorationen über die Frau Harre und die olle Häksch noch
einmal auf seine Camersche Riesin an dem angeblichen Harkenberge als
die allein ächte zurückkommt [!] und dann schliesst: „Wo er'' [der
Name Frau Harke] „aber in weiterer Entfernung vorhanden ist, da ist er
entweder , durch die besondere Art der Fragestellung' aus den Gefragten
herausgebracht oder er ist gemacht (!) aus anderen missverstandenen
Mitteilungen. Der ganze Brauch aber charakterisiert sich [in Nord und Süd?]
als etwas grober Spinnstubenwitz."
Mit diesem kühnen Ausspruch schliesst Herr Knoop seinen Artikel über
Frau Harke, welcher Schluss manchen, der nicht vorher alles ein-
gehend gelesen, in die Irre geführt zu haben scheint.
Es thut mir leid, dass derselbe Herr, der in seinen pommerschen und
posener Sagen so besonnen war, über die ich mich seiner Zeit, wenngleich
sie etwas einseitig zu stände gekommen waren, doch freute, durch seine
Beziehungen zu Veckenstedts Zeitschrift sich so hat in den Sumpf ver-
locken lassen. Denn alle seine Expektorationen über Frau Harke,
die ja auch nur persönlichen Angriffen hauptsächlich gegen Kuhn und mich
dienen sollten, werden, ganz abgesehen von alledem, was ich schon dagegen
ausgeführt habe, noch völlig hinfällig durch das eine Faktum, dass sie
an eine falsche Adresse gekommen sind und damit schon jeden Halt ver-
lieren. Kuhn und ich, sowie Grimm und Sommer haben die Frau Harke
nämlich als mythisches Wesen in Parallele zur Frau Holle gar nicht vor
50 Jahren zuerst in die Wissenschaft eingeführt, sondern nur weiter verfolgt.
Es giebt nämlich für dieselbe in dieser Hinsicht schon ein altes, unan-
tastbares Zeugnis aus der ersten Hälfte des XYHI. Jahrhunderts,
auf das Kuhn und nach ihm auch J. Grimm sich schon berief, was Herr
Knoop aber ganz übersehen hat. Auch ich habe mich in meiner
Schrift in den Märkischen Forschungen über die Stammbevölkerung in den
Marken schon darauf bezogen, drucke es aber jetzt vollständig ab.
Dies alte Zeugnis findet sich nämlich in dem schon oben erwähnten
Werke Singularia Magdeburgica (Magdeburg u. Leipzig. A. 1732) von Samuel
Walther, Gymn. Magd. Rect. und Soc. Sc. Berl. Collega, einem seiner Zeit
sehr bekannten Historiker, dessen Vater Prediger in der Gegend gewesen
und der mit allen volkstümlichen Dingen sich sehr wohlbekannt erweist.
Er sagt S. 767:
„Also giebt es z. E. alberne Leute unter dem Pöbel, welche in der
Christnacht Kohl vor das Rindvieh und Pferde stehlen, Ruthen schneiden,
um das Vieh damit zu schlagen, eine gewisse Zahl von Lichtern,
Aschen- und Saltzhaufen setzen, um Leben und Tod daraus zu erfahren,
sie (die Mädchen) schmücken des Nachts ihre Haare und sehen des
Morgens in einem Eymer Wasser, ob sie einen Crantz oder Haube aufm
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 2
18 Meyer:
Kopfe haben; sie glauben, dass Frau Holla oder Frau Holda, welche
in der Mark auch Frau Harke genaunt wird.
— dieses Wort ist ein Diminutivum, Frau Harcke von Hare oder Häre, —
anfange herumzuziehen, daher die Mägde ihre Proben am Spinnwocken
machen, auch denselben absolut vor Neujahr abspinnen, damit Frau Harke
sie nicht bespeie, kratze oder besudele; andere aber bebinden die
Bäume mit nassen Strohseilen, schreiben Creutze, hacken der Holde einen
Keil zu ilirem Wagen ^), backen Brot, dass es künftig gedeie, daure und
vorhalte, sie säen und pflanzen etwas im Garten zu gewisser Hoff-
nung u. s. w. Im übrigen glauben sie auch, wie vor diesen, den Zwölften,
und so lange solche Zeit währet, hüten sie sich vor gewisse Speisen, als
Erbsen, Linsen und andere Hülsenfrüchte observieren in den Zwölften
die Witterung, welche die Frau Holde machen soll und was dergl. mehr."
Zunächst wird dies in betreff der Frau Harke wohl genügen. Ich komme
am Schluss noch einmal besonders auf sie mit neuen Notizen zurück.
(Fortsetzung folgt.)
Eine Gesamtdarstellung des deutschen Volkstums.')
Von Richard M. Meyer.
Scherers Lieblingsplan, man könnte fast sagen sein Lebensplan, war
es, eine Kunde vom Wesen deutscher Eigenart empirisch aufzubauen. Aus
allen Sphären sollten die eigentümlichen Lebensäusserungen des Deutsch-
tums aufgesucht werden — zunächst aus Sprache und Mythologie, weiterhin
aber aus dem ganzen Verlauf der politischen und kulturellen Geschichte.
Spencers „Facts of Sociology" schwebten ihm als Muster vor: wie der
englische Philosoph solche Thatsachen, die für bestimmte Kulturstufen
charakteristisch schienen, ausheben und zusammenstellen Hess, so sollten
bezeichnende Facta die Eigenheiten der deutschen Nation in jedem Zeit-
punkt festlegen.
Was Hans Meyer mit einer Anzahl tüchtiger Mitarbeiter giebt und
geben will, das kann etwa als eine po])uläre Bearbeitung derselben Auf-
1) Diese Notiz wird noch höchst bedeutsam im Auschluss an die oben S.7 erwähnte
Sage von dem augeblich in einem Donnerkrachen gebrochenen Wolken-Donnerwagen, für
den jemand dann einen Keil hacken und den Wagen reparieren müsse, elie er (d. h. das
Gewitter) weiterziehen könne. Das Hacken eines Keils erscheint hier als ein allgemeiner
Gebrauch an dem Tage, an welchem man den Umzug des betr. Wesens feierte, um den
Keil gleichsam bereit zu liaben, und erklärt auch, weshalb man in Übertragung dieser
Form auch dem Festgebäck öfter a;n solchen Tagen eine keilförmige Gestalt gab.
2) Das deutsche Volkstum. Unter Mitarbeit von H. Heimelt, A. Kirchhoff, H.
A. Köstlin, Ad. Lobe, E. Mogk, K. Seil, H. Thode, 0. Weise, J. Wychgram, herausgegeben
von Hans Meyer. Mit 30 Tafeln. Bibliograph. Institut, Leipzig und Wien 1898.
Eino Gesamtdarstellung des deutschen Volkstums. 19
gäbe bezeiclinet werden. Eine Art empirischer „deutscher Ethik*', wie
Scherer sie in dem berühmten Vorwort zur „Geschichte der deutschen
Sprache" forderte, wird auch hier angestrebt. Aber statt einer annähernd
Yollständigen Sammlung der charakteristischen Thatsachen werden für
jedes Gebiet natürlicli nur die ausgewählt, die dem Bearbeiter als typisch
erscheinen; und statt einer rein wissenschaftlichen Ermittelung ist eine
anregend gemeinverständliche Darstellung als Ziel gesteckt.
Nun ist es unvermeidlich, dass bei der Auswahl der typischen Momente
die dunkel oder klar schon vorschwebende Vorstellung von der Eigenart
deutscher Xation bereits mitwirkt. Mögen auch die Verfasser ernstlich
bestrebt sein, ihre Auffassung durch die Thatsachen berichtigen zu lassen
— bis zu einem gewissen Grade wird der Versuch, von einer uns nah am
Herzen liegenden Individualität auf Grund ausgewählter Facta eine neue
Vorstellung zu gewinnen, immer eine petitio princi])ii bleiben müssen.
Neues ist es daher am wenigsten, was das mit sichtlicher Liebe von
allen ]\litarbeitern geschriebene, von der Verlagsbuchhandlung hübsch aus-
gestattete und vor allem auch durch die musterliafte Herstellung, das
weisse feste Papier, den klaren Druck des Bibliographischen Instituts
würdige Veröffentlichung bringt. Es wären vielleicht im deutschen National-
charakter doch noch manche Seiten aufzuhellen, ja ganze Provinzen zu
entdecken, an denen die Verfasser des „Deutschen Volkstums" vorüber-
gehen. Ich hebe einen wichtigen Punkt heraus: die Treue, Alle Be-
arbeiter heben gerade sie als eine charakteristische Tugend der Deutschen
hervor. Dafür galt sie stets. Als Zimmermann vor seinem Buch „vom
Nationalstolz" sich gegen den Vorwurf verteidigte, er habe die Spuren
dieses Gebrechens bei den Deutschen übersehen, schloss er sich dem
Urteil Hallers an, uns fehle der Nationalstolz in krankhaftem Grade. Aber
in derselben Zeit schrieb schon Michael Conrad Curtius in Giessen (1775)
„von der fälschlich gerühmten Treue und Redlichkeit der alten Teutschen",
und warf jener Meinung der beiden Schweizer das Bedenken entgegen,
der Stolz der Deutschen auf ihre Treue und Redlichkeit sei unbegründet.
Er führt allerlei Untreue von Königen und Fürsten an und beginnt mit
Varus: „In einem der ersten teutschen Fürsten, der in der Geschichte er-
scheint, linden wir einen Treulosen." Aber seine Belege vermögen den
Glauben an deutsche Treue nicht umzustossen; auch mir scheint er be-
gründet. Nur sollte man eben bedenken, wie vielerlei Schattierungen solch
vieldeutiger Begriff zulässt. Treu waren die Deutschen wohl allezeit; aber
die stolze, selbstbewusste Treue eines Hagen oder Hildebrand deckt sich
nicht mit der knechtischen Unterwürfigkeit etwa der kleinstaatlichen
Minister des 17 — 18. Jahrhunderts. Ob einer in freier Verfügung sieh in
den Dienst eines Höheren stellt und nun ausharrt, weil er Bürge seiner
eigenen Ehre ist, oder ob er auch in der schlechtesten Sache ausdauert,
weil er gar nicht den Mut hat, zurückzutreten, das ist doch wolil zweierlei.
'_>(> Meyer:
Und ebenso ist es zweierlei, ob der alte Germanenhäuptling- in barbarischer
List die Treue gegen den römischen Verbündeten einer höheren Treue
opfert, wie York bei Tauroggen, oder ob bei dem Ringen des ganzen
deutschen Yolkes um Befreiung vom Joch Napoleons Rheinbundfürsten
den Kaiser treulos in dem Augenblick verlassen, da ihm das Glück untreu
wird. Die ^AYandlungen des Begriffs der Treue wären zu verfolgen: ob
sie mehr als selbstgewollte Ehrenpflicht erscheint, als moralische oder als
juristische Notwendigkeit; ob sie unbedingt gefordert wird oder mit sitt-
lichen Einschränkungen u. s. w. Hier würden sich zeitlich und lokal Ver-
schiedenheiten ergeben müssen, die den etwas allgemeinen Begriff der
„Treue" erst recht mit Blut und Leben erfüllen würden.
Unseren Autoren aber kam es darauf an, das Dauernde, das Allver-
breitete herauszuheben. Deutsche Volksart ist ihnen, „quod semper, quod
ubique, quod ab omnibus" geübt wird, wie die alte Kirche den katholischen
Glauben definiert.
Zu diesem Zweck untersucht Hans Meyer (S. If.) einleitend „das
deutsche Volkstum". Für eine Bestimmung des „deutschen Menschen"
(S. 3 f.) hält er sich vorzugsweise an Henkes Ausführungen über den
„Typus des germanischen Menschen", dessen bestechend einfache Zwei-
teilung in das nordwestliche Gebiet des Langgesichts und das südöstliche
des Breitgesichts eigentlich doch die Einheitlichkeit des germanischen
Typus von vornherein in Frage stellt. — Der Herausgeber untersucht
dann (S. 7 f.) den Begriff des Volkstums selbst, mit sehr hübschen Einzel-
bemerkungen, z. B. (S. 20) über das deutsche Lachen. Ich möchte an
Walthers von der Vogelweide schöne Verse erinnern, die J. Grimm (Kleine
Schriften 1, 1(51) auf K. Lachmann angewandt hat; sind doch auch Luther
und Bismarck grosse Lacher gewesen, denen ein herzliches Gelächter
manchen Druck von der Seele lösen konnte. Wer hat dagegen in Frank-
reich nach Rabelais noch laut gelacht? — Alfr. Kirchhoff behandelt
(S. 39 f.) die deutschen Landschaften und Stämme in ganz ausgezeichnet
individualisierender Charakteristik; dieser Abschnitt ergänzt auch E. IL
Meyers treffliches Buch über Deutsche Volkskunde, dem die Einzel-
beschreibung der Landschaften und Stämme fehlt, in erfreulicher Weise.
Besonders hat es uns erfreut, dass er (S. 108) auch dem Typus des Berliners
gerecht wird; gar zu oft pflegen die Vertreter der Volkskunde den Gross-
städter gewaltsam aus dem „Volk" auszuscheiden. Aber was wäre uns
der „Grieche" ohne den Athener und den Spartaner? der „Franzose" ohne
den Pariser? — Stärkere Einwände fordert H. Heimelt mit seiner geist-
reichen, aber etwas willkürlichen Darstellung der deutschen Geschichte
(S. 121 f.) heraus. Es war freilich das schwierigste Thema. Was wir über
die Gefahr sagten, die jeder solchen Zusammenstellung droht: dass der
Autor doch nur sieht, was er von vornherein erwartete, das macht sich
gerade hier geltend. Ob man das Hambacher Fest so hoch einschätzt,
Eine Gesamtdarstellung des dentschen Volkstums. 21
wie (S. 202) der Verf. oder so gering wie Treitschke, das wird doch immer
wesentlich von der Gesamtauffassung' abhängen. Kef. begrüsst übrigens in
dem kräftig liberalen Ton, der doch selbstverständlich eine begeisterte
Würdigung Bismarcks (S. 208) nicht ausschliesst, erfreut einen Umschwung:
eine Zeit lang sah es aus, als schiene den eifrigsten Lobrednern des
deutschen Volkes jede selbständigere Regung eben dieses Volkes als eine
Störung ihres Idealbildes. — O. Weise hat sich in der Charakteristik der
deutschen Sprache (S. 211f.) schon früher versucht. Er geht öfter zu weit
im Anpreisen; dass das Deutsche in der einfachen und durchsichtigen
Ausdrucksweise das Französische und Englische übertrifft (S. 219), wird
man schwerlich zugeben können, und unsere Neigung zur Wortklauberei
(S. 228) hat eben auch in gewissen Undeutlichkeiten der Sprache eine
Wurzel. — Versteht aber Weise im ganzen doch die Eigenheiten deutscher
Kode klug herauszuheben, so sündigt Eugen Mogk in seiner — an sich
sehr dankenswerten — Übersicht der deutschen Sitten und Bräuclie (S. 261 f.)
und der altdeutschen heidnischen Religion (S. 317 f.) durcli die übertriebene
Neigung, überall specifisch germanische Züge zu finden. Dass die Fort-
pflanzung des Geschlechts der Angelpunkt der Ehe sei (S. 279), das ist
doch nicht bloss „altgermanische Auffassung", sondern die ursprüngliche
Auffassung der Ehe bei allen Völkern der Welt; ich erinnere nur etwa an
die römische Definition: librorum procreandorum causa! Die „Einfachheit"
der alten Germanen (S. 2G6) ist lediglich von der Kulturstufe bedingt und
schliesst eine lebhafte Freude an Schnmck und Glanz nicht aus: man denke
nur etwa an die Rigsthula der Edda! Ebenso wenig bedingt die realistische
Auffassung der Liebe (S. 274) eine Verschiedenheit der Deutschen von
anderen Völkern; und eben deshalb sollte man mit dem Ghiuben an die
taciteische „Keuschheit der germanischen Jugend" (e])enda) etwas vor-
sichtig sein. „Heute sieht es in dieser Beziehung vielfach anders aus",
sagt Mogk; aber liest man die geistlichen Strafreden gegen die bösen
Städte, so könnte man auch heut noch zu der Vorstellung kommen, auf
dem Lande herrsche die grösste Sittsamkeit. Nüchterne Beobachter urteilen
anders — über die Urzeit so gut wie über die Gegenwart. Es giebt
schwerlich ein Gebiet menschlichen Lebens, in dem sich so wenig ändert,
wie in den erotischen Beziehungen des Volkes. — Andererseits möchten
wir wieder der realistischen Erklärung des Johannisfeuers. das (S. 303)
schädliche Stoffe aus der Luft räumen soll, nicht beistimmen. Schön wird
die Schilderung des Weihnachtfestes (S. 296) von warmem Einfühlen in
die Stimmung erfüllt; aber die alten Waldheiligtümer (S. 322) haben mit
unserer modernen Waldfreude und Sentimentalität schwerlich etwas zu
schaffen.
Eine höchst verdienstliche Leistung ist auch K. Seils Versuch, das
deutsche Christentum (S. 335 f.) nach seinen drei Seiten: Katholicismus
(S. 339), Protestantismus (S. 358), konfessionslose Religiosität (S. 377)
22 Meyer:
darzustellen. Wie schon diese Einteilung von einem weitherzigen Streben
nach Objektivität zeugt, so tritt es auch weiterhin hervor. Aber bei aller
Unparteilichkeit gegen die Formen des deutschen Christentums weiss auch
Seil sich von subjektiver Ungerechtigkeit gegen die Religiosität anderer
Nationalitäten nicht immer frei zu halten. Ist die Verbindung von Kaisertum
und Priestertum (S. 399) wirklich ein neuer, deutscher Gedanke? entnahm
ihn Karl der Grosse nicht vielmehr der byzantinischen Praxis? VortrefPlich
wird (S. 356) das Verhältnis der Romantik zum Xeukatholicismus aus-
einandergesetzt, dabei aber der wichtige Einfluss der französischen Theo-
sophen wie de Maistre und de Bonald zu energisch eliminiert. Wenn gar
in der Hinrichtung des Kanzlers Krell (S. 367) nur „der furchtbare Ernst
der Bekenntnisverpflichtung" gesehen wird, so gestehen wir, diesen von
romanischem Fanatismus nicht unterscheiden zu können. — Übrigens ist
der Abschnitt reich an glücklichen Partien; die Bezeichnung der Hamann.
Lavater, Jung Stilling als „geniale Pietisten" (S. 370) sei als ein Beispiel
für geistreiche Erfassung augeführt.
Adolf Lobe bespricht (S. 393 f.) das deutsche Recht. Das lehrreiche
Kapitel ist fast das einzige, das (S. 413) wesentliche Umgestaltungen
innerhalb der Volksseele zugiebt: „Das Gefühl des Dienens und Abhängig-
seins beeinflusste fernerhin vielleicht etwas zu stark die Charakterbildung
des deutschen Volkes, so dass geraume Zeit vergehen musste, bis dieses
seinem ursprünglichen Wesen völlig fremde Element wieder ausgeschieden
^ui-de.« — H. Thodes „Deutsche bildende Kunst" (S. 463 f.) scheint uns
der am wenigsten gelungene Beitrag. Schwerfällige Auseinandersetzungen
rein theoretischer Natur, gesucht geistreiche Betrachtungen, subjektivste
Urteile lassen uns hier zu einem ruhigen Lernen kaum gelangen. Die
„Riemen- und Thürverschlingungs - Ornamentik" (S. 475) soll mit ihrer
„wunderlichen Mischung von Naturnachahmung und Phantastik" bereits
„alle Besonderheiten germanischer bildnerischer Eigenart" aufweisen! aber
mangelt denn etwa der irischen Ornamentik jene Mischung? In den
Passionsdarstellungen der mittelalterlichen Kunst soll dann aber wieder
(S. 506) aller Realismus fehlen und lediglich eine „unbändige Phantastik"
herrschen! Dazu diese Superlative überall! „Welches andere Bildnis der
Welt Hesse sich au Lebensdarstellung dem Hieronymus Holzschuher ver-
gleichen?" (S. 513). Nun, ich denke, recht viele von Holbein, von Velaz-
quez, von den Venetianern! Für Matthias Grunewald herrscht augen-
blicklich, wie für Sandro Botticelli, eine Schwärmerei, die alle Schranken
der historischen Würdigung verachtet; ihr giebt auch Thode (S. 515) Aus-
druck. Schliesslich gipfelt ihm (S. 523) alle deutsche Kunst in Richard
Wagners Werken, „dieser höchsten Verherrlichung des Reinmenschlichen".
Wären sie das, wo bliebe dann das specifisch Germanische in ihnen gerade
nach der Auffassung des Verfassers?
Eine Gesamtdarstellung des deutschen Volkstums. 23
Küstliii handelt (Ö. 525 f.) über deutsche Tonkunst und urteilt (S. 566)
weit nüchterner über R. Wagner. Die deutsche Dichtung endlich führt
(S. 569f.) J. AVychgram vor. Auch dies ist keiner von den gelungensten
Abschnitten; es fehlt nicht an Phrasen, wovon fast alle Bearbeiter sonst
sich erfreulich fern halten. Der romanischen Litteraturentwickelung soll
(S. 573) allenthalben „das rein um seiner selbst willen vorhandene per-
sönliche Moment" fehlen. Bei Corneille freilich: aber wo ist eine indi-
viduellere Gestalt zu finden als z. B. der Apotheker in Flauberts „Madame
Bovary"? Jugenderinnerungen wie die deutscher Selbstbiographien sollen
nur etwa bei Renan zu finden sein (S. 581); und Pierre Loti? Leopold
Schäfer und Friedrich v. Sallet hätten (S. 582) in keinem anderen Volke
ihres Gleichen ; aber die „weltweise Betrachtung", in der „der Mensch dem
Menschen als das Interessanteste erscheint", hat ja doch gerade bei unseren
Nachbarn jenseits des Rheins von Montaigne bis Michelet ihre Klassiker!
Über den deutschen Humor liesse sich viel sagen; seine Eigenart hat er
sicher. Aber durch Thränen zu lachen (S. 589) verstehen auch die Lehrer
der deutscheu Humoristen, Lawrence Sterne, Oliver Goldsmith. Überall
spielen hier eine Übereilung, die der deutschen Litteratur zu viel „Einzig-
keiten" sichern will, und ungenaue Kenntnis der Weltlitteratur sich in die
Hände. Dagegen weiss Wychgram etwa das deutsche Trinklied (S. 627)
oder die Darstellungen von Land und Leuten (S. 657) ganz hübsch zu
charakterisieren. Die Klassiker werden (S. 642 f.) allzu schematisch ver-
glichen, Goethe (S. 641) mit einer Strophe eingeführt, die ihm schwerlich
gehört. Dagegen ist der Bilderschmuck — nirgends in aufdringlicher
Massenhaftigkeit — gerade hier mit feinem Geschmack ausgewählt.
Zusammenfassend dürfen wir sagen: die Darstellungen des Werkes
sind um so gelungener, je breiter sie in eigentlich volkstümliche Gebiete
eintauchen. Je mehr sie es mit Bezirken zu thun haben, in denen
schliesslich doch die grosse Individualität massgebend bleibt — Geschichte,
bildende Kunst, Dichtung — um so mehr geben sie Gelegenheit zu Be-
anstandungen. Aber gerade in jenen Charakteristiken von Volkstum,
Landschaft, Sprache, Recht liegt ja auch die Hauptbedeutung des Buches.
Deutsche Eigenart in reichlicher und naiver Abspiegelung ist ja doch hier
gerade am besten zu finden. Die Kunst, die Religion, die Geschichte sind
ja auch von den Zeitverhältnissen, von der Kulturstufe der Nachbarvölker,
von allem, was über die Grenzen auch der grössten Volksindividualität
herausgeht, so stark mitbedingt, dass es kaum möglich scheint, die nationale
Eigenart hier rein herauszuschälen.
Als Ganzes können wir das Werk nur freudig begrüssen. Ein gleiches
Zeugnis, wie liebevoll auf allen Gebieten die nationale Art aufgesucht und
gedeutet wird, hat kein anderes Volk aufzuweisen. Einer neuen Auflage
wünsche ich noch eine kurze Übersicht der Wandelungen in den Vor-
stellungen der Deutschen von ihrer eigenen Art: wie denn überliaupt Bücher
24 Lehmann-Filhes:
wie E. M. Arndts „Geist der Zeit", Fichtes „Grundzüge des gegenwärtigen
Zeitalters" (180(5), H. Steffens „Gegenwärtige Zeit, mit besonderer Kück-
sicht auf Deutschland'^ (1817), Zschokkes „Geist des deutschen Yolks"
(Aarau 1820), weiterhin Bogumil Goltz „Die Deutschen" (1860) und andere
sich nicht ohne Xutzen hätten verwenden lassen. Indes kommt so, in der
Selbständigkeit der Einzelarbeit, auch wieder deutsche Eigenart zum Vor-
schein; und das ganze Werk ist kein schlechtes Denkmal guter deutscher
Gelehrteneigenschaften. Möge denn das Publikum seine schlechte Ge-
wohnheit, gute Bücher nicht zu kaufen, hier bezwingen und dafür sorgen,
dass das „Deutsche Volkstum" in Deutschland volkstümlich werde!
Über Brettchenweberei.
Von Margarete Lehmann-Filhes.
(Mit Tafel I.)
Die Kunst, mit Hilfe kleiner quadratischer Täfelchen oder Brettchen
Bänder zu weben, ist uralt. Sie wird in der poetischen Edda im zweiten
Gudrunliede erwähnt: „Hunische Maide, die mit Brettchen weben". Jetzt
ist in Island der „spjaldvefnadur" (die „Brettchenweberei": daher das
Adjektivum „spjaldofinn" = mit Brettcheu gewebt) im Aussterben begriffen:
ein Pfarrer im südlichen Island, sera porkell Bjarnason zu Reynivellir
in der Kjösarsysla, fand in seinem Kirchspiel nur noch eine alte Frau,
von der er ein Band herstellen lassen konnte, um es mir mit den dazu
gehörigen 40 hölzernen „spjöld" (plur. von ^spjald" = Täfelchen, Brettchen)
Fig. 1. ftwa '/j natürl. Grösse.
Isläudisches Band. Wtherei mit einfachem Fach
zu übersenden (Fig. 1). Sei-a porkell Bjarnason ist es in erster Reihe
zu danken, dass diese merkwürdige AVebetechnik uns endlich bekannt,
geworden ist, denn in einer wertvollen Abhandlung „Vor 40 Jahren" („Fyrir
40 ärum")') erzählt er von den vielen schönen Bändern, die noch in seiner
1) Diese Abhandlung legte ich meinem Aufsatz „Kulturgeschichtliches aus Island"
(1396, S. 235 f. 373 f. 438 dieser Zeitschrift) zu Grunde.
über Brettcheuweberei. 25
Jugendzeit mit „spjöld" gewebt wurden, als da waren: Strumpfbänder
(sokkabönd), Achselbänder (axlabönd), Aufschürzbänder (styttubönd) und
Kissenbänder (sessubönd): mit letzteren wurde auf dem alten isländischen
Frauensattel das Sitzkissen festgebunden. Viele dieser Bänder, besonders
die Kissen- und die Aufschürzbänder waren mit eingewebten Inschriften,
z. B. Glückwunschversen, die von den Dichtern zu diesem Zwecke verfasst
wurden, geschmückt und hiessen dann „Schriftbänder" („leturbönd"); andere
trugen nur hübsche Muster. Das Weben aller dieser Bänder war ein
Sonntagsvergnügen der Frauen und Mädchen, und in der That ist die Arb&it
ungemein anziehend. Dabei ist das Verfahren sehr einfach; es wird ge-
schildert in Jon Thoroddsens im vorigen Jahrhundert spielendem Roman
„Madur og kona" („Mann und Frau"). Dort sitzt die Hausfrau auf einer
Truhe und webt mit Brettchen. Sie stützt den rechten Fuss, den sie vom
Schuh befreit hat, auf einen kleineren Kasten, der vor ihr steht, und hat
um ihn die Kette des Gewebes geschlungen. Das andere Ende der Kette
— das, an welchem sie webt — hält sie in der einen Hand und spannt so
die Kette straff; mit der anderen Hand dreht sie die Brettchen, führt den
Schussfaden durch das Fach („skil", von skilja = trennen) hindurch und
drückt ihn mit einem Finger fest. — Nach sera porkell Bjarnasons und
des Altertumsforschers Brynjülfur Jonsson brieflicher Mitteilung bewerk-
stelligt man das Straffspannen der Kette dadurch, dass man deren eines
Ende an einen in der Wand befindlichen Haken, einen Pfahl oder dergl.
hängt und das andere an einem Gürtelbande befestigt, das man sich um
den Leib bindet; als Weberschiffchen dient ein länglicher Garnwickel.
Viele der Muster und besonders die Schrift erfordern natürlich grosse
Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Von den auf Taf. I abgebildeten drei oberen
Bandproben, die Dr. Valtyr Gudmundsson mir mit vieler Mühe aus Island
verschafft hat, sind h, c besonders künstlich gewebt, nämlich vollkommen
doppelt, mit einem oberen und einem unteren Fach (Fig. 2). Man w^endet
diese Methode an beim Einweben von Buchstabeu und von „glit" (eingewebte
Fig. 2.
^^
Isländerin, mit doppeltem Fach (a, b) webend; die Brettchen der Deutlichkeit wegen in
vergrössertem Massstabe, c das fertig gewebte Band, d der später zur Verwendung
kommende Teil der Kette, an den zur Befestigung eine Schnur gebunden ist.
Unter Benutzung einer nach der Natur aufgenommenen Skizze von Brynjülfur Jönsson.
26 Lelimann-Filhes:
Figuren), d;iher das Adjektivum „glitofinn" = mit Figuren durchwebt. Bei
genauer Untersuchung eines solchen Bandes und namentlich, wenn man
es nachwebt, staunt man über die schöne und sinnreiche Arbeit, die mit
den denkbar einfachsten Hilfsmitteln so Vollendetes zu schaffen vermag.
Nach und nach hat sich nun herausgestellt, dass die Brettchenweberei
durchaus nicht auf Island beschränkt ist. Das „Dansk Folkemuseum" in
Kopenhagen besitzt eine aus Jütland stammende, ganz identische Webe-
vorriclitung, dort „Brikning" genannt; die Täfelchen heissen „Brikker"
(plur. von „Brik"). Die Dame, welche sie dem Museum geschenkt hat,
Frau Jägermeister Hvass in Randrup, erzählte mir auf meine Erkundigungen
brieflich von der in Jütland und besonders auf ihrem grossen Gute noch
in Blüte stehenden Hausindustrie und sandte mir eine Brikning- Vorrichtung,
12 hölzerne Täfelchen mit einem angefangenen Baude, zu welchem sie
die Wolle selbst gesponnen und gefärbt hat^). Man fertigt in Jütland
Strumpfbänder, Tragebänder, Pferdeleinen u. s. w.: auch erfuhr ich durch
Frau Jägermeister Hvass, dass auch in Schweden die Technik noch geübt
wird und dass z. B. in Smäland die flirten beim Viehhüten weben, indem
sie das eine Ende der Weberei an einen Baum, das andere sich um den
Leib binden. Auf eine Anfrage beim Nordischen Museum in Stockholm
teilte Herr Amanuensis und Bibliothekar Vistrand mir folgendes mit. In
Schweden wird nocli in vielen Gegenden mit Brettchen gewebt, so in Skäne,
Halland, Helsingland; das Nordische Museum besitzt aus allen diesen
Gegenden und sogar aus Norwegen „brikkor" von sehr verschiedener
Grösse und Form, wie auch ganze Webevorrichtungen. Eine solche wird
im Volke „brikkeväf", „brikkväfstol", „bandstol" genannt, obgleich keine
anderen Geräte dazu gehören als die Brettchen, die immer von Holz sind
und nicht nur „brikkor", sondern auch „kort", „slänn" heissen, dazu eine
Nadel („näl") für den Schussfaden und ein „Bandmesser" („bandknif") zum
Festschlagen desselben (Fig. 3). Das Nordische Museum beherbergt ausserdem
ein ziemlich kleines knöchernes Täf eichen, das seiner ganzen Beschaffenheit
nach sehr wohl zum Weben von Bändern gedient haben kann. Es wurde
auf der Insel Björkö im Mälarsee zusammen mit anderen Gegenständen,
die aus dem 8. — 10. Jahrhundert stammen, ausgegraben, darunter befinden
sich auch ein paar gabel- oder kammähnliche Geräte, die man gleichfalls
mit der Bandweberei in Verbindung bringt^).
Herr Vistrand hatte die Güte, mich darauf aufmerksam zu machen,
dass die betreffende Webetecimik auch in Finnland bekannt sei. Eine
briefliche Anfrage beim ethnographischen Museum in Helsingfors hatte
1) Auch iu Island wird die Wolle mit der Hand gesijoniien und vielerorten noch
mit einlicimischen Pflanzen gefärbt.
2) Hjalmar Stolpe: Sur les decouvertes faites dans File de Björkö. Congres inter-
national d'Anthropologie et d'Archöologie prehistoriques, Compte rendu de la 7me session,
Stockholm 1874. Tome IT, pag. 619—640.
über Brettcheuweberei.
27
Fig. 3. '2 natürl. Grösse.
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O o o
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>v^
a, /;, f, f/, e hölzerne "VVebebrettcheu (brikkor) aus Schweden und Norwegen,
im Nordischen Museum in Stockholm befindlich. /" Nadel (näl) mit Schussfaden.
Nach Zeichnungen des Herrn P. G, Vistrand.
denn ancli den Erfolg, dass der Intendant desselben, Herr Theodor Öchviudt.
mir in dieser Beziehung ausführliche Mitteilungen machte. Nach Band-
resten, welche dieser Herr in Gräbern aus dem 13. Jahrhundert gefunden
hat, ist in Finnland mehrere Jahrhunderte lang mit Brettchen gewebt
worden. Gegenwärtig ist diese Kunst im Begriff, vergessen zu werden,
nur in ein paar Kirchspielen am westlichen Ufer des Ladoga wird sie
noch geübt. Beim Weben wird ein knieförmig gebogenes Holz („teke-
mishankö" oder „kekka") angewendet, auf dessen breiterem und flacherem
Teile die Weberin sitzt und an dessen anderem, ästigem Ende die Kette
befestigt ist. Hier haben wir wohl die Erklärung für die in Schweden
gebräuchliche Bezeichnung „bandstol"; wahrscheinlich ist in alten Zeiten
auch dort dieser hölzerne Sitz in Gebrauch gewesen. Die Brettchen, meist
zwischen 5 und 7 cm gross, quadratisch und mit einem Loch in jeder der
2^ Lehmann-Fillies:
gewöhnlich abgerundeten Ecken, sind stets von Holz und heissen „vyölaudat"
(,,vyö" = der Gürtel, „laudat", plur. von „lauta" = Brettchen), auch „viili-
vyolaudat" (von ^viilettää" = aufschlitzen) oder „hiiretyislaudat". Das
Band heisst „vyö", ^viilivyo", „hiiretyisvyö". Hierzu kommt noch ein dem
schwedischen „handknif" entsprechendes Gerät, „vyövittiin" („vittiin" = ein
Werkzeug, mit dem man schabt), ein Webeschaft „niidet" — wahrscheinlich
um das Fach zu öffnen — und ein kleiner Bandhaspel „vyökela", auf den
das fertig gewebte Band aufgewickelt wird und den die Weberin sich in
den Gürtel steckt^).
Bedenkt man, in wie lebhaftem Verkehr die skandinavischen Länder
stets untereinander und auch mit Finnland gestanden haben, so erscheint
es nicht sehr erstaunlich, dass ihnen allen diese Webetechuik gemeinsam
ist. Auch dass in der Gegend von Naugard, wie Herrn Sanitätsrat Bartels
eine Dame erzählte, schmale Bänder mit Hilfe zwölf sehr kleiner quadra-
tischer Pappscheiben gewebt werden ''^), lässt sich aus dem früheren Zu-
sammenhange Pommerns mit Schweden leicht erklären. Weit merkwürdiger
ist die Entdeckung, die Herr Sanitätsrat Bartels auf einer Keise im Sommer
1897 machte. Bereits in Moskau fiel ihm in der kaukasischen Abteilung
des Kumjanzow-Museums ein Päckchen quadratisch zugeschnittener Spiel-
karten-Blätter auf, nach Art der isländischen „spjöld" an den vier Ecken
mit Löchern versehen, durch welche Fäden gezogen waren, die an einem
schnallenartigen Gegenstande befestigt waren. Herr Sanitätsrat Bartels
erkannte sofort eine Webevorrichtung darin und er sah in der That bald
darauf in Kutais, der Hauptstadt von Imeretien, in einem Waffenladen
einen Mann sitzen und mit solchen Kartenblättchen einen der schönen
kaukasischen Gürtel weben, wie sie aus Gold- oder Silberfäden mit ein-
gewebten schwarzen Ornamenten hergestellt werden (Fig. 4). Ein etwa 2 m
langes Brett war mit dem einen Ende auf einen Schemel gelegt; auf diesem
Ende sass der Mann und hielt so das Brett in der Schwebe. An jedem Ende
trug das Brett einen aufrechtstehenden Pflock, zwischen diesen zwei Pflöcken
waren die Kettfäden in der Weise ausgespannt, dass eine Schnur, die beide
Enden der letzteren miteinander verband, um die Pflöcke und auch um das
linke Knie des Webers herumgelegt war, so dass dieser durch einen Druck
des Knies die Spannung der Kette nach Belieben regeln konnte. Der
Schussfaden war auf ein cylindrisches Hölzchen aufgewickelt, zum Fest-
schlagen des Gewebes diente ein hölzernes Instrument, das einem gestielten,
doch ungezähnten Scheitelkamm glich. Noch ein anderes Gerät war dabei
in Anwendung, nämlich ein hölzerner Kamm, zwischen dessen nach oben
stehenden Zähnen die Kettfäden hindurch gingen, bevor sie durch die
1) Die genauere Erklärung einzelner finnischer Wörter danke ich Herrn stud. med.
Onni Matikainen in Helsingfors.
2) Verhandl. der Berliner anthropolog. Gesellschaft. Sitzung vom 15. Januar 1898.
über Brettchenweberei.
Fis:. 4.
29
Imeretiner, mit Si)ielkarten-Bliitteni einen silberneu Gürtel webend.
Von Hrn. San.-Eat Bartels nach der Natur gezeichnet. Verh. d. Berl. anthr. Ges. 1898, S. 3(i.
Löcher der Kartenblättclien liefen^). — Ein weiter Weg ist von Island
bis zum Kaukasus und überraschend ist es, hier wie dort genau die-
selbe eigentümliche Webetechnik zu finden. Gemahnt dies nicht an
die hunischen Maide des zweiten Gudrunliedes? Der Gudrun — es ist
die Kriemhild des deutschen Nibelungenliedes — rühmt man, um sie zur
Heirat mit dem Hunenherrscher — hier Atli, im Nibelungenliede Etzel
genannt, dem der historische Attila zu Grunde liegt — zu bestimmen:
„Hunische Maide, die mit Brettchen weben und Gold schön (oder schönes
Gold) machen, so dass es dir eine Lust däuclit^)."
Die Identität der „Hiunen" des Nibelungenliedes mit den aus dem
Kaukasus nach Deutschland vordringenden Hunnen gilt als nicht für er-
wiesen; hier nun zeigt sich ein gemeinsamer und durchaus nicht alltäglicher
Zug bei den jetzigen Kaukasus-Bewohnern und den im zweiten Gudrun-
liede erwähnten Hünen; und da die altnordischen Lieder aus der Nibelungen-
sage diesen Stoff aus deutschen Quellen geschöpft haben, so ist wohl an-
zunehmen, dass in verschollenen deutschen Liedern, welche die Nibelungen
sage in ihrer ältesten Form enthielten, auch der mit Brettchen webenden
hunischen Maide gedacht war. Dass diese wahrscheinlich nur flüchtige
1) Verhandl. d. Berliner anthropolog. Gesellschaft, Sitzung vom 15. Januar 1898.
2) Gudrünarkvida II, 26: „Hünskar meyjar pser er hlada spjöldum ok göra gull
fagrt, sva at per gaman picki." „Hlada spjöldum" = ursprünglich: „die Brettchen (zum
Weben) zusammenstellen, ordnen"; daher später in der Bedeutung: „mit Brettchen weben''
gebraucht. „Göra gull fagrt" soll in diesem Zusammenhange (auch nach Dr. Valtyr Gud-
mundsson) höchst wahrscheinlich heissen: „das Gold (die Goldfäden) zu etwas Schönem
verarbeiten", „schöne Dinge aus Gold (Goldfäden) verfertigen", was man wohl nicht mit
Unrecht auf goldene Gürtel und Bänder bezieht.
30
Lehinann-Filhes:
Kunde in dem bewegten Deutschland wieder in Vergessenheit geriet —
das Nibelungenlied enthält keine Andeutung davon — ist nicht zu ver-
wundern, aber auch das nicht, dass die Kunst: „at hlada spjöldura" in
Island im Liede fortlebte; denn hier kam der Umstand zu Hilfe, dass die
Technik selbst inzwischen von Osten her eingewandert war; während
nämlich die Edda ausser in der oben angeführten Stelle des zweiten Gudrun-
liedes keinen einzigen Ausdruck enthält, der sich mit Sicherheit auf die
Brettchenweberei beziehen liesse, begegnen wir solchen Ausdrücken mehr-
fach in den altisländischen Sagas ^).
Veranlasst durch die interessante Beobachtung des Herrn Sanitätsrat
Bartels hat Herr Dr. Carl Lehmann sich in Tiflis bemüht, das Weben mit
Kartenblättchen auch hier aufzufinden. Seiner anerkennenswerten Beharr-
lichkeit gelang es, drei Frauen bei dieser Arbeit zu sehen, deren Apparat
Fig. 5. '^/s nat. Gr.
Fi£
-/s nat. Gr.
Kamm von Buchsbaumholz,
aus Tiflis.
Spielkarten-Blatt, zum Weben benutzt,
aus Tiflis, die eingehrannten Löcher
durch den Gehrauch stark ausgewetzt.
genau dem von Herrn Sanitätsrat Bartels geschilderten und abgebildeten
glich. Herr Dr. Lehmann übersandte mir einige Beweisstücke: eine grosse
Anzahl Bandproben, von denen einige hier abgebildet sind (Tafel I, e^f,g)
zum Weben benutzte Kartenblätter und einen Kamm von Buchsbaumholz
(Fig. 5 u. 6); im übrigen kann hier nur auf seinen demnächst erscheinenden
Bericht^) verwiesen werden.
Li allen bisher genannten Gegenden ist die Technik bei aller Ver-
schiedenheit des Materials genau die nämliche. Im Kaukasus verwendet
man goldene, silberne und bunte baumwollene und seidene Fäden; in
1) Aus dem Verhum hlada ist das Substantivum hlad gebildet worden, das ein gold-
gewirktes Band, besonders ein Kopf band bezeichnet und in den Sagas oft erwähnt wird:
..gullhlad", „silkihlad": ferner stammen daher einige Beinamen vornehmer Frauen, z. B.
der pora Hroaldsdottir hiadhönd in der Egils saga Skallagrimssonar (Cap. 32), deren Hand
damit als geschickt im "Weben mit Brettchen gerühmt wird. Dr. Valtyr Gudmundsson
nennt ferner: ,.spjalda(g)na", „hladnipf, „hladgrund", ..hladnorn", „hladgudr" — lauter
weibliche Beinamen; das Weben war im Norden das Amt der Frauen.
2) Verhandl. d. Berl. anthropol. Gesellschaft. Sitzung vom Kl. Juli 1S98.
über Brettchenweberei. 31
Finnland, Schweden, Norwegen und Island jetzt nur die einheimische
Wolle; ungeheuer vereinfacht zeigt sich auch die Vorrichtung zum Weben,
je weiter wir nach Nordwesten gehen, doch scheinen gewisse Übergänge
den Weg anzudeuten, den die Brettchenweberei in grauer Yorzeit durch-
wandert hat: das lange Brett, auf dem der (oder die) Webende sitzt, finden
wir in etwas roherer Form in Finnland, statt seiner nur noch die Benennung
„Bandstuhl" in Schweden wieder, in Island endlich scheint nichts mehr an
die ursprüngliche Einrichtung zu erinnern. — Höchst interessant und
wichtig- ist die eigentümliche Struktur, welche der Mehrzahl aller mit
Brettchen (oder Kartenblättern, was auf eins herauskommt)*) gewebten
Bänder anhaftet. Von den hier abgebildeten Bändern könnte nur eines
der aus Island stammenden (Tafel I, a) ebenfalls auf andere Weise, z. B.
mit dem auch in Deutschland sehr verbreiteten Webekamm, gewebt
werden, von allen übrigen kann der in das Verfahren Eingeweihte mit
voller Bestimmtheit behaupten, dass sie nur durch Brettchenweberei her-
gestellt sein können. Herrn Geheimrat Prof. Jacobsthal war schon lange,
bevor er Kenntnis von der Brettchenweberei erhielt, diese ihm damals
rätselhaft erscheinende Textur an kaukasischen Bändern aufgefallen, und
er erfand für alle Bänder, die solche Textur zeigen, den vortrefflich
passenden Namen „Schnurband" ^): infolge fortgesetzter einseitiger Drehung
<ler Brettchen beim Weben erscheinen nämlich die zu je einem Brettchen
gehörigen Fäden — es seien nun 2, 3 oder 4 — im fertig gewebten Bande
als gedrehte Schnur^). Dieses ganz charakteristische Merkmal ermöglicht
('S, an Bändern, denen es eigen und deren Herkunft bekannt ist, z. B. in
ALuseen ausgelegten, sofort zu erkennen, dass in dieser oder jener Gegend
die Brettchenweberei betrieben wird, und dieses Erkennungszeichen führt
uus immer weiter nach Osten. Im Museum für Völkerkunde in Berlin
finden sich feine wollene Bänder, angeblich aus Bhutan (am Himalaya),
die ihrer Struktur nach mit Brettchen gewebt sein müssen, wenngleich im
1) Ich habe für diese Webetechnik in ihrer Gesamtheit den Namen „Brettchenweberei"
^»eibehalten, gleichviel aus welchem Material die Täfelchen verfertigt sind.
2) Herr Prof. Jacobsthal hielt seinen Vortrag über Schnurbäuder in der Berl. antlirop.
Gesellschaft am Ki. Juli 1898.
3) Die eigentümliche Textur des „Schnurbandes" beeinllusst in den meisten Fällen
auch dessen Muster. Die schnurartige Drehung der durch je ein Brettcheu gezogenen
Kettfäden, die durch den Schussfaden fortlaufend fixiert wird, entsteht natürlich auch in
dem vom Webenden aus jenseits der Brettchen befindlichen Teile der Kettfäden und
1)ereitet im weiteren Verlaufe des Webens dem Drehen und Schieben der Brettchen endlich
ernste Hindernisse. Es bereitet unendliche Mühe, diese lästige Zusammendrehung durch
Auflösung der Kette zu beseitigen, wenngleicli es hier und da zu geschehen scheint; man
greift daher zu dem einfachen Hilfsmittel, die Brettchen von Zeit zu Zeit in entgegen-
gesetzter Richtung zu drehen, was man den im „Schuurbandc" enthaltenen „Schnüren"
deutlich ansehen kann. Da nun bei einem reinen „Schnurbande'" der Keim zu dem etwa
beabsiclitigten Muster schon in der Anlage der Kette enthalten ist und sich bei einseitiger
Drehung der Brettclien ganz von selbst ergiebt, erfährt natürlich auch die Richtung der
;3-_> Lehmanu-Filhes: Über Brettclienweberei.
Museum nichts darüber bekannt ist. Herr Professor Grünwedel, der sich
sehr bereitwillig der Sache annahm, hat bisher nur von einem Missionar
in Leh (Ladäk) die Auskunft erlangt, dass dieselben Bänder auch dort
getragen werden und zwar von den regulären anglo-indischen Truppen,
denen sie zum Umwickeln und Zusammenhalten des Beinkleides dienen,
dass sie aber nicht daselbst, sondern im inneren Indien gewebt werden.
(Vielleicht kann eine Stelle in dem Werke „Quer durch Indien" von
F. Reuleaux, auf die Herr Prof. Jacobsthal mich neuerdings aufmerksam
machte, zur Aufklärung beitragen; Herr Reuleaux sah in Benares einen
Weber, der auf einem kleinen tragbaren Webstuhl schmale seidene Bänder
mit Hilfe quadratischer Pergamentblättchen herstellte, und schildert dessen
Verfahren dabei in wenigen Worten so, dass man es für identisch mit der
Brettchenweberei halten muss.) Das Museum für A^ölkerkunde beherbergt
auch seidene Bänder aus Turkestan, die mit Brettchen gewebt sein müssen,
und Herrn Prof. Jacobsthal sind weitere Entdeckungen zu danken: er fand
im Postmuseum in Berlin unglaublich feine seidene Schnurbänder aus Siam,
die um heilige Schriften gewickelt sind, und ein als Pferdezaum dienendes
baumwollenes Schnurband aus Peking, wie auch neuerdings in der Muster-
sammlung chinesischer Gebrauchsgegenstände, die während des Monats
Dezember 1898 in Berlin ausgestellt war, eine grössere Anzahl von Bändern
aus China, die wahrscheinlich alle mit Brettchen gewebt sind; ausserdem
im Grassi-Museum in Leipzig seidene Schnurbänder aus Japan und aus
Birma und sogar zwei einschlägige Webstühle von dort. In einigen der
Abbildungen von Stoffresten aus den schweizerischen Pfahlbauten^) erkannte
Herr Prof. Jacobsthal Schnurgewebe und mit vollem Recht, vorausgesetzt,
dass die Zeichnungen korrekt sind; beirren muss dabei nur die Angabe,
Herr Paur in Zürich habe alle jene Stoffe mittels des von ihm eigens
dazu konstruierten Webstuhles nachgeahmt; wenn diese Behauptung sich
in ihrem vollen Umfange bestätigte, so wären einige der Zeichnungen
unaenau, und der Beweis für die Kenntnis der Brettchenweberei bei den
Linien des Musters eine" Änderung, sobald die ßrottclien rückwärts gedreht werden, z. B.
Tafel I, /. Zuweilen wird aus der Not eine Tugend gemacht, indem man den notwendigen
Wechsel der Drehung regelmässig vornimmt und zu einem hübschen Muster benutzt,
wie bei einem Bande aus Bhutan (Fig. 7) (wovon später).
Fig. 7.
1) Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. XIV. IV. Bericht von
Dr. Keller. ^
Aiiialfi: Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Saleiuitaners Masuccio. 33
Pfahlbauern der Schweiz wäre noch nicht erbracht. Möglicherweise aber
wird man bakl — wenigstens hinsichtlich der alten Welt — fragen können:
„Wo wird oder wurde nicht mit Brettchen gewebt? Und ist diese ebenso
o-eniale als einfache Webetechnik nicht vielleicht die älteste der Welt?" ^)
Quellen und Parallelen zum „Novellino"
des Salernitaners Masuccio.
Von Dr. Gaetano Ainalfl.
Bekanntermassen hat der Verfasser des „Novellino" seinen Stoff nicht
selbst erfunden, vielmehr zumeist recht alte Motive benutzt, an denen sich
Generationen auf Generationen ergötzt hatten. Aber das genetische Element
tritt uns bei ihm in so genauer Zeichnung entgegen, zeigt sicli hier in
einer so bestimmten lokalen Färbung, dass die Geschichten nicht mehr
<len Eindruck fremder, sondern einheimischer Erzeugnisse machen.
So lassen sich denn diese Novellen unter einem doppelten Gesichts-
punkte studieren, einmal als Sittengeschichte für das Jahrhundert, in dem
sie erzählt worden sind, und somit als Quelle reicher Aufklärung über
dasselbe, ferner aber als Zeugnis für das Fortleben alter Erzählungen.
Über den ersteren Punkt mögen die Litterarhistoriker zwar bereits
mit Untersuchungen hervorgetreten sein, noch nicht oder so gut wie nicht
haben sie sich jedoch mit den Quellen und Varianten befässt.
Masuccio hat trotz der jüngsten Ausgabe seiner Novellen durch Settem-
brini''), der seinen wahren Kuf zu begründen suchte, bisher noch keine
glückliche Behandlung gefunden. Alles, mit der Darstellung seines Lebens
und der Schöpfung eines endgültigen Textes angefangen (denn der von
Settembrini gebotene verdient diese Bezeichnung nicht), bleibt an ihm
noch zu leisten. Fragen wir uns nur einmal, ob die Methode, der er bei
seiner Ausgabe gefolgt ist, einer ernsthaften Erörterung wert sei!
1) Es wäre leicht denkbar, dass durch gönaues Studium alter Litteraturen noch mehr
Licht in die Sache zu bringen wäre. Ebenso gut wie Simrock im zweiten Gudrunliede
anstatt „mit Brettchen weben" übersetzt: „Teppiche weben", könnten sich in anderen alten
Schi-ifteu, z. B iu der Bibel, ähnliche ungenau übertragene Stellen befinden, da kein
Übersetzer, auch nicht der scharfsinnigste und gewissenhafteste, eine solche Stelle richtig
verstehen und wiedergeben kann, ohne die Sache zu kennen. Auf Weberei bezügliche,
doch bisher unklar erscheinende alte Schriftstellen raüssten eigentlich daraufhin geprüft
werden, ob sie nicht auf Brettclieuweberei zu beziehen sind.
2) II Novellino di Masuccio Salernitano restituito alla sua antica lezione da
Luigi Settembrini. Napoli, presso Antonio Morano, 1874.
Q
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. '^
^4 Amalli:
In der Vorrode belehrt er uns darüber, dass er seineu Neudruck nach
der Yenetiauer Ausgabe vom Jahre 1492, d. i. der vierten Ausgabe der
Novellen, besorgt habe, viele Stellen in dieser habe er aber nach der
Mailänder Ausgabe vom Jahre 1483 gebessert; gleichwohl seien verschiedene,
wie er sagt, dunkel geblieben infolge von Irrtümern, die sich schon in
die erste Ausgabe eingeschlichen hätten und nicht mehr ausgemerzt werden
könnten.
Der erste Druck vom Jahre 1476, den Francesco del Tuppo in
Neapel in der Druckerei des Sixtus Reisinger hatte herstellen lassen')
und der nur in einem einzigen, früher dem Fürsten von Fondi, jetzt der
Pariser National-Bibliothek gehörigen p]xemplar erhalten sein soll, blieb
ihm unzugänglich, und so auch der Venezianer Druck vom Jahre 1484.
Um von späteren Ausgaben nicht zu sprechen, hat er demnach von den-
jenigen des 15. Jahrhunderts zweifelsohne nur zwei gesehen, unter diesen
aber nicht etwa die editio princeps, die es sich doch gelohnt hätte, zu
Rate zu ziehen.
So prüfte er also das Material, bevor er seinen Text festlegte, in un-
vollkommener Weise, und verwertete er keineswegs alle Elemente, mit
deren Hilfe er sein Ziel hätte erreichen können.
Ausser der erwähnten Ausgabe vom Jahre 1492 bildete seine Zuflucht,
und zwar in ausgedehntestem Masse, die Konjektur, jener Blick, vermöge
dessen man zuweilen wohl das Richtige trifft, der sich weit öfter hingegen
täuscht. „ . . . indem ich jedes Wort, jeden Gedanken in dem Buche
nacherwog und da ich Dialekt, Orte, Sitten und etwas Greschichte kannte^
habe ich, sagt er, klar lesen können."
Die Aufgabe ist aber nicht die, einen Text besser zu machen, wenn
freilich auch dies zu geschehen hat, sondern ihn so wieder herzustellen,
wie er aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Feder des Verfassers geflossen
ist; alles Übrige ist Mutmassung, künstliche Berichtigung, aber keine getreue
Wiederherstellung.
Aber verlassen wir diesen Gegenstand und treten wir der Quellen-
frage näher.
Settembrini berührt dieselbe, als er sich fragt, ob Masuccio seine
Novellen selbst erfunden oder von anderen entlehnt habe; und in gewissem
Sinne fällt er auch eine Entscheidung, wenn er nämlich betont, Masuccio
sei gar nicht darauf ausgegangen zu erfinden, sondern wolle nur wahre
Begebenheiten erzählen, er nehme nichts weg, noch lege er etwas hinzu,
er stelle nur die Novelle her, d. h. er erzähle die Vorgänge mit der ihm
eigenen Kunst. Jene Begebenheiten, sagt er, mögen sie nun in Wirklichkeit
passiert sein oder mag die allgemeine Vorstellung sie nur für wirklich
1) Vgl, De Lollis, L'Esopo di F. del Tuppo, Giorn. nap. di Filos. e Lett. 1SS5,
SS. 175—202 und 289—336.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 35
halten, werden durch so bestimmte Züge charakterisiert, dass sie meines
Erachtens niemand vor ihm erzählt haben kann. Will ich aber umsichtig
verfahren, so antworte ich ferner, dass die von einer Novelle umfasste
Begebenheit oftmals nach Art eines Sprichworts nicht Eigentum eines
einzelnen Menschen, sondern eines ganzen Volkes, ja vieler Völker ist und
ein jeder sie nur nach seiner Weise nacherzählt und sie in seiner Heimat
und zu seiner Zeit sich zutragen lässt. Das Verdienst des Erzählers besteht
somit darin, dass er gemeinsames Gut zu eigenem Gut macht, dass er dem
Vorgange Leben und Gegenwart verleiht und dass er die Personen, die in
der allgemeinen Erzählung als unbestimmte, völlig unausgeprägte Typen,
mehr gedacht als persönlich gestaltet, entgegentreten, ausdrucksvoll zeichnet
und lebhaft färbt. Oft tritt auch der Fall ein, dass derjenige, der die
Begebenheit zuletzt erfahren, aber am besten erzählt hat, in den Ruf des
ursprünglichen Erfinders kommt . . . Entdeckt man, dass ein Bildwerk
aus demselben Marmor gemeisselt worden, wie etwa ein Mörser, was hat
man damit entdeckt? Nicht an den Stoff knüpft sich der Wert der Kunst,
und nur Stoff ist doch jede Gemeinerzähluug, jede Legende, kurz jede
Tradition welcher Art auch immer, aus der der Künstler seine Novelle
bildet; diese aber ist dann gleich dem Bildwerk ein ganz eigenes Werk
von ihm, eine ursprüngliche Schöpfung.
Mit diesen Worten betrachtet er die Sache wohl von ihrer künstlerischen
Seite, doch berührt er das Gebiet der historischen Forschung nicht.
Ich wende mich nun geradeswegs meinem Thema zu.
Ich beabsichtige nicht etwa dieses zu erschöpfen, noch auch das Beste
anderen vorwegzunehmen; doch ist der Anfang immerhin mehr wert als
völliger Verzicht. Was ich gebe, sind nur einige Anmerkungen, die ich
mir bei meiner Lektüre gemacht habe, doch wird auch aus ihnen schon
deutlich hervorgehen, dass die in unserer Novellensammlung verarbeiteten
Vorwürfe ein weit höheres Alter besitzen, als Settembrini vermutete, und
dass sie auch noch zu weiteren Novellen Veranlassung gegeben haben.
Es handelt sich fast um das gleiche Material, dessen sich auch andere
Novellenerzähler bedient haben.
Masuccio gehört zu der ansehnlichen Zahl derjenigen, die in Boccaccios
Fussstapfen getreten sind; unter diesen wird er auch von Dunlop^) und
von Landau''') aufgeführt. So liegt es denn zuvörderst nahe, einen Ver-
gleich mit dem Dekameron zu ziehen, obschon man derartige Ver-
gleichungen zu missbilligen pflegt. Auch Settembrini weist auf den De-
kameron hin. „Masuccio", sagt er, „ist der neapolitanische Boccaccio und
sein Novellino ähnelt in vielen Stücken dem Dekameron, dennoch aber ist
es ein Originalwerk." Ja bereits Masuccios Zeitgenosse Pulci hatte an
1) Geschichte der Prosadichtungen, übers, v. Liebrecht, Berlin 1851, S. 2G6ff.
2) Beiträge zur Geschichte der italienischen Novelle, Wien 1875, S. 50fF.
3'
36 Airialfi:
Boccaccio gedacht; in einem Schreiben an I])polita, die Gemahlin Alphons
von Aragonien, Herzogs von Calabrien, nennt er ihn einmal „einen starken
Nachahmer unseres M. Giovanni Boccaccio." umgekehrt bemerkt jedoch
Doni in einer seiner Librerie, den Salernitaner müsse man preisen, der
habe wenigstens auch nicht ein Wort dem Boccaccio geraubt, sondern ein
Buch geschrieben, das ganz von ihm selber herrühre. Aber dies ist eine
jener bekannten übereilten Behauptungen; Boccaccio hat ihm im Gegenteil
als Muster gedient, wie es Settembrini zugiebt und Masuccio in den Worten :
„ . . . del famoso commendato poeta Boccaccio, l'ornatissimo idioma e stile
del quäle ti hai sempre ingegnato de imitare" (S. '239) auch selbst bekennt.
Nur ist das Ziel beider ein ganz verschiedenes. Boccaccio erzählt seine
Novellen einzig in der Absicht Genuss zu bereiten, die damalige Welt
abzuzeichnen, während Masuccio die Schwanke und Erzählungen zu passenden
Belehrungen, allgemeinen Betrachtungen verwertet. Masuccio bildet, wie
Settembrini einmal bemerkt, in seinen fünfzig Novellen wie in fünfzig
Gemälden das neapolitanische Leben ab, zweierlei aber male er mit be-
sonders lebhaften Farben, die bösen Sitten der Geistlichen und die Yer-
derbtheit der Frauen, denn zweierlei schätze er über alles, die Religion
und die Liebe; daher dringe er so heftig gegen diejenigen vor, die diese
beiden herrlichen Gaben schändeten.
Es besteht nun jede seiner Novellen aus einer Widmung oder Ein-
leitung (eine Anlage, die sich dann auch Bandello zum Muster nahm),
einer Erzählung, die die eigentliche Fabel der Novelle enthält, und einem
Schlüsse mit der Überschrift Masuccio, der die moralischen Betrachtungen
des Autors umfasst. In seiner Anlage gleicht der Novellino ungefähr dem
Esopo seines Zeitgenossen Francesco del Tuppo, in dem jede Fabel aus
dem Apologus (der Übertragung oder Nacherzählung der Fabel), der
Tropologia (die den Sinn der Geschichte klarlegt), dem Sensus Ana-
gogicus (einer Art Betrachtungen), der Descriptio und endlich der
Confirmatio (einer zweiten Erzählung, die die erste bestätigt, einer Art
Probe auf diese) ^) zusammengesetzt ist. Die Erzählung allein thut hier
nicht alles, sie gewährt dem Verfasser gleichsam nur die Gelegenheit sich
in bestimmten Reflexionen zu ergehen.
Von sonstigen sich rein auf die Form beziehenden Berührungspunkten
mit anderen Werken unterlasse ich zu sprechen.
Auf die Quellen des Novellino spielt Masuccio in seiner Vorrede selbst
an, als er sich über die Anlage seiner Sammlung äussert; er spricht hier
von „alcune novelle per autentiche istorie approbate negli moderni e antiqui
tempi travenute". Und im „Parlamente de lo autore al libro suo" sagt er:
1) Vgl. Rua, Di alcune iiov. ins. iieH'Esopo di F. del Tuppo, Torino, Bona,
1889, wo anmerkungsweise auch die jeweiligen Neudrucke angegeben werden. Zu einer
jeden Erzählung werden die Quellen nachgewiesen.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 37
„ . . . Saranno altri de assai meno mala sorte che diramio che de cin-
quanta novelle, . . . la maggior parte sono favole e buscie; a' quali te
piazza . . dire . . che tutte sono verissime istorie, le piü nelli nostri moderiii
tempi travenute; e quelle che de antique veste e de canuta barba sono
Ornate, da persone de graudissima autorita me sono state per istorie in
contando approvate." Das ist wohl nur freie Erfindung, um die Geschichten
glaubwürdiger zu machen, immerhin darf mau ein derartiges Bekenntnis
nicht ausser acht lassen.
Hervorgehoben sei auch, dass zu den fünfzig nummerierten :N"ovellen
noch zwei Geschichten hinzukommen, eine Schnurre aus dem Prolog (die
von dem Kaufmann, der zum Missvergnügen des armen Schneiders den
Golddukaten fand), und eine Anekdote (vom König Xerxes) aus dem
Schlüsse (S. 531 f.), so dass wir von 50 Novellen und 2 Facetien sprechen
können.
Zu der ersteren dieser beiden habe ich keine Varianten entdecken
können; vielleicht dürfen wir glauben, dass er sie aus dem Erzählungs-
schatze des Volkes geschöpft habe. Anderen ist es nicht besser ergangen
als mir. So lesen wir in der Nuova Crestomazia italiana (Nap. Morano,
1883, Bd. II, S. 220): „Es fällt uns zu dieser Erzählung weder eine Parallele
noch eine Quelle, noch eine Nachahmung ein." Masuccio flicht sie ein,
weil ihm ein vulgäres Beispiel in den Sinn kommt, und behauptet, diese
Begebenheit habe sich vor langen Jahren, zur Zeit nämlich der Königin
Margarethe, der Gemahlin Karls III. von Durazzo und Mutter König
Wladislaws und Johannas IL, in Salern, seiner Vaterstadt, zugetragen.
Die Xerxesanekdote, will sagen die Geschichte von dem Landmann,
der, da er nichts anderes zu schenken hat, eine Hand voll Wasser aus
dem Flusse schöpft und diese dem Xerxes als Spende darbringt, wird
auch von Codrus und einigen anderen erzählt; denn es handelt sich hier
um eine noch heutzutage weit verbreitete Volkssage. Man spielt allgemein
auf sie an, wenn man die Geschichte von dem Bauer erzählt, der seinem
Herrn Wasser darbot.
Nicht unerwähnt lassen will ich, dass wir es del Tuppo verdanken,
wenn Masuccios Werk nicht abhanden gekommen ist. Hiervon unterrichtet
er uns in seiner Widmung an I[)polita von Aragonien, der er die erste
Ausgabe des Novellino, wie auch schon Masuccio diesen zugeeignet hat.
selbst; seine Worte sind: „ . . . Venendo tra mano per mezzo del Parmisano
Johan Marco, unico scriptore de quante littere mai fossero al mondo, e
regio familiäre, a me carissimo amico, me parse tal libro non doversi senza
fama teuere; e beuche fosse lo originale de propria mano del Auditore
delaniato, e brusato da coloro che dentro senteano nova de loro casa,
Tingenio mio fo maggiore a serbare la copia ..."
Um uns nun den fünfzig Novellen zuzuwenden, so erzählen die ersten
zehn von verabscheuuugswürdigen Thaten Geistlicher, die zweiten zehn
38 Amalfi:
vou den verderblichen Wirkungen der Eifersucht, die dritte Gruppe von
Ränken der Frauen, die vierte Gruppe abwechselnd traurige und lustige
Begebenheiten und die fünfte enthält Geschichten mit höchst tugendhaften
Zügen, sie erzählt grossmütige Handlungen hoher Fürsten und anziehende,
sowie rührende Vorfälle, die einen heiteren Abschluss finden.
Auch dann, wenn man die behandelten Motive rein genetisch betrachtet,
gewahrt man schon leicht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Stoffen des
Dekameron; doch will ich lieber die Erzählungen einzeln vornehmen.
Der Kürze halber sehe ich von der Inhaltsangabe ab und führe nur die
Nummer an.
1. Nov. Der Vorgang spielt in Salamanca und zwar zur Zeit Ferdinands
von Aragonien.
Es wird angegeben, dass „la novella meravigliosa in brevissimi di con
veloce fama e gran piacere per tutto el castigliano regno fu divulgata, e
da poi essende in le nostre italiche parti pervenuta". Auch im esordio
hatte er schon angedeutet, dass diese Geschichte im Königreich Castilien
stattgefunden habe. Hält man sich also an Masuccios Aussagen, so ist
Spanien die Heimat derselben, doch hat er sie auch so litterarischer Über-
lieferung innerhalb Italiens zu entnehmen vermocht. Solch ein freiwilliges
Geständnis ist jedenfalls, wenn es aufrichtig ist, ein besserer Führer bei
der Bestimmung der Quelle, als blosse Ähnlichkeit: diese bildet, wenn
nicht gewichtigere Argumente liinzutreten, keine genügende Stütze für die
Behauptung, dass der Verfasser das Original selbst benutzt habe.
Die Quellen, die bei Dunlop-Liebrecht a. a. 0. S. 267 angegeben werden,
sind folgende: Le Grand IV, 252, das Fabliau mit dem Titel: Le Sa-
cristain de Cluni; Gesta Komanorum engl., Cap. XXXI; Keller, Li
romans des sept sages (Tübingen, 1836) S. 223ff.; Diokl. Leben, Einl.
S. 16; Timoneda, Patranuelo, No. 3.
Die Geschichte war besonders in Frankreich und England beliebt;
von hier aus verbreitete sie sich weiter und wurde dann in fast allen
europäischen Sprachen novellistisch bearbeitet.
Masuccios Erzählung hat Saint-Denis in französischer Sprache nach-
gebildet (s. Toldo, Contributo alle studio della novella franc.^)
Koma, Loescher, 1895, S. ll'J). Letzterer bemerkt zum Ursprünge, dass
nicht allein das bekannte Fabliau Jean le Chapelains vom Soucretain
(s. Mont, R. VI, S. 107), von dem es in dem „Prestre qu'on porte ou de
la longue nuit" (ibid. VI, S. 1) eine gleichfalls mittelalterliche Redaktion
giebt, sondern auch drei weitere Fabliaux (ibid. V, 123; 136; VI, 243)
Bearbeitungen des gleichen Stoffes darstellen. Für fernere Varianten ver-
weist er aufBedier, Les fabliaux etc., S. 425, auf die Anmerkungen bei
Montaiglon (Bd. IV, S. 1) und auf die Fiabe u. s. w. Pitres No. 165.
1) Vgl. die Eecension dieses Buches von G. Paris, La nouvelle franc;., Joiirn. des
Sav., Mai-Juni u. s. w., 1895.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 3!)
2. Nov. Eine abweichende Fassung dieser Novelle, entnommen aus
«einer Hs. der Bibl. Riccard. (Cod. Mise. No. 2437, cart. in fol.), hat der
verstorbene Imbriani im Giorn. Nap., Bd. IX, Jan.-Febr. 1884, unter dem
Titel: Due Novelle u. s. w. veröffentlicht; wer an eine kritische Aus-
gabe des Novellino herangehen will, muss von dieser Handschrift Notiz
nehmen.
Die Begebenheit trug sicli nach Masuccio in Magna (oder Alemagna,
Deutschland) zu: im Mittelpunkt derselben steht eine Tochter des Herzogs
von Lanzhueta, d. i. Landshut (Herzogtum Bayern. 1504).
Es scheint sich hier um eine Volksschnurre zu handeln. Auch Pontano
erzählt sie gegen Schluss eines Caronte, und Settembrini ist der Meinung,
■er habe sie aus Masuccio entlehnt, nicht umgekehrt. Im Dekameron
ist es die bekannte Geschichte vom Bruder Alberto (IV, 2), der einer
Prau einredet, dass der Engel Gabriel in sie verliebt sei. S. ferner Cent
nouvelles nouvelles p. Le Roux de Lincy, Paris, Paulin, 1841, Nov. XIV:
Malespini, Duecento Novelle etc., No. 80; Doni, Novelle, hsg. von
Bongi, Lucca, Fontana 1852, No. VII, S. 28—30. Steht auch in der Si-
racusa Paolo Regios als erste Novelle, in Imbrianis Abhandlung (Neapel,
1885, S. 12): Prode sacrilega betitelt. Letzterer erwähnt, dass die
Begebenheit auch von Josephus. Ant. lud. XVIII, 3 und von Bandello,
Teil III, Nov. 11) erzählt worden ist. Casti hat sie nacli einem französischen
Muster als 13. seiner Novelle galanti in Oktaven bearbeitet (s. auch
Dunlop-Liebrecht, a. a. 0. S. 258). Aus Masuccio ferner schöpfte Aloise
<lelli Fabrizi: der Name der Heldin in seinen drei Gesängen (A chi ha
Ventura, poco senno basta u. s. w.) lautet Barbara.
Unsere Novelle hat Saint-Denis wiederum ins Französische übertragen
(s. Toldo a. a. 0. S. 122). Das Motiv von der goldenen Schrift begegnet
auch in der 69. Novelle Morlinis, wie Toldo hervorhebt.
3. Nov. Der Schauplatz der Begebenheit ist Catania.
Hauptquelle ist Boccaccios 3. Novelle des 7. Tages: „Bruder Rinaldo
schläft bei seiner Gevatterin; der Mann überrascht sie in ihrer Kammer,
und man macht ihm weiss, dass jener seiner Patin die Würmer beschwöre."
Zu Boccaccios Quellen verweise ich hiermit ein für alle Male auf Landaus
Werk Die Quellen des Dekameron, Stuttgart 1884. Auch bei Sacchetti
steht die Geschichte; in seiner 207. Novelle wird erzählt, wie ein Minoriten-
bruder die Frau des Buccio Malpanno zu Amelia beschläft, hernach aber
seine Hosen zurücklässt und man dem Ehemann vorredet, dass dies die
Hosen des heiligen Franciscus seien, was er in der That glaubt. Unter
•dem Titel Braccae Divi Francisci findet sich diese Erzählung auch
bei Poggio Fiorentino, Facetiae, hsg. von Sommaruga, S. 225, No. 231.
Es ist das bekannte Thema von dem eifersüchtigen Gatten, der einen
vom Liebhaber in der Eile vergessenen Gegenstand im Zimmer findet und
an diesem die Untreue seiner Frau entdeckt.
40 Amalfi: Quellen und Parallelen zum „Novellino- des Salernitaners Masuccio.
In dem Fabliau: Les braies au Cordelier ist der Liebhaber wie
gewöhnlich ein clerc, aber bei dem Betrüge spielt das ehebrecherische
Weib die Hauptrolle. Sie schärft ihm ein, ihrem Manne zu sagen, dass
es sich um die Hosen eines Franziskanerbruders handele; der einfältige
Ehemann glaubt dies auch und übergiebt sie ihm selbst mit heiterer Miene.
In einigen Punkten stimmt Masuccios Erzählung fast wörtlich mit
Poggios Facetiae überein; auch richten sie beide streng über die scham-
losen Mönche. (S. Rua, Le P. N. di M. G. F. Straparola, Rom, Loescher,
1898, S. 41 f.)
Vgl. ferner Morlini, Novellae No. 62: Apologie pour Herodote,
Cap. 21, 3; Dunlop-Liebrecht a. a. 0. S. 207 und S. 333; Bedier a. a. 0.
S. 407, in den Erläuterungen zu dem erwähnten Fabliau Les braies au
cordelier, das er trotz einiger Verschiedenheiten mit Philetaerus und
Myrmex in den Metam. des Apulejus IX, 17—20 (Ed. Eyssenhardt, Berlin,
1869) in Beziehung bringt. Als annähernde Varianten verweist er auf
Bojardos Orlando innamorato, auf die farce de Frere Guillebert.
tres bonne et fort joyeuse (Bezeichnungen, die sie durchaus verdient)
und auf Viollet-le-Duc, Ancien theätre franrois, Bd. I, S. 305 ff. Des-
gleichen nennt er den „Calecon apotheose'' in Lafontaines Singe,
Florenz 1773, Bd. I, S. 54; La Culotte de saint Raimond de Penna-
fort in den Contes ä . . . rire . . . par le citoyen Collier, commandant
des croisades du Bas-Rhin, neu herausgegeben von de Katrix, Brüssel,
1881, S. 3, und die Comptes du monde adventureux, hrsg. v. Felix
Frank, 1878, No. 28, eine Übersetzung von Masuccios Erzählung (vgl. Tokio,
a. a. 0. S. 108 und S. 120).
Die Erzählung steht auch bei Sabadino degli Arienti, No. 39, sowie
auch in den Faeezie inedite von Carbone, No. 94, die mein Freund
St. Prato binnen kurzem mit Einleitung und Anmerkungen herausgeben
wird.
Zum Teil entspricht sie auch der früher erwähnten Novelle von Casti :
Le brache di San (iriffone.
Das Motiv von dem bejahrten Manne, der ein junges Mädchen heiratet,
kehrt bei Fortini (Nov. di antiqui senesi, London 1796, Bd. I, No. IX,
S. 324 ff.) und in zahllosen anderen Erzählungen (Nelli II, Anfang; ibid.
S. 89 ff., etc.) wieder.
4. Nov. Der Schauplatz ist nach Sorrent verlegt und die Zeit die,
um welche Giacomo della Marca die Königin Johanna H. heiratete.
Unsere Novelle hat grosse Ähnlichkeit mit der 10. Geschichte des 6. Tages
im Dekanieron: „Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern einer Land-
stadt, ihnen eine Feder des Engel Gabriel zu zeigen; da er aber an deren
Stelle Kohlen findet, sagt er, sie seien von denen, mit welchen der heilige
Laurentius geröstet ward." Auch mit der 1. Geschichte des 2. Tages zeigt
sie einige Verwandtschaft: „Martellino stellt sich lahm und giebt vor, durch
Drechsler: „0 lass mich doch hinein, Schatz!" 41
den Körper des heiligen Heinrich geheilt zu werden. Sein Betrug wird
entdeckt; er wird geschlagen und eingekerkert und ist in Gefahr gehangen
zu werden; endlich aber kommt er los." Letztere Geschichte findet sich
mit nur geringen Abweichungen auch in der Istoria Trivigiana, Buch YIII,
von Giovanni Bonifacio erzählt.
Masuccios Novelle steht auch bei Sacchetti, in dessen 60. Novelle
erzählt wird, wie Bruder Taddeo Dini, als er am Feste der heil. Katharina
in Bologna predigt, wider seinen Willen einen Arm derselben zeigen muss
und über diesen vor versammelter Gemeinde einen Scherz macht. Auch
Desperiers hat diesen Schwank in Nov. 121: Du moyen u. s. w. nach-
geahmt.
Von Saint-Denis giebt es wiederum eine französische Bearbeitung
unserer Novelle; sie bildet die 19. Novelle seiner Sammlung und ist über-
schrieben: D'un notable moyne qui sous ooleur d'hipocrisie abusa
tout le peuple d"un pays.
(Schluss folgt.)
„0 lass mich doch hinein, Schatz!"
Vergleichung eines schottischen und eines schlcsischeii Volksliedes.
Von Dr. Paul Drechsler.
Am üppigsten gedeiht in der Volksdiclitung wohl das Liebeslied. In
ihm zeigt die Muse aller Zeiten und aller Orten dieselben Züge. Es ist
darum nicht zu verwundern, dass aus den Minneliedern des schottischen
Volksdichters Robert Burns (1759—1796) Töne des Festlandes wie die
Stimmen alter Bekannten an unser Ohr schlagen. Vergleichen wir eines
der Gedichte des schottischen Dichters mit einem Volksliede aus dem
deutschen Oberschlesien, so werden wir finden, dass an so weit von-
einander abliegender Stelle Verwandtes in die Erscheinung tritt, ohne dass,
ausser dem gemeinsamen Boden, woraus beides spriesst, an einen Zu-
sammenhang auch nur im mindesten zu denken wäre.
Schlesisclies Volkslied.
(Aus Katscher und dem angrenzenden Langenau.)
Schätzle, bist bös oder kennst mich nicht,
Oder ist dies dein Fenster nicht? —
Ich bin nicht bös und kenn dich schon;
Du hast einen Rausch, das kenn ich schon.
42 Drechsler:
Hab ich einen Rausch, das macht der Wein,
Schätzle, steh auf und lass mich rein! —
Ich steh nicht auf, lass dich nicht rein,
Du könntst heut Nacht mein Unglück sein. — —
Und sollt ich heut Nacht dein Unglück sein,
So komm ich am Tag und heiere dich! —
Und kommst du am Tag und heierst mich,
So bin ich imstand und mag dich nicht. — —
Bist du imstand und magst mich nicht.
Geh ich in Wald und schneid Ruten ab;
Und wenn ich die Ruten geschnitten ab.
Geh ich zuhaus und mach Besen draus;
Und wenn ich die Besen gebunden hab.
Geh ich die Strassen auf und ab:
Jungfern, kommt raus, kauft Besem ab,
Dass ich viel Geld zum trinken hab! —
Am Fenster der Kammer, in der sein Schätze! schon zur Rnhe ge-
gangen ist, steht der Bursche und heischt Einlass. Er klopft, sie erscheint
nicht. Hat er sich im Fenster geirrt? — Zürnt sie oder kennt sie ihn
nicht? — Sie hat doch sonst schon am Fenster sehnsüchtig seiner gewartet
und schnell geöffnet. — Wohl hat sie ihn mit dem scharfen Ohre der
Liebe kommen hören, wohl hat sie das so wohl bekannte Pochen ver-
nommen, aber sie kennt ihn zu gut, als dass sie sich täuschte: er kommt
vom Wein und ist beraucht, Sie weiss: liesse sie ihn heute Nacht herein,
es wäre ihr Unglück. —
Wie dramatisch ist das Ganze gehalten ! Durch die einfachsten Mittel
macht uns das Lied flüchtig und knapp mit den Personen und ihrem Ver-
hältnis bekannt, versetzt uns in medias res, und wie scharf zeichnet es in
Rede und Gegenrede den Burschen und sein Mädchen! — Brächte er sie
durch seine Augenblicksstimmung, die an die Folgen nicht denkt, durch
seine stürmischen Liebkosungen und feurigen Bitten zu Fall, sie würde
ihn verachten und nimmer sein Weib werden. Sie sieht klar und weiss,
dass schwaches Nachgeben und Gewähren in Abhängigkeit und zumeist
in Schande stürzt. Nimmermehr! Er beteuere und drohe mit arger
List, aber gehe! Am nächsten Abend kehrt er voll Reue und Scham
wieder. Liebe und gesundes Fühlen haben über Rausch und Sinnenlust
gesiegt.
In kürzerer und zum Teil abweichender Fassung treten zu unserem
Liede aus Hoffmann von Fallersleben und Richter, Schlesische Volkslieder
mit Melodien (Leipzig 1842), No. 5()-58 (S. 89 f.). No. 56 „Kurz ab-
gefertigt", aus Rosenbach im Frankensteiner Kreise, aus der Breslauer
und Oppelner Gegend, enthält einen Dialog zweier Liebenden unter ähn-
lichen Verhältnissen. Sie lässt ihn aber dort nicht ein, weil er auch „zu
einer andern geht." Am Schluss droht er:
„0 lass mich doch hinein, Scliatz!" 43
Sonst werd' ich ein Soldate,
Marschieren muss ich fort.
Sie:
(7) Musst du gleich fortmarschieren,
Marschier nur immer hin!
Zieht doch eine andre Mutter
Mir auch ein frommes Kind.
In No. 57, aus Kapsdorf und Trebnitz, bleibt die Thür einem Buhlen
verschlossen, weil sie aus seinen stolzen Reden heraushört, dass er der
rechte nicht sei. Er droht gleichfalls, Soldate zu werden: gut!
Es thut mir gar nicht leid;
Ein'n solchen Vielmaulmacher
Bekomm' ich allezeit. —
Ähnlich ist die Abfertigung in No. 58 aus Grabig. Zu vergleichen
sind damit wieder bei Erk und Böhme, Deutscher Liederhort, II. (Leipzig
1893), S. 619ff. die Lieder vom Gassatengehen, No. 814b und 818a und b.
Den zum Vergleich herangezogenen Liedern fehlt die innige Gemüts-
tiefe unseres Katscherer Liedes; sie enthalten mehr äusserliche Zuthaten.
Drohung und schnipi)ische Abfertigung. Das Gemütliche bringt ein
böhmisches Lied aus Strodenitz bei Budweis in schöner, bündiger Form
zum Ausdruck, das wir aus Hruschka-Toischer, Deutsche Yolkslieder aus
Böhmen, Prag 1891, No. 141b (S. 180) zur Yergleichung vollständig her-
setzen :
„Dirndal, host g'hört oder kennst mi not, „Ih steh not auf, loss di not hinein,
Oda san dos deine Pcnsta not?" Du kuntst heut Nocht mei Unglück sein."
„Ich steh nit auf, ih kenn di scho, „Wenn ih heut Nocht dei Unglück bi.
Du hast an Rausch, dos siag ih scho."" Ih bi im Stand und heiroth di."
^Hob ih an Rausch, dös macht da Wein, „Du bist im Stand, du heirothst mi,
Schön's Dirndl, steh auf, loss mi hinein!" Ih bi im Stand und pfeif af di."
Hören wir nun Burns oder vielmehr, was er als Bearbeitung eines
alten Yolksliedes bietet. Man vgl. The Peoples Centenary Edition p. 401 f.
Oh Lassie, Art Thou Sleeping Yet? — Air, — Let me in this ae night.
(An old song, modified and improved.) Ich suche in meiner Übersetzung
Form und Inhalt des Originals möglichst zu wahren.
Du schläfst wohl schon, lieb Schätzel mein?
Sprich! oder sollst du wach noch sein!
Es lässt mich nicht vom Fenster dein.
Kam gar zu gern hinein, Lieb!
Chor.
Lass mich hinein die eine Nacht,
Die eine, eine, eine Nacht,
Erbarm dich diese eine Nacht
Steh auf und lass mich ein. Lieb!
44 Drechsler: „0 lass mich doch hinein, Schatz!"
Du hörst, wies stürmt und ^iesst mit Macht ^),
Kein Stern erhellt die dunkle Nacht,
Doch Sehnsucht hat mich hergebracht,
Drum lass mich doch hinein, Lieb!
Es schreckt mich nicht des Sturms Gewalt,
Das Dunkel, das sich um mich ballt;
Doch dass dein Herz so eisig kalt,
Ist meines Herzens Pein, Lieb! —
Ihre Antwort.
Sprich nicht, obs nass und stürmisch ist.
Schilt mich nicht kalt mit arger List,
Geh hin, woher du kommen bist —
Ich lasse dich nicht ein, Lieb!
Chor.
Ich sag es dir die eine Nacht, Das Wiesenblümchen perlumtaut,
Die eine, eine, eine Nacht, Zertreten bald wie schlechtes Kraut,
Ein- für allemal die Nacht, Es predigt jedem Mädchen laut:
Ich lasse dich nicht ein. Lieb! Das wird dein Schicksal sein. Lieb!
Der Sturm nicht, der im Dunkel droht. Das Vöglein, froh am Sommertag,
Bringt irrem Wandrer grössre Not, Nicht auf der Hut vor Voglers Schlag.
Als einem Mädchen jung und rot Gefangen rufts in bittrer Klag:
Der Männer Schmeichelein. Lieb! Mitdir wirds auch so sein, Lieb!
In beiden Liedern stimmen Schauplatz, Personen und ihre Beziehungen
und Empfindungen überein: der Liebhaber verlangt in der Nacht Einlass.
den die Geliebte verweigert. Dass das schottische Mädchen über den
drohenden Verlust des Magdtums sich in gesuchten, wenn auch hochpoetischen
Betrachtungen ergeht, ist gewiss Burns Zuthat. Von ihm rührt wohl auch
die Fassung des Refrains her, der, bei lustigem Gelage vom Chore gesungen,
sicherlich recht wirkungsvoll ist. Die ursprüngliche Fassung der alt-
schottischen Weise, die der Dichter „modified and improved" hat, hat sicli
wohl nicht allzuweit von der schlesischen entfernt.
In dem schlesischen Liede wechselt in lebendiger Form Rede und
Gegenrede (6 : (S Zeilen), bis zuletzt der Bursche den Haupttrumpf ausspielt,
er wolle, falls sie ihn nicht einlässt, sich dem Trünke ergeben und die
Mittel dazu durch Besenbinden (ein niedriges und verächtliches Geschäft)
erwerben. Sie lässt ihn ruhig reden und schweigt. Burns legt seinem
Burschen drei Strophen hintereinander in den Mund, worauf das Mädchen
mit vier ihre Weigerung ausführlich begründet. Ob dieses Verhalten der
Mädchen einen Schluss auf den beiderseitigen Volkscharakter zulässt, wäre
eine müssige Frage. Zeigt das schlesische Lied endlich grössere dramatische
Lebendigkeit und lehnt es sich ausschliesslich ans Menschenleben an, so
1) Man vgl. Hoffmann-Eichter. No. 56, Str. 4.
Bin ich nicht zu dir kommen
Bei Regen, Schnee und Wind?
Tienken: Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 45
setzt Biirns schönes Lied liebevoll gezeichnete Naturbilder in wirksame
Beziehung zu dem Seelenleben des um ihre Unschuld besorgten Mädchens.
Beide Erzeugnisse des Yolksgeistes gleichen sich in vielem, in vielem
bieten sie Verschiedenheiten, aber beide sind scharfe Spiegelbilder des
Volkstums, dessen Grundzüge auch „in entgegengesetzten Hemisphären"
dieselben sind. So ist unsere Vergleichung ein Beweis für E. H. Meyers
Worte: „Das deutsche Liebeslied hat insofern einen internationalen Zug,
als es die tiefsten Gefühle mit dem fremden teilt; aber diese erwachsen
doch bei den verschiedenen Völkern aus einer alten Verschiedenheit des
Gemüts und der Lebenslage." Deutsche Volkskunde, Strassburg 18i)<S,
S. 322.
Kulturgeschichtliches aus den Marschen
am rechten Ufer der Unterweser.
Von A. Tienken.
Land und Leute.
Bis um die Mitte dieses Jahrhunderts waren die Marschen als eintönig
und langweilig verrufen, obwohl niemand sie eigentlich recht kannte. Wer
reisen wollte, der sah nur am Rhein, in der Schweiz oder mindestens in
den deutschen Mittelgebirgen ein würdiges Ziel. Die Marschen zu besuchen,
fiel keinem Menschen ein; „eine einzige weite Ebene ohne Abwechselung,
ein paar Wiesen, feucht und sumpfig, ein paar verkrüppelte Bäume, das
ist alles", damit waren sie ein für allemal abgefertigt. So kam es, dass
die Marschen für den grössten Teil unseres Volkes, einschliesslicli der
Gebildeten, eine völlige terra incognita waren.
Das ist jetzt anders geworden. Es ist das Verdienst meines verehrten
Heimatsgenossen Hermann Allmers und neben ihm Klaus Groths, die ruhige
Schönheit, die stille Poesie der Marschen entdeckt und durch ihre herr-
lichen Werke den weitesten Kreisen bekannt gemacht zu haben.
Mit Leichtigkeit ist der Marschbewohner, besonders wenn noch echtes
Friesenblut in seinen Adern rollt, von dem nachbarlichen Geestbewohner
zu unterscheiden. Er ist korpulent und breitschultrig, mehr gross als
klein, blonden Haares und blauen Auges. Hände und Füsse sind stark
ausgebildet, das ovale Gesicht leicht gerötet. Gleich dem stammverwandten
Holländer ist er unglaublich phlegmatisch und durch und durch Verstandes-
mensch; es niuss schon schlimm kommen, wenn er seine kaltblütige Ruhe,
seinen würdevollen Ernst aufgeben soll. Er hasst alles Neue, und nur mit
46
Tienkeii:
frosser Mühe ist er für etwas zu interessieren, das bisher ausserhalb seines
Gedankenkreises lag. Von einem vernünftigen Gemeinsinn findet man
keine Spur; hartnäckig widersetzt er sich aus i)urem Konservatismus und
thörichter Oppositionslust öffentlichen Verbesserungen, auch wenn er ihre
Notwendigkeit, ihren Nutzen einsieht. So fanden selbst die Chausseen bei
manchen Hausleuten den schroffsten Widerstand, obwohl sie nirgends
weniger zu entbehren sind als in den Marschen, deren Naturwege im
Herbst, Winter und Frühling nicht selten völlig unpassierbar sind').
„Sund use Ölen", meinten sie, „so lang dör den Dreck kämen, kämt wi
dr ok noch dör; worum brückt wi dat beter to hebben?"^)
Muss man so den Friesen wegen seiner Vorliebe für das Alther-
gebrachte, besonders wenn dieses schlecht und überlebt ist, tadeln, so
muss man ihn andererseits doch auch wieder dazu beglückwünschen. Mit
Argusaugen wacht er über seinen Rechten und Freiheiten. Und nicht»
erregt ihn mehr, als sie angetastgt zu sehen. Da lässt er kein Mittel un-
versucht, da scheut er weder Mühe noch Kosten, um sie zu retten. Auch
das ist gewiss nicht immer richtig, aber würde der Friese sich während
des Mittelalters von der Unfreiheit haben freihalten können, wenn er nicht.
so energisch für seine Freiheit, sein Recht eingetreten wäre?
Vor allem aber ist bei einer Charakteristik des 3Iarschbewohners sein
unsagbarer Stolz nicht zu vergessen. Stolz ist er namentlich, besonder»
der reiche Bauer, auf seine fruchtbare Heimat, die er um keinen Preis
für eine andere dahingehen möchte, am allerwenigsten für die benachbarte
Geest. Von dieser und ihren Bewohnern redet er nur mit einem gewissen
Bedauern, zum Teil mit Verachtung. Mau erzählt sich hierüber eine
Anekdote, die charakteristisch genug ist, um hier Platz zu finden: Ein
junges Marschenkind fühlt einen unwiderstehlichen Drang in sich, ein
wenig in der Welt sich umzuschauen, aber der Vater weiss ihn davon
abzubringen, indem er ihm zu bedenken giebt: „Sü Junge, hier is dat all
1) Eine kleine Weide in der Nähe Rechtenfleths heisst im Volksmunde „Hülpegars"'
(Hilfe Gottes). Die von Bremerhaven kommenden Fuhrleute fassten, wenn sie sie erreicht
hatten neuen Mut und meinten, wenn sie mit Gottes Hilfe so weit gekommen wären,
würden sie ja wohl auch noch weiter kommen. - Um die Mitte dieses Jahrhunderts,
konnte die Leiche eines rechtenflether Bauern nur durch ein Vorspann von zwölf Pferden
und stete Reinigung der Räder von der wie Pech anklebenden Erde auf den Kirchhof
überführt werden.
2) Ein köstliches Geschichtchen weiss in dieser Beziehung Allmers (Marschenbuch
S 453) zu erzählen- Das ergötzlichste Beispiel von Vorsicht, Misstrauen gegen Neuerungen
und echtem Konservatismus unserer Marschbewohner lieferte jedenfalls ein angesehener
' Landmann in Osterstade, der als pflichtgetreuer Deichbeamter seiner Zeit bei der betreffenden
Wasserbaubehörde allen Ernstes gegen den eben in Angriff genommenen Suezkanal pro-
testieren zu müssen glaubte, weil man gar nicht wissen könne, ob unseren Mooren dadurch
auch Wasser zugeleitet werde. Jedenfalls würde ein Protest nicht schaden, meinte er. -
Wo aber der bedenkliche Suezkanal in der Welt lag, davon hatte der wackere und wach-
same Deichbeamte freilich nicht die leiseste Ahnung."
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 47
Marsch uu de ganze aniier Welt is man Geest: wat wullt du nu in de Welt
dohn?" Und diesem analog heisst es von einem Geestbewohner gering-
schätzig: „He is man van de Geest."
Bezüglich der Wm'ster Bauern ist noch hinzuzufügen, dass sie sich
nicht immer des besten Rufes erfreuten. Sie galten für schlechte Wirte,
für Spieler und Trinker, andererseits aber auch wieder für stolze Aristo-
kraten. Am besten illustriert dies w^ohl folgender Spottvers:
„Dag un Nacht besapen,
Dack un Gebe! apen,
Vo 't Hus en grot Wapen —
So kann man de Wuster Buren drapen."
Und sicherlich liaben diese Reime einen Kern von Wahrheit enthalten,
denn von ihrer Virtuosität im Trinken und Tollkühnheit im Spiel weiss
Allmers manch Stücklein zu erzählen. — Jetzt aber unterscheidet der
Wurster sich in nichts mehr von den Bewohnern der anderen Marschen.
Die Familie und ihre Feste.
Gemäss dem oft von ihm angewandten Sprichwort „En goden Naber
is beter, as en faren Fründ" ist der Marschbewohner stets auf ein gutes
Verhältnis mit seiner Nachbarschaft bedacht, umsomehr als er derselben
auch nur zu oft zu Hilfeleistung oder auch in Krankheits- und Todesfällen
bedarf. Und es ist in der That wohlthuend, zu sehen, mit welch rührender
Teilnahme und selbstloser Bereitwilligkeit man bei solchen Gelegenheiten
einander zu helfen pflegt. Auch bei den Familienfesten zeigt sich dieses
gute Nachbarschaftsverhältnis. Da ist es ganz selbstverständlich, dass der
reiche Hofbesitzer seinen Nachbar, und sei er auch noch so arm und
gering, einladet, und dass er umgekehrt auch der Einladung des ärmeren
Nachbarn Folge leistet. Thäte er beides nicht, würde er sich einer
schweren Beleidigung schuldig machen.
Noch in den '20 er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts w^ollte die
Sitte, dass befreundete Hofbesitzerfamilien mindestens allmonatlich einmal
sich durch expresse Boten nach dem gegenseitigen Befinden erkundigten.
Eine Unterlassung dieses Höflichkeitsaktes galt als absichtliche Entfernung.
Kein Besuch fand statt, der nicht vorher angemeldet worden wäre, und
bis in die kleinsten Details richtete sich hierbei alles nach Rang, Ver-
mögen und Alter. x\us den geringfügigsten Verstössen in dieser Hinsicht
erwuchsen bei der Leichtverletzlichkeit des bäuerischen Stolzes die er-
bittertsten Feindschaften. Dass aber der Bauer und besonders seine Frau
und Töchter heute noch ebenso empfindlich sind für alle Fragen der
Etikette, erfuhr ich vor einigen Jahren, indem eine Bauerntochter sich
darüber beklagte, dass eine Freundin bei ihrem letzten Besuch „nur" das
schwarze Kleid getragen, während sie bei einer anderen Freundin im roten
(einem besseren) Kleide erschienen sei. Dass unter diesen Umständen
4g Tienken:
ein Besuch nur geringen Genuss zu bieten vermag, ist klar, ebenso liegt
auf der Hand, dass ein Fremder, mag er auch in der Stadt zu den Salon-
löwen gehören, hier schwerlich fertig wird, ohne Anstoss zu erregen.
Mag aber diese peinliche Beobachtung der Etikette auch lächerlich
erscheinen, nach einer Richtung hat sie doch ganz vorzüglich gewirkt: sie
hat dem Bauern ein Ehrgefühl anerzogen, dessen Verletzung, mag sie her-
rühren von wem sie will, ihn in die heftigste und anhaltendste Erregung
versetzt. Schwere und gemeine Verbrechen gehören hier zu den grössten
Seltenheiten; mit dem Gerichte hat der Marschbewohner nur ungern und
nur selten zu thun. Hat er sich aber trotzdem etwas zu Schulden kommen
lassen, so dass ihm Gefängnis- oder gar Zuchthausstrafe droht, so setzt er
alles daran, dass sie in eine Geldstrafe umgewandelt werde. Gelingt ihm
das nicht, so fiieht er nicht selten lieber und wandert aus. „Ick harr jo
geern dusend Daler un mehr gewen, wenn he man nich sitten schull",
äusserte weinend vor Scham und Wut ein alter Marschbauer, als er von
einer Carcerstrafe seines studierenden Sohnes erfuhr. Das Geschichtchen
ist bezeichnend. Zu den allergrössten Seltenheiten gehört auch, dass eine
Bauerntochter sich nicht rein erhält bis zu ihrer Verheiratung. Freilich
würde auch jede, die sich in diesem Punkte etwas zu Schulden kommen
liesse, allgemeine Verachtung treffen und dem Gerede der Leute auf lange
Zeiten ein willkommener Gegenstand sein. In den unteren Klassen freilich
ward es mit der jungfräulichen Ehre leider nicht so genau genommen.
Eine eigentliche Prozesssucht kann man dem Marschbewohner zwar
nicht vorwerfen, glaubt er aber, dass ihm Unrecht geschieht, so streift er
mit einem Schlage alles Phlegma ab und verfolgt sein Recht bis zur
letzten Instanz. Er ist dann die Verkörperung des alten Spruches: „Nach
einem Lot Recht soll man das beste Pferd im Stall zu Schanden jagen."
Und wenn es auch nicht zur Anrufung der Gerichte kommt, so ist doch
immer ein erbitterter Hass die Folge, dem man vor allem durch eine
sorgfältige Übergehung bei der Einladung zu Festen aller Art Ausdruck
verleiht. Auch erweitert sich bei dem grossen Familiensinn der Marsch-
bewohner ein anfangs persönlicher Zwist nicht selten zu einer allgemeinen
Familien- und Gescljlechterfeindschaft, an der selbst das Gesinde zuweilen
Anteil nimmt.
Wenn W. H. Riehl schreibt: „In Gegenden, wo noch alte Bauernsitte
herrscht, sind die aus persönlicher oder Standespolitik geschlossenen Ehen
unter den Bauern gewiss im Verhältnis ebenso häufig als die politischen
Ehen unter der hohen Aristokratie. Erst kommt der Güterverband und
dann der Herzensverband", so hat er damit nicht zum wenigsten für unsere
Marschen recht. Es würde dem Hofbesitzer eine „ewig schmerzliche
Schmach" sein, seine Tochter an einen weniger Besitzenden, an einen
Kötner, der für ihn nur „de littje Mann" ist, zu verheiraten. Ebenso
wenig kommt es vor, dass ein junger Bauer ein armes und niederer Klasse
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 49
entstammendes Mädchen, wenn es auch noch so viele Yorzüge hätte, zu
seiner Frau macht. Meistens beschliessen — auch heute noch — die
beiderseitigen Eltern die betreffende Verbindung, bei der die Mitgiftsfrage
natürlich die Hauptrolle spielt, die Hauptbeteiligten aber, die jungen Leute,
gar oft mit keinem Worte gefragt werden, ob sie überhaupt Lust haben,
den Lebensweg Seite an Seite zurückzulegen. „De Lew will woU näkämen",
damit beruhigen sich die Eltern.
Schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fand gegen Er-
legung einer bestimmten Geldsumme — „ad pias causas" — die Trauung
zuweilen im Hochzeitshause statt. Xicht selten ging sie erst spät nach-
mittags vor sich; da das aber für den Prediger viele Unannehmlichkeiten
mit sich brachte, so wurde in einer Verordnung vom 15. Dezember 1755
bestimmt, dass der Pastor zur Haustrauung nicht verpflichtet sei, wenn
diese erst nach 1 Uhr nachmittags stattfinden solle ^).
Schon früh glaubten die Behörden gegen den bei Gelegenheit der
Hochzeiten entfalteten Luxus, w^ie gegen die hierbei zu Tage tretende
Wildheit einschreiten zu müssen. So ergingen unter dem 29. Juli 1729
und 23. September 1750 zwei Verordnungen, welche die Zahl der Hochzeit-
gäste normieren und die Konsumtion der Festgetränke auf ein bestimmtes
Mass beschränken sollten. Beide Verordnungen blieben, wie eine andere
vom 9. August 175(5 selbst zugiebt, erfolglos. Darum wurden die ersteren
denn auch durch die letzterwähnte wieder aufgehoben und die alte Freiheit
wieder hergestellt^).
Das führte dann in der Folge bald dahin, dass eine Hausmanns-
Hochzeit, wenn es was rechtes sein sollte, mindestens drei Tage dauern
musste. Meilenweit in der Runde wurden die Verwandten und Freunde
geladen, ebenso natürlich die gesamte Dorfbevölkerung, einerlei ob arm
oder reich. Allein die etwaigen Feinde und deren Familien wurden über-
gangen. So vereinigten sich bei Gelegenheit einer Hochzeit nicht selten
über 1000 Personen in einem Hause, dem dadurch natürlich ausserordent-
liche Kosten erwuchsen, denn alle wollten drei volle Tage hindurch mit
Lebensmitteln versorgt sein. Dass dieses Ziel aber nur mit einem Opfer
von zwei oder drei fetten Ochsen und grossen Fässern Weines, Bieres und
Branntweins zu erreichen war, wird mehr als einmal berichtet.
Eine Eigentümlichkeit, besonders der südosterstadischen Hochzeiten
waren in früherer Zeit die Stallburschen. Diese waren meistens junge
Knechte, welche ungeladen erschienen. Doch zogen es nicht selten auch
Bauernsöhne vor, sich als Stallburschen in den dunklen Ecken und Ställen
zu amüsieren, anstatt sich in den ihnen zukommenden Gastzimmern auf-
zuhalten. Die Stallburschen erschienen gewöhnlich in allerlei ebenso
1) G. H. Pratje, Die Herzogtümer Bremöu und Verden. Bremen 1757. I, S. 435f.
2) Ebenda S. 437.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. ^
oO Tienken :
grotesken wie komischen Vermummungen. Ihr Hauptvergnügen bestand
in Neckereien verschiedenster Art und endlich in der regen Teihiahme au
der Schlussprügelei, „auf die man sich schon lange vorher freute, vor-
bereitete, Partei anwarb und passende Knüppel aussuchte" (Allmers).
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts stand das Stallburschenwesen noch
in hoher Blüte und verlieh den osterstader Hochzeiten nicht eben den
besten Ruf. Umsomehr war ein um die angegebene Zeit in eine oster-
stader Gemeinde versetzter Pastor^) erstaunt, als er gelegentlich einer
Hochzeit nichts von dem üblen Treiben der Stallburschen bemerkte. Er
wandte sich deshalb an einen angesehenen Bauern und meinte: „Ich habe
so viel von den osterstader Stallburschen gehört, aber ich habe ja gar
keine gesehen; sind vielleicht keine da?" Dieser machte ein verschmitztes
Gesicht: „Ja, Herr Pastor, dar sünd wekke. aber de sünd nich hier bäben
appe Deel, de sünd nedden in Stall; — wöt Se mal sehn?" — „Ja, sehen
möchte ich sie wohl . . . . " „Goot! denn gähn Se hier man sitten, hier
vo d'u Musikantendisch." Nachdem der Pastor seinen Sitz eingenommen
hatte, ging der Bauer vor die Ställe und rief die Stallburschen zusammen :
„Hört mal Kinners, de Herr Pastor will jo mal sehn; — ick will nu en
Marsch bestellen un denn marschiert ji när Reeg an em vöbi un mäkt em
'ne Verbeugung. Wöt ji dat?" — „Ja, ja; man to", schrie es im Chorus.
Der Platz ward für die Stallburschen geräumt, die Musik intonierte einen
flotten Marsch, nach dessen Klängen die Stallburschen, etwa 20 — 25 Mann,
an dem Pastor vorüberdefilierten. — Jetzt sind die Stallburschen längst
vergessen, die Hochzeiten überhaupt ruhiger, anständiger und gemütlicher
geworden: sie sind immer nur eintägig, wenngleich die Zahl der Gäste oft
noch mehr als 1000 Personen beträgt.
Heute geschieht die Einladung meistens vermittelst eleganter Karten;
in früherer Zeit wurde zu diesem Zwecke ein eigener „Hochtidsbidder"
ausgesandt. War die Hochzeit gross, dementsprechend die Zahl der Ein-
ladungen bedeutend und die Entfernungen weit, so stellte man ihm auch
wohl ein Pferd zur bequemeren und schnelleren Erledigung seines überall
Freude erregenden Auftrages. Ich kenne sie noch, die alten „Hochtids-
bidder": mit bekränztem Hute, in der Rechten die mit zahllosen und in
allen Farben schillernden Bändern geschmückte Reitpeitsche schwingend,
sprengten sie in flottem Trabe vor die zum Windfang ^) führende Doppel-
thür. Hier richteten sie, ohne vom Pferde zu steigen, entblössten Hauptes
ihren Auftrag aus, nachdem sich sämtliche Hausbewohner um sie ver-
sammelt hatten, was niemals sehr lange dauerte. — Mit vieler Mühe habe
ich mir noch zwei solcher Einladungen im Wortlaut verschaffen können.
1) Es war der in Sandstedt amtierende Pastor Biedenweg, der Grossvater Hermann
Allmers', nach dessen Erzählung ich denn auch diese kleine Schilderung niedergeschrieben
habe.
2) S. nächsten Abschnitt.
Kulturgeschichtliches aus den Marscheu.
51
Eine davon mag liier Platz finden,
schützen:
„Hier komm' ich her geschritten,
Hätf ich ein Pferd, so war ich geritten:
Dieweil ich aber das nicht hab",
Muss ich wandern bei Stecken und Stab.
Hier stelle ich meinen Fuss und Stab;
Meinen Hut, den nehm' ich ab. —
Bin abgesandt und ausgefertigt mit
freundlichem Gruss
Von dem Bräutigam (Name) und dessen
Braut (Name):
Sie wollten am Freitag ihren Ehrentag
halten :
Sie möchten so freundlich sein und sie
dazu besuchen
Und mitzufeiern:
Dazu sämtlich Hausgesinde
Nachmitttigs 1 Uhr im Hochzeitshause. —
Hab' ich nun noch welche vergessen,
Etwa die in Ecken und Winkeln stecken?
Hab' ich solche nicht genannt,
So sind sie doch von mir gemeint. —
Viel Lustbarkeit soll da gegenwärtig
sein:
Denn es werden geschlachtet zwanzig
fette Ochsen
Und Schafe und Rinder auch nicht
minder.
sie vor der Vergessenheit zu
Einen Jäger auf dem See
Und einen Fischer auf dem Schnee;
Und was diese beiden nicht werden
fangen.
Das lassen sie aus Hamburg oder
Bremen langen.
Da werden sie auch bekommen
Von zwölf Malter Weizen feine Butter-
kuchen,
Und an Bier, Wein und Branntewein
Soll auch kein Mangel sein.
Sodann thu' ich noch die Jungfern und
Junggesellen warnen.
Dass sie nicht miteinander in Ecken und
Winkeln stehen:
Denn die Ecken und Winkel sind ver-
gänglich,
Und die schönen Jungfern werden hernach
kränklich. —
Mehr weiss ich nicht zu sagen:
Gestern Abend, als ich wollte studieren,
Da kamen die jungen Mädchen und
thäten mich verführen:
Da hab ich bei ihnen gesessen
Und das Studieren ganz vergessen. —
Doch endlich, eins nicht zu vergessen:
Dass man meinen Stock mir thut
verbessern.''
Sie werden auch zwei Männer haben:
Es bestand nämlich die Sitte, dass in jedem Hanse, das der Hochtids-
bidder betrat, ihm entweder ein buntes Band an den Stock geheftet oder
ihm dafür ein Geldgeschenk gemacht wurde. —
Die Fahrt zur Civiltrauung bietet stets eine willkommene Gelegenheit
zu mancherlei Neckerei. Da wird ein Seil über die Strasse gespannt und
so der mit rasender Geschwindigkeit — im allgemeinen ist der Marscli-
bauer für eine unnütze Anstrengung seiner Pferde nicht zu haben, aber
hier wie bei allen besonderen Gelegenheiten überhaupt macht er eine
Ausnahme — heransausende „Hochtidswagen" zum Halten genötigt. Und
erst nachdem der Bräutigam ein gutes Trinkgeld geopfert hat, wird der
Weg freigegeben. In früherer Zeit, als die Fahrt zum Standesarat meistens
noch auf dem Leiterwagen zurückgelegt wurde, geschah es auch wohl,
dass unbefugte Häude die Verbindung zwischen dem Vorder- und Hinter-
wagen lösten, was natürlich zur Folge hatte, dass nach kürzerer oder
längerer Fahrt der Wagen auseinanderzog und seine Insassen auf unan-
genehme Art mit dem Erdboden Bekanntschaft machten. War der Weg
trocken, so war der Schaden, w^enn nicht ernstere Körperverletzungen zu
4*
52 Tieuken:
verzeichnen waren, immerhin noch erträglich; denn der Staub liess sich
ja leielit abklopfen. War das aber nicht der Fall, so waren die kostbaren
Toiletten rettungslos ruiniert. — Meistens findet bei den Bauern die kirch-
liche Trauung im Hochzeitshause statt, nur in seltenen Ausnahmefällen im
Gotteshause und dann unmittelbar der Civiltrauung folgend.
Für die Sehmückung des Hochzeitshauses sorgen die jungen Leute
des Dorfes, die dazu von einer dem Brautpaare nahestehenden Person
eingeladen werden, denn das „Gröns-Hälen" und das „Kränsbinnen" gilt
schon für eine Vorfeier. — Zwei oder drei Tage vor der Hochzeit, die
gewöhnlich in eine der arbeitsfreien Zeiten des Jahres gelegt wird, fährt
die männliche Jugend mit einigen buntbeflaggten Wagen auf die Geest,
um Tannen- und Eichenreisig zu holen, das es in der Marsch nicht giebt.
Ist schon diese Arbeit immer ein kleines Fest, so noch mehr das folgende
Kranzbinden, bei dem natürlich die Mädchenhände das meiste thun. Die
fertigen Kränze an den bestimmten Stellen zu befestigen, die beliebten,
den Triumphbogen ähnelnden Ehrenpforten zu errichten, ist die ausschliess-
liche Aufgabe der männlichen Jugend. Gegen 7 oder 8 Uhr abends ist
man gewöhnlich mit allem fertig. Nachdem man sich nunmehr ein wenig
gestärkt hat, wird auf der grossen Dreschdiele, über die ein „Saal" gelegt
ist, ein Tänzchen gemacht, zu dem eine Handharmonika spielt.
Das „Folterabend- Werfen" ist zwar bekannt, wird aber wenig geübt.
Wenn es stattfindet, so wird damit meistens einer Art Volksjustiz Ausdruck
gegeben, sowie allerlei Schabernack und Hoheit, wie Beschädigungen der
Thüren und Fenster damit verbunden sind.
Der Hochzeitstag fällt durchweg auf einen Freitag (Weinhold, Die
deutscheu Frauen im Mittelalter, I, 333 (3. A.). Bald nach Mittag wird
der Prediger geholt, der um 2 oder 3 Uhr die Trauung vornimmt, zu der
die Musikanten einen Choral spielen. Gegen 4 Uhr beginnt der Tanz,
den das junge Ehepaar eröffnet, für welches dieser „Erste" wegen der
vielen auf ihm ruhenden Augen ein wahres Spiessrutenlaufen bedeutet;
denn noch dürfen andere Paare nicht tanzen. Erst nach dem „Ersten"
des Ehepaares, erst nachdem der junge Gatte ein Goldstück auf den Teller
der Musikanten geworfen hat, ist der Saal den übrigen tanzlustigen Per-
sonen freigegeben. Um 7 oder 8 Uhr wird zu Abend gegessen, und zwar,
wenn das Wetter es nur irgend erlaubt, im Freien. Es giebt Butterkuchen,
„Stuten"^, Kleenbrot"^) und auch wohl Schwarzbrot; an Auflagen: rohen
und gekochten Schinken, kalten Braten, Käse u. s. w\; an Getränken:
Wein, Bier oder Kaffee. Tafelmusik und Toaste aller Art fehlen nicht,
doch kommt ein allgemeiner Rundgesang nur höchst selten zu stände.
Nach dem Essen beginnt der Tanz von neuem und dauert ohne Unter-
brechung bis zum hellen Morgen. Kurz vor Mitternacht aber macht sich
1) S. den Abscliuitt „Essen und Trinken"
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 53
auf dem Saale eine auffallende Leere bemerkbar. Wo sind nur die Tänzer
und Tänzerinnen geblieben? Sind sie schon nach Haus gegangen? Weit
gefehlt. Sie sind nur „opp^i Koffee", d. h. sie haben — merkwürdiger-
weise durchweg paarweise — behufs Kaffeetrinkens einen Rundgang durch
das Dorf angetreten. Sie gehen dabei zwar nur in die Häuser „ihres-
o-leichen", geraten dabei aber nicht selten auch in solche, deren Besitzer
sie kaum oder gar nicht kennen. Aber das schadet nicht: überall werden
sie gleich freundlich aufgenommen und zum Trinken genötigt. Mindestens
muss jede Person, will sie nicht die Wirte beleidigen, zwei Tassen Kaffee
zu sich nehmen; da es nun durchaus nicht zu den Seltenheiten gehört,
dass ein Paar drei bis vier und noch mehr verschiedene Häuser besucht,
so kann man leicht ermessen, wie viel Kaffee in einer solchen Nacht drauf
geht. In den Augen der ledigen Jugend ist dieses „Oppn-Kaffee-Gahn"
eigentlich der Gipfel der ganzen Hochzeit und manches Paar kommt
hierbei nicht selten auf den Einfall, ebenfalls den „Kram" zusammen-
zuwerfen, d. h. sich zu verloben.
Nur die näheren Verwandten und Bekannten geben Hochzeitsgeschenke.
Doch teilt auch das junge Ehepaar Geschenke aus an die Schwäger und
Schwägerinnen und stets auch an die Dienstboten. Die Geschenke bestehen
durchweg in Kleidungsstücken.
Um die Ausrichtung eines grösseren Familienfestes, sei es welcher
Art es wolle, zu erleichtern, erfordert die Sitte, dass die näheren Freunde
und Verwandten allerlei Zuthaten, wie Milch, Butter, Sahne u. s. w. in das
Haus schicken, welches das Fest veranstaltet. Dafür senden dann aber
die Gastgeber jenen wieder einen grossen Teil der Überreste vom Fest-
mahle ^).
Veranstaltet jedoch ein den niederen Ständen angehörendes Brautpaar
eine grössere Hochzeit, zu der die Dorf-Honoratioren geladen werden, so
empfängt es von allen Gästen ein gutes Hochzeitsgeschenk, gleichsam als
Vergütung für die dargereichten Speisen und Getränke. Dadurch wird
nicht selten aus der Hochzeit ein gutes, einträgliches Geschäft.
Hatte der junge Ehemann früher mit einem anderen Mädchen ein
anscheinend ernsteres Verhältnis unterhalten, so wird diesem jetzt von der
schadenfrohen Frau eine grosse Puppe, „'n Strohkerl" aufs Dach oder vors
Fenster gestellt. Ein gleiches geschieht auch einem etwaigen früheren
Liebhaber der jungen Frau, nur dass die Puppe dann natürlich ein „Stroh-
wiw" ist. — Neuerdings nimmt diese Neckerei jedoch zusehends ab.
Wird die Ehe des jungen Paares durch die Geburt eines Stammhalters
gesegnet, so ist die Freude gross. Da senden die glücklichen Eltern den
Knecht oder die Magd zu den näheren Verwandten und Bekannten, um
1) Vgl. K. Haberland, Gebräuche und Aberglauben beim Essen: Zeitschr. für Völker-
psychologie und Sprachwissenschaft, 1885, S. 3(n.
54 Tieuken: Kulturgeschichtliches aus den Marschen.
„Bärenbrot" zu sagen, d. h. ihnen die Geburt des kleinen Lebewesens
anzuzeigen, wofür der Bote von diesen mit einem Geldgeschenk belohnt
wird. — In den wohlhabenderen Familien findet die Taufe stets im Hause
statt, nur die Kinder der ärmeren Klassen erhalten sie im Gotteshause.
Besondere Sitten und Gebräuche treten bei der Taufe nicht hervor. Erst
in den letzten Jahrzehnten ist sie eine Veranlassung zu feineren und
grösseren Gastereien geworden.
Viel Aufwand wurde in früheren Zeiten bei Leichenbegängnissen ge-
macht; die „Grossärdigkeit" war dabei das leitende Prinzip. Kaum hatte
jemand die Augen geschlossen, so wurden auch schon die näheren Ver-
wandten und Bekannten zum „Kleiden" geladen. In der Regel aber be-
sorgten einige alte Frauen das Waschen und Kleiden, während die offiziell
hierzu Geladenen sich an Kuchen, Kaffee und Wein gütlich thaten. Eine
andere Einladung, die zum „Ins-Holz-Legen", war ebenso formell, denn
das Einsargen besorgte mit Hilfe der Knechte und etwaiger Tagelöhner
der Tischler, der den oft luxuriös ausgestatteten Sarg geliefert hatte.
Zur endlichen Bestattung wurde der Sarg auf einen im Windfang
stehenden, schwarz und weiss verhangenen Tisch gestellt, und zwar so,
dass die Füsse der Leiche gegen die Ausgangsthür gerichtet sind. Dieses,
wie auch der Brauch, die Leiche mit den Füssen voran aus dem Hause
zu tragen, ist die Folge eines alten Aberglaubens, dass die Leiche sonst
wiederkehren würde. Die zur Trauerfeierlichkeit geladenen Gäste wurden
im Windfang von den hierzu bestimmten Personen empfangen und, nach-
dem sie am Sarge, der von vielen Kerzen umgeben war, ein stilles Gebet
gesprochen hatten, in die einzelnen Zimmer geführt. In das sogenannte
„Trauerzimmer" kamen nur die nächsten Verwandten der verstorbenen
Person und der Pastor. Ein anderes Zimmer wurde den Trägern des
Sarges bestimmt, welche, wenn die verblichene Person verheiratet gewesen
war, den verheirateten Männern des Dorfes entnommen wurden, oder
ledige Leute waren, wenn auch die Leiche bei Lebzeiten unverheiratet
geblieben war. Ein drittes Zimmer endlich fasste alle übrigen Gäste.
Besonders dazu geladene Freunde und Nachbarn besorgten, wie bei
allen Familienfesten die Aufwartung. Die Gäste unterhielten sich in leisem
Flüsterton, aber darum nicht weniger lebhaft als sonst. Ebenso still und
geräuschlos traten sie in den Windfang, in dem sich die nächsten Leid-
tragenden bereits hinter dem Sarge niedergelassen hatten, sobald die
Trauerrede beginnen sollte. War diese zu Ende, so wurde den Trägern
noch ein Glas Wein und eine Citrone gereicht, ein stilles Gebet noch
gesprochen und dann der Sarg auf die bereitstehende Tragbahre gestellt,
mit dieser auf die Schultern genommen und weggetragen.
Auf dem Kirchhofe wurde der Sarg einmal um die Kirche getragen,
dann neben dem offenen Grabe niedergesetzt und, nachdem der Pastor
nochmals einige Worte gesprochen hatte, der Erde übergeben.
Zingerle: Über alte Beleuchtungsmittel. 55
So war es früher und so ist es zum grössteii Teil heute noch.
Während aber heute jeder Gast sich sogleich vom Kirchhof aus in seine
Wohnung begiebt, war in früherer Zeit „das Amen dieses Gebetes" (es
ist das letzte Gebet auf dem Kirchhofe gemeint) „das Signal zur eilenden
Rückkehr ins Trauerhaus, wo schon auf allen Tischen Massen von Kuchen
und lange Reihen von Weinflaschen, dazwischen Thonpfeifen, Teller mit
Tabak, Fidibus und Cigarren die Gäste erwarteten und wo nun der zweite
Teil des Tages, der Leichenschmaus, seinen Anfang nahm. Herrschte
vorher die grösste Stille im Hause, wurde nur geflüstert und leise auf-
getreten, so ist jetzt mit einem Male jeder Zwang entfernt. Alles atmet
auf, man isst und trinkt nach Herzenslust, man pafft, dass man vor Tabaks-
dampf kaum drei Schritte weit sieht, x^lle Zungen sind gelöst, man
schwatzt und scherzt, lacht und trinkt durcheinander, klingt wohl gar mit
den Gläsern an und die Gemütlichkeit steigt mit jeder Stunde."^)
Nirgends auch trat das schon erwähnte Ceremonienwesen schärfer
hervor als eben bei Sterbefällen, wo selbst die Dienstboten in den Häusern
der Verwandten noch Zeichen der Trauer anlegten. „In der Familie des
Verstorbenen aber gab es ganz wie bei Hofe eine Tieftrauer und eine
gewöhnliche, eine Volltrauer und eine halbe, je nach dem Verwandtschafts-
grade oder der nach dem Todesfalle verstrichenen Zeit, und im Verhältnisse
zum Trauergrade musste auch das übrige Verhalten stehen, so dass z. B.
eine Frau in Tieftrauer (schwarzes Wollkleid nebst gleichfarbiger dichter
Krepphaube) ein halbes Jalu- lang durchaus nicht das Haus verlassen durfte,
bei Normaltrauer (schwarzes Kleid mit weisser aber schwarzbebänderter
Haube) nur wieder am Gottesdienst und an Beerdigungen teilnehmen und
erst, wenn sie mit Violett „abtrauerte'\ solches auch an Gesellschaften, d. h.
Kindtaufon thun durfte, aber noch nicht an Hochzeiten."^)
Ist das Familienoberhaupt durch den Tod abgerufen, so tritt der Erbe
sofort in seine Stelle. Er vertritt jetzt die Familie, sitzt oben am Tische
und leitet die gesamte Wirtschaft.
(Fürtsetzung folgt.)
Über alte Beleuclitungsmittel.
Von Oswald v. Zingerle.
In alter Zeit wurde bekanntlich auf mannigfache Weise für Beleuch-
tung gesorgt. Man verwandte hierzu vornehmlich Holz, Pech, Talg und
anderes Fett, Wachs und Öl. Späne von harzreichem Nadelholz, insbesondere
1) AUmers, Marschenbuch, S. 2G0.
2) Ebenda S. 17S.
56 Zingerle:
dem der Kienfölire (Pinus silvestris L.) spielten eine grosse Rolle und
sind lieutzutage in den bäuerlichen Behausungen mancher Gegenden noch
gebräuchlich. In Tirol treffen wir hier und dort in der Stube neben dem
Ofen auch einen kleinen Kamin (Kendl, Kömich, Kömat) für Kienspan-
feuer, das lediglich zur Beleuchtung des Gemaches angezündet wird. Diese
primitive Beleuchtungsart kommt aber mehr und mehr ab, doch werden
sogenannte Kenteln noch überall gerne bei nächtlichen Gängen benutzt.
Zur Verstärkung des Lichtes band und bindet man eine Anzahl von solchen
Spänen zu einer Kieufackel (Holzfackel, Buchel) zusammen. Wo Laubwald
vorherrscht, vertrat den Kienspan das Holz der Buche und in holzarmen
Gegenden nahm man zu Stroh- und Reisigbündeln (Schaub) Zuflucht, die, um
Brenndauer und Leuchtkraft zu steigern, in Ermanglung von Pech mit irgend
einem Fettstoff bestrichen oder imprägniert wurden. Wachskerzen blieben
allzeit mehr auf den kirchlichen Gebrauch beschränkt; nur die vornehme
Gesellschaft bediente sich seit dem r2./13. Jahrhundert, zumal bei Festlich-
keiten, auch dieses, allen andern vorzuziehenden Leuchtmittels. Doch er-
scheinen in der ersten Zeit meist zwei oder mehrere dünne Wachslichter
zu einer dickeren Kerze gewunden^), während die in den Kirchen ver-
wendeten^) in der Regel schon den heute üblichen glichen und für be-
stimmte Zwecke, abgesehen von den Osterkerzen, frühzeitig in erstaunlicher
Grösse hergestellt wurden. Schmeller (Bair. Wörterb. H, 936} führt unter
„Wandelkerze" an, dass zu Regensburg 1519 eine so kolossale W. geopfert
wurde, dass man, um sie anzünden zu können, eine Leiter von 12 Stufen
anschaffen musste (s. auch Zeitschr. f. deutsch. Altert. VI, 313), doch lassen
sich ähnliche Ungetüme schon in älterer Zeit nachweisen, z. B. berichten
die Jahrbücher von Prag zum Jahr 1282, Bischof Tobias von Prag habe
bei seiner Priesterweihe und am Jahrtage seiner Bischofsweihe nach dem
Brauche seiner Vorgänger eine 220 Pfund schwere Wachskerze in der
Domkirche aufgestellt. — Gewöhnlich wurde zu den Hauskerzen Talg benutzt
und zwar machte man zuerst dünne gezogene, denen sich dann die dickern
gegossenen zugesellten. Mit Talg speiste man auch Lichttiegel und Lampen,
was auf dem Lande noch vorkommt. Die in Südtirol einst stark ver-
1) „kerzeschibe" ist keineswegs „ein gewunden, gedrän kerze", wie Lexer (Mhd.
Wörterb. I, 1560) meint, sondern nichts anderes als die der Leuchterschale entsprechende
„schibe", die man an Kerzenstäbe und wohl auch an dickere, bei kirchlichen und welt-
lichen Umzügen in der Hand getragene Kerzen steckte, um gegen das herabtropfende
Wachs geschützt zu sein.
2) In einem Urbar der Matthäuskirche in Schieis (Vinstgau) aus dem 15. Jahrh. sind
einmal als Abgabe Kerzen, que vulgariter dicuntur stalkertzen, verzeichnet. Der Ausdruck
erscheint auch in der von Birlinger (Germ. IX, 192ff., Ztschr. f. deutsch. Altert. XIV, l()2ff.)
grösstenteils veröffentlichten Tegernseer Hs., welche u. a. die Notiz enthält, dass im Jahre
1535 Kerzen gemacht worden seien und zwar Mettenkerzen 1900, Herrenkerzen 3:^50, Stal-
und Priesterkerzen o400, Laternenkerzen 3250 (s. Anzeiger f. K. deutsch. V. 1865, Sp. 439).
Man verstand darunter wohl die für ein -kerzestal" (Dornleuchter) bestimmte Kerze.
über alte Beleuchtuugsmittel. 57
breitete Lutscliear^) (lucerna) mit ihrer in der Form variiereuden, aber
stets flachen (verschiebbaren) Schale zeigt sich nur hierfür geeignet. In
den Bauernstuben des Ötzthals hängt nicht selten ein eiserner Lichttiegel
an einer horizontal drehbaren Stange, die in der Mitte des Durchzugbalkens
der Decke angebracht ist, und der aus geschabten Lumpen gefertigte Docht
wird dort auch mit Schmalz genährt, was ehemals selbst bei Kirchenampeln
der Fall war, wie u. a. aus einer Urkunde vom J. 1438 erhellt, wonach
Herr Anton Thun und dessen Frau Dorothea für die Kirche von Gufidaun
einen jährlichen Zins von 12 Pfund Berner stifteten „mit dem gedinge, das
die chirchbräbst öl oder schmaltz oder ander ding darvmb chauffen,
damit das sy die obgen. chirchen vnd alter beleuchten" (Urk. im Kirchen-
archiv zu Gufidaun). Sonst wurde vorzüglich Baum- und Leinöl, aber auch
Mohn- und anderes ÖP) zur Füllung der Lampen gebraucht. Wenn
Alw. Schultz (Höf. Leben I, 94, Deutsch. Leb. im 14. und 15. Jahrh T, 7o)
glaubt, die Lampen seien in den besseren Häusern selten gewesen, so ist
er im Irrtum. Schon die altdeutschen Dichtungen zeigen, dass bis zum
13. Jahrh. die Lampe zum gewöhnlichen Hausgebrauch weit üblicher war
als die Kerze und die bildlichen Darstellungen, sowie die Geschichtsquellen
bestätigen dies. Vgl. z. B. Tliietmar v. Merseburg VII, 43, Magdeburger
Jahrb. z. J. 1018 und Jahrb. v. Prag z. J. 1258, wo über Klosterbrände
Meldung geschieht.
Ausser den genannten Brennmaterialien kamen jedoch noch andere in
Verwendung. Hieron. Braunschweig belehrt uns in seinem Distillierbuch
Bl 85b das Verbascum^), aus dessen Blättern nach anderen Berichten
Docht und Feuerschwamm erzeugt wurden, heisse Königskerze „darumb
das sein Stengel von vielen gedört wird vnd vberzogen mit Hartz. Wachs
odder Bech, darnach machen sie Stangkertzen oder Tartschen daruon vnd
brennen sie für Schaubfacklen", und in der Oeconomia ruralis des Joh.
Colerus ist unter „Lampen machen" (in der Ausgabe von 1672, S. 698 f.j
folgendes zu lesen: „Mancher guter Haußwirth hat alle ^" ächte durch eine
Lampe, die da brennet, bey seinem Betthe stehen, welche oben zu gemacht
ist, daß es niemand in der Kammer sehen oder mercken kan, daß eine
Lampe vorhanden ist, daß man balde Liecht hat, wann sich deß Nachts
etwas erhebet. An etlichen Oertern machen auch die Töpffer Lampen und
Leuchter vor die Armen auff diese Weise schier wie eine Kanne, oben
hats ein Thürlein, daß man ein Liecht drein stecken kan. darneben machen
1) Nach Schöpf, Tirol. Idiotikon S. 405 heisst im Viustgau Lutscher auch ein auf einem
dreifüssigen Gestelle stehender, drehbarer I,euchter von Eisen, sonst auch eine Lampe mit
Hängeisen. Für Lichttiegel hat man in Passeier die Bezeichnung Lutze, im Pusterthal
Tschirfe.
2) Megenberg, Buch der Natur, S. 323, 30 sagt von dem aus Bucheckern gewonnenen
Öl „daz ist gar lauter und ist güot ze prenuen in den lampen".
3) Brunfels und Fuchs nennen diese Pflanze Kerzenkraut, welche Bezeichnung Diefen-
bach, Gloss. latino-germ. G44c für Dipsacus fullonum (Weberkarde) begegnet.
58 Lübeck:
sie auch eiue Lampen in einer Schnaucken und unter derselbigen machen
sie nocli eine Lampen, wann von der obern etwas abtreufft, daß es in die
untere falle, legen das weisse von den Pinsen (so in den Bächen und Seen
gemeiniglich wachsen) darein, das brennet fein rathlich. Man schabet aber
nur ein wenig das grüne von den Pinsen ab, darnach streicht man das
ander vollend mit einem Messer herauß, das ist darnach wie die langen
Spulwürme, das binden darnach arme Leute in Bündlein zusammen und
hängens darnach auff, daß es fein dürr wird, so brennets desto lieber,
darnach legt man eins oder drey ins Fette oder Oel, oder wie viel man
will " Wahrscheinlich haben noch andere Pflanzen derartige Verwertung
gefunden.
Czernowitz.
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker.
Von K. L. Lübeck.
(Fortsetzung von Zeitschrift VIII, 389.)
Die Gesamtheit in ihrer Stellung zur Krankheit.
Ausser den angeführten Mitteln, die Krankheit zu heben, existiert noch
ein letztes: die gemeinsame Verehrung des Krankheitsdämous durch das
gesamte Volk an einem bestimmten Tage im Jahr. Dem Krankheitsgeist
wird ein bestimmter Tag geweiht, an welchem durch animalische oder
vegetabilische Opfer seine Gunst gewonnen werden soll, so dass die ihn
verehrende Gemeinschaft von ihm verschont bleibt.
Es ist wirklich eigentümlich zu sehen, was für ein mächtiges Interesse
nicht nur der Einzelne, sondern auch die Gesamtheit der Gesundheit und
Krankheit auf Schritt und Tritt entgegenbringt. Über alles spricht man
sich aus, aber man vermeidet ängstlich Gespräche über Krankheit und
Tod, wenn man nicht durch einen bestimmten Krankheits- oder Todesfall
darüber zu sprechen genötigt wird. Es ist dies eine Beobachtung, die wir
in sämtlichen Schichten der hiesigen Bevölkerung machen mussten.
Eigentümlich genug spricht sich dieses Interesse für die Gesundheit auch
in den hiesigen Sprichwörtern, Glückwünschen u. s. w. aus, doch ganz
besonders in den Begrüssungsformeln und Wohlseinserkundigungen. Ähnlich
dem Türken, der nach dem „Innern Wohlbehagen und der Wonne", dem
gleichzeitigen seelischen, geistigen und physischen Wohlsein, dem „Kef^
fragt, aber doch nicht so weltvergessen wie er, hat die hiesige Bevölkerung
als erste Frage stets: „Wie steht's mit deiner Gesundheit?" Sich ganz
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. 59
fremde Menscheu, die der Zufall zusammengeführt hat, werden doch niemals
unterlassen, diese Frage zu stellen. Und ganz bezeichnend ist dabei, dass
die einfache Antwort: „gut" oder „sehr gut", die doch nichts zu wünschen
übrig lässt, den Fragenden gar nicht zufrieden stellt, sondern ihn stets zu
der höchst sonderbaren Frage: „Wie ist dir noch?" (= wie gehfs dir noch?)
weiterführt, eine scheinbar überflüssige, ja geradezu unvernünftige Frage,
welche indes darthut, wie tief eingewurzelt das Interesse für gegenseitiges
Wohlbefinden ist. Wir können aus eigener Erfahrung berichten, dass uns
diese Frage noch immer höchst sonderbar anmutet, obwohl wir sie Tag
für Tag jahraus jahrein unzählige Male zu vernehmen und zu beant-
worten haben.
Bei diesem so allgemeinen Interesse für die Gesundheitslage jedes
einzelnen kann es nicht befremden, dass dieses Interesse im Laufe der
Zeit eine hochgradige Entwicklung erfuhr, die schliesslich in Festtagen,
die zur Besänftigung der verschiedensten Krankheitdämoninnen eingeführt
und vom gesamten Volke mit gleicher Teilname begangen wurden, ihren
vollendetsten Ausdruck fand.
Wer nur immer einen Blick in die Nomenklatur der hiesigen Kalender-
namen wirft, wird sofort durch die eigentümliche Benennung einer ganzen
Reihe von Tagen in nicht geringe Verwunderung geraten. Da giebt es
einen „Mäusetag'', einen „Elfenmittwoch", einen „Mütterleinstag", zwei
verschiedene „Seelentage'', einen „schwarzen Dienstag", zwei „Blitztage",
einen „Pferdetag", einen „Schlangentag'', einen „Feuertag", einen „Donner-
tag-', einen „verrückten Mittwoch", einen „Bärentag", einen „Schmetter-
lingstag", einen „reinen Montag", einen „Hundetag", einen „Bienentag",
eine ganze „Hühnerwoche", einen ganzen „Elfenmonat" u. s. w. u. s. w.
Wer die hiesigen Verhältnisse, die heutigen real - mythologischen An-
schauungen, die im Balkangebiet gang und gäbe sind, nicht kennt, wird
solche Kalendertage unbegreiflich finden und sie auf ganz andere Umstände
beziehen als sie bezogen werden dürfen; man wird schwerlich verstehen
können, wie heute noch im Volke dem Meister Petz, dem Isegrimm, dem
schlauen Reinecke, der tanzenden Sonne, den furchtbaren Elfen, den ver-
heerenden Mäusen, den unter der Erde hüpfenden Schätzen u. s. w. be-
stimmte Tage geweiht sind, die alle durch eine bestimmte Begehungsart
sich voneinander unterscheiden.
Viele dieser Tage, ja geradezu die meisten, sind Feiertage zu Ehren
der Geister der Krankheit und des Todes. Ihre Zahl beläuft sich an
manchen Orten auf dreissig und selbst noch mehr. Das Volk, das niemals
darauf kam, die Krankheiten methodisch zu beobachten und bis au ihre
Quellen zurückzuverfolgen, war auch nicht imstande, bei Zeiten die zur
Abwehr einer Epidemie notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Indessen
war das Volk nicht ohne alle Kenntnis der Einflüsse von Ort und Zeit
auf die Entstehung der Seuchen. Dies beweist schon die zeitliche Ordnung
60 Lübeck:
der Krankheitstage, die nur hin und wieder durch das Eindringen kirch-
licher Elemente geändert erscheint. Es geht aus der Anordnung jedenfalls
hervor, dass mau wenigstens die auf Krankheit bezüglichen Begriffe von
Ursache und Folge wenn auch noch nicht durch den Ausdruck „weil", so
doch durch einen bestimmten Jahrestag miteinander vermittelte und ver-
knüpfte. Man darf, um letzteren Satz seinem ganzen Inhalt nach zu ver-
stehen, nicht vergessen, was über die feste Gesundheit dieses Menschen-
schlages einleitend gesagt wurde: dass die Krankheit meist eine ausser-
gewöhnliche und plötzlich eintretende Erscheinung ist. Die unsichtbaren,
verheerenden Überfälle, die die Krankheiten in der hiesigen Bevölkerung
urplötzlich ausführten, wodurch ein massenhaftes Sterben in kurzer Zeit
und zwar meist in bestimmten Jahresabschnitten verursacht wurde, steigerte
den Schrecken und die Furcht so sehr, dass man begreifen kann, wie fast
jede Krankheit ihren eigenen Festtag hatte, an dem sie verehrt wurde,
und dass somit die Zahl dreissig jedenfalls zu niedrig gegriffen ist. Man
erkennt aus diesen Krankheitstagen und ihrer Dauer leicht, was für
Krankheiten hauptsächlicli im Yolke so mächtiges Grauen erweckt haben:
<lie nachhallendste Wirkung scheinen Wahnsinn und Pest hinterlassen zu
haben.
Der allgemeine Charakter der Krankheitsfeste ist folgender. Au allen
diesen Tagen werden entweder eine oder mehrere Brotarten gebacken, die
für jeden Feiertag, dem sie dienen, eine besondere unabänderliche Form
oder Zeichnung aufweisen. In dieser Form bemerkt man ein symbolisches
Prinzip; ausgeschlossen ist die Verwendung von menschlichen, tierischen
oder Pflanzenformen oder Ornamenten, welcher Mangel sich vielleicht
aus türkisch-religiösen Einflüssen erklären lässt. Man hat es da mit sehr
sonderbaren Punkt- und Linienzeichnungen zu thun, die ihre Erklärung
wohl in uralten Vorstellungen finden. Dass diese Zeichnungen und Formen
noch heute einem bestimmten Prinzipe folgen, lässt sich au einigen
von ihnen nachweisen, auf welche wir später zurückzukommen haben
werden. Andere Züge der Krankheitsfeste sind: die Segnung der Speisen:
die gründliche Reinigung des Hauses, wovon wir schon Andeutungen in
einer Bannformel fanden; der Genuss und das Verbot bestimmter Speisen:
die Arbeitsruhe; eine deutlich zu Tage tretende grössere Bedeutung der
Frau; das Aussprechen von Segens- oder Bannsprüchen, verbunden mit
einer Reihe mehr oder weniger verständlicher Ceremonien: das Aufsuchen
von Heilkräutern und die Aufführung symbolischer Spiele.
Einige dieser Tage haben nur lokale Bedeutung, einige werden durch
das ganze Land von der gesamten Bevölkerung (insbesondere in den
bäuerlichen Distrikten) mehr oder weniger feierlich begangen, w^obei die
sinnliche Vorstellung eines Krankheitsdämons in einigen Gegenden sich
zum Teil verwischt und mit christlichen Elementen ununterscheidbar ver-
schmolzen hat. In anderen Gegenden dagegen hat sich die ursprüngliche
Die Krankheitsdämonen der Baikauvölker. 61
Kraft der Yorstellung erhalten und eine Reihe interessanter Ceremonien
und Gebräuche entwickelt.
Je nach den Verlusten oder Schädigungen, die dem Menschen durch
die Krankheitsgeister zugefügt werden, muss man zwei Gruppen unter-
scheiden: zunächst die, welche den Menschen ganz direkt betreffen; dann
die, welche seine Haustiere berühren. Einige der Haustiere haben eine
so mächtige Bedeutung für das Volksleben erlangt, dass dieses nicht bloss
ihrer nicht entbehren kann, sondern von ihrem Zustand abhängig wird.
Solche Tiere sind Pferd, Kuh, Huhn, Biene u. s. w. Die ungeheure
Bedeutung der Erkrankung derselben für das landwirtschaftliche Leben, die
als Verbündete des Menschen ebenso leicht den Zorn mächtiger unsicht-
barer Wesen auf sich herabbeschwören können wie der Mensch selbst,
erklärt ohne weiteres, wie es kam, dass die Hälfte der den Krankheits-
geistern bestimmten Festtage zur Verehrung der die Haustiere heim-
suchenden Krankheiten veranstaltet wird. In diese Gruppe von Tagen
sind jene jedoch nicht mitinbegriffen, die zum Schutze der Haustiere vor
Wolf, Schlange, Bär u. s. w. festlich begangen werden.
Indem wir nun auf die den Krankheitsdämonen der einzelnen Tiere
angesetzten Festtage zu sprechen kommen, müssen wir gleiclizeitig bemerken,
dass in ihnen sich nicht äussert, ob man es mit weiblichen oder männ-
lichen Krankheitswesen zu thun hat. Aus der Analogie der Gebräuche
und der Tage an sich glauben wir aber schliessen zu dürfen, dass auch
die Krankheitsgeister der Tiere weiblichen Geschlechtes sind.
Wir erwähnen nun zunächst den Hundetag. Die zeitliche Bestimmung
dieses Tages hängt von dem zeitlichen Eintreffen der Ostern ab; doch
fällt die Begehung immer auf einen Montag. — Der Hund, dieser uralte
und uneigennützige, dem Menschen so notwendige Freund, hat einen
mächtigen Feind, das ist der Geist des Wahnsinns. In bäuerlichen Be-
zirken und Gebieten, wo, wie hier zu Land, der Hund viel w-ichtiger ist
als in den Städten, und Häuser ohne Hund etwas Undenkbares sind (Wohn-
stätten mit zehn und noch mehr Hunden sind bei uns gewöhnlich), geniesst
der Hund einer ganz besonderen Achtung. „Kein Hund ist vor seiner
Thür" sind verächtliche Ausdrücke, die auf einen grundschlechten Menschen
angewandt werden. Bei dem grossen Wert, den der Hund für Bauer,
Hirten und Jäger hat, ist begreiflich, dass der Verlust eines solchen Tieres
sehr schmerzlich empfunden wird.
Die Verehrung des Wahnsinngeistes des Hundes, welchem Geist so
viele dieser Tiere zum Opfer fallen, ist sehr eigentümlich und muss, wenn
wir sie mit anderen, europäischen Erscheinungen vergleichen, von grauen
Zeiten her sich erhalten haben. An jenem Montagsmorgen nun errichten
die jungen Burschen des Dorfes auf ausserhalb desselben gelegenen Plätzen
mächtige Schaukeln verschiedener Konstruktion, von denen einige den
schweizer. „Gigampfe" gleichen, nur mit dem Unterschied, dass der Schaukel-
Q'2 Lübeck:
balken dieser letzteren in einer und zwar durch die Einhängevorrichtung
bestimmten Yertikalebene auf- und niedersteigt, während der Schaukel-
balken der hiesigen sich nach allen Seiten, nach oben und unten, nach
rechts und links frei bewegen kann. Es kommen ausserdem Galgen und
Seilschaukeln zur Verwendung, welch letztere von einer ganz 1)eträchtlichen
Höhe sind. Wir sahen solche von 10—15 und noch mehr Meter Höhe.
Auf solche Schaukeln wird nun der Hund gebracht, festgebunden und
einigemale tüchtig hin- und hergeschaukelt, wobei das Trittbrett, an welches
er geknebelt ist, ganz gehörige Kreisbogen beschreibt. Hierauf wird der
Hund losgebunden und sich selber überlassen. Das drollige Gebahren
desselben nach dieser Prozedur mag, da ihm wohl schlimm genug gewesen
sein mochte, viel zu der Ansicht beigetragen haben, dass ein geschaukelter
Hund nicht vom Wahnsinne geschlagen werde, sondern den möglicherweise
in ihm hausenden doch noch nicht sich äussernden Gast von sich schüttle.
Es scheint uns diese Prozedur, die wir leider noch nicht beobachten
konnten, nur ein Yorbeugungsmittel zu sein und nicht sowohl an kranken
als an ganz gesunden Hunden ausgeführt zu werden. Daher wird sie denn
auch mit möglichst vielen Hunden vorgenommen. Sind in einem Hause
mehrere Köter, so wird das Schaukeln nur an einem vollzogen. Bloss die
Hirten bringen alle ihre Hunde durch die Bank auf die Schaukel. Man
darf dabei nicht vergessen, dass diese Tiere bei uns oft eher einem grossen
Wolf oder einem zottigen Bären gleichen denn einem Hunde, wodurch wir
nur andeuten wollen, dass mau es hier nicht etwa mit einem kindischen
Spiel zu thun hat, sondern mit einem bedeutungsvollen Akt. Es lässt sich
dies auch noch aus folgendem ersehen: Die Seilschankel wird ihrer Höhe
wegen meist an Bäumen angebracht, aber nicht jeder Baum kann zu diesem
Akt benutzt werden. Ein treibender Baum soll z. B. sehr rasch absterben,
wenn die Wahnsinnsschaukel an ihm befestigt wurde. Ja sogar das ganze
Dorf, das sich dieser Benutzung eines treibenden Baumes schuldig machte,
soll von allerhand Kalamitäten heimgesucht werden. — Zur Erklärung
dieses Schaukelspiels müssen wir zunächst in Erinnerung bringen, dass
hier zu Land eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit in Dreh- und Schwing-
schaukeln besteht, die man umsonst im europäischen Westen suchen würde;
dass das Schaukeln auch den Menschen einer uralten Gewohnheit zufolge
an bestimmten Tagen im Jahr vorgeschrieben wird; dass besonders zu
Ostern, d. h. wenn die Tage bereits wärmer werden. Gross und Klein,
Jung und Alt, Reich und Arm, Ledig und Verheiratet, Männer und Weiber
die Schaukel besteigen; dass alte Lieder die Schaukel in sehr nahe Be-
ziehung zur Sonne bringen: die Sonne (männl. Wesen) lässt sich sogar
am Ostertage an einer unsichtbaren Schaukel herab, oder besser gesagt,
lässt sich in Wolken verhüllt, wie ein Volkslied ausführt, bis nahe auf
die Erde hinab und zieht die sich schaukelnde Grosdanka, die sie sich als
Braut ausgesucht hat, samt ihrer Schaukel von der Erde in den Himmel,
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. 63
um sich mit ihr zu verheiraten. Die Sonne selbst scheint, wie das Volks-
lied lautet, die Schaukel und die schaukelnde Bewegung zu lieben: auch
zieht das Volk an einem gewissen Tag im Jahr hinaus ins Freie, um den
vor Sonnenaufgang stattfindenden Sonnentauz zu sehen: wir sahen selbst
an einigen Orten etwa '/^ — V2 Stunde vor Aufgang einen ganz beträcht-
lichen Saum des Osthorizontes durch die Lichtstrahlen in eiue wenigstens
7-2 Stunde andauernde äusserst heftige Wellenbewegung versetzt, als wenn
der ganze Osthorizont wie siedendes Wasser . aufbrodelte. Wären wir nicht
am Ende des 19. Jahrhunderts, wer weiss, ob wir nicht die Erklärung der
tanzenden oder schaukelnden Sonne äusserst richtig und zutreffend befunden
hätten. So seltsam uns nun auch diese noch heute hier empfundene Be-
ziehung zur Sonnenbewegung anmutet, so finden wir diese doch noch
anderswo wieder. Wir erinnern an das Diskuswerfen, an das Herabrollen-
lassen von Rädern von Berghöhen in die Tiefe, an die Gebetmühlen der
Chinesen, an die Kreistänze der Griechen, Bulgaren, Rumänen, — vielleicht
auch an die indogermanischen und anderen Völkerwanderungen nach dem
Westen u. s. w. Lassen wir hier das Wort dem geistreichen Forscher
A. Geiger: „Die gegenwärtigen Menschen pflegen bei Handlungen und
Ceremonien wo nicht nach dem Zweck, doch nach der Bedeutung zu
fragen. Allein für das älteste Handeln ist diese Betrachtungsweise nicht
ganz zutreffend, ihre Gebräuche bedeuten nichts, sie wollen mit ihnen
nichts sagen, keine Gedanken ausdrücken. Sie sind nicht Symbol, sie
sind Instinkt. Was wir in dem Halbdunkel der Urgeschichte von dem
geheimnisvollen Wirken und Weben der Menschheit gewahren, es zeigt
uns unser eigenes Bild seltsam verändert, ja von fast schauerlicher Fremd-
artigkeit. Wenn durch das Herumgehen im Kreise, durch kreisförmige
Prozessionen oder Wettläufe, durch rotierende Drehung von Gegenständen
mancher Art, die Bewegung des Himmels nachgeahmt wird, so sind dies
Ausbrüche eines gewaltigen Instinktes, eines Nachahmungstriebes, der das
Menschengeschlecht auf einer gewissen Stufe seines Daseins mit unwider-
stehlicher Macht beherrscht haben muss.'' ^) — Diese Beziehung der Schaukel
zur Sonne erklärt nun auch, warum dieselben möglichst hoch angebracht
oder aufgerichtet werden. Es existiert übrigens am selben Tage noch ein
Gebrauch, der gleichfalls mit dem Licht in Beziehung tritt: Mancherorts
begeben sich die Leute an diesem Tage an den Bach oder Fluss und
waschen sich daselbst die Augen aus. Es soll nämlich das Wasser dieses
Tages augenheilende Kraft haben.
Der Tag, an dem der Krankheitsdämon der Pferde gefeiert wird,
ist der St. Theodorstag, dessen zeitliche Bestimmung gleichfalls vom
zeitlichen Ausgang der Osterfeiertage abhängt. Das Pferd spielt im Lande
eine ganz aussergewöhnliche Rolle. Es giebt bei dem Mangel der aller-
1) A. Geiger, Zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit, S. 107 f.
(j4 Lübeck:
einfachsten Verkehrsmittel, dem fast totalen Fehlen für Wagen passierbarer
Wege und der notwendigen Brücken kaum ein wichtigeres Verkehrs- und
Trausportmittel als das Pferd. Es sei auch zur besseren Orientierung die
Angabe der „Gazette de Lausanne" vermerkt, dass in der Schweiz auf
700 Menschen ein Postbüreau kommt und hier nur eines auf 19 000. —
Am St. Theodorstage werden zwei Brotformen gebacken, von denen die
eine, das sogen. St. Theodorsbrot, zerschnitten und teils in die benach-
barten Häuser verteilt, teils im Hause genossen wird. Die das Gebäck
ausgebende Frau wiehert bei dieser Ceremonie wie ein Pferd, schlägt mit
dem Fusse aus und sagt einen Segensspruch her, der auf die Fruchtbarkeit
der Pferde zielt. Während der ganzen Festwoche (vom Montag bis Freitag
einschliesslich) werden keinerlei Hülsenpflauzen in irdenen Gefässen zu-
bereitet, nicht Erbsen, noch Lauch, noch Bohnen, noch Zwiebeln u. s. w.,
damit die Pferde nicht von der Krankheit befallen werden. Diese lange
Dauer spricht deutlich genug die Furcht vor dem fraglichen Krankheits-
dämon und die Wichtigkeit des Pferdes im Haushalt des Bauern aus.
Auch die Bienen haben Krankheitsdämoneu, die sie heimsuchen.
Die Einsetzung einer festlichen Verehrung derselben zum Schutze gegen
die vernichtende Gewalt der Krankheiten, denen sie ausgesetzt sind, erklärt
sieh wiederum aus der grossen Bedeutung dieser Tiere für den Menschen.
Der Festtag fällt auf den 8. Juli, an welchem gleichfalls verschiedene
Brotformen gebacken und in die benachbarten Häuser verteilt werden.
Ausserdem wird früh am Morgen dieses Tages ein Honigstock angeschnitten,
dessen Honig gegen verschiedene stechende Schmerzen wie Seitenstechen,
Insektenstich u. s. w. und auch gegen Halsleiden zur Verwendung gelangt.
Weitaus das wichtigste Verehrungsfest, das in diese Feiertage ein-
zureihen ist, ist das St. Martinsfest, hier im Lande „Mratinzi" genannt.
Die „Mratinzi" sind Feiertage, die an einigen Orten vom 11. — 13. November,
an anderen vom 11. — 17. November dauern. Auch hier spricht die lange
Dauer für die aussergewöhnliche Bedeutung dieses Festes, das, wie mau
sieht, dem europäischen Martinsfest zeitlich entspricht. Die Benennung
Mratinzi hat aber direkt nichts mit dem hl. Martin zu thun. Es liegt hier,
unserer Meinung nach, nur eine geschickte Anlehnung oder selbst Deckung
eines christlichen Feiertages mit einem heidnischen vor. In dem slavischen
Wort Mratinzi zeigt sich nämlich deutlich der Begriff des Zermalmens,
Verfeinerns, Zerstörens, der sich ja noch in gar manchen Wörtern der so
ergiebigen Wurzel mr sehr verständlich erhalten hat. Wir erwähnen bloss
mit Bezug auf die slavischen Sprachen, dass die Wörter des Sterbens,
Zersetzens, Verfaulens, Stinkens und Beschmutzens zu nicht kleinem Teil
von der besagten Wurzel herrühren, ohne die grosse Zahl Begriffe in Er-
wähnung zu ziehen, die andere europäische und asiatische Sprachen, alte
oder neue, aus dieser Wurzel bildeten. — Somit bezeichnet der Ausdruck
Mratinzi eigentlich die Tage, die dem Zerstörer, Zerbeisser, Mörder
Die Krankheitsdänionen der Balkanvölker. (j5
(der (resuudheit und des Lebens namentlich des Geflügels) zur
Verehrung bestimmt sind. Nach hiesiger Auffassung ist das Geflügel
Eigentum der Hausfrau, und da das Huhn unter demselben die erste Stelle
einnimmt, so hat dieser Vogel auch eine ganz besondere Bedeutung und
geniesst einer speciellen Obhut. Zur Abwehr seines schrecklichsten Feindes,
eines das gesamte Hausgeflügel binnen kurzer Zeit hinraffenden bösen
Krankheitsgeistes Namens Mratinik wird die Martinswoche gefeiert. Dieser
Krankheitsgeist wird als „kohlrabenschwarzes", grauses, geflügeltes Huhn,
mit unheimlichen, mächtig grossen Augen dargestellt; es scheint nämlich,
dass den Krankheitsdämonen oft die Körper derjenigen Wesen zugeschrieben
werden, die von ihnen am meisten heimgesucht werden. Ob diese Er-
scheinung allgemeine Geltung beansprucht, bleibt freilich der weiteren
Untersuchung offen.
Der Versöhnungsakt nun mit dem Krankheitsdämon Mratinik geht
folgenderweise vor sich: Nachdem von der Hausfrau (Gattin) das schönste
schwarze Huhn, und zwar ein Hähnchen, ausgesucht worden ist, wird das-
selbe von zwei männlichen Personen geschlachtet. Ein Volksgebrauch
verbietet den Frauen streng jedwede solche Tötung. Die Schlachtung
geschieht am Martinsabend. Das Hähnchen wird auf die Hausthürschwelle
gelegt, von einer der beiden Personen an den Füssen, von der anderen
am Kopf gepackt, doch so, dass notwendigerweise einer der Männer ausser-
halb der Schwelle, d. h. vor der Thür, der andere innerhalb, d. h. im Hause
selbst sich befindet. Der letztere zückt nun das Messer, während der andere
ihn fragt: „Was schlachtest du?" (d. h. „was opferst du?", da „Weihnachten"
und „schlachten" im bulgarischen gleicher Wurzel sind). „Ich schlachte
den Mratinik", antwortet der auf der inneren Seite der Schwelle befindliche,
und schneidet im selben Augenblick dem Huhn den Kopf ab. Mit dem
Ausruf: „Nicht schlachten wir dich, dich schlachtet der Mratinik!" drückt
er dem abgeschnittenen Kopf den Schnabel zu, da ein Glaube im Lande
herrscht, dass, wenn der Schnabel zu ist. auch der Kachen der Wölfe
während des Jahres geschlossen bleibe, d. h. dass man von ihnen nichts
zu befürchten haben werde. Nach der Schlachtung des Huhns wird das-
selbe den Frauen zur Rupfung überlassen. Die Federn werden sorgsam
aufbewahrt und als Heilmittel für die Wöchnerin und ihr Kind verwandt.
Auch bedient mau sich der Federn am zweiten Tage der Martinswoche,
am 12. November, zum Räuchern gegen den Dämon einer „Stich" ge-
nannten Krankheit. Ausser dem Federwerk bewahrt man noch Kopf,
Füsse und Magen des Huhnes auf. Sie werden an einem schwarzen Faden
aufgeschnürt und zur Abwehr von Unheil hinter die Eingangsthür gehängt.
Manchenorts legt man noch eine glühende Kohle in den Schnabel — viel-
leicht ein Rest der früheren Verehrung des Feuers. Das Fleisch des
Huhns mit Herz und Leber wird dann zubereitet und verzehrt. Das
geopferte Huhn erhält den Namen Martinchen.
Zeitschr. d. Vereius f. Volkskunde. 1899. *1
66
Lübeck :
Dies wären im grossen Ganzen die Krankheitsfesttage der Haustiere.
Wir wollen nur noch zum Schluss erwähnen, dass die oben berührte Ver-
ehrung des Feuers noch bei einem anderen Krankheitsheilverfahren der
Tiere wiederkehrt: Wird das Yieh von einer gewissen Krankheit ergriffen,
so wird in den betroffenen Dörfern in sämtlichen Häusern das Herdfeuer
ausgelöscht und durch Reiben zweier Hölzer neues angemacht. Nützt dies
Verfahren nichts, so ist die Bevölkerung überzeugt, dass irgend jemand
im Dorf das Feuer nicht ausgelöscht habe, welche „Überzeugung" dann
oft zu heftigen Scenen veranlasst. — Nebenbei bemerkt war das Feuer-
anzünden bei Vieherkrankung ja auch in Deutschland Sitte und hat noch
heute daselbst Spuren hinterlassen (Ulr. Jahn, Die deutschen Opfergebräuche
bei Ackerbau und Viehzucht, Breslau 1884, S. 26—49). Bemerkt sei
übrigens, dass nur ein kleiner Bruchteil des hiesigen Volkes, und zwar der
roheste, die sogen. Schopen, jenen Gebrauch kennt.
Ehe wir auf die Krankheitsfesttage der Menschen zu sprechen kommen,
sei ein kleiner Exkurs über die übrigen mächtigen Feinde der Haus-
tiere erlaubt: über die wilden Tiere, den Wolf, den Bär, die Schlange u. s.w.,
denn auch diese haben ihrer Macht wegen Tage geweiht bekommen, an
denen sie verehrt werden. Dem Volksglauben zufolge ist die Martinswoche
die Paarungswoche der Wölfe. Dieselbe beginnt mit der Nacht des
11. Novembers und dauert nach allgemeinem Dafürhalten die ganzen
folgenden sechs Tage, während welcher Zeit die Wölfe furchtbar in den
undurchdringlichen verschneiten Wäldern herumheulen und damit dem
Bauer von der ihm bevorstehenden Gefahr deutlich Kenntnis geben. Des-
wegen eben schliesst er, wie ausgeführt, dem Martinshuhn den Schnabel
bei Zeiten. Der Schaden, den die wilden Tiere noch heutzutage unter
dem Vieh anrichten, ist ungemein gross, aber bei weitem nicht so gross
wie ehedem, als die Türken noch nicht jene schrecklichen Waldfrevel
verübt hatten, deren traurige Spuren man überall wahrnimmt. Freilich
geschahen diese Frevel im Interesse der türkischen Politik, die zur Er-
stickung der revolutionären Bewegungen kein anderes Mittel fand, als die
Schlupfwinkel der Verschworenen, der sogen. Chaiduten, die finsteren,
pfadlosen, unzugänglichen Wälder mit Eisen und Feuer zu zerstören.
Leidet das Volk auch heute in hohem Masse an den Folgen dieser Ver-
nichtungen, so waren doch dadurch dem wilden Getier Schranken gesetzt
und dasselbe in andere Gegenden verwiesen. Es ist begreiflich, dass zu
der Zeit, als dem Bären in jedem Haus sein Lieblingsgericht, gekochter
Mais, bereitet und aufgetischt wurde und er stündlich als Gast erwartet
war, während man glaubte, er werde die Rinder derjenigen Leute auf-
fressen, die nichts für seinen Empfang vorbereitet hatten, der Schrecken
vor diesem und ihm ähnlichen Unholden kein gelinder war, um so mehr,
als der Mangel an Schloss und Riegel, der noch heute tief fühlbar ist,
diesem Getier die Möglichkeit gab, den Volksglauben nicht selten zu ver-
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. (>7
Nvirklicheu. So begreift sich denn auch die Einführung der noch heute
fortbestehenden Festtage zu Ehren von Wolf. Bär, Fuchs. Schlange u. s. w.
als Bärentag. Wolfstag u. s. w.
Wenden wir uns nun wieder dem eigentlichen Thema zu.
Ungleich interessanter als die vorigen sind die Tage, die den Krank-
heitsdämonen der Menschen als Feste bestimmt sind. Manche der
menschlichen Krankheiten haben zwar heutigen Tages bereits wesentliche,
selbst offizielle Heilmittel gefunden, so dass die zu ihrer Austreibung er-
forderlichen Ceremonien unwesentlich geworden sind und nur ihr Name
im Kalender des Volkes an den Schrecken erinnert, der vor den betr.
Krankheiten einherraste und ihnen nachstürmte. Von den nur durch ihre
Benennung auffallenden und namhaften Krankheitstagen bemerken wir
kurz den schwarzen Dienstag, den verrückten Mittwoch und den
Kopfschwindeltag.
Der schwarze oder ussowski-Dienstag wird zu Ehren der Krank-
heit „Ustrow" oder „Ustrel" begangen, die sehr gefährlich und mit heftigen
stechenden und bohrenden Schmerzen verbunden ist, oft auch von Fluss
begleitet wird. Unserer Meinung nach scheint die Benennung „schwarz"
{tschern) dafür zu sprechen, dass man es ursprünglich mit einer schweren
Krankheit zu thun hatte, die den Tod, d. h. die aschfahle (= schwarze)
Verfärbung des Körpers zur Folge hatte, was auch die steten Ausdrücke
,.schwarze Pest", „schwarze Sorgen" u. s. w. zu belegen scheinen. Es
liesse sich zur Erhärtung dieser Meinung auch die Bezeichnung ustrel
lieranziehen, wenn man das Wort von strelja. strahlen, pfeilen, im Aorist
— mit Pfeilen erlegen, herzuleiten das Kecht hat, ohne dabei eine Volks-
etymologie zu verbrechen. Ausser den allen Krankheitstagen gemeinsamen
Merkmalen weist dieser Tag keine Absonderlichkeit auf.
Der verrückte Mittwoch, der erste Mittwoch in den grossen Fasten,
isr der Beschwichtigung des Gottseibeiuns geweiht, da dieser die Ursache
des menschlichen Wahnsinns sein soll. Dieser Tag ist deshalb interessanter
als der vorhergeliende. weil kirchliclie Anschauungen und Elemente in
desselben Begehung eintraten und ilmi durch ihren Konservativismus etwas
von seiner ursprünglichen Eigentümlichkeit erhielten. Dieses Element
besteht namentlich in dem Cflauben, dass alles, was der vom Wahnsinns-
teufel Besessene wirkt, als schwere Sünde zu begreifen sei. eine Ansicht,
in welcher aus geistiger Beschränktheit ein psychisch unnormales, jedoch
notwendiges Geschehen mit einem moralisch bedauerlichen Akte, einem
sittlichen Postulat, verwechselt wird. — eine Vertauschung, die für sich
zwar reich an erschütternden Folgen, doch in so vergessenen und von
aller Kultur so fernen Landstrichen um so entschuldbarer wird, je mehr
sie in den Katechismen civilisierter Länder systematisiert wird. — Einen
solchen vom Wahnsinn geschlagenen, d. h. mit Sünden angefüllten Un
glücklichen meidet nach dem Volksglauben sogar der Erzengel, der sogen.
5*
(^g Weinliuld:
„öeelenausreisser" und überlässt ihn (leni Dämon, der in ihn gefahren ist.
Die Beschwichtigung und Bannung dieses letzteren geschieht dem kirch-
lichen Element des „verrückten Mittwochs" entsprechend, namentlich durch
strenges Fasten, dann auch durch Besteigung von Schaukeln, durch Be-
sprechung, Besingung u. s. w.
Der Ko])fschwindeltag ist, wie der Name schon besagt, zu Ehren
der den Kopfschwindel verursachenden, Menschen und Tiere gleicherweise
heimsuchenden Krankheit eingeführt. Der tötliche Einfluss derselben macht
sich nur bei Tieren geltend, wogegen 3[enschen bloss die Kraft zu denken
oder sich an etwas zu erinnern verlieren. Auch bei diesem Feiertage be-
schränken sich Begehung und Heilung auf die den sämtliclien Feiertagen
gemeinsamen AVeisen.
Eigentümlicher als die drei vorhergehenden Tage ist der Haartag,
hier zu Lande „Lisso^' genannt. Seine Begehung fällt auf den 14. Juni
und bezweckt die Verehrung jener Krankheit, derentwegen die Kopfhaare
ausfallen. Gilt schon in Europa der Haarausfall für Männer und Frauen
als grosses Übel, so ist dies noch vielmehr in den Balkanländern der Fall,
wo körperliche Gebrechen auf spartanische Weise in Betracht gezogen
werden, so dass ein kahlköpfiger Mensch z. B. nach dem Volksglauben
überhaupt nicht melir unter die Menschen zählt. Kahlköpfige Männer und
Frauen können sich deshalb auch nicht verheiraten: so blieb ein etwa
110 Jahr altes Weiblein, das neben uns im Nachbarhause wohnte, auch die
ganze jahrhundertlange Zeit seines irdisclien Lebenswandels seiner ewigen
Kahlköpfigkeit wegen „Jungfer'' (um uns des schweizerischen, zutreffenderen
Ausdrucks zu bedienen). Auch der Haartag w^eist keine erwähnenswerten
speciellen Ceremonien auf.
Gabrovo in Bulgarien.
(FortsctzuDi;- folgt.)
Die alte Grericlitsstätte (il Baiico de la Resön)
zu Cavalese im Fleimser Thal in Südtirol.
Von Karl Weinhold.
(Mit Tafel II.)
An der Südostseite des Marktes Cavalese, des Hauptortes im Fleimser
Thale in Südtirol, erhebt sich ein Hügel, von dem man weitliin Thal und
Berge überschaut, bis Predazzo aufwärts und bis zur Mündung des Avisio
in die Etsch abwärts. Auf dem Hügel steht die alte Pfarrkirche des Thals,
die ecclesia S. Mariae plebis Flenii, und neben ihr auf der Kirchwiese.
Die alte Gerichtsstätte zu Cavalese im Fleimser Thal in Südtirol.
69
]1 Prä. sind von einer lebenden Hecke umfriedet und von zum Teil uralten
Linden bescdiattet, die noch gut erhaltenen Reste der alten Dingstätte zu
schauen, die nicht bloss für die Dorfgemeinde Cavalese diente, sondern
die für die ganze politische Fleimser Thalgemeinde, die communitas vallis
Flemmarum. den politischen Mittelpunkt
bildete. In der Mitte des Platzes steht eiu
gemauerter, mit Por)>hyr[>latten gedeckter
Tisch; ihn umschliesst ein etw.is niedrigerer
Bankkreis, der durch zwei Zugäuge in zwei
ungleiche Hälften geteilt ist, und um diesen
Mittelpunkt zieht sich konzentrisch in einigem
Abstände ein äusserer Bankkreis, der durch
die Zugänge in vier Bänke zerfällt, alle
wie der Tisch gemauert und mit Por])hyr-
platten gedeckt (vgl. nebenstehenden Auf-
riss ö. /' und Tafel H).
Die politische Thal- und Gerichtsgemeinde Fleims^). eine alte auf
Gesamteigentum beruhende Markgenossenschaft hat, bis Tirol an Bayern
durch Napoleon 1. fiel, bestanden. Die bayerische Regierung löste sie auf
und an die Stelle trat eine private Wirtschaftsgemeinde des Thals, während
die einzelnen Dorfmarken politische Dorfgemeinden wurden.
Die Grafschaft Trient wurde durch K. Konrad 1027 von der Mark
Yeroua abgetrennt und dem Bischof Tlrich II. von Trient und dessen
Nachfolgern verliehen. So kam auch die freie Bauerugemeinde Fleims
unter den Trienter Bischof als ihren Grafen; über die Ausübung der
Gerichtsbarkeit im Thale und über die Steuern traf ein 1111 und llTi
abgeschlossener Vertrag zwischen dem Bischof Gebhart und der communitas
Tallis Flemmarum, die sogen. Patti Gebardini. die Bestimmungen, welche
<ler Thalgemeinde bis zur bayerischen Besitzergreifung als ihr Rechts-
und Freiheitsbrief gegolten haben.
Die langgestreckte Thalgemeinde, die den mittleren Teil des langen
Flusslaufs des Avisio einnimmt, war schon 1245 in vier Quartiere geteilt,
die aber nur für die Nutzung der Gemeindeländereien Bedeutung hatten.
1) Dieser Skizze liegt zu (irunde das Bncli von Tullio von Sartori-Montecroce: Die
Thal- und Gerichtsgemeinde Fleims und ihr Statutarrecht. Innsbruck 1891. Vgl. auch
Notizie storico-statistische sulla Valle di Fiemmc di S. G. Delvay. Trento 1891. Fräulein
M. Ejsn in Salzburg verdanken wir die Vorlage für unsere Bildtafel und manche Notizen.
70 Weinhold :
insofern die Waldungen und das meiste Weideland diesen Vierteln dauernd*
zur Sondernutzung überwiesen ward, während das übrige Land in vier
gleiche Lose (sorti) geteilt, zu jährlichem Wechsel unter die Quartiere
verlost wurde. 1654 verwandelte man die jährliche Losung, die sich als
schädlich erwiesen hatte, in eine vierjährige, was bis 1847 Bestand gehabt hat.
An der Spitze der Thalgemeinde stund (zuerst 1245 erwähnt) der
Scarius Episcopi, ital. Scario, der am 1. Mai jeden Jahres aus den Thal-
genossen (vicini) von dem abtretenden Scario, dessen Räten (den Regolani
de Comun) und von den Vorstehern der einzelnen Dörfer (den Regolani
delle Ville) frei gew^ählt wurde. Der Scario war ursprünglich und auch
nachher im wesentlichen der Rent- oder Steuerbeamte des Gastaldio, des
Bischofs von Trieut; ausserdem übte er. unterstützt von den Regolani de
Comun die niedere Gerichtsbarkeit der Thalmark, insofern als er über
Streitigkeiten entschied, welche die Nutzung der Mark betrafen, und über
Zwistigkeiten unter den einzelnen Dorfgemeinden (den regole) oder unter
den Quartieren. Gegen die Entscheidung des Scario konnte bei der Thal-
gemeinde Berufung eingelegt w^erden. welche dann von dem Scario zu-
sammenberufen werden musste. Von der Entscheidung dieser, zu der in^
älterer Zeit Einstimmigkeit, später Mehrheitsbeschluss gehörte, stund Be-
rufung an das Vikariatsgericht frei.
Die Regolani de Comun wurden am 1. Mai von den Vorstehern der
Dorfgemeinden gewählt, je zwei aus den Quartieren Cavalese-Varena und
Tesero, je einer aus den Quartieren Castello, Trodena. Carano und Daiono,
also zusammen acht^). Gleichzeitig wählten sie die Saltari de Comun
(Aufsichtsbeamte), den Cancelliere (Gemeindeschreiber) und die Cavedolari
(Alpmeister).
Die Wahl des Scario ward in Cavalese vollzogen: der Saltar von
Cavalese läutete dann die grosse Glocke der Marienkirche, zum Zeichen,
dass der neue Scario gewählt sei. Darnach wurden die neuen Regolani
de Comun und die anderen Beamten der (lesamtgemeiude erkoren. Da-
gegen wird die Wahl der Regolani delle Ville wohl in ihren Dörfern
geschehen sein. Die regola da Cavales hatte drei Vorsteher. In jeder
Dorfgemeinde gab es zahlreiche Saltari, über die Felder, den Bannwald,
den Markthandel u. s. w. Die Vorsteher vertraten die Dorfgemeinde ia
ihren Rechten und Interessen und entschieden in den wirtschaftlichen
Streitigkeiten der Dorfgenossen untereinander.
Zweimal im Jahre trat die Thalgemeinde zum coniune ordinäre in
Cavalese zusammen: am 1. Mai in der einst auf dem Dorfplatze befindlichen;
Gemeindehalle (la Loza) an der Kirche, und am 15. August unter freiemi
Himmel auf der Kirchwiesß, dem Prä, den wir oben geschildert haben.
1) Die ältesten nachweislichen Quarteria (1-J45) waien das Quarterium de Cavalesio-
Cadrubbio -Varena, das Qu. Tesidi, Qu. de Cadrano-Aiano und Qu. Castelli. 1318 fand die
neue Gruppierung statt: v. Sartori-Montecroce S. 7().
Die alte Gerichtsstätte zu Cavalesa im Fleimser Thal in Südtivol. 71
auf der Dingstätte, auf dem Banco de la Res*in. Die gebotenen Dinge,
comuni straordinari, berief der Öcario, indem er sie durch die Saltari in
jeder regola ansagen liess.
Die Inhaberin der Gemeinderechte war die communitas vallis Flem-
marum, die, wenn man alles zusammenfasst (v. Sartori-Montecroce S. 136)
ilie Autonomie der Thalgenossenschaft zu wahren hatte und die Verhand-
lungen darüber mit dem Grafen-Bischof von Trient, später mit der Inns-
brucker Kegieruug führte. Bei ihr stund ferner die Verfügung über die
gemeine Mark und das Genossenschaftsgut, die Entscheidung über Streit-
sachen des Coraune, die Aufnahme in die Genossenschaft und die Ordnung
der kirchlichen Umzüge der Thalgemeinde.
Auch bei der Ausübung der öffentlichen Gerichtsl)arkeit, welche dem
Bischof von Trient als Grafen zustund, hatte die Thalgemeinde ein Auf-
sichts- und Mitwirkungsrecht sich ausdrücklich bei den Unterhandlungen
mit Bischof Gebhard 1110 ausbedungen. Sie übte dasselbe durch das
consilium Juratorum, die Giurati (v. Sartori-Montecroce S. 13i>if.), bei
denen in älterer Zeit die Urteilsfindung allein stund. Aber der ständige
bischöfliche gelehrte Richter, der Vikar des Gastaldio, der dann auch seinen
Wohnsitz im Tlial genommen, beschränkte die Mitwirkung der Schöifen oder
(iiurati in Civilsachen allmählich auf das stärkste, während in Strafsachen
das Geschworenenconsil, unter einigen Änderungen, im wesentlichen die
J\ritwirkung bis in den Beginn iles 19. Jahrh. beliauptet hat.
Die ordentlichen Gerichtstermine unter Leitung des bischöflichen
Richters waren jeden Samstag (nur im Mai jeden P^reitag) im Gemeinde-
hause von Cavalese; ausser den Giurati wohnte ihnen auch der Scario bei.
l)ei den ausserordentlichen Terminen, welche der Vikai- nach Belieben
ansetzte, verhandelte wenigstens später d(n-selbe ohne Zuzieliung der Ge-
schworenen und des Scario.
Die beiden alten Placita (Piaidi) dauerten daneben fort, eins im
Frühjahr, das andre im Herbst. In ältester Zeit war der Gastaldio selbst
dazu in das Thal gekommen. In Cavalese fielen die Piaidi auf den ersten
Freitag im Mai und auf den ersten Samstag nach Martini, in Moena auf
den Montag nach dem Cavaleser Placitum.
In der Nähe von Cavalese wurden auch die Leibes und Lebensstrafen
vollzogen. Auf dem Doss de la forca (Gralgenbühel), zwischen Cavalese
und Castello, henkte, räderte und vierteilte der Henker; der Besitzer der
Galgen wiese hatte alle Instrumente dafür zu liefern. Auf dem Doss de
le streghe (Hexenbühel) ward geköpft und verbrannt. Der Pranger stund
bei dem banco de la reson.
Unleugbar liat die Gemeindeverfassung des Fleimser Thals germanische
Grundzüge. Auch in der Gerichtsverfassung sind dieselben vorhanden
gewesen, wurden aber durch römisches und kanonisches Recht überdeckt.
72 Landau :
Holekreiscli.
Von Dr. A. Landau.
Von altersher war es bei den Juden Sitte, dem neugeborenen Kinde
zwei Namen zu geben: den „heiligen" (meist hebräischen Ursprungs), der
bei den rituellen Funktionen in der Synagoge im Gebrauche war. und
einen „deutschen", profanen Rufnamen, dessen man sich im bürgerlichen
Leben bediente. Der erstere wurde in der Synagoge beigelegt, mit der
Erteilung des zweiten war und ist noch heute bei den Juden Mitteldeutsch-
lands eine häusliche Feier eigener Art verbunden.
Am Xaclnnittag des Sabbats, an dem die Wöchnerin zuerst die Syna-
goge besucht, versammeln sich die Kinder der Gemeinde in ihrer AVohnung,
und zwar je nach dem Geschlechte des Neugeborenen die Knaben oder
die Mädchen. Sie stellen sich um die Wiege des Kindes und heben diese,
nachdem der Kantor einige Bibelverse recitiert hat, dreimal in die Höhe
mit dem jedesmaligen Rufe: „Holekreisch! wie soll das Kindche heisse?"
„N." Hierauf werden sie, sowie die anwesenden Gäste mit allerhand
Süssigkeiten bewirtet.
Von dem Ausruf Holekreisch (auch Holkräsch, Cholkreisch) hat die
Feier ihren Namen erhalten. Brauch und Name sollen auch bei den
Juden Hollands und Frankreichs bekannt sein, sicher bezeugt sind sie
jedoch nur aus Weilburg. Mainz, Frankfurt a. M., der Provinz Starkenl)urg,
dem Eisenacher Oberlande und aus Fürth ^). In Ostdeutschland und Öster-
reich ist der Braucli ganz unbekannt.
Der älteste bekannte Versuch, das Wort Holekreisch zu erklären,
stammt aus dem 14. Jahrliundert. Der Rabbiner Moses Minz aus Mainz,
der um die Mitte des 15. Jahrhunderts lebte, überlieferte als Erklärung,
die sein Vater von seinen Lehrern empfangen habe, dass das Wort aus
dem liebräischen chol, profan, und kreischen zusammengesetzt sei. Spätere
Etymologien übergehend erwähne ich nur, dass Ferles a. a. O. das Wort
znerst mit Holle, Hulda in Verbindung gebracht hat. Güdemann a. a. O.
vernmtet, dass die Hulden angerufen wurden oder dass der dem Kin(U'
beigelegte Name ein „holder", von guter Vorbedingung sein sollte.
In der That hat der ganze Akt, wenn mau von der Hersagung der
Bibelverse absieht, die ja in späterer Zeit zugefügt sein kann, um ihm
eine religiöse Weihe zu geben, nichts Jüdisches au sich, so dass die Ver-
mutung nahe liegt, man habe es mit einem alten deutschen Brauche zu
1) S. die Litteratur bei Low, Die Lebensalter in der jüd. Litteratur, Szegedin 1.ST5,
S. ]04f. Pcrles in der Jubelschrift [zum 70. Geburtstag des Prof. Grätz, Breslau 1887,
:-'. 2(;. Güdemann. Gesch. d. Erziehungswesens u. d. Kultur d. Juden, Wien 18SS, S. 104 f.
Holekreisch. 73
tlmn, der vielleicht noch in die heidnische Zeit zurückreicht. Bei den
Juden konnte sich ein solcher Brauch leichter erhalten, weil bei der Sitte
der Doppelnamen neben der rituellen Namengebung noch Platz für eine
häusliche war, wogegen sich neben dem kirchlichen Taufakte eine zweite
Xamengebungsfeier nicht behaupten konnte. Wenn aber auch der Brauch
in christlichen Kreisen ganz erloschen scheint so ist doch nicht jede Spur
von ihm verschwunden: im Kinderliede glaube ich eine solche zu finden.
Am deutlichsten spricht ein Reitliedchen aus Nieder-Österreich:
Hop, hop, HeserlmAfi! Kiz'l oda GoassM.
Unsa Kaz h:id Schtiferhi nn. ,,Wea' soll's heb'n?"
Rennt damid af HoUabrunn. D' Softer] mid da Reb'n.
Firul't a Kind'I in da Sunn. „Wea'' soll d' Wind'l wasch'nV^
.,Wiä soll's hoass'n'?" D' Wabel mid da Blaudadasch'n.^)
Hier ist der Brunnen der Frau Holle, aus dem die Kinder kommen,
das Heben des Kindes, die Frage, wie das Kind heissen soll, und die
Antwort, also alh' Einzelheiten, die die jüdische Feier enthält.
Häutiger sind minder vollständige Reitliedchen. in denen der Holle
und des Hebens keine Erwähnung geschieht:
Hist Hood Edelmann! Hat ein Kindlein (unnen.
D" Katz leit d' Stiefeln an, Wie soll's heissen?
Springt in den Brunne, Endle bendle Geissen.
Hat e Kind gefunde. Wer soll die Windeln waschen?
..Wie soll es heisse?" Drei alte Plaudertaschen.*)
D' Mäckcr mit den Gaise.
„Wer soll d' Windle wasche'?'' I^e>^- ^'^it' Ja"lmaa".
Du. du alte Lumpedäsche.-^) Katz haut Stiefl aa",
Reift si üwan Brunna,
Hopp hopp Edelmann. g.j^t gje .^ Kinn'l g'funna.
D' Katz hat Stiefel an, ^öj solPs haiss'n?
Reitet über'n Bronna. ß^^^ ^it ^a Schhiiss'nl-
Hat a Kindle gfunna. (o^je,.. Zucka' af da Gaiss'n).
Wie soirs heisse? Wea^ soll d' Wind'ln wasch'n?
Böckle oder Geissle. ;^t j^ ^^^ ^^ Bücksenasch'n!"
Wer soll d' Windle wasche? ^^^^j.. .^^ ^^ Rumpltasch'n).
D" Anna mit der schmotzige Tasche.'') Wea' soll sie büag'ln?
Hist host Edelmann. „N. N. mit sein Niag'ln!^
Die Katz legt die Stiefel an. (Plan.)^)
Springt in den Brunnen,
1) Ziska u. Schottky, Österr. Volksl , 12. Böhme, Kinderlied u. Kiiiderspiol, Kö. ".74,
S. 83. Unvollständig bei Simrock, Rind erb -, No. 175 a, S. 3-26.
2^ Aus Stöber, Elsäss. Volksbüchl., 1. Aufl. (in der 2. Aufl. nicht enthalten) bei Böhme
No. 378, S. 84. Var. bei Firmenich II, 511.
3) Aus Meier, Kinderreimc a. Schwaben bei Böhme No. 377.
4) Simrock, Kinderbuch, 2. Aufl., No. 170, S 47. Böhme No. 375.
5) Hruschka u. Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen, No. W, S. 3Sl>.
74
Landau:
wer Solls wign?
da Engel mit da Geigen.
wer soll d' Windeln waschen?
die alte W;uva mit Flücheltaschen.
(Iglau.)^)
Hopp hopp, Knedelmo.
da Baur zigt se d' Stifeln 6,
get zum Brünnl,
gfindt a Ninnl (= Kind),
wie solls iiässen?
Zucker oder Gaschen.
Dagegen ist wieder vom Heben des Kinde
der Reime, in denen an die Stelle der Katze,
der in den Kinderliedern so oft wiederkehrenden „drei Jungfrauen'" tritt:
Die dritte geht ans Brünnchen,
Findt ein goldig Kindchen.
Wer Solls heben?
die Rede in der Mehrzahl
die das Kind findet, eine
Sunnche, Sunnche, komm eriwwer!
Wendche, Wendche, bleib driw^we.
Driwwe stier e Gotteshaus,
Gucke drei scheue Boppe eraus.
Dei a(n) wickelt Weire,
Dei anner spennt Seire,
Dei dritt, dei gieht ohn Bronne,
Horre Kennche funne.
Wer solls hewe?
„Dei Mahd aus 'em Lewe."'
Wie solls hasse?
„Meckele, meckele Gase."
Wer soll dei Wennele wesche?
„Dei Mahd met der Khapperdesche.'
(Königshofen. Amt Idstein.)-)
Putsche, putsche, Rösschen,
Fahr übers Schlösschen,
Fahr übers Glockenhaus,
Gucken drei schöne Puppen heraus.
Die eine spinnt Seide,
Die andre wickelt Weide,
Die dritte geht an Brunnen,
Die hat ein Kindlein l'unden;
Wie soll das Kindlein heissen?
„Ämeline Geisel"
Wer solls heben?
„Die Tochter aus dem Löwen.''
(Caub.)^')
Sonn, Sonn, scheine.
Fahr über Rheine,
Fahr übers Glockenhaus,
Gucken drei schöne Puppen heraus.
Eine die spinnt Seide,
Die andre wackelt Weide,
Die Tochter aus dem Löwen.
Wer soll die Windeln waschen?
Drei alte Schneppertäschen.*)
Reite, reite Rössche.
Zu Cöln ist ein Schlössche,
zu Cöln ist ein gülden Haus,
da schauen drei schöne Jungfrauen
die eine spinnt Seide, [raus,
die andre wickelt Weide,
die dritte geht an Brunnen,
hat ein Kindche glünnen.
wie soll's heisse?
Böckle, Böckle Geisse.
wer soll's hebe?
die Tochter aus'm Löwe,
wer soll die Windle wüsche?
der muss auch den Dreck wegfresse-
(Am Rhein.) "^)
Inche Binche, Zuckerbinche,
Fahr' iiber'n Rhein,
Fahr' üwer Gottes Haus,
Gucke drei schöne Poppe heraus.
Die eine spennt die Seid',
Die anner wackelt die Weid',
Die dritt ging längs du Bronne,
Hat e Kinnche gefonne.
Wie soll et heisse?
Inche Binche Geissei
Wer soll die Wennele wüsche?
Dau sollst du Dreck fresse.*^)
1) Feifalik, Kinderl. a. Mähren. Ztschr. f. dtsche. Mythol. IV, 346, No. 67 a.
2) Kelirein, Yolksspr. in Nassau, II, S. 81, No. 13.
3) Ebenda S. 81, No. 14.
4) Simrock No. 169, S. 46. Wunderhorn (Reclam) S. 819 Panzer, Beitrag z. dlsch.
Mythol, II, 545.
5) Panzer, Beiträge zur deutschen Mythologie, II, 546.
6) Wegeier, Koblenzer Mundart, 64.
Holekreisch.
75
Reite Reite Ressje!
Dodrowwe steht e Schlessje,
Dodrowwe steht e Herrehaus,
Do gucke drei scheene Jumfre eraus:
Die En spinnt Seide,
Die Anner wickelt Weide,
Die Dritt die spinnt e roode Rock
For unsre liewe (Karel u. s. w.) Bock.
Dazu bildet wohl die Portsetzung das
Liedchen:
Die Maad geht uff' de Brunne,
Hat e Kinnche funne.
Wie soll's heisse?
Zickel oder Geisse.
Wer soll die Windle wasche?
Unser alti Schlappertäsche.
(Mittel-Saar.) 0
Shtork. Shtork. Shtane
Vlieg iwer Haue (= Hanau),
Vlieg iwer'sh Beckersh-Haus,
Gucke drai Bobbe 'raus.
Die Aan' shpinnt Saihre,
Die Anner wickelt Waihre,
Di Dritt gibt on Brunne,
Wie soH'ss hasse y
„Hockele, Hockelc Gasse."
Wer soU'ss hewe?
„Der Becker oder der Peder."
Wer soll di Winnele wesche?
„'ss Katche mid der Labberdesche."
Shtork, Shtork, Shtork!
(Am Melibocus und um Aisbach
im Odenwald.)-)
Am Glockenbach
sind drei Poppelen drinnen,
die eine spinnet Seide,
die andre wickelt Weide,
die dritte sitzt am Brunnen,
hat ein Kindlein gfunnen.
wie soll das Kindlein heissenV
Laperdon und Dida.
wer soll das Kindlein waschen?
der mit seiner Rlappertaschen.
hängt ein Engelein an der Wand,
hat ein Eielein in der Hand;
wenn das Eielein herunterränd,
so hätt die Sonn ein End.
(München.)^)
Hot e Kintche vunne.
In den christlich gefärbten Fassungen, die man wohl als die jüngeren
ansehen darf, wird das Kind von der Jungfrau Maria gefunden, vom
Pfarrer getauft und von den Taufpaten aus der Taufe gehoben. Daneben
hat sich in einem Liedchen noch der Brunnen der Holle erhalten
Es fuhren drei Doggen durchs Thor,
Stork Stork Steine
mit de lange Beine
mit de korze Knie!
Jungfrau Marie
hat c Kind get'unne
in dem kleine Brunne.
Wer Solls hebe?
Der Petter mit der Gese.
(Der Pate mit der Gote, Taufpatin.)
Wer soll die Winnel wasche?
De Mäd mit der Plapperdäsche.
(^Dietzenbach, Kr. Offenbach.
Gh. Hessen.)*)
Die erste Wilhelmine,
Die zweite Karoline,
Die dritte Klementine.
Wer will sie taufen?
Der Pfarrer zu Laufen.
Wer will sie heben?
Die Wirtin in der Eben.
Wer will die Windl waschen?
Der Bauer in der Pumpertaschen.«)
1) Firmenich II, 555. 556.
2) Ffister, Chattische Stanimeskunde, 146. Finneuich II, 34.
3) Panzer II, 546.
4) Mannhardt, Germ. Mythen, •212; nach Ztschr. f. d. Myth. I, 475.
5) Süss, Salzburg. Volkslieder. No. 38, S. 10.
Landau: Holekreisch.
Hotthotthott Dieserlmonn,
's Katzerl hat Stiefel on,
Fohr ma's über Gmunden.
A kloan s Kindel hob ma g't'unden.
Der Pfarrer von Laufen,
Der wirds taufen;
Wer wird Windel waschen?
'n Pfarrer sei Tant, die Plaudertaschen.
(Aussee, Ennsthal.)^)
Hopp hopp hopp Beserlm:r,
die Katz hat rote Stiferln ä~,
sie reitt mit mir nach Ollersbrunn,
ligt a kloans Kind in der Sunn.
wer wirds taufa?
der Pfarra mit de laufa.
wer wird d' Windeln wascha'.-*
d' Kindsdiern mit do guldau Tascha.
(Matzen, Nieder-Österreich.) -)
Endlich seien noch einige fragmentarische oder entstellte Fassungen
angeführt :
Eins, zwei, drei.
In der Dechantei
Wird ein kleines Kind geboren.
Wie soll's heissen?
Katharina Rumplkast'nl
Wer wird d' Wiiid'I wasch' n?
D' Lena mit da Zuckatasch'n.
Eine schöne schwarze Kuh —
Drass bist du! (Plan.)^'J
In Ollersbrunn is Kirita.
sitzt a krumper Schneider da.
Schneider, lass'n Beudl da.
sunst schlag i di himmelbla.
himmelbla ist nit gnui,
krumpe Haxen ä dazui.
(Matzen.)-^)
Eins, zwei drei.
Auf der Polizei
Ist ein kleines Kind geboren;
Wie soll es heissen?
Karl oder Rumpeltaschen.
Wer wird die Windel waschen?
Ich oder du,
Die grösste Sau bist du.
(Anger, Steiermark.).^)
Hopp hopp Beserlma^
die Katz hat rote Stiferln a~,
sie reitt mit mir nach Ollersbrunn,
Fleddermuus, wa is dien HuusV
Bovven up dat Kathuus.
Wat dööst du dar?
Ik komm mien Har,
(Will) morgen met dat Kindken gan.
Wu sali dat Kindken heiten?
Ann' Mariksken Greitken.
Wel (= wer) sali dat Kindken weigen?
De Müggen un de Fleigen.
Wel sali dat Kindken waaren?
De Apen un de Baaren.
Wel sali dat Kindken begraven?
De Köster un de Raven.
(Koesfeld, Westfalen.)")
Die angeführten Kinderreime zerfallen in zwei ("n-tlich getrennte Gruppen.
Das Gebiet der einen umfasst Schwaben, Elsass. Hessen südlich vom 3Iain
und Westfalen, rahmt also das mitteldeutsche Gebiet, wo nach allgemeiner
Annahme^) der Holdakultns besonders heimisch war, im Westen und Süden
ein. Die zweite Gruppe, der man noch den isolierten, stark entstellten
Kinderreim aus München zuzählen kann, stammt aus den österreichischen
Ländern Böhmen, Mähren. Erzh. Österreich, Salzburg und Steiermark, wo
1) Schlossar, Kinderreimc a. Steiermark in dieser Ztschr. V, i'TS, No. 17.
•2) Feifalik a. a. 0. IV, 345 f, No. 67.
H) Hruschka und Toischer, 433, No. 332.
4) Schlossar a. a. 0. 282, No. 6.
5) FeifaUk a. a. 0. S. 347, No. 67 b.
6) Firmenich I, 286.
7) Mogk i. Gundr. d. gerni. Philol. I, 1106. Golther, Handb. d. gcrni. Myth.'l . 491.
Raff: Geschichten aus dem Etschhmd und aus dem Stubai. 77
sich uur vereinzelte Spuren der Hold averehr uni»,' ünden sollen. Ich be-
schränke mich jedoch darauf, diese Thatsache zu konstatieren, ohne aus
ihr Schlüsse zu ziehen, denn ich halte es für sehr unsicher, die Verbreitung-
eines Volksglaubens aus der von allerhand Zufälligkeiten abhängigen Zahl
der gedruckten Zeugnisse erschliessen zu wollen. Hat doch gerade für
Deutsch-Österreich, wo Frau Holle so selten vorkommen soll, Vernaleken
kürzlich (Zeitschr. f. österr. Volkskunde IV, 1) mehr als ein Dutzend mit
Holle zusammengesetzte Ortsnamen nachgewiesen. Aus demselben Grunde
unterlasse ich es, die Verbreitung des jüdischen Holekreisch. für welclie
so wenige Ortsangaben vorliegen, mit der der Holdasagen oder der Kinder-
reime zu vergleichen. Die Herkunft des jüdischen Brauches von einer
vorcliristlichen Xamengebungsfeier glaube ich durch den Hinweis auf die
auffallende Übereinstimmung mit den Einzelheiten der angeführten Kinder-
reime wahrscheinlich gemacht zu haben. Die Etymologie bleibt freilich
noch dunkel, denn wenn auch der Xame der Holle als erster Bestandteil
nicht zu bezweifeln ist, so ergiebt doch eine Verbindung desselben mit
dem Imperativ von kreischen keinen befriedigenden Sinn.
Wien.
Geschichten aus dem Etschlaiid und aus dem Stubai,
Mitgeteilt von Helene Jvatt'.
1. Der Teufel in der „Sonne"' in .Meran.
In Meran auf dem Rennweg steht das Gasthaus zur Sonne; du sind
einmal nach Aveläuten noch zwei Spielhansln beieinand gehockt und haben
nix gethan als wie Kartin und Fluchen. „Der Teufel soll di hol'n!" —
„Die Höir soll di einischling'n!" — so ist's in einer Tour fortgegangen.
Mittendrin aber, wie's aufschaun, so steht mit eins der Leidige vor ihnen,
grinst von einem Ohr zum andern und sagt: „Enk zwoa hob i mir scho
lang g'wunschn — iatz müassts dacht mit mi fürt." — Die zwei im höchsten
Schrecken habens Zittern und Plärren anfangen wollen, aber keiner hat
sich rühren können; da ist der Wirt aus Erbarmen hinübergesprungen zu
den Kapuzinern und hat um einen Pater gebeten mit Weihkessel und
Sprengwedel. Der Pater hat sich geschleunt und gleich bei der Stuben-
thür hineingerufen: „Teufelsschw^anz. mach, dass d" weiter kimmst!" —
„Du Rotzbua", sagt der Teufel, „willst mi aussatreibn un host sehn amol
a Ruabn vom Fehl gstohln " — „Hob i a Ruab"n g'stohln", sagt der
Kapuziner, „so thua i "s frei einbstelui — es war in'n hoassen Summa.
7S Raff:
koa Tröpfei-l Wasser iimadum und i am Weg ziia an krankn Kind." —
„Laugna tliuast net'% hat jetzt der Teufel kleinlaut gesagt „aft bist leicht
<lo besser wia n' i denkt hob." — Jetzt hat der Kapuziner fest zum Beten
und Beschwören angefangen, da hat der Teufel ausfahren müssen und ein
grosses Loch in der Decke gelassen: die zwei Spielhansln aber haben
seinen Namen nimmer mehr in"n Mund genommen.
Von einem Mädchen in Obermais.
2. Märchen von der Distel.
Ein Bauernbua ist früh aus seiner Stadelthür herausgangen, um am
Feld nach dem Plenten (Mais) zu sehn, da wäre er beinahe über eine
schöne rote Distel gefallen, die da stand. Wie er sie noch anschaut,
.kommt sein Nachbar dazu. „Grüass Gott, Loisl, was schaugst?" — „Dank
dir Gott, Seppl, siehgst was a schiane Distl steht da." — „Loisl", sagt der
Nachbar, „thua iei a Fezzele nachgrabn — woasst's net: wo a Distl wachst,
is a Schatz vergrabn, der muass blüah"n." — „Ja, Nachbar, wia tiaf muass
i naeha gra1)n, dass i 'n Schatz find'?" — „Bis an d' unterste Wurz'u muasst
kemnia; aft werd' der Schatz scho daliag'n." — Der Nachbar ist weiter-
gangen, und der Loisl hat zum Graben angefangt. Wie er mannstief
drinn in der Erden war, sieht er aber, dass die Würzen sich teilt und
lauter Fasen dahin und dorthin laufen. Jetzt ist ihm Angst worden.
„A¥ia dakenn' i"s iatz" — sagt er zu sich selbst, — „dia welle Wurz'n die
recht' is? Un dawisch' i die unrecht', na kunnt' i mi vairrn un in d' Höll'
einikemma. I trau mer nit — z'wui soll i mei arme Seel'n vaspieln?" — Da
ist er mit einem Satz aus der Gruben heraus, hat wieder zugeschaufelt
und die Distel hat er geköpft, dass nun Ruhe war.
Yon einem Schlossergesellen in Girlan im Überetsch.
'S. Der falsche Hochzeiter.
Ein Schmied in Vulpmes hat ein Töchterl gehabt, die war so viel ein
liebes und frommes Kind, und wie sie so mannbar geworden ist, hat sie
alle Abend zum Bild ihrer Namenspatronin, der hl. Katharina, gesprochen:
„Heilige Kathrina, ich bitt' gar schön um einen braven, frommen Mann."
— Über eine Zeit ist zu dem Schmied ein sauberer junger Mann gekommen,
der das Madl zur Frau hat haben wollen. „Ja", sagt der Schmied, „heirathen
muss meine Gitsche, aber was habt Ihr für ein Gewerb'?" — „Ich bringe
Güter und Leut' hinüber", sagte der andere. — „Wohl ins Oetz" — meinte
der Schmied und der Verspruch wurde gehalten. — Acht Tage vor der
Hochzeit erschien der Braut im Traum die hl. Katharina und sagte zu ihr:
„Geh' morgen früh' in den Wald und such' einen schönen Buschen für
mich." AVie das Madl früh aufwachte, dachte sie gleich an ihren Traum,
that sich geschwind an und ging in den Wald. Beim Hin- und Her-
schauen nach schönen Blumen kam sie aber ganz vom Weg, und als
Geschichten aus dem Etschland und aus dem Stubai. 79
€s ischon zum Därnmrig werden anfing, stund sie da und kannte sich gar
nimraer aus. Jetzt war's zum Weinen; sie lief in der Angst immer bolzen-
o-erad weiter, bis sie an ein Ideines Häusel kam. Wie sie anklopft, ruft
ihr niemand: „Herein^ — da drückt sie die Thür auf und geht in die
Stube, wo alles voll Gold und teurer Steine lag. Aber mittendrin ist ein
grosser Block gestanden und ein blutiges Beil dabei, und wie das Madl
in die Kammer schaut, liegen lauter tote Leut da aufeinand. Weil sie sich
noch am Thürpfosten hebt, ganz ohnmächtig vor Schrecken, hört sie
Sehritte, da springt sie geschwind in die Ecke hinter ein grosses Fass und
hält sich mäuserlstad. Wie nun jemand hereinkommt, so ist es ihr künftiger
Hochzeiter, der eine schöne Jungfrau an den Haaren hereinzerrt, gerad
auf den Block hin — die hat geschrieen, geweint und gebettelt aber alles
für nichts: ihr Kopf hat herunter müssen. Derweil sind die andern Räuber
und Mörder gekommen, die haben geholfen, die Jungfrau in lauter kleine
Stückeln zerteilen, nachdem sie zuvor allen Schmuck und die gestickten
Kleider ihr vom Leib gerissen hatten. Der Hauptmann hieb ihr einen
Finger ab. an dem ein goldner Ring sass, der rollte ihm aus der Hand
und hinter das grosse Fass — da wollte er ihn suchen, aber die anderen
Räuber sagten: „Lass doch bis morgen — im Finstern suchen, die Müh'
zahlt sich nicht aus" und da liess er es gehn, sonst hätte er seine Braut
hinterm Fass gefunden. Darauf machten sie sich lustig und tranken so viel
roten Wein, bis sie schläfrig wurden und einer nach dem andern auf den
Boden zu liegen kamen. Als sie alle fest schliefen, kroch die Schmieds-
tochter zitternd hinterm Fass hervor, hob sich auf die Zehen und stieg
ganz, ganz sacht über die Räuber weg zur Thür hinaus. Draussen aber
fing sie an zu laufen, was sie nur laufen konnte, und wie es Tag wurde,
sah sie ihres Vaters Haus, da fiel sie auf ihre Kniee und dankte Gott und
ihrer heiligen Schutzpatronin. Daheim erzählte sie dem Vater alles, zeigte
ihm auch den Finger mit dem Goldring, der zu ihr hinters Fass gekugelt
war, und den sie aufgehoben hatte. Der Schmied war gescheit: er liess
ganz ruhig zur Hochzeit herrichten als ob nichts geschehen wäre; wie aber
der Hochzeitstag da war und der falsche Hochzeiter ins Haus kam, um
seine Braut zur Kirche abzuholen, da erwischten ihn die Soldaten, die der
Schmied bestellt hatte, und er wurde samt seinen Gesellen gerichtet.
Von einem Mädchen' aus Vulpmes im Stubaithal.
4. Das fromme Weibets.
Vor Zeiten war in ganz Stubaithal noch keine Pfarrkirche als wie
nur die von Telfes, und die Leut mussten zur heiligen Mess oft weit her-
gehn. Da war in einem Häusel, so ungefähr zwischen Medratz und Neu-
stift, ein altes Weibets, wie's im ganzen Thal kein frömmeres gab. Alle
Tage machte sie den langen Weg nach Telfes, ob sie es schon oft kaum
Verkraften konnte: die ganze Zeit aber, weil sie ging, betete sie und zwar
^0 Rait: Geschichten aus dem Etschland imd aus dem Stubai.
nur ein einziges Vaterunser. Sie betete ganz langsam und herzinnig, auch
däuchte ihr das Vaterunser so viel fein, dass sie immer darüber ins
Sinnieren geriet und fast mit dem weiten Gang ehnder fertig war als mit
der Betrachtung. Der Pfarrer und der Mesner von Telfes aber, ob sie
zwar die Alte schon kannten und wussten. sie lasse keinen Tag die Messe
aus, sprachen: „Sollen wir leicht alle Tag mit der heiligen Mess warten,
bis die Alte hergewackelt kommt?! Wir heben zur gewohnten Zeit an,
und ist sie nicht da, so mag sie selbst dazu schauen." — Also fingen sie
richtig andern Tags die Messe rechtzeitig an; wie sie aber kaum begonnen
hatten, sagte der Messner: „Ach Ilochwürden, die Schellen geht mir ab,
und eben stund sie noch da." Da mussten sie halt die Schelle suclien,
und sie fand sich nicht eher, als bis das alte Mutterl da war und die
Messe mit anhören konnte. Den nächsten Morgen ging es wieder so, da
fehlte das Kauchfass — aber wie die Alte hereingehumpelt kam. stund es
da. Beim drittenmal fehlte der iMesswein, und auch der war nicht früher
wieder da als das Mutterl. Da erkannten der Pfarrer und der Mesner,
dass die fromme Alte vor Gott Gnade gefunden und er nicht wollte, dass
sie um die heilige Messe gebracht werde; also zügelten sie ihre Ungeduld
und warteten künftighin immer auf sie.
Vom Stolzenbauer in Oberschönberg.
Zwei GescMchten aus Eyrs (Vintschgaii).
1. Die Katze.
Auf einem Bauernhof in Eyrs haben sie viele Jahre eine Katz gehabt,
recht ein liebs anhängliches Tierl; die hat dreimal im Jahr junge Katzin
gebracht. Desweeen ist der Bauer, der sich selbst nichts vergunnt hat —
wie dann erst einem Yieh — ihr aufsätzig worden und hat zur Bäurin
gesagt: „Morgen muss die Katz hin sein." — Die Bäurin war gutherzig
und meinte: „Geh, lass sein, z'wegen den Fezzeln Milli derhungern wir
ja nit; hascht nit zuag'lost, wenn d' Muada selig uns g lernt hat, s' Viech
und erseht noch d' Katzn soll der Mensch guat halt'n: wia er's denen
'macht, so gang's eahm selber?" — Jetzt hat sich aber der Bauer erst recht
versteift, dass die Katz fort muss; und wie keins von den Knechten und
Mägden sie hat ins Wasser tragen wollen, ist er selbst gangen und hat
sie hineingeschmissen. Als er aber lieimkam, lag seine schönste Kalbin
tot im Stall — das war der Lohn für die Katze.
2. Die Hand auf dem Grab.
Ein Mann hatte sich umgebracht aus lauter Kränkung über seinen
Sohn, der voller Liederlichkeit gewesen und zuletzt in die weite Welt
gelaufen war. Nach ein paar Jahrin kam der Sohn zurück; da hörte er
erst, dass sein Vater tot sei, fing zum Weinen an und ging auf den Kirchhof.
Beck: Niederdeutsche Sprüche und Redensarten aus Nordsteimke.
81
Wie er sich lüederliockte, um die Nesseln am Grabe auszureissen, schien
ihm's gerade so, als ob eine Hand sich dazwischen bewegte. Er schaute
scharf liin und da war nichts, aber gleich nachher war's ihm wieder als
sähe er die Hand. Da ging er voller Schreck zum Kuraten und erzählte
ihm alles; der sagte ihm: „Die Seel von Dein' Vätern, der durch Dich in
Sund und Schand keramen ist, macht Dir Zeichen, Du sollst in Dich gehn."
— Das hat dem Sohn doch ans Herz gegriffen: er ist still und fleissig
worden, hat viel an den Armen gethan und der armen Seele seines Vaters
so lang Messen lesen lassen, bis sie zur ewigen Freude eingehen konnte.
Niederdeutsche Sprüche und Eedeusarten
aus Nordsteimke in Braunschweig.
Von H. Beck.
1. Sprüche des Bauern über sich selbst und seinen Nächsten.
Ja, von eier itte büre 'n haun? — Wenne
krank is öcr wen't haun krank is.
Ja, ja, — sechte büre; denne wette nist mcr.
Klump
fült') 'n bürcn 'n rump.
Ein nä 'n andern spisete büre dei wöste.
Ünimcr bi lütgen halte büre dei wost von
bodden.
Wenne wut 'n knüst allcne riwen,
moste 6k 'n plauch allene driwen.
(Das sagt der Bauer zu seiner Frau, wenn
sie auf seine Anordnungen im Hause
nicht hört.)
Slank un snär,
dat let rar.
Kort un dik
hat nein geschik (oder: is büern geschik).
Awer sön muken von miner mäte,
dat zirte gansse (Steimksche) sträte.
Dei küsters gät fri üt, dei het 'n bullen
eslacht.
'n schauster is 't ämens de hert warm un
't morgens de stert.
1) Auch: stopt. 2) rothaarige Mädchen.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskumle. ls'J9.
Wen 'n snider, 'n linewewer un 'n mölder
in 'n sak stecket un von bärge wöltert,
denne lit ümraer 'n erlich spizbüwe
bowen.
Ses däe schaste arbeien un an sewweten.
scheren un tindreien. (Leineweber.)
Morgen is Micheilich,
den shicht üse väer 'n bok,
den danst üse mudder,
den flüchte roe rok.
Vösse-) het nücken.
Sonne öle lue dei sunt op 'n wolsten
hindern spin-räe.
Sonne jungens dei sunt ümmer büwisch.
Dei milkens sunt man ümmer tau 'n stat.
Dei past man ümraer op, wer 't finste
klet anne hat.
Ackermans titel is beter ar koters
middegaft.
Ik trecke mik nich eier üt ar ik mik te
bedde legge.
82
Beck:
2. Regeln über Wind und Wetter.
Wanne wint kürat siit,
renget 't morgen 6er noch hüt.
Wenne wint kümt vonne Säl,
renget 't allemal.
Vorn daum (Tauwind) geite hirschbulle
te schüre.
Wen 't üt hellen wölken renget un dei
ölen wiwer dansset, denne is 'r nein
ophören.
Mattis
brikt IS ;
finte nist, sau mäkte wat.
Bartelmei sunt neggen fielen sau ar 'n
fet raphaun.
Bartelmei sünte fielen ripe.
Morgengästen büt 'n neinen staul, d. h. der
Regen am Morgen hält nicht lange an.
Hüte is ^n heiten dach, hüte wart 'n
fülen bange.
Lichtmessen hei un klär
bringt 'n gut fläs-jär.
'n punt märz-stof is 'n dükäten wert.
Fäbejän, Sebi'istejän
let 'n saft inne büme gän.
Pängte däge an te lengen,
fängto winter an te strengen.
Lichtmessen künte herren bi däge wat
eten un dei narren, wen se wat het.
Schinte sunne op 'n natten pal,
renget 't balle noch emäl.
Wenne blau-wäen-stertge^) kümt, mot
se 'n dimmen heu middebringen.
3. Redensarten bei Saat und Ernte.
Slumpkoren is plumpkoren.
Dei schauster-swäwen holt I2jär (d. h.
die Schuhsohlen, die unter dem Dünger
in den Acker kommen, vergehen erst
in 12 Jahren).
Wer 't koren oppe änewennige besüt
un dei makens bin danssen frit, —
dei wart bedrogen.
Wer 'n stiwen acker hat
un 'n Stumpen plauch
un da 'n bösen ker(d)el tau, —
is dat nich plage nauch?
Wer sonnen dummen Krischän hat
un den 'n stumpen plauch
un da 'n tröpken kinder tau, —
is dat nich plage nauch?
Kort fias let neinen minschen näkich
gän, wer man nauch hat!
Wo krut is, da is ök gut.
Op 'n groten folget 'n bloten. (Auf ein
ertragreiches folgt ein mageres Jahr.)
Wen sik de gaus Lafrun-dach dicke freten
kan un 't schäp Peiters-dach, denne
hatte kau Mai-dach ok enauch.
Op 'n müsejär
folget 'n liisejär.
Meddel
bringt 'n büren an 'n beddel;
drespe
let ne noch in neste.
Dei gasten is sau lütgich eblewen, dei
is küme üte hose kömen.
Die Gerste hat nach dem Mähen nötig:
neggen daue (d. i. Taumorgen), neggen
raue (d. i. Ruhetage), 6er 'n güen reen.
'n happen raue
is beter ar 'n happen kaue.
(Nämlich für die Pferde.)
Wenn auf dem Getreidefelde nur noch
einige Schwaden abgemäht zu werden
brauchen:
Nu motte häse balle rüt lopen.
Zu einem, der beim Korn hacken auf
Disteln loskommt:
Du hast esläpen inne korke.
Ebenso:
Da hatte diiwel sin läkcn üt ebreiet.
1) Baclistelze.
Niederdeutsche Sprüche und Redensarten aus Nordsteimke. 80
4. Apolog'ische Sprichwörter.
Wenne bri zap, zap secht, niudder, isse den gär? Har jünne brüt 6k esecht.
(Als sie auf dem Kistenwagen sass und von ihrer Mutter Abschied nahm.)
Wo wat is, da riset wat, — har jünne bäemudder 6k esecht un 't kint mit "n
esten bäewater wech eg6ten.
Dat hat awer luft egewen, — sä jün 't mäken 6k, donne hat 't twei kinder
op 'n mal ekrejien.
Ja, dat is sau ar Hannichen secht: Vader, köp n bullen, denne brük wi nich
te melken.
^'t hat mid allen sin gr6te wunder", sä öle Ruraschulte von Heiich ^), „min väer
kön vor mes nich ploi.üen un ik vor qucken nich."
Kan ik 6k, secht T6ren.
Über die Herkunft dieser Redensart berichtet folgende Geschichte:
Die Hehlinger^) mussten früher ihrem Pastor Herrndienste leisten und
bekamen dafür von ihm jedesmal eine Mahlzeit. Er gönnte keinem
Menschen etwas als sich selbst. Deshalb nahmen sich die Bauern vor, ilm
gelegentlich tüchtig anzuführen. Wie sie ihre Absicht ausführten, erzählt
sich besser in der Mundart: Se maket bi ne tehope 'ne mächtige maltit,
vornüt dei ole Toren. Hei smert sicke bottere nich, hei lacht sicke schiwen
man ünmier sau oj). Dei paster sit vonne ferens un sut ne wat tau. Est
ärgerte sik in stillen. An lösten enne kan 't awer nich mer owerkrigen;
donne plazte rüt und secht: „Toren, die Butter muss man schmieren."
„Kan ik ök", secht Toren und smert sik awer fingerdicke op. Donne
sechte paster: „Toren, die Butter muss man schräpen." „Kan ik ök",
secht Toren. Ar 't awer doch nich anders wart un Toren ümmertau snit un
it, sechte paster: „Toren, man kan auch zu viel essen, dass man davon
stirbt." Donne antwört Toren: „'t is man gut, her paster. Ik hewwe
noch sonne öle grössmudder in hüse, dei wol ik j-eren lös sin. Denne wil
ik dei man 'n döchdich stücke middeneraen." Dabi snitte sik 'u döchdigen
ranken af un stecket ne in 'n schupsak un nimt ne midde hen hüs.
Ik wet 't von hor-sägen, ar Miittis dei kranke-däge.
Es hat wirklich ein Mann Namens Matthias gelebt. Derselbe war
Zimmermann in Yorsfelde ^) und hatte einst keine Lust zu arbeiten. Seine
Mitgesellen redeten ihm vor, er sei krank. Seine missmutige Miene er-
klärte sich der Meister als Wehgefühl und schickte ihn nach Hause. Als
ihn nun seine Frau fragte, w^as denn mit ihm los sei, erwiderte Matthias,
er fühle sich krank, die Gesellen und der Meister hätten es gesagt.
1) Hehlingeu liegt eine Viertelstunde von Nordsteimke.
2) eine Stunde nordwärts von Nordsteimke.
,S4 Polte:
«
Staiifes Sammlimg rumänischer Märchen
aus der Bukowina.
Von Johannes Bolte.
In der von J. W. Wolf herausgegebenen Zeitschrift für deutsche
Mythologie erschienen in den Jahren 1853—55 zehn romanische. Märchen
aus der Bukowina, denen Wilhelm Grimm (Kleine Schriften 4, 347) das
Prädikat 'alles Lobes wert' erteilte. Der Sammler und Übersetzer w^ar
ein junger österreichischer Schriftsteller Ludwig Adolf Staufe-Simigino-
wicz, der, als Sohn eines rutenischen Vaters und einer deutschen Mutter
am 28. Mai 1832 zu Suczawa in der Bukowina geboren, in Wien studiert
hatte und sich dem journalistischen Berufe widmete. Später erhielt er
ein Lehramt am römisch-katholischen Obergymnasium zu Kronstadt und
war seit 1875 als Professor am Lehrerseminar zu Czernowitz thätig. Dort
ist er am 19. Mai 1897 verstorben^). Es darf an dieser Stelle hervor-
gehoben werden, dass sich Staufe, obwohl seine schriftstellerische Wirk-
samkeit hauptsächlich der Belletristik angehörte, auch mehrfach um die
Volkskunde seiner engeren Heimat verdient gemacht hat. Neben zahl-
reichen Gedichten und Novellen, deren noch einige ungedruckt der Bekannt-
machuDg harren, veröffentlichte er eine gute und zuverlässige Übersicht
über „Die Völkergruppen der Bukowina" (Czernowitz 1884), eine fleissige
Sammlung der anter den Deutschen, Polen, Kleinrussen, Rumänieru und
Armeniern des Landes verbreiteten „Volkssagen der Bukowina" (Czernowitz
1885; 120 Nummern) und eine geschmackvoll ausgewählte und trefflich
verdeutschte Lese „Kleinrussischer Volkslieder" (Leipzig 1888; 290 Volks-
lieder und 39 Dichtungen von Danilo Mlaka).
Den eigentlichen Anlass aber, über die Leistungen des unlängst ver-
storbenen Forschers zu reden, bietet mir eine bisher von den Fachgenossen,
wie es scheint, übersehene Handschrift der Wiener Hof bibliothek (No. 13571),
die Staufe 1852 dem Kaiser Franz Josef I. überreicht hatte. Sie enthält
auf 67 Folioblättern „romanische Volksmärchen" aus der Bukowina,
und zwar nicht nur jene 10 vorhin erwähnten, die in der Zeitschrift für
deutsche Mythologie gedruckt sind, sondern ausserdem 38 weitere Märchen,
die manches interessante Seitenstück zu den Überlieferungen anderer Völker
enthalten. Wenn auch ein vollständiger Abdruck der Sammlung unthunlich
erscheint, so wird doch eine kurze Inhaltsübersiclit und die Mitteilung
1) Icli entue^me diese Daten ans C. v. Wurzbachs Biographischem Lexikon des
Kaisertums Österreich 37, 212 f. i,l">78) und aus F. Brummers Lexikon deutscher Dichter
des 19. Jahrh., 4. Aufl., 4, 8'.) (,KS'J(J), sowie aus einem Briefe des verdienten Litterar-
historikers Dr. Rudolf Wolkan in Czernowitz.
Staufes Sammlung rumänischer Märchen aus der Bukowina. 85
einiger Proben, zu der die Witwe des Herrn Btaufe-Öimiginowicz gütigst
ihre Zustimmung erteilt hat, den Lesern dieser Zeitschrift nicht unwill-
kommen sein. Aus der zu Czernowitz im Dezember 1852 datierten Widmung
hebe ich nur hervor, dass Staufe sich darin durch die Bestrebungen der
Brüderpaare Grimm und Zingerle zur Bergung der Yolksüberliefernngen
angeregt bekennt^). Den Überschriften füge ich eine durchgehende Nume-
rierung und die nötigsten Verweise bei.
1. Der gescheite Zigeuner. Bl. 5a. (Er will Eisen in Wasser erweichen.)
2. Warum haben die Zigeuner keine Kirche? Bl.öa. (Sie haben ihre aus Käse und
Speck erbaute Kirche aufgegessen.) — Vgl. Schott, Walachische Märchen 1845, No. 4Ü.
3. Wie die Zigeuner einmal einem Fürsten huldigten. Bl. 5a. (Der erste
ruft, als ihm die Käseschüssel entfällt: „Fluch dir!" Darauf die andern, wie vorher
verabredet war: „Auch der Frau Fürstin"'.) — Dieser rumänische Schildbürgerstreich
wird aus anderer Quelle auch in der Neuen Freuss. Zeitung 1898, 18. August,
No. 384 erzählt.
4. Wer ist mehr zu fürchten, der Wind oder die Kälte oder die Hitze? Bl. 5 b.
— Abgedruckt unten No. 1. — Vgl. Schott No. 3«; Revue des trad. pop. 1, 327
(Chaud, Froid, Vent) und zu dem Streite, wem der Gruss gegolten habe, Dubois,
Pantchatantra p. 351; Thorburn, Bannü 187(i, p. 192. 203.
5. Der Grieche und der Zigeuner. Bl. 6a. (Beim Regen befiehlt der Grieche:
„Kuliba", d. h. Mache eine Hütte! Der Zigeuner versteht „Kulimba" und schnattert
wie eine Gans.)
6. Der Zigeuner mit dem Kürbis. Bl. (ia. (Stutenei bebrütet, rollt fort; ein
Hase springt auf.) — A^gl. Bolte zu Frey, Gartengesellschaft 189G, S. 214 zu No. 1.
7. Der närrische Prinz. Bl. Ob = Ztschr. f. dtsch. Myth. 2, 389, No. lü. —
Vgl. Grimm KHM. 57: „Der goldene Vogel" und R. Köhler, Kleinere Schriften
1, 265 (1898).
8. Der Drachentöter. Bl. IIa = Zeitschr. f. dtsch. Myth. 2, 206, No. 9. —
Vgl. R. Köhler, Kl. Sehr. 1, 304. Obert, Ausl. 1857, 287, No. 19.
9. Die zwei Knechte. Bl. 13a = Ztschr. f. dtsch. Myth. 2, 49, No. 3.
10. Der glückliehe Abenteurer. 151. 13b. (Der beste Jüngste reitet an drei
Tagen zu der vom Könige errichteten Stange und erbeutet drei Ringe. Als er
nachher in Bettlerkleidern erscheint, verschmähen ihn die beiden älteren Prin-
zessinnen, aber die jüngste nimmt ihn zum Gatten). — Hat einige Verwandtschaft
mit dem Grindkopf bei Köhler, Kl. Sehr. 1, 330.
11. Vom kleinen Teufel. Bl. 16a = Ztschr. f. dtsch. Myth. 1, 48, No. 2. -
(Er lässt sich gleich dem Däumling bei Grimm No. 37 an einen Bojaren verkaufen
und entllieht aus dessen Tasche.)
12. Die beiden Töchter. Bl. 16b - Ztschr. f. dtsch. Myth. 1, 42, No. 1. —
Vgl. Grimm No. 24: „Frau Holle''.
13. Der Pfarrer und der Mesner. Bl. 18 b. (Der Mesner klebt den Krebsen
Kerzen auf und hält einen Strick, an dem der Pfarrer zum Himmel steigen soll.)
— Vgl. Simrock, Deutsche Märchen, lSb4, S. 253, No. 54: „Die Himmelfahrt".
1) Nebenher erinnere ich an die rumänischen Märchen, die zur selben Zeit R. 0.
Waldburg (Ztschr. f. dtsch. Mythol. 1, 178. 358: Gevatter Tod; Vom Zigeuner und dem
Bären) in der Bukowina und F. Obert in Siebenbürgen (Ausland 1856—1858: 35 Nummern)
gesammelt liaben.
80 ß^'lte:
14. Von der Ziege. Bl. 19a = Ztschr. f. dtsch. Myth. L 469, No. 4. — Vgl.
Grimm No. ö: „Der Wolf und die Geiserchen".
15. Die zwölf Häuser im Walde. Bl. 20 a. — Vgl. Grimm No. 40: „Der
Räuberbräutigara " .
16. Die Stute, der Fuchs und der Kürschner. Bl. 2!a. (Lügenmärchen von
einer grossen Stute.)
17. Mann und Weib. Bl. 22a. (Sie erfüllt ihres bösen Mannes Gebot, weder
im Zimmer noch draussen, weder mit den Füssen noch mit dem Kopfe auf der
Erde zu sein, indem sie sich auf eine Hutsche, d. h. Schaukel, in der offenen Thür
setzt. Die vom Manne weggenommenen Halsperlen findet sie im Pischleibe wieder.)
— Vgl. im allgemeinen Köhler, Kl. Sehr. 1, 447.
18. Christus in der Bauernhütte. Bl. 22b = Ztschr. f. dtsch. Myth. 1, 471, No. 5.
— Vgl. Bolte, Ztschr. f. vgl. Littgesch. 7, 454. 11, 69, No. IL
19. Der Märchenerzähler. Bl. :^3a = Zeitschr. f dtsch. Myth. 2, 201, No. 7.
(Der jüngste der drei Brüder erzählt dem Drachen ein Lügenmärchen und zieht
ihm die Haut ab.) — Vgl. den Vertrag wegen der Reue bei Köhler, Kl. Schriften
1, 261. 32G und die Lügenwette ebenda 1, 322.
20. Der Bursche mit dem Schafe. Bl. 24a == Ztschr. f. dtsch. Myth. 2, 197, No. 6.
— Vgl. Grimm No. 64: „Die Goldgans".
21. Der geschickte Dieb. Bl. 25b. (Er soll dem Bojaren Pferd und Ochsen
stehlen.) — Vgl. Grimm No. 192: „Der Meisterdieb".
22. Der Furchtlose. Bl. 27 a. (Abenteuer im Spukzimmer, wo eine Leiche
zu einem Kessel mit Dukaten wird, und bei zwölf Drachen, die mit einer Schlange
im Kampf leben; er erlegt die Schlange und deren Mutter, die sie nachts wieder
beleben will; mit dem damals erbeuteten Lebenswasser erweckt ihn später sein
Vater vom Tode.)
23. Der listige Bauer. Bl. 31a. (Er verkauft seine tote Frau und soll im
Sack ertränkt werden.) — Vgl. Bolte zu Val. Schumanns Nachtbüchlein 1893, No. 6
und Freys Gartengesellschaft 1896, S. 278.
24. Der Mann unter den Drachen. Bl. 32a = Ztschr. f. dtsch. Myth. 2, 203,
2^0. 8. — Vgl. Grimm No. 30 „Das tapfere Schneiderlein"; Montanus' Schwank-
bücher ed. Bolte 1899, S. 560; Köhler 1, 563.
25. Kuhsohn. Bl. 33a = unten No. H. — Hier sind vereinigt a) das Märchen
A^on Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein; vgl. Grimm No. 130; Bolte zu Montanus,
1899, S. 591. — b) das von den drei befreiten Königstöchtern und den treulosen
Gefährten, die den Helden unter der Erde lassen; vgl. diese Zeitschrift 6, 163 zu
Gonzenbach No. 58; Köhler 1, 437 (Jagic 42) und 543; teilweise auch Schott No. 10:
„Petru Firitschell". Vereinigt finden sich beide Erzählungen auch bei Haltrich,
Volksmärchen in Siebenbürgen, 1885, No. 18: „Der starke Hans".
26. Der Mönch und der Teufel. Bl. 39 b. (Der Mönch lässt sich nicht vom
Gebete abbringen, und der Teufel muss 48 Stunden lang die Mühle drehen.)
27. Eine Wette. Bl. 40a. (Mensch und Teufel wetten, wer stärker pfeifen
kann. Der Mensch verbindet dem Teufel den Kopf und schlägt ihn mit der Hacke
ins Auge.) — Vgl. Waldburgs Erzählung aus der Bukowina, Ztschr. f. dtsch. Mythol.
1, 182.
28. Der Mann mit dem Zauberring. Bl. 40b. (Das Kleinod wird von der
treulosen Frau und einem Araber entwendet, aber von Hund und Katze wieder-
geholt.) — Vgl. Köhler, Kl. Sehr. 1, 63. 437. 440.
Staufes Sammlung rumänischer Märchen aus der Bukowina. 87
29. Die Zigeuner während eines Feiertages. Bl. 42b. (Ein Einfältiger sagt
dem begegnenden Bauern, wo sein Thürschlüssel, Kuchen und Braten stecke, er
solle aber nichts davon nehmen. Natürlich raubt dieser alles.)
30. Der Bräutigam und der Wolf. Bl. 43 a. (Ein Barsch, der einem alten
Ehepaare die geraubten Augen wiederbringt, erhält zum Lohn ein zauberkräftiges
Polster. Ein Wolf will ihn zum Lohne für seine Hilfe an seinem Hochzeitstage
fressen. Vom heiligen Sonntag erhält er eine Bürste, Schnupftuch und drei Haare,
die sich in Wald. Mauer und Fuchs, Hund und Bär verwandeln. Die treulose
Mutter stellt ihm als Buhlin des Wolfes nach dem Leben, aber die drei Tiere
retten ihn.) — Vgl. zum letzten Teil diese Zeitschrift 6, C9 zu Gonzenbach No. 26:
auch unten No. 33.
31. Der Schwur des Zigeuners. Bl. 45a. (Er stiehlt Teile eines Pfluges und
gesteht beim Reinigungseide in der Kirche alles.)
32. Das Schwein im Walde. Bl. 45 a. (Vom Wolfe gepackt bittet es, noch
einmal schreien zu dürfen: darauf kommen ihm die anderen Wildschweine zu
Hilfe.) — Vgl. Pauli, Schimpf und Ernst No. 173 ed. Oesterley.
33. Sohngottes. Bl. 45b. (Der Held wird geboren, nachdem seine Mutter
ein Pfefferkorn verschluckt hat. Er besitzt nach anderthalb Jahren ungeheure
Stärke und überwindet den Drachen, der seine Schwester geraubt und seine älteren
Brüder getötet hatte. Die Mutter aber lässt sich von einem verschonten Draclien
verführen und sendet ihren Sohn auf gefährliche Abenteuer aus. Als er diese mit
Hilfe des heiligen Sonntags bestanden, ermordet ihn der Drache im Bade. Der
heilige Sonntag belebt ihn wieder und holt als Spielmann verkleidet seine Augen,
Herz und Adern.) — Teilweise verwandt mit No. 30. Vergleiche Schott No. 27:
„Florianu". Obert, Ausland 1856, 2120, No. 15: ^Prundse wärdje".
34. Vom Pferde. Bl. 52a. (Es heisst den Wolf einen Dorn aus seinem
Hinterfusse ziehen, und tötet ihn.) — Vgl. Oesterley zu Kirchhof, Wendunmut 7, 43.
35. Christus und der Teufel. Bl. 52 a. (Brot für den Menschen, Disteln für
den Teufel)
36. Der junge Gärtner und die Fürstentochter. Bl. 52 b. (Der Jüngling wacht
drei Nächte am Grabe des Vaters, gewinnt als Gärtner die Liebe der Prinzessin
und durch drei Siege, die er unerkannt erringt, die Achtung seines Schwiegervaters.)
— Vgl. Köhler zu Kreutzwald, Ehstnische Märchen 1869, No. 13 und Kl. Schriften
1. 551.
37. Der Geistliche und sein Knecht. Bl. 54b. — Verbindung der Märchen
vom Vertrage wegen des Ärgers (oben zu No. 19) und vom Tanze des Mönches
im Dornbusch; vgl. Grimm No. 110 und Bolte, Festschrift des 5. Neuphilologen-
tages 1892, S. 1; Archiv f. neuere Sprachen 90, 289. Dieselbe Verbindung begegnet
bei Schott S. 229: „Bakäla" No. 6.
38. Wie ein Zigeuner zu Geld kam. Bl. 55 a. (Er lässt die Pferde des Bo-
jaren von den Wölfen fressen und schlägt ihm vor, das Sattelzeug zu verkaufen,
prügelt ihn aber auf dem angeblichen Jahrmarkte.)
39. Der überwundene Drache. Bl. 55b. (Der Mann drückt Wasser aus einem
Käse, während der Drache Steine zu Staub presst.) — Vgl. Grimm No. 20: „Das
tapfere Schneiderlein". Kremnitz, Rumänische Märchen lö82, No. I.
40. Der Bauer am Tische des Gutsherren. Bl. 56 a. (Er giebt beim Zerlegen
des Hahns den Kopf dem Herrn, den Hals der Frau, die Flügel den Söhnen, die
Füsse den Töchtern, den Rumpf sich selber; fünf Kapaunen teilt er unter sieben
Tischgäste, so dass jedesmal eine Dreifaltigkeit herauskommt.) ~ Vergl. diese
88 Bolte: Staufes Sammluug rumänischer Märchen aus der Bukowina.
Zeitschrift 6, 59 zu Gonzenbach No. 1; Köhler, Kl. Schriften 1, 354. 499. 582 und
Montanus, Schwankbücher, S. 595 (G. 14).i)
41. Der Zigeuner im Kloster. Bl. 57 b. (Als er in der Fastenzeit hört, das
Kirchenbuch befehle das Krautessen, steckt er es ins Krautfass.)
42. Der wahrsagende Geistliche. Bl. 5Sa. — Vgl. Grimm No. 9<s: „Doktor
Allwissend". Köhler 1, 39. 68.
43. Wie ein Zigeuner einmal starb. Bl. 59b. (Der Bauer, an dessen Tisch
er sich ungeladen einfindet, reicht ihm eine Weinkanne voll Wagenschmiere.}
44. Die Geschichte von der weissen Taube. Bl. 60a. (Dem jüngsten der drei
Prinzen, die für den erblindeten Vater die Taube holen wollen, hilft sein schnelles und
atgebendes Pferd. Er bricht von dem Walde von Kupfer, Silber, Gold und Diamant
einen Zweig ab, den er wieder ansetzen muss, und ergreift im Judenlande nicht
bloss die Taube, sondern auch deren goldenen Käfig. Gefangen verpflichtet er
sich die Stuten des Meeres zu holen. Sein Pferd kämpft mit dem Hengst und
verwandelt sich in ein Schiff, in das er als Kaufmann gekleidet drei Königstöchter
lockt. Mit einer Zaubergeige führt er die vierzig Wächter der Taube und viele
andere Menschen zu seinem Vater.) — Vgl. Grimm No. 97: „Das Wasser des
Lebens"; Köhler 1, 412. 437 über Kupfer, Silber, Gold; ebenda 1, 469 über den
Kampf der Pferde; Schott No. '2i3 zum Diebstahl des Vogels und Pferdes und zur
Verwandlung des hilfreichen Wolfes in ein Schiff.
45. Das Ferkel im Walde. Bl. 6;)b = unten No. III. — Vgl. die Häufungs-
lieder bei Erk-Böhme, Liederhort No. 1743, wozu noch vieles nachzutragen wäre.
46. Der Zigeuner bei einem Heiratsantrag. Bl. 64a. (Er hilft dem Freiwerber
durch Übertreibung: der Jüngling habe nicht etwas, sondern viel Geld, nicht junge,
sondern Melkkühe und sehe mit einem Auge nicht wenig, sondern gar nichts.)
47. Wie eine Katze zur Herrschaft kam. Bl. 64 b. (Im Räuberhause über-
nachten Katze, Krebs, Maus, Ei, Hahn, Gans, Hund und Ochse.) — Vgl. Grimm
No. 27: „Die Bremer Stadtmusikanten'-. Bolte, Ztschr. f. vgl. Littgesch. 7, 454. 11, 69.
Köhler 1, 187. 424.
48. Die gute und die böse Tochter. Bl. 65 b. (Das gute Mädchen liebkost
unterwegs eine Katze und einen Hahn und verlangt, als sie sich in einer leeren
Hütte eingeschlossen hat und der Teufel Einlass begehrt, auf den Rat der Katze,
er solle ihr ein schönes Kleid, dann Schuhe, darauf einen Rock, Hemd, Geld
bringen. Darüber vergeht die Nacht, der Hahn kräht, und der Teufel verschwindet.
Als sie daheim ankommt, will die böse Schwester auf gleiche Weise reich werden;
aber sie weist Katze und Hahn zurück, fordert in der Hütte vom anpochenden
Teufel die schönen Dinge nicht einzeln, sondern auf einmal, muss dann, weil sie
nichts mehr zu wünschen weiss, die Thür öffnen und wird jämmerlich zerrissen.)
1) Beide Teilungen erscheinen vereint schon bei Johannes Junior, Scala cell, Ulmae
1480, fol. 37 a „de clerico": „Legitur, qiiod clericus quidam pnuper in domo iidlltis hospitatus
requiritur, quid Parisius didicisset, qui respondit: Scientiam naturalem et divinitatis. Tum
dominus habens unserem et voluit, quod clericus divideret secundum scientiam naturalem; qui
renuens, sed coacius ita divisit: caput dedit domino, collum et alas fdiabus, pedes famulis, crura,
filiis, et ait: Mihi clerico debetur ecclesia. Tunc in crastino retentus a domino^ cum in prandio
quinque liaberet perdices, voluit, ut secundum scientiam divinitatis eos divideret. Tunc clericus:
In divinitate trinitas est principium, et ideo vobis et dominae do unam, et sie estis tres ; duahus
ßliabus unam, et sie sunt tres; duobus filiis unam, et sie sunt tres; mihi sali daas, et sie sumus tres."
Berlin.
(Fortsetzung folgt.)
Weinhold: Das englische Kinderspiel Sally Water. 89
Das englische Kinderspiel Sally Water.
Von K. Weinhold.
Mrs Alice Bertha Gomme hat in ihrem gross angelegten Werke The
traditional games of England, Scotland and Ireland, auf das wir in unserer
Zeitschrift IV, 223 bereits aufmerksam machten und dessen zweiten Band
wir in diesem. Hefte weiter unten besprechen wollen, auch ein Kinderspiel
genauer behandelt (11^ 149 — 179. 453), das über die englischen Grafschaften
verbreitet ist und das wir mit der gelehrten Verfasserin jenes Buches nach
den Schlagworten des Anfangs Sally Water nennen können. Den Aus-
führungen von Mrs. Gemme wollen wir hier eine Besprechung widmen.
Die Kinder bilden bei diesem Spiel einen Kreis mit geschlossenen
Händen, in dessen Mitte ein Mädchen kniet oder sitzt, das scheinbar
weinend sein Gesicht mit den Händen bedeckt. Die übrigen tanzen herum
und singen die Worte, die in 50 Varianten mitgeteilt werden. Das Mädchen
steht auf gegebenen Befehl auf und wählt sich aus dem herumtanzenden
Ringe einen Knaben oder ein Mädchen, das zu ihm in den Kreis tritt.
Sie küssen einander, sobald in den Versen das gefordert wird, und wechseln
dann miteinander den Platz. Es ist also an sich ein gewöhnlicher Ringel-
tanz, dem nur die gesungenen Worte (sieben Melodien auf S. 149 — 151)
seinen Charakter geben. Wir können hier nur einen Text mitteilen:
Sally Sally Water, sprinkle in the pan,
Rise Sally, rise Sally, and choose a young man.
Choose to the east, choose to the west
And choose the prctty girl, that you love best.
And now you're married, I wish you joy,
First a girl and then a boy,
Seven years after son and daughter,
And now, young people, junip over the water.
(Symondsburg, Dorsetshire.)
Mrs Gomme führt S. ITlifT. aus, dass diese Worte eine Heiratsceremonie
begleiteten und dass ein Hauptstück derselben mit einem Ritus zusammen-
hing, der zum Wasserkultus gehörte. Sie bezieht sich dabei auf den esth-
nischen pjrauch, bei der Verheiratung dem Wassergeist ein Opfer zu bringen,
ein Gefäss mit Wasser im Hause umzustürzen und den Bräutigam mit
Wasser zu besprengen; ferner auf die Sitte der Hindus, dass die Braut
ein Opfer in ein Gefäss mit Wasser wirft, und den Hof sowohl als den
Bräutigam mit Wasser bespritzt. Über diese Wassersitten bei der Ehe-
schliessung wäre nun ein weit reicheres ^Material zur Hand gewesen
(L. V. Schröder, Die Hochzeitsbräuche der Esthen und einiger anderer
finnisch-ugrischer Völkerschaften in Vergleichung mit denen der indo-
;<() Schell:
germanischen Völker, Berlin 1888, Ö. 133 — 140), aus dem sich ergiebt, dass
Inder, Slaven, Römer, Deutsche und nicht bloss die nicht-arischen Völker
Wasseropfer und Wasserlustration bei der Heirat verwendeten, so dass
Mrs Gonimes Meinung, das Kinderlied Sally water weise auf eine vor-
keltische Periode Englands zurück, gleich der ihres gelehrten Gatten
G. L. Gomrae (Ethnology of folklore 79—105), die V^asserverehrung über-
haupt sei nicht-arischen Ursprungs, durchaus in der Luft schwebt. Über
den arischen Wasserkult will ich hier nur auf meine Abhandlung: Die
Verehrung der Quellen in Deutschland (Berlin 1898) hinweisen.
Ich verstehe auch nicht, wie die Hindeutung auf die Fruchtbarkeit
der Ehe in dem betreffenden Kinderliede als Beweis für die vorkeltische
Kulturperiode, in der jene Reime wurzeln sollen, verwandt werden kann.
Dann würden z. B. die zahllosen Hochzeitgedichte, welche die deutsche
Litteratur des 16—19. Jahrh. besitzt, auch in vorarischer Kultur ihren
«rrund suchen müssen. Mit Dank wollen wir dagegen die Notizen aus
(Miglischer heutiger Volksmeinung (Ö. 177 f.) verzeichnen, dass eine Ehe
nicht für immer bindend, sondern nur für eine bestimmte Zeit, sieben
Jahre, giltig sei, und auch dass ein Mann, wenn die Ehe unfruchtbar bleibt.
eine andere Frau heiraten oder zur Konkubine nehmen dürfe.
Für ihre Ansicht über den vorkeltisclien Kulturzustand, der sich in
jenem Kinderspiel spiegele, hebt Mrs Gomme auch die freie Wahl des
Bräutigams hervor, die dem Mädchen gestattet ist. 8ie setzt es also in
die vielumstrittene Periode des Mutterrechts. Diese Wahl steht aber in
dem Spiel nicht bloss den Mädchen, sondern auch den Knaben zu, und
wir werden jene öfter vorkommende freie Wahl durch ein Mädchen einfach
darauf zurückleiten dürfen, dass diese Kinderspiele ganz überwiegend von
Mädchen nicht bloss gespielt, sondern auch geleitet w^erden.
Kleine Mitteilim2:en.
Dreikönigslieder vom Niederrhein.
Bis vor wenigen Jahren war es Sitte, dass die Kinder aus den ärmeren
Gegenden von Gevelsberg gleich nach Neujahr für einige Wochen nach dem
Wupperthal wanderten und in allen Häusern das Dreikönigslied anstimmten. Meist
sonderten sich drei und drei Knaben ab, einen mehr oder minder gelungenen,
selbstgefertigten Stern mit sich führend. Das Lied hatte folgenden Wortlaut:
MirwoU'n einmal singe, Gott zu Lob und Ehrn, Alhvo die Sonne am höchsten stand,
Die heiligen drei Könige mit ihrem Stehrn! "Wir hab'n gehört, es ist uns neu.
Zu Bethlehem im jüd'schen Land, Allda ein Kioind geboren sei,
Kloine Mitteilungen.
91
Ein kleines Kind, ein grosser Goht,
Der Himmel und Erd geschaffen hot I
Sie kamen wohl vor Herodis Haus,
Herodis schaut zum Fenster hinaus.
Herodis fragt mit Schimpf und Spott —
Ach Gott, was weist das dritte Wort? —
Das dritte Wort ist uns wohlbekannt,
Es sind die drei Weisen aus dem Morgenland.
In Delling- bei Wipperfürth hat das
Da kommen drei Weisen aus Morgenland,
Sie haben den Stern wolil in der Hand —
Der Stern ist gross und wunderschön —
Sie haben den lieben Gott gesehn.
Sie kletterten schnell den Berg hinauf
Und kamen vor Herodes Haus
Hcrodes, der im Fenster lag.
Der die drei Weisen wohl kommen sah,
Herodes schrie:
.,Was ist sicli der 3. Mann doch so schwarz!"
..„Der -■>. Mann ist uns wohlbekannt,
Im Überhessischon hat das Lied lol
^Vir kommen daher ohn allen Spott:
Ein'n scbön"n guten Abend geb" euch Gott,
Ein^n schön"n guten Abend, eine fröhliche Zeit,
Die uns der Herr Christus hat bereit.
Wir kommen daher von Gott gesandt
Mit diesem Stern aus Morgenland.
Wir zogen daher in grosser Eil —
In dreissig Tagen vierhundert Meil,
In dreissig Tagen vierliundert Meil.
Wir konmicn vor Herodes Haus.
Herodes schaut zum Fenster heraus
„Ihr lieben Weisen, wo wollt ihr liin?"
..Nach Bethlehem steht unser Sinn:
Nach Bethlehem in Davids Stadt,
AUwo der Herr Christ geboren ward.""
„Ihr lieben drei Weisen, bleibt heute bei mir.
Ich will euch geben gut Quartier,
Ich will euch geben gut (Quartier.
Elberfeld.
Sie gingen wohl in den Stall hinein.
Da fanden sie Maria und das Kindelein.
Sie thäten ihre Schätze auf
Und schenkten dem Kind Gold, Weiherauch,
Gold, Weiheranch, Gold, Mvrr und Wein,
Das Kind soll unser König sein,
Das Kind soll unser König sein.
Dreikönigslied folgende Fassung:
Es ist der heilige König aus Morgenland.""
„Drei Weisen, drei Weisen, avo wollen sie hin?''
„„Nach Bethlehem .steht unser Sinn.""
Zu Bethlehem wohl auf dem Plan,
Da blieb der Sterne stille stahn.
Sic haben uns was zu Ehren gegeben:
Der liebe Gott lass' euch in Frieden leben.
In Frieden lebt wohl immerdar,
Das wünschen wir euch zum neuen Jahr,
Den Vater, die Mutter und auch das Kind,
Dazu das ganze Hausgesind.
genden Wortlaut:
Ich will euch geben Heu und Streu
lind will euch halten in Zehrung frei."
„Ach. lieber Herodes, das kann nicht geschehn,
Wir müssen den Tag noch weiter gehn.
Wir zogen zusammen den Berg hinaus,
Wir sahen den Stern wohl über dem Haus.
Wir zogen zusammen das Thal hinein,
Und fanden das Kind im Krippelein.
Und fanden das Kind im Krippelein.
Wir fanden das Kind, war nackend und bloss,
Maria nahm's auf ihren Schoss:
Und Josef zog sein Hemdlein au.s,
Maria machte Windeln draus.
Wir thaten unsre Schätze auf
Und schenkten dem Kinde Gold, Weihraucli
Gold, Weihrauch und Myrrhen fein.
Dies Kindlein soll unser König sein,
Dies Kindlein soll unser König sein.
0. Schell.
Einige Fastnachtlieder vom Niederrliein.
I. Aus Kaiserswerth und Umgegend.')
Die Bettler in Kaiserswerth und Umgegend spannen Fastnacht eine Schweins-
blase straff über einen steinernen Topf, stecken ein hohles Rohrstöckchen oder
einen Gänsekiel hindurch, streichen mit den Fingern auf und ab an diesem vorbei
und bringen dadurch ein starkes Getöse hervor. Der Topf heisst der Pastnacht-
1) Nach schriftlichen Mitteilungen des y Job. v. Trostorff in Krefeld.
92 Schell:
E-ummelspott^). Drei Tajic lang ziehen sie so umher, Gaben heischend und
folgendes Lied singend:
Fastelovend kömmt hier an Schmaken die kotten am basten.
Mit dem linne Kedel: Auch lot dat Mätzke sinken
Götz sett die Ledder au die Wank, En die dickste Schinken.
Audi morgen komm ich weeder. 0 Mohn! tast an dat Eierfät,
So steht die Ledder an die Wank, So wöt auch euch die Hank nitt nät.
Dan nehmt die Brotwosch en die Hank. Föll Eier mott er noch geven,
Lott die kotten hangen, So er wellt lange leven;
Gefft mech hüt die langen. Hongert Johr on ene Dag,
So die laugen sind gegäten, So schnitt mech och en Stock Speck äff.
2. Aus dem Jülich'schen.
Fastelovend Kliugboss, kling wal ob de Bosse,
Hej ne Schtohl on doli ne Schtohl, op jeden Stohl en Kösse.
Sett dat Ledderke an de Wank, schnij die Brotwuscht dor de Hank:
Lott dat Metzke senke in die fette Schenke,
Lott dat Metzke hange in die fette Hamme (Vorderschinken).
Schnije, schnije Prüme, schnij deck nett en de Düme.
Fastelovend. Stubbdewupp, die Waffele sind gebakke.
Spar die Botter on äet der Ki«'s, moer kömmt der Krämmer wehr.
3. Aus Werden.
Fasseluweud komm heran, Lot die kotte hange.
Kling up die Bosse, Woffuer? Doffuer;
Sett dat Here-Stoelsche drsln Für die libe Frau sin duer.
Met dem goule Kosske, Wat sali der wasse?
Sett die Ledder an die Wand, Kö'n oder Flasse,
Gef mi un Brotwurscht in die Hand, Kö'n oder Linnesot
Gef mi die lange, Iss der Frau ir Hüsgerot.
Der Grundton dieser drei Fastnachtslieder ist derselbe, weicht aber entschieden
von dem in Köln gebräuchlichen (Pirmenich, Germaniens Völkerstimmen, I, S. 467)
ab, wie auch von den Dülkener Pastnachtliedern (Zurmühlen, Niederrheinische
Volkslieder, S. 129).
Elberfeld. 0. Schell.
Der Kulischwanz an der Thüre.
Der König vom Odenwalde, ein ostfränkischer Dichter (s. Germ. 23, 193 ff.
und 292 ff.) sagt im Gedichte von der Ktiewe V. 172:
man sieht den zagel in die tür,
da mite man ziuhet üf und zuo.
Diese Verwendung des Kuhschwanzes lernen wir auch anderwärts kenneu.
In Boners Fabel von einem törechten schuolpfaffen heisst es V. 31:
nu sach er an die stubentür; min herz groz wunder hat genomen,
da war ein loch geboret dür, wie dur daz loch diu kuo si komen
da was ein kuosweif in geslagen. und in der tür beliben ist
do geriet der hohe phaffe sagen: der sweif u. s. w.
1) Man vergl. dazu Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, I, S. 425 (Dat Rompel-
Leedschen).
Kleine Mitteilung-en. 9o
Und Fischart äussert sich in der Geschichtsklitterung c. 48: Vnd wann sie so
haßlich wer als die Praw Gerpina in der höUen, noch ist sie bei dem toten Blut
vor den Hirtzbriinstigen Mönchen nicht sicher, sie giengen ein Geyß an, die ein
Schleier auf hat: Ja brechen ein Thor auf, da ein Kiischwanz vorhieng; s. auch
Grimm, D. Wörterb. V, 1582 unter Kuhschwanz.
Darnach brachte man den Kuhschwanz sowohl an Thüren wie Thoren an.
Bei Boner erscheint er nicht einfach an die Stubenthüre genagelt, sondern es ist
durch diese ein Loch gebohrt und der Schwanz hineingeschlagen. Es ist nur
fraglich, ob er durch Verkeilung oder anderswie befestigt oder durchgezogen wurde,
so dass er sowohl innen als aussen als Handhabe benutzt werden konnte. Die
Angabe im Gedichte von der küewe da mite man ziuhet üf und zuo, scheint
mir auf letzteres zu deuten, obwohl eine andere Auffassung nicht ausgeschlossen ist.
Vielleicht ist eine derartige Vorrichtung hier und dort noch gebräuchlich. Mir ist
sie nirgends zu Gesicht gekommen.
Czernowitz. Oswald v. Zingerle.
Notizen zum Geldwerte im 18. 19. Jahrhundert im Braunscliweigischen.
a) Korn.
Im Jahre 1717 galt in Nordsteimke 1 Himten Roggen 18 mg, vor 50 Jahren
der Wispel Roggen im Durchschnitt 20 thlr.. Weizen dgl. 25 thlr.
b) Vieh.
Im Jahre 1799 wurde ein Ochse mit 8 thlr. abgeschätzt, eine Kuh mit 5 thlr.,
ein Rind mit 2V2thlr., ein Stier mit 2V2thlr. Vor 50 Jahren verkaufte man die
Rühe mit 16—20 thlr , die Pferde kosteten 30 -40 thlr. Die Ferkel waren ge-
wöhnlich so billig, dass sie niemand umsonst haben wollte; manchmal kamen sie
aber auch bis auf 7 thlr. das Paar.
c) Butter und Eier.
Vor 50 Jahren kostete die Butter 3—4 ggr. a Pfund, das Schock Eier 8—10 ggr.
d) Baumaterialien.
Im Jahre 1756 wurde der Wert für dieselben wie folgt angegeben:
Eichenholz, Süll- und Ständerholz a Fuss 1 ggr. Platen- und Riegelholz
a Fuss 8 Pfg. 1).
Tannenholz gab es in Nordsteimke nicht und wurde aus der Heide geholt.
Latten kamen auch daher, das Schock galt nach Güte und Stärke 2— 2V2 thlr.
Barn- und Ziegelsteine aus Wolfsburg, 100 Stück = 10 ggr. — 1 thlr.
Kalkstein a Quadratrute auf der Stelle 3 thlr. Gips aus Deren, a Wispel
(=40 Zuber) 2V2 thlr.
e) Löhne.
Der Grossknecht bekam in Nordsteimke jährhch 12 thlr. an barem Gelde,
für das erste Jahr einen Rock aus Beiderwand ('n beilewänder), für das zweite
and folgende einen Kittel aus Fünfkamm, 3 weisse, linnen Hosen, 3 Hemden,
1 Paar neue Schuhe, 1 Paar besolte Schuhe und 1 Himten Lein gesät.
Der kleine Knecht fing mit 1 thlr. und V2 Himten Lein gesät an und erhielt
dazu auch Zeug, Hemden und Schuhe.
1) 8 Pfg. = 1 mgT.
<)4: Stiele:
Die Grosstnagd empfing jährlich 7 thlr., einen gestreiften Rock, eine gestreifte
Schürze, 1 Vz Stiege Leinewand (alles selbst gesponnen), ein Paar neue Stiümpfe,
ein Paar angestrickte Strümpfe, ein Paar neue Schuhe, ein Paar neue Pantoffeln
und V2 Himten Lein gesät.
Die kleine Magd fing auch mit 1 thlr. und ferner mit 1 Vierfass Lein gesät
an und bekam dazu ein ganzes Kleid, zu dem Rock, Wams, Tuch und Schürze
gehörte, ein Paar neue Schuhe, ein Paar neue Pantoffeln und 1 Stiege Leinewand.
Der Tagelöhner verdiente im Sommer täglich auf dem Gute 4ggr. (= 5 Silber-
groschen), beim Bauern o ggr. und Essen. In der Ernte erhielt der Tagelöhner
für 1 Morgen Somraerkorn abzumähen 3 ggr. und für jede Stiege Winterkorn 1 ggr.
Beim Dreschen bekam der Tagelöhner den 16. Himten als Lohn, gleichviel ob das
Korn billig oder wohlfeil war. Für seine Wohnung musste er gewisse Tage
umsonst arbeiten.
Die Ernteknechte, welche etliche Bauern sich zu Hilfe nahmen, erhielten
wöchentlich V2 thlr.
Die Frauen verdienten auf dem Gutshofe täglich 3 ggr., beim Bauern ausser-
dem noch Beköstigung.
Die Boten erhielten im Jahre 17ÜG für einen Weg nach Marienthal 4 mg. 4 pfg..
für zwei Wege nach Wolfenbüttel 1 mthlr. 10 mg. Lu Jahre 17öO betrag der
Botenlohn ä Meile 2 ggr., die Stellung eines Gespannes kostete ä Meile 1 thlr.
H. Beck.
Aus einer Polizeiverordnung vou 1786.
Eine Verordnung des Königlich-Mährisch-Schlesischen Guberniums, verschiedene
Polizeyanstalten in der Stadt Brunn und in den Vorstädten betreffend, d. d. Brunn
12. Junius 1786, unterfertigt von Ludwig Graf von Cavriani, enthält eine Reihe
auf Aberglauben und Volksbrauch Bezug nehmende Stellen, die allgemeineres volks-
kundliches Interesse erregen können. Diese Stellen mögen hier folgen:
. . . wird verordnet, dass den Kindern das Anhängen auf die Wägen nicht
gestattet werden sollte.
. . . sind das Singen und Harfenspielen herumziehender Musikanten, dann
die Quacksalber nicht zu gestatten.
... ist das Anheften und Ausstreuen der Pasquille, sowie alle unflätige
Bilder und Gesänge und deren Ausrufen . . . verboten.
. . . müssen Tanzhütten mit gehöriger Vorsicht beleuchtet; und nie ohne
besondere Wache sein.
... Ist die Beschädigung der Laternen unter Strafe von 5 Reichsthalern
verboten.
. . . Bleibt die türkische und andere Musik zur Nachtzeit ohne vorherige
Erlaubnis . . . verboten.
. . . Wird das Spielen der Krügelspieler an Kirchtagen bei Lichtern . . .
untersaget.
... ist das Baden der Kinder, und auch erwachsenen Leuten in den Flüssen,
Bächen etc., sowie das Spielen der Kinder nahe am Wasser und auf öffentlichen
Strassen, besonders bei der Dämmerung und zur Nachtzeit verboten.
. . . Sind späte Andachten auf der Gasse und in den Privathäusern nicht
erlaubt.
. . . Wird das Schleifen auf dem Eise in Gassen und auf Plätzen . . .
verboten.
Kleine Mitteilungen. 95
. . . Sind gezahlte Hauskomödien, sowie die zu haltenden Bälle an öffent-
lichen und Privatorten ohne erhaltene Erlaubnis verboten.
. , . Müssen abergläubische Missbräuche, als Sonnenwendfeuer am St.
Johannvorabend; und in Lässlnächten allerlei Unfug auf Kirch- und Kreuz-
wegen, nicht minder das Nikolai-Dreikönigspiel, und alle Schatzgräbereien
und Beschwörungen nicht gestattet . . .
... Ist die Setzung der Bäume in dem Monat May, dann bei den Hütten,
Kirchen und Prozessionen . . . verboten.
... Ist bei starkem Winde das Kastanien- und Bratelbraten, oder Kochen
auf der Gasse verboten.
. . . Das Evangelienbeten der Kinder auf Gassen und in Häusern ist nicht
zu gestatten.
... Ist am Palmsonntag der Verkauf der Palmzweige . . . verboten.
. . . Können Lebzelten und Wachs vor und nach dem Gottesdienst, der
Meth aber erst nach demselben, Kerzen hingegen im Sommer um (J und im
Winter um 4 Uhr Nachmittag (an Sonn- und B'eiertagen) verkauft werden.
. . . Können am Allerheiligen- und Lichtmesstag die Wachshändler oder
Wachskerzler offen halten, doch ohne Auslage.
R. V. Strele.
Franz Magnus Böhme -{•
Am 18. Oktober 1898 ist Professor Franz M. Böhme zu Dresden gestorben.
der rastlose Sammler und Herausgebor der deutschen Volkslieder alter und neuer
Zeit in Wort und Weise. Böhme war am 11. März 18-27 zu Willerstedt bei Weimar
geboren, Avidmete sich dem Schulfach, war Lehrer und Kantor in Thüringen,
studierte drei Jahre bei M. Hauptmann in Leipzig Musik und schrieb im strengen
kontrapunktischen Styl Motetten, die von dem Thomanerchor in Leipzig, dem
Kreuzkirchenchor in Dresden und auch sonst in deutschen Kirchen, besonders in
Würtemberg gesungen wurden und werden. Seine Hauptliebe aber w^ar und blieb
(las deutsche Volkslied. Er setzte nicht bloss alte und neue volUsmässige Melodien
für Männerchöre, die im Deutschen Reich, in Österreich und darüber hinaus ge-
sungen werden, sondern sammelte schon früh mit grösstem Pleisse für seinen
Zweck, und hat in jahrzehntelanger opferwilliger Hingabe jene Werke zu stände
gebracht, die als unentbehrliche Magazine des deutschen Liedes gelten müssen.
Böhme wusste sehr wohl, dass ihm für die litterargeschichtliche und sprachliche
Bearbeitung der Texte die germanistische Schulung abging und dass er sich dafür
nicht immer zuverlässiger Hilfsmittel bedienen musste. Aber gerechte Urteiler
haben immer anerkannt, dass die Mängel seiner Bücher von ihren grossen Vor-
zügen sehr überwogen werden. Für die Geschichte der Melodien vornehmlich,
dieses so ungemein wichtigen Bestandteils der Lieder, sind Böhmes Arbeiten un-
schätzbar.
Seine Hauptwerke sind sämtlich im Verlage von Breitkopf & Härtel in Leipzig
in trefflichster Ausstattung erschienen.
Altdeutsches Liederbuch. Volkslieder der Deutschen in Wort und Weise
aus dem 12 bis zum 17. Jahrhundert. 1877. S. LXXII. 832.
Geschichte des Tanzes in Deutschland. Mit alten Tanzliedern und Musik-
proben herausgegeben. 1886. S. VIL 339.221.
Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglicheren deutschen Volkslieder
nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesammelt und erläutert
96
Weinhold:
von Ludwig Erk. Im Auftrage und mit Unterstützung der K. Preuss Regierung
nach Erks handschriftlichem Nachlass und auf Grund eigener Sammlung neu-
bearbeitet und fortgesetzt von Fr. M. Böhme. 1893. 1894. I. S. LX. 656. 11.
S. 800. III*. S. 919.
Volkstümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert. Nach
Wort und Weise aus alten Drucken und Handschriften, sowie aus Volksmund
zusammengebracht und mit historisch -kritischen Anmerkungen versehen. 1895.
S. XXII. 628.
Deutsches Rinderlied und Rinderspiel. Volksüberlieferungen aus allen
Landen deutscher Zunge, gesammelt, geordnet und mit Angabe der Quellen, er-
läuternden Anmerkungen und den zugehörigen Melodien herausgegeben. 1897.
S. LXVI. 756.
Professor Böhme lebte seit 1885 in Dresden, wohin er von Frankfurt a. M.
übergesiedelt war. Dort hat nun der liederkundige fleissige Thüringer seine letzte
Ruhestätte gefunden. Seine Arbeiten werden sein Andenken am Leben erhalten.
R. Weinhold.
Büclieranzeken.
Die Donauländer. Zeitschrift für Volkskunde. Mit Berücksichtigung
von Handel, Industrie und Verkehrswesen in den Ländern der unteren
Donau. Herausgegeben von Adolf S trau sz. L L Heft. 1899. Verlag
von Carl Graeser. Wien, Leipzig, Budapest. S. 88. 8°.
Eine neue Zeitschrift für Volkskunde liegt mit diesem ersten Hefte vor uns;
sie ist, wie der Titel schon sagt, den Donauländern gewidmet, d. i. dem Rönigreich
Ungarn, Serbien, Bulgarien und Rumänien. Herr Ad. Strausz ist der Herausgeber,
der Verfasser des Buches über die Bulgaren, das wir in unsrer Zeitschrift VIII, 357
anzeigten. Er scheint ganz geeignet dazu, der Vermittler zwischen der Volkskunde
der Balkan- und Donaustaaten und der Westeuropa sehen Wissenschaft zu werden.
Aber die Zeitschrift will auch eine praktische Richtung verfolgen und in ihren
monatlich erscheinenden Heften über die industriellen und merkantilen Verhältnisse
jener Staaten berichten, um dadurch den kapitalkräftigen Unternehmungsgeist des
Westens auf die nach materieller Entwickelung begierigen und ihrer sehr bedürftigen
Länder des Ostens aufmerksam zu machen. In wie weit es möglich sein wird,
jenen volkskundlichen und diesen nationalökonomischen Zweck zu verbinden,
müssen wir abwarten. In diesem 1. Heft steht der politisch-wirtschaftliche Teil
hinter dem volkskundlichen sehr zurück.
In diesem treten drei bedeutende Pfleger der Volkskunde des Südostens auf:
Dragomanov, Russe von Geburt, aber ein Hauptkenner des bulgarischen Volkes;
der Serbe Milicevic und der Rumäne Saineanu. Dragomanov beginnt eine Ab-
handlung: Die slavischen Sagen über das Opfern des eigenen Rindes; Milicevic:
Der serbische Bauer in der Jugend und über die Jugend; Saineanu: Die Jele oder
die bösen Geister im rumänischen Volksglauben. Dann schildert Ignaz Riinos ein
Bücheranzeigeü. 9 <
Fest auf der kleinen Donauinsel A.da-Kale (Neu-Orsova), und es folgen Berichte
über kroatische, rumänische, bulgarische und ungarische Museen und Institute.
Politische Berichte aus Serbien und Bulgarien, sowie zwei Bücheranzeigen schliessen
das Heft. Gelingt es Herrn A. Strausz, das Programm der neuen Zeitschrift ge-
schickt durchzuführen und die richtigen Mitarbeiter unter den Schriftstellern der
Donauländer zu gewinnen, so kann er den Interessen jener Staaten recht schätzbare
Dienste leisten und zugleich die Volkskunde sehr fördern. Wir wünschen ihm
alles Glück auf den Weg. K. W.
Zibrt, Oenek, Literatm-a kultiiriie liistorickii a ethnograficka 1807 — 1898. I.
Prag, F. Simacek, 1S98. S. 92. XXXI. 8^
Herr Dr. C. Zibrt giebt in seiner trefflichen Zeitschrift Cesky lid. die der
Runde vom tschechischen Volksleben in Böhmen, Mähren, Schlesien und Ungarn
gewidmet ist, in jedem Hefte eine bibliographische Übersicht über die laufenden
kulturhistorischen und ethnographischen Litteraturerscheinungen, natürlich nicht
beschränkt auf die in tschechischer Sprache gedruckten. Er beginnt nun diese
dankenswerte Bibliographie in Sonderausgaben weiteren Kreisen zugänglich zu
machen und hiervon liegt Heft I von 1897/98 vor. Die Textsprache ist die
tschechische, wodurch der Herr Verfasser natürlich die Verbreitung seiner Arbeit
nicht fördert, unsere Zeitschrift hat bekanntlich in ihren beiden ersten Jahrgängen
(1891. 1892) eine von Dr. M. Laue sorgfältig gearbeitete Übersicht über die volks-
kundliche Litteratur der Jahre 1890 und 1891 gebracht. Aus Raummangel mussten
wir sie leider aufgeben. K. W.
Zweck, Alb., Litauen. I']iiie Landes- und A^olkskimde. Mit (i6 Abbildungen,
S Kartenskizzen und einer grossen Karte der Kurisehen Nehrung.
Stuttgart, Hobbing cV Ibiclilc, 1898. S. VTIL 452. 8°.
Unter dem Titel Deutsches Land und Leben in Einzelschilderungen
beabsichtigt die Verlagsbuchhandlung Hobbing & Büchle in Stuttgart eine Reihe
von Landeskunden und Städtegeschichten herauszugeben. Von der ersten Abteilung
-Landeskunden" liegt der erste Band vor, der die nordöstlichste Landschaft
Preussens und des Deutschon Reichs, Litauen, schildert. Verfasser ist Dr. Albert
Zweck, Gymnasiallehrer in Memel. Der Inhalt des Buches liegt zum grösseren
Teil ausser der Grenzen unsers Gebietes, da die Beschreibung der Oberflächen-
gestaltung, der Siedelungen, des Erwerbs- und Verkehrslebens, der Pflanzen- und
Tierwelt im Vordergrund steht. Indessen ist doch ein grösserer Ausschnitt (S. 127
bis 19.3) den Bewohnern gewidmet. Hier spricht der Herr Verfasser gedrängt über
den Körperbau, die Sprache, Kleidung und Wohnung der Litauer, über ihre Reli-
giosität und Moralität und ihre Poesie. Das Buch ist mit zahlreichen, gut aus-
geführten Abbildungen geschmückt und mit mehreren Kartenskizzen, sowie einer
Karte der kurischen Nehrung ausgestattet. Die Nehrung ist gleich dem Memeldelta
in besonderen Abschnitten behandelt. Der Herr Verfasser hat sich seiner Aufgabe
mit sichtlicher Liebe »■ewidmet. K. W.
Zcitscbr. d. Vereins f. Volkskiiiidt'
08 Pflei derer:
W. Robertson Smith: Die Religion der Semiten. Autorisierte deutsche
Übersetzung- aus dem Englischen nach der zweiten Auflage der ^Lectures
on the Religion of the Semites" von Dr. R. Stübc. Freiburg, Mohr,
1899. 1. Lieferung. S. 1—48. gr. 8°.
Diese Übersetzung von Rob. Smith' Lectures on the Religion of the Semites,
von welcher bis jetzt die erste Lieferung vorliegt, ist als ein sehr verdienstliches
und zeitgemässes Unternehmen zu begrüssen. Das Werk des leider zu früh ge-
storbenen englischen Gelehrten war alsbald nach seinem Erscheinen in England
und Deutschland als eine ausgezeichnete, in mancher Hinsicht epochemachende
Leistung auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaft anerkannt worden.
Neben der gründlichsten und ausgebreitetsten Kenntnis des gelehrten Stoffes ist
es besonders die geniale Methode der Forschung, die diesem Werk seine hervor-
ragende Bedeutung giebt. Die frühere Religionsforschung war vorzugsweise von
den Mythen ausgegangen und hatte diese auf etymologischem und sprachver-
gleichendem Wege zu deuten versucht, war aber dabei weder zu gesicherten Er-
gebnissen im einzelnen, noch zu einem befriedigenden Verständnis der Motive des
religiösen Handelns oder der Gesetze der religiösen Entwicklung gelangt. R. Smith
hingegen ging von der Überzeugung aus. dass die Mythen überall sekundär und
von den in den einzelnen Kulturgebieten herrschenden religiösen Bräuchen ab-
hängig seien, und dass also auch die Erforschung der alten Religionen von den
Thatsachen der traditionellen Riten auszugehen habe, in denen die religiösen An-
schauungen sich am bestimmtesten verkörperten und von denen aus allein ein
sicherer Anhalt zur Deutung der Mythen zu gewinnen sei. Wie politische In-
stitutionen älter sind als politische Theorien, so sind auch i-eiigiöse Institutionen
älter als religiöse Theorien. Zwischen den ältesten politischen und religiösen
Institutionen besteht aber nicht bloss eine genaue Analogie, sondern auch der
engste Zusammenhang: beide sind Teile derselben socialen Gesittung eines be-
stimmten Gemeinschaftskreises. Die Religion war für die Alten nicht eine Sache
der persönlichen Überzeugung, sondern ein Stück des öffentlichen bürgerlichen
Lebens, der auf die Gottheit bezügliche Teil der volkstümlichen Lebensordnung.
Hiermit ist für die Religionsforschung der überaus fruchtbare Grundsatz aufgestellt,
dass sie vor allem auf die religiösen Institutionen zu achten und deren Entwicklung,
die mit der der bürgerlichen Institutionen Hand in Hand geht, zu untersuchen
habe. Die Religicnsgeschichte wird hiernach zu einem Ausschnitt der socialen
Kulturgeschichte und gewinnt in diesem Zusammenhang eine viel festere Basis für
ihre Forschung als sie früher hatte, so lange sie von der problematischen Mythen-
deutung ausging. — Wie fruchtbar diese Methode für das Verständnis dessen ist,
was den eigentümlichen Charakter jeder Religion ausmacht: ihrer Auffassung des
religiösen Verhältnisses zwischen der Gottheit und ihren Verehrern, das zeigen
sofort die grundlegenden Ausführungen des zweiten Kapitels über den Zusammen-
hang der religiösen und socialen Entwicklung: von der auf Blutsverwandtschaft
begründeten engbegrenzten Gemeinschaft des Stammes fortschreitend zu dem
rechtlich geordneten Gemeinwesen des Staates; jener Entwicklungsstufe entspricht
die Auffassung der Gottheit als „Vater" im eigentlichen Sinn des Erzeugers, dieser
die Auffassung als „König''; nebenbei wird darauf hingewiesen, dass den Vater-
göttern in vorgeschichtlicher Zeit des Matriarchats die Muttergottheiten noch voran-
gingen, deren Nachwirkung sich in den naturalistischen Zügen mancher Riten noch
lange bemerken lässt. Sehr fein ist der Nachweis, wie die Attribute des göttlichen
Vaters und Königs genau entsprechen der jeweiligen socialen Stellung des mensch-
Bücheranzeigeu. 99
liehen Familienhauptes und Yolkshauptes. Höchst beachtenswert sind auch die
l'.emerkung-en über den sittlichen "Wert, den schon die primitive Religion trotz ihrer
naturalistischen Anschauungsweise hatte, und der sie vom Aberglauben specifisch
unterschied (S. 38 f.) — Bemerkungen, mit welchen Smith (ähnlich wie Fustel de
Coulanges) dem heute fast allgemein herrschenden A'^orurteil von der ursprünglichen
Trennung von Moral und Religion mit gutem Recht und auf Grund unbestreitbarer
Thatsachen entgegentritt.
Schon aus dem Inhalt der bis jetzt erschienenen ersten Lieferung der Über-
setzung lässt es sich ersehen und die später folgenden gründlichen Untersuchungen
über das Opferwesen der Semiten werden es noch weiter bestätigen, wie viel die
Historiker, Ethnologen, Philosophen und Theologen aus diesem trefflichen Werk
lernen können. Die Übersetzung ist gut und fliessend, und ein besonderes Verdienst
hat sich der Übersetzer noch dadurch erworben, dass er die Citate in den An-
merkungen noch vermehrt und teilweise durch kurze Inhaltsangabe für die, denen
die betreffende Litteratur nicht selbst zur Hand ist, verständlicher gemacht hat.
Auch der Verlagshandlung von C. B. Mohr (Freiburg) gebührt Dank dafür, dass
sie im Interesse der weiten Verbreitung des klassischen Werkes den Preis der
deutschen Ausgabe verhältnismässig niedrig (8—9 Lieferungen a 1 Mark) ange-
setzt hat. 0. Pf leiderer.
Paul Herriuaiin, Deutsclie Mythologie in gemeinverständlicher Darstellung.
Mit II Abbildungen im Text. — Leipzig, W. Engelmann, 1898. S. YIII
und 545. 8°.
Den Versuch, die deutscjie Mythologie für Schule und Haus wiederzuerobern,
unternahm vor sieben Jahren schon einmal ein Autor, dessen Name dem des jetzt
zu würdigenden merkwürdig ähnlich war: Paul Herraanowski; und ein Sachkenner
wie Heusler konnte (Deutsche Litteraturzeitung 1891, S. 1101 f.) das patriotische
Unternehmen loben, wenn er gleich zweifelte, .^ob einer solchen Walhalla der
Deutsche die gleiche Pietät entgegenbringen könne, wie der Grieche seinem Olymp."
Es ist dennoch gewiss nicht überflüssig, wenn von neuem ein Buch „in gemein-
verständlicher Form, frei von allem kritischen Apparat, ein Bild von den über-
sinnlichen Vorstellungen unserer Vorfahren zu entwerfen versucht.'' Denn jene
Schrift dachte vor allem an die Verwertung der alten Götterlehre in Kunst und
Dichtung; diese will einfach eine populäre Darstellung geben. Hermanowski hatte
..aus der Not eine Tugend gemacht und die leeren Räume des deutschen Götter-
himmels mit den skandinavischen Dämonen bevölkert": Herrmann dagegen ist,
„um jede falsche Analogie zu vermeiden", auf die nordische Mythologie nicht ein-
gegangen. Er hofft, sie in einem eigenen Buch von gleicher Anlage in nicht zu
ferner Zeit zu schildern.
Der Verfasser hatte unter diesen Umständen vor allem die volkstümliche
Überlieferung der „niederen Mythologie" auszubeuten und man darf ihm zugestehen,
dass er es mit Eifer und Glück that. Stützt' er sich auch, mit vollem Recht, auf
bewährte Werke, so hat das doch der Selbständigkeit seiner Arbeit keinen Eintrag
gethan. Besonders ist es anzuerkennen, dass er der Versuchung widerstand, die
jeweiligen „neuesten Errungenschaften" der Mythologie eilig und unbesehen zu
übernehmen, wie es fast üblich ist; er hat sich weder Tiwas-Tyr (S. 288) noch
Balder (S. o5ü) rauben lassen und ist bei der alten guten Erklärung von „Werwolf"
(S. 31) geblieben. Über die meisten Gesamtdarstellungen gehen die hübschen
Betrachtungen über die Entwickelung der Göttergestalten (S. 207) und der Mythen-
7*
100 Wcinholfl:
bildimg (S. 208) hinaus. Auch der Kultus, dessen Vernachlässigung K. Woinhold
— allerdings vor dem Erscheinen von Golthers Buch — zu rügen halte, linde
ausreichende Darstellung unter Berücksichtigung der Inschriftenfunde (Abbildung
der Dea Nehalennia S. 377); seine Portdauer in „bildlichen Opfern", Festgebäck
und dergl. (S. 437 f.) knüpft das Alte glücklich an das Neue an. So fehlen denn
auch nicht hübsche Citate aus Goethe (S. 3) oder Rosegger (S. 52).
Etwas zu stark huldigt auch H. noch der althergebrachten Neigung unmittel-
barer Deutung; es wäre doch erst zu untersuchen, ob das ilackernde Feuer wirklich
jemals einem unbefangenen Gemüt die Vorstellung des Lahmens und Hinkens
(S. 230) erweckt hat. Besonders hat es mich dagegen gefreut, meine (sich auf
Müllenhoff und Liliencron stützenden) Anschauungen über die Bedeutung der
Runen (S. 4.S5 f.) in gefälliger Darstellung zu allgemeinerer Kenntnis gebracht zu
sehen.
Das hübsch ausgestattete und klar gedruckte Buch, dem es auch an Ansätzen
zu ganz selbständiger Deutung nicht fehlt, darf für seinen Zweck wohl empfohlen
werden. Auch der Darstellung der nordischen Mythologie sehen wir mit gutem
Vertrauen entgegen.
Berlin. Richard M. Meyer.
Notes on the folklore of the Fjort (French Con^o). ßy R. E. Demiett,
author of Seven years among the Fjort. AVith an iutroductiou by
Mary H. Kiugsley. Illustrated. London (published for the Folklore
Society)^ by David Nutt, 1898. S. IV. XXXII. 169. 8^
Den eigentlichen Inhalt dieses interessanten Buches bilden die Aufzeichnungen
des Missionars Dennett, der siebzehn Jahre unter den Stämmen des KaCongo und
Loango gewirkt hat. in den zwei Küstenprovinzen des französischen Congo nördlich
des grossen Stromes Congo oder Zaire. Er begreift dieselben unter dem Namen
Fjort (nach Herrn E. S. Hartland in englischer Aussprache durch Feeaught wieder-
zugeben) und hat sich bemüht, mit den Sitten und den religiösen Anschauungen
dieser Stämme, die er bekehren wollte, sich genau bekannt zu machen. Die
Früchte dieser Bemühungen schickte er wenig oder gar nicht geordnet an die
Folklore Society in London, welche die sichtende und ordnende Zusammenstellung
und was sonst zur Herausgabe gehört der Miss Kingsley anvertraute, die sich mit
den Westafrikanern bereits beschäftigt hatte. jMiss Kingsley hat eine Einleitung
geschrieben und in zwei Anhängen zusammengestellt, was sich aus den zerstückelten
Aufzeichnungen Mr. Dennetts über die Religion der Fjorts und ihre Lieder ge-
winnen liess. Den eigentlichen Hauptstock des Buches bilden die Geschichten
und Märchen nach der Niederschrift des Missionars. Unter denselben machen sich
Tiersagen, wie auch sonst bei den afrikanischen Naturvölkern sehr bemerklich,
dann Geschichten, die man den mittelalterlichen Beispielen vergleichen kann,
anekdotenartige Stücke, und die wichtigste Gruppe: Erzählungen von geisterhaften
Wesen, von weiblichen besonders, die zu den Menschen Beziehung suchen. Es
ergiebt sich, dass die Fjorts durchaus nicht in Fetischismus beschränkt sind, sondern
dass ihre Religion mit der Natur verbundene göttliche Wesen kennt, die auch
ethische Elemente aufweisen. Und dadurch hat dieses Buch für die zu erforschende
Religionsgeschichte der afrikanischen Völker den Wert einer wichtigen Quelle. —
Fünf Bildtafeln sind eine willkommene Beigabe. K. W.
Büdieranzeio-en. 101
Eleauor Hüll, The Ciiclnilliii Saga in Irish Literature (= Grimm Library
Xo. 8). London, David Nutt, 1898. S. LXXIX. 316. 8°.
Die Herausgeberiii darf auf den Dank aller derer rechnen, die Interesse für
die irische Heldensage haben, die Quellen selbst aber nicht einsehen können.
Das Buch enthält folgende 14 'Tales': The Birth of Oonachar (= mittelir. Concho-
i)ar), How Conachar gained the Kingship over Ulster, The Origin of Cuchullin,
Tragical Death of the Sons of Usnach, The Woving of Emer, The Siege of Howth,
The Debility of the Ultonian Warriors, The Appearance ofthe Monign to Cuchullin,
The Tiiin bo Cuaiigne, The Instruction of Cuchullin to a Prince, The Great De feat
on the Piain of Muirthemne, The Tragical Death of Cuchullin, The Tragical Death
of King Conachar, The Phantom Chariot of Cuchullin. Von diesen Erzählungen
lagen zum Teil bereits l'bersetzungen vor, zum Teil nicht, hier konnte sich dann
die Herausgeberin der Hilfe namhafter Keltisten bedienen. Mit besonderer Freude
darf man die sehr ausführliche, stellenweise deradezu in den Charakter einer Über-
setzung verfallende Analyse der Tain bö Cuaiigne, dieser wichtigsten mittelirischen
Sage, begrüssen. Sio hat Standish llayes O'Grady zum Verfasser, ist übrigens
nicht auf das Buch von Leinster basiert, sondern auf eine moderne Handschrift,
die allerdings sehr genau zu jenem stimmt.
Von der Hcrausgeberin des ganzen Buches rührt eine Einleitung her, welche
den Leser über den Charakter und die Elemente der irischen Heldensage in grossen
Zügen zu orientieren bestimmt ist. Atkinson hat bekanntlich der irischen Sage
Dürftigkeit der Erfindung, Mangel an jeglichem höheren Schwung und dergl. vor-
geworfen. Dagegen wendet sich Miss Hüll. Über den ästhetischen Wert der
irischen Sage ein abschliessendes Urteil abgeben zu wollen, erscheint mir verfrüht.
Dazu fehlt noch die Grundlage, eine (statistische) Untersuchung ihrer Kunstmittel
und Technik, etwa im Stile der Heinzelschen Abhandlung über den Charakter der
nordischen Sage. Bis jetzt urteilt man wesentlich nach dem subjektiven Eindruck,
der aus fortgesetzter Lektüre resultiert. So viel scheint mir jedoch ausgemacht,
dass die begreifliche Liebe der Verfasserin zu ihrem Gegenstand ihr Urteil ge-
legentlich bedeutend zu günstig gefärbt hat. Wie kann man nur behaupten, dass
die irische Sage sich durch verhältnismässige Freiheit von unsittlichen Bestand-
teilen vorteilhaft von den anderen mittelalterlichen Litteraturen unterscheide'?
Zimmer hat auf Grund aktenmässigen Materials genau das Gegenteil erweisen
wollen: vielleicht geht er zu weit, sicher aber waren die Iren kein Haar besser
und anständiger als ihre kontinentalen Zeitgenossen. Für Miss HuU besitzen die
irischen Liebesgeschichten 'a purity, a tenderness, and a charm hardly to be
found eise where'. Nun. nach einer iiischen Damayanti oder SfivitrT sehe ich mich
vei'geblich um.
In der p]rklärung der Personen und Begebenheiten der irischen Heldensage
operiert die Verfasserin meiner Überzeugung nach viel zu viel mit Naturmythen.
Cuchullin ist auch für sie ein 'Sonnenheros'. Seine in normaler Verfassung kleine,
unscheinbare Gestalt wächst, wenn die 'Wutverzerrung' über ihn kommt, zu aben-
teuerlichen Dimensionen an und verändert sich überhaupt zu einem schreckhaften
Gebild Das reflektiert nach der Verfasserin den Unterschied zwischen der Sonne
an gewöhnlichen Tagen und 'when bursting forth in summer glory'. Nach langem,
ununterbrochenem Kampfe schläft C einen lethargischen Schlaf = Eklipse. Seine
innere Glut wird durch gewaltsam verabreichte kalte Bäder gelöscht = Untergang
der Sonne im Meere. Der Kampf der Tain ist ein Kampf zwischen den Mächten
des Lichts und der Dunkelheit, die beiden Stiere sind 'symbolical cattle' u. s. w.
Das erinnert stark an die Anschauungsweise, die einst Buddha zu einem Sonnen-
102
Weinhold:
mythus verflüchtigen wollte. Einer der originellsten Geister Englands, Rudyard
Kipling, hat sie in einem höchst gelungenen Gedicht (Giffens Debt) sehr hübsch
persifliert. Ob CuchuUin ein vermenschlichter Gott oder Heros oder ein empor-
geschraubter menschlicher Held ist, wer will es entscheiden? Die mythologische
Ausdeutung der Einzelheiten ist jedenfalls durchaus abzulehnen. Die beiden Stiere
der Tain sind offenbar höchst irdische Geschöpfe, wie sie in primitiven Zeiten oft
Streitobjekte gewesen sein werden. Die Dimensionen, die der Kampf annimmt,
sind auf Rechnung der irischen Phantasie zu setzen, die in Vergrösserung, Über-
treibung, auch freier Erfindung recht Bedeutendes leistet. Ihr, nicht einem etwa
nur zum Teil verarbeiteten mythischen Gehalt, ist es zuzuschreiben, dass die irische
Heldensage (im Gegensatz z. R. zur deutschen) etwas so Unreales, Märchenhaftes
an sich hat. Mitten darunter steht dann von Zeit zu Zeit ein Stück echtester
Sittenschilderung, wie etwa das Motiv des curadmir, des 'Heldenanteils", wozu
man die bekannte Stelle des Diodor. Sic (V, 28) vergleiche. E. Zupitza.
Kleinere Schriften von Heinhold Köhler. I. Band. Kleinero Schriften
zur Märchenforscliung. Herausgegeben von Johannes Bolte. Weimar,
E. Felber, 1898. S. XL (i08. 8".
Die ausgedehnte und fruchtreiche litterarische Thätigkeit Rcinliold Köhlers
hat Erich Schmidt in der liebevollen Schilderung des trefflichen Weimarschen
Gelehrten den Lesern unserer Zeitschrift (Zeitschr. 11, 41.S— 4o7) dargelegt. Es
musste bald der lebhafte Wunsch weiter Kreise im In- und Auslände sich erheben,
eine Sammlung der in vielen Zeitschriften verstreuten Aufsätze und Recensioneii
Köhlers zur Litteraturgeschichte und Volkskunde zu besitzen. Nach mancherlei
Schwierigkeiten hat nun der berufenste Besorger dieser Hinterlassenschaft, Dr.
Johannes Bolte, einen ersten Band der kleineren Schriften Reinhold Köhlers her-
ausgeben können, der die Beiträge zur Märchen forschung enthält. Auf diesem
Gebiete war R. Köhler wie kein anderer daheim. Seine wunderbare Belesenheit,
seine grosse Sprachenkenntnis, der Umstand, dass infolgedessen von überall hei'
Mitteilungen und Nachrichten in seinem Netze eingingen, sein Sammelgenie und
dann die Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit bei der Behandlung und Verwertung
seiner Schätze machten ihn zum ersten Kenner der Märchenstoffe und zum zuver-
lässigsten Berichterstatter darüber. Die Beweise dafür geben die kleinen Aufsätze
und Artikel dieses Bandes. Die ursprünglichen Texte hat .1. Bolte durch hand-
schriftliche Nachträge Köhlers und durch eigene Zusätze ergänzt, die er sehr
bescheiden nicht besonders bezeichnet hat. Sehr dankenswert ist das vom Heraus-
geber gearbeitete Register.
In dem 2. und 3. Bande dieser Sammlung sollen die Arbeiten R. Köhleis
über Volkspoesie, über Sagen und Legenden des Mittelalters und über Dichter
des 16. und 18. Jahrhunderts erscheinen. Mögen sie nicht zu lange auf sich warten
lassen! Möge aber auch der Absatz des Buches den Verleger zur P'ortsetzuiig
ermuntern! K. Wein hold.
Sagen, Gebräuche, Sprichwörter des AUgäus. Aus dem .Mimdo des
Volkes gesammelt, von Dr. Karl Heiser. Kempten, Köselsclio r.iicli-
liandlung. 11 — 18. Heft (mehr nicht geliefert).
Seit unserer letzten Anzeige dieses verdienstlichen Werkes (unsro Zeitschrift
\ II. ;).■;;;) sind drei neue llelb' ('rschien<Mi. welche in der Schilderung der Gebräiiclic
Bücheranzeigen. 108
fortfahren. Zuerst werden die Festlichkeiten, die sich an den Jahreskalender an-
lehnen, beschrieben, von Neujahr bis Andreasabend. Im 2. Abschnitt lernt man
die Kinder- und Volksfeste kennen, besonders das Tänzelfest in Kaufbeuren und
das Kinderfest in Memmingen. Dann beginnt der dritte Abschnitt, welcher die an
Treburt. Hochzeit und Tod sich knüpfenden Sitten und Meinungen vorträgt. In
den Hochzeitbräuchen bricht das lo. Heft ab. Auch hier müssen wir den Samrael-
lleiss Dr. Reisers rühmen, und das Verständnis fär das Leben und Meinen des
Volkes. Auch diese Hefte bringen kleine aber deutliche Bilder von Orten des
Allgäus oder erläutern einzelne Sitten und Feste. Erwünscht wäi-e ein raschei'er
Fortgauir des Werkes. K. W.
Festschrift zum fünfuii(lzwauzig:jährigeii Jubiläum des Horrn (lyninasial-
(liroktor Prof. Lemke als Vorsitzender der Gesellschaft für Ponimersclie
Geschichte und Altertumskunde. Stettin 1898.
Auf zwei Beiträge zu dieser Festschrift mag hier aufmerksam gemacht werden:
Plattdeutsche A^olkslieder aus Pommern, von Dr. Aug. Brunk (31 S.) und
Ein Kapitel aus dem Volksglauben und Volksbrauch in Pommern, von
Dr. .Vlfr. Haas (25 S.). Im ersten Aufsatz teilt Herr A. Brunk zwölf plattdeutsche
Liedei- mit, zum Teil mit vergleichenden Bemerkungen: Das sogen. Verwunderungs-
lied; De Growschmed: De Besäuk; Xich den Bcngel; Hans und Grete; De Junker
im dat Mäken; De Jüd un dat Mäken; Wenn dat regnet, da is dat natt; De Bicht
verhöre: Klein Mann un grot Fru; Wat nehm ick mi vö enen Mann; De Schinner
is de Best. Mit Ausnahme des dritten und siebenten sind diese Lieder auch sonst
in Norddeutschland nachzuweisen. Sehr dankenswert sind die beigegebenen
Melodien.
Herr Dr. A. Haas hat in seinem Beiti-age alles zusammeng(.\stellt, was sich
in Pommern an Volksglauben und Volksbrauch bei Tod und Begräbnis vorfindet,
oder ihm bekannt geworden ist Es ist kaum ein ganz unbekannter Zug aus diesem
reichen Kapitel der Volkskunde darunter; aber diese pommersche Sammlung ist
jedenfalls dankenswert, weil manch Selteneres darin vorkommt und es jedenfalls
mtei(>ssaiit ist. ans einer geschlossenen Provinz, wie Pommern, diesen \'orstelliings-
kreis und die dai'in wui'zelnden Bräuche zuverlässig vor sich zu luilieii.
K. W.
The Tratlitional Games of England. Öcotland and Treland, witli tunes.
sinoing-rhymes and methods of playing according to the variants extant
and rocorded in different parts of the kingdom, collected and annotated
by Alice Bertha Gomme. Vol. IL Oats and beans — Would you
know% together with a memoir on the study of childrens games. London.
David Nutt, 189S. S. XV. 53 L 8^
Mr. G. Lawrence Gomme, der Vicepräsident der englischen Folklore Society,
und seine gelehrte Gattin, Mrs Alice Bertha Gomme haben seit fünfundzwanzig
Jahren der Sammlung und Durchforschung der britischen A^olksüberlieferungen
sich gewidmet und die Ergebnisse ihrer Studien in einem gross angelegten Dictionary
of British Folk-Lore im Verlage von David Niitt zu veröffentlichen begonnen.
Von dem 1. Teil: The Traditional Games erschien der 1. Band lsD-1; nnvnrhcr-
]04 Weinliold:
gesehene Hindernisse verzögerten die Ausgabe des zweiten bis 1898. Beide Bände
sind das Werk von Mrs Gomme. Die eingetretene Verzögerung ermöglichte die
Ergänzung des ersten durch leiche Nachträge. Aufgegeben ward aber die Ver-
gleichung der ausländischen Kinderspiele, die später besonders aufgeCührt werden soll.
England hat durch diese Traditional Games eine ausgezeichnete Arbeit erhalten.
Dieselbe legt nicht bloss die Beschreibung der britischen Spiele nebst den dabei
gesungenen Liedern in Texten und Melodien vor, wenigstens für die englisch-
i'cdenden Landschaften so vollständig als möglich, sondern in dem Memoir. das
der 2. Band S. 458—031 bringt, sowie in den Ausführungen zu den einzelnen
Spielen wird der Beweis angetreten für den reichen Lihalt an alten Sitten und
altem Glauben, den diese Kinderspiele enthalten. — Sie sind gleich den Sagen,
Märchen, Gebräuchen und dem Aberglauben füi- die Urgeschichte des civilisierten
Menschen eine bedeutende Fundgrube.
Der geringe Raum, den wir dieser Anzeige gönnen dürfen, verbietet, auf die
Abhandlung von Mrs Gomme näher einzugehen. Wir liönnen nur den allgemeinen
Gang derselben angeben. Die gelehrte Verfasserin legt ein besonderes Gewicht
auf die „method or form" des Spiels als auf das bleibendere, während die Te.xte
der dazu gesungenen Lieder sich ändern können. Nach der Form sind es drama-
tische Spiele, oder Spiele, die körperliche Geschicklichkeit fordern und auf Gewinn
und Verlust gehen (games of skill and chance). Die dramatischen Spiele leiten
sich von den Sitten einer längst vergangenen Kulturstufe her; aber auch die Spiele,
die auf Gewinn- und Verlust gehen (Leben und Tod) spiegeln die Vorgänge aUei'
Zeiten ab, sowie die Auszählreime (counting out rhymes) für das alte Zählen
wichtig sind.
In Bezug auf die Methode unterscheidet Mrs G. fünf Arten: die Form in zwei
Reihen, deren jede Hand in Hand sich singend oder sprechend gegen die andere
hin und her bewegt; die Kreisform (Rundtanz mit Gesang); die individuelle Form,
wo jedes Kind eine besondere Rolle hat; die Bogenform, wo zwei Kinder mit
ihren Armen einen Bogen bilden, durch den die anderen kriechen; die winding-iip-
form, wo zwei Kinder mit ineinander gehakten Händen sich um die anderen
Spieler winden, bis alle umfasst sind und dann alle wieder sich aufrollen i^wir
nannten das in Schlesien die Tonne binden.) Jede dieser Formen lässt sich wieder
in Unterformen zerlegen. Mrs G. untersucht dann, woher diese verschiedenen
Formen gekommen sind an einzelnen dieser Spiele, deren Abkunft aus alten Sitten
sie dabei zu erweisen sucht. Besonders zahlreich sind die Heiratspiele (marriage
games).
Das Bemühen von Mrs G. geht vorzüglich auf den Nachweis vorhistorischer
Sitten und Anschauungen, daher auch heidnischer Kultgebräuche. In dem Spiel
Draw a pail of water (I, 100—108) z. B. findet sie einen Rest der Quellenverehrung,
und man kann dem tim so eher beistimmen, als im britischen Königreich so gut
als in Deutschland und anderswo die Verehrung ausgezeichneter altheiliger Quellen
noch fortlebt. Die Spiele, bei denen die Kinder durch einen Bogen hindurch-
kriechen, bringt Mr. G. mit dem bekannten Heilbrauch des Durchziehens durch
Steinlöcher und hohle Bäume in Zusammenhang (S. 5071".), obschon die Spieltexte
dafür keine Stütze geben; auch den Eid unter dem Rasenstreifen (J. Grimm.
Rechtsaltertümer, 118ff.) zieht sie herbei.
Die dramatischen Spiele teilt Mrs G. in zwei Klassen, je nachdem sie aus
gesungenen Texten mit Handlung oder aus gesprochenem Dialog mit Handlung
bestehen. In diesem Abschnitt geht die Verfasserin auch auf die Tänze ein und
bespricht, mit einer Abschweifung auf die Tänze wilder Völker, die Bedeutung
Bücheranzeigen. 105
des Tanzt'S in den religiösen Riten, (überall bewährt Mrs G. eindringende Studien,
und \ven)i man ihr auch nicht in jedem Falle beistimmen kann, Anregung findet
man reichlich. (Über die Auslegung des Sally Water Spiel haben wir oben 8. 89
genauer gesprochen.)
Die Fortsetzung dos Dictionary oC British Folk-Lore soll die Mairiage Rite»
and Custoras of the British Isles in wahrscheinlich zwei Bänden bringen. Wir
sehen dem mit grossem Interesse entgegen, aber auch mit dem Zweifel, ob die
Wörterbuchform sich dafür empfehle. K. Weinhold.
Kinder- Reime, -Lieder imd -Spiele. Gesammelt von Otto Frömmel.
Erstes Heft. Berlin 1899. S. 48. s'.
Das kleine Heft, wie es scheint, ein Privatdruck, bringt KiO Rinderreimc, die
der Herausgeber in Berlin aus Kindermund gesammelt hat. Unbekanntes findet
sich kaum darin. Aus dem Vorwort möchte man schliessen, dass Herr 0. Fr. von
der ganzen Litteratur der Kinderspiele und -Reime nichts weiss. Da er ein Freund
dieser volkstümlichen Liedchen ist, würde er gewiss viel Genuss finden, wollte er
sich mit dem Gegenstand seiner Neigung näher bekannt machen. K. W.
Schweizerisches Idiotikon. AVin-tcrbuch der schweizer-deutschen Sprache.
Gesammelt auf Veranstaltung- der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich
unter Beihilfe aus allen Kreisen des Schweizervolkes. Begonnen von
Friedrich Staub und Ludwig Tobler. Heft 81-36. Bearbeitet von
A. Bachniann. K. Schoch, H. l^ruppacher und E. Hoifmann-Krayer.
Frauenfeld, J. Huber, 1896-98. 4°.
Die vorliegenden ersten sechs Hefte vom vierti'n Band des grossen schweizer-
deulschen Idiotikon bringen die Worte mit den Anlauten M, N und von B, P die
Worte von Ba Be Bi Bo ßu — Bak. Über die Bedeutung des Weikes und über
seine vortreffliche Ausführung haben wir uns wiederholt in unsrer Zeitschrift
(I, 221. III, 107. IV, 3o8. VI, 226) ausgesprochen. Die zweite Generation, die
nach dem Hingang der unvergesslichen Begründer des nationalen Unternehmens,
Fr. Staub und L. Tobler, in die Nachfolge eingetreten ist, bemüht sich mit Erfolg
in dem alten Geiste weiter zu arbeiten. Wortkunde und Volkskunde sehen wir
in gleichem Masse gefördert. Wir Reichsdeutschen freuen uns des Schatzes, der
hier von den Schw^eizerdeutschen aufgebaut wird, denn er ist doch schliesshch ein
gemeinsames Vermögen. K. W.
üachler, A., Das Bauernhaus in Xieder-Österreich und sein Ursprung.
Mit 3 Tafeln und einer Karte. Wien, L. W. Seidel & Sohn, 1897.
S. 55. s«.
Diese lleissige AbhandUiug, die zuerst in den Blättern des Vereins für Land es-
kunile von Nieder-Österreich erschienen ist, untersucht die Gehöftformen des Landes.
Der Verfasser stellt das vorwiegende Vorkommen des Einzelhofes im Westen, des
Dorfes im Osten fest und sondert dann drei Typen: den Frankenhof, das bajuvarisch-
106 Rocdiger:
steirische. und il.is bajuvarisch-oberösierreichischc Gehül'l auf Gruiullage der Stellung
des Stalls zum Wolingebäude und der Einteilung dieses letzteren. In jeder der
drei Hauplgruppen werden wieder Unterabteilungen geschieden. Die Erklärung
für das A'orkommen der drei Typen wird aus der Geschichte des Landes geschöpft.
Eine gute Karte gewährt einen leichten Überblick über die gewonnenen Ergebnisse
des Verfassers.
Kaindl, ßaim. Fr., Ethnographische Ötreifzüge in den Ostkarpathen.
Beiträge zur Hausbauforschnng in Österreich. Mit 74 Illustrationen.
Wien 18^)8. (Sep.-Abdr. aus den Mitteilungen der Anthropologischen
Gesellschaft in Wien. XXYIII. S. •223—249.) 4°.
Die vorliegende Abhandlung ist nach Angabe des Herrn Verf.s „so ziemlich"
der Abschluss seiner Forschungen über das Völkchen der Huzulen. Er teilt die
Ergebnisse seiner Reisen mit zu den Rusnaken 1. im Rikathale und 2. an der
Theiss, dann 3. zu den Huzulen an der galizischen goldenen Bystrzyca, bei denen
die Westgrenze des huzulischen Stammes liegt, ferner 4. zu den Bojken, die nicht
mehr zu den Huzulen gehören. Tn dem 3. Abschnitt handelt Herr K. im besonderen
über die Entwickelung des Ofens. Ergreifend sind die Mitteilungen über das
Elend der Rusnaken im Rikathale. K. W.
Aus den
Sitziiiii>s-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 25. November 1898. Fräulein Lehmann -Pilhes legt aus
Island stammende Geräte ziu- Brettchen wcberei und auf diese Weise hergestellte
Borten vor. Unsere Zeitschrift bringt den Vortrag oben S. -24—33. Frau Rech-
nungsrat Bloem stellt zwei Tücher mit Kunststopferei aus dem Jahre 1730
aus. Fräulein E. Lemke spricht über die rote Farbe. Die Zauberkraft der
roten Farbe wird sich auf eine naheliegende Beobachtung zurückführen lassen,
nämlich auf die Ähnlichkeit der roten Farbe mit Blut. Zugleich oder in weiterer
Beobachtung wird die rote Farbe zum Sinnbild des Feuers (des Blitzes und der
Gestirne); und in sich begegnenden und ergänzenden Anschauungen bildete sich
der Glaube an die Feuerbeschaffenheit der Seele aus. Die rote Farbe wird zum
Zeugnis göttlicher Kraft und Macht; sie bekundet Grösse, Würde, Pracht und
Freude; sie ist die Farbe der Leidenschaft (daher der Liebe und des Zornes)
sowie der — Schreckliches mit sich führenden — Gewalt. Rot ist die Farbe der
bei allen Indogermanen am höchsten verehrten Gottheit, der des Gewitters. Im
Hinblick darauf kommen zur Erörterung: Thor-Donars Hammer, Blitzsymbole,
sodann Hochzeitsgebräuche, die mit Thor (dem Schützer der Ehe) in Zusammen-
hang stehen, noch heute anzutreffender Brauch in Bezug auf Hammer oder Axt,
glühende Kohlen u. s. w., der Glaube an Wetterhexen, die elbischen Wesen,
Gestirne, Feuerbeschaff'enheit der Seele u. s. w.; die rote Farbe für Zwerge u. s. w.
Protokolle. 107
das Zeichen ihrer Sternabkunft, Seele und Blut, Opfer, Krieg u. s. w., das rote Tuch
bei Priestern, B^eldherren u. s. w., der rote Faden, rote Haare u. s. w. Schliesslich
werden einige hier in Betracht zu ziehende Tiere und Pflanzen sowie ein buntes
Allerlei moderner Vorkommnisse besprochen, z^ B. der rote Auer-Licht-Löwe. —
In der an den Vortrag sich knüpfenden Erörterung weist Herr Prof. Roediger
darauf hin. dass der rote Bart des heiligen Olaf vom Gotte Thor entlehnt sei
und dass nach Jostes aus einer altsächsischen Glosse hervorgehe, dass rote Erde
die gerodete Erde, die Bodung im Walde, wo Gericht gehalten wurde, bedeute.
Herr Geheimrat Meitzen zeigt an einem isländischen Geschichtchen, wie leicht
das Hammerzeichen in das Kreuzeszeichen übergehen konnte, und Herr
Geheimrat Schwartz erinnerte an den Zusammenhang zwischen den Bienen im
napoleonischen Wappen und dem Fund eines goldenen Stierkopfes unter Hunderten
von goldenen Bienen im Grabe des fränkischen Königs Childerich in Doornik
(Grimms Mythol.^^ S. 659).
Freitag", den 16. Dezeuiber 1898. Zu dem Vortrage des Herrn Prof. Di-.
Karl Frey über Kirchengebäude und ihre Einrichtung hatte der Herr Rektor
der Universität dem Verein das Auditorium für Kunstgeschichte mit seinem
Skioptikon zu benutzen gestattet. Herr Prof. Frey behandelte den Bau der
Basilika und gab als Erläuterungen zu seinem kunstgeschichtlichen Vortrage mit
Hilfe des Skioptikons eine grosse Reihe von Bildern, welche die Entwickelung der
Basilikaanlage bis zu den grossartigsten Kirchen des Mittelaltei's verdeutlichten.
In einem späteren Vortrage gedenkt Herr Prof. Frey die Portsetzung zu geben.
Auf Vorschlag des Herrn Geheimrat Friedel wird der Vorstand des Vereins
auch für das Jahr 1899 durch Zuruf wiedergewählt.
Freitag, den 27. Januar 1890. Herr Bankrepräsentant Waiden weist eine
altertümliche Weihnachts-Pyramidc vor. Sie trägt mehrere Zettel mit frominen
Sprüchen, sogen. Lexe (Lex, Lekse, Lekz aus lat. lectio). Älter als die Pyramide
ist der Lichterbaum, ein dreieckiges Holzgestell mit 7 Lichtern, das Herr
Waiden durch einen Chodowieckischen Stich veranschaulicht. — Herr Zeichenlehrer
Mielke legt vor: 1. einen zierlichen Desemer oder Besemer aus China, mit
einer doppelten Skala. Vgl. unsere Zeitschrift s, 113; 2. einen Bindepflock,
wie sie zum Anziehen der Strohseile um Garben in Braunschweig sehr verbreitet
sind; 3. eine Totenkrone mit Puppen aus Seeren in der Neumark. Er hat sie
in dieser Ausstattung nur dort gefunden; vgl. seinen Vortrag in dieser Zeitschrift
.'j, 354. — Herr Sanitätsrat Dr. M. Bartels beantwortet die Frage: Was können
die Toten? Viele Völker nehmen von ihnen an, dass sie sich ebenso gebaren
können, wie die Lebenden, dass also das Leben ihres Körpers und ihrer Seele —
oder ihrer Seelen: bis zu vier werden dem Menschen zugestanden — mit dem
irdischen Tode noch nicht aufhört. Eine der ersten Äusserungen des Fortlebens
ist es, wenn der Tote ein freundliches Gesicht macht:- es folgt ihm dann bald ein
Angehöriger. Öffnet er die Augen wieder, so sucht er jemand, der ihm folgen
soll oder einen nicht vorhandenen Lieben. Die Arbeit ruht, so lange der Tote im
Hause ist, damit er nicht gestört werde. Man stellt Speisen und Getränke für ihn
hin, er erhält in den Sarg Gebrauchsgegenstände und Lieblingsstücke. Gegen die
Langeweile giebt man ihm sein Gesangbuch mit oder etwa dem Fischer ein Fisch-
netz, von dem er jedes Jahr eine Masche auflöst. Der Tote hört das ihm ge-
spendete Lob, hört, wenn man sich von ihm verabschiedet. Er kann Krankheiten
anderer mit ins Grab nehmen. Ist er bestattet worden, so geht er neben dem
Totengräber her, wenn dieser das Grab verlässt. Er vermag wiederzukommen,
namentlich in der ersten Zeit; junge Mütter versorgen ihr Kindchen sechs Wochen
](),S Roodiger: Protokolle.
Jan^''. Etwas anderes ist die durch Unthaten und dergleichen hervorgerufene Ruhe-
losigkeit im Grabe, die sich vielfach mit Seelenwanderungen vermischt. An die
Totentänze knüpft Goethes Gedicht an. Der Talmud kennt ein Umherfliegen der
Toten. Auch körperliche Veränderungen gehen am Toten vor: Nägel, Haare,
Zähne wachsen ihm. Wer die Hand gegen seine Eltern erhoben hat, dem wächst
sie aus dem Grabe, vorschwindet aber, wenn sie bis zum Bluten geschlagen wird.
Der Tote kann einen Sohn zeugen. In gewissen Kirchen findet ein Gottesdienst
der Toten statt. Der Tote empfindet auch körperliche Schmerzen im Grabe, z. B-
den Druck der Erde, daher der Wunsch: Die Erde sei ihm leicht! Hier und da
findet eine dauernde Zuführung von Speise und Trank statt, was wahrscheinlich schon
prähistorisch ist. Der Tote kann denken und hat seelisches Empfinden, daher die
Totenopfer — jetzt Totenkränze — , die ihn erfreuen sollen. Die Toten können
sich im Grabe mit ihren Nachbarn unterhalten, ziehen deshalb ihnen angenehme
Leute nach sich. Sie geben Rat an Lebende, indem sie sprechen. Gottselige
Tote heilen und spenden Segen. A"on den Sorgen und Nöten der Hinterbliebenen
wissen sie nichts, doch hegt man auch die entgegengesetzte Ansicht (im Talmud
beides). Sie können Lebenden das Blut aussaugen: die Vampyre verlassen dazu
das Grab, die Totensauger (Totenlecker, Doppelsauger, Nachzehrer) thun es vom
Grab aus. Schutz gegen diese gewährt eine zwischen die Zähne gesteckte Münze,
an der sie saugen können; dem Vampyr aber muss man den Kopf abtrennen und
einen Pfahl durch die Brust treiben. Man darf Toten nichts von Lebenden mit-
geben, weil diese sonst sterben müssen; auch darf man den Toten nichts weg-
nehmen, z. B. keine Blumen von ihrem Grabe pflücken, weil das dem Nehmenden
den Tod bringt oder doch den Toten Unruhe. Ist der Tote unzufrieden, so kommt
er wieder, wirft auch Mitgegebenes fort, wenn es ihm nicht zusagt. Ungehörige
Gesellschaft (Selbstmörder, Hingerichtete) lassen die Toten nicht auf den Kirchhof,
wandern lieber an einen anderen Platz. Die Toten können Geschenke spenden,
z, B. können Frauen, die vor der Geburt ihres Kindes starben, es an Unfruchtbare
überlassen (südslavisch). Man kann auch eine Wahlbruderschaft mit Verstorbenen
eingehen, die einem dann helfen (südslavisch). Der beleidigte Tote bringt Unglück
und muss besänftigt werden; der bekümmerte dreht sich im Grab um aufs Gesicht.
Tote können Aufträge an Lebende geben und Sterbende ihnen das Gewünschte
mitbringen. — Der Vorsitzende erstattet den Jahres- und Kassenbericht.
Letzterer fällt günstig aus, aber nur dank der wiederum gewährten Unterstützung
des hohen Unterrichtsministeriums. In den Ausschuss werden gewählt Fräulein
Lemke und die Herren Friedel, Bartels, Mielke, Sökeland, Bastian, Voss, Bolte,
Erich Schmidt, Moebius, Waiden, Marelle. Da Herr Waiden eine W^iederwahl
ablehnt, so tritt an seine Stelle Herr Kossinna. Die Gewählten ernennen Herrn
Friede! zu ihrem Obmann. Max Roediger.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde
Taf. I.
abc Bänder aus Island, d aus Jütland, efg aus Tiflis. (f goldener Gurt
mit silbernen, schwarzen und roten Verzierungen.)
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1899.
Das Hiittlerlaiifen.
Von Dr. Wilhelm Hein.
(Mit 8 Abl)ilduiig-en.i)
Ini Jahre 1892 erwarb das städtische Museum Caroliuo-Augusteum in
Salzburi;- eine Auzahl von sogenannten Perchtenlarven, die aus Holz ge-
schnitzt verschiedenartige, oft abenteuerlich ausgestaltete Menschen- und
Tierkö])fe darstellen. Der Direktor des Museums Herr Regierungsrat Dr.
Alexander Fetter Hess die Larven photographieren und sandte eine Samm-
lung von solchen Aufnahmen auch an die Anthro])ologische Gesellschaft in
Wien, deren Sekretär-Stellvertreter ich damals war. Die grosse Ähnlichkeit
dieser Masken in Form und Auffassung mit den Tanz-, Beschwörungs- und
Teufelslarven -verschiedener A'ölker verleiht ihnen nicht bloss eine öster-
reichisch- oder mitteleuropäisch -volkskundliche Bedeutung, sondern stellt
sie in eine Linie mit jenen Erzeugnissen, in welchen sich allerorts der
Menschengeist in gleicher Weise offenbart; sie bilden daher ein unent-
behrliches Glied in der Gesamtheit der Gesichtsvermummungen, wie sie
bei allen Völkern des Erdballs geübt werden. Von diesen Gedanken ge-
leitet, machte mir der Sekretär der Gesellschaft, zugleich auch Leiter der
anthropologisch - ethnograi)hischen Abteilung des k. k. natnrhistorischen
Hofnmseums, Herr Gustos Franz Heger den Vorschlag, eine Reise in die
Alpenländer zu unternehmen, um w^omöglich noch einige dieser höchst
seltsamen Masken aufzusammeln und deren Bedeutung im Volksleben fest-
zustellen. Diesem Zwecke galten mehrere Reisen, die ich in den Jahren
LS9o bis 1897 machte imd auf welchen ich teils für das Hofmuseum, teils
für den im Dezember 1894 von mir im Vereine mit Herrn Dr. Michael
Haberlaudt gegründeten Verein für österreichische A^olkskunde ziemlich
ansehnliche Belegstücke älplerischer Volksbelustigungen sammelte. Von
meinem Kollegen Herrn Gustosadjunkten Fritz Siebenrock auf das eigen-
tümliche Huttlerlaufen in und bei Hall in Tirol aufmerksam gemacht,
lenkte ich meine Schritte auch dorthin und fand in Rum bei Hall dieses
seit alten Zeiten übliche Laufen noch in vollem Schwange. Von dem
1) Die Abbildungen wurden von Herrn Robert Karl Lischka in Wien teils nach Photo-
graphien, teils nach Originalen gezeichnet.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. °
110 Hein:
(lamaligeii Saiirweinwirt Herrn Joliaini Rescli geleitet, konnte ich bereits
am 5. September 1894 beim Hölblingbauern die dort auf dem Boden auf-
bewahrten Anzüge der Zottler mit den aus Holz geschnitzten Larven sehen,
und einem der Banernknechte machte es grossen Spass, sich auf mein Er-
suchen hin in ein derartiges zottiges Gewand zu hüllen und die üblichen
Zottlersprünge zu machen. Ich lernte damals auch den Sebastian Rainer
kennen, der heute noch die Masken schnitzt; allerdings ist seine Arbeit
nicht zu vergleichen mit den fast künstlerisch ausgeführten Larven früherer
Zeiten. Dann kam ich erst im Jahre 1896 am '21. September nach Rum,
als ich in Vils für das Museum für österreichische Volkskunde die grosse
Krippe um 4r)0 fl. kaufte; damals wurde ich dort mit dem Hauptmann Viktor
Läse hau Edl. v. Solstein bekannt, der von Alt und Jung hoch in Ehren
gehalten wird und mir es erst ermöglichte, etwas tiefer in das V^esen des
alten Volksbrauches zu blicken, auf den die Bauern der rechtsseitig vom Tun
o-elegenen Dörfer nur scheu hinblicken; ja der ehrliche Simon Jauffenthaler
in Vils. von dem ich die Krippe kaufte, bezeichnete geradezu das Huttier-
laufen als Teufelswerk, an dem sich kein Christ beteiligen dürfe. Endlich,
am Sonntag, den 7. Februar 1897, war es mir durch die Vermittlung des
Herrn Hauptmann v. Laschan vergönnt, selbst einem Huttlerlaufen bei-
wohnen zu können und bei dieser Gelegenlieit für das obenerwähnte
3Iuseum einige der bes'ten Stücke zu erwerben, die man sonst nicht erhalten
kann, weil sie eben imr für das Laufen selbst zusammengestellt werden,
vor allem zwei Altartuxerkappen.
Die älteste Nachricht über diesen Brauch fand ich bei Franz Ziska;
„Das Hudlerlaufen"'), der folgendes mitteilt: „In der Umgegend des
kleinen, im nördlichen Tyrol liegenden Städtchens Hall wird, vom ersten
Tage nach Maria Reinigung angefangen, (mit Ausnahme des Freitages und
Sonnabends) bis einschliesslich Fastnacht-Dienstag täglich Hudel gelaufen.
Die Männer und Buben ^) versammeln sich zu diesem Zwecke schon
um ein Uhr Nachmittag vor der Dorfschenke, wohin sich schon früher der
Hndler (gewöhnlich ein reicher Bauer) begeben hat, um sich zu verkleiden.
Diese schreien sonach, wie der Hudler sie beim Wirthshausfenster begrüsst,
aus vollem Halse:
1) In ., Wöchentliche Naclunchten für Freunde der Geschichte, Kunst und Geliihrtlieit
des Mittelalters von Dr. Johann Gustav Bus ching". Vierter Band. Breslau 1819. S. 69
bis 71. — Das Wort Hudlerlaufen leitet Ziska von hudeln = plagen, quälen ab. Das Wort
Hudler oder Huttier bedeutet nach Grimm, Deutsches Wörterbuch, IV. Bd, 2. Abt , einen
Menschen von lumpigem Äusseren, abgeleitet von hudel, m., Lumpen, Lappen, zerfetztos
Stück Zeug. Vgl. dazu Schmeller, Bayerisches W'örterbuch, L Bd : Huderwät, zerlumpte
Kleidung. Da, wie mir Hauptmann v. Laschan mitteilt, die Bekleidung der Huttlei-
„Hütten" genannt wird, so dürfte Ziskas Ableitung eine irrige sein, wenn auch das Wort
hudeln in der Bedeutung von quälen nachweisbar ist: vgl. auch lobhudeln, mit Lob plagen
(Grimm a. a. 0.}.
2) „In Tyrol, wie in Österreich heisst jode unverheuratetc Mannsperson olin(> Unter-
schied des Alters — Bube."
Das Huttlcrlaufen. 111
, Unter der Bettjschtodt schiebt a Raiter (Tragekorb),
,Wer si nit ausser traut, iseh a Haiter. (Bärenhäuter, fauler Mensch)
,Uans, zwa, drai — Hud'l ho ! ! '
Diese HerausforderuDg lässt sich der Hudler nicht zweimal sagen^
sondern begiebt sich imverweilt in seiner sonderbaren Verkleidung^) aus
4.1er Schenke, indem er mehr denn 50 Brezeln, die an seiner langen Peitsche
hangen, unter die Buben auswirft, und dann, wenn sie sich um die Brezeln
rappeln (herumbalgen), dieselben mit seiner Peitsche tüchtig schlägt. Waxe
(grossmüthige) Hudler werfen wohl auch Silbergroschen aus.
Nun durchgeht er die Reihen der Bauern, die sich inzwischen in einer
langen Gasse gelagert haben und sucht sich einen heraus, der ihm vorlaufen
soll. Indem sich nun dieser dazu anschickt, eilt ihm der Hudler nach und
sehlägt ihm ununterbrochen so lange unter die Füsse, bis er ihn eingeholt
hat. Sonach führt er den Ereilten in die Schenke, wäscht ihm bei dem
Brunnen das Gesicht, bewirthet ihn liebreich mit einer Semmel und einem
i ilas Wein und beginnt von neuem seinen Lauf mit einem andern Bauern.
Dieses Hudlerlaufen dauert immer bis Sonnenuntergang, wo sich der
Hudler entlarvet, und alsdann im Wirthshause den Tanzreihen anführt.^)
Bisweilen, besonders am unsinnigen Donnerstag (Donnerstag vor
FaschingstagJ laufen in manchem Dorfe bis an etliche 30 Hudler, und
<lann pflegen auch o bis 4 Hexen (in der Kleidung tyrolerischer Bäuerinnen
A'tn-muminte Männer) mitzulaufen. Manchmal reiten sie auch auf Kehrbesen,
mit ihren Popeln (Popanz, Windelkind aus Lumpen) auf dem Arm, einher
und treiben die muthwilligsten Possen.
Auffallende Ähnlichkeit hat diese Erlustigung mit den römischen
Luperealien, indem auch die Luperci ebenso toll herumliefen, und jedem
<ler ihnen begegnete, mit Geissein auf die Schulter schlugen. Tyrol hatte
römische Colonisten. ^[an weiss auch, dass die Römer die Strasse nach
Aquileja durch Tyrol bahnten. Sollten wohl die alten Einwohner dieses
Fest von ihnen entlehnt liaben?"
Eine fast wörtliclie Wiederholung dieser Schilderung giebt F. Nork'),
1) „Sein Anzug besteht in ehier buntsclieckigen Papagenokleidung in der Form, wie
sie die Matrosen tragen, nemlich: ein langes Beinkleid über die Stiefel und eine kurze
Jacke, welche an das Beinkleid angeknüpft ist. Vor dem Angesichte hat er eine hölzerne
Larve (die eben nicht unangenehm wäre, würde sie nicht durch einen darauf geschnittenen
Käfer oder gar eine Maus verunstaltet); und um den Kopf ein Tuch gewickelt, welches
über den Nacken hinab läuft und unter dem Halse zusammengebunden ist, so zwar, dass
die Larve davon rings umgeben ist. Ein grüner flacher Hut nach Landesart mit ein paar
Huifedern (Hahnenfedern) und Gemsebart geziert, und ein Gurt um die Lenden, der mit
Semmeln besteckt ist, machen seine Maske vollständig."
2) Vgl. dasselbe bei J. Gebhard, Österr. Sagenbuch. Pest lg(V2. S. 471 ff. (Nach
"SVilh. Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme. Berlin
1875. S. 268-269.)
3) F. Nork, Der Festkalender, enthaltend: Die Sinndoute der Monatszeichen, die
Entstehungs- und Umbildungsgeschichte von Naturfesteu in Kirchenfeste u. s. w. Stuttgart
ind Leipziii- 1S4T. S. 793—800. [Das Kloster. AVeltlich und geistlich. Meist aus der
8*
112 Hein:
der sich zum Öelilusse 'j;egen die Yergleichung des Hiidlerlaufeiis mit den
römischen Lupercalieu wendet, indem er ausführt: „Es fragt sich aber, ob
die römischen Feste auch in den entlegensten Theilen des Eeiches begangen
wurden? Ferner, welche Ähnlichkeit soll, wenn der Hudler mit einer
gewöhnlichen Peitsche die Dorfjugend schlägt, mit jenen Schlägen der
Luperci aufzufinden seyn, welche zum Zwecke haben, weibliche Unfrucht-
barkeit zu beseitigen, daher nur den Frauen galten? Endlich, was soll
die Mausmaske, die Hahnenfeder und das Hexengefolge? Erinnert mau
sich aber, dass der Volksglaube in Thüringen an diesem Tage den Einzug
des wilden Heeres in den Hörselberg stattfinden liess, so ist die Frage am
einfachsten erklärt."
Eine etwas andere Darstellung giebt Dr. J. E. Waldfreund'): JVm
anderer Zeitpunkt, wo sich das Yolk an seinen lustigen gebrauchen orfreut,
ist die fastnacht. am lautesten geht es zu am -usinning pfindstag", be-
sonders in der salinenstadt Hall, schon am vormittag lassen sich bunt-
verkleidete, mit besen und peitschen versehene jungen auf der gasse sehen
— hexen und huttler genannt, allein das rechte spektakel geht erst gegen
abend los auf dem untern stadtplatz, schon l)ei zeiten kommen die neu-
gierigen zusammen, um das fasserröszl zu sehen, dasselbe ist aus holz eben
nicht täuschend verfertigt, darauf sitzt ein frischer bursch — meist ein fasz-
bindergesell — der freilich sich und sein röszl zugleich fortbewegen mnss.
sein gefolge besteht aus einer anzahl von 4iuttlern\ welche sich das ver-
gnügen machen, mit den peitschen zu knallen und die Zuschauer mit kotigen
besen tüchtig abzufegen, so ziehen sie gewöhnlich zu einigen wirthshäusern.
wo ihnen vor der thür wein, schnaps etc. geboten wird, zuletzt kehren
sie selbst in irgend einem gasthaus («in und entziehen sich der schaulustigen
menge, eine gleiche lebhaftigkeit findet man im fasching in den <lr.rfern
um Hall und Innsbruck.''
Ignaz V. Zingerle fügt diesem Berichte, den er vollständig abdruckt"),
noch folgende Angaben bei:
„Die Huttler, welche am unsinnigen Pfinztag oder in den folgen<hMi
Tagen umlaufen, heissen Schleicher. Sie wie auch die Teufel in den
Faschingskomödien sollen sich etwas Geweihtes in die Stiefel tliun, denn
sonst hat der Teufel Gewalt über sie. :\lehrere, die dies nicht thaten,
wurden schon vom Teufel vertragen. (Rangen.)"^)
I
älteren deutschen Volks-, Wunder Curiositäten-, und vorzugsweise komischen Literatur.
Zur Kultur- und Sittengeschichte in Wort und Bild. Von J. Scheible. Siebenter Band:
25-28 Zelle.]
1) Dr. J. E. Waldfrcund, Volksgebräuclie und Aberglaube in Tirol und dem Salz-
burger Gebirg. (Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. Begründet von Dr. J.
W.Wolf. Herausgegeben von Dr. W. Mannhardt. Dritter Band. Göttingen 1855. S. 337.]
2) Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes. Gesammelt und herausgegeben
von Ignaz v. Zingerle. Zweite vermehrte Auflage. Innsbruck 1871. S. 135, No. 1196.
3) Zingerle, a. a. 0. S. 136, No. 1197. Rangen ist ein Ort im Gerichtsbezirk Telfs
bei Innsbruck.
Das Huttlerlaufen. 113
..Wenn man nicht Huttler lauft, gedeiht der Flachs nicht. Je mehr
Huttier laufen, desto schöner wird derselbe. (Götzens.)"^)
.,Wenn viele Huttler gehen, gedeiht der Türken (Mais) gut. (xVmbras.)'- ^)
Im vorstehenden stellte ich alle Nachrichten zusammen, die uns bis
jetzt gedruckt vorlagen. Eine h()chst anschauliche Schilderung des Treibens
der Huttler vor dem grossen Laufen lieferte mir Herr Hauptmann Viktor
Laschan Edler von Solstein, der seit Jahren im Huberschen Gasthause zu
Rum seinen ständigen Wohnsitz hatte, in einem Briefe vom 13. Februar 1897,
<lem ich folgendes entnehme:
„Es war Nacht: idyllische Kühe breitete sich über das ganze Dorf.
Da und dort sah man noch die ebenerdigen Stuben beleuchtet: aber viel-
seits verschwanden auch diese Lichter, und man konnte dann aus den in
die o})eren Schlafkammorn übertragenen Lichtern und deren schnellem
Verschwinden sicher schliessen, dass die Einwohner von den Mühen des
Tages übermannt sich ganz zur Ruhe begeben haben.
Seitwärts des Huber-Hauses stehend und dieses betrachtend, höre ich
Flüsterti'me, und es tauchen 6 — S dunkle Gestalten vor mir auf. ohne mich
7Ai beinciken. Eine von diesen s])ringt mit wenigen Sätzen voraus zu den
Fenstern der beleuchteten Stube und schaut durch eine vom ,Vorhangl'-
■offen gelassene Ecke in dieselbe. Schlägt ihm höher das Herz? Ist es
die Nanno'), die Moidlo, die es ihm angethan? 0, diese kleine Fenster-
ecke ist sicher niclit ohne Absicht offen geblieben!
Ich eile von rückwärts ins Haus, in die Stube und setze mich wortlos
in eine I'.cke in stiller Erwartung <ler Dinge.
Selbst die Kleinen sind trotz der Aufforderung der .Mutter, schlafen
zu gehen, nocli da und verhalten sich ungewöhnlich still. Das ganze Ge-
sincU' ist nunmehr mit wenigen Xachbargästen versammelt: die Hausmutter
«pinnt. die alte Geliadl, mit einer grossen Brille, flickt, die Nanno strickt
und die Moidlo häkelt.
Da erfolgt draussen ein mächtiger Schlag des plötzlich aufgerissenen
und an die Mauerwand geschlemlerten Hausthores, und ein polterndes
Gestrampfe lässt sich hören. Die Wirtin schreit: ,Jessas, die .Matschgerer,
die Muller! Nehmts die Gläser weg, stellts die Flaschen ins Kastl und
die zwoa Taller, hängts die Lampen aus, damit in Winkel übrü* Rasch
nimmt sie vom Spinnrad den Rocken samt dem Stabe ab und legt dies
liinter sich. Im Nu war alles Zerbrechliche weg: auch die Kleinen hatten
mittlerweile den Ofen erklettert und sich auf der Ofendörre in Sicherheit
gebracht. Die anderen nehmen wieder ihre Plätze auf den längs der
1) Ziiigo.rlo, a. a. 0. S. 139, Ko. 1211. Götzens ist ein Ort im Gericlitsbozirk Innsbruck.
2^ Zingrrle, a. a. 0. S. 139, No. 1212.
3) Wie mir Herr Hauptmann v. Laschan in einem Briete vom 9. März 1897 schrieb,
gehen die Namen auf ein h^nge;, fast gesungenes ö aus: Luisö, Nanno, Moidlo, Hannsö,
Jörglö, Sopplö, Barblö (^Barbara), Franzö, Andrö: nur der Name Judith wird ohne das
Schluss-ö gesprochen. Auch Vatrö, Muttrö hört man rufen.
114 Hein:
Mauer sich hinziehenden Bänken ein und schauen gespannt auf die ge-
schlossene Thür.
Mittlerweile hat das Gestranijjf und das Aufsclilagen der schwer ge-
nagelten Scluihe auf den hölzernen Dielen des Hausganges immer mehr
zugenommen. Deutlich hört man einen bestimmten Rythmus heraus, indem
stets einer, der Vordermann, beginnt und die anderen dann im Takte
einfallen, wie beim Dreschen des Kornes der Yordrescher den Takt
bestimmt.
Das ganze Haus dröhnt unter diesem mächtigen Gepolter. Mit dem
schwereren und leichteren Aufhauen der Schuhe auf den Dielen, abwechs-
lungsweise bald mit dem einen .tarn tani täm\ dann mit dem anderen
Fusse ,täm tarn täm' und den einzelnen Nachschlägen ,täm täm" ver-
einen die Strampfenden das ,Schnaggeln', das sie mit Lippen und Zunge
durch Einziehen der l^uft ebenfalls im Takte hervorbringen.
Das nun schon 2—3 Minuten andauernde Getrampel hat seinen Hölie-
punkt erreicht; es sind alle dicht angeschlossen, einer hinter dem anderen.
— da fliegt die Stubenthür auf, und der erste Zottler, ein Riese von einem
Menschen, springt gebückt durch die Thür in die Mitte der Stube, mit
dem zweiten Satz hinauf auf den viereckigen Kichentisch und beginnt
sofort das Schuhgestrampf. Ein zweiter folgt ihm, springt gleichfalls auf
den Tisch und strampft mit. Zugleich hat, noch im Hausgange, der letzte
mit dem Fotzhobel (Mundharmonika) einen Walzer zu spielen begonnen.
Die anderen Zottler und Muller ergehen sich in allen denkbaren Sprüngen.
strampfen und .schnaggeln' dazu. Das Stubenlicht wirft nur noch einen
matten Scliein und ist vor Dunst und Tabakrauch dem Verlöschen nahe;
man ist in einer Hölle, wo alle Teufel los sind. Die kluge, kleine Judith
hatte nach dem Einzüge der Masken das Spinnrad der Mutter hinter deren
Rücken glücklich hinaus in Sicherheit gebracht, kommt zurück und patscht
vor Freude mit den Händen; der Spinnrocken aber fiel in die Gewalt der
Muller, wurde angezündet und im Triumph in der Stube herumgetragen,
bis er abgebrannt erlöschte. Nach ungefähr einem halben Stündchen ist
dieser erste Akt beendet und der Fotzhobel schweigt. Bald aber beginnt
der zweite Akt, das ,Abmullen\ Sämtliche Masken, eine nach der
anderen, steigen da und dort auf die Bänke, zwingen jeden der Insassen
sich vorzuneigen und schlagen, immer mit flacher Hand, auf seine Sclmltern.
Steigt dann die Maske auf den Nächsten zu, zum neuen Schlage ausholend,
hat sich der bereits geschlagene Vordermann schon vom Sitze erhoben,
sich umgedreht und den Schlag zurückgegeben. So fällt Schlag auf Schlag,
kein Wort wird gesprochen. Je ärger der Schlag, je stärker der Rück-
schlag, desto mehr wird gelacht; je lieber den Masken eine Person ist.
umsomehr Schläge bekommt sie. ') Dabei lacht aus aller Mund die wahr-
1) Kommt ein Muller der Pflicht des Abraullens nicht nach, so wird er ans dem
Mullerverband ausgeschlossen: er ist kein Muller mehr.
Das Huttlerlaufen. 115
hafteste Herzensfreude. Nur dann und wann schreit ein Mädchen, enipfindlicli
getroffen, auf: „ja hoi!'' und giebt resolut, die ganze Kraft einsetzend, den
Sehlag zurück. Ist ein den Burschen gutbekannter, liebgewordener Städter
in der Stube, so wird auch die Hand wie weit zum Schlage ausgeholt,
berührt aber im letzten Augenblick gerade noch sanft die Schulter. Ist
eine den ^lasken ganz unbekannte oder gar unliebsame Person in der
Stube, so wird diese als gar nicht anwesend übergangen, also nicht ab-
liemullt. Als nun wieder der Fotzhobler zu blasen anhub und der Tanz
begann, fragte ich den Huber-Luis, der als allseits beliebter Bursche von
den Masken gar arg gedroschen worden war, was sein Buckel mache?
,0!' antwortete er lachend, .dös san gar Narren, aber i hab mir schon
gliolfen, hab mir in aller Eil vom hintern Ofen meine schafwollenen Berg-
strümjif und a Schneiztüchel unter der Joppen hinten aufi gsteckt und mir
denkt, so, jetzt hauts nur zua!'
Dem ersten ergiebig langen, wirklich flott getanzten Sechsschrittwalzer,
woljei die Tänzer ihre Tänzerinnen wiederholt in die Höhe schützten,
folgte uimiittelbar eine ,bairisch Polkas Hierauf nahmen sie ihre schweren
Hüte mit den Holzmasken ab, boten aus ihren, hinter den Leibgurt ge-
steckten flachen Fläschchen allen AbgemuUten, aber nur diesen, Branntwein,
liessen sich ihre Fläschchen nachfüllen, setzten sich zu Tische und stillten
ihre)i Durst mit Bier und Wein.
Nach kurzer Rast maskierten sie sich wieder, sagten allen: ,l*fi di
(lottl-, besprengten sitdi noch aus dem Weihwasserkrügel, das bei der
Stubenthür hängt, — und fort gings in die dunkle Nacht hinaus, entgegen
einer neuen Flamme. Es waren ja ihrer acht der schönsten Burschen im
ganzen Dorfe. Hat ein 3Iä<lchen im Ärger über das Zuspätkommen der
Huttier die Hausthürt^ gesperrt, die Lichter gelöscht und sich zur Ruhe
begeben, so kennt ihr Liebster doch alle Wege und Stege zu ihr. Gehf s
nicht eben hinein, so gehfs über Leitern und Dächer, Tennen und Stiegen —
und ehe sie noch ganz erw^acht. geht schon das Gestrampfe im Hause los:
ila giebt es kein AViderstreben.
Die Stube hatte sich so ziemlich geleert — und noch schienen die
Mädchen etwas zu erwarten, und richtig ging der Rummel von neuem los.
Es waren aber ihrer nur vier Burschen, darunter der Liebling aller
Mädchen, der ,Ziachbalgspieler- (Ziehharmonikaspieler) und Schuhplattler
Maxi. Diesmal spielte sich der ganze Vorgang bedeutend kürzer ab; doch
wurde mit einer Leidenschaft getanzt und geplattelt, dass allen das Herz
im Leibe lachte."
Leider hatte ich nicht Gelegenheit, Zeuge eines derartigen Mullabends
zu werden, und kann daher aus eigenem Augenschein nur über das Huttler-
laufen berichten, das am Sonntagnachmittag des 7. Februar 1897 in Rum statt-
fand. Zu diesem hatte ich auch den Photographen A. Stockhammer aus Hall
kommen lassen, damit einige der wichtigsten (iruppen aufgenommen würden.
IKi
Hein:
Den Zug, der sich in den ersten Nachmittagstunden durch das ganze
Dorf bewegte, eröffnete eine Schar von vier Zottlern. Auf dem Haupte
trägt der Zottler einen niedrigen breitkrärapigen, grün ausgeschlagenen
Hut. von dem ein Fuchsschwanz herabhängt; die rechte oder auch die
linke Seite der Krampe ist aufgestülpt und
der Stulj) selbst mit einem kleinen Spiegel,
mit Kunstblumen und mit einigen Hahnen-
federn verziert: das Gesicht verhüllt eine aus
Zirbenholz geschnitzte und bemalte Larve mit
Schnurrbart und halbgeöffnetem Mund, der die
obere Zahnreihe zeigt; die Augenpu])illen sind
ausgeschnitten, um dem Träger als Gucklöcher
zu dienen. Mit der Larve ist eine den Hinter-
kopf umhüllende Perrücke aus Rosshaar fest
verbunden, welche ein kleines geblümtes Tuch
aus Seide oder ^Yolle mit kurzen Fransen nach
unten zu rundum abschliesst. Hut, Larve.
Perrücke und Tuch bilden ein Ganzes. Rock
und Hose sind mit einem Behang aus spiralig
aufgenähten gefärl)ten Leinenfransen verseilen,
die teilweise in sogen, flachen Knoten geknüpft
sind. Um den Leib schliesst sich ein mit Zinn-
stiften beschlagener Ledergürtel, „]S[agelgurt^\
unter dem eine flache Branntweinflasche
steckt, aus welcher der Zottler guten Bekannten
den Bescheidtrunk bietet. Auch stecken hinter
dem Leibgurt ringsum Brotkügelchen („Brot-
paarlen"), welche unter die Kinder ausgeworfen
werden. DieFüsse stecken inschwerbenagelteu
Schuhen. Einer von den Zottlern trug eine
kurzgestielte Peitsche mit sehr lauger Schnur,
die sich gegenwärtig zusammen mit einem
ganzen Zottleranzug im Museum für öster-
reichische Volkskunde befindet, während die
übrigen ein Stäbchen aus spanischem Rohr
für ihren persönlichen Schutz gebrauchten.
Die Abbildung Fig. 1 zeigt einen Zottler in
vollständiuer Tracht, Fig. 2 eine Zottlerlarve.
Die Zottler, wie auch
unverheiratete Burschen
le übrigen Teilnehmer am Huttlerlaufen, waren
alle in Rum gebürtig und wohnhaft. Ich halte
es für nützlich, für etwaige spätere Forschungen die Burschen, welche als
Zottler mitliefen, besonders anzuführen: Der erste, welcher die Peitsche
hatte, hiess Rupert Hölbling, vnlgo „Stöppen-Ru])ert'\ war Bauernknecht,
Das Huttlerlaufen.
117
29 Jahre alt und wohnte im Hause No. 71; die drei anderen waren Ludwig
Hahndl, Pferdekneclit „Rosser", 16 Jahre alt, wohnhaft im Elternhaus No. 67;
Romed Klotz, vnlgo „Klotzen-Medl", Bahnarbeiter, 25 Jahre alt, und Alois
Grubhofer, Bauer und Uhrmacher, 22 Jahre alt, wohnhaft im Hause No. 48.^)
Der erste Zottler sprang dem Zuge w^eit voran, Hess seine Peitsche
knallen, überschlug sich, ging auf den Händen, sprang wieder zurück,
wieder vor, schlug Rad, knallte wieder und so fort: ihm zur Seite foly-teu
Fig. 3.
Fio-. 4.
die übrigen drei Zottler, hauptsächlich darauf bedacht, die reclite und die
linke Seite frei zu halten. Kamen ihnen zu viel Buben unter die Füsse,
so warfen sie einige Brotkügelchen weit fort, denen die Kinder nachliefen
und um deren J^esitz sie sich auf dem Boden herumbalgten. Da und dort
reichten die Zottler unter lebhaften Geberden den Bescheidtrunk aus ihrer
Branntweiuflasche, sprachen jedoch kein Wort, stranipften aber auch nicht,
1) Diese genauen Angaben verdanke ich Herrn Hauptmann von Laschan, der mir
auch sonst viele Kinzelnhoiton mitteilte, die mir entgangen waren.
118
Hein:
Aveil der weiche Strasseiiboden — es hatte vormittags geregnet — dazu
nicht geeignet war.
Die Hauptgruppe bildeten die „Alpler", welchen die acht Mann starke
Dorfmusikkapelle voranmarschierte. Die Musikanten hatten vermutlieh
wegen des nicht besonders schönen AVetters nur ihre gewöhidiche Kleidung
genommen: sonst tragen sie bei festlichen Gelegenheiten zwei Hahnenfedern
i^'i^'. 5.
Fi>. (;.
grünen Aufschlägen.
auf dem grüjien Filzhut und eine graue Joppe mit
Vor der Kapelle trug ein maskierter Bursche eine Tafel mit der Aufschrift:
„Einigkeit macht stark.'' Hinter ihr kamen drei sogenannte „Altartuxer'\
die eigentlichen Schaffer auf der Alm, welche auf dem Tnxerhute einen
mächtigen Aufbau (Altar) aus Kunstblumen trugen, in dessen Mitte sich
ein Spiegel befand; ringsum war dieser Altar mit etwa 15 Schildhalmstössen
und mit 50—60 weissen Hahnenfedern, dem tirolischen Wahrzeichen un-
Das Huttlorlaufen. 119
gebeugten Mannesmutes besteckt (siehe Abb. 3). Ein Altartuxer hatte
statt der Schildhalnistösse und der weissen Hahnfedern prächtige Pfauen-
federn verwendet (siehe Abb. 4). Die ganze Rückseite des Altars war
mit herabwalleuden bunten Seidenbändern behangen (siehe Abb. 5). Mit
dem Altarhut fest verbunden trugen sie vor dem Gesichte eine aus Zirben-
holz geschnitzte und bemalte Larve, wie sie die Abbildungen 6 und 7
zeigen. Die rote Brustweste („Bruststück") war ganz mit silbernen Ketten
mit echten Thalern behängt; darüber sass eine graue Jopi)e mit grünen
Aufschlägen, auf deren Rückenseite ein buntes Seidentuch festgenäht war.
Ein Ledergurt (Bauchranzen und Geldkatze zugleich) mit grossem spitz-
ovalen Schild, der mit Pfauenfederkielen ausgestickte Sprüche („Sei fröhlich"
und dergl.) zeigte, eine gemslederne, unten an den Seiten ausgestickte
Xniehose, Wadenstutzen und ganz moderne Stiefletten vervollständigten
den Anzug. In der Hand trugen sie zur persönlichen Verteidigung ein
Stäbchen.
Sowohl der reiche Silberschmuck auf der Brustweste, als auch die
verschiedenen Blumen, Bänder und Federn der Altaraufsätze waren nicht
das Eigentum der betreffenden Träger, sondern von den Burschen des
Dorfes für diesen Zweck entlehnt worden. Man kann daher einen Altar-
tuxer nur während des Huttlerlaufens sehen; sobald das Laufen beendet
ist, wird der Altar auseinander genommen, und jeder der Burschen erhält
sein Eigentum wieder zurück. In der Regel besitzt ein Bursche einen
Schildhahnstoss und zwei weisse Hahnenfedern, die er sorgsam eingehüllt
zu Hause für l)esondere Gelegenheiten bereit hält. Als icli nach dem
Huttlerlaufen zwei Altartuxer -Ausstattungen für das Museum für öster-
reichische Volkskunde zu erwerben wünschte, musste zuvor die Einwilligung
der verschiedenen Burschen eingeholt werden. Da die weissen Hahnen-
federn ziemlich teuer sind — etwa 1 Krone das Stück — und ein Schild-
hahnstoss allein schon mehr als 3 Kronen kostet, so musste ich für einen
Hahnenfedern- Altar rund 100 Kronen bezahlen. Der Pfauenfedern- Altar
stellte sich um die Hälfte billiger. Eine gemslederne Hose, zu welcher
man zwei Gemsfelle, jedes zu 8 Kronen, benötigt, kostet 20 Kronen.
Es ist selbstverständlich, dass die drei Altartuxer infolge ihrer hohen
und schweren Aufsätze nicht eine so freie Beweglichkeit entfalten konnten,
als die Zottler; doch leisteten sie in massigen Sprüngen ihr Möglichstes. ^
Die beiden Hahnenfedern- Altartuxer waren Franz Klotz, Bauer, 27 Jahre
alt, wohnhaft in Rum No. 55 und Sebastian Hahndl, Bahnarbeiter. 29 Jahre
1) Auf meine Veranlassung traten bei dem alpinen Feste, das am 30. Juni 1898 auf
dem AViener Schützeu-Fostplatze stattfand, unter Hauptmann von Lasclians Führung-
einige Huttier vou Rum (Altartuxer und Zottler) auf, von welchen eine photographische
Aufnahme in der Kaiser- Jubiläums -Schützen-Zeitung (Festausgabe der „Wiener Bilder"),
No. 12 vom 9. Juli 1898, S. 6, mit der irrigen Bezeichnung „Meraner Winzertrachten"
erschien.
!•_>()
Hein:
alt, wohnhaft in Rum No. 67. Der Pfauenfeder - Altartuxer hiess Franz
Hölbling, vulgo „Mössmer-Hausen-Franz", war Bahnarbeiter, 25 Jahre alt
und wohnte in Kum I^o. 52.
Den Altartuxern foliiten ihre Gehilfen, die Senner oder „Melcherbuben"
mit einigen Sennerinnen. Sie trugen den spitzen Fügnerhut mit Federn,
»'ine kurze Zwickelhose mit grüngestickten Hosenträgern, um die Mitte
den Ledergurt und Wadenstutzen. Weste und Joppe fehlten ihrer Be-
kleidung, da die Senner nur in iremdärmeln erscheinen. Hinter ihnen
gingen gemessenen Schrittes und
Fi"" 8 . .
'^' ' lautlos ein junges Ehepaar, ein altes
Ehepaar und das sogen. Türkenpaar
(siehe Abb. 8). Alle hatten Holz-
larven: nur die Türkin trug eine
Papierlarve. Sie hiess Andreas
Mader, war Knecht, 21 Jahre alt
und wohnte in Pvum No. 73; den
Türken stellte der 19jährige Balni-
arbfMter Alois Schieferegger dar,
der sonst „Türken-Luis" genannt
wird: er wohnte im Elternhaus,
Kum Xo. 77. Die anderen Teil-
nehmer am Zuge, welche ohne Aus-
nahme unverheiratete Burschen
waren, konnte ich nicht erfahren.
Eine sehr wichtige (:irupi)e beim
Huttlerlaufen bilden die Huttier,
welche mit verschiedenen ,,Hutten"
bajazzoartig bekleidet sind und
allen möglichen Schabernack treiben.
Sie scdilagen den Umstehenden
mehlige Säcke herum oder schmieren
_^ ihnen ein russiges Pfannholz ins
Gesicht u. dgl. Wie mir Hauptmann
v. Laschan schrieb, gaben sie auch spasshafte A'orstellungen, z. B. wie
ein Bauer mit einem riesigen Speckbrocken eine Katze in einen grossen
Tjaubsack fängt und diesen zur Bäuerin trägt; aber unterwegs entwischt
ihm die Katze beim rückwärtigen Sackloch.
Wie schon bemerkt, beteiligt sich das weibliche Geschlecht bei der-
artigen Yermummungen grundsätzlich nicht, weder innerhalb noch ausser-
halb des Hauses, und es müssen daher alle weiblichen R(dlen durch
Burschen darg<'stellt werden.
Lange vor Untergang der Sonne war der ganze Zug im Huberschen
Gasthause eingerückt, wo ich dann die Hau]itteilnehmer photographieren
Das Huttierlaufen. 121
liess. Bis 11 Uhr nachts wurde flott lietaiizt und g'etruiikeii. und aucli
meine Frau machte mit dem Larvenschnitzer Sebastian Rainer einen Freitanz.
an den er noch immer mit Freuden denkt.
Wie man aus der vorstehenden ftchihlerung ersieht, hat das Huttier-
laufen seit den Berichten Ziskas (1819) und Waldfreunds (1855) einige
Wandlungen durchgemacht, die sich aber nur auf unwesentliche Dinge
erstrecken. So sind die Larven mit den daraufgeschnittenen Käfern und
Mäusen längst verschwunden. Diese urwüchsigen Ausbrüche derben A^olks-
witzes liaben sich lieute mehr in das innere Leben zurückgezogen und
treten kaum mehr öffentlich zu Tage. Nur in den Museen findet man ab
und zu dergleichen Larven, besonders köstliche im Germanischen National-
museum zu Nürnl)erg, die im Ausdruck der Bauernkomik zum besten
gehören, was ich je gesehen habe. Das Fasserrössel, das im Pfiugstesel
sein Gegenstück findet, ist ebenso wie dieser heute unsichtbar geworden.
Auch die Hexen habe ich nicht mehr gesehen; aber vor wenigen Jahren
haben sie nocli ihr für manche Dorfbewohner recht peinliches Wesen
getrieben, wie mir von Einheimischen berichtet wurde. Einmal wurde
eine alte Dorfinsassin von einer solchen Hexe derart naturwahr zum Aus-
druck gebracht und solcherart zum allgemeinen Gespötte gemacht, dass
die Sache ein für den DarstelhM- dieser Hexe s(dir bedauerliches gericht-
liclies Nachspiel fand.
Dagegen werden die Altartuxer von den früheren Berichterstattern
nicht erwähnt, und es scheint, dass sie erst in S])äterer Zeit als ein neues
Glied dem Huttlerlaufon eingefügt wurden. Das Wesentliche in diesem
Laufen, das innner bcn-iclitet wird und das auch von mir beobachtet wurde,
beruht in dem Schlagen mit der Peitsche oder mit den Stäbchen oder
auch mit der flachen Hand, in dem sogenannten „Müllen". Damit stellt
sich das Huttlerlaufen in eine Linie mit dorn vielfach geübten Schmeck-
ostern, das wieder denn Auf kindein oder Fitzeln am Pfeffertag entspricht.^)
Auch das Auswerfen der Brotkügelchen, bei Ziska von Brezeln, das dem
Werfen der Hochzeitskügelciien an die Seite zu stellen ist. spricht dafür,
dass, abgesehen von den ausdrücklichen Angaben bei Zingerle. das
Huttlerlaufen das Wachstum von Pflanzen und Menschen befördern soll,
welches durch das Müllen bei letzteren noch erheblich verstärkt wird.
Verjüngung und Fruchtbarkeit liezwecken fast alle Yolksbräuche, welche
zwischen dem Jnl- und dem Osterfeste geübt werden. Nichts kennzeichnet
besser diese Absicht, als das Mitführen der Putz- oder Altweibermühle bei
dem Perchtenlaufen, das ab und zu im Pongau stattfindet: die alten Weiber,
die in diese Mühle gesteckt werden, verlassen dieselbe in voller, blühender
1) Die Litteratur über diese Bräuche ist so reich, dass eine Angabe des Quellen-
nachweises hier füglich unterbleiben kann. Fast in jedem volkskundlichen Buche kann
man die betreffenden Beispiele nachlesen. Vgl. übrigens Dr. Sepp, Die Eeligion der alten
Deutschen, München 1890, S. 39-42.
122 Hein: Das Huttlerlaufen.
Jugendkraft. Das Schlagen mit der Lebensrute hat Mannhardt in seinem
grundlegenden Werke über den Baumkultus der Germanen so ausführlich
behandelt, dass hierüber nichts mehr weiter zu sagen bleibt. Wenn Nork
gegen die von Ziska gebrachte Vergleichung des Huttlerlaufens mit den
römischen Luperealien Einsprache erhebt, indem er eine Vbertragung dieses
Brauches von den Römern nach Tirol bezweifelt, so hat er damit wohl
vollkommen Recht. Das Huttlerlaufen ist gewiss in Tirol bodenständig
und nur ein Glied ' in der Kette der, ich möchte sagen, allmenschlichen
Frühlings- und auch Hochzeitsfeste, die mit Schlagen und Peitschen ver-
bunden sind. Dass das Huttlerlaufen, sowie alle ähnlichen Volksbräuche,
die Fruchtbarkeit bedingen und daher auch die weibliehe Unfruchtbarkeit
beseitigen soll, bezeugt Zingerle ausdrücklich; die Mausmaske, die Hahnen-
federn und das Hexengefolge sind zwar in ihrer Art unwesentliche, aber
zur A'ermummung notwendige Beigaben, die je nach Zeit und Ort wechseln.
Die Yermummung als solche ist aber bei all diesen Volksbräuchen, wenn
sie nicht gerade bei Hochzeiten geübt werden, unerlässlich. Da Mädchen
oder Frauen niemals mitwirken dürfen, weil sie eben mit Ursache des
Laufens sind, so müssen alle notwendigen weiblichen Rollen durch ver-
mummte Burschen dargestellt werden: daraus ergiebt sich die Verlarvung
der übrigen Rollen von selbst.
Als Beweis, dass das Huttlerlaufen eine allmenschliche Erscheinung
ist, möchte ich auf ähnliche Volksbräuche hinweisen, wie sie von den
Indianern in Nordamerika geübt wurden und zum Teile noch in Übung
sind. J. Walter Fewkes hat mit besonderer Hingabe als Augenzeuge
diese verschiedenen Bräuche aufgenommen und uns darunter einige Regen-
tänze von Neu-Mexiko beschrieben, die mit der Maisreife in Verbindung
stehen. Bei einem von diesen Tänzen trägt jeder der Teilnehmer, die
ebenfalls durch Larven vermummt sind, ein Bündel von Stöcken, mit
welchen sie sich gegenseitig schlagen.^) Bei einem anderen Tanze, dem
J. W. Fewkes bei den Tusayan-Indianern am 27. Februar 1893 beiwohnte,
trugen 15 als alte Weiber verkleidete Männer mit grotesken Masken in
jeder Hand Weidenbündel, mit welchen sie paarweise sich schlugen ")
Die „certain phallic observances", die Fewkes leider nicht mitteilt, lassen
über die Bedeutung dieses Tanzes keinen Zweifel zu. Da ich mich in
eine weitere Ausführung dieser indianischen Tänze, die mit unserem
Huttlerlaufen auch sonst viele Ähnlichkeiten aufweisen, an dieser Stelle
nicht weiter einlassen kann, so möchte ich zum Schlüsse nur kurz auf
eine Schilderung einer Hochzeitsfeierlichkeit im oberen Nilgebiete ver-
1) J. Walter Fewkes, A few Summer Ceremonials at Zufii Pueblo, in der Zeitschrift:
A Journal of American Ethnology and Archa'ology, Vol. I, Boston and New York 1891, p. .'59.
2) J. Walter Fewkes and A. M. Stephen, The Pä-lü-lü-kon-ti: A Tusajau Cerc-
mony, S. 13. [Journal of American Folk-Lore, 1893. J
Schwartz: Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 123
weisen, die Casati^) berichtet, bei welcher von einer Jungtrau einem
Jüngling- eine Peitsche überreicht wird, mit welcher dieser einen anderen
Jüngling schlägt und dann von letzterem selbst geschlagen wird. Diese
Beispiele mögen genügen, um darzutliun, dass gerade das Schlagen, dann
das Bewerfen mit Kügelchen oder Getreide, wozu manchenorts noch das
Begiessen mit Wasser tritt, Erscheinungen sind, deren ursäcldicher Zu-
samnieuhang mit der Absicht, Fruchtbarkeit and damit Glück und Wohl-
stand zu erzielen, zweifellos ist. Deshalb wird das Müllen ja auch nur au
Personen geübt, die man liebt oder schätzt; Fremde oder Missliebige
w^erden der Auszeichnung des Mullens nicht gewürdigt.
Wenn auch heute, wie leicht begreiflich ist. die Huttier von der Be-
deutung ihrer Kolle keine klare Vorstellung mehr haben, da ihnen selbst
die bezeiclinenden Xamen, wie sie die Indianer noch gebrauchen (z. B.
Maiswesen u. dgl.), fehlen, so befürchten sie doch durch die Unterlassung
des Laufens Misswachs zu verursachen. Für den alten Ursprung des
Laufens spricht, dass die Bewohner anderer Dörfer, die nur mehr mit ihrem
Pfarrer die Bittgänge auf die Felder hinaus machen, es als Teufelswerk
betrachten und nichts davon wissen w^oUen. Wir aber haben in dem
Huttlerlaufen ein für die Yolkskuude kostbares Vermächtnis zu betrachten,
das uns die Vorfahren hinterlassen haben, wenn es auch nicht mehr in der
alten Ivoiniieit erhalten geblieben ist.
Floritlsdorf bei Wien.
Heidnische Überreste in den Volksüberlieferungen
der norddeutsclien Tiefebene.
Von Wilhelm Schwartz.
(Fortsetzung von Zeitschrift IX, 18.)
Die (olle) Fricke, Frick, Fuik.
Ehe ich auf die uckermärkische Fricke, Frick und Fuik eingehe,
gegen die Herr Knoop in gleicher M^eise wie gegen die Frau Harke vor-
gegangen ist (Veckenstedts Zeitschr., H. Bd. v. J. 1890, S. 449—460), gebe
ich erst noch eine Übersicht über die in der norddeutschen Tiefebene
weiter hervortretenden, landschaftlichen Gruppierungen der mythischen
Sturm- und Gewitterwesen, mit denen wir es hier zu thun haben, aus
1) Gaetano Casati, Zehn Jahre in Äquatoria. I. Bd., Bamberg 1891, S. 64—65.
124 Schwartz:
deren Mitte sicli dann die Fricke, — aber uiclit bloss liier isoliert sondern
auch zu einer weiteren, analogen Gruppierung noch im Westen gehörend,
— in charakteristischer Weise abhebt.
Von Schleswig herunter, in Holstein, Lauonlmrg. Mecklenburg und
Vorpommern mit seinen Inseln machen sich zunächst noch in Sage und
Gebrauch Reminiscenzen an die alte Sturm- und Gewittergottheit des
Wodan in reicher Fülle bemerkbar. Lässt man gleich dem Wode nicht
mehr, wie noch im XVI. Jahrb., bei der Ernte auf dem Felde einen Busch
für sein Ross — das Donnerross — als eine Art Abfindung, bezw. Opfer
dafür stehen, dass er nicht mit demselben im Gewitter die Frucht auf dem
Acker zertrete, so weiss man doch noch von seinen Umzügen, wo alle
Arbeit ruhen müsse. • und hält zu gewissen, ihm einst geweihten Z<>iten
noch daran fest.
Vor allem lebt er noch in der Sage als wilder Jäger in wald-
i-eicherer Gegend fort, wo der Sturm am wildesten rast und immer wieder
alte Erinnerungen weckt, namentlich an das Gebot mahnt, wenn die wilde
Jagd in der Luft über einem fortziehe, sich hübsch mitten auf dem Wege
zu halten, ja sich platt auf die Erde zu werfen, dann kömie dieselbe einem
nichts anhaben oder gefährlich werden: eine altmythische Form für die
noch jetzt bei einem Gewitter geltende Warnung, aus dem Bereiche der
Bäume zu treten, zumal wenn ein solches unmittelbar über einem stehe.
Eine Fülle typisch meist ähnlicher Sagen, in denen noch immer die
alten mythischen Bilder wiederklingen, mit denen man einst die so wunderbar
sich entfaltenden Gewitterscenerien unter dem angeblichen Reflex eines
gespensterhaften „Umzugs" oder einer wilden in der Luft dahinziehenden
„Jagd" fasste, leben bis auf den heutigen Tag hier noch in den Traditionen
fort, ja in den Namen, die noch in einzelnen Kreisen dem wilden Jäger
beigelegt werden, haben sich hier auch noch Anklänge an den Xamen
„Wodan" selbst erhalten.
Sind es doch auch annähernd dieselben Gegenden, aus denen im
V. Jahrh. die Angelsachsen den Vöden mit seiner Gemahlin Frea als ihre
Hauptgötter mit nach England hinüber nahmen.^) Wurde doch auch an
den angrenzenden Ostseeküsten dann noch Jahrhunderte lang in Parallele
zum Vöden, als dem himmlischen Sehimmelreiter in der Gewitternacht,
der dänische und schwedische Odin wie auch andererseits auf Arkona der
slavische Swantewit als ein ähnliches, geheimnisvolles, himmlisches Wesen
bis ins XII. Jahrh. verehrt^), so dass auch leicht, selbst wo slavische
Herrschaft hier und an den gegenüberliegenden Küsten sich inzwischen
festgesetzt hatte, in einzelnen deutschgebliebenen Bevölkerungsstrichen sich
noch entsprechende Erinnerungen an den Wodan im Volksglauben erhalten
konnten.
1) J. Grimm, Mytb.-* lOG.
2) s. unsere Zeitschrift Bd. VI, S. 237 f.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 125
Eutsin-ecliend dein lassen sich auch dann weiter vom XVI. Jahrh. an,
wo Zeugnisse über das hiesige Volkstum in der Litteratur aufzutreten an-
fangen, in einer immer wieder anknüpfenden Kontinuität noch bis jetzt,
wie schon angedeutet, Namensformeu wie
Wod, Wand, Wor, Waur
für das betreffende männliche, und
Frau Gode, Gaude, die Gör und Gaur
für das entsprechende w^eibliche Wesen in der Tradition verfolgen.^)
Bilden die letzteren schon in unmittelbarer Beziehung zum Wode als
ein ihm entsprechendes weibliches Wesen einen Übergang zur Fria oder
Frea, „der Gemahlin Wodans" auf dem Gebiet einer schon in weiteren
Kreisen nationaler sich entwickelnden Mythologie, so knüpft auch noch die
Fr icke oder Fr ick, welche Kuhn und ich zunächst in der Uckermark
entdeckten, — wo sie sowohl als wilde Jägerin auftritt als auch der Frau
Holle, Harke und Gode u. s. w. sich zur Seite stellt, wenn sie bei ihrem
Umzug Einstellung der Arbeit fordert und besonders den Flachs, den sie
noch auf dem Wecken findet, zerzaust und besudelt, — direkt auch in
ihrem Namen eine Erinnerung an die Fria an und steht auch in dieser
Hinsicht nicht allein da. Fanden wir doch auch bei weiteren Wande-
rungen dann, gleichfalls auf niedersächsischem Gebiet am Nordrande des
Harzes, noch neben der „Frau Freke", die schon Eccard dort im Jahre 1750
in Parallele zur Frau Holle erwähnt ^\ auch noch Namensanklänge an sie
in den primitiveren Formen: Fnl Freen und Frü Frien, was alles sich
gegenseitig stützt und trägt und auf Frea oder Fria hinweist, indem Freke
und Fricke nur als Diminutivformen sich ergeben, wie eine solche auch
Frau Harke in ihrer Art aufweist.
Doch nun zuerst Genaueres von der Auffindung der (ollen)
Fricke in der Uckermark.
Ich kann noch jetzt nach 55 Jahren von der Wanderung, auf der
Kuhn und ich zuerst die Fricke unter der Form Fuik, bezw. Frick dort
entdeckten und den Grund zu den weiteren Untersuchungen legten, ziemlich
genau berichten, da neben dem Privatbericht, den Kuhn sofort über die
1) s. J. Grimm, Myth. — Kuhn u. Schwartz, Nordd Sagen 1848. l^artsch, Mccklenb.
Sagen, Wien 1879. — Der Rostocker Prof. Pet. Schmidt lässt in seinen Fastel-Abends-
sauinilungen Rostock 1742 um Weihnachten und Fastelabend neben dem wilden Jäger den
sogen. Woor und die Goor ziehen, ausserdem hat er die Bezeiclmungen Wodens- oder
Goodensheer. An das Auftreten desselben zu Fastnacht reiht sich auch bei Adelung der
Name „Fastuachtsheer".
2) de origiue Germ. 11, 398: Uxorem Odini Fream vel Friggam faciunt ex communi
traditionc pupularium Paulus Diaconus et Edda septemtrionalis. celebratur in plebe Saxonica
frü Freke, cui eadem munia tribuuntur, quae superiores Saxones Holdae suae adscribunt,
s. weiter über die Namensform im Nachtrag unter Frau Freke.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. "^
126 Schwartz:
Kesiilrate dieser Wanderung an M. Haupt abstattete*), dieselbe mir durcli
verseliiedene Umstände mit allen Einzelheiten fest im Gedächtnis geblieben
ist. und tlme es ausführlicher, um gleich vorweg so auch in den verschiedenen
Berichten Kuhns über diese Sache einzelnes Nebensächliche, woran sich
Herr Knoop stellenweise gestossen hat, festzustellen.
In einer gewissen gehobenen Stimmung hatte ich mich beim Beginn der
Michaelisferien des Jahres 1844 meinem Schwager Kuhn zu der nach der
Uckermark projektierten Fahrt angeschlossen, da ich kurz vorher mein
01)erlehrerexamen glücklich bestanden hatte und für den neuen Schulaufang
mein Eintritt als Cand. prob, am Werderschen Gymnasium in Berlin schon
gesichert war. Aber gleich am Anfang unserer Wanderung traf uns ein
böser Unfall im ersten Nachtquartier Gramzow, indem man den Ofen zu
früh (von aussen, wie es Sitte war) zugesetzt hatte, so dass wir Gott nur
danken konnten, dass wir. nach Mitternacht durch einen besonderen Zufall
geweckt, noch unserer Lage uns bewusst wurden und sie ändern konnten.
Bedrückt unter heftigen Kopfschmerzen zogen wir am Morgen aus. die
Richtung nach Buchholz einschlagend, indem wir, während wir früher schon
gelegentlich die Uckermark gestreift hatten, diesmal quer durch dieselbe
nacli dem Mecklenburgischen den Marsch richten wollten. Allmählich er-
frischte uns wieder die Wanderung und in Buchholz konnten wir schon
voller uns wieder dem Verkehr mit den ]^euten zuwenden.
Ich habe schon ein jiaarmal, in der Anthrop. Berl. Zeitschrift v. Jahre
1885, S. 527 und in der Berliner Brandenburgia v. J. 1894, S. 149 f.. die
Scene erzählt, die hier zur Entdeckung der Fuik führte, wie auch Kuhu
schon in den Nordd. Sagen XVII auf sie hingewiesen hat. Ich wiederhole
die Schilderung hier als ein Zeichen der Möglichkeit eines unbefangeneren
Verkehrs mit den Leuten auch in einem Falle, wie dem vorliegenden, wo
Herr Knoop eine solche sich nicht denken kann, indem es ihn jedesmal
verdriesst, w^enn auf das Besudeln des auf dem Wecken beim Umzug der
betreffenden mythischen Wesen noch vorhandenen Flachses die Rede kommt,
und er meint, es hätte die Sache bei den Leuten, wenn selbige berührt
worden, stets ein Ärgernis abgeben müssen, so dass, wie wir weiter
unten sehen werden, er schliesslich sogar es versucht, eine eigene Ety-
mologie des Xamens Fuik „auf ein Scheltwort hin", das uns bei solcher
Gelegenheit von den Leuten angeblich zugerufen worden sei und das wir
missverstanden hätten, zu begründen!
Die erwähnte Scene spielte sich aber in Buchholz ganz gemütlich an
einem Waschfass ab, bei dem ich Mädchen beschäftigt fand, indem ich mit
ihnen ein Gespräch anknüpfte — ich war damals 23 Jahr alt! — und es
darauf überspielte, dass es auch Zeiten gäbe, in denen man nicht waschen
dürfe, z. B. an den Zwölften. Man lachte darüber, aber eines der Mädchen
1) Im November 1844: s. Haupts Zeitschrift für deutsches Altertum, V, 873 ff.
Heidllische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 127
meinte, dann dürfe man ja auch nicht spinnen, sonst käme „de Pfui" in den
Wocken. Ich that. als wäre mir derartiges neu, und fragte, was denn das
heisse, und sie meinte, der Wecken würde sonst beschmutzt, dass es
„ein Ekel" sei
Für den Augenblick musste ich mich damit begnügen: als ich aber
dann der Sache weiter nachforschte, hörte ich bald deutlich statt „de Fui"
die Form „Fuik". so dass wir nun energisch die Spur aufnahmen und
auch sie glücklich durch alle Dürfer. die wir weiter berührten, verfolgen
konnten, wobei die Leute auch niemals Anstand nahmen, zumal unter vier
Augen, selber von dem Besudeln des Flachses, den die Fuik*) noch vor-
fände, zu reden und ruhig, wie wir es auch stets bei dem ähnlichen
Aberglauben, der sich an die Frau Harke und Gode knüpft, gehört hatten,
den für das Beschmutzen „landesüblichen" primitiven Ausdruck „wenngleich
etwas grienend" zu gebrauchen.^)
Die Krönung übrigens der von uns gemachten Entdeckung war, dass
wir zuletzt noch, ehe wir hinter Boitzenburg das Mecklenburgische betraten,
auf einen alten Thomsdorfer Bauer stiessen, mit dem wir etwa eine Meile
zusammen gingen, und dieser uns u. a eine Sage und ein Märchen erzählte,
in welchen das von uns «mtdeckte mythische Wesen als wilde Jägerin,
bezw. Hexe auftriit.
Wir kamen erst spät unter Begen ins Quartier und konnten so erst
„den folgenden Tag" das übliche Protokoll^) über die auf der erwähnten
Strecke eingeheimsten Resultate abfassen, und da stellte sich nun in betreff
des alten Thomsdorfer Bauern eine Differenz in unserer Auffassung darüber
heraus, ob er „die alte Fuik" oder „Frick" gesagt habe; über den stets
von ihm gebrauchten Zusatz ^alte". und dass er sie als des Teufels Gross-
mutter bezeichnet hatte, darüber waren wir einig. Der Yerkehr meist auf
der Landstrasse mit ihm liatte sich so schon nicht gerade immer ver-
ständnisbequem gemaclit. und nun sprach er noch, wie meist derartige
Leute zumal im ludieren Alter die Wörter recht verschleifend und
„priemte" noch obenein (kaute Tabak), so dass Kuhn und ich froh waren,
ihm zunächst in den Erzählungen folgen zu können, und daran uns für
den Augenblick genügen lassen und die Entscheidung über das r oder u
in der Templiner Gegend, wo der Alte zu Hause war, einer neuen
Wanderung anheimstellen mussten. Hielt doch, ebenso wie ich entschieden
1) In Buchholz blieb das Genus bei ^de Pfui" noch zweifelhaft, auf dem weiteren
Marsche hörten wir aber überall die Fuik, wenngleich Einzelne in der üblichen Mischung
zwischen Dialekt und Hochdeutsch öfter zwischen „die" und „de" schwankten. Wenn
Kuhn, Nordd. Sagen, S. 414, 179 „de" anführt, so zeigt daselbst Z. 10., dass er es auch
nur weiblich fasste, indem der Fui ausdrücklich dann als Ausnahme angeführt wird.
•2) Vgl. auch hinten im Kachtrag den Bericht des Herrn Kantor A. Hörn aus Lasse
im Braunscliweigischen.
3) Über die von uus gehandhabte Weise bei der Abfassung eines solchen Protokolls s.
im Archiv der „Brandenburgia" den Aufsatz „vom Sagensammelu", S. 156.
9*
128 Schwartz:
für r eintrat, Kuhn mit Energie «las u fest, zumal er schon während de*
übrigen Marsches die Form Fuik nur als eine dialektische Nebenform für
Frick gefasst und dahinter die Frigg gesucht hatte, wie er auch weiter
noch, dem entsprechend, in seinem Privatbericht an Haupt vom November
desselben Jahres die Sache darstellte und speciell nach damaliger Auf-
fassung der mythischen Gestalten des deutschen Volksglaubens die Fuik
direkt von Frigg ableitete.^) Die analogen vermittelnden Formen mit der
Fria und Frea am Harz (s. verlier) hatten wir eben damals noch nicht
aufgefunden.
Als nun aber bei weiteren Wanderungen in der Uckermark in den
folgenden Jahren Kuhn sich üljerzeugte, dass namentlich im Templinschen
deutlich vom Besudeln des Flachses von selten der Frick (mit r) gesprochen
wurde*), und wir nun ausserdem auch die vollere Form Fr icke noch dort
fanden, gab er das erste oben erwähnte Bedenken in betreff des Thomsdorfer
Alten mir gegenüber auf und schrieb z. B. in einem neuen Aufsatz bei
Haupt vom Februar des Jahres 1847 (Ztschr. YI. 131) ohne weiteres „von
der in dem Aufsatz Y, 373 über die Frick mitgeteilten Sage von den
mehlfressenden Hunden derselben" u. s. w.
YVar für uns dieser Punkt so nun in Übereinstimmung erledigt, so
kam derselbe doch noch einmal zwischen uns zur Sprache bei der Redaktion
der „Norddeutschen Sagen" im Jahre 1848, als ich. bei Anfertigung des
Index, den ich übernommen hatte, fand, dass namentlich nach den er-
Avähnten, in dieser Hinsicht divergierenden beiden Privatberichten Kuhns der
in den Nordd. Sagen in erster Linie auch weiter festgehaltene Gebrauch des
Namens Frick dort noch zu motivieren sei. Denn abgesehen davon, dass
Kuhn in dem H. Bericht in Haupts Zeitschrift YI. ohne jede Motivierung
die Form Frick nach den oben erwähnten inzwischen gemachten Er-
fahrungen substituiert hatte, gebrauchte er sie, wie gesagt, auch in den
Nordd. Sagen ohne eine solche ganz unbefangen weiter, meist an erster
Stelle. Die Überschrift von Sage 70 lautete z. B. „Die alte Frick", im
I
1) ^Der ganze Strich" [wo wir die Fuik fanden), sagt Knlin a. a. 0. „hat kein linguah^s,
sondern nur ein gutturales r, weshalb die Silbe er auslautend stets a wird: der Übergang
von diesem gutturalen r zu u ist aber nach dem gehauchten Lippenlaut leicht erklärlich." —
Ich glaube übrigens, dass Kuhn mit seiner Erklärung das Verhältnis der strichweis „neben-
einander" auftretenden Formen Fuik und Frick ül)erhaupt richtig getroffen hat, wenn
gleich Herr Knoop (Veck. II, 457) dazu sagt: „Das ist unrichtig" und als Grund anführt,
dass sich bei Nerger, Grammatik des „mecklenburgischen" Dialekts nichts von dieser „land-
schaftlichen Eigentümlichkeit" finde. Es zeigt sich eben hier wieder, wie öfter, dass Herr
Knoop nicht weiss, dass fast jede von den ostelbischen Landschaften ihre besonderen Eigen-
tümlichkeiten auch im Dialekt hat und gerade die von Kuhn herangezogenen Erscheinungen,
wie sie z. B. in mölla (für Müller), feiabursch, vatelt, vanunftig auftreten, den ucker-
märkischen Dialekt besonders charakterisieren: s. Beispiele bei Engelien u. Lahn, Der
Volksmund in der Mark Brandenburg, Berlin 1868, z. B. S. 66ff.
2) Der Templiner Kreis hat auch sonst seine Eigentümlichkeiten, z. B. puks für das
sonst meist auch in der Uckermark übliche drak, s. Archiv der Brandenburgia, I, S. 150.
Heidnische Überreste in der norddentsclien Tiefebene. 129
Text aber standen gemäss dem nach der Wanderung sofort aufgenommenen,
oben erwähnten ersten Protokoll, welches Kuhn ohne weiteres abgedruckt
liatte. beide Formen nebeneinander, indem der Anfang lautete: „Die alte
Frick oder Fuik ist des Teufels Grossmutter gewesen" u. s. \y. Ebenso
war S. 414 bei den Gebräuchen das Protokoll aus der Zeit der ge-
schilderten ersten Wanderung mehr als nötig in den Vordergrund gestellt,
hingegen waren die späteren ülter das wiederholte Auffinden der Frick
bei den AVanderungen nach 1844 nicht besonders aufgenommen worden,
indem überhaupt nur die Fassung des Ganzen und besonders des Anfangs
verallgemeinert war. — Meine Bemerkungen darüber veranlassten Kuhn,
da das andere schon gedruckt war, noch 8. 478 in der Anm. zu Sage 70
den Znsatz hinzuzufügen: „die Form Frick mit r ist jetzt hier aufgenommen,
da wir dieselbe seitdem aus anderen Teilen der Uckermark so hörten" ;
womit er die Angelegenlieit für abgethan erachtete.
Zu den erwähnten Kesultaten hatten sich also unsere Wanderungen in der
Uckermark in den Jahren 1844—47 zugespitzt. Dieselben sind dann neben
den beiden Privatberichten von Kuhn in Haupts Zeitschrift V. YI. ge-
meinsam von uns in den Xordd. Sagen im Jahre 1848 abgeschlossen und
veröfi'entlicht worden, ebenso wie icli in meiner Schrift vom Jahre 1849/50
„Vom heutigen V(dksglauben und (h'in alten Heidentum" sie in ihrer,
mvthischen Bedeutung behandelt und wiederholt dann in meinen Volks-
ausgaben der ,,Sagen der Mark Brandenburg" von ihnen Xotiz genommen
liabc. Ein AVidersprucli ist nie ans dei- Uckermark in irgend einem Punkte
erfolgt, wie dann die angeführten Thatsachen auch allgemein in ihrer
wissenschaftlichen Bedeutung für den deutschen Volksglauben erkannt und
verwertet worden sind.
Statt vieler Zeugnisse (hifür führe ich in letzterer Hinsicht imr 3Iüllen-
hoff an. Während derselbe nach seiner Übersiedelung nach Berlin im
Jnhre 1S5S dem Folkloristischen sich mehr abwandte und eher geneigt war,
Kuhn und mir in derartigem entgegenzutreten^), trat er doch noch im Jahre
1S(;4 in seineu mit Scherer herausgegebenen „Denkmälern deutscher Poesie
und Prosa" nicht bloss für die betreffenden Resultate ein. sondern fasste sie
auch im Anschluss an die Frau Frien, Freen und Freke am Nordrand des
Harzes in ihrer Beziehung zur Fria, bezw. Frea. — Gegenüber J. Grimms
Annahme nämlich von einer besonderen, der nordischen Freyja ent-
spreclienden deutschen (Jöttergestalt (neben der Frigg) wies Müllenhoff' auf
den Mangel sicherer Spuren und Zeugnisse speciell für eine solche im
deutscheu Volksglauben sowie in älteren Quellen hin, „während", wie
er hinzufügte, „das Volk nach A. Kuhn und W. Schwartz. Xordd.
Sagen S. 414 die, [zur Fria, bezw. Frea sich stellenden] Frü Frien oder
Vreen, Fricke und Freke noch „ganz w^ohl" kennt".
1) S. Protokolle der Generalversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine v. J. 1S90, Berlin, S. 188 f.
y^Q Schwartz:
So hat ('S auch weiter gegolten, und Herr Knoop ist der erste gewesen,
der wie gegen die Frau Harke, so auch gegen die Fricke Bedenken zu
erregen versuchte, indem er über die verschiedenen Yarianten in ihrer Be-
nennung die wunderlichsten Hypothesen aufstellt und damit die einheitliche
und mythische Bedeutung des ganzen Wesens beseitigt zu haben glaubt. In
Bezug auf die oben gegebene Darstellung von unserem Auffinden der Fuik,
Frick und Fricke seinerzeit wird es genügen, zur unbefangenen Erwägung
des Lesers im folgenden darzustellen, mit welcher Yoreingenommenheit
und mit welchen Phantasiebildern Herr Knoop auch hier den That Sachen
gegenüber Stellung nimmt, bezw. mit ihnen verfährt.
Wie derselbe (in Yeckenst. Zeitschr. H, 452 ff.) zunächst gegen Ulrich
Jahn, welcher der Fricke sowie der Fria Spuren unter allerhand von ihm
zum Teil neu beigebrachtem und nach seiner Ansicht dafür sprechendem
Material auch in Pommern zu verfolgen suchte *), heftig vorgeht und nament-
lich dabei Misstrauen erregen will gegen die Art desselben überhaupt Sagen
und Ähnliches zu sammeln, trachtet er im Anschluss daran auch darnach, die
von Kuhn und mir schon ein paar Generationen früher in betreff der Fricke
gesammelten Thatsachen nach Möglichkeit gleichfalls zu verdächtigen,
wobei er seiner Phantasie die freiesten Zügel schiessen lässt über die Art,
wie sie nach seiner Meinung zu stände gekommen sein könnten.
Ebenso Avie bei der Frau Harke kommt bei der Behandlung der Fricke
von Seiten des Herrn Knoop die mythische Seite derselben, die sie wie die
anderen entsprechenden Wesen in ihrer Beziehung zur wilden Jagd gleich-
falls als ein Sturm- und Gewitterwesen hinstellt, ganz in Wegfall, trotzdem
die von ihr in dieser Hinsicht erzählte Sage gerade für Norddeutschland
höchst eigentümlich sich abhebt und sie noch in besonderer Weise als eine
Art „Windgottheit" charakterisiert, wenn in derselben der Bauer, der auf die
Frick stösst, ihren (Feuer schnaubenden) Hunden „seine Mehlsäcke", damit
er nur glücklich davonkomme, zum Frass ausschütten muss. Denn gerade
dieser Zug stellt sich zu analogen, anderweitig auftretenden mythischen Bildern,
wenn man z. B. in Süddeutschland den Aberglauben hatte, das Stillen des
Windes „durch ausgeschüttetes Mehl" erzielen zu können, ja in einem
norwegischen Märchen bei Asbjitrnsen No. 7 dreimal der Nordwind einem
Kerl „das Mehl" wegnimmt, ihn aber nachher dafür durch kostbare Geschenke
begütigt^), gleichwie auch der uckermärkische Bauer am folgenden Morgen
seine Säcke sämtlich wieder durch Zauber voll vor seinem Hause stehend
findet.
Nur die Thatsache, dass, wenn in den Zwölften oder Sonnabends
nicht alles abgesponnen sei, man drohe, das lietreffende Wesen werde
kommen und allen Flachs, den es noch auf dem Wocken vorfinde, zer-
1) Dahin gehört uamcntlich die an die Fuik erinnernde Form ..Fu", sowie „dei Fujjen",
dann aus anderen Redensarten mit anderem Sinn „de Fik-' und ..de Frie".
2) J. Grimm, Myth.^ S. 529.
Heidnische Überreste iu der uorddeutschen Tiefebene. 131
zausen und besudeln, <i;iebt Herr Knoop auch für die Uckermark zu, wie
ja auch selbst in seiner hinterpommerschen Heimat ein Verbot des Spinnens
zu ähnlichen Zeiten üblich ist, nur dass die Bestrafung für ein Fehlen
•lageo-en dem Teufel zugeschrieben wird. Während Herr Knoo]) aber nun
das Besudeln, welches neben dem Zerzausen und Verbrennen des Flachses
doch bei den betreffenden Wesen, wie schon erwähnt, merkwürdigerweise
durch ganz Deutschland geht, sonst imr für einen groben Spinnst üben -
witz erachtet, von dem eigentlich weiter keine Notiz zu nehmen sei^}. lässt
er es in der Uckermark bei seinen Angriffen gegen die Fricke daselbst und
bei der von ihm versuchten Sondererklärung der Varianten des Namens, die
im Volke auftreten, mit einem Mal eine besondere Rolle spielen.
Denn wie bei der Frau Harke löst ev auch hier die Tradition möglichst
auf, indem er, wie schon angedeutet, für die einzelnen Namensformen,
die für die Fricke auftreten, nach besonderen Erklärungen sucht und so
statt eines einheitlichen Bildes wieder verschiedene, anekdotenartige Ge-
schichten giebt, mit denen er die ganze Sache beseitigt zu haben glaubt.
Herr Knoop hebt dies Verfahren auch noch selbst deutlich S. 454 hervor,
wenn er, ehe er an die Deutung der Namen geht, sagt: „Sind Frau Holle, Frau
Harke, Frau (iodo der Freia gleichzusetzen, so ist es auch unsere [?] Frick
oder Fuik, das ist klar, und Kuhn hat sicli deini auch in Haupts Zeit-
schrift V, 373 ff. bemüht, den Zusammenhang der Namen zunächst mit der
nordischen Frigg, die ja mit Freia identisch ist, nachzuweisen. Wir werden
uns um diese verfehlte Deutung [?| nicht kümmern [!], sondern auf anderem
Wege das Gegenteil zu erweisen suchen [?].'^ — Mit diesem anderen Wege
meint Herr Knoop eben seine luin folgenden höchst eigentümlichen Er-
klärungen der Namen, durch die er sie ähnlich wie bei der Harke als
Fiktionen oder augebliche Missverständnisse hinstellen will.
Von den Namen Fui. l'uik. Frick und Fricke aber, wie wir dieselben
naelieinander festgestellt haben, tritt ihm besonders die Fuik in den
Vordergrund, obwohl er vor derselben auch der Form .,Fui'' eine selbständige
Deutung der eigensten Art widmet, während diese Form doch nur ganz ver-
einzelt auftritt und gleichwie die Form Fn bei Jahn nur als eine einfache
Abschwächung der Form „Fuik" sich ergiebt. Denn der Deutungsversuch
des Mädchens in Buchholz für die Ausdrucksweise „sonst komme [wenn nicht
abgesponnen] de Fui in den Wocken^' war zwar für sie eine nicht ungeschickte
Antwort auf meine Frage, aber doch nur ein individueller Einfall ohne weitere
Bedeutung. Sie dachte doch eben nur daran, dass man oft ,,pfui-' sage, wenn
einem etwas ein Ekel werde, wie hier das Beschmutztw^erden des Wockens.
1) Mythisches dahinter zu suchen, davor warnt Herr Knoop sogar ernstlichst, —
und doch weist die Sache auf Ähnliches in der niederen Mythologie der Deutschen wie der
Grieclien hin und erhält dadurch auch hier seine Bedeutung und erklärt die Allgemeinheit
des Aberglaubens, s. Bd. VII unserer Zeitschr., S. 4, Anm. „Der Schwefelgeruch des
Blitzes knüpft eben an die Gewitterwesen ein mephitisches Element."
132 Sclnvartz:
Ähnlich fast, aber doch in einer anderen, systematischeren Entwicklung
knüpft Herr Knoop nun zunächst die Form „de Fui" an die Interjektion
,,pfui" an. aber in der oft üblichen Verbindung derselben mit dem Namen
des Teufels, indem sie nach seiner Theorie in einer solchen leicht den
Charakter „einer Substantivierung" und damit den „einer Persönlichkeit"
bekam.
Die Sache wird von ihm indessen so kunstvoll ausgebaut und bewegt
sich fortwährend in so komplizierten Annahmen, indem z. B. das Ausspucken
beim Xamen des Teufels oder eine Ausübung desselben sogar „als Ersatz
für den Namen", den man sich zu scheuen aussprach, eine bedeutsame
Rolle spielt, dass ich es wieder für das Geeignetste halte, schon um jedes
Missverständnis zu vermeiden, Herrn Knoop selbstredend einzuführen,
dabei aber durch Fortlassung von allem Nebensächlichen die Beurteilung
zu erleichtern denke.
Herr Knoop geht auch hier zunächst von der Annahme aus, — Gründe
bringt er dafür nicht bei, — dass auch in der Uckermark bei dem Aber-
glauben wegen des Nichtspinnens zu Zeiten der Teufel im Hintergründe
gestanden habe und statt eines Dämon eingetreten sei. Nachdem er dann
weiter auseinander gesetzt, wie man in seiner Heimat sich oft gescheut
liabe. den Namen des Teufels direkt zu nennen und ihn mit „hei" oder
„dieser und jener" umschrieben und, damit er einem nicht schaden könne,
„ausgespuckt" habe, fährt er fort: „Ja noch mehr: der Erzähler selbst
|d. h. derjenige, der vom Teufel redete] spuckte, anstatt den Teufels-
namen zu nennen, aus und sagte „fui". so dass also in Wirklichkeit her-
auskam: de (ausgespuckt oder doch die Gebärde des Ausspuckens gemacht)
fui!" — „Ich kann mich", sagt Herr Knoop weiter, „für das damalige Vor-
handensein des Gebrauchs verbürgen; ich habe bis zu meinem 16. Lebens-
jahre ununterbrochen und später viel auf dem Lande gelebt, im Verkehr
mit den Landleuten. Aber auch andere Herren haben mir den Gebrauch
des „Ausspuckens" und des „Pfuirufens" bestätigt, wie mein langjähriger
Mitarbeiter Archut^). Lehrer in Wusseken, Kreis Bütow, und ein alter
Lehrer, Herr Luchert in Waldow."
„Es ist nun sicher [?!] anzunehmen", heisst es dann weiter, „dass
dieser Gebrauch [also doch die Form: de — ausgespuckt — fui] auch in
1) Aus einer Anmerkung zu def Stelle ergiebt sich aber, dass Herr Archut eigentlicli
nicht als Zeuge für die von Herrn Knoop aufgestellte Specialgestaltung der Dinge dienen
könne. Denn nach ihm wird das pfui nicht nach, sondern vor „Teufel" gestellt und
speciell bei demselben ausgespuckt, wie es auch sonst üblich ist; auch l'asst er die Be-
deutung des Ausspuckens anders. Herr Knoop führt nämlich folgende Äusserung von
Herrn Archut an: ..Wenn ein Kind sich auf der Strasse sehr schmutzig gemacht hat, so
schilt die Mutter: Fui Deiwel, wo siehst du ut! — Ist die Entrüstung sehr gross, so winl
bei dem Worte „fui" ausgespuckt." — Herr Knoop fügt zwar hinzu: „Das ist nicht ganz
richtig; das Ausspucken geschieht nicht der Entrüstung wegen, sondern weil hinterher
der Name des Teufels genannt wird"; er übersieht aber dabei, dass die von ihm be-
hauptete Form und die des Herrn Archut überhaupt einen verschiedenen Charakter haben.
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 133
anderen Gegenden, auch in den von Kuhn und Schwartz bereisten vor-
lianden gewesen ist |wäre doch erst noch zu beweisen], und es unter-
liegt keinem Zweifel [?], dass die beiden gelehrten AYanderer dieses
fui [d. h. doch de Fui] gehört haben, es aber, weil sie den Gebrauch des
Pfui-Rufens [d. h. doch nur den hier eigentümlich entwickelten!] nicht
kannten, falsch deuteten; denn [!] das Ausspucken konnte auch unterbleiben
und ist unterblieben, denn der Pfuiruf genügt schon allein, um vor
dem Bösen zu schützen." — „Und so konnte", schliesst dann Herr Knooj)
seinen sogenannten Beweis, „da der Teufel als Rockenbesudler etwa für
Frau Harke, Frau Gode eingetreten war*): der Ausdruck de-fui substan-
tivisch gefasst: de Fui, selbst zu einem wockenbesudelnden Wesen
werden. "
Wenn nacli der ersten Entwicklung der ganzen Idee diese ünthat
ursprünglich Kuhn und mir zugedacht erschien, so streifen die letzten
Worte doch den Gedanken, als hätte sich jene Substantivierung schon vorher
bei den Uckermärkern selbst, als statt des Dämon der Teufel eingetreten
wäre, vollzogen, so dass uns hiernach nur die Schuld träfe, dabei dann an
ein mythisches Wesen gedacht zu haben. Es bleibt das freilich, wie so
vieles bei Herrn Knoo]). unbestimmt. Der Gedanke muss ihm indessen
doch nicht fern gelegen haben, du er im nächsten Absatz, zur Fnik über-
gehend, sagt: „Hat sich uns so der Fui") als eine Substantivierung der
Interjektion ergeben, so könnte man nun geneigt sein, Fuik als eine
Deminutivbildung zu fassen", welche Wendung doch die Auffassung anregt,
als hätte sich eine solche sclion im Volke selbst vollzogen, nicht als ob
sie erst „nachträglich" von uns erfnnchMi und in der Uckermark verbreitet
worden wäre. Da indes Herr Knoop selbst die angeregte Vermutung auf-
giebt. weil ihm ein pikanterer Einfall für die Deutung der Fuik kommt,
so mag jenes in seiner Unbestimmtheit verbleiben.
Herr Knoop findet nämlich schliesslich in dem Namen Fuik etwas
Ähnliches zu (i runde liegen, wie bei der (ollen) Haksch am Ebii angeblich
nach ihm stattfand. Der angebliche Unwille der Leute über die in dem Aber-
glauben beim Spinnen unter Umständen in Aussicht gestellte Besudelung des
Flachses sollte ja ihnen bei Erwähnung der Sache dort ein Haksch, d. h. den
Ausruf „Zote" oder „Schwein" auf die Lippen gerufen haben, den Kuhn
und icli dann nicht verstanden und daraus eine Frau Haksch oder „mit
sanfter Umbiegung" Frau Harke gemacht hätten! Aus „Fuik" ent-
1) Mit einem Male ersclieinen hier Frau Harke, bezw. Frau Gode, von denen doch
sonst in dieser Hinsicht Herr Knoop niclit recht etwas wissen will, als die vielleicht im Hinter-
grunde stehenden Urdämouen und zumal in der Uckermark, wo keine Spur von ihnen ist.
So werden die verschiedenen ostelbischen Landstriche immer durcheinander gewürfelt.
2) Herr Knoop gebraucht hier das männliche Geschlecht, das ich oben nur als aus-
nahmsweise vorkommend angeführt habe, absichtlich; der Fui passt ihm besser zu seinem
Teufel.
1,'H Schwartz:
wickelt Herr Knoop nun ähnlich wieder mit ebensoviel Kunst wie apo-
diktischer Sicherheit einen Zuruf „Schäme dich", der in der ganzen
Uckermark jedem von uns angeblich entgegengeschallt sei. wenn wir daa
Gespräch auf den erwähnten Aberglauben und damit auf das böse Besudeln
des Flachses gebracht. Ich habe schon oben bei dem Mädchen in Buchhok
ein Beispiel angeführt, wie man derartiges, auch ohne die Leute zu reizen,
in einem kleineren Kreise — vor einer Yolksversammlung wird man es
natürlich nicht thun — ganz harmlos aus denselben herausbringen kann ^);
denn beim Sagensammeln muss man sieli in erster Linie persönlich das Ver-
trauen der Leute zu erwerben suchen, zumal mau die Unterhaltung aus prak-
tischen Gründen sogar so zu führen hat^ dass sie nicht bloss „ja" oder „nein"
zu sagen in der Lage sind, sondern die Thatsachen und namentlich Namen
selbst aussprechen müssen.'') Ich versichere hier aber noch ausdrücklich,
dass Kuhn und ich in den 11 Jahren, wo wir fast in allen Ferien unter-
wegs w^aren, nie ein unfreundliches AVort, geschweige denn ein „Schäme
dich" erfahren, sondern üljerall die angenehmsten I]indrücke mit fort-
genommen haben.
Die Idee mit dem „Schäme dich" ist aber Herrn Knoop gekommen,
weil ihm zufällig das altmärkische „fudikan"^) aufstiess. welches diese
Bedeutung hat, und er nun, wie er bei der Fui sich einen Zusammenhang
mit de-Fui konstruierte, so auch die Form Fuik mit „fudikan'' vermittelte.
„Wir wissen nämlich", sagt Herr Knoop S. 457, „dass ebenso au(di
[für fudikanj ein blosses „Pfui dich" gebraucht wird, z B. Ev. .Alarcus 15. 29,
also plattdeutsch „fu dik" ; man spreche nun die beiden Wörter zusammen,
so ergiebt sich für die plattdeutsche Aussprache fast von seihst der
Ausfall des zwischen zwei Yokalen stehenden, dem Laute des i- sich
nähernden d",
[also Fuik aus Fu(d)ik!J
Zwei Parteien gab es also nach Herrn Knoop in der Uckermark, wenn
man die Konsequenzen seiner Phantasien zieht. Hie einen sagten, wenn
das Gespräch auf das Nichtspinnen und das Besudeln des Flachses kam:
1) Herr Kiioo]» nmss in seiner Heimat dem Volke gegenüber stets eine sehr reser-
vierte Stellung eingenommen haben, dass er von einer gewissen, auf dem Laude
herrschenden Natürlichkeit keine VorstelluDg hat. Ich habe über dieselbe in unserer
Zeitschrift I, ;>4 gehandelt. — Deim Drak oder Puks hat man uns z. B., gleichzeitig mit
dem Besudeln des Flachses von selten der Fuik, ganz ruhig in der Uckermark ähnliches
erzählt, dass. wenn man dem am Himmel hinziehenden Dämon ein „halbpart" zugerufen
und nicht maclic, dass man unter Dach komme, er einen mit seinem Unrat be-
schmutze, so dass man den fürchterlichen Gestank lange nicht los werden könne. Nordd.
Sagen, Gebr. 207. Sage <;8, I. Vergl. Bartsch, Meckl. Sagen, Wien 1879, II, 2ö6f.
2) S. meine Schrift „Vom Sagensammeln" in der ..Brandeuburgia" v. J. 1S94, S. 148,
Vgl. „Eine kulturhistorisch-pädagogische Miscelle": Präliist.-anthrop. Studien, Berlin 1884,
S. 179 f.
8) Zusammengesetzt aus fu (pfui) dik (für di) an. Danueil.
Heidnische Überreste iu der norddeutschen Tiefebene. 135
angeblich de-fui mit oder oliiie Ausspucken, die anderen riefen jedem
von uns ärgerlich ein „fu(d)ik'' zu!
Wer aber den Leuten für den Fall der Besprochung des betreffenden
Aberglaubens diese Antworten — und namentlich die letztere nach Ev.
Marcus 15, 29 — beigebracht habe und wie es in allen Dörfern jahrelang
organisiert geblieben sei, je nachdem wir die einzelnen berührten, das sagt
freilich Herr Knoop nicht. Auch Herr Veckenstedt nicht, obgleich er sonst
in der Sache sehr orientiert zu sein scheint, wie denn er auch, sogar dem
Auslande gegenüber, das fudikan-fuik des Herrn Knoop als einen Sieg über
die bisherigen f(dkloristisch-n)ythologischen Forschungen feiert, die darin in
der Uckermark eine Fuik als eine dialektische Form für Frick. bezw. Frigg
gefunden hätten. Indem er nämlich (HI, 358) den damals in Aussicht
stehenden Londoner anthropologischcMi Kongress auffordert nach Deutsch-
land zu kommen und auch ihn und seine Gesinnungsgenossen zu besuchen,
sichert er den Herren zu: „Es würde dann auch Pseudo-Friggstudien
anzustellen dem nmtvoUen Forscher Gelegenheit gegeben werden können,
der Neigung habe, ein altes Weib so zu reizen, dass er das Schimjjfwort
derselben: „Pfui dik an", „ick fuie di an" zu hören im stände sei!"
Doch ich kann wohl au(di mit der Fuik abbrechen, zumal Herr
Knooj> mit der Fricke, die docli in Parallele zu den übrigen Analogien als
die Hauptform sich ergiebt, sich nicht weiter aufhält und auch in betreff'
der Form Frick (S. 459) so freundlich ist, Kuhn und mir einstweilen [!|
noch Glauben schenken zu wollen, und es nui- für unumgänglich [!] not-
wendig erachtet, dass an verscliiedenen (3rten des Frickgebietes bei zu-
verlässigen alten Leuten noch einmal Xachforschungen angestellt werden,
„denn ein Verhören der Sammler", sagt er noch relativ wohlwollend, „halten
wir nicht für ausgeschlossen" u. s. w. Dem letzteren Yerlangen bin ich
schon zufällig, wie ich oben augedeutet habe, in der Lage entgegen-
zukommen, da ich noch nachträglich in den letzten Jahren sowohl über
die uckermärkische Frick, als auch über fast alle von Herrn Knoop
misshandelten mythischen AVesen durch die freundliche Teilnahme der
Geistlichen und Lehrer im Lande, wenngleich hiebt mehr viele, so doch
immer noch einzelne bestätigende Berichte habe einziehen k()mien. welche
ich in einem Artikel des nächsten Heftes anreihen werde.
(Schluss folgt.)
] ;5(! Aiualü
Quellen und Parallelen zum „Novellino"
des Salernitaners Masuccio.
Von Dr. Gaetano Ainalfl.
(Scliluss von Zeitschrift IX. 41.)
17. Nov. Schauplatz der Beg'(d)enlieit ist Bologna. Liello de Cecco
und Andreuccio di Yallemontone hintergehen den Rechtsgelehrten Herrn
Florian von Castell San Piero.
Es ist Sacchettis 221. Novelle; diese erzählt, wie Herrn Hilarius Doria.
der für den Kaiser von Konstantinopel als Gesandter nach Florenz ge-
kommen ist, von jemandem, der sich für den Diener eines florentiner
Bürgers ausgiebt, durch einen schlauen Streich eine silberne Schale im
Werte von dreissig Gulden gestohlen wird.
Masuccios Erzählung ward zum A^orbild für die 17. ]S[ovelle xingelonis,
in der sich ein Spitzbube bei der Frau eines Arztes einführt, der er vor-
redet, von ihrem Gatten geschickt worden zu sein, um ein silbernes Gefäss
zu holen, das er darauf erhält. Vgl. Marchesi. Per la stör, de IIa nov.
iral. u. s. w., Pom, Loescher, l<s;)7. S. 110.
unter dem Titel J)"un medecin qui avoit achete une oonpe, et
par Tastuce de deux compagnons perdit Targeiit et la coupe
(Xo. -JJ:) hat Saint-Denis die Novelle französisch bearbeitet.
18. Nov. Der Yorfall ereignete sich .Valtro anno del niese di jennaro'
in Cerignola.
Man vergleiche Masuccios vierte Novelle, in der auch von einem er-
dichteten Wunder die Pede ist.
Die Geschichte steht auch bei Sercambi, Novelle inedite (hsg. von
Renier, Turin, Loescher 1<S89, S. 218—221, No. 62) unter dem Titel: De
malvagitate ypocriti. Kommentiert haben sie P. Koehler, Giorn. Stör,
della Lett. Ital. 1890, S. 115 und Rua, Einige Erzählungen des (f.
Sercambi in Yeckenstedts Zeitschr. f. Volkskunde, Bd. II, Leipzig 1890.
Im Keime begegnet sie auch bei Firenzuola, Asino d'oro d"Apulejo,
Buch YHL
Eine metrische Bearbeitung rührt her von C'inzio delli Fabbrizi. Saint-
Denis' übliclie Übertragung führt den Titel De la ruse d"un religieux
de Saint Anthoine, qui amassoit les bribes de la confrairie (No. 22).
Die beiden Fassungen gehen aber, wie Tokio a. a. 0. S. 18 bemerkt, nicht
nur da, wo der Mönch das Linnen in Brand steckt, auseinander, sondern
unterscheiden sich auch dort durch den verschiedenen Grad, in dem die
beiden Erzähler gegen die Geistlichen zu Felde ziehen. Der französische
Autor ist bei diesen Angriffen weit kühner als unser Salernitaner.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 137
Fernere Varianten lassen sich aus Pratos Buch, Quelques contes
litteraires dans la tradition populaire, Paris, Laval, 1889 entnehmen.
19. Nov. Der Schauplatz ist in die Umgebung von Neapel, nach Torre
und Ponte Riccardo, verlegt.
Imbriani hat in der Nuova Crestomazia, Bd. II, S. 223ff. diese
Novelle trefflich kommentiert. Dorther entlehne ich folgende Varianten-
augaben: Heinrich Bebel (1472 — 1516): Facetiarum u. s. w., Tübingen
1542, Buch III, fol. 82 (Cujusdam terribile factum); Anton. Francesco
Grazzini, genannt Lasca, Cena 1. Nov. 9 (Brancazio Malespini, passando
innauzi giorno di fuori della porta alla Giustizia . . . "); Tommaso
Stigliani, Mondo Nuovo XXIV (Duo di, dopol castigo. ando il ger-
mano . . .); Le Moyen de pervenir, ein dem Beroald de Verville zu-
geschriebenes Werk, in dem die Erzählung gleichlautend steht (No, 83),
während Ijasca's Erzählung mit einigen Veränderungen einer Sammlung-
pädagogischer Geschichten vom Ab. Taverna einverleibt wurde. Bebeis
Erzählung hat Hans Wilh. Kii-chhof in seinem Wendunmut, den Oesterley
für den Stuttg. Litt. Verein neu herausgegeben hat. Buch I, Gesch. 279
nacherzählt und ausgeführt: letzterer verweist auch auf eine Schrift des
berühmten deutschen Kanzelredners und Augustiner-Barfüssers Ulrich Jacob
Megerle, bekannter unter dem Namen Abraham a Santa Clara. Wortgetreu
übergegangen ist sie in die Nugae venales sive Thesaurus ridendi
et jocandi. Editio ult. auctior et correctior, s. 1. 1G89, S. 75 (mit Aus-
lassung des Namens Basel), und in die Doctae nugae Gaudentii Jocosi,
Solisbaci 1713, S. 79.
20. Nov. Die Geschichte spielte in Salern ,giä pochi anni })assati'.
Das Versprechen, durch Hexerei die begehrte Frau zu verschaffen, ist
etwas ganz Gewöhnliches; noch heutzutage glaubt das Volk sich durch
Zaubermittel das Wohlwollen jemandes erwerben zu können. Scaranmre
im Candelajo Giordano Brunos (I, 10 ff.) verheisst dem Bonifazius seinen
Beistand und spricht da von natürlicher Zauberei, Behexung und ähnlichen
Dingen (s. Imbrianis Ausg. des Candelajo, Neapel, Marghieri, 1880, S. 21 ff.).
Vgl. auch Bertis Ausführungen in der Schrift Giordano Bruno da Noia,
sua vita e sua «lottrina, Pavia 1889, Cap. VIII, S. 140ff. Mancherlei
über diesen Punkt lässt sich auch aus Ostermann, La vita in Friuli,
Udine, Del Bianco, 1894, Cap. X, S. r)07ff. (Malefici e stregonerie,
Santi e loro virtii) ersehen.
Versuche, jemanden zum Lieben zu veranlassen, begegnen auch bei
Teocrito. idillio 11: L'incantatrice. bei Lasca, Cena II, Nov. 1, wo
man dem Mützenmacher Gian Simone einredet ,di fargli per forza d'incanti
andar dietro la sua innamorata', und vgl. auch Bandello IH, 20 (,Una solen-
nissima beffa fatta da una donna al marito. con molti accidenti per via
d'incatagioni').
]38 Amalli:
Was das Motiv von der iMitrückiing des Mädchens dureli magische
Kunst betrifft, so vergleiche man E. Cosquin, Contes populaires de
Lorraine. No. XXXI: Andersen, Contes danois, traduits en francais
par D. Soldi. Paris, Hachette, 1876, S. 89—51 (Lebriquet); die Geschichte
von Aladin und der Wunderlampe und endlich Auguste Donzon,
Contes albanais, Paris, E. Leroux. 1881, Xo. 11 (Le coffre mer-
veilleux).
21. Xov. Die Begel)enheit spielt in Xeapel und fällt in die Zeit, als
Manfred von Karl I. besiegt und getötet wurde.
Einen ähnlichen Stoff hatte vorher Giovanni Fiurentinu in seinem
Pecorone I, 1 behandelt: Galgano liebt Frau Minoccia, die Gemahlin Herrn
Striccas. Sie will nichts von ihm wissen; wie sie aber von ihrem Gatten
Worte des Lobes über ihn vernimmt, will sie nicht länger spröde gegen
ihn sein. Als Galgano nun aber im Begriffe ist, sich mit ihr zu Bett zu
legen, fasst er plötzlich einen tugendhaften Entschluss.
Eine verwandte Erzählung trifft man bei Walter Mapes. De nugis
curialium, London 1859, Distinctio III, Cap. Y, S. 135, worin Liebrecht,
Zur Volkskunde S. 43 und Germania V, S. 58ff. die direkte und indirekte
Quelle für den Pecorone erblickt.
Wenigstens ein Motiv zu dieser Novelle ist ferner im Lai de Graelant
(s. Fabliaux, ed. Barbazan-Meon, Y, S. 57 — 80) enthalten. Nichts aber hat
trotz des äusseren Anscheines die Erzählung von Hitopadesa, s. Loiseleur-
Deslongchamps, Essai sur les fables indiennes S. 74, mit der unsrigen
gemein, wie Gorra in seiner Abhandlung: II Pecorone (in den früher
citierten Studj S. 201—208) anmerkt.
Masuccios Novelle findet sich auch im Novellin o, Teil III, Nov. 1
und wird hier von G. Francesco Loredano erzählt: Aleria, die die Dienst-
wiliigkeit und die Bitten des Marchese Arderico nicht gerührt haben, lässt
sich erst herab ihn zu lieben, als ihr Gatte sich lobend über ihn ausspricht;
wie der Marchese hingegen merkt, dass er den Lohn seiner Liebe ernten
soll, verzichtet er hierauf.
Im Anschluss an Masuccio hat jüngst Adolfo Albertazzi die Geschichte
nochmals erzählt; sie steht unter dem Titel Ijiberalitä di Messer
Bertrando d'Aquiuo in seinen Parvenze e Sembianze, Bologna,
Zanichelli 1892. Die grossmütige Handlungsweise des Liebhabers und die
Hauptscene in Loredanos Novelle kehren in folgender anderer Erzählung
(s. G. B. Bertranni, Schluss) wieder: Bella verliebt sich in Oderisi d'Egubbio
und darum weigert sie sich, sieh zu vermählen; doch zwingt sie der Vater
Gerlando zu heiraten; die Liebenden klagen; Oderisi findet Zutritt bei
Bella, da er aber Gerlandos Freund geworden ist, sträubt er sich, ihn in
seiner Ehre zu verletzen.
Wie gewöhnlich hat Saint-Denis Masuccios Novelle ins Französische
übertragen, und zwar mit der Überschrift: Comme nn ca)) itaine par
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 139
la louange d'un sien amy delaissa la poursuite de sa femme
(s. Xo. 37).
22. Xov. Der Schauplatz ist nach Trapani und in die Berberei ver-
legt: es finden Ans])ielungen auf die fortwährenden Einfälle der Berber
statt, an die auch ein Volkslied. Airarmi. alTarnii, la campana sona.
So'benute li Turche a la marina u. s. w. erinnert.
Diese Novelle ist der bereits erwähnten Geschichte von Paganino
(Dekam. II, 10) recht nahe verwandt, mag diese auch im Anfange etwas
und im Schlüsse ziemlich stark von ihr abweichen.
2:\. Xov. Die Begebenheit trug sich kurze Zeit zuvor in Palermo zu;
doch hat die Geschichte, von geringfügigen Veränderungen abgesehen, ein
sehr hohes Alter.
Sie begegnet schon in den Liebesabenteuern des Parthenios von Xicaea
(No. 17), wo sie den Titel Die Mutter des Periandros führt. Auch
Diogenes Laertius I, 9G und Antoninus Liberalis in seinen Metamor-
phosen Cap. 34 Smyriia erwähnen sie. Sie steht in Beziehung mit der
Tradition von der Blutschande des Oedipus, mit der sich Prato in der
Zeitschrift La Tradition VI. No. 2. S. 49—51 (Le crime d'CRdipe) be-
schäftigt hat.
Weitere Varianten sind: Les chansons serbes sur Simeon, l'en-
fant trouve, übers, von Talvi, Volkslieder der Serben, 2. Aufl., I,
S. 71 — 77; Recit bulgare sur St. Paul de Cesaree, übers, v. Schiefuer.
Germania XV; Hist. russes de St. Andrea et de St, Gregoire, ana-
lysiert von Diderichs in seinem Aufsatz, Russische Verwandte der
Legende von Gregor auf dem Steine und der Sage von Judas
Ischariot, Russische Revue 1880. Bd. IX; Seelisch, Die Gregorius-
Legende, Zeitschr. für Deutsche Philologie 1887, Bd. XIX: eine finnische
Erzählung, übers, in Ermans Archiv für wiss. Kunde von Russland XVII,
S. 14—20; eine koptisch-arabische Geschichte, übers, von Amelinau, Contes
et romans de rEgy])te chretienne I, 165 — 189; eine mündliche
armenische Sage, russisch veröffentlicht im Recueil des materiaux sur les
peuples et les contrees du Caucase IX, 184, u. s. w.
Nachahmungen liegen vor seitens der Königin von Xavarra, Heptameron
No. 30 und Bandellos II, 35.
24. Nov. Begab sich vor nicht langer Zeit in einer ,famosa citta
dltalia\
Anzutreffen bei Morlini, Nov. 24: Demoniali in fraganti cum auriga
reperta, und in den Cent. nouv. nouv. No. 54 und No. 57. Eine Nach-
ahmung ist die 20. Geschichte des Heptameron: Un gentilhomme est
inopinement guari du mal d'amour, trouvant sa damoiselle rigou-
reuse entre les bras de son palafrenier.
25. Nov. Die Geschichte passierte nicht lange vorher in Ancona.
Sie sieht den in den Novellen 22, 24 und 28 erzählten ziemlich ähnlich.
140 Ainalfi:
Saint- Denis hat wiederum eine französische Übertragung geliefert:
diese ist überschrieben: D"une ieune fille qui suit toute la discretion
de ses amours en la puissance d'uu more (s. No. 21). Doch ist er
weniger grausam als Masuccio, denn er lässt die 3Iöglichkeit zu, dass es
auch gute Frauen gebe.
Dass Frauen sich ganz niedrigen Männern hingeben, denen oft die
ausgezeichnetsten weichen müssen, ist in der Novellistik eine sehr häufige
Erscheinung. Beispiele für diese bieten auch die Cent nouY. nouv. Xo. 54
und No. r)S: der Heptameron Xo. 20, eine Erzählung, die aus Masuccios
Novelle gezogen zu sein scheint, und Ariost, Orlando Furioso.
'2(j. Nov. Die Geschichte spielt zur Zeit des ,Pistolese", eines Mönches.
von dem wir nichts näheres wissen, in Neapel.
Es ist ein ganz gewönliches Thema, das sie behandelt: eine Dame
gewährt einem jungen Manne heimlich ihre Gunst; als dieser sich jedocli
einem Freunde anvertraut und sie in Gefahr gerät entdeckt zu w^erden,
lässt sie ihn nicht wieder in ihre Kammer führen. Wie oft kommt der-
gleichen nicht im Leben vor! Ein jeder prüfe einmal sein Gedächtnis und
von zahllosen ähnlichen Fällen w^ird er sofort zu erzählen wissen.
Enger dem wirklichen Leben angelehnt, menschlicher geartet ist im
Grunde das Märchen von Amor und Psyche, dem sich aus dem Xovellen-
schatz des Volkes eine Fülle verwandter Erzählungen zur Seite stellen
lassen. Bekanntlich erzählt es uns Apulejus im 4. — 6. Buche seiner Meta-
morphosen, dem w^ahrscheinlich ein griechisches Muster vorgeschvrebt hat.
Über den an sich höchst bedeutsamen Vorwurf kann ich mich hier leider
nicht verbreiten. Ich verweise zu näheren Aufschlüssen auf Pitres Aus-
führungen in der Vorrede zu seinem Buche Novelle, Fiabe u. s. w.. nuf
Menghinis Einleitung zu seiner Schrift Psiche u. s. w., Bologna, Komagnoli
1889, und auf die Auslassungen aller der anderen, die über den Gegenstand
gearbeitet haben.
Auch das Moment von dem Liebhaber, der mit verbundenen Augen
und niedergepresster Mütze in das Zimmer der Liebsten geführt wird,
entbehrt der Parallelen nicht. Verwandt ist eine Geschichte bei Malespini
II, ]'.>, in der jemand drei Nächte die Geliebte beschläft, ohne dass er sie
kennen gelernt hat, und sie ihn nachher nicht wiedersehen will.
Eine Nachahmung des Schwankes ist die 43. Novelle des Heptameron,
auch ging er in Bandellos 26. Geschichte des 4. Teiles über, die erzählt,
wie eine reiche, vornehme und gar schöne Witwe unschlüssig ist, was sie
thun solle, da sie sich nicht wiedervermählen will aber auch nicht entsagen
kann, und durch welche List sie für die Befriedigung ihrer Wünsche sorgt.
Saint-Denis hat unsere Novelle, mit Abänderung des Schlusses jedoch,
wieder ins Französische übertragen; er überschrieb sie De l'hipocrisie
d'une dame, qui, pour iouyr de son amy, de crainte d'estre des-
couverte, le faisoit masquer (Nov. 36).
Quellen und Parallelen zum ..Novellino'' des Salernitaners Masuccio. 141
27. Nov. Sie begiinit: L'altro ieri fii al serenissimo mio Sigiiore Prin-
cipe per verissimo ricontato come in questi di fii in Napoli un giovine
mercante . . . und behandelt ein ganz gewöhnliches Thema: das Mädchen
ist von ihrem Liebhaber verlassen worden, sucht diesen zu töten und wird
von der öffentlichen Gewalt davon zurückgehalten.
Was die Verkleidung betrifft, so vgl. oben. Im übrigen verläuft die
Erzählung in herkömmlicher Weise, sie kann thatsächlich so passiert sein.
Saint-Denis' übliche Übertragung führt den Titel De l'e stränge
ialousie d'une ieune fille, qui sous l'opinion que sou amy allast
au c hange, le voulut tuer (Nov. 15). Der Schauplatz ist hierin von
Neapel nach ,une des villes de Anjou' verlegt und das neue Liebesverhältnis
des jungen Mannes bleibt unerwähnt. Es handelt sich nur um Liebende,
die wieder versöhnt werden, und hieraus entspringt dies vou selbst.
28. Nov. Schauplatz der Begebenheit ist Marseille.
Das Sujet ist ungefähr dasselbe wie in den beiden früheren Novellen
22 und 24. Es fällt unter das Thema von der Ertappung und Bestrafung
des ungetreuen Weibes (s. Pecorone VII, 1; vgl. Gorra, a. a. O. S. 219ff.).
Ausser den beiden Fabliaux: Le Chevalier qui faisoit parier les
c . . . et les . . . (bei Barbazan-Meon, Fabliaux III, 429) und De Conne-
bert (bei Montaiglon-Raynaud, Rec. gen. des fabliaux, Bd. V, 166) sind
zu erwähnen Cent. nouv. nouv. No. 49: Le cul d'escarlate, Sabbadino
degli Arientis Porretane No. 52 und eine in den Kovmdöia (I, S. 94,
Anm. 35) veröffentlichte russische Version. In diesen Schwänken ist die
Züchtigung keine natürliche, sondern eine verzerrte. Anders in den
folgenden, die stofflich eng mit unserer Novelle zusammengehören und in
denen die Ehemänner ihre ganze Strenge offenbaren.
Mehrere Versionen zieht Benfey in seiner Einleitung zum Pantscha-
tantra, Leipzig 1859, I, S. 443 ff. heran, darunter die Erzählung, wie das
ungetreue Weib zur Strafe von der eigenen Kaste Verstössen wird. In
dem Buch von den Vierzig Veziren wird erzählt, dass eine sehr schöne
Frau, die mit einem schwarzen Sklaven ihren Gatten hintergangen hat,
dazu verurteilt wird, mit einem Hunde in einem Winkel des Zimmers
zusammen zu essen. Die gleiche Form der Strafe begegnet auch in einem
armenischen Märchen, das vielleicht aus Persien stammt (s. ibid. S. 445
bis 448). Auch an entsprechenden abendländischen Texten fehlt es nicht.
In den Gesta Romanorum, ed. Oesterley, Cap. 56 (De memoria
mortis) ist von der bildschönen Frau eines Kaufmanns die Rede, die
dazu gezwungen wird, aus dem Schädel ihres Verführers zu essen und in
einer Kammer zu schlafen, in der zwei Leichname aufgehängt sind. Der
Heptameron enthält die Geschichte von einer Frau, die zur Strafe dafür,
dass sie ihrem Manne die Treue gebrochen hat, immer Trauerkleider tragen,
mit o-eschorenem Haar gehen, aus dem Schädel des Ehebrechers trinken
und dessen Skelett bei sich im Schlafgemach haben muss. Auch bei
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 1^
1^2 Amalfi:
Bandello, Teil II, Nov. 1'2 liest man: Der Gatte ertappt seine Frau beim
Ehebruch und knüpft den Verführer sofort auf, sie aber lässt er immer in
der Kammer bleiben, wo ihr Buhle aufgehängt war.
Im übrigen verweise ich auf Gorra in seiner erwähnten Studie, der
diese Geschichten zu klassifizieren und die einzelnen Grundformen fest-
zustellen sucht.
29. Nov. Sie beginnt folgendermasseu : II prossimo passato Jenuaro
fe' un anno che in Napoli fu un bon omo lignaiuolo . . . und bestellt aus
zwei Teilen oder vielmehr aus zwei verschiedenen Stoffen. Der eine
handelt von der Frau, die sich mehreren Liebhabern verspricht, von denen
ein jeder den anderen hindert sein Ziel zu erreichen und nur der letzte
vom Glücke begünstigt ist. Der andere handelt von dem Liebhaber, der
in dem Wahne ist, er küsse die Geliebte, dabei aber etwas anderes für
deren Mund nimmt.
Das erstere Thema finden wir in Tausend und eine Nacht (Contes
Persans, trad. en francais par Petis de Lacroix u. s.w., Paris, Desrez,
1850, S. 190—198) bearbeitet. Die Frau des Bann, die schöne Aruya, ist
dem Doktor Danischmende, dem Kadi und noch zwei weiteren Anbetern
scheinbar zu Willen und empfängt sie nach kurzen Zwischenräumen; indes
sperrt sie sie in einen Koffer ein und lässt sie am andern Morgen vom
Yezir erwischen und bestrafen (s. meine Abhandlung Zwei orientalische
Episoden in Voltaires Zadig, Zeitschr. des Vereins für Volkskunde, A,
S. 73 ff., in der ich verschiedene Varianten angegeben habe). A'gl. auch
Bandello II, 11 und Landau, Quellen S. 80 und öfters.
Das letztere Thema sodann, wie der Zudringliche durch die Thür-
öffnuug statt Violas Backe den Hinteren des Mönches küsst und als er die
Täuschung gemerkt hat, diesem mit einem glühend gemachten Eisenstab
den Schabernack gehörig heimzahlt, ist eine Volksschnurre, die man sich
überall erzählt. Unter den verschiedenen Redaktionen hebe ich eine un-
edierte neapolitanische hervor, die den Titel L'Amante e'l Missionar io
führt. Eine ähnliche Fassung trifft man bei Sercambi, S. 19—21: De
malvagitate et malitia, auch bei Lasca, Cena L 2 u. a.
Beispiele für Verwechselungen ähnlicher Art Hessen sich in Menge
anführen. Im Dulcitius der Nonne Hrotsvitha (10. Jahrh.) küsst der
Held statt kleiner Mädchen, die er umarmen will, Pfannen, Töpfe und
dero-leichen Dinge mehr. Es giebt auch ein kleines neapolitanisches
Scherzlied über denselben Gegenstand. S. auch Rua, Intorno alle P. N.
dello Str., Turin 1890, S. 51; desgleichen Mambriano, Nov. II, S. 43 ff.;
Dekam. VIII, 4; P. Regio, Nov. 10 (Cariuello e la Mattiuccia); Sac-
chetti, Nov. 28; Ortensio Lande, Novelle, Lucca 1851, No. XI, S. 78—81;
Caro. Apologia, ed. Sonzogno, S. 56.
30. Nov. Ort der Handlung ist Neapel zur Zeit Don Ferrandos von
Arragouien, den er seinen ,serenissimo signore Principe di Salerno' nennt.
Quellen und Parallelen zum ..Novcllino" des Salernitauers Masuccio. 143
Eine ähnliche Xovelle lesen wir bei Boccaccio, Dekameron III, 3.
Die Liebesgeschichte an sich bietet nichts Merkwürdiges. Der Schlich
des jungen Mädchens heimlich zu dem Geistlichen ihre Zuflucht zu nehmen,
der dann die Rolle des Vermittlers spielt, erinnert an ein ähnliches Ge-
bahren in folgender Yolksschnurre: Eine junge Witwe hatte einen Nachbar,
mit dem sie in ein vertraulicheres Verhältnis zu gelangen wünschte. Eines
Tages nahm sie zum Beichtvater ihre Zuflucht, um ihm zu sagen, dass
jener einen Anschlag auf ihre Tugend gewagt habe, und sich gegen ihn
zu beschweren. Im einzelnen gab sie an, er habe über einen gemein-
schaftlichen Brunnen, der sich zwischen beiden Häusern befinde, ein Brett
legen lassen und auf diesem AVege zu ihr zu gelangen versucht. Der junge
Mann hatte die Witwe niemals auch nur beachtet und geriet in nicht
geringe Verwunderung, als der Priester ihn rufen Hess und ihm heftige
Vorwürfe machte. Er beteuerte seine Unschuld und erlaubte sich ein-
zuwenden, dass er, selbst wenn er irgend eine unlautere Absicht gehabt
hätte, der Mittel entbehrt haben würde sie auszuführen, da es keine Ver-
bindung zwischen ihren Häusern gäbe. Ärgerlich sagte der Priester:
Suchtest du nicht etwa bei ihr einzudringen, als du über den Brunnen
hinweg gingest? und setzte ihm das Verfahren auseinander. Da begriff er
den geheimen Sinn des Ganzen und von nun ab machte er sich das Mittel,
das ihm nahegelegt worden, zu imtze und handelte so, dass die junge
Witwe nie wieder Grund hatte sich zu beklagen und am allerwenigsten
zu ihrem Beichtvater zu flüchten.
Entfernt ähnelt Masuccios Novelle auch der 23. Novelle von Gentile
Sermini, Livorno 1878, S. 27.'): La Pellegrina e il vescovo di Lucca.
Der Inhalt ist der: die Pellegrina ist in den Bischof von Lucca verliebt,
sie benutzt ihre Mutter als Mittelsperson und diese bewirkt unter dem
Schleier der Beichte, dass Bischof und Tochter in wohlgefälliger Reue
Seele und Leib vor Sünde bewahren.
31. Nov. Schauplatz ist Nancy in Französisch-Lothringen und es ist
■die Zeit, in der die .Jungfrau' in Frankreich sich erhob.
Unsere Novelle sieht ausser im' Schlüsse Boccacios 3. Novelle des
5. Tages ziemlich ähnlich; diese erzählt: Pietro Boccamazza flieht mit
Agnolella und stösst auf Räuber; das Mädchen flüchtet sich in einen Wald
und wird dort nach einer Burg geführt; Pietro fällt gefangen in die Hände
der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich, nachdem er
noch andere Gefahren überstanden, in dieselbe Burg, wo Agnolella sich
schon befindet; dort vermählt er sich mit ihr, und beide kehren nach Rom
zurück. Die Geschichte zweier Liebenden, die miteinander fliehen und
seltsame Schicksale erleben, schliesslich aber häufig ein Paar werden, ist ja
ein ganz gewöhnliches Thema. Vgl. so Cortese, Li travagliuse ammuri
di Ciullo e Perna; Comptes du monde adventureux von Saint-Denis,
No. 20 und auch No. 27; Pitre, Fiabe, Novelle u. s. w., No. 14; Imbriani,
10*
144 Amalfi:
in den Nachträgen zu dem oben erwähnten Werk, Bd. IV, S. 374; ders.^
Novellaja fiorentina, Livorno 1877, Nov. 36. Masuccios Novelle hat
La Säle in No. 98: D'ung Chevalier de ce royaulme u. s. w. nachgeahmt.
32. Nov. Ort der Begebenheit ist Venedig.
Die Novelle besteht aus verschiedenen Thematen und mehreren Motiven:
a) Die Frau, die allen Anstürmen ihrer Verehrer Trotz bietet; vergl.
Penelope und die Freier; den ersten Teil der Novelle vom Vivi-
comburio von Imbriani u. s. w.
b) Betrug zur Erreichung des Zieles. Eine endlose Reihe von Bei-
spielen bei unseren Novellisten. Ich erwähne von ungefähr Ban-
dello II, 42; 48; 54 u. s. w.
c) Kupplerische Thätigkeit einer Alten. Ist das übliche Motiv von
der Kupplerin; Beispiele sind zu leicht anzutreffen und zu alltäglich^
als dass ich deren anzuführen nötig hätte.
d) Der Brand, der im Hause ausbricht. Vgl. Deseriers, Contes u. s. w.,
Paris 1887, Nov. 19: Du jeune fils qui fit valoir le beau latin
que son eure lui avoit montre.
Dann folgt eine Novelle, die wir weit besser in einer alten Erzählung^
entwickelt finden, wie ich sogleich ausführen werde.
Bei Gelegenheit der Feuersbrunst trifft einer von den ,Signori' in jenem
Hause, das einem florentiner Kaufmann gehört, die Giustina, die er früher
geliebt hat ohne Gegenliebe zu finden. Er lässt sie in den Kerker bringen
und giebt Befehl sie bis zum Morgen zu bewachen, wo er dann ihre Schuld
darthun will. Aber die Alte dringt unter dem Verwände Speisen unter
die Gefangenen verteilen zu wollen in die Zelle derselben und findet so
Gelegenheit die Dame in Verkleidung fliehen zu lassen. Am anderen
Morgen trifft mau dann statt der Jungen die Alte und der Ankläger schaut
verdutzt und beschämt drein (S. 355).
Diese Erzählung deckt sich mit einer mongolischen Geschichte, die
ich unter dem Titel, Spergiuro, ins Italienische übersetzt habe; ins Deutsche
hat sie Bernhard Jülg übertragen und zwar hat er sie in doppelter Ausgabe,
das eine Mal mit dem Urtext gegenüber, das andere rein in der Über-
tragung veröffentlicht.
Hier überrascht ein Gartenwächter mit hundert Bewaffneten den Minister
Sarau im königlichen Parke beim traulichen Beisammensein mit der Tochter
des Königs Narau. Trotz ihrer Entschuldigungen steckt er sie ins Ge-
fängnis, um ihnen die verdiente Strafe zu teil werden zu lassen. Doch
die Frau des Sarau (die Alte bei Masuccio), die ihr zu der Begegnung
verhelfen hatte, dringt unter falscher Kleidung in den Kerker, indem sie
vorgiebt, sie wolle Almosen unter die armen Gefangenen verteilen, und lässt
die Prinzessin in ihre Kleider schlüpfen. So macht diese sich denn eiligst
davon, ohne dass man Verdacht schöpft, und als nun der König befiehlt
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 145
ihm seine Tochter aus der Haft vorzuführen, bringt man statt ihrer die
Frau Saraus und somit fällt die Anklage in sich zusammen. Was diese
^Novelle und die Varianten zu ihr betrifft, so verweise ich auf die An-
merkungen in meiner erwähnten Übersetzung, die im Helios, Castelvetrano,
n, 24 erschienen ist.
33. Nov. Der Schauplatz ist nach Siena verlegt. Die Erzählung ist,
wenn auch indirekt die Quelle zu Shakespeares unsterblichem Drama
Romeo und Julia.
Den ersten Keim derselben findet man nach Douce schon bei Xenophon
von Ephesus (s. Dunlop-Liebrecht, a. a. 0. S. 26 und 269). Es unterliegt
aber jedenfalls keinem Zweifel, dass Masuccios Novelle Nachahmer gefunden
hat und sogar, wie man durch Vergleichung der beiden Texte festgestellt
hat (Papanti in seinem Buche G. B. Passano e i suoi novellieri italiani
in prosa etc'., Livorno, Vigo, 1878, S. 18/19), wörtlich abgeschrieben worden
ist, nämlich von Luigi da Porto: Guilietta e Romeo (s. da Porto, Lettere
storiche etc., Florenz, Le Monnier 1857, S. 335). Der einzige Unterschied
zwischen beiden Fassungen besteht in folgendem: während bei Masuccio
Mariotto enthauptet wird und Giannozza in einem Kloster ihr lieben voll-
endet, lässt da Porto Guilietta über dem Leichnam ihres Geliebten Romeo
sterben. An dieser Abweichung trägt jedoch, wie Papanti bemerkt, das
,Argomento' zu der Novelle des Salernitaners schuld. Thatsächlich schliesst
nämlich dasselbe im AYiderspruch mit dem Ausgang der Erzählung (den
dann der Verfasser wohl abweichend von seinem ursprünglichen Entwürfe
vorgezogen hat zu gestalten) folgendermassen: La donna nol trova in
Alessandria, ritorna a Siena, e trova l'amante decollato, et ella sopra '1
suo corpo per dolore se more. Ich will hinzufügen, dass auch in der
voraufgehendeu 31. Novelle Masuccios .ucciso l'amante, la giovane sopra il
corpo di quelle volontaria si uccide'.
Aus beiden Erzählungen aber schöpfte allem Anschein nach Bandello seine
9. Nov. des 2. Teiles, die dann dem englischen Dramatiker als Vorbild diente
(s. Simrock, Quellen des Shakspeare, Bonn 1870, Bd. I, S. 31 ff.
Über die zahllosen Streitfragen und Erörterungen, die sich an diesen
Gegenstand geknüpft haben, sowie über die Litteratur zu demselben gehe
ich hinweg, ich verweise nur auf Dunlop, auf das obige Buch von da Porto,
das auch die Briefe Todeschinis enthält, und auf einen Artikel Chiarinis
in der Nuova Antologia. Anmerken will ich jedoch noch, dass Tode-
schini, a. a. 0. S. 386 — 88 schon im Jahre 1829 ausgesprochen hat, dass
da Porto den Masuccio nachgeahmt habe, eine Thatsache, deren Entdeckung
man dem Marchese Giovan Jacopo Trivulzio zu verdanken habe, der schon
im Juni 1824 dem Dr. Francesco Testa darüber geschrieben.
Teilweise stimmt mit Masuccios Erzählung auch Bargaglis Novelle 1:
Dopo grave u. s. w. überein (s. Novelle di aut. senesi, Bd. H, S. 148 ff.);
auch vgl. Nov. 3 (ibid. S. 188 ff.).
146 Amalfi:
Bandellos Novelle gab auch Pierre Camus zu seiner Cleoreste (1826)
die Anregung. Nacherzählt ist die Geschichte auch im Page disgracie
(1642 oder 1643) von Tristan THermite und bei anderen französischen
Autoren (s. L. Fränkel, Zur Entwickehingsgeschichte des Stoffes
von Romeo und Julia, Ztschr. f. vgl. Litt., I, S. 170—180).
Von Saint-Denis fehlt wiederum die übliche Übertragung ins Fran-
zösische nicht; sie führt den Titel: De la violence amoureuse d'une
fille de Sienne qui alla chercher son favorit iusques en Alexandrie,
et de leur pitoyable fin (s. No. 10). Im Schlüsse entfernt sie sich von
Masuccios Fassung; sie giebt das rührende Ende von Guilietta und Romeo
in der Weise wieder, wie wir es bei da Porto erzählt finden, und kann
hierzu von Bandellos Version angeregt worden sein, auf die auch die Ähn-
lichkeit in der Figur des Mönches hinweist (s. Toldo, a. a. 0. S. 116).
34 Nov. Die Geschichte spielt in Giovinazzo.
Vielleicht haben wir in dieser Novelle eine frühere Redaktion der
40. Novelle zu erblicken, da sie einander stark verwandt sind. Und beide,
mehr freilich die zweite als die erste, hatte Saint-Denis vor Augen, als er
seine 44. Erzählung dichtete, die überschrieben ist De la piteuse fortune
d'un marchand qui presse de l'amour d'une ieune dame de Naples,
l'avoit secrettement enlevee. Viele Berührungspunkte mit beiden hat
auch Sercambis Novelle De furto unius mulieris, vgl. auch die Entführung
in den Sieben Weisen (s. Landau, Beiträge S. 55; Dunlop-Liebrecht S. 11)7).
35. Nov. Schauplatz der Begebenheit ist Perugia.
Man hat diese Novelle mit der 31. unseres Autors zu vergleichen un<l
ich verweise auf die Erläuterungen zu derselben.
Saint-Denis hat sie unter dem Titel: De la fortune malheureuse
d'un pauvre gentilhomme qui menoit sa dame sur le chemin de
Venise ins Französische übertragen (s. No. 20).
Das Thema, im allgemeinen betrachtet, ist recht geläufig: das Mädchen
verschmäht den edleren, trefflicheren Anbeter und wendet sich dem minder-
wertigen zu. Das gleiche pflegt man der Fortuna vorzuwerfen. In seiner
Komödie L'Emilia (Neapel, Raimondi, 1792, Akt 4, Sc. 8) ruft ferner
Francesco Mario Pagano aus: . . . Alvile | Amante di un sol di quella
mercede, ; Per tant'anni da me con taute pene | Meritata, concedi . . .
Und bei Ariost weist Angelica den Orlando zurück, um sich einem Mauren
in die Arme zu werfen. So wandelbar ist die menschliche Laune! Doch
hier hat der Fall einen praktischen Nutzen. Der Maure zerstört sein
Glück, wenn er nur jenem närrischen Verliebten Erlösung schaffen kann,
so zeigend, wie unwürdig der Gegenstand seiner Liebe war, wie wenig
diejenige, die er zur Herrin seiner Gedanken gemacht, seiner wert war.
So stirbt sie denn, nachdem sie aus dem Becher des Glückes gekostet, vor
Kummer, als das Geheimnis enthüllt ist, oder giebt sich selbst den Tod,
um ihre Schande nicht zu überleben.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitauers Masuccio. 147
36. Nov. Die Aiifangsworte sind: ,Non molto lontano da le nostre
contrade e un luoco poco noto e meno frequentato, . . .
Es ist eine Nachahmung der 6. Novelle des 3. Tages im Dekameron,
die zum Inhalt hat: ,Ilicciardo Minutolo liebt die Frau des Filipello Fighi-
nolfi. Er erfährt, dass sie eifersüchtig sei, und bringt es dahin, dass sie,
weil er ihr vorspiegelt, Filipello werde am anderen Tage mit seiner Frau
in einem Bade zusammenkommen, dorthin geht, und während sie der
Meinung ist, mit ihrem Manne zusammen zu sein, findet sich, dass sie dem
Ricciardo sich hingegeben hat.
Auch aus der 8. Geschichte des 8. Tages hat er einige Züge entlehnt;
diese erzählt: Zwei Freunde verkehren miteinander; der eine schläft bei
der Frau des anderen; dieser merkt es und nötigt seine Frau, den ersteren
iu einen Kasten zu sperren, auf dem er dann, während jener darin ist,
dessen Frau beschläft. Manni glaubt im Anschluss an Fontanini, dass diese
Geschichte auf eine Erzählung zurückgehe, die sich in den Lebens-
beschreibungen u. s. w. altfranzösischer Dichter von Claude Fauchet finde,
wenn auch senesische Namen eingeführt worden seien.
2Vuch bei Parabosco, Diporto '), steht die Erzählung.
Die ursprüngliche Quelle ist aber das Fabliau von dem Müller von
Aleux (s. Legrand II, 418).
37. Nov. Die Begebenheit ereignete sich in Fano zur Zeit der Herr-
schaft ^Malatestas. Der Vorwurf ist höchst einfach. Zwei Freunde verlieben
sich in eine und dieselbe Dame; sie kämpfen zusammen und finden beide
iiiren Tod. Die Dame stirbt vor Schmerz und alle drei werden in der
gleichen Gruft begraben.
Auch Boccaccio erzählt in der 10. Novelle des 7. Tages von zwei
Senesern, die dieselbe Frau lieben; doch löst sich hier der Knoten in
anderer Weise. Vgl. Nov. 44; Loredano, Dianea ,1 due figliuoli del Re
di Greta'; Heine, Zwei Brüder u. s. w.
38. Nov. Schauplatz der Begebenheit ist Venedig, wo sie kurze Zeit
vorher stattgefunden.
Es erinnert hierin an die 34. Novelle, dass der Ehemann durch Betrug
veranlasst wird seine Frau selber dem Galan zuzuführen.
Die Anknüpfung des Liebesverhältnisses giebt nichts zu bemerken; wir
haben dies Moment auch schon frülier besprochen. Dass der Ehemann infolge
der erlittenen Schande stirbt, ist gleichfalls reichlich zu belegen, und ebenso
auch, dass die Frau ihren Umgang mit dem Liebhaber nachher fortsetzt.
Von Saint-Denis giebt es wiederum die übliche französische Bearbeitung;
diese führt den Titel: Comme un gentilhomme Venetien jouist
de l'amour d'une jeune basteliere, par la mesme conduite de
son mari (s. No. 31).
39. Nov. Schauplatz der Begebenlieit, die sich ,poco avanti la morte
del re Lanzilao' zutruff, ist Gaeta.
148 Amalfi:
Mutatis mutandis zum guten Teile mit der bekannten Erzählung-
Boccaccios von Paganino verwandt, auch mit der bereits angezogenen 8.
des Parthenios, vgl. auch die Yarianten an der betreffenden Stelle. Nur
unternimmt in diesen Versionen allemal der Mann die Befreiung der Frau.
Vgl. auch Bandello III, 50, worin erzählt wird, wie Petriello seiner Frau,
die ihm geraubt worden, über das Meer folgt und später, dank der edlen
Gesinnung des Königs von Tunis, fröhlich und reich beschenkt mit ihr
nach Hause zurückkehrt.
Saint-Denis hat die Novelle unter dem Titel: Les discours des amours
d'Antoine et sa dame, et de la malheureuse fortune qui leur advint
en la poursuite du petit archer (s. No. 42) ins Französische übersetzt.
40. Nov. Der Vorfall ereignete sich in Salern ,nel tempo che fra
Napoli e le castelle fieramente si guerreggiava'.
Die Erzählung begegnet auch bei Sercambi, Novelle, hsg. v. D'Ancona,
Bologna, Romagnoli 1871, No. 13. Übrigens ist sie merkwürdigerweise
eine Nachbildung der 34. Novelle Masuccios, die ich oben besprochen habe.
41. Nov. Der Schauplatz ist Florenz, die Zeit da der ,Duca Ranieri
d'Angioia . . . f u da Napoli e dal Regno cacciato'.
Ging über in Paraboscos Diporti (2) und in den Heptameron
(No. 16 und No. 18). Vgl. auch Dunlop-Liebrecht, a. a. 0. S. 268. Die
Geschichte von dem falschen Diamanten kehrt ähnlich bei Rabelais, Pantagr.,
lib. II, Cap. 24 wieder, wie Tokio a. a. O. S. 127 hervorhebt.
Saint-Denis giebt die Novelle unter dem Titel: Le discours des
amours de deux gentilhommes Francois, et l'issue favorable
qu'ils receurent de leur dame (s. No. 49); auch Desperiers ahmt sie
in seinen Joyeux Devis, No. 128 nach. Vgl. La Fontaine, Le Gascon pun'i.
42. Nov. Bezieht sich auf die Gattin des Germino Re di Polonia.
Saint-Denis hat die Geschichte in seiner 50. Novelle, De la piteuse
adventure d'une malheureuse dame, qui pour iouyr de Tamour
d'un jeune gentilhomme, fit une infinite de maux, dont a la fin
le mal tomba sur eile, nacherzählt. Die französische Form ist, wie
Toldo, a. a. 0. S. 127 anmerkt, gegen Schluss etwas verwirrt, vielleicht
weil der Autor sein Muster nicht recht verstanden hat.
Der Ursprung der Geschichte liegt, geringe Veränderungen zugestanden,
wohl in der Volkstradition; es sind verschiedene Motive in ihr enthalten,
die in unseren Volkssagen wiederkehren. Seit der Aussetzung Moses', der
in einem Weidenkorbe in den Fluss geworfen, aber durch göttliche Vor-
sehung aus diesem errettet worden war, sind Kindesaussetzungen ein häufiges
Motiv. Ich habe mich über dieses an anderer Stelle ausgelassen, in meiner
Schrift: Di alcune novellette del Capaccio, Castelvetrano, Lentini,
1898, S. 27—29, auf die ich den Leser hiermit verweise. Auch bei Ban-
dello m, 52 Schluss, heisst es, Pandora bringe ,aus Eifersucht gegen ihren
Geliebten, der sich verheiratet hat', das eigene Kind um.
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 149
43. Nov. Die Begebenheit vollzieht sich zum grössten Teile in Salern,
Nocera und Neapel und zwar zur Zeit Karls IL; der Verfasser sagt, sie
sei ihm von seinem ,vetusto avolo' erzählt worden.
Um Parallelen feststellen zu können, zerlegt man die Novelle am besten
in ihre einzelnen Elemente.
a) Der Yater überrascht Tochter und Liebhaber ,nel colmo di lor
piacere'. Ein gewöhnliches Motiv. Vgl. Boccaccio, Dekam. V, 4,
worin erzählt wird, wie Ricciardo Manardi von Messer Lizio da
A^allona bei der Tochter des letzteren betroffen wird, wie er dann
das Mädchen heiratet und sich mit ihrem Vater wieder aussöhnt;
ebenda auch die Geschichte von Gian von Proeida V, 6 in ihrem
ersten Teile und auch die Novelle II, 10.
b) Durch zwei seiner Diener will er die schuldbeladene Tochter um-
bringen lassen. Er beauftragt jene sie fortzuschaffen, in einen
Nachen zu setzen und mehrere Meilen vom Ufer ins Meer zu stossen.
Wir haben dieses Motiv bereits im Vorhergehenden besprochen,
brauchen also hier nicht auf dasselbe zurückzukommen.
c) Von Mitleid ergriffen geben sie ihr nur scheinbar den Tod. Sie
verkleiden sie als Mann und schenken ihr die Freiheit. Nach ihrer
Rückkehr sagen sie aus, sie hätten sie umgebracht: mit Hilfe eines
schweren Steines hätten sie sie ungefähr 10 Meilen vom Ufer ins
Meer gesenkt. Die logische Entwickelung des voraufgehenden
Motives; beide Motive zusammen bilden eine Einheit.
d) Sie gelangt, ohne erkannt zu werden, in das Haus ihres Geliebten.
Das Geheimnis enthüllt sich und sie heiraten einander. Der Vater
war bereits gestorben und der Liebhaber, den er ohne zu wissen,
dass es der Verführer seiner Tochter gewesen, an Sohnesstatt an-
genommen hatte, war Erbe seines ganzen Besitzes geworden. Ver-
gleicht sich zum Teil mit der 7. Geschichte des 3. Tages im
Dekameron, die erzählt, wie Tebaldo nach einiger Zeit als Pilger
gekleidet zurückkommt und zuerst nicht erkannt wird, dann aber
sich entdeckt und sich mit seiner Geliebten erfreut.
Saint-Deuis hat die Novelle in französischer Sprache bearbeitet (No. 51)
und sie betitelt: Le discours des amours du seigneur Antoine et
Lorette, et la fin de leurs passiones amours.
44. Nov. Der Schauplatz liegt im Gebiet von Pisa; es ist die Zeit
des Herzogs Alphons von Calabrien.
Die Novelle ist von Saint-Denis unter dem Titel: Comme un grand
seigneur amoureux pour l'amitie qu'il portoit a son serviteur,
le rendit possesseur de sa dame (No. 2ä) ins Französische übertragen
worden.
45. Nov. Schauplatz ist Bologna.
150 Amalfi:
Die Erzählung- ging über in den Grand paragon des nouvelles
nouvelles No. 55: D'un jeune gallent de marchant u. s. w. und gab
die Anregung zu der 34. Geschichte der Comptes du Monde Adven-
tureux, die den Titel führt: De Tavarice d'une danie qui cherement
fit acheter a un escolier le don de l'amoureuse pitie. Teilweise
entspricht auch Pecorone I, 2.
4(). Nov. Die Begebenheit knüpft sich an die Person des Königs
Alphons von Portugal, als dieser in Afrika Krieg führte.
Wahrscheinlich ist irgend eine spanische Erzählung oder die Über-
lieferung einer solchen die Quelle dieser Geschichte. Zur Zeit der ara-
gonischen Herrscher in Italien, deren Stammland Spanien war, das
bekanntlich die Mauren bekriegte, konnten Reminiscenzen derartiger
Erzählungen leicht nach Neapel dringen; und gerade auf diese Kämpfe
bezieht sich unsere Geschichte. Der Kern derselben ist übrigens nicht
neu: der König (mutatis mutandis Koriolan) beugt sich vor der Liebe der
]\Iutter. Dieses edle Gefühl bezwingt den festen Sinn des Herrschers.
Um die Gestalt des letzteren zu vervollkommnen, wird ausgeführt, wie er
jedes Geschenk zum Loskauf des Sohnes zurückweist und ihm gänzliche
Freiheit schenkt. Solcher Grossmut gegenüber hätte die Figur des Arabers
zu unfreundlich gewirkt; daher drückt er Empfindungen aus, die ihn hoch
ehren und des Königs Bewunderung erregen. Dieser lässt ihn darauf frei.
Er seinerseits erscheint dann a la novella stagione mit einem grossen Heere,
mit dem er ihn auf eigene Kosten im Felde unterstützen will.
Einige leichte Berührungspunkte zeigt unsere Erzählung mit einer
Novelle Bandellos, H, 52; hier will der Afrikaner Mohammed, Herr von
Dabdü, dem Könige von Fez, Saich, eine Stadt wegnehmen; der König
belagert ihn in Dabdü und offenbart eine ausserordentlich edle Gesinnung
gegen ihn. Der König von Fez bemerkt nämlich, dass Mohammed auf-
richtige Reue empfindet: er verzeiht ihm nicht nur, als dieser ihn um
Entschuldigung bittet, dass er die Waffen gegen ihn erhoben habe, sondern
giebt sogar seine beiden Töchter zwei Söhnen Mohammeds zu Frauen und
lässt die Hochzeit mit grossem Gepränge feiern.
Zur Mohammedtradition vergleiche D'Ancona, La leggenda di M. in
Occidente, Giorn. Stör, della Lett. Ital. 1889, Bd. XHI, S. 199; Bd. XIV,
S. '204ff.: Graf, Spigolature per la leg. di M.
47. Nov. Schauplatz der Begebenheit ist Yalladolid in Castilien.
Für den ersten Teil der Novelle vergleiche man Matteo Spinelli,
Diurnali, J. 1258, wo er erzählt, Messer Amelio, Neffe des Grafen von
Molise, sei bei einem Fräulein überrascht und dann von König Manfred
gezwungen worden sie zu heiraten. Derartiges ereignet sich im täglichen
Leben oft, nur nehmen die Stelle des Königs die Eltern u. s. w. ein.
D'Ancona, La Poes. pop. S. 119 — 124 hat über dieses Thema ge-
handelt. Wo er die ,Canzone della Bella Cecilia' bespricht, von der er
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salernitaners Masuccio. 151
verschiedene Lesarten giebt, setzt er hinzu, man dürfe sich durch gewisse,
mehr äussere Ähnlichkeiten mit anderen Erzählungen, wie beispielsweise mit
einer Novelle von G. B. Giraldi Cintio, Ecatommiti VIII, 5: Juriste u. s. w.
nicht irre führen lassen. Aus dieser hat George Whetstone den Stoff zu
seiner Komödie Promos und Cassandra, lange bevor der Oberst Kick,
der zur Zeit Jakobs IL gelebt hat, eines derartigen Vergehens angeklagt
wurde (s. Dunlop-Liebrecht, a. a. 0. S. 27<S_279 und S. 493), und Shake-
speare den Stoff zu seinem Drama Measure for Measure gewonnen.
Auch ein ungarischesLied bei Widter- Wolf S. 109, ist mit der Giraldischen
Erzählung verwandt. Aber D'Ancona meint, die Quelle des italienischen
Gedichtes seien einige AA'orte, die das Argument einer französischen
Tragödie von Claude-Rouillet, Philanire (gedruckt im J. 1563), bildeten:
Quelques annees u. s. w. (s. Parfait, Hist. du Theätre franeais,
Paris 1745, Bd. IIL S. 342).
Ohne den tragischen Schluss liest man die Erzählung bei Bandella
II, 15; Alessandro, Herzog von Florenz, setzt in dieser durch, dass Pietra
eine Müllerin heiratet, die er entführt hatte, und lässt sie gar reich aus-
statten. Vgl. auch Doni, Novelle 21; Dunlop-Liebrecht S. 289. Einen
ähnlichen Vorfall erzählt auch Busoni, Le curiosissime novelle amo-
rose, Venedig, 1655, Buch III, Nov. 4: La forza castigata. Ein Kavalier
schändet ein junges Mädchen und schwängert sie; nach mancherlei merk-
würdigen Fügungen wird er darum zum Tode verurteilt.
Unsere Novelle ist auch von Groce, Nap. Nobil. I, S. 14715".: L'Arco
di S. Eligio e una leggenda ad esso relativa, besprochen worden.
Eine fast gleiche Begebenheit erzählt Summonte, Hist. di Nap., 1640,
Bd. III, S. 540 unter dem Titel: Giustizia esemplare; er giebt an, die
aus weissem Marmor gefertigten Köpfe der beiden Gatten seien auf den
Bogen über der Uhr des heiligen Eligius gestellt worden. Er verlegt das
Faktum in das Jahr 1500; das Urteil wurde von Isabella von Aragonien,
der Tochter Alphons II. und der Herzogin von Mailand, gesprochen. Mit
fast denselben Worten findet sich diese Geschichte in dem bekannten^
unter dem Namen Coronas umlaufenden Manuskript von den Successi
tragici e amorosi. Obige Erzählung bildet auch den Kern eine» Kapitel»
in Alexandre Dumas' Corricolo mit der Überschrift Le mariage sur
Techafaud, der bekanntlich von Pierangelo Fiorentino bei diesem Werk
sehr unterstützt wurde.
Der Stoff erfuhr noch weitere Bearbeitung. In dem Omnibus pitto-
resco vom J. 1839 begegnet eine Novelle von Pietro C. Ülloa mit dem
Titel: L'orologio di S. Eligio (1499) und in derselben Zeitschrift vom
folgenden Jahre eine solche von Vaccaro Matonti: Giustizia d"Isabella
d'Aragona. Im Jahre 1838 hatte bereits Achille Rossi ihn zu einem
Drama, das in Florenz erschienen ist, ausgesponnen.
152 Amalfi:
Croce spricht der Begebenheit mit Recht jeden geschichtlichen Hinter-
grund ab; er beweist, dass es sich nur um ein novellistisches Sujet handele,
und erwähnt verschiedene Parallelen. Unter den Varianten, die er ausser
der Bella Cecilia heranzieht, hebe ich hervor: Domenichi, Scelta di
motti, burle et facetie, Florenz 1566 (Pochi giorni etc.); Landau,
Beiträge u. s.w. S. 120f. In dem vom Yisconde De Almeida Garret an-
gelegten portugiesischen Romanceiro, Lissabon 1875, 11, S. 295—305
steht eine Justi<ja de Dens betitelte Romanze, die Ettore Toci in der
Lusitania, Canti popol. portoghesi, Livorno 1888, S. 119 — 127 auch
ins Italienische übertragen hat.
Mit Ausnahme des Schlusses ähnelt Masuccios Erzählung im grossen
und ganzen einer Novelle des Dom. Caramella (Novelle degli Inco-
gniti etc., Teil III, Nov. 35), in der Wilhelm der Gute seine Tochter und
seinen Sekretär Gottfried, die ertappt worden waren, wie sie beisammen
lagen, zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und miteinander ver-
heiratet, ein A^erlauf, der an die 4. Novelle des 5. Tages im Dekameron
erinnert.
48. Nov. Die Geschichte spielt in Tunisund in Pisa.
Zur Auffindung von Varianten ist es nötig, die Novelle in ihre einzelnen
Teile zu zerlegen.
a) Entführungen seitens der Korsaren auf ihren Raubfahrten. Auf
dieses Motiv bin ich bereits im vorhergehenden eingegangen, doch
füge ich hier noch einige Angaben hinzu. So sei verwiesen auf
Boccaccio, Dekam. IV, 4, worin erzählt wird, dass man die Tochter
des Königs von Tunis zu rauben sucht, sowie auf ebenda, V, 1,
woselbst von der Entführung Iphigenias und Kassandras erzählt
wird. Auch kehrt diese Idee in der Geschichte von Otinel und Julia
wieder, vgl. D'Ancona, Poemetti popol. ital., Bologna 1889.
b) Der Herr gewinnt seinen Sklaven lieb und schenkt ihm die Frei-
heit. In diesem Zuge berührt sich unsere Erzählung einigermassen
mit einer Novelle Bandellos (I, 58), in der Fra Filippo Lippi, ein
Maler aus Florenz, von den Mauren gefangen genommen und zum
Sklaven gemacht wird, dank seiner Kunst dann aber zu Freiheit
und Ehren gelangt.
c) Aus Dankbarkeit giebt er ihm seine Schwester zur Frau und be-
schenkt ihn mit reichen Schätzen. Teils eine natürliche Weiter-
entwickelung des vorigen Motivs, teils eine wohlangebrachte
Variierung des Themas.
49. Nov. Betrifft Friedrich Barbarossa. Eine ähnliche Erzählung wird
auch von Jacopo della Lana in seinem Kommentar zur Göttlichen Komödie
berichtet, aber mit Beziehung auf Kaiser Friedrich II. (s. Zambrini, Libro
di novelle antiche, Bologna 1868, No. 47; vergleiche Landau, Beiträge
Quellen und Parallelen zum „Novellino" des Salemitaners Masuccio. 153
S. 55 f.). Die gleiche Erzählung begegnet auch im Exemplum der 43. Äsop-
fabel von F. del Tuppo (s. de Lollis, a. a. O. S. 318 und S. 324 f.) und
es scheint, als sei sie aus Masuccio entlehnt worden. Jedoch ist, wie Rua,
Di alcune novelle etc. S. 7, Aum. hervorhebt, zu bedenken, dass dieser
Erzählungsstoff auch 'ausserhalb Italiens bekannt gewesen ist, vgl. Köhler,
Über ein Meisterlied von dem roten Kaiser, Germania 1879, S. 13 — 15.
50. Nov. Auch diese Novelle geht auf eine fremde, und zwar wahr-
scheinlich eine spanische Quelle zurück.
Es ist ein ganz einfaches Sujet. Die Tochter eines Grafen verliebt
sich in einen Edelmann, der mit Rücksicht auf das Widerspruchsvolle seiner
Lage ihre Einladung zurückweist, worauf der Graf aus Erkenntlichkeit sie
ihm zur Frau giebt. Es handelt sich hier um einen Sagenstoff aus der
Geschichte, nicht eigentlich um ein novellistisches Motiv, und daher wird
es schwer gelingen Varianten nachzuweisen.
Nun noch einige Schlussworte. Genau festzustellen, woraus ein Autor
dieses oder jenes Thema geschöpft habe, ist, wie Marchesi S. 18 treffend
bemerkt, eine der schwierigsten Aufgaben; Märchen haben nach Jacob
Grimm Flügel und die Aufsuchung ihrer Quellen gehört zu den mühseligsten
Arbeiten. Auch zu den Novellen Masuccios vermögen wir, um ihr Ver-
hältnis zu diesem allgemeinen Satze zu bestimmen, nur ähnliche Formen
oder Spielarten und gelegentlich wohl Nachbildungen zu verzeichnen, aber
Mühe hätten wir, zumal da einige Themata unter seiner gewandten Feder
abgeändert oder ganz umgeformt worden sind, die Quelle, aus der er
eigentlich geschöpft, anzugeben.
Nur das eine lässt sich sagen, dass ihn Boccaccio hin und wieder zu
einer Novelle angeregt hat; der Versuchung diesen nachzuahmen hat er sich
nicht entziehen können, jedoch ahmte er ihn in freier Weise nach, er gab den
Stoffen ein eigenartiges Gepräge und passte sie einem bestimmten Zwecke an.
Eine Quelle bilden auch die Fabliaux, ferner Poggio, Sacchetti und
mittelbar auch einige orientalische Märchen; aber die Vorläufer dieser
anderen Novellen sind nicht leicht zu bezeichnen, da der blosse Schein
oft auf falsche Bahnen leitet. Kurz, trotz aller Worte, die wir gemacht
haben, bietet die Herkunftsstatistik ein recht trostloses Bild.
Täusche ich mich jedoch nicht, so hat Masuccio weniger aus Büchern
als aus der mündlichen Überlieferung, die heute freilich bei derartigen
Fragen eine Art Universalmittel zu bilden pflegt, geschöpft, — aus zum
Teil auch andere Nationen betreffenden Geschichten, die man sich im
Volke und am Hofe (und dem Hofe wehte auch aus Spanien manch eine
zu) erzählte und die dann die lebhafte Phantasie des Salemitaners um-
formte und ausschmückte.
Avelliuo (Neapel).
154 l^y^n:
Das Frautragen im Salzburgischen.
Von Marie Eysii.
(Mit Tafel III.)
Fast in jedem Bauernhause des Pinzgaus findet man ein altes ge-
schriebenes Heft, zuweilen ein dickes Buch, das geistliche und weltliche
Lieder enthält. Grösstenteils sind es Weihnachts-, Hirten- und Marien-
lieder. Erkundigt man sich, wann letztere gesungen werden, so heisst es
„d' Frauliader" werden in der Kirche oder beim „Frauträg^n'" gesungen.
Meist wird mit Bedauern beigefügt, dass dasselbe seit zwei Jahrzehent
verboten ist und dass es „gnr so lusti" war.
Ist es schon befremdend in einem katliolischen Lande, in welchem
so oft Madonnen- und Heiligenstatuen in feierlicher Prozession getragen
werden, von einem Yerbot zu hören, so fällt es noch mehr auf, dass stets
die Lustbarkeit dabei hervorgehoben wird, von der man wohl bei welt-
lichen, niemals aber bei kirchlichen Umzügen hört.
In jedem Weiler, jedem Dorfe im Pinzgau ist eine Familie, die eine
„Frautafel" besitzt, ein Madonnenbild, Mariae Heimsuchung darstellend,
meist ein Ölgemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Solch ein Bild, welches
das ganze Jahr über in der besten Kammer im oberen Geschoss des
Hauses aufbewahrt war, ward in die Stube herabgebracht und in einer mit
Fichtenzweigen und künstlichen Blumen geschmückten Ecke aufgestellt.
Spät abends versammelten sich davor die Dorfbewohner, es ward ein Psalter
gebetet und „Frauenlieder" gesungen, dann das Bild auf einer Kraxe (Trag-
gestell) befestigt und spät in der Nacht, begleitet von fackeltragenden
Burschen und Mädchen, Männern und Frauen, unter Gesang frommer Lieder
nach dem Gehöft eines wohlhabenden Bauern getragen, zuweilen weit ent-
fernt oder hochgelegen, wo es freudig erwartet wurde. Nachdem es auf
seinen vorgerichteten, gezierten Platz gebracht, wiederholten sich Gebet
und Lieder; dann wurden alle Angekommenen mit Brot und Käse, Schnaps
und gedörrtem Obst, „Kuacheln" und Krapfen, je nach den Vermögens-
verhältnissen des Bauern bewirtet, und fröhliche, zuweilen aber auch mehr
als übermütige Tänze schlössen die Feier.
Das Bild blieb bis zur nächsten Nacht, in welcher es in ebensolcher
Weise wieder abgeholt und in ein anderes Gehöft gebracht wurde, das
sich glücklich schätzte es zu beherbergen, denn wohin es kam brachte es
Segen, Gedeihen und Fruchtbarkeit.
Diese Umzüge des Bildes dauerten bis zur Christnacht, in welcher
diese „Frautafeln" in ebenso feierlicher Weise zur Pfarrkirche getragen
und auf den Seitenaltären aufgestellt, nach der Christmette aber wieder an
ihren Ort in dem ursprünglichen Hause zurückgebracht wurden.
Das Frautragen im Salzburgischen.
155
Unsre Tafel III zeigt ein bis in die neuste Zeit zum Frautragen ver-
wendetes Bild aus Rauris im Pinzgau, einem Parallelthale des bekannten
Gasteinerthales.
Wer denkt bei diesen Umzügen, in welchen Heidnisches und Christ-
liches seltsam verschmolzen ist, nicht an die Schilderung des Tacitus
(Germ. c. 40) von den Nerthusumfahrten, worin es heisst: „Das sind dann
Freudentage und Feste werden an jedem Orte gefeiert, den die Göttin
ihres Besuches und gastlichen Yerweilens würdigt." Ferner an die winter-
liche Umfahrt des Freysbildnis in Schweden, „wo die Priesterin mit der
leben sgrossen Bildsäule Freys an entfernte Orte zu Gaste fuhr und der
Gastbesuch des Gottes und seiner Frau vermeintlich die Wirkung hatte,
dass die Witterung milde wurde und eine gute Ernte sich zeigte. Als
einst die Frau des Freys schwanger wurde, hielten die Schweden das für
ein sehr gutes Zeichen. Ob man jedesmal zum Tempel zurückkehrte oder
von einer Gilde zur anderen fuhr ist nicht ersichtlich."^)
Trotzdem aber die Kirche gegen diese Umzüge eifert, die Polizei sie
verbietet, erfährt man zur Adventzeit im Pinzgau doch alljährlich noch, in
welcher Nacht das Fraiibild von diesem zu jenem Gehöft getragen wird;
selbst in der Stadt Salzburg wird das Bild Mariae Heimsuchung zu jenen
gebracht, die es wünschen.
Einige der Lieder, die beim Frautragen gesungen werden, seien, zwei
mit ihren Weisen, hier mitgeteilt.
Frauenlieder aus der Rauris.
I.
0 Himmelsfrau!
Von Herzen wir dich grüssen.
Ach, lasse auf uns fliessen
Dein Gnadentau!
Denn dich hat Gott bestellet
Mit seinem heiligen Wort,
Zur Zuflucht auserwählet
Und sichern Gnadenport.
2.
Als Heirscherin
Des Himmels und der Erden
Soll dir gedienet werden,
0 Königin!
Der Heilig Geist mit Gnaden
Dich seine reinste Braut
Hat gänzlich überschattet,
Da er sich dir vertraut.
Wir ehren dich.
Weil ruht in deinem Schosse,
Der über alle Grosse
Erhoben dich.
Aus allen Adams Töchtern
Gettelst du ihm allein,
Darum von all'n Geschlechtern
Du wirst gepriesen sein.
4.
0 sieh uns an
Mit Mutters Gnaden Blicken!
Dein Vorbitt wollest schicken
Zum Himmel dann.
Und jedermann erkenne,
Sein Hilfe kommt von dir,
Dich seine Schutzfrau nenne,
Dich lobe für und für.
1) (Fornmannasögur II, 73.) Wilh. Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und
ihrer Nachbarstämme, 589.
15C.
Eysn: Das Frautragen im Salzburgischcn.
Und obschon wir
Dem Leib nach von dir weichen,
Bleibt doch zum Liebeszeichen
Das Herz bei dir.
Dies wird dann stets versenken
In deinem Herzen sich,
Und anders nichts mehr denken
Als nur zu heben dich.
So bleibe dann
Der Liebsbund aufgerichtet,
Dass ewig wir verpflichtet
Dir und dei'm Sohn,
Dich unsre Mutter nennen
Und lieben inniglich,
Als Kinder uns erkennen,
WoU'st b'schützen ewiglich!
I
1. 0 Ma - ri - a schönste Ro - sen, o Ma - ri - a reinster Nam'
Von dem Him-mel bist ent-sprossen, die so reinste Liebes -flamm:
^m^^^^^M
-j^=t-
PS
Al-le Wun-der müssen schweigen, alle Schönheit werden stumm, avo sich
*
^S=S^
• — 'ä
ä^^^^^^E^=
thut Ma - ri - a zei - gen, das so rein - ste Hei-lig-tum.
2. S' ist ein Garten voll der Freuden, eine Festung ohne End,
Wo sich thut alle Wollust zeigen, wo die Himmelsfreuden sind.
Und Maria thut regieren, auf dem höchsten Thron, bei Gott,
Sie thut Krön und Scepter führen, hilft uns allen aus der Not.
3. Wenn der Feind mit uns will prahlen, uns gewaltig unterdrückt,
Wenn wir wirklich sind gefallen, muss er weichen noch zurück.
Wenn wir nur Maria nennen und sie herzlich rufen an.
Wird sie all' seine Macht zertrennen und erhalten nach Pardon.
4. Sind wir krank oder sonst in Nöten, in Pest, Krieg und Hungersnot,
Wird Maria uns erretten, wird uns helfen aus der Not.
Sie wird allzeit uns bewahren, auch die Früchte auf dem Feld,
Vor den Feur- und Wassersgfahren bist du ein Schutz der ganzen Welt.
5. Kommet her, ihr Adamskinder, lauft zur Himmelskönigin,
Sie verlasset keinen Sünder, der bei ihr seine Zuflucht nimmt.
Sie ist allzeit voller Liebe, will uns helfen zuj^der Zeit,
Drum, o Sünder, sie nicht betrübe, mache dich zur Buss bereit.
ni.
Sei gegrüsst
schönster Morgenstern,
Bist ge-ziert mit Tugendstrahlen, glänzest wunderschön von fern.
Auf der
Tienken: Kulturgeschichtliches aus den Marschen.
15'
Et^-r~3 — ^— >-h-^ , 1 r3-t-j-— j— r-^-f— t— ! ^i
^L_f=iL_j _;__,_H^— J—J/-. .-f — i^ — J— ; — j^-_-^,^j_^
ganzen Welt nur ei - ne ist von Gott selbst aus - er - wählt. Nur Ma-
ri - a und sonst kei - ne ist zu sei - ner Mut - ter b'stellt.
2. Du allein bist auserkoren, abzuhelfen unsrer Not,
Du hast Gottes Sohn geboren, der zugleich ist Mensch und Gott.
Du bist heilig, ohne Schulde, ja kein Engel ist dir gleich,
Ewig fest in Gottes Hulde, Königin im Himmelreich.
3. Alle G'schöpf und Kreaturen, was die ^V^elt nur bringt herfür,
Sind nur leise schwache Spuren, o Maria, gegen dir.
Du trittst auf mit weiten Schritten, bringst der ganzen Welt nur Trost,
Hast die alte Schlang' bestritten und hast ihr den Kopf zerstosst.
4. Alle Schönheit dieser Erden, die Planeten, Sonn und Mon
Können nicht verglichen werden gegen dich und deinen Sohn:
Du hast grosse Gnad' erhalten bei dem höchsten Königsthron.
Wie ein Esther thust du walten, er hört deine Bitten an.
Salzburg.
KiilturgescMclitliches aus den Marschen
am recliten Ufer der Unterweser.
Von A. Tienken.
(Fortsetzung von S. 55.)
Das Haus und seine Umgebung.
Es macht einen imposanten Eindruck, so ein echtes Bauernhaus unserer
Marschen! Lang streckt es sich dahin, traulich beschützt von mächtigen
Bäumen. In fast regelmässigen Abständen schmiegen sich die Dörfer an
den Deich. Einsame, in der Mitte ihrer Ländereien liegende Gehöfte trifft
man nur ganz vereinzelt an.
Das Bauernhaus der älteren Zeit hatte noch keine massive Mauern,
erst in unserem Jahrhundert haben diese hier Eingang gefunden. Auch
die steilen Giebel kannte man früher nicht: man zog sie oben ein, so dass
das Dach immer kürzer war als die Mauern. Das auf diese Weise ent-
stehende Giebeldreieck, der sogen. „Dachwalm", war wie das übrige Haus
mit einem dicken Keit- (Rohr-) dache belegt. Nur das Wurster Bauern-
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. ü
158 Ticnken:
haus macht hiervon eine Ausnahme, indem das Giebeldreieck aus einer
senkrechten Dieleubekleidung besteht. Diese Dachwalmen dürfen jetzt
nicht mehr aufgeführt, ja nicht einmal grössere Reparaturen daran vor-
genommen werden, ohne dass den Besitzern aufgegeben wird, sie durch
steile und massive Giebel zu ersetzen. So will es die Baupolizeiordnung.
Wie im Äusseren, so ist auch im Innern des Marschenhauses der
friesische Stil gänzlich verschwunden. Der Marschbauer lebte von jeher
mit seinem Yieh und dem grössten Teil des Futters, welches „oppn Balken'^
untergebracht ist, unter einem Dache. Wenn wir das Haus vom stein-
gepflasterten Hof aus durch die mächtige Einfahrtsthür, deren Rundbogen
mit drei oder fünf Sandsteinen geziert ist, betreten, gelangen wir zunächst
auf die grosse Dreschdiele, deren Boden ein Gemisch von festgestampftem
Lehm und Thon ist. Rechts und links von der Diele befinden sich die
Ställe, über ihr ruhen auf gewaltigen Balken die Puttervorräte. Dort liegen
sie trocken und wärmen in strenger Winterkälte das Haus. Hinten auf
der Diele brannte in früherer Zeit das offene Herdfeuer. Zu beiden Seiten
desselben befanden sich die sogen. Howände (Bremisch-niedersächs. Wörter-
buch 2, 663), und in ihnen die „Kojen", das sind mit Schiebethüren ver-
sehene Bettstellen für das Gesinde. Über dem Herde war der „Speck-
wiemen", d. h. ein Hängeboden für rauchbedürftige Würste, Schinken und
Speckseiten. Schornsteine haben erst relativ spät Eingang gefunden, in
den Häusern der sogen, kleinen Leute fehlen sie auch heute noch vielfach.
Zu den Seiten des Herdes hatten an den Wänden mächtige Truhen und
Schränke Platz gefunden, von denen grosse, schwere Zinn- und Messing-
Geräte herabblitzten. Der Herd war für Alt und Jung der gemeinsame
Sammelpunkt und der gewöhnliche Aufenthaltsort.^) Hinter dem Herde
kamen die Stuben, mit Ausnahme der Wohnstube, welche mit der an-
stossenden Kammer unmittelbar an die Stallungen grenzte.
Yon allem diesen haben allein Diele und Stallungen im wesentlichen
ihre alte Gestalt und Anlage beibehalten; das übrige Haus aber hat innen
wie aussen grosse Änderungen erfahren. Die Howände sind in den Wind-
fang umgewandelt, indem man von der Wohnstube aus, so dass diese neben
die Diele zu liegen kam, eine Mauer quer durch das Haus zog. In den
Windfang oder Hausflur, der mit der Diele durch eine grosse Flügelthür
in Verbindung steht, münden die Thüren aller daranstossenden Zimmer.
Auch führt von ihm eine oft mit fein geätztem Glas ausgestattete Thür in
den Garten. Der offene Herd aber ist in einen besonderen Raum, in die
Küche, zurückgedrängt und der Rauch entweicht nunmehr durch einen
Schornstein. Verschwunden sind in neueren Häusern auch die Kojen: das
1) Eine nähere Darstellung der ebenso praktischen wie poetischen Bedeutung dieser
Herdanlage ist wohl nicht nötig, denn wer kennt nicht des alten Mosers klassische
Schilderung?!
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 159
männliche Gesinde schläft an der Diele oder über dem Vieh auf der Hille
(Doornkaat-Koolman, Ostfries. Wörterb., 2, 85), auf der man sonst Stroh,
Brennmaterialien u. a. aufbewahrt. Das weibliche Gesinde aber schläft in
der sogen. „Leutestube", welche sich durchweg neben der Küche befindet.
Auch das Äussere der Häuser hat sich, wie gesagt, ausserordentlich
geändert. Die Mauern werden jetzt bis zur Höhe der Balkenlage auf-
geführt. Selbstverständlich sind sie massiv. Und die Zöglinge der Bau-
gewerbeschulen suchen in allerlei Zierrat ihr Wissen und Können an ihnen
zum Ausdruck zu bringen.
Da der wohlhabende Bauer es gar zu gern dem reichen Städter gleich-
thun möchte, so genügt ihm in allerneuester Zeit sein ehrwürdig-stroh-
gedecktes Haus nicht mehr: er baut ein „Schweizerhaus", ohne zu bedenken,
welch unerquicklichen Kontrast der dicht vor der Thür lagernde Dünger-
haufen dazu bildet. Das Schweizerhaus lässt sich von allen Modethorheiten,
die unser Jahrhundert dem Bauernstande gebracht hat, am wenigsten mit
dem Wesen und dem Berufe des Bauern in Einklang bringen. Durch den
Umstand, dass das Yieh in dem Schweizerhause gewöhnlich keinen Platz
findet, sondern in einer daranstossenden Scheune untergebracht wird, geht
eine ebenso gemütliche, wie praktische Einrichtung verloren. Denn es ist
doch etwas Angenehmes, wenn der Hausherr von der Stube aus mit wenigen
Schritten die „vom lustigen Rythmus der Dreschflegel" erfüllte Diele
erreichen kann, oder gar, wie es auch wohl der Fall ist, durch ein kleines
Fenster das Leben und Treiben auf derselben vom warmen Ofen aus über-
Avachen kann. — Hoffentlich finden die Schweizerhäuser nicht zu viel
Nachahmung. Unsere Marschen würden sonst eine nicht zu ihrem Vorteil
veränderte Physiognomie erhalten.
Dass aber mehr und mehr den hygienischen Rücksichten bei einem
Neubau Rechnung getragen wird, dass besonders darauf gesehen wird, eine
trockene Wohnung zu bekommen, ist sehr zu loben, namentlich da unsere
Marschen an sich so ausserordentlich feucht sind. Auch das ist als
praktische Neuerung sympathisch zu begrüssen, dass der Speicher, in dem
sich der Backofen, aucli wohl . noch ein Waschraum befindet, mit dem
Hause verbunden wird. Dazu kommt noch, dass, da der Speicher eine
harte feste Bedachung haben muss, den Bewohnern des Hauses im Falle
eines Brandes auch dann der Weg ins Freie offen steht, wenn das
Haus schon von dem Feuergürtel des heruntergefallenen Rohrdaches um-
geben ist.
Die „Mittelstube'\ so genannt weil sie zwischen zwei anderen Stuben
liegt, ist fast immer zugleich auch die „beste" Stube. Sie dient vorzugs-
weise als Lagerort für die Luxus- und Prunkgegenstände des Hauses.
Schon früh finden wir in ihr schön geschwungene Möbel, darunter auch
das Sofa, welches in die Wohnstube etwa um das Jahr 1810 Eingang fand.
Später kam ein farbenreicher Teppich hinzu, schneeweisse Gardinen und
11*
160 Tienken:
prunkendes Tischgerät und weiter wurde die einfache Stelilampe mit einer
teuren Majolika-Hängelampe vertauscht.
Von grosser, fast möchte man sagen, revolutionärer Bedeutung für die
Wohnräume des Bauernhanses ist die Rückkehr der Tochter des Hauses
aus der Pension: die alten Möbel werden rücksichtslos entfernt — sie
sind alt, damit ist ihnen das Urteil gesprochen; weiter werden die eisernen
Öfen durch vornehme Kachelöfen ersetzt und in der Küche tritt, sofern
es nicht schon geschehen ist, an die Stelle des Feuerherdes mit dem
„Feuerstülpen" ^) und dem über der Feuerstelle hängenden „Kesselhaken" ^)
der Sparherd.
Als eine weitere Folge des Pensionats sind n^ch die Unmenge der
feineren Handarbeiten zu betrachten, welche nun überall angebracht werden :
an Wäsche, Gardinen und Betten, Sofas und Stühlen. Ferner wird dann
ein Klavier angeschafft — hauptsächlich aber der Repräsentation halber,
denn das Spiel kommt durchweg erst in zweiter Linie und erhebt sich
nur sehr selten über die landläufigsten Salonstücke und Tänze. Ganz
zuletzt kommen dann auch die Beweise und Anzeichen eines inneren,
geistigen Fortschrittes an die Reihe: die brutal - farbenreichen Wand-
dekorationen — ich kann mich nicht überwinden, sie Bilder zu nennen —
werden durch relativ gute und geschmackvolle Kupferstiche und Bilder
verdrängt, auf Etageren werden einige Büsten angebracht und der blitzblank
polierte Bücherschrank mit den klassischen Werken unserer Geistesheroen
als Inhalt darf nun auch nicht länger fehlen. Das freilich ist eine andere
Frage, ob nämlich diese Werke auch benutzt werden, oder ob sie nur dazu
dienen sollen, einen gebildeten Anstrich zu verleihen und in ihren Pracht-
bänden zu repräsentieren.
Die Einrichtung des Wohnzimmers hielt sich stets in bescheideneren
Grenzen: die winzigen Fähnlein vor den Fenstern wurden erst spät durch
wirkliche Gardinen und die binsengeflochteneu Stühle aus Eschenholz durch
Polsterstühle ersetzt, welche aber in neuester Zeit bereits wieder von den
modernen Rohrstühlen verdrängt werden. Erst in den 60er und 70er
Jahren erhielten die bis dahin einfach geweissten Wände den Schmuck
der Tapete. Und erst in den letzten Jahren beginnt der Fussbodenlack
den bisher üblichen Sand aus dem Wohnzimmer zu verdrängen. Matten
oder Teppiche aber findet man auch heute nur vereinzelt in dem Wolin-
zimmer des Bauernhauses, dagegen aber fast immer eine Nähmaschine.
Wie uns diese in Bezug auf das W^ohnzimmer wieder an den Einfluss der
Tochter des Hauses erinnert, so die Wasch- Wringmaschine, zum Teil auch
Centrifugen und Buttermaschinen in Bezug auf die Wirtschaftsräume.
1) Ein Gefäss aus eisernen Stäben, welches während der Nacht über das glimmende
offene Herdfeuer gesetzt wird.
2) Ein von der Decke herabhängender verstellbarer Haken, au dem die Töpfe über
dem Feuer hängen.
Kulturgescliichtliches aus den Marschen. 161
Umg-eben ist das Haus oder die ganze Hausstelle von der Graft, d. li.
einem breiten Graben. Ein fester Damm darüber, der jederzeit abgesperrt
werden kann, dient dem Wagenverkehr. Für die Fussgänger ist meistens
noch ein zweiter Übergang vorhanden, oft eine Zugbrücke, die uns, auf-
gezogen, an das stolze Wort: „My house is my Castle" erinnert.
Der Garten befindet sieh stets in möglichst geschützter Lage. Er
erfährt eine vorzügliche Behandlung, infolgedessen er auch reiche Erträge
abwirft. Gewöhnlich untersteht er dem Kommando der Hausfrau, deren
grösster Ehrgeiz darin besteht, die besten Früchte zu ziehen. In über-
wiegendem Masse dient er dem Gemüsebau. Für Blumen und andere
Zierpflanzen giebt der materielle Marschbauer ungern vom fetten frucht-
baren Boden her, — bis auch hier die Tochter des Hauses eingreift und
die Anlage von poetischen Rasen, die in oft wenig schöner Symmetrie
mit Blumenbeeten durchsetzt werden, erzwingt, ebenso die Anlage einiger
lauschiger Lauben u. s. w. Erst später schreitet man zu einer geschmack-
vollen Zusammenstellung der Blumen, zur schwungvollen Liniierung der
Gartenwege und zur sorgfältigen Li standhaltung der Easen vor.
Gleich hinter dem Hause fand man früher oft eine Reihe flach ge-
schorener Linden, die nach holländischer Art oben kleine runde Büschel
trugen. Li neuerer Zeit verschwinden sie. da man immer mehr einsieht,
dass sie dem Hause ausserordentlich schaden, weil sie es nie recht trocken
werden lassen, indem sie es gegen die Sonne absperren. Hinter diesen
Linden kommt dann der Obstgarten.
Zu einer Art Fest wird allemal das Legen der Balken und Aufrichten
der Sparren bei einem Neubau. Zu einer solchen „Husbörje" sind eine
Menge tüchtiger, gewandter und mutiger Leute erforderlich,. Leute, die
unter keinen Umständen wieder fahren lassen, was sie einmal erfasst haben.
Und wie die Bauern schon bei der Anfuhr der Baumaterialien sich gegen-
seitig Hilfe leisten, so bedarf es auch in diesem Falle nur der Bitte, um
die nötigen Hände für die Husbörje zusammenzubringen. Die Gebotenen
folgen der Bitte aber um so lieber, als sie wissen, dass ihnen bei der
Gelegenheit ein festliches Mahl, Spirituosen in Hülle und Fülle und sonst
noch allerlei Schönes winkt.
Eingeleitet wird die „Husbörje" durch die Bewirtung des gesamten
Richt-Personals mit Kaffee und Butterbrot mit kaltem Aufschnitt. Dann
geht alles an die Arbeit, die zunächst in dem Legen der Balken besteht.
Diese, oft wahre Waldrieseii, werden durch Pferde aufgewunden. Mittags
wird aufgetragen, was Küche uud Keller nur zu leisten vermögen. Doch
kommt es dabei nicht so sehr auf die Qualität als die Quantität an. Es
ist nicht selten, dass bei einer Husbörje ein ganzes Schaf auf einmal, in
Portionen zerlegt, auf den Tisch kommt, und zwei bis drei dieser Tiere
überhaupt ihr Leben lassen müssen. Ausserdem aber giebt es Pudding,
162 Tieuken:
fette Sauce, allerlei Kompot und Bier als Tiscligetränk. Abends besteht
die Mahlzeit wieder aus Kaffee oder Bier mit Butterbrot.
Sind auch die Dachsparren aufgerichtet und genügend befestigt, so
steigt der älteste Zimmergeselle in deren Spitze, um seinen Spruch zu
sagen. In diesem dankt er zunächst für den bisherigen glücklichen Verlauf
des Baues, wünscht dann dem neuen Hause und seinen Bewohnern auch
ferner alles Gute, fragt den Bauherrn, wie ihm der Bau gefalle und schliesst
endlich mit einem Hoch auf den Bauherrn. Darauf wirft er die Branntwein-
Flasche, der er während seiner Eede hin und wieder zugesprochen hat,
über die Schulter. Und es wird allgemein als ein böses Zeichen angesehen,
wenn die Flasche nicht zerschellt: das Haus wird dann keinen Bestand
haben. Nunmehr wird dem Gesellen ein mit vielen bunten Bändern ge-
schmückter Kranz zugereicht, von ihm befestigt und bis zur Bedachung
des Baues dem fröhlichen Spiel der Lüfte überlassen. Der Bauherr aber
niuss dem Sprecher für die Zimmerleute noch ein angemessenes Trinkgeld
überreichen.
Nach dem Abendessen und also nach Beendigung des Richtens gefällt
sich die Jugend gewöhnlich noch in mancherlei Kurzweil, die meistens
erst spät, nicht selten erst am anderen Morgen ein Ende findet.
Die Wirtschaft mit ihren Festen und Bräuchen.
Die wirtschaftliche Folge der verheerenden Weihnachtsflut von 1717
gipfelte in der Realisierung des alten Wortes: „Wer nich kann, de mutt
wieken." Zum letztenmale trat das Spatenrecht in Kraft. Manche Grund-
besitzer konnten oder wollten die jetzt schier unerschwinglichen Deichlasten
nicht leisten, sie steckten nach altem Brauch einen Spaten in ihre Grund-
stücke und deuteten damit an, dass sie sich derselben zu entledigen be-
absichtigten. Umgekehrt aber galt das Herausziehen des Spatens als
Zeichen, dass der Spatenzieher die betreffenden Grundstücke gegen Über-
nahme der Deichlasten in Besitz zu nehmen geneigt sei. Rüstige Arbeiter
haben manchen Spaten gezogen und sich damit in den Stand der Grund-
besitzer aufgeschwungen; ja, in manchen der heute zur Bauernaristokratie
zählenden Familien glaubt man mit Sicherheit die Nachkommen ehemaliger
Spatenzieher erkennen zu können.
Überall wurden die Deiche jetzt doppelt so hoch und stark gemacht,
als sie vor der Flut gewesen waren. Die hölzernen „Siele", das sind die
unter dem Deich liegenden Schleusen, wurden erst gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts durch steinerne Schleusen ersetzt.
Indes hatte die Weihnachtsflut auch wieder ihr Gutes: konnte man
vorher nur mit sechs Pferden pflügen, so ging es jetzt schon mit vier Pferden,
so sehr hatte das Meerwasser, welches volle zwei Jahre auf dem Lande
stand, dieses verbessert, ^) Immer noch freilich ist der Marschboden ausseiest
1) Wisbeck, Die Nieder-Weser und Osterstade. Hannover 1798. S. 129.
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 163
zähe und schwer zu bearbeiten; — „päksch" (pechisch) nennt ihn der
Marschbauer. Die Ackergeräte müssen stark und schwer sein, falls sie
den Boden überwinden wollen. In Rücksicht auf diese Schwierigkeiten
baute man in der Marsch von jeher nur das an Korn, was für den eigenen
Bedarf ausreichte und wandte sich dafür der bequemeren Viehzucht zu.
Doch war auch diese im vorigen Jahrhundert immer sehr unsicher, da
verheerende Seuchen den Yiehstand oft um zwei Drittel verringerten. Im
Lande Wursten scheinen die Seuchen nicht ganz so heftig aufgetreten zu
sein, da die Osterstader zum Teil dort Vieh aufkauften, um ihre Weiden
und Ställe wieder zu füllen. Der Viehhandel, meistens ein Exporthandel,
war mit unendlichen Scherereien verknüpft; auf jedes Stück Vieh kamen
etwa 8— lOpCt. Unkosten. Mit geringen Ausnahmen hielt und hält jeder
Marschbewohner mindestens eine Kuh, die grösseren Bauern sechs und
mehr. — Die Pferdezucht wurde meistens nur soweit betrieben, um den
gewöhnlichen Abgang des Pferdematerials zu ersetzen. Im übrigen aber
brachte man schon als Saugfohlen auf den Markt, was nur voraussichtlich
zu entbehren war. In neuerer Zeit erst wird mehr Gewicht auf die Pferde-
zucht und ein gutes Pferdematerial gelegt. — Die Schafzucht war nicht
bedeutend, da man die Durchwinterung der Schafe scheute. Auch heute
steht es noch so. Ebenso wurde die Schweinezucht vernachlässigt. Damit
ist es heute freilich besser geworden, durchweg findet man in jeder Wirt-
schaft, auch der kleinsten, ein oder zwei Schweine, die fett gemacht werden.
Dagegen scheint die Gänsezucht früher in hoher Blüte gestanden zu haben
und besonders ein wichtiger Erwerbszweig für die sogen, kleinen Leute
gewesen zu sein, trotzdem die Gänsepest alljährlich grossen Schaden an-
richtete.
Nur in Zeiten, wo die Seuche unter dem Yiehstande aufgeräumt hatte,
gelangte der Ackerbau zu grösserer Ausdehnung. Hauptsäclilich wurden
Hafer und Weizen gebaut, Roggen nur in beschränktem Masse, Sommer-
o-erste und Bohnen wieder mehr. Auch der Flachsbau wurde allenthalben
o
betrieben. Der Rapsbau stand um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in
voller Blüte, nahm aber gegen Ende desselben ab und hörte dann bald
ganz auf.
Das Dreschen des Rapses bot immer Anlass zu echter Lustigkeit.
Es geschah unter freiem Himmel auf grossen Segeltüchern, welche auf
dem Felde ausgebreitet wurden. Die fröhlichste Ausgelassenheit herrschte
dabei: jeder hinzukommende Fremde wurde „gehögt" ^), ebenso der Haus-
1) „Dieses Högen-, sagt Herrn. Allmers (Marschenbuch S. 257), „ist in manchen
Marschen Sitte und besteht darin, dass man sich mit mehreren die Hände reicht, den zu
Ehrenden nötigt, sich darauf zu setzen und ihn unter lautem Jüchen sieben- bis achtmal
sanft in die Höhe hebt. Ältere Leute und Damen bögt man auch wohl auf einem Lehn-
stuhl und besonders behutsam und respektvoll. Mit jungen Leuten aber oder mit seines-
gleichen macht man nicht viel Umstände; man packt sie, ehe sie sich dessen versehen,
ohne 'weiteres beim Kragen, wirft sie, wie man einen Fuchs prellt, mit gellendem, aus-
164 Tienken:
lieiT und seine Familie. Am Scliluss des Dreschens wurde der Arbeitsherr
„in't Seil (in das Segel) genommen, wofür er den Leuten Bier und Brannt-
wein, auch wohl Musik spendete. Zum Abendessen kam Pudding und
Braten auf den Tisch.
Ebenso war auch die Bohnenernte in früheren Zeiten stets mit
allerlei Belustigung verbunden. Die tagelöhnernden Binder und Binde-
rinnen erhielten am Schluss des Bindens der Bohnen in Garben einen
sogen. Binderhocken (= 10 Garben) zum Eigentum. Die Abendmahlzeit
am letzten Tage des Bindens aber verlaugte allemal einen gebratenen
Hahn. Nach dem Essen wurde bei dieser Gelegenheit von zwei Männern
noch der landesübliche „Siebensprung", ein grotesker Schautanz, auf-
geführt.
Beide Erntebelustigungen haben aufgehört. Allein mit dem Roggen-
mähen ist noch etwas derartiges verbunden. Am grössten und aus-
gelassensten ist die allgemeine Freude am letzten Tage des Mähens. Da
werden zur Heimfahrt die Pferde mit bunten Bändern und Blumen ge-
schmückt, die oft allein zu diesem Zwecke schon des Morgens von Hause
mitgenommen werden. An Spirituosen fehlt es natürlich nicht und die
Folgen ihres reichlichen Genusses zeigen sich nicht selten bei beiden
Geschlechtern. Abends wird auf der Heimfahrt aus Leibeskräften gesungen
und gejucht. Lied und Worte sind freilich nicht sehr fein und wenig für
zarte Ohren geeignet, aber die derben Mägde können in dieser Beziehung
schon etwas vertragen. Jede Magd, die bei ihrer jeweiligen Herrschaft
zum erstenmale am Eoggenmähen teilnimmt, wird gehögt und muss dafür
eine Flasche Branntwein zum Besten geben. Ein gleiches Opfer muss
jeder bringen, der eine Arbeit verrichtet, die nicht seines Amtes ist. Zu
Hause erwartet abends wieder der übliche Festpudding und Festbraten
die ausgelassene Gesellschaft, die sich auch, nachdem sie sich durch Högen
der Hausfrau und der Töchter einige weitere Flaschen Branntwein gesichert
hat, weidlich daran zu Gute thut.
In den letzten Jahrzehnten hat auch diese Erntebelustigung viel an
Inhalt verloren, ohne damit anständiger und gesitteter geworden zu seiu.
Das erste aber ist wohl als eine Folge des Heranziehens von fremden,
„bäb^nlaudschen" Gesindes zu betrachten, das, unbekannt mit einheimischem
Brauch und Lied, keine Freude an ihnen findet und sich nur in derben
Scherzen und unmässigem Branntweingenusse gefällt.
Aus schon angegebenen Gründen haben unsere Marschen wohl immer
dasselbe Landschaftsbild gezeigt, nämlich eine einzige grüne Weidefläche,
die mit Tausenden buntgefleckter Rinder besäet ist. Nur das Land Wursten
treibt etwas mehr Ackerbau, — vorzugsweise baut es Weizen — . Sonst
gelassenem Jucheu hoch in die Luft, fängt sie wieder und schleudert sie von neuem in
die Höhe, dass ihnen Hören und Sehen vergeht." Allmers erblickt in diesem Högen den
Rest der uralten germanischen Sitte des Aufden-Schild-Hebens.
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 165
hat in allerneiiester Zeit der Ackerbau in der Marsch an Bedeutung und
Umfang verloren, sich dafür aber mehr die benachbarten Moore unter-
worfen. Ungern bricht der Marschbauer einen alten Hamm^) auf, da
immer Jahre vergehen, ehe der „unter dem Pflug" gewesene Hamm wieder
in den Besitz seiner vollen Kräfte gelangt. Je länger ein Hamm seit dem
letzten Pflügen als AVeideland gelegen hat, desto grösser ist seine Kraft.
Und es giebt hier Hämme, die seit undenklichen Zeiten nicht vom Pfluge
berührt sind. Der Yolksmund nennt sie bezeichnenderweise Jungfern-
hämme.
Der A^iehstand unserer Marschen zeigt eine grosse Ähnlichkeit mit
der holländischen Rasse. Vielleicht ist dies noch eine Folge der Einführung
holländischen Zuchtviehs, die im vorigen Jahrhundert mehr als einmal
nötig war, um den einheimischen, von Seuchen zerstörten Yiehstand zu
ersetzen und zu verbessern. Das Vieh, durchweg schwarz und weiss ge-
fleckt, auch wohl ganz schwarz, selten aber ganz weiss, ist gross und von
kräftigem Knochenbau. Seine Höhe beträgt — von der Hinterklaue bis
zur Schulterspitze gemessen — oft fünf Fuss und seine Länge ebenso oft
— von den Hörnern bis zur Schwanzwurzel gemessen — acht bis neun
Fuss. Ein dreijähriger Ochse erreicht nicht selten ein Gewicht von 1800
bis 2000 Pfund. Die Kühe werden gut bezahlt und vielfach als Zucht-
material in die ostelbischen Gegenden ausgeführt, um dort zur Hebung
der Viehzucht beizutragen.
Trotzdem die Marschkühe treffliche und reichliche Milch geben, ist
die Milclnvirtschaft doch nicht sehr bedeutend. Im vorigen Jahrhundert
wurde die Käsebereitung ziemlich rege betrieben, und besonders Osterstade
leistete darin Bedeutendes und war in dieser Beziehung den anderen
Marschen weit überlegen.''') Jetzt hat die Käsebereitung jede Bedeutung
verloren; höchstens, dass noch der eigene Bedarf gedeckt wird. Der
jährliche Buttergewinn von einer Kuh wird auf 100—140 Pfund geschätzt;
die Butter wird, soweit sie über den eigenen Bedarf geht, durchweg in
den nahen Hafenstädten auf den Markt gebracht.
Es giebt keinen anderen Zweig der Landwirtschaft, der so wenig
Mühe macht als die Viehzucht in der Weise, wie sie hier in den Marschen
durchweg betrieben wird und der dazu unter den gegenwärtigen agrarischen
Verhältnissen relativ so einträglich wäre; einträglich und bequem vor
allem für den, der über genügenden Grundbesitz verfügt: er treibt sein
Vieh im Frühjahr zum Teil als Magervieh in die fetten Weiden und ver-
kauft es im Herbst, nachdem es fett geworden ist. Der Grundbesitz
freilich ist ja auch stets mit allerlei und zum Teil bedeutenden Abgaben
belastet, trotzdem aber kann der Marschbauer unmöglich von sich be-
1) Mit ..Hamm" bezeichnet mau jedes mit einem Wassergraben umzogene Acker-
oder Weideland. Doornkaat-Koolraan, Ostfr. Wb.. 2, 21.
2) Pratje, a. a. 0. II, S. 37.
Ißß Tienkeu:
haupteii, dass er zu den notleidenden Landwirten gehöre. Die für das
Fettvieh im Herbst erzielten Preise bestimmen für das ncächstfolgende
Jahr den Paehtpreis der Weiden. Dieser wird nach „Juck" (Joch) be-
rechnet. Ein Jüek ist etwa 1 7^ Morgen gross und der Pachtpreis stellt
sich dafür in guten Jahren auf 78—90 Mark, der Kaufpreis auf 2400 bis
3000 Mark. Manche Hausleute besitzen hundert und mehr Juck.
Viele schöne Marscliwei<len sind leider den Händen der Marschbauern
entglitten und zum grössten Teil durch Kauf, Erbschaft oder auch als
Mitgift an auswärtige Landwirte gefallen. Doch haben die Einwohner
der Marschdörfer immer noch vielen Nutzen und Vorteil davon, denn jeder
Hamm hat seine Deiche, seinen Anteil an den Gemeindewegen, an den
Flethen und Gräben zu unterhalten. Die fernen Grundeigentümer aber
können diese Arbeiten nicht gut selbst leisten, weil zu viel Zeit damit
verloren gehen würde; sie lassen sie also durch einen Ortsangesessenen
ausführen. Ferner bedarf ihr in der Marsch weidendes Vieh einer sorg-
fältigen Aufsicht und die Grundstücke der Reinigung von allerlei Un-
kraut, sowie die umgebenden Gräben mindestens alle drei Jahre von
wuchernden Sumpf- und Wasserpflanzen gesäubert werden müssen, die sie
sonst im Laufe der Zeit gänzlich ausfüllen würden. Diese Aufsicht nennt
man „Buwahr" (Bewahrung) und die damit beauftragte Person einen „Bu-
wahrsmann". Dieser hat auch die auf dem betr. Grundbesitz lastenden
Steuern auszulegen und den auswärtigen Grundeigentümer in Gemeinde-
angelegenheiten zu vertreten. Durch alle diese Umstände aber wird der
Marschbevölkerung, namentlich den kleinen Leuten manche lohnende Arbeit
eröffnet.
So früh wie nur irgend angängig wird das Vieh im Frfüijahr auf die
Weide gebracht und im Herbst so lange wie möglich draussen gelassen.
Ist die Witterung ausnahmsweise günstig, so günstig, dass die Kühe noch
am Weihnachtsabend auf der Weide sind und dort gemolken werden, so
erhält die .Melkerin ein Kleid als Extra -Weihnachtsgeschenk. Ein Fall,
der nur äusserst selten eintritt! Ungünstige, rauhe Witterung und Gras-
mangel zwingen meistens schon um Martnii zum Aufstallen des Yiehs.
Hinsichtlich des Ackerbaus kennt die .Marschbevölkerung keinen
Aberglauben, hat ihn auch vielleicht niemals gekannt, weil der Ackerbau
ihr stets ferner lag und immer von geringerem Interesse für sie war. Das
Vieh dagegen glaubte man, zum Teil auch heute, durch allerlei symbolische
Handlungen gegen alles Unheil sichern zu können und zu müssen. So
legte man dem Yieh, wenn es im Frühjahr auf die Weide getrieben wurde,
ein Beil vor die Schwelle. Das schützte vor Hexerei.') Ein anderes
Mittel bestand darin, dass das Vieh auf Stirn und Kreuz mit Salz bestreut
1) Kuhn, Westfäl. Sagen, 2, 154. Allmers, Marscheubuch, S. KIT.
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 167
wurde, wozu dann allerlei geheimnisvolle Sprüche gemurmelt wurden.
Diese beiden Prozeduren geschahen in vielen Häusern stets, sobald das
Vieh den Stall, wenn auch nur vorübergehend, verlassen musste. Hatten
mehrere Eigentümer ihre Kühe in einer Weide, so durfte keiner von ihnen
seine Kuh besonders füttern, so lange es nicht auch die anderen thaten.
Man glaubte nämlich, dass die besonders und besser gefütterten Kühe den
Rahm der anderen an sich zögen. Derselbe Glaube herrscht auch in den
holsteinischen Eibmarschen. So konnte man vor wenigen Jahren in den
„Itzehoer Xachrichten" folgendes Inserat eines Landwirtes aus Krummen-
diek lesen: „Wer mir den nachweisen kann, der behauptet hat, ich habe
meine Kühe auf der Weide mit Brot gefüttert, erhält eine Belohnung."
Dieser Aberglaube lässt sich übrigens weit zurückverfolgen. *) Wenn man
eine Kuh, die eben gekalbt hat, über den Henkel des Eimers saufen lässt,
dann ist das nächstfolgende Kalb unfehlbar weiblichen Geschlechtes, was
in Hinsicht auf die Aufzucht oft gewünscht w^ird. Hat ein Pferd gefohlt,
so wird die Nachgeburt in einen Baum gehängt, unter den das betreffende
Füllen durchgeführt wird, wenn es zum erstenmale mit seiner Mutter auf
die Weide gebracht wird. Wenn es bei dieser Gelegenheit nun den Kopf
hebt und die Nachgeburt im Baum sieht, trägt es zeitlebens den Kopf hoch.
Der Umstand, dass in den letzten Jahrzehnten viele Bauernsöhne die
näherliegenden landwirtschaftlichen Lehrinstitute, besonders die Ackerbau-
schule in Bremervörde, besuchen, hat für manchen Bauernhof grosse Um-
wälzungen zur Folge gehabt: zuuächst fällt dem von der Schule zurück-
gekehrten Sohn der Maschinenmangel schwer aufs Herz. Zwar findet er
die Häckselschneidemaschine wohl immer vor, — sie fand schon in den
40er und 50er Jahren Eingang — , aber sie genügt ihm nicht, umsoweniger
als das Arbeiten mit derselben eine beschwerliche und zeitraubende Arbeit
ist. Mit Göpelbetrieb würde sich das alles viel anders und besser machen.
Und so wird denn der Vater so lange bestürmt, bis er in die Anschaffung-
eines Göpels einwilligt. Der Göpel aber bewirkt seinerseits direkt und
indirekt mit einem Schlage eine grosse Vervollkommnung der bäuerlichen
Maschinerie. Die alten Maschinen erweisen sich in der Regel wenig oder
gar nicht geeignet für den Göpelbetrieb; es müssen bessere, stärkere,
neuerer Konstruktion angeschafft werden und ihnen folgen viel andere
Maschinen, an die der Bauer bisher gar nicht dachte, nach, mit magischer
Kraft vom Göpel herangezogen, mit dem sie ja sämtlich in bequemster
Weise verbunden werden können. So giebt es denn bald Dreschmaschinen,
Rübenschneider, Schrotmühlen u. a. mehr. Möglichst viele Maschinen zu
1) Nach der Gildebeliebung von Krerapdorf (Holstein) vom Jahre 16fi7 soll „keiner
im Dorffe seine Ferde mit Knoblauchbrodt oder Malz füttern, damit seines Nachbarn
Ferde dadurch nicht gestenget" (unlustig zum Fressen) „-sverden". Der Zuwiderhandelnde
soll „den Schaden bessern undt daneben der Gilde eine Tonne Hamburger Bier straffe
geben."
Ißg Tionken:
liaben, gehört in den Marsclien zum guten Ton. Wer sich ihnen gegen-
über passiv und ablehnend verhält, gilt für zurückgeblieben und altmodisch.
Kein Bauer aber mag solches von sich sagen lassen, am allerwenigsten in
seiner Jugend.
Der Kinfluss des Ackerbauschülers aber zeigt sich nicht allein auf
dem Gebiete des Maschinenbetriebes, er äussert sich auch in der vermehrten
Anwendung künstlicher Dünger und Futtermittel. Auch der Obstgarten
erfährt jetzt eine sorgfältigere Behandlung, das Ausputzen der Bäume
geschieht zweckmässiger und rechtzeitiger, ebenso die Düngung. Der
Obstgarten ist in guten Jahren für die Marschen, mit Ausnahme des
Landes Wursten, dessen Bäume zu scharf von den rasenden salz-
geschwängerten Seestürmen mitgenommen werden, zum Teil eine bedeutende
Einnahmequelle. Auch eines abergläubischen Gebrauches ist an dieser
Stelle noch zu gedenken : in der Sylvesternacht bringt man die Obstbäume
vielfach „bi'n Bullen", d. li. man umwindet sie unter tiefstem Schweigen
mit einem Seil. Diesem schreibt man eine befruchtende Wirkung zu, die
nach der Meinung vieler nie ausbleibt.^) Wenn ein Obstbaum in einem
Jahre zweimal blüht, so mnss nach dem Volksglauben im nämlichen Jahre
eine Person aus dem Hause sterben. Mehrmals ist dies in der That ein-
getroffen. Alljährlich werden im Frühjahr die Obstgärten nach Blutläusen
untersucht. Yor einigen Jahren mussten die Stämme der Obstbäume von
Moos und anderem sauber gereinigt und sodann mit Kalkmilch bestrichen
werden. Trotzdem die Behörde es mit dieser Massregel so gut meinte,
erregte sie doch heftigen Widerwillen: „Wat geiht anner Lür dat an, ob
ick Appeln heff oder nich", konnte man oft sagen hören.
Im vorigen Jahrhundert und auch im ersten Viertel des jetzigen noch
war die Schiffahrt als lohnender Erwerbszweig sehr beliebt. In Oster-
stade konnte man im 18. Jahrhundert auf fast jedes Haus einen Seefahrer
rechnen, und das Gleiche wird wohl auch für die übrigen Marschen zu-
treffen. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurden die Seereisen von
Amsterdamer Kaufleuten unternommen und von Amsterdam aus auch an-
getreten; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts erst gingen sie direkt von
Osterstade aus. Das „Fahren" brachte viel Geld ins Land, namentlich
holländisches, welches aber bald nach Holland wieder abfloss, da es an
den inländischen öffentlichen Kassen nicht in Zahlung genommen wurde. ^)
Jetzt hat das „to'r See gähn" seine Bedeutung zum grössten Teil verloren.
An die frühere Seefahrtslust aber wird noch oft erinnert durch gewaltige
Walfischrippen die noch in manchen Dörfern zu finden sind.
Auch die Flussschiffahrt verliert mehr und mehr an Bedeutug. Sie
ist den vielen Dampfern, welche die Weser zwischen Bremen und den
1) Vgl. Kuhn und Schwartz, Norddeutsche Sagen, S. 407.
2) Visbeck a. a. 0. S. 204 ff.
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 169
Hafenorten an der Unterweser dnrchpflügen , nicht länger gewachsen.
Ebenso ergeht es auch den Fischern. Der Fischfang kann in guten Jahren
erheblich reich sein, aber trotzdem ist wohl noch kein Fischer reich ge-
worden. Ausserdem schaden die vielen Dampfer den Fischen ausser-
ordentlich, und endlich ist auch die Konkurrenz der Hochseefischerei zu
stark, als dass sie von den Flussfischern ertragen werden könnte. Das
Land Wursten dagegen geniesst einen bequemeren und grösseren Nutzen
von den Gaben des Meeres: barfuss und hochgeschürzt eilen Männer und
Frauen zur Zeit der Ebbe auf die Watten, um in den Prielen die wohl-
schmeckende Garnele, den Butt u. a. zu erhaschen. Die Beute wird dann
gewöhnlich in den nahen Hafenorten an den Mann gebracht. Auch der
Seehund sonnt sich nicht selten auf dem Sande der Watten und bildet
dann einen Gegenstand eifriger Jagd.
Einen anderen, zweifelhafteren Erwerb, der auf die Marschbewohner
nicht das beste Licht w^irft, fanden sie im vorigen Jahrhundert im Strand-
raub und im Schmuggel. Das Antreiben vieler und wertvoller Strand-
güter empfanden sie als einen vom Himmel kommenden Segen, nannten
ihn auch offen Strandsegen und beteten um ihn.^) Der Schmuggel aber
dauerte noch länger fort, zum Teil sogar bis in den Anfang der 80 er Jahre
dieses Jahrhunderts.
Fast jedes Dorf hat eine oder mehrere Ziegeleien, die ihre gewaltigen
Kauchwolken gen Himmel senden. Andere industrielle Anlagen findet man
hier nicht. Die ältesten Ziegeleien dürften aus der Mitte, einige auch
wohl schon aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammen. Ob
auch damals bereits die Ziegelarbeiter aus Lippe kamen, wie es jetzt
meistens der Fall ist, ist nicht festzustellen, da jede Nachricht hierüber
fehlt. Die festen, dauerhaften Steine werden durchweg auf dem Wasser-
wege versandt und werden gut bezahlt. Die aufstrebenden Hafen- und
Handelsstädte sind die hauptsächlichsten Abnehmer. Der Boden hat in
der Nähe einer solchen Ziegelei mehr als den doppelten Wert des ge-
wöhnlichen Landes, da sie abgebrochen werden muss, sobald er ihr fehlt.
Als letzte Einnahmequelle ist noch die Rohr- oder Reiternte zu
erwähnen. Auf dem schmalen Landstrich zwischen dem Deiche und dem
Flussufer ziehen sich die dichten, mächtigen Rohrfelder entlang. Das
dunkelgrün, fast blau belaubte Rohr erreicht oft eine Höhe von 8— lOFuss.
Die festen harten Halme sterben im Herbste ab und die Blätter nehmen
1) Teige, Die alte Eeligiousgeschichte von Osterstade in Henkes neuem Magazin für
Religiousphüosophie, Exegese und Kirchengeschichte, Helmstädt 1798. — Im Jahre 1772
erliess die Regierung zu Stade eine Verordnung bezüglich des Strandgutes, und erneuerte
sie 1796 Ausserdem wurde sie von diesem Jahre ab am 21. Trinitatissonntage, also
zu einer Zeit, da die schweren Herbststürme einzusetzen püegen, von den Kanzeln publiziert.
„Recht absichtlich", meint naiv der alte biedere Teige, Pastor in Büttel, „war daher schon
in dem vorigen Kirchengebetsformular, sowie in dem jetzigen die Bitte eingerückt, dass
Gott ein ehrliches und gewissenhaftes Gewerbe segneu möchte."
170 Tienken: Kulturgeschichtliches aus den Marschen.
eine hellgraue Farbe an. Das Reit ist reif und es beginnt nun, sobald
der erste Frost eintritt und den sumpfigen Boden härtet, ein reges Leben: mit
kurzklingiger Sense wird das Rohr geschnitten, dann gebunden und auf dem
Kopfe an den Deich getragen, um von dort aus, wenn irgend möglich,
sogleich zur Achse nach Hause geschafft zu werden. Hier wird es dann
im Laufe des Winters A'om Laube, von zerbrochenen Halmen und anderen
überflüssigen Bestandteilen gereinigt, in kleine Bunde, Schöfe genannt,
gebunden und bis zum Verkauf in Schober zusammengelegt. — Das Rohr
liefert ein dauerhaftes Material zum Dachdecken, wozu es auch weit und
breit benutzt wird. — Feststehende und besondere Speisen giebt es bei
der Reiternte nicht, und abgesehen von dem Högen der das Mittagessen
bringenden Magd, auch keine besonderen Gebräuche.
Interessant ist der Wirtschafts-Individualismus, wie er zwischen den
osterstadischen Nachbardörfern Rechtenfleth und Sandstedt, die kaum eine
nalbe Stunde voneinander entfernt liegen, zu Tage tritt. Vor allem macht
er sich in folgenden drei Punkten bemerkbar:
1. Der Sandstedter setzt immer nur sechs Garben in einem Hocken
zusammen und umschnürt die Spitze dieses leicht mit einem Stroh-
seil, dem sogen. „Hockseel". Der Rechtenflether dagegen setzt
stets zehn Garben zusammen und denkt nicht daran, sie zu „hock-
seelen".
2. Werden im Herbst die Geest- oder Moorkartoffeln eingefahren, so
setzt der Sandstedter immer nur eine Seitenleiter auf den Wagen.
Der Rechtenflether benutzt dagegen stets zwei, obgleich die Sand-
stedter Manier den Vorzug hat, dass die schweren Säcke sich be-
quemer auf- und abladen lassen.
3. Wenn im Frühjahr oder Frühsommer die Milchkälber auf die Weide
gebracht werden, aber ihre Milch noch weiter beziehen sollen, so
werden sie in Sandstedt zunächst vielfach „getüdert". Das Tüdern
besteht darin, dass an einer mit schönem Gras bestandenen Stelle
ein kräftiger Pfahl in die Erde geschlagen und an diesem ver-
mittelst eines laugen Strickes das Kalb angebunden wird. Natürlich
wird dann der Pfahl nach Bedarf umgesetzt. In Rechtenfleth findet
dieses Tüdern so gut wie keine Anwendung.
Ein eigentümlicher Rest des alten Agrarkommunismus hat sich bis vor
wenigen Jahren in der Gemeinde Weddewarden hinsichtlich der Aussen-
deichsländereien erhalten. Herr Hofbesitzer Harrs in Weddewarden teilt mir
darüber folgendes mit: „Mit der Beweidung unseres Aussendeiches stand
es früher so: im Frühjahr, sobald die Witterung es erlaubte und der
Aussendeich trocken genug war, hatte jeder Besitzer das Recht, so viel
Vieh auf den Aussendeich zu bringen als ihm beliebte. Alles Vieh weidete
darauf bis zum 1. ^lai. An diesem Tage wurde das Rindvieh abgetrieben.
Bartels: Eiu Paar mprk\yürdige Kreaturen. 171
während <lie Schafe noch acht Tage länger gehen durften. Ausserdem
waren die Besitzer von Arbeitspferden berechtigt, diese in der Mittagspause
(von 11 — IV2 Uhr) auf dem Aussendeiche grasen zu lassen. Mit dem
•J. Juni erlosch aber auch dieses Recht.
Als dann aber vor einem Jahrzehnt etwa die Milchwirtschaft sich zu
entwickeln begann, war es den Milchwirten nicht mehr recht, dass das
Yieh schon so früh und in so grosser Anzahl auf den Aussendeich getrieben
wurde. Sie wussten denn auch durchzusetzen, dass die Beweiduug des
Aussendeiches erst am 15. April beginnen und auch nur in bestimmtem
Masse stattfinden durfte, insofern, als ein Kötner nur noch drei Stück, ein
Hansmann aber zwölf Stück Rindvieh auftreiben durfte.
Gegen die Mitte des Monats Juli wird dann der Anssendeich auf-
gemessen, wobei auf eine Kötner-Gerechtigkeit ein, auf eine Hausmanns-
Gerechtigkeit vier Stock entfallen. (Ein Stock = 10 Fuss Deichmass. Der
Fuss Deichmass ist etwas grösser als der gewöhnliche hannoversche Fuss.)
Der ganze Aussendeich wird zunächst in fünf „Klüfte" eingeteilt und in
jeder Kluft erhält jeder Hausmann acht, jeder Kötner zwei Stock.
Die Heuernte auf dem Aussendeich zieht sich oft bis in den September
hinein. Nur zu oft machen die Sturmfluten bei dieser Arbeit einen Strich
durch die Rechnung, indem sie den Ertrag ganzer Kluften auf Nimmer-
wiedersehen fortschwemmen. Daher der Angstruf : „Jan Blank de kummt!"
Gemäht wird nur einmal im Jahre. Nach der Aberntung wird der Aussen-
deich wieder beweidet, und zwar früher mit beliebiger Stückzahl, jetzt nach
dem letzterwähnten Masse.
(Im Dezember 1895 ist ein Antrag auf Aufteilung des Aussendeichs
eingegangen und mit einigen Stimmen Mehrheit angenommen worden.)
(Fortsetzung- fol<jt.)
Ein Paar merkwürdige Kreaturen.
Von Dr. Max Bartels.
Ein Paar absonderliche Tiere sind es, von denen ich hier zu sprechen
beabsichtige: das eine von ihnen lebt unter der Erde. Hier wühlt es sich
seine Gänge und Strassen, wie die Maikäferlarve, der Engerling, oder auch
wie der Regenwurm; und dennoch ist es ein Säugetier. Wenn man doch
einmal seiner ansichtig wird, dann bemerkt man, wenigstens wie das Volk
fest glaubt, dass es keine Augen hat. Wozu sollte es diese auch wohl
unter der Erde gebrauchen? Es fiele ihm ja doch nur Sand hinein. An
172 Bartels:
seinem dicht behaarten, einer kurzen dicken Wurst ähnlichem Leibe,
sitzen ein Paar merkwürdig gestaltete Yorderextremitäten, welche an eine
breite, menschliche Hand erinnern, die mit langen, starken Krallen bewehrt
sind. Dieses unterirdisch lebende Tier ist der Maulwurf, der Moll oder
Mulwarp, MuUworm, Winnworp oder Wöhler, wie er im Plattdeutschen
heisst, der Scher oder die Schaermaus, wie ihn die Süddeutschen nennen.
Das andere Wesen, von dem ich zu sprechen habe, ist nicht minder
absonderlich. Der Bereich seiner Lebensthätigkeit ist die Luft, wo es sich
gleich den Vögeln unter dem Himmel tummelt. Aber die Fledermaus
— denn von ihr ist hier die Rede — hat, wie Konrad von Megenberg^),
der gelehrte Regensburger Domherr (f 14. April 1374) schrieb (S. 226):
„kain vedern an dem leib noch an den flügeln. si ist ainer maus aller
ding geleich, der vogel under allen vögeln gepirt allain seineu kint als
ain geperndez gendez tier und säugt seineu kint an daz er fleugt sam ain
vogel und die flügel haben ain häutel daz spannt sich und streckt sich in
dem flug."
Georg Horstius, welcher im 17. Jahrhundert Konrad Gesners^)
Yo gelbuch neu bearbeitete, sagt:
„Dieser Yogel wird eine Speckmauß genennet^ weil er den Speck isset,
und die Schweineseiten durchnaget."
Später fährt er dann fort:
„Die Fledermauß ist ein Mittelthier zwischen dem Yogel und der
Mauß, also dass man sie billich eine fliegende Mauß nennen kan, wiewohl
sie weder unter die Yögel, noch unter die Mäuß kan gezehlet werden, die-
weyl sie beyder Gestalt an sich hat."
In der Liste der Tiere, welche Moses') den Israeliten als unreine
zu essen verbot, wird auch zweimal die Fledermaus unter den Yögeln auf-
geführt. Hier ist sie zwischen den Uhu und die Rohrdommel gestellt worden.
Die Fledermaus sowohl, als auch der Maulwurf sind daher Geschöpfe,
welche nach der kindlichen Anschauung des Yolkes ein für Tiere ihrer
Ordnung ganz ungewöhnliches Leben führen und sich durchaus nicht in
ihrem Elemente befinden. Und dass ihre absonderliche Gewohnheit, am
Tage zu ruhen und erst mit dem Beginne der Dunkelheit sich für den
Menschen bemerklich zu machen, wohl auch noch mit dazu beigetragen
hat, dass sie als besonders merkwürdig erscheinen, das werden wir sicherlich
glauben müssen.
Auch in dem Alten Testamente übrigens werden schon der Mauhvurf
und die Fledermaus in eine gewisse Parallele gestellt. Der Prophet
Jesaias*) weissagt:
1) Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur; herausgegeben von Franz Pfeiffer.
Stuttgart 1861. — 2) Gesneri redivivi aucti et eraendati Tomus II oder vollkommenes
Vogel-Buch etc. Franckfurt am Mäyn 16G9. — 3) 15. Mos. 11, 18. 5. Mos. 14, 16. —
4) Jes. 2, 20.
Ein Paar merkwürdige Kreaturen. 173
„Zu der Zeit wird Jedermann wegwerfen seine silbernen und goldenen
Götzen, die er ihm hatte machen lassen, anzubeten, in die Löcher der
Maulwürfe und der Fledermäuse."
Wer nun die Regungen der Volksseele kennt, den wird es nicht über-
raschen können, dass an diese beiden wunderbaren Tiere sich mancherlei
abergläubische Anschauung knüpft. Und von besonderem Interesse ist es,
dass dieser Glaube an übernatürliche Kräfte bei unseren beiden Tieren
eine Reihe von merkwürdigen Übereinstimmungen darbietet.
• Hierhin gehört es in erster Linie, dass uns der Maulwurf sowohl, als
auch die Fledermaus als Yerkünder des nahe bevorstehenden Todes be-
gegnen.
So heisst es nach von Alpenburg^) bei den Tirolern:
„Wenn ein Scheer an Deiner Hausmauer einen Erdhaufen aufwirft,
da mag sich einer g'fasst machen im Hause — es wird eins bald sterben."
Den gleichen Glauben finden wir in Steiermark^), in Bayern^), in
Mecklenburg*), in der Mark Brandenburg''), in Masuren^) und ebenso
auch bei den Magyaren^). In Bosnien und der Hercegovina®) glaubt
man, dass im selben Jahre eine grosse Sterblichkeit einträte, wenn die
Maulwürfe den Boden sehr aufwühlen.
An manchen Orten weiss man es auch, wem die Todesbotschaft gelten
soll. In Fresdorf in der Mark^) sagt man: Je näher am Gehöfte der
Maulwurfshügel ist, um so schmerzlicher wird der Todesfall sein. In
Bosnien und der Hercegovina") herrscht die Ansicht, dass, wenn ein
Maulwurf sich bis in das Haus durchwühlt, dies den baldigen Tod des
Hausherrn bedeute. Und Montanus*^) berichtet aus Deutschland, ohne
den Bezirk näher anzugeben: „Hebt der Maulwurf in der Stube auf, so
stirbt die Grossmutter."
Bei den Schwaben^^) ist es ein zufälliges Zusammentreffen mit dem
Maulwurf, welches die üble Vorbedeutung hat. Es bedeutet nämlich bald
eine Leiche im Hause, wenn man auf dem Gang zur Kirche über einen
Maulwurfshaufen schreiten muss. Die Magyaren") machen den Versuch,
1) .T. N. von Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857. S. 384. —
2) V. Fossel, Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Steiermark. Graz lh86. 169.
— 3) Fr. Panzer, Bayer. Sagen u. Bräuche. München 1848. I, 262. — 4) K. Bartsch,
Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg. Wien 1S79. II, 175. — 5) Prahn,
Glaube und Brauch in der Mark Brandenburg. Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde. Berlin
1891. Bd. I, 184. — 6) M. Toeppen, Aberglauben aus Masuren. Danzig 1867. 104. —
7) H. von Wlislocki A.: Volksglaube und religiöser Brauch der Magyaren Münster i. W.
1893. 75. — 8) E. Lilek, Volksglaube und volkstümlicher Kultus in Bosnien und der
Hercegovina. Wissenschaftl. Mitteil, aus B. und der H.; herausg. v. b.-h. Landcsrauseum
in Sarajevo. Wien 1896. Bd. IV, 471. — 9) Prahn 184. — 10) Lilek 471. - 11) Mon-
tanus, Die deutschen Volksbräuche, Volksglaube und mythologische Naturgeschichte.
Iserlohn 1858. 171. — 12) A. Birlinger, Aus Schwaben. Sagen, Legenden, Aberglauben,
Sitten, Rechtsbräuche, Ortsneckereien, Lieder, Liederreime. Wiesbaden 1874. I, 396. —
13). V. Wlislocki A. 75.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 12
174 Bartels:
das böse Omen unwirksam zu machen. Wenn der Maulwurf nahe dem
Hause seinen Hügel aufgeworfen hat, dann soll man so viel glühende
Kohlen in den Maulwurfshügel scharren, als Bewohner im Hause sind.
Auch der Graschberger^) Simmal aus Tirol hat sich und anderen aus
dieser Gefahr herausgeholfen:
„Er hat sogleich in den Scheerhaufen ein Stück Teufelsdreck gegeben
und es zngestampft und will dadurch manchen vom Tode gerettet haben."
Wie man dazu gekommen ist, den Maulwurf als einen Todes-
Propheten zu betrachten, das vermögen wir uns unschwer vorzustellen.
Dieses kleine Wesen im dunklen Wamms, welches in der Erde wühlt,
musste dem Volke begreiflicherweise eine Ideen - Association mit dem
Totengräber vermitteln. Und die von dem Tiere aufgeworfenen kleinen
Erdhügel konnten, wie sich leicht denken lässt, nur als Abbilder des
Grabhügels erscheinen. Wurden solche Grabhügel-Modelle mm also in
der nächsten Kähe von einer menschlichen Behausung aufgeworfen, so lag
es doch ganz klar auf der Hand, dass dieses das nahe bevorstehende Sterben
eines Insassen des Hauses bedeuten musste.
So sehen w^ir auch, dass Wilhelm von Kaulbach in seinen Blu-
strationen zu Goethes Keinicke Fuchs^) ein paar Maulwürfe als Toten-
gräber auftreten lässt, welche sich gerüstet haben, um die brave Henne
Kratz efuss zu begraben, und auch auf einem zweiten seiner Bilder er-
scheint noch einmal der mit dem Grabscheit ausgerüstete Maulwurf.
Bei der Fledermaus ist es uns schon nicht so leicht, den Zusammen-
hang herauszufinden. Yielleicht haben wir uns denselben so vorzustellen,
dass das Volk die Fledermaus als ein Symbol der Nacht betrachtet und
dass ihm hiermit die Gedankenverbindung an die Todesnacht aufgetaucht ist.
Die Zigeuner^) haben den Glauben, dass, wenn eine Fledermaus an
die Fensterscheiben fliegt, oder sogar in die Stube hineinschwirrt, dieses
eine baldige Krankheit und den nahe bevorstehenden Tod eines der
Familienglieder bedeute. Bei den Magyaren*) sowohl, als auch bei den
Siebenbürger Sachsen^) hat dieses Benehmen der Fledermaus aber nur
dann etwas zu bedeuten, wenn sich ein Kranker im Hause befindet. Der
w^eiss dann, dass sein Stündlein geschlagen hat.
Ähnlich wie es die Magyaren bei dem Herannahen des Maulwurfs
thun, suchen sich die sesshaften Zigeuner®) von Siebenbürgen vor dem
bösen Omen der Fledermaus zu schützen. Sie werfen, wenn die Fleder-
maus ins Zimmer fliegt, auch so viel glühende Kohlen zum Fenster oder
zur Thüre hinaus, als das Haus Familienglieder zählt.
1) V. Alpenburg 384. — 2) W. v. Goethe, Eeinicke Fuchs mit Zeichnungen von
W. V. Kaulbach. Stuttgart 1857. 11. — 3) H. von Wlislocki B., Aus dem inneren
Leben der Zigeuner. Berlin 1892. 115. — 4) v. Wlislocki A. 71. — 5) H. v. Wlislocki
C, Volksglaube und Volksbrauch der Siebenbürger Sachsen. Berlin 1893. S. 1G2. —
6) V. Wlislocki B. 115.
Eiu Paar merkwürdige Kreaturen. 175
Wie weit es mit diesen Anschauungen, dass das Herannahen der
Fledermaus den Eintritt eines Todesfalles bedeute, in Verbindung zu
bringen ist, dass bei den Südslaven^) die Pest, die mau sich als ge-
spenstisches Weib denkt, unter Umständen auch die Gestalt von Fleder-
mäusen annehmen soll, das müssen wir dahingestellt sein lassen.
Es muss uns nun in hohem Grade überraschen, dass sowohl der
Maulwurf, als auch die Fledermaus auch als glückbringende Tiere betrachtet
werden. Wie reimt sich das zusammen, dass dieselben Kreaturen einmal
den herannahenden Tod anzeigen und ein anderes Mal dem Menschen
Glück verheissen? Darin scheint doch keine Logik zu liegen. Nun, wir
finden aber auch auf anderen Gebieten des Yolksaberglaubens, dass das
logische Denken nicht gerade die stärkste Seite der Volksseele ist, und
so werden wir uns auch hier bescheiden müssen. Aber vielleicht giebt es
doch eine Brücke, die wenigstens, was den Maulwurf betrifft, uns auf die
Gedankenbahnen des Volkes hinüberzuleiten vermag. Das ist wiederum
die Thätigkeit des Maulwurfs als Durchwühler der Erde. Was thut er
hier anderes, als der Schatzgräber auch? Und sollte es nicht denkbar
sein, dass er die Schätze, auf welche er stösst, in irgend einem geheimen
Verstecke zusammenbringt? Durch diese Ideenassociation, möchte ich
meinen, ist es gekommen, dass man mit dem Maulwurfe den Erwerb von
Geld und Gut in Verbindung bringt.
Eine Bestätigung findet diese Annahme vielleicht durch folgenden
Glauben der Sieben bürg er Sachsen ='): „Trinkt man Maulwurfsblut zu
geeigneter Stunde, die aber niemand weiss, so kann man verborgene
Schätze sehen."
In Mecklenburg^), Pommern*) und der Mark Brandenburg^)
glaubt man, dass ein Geldbeutel, aus dem Fell eines Maulwurfs gefertigt,
niemals leer werde. Montanus®) kennt diesen deutschen Volksglauben
auch, aber er ist der Meinung, dass, um die rechte Wirkung zu entfalten,
auch noch der Kopf eines Wiedehopfes in diesem Maulwurfsfellbeutel
getragen werden muss. Wenn dem Maulwurfe aber die Kraft innewohnt,
dem Menschen Glücks gut er zu verschaffen, dann ist der Sprung zu dem
Glauben nicht mehr sehr weit, dass er ihm auch Glück im allgemeinen zu
bringen vermöge. Nach dem Glauben der Pommern'') kann man dieses
Glückes teilhaftig werden, wenn man einen Maulwurf in seiner Hand
sterben lässt; und Montanus^) berichtet den alten Glauben der Deutschen,
dass demjenigen, welcher eine abgebissene Maulwurfspfote bei sich trägt,
das Glück im Handel nicht fehlen könne. In Zielenzig und Landsberg
1) Friedrich S. Krauss, Volksglaube und religiöser Brauch der Südslaven. Münster
i. W. 1890. 64. — 2) v. Wlislocki C. 176. — 3) Bartsch II, 175. — 4) Ulrich Jahn,
Hexenwesen und Zauberei in Pommern. Stettin 1886. 181. — 5) A. Kuhn u. W. Schwartz:
Is'ord deutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 1848. 464. — 6) Montanus 172.
7) Jahn 181. — 8) Montanus 171.
12*
176 Bartels:
ia der Mark Brandenburg^) sichert die abgebissene Maulwurfspfote dem
Besitzer das Glück im Kartenspiele.
Wie kommt nun aber die Fledermaus dazu, dass sie den Tod ver-
kündend und doch gleichzeitig auch glückbringend ist? Hier erscheint es
mir sehr schwer oder besser gesagt, unmöglich, in den europäischen
Yolksanschauungen den Schlüssel zu finden. Aber es drängt sich uns die
Frage auf, sollte hier vielleicht eine uralte Übertragung aus dem fernen
Osten vorliegen? Bei den Chinesen ist die Fledermaus ein sehr häufig
dargestelltes Tier. Ihr Name Fu ist gleichzeitig das Wort, mit welchem
unser Begriff Glück ausgedrückt wird; und so ist das Bild der Fledermaus
dazu gekommen, das symbolische Zeichen für Glück abzugeben. So ge-
wagt es nun vielleicht auf den ersten Anblick auch erscheinen mag, eine
Übertragung volkstümlicher Anschauungen auf so unermessliche Entfernungen
hin anzunehmen, so würde diese Thatsache doch keineswegs vereinzelt
und ohne Analogien dastehen. Aus der Vorgeschichte und Frühgeschichte
lernen wir täglich von neuem, dass der geistige Austausch zwischen den
verschiedensten Yolksstämmen auf sehr weite Entfernungen hin stattgefunden
hat zu Zeiten, wo man das vor kurzem für eine Unmöglichkeit angesehen
hatte. Und dass namentlich auch in den astronomischen und astrologischen
Anschauungen Europas vieles auf uraltem Import aus China beruht, das
hat der Leidener Gelehrte Schlegel nachgewiesen. Zur Zeit der
Römerherrschaft unterhielten die Chinesen Handelsbeziehungen bis an
die östlichen Grenzen von Europa hin, wie von Friedrich Hirth fest-
gestellt worden ist. Yielleicht ist die Hypothese dalier doch nicht eine zu
gewagte, dass auch die Fledermaus als Glücksspenderin chinesischen
Anschauungen ihren Ursprung verdankt.
Dennys^) berichtet a'ou der Fledermaus:
„Fledermäuse werden in China als ein glückliches Vorzeichen be-
trachtet. Der chinesische Name für dieses Tier ist Fuk-schii im
Cantonesischen Dialekt, das bedeutet Ratte des Glücks. Ihre un-
regelmässigen Flüge in einem Zimmer oder einem Sommerhause hält man
für ein Augurium bevorstehenden Glückes für den Besitzer."
Herrn Prof. Arendt verdanke ich die Mitteilung, dass es im nörd-
lichen China sehr gebräuchlich ist, fünf Fledermäuse, um einen Kreis
gruppiert, darzustellen. Der Kreis bedeutet die sogen. Mondthür, d. h. eine
kreisförmige Thüröffnung, durch welche das Haus versinnbildlicht werden
soll. Das ganze Bild ist eine Allegorie für den häufig angewendeten
Segenswunsch: „Mögen die fünf Arten des Glückes Deine Thüre um-
schweben!" Diese fünf Arten des Glückes sind: „Langes Leben, Reichtum,
Gesundheit, Liebe zur Tugend und ein ruhiges, natürliches Ende."
1) Prahn 188. — 2) N, B. Dennys: The Folk-Loift of Cbiua. London 1870. 31.
Ein Paar merkwürdige Kreaturen. 177
Herr Arendt giebt in seinem Werke „Einführung in die nord-
chinesische Umgangssprache"^) die Abbildung eines Menüs, auf welchem
sich zwei derartige Mondthüren, von den fünf Fledermäusen umflattert,
finden. Auch von chinesischen Theetassen berichtet er mit ähnlichen
Darstellungen.
Chinesische Schuhe tragen bisweilen auf der Spitze ein Stück von
schwarzem Sammet aufgenäht, das die Form eines Fledermausflügels besitzt.
Diese Schuhe heissen Fu-tsze-li „Glücksschuhe"; auf den Fledermaus-
flügel ist dann noch in andersfarbiger Seide das Schriftzeichen für Fu,
(Jlück, aufgestickt.
Das königliche Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt eine Anzahl
chinesischer Fahnen, auf welchen sich in jeder Ecke <las Bild einer
fliegenden Fledermaus befindet.
Auch auf den figürlichen Stickereien
einer alten chinesischen Altar-
decke (s. Abbild.) finden wir die
Fledermaus vertreten. Auch hier-
bei kann es keinem Zweifel unter-
liegen, dass die hier dargestellten
Fledermäuse als Symbole des Glücks
aufgefasst werden müssen; das be-
weist ein anderes symbolisches
Zeichen, das von ihnen umflattert
wird. Dieses Zeichen ist das Haken-
kreuz, das Svastikakreuz mit dem Sanskritnamen, welches ebenfalls als ein
glückverkündendes Zeichen gilt.
Dass unsere Tiere, welche dem Volke als wunderbare erscheinen
mussten, nun auch als Wunder wirkend betrachtet wurden, das werden
wir ganz natürlich finden. Und so hat sich auch die Volksmedizin, welche
alles Merkwürdige und Absonderliche in den Bereich ihrer Machtsphäre
zu ziehen pflegt, des Maulwurfs und der Fledermaus bemächtigt. Von
beiden Tieren wird dem Blute, andererseits aber auch der Asche des ver-
brannten Tieres eine besondere Heilwirkung zugeschrieben.
„Frisch Blut von einer Schärmaus angestrichen", sagt Horstius^),
„macht Haar wachsen an denen Orten, so glatz worden sind."
Konrad von Megenberg®) giebt das Gleiche an:
„Wer sein pluot streicht an die stat, da ainz enploezt ist seins härs,
so wehst im daz liär wider."
1) Karl Arendt, Einführung in die nordcMnesische Umgangssprache. Lehrbücher
des Seminars für orientalische Sprachen in Berlin. Bd. XII. Abt. I. Stuttgart u. Berlin
1894. 559. — 2) Gesnerus redivivus auctus et emendatus oder Allgemeines Tierbuch etc.
Franckfurt am Mayn. 1669. I, 260. — 3) Konrad von Megenberg 160.
178 Bartels: Ein Paar merkwürdige Kreaturen.
In Mecklenburg^) werden auch heute noch die Warzen vertrieben,
dadurch, dass man sie mit dem Blute eines Maulwurfs bestreicht.
Von der Fledermaus sagt Horstius^):
„Wann man ihr den Kopf abschneidet unter den Ohren, und das
Blut also warm herfürrinuend aufstreichet, vertreibet es das Haar eine
Zeitlaug, oder machet, dass es garnicht mehr wachse, wann man es otFt
einreibet."
Die absonderliche Kahlheit der Flügel, wie sie sich bei der Fleder-
maus findet, hat hier also wieder dem Volksglauben genügt, um dem Tiere
eine AVirksamkeit auf die künstliche Enthaarung zuzusprechen.
Horstius^) fährt dann weiter fort: „Für das Grimmen soll das Blut
einer zerrissenen Fledermauß dienen, wann es auff den Bauch gestrichen
wird." Er führt ausserdem noch einige andere Zustände an, für welche
sich das Fledermausblut bewährt, aber hier muss es jedesmal noch einen
Zusatz von allerlei anderen wirksamen Dingen erhalten.
Nach Plinius^) dient das Fledermausblut, mit Carduum gemischt, als
ein Heilmittel gegen den Schlangenbiss.
Die Zigeuner*) giessen es auf schwarze Hühnerfedern und binden es
auf den Nacken der Frau, welche unter bestimmten Lebensumständen ihre
Genickmuskeln sehr stark hatte anstrengen müssen.
Konrad von Megenberg^) berichtet:
„Weune man den scheru prennet ze pulver und sprenget in mit aini
Weizen ains ais auf des siechen antlütz, daz ist guot für den auzsetzel."
Hör st ins®) geht noch etwas w^eiter. Er giebt an:
„Asche von einem gebrandten Schärmaus mit Honig bestriclien, ist gut
für den Aussatz, für Kröpffe und Fistel- oder Röhr- Wunden."
Wenn man in Mecklenburg^) einen lebenden Maulwurf in einem
wohlverdeckten Topfe zu Asche verbrennt und diese dem Krauken innerlich
verabreicht, so vermag man ihn von den Skrofeln zu heilen.
In Pommern^) schüttet man Asche von dem verbrannten Maulwurf in
die Wunden der am Wurme leidenden Pferde, um sie wieder herzustellen. —
Auch die Fledermaus wird zu Asche verbrannt. Nach Mo schien^) genossen
die römischen Damen solche Asche in Wein, um sich reichliche Nalirung
für ihre Säuglinge zu schaffen.
Bei dem schwäbischen Volke") gilt das Schmalz der Fledermaus
als ein schlafbringendes Mittel, wenn man es in die Schläfe einreibt.
1) ßlauck, Aus der Volksheilkunde Mecklenburgs. Bearbeitet von Wilhelmi.
Arch. d. Ver. d. Fr. d. Naturgesch. in Mecklenburg 50. 189G. 225. — 2) Gesnerus II,
125. — 3) Caji Plinii Secundi Historiae naturalis Libri XXXVI. Lipsiae 1830. üb. 29.
c. 26. — 4) V. Wlislocki B. 79. — 5) Konrad v. Megenberg 160. — 6) Gesnerus I,
260. — 7) Blanck 220. — 8) Jahn 181. — 9) H. Ploss, Das Weib in der Natur- und
Völkerkunde. Bearbeitet von Max Bartels. Leipzig 1897. II, 396. — 10) G. Lammert,
Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern. Würzbui'g 18G9. 91.
Bolte: Staufes Sammlung rumänischer Märchen aus der Bukowina. 179
Auch Horstius^) führt noch allerlei arzneiliche Wirkungen der Fleder-
maus an, bei denen entweder das ganze, auf besondere Weise gekochte
Tier, oder sein Grehirn, seine Milch, seine Leber u. s. w. in Anwendung
kommen; auch weiss er von einem Fledermäuß-Oel, „dienlich für das
Gliederwehe", zu berichten, das aus zwölf Fledermäusen bereitet werden
muss, welche mit verschiedenen Ingredienzien gesotten werden. Von dem
Maulwurfe wird ebenfalls noch allerlei gebraucht. Die Wander-Zigeuner^)
kochen das ganze Tier mit Katzenpfoten zusammen zu einem Brei, trocknen
diesen und geben das Pulver mit der Mistel von der Eiche gemischt den
Epileptischen ein. Die Siebenbürger Sachsen^) der Kronstadter
Gegend mischen zu Asche verbrannte Maulwurfshaare mit Honig und ver-
ordnen dieses als unfehlbares Mittel gegen die Halsübel. Die Pommern*)
und die Schw^aben^) kochen das Tier, um die Haare damit zu bestreichen,
wenn sie deren Farbe ändern wollen.
Becherus^), welchen Horstius citiert, besingt die arzneilichen
Tugenden des Maulwurfs folgen dermassen:
„Schär-Maus, so ins gemein man Holt und Maulwürfe nennet,
Ist gut in Fistuln, so man sie zur Aschen brennet.
Das Hertz getrocknet, und gepulvert eingenommen,
Es hilfft und heylet, so man einen Bruch bekommen.
So man mit Maulwurffs-Blut den kahlen Kopff thut schmieren,
Mit frischen Haaren kan es solchen wieder zieren.'-
(Schluss folgt.)
Staufes Sammlung rumänischer Märclien
aus der Bukowina.
Von Johannes Bolte.
(Schluss von S. 88.)')
I. Wer ist mehr zu fürchten, der Wind oder die Kälte oder die Hitze?
(No. 4.)
Einmal stritten ein ])aar Bauersleute, was am ärgsten wäre, der Wind,
die Kälte oder die Hitze. Darauf ging ein Mann weit über das Land und
beo-eo-nete drei Männern; der eine war der Wind, der andere die Kälte,
1) Gesnerus II, 125. — 2) Heinrich von Wlislocki D. Vom wandernden
Zigeunervolke. Hamburg 1890. 102. - 3) v. Wlislocki C. 95. - 4) Jahn 181. -
5) Lammert 189. — 6) Gesnerus I, 260.
7) Zu der oben S. 84, 1 angeführten Litteratur über Ludwig Adolf Staufe-Simiginowicz
kommt noch ein Nekrolog F. Brummers im Biographischen Jahrbuch 2, 101 f. (Berlin
1898). — Die ursprünglich zum Abdrucke bestimmte No. 25 der Märchensammlung fällt
wegen Raummangels hier fort.
180 Bolte: Staufes Sammlung rumänischer Märchen aus der Bukowina.
und der dritte war die Hitze. Da grüsste der Mann und sagte: „Guten
Tag einem von euch dreien." Drauf gingen die drei einige Schritte
weiter; aber auf einmal hielt die Kälte an und fragte: „Was hat der Mann
gesagt?" Die Hitze antwortete: „Er hat gesagt: Guten Tag einem von
euch dreien." Da sagte die Kälte: „So hat er darunter mich gemeint. '^
— „Nein", sagte die Hitze, „darunter hat er mich gemeint." Sprach darauf
der Wind: „Er hat weder dir noch dir guten Tag gesagt, sondern mir
allein." So stritten die drei eine geraume Weile, bis die Hitze den Mann
zurückrief und ihn fragte: „Mensch, Mensch, wem hast du gesagt Guten
Tag?" Sprach der Mann: „Dem Wind". — „Warum?" fragte alsdann die
Kälte. „Weil ich den am meisten fürchte, euch aber gar wenig." —
„Warte, warte, ich will dir schon heiss im Sommer machen", sagte die
Hitze. „Warte, warte, ich will dich schon im Winter frieren lassen", sagte
die Kälte. Aber der Wind streichelte freundlich den Mann und sprach:
„Fürchte nichts; ich bin dein Freund."
Bald darauf war es Winter, und die Kälte drückte so stark, dass die
Bäume entzwei sprangen. Aber der Wind blies nicht dazu, und dem Mann
war gerade nicht warm, aber auch nicht kalt. Drauf kam der Sommer,
und die Hitze brannte entsetzlich heiss. Aber dem Mann war sie gar
leicht zu ertragen; denn da kam der Wind und kühlte nicht weit von ihm
die Luft ab.
Hatte der Mann nicht recht, nur den Wind zu fürchten?
II. Das Ferkel im Walde.
(No. 45.)
Ein Bauer hatte ein Ferkel und band ihm um den Hals ein Glöcklein.
Das Ferkel hat sich einmal aufgemacht und lief in den Wald. Dort kam
es an einem Baum vorbei, und das Glöcklein blieb daran hängen. Das
Ferkel sagte zum Baume: „Baum, gieb mir mein Glöcklein!'"' Der Baum
wollte aber das Glöcklein nicht geben. Das Ferkel sagte darauf: „Feuer,
verbrenne den Baum!" Das Feuer wollte aber den Baum nicht verbrennen.
Da sagte das Ferkel: „Regen, lösch das Feuer aus!" Aber der Regen
sagte: „Ich will nicht." Sprach darauf das Ferkel: „Ochse, trink das ganze
Wasser weg!" Aber der Ochs wollte nicht trinken. Das Ferkel sagte
weiter: „Wolf, friss den Ochsen auf!" Aber der Wolf wollte davon nichts
wissen. Sprach dann das Ferkel: „Gewehr, schiess den W^olf tot!" Das
Gewehr wollte aber nicht schiessen. Dann sagte das Ferkel: „Maus, zer-
nage das Gewehr!" Aber auch die Maus gehorchte nicht. Endlich befalil
das Ferkel: „Katze, friss du die Maus!" Und die Katze gehorchte und
sprang auf die Maus zu, um sie zu fressen. Aber die Maus schrie: „An-
statt dass ich soll gefressen werden, will ich lieber das Gewehr zernagen."
Das Gewehr sagte: „Anstatt zernaat zu werden, will ich den Wolf schiessen."
Lelimann-Filhcs: Über „höfdaletur". 181
Sprach der Wolf: „Ich will nicht geschossen werden; lieber fress ich den
Ochsen auf." Der Ochs meinte: „Anstatt dass mich der Wolf frisst, will
ich das W^asser aussaufen." Das Wasser lärmte: „Anstatt dass mich der
Ochs sauft, will ich das Feuer löschen." Aber das Feuer sagte: „Ich will
nicht gelöscht werden und verbrenne lieber den Baum." Und der Baum
schrie darauf: „Anstatt dass ich vom Feuer soll verbrannt werden, will ich
lieber das Glöcklein geben," Und der Baum gab das Glöcklein, und das
Ferkel ging weiter.
Über „höfdaletur".
Von Brynjülfur Jönsson.
Aus dem Isländischen übersetzt von Margarete Lehmann-Filhes.
[Die Jahrbücher der isländischen Altertümer - Gesellschaft (islenzka
fornleifafelag) bringen zuweilen Abbildungen alter Holzschnitzereien, die
sich in der Alt^rtümersammlung (forngripasafn) in Reykjavik befinden.
Auch das Dänische Volksmuseum (Dansk Folkemuseum) in Kopenhagen,
sowie das Nordische Museum (Nordiska Museet) in Stockholm bergen eine
beträchtliche Anzahl geschnitzter isländischer Gebrauchsgegenstände: Be-
hälter für Speisen und Butter, Kästchen für Löffel und Stricknadeln,
Schatullen, Mangelhölzer und Bettstellenbretter, die auf die vordere Wand
der Bettstelle aufgesetzt worden, um sie zu erhöhen. Fast alle diese
Stücke, die zum Teil auch neueren Datums sind, tragen eingeschnittene
Inschriften, z.B.: „Gudridur Björnsdottir besitzt dies Holz mit Recht, aber
niemand anders" — „Helga Narvadottir besitzt dieses Holz mit Recht und
ist wohl" (d. h. auf gute Art) „zu demselben gekommen" — „Olafur
Jönsson besitzt diesen Kasten" — „Ich weiss, dass mein Erlöser lebt" —
„Ehre sei Gott in der Höhe'' — u. s. w. u. s. w. Von einigen Inschriften
heisst es aber im Kataloge des Dänischen Volksmuseums, sie seien in
„unleserlicher Geheimschrift'' abgefasst, von den Isländern „höfdaletur"^)
genannt. Aus dem, was der verdiente Altertumsforscher Brynjülfur Jönsson
(zu Minni-Nüpur, Arnessysla, Island) über das „höfdaletur" schreibt und
aus den von ihm angefertigten Abbildungen ersieht man jedoch, dass es
sich hierbei, streng genommen, uicht um eine Geheimschrift handelt, sondern
um alte deutsche Buchstaben, die sich unter den Händen vieler Generationen
von Knochen-, Hörn- und Holzschnitzern in einer ganz eigenartigen Weise
ausbildeten, bis sie nicht nur dem Aussehen nach, sondern auch im Be-
1) höfda = gen. plur. von höfud, Haupt, Kopf: letur = Schrift, Buchstabe.
182 Lehmann-Filhes:
wusstseiii der sie darstellenden Künstler vollständig den Charakter eines
für sich bestehenden Alphabetes und in den Augen des Laien den einer
unleserlichen Geheimschrift annahmen.
Ich lasse nun die Ausführungen des isländischen Altertumsforschers in
deutscher Übersetzung folgen.]
Ich war noch ein Kind, als ich zuerst „höfSaletur" sah. ]Meine Gross-
mutter hatte einen geschnitzten Stricknadelkasten, den mein Grossvater
für seine erste Frau, Jarngerdur Jousdöttir, angefertigt und auf dessen
Deckel er ihren Xamen geschnitzt hatte. Auch meine Mutter besass einen
Stricknadelkasten, auf dessen Deckel ihr Name geschnitzt war. Sie lehrte
mich diese Schrift lesen und sagte mir, dass sie „höfdaletur" genannt
werde. Weshalb sie so genannt wurde, wusste sie nicht bestimmt, doch
glaubte sie oder hatte sogar gehört, es geschehe aus dem Grunde, weil
die „leggir" (plur. von „leggur" = Bein, Stengel *) der Buchstaben an den
Enden Köpfe haben. Frühzeitig sah ich „höfd:aletur" auch auf Löffelstielen,
doch besonders an älteren Löffeln. Die neueren Löffel, die damals in
meinem Bezirk und in der Nachbarschaft in Gebrauch waren, trugen meist
eine besondere Schrift, die „sponaletur"^) hiess und von „höfd:aletur" ganz
verschieden war. Am meisten abweichend waren die Buchstaben: a, m, n
und u, auch entsinne ich mich ihrer am besten. In den Worten aber, die
ich auf Löffeln eingegraben sah, kamen lange nicht alle Buchstaben des
Alphabets vor; ich kann daher nicht viel über sie sagen und weiss nicht
einmal, ob von dieser Schrift ein vollständiges Alphabet vorhanden gewesen
ist. Besonders wendeten berühmte Löffelschmiede ^) es an, die in meinen
jüngeren Jahren in der Kangärvallasysla lebten, und der bedeutendste von
ihnen war der geniale Bauer Jon porsteinsson zu Yindäss in der Landsveit.
In ihren späteren Jahren begannen sie jedoch diese Schrift zu vernach-
lässigen und gruben auf den Löffenstielen entweder die Jahreszahl oder
die Eigentumsmarke des Besitzers mit grossen lateinischen Buchstaben ein.
Nach ihrer Zeit weiss ich von niemandem, der diese Schrift eingeschnitten
hätte, und es ist nun ziemlich lange her, seit ich sie gesehen habe. Da
begann in meiner Gegend wieder „höfSaletur" auf Löffelstielen ^[ode zu
werden; der Bauer Asmundur Benidiktsson, der aus der pingeyjarsysla
LS70 nach Hagi im Gnüpverjahreppur zog, verfertigt noch jetzt Löffel mit
dieser Schrift. Das Löffelschnitzen ist aber jetzt überhaupt im Nieder-
gange begriffen, denn Esslöffel sind im Handel so billig zu bekommen,
dass man (hörnerne und knöcherne) Löffel für einen so niedrigen Preis
nicht herstellen kann.
1) Mit den Beinen oder Stengeln sind die Grundstriche gemeint.
2) „spunn", pl. „spcjenir" = Löffel aus Hörn oder Knochen: andere Lölfel heissen
„skeid", pl. „skeidar"; auch „matskeid'' = Speiselöffel.
3) „sponasmidir": jeder Handwerker heisst in Island ein Schmied, z B. „skosmidur",
Scliuhmacher.
über „höfdaletur-'. 183
Als ich anfing ausziirudern^), lernte ich verschiedene Leute kennen,
die geschickt im Holzschnitzen waren, und darunter einige, die „höfdaletur"
schnitzten. Da begann ich es aucli selbst zu schnitzen. Bald aber ver-
blüffte es mich, dass die meisten Buchstaben des sogenannten „höfdaletur"
mehr als eine Form hatten; nur m, n und u blieben sich immer ziemlich
gleich, die übrigen hatten mehr oder weniger verschiedene Formen. Be-
sonders erregten die Buchstaben a und e meine Aufmerksamkeit wegen
der Mannigfaltigkeit ihrer Formen. Aus diesem Grunde begann ich dem
„höfclaletur" mehr Beachtung zu schenken und seine verschiedenen Formen,
die ich hier und da antraf, miteinander zu vergleichen. Es wurde mir
klar, dass das „höfdaletur" trotz aller Yerschiedenartigkeit doch stets sein
Hauptmerkmal beibehielt: die „Beine" (siehe oben) der Buchstaben hatten
Kopfe an den Enden, die durch eine eingeschnittene Furche von ihnen
abgegrenzt waren; diese Furche lief immer in schräger Richtung und war
zuweilen doppelt, häufiger aber einfach. Überhaupt blieben die Buchstaben-
fornien, wenn man sie recht beobachtete, stets mehr oder weniger sich
selber gleich. Es schien mir daraus hervorzugehen, dass der Unterschied
zum grössten Teile oder ganz davon herrührte, dass die Arbeiter das ur-
sprüngliche Alphabet des „höfdaletur" nicht genau genug kannten. Welches
aber war dieses Alphabet? Wie sah es aus? So fragte ich mich selbst,
doch wurde es mir schwer, die Antwort zu finden. Ich hatte hierüber eine
Unterredung mit dem verstorbenen Maler SigurSur Gudnmndsson^ . Er
sagte, die ersten Buchstabenformen, die man hier zu Lande (in Island) in
Holz schnitzte, seien ohne Zweifel nach dem gotischen „settletur", der
Mönchsschrift "), gemacht worden und wahrscheinlich seien die Buchstaben
1) Auf die See hiuaus ziun Fischfang.
2j Über ihn teilt Dr. Valtyr Gudmundssnn mir brieÜich mit: Sigurdur Gudinimdsson
wurde am 13. März 1833 zu Helluland im Skagafjördur als Sohn blutarmer Bauersleute
geboren. Als er Vieh hüten musste, begann er Figuren zu schnitzen und zu feilen, und
als er bei der Heuarbeit war, hatte er schon angefangen zu zeichnen. Um die Zeit semer
Konfirmation hatte er bereits Federzeichnungen nach Bildern in einer Zeitschrilt angefertigt,
die für einen so jungen Burschen merkwürdig gut waren. Mit der Spitze einer Feile ver-
fertigte er aus Basalt ein Basrelief von Gisli Konradsson, dem Vater des Professors Konriid
Gislason, welches in der Altertümersammlung in Reykjavik zu sehen ist. Ferner begab er
sich nach Holar im Hjaltadalur und machte dort Federzeichnungen nach einigen Bildern
in der Kirche. Alles dies erregte Aufmerksamkeit, und mit Hilfe von guten Menschen
segelte er, IG Jahre alt, nach Kopenhagen und besuchte dort einige Jahre die Kunst-
akademie. Er wollte Historienmaler werden und begann deshalb isländische Archäologie
und Kulturgeschichte zu studieren: hierdurch verfiel er jedoch gänzlich auf die Archäologie.
P]r Hess sich I8.08 in Reykjavik nieder, lebte dort in Armut und starb am 8. September
1874, 41 Jahre alt. — In Reykjavik war er sehr bemüht, Theateraufführungen zu stände
zu bringen und malte selbst die Kulissen dazu. Ausserdem untersuchte und san)melte er
Altertümer; er ist der eigentliche Begründer der Altertümersammlung in Reykjavik und
der beste Archäologe, den Island besessen hat; ein sehr begabter Mann, wenn auch etwas
excentrisch, von vielen gehasst, aber auch von vielen geliebt und von allen besseren
Menschen sehr betrauert. M. L.-F.
3) „settletur", gesetzte Schrift, von setja = setzen? Wahrscheinlich ist stehende,
also Fraktur-Schrift gemeint. — Auch im Text zu den ,,Afbildningar af föremäl i nordiska
184 Lehiuann-Filhesi
anfänglich im Holz vertieft geschnitzt worden. Dann aber seien die Leute
darauf verfallen, sie erhaben wie Bildschnitzerei herzustellen, und er hielt
es für wahrscheinlich, dass sie da zuerst die Gestalt gehabt hätten, die
man „Bandschrift" („bandletur") nennen könne, denn so geformte Buch-
staben Hessen sich leicht in der Weise entwerfen, dass man Einfassungs-
band oder schmale Borte auf bestimmte Art so umbreche, dass Buchstaben-
formen, nicht unähnlich dem „settletur", zu stände kämen. Diese Schrift
hatte er auf alter Schnitzerei gesehen. Er zeigte mir an einigen Buch-
staben das Verfahren, mit Band solche Zeichen auf die erwähnte Weise
zu bilden. Aus diesem „bandletur" glaubte er, dass das „höfdaletur" sich
nach und nach ausgebildet habe. Auch befinden sich in der Altertümer-
sammlung (in Keykjavik) einige Gegenstände, welche von einer solchen
Umgestaltung oder Überführung Zeugnis ablegen. Er wies mich darauf
hin, dass, um die richtigen Buchstabenformen des „höfdaletur" festzustellen,
man sowohl dessen ursprüngliches Alphabet herausfinden müsse, das wahr-
scheinlich zunächst auf das „bandletur" gefolgt sei, und ebenso dasjenige
Alphabet, zu welchem es sich allmählich ausgewachsen habe und das man
das vollausgebildete nennen könne. Habe man diese beiden Alphabete
bestimmt, was wohl gelingen möchte, wenn die Sammlung reicher an ge-
schnitzten Gegenständen werde, so würden, wie er annahm, alle die nicht
unterzubringenden und oft unschönen Nebenformen, die unter das „höfda-
letur" geraten seien, abgeschafft werden. Dass der Name „höfdaletur"
zwischen uns besprochen worden wäre, erinnere ich mich nicht. Er hatte
die Absicht, das „höfdaletur" zu studieren und dessen Alphabet ausfindig
zu machen, auch wäre wohl kaum ein anderer so befähigt dazu gewesen,
wie er. Doch hatte er nur noch ein oder zwei Lebensjahre vor sich, als
wir jenes Gespräch führten.
Nach seinem Tode, als ich von ihm keine Aufschlüsse mehr zu er-
warten hatte, begann ich von neuem meine Bemühungen, ein Alphabet des
„höfdaletur" herauszufinden, indem ich diejenigen Formen, die mir ein-
ander zu entsprechen schienen, auswählte und zusammenstellte. Das war
jedoch nicht leicht, denn die Nebenformen, die Veränderungen sind so
mannigfaltig und im „höfdaletur" so häufig, dass ich zeitweise an der
Möglichkeit verzweifelte, der Sache auf den Grund zu kommen. Doch kam
ich endlich zu der Überzeugung, dass man zwei beinah vollständige Alpha-
bete finden könne: ein kleineres und einfacheres, das häufiger war auf
Löffelstielen, und ein grösseres, künstlicheres, das sich besonders auf Holz-
schnitzereien findet. Doch getraue ich mich nicht, irgend einen geschnitzten
Gegenstand zu nennen, der ausschliesslich einem dieser beiden Alphabete
museet", herausgegeben von Arthur Hazelius, heisst es betreffs der Inschriften au isländischen
Holzgeräten: „Hierzu wird meist ein eigentümliches Alphabet angewendet, isländisch
„höfdaletur", welches eine besondere Abart der sogenannten Mönchsschrift ausmacht."
über „höfdalctur". 185
folgte; meist finden sich die ihnen angehörenden Buchstabenformen ver-
einzelt unter (ihnen nicht entsprechenden) Nebenformen. Besonders ist
dies jedoch mit dem grösseren Alphabet der Fall. Auch sind viele Buch-
stabenformen in ihnen beiden höchst selten und die eine, nämlich k, habe
ich noch auf keiner Schnitzerei gefunden. Das ist nicht so zu verstehen,
als käme der Buchstabe k im höfdaletur niemals vor; er kommt häufig
vor, aber in verschiedenen Gestalten, die ich in die Alphabete nicht auf-
nehmen konnte, weil ich keine derselben den übrigen Formen in den
Alphabeten entsprechend fand. Und wenn ich sagte, dass einige Buch-
stabenformen selten seien, so meinte ich damit nicht die Buchstaben selbst,
sondern nur diejenigen ihrer Formen, die nach meiner Meinung in die
Alphabete aufzunehmen sind. Ich habe hier alle die Formen, die ich
nicht in eines der Alphabete bringen konnte, zusammengefasst und mit
einem Namen „Nebenformen" (aukarayndir) genannt. An ihnen ist das
„höfdaletur" ziemlich reich, und das ist ganz natürlich: viele schnitzten
„höfdaletur", aber die meisten thaten es ohne Anleitung und ganz auf
eigene Hand oder hatten im besten Fall verschieden gute Vorbilder oder
Unterricht von solchen, die selbst nicht ganz kundig waren. Es ist also
ganz natürlich, dass jeder Buchstabenschnitzer seine eigene Schnitzhand
hatte, wie ja auch jeder Schreiber seine eigene Hand schreibt, wenn es
sich mit diesem auch etwas anders verhält. Aber ebenso, wie einige
wenige Vorschriften für viele Handschriften typisch sind, so möchte ich
auch die beiden oben erwähnten Alphabete als typisch für das „höfdaletur"
ansehen. Eine Zeitlang glaubte ich, einiger vorkommenden Formen wegen,
noch ein drittes Alphabet aufstellen zu müssen, nämlich das vom Latein
herstammende; ich habe aber davon Abstand genommen, weil es doch
verhältnismässig wenige Buchstaben des Alphabets sind, die in diesen
Formen vorkommen, diese wenigen aber so häufig und so verschieden
gestaltet sind, dass ich sie vorläufig unter die Nebenformen aufgenommen
habe. Auch glaube ich, dass die lateinischen Buchstabenformen nicht
ursprünglich dem „höfdaletur" angehört haben, sondern erst später hinein
geraten sind.
Dem Winke des Malers Sigurdur zufolge hat mir stets der Gedanke
vorgeschwebt, dass von den beiden Alphabeten, die ich für das „höfda-
letur" typisch nennen möchte, das kleinere als das ursprüngliche, das
grössere als das vollausgebildete angesehen werden könne. Ich wage es
jedoch nicht bestimmt zu behaupten, da die Buchstabenformen beider sich
unter Nebenformen zerstreut vorfinden, sowohl auf älteren als auf jüngeren
Gegenständen. Allerdings kann ich nicht annehmen, dass irgend etwas
von dem jetzt vorhandenen „höfdaletur" sehr alt sei, denn es ist natürlich,
dass das älteste verschwunden ist, auch kann man von den lateinartigen
Buchstaben annehmen, dass sie eher einen jüngeren als einen älteren Ur-
sprung der Gegenstände bezeugen, auf denen sie sich finden. Jahreszahlen
186
Lehmann-Filhes:
„Höfctaletur."
n) Das grössere Alphabet.
b <• d .■ f
1
m n
1
^
^
^
^y
b) Das kleinere Alphabet.
a b c (1 e f ü' li i
HS sEiaaEiiaH
k 1 m n 0 p r s t
über „höfdaletur".
c) Proben von Bandsclirift.
IC d c f
\b'i
afatnu&n
(1) Proben von Nebenformen des „liöfSaletur
mm UM
vmvm
lEKEl
V h ".
^iral^
e) Proben von Löffelschrif't.
a 111 n o r u V t
HCKreBKcsa'?
18g Lehmanii-Filhes: Über „höfdalfttur".
sind sehr selten auf Stücken mit „höfctaletur" und die wenigen, auf denen
ich solche gesehen habe, sind besonders aus diesem Jahrhundert, einige
aber auch aus dem späteren Teile des 17. Jahrhunderts. Ich zweifle nicht
daran, dass verschiedene der Jahreszahl entbehrende Sachen älter sind.
Es ist nicht leicht, das Alter der Stücke danach zu bestimmen, wie gut
sie gearbeitet sind, denn an denen, welche Jahreszahlen tragen, kann man
sehen, dass die neuere Arbeit nicht immer die bessere ist; gleichalte
Stücke, jedes von einem anderen Arbeiter, sind immer ungleich, das sah
ich an jenen meiner Zeitgenossen, die „höfdaletur" schnitzten, während
ich ausruderte. Jetzt haben leider die meisten damit aufgehört, weil
sie keine Zeit mehr dazu haben.
Dafür, dass das grössere Alphabet jünger ist, spricht auch der Umstand,
dass es künstlicher ist, indem es z. B. die Köpfe („höfud") von den
„Beinen" („leggir") mit einem doppelten Einschnitte abteilt. Diese Eigen-
tümlichkeit könnte allerdings jünger sein als das Alphabet im übrigen.
Und wenn es sich so verhält, dass — wie der Rektor Dr. Jon porkelsson
meint — der Name „höfdaletur" dasselbe bedeutet wie Hauptbuchstaben ^)
= Anfangsbuchstaben = Prunkbuchstaben, so könnte man daraus den Schluss
ziehen, dass das grössere Alphabet das ursprünglichere sei. Mau kann
aber auch sagen, dass das kleinere Alphabet durchaus nicht kunstlos sei,
und sein Aussehen weist gerade darauf hin, dass es dem grösseren zu
Grunde liegt. Es könnte daher, selbst wenn Dr. Jon porkelssons Ansicht
hinsichtlich des Namens richtig wäre, was ich nicht entscheiden will,
dennoch das ursprüngliche sein. Noch eine dritte Vermutung habe ich in
dieser Beziehung gehört: „Höfdi"^) habe vielleicht das Gehöft geheissen,
wo diese Schrift erfunden worden sei oder von wo sie sich ausgebreitet
habe, doch ist mir keine Überlieferung zu Ohren gekommen, die dies
bestätigt. Es sind überhaupt keinerlei Aufschlüsse über das „höfdaletur"
zu erlangen gewesen und in der Landesbibliothek ^) haben selbst die Leute,
die daselbst am besten orientiert sind, nichts darauf Bezügliches finden können.
1) Mit „Hauptbuchstaben", isl. ,.höfudstafir", sind jedenfalls Kapital - Buchstaben
gemeint und diese Auslegung hat viel für sich. „Höfdaletur" heisst aber „Häupter-
schrift", also — da die isländische Sprache bei der Hervorbringung zusammengesetzter
Wörter ungemein feine Unterschiede zwischen Einzahl und Mehrzahl macht — eine
Schrift, die zu ihren Bestandteilen Häupter zählt, eine Schrift mit Häuptern. Die
von Brynjülfur Jonsson eingangs geäusserte, von seiner Mutter ihm überlieferte Auslegung
scheint daher die natürlichste zu sein; es braucht dabei nicht jeder einzelne Buchstabe,
sondern nur die Schrift im allgemeinen, also die Mehrzahl der Buchstaben, mit Köpfen
geschmückt gewesen zu sein, möglicherweise mit den in der Ornamentik des skandinavischen
Nordens so beliebten Tierhäuptern. Einige der Abbildungen isländischer Holzschnitzereien
im Nordischen Museum in Stockholm weisen Buchstaben auf, die mich in dieser Ver-
mutung bestärken, doch bleibt mir ungewiss, ob man sich unter diesen kleinen Aus-
schmückungen Pferde-, Vogel- oder Drachenhäupter zu denken habe. M. L.-F,
2) „Höfdi" — „Vorberg" — kommt als Gehöftname mehrfach in Island vor.
3) Die Landesbibliothek („landsbokasafnid") befindet sich in Reykjavik.
Prato: Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. 189
Beide Alphabete — das grössere und das kleinere — habe ich auf-
gezeichnet und lege sie hier bei (s. S. 186). Erwähnen muss ich dabei,
dass ich die Form, in welcher der Buchstabe k hier erscheint, selber den
übrigen Buchstaben entsprechend erdacht habe. Dagegen findet sich weder
j noch z, weil das „höMaletur" dafür dieselben Zeichen hat wie für i und s. —
Ausserdem folgen hier (S. 187) einige Proben von „Bandschrift" („bandletur"),
ferner von Nebenformen und endlich von „Löffelschrift" („spönaletur");
diese mit dem „höfdaletur" zu vermischen, halte ich nicht für richtig, da
ich aber weiss, dass es vorgekommen ist, wollte ich sie mit hier aufnehmen.
Vergieichentle Mitteilungen zu Haus Sachs
Fastnachtspiel Der Teufel mit dem alten Weib.
Von Dr. Stanislaus Prato in Arpino.
A. Vier Geschichten aus Italien.
I.
Mir am 7. April 1896 von dem K. Universitäts-Bibliothekar Franc. Prudenzano in Neapel
erzählt, der sie in seiner Jugend (1839) in der Hauptkirche von Manduria, Provinz Lecce,
in der Missionspredigt des Ligurianer P. Nie. Tortala gehört hatte (unediert).
Der Teufel ist allezeit darauf bedacht, in den Häusern der Menschen
auf jede nur mögliche Art Zwietracht zu stiften. Als er nun einst in einer
Stadt ein Paar Eheleute sieht, die einander Zcärtlich lieben, wendet er
zuerst, wohl dreissig Jahre lang, alle erdenklichen Mittel an, sie zu ent-
zweien, aber vergebens. Schon ist er im Begriff, seinen thörichten Plan
aufzugeben, da trifft er eine alte Waschfrau. Er giebt sich ihr zu erkennen
und verspricht ihr für den Fall, dass sie es vermöge, die beiden Gatten zu
veruneinigen, ein Paar neue Schuhe. Sie übernimmt es, seinen Wunsch
zu erfüllen. Zunächst geht sie zu der Frau, erregt in ihr den Argwohn,
dass ihr Mann sie mit einer anderen betrüge, und sagt ihr, wenn sie
wünsche, dass ihr Mann sie wieder lieb habe wie zuvor, müsse sie ihm im
Schlafe mit dem Schermesser drei Barthaare am Halse abschneiden. Dem
Manne wiederum redet sie ein, sein Weib sei ihm untreu und trachte ihm
nach dem Leben. Um ihm zu beweisen, dass sie die Wahrheit sage, giebt
sie ihm cten Rat, sich in der folgenden Nacht schlafend zu stellen; er
werde dann sehen, wie seine Frau mit dem Messer in der Hand zu ihm
ans Bett komme, um ihn zu töten. Das trifft ein; indessen gelingt es der
Gattin sich zu rechtfertigen, und, sobald sich der wahre Sachverhalt her-
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1S39.
lOO Prato:
ausgestellt hat, söhnen sich die Eheleute wieder aus. Als schliesslich der
Teufel zu der alten Waschfrau geht, um ihr den Lohn für ihr schurkisches
Werk zu bringen, gerät er bei dem Gedanken, dass sie in zwei Tagen
fertig gebracht hat, was er selbst nicht einmal in dreissig Jahren erreichen
konnte, in Angst, dass sie auch ihm noch ein Leid zufügen werde. Er
befestigt daher die neuen Schuhe an einen Spiess, dreht sich um und
reicht sie so von hinten über einen Fluss hinweg der alten Waschfrau zu.
IL
n Spoleto den 16. März 1880 von dem nun verstorbeneu (jöjährigeu Fräulein Maria Getti
aus Viterbo gehört.
Es war einmal ein Schreiner; der hatte seine Frau sehr lieb und
wurde von ihr ebenso geliebt, obgleich sie schon ziemlich lange miteinander
verheiratet waren. Niemals hatten sie Streit unter sich gehabt, lebten
vielmehr stets in Frieden und Eintracht beisammen. Da nun dem Teufel
der Friede in dieser Welt aufs äusserste verhasst ist, so sann er, als er
merkte, wie gut die beiden Ehegenossen sich vertrugen, darüber nach,
wie er wohl am besten Zwietracht zwischen ihnen stiften könne. Da kam
ihm eines Tages eine ihm bekannte alte Frau in den Sinn, die ihm sehr
willfährig war, und er beschloss, sich ihrer bei dieser Gelegenheit zu be-
dienen. War es ihm doch selbst die ganze Zeit hindurch in keiner Weise
möglich gewesen, Zank zwischen den beiden Gatten hervorzurufen. Er
ging also zu der Alten und sagte ihr: „Wenn du im stände bist. Streit
zwischen den beiden Eheleuten zu erregen, so sollst du zum Lohne ein
Paar neue Schuhe von mir bekommen." Die alte Frau antwortete ihm,
sie hoffe, darin Erfolg zu haben, und machte sich alsbald ans Werk. Sie
dachte nach, welche List sie am besten anwenden solle. Zuerst ging sie
zu dem Ehemann und horchte ihn über seine Frau aus; dann sprach sie:
„Euer Weib ist ohne Zweifel sehr gut, indes hat sie auch ihre Fehler; sie
liebt einen anderen Mann, wenn ihr es auch nie wahrgenommen habt",
und sie fügte noch viel anderes hinzu und behauptete, die Schelmin thäte
nur, als liebe sie ihn: in Wirklichkeit liebe sie ihn ganz und gar nicht;
er würde bald finden, dass sie sich ihm immer mehr entfremde, dass sie
immer kühler und gleichgültiger zu ihm werde. Darauf verpflichtete sie
sich, ihm einen Beweis zu liefern, dass sie die Wahrheit sage. Schliesslich
bemerkte sie: „Ich bin eine alte Frau; deshalb könnt ihr mir alles Ver-
trauen schenken. Auch bin ich von Natur unfähig zu lügen, wie ihr selbst
hernach einsehen werdet, und überdies kenne ich eure Frau schon sehr
lange", und dabei zeigte sie sich ihm gegenüber in trügerischer Weise
fortwährend zärtlich und schmeichlerisch. Der arme Mann war wie be-
täubt, als er das alles von seiner Frau hörte, die er doch so herzlich liel)t('.
Hierauf verliess die Alte den Mann und begab sich zu seiner Frau. Auch
diese befragte sie über ihren Mann, worauf sie zu ihr sagte: „Ihr liel»t
Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. lill
euren Mann sehr, er aber liebt euch nur zum Schein. In Wahrheit ist er
nämlich ein Betrüger, denn er liebt eine andere, wenn ihr es auch nicht
wisst, und ihr werdet ihn bald immer ungehaltener gegen euch und auch
nachdenklicher finden; ich kenne ihn schon lange ganz genau und weiss,
dass er ein berüchtigter Weiberknecht ist. Ihr könnt volles Vertrauen zu
mir haben und meine Ratschläge annehmen; denn ich bin ganz unfähig
euch zu hintergehen. Jetzt gehe ich fort, und in kurzem werdet ihr mir
berichten können, ob ich euch die Wahrheit gesagt habe oder nicht."
Sprach's und entfernte sich. Gegen Abend sah die Ehefrau ihren Mann
wirklich ungehalten nach Hause zurückkehren, woraus sie schloss, dass
alles, was die Alte ihr hinterbracht hatte, auf Wahrheit beruhe, und gerade
ebenso dachte ihr Mann. Infolgedessen sprachen sie kaum noch zusammen
und sahen sich mit scheelem Auge an. Ton nun an waren sie beide alle
Abend schlechter Laune. Selten wechselten sie miteinander ein paar
Worte und dann gewöhnlich geringschätzige, und jeder von ihnen dachte
seinerseits, dass die Alte mit dem, was sie gesagt, völlig Recht gehabt
hätte. Einige Tage verharrten sie in solcher Zwietracht; der Teufel al)er,
dem es endlich gelungen war, sein höllisches Bein zwischen sie zu stellen,
jauchzte deshalb vor Freude. Als sich nach einiger Zeit die Vettel zu
der Frau begab und sie über das Verhalten ihres Mannes befragte, erfuhr
sie, dass jene alles, was sie ihr gesagt, bestätigt gefunden hätte. Dann
versetzte die Alte: „Wenn ihr wollt, dass euer Mann euch wieder lieb
hal)e wie früher und keine andere Frau mehr lieben soll, dann müsst ihr
ihm die Haare an dem Muttermal, das er auf der Backe nahe am Halse
hat, mit diesem Federmesser (und sie gab ihr ein solches) abschneiden;
ihr werdet bald sehen, ilass er euch wieder gut sein wird wie zuvor, und
alle Feindschaft wird ein Ende haben." Darauf verabschiedete sich die
Alte von ihr und ging zu dem Manne. Sie fragte ihn, wie sich seine Frau
ihm gegenüber benommen hätte, worauf er erwiderte, alle ihre Worte
hätten sich bewährt. Da sprach die Alte: „Passt diese Nacht gut auf;
eure Frau w'ird nämlich versuchen euch mit einem Federmesser zu töten,
sol)ald es ihr scheint, dass ihr eingeschlafen seid. Thut also, als ob ihr
schliefet, aber schlafet nicht! Ich habe euch jedenfalls gewarnt, damit ihr
wisst, was ihr zu thun habt " Am Abend ging der Mann nach Hause und
legte sich zeitig hin, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Sogleich
stellte er sich schlafend. Als nun die Frau glaubte, dass er wirklich ein-
geschlafen sei, kam sie mit dem Messer in der Hand an sein Bett, um
ihm, wie ihr geraten worden war, die Haare vom Muttermal abzuschneiden.
Kaum sah *der Mann seine Frau mit dem Messer herankommen, so stand
er in dem Glauben, dass sie ihn töten wolle, auf, schlug sie halb tot und
sagte ihr, mit der Liebe zwischen ihnen sei es nun für alle Zeiten aus,
denn er w^erde nie vergessen können, dass sie versucht hätte, ihm die
Kehle abzuschneiden. Die Folge davon war, dass sie sich ihr ganzes
13*
192 l'ra^o:
Lebeu lang unversöhnlich hassten. Eines Morgens Hess nun der Teufel
die alte Frau, vor deren Ränken er jetzt grosse Furcht hatte, kommen,
hielt sich aber in einer gewissen Entfernung von ihr und reichte ihr die
ihr als Lohn für ihre Cbelthat versprochenen neuen Schuhe, die an einer
langen Gabel befestigt waren, hin, mit den Worten: „Du bist tüchtiger
gewesen als ich; denn du hast es in einem Augenblick fertig bekommen,
Zwietracht zwischen jenen beiden Gatten zu stiften, während ich mich.
Jahre lang vergebens damit abgemüht hatte." So bewährt sich das ital.
Sprichwort: La donna sa -pei-jino dovö il diavolo tiene la coda oder La donna
ha un punto piü del diavolo stesso.
m.
Von dem Lycealschüler Ant. Nicoletta in Tuovo bei Roccamonfina, Bez. Sessa Auiunca,
am 18. April 1895 aufgezeichnet und mir mitgeteilt (nuediert).
Der Teufel ging einst zu einer alten Frau und sagte zu ihr: „In
deiner Nachbarschaft w-ohnen die Eheleute Peter und Johanna, die sich,
sehr lieb haben. Stifte Zwietracht zwischen ihnen, so sollst du zum Lohne
eine grosse Summe Geldes von mir bekommen!" Sie antwortete: „Wenn
du wirklich dies Versprechen halten willst, werde ich dir den Gefallen
thun." Darauf ging sie zur Johanna und sagte zu ihr: „Diese Nacht ist
mir dein Yater im Traume erschienen und hat mir gesagt, es sei nötig,
dass man für seine Seele Messen lese. Dann ersuchte er mich, das Geld
dazu zum Mesner zu tragen, damit dieser es dem Geistlichen einhändige,
der die Messen lesen soll." Die Alte trug das Geld für die Messen zum
Mesner und begab sich darauf zu Peter und sagte ihm: „Dass deine Frau
den Mesner gern hat, weisst du wohl gar nicht? Wenn du ordentlich acht
giebst, wirst du sie bei ihm sehen." Peter sah in der That seine Frau
zum Mesner gehen, gab jedoch nicht viel darauf und glaubte keineswegs,
was die Alte ihm gesagt hatte; auch sprach er mit seiner Frau kein Wort
darüber. Als die Alte das merkte, nahm sie ihre Zuflucht zu einem anderen
Mittel, sie ging wieder zu Johanna und sagte zu ihr: „Ich weiss, dass du
dir ein Kleid machen willst; daher mache ich dich darauf aufmerksam,
dass ein gewisser Kaufmann (und sie nannte ihr denselben) sehr gute
Sachen hat." Darauf ging sie wieder zu Peter und sagte zu ihm: „Gieb
wohl acht, deine Frau hat sich mit dem und dem Kaufmann ein Stell-
<lichein gegeben! Du brauchst es nicht zu glauben, falls du sie nicht
hingehen siehst." Peter sah wirklich seine Frau zum Kaufmann gehen
und wollte zwar gern an nichts Böses glauben, aber er begann doch gegen
sie Argwohn zu schöpfen. Er wusste endlich nicht, ob er sie aus dem
Hause jagen solle und sah sie nicht mehr an. Da ging Johanna zu der
• Alten und sagte: „Nachdem du mir solche Ratschläge gegeben hast, gieb
mir nun einen anderen! Peter sieht mich seit einiger Zeit nicht mehr an:
was ist da zu thun?" Die Alte antwortete: „Wenn du seine Liebe wieder-
Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. 193
gewinnen willst, nimm ein Scliermesser und, sobald er eingeschlafen ist,
musst du ihm ein Barthaar am Halse abschneiden." Dann ging sie zu
Peter und sprach: „Ja, ja, deine Frau will dich heute Xacht ermorden;
Pass gut auf! Thue, als ob du schläfst und schnarchst, aber schlafe nicht!
denn deine Frau will dir den Hals mit einem Schermesser abschneiden."
Er stellte sich nun, als ob er fest schliefe, blieb aber wach, indem er bei
sich dachte: „Ich will doch einmal sehen, ob das wahr ist, was die Alte
mir gesagt hat." Die Frau nahm das Messer und näherte sich Peter
wirklich, um ihm das Barthaar am Halse abzuschneiden. Da packte sie
ihr Mann mit den Worten: „Du wolltest mich also in der That ermorden?"
Dann brachte er sie zu ihren Brüdern und sprach: „Behaltet sie euch:
denn heute Nacht wollte sie mich töten. Ich will sie nicht mehr bei mir
haben!" Da entgegnete seine Frau: „Aber jene Alte hat's mir gesagt, £ie
hat mir gesagt: Schneide deinem Manne ein Barthaar am Halse ab! So
hat sie gesagt." Sie erzählten sich nun alles, was die Alte ihnen hinter-
bracht hatte, der es nun nicht weiter gelang, sie zu entzweien.
IV.
Von dem Lycealschüler Ant. di Paolo am 20. Mai 1895 zu Cellole-Fasani, im Bezirk
Sessa-x\urunca, aufgezeichnet und mir mitgeteilt (unediert).
Es war einmal in einem Lande ein Mann und eine Frau, die in grosser
Eintracht mitsammen lebten. Der Teufel that wohl alles mögliche, um sie
zu entzweien, konnte es aber durchaus nicht erreichen. Daher wandte er
sich an eine alte Frau, die ihm versicherte, es werde ihr leicht gelingen,
seinen Wunsch zu erfüllen. In der That begab sie sich eines schönen
Tages, als sie sah, dass der Ehemann das Haus verliess, um. ins Geschäft
zu gehen, in das Haus jenes glücklichen Paares und, nachdem sie tausendmal
die Namen „Jesus" und „Maria" ausgerufen hatte, fragte sie die arme
Frau, ob ihr Mann sie liebe. Diese antwortete, dass er sie gern hätte.
Da sprach die Alte: „Glaubt ihr das wirklich? Euer Mann hat doch eine
Liebschaft mit einem jungen Frauenzimmer?" Sprach's und ging stracks
zu dem Mann ins Geschäft. Erst sagte sie dies und jenes und dann fragte
sie ihn, ob seine Frau ihn liebe. „Sehr", antwortete er. „Glaubt ihr das
wirklich?" fragte die Alte wieder; „es ist aber nicht alles Gold, was glänzt!"
Dann liess sie sich von ihm ein wenig bitten und fügte schliesslich
hinzu: „Wenn ihr euer Haus verlasset, um ins Geschäft zu gehen, lässt
eure Frau gewöhnlich ihren Gevatter kommen und . . . weiter darf ich
nichts sagen." Der 3Iann wollte es allerdings zuerst nicht recht glauben:
die Alte aber wandte alle Mittel an, bis sie ihn fast davon überzeugt hatte.
Mittags schloss der Mann den Laden und ging ganz aufgebracht nach Hause.
In der Küche traf er seine Frau sehr verstimmt an. Sie setzten sich dann
beide zu Tisch, sprachen aber auch nicht ein Wort zusammen, und so
ging es ein paar Tage. Nach drei Tagen kam die Alte wieder zu der
1«:)4 Lübeck:
Frau und sagte: „Wollt ihr, dass euer Mann euch wieder treu werde, so
müsst ihr thun, w^as ich euch sage. Sobald er heute Nacht fest eingeschlafen
ist, nehmt ein Messer, schneidet ihm ein Haar ab und dann verbrennt es!"
Die Frau versprach, ihren Rat zu befolgen. Die Alte that nun so. als
ginge sie nach Hause, in Wirklichkeit ging sie aber zu dem Manne und
sagte zu ihm: „Ich rauss euch auf etwas aufmerksam machen. Während
ihr schlafet, wird euer Weib sich daranmachen, euch zu ermorden. Seid
also auf eurer Hut! Stellt euch schlafend; wenn ihr aber sicher sein wollt,
schlafet nicht ein!" Als der Manu sich am Abend zurückgezogen und
hingelegt hatte, that er, als ob er schliefe und schnarchte. Seine Frau
nahm nun das Messer, um der Aufforderung der Alten nachzukommen.
Der Mann war jedoch wach; er richtete sich schnell im Bett auf, riss ihr
das Messer aus der Hand und tötete sie. — Man sieht also, dass sich ein
altes Weib verschlagener zeigt als der Teufel. Während dieser sich sehr
lange vergeblich abgemüht hatte, gelang es ihrer Schlauheit in ganz kurzer
Zeit seinen Wunsch zu erfüllen.
(Fortsetzung folgt.)
Die Krankheitsdänionen der BalkanYölker.
Yen K. L. Lübeck.
(Fortsetzung von Zeitschr. IX, S. G8.)
Auf den Haartag, der den Übergang zu den interessanteren Tagen
bildet, lassen wir den eigentümlichen Tag der hl. Spass folgen. Dieser
merkwürdige Tag fällt auf Christi Auffahrt. In der vorhergehenden ^Fitter-
nacht sucht man das sogen. Taublümchen, welches wie kein zweites von
den weiblichen Geistern der Luft, den Elfen, die um 12 Uhr nachts vor
dem Auffahrtstage wieder unter den Menschen erscheinen, geliebt wird.
Es ist ein Pflänzchen, etwa eine Elle hoch, mit roter Blüte und schwert-
lilienartigen Blättern, das verhältnismässig selten ist, aber haufenweise auf
einzelnen Plätzen vorkommt. Die Elfen lieben es als Schmuck. Für den
Kranken haben die Blüten dieser Pflanze Heilkraft. Die ihrer bedürfen,
verabreden sich zu gemeinsamem Aufbruch und zu gemeinsamer Suche,
wobei jeder Kranke zunächst die Sitte der Verbrüderung, ■ die im Lande
herrscht und die in diesem Fall mit einer Person des entgegengesetzten
Geschlechts eingegangen werden muss, zu beachten und zu befolgen hat.
Wenn der Kranke nun auf diesem Auszuge ein solches Pflänzchen findet,
Die Krankheitsdämouen der Balkanvölker. 195
lässt er sich dort nieder, stellt eine Schale Wasser neben sich und geniesst
etwas von dem mitgebrachten Gebäck. Darauf nehmen allesamt das Mahl
ein und warten den Einbruch der Nacht ab, da der Auszug nach Sonnen-
untergang, doch noch in heller Zeit erfolgte. Darauf legt sich der Kranke
schlafen, und zwar so, dass der Kopf bei der Pflanze zu liegen kommt.
Der (oder die) Verbrüderte der (oder des) Kranken zündet alsdann eine
Kerze an, stellt sie zu Häupten des Kranken bei der Schale auf und wacht
neben dem (oder der) Kranken. Die Verbrüderten können wohl mitein-
ander flüstern, aber sobald die „geheimnisvolle Stunde" naht, wo die Elfen,
die „Russalkinnen", zum erstenmale im Jahre wieder unter den Menschen
erscheinen sollen, hört alles Gespräch auf. Die Russalkinnen erscheinen,
sammeln die geliebten Blumen, verweilen bei dieser Arbeit etwa eine Stunde
und ziehen schliesslich von dannen. Die wachen Verbrüderten bedecken
nun die Schüssel mit einem weissen Tuch. Wenn die Hähne zum zweiten-
male krähen, erheben sich die Kranken, bespritzen sich mit dem Wasser
der Schale, nippen aas ihr und giessen den Rest in den mitgebrachten
Krug. Ist in die Schale ein Taublümchen gefallen, so wird der Kranke
unfehlbar gesund. Nach diesen Zeremonien kehrt man nach Hause zurück,
indem man aber am betreffenden Orte die leere Schale, den mitgebrachten
Brotkuchen, den Wein und Geschenke wie Schürzen u. dergl. zurücklässt.
Zu Hause bespritzt sich der Kranke mit dem Wasser und wäscht sich mit
einem Teil desselben. Den übrigen Inhalt muss er, um ganz zu gesunden,
mit allem, was in der Geisterstunde in das Becken hatte fallen können,
austrinken, sei nun das Hineingefallene Blüte, Blatt, Gewürm oder sonst
etwas. — Vor dem Wegzug von der Lagerstätte wird der (die) Kranke
von dem (der) Verbrüderten aufgefordert, den Ort, wo er lag, zu besprengen
und die Russalkinnen um Verzeihung zu bitten. Er thut dies mit den
Worten: „Verzeiht, wenn wir gefehlt haben!"' Beim Fortzug wagt niemand
sich zurückzuwenden. Einmal fort, sammeln die Hirten das auf dem Platz
Zurückgelassene, worauf sie als „Lieblinge der Russalkinnen" alleiniges
Anrecht haben. — Die auf diesen Tag hin Verbrüderten haben kein Recht,
miteinander eine Ehe einzugehen. — Der übrige Teil des Tages wird
durch grosse Märkte, verbunden mit Spiel und Tanz, gefeiert.
Von noch grösserem Interesse ist der Blatterntag, im Volke Mladenzi
genannt. Dieser Tag verdankt seine Entstehung der Krankheit Sipaniza
(von sipwam streuen, ausstreuen; einige Zusammensetzungen dieses Zeit-
wortes haben noch die Bedeutung „zerstören", „zertrümmern", Bedeutungen,
die für die Erklärung des Ausdrucks Sipaniza wichtig und von Belang
sind. Diesem Ausdruck nähert sich übrigens das früher erwähnte „ustrel",
indem es gleichfalls „ausschütten", „entsenden (von Pfeilen)" und „pfeilen",
d. i. vernichten, zerstören bedeutet). Für diese Krankheit findet sich
ausserdem der viel üblichere und volkstümlichere Name Baba Scharka,
d. h. Färbe- oder Malgrossmütterlein. Sie gehört mit unter jene Krank-
l[)Q Lübeck:
heiteii, von denen der Volksmund sagt, dass jeder einmal an ihnen dar-
niederliegen niuss, und wird als eine Dreilieit von Schwestern aufgefasst.
welche aus der drallen, der mittleren und der schmächtigen gebildet wird,
von denen die letztere namentlich die Kinder heimsucht. Die Blattern
selbst sind nach dem Volksglauben Körner, die diese drei Schwestern den
Menschen zuschleudern. Über die Entstehung der Blattern glaubt das
Volk folgendes: Die Türken hatten die schlechte Sitte und Gewohnheit,
mehr als erlaubten Gefallen an den jungen Mädchen dieses Landstriches
zu finden, weil diese alle anderen Frauen an Schönheit und Anmut weit
übertrafen. Da dem Übel kein Ende zu macheu war, schickte Gott die
furchtbaren Blattern, um die hübschen Mädchen ihrer Schönheit zu berauben
und dadurch den Türken ihr Verlangen nach den letzteren zu nehmen.
Das verfing. Die Blattern stürmten wie ein Wirbelwind allverheerend
durch die Lande und verunstalteten grausig die hübschen Gesichter. Un-
verwindbarer Ekel und furchtbares Grausen bemächtigte sich der Türken,
als sie nicht nur die Verunstaltungen sahen, sondern nun auch selbst von
der Krankheit zu Tausenden gekennzeichnet und dem Tode geopfert wurden.
Von da an gaben sie ihre Nachstellungen nach den Mädchen auf. Nach
diesem eigentümlichen und wirksamen Mittel Hess Gott Ärzte werden, die
das Volk von den Blattern erlösten. — Die Blattern können bald, wie der
Volksausdruck sagt, sachte, unbemerkt in menschliche Wohnstätten ein-
ziehen, ohne grossen Schaden anzustiften, bald wie eine furchtbare, sich
heranwälzende und aufbrausende Sturmflut durch die Lande jagen, alles mit
sich reissend, was ihnen Lebendiges begegnet. Dieses letztere hat aber
nur statt, wenn sie erzürnt sind. Sobald man nur von ihrem Anrücken
unterrichtet ist, wird alles zu ihrer Versöhnung und Beschwichtigung vor-
bereitet, namentlich die diesem Tage zukommenden Brotsorten oder Brot-
formen. Diese werden teils mit Honig überstrichen, teils sonst schmackhaft
gemacht und rasch in die Nachbarhäuser und zu den näheren älteren Ver-
wandten getragen. Doch wird ausserdem noch ein Backwerk gebacken,
das einzig und allein diesem Tage zukommt. Dasselbe hat Puppenform
und ist von mehreren Löchelchen durchbrochen. Dieses Gebäck hat eine
doppelte Bedeutung. Einmal soll — so scheint uns wenigstens — die
Baba Scharka, das Färbegrossmütterlein, durch die Brotform mit Mitleid
und Nachsicht gegen die Jugend erfüllt werden; sodann dient es als Schild
in eigentlichster Bedeutung des Wortes, ja geradezu als Talisman, die von
dem furchtbaren Blatternweibe geschleuderten Blatternkörner abprallen zu
lassen. Da nun dieses Weib ohne Opfer niclit vom Orte zu bannen ist.
sind eben die Löchelchen in den Kuchen gemacht, um wenigstens einige
Blatterukörner hindurchzulassen. ]3amit aber diese einen möglichst geringen
Schaden anrichten, werden die Kuchen mit möglichst kleinen und mit
möglichst wenigen Löchelchen versehen, so dass von den geschleuderten
Blatterkörnern nur ganz wenige und zwar nur die allerkleinsten, also auch
Die Krankheitsdänion eil der Balkanvölker. 197
die uuschädlichsteu den Kuchen durchdringen und den Menschen treffen
können. Je nach dem Alter wird jedem Familiengliede ein solches Back-
werk mit mehr oder weniger Löchern verabreicht. Die kleinsten und
jüngsten Familienglieder erhalten solches mit vier Löchern, die älteren
und ältesten solches mit vielen und grösseren, damit das Blattern weih seine
Todesgeschosse zunächst den schwer überwindbaren gestählteren, wider-
stauilsfähigeren oder zum Leben schon so wie so untauglichen zu schleudere,
die widerstandslose, schwache Jugend aber möglichst von ihr verschont
bleibe. Es scheint dies ein Zug von Selbstlosigkeit ganz besonderen
Charakters. Aber eine solche Auslegung widerspräche dem Yolkscharakter,
in dem die Selbstlosigkeit sich noch nicht ausgebildet hat. Der scheinbare
Edelmut ist nicht Ursache, sondern nur Folge und verrät vielmehr die dem
Bauernstande aller Länder nachzurühmende Yerschlagenheit und Gerieben-
heit, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. — Da das bereitete
Gebäck namentlich der Jugend als Talisman dient, wird es mladenzi (von
mlad = jung) genannt, woher auch der Krankheitstag seinen Namen hat.
Jedes Haus übersendet auch von diesem Gebäck je ein Stück an sämtliche
ältere Verwandte, an die Baba (Grossmutter), die Gevattern u. s. w.
Eine der furchtbarsten Krankheitsdämoninnen ist die Pest. Der Tag,
an dem ihr Verehrung gezollt wird, fällt auf den des Märtyrers Chara-
larabij, welcher unter den Kirchenikonen als Pestvernichter dargestellt
wird, woraus die materielle Auffassung der griechischen Kirche von dieser
schrecklichen Krankheit sofort erhellt. Das Entsetzen, das der Pest all-
überall voranjagt und nachstürmt, mag vielleicht die Ursache sein, dass
die heidnisch zu nennende Vorstellung eines Pestdämons sich in ihrer
ganzen Kraft und in allen Einzelheiten bis heute erhalten hat. Nur die
versuchte Deckung dieses Tages mit dem Tage des Märtyrers Charalambij
hat dieser heidnischen Auffassung etwas von ihrer Kraft genommen, jedoch
nicht viel, da die Kirche durch ihre bildliche Darstellung des Heiligen als
Pesttöters die Personifikation der Pest wesentlich unterstützte.
Die Begehung und Bedeutung dieses Tages verdient eine eingehendere
Darstellung und ein allgemeineres Interesse, und dies um so mehr, als ja
selbst Europa alljährlich vor der Ankunft dieses furchtbaren, unsichtbaren
Feindes zittert und nicht weiss, wie ihn zu entwaffnen oder wohin vor ihm
zu entfliehen.
An ihrem Festtag, der heutzutage ziemlich bescheiden ausfällt, wird
früh am Morgen Stall. Keller, Hof u. s. w. gereinigt und gefegt, ein 3Iahl
und Brot bereitet und eine bestimmte Art Kuchen gebacken. Zur Mittags-
essenzeit wird der Tisch bestellt. Essen und Brot gesegnet, von dem Kuchen
je etwas in die Nachbarhäuser getragen. Die Segnung besorgt jedoch
nicht der Priester, sondern die älteste Frau im Hause. Nach der Ver-
teilung des Brotes vereinigen sich die Hauseinwohner zum :\lahl. — Am
selben Tage wird keinerlei Arbeit von den Frauen verrichtet.
198 Lübeck:
Das Volk stellt sich die Pest als ein Weib vor, das mit ewigem Leben
begabt, mit ihrem kleinen Wickelkinde wie eine Zigennerin die ganze
Welt rnh- und rastlos auf- und abstürmt. AYie dieses entsetzliche Weib
auf die Welt kam, erzählen sich die Einwohner von Prilej) (.Macedonieu)
auf folgende Weise:
Vor vielen Jahren lebte einmal ein mächtiger König; doch dieser
König war schlecht und zu allem Nichtswürdigen fähig. „Dreihundert
Schlechtigkeiten hatte er an seinen ünterthanen verübt, und was ihm Böses
zu Sinn kam, verübte er." Doch seine grösste Nichtswürdigkeit bestand
darin, dass er jedwede Frau, die er zu sehen bekam, entehrte. — Einmal
bemerkte er in der Kirche zwei Gott tief ergebene Frauen. Mutter und
Tochter, und da die letztere ihm gefiel, liess er sie vor sich führen. Alle
seine Überredungskünste, sie seinen Gelüsten geneigt zu machen, schlugen
fehl, auch Martern halfen nichts. — Das Mädchen starb schliesslich an den
grausamen Qualen, die die Henkersknechte des Wüstlings ihr bereiteten.
Und da der König an der Lebenden sein Gelüst nicht stillen konnte, be-
friedigte er es am Leichnam und warf denselben in einen Raum seines
Palastes. Wichtige Ereignisse Hessen ihn den toten Körper vergessen; ein
Krieg, in dem er die Hälfte seines Reichs und seiner Leute verlor, brach
aus. Nur neun Monate nach seiner grausen That erinnerte er sich des
toten geschändeten Mädchens. Er begab sich in den Raum, in den er
den Körper geworfen hatte und wo er ihn noch liegen fand. Der Körper
hatte nichts von seiner Schönheit eingebüsst, kein Glied war in Verwesung
übergegangen. Dem König schien, als sei das Mädchen inzwischen sogar
schöner geworden. Als er so auf den toten nackten Körper hiublickte,
sah er, wie der Leib aufgedunsen war und sich heftig hob und senkte,
als bewege sich etwas in ihm und als sei er gar nicht tot, sondern lebend.
Da staunte der König und sann über die sonderbare Erscheinung nach.
Aber er konnte sie sich nicht erklären. Doch um nicht lange im Zweifel
zu bleiben, schlug er roh mit dem Fuss auf den hingestreckten Leib und
mit einem Male war die Pest geboren. Sie erhob sich vor ihm auf die
Füsse mit den Worten: „Von einem verworfenen A^ater ward ich gezeuget,
von einer toten Mutter ward ich geboren, darum werde ich, wen ich auch
sehe, verfolgen und *an den geheimsten Orten auffinden und ermorden.
Dich sah ich zuerst, Väterchen, und über dich werde ich herfallen, dass
du mit einem Male hinsinkest, denn du hast mich gefunden." Und damit
mordete sie ihren Vater und zog hinaus ins Freie und schlug, was ihr
Lebendes zu Gesichte kam, nieder. — Eine andere, etwas nüchterne Über-
lieferung aus demselben Ort führt die Pest gleichfalls aus toten Körpern
her, nämlich aus verfaulenden Fischen, die rom Flusse Nil nach seinen
Überschwemmungen am Ufer zurückbleiben. Diese Erklärungsweise, sowie
der Mangel eines moralischen Untergrundes in derselben sprechen dafür,
dass sie nicht volkstümlich ist.
Die Krankhcitsdämoiien der Balkanvölkcr. 199'
In der Volkspoesie wird die Pest stets you dem Epitheton „die schwarze"
begleitet. Zu ihren Wanderungen giebt ihr Gott ein Bflchelchen, in dem
die Namen derer stehen, denen auf sein Geheiss die Seele geraubt werden
soll. Öfters ist in diesem Buch nur die Zahl der dahinzuraffenden an-
gegeben, während es der Pest überlassen bleibt, die Opfer selbst zu wählen.
In einigen Orten wütet sie mehr, in anderen weniger, „wie es ihr gerade
zu Sinn kommt". Wo man sie freundlich empfängt, da geht sie ohne
Opfer vorüber, doch wo nicht, da erwürgt sie das ganze Dorf. Deswegen
wird alles für einen freundlichen Empfang vorbereitet, sobald man
nur ihre Ankunft erfährt. Das ganze Haus wird von oben bis unten
gekehrt, gereinigt, getüncht, alle Decken ausgestäubt und ausgeklopft.
Kein Winkelchen bleibt unberücksichtigt. Sobald nun die Pest ins Dorf
kommt, werden folgende Vorbereitungen getroffen: In der Abenddämmerung
wird ein Kessel Wasser gewärmt, die Waschwanne zurechtgestellt, die
Umä, ein die Seife vertretendes Waschmittel, im Feuer erhitzt, dann in ein
zu diesem Zweck speciell vorbereitetes Gefäss gelegt und schliesslich mit
Essig ^) Übergossen. Ausserdem wird noch ein Kamm und weiche, ge-
waschene Wolle hinzugelegt. Dies alles lässt man an einem bestimmten
Ort im Hause, denn des Nachts kommt die Pest mit ihrem Kinde, wäscht
sich das Gesicht, badet ihr Kind und hüllt es in die Wolle. Da man
nicht zum vorherein weiss, in wessen Haus sie treten wird, werden diese
Zurüstungen in jedem Hause und an jedem Abend getroffen.
W^ährend der Anwesenheit der Pest im Dorfe hört jeder Diebstahl
auf: nicht ein winziges Federchen wird entwendet. Ganze Fässer Gold
könnten am Wege unbewacht stehen, niemand wird sie berühren. Wenn
jemand weiss, dass er im Hause irgend etwas von einer AVaise, einer
Witwe oder aus der Kirche ^hereingebracht" hat, wirft er es bei Erscheinen
der Pest augenblicks fort. Dieses „Herein- oder Heimgebrachte" führt
den höchst eigentümlichen Namen „das Verdunkelte", welches sich mit
-Inlehnung an den ursprünglichen Sinn des uralten deutschen Wortes
„hehlen" besser mit „das Verhehlte" übersetzen lässt. Ist nun dieses
„Verdunkelte" oder „Verhehlte" irgendwie aufgebraucht, d. h. vertrunken,
aufgezehrt, zerrissen, abgetragen, daraufgegangen u. s. w., so wird der ihm
entsprechende Geldbetrag aus dem Fenster auf die Strasse geworfen, so
dass man während der Pestzeit auf den Wiegen Gold-, Silber-, Kupfer-
stücke, Kostbarkeiten verschiedener Art liegen sehen kann, doch wagt
niemand, sie zu berühren: ihre Berührung hätte den unbedingten Tod zur
Folge. Es würde solchen Menschen ergehen, wie in Manzonis Verlobten
dem Halunken Griso, der nach dem Überfall auf den pestkranken Don
Rodrigo dessen Hosen nach Geld ausschüttelt und am folgenden Morgen
an dessen Berührung stirbt. — Während der Pest muss sich ein jeder vor
1) Die Frauen waschen die Haare mit Essig und mit der Uma oft.
-200 Lübeck:
geschlechtlichem Verkehr liüteii, denu die Pest hasst dergleichen und rafft
alle hin, die dem trotzen. Ganz besonders setzt sie aber den Ausschweifenden
zu, und denjenigen, die die eheliche Treue verletzten. Welches Geschlechts
der Schuldige auch sei, er muss sterben. Ebenso sind der Pest auch alle
-die verhasst, die sich irgend welcher Lüge, Bestechung, Hintergehung u. s. w.
-schuldig machen oder schuldig gemacht haben. Deshalb hüten sich in
Pestzeiten alle Kaufleute, Bäcker, Schmiede u. s. w. irgend welchen Betrug
zu verüben. Die Pest hasst auch die Räuber des Balkans, die bereits
erwähnten Chaidüten. Daher fordert sie grosse Opfer von ihnen.
Der Weg der Pest ist gerade. Ihr Weg ist die breite Landstrasse,
sie liebt die Steige und Pfade nicht und meidet die von Gestrüpp und
Dornen besetzten Wege. Wem daher gelingt, einen solchen Pfad zu finden
oder sich in das Gestrüpp und Buschwerk, in den Wald zurückzuziehen,
vrenn sie naht, dem kann sie nichts thun, selbst wenn sie ihn in ihrem
Merkbuch verzeichnet hat. Wo sie auch immer einherzieht, lässt sie tiefe
grause Spuren zurück, die Erinnerung an sie dauert deshalb Generationen
und wird in Liedern lieferschütternden Inhalts in ihrem ganzen grauen-
haften Schrecken und Entsetzen, den sie dem Volke einflösst, vorgeführt,
so dass sie eine grosse Litteratur geschaffen hat. Aus dem zur Zeit noch
zerstreuten, nicht gesammelten noch auch gesichteten Material füge ich
hier am Schlüsse meiner, die Pest betreffenden Ausführungen einige Pest-
lieder bei, die, teils bulgarischen, teils macedonischen Ursprungs mir in
die Hände gerieten. Die Lieder habe ich beinahe buchstäblich genau
übersetzt, um dem Leser auch gleichzeitig eine Probe dieses orientalischen
poetischen Stils zu geben; nur selten habe ich eine freiere Ausdrucksweise
gewählt.
I. Georgis Begegnung mit der Pest.
1 Alles für 'ne Maid hat Georg hergerichtet,
Fortzog Georg, Hochzeit nun zu machen,
Zog mir fern hin in die weite Fremde
Ziemlich lange Zeit, an die drei Jahre,
5 Und gewann mir ziemlich viele Ware,
Und gewann drei Wagenlasten Schätze.
Fortzog Georg, heim sich zu begeben.
Auf dem Wege traf er eine klare Quelle,
An dem Quell ein Mütterlein, ein altes.
10 „Baba, ach! ach, Baba, alte Baba!
Was ich dich befrage, wahr dass du mir kündesti
Was ist Scopie^), Baba, mir verschlossen,
Warum Scopie, Baba, allverödet?
Reinen Hund giebt's, Baba, der da bellet,
15 Keinen Hahn giebt's, Baba, der da krähet,
Keinen Menschen, Baba, der einher dort gehet."
1) V. 12 Scopie oder Isküb, Stadt in Macedonicn.
Die Kranklieitsdämonen der Balkaiivölker. 201
„„Ach, oh Söhnchen, Söhnchen, oh du Fremdling!
Reine Baba bin ich, Baba, alte Baba,
Sondern bin die Pest, die Pest, die schwarze,
Welche hat verheert ein ganzes Scopie!
„Öffne denn, oh Baba, deine Büchlein,
Dass du siehst, wie lang mir bleibt zu leben?
„„Leben hast du. Söhnchen, bis zum heut'gen Abend!""
„Lass dich, Baba, alte Baba, bitten.
Mir zu geben, Baba, Frist nur auf drei Tage,
Frist drei Tage, Baba, und dazu drei Nächte,
Dass ich kehre heim zu meiner Mutter."
Fort dann zog er bis in Waldesmitte,
Wo er gellte wie die Schlang im Zorne.
Eine Nachtigall von Mitleid ward beweget^).
Flog mir heimwärts fort zu seiner Mutter.
„Eilig, eilig, Mutter, alte Mutter,
Dein Georgi auf dem Weg verscheidet.
Denn die schwarze Pest hat ihn geschlagen."
Als nun hinging seine alte Mutter,
Höret sie, wie ihr Georgi stöhnet:
„Hör, oh Mutter, meine liebe Mutter,
Lasten Goldes drei hab' ich erworben:
Eine Last sei meiner holden Liebe,
Eine and're meiner lieben Schwester,
Doch die dritte meiner lieben Mutter.
Lebe wohl, oh Mutter, denn ich sterbe!"
11. Die Pest erbaut eine Kirche.
1 Übernommen hatte Gott es selber,
Sich zu bauen eine grosse Kirche
Zwischen zweien Bergen, hochgewölbten,
Unter zweien dünnen, zarten Wolken,
5 Rief herbei die Wilen, Samodiven:
„Geister ihr der Winde, Stürme, Lüfte,
Euch hab' ich gerufen, euch zu sagen.
Eine Kirche habe ich begonnen
Zwischen zweien Bergen, hochgewölbten,
10 Unter zweien dünnen, zarten Wolken,
Nicht am Himmel, noch auch auf der Erden.
Darum will ich nun euch all befragen.
Wer von euch wird mir am schnellsten dienen.
Um zum Bau die Ziegel mir zu schaffen,
15 Ziegel und auch Kalk zu gutem Mörtel,
Pfähle ferner ringsher um die Mauern,
Und zum Flechtwerk gute lange Aste,
Saubre Bretter für die Innenwände,
Balken auch noch für die Giebelwände,
1) V. 30 „ward beweget" ungefähre Übersetzung des im macedonischen Original
gebrauchten Verbums, welches selbst Macedonier nicht erklären konnten.
202 Lübeck:
Vür die Rirchenthüren hohe Schwellen,
Starke Deckung^) für des Daches Balken?"
Sieh! Die Pest war schneller mir als alle.
Sie ergriff den Bogen und die Pfeile,
Alt und Jung mit ihnen hinzuraffen,
Hinterher sich Gross und Klein zu schleppen.
Für die Ziegel mordet sie die Alten,
Kalk zu Mörtel geben ihr die Mütter,
Pfähle sind ihr jung verlobte Burschen,
Und zum B'lechtwerk nimmt sie schlanke Mädchen,
Für der Kirche Dielen schmucke Bräute,
Und zu Balken hübsche Kmetenfrauen-),
Priester, Knieten taugen ihr zu Schwellen.
III. Die Pest im Laude ßo
snien.
"Wie flammte mir Bosnien auf!
Ob in Bosnien lohend Feuer lodert,
Oder Schafe ihren Lämmern blöken,
Oder Bosnien tosend Wasser führet?
Weder loht in Bosnien lodernd Feuer,
Noch auch führet Bosnien tosend Wasser,
Noch auch blöken Schafe ihren Lämmern.
Aber rings in Bosnien rast die Pest, die schwarze,
Sie erschlug fünfhundert led'ge Burschen
Und erschlug fünfhundert Angetraute
Und verwüstet dann fünfhundert Läden ^),
Doch erkannt hat Bosnien sich trotzdem nicht !^)
Jungfrau'n raffte hin sie dann fünfhundert,
Leer macht sie fünfhundert Stickgestände -5),
Doch erkannt' auch diesmal sich nicht Bosnien!
Mordete dann fünfmalhundert Bräute
Und verwaist fünfhundert Webestühle.
Doch auch diesmal nicht erkannt sich Bosnien!
Da schlug sie den einz'gen Sohn der Mutter!
Nun hebt l'osnien an sich zu erkennen!
Morgens, abends seufzet bang die Mutter,
Seufzet, bis zum Himmel wird's gehöret:
„Weh, oh weh! oh einz'ger Sohn der Mutter,
0, oh weh, oh einziger Sohn, oh teurer,
Ist dir weich dein Bett aus harter Erde,
Ist dir weich dein steinern hartes Kissen,
Ist dir warm die holzgedeckte Decke?"
So vernahm sie Gott im hohen Himmel,
Und dem Sohn verlieh er Kraft zu reden.
Zu entgegnen seiner armen Mutter:
1) V. 21 „Deckung". Als Dachbelegiuag kommen mächtige Sandsteinplatten zur Ver-
wendung, — 2) V. 31 „Kmet" türk. = Bürgermeister. — 3) V. 11 „Läden" = Magazine. —
4) V. 12 der Sinn ist: „Und doch erkennt Bosnien seine Lage nicht, weiss nicht, dass die
Pest in ihm haust. — 5) V. 14 der Sinn ist: sie vereinsamt die Stickrahmen, indem sie
die Stickerinnen, die in jedem Hause sind, heimsucht und fünfhundert von ihnen hinrafft.
Die Krankheitsdämoneu der Balkanvölker. 203
Weich ist mir mein Bett aus harter Erde,
Weich ist mir mein steinern hartes Kissen,
Warm ist mir die holzgedeckte Decke,
Aber etwas martert mich gar heftig:
Schlangen nisten drei in meinem Haupte,
Meine schwarzen Augen haben sie getrunken!"
lY. Die Rache der Pest.
(Buchstäbliche Übersetzung.)
Die Pest würgt im Dorfe,
Die Pest würgt im Dorfe, Freund!
Das ganze Dorf ist auf und davon geflohen.
Die weisse Neda floh nicht.
Sie sitzt am Webstuhl und webt ein Tuch,
Über ihrem Haupte (ist) die schwarze Pest:
„Schnell, Neda, weisse Neda,
Ich bitte dich, gieb mir, Neda,
Gieb mir, Neda, vom Tuche,
Gieb mir, Neda, anderthalb Ellen,
Mein Pestkind einzuhüllen!"
„„Heb' dich hinweg, schwarze Pest.
Nicht gebe ich dir eine halbe Elle,
Geschweige denn anderthalb!""
..Schlagen werde ich deine Brüder,
Deine Brüder, alle neune!"
„„Heb' dich hinweg, schwarze Pest!
Meine Brüder sind auf der Flucht, '
Auf der Flucht, auf dem ^% Berg.""
Noch hatte sie das Wort nicht vollendet.
Da ballte sich finstrer Nebel zusammen,
Finstrer Nebel und wirbelnder Staub,
Im Nebel Nedas Brüder,
Nedas neun Brüder,
Von weither rufen sie mit lautem Ruf:
„Auf, auf! liebe Schwester!
Breite uns ein breites Lager aus.
Lege das Kissen nach oben.
Wir werden kommen (die) neun Brüder,
Alle die Häupter umbunden.
Uns schlug die schwarze Pest!''
„„Ich bitte dich, mir zu lassen.
Mir zu lassen den jüngsten.
Den jüngsten, den neunten,
, Denn ich habe auf ihn gesehen,
Und (zwar) ohne Vater und Mutter i),
Dann werde ich dir fünf Ellen geben !""
Die schwarze Pest antwortete ihr:
„Ich begehre nicht dein gesamtes Tuch,
) Ich habe sie dir geschlagen — ich werde sie morden!"
1) V. 36 ich vertrat bei ihm Vater und Mutter.
•)()4. Weinhold:
Von diesen vier Gedichten ist bisher nur No. 2 tibersetzt worden, und
zwar von Dozon ins Französische. Alle sind bulgarische oder macedonische
Volkslieder. Man wird mir wohl Recht geben, wenn ich diesen Pestliedern
Tiefe des Gefühls und Schönheit, Kraft und Stärke des Ausdrucks zuschreibe.
Gabrovo in Bulgarien.
(Schluss folgt.)
Kleine Mitteiliiii2:en.
Nocli einmal die Amsterdamer Ausstellung nationaler Trachten
vom August bis November 1898.
Durch die Güte von Fräulein M. Th. Hering' in Scheveningen habe ich den
Katalogus van de Tentoonstelling van Nationale Kleederdrachten bijeengebracht ter
Gelegenheid van de Inhuldiging van Hare Majesteit Koningin Wilhehiiina 1898
(schmal 8^ S. 62) zur Einsicht erlangt und komme daher noch einmal (vgl. unsre
Zeitschr. VIIl, 458) auf jene interessante Ausstellung zurück. Ich stelle aus dem
von Herrn J. E. van Someren Brand verfassten Katalog kurz zusammen, was für
den Leser, der die Trachten nicht sehen konnte, allgemeineres Interesse an-
sprechen darf.
Von den drei Volksstümmen des Königreichs der Niederlande, den Friesen,
Sachsen und Pranken wird im Katalog eine kurze Schilderung gemacht.
Die Friesen sind lang und schlank, haben feine Knochen, feines blondes
Haar und eine sehr weisse Haut. Mit Vorliebe sind sie Viehzüchter, Schiffer,
Fischer und Handelsleute.
Die Sachsen haben einen gedrungenen Körperbau, breiten Schädel und stark
abgeplattete, sehr breite Schläfe. Sie sind mehr Ackerbauer als Viehzüchter und
betreiben gern Weben und Spinnen. Ihre Dörfer sind rund um einen Hügel
gebaut und für ihren Feldbau ist das Eesch charakteristisch, d. h. die Äcker der
einzelnen liegen nicht abgesondert für sich, sondern im Gemenge mit gemeinschaft-
lichem Weiderecht.
Die Franken, welche den Süden Niederlands bewohnen, haben dunkelere
Hautfarbe als Sachsen und Friesen, braune Augen, schlichte Haare, starke Gesicht-
züge. Sie sind gutmütig und angenehm im A^erkehr, hängen am Alten, sind mehr
Ackerbauer als Viehzüchter, nicht zu Schiffahrt und Handel geneigt, sondern zu
Handwerken und schönen Künsten, und sind unter den Beamten und Soldaten des
Staates stark vertreten.
Mischungen der drei Stämme sind häufig. Besonders stark ist fränkisches und
friesisches Blut gemischt; in Drenthe und Overijssel auch friesisches und sächsisches.
In der Provinz Holland stammt die Bevölkerung überwiegend aus friesischem Blut,
doch ist früh fränkisches dazu gekommen. Hier wie sonst ausserhalb Westfrieslands
ist aber die friesische Sprache untergegangen, nicht minder bei den Strandfriesen,
das ist bei den bis Dünkirchen reichenden friesischen Küstenbewohnern.
Kleine Mitteilungen. 205
Die alten Volkstrachten sind verschwunden; nur in städtischen Waisenhäusern
und in der Amtsti-acht der protestantischen Kirchenbeamten dauern sie fort. Ausser-
dem haben sich Einzelheiten bei den friesischen und sächsischen Frauen erhalten.
Namentlich die Friesinnen bewahren ihre nationale Kopftracht in dem ühreisen
(oorijzer) und der Haube. Das Ohreisen, das aus einem ursprünglich eisernen
Stirnband zum Festhalten des losen Haares entstund, indem man dasselbe zum
bequemeren Anlegen vorn durchschnitt und die Enden dann umbog, wobei mancherlei
Verzierungen der Enden eintraten, ist ein friesisches Kennzeichen. Bei der Arbeit
legen die Weiber wohl die Haube oder Mütze ab, aber nicht das Ohreisen. Nur
beim Wettlauf auf Schlittschuhen wird dasselbe abgenommen und mit losen Haaren
gelaufen. Dienstmädchen, die kein Ohreisen trugen, fanden bis vor kurzem keinen
Platz. Verliert ein solches Mädchen ihr gewöhnlich silbernes Ohreisen, so wird
zuweilen eine Sammlung von gutthätigen Leuten gemacht, um ihm ein neues an-
zuschaffen, ohne das es nicht sein kann. Reiche Frauen tragen goldene. Die
einzigen Friesinnen ohne Ohreisen sind die Marker, welche im übrigen gerade an
der alten Tracht festhalten. Auf der reinfriesischen Insel Terschelling. die politisch
zu Nordholland gehört, tragen Frauen und Mädchen Sonntags die nordholländische
Form des hoofdijzer mit der Spitzenhaube. Werktags setzen sie nur eine Mütze
(inuts) auf. Auch die Scheveningerinnen tragen nur Sonntags das Eisen, in der
Woche eine kleine weisse Haube. Auf den drei Inseln Terschelling, Vüeland und
Texel ist noch die Kragenhaube (kraagkap) im Brauch, die einst allgemein
friesisch war.
Die Tracht der oben genannten Marker ist wegen der alten Stoffe und der
guten Arbeit kostbar, ferner wegen einiger Nebenstücke. So werden die kleinen
Quasten der Halstücher auf den Jahrmärkten oft mit 15 11. das Stück bezahlt. Sie
sollen alte Klosterarbcit sein. Von den Brautpaaren werden dort gern alte Erb-
stücke von Kleidern getragen, nicht bloss an der Hochzeit, sondern auch am
Sonntag darauf, an dem sie den Verwandten und Freunden ihren Besuch machen.
Manche vornehme Friesinnen sind der alten Sitte treu geblieben. Andere
legen das Ohreisen und die friesische Haube wenigstens bei Feierlichkeiten und
Volksfesten an. Die eigentümliche Stirnnadel (voorhoofdsnaald) wird nur genommen,
wenn sie mit Diamanten besetzt ist.
Kennzeichen sächsischer Frauen ist die Kniphaube und der kleinen Mädchen
eni schwarzes, das Gesicht eng umschliessendes Häubchen mit einer echten oder
nachgemachten Straussfeder.
Die sächsische Kniphaube wurde im vorigen Jahrhundert durch ganz Nieder-
land von den Predigerfrauen getragen. Bis vor einiger Zeit sah man sie noch bei
den Amsterdamer Dienstmädchen. Nun stirbt sie auf den Köpfen ehrbarer älterer
Kinderfrauen ab. 1^- "'•
Die Spelte und die Drihe.
Zur Geschichte der WeT)erei.
Wenn Fräulein Margarete Lehmann -Filhes am Schluss ihres Aufsatzes über
Brettchenweberei (Unsre Zeitschr. IX, 33) die Vermutung ausspricht, die von ihr
beschriebene sehr alte Art des Webens werde sich wohl bald überall nachweisen
lassen, namentlich könne das Studium alter Litteraturdenkmale manches ergeben,
so dürfte sie recht bekommen. Im folgenden will ich aus mittelhochdeutschen
Zeitschr. d. Verein- f. Volkskunde. 1899. 1*
2()ß Weinhold:
Gedichten des lo., 14. Jahrhunderts diese Technik für die Verfertio^ung' von Gürteln
(Borten), aber auch von Gewandstoffen zu belepen suchen.
Wir finden als Gerät beim Weben nicht selten in jenen Quellen das Wort
Spelte (f.). Dasselbe entspricht dem gotischen Femininum spilda, das ein Schreib-
täfelchen (7nva.y.l6Lov) Lukas 1, 60, eine Tafel überhaupt 2. Kor. 3, 3 bezeichnet,
und gleich dem nahe verwandten altnord. Neutr. spjald ursprünglich einen Splitter,
ein irgendwie geformtes Holzstück bedeutet. Im Oberdeutschen hat sich die Spelte
oder Spelten für Span, Scheit, Zaunstecken, Schindel, auch für Splitter noch er-
halten (Schmeller 2, 668. Birlinger, Schwäb.-Augsburg. Wb. 407). Da wir durch
die Ausführungen von Frl. Lehmann-Filhes wissen, dass Holzbrettchen oder Täfelchen
(auch viereckige Pergament- oder Rartenblätter) beim Weben von Bändern in alter
und neuer Zeit in den verschiedensten Gegenden als Werkzeug benutzt wurden
und werden, so dürfen wir die Spelten der mittelhochdeutschen Epen, gleich den
spjold des 2. Gudrunliedes, für Holzbrettchen erklären, mit deren Hilfe die auf
einen Rahmen gespannten Fäden ineinander gewürkt (gewurket) oder geflochten
(gedrungen) wurden.
Die Stellen mögen zunächst folgen: Die gute Frau sagt ich bin von werke
wise. mit drihen und mit spelten kan ich es wol vergelten, g. Frau 1705. mit
Spindel nädel spelten hästu gewunnen hie din nar, Suchenwirt 41, 882. ouch was
sin wäpenroc gedrungen mit den spelten, Engelh. 2581. ir kleit was gedrungen
üz siden mit den spelten, Konr. troj. Kr. 32645. darinne er (Got) sich gedrungen
hat mit den spelten an der ram, Gold. Schmiede 351. Hier ist das Gleichnis der
mystischen Vereinigung Gottes mit Maria dem Weben mit der Spelte entnommen.
Bei Hug von Langenstein in seiner Martina wird in der Schilderung der Bekleidung
dieser Heiligen auch der Gürtel oder Borte ausführlich behandelt, der ungleich
den gewöhnlichen äne spelten und äne ringgen geworht war (22, 88), noch ge-
wurket in der rame noch gewurket mit spelten (22, 21). Wenn derselbe Hug
frowen äne schäme den spelten äne rame vergleicht, so ergiebt sich, dass das
Holzgestell (diu rame) notwendig zu dem Weben mit der Spelte gehörte.
Mit der spelte zusammen wird an einigen Stellen die Drihe genannt: ein
wäfenroc, der was, als ich horte sagen, mit drihen unde spelten — mit frowinen
henden — voUebräht, Gotfr. Tristan 6559. diu Minne entwirfet unde stricket vil
spa?h, noch baz dan spelten unde drihen, Wolfr. Tit. 91, 4. si worhte oder nsete
mit spelte od mit der drie (: vrie), Gräzer Marienl. 377.
Die Drihe wird w^ohl ein hölzernes Stäbchen zum Festschlagen des Schuss-
fiidens oder eine hölzerne Nadel gewesen sein, vgl. eine Stelle in Rudolfs Welt-
chronik (5. a): mit nadeln und mit drihen naejen, briten, rihen; mit der drihen
werden auch die Fäden zu einem Borten geslagen (Wolfr. Tit. 137, 2).
Das Substantiv diu drihe gehört zu einem alten ablautenden Zw. drihan, got.
p reih an, drängen, drücken. Im Mhd. ist nur ein jüngeres schwaches Zw. drihen
erhalten, das als technischer Ausdruck für das würken eines Borten sich findet:
der borte was niht gestricket noch gedrihet. Maitina 22, 17.
Das alte drihan ward auch als technisches Wort durch dringan verdrängt.
Wie die folgenden Stellen beweisen, bezeichnete es das Verflechten der Fäden zu
einem Gewebe:
ei wie künde dringen sin frouwe borten an der ram, Engelh. 2864. mit werken
und mit werten drungen sie den borten, Altd. Blatt. 1, 239. der gotheite borte
gedrungen ist an urhap, g. Schm. 357. ir kleider stuonden wol geweben und wären
listen unde reben von golde rot gedrungen drin, Konr. tr. Kr. 1219. lop den eren
gernden iungen wirt gewebet und gedrungen, mit der klmgen von der zungen wirk
Kleine Mitteilungen. 207
ich lobes bilde, Herman Damen (MSH. 3, 168 b). Auch vom Korbtlechten ward
dringen gebraucht: ein wol gezünet korbelin sach man wol geflöhten sin, gedrungen
nahe als ein krebe, Rudolfs Weltchronik 72a.
Gleichbedeutend mit diesem dringen finden wir dann stricken, das heute
aber in etwas eingeschränkterer Bedeutung fortlebt, und ferner ricken, das mit
stricken im Reime gebunden wird, Liedersaal No. 25, 114. 84, 6G. Martin. 22, 12.
Es ist eine Ableitung von der ric: Band, Schleife, Knoten. K. Weinhold.
Fledermaus und Maulwurf.^)
In der Auvergne wird erzählt, dass auf dem Puy-de-Prechonnet vor Zeiten
"Feen lebten, die in der ganzen Gegend wegen ihrer Güte und Wohlthätigkeit geliebt
und gesegnet waren. Bei Geburten und Hochzeiten erschienen sie und brachten
Hilfe und Glück und niemand bat sie vergebens. Aber sie wurden neidisch auf
den benachbarten stolzen Puy-de-Döm.e, dass der höher in die Lüfte ragte als ihr
Puy-de-Pn'chonnet, und sie begehrten ein Erdbeben, damit der Puy-de-D6me zu-
sammenstürze und durch seine Massen den Puy-de-Prechonnet zu einem der mäch-
tigsten und höchsten Berge mache. . Da wurden sie in B'ledermäuse verwandelt
und iiiussten in der Feenhöhle (wir könnten übersetzen dem Wildfrauenloch) des
Prechonnet ihren Stolz und Neid büssen.
P. Sebillot, der in seiner Litterature orale de L" Auvergne (Paris 1898, S. 191 f.)
aus den Tablettes historiques de l'Auvergnc des Abbe Cohadon II, 201 diese Sage
mitteilt, weist aus anderen Quellen den Volksglauben in Prankreich und England
nach, dass stolze übermütige Frauen in Maulwürfe verwandelt worden seien.
So verwandelte Gott die Feen der Landschaft le Forez, die an die Auvergne grenzt,
als sie sich gegen ihn empörten, in Maulwürfe, die verdammt sind, das Licht nicht
sehen zu können. Als die Feen der Vogesen gezwungen wurden das Land zu
verlassen, weil die Priester das Evangelium nach dem Text des hl. Johannes ver-
lasen, baten sie in Maulwürfe verwandelt zu werden. Eine englische Sage weiss,
dass der erste Maulwurf die Verwandlung einer sehr stolzen Frau war. Die
menschenähnlichen Füsse und Händchen des Maulwurfs gelten der Volksphantasie
als Beweise seines Ursprungs aus verwandelten Menschen oder menschenartigen
Geistern. Eine andere Legende aus der Umgebung von Ambert in der Auvergne
erzählt, dass, als Gott den Menschen erschaffen hatte, er in der Freude über sein
Werk sich zum Teufel kehrte und ihm sagte: „Mache auch so etwas!" Da arbeitete
Satan lange Zeit, aber er brachte nur einen Maulwurf zu stände mit kleinen Pfötchen,
ähnlich kleinen Menschenhänden.
Weil die Maulwürfe Teufelswerk sind, werden sie verfolgt und getötet (Sebillot,
Litterature orale de l'Auvergne. S. 118). K. W.
Das Sommertags- oder Stabaus-Fest in der Pfalz.
Eine der ältesten und volkstümlichsten Feiern der Pfalz, das auf den Sonntag
Lätare fallende Soramertags- oder Stabausfest, soll, nachdem es in den letzten
Jahrzehnten mehr und mehr verflacht war und in den letzten Jahren nur noch von
der Jugend begangen wurde, wieder zu Ehren gebracht werden. Das Fest wurde
noch um die Mitte dieses Jahrhunderts in einzelnen pfälzischen Orten in gross-
1) Vgl. M. Bartels, Ein Paar merkwürdige Kreaturen: Unsre Zeitsclir. IX, 171 ff.
20^ VVeiuhold:
artigster Weise begangen. So weiss eine Lokalchronik zu erzählen, dass in dem
kleinen Städtchen Lamprecht einstens zum Sommertagsl'este Teilnehmer und Zu-
schauer aus der ganzen Pfalz, aus Baden, Hessen, Elsass-Lothringen u. s. w. zu-
sammenströmten. In den letzten zwanzig, Jahren wurde die ebenso originelle als
schöne Feier, wie schon gesagt, nur noch von der Jugend begangen. Die Kleinen
begnügten sich damit, dass sie, mit Fahnen, Schärpen und den unentbehrlichen,
mit Bretzeln, Bändern u. s w. verzierten Sommertagsstecken ausgestattet, in grösseren
und kleineren Zügen die Festorte durchzogen. Dieses Jahr, am 12. März 1«99.
ist die alte Volksfeier in einzelnen Orten zum erstenmale wieder in alter Weise
begangen worden. So wurde in Neuleiningen ein den absterbenden Winter sym-
bolisierender, 10 m grosser, mächtiger Strohmann von Burschen und Mädchen unter
dem Jubel und Gesang von Jung und Alt durch den Ort getragen und auf einem
freien Platze unter Absingung des alten Stabausliedes feierlich verbrannt. Gleich-
zeitig wnrde unter allgemeiner Zustimmung beschlossen, Vereine — sogenannte
Stabausvereine — ins Leben zu rufen, denen die Erhaltung und regelmässige Be-
gehung der alten Volkssitte obliegen soll.^)
Aschaffenburg. Ludwig Fränkel.
Chajim Steinthal t-
Am 14. März 1899 starb nach längerer Krankheit in Berlin Dr. Chajim Stein-
thal, a.-o. Professor an der Universität, der bei der Gründung des Vereins für
Volkskunde und seiner Zeitschrift einen hervorragenden Anteil hatte, und seine
nicht bloss äusserliche Mitgliedschaft durch mehrere Beiträge zu der Zeitschrift,
noch zuletzt im 8. Bande bezeugt hat. Geboren am 16. Mai 1823 zu Gröbzig in
Anhalt, studierte er in Berlin besonders Philosophie und Sprachwissenschaft, habili-
tierte sich auch für letztere 1850 an unserer Universität als Privatdocent und ward
1863 zum a.-o. Professor ernannt. Eine Reihe scharfsinniger und geistvoller
Schriften: Der Ursprung der Sprache im Zusammenhang mit den letzten Fragen
des Wissens, Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft, Die Ent-
wicklung der Schrift, Philologie, Geschichte und Psychologie in ihrer gegenseitigen
Beziehung, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern.
Charakteristik der hauptsächlichen Typen des Sprachbaus, haben ihn als einen von
den Ideen Wilh. v. Humboldts ausgehenden, selbständig weiter forschenden Geist
gezeigt, der das sprachliche Leben in den engsten Zusammenhang mit den psychischen
Vorgängen in dem Menschen und den Völkern setzte. Mit seinem Schwager M.
Lazarus gründete er als Organ des gemeinsamen Strebens die Zeitschrift für Völker-
psychologie und Sprachwissenschaft, welche mit dem 20. Bande l^^Ol abschloss.
und an deren Stelle, allerdings mit Änderung mehrerer Zielpunkte, unsere Zeitschrift
getreten ist.
Was Lazai'us und Steinthal unter Völkerpsychologie verstanden, hat der letztere
in dem einleitenden Aufsatz zu unserer Zeitschrift I, 10—17 „An den Leser" ge-
drängt zusammengefasst. Er bestimmt sie als eine psychologische Disciplin, die
von vier Ausgangspunkten sich bewegt: 1. der Psychologie als empirische Disciplin
gefasst, 2. der Ethnologie, 3. der Geschichte der Entwicklung des menschlichen
Geistes, 4. der Sociologie, die im Grunde eine auf die praktischen Verhältnisse
der Gesellschaft beschränkte Völkerpsychologie sei. Völkerpsychologie und wissen-
1) Über die -wiederbelebte Sommerverkündigung Lietare 1893 in Heidelberg vergl.
uiisre Zeitschrift III, 228.
Kleine Mitteiluug-eii. '209
schaftliche Volkskunde seien nur durch die Methode verschieden: ist diese syn-
thetisch, so könne man von Völkerpsychologie sprechen; ist sie analytisch von
Volkskunde.
Es begreift sich dadurch, Avie bei dem Aufhören der Lazarus-Steinthalschen
Zeitschrift, das mit der Gründung des Vereins für Volkskunde zusammentraf.
Steinthal und Lazarus den Zusammenhang mit unserm Verein und seinem neuen
Organ fest ergriffen und sich uns wohlwollend und thätig anschlössen, was in
unserer konstituierenden Versammlung im November 1890 durch Lazarus, in den
Verhandlungen über das Verhältnis der alten zur neuen Zeitschrift durch Steinthal
zum schönsten Ausdruck kam.
Der eine dieser beiden ist nun für immer von uns gegangen, aber sein Ge-
dächtnis ist bei uns geblieben, das Gedächtnis dieser reinen edlen Natur, dieses
tiefsittlichen Menschen, der eine schöne Versöhnung zwischen dem ihm angestammten
jüdischen, dem griechischen und dem deutschen Geiste in sich vollzogen hatte.
Seine Allgemeine Ethik (18>55) bezeugt diesen von Steinthal ausgeführten Prozess.
Karl Wein hold.
Von einem Lnheimlicheu.
Beitrag zum .Aberglauben im Altenlnirgischen.
Der Glaube an Zauberkünste ist hier zu Lande immer noch nicht ganz aus-
gestorben, wenn er auch nicht mehr in so ausgeprägter Form auftritt, wie vor
ungefähr fünfzig Jahren. In diese Zeit muss man sich auch das Nachstehende
zurückgestellt denken.
Der alte S. war in der Gemeinde und in der ganzen LTmgegend eine gefürchtete
und zugleich gesuchte Persönlichkeit. Der Volksglaube behauptete nämlich von
ihm, dass er „etwas könne", d. h. durch Verbindung mit dem Rosen übernatürliche
Kräfte besitze.
Dieses unheimliche Gerücht wurde durch das menschenscheue Wesen genährt,
das er geflissentlich zur Schau trug, und durch den Umstand, dass er den Gottes-
dienst nicht besuchte, sich überhaupt von jeder kirchlichen Handlung fernhielt.
Kein Mensch wagte es, seine Grundstücke unbefugterweise zu betreten, aus
Furcht, sich mindestens einen lahmen Fuss zu holen, wenn nicht gar „festgemacht"
zu werden.
Letzteres kann nun aber leicht schlimm ablaufen, da der Gefangene sich wie
eine Fliege an der Leimrute zu Tode zappelt, wenn der Bann nicht vor Sonnen-
untergang gelöst wird. Aus diesem Grunde verschmähte es der alte Hexenmeister
wahrscheinlich auch, von diesem Teile seiner Kunst Gebrauch zu machen, aber
Beispiele, wie er Vorwitzige zu bestrafen wusste, haften heute noch im Gedächt-
nisse der Leute:
Zwei Mägde kehrten nachts vom Tanze heim. Als sie an seinem Garten vor-
übergingen, pflückte die eine, trotz der Abmahnungen ihrer Freundin, einige
Pflaumen von den überhängenden Zweigen. Kaum hatte sie dieselben verzehrt,
als die Oberlippe anschwoll und sich ein Auswuchs in Gestalt der gestohlenen
Frucht bildete. Auf Anraten ihrer Herrschaft begab sie sich des andern Morgens
zum alten S. und bat um „gut Wetter". Dieser lachte sie tüchtig aus und er-
mahnte sie, künftig ihre Hände von seinem Eigentum zu lassen. Dann ging er in
seine geheime Kammer, und als er nach einiger Zeit wieder zum Vorschein kam,
befahl er ihr, nach Hause zu gehen. Schon auf dem Heimwege setzte sich die
Geschwulst, und als sie in ihrem Gehöfte ankam, war das Gesicht wieder alatt.
210 Pfeifer:
So bestrafte er auch einen Knecht, welcher sich erdreistete, ihn zu verspotten.
S. war nämlich gerufen worden, um seine Kunst an einem erkrankten Viehe
zu versuchen. Das Tier war beschrieen. Wie er nun sein Sprüchlein murmelnd,
gähnend und spuckend — das Zeichen für den Erfolg- der sympathetischen Kur —
um den Düngerhof herumläuft, beobachtet ihn der Knecht von der Scheune aus.
Ihm kam dieses Gebaren so komisch vor, dass er nicht unterlassen konnte, es nach-
zuahmen. Da drohte der Alte mit dem Finger und meinte: „Die Sache wird dir
schlecht bekommen." Und richtig! „Die Geister, die er rief, ward er nicht mehr
los." Es würgte und schüttelte den Spötter so furchtbar, dass er Gott dankte, als
ihn der Verhöhnte durch seinen Maclitspruch aus dem unseligen Zustande erlöste.
Kranke suchten in grosser Anzahl bei ihm Hilfe, besonders Freitags. Der
Karfreitag galt für den günstigsten Tag für eine erfolgreiche Kur.
Geld verlangte er nie, doch flössen die freiwilligen G:>ben so reichlich, dass
man die damals üblichen Viergroschenstücke in Schüsseln sammelte.
Die Hilfesuchenden empfing er häufig mit den Worten: „Ich wusste, dass du
heute kommen würdest", was natürlich sehr verblüffend wirkte und den Glauben
an seine Unfehlbarkeit bestärkte.
Diesen prophetischen Blick verdankte er seinem ..Erdspiegel", den er in einem
besonderen Zimmer aufbewahrte, zu welchem niemand Zutritt hatte.
Mit Hilfe desselben vermochte er auch Diebe zu entdecken. Ein Blick in
denselben zeigte ihm nämlich die Person, welche den Raub ausgeführt hatte, und
mit seinen Zaubersprüchen konnte ei- sie zwingen, die Beute herauszugeben.
Machtlos war er nur dann, wenn das Gestohlene bereits über ein fliessendes Ge-
wässer gebracht worden war. Für den Misserfolg seiner Bemühung war also stets
ein Grund vorhanden, doch mögen auch Fälle vorgekommen sein, in denen der
Dieb aus Furcht vor dem Gewaltigen das geraubte Gut heimlich wieder an Ort
und Stelle brachte.
Als Geisterbanner hat er sich ebenfalls bewährt.
In einem Gute hatte sich der Besitzer entleibt und beunruhigte die Hinter-
bliebenen allnächtlich als Gespenst. Diese wandten sich in ihrer Not an S. und
diesem gelang es auch, den Geist in ein nahes Gehölze zu bannen.
Eine arme Frau, welche nach einiger Zeit mit ihrer Tochter dort Holz auflas,
bemerkte, als sie zufällig von ihrer Beschäftigung aufblickte, wie das Kind mit
geschlossenen Augen rücklings einem Baume zuschritt. Unter diesem stand ein
Mann in Hemdsärmeln mit der Schaufel auf der Achsel, in welchem sie den
Selbstmörder erkannte. Auf ihren angstvollen Ausruf: „Herr Jesus!" kam das Kind
zur Besinnung und das Gespenst war verschwunden.
Dem Mädchen, das in den Bannkreis geraten war, wäre ohne Zweifel der Hals
umgedreht worden, wenn der heilige Name den Zauber nicht gebrochen hätte.
Die Frau hat das Ereignis wohlweislich neun Tage verschwiegen, denn ein schiefer
Mund ist die geringste Strafe, die auf dem vorzeitigen Ausplaudern solcher Sachen .
ruht.
Aus welchen Quellen schiipfte nun der alte S. seine unheimliche Weisheit?
Einige behaupten, er wäre im Besitz des sechsten und siebenten Buches Mosis
gewesen. Bei seinen Lebzeiten hat niemand Gewissheit darüber erlangt, und nach
seinem Tode hat man den schriftlichen Teil seines Nachlasses aus Vorsicht ver-
brannt.
Nur einmal ist eins seiner Zauberbücher an die Öffentlichkeit gekommen,
freilich ohne Wissen und Willen des Eigentümers und dann auch nur auf ganz
kurze Zeit: Der jugendliche Kuhhirte, welcher auf dem Gute diente, hatte zufällig
Kleine Mittoiliinyen. 211
ein solches erwischt und mit zur Schule genommen. Vor Beginn des Unterrichts
las er in demselben und allmählich füllte sich das Zimmer mit schwarzen Vögeln.
Als der Lehrer eintrat und das Unheil bemerkte, befahl er dem Jungen, rückwärts
zu lesen. Dies geschah, und das Getier verschwand nach und nach, wie es ge-
kommen war. Die Strafe, welche der naseweise Bursche von seinem Brotherrn
erhielt, dürfte diesmal die allgemein gebräuchliche gewesen sein.
Als ein Bekannter einst im Scherze den Wunsch aussprach, S. möge ihm
einmal den Teufel — seinen Teufel — zeigen, zog er ruhig ein Säckchen von der
Grösse eines Tabakbeutcls aus der Tasche und liess ihn einen Blick hineinthun.
„Was er allda gesehen und erfahren, hat seine Zunge nie bekannt.'- Zwar ,,seines
Lebens Heiterkeit war nicht auf ewig dahin", aber auf alle Fragen nach dem Er-
schauten hatte er die Antwort, dass er den ausgestandenen Schreck seinem ärgsten
Feinde nicht gönne.
Das Ende des Hexenmeisters war, wie es bei Leuten seines Schlages stets
der Fall ist, ein sehr schweres. Er konnte nicht „ersterben", und erst als man den
mit dem Tode Ringenden auf einen Düngerhaufen brachte, wurde er von seinem
Leiden erlöst. Reichtümer, die man erwartet halte, hinterliess er nicht; der Teufel
ist ja bekanntlich ein Schelm, der selbst seine Günstlinge betrügt.
Alten bürg i. S.-A. E- Pfeifer.
Wie mau giftic:e Schlangen anfasst.
Dass mau giftige Schlangen ohne Schaden anfassen könne, war mir bisher
unbekannt. Erst vor einiger Zeit habe ich diesen Kunstgriff — denn daraufkommt
es an — von einem „Impresario'', der verschiedene Schlangen in den hiesigen
Schulen zeigte, gesehen. Er drückte einer Kreuzotter den Kopf mit einem Stock
fest auf den Boden und fasste die Otter mit der Linken an der äussersten Schwanz-
spitze und hielt sie empor. So war es der Schlange nicht möglich, ihren herab-
hängenden Kopf soweit emporzuheben, dass sie die Hand des Haltenden erreichte.
Interessant war es mir nun, als ich fand, dass dieser Kunstgriff schon den
Alten bekannt war. Dies ergiebt sich aus einer Stelle des Kirchenvaters Clemens
von Alexandrien, in dessen „Paedagogos" III, 6 es heisst: „der Reichtum scheint
mir einer Schlangen zu gleichen. Wenn jemand diese von ferne nicht richtig an-
zufassen weiss, indem er sie an der Schwanzspitze gefahrlos in der Luft
hält, so wickelt sie sich um seine Hand und beisst ihn."!) Namentlich dürfte im
alten Ägypten, wo ja in dem Abrichten und in der sogen. Beschwörung der
Schlangen Grosses» geleistet wurde-'), auch jener Kunstgriff allgemein bekannt
gewesen sein. Dies scheint sich zu bestätigen durch die Schriftstelle "2. Mos. 4,
'2—4, wo Gott an Moses, der sich vor der aus seinem Stabe gewordenen Schlange
fürchtet und vor ihr flieht, die Aufforderung richtet: „Erhasche sie beim
Schwänze"! — „Da streckte Moses seine Hand aus und hielt sie." Wie später
unter den Plagen, die Moses auf Gottes Geheiss über die Ägypter und ihr Land
heraufbeschwört, sich solche befanden, die mit der Natur des Landes zusammen-
hingen und den Ägyptern nicht unbekannt waren, so werden wir auch aus dem
obigen Geheiss, die Schlange beim Schwänze zu erhaschen, auf einen bei den
Ägyptern bekannten Kunstgriff, den sie bei giftigen Schlangen an-
wandten, schliessen dürfen.
1) Bibliothek der Kirchenväter iu deutscher Übersetzung von Dr. Valentin Thalhofer.
2) Vgl. 2. Mos. 7, 11 f.
•_>!■_> Krüger: Kleiin' Mittcilungpii.
In Brehms Tierleben wird an der Stelle, wo er von der Kreuzotter spricht,
nicht gerade ausdrücklich von dieser Art des Fangens, dass man ihren Kopf mit
einem Stock herabdrückt und sie am Schwänze emporhebt, gesprochen. Aber man
kann es, wie mir scheint, aus folgenden Worten entnehmen: „Fast ohne Ausnahme
speit sie entweder sogleich (nachdem sie gefangen ist) oder doch nach Stunden
oder Tagen die genossene Nahrung wieder aus, selbst wenn man sie so behutsam
fing, dass sie chibei, ausser am Schwanzende, gai' nicht j^edrückt wurde. Zu-
weilen speit sie schon, indem man sie um Schwanzende aufhebt."
In Bezug auf die Kreuzotter möchte ich hier noch etwas erwähnen, was sich
nicht gerade auf dns Anfassen desselben, aber doch auf den Schutz gegen ihren
Biss bezieht. Ich erinnere mich, dass in meiner pommerschen Heimat die Knaben,
wenn sie auf die Kreuzotter zu sprechen kamen, sich folgendes erzählten: Die
Kieuzotter rühmte sich einst: „Ich beisse durch Eisen und Stahl!" Gott aber
sagte zu ihr: „Du sollst nicht einmal durch einen Wollfaden beissenl" Dass
man durch Wolle, etwa wollene Strümpfe, wirklich gegen die schädlichen Folgen
ihres Bisses geschützt sei, ist mir bei der Beschaffenheit des Giftzahns nicht wahr-
scheinlich. Vielleicht ist die Wolle nur in abergläubischer Weise als Zaubermittel
gedacht. Die Bedeutung eines Zaubermittels gegen Schlangenbiss wird der Wolle
auch anderweitig beigelegt. So heisst es^) in einer Beschwörung der Schlange bei
den Letten: Die ehrliche, gnädige Frau Schlange schläft am Wegrande auf dem
Sande, der Mund ist voll Wolle; die ehrliche, gnädige Frau schläft im Sumpfe
auf einem Erdhügel, der Mund ist voll mit Wolle; die ehrliche, gnädige Frau
schläft im Walde unter der Wurzel, der Mund ist voll mit Wolle." Und in einer
Schlangenbissbesprechung der Esthen findet sich die Stelle-):
..Wo 11 in den Mund Dir!
Wo 11 aufs Haupt Dir!
AVollenhaar da.s Züuglcin Dir!
Wolle werde Dir Dein Hut!
Wolle ganz und gar Du selber!
Flirdie von hinnen. Du Feind und Gegner!"
Bromberg. K. Krüger.
1
Spruch des Nachtwächters in Hindelaiiü; (Algäu).
Stellet auf im Namen Jesu Christ!
Der lielle Tag, der schon vorhanden ist,
Der helle Tag der thut herschleicheu
Dem Armen wie dem Reichen.
Der helle Tag vertreibt die finstre Nacht.
Liebe Christen! Seid fröhlich und v/ach,
Lobet Gott und IMaria!
Marie v. Whm.
l) Zcitschr. d. Vereins f. Volkskunde, b. Jahrg., S. "i"*
y> a a. 0. S. •2(;.
Brückner: Bnclieranzei<?en. 21o
Büclieraiizeiaen.
Slavisclie Tolkskunde. Übersicht periodischer Publikatioiieii bei Böhmen,
Bulgaren. Kleinrussen, Polen, 8erbokroateu, Slovaken, Slovenen.
Wir beginnen mit den Polen, weil ihre Publikationen die zahlreichsten und
ältesten sind und von anderen mehrfach nachgeahmt worden sind: die Warschauer
Wisla, Adalbergs grosses Sprichwörterlexikon (1804. SOf) Ss. gr. 4^), die Publi-
kationen der Krakauer Akademie, zumal der Sammlungen Oskar Kolbergs haben
förmlich Schule gemacht oder sind an umfang und Fülle des Materials unerreicht
geblieben.
Der in Lemberg erscheinende Lud (das Volk), als Organ der dortigen Gesell-
•sciiaft für Volkskunde, unter der Redaktion von Prof. Dr. A. Kaiina, entwickelt
.sich, aus sehr bescheidenen Anfängen, immer besser. Der vierte Jahrgang ist
bereits ein stattlicher Band von 454 Ss. geworden und auch das erste Heft des V.
(104 Ss.) bietet manches Beachtenswerte. Hauptarbeiten waren: von St. Zdziarski
ül)er das volkstümliche Element bei Mickiewicz, zumal in dessen Balladen und
Ronumzen, eine erschöpfende Zusammenstellung alles einschlägigen Mateiials; und
Jan Witoi'l. Grundriss des litauischen Gewohnheitsrechtes, dargestellt aus den
RechtsanschauLuigen des Volkes und den Entscheidungen der Dorfgerichte, die
.sich an die staatlichen Gesetze wenig zu kehren pflegen. Derselbe Witort
schildert auf Grund vicljähriger persönlicher Erfahrung die Bräuche der Steppen-
kirgisen, die immer erheblicher durch den Einfluss mohamedanischen Glaubens
und russischer Rechtsnormen an Ursprünglichkeit einbüssen. Dr. P. Krcek hat
Umfragen in ganz Galizien über den Brauch der Ostereier (Bemalen, Zeichnungen,
Spiele) und der Johannisfeuer (Sobötka, d. i. der kleine Sonnabend, Zobten)
angestellt und erörtert die Resultate. Es kommen hinzu allerlei Materialiensamm-
lungen u. dgl: der bibliographisch-kritische Teil ist unbedeutend.
Die Publikationen der Krakauer Akademie haben einen neuen Titel bekommen;
aus dem vielbändigen Zbiör wiadorao-^ci u. s. w. sind es Materyaly antropologiczno-
archeologiczne i etnograficzne geworden, von denen zuletzt der HI. Band 1898
erschienen ist (die verschiedenen Abteilungen mit besonderer Paginierungj. Genannt
srieii nur die ausführlichsten Angaben über das litauische Sprachgebiet in Russland,
als Ergänzung der kurzen Angaben Dr. Tetzners über litauisches Sprachgebiet
in Preussen (Globus LXXI). Von Sonderausgaben der Akademie sei genannt.
M. B^ederowski, lud bialoruski na Rusi litewskiej (Weissrussen; Materialien,
gesammelt 1877—1891) Bd. I. XX und 509 Ss., 1897, enthält eingehende Auf-
zeichnungen über Glauben und Leben des Volkes in dessen eigenen Worten, in
phonetischer Transskription der weissrussischen, auch schwarzrussischen Texte, die
dadurch auch als Sprachproben wichtig werden; ausserdem J. Swi^tek, lud nadrabski
(das Volk an der Raba, im Krakauischen), IX und 728 Ss., 1893, eine wohl dis-
ponierte und erläuterte Materialiensammlung von allem, was auf Sprache, Sitten,
Lieder, Erzählungen u. dgl. der betreffenden Gegend Bezug hat; dann die Publi-
kationen von St. Ramult über das Kassubische. Vorausgegangen war desselben
A^erfassers kassubisches Wörterbuch (189:3), für welches er allerdings einen ganz
verfehlten Titel gebraucht hatte, in welchem von einer angeblichen selbständigen
„pommcrischen Sprache^^ die Rede war; jetzt folgte eine „Statystyka^ (der kassu-
0]^4 Brückner:
hischen Bevölkerung, mit einer ethnographischen Karte, 1891), "290 8s.), in welcher
zum erstenmale zuverlässige Angaben über Dichte und Verbreitung der Kassuben
zu finden sind; diejenigen der officiellen Statistik von 1890 sind nämlich so ziemlich
wertlos, weil ganz unvollständig. Die Angaben des Verfassers beruhen auf dem
allergenauesten Nachforschen von Ort zu Ort und Hof zu Hof, auf Grund eigener
Reisen oder eingehender Korrespondenz. Als Gesamtzahlen ergeben sich über
200 000 für Europa, an 130 000 für Amerika, d. h. ungleich höhere, als die bis-
herigen es waren. Posen (wenn man von den älteren Arbeiten 0. Kolbergs und
der Sagenpublikation von 0. Knoop, in deutscher Sprache, 1892, absieht), sowie
West- und Ostpreussen (wo nach dem Tode Töppens Sembrzycki allein einiger-
massen thätig ist) weisen grosse Lücken auf; die Posener und Thorner gelehrten
Gesellschaften haben sich bisher zur Pflege der Volkskunde nicht entschliessen
können. Aus Schlesien werden jetzt die noch von 1869 her stammenden Auf-
zeichnungen des jüngst verstorbenen Prof. Malinowski von der Akademie ver-
öffentlicht. Im IV. Bande der Materjaty etc. (S. 1—80) sind herausgegeben Sagen,
Märchen etc. aus dem Teschenschen, denen die aus Preuss. Schlesien folgen werden;
diese Aufzeichnungen gemischtesten Inhaltes sind streng dialektlich gehalten und
in erster Reihe für den Sprachforscher wichtig; es ist das „Wasserpolakische"
gemeint, d. h. Polnisch vom reinsten Wasser, wie hier gegen falsche landläufige
Anschauungen hervorgehoben werden kann. In Warschau wandelt die bereits
mehrfach genannte Wisla und ihre Bibliothek auch unter deiner neuen Redaktion
in der von Dr. J. von Karlowicz vorgezeichneten Richtung weiter. Die 15 Bände
ihrer Bibliothek umfassen Materialiensammlungen, z. B. Bd. XII und XIII Saino-
gitische Sagen (echte, d. h. andere als die Veckenstedts), X Lettische: besprechen
das Leben und Treiben einzelner Gegenden oder Orte (Jagodne, Bd. IV, Rudawa,
Bd. IX), bringen auch Skizzen (das Weib im Volksliede, Bd. VIII; Medizin und
medizinischer Aberglaube des polnischen Volkes, Bd. VII) ; Bd. XIV und XV füllt
eine Übersetzung der Grimmschen Haus- und Kindermärchen aus. Die Zeitschrift
selbst ist jetzt bei ihrem XII. Bande angelangt (jeder Band umfasst 8—900 Ss.
gr. 8-*); aus dem reichen Inhalte des letzten Bandes sei hervorgehoben die Arbeit
von L. Krzywicki aus dem Gebiet der Völkerpsychologie, über die Grundlagen
von Kannibalismus und Lykanthropie (XII, 100 — 130) — der unnatürliche Blutdurst
wird im letzten Grunde auf sexuelle Entartung einzelner Individuen zurückgeführt,
das „Jemand zum Pressen lieb haben" wäre also einst keine Metapher gewesen;
ich möchte dagegen Einspruch erheben, obgleich Krzywickis Arbeiten immer durch
die Schärfe und Selbständigkeit des Urteils, sowie die ganz immense Belesenhcit
des Verfassers bestechen. Derselbe hat unlängst einen „Systematischen Kursus der
Anthropologie'' (I.Teil: die physischen Rassen, Warschau 1897) zu veröffentlichen
begonnen. Ign. Radlinski schreibt über die judaistisch-christlichen Apokryphen,
aber für eine blosse Einleitung in die polnische Apokryphenlitteratur ist die Sache,
die auf vielen Seiten kaum mit den sybillinischen Weissagungen fertig wird, zu
weit ausgesponnen. Karlowicz berichtigt die Annahmen Ramults über eine
Sonderstellung des Kassubischen; Cernys Darstellung des „sorbischen" Volksmythus
wird hier übersetzt; andere Materialien werden, besonders auch in der Form von
Anfragen u. dgl. gesammelt; die litterarische Chionik ist nur für einzelne Gebiete
erschöpfend (Nalkowski, Geographische Chronik für das Jahr 1896; Majewski,
Vor- und urgeschichtliche Litteratur des verflossenen Decenniums; die Materialien
zur polnischen volkskundlichen Bibliographie für die Jahre 1878 — 1894, alphabetisch
yeordnet, von A. Strzelecki reichen bis zum Buchstaben S). Erwähnung verdient
Bücheranzeigeü. 215
auch die Studie von E. Majewski über die Rolle des Kuckuclcs im Lied und
Glauben des polnischen Volkes.
Schon aus dieser flüchtigen Übersicht erhellt zur Genüge, welch bedeutenden
Raum volkskundliche Arbeiten und Sammlungen in der polnischen wissenschaft-
lichen Litteratur einnehmen; sie beschränken sich zudem nicht auf das eigene
Volkstum, sondern bezichen auch russisches und litauisches ein.
Neben dem, den Lesern unsrer Zeitschrift wohl bekannten (,'esky Lid ist ein
neues Organ für Volkskunde geschaffen worden, der Närodopisny Sboinik Cesko-
slovanskv (ethnographische böhmisch-slavische Sammelschrift), herausgegeben von
der ethnographischen Gesellschaft und Museum, drei Hefte, unter der Redaktion
von Prof. Dr. Fr. Pastrnek. F]s ist dies kein Konkurrenzunteinehmen; im An-
schluss an die gelungene Ausstellung' von 1895 bildeten sich Komitee und Gesell-
schaft eines ethnographischen Museums und begannen seit lö97 mit Rechenschafts-
berichten und Publikationen hervorzutreten. Während der C. L. unter der be-
währten Redaktion von Dr. C. Zibrt seinem ursprünglichen Programme gemäss
durch bunte Mannigfaltigkeit und zahlreiche Illustrationen für weitere Kreise wirkt,
wendet sich der Sbornik an einen enger gewählten Kreis, in umfänglicheren
Abhandlungen und einer erschöpfenden, äusserst systematischen Bibliographie
(keine slavische Zeitschrift kann eine gleich reiche und wohlgeordnete aufweisen).
Zu den Hauptmitarbeitern zählt Prof. Dr. J. Polivka: von ihm stammt die Ab-
handlung über vergleichendes Studium der Volkstraditionen, II, 1 — 49 und der
Hauptteil der Bibliographie. Prof. l'olivka ist ein ausgezeichneter Kenner der
traditionellen Litteratur aller \'ölker: aus seinen reichen Sammlungen stattet er
jede Nummer der von ihm besprochenen Märchen mit Varianten oder Parallelen
aus; nur manchmal vermisse ich den Hinweis auf das nächst liegende, wichtigste,
z. B. bei der Besprechung einer kaukasischen Märchensammlung, II, 105 wird bei
einer tatarischen Erzählung von der ungetreuen Frau gerade nicht das identische
und älteste zugleich aus den (apokryphen) Urteilen Salomonis angeführt, anderswo
fehlt die Nennung des Fortunatus u. dgl. m. Was jene Abhandlung betrifft, so
wird darin über die bisherigen Forschungswege von Grimm und v. Hahn an bis
ISedier des fabliaux- 1895) klar gehandelt; eines sei hierzu bemerkt: zum alten
Eisen gehört nicht nur die „mythische' und die „anthropologische'", sondern auch
die „indische'' Herleitung der Märchen; für das phantastische Märchen sind nämlich
mythische und ursociale Elemente gerade so unorganisch und zufällig, wie die
sogen, indischen Beziehungen (Liebe für die niederen Geschöpfe, Seelen Wanderung);
die Feldzüge Alexander d. Gr., die Kreuzzüge, die Zigeuner endlich helfen uns
als angebliche Vermittler urindischer Stoffe nach dem Westen blutwenig. Aller-
dings scheide ich die Migrationstheorie von der specifisch „indischen'' Theorie
vollständig ab; letztere konnte längst in ihrer Allgemeinheit abgethan werden durch
den ersten besten Hinweis, z. B. auf die Märchen der Odyssee und andere griechische
Märchen (Midasohren, Psyche u. s. w.), um von ägyptischen u. dgl. zu schweigen.
Der Verf. hat sich meines Erachtens von der ,.indischen" Theorie noch zu wenig
frei gemacht, sie spukt noch immer in seiner Vorstellung. H. Mächal, Über
einige Volksbücher, weist das Eindringen italienischer und anderei- Stofl'e aus der
Litteratur in die Tradition nach; doch geht Verf. zu weit in der Forderung, die
traditionelle Litteratur selbst nach derlei Stoffen einzugliedern. Auf anderes, Über-
lieferungen der Slovaken z. B , wo man das Volk noch ganz im Banne der alten
Schlangensagen sehen kann, ist hier nicht mehr einzugehen, doch sei noch wegen
einer ethnographischen Streitfrage der mährischen Walachen gedacht: sind es, wie
Miklosich annahm, shivisierte Rumänen oder Slaven? In der Litteratur über
"216 Brückner:
dieselben, die III, 49— .M) aufgezählt wird, fehlt das älteste und interessanteste,
eine im Privatbesitz in Lcmberg' befindliche Handschrift aus dem vorigen Jahr-
hundert mit Trachten bildern u. dgl. A. Cerny gieht einen kurzen Auszug seiner
Lausitzer Mythologie u. s. w.
Der Cesky Lid ist bei seinem achten Jahrgange angelangt (Bd. VI, XXYI
und GOO Ss., 1897; Bd. YII, zweierlei Register, 468 Ss. und 92 Ss., bibliographischer
Bericht von 894 Nummern, 1898; Bd. VIII, Heft 1—4, 288 Ss. und 48 Ss. Biblio-
graphie, 728 Nummern). Aus dem überreichen Inhalt einzelnes hervorzuheben
fällt schwer; besonders sei hingewiesen auf die eingehenden Erörterungen über
Hausindustrie, Kleidung, Nahrung, Spiele des Volkes, Ornamentierung seiner Tücher
und Gesangbücher u. s. w , auf die vielen Beiträge zur Kulturgeschichte aus Hand-
schriften, Prozessakten, Memoiren, Reisebeschreibungen. Das ist eine, oder besser
gesagt, die Hauptrichtung des C. I^., eines Organes fast mehr für Kulturgeschichte,
als für engere Volkskunde, unter der man gemeiniglich (aber nicht mit Recht)
die Sammlung und Deutung der traditionellen Litteratur zu verstehen pflegt. Doch
auch diese ist reich vertreten, durch Mitteilungen von Sagen, Märchen, Liedern,
Rätseln u. s. w. aus alter und neuer Zeit, letztere mit Wahrung des Lokaldialektes;
dann durch Studien, z. ß. von H. Mächal über die Verbreitung des Stoffes von
La belle et la bete, VII, 249 ff., 329 ff.; von V. Tille vergleichende Studien zu einer
ganzen Reihe kleinerer Motive und eine besondere über Rübezahl, speciell über
die Sagen bei Prätorius, die geprüft werden (Bd. VII) auf ihren Inhalt, Entstehen
der Sagen vom Berggeiste und Verquickung derselben mit fremden Motiven.
Podlaha druckt aus einer Hds. Litermedien, komische Zwischenspiele, des V.
Kozmanecius aus den Jahren 1644 — 1646 ab, für Kulturgeschichte nicht uninter-
essant (Bd. Vn und VIII). Auf der Grenze zwischen Kulturgeschichte und Volks-
kunde bewegen sich auch drei Werke aus dem Anfange unseres Jahrhunderts, in
denen nach der Art von Heidenreich und Eckartshausen die Grundlosigkeit
u.dgl. des Aberglaubens dargethan wird: es excerpiert sie Zibrt (Bd. Vll u. A^III)
und ergänzt so das Werk von Grohmann, Aberglauben und Gebräuche aus
Böhmen und Mähren (1864). Der rastlose Fleiss, die Umsicht und Arbeitskraft
des Herausgebers, wie sie namentlich in der Fortführung der überreichen Rubrik
Bibliographie sich bekunden, ist allgemein anerkannt: ich verweise dafür nur auf
Weinhold, Zeitschrift 1899, S. ii7.
In beiden genannten Zeitschriften wird das Slovakische vielfach mit berück-
sichtigt; von selbständigen Publikationen sei hier nur genannt, die von der Prager
Akademie herausgegebene grosse Sprichwörtersaramlung (A. P. Zaturecky, slo-
venskä pi-islovi, porekadla a üslovi, 1896. VI u. 3«9 Ss. lex. 8"), an 13000 Nummern
umfassend, mit Hinweisen auf verwandte Sammlungen, etwas allzu freigebig mit
Erklärungen, von denen die eine und die andere nicht immer Stich halten. Grosse
Mühe verwandte der Sammler auf die Sichtung des Stoffes nach den bekannten
Kategorieen, innerhalb derselben alphabetische Folge beobachtend und zwischen
Sprichwörtern und blossen Redensarten streng scheidend: ein erschöpfender Index
(Ss. 296ff.), nach Stichworten geordnet, erleichtert die Auffindung; es ist dies
freilich doppelte und doch noch nicht alles erschöpfende Arbeit. Adalbergs
Methode (alphabetische Ordnung nach dem Stichworte und im Index alphabetische
Aufführung aller anderen Hauptworte mit Rückverweisungen) ist praktischer.
Von akademischen Publikationen seien noch erwähnt Novaks Ausgabe der
böhmischen Gesta Romanorum (nach drei Hdss. des XA'. Jahrh , das latcin. Original
gehört derjenigen Klasse an, auf welche auch die deutschen Übersetzungen zurück-
gehen), 1895; Zibrts vollständige Bibliographie des böhm. Volksliedes u. s. w.
Bücheranzeigen. '2 1 <
Unter den Südslaven beginnen wir mit Bulgaren. Nur eine wichtige Publi-
kation sei hier genannt: der Sbornik za narodni umotvorenija, nauka i kniznina des
Ministeriums der V'olksaufklärung (Sammlung für traditionelle, wissenschaftliche
und kritische Litteratur), die 1898 zum XV. Folianten (je über U'dO Ss Lex. 8")
gediehen ist. Innerhalb jeden Bandes ist die traditionelle Litteratur ans Ende
gerückt, enthaltend Aufzeichnungen von Märchen u. s. w. bis zu Kinderreimen hin-
unter: den kritischen Teil übergehen wir, ebenso aus den wissenschaftlichen
Arbeiten die über bulgarische Flora und Fauna, Archäologie (auch klassische, Avegen
der Funde wichtig) und Geschichte, Grammatik und Litteratur. Aber eine Specialität
des Sbornik sind Sachen, welche Volkskunde aufs engste berühren, Abhandlungen
von dem verstorbenen Dragomanov, in dessen Stelle jetzt ein anderer Klcinrusse,
der begabte Dr. J Franko eingetreten ist, von Sismanov und von Prof. J. Polivka,
sämtlich vergleichender Märchenkunde u. dgl. gewidmet.
An die Spitze dieser Arbeiten sei gestellt, sowohl wegen ihrer Methode als
wegen der Stofffülle, die Abhandlung von Dr. J. Sismanov über den Lenorenstoff
(Bd. XIII, S. 474—569 und XV, S. 449—600 und 1—186, Texte, 139 Nummern,
davon 68 zum erstenmale veröffentlicht). Dabei handelt es sich nur um die Balkan-
lassung dieses Motivs, wonach der tote Bruder die Schwester der verzweifelnden
Mutter zuführt, eine so eigenartige Fassung, dass man sogar jeglichen näheren
Zusammenhang mit dem westlichen Lenorenstoffe hat leugnen wollen, wogegen
sich der Verf. mit Recht verwahrt. Zur Entscheidung kommt die Frage, wo die
Heimat dieser Fassung zu suchen ist: bei den Serben, wie einst Wollner, Psichari
und heute noch Sozonovir in seiner fast 250 Ss. umfassenden Arbeit (jetzt zum
zweitenmalc herausgegeben, Warschau 1898, russ.) behaupten, oder beiden Griechen,
wie Politis und Destunis annahmen. Der Verf. schlägt den einzig richtigen
Weg ein: er zerlegt die Ballade in ihre einzelnen Bestandteile (Namen, Zahl u. s. w.)
und bei jedem einzelnen sämtliche Texte vergleichend, sucht er nach Kriterien für
die ursprüngliche Fassung. Es ergiebt sich, dass die griechischen Texte trotz ihrer
verhältnismässigen Kürze die ursprünglichen und aus Kleinasien (Bithynien etwa)
auf doppeltem Wege nach der Balkanhalbinsel gewandert sind; den ersten Teil
dieses Satzes halte ich für unbedingt richtig; hoff'entlich wird Verfasser seine
Forschungen auch in einer der Weltsprachen resümieren, hat er doch schon 1894
in den Indogermanischen Forschungen IV den Lenorenstoff in der bulgarischen
Volkspoesie deutsch besprochen gehabt.
Dragomanov behandelte kosmogonische Mythen, den Ödipusmythus u. a. mit
besonderer Berücksichtigung der slavisehen Fassungen, mit Aufwerfen der Fragen
vom event Anteil der Bogomilen-Catharer u. s. w.; ebenso bespricht Dr. Franko
die Einhornparabel (Bd. XIII, 570—620); Polivka (XV, 393—448) das Märchen
vom Zaubermeister und seinem Schüler, von dem unsre Zeitschrift eine Grazer
Variante (VI, 320) gebracht hat: er verfolgt das Motiv in allen seinen Ver-
sehlingungcn bis nach Indien, ohne erweisen zu können, dass das Motiv selbst aus
Indien stammen müsse. Andere Publikationen müssen wir übergehen, doch sei
noch erwähnt: A. Strauss, Bulgarische Volksdichtungen, Wien und Leipzig, 1895,
VIII und 518 Ss., auch wegen der ausführlichen Einleitung, in der die, sonst zu
Gunsten der allerdings schöneren und zarteren serbischen herabgesetzte bulgarische
Volkspoesie gerechter gewürdigt wird: besondere Hervorhebung verdient die An-
deutung über Grundverschiedenheit (?) bulgarischer Melodieen von den übrigen
slavisehen, z. B. serbischen, was auf Einfluss altgriechischer Weisen zurückgeführt
wird. Dasselbe Thema behandelt etwas anders im XIV. Bande (S. 641—664) der
Specialist auf diesem Gebiete, L. Kuba, und weitere Arbeiten sind in Aussicht
218 Brückner:
gestellt — die Hauptpunkte selbst scheinen noch strittig, die Frage nicht spruchreif
zu sein.
Des Volksliedes wegen schliessen wir die Slovenen an. Alle zerstreuten
Publikationen und reiches handschriftliches Material vereinte Prof. Dr. K. Strekelj.
um im Auftrage und auf Kosten der Slovenska Matica einen Thesaurus slovenischer
A''olkslieder herauszugeben, von welchem der erste Teil, epische Lieder (Balladen.
Romanzen, Legenden), abgeschlossen vorliegt: Slovenske narodne pesmi, iz tiskanih
in pisanich virov zbral in uredil Dr. K. S., Laibach 1895—1898, XXIV u. 820 Ss.
8", nicht weniger als lOiWy Nummern umfassend. Die Sammlung ist von muster-
gültiger Genauigkeit in der Wiedergabe der Texte, Bezeichnung ihrer Provenienz
u. s. w., nur über Anordnung könnte man hier und da streiten. Warum steht z. B.
der (König Matthias) Sänger vor der Hölle (das Orpheusmotiv, nur Mutter statt
Frau) nicht gleich bei den übrigen Matthiasliedern (Befreiung seiner Frau aus
türkischer Gefangenschaft; sein Tod)'? Auf die Matthiaslieder folgt das bekannte
„Turnier zwischen dem Kitter Lamberg und Pegam" — Lieder, die schon im
XVI. Jahrhundert gesungen wurden. Die frommen Legenden überwiegen sehr
stark. In Aussicht gestellt sind noch zwei Bände von gleicher Stärke, welche die
lyrischen u. a. Lieder umfassen sollen; es wird sich damit Prof. Strekelj ein
bleibendes Verdienst errungen haben.
Von serbischen Publikationen wäre in erster Reihe der Neudruck sämtlicher
Werke, Aufsätze, Sammlungen von Vuk auf Staatskosten zu nennen, von dem
bereits eine Reihe von Bänden vorliegt.^) Unter den Kroaten unternimmt die kroa-
tische Matica eine sehr gross angelegte Volksliedersammlung; andererseits hat die
Agramer Akademie eine periodische Publikation für Volkskunde, unter der Redaktion
von Dr. Ant. Radir, begonnen, von welcher jetzt der dritte Band erschienen ist:
Zbornik za narodni zivoti obiraje juznih Slavena, Agram 1898, zwei Hefte, 334 Ss.
Der Herausgeber ist sehr energisch und temperamentvoll, wie aus seinen Anzeigen
deutlich erhellt; weniger glücklich ist er in seinen Etymologieen, die samt und
sonders falsch sind. Der schon oben genannte L. Kuba behandelt die Tonalität
des dalmatinischen Volksliedes (S. 1—16 und 167—182): ein sehr interessanter
Aufsatz, der den Unterschied zwischen dem modernen, ins Volk eindringenden
Lied, Gassenhauer u. dgl. und dem echten Volksliede in der Melodie u. s. w. fest-
stellt; auch hier wird auf das Fortwirken altgriechischer Weisen hingewiesen. Den
Hauptraum nehmen Pul)likationen von Materialien ein, Beschreibungen von Land
und Leuten, in Trebarjevo (Dorf in der Posavina, an der Save) von einer dortigen
Frau, Kata Jajncerova, im heimischen Dialekt aufs eingehendste dargestellt
(S. 55—139 und 211—251), in Otok (Totenbräuche, S. 26—54), in Kola (Herce-
govina, interessante Schöpfungssagen u. ä , S. 252 — 264), ebensolche von der Insel
Cres u. s. w. Zahlreiche, nicht üble Trachtenbilder, nach der Art des Cesky Lid
etwa, sind beigegeben Auf die Dauer wird Belgrad hinter Agram nicht zurück-
stehen wollen, und die dortige Akademie wird ebenfalls an ähnliche Publikationen,
denen gegenüber sie sich bisher spröde verhalten hat, herantreten müssen, was im
Interesse jener an volkskundlichem Material überreichen Länder nur zu wünschen
wäre.
Der Schwerpunkt für kleinrussische gelehrte Arbeiten und Publikationen
ist durch Ungunst der politischen Verhältnisse aus Riev nach Lemberg verrückt
1) Vuks Namen (..Karadzic") trägt eine in Alekriiuac in Serbien von Professur
Dj ordjevic herausgegebene Sammelschrift für serbische Volkskunde, in sehr verschiedenem
Umfange erscheinend; wir bekamen sie nicht zu Gesicht.
Bücheranzeigen. 219
worden. Der sehr rühri^je Sercenko-Verein giebt zweimonatlich seine Zapysky
(Memoiren) heraus, Abhandlungen und Tlecensionen enthaltend, sowie unter der
bewährten Redaktion des scharfsinnigen, kenntnisreichen und unermüdlichen
Forschers Dr. J. Franko, eine Reihe volkskundlicher Schriften. Zu diesen gehört
zuerst der Etnograficnyj Zbirnyk, Band 1~V (1898, VI und 267 Ss. 8°), ]n
welchem besondere Aufmerksamkeit den abgetrennten, unter den drückendsten
politischen Verhältnissen in Ungarn kümmerlich vegetierenden Stammesbrüdern
gewidmet wird; so enthält z. B. der ganze 3. und 4. Band nur das einschlägige,
von V. Hnatjuk gesammelte Material aus Ungarn (Märchen, Sagen, Legenden
u. s. w.). Mannigfacher ist der Inhalt des ö. Bandes; besonders interessant sind
hier die aus dem Volksmunde geschöpften, durch die Zarenkrönung bewirkten
Erzählungen und Sagen: man sieht, wie die Phantasie des Volkes sich jeglichen
dankbaren Stoffes bemächtigt und wie sie in einer ganz bestimmten Richtung
schafft: es handelt sich hier vor allem um Laudschenkungen und Unterdrückung
der Fany (Herren) und Popen, die das Volk vom Zaren erhofft und sich bereits
ausmalt. Andere Arbeiten betretTen den Glauben (Aberglauben) ganz bestimmter,
engumgrenzter Gegenden; Kaindi steuert aus seinen Bukovinaer Erfahrungen
und Sammlungen mancherlei bei; Sammlungen von Beschwörungsformeln bei den
Huzulen sind besonders interessant wegen der Genauigkeit der Aufzeichnung, der
Einzelnheiten der Prozedur u. s. w. Ziemlich überflüssig, meines Erachtens wenigstens,
ist die abgesonderte Publikation „Ethnologischer Materialien", von denen ein Band
erschienen ist: der Unterschied beruht darauf, dass nicht mehr blosse Materialien-
sammlungen, sondern Bearbeitungen, Aufsätze darüber u. dgl. geboten werden; der
Band enthält auch Berichte über prähistorische, paläolithische Funde (in Kiev),
über Hausindustrie. Fischerei, Bauten. Volksnahrung u. dergl. Dragomanovs
Arbeiten über Sagenkunde, die uns im bulgarischen Sbornik begegnet sind, werden
jetzt kleinrussisch zusammen abgedruckt werden. Auf zwei Bände ist berechnet
die Publikation von J. Franko, Apokryphe und Legenden aus ukrainischen Hand-
schriften, wovon der erste Band, alttestamentliche Apokryphen, bereits erschienen
ist (Lemberg 1S96, LXVI und 394 Ss. 8")- In der sehr ausführlichen Einleitung
werden alle einschlägigen Fragen (Bedeutung des Namens, Geschichte, Litteratur,
handschriftliche Überlieferung, Einwirkung auf die traditionelle Litteratur) klar
besprochen, worauf die einzelnen Abschnitte, auf Schöpfung, Adam u. s. w. bezüglich
folgen und jedem eingehende Litteraturnachweise beigegeben werden. Zu Grunde
gelegt ist eine Krechower Palea (altes Testament) aus dem XV. (oder XVI.?)
Jahrb.. doch sind auch andere, jüngere Handschriften zur Ergänzung herangezogen
worden. Die Reichhaltigkeit der Überlieferung fällt auf, manche Sage oder Legende
wird hier überhaupt zum erstenraale bekannt. Die Register sind sehr ausführlich
und genau. Der zweite Band, im Drucke befindlich, wird die neutestamentlichen
Apokryphen bringen.
Das eben mitgeteilte mag den deutschen Leser von der Fülle der Arbeiten
auf diesem Gebiete bei den Slaven^) überzeugen: mit Recht fürchtet man das
baldige Versiegen vieler jetzt noch fliessender Quellen für immer und beeilt sich,
das noch Vorhandene, Erreichbare zu sammeln: denn das Hauptg-wicht dieser
Arbeit liegt eben im blossen Sammeln des Materials, weniger in seiner kritischen
Verwertung.
1) Grossrussische lodcr russische) Litteratur konnte nicht berücksichtigt werden, wofür
jedoch weder die Redaktion noch der Recensent Verantwortung tragen.
März 1899. A. Brückner.
•220 Weinhold:
Volksscliauspiele aus dem Böhmerwalde. Cüsamiuclt, wisseuschaftlich
untersucht und herausgegeben von J. J. Annuann. '1. Teil. (Beiträge
zur deutsch-böhmischen Yolkskunde, geleitet von Prof. Dr. A. Hauffeii.
II, -2.) Prag 1899. S. XL 1(;8. 8°.
Dem ersten Hefte dieser von Prof. Ammann in Krummau in Böhmen heraus-
gegebenen Böhmerwaldspiele (ünsre Zeitschr. VIII, 233) ist nun das zweite gefolgt,
das sechs weitere Stücke bringt: Eustachius, Alexius, der türkische Sultan, Geno-
vefa, Hirlanda, Heinrich von Eichenfels, sämtlich zur Aufführung auf den Volks-
bühnen des Böhmerwaldes bestimmte Bearbeitungen legendarischer oder fromm-
novellistischer Stoffe. Dreien von ihnen, Eustachius, Hirlanda, Heinrich v. Eichen-
fels, liegen die volkstümlichen Erzählungen Christoph v. Schmids zu Grunde. Es
sind sämtlich naive Machwerke unstudierter Leute, die von den Gesetzen drama-
tischer Kunst nichts wissen und Scene an Scene reihen, so weit der Erzählungs-
stoff' reicht. Der lustigen Person ist das Mitspiel nicht verwehrt, die Zuschauer
verlangen sie. — Ein drittes Heft soll noch ähnliche Spiele bringen. In dem
vierten will dann Prof. A. genauere Mitteilungen und Untersuchungen geben.
K. W.
Georg M. Kilffner, Die Deutsdien im Sprichwort. (Heidelberger Doktor-
arbeit.) 1899. 93 S. 8".
Was die Deutschen selbst und ihre Nachbarn in ihren Sprichwörtern alter und
neuer Zeit deutscher Art und Unart zu Liebe und Leide ausgesprochen haben, hat
K. mit grossem Pleisse aus mannigfachen, ihm nicht immer leicht zugänglicben
Quellenwerken zusammengetragen und aneinander gereiht. Eine eigentliche Vor--
arbeitung des reichen Materials fehlt, eine Hervorhebung etwa der immer wieder-
kehrenden Züge, die nachbarlicher Neid zur Verzerrung des Bildes anderer benutzt:
es fehlt auch an einer systematischen Ausnutzung der älteren deutschen Litteiatur:
einige Stellen aus dem Gudrunliede sind am Schlüsse angeflickt. Aber wo finden
wir die bekannte Stelle Wolframs von Eschenbach (Lachm. 121 -^ ff'.)?
„ein pris den wir Beier tragu,
muoz ich von Wäleisen sagn:
ilie sint toerscher denue beiersch her,
unt doch bi manlicher wer:
swer in den zweiu landen wirt,
gefuoge ein wunder an im birt."
Auch hält K. echtes Volksgut und Citate aus Dichtermund, die er übrigens
nicht immer als solche erkennt (vgl. No. 16 und 17), nicht recht auseinander und
namentlich da, wo seine Quellen „briefliche Mitteilungen" sind, bringt er viel
.,Zurechtgemachtes" vor. Seine litterarischen Quellen, „76 Werke mit 103 Bänden",
nennt er im Anfange des Buches, leider in alphabetischer Reihenfolge, so dass die
verschiedenen Sprachen und Zeiträume durcheinander geworfen werden. Wir
wären ihm dankbar, wenn er auch die 5U „erfolglos durchgearbeiteten" Sammlungen
mitverzeichnet und das Ganze nicht mechanisch, sondern systematisch angeordnet
hätte. Hinzufügen möchte ich noch die recht brauchbare Sammlung: „Sapienza
italiana in bocca aleraanna" von L. C. M. Giani (Stuttgart, P. Nefi", 1876), worin
sich manches gute, hergehörige Sprichwort findet, das K. anderwärts nicht entdeckt
hat, z. B. (No. 1610): J Tedeschi intendono piii che non sanno esprimere („Die
I
Biiflicraiizeig-en. 221
Deutschen hiibcn mehr Wissen im Kojjf, als Worte im Munde''). Leider ist die
Anordnung des Stoffes bei K. ebenfalls höchst schematisch. Voran stehen die
Sprichwörter, die das ganze Volk der Deutschen angehen, dann die Urteile über
die einzelnen Stämme. Diese Stämme aber sind alphabetisch (!) aneinander gereiht,
der Gegensatz zwischen Nord und Süd u. ä. somit völlig verwischt. Innerhalb
dieser Gruppen nun wird jedesmal A. Günstiges, B. Ungünstiges, C. Verschiedenes
aufgeführt und in diesen Unterabteilungen höchst willkürlich nach den dem betr.
Stamme zugeschriebenen Eigenschaften angeordnet.
Tm einzelnen möchte ich noch folgendes bemerken. Zu No. 1 : die in Prank-
reich ehemals sprichwörtliche Schönheit der Deutschen („le bei Aleman") spielt
noch im „Simplicissimus", Buch IV, Kap. 4 ihre Rolle. No. 3: „Der Deutsche
singt nicht gern im Moll" ist sicher nicht volkstümlich. Als Quelle giebt K. eine
„briefliche Mitteilung" an. fügt aber nicht hinzu, aus welchen Kreisen und aus
welcher Gegend dies „Sprichwort" stamme, ein methodischer Fehler. Übrigens
ht die Neigung des deutschen Volksliedes zu den Molltonarten sattsam bekannt.
Aus gleicher „Quelle" stammt No. 28:
„das dcutsclie Herz verzaget nicht,
es thut, Avas sein Gewissen spricht."
Die wahre Quelle brauche ich wohl dem Leser nicht zu nennen.
No. 34 ist eigentlich kein Sprichwort, sondern eine Scherzfrage aus dem Jahre
1871: „Wer waren die drei Kranken des letzten Jahres?" — »König Wilhelm
nahm ein, Napoleon musste sich übergeben, und der Papst sass auf seinem Stuhl
und konnte nichts machen.'' Wenn der Amerikaner, und er durchaus nicht
allein (No. 38), von „deutschen Bären" redet (übrigens schon von Lessing im
„Nathan" iitterarisch verwertet), so meint er damit nicht unsere „unablässige
Arbeitskraft", sondern deutsche Geradheit und Grobheit. Wenn K. No. 51 anführt,
dass der Ausdruck: „das A^olk der Denker und Dichter" zuerst von einem Eng-
länder gebraucht ward, so hätte er hinzufügen können,* dass man uns jenseits des
Kanals auch minder liebenswürdig, aber nicht minder gern als „dreamers" oder
gar als — Wurstfresser, ähnlich wie in Russland (No. "207) bezeichnet. Hübsch
i.st auch No. 108, ebenfalls aus Russland: „Gott belehrt den Menschen, der Teufel
aber den Deutschen." Der Deutsche giebt das übrigens dem Slaven zurück, wie
eine tirolische Inschrift (Dreselly, Marterln, Grab- und Hausinschriften, Salzburg,
No. 2(;-_') zeigt:
„[in kalten Jahr ISL^ sind hior
Zwei Menschen und -zwei Böhmen ertiunken."
Zu No. 83, wo der Engländer fremde Nationen in ihren typischen Vertretern
vorführt und ihrer jedem etwas anhängt, verweise ich auf einen französischen
Volksreim ans den Niederlanden, wie er sich hier und da auf alten Delfter Fayencen
findet:
,.l]ii Senuor eu Espagiic,
Uu Milord cn Angleterre,
Un Monsieur de France,
Un Hidalgo de Portugal,
Un eveque en Italic,
Un Comte en Germanie, —
Sollt pauvre Compagnie."
Eine höchst primitive Art, sich die Nase zu reinigen, die der Franzose als
„moucha'de des Allemands" bezeichnet (No. HO), nennt der Berliner fieund-
ZeHsrlir. d. Vereins f. Volkskiiii.le-. IS'.iil. 15
222 Petscii:
nachbarlich „Charlottenburger''. Ebendort hat das berühmte: „Die alten Deutschen
tranken immer noch eins" (No. 163) eine Umbiegung erfahren : „Die alten Deutschen
tranken immer das vorletzte"; endlich ist dort, wohl im Hinblick auf die Parlaments-
sitzungen, das alte Wort (No. 166): „Die Deutschen sind schwer unter einen Hut
zu bringen" umgestaltet worden: „Wo drei Deutsche zusammen sind, haben sie
mindestens vier verschiedene Meinungen", was sich mit dem Londoner Strassenwitz
berührt, dass von den fünf Millionen Einwohnern zur Lord-Mayors-Shovv mindestens
sieben Millionen unterwegs seien. So kehren die Typen wieder. Wenn auswärts
(No. 183) „deutsch" für „fremd" gebraucht wird, so ist auf das deutsche: „es
kommt mir spanisch vor" hinzuweisen. No. 235: „Hotto, hotto; Rossle, z' Baden
steht ein Schlössle" ist freilich bloss der Anfang eines sehr bekannten Kinder-
reimes, und „Baden" ist nicht das Land, sondern wohl die Stadt, wie denn in
diesem Liedchen fast überall der Name der jeweils nächsten grossen Stadt ein-
gesetzt wird.
Wenn K. die „geographischen Reime", die er als besondere Kategorie hätte
zusammenfassend behandeln sollen, zu den Sprichwörtern rechnet, so hätte er auch
den bekannten Reim auf Helgolands Farben einreihen können. Zu den „historischen
Sprichwörtern" geholt wohl No. 337: „So schnell schiessen die Preussen nicht";
wenigstens erklärte Heinrich von Treitschke in seinen Vorlesungen, dies Wort sei
während der trüben Zeit von „Olmütz" in Österreich und Süddeutschland ent~
standen und habe sich dort „trotz des Gegenbeweises von 1866" erhalten. Es ist
übrigens auch in Berlin sehr bekannt. Wenn sich K. übrigens wundert, dass kein
deutscher Stamm so stark in den Sprichwörtern vertreten sei, als die Schwaben,
so ist er daran zu erinnern, dass „Schwaben" oft genug gleichbedeutend mit
„Deutsche" gebraucht wurde und wohl noch wird. Da er übrigens auch die
Litteratur öfters heranzieht, so hätte er wohl auch Wilh. Schlegels böse Gehässig-
keiten gegen die Schwaben erwähnen können, unter denen namentlich Gustav
Schwab zu leiden hatte. . („Ich heisse Schwab und — bin ein Schwab", womit
doch auf die umlaufender! Sprichwörter hingedeutet wird.)
Im grossen und ganzen ist K.s Büchlein eine nützliciie Matcrialsammlung,
aber keine methodische Musterarbeit.
Würzbur»'. Robert Petsch.
retscli, Kobert, Neue Px-iträge zur Koiintiiis des Volksrätsels (Palaostrn,
IV, Untersuchungen und Texte aus der deutschen und englisclien
Philoh)gie, herausgegeben von AI. Bran<ll und Kricli Schmidt). Berlin,
Mayer & Müller, 1899. S. 152. 8°.
Der Verfasser dieser Untersuchung über das deutsche und englische Volks-
rätsel ist ein rüstiger junger Freund der Volkskunde, der mit Eifer und Verständnis
an seine Aufgabe herangetreten ist. Um in das Wesen des Rätsels einzudringen,
dieses durch alle Völker und Zeiten beliebten Kindes des Volkswitzes (witz in
alter Bedeutung genommen), wendet Hr. P. die beschreibende oder descriptive
Methode an, die durch R. Heinzel unter den Germanisten zu Ansehen gelangt ist.
Nach einem kurzen Eingange über ältere deutsche Rätselbücher teilt er die Masse
der Rätsel in zwei Hauptgruppen, wie das auch andere schon gethan, nur nennt
er sie unwirkliche und wirkliche Volksrätsel, statt der gewöhnlichen Bezeichnung
eigentliche und unei"entliche. Bei seinen unwirklichen findet er die Merknuile
l?iicli('ninzoi<]:eii 223
dreiiT Untcriibteiluniicn heraus: ^yeishcitspl•oben, HalsUisungsnitscK Scherzfragen.
Für die wirklichen Rätsel erkennt er als die normalen Bestandteile 1. einführendes
Rahmenelement, 2. benennendes Kerneleraent, 3. beschreibendes Rernelement,
4. hemmendes (spannendes) Element, 5. abschliessendes Rahmenelement. Freilich
sind diese normalen Rätsel höchst selten, und es fehlt gewöhnlich das eine oder
andere Stück aus dem Schema. Sehr ausführlich werden nun die als Benennungen
und Beschreibungen wieder gespaltenen „Kernelemente" behandelt, eine mühsame
formalistische Arbeit, die auch mühsam zu durchlesen ist. Von der Untersuchung
der metrischen Formen hat Hr. P. vor der Hand abgesehen. Als Anhang giebt er
einen Abdruck des zur alten Jahrmarktslitteratur gehörigen Rocken-Büchlein, und
einen kleinen Aufsatz über die beste Anordnung von Rätselsammlungen, worin er
sich für die Ordnung nach dem Inhalt als für die verhältnismässig beste ausspricht.
Bei solchen stilistischen Untersuchungen löst sich notwendig, wie bei den
anatomischen Zerfaserungen der Körper, das Ganze im kleinsten Einzelnen auf.
Aber für die gründliche Kenntnis sind sie nötig. Zur Erquickung kann man dann
eine so treffliche Arbeit wie die von G. Pitre: Degli indovinelli lesen, die
'209 S. lange Einleitung zu seiner sizilianischen Rätselsammlung (Unsere Zeitschr.
VII, 333), oder auch den kürzer und allgemeiner gehaltenen Aufsatz von H. E.
Feilberg: Gäder, in dem Aarbog for Dansk Kulturhistorie. Aarhus 1898.
S. 10— 7(i. K- ^^'•
Srbillot, Vaul, T.ittorature orale «le rAuvergne. (Les litteratures
|)opulaires de toutes les ii:iti(.ns toiiie XXXV.) Paris, J. Maisouneuve,
1898. S. XL 343. 8°.
Herr P. Sebillot hat seinen vielen Verdiensten um französische Volkskunde
tliirch die Sammlung der ihm zugänglichen Überlieferungen der Auvergne ein neues
zugefügt. Der grösste Teil des hübschen Buches ist gedruckten, zerstreuten Quellen
entnommen; das bisher ungedruckte verdankt Hr. S. einigen Auvergnaten in Paris.
Das Buch zerfällt in zwei Abteilungen: 1. Contes et legendes. 2. Chansons, Devi-
nettes. Blasen populaire. Vielen Märchen, Sagen und Legenden fügt der Heraus-
geber vergleichende Naehweisungen bei. Nützlich ist auch das Register (table
analytique). Den 12 Liedern sind mit einer Ausnahme die Melodien beigegeben.
Die ziemlich abgelegene, zum Teil sehr gebirgige Auvergne, mit einer von
den Nachbarn sich abschliessenden, etwas rauhen Bevölkerung, die mancherlei
Spott und Xachicdc in den angrenzenden Provinzen erleidet (vgl. le blason popu-
laire), ist gewiss an alten Volksüberlieferungen reich; Hr. Sebillot stellt sie darin
der Bretagne zur Seite. Aber sie ist noch Avenig darnach durchforscht und Hr. S.
will mit seiner Sammlung vornehmlich anregen, das Versäumte nachzuholen. Die
meisten der contes et legendes haben, wie schon angedeutet, ihre Parallelen in
der volkstümlichen Litteratur der anderen französischen Landschaften und auch
anderer Länder. Aber es sind doch meist interessante Varianten, und einzelnes
scheint dem Boden der Auvergne eigen zu sein. Auch wir würden uns daher
freuen, erreichte Herr Paul Sebillot seine Absicht. . K- ^^•
15*
224 Weinhold: Bücheranzeiticn.
Traditions of the Thompson Kiver Indians of British ("olunibia, colkcted
and aiiiiotated by James Teit, with introduction by Franz Boas.
(Menioirs of the Anierican Folk-Lore Society, YI.) Boston and New
York, Houghton Mifflin and Comp., 1898. S. 137. 8°.
Die Indianer vom Thompson River gehören zu den Sabshstämmen, die weite
Strecken der Staaten Washington, Idaho, Montana und der Provinz Britisch Columbia
bewohnen. Sie zerfallen selbst wieder in fünf Gruppen, von denen es die Nkanit-
cinemux am oberen Thorapsonflusse und die Cawaxamux im Nicolathale sind, unter
denen Mr. James Teit während langer Zeit die uns vorgelegten Überlieferungen
gesammelt hat. Dieselben sind grösstenteils mythischen Inhalts und geben die
Vorstellungen der Indianer über die Entstehung der Weltordnung und der auf der
Erde lebenden Wesen wieder; hier und da begegnet auch eine Geschichte der Art.
welche die Indianer selbst Geschichten des weissen Mannes (white man's stories)
nennen. Herr Franz Boas hat in einer Einleitung (S. 1 — 18) den wesentlichen
Inhalt der Sammlung gedrängt ausgezogen und auch darauf hingewiesen, dass diese
Indianerstämme Jäger und Fischer sind, die von Wild und Fischen leben und von
den Beeren und Wurzeln, welche die Weiber sammeln. Ihre ganzen Verhältnisse
sind die ursprünglichsten und einfachsten, und so ist auch ihr Kultus sehr wenig
entwickelt. Wir können nur auf dieses oder jenes hinweisen, um die Bedeutung
der Teitschen Sammlung für religionsgeschichtliche vergleichende Studien anzu-
deuten.
Während die meisten Indianer nur ein Wesen kennen, das in die Welt
Ordnung und die Bedingungen menschlichen Lebens brachte, erzählen die Stämme
am Thompsonflusse von vieren: dem Coyote, den drei Brüdern Qoäqlqal, die
gewissermassen dreieinig waren, dem Kokwela und dem Alten Mann. Der be-
deutendste war der Coyote, der indessen seinerseits als Vorläufer und Bote des
Alten Mannes erscheint.
Auf der ältesten Erde gab es keine Bäume, wenig Pflanzen, keine Fische und
Beeren (also keine Nahrung). Es lebten zauberkundige Tiere von menschlicher
Gestalt, ein unheimliches kannibalisches Volk. Da erschienen allmählich andere
Wesen, die hin und her wanderten, Wunder wirkten und alles veränderten. Sie
verjagten das alte Volk oder verwandelten es in Vögel, Fische, Vierfüssler und
Bäume. Der grösste dieser Verwandler (transformersj war der vom Alten Mann
gesandte Alte Coyote. Nachdem er das seine gethan, verschwand er und der
Alte Mann kam darauf selbst und schied die Guten und die Bösen. Die letzteren
verwandelte auch er in Vögel und Tiere, die guten aber siedelte er in verschiedenen
Ländern an und es war von nun ab wie ungefähr noch jetzt. Die Indianer sind
Nachkominen des guten Volkes (S. 20 f.).
Vor Zeiten war Sonne (the Sun) ein grosser und reicher Häuptling, der eine
junge, wunderbar schöne Tochter hatte, um die aber niemand zu freien wagte.
Da erfuhr ein grosser Zauberer im fernen Osten durch seinen Schutzgeist von
dem schönen Mädchen und machte sich nach Lk;tmtcin auf, wo der grosse Häupt-
ling in einem unterirdischen Hause wohnte. Er ward zuerst rauh abgewiesen,
fand aber nach und nach Gnade beim Vater und nach reichen Geschenken gab
ihm dieser die Tochter zum Weibe. Nach einiger Zeit kehrte der Mann mit seiner
Gattin in sein Land zurück. Sonne sagte beim Abschied der Tochter, sie solle
wieder kommen und ihn besuchen. Aber sie that es jahrelang nicht. Doch nach
der Geburt des zweiten Kindes verliess sie ihr Gemahl und sprach, sie wäre ihm
zu heiss; sollte er länger mit ihr leben, würde er sterben. Da nahm sie ihre
Rocdiger: Protokolle. 225
Kindor und ging in ihre Heimat zurück. Aber als sie der Vater kommen sah,
sprach er: „Sie war mir ungehorsam. Was soll ich sie aufnehmen, wenn sie vorher
nicht kommen wollte? Sie wird mich nimmer finden und mein Haus nicht be-
treten." Und er verwandelte sie in die Sonne, die wir jetzt sehen, die immer von
Ost nach West wandert und ihren Vater sucht. Ihre Kinder sieht man gelegentlich
als Sonnenhunde (sun-dogs) (S. 54).
Der Mond war vor Zeiten ein Indianer, aber er ward in das verwandelt, was
er nun ist. Sein Gesicht war früher noch strahlender als die Sonne, aber seine
jüngere Schwester setzte sich hinein und verdunkelte es. Der Mond baut, wenn
es schneien will, sich ein Haus und geht in dasselbe, ebenso wenn es regnet.
Er ist ein starker Eaucher, die Wolken sind der Rauch seiner Pfeile. Wenn das
Wetter noch so heiter ist, der Mond aber zu rauchen beginnt, steigen die Wolken
auf. Er legt die Pfeife nicht aus der Hand, das sieht man im Monde, und ebenso
den Korb, den er als Hut sich aufsetzt (S. 91. ILS).
Einmal machte der Muskito einen Besuch bei dem Donner. Als dieser sah,
dass der Muskito die Kehle voll Blut hatte, fragte er, woher er das habe, er hätte
sich das schon lange gewünscht. Da sprach Muskito: y,Ich habe es irgendwoher."
Aber Donner grollte und sagte: „Wie kannst du mir so antworten? Weisst du nicht,
dass ich dich schiessen und töten kann?" Da sprach Muskito ganz erschreckt:
„Ich sauge es aus den Baumwipfeln. ^ Durch diese Lüge rettete er die Menschen,
und sie ist der Grund, dass der Donner bis heute die Baumwipfel trifft. Hätte
Muskito die Wahrheit gesagt, so würde der Donner nach Menschen und Tieren
schiessen statt. nach den Bäumen (S. 5G).
Diese Proben müssen genügen, um die Teitsche Sammlung dieser Indianer-
geschichten den Forschern zur Benutzung zu empfehlen. K. W\
Aus den
Sitziiiigs-Protokolleii des Vereins für Volkskunde.
Freitag-, den 24. Februar 1891). Herr Fabrikant Sökeland bemerkte zu
dem von Herrn Mielke im Januar vorgelegten chinesischen Besemer (oben S. lütj),
dass diese Wage vielmehr eine Hebelwage sei, bei der der Aufhängepunkt fest
und das Gewicht verschiebbar ist. Der Redner hat 26 Desemer zusammengebracht,
wozu 4 im Museum für Volkstrachten befindliche kommen. Sie sind noch in
Gebrauch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, West- und Ostpreussen,
Posen, Brandenburg. Die Gewichtsskala ist nicht nur 7- und lOteilig, sondern
auch 5-, (i-, 15-, 21teilig. Manche besitzen eine doppelte Skala, für zwei Systeme.
Man benennt das Instrument in Schleswig-Holstein und Ostpreussen Besmer und
Besemer, sonst überall Desemer. Das anlautende /' führt Herr Sökeland auf russ.
besmeri „Schnellwage'- und dän hismn- zurück. Herr Kustos Höft hält an der
Ableitung von lat. decon fest: man habe mit dem Desemer den Zehnten abgewogen.
Die vers°chiedenen Skalen führt er auf alte Gewichte zurück, [d aus altem b finden
wir in dem anklingenden niederdeutschen Desem für f>esint nisai».] - Herr Professor
•22() Rocdig-er:
Eugen Bracht legte einige merkwürdige StiUkc vor. u. a. feine FerlensiricKcriNeii
— nicht Stickereien! — aus dem Jahre 1838; Rauernhauben, die dem Traehten-
museum von Bäuerinnen des Landes Stargard geschenkt worden sind, und sprach
dann über die Trachten der nordfriesischen Inseln, die er durch Original-
stücke und Nachahmungen sowie durch reichliche Bilder zur Anschauung brachte,
ja sogar durch ein lebendes Modell. Auf Sylt lässt sich nur noch sehr wenig
von alten Trachten auftreiben : das Vorhandene ist im Besitze reicher Familien,
wird kaum gezeigt, geschweige denn veräussert. Eine vortreffliche Hilfe gewährt
das Buch des Lehrers Jensen auf Pöhr über die nord friesischen Liseln (Hamb. 1^91).
Der Redner konnte ein Leihchen ohne Ärmel vorlegen, zu dem 13 Ellen ganz eng
gefältelter Stoff verwendet waren und das sich wie eine Harmonika ausziehen Hess.
Einen gewebten Gürtel fügte er hinzu. Verfolgen wir die Kleidung rückwärts, so
ergiebt sich, dass von IGÜO — IbOO eine ziemlich einheitliche Tracht vorhanden
war. Es giebt gute Bilder davon aus dem vorigen Jahrhundert, die man vollständig
im Thaulow-Museum zu Kiel finden kann. Nicht durchweg zuverlässig sind die
Bilder in der Chronik des Ernst Joachim von Westphalen. Merkwürdig bunt ist
die Kleidung, die die Frauen bei Trauer, zur Kommunion und während der Ab-
wesenheit des Mannes anlegten. Als Kopfbedeckung für die Frauen diente früher
eine Zipfelmütze, woraus sich die Hüf, Hüw (Haube) entwickelte, ein turban- oder
trichterartiges Gebilde, das oben mit silbernen Döpkes (Hütchen, Kapseln) besetzt
ist. Für bestimmte Gelegenheiten besass die Sylter Frau ein schwarzes, goldenes,
brokatenes, rotes Kleid. — Föhr zeigt eine ganz zusammenhängende Entwickelung
der Frauentracht. Sie ist sehr kostbar und verwendet viel Silberfiligran, hat im
übrigen Ähnlichkeit mit der Sylter. Dagegen weichen Rom und Fanö ab. Die
Tracht der Halligen lässt ein feines Bild des Thaulow-Museums erkennen; vor-
handen ist davon nichts mehr. — Der Vortrag des Herrn Bracht wird, mit Ab-
bildungen ausgestattet, in den Mitteilungen aus dem Museum für deutsche Volks-
trachten erscheinen.
Freitag-, den 25. 3Iäi'z 1899. Der Vorsitzende widmete dem am 14. März
d. J. verstorbenen Mitbegründer des Vereins und seiner Zeitschrift, Herrn Prof.
Dr. H, Steinthal, einen warmen Nachruf (s. oben S. "20.S). Darauf legte Herr
Fabrikant Sökeland einige neue Erwerbungen des Museums für Volkstrachten
aus der Gegend von Lenzen an der Elbe vor. Zunächst vier Gnidclsteine (in
der Altmark Gnibbsteene) oder Nahtklopfer, die gebraucht werden, um die Nähte
an Leinenzeug zu plätten, weil es nicht mit dem heissen Eisen in Berührung ge-
bracht werden darf. Dieser Aberglaube geht vielleicht auf Richter 16, 9 zurück;
„Wie eine flächsene Schnur zerreisst, wenn sie ans Feuer riecht." Übrigens zcr-
reisst oder verbrennt ein Zw-irnfaden trotz Berührung mit einer Flamme nicht,
wenn man ihn um einen Stein windet. Deshalb wollte ein Bauer dem Redner
ein Steinbeil nicht ablassen, da er unter Vorführung des Experimentes behauptete,
es schütze ihn gegen Feuer und Blitz. — Ein mit Diessen, d. h. verschieden-
artigen Flechten aus Flachsfäden behängter Wocken wird der Braut mit einem
erläuternden Gedicht übergeben. Die Flechten beziehen sich auf den neuen Haus-
stand, u. a. den Kindersegen. — Bretzettel, d. h. Zettel mit einem Heilung
bringenden Spruche legt man ins Gesangbuch und nimmt sie mit in die Kirche,
um Krankheiten zu vertreiben. Im Notfall muss die Schrift in fliessendes Wasser
abgeschabt und dies getrunken werden. — Der Führer einer Schmugglerbande,
die Teufelsbrüder genannt, besass einen Siegelstempel mit einer menschlichen
Figur darauf, durch den er meinte, sich und seine Leute unsichtbar machen zu
können. Als man ihn trotzdem beinah erwischte, warf er ihn fort. Herr Sanitätsrat
Protokolle. 227
Dr. Bartels erkennt in der Figur den Teufel und macht auf den analogen Ge-
brauch der Bo-tzettel bei den Muhamedanern aufmerksam. — Herr Zeichenlehrer
Mielke behandelte die mittelalterliche Granitbaukunst in Norddeutsch-
land und erläuterte seinen Vortrag durch eine Fülle von Zeichnungen und Photo-
graphien. Der uralten Holzbaukunst folgte der Bau mit Hausteinen, neben die der
Backstein als Ergänzung trat, ohne bis heut auf dem Lande den Feldstein zu ver-
drängen. Das Verbreitungsgebiet des Granitbaues reicht von Ostfriesland und
Westfalen bis in die ostelbischen Provinzen, von der Meeresküste bis an die
mitteldeutschen Gebirge. Nach dem Osten zu wächst die Zahl der Fachwerkbauten;
in Posen, West- und Ostpreussen, Oberschlesien herrscht der vollendete Blockstil.
Mag auch der Ziegelbau ziemlich gleichzeitig mit dem Granitbau aufgekommen
sein, so ist doch der Granitbau das landesübliche, und der Volksmund spricht
auch den „Felsenkirchen" fast immer ein sehr hohes Alter zu. Dennoch ist der
Granitbau nicht landgeboren, sondern eingeführt, und zwar- im 12. lo. Jahrhundert,
als der Osten Deutschlands den heidnischen Slaven wieder abgenommen wurde.
Die crston Bearbeiter müssen auswärtige Techniker gewesen sein, wie denn auch
schon zu früher Zeit ausländisches Baumaterial eingeführt wurde, auf der Elbe,
dem Rhein und der Weser (Kalksteinfassade des Havelberger Domes aus dem
12. Jahrb., Bauglieder des Brandenburger Domes aus Kalkstein, in den Weser-
marschen und in Schleswig-Holstein viele Kirchen aus Tuff und Trass von den
Brüchen des Brohlthales). Gerade die zuerst kolonisierten Gebiete Schleswig,
Holstein, Mecklenburg, Vorpommern, Brandenburg, Niederschlesien besitzen roma-
nische Kirchen der ältesten Zeit in dem reinen Granitstil, der sich schon um 1200
in technisch so vollendeter Weise entwickelt hatte, dass man von einer besonderen
Epoche des Granites in der Baugeschichte wird sprechen dürfen Die Geschick-
lichkeil der Werkleute zeigt sich auch an den granitenen Grab- und Taufsteinen.
Die Mauern bestehen bei den ältesten Kirchen aus regelmässig behauenen Quadern;
\m Innern sind sie durch Gusswerk aus Mörtel und unregelmässigen Steinen ver-
stärkt, das schon sehr frühe mit Stuck xmd Farbe bekleidet war. In Fiiesland
benutzte man es auch für die Aussenseite und überall für Wölbungen, was beweist,
dass man den bequemeren Ziegel noch nicht kannte. Aber unter dem Einlluss
des Ziegelbaues .wird die Technik mit der Zeit lässiger und im 14. Jahrh. bleibt
nuf noch rohes Gusswerk übrig, worein man bisweilen Quadern ritzt oder das man
mit Sgraffito ausschmückt. Der Grundriss der ältesten Kirchen ist der übliche
der damaligen Zeit: Turm, Langhaus, Chor mit halbrunder Apsis. Turm oder
Apsis oder beide fehlen auch; statt des Turmes ist dann ein hölzerner Glocken-
stuhl vorhanden, der häufig abseits steht. Wir dürfen geradezu eine turmlose
Epoche und nach ihr eine mit breitem Westturm, der ebenso breit oder breiter
als das Mittelschiff ist, ansetzen, etwa zu Ende des 12. Jahrh. Vorbild war hier
die städtische Kathedralkirche. In der gotischen Zeit wird dieser schwere, massive
Turm zu dem quadratischen eingeschränkt und damit die dritte und letzte Urform
der Dorfkirche erreicht. — Der Vortragende ging nun auf die Pfeiler, die Durch-
l)ildung der Mauern und Wände, der Portale und Fenster ein und besprach dann
die geographischen Gruppen. Die älteste ist vielleicht die ostfriesische, wo aber
bald Tull'stein und Ziegel den Granit .ablösten. In Schleswig und Holstein wirkt
rheinischer Einlluss auf die Anlage, die einheimische Holzskulptur auf die Einzel-
heiten. Auch Dänemark wirkte ein. Man erreichte hier ungleich höheres als irgendwo
sonst und es bildete sich ein ungemein skidpturfreudiger Provinzialstil aus. Die
schönsten Kirchen besitzt Angeln, namentlich Sörup in seiner Marienkirche. Südlich
dv\- p]lbe that der Zies'cl dem Granit Eintrag, bis er auf die Granitkunst des
•228
Pr<.tokollf
FKimin-s slies.^, die von Zinna ausgOi^angen war. Krsi im Nordosten und Osten
der Elbe gewann der Granit wieder Ausdehnung. Die ältesten mecklenburgischen
Kirchen sind aus Backsteinen erbaut, erst östlich der Linie Parchim-Dobcran finden
wir alte Granitkirchen, die unter dünischem Einflüsse zu stehen scheinen, der über
Rügen eindrang. Dänisch ist auch eine eigenartige Verbindung des Ziegels mit
dem Granit an den Fenstern (und Portalen), die auf die beiden Mecklenburg und
die Ukermark beschränkt ist. Vori)oniniern hängt mit M.-Schwerin zusammen.
M.-Strelitz mit der Ukermark. Hier fehlt meist Apsis und Turm. In der Mark
Brandenburg haben wir drei Striche ältester Rauten: vom Fläming nach dei-
Lausitz, durch die mittlere Priegnitz nach der Ukermark, in der Mittelmark über
Brandenburg und Berlin nach der Warthe. Der nördliche Teil des Landes leistet
im ganzen weniger als der südliche, von den obersächsischen Bergländern beeinflusste,
doch ist die Technik fast durchgehends gut. Die Grundrisse sind sehr verschieden
gestaltet. Blenden, Gesimse, dreifach gegliedei'te Portale sind hervorzuheben. Vom
14. Jahrh. an sinkt die Technik, während die Verwendung des Granits bis in
unsere Zeit gestiegen ist. Schlesien zog die im Lande gebrochenen Steine vor.
Eigentümlich sind der Gegend am Zobten vier Löwen von 1 V2 "' Länge, möglicher-
weise aus dem 12. Jahrhundert.
Sonutaj;-. den 30. April 1899. An Stelle des Vortragabends, der auf den
28. April gefallen wäre, hatt&der Vorstand zu einer Besichtigung des Museums
für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes (Kloster-
slrasse 3G) auf Sonntag, den 30. April, mittags 12 Uhr eingeladen. Im Namen des
Komitees des Vereins für dieses Museum begrüsste Herr H. Sökeland die er-
schienenen Mitglieder unsers Vereins und übernahm gütig die Führung. Wir
hatten somit die beste Gelegenheit, die reichen und schönen Bestandteile des
Museums kennen zu lernen: die Kostümfiguren, die Modelle von Haus und Hof
verschiedener Landschaften, die Herrichtungen ganzei' Bauerstuben (Spreewälder,
Elsässer, Schweizer, Lüneburger. Hindelooper), die schönen Schränke und andere
kleinere geschnitzte und geschnittene Truhen und Geräte, die reichen Sammlungen
von Stickereien, Spitzen, Bändern, Hauben, Gewandstoffen und Kleidungsstücken,
allerlei Gebrauchsstücke in Haus und Feld u. s. w. Belehrt und erfreut sind wir
mit dem lebhaften Wunsche geschieden, dass sich für das Museum recht bald
zusammenhängende, ausreichende und selbständige Räume finden mögen. Unser
Verein steht mit dem Trachtenmuseum in einem so genauen inneren Zusammen-
hange, dass die Erfüllung dieses Wunsches auch für uns vom höchsten Werte
sein würde.
Max Roediger.
Zeltschrift des Vereins iür Volkskunde
Taf. II
Marienbild aus dem Pinziiau
beim Fraueiitragen umgeführt.
Volksastronomie und Volksmeteorologie
in Nordthüringen.
Von K. Reichhardt.
1. Sonne. Die Sonne als Licht- und Lebensspeiiderin wird vom
YoJko die „liebe Sonne" oenaiint. „So wahr die liebe Sonne scheint",
liört man als I5eten<'run,i;sforniel. Anch tue Bezeichnnni;' „Frau Sonne"
findet sicli hin und wiedci'. Der heitere Untertan«;- der Sonne ist ein
Anzeichen i'iii' i^iitcv WCtter. Da,<;'e;;-en hört nnin liei trübem, von Wolken
verscldeiertem Unterfange sagen: Die Sonne geht im Sumpfe unter, es
giebt morgen Regen, oder: Die Sonne geht in'n Bnsch. morgen giebt's 'neu
Husch. ,.l)ie Sonne geht ym Bett*' ist im allgeuHMiHMi ilie Bezeichnung
tnr (hMi Sonnenuntergang. „Die Sonne guckt dni-cli die Luke" heisst es,
wenn sie /.wischen \\'olken untergeht. Zeigen die Wolken lU'ben (h^r
Sonne goldige Ränder, so sagt man: „Das sind der Sonne ihre Taschen-
tüclier, mit ihnen wischt sie sich den Sfhweiss ab." Geht die Sonne in
feuriger MorgfUiriUe auf. so folgt Wind und Regen. Dasselbe trifft zu.
wenn die Sonne hleicli scheint; nuiii nennt das: Die Sonne scheint „gälstern"
oder „geistern"'. Brennt die Sonne nach dem Regen, so pflegt man zu
sagen, sie „sticdif und wird nudir Regen hervorrufen; zieht die Sonne
Wasser, so soll es am nTudisten Tage regnen. An jedem Sonnabend muss
einmal am Tage, und sei es mii- einen Augenblick, die Sonne scheinen.
Man begründet diese Ers( heiming damit, dass nuin sagt: „Die Mutter Maria
trocknet M'indtdir'. Li der nordthüringisclien Grafschaft Hohenstein sagt
man „die ^lütter .Maria trocknet ihren Schleier" und zwar auf den Zweigen
der wilden Rose, daher die Blätter derselben sich dnridi einen besonders
]i<d)lichen Geruch auszeichnen sollen. Scheint die Sonne im Regen, so
freuen sich die Kinder und stellen sich in den „Sonnenregen", welcher
das Wachstum befördern soll. Hin und wieder hört nnin auch die Redens-
art „der ^ix tauft".
Ton der Wintersonnenwende ab wächst das Tageslicht täglich um
„einen Hahnenschrei". Scludnt die Sonne am heiligen Dreikönigstage, so
bedeutet das Frieden im kommenden Jahre. Yincenz (22. Januar) Sonnen-
schein verheisst vicd Obst un<l AVein. Besonders am Lichtmesstage (2. Febr.)
Zeitschr. d. Verein.; f. Volkskitiide. I8.i9. 1^
•2;}0 Reichhardt:
Jiiit die Sonne Einflnss anf Natnr nnd Wetter. Sieht an diesem Tai^c «Icr
Daelis seinen Schatten, dann zieht er sich wieder in seine Höhle znriick.
denn es folijt ein starker Naclnvinter. Im anderen Falle ist ein zeitiges
Frühjaln- zn (M-\varten. Der Schäfer hat zu Lichtmess lieber den AVolf als
die Sonne im StaHe. Lichtmess dunkel, wird der Schäfer ein Junker nnd
<hM' Bauer ein Edelnmnn. Doch heisst auch ein anderes Sprichwort: Licht-
mess hell und klar, gieht insgemein ein gutes Jahr. Sonnenjahre sind
Wonuenjahre. Scheint die Sonne am Fastnachtstag-e auf den Altar, so
gerät der Flachs gut. Scheint die Sonne im Winter zu tanzen, so g-ie))t
es grosse Kälte. Am Ostertage thnt die Sonne hei ihrem Aufgange drei
Freudensprünge: man sagt auch: „Das Osterlamm hüpft in die Sonne".
Die Sonne, die so frühe lacht,
Wird sicherlich am Abend weinen.
Oder in anderer V(>rsion:
Die Sonn' die morgens früh aufgeht,
Pflegt nur selten spät zu scheinen,
Das Glück, was morgens früh schon lacht,
Das thut am Abend weinen.
2. Mond. Der Mond heisst scherzweise ,, Eulenspiegels Sonne". In
Hamburg und Holstein nennt man ihn „der Mecklenburger Sonne". Über
die dunklen Flecke im Mond herrschen verschiedene Sagen. Das Gebihle
im Mond ist ein Mann, welcher am Sonntage Holz stahl und zur Strafe
von Gott in den Mond versetzt wurde. Ein Bauer schlich sich nachts in
Nachbars Garten, um Kohl zu stehlen. Kaum hatte er die Stauden um-
gebrochen, als ihn der Mond ergriff nnd samt dem Raube hinaiifzog. Die
dunklen Flecke sind der Dieb und der Kohlstrunk. Eine Frau spann am
Sonntage. Da kam zu ihr der Herrgott und sprach: Weisst du nicht, dass
heute Sonntag ist? Du sollst von jetzt ab im Monde sitzen. Und sie sitzt
dort von der Zeit ab mit ihrem Spinnrade und spinnt. Geht der Mond
anf. so sagen die Kinder: Der liel)e Gott steckt das Altendlicht an. Ist
der Mond halb, so hört man sagen: Die wilden Schweine haben den Mond
angefressen; ferner, wenn er auf dem Rtlcken zu liegen scheint: Der Mond
fährt Kahn, es giebt Frostwetter. Steht ein grosser Stern beim Monde.
so heisst es: Der Mond luvt seinen Verräter bei sich. Scheint der Mond
blass und gelb, so pflegt bald Regen zu folgen; scheint er rot, so deutet
dies auf Wind; ist er weiss und hell, so hat nmn gutes Wetter zu erhoffen.
Bei abnehnuMulem Monde darf man keine Ehe schliessen und kein Getreide
säen. Bei zunehmendem Monde gesäet blühen die Erbsen, ohne Schoten
anzusetzen. Derjenige Monat, in welchem zweimal Vollmond eintritt, soll
Mänseplageu mit sicli bringen. Der .Mond „drückt" die Wolken, frisst sie
auf, sagt man, d.h. pflegt bei seinem Aid'gange die AVolken zu vertreiben.
Zahllos sind die Sympathiebräuche des Volkes hei zu- oder abnehmendem
Monde. Es seien hier imr zwei erwähnt. Warzen soll num entferm-n
Volksastroiioinie und Volksmeteorologie in Nordtliüringen. 231
können, wenn man l)ei almelnnencleni Monde mit dem Fin^-er nach dem
Monde zeij^-t nnd die Warzen <la.nii mit den Worten beriiln-t:
Du Mond stehst am Himmel,
Du Warze verschwindest. Im Namen u. s. w.
ZaluiscduinTzeii vertreibt man. wenn man bei znnehmendem Monde
haltlos zn einer alten Weide ,u(dit und ihr folgenden Spruch vorträg-t:
Guten Abend, liebe alte Weide,
Ich bringe dir meine Zahnschmerzen heute
Und wünsche, dass sie bei dir bestehn
und bei mir vergehn. Im Namen u. s. w.
Bei diesen Worten maelit man drei Knoten in die Zweige der Weide
und entfernt sich. — Der Hof um (h-n Mond verkündet Wind und Keg-en.
Mit Neumond ändert sich das Wetter gern: diese Erfahrung haben unsere
Landlentc schon hinge vor Falb gemacht.
'6. liegenbogen. Regenbogen nach langer Dürre verkündet einen
Hingeron Regen; ist aber lange Nässe vorausgegangen, so folgt gewöhnlich
s( hönes Wetter. Regenl)0gen am Morgen, des Hirten Sorgen; Regenbogen
am Alx'iid. den Hirten lalx'nd. Der Wiederschein des Regenhogens oder
ciu unvollkommen ausg(d)ildeter Regenl)0gen lieisst im Yolksmunde eine
Wettergalh'. Diese lässt auf weiteren Regen schliessen.
4. Sterne. Der gTOsse Bär h(Msst allgemein der „Wagen", der Orion
i\vY ..l^'tersstalt'^ Die Milchstrasse hört man von gebildeteren Landleuten
die „Wild- oder Welt])ahn" nennen. Auf Sterne soll man nicht mit
Fingern /.eigini. auch nicht lästernd von ihnen reden, sonst geschieht ein
Un-hick. Ih'im Anbl.i(ds: einer fallenden Sternschmippe soll man sich etwas
wünschen. Ks wird in Frfüllung gehen. Er>cheiiit ein Komet, so ist Krieg
oder die I^'st im Anzüge.
5. ^\■(•lken. Wenn plötzlich Itei hellem Himmel Wolken von Süd
oder West aufsteigen, so entsteht l)ald Sturm. Wölkchen, welche kleiner
werden, bringen gutes Wetter, vergrössern sie sich, dann folgt Regen.
Wetterliäunu' sind lang an dem Himmel hingestreckte Wolkengebilde
(cirro-stratus-AVolken der Meteorologie), welche zu allen Tageszeiten er-
scheinen nnd eine Änderung des Wetters zur Folge haben sollen. Einem
Baume in der Natur gleichen sie nicht, sie werden Bäume genannt, wie
man von .Mastbaum und Schlagbauni redet. Die AVurzel des Bainnes soll
nach der Riclitung zeigen, aus welcher Regen zu erwarten ist. Ist der
Stannn des Wetterbaunu's besonders dunkel, so ist der Eintritt des Regens
nahe bevorstehend. Auch die Schäfchen sollen Regen bringen, doch ist
der Beweis dafür noch nicht erbracht. Die finster drohende Regenwolke
nennt man wohl einen „schw^arzen Bären", einen schwarzen Mann. Braun-
rote Wolken im Sonnner In-ingen oft Hagelwetter.
(i. Ge^Yitter. Das Grollen des Donners ist das Schelten Gottes.
„Es donnert, der liebe Gott schilt" belehren die Mütter ihre Kinder. In
16*
232 Reichliardt:
Nordthü ringen hetrant man mit der Aumübnng- di^s Donnerns vielfach den
Apostel Petrus. Man will darin eine Übertragnng dieser Funktion vom
Donar auf Petrus durch das Christentum erblicken. Gewittertage sind:
Karfreitag-, Ostern, Pfingsten. Johannis. Beim ersten Donnerschlage, diMi
man im Jahre hört, muss man sich niederwerfen, um sich vor Krankheiten
zu schützen. Beim Gewitter soll man nicht essen. Ein Sprichwort in
Nordthüringen huitet diesbezüglich:
Den Beter lass beten,
Den Schläfer lass schlafen,
Den Esser schlag tot.
Gewitter bringen Kälte; man si(dit es nicht gern, wenn sie vor Wal-
purgis (1. Mai) kommen. Donnerts übern dürren AVald. wird's in der
Regel wieder kalt. Gewitterreiche Jahre machen fruchtbar. Man spricht
vom „lieben" Wetter und w^ünscht, dass es gnädig komme. Aus der
Himmelsgegend, woher das erste Gewitter kommt, kommen sie gemeiniglich
alle im Jahre. Früher wurden beim Gewitter die Glocken geläutet. Man
meinte auch, die Wolken durch Böllerschüsse und durch Anzünden von
Feuer aus grünem Holze vertreiben zu können. Man schützt sich vor dem
Einschlagen des Blitzes, wenn man Hauslauch (sempervivum tectorum) auf
die Dächer pflanzt. Auch die Kornra«le (agrostemma githion) soll vor Blitz-
schaden schützen. Ein Stück Holz aus einem vom Blitze getroffenen
Baume schützt vor allerhand Krankheit.
Beim Gewitter fallen, so nudnt man. oft Steine zur Enle. Wer im
Besitze solch eines Steines ist, hat den Blitz nicht zu für(diteu. Federn
sind schlechte Blitzleiter. Darum legen sich die nordthüringer Landleute
beim Gewitter zu Bett. Das vom Blitz entstandene Feuer nennt man
„wildes Feuer". Es besteht die Volksmeinung, dass sich dieses nur mit
Milch oder Jauche löschen lasse.
7. Regen. Regenmorgen bringen Sonnentage. Frühregen. Kinder-
schrei und alter Weiber Tänze dauern nicht lange. Regnets am Sonntage
vor der Messen, kann's die ganze Woche nicht vergessen.
Ragent's dan Paster ufs Buch,
Härt's de ganze Woche nich wädder uf,
sagt der Nordthüringer. Färbt die Sonne die kleinen Federwolken hell
und rosa, so sagt man: Der Regen blüht. Der meiste Regen kommt aus
Südwest. Daher nennt man jene Himmelsrichtung die Regenecke, den
Regenwinkel, das Regenloch. Kleiner Regen dämpft grossen AVind.
Regnet es Blasen, dann hält der Regen an. Wenn Januar viel Regen
bringt, werden die Gottesäcker gedüngt. Interessant ist die Anschauung
des Volkes vom Karfreitage. Während man in anderen Gegenden der An-
sictit ist, dass Regen an diesem Tage ein fruchtbares Jahr bringe, sagt der
Nordthüringer: „Wenn's am Karfreitage ins offene Grab des Heilandes
reo-net, dann versengt der Rasen im Jahre siebenmal. Er deutet also den
Volksastronomie und Volksmeteorologie in Nordthüringen. 23H
Karfreitagsregen auf koniiiiende Troeknis. Mai kühl und nass füllt dem
Bauer Scheuer und Fass. Vor Johannis bet' um Regen, nachher kommt
er ungebeten. Vor Johannis soll die ganze Gemeinde den lieben Gott um
Regen bitten, nachher „zwingt's" ein altes Weib allein. Am 1. Sonntage nach
Trinitatis. an welchem das Evangelium vom reichen Manne und dem armen
Lazarus handelt, achtet man aufs AA'etter. Ist trockenes Wetter an diesem
Tage, so deutet man dies auf grosse und anhaltende Dürre im Sommer.
Ähnlich beim Evangelium des zweiten Adventssonntages, in welchem es
heisst: „Und das Meer und die Wasserwogen werden brausen." Regnet's
an diesem Tage, so ist ein feuchter und milder Winter vor der Thür. —
Überall bekannt ist die Siebenschläferregel; Regen auf Margaretentag
(lo. Juli), wohl viele Wochen dauern mag. — Regnet's der Braut in den
Kranz, so giebt es Thränen und Unglück in der Ehe. Anzeichen für bald
eintretendes Regenwetter sind: das unruhige Umherspringen der Schafe,
das Niedrigfliegen der Schwalben, das Schreien der Raben und Elstern.
Liegen im Frühjahr am Atiend weisse Wolken auf den AViesen, so sagt
man: Die Milch lagert sich auf den Wiesen, der „Wiesenwachs" wird gut
im konmienden Jahre werden. Lagern sich hellgraue Wolken über den
Wäldern, so wird bald Regen eintreten; in der Grafschaft Höllenstein sagt
man dann im Anblick des damj)fenden Harzes: Der Harz braut. Wenn
über dem Hagen bei Günzerode weisse Wolken lagern, so pflegt man zu
sagen: „Der alte Barthel raucht Tabak." Der alte Barth el war ein Förster
in Günzerode, zu dessen Revier der Hagen gehörte. Ähnliches spricht der
bekannte Vers in Bezug auf den Kytt'häuser aus:
Sieht man den Kaiser mit dem Hut,
Bleibt selten nur das Wetter gut.
Ist der Kaiser ohne Hut zu seh'n,
So bleibt das Wetter meistens schön.
Bekannt ist auch in Nordthüriugen der Wetterspruch:
Treibt die Esche vor der Eiche,
Hält der Sommer grosse Bleiche;
Treibt die Eiche vor der Esche,
Hält der Sommer grosse Wäsche.
<S. Nebel. Fallender Nebel 1 »ringt klares, steigender regnerisches
Metter. Winternebel bringt Tauwetter bei Ostwind, Kälte bei Westwind.
Viele Nebel im Herbste deuten auf einen schneereichen Winter. Hundert
Tage nach einem Märzennebel treten Regen und Gewitter ein. Bei dicken,
schweren und ungesunden Nebeln sagt man wohl, es habe jemand ein
gewisses Gefäss ausgeschüttet. Nebelregen (Neffentau) im Juni verdirbt
<li<- Bhiten der Erbsen und Bohnen und schadet dem Getreide und den
Kartoffeln. Den Höhenrauch nennt man ebenfalls Nebel, sein Auftreten
deutet auf trockene Luft und schönes Wetter.
it. Reif, Schnee und Eis. „Der Reif wird wieder abgewaschen",
saut der nordthüringei- Landmann. d. h. nach eintretendem Reif wird bald
234 Eeichhardt:
Regen folgen. — \\'('iiii es schneit, so sagt niati: Die Mutter Maria liat
ihr Bett zerrissen oder macht ihr Bett. Audi die Frau Holle lässt schneien.
Sit> schüttet ihre Betten aus, davon die Flockini in der Luft fliegen. Der
Februar heisst auch Weihernionat oder alter AVeibernionat, denn beim
Februarschnee heisst es im Volksglauben: Die alten Weiber schütteln ihre
Pelze oder ihre Betten aus, oder wettern die Betten aus. Fallen i'(^c]it
grol)e Flocken, so sagt man: „Jetzt schneit's für die Reichen". b(d kleinen
Flocken schneit's für die Armen. Wenn zwischen Weihnachten und Neu-
jahr grosse Schneeflocken fallen, so sterben im nächsten Jahre v^orzüglich
alte Leute, fallen kleine Schneeflocken, so sucht der Tod vorzüglich junge
Leute heim. Beim Schneetreiben hat man auf lange andauernden Schne(>
zu rechnen :
Treibeschnee
Ist Bleibeschnee;
Liegt er erst drei Tage,
So liegt er auch drei Wochen.
Am 1. ]\[ai ziehen die Hexen auf den Brocken auf Ofengabeln und
Besen; mit letzteren kehren sie den Schnee vom Brocken-Gipfel. Ist diestM-
im Herbst zum erstenmale mit SchiUK* bedeckt, so sagt der Nordthüringer:
Der Brocken hat seine Nachtmütze aufgesetzt. Märzenschnee thnt der
Saat weh. Wenn das Evangelium vom 3. Sonntage nach Epiphanias in
der Kirche verlesen wird, so pflegt man hier zu Lande nacli -einen An-
fangsworten zu sagen: „Der Herr kommt vom Berge herab, die (.iewalt
von Schnee und Eis ist gebrochen." St. Dorothee (6. Fel»r.) bringt den
meisten Schnee. Es ist kein April so gut, er beschneit dem Ackermann
den Hnt. Schneefall auf Baumblüte lässt rei(dn'ii Obstsegen erhoffen. St.
Uallen (16. Okt.) lässt Schnee fallen. Die Schäfer treiben so lange ihre
Herden aus, bis der „weisse Mann" oder der Mann „mit dem W(Mssen
Barte" kommt.
St. Martin kommt nach alten Sitten
Zumeist auf einem Schimmel geritten.
Weihnachten grün und ohne Eis,
Wird Ostern gerne rauh und weiss;
Liegt aber Schnee, ist's kalt und klar,
Giebt's Frucht und Wein im nächsten Jahr.
Liegt Schnee dranssen, so dürfen nach dem Hohensteinschen Aber-
glauben die Mütter ihre Kinder nicht entwöhnen, weil diese sonst früh-
zeitig weisses Haar bekomnuMi sollen.
10. Wind und Wetter. Wenn in einem Hause grosse Wäsche statt-
flndet, müssen alle Faniiliengliechn- freundliche Gesichter zeigen, damit
das Wetter gut bleil)e. „Reine Schüssel zu machen", damit das Wetter
gut wird, ist eine stehende Aufforderung der Hansfrau. Wenn die Fran
des Manni^s Hose wäscht, wird das AVetter schön. Das AVetter ändert sich
gern am Freitage; wie der Freitag sich gestaltet, so wird der Sonntag s(dn.
Volksastroiiomie und Volksmeteorologie in Novdthüriugeu. 235
Wind imd stürmisches Wetter giebt es, wenn die Schafe auf der AVeide
lebhaft umherspringen, die Böcke sich stossen, das Vieh auf dem Fehle
unruhig wird. W^enn der Wind ein Roggenfeld wolkenartig bewegt, so
sagt man: Es sind wilde Sauen im Korn. Wenn in der Christnacht die
Bäume „sich rammeln", d. h. der Wind sie heftig hin und her wnrft, dann
tragen sie im nächsten Jahre viel Obst. AV^eht der AVind nicht, so muss
man in den Garten gehen und die Bäume fleissig schütteln.
Dass die Richtung des Windes von wesentlichem Einfluss auf die
\Mtterung ist, lehrt die Meteorologie, aber auch der Volksmund weiss die
nach dieser Richtung gemachten Erfahrungen auszulegen. In der Graf-
schaft Hohenstein haben die AVinde besondere Namen. Der von Nord-
westen aus der Gegend des Ravenberges wehende Wind heisst Ravens-
herger, der Nordwind ßrockenwind, der scharfe Ostwind „Stoiberger Zain-
schinger, d. i. Ziegenschinder, der Südost Saalwind, der Südwind ünterluft,
der Südwestwind Schneckenkehrer, Regen- und Tauwind. Vom AVest-
winde heisst es oft, er wehe „plud(Terig", auch nennt man ihn und den
Südwestwind wohl „verkehrten" Wind, der den Rauch nicht aus den
Schornsteinen lässt und Regen verheisst. Geht der Wind durch Nord
nach Ost, so bleibt er stehen, geht er aber durch Süd nach Ost, so springt
er bald zurück. AVie der NN'ind am Quatember steht, so bleibt er vor-
herrschend das ganze A^ierteljahr. Wenn um Michaelis die Nord- und
Ostwinde wehen, so giebt's einen kalten AVinter. Die AVitterung des
ganzen Jahres wii-d in der Zeit der ,, heiligen Zwölf" bestimmt und zwar
in der Weise, dass jeder Tag der Zwölf die Witterung eines Monats vor-
aussagt: der "25. Dezember für den Januar, der 26. Dezember für den
Februar u. s. w. Ein wichtiger Tag fiir die Volkswitterungskunde ist St.
A'incent (22. Januar), denn
Wie das Wetter am Vincent war,
So wird CS sein im ganzen Jahr.
Vincenz Sonnenschein verheisst viel Korn und AV^ein. Dahin gehören
ferner der Medardustag (S.Juni) und Ägidiustag (1. Se])t.). Das AVetter des
April ist durch seine Unbeständigkeit sprichwörtlich geworden: Der April
macht's, wie er will; der April kann narren, wen er will. Der gottes-
fiirchtige nordthüringische Landmann stellt aber über alle AVetterprognosen
der Meteorologie und alle A^olkswetterregeln das alte Sprichwort: ,,Den
Kalender maclien die Mänder (Männer), aber das AA'etter der liebe Gott."
Rotta bei Kemberg.
286 Sieger:
Nichtdeutsche Marterln.
Von Prof. Dr. Robert Sieger in Wien.
Das Wort „Marter^' hat in bildlicher Anwendimg die allgemeine Be-
deutung eiues Kreuzes, Cruzifixes oder Christusbildes, also jedes Erinnerungs-
zeichens an die Leiden des Heilandes angenommen.*) Das Diminutiv
„Marterl" aber wird von den Einheimischen in katholischen Alpengegenden
Österreichs fast ausschliesslich in einem abweichenden, aber scharf begrenzten
Sinne angewendet zur Bezeichnung von kleinen Gedenktafeln eines
Unfalles, die sich an der Unfallstelle selbst oder dem ihr nächst-
liegenden Wege befinden und in eine bildliche Darstellung des Ereig-
nisses, sowie eine Inschrift sich gliedern. AVir sind berechtigt und ver-
pflichtet, das Wort nur in diesem konkreten Sinne in der Wissenschaft
anzuwenden und die Ausdrucksweise vieler Touristen und Stadtleute abzu-
lehnen, welche jedes .,Bildstöckr% jede „Totenrast^^ oder kleine Kapelle
mit dem Namen „Marterl" belegen und diese Unklarheit des Ausdrucks
im Gebirge selbst einbürgern. Die angegebene Definition ist jedoch nicht
pedantisch festzuhalten, da Übergänge zu anderen Arten von Gedenkmaien
nicht fehlen und von den charakteristischen Bestandteilen der „Marter-
taferhr^ — das sind a) Bild. 1. himmlische Personen, 2. irdischer Vorfall.
3. (eventuell) arme Seelen'im Fegefeuer, b) Inschrift. 1. Schilderung des
Unfalls, 2. Reflexion und 3. Bitte um Gebet") — der eine oder andere
fehlen kann, ohne dass der allgemeine Typus dabei verloren geht.
Das Vorkommen der Marterln ist gewöhnlich scharf abgegrenzt gegen
solche Gebiete, in denen sie durch andere Geilenkzeichen an Unglücks-
stätten vertreten werden, wie Kreuze und Kreuzsteine. Da es sich um
eine geographisch und möglicherweise ethnographisch begrenzte
Eigentümlichkeit handelt und eine Prüfung der herrschenden Auf-
fassung wünschenswert ist, welche ohne weiteres in den Marterln eine
bajuwarische oder doch deutsche Sitte erblickt, ist auch eine genaue
Feststellung der Grenzen ihres Vorkommens überhaupt, sowie der Ver-
breitung ihrer einzelnen Typen wünschenswert. Kur als vorläufige Mit-
teilungen und insbesondere als Anregungen zu systematischem Sammeln
sind eine Anzahl von kleinen Aufsätzen und Notizen anzusehen, die ich
1) Beiiecke-Müller, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, II, 1, 83 a, marter 2 (= Kreuz) und
martel. M. Eysu, Ztschr. f. österr. Volkskunde, TIL 69 und A. John, ebenda 80 („Kreuz
und Marter"), v. Hörmann, Wanderungen in Tir.d 199 (Christusbild, das von brennendeu
Kerzen umgeben das „hl. Grab" vertritt). „An der Marter" Flurname bei Stadt Priesen in
Böhmen, Generalstabskarte Z. 4 C. IX.
2) Sieger, Mitteil. d. Dtsch. u. Österr. Alpenvereins 1897, 39f., Zeitschr. f. österr. Volks
künde III, 19 f.
iNichtdeutsche Marterln. 237
in der Zoitschrift für österr. Volkskunde^) veröffentlicht habe. Es ergab
sich das Hinausgreifen der Marterln aus den Alpen über das ganze deutsche
Alpenvorland bis in den Schwarzwald und in die Randgebirge Böhmens,
iusbesondere aber auch ihr Hinausgreifen über die deutsche Sprach-
grenze auf italienischen Boden. Hierzu fügte W. Hein den Nachweis
ihres Vorkommens im cechischen Mähren^) und neuerdings bestätigt mir
Herr Mil. - Lehrer Hofmann in Fischau (N.-Österr.) das Auftreten von
Marterln in seiner Heimat im niährisch-schlesischen Gesenke.^) Im Sommer
1S98 endlich konnte ich eine grössere Anzahl slovenischer Marterln
sammeln. Im folgenden soll nur von den nichtdeutschen Marterln im
Süden der Alpen die Hede sein.
Die italienischen, die ich a. a. 0. bereits näher besprochen, scheinen
in iln-er Verbreitung auf das Eindringen der Sitte aus deutschem Gebiete
hinzuweisen. Man findet sie in Kegionen, wo deutscher Einfluss wirksam
war, im Primör, Fassathal, Gröden, an der Mendel; sie werden im Adamello-
gebiete. der Valsugana und, wie ich nun hinzufügen kann, in Teilen Priauls
durch einfache, meist inschriftlose Holzkreuze an der Unfallstelle, in
anderen Teilen der Welschtiroler Alpen durch steinerne Gedenktafeln und
dergl. ersetzt. Dagegen fand ich 1898 bei einer Wanderung über den
Pleckenpass von Kärnten nach Friaul nur ein einziges Marterl, auf der
Kärntnerseite des Passes, dieses jedoch italienisch. Die Malerei (eine
Landschaft mit einer Toten) war schwer kenntlich, die Inschrift lautete:
Domenica Morocutti di Tausia, d'anni 42
moriva sul Monte Valentina addi 14 Gennajo
1869 ed'ogata dall' inteniperie. Fregate
pace all anima sua. 0. C. F. F. 1869.
Da Tausia bei Ligosullo östlich von Paluzza im S. des Passes liegt,
hoffte ich nunmehr in dem deutschen Sprachinselchen von Tischlwaiig
(Timau) ebenfalls Marterln zu finden. Statt dessen traf ich dort überall
die schmucklosen Holzkreuze ohne Inschrift, selten mit einer eingeschnittenen
Jahreszahl. An dem Passwege bei der Örtlichkeit, die man in Tischlwang
„am alten Markt" nennt, ist ein kleines Eisenkreuz mit drei Querarnien
aufgestellt: in den frischen Lackül)erzug des längsten Querarmes ist „147P'
und „1898 K" eingekratzt. Nach Herrn Mattiz in Timau sind hier 1471
V I. 292ff., H. ^)5, 383f., III. 19f. (Fragebogen). 127 f., 304ff. — Abbildungen von
Marterln, die den Bildstöckl-Typus zeigen, s. Ztschr. d. D. u. Ost. Alpenvereins 1898, 145
(A. Kubier).
2) Zeitschr. f. österr. Volkskunde III, 288.
3} Er sah sie dort 1876 deutscn und cechisch als Wegkreuze mit Bild und Inschrift,
namentlich „gegen den Kreuzberg zu". Herr Prof. W. Boguth schrieb mir 1898, dass in
Braunsdorf l)ei Jägerudorf ein ganz typisches, deutsches (nicht mehr vorhandenes) Marterl
sich befand, so viel ihm als geborenem Braunsdorfer erinnerlich, das einzige. Der Wald-
besitzer hatte längere Zeit in Tirol gelebt, es läge also hier unmittelbare Übertragung
der Sitte vor.
288 Sieger:
drei Holzknechte umgekoiiiineii. Das ist wohl ein Beweis, dass in diesem
dentschen, von Kärntnern und Kraiuern besiedelten Winkel von Friaul die
Sitte der Marterln schon vor längerem nicht üblich war. Die grosse Armut
der Bevölkerung mag beigetragen haben, sie zu beseitigen, wenn die Ein-
wanderer sie überhaupt mitbrachten. Da auch auf der Kärntner Seite des
Passes alle deutschen Marterln fehlen, so ist das vorerwähnte isolierte
Vorkommen einer italienischen Tafel auf derselben gewissermassen als ein
„versprengtes" anzusehen.
Ganz eigentümlich aber ist das massenhafte Vorkommen slovenischer
Marterln in Oberkrain, über welches bisher in der Litteratur keine Daten
vorlagen. Obwohl Südkärnten an Marterln sehr arm ist, glaube ich aus
der Verbreitung der slovenischen Marterln ebenso wie aus ihrer besonderen
Armseligkeit und Einförmigkeit bei grosser Zahl doch die Vermutung ab-
leiten zu dürfen, dass der Brauch, sie aufzustellen, aus Kärnten über die
Pässe nach Krain eindrang. Ich habe sie an der Ratschacher Höhe (Save-
quelle), dem Wurzenpass, Loibl und Seebergsattel verfolgt. An der Rat-
schacher Höhe ist das erste Krainer Dorf, Weissenfeis, noch deutsch.
Hier, in Greuth und Weissenfeis selbst, fand ich drei alte, recht undeut-
liche, deutsche Marterln, deren eines, das ziemlich knappgehaltene für
.,Aggness Frauzin-' die Jahreszahl 1776, ein anderes die Zahl 1799 trägt.
Die Verunglückten haben auf ihnen rote oder schwarze Kreuzchen als
Kennzeichen über dem Haupte — ich nenne diese der Kürze halber
„Totenkreuze" — ; als Vertreter der Heiligenwelt treten drei verschiedene
Marientypen (Madonna, Pietä, Maria das Cruzifix anbetend) auf. Der
Unfall ist jedesmal dargestellt. Oberhalb Weissenfeis betrat ich die Strasse
erst wieder beim Bahnhofe Ratschach-Weissenfels und nun begann
die Reihe slovenischer Marterln, die meine Begleiter bis Ober- Würzen
und am Südabhange der „Würzen" blieben. Ich zählte auf dieser Strecke
ihrer 15.^) Es sind durchaus Holztafeln, meist an einem grossen Holz-
kreuze befestigt, zum Teil auch an Kapellenwänden angebracht. In letzterem
Falle finden sich zumeist mehrere beisammen, so z. B. vor dem Thore des
Kirchhofes von Oberwurzen (Podkoren) drei Tafeln, von denen zwei (11
und 13) sich auf solche Verunglückte beziehen, die weit draussen — „in
Steiermark" und „in Kärnten" umkamen. Ebenso ist ein Marterl (5) für
einen im Weissenfelser See Ertrunkenen mit einem anderen an einer
Kapelle am Westende von Ratschach vereinigt. Wir sehen hier die Grenz-
linie zwischen Marterln und blosser Erinnerungstafel verwischt; ebenso
möchte ich vermuten, dass die fast unleserliche Tafel (3) an einer Kapelle
bei Ratschach sich auf dasselbe Ereignis bezieht, wie die grosse Gedenk-
tafel am Unglücksorte inmitten des Dorfes (7). Solche Häufigkeit der
Übertragung von Marterln an nahgelegene Andachtstätten, bezw. der Er-
1) Im folgenden mit 1—15 bezeichnet.
Nichtdeutsche Marterln. 239
richtmig von Tafeln für auswärts Verunglückte an solchen Stellen zeigt,
dass hier der tiefe Gedanke, an der Unheilstätte selbst den Wanderer der
Vergänglichkeit alles Irdischen zu mahnen, in den Hintergrund tritt, während
auf unseren deutschen Marterln gerade dieses Moment oft in ergreifender
Weise betont wird, und dass der Wunsch, durch die der Örtlichkeit an
sich innewohnende Heiligkeit gleichsam Gebete zu profitieren, stärker
hervortritt, als anderw^ärts. wo er doch nicht völlig fehlt. Man mag darin
einen Hinweis erblicken, dass die Sitte. Marterln zu errichten, hier jung,
mehr äusserlich übernommen, als innerlich erfasst sei. Doch
spricht es gegen solche Auffassung, dass (wie mir der eifrige Sammler
Herr Hans Schnetzer in Kufstein mitteilt) auch im bayrischen Inngebiete.
wo die Marterln sicherlich seit langem zu Hause sind, marterlartige Gedenk-
tafeln an Friedhöfen, Kirchen und Kapellen, namentlich für Ertrunkene,
sehr üblicli sind. Hier wie dort dürften sie einen Ausweg der Pietät in
Fällen darstellen, in welchen die Errichtung eines eigentlichen Grab-
denkmals für den in der Ferne begrabenen oder gar nicht gefundenen
Toten unthunlich, die Unfallstelle selbst aber <len Angehörigen zu ent-
legen war.
Auffallend ist die Trockenheit und Gleichförmigkeit der Inschriften,
während auf das Bild meist mehr slavische Farbenfreudigkeit, als zeich-
nerische Sorgfalt verwendet wurde. In den Inschriften fehlt jeder höhere
Schwung, ja jede Betrachtung, sie sind rein formelhaft. Am höchsten steht
noch diejenige (7) eines ungewöhnlich grossen, etwa 1 m hohen und 7,i "'
breiten Bildes inmitten von Ratschach. Es zeigt drei Heilige, links Johannes
den Täufer, in der Mitte unter dem Auge Gottes und Engelsköpfeu den
Johann von Nepomuk, rechts wohl Petrus. ^) Darunter sind viele Menschen
mit der Ausgrabung Verschütteter beschäftigt. Der Text lautet: Skosi
nadloge tega sivljena snio mi poklizani od Gospoda; Kir on nam pravi
pridte vi brumni inu svesti | hlapci v sivlejne moje kir jest vam imam se
od vekoma perpraulenu. Tudi usi memgredioci Bratje ino | Sestri prosmo
mi vas molite ino prosite Gospoda sa nas, tudi mi bomo sa use vas. |
Tukej so bli nesrecni Janes Petric, Janes Kavalar, inu Peter Benet, ta
:i dan Susce 1852. — d. h. „Durch die Unglücksfälle dieses Lebens sind
wir vom Herrn abberufen worden, denn er sagt uns: „Kommet, ihr frommen
und treuen Knechte in mein Leben, welches ich schon von Ewigkeit für
euch bereitet habe." Auch euch alle vorübergehenden Brüder und Schwestern
bitten wir, betet und bittet Gott für uns. auch wir werden für alle (beten).
Hier verunglückten Joliann Petric, Johann Kavalar und Peter Benet am
;}. März 1852."^)
1) Reste der Namen und Ähnlichkeit der Abbildungen lassen vermuten, dass auf
dasselbe Ereignis sich die stark verblasste Tafel (3) beziehe, in der neben Nepomuk Petrus
mit dem Hahn und der Täufer, die Namenspatrone der drei Gestorbenen, unverkennbar
sind. Sie trägt die Jahreszahl 1853.
2) Die Übersetzung der nur selten korrekt geschriebenen Texte danke ich Hrn. F. Lex.
-240 Sieger:
Die anderen Alarterln beginnen mit ,,8pomin (auch tukej je spomin,
in 4 tukej je snanile) rajnciga X. N.'' d. h. ,, Andenken (oder „hier ist
das Andenken, hier ist der Bildstock'') des verstorbenen N. N/' Dann
wird in einem Relativsatz der Unfall mitgeteilt, meist auch das Alter des
Yerunglückten. das jedoch einmal (4) ganz am Schlüsse nachgetragen,
einmal (13) ins Bild selbst ül)er den Kopf des Opfers hineingeschrieben
isr. Und dann folgt die Öchlussformel: ,.prosim uas mimo gredoceja sa en
ocenas in cesena Marija sa moja uboga dusa (oder za njegovo duso).
,.Ich bitte euch Vorübergehende um ein Vaterunser und ein Avemaria für
meine arme (seine) Seele.'- Die Varianten, d. h. Bezeichnung der Vorüber-
gehenden als Pilger (romarje) in No. 4 o<ier als Wanderer (15), die Er-
setzung des ,, Vaterunser und Ave" durch eine allgemeinere Wendung (Bitte
um Gebet) in No. 6 und 15 u. dergl., sowie die Einschiebung des Satzes
..Gott gebe ihm das ewige Licht" oder „Gott gebe ihm den ewigen Frieden
und Ruhe!'' in No. 8 und 5 sind so gering, dass man hier wohl von einer
feststehenden Formel der Texte sprechen kann.
Die Bilder sind mannigfacher und individueller, selbstredend in der
meist sehr unbeholfenen Darstellung des Unfalles, aber auch in der Ver-
wendung verschiedener Heiliger. Vorherrschend ist jedoch entschieden der
l'ruzifixus mit zwei (einmal drei) heiligen Frauen (1, 4, 6, 12, 13, 14, 15);
daneben erscheinen die Dreifaltigkeit ('2), Dreifaltigkeit mit Maria (8),
Gott Vater (5), eine grössere Heiligengruppe (9), dann die Namens-
patrone (3 und 7 s. oben, Josef in 9, Simon in 11); einmal ist St. Anna
iils Namenspatronin nur im Schutzdache des Marterls dargestellt (4). Die
Brettchen dieser Schutzdächer sind durchaus an den Innenseiten bemalt,
meist mit Blumen in recht bunten Farben, mitunter tragen sie auch Al)-
bildungen Gott Vaters, des „Auges Gottes" u. s. w., in einem Falle (11)
eine kürzere, deutsche Inschrift, während die slovenische unter dem Bild
steht. ^) Dies Bemalen des Schutzdaches ist keine slavische Besonderheit;
so sah icli es auf dem Marterl des J. Schifer v. J. 1879 in Renuweg im
Lieserthal u. a. — Vom Bild sei noch bemerkt, dass die Verstorbenen
hier durchaus schwarze Totenkreuze tragen und dass in einem Falle (5)
der Maler das Bild unterzeichnet hat. Irgend eine bestimmte als slavisch
anzusprechende Besonderheit fehlt; doch ist in der grellen Farbengebung
ein Unterschied von den Marterln anderer Gebiete fühlbar.
Während, wie erwähnt, die Weissenfelser deutschen Marterln alt
sind, die Sitte dort auszusterben scheint, ist das älteste slovenische
Täfelchen, das ich hier sah, 1843 entstanden; zwei, wohl auf dasselbe Er-
eignis bezüglich, stammen aus den Jahren 185'2/53, die anderen sind jünger.
Die Sitte ist also in lebendiger Übung bei den Slovenen; ich halte sie,
wie erwähnt, hier für jung und mehr äusserlich übernommen, als im
Ij Doppelspi-achig (deutsch-italienisch) ist auch ein Marterl auf der Seiser Alp.
Nichtdeutsche Marterln. 241
Volksgemüt eingewurzelt. Die grosse Zahl der Marterln bei mangelnder
Individualität scheint dies zu bestätigen, ebenso die meist geringe Sorgfalt
in ihrer Ausführung und der Umstand, dass verfallende Tafeln nicht
restauriert werden. Wenigstens linden wir nirgends ein Renovierungsdatum
vermerkt und auch am Ijoibl und Seeberg fand ich ein solches unter '2Q
beobachteten AFarterln nur ein einziges AFal (Loibl No. 8 aus 1853, renov.
1892).
Auch hier ist das benachbarte, sprachlich gemischte Gebiet marterlarm.
Ich sah kein Marterl auf dem Wege von Klagenfurt bis zum „kleinen
Loibl". Erst dort finden wir das slovenische Marterl des Ignac Oraze
1882 (1) neben der Strassen-Inschrift von 1615, dann folgt bei der Teufels-
brücke das deutsche Marterl des 1809 verstorbenen J. Pecz aus Gottschee
(2) mit gotischer Schrift. Von da sah ich auf der Strasse über den Loibl
nach Neumarktl noch 13 weitere Marterln (3—15), davon 6 ohne Inschrift.
Das eine oder andere der letzeren, das nicht recht deutlich ist, mag auch
bloss ein Votivbild sein. Den weiteren Weg (von Neumarktl nach Krain-
burg) legte ich abends im Wagen zurück, ging aber von Krainburg an
der Save zu Fuss über den Seeberg nach Eisenkappel. Da fand ich
7 km von Krainburg noch ein Gedenkkreuz, 9 kit) von Krainburg am Ge-
birgsrande aber das erste Marterl (16), dann folgten bis Eisenkappel noch
zehn w^eitere, meist sehr zerstörte, von denen möglicherweise das letzte
keine Inschrift besessen hatte. Die anderen alle Hessen Spuren einer
Inschrift erkennen. Auf die- Nordseite des Loibl entfallen No. 1 — 9, auf
jene des Seebergs 23 — 26.
Das völlige Fehlen der Inschrift stempelt eine Anzahl von Marterln
(4, 7, 10, 13, 14, 15) hier zu blossen Gedenkbildern; es ist für diese
Gegend kennzeichnend. In deutschen Gegenden fehlt eher das Bild, wie
z. B. auf der Tafel für Friedrich Mitterer bei Reichenau im Winkel oder
für Martin Kreil in Tweng; doch kenne ich bei Tweng am Radstädter-
Tauern auch ein Marterl ohne Text und ohne Jahreszahl. Bei den slove-
nischen Marterln ohne Text ist dagegen in der Regel die Jahreszahl bei-
gesetzt. Bild und Jahreszahl ersetzen hier den Bericht. Aber auch wo
dieser gegeben ist, ist er am Loibl und Seeberg überaus knapp, noch
kürzer, als am Save-Ursprung: es heisst, wie in No 2: „Hier ist Joseph Pecz
von Gottschee 47 Jahre | alt . . . . 15. Ju . . 1809 in Gott verschieden", so
in den slovenischen Marterln in der Regel nur: „N. N. tukej smert storil"
(hier starb N. N.) mit beigesetzter Jahreszahl oder gar, wie in 9: „18 Neza
potisk vsaktir mimgre nato duso najse spomene 86" (Agnes Potisk. Ein
jeder Vorübergehende gedenke ihrer Seele). Das Wie des Unfalls ist ja
aus dem Bilde zu ersehen. Es ist schon eine relativ breite Darstellung,
wenn es heisst (No. 6): Tukej Seje Strahov peter Vbov pr(o)si zanocanas
t 1883 (hier hat sich der Peter von Strah erschlagen. Bittet um ein
Vaterunser!), oder (No. 21): Tukej Lorenc Povsner iz Kokre 17 dan |,
•)42 Sieger:
Soptenibra 1864 v vodo pade" — (hier fiel Lorenz Povsner von Kanker den
17. Sept. 1864 ins Wasser). Daran schliesst sich mitunter eine Bitte um
(lebet, wie in den oben angeführten Beispielen und im folgenden (No. 25):
Prijatel! Tukaj je smert storil | .lakob Bukovnik, spomini se njegove duse.
(Freund, hier starb Jakob Bukovnik, erinnere dicli seiner Seele!) — Ebenso
selten ist eine andere fromme Wendung: No. 11: Yecna lue naj mu sveti!
(das ewige Licht leuchte ihm). No. 16: Bog bodi milostliv njegovi dusi
(Gott sei seiner Seele gnädig!). Sonst beschränkt sich die Inschrift auf
die Mitteilung des Unfalles.*) Die meisten dieser Inschriften sind unter
oder neben dem Bilde in Kursivschrift eilig und nachlässig in nichts
weniger, als geraden Zeilen hingepinselt.
Hauptsache ist eben das Bild. Neben der realistischen Darstellung
des Unfalles spielen hier heilige Personen eine besondere Rolle, auf vielen
Bildern ganze Gruppen von Heiligen, ja mehrere Gruppen oder gesonderte
Handlungen. Besonders häufig erscheinen unter ihnen die folgenden: eine
Madonna mit langem, steifem Kleid. Zepter und Krone (das Kind ebenso
gekleidet), die jener von Luschari ähnlich ist, doch in den meisten Fällen
das Kind auf dem rechten Arme hält (4, 5, 19, 20, 26; mit Kind auf dem
linken Arm 17, 18), daneben eine anmutigere sitzende Madonna (2, 16),
die Dreifaltigkeit (14, 16, Maria krönend 7), der Cruzifixus mit Maria und
Johannes (10, 23, 24) oder mit einer anderen Gruppe (25). Deutlich erkennbar
sind ferner die in bestimmten Gegenden verelirten Kirchenpatrone und
Lokalheiligen: so erscheint Leonhard mit der Kette, bald als Priester, bald
als Mönch dargestellt, auf der iS^ordseite des Loibl (3, 4, 6. 7. 8, 9). wo
die Örtchen Alt- und Neu-St. Leonhard von seinen Kapellen benannt sind:
Laurentius mit einem Diminutiv-Rost, ebenfalls bald Priester, bald Mönch
in derselben Gegend (3. 4, 7), doch auch sonst (26); an Bildstöckeln und
in Kapellen findet man beide oft beisammen. Im Bereich des Dorfes St.
Anna und seiner Wallfahrtskirche oberhalb Neumarktl finden wir die an-
mutige Darstellung der „Mutter Anna" mit der kleinen Maria (11, 12, 13),
daneben einnuil die hl. Familie (13). Einmal (8) ist Leonhard, der Vieh-
patron, sinngemäss zusammengestellt mit Anton dem Schweinepatron
(Parggentoni), der hier das Schwein und den Glockenstab als Kenn-
zeichen führt. iMit dem Stab allein erscheint letzterer einmal als Nameus-
patron (12), mit St. Urbau zusammen. Sicher als Namenspatrone fand ich
ferner dargestellt: Petrus (6) mit dem Schlüssel und Agnes mit dem Lamm (9).
Wenn die beiden Heiligen, deren einer als Wandersmann, der andere als
1) No. 12 unterhalb des Juri Wirtshauses der Sp. K. in St. Annathal zeigt gar nur
die Inschrift: Urhan Kavar umeru 12 dan | Grudna 1865 in Anton Kavar | umerl. 8 dan
Prosinec 1866. (Urhan Kavar f 12. Dec. 1865 und Anton Kavar f 8. Jan. 1866.) Da es
auch kein Bild eines Geschehnisses, sondern nur die Bilder der hl. Anna und der Namens-
patrone Urban (mit der Traube) und Anton Einsiedler (mit Glockenstab) zeigt, ist fraglich,
ob man es noch als Marterl ansehen kann.
Nichtdeutsche Marterln. 243
Kreuzträger erscheint, vor dem Cruzifixus in No. '2^) nicht, wie ich an Ort
und Stelle meinte, Paulus und Petrus, sondern Jakobus und Philippus
darstellen sollten (was eine interessante Verwechslung der beiden Jakobe
in sich schlösse), wäre liier Jakob als Namenspatron anzusehen, ebenso der
Heilige mit dem Herzen in No. 16, falls in ihm Franciscus Salesius zu
erkennen ist. Ein paar andere Figuren (No. 13 heilige Nonne, No. 18
König mit Wage, No. 2(1 Pabst oder Bischof) kann ich nach meinen Notizen
nicht mehr identifizieren. Wir finden hier den Satz bestätigt, dass neben
den eigentlich lokalen, für die Gegend charakteristischen Figuren allent-
halben auch die Namenspatrone und andere Heilige in den Marterlbildern
auftreten. Lokalheilige und Patrone sind aber gerade an den besprochenen
Pässen in recht charakteristischer Häufigkeit vertreten.
Über den Inhalt des unteren, die Unfälle darstellenden Biidteiles und
seine Form lässt sich der Natur der Sache nach wenig sagen. Man gewinnt
den Eindruck, als ob er für die Marterlmaler an Wichtigkeit gegenüber
den himmlischen Figurengruppen in den Hintergrund getreten wäre, doch
darf man sein völliges Fehlen auf No. 12 nicht als Beweis hierfür ver-
wenden (siehe S. 242 Anm. 1). Bemerkt sei, dass einmal (')) die Malerei
auf die Innenbretter des Schutzdaches übergreift. Als lokale Besonderheit
im Gegensatz zum Wurzener Savethal ist das Fehlen der Totenkreuze
über den Köpfen der Verunglückten hervorzuheben; in dieser Hinsicht kann
man auch stmst in den Alpen von Gau zu Gau Verschiedenheiten bemerken.
Auch am Loibl und Seeberg ist die Sitte des Marterlsetzens eine noch
lebendige, ich traf die .Jahreszahlen ISOO (4) und 1801) (2), dann solche
von 1848—1896.
Nach Mitteilung «ler Herren Prof. Dr. A. Hauffen in Prag und Üocent
Dr. M. Murko in Wien, die ich befragte, sind Marterln in Oberkrain
überaus häufig.^) In Unterkrain^) und auch im deutschen Gott-
scheer Lande fehlen sie vollkommen. Die von mir begangenen
Wege stellen also nur einen Teil ihres Verbreitungsgebietes dar; wenn ich
Eigenheiten der slovenischen Marterln gegenüber den deutschen
konstatiere, kann dies nur mit Reserve geschehen. Doch lässt der
Umstand, dass die zwei Gebiete, das der Thalwasserscheide am
Save-Ursprung und das der Gebirgsthäler an den Karawanken-
pässen, sehr deutliche Verschiedenheiten zeigen, die Annahme
zu. dass das ihnen Gemeinsame auch noch für ein weiteres Ge-
biet gelten mag. Solche Verschiedenheiten sind, a))gesehen von dem
1) Ich konute keine einheimiscbe Bezeichnung für sie erfahren. Der Wirt zum
Deutschpeter am Loibl, Herr Albin Tschauko, der mir sagte, sie seien über das ganze
Gebirge verbreitet, sagte, man nenne sie einfach tabla (Tafel). Znamenje (znamle) s. S. 240.
2) Nach A. Müllner in der „Argo" 1895, S. 53 findet man dort an Unfallstclleu
mertvicii oder 8tein-, bezw. Reisighaufen zum Gedenken, auf die jeder Vorbeigehende
<'inen neuen Stein oder Zweig wirft.
244 Sieger: Nichtdeutsche Marterln.
deutlicheren Hervortreten der Lokalheiligen in den mehr abgeschlossenen
Gebirgsthälern die verschiedene Stilisierung und die abweichenden Formeln
des Textes, die Verwendung der Kursivbuchstaben und das Fehlen der
Totenkreuze am Loibl und Seeberg, endlich das Vorkommen textloser
Marterln in diesem Gebiete, wohingegen sie hier enger an die Unfallstelle
gebunden erscheinen, als die Marterln am Save-Ursprung. Gemeinsame
Züge aber sind vor allem die Kürze und der formelhafte Charakter der
Inschriften gegenüber dfenjenigen in deutschen Gegenden, insbesondere das
völlige Fehlen der [dort bei aller Unbeholfenheit oft so rührenden, oft
wieder so komischen] Verse, aber auch das Fehlen der Reflexionen, in
welchen das Gemütsleben der Bauern sich ausspricht. Es fehlt das Indi-
viduelle — deshalb tritt auch der Text gegen das Bild und innerhalb
des Bildes der erzählende Teil, wenn ich so sagen darf, gegen den sym-
bolischen, die Unfallsgeschichte gegen die Heiligenfiguren zurück. Die
Marterln sind daher auch hier weniger scharf gesondert von anderen Arten
religiöser, zum Gebet auffordernder Darstellung, als in nördlicheren Ge-
bieten, sie sind sozusagen nur eine besondere Art von Heiligenbilder)i.
Mit dem individuellen Zug, mit dem Bestreben, die eigenen Reflexionen
über das grosse Geheimnis des Todes kurz und innig auszudrücken und
sie mit dem besonderen Ereignis wirksam zu verknüpfen, fällt aber für
den Verfertiger der Gedenktafel ein Anreiz hinweg, der ihji zu einer
grösseren Sorgfalt der Arbeit mitbestimmt. Die meist wenig sorgsame
Ausführung der slovenischen Marterln mag damit zusammenhängen. Ich
bin so kühn, aus dieser mehr äusserlichen Aneignung des Gehrauches die
Folgerung zu ziehen, dass er in diese Gegenden relativ spät (natürlich nur
relativ spät) eingedrungen, im Volksgemüt noch nicht so sehr eingewurzelt
sei. Die geographische Verbreitung scheint dies zu bestätigen: sie lässt
erkennen, dass er nicht etwa mit älteren deutschen Kolonisten als lieb-
gewonnene Heimatsitte ins Land kam, sondern durch den Verkehr über
die trennenden Gebirgsketten längs der Strassenzüge verpflanzt wurde.
Dass dies der Fall war, zeigen wohl auch die Verschiedenheiten der Typen
in jenem Gebiete, in welchem dies Eindringen nach meiner Auffassung aus
dem Kanalthal und in jenem, in welchem es aus dem Rosenthal erfolgt
sein müsste. Leider ist in diesen deutschen und halbdeutschen Nachb.ir-
gebieten die Zahl der mir bekannten Marterln viel zu gering, die Sitte zu
sehr im Erlöschen begriffen, als dass ich für meine immer noch sehr
hypothetische Auffassung Vergleichsobjekte ^) anführen könnte, die allein
Beweiskraft hätten. —
Znsatz: In Svenska Turistföreningens Arsskrift 1899, S. 301 finde ich
Angaben über eine bei Oviken in Jämtland (Nordschweden) vor kurzem
noch vorhanden gewesene „Holztafel mit eingeschnittenen Buchstaben'', deren
1) Vgl. Weissenfelser Marterl der Franzin und Loibl No. 2.
Bartels: Ein Paar merkwürdige Kreaturen. 245
Inhalt SO sehr zum Yergleich mit den alpinen Marterln auffordert, dass ich
sie hier mit der Bitte mitteile, eventuelle weitere Analoga aus Skandinavien
bekannt zu geben. Die in Majuskeln geschriebene Inschrift lautet:
Ahr 1809 den ättonde dag uti Julii „Im J. 1809, den 18. Tag im Juli starb
en man här hastigt döde. Hans namn hier plötzlich ein Mann. Sein Name
det var Sven Bang, bonde i Ovikens war Sven Bang, Bauer in der Pfarre
socken Öfvergärdes gard. Oviken auf dem Hofe Öfvergärd.
(Zu singen, wie:
sjunges som: Ret hjertelig jag längt, i) „Recht herzhch sehnt' ich mich .. ")
Det sällskap som hau hade Die Gesellschaft, die er hatte,
nur hau di'og vagen frara Als er zog den Weg fürbass,
sa var det just hans svager Das war gerad sein Schwager,
liäller hans systers man. Nämlich sein Schwestermann,
de foro pa sin resa Die fuhren auf ihrer Reise
och tankte bege hem Und dachten beide heim,
men just pä detta stelle Doch just an dieser Stelle
slog äskan honom hjäl. Schlug ihn der Blitz zusammM"
Wir sehen hier die charakteristische Gliederung in prosaischen Bericht
und betrachtende Verse. Der Hinweis auf ein frommes Lied vertritt die
Bitte um ein Gebet. Bild ist keines dabei. Als Erinnerungszeichen ist bloss
der Schädel des mit umgekommenen Pferdes an einem Baum befestigt. Doch
hat sich an das Ereignis eine Lokalsage geknüpft, nach welcher Bang dem
Gewitterhimmel die lästerliche Aufforderung zurief, ihm die Pfeife anzuzünden
(„eftersom du har sä godt om eld, kau du väl ock tända min pipa") und
dafür den Tod fand.
Ein Paar merkwürdige Kreaturen.
Von Dr. 3Iax Bartels.
(Schluss von IX, 179.)
Die Einwirkungen der beiden Tiere oder bestimmter Teile derselben,
welche ich bis jetzt besprochen habe, sind, wenn auch immer wunderbare,
so doch nur rein medikamentöse gewesen. Es sind Medizinen im wahren
Sinne des Wortes, welche, wie alle anderen Arzneien auch, entweder zu
innerlichem Gebrauche oder in äusserer Applikation verwendet werden.
Aber das genügte dem Volksglauben nicht, und so treffen wir auch auf
mystische, auf übernatürliche Heilkräfte, welche mit diesen Tieren in Ver-
bindung gebracht werden. Sie erhalten die Bedeutung von Anmieten und
1) Diese Zeile in kleinerer Schrift.
Zeitschr. (I. Vereins f. Volkskunde. 1S'.)9. 1'
•)46 Bartels:
bestimmte Teile von iliueu werden als Schutz- und Heilmittel, gegen
gewisse Leiden am Körper angehäugt, öffentlich oder im Geheimen getragen.
In Mecklenburg^) und in der Bayerischen Pfalz^) lässt man die
Kinder Maulwurfszähne tragen — in der Pfalz müssen es drei sein —
um sie vor dem „Gefrais", den Zahnkrämpfen, zu schützen. In Bayern^)
wird auch eine in Silber gefasste Maulwurfspfote als Amulet angehängt,
um den Kindern das Zahnen zu erleichtern. Solche Anhängsel zur Be-
förderung der Zahnung werden als Familienheiligtümer von einer Gene-
ration zur anderen aufbewahrt.
Als ein Schutzmittel gegen Diphtherie lassen die Sachsen in Sieben-
bürgen*) ein Beutelchen am Halse tragen, in welchem sich die abge-
schnittenen Yorderfüsse eines Maulwurfs befinden. Das gleiche Mittel ist,
wie Frischbier ^) berichtet, in Ostpreussen bekannt.
Die Amulet- Wirkung der Fledermaus beschränkt sich, soviel ich
sehe, in Deutschland darauf, dass sie der Schlafsucht entgegenwirkt.
Darum soll der Gamsjager in Tirol®) eine Fledermaus bei sich tragen,
dann bekommt er keinen Schlaf. Und so glaubt man auch in Schwaben
und Franken'), dass man nicht ruhig zu schlafen vermöge, „wenn man
das Herz oder den Kopf einer Fledermaus ohne Wissen bei sich trägt".
Dieses in der Nacht ruhelose Tier wird hier also mit dem Mangel an
Schlaf in eine mystische Verbindung gebracht, während, wie wir sahen,
gerade ihr Schmalz eine schlafbringende Wirkung besitzen soll.
Im nördlichen Indien benutzt man nach Crooke^) einen Fledermaus-
knochen als Amulet. Man bindet ihn mit einem Faden an das Fussgelenk,
um sich vom Rheumatismus zu befreien.
Abgesehen von der medikamentösen Wirkung und derjenigen als
Amulet stossen wir namentlich bei dem Maulwurf auf den Glauben an
eine übernatürliche Kraft, welche einen Übergang bildet von der äusserlich
applizierten Arznei zu dem wirklichen Zaubermittel. Wir finden nämlich
bei einer Anzahl von Volksstämmen die Anschauung verbreitet, dass die
dem Maulwurfe innewohnenden Kräfte erst dann zu ordentlicher AVirkung
und Entfaltung gelangen, wenn man ihn fängt und ihn darauf so lange
mit der Hand festhält, bis er seinen Tod gefunden hat. Dieses Verfahren,
das an ganz ähnliche Massnahmen erinnert, die mit dem unglücklichen
Frosche vorgenommen werden, finden wir in Pommern, Mecklenburg.
Bayern und Schwaben und bei den Sachsen in Siebenbürgen.
In Mecklenburg^) werden hierdurch die Warzen geheilt, in Pom-
mern^") die unangenehme Feuchtigkeit der Hände und in Schwaben")
1) Blanck 193. — 2) Lammert 123. - 3) Lainmert 127. — 4) v. Wlislocki ('.
95. — 5) H. Frischbier, Hexcnspruch und Zauberbann. Ein Beitrag zur Geschichte des
Aberglaubens in der Provinz Preussen. Berlin 1870'. 65. — 6) v. Alpenburg 360. —
7) Lammert 91. — 8) W. Crooke: An Introdiiction to the Populär Religion aud Folklore
of Northern India. Allahabad 1894. 212. — 9) Blanck 225. — 10) Jahn 181. —
11) Birlinger I, 444.
Ein Paar merkwürdige Kreaturen. 247
<ler Wurm am Finger, d. h. die Krankheit, die wir „Akeley" nennen.
Wir sehen, dass es sich hier immer noch um krankhafte Affektionen der
Hände handelt, welche mit dem sterbenden Maulwurf sich in unmittelbarer
Berührung befinden. In dem Glauben des deutschen Volkes gesellt sich
zu der örtlichen nun auch schon die Fernwirkung hinzu. Denn Montanus^)
berichtet, wer einen Maulwurf in seiner Hand sterben lässt, dem wird nicht
nur die Feuchtigkeit der Hand, sondern auch das entsprechende Leiden
der Füsse geheilt. An eine Fernwirkung glaubt man auch in Mecklen-
burg^), weil man durch das angegebene Verfahren die Sommersprossen
zu vertreiben vermag.
Noch weiter in dem Wunderglauben sehen wir imn aber unter anderen
die Pommern, die Bayern und die Sachsen in Siebenbürgen gehen.
Denn sie nehmen an, dass die Hand, welche auf solche Weise den Maul-
wurf tötet, eine völlig gesunde sein kann. Wenn sie das wunderwirkende
Tier nun aber so lange umfasst hält, bis er sein Leben ausgehaucht hat,
oder wenn sie ihn gewaltsam erdrückt, dann hat sie Zauberkraft gewonnen,
sie ist nun zu einer Heilhand geworden; und wenn diese Hand Krank-
haftes berührt, dann muss die Krankheit endgültig weichen.
So lautet in Pommern^) in den Kreisen Bütow und Neustettin
<lie Vorschrift:
„Fange einen Maulwurf, umspanne denselben mit der Hand und lass
hn also sterben, so wirst du mit dieser Hand durch blosses Bestreichen
alle Krankheiten heilen können."
Wenn die Siebenbürger Sachsen*) ihn so lange in die Sonne
halten, bis er stirbt, dann vermögen sie mit ihrer Hand Milchknoten zu
heilen.
Most"), der über die sympathetischen Mittel handelt, verlangt, dass
es die rechte Hand sein muss. Diese erhält sodann die Kraft „Krebs-
beulen, ehe sie aufbrechen, gänzlich verschwinden zu machen, wenn er
mehrere Male mit der Hand darüber fährt. '^
Auch in Dölzig in der Mark Brandenburg**) behauptet man:
„Die Hand, in der ein Maulwurf verendet ist, heilt alle Wunden."
In Bayern') finden wir die Variante, dass, wer vor seinem siebenten
Jahre den Maulwurf auf diese Weise tötet, anderen durch blosse Be-
rührung den Wurm am Finger zu heilen vermag.
Ist aber einmal erst der Glaube durchgedrungen, dass solche Amulete
zu Heilzwecken dienen können, dann ist es ganz gewöhnlich der nächste
Schritt, den gleichen oder ähnlichen Stücken auch heilbringende Wirkung
im allgemeinen oder eine glückbringende Kraft für bestimmte Zwecke zu-
zuschreiben. Das finden wir auch hier wieder bestätiot.
1) Montanus 171. — 2) Blanck 224. — 3) Jahn 181. — 4) v. Wlislocki C. 176.
— 5) G. F. Most, Die sympathetischen Mittel und Kurmethoden. Rostock 1842. 116. —
6) Prahn 192. — 7) Panzer I, 266.
17*
^248
Bartels:
„Wer eine Fledermaus bei sich trägt, der wird Glück haben, heisst
es in Bosnien und der Hercegovina^), und die Kaufleute daselbst
hängen eine in Schildkrütenplatten gewickelte Fledermaus in ihrem Laden
auf, damit ihnen die Kunden wie blind zuströmen. Hier blickt der Glaube
des Volkes durch, dass die Fledermaus ein blindes Wesen sei.
Montanus^) führt folgenden Aberglauben aus Deutschland an:
Bindet der Spieler das Herz einer Fledermaus mit seidenem Faden an
den rechten Arm, so gewinnt er jedes Spiel."
Auch in Pommern^) und im Voigtlande benutzt man nach Köhler*)
das getrocknete Herz einer Fledermaus als glückbringendes Amulet im
Spiel, während die Oberbayern^) sich zu dem gleichen Zwecke des
Fledermauskopfes bedienen.
Die Schwaben^) glauben, ilass man sich, wenn man ein der Fleder-^
maus ausgestochenes Auge bei sich trägt, unsichtbar maclien könne.
Die Magyaren^) stellen aus der Fledermaus das „Flugfett" her. „AVer
sich mit diesem die Fusssohlen einreibt, der setzt bei jeder Wanderung
über die grössten Hindernisse leicht hinüber und weicht jeder Gefahr aus."
Das Flugfett ist das Fett von solchen Fledermäusen, welche in der Woche
vor dem Tage des hl. Georg aus dem Winterschlafe erwacht sind. Auch
die Schatzgräber bedienen sich dieses Zaubermittels und das Gebet eines
solchen Schatzgräbers aus Szent Ivan in Siebenbürgen, das er an den
Beschützer der Schatzgräber, an den heil. Christoph, richtete, hat in der
Übersetzung folgenden Wortlaut:
„Mächtiger Herr, Du heiliger Held, gütiger Christoph, erbarme Dich
meiner und bewahre mich vor den Bösen! Ich will Dir dienen und
Deiner gedenken, sobald Du meinen Puss durch das Flugfett zum Schatze
hingeleitet hast! Ich will Dir treu dienen, wenn ich den Karfunkelstein
gefunden habe, der Deines goldenen Hammers Funke ist. Hilf mir, Du
der Helden Herrlichster, Du! Gebenedeit sei Dein Name ewighch, Amen!"
-In Pommern^) wird die Fledermaus zur Herstellung von Freikugeln
benutzt. Die Vorschrift lautet: „Giesse zwölf Kugeln in der Nacht vom
Freitag zum Sonnabend in der Mitternachtstunde bei zunehmendem Monde,
und mische vorher unter das Blei das Herz und die Leber einer Fleder-
maus.
Der Maulwurf steht in dieser Beziehung <ler Fledermaus ganz erheblich
nach. Allerdings soll bei den Bayern nach Ilöfler") sein Kopf als
Amulet getragen sein. Nach Plinins'") vermag derjenige den Erfolg der
Dinge vorauszusehen, der das noch zuckende Herz eines Maulwurfs ver-
1) Lilek441. — 2) Montanus 172. - 3) Jahn 176. — 4) J. A. E. Köhler, Volks-
brauch, Aberglauben, Sagen und andere alte Überlieferungen im Voigtlande. Leipzig lS(i7.
417 _ 5) M. Höller, Volksmedizin und Aberglaube in Oberbayerns Gegenwart und Ver-
gangenheit. München 1888. 150. - 6) Birliuger I, 435. - 7) H. von Wlislocki E.,
Aus dem Volksleben der Magyaren. München 1893. 90. - 8) Jahn 175. - 9) Hofler
150. — 10) Plinius lib. 30, c. 7.
Ein Paar merkwürdige Kreatiu-en. 249
schlingt. Sonst erfahren wir nur noch aus Pommern^), dass man das
Glück an sich zu fesseln vermöge, wenn man einen Maulwurf in der Hand
sterben lässt.
In dem sogenannten Liebeszauber findet, wie es den Anschein hat,
der Maulwurf keinerlei Verwendung. Um so weiter verbreitet ist aber
die Zauber-Manipulation mit der Fledermaus. In Pommern^) heisst es:
„Gefönt Dir ein hübsches Mädchen, und sie will Dich nicht haben,
dann nimm eine Fledermaus, verbrenne ihr Herz zu Pulver und gieb es
ihr ein, dann kann sie nicht mehr von Dir lassen."
In Ostpreuss»?n^) berührt das Mädchen ihren Geliebten heimlich mit
einer Fledermauskralle, um sich seiner Liebe zu versichern. Sie muss
<labei aber einen Zaubersegen murmeln.
In Bosnien und der Hercegovina*) giebt die Maid dem Jünglinge
heimlich drei Haare einer Fledermaus im Kaffee zu trinken. Auch wird
es für sehr wirksam gehalten, wenn das Mädchen mit einer Fledermaus,
die hier ebenfalls für ein blindes Tier gilt — sie heisst slijepi mis, die
blinde Maus — den Burschen unbemerkt dreimal umkreist. Auf diese
Weise wird er geblendet.
In Foca in Bosnien tötet man die Fledermaus und lässt einige
Tropfen von dem Blute in den Katt'ee desjenigen fallen, welchen man zu
bezaubern wünscht.
Von den .Marokkanern werden nach Quedenfeldt^) Fledermaus-
Bälge zum Liebeszauber benutzt.
Als Liebesorakel bedienen sich die magyarisclien^) Mädchen der
Fledermaus.
„Wenn die Kalotaszeger .Maide wissen wollen, ob sie dieser oder
jener Bursche liebt, so werfen sie ein Tuch hinauf in die Luft und denken
dabei an einen bestimmten Burschen. Fliegt die Fledermaus dem Tuche
nach, so wird die Maid von dem Betreffenden geliebt."
Hat sich unsere Fledermaus das reiche Gebiet des Liebeszaubers
glücklich erobert, so geht die fruchtbringende Phantasie des Volkes nun
wiederum gleich uoch einen Sehritt weiter. Denn was die Liebe eines
begehrten Wesens vom anderen Geschlechte vermitteln kann, das könnte
doch leicht auch die Kraft besitzen, bei den Mitmenschen im allgemeinen
beliebt zu machen. So heisst es denn in Bosnien'):
„Wenn ein Diener einen bösen Herrn hat, so blicke er ihn durch
einen Fledermausflügel an, und der Herr wird gut sein."
1) Jahn LSI. — 2) 0. Knoop, Volkssagen, Erzählungen, Aberglauben, Gebräuche
und Märchen aus dem östlichen Hinterpomraern. Posen 188.5. 168. — 3) Ploss-Bartels
I^ 466. — 4) Lilek 479. - 5) M. Quedenfeldt, Aberglaul)e uud halbreJigiöse Bruder-
schaften bei den Marokkanern. Yerhandl. d. Berl. antbrop. Gesellsch. Zeitschr. f. Etbno-
lo.ne, Bd. XVIII. Berlin 1886. S. ((;83). - (i) v. Wlislocki A. 71. — 7) l.ilek 441.
250 Bartels:
Auch als AYetterpropheteu gewinnen, wie so viele andere Tiere, der
Maulwurf und die Fledermaus ihre Bedeutung. Aber das gehört nicht
eigentlich in den Volksaberglauben hinein. Wie ich in einem früheren
Vortrage schon einmal auseinandergesetzt habe, handelt es sich hier viel-
mehr um sehr genaue naturwissenschaftliche und meteorologische Beob-
achtungen, für welche das Auge der Landbevölkerung sich als ganz be-
sonders geschärft erweist.
lu den Bereich unserer Betrachtungen gehört es auch nicht, weiter zu
verfolgen, wie man die Maulwürfe und die Fledermäuse fängt, wie man
sie zu vernichten sucht und wie man ihnen zu schaden bestrebt ist. Das
ist für uns von keiner Bedeutung, wenn sich auch allerdings darin hier
und da ein mystischer Zug nachweisen lässt. Dass es in Indien und
Südamerika grosse Fledermäuse giebt, welche dem schlafenden Menschen
einen zarten Biss beibringen und ihm dann das Blut aussaugen, das dürfte
w^ohl allgemein bekannt sein. Natürlicherweise knüpfen sich auch an diese
Tiere allerlei abergläubische Geschichten und fabelhafte Erzählungen, die
ich hier aber nicht weiter erörtern kann. Wir kämen sonst auf das
unerschöpfliche Gebiet des sogenannten Vampyr-Aberglaubens. Ich kehre
daher lieber wieder zu unseren heimischen Tieren zurück. Dass die zu-
fällio-e Begegnung mit so wunderwirkenden Geschöpfen auch nicht als
bedeutungslos betrachtet wird, das muss uns als selbstverständlich er-
scheinen. Ja selbst dem nur scheinbaren Zusammentreffen mit ihnen, wie
es durch ein lebhaftes Traumbild der leicht erregbaren Phantasie der kind-
lichen Volksseele vorgegaukelt wird, werden ganz besondere Bedeutungen
und prophezeiheude Wirkungen zugeschrieben.
Wenn einen Zigeuner des südlichen Ungarns^) eine Fledermaus einige
Male umkreist, dann soll er wohl auf seiner Hut sein, denn in allernächster
Zukunft wird ihm ein Feind Schaden bereiten. Er vermag das Vbel da-
durch abzuwenden, dass er seinen Weg nicht fortsetzt, sondern dass er
umkehrt oder sich in Bewegung setzt, falls er steht, oder dass er, sich,
falls er sitzt oder liegt, beim Herannahen der Fledermaus sofort erhebt.
Fliegt bei den Siebenbürger Sachsen^) eine Fledermaus nahe bei
einem Menschen vorbei, so glaubt er, dass seine Feinde Übles von ihm
reden.
Liebende sollen bei den Magyaren'') nicht mitsammen dem Finge
der Fledermäuse zuschauen, sie hetzen sonst die Neider gegen ihr Ver-
hältnis auf.
Wenn eine Zigeuner-Braut*) Fledermäuse erblickt, dann soll sit
ausspeien. Der Auswurf fällt dann als siedendes Pech auf die Zunge der-
jenigen Leute, welche ihr die Heirat missgönnen.
1) V. Wlislocki B. 114. — 2) v. Wlislocki C. 162. — 3) v. Wlislocki A. 71.
6) v. Wlislocki B. 115.
Ein Paar merkwürdige Kreaturen. 251
Die Zigeuner-Weiber sollen, wenn sie Fledermäuse sehen, sich den
Mund mit der Hand verdecken, denn sonst hauchen diese Tiere ihnen
Bosheit in den Leib.
Wer bei den Siebenbürger Sachsen^) von Fledermäusen träumt,
der kann versichert sein, dass ihm bald ein Verlust bevorsteht. AVenn er
aber von einem Maulwurfe träumt, so wird er mit Feinden zu thun be-
kommen. Auch bei den Magyaren^) bedeutet der Traum von einem
Maulwurf nahe bevorstehenden Streit.
Die Zigeuner^) haben eine Sage, derzufolge die Fledermaus teuf-
lischer Abkunft ist. Heinrich von Wlislocki erzählt diese Sage folgender-
massen:
„Als der oberste Teufel oder Teufelskönig noch jung war, so verfolgte
er nur die Männer, den Weibern aber that er nichts zu Leide, denn er
hatte die Frauenzimmer gar lieb. Allnächtlich wanderte er in der Welt
herum und stiftete nichts Böses an, sondern küsste nur die schlafenden
A\'eiber. Darüber ärgerte sich seine Grossmutter gar sehr und machte ihm
Vorwürfe. Aber nichts half; der Teufelskönig trieb seine Liebeleien fort.
Da frass einmal seine Grossmutter eine Maus und schmierte dann dem
schlafenden Teufelskönig Unrat auf die Lippen. Als dieser nun bei Ge-
legenheit ein schlafendes Weib küsste, so entstand aus diesem Kusse die
eiste Fledermaus."
„Fledermaus!
Komm heraus!
Reiss' mir alle Haare aus!"
singen in Berlin die Kinder in der Abenddämmerung auf der Strasse.
Dabei halten sie aber wohlweislich ihre Mütze in der Hand bereit, um
ihren Kopf sofort zu bedecken, wenn eine Fledermaus auf sie zufliegt.
Der absonderliche Glaube, dass die Fledermaus demjenigen in die Haare
fliege, der sich des Abends unbedeckten Hauptes im Freien sehen lässt,
ist ein sehr weit verbreiteter. Wir finden ihn, abgesehen von der Mark,
in Mecklenburg*), in Bayern^), in der Schweiz^) und bei den Sachsen
in Siebenbürgen^).
Der Aberglaube der Bayern und der Mecklenburger stellt einfach
die Thatsache fest, ohne sich weiterhin auf eine Erörterung darüber ein-
zulassen, was es denn für einen Schaden bringt, wenn jemandem die
Fledermaus in die Haare fliegt. Die Berliner Bevölkerung hat den
Glauben, dass die Fledermaus sich in den Haaren derartig fest und. un-
lösbar anklammere, dass sie nur zu entfernen ist, wenn man sie gewaltsam
vom Kopfe abreisst. Hierbei werden dann aber gleichzeitig auch alle
Haare ausgerissen. In der Schweiz^) glaubt man, dass man dadurch einen
1) V. Wlislocki C. 162. 116. - 2i v. Wlislocki A. 75. — 3) v. Wlislocki B. 115.
- 4) Bartsch II, 176. — 5) Panzer I, 268. — 6) Hans Zahler, Die Krankheit im
Volksglauben des Simmenthals. Bern 1898. 23. — 7) v. Wlislocki C. 162. - 8) Zahler -23.
252 Bartels:
„offenen Kopf'', d. h. eine Anzahl eiternder Benlen am Kopfe erhalte. Bei
den Siebenbürger Sachsen ist die Gefahr eine noch grössere; denn die
Fledermäuse verwickeln sich oft in die Haare des Menschen und bewirken
dadurch seinen baldigen Tod.
Wir müssen jetzt noch einmal zu dem Maul würfe zurückkehren.
Denn hier verdient noch ein fernerer Gesichtspunkt unsere Beachtung.
Nicht nur er selber besitzt nach dem Volksglauben übernatürliche Eigen-
schaften, sondern allerlei magische Kräfte kommen auch dem von ihm
aufgeworfenen Erdhügel zu. Wir sahen ja schon im Anfange dieser Be-
sprechung, wie die Zahl und die Lage der aufgeworfenen Maulwurfshaufen
allerlei übernatürliche Bedeutung gewinnt. Es kommen ein paar Punkte
noch hinzu.
In der bayerischen Oberpfalz^) fürchten die Landleute den Biel-
mann, der dort sein Unwesen treiben soll. „Er ist ein langes, hageres,
äusserst hässliches Gespenst, welches in einer Berghöhle wohnt. Wird der
Bielmann nicht durch grosse Kuchen oder durch ein lebendiges weisses
Huhn, welches man in seine Höhle laufen lässt, versöhnt, oder wird er
nicht durch Zaubersprüche, durch Osterbrände und gesegnete Palmzweige,
welche man auf die vier Ecken der Felder steckt, oder durch einen Schuss,
den man am Pfingstag morgens vor Aufgang der Sonne über seine Felder
macht, zurückgedrängt und abgehalten, so durchwatet er die hochstehenden
Saaten mit Messern an den Füssen und verdirbt imd durchschneidet die-
selben. Man nennt dies den Biel schnitt."
„Einem Manne, der viele Verluste durch den Bilmerschnitt (J. Grimm.
Deutsche Mythologie, S. 443fF., 2. A.) zu erleiden hatte, wurde geraten, die
Rasendecke eines Maulwurfshaufens auszuschneiden und verkehrt auf den
Kopf zu setzen, so dass die Wurzeln des Grases aufwärts, die Halme ab-
wärts stünden. Er dürfe aber nicht sprechen, wenn er dem Bockreiter
nicht am Leben schaden wolle. Als er aber den Bockreiter sah, rief er:
Nachbar, thust du das? Da schwoll der Bockreiter und starb am dritten
Tage."
Dass hier in dieser Erzählung mit einem Male aus dem Bielmann-
Gespenst der als Bockreiter schädliche Zauberkunst treibende Nachl)ar
wird, das ist auch solch kleiner unlogischer Zug. wie sie uns im Volks-
glauben öfter begegnen.
Auch noch anderen Zauber vermag der Maulwurfshügel zu vermitteln.
Bei den Pommern^) findet sich die Vorschrift:
„Wenn der Mond an einem Donnerstage aufgehet, so gehe vor Sonnen-
aufgang zu einem Stock, den Du Dir vorher ausgesucht hast; stelle Dich
mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang und sprich:
Stock ich schneide Dich im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes
und des heiligen Geistes.
1) Panzer II, '210. bm. — 2) Jahn C^.
Ein Paar merkwürdige Kreatm-en. 253
Hierauf nimm ein Messer und sprich zum Stock:
Ich schneide Dich im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des
heiligen Geistes, dass Du mir sollst gehorsam sein, welchen ich prügehi
will, wenn ich seinen Namen anrufe.
Alsdann schneide auf beiden Seiten des Stockes folgende drei Worte ein:
Abia obio fabia.
Willst Du nun jemand prügeln, so lege Deinen Rock auf einen Scher-
haufen und nenne dabei die Person, welche die Schläge bekommen soll.
Darauf schlage mit dem Stocke tapfer zu, so wird die Person dieselben
Hiebe erhalten, die Du auf Deinen Rock thust."
Ganz älmlich lautet folgende, ebenfalls von Jahu^) berichtete Anweisung:
„Wenn der Neumond an einem Dienstag, so gehe morgens früh vor
Sonnenaufgang zu einem Haselnuss-Stecken, welcher in einem Jahre ge-
wachsen ist, richte das Gesicht gegen den Morgen und schneide diesen
Stecken auf drei Schnitt in den drei höchsten Namen und sprich nach-
stehende Worte:
Hohl Noa Massa.
Wenn Du nun zu einem Maulwurfshaufen kommst, lege Deinen Kittel
darauf und schlage tapfer zu, so wird kein Maulwurf mehr aufstossen.
Auch kannst Du einen Menschen mit diesem Stecken prügeln, wenn Du
seinen Namen nennst, auf die nämhche Art."
Die Niederländer^) bedienen sicli der Manhvurfshügel als sympa-
thetisches Mittel zur Vertreibung der Warzen. Zu diesem Zwecke mnss
man die Warzen beim Neumonde mit der Erde eines frisch aufgeworfenen
Maulwurfsliügels einreiben und dabei die folgende Bescliwörungsformel
sprechen:
„Mit dem Aufgehen von dem Mond
Bin ich frei, alles ist vergangen.'"
In Lebbeke^) soll man zu dem gleichen Zwecke, während die Toteu-
glocke geläutet wird, die Hand in einen Maulwurf shügel, so tief es irgend
angängig ist, hineinstecken. Dabei muss mau sprechen: „Ich will meine
Warzen mit dem Toten begraben.
Die Sachsen in Siebeubürgeu*) haben den Glauben, dass der
Wolf, wenn er der Herde nicht beikommen kann, sich daranmache, Maul-
wurfshügel zu fressen. „Dann hat er Mut und reisst alles zusammen, was
ihm vorkommt."
Die Zigeuner^) sagen, wenn die Maulwürfe in einer Nacht au vielen
Stelleu den Erdboden aufwühlen: DiePhuvushe, das sind ihre Erdgeister,
bauen sich eine neue Stadt und brauchen W'asser.
Einer sehr eigentümlichen Sitte habe ich noch zu gedenken, welcher
die arme Fledermaus zum Opfer fällt. Es ist das der hier und da sich
findende Gebrauch, dieselbe am Hause anzunageln. Diese Unsitte vermag
übrigens schon auf ein beträchtliches Alter zurückzublicken, denn sie wird
1) Jahn CA. — 2) A. de Cuck, Volksgeneeskunde iu Vlauderen. Gent 1891. 210.
211. — 3) de Cock 211. - 4} v. Wlislocki C. lü.5. - 5) v. Wlislocki B. 156.
254 Bartels:
hereits von Plinius^) erwähnt, der allerdings ihre Wirksamkeit in Zweifel
zieht. Der von ihm berichtete Volksglanbe besteht darin, dass eine Fleder-
maus, welche man lebendig dreimal um das Haus herumgetragen und
darauf mit dem Kopfe nach unten an dem Fenster anheftet, nun zu einem
Amuletum würde.
ßirlinger^) citiert aus der Zimmerischen Chronik, dass eine grosse
Fledermaus „mit iren Flügeln zu langwiriger gedechtnus ans Thor geheftet
worden".
Auch aus dem zu Esthland gehörigen Wierland berichtet Boeder^),
dass es dort eine gewöhnliche Sitte sei, an die Stallthüre oder in den
Ställen selbst an die Streckbalken eine geschossene Fledermaus anzunageln.
Das geschieht, weil die Esthen den Fledermäusen eine besondere Schutz-
kraft auf das Gedeihen der Pferde zuschreiben. Hier haben wir die
Fledermaus also wiederum als Glückspenderin. Auch in Bosnien und
der Hercegovina*) glaubt man, wenn eine Fledermaus beim Rauchfang
hineinfällt, dass dies einen reichen Yiehstand für den Bauern bedeute-
Überhaupt gilt es für glückbringend für ein Haus, wenn sich darin Fleder-
mäuse mit Jungen befinden; diese letzteren dürfen nicht getötet werden.
In Sarajevo^) geht man noch etwas weiter; denn dort glaubt man.
und namentlich die Mädchen, dass ein jedes Haus glücklich sei, in welchem
sich eine Fledermaus, ob lebend oder tot, befindet.
Wie man sich nun die stete Anwesenheit einer Fledermaus im Hause
sichert, diese Frage haben die Slavonier*') und die Siebenbürger
Sachsen') in sehr einfacher Weise gelöst, indem sie sie als Bauopfer
benutzen. In Slavonien gräbt man zuweilen eine lebende Fledermaus
in den Grundstein eines zu erbauenden Hauses ein, um den Bau vor einem
Einstürze zu bewahren. Yon den Siebenbürger Sachsen berichtet
von Wlislocki: „Baut man einen Stall, so vergräbt man an manchen
Ortschaften in den Grund eine Fledermaus und legt unter die untersten
Balken oder Backsteine etwas Salz und Brot und ferner Kohlen aus einem
Backofen, um die Hexen vom Gebäude fernzuhalten."
Die an dem Thorflügel angenagelte oder sonstwie dem Hause gesicherte
Fledermaus wird also, wie es hier deutlich ausgesprochen ist, als ein Apo-
tropeion, als ein die Dämonen abwehrendes Mittel verwendet.
In dem sicilianischen Volksglauben ist die Fledermaus nun aber
selber ein Dämon. Gubernatis^) berichtet, dass die Sicilianer der
Taddarita, wie sie die Fledermaus nennen, nachstellen und sie zu fangen
1) Plinius Hb. XXIX, cap. 26. — '-i) Birliuger II, 378. - 3) .1. W. BoeckT,
Der Esthen abergläubische Gebräuche, Weisen und Gewohnheiten. Mit auf die Gegenwart
bezüglichen Anmerkungen erläutert von Fr. R. Kreutzwald. St. Petersburg. 1854. 113.
- 4) Lilek 471. — 5) Lilek 441. - 6) Krauss 160. - 7) v. Wlislocki C. 16'2. -
S) Angelo de Guberuatis, Die Tiere in der indogermanischen Mythologie. Aus dem
Englischen übersetzt von M. Hartmann. Leipzig 1874. 497.
Ein Paar merkwürdige Kreatureu. 255
suchen. Ich möchte vermuten, dass das mit Hilfe eines geschickt über
die Strasse ausgespannten langen Fadens geschieht, wie ich es vor einer
Keihe von Jahren in Tivoli, im Sabiner Gebirge, beobachten konnte,
dass die Strassen Jugend auf diese Weise Schwalben fing. Bei dem Fleder-
mausfange wird folgender Vers gesungen :
Taddarita, 'ncanna, 'ncanna,
Lu dimonio ti 'ncanna
E ti 'ncanna pri li peni,
Taddarita, veni, veni.
Dichtungen des Volkes lassen sich schwer übertragen. Ungefähr wird
aber folgende Übersetzung den richtigen Sinn wiedergeben:
Taddarita, fan^' Dich, fang' Dich,
Deine Teufelei, die fang' sich,
Bist Du gefangen, kommt die Strafe,
Taddarita komm', o komm'.
Wenn man das unglückliche Tier gefangen hat, so wird es durcli
Feuer getötet oder an ein Kreuz genagelt.
Nach dem deutschen Volksglauben, den Montanus^) berichtet, flogen
bisweilen die Hexen als Fledermäuse umher. Hier möge auch noch einmal
an die ebenfalls manchmal unter der Gestalt von Fledermäusen auftretenden
dämonischen Pestfrauen der Süd-Slaven erinnert werden.
Das ist nun alles, was ich von abergläubischen Anschauungen über
den Maulwurf und die Fledermaus zusammenzubringen im stände war.
Konrad von Megenberg^) schliesst, nachdem er von indischen
Fledermäusen berichtet hat, die dem schlafenden Menschen die Nase ab-
beissen, sein Kapitel über die Fledermaus oder die Vespervliegerinne
mit folgender allegorischen Betrachtung:
„Pei der fledermaus versten ich die valschen nachreder, die den läuten
in der vinster, daz ist haimleichen, ir er abpeizent luid verderbent in daz
antlütz irs guoten leumundes und irs löbleichen namen. We den ver-
vluochten fledermäusen, war umb vliegent si niht an daz lieht?"
Nun, wir können wohl nicht umhin, dem alten Konrad recht zu geben
und uns seiner Klage anzuschliessen. Mögen wir vor dieser Art d
Vesperfliegerinnen immerdar glücklich behütet bleiben!
er
1) Montanus 172. — 2^ Koiuaa v. Megenberg 227.
)5f) Dörler:
Tiroler Teufelsglaube.
Von Adolf F. Dörler.
Bin a lebfrischer Bue
Loss 'n Tuifl koa ßueh
Und die Englan im Himmel,
Doe lochn derzue!
So lautet ein bekanntes Tiroler Gsangl. Wie sich aber im folgenden
zeigen wird, ist mit dem Teufel doch nicht so leicht umzuspringen und es
niuss einer schon ein passionierter Eaufer sein, wenn er mit ihm einen
Hosenlupf wagen darf. Das Misslichste dabei ist, dass man oft mit dem
Teufel anbandelt, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, dass man
den Zweihörndler vor sich hat. Er vermeidet nämlich wohlweislich, sich
bei solchen Gelegenheiten in seiner wahren Gestalt zu zeigen, sondern
tritt als lustiger Jägerbursch auf mit breiten grünen Aufschlägen an seiner
Joppe, einer langen, braunroten Habichts- oder weissen Hahnenfeder auf
dem Hute und einem schrägen Pfeiflein ^) im Munde, das er stets mit
grossem Behagen zu rauchen scheint. Manchmal kommt er auch als harm-
loser Handwerksbursche daher oder als vornehmer, in schwarze oder grüne
Seide gekleideter Herr. Manchmal verwandelt er sich in die Gestalt
eines schwarzen Geissbockes oder eines Gemsbockes mit goldenen Hörnern
und lockt dadurch die ihn verfolgenden Jäger oder Wildschützen auf die
bösesten Schrofen, wo sie in ihrem Jagdeifer sicher abstürzen und der
Hölle zur Beute werde», wenn sie auf den Tod nicht vorbereitet waren.
Wie mannigfaltig aber auch die Verstellungen des Teufels sein mögen,
ein Zeichen mnss er doch an sich haben, an dem er erkannt werden kann,
wenn man überhaupt die Gnade dazu hat. Natürlich bedient sich der
Teufel nur dann dieser Verstellungen, w^enn sie überhaupt einen Zweck
haljen, damit man ihn also entweder gar nicht erkennen oder wenigstens
an seinem Anblick nicht allzu sehr erschrecken soll.^) Ist er aber seines
Opfers ganz sicher, so holt er es ohne viel Umschweife in seiner wahren
Gestalt, und wie er dabei die Leute schindet, zeigen schon die vielen
Steinblöcke, an denen man menschliche Eindi'ücke sieht.
So steht z. B. auf dem Kreuzkogel bei Meran ein Felsen, an dem
man noch deutlich die Abdrücke eines menschlichen Fusses, einer mensch-
lichen Hand und mehrerer Teufelsklauen erkennen kann. Es ist klar,
dass der Teufel einen Menschen gegen diesen Steinblock gepresst haben
1) Dieses Pfeiflcin suclit der „Verstellte" oft bei den Burschen gegen ein anderes
einzutauschen, wohl um demjenigen, der auf den Handel eingeht, dadurch irgend einen
Schaden anthun zu können.
2) In dem bekannten Kinderspiel vom „Engel mit dem goldnen Schwert" kommt der
Teufel sogar mit 99 Knödeln daher.
Tiroler Teufelsglaube. 257
muss und zwar mit solcher Gewalt, dass der Stein nachgeben musste. Da
nun die Passeirer und die Schönnaer schon seit alter Zeit einen Hass auf
einander haben, so behaupten die Passeirer, der Teufel hätte dazumal
einen Schönnaer Senner geholt, und die Schönnaer erklären auf das be-
stimmteste, es sei dies ein Passeirer Bauernbursch gewesen.
Wenn man von Starkenbach im Oberinnthal nach Kronburg geht,
kommt man an einem Felsen vorüber, an dem man die Umrisse einer
menschlichen Gestalt herausfindet. Hier hat der Teufel einen Mann er-
drückt, der bei seinen Lebzeiten an keinen Gott und keinen Teufel glauben
wollte. An denjenigen Körperteilen, wo ihn der Teufel mit seinen Krallen
ge])ackt hatte, sieht man noch heutzutage die roten Blutspuren am Felsen.^)
Eine ähnliche Passion hat auch das wilde Mandl, nur dass es nicht
andere, sondern sich selber gelegentlich gegen einen Felsblock presst, um
den Eindruck seiner Gestalt daran zu sehen. An einem Schrofen im
Kreiter Walde zeigt man sogar die Fussspuren der wilden Fräulein.
Übrigens bringen andere Züge den Teufel in noch viel nähere Be-
ziehung zu den wilden Leuten und Bergriesen, so das Ausführen von
gewaltigen Steinwürfen und Tragen mächtiger Felsblöcke, wie in der
wilden Krimmel beim Langsee einer liegt, den er auf das Salveldrchlein
schleudern wollte und nur durch das vorzeitige Betläuten daran gehindert
wurde. Auch an diesem Steinte sieht man die Klauen und den Kopfein-
druck des Teufels, weil er ihn auf dem Kopfe hergetragen hat.
Der Teufel kann übrigens auch anderen Leuten seine Riesenkraft
verleihen, wenn man sich ihm verschreibt oder ihn zu bannen versteht:
Vgl. Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols, S. 278 „Die Teufelsplatte zu
Cialthür."
In der Mitte zwischen den „Wilden" und dem Teufel steht der
„Klaubauf" (in Vorarlberg „Schmutze" oder „böser Klos" im Gegensatz
zum „guten Klos"). Er hat wie der Teufel Bockshörndeln auf dem Grind
und hält sich in den unwegsamsten Felsschluchten auf, besonders gern in
der Kranebitter Klamm bei Innsbruck, an der Stelle, wo die überhängenden
Felswände das sogenannte Hundskirchl bilden, welches in früherer Zeit
auch vielen Wilden zum Aufenthalt diente. Am St. Nikolaustag ist er
bekanntlich der ständige Begleiter des heiligen Mannes und hat dabei
einen mächtigen Sack auf dem Buckel, wo er die faulen und ungehorsamen
Kinder hineinsteckt.
Jatz kimmt dr heilige Nikolaus,
Ist Votr und Muetr nit zu Haus,
Er thuet die Kinder fleissig ausfrogn,
"Wenn se nix kennen, losst er se 'n Klaubauf vertrogn!
Das schärft man den Kindern vorher noch tüchtig ein, damit sie ja
recht fleissig lernen. Auch über Ungewaschene kann der Klaubauf, ja
1) Andere diesbezügliche Sagen s. J. Zingerle, Sagen aus Tirol, 2. A., S. 396f. u. 680.
258 Dörler:
sogar der Teufel Macht liekommen, seien sie Kinder oder Erwachsene
(Zingerle S. 379). Daranf deutet auch der Spruch:
0 Girgl, 0 Girgl, i steck die in Sock,
Uzwoglte Fock. (Ungewaschene Sau.)
Was einem geschieht, sobald man in seinem Sack steckt, sagt nach-
stehender Kinderreim :
Dr Klaubauf ä dr Klomm
Prisst Buebmen und Madlar zomm!
Näheres über den Klaubauf siehe bei Alpenburg S. 60fP. und 75.
Vom Teufel könnte man im allgemeinen nicht sagen, dass er sonder-
lichen Appetit auf Menschenfleisch bekunde; aber auf den Hochederspitz
oberhalb Pfaffenhofen hat er doch einmal einen Gestorbenen hinauf-
geschleppt, das beste von ihm verspeist und die Knochen oben liegen lassen.
Wir sehen also, dass der Teufel in diesem Falle zum Menschenfresser
geworden ist. Im Gegensatze hierzu hört man nicht selten, dass der Teufel
die ihm verfallenen Seelen in einer eleganten Equipage zur Hölle kutschiert,
wie dies bei der alten Strählin von Imst der Fall war. Dieselbe wurde
allgemein als die reichste Witwe des Ortes angesehen, hatte aber das Geld
auf sehr unredliche Weise erworben. Ein Imster Knecht, der mit einem
Fuhrwerk aus dem Oberland, wo er für seinen Herrn Wein verhandelt
hatte, zur Pontlatzner Brücke kam, sah, wie am jenseitigen Ufer eine mit
vier Pferden bespannte Kutsche, die ein schwarz gekleideter Herr lenkte,
ihm entgegen fuhr. Da zwei Fuhrwerke einander auf der Brücke nicht
ausweichen können, glaubte er bei der Brücke warten zu müssen, bis die
Kutsche dieselbe passiert hätte. Wie das Gefährt näher kam, erkannte
er, dass die alte Strählin drinnen sass, erstaunte aber nicht wenig, als die
Kutsche nicht über die Brücke fuhr, sondern unmittelbar vor derselben in den
Felsen hinein schoss, der sich für einen Augenblick geöffnet hatte (Zingerle
279). Der Knecht wusste nicht, was er sich davon denken sollte, fuhr
über die Brücke und setzte seinen Weg nach Imst fort. Daselbst erzählte
man ihm, dass die alte Strählin kurz vor seiner Ankunft gestorben sei.
Anfangs wollte er's nicht glauben ; als er sie aber selbst auf dem Schrägen
liegen sah, musste er wohl einsehen, dass der Teufel die Seele der Alten
zur Hölle gefahren hatte.
In einem Bauernhause zu Terfens im Unterinnthal schaute einst ein
Weib zufällig zum Fenster hinaus. Zu ihrem nicht geringen Erstaunen
sah sie eine leere, mit glänzendem Gold und Silber beschlagene Kutsche,
die mit zwei Rappen bespannt war, drunten vor der Hausthüre stehen.
Sofort rief sie ihr Kind herbei, es solle auch hinausschauen, so was habe
es noch nie gesehen. Kaum hatte dasselbe aber einen Blick auf die
Kutsche geworfen, als es schreiend vom Fenster weglief, denn es hatte
den Teufel drinnen sitzen gesehen. Der schlaue Zweihörndler hatte offenbar
Tiroler Teufelsglaube. 259
geglaubt, es werde jemand aufsitzen, was Gott sei Dauk durch das un-
schuldige Kind verhütet wurde. ^)
Wie sehr es den Teufel nach Seelen gelüstet, beweist schon der Um-
stand, dass er überall, wo es nicht ganz kauscher zugeht, heranschleicht,
sich in die Gesellschaft einmischt und dann nur noch mit äusserster Mühe
von einem Geistlichen vertrieben werden kann.
So waren z. B. beim Wirt in Seilrain mehrere recht liederliche Tücher
beisammen, denen nichts gescheiteres einfiel, als sich mit „Kruntholar
aufkloff'n" zu unterhalten. Es sollte nämlich derjenige einen Kronthaler
gewinnen, der den unflätigsten Witz zu reissen verstand. Wie sie mitten
in diesem sauberen Wetteifer begriffen waren, trat ein schmucker Jäger
mit einem doppelten Spielhahnschweif auf dem Hut herein, grüsste die
Burschen, setzte sich zu ihnen und sagte: „Wia, wos hobt's denn do fr a
G'spiel? Losst's mi a mitthien!" Die Kerle merkten sofort, dass sie es
mit dem Verstellten zu'thun hatten und getrauten sich kein Glied mehr
zu rühren. Die „Trinkin" (Kellnerin) lief aber flugs zum Herrn Kuraten
und holte ihn in die Wirtsstube herüber. Dieser begann nun mit dem
Teufel zu unterhandeln und fragte ihn: „Woast denn nit, dass Jugend koa
Tugend hot?" Allein der Blauhütlcr verstand keinen Spass und wollte
durchaus den Gewinner des Kronenthalers gleich mitnehmen. Da jedoch
der Kurat ein sehr gottesfürchtiger Herr war, der weit und breit ob seines
lieiligmässigen Lebenswandels in hohem Ansehen stand, brachte er den
Teufel schliesslich doch zum Weichen. Derselbe ging aber nicht mehr zur
Thüre hinaus, wo er heriüngekojnmen war, sondern schoss in seiner Wut
geradewegs durch die Mauer ins Freie. Seitdem ist dort ein grosses Loch
geblieben, das sich jedoch noch nie vermauern oder verstopfen Hess, so
oft man es auch versuchte.^)
Auf einem anderen Anwesen in Sellrain, „beim Schwab" genannt, war
<'in Dirndl zu Haus, dem der gute Ruf nicht sonderlich am Herzen lag
und das gern recht leichtfertige Burschen bei sich im „Hoangert" (Heim-
garten) sah. Als man nun eines Abends wieder gemütlich in der Stube
beisammen sass und selbstverständlich nicht gerade die saubersten Reden
geführt wurden, kam ein Hausierer herein, der schöne seidene Tüchlein
feilbot. Die Burschen kauften ihm eines ab und machten nun ebenfalls
aus, dass derjenige das Tüchlein gewinnen sollte, der das „Schiechste vir-
bringen" könnte. Kaum hatten sie aber damit begonnen, als auch schon
der Satan in Gestalt eines schwarzen Hundes^) zur Thüre herein drängte
1) Vgl. Vonbun, Sagen Vorarlbergs, 2. A., S. 24 und Zingerle S. 120 über einen
goldenen Wagen. Nachts fährt der Teufel auch gern in einem Bocksgespann herum
Siehe Dörler, Sagen aus Innsbrucks Umgebung, S. 122f.
2) Löcher, durch die der Teufel oder irgend ein Putz gefahren, lassen sich überhaupt
nie mehr zumachen.
3) Der Teufel, Pütze, Schatzhüter und die Pest erscheinen oft als Hunde.
260 . Dörler:
und sich hinter den Ofen setzte, von wo er fortwährend zu den Burschen
hinüber schielte. Natürlich wurde so schnell ds möglich um einen Geist-
lichen gesprungen, der den Hund auch hinausbrachte und nachher den
Burschen eine tüchtige Strafpredigt hielt. Mehrere Wochen später kam
eines Abends ein alter Bettellotter unbemerkt in die Stube und legte sich,
um nicht gesehen zu werden, auf die Dürr (den Ofen). Bald nachher trug
man zum Abendessen herrliche Küchel auf, deren blosser Duft dem Lotter
schon das Wasser im Munde zusammenzog. Wie man eben das Tisch-
gebet verrichten wollte, fing es auf der Dürr plötzlich schrecklich zu poltern,
heulen und „schiech thien" an. Alles glaubte, der Teufel sei wieder herin
und stürzte entsetzt zur Thüre hinaus. Flugs schlüpfte der Bettellotter
von der Dürr herab, fasste die Küchlein in seinen Brotsack ein und suchte
das Weite.
Auf der Alpe Stöcklen im hintersten Oberbergthal, wo man über den
Alpeiner Ferner ins Ötzthal hinüber geht, war vor Zeiten ein Senner,
Köbel mit Namen, der die schlimme Gewohnheit hatte, auch beim geringsten
Anlass ganz schrecklich zu fluchen. Als nun wieder einmal etwas nicht
nach seinem Kopfe ging, begann er aber derart zu sakramentieren, dass
es die übrigen Senner nicht mehr anhören konnten und sich eiligst aus
der Hütte flüchteten. Als sie die Hütte ein Stück hinter sich hatten, ge-
wahrten sie, dass es auf einmal auf der Alpe lebendig geworden und im
Nu die Hütte von einer Schar abscheulicher Teufelsgestalten umringt war,
so dass kein Mensch mehr hätte aus- und eingehen können. Schnell lief
einer der Senner nach Neustift hinunter und verständigte dort einen Geist-
lichen, der auch bald mit dem hochwürdigsteu Gute auf der Alpe erschien
und die schwarze Bande auseinander jagte. Den Köbel hat aber später
doch noch der Teufel erwischt, denn wie er im folgenden Jahr die Alpe
wieder bezog und eine Zeitlang gewirtschaftet hatte, war er eines Tages
spurlos verschwunden. ^)
Sehr schlecht wäre es bald in Götzens einem Bauernbuben Namens
Kuen ergangen, der den Leuten dadurch einen Schrecken einjagen wollte,
dass er sich mit einigen Schulkameraden am Martinsabend, als es bereits
dunkelte, vermummt auf die Strasse schlich und dort mit Kuhschellen und
Geissglöcklein einen Heidenspektakel machte, so dass man im ganzen Dorfe
glaubte, das Kasermandl fahre mit seinem Geistervieh und Geisskunter
von der Alm ab.^) Plötzlich aber hörten die Buben einen, der noch viel
lauter „gschellt und gschnellt" hat und in wenig Augenblicken stand wahr-
haftig ein Kasermandl, das aber Hörner aufhatte, vor dem Anstifter des
Spektakels. In wilder Flucht stoben die Jungen auseinander und liefesen
sich ihr Lebtag nicht mehr einfallen, mit dem „Martinsgstempf" ihren
Spass zu treiben.
1) Vgl. Zingerle S. 390f., wo ebenfalls Flucher vom Teufel geholt werdeu.
2) Vgl. Zingerle S. 8Gf. Dörler S. 23 ff.
Tiroler Teufelsglaiibe. 261
Überhnupt ist es auch in der Fasching eine sehr betrogene Sache, verhirvt
auf die Strasse zu gehen, denn es ist schon oft passiert, dass die „Huttier"
(]\[asken) dann die Larve nicht mehr vom Gesicht herunter brachten oder
dass sie auf einmal einen Überzähligen in ihrer Mitte bemerkten.^)
So gingen einst mehrere Burschen von Telfes nach Mieming hinauf
.,marschgernlaufen". Auf der Tannenwiese legten sie sich die Larven an.
Da bemerkten sie richtig, dass plötzlich einer mehr unter ihnen war, der,
sobald sie die Masken wieder abnahmen, verschwand. Wie sie dieselben
abermals aufsetzten, war er augenblicklich wieder da. Jetzt liessen sichs
die Burschen aber gesagt sein und gingen kleinlaut nach Hause.
Natürlich ist der Teufel auch überall da zu finden, wo zu einer un-
rechten Zeit oder in recht ausgelassener Weise getanzt wird.
Bei einem Bauern in Kum tanzte man einmal sogar in der Christnacht
bevor man zur Mett(> ging. So ein Frevel, wie er nicht einmal bei den
Heiden vorkommt, war für den Teufel gerade das richtige Fressen. A'or
Lüsternheit fiebernd schaute er in Gestalt des stinkenden Höllenbocks mit
feuerrot glühenden Augen durch das Fenster in die Stube, indem er sich
mit beiden Yorderfüssen auf das Fensterbrett stützte. Alle Beteiligten
sahen ihn mit Entsetzen und hielten sofort im Tanz inne. Ja sie getrauten
sich nicht einmal mehr vors Haus zu gehen, geschweige denn in die
3lette, w^eil der Teufel noch immer nicht vom Fenster wich. Acht Tage
darauf starb die Bäuerin am erlittenen Schrecken.
Einem Fuhrmann blieb einst nächtlicherweile in der Xähe von Sterzing
das Fuhrwerk stecken.^) Im nahen Wirtshaus sah er Licht und hörte eine
lustige Musik herausschallen. Wie er, um Hilfe zu holen, auf dasselbe
zuschritt, bemerkte er drinnen eine fröhliche Tanzgesellschaft. Aber er
sah auch, dass mitten im Gewühl der Tanzenden der Teufel wollüstig
herumsprang und mit seinem Schwanz nach allen Seiten herumschlug.
Der Fuhrmann rief darauf den Wirt heraus und sagte, indem er mit dem
Peitsclicnstiel durch das Fenster auf den Teufel deutete: „Do hobts koan
schlechtn Kumerodn nit drein!" Der Wirt hatte den Teufel bisher nicht
erkannt gehabt und war nun nicht w^enig überrascht. Auch den Tanzenden
wurde er im selben Augenblick sichtbar und man kann sich ihren „Schrickn"
leicht vorstellen. Zum Glück traf bald ein Geistlicher ein, der den Teufel
davonjagte. Der Fuhrmann aber brachte jetzt den Wagen anstandslos
weiter.
Vom Ziegelbrenner bei Brixlegg ging einst ein sauberes Dirndl ganz
allein zu einer Tanzunterhaltung nach Kramsach. Als sie an der Weg-
kapelle vorüberkam, sah sie auf der Bank hinter derselben einen schmucken
1) Vergl. Alpeubin-g S. 281 f., Zingerle S. 396, Vonbuu-Sander S. 81 f. Was beim
Bercbtenlaufen einmal passiert ist, siehe Zingerle S. 24 f. — Vgl. oben S. 123.
2) Sobald nämlich etwas Unrechtes in der Nähe ist, sind Pferde nicht mehr weiter
zu bringen. Kommt ihnen nach Betläuten eine Hexe entgegen, so bäumen sie sich sogar.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskiinilp. 1899. 18
"262 Dörler:
Jäger sitzen. Es war ein schlanker, bildschöner Bnrsch mit einer „tollen"
(tüchtigen) Habichtsfeder auf dem Hütl und rauchte ein kleines Nasen-
brennerl. Er grüsste das Dirndl freundlich und fragte dasselbe, wo es
hingehe. Nachdem sie's ihm gesagt hatte, bat er um die Erlaubnis, sie
begleiten zu dürfen. Die Dirn willigte freudig ein, denn sie hatte sich
schon gedacht, wenn sie allein hinkomme, werde sie schwer einen Tänzer .
finden. Nun aber war sie überzeugt, dass sie den „ergstn" von allen hatte.
In Kramsach zeigte sich der Jägerbursch auch wirklich als der beste Tänzer
und schneidigste Schuhplattler, und die anw^esenden IMädchen begannen
schon das glückliche Dirndl, dass einen so prächtigen Buben hatte, mit
neidischen Blicken zu verfolgen. Da bemerkte man plötzlich, dass der
vermeintliche Hubertusjünger Geissfüsse bei den Hosen unten aushänge.
Wie der Tschuggau gewahrte, dass er entlarvt sei, drückte er das Dirndl
einen Augenblick so fest an sich, dass es ohnmächtig zu Boden stürzte und
lange kein Zeichen mehr gal).
Eine beim „Riesen Heimon" in Wilteu angestellte Kellnerin wollte
einst eine Tanzunterhaltung beim „Gamperwirt" (Gasthans „zur Krone")
in Innsbruck besuchen. Da sie aber gerade von ihrem Geliebten verlassen
worden war, hatte sie niemanden, der sie dorthin geführt hätte. In ihrem
Zorn rief sie ein über das andere Mal: „Ummi geah i und w^enn i mit'n
Tuifl tonzn miesset!" Da kam ein fremder Bursche in der alten schmucken
Zillerthaler Tracht mit einem hohen Stotzenhut auf dem Kopf zu ihr her-
ein, brachte ihr — es war um Kathreini! — eine frische Kirsche und nahm
sie mit zum Tanz. Auf dem Wege zum Gamperwirt begegnete den beiden
ein Geistlicher, welcher der Dirn auf die Seite winkte und in eindring-
lichem Tone sagte: „Madl, i sog dr moch di weck, des ist koa rechter
Mensch nit!" Aber die Dirn hörte nicht auf die Warnung und so konnte
sie der Teufel nun ganz „in Bsetz" nehmen. Wie nämlich der erste Tanz
zu Ende war, liess er die Dirn nicht los, sondern tanzte mit ihr in einem
fort weiter, obwohl die J\Iusik nicht mehr spielte. Schon dies kam den
Leuten sehr kurios vor, aber ihr Erstaunen wandelte sich in blasses Ent-
setzen, als der Zillerthaler auf einmal einen garstigen Teufelsschwanz aus
den Hosen hervorstreckte. Natürlich stürzte alles zu den Thüren hinaus:
man versäumte aber nicht, ins benachbarte Servitenkloster zu schicken
und einen Pater zu holen, dem es denn anch gelang, die Kellnerin aus
den Klauen des Satans zu entreissen. ^)
Eine Wiltener Dienstmagd, die spät abends noch einen Gang zu machen
hatte, sah einst den Teufel in der Leopoldstrasse spazieren gehen. Er
hatte einen schwarzen Schnurrbart, funkelnde Augen, trug einen breit-
krempigen Unterinnthaler Hut, Glacehandschuhe, einen weissen Mantel
1) Andere Sagen, wie der Teufel Mädchen zum Tanze führt und selbst tanzt, vergl.
Alpenburg S. 277 f., Ziiigerle S. 383, Dörler S. 90 f.
Tiroler Tcufelsglaube. 263
und hohe Stiefel mit g-elbeu Stulpen, wie sie früher Mode waren. Offenbar
hatte er die Absieht, in diesem Kostüm auf Eroberungen auszugehen.
Am Ausgang des Zillergrundes steht hoch oben im Bergwald gegen-
über Brandberg ein einsamer Weiler, „auf der Burg" genannt. Hier soll
vor Zeiten eine starke Ritterburg gestanden haben. Der Burgherr hatte
eine wunderschöne, aber sehr eigensinnige Tochter, die er oft dringend
bat, sich doch einmal zu verheiraten. Yiele edle Freier kamen auf die
Burg geritten und warben um das Ritterfräulein, aber es passte ihr keiner
und sie erklärte endlich auf neuerliches Drängen seitens des Vaters, sie
bleibe ledig, so wahr sie selig werden wolle. Da kam eines Tages ein
bildhübscher junger Tagwerker auf das Schloss und bat um eine Stelle
als Knecht, die ihm auch bewilligt wurde. Das Ritterfräulein bekam all-
mählich Gefallen an dem Burschen und beschloss trotz ihres Schwures ihn
zu heiraten. Am Vorabend des Hochzeitstages wurde ein glänzendes Fest
gefeiert. Die Burg war hell erleuchtet und von fern und nah fanden sich
eine Menge Gäste ein. Unter ihnen aber sass ein schwarzgekleideter
Mann, von dem niemand wusste, ob er überhaupt eingeladen worden war
oder' nicht. Er musterte beständig die bunte Gesellschaft und jeden, der
ihn sah, überkam ein heimliches Gruseln. Als es 12 Uhr schlug, bat er
die Braut um einen Tanz, drehte sich mit ihr anfangs langsam, dann
immer schneller und schneller, zuletzt so geschwind wie ein Dozen (Kreisel)
und war dann auf einmal samt der Braut verschwunden. Selbstverständlich
waren Vater und Bräutigam in einer furchtbaren Angst um die Ver-
schwundene und versuchten alles mögliche, um sie ausfindig zu machen,
aber alle ihre Bemühungen waren vergebens. Da träumte dem Vater
einmal, er solle thaleinwärts wandern bis zum Ferner, dort finde er etwas,
was ihn sehr freuen werde. Gleich am andern Morgen machte er sich
auf den Weg und traf wirklich im hintersten Zillergründl, wo sich das
Kees vom Rauchkofel und Kleinspitz gegen den Jochsteig herabsenkt, eine
halb verfallene Schäferhütte, die er früher noch nie bemerkt hatte. Wie
er aber eintrat, sass bloss ein schieches altes Weib drinnen, das ihn wild
anschaute. Der Ritter fragte die Alte, warum sie denn ein solches Gesicht
mache und erzählte ihr von der Entführung seiner Tochter und von seinem
Traum. Da sagte das Weib, er solle heim gehen auf seine Burg, sein
halbes Vermögen unter die Armen verteilen und dann wieder kommen.
Der Ritter that, wie ihm geraten wurde und kehrte hierauf zur Hütte
zurück. Anstatt der alten Kuntin fand er aber jetzt seine liebliche Tochter,
denn der Bann des Teufels war durch die Wohlthiit des Ritters gebrochen
worden.
Einer, der sehr viel mit dem Teufel zu thun hatte, war der Geiner
Veitl, tröst'n Gott, der gefürchtetste Raufer im ganzen Zillerthal und ein
wahrer Riese an Körpergestalt. Er hatte mit seinem Bruder ]\[ichlei vom
Vater einen grossen Hof am Hainzenberg übernommen, denselben aber in
18*
264 Dörler:
wenigen Jahren verlumpt und vertrunken. An langen Winterabenden
erzählten sie nun auf den Höfen, wo sie Unterkunft suchten, zur Belustigung
der Zuhörer ihre Raufereien und Abenteuer. Einmal sei der Yeitl in
stichdunkler Nacht aus der Gerlos nach Hainzenberg gegangen. Wie er
gerade mitten drin im Zaberwald gewesen sei, habe er von fern einen
Gfschnallsjuchzer^) vernommen. Natürlich sei der Veitl mit der Antwort
nicht hinten geblieben. Da sei's ihm auf einmal gewesen, wie wenn ein
Lotter auf ihn zuspringen würde und im nächsten Augenblick habe er sich
gepackt gefühlt. „Soggara hintn", habe er sich gedacht, „dear pockt's
amöl güet ü!" und habe den Kerl bei den Füssen erfasst, um ihn nach
rückw^ärts über seinen Kopf hinauszuwerfen. Das sei ihm jedoch nicht
geglückt. Derweil habe ihn der Lotter mit Riesenkraft niederzuringen
versucht, aber im Geiner Yeitl habe er sich doch verrechnet. Beide seien
zu Boden gestürzt, der Geiner sei jedoch gleich wieder oben auf gewesen
nnd habe schon den Daumen angesetzt, um dem Gegner zum Zeichen des
Sieges ein Auge auszudrücken, da habe sich der Lotter wieder aufzuraffen
vermocht. „Dr Deixl eih'n", habe er unwillkürlich keuchend vor An-
strengung zu sich selber gesagt, „dass i obr den nit odrmagg, in Götts
Num!" Kaum habe er die letzten Worte ausgesprochen gehabt, da sei
der Lotter fort gewesen wie vom Erdboden verschluckt und jetzt sei ihm
klar gewesen, dass er mit niemand anderem als mit dem „Gabachn"- (dem
Verkehrten = Teufel) selber gerauft habe.
Ein andermal haben beide Geiner spät abends beim Ghristlwirt in
Hippach „gstiecht" (gezecht). Da kam ein fremder Lotter herein und
begann mit fünf hölzernen Löffeln das Klöpfigspiel, das er sehr gut los
hatte. Zufällig fiel dem einen der Burschen ein Geldstück auf den Boden.
Als der Wirt mit der Kerze unter den Tisch leuchtete, gewahrte er, dass
der Lotter „Kloa und Goassbiege" "(Klauen und Geissfüsse) hatte. Obwohl
sich jetzt der Teufel flugs aus der Stube machte, war doch keinem nichts
mehr ums Trinken und der Wirt meinte auch; „Büebmiu, es miesst's schue
hoam züe, iatz is ninimar 's Rechte!" Als sie aus der Wirtsstube traten,
sahen sie den Teufel unter der Hausthüre lehnen und der Veitl sagte:
„A, nö is nit gor sövl spate, weil dr Toifl a nö do steaht!" Michal lief
aber blindlings fort, durch Dick und Dünn und verlor auf seiner Flucht
beide Knoschben (Holzschuhe).
Wir haben schon im vorstehenden mehrmals gesehen, dass der Teufel
nnfreiwilligerweise oft besser als ein Bussprediger wirkt, indem manche
von denen, die den Teufel einmal in der Nähe zu sehen Itekommen haben,
sich diese Begegnung merken und fortan ein gottgefälliges Leben führen.
1) Vgl. Alpenburg- S. ^Töf., Dörler S. 88 u. 86. Überhaupt ist es eine Specialität
der Zillerthaler, mit dem Teufel zu raufen oder ihn durchzuprügeln; vgl. auch Zeitschr.
f. österr. Volkskunde S. 293, III. Jahrg. Auch Pütze lassen mitunter Gschnallsjuchzer
vernehmen. Vgl. Hauser, Sagen aus dem Paznaun, S. 94, Dörler S. 49.
Tiroler Teufelsglaube. 265
So waren z. B. in Arzl bei Innsbruck ein Bauer und eine Bäuerin,
die miteinander in beständigem Unfrieden lebten. Eines Abends nach
Betläuten waren sie wieder einmal „z'krotzfecht'n kemmen" (im Streit
handgreiflich geworden), worauf der Bauer verdrossen das Haus verliess
und in den Wald hinauf oberhalb Arzl spazieren ging. Auf einmal hörte
er Tritte hinter sich und als er sich umwandte, gewahrte er, dass ihm der
Teufel auf den Fersen war. Anfangs war der Bauer starr vor Schrecken,
dann aber lief er, von Todesangst getrieben, so schnell er konnte über die
Felder zurück und erreichte das Wegkreuz zwischen Mühlau und Arzl.
Dieses umklammerte er und gelobte, den Herrgott erneuern zu lassen und
gewiss nicht mehr zu streiten, wenn er noch mit dem Leben davonkonnne.
Die Nähe des Kreuzes und die inständigen Gebete des Bedrängten konnte
der Teufel nicht aushalten und suchte alsbald das Weite. Der Bauer hielt
sein Wort und war seitdem der beste Ehemann, den man sich denken
konnte.
Schlimmer ist eine etwas leichtfertige Zillerthaler Dirn weggekommen,
die bei einem Bauern am Stummerberg im Dienste stand. Eines Abends
war sie wieder einmal in Stumm unten bei einer Hochzeit, wo's recht
lustig und kreuzfidel zuging und die C; eigen und Klankanetten (Klarinetten)
das junge Volk gar nicht zur Kühe kommen liessen. Mit schwerem Herzen
musste die Dirn aber bald ans Heimgehen denken, da das Anwesen ihres
Dienstgebers hoch am Berg oben lag. Ihr Geliebter wollte jedoch noch
bleiben und dachte sich, sie werde wohl Begleiter genug bekommen, weil
er wohl nicht ihr einziger Schatz sei. Von ihren anderen „Buebn" wollte
jedoch auch keiner schon jetzt den Tanzboden verlassen und so trat die
Dirn allein den Heimweg au. Sie war noch nicht lang durch den Wald
bergauf gegangen, als sie plötzlich auf dem schmalen Steige einen kohl-
schwarzen Geissbock neben sich sah, der sie beständig gegen den Abhang
zu drängen versuchte. Durch Tritte und Stösse liess sich das Vieh nicht
einschüchtern und wich auch der Dirn nicht von der Seite, als sie ihm
durch schnelles Laufen zu entkommen suchte. Es war ihr längst der
Verdacht aufgestiegen, dass der unheimliche Bock der „Untere" selber
sein könnte. In namenloser Angst eilte sie bergan und erreichte endlieh
ein Wegkreuz, das sie mit beiden Händen erfasste. Der Höllenbock hielt
t's natürlich in der Nähe des Kreuzes nicht aus und umkreiste dasselbe
in weitem Bogen. Zum Glück kam bald ein nächtlicher Wanderer des
Weges, der die sterbensmatte Dirn zum Ärger des Teufels zum nächsten
Bam'rnhof, genannt „beim grünen Baunr% führte, wo sie aber mit
schrecklich zerkratztem Gesicht anlangte und drei Tage krank darnieder
lag. Das hat ihr der Teufel also doch noch anthun können. Von Stund
an hat sich die Dirn gebessert und führte nun einen makellosen Lebens-
wandel.
266 Dörler:
In Axams erscheint der Teufel besonders gern als „Habergeiss" ^),
nämlich in Gestalt eines Geisshockes, der auf den hinteren Füssen geht
und wie eine Nachteule schreit. Dadurch hat er die Axamer bereits so
schreckig gemacht, dass sie sich beinahe schon vor jedem gewöhnlichen
Geissbock fürchten. So ein Yieh traf einst der Mesner von Axams, als er
in der Frühe Betläuten ging, mitten in der Kirche^) an. Er erschrak
darob über die Massen, eilte schleunigst hinaus und schlug Lärm im Dorfe.
Alles riss bei der sonderbaren Kunde Ohren und Mäuler auf. Einige
hielten den Bock für einen verstellten Schwarzkünster, der in die Kirche
eingebrochen sei, die meisten aber für den Teufel selber. Der in Eile
zusammengerufene Gemeinderat beschloss nach vielem Hin- und Herreden,
dem Bocke Heu und Nudeln vorzusetzen. Fresse er das Heu, so sei es
ein harmloses Vieh, fresse er aber <lie Nudeln, so sei es entschieden nichts
Rechtes mehr. Ob er nun die Nudeln oder das Heu oder gar beides
gefressen habe, darüber gehen die Berichte auseinander. Nur das eine
steht fest, dass man seitdem diese biederen Leute „Axamer-Böck" benamst.
Ein Handwerksbursche aus Axams kam einst auf seiner Wanderung
ins Münchner Stadtl und geriet dort in die Gesellschaft von Hexen und
Hexenmeistern. Ein solcher sagte ihm, er sei auch einmal in Axams
gewesen und „alsterlweis" (als Elster) auf dem grossen Kestenbaum beim
Schlössl gesessen. Wenn der Handwerksbursche auch wieder einmal einen
Abstecher nach Axams machen wolle, brauche er sich nur in ihrem Buche
zu unterschreiben, sich dann auf einen Bock setzen, den sie ihm zur Ver-
fügung stellen würden und in wenigen Minuten sei er in Axams. Er dürfe
aber während des ganzen Rittes keinen Laut von sich geben. Das liess
sich der Bursche nicht zweimal sagen, er unterschrieb sich in dem ihm
vorgelegten Buche und setzte sich auf den inzwischen herbeige1)rachten
Bock'). Wie der Wind sauste das Tier mit ihm davon. Als das sonder-
bare Geritt schon die Alpen erreicht hatte, und tler Bock von einem Berg
auf den anderen einen Hupf nehmen wollte, wobei er über eine tief-
gähnende Thalschlucht hinüberschnellte, entfuhr dem Burschen unwill-
kürlich der Ausruf: „Jessas, ist des a Hupf vun an Bouck!" Jetzt war
aber der Bock zwischen seinen Füssen verschwunden, und der Reiter
stürzte in die Klamm hinunter, wo er zu seiner eigenen Verwunderung
sich nach dem Sturze nicht einmal arg verletzt fühlte. Aber aus dem
Felsenloche konnte der Bursche gar keinen Ausweg finden und irrte lange
von Hunger und Durst geplagt herum. Endlich hörte er ein Wasser sausen,
wo er wenigstens seinen Durst löschen konnte. Später bemerkte er zu
seiner Freude einen Gemsjäger, der hoch oben im Geschröfe herumkletterte
1) Die Habergeiss stellt man sich sehr verschieden vor: am häufigsten als Nachteule.
Vgl. Zingerle S. 179 und 628, Vonbun-Sander S. 187.
2) Andere sagen, man habe den Bock im Spritzenmagazin vorgefunden.
3"! Dieser war natürlich der Saggara selber. Vgl. Zingerle S. iVö.
Tiroler Teufelsglaube. 267
und auch bald seineu Hilferuf vernahm. Als sich nun der Jäger zu dem
Handwerksburschen heruntergeherpft hatte, erzählte ihm dieser die ganze
Geschichte, wie er in die Schlucht hernntergeschmissen worden sei mid
bat ihn, ihm zu helfen. Dem Jäger waren schon während der Erzählung
die Grausbir'n aufgestiegen imd als der Bursche geendet hatte, meinte er
abwehrend: „Des ist Hexerei, mit dir will i nix z' thoan hobn!" und wollte
gehen. Allmählich wurde er jedoch durch die flehentlichen Bitten des
Burscheu gerührt, stärkte denselben mit seinem Mundvorrat, seilte ihn an
und brachte ihn glücklich ausser Gefahr auf eine Alpenwiese. Natürlich
fiel es dem Handwerksburschen nie mehr ein, mit dem Hexen- und Teufels-
kunter etwas anzufangen.
Zu Gries im Sellrainthale war bei einem Bauern eine Stallmagd an-
gestellt, welche, wie die Tochter des Bauern bald heraus hatte, alle Pfinz-
tage (Donnerstage) zum Hexentauz fuhr. Da bat eines Tages das Dirndl
die Magd dringend, auch einmal mitfahren zu dürfen. Dieselbe willfahrte
gerne und erklärte der Bauerntochter auch, falls es ihr bei den Hexen
gefalle, brauche sie sich bloss im Teufelsprotokolle*) mit ihrem eigenen
Blute zu unterschreiben. Gleich am nächsten Donnerstag abends nach
Betlänten schmierten sich beide mit der Hexensalbe ein und fuhren mit
dem bekannten Ruf: „Obn aus und ninderscht un!" zum Rauchfang hin-»
ans und durch die Luft davon. Auf einmal sassen sie in einem hell er-
leuchteten Saale vor einer fürstlich gedeckten Tafel, an der noch viele
andere Frauen und Dirndln uml auch einige Burschen versammelt waren.
Unser Grieser Dirndl unterhielt sich hier sehr gut und trat ohne Zögern
auf einen abseits stehenden Tisch zu, w^o der grüne Jäger vor seinem
Protokoll sass. .letzt erst merkte das Dirndl, welch greulicher Bocks-
gestank vom Tschaderwarschtl ausging. Obwohl sie in dessen Nähe er-
sticken zu müssen glaubte, schnitt sie sich doch mit dem dargereichten
Messer in den Finger, tauchte die Feder in den hervorquellenden Bluts-
tropfen und wollte sich eben hinsetzen und unterschreiben, als sie es auf
einmal in dem Gestank nicht mehr aushielt und laut ausrief: „Jesses Maria,
i kenn nit!" Bei Nennung der heiligsten Namen war Knall und Fall der
schöne Saal mit seinen vielen Insassen verschwunden und das Dirndl
befand sich bei Nacht und Nebel auf der höchsten Spitze des dreigipfligen
Saileberges bei Innsbruck, einem der berüchtigsten Hexenplätze in Nord-
tirol.')
Natürlich ist es ganz etwas anderes, ob man sich in einem Hexenbund
oder ausserhalb eines solchen dem Teufel verschreibt, denn im ersteren
Falle ist man dann ^Mitglied eines Hexenbundes, verpflichtet sich, dem
1) Vgl. Zingerle: Über das „Hexenprotokull-S S. 403f. u. 42Bf., Dörler S. 125.
2) Über den Teufel bei Hexengelageu vgl. Zingerle S. 404 u. 406. Dörler 8. 122 f.
u. 12(;. Wie der Teufel beim Hexentanz „aufmacht" (musiziert) siehe Al])enburg S. 284
„Der Hexenspielmann".
268 Dörler:
Teufel dienstbar zu sein und wird später selbst je nach dem Geschlecht
Hexe oder Hexenmeister, bis man eines natürlichen Todes stirbt und der
Teufel die Seele in Empfang nehmen kann. Im letzteren Falle aber wird
im Vertrage die Zeit immer genau bestimmt, die einen der Teufel noch
leben lässt. In diesem Zeitraum muss aber der Teufel demjenigen, der
sich ihm verschrieben hat, alles tlum, was er nur wünscht; also Kunst-
fertigkeiten verleihen, oft die schwersten Arbeiten für ihn verrichten und
vor allem Geld bringen, so viel man will und brauchen kann. Ist aber
diese Frist verstrichen, so wird man vom „Scheichen" unbarmherzig und
bei lebendigem Leibe zur Hölle geschleppt, falls nicht noch ein Geistlicher
im letzten Augenblick rettend eingreift.
Beschworen kann der Teufel zu jeder Zeit und an jedem Orte werden
und zwar indem man entweder die hl. Dreifaltigkeit abschwört oder ihn
einfach mit einem tüchtigen Juchzer herbeiruft. Manchmal konmit er
auch schon, wenn mau bloss den Gedanken hat, mit ihm ein Geschäftchen
zu machen (Alpenburg 253).
Unweit von Seilrain waren einst mehrere Tagwerker und Dirnen ])eim
Abmähen einer Bergwiese beschäftigt, an deren oberen Ende ein kleiner
Heustadel stand. Unter ihnen war auch ein junger Bursche, der mit
Mähen nicht gut zurecht kommen konnte und daher von den anderen
beständig gefrotzelt und ausgelacht wurde. Das verdross ihn endlich und
er beschloss, den Spöttern einen Possen zu spielen. Schweigend legte er
die Sense weg, ging das Mahd hinauf und verschwand hinter dem Stadel.
Gleich darauf sah man einen Jägerburschen mit langer weisser Hahnen-
feder auf dem Hute auf den Stadel zukommen und gleichfalls hinter den-
selben treten. Es dauerte nicht lange, so sah man den Jäger wieder fort-
gehen, aber ohne Hahnenfeder und bald kam auch der junge Tagwerker
wieder herunter und zwar mit der Hahnenfeder des Jägers geschmückt.
Zum grössten Erstaunen der übrigen Mäher wettete er nun ein hübsches
Stück Geld, dass er schneller als alle anderen den auf ihn entfallenden
Feldstreifen abgemäht habe. Alle gingen lachend auf die Wette ein; aber
siehe da, wie der Blitz fuhr jetzt die Sense des früher so langsamen
Burschen durch das Gras und im Nu war die ganze Arbeit fertig. Er
hatte somit die Wette glänzend gewonnen. Dass er sich hinter dem Stadl
dem „Hoarner" verschrieben haben könnte und zum Zeichen des Bundes
die weisse Hahnenfeder trage, fiel keinem ein. Er war überhaupt seinem
ganzen Wesen nach ein Mordskerl geworden und des Sonntags beim Wirt
warf er mit den Guldenstückeln nur so herum. Als aber Tag und Stunde
herannahten, an dem er vom Teufel geholt werden sollte, war ihm doch
nicht mehr wohl bei der Sache. Er ging endlich zum Herrn Pfarrer,
beichtete ihm reumütig die ganze Geschichte und bat ilm dringend ihm
zu helfen, wenn er könne. Dieser wusste auch gleich Rat, steckte den
Burschen bis zum Hals in einen vollen Weihwasserpanzen und hielt über
Tiroler Teufelsglaube. 269
den Kopf desselben die Moostrauze. 80 konnte ihm der Teufel in der
Stunde des Vertrags-Ablaufs nicht beikommen und war wieder einmal um
eine Seele geprellt.
Auch in Natters hat sich einmal ein Bauernbursche dem Gangger ver-
schrieben. In letzter Stunde ging er nun zum Prälaten ins Wiltener
Kloster und bat ihn um seinen Beistand. Da nahm der Prälat sein Käpp-
iein ab, stülpte es um und setzte es so dem Burschen für einen Augenblick
auf. Jetzt konnte der Bursche ruhig heimgehen, der Teufel vermochte
nichts mehr über ihn. Man sieht also da so recht, was dieser Prälat für
ein heiliger Mann gewesen sein niuss. wenn schon sein Käppiein eine
solche Wunderkraft besass!
Der Schmied von Polling im Oberinnthal war gleichfalls mit dem
Teufel im Bunde. Als die Lebensfrist, die ihm der Teufel gelassen hatte,
sich ihrem Ende zuneigte, wurde der Schmied immer unruhiger und fuhr
endlich am letzten Abend mit seinem Bruder in einem Einspänner zu den
Jesuiten nach Innsbruck, wo er erst spät nachts eintraf. Diese aber er-
klärten rundweg, ihm auf keinen Fall helfen zu können. In seiner Todes-
angst baute er die letzte Hoffnung auf den Pfarrer von Zirl. Als er dort
nach Mitternacht anlangte, stand ihm der Pfarrer nicht einmal auf. Jetzt
ergab sich der Schmied willig in sein Verhängnis und sagte zu seinem
Bruder, er wolle noch heimzu fahren, so Aveit er komme. Wie sie übei-
das Inzinger Moos fuhren, äusserte der Schmied, nun werde der Tschangl
bald da sein. Gleich darauf stürzte das Pferd zu Boden, weil es den
Teufel gesehen haben nmsste. Der Bruder des Schmiedes sprang aus dem
Wagen und wollte dem Pferd aufhelfen, da hörte er einen Schrei, der
Teufel hatte den Schmied gepackt, zerrte ihn aus dem ^^'agen und der
Bruder hörte ihn nur noch hoch in der Luft laut aufschreien. ^)
Ich will hier gleich noch das Geschichtchen vom „rotzigen Hansel"^)
erzählen, obwohl es nur ein Märchen ist und keinen Grund hat (nicht auf
Wahrheit beruht). Da war einmal ein armer Bursch, der verschrieb sich
dem Teufel, weil ihm das tägliche Schanzen und Arbeiten zu sauer vorkam.
Der Horner erbot sich auch ihm Geld zu liefern so viel er wolle, nur
dürfe er sich sieben Jahre lang nicht schneuzen, kämmen und „ozwogln"
(waschen). Das hielt der Bursche getreulich, denn wenn er auch in kurzem
ärger als ein Strassenräuber aussah, das Ungeziefer truppweise an ihm
herumkralte und ihm die Rotznase lang herunterhing, klingelten doch in
seinem Sack die Thaler und er konnte sichs gut gehen lassen. Bald hatte
er sich in die ältere von zwei bildsauberen Bauerntöchtern verliebt. Als
1) Zahlreiche Sagen über andere Teufelspakte siehe Zingerle S. 388, 433, 443 u. s. w.
Ferner Alpenburg S. 288 „Der Teufelsbrückenbau ". Vonbun S. 144 f. Dörler S, 80 f.,
83f., 99. Wetten mit dem Teufel s. Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, S. ').
2) Ein ganz ähnliches Märchen s. t?chneller S. 90 „Zwei für Eine".
270 Dotier:
ihn diese jedoch mit Hohn und Spott abgewiesen hatte, machte er sich
an die jüngere heran, welche ihn trotz seines schreckbaren Aufzuges von
Herzen liebgewann. Wie die sieben Jahre um waren, schneuzte er sich
tüchtig ab, wusch sich, liess sich die Haare kolben (schneiden) und den
Bart halbieren und war jetzt der „deligste" (prächtigste) Bue, den man
sich denken konnte. Flugs begab er sich zum Vater seiner Geliebten und
liielt um das Dirndl an, das ihm auch gern zugesprochen wurde und bald
darauf wurde Hochzeit gemacht. In der älteren Schwester erwachten aber
Eifersucht und bittere Reue darüber, dass sie den Hansel nicht dazumal
genommen hatte, als er noch rotzig und dreckig w^ar und erhängte sich
am Abende des Hochzeitstages ihrer jüngeren Schwester. Da rief der
Teufel dem Hansel zum Fenster hinein: „Host oane?" und der Bursch
antwortete: „Jo, i hun oane!'^ „Und i hun ä oane!" meinte darauf der
Teufel und fuhr mit der Selbstmörderin zur Hölle.
Man sielit hier recht gut, mit welch schlauer Berechnung der Teufel
bei der Ausführung seiner Pläne zu AVerke geht, und dass das Schnada-
hüpfl also nicht immer Recht hat:
Vom Unterlond auffar
A Haftlklöckär
Und die Gscheidheit vun Tuiil
Ist nit gor sövl rar!
Auf den wilden Fels- und Eisbergen der Zillerthaler- untl Tuxer
Alpen, besonders auf der Reichenspitze ob den Wildgerlos -Seen, dem
Grossen Greiner im Zemmgrund und dem Glungezer bei Hall, hausen
übrigens gewaltige Bergschätze bewachende Schatzhüter, denen man sich
gleichfalls für Geld verschreiben kann, wenn man sich nichts daraus macht,
nach dem Tode unter Erduldung der fürchterlichen „kalten Pein" hüten
helfen zu müssen. Bekanntlich fungiert der Teufel auch manchmal selbst
als Schatzhüter oder sucht wenigstens die Hebung der Schätze auf alle
mögliche Weise zu vereiteln, wenn er auch das Schatzgeld für die „höllische
Cassa" niemals verwenden darf. Den Venediger-Manndln einen Schatz
abzujagen hat er freilich noch nie geprobiert, weil er sie ja selbst um den
Preis der Seele eines seiner jeweiligen Schüler in der „schwarzen Schule"
zu Venedig*) unterrichtet und ganz gut weiss, dass sie in den verschiedenen,
bei der Schatzhebung zur Anwendung kommenden Künsten und Kniffen
bald ihrem Lehrmeister alle Ehre machen.
1) Nach Zingerle kommt man auf dem sogenannten Eosswagner Kreuzweg am
Ritten in die SchwarzscJmle und kann dieselbe überhaupt jeder besuchen, der Lust
hat. Siehe S. 428 und 431 f., wo der Barbianer Schmied von der Schwarzschule verfolgt
wird. Verbreiteter ist die Ansicht, dass die Schule wirklich in Venedig ist und dass in
dieselbe nie mehr als zwölf Hörer aufgenommen werden. Siehe Zingerle S. 94. Alpeu-
burg S. 273. Uörler S. 72.
Tiroler Teufelsglaube. 271
Nicht ZU verwechseln mit einer eigentlichen Teufelsverselu'eibung ist
das blosse „Geld bringen machen", zu dem uum den Graunzl gleichfalls
veranlassen kann. Es geschieht dies, indem man entweder mit Kreide
auf dem Stubenboden oder mit einem spitzigen Stock im Freien einen
neun Schuh im TJurchmesser haltenden Kreis zieht, in denselben hineintritt
und aus einem Gertraudibüchlein die entsprechenden Formeln zu lesen
beginnt. So z. B. folgende:
Viele Schätz sind versprochen, verbunden und anvertraut dem Geiste
der Hölle. So komme dan uns zu bringen die verborgenen Gütter der
Erden. Ich siehe dich ja von ferne und du lachest, aber eben darum
förchte ich mich, dann ich gedenke du lachest zu meinem Verderben und
Untergang. So wohl komme eilends herbei ich will mich mit dir ver-
binden. Darumen wirst du alsobald gehorsamen mit hervorbringen der
zeitlichen Gütter.
Gleich wird der Teufel in seiner gewöhnlichen Jägertracht kommen
und einen mächtigen Geldsack mitbringen. Er bietet jedoch trotz seiner
Vermummung einen so al)schreckenden und seelenlüsternen Anblick dar,
dass die meisten vor Angst beinahe die Besinnung verlieren und zur
weiteren Beschwörung nicht mehr fähig sind. Behält man jedoch den
Kopf oben, so gelingt es oft ganz gut, den Teufel, ohne dass er seinen
Geldsack wieder mitnimmt, abzudanken '^wegzubringen). Auch dies ge-
schieht mit gewissen Sprüchen und Formeln, die man, falls einem dieselben
gerade nicht erinnerlich sind, aus dem Gertraudibüchlein oder einem
anderen Teufelsbannerbuch herauslesen kann. Eine solche Abdankung
lautet:
0 wie traurig und betrübt ist meine Seel! da sie gedenket an die
Gerechtigkeit Gottes. Ich bruffe die Engel des ganzen himmlischen Hofs,
kommet mir zugegen, vertreibet die Geister. Sonn und Mond samt allen
Sternen und Pianetten helfen mir loben den Namen des Herrn. Jenen
Weg des Verderbens lasse mich nicht führen, sondern den bösen Geist
treibe alsobald von mir! Nicht durch unterschiedliche Sprachen, nicht
durch verkehrte Buchstaben, nicht durch Zeichen oder unbekannte Zahlen,
nicht an gewissen Tagen oder Stunden, nicht durch Afterglauben, sondern
allein in und mit dir, durch dein heiliges Wort ist alles zu erzwingen!
Es spräche mein Geliebter am Kreuz: es ist vollbracht, also durch seinen
Mund sage ich auch: Es ist vollbracht, eure Gewalt o Geister der Erde!
ist hin! weichet von dannen!
Sehr schlimme Folgen kann es haben, wenn Uneingeweihte hinter so
ein Büchel kommen und darin lesen, wie dies im Mühlthal oberhalb Patsch
der Fall war. Man hörte nämlich schon die Teufeln über die Kellerstiege
herauftrampeln und sich vor der Stubenthüre ansammeln. Zum Glück
wurde man noch rechtzeitig auf die Gefahr aufmerksam und warf das
Buch in den Ofen. Aber siehe da! ohne dass ihm die Flammen etwas
anhaben konnten, hüpfte es in weitem Bogen wieder beim Ofenthürl heraus.
Als man es abermals hineinwarf, wiederholte sich dies ein zweites imd
272 Dörler: Tiroler Teufel sglaulje.
drittes Mal, Ms es endlich verbrannte und das Höllengesindel sich aus dem
Staube machte. ^)
Versteht man aber seine Sache, so kann man sich damit das schönste
Geld machen, vorausgesetzt, dass man sich, wie gesagt, nicht einschüchtern
oder gar vom Teufel übertölpeln lässt.
Auf der Alpe Durlassboden, wo sich das Wildgerlosthal gegen Süden
wendet, wollten einst vier Melcher diesen Versuch machen und dachten
sich, wenn der Scheiche nur erst den Geldsack gebracht habe, werden sie
ihn schon wieder abderdanken. Nachdem sie bei Anbruch der Nacht in
der Mitte des Kaserraumes auf dem Erdboden einen Kreis gemacht hatten,
stellten sich drei von ihnen hinein, einer blieb draussen, weil ihm die
Geschichte doch zu bedenklich vorkam. Kaum hatten sie mit der Be-
schwörungsformel begonnen, als auch schon der grüne Jäger in die Hütte
trat und sich auf den mitgebrachten Geldsack niedersetzte. Die Älpler
verloren bei seinem Anblick alle zusammen die Fassung und derjenige
von ihnen, der nicht in den Kreis getreten war, eilte sofort nach Gerlos,
um den hochw. Herrn Vikar zu holen. Wie der Teufel den Geistlichen
mit dem Melcher anf die Hütte zukommen sah, meinte er lachend: „Aha,
iatz kimmt's Weinpanzl!'' und rief ihm dann zu: „Hoi, du, geah nar hueme,
deir Hoisarin ofloachn!" (deiner Häuserin die Flöhe fangen). Jetzt sah
der Vikar ein, dass er dem Teufel nicht gewachsen sei und kehrte unver-
richteter Dinge nach Gerlos zurück. Auch andere Priester, die man aus
, den umliegenden Dörfern herbeigerufen hatte, konnten dem Teufel gegen-
über nichts ausrichten, da ein Geistlicher, wenn er dem Blauhütler unter
die Augen treten will, ein ganz reines Gewissen haben muss, damit ihm
derselbe ja keinen berechtigten Vorwurf über dieses oder jenes Vergehen
machen kann. Endlich holte man den Pfarrer des weit entfernten Saal-
felden im Salzburgschen, der allgemein im Kufe der Heiligkeit stand.
Obwohl nun der Teufel vor diesem Geistlichen einen gewaltigen Kespekt
hatte, gab er seine Sache doch noch nicht für verloren. Erstlich machte
er ihm zum Vorwurf, er sei einmal mitten durch ein Feld gegangen und
habe dadurch den Bauer geschädigt. Der Priester aber erklärte, er sei
damals nur deshalb quer liber das Feld gegangen, weil es galt, die Seele
eines Sterbenden zu retten. Weiters warf er dem Geistlichen vor, er habe
einmal unnützerweise einen Kaben geschossen, was vom Pfarrer dahin
richtig gestellt wurde, dass er den Raben nicht unnützerweise erlegt habe,
sondern um sich mit seiiiem Fleisch den Hunger zn stillen. Der letzte
und schwerste Vorwurf des Teufels war der, dass der Pfarrer einmal einem
schmucken Dirndl lange nachgeschaut habe. Auch hier war der Pfarrer
nicht verlegen und sa^te, er habe bloss deshalb dem Dirndl nachgeschaut,
1) Vgl. Ziugerle S. 473 ..üas Hexenbüchlein" und Zeitschrift f. österr. Volkskunde,
IL Jahrg.," S. 153. Beim Vernichten von Bannbüchern und Zaubergeräten zeigt sich häufig
ein ganz unerwarteter Spuk. Siehe Alpenburg S. 3-24, Ziugerle S. 42>2, Dörler S. 109.
Gerhardt und Petsch: Uckermärkische Kinderreime. 273
weil er sich recht lebhaft vergegenwärtigen wollte, was doch unser Herrgott
in seiner Allmacht für schöne Geschöpfe erschaffen habe. Jetzt rausste
der Teufel nun seinerseits dem Pfarrer Rede stehen. Zuerst fragte dieser,
wo der Teufel das Geld her habe. Er erklärte, ov habe es einem Kauf-
mann in Bozen gestohlen, der so reich sei, dass er's doch nicht merke.
Da das Geld von einem Diebstahl herrührte, schien es dem Pfarrer für
die Senner doch nicht rätlich zu sein, das Geld zu behalten und sagte
zum Teufel, er könne es schon wieder mitnehmen. Allein damit liess sich
der Saggara nicht abspeisen und forderte, dass wenigstens einer aus dem
Kreise treten und der Hölle gehören müsse. Der Pfarrer gestand ihm
dies zu, nur dürfe er nicht den ersten haben, der heraustrete, sondern den
letzten, der im Kreise bleibe, und damit war der Teufel zufrieden. Da
liielt der Geistliche eine hl. Hostie in den Kreis und hiess die drei Melcher
herausgehen. Jetzt war unser Herrgott selbst der letzte, der Teufel sah
sicli geprellt und schoss aus der Hütte. Man kann sich nun leicht denken,
was die Melcher ausgestanden haben, da sie während der ganzen Zeit
ruhig im Kreise aushalten mussten. Wenn sie zu früh herausgetreten
wären, hätte der Teufel Macht ühor sie bekommen und sie sicherlich zu
Laub und Staub zerrissen.
(Fortsetziuiy- folgt.)
Uckermärkische Kiiiderreiine.
Herauso-etjeben von M. diei'liardt imd K. Petsch.
Die folgenden Spielreinn« (die als Fortsetzung unserer Mitteilungen im
S. Bande dieser Zeitschrift, S. 407 — 415 gelten sollen) haben wir im Herbst
1S98 in Joachimsthal in der Uckermark und den umliegenden Ortschaften
gesammelt. Frau Baronin v. Wedel auf Parlow, Fräul. Bredow zu Heeger-
niühle und andere treue Mitarbeiter haben uns bereitwilligst geholfen, so
dass wir auch zu jener ersten Sammlung manche Nachträge gefunden
haben. Unsere Verweisungen streben keine Vollständigkeit an. sondern
wollen im wesentlichen nur zeigen, wo weitere Nachweise zu finden sind.
Wir geben die Reime genau, wie wir sie gehört oder als Kinder selbst
gesungen haben, bald in der oft stark verwilderten Mundart, bald in der
Schriftsprache. Wir geben zunächst einige schwer einzuordnende Stücke,
wie sie Eskuche (Siegerländische Kinderliedchen) als „Kinderdramen"
bezeichnet hat. Wirklich sind sie entweder ganz in Gesprächsform ge-
halten oder flechten Gespräche in die Erzählung ein. Dann folgen die
274 Gerhardt und Petsch:
bei den Bewegungsspielen üblichen Reime, in der Reihenfolge, wie sie
bei Fr. M. Böhme, Deutsches Kinderlied und Kinderspiel (Leipzig 1897)
verzeichnet sind.
X. Kinderdramen und Verwandtes.
44. Doktor Bär schickt mich her,
Ob der Kaffee fertig war.
„Nein, mein Kind, du musst noch warten,
Geh' ein bisschen in den Garten.'^
B(>i Eskuche a. a. 0. No. 333 um einige Zeilen länger, die aber aus
einem anderen Liedchen in das unsere eingedrungen sein mögen. Sie
sollen das Warten als unmöglich darstellen: „Uhr neun, Uhr zehn Muss
ich in die Schule gehn. Gestern hab ich noch gesessen'' u. s. w. In anderen
Fassungen, wie der Kasseler (s. Böhme a. a. 0. S. 112, No. 496) werden
unsinnige Zeitangaben gemacht: „Morgen früh beim Mondenschein Soll
der Kaifee fertig sein." Doch ist auch der Schluss häufig:
„Sagen Sie ein Komphment,
Der Kaffee is angebrennt.
Die Milch is übergelaufen,
Könn'n mer kenen Kaffee saufen."
(So bei Dähuhardt, Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen [im
folgenden: Dähnhardt, Yolkst.], Heft I, No. 17), oder höflicher: „Müsst
Madame andern kaufen." Der Name in der Eingangszeile ist natürlich
nur durch den Reim entstanden, und w^ir haben eine Reihe von Varianten,
die mit den Worten: „Meine Mutter schickt mich her" beginnen (z. B.
aus Westpreussen bei Frischbier. Preussische Volksreime, S. 100, No. 448.
wo alier das Stück mit ganz fremden Elementen versetzt ist). Damit
dürften die Hauptformen, die das Verschen annimmt, Verschmelzungen
abgerechnet, erschöpft sein. Es ist übrigens nicht gar so häufig belegt
und Böhme hätte gut gethan, zu No. 496 statt des „auch anderwärts ge-
konnt" lieber die ihm bekannten Varianten zu notieren. Ohne Gegenrede,
als Tanzreim, bei Wegener, Volkstümliche Lieder ans Norddeutschland.
S. 281, No. 995:
„Meine Mutter schickt mich her,
Ob der Kaffee fertig war,
"Wenn er noch nicht fertig war.
Sollt er bleiben, wo er war."
45. Guten Morjen, Herr Meier,
Was kosten Ihre Eier? —
„Einen Dreier." —
Das ist zu teuer. —
„Einen Pfennig." —
Das ist zu wenig.
Das weit verbreitete Verschen (vgl. z. B. Böhme a. a. 0. S. 136. No. 621)
zeigt häufig die Eingangszeilen: „Ihr Diener, was machen Ihre Hühner?"
Uckermärkische Kinderreime. 275
Der Reim Meier : Eier lie,nt zu nahe, als dass ihn das Volk iiielit auf-
iiehnieii sollte. Er wird auch in Spottversen auf den Nanieu verwandt:
„Meier
Legt Eier
Im Bromelbeerbusch."
Die beiden Schlussverse, aus dem Streben nach Paranelisnius ent-
sprun^'en, i.;ehören wohl eigentlich nicht her. Ganz unvolkstümlich a))('r
ist, was man in Kindergärten so oft hören kann: „Einen Zweer — das
ginge noch eher." Der ursprünglichen Form am nächsten kommt wohl
die vogtländische bei Dunger, Kinderlieder und Kinderspieh- aus «lem
Vogthmde, 2. Aufl. (Plauen 1894), S. 64, No. 55:
„Ihr Diener!
Was machen Ihre Hühner?
Legen sie brav Eier? —
Das Dutzend einen Dreier."
46. Zwei Mädchen wolhcn Wasser holen,
Zwei Knaben wollten pumpen:
Da guckt der Herr zum Fenster raus
Und sagt: Ihr alten Lumpen!
Ihr habt die ganze Nacht gepumpt
Und habt die Pumpe leer gepumpt,
Adje, ihr Lumpen-Pumpen.
Die Siegerländer Fassung (Eskuche Xo. X'>(\) und die GiesseiU'r (Böhme
a. a. 0. S. HG, No. 517b) sind vierzeilig. Unsere siebenzeilige Yersiou
ist die ausführlichste des wenig verbreiteten Reimes: datür fehlt aber die
Bestimmung: „der Herr Pastor." Das Herausschauen aus (b'iu Fenster
wird dadurch angedeutet, dass man die Hände faltet und den einen Daumen
oben herauslügen lässt. Die Kinder sagen auch, wenn eines ein Loch im
Strumpfe hat, so dass eine Zehe herausragt: „Da guckt der Herr Pastor
zum Fenster raus." Die Schlusszeile mag ursprünglich gelautet haben:
„Adje. Adje, ihr Lumpen!" und dann der Assonanz zum Opfer gefallen
sein. Statt „Knal)en" hiess es wohl früher „iMännclien" (alliterierend mit
„Mädchen" in der 1. Zeile), wie noch heute im Siegerlande.
47. Frau von Hagen Sie getragen
Darf ich's wagen Vor acht Tagen
Sie zu fragen, Auf dem Wagen
Welchen Kragen Auf der Fahrt nach Kopenhagen?
Ein Reimspiel, mit den Schuellsprechübungen verwandt. Wird auch
verlängert durch neue Reimwörter, z. B.: „Als Sie lagen krank am Magen."
(Eskuche, Siegerl. Kinderl. S. 89, No. 330.) In Berlin lautet die letzte
Zeile: „welcher fuhr nach K."
Als halbdramatische Spielerei scldiessen wir hier eine Kinderpredigt
an und lassen ihr einige Gebete folgen:
■)7() Gerhardt und I'etsch:
48.
Amen, Sauer wird ihm das Leben,
Der Geist reist nacli Samen. Der Weinstock hat viel Reben.
Xach Samen reist der Geist, Viel Reben hat der Weinstock.
Die Suppe ist heiss. Das Kalb ist kein Ziegenbock.
Heiss ist die Suppe, Ein Ziegenbock ist kein Kalb.
Die Kuh hat ne Schnuppe. Jetzt ist meine Predigt halb.
Ne Schnuppe hat die Kuh, Halb ist meine Predig,
Aus Leder macht man Schuh. Mein Bauch ist ledig.
Schuh macht man aus Leder, Ledig ist mein Bauch,
Die Gans hat viel Federn. Meine Mütze ist rauh (in älterer Form :
Viel Federn hat die Gans, Rauh ist meine Mütze, [,.rauch-')-
Der Fuchs hat 'nen langen Schwanz. Mein Bruder heisst Fritze.
Ein' langen Schwanz hat der Fuchs, Fritze heisst mein Bruder,
Der Bauer reist nach Luchs. Ein Schwein ist kein Luder.
Nach Luchs reist der Bauer, Kein Luder ist das Schwein,
Das Leben wird ihm sauer. Jetzt lass ich meine Predigt sein.
Man weiss, wie beliebt diese Kettenreiine sind, imd dass sie bei uns
schon in alter Zeit gäng- und gäbe waren,* wie denn ans einer Handschrift
des 14. Jahrh. Graff in seiner Dintisca, Bd. I, S. 314, 315 (nach ihm
Wackernagel im Altdeutschen LesebucUe S. 829—832, 2. A.) eine solche
„Kette" veröffentlicht hat. Sie beginnt:
„Ez reit ein herre" („es ritt ein Herr"),
und so werden auch unsere Versionen ursprünglich begonnen haben, bis
dann eine Anrede: „Ihr Diener, meine Herrn", oder „]\[eine Damen und
Herrn" daraus wurde. Li Berlin lautet die „Predigt":
„Meine Damen und meine Herrn, Zwe Zäppel hat de Wurscht.
Äppel sind keene Bern', Der Bauer hat Durscht.
Bern sind keene Äppel, Durscht hat der Bauer,
De Wurscht hat zwee Zäppel. Das Leben wird ihm sauer.
(u. s. w. wie oben; dann:)
Halb ist meine Predig, Das Schwein hat 'en Rüssel.
Die Schüsseln sind ledig. Ein' Rüssel hat das Schwein —
Ledig sind die Schüsseln, Jetzt lass ich meine Predigt sein."
Die Litteratur des weitbekannten Spiels anzuführen ist nicht nötig,
ich verweise nur auf Böhme a. a. O. S. 306. Unsere Version zeigt ein(>n
höchst merkwürdigen Anfang. Di(> zweite Zeile ist ganz unverständlich,
aber gerade dies erhöht ja bei den Kindern die feierliche Stimmung.
49. Herr Jesu komm, 50. Lieber Gott,
Sei unser Gast, Mach mich fromm.
Und segne, was du Dass ich auch ^
Uns bescheret hast. In'n Himmel komm.
51. Ich bin klein,
Mein Herz ist rein,
Soll niemand drin wohnen,
Als Jesus allein.
(Allerwärts bekannt.)
ückermärkische Kinderreime. 277
52. Wenn ich abends schlafen geh, Zweie, die mich zudecken,
Vierzehn Engel bei mir stebn. Zweie, die mich aufwecken,
Zweie rechts, zweie links, Zweie, die mich führen
Zwei zu meinen Häupten, Ins himmlische Paradies.
Zwei zu meinen Füssen,
XI. Spiclreime.
Zunächst „Reigenspiele mit Niederfallen".
53. Ringel, Ringel, Reihen,
Wir sind der Kinder dreien.
Wir sitzen hinterm Holderbusch,
Und rufen alle husch, husch, husch!
Sitz nieder, sitz nieder.
Oft treten weitere Strophen hinzu (vergl. die Varianten bei Böhme
a. a. O. S. 438 und 439), die aber in keinem inneren Zusammenhange mit
der Stammstrophe stehen, sondern wohl der gleichen Melodie wegen, die
eine der bekanntesten ist, „angesungen" sind. In AVürzburg:
„Ringle, ringle, Reihe,
Sein der Kindle zweie,
Sitzen's auf e Hollerbiisch,
Schreien's alle: husch, husch, husch!"
Interessant ist die Umdichtung bei E. Meier, Deutsche Kinderreime
aus Schwaben, S. 97, Xo. 367:
.,Ringel, Ringel, Reihe,
Hopfet uf de Zeihe (Zehen),
Hopfet uf de Holderstecken,
Schreiet alle: Ja!"
54. Ringel-Ringel-Rosenkranz,
Setz ein Töpfchen Wasser bei.
Morgen woll'n wir waschen.
Kleine Wäsche,
Grosse Wäsche,
Kickerickiki!
(Vgl. Böhme a a. O. S. 442—443.) Vor der Schlusszeilo fehlt eine
andere, die diesen Ausruf erst erklärt; es hiess ursprünglich (wie noch in
den 50er Jahren zu Berlin:
..Bis der Hahn wird krähen,
Kickerickicki!" (d. h. es wird die ganze Nacht gewaschen).
Da die Zeile sieh auf keine andere reimte, so fiel sie leicht fort (wie
oben), oder ward durch eine Reimzeile ersetzt (so in Brandenburg, siehe
Böhme a. a. O. Xo. (59) :
„Kleene Wäsche, groote Wäsche,
Allerhand ser scheene W^äsche",
oder es wurde eine neue Reimzeile hinzugedichtet, und, da man einmal
im Erw^eitern war, auch zur letzten Zeile ein Reim geschaffen, und so
heisst es jetzt in Berlin (Böhme Xo. 71):
Zeitschr. d. Verein- f. Volkskunde. 18y9. 19
278 ■ Gerhardt und Pctscli;
„Wenn der Hahn wird krähen,
Werd'n wir früh aufstehen.
Die ganze Kompagnie
Macht Kikerikiki!"
(Litter. auch bei Treichel, Volkslieder und Volksreime aus West-
preiisseu. Danzig 1895. S. 101, No. 86.)
Eiue Zusatzzeile zeigt das böhmiseiie Versehen:
„Ringel, Ringel, Rosenkranz,
Schliesset euch, zum Jungferntanz."
(Hruschka-Toischer, Deutsehe Volksl. a. Böhmen. Prag 1891. B. 442,
No. 873.)
55. Ringel-Ringel-Rose
Butter in de Dose,
Schmalz in'n Kasten,
Morgen müss'n wir fasten,
Übermorgen 's Lämmchen schlachten.
Lämmchen ruft: Mäh!
Vgl. Böhme a. a. 0. S. 445, No. 8o. Nach Massgabe der Varianten
scheint es ursprünglich „Zucker" statt „Butter", und „Salz" statt „Schmalz"
geheissen zu haben. In dieser Form nicht sehr häufig. S. nocli Eskuche
a. a. 0. S. 86, No. 314. Viel verbreiteter ist das andere:
„Ringel, Ringel, Rosen
Schöne Aprikosen,
Veilchen und Vergissnieinnicht,
Alle Kinder setzen sich."
(So in AVürzburg. Vgl. noch Böhme a. a. O. S. 444, No. 79 und zur
Litter. Hruschka-Toischer a. a. 0. S. 444, No. 384, Dunger a. a. 0. 2. Aufl.,
No. 367 und Dähnhardt a. a. O. Heft I, No. 305.)
Mit Umkehr des Kreises wir«! gespielt:
56. Wir treten auf die Kette, Singt so klar, wie ein Haai'.
Dass die Kette klingt. Hat gesungen sieben Jahr.
Wir haben einen Vogel, Sieben Jahr sind um und um,
Der so schöne singt. Eiii dreht sich um.
Eines der allerbekanntesten Spiellieder, dessen fast unübersehbare
Litteratur hier nicht aufgeführt werden kann. Vgl. Böhme S. 447 ff.
Unsere Fassung ist stark verderbt. Durch das „singen" ist ein „Vogel"
hineingebracht. Das alte Motiv vom Seideuspinnen ist nicht mehr ver-
standen. Li Berlin hiess es in den fünfziger Jahren:
„Wir spinnen klare Seide, Jungfer N. N. dreht sich um. —
So klar, wie ein Haar, N. N. hat sich umgedreht.
Es vergingen sieben Jahr, Der Bräutgam hat ihr 'n Kranz beschert
Sieben Jahr sind um und um, Und eine goldne Kette."
Dass nicht, wie in unserer und vielen anderen Versionen, ursprünglicli
der Vogel der Sänger war, zeigt die recht altertümliche, wertvolh' Fassung
liei ]\lüllenhofF (Sagen aus Schleswig-Holstein und Lauen bürg). S. 484:
Uckcrmärkisclie Kinderreinie. 279
„Trekke (zieh) my de Käd up!" —
De Käd is in de Klink.
. „Wat is dat allerschönste?" —
Dat Mäken dat dar singt.
Dat is Lene Junker,
De steit up ären Sprunker,
ün dreit sik mael iierum."
Dies scheint ursprünglich ein selbständiger Vers gewesen zu sein und
sich erst später mit der „Spinnerstrophe" verschmolzen zu haben. Denn
die letztere kommt auch gesondert vor. So habe ich in Würzburg dem
Liede nachgefragt, aber den ersten Teil nirgends notieren können. Wohl
aber kommt der Schluss vor — ganz gesondert, fast unverständlich:
„Eisenklaar,
Wie ein Haar,
Hat gesponnen sieben Jahr.
Sieben Jahr sind rum,
N. N. dreht sich um.
Die N. N. hat sich umgedreht,
Und hat der Braut ihren Kranz beschert."
Icli bitte alle Leser, uns aus allen Teilen Deutschlands mundartliches
Material zu diesem höchst merkwürdigen Stücke zukommen zu lassen,
damit wir einmal seiner Geschichte nachgehen können^).
57. Wir fahren auf dem weissen See,
Wo die Fischlein schwimmen.
Freuet Euch, mein ganzes Herz
Ist lauter Lust und Singen.
Eli, Eli, wir sind hier!
Der Goldfisch, der Goldfisch
Er folge mir.
Die Kinder fassen sich dabei an den Händen und gehen im Kreise
herum. Eines befindet sich draussen und zieht jedesmal bei den Worten
„der Goldfisch, er folge mir" ein anderes aus dem Kreise heraus. Schliesslich
ist der ganze Kreis anfgelöst und alles geht hintereinander. Das Spiel ist
weit verbreitet. Böhme (a. a. 0. S. 468—469) führt vier Fassungen mit
verschiedenen Melodien vor. Die Kassler und Mainzer weichen nicht be-
deutend voneinander ab, stimmen auch zu unserem Texte. Der Ruf, der
bei uns „Eli, Eli" heisst, scheint in seiner Urgestalt nicht mehr herstellbar
zu sein. Er heisst in Kassel: „Ehre, Beere", in Mainz: „Ihre, bihre."
Die Schleswiger und rheinländische Version verändern auch die zweite
Zeile; und zwar hat die erstere: „Freuen sich das ganze Heer und die
Bauern singen" (Rufwort: „Ehre, wehre"), die andere: „Freut sich jeder
Gottes AVehn. wird mein Herz schon singen." Diese beiden haben auch
das miteinander gemein, dass sie am Schlüsse das herausgezogene Kind
1) Einsendungen erbeten an Dr. phil. Rob. Petsch in Würzburg, Mergentheimerstr. 24.
19*
280 Gerhardt und Petsch:
nicht als „Goldfisch" bezeichnen, sondern seinen Namen nennen. Die
Leipziger Fassung, die ])iilnihardt a. a. 0. Heft 11, S. 65, No. 289 auf-
gezeichnet hat:
,,Wenn wir fahren auf dem See,
Wo die Fischlein schwimmen.
Freuet sich mein ganzes Herz,
Lauter Lust und Singen!
Eli, Eli, wir sind hier!
Der Goldfisch, der Goldfisch,
Der folge mir."
( — mit den Fisclmamen wird gewechselt: Hecht, Karpfen u. s. w.) scheint
der Urfassung sehr nahe zu stehen. Sie hat die erste Zeile („Wenn
wir ....") mit der Schleswiger, den Schluss, der im Bilde l)leibt und
nicht die prosaischen Vornamen einsetzt, mit den allermeisten Fassungen
gemein. Mit mannigfachen Verdrehungen aus dem Urtext abgeleitet scheint
die Siegerländische Version (Eskuche a. a. 0. S. 85, No. 309):
„Denn wir fahren auf der See, Ehre! Ehre!
Seht die Fischlein schM'immen! Wir sind hier!
Fahren wir auf Gottes See, 0 Goldfisch, o Goldfisch,
Lass das Herz erklingen! Dir folgen wir.
ö.S. Ich ging auf einer Wiese, Es sind ja schöne Leute hier.
Und die war nass. Eilig, ja freilich,
Begegnet mir 'ne Ziege, Wo ich bin, da bleib' ich.
Und die frass Gras Bleib ich, wo ich bin,
Ach liebes Mädchen, tanz mit mir, " Ade mein' Spielerin.
Das Liedchen besteht aus drei Teilen, die gesondert betrachtet werden
müssen, wenn wir uns <ler Urgestalt nähern wollen. Ich gebe zunächst
einige Litteratur, die ich nachher kurz citiere. Böhme, Deutsches Kinder-
lied, S. 469—472 (No. 170-179), Dunger a. a. O. 2. Aufl., S. 178—179
(No. 360— 3Ü1), Eskuche, Siegerl. Kinderl., S. 95, No. 349. Dähnhardt,
Volkstüml. a. d. Kgr. Sachsen, H, S. 66—67, No. 292. Drosihn, Deutsche
Kinderreime und Verwandtes, S. 127, No. 309.
Fassen wir nun die Überlieferung ins Auge, so ergiebt sich ungefähr
folgendes für die vier ersten Zeilen.
Weitaus die meisten Versionen beginnen:
a) „Es regnet auf der Brücke
(Und es ward nass)."
Die zweite Zeile mannigfach entstellt. So bei Böhme No. 170 (Sachsen
und Berlin), 172 (Niederrhein; „und ich ward nass", ebenso Nassau). 175
(Sachsen; „es ist schon nass"), 177 (Elsass; „das war nass"), 178 (Olden-
burg; „und Alles das war nass"); Drosihn a. a. 0., Dähnhardt a. a. 0.;
Dunger No. 361 und 360 (doch hier: „und ist sehr nass"); jünger scheint
eine andere Eingangszeile zu sein, die den Anfang gleich persönlich ge-
staltet:
Uckermärkische Kiuderreime. 281
b) „Ich ging (mal) über die Brücke
Und die war nass."
Hier fällt der Regen fort, die Erwähnimg- der Brücke lässt das über-
schrittene Flüsschen in die Erinnerung treten, das die Bretter benetzt hat;
oder:
c) „Ich ging über die Brücke
Und wurde nass'*.
Schon Böhme 17-2 zeigte ja, bei wohl erhaltener Eingangszeile, die
persönliche AYendung „und ich ward nass". Zu a) stimmen: Böhme No. 173
(Berlin). 174 (Prov. Sachsen), 179 (Hessen); zu c): Eskuche a. a. 0. Das
zweite Zeileupaar zeigt in allen Fassungen, die überhaupt auf Alter-
tümlichkeit Anspruch erheben können, eine Wendung ins Geistige, eine
Stimmungsangabe. Die Reimstellung war eben: xbxb und nicht ab ab.
Die Zeilen lauteton:
d) „Es hat mich was verdrossen, —
Ich weiss nicht was."
Die zweite dieser Reihen wird aber meist verdreht:
e) „Ich weiss wohl, was."
Zu d) gehört etwa: Dähnhardt No. 292 a), zu e) aber: Drosihn a. a. 0.
(Ich weiss schon was), Böhme No. 177. 178.
AVie kommt nun der Regen mit der Stimmungsbezeichnung zusammen?
Man vergleiche:
„Nit lang ist's, üass es g'regnet hat,
Die Läubles tröpflet noch; —
Ih han amal a Schatz gehatt,
I wolt, i hätt' ihn noch!'^
Oder ein schönes Liebeslied mit dem Anfange:
„Es steht ein' Lind in jenem Thal,
Ist oben breit und unten schmal,
Ist oben breit und unten schmal,
Darauf da sitzt Frau Nachtigall."
Es ist eben für alle Yolkspoesie (nicht bloss die deutsche) durchaus
bezeichnend, dass sie mit liebevollem Blicke die Natur anschaut und in
engen Zusammenhang mit dem eigenen Leben setzt. Vor allem werden
die Seelenvorgänge gern in Beziehung zu dem Blühen und Wachsen der
Natur im Frühling, zum hellen, wärmenden, lachenden Sonnenscheine oder
zum Vergehen und Absterben im Herbste, zu rauhen Winden, zu Schnee
und Regen gesetzt. Stehen doch dem Volke nicht die Mittel zu Gebote,
über die der Kunstdichter verfügt, um uns in die rechte Stimmung zu
versetzen. Die unsichtbar wirkenden, aber fühlbaren Mittel der Sprache,
damit etwa das Märchen arbeitet („Brüderchen nahm sein Schwesterchen
bei der Hand und sagte: Seit die Mutter tot ist, haben wir keine gute
Stunde mehr" oder vergl. das höchste Meisterstück deutscher Volksprosa,
den Eingang des ^Märchens vom Machandelboom in der Grimmsclien Samm-
282 Gerhardt und Petsch:
lang), diese Mittel gehen dem Volksliede in gebundener Rede, mit seinem
lleimzwange und seinen Flickwörtern, auch leicht verloren, und so bleibt
ihm denn nur als letztes, aber höchst wirksames Mittel, die rechte Stimmung
zu erzeugen, die Anknüpfung an die Natur. So auch in unserem Liedchen.
Das Mädchen, das an den Ring der Tanzenden tritt, ist in trüber Stinnnung;
sie kann sich nicht besinnen, was sie verdrossen hat, aber in ihrem Innern
sieht es so trüb aus, wie am Himmel; — es regnet, und auf dem Stege,
der zum Anger führte, hat sie die Nässe empfunden.
Soweit führen uns die vier ersten Zeilen. Ehe wir aber weiter gehen,
müssen war uns umsehen, was aus der Strophe:
„Es regnet auf der Brücke
Und ist schon nass; —
Es hat mich was verdrossen,
Ich weiss nicht, was." —
die wohl früher von Erwachsenen gesungen wurde, im Kindermunde ge-
worden ist. Zunächst ist das „verdrossen" dem Kinde zu abstrakt. Es
wird durch „vergessen" ersetzt und die Zeile lautet:
„Ich hab etwas vergessen."
So bei Böhme No. 170, 172, 175, 179, Dunger No. 361 (in der stark
verderbten No. 860 fallen Zeile 3 und 4 überhaupt aus), Eskuche a. a. 0.
Eine sonderbare Yerquickung mit unserer No. 56 zeigt ein deutsch-
böhmisches Yerslein (bei Böhme No. 176):
„Wir treten auf die Stätte,
Die Stätte, die ist nass;
Wir haben was verloren,
Und wissen nicht, was."
Die Hauptveränderung aber verdanken unsere Zeilen der kindlichen
Reimlust. Zwei reimlose Zeilen erscheinen dem Kinde unkünstleriseh, —
ein kurzes Besinnen schafft zu „Brücke" den wunderschönen Reim: „Zicke";
damit fällt die Zeile: „ich weiss nicht was" und der Begriff „Ziege" führt
zu dem neuen Reimwort: „Gras".
Jetzt lautet die Strophe:
„Ich ging über eine Brücke,
Und die war nass,
Begegnet mir eine Zicke
Und die frass Gras."
So Böhme No. 173 (Berlin). In No. 174 (Prov. Sachsen) sind es sogar
„zwei Zicken" und im Kgr. Sachsen (Dähnhardt) „kam 'ne alte Ziege".
Von da ist es nur noch ein Schritt bis zu unserer nckermärkischen
Version. Wo man nicht „Zicke", sondern „Ziege" sagt, stimmt der Reim
nicht mehr, und als Assonanz tritt in der ersten Zeile die „Wiese" ein.
Der zweite Teil des Liedes umfasst zwei Zeilen, die im Spieh- eines
der im Reigen tanzenden Kinder zu dem draussen stehenden spricht; sie
Uckermärkische Kinderreiine. 283
enthalten die Auffol•^leru^,^■, sich dem fröhlichen Tauze anzuschliessen, —
nach der Urfassung also: die trübe Stimmung fahren zu lassen — , und in
der zweiten Zeile die Begründung dafür, die verschieden überliefert wird.
Welches die älteste Form sei, entnehmen wir dem alten Fragment in einem
Quodlibet vom Jahre 1544, das Böhme No. 171 abgedruckt hat:
„Jungfrau in dem roten Rock,
Kommt her zu mir.
Es sein nit hübscher Leute hie
Denn ich und ihr."
Die Vorstellung also, dass Sprecher und Angeredete zusammen ein
schönes Paar ergeben würden, ist die ursprüngliche. Sie herrscht noch
vor bei Böhme No. 170 (die überhaupt der Urfassung nahe steht):
„Ach schönster Schatz, komm rein zu mir,
Es sind (d. h. es giebt) kein' schön're Leut als wir",
und bei Dünger No. 361 (ebenso).
Dagegen muss sehr bald eine Verwirrung eingetreten sein, indem das
Prädikat „schön'' auf die umstehenden Kinder bezogen und der „Schatz"
damit gelockt wird, dass er in angenehme Gesellschaft komme. („Schöne",
.,hübsche" Leute im Volksmund = „freundliche", „liebenswürdige" Leute.)
So in unserer Fassung; ferner in Berlin (Böhme 173):
„Ach schönster Schatz, komm her zu mir!
Es sind ja schöne Leutchens hier." —
im Elsass (Böhme Xo. 177):
„Herzigor Schatz, komm' rein zu mir.
Sind gar schöne Leut' dahier."
Die weiteren A^erderbnisse dieser Zeilen, besonders die interessanten
A'erschmelzungen mit anderen Tanzliedern, will ich hier unterdrücken, da
sie zur Erklärung unserer Version nicht unmittelbar beitragen.
Für den dritten, Schluss-Teil des Liedchens endlich, der wieder vier
Zeilen umfasst und von dem aussenstehenden Mädchen zu sprechen ist,
giebt uns die altertümliche Strophe bei Dunger No. 360 den besten Anhalt.
Sie schliesst:
„Ja, ja freilich,
Wo ich bin, da bleib ich,
Bleib ich, wo ich bin, —
Adjeu mein Schatz, leb wohl!"
Die Sängerin besinnt sich also, giebt ihre trübe Stimmung auf, schliesst
sich dem Tanze an und vergisst ihren „Schatz", der ihr wohl das Herz
so schwer gemacht hatte. Die erste Zeile erscheint öfters, wie auch in
unserer Fassung, entstellt („Hi, ja, freilich!" Böhme 173, „Juche, freu dich!"
Böhme 177, „Ei so eilig" Böhme 179). Dann hat man die Schlusszeilen
durch den Reim auszugleichen versucht:
„ — — — — — — bin,
Adje mein schönes Rind!"
So und ähnlich Böhme 170, 173, Dunger, Drosihn, Dähnhardt a. a. O.
284 Wilhelm:
Als man den eig-entlicheu Sinn nicht mehr verstand, wurden auch die
zweite und dritte Zeile entstellt: „AV'er ich bin der bleil) ich" n. a. (Böhme
177 auch: „Wem ich bin, dem bleib ich"). Das „Wo" hat ausser unserer
Fassung nur noch Dungor, Ko. 160.
So hal»en wir denn an der Hand der Überlieferung der Urgestalt unseres
Liedchens ziemlich nahe kommen können und setzen sie etw'a in dieser
Form an:
„Es regnet auf der Brücke
Und ist schon nass; —
Es hat tnich was verdrossen,
Ich weiss nicht, was!"
„Ach schönster Schatz, komm rein zu mir,
Es sind kein' schönre Leut als wir." —
„Ja freilich, ja freilich,
Wo ich bin da bleib' ich!
Bleib' ich, wo ich bin.
Ade, mein Schatz, leb wohl!"^)
(Schluss folgt.)
Haussprüche aus dem Stubaithal in Tirol.
Gesammelt von Friedrich Wilhelm.
Die im folgenden von mir veröffentlichten Haussprüche habe ich im
Sommer 1898 aus dem Stubaithal gesammelt. Die Orte, aus denen sie
stammen, sind Schönberg, Mieders und Vulpmes. Der grössere Teil der
Sprüche, so wie sie sich an den betreffenden Häusern aufgezeichnet finden,
geht in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück. Dabei haben sich die
Unbilden der Witterung geltend gemacht: eine Anzahl von ihnen ist ver-
wischt oder verblichen. Andere sind übertüncht und mahnen zu sammeln,
was übrig ist. Was der Unverstand vermag und wie rücksichtslos er alles
Alte vertilgt, hat die Niederlegung des von Hans Ardufer mit Fa(,'aden-
malerei und Sprüchen geschmückten Hauses in Zillis an der Yia Mala
bewiesen (Abbildung bei Alw. Schultz, Kunstgesch , Taf. I).
1) Die schlesische Fassung dieses gesungenen Kinderspiels, wie ich sie aus meiner
Kindheit kenne, ist folgende:
Es regnet auf der Brücke | Und es wurde nass.
Es hat mich was verdrossen | Und ich weiss was.
Komm her mein Kind, komm her mein Kind,
Wir sind ja schöne (gute) Leute!
Ach ja freilich, | wer ich bin der bleib ich,
Ich bleibe wer ich bin, | leb wohl mein Kind. (K. W.)
Haussprüche aus dem Stubaitlial in Tirol. 285
1. In allen deinen Werken gedenk
an deine letzte ding.
2. Die Freuden dieser Welt
Wohllüsten Ehr und Geld
Vergehen wie Rauch
Sieh o Mensch werdu bist
und was in kurze würst
die Zeit zum guten brauch.
1 und 2 stehen an einer kleinen Kapelle auf dem Scliönberger Friedhof.
Datum fehlt. Kapelle renoviert.
3.
Man baut jetzt häuser hoch u. fest Dieses Haus steht in Gottes Hand
Dabei sind wir alle fremde Gast Schönachhof wird es genannt
Wo wir wollen ewig sein Der liebe Gott möge uns beschützen
Da baut gar mancher wenig drein. Von Ungewitter und von Blitzen.
Ich las den lieben Herrgott walten
über dies Haus und Hof
Er möge stets den Frieden erhalten
bis er uns von Daunen ruf.
o an einem Erker vom Schönachhof bei Schönberg. Datum fehlt.
Schönachhof wurde 1618 erbaut, ist aber renoviert worden, die Sprüche
ebenfalls. Vgl. übrigens E. H. Meyer. Deutsche Volkskunde, Strassburg
1898, S. 198.
4. Haus vnd Lebens Regl.
a) Rueff an dein gott b) Pfleg deiner gesundt %
Halt Sein gebott Regier dein Mundt
Sei geduldig in Nott Dreib nit böß Findt
Gib Armen brodt Hiet dich Fir Sint
Shweig Meid vnd Leid Die Alten Ehr
hab acht der Zeit Die Jungen Lehr
auf Preindt nit bau Dein _ Haus Ernähr
Nit allen Trau Des bößen dich wehr
Auf dich Selbst Shau halt dich fein Rein
Sey nit zu gnau. Mach dich nit zgmein
Sey gern alein
Treilich ichs (mein).
5. O wollt gott (die menshen) W^usten vnd Erkhenten Drey ding (so) Ver-
gangen sein Das gut So Sy vnterlassen Das böße So Sye begangen Die Todte
Zeit die Sye ivel Angewendt. 0 volt got das Alle Menshen verstunde(n) drey ding
So gegenwertig Seyn Die chirge des Menshlichen Lebens wie Shwerlich man Selig
wirde wie wenig deren So Selig worden (sein) 0 Wolt (got das die Menshen
konnten) Erforschen drey ding So Zukünfftig Sein den Tod dan nichts Erbärmliches
Das gericht dan nicht Ersprißliches der Pein der Höllen dan nicht unleidenliches
Hin Geht die Zeit her chomt der Todt Mensh Ihu Büß vnd Forchte Gott kein
Grosser Gunst ist da Erwerben Alß daß man selig Sterben.
4 und 5 befinden sich an einem Haus in Mieders. Datum fehlt.
Der Text der Sprüche ist auf zwei an die vordere Giebelwand des Hauses
28t; Wilhelm:
gemalte aufgeschlagene Bücher gezeichnet. Zwischen beiden Büchern
hefindet sich ein ebenfalls gemaltes Kreuz. Rechts vom Kreuz 4, links 5.
4 ist gut zu lesen, nur im letzten Vers ist „mein" übertüncht und von mir
ergänzt worden. Schlechter ist 5 erhalten : zum Teil übertüncht, zum Teil
ist die Farbe abgeblättert. Das von mir Ergänzte ist in () gesetzt. Nicht
ganz deutlich ist ob ivel oder üvl zu lesen ist, ebenso ob alß oder alls.
„Die Todte Zeit" (das Erdenleben) im Gegensatz zur lebendigen Zeit (dem
LelxMi der Seele im Himmel)? Vgl. mhd. Wb. III, 911, 2SS. „dan nichts"
ileutlich getrennt = da nichts.
6.
a) Hr. Anthoni du WunderMan d) Wer Wil Paven An die straseii
In aller Not Nimb dich Vnser an. Mues die Leid Roden LASEN
Rode Ein Jedeß Waß ES Will
Ich Winshe Ein Jeden drei Mall
So Pill
c) Wer mit S. Anna in Himl Will den 24. 10 (?) .... MDCCXXV .
b) Mir biden durch dein dugent Wert
Mach Vns des Himls Freiden Wert.
Mues Gott zu Lieb Hie Leiden All.
e) 0 Maria milt — Unser Trost vnd
Shilt
Hilfe Vns in der Not — Absonderlich
in 1725 den Sott. P H A 0.
tia — e aus Mieders, befinden sich auf einem geschmackvoll bemalten
Haus au dem Wege zu Maria Waldrast, a, b und c sind an einen drei-
seitigen Erker gemalt; an der rechten Seite a, an der Vorderseite b und
an der linken Seite c. Über a das Bild des St. Anthonius v. Padua. über
b St. Franziskus und über c St. Anna, d von einem gemalten Rokoko-
rahmen begrenzt; über e Maria mit dem Jesuskind. Über den Reim Not:
Sott (= hitzige Krankheit, Fieber) siehe mhd. Wb. IIb 862, 2£F. Was dies
für eine Krankheit war, die um 1725 Mieders heimsucht«», konnte ich leider
nicht ermitteln. Vergl. übrigens die unter No. 10 und 12 b mitgeteilten
Sprüche.
7. 8.
Maria Maria Hilf in Aller gfar
Hilf in aller gfar Vor Allen ivl diß Haus bewar
Vor allen übel diß Haus bewahr Absonderlich von der Sind
Die darin wohnen vor aller Sindt Mari(a) Hilf mit Deinem (Kind).
Maria hilf mit deinen Kindt
Ag. 1747.
7 und 8 aus Mieders. 7 an einem Haus an der Hauptstrasse. 8 an
einem Haus auf dem Weg zur AValdrast. Bei 8 fehlt das Datum, ausser-
dem ist bei 8, 4 das zweite a in „Maria" abgestossen und „Kind" verwischt.
Über beiden Sprüchen auffallend ähnliche Madonnenbilder. Beide Häuser
wurden wahrscheinlich von demselben Maler bemalt.
Haussprüche aus dem Stubaithal in Tirol. 287
9. Gelobt
Sey Jehsu Christi Namen
vnd die vnbeflecthe Em-
pfenkhnus Amen.
1753.
!) ans Mieders, über dem Eingang eines Hauses auf dem Weg zur Kirche.
10. Wer will baueii an der Straßen
der mus die Leite reden lassen
red ein jeder was er nur will
ich winsch ein jeden noch so viel.
1844.
10 aus Flieders, ist an der Hinterseite eines Hauses auf dem Wege
zu <len Gallhöfen über der Thür angebracht. Ygl. No. 6d und 12b.
11. Müetter gottes stehüns bey
hilf uns in den losten streit.
1745.
11 aus Vulpmes, darüber ein :Madonnenbild. Ygl. Xo. 12 a.
12. a) 0 Maria hilff uns Jetzt vnd allezeit
Absonderlich in Lezten Streidt.
b) Wer Will Pauen an der Straßen
Mus Narn vnd Gscheide Roden Lasßen
Röd Ein ieder wasß er Will
Ich wintsh ein Jeden noch soüil.
1767.
12a und b aus Vulpmes. Haus bemalt, unverkennbar dem unter 6 a— e
beschriebenen nachgeahmt, a und b befinden sich an der Vorderseite des
Hauses. Zu b vgl. No. 6d und 10.
13. hast du vill güets bei saraen
Wirst deinen lohn entphangen.
13 aus A'ulpmes. Datum fehlt.
14. Alles unter deinen Schutz
Und der Schlange nur zum drutz.
1844.
U aus Vulpmes. Darüber Maria im Rokoko-Kostüm auf die Erd-
kugel und die Schlange tretend.
15.
a) Da es mir wohl erging auf Erden! b) Trau doch nicht der Welt
Da wollten alle meine Freunde werden. Trau doch nicht den Geld
Da ich kam in der Noth, Trau auch nicht den Todt
Da wjihren meine Freunde Todt. Trau nur allein auf Gott.
15a und b aus Vulpmes, auf einem ziemlich neuen Haus. Datum fehlt.
Jena.
•>>-;g Tieuken:
KultiirgescMchtliclies aus den Marschen
am rechten Ufer der Unterweser.
Von A. Tienken.
(Schluss von Zeitschr. IX, 171.)
Essen und Trinken.
Einfach, derb und kräftig war von jeher die Kost in den Marschen.
In Osterstade gab es im vorigen Jahrhundert am frühen Morgen bereits
Warmbier und Bohnen und man war „gesund und stark" dabei. Gegen
das Ende des vorigen Jahrhunderts aber wurde diese Morgenkost schon
durch den Kaffee, den namentlich die Schiffer liebten, verdrängt. Anfangs
fand der Kaffee wohl nur bei den Wohlhabenderen Eingang, während die
ärmeren Klassen und das Gesinde noch länger an der altgewohnten Speise
hielten und weiterhin erst in süsser Grütze oder gekochter Milch, in die
Schwarzbrot gebrockt wurde, den Übergang zum Kaffee fanden, der jetzt
dreimal täglich auf dem Tische erscheint und bei Jung und Alt, Arm und
Reich so ausserordentlich beliebt ist, dass eine Rückkehr zur alten derben
Kost völlig undenkbar ist.
Als Zubiss zum Kaffee kommt in allererster Linie das Schwarzbrot,
oder wie es seinen Bestandteilen nach gewöhnlich genannt wird, das Roggen-
brot in Betracht. Dieses, welches so oft und so sehr zu Unrecht eine ab-
fällige Kritik erfahren hat^), ist von schwarzbrauner Farbe und von einer
harten Rinde umgeben. Seine Dimensionen sind gewaltig, sein Gewicht
beträgt etwa 5—7 kg. In seiner äusseren Gestalt ähnelt es einem läng-
lichen, an allen Seiten plump abgerundeten Blocke. Die imposante Grösse
des Brotes wird durch zwei Umstände bedingt: einmal lässt sich das Roggen-
brot in kleineren Portionen nicht genügend ausbacken und zweitens ist die
Gefahr des schnellen Austrocknens eine geringere. Es hält sich länger
frisch, so dass durchschnittlich nur alle 2 — 3 W^ochen gebacken zu werden
braucht.
Bei der harten Schale ist das Brotschneiden für eine etwas zahlreiche
Familie ziemlich anstrengend. Es gehören Grossknechtshände dazu. In
früheren Zeiten gehörte das Brotsehneiden denn auch in der That zu den
Rechten und Pflichten des Grossknechtes. Und man wachte so eifrig über
diesem Privileg, dass es nicht selten kontraktlich ausbedungen wurde, und
die Verletzung desselben einmal sogar zu einer erbitterten Prügelei zwischen
zwei Knechten führte.
1) Kohl, Nordwestdeutsche Skizzen, Bremen 18(U, II, S. I(i3ff.
Kulturgeschichtliches aus den Marscheu. 289
Das Schwarzbrot hat einen herrlichen, etwas säuerlichen aber reinen
rieschniack. Wer es längere Zeit hindurch gegessen hat, wird es nur un-
gern wieder entbehren. Und unsere jMarschbewohner lassen sich ohne
dieses Brot nun schon gar nicht denken: beide gehören unzertrennlich
zusammen.
Eine etwas feinere Brotsorte ist das „Feinbrot", in den Marschen ge-
wöhnlich seiner kleineren Dimension wegen „Kleenbrot" genannt. Es
wird in bedeutend geringerem Masse gebacken, da nur die Herrschaften
für seine Konsumtion in Betracht kommen. Es besteht ebenfalls aus
Roggenmehl, jedoch wird dieses gesiebt, so dass die harte Schale des
Koggen ausgesondert wird. Dadurcli, wie auch durch Beimischung von
etwas Milch erhält das Brot eine etwas hellere Farbe.
Das feinste Brot, welches nur zu den höchsten Festtagen, dann aber
auch immer, gebacken wird, ist der „Stuten". Es ist ein Weizenbrot, das,
wenn es ganz was Feines sein soll, mit Rosinen und Korinthen durchsetzt
wird. Dass Milch, Eier, Butter u. a. daran nicht fehlen, ist selbstver-
ständlich.
Jeder Haushalt backt das benötigte Brot selbst, nur ausnahmsweise
wird es vom Bäcker bezogen. Hauptsächlicli holt man von diesem nur
die feineren Kuchen. Und auch dieses nimmt in den feineren Häusern
mehr und mehr ab, da man vorzieht, jene ebenfalls selbst zu backen.
Bezüglich des Mittagessens muss ein Unterschied zwischen Sommer
und Winter gemacht werden. Im Sommer nehmen die „Klütjen" (Klösse
aus Weizenmehl) unstreitig den ersten Rang ein. Die Klütjenzeit beginnt
dann, wenn die Wintervorräte an Erbsen, Bohnen u. dgl. m. zur Haupt-
sache verzehrt sind, und sie endigt wieder mit der Reife ebenderselben
Früchte; ja schon mit <ler frühreifen Kartoffel beginnt die Klütje an Be-
deutung zu verlieren. Ganz verschwindet sie zwar niemals — so finden
wir sie im Bauernhause von guter alter Art mit Ausnahme der hohen Feste
noch Sonntag für Sonntag auf dem Tische — aber ihre Konsumtion wird
in gewissen Jahreszeiten erheblich eingeschränkt. Tm Lande Wursten
freilich erhält das Gesinde jahraus jahrein schon am frühen Morgen Klütjen
vorgesetzt, die in Scheiben geschnitten und in der Pfanne mit Schmalz
gebratoTi sind. Und die Leute sind so zufrieden damit, dass sie energischen
Widerstand leisten würden, wollte man ihnen statt der Klütjen Kaffee
reichen.
Wie die Klütje in ihrer Einfachheit und Kompaktheit ein Pendant
zum Schwarzbrot ist, so der „Pudden" (Pudding) ein solches zum Stuten.
Der Pudden besteht aus Weizenmehl; ausserdem werden ihm aber Eier,
Butter u. a. Ingredienzien zugesetzt. Gebacken wird er in einem kegel-
förmigen Behälter.
Im Winter ist dagegen der braune Kohl das Nationalgericht, in dem
der Speck und die Pinkelwurst nicht fehlen dürfen. Die Vorherrschaft
290 Tieuken.
des braunen Kohls beginnt mit dem ersten Winterfroste — „de Kohl mutt
erst Frost hebben, anners smeckt he nich", sagt man — und dauert dann
bis zum Gründonnerstage. An diesem Tage aber giebt es vom Nieder-
rhein bis an die Unterelbe und darüber vielleicht hinaus noch wohl kaum
ein Haus, in dem nicht brauner Kohl im Topfe schmort. Am Anfang
dieses Jahrhunderts wurden am Gründonnerstage dem braunen Kohl, dem
Hauptbestandteil der Mahlzeit, noch acht andere Kräuter beigegeben, die
indessen auch unter sich selbst wieder variierten. Die häufigste Zusammen-
stellung war folgende : 1. brauner Kohl, 2. Hirtentäschelkraut, 3. Geissfuss,
4. Bienensaug, 5. Kümmel, 6. Brennessel, 7. Johannisbeerblätter, 8. Stachel-
beerblätter, 9. Raps.^) Ton diesem gastronomischen Potpourri ist allein
der braune Kohl übrig geblieben, auf die anderen Bestandteile wird heute
kein Gewicht mehr gelegt.
Auch hinsichtlich des Abendessens waltet zwischen Sommer und Winter
ein grosser Unterschied ob. Im ersteren herrschen die Milchspeisen vor,
denen als Vorspeise gewöhnlich Bratkartoffeln vorangehen. Die Milchspeise
bestand im Anfang dieses Jahrhunderts gewöhnlich in süsser gekochter
Milch, in welche man gekochte Bohnen that. Jetzt ist diese Speise.
„Melkenl)ohnen" genannt, gänzlich von der Abendtafel verschwunden. An
ihre Stelle trat eine andere Milchspeise, der „Schinngassen". Sie besteht
aus geschälter (geschundener, daher die Vorsilbe „Schinn") Gerste, die
in Buttermilch gekocht wird, und zwar so dick, dass man, wenn sie kalt
geworden ist, kaum abstechen kann, ohne für den Löffel fürchten zu müssen.
Jeder nimmt sich nach Belieben von dem Schinngassen auf den Teller,
wo er ihm dann gekochte Milch zusetzt. Der Schinngassen ist ein an-
genehmes, etwas säuerliches Gericht, das nach einem heissen Tage besonders
erquickt. Leider scheinen die Zeiten nicht mehr fern, wo auch der Schinn-
gassen als „überlebt" und „altmodisch" den Bohnen folgen und vom Tische
verschwinden wird.
Im Winter dagegen giebt es ein eigentlich vorherrschendes Abend-
gericht nicht. Den auch jetzt als Vorspeise dienenden Bratkartoffeln folgen
bald Kaffee und Butterbrot, bald aufgewärmte Reste der Mittagsmahlzeit,
bald Milchsuppen.
Für die vegetarische Lebensweise werden die Marschbewohner sich
nie gewinnen lassen; sie könnten freilich ohne ein tüchtiges Stück Fleisch
oder Speck auch nicht auskommen, denn die frische Seeluft zehrt. Auf
jedem Bauernhofe werden denn regelmässig im Herbst ein Ochse oder
eine junge fette Kuh und im Winter ausserdem nach Bedarf noch einige
Schweine geschlachtet. Das Schlachtfest bringt immer Leben ins Haus,
allein das Wurstmachen dauert meistens einen ganzen Tag. trotzdem mehr
und mehr die Wurstmaschinen dabei zu Hilfe gezogen werden. Eine
1) K. Weiiihold, Die mystische Neunzalil Berlin 1897, S. 10.
Kulturgescliichtliches aus don Marschen. 291
schöne Sitte ist es, dass man die Kachbarn an den Genüssen des Öchlachtens
teilnehmen lässt, indem man ihnen stets einige frische Würste und einige
Stücke frischen Fleisches sendet. Auch jeder Häusler schlachtet ein
Schwein, besser gestellte auch wohl zwei. — Übrigens dürfen die Schweine
nur bei zunehmendem Monde geschlachtet werden, weil, wie man vielfach
glaubt, sonst der Speck und das Fleisch beim Kochen nicht genügend
ausquellen.
Kohl') glaubt aus dem Umstände, dass die Schwarzlu-otländer zugleich
auch die hauptsächlichsten Branntweinländer sind, auf ein gutes Einver-
nehmen zwischen dem Schwarzbrot und dem Branntwein schliessen zu
dürfen. Ich weiss nicht, ob diese Mutmassung für andere Gegenden zu-
treffend ist, für unsere Marschen lässt sie sich jedenfalls nicht aufrecht
erhalten. Früher mag es freilich anders damit gewesen sein, aber in der
Gegenwart nimmt doch der Konsum an Branntwein, sowie die Zahl der
Gewohnheitstrinker ab. Der Branntweinkonsum dürfte schwerlich erheb-
licher sein, als er in den Weissbrotländern oder in den Städten ist. In
den besseren Kreisen gilt es für eine Schande, betrunken gewesen zu sein.
An die Stelle des Branntweinkonsums tritt der Genuss guter Biere. Nur
bei der Feldarbeit ist der Branntwein noch immer absoluter Herrscher.
Als anderes Getränk ist dann neben ihm fast nur schwarzer Kaffee ge-
bräuchlich.
Ol) die Sitte, dass nur eine einzige grosse Schüssel auf den Tisch
gestellt wird und alle Tischgenossen unter Ausschluss des Tellers mit
ihren Löffeln oder Gabeln hineinlangen, auch in den Marschen l)estanden
hat, lässt sich nur bezüglich der abendlichen Bratkartoffeln bejahen, im
üln-igen aber findet sicli kein Anhalt dafür. Die Bratkartoffeln aber werden
noch heute vielfach in der Pfanne auf den Tisch gebracht; freilich wird
das nicht lange mehr dauern. Das Verschwinden der Pfanne wird auch
von den Leuten selbst als ein Fortschritt empfunden. Bezeichnend war
in dieser Hinsicht die Äusserung eines alten Bauern: „Verdammt, dat is
jo n Tied, dar mutt de Pann jo wedder op'n Disch." Die Zeit war nämlich
wenio- günstig und der Bauer wollte mit seinen Worten die Notwendigkeit
des Einschräidvens andeuten.
Von dem Tischgebet, das im vorigen Jahrhundert gäng und gäbe
u-ewesen zu sein scheint, und dass sich in den Ell)marschen noch länger
erhielt, findet man bei uns keine Spur mehr, und el)ensowenig auch von
einer bestimmten Reihenfolge der Personen bei Tische.
Hat die Hausfrau Gäste und wird diesen Thee oder Kaffee vorgesetzt,
so muss sie stets mit gespanntester Aufmerksamkeit den Flüssigkeitsstand
in den Tassen ihrer Gäste verfolgen, denn diese würden es als eine grosse
Vernachlässigung empfinden, auch nur eine Sekunde trocken sitzen zu
1) a. a. 0. S. 191.
292 Tienken:
müssen. Da die Wirtiii al)er auch nicht anf den Rest schenken darf, so
nimmt das Nötigen: „Bitte, trinken 8ie doch mal aus!" kein Ende. Andrer-
seits würde es als Mangel an Lebensart aufgefasst werden, wenn die Gäste,
falls ihnen Wein vorgesetzt wird, die Gläser bis auf den Boden leeren,
denn beim Wein wird eben auf den Rest geschenkt.
Wenn bei einer Mahlzeit alle Speisen verzehrt werden, so glaubt man,
wird am anderen Tage gutes Wetter eintreten. Das Anbieten des Restes
geschieht denn auch stets unter Hinweis auf das kommende gute Wetter.
Vielfach stösst man auf den Glauben, dass den Hunden nicht die Knochen
von Hasen oder wildem Geflügel vorgeworfen werden dürfen, da sie sonst
leicht auch das Hausgeflügel anfallen oder auf eigene Faust im Felde
umherstreifen und Jagd auf Hasen und anderes Getier machen würden.
Die Kleidung.
Ob je in den Wesermarschen eine eigentliche Volkstracht bestand,
lässt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Es ist aber wohl anzunehmen.
Im vorigen Jahrhundert war Linnen und Tuch der fast ausschliessliche
Kleidungsstoff für die männliche Welt. Als Kopfbedeckung trug diese
den „Dreispitz", im Hause aber die Zipfelmütze; an den Beinen Knie-
hosen, die am Knie durch eine Spange zusammengehalten wurden, dicke
kräftige Strümpfe umschlossen die Waden, und die Füsse endlich steckten
in ledernen oder hölzernen Futteralen. Da die letzteren, Pantinen und
Holzschuhe, nicht jedem Leser bekannt sein dürften, ist es mir wohl
gestattet, sie etwas eingehender zu schildern, um so mehr als der Marsch-
bewohner ebensowenig ohne sie als ohne sein Schwarzbrot fertig werden
kann, oder überhaupt nur zu denken ist.
Die Holzschuhe sind aus einem Stück gearbeitet, mithin völlig steif
und unelastisch. Sie verwandeln den Fuss in eine dem Pferdehuf ähnliche
Masse. Trotzdem kann sich der Marschbewohner relativ schnell, wenn
auch wenig graziös, in diesen kleinen Schiffen fortbewegen, ja sogar —
tanzen. Freilich einen eleganten Gang und zierliche Bewegungen darf
man nicht erwarten: die Kniee werden vielmehr, militärisch gesprochen,
„nach der Heimat durchgedrückt", d. h. überhaupt nicht durcligedrückt,
der Rücken wird gekrümmt und die ganze Bewegungsform dem bekannten
„Schieben" ähnlich. Schon auf grössere Entfernungen hört man die Holz-
schuhe klappern, weshalb man auch von einem Menschen, der seine Ab-
sichten schlecht zu verbergen versteht, wohl sprichwörtlich sagt: „Ick hör
di gähn, du liest Holschen an."
Nach seiner Anschauung vermag der Landbewohner sogar Luxus mit
seinen Holzschuhen zu treiben, indem er Arbeits-Holzschuhe und solche,
in denen er „nur zum Plaisir'' geht, unterscheidet. Diese sind leichter,
auch von weicherem Holz und auf dem Halsfuss wohl gar noch mit etwas
Wolle gepolstert. Das ist aber auch der einzige Unterschied, der freilich
Kulturgeschichtliches aus den Marschen. 293
dem schon recht fühlbar ist, der alle Tage in Holzschuhen geht. Im
allgemeinen aber wird der Holzschuh nur im Winter getragen, also dann,
wenn das Wetter kalt und der Boden nass und morastig ist.
Etwas anders, „civilisierter", sind schon die Holzpantinen. Sie be-
stehen aus einer starken Holzsohle, die um die Fersen herum einen etwas
erhöhten Rand hat, während die Zehen von einem ledernen Dache geschützt
werden. Schon den kleinen Kindern werden solche Pantinen an die Füsse
gesteckt und gar bald wissen auch sie sich rasch und sicher darin zu be-
wegen.
Die Holzschuhfabrikation ist in den Marschen nie heimisch gewesen.
Dagegen wird die Herstellung von Pantinen ziemlich stark betrieben.
Schon von aussen ist die Wohnung eines „Patinkenmäkers" an den vor
dem Hause stehenden Geräten zu erkennen. Das Geschäft kann recht
einträglich sein; oft werden die in der Marsch gefertigten „Patinken" weit
versandt.
Das weibliche Geschlecht trägt weder Holzschuhe noch die eben ge-
schilderten Patinken. Sie erscheinen ihm plump und unweiblich. Und
doch ist seine Fussbekleidung, „Klöuken" genannt, den Pantinen ganz
ähnlich; der einzige Unterschied besteht darin, dass an den Klönken der
um die Ferse laufende erhöhte Rand fehlt.
Eine dritte Art von Fussbekleidung zeigt eine Verbindung von Holz-
schuh und Stiefel, indem der Fuss im ersteren und der Unterschenkel bis
zum Knie in einem dicken Lederschaft steckt, der mit Nägeln oder Drähten
an dem Holzschuh l»efestigt ist. Die „Stewelholschen", so nennt sich diese
Gattung, werden nur bei winterlichen Arbeiten an der Wasserkante getragen,
also beim Schiengeniegen, Reitmähen u. s. w. Es sind ungefüge Dinger,
aber sie erfüllen trefflich ihren Zweck: sie halten den Fuss warm und
trocken. Es ist zweifelhaft, ob der derbe, zum Schleichen untaugliche
Holzschuh aus dem geraden, biederen, Hinterlist und Meuchelmord nicht
kennenden Sinn der Marschbewohner hervorgegangen oder ob dieser durch
jenen grossgezogen ist. Jedenfalls findet die Geradheit und Derbheit der
Marschbevölkerung in diesen Fussbekleidungen einen trefflichen Ausdruck.^)
Die herrschende Fussbekleidung ist aber, das sei ausdrücklich betont,
der Lederstiefel und Schuh.
Mit dem Anfang dieses Jahrhunderts kamen in der Männertracht allerlei
Neuerungen auf: der Dreispitz, auch wohl Dreimaster genannt, wurde durch
den Hut verdrängt, die Kniehose durch das lange Beinkleid; das Tuch
und Linnen durch den Manchester, der bis in die 60 er Jahre die Oberhand
behielt. Weisse Wäsche wurde nur in den wohlhabenderen Kreisen und
von diesen auch nur Sonntags getragen. Am Werktag begnügte sich alles
mit dem einfachen Kittel, und auch von diesem war nicht viel zu sehen,
da die Westen bis an den Hals geschlossen wurden.
1) Vgl. Kohl a. a. 0. S. 83.
•20
Zeits-.-lir. <l. Vereins f. Vulkskmule. isyy.
294
Tienken: Kultui-o-eschichtliches aus den Marscheu.
Vom Endo der 60er Jahre ab an wurde die Männertracht mehr und
mehr modern. Au die Stelle der Hosenklappe, die oben am Hosenbund
festgeknöpft wurde, trat der senkrechte Schlitz, der Manchester wurde
verdrängt durch Cheviot, Kammgarn, Bukskin u. a. Stoffe. Für die Arbeits-
kleidung wurden natürlich derbere Stoffe, gewöhnlich „Englisch Leder"
und Köper gewählt. Auch die ärmeren Klassen tragen an den Sonn- und
Festtagen oder bei wichtigen Gängen in benachbarte Dörfer und Städte
weisse Wäsche.
Hinsichtlich der Frauenkleidung ist zu bemerken, dass alte Frauen in
den 30 er Jahren dieses Jahrhunderts wohl noch kleine weisse Häubchen
trugen, deren Boden mit Gold und Silber durchwirkt war, ferner eine Art
langschössiger Kontusche mit vielen plattgelegten Falten, und endlich einen
schwarzen, halbwollenen Rock mit grünen oder roten Streifen. Diese
Kleidung wurde besonders zur Kirche und zum Abendmahl angelegt.
Eine andere Art Kopfbedeckung, die sogen. Kragenkappe, wurde nur von
den Frauen der ärmeren Klasse getragen.
Auf die Kragenkappe folgte die ihr ähnliche Kapuze. . Diese, oben
mit den Haaren abschneidend, wurde unter dem Kinn zugehakt. Sie
schützte, da sie noch über den Hals herabfiel, auch diesen. Sie wurde
nur im Winter getragen. Jetzt sieht man die Kapuze nur bei älteren und
ärmeren Frauen und bei Dienstmädchen.
Früher trugen die jungen Mädchen auch wohl eine Kopfbedeckung,
die man „dröge Mutz" oder nach den drei Stücken, aus denen sie zu-
sammengenäht war, „dreepandte Mutz" nannte, dazu einen halbwollenen
Rock und ein kurzärmeliges „Kamisol".
Bei der Feldarbeit tragen die Frauen den „Weihhot" (Wehhut). Es
ist das ein Hut, in dessen Boden schmale Pappstreifen eingelassen sind,
welche sich der Länge nach um den Kopf legen. Er beschattet das ganze
Gesicht. Über den Nacken fällt ein leichtes Tuch herab, so dass auch
dieser gegen Sonnenstrahlen geschützt ist. Um einen freieren Gebrauch
der Arme und Beine zu ermöglichen, sind die Ärmel sehr kurz gehalten;
die Röcke aber werden so weit heraufgezogen, dass ihr unterer Rand mit
den Waden abschneidet. Der obere überschüssige Teil der Röcke wird,
in grosse Falten gelegt, durch das „Opschortels", d. i. ein langes, schmales
Band, welches mehrere Male um den Leib geschlungen wird, über den
Hüften festgehalten.
Regen- und Wintermäntel fanden bei den jüngeren Generationen schon
ziemlich früh Aufnahme, die älteren sträubten sich lange dagegen, hart-
näckig hielten sie an den grossen geblümten oder karrierteu Umschlage-
tüchern fest. Aber sie mussten sich schliesslich doch der Mode fügen.
Lübeck: Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. 295
Die Krankheitsdäinoiieii der Balkanvölker.
Ton K. L. Lübeck.
(Schlnss von TX, 20^.)
Ist der Pesttag auch durch den Glauben, den Schrecken, die Litteratur
u. s. w., die sich an ihn knüpfen, auf seine Weise der hervorragendste
Tag unter den Krankheitstagen, so wird er in Hinsicht der Zeremonien
A'on der „Elfenwoche" weit an Bedeutung übertrofPen. Die Elfenwoche
bietet die entwickeltsten Zeremonien, die durch ihre aussergewöhnliche
Eigentümlichkeit ein reges Interesse beanspruchen. ^
Die Elfen woche wird durch den „Elfenmittwoch", dessen ich
schon gedachte, eingeleitet. Wie der Name beider Festzeiten besagt, hat
man es während derselben mit Elfen zu thun, die im Volke unter dem
Namen Russalki (Sing. Russalka) ihr Wesen treiben. Sie sind die
Schwestern der grausamen Geisterfrauen, die wir bereits unter dem Namen
Samodiven, Wilen, Samovilen kennen gelernt haben. Beide Geistergruppen
sind dem Menschen todfeind und bringen Krankheit und Tod über ihn.
Die Russalken erscheinen unter den Menschen nur in der nach ihnen
benannten Russalkawoche, während welcher sie der Befruchtung der Natur
•obliegen sollen.
In frülierer Zeit war die Feier dieser Woche zur Verehrung dieser
mächtigen Unholdinnen des Wahnsinns sehr streng: niemand wagte zu
arbeiten; heute feiert man nur am Montag, Mittwoch, Freitag, an den
übrigen Werktagen wird dagegen bis Mittag gearbeitet. Aber auch den
Tag über zu schlafen ist sehr gefährlich und verhängnisvoll: man kann
verzaubert werden. Daher muss jeder das Wermutpfläuzchen als Schutz-
mittel gegen die Berührungen der Russalkinnen bei sich tragen. Wer an
einem der drei Tage Montag, Mittwoch, Freitag arbeitet, verfällt in die
sogen. Russalkakrankheit, die verschiedene Formen annehmen kann. Diese
Krankheit ist nur in der Russalkawoche heilbar und zwar nur durch die
Russalinen. Die Russalkinnen können aber auch noch andere Krank-
heiten verursachen, wie z. B. die „Russa", d. h. die Rote. Wer jedoch
die Feier der besagten Woche innehält, kann, von dieser letzteren Krank-
Jieit nicht befallen werden.
Das Einzige, was heute von der früher grossen Begehung der Elfen-
woche geblieben, ist die Vereinigung von Leuten zu einer Korporation,
Russalinen oder Kaluscharen genannt, die jene von den Russalkinnen
verursachten Krankheiten zu heilen bemüht ist und sich dabei als Heil-
mittel des Tanzes, der Beschwörung, der Be- und Verzauberung bedient,
.also solcher Mittel, die wir heute nur von den Steppenbewohnern des fernen
-Ostens oder von wilden afrikanischen und asiatischen Völkern erwarten.
20*
296 Lübeck:
Diese Kaluscharen oder Russalinen üben ihre Heilthätigkeit nur in
der Elfenwoche aus. — Ihr Oberhaupt heisst Watafin. Der Watafin
erhält seine Stellung nicht durch AVahl, sondern durch Yererbung und
Naturnotwendigkeit, denn sein AVissen, seine Heilkraft, welche keiner sonst
in gleichem Masse besitzt, verleihen ihm diese Stellung- Er allein kennt
die zur Heilung notwendigen Elfenkräuter und deren verborgene magische
Kräfte, nur er kennt die Bezauberungen und Geheimnisse der anzuwendenden
Beschwörungen, vor welchem selbst die sonst unüberwindlichen schreck-
lichen Samodiven, Russalkinnen und andere unerbittliche Geister in Andacht
versinken und dem Menschen gehorsam werden; nur er ist vertraut mit
der übernatürlichen Heilung von Krankheiten durch Zauberer und Hexen.
Diese ausserordentlichen Gaben verleihen ihm nicht nur seine höchste
Stellung unter den Kaluscharen, sondern sogar das Recht, die letzteren
selber auszuwählen. Nur er dingt sie, er unterrichtet und beeidet sie.
Er bestimmt die Personen, welche bei der Heilung eines Kranken während
des Tanzes die Besinnung verlieren müssen. Ohne ihn vermög-«n die
Kaluscharen nichts, kein Kranker wird ohne ihn gesund, denn sein Wissen
und Können und seine Sehergabe sind übernatürlicher Art, zumal er
während der Elfenwoche mit überirdischen Wesen in geheimer Gemein-
schaft lebt. Dadurch wird seine Stellang den Kaluscharen gegenüber fast
eine göttliche, was noch durch den Umstand gesteigert wird, dass die
Kaluscharen Menschen ganz gewöhnlichen Schlages sind, die wegen der
mysteriösen Gemeinschaft des AVatafin mit höheren Wesen ihm blindlings
gehorchen und seine Gebote buchstäblich erfüllen. Ausser den Gefühlen
der scheuen Ehrfurcht hegen sie für ihn daher auch noch eine heilige
Verehrung. K aluschar kann jeder werden, der nur einigermassen ge-
schmeidig, leicht, behend und abgehärtet ist und Entbehrungen ertragen
kann. Namentlich muss er ein tüchtiger Tänzer sein! Gut und lange
tanzen können ist die wesentlichste Anforderung, die man an ihn stellt. —
Die Aufnahme in den Kreis der Kaluscharen geschieht nach persön-
licher Bewerbung beim AVatafin. Dieser letztere berät sich dann mit
anderen AA^atafinen über die Aufnahme und zieht ül)er das Leben des An-
gemeldeten genaue Erkundigungen ein. Ergiebt sich, dass der Betreffende
ein Trunken- oder Raufbold ist, so wird er zurückgewiesen, denn solche
Leute, namentlich Trunkenbolde, können ja weder ein Geheimnis wahren
noch einen langen Reigen aushalten. — Die A^orbereitungen zur Auf-
nahme sind folgende: Zunächst hat der Betreffende drei Tage lang zu
fasten, darauf wird seine Tanzkraft geprüft. A¥ährend des Tanzes sind
der Watafin und einige der ältesten Kaluscharen anwesend. Alsdann hat
sich der Neuling während einer ganzen Woche unter der Aufsicht eines
der alten Kaluscharen zu üben. Dieser letztere bleibt dem die Aufnahme
Begehrenden bis auf weiteres gewissermassen Vormund und Lehrer. Sind
die Ergebnisse dieser A^orbereitungen befriedigend, so erfolgt seine Ein-
Die Krankheitsdämonen der Balkan Völker. 297
weihung in den Verband. Dieselbe geschieht vor der Fahne und dem
Stab des Kaluseharen unter Nachsprechung einer vom AVatafin vorge-
sprochenen Verfluchuugsformel des Krankheitsgeistes:
„In seinem Hause sei keine Feuerstätte, kein Kamin rauche darin,
Schlangen nur und Eidechsen mögen dort hausen, Eule und Uhu nur
sollen ihr Nest dort bauen. Nicht lebe lang ihm sein Weib, keine Wiege
komme vor sein Auge, kein Kind weine im Hause. In seinem Stalle
blöke kein Schaf, brülle kein Ochse, keine Kuh, wiehere kein Pferd, kein
Füllen, belle kein Hund. Gras und Dornen nur mögen dort wachsen,
leer und öde sei die Stätte. Er selber sei blind und taub und stumm,
nie möge er Sättigung finden, nirgends Friede noch Ende finden. Veröden
möge der Ort. den er betritt, verdorren, was er berührt, vor ihm her jage
die Pest und auf seinen Fersen folge die Cholera, nie nehme die Erde
seine Gebeine auf!"
Nach Hersagung dieser schrecklichen Formel küsst der Eingeweihte
Fahne und Stah und wird damit Kaluschar. Eine ähnliche Beschwörung
findet später bei jedem Tanz während der Elfenw^oche statt.
Von grosser Bedeutung für den Erfolg der Kaluseharen ist die Zahl der
Mitglieder, namentlich beim Tanze. Die Anzahl derer, die während der
Elfenwoche an den Beschwörungstänzen teilnehmen, nmss stets eine ungerade
sein: 3, 5, 7, 9 u. s. w\ Die gewöhnlichste Zahl ist sieben. Drei oder
fünf Tänzer haben keine Heilkraft, sie stellen noch keinen thatsächlichen,
wirksamen Kaluscharenkreis vor. Magische Kraft haben insbesondere sieben
oder elf Tänzer. — Ausser der Zahl sind von hervorragender Bedeutung
für das Gelingen der Krankheitsbeschwörungen Stab, Fahne und Musik.
Jeder Kaluschar hat einen Stab, der ihm am selben Tage vom V^atafin
überhändigt wird, an dem die Fahnenweihe stattfindet. Dieser Stab ist
aus dem Holz eines bestimmten Baumes geschnitten. Er ist wenige Milli-
meter dünn und etwa 1 m lang. Sein unteres Ende ist spitz, mit Eisen
beschlagen, um beim Tanzen leicht in die Erde gebohrt werden zu können;
am oberen Ende sind verschiedene klingende Gegenstände angebracht, um
bei der Manipulierung Lärm zu erregen. Die Empfangnahme des Stabes
und die Einschwörung der Fahne geschieht etwa 4—5 Tage vor Anbruch
der Elfenwoche, und es werden sämtliche Kaluseharen zu diesem Zweck
vom Watafin dazu in das Haus des Watafins einberufen. Der von demselben
vorbereitete Stab wird dann in Gegenwart der Kaluseharen mit V^asser
besprengt, worin verschiedene Gräser und Kräuter getaucht worden waren,
und hernach vom Watafin mit einer Formel besprochen. Während dem
spielen die Musiker ein Geisterlied (Samodivenlied), die Kaluseharen aber
umstehen mit verschränkten Armen ihren Meister. Hierauf überreicht der
Watafin jedem Kaluseharen seinen Stab, der ausser den klingenden Gegen-
ständen noch mit verschiedenen Gräschen und Blümchen geschmückt ist,
denen magische Kraft zukommt. Bei der Verteilung der Stäbe, die den
Kaluseharen während des Tanzens gleichsam als Lehne dienen, entscheidet
298 Lübeck:
das Alter die Reihenfolge: zuerst erhält seinen 8tab der Älteste, zuletzt
der Jüngste. Der Kaluschare hat sich zu diesem Zweck dem Watafin zu
nähern. Er lässt sich vor ihm auf die Kniee nieder, küsst ihm die Hand
und spricht ihm den vorgesagten Spruch nach. Der Watafin bespritzt nun
auch den Kaluscharen mit jenem selben durch Kräuter, Blätter u. s. w.
wunderkräftig gewordenen Wasser, mit welchem der Stab besprengt worden
war, und damit ist der Kaluschar im Besitze magischer Macht und tritt
nun abseits. — Ohne diesen Stab kann der Kaluschare weder tanzen noch
heilen. Die magische Kraft, die nach allgemeiner Annahme von der Be-
schwörungsformel, dem Wasser und den Blumen herrührt, verbleibt dem
Stabe jedoch nur während der Russalkawoche eines Jahres. Jedes Jahr
müssen daher neue Stäbe geschnitten werden. Die unbrauchbaren werden
entweder in die Erde vergraben oder zerbrochen.
Nachdem so einer nach dem anderen seinen Stab, der ihm während
des Tanzens als eine Art Stütze dient, erhalten hat, schreitet man zur
Weihung der Fahne.
Die Fahne ist für die Kaluscharen ebenso wichtig wie ihre Stäbe,
nur übertrifft sie die letzteren an Macht und magischer Kraft. Sogar ihr
Schatten soll magische Kraft besitzen. Ihr Eindruck auf die Kaluscharen
ist so gross und mächtig, dass niemand ausser dem Watafin sie zu berühren
oder zu tragen wagt. Das zur Fahne erforderliche Tuch ist weiss und
entweder im Hause gewoben oder auf dem Markte eingekauft. Auch sie
hat der Watafin zu bereiten: er schneidet die Fahnenstange, er giebt dem
Tuch die Form, er näht sie aus, er schnürt das Tuch au die Stange, an
deren Spitze er verschiedene Elfenblumen wie Enzian, Schlüsselblümchen
u. s. w. anbringt. Hierauf wird die Fahne eingesegnet und wie die Stäbe
mit Wasser besprengt. Alsdann verueigt sich der Watafin vor ihr, nimmt
darnach die Fahne in die Hand und pflanzt sie vor den bei ihm Erschienenen
auf. Während dieser Zeit umtanzen ihn die Kaluscharen, die Musikanten
spielen ununterbrochen Elfenlieder. Im Moment, wo die Fahne erhoben
und aufgerichtet wird, fallen alle Kaluscharen auf die Kniee. Darauf ruft
sie der Watafin allesamt unter die Fahne und spricht von neuem die Be-
schwörungsformel aus, indem er beständig die Fahne über jedem der Reihe
nach hin- und herschwenkt. Bei der Yerwünschungsformel werden gleich-
zeitig noch einige Speisen, Getränke und Verrichtungen vermaledeit. Dar-
nach kommt die Fahne in den Hof des Watafins, wo sie von jedem Kalu-
scharen der Reihe nach bewacht werden muss.
Diese ganze Zeremonie mit Stäben und Fahne muss bis Samstag Abend
vor der Elfeuwoche ausgeführt sein. Sonntag früh beginnt dann der Aus-
marsch in die Dörfer.
Auch die Musik hat eine bedeutende Rolle bei all dem, denn ohne
sie ist kein Reigen und ohne Reigen keine Heilung möglich. Als Musiker
taugen vorzüglich jene Personen, welche Samodiven- und Russalkalieder
Die Krankheitsdämonen der Balkaiivölker. 299
zu spielen wissen. Doch muss der Musiker nüchtern sein und Geheimnisse
hüten können.
Die von den Kaluscharen aufgeführten Tänze sind zweierlei: der eine
hat nur die Neugierde und Kurzweil der Zuschauer zu befriedigen, der
andere dient zur Heilung der Kranken. Bei der Ausführung des ersten,
gewöhnlichen Tanzes fallen stets verschiedene Teilnehmer in Ohnmacht.
Diese werden dann von ihren Kameraden wieder zur Besinnung gebracht.
Einem solchen Tanz beizuwohnen, ist nur gegen eine Geldleistung gestattet.
Man zahlt dafür fünf Frauken und für jeden einzelnen Spieler, den man
in Ohnmacht fallen sehen will, je einen Franken.
Ganz etwas anderes ist der für die Heilung der Kranken angeordnete
zweite Tanz. Damit dieser seine Wirkung erreiche, ist notwendig, dass
die Krankheit, die durch ihn geheilt werden soll, von Russalkinnen her-
rühre, d. h. russalkisch sei. Ob eine Krankheit dies sei oder nicht, ent-
scheidet der Watafin. Ist sie es nicht, so hält es auch der Watafin für
ganz nutzlos, sich mit deren Heilung zu befassen. Gestattet aber eine
aufmerksame Diagnose die Annahme einer Russalkakrankheit, so wird
sogleich die Summe vereinbart, welche der Kranke für die Heilung zu
zahlen hat. Hiernach scin-eitet man zur Heilung, d. h. zur Betanzung
des Kranken oder seiner Krankheit. Zu diesem Zweck wird ein
neuer Topf und eine neue Schüssel gekauft. In letztere kommt Essig, in
den verschiedene als magisch betrachtete Heilkräuter gelegt werden. In
den Topf kommt „unangefangenes" (gerade vom Quell geschöpftes) Wasser
mit ähnlichen Heil- und Zauberkräutern. Dieses W^asser wird mit einem
Tuch überdeckt. Den Topf mit dem Kräuterwasser bringt man auf eine
Art Tisch, der von einem nie gebrauchten Deckbrett bedeckt ist. Den
Kranken selbst bringt man auf ein Strohgeflecht, doch abseits vom Topf.
Nun fangen die Musiker zu spielen und die Kaluscharen zu tanzen an.
Der Reigen bewegt sich anfangs langsam um den Kranken. „Nach der
Sitte der Elfen" ist er dem Alter nach geordnet. Er folgt streng dem
Takt der Musik, die angiebt, wenn mit grösserer Schnelligkeit oder Lang-
samkeit „am" oder „vom" Orte getanzt werden soll. Das Tanzen am Ort
kann zweierlei sein: entweder geschehen die Bewegungen von ein und
demselben Punkte aus, in welchem Falle sich die Tänzer mit dem Rücken
an ihre Stäbe anlehnen, oder aber in gewissen Linien und Richtungen
innerhalb einer bestimmten Strecke, welche Linien sich aber stets um
einen festen, unveränderlichen Punkt fixieren. Bei der dadurch statt-
findenden Yor- und Rück-, Links- und Rechtsbewegung um einen ange-
nommenen Standpunkt ergreifen die Kaluscharen plötzlich den Saum des
Teppichs oder Strohgeflechts, w-orauf der Kranke kauert, und schleudern
denselben mit dem Rufe: „Auf zum Kalusch!" durch einen heftigen Ruck
dreimal in die Höhe. Darauf treten sie zurück, der Watafin, der sie
während des Tanzes fortwährend mit dem Wasser aus dem Topf besprengt
300 Lübeck:
hatte, tritt in die Mitte, reiht den Kranken mit dem Essig der Schüssel
an Stirn, Händen mid Füssen ein, senkt die Fahne über ihn herab, schwenkt
sie dann über ihm nach den vier Himmelsrichtungen und tritt schliesslich
wieder vom Platze zurück. Der Reigen beginnt von neuem, doch heftiger,
wobei jeder Kaluschar der Reihe nach den Kranken überspringt. Dies
geschieht dreimal. Die Tänzer verlassen nun ihre Stellung um den
Kranken und ums])ringen den abseits vom Kranken befindlichen Topf mit
dem „unangefangenen" Kräuterwasser, während der Leidende an Ort und
Stelle liegen bleibt. Die Musikanten spielen wilder, der Reigen wird
immer stürmischer. Bei jedem Rundgang um das Gefäss besprengt der
Watafin die Tanzenden von neuem, doch diesmal mit dem in der Schüssel
enthaltenen Essig. Dies geschieht mehrere Male. So lange die Kalu-
scharen um den Topf tanzen, befindet sich der Watafin stets an einem
Ort, von wo aus er über die Vorübertanzenden die Fahne senkt. Die-
jenigen, welche in Ohnmacht zu fallen haben, lassen sich öfters erst mit
dem Wasser, später mit dem Essig besprengen als die anderen, auch lässt
der Watafin die Fahne unmittelbar vor ihnen als vor den anderen lierab-
rauschen. Inzwischen haben Essig und Wasser nach und nach magische
Kraft erhalten, die Russalkinnen, in deren Grewalt der Kranke sich befindet,
fangen an sich zu erweichen; der Abkauf. die Ablösung von ihnen muss
jeden Augenblick erfolgen. Auf ein Zeiclien des Watafin spielen die
Musiker das „Floritschika" genannte Elfenlied, das Ende des Tanzes naht,
die Kaluscharen ziehen sich mehr und mehr vom Wassertopf zurück. Auf
ein weiteres Zeichen des Watafin stösst der älteste Kaluschar mit seinem
Stabe auf den Topf, dass er in Stücke zerspringt. Im selben Augenblick
springt auch der Kranke auf, reisst seine Strohdecke an sich und enteilt
vollkommen gesund. Desgleichen entfliehen die übrigen; aber für jene,
welche bewusstlos niederstürzen sollen, ist nun der Augenblick des olm-
mächtigen Zusammenbruchs gekommen. Darauf beginnt ein neuer Reigen,
genau wie zuvor, nur ohne den Topf mit Wasser; die sämtlichen Zeremonien
wiederholen sich, bloss dass an Stelle des Kranken nun die Ohnmächtigen
übersprungen, emporgeschleudert und mit Essig gerieben werden, wobei
eine grosse Schnelligkeit entwickelt wird, da man bei grösserer Zögerung
die Gefallenen nicht mehr zur Besinnung zurückrufen können soll.
Verschiedene Erkundigungen über den Zustand, die Gefühle der
Kaluscharen haben folgendes ergeben (ich füge hier den Bericht eines
Kaluscharen bei): — „Indem ich den Kranken umtanze, emi)finde ich, wie
ich ganz allmählich mich verzaubere. Beim Essigschlürfen fängt mein Kopf
mir zu schwindeln an; wann der Watafin die Fahne über mir flattern lässt,
senkt sich auf meine Augen ein tiefer Nebel. Sobald man das Gefäss
umtanzt, fühle ich bereits nichts mehr und kann mich nicht erinnern, was
wir machen und was der Watafin macht. Im Augenblick, bevor der Topf
zerschlao-en wird, übermannt mich eine unbeschreibliche Schwäche: im
Die Krankheitsdämonen der Balkanvölker. 301
Moment, da man ihn zerschlägt, sinken meine Kniee ein und ich falle." —
Die übrigen Kahischaren, welche nicht in Ohnmacht zu fallen haben, sind
sich soweit klar, dass sie noch bei vollem Bewusstsein fliehen können.
Was die Kranken betrifft, so fühlen sich dieselben durch die um-
ständlich dargestellte Zeremonie tliatsächlich besser, wie aus einigen mir
vorliegenden Berichten zu entnehmen ist. Die Gefühle desselben lassen
sich folgendermassen beschreiben: Auf dem Strohteppich zusammengekauert
empfindet der Kranke eine grosse Schwäche. Dann überfällt ihn allmählich
der Schlaf. So lange er die Kahischaren um sich herumtanzen sieht, fühlt
er sich zusehends leichter. Nach jeder Emporschleuderung nimmt sein
Besserbefinden zu. Wenn die Kahischaren ihn überspringen, ist ihm zu
Mute, als nähme ihm ein jeder mit der Hand etwas von der Krankheit
fort. Wie ihn der Watafin mit dem Wasser aus dem Topf besprengt,
fühlt er sich yollstündig wohl, bloss noch sehr schwach. Beim Zerbrechen
des Gefässes hat er das Gefühl, als werde er von jemandem emporgerissen,
der ihm ins Ohr flüstere: „Fliehe!" Wie dies alles vor sich gehe, sei ihm
unklar und unbewusst. — Im allgemeinen lässt sich dazu bemerken, dass
der Glaube des Kranken im besonderen und der Bevölkerung im allge-
meinen an <lie Heilkraft der Kaluscharen sehr gross ist, was für den glück-
lichen Ausgang der Heilung von Belaug ist.
Am letzten Tage der Russalkawoche (am Sonntag) begeben sich
am Abend alle Kaluscharen zum Watafin, wo die im Hause des letzteren
ausgeübten Zeremonien, wie wir sie geschildert haben, sich wiederholen,
jedoch in umgekehrter Reihenfolge: Ward in der ersten Reihenfolge magische
Kraft geschaffen und erteilt, so wird durch die umgekehrte zweite Reihen-
folge diese Kraft vernichtet. Die Musik spielt, der Watafin verneigt sich
dreimal vor der Fahne, nimmt die angehefteten Kräuter und Gräser herab,
trennt das Tuch von der Stange, legt es unter fortwährendem Gemurmel
und Beschwören bei Seite, zählt alsdann die Stäbe der Kaluscharen ein
und entäussert die letzteren ihrer magischen Kraft. Bei diesem Geschäft
beginnt er mit dem jüngsten Kaluscharen. Dann warten alle nach dem
Abzug der Musiker die Mitternacht ab, begeben sich zu dieser Stunde auf
einen Elfenplatz oder an ein Flussufer. An der Haltestelle zerbricht der
Watafin Fahnenstange und Stäbe, schleudert sie in das vorüberfliessende
Gewässer oder verscharrt sie in die Erde. Die Fahnenstange wird stets
verscharrt. Sollte jemand dieser Szene heimlich beiwohnen, so verfällt er
in Krankheit, die ihn über kurz oder lang hinrafft. Wenn hinwiederum
jemand die Fahnenstange ausgräbt, so wird er stumm, wahnsinnig und
stirbt schliesslich pach langem Leiden.
Nach Vollendung dieses letzten Aktes waschen sich alle Gesicht und
Hände. Der Watafin besprengt dann sämtliche Kaluscharen mit einem
für diese Szene besonders zubereiteten Zauberwasser (Rückversetzungs-
wasser), wodurch dieselben wieder gewöhnliche Menschen werden. Alsdann
302 Lübeck:
kehrt man in das Haus des Wataüns zurück, teilt den Gewinn zu gleichen
Teilen nnd verbringt den Rest der Nacht und wohl auch den folgenden
Tag in Saus und Braus. Mit dem gewonnenen Gelde werden zunächst die
Kosten für Musik, Gefässe u. s. w. bestritten. Ausserdem hat jeder Kalu-
schar dem "Watafin den Zehnten seines Anteils abzutreten. — Alle mög-
lichen Zwistigkeiten, die bis dahin entstehen konnten und etwa noch am
letzten Abend entstehen könnten, entscheidet der Watafin, wobei der Be-
merkung wert ist, dass zur Zeit der Türken die Zwiespältigkeiten jener
von keinem türkischen Gericht zur Entscheidung angenommen wurden. —
Gesellschaften von Kaluscharen giebt es heute nur noch ganz wenige, doch
sollen sie noch in Rumänien vorkommen.
Mit diesen Schilderungen hätten wir im grossen Ganzen alles Er-
wähnenswerte mitgeteilt. Doch habe ich vor Abschluss meiner Skizze
noch eines Tages zu gedenken, der mein Bild vervollständigt, des Eniow-
tages, der eine ganz besondere Stellung unter den Krankheitstagen ein-
ninmit.
Nach einem Yolksglauben giebt es, wie früher erwähnt, 77 Va ^^^'-
schiedene Krankheiten in der Welt. Der Bruch Va ^^'^^ jedenfalls keine
weitere Bedeutung als die, dem numeralen Begriff 77 grösseren magischen
Geschmack und gefährlicheres Aussehen zu verleihen. Es wäre unrichtig,
die Grösse Va ^twa mit dem Pestkinde in Beziehung setzen zu wollen,
zumal unseres Wissens weder in hiesiger noch wohl auch in einer anderen
Volkssprache die Anwendung von Bruchgrössen volkstümlich ist. Wir
wenigstens erinnern uns keines einzigen nachweisbar volkstümlichen Aus-
drucks in den Balkanidiomen noch auch in den neuen oder alten Sprachen
Europas u. s. w., wo Bruchteile selbständig und volkstümlich aufträten.
Selbst in den zur Zeit aufgeschriebenen Weistümern hiesiger Gegenden
ist uns der Ausdruck 77 Vg niemals begegnet. Nur eine einzige Volkssitte,
auf die wir sogleich zu sprechen kommen werden, scheint den Begriff ^/g
in der Verbindung 77^2 als volkstümlich zu erweisen. Die 77 7o Krank-
heiten versammeln sich nach dem Glauben des Volkes alle Jahr einmal
und zwar am 24. Juni. An diesem Tage leben sie in grösster Fröhlichkeit,
baden und schmücken sich, wechseln die Kleidung und spielen und tanzen.
Für jede Krankheit der Welt giebt es nun ein besonderes Heilmittel und,
wie gezeigt, besondere Festtage. Da aber der Mensch in seiner irdischen
Unvollkomrnenheit nicht alle Pleilmittel noch auch die Tage aller Krank-
heiten kennt, durch welche erstere Heilmittel und an welchen letzteren
Krankheitsfesttagen die gewünschte Heilung eintreten kann, da selbst das
beste Heilmittel ohne Erfolg bleibt, sofern es nickt am bestimmten
Dämonentag verabreicht wird, so ist dieser Tag des 24. Juni zum
Sammeln aller Heilkräuter und zur Verehrung aller Krankheitsgeister
bestimmt, damit ja kein Krankheitsgeist und ja keine ihm etwa zugehörige
Pflanze vernachlässigt werde. Früh vor Morgendämmern dieses Tages
Die Krankheitsdämoneu der Balkanvölker. 303
ziehen die jungen ledigen Leute, Mädchen und Burschen, hinaus ins Freie,
in Feld und Wald. Oft geschieht solch ein Auszug unter Anführung eines
alten Mütterleins, einer Babitschka, denn diese ist die einzige, die durch
ihre ausserordentlichen Kenntnisse der Heilpflanzen die Jugend über Fundort
und Verwendung solcher Pflanzen unterrichten kann. Aber nicht nur diese
Kenntnis ruft diese Mütterlein unter die jugendliche Schar, nein, auch
eine ihnen bezeigte Ehrfurcht. Sie spielen namentlich bei der Geburt eine
hochwichtige Rolle, da sie für die in Wehen liegende Mutter die einzige
Hülfe sind. Durch die Herbeiziehung dieser Babitschki zum Pflanzen-
sammeln erkennt die Jugend die hervorragende Bedeutung dieser Frauen an
und erhält der Eniowstag eine besondere Bedeutung, indem er durch die
Teilnahme der Babitschki mit der Geburt in engere Beziehung gesetzt
wird, daher denn auch namentlich solche Blätter, Blüten, Wurzeln u. dgk
gesammelt werden, deren Verwendung die Geburt erleichtern und den
Lachussengeistern, welche der Rodulja (Wehnmtter) und des Kindes sich
bemächtigen wollen, die Angriffe auf das Leben erschweren sollen.
Auf diesen gemeinsamen Ausflügen flechten die jungen Leute Kränze,
durch welche sich nicht nur die Kranken, sondern auch die Gesunden „auf
gegenseitiges Wohlsein" hindurchwinden, in welcher Zeremonie vom Volke
natürlich eine heilsame Magie oder Bannung angenommen wird. Dass in
diesen Kranz aucli Zauberkräuter wie Enzian u. s. w. gewunden werden,
versteht sich von selbst. Während des Hindurchschlüpfens singen die
Mädchen gewöhnlich folgendes, teils auf den Kranz, teils auf die Geburt
bezügliche sonderbare Lied:
1 Es rühmte sich die Maid Angelinka, Dann werden wir zu deinem Vater zu
Angeliuka, die wimderschöne: Gaste gehen."
..Ich bin eine Maid, ich bin eine Maid Am Tage trug sie die Schuhe,
Von hohem Geschlecht, 20 Am Abend begrub sie sie im Feuer,
6 Mich kann kein Bursche, Am Morgen begoss sie sie mit (Zauber>
Kein Bursche kann mich anführenl" wasser.
Als dies die Schlange auf dem Berge Da zerrissen die Schuhe, da gebar sie ein
hörte, Kind,
Entfaltete sie zwei rote Büschel, Und sie zogen nun zu Vater zu Gaste.
Nahm zwei süsstönende Kawale^) -Sie begegneten fünf Wagen mit Heu,
10 Und setzte sich dem Mädchen zu Füssen 25 Fünf Wagen mit Garben.
Und spielte bis Mitternacht Angelina sagte zur Schlange:
Und belog die Maid Angelinka. ^Höre, Schlange, feurige Schlange!
Es entfloh die Maid Angelina, Kannst du das Heu anzünden,
Sie [die Schlange] fühi-te sie auf die Das Heu anzünden und die Garben ver-
Stara Planina ^J brennen?*
15 Und machte ihr eiserne Schuhe. 30 Angelina antwortete die Schlange:
„Wenn du die eisernen Schuhe zerreisst, „Nicht vermag ich das Heu anzuzünden.
Wenn du ein männliches Kind gebierst, Noch auch die Garben zu verbrennen,
1) V. 9 „Kawäl", ein sehr weichtönendes, flötenartiges Instrument, das eigentliche
Xationalinstrument der Bulgaren und Macedonen.
•2) V. 14 Stära Planina d. i. „alter Berg", der ursprüngliche Hännis, heute Balkan.
304 Lübeck: Die Kraiikheitsdämonen der Baikauvölker.
Denn im Heu, im grünen Gras, Aber nimm mir den Kranz herab,
Denn zwischen den Garben unter den Im Kreuz durchschreite die Wiese,
Stengeln Sammle Schlangengekräut,
35 Gähren mächtig heilkräftige Kräuter, Der Schlange verderbliche Gräser,
Schlüsselblume, Wermut und Enzian, so Gräser, Rainfarn, Schlüsselblume,
Heilsame Gräser, nichtswürdigeKräuter!"') Wermut und Hirtenenzian.
Als sie ans Ende des Dorfes kamen. Mit diesen, oh Mutter, wasche mich.
Wandelte sich die feurige Schlange Und in dem Wagen auf der Wagenstange
in einen Kranz. Bedecke mich mit Büffelhaut."
40 Als Angelina erreichte 55 Dies wirkte die Mutter.
Das Haus ihres Vaters, Als Angelina zurückkehrte^).
Lief herbei ihre Mutter, Zu sehen die Wiege mit dem Kinde,
Die Wiege zu fassen. Zu sehen nach dem Haken mit dem Kranz,
Angelina sagte der Mutter: Da war kein Kind mehr in der Wiege
45 „Rühr" mir die Wiege nicht an, co Und an dem Haken kein Kranz.
Der Kranz wird aufbewahrt und wenn ein Kind an der „bösen Krank-
heit" erkrankt, so schwenkt man zur Heilung und Beschwörung der Krank-
heit das Rauchfass mit brennenden Kranzblättern über dem Kinde.
Die Pflanzen, die teils ganz, teils nur in Blättern, Blüten, Stengeln,
Wurzeln u. s. w. Heilkraft haben und an diesem Tage gesucht werden,
sind magisch verwandte Pflanzen. Besonders aber wird das Eniowsblümchen
gesucht und als Heilpflanze gegen Röteln (?) verwendet. Wer persönlich
keine besonderen Heilpflanzen braucht und sucht, sammelt sich Gräser
und Kräuter und zwar 77erlei und nimmt von einem 78sten noch die
Hälfte. Mit diesen 77 Va verschiedenen Kräutern und Gräsern, die der
Zahl mich den 77 Vg existierenden Krankheiten und Krankheitsgeistern
entsprechen, behandelt man die verschiedensten Krankheiten, stets in der
Hoffnung, den einen oder anderen noch unbekannten Krankheitsdämon
und -tag oder seine Heilpflanze zu finden. An diesem selben Tage werden
auch Binsen zu Besen gesammelt und gebunden, womit das Haus von den
bösen Geistern und dem Talassüm') reingefegt werden kann. Ausserdem
werden an diesem Tag Kräuter gesammelt, die die Macht haben. Zu- oder
Abneigung zwischen Mädchen und Burschen zu erregen. Am gleichen
Tage begeben sich die Kranken in Teiche, Seen, Sümpfe, Flüsse u. s. w.,
um sich durch ein Bad zu heilen. Diese Wasser sind heilkräftig, weil an
diesem Tage die Krankheiten selber sich in ihnen gebadet haben. — Der
Eniowstag ist ferner noch der Tag der Zauberer und Hexen des Feldes.
1) V. 37 „heilsam", d. i. für die von geisterhaften Wesen mit Krankheit Geschlagenen,
„nichtswürdig", d. i. in Beziehung auf solche Unwesen, denen durch solches Gekraut die
Macht über den ihnen verfallenen Menschen genommen wird.
2) V. 56 ..zurückkehrte", d. h. nachdem die Mutter alles mit ihr vorgenommen und
sämtliche Aufträge erfüllt hatte.
3) Talassiim, ein äusserst gefährlicher Geist.
Gabrovo in Bulgarien.
Schwartz: Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 30
Heidnische Überreste in den Volksüberlieferungen
der norddeutschen Tiefebene.
Von Wilhelm Schwartz.
(Schluss von Zeitschrift IX, 130.)
[Vorbemerkung des Herausgebers. Am IG. Mai 1899 starb Wilhelm Schwartz:
auf seinem Schreibtische lagen Bogen, Briefe und Postkarten, welche das Material für den
Schluss seines Aufsatzes enthielten, in dem er die angefochtenen heidnischen Gestalten
der Mark und ihrer westlichen und südlichen Nachbargaue gegen unüberlegte Angriffe
verteidigte. Am lö. Mai hatte ich noch ein kurzes Gespräch darüber mit ihm führen
können, in vier Wochen hoffte er mir die Arbeit zu übergeben, er war scheinbar in der
Genesung. Aber er hatte mehrere der von ihm beschriebeneu Blätter des Entwurfs mit
meinem Namen bezeichnet, um für jeden Fall den zu nennen, der sie übernehmen solle. Die
Familie hat mir sie zugestellt, Vorarbeiten, die durchaus nichts fertiges enthalten, zumal
W. Schwartz den einzelnen bestätigenden Berichten, die er über Harke und Frick neuer-
dings hatte einziehen können (oben S. 135), doch noch einige Erörterungen zufügen wollte,
wie hingeworfene schriftlicHe Sätze anzeigten. Es sind Ansätze, oft für dasselbe in drei-
oder vierfacher Gestalt, aber nichts fertiges. So ist denn das Folgende, was ich nach dem
Wunsche des feuern Verstorbenen vorlege, nur Bruchstück, mehr Bruchstück, als ich hoffte
und wünschte. Ich selbst habe nichts aus eigenem zugefügt, sondern nur das Vorhandene
zu ordnen gesucht. K. Weinhold. 1
Die mir über alles Erwarten von Geistlichen und Lehrern auf meine
Anfragen gewordenen Mitteilungen geben nicht bloss Bestätigungen, sondern
auch neue Gesichtspunkte für die betreffenden Wesen des Volksglauben.
A. Kuhn fasste sie unter dem Namen der Zwölftengottheiten zusammen,
und ich habe mich dem angeschlossen, weil beim Sammeln uns dieses
Moment in den Vordergrund trat. Aber die neuen Erhebungen bestätigen
nur, was mir immer wahrscheinlicher geworden, dass die Beziehungen zu
den Zwölften nur im Norden mehr hervortreten, und dass das gebotene
Unterlassen des Spinnens nicht bloss in den Zwölften, sondern auch zu
Lichtmess, zur Fastnacht und an jedem Sonnabend, wie das Verbot auch
anderer Haus- und Hofarbeit zu diesen heiligen Zeiten (was schon A.
Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube, § 619 nachwies) die Ansicht be-
stätigt, dass jene heidnischen Gestalten allgemeiner zu fassen und nicht
bloss auf die Zwölften zu beziehen sind.
Frau Harke, Herke»^)
(Haake, Arche, Harfe.)
Jerichow I. H.
Saudau. Camern und Umgegend, Schollene, Ferchel, Neuermark, Hohen-
göhren (Frau Harke); Boecke (Haake, Haak); Rogäsen (Arche), Werbig,
Jerchel, Tucheim (Frau Harfe), Viesen, Mahlenzien (freie Harfe).
1) [Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass die folgenden Aufführungen nur
die Ergebnisse der neuen Nachforschungen von W. Schwartz sind, nicht das ganze vor-
handene Material über Frau Herke-Harke geben wollen. K. W.]
306 Schwartz:
Havelland (Frau Harke).
Paretz, Leiitzke, Uetz. Bariiewitz, Hobennauen, Gortz, Perchesar, Liepe.
Zaiiche (Frau Harfe).
Krahne, Lehnin, Nahniitz, Xetzen, Bliesendorf.
Teltow.
Dergischow, Kummersdorf, Christiuendorf, Thürow (Frau Harke),
Wittstock (Frau Arche); Gadsdorf (Frau Herkster).
Barnim (Frau Herkeu).
Lanken, Preuden, Lichterfelde, Chorinchen, Biesenthal, Goltze, Alt-
hüttendorf, Falkenberg', Toruow bei Frauenthal, — Heiligensee bei Tegel
(Frau Harfen, Herften).
Ruppin (Frau Harke).
Protzen, Stöffin, Küdow, Dabergotz, Falkenthal (Kr. Templin).
Neumark (Frau Herke).
Glasow, Zollen (Kr. Soldin), Döbbernitz (Kr. Weststernberg).
Jüterbog; Flämrng.
Borgisdorf, Wölmersdorf (Frau Herke); Petkus, Fröhdeu (Frau Harke);
Märtensmühle (Frau Herksten).
Nieder-Lausitz.
Gr. Krausnigk (Kr. Luckau, die faule Harke). Langengrassau bei Ukro
(Hörke, Hirke).
Kreis Schweinitz (Prov. Sachsen).
Jessen, Seyda; Grochwitz bei Torgau (Frau Herke).
Gebiet der ollen Häksche.
Hasslebeu, Kreis Halberstadt; Lebenstedt, Lesse, Kreis Wolfenbüttel;
Seesen, Ildehausen, Sebaldshausen, Kr. Gandersheim.
Als Drohwort beim Spinnen gebraucht in Abbenrode, Aspenstädt, Sarg-
städt. Kr. Halberstadt; Wernigerode, Stapelburg, Kr. Wernigerode; Harz-
burg, Kr. Wolfeubüttel; Klipperkrug bei Wülperode, Kr. Goslar; Bockenau,
Kr. Hildesheim; Langeleben, Königslutter a. Elm.
Aus diesen Nachweisen ergiebt sich nun zunächst, dass das Gebiet der
Prau Herke oder Harke, „die Harkezone", von weit grösserem Umfange
ist, als man bisher angenommen hat. Es umfasst, bloss die altmärkischen
Kreise Jerichow L IL und die betreffenden Teile der Mark berechnet,
14 778 qvi^ d. h. fast so viel als das Königreich Sachsen.
Aus der Korrespondenz folgt eine Auswahl, welche vornehmlich das
Unterlassen des Spinnens zu bestimmten Zeiten unter Einwirkung der Frau
Herke oder Harke belegen soll.
Meiner Mitteilung von neulieh füge ich noch hinzu, dass man ausser in Stöffin
und Palkenthal auch in Küdow und Dabergotz Frau Harke noch kennt. Man
Heidnische Überreste in der norddeutschem Tiefebene. 307
sagt: Wenn zu Lichtmessen die Mädchen die Heede nicht abgesponnen haben, so
kommt Frau Harke und „se makt en wat in de Hede". Auf diese Redensart
scheint sich heutzutage die Kenntnis der Frau Harke in der Grafschaft (auch in
Falkentbal) zu beschränken. Mehr erzählt man sich in der Gegend von Havelberg
von ihr, wie Ihnen bekannt ist.
Neu-Ruppin, den -IS. Juni 1893. K- E. Haase.
Das Spinnen hört mit Mareien (Maria Reinigung, Lichtmess) auf; so in den
meisten Orten der beiden Kreise Jerichow und bei Targermünde, sonst „kommt
Marie und pustet das Licht aus". In Wüsten-Rogäsen, zwei Stunden südlich von
Tucheim, muss Lichtmess fertig gesponnen sein, was teilweise auch hier (in
Tucheim) Sitte ist. In den Zwölften wird in hiesiger Gegend alle Tage gesponnen,
nur an den Sonn- und Feiertagen und am Sonnabend nicht. (Bei Salzwedel darf
auch am Donnerstag nicht gesponnen werden.) Wer am Sonnabend seinen Wocken
nicht abgesponnen hat, zu dem kommt Frau Harfe (in Wüsten-Rogäsen Frau
Arche) und verunreinigt denselben, oder die Worte zu gebrauchen, wie ich sie
hörte: „Frau Harfe schitt di w^at." Wer mit seinem Wocken zum Sonnabend nicht
fertig geworden ist, nimmt ihn vom Spinnrad und verbirgt ihn bis Montag.
Tucheim bei Genthin, den 30. Juli 1894. G. Schäfer.
In hiesiger Gegend wurde am Sonnabend und in den Zwölften früher nicht
gesponnen, weil man annahm, das sonst die Hexen mitspinnen und das Garn
nicht halten würde. Spinnen in den Zwölften sollte auch bewirken, dass die
Kinder das Sabbern lernten. Frau Harke ist hier gänzlich unbekannt.
Görzke (Kr. Jerichow I), den 5. November 1894. W. Kerkau.
Die Reminiscenz an die Frau Harke findet sich bei uns auch noch, doch
lautet der Name hiesigen Orts Harfe.
Krahne (Zauche), den L Februar bsyö. Schinker.
Die Leute wissen noch sehr wohl, dass am Tage vor Weihnachten und vor
Neujahr der Wocken abgesponnen sein muss, wenn nicht Frau Harfe oder de
Marte (Marder i) ihn besudeln soll. Es dürfen zwischen Weihnachten und Neujahr
keine Hülsenfrüchte gegessen werden, sonst giebt es Geschwüre oder es kommen
Maden in den Flachs.
Netzen bei Lehnin, den 7. Januar 18'.'5. Müller.
Wenn sie den Wocken zu Weihnachten nicht abkriegen, kommt die olle Frau
Harke und macht in den Wocken (von einer TOjähr. Frau in Kummersdorf, Kr.
Teltow; eine andere ebendort sagte: in de Dretehn kommt die Frau Arche). —
Wenn sie zwischen Weihnachten und Neujahr den Wocken nicht abgesponnen
hatten, kam die Frau Herkster und hat darin gekackt (ein alter Mann in Gads-
dorf, Kr. Teltow). Frau Harfen macht was in den Wocken (Lüdersdorf;.
W. V. Schulenburg.
Wenn einer zu Weihnachten nicht abgesponnen hat, dann kommt Frau Hirke;
dies teilten mir zwei Landfrauen aus Langen-Grassau mit, von denen eine sehr
alt war. W. v. Schulenburg.
Über die Zwölften darf kein Wocken auf dem Spinnrade bleiben, sonst kommt
Frau Harke und besudelt ihn. Ebenso hielt man früher darauf, dass während
der Zwölften kein Mist aus dem Stall geschafft oder aufs Feld gefahren wurde,
weil sonst der Moll (Maulwurf) den Acker zu sehr zerwühle. Das Spinnen hat
1) Missverständnis: Mcarte, Mär ist das bekannte nd. Wort für Alp, Eibin.
308 Scht\'artz :
hier zwar nachgelassen, aber es wird doch immer noch recht fleissig gesponnen
von Frauen, Mädchen und auch Männern, besonders älteren. Die Mädchen haben
nach wie vor im Winter ihre Spinten. Auch eigene Webstühle haben die Leute
noch, doch das Weben lässt von Jahr zu Jahr nach. Sie lassen sich ihren selbst-
gesponnenen Flachs vielfach in Fabriken weben.
Petkus (Kr. Jüterbog), den -2]. März 1809. Feller.
Es wird Sonnabends nirgends Spinnstube gehalten, weil sonst Frau Hörke
kommt und den Rocken verwirrt. Über Feiertag darf kein halbabgesponnener
Rocken im Hause stehen bleiben. — — Im übrigen möchte ich bemerken, dass
die Spinnstuben mehr florieren als je. Durch den Zerfall der alten Zucht und die
schrankenlose Zufuhr von Schnaps, Grog und Bier sind sie ein Tummelplatz Satanae
geworden.
Langengrassau bei Ukro, den 10. April 1899. Kuhlmey.
Frau Harke ist nicht ganz unbekannt, sie existiert in der Redensait: sie geht
wie Frau Herke. Doch war nicht zu ermitteln, ob damit die Tracht oder die
Art zu gehen bezeichnet werde. Eine Schmeichelei scheint aber die Redensart
nicht zu sein.
Jessen (a. d. schwarzen Elster), den 5. April 1899. Hosch.
Ich kann nur mitteilen, dass wohl die Sitte, am Sonnabend Abend nicht zu
spinnen und keinen Flachs auf der Diesse zu belassen, hier geherrscht hat und
zum Teil noch besteht, der Grund dafür aber nach Aussage der ältesten Leute nur
in den Aufräumungsarbeiten für den Sonntag zu suchen sei. Nur einige wollen
von einer Hexe etwas gehört haben, wissen aber den Namen derselben nicht an-
zugeben.
Cochstedt bei Aschersleben, den 1. November 1898. Tripler.
So lange hier in Harsleben gesponnen wurde, durfte es Sonnabends nur bis
zum Feierabendläuten geschehen. Dann musste der Wecken aus der Stube entfernt
und durfte erst Montag Morgen wieder hereingebracht werden, da man sonst behext
würde.
Harsleben bei Halberstadt, den 30. September 1898. O. Sand.
Die älteste Frau hier kann sich auf nichts mehr besinnen. Dagegen hat mir
deren aus Veckenstedt stammende Schwiegertochter erzählt, dass dort das von der
Spindel abgenommene Garn Sonnabends nicht aufgehängt werden durfte und dass
ihr eigener Grossvater, ein Schäfer, sobald er diese Unachtsamkeit bemerkte, das
Garn sofort mit einer Schere durchschnitt, „damit die Lämmer nicht zu früh ge-
boren würden".
Minsleben, Kr. Wernigerode, den 29. Januar 1899. Fr. Wernicke.
Unter den hiesigen Bauern hat der Aberglaube geherrscht, am Sonnabend, zu
den Zwölften und in der Fastnacht dürfe nicht gesponnen werden. Die alten
Spinnerinnen sagen nur, man hätte Strafe. Unglück in der Liebe oder ähnliches
als Grund vorgeschoben.
Silstedt bei Minsleben, den 11. Dezember 1898. Hartmann.
Die meisten der Befragten erinnerten sich, dass, als noch gesponnen wurde,
am Sonnabend Mittag die Zahl (de Tal) voll und die Diesse leer sein musste.
Hatte ein Mädchen de Tal nicht voll, so wurde ihm gesagt: „Du kümmst in den
Mänd, klk hen, et sitteter all wecke inne!" War am Sonnabend Mittag der Wecken
nicht leer und ein Topp auf der Diesse, dann rief man dem Mädchen zu: „De
olle Hak sehe kümmt und schitt in dinen Topp."
Heidnische Überreste in der norddeutschen Tiefebene. 309
Die jungen Mädchen sind in Seesen beim Spinnen vor der alten Häksche sehr
auf der Hut gewesen. Noch heute werden dort unordentliche und faule Kinder
mit dem Ausrufe: „Warte, die alte H;lksche muss wohl erst kommen" zur Ordnung
angehalten.
Neugierigen Mädchen rief man in Lesse in der Spinnstube zu: „Du bist wie
de olle Haksche!" Noch kürzlich hörte ich hier in Lesse abends auf der Strasse,,
(lass ein Mädchen dem anderen zurief: „Du hast wol wedder horchet, du olle
Haksche." Das angeredete Mädchen rief zurück: „Rlk mal selvst olle Haksche."
Lesse in Braunschweig, d. 14. Okt. 98. i) 22. Nov. 98. A. Hörn.
In Lebenstedt (Braunschweig) wurde früher darauf gehalten, dass am Sonn-
abend die Diesse abgesponnen war. Auf die Frage warum? antwortete eine alte
Frau: „Ach dann kam de olle Häksche un raakte doa wat herin !"
Lebenstedt, den 22. Oktober 1898. (Undeutlicher Name.)
Die hier wohnende, aus der Umgegend stammende 78jähr. Frau "VV. sagt, im
Scherz habe man jungen Leuten gedroht: „Wenn deck aber de olle Haksche
kriegt." Der 79jährigen Frau V. in Sebaldshausen bei Gandersheim ist bekannt,
Neujahr durfte die Diesse nicht bewickelt sein, sonst käme de olle Haksche und
zerreisse oder besudele sie. Heute noch heisst es bei der Jugend von Sebalds-
hausen „de olle Haksche kummt", wenn es gilt jemand bange zu machen. Am
Sonnabend hat Frau V. der Sitte des ganzen Dorfes gemäss nie gesponnen, weil
man sonst kein Glück hätte, auch fürchtete, dass eine Gestalt erschiene. Ob diese
de olle Haksche sei, wusste sie nicht. Am heil. Dreikönigstage hat sie nie ge-
sponnen, ihr Vater hat sogar den ganzen Tag gefastet, obgleich er lutherisch
i^ewesen ist. Spinnen thun die Leute in Sebaldshausen noch viel, auch die Kinder.
Die Mädchen erzählen, dass noch heute behauptet wird, die olle Haksche käme,
wenn am Sonntag gesponnen werde, und zerzause den Flachs. „Am Sonnabend
spinnen die Faulen.'^
Gandersheim, den 12. Dezember l.s98. Brackebusch.
Frau Fricke, Frick, Fuik.
I Vornehmlich in der Uckermark bekannt und am Nordrand des Harzes: W. Schwär tz oben
S. 123—125, ferner Norddeutsche Sagen S. 414 f., sowie die Mythologisch -ethnologische
Üliersichtskarte zu W. Schwartz, Zur Stammbevölkerungsfrage der Mark Brandenburg.
(Märkische Forschungen. Berlin 1887.)]
De olle Frick: Diese Kamensform ist bezeugt worden aus Storkow
i. (1. Uckermark, 12. Aug. 1896, aus Röpersdorf i. d. Uckermark, 9. Nov.
1898, aus Torgelow in Pommern, 15. Dezbr. 1898; Fru Fregge und Fru
Flicke aus Langenstein b. Halberstadt, 10. Okt. 1898, Fru Frieseke (macht
in de Dieseke) Zilly b. Halberstadt, 15. Sept. 1898. Die Form Fuik aus
Prenzlau (mehrfach, 8. März, 21. Mai, 2. Juni 1896, 10. Januar 1899), aus
Hellmitz b. Prenzlau, 24. April 1896, aus Welsow b. Angermünde, 25. März
1896, aus Brietzig bei Nechlin (Ende des Briefes mit Datum und Namen
des Berichterstatters fehlt); de Fuike aus der nördlichen Uckermark,
21. November 1898.
1) [Für das Braunschweigische bezeugt auch R. Andree in seiner Braunschweiger
Volkskunde (1896) noch das Vorkommen der spottweisen Bezeichnung irgend eines Frauen-
zimmers mit de olle Häksche.]
Zeitsctir. d. Vereins f. Volkskunde. 1S99.
21
310 Sclnvnrtz: lleiduischc Überreste in der iiorddoutselien TiefobcüC.
Fui wird neben Fuik von Herrn J. Bertram am 3. August 189G aus
Prenzlau bezeugt, ist aber von ihm nur bei einer einzigen Familie gefunden,
die angab, dieser Name bedeute so viel als pfui, weil der Kobold den
Wecken besudele. Sie fasste das Wesen männlich, ebenso wie auch der
Zeuge aus Brietzig bei Nechlin von dem Fuik sprach, „dat is en Düwel'^
In den Zwölften und Sonnabends durfte nicht gesponnen werden, Vietmanns-
dorf bei Teraplin (Uckermark), auch nicht in Storkow, wo es bis in die letzten
Jahre hiess, sonst kommt de olle Frick. 12. Aug-. 96 (Schönian). In den Zwölften
war es nicht üblich zu spinnen. In einem Fall war von der Frigg die Rede.
15. Dez. 1898 (F. Sauer).
Von Weihnachten bis Neujahr blieb der Flachs nicht auf dem Wecken, sonst
holte ihn de Puike (von einer Frau aus der nördl. Uckermark gehört) von R. Ohle
in Golzow, südl. Uckermark. 21. Nov. 1-S98.
Wenn die eine oder andere beim Spinnen ein Versehen machte, rief man ihr
in Hellmitz bei Prenzlau zu: „Du, die oll Fuik kömmt de Nacht un räufelt alles
wedder uf." Nach Mitteilung der Frau Lüdke in Boizenburg, einer Hellmitzerin.
24. April 1896.
Von Weihnachtabend bis Dreikönig w^ard das Spinnrad bei Seite gestellt und
nicht gesponnen, sonst kam de Fuik, verwirrte das Garn und riss es herunter,
brachte auch der Spinnerin noch anderes Böses. Prenzlau, 8. März 96 (Name nicht
erhalten, unvollständiger Brief).
In den Zwölften durfte nicht gesponnen werden, sonst käme de Fuik. Velsow
bei Angermünde, 25. März 96 (Kirchner).
Am Jahresschluss mussten die Rocken leer, auch andere weibliche Arbeiten
fertig sein, süs schitt de Fuik in, sagten die Mütter zu den Töchtern (Brietzig bei
Nechlin).
„Nun spinnen, dass der Flachs nicht verdirbt, zur Fastnacht ist es gar (d. i.
hört das Spinnen auf)'\ sagten in Langenstein bei Halberstadt Mütter zu den
Töchtern oder Mägden, dabei nannte man die Fru Fricke, ohne zu wissen, was es
für ein Wesen sei. 10. Okt. 98 (Wendt).
Sylvester durfte kein Garn aufgespult, kein Wecken aufgesteckt, kein Leinen
aufgespannt sein; sonst kommt Frau Frieseke und macht in die Dieseke, hiess es
in Zilly bei Halberstadt. 15. Sept. 9S (Sperling).
An den Vorabenden zu Sonn- und Pesttagen durfte nicht gesponnen w^erden;
„sonst kommt die Hexe oder de Dübel und beschmutzt den Flachs'-, sagte man
in Derenburg bei Halberstadt. 17. Mai 99 (Moldenhauer).
An den Sonnabenden der Sonn- und Festtage wird noch jetzt nicht gesponnen:
von Fru Frien keine Spur mehr. Veckenstedt bei Halberstadt (Lehmann).
Ebenso nicht in Wasserleben bei Halberstadt, „weil kein Segen darauf ruhe''.
23. Jan. 99 (Wackernagel).
Prato: Ver-leiclioiidp Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. 311
Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs
Fastnachtspiel Der Teufel mit dem alten Weib.
Von Dr. Stauislaus Prato in Arpino.
(Zcitschr. IX, 189-194.)
Eine volkstüniliclie römische Fasssuiig der obigen Erzählnng aus Viterbo
(S. 190) findet sieh in Tlie Folk-Lore of Ronie, collected by word of
mouth froni the people by R. H. Busk, London 1874, p. 411—16: The
happy Couple; eine gleichfalls römische Version besitzt auch mein Freun<l
Fr. Sabatini, wie er mir mitteilt, in seiner noch unedierten Sammlung
römischer Geschichten. Von litterarischen Versionen vergleiche man: Das
Fastnachtspiel von Hans Sachs, Der Teufel mit dem alten AVeib (Sämtliche
Fastnachtspitde von Hans Sachs, herausgegeben von E. Götze II, 59—69).
Ferner H. W. Kirchhoffs Wendnnmut, I, 366, Tübingen 1<S69, mit den
Nachweisungen vou Oesterley, V, 60.
Eine französische Version steht im Grand Farangon des nouvelles
nouvelles, compose p. Nie. de Troyes, publie p. E. Mabil, Paris 1869,
p. l-_)8 — 34, no. 32: D'uue vieille, a qui le diable donna or et argent pour
faire que ung homme et sa fomme, (pii bien s'eutr'aymoient, eussent noise
ensemble, la quelle chose eUe lit et gagna son argent^); s. auch La Vita
et le Opere dl Giulio Cesare Croce von 0. Guerrini, Bologna, S. 217, wo
die betreffende deutsche Erzählung aus Salonion und Markolf 917 — 1008
(v. d. Hagen und Büsching, (ied. d. Mittelalt. I.) sich wiederfindet. Zwei
spanische Versionen enthält ilas Libro de los enxemplos von einem unge-
nannten Verfasser, no. 370: Vetula prava deterior est diabolo (Peor que
diablo es mala vieja Su aquijon mas dauna que de abeja) p. 536 in der
Bibl. de los ant. espaü. desde la formacion del lenguaje hasta nuestros dias,
t. LI (Escritores en prosa anteriores al siglo XV recogidos e ilustrados por
Don Pascual de Gayangos, Madrid 1859); Libro de Patronio, e el Conde
Lucauor de Don Juan Manuel; Obras de Don Juan Manuel, p. 410—11;
Enxemplo 42^) De lo que contesciö ä una falsa beguina (in einigen Hss.:
De lo que contesciö al diablo con una mujer pelegrina). Zu den spanischen
Versionen vgl. noch: Patranuelo (Novellenbuch) des Juan Timoneda vou
Alcala, no. 1576, no. 48 und Ferd. Wolf, Komanzensammlung Rosas, p. 196.
1) Die folgende Erzählung, No. 33, beweist sogleich, wie begründet das ungünstige
Urteil über die Frau ist; auch sie dreht sich um die ungeheure Verschmitztheit der Frau,
worin sie selbst den Teufel übertrifft. Der Inhalt ist folgender: D'ung jeune compaignon
qui se donna au diable pour avoir une jeune fille en mariage, et comme il fut rescous du
diable en luy monstrant a l'adveu de sa femme une beste qu'il ue cognoissoit point.
2) (jlrimm (a. a. 0.) citiert fälschlich No. 48 statt 42.
21*
312 Prato:
Hinsichtlich der speciell gerniaiiischen Hagiogvaphie vgl. die folgenden
Schriften: Theatrum historicum, sive promptuarinm illustrium exemploruni
initio (juidem a rev. viro D. A. Hondorffio, idiomate Germanico conscriptuni,
iam vero labore et industria Philipp! Leoniceri . . . latinitate donatuni,
Francforti 1633, p. 534: Exempla sexti praecepti: De odio et invidia diaboli
erga couiugatos^); Speculnm exemploruni omnil)us cliristicolis salubriter
inspiciendum, ut exemplis discant disciplinam, 1481, f. IX, uo. 93: Invidia
(die Erzählung lehnt sich an diejenige in der soeben erwähnten Scala celi
an); Pomerium sermouum quadragesimalium auctore Pelbarto de Temes-
var II: De vitiis in genere et specie; Joh. Herolt, Serniones Discipuli de
Tempore et de Sanctis cum exemploruni promptuario, Venetiis 161'2: Sermo
96. Editio nova Axiomatum oeconomicorum accessione ninltarum novaruni
Regularum multarumque Sententiarum et Exemploruni aucta et locupletata
a Greg. Richterio Gorlicio, Gorlicii 1615, p. 236, Exempla II; Luthers Tisch-
reden 1566, Kap. 36, S. 447, Leipzig 1621 (s. auch 303b, 437b zuMatth.):
Historia wie der Teufel durch ein altes Weib zwei Eheleut wider einander
verhetzet; P. H. Drexelii, S. J., Opera omnia t. II: Aurifodina artium et
scieutiarum omniuni, III, c. II: Altera singularis industria: Lusus urbani^
facetiae, sales et joci, p. 774 (Erzählung des 10. Gastes).
Bei Hans Sachs erzählen sich die Eheleute einen hässlichen Traum;
dem Manne erscheint darin, dass die Frau ihm die Augen auskratze, und
als er davon erwacht, fühlt er einen tiefen Hass gegen sie; die Frau sagt
zu ihrem Manne: der Traum ist nur eine im Kopfe aufsteigende Phantasie.
Nun möchte ich auf die Beziehung der betreffenden Geschichte zur
Hauptfabel des ersten Buchs des indischen Pan(,'atantra hinweisen. Diese
ist überschrieben Mitra-bheda oder Buch der Freundschaft und entspricht
dem 5. Buch von Kaiila und Dimna (einer arabischen Übersetzung oder
besser Überarbeitung des Panyatautra) und dem 2. Buch der Hitopadesa
oder Freundlichen Unterweisung, einer Nachahmung des nämlichen Werkes.
Betitelt ist dieses Buch Souliridbheda oder Uneinigkeit der Freunde. Die
Überschrift der Fabel im Pan(,'atantra sowohl wie in der Hitopadesa lautet:
Der Stier, die beiden Schakale und der Löwe; dafür heisst sie in Kaiila
und Dimna: Der Löwe und der Stier. Das Buch, dem die betreffende
Fabel als Rahmen dient, bezweckt die Könige vor den ruchlosen Anschlägen
und Ränken der Schurken, welche zwischen einem Fürsten und seinen
vertrautesten Freunden Zwietracht säen wollen, zu warnen. Die Per-
sonen der Fabel sind der Löwe Pingalaka als König; sein Vertrauter, der
Stier Sandjivaka, und die beiden Höflinge des Löwen, die Schakale Kara-
taka (Krähe; Plünderer) und Damanaka (Bezwinger). Diese beiden, be-
sonders der zweite, eifersüchtig auf die Gunst, die Sandjivaka beim Löwen
1) Betreffs der Sucht, die Predigten mit seltsamen Erzählungen anzufüllen, vergl.
Dante, Div. com., Parad., c. 29, v. 103—11 und v. llöff. Auch T. F. Graue, Mediaeval
Sermon-Books and Stoiies 1883, p. 57 führt diese Dantesche Stelle an.
Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. 313
erlangt hat, bringen es mit ihren verleumderischen Berichten dahin, den
Löwen zu überzeugen, dass der Stier Yerschwörungen gegen ihn anzettele,
den Stier aber, dass der Löwe ihm nach dem Leben trachte. Der Tod
des unglücklichen Güustlings, der von seinem Herrn getötet wird, ist die
natürliche Folge dieses Verrates. Zu dieser Fabel vergleiche Mongolische
Märchen, Die neun Nachtrags-Erzählungen des Siddhi-Kür, aus dem Mon-
golischen übersetzt mit Einleitung und Anmerkungen von B. Jülg, Innsbruck
1668, No. 20: Der Fuchs, der Löwe und das Rind, S. 35—40, und die
englische Übersetzung der Miss Busk, Sagas from the Far East, London
1873: The Perfidious Friend. Li dieser Fabel macht der Fuchs, der hier
die Stelle des Schakals vertritt (desjenigen Tieres, das in den orientalischen
Fabeln meist die Rolle jenes übernimmt), der Onkel der beiden Brüder,
des Löwen und des Stieres (die von einer Löwin mit derselben Milch
geniihrt sind), den Löwen glauben, der Stier w^olle ihn ermorden, indem
er hinzufügt, dass der Stier demnächst an einem Morgen, indem er mit
den Hörnern gegen den Boden schlage und dumpfes Gebrüll ertönen lasse,
dadurch anzeigen werde, dass er seine Absicht zur Ausführung bringen
w^olle. Darauf sagt der Fuchs zum Stier, dass der Löwe einen ähnlichen
Anschlag gegen ihn itn Schilde führe. Als am Morgen die beiden Brüder,
der Löwe und der Stier, an dieselbe Quelle gehen, um Wasser zu trinken,
nähern sie sich einander misstrauisch, fangen an sich zu raufen und fallen
dann beide tot zu Boden. A. De Gubernatis erkennt hierin eine Form
des Märchens von den beiden Dämmerungen (den Acvin). ^) Diese Fabel
begegnet auch im Kathämritsägara, X, c. 60, p. 111; sie ist dann natürlich
auch in den verschiedenen Übersetzungen dieses Werkes zu finden. Auch
giebt es eine veränderte Nachbildung derselben in der fab. IX des Alter
Aesopus von Baldo und im Conde Lucanor por D. Juan Manuel, Sevilla
1577 (Le Comte Lucanor, apologues et fabliaux du XIV " siecle, trad. de
Tesp. j). j\[. A. de Puibusque, Paris 185-4). Zu diesen Angaben s. Pantcha-
tantra, ou les cinq livres; recueil d' apologues et de contes, trad. du sanscrit
en franeais p. E. Lancereau, Paris 1871: Sources et Imitations, p. 357.
Pantschatantra : Fünf Bücher indischer Fabeln, Märchen und Erzählungen.
Aus dem Sanskrit übersetzt mit Einleitung und Anmerkungen von Th.
Benfey, Leipzig 1859, I, Einl., S. 91 ff.; A. Loiseleur-Deslongchamps, Essai
sur les fables indiennes et sur leur introduction en Europe etc., Paris,
Techener, 1838, p. 32 f.
Was die innige Beziehung zwischen der orientalischen Fabel und unserer
Erzählung anbetrifft, so geht dieselbe aus der Betrachtung des Anstifters
der Zwietracht in beiden ohne w^eiteres hervor. In jener ist es Dama-
naka (der Bezwnnger), der Schakal, der es mit der Yerschlagenheit des
1) Mythologie zoologique ou les legendes auimales par A. de Gubernatis, trad. de
l'anglais etc., Paris 1!S74, I, p. 145—46.
314 Prato:
Fuchses^), dessen Stelle er eiuniranit, mittels Yerleumdungen fertigbringt,
seinen Rivalen, den Stier Sandjivaka, zu bändigen, d. h. zu besiegen und
zu unterdrücken. Ein einziges Mal nur ist nach De Gubernatis a. a. 0.
im Rigveda die Rede vom Fuchs unter dem Xamen lopaca (d/uojn]^).
Dieses Wort, welches das Petersburger Sanskrit-Wörterbuch als eine Art
Schakal deutet, scheint nach Prof. A. Weber eigentlich „Zerstörer, Aas-
fresser" zu bezeichnen. (Im Sanskrit begegnet auch das Diminutiv lopäcikä
im Sinne von „weibl. Schakal" und „Fuchs".) Der Schakal, der caiiis
aureus der Zoologen, lieisst vancaka und mrigadhürtaka, d. h. der „Betrüger
der Tiere", aber das sind mehr moderne Ausdrücke. „Der Fuchs (Gul)er-
natis 129) ist mit seiner roten Farbe ursprünglich das Bild der in der
Abenddämmerung rötlichen Farbe des Himmels. Als diese Erscheinung
ein allegorisch-tierisches Aussehen annahm, eignete sich kein anderes Tier
besser hierfür als der Schakal und der Fuchs, wegen ihrer Farbe und ihrer
betrügerischen Eigenschaft; denn die Dämmerstunde ist die Zeit der Un-
gewissheit und Betrügerei." De Gubernatis fügt noch hinzu: „Musste nicht
also wirklich eine Yermengung des canis vulpes (des roten Fuchses) und
des canis aureus (des Schakals) eintreten, die sich beide beim Einbruch
der Nacht zeigen, sich beide von kleinen Tieren nähren und welche die
Farbe des Haares, den Glanz der Augen und andere Eigenschaften ge-
meinsam haben? Sie sind die natürlichen Feinde der Menschen, sind
Tiere von dämonischer Art (so dass man von ihnen leicht zum Teufel
und dem alten teuflischen Weibe, den Hauptpersonen der hier behandelten
Geschichte, übergehen könnte) und gelten als gierig und verräterisch
(gleichwie der Teufel und die Alte) und als das Bild des roten Abend-
himmels." Die Schurkereien des Fuchses (S. 14(5 f.) sind besonders im
Occident bekannt. Ein italienisches Sprichwort sagt: wollte man alle
Gemeinheiten des Fuchses aufschreiben, so würde alles Tuch, das man in
Gent fabriziert, wenn es sich in Pergament verwandelte, dazu nicht hin-
reichen. Die Griechen und Lateiner heben gleichfalls seine Hinterlist,
Schlauheit und Treulosigkeit hervor. Machiavelli versichert im 18. Kapitel
des Principe, ein guter Herrscher müsse sich zwei Tiere zum Vorbild
nehmen, den Fuchs uml den Löwen (d. h. er soll listig und stark sein),
vor allem aber den Fuchs.")
1) Vgl. die Worte des Guido von 3Ioutefeltro, Dante, Inf. 27, 73—78:
2) E. Eolland, Faune populaire de la France, Mammiferes sauvages (Noms vulgaires,
dictons, proverbes, contes et superstitions, Paris 1877, I, IGl sagt, dass im Französischen
renarder (renard - Fuchs) ..listig, verschlagen sein" und renardie ebenso wie regnarderie,
regnerdise „Verschlagenheit" bedeutet; in der Normandie heisst renace „schlau wie der
Fuchs" ; vergl. it. volpoue = durchtriebener Mensch und arti volpine = Verschmitztheiten.
Der Fuchs ist auch das Symbol des Heuchlers, weshalb man in Toscana sagt: Quando la
volpe predica, guardatevi, galline; von ähnlichen Sprichwörtern, die sich auch bei E. E.
p. 108 finden, sei jenes deutsche erwähnt: "Wenn der Fuchs predigt, so hüte man die Gänse.
Vei'gleich<Mi(fe Mitteilungen zu Haus Sachs Fastnachtspiel. 315
In Toseaiia sagt man gewöhnlich:
Con l'arte e con l'inganno oder: Con l'arte e con Tingegno
Si vive metä l'anno; S'ottiene mezzo regno;
Con Tinganno e coa l'arte Con l'ingegno e con l'arte
Si vive l'altra parte. S'ottiene l'altra parte.
Die Hauptperson miserer Geschichte ist der Teufel, der böse Geist.
Hans Sachs lässt am Anfang seines Sch^Yankes den Teufel sagen: Ich bin
der Geist, der Zwietracht stiftet zwischen den treuen Eheleuten. In No. 9
■der Geschichten von Adolphus in Wriglit Selection of Latines Stories be-
gegnet am Ende das lat. Sprichwort: Mulier mala peior Esse solet Sathanae
plus tribus ut liquet hac. Die oben erwähnte Version des Otto Melander
schliesst mit folgenden AYorten des Teufels, die er an die Alte richtet: Me
ipso omnes in partes peior es et consuleratior; Herolt sagt am Ende seines
Werkes Sermones discipuli: Trista femina tribus assibus est mala peior;
auch Richters kleine Erzählung schliesst so. Dem entsprechend heisst es
am Ende der Volkserzählung von Viterbo: So hat sich das Sprichwort:
"La donna sa perfino dovo il diavolo tiene la coda' oder 'La donna ha un
l)unt(> piii del diavolo" völlig bewahrheitet. In gleicher Weise schliesst
die kampanische Erzählung von Cellole-Fasani: So hat sich denn die Alte
verschmitzter gezeigt als der Teufel. In zwei Versionen, jener kampa-
nischen von Tuoro, die ich besitze, aber noch nicht ediert habe, und einer
antleren, der Buskschen römischen gelingt es der Alten anfangs, die Ehe-
gatten uneinig zu machon; nachdem diese aber einander von den Listen
der Alten erzählt haben, versöhnen sie sich wieder und lieben sich mehr
als zuvor. In der zweiten Erzählung bindet der Teufel, als er dies sieht,
die der Alten bereits zugesagten Schuhe an eine lange Stange und pflanzt
dieselbe auf dem Gipfel eines Berges auf; dort fliegen sie vor ihren Augen
hin und her, olnie dass sie den Mut hat, sie zu holen. Die beiden er-
wähnten Fassungen weichen also am Schlüsse betleutend von allen übrigen,
die wir hier kennen lernen, ab. In der Buskschen Darstellung begegnet
am Anfang ein sprichwörtlicher Ausdruck für „Zwietracht säen", der Er-
wähnung verdient; es heisst dafür symbolisch: rompere uova nel paniere-
Das Sprichwort guastare o rompere le uova nel paniere altrai und auch
das: acconciare le uova nel panieruzzo ad uno, sind Redensarten, w^elche
bedeuten: jemandem das Konzept verderben, die Kreise stören (lat. spem
alicuius frustrare, griech. t))v ßovh'jv dialveiv oder Ttiv ävaßdoiv jiQoÄajußd-
yeiv; man sagt auch rompere o guastare altrui l'uovi in bocca) und jemandes
Angelegenheiten ordnen (lat. rem alicuius ampliare oder augere, o-nech.
rrg<iyf.iaTa jivog av^dven').
Dieser Charakter des Teufels wird durch seine verschiedenen Namens
angezeigt. Im Hebräischen heisst der Teufel schedh, „Zerstörer, Plünderer" .•;
er heisst auch Abbadon, d. i. „Verderber, Zerstörer". Das'Wort Satan,
hebr. Sathan, bedeutet „Feind" (besonders der Eintracht und des Friedens).
:316 Prato:
Der Teufel lieisst „Drache", weil er dazu verleitet, andere böswillig
Schaden zuzufügen; denn der Drache, eine Art mythischer Schlange, ist
das Symbol der Tücke, wie die Schlange selbst. Diabolus (griech. didßoÄo^)
bedeutet Verleumder {diaßoh) = Verleumdung), criminator^ d. i. Anstifter
von Verleumdungen, Schmähungen, Zwistigkeiten, aus denen so viel Übel
hervorgeht. Der Teufel und die Frau, zumal die alte (die Katze lässt das-
Mausen nicht: il lupo perde il pelo, ma non il vizio; il lupo e come il
mondo, che peggiorando invecchia e cosi la donna) stehen nach alter Über-
lieferung in enger Beziehung zu einander. Vgl. den bekannten Schwank
von Hans Sachs (Sämtliche Fabeln und Schwanke, herausg. von E. Götze,
1, 502) 46. Schwank: Der Teufel nahm ein alt Weib zu der Ehe; ferner
Machiavelli, Belfagor arcidiavolo; dazu meine Bemerkungen in der Ab-
handlung: Quelques contes litteraires dans la tradition populaire (Rev. des
trad. pop. IV) no. 3: Un conte de Hans Sachs. Von den vielen Aversionen
dieser Erzählung vgl. die von Feruan Caballero, Cuentos y poesias popu-
läres andaluces, Leipzig 1866: La Suegva del diablo; Grimm, Kinder- und
Hausmärchen, Ko. 125: Der Teufel und seine Grossmutter; M. Gaster,
Ijiteratura pop. rom., cu un apend. : versava garamantilor cu Alexandru
Machedon de Nie. Costin, Bukarest 1883, S. 132 — 37: Dracul si feniea.
Nicht nur die Volkserzählungen, sondern auch die Sprichwörter, be-
sonders die das Wetter betreffenden gefallen sich darin, dieses Band
zwischen dem Teufel und der Frau hervorzuheben (in unserer Erzählung
haben sie sich zum Schaden des Ehepaares zusammengethan und stören
gemeinschaftlich den häuslichen Frieden). Das ist ein Beweis dafür, wie
fest das Volk an die Beziehungen zwischen dem Teufel und der Frau,
besonders, wie gesagt, der alten, glaubt. Wenn die Sonne scheint und es
gleichzeitig regnet, sagt man in Italien II diavolo hatte sua moglie^), in
Frankreich auch Le diable bat sa femme oder Le diable marie sa fiUe
oder C'est le diable qui bat sa femme et qui marie sa fille (Oudin, Curio-
sitez franQoises 1640), in Mons: El diape va marier s' file, in der Piccardie
C'est le diabe qui bot s' femme (Corblet, Glossaire 1851), im Wallonischen
Li diale niareye si feye^), in Deutschland Der Teufel hat Hochzeit oder
der Teufel bleicht seine Grossmutter (Müllenhoff, Sagen, Märchen und
Lieder d. Herzogt. Schlesw. -Holstein und Lauenburg, Kiel 1845, Xo. 601;
Wolf, Wodana, II, 221); in der deutschen Schweiz Der Teufel schlägt
seine Mutter, in Holland De duivel slaat zyn wyf, in England It rained
and the sun shone at the same time why then, the devil was beating his
wife behind the door with a Shoulder of nmtton. Auch in Portugal sagt
D In Livorno sagt das Volk beim Gewitter: II diavolo fa alle zoccolate con la moglie,
d. h. der Teufel und seine Frau hauen sich mit Holzpantoffeln.
2) Dictionu. des Spots ou Prov. wallous p. J. Dejardin, precede d"une etude sur Ics
l)rov. p. J. Stecher, 2. Aufl., Liege I, p. 272, no. 965.
"Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel. 317
man nach Leite de Vasconcellos. Tradirües populäres de Portugal, Porto
1882, p. 15 f. 0 diaho esta a bater na mulher (Povoa de Lanhoso) oder
na mae (Porto), Sta o Diabo a bater na mulher Co rabo da colher (No
concelho de Penafiel), Cando chove e fai sol. Anda o demo per Ferrol,
Don un saco d'alfileres Para pical as miilleres (Cantos gallegos apud Par-
naso mod. de Th. Braga, p. 284); in Jalhay im Wallonischen sagt man:
D'an cop l'poyette on l'amaliee, Duso l'grise banse avou '1 cocjuai. Et Tdiale
es mitou d'one nulee Marier s"fee enne on clos banstai (Xhoffer, Les deux
soroche L n. 3, 1861).^)
AVas das Bündnis zwischen dem Teufel und der Frau angeht, die, wie
man im Italienischen sagt ha un punto piii del diavolo und sa dove il
diavolo tiene la coda, besonders wenn sie schon alt ist (woraus das Sprich-
wort zu erklären ist il diavolo e cattivo perche recchio, d. h. Alter und
Erfahrung machen schlau und listig und das lat. callidi veteratores senes)
und das griech.: öoXeooi, jicAi/xßoloi '/igoiTsg, so braucht man sich darüber
nicht zu wundern, da die Verschlagenheit beiden in Fleisch und Blut über-
gegangen ist. Mit Recht hätte die alte Betrügerin unserer Erzählung zu
dem bösen Geist gemäss dem bekannten ital. Sprichwort sagen können:
Quando il tuo diavol nacque, il mio andava dritto alla panca, um damit
auszudrücken, dass sie, eine Frau und bejahrt, erfahrener und verschmitzter
sei als der Teufel selbst, was sie doch dadurch zur Genüge bewies, dass
sie die beiden treuen, einträchtigen Gatten in kurzer Zeit entzweite, was
jenem nie gelungen war. In einer Yolkserzählung bei De Gubernatis, Le
novelline di Santo Stefano di Calcinaja (Turin, Xegro 1869, no. 35): Le
donne ne sanno un punto piu del diavolo verwandelt sich die Frau eines
Vogelstellers, um ihren Mann vom Teufel zu befreien, dem er sich für
reichliche Jagdbeute ergeben hatte (sie waren nämlich übereingekommen,
dass dieser das Recht auf ihn verlieren sollte, wenn der Vogelsteller einen
Vogel fände, den der Teufel nicht kenne), mit Hilfe von Schiffstheer, Talg
und Bettfedern in einen garstigen Vogel; so kommt sie aus einer Grotte
hervor und flösst dem Vogelsteller ebenso viel Furcht ein wie dem Teufel,
der, als er sich verloren sieht, sich schleunigst aus dem Staube macht.
Sobald ihr Mann nach Hause zurückkehrt, entdeckt die Frau ihm sofort
den Betrug, den sie mit so gutem Erfolge am Teufel verübt hatte. In
Livorno sagt das Volk von der Frau: Chi disse donna, disse danno Era
un malanno, Era un tormento, Era un lamento di questo cor; Chi disse
donna, disse guai, Perö di donna non ti fidar mai. Gegen das Ende seiner
franz. Erzählung sagt Xic. de Troyes: La femme scait ung art plus que
le diable ähnlich dem ital. la donna ha un punto piü del diavolo und Hans
Sachs lässt ziemlich am Schlüsse seines Fastnachtspiels den Teufel zu der
Alten sagen: Du bist tausendmal verschmitzter als ich. der Teufel der
1) Dictionn. des Spots etc. a. a. 0.
318 Prato:
Hölle; deslialb nehme ich dicli zum Spür- und Jagdhuml; was mir in
30 Jahren nicht gelungen ist, das hast du au einem Tage vollbracht, indem
du die treuen Gatten entzweit hast. Dieser Hinweis auf die Schlauheit
der Alten kommt auch in einigen anderen Fassungen unserer Geschichte
vor, und nicht mit Unrecht sagt die Alte am Anfange des Fastnachtspiels
zu dem Teufel, der sich trotz seiner Verschlagenheit diesmal unfähig er-
wiesen hatte, sein Ziel zu erreichen: „Ich bin die diese kunst wol kann,
ich mach durch meine list und renk zwischen dem Ehvolk ein gezäuk,
sie sind so einig als sie wollen, dass sie einander schlagen sollen, noch
den Tag bey scheinender sonnen."
Das 1. Buch des Pancatantra enthält verschiedene Aussprüche, in denen
auf die Verschmitztheit und Bosheit der Frauen angespielt wird. Selbst
bei der Schilderung ihrer Schönheit sind die betr. sloka doppelsinnig
(S. 51 der franz. Übersetzung des Lancereau); so zeigt die Festigkeit des
Busens die Hartherzigkeit an, die Kleinheit des Mundes die Falschheit,
das Wallen des Haares die Hinterlist, die verführerische Erscheinung die
List. Sie sprechen mit einem lieblichen Munde, verwunden mit ihrem
Scharfsinn, haben den Honig auf der Zunge und im Herzen das Gift
hälahala; daher muss man sie meiden wie die Aschenkrüge der Kirchhöfe.
Ein franz. Sprichwort sagt: Finesse n'est cju'en fenime ne soit (Anc.
prov. franc. 1568); ein anderes lautet: La femme sait un art avant le diable
(cf. Quitard. Proverbes sur les femmes, p. 20); die Wallonen sagen: Les
feumme ont treus tour pus qui Tdiale oder Les femmes out sept (eint)
tour pe"qui Tdiale); Gera: Et quoiqu'ätoü d"nos ante, eile fesse, mame,
mamour, Elles ont pa nos tromper po d' la 1' diale trinte six tour (Ed.
Remouchamps, Les araour d"ä Gera, I, sc. 16, 1875); Servas: Les foumme
sont CO pe qu' des macralle, elles ont les sejtt tour apres 1' diale (Braliy,
Li bouquet, H, sc. 2, 1878); in Jalhay (Wallonenhand): Thiodor ä Garitte:
Taihez-v", vos avez turtote treus tour pus cj[uu 1" diale (Xhoffer, Les deux
soroche. H. sc. 1-4, 1862); in Jodoigne: Les femme sont pe nialenne que
r diale. ^) — Im Wallonischen sagt man noch: I qua treus malin, feumme,
marticot (singe) et diale; ce proverbe est sonvent figure sur des enseigues
portant pour inscrigtion: A la botte pleine de malice.^)
In betreff der Art, wie der Teufel die alte Hexe für seine Zwecke
gewann, ist es wohl überflüssig viel auszuführen. Er baut auf die Habgier
der Alten und gilt im allgemeinen für sehr reich, wie ich in meinem Auf-
satz Le dodici parole della verita p. 50f. ausgeführt habe.
Xach meiner Meinung kann man daraus, dass der Teufel der Alten
ein Paar neue Schuhe verspricht, seine Zuversicht erkennen hinsichtlich
der raschen Erledigung, welche die Angelegenheit, um die er sich so viele
1) Dictionn. des Spots ou proverbes Wallons par J. Dejardiu, 2. edit., I, 355 f., no. 1249.
2) Ebenda II, 50, no. 1740.
VergluichoKcle Mitteilungeu zu Hans Saclis Fastnaclitspiel. 319
Jahre vergeblich bemüht hat, durch sie finden würde, und, indem er ihr
die Schuhe giebt, belohnt er den ihm so schnell erwiesenen Dienst, alle-
gorisch damit anspielend; denn der Fuss (und auch der ihn kleidende
Schuh) ist das ^Yerkzeug der Fortbewegung und wenn das bekannte ital.
Sprichwort sagt: II bisogno fa trottare la vecchia, so trieb in unserem
Falle die Begierde sie zur Eile an, durch Verleumdung zwischen den
beiden Gatten Zwietracht zu säen, um so mehr als in der Überlieferung
die sogenannten schnellfliegenden Schuhe begegnen, die in wenigen Minuten
fünf, zehn und mehr Meilen zurücklegen.
Eine Eigentümlichkeit, die beachtet zu werden verdient, ist der Eat,
den die Alte der Ehefrau giebt, ein oder mehrere Haare vom Barte des
Mannes abzuschneiden und zu verbrennen oder sie beim Trinken zu ver-
schlucken u. dergl., um die Liebe des Gatten wiederzuerlangen, über
solchen Yolksaberglauben braucht man sich keineswegs zu wundern, er ist
uralt und weit verbreitet.
Die Alten glaubten, keiner könne sterben, ohne dass Proserpina ihm
zuvor ein weisses Haar, das jeder Lebende auf dem Haupte trage, ab-
schnitt (Vergil. Aen. 4, 698 f.). Wie vor dem Opfern dem Opfertier einige
Haare aus dem Kopfe ausgerissen (cf. Aeneis 6, 2-icb Summas carpens media
inter cornua saetas) und zum Beginn des Opferns ins Feuer geworfen
wurden, so machte es nach ihrer Ansicht Proserpina auch mit dem zum
Tode bestimmten Menschen. Nach anderen pflegte Proserpina den Toten
die Haare abzuschneiden, wie es mit den Sklaven geschah. In der Yolks-
überlieferung haben die Haare eine besondere Kraft; wie in gewissen
Varianten unserer Erzählung das Verbrennen der dem Manne abgeschnittenen
Haare die Kückkehr seiner Liebe zur unmittelbaren Folge hat, so sieht
jener Jüngling, nachdem er das Haar eines Pferdes, von dem er sich
trennen muss, verbrannt hat, das Tier sofort wieder zum Vorschein kommen
(v. Hahn, Griech. u. albanes. Märchen, Leipzig 1864, No. 6: Vom Prinzen
und seinem Fohlen). Bei Miss Freie, Old Decean Days, London 1870
hängt in der Geschichte von Punchkine dessen Leben von einer grünen
Perücke ab; diese befindet sich in einem kleinen Käfig, welcher in einem
Gefässe steht; das Gefäss aber ist mit fünf anderen seiner Art an einem
bestimmten Orte in einem durch Palmen gebildeten Kreis aufgestellt. So
werden auch in einigen Versionen des Märchens: Die Söhne des Fischers
die drei Haare, die eine Vettel sich aus dem Kopfe gerissen und die sie
einem jungen Prinzen zugleich mit drei Ringen gegeben hat, damit er
seinen Hund, sein Pferd und sich selbst daran befestige, alle in Figuren
von schwarzem Marmor verwandelt; vgl. zu diesem Märchen: Contes ligures,
traditions de la Riviere recueillis entre Menton et Genes par J. Bruyn
Andrews, avec notes et index, Paris, E. Leroux, no. -39: Les fils du
pecheur, p. 175.
320 Prato:
Schliesslich ist noch zu beachten, dass der Teufel aus Vorsicht die
Schuhe au dem Ende einer langen Stange befestigt und sie so aus der
Entfernung der Alten hinreicht. Er fürchtet, dass sie, die sich in der
Trennung der Eheleute um so viel tüchtiger und listiger erwiesen hatte
als er, auch ihm noch ein schweres Leid zufügen könne. Diese Besonderheit
der Furcht des Teufels vor der Alten und der Umstand, dass er ihr die
Schuhe von weitem mittels einer Stange übergiebt, begegnet in unserer
Fassung von Viterbo (oben S. 192), in derjenigen von Apulien (oben S. 11>0),
sowie in dem Fastnachtspiel und der Erzählung von Hans Sachs; ferner
in den Versionen von Otto Melander, Joh. Herolt (Sermones Discipuli),
Greg. Richter, in der von K. Goedeke in der Sammlung: Schwanke des
16. Jahr h. unter Ko. 55 veröffentlichten. Bei Hans Sachs findet sich dann
noch die Eigentümlichkeit, dass der Stock, an dem die Schuhe befestigt
sind, abgerindet ist, damit es der Hexe mit ihren Zauberkünsten nicht
gelinge, nachdem sie sich unendlich klein gemacht, sich unter der Rinde
zu verstecken und so zwischen Rinde und Holz zu dem Teufel zu gelangen;
es ist das also eine Yorsichtsmassregel, die der Teufel der Alten gegenüber
aus Furcht ergreift. Auch in der Erzählung von Adolfus bedient sich der
Teufel aus demselben Grunde einer Lanze, die, wie in der Fassung von
Yiterbo, auch eine Verteidigungswaffe gegen die alte Hexe sein kann, was
dann abermals seine Angst bestätigte; aber er befestigt da am Ende eine
Börse mit Geld, die er ihr anfangs anstatt der sonst als Lohn ausgesetzten
Schuhe versprochen hatte. In der zweiten Fassung von G. Herolt im Promptu-
arium exeraplorum hebt der ängstliclie Teufel jenseits eines Flusses die
Hände empor, welche das ihr versprochene Geld halten; als sie ihn er-
sucht, zu ihr zu kommen, antwortet er, er wage es nicht, aus Furcht, von
ihr getötet (sie!) zu werden, wie sie ja die gute Hausfrau auch getötet
hätte.
Der Schluss kommt also demjenigen in der römischen Fassung bei
Miss Busk nahe, jedoch mit dem Unterschiede, dass es sich dort um Geld
handelt, hier dagegen um das gewöhnliche Paar Schuhe; dort hält der
Teufel aus Furcht vor der Nähe der Alten das Geld hoch in der Hand
und lässt sich nicht dazu herbei, den Fluss zu überschreiten, die Alte aber
sieht sich schliesslich in ihrer Erwartung, den Lohn für ihre Nichts-
würdigkeit einzuheimsen, getäuscht. In der römischen Version erhält sie
gleichfalls nichts, aber aus dem Grunde, dass ihre Bemühung, da die Ehe-
leute nach Erkenntnis des Betruges der Alten sich wieder aussöhnen und
mehr lieben als vorher, den vom Teufel gewünschten Erfolg schliesslich
nicht gehabt hat. Hier kommt dann zum Schaden für die Alte noch der
Spott hinzu. Der Teufel bindet nämlich die Schuhe an eine lange Stange
und stellt diese auf dem Gipfel eines Berges auf; vom Winde bewegt
schwanken sie da hin und her vor den Augen der Alten, die nicht imstande
ist, sich die Schuhe zu verschaffen. In dieser Weise bewährt sich das lat.
Vergleicheude Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtsi^el. 321
Sprichwort ]\[ale parta male dilabmitur, und auch im Italienischen heisst
es: La fariua del diavolo va sempre in crusca. Der Umstand, dass der
Teufel aus Furcht jenseits des Flusses stehen bleibt, findet sich auch in
unserer apulischen Fassung (oben S. 190), indessen kann in der Heroltschen
Erzählung die Frau das ihr vom Teufel versprochene Geld nicht erlangen,
während hier die alte Waschfrau das am Ende einer langen Stange be-
festigte und ihr über den Fluss gereichte Paar Schuhe erhält; dabei wendet
sich der Teufel hier, wie in einer anderen Version, ab, damit sein Blick
nicht dem der Zauberin begegne, ein neuer Beweis seiner Angst vor der-
selben. Nur in drei Fassungen fürchtet sich der Teufel vor der Alten
nicht, bestraft sie vielmehr noch für ihre Missethat, obwohl er ihr eine
Börse mit Geld versprochen hatte; eingedenk dessen, dass sie schon in drei
Tagen bei den Ehegatten fertig bekommen hatte, was ihm selbst in dreissig
Jahren nicht gelungen war, und dass sie eine höllische Zunge besass, er-
greift er sie und führt sie zur Hölle. Die eine dieser drei Versionen steht
in der Scala cell, die andere im Speculum exemplorum omnibus christi-
colis etc. und die dritte im Pomeriuni sermonum quadragesimalium von
Pelbart von Temesvar; die Erzählung in den letzten beiden Werken lehnt
sich au die in der Scala celi an.
Was die Furcht des Teufels vor der Alten betrifft, so sei noch erinnert
an eine kleinasiatische Fassung des Märchens vom Teufel, der sich ein
Weib nimmt, betitelt Les demons eux-memes ont peur des femmes; vgl.
dazu Henry Carnoy et J. Nicolaides, Traditions populaires de TAsie-Mineure,
Paris 1889, I: Contes, p. 172, uo. 12. Zu erwähnen ist auch eine buddhi-
stische Erzählung, die Th. Benfey vom Prof. Anton Schiefer erfahren und
in den Anmerkungen zu der soeben erwähnten Geschichte mitgeteilt hat.
Diese Furcht des Teufels vor der Frau ist eine Besonderheit, die auch in
einer die Heirat des Teufels betreffenden Erzählung von Hans Sachs und
in einigen nichtitalienischen Fassungen derselben vorkommt, und zwar in
folgender Weise: Bei der fälschlichen Nachricht von der Ankunft seiner
Fi-au entscliliesst sich der Teufel, der sich von ihr wegen ihres unerträglich
höllischen Charakters hat trennen müssen, furchtsam geworden, gern, den
Körper einer Person, in die er gefahren war, zu verlassen. Diese Eigen-
tümlichkeit begegnet auch in einer comaskischen Erzählung, die sich in
meiner Sammlung noch unedierter Teufelsgeschichten vorfindet. Vgl. auch
Quelques contes litteraires dans la tradition populaire par Stanislas Prato
(Auszug aus der Revue des Traditions populaires IV, no. 3), Paris 1889,
p. 9_14, no. HI: Un conte de Haus Sachs: Der Teufel nahm ein alt Weib
zur Ehe, die ihn vertrieb: Sämtliche Fabeln und Schwanke von H. Sachs.
Herausgegeben von E. Götze, I, 502 f.
32:
Weinh«
Sanct Kummeriniss.
Von Karl Weinliold.
Über die heilige Kurnmeruuss, diese niemals kirchlich anerkannte,
aber vom Volke in Belgien und von da bis in die Schweiz und in Tirol
sehr Terehrto Heilige will ich hier nicht breiter handeln, sondern eines
ihrer Bilder bekannt machen.
Dasselbe befindet sich in
der alten Kapelle von 8t.
Georgen über Schenna bei
Meran in Südtirol. Auf einem
flachen Kreuze aus schwar-
zem Holz, dessen unterer
Teil abgebrochen ist, hängt
die etwa 63 cm lauge be-
kleidete Gestalt, aus bräun-
lichem Holze geschnitzt.
Bart und Schuhe sind dunkel
angetuscht; der linke Schuli
ist etwas grösser und anders
geformt als derrechte. Nicht
bloss der Bart, sondern auch
die Bekleidung und das
ganze Bild machen einen
durchaus männlichen Ein-
druck. Der freundschaft-
lichen Güte von Fräulein
Helene Raff in München
verdanke ich diehier wieder-
gegebene Zeichnung, die sie
am 18. Mai d. J. in dem
Kirchlein aufgenommen hat.
Die St. Georger Kummer-
nuss gehört zu der Klasse
der Bilder dieser Volks-
heiligen, die den vor der
Gekreuzigten knieenden Spielmann, dem der eine Schuh geschenkt ist,
nicht kennt. Sie gehört ferner zu den Bildern, welche an den alten Typus
des gekreuzigten Heilands sichtlich erinnern. Wir sehen die Gestalt ganz
bekleidet, die Füsse ohne Nagelung nebeneinandergestellt und beschuht.
Saiict Kummernuss. 323
wie auf den ältesten Kruzifixen. Ich trete daher der von anderen schon
ausgesprochenen, aber immer wieder abgewiesenen Ansieht bei. dass die
Kummernussbilder a,uf einem sehr alten Crucifixus 1)eruhen.
Auch die Krone l)estätigt diese Ansicht, denn die Dornenkrone des
Gekreuzigten ist von <ler Kunst erst im 13. Jahrh. aufgenommen worden.
Vorher ward Christus als der Himmelskönig, der König iler Könige, der
Kreuzesfürst mit einem Diadem oder einer Krone dargestellt, wie Wilhelm
Grimm in seiner schönen Abhandlung „Die Sage vom Ursprung der Christus-
Idlder" näher gezeigt hat. ^)
Dio.se Königskrone ward befrennllich, als im 16. Jahrh. die Dornen-
krone als Attribut <les leidenden Heilands allgemein durchgedrungen war
und leitete zu einer Umdeutung der in alter Art gemachten Darstellungen
des Gekreuzigten. Das Volk sah in diesen Kruzifixen eine gekreuzigte
Königstochter. Es kannte auch die Legenden von den heiligen Jungfrauen
Paula und Galla, die zum Schutz ihrer Jungfräulichkeit bärtig wurden und
erklärte sich den Bart der Königstochter ebenso. So waren die Grundzüge
der Wilgefortis- oder Kummernuss-Sage leicht vereinigt.
Das bärtige Gesicht den- TTeiligen hat den luM-bcn männliclien Ausdruck
l)is in die Rokokkozeit behalten, wo wenigstens auf einigen Genu'ilden die
Gekreuzigte als ein schönes elegantes Mädchen mit glattem Gesicht dar-
gestellt ward, so auf denn aus Kastelrutt in Südtirol stammenden, auf
Leinwand gemalten Bilde im Tnns1»rucker Ferdinandeum. Bartlos wenigstens
war auch die heilige Onrkoiinm'r von 172-2 im Bcginciilinusc von ]\[echeln
(Jos. Bergmann in den .Mirteihmuen der k. k. Centralkommission in Wi(Mi,
I, 132 f.).
Es i'vhh nicht au Beweisen, dass die für Kummernussbilder geltenden
noch im Ki. Jahrh. als Darstellungen Christi verehrt worden sind. So
hatte (his Saalfelder Steinldld von 1516 die Beischrift Salvator mundi.
Ferner sind auf dem aus der ältesten Kirche auf Saeben stammenden, 1469
genullten Holztafelbilde (jetzt im Innsbrucker Museum), das als Kummer-
nuss später verehrt worden ist, nach der gütigen Mitteilung des Herrn
Prof. Dr. Franz v. Wieser, des Direktors des Ferdinandeum, Inschriften
von Wallfahrern eingekratzt oder aufgeschrieben, die beweisen, dass die
Gläubigen es im ganzen Ki. Jahrh. als Christusbild nahmen, so z. B.:
Got pis mein ingedenk 1500. 15 IHS 32. Tirgo Maria fis nolns
benigna 1536. Gott geb gnadt 1565. Ich hoff zu gott Caspar Riedl 1568.
Gott allain die Ehr 1599. ihs jps 1600. Ich Befelch Gott dem herrn.
Auf diesem hierdurch als ursprüngliches Heilandsbild erwiesenen
Saebener Gemälde erblicken wir den Geiger nebst dem goldenen Schuh;
ebenso auf dem noch älteren Steinbild von Oberwinterthur. Daraus folgt,
1) Kleinere Schriften von VV. Grimm, herausgegeben von G. Hinrichs, Berlin 1883,
III, 184. 187 : vgl. auch die Goldene Schmiede von Konr. v. "Würzburg, herausgegeben von
W. Grimm S XLYII.
324
Hein:
(lass aiu'li (licso Sage niclit von der heiligen Kummernuss ausgegangen ist,
sondern eine Kruzifixlegende war, die erst auf jene übertragen wurde.
Von verwandten Kruzifixsagen will ich anführen die von dem Kreuz in
der Krypta des Neumünsters in Würzhurg. Der Heiland hält hier die
beiden Arme über der Brust gekreuzt. Er hatte sie einmal von den Nägeln
des Querbalken gelöst, um einen inbrünstig betenden Sünder zu umarmen
(Baader in Mones Anzeiger 1839, S. 61). Nach der Legende von der hl.
Luitgart löste das Schnitzbild des Erlösers einst den einen Arm vom
Kreuz, um die heissbetende Blinde zu umarmen (Görres, Geschichte der
Mystik, IV, 2, 319). Der braune Christus zu Löwen in Belgien hat einen
Arm lose herabhangen. Mit demselben, als er ihn frei gemacht vom Nagel-
balken, fasste er einen Kirchendieb an den Haaren und hielt ihn fest bis
zum Morgen, als Leute kamen (J. AV. Wolf, Niederländische Sagen, No. 351).
Endlich ist auch der Kelch zu Füssen der vermeintlichen Kummernuss
ein Beweis für das ursprüngliche Heilandsbild. Er findet sich auf belgischen
Gemälden, auf dem Saebener Bilde von 1469, auch auf dem von Ellersdorf
l)ei Erlangen, und wohl noch auf anderen. Er gehört aber zu den Attri-
buten des gekreuzigten Erlösers, namentlich auf frühmittelalterlichen Bildern
steht er oft am Fusse des Kreuzes. AVenn der Volto Santo in Lucca mit
prächtigem Gewände bekleidet und beschuht wird zur öffentlichen Schau-
stellung, dann wird ilnn auch der Kelch zu Füssen gesetzt (Baron Sloet,
de heilige Ontkommer of AVilgefortis. 's Gravenhage 1884. Tafel 13. 14).
Auf anderes einzugehen, verzichte ich wenigstens für diesmal. AVie
wenig ich Lust haben kann, gegen die verkehrten Deutungen der Kummer-
nuss auf nordgermanische Gottheiten, unter andern auf Thor, einen Speer
zu verstechen, kann man aus dem Ausgeführten ermessen.
Li dem Bildwerk aus dem St. Georgenkirchlein über Schenna besitzen
wir unter allen Umständen ein sehr altes Mittel für die Geschichte und
Kritik der heiligen Kummernuss.
Eiserne Weihefigiireu.
Von Dr. Wilhelm Hein.
(Mit 3 Abbildungen!).)
Ln Jahre 1897 berichtete mir Herr Dr. Eugen Frischauf, der jetzt in
Eggenburg eine sehenswerte Sammlung von volkskundlichen Gegenständen
auiTNiede^r-Österreich besitzt, dass sich in der Kapelle zu Schwarzensee
[) Die Abbildungen wurden von Herrn Eobert Karl Lischka in Wien gezeichnet.
Eiserne Weihefiffuren.
325
74 natürl. Grösse.
Eiserne Weihekuh.
natürl. Grösse.
bei Baden eine grosse Zahl von eisernen Weihefiguren befände. Da ich
damals noch Geschäftsführer des Vereins für österreichische Volkskunde
war, beschloss ich für sein Museum einige von diesen Figuren zu erwerben
und wandte mich, da Schwarzensee zum Pfarrsprengel des Stiftes Heiligen-
kreuz gehört, an den Cisterzienser-Ordeuspriester Hrn. Universitätsprofessor
Dr. Wilhelm Neumann um seine gütige Vermittlung. Von ihm an den
Herrn Pfarrer von Raisenmarkt empfohlen,
machte ich am 14. Oktober 1897 die Wan-
derung von Baden nach Raisenmarkt und
hatte das Glück, nicht nur den Herrn Pfarrer,
sondern auch den Herrn Oberförster Josef
Weiss von Mayerling zu treffen, der als
ein warmer Freund von urgescliichtlichen
und volkskundlichen Forschungen mich in
dankenswerter Weise unterstützte. Er
übergab mir als Geschenk für das Museum
drei AVeihefiguren, die den Kindern in der
Sclnile abgenommen worden waren und die
liier abgebildet sind. Die Nummer 11 des
„Anzeigers des Vereins für österreichische
Volkskunde" vom November 1897 führt
unter den Erwerbungen des Museums ein
Geschenk des Herrn Oberförsters an, ohne
die Art desselben zu bezeichnen. Am
nächsten Tage machte ich einen S])azier-
gang zu der alten, halbverfallenen Kapelle
des hochgelegenen Ortes Schwarzensee, wo
der Mesner, den ich von der Feldarbeit
heimholen musste, in der Sakristei 75 eiserne
Weihefiguren aus einem Korbe hervorholte
und mir zeigte. Die Kapelle ist dem heil.
Ägydius geweiht, an dessen Festtage, am
1. September, die Bewohner von weit und
breit nach Schwarzensee wallfahren, wobei
die Figuren, die Rinder, Pferde, Schafe und Schweine vorstellen, von ihnen
auf den Altar gestellt werden. In der Kapelle befindet sich auch eine
Statue des heil. Leonhard; doch hat sie merkwürdigerweise mit den Weihe-
figuren an diesem Orte nichts zu thun, da sie erst vor kurzem auf An-
ordnung des Herrn Pfarrers aus Raisenmarkt oder Mayerling hinaufgebracht
worden war. Über die Figuren selbst brauche ich nichts weiter zu sagen;
die Abbildungen sprechen deutlich genug. Ich möchte nur hervorheben,
dass mir kein anderes Vorkommen von solchen Eisenfiguren in Nieder-
österreich bekannt ist, ebensowenig, dass sonst irgendwo der heil. Ägydius
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 22
Eiserner Woiheochs
Fie:.
V4 natürl. Grösse.
Eisernes Weihepferd.
826
Hein:
als Yiehbeschützer auftritt. Über die Herkunft der Figuren konnte mir
der Mesner keinerlei Auskunft geben; sie sind seit Menschengedenken in
der Kapelle; leider werden ihrer alljährlich immer weniger, weil sie selbst
die Kinder als Spielzeug gebrauchen. Mit Rücksicht darauf, dass die
Fiiiureu noch alljährlich in Yerwendung kommen, machte ich keinen Ver-
such, deren Anzahl zu verkleinern.
Einen beachtenswerten Beitrag zu dem besprochenen Gegenstande
brachte kürzlich der Lehrer Josef Blau von Rothenbaum im Böhmerwalde
unter dem Titel „Der Typus einer Bauernkirche: St. Leonhard bei Neuern
im Böhmerwalde" in der „Zeitschrift für österreichische Volkskunde'\
Y. Jahrg. (1899), S. 70 ff. In dieser Leonhardkirche befindet sich eine
oTosse Menge von eisernen Votivtieren, welche wie gewöhnlich Pferde.
Rinder, Ziegen und Schafe, ausserdem aber auch achtbeinige Bienen vor-
stellen. Das Museum für österreichische Volkskunde in Wien erwarb
durch die Vermittlung des Herrn Blau zehn derartige AVeihetiere, unter
welchen alle Arten, selbst die Biene vertreten ist (vgl. Xo. 19 des Er-
werbuno-s-Verzeichnisses in der oben genannten Zeitschrift S. 96, das in
der Mai-Nummer 1899 des „Anzeigers des Vereins für österreichische
Volkskunde" zum AViederabdruck kam).
In Ergänzung seiner oben gedachten Mitteilung schrieb mir Herr Blau
in einem Briefe vom 2. .Inni 1899 folgendes:
„Die Weihetiere sind uralt; es erinnert sich hier kein Schmied, je aus
der Überlieferung etwas von der Anfertigung derselben gehört zu haben.
Bezüplich einer Verwendung dieser Votivtiere kann ich sonst nichts mit-
teilen, als was mir die Schmiedin von Flecken, eine geborene Kohlheimeriu,
darüber mitgeteilt hat. Am Ostersonntage nämlich gehen die Kohlheimer,
die überhaupt jeden Sonntag da eine Nachmittagsandacht halten, in die
Kirche hinauf, um darin den Heiligen den jährlichen Tribut zu zollen. Die
Bäuerin oder das Mädchen, wer halt geht, nimmt ein solches geschmiedetes
Tier und geht damit zum Altare. Da wird es auf dem Altartische auf
beide Seiten umgedreht, dann liegen gelassen. Hierauf wird eine Münze
geopfert: 4, 5, 10 Kreuzer. (Die Kohlheimer zahlen weniger als die Aus-
wärtigen.) Nach Verrichtung eines kurzen Gebetes giebt man das Tier,
meist eine Kuh, wieder auf den Tisch", der unter dem Chor steht und
zur Aufbewahrung der AVeihetiere dient. In einem Nachsatze fügt Herr
Blau bei, dass die Schmiedin von Flecken bei Rothenbaum, Maria Leiter-
mann, geborene Schmeißl aus Kohlheim, selbst zu mehreren Malen die
erwähnte Opferung vorgenommen hat.
Es sei mir gestattet, hier auf eine überraschende Parallele bei den
Indianern in Arizona hinzuweisen, die J. Walter Fewkes im Dezember 1897
o-eleoentlich der Winter-Sonnenwende beobachtete.') Auf dem Boden der
1) The Winter Solstice Ceremony at Walpi. By J. Walter Fewkes. Reprinted from
The American Anthropologist, Vol. XI (Washington 1898), p. 8 und 11.
Eiserne Weihefiguren. 327
Riva (einer Art Tempelstätte) des Asa-Stanimes bemerkte er in Korb-
sehüsseln eine Anzahl von kleinen Thonfignren, welche Yierfüsser dar-
stellten. Zwei von diesen Figuren waren mit Hörnern ausgestattet, und
deren Eigentümer erzählte ihm, dass er «ie gebracht hätte, weil er Ochsen
wünsche. Andere Thonfiguren hatten die Gestalt von Schafen, wieder
andere von Pferden, je nachdem jemand Tiere dieser oder jener Gattung
zu erbitten hoffte. In der Riva des Häuptlings Päutiwa stand vor dem
würfelartigen Steinaltare dessen Tiponi (ein symbolisches Zeichen), von
dem aus strahlenförmige hölzerne Tierfiguren angeordnet waren. Dieses
Tiponi war nach Päutiwas Erklärung die Mutter der vier Haustiere (Rind,
Pferd, Schaf und Esel) und die hölzernen Figuren sollten Darstellungen
von <liesen Haustieren sein. Ton allen Seiten kamen die Indianer herbei
und begrüssten Päutiwa als den Chef der Herden (nicht der Jagdtiere,
was Fewkes ausdrücklich betont) und knüpften besondere Embleme (nak-
wäkwoci) an den Hals des einen oder anderen Tieres. Manche machten
Pahos (symbolische Darstellungen), ungefähr 5 Zoll lang in der Form von
Kreuzen, mit verschiedenen Farben bemalt, mit Federn verziert und mit
Augen versehen. Das waren die Gebetstäbchen für Schafe, Rinder und
Pferde. Nach übereinstimmenden Behauptungen der Indianer geht die
Kreuzesform nicht auf spanisch-christlichen Einfluss zurück. Derjenige,
der sein kreuzförmiges Paho mit Flecken l)emalte, wünschte sich gefleckte
Pferde, und weiss bemalte Pahos sollten zu weissen Schafen verhelfen.
„These small wooden crosses", schliesst Fewkes seinen höchst bedeutsamen
Bericht über diese indianischen Votivtiere, „were simply primitive aninial
effigies, and there is no reason to doubt the great antiquity of this form
of prayer-stick." Den Gebrauch von solclien Yotivstäbchen erwähnt bereits
Castaneda in seinem Berichte über C'oronados Expedition 1540 — 42 (Anm.
l)ei Fewkes p. 12). Es ist demnach zweifellos christlicher Einfluss voll-
ständig auszuschliessen und die Verwendung von A^otivfiguren bei der
Winter-Sonnenwende zum Zwecke der Erlangung von Yiehsegen ein ur-
alter indianisclier Brauch.
Im Zusanniienhalt mit dem Berichte des Herrn J. W. Fewkes gewinnt
die kurze Bemerkung Blaus, dass die Opferung der Votivtiere am Oster-
sonntage geschieht, eine besondere Bedeutung; denn Winter-Sonnenwende
und Ostern sind die beiden Festzeiten, zwischen welchen alles Leben neu
erwacht und <lie naturgemäss dem Menschen Anlass geben, seine Wünsche
nach Kinder-, Vieh- und Erntesegen in sichtl)arer Weise zum Ausdruck
zu bringen. Prof. Dr. Rudolf Meringer hat sich wiederholt und ein-
gehend mit den eisernen Votivtieren beschäftigt und eine grosse Zahl von
solchen zur Darstellung gebracht*); doch ging er dem Wesen der Sache
1) Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, Band XXIII (1893),
S. 179—181 (woselbst auch einige Litteraturangaben zu finden sind), und Bd. XXV (1895),
S. 63-68.
22*
328 Weinhold:
nicht weiter nach. Ich möchte hier weniger auf die mehr oder weniger
primitive Art der Herstellung von solchen Figuren Wert legen, als zunächst
dem Vorstellungskreise näher treten, der zum Brauche der Opferung von
Votivfiguren führte, seien sie nun aus Thon, Holz, Eisen oder Wachs. Ich
möchte es auch für ganz zweifellos halten, dass in früheren Zeiten in
unseren Gegenden ebenfalls hölzerne oder thönerne Figuren geopfert
wurden und hoffe, dass eine spätere Forschung dies bestätigen wird. Einst-
weilen müssen wir uns daran genügen lassen, diese Tiere im allgemeinen
als Symbole für erbetenen Viehsegen, in zweiter Linie erst als Opfertiere
für glücklich abgewendete Seuchen zu betrachten, was nicht nur der Ver-
gleich mit dem fast identischen Brauch bei den Indianern Arizonas lehrt,
sondern auch die Thatsache, dass der heilige Leonhard, der bekannte
Lebensförderer, der Empfänger der Weihetiere ist. Diesbezüglich verweise
ich darauf, was Sepp über den Leonhardsnagel beigebracht hat*), wodurch
die Stellung des heiligen Leonhard als Spender des Kinder und Vieh-
segens hinreichend gekennzeichnet ist. Ich möchte daher den Ausdruck
„Votivtiere" in Zukunft ablehnen und ihn durch das Wort „Weihetiere"
ersetzen, weil sie doch zunächst und zumeist nicht in Erfüllung eines
Gelübdes, sondern als Ausdruck eines Wunsches, einer Bitte dem heiligen
Leonhard oder sonst einem gütigen Lebensspender geweiht werden. Was
nun die eingangs besprochenen Weihetiere von Schwarzensee anbelangt,
so stehen sie scheinbar ausser allem Zusammenhang mit dem hier be-
sprochenen Vorstellungskreis, da sowohl der Weihetag (1. Sept.) als auch
der viehsegenspendende Heilige Ägydius ganz vereinzelt dastehen. Doch
dürfte diese Erscheinung sich bei weiterem Zusehen und Nachforschungen
noch harmonisch in den Bau der Frühlingsbräuche einfügen lassen.
Floridsdorf bei Wien, Anfang Juni 1899.
Kleine Mitteilungen.
Wühelm Schwartz t«
(Mit Bildnis, Taf. IV.)
Der Verein für Volkskunde, der vor wenig Wochen den Tod Prof. Dr. Ch.
Steinthals zu beklagen hatte, ist abermals durch den schweren Verlust eines be-
deutenden und thätigen Mitgliedes betroffen: am 16. Mai verschied der Geheime
Regierungsrat Prof. Dr. Wilhelm Schwartz, bis vor wenig Jahren Direktor des
1) Dr. Johannes Sepp, Internationale Hochzeits-, Tauf- und Totengebräuche, München
1891, S. 78-Ö2.
Kleine Mitteilungen. 329
hiesigen K. Luisengymnasiums. Seit Gründung unsers Vereins, an der er lebhaften
Anteil nahm, gehörte der Verstorbene unserm Vorstande an; durch Vorträge und
durch seine fleissige Mitarbeit an unsrer Zeitschrift hat er für unsere Zwecke
redlich gearbeitet.
Wilhelm Schwartz war am 4. Sept. 1821 in Berlin geboren. Nachdem er auf
dem Grauen Kloster das Reifezeugnis erworben, studierte er in Berlin und Leipzig
Philologie und ward in Berlin am 19. Dez. 1843 zum Dr. phil. promoviert. Böckh,
Lachmann, Zumpt, Bopp, J. Grimm waren hier, G. Hermann und M. Haupt in
Leipzig seine Lehrer. Von 1844 ab wirkte er am hiesigen Priedrich-Werderschen
Gymnasium zwanzig Jahre. Dann erhielt er das Direktorat des Gymnasiums in
Neuruppin, einige Jahre später das des Priedrich-Wilhelms-Gymnasiums in Posen
und kehrte 1882 nach Berlin zurück, berufen zur Leitung des neugegründeten K.
Luisengymnasiums. Nach fünfzigjähriger gesegneter Arbeit schied er 1894 frei-
willig aus seinem Amte und zog sich in wissenschaftliche Müsse zurück, bis zu
seinem Ende mit den Aufgaben beschäftigt, die seines Lebens Freude gewesen
waren.
Diese Aufgaben lagen in der mythologischen Forschung, zu der er sich
öffentlich zuerst in seiner Doktordissertation De antiquissima Apollinis natura (1843)
bekannte, die er aber schon 1837 als Sammler der Sagen und Sitten der märkischen
Landbevölkerung an der Seite seines späteren Schwagers Adalbert Kuhn begonnen
hatte. Welche Verdienste sich diese beiden Männer um die Feststellung der alten
Überlieferungen in der Mark Brandenburg und in grossen Strichen des nordwest-
lichen Deutschlands erworben haben durch gewissenhafte sachkundige Sammlung
und durch wissenschaftliche Verwertung des eingeheimsten Stoffes, sei nur ange-
deutet. An den Märkischen (1843) und den Norddeutschen Sagen und
Märchen (1848) waren beide fast gleich beteiligt. Schwartz hat dann für sich noch
die Sagen und alten Geschichten der Mark Brandenburg (1871. 3. A.
1895) erscheinen lassen und über sein Sagensammeln lehrreich berichtet in den
Erinnerungen aus meinen Wanderungen in den Jahren 1837 — 1849 im Archiv
der Gesellschaft für Heimatskunde der Prov. Brandenburg (I, 14.3—157. Berlin 1894).
Seine Grundanschauungen über den noch fortlebenden Volksglauben entwickelte
Schwartz zuerst 1849 in einer Programmabhandlung des Werderschen Gymnasiums:
Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum, die in erweiterter
2. Aull. Lsß2 erschien. Eingehend begründete er dann seine Stellung zu den Fragen
der Mythologie in den Büchern: Ursprung der Mythologie, 1860; Die poe-
tischen Naturanschauungen der Griechen, Römer und Deutschen in ihrer
Beziehung zur Mythologie. L Sonne, Mond und Sterne, 1864. H. Wolken
und Wind, Blitz und Donner, 1879; Indogermanischer Volksglaube.
Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der Urzeit. 1885. Eine Sammlung seiner
kleinen Aufsätze veranstaltete er 1884 in den Prähistorisch-anthropologischen
Studien, denen wir noch die Nachklänge prähistorischen Volksglaubens
im Homer, 1.S94 anreihen wollen.
Die Titel der zuletzt angeführten Bücher bezeichnen schon die Stelle, die
unserem Schwartz in der Geschichte der Mythologie zukommt. Während sein
Freund und Schwager Adalbert Kuhn die germanischen Mythen in genaue Ver-
wandtschaftsbeziehung zu den wedischen und den griechischen zu bringen und
eine vergleichende Mythologie in Art der indogermanischen Grammatik aufzubauen
suchte, stellte W. Schwartz der Mythenforschung eine anthropologische Aufgabe.
Er fasste die Mythenbildung als einen psychologischen Prozess, der sich unter
den Eindrücken entwickelte, die in einer vorhistorischen Zeit die Himmel- und
330
Weiidheim:
Lufterscheinungen, namentlich die Stürme und Gewitter, auf den in niederer Kultur
stehenden Menschen gemacht haben. Dieser Prozess erfolgte nach allgemein mensch-
lichen Gesetzen und seine Ergebnisse gehören nicht einem einzelnen Volke oder
einer einzigen Völkerfamilie an, sondern der Menschheit überhaupt. Es entstunden
so dämonische, tiergestaltige Wesen als Gegenstände gläubiger A\^rehrung, dann
auch Dämonen in menschlicher Bildung. Beides sind die Urkeime, die Proto-
typen für die höheren Göttergestalten, sind aber keineswegs in der fortgeschrittenen
heidnischen Religionsperiode verschwunden, sondern haben sich in ihr, wie nach
dem Untergang des Heidentums bis zum heutigen Tage in dem Volksglauben oder
Aberglauben behauptet. Gewisse Vorstellungen kann man daher von ihrer rohesten
Urform bis zur entwickeltsten Ausbildung verfolgen. So entdeckte W. Schwartz
die niedere Mythologie, wie er diese uralte und urlebenskräftige Stufe natürlicher
Religion nannte, noch in dem heutigen Volksglauben Deutschlands.
Mag man auch die Ansichten unseres Freundes nicht in ihrer Durchführung
auf die ganze Mythologie vertreten können, ein unleugbares und bleibendes Ver-
dienst hat er sich durch die prähistorisch-anthropologische Grundidee um die
mythologische Forschung erworben. Er hat in der Geschichte derselben eine her-
vorragende Stellung. Die Genauigkeit und die zuverlässige Ehrlichkeit seiner Er-
hebungen aus dem Volksglauben kann überdies nur von Leichtfertigkeit und von
Trivialität, die jetzt in unserer Mythologie leider Anklang finden, geleugnet oder
angefochten werden: seine letzte Arbeit über die heidnischen Überreste in der
norddeutschen Tiefebene bewies wieder gründlich jene guten Eigenschaften.
W. Schwartz hat nun die fleissige Feder für immer niederlegen müssen; aber
seine Arbeiten w^erden weiter anregen und nicht vergessen werden. Die Treue,
die er seinem Schulamte und seiner Lieblingswissenschaft, seiner märkischen
Heimat und seinen Freunden bezeugt hat in langem Leben, die soll ihm durch
Treue über den Tod vergolten werden!
Berlin, den 22. Mai l.s99. Karl Wein hold.
Die Steckuadel im Yolksaberglauben.
Von Marie von Weiidheim.
Die Stecknadel spielt im Volksaberglauben eine grosse Rolle. Unter gewissen
Bedingungen gilt sie als ebenso Unheil verkündend, wie das Zerbrechen eines
Spiegels, das Heulen eines Hundes oder das Verschütten von Salz. In einigen
Gegenden Englands heisst es^), man müsse jede Stecknadel aufheben, die man
auf dem Boden sieht; unterlässt man dies, so stösst einem bestimmt ein Unglück
zu. Der folgende Spruch ist noch immer gebräuchlich:
„Sieh eine Nadel und heb sie auf, See a pin and pick it up,
Glück bringt dir dein Tageslauf; All the day youll have good lack;
Lass die Nadel liegen, die du gesehen, See a pin and let it lic,
Thräuen tagsüber dir im Auge stehn." All the day you'll have to cry.^)
Nicht auf England beschränkt, sondern in allen Ländern verbreitet ist der
Aberglaube, dass es Unglück bringt, eine Stecknadel zu verschenken. „Sie zer-
1) Harpers Bazar Vol. XITI, No. 52. New-York 1880.
2) Ganz nahe verwandt zwei Sprüche aus dem östlichen Massachusetts (N, A.) und
aus New-York in den Currcnt Superstitions collected from the oral traditiou of english
speaking folk cdited by Fanny D. Bergen. Boston und New-York 1896. No. (iST. 638.
Kleine Mitteilungen. 331
sticht die Freundschaft und die Liebe." Ist man trotzdem genötigt, einer befreun-
deten Person eine Stecknadel zu geben, so müssen beide Teile dabei lachen,
dadurch wird der Zauber gebrochen (A. AVuttke, Deutscher Volksaberglaube der
Gegenwart. 2. A. Berlin 1869. § 553. 625).
In Bezug auf die von der Braut am Hochzeitstage getragenen Stecknadeln
giebt es in den verschiedenen Grafschaften Englands völlig widersprechenden
Aberglauben. An manchen Orten muss die Braut sofort nach der Trauung jede
Stecknadel, die sie an sich hatte, entfernen, sonst bringt es ihr Unglück, i) Ebenso
müssen die Brautjungfern sich hüten, auch nur eine einzige von der Braut benutzte
Stecknadel an sich zu nehmen; ihre Verheiratung würde dadurch sehr in Frage
c^estellt und keinesfalls dürften sie hoffen, vor dem nächsten Pfingstfeste zu heiraten.
In Sussex jedoch wird die Braut nach der Heimkehr von der Kirche von ihren
ledigen Freundinnen sogleich aller Stecknadeln, die sie an ihrem Kleide trug,
beraubt, im festen Glauben, dass die Besitzerin einer solchen Nadel im Laufe
eines Jahres heiraten werde.
Die Nadeln werden auch zur Heilung mancher Krankheiten verwendet. In
Missouri sticht man eine Stecknadel durch die Warze und wirft sie auf den Weg.
Der Finder der Nadel bekommt die Warze. In Bruynswick im Staat Neu-York
wickelt man so viel gestohlene Nadeln als man Warzen hat, in ein Papier und
wirft es auf den Weg. Wer die Nadeln aufhebt, bekommt die Warzen. h\ West-
New-York reibt man die Warze mit dem Knopf der Nadel und versteckt dann die
Nadel irgend wohin, ohne einen Blick darauf zu thun. Dann vergeht die Warze
(Berget! No. 914—916). In Leicestershire in England führt man den an Warzen
Leidenden zu einer Esche; dort wird mit einer Stecknadel zuerst in die Rinde
des Baumes gestochen und dann in die Warze, worauf die Nadel wieder in den
Baum gesteckt wird. Jede so behandelte Warze vergeht nach kurzer Zeit. Noch
vor einigen Jahren sollen dort manche Bäume mit Stecknadeln geradezu gespickt
gewesen sein. In Gloucestershire wird eine Schnecke mit einer Nadel so oft
durchstochen als der Patient Warzen hat, und diese werden dann mit dem Safte
der Schnecke eingerieben.
Gegen Zahnschmerzen hilft ein in eine Eiche getriebener Nagel. In Japan')
wird ebenfalls manchen Bäumen die Kraft zugeschrieben Zahnschmerzen zu heilen.
Zu diesen gehört auch die Weide, in die an Zahnschmerzen Leidende Nadeln
stecken, damit der Schmerz, den sie dem Baumgeiste verursachen, diesen dazu
bewegt ihren eigenen Schmerz zu heilen. Auch in Ober-Österreich werden Zahn-
schmerzen vernagelt (Huemer in der Zeitschr. f. österr. Volkskunde, II, 363). Das
Nageln ist überhaupt ein uraltes und zur Beseitigung des Bösen und besonders
der Krankheiten viel verwandtes Mittel (Andree, Braunschweiger Volkskunde i^b.
306. A. Kuhn, Märkische Sagen, 384. Reiser, Sagen a. d. Allgäu 2, 114. Zahrer,
Die Krankheit hn Glauben des Simmenthals 33. 60.).
Man glaubt in Sussex, dass die Epilepsie von einer Hexe verursacht werde
und geheilt werden könne, wenn man eine Flasche mit Nadeln füllt und diese
auf den Herd stellt, bis die Nadeln glühend sind. Dann sollen sie das Herz der
Hexe durchstechen und sie zwingen den Zauber zu lösen. Solche mit Stecknadeln
gefüllte Flaschen werden in jener Grafschaft oft unter dem Herde gefunden, wenn
ein Haus niedergerissen oder umgebaut wird. An einem Ort fand man auch bei
solcher Gelegenheit das Herz eines Schweines, das über und über mit Dornen
1) Derselbe Glaube auch in Alabama, N. A.. Bergen No. 341.
2) Lafcadio Hearn, Glimpses of unfamiliar Japan.
332 Wendheini:
bespickt war. Man vermutete, dass dies einen Racheakt gegen eine vermeintliche
Hexe bedeutete, der in dem Glauben geschah, dass ihr Herz in gleicher Weise
zerstochen und durchbohrt und schliesslich leblos wie das Schweineherz werden
würde. In der Oberpfalz rächt sich ein verlassenes Mädchen an dem ungetreuen
Schatz, indem es um Mitternacht in eine unter Zauberformeln angezündete Kerze
einige Nadeln sticht und spricht: „Ich stich das Licht, stich das Licht, ich stich
das Herz, das ich liebe." Der Untreue muss dann sterben (Schönwerth, Aus der
Oberpfalz, 1, 127).
Wenn eine Kuh plötzlich die Milch verliert, also behext ist, wirft man in Ost-
preussen Nadeln in eine Pfanne, worin etwas Milch von jener Kuh siedet. Damit
wird die Hexe gepeinigt (Wuttke, Aberglaube § 701). In Oldenburg werden bei
Behexung des Viehes die edlen Eingeweide eines dem kranken Tiere gleichartigen
Tieres oder einer schwarzen Henne über und über mit Nadeln besteckt und bei
verschlossenen Thüren und Penstern in fest verdecktem Gefässe über das Feuer
gestellt. Wenn das Herz kocht, muss die Hexe erscheinen und um Erlösung bitten
(Strackerjan, Aberglauben und Sagen aus Oldenburg, 1,361). Auch wird das Herz
eines durch vermeintliche Verhexung gefallenen Tieres mit Nadeln bespickt und in
einem Beutel vor Sonnenaufgang in ein fliessendes Wasser geworfen (ebenda).
Eine andere Art von Zauberei bestand darin, dass eine Gestalt aus Lehm
oder Wachs geformt wurde, der man die Namen desjenigen gab, der geschädigt
werden sollte, und die man dann entweder mit Stecknadeln durchstach oder ver-
brannte. ^) In gleicher Weise wie diese Figur musste die verzauberte Person auch
zu Grunde gehen. Marie von Medicis und ihre Freundin Leonora Concini standen
im Verdacht, das Leben Ludwig XIII. von Frankreich gefährdet zu haben, indem
sie eine Gestalt aus Lehm formten, ihr seine Namen gaben und sie dann mit
Stecknadeln durchbohrten. Unter der Regierung Heinrich VI. von England wurde
die Herzogin von Gloucester eines ähnlichen Verbrechens angeklagt. Shakespeare
spielt auf diesen Aberglauben in Richard HL, Akt III, Scene 4 an, wo er den
Herzog von Gloucester zu Hastings sagen lässt:
„Sei denn eu'r Auge ihres Unheils Zeuge:
Seht nur, wie ich behext bin! Schaut, mein Arm
Ist ausgetrocknet, wie ein welker Spross.
Und das ist Eduards Weib, die arge Hexe,
Verbündet mit der schandbarn Metze Shore,
Die so mit Hexenkünsten mich gezeichnet."
Noch im Jahre 1869 wurde in der Grafschaft Inverness ein solcher „Corps
cre" oder „Criardt" in einem Flusse aufgefunden. Der Körper war aus Lehm, in
welchem menschliche Nägel, Vogelkrallen und Stecknadeln staken. Er stellte eine
bestimmte Person dar, deren Feind ihren Tod wünschte und der daher diese Lehm-
gestalt in fliessendes Wasser gelegt hatte, damit, sowie das Wasser die Gestalt
auflöste, das Leben aus dem menschlichen Körper entfliehen sollte. Auf der
nordfriesischen Insel Amrum lag ein Mann lange krank darnieder und kein Mittel
wollte ihm helfen. Da beobachtete eines Tages ein Bauer ein Weib, wie sie
etwas im Sande vergrub. Nachdem sie fortgegangen war, forschte er nach und
fand eine kleine Wachsfigur mit einer Stecknadel im Herzen. Er zog die Nadel
heraus, verbrannte die Gestalt und der kranke Mann erholte sich.
Auch in Indien spielen Stecknadeln eine Rolle, wie die folgende Erzählung
beweist: Eine Zauberin verliebte sich in einen Prinzen, der jedoch ihre Liebe
1) J. Grimm. D. Mythol., 2. A , S. 1045 f. 4. A., B, iUö. Auch Puppen wurden zu
diesem Zwecke gemacht und durchstochen, Wuttke, D. Volksabergl. § 396.
Kleine Mitteilungen. 333
4
verschmähte. Um sich zu rächen, belauschte sie ihn, wie er das Bad verliess und
blies aus einem Beutel eine Menge Stecknadeln über ihn. Sie hafteten an seinem
Körper und er verlor die Besinnung. Viele Jahre später verirrte sich eine Prin-
zessin im Dschungel und entdeckte eine zerfallene Stadt und die Ruinen eines
Palastes. Dort fand sie den Prinzen auf einem Lager ausgestreckt; sie zog die
Stecknadeln aus seinem Körper und löste den Zauber.
Wenn in Italien eine Frau entdeckt, dass das Herz ihres Geliebten oder ihres
Gatten sich einer anderen zugewandt hat, begiebt sie sich zu einer Wahrsagerin,
nachdem sie sich einen kleinen Teil irgend eines Kleidungsstückes ihrer Neben-
buhlerin verschafft hat. Die Wahrsagerin befestigt den Lappen mittels eines
Nagels und mehrerer Stecknadeln an einer frischen Citrone. Diese wird dann von
der hilfesuchenden Frau in den Brunnen des Hauses ihrer Nebenbuhlerin geworfen.
Jede Stecknadel bringt dieser einen Kummer, und der Nagel einen nagenden
Schmerz im Herzen, der sie nie wieder verlässt (Math. Serao, II paese di Cuc-
cagna. 1-^91).
An vielen Orten werden auch Nadeln in Brunnen geworfen, und aus der
Richtung, in der sie fallen, gewahrsagt. Im Norden Englands giebt es bestimmte
„Wunschbrunnen'', in die der Vorübergehende nur eine verbogene Stecknadel zu
werfen braucht, um der Erfüllung seines Wunsches gewiss zu sein.^)
Kinderpuppeiigräber (Oredlgräber) in Nietler-Österreich.
Im August 189s wurde von Herrn Gustav Calliano bei Baden (Nieder-Öster-
reich) ein sogenanntes Faijagredigrab aufgefunden. Ein kreisrunder, 40 cm tiefer
und breiter, im Erdreich eingebetteter Aschenraum, an der Oberfläche durch einen
Kreis von gewöhnlichen Kalksteinen markiert, barg an seiner tiefsten Stelle eine
in mehrere Stücke zerbrochene kleine Thonfigur, die bäuerliche Fajagredl (Feuer-
gretel). Es war ein förmliches Grab, in welchem nach der Volksüberlieferung
diese menschliche Nachbildung von Kindern, die Leichenbrände der Grossen nach-
ahmend, bestattet wurde.
Diese Lämdocka (Laimtotken), wie die Bauern die Thonfigürchen nennen,
sind etwa eine Spanne hoch, haben einen glockenartigen Unterrock und am Ober-
leibe sieht man deutlich die Hand angelegt. Sie erinnern an die Ödenburger und
Fischauer Mondidole. Bisher sind diese durch die runde Steinsetzung nach aussen
gekennzeichneten Gredlgräber in Nieder-Österreich noch nicht beobachtet worden.
(Nach dem Jahresbericht des Präsidenten der Anthropologischen Gesellschaft
für 1898. Wien l.s99. S. 5b.) K- W-
Niedersächsische „Zaiiberpuppeii".
Von Richard Andrea iu Rraunschweig.
Ob die Überschrift richtig gewählt ist, ich weiss es nicht. In Ermangelung
einer besseren setze ich sie vorläufig hierher; würde es sich um ähnlich aus-
sehende Gegenstände aus Afrika handeln, so hätte ich mich mit dem vieldeutigen
-Fetisch" behelfen können. Es handelt sich hier um Dinge, die, wie ich glaube,
1) über die pinwells in Schottland. Irland, Cormvales, der Bretagne: K. Weinhold,
Die Vert^hrung der Quellen in Deutschland, Berlin 1898, S. 59, über Nagelquelleu S. 601'.
334
Andree :
zum erstenmale in der niedersächsischen Volkskunde zu Tage treten und zu denen
ich Gegenstücke nicht nachzuweisen vermag.
Die hier abgebildeten Figuren befinden sich im Museum zu Celle, das besonders
reich an niedersächsischen bäuerlichen Altertümern ist und unter der sachkundigen
Leitung des Herrn Wilhelm Bomann
sich eines gedeihlichen Aufschwungs
erfreut. Herr Bomann hat auch die
fraglichen .,Zauberpuppen" aufge-
funden und ihm verdanke ich es
auch, dass ich sie hier beschreiben
und abbilden kann.
Der Fundbericht ist kurz folgen-
der. Ich gebe ihn genau nach den
mündlichen Mitteilungen des Herrn
Bomann, da er auch die einzigen
Anhaltspunkte für die Bestimmung
des Zwecks der ,,Zauberpuppen''
enthält.
Im Jahre 1898 forschte Herr
Bomann in einem alten nieder-
sächsischen Hause des nahe bei
Celle gelegenen Dorfes Bockeiskamp
nach bäuerlichen Altertümern. Der
Besitzer des Hauses, Bodenstat ge-
nannt, öffnete dabei auch eine alte
Truhe, „Lade", in welcher früher
die Bauern Kleider, Leinenzeugu.s.w.
aufbewahrten und noch aufbewahren.
Diese Truhen enthalten fast immer
noch eine kleine biia'e. Beilade, ein besonderes, an einer Seite angebrachtes und
mit eigenem Deckel versehenes Fach, in welchem das bare Geld, Schmucksachen
und dergl. geborgen wurden. Herrn Bomann fiel dabei auf, dass die betreffende
Beilade sehr flach war und beim weiteren Nachforschen erkannte er einen doppelten
Boden. Er wurde geöffnet und darin lagen die vier „Zauberpuppen" (von denen
hier drei abgebildet sind) zum grossen Erstaunen des Besitzers, der von deren
Vorhandensein keine Ahnung hatte und dem, wie auch Herrn Boraann, der Zweck
dieser Gebilde völlig rätselhaft war. Niemand im Hause oder im Dorfe wusste
irgend welchen Bescheid über die offenbar nach allen Kennzeichen sehr alten
Figuren, doch gelang es Herrn Bomann bei weiterem Nachforschen, durch den
siebzigjährigen Bauern Krüger im Dorfe Brodel wenigstens einige Kunde zu er-
halten.
Solche „Sympathie- oder Zauberraittel", erklärte der alte Krüger, seien in
seiner Jugend wohl noch hier und da bei den Bauern in der Umgegend Celles
angewendet worden und zwar zu zweierlei Zwecken: einmal, um die Empfängnis
der Frauen zu hindern und zweitens um die Fruchtbarkeit steriler Frauen hervor-
zurufen.
Also dieselben Dinge sollten zweierlei ganz entgegengesetzte Zwecke verfolgen.
Wie weit nun in dieser Beziehung der alte Krüger recht hat, lasse ich dahin-
gestellt. Aber sehr wohl denkbar ist es, dass bei unsern Bauern, im Hannoverschen
sowie im Braunschweigischen, wo die Majorate herrschten, gegen ein Zuviel des
Kleine Mitteilungen. 335
Kindersegens gewirkt wurde. Das bekannte Zweikindersystem war auch hier bei
den reicheren Bauern allgemein verbreitet und da ist es möglich, dass neben
bekannten Abortivmitteln auch einmal Zauber- und Sympathiemittel angewendet
wurden, eben in der Form der jetzt entdeckten „Puppen", wiewohl über die Art
ihrer Anwendung nichts verlautet und diese uns daher unbekannt bleibt, falls nicht
durch Analogien Licht darauf geworfen wird.
Die vier in der Beilade aufgefundenen „Puppen" haben eine Länge, welche
zwischen 20 und 28 cm wechselt; sie sind sehr flach und 2—4 cm breit. Der
Körper derselben besteht aus einem mürbe gewordenen, die Zeichen des Alters an
sich tragenden Holzspan von wenigen Millimetern Dicke. Dieser ist mehrfach mit
einem „plünnen" (Lappen) von grober, weisser Bauernleinwand umwickelt, gleichsam
bekleidet und mit kreuzweis angelegten Fäden überbuaden. Die Figuren sind
ungleich gearbeitet, wie schon aus den Abbildungen hervorgeht; am sorgfältigsten
ist die grösste (in der Mitte), bei welcher durch die Wickelung der Leinwand und
die Umschnürung mit dem Faden eine Art Kopf hergestellt ist. Ein Exemplar,
das ich öffnen durfte, enthielt ausser dem Holzspan am oberen Ende desselben
eine schwarze, bituminöse, brennbare Mas-^e; auch war ein roter Farbenfleck von
der Grösse eines Zehnpfennigstückes an dem Spane bemerkbar.
Wiewohl ich mit dem Leben und dem Aberglauben unserer niedersächsischen
Bauern genau bekannt bin, stehen diese „Zauberpuppen" für mich doch als ünica
und ohne Analogie da. Vielleicht tragen aber diese Zeilen dazu bei, weitere Auf-
klärung herbeizuführen. Die Deutung des Zweckes beruht einzig auf der Aussage
des alten Krügers in Brodel und diese müssen wir, ehe anderes erwiesen, vor der
Hand achten. Ich will aber noch eine Vermutung hier anführen: Die Puppen
wurden in der Beilade der Truhe gefunden, wo der Bauer sein Geld aufbewahrt.
Könnten sie da nicht als eine Art von .,Heckemännchen" zur Vermehrung und
Bewahrung des aufgestapelten Schatzes gedient haben?
>Vie im Liineburgischeu Pferdekolik gelieilt wird.
„Düsse Geschichte is lögenhaft to verteilen — aber wahr is se doch." Mit
diesen Worten wird die bekannte Geschichte vom Wettlaufen des Hasen und
Swinegels eingeleitet und ich möchte sie auch der nachfolgenden kurzen Mitteilung
voranstellen, die vollkommen belegt ist und die ich bei einer meiner Heidfefahrten
im Sommer 189L) in dem Städtchen Wittingen (Kreis Isenhagen) wiederholt von
verschiedenen glaubwürdigen Leuten erzählen hörte. Man versteht sie, wenn man
mit dem Glauben der Landbevölkerung rechnet, dass es sovyohl Menschen giebt
„dei annern wat andaun könnt" (böser Blick u. s. w.), als auch solche, denen
Heilkraft innewohnt, entweder von Natur aus, oder auch durch eine besondere
Handlung erworben. Um den letzteren Fall handelt es sich hier und der Vorgang
der Erwerbung spielt in den sechziger Jahren in dem Heidedörfchen Gannerwinkel,
das etwa 7 km nördlich von Wittingen liegt.
Dort stand um jene Zeit die Frau des Bauern Alpers kurz vor ihrer Nieder-
kunft; ihr Mann hatte gehört, dass Neugeborene durch ein besonderes Verfahren
die Eigenschaft erwerben könnten, die Pferdekolik zu heilen und er beschloss
dasselbe bei dem zu erhofl"enden Kinde in Anwendung zu bringen, weil damit sich
ein Geschäft machen liess, d. h. die Kurkosten bezahlt werden mussten. Die
Sache verlief nun folgendermassen: Sobald das Kind, ein Mädchen, zur Welt kam,
wurde ein Pferd aus dem Stalle in die Stube der Wöchnerin geführt und das noch
336 Zacliariae:
ungewaschene neugeborene Wesen rittlings auf dasselbe gesetzt; dadurch erhielt
das Mädchen die Kraft nun fürderhin Pferdekolik heilen zu können, und diese
vermeintliche Heilkraft ist denn im Laufe der Jahre oft 'genug ausgeübt worden;
von weither brachten die Landleute nach Gannerwinkel kolikkranke Pferde. Das
Mädchen wurde dann vollständig entkleidet und auf den Rücken des kranken
Pferdes gesetzt. Im übrigen galt dabei der niederdeutsche Spruch: „bat't et nich,
so schat't et nich." Als Witwe K. wohnt das mit der Heilkraft begabte Mädchen
noch heute in Wittingen; dass sie aber noch jetzt Pferdekolik heile, wird nicht
gesagt, denn es scheint, als ob mit der Verheiratung die Kraft erloschen sei.^)
Braunschweig. Richard Andree.
Zur 15. Erzählung des Siddhi-Ktir.
In seiner Abhandlung über die Kraniche des Ibykus in der Sage (diese Zeit-
schrift 6, 115ff.) hat Gaetano Amalfi S. 121 ff. eine Erzählung aus dem mongolischen
Siddhi-Kür^) mitgeteilt. Die Erzählung führt den Titel: Abaraschika, das
vielbedeutende Wort. Amalfi bezeichnet dieses 'vielbedeutende W^ort' als ein
erfundenes; ebenso nennt es Bernhard Jülg in der kleineren, nur die Übersetzung
enthaltenden Ausgabe der Mongolischen Märchen S. 120 ein erdichtetes Wort.
Allerdings ist das Wort erfunden oder erdichtet: wie es aber zu stände kam,
kann man nur verstehen, wenn man die Sanskritversion der Abaraschika-Geschichte
vergleicht, die Julius Eggeling vor nicht langer Zeit im Auszug bekannt gemacht
hat (siehe GurupüjfikaumudT; Festgabe zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum Albrecht
Weber dargebracht von seinen Freunden und Schülern; Leipzig 1896, S. 123, wo
auf Jülgs Mongolische Märchen S. 11 f. verwiesen wird). Die indische Geschichte
findet sich in dem Kathäprakäsa des Misra Jagann ätha und führt den Titel
Brähmanakathä. Ihr Inhalt wird von Eggeling wie folgt angegeben:
'Zu Zeiten des Bhojaräja lebte in UjjayinT ein Brähmane, der, weil ihm nicht
gleiche Ehre wie dem Kfilidäsa erwiesen wurde, sich mit seinem Diener gleicher
Kaste auf Reisen begab. So kommt er zum König von Kälanjara, macht ihm
seine ehrfurchtsvolle Aufwartung (taswai ükhn daitä) und wird von demselben
reich beschenkt wieder entlassen. Auf der Heimreise legt er sich in der Hitze
des Tages unter einen Feigenbaum und schläft ein. Da wird die Geldgier in
1) [In Mecklenburg begegnen gleiche Bräuche: aus üambeck bei Grabow ist berichtet,
dass, wenn einem Bauern ein Knabe geboren ist, sogleich ein (mit einer Decke belegtes)
Pferd in die Stube geführt und der Kuabo für einige Augenblicke darauf gesetzt wird.
Er bekommt dadurch die Kraft, Pferde, welche Kolik haben, zu kurieren, indem er sie
reitet: K. Bartsch, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, 2, 42. Ackermann
berichtet in der Monatsschrift 1T92, S. 345: Ein eben geborenes (männliches) Kind setzt
man nackt auf ein Pferd und führt es mit demselben auf dem Hofe herum : dadurch haben
alle Pferde, die ein solcher Knabe besteigen wird, das beste Gedeihen und selbst kranke
kuriert er, wenn er darauf reitet. Bartsch 2, 41. - Über die Macht der Nacktheit über
Tierkrankheiten nach nordindischeu Gebräuchen vgl. meine akademische Abhandlung Zur
Geschichte des heidnischen Eitus, Berlin 1896, S. b<^. K. Weinhold.]
2) Die Angabe Amalfis, der Siddhi-Kür sei eine Paraphrase der Sanskrit-Sammlung
Simhäsanadvätrimsati, beruht auf einer Verwechslung. Der mongolische Siddhi-Kür ent-
spricht der indischen Vetälapaucavimsati. Zu Amalfis Aufsatz über zwei orieutaHsche
Episoden in Voltaires Zadig (oben 5, 71 ff.) vergleiche übrijjens die Doktordissertation von
Wilhelm Seele, Voltaires Eoman Zadig ou la destinee. Eine Quellenforschung. Leipzig
1891, bes. S. 40 ff. 54 ff.
Kleine Mitteilungen. 337
dem Diener wach; und, mit dem Fusse auf die Skalplocke des Schlafenden tretend,
zieht er sein Schwert, um dem Schläfer den Kopf abzuschlagen. Von dem Schmerz
erwacht indes der Herr, und als er sieht was vorgeht, bietet er dem Diener all
sein Gold und verspricht, für immer ausser Landes gehen zu w^ollen. Da aber
dieser darauf nicht eingeht, bittet er ihn, wenigstens seinem Vater eine Botschaft,
bestehend aus den Silben apra^ikhäh, zu überbringen. Der Bösewicht willigt ein
und versetzt ihm den Todesstreich. Der Vater aber weiss nun mit der erhaltenen
Botschaft nichts anzufangen und sucht sich beim König, als dem raturda.sarid'iäni-
dhänam [d. h. dem Beherrscher der vierzehn Zweige des Wissens], Rats zu er-
holen; aber weder er noch Kälidfisa und die übrigen Weisen können ihm helfen.
Da wird der König schwermütig und verschmäht jedwede Nahrung. Ein Weiser
aber, Namens Vararuci, der sich nicht der Verachtung aussetzen will, dass der
König auch um seiner Unwissenheit willen stirbt, verlässt die Stadt. Während
er auf einem Feigenbaume übernachtet, erfährt nun auch er das Geheimnis von
einem Schakalweibchen, das seinen sieben Jungen unter den bekannten Umständen
die Geschichte erzählt und wie das bewusste Wort aus den Anfangssilben der
pädas [d. h. der Versviertel] des verräterischen Verses bestehe:
aneva tava pntrasi/a jirasuptasya vanäntare,
.sikhäUl äkramiju pädena k/iadgetia nihatam sh-afj,
— 'Durch diesen, indem er mit dem Fusse auf dessen Haarlocke trat, ist deinem
Sohne, während er im Walde schlief, mit dem Degen das Haupt abgeschlagen
worden.' So kommt die Unthat an das Licht, und der Mörder wird seiner Habe
für verlustig erklärt und des Landes verwiesen, — die höchste Strafe, die ihm als
Brfihmanen widerfahren kann.'
Der Kathäprakfitia, dem diese Erzählung entnommen ist, ist nach Eggelings
Schätzung (a. a. 0 , S. 121) nur etwa 200 Jahre alt. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass Jagannätha, der Kompilutor der Sammlung, diese Erzählung, sowie
sieben andere von Eggeling mitgeteilte Erzählungen, einem weit älteren Werk
entlehnt hat. Bis jetzt ist dieses Werk, soviel mir bekannt, noch nicht wieder
aufgefunden worden.
Halle a. d. S. Theodor Zachariae.
Zweideutige Fabeltiere. — Eine Umfrage.
Herr Dr. Bartels hat uns in seiner Abhandlung über die Fledermaus und den
Maulwurf darauf aufmerksam gemacht, dass diese Tiere eine zweideutige Rolle im
Volksaberglauben spielen. In England tritt dieser Gegensatz noch schärfer hervor;
in der Grafschaft Shropshire nach Burne (Shropshire Folklore) werden Fledermäuse
im Süden für heilig gehalten, im Norden gar getötet.
Dieser Fall ist aber gar nicht vereinzelt, und es scheint mir deswegen zweifel-
haft, ob wir die Theorie der Einwandening von fremden Ideen für eine hin-
reichende Erklärung halten können. In Wales ist z. B. nach Owen (Welsh Folk-
lore, S. 340) ein Bienenschwarm von übler Bedeutung, wenn er in ein Haus kommt;
dagegen wird dies in Haferfordwest, Hawarden, anders ausgelegt. Krähen, Grillen,
weisse Pferde etc. sind ebenfalls zweideutig.
Wie sollen wir diese Gegensätze erklären? Nicht unwichtig ist die Thatsache,
dass einige Tiere, z. B. der Hase, örtlich für heilig gehalten werden; anderswo
werden sie ohne Umstände getötet und gegessen. Als dritte Thatsache kann viel-
leicht hinzugefügt werden, dass einige Tiere, welche gewöhnlich geschont werden,
338
Schütte:
doch einmal im Jahre wie der Zaunkönig in England, Frankreich u. s. w. gejagt
werden.
Ura eine genügende Erklärung zu finden, müssen wir diese drei Klassen be-
rücksichtigen, und eine möglichst grosse Anzahl Beispiele zur Verfügung haben.
Ich möchte also Sachverständige um Auskunft über folgende Punkte bitten:
1. Sind folgende Tiere jemals von guter Bedeutung und wo? Dohle, Eule,
Gans, Hase, Katze, Krähe, Kiebitz, Schimmel, Schwein, Wiesel.
2. AVas ist die Bedeutung folgender? Biene, Elster, Fledermaus, Fuchs,
Grille, Maulwurf, Schaf, Schlange, Schwalbe, Wolf.
3. Werden obige oder andere, welche gewöhnlich geschont werden, einmal
im Jahre gejagt, getötet oder mit besonderen Umständen gegessen? Oder
werden sie für heilig gehalten?
4. In welchen Fällen spielt die Farbe eine grosse Rolle? Sind z. B. schwarze
Katzen, Schafe u. s. w. willkommene Gäste?
Denjenigen, die bereit sind, mir noch weiter behilflich zu sein, will ich auf
Wunsch einen besonderen Fragebogen über Tieraberglauben zuschicken. Ich
möchte aber alle bitten, die mir über die Bedeutung auch nur eines einzelnen
Tieres im Volksaberglauben Auskunft geben wollen, dies mit A^igabe des Ortes,
wo der Aberglaube herrscht, zu thun.
Kiel, Feldstr.41. N. W. Thomas.
Eine l)raunschweigische Fastnachtfeier vor fünfzig Jahren.
Die Feier der Fastnacht in Nord-Deutschland hat heutiges Tages viel von
ihrem früheren Glänze eingebüsst. In den Städten des Herzogtums Braunschweig
merkt man gar nichts mehr davon und auf dem Lande wenig. Grössere Feiern
sind mir nur aus Wahrstedt bei Öbisfelde und den Ortschaften am Hilse bekannt.
Das war vor fünfzig Jahren noch anders. Damals feierte man den Abschied von
der freudenvollen Zeit mehrere Tage lang. So thaten sich in Grasleben bei Helm-
stedt die Spinnklubs zu gemeinsamer Feier zusammen. Die jungen Burschen
kauften ein Kalb, das in Gesellschaft der jungen Mädchen in der Wirtschaft ver-
zehrt wurde. Ausserdem ass man dort die Würste, die man auf dem Bittgange
bei den Bauern gesammelt hatte, i) Denn jeder derselben gab gern, man suchte
sogar eine Ehre dann, die beste Mettwurst herzugeben. Neben der Jugend nahmen
auch die älteren Besitzer willig an der Feier teil. Zwei Nächte wurden ganz dem
Tanze gewidmet, die Tage aber mit Lust und Freude hingebracht. Da tneb man
ohne Rücksicht auf das Wetter unter allgemeiner Teilnahme der Bewohner auf
der offenen Dorfstrasse seinen Mummenschanz. Verkleidete Leute zogen unter
anderm umher, die fremde Vögel zum Verkaufe anboten. Sie ahmten dabei die
Art der Verkäufer auf den Märkten nach, indem sie ihre gefärbten Spertinge wegen
ihrer Kunst im Singen lobten. Andere zeigten als Seltenheit weisse Mäuse und
gefärbte Kaninchen vor, die angeblich aus fernen Erdteilen bezogen waren. Auch
Orgelmänner fehlten nicht. Als Orgeln dienten Käsebauer, die mit einer Sofadecke
verhüllt waren. Einen Krickel (Gnff) hatte man sich selbst dazu gemacht und
schlug damit an Glocken von verschiedenem Klange, die man im Bauer aufgestellt
hatte. Es wurden auch Bilder gezeigt und erläutert. Bei einem dieser nef der
Erklärer begeistert aus:
1) R. Andree, Brauiischweiger Volkskunde. Brauuschweig 1896. S. 237.
Kleine Mitteilungen. 339
„Hier rüsten sich die deutschen Soldaten
Zum Schutze ihrer Staaten.
Sie wagen mit fröhlichem Mut
Für ihren Landesherrn das Blut."
Allgemeine Heiterkeit erregte die russische Schlittenfahrt, die bei Schnee durch
das ganze Dorf gemacht wurde. Den Schlitten stellte man sich dadurch her, dass
man in das Ende eines langen Leiterbaumes ein Loch schlug, eine Stange darein
steckte und auf diese ein Wagenrad legte, das mit einer Seite die Erde berührte.
Zwei Männer setzten sich darauf, vor den Baum wurde ein Pferd gespannt, und
die lustige Fahrt begann.
Beim Tanze abends auf dem Saale durchdrang plötzlich die Menge der Ruf,
es sei einer krank geworden. Man schickte nach einem Arzte. Dieser eilte sofort
herbei und nahm eine Untersuchung vor. Dabei stellte sich heraus, dass der Er-
krankte an einem Bandwurme leide. Dies festzustellen war nicht schwierig, denn
der angeblich Kranke hatte aus der etwas aufgetrennten hinteren Hosennaht ein
kleines Ende weisses Band heraushängen, dessen Knäuel in seiner Hose verborgen
war. Der Bandwurm musste entfernt werden, wenn der Kranke gerettet werden
sollte. Zu dem Zwecke wurde ein Haspel herbeigeschaft und der Wurm auf-
gehaspelt.^) Doch der Kranke überstand die Operation nicht, er starb und musste
begraben werden. Zu der Beisetzung erschien ein Pastor und hielt ihm folgende
Grabrede-):
„Hier unter diesem Leichonstciu, Denn seine Saat war ringsumher
Da ruiit der Doktor Klapperbein, Auf guten Grund gefalltMi,
Gesegnet von uns allen. Für Hass, Neid und Hader,
Sein Tod allhier ward ihm nicht scliwer, Für Doktor, Feldscher und für Bader.
Dieser Eingang steht geschrieben im fünften Buche der Lehmklicker:
David und Salomo waren grosse Sünder.
Sic liebten hübscl)e Weiber und hatten viele Kinder.
Was nun unseren alten verstorbenen Mitbruder anbelangt und anbet.nfft, so
hatte derselbe vorn eine Flasche und hinten ein Saufhaus. Sein Vater war der
ehr- und werteste Hans Steffen, Schweineschneider hierselbst; seine Mutter war
die brave Rauwaldstochter aus Vogelsdorf. Diese beiden Eltern haben einen vor-
trefflichen Sohn gezeugt, so dass er aufs hundertste Mal abgebildet worden, weil
er so schön war, denn er war wie eine gewälzte Sau und wie ein abgebleichter
Kulkrabbe. Summa: seine Gestalt war wie ein Schweinigel. Als er nun ein wenig
herangewachsen und zu Verstände gekommen war, haben ihn seine Eltern auch
fleissig zur Kirche und Schule gehalten. Da hat er denn das ABC-Buch wohl
drei- bis viermal durchstudiert bis an den Hals, aber in den Kopf war nichts
hineingekommen. Hierauf haben ihn seine Eltern in ein Dorf gebracht beim
Schweinehirten, um allda das Handwerk zu erlernen. Da hat er sich auch recht
treu und fleissig gehalten, so dass der Knüppel keine Klage über ihn geführt hat.
Nun ist er krank geworden und hat sich Knall auf Fall niedergelassen auf das
linke Ohr und die rechte Arschbacke. Da hat man es ihm an kräftiger Medizin
nicht fehlen lassen, nämlich: Glockenklang und Vogelgesang, das Eingeweide aus
1) [Da im medizinischen Volksaberglauben den Würmern im Menschen sehr viele
Krankheiten zugeschrieben wurden, bilden die Wurmsegen einen grossen Teil der Heilsegen.
Der operative Eingriff gegen die dämonischen Würmer, das Wurmschueiden, ist Satire. K. W.J
2) [Die travestierten Predigten sind alt und volkstümlich, waren namentlich zur Fast-
nacht beliebt bei dem Begräbnis der Fastnacht oder des Fasching und waren meist nicht
sauber. K. W.]
340 Hein:
einer Mücke und das Gerumpel von einer Brücke. ^) Dies alles hat man in einem
hörnernen Mörser mit einem rauhen Fuchsschwänze zu Pulver gestossen und dem
Patienten fein nüchtern drei Wochen vor Michaelis eingegeben. Als nun alle diese
kräftige Medizin nicht anschlagen wollte, liess er sein Testament machen. Seinem
Vater vermachte er seine alte geflickte Hose, der Köchin die Lauseharke und der
Magd ein paar alte Zähne und ein paar alte Schuhschnallen."
So vergnügte sich ehemals das Volk, und die Alten erinnern sich mit vieler
Freude des lustigen Spieles.
Braunschweig. Otto Schütte.
Büclieraiizeigen.
Das deutsche Volkslied. Zeitschrift für seine Kenntnis und Pflege. Unter
der Leitung- von Dr. Josef P omni er und Hans Fraungruber. Her-
ausgegeben von dem Deutschen Volksgesang-Vereine in Wien. 1. Jahrg.
1. und 2. Heft. Mai 1899. 8». S. 1—20.
Soeben erschien das erste Doppelheft dieser neugegründeten Zeitschrift, welche
den Freunden des deutschen Volksliedes eine bisher schwer vermisste Führerin
zur Erkenntnis echten Volksgesanges werden soll. Der als Herausgeber genannte
Verein, der gerade vor einem Jahrzehnt gegründet wurde, hat schon durch eine
Reihe von Plugschriften das Verständnis für unverfälschte Volksweisen in weiteren
Kreisen zu wecken verstanden und sich in der kurzen Zeit seines Bestandes auch
in der wissenschaftlichen Welt eine anerkannte Stellung errungen. Die Zeitschrift
wird, wie Dr. Pommer im Begleitworte „Was wir wollen" verspricht, ausserdem
Liede auch lyrisch-epische Volksballaden, Sagen und Märchen behandeln, da sie
doch den Nährboden bilden, aus dem der lebensfrohe Quell des Volksliedes ent-
springt. „Und wenn sichs gerade ergiebt, wird vielleicht auch einmal ein Wörtlein
über volkstümliche Musikinstrumente (Hackbrett, Schwegel), über Tanz und Tracht,
über Brauch und Sitte, über Sprache und Leben unseres Volkes gesagt werden
dürfen — ." Der Begriff des Deutschtums soll so weit als möglich gefasst werden,
so dass auch das Lied der nordischen Germanenstämme, der Dänen, Schweden,
Norweger und Angelsachsen ab und zu eine Besprechung erfahren wird. Sollte
diesen Leitgedanken thatsächlich in jeder Hinsicht entsprochen werden, woran zu
zweifeln gar kein Grund vorliegt, so wird diese neueste Zeitschrift auch von den
volkskundlichen Forschern eine volle Beachtung finden müssen.
Die Reihe der grösseren Aufsätze eröffnet Hans Fraungruber mit einer Ab-
handlung: „Wie der Steirer singt", die mit viel Wärme und wahrem Gefühl ge-
schrieben ist. Die doppelte Aufgabe der Zeitschrift, nicht nur der Kenntnis, sondern
auch der Pflege des Volksliedes zu dienen, kommt gerade in den Ausführungen
Fraungrubers schön zum Ausdrucke, und es sei gestattet, besonders auf den
Schluss derselben zu verweisen: „Um der Verfälschung des echten Volksgesanges
1) [Derartige immögliche Rezepte sind ein alter Volkswitz.]
Bücheranzeigen. 341
im Volke selbst wirksam zu begegnen, sollten die Landschulen fleissig das echte
Volkslied und gute Lieder im Volkstone pflegen. Da die hochdeutsche Sprache
im Lese- und Realienunterricht genugsam zu ihrem Rechte kommt, lasse man die
Jugend ohne Bedenken im Dialekte singen." Von den übrigen Mitteilungen dürfte
die merkwürdige Akkordfolge eines Jodlers von Gross-Hollenstein in Nieder-Öster-
reich am meisten Beachtung verdienen, weil sie einen tieferen Einblick in das
Wesen derartiger Jodler gestattet. Von grossem Nutzen endlich wird die ver-
dienstliche Zusammenstellung von Fundorten und Quellen sein, in welcher vorerst
Orte und Liedkundige angeführt werden, welche Dr. J. Po mm er sich bei seinem
zweijährigen Aufenthalte (1889 und 1891) in Tirol angemerkt hat.
Floridsdorf. Dr. Wilhelm Hein.
Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde. Herausgegeben
von M. Grunwald. Heft 2 und 3. Hamburg, Selbstverlag- der Ge-
sellschaft, 1898. SS. 89. 90. 8».
Dem im vorigen Jahre besprochenen 1. Hefte sind schnell zwei andere gefolgt.
Der Herausgeber, Herr Rabbiner Dr. Grunwald, giebt in denselben eine Anzahl
„Märehen und Sagen der deutschen Juden" aus den alten Maasch (Ge-
schehnis) Büchern. Dieselben sind in das Hochdeutsche übertragen und zum Teil
stark verkürzt. Geht dadurch allerdings der Reiz der ursprünglichen naiven Dar-
stellung einigermassen verloren, so ist es doch — wie in der vorigen Besprechung
hervorgehoben wurde — günstiger, als wenn nur der nicht allzuleicht verständliche
Urtext gegeben würde. Ein jüdisch-deutsches Gedicht aus Galizien und ein alter-
tümliches Lied aus Süd-Deutschland werden ebenfalls mitgeteilt. Der Herausgeber
bildet das Eigenschaftswort von der ersteren Landschaft stets „galizianisch"; uns
scheint, dass dies Wort mehr für das spanische Galizien üblich ist, während man
für das polnische Königreich „galizisch" zu gebrauchen pflegt, i) Leo Wiener
(Harvard üniversity) bringt eine Sammlung von Wiegenliedern, Abzählversen und
dergl. „aus der russisch-jüdischen Kinderstube". Sollte er dieselben in Amerika
bei Einwanderern gesammelt haben? Für Volkstrachten und Sitten ist wichtig ein
Auszug aus der Gemeinde-Ordnung der „Drei-Gemeinden", d. i. Hamburg, Wands-
beck und Altona 1726: ^Einer Kindbetterin soll es untersagt sein, in ihrem Zimmer
oder um dem Bette herum allerhand Silberzeug oder golden Geschirr auszuzieren
oder auch sich selbst mit Diamanten oder Perlen zu schmücken." „Frauenspersonen
sollen überhaupt nicht in die Opera gehen." „Bei Verlöbnissen, Hochzeiten und
dergl sollen keine Kapphühner, Konfekturen, Mandeln und Prünellen-Torten, Pleven
und dergl. übermässig kostbare Speisen aufgesetzt werden." Dr. Löwenstein bringt
einige Kalloh-Lieder (Hochzeitcarmina) aus dem vorigen Jahrhundert, wie sie der
Marschallik (Spassmacher) improvisierte. Dr. A. Landau schildert Kinderspiele
aus Ostgalizien. Unserem früher ausgesprochenen Wunsche nach Beifügung von
Erklärungen und Verdeutschungen ist der Herausgeber in reichlichem Masse nach-
gekommen. Auch Rechtsurkunden werden abgedruckt, z. B. Schutzbriefe (wovon
der Ausdruck „Schutzjude" stammt) aus Schlesien und Baden um das Jahr 1800.
An Abbildungen findet sieh unter anderem eine von Herrn Justus Brinkmann aus
dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe mitgeteilte Seder-Schüssel, wie
sie beim Familienmahl am Vorabend des Oster- (Pessach) Festes gebraucht wird.
1) [In Österreich ist galizianisch übhch. K. W.J
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899.
342 Weinhold:
Die Mitgliederzahl des Vereins ist in erfreulichem AVachstum begriffen, be-
sonders in Hamburg.
Berlin, Georg Minden.
Höfler, M., Dr., Deutsches Kranklieitsnamen-Bucli. Müncheu, Piloty und
Loehle, 1899. S. XL 922. Lex. 8°.
Herr Hofrat Dr. M. Höüer in Tölz ist durch seine Arbeiten über Volksmedizin
und Volkskunde längst in weiteren Kreisen geschätzt. In dem grossen- Buche,
das er neuerdings abgeschlossen hat, legt er die Arbeit langer Jahre vor, mit der
er „die seit ungezählten Generationen" im Volke üblichen deutschen Krankheits-
namen den gelehrten Ärzten deuten und auch den Sprach- und Mythenforschern
und den Naturkundigen Dienste leisten will. Übrigens hat er sich über die Krank-
heitsnamen hinaus auf die volkstümlichen Benennungen der körperlichen Organe
und ihrer Punktionen ausgedehnt und mit besonderer Liebe die mit heidnischem
und kirchlichem Kultus und Zauber zusammenhängenden Krankheits- und Arznei-
namen verfolgt. Bemerkt sei, dass auch die Tierarznei berücksichtigt worden ist,
schon aus dem Grunde, dass der volkstümliche Wortschatz hier besonders alt und
gut erhalten ist. So bietet er den Ärzten, den Kulturhistorikern, den Volks-,
Sprach- und Naturforschern eine ungemessene Fülle von Belehrung und von nutz-
barem Stoff. Mit grosser Gewissenhaftigkeit hat er, der Arzt von Beruf, sich be-
strebt, der sprachlichen oder philologischen Seite der Aufgabe gerecht zu werden,
und aus guten Büchern, namentlich aus F. Kluges Etymologischem Wörterbuche,
sowie durch unmittelbare Anfragen bei Kundigen, zuverlässige und richtige lexikale
Auskunft zu gewinnen. So gewährt er einen weiten und sicheren Ausblick in die
Entwicklung der in der Sprache zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen von
den Störungen und Vernichtungen des leiblichen Lebens, sowie von den Mitteln
sie zu mildern und heilen.
Auffiel mir, dass der von Dr. H. selbst als Krankheitspatron genau beob-
achtete heilige Leonhart, ebenso S. Stephan in dem Buche fehlen, während S.
Fiacrius (S. 137), S. Valentin (S. 764) und S. Veit (S. 765) erwähnt werden. Ferner
dass die Verwendungen von Nadel und von Nagel in der sympathetischen Medizin
keine Stelle im Buche fanden, und ebenso dass die Nacktheit bei mystischen
Heilgebräuchen übergangen ist. Unter Segen (S. 631) hätten die verschiedenen
Arten der Segen, z. B. Augensegen, Blutsegen, Fiebersegen, Gichtsegen, Viehsegen,
Wundsegen, Wurmsegen, Zahnsegen genauer aufgezählt werden können. — Die
Etymologie von Mais (md. nd. Meise, Mese) vulva S. 387b wird wohl auf die W.
mfgh (vgl. nd. migen, lat. mejere, mingere) führen.
Wir können dem Herrn Verf. für seine grosse und wertvolle Arbeit nur danken
und empfehlen sein Krankheitswörterbuch auf das wärmste. K. Wein hold.
Schnurren, Schwanke und Erzählungen von der Insel Rügen. Ge-
sammelt imd herausgegeben von Dr. A. Haas. Greifswald, Jul. Abel,
1899. S. VIIL 139. 8°.
Herr Dr. A. Haas in Stettin hatte bei der 2. Auflage seiner Rügenschen Sagen
und Märchen (Stettin 1896) nicht alles, was er gesammelt, verwenden können, weil
der Umfang des Buches sich in bestimmtem Masse halten musste. Inzwischen ist
sein Vorrat weiter gewachsen und so hat er, um eine 3. in Aussicht genommene
Bücheranzeigen. 343
Auflage zu entlasten, sich entschlossen, einen Teil des gesammelten, der durch
den schwankhaften oder an das komische und lustige anstreifenden Charakter ein
gewisses Ganzes bildet, auszusondern und unter obigem Titel für sich herauszu-
geben. Eine kleine Sammlung von Rätseln und Ortsneckereien ist beigefügt. Die
Herkunft, mündliche und zuweilen schriftliche, ist angemerkt. Wir begegnen
manchen Varianten verbreiteter Geschichten, anderes ist örtlich rügisch. Jedenfalls
wird das Büchlein den Einheimischen wie den Sommergästen gefallen. Mit den
Schwänken und Schnurren aus Bauernmund, von Ulrich Jahn, Berlin 1889,
berührt es sich nicht. K. W.
Sebillot, Paul, Legendes locales de la Haut-Bretagne. I. Partie
Le Monde physique. Nantes, Societe des Biblioj)hiles Bretons, 1899.
S. XI. 186. 8°. (Tire ä 400 exemplaires numerotes.)
Das vorliegende Buch ist nach des Verfassers eigenen Worten die fast logische
Folge seiner Petite legende doree (Unsre Zeitschrift VII, 450). Wie diese die
Sagen von den Heiligen der Bretagne unter dem Gesichtspunkte ihrer Anknüpfung
an bestimmte Orte sammelte, so wollen die Legendes locales de la Ilaute-Bretagne
die an bestimmte Stätten gehefteten Überlieferungen über eigentümliche Erschei-
nungen in der Natur des Landes zusammentragen, von Ungeheuern, die in der
Vergangenheit hier Schrecken verbreiteten, von alten merkwürdigen Bauten, welche
die Phantasie erregten, auch von mehr oder minder geschichtlichen Ereignissen,
die in der Hoch-Bretagne gespielt haben sollen. Was sonst hier ähnliches erzählt,
aber nicht lokalisiert ist, hat Herr P. Sebillot weggelassen.
Der erste vorliegende Teil enthält die Erzählungen, welche aus den Ein-
drücken entsprangen, die auf einfache Leute die Natur ihrer Heimat hervorgebracht
hat: 1. das Meer, 2. die Landschaft (die Heiden, Felsen und Grabhügel, Eindrücke
in Steinen, Höhlen, Berge, AVälder und besondere Bäume), 3. die Gewässer (Quellen,
Bäche, Seen, Moore, Schluchten und Erdfälle), zuletzt 4. Drachensagen. Der Verf.
konnte zum guten Teil aus seinen früheren zahlreichen Werken, besonders aus
den Traditions et Superstitions de la Haute-Bretagne (Paris 1882) schöpfen; doch
ist auch einiges neu gesammelt worden. Paul Sebillot hat seiner geliebten Heimat
ein neues Zeichen seiner patriotischen Anhänglichkeit durch dieses Werk gegeben.
K. W.
Se'billot, Paul, LaVeillee deNoel, piece en un acte. Deuxieme edition.
Paris, J. Maisonneuve, 1899. S. 30. S".
Auf dem Odeontheater in Paris ist am Weihnachtabend 1898 das kleine Stück
aufgeführt worden, das für uns Deutsche dadurch von besonderem Interesse ist,
dass es zu einer Vergleichung mit unseren volkstümlichen Weihnacht- oder Christ-
kindspielen auffordert. Während diese ihren Ursprung in der mittelalterlichen
Liturgie haben und durch Jahrhunderte mit mannigfachen Veränderungen, aber
doch mit demselben Grundplan sich erhielten, jüngst auch wirkungsvolle Erneuerung
auf Privatbühnen erfuhren, wie im letzten Dezember in Breslau durch die Schlesische
Gesellschaft für Volkskunde, hat in der Veillee de Noel aus eigenstem heraus
unter Verwertung volkstümlicher Überlieferungen ein gelehrter Kenner des fran-
zösischen und bretonischen Volkes eine dramatische Scene entworfen, die von
Schauspielern des Odeon dargestellt worden ist. Herr Paul Sebillot versetzt uns in
344 Mlelke:
ein Dorf der Bretagne auf der Sprachgrenze von Bretonisch und Französisch. Der
Grossvater ist mit seiner Familie am Weihnachtabend vor dem Kamin versammelt
und jeder erzählt, um die Zeit vor der Christmesse hinzubringen, aus dem Sagen-
haften, das sich an diese heilige Nacht in der Bretagne geheftet hat, ein Stück:
der Grossvater von dem Tode, der in der Kirche während der Messe diejenigen
mit seinem Ringe berührt, die im beginnenden Jahre sterben sollen; Francois von
den sprechenden Tieren dieser Nacht; Jean von dem Habgierigen, der bei den
dann offenen Schätzen der Erde seinen Tod findet; Marianne dagegen weiss die
Geschichte eines armen braven Burschen, der von den reichen Eltern seiner Ge-
liebten schroff abgewiesen, in der Christnacht zu heiliger Stunde in das offene
Meerschloss sich wagt und einen Wunderring gewinnt, der ihn in den Besitz grosser
Reichtümer und der Meerprinzessin bringt; Yvan, der kleine Hirtenjunge, erzählt,
wie in dieser Nacht ein buckliger Schneider durch Zwerge von seinem Höcker
befreit wird, den dafür ein anderer vorn auf die Brust bekommt, so dass dieser
nun zwei Höcker hat. Fanchette endlich, die Enkelin, erinnert sich der Erzählung,
dass eine arme Witwe, die einen grossen verunglückten Sohn zu ernähren hatte,
durch Strürapfestricken und Muschelsammeln, zum Weihnachtsfeste krank wird
und nicht weiss, wie sie für sich und den Sohn etwas verdienen soll. Da stellt
der kindische Sohn seinen Holzschuh in der Christnacht in den Kamin und betet
am offenen Fenster. Und er sieht eine Art Wolke vom Meer herüber kommen
und sich über die Hütte senken. Es ist ein Schwärm der schönsten Muscheln,
deren Verkauf den Bedrängten Hilfe bringt. — Das Stück schliesst mit einem
Liede herumziehender Kinder, das unseren Liedern von den Hirten auf dem Felde,
welche dem Jesuskinde ihre Gaben bringen, ganz verwandt ist. K. W.
Franz Zell, Bauem-Möbel aus dem bayerischen Hochland: 30 Tafeln
mit Text. Frankfm-t a. M., Heinrich Keller, 1899.
Der Herausgeber, ein in München lebender und wirkender Architekt, verfolgt
seit Jahren die Bauernkunst seiner engeren Heimat, die er für eine neuzeitliche
Weiterbildung nutzbar machen möchte. Diesem Bestreben sollen auch in erster
Linie die schönen Tafeln dienen, welche in dem vorliegenden Werk der Öffentlich-
keit übergeben werden und in der Wiedergabe der buntbemalten und geschnitzten
Möbel wohl zu dem Besten gehören, das auf diesem Gebiete erschienen ist. Da-
neben enthalten Tafeln und Text noch soviel Beiträge zur Volkskunde, dass sie
auch für diese wertvoll werden. — Die Entstehung der besonders um Tölz herum
heimischen Kunst lässt sich in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen; seit dieser
Zeit wurde sie von einigen Familien bis in die sechziger Jahre unseres Jahr-
hunderts hinein ausgeübt. Zur Zeit ihrer Blüte hatten die „Tölzer Kasten" einen
Ruf, der sie auf die Jahrmärkte (Dulte) von Freising, Passau, München, selbst
von Linz und Wien führte. Die Nachbarschaft grossartiger Kloster- und Kirchen-
bauten, die Kreuzung deutscher, italienischer und vereinzelt auch slavischer Ein-
flüsse hat dieser örtlichen Kunstüberlieferung, die bei aller Entwicklungs-Möglich-
keit doch Bauernkunst geblieben war, ihre Eigenart gegeben. Obwohl sie auch
von den verschiedenen Geschmackströraungen der Renaissance, des Barocks und
des Empire berührt ist, blieb doch immer dieselbe Formen- und Farbenfreudigkeit
vorherrschend, die schon den ältesten Werken eigen war. Das ist natürlich; denn
die Verfertiger, „Kistler" genannt, blieben in ihrem Hauptberuf Bauern und über-
lieferten die alte Kunst, die Tischlerei, Malerei, selbst Dichtkunst umschloss, von
Bücheranzeigen, 345
Generation zu Generation nicht nur dem Einzelnen, sondern der gesamten Familie
mit Einschluss der hauptsächlich malenden Frauen und Töchter. Interessant ist
die Nachricht, dass die Möbel meist für ganze Ausstattungen („Kammerwagen")
hergestellt und nicht nur im Hause, sondern auch auf der „Stör", neben barem
Gelde auch gegen Leistungen anderer Art hergegeben wurden. Dadurch wurde
das Wirken der Kistler so mit dem bäuerlichen Leben verflochten, dass sie bei
Geburt, Hochzeit und Tod eine grosse Rolle spielten. Leider wird nicht gesagt,
worin diese Beziehungen bestanden; doch ist zu hoffen, dass in einer weiteren,
von dem Herausgeber verheissenen ausführlichen Abhandlung darüber Mitteilungen
gemacht werden.
Für die Geschichte einer bäuerlichen lokalen Kunstausübung dürfte die Zellsche
Verötfentlichung, die sich neben der Gruppierung der den einzelnen F'amilien ent-
stammenden Stücke auch auf die dafür gezahlten Preise erstreckt, von grossem
Werte sein. Der Fleiss und die Sorgfalt des Autors verdienen, für ähnliche zu
wünschende Einzelschriften als Vorbild hervorgehoben zu werden.
Berlin. Robert Mielke.
J. Leite de Yascoucellos, Religio es da Lusitania na parte que princi-
palnionte se refore n Portugal. Volume I. Lisboa, Impreusa Nacioiial,
lcS97. XL, 440 pp. gr. .S°.
Das stattliche Werk ist nach dem Titelblatt erschienen als einer der Beiträge
der Lissaboner geographischen Gesellschaft zum Quarto Centenario do descobri-
mento da India und nach der Vorrede war es schon für die Memorias des 1«92
für Lissabon in Aussicht genommenen 10. Liternationalen Orientalistenkongresses
bestimmt. Da es sich ausschliesslich mit den religiösen Vorstellungen der prä-
historischen Bevölkerungen von Portugal beschäftigt, hat es allerdings mit der
einen Gelegenheit so wenig zu thun wie mit der anderen. Wenn man indessen
die Schwierigkeiten erwägt, die in einem Lande wie Portugal der Veröffentlichung
umfänglicher rein gelehrter Arbeiten im Wege stehen, kann man sich nur freuen,
dass, nachdem das Quarto Centenario der Entdeckung Amerikas schon durch die
Veröffentlichung der wichtigsten Urkunden der Torre de Tombo über die Ent-
deckungsfahrten der Portugiesen gefeiert worden war, nun für das Jubelfest ihres
grössten Erfolgs verfügbare Mittel dieser fernabliegenden Publikation zu gute ge-
kommen sind. Denn das vorliegende Werk ist eine dankenswerte Gabe und ein
neuer Beweis dafür, dass die freilich kleine Gemeinde ernster Forscher in Portugal
den Pachgenossen der anderen Länder Vollwertiges zu bieten vermag.
Der Verfasser hat den grossen Plan gefasst, eine Geschichte Lusitaniens zu
schreiben bis dahin, wo dieser Name dem von Portugal Platz macht, d. h. bis zum
Anfange des Mittelalters. Da er von der Wichtigkeit durchdrungen ist, die die
Religion für jedes Volkstum hat, unternimmt er zuerst deren Behandlung. In drei
Bänden sollen die Religionen des prähistorischen, des protohistorischen und des
historischen (von dem Erscheinen der Römer bis zur Einführung des Christentums
gerechnet) Lusitaniens dargestellt, und ein Anhang den fortlebenden Spuren des
Heidentums gewidmet werden. Der vorliegende 1. Band beschränkt sich auf die
prähistorischen Epochen. Um nur Gebiete zu behandeln, die er vollkommen kennt,
legt der Verf. weder den strabonischen noch den augusteischen Begriff von Lusi-
tanien zu Grunde, sondern das heutige Portugal; er greift daher zum Teil in die
alte Baetica über, begnügt sich aber betreffs jetzt spanischer Grenzgebiete und
Galicias mit gelegentlichen Andeutungen.
346 Scheppig:
Da die einzigen möglichen Quellen eines Wissens von den Religionen vor-
geschichtlicher Zeiten die materiellen Funde und ihre Deutungen mit Hilfe des
Folklore und der ethnologischen Analogien sind, bietet das "Werk eigentlich eine
ganze portugiesische Prähistorik; denn auch diejenigen Überreste, in denen eine
religiös geschichtliche Bedeutung nicht einmal gesucht werden kann, sind wenigstens
in der vorausgeschickten allgemeinen Übersicht der vorhistorischen Epochen Portugals
(p. 25 — 83) behandelt, die die für den Hauptzweck des Buches zu verwertenden
Einzelnheiten in ihrem Zusammenhange vorführt.
Mit Recht geht der Verfasser in derselben über den Tertiärmenschen als trotz
der Behauptungen Mortillets und Ribeiros noch nicht nachgewiesen rasch hinweg.
Die paläolithische Epoche charakterisiert er als in der Kunstfertigkeit weit hinter
der epoque magdalenienne BVankreichs zurückstehend. Eine Übergangsperiode,
die durch die allgemeine Rohheit der Formen der vorangehenden, durch das Auf-
treten polierter Steine der folgenden sich verbindet, zeigt sich in den kjökken-
möddings von Mugem im Tejothale: Töpferarbeiten fehlen ihr, die Werkzeuge von
Stein, Knochen und Geweihenden sind unvollkommener als die dänischen.
Der ncolithische Befund entspricht dem allgemein europäischen, zeigt indessen
einige eigentümliche Formen; insbesondere sind die im Süden gefundenen placas
de schioto specifiscb portugiesisch. Pfahlbauten sind bisher nicht nachgewiesen.
Der Verf ist nicht geneigt, den technischen Aufschwung der neolithischen Epoche
ausschliesslich der Evolution zuzuschreiben, hebt aber hervor, dass das aufge-
nommene Fremde dem Heimischen angepasst worden ist. Ganz allmählich ist die
Infiltration des Metalls, dessen erste Spuren schon in vollständig neolithischer Um-
gebung auftreten. Der Verf. erklärt sich für die Ansetzung einer besonderen
Kupferzeit und giebt auch die Möglichkeit eines einheimischen Ursprungs des
Bronzegebrauches zu. Aber er findet die Übereinstimmung der Formen der Kupfer-
und Bronzeobjekte mit den ausländischen doch so gross, dass nur Export oder
Import sie voll erklären kann. Der Süden wie der Norden des Landes weist
Depotfunde auf, Gussformen sind aber noch nicht angetroffen worden. W^ie schon
die Kupfer- und Bronzezeit zum Teil, so gehört die Eisenzeit ganz und gar zu der
protohistorischen Epoche, deren Behandlung dem 2. Bande vorbehalten bleibt.
Das 1. Kapitel (p. 85—98) des Werkes ist der Frage der Religiosität des
paläolithischen Menschen Portugals gewidmet. Sie wird behandelt in der Form
einer Widerlegung der Beweiskraft der Argumente Mortillets, der sie bekanntlich
negativ beantwortet hat. Wer eine solche Widerlegung überhaupt noch für nötig
hält, wird sich an der Gründlichkeit, mit der der Verf. sie vornimmt, trotzdem sie
zu einiger Breite führt, nur freuen können. Wenn freilich Mortillets Argumente,
dass die quaternäre Epoche eine Leichenbestattung zeige, während doch der Toten-
kultus der älteste sei, ausser dem völlig genügenden Nachweise von Bestattungs-
formen, von denen keine Spuren haben bleiben können, der Satz entgegengehalten
wird, dass es ein Irrtum sei, den Ursprung der Religion in einem einzigen Elemente
zu suchen, da der Mensch vielmehr von der ganzen komplexen Natur dominiert
werde, so wird nicht jeder Soziolog so leichten Herzens wie der Verf. an der
tiefsten Wurzel des Animismus vorbeigehen. Dies ist aber ein Problem, das auf
diesem Gebiete sicher nicht zur Lösung gebracht werden kann. Wie unsicher der
l^oden hier überall ist, zeigt nach des Verfassers eigenem Zugeständnis der Ver-
such einer Zusammenfassung der religiösen Vorstellungen der paläolithischen
Epoche, der den Schluss des Kapitels bildet.
Das kurze 2. Kapitel konstatiert nach der geordneten Lagerung der zahlreichen
Skelette der kjökkenmöddings und dem regelmässigen Auftreten von Beigaben
Bücheranzeigcn. 347
reguläre Bestattung und damit, nach der Analogie aller Völker, den Totenkult
dieser Epoche.
Im 3. Kapitel, dem Hauptteile des "Werkes (p. 103 — 406), wird darauf das
reichhaltige neolithische Material in fünf Abschnitten (1. Culto da Natureza. A
Lua. 2. Amuletos e objectos congeneres. 3. Trepanacäo prehistorica e factos
correlativos. 4. Culto dos mortos. 5. Signaes insculpidos em pedras) vorgeführt
und auf seine religionsgeschichtliche 15edeutung geprüft und in einem sechsten das
Ergebnis zusammengefasst. Die einzelnen Abschnitte sind so gegliedert, dass
zunächst ein allgemeiner archäologischer Überblick über den Gegenstand gegeben,
darauf der Thatbestand auf portugiesischem Gebiete vorgelegt und endlich die
Deutung versucht wird. Die archäologischen Überblicke sind mit einer bemerkens-
werten Kenntnis der wissenschaftlichen Litteratur der Kulturvölker abgefasst.
Dennoch haben sie mehr Interesse für den portugiesischen als für den ausländischen
Leser, der sie vielfach für sein Bedürfnis allzu breit finden wird. Von ganz her-
vorragendem Wert für den letzteren ist aber die Vorführung des prähistorischen
Materials portugiesischer Herkunft. Zwar fehlt es ims nicht an umfänglichen und
hervorragenden Werken über einzelne Teile desselben, der Verf. aber darf sich
rühmen, aus genauester Kenntnis des ganzen Gebiets zu sprechen. Als Direktor
des Museo Ethnologico Portugues und Herausgeber des Organes desselben 0
Archeologo Portugues (seit 1894), wie der ethnologisch -philosophischen Revista
Lusitana (seit 1889) steht er in einem Mittelpunkte der portugiesischen Altertums-
forschung, von dem aus ihm nicht leicht etwas auf dem Gebiete der Ausgrabungen
oder Veröffentlichungen Geleistetes entgehen kann. Wer da weiss, welche Schwierig-
keiten es hat, auch nur bibliographisch von der neueren portugiesischen Litteratur
Kenntnis zu erhalten, wird für die umfassenden und genauen Hinweise auf Bücher
und Zeitschriftenaufsätze sehr dankbar sein. Dazu werden Archivalien und brief-
liche Mitteilungen herangezogen. Genaueste Kenntnis des Inhalts der heimischen
Sammlungen verbindet sich mit persönlicher Vertrautheit mit den Fundstätten und
eigener Thätigkeit in der, wenn man so sag-en darf, Feldarchäologie. Und nirgends,
gegenüber fremden oder eigenen Beobachtungen vermisst man kritische Prüfung
und gewissenhafteste Ehrlichkeit in der Hervorhebung des Bedenklichen.
Die Beschreibung der Objekte geschieht in klarer technischer Sprachweise
und wird reichlich durch gute Abbildungen unterstützt. Die genauen geographischen
Bestimmungen würden eine kartographische Aufzeichnung des Befundes möglich
machen, der vielfach überhaupt in geographischer Ordnung aufgeführt wird. Wenn
hier einzelnes hervorgehoben werden soll, so sei auf den ausführlichen Abschnitt
über die Grabmonumente und denjenigen über die für Portugal charakteristischen
placas hingewiesen. Die letzteren, von denen schon Estardo da Veiga, w^enn
auch nach damals noch unvollständigerem Material gehandelt hat, sind in den drei
Südprovinzen und in einem Teile von Beira nachgewiesen. Es sind .Platten, meist
aus Schiefer, gewöhnlich von trapezartiger Gestalt und einseitig verziert. Bohr-
löcher zeigen, dass sie zum Anhängen bestimmt waren. Waren es blosse Zierate
oder haben sie auch eine religiöse Bedeutung? Die Schwierigkeit der Entscheidung
in diesem einzelnen Falle zeigt die allgemeinen Schwierigkeiten, mit denen natur-
gemäss der Verf. zu kämpfen hat, wenn er von der Beschreibung der Objekte zu
der Frage ihrer etwaigen religiösen Bedeutung übergeht. Allerdings tritt er sehr
gut vorbereitet an seine Aufgabe heran ; denn er besitzt nicht nur eine umfassende
Belesenheit auf ethnographischem Gebiete, sondern ist auch ein ausgezeichneter
Kenner des portugiesischen Folklore, von dessen Studium er ausgegangen ist und
dem er schon 1882 eine besondere Schrift (Tradicoes populäres da Portugal)
348 Scheppig: Bücheranzeigen.
gewidmet hat. Doch können der neuen Resultate bei diesen Deutungen nicht
viele sein, da die Beziehungen entweder so einleuchtend sind, dass sie sich auf
allen prähistorischen Gebieten aufgedrängt haben, oder aber in strengerem Sinne
unbeweisbar. Das letztere ist besonders der Fall, wenn Schlüsse aus ganz ver-
einzelten oder gar aus negativen Fakten gezogen werden. Ist z. B. das einmalige
Vorkommen einer sichelförmigen Figur auf einem am Fusse der Serra de Ciutra
gefundenen Kalksteinobjekt eine genügende Grundlage für die Annahme neolithischer
Mondverehrung, selbst wenn, wie der Verf. angiebt, in protohistorischer Zeit der
Name Mondgebirge an dieser Serra gehaftet haben sollte? Denn dass der für
diese Gegend inschriftlich bezeugte Monddienst erst römischen Ursprungs ist, das
hebt der Verfasser mit gewohnter Gewissenhaftigkeit selbst hervor. Ist es ferner
statthaft, aus dem fast vollständigen Fehlen von Fisch- und dem nur unbedeutendem
Vorkommen von Molluskenresten in der an der Küste von Peniche gelegenen
Gruha da Furniuha ganze oder teilweise Nichtverzehrung und damit Verehrung
dieser Meerestiere zu erschliessen? Dies letzte Beispiel zeigt schon ein Über-
wiegen der aus der Analogie gewonnenen Anschauungen. Noch mehr muss dies
hervortreten bei dem Versuche, eine Übersicht des ganzen religiösen Zustandes
der Epoche in Dogma und Kultus zu geben. Die Teile, die wir in der Hand
haben, ermangeln so sehr des geistigen Bandes, dass wir bei einem solchen Ver-
suche unwillkürlich von dem Durchnittsbilde lebender Volksstämme ähnlicher
Kulturstufe ausgehen und nichts weiter thun können, als für den einen oder anderen
Zug desselben einen Beleg in dem prähistorischen Material zu suchen. Dabei
kann aber eine wirkliche Bereicherung unseres Wissens nicht erreicht werden;
denn die Annahme, dass die religiösen Vorstellungen und Praktiken dieselben ge-
wesen sein werden wie bei Völkerschaften ähnlicher äusserer Kultur haben wir
schon mitgebracht, wie ja auch die Voraussetzung der wesentlichen Gleichheit
menschlichen Seelenlebens den Einzeldeutungen zu Grunde gelegen hat. Das
Kriterium ist eben, dass wir nichts ohne, geschweige denn gegen jene Analogien
zu erschliessen vermögen. Auf der anderen Seite steht dem Versuche gewisse
Erscheinungen zu lokalisieren, wie ihn der Verf. z. B. mit der Zoolatrie nach den
isolierten Funden von Tierbildern macht, die völlige Ungewissheit entgegen, ob
die' bisherigen Funde den einst vorhanden gewesenen Bestand auch nur einiger-
massen repräsentieren. Der Verf. ist sich der Schwierigkeiten der Aufgabe, die
er sich gesetzt hat, wohl bewusst; er spricht es selbst aus, dass er „per una selva
oscura" wandert und nichts liegt ihm ferner, als die Unzulänglichkeit des Materials
zu verschleiern. Der vorsichtig hypothetischen Redeweise bei den Deutungen
entspricht es daher, dass seine zusammenfassenden Abschnitte nichts anderes sind
als an der Hand einer den Analogien entnommenen Systematik geordnete Wieder-
holungen der Einzeldeutungen. Wenn sie auf diese Weise auch nicht den Wert
haben, der ihnen nach dem Gesamtplane des Werks zukommen müsste, entsprechen
sie dagegen in ihrer ehrlichen Klarstellung der schmalen Unterlage der Schluss-
folgerungen dem streng wissenschaftlichen Charakter der ganzen Arbeit.
Das 4. Kapitel (p. 407—22) behandelt nur kurz die Metallzeit, da sie schon
halb in die protohistorische Epoche hineingehört und eine strenge Scheidung nicht
möglich ist. Ihr wird der folgende Band ganz gewidmet sein. Möchte es dem
Verf. vergönnt sein, ihn und das ganze Werk in absehbarer Zeit zu vollenden und
zu veröffentlichen. In dem Masse, wie er im Fortschritt seiner Arbeit festeren
Boden imter die Füsse bekommt, wird es ihm auch gelingen, über die Religionen
Lusitaniens festere und abgerundetere Resultate vorzulegen, als für die prähistorischen
Epochen möglich war. Für diesmal aber haben wir ihm zu danken, dass er uns
Roediger: Protokolle. 349
in dem was dem Hauptzwecke seines Buches nur subordiniert war, nämlich in
der Darstellung des g-rössten Teiles dos prähistorischen Befundes in Portugal,
eine sehr wertvolle Gabe geboten hat.
Kiel. Prof. Dr. Scheppig.
Aus den
Sitziings- Protokollen des Vereins für Volksknnde.
Freitag, den 26. Mai 1899. Der Vorsitzende, Herr Geheimrat Wein hold,
weihte dem verstorbenen Mitgliede des Vereins, Herrn Geh. Regierungsrat Prof.
Dr. Wilhelm Schwartz einen Nachruf, für den wir auf S. 328 verweisen. Er
legte sodann ein sehr selten vollständig aufzutreibendes Buch: Der Ausruf in
Elambxirg, dargestellt in einhundert und zwanzig Blättern, gezeichnet, radiert und
geätzt von Prof. Suhr, mit Erklärungen begleitet (von K. J. Hübbe). Hamburg
1808. S. Vni. 14ü. 8". in einem kompletten Exemplar vor und berührte in seinen
Erläuterungen verwandte Werke des Auslandes. Herr Geheimrat Fried el teilte
mit, dass auch die Strassenrufe von Berlin in einem französisch geschriebenen
Buche des vorigen Jahrhunderts gesammelt worden sind. — Herr Zeichenlehrer
MieHvC legte das Werk von Franz Zell über bayrische Bauernmöbel vor, das er
oben S. 344 besprochen hat. — Prof. Max Roediger erörterte das Wesen der
deutschen Heldensage. Sie hat — was nicht bei jeder Heldensage der Fall
zu sein braucht — kriegerischen Inhalt. Sie entsteht, soweit als sie geschichtliche
Grundlage hat, bald nach den thatsächlichen Vorgängen. Prosabericht und poe-
tischer gehen zuerst nebeneinander her, doch wird der Stoff rasch Eigentum der
Dichter und verfällt denselben Wandlungen, wie alle anderen poetischen Stoffe.
Das Heldenlied steht in Zusammenhang mit dem Lob- und Scheltlied und dem
religiösen Lied. Die Helden sind entweder Menschen, dann aber von der Sage
übernatürlich begabt, nicht selten mit Dämonen in Verwandtschaft gebracht; oder
von Hause aus Dämonen, die leicht zu Menschen werden konnten, weil man ihnen
ja menschliche Gestalt und menschliches Gebaren beimass. Historische oder
menschliche und mythische Bestandteile mischen sich in jeder Heldensage und es
genügt nicht, von märchenhaften Elementen in ihnen zu reden. An eine einheitliche
Verschmelzung beider Bestandteile schon in den Liedern zu denken, die nach
Tacitus von den Thaten des Arminius gesungen sein sollen, geht nicht wohl an,
weil damals heidnische Religion und Kultus noch in Kraft standen: Arminius
konnte noch nicht selbst göttlich werden, wenn er auch göttlicher Hilfe genoss.
Diese Lieder waren noch mehr historische Preislieder, obwohl keine zuverlässigen.
Die Zeit der wirklichen Heldensage, des echten, von einem einzelnen Sänger zur
Harfe vorgetragenen Heldenliedes, ist die Zeit der Völkerwanderung.
Max Roediger.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 2S*
350 Heilig: Scheibenschlagen.
Zugabe.
Sclieibensclilageu im nördlichen Breisgau. ^)
Das Scheibenschlagen findet allgemein an dem auf Fastnacht folgenden Sonntag
statt. Die Burschen fertigen auf diesen Tag runde Holzscheiben, in deren Mitte
ein Loch gebohrt wird. Ein jeder ist im Besitze von 20 — 30 Stück solcher Scheiben.
Nachdem alle Mitspieler versammelt sind, wird ein Feuer angezündet. In Bom-
bach, dessen Spruch wir zunächst mitteilen, ist dieser Versammlungsort ein Berg,
genannt ,Scheibenbuck'. Sodann werden zwei Pfähle in den Boden geschlagen,
auf die ein Brett gelegt wird. Sobald es Ave Maria läutet, gehen (in Bombach)
die Burschen im Kreise um das Feuer herum. Hierauf beginnt das eigentliche
Spiel. Jeder steckt einen mitgebrachten Haselnussstock in das Loch einer Scheibe,
die man so lange über das Feuer hält, bis sie glüht. • Dann schleudert der Bursche
die Scheibe mit den Worten in die Luft:
Schiwi, Schiwi! Wem soll die Scliiwe si?
Die Schiwe soll der Dreifaltigkeit si.
Die nun folgenden Scheiben werden den Dorfschönen geweiht, die bei ihrem
Namen genannt werden; also z. ß die Schiwe soll der Anna si.
Nach Beendigung des Scheibenschlagens ziehen die Bombacher Burschen ins
Dorf und , heischen' Fastnachtsküechli unter Hersagen des folgenden Spruches:
Gebt mir 1, 2, 3, so gang ich glei;
Gebt mir vieri, so gang i ander (früher);
Gebt mir fünfi, so gang i g'schwinder.
Gebt mir 6, 7 oder achti heraus, oder ich schlag üch e Loch ins Haus!
Gebt mir- e Mässli Bohne; ich Avills üch gut belohne.
Gebt mir e Heckli (= 4 Stücke) Nuss: ich hol sie uff'm Dolde (= mittlerer Ast
Gebt mir e Seite Speck; ich trag sie weithin weg. eines Baumes) uss.
Gebt mir e Böse (= Büschel) Strau (= Stroh) — oder ich lieg Ihn(e) zur Fron.
Der Scheibenschlagspruch von Wasser bei Emmendingen lautet:
Schiwi, Schiwo! Die Schiwe soll em Meili (= Schatz, eigentlicli Mario) go!
Mer stehen aufm Damme; die grosse(n) Funke(n) fahre.
Mer gange in die Haiser, do scheene Jungfore ware(n) (= sind).
Der Vater mit dem Krügli holt auch ein Krug voll Wi,
Die Muetter mit dem Körbli die holt viel Küachli ri;
Die Tochter mit ihre schwarzbraune(n) Haare(n) die denkt in ilirem Sinn:
Die KüachH muss mer spare(n), die Nacht ist noch nit hin.
Die Burschen von Kö ndrin gen sagen:
Ich hab Eure Döchdere d' Schiwe g'schlage, Hawi beere krache(n)
Der (=Ihr) wäre mer d' Küechli nit absage! Küechli in der Kachle;
Dort owe uff der Matte, Der Schüssel beer i klingle;
Wu grossi Funke(n) fahre(n), I ha(b) denkt: der Vater wird guete \Vi bringe.
1) [Über das Scheibenschlagen genüge hier zu verweisen auf F. Vogt in unsrer
Zeitschrift III, ?.49-:^j69. E. Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben,
S. 380ff. Panzer, Bayerische Sagen und Bräuche, 2, 240 ö'. Birlinger, Volkstümliches
aus Schwaben, 2, 66. 105. 108.)
Kenzingen. Otto Heilig.
Berichtigung.
Zeitschrift IX, S. 72, Z. 8 v. u. Vorbedingung 1. Vorbedeutung.
Zeitschrift des Vereins für Voll<sl<uncle
Taf. IV,
^^/-^hUp^»^
Volkskundliclies aus Johann Wilhelm Wolfs
Kölner Jiigenderinnerungen.
Mitgeteilt von Ludwig Fränkel.
Johann Wilhelm Wolf, am 23. April 1817 zu Köln geboren, vom 28.
auf den 29. Juni 1853 umnachtet erst 38jährig' in der Heilanstalt Hof-
heim bei Worms gestorben, ist heute in der Clermanistenwelt so gut wie
vergessen, und nur die Sammler und Forscher auf dem Felde der Sagen-,
sowie der Märchenkunde greifen noch hie und da auf seine überaus
fleissigen, sehr sorgfältigen, an versteckten Bezugsquellen und manchen
vergleichenden Notizen reichen Bücher „Niederländische Sagen" (1843),
„Deutsche Märchen und Sagen" (1845), „Deutsche Hausmärchen" (1851,
Titel-Auflage 1858), „Hessische Sagen" (1853) zurück, während seine
„Beiträge zur deutschen Mythologie" (I. 1852, H. 1857), besonders aber
seine eigenen Mitteilungen in der von ihm 1853 begründeten „Zeitschrift
für deutsche Mythologie und Sitteukunde" wegen der Fülle der zusammen-
getragenen neuen Materialien und Parallelen bis heute vielfach Rücksicht
gefunden haben. In der „Allgemeinen deutschen Biographie" habe ich
Bd. 43, S. 765 — 777 (1898)^) dem unverwüstlichen Idealisten, der die kurze
Spanne seines Mannesalters rastlos nach Zeugnissen deutschen Volkstums
grub, ein ausführliches Lebens- und Charakterbild mit geziemendem Ein-
blicke in die bezügliche Wirksamkeit gewidmet und begnüge mich hier darauf
zu verweisen. Dort habe ich nun aus einer Anzahl anonymer und pseudo-
nymer Veröffentlichungen Wolfs geschöpft, meist den unter dem Namen
Johann(es) Laicus herausgegebenen katholisch-christlichen autobiographi-
schen, erbauenden, kultur- und litterarhistorischen Gepräges. Da steht
voran die Volksbibliothek „Katholische Trösteinsamkeit", 1852 mit dem
prächtigen Memoirenausschnitte „Aus der Kindheit" eröffnet, mit dem
wohlausgestatteten „Schatzkästlein für Arme im Geist" (2, Aufl. 1864)
fortgesetzt, einem kleinen Speicher „voll Reliquien" seiner Notizmappe,
religiösen, in der Regel ausgesprochen katholischen Volksmärchen, -legenden,
Marienliedern u. dergl., zumeist alten Ursprungs, sowie mit den „Bildern
aus dem Bauernleben" als drittem Bändchen (1854), welch letztere übrigens
1) Dazu sei hier nur nachgetragen, dass Prof. Dr. H. Holland mir inzwischen mit-
geteilt hat, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die ihm von mir zugeschriebene
( — d gezeichnete) Skizze Wolfs als Sammler deutscher Volkstümlichkeiten i. d. Histor.-
polit. Blatt, schrieb; Wolfs jugendliche Verirrungen in Bonn und Flucht von da, den Aus-
gang seines volkskundlichen Wirkens, schiebt H. dem berüchtigten vagierenden Litteraten
Johann Baptist Rousseau (L802 — 67) in die Schuhe.
Zcitschr. d. Vereins I. Vdlksktinde. 1S99. 24
352
Fränkel :
auch ein, der Öffentlichkeit gegenüber von J. L(aicus) als Herausgeber
vertretenes ' altertümliches Weihnachtsspiel in der anmutigen Skizze „Aus
der Spinnstube" (S. 39—66) enthalten.
Das erste dieser Kleinoktavbüclileiu, die Selbstschilderung seiner
Kölner Knabenjahre, ist trotz zweier Neudrucke längst vergriffen — seit
etwa drei Decennien weder neu vom Verleger (Franz Kirchheim in Mainz),
noch antiquarisch zu erhalten. Selbst Wolfs betagte Witwe, Marie geborene
von Plönnies, der Dichterin Luise Tochter, des Liebhaber-Germanisten
Wilhelm Schwester, in Darmstadt, besitzt kein Exemplar davon und auch
auf öffentliche Bibliotheken scheint es sich nirgends verirrt zu haben.
Also darf man es heute eigentlich als unzugänglich bezeichnen. Der un-
deutlichen, den Litteraturkennern meist unbekannten Verfasserschaft wegen
blieb es bisher für die Forschung unbeachtet, und von den darin ver-
steckten volkskundlichen Originalberichten dürfte kein Fachmann etwas
wissen. Deshalb seien diese letzteren hier grossenteils ausgehoben, ohne dass
die öfters breit zur Hand liegenden Motiv- und Wortlaut-Varianten den
geraden Fluss der ungeschminkten Äusserungen eines urwüchsig, fast
kindlich natürlichen Gemüts unterbrechen mögen.
Zum besseren Verständnisse nachfolgender Auszüge mögen vorher dem
bezüglichen Abschnitte meiner obgenannten Biographie Wolfs die Haupt-
daten entnommen sein. Danach war Wolf der Sohn eines einfachen, aber
ziemlich wohlhabenden und angesehenen Gewerbsmannes, der zwar aus
dem Jülichschen eingewandert, aber in der alten Reichs- und Erzbischofsstadt
ganz eingelebt war. Deren mittelalterlich-volkstümliche und -kirchliche
Nachklänge, dazu phantasievolle Anlagen mit einem Zuge zur Romantik
sassen tief im Gemüte des Knaben, bei dem darum so gar nichts vom
heiteren Temperamente des Rheinländers erwuchs. Aus diesem mag höchstens
der unwiderstehliche Hang, allenthalben Volkspoesien, ererbten Glauben
und Brauch u. dergl. aufzuwittern und zu fixieren, entkeimt sein; doch
wog hierbei die Sucht, nach religiöser Saat und Bedeutung darin zu stöbern,
den Segen kirchlicher Einflüsse und letztere zu fördern, stets vor, und wie
ein altes Lied des Gottesdienstes ihm als willkommenerer Fund galt, als
eins aus profanem Wandermunde, so hat er unter den volkstümlich-ver-
fasserlosen Litteraturgattungen die ihm von Kindesbeinen vertraute Legende
zu Ehren zu bringen, mit rastloser Liebe angesetzt. Besonders regte sich
in dem kaum flüggen Buben der Drang, Monumente kirchlicher Kleinkunst,
nicht weniger solche volksmässiger Epik imd Lyrik zu besitzen, und er
begründete nicht nm- für erstere ein knabenhaftes Museum und eine
Bibliothek, sondern legte auch schriftliche Sammlungen von Legenden,
kurzen lehrreichen und launigen Lokalerzählungen, Volksliedern an, ohne
als leicht begeisterungsfähiger Junge die Möglichkeit eines berufsartigen
Betriebs dieses Geschäfts, wie es später seine Existenz ausfüllte, nur zu
ahnen. All das erzählt uns jenes Büchlein „Aus der Kindheit«, die Be-
Volkskundliches aus Johann Wilhelm Wolfs Kölner Jugenderinnerungen. 353
iiguiigen seiner EntwickluDg und die Grundstimmungen seiner Seele,
gleichsam eine socialpsychologische Idylle entwerfend. Es tischt manchen
Yolksschwank, manch heiliges Geschichtchen, Rätsel und Sprichwörter auf,
wie sie Wolf aus dem Munde von Handwerksleuten, Freunden des Eltern-
hauses, niederschrieb, und malt farbig das alte Köln anschaulich, klar und
anmutig.
„Aus der Kindheit. Erinnerungen von Johannes Laicus"
{- Katholische Trösteinsamkeit. Erstes Bändchen).
Dritte Auflage. Mainz. Verlag von Franz Kirchheim. 1862.^)
In dem 2. Kapitel, „Dämmernde Erinnerungen", heisst es S. 8^): Von
dem modischen Papa und Mama war keine Rede bei uns, denn wir nannten
den Vater ehrlich Yater und die Mutter Mutter, aber diese schweren Wörter
lernte ich nicht sobald. Das erste Zusammenhängende, worauf ich mich
besinnen kann, war das schöne Kindergebetchen:
Jesukindchen klein,
Mach mein Herzchen rein,
Es soll niemand drin wohnen,
Als Jesus, Maria, Joseph allein.
S. 10: In ihrer sinnigen, einfachen und doch so tiefen Weise erzählte
sie [die Mutter] mir die Geschichten des alten und neuen Testamentes,
die Geschichten der Heiligen, besonders auch der gnadenreichen Jungfrau
Maria; sie lehrte mich ilas Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und Ave
Maria, die zehn Gebote Gottes und die fünf Gebote der heiligen Kirche
und eine Menge frommer Reime, Sprüchlein und Gebete, so z. B.:
Im Himmel, im Himmel Die springen, die singen,
Da sind der Freuden so viel, Die haben frohen Mut,
Da sitzen all die Engelchen Die teilen miteinander
Und haben da ihr Spiel: Das allerhöchste Gut.
— Oft gab sie auch ein Märchen zum besten, wenn sie gerade
recht heiter gestimmt war. Eins derselben schwebt mir noch so lebendig
vor, dass ich meine, es fast mit ihren Worten wieder erzählen zu können.
Es ist das folgende:
Von dem Brüderchen und dem Schwesterchen.
Es waren einmal zwei Kinder, ein Brüderc)ien und ein Schwesterchen.
Eines Tages sprach die Mutter zu ihnen: „Geht in den Wald und holt
Holz, damit wir etwas zu brennen haben", denn die Mutter war eine arme
Frau. Da lief das Schwesterchen sogleich folgsam in den Wald, aber das
Brüderchen war uns-ehorsam imd brummte: „Soll ich denn schon wiederum
1) Anmerkung des Herausgehers. Ich verdanke die Einsichtnahme dem ge-
lehrten Benediktiner Dr. theol. P. Odilo Rottmanuer, Stadtpfarrprediger in München und
Stiftsbibliothekar zu St. Bonifaz daselbst (Bücherei des St. Bonifatiusklosters).
2) Winzige orthographische Absonderlichkeiten sind auf den folgenden Seiten überall
normalisiert.
24*
354 Fränkel:
in den Wald gehen; ich muss auch immer in den Wald"; so ging- es zur
Thür hinaus und dem Schwesterchen nach.
Als sie nun beide in dem Wald Holz lasen, da trat eine schöne Frau
in weissen Kleidern mit einer goldenen Krone auf dem Haupt zu ihnen
und sprach zu dem Brüderchen:
„W^as machst du denn da, mein Kind?"
„Was geht das dich an?" antwortete der ungezogene Bube.
„Ich würde mich schämen, an deiner Stelle so zu sprechen", sagte die
schöne Frau. „Sieh her, da hast du ein Schächtelchen; wenn du nach
Hause kommst, dann kannst du es aufmachen, und was darin liegt, gehört
dein."
Und nachdem sie ihm das Schächtelchen gegeben hatte, ging sie fort
und kam zu dem Schwesterchen.
„Was machst du denn da, mein Kind?" fragte sie das Schwesterchen,
und es sprach freundlich:
„Ich lese Holz für meine arme Mutter."
(S. 12) „Du bist ein braves Kind", sagte die schöne Frau. „Sieh
her, da hast du ein Schächtelchen; wenn du nach Hause konmist, darfst
du es mit deiner Mutter öffnen, und was darin ist, das gehört euch."
Da wollte das Kind sich bei ihr bedanken, aber sie war schon ver-
schwunden, und wo sie gestanden hatte, da wuchs ein Gärtchen von Rosen
und Lilien.
Als das Schwesterchen nun sein Holz zusammen hatte, rief es das
Brüderchen und sagte:
„Sieh einmal, welch ein schönes Schächtelchen ich bekommen habe."-
^Ich hab auch eins", brummte das Brüderchen.
„Dann komm jetzt rasch mit dem Holz nach Hause, da wollen wir
die Schächtelchen öffnen", sagte das Schwesterchen.
„Ich mache es jetzt schon auf", brummte das Brüderchen und Hess
sich auch durch keine Warnung davon abbringen. Als es das Kästchen
aber öffnete, da sprang eine schwarze Kugel heraus, die lief auf der Erde
dahin, und da sie so schön glänzte, so hätte das Brüderchen sie gern ge-
habt und lief ihr nach und immer weiter nach bis an die Hölle, da
sprang der Teufel heraus und packte das Brüderchen und schleppte es
mit sich fort.
Das Schwesterchen ging unterdessen nach Hause und gab folgsam
das Schächtelchen seiner Mutter. Als diese es öffnete, sprang eine weisse
Kugel heraus und lief auf der Erde dahin, und weil sie so schön (13) war,
hätten die Mutter und das Schwesterchen sie gern gehabt und liefen ihr nach.
Da liefen sie immer weiter bis vor ein goldenes Thor, und als sie davor
standen, sprang es auf und die Muttergottes kam heraus und nahm sie
alle beide mit sich in den Himmel. Da sah das Schwesterchen, wer die
schöne Frau gewesen war, und jetzt singt es mit seiner Mutter und den
Volkskundliches aus Johann Wilhelm Wolfs Kölner Jugenderinnerungen. 3ö5
lieben Engleiu Gloria. Da kommt die Katz mit der Maus und die Ge-
schieht ist aus.
Ö. 4!J: Herr Stamm [ein alter ehrsamer Hausgenosse von W.s Eltern]
wusste vortrefflich zu erzählen, und er hatte dabei keinen so aufmerksamen
Zuhörer als Jacöbchen und mich. — — Oft brachte er in früheren Jahren
Näschereien mit, ein Stück Johannisbrot, ein paar Mandeln oder anderes.
Das bekamen wir vt^ohl auch von anderen Hausfreunden, doch schmeckte
es uns nur von ihm so recht gut, denn er erzählte immer etwas darüber
und wusste so auch dem Kleinsten einen grossen Wert zu geben. So war
das Johannisbrot von der schönen Legende begleitet, der zufolge es auf
dem Grabe des Jüngers der Liebe zuerst wuchs, auf dem wunderbaren
Grabe, welches sich mit der Brust des nicht gestorbenen, sondern darin
schlafend der zweiten Ankunft Jesu harrenden Jüngers hebt und senkt, so
wie diese bei jedem Atemzuge sich hebt und senkt. Auf diese Weise
genossen wir die süsse Frucht mit einer Art von Andacht und prägte sich
uns eine besondere Liebe und Verehrung für den heil. Johannes ein, die
mich (S. 50) durch mein ganzes Leben bis jetzt begleitete. Welch ein reicher
StofP für die mannigfaltigste Unterhaltung war solch eine Schote Johannis-
brot! Es wurde z. B. die Frage aufgeworfen, ob denn alle Menschen im
Grabe nur schliefen und warum der Heilige allein nicht mausetot sei, wie
andre Leute? Da liiess es denn, sein Körper schlafe nur, aber sein Geist
sei bei Jesus, alles zum Lohn dafür, dass er den Heiland so lieb gehabt
habe. Und dann folgten Legenden von dem Heiligen und endlich fügte
der Alte den immer gespannteren Knaben auch das Nähere über Johannis
(Jeburt und Lebensumstände hinzu.
Einem alten kölnischen Kat zufolge soll man nie ausgehen, ohne eine
J^rotkruste in der Tasche mitzunehmen. Herr Stamm hielt daran sehr fest.
Wenn wir nun grössere Spaziergänge machten und vor der Stadt irgendwo
lagerten, zog er das Krustchen Brot heraus und teilte es. Dann fragte ich
wohl: „Woher hast du das Brot, Herr Stamm?"
„Das ist Hasenbrot, das hat mir der Hase gebracht", war die Antwort,
und auf die Frage, wie der Hase das gemacht, folgte die durch Nach-
ahmung seiner Bewegungen anschaulicher gemachte Beschreibung, wie er,
das Stück Brot im Schnäuzchen, herangelaufen sei, sich auf seine Hinter-
beine gesetzt habe, es in seine Vorderpfoten genommen und, nachdem er
einen Diener gemacht, es überreicht habe. (S. 51) Dann habe Herr Stamm
gesagt: „Schön, Hasenhänschen, jetzt mach noch ein Männchen", und er
habe die possierlichsten Männchen von der Welt gemacht. Was war das
für eine Würze der trockenen Brotkruste!"
S. 51: Um morgens zur rechten Zeit zu erwachen, half das Gebetchen:
Heiliger Sankt Veit, Nicht zu früh und nicht zu spät,
Weck mich zu rechter Zeit, Wenn die Glock sechs Uhr schlägt.
Bot) Fränkel:
S. 57: Herr Stamm Hess mich aber vorher beten ^):
Wenn ich Abends in mein Bettchen Zwei an dem Passende,
Geh' ich in Maria's Schoss. [geh, Zwei an der rechten Seit,
Maria ist meine Mutter, Zwei an der linken Seit,
Johannes ist mein Bruder, Zwei, die mich decken,
Herr Jesu Christ ist mein Geleitsmann, Zwei, die mich wecken.
Der mir den rechten Weg weisen kann. Jesus in meinem Herzen,
Zwölf Engelchen gehn mit mir, Maria in meinem Sinn,
Zwei an dem Hauptende, In Gottes Namen schlaf ich ein.
S. 97 f.: War das letzte Evangelium gelesen, dann erhob der Küster
die Stimme zu dem schöneu alten Lied:
Alles meinem Gott zu Ehren ^), Meinem Gott allein will geben
In der Arbeit, in der Ruh! Leib und Seel, mein ganzes Leben.
Gottes Lob und Ehr zu mehren Gib, o Jesu! Gieb, o Jesu!
Ich verlang und alles thu. Gib, o Jesu, Gnad dazu!
(Beim niorgenlicJien Kirchenbesuche, dem J. W. W. seit seinem siebenten Jahre, d. h. 1824,
in Köln oblag.)
S. lOG: Dann ergriff der Meister das kleine Stengelglas, stiess lächelnd
an und sprach:
„Also auf Sankt Johaniiis Segen, Nachbar. Auf AViedersehen, und
damit wir uns freudig wiedersehn, haltet Gott vor Augen und vergesst
die Mutter Gottes nicht."
S. 111 — 113: [Der alte Glaser] Veith war hauptsächlich als ein Kätsel-
mann bekannt und diese Rätsel bildeten auch die gewöhnliche Unterhaltung-
bei den fast täglichen Besuchen, welche ich bei ihm machte. Wenn ich
morgens, mein Zehinihrbrot in der Hand, zu ihm kam, dann fand ich ihn
entweder am Bleiziehen, denn die kleinen bleigefassten Scheiben waren
damals noch ziemlich üblich, oder er schnitt Glastafeln und trieb anderes.
Meistens rief er mir schon eine Rätselfrage entgegen, sobald ich die Tliüre
öffnete. Einiger dieser Fragen entsinne ich mich noch und ich teile sie
in ihrer ganzen schuldlosen, neckischen Naivetät mit.
Welche Steine finden sich zumeist im Rhein? Die nassen.
Du hast doch schon von Gottes Grösse gehört und es steht geschrieben, dass
der Himmel sein Stuhl sei und die Erde sein Fussschemel.
1) Anmerkung des Herausgebers. Variante in J. L. (= Joh. Laicus, d. i. J. W.
Wolf)'s Erzählung „Aus der Spinnstube", im ^>. Bändchen seiner „Kathol. Trösteinsamkeit"
(Bilder aus dem Bauernleben. 1854), S. 51:
Abends, wenn ich schlafen geh, Zwei zu meiner Hnkeu Seit,
Vierzehn Engel um mich stehen, Zwei, die mich decken,
Zwei zu meinen Häupten, Zwei, die mich wecken.
Zwei zu meinen Füssen, Zwei, die mich weisen
Zwei zu meiner rechten Seit, Ins himmlische Paradeischen. Amen.
S. 53- 63 in dieser Geschichte, die stark idyllisch gefärbt ist, bringt ein vollständiges altes
„Weihnachtsspiel" ohne Quellenangabe (s. oben S. 352).
2) Vgl. auch für später S. 151: Das „Alles meinem Gott zu Ehren"*, welches ich
täglich morgens in der Kirche sang (Bemerkung Wolfs).
Volkskundliches aus Johann Wilhelm Wolfs Kölner Jugenderinnerungen. 357
Wie viel Ellen Tuch gebraucht er nun zu einem Rock?
Nur fünf Ellen und nicht mehr, so viel als ein armer Mann, denn Jesus sagt:
Was ihr dem Geringsten unter meinen Brüdern thut, das habt ihr mir gethan.
Wie viel wiegt der Mond? Ein Pfund, denn er hat vier Viertel.
Hängt der Hund am Schwanz, oder der Schwanz am Hund?
Je nachdem man den Hund aufhebt.
Wer hat den vierten Teil aller Menschen, die auf Erden lebten, umgebracht?
Kain.
Und wer hat geschrieen, dass alle Menschen auf der Erde es hörten?
Der Esel in der Arche Noahs.
In welchen Kleidern geht die Sonne unter? In Westen.
Wer es macht, der braucht es nicht ^),
Wer es kauft, der will es nicht.
Wer es gebraucht, der weiss es nicht.
Was ist das? Ein Sarg.
und dgl. mehr.
8. 110: Und (lass ich eines alten herrlichen Freundes nicht vergesse,
(lesgleichen ich nie und nirgend wiederfand, des ehrenhaften alten Herrn
M . t . seh, dieses Mannes nach dem Herzen Gottes, den der Herr nun vor
anderthalb Jahren zu sich berief. Er gehört zu denen, welche auf mich
von grossem und nachhaltigem Einfluss waren und denen ich dies bis zu
meiner letzten Stuude Dank wissen werde.
(8. 117) Nicht weit von uns stand ein kleines Haus, das war sein
Eigentum, da wohnte er mit seiner Frau und zwei lieben Kindern. Jeden
Morgen um dieselbe Minute kam er an unserer Thüre vorbei, um auf sein
Kontor zu gehen, jeden Mittag genau um dieselbe Zeit kehrte er zurück. —
(8. 118) Wenn ich wusste, dass er zu Hause war, in den Mittags-
oder Abendstunden, ging icli hin. -- — —
An Unterhaltung fehlte es nie und deren Seele war stets der liebe,
alte Herr — — —
(8. 119) Auch wenn musikalische Messen in den Kirchen waren, kam
Herr M. gern mit seiner Geige und half bei der Aufführung; dann war
er für das ganze Orchester ein Bild der Erbauung. Oder Frau M.
sang mit ihrer feinen, lieblichen Stimme, von dem Quartett der Männer
begleitet, schöne Lieder; ob sie gleich keine Noten kannte, hatte sie doch
das feinste musikalische Gehör und was sie einmal hörte, blieb ihr fest
im Gedäclitnis.
Besonders war Herr M. mir eine grosse Hilfe für meine Sammlungen
von Liedern, kölnischen Geschichten u. dgl. Er war an ihnen nicht ärmer,
als der selige Herr Stamm, ich fand diesen in ihm wieder. Da sass er
deun abends in seinem Schlafrock in dem hölzernen Sessel — und
liess die Geschichte der Stadt und ihre Anekdoten an meinem Auge vor-
1) Anmerkung des Herausgebers. Dies Versrätsel steht auch isoliert am Schlüsse
von Wolfs ..Schatzkästlein für Arme im Geist" (s. oben S. B52) S. 202.
358 Fränkel:
beiziehn, ein prächtiger, reicher, bunter Zug, [1-OJ Ernst und Komik im
innigsten Verein. Wenn er einmal anfing zu erzählen, ging der Strom fort und
fort und endete oft erst bei dem herzlichen Abschied an der Hausthür,
Von den alten kölnischen Studenten wusste er manchen Schwank, aber
auch ernstere Geschichten. So war ein Judenmädchen, das heimlich Unter-
richt in dem heiligen Glauben nahm und darum, so oft es konnte, zu den
Franziskanern ging. Die -luden waren ihr endlich auf die Spur gekommen
und sie durfte nur selten mehr aus. Das erfuhren die Studenten, und
ebenfalls, dass es ihr sehnliches Verlangen sei, in einen Orden zu treten.
Als sie nun das nächste Mal auf der Strasse erschien mid zwei Juden
hinter ihr drein gingen, um sie zu bewachen, fuhr plötzlich ein längst dazu
bereitgehaltener Wagen heran, zwei Studenten sprangen heraus, hoben sie
hinein und waren bald mit ihr verschwunden, während sich die Juden
auf der Strasse jammernd die Haare rauften. So wurde der Wunsch des
armen Mädchens erfüllt und sie starb fromm als Nonne.
S. 124f. : Er [S. 121: der gute kindlich fromme vormalige Kapuziner-
pater — — ] sprach eben von dem heil. Franziskus und erzählte uns dessen
Geschichte, wie der Heilige durch seine Herrschaft über sich selbst und
durch sein beständiges Leben in Gott auch die Natur sich unterworfen
hatte und nahe war jenem heiligen Urzustand, wo die Tiere noch nicht
vor den Menschen flohen oder ihn mörderisch überfielen, wie Franziskus
vielmehr gleich vielen andern Heiligen mit der Natur im vertrautesten
Verkehr gelebt habe, so dass die scheue Schwalbe und der furchtsame
Hase sich zutraulich ihm näherten und Schutz bei ihm suchten. Er spracli
von seiner einfach erhabenen und rührenden Weihnachtsfeier und schilderte
den Heiligen, wie er die Hirten der Gegend von Rom um die Höhle ver-
sammelte, worin er eine Darstellung der Krippe errichtet hatte und wo
bei dem hell die heilige Nacht durchfunkelnden Lichterschein ein Priester
die heilige Messe las, die Hirten ihre schönen Lieder sangen und Franziskus
[125] in flammender Rede die Wunder dieser Nacht pries und die ganze
überflutende Gottesliebe seines Herzens, welche Sonne und Mond, Wasser
und Feuer, ja alle Geschöpfe zum Lobe des Herrn aufrief, in begeisterten
Worten ausströmte.
S. 136: Diese Forschungen dehnten wir bahl auch auf die Pfarrkirche
aus und es dauerte nicht lange, so legten wir, wie denn der Sanimelgeist
bei Kindern leicht geweckt ist, eine „Sammlung von Altertümern" an.
Welcher Art sie war, kann man sich schon denken. Stücke von Steinen
genügten, wenn auch die Spur des Meisseis kaum sichtbar an denselben
war, und über jedes Stück kam mit der Zeit ein Zettel, welcher seine
Nummer und die Angabe des [S. 137] Fundortes enthielt. —
S. 139: Unterdessen führte mein guter Stern mich oft zu einem Nach-
bar und Hausfreund, der alte Gemälde, Schnitzworke, Becher, Rüstungen
u. a. ähnliche sammelte.
Volkskundliches aus Johann Wilhelm Wolfs Kölner Jugenderinuerungen. 359
8. 1()H: Er [= Hilgers, ein junger Mann, der als Verwalter des Kirchen-
vermögens, oder vielmehr als Rechner, oft ins Haus kam und sich dos
Gärtchens mit Liebe annahm] kam jeden Tag nach Tisch auf eine halbe
Stunde ins Gärtchen und arbeitete da allerhand — — wobei ich ihm stets
zur Hand ging und seinen Erzählungen von den Blumen zuhorchte. Wenn
er sich dabei so ganz gehen liess, dann hatte er etwas von jenen alten
deutschen [1631 Sängern der Minne, und ihrem reinen und vollen Xatur-
gefühl. von ihrer Freude an frischen Bronnen und duftigen, schattigen
Linden, an Blumen und Vögeln, an Wald und Au und Laub und Gras,
von der lieblichen Naivetät, der blumenaugig lächelnden Kinderunschuld,
von dem anschmiegsam zutraulichen Wesen, das uns in den Minneliedern
so sehr anzieht. Als ich später die Bilder dieser Sänger im manessischen
Codex ^) sah, musste ich an den jungen Hilgers denken, wie er ein schönes
Volkslied trällernd oder singend, rittlings oben auf der hohen Mauer sass
und die llebenzweige schnitt und band.
S. 165: Die Lieder, welche er [Hilgers | gesungen, waren mir haften
geblieben, und ich fragte nun Drückchen ^) oft, ob es auch so schöne Lieder
wisse? Es bejahte und sang sofort zum schnurrenden Spinnrad Lied auf
Lied, und ich in meiner Sammellust fing an, sie mir aufzuschreiben.
Abends gingen wir oft zu den in der Nähe wohnenden Eltern des Kaplans
und dann quälte ich stets die alte Mutter, mir auch Lieder zu singen,
wofür ich ihr zu erzählen vers})rach. Für jede meiner Legenden und
Geschichten, Märchen und Sagen gab sie ein Lied her, und als mein Vorrat
zu Ende war, da fing ich an welche zu ersinnen und damit machte ich
so viel Glück, dass oft die Spinnräder der Mutter und Tochter still standen
und beide Frauen meinen abenteuerlichen Phantasien horchten, in welchen
sich Elemente aller drei genannten Gattungen der Volkspoesie wunderlich
kreuzten. Der alte Vater des Kaplans — — lächelte zu den kindischen
Erfindungen. — — Sowie aber des Kaplans Tritt auf [166] der Treppe
erscholl, floh die Märchen- und Wunderwelt - — —
Legenden! Wie sehr spottet man über sie und wie wenig versteht
man sie! Indem man ihrer spottet, spottet man unser, denn man ist der
Meinung, dass wir alle Legenden für unzweifelhafte Wahrheit, für ein
anderes Evangelium halten, während wir doch im allgemeinen ein so
richtiges Gefühl für das Echte und Unechte in ihr haben. Es gibt wahre
Legenden, d. h. beglaubigte und von keiner Kritik (die nicht gerade alles
hinwegleugnet, was nicht zu bestimmten vorgefassten Meinungen passt,
unbekümmert um alle Zeugnisse) wegzufegende Berichte über das Leben
1) Die berühmte Handschrift mittelhochdeutscher Dichtungen, die früher wohl dem
Züricher Eatsherrn Manesse, dann der Pariser Ribliotheque nationale gehörte und sich seit
18SS wieder (wie seit 1G07) auf der Heidelberger Universitätsbibliothek befindet.
2) Anmerkung des Herausgebers. Die erwachsene Schwester des jungen Kaplans,
bei dem der Knabe W. erzogen wurde (S. 159: „Gertrud, meist nur echtkölnisch Drückchen
genannt").
3()0 Fränkel: Volkskundliches aus J. W. Wolfs Kölner Jugenderinnerungen.
und die Wunder der Heiligen, es giebt aber auch teilweise erdichtete
Legenden, und wenn ihnen auch die volle Wahrheit fehlt, so liegt doch
stets eine Wahrheit in ihnen.
Jede Zeit hat ihre Interessen. Die der unserigen sind leider allzu
irdische, dem Ideal allzu fernstehende, der Materie allzusehr zugewandte.^)
(S. 1G7:) Anders waren die Interessen unseres Volkes im Mittelalter.
Der Angelpunkt, um den sich ihm damals alles drehte, war Christus und
Seine erlösende Lehre und was mit ihm zusammenhing, darunter denn
vorzüglich auch die Glorie Seiner heiligsten, unbefleckten Mntter'*) und
der Heiligen, die durch treue Befolgung Seiner Lehre Muster und Vor-
bilder der Tugend wurden. Wenn darum damals ein Dichter nach einem
Vorwurf zu einer Dichtung oder Erzählung griff, so war es vorzugsweise
ein christlicher Gegenstand. Die Feier des Heiligen war sein Ziel, die
Belebung des christlichen Sinnes sein Streben und dazu wirkte er mit
aller Glnt seiner Phantasie, mit aller Wärme seines Gefühls, mit derselben
ganzen tiefen Innerlichkeit seiner Seele, mit der Begeisterung, die Millionen
anderer auf andern Wegeu dasselbe erstreben Hess, die den Kreuzfahrer
von Vater und Mutter, von W^eib und Kind, von Haus und Hof trieb, um
den christlichen Königsthron am heiligen Grab zu gründen und den Un-
gläubigen die teuerste Stätte der Welt zu entreissen; die Fürsten und Könige
und Bürger und Bettler ihre Nacken unter dem Stein beugen liess, den
sie zum Bau des Hauses Gottes trugen; die den Reichen aller seiner Habe
(168) sich entäussern liess, um dem armen Jesu zu dienen, die gerne mit
dem bescheidensten Hause vorlieb nahm, wenn nur des Höchsten Tempel
herrlich und majestätisch in die Lüfte wuchs, der Gott und Jesus und der
Tröster alles waren. Staub und Asche der Mensch, die darum auch gesegnet
wirkend dastand und gross dasteht auf ewige Zeiten.
Wie aber damals dem Baumeister und dem Maler und jedem andern
Künstler kein Schmuck zu schön war, der Gottes Ehre galt, so ging es
auch dem dichtenden Künstler, so lange die innere Wahrheit der Sache
nur nicht litt. Wenn wir das prächtige Triumphthor eines Chores, den
Goldgrund eines Gemäldes sehen, so wird es uns nicht einfallen zu fragen,
1) Anmerkung des Herausgebers. Es folgt hier ein überaus herber, übrigens
in der Allgemeinheit ganz ungerechter Ausfall wider den angeblich unsittlichen Geist „des
vollen Antichristentums" in der modernen Poesie und Litteratur {1852!), der sich deckt
mit W.s Auslassungen andernorts, wie den Allg. dtsch. Biogr. 43, 771 f. von mir ver-
zeichneten.
2) Anmerkung des Herausgebers. Deren Ruhm und Preis ist ein Leitstern in
W.s Jugend und letzten Jahren; vgl. meine Angaben a. a. 0. S. 772. Das G. Kapitel der
Jugendgeschichte, S. 63-79, ist direkt betitelt „Maria" und nur ihr gewidmet. Ins volks-
kundliche Revier schlagen seine Aufsätze „Der Marienmonat in Belgien" (Zeitschrift „Der
Katholik" N. F. IH, 548), .Lateinische Lieder über die Freuden der allerseligsten Jung-
frau" (ebenda IV, 262), „Mittelalterliche bildliche Ausdrücke von der seligsten Jungfrau
Maria" (ebenda III, 84), „Ein Wort für unser [= das katholische] deutsches Kirchenlied-^
(ebenda III, l'J3), alle bisher unbeachtet geblieben, da anonym.
Dörler: Tiroler Teufelsglaube. 361
ob die Himmelsthür (denn das Chor, in dem der Heiland wohnt, bedeutet
den Himmel) gerade so verziert sei, ob die Luft im Himmel wirklich
goldfarben aussehe? Ebensowenig können wir aber auch bei der Legende
fragen, ob denn jedes Wort sich genau so verhalte? Wir müssen dem
Dichter sein Recht lassen und uns seines Werkes freuen, es mit offenem
Herzen empfangen und geniessen, wie es jene Zeit genoss, den tieferen
Grund festhaltend. —
S. 169: Die Liedersammlung hatte mich sehr beschäftigt und nun
bald andere in Folge. Ich zeichnete jetzt alle Legenden und Sagen und
Geschichten der Stadt, welche ich vom Herrn Stamm und anderen gehört
hatte, auf einzelne Bogen auf und nähte sie zusammen; daraus las ich
dann abends in der Familie des Kaplans und mitunter auch am Tage
meinen Kameraden vor. Wie dort, so erntete ich auch bei diesen grossen
Beifall durch mein Werk und sie baten mich, es ihnen zu leihen, um es
zu Hause vorzulesen. Ich gab es einem, der gab's seinen Eltern und ich
sah es nie wieder. Unverdrossen fing ich wieder von vorn an und Hess
es jetzt die, welche es haben wollten, abschreiben: da sassen und lagen
denn mehr als einmal ihrer sechs, sieben schreibend am Boden, während
ich ihnen vordiktierte.
Der Schullehrer merkte bald diese poetisch-archäologische Thätigkeit
und Hess sich von ein paar Knaben die Hefte zeigen, die jetzt auch in
der Schule vorgelesen wurden und mitunter Schuld waren, dass andere
Aufgaben ungemacht blieben, aber er liess uns um so mehr gewähren, als
es immerhin eine Übung war und auch sonst keine Klagen über uns nötig
waren.
Notiz des Herausgebers;. „Katholische Trösteinsamkeit Zweites Bändchen.
(Zweite Auflage. 18G4.) Schatzkästlein für Arme im Geist. Von Johannes Laicus", wor-
über wir oben in unserer Einleitung einige Andeutungen machten, enthält viele Seiten-
stücke zu bekannten, durch die Weltlitteratur wandernden volkstümlichen Motiven. Bei-
spielsweise ist „der Marienritter", S. 2b f., mit dem Schillerschen Fridolin (Gang nach dem
Eisenhammer) und einem dazu gehörigen Passus des mittellateinischen Ruodlieb-Romans
zu vergleichen, „Zweierlei Nüsse"', S. !)8f., mit der Kästchenfabel der „Gesta Romanorum',
die durch Shakespeares „Merchant of Venice" weiteste Verbreitung erfahren hat.
Aschaffenburg.
Tiroler Teufelsglaube.
Von Adolf F. Dörler.
(Schluss von IX, 273.)
Als die Brugger-Kirche bei Volders im Unterinnthal im Bau begriffen
, ging den Bauunternehmern das Geld aus und sie wussten sich nicht
anders zu helfen, als den Teufel zu beschwören. Nachdem er ihnen die
wai
362 Dörlcr:
verlangte Siimine gebracht hatte, dankten sie ihn wieder ah. Bevor jedoch
der Teufel abzog, rief er ihnen drohend zu: „I wear enk schun no an
Spuk sehn lossn!" Man vollendete nun mit dem Gelde des Teufels den
Bau der Kirche und ein Künstler begann die Freskogemälde am Plafond
zu malen. Aber es gelang ihm nicht, den einzelnen Heiligeugestalten die
Augen zu malen. Natürlich berief man sofort andere Künstler, jedoch
auch diese brachten es nicht zuwege. Da aber jetzt auf sämtlichen Fresko-
gemälden in der Kirche die Heiligen deutliche Augen haben, so muss es
sjiäter wohl gelungen sein, den bösen Zauber zu brechen.^)
Auch in Thaur versuchten einst drei Burschen mittels eines Gertraudi-
büchels den Tschuggau Geld bringen zu machen. Dies brachten sie auch
wirklich zuwege und es gelang ihnen auch, den Teufel, nachdem er ihnen
den Geldsack bereits übergeben hatte, wieder abzudanken. Als der Teufel
fort war und die Burschen eben den Sack öffnen wollten, um das Geld zu
zählen und unter sich zu teilen, trat ganz unvermutet der Herr Pfarrer in
die Stube und fragte die Burschen, ob er nicht den Geldsack zu sich ins
Widum nehmen dürfe; sie könnten dort das Geld abholen wann sie wollten.
Die Burschen wagten es nicht, dem Herrn Pfarrer zu widersprechen und
dieser nahm daher den Geldsack mit. Drei Wochen später war im benach-
barten Rum drüben eine Festlichkeit und die drei hätten jetzt gern ein
paar übrige Groschen in der Tasche gehabt. Wie einer von ihnen den
Pfarrer auf der Strasse zufällig traf, bat er ihn, er möchte ihnen jetzt das
Geld geben; sie könnten's morgen gerade gut brauchen. Die Augen des
Pfarrers wurden, w^ährend der Bursche sprach, immer grösser, und als der
Bittsteller geendet hatte, forderte ihn der Pfarrer auf, ihm die ganze Ge-
schichte, wie er denn zu dem Gelde gekommen sein sollte, zu erzählen.
Nachdem dies der Bursche gethan liatte, sagte der Geistliche, es sollten
morgen früli acht Uhr alle drei zusammen ins Widum auf sein Zimmer
kommen, dort werde er ihnen schon geben was für sie gut sei. Wie sie
nun genau zur angegebenen Zeit beim Pfarrer eintraten, griff dieser nach
einem spanischen Röhrl und hätte entschieden davon ausgiebigen Gebrauch
gemacht, wenn die drei nicht eilends die Flucht ergriffen hätten. Es hatte
ilmen nämlicli nicht der Pfarrer den Geldsack abgenommen, sondern sich
der Teufel in die Gestalt des Pfarrers verwandelt, um so wieder zu
seinem ihm abgetrotzten Gelde zu kommen. Auch ist dem Teufel sehr
viel daran gelegen, wahrhaft gottesfürchtige Geistliche bei der Bevölkerung
1) Berühmt ist diese Kirche durch den Stein des Gehorsams, der in einer Mauer-
nische rechts vom Eingang zu sehen ist. Die ursprüngliche Sage hierüber s. bei Zingerle
S. 490. Eine andere Version sagt, der Stein hätte im Herabkollern beinahe einen Fuhr-
mann erschlagen. Da habe aber dieser gelobt, ein Pfund Kerzen der Kirche zu spenden,
worauf der Stein stehen geblieben sei.
In dieser Kirche packte der Teufel einmal eine Nonne und zerrte sie zu einem
Kirchenfenster hinaus. Die davon herrührenden Blutspuren konnten lange nicht übertüncht
werden.
Tiroler Teufelsglaube. 363
um ihren guten Ruf zu bringen, und es ist ihm hierzu kein Mittel zu
schlecht. ^)
So war z. B. in Brandenberg ein Pfarrer Namens Winkler, der weit
und breit ob seiner Frömmigkeit in hohem Ansehen stand. Er selbst ging
stets in schlechten Kleidern herum, damit er von seinem kärglichen Ein-
kommen möglichst viel an die Armen verteilen konnte. Auch war er ein
berühmter Teufelsaustreiber und Geisterbanner und kein Mensch konnte
ihm eine schlechte Handlung nachsagen. Da ging einmal ein Bauer spät
nachts beim Huberwirt vorbei, schaute durch das Fenster ins Herrenstübl
und bemerkte dort den Pfarrer, wie er neben der Kellnerin sass und
zärtlich den Arm um ihren Hals geschlungen hatte. Das ärgerte den
Bauer sehr und er beschloss, dem Pfarrer eine Verlegenheit zu bereiten.
Er ging zum Widum, läutete dort und verlangte den Herrn Pfarrer zu
s})rechen. Die Häuserin sagte, sie werde ihn sofort rufen. Gleich darauf
kam der Pfarrer herunter. Jetzt war der Bauer so betroffen, dass er auf
die Frage des Pfarrers, was er wünsche, keinen Laut hervorbringen konnte.
Da fragte ihn der Seelsorger noch einmal, was ihn zu ihm führe. Aber
der Bauer blieb immer noch stumm, denn er konnte ihm doch unmöglich
sagen, was er im Wirtshause gesehen hatte. Erst auf wiederholtes Drängen
erzählte ihm der Bauer alles und bat ihn um Yerzeihung wegen des gegen
ihn gehegten Misstrauens. Da sagte der Pfarrer halblaut zu sich selbst:
„A, will er mi iatz also kriegn dr Tuifl!" und bedeutete dem Bauer, er
könne ruhig nach Hause gehen und brauche sich nicht zu fürchten. Dieser
stand aber doch auf dem Heimwege damische Ängsten aus, weil er glaubte,
der Teufel könnte sich an ihm für den Verrat rächen.
In einer ähnlichen Eage hat sich auch einmal der Pfarrer von Fliess,
Namens Alois Maass^), befuuden, der sich gleichfalls durch seine Teufels-
austreibungen und Wohlthateu den grimmigsten Hass des Satans zu-
gezogen hatte. In Gestalt des Pfarrers bandelte auch hier der Teufel
mit allen minderen Menschern an, machte nächtliche Spektakel und führte
die ärgsten Sauereien auf, die im ganzen Dorf grosses Ärgernis erregten.
Als dem Pfarrer endlich zu Ohren kam, was er für einen Doppelgänger
habe, bannte er ihn in Anwesenheit mehrerer Gemeindeangehörigen kurz
nach ßetläuten auf sein Zimmer. Sobald der Teufel in seiner falschen
Gestalt eingetreten war, konnte kein Mensch mehr den rechten Pfarrer
vom falschen unterscheiden, so ähnlich waren sie einander. Da sprach
der eine von beiden:
„Der Tag gehört mein, Die Stund ghört uns mitnonder
Die Nacht gehört dein, Und so scheid uns Gott vunonder!"
1) Über das Geldbringenmacben vgl. Zingerle S.386, Alpeuburg 8.267, Hauser S. 38,
Dörler S. 78 f.
2) Dieser Pfarrer war ein so gottseliger Herr, dass ihm der Teufel nur vorwerfen
konnte, er habe als Bube einmal eine Rübe vom Feld gestohlen.
364 Dörler:
Diesem Spruch konnte der Teufel nicht Stand halten und fuhr pfauchend
vor Wut zum Fenster hinaus.^)
Wie sehr man sich vor dem Teufel besonders auf Reisen und nächt-
lichen Wanderungen in acht nehmen sollte, damit er einem an Leib und
Seele keinen Schaden anthun könne, beweist folgender Vorfall. Ein Be-
sitzer des vor einigen Jahren abgebrannten Eggelerhofes, einer der Sillhöfe
bei Innsbruck, war vor Zeiten mit einer Fuhre ins Etschland verreist.
Eines Abends hörte die Bäurin draussen einen Peitschenknall und rief
ihrem Bübl zu: „Geah aussi, es schnellt jo, iatz kimmt dr Votr!" Als der
Bube vor das Haus getreten war und niemanden sah, ging er in den Stall
nachzuschauen, ob vielleicht der Yater beim Versorgen der Pferde sei.
Allein er war auch hier nicht zu finden. Bei der Gsottruhe sah dagegen
der Bube ein Mandl lehnen, das hatte eine mächtige weisse Hahnenfeder
auf dem Hute, weisse Hemdärmel und Kniehosen mit grünen Hosenhebern.
Das Bürschl fragte nun den Eindringling: „Wos thuest denn du do?"
„Host nicht dernoch z' frogn!" entgegnete das Mandl. „Wort nar, dr Votr
kimmt!" drohte darauf der Bube, aber das Mandl lachte höhnisch: „Jo, dr
Votr kimmt! wear woass wo dear ist!" und war im selben Augenblick
verschwunden. Der Vater kam am selben Abend nicht. Am folgenden
Tag aber brachten sie ihn „kloaverruckt" (gänzlich verrückt). Das hatte
ihm der Teufel angethan; weiss Gott wie er über ihn Macht bekommen
hatte. Man wusste sich nicht zu helfen, da er fürchterlich tobte und kaum
zu bändigen war, bis man ihn endlich zum Pfarrer von Fliess hinauf nahm.
Der richtete ihn wenigstens so zusammen, dass er den Leuten nichts mehr
anthat, aber „narisch" blieb er für sein Lebtag. Als er starb, that's im
ganzen Hause einen schrecklichen Rumpier, was ein sehr schlimmes Zeichen
ist. Ich will zwar nicht sagen, dass ihn gerade der Teufel geholt hat,
aber Rechtes ist's doch nichts gewesen.
Der Rederer vom Hattingerberg im Oberinuthal und noch einige
andere Burschen gingen einst zur Hahnfalz auf den Flaurlingerberg. Lm
möglichst früh am Einfalz-Platz zu sein, beschlossen sie im Flaurlinger
Ochsenhag zu übernachten und machten sich's auf dem Heu bequem. Es
mochte so gegen Mitternacht gehen, als sie plötzlich durch ein wüstes
Getrampel auf dem Stadidach geweckt wurden. Es war nämlich der
Teufel auf das Dach gesprungen und rannte nun oben herum, dass man
glauben konnte, es seien zum wenigsten ein Dutzend Geissböcke auf-
getrieben worden. Die Burschen begannen in ihrer Angst laut emen
Rosenkranz zu beten, denn sie hatten gleich gemerkt, woher der Wind
blies. Das konnte der Teufel nicht lange vertragen, hüpfte vom Dach
herunter und machte sich aus dem Staube.
1) Vgl. Dörler S. 100, wo sich ein Ginzliuger Burscli den Teufel mit demselben
Spruch vom Halse schafft.
Tiroler Teufelsglaube. 365
Ein früherer Mesner von Götzens, der schon oben erwähnte Kuen, war
einst spät nachts auf dem Rückweg vom Edenhof begriffen, wo er seine
schwerkranke Schwester besucht hatte: Er war bereits im Graben des
Geroldsbaches angelangt und wollte an der gegenüberliegenden Böschung
emporsteigen, als er auf einmal einen schwarzen, mehr als mannshohen
Panzen (Fass) in der geringen Entfernung von beiläufig zehn Schritten
vor sich hergleiten sah. Der Mesner fürchtete sich im Vertrauen auf sein
gutes Gewissen nicht im mindesten und wie er zu dem steinernen Marterl
an der Wegscheide bei Götzens kam, that das Fass auf einmal einen
fürchterlichen Knall und einen Sauser und war verschwunden.
Das war der Alber*), obwohl er nur selten in der eben geschilderten
Gestalt auftritt, sondern meistens als feuriger Mann oder feuriger Yogel,
manchmal auch als glühender Drache oder Beisswurm. Immer aber ist es
der verka])pte Teufel und sein Erscheinen bedeutet nie etwas Gutes.
Ein Bauer ging einst spät abends vom Schloss Mentelberg bei Inns-
bruck nach dem Dorfe Völs. Wie er das kleine Wäldchen unweit von
Mentelberg betrat, sah er in der Dämmerung den Alber in Gestalt eines
riesigen Lotters, der bald über und über glühend war, bald wieder kohl-
schwarz wurde, durch den Wald herunterkommen und als derselbe die
Strasse erreicht hatte, vor ihm hergehen. Es dauerte jedoch nicht lange,
so verschwand der Teufelsspuk wieder.
Das Wiedner Softal von Brück im Zillerthale ging einst mit ihrer
Freundin bei Einbruch der Nacht zum Weiler Imming. Auf einmal sahen
die beiden Mädchen den Alber als grossen rotglühenden Vogel mit langem
Schweif von den Abhängen des Kellerjochs in rasender Schnelligkeit über
das Thal hinfliegen. Vom Wiederschein der Glut wurde die ganze Gegend
hell erleuchtet. Er schoss gerade auf die gegenüber liegende Berglehne
zu und stürzte sich mit solcher Wucht in den zum Gehöfte Guggenbichl
gehörigen Hochwald, dass die Glunen (Funken) hoch aufsprühten und wild
durcheinander stoben.
Manchmal fährt ei- auch in Gestalt eines feurigen Lindwurms vom
Gipfel des Floitenturms ins Stilluppthal hinab.
Einmal fuhr er vom Hochederspitz gerade auf den Mucheler Marti zu,
der ruhig vor seinem Haus in Pfaffenhofen sass und sein Pfeiflein rauchte.
Mit einem Satz sprang der Mucheler in den Hausgang, schlug die Thüre
zu und hörte im selben Augenblick das feurige Ungetüm prasselnd am
Hause vorbeisausen.
Am Martinsabend zeigte sich einmal der Alber mit einem riesigen
feurigen Schweif hoch in den Lüften über Thaur.
Der Pfarrer von Fliess hatte schon lange vorausgesagt, dass anfangs
der fünfziger Jahre über Inzing eine verheerende Mur hereinbrechen und
1) Vgl. Alpenburg S. 28r,f., Zingerle S. 239 u. 402, Dörler S. 97.
366 Dörler:
dass diese der Teufel verschulden werde, fügte aber hinzu: „Du kriegst
mr dächt koa Seal nit!" Als nun der See im Hundsthal ausbrach und
sich die Wildwasser auf das an der Einmündung des Hundsthaies ins Inn-
thal gelegene Dorf Inzing stürzten, fuhr wirklich der Teufel als feuriger
Beisswurm beim Thal aus auf Inzing zu, während dort alles mit Stein-
blöcken, Schlamm und Baumstämmen verschüttet wurde. Wie der Pfarrer
von Fliess vorausgesagt hatte, kam dabei ^vunderbarerweise niemand ums
Leben. Um aber der Bevölkerung doch noch extra einen Tuck anzuthun,
wälzte der Teufel einen ungeheuren Steinblock mitten in die Kirche. Wie
er das zusammengebracht hat, weiss man heutzutage noch nicht, denn der
Stein war selbst für das Hauptportal der Kirche viel zu gross. Er konnte
auch nicht anders fortgeschaift werden, als dass man ihn in der Kirche
sprengte und dann die einzelnen Trümmer daraus entfernte.
Ein Inzinger ging in der Frühe desselben Tages, an welchem später
die Mur losbrach, nach Seefeld kirchfahrten. Hinter der Ruine Fragen-
stein, wo eine kleine Wegkapelle steht, in welcher unser Herr im Elend
abgebildet ist, sah er auf der Strasse einen grossen Haufen Rossmunggen
(Pferdemist) liegen. Wie der Kirchfahrer näher herangekommen war,
fing der Haufen auf einmal lebendig zu werden an, die Rossmunggen
flogen auf und schössen durch die Luft Inzing zu. Dabei hörte er be-
ständig den Ruf: „Thol zue, Thol zue!" Zur selben Stunde brachen, wne
der Bauer bei seiner Rückkehr nach Inzing erfahren hatte, die verheerenden
Fluten über Inzing herein. Das war entschieden auch „ebbes Teifels."
Eine andere, gleichfalls teuflische Erscheinung ist das „Wildgfahr"',
ein Zug höllischer Geister, die unter greulichem „Gsteapr" nächtlicherweile
daherfahren und jedem, der sie absichtlich beobachtet, irgend ein Leid
anthun, dass er gewiss sein Lebtag daran denkt. Hier und da sieht man
an der Spitze des Zuges den grünen Jager oder eine andere Teufelsgestalt
auf einem Gaule vorausreiten, dem dann ein unentwirrbarer Knäuel von
Gespenster- und Hexenkunter folgt. Andere sagen, das Wildgfahr sei ein
Karren, der wie der Wind dahersause und auf dem eine Menge kohl-
schwarzer Vögel sitzen. Wieder andere halten es für einen achtfüssigen
Gaul, der ein ähnliches Geräusch verursache, wie wenn man mit der Hand
über einen Pergamentbogen streichen würde, nur dass es einem durch
Mark und Bein gehe. ^) Überhaupt erscheint das Wildgfahr beinahe in
jedem Orte und in jedem Thale anders. Dagegen werden wieder im Inn-
thale die Kasermanndln und Martinipützleu, die am Martinsabend von den
Alpen abfahren, ganz ähnlich als krumme Gänse beschrieben, die in Holz-
schuhen daherwatscheln wie die w^ilde Fahrt im Vintschgau, die gleichfalls
am Martinsabend sich als Gans zeigt oder wenigstens unter Gänsegeschnatter
daherfährt. *'') Die Gans in der wilden Fahrt verhängt auch über Neu-
1) Vgl. Alpenburg S. 53 f. u. 69 f., Zingerle S. 6 f., 10, 21, 333, 417 u. s. w.
2) Siehe Zingerle S. 8.
Tiroler Teufelsglaube. 367
gierig;e, die sie beobachten wollen, ganz dieselben Strafen wie das in die
Gestalt einer Gans verwandelte Kasermanndl oder das Nachtvolk in Vor-
arlberg.^) Die Strafen der Gebnacht-ßerchta muss dagegen ihr Kindlein
ausführen, obgleich sie auch hier die nämlichen sind. Die Berchta und
das Nachtvolk können aber auch den Menschen Wohlthaten erweisen oder
wenigstens einen guten Rat erteilen, was beim Wildgfahr niemals der Fall
ist; ja letzteres rächt sich sogar an Personen, die ihm ganz unfreiwillig
begegnen. Falls dir so ein Wildgfahr bekommt (begegnet), ist es am besten,
du wirfst dich platt auf die Erde, denn drei Schuh über dem Erdboden
hat es keine Macht mehr.
Unweit der Pontzlatzener Brücke im Oberinnthal stehen zwei Bauern-
höfe, an denen das Wildgfahr besonders gern vorbeifuhr, wobei es war,
als wenn ein paar Wagen mit einem durch Mark und Bein gehenden Ge-
rassel des Weges daherkommen würden. Ein Bauernbursch, der durchaus
an keinen Spuk glauben wollte, nahm sich einmal vor, zu schauen was es
denn damit für eine Bewandtnis habe. Als er das Gerassel von ferne
nahen hörte, steckte er den Kopf zu einem offenen Stubenfensterl hinaus,
konnte aber mit dem besten Willen nichts sehen. Als es vorbeigesaust
war, wollte er wieder vom Fenster zurücktreten, aber sein Kopf war derart
angeschwollen, dass er im Fensterrahmen stecken blieb und er ihn nur
mit äusserster Mühe und grossen Schmerzen wieder zurückbrachte.
Auch bei der Kohrer Mühle im Zillerthale hörte man es oft mit einem
schrecklichen „Schalaus" und Gelärm durch die Luft ziehen, dass einem
die Ohren davon gellten. Ein alter Mann hat es dort einmal zu sehen
bekommen, bemerkte aber nur einen Zug von Gestalten, die er nur un-
deutlich unterscheiden konnte.
Ein ganz ähnliches „Gevelke" ist die „Tagwildnis", nur dass sie, wie
schon ihr Name sagt, bei hellem Tage ihr Unwesen treibt und mäuschen-
still daherkommt. Da man von ihr gar nie etwas zu sehen bekommt, so
ist es schwer ihr auszuweichen. Wenn man aber „die Gnade hat", bemerkt
man doch einen gewissen bösen Wind, der ihr vorausgeht, und wird da-
durch gewarnt. Merkt einer aber dieses Zeichen nicht und begegnet der
Tagwildnis, so wird er augenblicklich vom Teufel derart besessen, dass ihn
nur der Pfarrer von Fliess oder der Grundner BuggP) wieder austreiben
konnte.
Etwas ganz Widerwärtiges ist einmal den Tuxern gepassiert. An
einem hohen Frauentage haben einst vierundzwanzig Weiberleut und un-
gefähr ebensoviel Mannsbilder getanzt und geplattelt. Da fuhr der Teufel
drein und vom selben Augenblick an waren alle beteiligten Weibsbilder
tanzbesessen. ^) Sobald sie nun irgend eine Musik hörten, mussten sie un-
1) Siehe Vonbun S. 28 11"., Hauser S. 1 ff.
2) Christian Grunduer, ehemaliger Pfarrer von Gschnitz.
3) Eine andere Sage hierüber siehe Dörler S. 103 f.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 25
368 Dörler:
willkürlich tanzen, bis sie vor Erschöpfung umfielen oder die Musik auf-
hörte.
Ein Tuxer Bauer reiste nun mit seiner Tochter, die auch tanzbsessen
war, nach Wilten ins Kloster zum Fürsten Hohenlohe. Da letzterer aber
schon nach Salzburg übersiedelt war, musste er unverrichteter Dinge
wieder umkehren und jammerte den ganzen Weg hinein. Da hat aber
plötzlich der Teufel aus dem Mädchen geredet: „Ich wüsste schon einen,
den Grundner Buggel." ^) Das liess sich der Bauer nicht zweimal sagen
und trat gleich den Weg nach Gschnitz an, obwohl sich sein Madl dabei
schrecklich ungeberdig aufführte. Der Geistliche nahm es oftmals in die
Kirche, wurde aber durch das Benehmen des Mädchens immer wieder
gestört. Endlich aber gelang es ihm doch, den Teufel auszutreiben und
das Dirndl konnte geheilt heimkehren.
Die Tuxer konnten es kaum glauben, dass dieses Mädchen so schnell
vom Teufel befreit worden war, bis ihnen der Pfarrer von Gschnitz sagen
liess, sie sollten nur samt ihrem Curaten kommen und die Tanzbsessenen
mitbringen, dann könnten sie sich selbst hiervon überzeugen. Auf das
hin begaben sie sich meist zu zweien (einmal aber auch zu vieren) mit
ihren besessenen Weiberleuten zum Grundner Buggl nach Gschnitz, der
dann auch den Teufel aus einer nach der anderen austrieb.
Als er auch einmal zwei Dirndlen bei ihm hatte, kamen auch mehrere
Tuxer Burschen, um der Teufelsaustreibung zuzuschauen. Das eine der
beiden hatte er im hinteren Zimmer. Dieses Mädchen konnte er vom
Teufel noch nicht befreien, da musste er erst noch lange fasten und beten.
Das andere aber sahen sie im vorderen Zimmer ganz unter dem Bette
des Pfarrers. Auf den Befehl desselben kroch die Dirn hervor, und der
Pfarrer hiess dann den Teufel iu ihren rechten Schuh hineinschliefen.
Die Dirn wollte denselben immer abschütteln und der Teufel redete aus
ihr: „Dieser Schuh ist mir zu klein; darf ich nicht in eine Fliege?'' Als
ihm der Pfarrer dies untersagte, fragte der Teufel abermals: „Darf ich
nicht in einen Strohhalm?" Dies liess der Pfarrer ebensowenig zu. Da
fragte der Teufel zum letztenmale: „Darf ich nicht in eine Trofrinn (Dach-
traufe)?"^) Auch dies verbot ihm der Pfarrer und sprach darauf, indem
er mit dem Finger auf eine Stelle auf dem Stubenboden deutete: „Do
muest oh'n! (abhin, hinab)". Ein Rrauscher und ein Krach und der
„Bleckate'' fuhr durch dieses Platzl zur Hölle.
Eine gewisse Matzler, Kellnerin in Innsbruck, die vor etwa fünfzig
Jahren noch lebte, ging einst ahnungslos mit einem flotten Jägerburschen
gegen die Hungerburg hinauf spazieren. Dort hat sie derselbe aber ent-
1) Der Teufel hat sich hier offenbar verschnappt. Er redete übrigens stets hoch-
deutsch aus dem Tanzbsessenen, während sie selbst natürlich tuxerisch sprachen.
2) Der Teufel wäre nämlich überall lieber hingefaliren als in die Hölle.
Tiroler Teufelsglaube. 369
setzlich zu martern und peinigen augefangen, und wie sie wieder herunter-
kam, war sie vom Teufel besessen. In diesem Zustand konnte sie sich in
allerlei Gestalten verwandeln; bald hatte sie einen riesigen Kopf, bald war
sie wieder ein kleines Vöglein und verstand überhaupt perfekt lateinisch
zu sprechen. Ein Priester hat aber bald darauf mit dem Doktor Pircher,
dem man wegen Zauberei bald die Praxis gesperrt hätte, den Teufel
wieder ausgetrieben.
Auch in Grinzens bei Axams lebt ein Weiblein, das früher einmal
vom Teufel besessen war. In jenem Zustand hatte sie der Teufel oft auf
einen Schrofen unweit des Dorfes hinausgeführt und wollte sie von dort
in die Waldschlucht der Sellrainer Ache hinabstürzen. Aber jedesmal hat
sie der Himmel doch so weit in Schutz genommen, .dass dem Unteren die
Ausführung seines schwarzen Planes nicht gelang und er endlich von dem
vergebliehen Beginnen abliess. Aus Dankbarkeit für ihre Rettung erbaute
sie darauf an derselben Stelle, wo sie der Teufel hinunterstürzen wollte,
aus einigen Pfählen und Latten ein kleines Kapellchen, tapezierte es innen
mit schönen Tapeten und Heiligenbilteln aus und überdeckte aussen die
ganze Kapelle mit Moos, weshalb dieselbe das „Mooskirchl" genannt wird.
Das Weiblein führte mich selbst zu dem Kirchl und hat mir viel von
diesem Mirakel erzählt.
Ist man im Zweifel, ob jemand besessen ist oder nicht, so braucht
man ilmi nur ein mit dem Stempel von Rom versehenes Bild des heiligen
Angesichtes zu zeigen. Das geschah auch einmal bei einem sterbens-
kranken Trinser Dirndl, das halt alleweil ein bissele stolz gewesen war.
Durch den Anblick des Heiligenbildes geriet es in schreckliche Raserei,
sprang aus dem Bette und tobte so fürchterlich, dass man sofort um den
Pfarrer springen musste. Dieser war aber ein sehr nachlässiger Geist-
lieher. dem der Teufel solche Dinge vorwerfen konnte, dass er sich
schleunigst wieder entfernen musste. Ein anderer Geistlicher, Namens
Weiss, der vor einigen Jahren in Innsbruck gestorben ist und ein sehr
„fleissiger"'^ Herr war, hat den Teufel gleich ausgetrieben.
Eine sonderbare Kur hat einmal der schon oben S. 363 erwähnte Pfarrer
Winkler an einem wahrscheinlich im Teufelsnamen getauften Kinde vor-
genommen. Dieses Kind litt nämlich stets an einem unersättlichen Hunger.
Nicht nur dass es für sieben Drescher Mus und Nudeln ass, es hätte auch
noch einen Gamsschlegel und eine Pfanne voll Krapfen vertragen. Die
Eltern desselben wussten sich nicht zu helfen, denn auf die Länge hätte
sie das Kind von Haus und Hof gefressen. Endlich gingen sie zum Pfarrer
Winkler nach Brandenburg. Dieser hiess die Mutter niederknien und das
Kind fest in den Armen halten, aber ja nicht loslassen. Darauf begann
er sonderbare Gebete zu sprechen. Das Kind wurde während dessen
immer schwerer und schwerer, so dass es die Mutter kaum mehr der-
heben konnte und ihr der Schweiss nur so herunterbachelte. Plötzlich
25*
370 Dörler:
horte der Pfarrer zu beteu auf, das Kind wurde wieder leicht und war
geheilt.
Eine ganz unglaubliche Thatsache von einem im Teufelsnamen getauften
Kinde erzählt uns auch Zingerle S. 372.
Leider Gottes gab es in früheren Zeiten genug gottvergessene Priester,
welche die Kinder aus blosser Bosheit im Teufelsnameu tauften. So ein
Pfaffe war auch einmal in Mils bei Hall angestellt. Auf dem sein Hand-
werk ist man durch einen fahrenden Studenten gekommen, der bei einem
Bübel als Taufpate fungierte und die lateinischen Reden des Priesters
verstand.
Wie unser Herrgott den Petrus am Himmelsthor angestellt hat, so
hält sich auch der Teufel am Höllenthor ein Thorwartl ^), nur muss er ein
unschuldiger Knabe sein, den er obendrein nicht länger als sieben Jahre
unten behalten darf. Nach Ablauf dieser Zeit muss er ihn wieder auf die
Welt lassen und sich imi Ersatz umschauen.
Einem Oberlandler Buben waren einst Yater und Mutter gestorben
und er wanderte hierauf betrübt aus seiner Heimat in die Fremde, um
irgendwo einen Platz zu suchen, wo er Arbeit fände. Wie er so dahin-
schritt, begegnete ihm ein vornehmer in grüne Seide gekleideter Herr,
der ihn freundlich fragte, wohin er gehe. Als ihm der Bube gesagt hatte,
dass er ein „Eartl" (Plätzchen) suche, erbot sich der Herr gleich ihn an-
zustellen. Dies war dem Knaben natürlich recht, denn er wusste nicht,
dass er es mit dem Teufel zu thun hatte. Nun war er aber in seiner
Gewalt und musste sieben Jahre bei der Hölle Thorwartier sein. Nachher
studierte er in Innsbruck Theologie, wurde zum Priester geweiht und in
Oberperfuss angestellt. Bald darauf erhielt er eine Einladung zu einem
kirchlichen Feste nach Sellrain und leistete ihr auch gern Folge. Als er
dort dem Gottesdienste anw^ohnte, erklärte ihm plötzlich der Pfarrer, der
Kooperator, der die Predigt hätte halten sollen, sei daran verhindert und
nun solle er aushelfen; auf der Kanzel liege schon eine kleine Darauf hilfe.
Da alles Sträuben nichts half, bestieg er endlich die Kanzel. Dort lag
wohl ein Blatt Papier, es war aber auf keiner Seite auch nur mit einem
Buchstaben beschrieben. Da sprach der Priester, indem er das Blatt um-
wandte: „Da steht nichts und da steht nichts und aus nichts hat Gott die
Welt erschaffen!" Darauf fing er zu predigen an und zwar von Begeben-
heiten aus seinem eigenen Leben. AVie er nämlich höllischer Thorwartier
gewesen sei, seien im ganzen nur drei Bauern gekommen. Der erste mit
einem Marchstecken^), der andere mit einem Star^) und der dritte mit
einer Waoe. Die o-anze Hölle aber sei mit Geistlichen gewölmt und werde
1) Vgl. Zingerle S. 401: „Der Höllenpförtner", und unsre Zeitschr. VIII, 328.
2) Pfahl, der als Markstein dient.
3) Altes Mass.
Tiroler Teufelsglaube. 371
noch mit solchen gepflastert werden. ^) Nach Beendigung der Predigt
machten ihm die übrigen Geistlichen Vorwürfe, warum er denn so scharf
gepredigt habe; es sei ja doch kaum zu glauben, was er da alles erzählt
habe. Er aber entgegnete: „Jedes meiner Worte ist wahr und ihr brauchts
nur über meine rechte Achsel hinwegzuschauen, so seht ihr die ganze
Hölle offen!" Dazu hatten aber seine Amtsbrüder keine Schneid.
Ein alter Kapuzinerpater in Innsbruck war auch einmal höllischer
Thorwartier gewesen und erzählte oft, es seien während jener Zeit aller-
dings auch viele Bauern verdammt worden, aber es habe ihnen zur Selig-
keit so wenig gefehlt, dass sie mit ihren Stotzenhüten beinahe am Himmel
angestossen wären.
Einst kam ein Trupp Zigeuner in die Gegend von Mutters und verlor
dort einen sechsjährigen Buben. Als alles Suchen nach seinen Eltern
vergeblich war, wanderte er traurig gegen die Mutterer Alpe hinauf und
setzte sich auf einem Stein ein kleines Stück oberhalb der Alphütten
nieder. Plötzlich kam ein schwarzer Lotter daher, packte den Buben und
fuhr mit ihm trotz seines mörderischen Geschreies durch die Luft davon.
Er wandte sich gegen das Oberinuthal, wo man ihn mit dem Buben in
melireren Dörfern hoch oben daherschiessen sah. Zuletzt hat man ihn
von Oberperfuss aus beobachtet. Am Höllenthore angelangt, setzte der
Teufel den Buben nieder und machte ihn zum Thorwartl. Nach Ablauf
seiner Dienstzeit tri^b er sich bald da, bald dort in Tirol herum und lebte
vom Schmuggeln, Wildern und anderem ähnlichen Erwerbe, wobei es ihm
trefflich zustatten kam, dass er beim Teufel am Höllenthor etwas mehr
gelernt liatte, als Birnen sieden und die Stengel nicht nass machen.
Einst wurde er bei einem Schmuggel in der Scharnitz von zwei
Finanzern aufgegriffen. Als sie auf seiner Eskortierung an einem Wirts-
hause vorbeikamen, erklärte der Zigeuner, vor Ermüdung nicht mehr
weiterzukommen, ohne dass er hier eine Erfrischung zu sich nehmen dürfe.
Die Finanzer thaten ihm den Willen und kehrten ein, zwangen ihn aber
in der Mitte zwischen ihnen Platz zu nehmen. Nach einer Weile setzte
sich eine Fliege auf den Bierkrug des einen der beiden Finanzer und der
Zigeuner war verschwunden. Ob der Zigeuner durch diese Fliege die
Macht bekommen hatte zu verschwinden oder ob er sich selbst in die
Fliege verwandelt hatte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls spielen Fliegen
auch beim Unsichtbarwerden der Venediger-Mandln eine bedeutsame Rolle.
Für den letzteren Fall spricht der Umstand, dass der Zigeuner sich und
andere in allerhand Tiergestalten verwandeln konnte.^)
1) Es müssen übrigens auch hübsch viel Landgerichtler und Advokaten unten sein,
wie das bekannte Geschichtchen von dem Müller beweist, der durchaus mit dem Teufel
Prozessen wollte. Siehe unten S. 374.
2) Hexenmeister, Schwarzkünstler und der Teufel selber verwandeln sich sehr gern
in Fliegen, Mücken oder Bremsen. Vgl. Zingerle S. 458, 460 u. 462.
372 üörler:
Seinen Freund, den Karler von Axams, fragte er einmal, ob er nicht
ein paar Augenblicke in einen Zaunkonkerl (Zaunkönig) verwandelt werden
wolle. Dass rauss aber dem esellangen Menschen ganz entsetzlich vor-
gekommen sein, denn er bat den Zigeunerbub flehentlich: „Na, der Gotts-
willn, thue mer nu krot des nit!"
Ein anderes Mal ritt er auf einem Schimmel durch das Dorf Zirl. Da
passte ihm aber der Pfarrer auf, stellte und bannte ihn und nahm ihm
alle Zauberbücher und Schriften ab. Da wars nun freilich ein für allemal
aus mit seiner schwarzen Kunst.
Natürlich sind die „Zigideiner" nicht die einzigen und wohl auch
nicht die liebsten Bundesgenossen des Teufels. Er steckt sich mit viel
grösserem Profit hinter die Weiberleut und sorgt stets für kräftigen Nach-
wuchs an Goassweibelen, Truden und Hexen. Besonders die letzteren
sind ihm ans Herz gewachsen. Sie werden jedoch erst nach einer Reihe
von Probejahren zu eigentlichen Höllenkuntinnen gestempelt, indem er
ihnen seinen Bocksfuss aufs Kreuz drückt, wodurch sie ein schwarzes Mal
erhalten, das ihnen für ihr Lebtag bleibt. Andere sagen, er drücke ihnen
das Mal mit seinem Hinterling auf. Welche von beiden Behauptungen
wahr ist, kann uns ganz gleichgiltig sein, da es ja in beiden Fällen ein
untrügliches Zeichen ist, an dem die älteren Hexen sicher zu erkennen sind.
Das wusste auch der Clrünhäusler von Hall, ein berühmter Wunder-
doktor, der wie der Pfarrer von Fliess alle Hexen weit in der Runde
kannte. Einmal war er mit einer Hexe in Streit geraten und diese ver-
klagte ihn vor Gericht. Doch der Grünhäusler war nicht verlegen; er
erklärte, dass das Weib eine Hexe sei und forderte den Richter auf,
selbst nachzuschauen, ob sie nicht das Teufelssiegel auf dem Kreuze habe.
Die Weibsperson wollte davon absolut nichts wissen; es half ihr aber kein
Sträuben, sie wurde untersucht und richtig, da war das Zeichen ganz
deutlich zu sehen, und der Grünhäusler wurde freigesprochen.
Wahre Wollust empfindet der Teufel darin, alte Widumshäuserinnen,
wenn sie unselig sterben, trotzdem sie in beständiger Gesellschaft ihres
Pfarrers so viel Gelegenheit zum Guten gehabt hätten, nach ihrem Tode
in Rösser zu verwandeln und sie allnächtlich so lange zu reiten und herum-
zuhetzen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrechen. Hier und da findet
man ein Hufeisen, das ein solches Ross verloren hat. Dasselbe ist kleiner
als ein gewöhnliches Hufeisen und etwas anders gestaltet. Wer sich daraus
einen Schlagring machen lässt, ist in jeder Rauferei unüberwindlich.
Auch von Teufelsweibelen hört man hier und da, wenn auch selten,
im Oberinnthal erzählen. Eines Sonntags kam ein Bursch, der in einem
Einzelhof unweit von Zirl zu Hause war, ins Wirtshaus und setzte sich
an seinen gewohnten Platz hinter den Tisch. Ihm gegenüber in einem
dunklen Winkel sass ein fremdes bildsauberes Dirndl, das beständig zu
dem Burschen hinüber blinzelte und ihm ermutigende Blicke zuwarf. Sofort
I
Tiroler Teufelsglaube. 373
hatte der Bursche Feuer gefaugen, begann mit der schönen Unbekannten
ein Gespräch und setzte sich zu ihr. Die beiden wurden bald vertraulich
und der Bursche versäumte nicht, das Dirndl „toll hear z'menschern".
Unterdessen war es bereits spät geworden und sie verliessen miteinander
das Wirtshaus. Wie die beiden so durch die Felder dahinschlenderten,
äusserte sich das Dirndl auf einmal, indem es auf ein Schnürchen deutete,
an dem der Bursche unter dem Leibchen ein Skapulier hängen hatte:
„Den Lausfleck muest weckthien!" Der Bursche war über diesen sonder-
baren Wunsch nicht wenig erstaunt und weigerte sich entschieden es ab-
zulegen. So stritten sie eine Weile, bis sie zu einem Wegkreuz kamen.
Dem wich das Dirndl in weitem Bogen aus und blieb endlich ganz zurück,
indem es dem Burschen mit erhobenem Zeigefinger drohte. Jetzt wusste
der Bursche, dass er es mit einem Teufelsweibele zu thun gehabt hatte
und was ihm geschehen wäre, wenn er sich hätte bewegen lassen, das
Skapulier wegzuthun, war ihm auch klar geworden.
Wir brauchen durchaus nicht anzunehmen, dass das Teufelsweibele
etw^a die Frau oder gar die Tochter des Teufels gewesen sei, denn an
eine Teufelsfamilie glaubt kein Mensch im Ernste. Natürlich ist auch der
bekannte Spottreim:
Weit draussn am Gwiind
Hot se 'n Tiiifl sei Schwoga die Schnauzn verbrennt.
nicht ernst gemeint und wnrd nur gebraucht, wenn jemand etwas recht
schlau einfädeln wollte, aber dabei gründlich aufgesessen ist.
Sehr gefährlich ist es jedoch, den Teufel durch solche Spottreime und
Trutzliedeln reizen oder gar zum Raufen herausfordern zu wollen, was
leider besonders im Zillerthale nur zu häufig vorkommt. Schon die nach-
stehenden Gstanzeln thun dessen mehr als rätlich ist:
Wenn i loch aft is lustig-, Sieben Sunnseitn, sieben Kirchn,
Wenn i schlog aft gcits Bluet; Koan Tuifl nit firchtn.
Soll dr Tuifl nar kemraen Kimmt er iatz gleigger zwegn,
Wenn er nii nietler derthuet! Geit mei Schlogring 'n Segn!
An wülleinen Janggar
'n bleckatn Ganggar
A^u dr Hell aussar stiern,
Seil mächt i pröbiern!
Auch Redensarten wie: Nochbers Diendl kaft (kauft) alleweil seile
Teiflereien; iatz hot se schon wieder a Herrgöttl kaft! sollte man nicht
nachsprechen.
Ganz harmlos ist dagegen das Liedlein vom Schneidergsell:
Ein Schneider ging spazieren .,0 du Schneidergsell,
Des Morgens in der Früh, Du muest mit mir in d' Hell,
Da begegnet ihm der Teufel, Mir brauchen an Schneider,
Hat weder Strumpf noch Schuh. Gehs wies wöll!"
374 Dörler:
Als der Schneider in die Hölle kam, „0 du Sehneidergsell,
Nahm ers den Ellenstab, Du muest aus der Hell,
Er messte den Teufeln die Büggel ab, Wir brauchn koan Schneider,
Sie hupften vor Ach und Weh auf und ab. Gehs wies wöll!"
Der wäre also glücklich wieder herausgekommen. Ein verstorbener
Müller, welcher sein ganzes Leben nichts als die Leute betrogen hatte,
wollte aber gar nicht hinein und beschloss, gegen den Teufel einen Prozess
anzustrengen. Da man aber dazu einen Advokaten braucht, und der
Teufel, um sich selbst nicht zu schädigen, keinen aus der Hölle herausgab,
wanderte der Müller zum Himmelsthor und verlangte vom hl. Petrus, dass
er ihm einen Advokaten herausrufen solle, er müsse mit dem Teufel
prozessen. St. Petrus wollte davon absolut nichts wissen und entschloss
sich erst, als der Müller nicht nachgab, in den Himmel zu gehen und
einen aufzusuchen. Der Müller wartete und wartete und als der Heilige
endlich wieder herauskam, hatte er keinen Advokaten bei sich und sagte:
„Mei lieber Miliner, i hun koan Advokatn uit' im gonz'n Himmelreich
gfuntn!"
Es war dies eigentlich von vornherein zu erwarten, denn wenn einmal
Advokaten in den Himmel kommen würden, so müsste jeder Haderlurnji
und Banteljud auch selig werden.
Es sind aber selbst die rechtschaffensten Leute, sofern sie sich nicht
im Stande der Gnade befinden, vor bösem Ansinnen des Teufels niclit
sicher. Den besten Schutz gegen ihn und seinen Anhang bilden kräftige
Sprüche und Formeln, die man auf einen Zettel aufgeschrieben bei sich
tragen muss. Es seien hier nur einige besonders wirksame angeführt:
Das Haupt Christi, das Blut Abels, das Herz Elia, die Leber und
Lungel Salomonis, der Grund Davids, die Knie Abrahams, die (inade
Johannis sei zwischen uns beiden, dass wir in Ruh und Frieden vonein-
ander scheiden. Im Namen Gottes des A^af ters, des Sohf nes und des
heil, f Geistes, Amen.
Andere, ebenfalls sehr vornehme Bewahrungen werden so geschrieben:
y"* N KI -^
o. Ito, alo, Massa Dant Bando III, Amen INRI.
4. Tragta, gramontetta, angtelä f f f.
Um die Kinder des Nachts vor dem Einfluss des Teufels zu schützen,
sollte man nicht versäumen, ihnen recht wirksame Abendgebetlein zu lelireu,
wie z. B. das nachstehende:
s
A
T
0
R
A
R
E
P
0
T
E
N
E
T
0
P
E
R
A
R
0
T
A
S
Tiroler Teufelsglaube. 375
„Heiliger Schutzengel mein,
Stoass 'n Tuifl die Rippen ein,
Jatz und den und olle Stund
Schlog 'n niedr, den Golgnhund!"
Noch schöner ist folgendes:
„Jatz getnmer gien schloffn,
Sex Dreckhaifn solln wochn,
Zwoa z Kopfn, zwoa z Puessn, zwoa nebn mein
Und wenn dr Tuiü kimmt, nor greift 'r drein!"
Fromme Bauern zeichnen sich vor dem Schlafengeheu mit dem Daumen-
oagel die Buchstaben INRI auf die Stirn oder schreiben sie an die Thür
ihrer Schlaf kämm er.
„Dass einem sein Vieh nit verzaubert kann werden", schreibt ein
Wippthaler Bauerndoktor: „nihni Rauten, waxkerzen und salz, nihm die
Stuck und lass sie 3 : mal weichen zum ersten mal an unser lieben Frauen
lichtmesstag, das 2 : mal am Palmtag, das 3 : mal am Ostertag, darnach
mach 3 : Stuck auss den kerzen und auss dem Rauten und Salz, binds in
ein tiechl, bohrs in dem Stall in den thirschweller ein, so das Vieh auss
und ein gehet, ist gerecht."
Wenn man eine Kuh vor Hexerei und Teufelskunst sicher bewahren
will, so schneidet man ihr drei Kreuzlein in die Hörner, kniet neben ihr
nieder und betet drei Vaterunser.
Beziehungen der eigentümlichsten Art unterhält der Teufel mit der
Tierwelt. Er verwendet nämlich gewisse Tiere sozusagen als Spione, die
ihm von dem Treiben leichtfertiger Früchteln, auf die er sein Augenmerk
gerichtet hat, Bericht erstatten müssen. Darum findet man oft ein Datter-
mandl (schwarzer Alpensalamander) mitten auf dem Wege, das einen mit
seinen listigen Äuglein durchdringend anschaut. Oft schickt er auch einen
Raben, um in unauffälliger Weise zu erfahren, was dieser oder jener
Senner in seiner Käser macht. Aber man bemerkt die schlimme Absicht
dieser Tiere doch und weiss sich vor ihnen zu hüten. Ein sehr schlimmes
Zeichen ist es, wenn mau den Kuckuck des Abends nach dem Betläuten
noch zu hören bekommt. Echte Teufelsviecher sind auch das Wiesel, der
Ziegenmelker und sämtliche Beisswürmer, denn sie besitzen alle den bösen
Blick. ')
Ein sehr gutes Mittel gegen allerhand Teufelskniffe ist ein Stücldein
geweihtes Weiss-Elxenholz (Prunus padus), wenn man es im festen Glauben
an seine Wunderkraft bei sich trägt. Es sollte auch in keinem christlichen
Haushalte fehlen, denn es bewahrt nicht nur Vieh und Leute vor der
schwarzen Kunst des Teufels imd seines Anhanges, sondern hält auch
Pestilenz und Feuersbrunst vom Hofe ab. Auch wer Sinngrün bei sich
1) Vgl. Alpenburg S. -250!.
376 Dörler: Tiroler Teufelsglaube.
trägt, über eleu hat der Teufel keiue Macht uud iu eiu Haus, in dem es
aufgehängt ist, kommt keine Zauberei.
Legt man am Charfreitag vor Sonnenaufgang ein Stücklein Eichenholz
in die Stube, in den Stall oder in seine Schlafkammer, so kann einem
dasselbige Jahr keine Zauberei des Teufels schaden.
Zum Schluss sei noch ein lustiges, sich gleichfalls auf die Eiche be-
ziehendes Geschichtchen erzählt^):
Eines Tages verlangte nämlich der Teufel von Gottvater nichts ge-
ringeres, als dass er ihm für einen Tag das Regiment über die Welt ab-
trete. Gottvater ging gern darauf ein, nur müsse ihm der Teufel zuerst
noch einen Eichbaum zeigen, der von Natur aus keine Blätter mehr habe.
Jetzt freute sich der Teufel über die Massen, so schnell an das Ziel seiner
Wünsche zu kommen, denn er dachte sich, einen solchen Eichbaum werde
er wohl, da es ohnehin Spätherbst war, in der ersten Yiertelstunde gefunden
haben. Aber er flog vergebens thalaus, thalein und durchsuchte die ent-
ferntesten Länder, überall hingen noch die alten braunen Blätter zu hun-
derten an den Zweigen. Unterdessen war's Frühling gew^orden. Wie nun
der Teufel bemerkte, dass die dürren Blätter erst dann abfielen, wenn
sich schon frische gebildet hatten, packte ihn sinnlose Wut, er zerzauste
alle Eichenbäume, die ihm in den Weg kamen derart, dass noch heutzutage
die Eichenl)lätter einen gezackten Rand aufweisen.
Natürlich ist heutzutage der Glaube an das körperliche Dasein des
Teufels schon stark im Schwinden begriffen und man kann den grünen
Jager mit seinem schrägen Pfeiflein und der wackelnden Hahnenfeder
schon bald auf allen Gasselgspielen und Kasperltheatern auftreten sehen.
Er wird sich aber in der Tiroler Sage trotzdem länger als irgend eine
andere Gestalt halten, da der Glaube an ihn von der Geistlichkeit unter-
stützt und gefördert wird, wodurch sich aber immer mehr christliche Züge
einmischen, die den alten volkstümlichen Glauben verdrängen.
Die Litteratur-Citate beziehen sich auf folgende Werke:
Ziugerle, Sagen aus Tirol, Innsbruck, Wagner 1891. II. Auflage.
Alpenburg. Mythen und Sagen Tirols, Zürich, Meyer & Zeller 1857.
Vonbun, Die Sagen Vorarlbergs, IT. Aufl., bearb. v. H, Sander. Innsbruck, Wagner 1889.
Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck, Wagner 1867.
Hauser, Sagen aus dein Paznaun und dessen Nachbarschaft. Innsbruck, Wagner 1894.
Dörler, Sagen aus Innsbrucks Umgebung nnt besonderer Berücksichtigung des Zillerthales.
Innsbruck, Wagner 1895.
1) Varianten derselben Sage siehe Ziugerle S. 371 f. und Alpeuburg S. 391.
Schukowitz: Kriegs- uud Schlachtensagen aus dem Marchfelde. 37 (
Kriegs- und Schlachtensagen ans dem Marchfelde.
Mitgeteilt von Dr. Hans Schukowitz.
Seit den Zeiten der Kömer und Quaden bis in unser Jahrhundert
herauf ist das Marehfeld der ausgewählte Schlachteuboden Österreichs
gewesen. Seinen armen Bewohnern haben die Feinde Heim und Herd nicht
nur einmal geplündert. Kein Wunder also, dass auch die Quellen ihrer Pfarr-
und Gemeindearchive bis kaum in das 16. Jahrhundert hinaufreichen. Die
wenigen Sagen, die man sich noch heute im Volke vom Yater auf das
Kind weiter erzählt, verdienen aber aufgezeichnet zu werden. Eine oder
die andere hat, wenn nicht geschichtlichen, so volkskundlichen Wert.
Ich teile sie nun im folgenden so mit, wie ich sie im Marchfelde von den
Leuten selbst erzählen gehört habe.
1. Die Schwedenmesse.
Zur Zeit der Schwedennot hatten die Marchfelder sehr viel zu leiden.
Die armen Dörfler wurden gezwungen, Haus und Habe im Stich zu lassen,
während ihre Häuser ein Raub der Flammen wurden. So geschah es auch
im Markte Gaunersdorf, der durch seine Wohlhabenheit damals in gutem
Rufe stand. Am schwarzen Sonntage war es, da stand der ganze Ort in
Brand. Die Leute hatten sich in Erdhöhlen geflüchtet oder in den Wild-
nissen des Junggebirges versteckt, um nicht ihr Leben zu verlieren. Sie
hörten von dem entsetzlichen Jammer, allein keiner getraute sich aus
seinem Verstecke hervor, weil er sich vor den Mörderhänden fürchtete.
Und so griff denn der Brand ungehindert um sich, und schon stand das
neuerbaute Gotteshaus, welches den Bewohnern so viel Mühen und Geld
gekostet hatte, in Gefahr, von dem Feuer ergriff'en zu werden, da geschah
etwas Wunderbares: Vom Firste der alten Klostermühle erhob sich ein
grosser schw^arzer Raubvogel, der in seinen Krallen zwei Wassereimer trug.
Er liess sich über das Gotteshaus nieder und löschte das Flugfeuer, wenn
es dessen Dach berührte. Etliche von den Bauern sahen aber diese
wunderbare Erscheinung und sie betrachteten dies als ein Zeichen des
Himmels, dass sie ihr Heiligtum schützen sollten. So munterten sie denn
die Ihrigen auf, beherzt aus den Verstecken aufzubrechen und dem Feinde
mutig entgegenzutreten. Es geschah, und viele von der gottesräuberischen
Horde wurden mit Feldgeräten getötet. Zur ewigen Erinnerung aber an
diese wunderbare Rettung des ehrwürdigen Gotteshauses wird bis heute
daselbst am Tage nach dem schwarzen Sonntag ein feierliches Amt gehalten,
das die Leute die „Schwedenmesse" heissen. Die Klostermühle ist noch
bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts bei den Leuten hoch in Ehren
gestanden und hat im Giebel einen mächtigen Aar in Stein gemeisselt
378 Schukowitz:
gezeigt, der in der einen Kralle einen Wassereimer, in der anderen eine
lodernde Pechfackel getragen hat.
[Einer Aufzeichnung der Decanatschronik zu Gaunersdorf gemäss stand über dem
Eingänge dieser Mühle: Nach der schwedisch Belagerung Brin in Mahren ist dise Mihi
genzlich in Aschen gelegt durch mych J. M. Menzler von Künigshofen und Elisabeth,
geborne Strasserin von Eeltzen, mein Ehewirtin widerumb durch die Genad Gottes erbawet
worden den XX. Sept. 1647. Hauswirt, Geschichte d, Bened. Abtei zu den Schotten.
Wien 1858. S. 118.]
2. Die Tartarenkanzel.
Unweit der „Preussenbrücke" bei Angern stand vor Zeiten eine
Felsenkanzel, welche aus den Türkenzeiten hergerührt haben soll. Man er-
zählte sich hierüber folgendes: Ein Tartarenfürst soll von dieser Kanzel herab
seine Horden zu Raub und Mord angefeuert haben. Wenn diese die armen
Christenmenschen herzlos hinschlachteten, wenn da und dort Feuerflammen
zum nächtlichen Himmel aufloderten und das Wild aus den brennenden
Wäldern floh, da hatte der barbarische Anführer seine Freude daran.
Einmal schleppten sie auch einen Priester einher, der im Messgewande
vom Altare gerissen worden war. Als Gott diese argen Greuel gewahrte,
schickte er eine böse Seuche unter die feindlichen Krieger, so dass diese
umfielen wie die Fliegen im Herbste. Diese Kanzel aber, von der heral)
zu solchen Thaten angespornt worden war. zerschmetterte ein Blitzstrahl,
und ihre Trümmer rissen die Wellen der March hinweg.
[Die Stelle, an welcher Emerich Graf Tököly am Tage vor Bartholomä 1683 mit
20 000 Mann die March übersetzte, ist seit altersher ein strategisch wichtiger Punkt ge-
wesen. 1703 schlugen da die aufständischen Kuruzzen ihre Kriegsschanzen auf. 1809
wurde hier eine Schiffsbrücke gelegt und 186G sprengten die Preussen die hölzerne Bogen-
brücke in die Luft. Über die Greuclthaten der Tartaron siehe Keiblinger in den Be-
richten des A.-V. Wien, 11,2, IGG. Die Pfarrchronik von Stillfried verzeichnet 1675 die
Ermordung des Pfarrers Einslin von tartarischen Piäubern. Berichte d. A.-V. Wien, 1873
(XIV), S. 34.
3. 's Türkenstübl.
In Eckartsau soll in alter Zeit eine kleine verfallene Schenke unter
dem Namen „Türkenstübl" bekannt gewesen sein. Die Sage erzählt: Als
einmal Preibeuterscharen in diese Gegend einfielen und Kinder und Greise
durch „Bluthunde" zerfleischen Hessen, versteckten sich etliche Leute in
einem kleinen Schmiedehaus am Ende des Dorfes. Vor diesem Hause hatten
aber die Türken Respekt, weil just über der Thüre ein bunter Halbmond
gemalt war. Ahnungslos kehrten sie ein und nannten die Inwohner gut
Freund, von welchen sie sich gern bedienen lassen wollten. So setzte
ihnen denn des Schmiedes Gattin, ein mutiges und schlaues Weib, Mais-
kuchen vor, in welche sie Giftkräuter eingebacken hatte. Als die Türken
hiervon gegessen hatten, wandelte sie plötzlich Schlafsucht an und Kopf-
scheu^), so dass sie wie entseelt dalagen. Nun griff der Schmied nach
1) Kopfscheu = Schwindel.
Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde. 379
einer Sense und schnitt einem nach dem andern den Kopf vom Leibe, so
dass das Stübchen voll Blut war. AYeil dies aber gerade die Hordenführer
getroffen hatte, so war es jetzt ein Leichtes, die herrenlose Schar aus
Eckartsau zu vertreiben und viele zu töten.
4. „Liebfrau in allen IS^öten."
Als Schlosshof von den Türken geplündert wurde, drangen die
Soldaten auch in die alte Marienkapelle des Schlosses und einer vermass
sich, nach dem Gnadenbilde seinen Speer zu schleudern, so dass des Jesu-
kindes Wange durchbohrt wurde. Allsogleich fioss aber warmes Blut aus
der Wunde und das Bild hing tags darauf im Walde bei Groissenbrunn^)
an einer Buche. Die Stelle war aber geweiht seit alters her und es quoll
heilsames Wasser aus dem Hügel, das gegen allerlei Augenkrankheiten
VOR Nutzen war. Einmal genas durch das „Wunderbrünnl" auch eine
sehr vornehme Frau und diese Hess an dem Orte ein würdiges Gotteshaus
erbauen, das genannt wurde „Liebfrau in allen Xöthen". Nun kamen in
der Folge aus allen Orten des 3Lirchfeldes und auch weitherauf aus Ungarn
fromme Wallfahrer, die sich Gnade erflehten von der Gottesmutter. Das
Jesukind aber, das die Liebefrau auf den Armen trägt, blutet noch ab und
zu aus seiner Wunde, besonders dann, wenn dem Lande Unglück droht. ^)
[Prinz Eugen, der 1725 Schlosshof gekauft hatte, Hess aus dem Wald einen „Spazier-
garten" machen und wollte darin auch Springbrunnen haben. Hierzu schien ihm die
Quelle auf dem Heidenhügel verwertbar. Als er hier das Liebfrauenbild und darüber eine
unvollendete Kapelle erblickte, Hess er den Bau auf seine Kosten zu Ende führen. Am
4. Mai 1729 verzeichnet die Orther Chronik die erste Prozession dahin. 1763 wurde die Kapelle
aus einer kaiserlichen Dotation restauriert und mit einem Turme versehen. Bl. d. V. f.
Lkde. V. N.-Öster. 1889, S. 233—235 und Topogr. v. N.-Öster. Wien 1893. III, S. G9G.]
5. Armsünderrast.
Bei Matzen steht in einer Steinnische eine uralte Marienstatue. Knapp
dabei sprudelt eine Bergquelle hervor. Zur Zeit der Kuruzzeneinfälle
wurden hier die Landesverräter auf dem Richtplatze geköpft.^) Einmal
1) Groissenbrunn ist durch die Schlacht zwischen König Ottokar und Bela I\^ von
Ungarn (12. Juli 12(30) bekannt.
2) Ehedem soll auf einem Täfelchen des Bildes die Inschrift gestanden sein:
Ach Christenmensch, hör an, was ich Dier wil sagen,
So sich alhir vor alter Zeit hat zu getrageu:
In diese Biltnus wart gotslesterlich geschlagen
Durch frech Tartarenhend, woraus geronen rosenfarbnes Bludt,
Wie solches wahre Aussag Dir bezeigen tut.
Der grailich Bösewicht sothan gefunden ligend auf sein Eucken,
Anbei der Todt und von den Taifl vielgerissen in Stucken.
Solches ist gesehen umb das böse 1683 jar,
Als der Türkhisch Hund hir zu landen war.
3) Matzen ist seit 1824 Sitz eines Bezirksgerichtes. Den alten Richtplatz mit dem
Pranger verlegt das Volk an den Fuss des Kinskyschen Stammschlosses, wo heute die
alte Pfarrkirche steht.
3g() Schukowitz:
bat nun ein Gefangener, unter dem Bilde noch beten zu dürfen. Man
gestattete es ihm, und er liess sich im Angesichte der Bedeckung auf seine
Knie nieder und faltete fromm die Hände zum Gebete. Da geschah es,
dass es wie Engelmusik durch die Kronen der Bäume klang, es rauschte
wie von Sammet und Seide und die Gerichtsleute sahen, wie eine schöne
Frau ihren feuerstrahlenden Wundermantel um den Andächtigen warf, so
dass dieser plötzlich ihren Augen entschwand. Zugleich aber drang Wasser
aus der Felsennische, das einen himmlischen Wohlgeruch verbreitete. Seit
diesem wunderbaren Vorfalle heisst das einsame Andachtsplätzchen die
Armsünderrast, und die schwarze Liebfrauenstatue im Stein hält das Volk
für sehr wunderthätig.
6. Die Marien ei che.
Die Eiche zählt im Marchfeld zu den Seltenheiten. Kein Wunder
also, dass hier diesem Baume von Jung und Alt besondere Verehrung
gezollt wird. In den fruchtbaren Marchauen bei Zwerndorf steht so ein
majestätischer Waldriese, um den sich im Laufe der Zeit eine Reihe
sinniger Sagen geschlungen hat. Eine Soldatensage will ich hier wieder-
erzählen.
Es war in den traurigen Zeiten, die den argen Kriegsjahren der Ku-
ruzzen folgten, da gab es grosse Not im Lande. Überall waren Missernten,
das Ackerland war dürr und voll Sprünge, das Vieh besenmager. Da
zog ein greiser Invalide, dem man einen Fuss abgeschossen hatte, bettelnd
durch das Land. Keins hatte Mitleid mit dem Unglücklichen. „In so
teueren Zeiten", riefen die Bäuerinnen zum Fenster heraus, „kommt das
Almosengeben aus der Mode!" Kopfhängerisch und mit trauriger Seele
schlich nun der Einfuss in die Marchauen und sank hier an einer Eiche
entkräftet nieder. Da erschien ihm im Traume der Tod in Begleitung
zweier unheimlicher Gesellen. Es waren klapperbeinige Gestalten. Sie
trugen Spaten, Axt und Säge und gingen daran, die Eiche zu fällen:
„Gönnt Ihr mir nicht den Schatten, in dem ich sterben will?" hauchte der
Invalide. „Wir wollen Dir den Sarg zimmern! Bist Du dessen zufrieden,
so mach' uns Platz!" „Schau, schau dachte der Stelzfuss bei sich, im
Leben musstest Du stets mit dem Allerschlechtesten vorlieb nehmen, im
Tode aber zimmern Dir andere den Sarg!" Kaum scholl der erste Axthieb
durch die Au, so war es ihm, als hörte er Gewitterdonner. Eine wunder-
schöne Frau stand plötzlich vor ihm; sie wehrte die Holzhacker ab und
fügte einen blühenden Pfirsichzweig in den Rindenspalt. Dann entschwand
sie pfeilschnell waldein. Der Invalide erwachte, und wie er emporblickte,
hingen lachende Früchte über seinem Haupte. Hastig griff er darnach
und stillte seinen Hunger. So hat Maria den hungrigen Krieger gesättigt.
Das Laub der Eiche aber sollen unsere Soldaten seither hoch in Ehren halten;
I
Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde. 381
es gilt als „Orden Mariens", der braven Vaterlandsverteidigern vom Himmel
verliehen wird.
7. Die Hnngergrube.
In den sechziger Jahren wnrde gelegentlich der Abbrucharbeiten de^
alten Gasthofes zum „Franzosenwirt" in Esslingen ein verschütteter Keller
blossgelegt, in welchem man auf eine Menge Menschengerippe stiess.
Auffallenderweise fehlten aber allen diesen Skeletten die Finger und Zehen-
knöchel, was den Leuten Anlass zu mannigfachem Gerede gab. Ein greiser
Yiehhirte zu Aderklaa wollte nun das einzig richtige an der ganzen
Sache wissen. Im Franzosenkrieg, so erzählte er, haben sich die Leute
aus den brennenden Dörfern in ihre Keller geflüchtet, um der viehischen
Mordlust der Feinde zu entgehen. Als aber diese von den Verstecken
erfuhren, drangen sie in die abgelegenen Erdräume ein und nahmen den
armen Gefangenen nicht bloss alle Waffen und Geräte, sondern auch
alle Nahrungsmittel ab und dachten, weil sie des Blutes bereits satt waren,
daran, die Menschen auf andere Art zu töten. Sie kamen endlich überein,
den Hungertod zu probieren, und so vermauerten sie denn die Keller mit
Felsstücken und gössen siedendes Pech darüber, „Fresst Euch gegenseitig
auf, wie die Hechte!" riefen sie. Dann ritten sie von daunen, etliche
Wächter zurücklassend. Die unglücklichen Gefangenen sollen sich nun
einander vor Hunger die Gliedmassen vom Leibe genagt haben und kamen
so elend um. Heute ist an derselben Stelle ein schilfiger Morast. Die
Leute gehen an ihm nicht gern vorbei. Knapp dabei erhebt sich ein
„Ticberhügel" ^), der das Grenzgebiet dreier Ortschaften scheidet. Auf die
„Hungergrube" will aber keine Gemeinde Anrecht erheben. Sie liegt
darum herrenlos da. In der Sommerhitze lassen die Feuerunken ihren
kläglichen Gesang weithin hören. Da sagen die Bauern: „Hört, wie sie
immerfort jammern: Hunger! Hunger!"
8. Kriegsheilige.
Käuberisches Gesindel überfiel jahrelang die Grenzbewohner an der
March während der Feldarbeiten, tötete die Männer und stahl ihnen Korn
und AVein ans den Kammern und Kellern, so dass über kurz Not und
Hunger im Lande herrschten. Nichts war vor diesen Leuten sicher, nicht
einmal die Milch in der Ziege. Zur Zeit dieser Kriegsdrangsale soll es
nun vorgekommen sein, dass fromme Leute durch Heilige gewarnt worden
sind vor dem Überfalle dieser Eäuber. Abends, wenn die ersten Sterne
am Himmel erschienen, erschollen aus dem oder jenem Hause im Dorfe
schrille Trompetenstösse, die einem durch Mark und Bein gingen. Anfangs
r Leber, lewer, mhd. lewer = Hügel. Mit Grenzhügeln werden im Marchfelde die
Fluren eingefangen. Vgl. Schmeller, I, 1544 und Graff, IV, 1093. Über Grenzbegehungs-
gebräuche („Gmarischaun" im Marchfeld): N.-öst. Landesfreund 1893, 56 f.
382 Schukowitz:
wussten sich die Leute diese sonderbaren Zeichen nicht zu deuten; als
sich diese aber mit jedem neuen Einfalle wiederholten, erkannten sie hierin
den Warnungsruf des Himmels und brachten ihr Hab und Grut vorzeitig
in Sicherheit. Zum Gedächtnis au die Hilfe der „Kriegsheiligen" haben
die Anwohner der Marchebene noch in den fünfziger Jahren Hirtenpfeifen
und Schallhörner über ihren Hausthoren befestigt. Heute schwindet dieser
Brauch. Der Übername^) „Trompetendörfler", als Spottbezeichnung der
Ostnachbarn der Marchfelder, erinnert aber noch daran.
9. Herrgottsgroschen.
Die kroatischen Bewohner^) des mittleren Marchfeldes bezeichnen
Geldstücke, die hier und da in den Erdställen ^) gefunden werden, als
Herrgottsgroschen oder Armsünderpfennige. Man erzählt sich hierüber
folgendes : In den harten Zeiten der Feindesnot flüchtete sich ein frommer
Seelenhirte samt seinen Pfarrkindern in einen tiefen Erdstall. Sie blieben
da monatelang versteckt, bis ihnen alle Lebensmittel ausgingen. Schon
waren sie dem Hungertode nahe, da erbot sich der Priester, ihnen Brot
zu besorgen. Yorsichtig stieg er aus dem Verstecke empor. Doch siehe!
Der Ackergrund lag brach da, die Behausungen der Menschen standen leer
und niemand war zu finden, der auch nur ein Scherz Brot geborgt oder
verkauft hätte. Voll Seelentrauer wanderte der Mann Gottes die Kreuz
und die Quer, bis er ermattet zu einer Mühle kam, in der die Räder
klapperten. „Gebt mir um Christi willen Brot für mich und meine
hungrigen Kinder!" bat er den Müller und schüttete ihm sein ganzes Geld
l
1) Siehe meine Mitteilung im „Urquell", Leyden 1897, S. 119—121.
2) Nach neueren Untersuchungen ist es ziemlich sicher verbürgt, dass die kroatischen
Ansiedelungen im Marchfelde [Markthof, Breitensee, Bimersdorf, Engelhartsteiten u. s. w.]
in die zweite Hälfte des XVI. Jahrh. zu setzen sind. Nachschübe erfolgten unter Karl VI.
und Maria Theresia. Der Probst Balthasar Polzmann z. B. wollte das öde Dorf Thiemen-
thal-Neusiedel bei Pyrawarth 1584 mit Kroaten besiedeln, musste aber wegen des Wider-
standes der benachbarten Hohenruppersdorfer davon abstehen. Niklas Graf Salm besiedelte
das zerstörte Dorf Breitensee mit Kroaten. Dass aber Kroaten lange vor dem Schweden-
einfall (1646) im Marchfeld ansässig gewesen, bezeugt das Urbarium der Herrschaft Hof,
das schon 1639 von den „Krobatischen Untertan" spricht (Bl. V. f. Ldkde. 1889, S. 91 ff.).
In Loimersdorf kommen 1638 kroatische Familiennamen vor, es kann also nicht, wie
Schweickhardt meint (IV, 29 f.), von Kroaten gegründet worden sein.
3) Die Erdställe, vom Volke auch „versunkene Schlösser" geheissen, sind iu Lehm-
grand gegrabene Gänge. Soweit deren ursprüngliche Anlage erkennen lässt, führten Erd-
iöcher mit Steignischen in die Höhlungen. Diese sind meist spitzbogenförmig. Längs der
Wände ziehen sich bankartige Sitzreihen hin, die gleichfalls aus Lehm gestochen sind.
Grössere Nischen dienten für Vorräte und Geräte, kleinere Tastnischen zur Orientierung
in der Dunkelheit und sprachrohrähnliche Schlotte zur- Cernierung nach aussen hin. Es
ist ohne Zweifel sicher, dass die Erdställe dem Volke als Zufluchtsstätten bei Feindes-
gefahi- gedient haben. Die neuere Forschung sieht in ihnen auch Kultstätten aus prä-
historischer Zeit. (Vgl. Much in den Mittei'l. der Wiener anthropol. Gesellschaft, V, 226.
Karner ebenda VI, 180ff. und Bl. Y. f. Ldkde., X, 173 u. 293.)
Kriegs- uufl Schlachtensagen aus dem Marchfeklc. 383
in die Schürze. Der Müller streifte die Münzen in ein Mehlmass und er-
widerte kalt: „Seht, das wiegt in der schweren Zeit weniger als ein gleiches
Mass Mehl. Bringt mir noch fünfmal soviel nnd ich will Euch geben,
was gerecht ist!" Traurig ob der harten Rede kehrte der Priester zu den
Seinen zurück und als diese von dem herzlosen Menschen erfuhren, waren
sie zu Tode betrübt. Ein jedes suchte nach seinem letzten Sparpfennige,
aber es langte nicht. Nun fielen sie in ihrer Not auf die Knie und beteten
im Vereine mit ihrem Seelenhirteu inbrünstig zu Gott im Himmel um Kat
und Hilfe. Und siehe da! Kaum hatten sie ihr Gebet vollendet, so glirrte
und glitzerte es in den Gängen und Erdkammern gar sonderbar. Die
Tauperlen an den Lösswänden liatten sich vor aller Augen in silberne
und goldene Münzen verwandelt und fielen den Ratlosen in den Sclioss.
Alle aber lobten den Herrn ob dieses AYunders, und der Priester kaufte
nun Brot, dass sie sich daran satt essen konnten,^)
10. Mörderhände.
Die bösen Küruzzen hatten vor gar nichts Scheu, was den Christen
heilig war. Einmal drangen sie auch in die Dreifaltigkeitskirche zu Drösing
ein. Die Leute sangen gerade zur Messe. Wie wütend stürzten sich die
Räuber auf die wehrlosen Bauern und ermordeten viele. Dem Priester
aber schnitten sie die Zunge aus dem Munde und riefen: „Du magst stumm
bleiben wie der Fisch ! Euern Kindeskindern aber wollen wir dies zum Denk-
zeichen hinterlassen!" Bei diesen Worten drückten sie ihre bluttriefenden
Hände an die Kirchenwände. Und wirklich! Diese Mörderhandspuren
sind bis heute geblieben. Die alten Drösinger haben sie schon übertünchen
lassen, allein die Male schimmern noch immer durch. Der alte Dorfmesner
will sogar jüngst die Namen jener Gottlosen in den Handspuren gelesen
haben.
11. Madonna in den Schanzen.
Von Stammersdorf bis Esslingen ziehen sich lange Erdschanzen
jTäben] hin, welche Wien schützend in weitem Bogen umrahmen. Einmal
lag der Feind vor den Thoren der Hauptstadt und da waren diese Schanzen
die verlässlichste Wehr für unsere Soldaten. Am Vorabende der blutigen
Schlacht bei Aspern^) soll es gewesen sein, da stand auf der Schanzenhöhe
1) Über die grosse Hungersnot im Marchfeld: Leeb, Sagen N.-Osterr., Wien 1892,
S, '.)9. Aus den Halmen des Dachstrohes schnitt man die Glieder heraus und stampfte sie
zu Mehl. Auf den Rasenplätzen lagen die Menschen umher, den Mund voll Gras und tot,
andere waren an den Zäunen und Setzlingen nagend verhungert. Eine Wechselsage leitet
den Ursprung des beliebten „Kletzenbrotes" von einer Hungersnot her, in der die Menschen
aus allerhand Abfällen ein Mischbrot buken. R. Weissenhofer in ..Die österr. Monarchie
in Wort und Bild", S. 216.
2) Pfingstsamstag, 20. Mai 1809.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 26
384 Schukowitz:
beim Rendezvous') auch ein blutjunger, aber eichenstarker Deutsch-
meister auf Wachposten. Im Herzen loderte ihm Kampfgier, in der Seele
ruhte felsenfestes Gottvertrauen. Sein scharfes Auge überblickte die
knisternden Wachfeuer im dunklen flachen Land. Plötzlich war es ihm,
als sähe er eine schimmernde Heldeiijungfrau mit flammendem Krumm-
säbel die Böschung heraufwallen. Rasch donnerte er der Erscheinung das
Losungswort entgegen, allein es erfolgte keine Antwort. Nun legt der
Posten die Flinte an und blitzschnell steht sie gross und erhaben vor ihm,
dass ihm vor Angst die Sinne schwinden. „Habe Mut, kaisertreuer Krieger",
redet sie ihn an, „ich will Dir einen Schutzpfennig geben, der Dich
retten soll! Dein Mütterlein hat ihn Dir erbeten!« Mit diesen Worten
reichte sie dem Soldaten einen blinkenden Gnadenthaler, worauf das Bild
der Madonna war. Die Erscheinung verschwand. Der Wind pfiff über
die Erdwälle, es knisterten die Lunten, die Streitrosse schüttelten sich.
Nun graute der Morgen. Kanonendonner meldete den Schlachtbeginn.
Die Kugeln summten wie Mücken, unser Krieger wich nicht vom Platze.
Er stand in den ersten Reihen. Da — eia Kugelanprall und seine Hand
hing an einer Sehne. Ein Kamerad schnitt sie ihm weg und verband ihm
den Stumpf. Trotz der Wunde blieb der Krieger im Feuer. Wie aber
abends die Sonne blutrot niedersank, hatte der Tod reiche Ernte gehalten.^)
Der heldenmütige Deutschmeister hat dann einen ehrenvollen Abschied er-
halten. Seine abgetrennte Hand und die Marienmünze zeigte er seinem
Obersten. Mit der goldenen Medaille auf der Brust ist er dann heim-
gekommen. „Zeig mir Deine Rechte, Kind!" rief ihm sein Mütterchen
von ferne entgegen. Der Krieger wies ihr den vernarbten Stumpf. „0
ich hab' davon gewusst!" fahr sie fort. „Danke der lieben Himmelsfrau,
dass Du nicht tot bliebst im Felde." Den Madonnenthaler aber bewahrte
der Krieger sorgsam auf und heute ist er im Besitze seiner braven Kindes-
kinder.
12. Der Teufel als Kanonier.
Dass der Teufel auch im Soldatenglauben eine Rolle spielt, wird
mancher nicht wissen. Die folgende Sage hat mir aber ein Radetzkyveteran
erzählt: „Es giebt Geschütze", sagte er, „die in allem Ernste von selber
feuern. Wenn man so mitten drinnen steht im Pulverdampf und einem
Klingen und Kugeln rund um die Ohren sausen, als thäten die Höllen-
geister die Winde peitschen mit Ruten, ei, da kann man sich hiervon am
besten überzeugen. Wir standen dazumal in Schwarmlinien vor dem Feind.
1) Rendezvous heisst das alte kaiserliche .Jagdschloss auf der Höhe des Loimerbühels
im oberen Wald bei Staramersdorf. Unter Kaiser Franz I. fanden hier die grossen Parforce-
jagden statt [„Austria", Wien 1845, S. Ulf.].
2) Auf Seiten der Franzosen fielen gegen 11000 Mann, über 35000 wurden verwundet.
Auf Seiten der Österreicher über 4000, 16 000 wurden verwundet.
Kriegs- uud Schlachtensagen aus dem Marchfelde. 385
Das Gefecht war hitzig-, die Geschütze knatterten, dass einem Hören und
Sehen verging. Nun hiess es: Yorwärts, Kinder! Wir wussten, es gehe
nun um Leben und Tod. Wir legten uns also teuflisch ins Zeug. Auf
einmal klopft's mir sachte von rücklings auf die Schulter. Ich sehe mich
um. Da steht der Leibhaftige vor mir. Es war ein spindeldürrer Mann,
russig wie ein Köhler, auf dem Hut eine grüne Falkenfeder. Hups, reitet
der Kerl auf unserem Metallrohr und bläst wie nicht gescheit in das Zünd-
loch. Himmeldonnerwetter, war das ein Krachen! Ihr hättet es hören
sollen! Ich lehnte nur so besinnungslos daneben. Der Sieg ist unser!
Hurrah! Nun schweigen die Geschütze. Der seltsame Kanonier ist ent-
schwunden. — Ich lass mir's nicht nehmen, es war der Teufel. Er ist ja
der Helfershelfer der Kanoniere!"
13. Die Franzosenfalle.
Dort, wo bei Stillfried der Rochusberg steil abfällt zur March-
niederung, öffnet sich eine tiefe Erdschlucht. Der Sage nach soll hier vor
Zeiten eine Römerveste gestanden sein, in der ein wüster Ritter hauste^).
Tag und Nacht lugten seine Mannen über den Fluss und die Fahrstrassen
aus, und sobald ein fahrender Kaufwagen oder ein Warenfloss in Sicht
kam, stürmten sie hurtig zu Thal und plünderten, was zu plündern war.
Die Leute aber trieben sie in die Oclisenmühle, wo sie arbeiten mussten,
dass ihnen das Blut aus den Poren drang. ^) Endlich war dem lieben
Gott das Mass der Greuel voll. Ein Blitzstrahl tötete den Bösewicht in
seiner Yeste und der rote Hahn flog über das Raubnest. Lange sollen an
der Stätte Mauerreste sichtbar gewesen sein. Aber mit der Zeit versanken
auch diese in die lehmige Erde und heute sieht man einen brunnentiefen
Erdspalt. Im Franzosenkriege sollen unsere Husaren eine falsche Brücke über
die Untiefe geschlagen haben. Wie nachts die feindlichen Kürassiere dar-
überritteu, stürzten sie mit Rossen und Geschützen hinab. Zu Zeiten wollen
hier heute die Leute ekeligen Dampf aufsteigen sehen aus einem schwarzen
See"), und der Lauscher hört aus der Tiefe ein entsetzliches Fluchen und
Schnauben. Der Name „Franzosenfalle" aber haftet seither der Stelle an.
14. Die Bonapartenbuche.
Im Wald ausser Engelhartstetten zeigt einem jedes Kind die alte
Bonapartenbuche, einen Riesenbauni, dessen Krone aber durch Sturm und
1) Über die Quadenburg uud Ariogais: Kirchmayer, Die Quaden, Brunn 1888,
S. Gl. (Dio Cassius IIb. 71.) Nicht weit von dieser Stelle fand ich im Vorjahre Silber-
denare aus der Zeit des Augustus (vgl. Monatsbl. d. num. Ges. Wien 189G, S. 447).
2) Im untersten Burgraume trieben Ochsen die Kornmühle und diesen gab man
Menschenblnt zu trinken.
3) Solche unterirdische Seen kennt die n.-österr. Sage noch an anderen Orten, wie in
Kelchbruun bei Hasbach, in Unterberg, in Spitzbrand bei Lilienfeld, im Pütten-
gau U.S.W. (Calliano, N.-öst. Landfr. 1892).
26*
38H Schukowitz:
Blitz viel gelitten hat. In seinem Schatten soll im Neunerjahre die fran-
zösische Generalität „gemahlzeit" haben. Napoleon war dabei. Da schlich
durcli das Dickicht eine zerlumpte Zigeunerin herbei und drängte sndi
mitten unter <lie Soldaten. „AVas will das AVeib?" fragte ein Marschall.
„Wahrsagen! den hohen Herren wahrsagen!" wiederholte die Zigeunerin
uneingeschnchtert. Schon funkelten ein paar Degen, da winkte der Feld-
herr, man möge es ihr gewähren lassen. Das AVeib näherte sich mid sagte
zu Napoleon: „Ich kenn Dich nicht, aber Du hast viele Gewalt! Greh",
zeig mir Dein Pulverhorn!" Der Feldherr reichte es ihr lächelnd. „Ei",
sprach sie dann, „für morgen wird das nicht langen!" Die Offiziere kicherten
laut. Napoleon aber schwieg. „Nun, heb' mir einer den Hinterfuss seines
Leibrosses", bat die Zigeunerin weiter. Es geschah. „0", rief sie ent-
setzt aus, „man wird ihm das arme Tier unter dem Leibe töten!" Und
wiederum lachte die Runde. Napoleon bliel) ernst. ,.Du zweifelst?" fuhr
das AVeib kühn fort. „Nun weiss ich, wie Du lieisst und wer Du bist.
Reich mir Deine Rechte!" Willenlos that es der Kaiser. Die Zigeunerin
besah seine Scliicksalslinien, plötzlich Hess sie seine Hand fahren und rief
enteilend: „Unglücklicher, Du verlierst die Schlacht!" Napoleon erfasste
plötzlich Zorn, er griff hastig nach seinem Dolch und schleuderte ihn der
Fliehenden nach. Dieser verfehlte aber sein Ziel und blieb in- einem
Buchenstamme haften. Tags darauf unterlagen die Franzosen thatsächlich
bei Aspern und Esslingen. Die Dolchwunde in der Baumrinde will
aber bis heute nicht vernarben.
[In der Schlacht bei Aspern und Esslingen am 21. und 22. Mai 1809 verlor Napoleon.
Über 15000 Franzosen deckten die Wahlstatt, darunter der Marschall Lannes. Um den
Hunger zu stillen, schlachtete man Pferde, den Durst löschte man mit dem schlammigen
Wasser der Donau, auf dem Tansende von Leichen vorüberschwammen. Über deu Napoleon-
tisch in Deutsch-Wagram s. diese Zeitschr. 1898, S. 48 und über Napoleonsitz Beck, Die
röm. Strassen Regenburgs. München 1894. S. 17 f.]
15. Das Franzosengrab.
In Matznerwald am „ Zwergackerl" liegt ein niederer Erdhügel.
Der Sage nach sollen hier französische Soldaten begraben liegen, welche ein
Bauer im Schlafe meuchlings getötet und heimlich verscharrt hatte. Als
seine That bekannt geworden war, sollte er enthauptet werden. Man legte
ihm einen eisernen Ring um den Hals und band ihn geknebelt an die
Marktsäule. Allein der Bauer entkam auf hinterlistige Art und floh aus
dem Lande. Die Kriegszeiten waren längst vorbei, da kehrte auch der
Soldatenmörder zurück, und weil ihm der Grabhügel just bei seinem
Fruchtgrund ein Dorn im Auge war, so wollte er ihn flach schaufeln.
Aber kaum hatte er den ersten Spatenstich gethan, so stiegen aus der
Grube drei hässliche Totengerippe enij)or, die auf ihn losschlugen, so
dass der Arme tags ilaranf, am ganzen Leibe mit Wunden bedeckt,
Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde. 387
tot aufgefunden wurde. Den Verbrecherring ^) trug er noch um seinen
Hals.
IH. Der Kugelsegen.
Ein Invalide, der seinen Lebensabend in Zwerndorf verbringt, be-
walirt ein Amulet auf, das er hoch in Ehren hält. Es ist eine Scheibe
aus Zinnblech, etwa 12 cm im Durchmesser, auf welche ein gedruckter
Kugelsegen geklebt ist, der also lautet: Es seynd drey hl. Blutstropfen
Gott dem HEREN über sein hl. Antlitzen geflossen, die 3 H. Blutstropfen
seynd vor das Zündloch geschoben, so rein als unsre liebe Frau von allen
^lännern war: ebensow^enig soll ein Feuer oder Rauch aus dem bösen
Rohr gehen; Rohr gieb Du weder Feuer noch Flamm noch Hitze! Jetz
geh ich dem Feind entgegen unverzagt, unentwagt. Chrysti Fahn gehet
vor mir, Gott Yatter ist vor mir, Gott der hl. Geist schwebt vor mir und
all die Cherubim und Seraphim, so flammend Schwerter tragen. Dass
gesegne meinen Leib für jetzuud die Zeit f f f Amen.
Der Invalide erzählte mir hierüber folgendes: „Ich stand mit den
Kaiserjägern im Schlachtfeld, da hatte ich in der Nacht vor dem Gefecht
bei Schön kirchen einen gar sonderbaren Traum, wie ich einen solchen
mein Lebtag nicht gehabt hab\ Es war mir. als hätte ich Yorpostendienst.
Der Ort, wo ich stand, war aber ein Friedhof und drinnen lag meine gott-
selige Mutter begraben. Yor mir sah ich schon in Rauch und Staub
Bataillon um Bataillon vorrücken, und es knatterten in der Ferne die
Geschütze. Da fasste mich Todesangst, ich wollte weichen, war aber wie
gelähmt. Ein gespenstischer Reiter flog über die Gräber, die Steine und
Kreuze knickten um. Es strich eine eiskalte Luft. Auf einmal streckte
sich aus einem Hügel ganz langsam ein hagerer Arm heraus; der fasste
meine Fahnenstange und bohrte sie fest in die lockere Erde. Dann langte
er nach meinem Tournister am Rücken und entnahm demselben die Menage-
schüssel. Willenlos liess ich es geschehen. Plötzlich flog eine Granate
durch die Luft und ich fühlte eine Todeswunde auf der Brust. Yor
Schrecken erwachte ich und lag rücklings auf dürrem Baumlaub. Die
Kriegsfahne flatterte im Morgenwinde. Ich betastete meine Brust. Eben
an der Stelle, wo ich den brennenden Schmerz verspürt hatte, lag sonder-
barerweise meine Menageschüssel und darunter dieser Kugelsegen. Wie
das Ding dorthin gekommen, weiss ich mir heute noch nicht zu erklären!
Aber ich habe darin einen Fingerzeig meiner gottseligen Mutter erkannt.
So schlug ich denn an jenem Morgen den Boden aus meiner Menage-
schüssel, klebte den Zettel darauf und schob ihn mir unter den Waffenrock.
1) Mach der Anschauung des Volkes wächst Mördern, die ihre Strafe auf Erden
nicht abbüssen, im Grabe ein eiserner Ring um den Hals {yg\. T hu dich um Friedr.
Die Rechtssprache . . . Stuttgart 1898, S. 24). Das Gerippe des „Znaimer Graseis" wurde
im Pestfriedhofe zu Schrick mit einem Eisenringe um den Hals gefunden. (Y. 0. M.)
38<S Schukowitz: Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde.
Und, Herr, mögen Sie es glauben oder nicht", schloss er überzeugt, „meine
tote Mutter hatte mich recht gewarnt! Ich kam bald ins dichteste Schar-
mützel. Eine Kugel traf mich mitten auf die Brust. Ich taumelte rück-
lings, blieb aber unversehrt. Eben an der Blechscheibe war sie abgeprallt.
Seit dem Tage habe ich nun ein kindliches Yertrauen zu dem harmlosen
Dinge. Es hat mich durch alle meine Schlachten begleitet und, so ich
heute sterbe, sollen sie es mir auch mit in die Truhe geben!"
17. Die Glückssporen.
Der Gemeindeschmied zu Wolkersdorf bewahrt seit altersher ein
paar Reitersporen auf, über die er das Folgende erzählt: „Anno Neun ist's
gewesen — zwischen Stripfing und Schönkirchen. — Da is mein Yoda —
God lass'n selig mahn — in Gfecht gstondn gegen d' Rothkai)pla^). D'
Kugeln habn gsurrt und gsaust wia d' Mucken. — Oft hat er"s derzählt.
D" Blesirten habn g'achzt und d' Strohdacher und d' Schober habn prasselt
in Feuer, 's Viach ist herrenlos umagirrt, der Himl feuerroth, als wan 's
jüngst Gricht gwesn war und a Gschroa und a Jammer aufn Feldern schier
wiarin Fegfeuer. Und mitten drin in Pulverdampf steht da Yoda, mauserl-
gsund und bamstark. Auf oamal stroaft a Kartätschn sein Oberst. D'
Schwadron reteriert. D' Ros über d' Leut drüber, 's is a heillos' Durch-
anander. „Bruada", schreit oaner: „Spalt mr 'n Schädl, dass i net leidn
darf!" „Grüass mr no mein alts Müattarl dahoam", winselt der ander und
so geht's weida. Und der Voda flucht si in oan Ruabnkeller. Er bleibt
am Leben. Hiazd wird's Xacht. Der Mond hat woanarlich owagschaut
auf das Jammerfeld. Da und durt ächzt no a Sterbender, d' nieistn san
schon still. Und durt an der Freithofmauer loahnt sein blesirter Oberst,
's Bluad sourlt^) eahm matt übern Waffenrock. „Sühn", sagt er da röchelnd
zu mein Voda: „Sühn, a Tröpfl Wasser!" Blitzschnell rennt der Yoda zu
da nachstn Schwemm^) und bringt eahm oan Tschako voll. Der Oberst
trinkt davon. „Dank, schön Dank!" sagt er drauf. „Und da hast meine
Sporn zum Lohn; sie werdn oans vo Deine Kinar zun Glück vahölfa!" —
Und mir san unsar drei Brüadar gwesn, oana kirzengrader wie da ander.
Oan niadn habns bhaltn zu die Kaiserlichen und a niada vo uns hat "n
Oberst seini Sporn probirt: 'n Michl — God lass 'n selig mahn — sans
z' kloan gwesn, 'n Seppl — God lass 'n a selig mahn — saus wieda z'
gross gwesn, nur mir, 'n Jüngstn, hobns passt, passt wiaram Schnürl. — —
Und hiazd wöllts wissn, zu welchn Glück als ma vaholfa habn? Da Michl
und da Seppl san in 66 er Jahr am Feld bliebn und i, i hab ma mit dö
Sporn a mudlsaubri Köuiggrätzerin aufzwickt. — Heund is s' mein Weiberl.
1) „Eothkappla" ist Volksbezeichuuug für die französischen Soldaten.
2) sourln = herabträufeln.
3) Schwemm = Wassertümpel, worin das Haiisvieh badet.
Gerhardt und Petscli: Uckermärkische Kinderreime. 389
Also viel Glück, oder wenig Glück, wia 's halt oans nehma will. Aber
aufheba tlma is, dö Glückseisen; leicht brauchts wieder oans von meine
Büabln!"
18. Das Preussenkreuz.
Zwischen Weikendorf und Oberweiden steht im freien Ährenfeld
ein schmiedeeisernes Kreuz, um das herum preussische Soldaten begraben
liegen, die 1866 an der Cholera starben. So oft nun im Marchfeld Manöver
gehalten werden, hört man aus diesen Soldatengräbern Schlachtgesänge
schallen, sagt das Volk. Es ist, als ob die Krieger hier nicht thatenlos
ruhen könnten. Sie werden einmal alle bewaffnet aufstehen, wenn es an
der Zeit ist. Die Landmädchen legen gern Feldblumen auf diese Hügel
Über Nacht trägt sie aber der Wind davon. Auch die Gräberblumen wollen
hier nicht gedeihen. Sie müssten wohl von heimatlicher Erde sein!
Graz.
Uckermärkisclie Kiiiderreinie.
Herausgegeben von 31. Gerhardt und K. Petsch.
(Schluss von Zeitschr. IX, 2S-I.)
59. Petersil und Suppen kraut Oder:
Wächst in unserm Garten, Rosmarin und Thymian
Fräulein Anna ist schon Braut, Wächst in unserm Garten,
Braucht nicht mehr zu warten. Wer mein Mädchen freien will.
Roter Wein und weisser Wein, Muss noch lange warten.
Morgen soll die Hochzeit sein.
In diesen oder ganz ähnlichen Formen sehr weit verbreitet. Siehe
Böhme a. a. 0. No. -200.
60. 0 Jammer, Jammer, höre doch.
Was ich dir einst will sagen,
Ich hab verloren meinen Schatz,
Mach auf, mach auf den Laden.
Schau an, schau an, hier steht mein Mann,
Hier fall ich ihm zu Füssen,
Und den ich einst geliebet hab.
Den will ich auch einst küssen.
Eines der vielen Lieder, die mit dem Motive vom „verlorenen Schatz"
arbeiten, wie es auch in kurzen Yierzeilern vorkommt, z. B. Wegener a. a. O.
S. 287, No. 1016:
„Schatz verloren, Schatz verloren
In den groten Regen.
Loat'n loopen, loat'n loopen,
Is nischt dran gelegen."
390 Gerhardt und Petsch:
Unsere obige Fassung ist aus einem ursprünglich wohl mehrstrophigen
Liede stark verkürzt, scheint aber die Schlussverse treuer als andere
Fassungen bewahrt zu haben. Material bei Böhme, S. 480 — 482 (No. 201
bis 208) und etwa noch Frischbier a. a. O. No. (179. Die Urfassung wird
sich nicht leicht herstellen lassen. Ein Mädchen sucht seinen Schatz und
kommt an einen Garten, den der Kreis der Kinder vorstellt. Auf ihre
Bitte öffnet sich dieser, sie tritt ein und entdeckt in einem der Kinder
den entschwundenen Geliebten, dem sie zu Füssen fällt und die Hand
küsst.
Aus dem „Garten", einer höchst unvollkommenen Assonanz auf „sagen"
(ursprünglich wohl „klagen") ist bei uns das näher gelegene „Laden"
geworden. Auch anderswo ward die Härte empfunden. Durch Neuschaffung
zweier Reimzeilen liilft man sich z. B. in Schleswig (Böhme Xo. 201):
y,Jammer, Jammer hin und her,
Über mich zu klagen!
Es drückt mein Herze gar zu sehr,
Ich kann es gar nicht sagen.
Mach auf, mach auf den Garten,
Ich kann nicht länger warten."
In der zweiten und der letzten Zeile ist „einst" hässliches Flickwort.
(Ursprünglich „jetzt"? Oder mit anderer Betonung: „"Was ich dir will
sagen" und „den will ich auch küssen"?)
Gl. Hier ists grün und da ists grün
Wohl unter meinen Füssen,
Ich hab verloren meinen Schatz,
Werd ihn suchen müssen.
Dreh dich um, dreh dich um,
Ich kenne dich ja nicht;
Bist dus oder bist dus nicht?
a) Ach nein, ach nein, er ist es nicht, b) Ach ja, ach ja, er ist es ja.
Ach scher dich raus, ich mag dich nicht. Der mir ein Küsschen schuldig war-
Die Überlieferung (vgl. Böhme S. 482—484, No. 20i)— 213, Eskuche
a. a. 0. No. 34(') und Frischbier a. a. O. No. 675) zeigt mannigfache Ver-
schmelzung mit anderen Texten (z. B. mit unserer No. (50, wie ja denn
beide das gleiche Thema behandeln), Zerdehnungen u. dgl. Unser Text
ist einer der besten und muss der Urform sehr nahe stehen. Ein Kind
tritt in den Kreis und fragt die anderen der Reihe nach, lehnt sie ab (a)
und entscheidet sich endlich (mit b) für eines, dem es die Hand reicht;
in anderen Fassungen singen dann wohl auch beide zusammen noch zwei
Zeilen:
„Dich mein Kind, dich will ich Hoben,
Du bist mir ins Herz geschrieben,
:: Du gefällst mir wohl ::".
(So bei Böhme No. 212, aus dem Rheinlande.)
Uckormärkisclic Kinderreime. 391
62. Rote Kirschen ess' ich gern, Wenn mir's hundert Thaler kost,
Schwarze noch viel lieber; Die bezahl' ich alle.
Junggesellen küss' ich gern, Hundert Thaler ist kein Geld,
Alte stoss ich nieder. Wenn mir nur mein Schatz gefällt.
Fahre mit der Extrapost, Schätzchen hin, Schätzchen her.
Fahre bis nach Halle. Schätzchen ist ein Zoddelbär.
Das Tauzliedclien ist aus <len verschiedensten Bestandteilen mosaikartig
zusammengesetzt. Lnmerhin hat es diese Bestandteile besser bewahrt, als
etwa die niederhessische Fassung, die Böhme (Ko. 2-21) aufführt:
„Kote Kirschen ess ich gern, schwarze noch viel lieber.
Fahren auf der Extrapost, wenn es 1000 Thaler kost
Tausend Thaler sind kein Geld, wenn es meinem Schatz gefällt
Schätzchen hier, Schätzchen da, Schätzchen in Amerika.'-
Zum einzehien vgl. etwa AVcgener a. a. 0. S. 187, Xo. (i48:
„Wo all de buntn Blomen stahn.
De blauen plück ick af,
De gol'n iaat ick stahn.
De jung'n Herrn, de küss ich mal.
De ol'n Iaat ick gähn."
Dann die Deutung des österreichischen Posthornsignals bei Böhme
No. 118S:
„1 fahr, i fahr, i fahr auf der Post!
Fahr auf der Schneckenpost, die mir kein Kreuzer kost.'' u. s. w.
Oder Dähnhardt II, S. CO, No. -281:
„Heute schlachten, morgen backen,
i'bermorgen Hochzeit machen I
Komm' ich mit der Extrapost,
und wenn's lOOH Thaler kost,
1000 Thaler ist kein Geld.
Wenn mir nur mein Weib gefällt'"
Endlich Frischbier a. a. 0. S. 151, No. 648:
„Rote Kirschen ess' ich gern.
Schwarze noch viel lieber;
Junge Mädchen küss' ich gern.
Alte stoss' ich nieder."
Von den weit verl)reiteten „Nachahmungsliedern" sei hier folgendes,
bei uns nur fragmentarisch erhaltene, aufgeführt:
»33. Wollt ihr wissen, wie der Bauer Wollt ihr wissen, wie der Bauer
Seinen Samen aussät? Seinen Weizen abmäht?
Seht, so macht's der Bauer, Seht, so macht's der Bauer,
Wenn er Samen aussät. Wenn er Weizen abmäht.
Wollt ihr wissen, wie der Bauer
Seinen Weizen ausdrischt?
Seht, so macht's der Bauer,
Wenn er Weizen ausdrischt.
Das Nähere bei Böhme S. 496, No. 239.
39*2 Gerhardt und Petscli:
Yollständig und oliiie wichtige Neuerungen kommen vor:
<.i4. Alle miene Entekins,
Schwimmen aufn See,
Köpplein in't Wasser und
Schwanz in die Höh. (Böhme S. 502, No. 254.)
Und das bekannte Murmeltierlied:
65. Als ich einmal reiste, Um zu sehn das kleine,
Reiste ich durch Bayerland, Das kleine Murmeltier.
Da war ich der Reichste, Murmeltier kann tanzen.
Das ist der Welt bekannt. 1, 2, 3 und 4.
Herrn und Damen standen, Prisst auch Pomeranzen,
Standen wohl vor meiner Thür, Mein schönes Murmeltier.
Historisches Material bei Böhme S. 502 f., No. "255. Die bisher vor-
liegenden Fassungen, die auf ein älteres Gesellschaftsspiel zurückzugehen
scheinen, gestatten keine sichere Rekonstruktion.
66. Es kommt ein Herr aus Wtirtemberg. Juchheissa fifelatus!
Was will der Herr aus Würtemberg"? ., „
Er will die jüngste Tochter haben. „ „
Die jüngste Tochter kriegt er nicht! ., „
Er will sie in ein Kloster thun. ., „
In einem Kloster war sie schon! _, „
Er will sie kochen und braten lehren. ., „
Kochen und braten kann sie schon! ., „
Er will sie stricken und nähen lehren. „ „
Stricken und nähen kann sie schon! „ „
Dann stecken wir das Haus in Brand. „ „
Das weit bekannte Liedchen vom „Herrn von Ninive", das Dr. Holte
im 4. Bande dieser Zeitschrift, S. 181 ff. auf seine Quelle zurückgeführt
hat. Sehr nahe verwandt ist unsere Fassung mit der Berlinischen (Böhme
No. 277), doch fehlt der Schluss:
„Dann machen wir die Laden zu." —
Ich will und muss die jüngste Tochter hab'n. —
„Da haben Sie die jüngste Tochter."
Ebenso weit verbreitet, wie dieses, aber in seiner Entstehungsgeschichte
noch dunkler ist das Brückenspiel.
67. Ziehe durch, ziehe durch, Mit was? — mit Gas;
Durch die goldne Brücke! Mit einerlei, mit zweierlei,
Sie ist entzwei, sie ist entzwei. Der Erste kommt, der Zweite kommt,
Wir woll'n sie wieder flicken. Der Dritte wird gefangen.
Da ich späterhin einmal die weitverzweigte Überlieferung zusammen-
zufassen gedenke, so weise ich vorläufig nur auf Böhme hin, der auf
S. 522—533, No. 289—322 eine grosse Reihe von Texten beibringt.
68. Machet auf das Thor,
Machet auf das Thor,
Es kommt ein grosser Wagen.
I
Uckermärkische Kinderreime. 393
i|: AVer sitzet denn darin? :|| |': "Was will er denn? :||
Ein Mann mit rotem Kragen. Er will die N. N. holen.
: Was hat sie denn gemacht? : ;
Sie hat, sie hat gestohlen.
Dabei stellen sich die Kinder paarweis, mit angefassten und erhobenen
Händen hintereinander auf. Durch die Mittelgasse geht zuerst das letzte
Paar, dann das vorletzte u. s. w. Böhme hat S. 537/38, No. 334 u. 335
Texte aus Hessen-Nassau und den Rheinlanden beigebracht. Sonst ist das
Lied auch z. B. in Berlin bekannt, wo ich es 1889 in dieser Form hörte:
i|: Macht auf das Thor, :; j!: Was will er denn von uns? :;|
Es kommt ein goldner Wagen. Er will die N. N. holen.
||: Wer sitzt denn drin? rlj !: Was hat sie denn gemacht? :||
Ein Mann mit goldnen Haaren. Sie hat ein Kleid gestohlen.
69. Der Sandmann ist da!
Er hat son' schönen weissen Sand
Und ist den Kindern wohlbekannt,
Der Sandmann ist da!
Die Ausführung ist ganz ähnlich der des vorigen. Vergl. Böhme
S. 538—39, No. 337—38.
70.
-Mariechen sass auf einem Stein, Ach weil ich heut noch sterben muss,
Und kämmte sich die Locken fein. Ach weil ich heut noch sterben muss.
Und als sie damit fertig war. Da kam der böse Jäger rein.
Da (ing sie laut zu weinen an. Und stach Mariechen durch das Herz.
Du l<am ihr Bruder Karl zu ihr. Mariechen war nun mausetot,
Mariechen warum weinest du? Nun schrieb man auf des Grabes Stein:
Mariechen ist ein Engelein,
Der Jäger ist ein Teufelein."
Aus einem alten, weit verbreiteten A^olksliede hervorgegangen. Unsre
Fassung zeichnet sich vor den meisten anderen (Böhme S. 545 — 547) da-
durch aus, dass noch keine Verwirrung in den Personen eingetreten, kein
wesentlicher Zug verloren gegangen ist und der Reim nirgends in sinn-
störender Weise eingewirkt hat. Die reiche, knapp und energisch durch-
geführte Handlung weist darauf hin, dass wir es nicht mit einem eigent-
lichen Kinderliede zu thun haben.
Ein Haschespiel mit Fragen ist das vom Wolf und den Gänsen. Ein
Kind versteckt sich als Wolf, eines stellt die Fragen und alle anderen
antworten im Chor. Bei der letzten Aufforderung sucht alles dem Wolfe
zu entfliehen, denn wen er fasst, der tritt bei der Wiederholung an seine
Stelle. AVir haben viele Texte vom Wolf und den Gänsen, Wolf und
Schafen, Dieb und Gänsen (so bei Eskuche a. a. O. No. 299); unsere
Fassung hat das Eigentümliche, dass sie den Wolf Blümchen suchen lässt,
während er sonst meistens das Messer wetzt, um den anderen Tieren die
Kehle abzuschneiden.
:3<)4 Gerhardt und Petsch:
71. Alle mine Wulengünskins, „Plückt sich Blömkins." —
koramt na Hus! — Wat will er dormit? —
„Wie können nich!" — „Flecht sich 'n Kränzkin,
Worum denn nich? — Ströpt sich up 't Schwänzkin;'' —
„De Wulf sitt hinnern Berch." — Alle mine Wulengünskins,
Wat mäckt er dor'? — kommt na HusI —
Vgl. Böhme S. 572—574.
72. Häschen in der Grube
Sass und schlief.
Armes Häschen bist so blass,
Dass du nicht mehr hüpfen kannst.
Häschen hüpf! Häschen hüpf!
Reichliche Litteraturangaben bei Böhme No. 409 (S. 577—578). Die
zweite Zeile lautet sonst meistens: „Armes Häschen, bist du krank?" Im
übrigen weichen die Melodien der verschiedenen Versionen stärker von-
einander ab, als die Texte.
73. Ri - ra - rutsch,
Wir fahren in der Rutsch:
In der Kutsche fahren wir.
Auf dem Esel reiten wir.
Wir fahren in der Kutsch.
Ri - ra - rutsch.
Auch mit dem Anfang:
„Kommt wir wollen wandern,
Von einem Ort zum andern.'-
Verhältnismässig reine und vollständige Fassung dieses Versehens, das
durch seine Anklänge (z. B. an: „Thaler du musst wandern, von dem
einen zum andern") vielfachen Verderbnissen ausgesetzt ist, wie die Texte
bei Böhme S. 594 und 595 beweisen.
Beim Ballspiel rufen die Kinder zwischen den einzelnen Würfen, indem
sie die betreffenden Bewegungen pantomimisch andeuten:
74. Anna Marie — Und wasch deine Hände —
Fall auf deine Knie — Und trockne sie ab —
Und steh wieder auf — Und steck sie in die Seite —
Und mach einen Lauf — Ringel - Ringel - Reite.
Siehe Eskuche a. a. 0. No. 297.
Ül)rigeus sind solche und ähnliche Verse weithin bekannt. In Berneck
(Oberfranken) singt man:
Ich bin ein Student, — Und bete zu Gott —
Ich wasch meine Hand, — Und steh wieder auf —
Ich trockne sie ab — Und fange den Ball —
Und steck sie in Sack — Mit einer Hand auf.
Ich kniee mich nieder —
Von dem weitverbreiteten Bliudekuhspiel setzen wir die uckermärkischo
und in ( ) die Abw^eichungen der berlinischen Fassung her:
I
Uckeriuärkische Kinderreime. 395
75. Blinde Kuh, ick leit di (ich iÜhre dich).
„Wohin?"
Xah'n Kuh stall.
„Welt soll ick'n da?"
Dicke Melk äten. (Suppe essen.)
„Ick heff keen' Liipel."
Sök die man eeneii. (Such dich eenen).
Von den sehr beliebten „Ratspiel-Fragen" (reiche Litteratur bei Böhme,
besonders S. 635) führen wir folgende an. Man nimmt einen Gegenstand
(Bohne, Erbse ii. dgl.) fest in die geschlossene Hand, ohne dass der andere
sieht, in welche; dann schlägt man, den Schmied nachahmend, mit beiden
Fäusten anf den Tisch, setzt sie schliesslich aufeinander und spricht:
76. Pinke pank,
Der Schmied ist krank,
Wohnt er oben oder unten?
Unter den Pfänderspielen ist besonders beliebt:
77. Schneewittchen auf'n Dach,
Wer weint oder lacht,
Wer Zähnchen lässt sehn,
Muss Pfand hergeben.
Dabei wird der andere gekitzelt und muss, wenn er lacht, ein Pfand
geben.
Dagegen ist das Bewusstsein, dass man es mit einem Spiele zu thun
habe, verloren gegangen bei einem anderen, dem Bischofspiel. Der
erste Teil lebt noch als Kinderreim und lautet:
7,s. Ich ging einst übern Kirchhof,
Da begegnete mir ein Bischof;
Der Bischof war so wunderschön,
Er wollte gern verheiratet sein.
Er fasste sich an seinen Bart,
Dass du sollst heissen Aribart.
Ursprünglich geht das Spiel so vor sich (s. Böhme S. ()56— 657), dass
die Kinder um ein in der Mitte sitzendes, den „Vater Eberhard" (bei uns
„Aribart") herumzieht und dabei etwa die ersten vier Zeilen unseres Textes
singen. Dann klopft V. E. mit seinem Stocke auf, die Kinder bleiben
stehen und der mit dem Stabe Bezeichnete tritt vor und spricht:
Alter Vater Eberhard,
Ich fasse dich an deinem ehrwürdigen Bart.
Wenn du mich wii'st sehen lachen,
Werd' ich an deiner Stelle wachen.
Beim Zupfen schneidet V. E. Grimassen, die den anderen zum Lachen
bringen imd ihn selbst dadurch frei machen sollen.
396 Pi-er:
I
Eine Primiz in Tirol.
Von Franz Paul Piger.
Die Primiz, die Feier des ersten Messopfers, ist an und für sich kein
Volksfest. Das ehelose Priestertum bleibt dem Bauer trotz aller Achtung-,
die er dem geistlichen Stande entgegenbringt, etwas Fremdes, Unverständ-
liches. In Volksliedern und Vierzeiligeu wird der Geistliche bedauert und
derjenige glücklich gepriesen, der das geistliche Gewand abzustreifen ge-
wusst. Manch frohmütig Bürschchen singt noch als Seminarist:
Mei Müattar söcbats geara, Na, na, dös thua i nit,
I sollt a Geistli weära. Der Muattar folg i nit,
Sollt ins Klotistar glah, Kiiii Geistli welir i nit,
Die Madla lossa stfah. Und die Madla lass i earscht röcht nit.
Hat aber der Bauernsohu seine Gymnasialstudien vollendet, so wird
er doch meist Geistlicher, trotz aller Lebenslust. Warum er dies tluit,
wollen wir hier nicht des weiteren erörtern.
Um nun die Primiz mit dem Abglanze eines Volksfestes zu umgeben,
stellt man selbe, vielleicht ohne sich der Sache recht bewusst zu werden,
als eine Hochzeit dar, die der hochwürdige Primiziant mit der katholischen
Kirche feiert, zu welchem Behufe sich diese durch ein mehr oder minder
junges Mädchen vertreten lässt.
Schon der Einzug, den der junge Priester in seine Heimatsgemeinde
hält, wo regelmässig die Primiz stattfindet, ist mit grossen Feierlichkeiten
verbunden. Triumphbogen werden errichtet, auf welchen Willkommsprüche,
öfter lateinische als deutsche, angebracht werden, und das ganze Dorf eilt
dem Ankömmling entgegen, um von ihm den heiligen Segen zu erhalten.
Bis zum Tage des ersten feierlichen Messopfers ist der Primiziant
Gegenstand allgemeiner Beachtung. Man sieht es nicht gern, wenn er
noch das Studentenröcklein trägt oder gar mit den Mädchen freundlich
thut. Man w^ürde daraus schliessen, dass er sich nur gezwungen dem
Priesterstande widme. Wenn er aber viel mit Geistlichen umgeht, im
Chorgewande bei priesterlichen Verrichtuugen Beihilfe leistet oder zur Zeit
des Gottesdienstes wenigstens im Chorstuhle Platz nimmt, lobt man seinen
geistlichen Sinn. Noch verkehrt man mit ihm so ziemlich ohne Scheu
und gebraucht vielfach noch, zwar schüchtern, meist die bestimmte Anrede
vermeidend, das altgewohnte „Du", das man sich nach der Primiz, die ihn
so unendlich über alle Sterblichen erhebt, nicht mehr zu gebrauchen
getraut. Freilich will das Siesagen nicht immer gelingen. So erklärte einst
ein Paznauner ganz treuherzig dem Herrn Bezirksrichter: „Wiar soga zu
alle Leut' „du", nur zu Dir und dem Herr' Pfarrer nit."
Eine Priiuiz in Tirol. 397
Ist der Tag der Primiz erschienen, so holt die ganze Gemeinde mit
Fahnen und Musik den Neugeweihten von seinem väterlichen Hause ab
und geleitet ihn in die festlich gezierte Kirche. Vor ihm her schreitet,
ganz weiss gekleidet und geschmückt mit wallendem Schleier, die Braut,
den Brautkranz auf einem goldgestickten Kissen tragend, neben ihr geht
der Brautführer, der regelmässig ein Geistlicher oder Theologe ist. Die
Braut begleiten zwei Nachjungfern und mehrere Kranzeljungfern. Die
geistlichen Herren tragen künstliche Sträusschen am linken Arme, die
weltlichen Gäste hal)en selbe im Knopfloche befestigt. So wallt man,
während die Dorfmusik fröhliche Märsche aufspielt, der Kirche zu. In
der Kirche erhält die Braut einen eigenen Brautstuhl in der Nähe des
Altars, die Verwandten knien vor den übrigen Leuten beim Speisgitter.')
Bevor die Festmesse beginnt, oft auch erst nach dem Evangelium, hält
der Ortspfarrer oder derjenige Geistliche, der den Primizianten für das
Gymnasium vorbereitet hat, die Primizpredigt.
Während der Festmesse des Primizianten achten die Leute besonders
darauf, ob er ein schneller oder langsamer Messeleser sein werde, denn
dem Bauer liegt sehr daran, dass er ])ald zu seinem Mittagsessen kommt,
das er Sonntags bald nach dem Hochamte einnimmt. Wie sehr dieser
Gedanke das bäuerliche Gemüt selbst in der Kirche beschäftigt, ersieht
man daraus, dass man gern, stets besorgt um die Lieblingsspeise, auf das
„Douiinus vobiscum" reimt: „Keahr' die Knödla im Hofa (Hafen, Topf)
um."^) Schnelligkeit im Messelesen beweist ül)rigens auch Gründlichkeit
in den theologischen AVissenschafteu. Besonders übel vermerkt wird zag-
haftes und linkisches Benehmen.
Zur Opferung trägt die Braut den Brautkranz auf den Altar, um an-
zudeuten, dass der junge Priester seine Keuschheit und Ehelosigkeit Gott
als Opfer darbringt. Während der Wandlung werden auf einer Anhöhe
Polier al)gefeuert, und die Glocken verkünden die feierliche Handlung
allen, die zur Kirche nicht kommen konnten. Nach der eigenen Kommunion
erteilt der Priniiziant selbe seinen Verwandten, voran den Eltern. Selten
kommt es vor, dass bei dieser heiligen Handlung der priesterliche Sohn
seine Rührung völlig zu bemeistern vermag.
Nach dem Hochamte findet eine feierliche Prozession statt. Der
Priniiziant wandelt, umhüllt vom gold- und blumendurchwirkten Pluviale,
unter dem „Himmel", den vier ehrenfeste Männer tragen, dahin und hält
das AUerheiligste in seinen Händen. Vor ihm her schreitet wieder die
Braut und eine Schar weissgekleideter Mädchen, geführt von einer Fahnen-
1) Es heisst so, weil dort „gespeist" wird, d. h. die Kominuniou erteilt wird.
2) Man reimt auch darauf: „Die Kuödla schwimma im Hofa um." Nach der Meinung
des Volkes weiss sich der Pfarrer bei der Predigt durch die lateinischen Citate mit seiner
Hauserin (Wirtschafterin) zu verständigen. So sagt er ihr, wenn er die richtige Zeit für
gekommen erachtet: Leniventantum (Leni, weud' d' Ant' [die Ente] um).
35)8 Pigpr: Eine Priniiz iu Tirol.
trägerin. Die kleinsten unter den Mädchen halten Lilien in der rechten
Hand und eines trägt ein künstlich verfertigtes Lämnilein im Arm, welches
das Lamm Gottes vorstellen soll.
Auch die lieben Heiligen nehmen Anteil an dem Triumi)hzuge des
neugeweihten Priesters. Yier Jünglinge tragen den heiligen Schutzengel,
den Patron der Junggesellen, vier Männer den heiligen Josef, den Patron
der Ehemänner, und vier Weiber die heilige Anna, die Patronin der Ehe-
frnuen. So wallen sie durch die Gassen des Dorfes, und diese Gassen,
die der neugeweihte Priester heute unter dem „Himmel" durchschreitet,
waren einst der Schauplatz seines jugendlichen Übermutes und rufen in
ilnn hundertfältige Erinnerungen wach. Nachdem man an den mit Reisig
und Blumen geschmückten Altären die Evangelien gelesen und der Primiziant
jedesmal den Segen erteilt, wozu die Schützen eine Salve abgeben, kehrt
man wieder in die Kirche zurück.
Von da geht es dann endlich unter Musikbegleitung ins Gasthaus zum
Festmahle, das meist die „geistliche" Braut beistellt. Hat der Primiziant
keine reiche Braut, so legen die Gäste, wie dies l)ei mittelalterlichen
Schenkhochzeiten der Fall war und in manchen deutschen Gegenden bei
Hochzeiten heute noch Brauch ist, Geld auf einen l)ereitgestellten Teller.
Oft l)leiht dem Primizianten nach Begleichung der Rechnung für das Fest-
mahl ein ansehnlicher Notpfennig übrig. Geladen werden die „Fruint"
(Freunde = Verw-andten) des jungen Geistlichen, die Priester und Theologen
(Theologiestudierende) der Umgegend, sowie der Lehrer, der die auf dem
Chore mitwirkenden musikalischen Kräfte vorl)ereitet und eingeübt und
auch bei der Ausschmückung der Kirche und Altäre mitgewirkt hat.
Am ersten und vornehmsten Tische, den meist auch altes Silbergeschirr
ziert, nimmt der hochwürdige Primiziant nebst der Braut und den nächsten
Anverwandten Platz, am zweiten die geladenen Geistlichen und Theologen
und am dritten die übrigen Gäste. Vor der Braut prangt <ler schönste
Kuchen, die Brauttorte, die ganz ihr gehört.
Der erste Trinkspruch, den gewöhnlich der Festprediger ausbringt,
gilt dem Primizianten; hierauf wird auf das Wohl des Papstes, des Bischofs
und des Kaisers getrunken. Auch die Braut wird mit einem meist launigen
Trinksi)ruche bedacht, <ler mit einem Hoch zu schliessen pflegt. Der
Primiziant l)edankt sich bei dieser Gelegenheit l)ei allen W^ohlthätern, die
es ihm ermöglicht, Priester zu werden, und leert auf ihr Wohl sein Glas.
In der Nachahmung der Hochzeit geht man so weit, dass selbst das Braut-
stehlen nicht unterbleibt. Einige Burschen führen heimlich die Braut in
ein anderes Wirtshaus, woselbst man sich ein Stündchen ungestörterem
Genüsse hingiebt, den die Anwesenheit der Geistlichkeit bei der Festtafel
nicht recht zur Geltung kommen lässt. Die Brautführer suchen aber diese
Sitte immer mehr zu verdrängen, da sie durch Zahlung der Zeche die
Piraut auslösen müssen. Manchmal stehlen auch als Gäste geladene Theo-
Hein: Mährische Marterln und rumänische Erinnerungskreuze. 39!)
logen die Braut; diese führen aber selbe auf eine Weile in den Widum
(Pfarrhaus).
Bis in die Nacht hinein währt das Festmahl, das sich immer fröhlicher
gestaltet, und allenfalls anwesende Studenten versuchen bereits Studenten-
lieder anzustimmen, in welche einzufallen die Theologen nicht wenig Lust
zeigen. Doch die vorsorglichen geistlichen Herren mahnen zum Aufbruche
imd jeder verlässt, für die Seinen daheim noch ein Stück Torte mit-
nehmend, im Bewusstsein wohlerfüllter Pflicht den Festraum. Acht Tage
hindurch erteilt der junge Priester nach der gottesdienstlichen Verrichtung
der versammelten Gemeinde den heiligen Segen. Er wird sodann „Gesell-
herr", Kooperator und endlich Pfarrer. Da kann es sich dann treffen, dass
er die ehemalige Braut als Hauserin (Wirtschafterin) zu sich nimmt. Das
Verhältnis ist aber durchwegs ein sittliches, denn der Geistlichen Weib
ist, wie sie scherzhaft zu sagen pflegen, das Brevier.
lolau in Mähren.
Mährische Marterln und rumänische Erinnerungkreuze.
Von Dr. Wilhelm Hein.
(Mit Tafel V.)
Prof. Dr. Kobert Sieger erwähnte in seiner Abhandlung über „Xicht-
deutsche Marterln", die er in dieser Zeitschrift (Jahrg. 1899, S. 236-245)
veröffentlichte, auch jener Marterln, die ich im tschechischen Mähren nach-
gewiesen hatte. ^) Zwei von diesen Marterln, welche sich an der Strasse
von TJngarisch-Hradisch nach Neudorf bei Kunowitz befinden, sah ich selbst,
während der Nachweis von tschechischen Marterln bei Blansko von einem
anderen Gewährsmann (Johann Ziskal) herrührt. Seitdem habe ich zwei
weitere jMarterln mit tschechischer Inschrift in Mähren aufgefunden. Das
eine sah ich am 5. Juli 1898 ebenfalls in der Umgebung von üngarisch-
Hradisch, als ich von dort nach AVelehrad, dem mährischen Mekka, ging,
um die dörferweise verschiedenen Trachten der Slowaken, die am Tage
der Slawenapostel Kyrill und Methud zu Tausenden dort zusammenströmen,
kennen zu lernen. Beim ersten Keller zwischen Altstadt und Welehrad
befindet sich auf einer Holzsäule eine viereckige, durch vorspringende
Rahmen geschützte Blechtafel, welche einen unter einem doppelspännigen
Leiterwagen liegenden Mann zeigt, darüber die Muttergottes und zu ihren
Seiten zwei Heilige. Die einzeilige Lapidar-Inschrift meldet kurz und
1) Zeitschrift für österreichische Volkskunde III (1807), 288.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1S99.
27
400 Hein: Mährische Marterln und rumänische Erinneruugskreuze.
bündig: „Smrt 15 leteho Cyrila Horohleda v roku 1860" (Tod des 15-
jälirigen Kyrill Horohled im Jahre 1860). Das andere Marterl fand ieli
nahe an der mährisch-niederösterreichisch-ungarischen Grenze, als ich am
9. Juni 1898 von Landshiit, wo ich dem Fronleichnamsumzuge der dortigen
kroatischen Bevölkerung beiwohnte, nach Rabensburg ging. Auf der Strasse
von Landshut zur ungarischen Grenze fand ich an einem Baume rechts
von der Strasse zwischen der ersten und der zweiten Brücke ebenfalls eine
viereckige Blechtafel mit Seitenumrahniung, welche einen von einem zwei-
spännigen Wagen gefallenen Mann und darüber den heiligen Johannes von
Nepomuk zeigte. Die Lapidarinschrift meldete: „J. Hnat v Bi-ezuu 1881
brozka" (J. Hnat im März 1881 ... . Das Wort „brozka" mag ich wohl
verlesen haben, da ich es im Wörterbuche nicht finde). Das Bemerkens-
werte an diesen tschechischen Marterln ist der kurze, trockene Wortlaut,
der bloss den Namen, zuweilen das Alter des Verstorbenen, und die Zeit
des Unglücksfalles, jedoch nie dem Tage nach angiebt; auch das redseligste
der von mir gefundenen Marterln, jenes bei Kunowitz, lautet bloss: „Jos.
Ancik z Kunovic 16 let stary zemrel byl pi-ejet r. 1875" (Jos. Ancik von
Kunowitz, 16 Jahre alt, wurde durch Überfahren getötet. 1875). Die
sonst übliche Bitte um ein Gebet fand ich nicht. Von den dargestellten
Heiligen glaube ich annehmen zu dürfen, dass sie die Namenspatrone der
Verunglückten sind. Auf dem Landshuter Marterl heisst der Verunglückte
offenbar Jan, nach dem Johannes von Nepomuk zu schliessen, und auf dem
Welehrader Marterln sind wahrscheinlich die Slawenapostel Kyrill und
Methud dargestellt, weil der Verunglückte Kyrill hiess. Auf dem Kuno-
witzer Marterl sah ich nur die Muttergottes. Deutschsprachige Marterln
habe ich in Mähren bis heute nicht gefunden. Dass die Marterln in Mähren
so selten sind, liegt wohl in der Natur des Landes, dessen zumeist ebene
Strassen zu Unglücksfällen wenig Veranlassung bieten. Das, was Prof.
Sieger von den slowenischen Marterln sagt, lässt sich ebenso gut, ja noch
bess'er von den tschechischen behaupten. Es fehlt ihnen jeder individuelle
Zug, jedes Bestreben, die eigenen Reflexionen über das grosse Geheimnis
des" Todes kurz und innig auszudrücken. Es mag dies wohl im Wesen
der slawischen Völker begründet sein.
Prof. Sieger berichtet in seiner Abhandlung auch von Holztafeln auf
Holzkreuzen an Kapellenwänden, wo sie zumeist ihrer mehrere zusammen-
stehen und von welchen sich in dem Falle, den er anführt, zwei Tafeln
auf Verunglückte beziehen, die weit draussen — „in Steiermark" und „in
Kärnten" — umkamen, die also nicht mehr Marterln in unserem Sinne,
sondern blosse Erinnerungstafeln sind. Ich bin in der Lage, eine ausser-
ordentlich interessante Parallele in der Abbildung einer grossen Zahl von
solchen Erinnerungstafeln zu geben, die aussen an der Kirchhof-Kirchen-
mauer in Pojana bei Reusmarkt (Siebenbürgen) stehen. Die Abbildung
wurde von Robert Karl Lischka nach einer Photographie gezeichnet, die
Kaindl: Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 401
im Jahre 1888 der damalige Oberleutnant Otto Kfifka aufgenommen hat
und die sich unter No. 2930 in der Photographien-Sanimlung der anthro-
pologisch - ethnographischen Abteihmg des k. k. naturhistorischen Hof-
museums in Wien befindet/) Die betreffende Kirche ist ein Gotteshaus
des griechisch-orthodoxen Glaubensbekenntnisses der dortigen rumänisch
sprechenden Grenzbevölkerung. Herr Oberleutnant Ki-ifka giebt zu der
Photographie folgende Erklärung: „Eine merkwürdige Grabstätte ohne
Tote; denn diese liegen begraben im fremden Land, zumeist in dem an-
grenzenden Rumänien, wohin sie als Hirten oder Herdenbesitzer auszogen,
um drei Vierteile des Jahres dort Erwerb zu finden und dann auf drei
Monate mit ihren Ersparnissen nach der Lieben Heimat zu wandern. Viele
sterben über der Grenze, und aus Pietät werden ihnen von ihren Ange-
hörigen zunächst der Kirchhof-Kirchenmauer hölzerne Kreuze, wie solche
im Bilde sichtbar, zu ihrem Angedenken errichtet." AYie die Abbildung
zeigt, tragen die Kreuze viereckige Tafeln unter einem »Schutzdache; welche
Darstellung und welche Inschrift sich auf diesen Tafeln befand, lässt sich
auf der Photographie nicht erkennen. Hoffentlich geben diese Zeilen die
Anregung zu einer weitergehenden Untersuchung der nichtdeutschen Marterln
und vor allem der von Prof. Sieger bei den Slowenen und von Ober-
leutnant Ki-ifka bei den Rumänen Siebenbürgens beobachteten Erinnerungs-
tafeln an in der Fremde Verstorbene oder Verunglückte.
Zum Schlüsse erwähne ich noch, dass ich in der Totenkapelle zu Alm
bei Hallein (Salzburg) schwarzgestrichene, verstellbare Kreuze fand, welche
mit Kränzen behangen waren und dem Andenken von Ortsangehörigen
galten, die in der Fremde gestorben waren; ein solches Kreuz trug, so
viel ich glaube, die Eriunerungs-Inschrift an einen Soldaten, der als Opfer
seines Berufes fern von den Lieben gefallen war.
Floridsdorf.
Euthenisclie Märchen und Mythen aus der Bukowina.
Mitgeteilt von R. F. Kaindl.
1. Kein Wort Wahrheit.
Vor vielen, sehr vielen Jahren lebten drei Brüder. Von diesen waren
die zwei älteren Jäger oder vielmehr Wilddiebe, während dem jüngsten
keine einzige Liebhaberei nachgerühmt werden konnte, denn er galt ja als
1) Eine andere Photographie, No. 2929, zeigt eine Gesamtansicht des Gotteshauses
in Pojana bei Reusmarkt, auf der ich 41 solcher Erinnerungskreuze zähle; da sie sich um
die eine Ecke herum fortsetzen, dürften es deren noch mehr gewesen sein.
402 f Kaiiull:
ein Blöder. Die beiden älteren Brüder hatten aber die ihren Weibern
besonders unliebsame Orewohnheit, nie etwas von dem heimzubringen, was
sie au Wild erlegt, sondern sie thaten sich daran immer im Walde, am
lustig prasselnden Feuer für die Beschwerlichkeiten des Jägerlebens recht
gütlich. Die Frauen der beiden Jäger waren aber dieser bösen Gewohn-
heit bereits übersatt und kamen nach vielem Herumdenken überein, ihre
Männer zur Jagd ohne Feuerzeug ausgehen zu lassen.
Nach wenigen Tagen machten sich die beiden älteren Brüder wirklich
jagdbereit und gingen auch aus, ohne nur zu ahnen, dass das Feuerzeug
aus den Ledergurten abhanden gekommen war. Dic^smal gesellte sich
auch der blöde Iwan den beiden Brüdern bei, was ihnen garnicht unlieli
war, zumal er ihnen viel Belustigung verschaffte.
Der Erfolg der Jagd war überaus günstig, und die drei Brüder hatten
sich tief im Walde unter einer Rieseneiche niedergelassen, wo sie ein
köstliches Mahl sich bereiten wollten. Wie gross war aber ihr Erstaunen,
als sie in den breiten Ledergurten vergeblich nach dem Feuerzeug herum-
stöberten! Alle Mühe und aller Unwille half nichts. Das Feuerzeug
wollte sich durch Schelten und Fluchen in die Gurte nicht zaubern lassen.
Endlich aber ward der älteste Bruder Rauchwolken gewahr, woraus er mit
Gewissheit auf Feuer tief, tief im Walde schloss. Erfreut beredete er
seinen jüngeren Bruder dahinzugehen, was dieser auch willig that. Der
älteste war in Gesellschaft des blöden Iwan zurückgel)]ieben, der teil-
nahmslos in den nahen Waldbach hinstarrte.
Der Zweitgeborene war alsbald an die Stelle gekommen, woher sie
den Rauch hatten aufsteigen sehen. Hier sass auf einem riesigen Holz-
stamme ein greises Männchen, dessen Augen hinter den buschigen Brauen
kaum zu bemerken waren.
„Grüss Euch Gott, Alter!" redete ihn der Angekommene an. „Dank,
lieber Sohn!" brummte das Männlein. ,,Möchtet Ihr mir nicht ein bisschen
Feuer geben?" fragte der Jäger bittend. „So viel Du willst, aber nur
unter der Bedingung, wenn Du mir ein Märehen erzählst, darin kein Wort
Wahrheit sein soll."
Der Jäger ging den Vorschlag ein und begann ein drolliges Märchen
zu erzählen. Es war aber nicht nach dem Wunsche des Männleins mit
den Schirmdachbrauen und der Jäger musste statt mit Feuer mit einer
Tracht Prügel abziehen. Auf der Heimkehr zu den beiden Brüdern durch-
dachte er sein Erlebnis und sali wohl ein, dass es nicht ratsam sei, den
wahren Sachverhalt zu sagen. Er gab daher vor, lange heruuigeirrt zu
liaben, ohne die bezeichnete Feuerstelle finden zu können.
Die Geduld des Ältesten war heute ein klein wenig mehr auf die
Probe gestellt, als er sich sonst hatte gefallen lassen. Er machte sieh
daher selbst auf den Weg, in gerader Richtung auf die Rauchsäule los-
gehend. Bald kam al)er auch er ohne Feuer zurück, und wenn er aucli
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 403
nichts von seinem Unglück verlanten Hess, so wusste der jüngere Bruder
sehr wohl, wie es dem Älteren ergangen. Drum kamen sie überein, dem
blöden Iwan die ihm gebührenden Prügel auch zu teil werden zu lassen.
Wie gross war ihre Freude, als Iwan unaufgefordert sich auf den Weg
machte, um Feuer zu holen.
Nach wenigen Minuten begrüsste auch Iwan das greise Männlein nicht
minder artig, wie es seine beiden Brüder kurz vorher gethan, und bat, der
Greis möchte ihm gestatten, von seinem Herde Feuer nehmen zu dürfen.
„Nicht eher, als bis Du mir, mein Sohn, ein Märchen wirst erzählt
haben, darin kein AVort Wahrheit ist. Wo nicht, erhältst Du statt Feuer
Schläge", erhielt Iwan zum Bescheide.
Damit war Iwan einverstanden, er stellte sich dem Männlein gegenü))er
und Itegann: „Bevor ich noch geboren war, schickte mich meine Mutter
aus, damit ich ihr einige Spatzen zum Nachtmahl bringe. Ich begab mich
in den Wald, erblickte bald einen hohlen Baum, wo ich Spatzen zu finden
glaubte. Als ich den Baum näher betrachtete, sah ich wirklich eine ganze
Brut junger Spatzen. Ich kroch mit Mühe durch das enge Loch in den
Baum, nahm die Spatzen in meine Taschen und versuchte herauszukriechen;
konnte aber nicht. Ich eilte daher nach Hause und brachte eine Axt mit,
maclito die Öffnung grösser und ging nun nach Hause. Auf dem Wege
begegnete mir ein Pferd. Ich setzte mich auf dasselbe, um der Mutter
schneller die Spatzen zu bringen. Während ich so ritt, hieb die Hacke,
die in meinem Riemen war, das arme Pferd unter mir in zwei Stücke.
Was war zu machen? icli nahm meine Hacke und ein Stück Holz, schlug
die beiden Hälften zusammen und ritt weiter. Als ich mich plötzlich um-
schaute, sah ich, dass aus dem Stückchen Holz, mit dem ich die beiden
Hälften zusammengenagelt hatte, ein hoher Baum aufwuchs, der bis zum
Himmel reichte. Ich kroch den Baum hinauf und kam im Himmel an,
dort besah ich mir alles und wollte heruntersteigen. Als ich aber zur
Stelle kam. wo ich heraufgekommen war, sah ich zu meiner grössten Be-
stürzung, dass das Pferd mit dem Baume weg war. Ich besann mich nicht
hinge, sondern drehte ein Seil und liess mich damit herunter. Da fehlte
noch ein gutes Stückchen bis zur Erde; ich riss daher ein Stück von oben
ab und stückelte unten an^); und so kam ich herab, lief schnell nach
Hause und brachte der Mutter die Spatzen. Als sie sich vollgegessen
hatte, gebar sie mich." Er erhielt hierauf Feuer und wurde entlassen.
2. Der Dumme kann das Glück nicht nützen.
Ein steinaltes Mütterchen hatte einen Sohn, der nicht alle Sinne zu
Hause haben mochte. Einmal sagte er seiner Mutter: „Mutter, ich will
zur Tante gehen, damit sie mir doch etwas schenke." „Du kannst gehen".
1) Die Ähnlichkeit mit dem Abenteuer Münchhausens ist unverkennbar; aber Münch-
hausens Witz wird hier noch übertroffen.
404 Kaindl:
antwortete sie ihm, „nur musst Du das Geschenk auch heimbring-en."
„Ich will es thun", sagte er und ging zur Tante, die in demselben Dorfe
wohnte. Diese schenkte ihm eine Nähnadel. Der Sohn fädelte einen
Faden ein und warf die Nadel über den Kücken, als wäre es eine grosse
Last. Er ging so nach Hause, und als er an einen Bach kam, über den
er zu gehen hatte, schrie er einem Bauern, der eine Fuhre mit Heu führte,
zu: „He! warte, dass Du meine Nadel über das AVasser führst!" Der
Bauer lachte und fuhr w^eiter. Der Dumme achtete darauf aber nicht und
warf seine Nadel auf den Heuwagen. Als sie über das Wasser gekommen
waren, stieg der Dumme auf den Heuwagen, suchte und stöberte so lange
nach seiner Nähnadel herum, bis ihn der Bauer hinabwarf und derb durch-
prügelte. Weinend kam er zur Mutter gelaufen und erzählte, was ihm
begegnet. „Du Narr", rief entrüstet das Mütterchen, „eine Nadel steckt
man in den Hemdbusen und bringt sie auf diese Art nach Hause." Nach
einigen Tasen o-ino- der Junoe wieder zur Taute und bat, sie möcJite ihm
etwas schenken. Diese schenkte ihm nichts mehr, nichts weniger, als ein
kleines Hündlein. Dieses nahm er, steckte es auf dem Wege nach Hause
in den Busen und drückte es, aus Furcht vor neuem Verluste, so lange
und so gewaltig, dass es notwendig krepieren musste. So brachte er es
der Mutter. Diese zankte ihn tüchtig aus und sagte: „Das Hündlein hättest
Du an einer Schnur Dir nachführen, nach ihm pfeifen und ihm immer
rufen sollen: „So komm herein!" Der Sohn besuchte bald darauf wieder
die Tante, um etwas zu erhalten. Diese schenkte ihm ein Stück Speck.
Der Dumme nahm einen Strick, band den Speck an denselben und schleppte
ihn auf der Gasse nach sich. Dabei vergass er nicht zu thun, wie ihm
die Mutter geraten. Er rief unermüdet: „So komm herein!" und lud durch
Pfeifen die Hunde des Dorfes gar artig zum Schmause ein. Diese machten
sich geschäftig über den Speck her und setzten den Geschenknehmer über-
dies in so grossen Schrecken, dass er entfloh. Als er zur Mutter kam,
hatte er kaum Atem genug, um zu erzählen, mit welcher List er den
Hunden entlaufen. Das steinalte Mütterchen hatte aber nicht rechte Lust,
über die Dummheit des Sohnes zu lachen, sondern belehrte ihn: „Du
hättest den Speck nach Hause bringen und ihn im Kauche aufhängen
sollen." Wieder versprach der Sohn, alles zu thun, wie ihn die Mutter
belehrt. Bald ging er auch wieder zur Tante. Diese, um sich des lästigen
Gastes auf längere Zeit zu entledigen, schenkte ihm ein Kalb. Der Dumme
führte es nach Hause, und da die Mutter in dem Augenblicke nicht zu
Hause war, knüpfte er das Kalb in dem Kamin auf. AVas folgte, ist kein
Rätsel. Als die arme Alte nach Hause kam und das Unglück sah, lärmte,
schrie, schimpfte sie und sagte dem Solme: „Narr! Du hättest das Kalb in
den Stall führen und ihm Heu geben sollen." „Mutter, so wahr ich Gott
liebe, will ich es ein anderesmal thun", versprach er feierlich. Bald maclite
er aber aus lanwer Weile bei der Tante wieder einen Besuch und bat um
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 405
ein Geschenk. Diese gab ihm ihre Tochter. Der Dumme freute sich über
das Glück, denn er glaubte schon ein Weib zu haben. Er führte das
Mädchen mit sich und brachte es in den Stall; hier legte er ihm Stroh
und sonstiges Futter vor, wie es die Mutter gesagt, selbst aber lief er ins
Haus, um der Mutter sein Glück zu berichten. Diese war über und über
entrüstet und watschelte in den Stall, um an dem Mädchen gut zu thun,
was die Dummheit ihres Sohnes verbrochen. Sie fand aber die Tochter
nicht, denn diese hatte die Abwesenheit des ^Narren benutzt und war zu
ihrer 3Iutter entlaufen. Noch einmal besuchte er die Tante und verlangte
das Mädchen ausdrücklich zum Geschenke; die Tante warf ihn aber g-ar
unsanft zur Thüre hinaus, und nun ging der Dumme, nachdem er so vieles
verloren hatte, zuletzt leer aus.
3. Wie ward ein Zigeuner schnell reich?
Ein Zigeuner, der sich auf Gottes lieber Welt müssig herumtrieb, kam
einmal zu einem Bojaren und bat diesen, er möge ihn in den Dienst
nehmen. Der Bojare, der die Trägheit der Zigeuner kannte, versagte es
ilim. Der Landstreicher liess aber von seinen Bitten nicht eher ab, als
bis der Bojare ihn doch aufnahm. So ward der Zigeuner dem Hausgesinde
angereiht, doch unter der Bedingung, die erste Nacht in dem hölzernen
Stalle in Gesellschaft mit einem Bären, den der Bojare hatte, zuzubringen,
wofür dieser ihm den Dienstlohn eines Jahres zahlen werde. Auf diese
Weise glaubte nämlich der Herr des lästigen Patrons ledig zu werden.
Da es noch nicht Abend geworden war, ging der Zigeuner in die
Stadt, kaufte wälsche Nüsse und Branntwein und kam gegen Abend in
den Bojarenhof. Um die Zeit des Schlafengehens führte der Bojare selbst
den Zigeuner in den Stall und schloss hinter ihm die Thür. Der Zigeuner
trat in einen Winkel des Stalles und knackte g-anz gemächlich seine Nüsse.
Der Bär kam zum Zigeuner und forderte, dass er ihm auch von seinen
Vorräten mitteile. Er gab ihm eine geknackte Nuss, die sich der Herr
Bär recht gut schmecken liess. Dann bat er den Zigeuner, er möge ihm
eine nichtgeknackte Nuss geben; dieser gab ihm aber ein Stück Eisen.
Der Bär biss hinein, dass ihm die Zähne brachen, und konnte doch nicht
zum Kern kommen. Er forderte daher wieder Nüsse, aber ohne die
Schalen, was ihm der Zigeuner nicht verwehrte. Der Vorrat ging aber
bald zu Ende, und der Bär sagte: „Jetzt werde ich Dich auffressen."
,.Lass uns zuvor zusammen trinken", antwortete der Zigeuner, brachte die
gefüllte Branntweinflasche zum Vorschein, trank selbst und gab auch seinem
Gefährten, der einen langen, langen Zug aus der Flasche that. Der Zigeuner
wusste wohl, dass der Branntwein seine Wirkung nicht verfehlen könne
und fing jetzt auf seiner Geige zu fiedeln au. Der Bär sprang nacli
Herzenslust herum und als er das Tanzen satt war, nahm er vom Zigeuner
. die Geige und versuclite selbst einige Striche mit dem Fiedelbogen. Die
406 Kahl dl:
Uiigoschicklichkeit aber, mit der er zu Werke ging, fiel ihm selbst auf,
und er fragte daher den Zigeuner, ob es wohl möglich wäre, dass seine
Prazen flacher und zum Geigenspiel geeigneter würden. „Ja", antwortete
der Zigeuner, „siehst Du den Keil dort? Bringe ihn her!" Der Bär that
es mit Freuden. So trieben beide die Balken der Wand mittels des Keiles
auseinander und der Zigeuner hiess dem Bären beide Tatzen in die Fuge
hineinsstecken. Der Bär hegte keinen Verdacht und that, wie ihm geraten
wurde. Der Zigeuner zog jetzt aber den Keil heraus und die Vorderbeine
des Musikfreundes befanden sich nun unter der Presse. Der Bär hatte
schon alle Lust verloren, den Fiedelbogen zu führen; er flehte und drohte,
aber es lialf nichts; der Zigeuuer war garnicht aufgelegt, ihn von den
Martern zu befreien und nachher sich auffressen zu lassen. Ja er traktierte
den Bären mit einer Portion Schläge, dass ihm die Sinne schwanden. Der
Morgen graute bereits und bald kam der Bojare in den Stall aus Neugierde,
was mit dem Zigeuner geschehen. Er staunte nicht wenig, als er ihn
wohl behalten und das Tier in der Presse fast leblos fand. „Mit dem",
dachte der Bojare, „ist nichts zu beginnen", zahlte dem Zigeuner gleich
die bestinnnte Summe, und so erwarl) der braune Landstreicher in einer
Nacht eine Barschaft, für welche jeder aus dem Hausgesinde des Bojaren
sich ein ganzes Jahr hindurch abmühen musste.
4. Schwer ist es, sich selbst zu kennen.
Es war einmal ein mächtiger König, der von Geburt eine sehr grosse
Nase hatte, und wie wohl er wusste, dass ihn dieselbe entstelle, bildete er
sicli doch immer ein, dass es blosser Schein sei. Die Unterthanen und
andere, die er hierüber befragte, versicherten ihn, dass ihm die Nase gut
stehe. Wer würde sich auch getrauen, einem Höheren über derlei Sachen
die AVahrheit ins Gesicht zu sagen?
Zu eben derselben Zeit lebte in dieser Stadt auch eine buckelige
Frau, der es jedoch Schmeichler beteuerten, dass sie die erste Schönheit
der Stadt sei. Als diese Frau einmal mit irgend jemandem einen Prozess
hatte, ging sie zum Könige, dass er ihr Recht spreche. Da die Sache
jedoch nicht nach ihrem Wunsche ging, machte sie ihren Bitten ein Ende
und rief: „Weh' mir, welche Nase!" — Der König erwiderte hierauf nicht,
sondern stellte sich, als hätte er nichts geliört. Als die buckelige Frau
solches bemerkte, wandte sie ihren Blick vom Könige weg und schrie,
wie wenn sie erschrocken wäre: „Wunder! eine ähnlich grosse und häss-
liche Nase habe ich noch nie gesehen!" — Der König wollte nun nicht
mehr schweigen, sondern antwortete: „Frau! weisst Du auch, dass Du ein
Wundergeschöpf bist? Während Dir meine Nase ungewöhnlich erscheint,
vergisst Du auf den Fleischhügel, den Du auf den Rücken trägst." — Die
Frau errötete und machte sich schweigend davon. Als der König sich
ohne Zeugen wusste, trat er vor den Spiegel, blickte in denselben mit
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 407
weniger Wohlgefallen denn gewöhnlich nnd sprach: „Es ist doch keine
Lüge, was irgend jemand gesprochen, dass es keine leichte Sache sei, sich
selbst zn kennen."
Der Mensch lacht über den Menschen, und der Teufel über beide.
Der Teufel spottet der schwarzen Taube und vergisst darüber sich selbst.
Den Mund <ler "Welt verstopft nur die Erde.
5. Eine gute Lehre.
Zwei .Jünglinge gesellten sich zusammen und gingen in Handels-
gescliäften in die Welt. Während sie von Dorf zu Dorf herumzogen,
trafen sie an einem Abende in einem auf einer Anhöhe gelegenen Dorfe
ein und traten in ein Haus, welches ihnen das beste zu sein schien, um
daselbst die Nacht zu verbringen. Sie klopften, und es kam ihnen ein
alter Mann entgegen, der sehr würdevoll aussah. Dieser empfing die
beiden Jünglinge sehr freundlich, lud sie ins Haus, wo sie auch gleich
mit aller Offenherzigkeit ihn anredeten: „Väterchen! wir haben gewaltigen
Hunger, sei<l so gut und besorget ein Nachtessen." — „Seid unbesorgt",
erwiderte der(ireis, „ein wenig Essen darf uns nicht fehlen." Ehe jedoch
der Alte ein Essen auftrug, fragte er die Fremden, was sie wohl Neues
aus der Ferne brächten? Die Jünglinge erzälilten ihm allerlei Unbedeu-
tendes, wie dies auch heute der Fall ist, wenn Leute zusammenkommen.
Inzwischen hatte sich einer von den Jünglingen aus der Stube ins Freie
begeben. Der Greis benützte iliesen Augenblick und fragte den in der
Stube zurückgebliebenen Jüngling: „Junger Herr! seid Ihr vielleicht Brüder,
dass Ihr einander, so ähnlich sehet?" — „Bewahre der Himmel!" erwiderte
der Jüngling, „solch ein Bruder würde mir wahrlich wenig Fhre machen!
Zwar sieht er einem Menschen ähnlich, allein der Kerl ist ein Ochse, der
aucli mit Stroli vorlieb nimmt."
Kaum liatte der Jüngling ausgeredet, als auch sein Reisegefährte in
die Stube trat, und alsobald nahm das Gespräch eine andere Wendung.
Nach einer Weile entfernte sich <ler andere Jüngling aus der Stube, und
der Greis fragte den jetzt Zurückgebliebenen aus Neugierde, ob der andere
Jüngling wohl sein Bruder sei, da sie doch einander w^ie aus dem Gesicht
geschnitten zu sein seidenen. Da erwiderte dieser unwillig: „Ihr irret
Luch. Väterchen! Ich wollte es nimmer, dass er mein Bruder wäre; denn
er ist ein Esel, der keinen Unterschied zu machen weiss, wenn man ihm
auch Grütze zum Speisen vorlegen würde."
Als der Greis merkte, wie wenig einer tles anderen Ehre wahre,
machte er sich gleich auf, suchte ein Bund Stroh hervor, füllte eine
Schüssid mit Grütze und legte solches auf den Boden vor die beiden Jüng-
linge. Die Fremdlinge, so dies sahen, fragten den Alten: „Warum uns
solches vorlegen?" — „Sollte es nicht genügen", antwortete der Greis, „so
halle ich Stroh und (irütze noch in Fülle. Führwahr! Ihr sollt daran nicht
408
Kaindl:
Mangel liabeii. Oder sollten wohl gar der Oclis und der Esel damit nicht
zufrieden sein?'' — Nun sahen sich die Jünglinge gegenseitig an und er-
röteten. Da begann der Greis: „Junge Männer! Ihr dürfet mir nicht
zürnen, dass ich solches Spiel mit Euch treibe; denn so viel der Mensch
auch lernt, so ist ihm ihm eine I^ehre doch nie überflüssig. Bei Euch ist
dies auch der Fall, wenn Ihr es nur willig aufnehmen würdet. Wenn ich
auch nicht gar klug und gelehrt bin, vermag ich doch zwei, drei Worte
zu reden. Ob Ihr Brüder oder bloss Reisegefährten seid, ist Eure Sache;
liierüber könnt Ihr jedermann nach Gefallen antworten. Doch — ich sage
Euch — es ist nicht gut, seinen Gesellen zu verleumden. Denn wisset.
Ehre gesellt sich mit Schimpf nie, und immer wird man nach dem Gesell-
schafter beurteilt."
Hierauf nahm der Greis das Stroh und die gefüllte Schüssel bei Seite,
tischte den Fremdlingen ein Nachtessen auf und behandelte sie fernerhin
sehr freundlich. Sie gingen am nächsten Morgen weiter, dachten jedoch,
so lange sie lebten, an den Greis und seine Lehre.
6. Wahrheit findet keine Ohren.
Ein wenig brauchbarer Knecht hatte das Unglück bei jedem seiner
Dienstgeber seiner uugezähmten Zunge wegen mit Prügel derb bedacht
zu werden. Natürliche Folge war es daher, dass seine Kleidung in Fetzen
um ihn herumflatterte.
Ein Kaufmann, der diesen Knecht — Georg w^ar sein Name — seit
früheren Jahren kannte, begegnete ihm einmal und konnte sich nicht satt
wundern über dessen lumpiges Aussehen. „Was mag die Ursache sein'-,
fragte ihn der Kaufmann, „dass es Dir so leidig ergeht? Saufbold, Ehe-
brecher oder Verschwender bist Du nicht; wie gerätst Du in diese elende
Lage?"
„Herr", antwortete Georg, „nichts anderes hat mein Unglück ver-
ursacht, als weil ich jedermann geradezu die AVahrheit sage. Die Lüge
ist mir fremd, ich rede nur Wahrheit; deshalb w^erde ich überall hinaus-
gestossen."
„Mit gebläutem Buckel als Wegzehrung", fügte der Kaufmann hinzu:
„Du gefällst mir, denn Leute Deiner Denk- und Handlungsweise sind
heute selten. Für meine Geschäfte brauche ich gerade einen Mann der
Wahrheit."
Georg hatte nichts zu entgegnen, und so ward er Diener im Hause
<les Kaufmannes. Da er als ein Anfänger jedoch bei wichtigeren (ie-
schäften nicht verwendet werden konnte, begleitete er den Herrn auf den
Marktplatz. Nachdem Futter, Mehl u. a. eingekauft worden waren, gebot
der Kaufmann dem Knechte, nach Hause zurückzukehren und alles der
Kauf mannsf ran zu übergeben.
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 409
Als Georg zu Hause angelangt war und vor die Hausfrau trat, um ihr
das Eingekaufte zu überreichen, blickte er ihr mit tölpelhafter Miene in
die Augen und rief voll Verwunderung aus: „Himmel! Ihr kommt mir vor
wie eine Henne, die mit einem Auge in den Garten, mit dem anderen
nach der Hausthür blickt." Als solches die Hausfrau hörte, war sie sehr
erzürnt, ergriff den Stock ihres Mannes, der neben der Zimmerthür stand,
und indem sie auf den Knecht dreinschlug, schrie sie: „Elender! Du willst
mit mir Dein Possenspiel treiben? Du sollst Dich in meinem Hause nicht
mehr blicken lassen; so ist's!"
Georg hatte genug. In Eile verliess er das Haus, um weiter zu gehen.
Unterwegs stiess er auf den Kaufmann, der ihn anredete: „Was giebt's?
Wohin gehst Du?"
Georg hatte keine Worte, sondern betastete nur mit einer wehmuts-
vollen Miene die Stellen, die mit dem Stocke unsanft berührt worden
waren. Erst nach einer Pause war er im stände, dem Kaufmann zu ent-
decken, dass er von der Hausfrau fortgeprügelt worden.
„Warum?" fragt der Kaufmann. „Mir erging es", antwortete Georg,
„wie das Sprichwort sagt: Wahrheit findet kein Gehör!" Sodann erzählte
er seinem Herrn umständlich, was und wie es sich zugetragen.
„I^u hast es verdient", antwortete hierauf der Kaufmann; „Dein Läster-
mund ist .laran schuld. Dich hat Dein Mund geschlagen und wird Dich
noch oft, sehr oft schlagen."
7. Der Kater.
Bei einem gar grossen Herren diente ein Bauernjunge. Ein Jahr seiner
Dienstzeit war bereits um, und der Herr fragte ihn, welchen Lohn er
dafür verlange. „Einen Groschen"! war die Antwort. Der Herr mochte
sich mit Gegenvorstellungen abniüden, so viel er wollte, es half nichts,
und dem Knechte musste der verlangte Groschen ausgezahlt werden. Mit
diesem machte er sich auf den Weg und ging lange, lange lierum. bis er
einem Bauern begegnete, der einen Sack auf dem Rücken trug. „Was
liast Du im Sacke?" fragte der Knecht. „Einen Kater, den ich feilbieten
will", antwortete der Bauer. Der Knecht bekam Lust, den Kater zu
kaufen und trug dem Bauer für den Kater im Sacke seinen einjährigen
Dienstlohn au. Der Yerkäufer, im AVahne eine namhafte Summe für seine
Ware einzulösen, ging den Vertrag mit Freuden ein. Der Knecht nahm
den Kater und zahlte dem Bauern seinen Groschen. Der Bauer mochte
sich geberden, wie er w^ollte, es half nichts; denn was er gefordert, hatte
er erhalten.
Der Kater und sein neuer Herr gingen nun eine Weile, bis sie an
den Saum eines grossen Waldes gelangten. Hier zimmerte der Bauern-
junge auf Geheiss des Katers eine Hütte, in der beide Platz genug hatten.
Ihr Einsiedlerleben währte jedoch nicht lange, und der Kater kam auf den
410 Kaindl:
Gedanken, im Namen seines neuen Herrn, so schmierig und zerlumpt er
auch war, um die Hand der Tochter eines grossen, grossen Bojaren zu
werben. Auf dem Wege zu dem Schlosse des Bojaren begegnete dem
Brautwerber Kater ein Hase, der ihn nach dem Ziel seiner Reise fragte.
„Zu unserem Herrn", war die Antwort, „er soll mir Recht sprechen. Der
Verleumdungen und üblen Nachreden wäre ich schon satt. Welchen
Schaden immer die Katze anrichten mag, heisst es: der Kater hat's gethan,
und hallo! geht es los ans Hetzen mit Hunden." Dem Hasen dünkte die
Gelegenheit gut, sich auch Recht sprechen zu lassen; daher bat er den
Kater, er möchte ihn mitnehmen. Der Kater aber befahl ihm, alle Hasen
seines Geschlechtes zu versammeln und so vereint an den Hof zu gehen.
Der Hase brauchte keine Bedenkzeit, und im Augenblicke hatte er mehrere
Hunderte von Hasen versammelt, um unter Führung des Katers vor den
Stuhl der Gerechtigkeit zu treten.
An dem Hofthore des Schlosses angelangt, bannte des Katers gebiete-
risches „Halt!" die Hasen an Ort und Stelle. Er selbst trat vor den Bo-
jaren und sprach: „Hoher Herr! Mein Gebieter, der Prinz Iwaniewicz,
sendet Dir diese Herde Hasen zum Geschenke. Befiehl, wohin ich sie
Dir führen soll." Der Bojar traute kaum seinen Augen. Der Kater kam
zu den Hasen und sprach: „Der Herr ist geneigt. Euch Recht zu sprechen,
nur müsstet Ihr vorher untereinander Rat pflegen über die Art und Weise,
wie Ihr die Beschwerden vorbringen sollet. Zu diesem Ende hat er Euch
gestattet, in jenen Stall zu treten." Und er führte sie in eine geräumige
Stallung, in der alle Hasen eingesperrt wurden. Der Kater trat wieder
vor den Bojaren und bat um die Hand seiner Tochter für seinen Herrn.
Der Bojare dachte bei sich: „Es muss doch ein grosser, mächtiger Herr
sein, der mir ein solches Geschenk dargebracht hat." Dann sagte er zum
Kater: „Ich werde mich zur Hochzeitsfeier bereiten. Dein Herr möge
kommen, die Bitte gewähre ich ihm mit Freuden." Der Kater, hocherfreut
über den Erfolg seiner Bemühungen, lief eiligst zu seinem Herrn, um ihm
die freudige Nachricht zu überbringen. Auch war er jetzt gar geschäftig,
alle Anstalten zur Abreise zu treÖen. Er hatte vollauf zu thun, seinem
Herrn eine abgetragene Offiziers-Uniform zu verschaffen und ihn so abzu-
richten, dass man ihm ein klein wenig Lebensart anmerke. Dies machte
dem Kater nicht wenig ^Fühe. Schliesslich begaben sie sich auf den Weg,
und der Kater lud seinem Herrn zwei Säcke auf, vollgestopft mit allerhand
abgenützten Soldatenmützen. Als unsere Wanderer den Fluss, der in der
Nähe des Bojarengutes floss, im Rücken hatten, hiess der Kater seinem
Gesellen die Mützen aus beiden Säcken auf das Wasser schütten. Nachdem
dies geschehen war, eilte er selbst zum Bojaren und klagte über den Un-
fall, der ihnen begegnet, indem ihr stattliches Gefolge samt und sonders
im Flusse ertrunken sei. Die auf dem Wasser schwimmenden Soldaten-
mützen bestätigten seine Aussage. Der Bojare nahm herzlichen Anteil an
Euthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 411
ilirem Unglücke und berief die besten Schneider, die, ohne Mass zu nehmen,
auf den ersten Blick für den Prinz Iwaniewicz die Kleider verfertigten.
Hierauf wurde die Hochzeitsfeier abgehalten, und nachdem diese zu Ende
war, äusserte der Bojar den Wunsch, seinen neuen Schwiegersohn in seiner
Behausung zu besuchen. Der Kater war darüber garnicht verlegen und
flösste auch seinem Herrn Mut ein. Die Reise wurde angetreten und der
Kater bildete allein den Vortrab. Sie fuhren durch einen grossen, grossen
Wald. Der Kater hatte indessen einen bedeutenden Yorsprung gewonnen
und stiess auf einen Schafhirten. Diesen bewog er durch Drohungen und
Versprechungen, dass er dem Festzuge auf die Frage, wem diese Herden
angehören, antwortete: „Dem Prinzen Iwaniewicz." GUeiches that der
Kater mit anderen Hirten, die er unterwegs antraf. Alle diese Herden
gehörten aber einem steinalten Mütterchen, das tief in dem Walde ein
grosses und glänzendes Schloss als alleinige Herrin bewohnte. Der Kater
gelangte bald auch zu dem Schlosse und zwang die alte Frau durch Bitten
und Drohungen dazu, dass sie ihr Schloss mit allen Bequemlichkeiten auf
einige Stunden den Ankömmlingen abtrat, und sich herbeiliess, sich durch
diese Zeit in einem hohlen Baume neben dem Schlosse verborgen zu
halten; der Kater versprach, sie auf das Beste zu versorgen. Der Zug
war bei den Herden vorüber und die Hirten hatten ihr AVort gehalten.
Im Schlosse ging es erst recht lustig zu. Die Hochzeitsgäste sangen und
sprangen, dass ihnen die Beine weh thaten. Manches Glas ward geleert
und mancher Freudenschuss abgefeuert. Die Feier war grossartig, denn
man feuerte sogar Kanonen los. „Es lebe das junge Brautpaar!" hörte
man aus dem Schlosse den Bojaren rufen. Der Kater war jetzt gar ge-
schäftig. „Habt Hir's gehört", sagte er, „das junge Brautpaar soll leben!
heisst es, — nieder mit dem halbfaulen Baum!" Und mau richtete die
Kanone auf den Baum, in dem das steinalte Mütterchen die Hochzeits-
speisen sich gut schmecken liess. Die Lunte an und — um den alten
Baum samt dem alten Mütterchen war es geschehen. Der falsche Prinz
Iwaniewicz blieb nun ungestört Besitzer des Schlosses und erinnerte sich
oft des Groschens als Dienstlohn eines Jahres, um welchen er den gar
klugen Kater gekauft hatte.
8. Das Elend.
Es war einmal ein Edelmann, der einen Sohn hatte, den nichts mehr
befremdete, als wenn er die Leute sagen hörte: „0 welches Elend! o Elend!"
Er verlangte kennen zu lernen, was Elend sei, und bat seinen Vater um
die Erlaubnis, in die weite Welt hinausgehen zu dürfen, um es zu erfahren.
Alle Gegenvorstellungen des Vaters waren fruchtlos, und der .lüngling
machte sich denn mit einem schweren Beutel versehen auf den Weg.
Lange ritt er dorfaus, dorfein herum, fragte, suchte, spähete, forschte nach
dem Elend, aber alles ohne Erfolg. Da ritt er einmal an einem grossen,
412 Kainill:
grossen Teiche vorüber, wo er ein steinaltes Mütterchen Wäsche waschen
sah. „Gnten Tag!" sprach zum Weibe der junge Edelmann, „habt ihr
nirgends das Elend gesehen." „Ja", erwiderte sie, „dort in dem Schilf
treibt es sein Unwesen." Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen,
denn der Jüngling stieg gleich vom Pferde, w^arf eilig seine Kleider von
sich, stürzte in den Teich und schwamm dem Schilfe zu. Dort stiess er
auf eine Brut wilder Enten. In wilder Hast setzte der Jüngling ihnen
nach, trieb sich im Schilf lange herum, verkratzte und verschnitt sich den
Leib bis zum Bluten und konnte das vermeintliche Elend doch nicht er-
wischen. Es ward Abend, und er dachte ans Herauskommen. An das
Ufer gelangt, wunderte er sich nicht wenig, das Pferd und alle senie
Kleider nicht zu finden. Das alte Mütterchen kannte seine Leute und
hatte diese Gelegenheit benutzt, sich in den Besitz einer nahmhaften
Summe samt Pferd und guten Kleidungsstücken zu setzen. Der arme
Junge kauerte sich in einem Winkel am Ufer und, weil ein kühler Herbst-
abend war, hatte er nichts, womit er sich in dieser Einsamkeit hätte Kurz-
weil schaffen können, als Schnattern und Zähneklappen. Jetzt rief er aus:
„Wie elend bin ich worden!"
Der Abend war inzwischen hereingebrochen und der Jüngling benützte
die Dunkelheit der Nacht, um in ein in der Nähe des Teiches gelegenes
Haus unbemerkt zu schleichen. Der Wirt war vom Felde noch nicht
heimgekehrt und die Hausfrau melkte eben die Kühe. Husch! war der
junge Edelmann unter das Bett geschlüpft. Das Weib war heute recht
geschäftig, gute Speisen zu bereiten, denn die liebe Hausfrau erwartete
ihren Buhlen, der auch wirklich nicht lange auf sich warten liess. Nun
ging es recht herzlich zu! Manch guter Bissen ward verzehrt, manches
Glas geleert, alles durch einen Kuss verzuckert. Dem Edelmann unter
dem Bette mochte es gar wunderlich zu Mute gewesen sein; er musste
sich aber in seinem Elende mit dem warmen Verstecke zufriedenstellen.
Der Saus und Braus des zärtlichen Liebespaares währte nicht lange, denn
man hörte im Hofe des Hausherrn Stimme, der den Kettenhund be-
schwichtigte. In der Eile wusste das Weib nicht, wie ihr geschah, und
ohne sich lange zu besinnen, wies sie ihrem Liebsten ein A^ersteck unter
dem Bette an. Der Jüngling hatte jetzt Gesellschaft. Der Hausherr trat
ins Haus und verlangte sein Nachtessen. „Ich war unwohl", entschuldigte
sich das Weib, „und konnte Dir nichts zum Essen bereiten." Sie holte
Brot und Käse hervor und legte es dem Manne vor. Dieser langte nach
seiner Tasche, brachte eine Flasche mit Branntwein heraus, trank selbst
und gab auch dem Weibe zu trinken, das krankheitshalber sich ins Bett
gelegt hatte. Die liebe Frau trank nicht selbst, sondern steckte es dem
Liebsten unter dem Bette zu. Der Jüngling war aber geschäftiger, er-
wischte selbst das Gläschen und leerte es bis auf den Grund. So ging es
auch zum zweiten- und auch zum drittenmale. Der junge Edelmann, der
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 413
sich dadurch einen Kausch zugezogen, sagte hierauf zu seinem Leidens-
gefährten: „Icli will singen." „Bist Du von Sinnen", antwortete ihm dieser,
„wir würden beide sehr schlimm dran sein." ,,Gieb mir Deine AVäsche,
sonst singe ich." Der Buhle, dem es mit der Sache ernst war, zog sein
Hemd vom Leibe und gab es ihm, um nur Ruhe zu haben. Nach einer
Weile sagte der Jüngliag: „Ich will pfeifen." „„Schweig Besoffener!""
„Oieb mir Deine Kleidung, oder ich pfeife aus Leibeskräften!" „„So
nimm sie, Du Narr!"" Jetzt war der Jüngling bekleidet. Der Mann, von
der Tagesarbeit müde, war inzwischen fest eingeschlafen. Das Weib nahm
den jungen Edelmann, den sie für den Geliebten hielt, bei der Hand und
führte ihn aus dem Hause.
Der Jüngling fing jetzt im Freien eine Nachteule, nahm sie unter
den Arm und trat ans Fenster des Hauses, in dem es ihm nach Herzens-
wunsch gegangen war. Hier klopfte er an und bat um Nachtherberge.
Der ]VIann verweigerte, so sehr sich auch das Weib dagegen sträubte, ihm
nicht den Einlass, tischte ihm selbst auf und bewirtete ihn nach Möglich-
keit auf (las Beste. Der Edelmann drückte nun die Nachteule unter dem
Arme so unsanft, dass sie schrie. Der Bauer fragte ihn: „Was hast Du?"
„„Meinen Wahrsager führe ich mit mir."" „Und was hat er jetzt gesagt?"
fragte der Bauer weiter. „„Er meint, in jener Truhe wäre eine vollgefüllte
Schnapsflasche."" Der Bauer suchte nach und fand die Flasche. Das
Weib sah dies nicht gern und entschuldigte sich, dass die Flasche für den
Mann bestimmt gewesen, dass sie aber wegen des Kopfwehes darauf ver-
gessen hätte. Der Hausherr und der Gast machten sich an die Flasche
mit dem festen Vorsatze, sie zu leeren. Der Edelmann wollte aber auch
was Gutes essen, und weil er vorher gesehen hatte, wo das Weib in Eile,
um vom Manne nicht überrascht zu werden, die Speisen versteckt hatte,
drückte er seinen Vogel wieder. Dieser schrie, der Bauer fragte wieder
und erhielt zur Antwort: „Wie der Wahrsager meint, soll im Backofen
ein recht guter Braten sich befinden." Der Bauer suchte und fand. Beide
Hessen sich es gut schmecken. Als der Edelmann satt war, drückte er
wieder die Nachteule. Sie schrie und der Jüngling stand wie erschrocken
auf, nahm seine Mütze und schickte sich an, fortzugehen. Als ihn der
Hausherr nach der Ursache fragte, antwortete er: „Der Vogel widerrät mir
unter Deinem Dache zu übernachten, denn Du hast ein Ungeheuer im
Hause." Der Bauer starrte ihn an und bat ihn, er möchte ihm doch einen
Rat erteilen, wie er des Ungeheuers los werden könnte. Der Edelmann
war hierzu bereit, liess Feuer machen und in grossen Töpfen Wasser er-
hitzen. Als es schon recht gut zu sieden begann, sammelte er aus allen
Winkeln der Stube Lumpen zusammen, hiess den Hausherrn mit einem
Prü^•el bei der Thüre wachen, tauchte die Lumpen in siedendes Wasser
und besprengte das Haus nach allen vier Winden und auch den Liebsten
unter dem Bette. Dieser seufzte kaum hörbar und kauerte sich in den
4 14 Kaindl:
Winkel. „Hier niuss das Ungeheuer sein", sagte der Edelmann und wies
unter das Bett. „Mau muss es heraustreiben", sprach der Bauer. Der
Jüngling tauchte die Lumpeu recht tief ins siedende Wasser und besprengte
den Armen in seinem Verstecke so gewaltig, dass er vor Schmerzen sich
auf die Flucht machte. Er wollte zur Thür hinaus, aber der flinke Wirt hieb
so fleissig drein, dass das Ungeheuer mit blauem Leibe davonkam. Das Weih
war durch diesen Yorfall von ihren Liebeshändeln geheilt. Der Edelmann
fuhr aber am nächsten Morgen zum Vater zurück und hatte nicht mehr
Lust, länger herumzustreichen und zu erfahren, was Elend bedeute.
9. Aus der Schöpfungsgeschichte.
Einst war nichts als oben der Himmel und unten Gewässer. Da
schiffte einmal Gott auf dem Wasser umher und fand ein grosses, grosses
Stück festen Schaumes, darin der Teufel stak. „Wer bist du?" fragte ihn
Gott. Der Böse antwortete: „Ich habe nicht Not, Dir Rede zu stehen,
ausser wenn Du mir versprichst, mich auf Dein Fahrzeug zu nehmen."
„Ich will es thun!" „Ich bin also der Teufel." So fuhren beide herum
und unterredeten sich, bis der Teufel begann: „Wie gut wäre es, wenn es
ein Festland gäbe?" „Das soll werden", antwortete Gott; „tauche Du
hinab bis auf den Meeresgrund und bringe eine Handvoll Sand herauf,
daxaus will ich ein Festland schaffen. Wenn Du aber hinabgelangt bist und
nach dem Sande greifst, so, vergiss nicht zu sagen: „Ich nehme Dich im
Namen Gottes." Der Teufel liess es sich nicht zweimal sagen, sank in
Eile unters Wasser und auf dem Grunde angelangt, griff er mit beiden
Händen gierig in den Sand hinein, mit den Worten: „Ich nehme Dich in
meinem Namen." Als er auf die Oberfläche gelangte und in die Hände
hineinsah, die er sich fast wund gedrückt hatte, erstaunte er nicht wenig,
als er sie leer fand. Was in ihm vorging, bemerkte Gott und sprach:
„Warum hast Du nicht gesprochen, wie ich Dir geheissen?" Er tauchte
wieder auf den Grund des Meeres hinab, langte nach dem Sande und
sprach: „Ich nehme Dich in seinem Namen." An die Oberwelt brachte
er aber nicht mehr Sand, als was unter den Nägeln Platz gefunden hatte.
Gott nahm dieses bisschen Sand, streute es aufs Wasser, und es war Fest-
land, nicht grösser jedoch als ein Ruhebett. Als es Nacht wurde, legten
sich Gott und Teufel auf das Festland nieder, um auszuruhen. Unser
Herrgott war kaum eingeschlummert, da stiess ihn der Teufel gegen Osten,
damit er ins Wasser falle und untergehe. Nach welcher Gegend er ihn
gestossen, in dieser Richtung ward w^eites, weites Festland. Der Teufel
versuchte es mit einem Rippenstosse nach Westen, und auch nach dieser
Himmelsgegend dehnte sich das Festland gar weit aus. Auf gleiche Weise
wurde die Erweiterung des Festlandes auch nach den übrigen Himmels-
ü'eo'enden veranlasst.
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 415
Als Gott das Festland erschatfeii hatte, stieg er in den Himmel. Der
Teufel wollte aber von seiner Gesellschaft nicht lassen und folgte ilim auf
dem Fusse. Hier hörte er, wie die Engel Gott Loblieder sangen, und er
wurde traurig darüber, dass er niemand habe, der sich seiner Ankunft
freue. Er trat zu Gott und flüsterte ihm ins Ohr: „Was soll ich machen,
um auch ein solches Gefolge zu haben?" Gott antwortete ihm: „Wasche
Dir Hände und Gesicht und sprenge mit diesem Wasser rücklings." Er
that es und es entstanden Teufel in so grosser Anzahl, dass die Engel
und Heiligen im Himmel kaum mehr Raum hatten. Gott merkte jetzt
wohl, welche Gefahr die Seinigen bedrohe. Er berief den heiligen Elias
zu sich und befahl ihm zu donnern und zu blitzen. Elias freute sich der
Gelegenheit und lärmte, donnerte und blitzte und Hess durch 40 Tage und
Nächte regnen, und mit dem gar grossen Regen fielen auch die Teufel
vom Himmel zur Erde nieder.*) Endlich war der Vorrat an bösen Geistern
erschöpft und es fingen auch an die Engel herabzufallen. Da befahl Gott
Elias einzuhalten, und wo ein Teufel, im Fallen begriffen, in diesem Augen-
blicke sich gerade befand, dort blieb er stehen. Darum fahren jetzt zur
Nachtzeit Liclitfunken an dem Himmel herum, als wenn es Sterne wären.
Es sind die Teufel, die erst jetzt zur Erde niederfallen.^)
10. Die drei Brüder.
Vor lauger, langer Zeit lebte ein Mann, der ein grosses Vermögen
besass. Da er aber sehr verschwenderisch war, büsste er in kurzer Zeit
nicht nur dasselbe ein, sondern vererbte auf seine drei Söhne grosse,
grosse Schulden. Kaum hatte der Alte ausgelebt, so fanden sich auch
recht zahlreich die Gläubiger ein und schleppten auch das bisschen Habe
fort, das etwa im Hause sich vorfand. Als die drei Söhne schliesslich ans
Teilen gingen, da erhielt der älteste eine Flöte, der mittlere einen Mühl-
stein und der jüngste ein wenig Flachs. Der Älteste nahm seine Flöte
und ging in die weite Welt hinaus, um sich sein Brot zu verdienen.
Lange zog er von Dorf zu Dorf, ohne in einen Dienst treten zu können.
Da kam er einmal durch einen grossen, grossen Wald und traf tief in
demselben ein Wirtshaus an, worin niemand wohnte. Es freute ihn nicht
wenig, denn er war schon wegen eines Nachtlagers in Besorgnis. „Hier",
dachte er, „werde ich ohne Furcht und ungestört ausruhen können." Er
ging hinein, legte sich in ein Bett, so gut er es fand, und entschlief bald.
In der Nacht kamen wilde Tiere herein. Es war ein Wolf und ein Hase.
1) Vgl. hierzu die Sagen über Elias als Donnerer in Kaindls Schriften „Die Ru-
thenen in der Bukowina', H, S. 14 u. 49 (Czernowitz 1890) und „Die Huzulen", S. 79
(Wien 1893).
2) Nach anderer Deutung sind es Hexen, was mit obiger Überlieferung im Zu-
sammenhange steht. Vgl. Kaindl, Festkalender der Rusnaken und Huzulen (Czernowitz
1896), S.-4P.3.
Zcitsclir. (J. Vereins f. Volkskunde. 1899. -^
416 Kaindl:
Anfangs erschrak er ein klein wenig, fasste aber bald Mut, nahm seine
Flöte und blies darauf einige Töne. Der Wolf war über die ungewöhn-
liche Musik erschrocken und fing an erbärmlich zu heulen; der Hase
kauerte sich aber ehrfurchtsvoll in einen Winkel der Stube. Nachdem
der Wolf sich satt geheult hatte, dachte er au den Ausgang, suchte und
kratzte an den Wänden, aber vergeblich. In diesem Augenblicke war ein
Reisender bei dem Wirtshause angelangt. Als er hineingehen wollte und
eben die Thüre aufthat, machten sich der AVolf und der Hase auf und
davon. Der Flötenbläser aber sprang von seinem Lager, packte den
Reisenden bei dem Kragen und sagte: „Wer hat Dich geheissen, diese
Tiere fortzulassen. Du musst sie jetzt einfangen oder Du wirst es mit
dem Leben bezahlen. Die Tiere gehören dem Könige, für den ich sie
abrichte." Der Edelmann war garnicht im Zweifel, dass der Mann es
ernsthaft mit der Sache meine. Er bat und flehte, ihn ungeschoren fort-
gehen zu lassen. Dies half aber nicht; erst durch eine grosse Summe
Geldes schaifte er sich den Tierlehrer vom Halse. Der älteste der drei
Brüder war nun in den Besitz einer namhaften Summe gekommen und
machte sich auf, nach der Heimat zurück.
Auf dem Rückwege begegnete er seinem mittleren Bruder, der auch
mit seinem Erbteile, dem Mühlsteine, in die Welt hinausgezogen war.
Sie begrüssten sich gegenseitig und der Älteste erzählte ihm, wie er sein
Glück gemacht hatte.
Ohne viel Zeit zu verlieren, lud der Mittlere den Mühlstein auf sich
und ging fort. Das Schicksal wollte es, dass auch er den grossen Wald
durchwanderte. Es wurde Nacht, ohne dass er ein Dach erreicht hätte,
und so fand er es zweckmässig, auf einem Baume mit seiner Habe die
Nacht zuzubringen. Als er so auf dem Baume sass und wachte, denn das
unbequeme Lager und die Besorgnis, den Mühlstein zu verlieren, Hessen
ihm keine Ruhe, kam eine Räuberbande und lagerte sich gerade unter
diesem Baume, um die Beute zu verteilen. Einer von den Raubgenossen
aber schrie, dass ihm bei der Yerteilung Unrecht geschehen sei. Da rief
der Hauptmann: „So wahr ein Gott lebt!" blickte zum Himmel hinauf
und wollte den Schwur zu Ende schwören. Allein der Mühlsteinbesitzer
liess ihm dazu nicht Zeit. In Furcht, auf dem Baume bemerkt zu werden,
begann der Bursche zu zittern; da entfiel ihm der Mühlstein und tötete
den Hauptmann. Die Raubgesellen erschraken darob so sehr, dass sie
samt und sonders die Flucht ergriffen. Als die Diebe fort waren, stieg
jener vom Baume, steckte Gold und Silber, welches die Entflohenen zurück-
gelassen hatten, in seine Reisetasche, liess den Mühlstein gern zurück und
trat den Rückweg an. Zufällig begegnete er seinem jüngsten Bruder, der
sich bisher ohne Erfolg herumgetrieben hatte. Diesem erzählte er, wie
er sein Glück unverhofft gemacht, wünschte ihm Glück in allen seinen
Unternehmungen und ging fort.
Euthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 417
Der jüngste Bruder, der das bisschen Flachs von seinem Vater ererbt,
ging nun so lange herum, bis er in einer entlegenen Gegend zu einem
Sumpfe kam, an dessen Ufer er im Schatten eines Baumes ausruhte.
Nachdem er genug der Ruhe gepflogen hatte, holte er seinen Flachs hervor
mit dem Gedanken, daraus Stricke zu machen und diese zu verkaufen.
Gedacht, gethan! Eben war er mit seiner Arbeit beschäftigt, als ein
Teufel aus dem Sumpfe zu ihm trat und ihn fragte, was er hier thue.
„Ich habe den Auftrag", antwortete dieser, „alle Teufel aufzuknüpfen,
die in diesem Sumpfe hausen." Der Böse erschrak nicht wenig und ging
gleich zum Obersten, um zu berichten, welche Gefahr sie bedrohe. Nach-
dem der Herr der schwarzen Schar eine Weile nachgedacht hatte, befahl
er einem von seinen Dienern auf die Oberwelt zu gehen und mit dem
Fremdling um die Wette zu pfeifen. Der Teufel that, wie ihm befohlen
wurde. Er pfifP und von dem Baume fielen die Blätter. Doch der Wanders-
niann verlor den Mut nicht und sagte zu dem Teufel: „Du musst Dir die
Augen verbinden, damit sie nicht herausspringen, wenn ich pfeife." Der
Böse that es, und der Bauernjunge schlug ihn mit seinem Wanderstabe
so gewaltig über die Augen, dass er ohne weiteres in den Sumpf entfloh.
Als der Oberste vernommen, wie es ihm ergangen, nahm er zu einem
anderen Mittel seine Zuflucht und schickte einen leichtbeinigen Teufel zu
dem vorgeblichen Henker, dass er mit diesem um die Wette laufe. Als
der Böse ihm den Antrag gemacht hatte, lachte er und sagte: „Du wirst
nicht einmal meinen kloinen Bruder überflügeln können, der dort im
<Tebüsclie ruht." Dabei wies er auf einen Hasen und weckte diesen mit
einem Steinwurfe, so dass er erschrocken über alle Berge entfloh. Der
Wettläufer des Sumpfes kehrte unverrichteter Sache zu seinem Gebieter
zurück. Dieser beorderte jetzt einen Starkgewachsenen aus seiner Schar,
dass er mit dem Bauernjungen um die Wette ringen solle. Er ging auf
die 01)erwelt und forderte den Jungen zum Ringen heraus. Lächelnd
sagte dieser: „Armer Höllentropf! Du dauerst mich, denn Du musst
sterben. Gehe aber in den Wald, dort wirst Du meinen Grossvater unter
einem Baume liegen finden. Gelingt es Dir, ihn zu besiegen, so will ich
aus reiner Menschlichkeit mir Deinen Sieg auch über mich gefallen lassen."
Der Teufel traute dem ehrlichen Gesicht und ging in den Wald. Hier
fand er unter einem Baume einen Bären liegen. Diesen reizte er zum
Kampfe. Der Bär stand auf, packte den Teufel und warf ihn an einen
Baumstamm, dass ihm Sehen und Hören verging. Es kostete ihm nicht
wenig Mühe, bis er sich an die Möglichkeit zu verschwinden erinnerte.
Er verschwand und rettete sich in den Sumpf. Der Sumpfgebieter er-
schrak, als er die traurige Nachricht vernahm. Jetzt war er genötigt, dem
Wandersmann einen Sack Geldes auf die Oberwelt zu schicken. Das
brachte ihn aber noch nicht von dem Vorhaben ab, alle Teufel aufzu-
knüpfen und da mussten die Teufel sich entschliessen, ihm den Sack
28*
4.1g Kaindl:
bis in (las Elternhnus zu sc}ilepi)t'n. So wurden alle drei Brüder reich,
sehr reich.
11. Der Esel und sein Herr.
Ein Mensch, der in der Welt nicht gar viel herum gewesen, bestieg
einmal seinen Esel, um seinen Oheim zu besuchen, der im nächsten Dorfe
wohnte. Der Oheim, welcher seinen Neffen sehr liebte, war hocherfreut,
ihn unter seinem Dache bewirten zu können. Fa- empfing ihn mit unge-
wöhnlicher Herzensfreude, sass mit dem Neffen abends zu Tische, plauderte
mancherlei und trank ihm so lange zu, 1)is derselbe einige Gläser übers
Mass getrunken hatte. Am frühen Morgen des anderen Tags, als sie auf-
wachten, war dem Neffen gar ungewöhnlich zu Mute. Es war ihm, als sei
in seinem Kopfe ein Mühlrad im vollen Gange. Er drehte und wendete
den Kopf bald hin, bald her, bald rechts, bald links; es half nichts: das
Rad sauste und brauste fort. Nachdem er sich hübsch lange vergeblich
abgemüht hatte, des Sausens ledig zu werden, fiel ihm ein, dass sein Esel
noch nicht getränkt worden sei. Er führte daher das Tier zum nächsten
Bache. Der Esel trank, bis er endlich genug hatte. Vergeblich mühte
sich der Neffe ab, das Tier durch Pfeifen einzuladen, nocli etwas zu
trinken. Da führte er den Zeigefinger zu seiner Stirn und sprach mit
bedeutungsvoller Miene: „Mein liebes Tier, Du scheinst klüger zu sein,
als ich bin. Hätte ich am gestrigen Abende gethan, wie Du jetzt, ich
würde heute nicht nötig haben, einen Zentnerschädel mit Sausen und
Brausen herumzutragen. "
1-2. Mein Freund! dreh hin, dreh her (Gevatter Tod).
Es lebte einmal ein Mann, der reich, sehr reich war. Alles ging nach
' seinem Wunsche von statten, alle liebten ihn, er hatte viel Freunde, war
angesehen und vernünftig, denn — er war sehr reich. Es dauerte aber
nicht lange und er wurde arm, sehr arm. Das Vieh ging zu Grunde,
wurde von den Wölfen zerrissen oder gestohlen, kurz er verarmte sehr.
Das Mass des Unglücks war aber noch nicht voll; auch das Haus brannte
ihm ab. In die Welt hinauszugehen und zu betteln, konnte er sich nicht
entschliessen, umsoweniger da gerade jetzt sein Weib einen Knaben ge-
boren hatte. „AVenn ich das Kind ungetauft lasse", so dachte er bei sich
selbst, „wird Gott es an mir rächen." Er machte sich daher auf, ging zu
seinen früheren Freunden und hid sie zu Taufpaten seines neugeborenen
Kindes. Keiner erkannte ihn aber jetzt und wollte sich auch nicht herbei-
lassen, diesen Dienst ihm zu erweisen. Betrübt ging er weiter und be-
gegnete einem Manne. Dieser wünschte ihm einen guten Tag. Der Arme
war in Gedanken vertieft und hatte es nicht gehört. Der Fremde kam
näher, betrachtete ihn schärfer und sprach: „Ich habe Dich gegrüsst und
keine Antwort erhalten. AVarum bist Du so betrübt?" „Warum soll ich
Ruthenische Märchen und Mythen aus der Bukowina. 419
mich nicht betrüben? Ich war einmal reich, sehr reich, habe mehr Freunde
gezählt als jeder andere, und nun ich verarmt bin, schämen sie sich meiner,
so dass keiner sich erniedrigen will, mein Kind aus der Taufe zu heben."
„Beruhige Dich", tröstete ihn der fremde Mann, „ich werde Dir diesen
Dienst erweisen." Sie gingen beide in die Hütte, die gar ärmlich war,
und nachdem die Taufzeremonien vorüber waren, sagte der Fremdling zu
seinem Wirte: „Ich will Dich lehren, wie Du wieder reich werden kannst.
Gehe ins Gebirge, sammle alle möglichen Kräuter und wenn Du erfährst,
dass irgendwo ein grosser, reicher Herr schwer krank darniederliegt, gehe
zu ihm und gieb vor, Du seiest ein bewährter Arzt. Wenn Du dann den
Kranken zu Gesicht bekommst, gieb genau acht, wo ich stehe, ob bei den
Füssen oder bei dem Kopfe. Siehst Du mich zu Füssen des Kranken
stehen, so kannst Du unternehmen, ihn zu heilen. Im Gegenteile muss er
sterben." „Und wie werde ich ihn heilen können?" fragte der Bauer.
„Koche die Kräuter, die Du - gesammelt haben wirst, und bereite daraus
für den Kranken ein Bad. Überdies werde ich stets um Dich sein, von
niemandem gesehen, denn ich bin der Tod." Kaum hatte der Fremde aus-
geredet, als er auch verschwand. Anfangs war der Mann betrübt, dass er
mit dem Tode Brüderschaft getrunken, allein die Aussicht auf neuen
Reichtum tröstete ihn bald. Er zog herum, dorfaus, dorfein, behandelte
viele Kranke glücklich und wurde auf diese Weise nicht nur berühmt,
sondern auch wieder reich, sehr reich. ICr trieb dies Geschäft einige Jahre
mit dem besten Erfolge. Endlich besuchte abei- — es geschah nicht so
schnell, wie ich es erzähle — , endlich besuchte einmal auch ihn der Tod
und sprach mit ernster ]Miene: „Dein Stündlein hat geschlagen. Du musst
auch sterben." Der Mann bat, flehete, weinte, schluchzte, und nicht ver-
geblich, denn Freund Tod vergönnte ihm noch eine Woche Lebensfrist.
Während dieser Zeit Hess sich der Mann ein Bett verfertigen, welches
nach allen Seiten in der Runde gedreht werden konnte. Die Woche war
zu Ende und der Jammermann legte sich mit Todesangst ins Bett. Alle
Hoffnun- gab er doch nicht auf; denn er glaubte durch das so eingerichtete
Bett dem Tode sein Geschäft zu verleiden. Der Tod kam wirklich, wie
er versprochen, und stellte sich bei dem Kopfe des ^lannes. Dieser drehte
das Bett und wies dem hungrigen Gaste die Füsse. Dieser trat wieder
an den Kopf, und der Mann drehte wieder das Bett. Beide, jeder in
seiner Art, zeigten sich recht geschäftig und ausdauernd. Der Mann hätte
seine Verteidigung nicht sobald aufgegeben, denn es war ihm um das
Leben zu thun. Der Tod war aber bald des Spieles, das der Mann mit
ihm trieb, satt, und rief:
„Mein Freund, dreh' hin, dreh' her,
Ich bin der Tod, komm her!"
streckte seine Knochenhand aus und der Mann starb.
420 Petak:
Die vorstehende kleine Sammlung- rührt aus dem Nachlasse des ,i;r.-or
Weltpriesters Alexander Popowicz her und dürfte vor etwa 50 Jahren
entstanden sein. Sie wurde mir durch den Sohn des Verstorbenen, Herrn
Bezirksschulinspektor Prof. Emilian Popowicz zur Herausgabe anvertraut.
Czernowitz.
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Luugau.
Von Dr. Arthur Petak in Klagenfurt.
Die im folgenden mitgeteilten Lieder stammen aus einer Handschrift,
welche sich gegenwärtig im Besitze des Herrn Karl Keldorfer^). Lehrer
zu S. Michael im Lungau befindet. Derselbe erhielt sie von einem Bauer
seines Ortes, dem sie als Erbschaft von einem Verwandten Namens Schlick
zugefallen war.
Sie ist auf 14 starken Blättern in Grossfolio geschrieben, die Blätter
sind mit einer Zwirnnaht verbunden. Die erste Seite enthält den Titel:
„Anton Schlick, Weyhnacht-Lieder" ^). welcher dann am Ende der dritten
Seite, nach dem ersten Lied wiederholt ist. In beiden Fällen ist die
Tinte verschieden von jener der Handschrift un<l bedeutend jünger. Anton
Schlick ist also nicht der erste Besitzer der Sammlung gewesen.
Im ganzen sind 15 Lieder enthalten. Das erste und das letzte sind
unvollständig, und deshalb sind nur die Anfänge hier wiedergegeben.
Jedem Lied ist die Melodie im Diskantschlüssel beigegeben, der Bequem-
lichkeit wegen haben wir die Noten in den Violinschlüssel übertragen.
Die Textzeilen laufen unter den Notenzeilen fort und zwar strophenweise
wie in den Gesangbüchern. Nur beim 14. Lied sind die letzten drei
Strophen selbständig angefügt, nach Verszeilen abgeteilt, wohl aus tech-
nischen Rücksichten, um mit dem zugewiesenen Räume auszukommen.
Die ganze Einrichtung scheint darauf hinzuweisen, dass es sich um
ein Liederbuch handelt, welches bestimmt war, beim Kirchengesange
Dienste zu thun. Irgend ein Regens chori wird dasselbe zum eigenen
Gebrauch oder im Auftrage angelegt haben; denn die Niederschrift stammt
von einem schrift- und musikgewandten Manne.
Die Sammlung stellt sich ähnlichen Texten ebenbürtig an die Seite
(Nachweisungen der Parallelen haben wir beigefügt).
1) D vselbe war so freundlich, mir dieselbe zur Veröffentlichung zu übergeben, wofür
ihm an dieser Stelle neuerdings der Dank ausgedrückt wird.
2) Das letztere Wort zweimal untereinander, das zweite Mal älteren Datums.
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau. 421
Bei dem Umstände, dass der Lungau, der südöstlichste Gau des Kron-
lands Salzburg, schon durch die Natur von der Aussenwelt abgeschlossen
ist, erhalten diese volkstümlichen Lieder eine erhöhte Bedeutung. Es
lassen sich unschwer da und dort Reste von alten Weihnachtsspielen er-
kennen, wenn Redende und Handelnde auftreten.
Der Text wurde im folgenden nicht fortlaufend wie in der Hand-
schrift wiedergegeben, sondern eine Abteilung in Verszeilen vorgenommen.
An der Rechtschreibung und den Satzzeichen wurde mit gutem Vorbedacht
nichts geändert; dafür wurden gewisse dialektische Ausdrücke und Wen-
dungen, welche nicht auf allgemeines Verständnis rechnen können, erklärt.
Was die Metrik anbelangt, so ist die Mannigfaltigkeit und der Reichtum
der Formen überraschend. 2 Lieder zeigen rein trochäische (H, VH),
3 rein jambische Form (I, HI, XH). Überwiegend ist die anapästische
Verszeile mit jambischem Anfang (IV, V, XHI, XIV, XV). Einmal (im
XL Liede) sind die Strophen zweiteilig, die erste Hälfte jambisch, die
andere (mit Halbzeilen) anapästisch. Die Länge der Strophen ist ebenso
verschieden; in der Regel sind dieselben 4 zeilig oder 6- (III, XIII), 8-
(VII), 10- (I, XII) zeilig. Interessant sind namentlich die 4 Lieder VI,
VIH, IX, X. Da dies zur Würdigimg der betreffenden Lieder von Belang
sein dürfte, mögen diese 4 Strophenformen hier folgen:
VI. VIIL IX. X.^)
Bezüglich der Melodien macht mich Herr Musikvereinsdirektor Reiter
in Klagenfurt, ein Kenner auf diesem Gebiete, darauf aufmerksam, dass
es durchwegs solche sind, die weniger auf liturgische als auf volkstümliche
Weisen zurückzuführen sind. Manche sind allerdings ohne besonderen
Wert, andere aber zeigen den ausserordentlich hübschen Stil der Kärntner
Volkslieder.
I.
Das fünfstrophige Lied ist in der Handschrift verstümmelt, wir geben daher nur die erste
Strophe des Textes.
Dieß ist der Tag von Gott gemacht. dem sproß,
Ich will mich herzlich freuen! Ist auch für mich geboren.
Auch mich hat heut der Herr bedacht! Vor seiner Krippe sink ich daü
Ich will ihm Lieder weihen. Und bette meinen Heiland an
Das Heil, das In Wohne ganz verloren.
1) In Zeile 1 und 2 ist der Daktylus nicht fix.
422
Petak :
IL
1. Kleines Kind-lein gros-ser Gott wie liegst da, es ist ein Spott.
=:frt:
=it:— [1=
<-
^ä^
Du l)ist ein so rei-cher Bur, rei-cher Bur; jetzt hast du kaum z'leben gnug.
Kommst herab vom Himmelssaal
Und liegst da im kalten Stall.
Wurden ja wohl Häuser seyn,
Häuser seyn,
Wo du könntest kehren ein.
Deine Handlein seyn so roth.
Wie ein Krebs ist nach dem G'sot
Und die Fuß seyn priegelstarr,
priegelstarr,
Daßs bald zum erfrieren war.
4. Wird mir in mein Haus oft kalt,
Waii ein weng ein Prost einfallt;
Heitz oft etla Scheiter ein,
Scheiter ein,
Was wollt Ochs und Esel seyn.
5. War kaum, warst a Bauernbur,
Often wollt ichs lassen zu.
War so viel nicht Heiglichs drum,
Heiglichs drum,
Walgen überall gleich um.
6. 'S Bett setz ich zum Ofen hin.
Sei für mich ein guter Sinn,
Schlaf in diesem ruhig ein, ruhig ein,
Bis mich nimst in Himmel ein.
Weit wertvoller als das erste Lied. Der treuherzige Volkstou schlägt überall durch.
Die Dialektform ist ohne besondere Änderungen aus dem Volksmunde übernommen. Eine
Einleitung, wie im ersten Lied, fehlt; das Lied setzt gleich mit der Anrede ein.
1. Str. Vgl. Str. 4 des ersten Liedes: gnug wird gnuä gesproclieu, reimt in der
Aussprache mit Buä. — 2. Str. Wurden ist die feststehende Dialektform für würden. —
3. Str. G'sot das Sieden; priegelstarr, starr (fest) wie ein Prügel (Holzstock). Hier fällt
die naturalistische Ansmalerei auf: sie entspricht jener kräftigen Empfindung, wie sie aus
sinnlicher Anschauung hervorgeht. — 4 Str. oft steht (in diesen Liedern sehr häufig
angewendet) für aft, aften, after, d. i. nachher. — 5. Str. War natüidich statt wäre. Die
1. Zeile heisst: Es wäre kaum (zu ertragen flu-, dich.) wenn du ein Bauernbub wärst,
heiglich, nach der Ausspräche, für heikel, walgen, wälzen. Der Sinn der Strophe ist:
Du bist ja kein abgehärtetes Bauernkind; denen schadete solches Kälteleiden nicht. —
6. Str. Dem Jesuskind wird das Bett am Ofen zur Erwärmung angeboten, eine gute
Absicht, nützlich für den Bauer, der in diesem Bett einst selig zu entschlafen hoffen darf.
[Vgl. M. Lexer, Kärntisches Wörterbuch, Leipzig 1862, S. 326, No. XXV. Schlossar,
Deutsche Volkslieder aus Steiermark, Innsbruck 1881, S. 115. Paüler, Weihnachtlieder
aus Ober-Österreich, Innsbruck 1881. I, No. 125.J
in.
i^i^Hü
p=p-
E
-^
üüg^i^gii^
Ich wais nit was heunt ist, dass ich heunt gar nit schlafen kann.
ich
-JH-
flaub es wird schon Tag oder scheint gleich so schön der
Mond? Bin
Alte deutsche Woihnachtslieder aus dem Lmigau.
423
'^^3.^k^€^^^^
erst a mahl vom Schlaf erwacht, han gmaint es sey erst Mit - ter- nacht und
'^^^^
scheint die Sonn so hell und schön nicht weit von Beth - le - hem.
Oft steh ich auf, leg d' Joppen an, 5.
geh außi auf die Wait,
Oft sieh ich halt, daß sich anfangt
die schönste Frühlingszeit;
Der Wind, der geht so hübsch und fein,
Die Vögel singen Groß und Klein
Der Gugu singt, daßs klingt im Wald
Und auch die Nachtigall.
Geh ich und weck mein Nachbarn 6.
auf den Stöfl'el und den Veit,
Da kam a schöner Engel her,
verkündet uns groß Freud:
Erfreuet euch, ihr Hirten all,
Gott ist kommen vom Himelssaal,
Geborn zu Bethlehem im Stall,
Wohl weg n den Adamsfall.
0 Engel, sag: wie heißt das Kind, 7.
Vater und Mutter sein?
Der Engel sprach: Herr Jesu Christ,
Maria Mutter rein;
Nährvatter ist ein alter Mann,
Heißt Joseph, bet't das Kindlein an,
Liegt in ein schlechten Krippelein
Bey Ochs und Eselein.
8. Jetzt komt ihr Sünder Groß und
Und grüßt das kleine Kindelein,
Jetzt gehma halt in Gottesnahm, wir
habn schon große Zeit,
Dem Rind nehmen wir a was mit,
was enk an jeden g'freut.
Der Stoffel hat a Lampel hier,
0 Veit, nini Milch und Eyr mit dir!
Ich nim Butter und Mehl schneeweiß.
Davon kriegts Kind a Speis.
Jetzt komen wir mit Freuden her,
Joseph, Maria mein.
Wir bitten enk zu tausendmahl:
zeigts uns das Jesulein I
Wir hab'n halt a a schlechte Gab,
Damit das Kind was z' essen hat.
Es seyn halt a ganz schlechte Gab'n,
Weil wir nichts Bessers habn.
0 sey gegrüßt zu tausendmahl,
0 Jesu göttlichs Kind!
Wir bitten dich recht ohne Zahl:
verzeih uns uns're Sund
In unser letzten Sterbenszeit!
Kom führ uns in die ewig Freud,
Daß wir dich loben allezeit,
Wohl gar in Ewigkeit.
Klein, nach Bethlehem in Stall,
dankts ihm zu tausendmahl,
Dass er vom hohen Himraelssaal,
Ist kommen zu erlösen all'.
So b'hüt enk Gott und bleibts fein gsund.
Wir gehn nach Haus jezund.
Ein Hirte erzählt, also epischer Charakter im Gegensatz zu den beiden ersten Liedern.
Am wichtigsten ist die Einkleidung. Wie die niederländischen Maler Joseph als hollän-
dischen Zimmermann und die Hirten im Stile der Zeitgenossen darsteliteu, so wird hier
(und überhaupt im volkstümlichen Weihnachtsliede) die Anbetungsscene im Kostüme des
Gaues vorgeführt.
1. Str. Alle Silben mit ie werden als ier gesprochen: schlaffen, die Länge wird im
Dialekt gekürzt. Charakteristisch ist der Reim schön und Bethlehem, desgleichen kann
und Mond, was im Dialekt Man gesprochen wird. — 2. Str. Oft = aft, nachher. Nach der
unruhigen Nacht sieht der Hirte die Welt im Frühlingsglanz. Gugu nach der Aussprache, Z.5/6
unreiner Eeim. — o. Str. Man beachte hier und in der folgenden Strophe die Verwendung
der Schriftsprache beim Gespräch mit dem Engel, in Nachwirkung der dialektfreien Bibel.
424 Petak:
Die versetzte Betonung in Z. 4 zeigt, dass es hier einzig und allein auf die Melodie ankam.
Solche Freiheiten, besser gesagt, Unempfindlichkeiten gegen den Satzton sind bekanntlich
ein charakteristisches Merkmal der Volkspoesie. — 4. Str. Aus der unverstandenen Liturgie
stammt der Vokativ Jesu Christ in Z. 2 statt des Nominativ. — 5. Str. grofse Zeit für
hohe Zeit; enk euch: Lampel ein junges Lamm. Z. 5 versetzte Betonung. Volkstümlich
die Auswahl der Hirtengeschenke. — 6. Str. Z. 3 fällt durch den Reim (Gab — hat), wo
der Konjunktiv hab reinen Reim herstellt, und durch die Übereinstimmung mit Z. 5 auf.
— 7. Str. Recht volkstümlich ist der Ausdruck „recht ohne Zahl". — 8. Str. Hier wie in
der 7. Strophe zeigen die beiden ersten Zeilen Cäsurreim. fein ist im Dialekt als Adverb
gäug und gäbe für steigerndes recht. Der Schluss ist etwas gewaltsam. Bedenklich ist die
Echtheit der letzten Zeile, denn das Volk spricht nie jezund, sondern: jezernd.
[Vgl. Pailler Nr. 256.]
IV.
JE|E£ii^^g|Tf^;^^P^^=^^t3^g^^
1. Viel Glück raei-ne Hir-ten seyd mun - ter und wacht, ihr dürft euch nicht
--f^
-*
i^^^mmm^^^ ■
fürchten wanns gleich Mitter-nacht, ihr habt ja vernom-men die eng - li - sehe
Stimm, steht auf und geht ei - lends nach Beth - le - hem hin.
2. Ihr meine drey Hirten, merkt auf! es ist werth.
Ein so schöne Musik hat man niemahls g'hört.
Es heißt in der Höhe: Gott seye die Ehr,
Fried auf Erd den Menschen! Was woUn wir daii mehr?
3. So gehts, meine Hirten, und eilet nur gschwind,
Dieweil es euch heunt von dem Engel verkündt.
Kein einziger Mensch hat heunt Nacht so viel Ehr;
Weil er auch schon war ein großmächtiger Herr.
4. Wir wolln dem Rath folgen, und aufmachen rund,
Nach Bethlehem gehen; Was ist den ein Stund?
Ein Lain wäll ich nemen, nemt ihr was ihr wollt:
Leer mag ich nicht köiSen, weils gar arm seyn soll.
5. 0 schauts meine Nachbarn, dort liegt schon das Kind
Eing' wickelt im Krippel, wies uns ist ankündt;
Sein Mutter darneben, die kniet auf der Erd;
Der Pflegvater neigt sich, das Kindlein verehrt.
6. Jetzt, da wir ankomen, so wolln wir vor all'n
Alldrey ganz demüthig auf d' Knie niederfaUn.
Wir grüßen von Herzen dich, goldenes Kind,
Und bitten zugleich: Ach verzeih uns die Sund!
7. 0 mein herzigs Kindlein, nim an meine Gab'!
Das einzige Lammlein, weil ich sonst nichts hab .
Wir wollen dir dienen alldrey jederzeit:
Gieb uns nur dort einmahl die hihilische Freud!
Alte deutsclio Weihnachtslieder aus dem Lungau. 425
Das Lied zeigt Ähnlichkeit mit dem vorangehenden. Die 3 Hirten treten wieder
auf. Man kann deutlich zwei Teile unterscheiden; der Engel treibt die 3 Hirten an, nach
Bethlehem zu gehen (Str. 1—3), der Führer (wie im dritten Liede) antwortet und schildert
den Besuch (St. 4—7).
1. Str. seyd munter und wacht, Anklang an die Bibel; die englische Stimme wie
der englische Gruss. — 2. Str. zeigt ebenso wörtliche Anklänge an die hl. Schrift. Z. 2
und 4 haben versetzte Betonung. — 3. Str. heunt gebraucht die Hschr. ebenso oft als heut.
— 4. Str. rund, geschwind, Schmeller, B. Wb., 2, 118'1 In der zweiten Hälfte der letzten
Zeile ist natürlich das Jesukindlein Subjekt. — 5. Str. Typische Situation im Stall. —
6. Str. alldrey ist hier ein Wort, nach Art der alten Zusammensetzimgen mit all. —
7. Str. "Wieder die treuherzige Entschuldigung wie im dritten Lied.
V.
1. 0 Mensch sieh die Grösse der Wohl-tha - ten an. Und was doch die
^^^^ms^^^^^^^^^^0''
gütt - li - che Lieb zu uns kann. Sie zieht vom Hirn - mel Gott
gj^jggELfE^g^J^^^fjg^gü^^^
selbst auf die Erd. Ist denn der Sündenmensch die- ses wohl werth.
2. Nun sieh und erstaune, dan sage mir auch:
Ist dafi nicht auf Liebe die Liebe der Brauch?
Rufft nicht ein Gutthat ein andre dafür?
Sind wir erkennlich nur? Das sage mir?
3. 0 undankbares Bethlehem, schäme dich doch!
Was Neues dein Heiland erfahren muß noch? .
Er will dich führen ins himmlische Haus
A^on deinem irdisch und weltlichen aus.
4. 0 seht seine Mutter, die göttliche Braut!
Wie diese mit Thränen die Häuser anschaut!
Wo man auf Bitten kein Mitleiden trägt.
Und ihr ganz drocken die Herberg abschlägt.
5. 0 Menschen, b Himmel! weit fählt ihr im Lauf.
Warum nemt den Herrn ihr als Seine nicht auf?
Er wird verwiesen hinaus vor die Stadt,
Wo kaum das Vieh einen Unterstand hat.
6. 0 sind den die Menschen verwandelt in Stein?
Und läßt den der Sünder den Heiland nicht ein?
Fällt deii die G'sundheit dem Kranken so schwer?
Und will der Sterbende leben nicht mehr?
7. Nun komme, o Heiland! ach kome zu mir!
Bey mir flndst du allezeit offene Thür:
Zieh in meine Wohnung, genieße mein Kost!
Und füll mein Herz an mit Hoffnung und Trost
426
Petak:
Dieses Lied klagt über die Verblendung der Einwohner Bethlehems, welche Maria
mit dem Kinde keine Herberge gaben. Der stark reflektierende, belehrende Inhalt hat
übrigens mehr Prediger- als Volkston,
1. Str. dann vertritt zugleich denn — 2. Str. auf Liebe soviel als: gegenüber
solcher Liebe, erkennlich statt erkenntlich, die Volkssprache braucht dieses Wort nicht.
— 3. Str. Unter Bethlehem sind die Einwohner der Stadt gemeint. — 5. Str. fählt der
Aussprache gemäss, sowie nemt. — G. Str. Die Menschen, welche Jesum nicht aufgenommen
haben, haben nicht nur ein steinernes Herz, sondern sie gleichen auch dem Kranken, der
die Gesundheit fortjagte, dem Sterbenden, der das Leben verschmähte; denn die sündigen
Menschen könnten vom Heiland Rettung und das ewige Leben erlangen. Diese Gedanken
weisen deutlich auf den Predigerstil. — 7. Str. Die Nutzanwendung, die der einzelne
machen soll, indem er sich Gott hingiebt.
[Verwandten Inhalts Pailler No. 4.]
YI.
I. Schau mein Bur schau grad zu, geh nur her - ein. Ich hab ein
mMm^^^wjm
En-gel ghöit, mein was be - deu-ten werd? Ey was niuss's sein?
Schau nur! sie komen schon
zu uns herab
: Sie singen Fried und Freut:
Daß uns geboren heut
Ein Kind, im Stall. :
Schau mein Bur, schau grad zu!
siehst du ja da!
i: Ist wohl ein herzigs Kind,
Liegt in der Krippe drin,
Erfriert schir gar. :
Gehma nur zuhi bos,
daß wirs recht sehn,
: Ruck dein Hut, zuck dein Fuß
Und leg fein ab ein Gruß,
Fall ihm zu Fuß!
5. Mari, die Jungfrau rein
soll seyn geehrt!
\: Weil sie im kalten Stall
Das Kind geboren hat,
Das uns erlöst. :
ti. Tausendschöns Himmelskind!
noch eins ich bitt':
;: Waü uns der Tod angreift,
Treib ihn von dannen weit,
Verlaß uns nicht! :
7. B'hüt dich Gott, Tausendschatz!
jetzt reis' ich ab.
': B'hüt dich Gott, bleib fein gsund,
Daß uns der Höllenhund
Nit schaden mag! :
Durchaus volkstümlicher Ton: auch ist das Lied trotz der knappen Form rhythmisch
und melodisch stark bewegt. Der Inhalt ist wieder der typische: Zwei Hirten besuchen
das Kind im Stall.
1. Str. Mein! bekannter Ausruf der Verwunderung statt: Mein Gott! Die Gegen-
überstellung eines mutigen und zaghafteren Hirten kehrt in den Liedern oft wieder. —
3. Str. Man beachte die jedesmalige Aufforderung in den ersten drei Strophen: Schau
mei Bur. Schliesslich schwinden die Bedenken des anderen und es folgt in den nächsten
Strophen der Akt der Begrüssung. gar in der letzten Zeile hat die alte Bedeutung: völlig,
ganz. — 4. Str. bos für bass, besser; zuhi für Schriftdeutsch: hinzu. Z. 3 Ruck dein
Hut .... ohne Auftakt. — 5. Str. Abweichend von anderen Liedern wird hier zuerst
Maria angebetet. — 6. Str. 1, 2 volkstümlicher Ausdruck; 3, 4 der Heiland soll gegen
den Tod schützen, in Str. 7 gegen die Hölle. — 7. Str. Die ersten Verse sind aus eiuem
weltlichen Volkslied herübergenommen.
Alte deutsche Weilmachtslieder ans dem Lungau.
427
VII. Die aeternae memoriae.
1. Mein! wie kunt ich enk er - zäh -Jen ei - ne Gschicht und neu - e
:i=di
<^_.
^
Mahr? Wie ich hab zum Vieh g'ehn wöl-len, da wars doch so
wun-der-rar! Hat die Uhr erst zwöl-fe gschlagen, und es war schon
m^^mm
-^■=.x
lieh - ter Tag. Kein Mensch kunt mir das recht sa - gen, was mein
Kopf nicht fas - sen mag.
I sah unt beim alten Stalle
Einen Glanz so lieblich schön,
Hörte laute Musik-Schalle,
Das Ding kont i nit verstehn.
Kaum hab i mich recht erquicket
Auf dem weiten Haidefeld,
Hat ein Engel mich erblicket,
Und hat mirs erst recht erzählt.
Als ich dan das Ding verstanden,
Gieng ich flugs zum Kindlein hin;
Ochs und Esel war vorhanden
In dem alten Stalle drin.
Sey gegrüßt zu tausend mahlen,
Schönstes Kindlein in dem Stall,
Wir dir all zu Füssen fallen.
Weil du komst vom Hirnelssaal.
Du willst hier schon für uns leiden
Große Kälte, Frost und Wind,
Bringen uns die Hifnelsfreuden
Und vertilgen auch die Sund.
0 du König aller Herren,
0 du wahrer Gottessohn,
Uns den Seegen wollst bescheren!
In dein Nahm geh ich davon.
Ein Hirt erzählt seine Erlehuisse in der heil. Nacht. Die über die erste Noteuzeile
geschriebeneu lateinischen Worte Die aeternae memoriae unterstützen die Yermutung eines
g-ebildeteren Schreibers ebenso, wie die mitunter drolligen Wiedergaben der Aussprache
und kleine Missverständnisse an verschiedenen Stellen der Handschrift eine nicht immer
ganz genaue Kenntnis des Dialektes verraten.
1. Str. Er sagt, ich könnte euch erzählen, erzählt aber auch gleich. Das ist echter
Volkston. Auch sonst ist die schlichte Denkungsweise und das ratlose Erstaunen gegenüber
dem wunderbaren Sonnenschein der Mitternacht sehr gut zu erkennen. Charakteristisch
für den Lokaldialekt ist wollen. — 2. Str. Er spricht vom alten Stall als von einem allen
Zuhörern bekannten Ort. unt - unten. - 3. Str. Nach Z. 4 ist zu ergänzen: wie es der Engel
erzählt hatte. Von Z. 5 bis zum Schluss des Liedes reicht die Aussprache, unvermittelt an-
geschlossen, wie es Brauch des Volksliedes. Der Hirnelssaal ist behebt in dieser Sammlung.
— 4, Str. Tu Z. 7 ist ein Wunsch ausgesprochen. Die Form wollst ist zu beachten.
Ferner hier wieder Kindheit und Gottheit verschmolzen.
428
Petak:
VIII.
Ei:
^=?
1. still, still, still, wans Kindlein ru-hen will. Die En -gel thaint schön
itit:
E
mu - si - cie - ren und beim Kripplein ju - be - lie
still.
still, wans Kindlein ru - hen will.
2. Schlaf, schlaf, schlaf, mein liebes 5. Groß, groß, groß, dein Lieb ist
Kindlein, schlaf!
Maria thut dich niedersingen,
ihre reiche Brüst darbringen.
Schlaf, schlaf, schlaf, mein liebes
Kindlein, schlaf!
Auf, auf, auf, ihr Adamskinder, auf!
Und fallet Jesu all zu Füssen,
weil er unser Sund will büssen.
Auf, auf, auf u. s. w.
G'schwind, g'schwind, g'schwind,
anbettet 's liebe Kind!
"Wir wollen ihm ein Jubel singen,
unser Herz zum Opfer bringen.
G'schwind u. s. w.
übergroß !
Du hast den Himelssaal verlassen,
und mußt reisen fremde Strassen.
Groß u. s. w.
Wir, wir, wir, wir ruffen all zu dir.
Da, waii wir alle sterben müßen,
thu uns s Himelreich aufschließen!
Wir, wir u. s. w.
Wari, waii, waii, wir kohien vor
den Thron,
Zertritt die böse Höllenschlangen,
lasse uns dan Gnad erlangen!
Wan u. s. w.
Es tritt wieder ein Wortführer auf. Er wendet sich bald an die Volksgenossen
(Str. 1, 3, 4), bald an das Jesukindlein (Str. 2, 5, 6, 7). Der Inhalt ist wieder eine ge-
drängte Darstellung der Anbetung in der hl. Nacht. Beachtenswert ist der ausserordentlich
bewegliche Rythnius des Liedes, das man auch sonst zu den besten der Sammlung
rechnen darf.
1. Str. Über die Form thaint = thuent, thun vgl. Weinhold, Bayrische Grammatik,
§ 301. Was die Situation betrifft, so ist zu denken, dass die Hirtenschar noch auf dem
Felde ist. Durch die Verkündigung des Engels weiss sie schon von der Geburt des Kindes.
— 2. Str. Sie kommen näher und sehen, wie Maria das Kind stillt und einschläfert. Sie
lagern sich in scheuer Ehrfurcht. — 3. Str. Das Kind ist bereits erwacht, darum springen
alle auf den Zuruf des Wortführers auf. unser Sund ist plur. — 6. Str. Die Gaben fehlen
hier; an das Motiv des Elends im Stall schliesst sich gleich die ebenso typische Bitte um
ein seliges Lebensende.
[Vgl. Aug. Hartmann, Volkstümliche Weihnachtlieder, Leipzig 1884, No. 107. M. V.
Süss, Salzburger VolksHeder, S. 30. Die Melodien bei Hartmann und Süss weichen ab,
lassen aber auf eine gemeinsame Grundweise schliessen.]
IX.
?Eg
:i^^:
1 . Nächst bin ich gan - gen spa - zie - ren auf Gassen und bin gang
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau.
429
£e5e^
it:
:t=t:
schaan wie es üeht auf der Welt, da ha-bens im Himel viel En-gel aus-
m=i3Ei?Hlzg
1
gelassen, köiiien a zwei a drei Hundert zu mir. Thaint ja schön
^^^^l=?=ii='=^i
:^^
sm - ga
al - 1er - lei Stimma Ju - he Tic - to - ri
Ex - cel - sis
l^^-
i:^ii^^i
t--±~]==^
glo - ri - a, das gfiel mir a.
2. Allerhand Musikspiel thaint sie aufmachen,
Was zu erdenken ist, recht wunderschön,
Daß ein das Herz recht vor Freude möcht lachen,
Wie wirds den oft erst im Himel zugehn!
Der alte Jodel
Fangt an a z prodeln.
Sagt liebe Brüder mein, was muß das lauter seyn,
Daß so thaint schreyn?
'6. Als ich hab reden wöUn, ist einer köma,
Der sagt: ihr Hirten erfreuet euch all!
Messias hat für uns Menschheit angnoinen.
Und liegt zu Bethlehem in einem Stall,
Lampel und Kützel,
Seme) und Stritzel,
Aepfel und was wir hab'n, dass wölln wir klauben zam
Für Gottessohn.
4. Buema, waii das soll seyn, thut nicht verweilen
Zu suchen dieses Rind, säumt euch nit lang,
Springts nur was köots und mögts, thuts nachieilen.
Das wir es finden, es sey uns nit bang!
Thuts was mitnehma,
Ist a viel schöna,
Begrüßt das Kindelein, das in den Windelein
Ist g'faschet ein.
5. Grüßet das Jesulein, herziges Kindlein,
Wie bist du so veracht im Krippelein,
In schlechtem Heu und Stroh, in z'rißnen Windlein
Lieget das Kindelein gefaschet ein.
Nim an die Gaben
Die wir da haben.
Laß dirs befohlen seyn die armen Gaben mein,
0 Jesulein!
430
Petak:
Die Ereignisse werden als auf einem Spaziergange eingetreten erzählt; der Dialekt
ist sehr ausgeprägt, die Darstellung äusserst lebendig, der Volkston durchaus glücklicli
getroffen.
1. Str. Der Anfang ist wie von einem weltlichen Volkslied stammend. Man beachte
die harmlose Naivität in Z. o. Thaint = thuent. Die Zeilen 5 und 6 reimen in Str. 1, 2, 4
durch Assonanz. Nicht zu übersehen ist die Einmischung von bekannten liturgischen
Formeln in Z. 6 und 7. — 2. Str. oft = aft. Z. 6 prodeln, lebhaft werden, unruhig sich
geberden. Z. 8 lauter, hier etwa = doch. Schmeller P, Ibo'J. — :>. Str. Drei Personen
treten also auf: der Erzähler, der alte Jodl, dem der Erzähler antworten wollte, und ein
Engel, der in Str. .") die Botschaft bringt und zur Darbringung von Gaben auffordert.
Kützel, besser Kitzel, junge Ziege. Die drei Endungen hab'n (besser han), zam (zusammen),
Sohn geben im Dialekt einen ganz erträglichen Reim. — 4. Str. Nun wiederholt der Er-
zähler die Aufforderung zur Anbetung und Gabendarbringung, aber in volkstümlicherer
Derbheit. Buema giebt den Dialekt nicht genau wieder (Buäma): einfaschen, einfatschen,
einwickeln. — 5. Str. Der Erzähler giebt den Spruch bekannt, mit welchem jeder das
Jesukiudlein begrüssen soll. Nach Grüfset das Jesulein ist also Doppelpunkt und An-
fülirungsz eichen zu denken. Im Tone des Volksliedes ist der Wortlaut von Z. 7, 8 der
frühereu Strophe hier wieder aufgenommen und erweitert. Und so fällt denn Z. 4 aus
dem Ton der Ansprache heraus.
[Der ganzen Anlage nach ist das Lied bei Aug. Hartmann, Volkstümliche Weihuacht-
lieder, No. 84: „Ich ging einmal spazieren durch einen grünen Wald" verwandt.]
1. In Ju - de - a der Da - vids-stadt, was sich dor - tan
be - ge - ben hat:
ein En - gel mir verkündt,
ich soll - te
m^^^^i^^=ms=m=^^mm
ei-len gschwind. Ich er - wach und folg sei - nem Rath.
Ich fand mich zu Bethlehem ein,
Liegt ein Kindlein im Stalle fein;
Weinet gar bitterlich,
Ich glaub, es weint für mich.
Und ich glaub, Messias mußs seyn.
Viele Engel singen dort schon,
Schöner als bei Salonons Thron,
Singen das Gloria
Und musicieren da;
Sie verdienen göttlichen Lohn.
Viele Engel machen ein Kreis
Musicieren mit größtem Fleiß:
Michel und Gabriel
Verwundern meine Seel.
Es ist lauter Jubel und Preis.
Liegt ein Kind lein im Mutterschoos
Ohne Windlein nackend und bloß,
Sie schauts starreben an
Bindt ihm die Handlein zsam,
Dan ist Schlaffen sein Trost und Loos.
Schlaft das Kindlein ein kleine Zeit
Und erwachet zum Himelsstreit;
Es ruft sein Vätern an
Eh' als es reden kann;
Es ist schon zum Leiden bereitt.
Endlich fall ich nieder vor dir.
Und die Zäher fließen herfür;
Vor ihm ist Furcht mein Sin,
Weil ich ein Sünder bin.
Liebes Kindlein Verzeihe mir!
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau.
431
1. Str. Der Erzähler hat die Ereignisse von Bethlehem durch einen Traum erfahren.
— 4. Str. Interessant ist der transitive Gehrauch von verwundern. — 5. St. In dieser
Strophe erhebt sich die Darstellung zu volkstümlicher Einfachheit und schlichter Gewalt.
Das Elend des Kindes erscheint in seiner wahren Grösse durch den stummen Jammer der
Mutter. Starreben, gleichmässig starr, auffallende Bildung statt ebenstarr. Z. 4 soll wohl
das Falten der Hände bedeuten, wie es Mütter den Kindern zur Nachtruhe zu thun pflegen.
— 6. Str. zeigt im Gegensatz zur 5. Strophe viel Gesuchtes im Ausdruck. Z. 3. 4 malen
etwas aus, worüber sonst hinweggegangen wird, ohne den Widerspruch zwischen Gottheit
und Kindheit zu berühren. — 7. Str. Zäher, alte Form für Zähren.
[Vgl. Pailler No. 138.]
XI.
1. Auf auf mei-ne Nachbarn, was schlaft ihr so lang? Ich hör schon lang
1. Auf auf mei-ne Nachbarn, was schl;
?^£s=^
sin-gen a lieb - lichs Gesan
i kanns nit vernehmn, was etwi
^^^^^E^^^^^^^^
sein, was etwa muss sein? Ist doch der Himmel um und um voll
Schein. Was ist wer schreyt, der kein Ruh geit? Lasst uns mit Ru - he
schlaffn allhier bei unsern Schafen, hier bei unsem Schafen. Wir
I
-sen schlaf - fen.
A Knab ist ankommen, er ist ja voll Schein;
Was wollt unser Kaisrin : ihr junger Bur seyn? :|
Er singt ja so fröhlich und sagt: Gloria,
Ey meine Hirten! stehts auf von der Strah.
Auf, auf und singts, vor Freude springts.
Wir haben schon vernehmen, warum daß er ist komen,
daß er ist komen.
Ein Engel verkündt uns all Hirten zugleich.
Daß Gott a ist komen !: vom himlischen Reich, :
Will Menschheit annehmen für uns Sünder all.
Er ist geborn zu Bethlehem im Stall.
Juhesa, laufts! hebts Fuß hoch auf,
Wir wollen was mitnehmen,
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899.
Das wir nit lar hinkommen
Und bald o^t gehma!
29
432 Petak:
4. Gott grüß dich, mein Jesu! ist das dein Pallast?
Wir fallen zu Füssen : als sündiger Gast, :■
Wir woUn dir verehren ein Opfer ganz klein.
Du weißt wir arme, arme Hirten seyn.
Nun sey Gott Lob, seyn wir [froh] darob,
Daß wir dich haben g'funden, in Windlein eingewunden
Und Gnad gefunden!
5. Du Joseph, Maria, gib Achtung aufs Kind!
Und du, o mein Jesu! i: verzeih uns die Sund! :
Wir müssen austreiben, es ist nun schon Zeit.
So b'hüt dich, Jesu! bis in Ewigkeit.
Jetzt leg'n wir ab die Hirtengab.
Wir müßen von dir scheiden und können nit da bleiben
Dir Zeit vertreiben.
Die ersten vier Zeilen jeder Strophe spricht immer der Wortführer, das übrige d^r
Chor der Hirten. So ergiebt sich eine Lebendigkeit der Darstellung, bei welcher auch
die Handlung rasch fortschreitet.
1. Str. Der Wortführer weckt die Nachbarn, weil er mitten in der Nacht Gesaug
hört und den Himmel leuchten sieht. Jene aber wollen ruliig weiterschlafen, geit, noch
wie im Mittelhochdeutschen (git: geit). — 2. Str. Eine Vermutung, wer unter der Kaiserin
gedacht war, lässt sich schwer aussprechen. Man könnte an Maria Theresia denken; das
Lied kann jünger, aber auch älter als der österreichische Erbfolgekrieg sein. Strah, die
Streu, das Lager. — Auf diese Nachricht hin erheben sich alle, der Prophezeiungen
eingedenk, — 3. Str. Aus dem Munde des Wortführers erfahren wir, dass nun ein Plngel
allen Hirten verkündet, der Geborene ist Gottes Sohn. Da ernmntern sich alle gegenseitig,
nach Bethlehem zu eilen und Gaben mitzunehmen, a in Z. 2 steht hier vielleicht nicht
für auch (wie gewöhnlich), sondern für ab, herab. Z. 5 lär, leer. — 4. Str. Die ganze
Hirtenschar ist bei der Krippe angelangt, Der Wortführer begrüsst das Kind, die übrigen
freuen sich, den Heiland gefunden zu haben. Li Z. 5 seyn wir darob ist froh zu ergänzen,
wie der steirische Text lehrt. — 5. Str. Der Führer bittet noch die Eltern, das Kindlein
wohl zu behüten, dann reichen sie die Geschenke dar und nehmen alle zusammen Abschied.
Zu Z. 3 ist zu denken, dass es inzwischen Morgen geworden ist; austreiben, die Herden
auf die Weide hinaus treiben. In Z. 4 ist über in Ewigkeit ein die geschrieben, was das
Metrum verletzen würde. Die letzten 3 Halbzeilen zeigen starken Anklang an weltliche
Volkslieder.
[Vgl. Schlossar No. 32. Lexer, Kämt. Wörterb., Sp. 307 f. — Lieder ganz verwandten
Inhalts sind zahlreich vorhanden.]
XIL
Sligi^l^^Lf^^^li^i^^
l. Es blü - hen die May - en bei kalter Win-ters - zeit. Ist
m^^^^"^
■-^^^^'^'.^-,,^1:
al - les voll Freu - den auf un - ser Schäffer - waid. Und
al - les ist in schönster Blüh' die Nacht bringt süssen Gruch herfür. Viel
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau.
433
i=^=
m
singen,
:1=
:|:
gen, die Flau - ten bla-sen, Harpfen schlagn, und
^f3^=l
ich kann es nicht alls da sagn, was sich alls zu hat tragn.
Heut ist uns geboren
Der Heiland dieser Welt,
Und Gott ist Mensch worden,
Wie eine Stirn vermeldt.
Es schreyt die schöne Nachtigall,
Ich sieh vom Hifnel einen Strahl
Von Fern auf die Erd.
Es steigt die Son vom Himels-Saal
Und neiget sich auf einen Stall.
Die Engel singen all.
Ein Kindlein in Windlein,
Es liegt auf einem Heu
Eing'wickelt in Windlein,
Zwei Thiere sind dabey.
Sie schnaupfen seine Füßlein an,
Daß ihm der Frost nicht schaden kaf
Laß seyn dein Weinen.
Ist in der ganzen Stadt kein Ort,
Daß Gott ein' Herberg hätte dort?
5.
Laß sehen, was g'schehen.
Daß ich in voller Freud
Dich einmal werd' sehen
In deiner Herrlichkeit.
Du wirst einmahl mein Richter seyn.
Und ich werd' dir zu gring erschein.
Nun wein'st du für uns;
So gieb mir heut noch wahre Reu,
Weil noch die Zeit der Gnaden sey.
0 Rindlein steh mir bey!
Ach, ruhe! ach, schlaffe.
Du allerschönstes Kind!
Ach wache und mache.
Verzeihe mir die Sund!
Es ist ja heut die letzte Nacht,
Daß ich in Sünden gschlaffen hab.
Ich will nun büssen
Ein Zähervoiles Angesicht.
0 liebes Kind! verlaß mich nicht,
Waii jener Tag anbricht.
0 welche Schand und Spott!
Der Charakter des Liedes ist rein lyrisch; die Geiühle des einzelnen in der hl. Nacht
und an der Krippe kommen zum Ausdruck. Volkstümlichkeit in der Sprache und den
Gedanken macht das Lied wertvoll.
1. Str. Die Welt im Frühlingsglanze. Mayen, Maiblumen. Flauten, Flöten. Die
Form Harpfen herrscht im Dialekt. Assonanzreime (Z. 1, 3, 5, 6) zweimal. — 2. Str. Die
bewegte Stimmung des Hirten wird gesteigert. In Z. 7 versetzte Betonung. Wieder
Assonanzreim (Z. 1,3). — 3. Str. Das Kind im elenden Stall weckt tiefes Mitleid, schnaupfen,
sehr seltene Form für schnaufen. Eind und Esel, die beiden typischen Tiere, an Jesu
Krippe. Von Z. 7 bis zum Schlüsse des Liedes die Anrede an das Kind. Z. 10 hat Asso-
nanzreim. — 4. Str. Vieles ist hier formelhaft. — 5. Str. Typischer Abschluss mit dem
Hinweis auf das jüngste Gericht. Wieder Assonanzen statt reiner Eeime.
[Vgl. Aug. Hartmann, Weihnachtspiel und -Lied, S. 73. Pailler No. 105.]
XIII.
Gott grüss enk bei - sam-ma verzeihts mir die Frag! Kens nit von ain-
ists Nacht o - der Tag.
Wie dass man denn heunt kei - nen
29*
434
Petak:
ten noch sieht, und ist jetzt bey enk da so
lieh und licht.
Es niiut mich groß Wunda,
Daß ihr meine Leuth
Im Stall da jetzunda
Beysamen da seyd:
Mein, sagt mir: was fällt enk im
AVinter jetzt ein.
Daß ihr mit dem Kind in der Rält
da mögt seyn?
Kaust dus kaum darleiden,
Du steinalter Greiß!
Hast Haar als wie Seiden
Hübsch w^enig schneeweiß.
Du Mutter! bist a ziinla zart und
so fein:
Karist a von kan Hirt oder Bauern-
g'schlecht seyn.
Ich bleib dafür da da,
Weils Rind so schön lacht.
0 Vater! o Vater,
Gieb du fein recht Acht!
Waü dus recht erziehst, so wirds
werden zum Herrn,
Ein schriftg'lerter Man muß ein
Richter draus wern.
Hätt ich es vernohma
Und eher betracht,
Hätt ich für die Kälte
Ein Kleid mitgebracht;
Ich hätt vor die Kalt von ein Kützel
a Fehl;
Zum Essen fürs Kind auch ein Ey
und ein Mehl.
Thuts enk nit lang sama
Und eilts fein a wenk,
Gehts hin in mein Kamer,
Neints Kindel mit enk,
Geh, Mutter nims Kindel hinauf auf
die Arm,
Bey mir ists schön eing'heitzt, auch
windstill und warm.
Waüs soll dazu köina,
0 herzig liebs Kind!
Zu dir thu mich nehma,
Und laß mich nit hint;
Thu mich nit verdamen und denk
nur fein dran,
Daß ich dich beim Krippel drum
betten schon hau.
Unser Lied erhebt sich über die anderen durch eine gewisse Selbständigkeit. Ein
Hirte kommt nämlich zufällig in der hl. Nacht zum Stall und findet hier zu seiner
Überraschung die Eltern, Jesum und die Hirten.
1. Str. Die Nacht ist zum Tage geworden und hat ihn verwirrt gemacht. In Z. 4
hat die Hs. Ists Tag oder Nacht. Z. 1 und 3 Assonanzen. — 2. Str. Z G Meiu, wie VI, 1.
Die vielen da und das enk (für: euch) deuten auf die Alltagssprache des Volkes. — 3. Str.
Seine besondere Verwunderung erregen Josef, der alte Mann, sowie die Mutter, därleiden,
erleiden. Das Greisenhafte an Josef ist wieder ein selbständiger Zug unseres Liedes,
zimla (ziemlich). — 4. !Str. Das Kind gefällt ihm ausserordentlich, es lacht; der Vater
soll dasselbe beschützen, da da klingt im Dialekt däder (dahier). — 5. Str. Er bedauert,
dem armen Kinde nichts gegen die Kälte mitgebracht zu haben. Z. 1 und 3 sind hier
reimlos. ~ 6. Str. Er ladet die hl. Familie ein, zu ihm zu kommen, sama, säumen,
a wenk, ein wenig. Vgl. zu dieser Strophe II, 6. — 7. Str. Das Kind möge ihm das
einst vergelten, ich hann, alte Form, betten, part. perf. ohne Präfix ge, nach alter Weise.
[Das Lied ist ein sehr verbreiteter Weihnachtgesang, vgl. A. Hartmann, Volkstüml.
Weihnachtlieder, No. 128. Tschiska, Österreich. Volkslieder, 2. A., S. 42. Pailler No. 181.
Schlossar S. 98. Lexer Sp. 315.]
XIV. Am Tage der hl. drey Könige.
1. Schau schau lie - ber Nachbar, was körnen für Leut? Ich mein's sind Sol-
Alte deutsche Weihnachtslieder aus dem Lungau. 435
da-ten, sie haben gar weit. Viel rei - ten, viel fah-ren, die meisten thun
gehn, drei sind gros-se Her - ren, sind möglich gar schön.
2. Ja wahrla, mein Lippel! was dieses bedeut?
Ich siehs ja schon köma alldort unten weit,
Sie scheinen vom Silber und Gold a so rar,
Als wens halt schir z'heißen ein Edelman war.
3. Dort haltons all stilla beim Kindlein im Stall,
Möcht ichs gerne wissen, wass dort machen all,
Ich mags ja nicht graden, muß schaun gehn dazu;
Willst a mit mir rennen, so eil nur mein BurI
4. Da sind ja drey König', ich habs ja schon g'hört.
Es hat ja ein jeder dem Rind was verehrt:
Gold Weihrauch und Myhrhen, a so habn sies g'nent;
Ich hab ja von Weiten das Opfer nicht kent.
5. Gelt Thomerl, das seyn ja recht heilige Leuth,
Weil sie in der Killt das Herreisen nicht scheut;
Sie fallen gar nieder auf ihre Knie gschwind,
Anbetten vor Freuden das göttliche Kind.
6. Ich sag dirs, mein Lippel, ich hätt mich bald geschreckt,
Und hat mich beym Kind in die Schupfen versteckt:
Ein rußschwarzer König schaut schir a so aus,
Als wie halt der Nikolopartel zu Haus.
7. Beleih nit, mein Tonaerl, was fallt denn dir ein?
Das kaii ja von Weiten der Bartel nit seyn:
Es sind nur drey Frome und mächtige Herrn,
Weil ihnen von Weiten her leuchtet der Stern.
8. Mein Lipp, sey nicht launig, mein Lipp sey nur gscheid!
Ich hab a nit g'wußt, daß so heilige Leuth,
Er hat ja von Weiten so schwarzbraun ausgschaut,
Ich hätt mich ja gleich bald nit zuhi z'gehn traut.
9. Und weil sie das Jesukind recht habn angschaut,
Oft habn sie bald gelacht, und bald g'weint überlaut,
Vor Lieb und vor Freuden, als sie haben gwißt,
Daß dieses Messias und Gott zugleich ist,
10. Wir bitten dich alle, du göttliches Kind!
Du wollst uns verzeihen all unßerer Sund,
Wir glauben, wir hoffen, wir lieben all dich
Daß du uns verschonest beim letzten Gericht,
Dialog zwischen zwei Hirten, Philipp und Thomas; von den beiden Redenden ist
Thomas der Mutigere, Philipp der Klügere. Thomas spricht die Strophen 2, 4, 6, 8, 9,
Philipp 1, 3, 5, 7. Die letzte Strophe ist ein Gebet wie öfter in diesen Liedern.
436 Eysn:
1. Str. Z.4. möglich, steigernd, Schmeller, ß.Wb. V, 1578. — 3. Str. graden, geraten,
ich kann es nicht unterlassen. — 4. Str. Beide sind mitsammen zum Stall gelaufen.
T homas erkennt die Könige. — 5. Str. Weil sie die Reise nicht scheut = weil sie sich vor
der Reise nicht gescheut haben. — 6. Str. Der Nikolupartel: der als Teufel vermummte
Begleiter des hl. Nikolaus am Nikolaustage (6. Dezember.). — 7. Str. Beleib, entstellt aus
beileibe, Versicherungsadverb. — von Weiten, bei weitem, vgl. Str. 4 u. 8. — 8. Str. zuhi —
hinzu. — 9. Str. Dies erzählt offenbar Thomas weiter; es ist die Darstellung der Jesu-
Anbetung durch die drei Könige. — angsaut, Schreibfehler für angeschaut. — gwißt, vgl.
W einliold, ßayr. Gramm., S. 334.
[Die volkstümlichen Dreikönigslieder beginnen nicht selten mit der Verwunderung
über den fremdartigen Aufzug der Morgenländer, vgl. Schlossar No. 17, 18, 19, 21. Pailler 1,
No. 300, 301. Aug. Hartmann, Weihuachtlieder, No. 147.]
XV. Am Christabend das Herberglied.
0 edle, liebreiche erwünschlichste Nacht!
Die uns zu der schönsten Gedächtnis gebracht,
Da sie uns vorstellet, den Joseph [wie Joseph der Mann,
Mit der Jungfrau Maria um Herberg klopft an.]
[Unvollständiger Text und ebenso unvollständige Melodie. Das bekannte Lied steht
mit 6 Strophen bei Weinhold, Weihnachtspiele und -Lieder, S. 142, mit 7 Strophen bei
Hartmann, Weihnachtlieder, No. 76, mit 8 Strophen bei Pailler 1, No. 3, 4. Unsere Hand-
schrift hat nur 5 Strophen, ausserdem fehlt durchaus der Schluss der 3. und die ganze
4. Zeile.]
Kleine Mitteilungen.
Gestickte Liebestüchlein.
Begegnet man an Sonntagen im salzburgischen Flachgau — ausgenommen in
nächster Nähe der Stadt Salzburg — jungen Bauernburschen, die zum nach-
mittägigen Gottesdienst oder in das Dorfwirtshaus zum Kegelschieben gehen, so
wird man nicht selten bemerken, dass die Ecke eines weissen Tuches auffallend
weit aus der Joppentasche herausgezogen, ja wie absichtlich ausgebreitet ist.
Ganz besonders häufig sieht man es aber, wenn sie zum Tanz oder zur Dult (zum
Jahrmarkt) gehen. Ein aufmerksamer Beobachter wird auf dieser Ecke des Tuches
eine Verszeile oder einen Namen oder beides finden und mit einigem Erstaunen
sehen, dass es stets ein Frauenname ist.
Es ist alter Brauch hier zu Lande, dass das Mädchen seinem Liebsten zu
Ostern 3 — 9 rotgefärbte Eier, zur Kirchweih ebenso viele Krapfen und zu Weih-
nachten den „Scherz", das ist den Anschnitt des Kietzenbrotes, giebt. Diese Ge-
schenke werden zur Übergabe in ein weisses Tuch gebunden, auf dessen vier
Ecken mit rotem Garne Verse und der Taufname der Geberin schräg eingestickt
sind. Solche Tücher sind aber nicht käuflich, sie müssen von den Mädchen selbst
„ausg'naht" werden und zeigen daher meist eine rührende Unbeholfenheit bei der
Spenderin üngewohnheit mit Nadelarbeit.
Kleine Mitteilungen.
437
Der Zimmermann des Dorfes ist meist der Vertraute, denn er versteht es, mit
rotem oder blauem Stift den gewünschten Vers auf das Tuch vorzuschreiben.
Obwohl diese Tücher sich
von allen anderen hier gebrauchten
unterscheiden, so tragen sie doch
keinen eigenen Namen; mau kennt
sie nur als „ausg'nahte Tuachl".
Die Burschen befestigen sie mit
einigen Stichen oder Nadeln an
der Innenseite ihrer Tasche, um
sich gegen ihren Verlust zu
schützen, denn sie sind stolz auf
den Besitz solcher Tücher, ver-
raten doch deren Verse die
Herzensneigung der Spenderin,
ihre Sehnsucht und ihre Wünsche,
zuweilen wohl auch ihren Zweifel
und ihr Misstrauen. Eine kleine
Sammlung wird das belegen;
dem vierten Verse ist stets der
Name des Mädchens hinzuge-
geben.
weil mit rosenroten Faden gestickt.
1. Mein Herz ist klein 9.
Hat niemand Platz
Als Gott allein
Und du mein Schatz.
2. Ich lieb dich so fest 10.
Wie der Baum seine Ast',
Wie der Himmel seine Stern',
Grad so hab ich dich gem.
3. Wenn dieses Tuch zerrissen ist, 11.
Zerreisst doch unsere Liebe nicht.
4. Dieses Tücblein verehr' ich dir
Damit du etwas hast von mir.
Die Lieb ist gross, die Gab ist klein, i2.
Ich hoff du wirst zufrieden sein.
5. Die Lieb ist gross, die Gab ist klein,
Gott weiss, dass ich es von Herzen mein.
(). Vergiss mein nicht im Leben, 13.
Vergiss mein nicht im Tod.
Vergiss mein nicht im Wohlergehn
Und auch nicht in der Not.
6. Du liegst mir im Herzen, 14.
Du liegst mir im Sinn,
Du kannst mir nicht glauben,
Wie gut ich dir bin.
8. Viel tausend Herzen, 15.
Giebt es auf der Welt,
Aber eines nur
Das mir gefällt.
Wenn die Rosen verduften,
Die Veilchen vergehn,
So bleibt doch das Blüralein
Vergissmeinnicht stehn.
Ich lieb dich allein,
Kein And'rer soll's sein,
Kein Anderer soll's werden.
So lang ich leb auf Erden.
Ich hab dir in die Augen g'schaut,
Die Augen die sind ti'üb,
Und hab dir nicht zu sagen traut,
Dass ich dich lieb.
Ich lieb dich im Stillen,
Doch herzlich dabei.
Wer braucht es zu wissen?
Bleib mir nur treu.
Freundlich räum ein Plätzchen mir
In diesem Tüchlein ein,
Möcht ich doch in deinem Herzen
Auch nicht vergessen sein.
Eher tragen die Mühlsteine Rosen,
Eher das Wasser Blei,
Bevor ich dich verlasse
Oder dir bin nicht treu.
So wie die Rosen blühn.
So blüh auch dein Glück,
Und so oft du dies Tüchlein siehst,
So denk an mich zurück.
438
Schütte:
16.
21.
22.
Dich grüssen die Blumen
In Wald und Hain
Und rufen dir fröhlich:
Gedenke mein.
Gedenke meiner
Nah und fern,
Wie ich deiner
Oft und gern.
20.
18. Sollf es einst geschehen,
Dass du auf mich vergisst,
Sü schau auf diesen Namen,
Der unterschrieben ist
19. Der Blick ist zwar für alle,
Die Lieb doch nur für dich,
Und wenn ich dir gefalle.
So schmeichle andern nicht.
Das ich dich lieb, das kann ich dir sagen,
Ob du mich liebst, will ich dich fragen;
Wenn du mich liebst, musst du andere meiden,
Denn das Herumfahren kann ich nicht leiden.
Deine Lieb die wackelt, 23.
Sie ist nicht fest,
Weil du von der Einen
Zur Ander'n gehst.
Wenn die Leute ungern sehen, 24.
Dass wir miteinander gehen,
Nun dann halt ich mein Versprechen,
Es muss gehen oder brechen.
Salzburg 1899.
Was nützt mich solches Lieben
Bei der Nacht, wenn's finster ist.
Bei dem Tag da thust dich schämen,
Solche Liebe acht' ich nicht.
Dass ich dich lieb
Ist ohne Zweifel,
Wirst du mir untreu.
Hol dich der Teufel!
Marie Eysn.
Aus dem Herzogtum Braunschweig.
I. Eine Johannisfeier in Bortfeld vor fünfzig Jaiiren.
Die Johannisfeiern sind im Braunschweigischen fast ganz verschwunden, die
Schützenfeste und Fahnenjagen sind an ihre Stelle getreten. Am Hilse findet nur
dann und wann noch ein Kinderfest statt. Allein im Dorfe Wendeburg bei Braun-
schweig wird das Johannisfest noch von den Alten gefeiert und auch noch der
„Johannich" begraben. Vor fünfzig Jahren aber feierte man auch in Bortfeld,
dessen Bewohner leider ihre alte Tracht i) jetzt mehr und mehr aufgeben, das
Johannisfest noch nach strengen Regeln. Die Feier begann am Mittwoch und
dauerte bis zum Sonnabend der Johanniswoche. Musikanten bestellte man sich
in Braunschweig. Wenn diese vor dem Dorfe ankamen, machten sie halt und
bliesen erst ein Stück. Das war das Zeichen zum Beginn des Festes. Man eilte
also zum' Tanze, der auf einer Dreschdäle stattfand. Das Tanzen ging alle Tage
pünktlich an und zwar dauerte es von morgens acht bis abends zehn Uhr, aus-
genommen die Zeit, in der gegessen und gefüttert wurde. Wer nicht zur rechten
Zeit kam, musste 2V2 Groschen Strafe bezahlen. Die Mädchen erschienen in
kurzem Rocke und blossem Kopfe, die Flechten hingen lang auf dem Rücken
hinunter. Dass sie nicht „schimmelten", dafür war gesorgt, denn es war ein
„Achtsmann" bestellt. Dieser ging umher und fragte die Mädchen, die sassen, wo
sie ihre Tänzer hätten. Auf ihre Aussage hin holte er dann diese mit der Peitsche
herbei. Das Bier, das man trank, hatte man sich von Nettelbecks aus Braunschweig
selbst geholt, achtzehn Achtel Bitterbier etwa, ein paar Fuder. Man musste daher
dem Wirte Pfropfengeld geben.
1) E. Andi-ee, Braunschweiger Volkskunde, Braunschweig »1896, S. 194. — Beiträge
zur Anthropologie Braunschweigs, Festschrift 1898, S. 126 f.
Kleine Mitteilungen. 439
An dem Sonntage nach dem Feste machte man Zeche, man bezahlte ganz
gleichmässig, die Mädchen aber nur die Hälfte von der Summe, die die Burschen
bezahlten. An dem Feste dm-ften aber nur Leute über achtzehn Jahren teilnehmen,
gefallene Mädchen wurden nicht zugelassen. Auf Ordnung wurde gesehen. Wer
sich in sittlicher Beziehung verging und überführt wurde, erhielt eine peinliche
Strafe. Wurde nämlich ein Bursche dabei gefasst, dass er in eines Mädchens
Kammer stieg, so wurde er mit ihm am anderen Morgen an einen Treppenpfosten
gebunden und musste an dem Schandpfahle eine halbe bis zu einer ganzen Stunde
stehen.
2. Aus der Spinnstube.
a) Störung beim Spinnen.
Um die Mädchen beim Spinnen zu stören und zu ärgern, werfen die jungen
Burschen in einigen Dörfern nordwestlich von Braunschweig öfter einen weissen
Flicken vom Hemde und einen roten vom Unterrocke, die sie an einen Stock
gebunden hatten, mit den Worten in die Spinnstube hinein:
,,Wi bringet jüch et ro un witte,
Dat leget jüch up jue Titte,
Un wer nu is noch brav un gut,
Da bring' cn Pott vull Water rut."
Darauf liefen sie weg. Die Mädchen aber, die sich rein fühlten, liefen hinter
den Mannsleuten her und suchten sie zu kriegen. Fassten sie einen, so führten
sie ihn gewaltsam in die Spinnstube und machten ihn nass. Die Mädchen aber,
die in der Stube blieben, wurden als angebrannt betrachtet.
Hierfür rächten sich die Mädchen in derselben Weise, indem sie den Manns-
leuten die gleichen Flicken in den Stall warfen, wenn sie Futter schnitten, indem
sie zum Spotte sagten:
„Wi bringet jüch et ro un witte
ün smit et op jueu Swarteutitten."
b) Stille Hochzeit.
Wenn in der Spinnstube „Blusterstunne" gehalten wurde, so wurde unter den
Oesellschaftsspielen auch die stille Hochzeit gefeiert. Die Mädchen oder Burschen
verliessen das Zimmer. Die darin Bleibenden suchten dann eine Person aus,
während sie auf den Stühlen sassen und gaben flüsternd kund, wer die Braut,
bezw. der Bräutigam sein sollte. Wenn nun einer der Burschen das Zimmer
betrat, stellte er sich vor ein Mädchen hin. Hatte er das richtige getroffen, so
nickte es, und der Bursch setzte sich auf seinen Schoss. Anderenfalls drehte es
sich um, und der Bursch hatte wieder die Stube zu verlassen. So ging es weiter,
bis jeder sein Mädchen, oder wenn die Mädchen hinausgeschickt waren, jedes
Mädchen seinen Burschen gefunden hatte.
3. Der Feuerreiter.
Die Gründung von Feuerwehren auch in ganz kleinen Dörfern hat der Er-
scheinung des Feuerreiters ein Ende gemacht. Früher spielte dieser eine Rolle.
Noch vor fünfzig Jahren gab es im Braunschweigischen Leute, die das Feuer be-
sprechen konnten. Wer diese Kunst lernen wollte, musste sich aber dem Teufel
verschreiben. War ein Feuer ausgebrochen, so bestieg der Feuerreiter ein Pferd,
440 Schütte:
nahm einen Teller voll Salz in die Hand und ritt dreimal um das Feuer herum,
indem er es mit den Worten^) besprach:
Feuer, du heisse Flamm',
Dir gebeut Jesus Christ, der wahre Mann,
Dass du sollst stille stehn
Und nicht weiter gehn.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des hl. Geistes.
Bei dem letzten Male warf er den Teller mit Salz in das Feuer und gab dann
schnell seinem Pferde die Sporen, denn das Feuer schlug meterweit hinter ihm
her. Es waren aber stets Leute aufgestellt, die sofort hinter dem Reiter Wasser
hergossen, wenn er den Teller mit Salz hineingeworfen hatte, damit ihn die Flamme
nicht erreichen könne.
4. Welchen Text legt das Volk den Glockentönen unter?
Wie das Volk den Signalen des Hornisten und des Hirten einen Text unter-
legt, so findet es auch in den Tönen der Glocke Worte ausgedrückt. Am häufigsten
geben sie seiner Meinung nach die Worte „bim bam bcälam" wieder, die oft mit
verschiedenen Zusätzen erweitert werden, z.B.:
Bim bam bälam.
In Volzen is en Mann dot.
De heit Sparbrot,
Slaug sine Fru mit der Küle dot.
InRümraer tönt ihr Klang wie „pemperlempem, pemperlempem"; in Klein-
Dahlum hallt die kleine Glocke „Link Bein", die grosse „Lahm Bein". In Leim
spricht die grosse Glocke „Min Dum", die mittlere „Min Ellbogen", die kleine
„Min Knie".
Ähnlich hört man in Wolfenbüttel aus dem Gebimmel der kleinen Glocke
„Lütje Finger" 'heraus.
„Man Mauren, man Mauren" fängt die kleine Glocke in Offleben an, die
grosse aber setzt mit den Worten ein: „Ik will Klump". Ebenso ruft die Glocke
in Warberg: „Mareik, Rindfleisch". Den ansprechendsten Sinn aber hat das Volk
dem Glockengeläute in Denstorf untergelegt, nämlich „Heute mir, morgen dir".
Wie das Glockengeläute, so hat auch der Trommelklang seine Bedeutung.
Wohl aus der Franzosenzeit stammen die folgenden Verse, die man aus dem
Schalle der Trommel zu vernehmen meint:
„Kamerad komm,
Kamerad komm,
Kommst du nicht.
So hol' ich dich,
' So kommst du ins Frison."
Dass aber das Volk schon vor Jahrhunderten in dem Trommelklange einen
Sinn fand, möge man aus einer Braunschweiger Urkunde aus dem Jahre 1632
1) Nachweisungen einiger Feuersegen: Grimm, Myth. d\ 500. 50:). Mone, Anzeiger
6, 465. 7, 422. Germania 26, 240. 37, 119. Bartsch, Sagen aus Mecklenburg, 2, 355 ff.
Müllenhoff, Schlesw.-Holst. Sagen, S. 517. U. Jahn, Hexenwesen, S. 60. E. Köhler, Vogt-
land, 403. 407. 551. Niederlausitzer Mitteilungen 2, 44. 48. A. Peter, Aus Österreich-
Schlesien, 2, 229. A. Baumgarten, Aus der Heimat, 1, 22. 161—167. Birlinger, Volks-
tümliches, 1, 211. Aus Schwaben, 1, 459.
Kleine Mitteilungen. 441
ersehen. In ihr wird dem Rate von den Bürgern die Bitte vorgetragen, er möchte
den hiesigen Brauern und Krügern befehlen, des Abends nach 8 Uhr, wenn die
Trommel schlüge „Zapfen zu", kein Bier den Soldaten mehr zu zapfen.
Braunschweig. Otto Schütte.
Die Spinten in Gross-Krausnigk (Kr. Luckau, N.-Laiisitz).
In Gross-Kraussnigk bildeten sich früher folgende Spinten (Spinngesellschaften):
Die älteren Burschen, die älteren Mädchen (17 Jahr bis zur Verheiratung), die
jüngeren Burschen und Mädchen (14 — 17 Jahr), die Schulkinder, Knaben sowohl,
wie Mädchen, die jungen Frauen und auch die alten P^rauen. Die Männer blieben
zu Hause. Seit einigen Jahren sind die Spinten und die Teilnehmerzahl daran
polizeilich festgesetzt. Gefallene Burschen und Mädchen dürfen nach altem Ge-
brauch nicht daran teilnehmen, auch nicht an den Vergnügungen (Tanz). Die
Spinten fangen am Kirchweihfest (Montag vor Totenfest) an und dauern bis Freitag
vor Palmsonntag, abends bis 10 oder II Uhr. Die Teilnehmer sitzen nach dem
Alter um eine Hängelampe im Kreise herum. Jeder Neuaufgenommene und Ab-
ziehende muss seinen An- oder Abzug geben (1 Jt zu Bier und Schnaps). Burschen
und Mädchen vertrinken dann das Geld gemeinsam in der Mädchenspinte. Vor
Weihnachten wird das Fest der „langen Hinte"^ [?] (wohl längste Nacht, in Fröhden:
Fudenabend) gefeiert. Dazu kommen die Burschen in die Mädchenspinte. Die
Kosten für Bier, Schnaps und auch Grog müssen die Mädchen tragen. Vor
80 Jahren ungefähr spannen sie auch dann noch die ganze Nacht hindurch. Am
letzten Spinnabend im alten Jahre wird „Scheideabend" gefeiert. Hierzu werden
die Kosten von Burschen und Mädchen gemeinsam getragen. Etwa vier Wochen
vor Fastnacht findet „Zemper" statt. Dazu müssen die Mädchen die Musik in der
Schenke bezahlen, Kuchen backen und Braten und Getränke liefern. Kuchen,
Braten und Getränke werden im Spinnhause verzehrt, wohin mit Musik marschiert
wird. Dort versammeln sich die Mädchen auch vor Beginn des Zempers und
werden von den Burschen mit Musik zum Tanz abgeholt. Am Fastnachtsmontag
(2. Tag) gehen die Burschen mit Musik durchs Dorf „zempern". Einige Burschen
sind verkleidet, einer hat eine Heugabel zum Empfang der Gaben (Schinken,
Speck, Wurst, Pfannkuchen), ein anderer hat einen Kober zu Eiern und ein dritter
nimmt Geld in Empfang. Den Gebern wird aus einer Schnapsflasche zugetrunken
und diese herumgereicht. Mit den Mädchen des Hauses und auch der Hausfrau
wird mehreremale in der Stube herumgetanzt. Mit den Frauen, die reichlich
gegeben haben, wird am Abend in der Schenke noch besonders getanzt, damit
der Flachs gut wächst. Der letzte Spinnabend vor Ostern heisst wieder Scheide-
abend und wird meist mit einer Abschiedsfeier beschlossen.
Jeden Dienstag und Freitag gehen die Burschen in die Mädchenspinte. Reisst
ein Faden so nimmt ein Bursche dem betr. Mädchen die Wocke weg, er „kieschelt".
Um sie auszulösen, muss ihm das Mädchen einen Kuss geben.
Paul Otto, Lehrer in Fröhden.
Gebräuche und Spiele, sowie Aberglauben aus Fröliden
(Kr. Jüterbogk-Luckenwalde).
1. Am ersten Christmarkt verkleiden sich zwei Burschen und Mädchen, erstere
als Ruprecht, letztere in weissen Kleidern (Engel?) und gehen besonders in die
442 Utto:
Familien mit Kindern, um dort zu bescheren. Die Geschenke worden ihnen im
Hausflur heimlich von den betr. Eltern zugesteckt.
2. Am Andreasabend werden aus Holzklaftern „Scheitchen gezogen'-. Uie
Scheitchen geben die Gestalt des oder der Zukünftigen an, gerade, schlank, dick,
verkrüppelt u. s. w. — Desgleichen gehen an diesem Abend Burschen und Mädchen
gesondert auch „Saathorchen". AVer nach irgend einer Gegend hin Hundegebell
oder Musik hört, verheiratet sich nach der Gegend. Wenn Gesang gehört wird,
stirbt jemand der Spinnteilnehmer. — Auch wird an dem Abend ein Salzhering
gegessen: wer im Traum dem Betreffenden zu trinken bringt, der wird geheiratet.
Von Gesellschaftsspielen ist besonders zu erwähnen:
» 3. „Liebchenbrennen": Von Flachs wird ein Halbkreis gemacht. In die Mitte
desselben werden auf den Flachs zwei Stückchen Holz gelegt. Jedes der beiden
Stückchen bezeichnet einen Burschen, den das Mädchen nennen muss. Dann wird
der Flachs an beiden Enden zu gleicher Zeit angebrannt. Der Bursche, dessen
Stäbchen zuerst vom Feuer erreicht wird, ist der zukünftige Mann des Mädchens.
4. „Sterne gucken": Es wird jemandem ein Rock über den Kopf gehalten,
durch dessen Ärmel er nach den Sternen sehen muss. Andere sehen nach dem
Wetter. Wenn gesagt wird „es regnet", giesst man dem Sternseher Wasser durch
den Ärmel ins Gesicht.
5. Ähnlich ist „Stecknadeln sieben": Über einen Uneingeweihten wird ein
Durchschlag gehalten, durch den die Stecknadeln gesiebt werden sollen. Der
Betreffende soll nun danach sehen, ob welche durchfallen. Dabei schüttet man
ihm aber durch den Durchschlag Sand ins Gesicht.
6. „Das Messer aus der Tasche hexen": Ein Eingeweihter und ein Unein-
geweihter haben jeder ein Messer in der Tasche. Der Eingeweihte nimmt das
Seinige unvermerkt vorher heraus. Jeder von beiden muss sich nun in eine Ecke
stellen und bekommt ein schwarzes Tuch. Mit dem soll er sich dreimal über das
Gesicht wischen, wobei er etwas sagen muss (diese Formel weiss ich nicht mehr).
Das Tuch des Uneingeweihten ist aber vorher mit Russ angeschwärzt. Da er
sieht, dass der andere sich mit seinem Tuche über das Gesicht wischt, thut er es
natürlich auch und macht sich schwarz, weshalb er tüchtig ausgelacht wird. Der
andere sagt natürlich, sein Messer sei verschwunden, während der Gefoppte das
seinige noch hat.
7. Beim „Holzhacken" setzen sich zwei der Quere nach gegenüber auf eine
Bank, fassen sich mit den Händen und lassen sich mit den Beinen bis ins Knie-
gelenk herab, so dass sie bei dem nun folgenden Entgegenschwingen mit dem
Gesäss zusammenstossen. Auch unanständige Spiele kommen vor.
8. Aberglauben. In den 12. Nächten muss abgesponnen sein, sonst kommt
die faule (F^rau?) Harke hinein, in Gross-Kraussnigk (im Luckauer Kreis) die
faule (?) Herke.
9. In den 12. soll man nichts verborgen, sonst wird das Glück aus dem Hause
gegeben.
10. Auch soll man nicht den Dünger aus dem Stall schaffen, sonst wird das
Glück (beim Vieh) aus dem Stall getragen.
11. In den 12. soll keine Waschleine auf dem Boden gezogen sein, nicht
gewaschen werden, auch nicht Wäsche auf dem Boden aufgehängt werden, sonst
kommt Krankheit ins Haus.
12. Was man in den 12. Nächten träumt, das widerfährt einem in den betr.
Monaten.
13. Das Wetter der Tage in den 12. giebt das Wetter für die 12 Monate an.
Kleine Mitteilungen. • 443
14. In den 12. soll man sich nichts aus Stall und Scheune oder vom Hofe
stehlen lassen. Wem Futter aus Stall oder Scheune gestohlen wird, dessen Vieh
nimmt ab. Wem Dünger gestohlen und über die Grenze getragen wird, dessen
Ernte wird gering.
15. Von Hochzeiten: Beim Gange zur Kirche darf sich keiner der Braut-
leute umsehen, sonst stirbt der andere Teil.
16. Das Brautpaar soll sich am Trautage Geld in den Schuh stecken, damit
es ihm nicht später daran fehle.
17. Während der Trauung soll man den anderen Teil sich nicht mit dem
Ellbogen vordrängen lassen, sonst bekommt er die Herrschaft im Hause.
18. Am Hochzeitstage soll das Brautpaar immer zusammenbleiben, weil sie
sich sonst trennen werden.
19. Man soll sich nicht in den Hundstagen trauen lassen, sonst lebt man wie
Katze und Hund zusammen.
20. Aus gleichem Grunde soll man sich auch nicht Donnerstag trauen lassen.
21. Wenn es der Braut am Hochzeitstage in den Kranz regnet, wird sie reich.
Desgleichen, wenn die Trauung während des Vollmondes stattfindet.
22. Den Weg zur Kirche mit Getreideähren bestreuen, bringt Reichtum, mit
Häcksel Armut.
23. Viel Scherben — viel Glück (am Polterabend).
24. Die Braut soll am Hochzeitstage auf der Brust einen Apfel tragen, den
sie mit dem Bräutigam noch vor 12 Uhr nachts teilen rauss, damit sie die Kinder
leicht bekommt. — Aus gleichem Grunde soll der Bräutigam der Braut vor dem
Schlafengehen die Kleider aufknöpfen.
25. Die junge Frau soll in den ersten vier Wochen nicht ins Elternhaus gehen,
sonst kehrt sie wieder dahin zurück.
26. Man soll den Trauring nicht einem anderen Menschen in die Hände geben,
sonst lässt man ihn Herrschaft über sich gewinnen.
27. Eine kinderlose Frau soll man nach dem Mahle ins Tischtuch einwickeln.
Das bringt ihr Kindersegen.
2'S. Wenn ein Mädchen aus dem Dorf hinausheiratet, so muss der ganze
Hochzeitszug dreimal um die Dorflinde herumfahren, sonst muss der Bräutigam
eine Tonne Bier geben.
29. Der Ehemann soll sich dreimal über die Wöchnerin neigen im Namen
der heiligen Dreieinigkeit. — Mittel gegen Milchfieber.
30. Eine schwangere Frau soll nicht unter einer Waschleine hinweggehen,
weil sich sonst der Nabelstrang dem Rinde um den Hals wickelt. — Aus dem
gleichen Grunde soll, wenn die Hausfrau schwanger geht, die ausgewrungene
Wäsche nicht zusammengedreht hingelegt, sondern erst auseinander geschüttelt
werden.
31. Während der Entbindung und des Wochenbettes soll keine Waschleine
oder Wäsche auf dem Boden hängen, sonst kommt Krankheit oder Unglück ins Haus.
32. Kleine Kinder unter einem Jahr soll man sich nicht berühren lassen, sonst
stirbt eines derselben. — Aus gleichem Grunde soll man ihnen keine Blumen
geben. — Auch nicht in den Spiegel sehen lassen, sonst sterben sie oder werden
graulich (furchtsam). — Graulich sollen sie auch werden, wenn man über Nacht
die Windeln im Freien lässt.
33. Man soll kleinen Kindern nicht die Haare oder Nägel verschneiden, sonst
wachsen die Kinder nicht.
444 Höfler:
34. Mit zunehmendem Monde soll man sich die Haare schneiden lassen, damit
sie recht wachsen.
35. Am Vollmond Levkojen, Balsaminen u. s. w. säen, damit sie recht gefüllt
blühen.
36. Wenn Krebs im Kalender steht, soll man nichts säen, weil es sonst damit
rückwärts geht.
37. In dem Jahre, in welchem es viel Haselnüsse giebt, giebt es viel unehe-
liche Kinder.
38. Von dem gekauften Vieh darf man dem Verkäufer nicht den Strick zurück-
geben, sonst nimmt er den Nutzen mit hinweg.
39. Jüngling und Jungfrau, die zum erstenmale bei demselben Kinde Gevatter
stehen, heiraten sich.
40. Bei einer Beerdigung wird der Sarg beim Hinaustragen dreimal auf der
Hausthürschwelle aufgesetzt. Dann wird auch in die Ställe hineingerufen „der
Herr ist tot", selbst zu den Bienen.
41. Am Abend wird nichts mehr verborgt oder verkauft, auch nicht an dem
Tage, an dem Jungvieh geboren wurde, z. B. eine Kuh kalbte.
Froh den. Kr. Jüterbogk. Paul Otto.
Gebildbrote und Gebäckformen.
Ein Aufruf.
Im Interesse der Volkskunde erlaubt sich der Unterzeichnete die Bitte zu
stellen, ihn in einer Arbeit über sogen. Gebildbrote, d. h. Gebäckformen, die eine
bestimmte lokalübliche Gestalt haben, durch Zusendung solcher Original-Gebäcke
zu unterstützen. Nur durch ein grosses, diesbezügliches Material aus allen Gauen
unseres deutschen Vaterlandes ist es möglich, ein aus der Übersicht und Ver-
gleichung der Formen sich ergebendes, für die Volkskunde wichtiges Resultat zu
erhalten. Ausser den unten angegebenen Gebäckformen können noch viele andere
da und dort üblich sein, die mir noch nicht so bekannt sind. Jeder Beitrag- wird
dankbarst angenommen; etwaige Kosten für Ankauf der Ware, Verpackung und
Versendung derselben (möglichst solid, in Watte!) übernimmt der Unterzeichnete.
Bad Tölz in Bayern, 6. XI. 1899. Hofrat Dr. M. Höfler.
Altbayern: Handel (Händlein) -Brot, Michel-Brot, Rauchwecken, Weihnachts-
Wecken. Schaer-Baugen, weizene Bäugel, Fastenbäugel. Martinskrapfen, Josefi Kränz,
Schüberl, sog. Zoll. Maultaschen, Ohrfeige, Fensterküchel, Lusküchel, Abfahrtküchel,
sog. Haarnadeln, Scheitenblattl, Schabenblattl.
Oberpfalz: Gaenbrot (Gaiibrot, Jaenbrot). Spiswecken. Schupfnudeln. Männl
(Märilein). Schoitla.
Franken: Golle-Semmel, Urbansbrötle (Kitzingen). Michelvvecken, Weckbuben,
Rosenweck, Spulwecken. Hann-Ädämche (Spessart), Dürrbenerchen. Hauswolf,
Bandoli (Aschaffenburg), dürrer Haug, Löfel, Wuchtel. Bruchpflaster (in Goldbach},
Klärungswecken (Ansbach). Frangkuchen, Schäferle, Löslein, Kaiserlein (Nürnberg).
Rheinpfalz: Kümmelwecken, Neujahrswecken, Flammkuchen, Fastnachts-
küchel, Stabaus-Brezeln, Falzer.
Schwaben: Spitzlaibe, Mimminger Brot, Klausenbrot, Schreiberbrot (Kempten),
Klausenzelten, Augsburger Wannl, Fastenbrezel, Seelenbrezel, Maultasche (Aders-
berg), Kuchenmichel, Quatemberküchle, Hundsfutküchle, Punkenring (Biberach).
Kleine Mitteilungen. 445
Württemberg: Spindwecken, Mättenbrot, Gofen (Kofern, Guffen),- Buben-
spitzlen, Seela, Prügel, Pfttzauf, Bubenschenkl, Martinswecken (Esslingen), Mutschel
(Reutlingen), Brezeln, Gugelhopf.
Baden: Moppen (Bentheim). Hoi-Wölfl, Dumbedei (Schwarzwald). Brezeln
(Mannheim).
Elsass: Osterleible, Schwabenbrötle, Suppenbäugl, Mehlbollen, Mögel, Flarara-
kuchen, Pauleweiberküchlein, Hackküchel, Fastnachtsküchel, Hirschhornl.
Rheinlande: Speculatius, Muetzen (Köln), Stutzwecken (Koblenz, Limburg).
Osterstollen (Elberfeld), Rheinischer Kringel, Brezeln (Burg), Brezeln, Mutzen,
Mannelchen (Düsseldorf), Semmelvöglein (Bonn), Printen (Aachen).
Westfalen: Königskuchen, Korinthen-Stutzen (Arnsberg), Mopkenbrot, Miti-
winterbrot, Antoniusbrötchen (Ramsdorf bei Borken), Knüppel (Dülmen), Han und
Greite.
Main, Neckar: Christweck, Bubenwecken, Fochzen, Geleitsbrezeln, Vögelein,
Oblatenstück, Weckstotzen, Bonameser Bröderchen, Motzenbrot, Bubenbrot, Brust-
küchlein, Kraftküchlein, Matzkuchen, Bubenschenkel, Tajamann.
Hessen, Thüringen, Meiningen, Fränkisch - Henneberg, Anhalt:
Martinshörner, Hornaffe (Erfurt), Wuchtel, Scheitchen, Rückling, Sechseraffe, Laut-
äffchen, Scheren, zerrissene Hose (Thüringer Wald), Marxbrötchen, Forstmeister
(Darmstadt), Osterkuchen (Fulda), Schürzkuchen, Pflngstkuchen, dünne, dicke
Anhaltskuchen, Ringelkuchen, Standlerkuchen, Faschingskrapfen, Pfefferscheibe
(Eisenach), Gregoriuskügelchen, Nickelzöpfe, Hufeisen, Stutenbrot, Hallorrenkuchen,
Haller Wecken (Halle a. S.), Funsel (Anhalt-Dessau), Zwieck, Blattergeschossenes,
gal. Wecke, grosse Wecke, Scheideweck, Borkelsweck.
Lippe, Braunschweig, Hannover, Mecklenburg: Lippesches Brot, düime,
dicke Kuchen, Timpen, Stuten (Etymologie? Salzusel), Martinshörner, Löwenklaue
(Nünburg a. W.), Ranzelieschen (Schwann).
Nordsee-, Ostsee - Küste: Marschen: Kleenbrod, Eierman, Schinngasse,
Akenscher Fladen, Mchlbeutel. Stralsund, Rügen: Baumbrot, Flechte, Fehmarsche
Kröpeln, Backe, Rente, Krümmen, Krum, Mahnkc, Miggl, Pülschen, Kindsvot,
Rlaewe, Kruskoken, Gasselkoke, Westerwigskoke. Kinjee, Tolatschen. Schleswig-
Holstein: Grapenbrot, Saden, Weihnachtskuchen, Förtchen, hete Wecken, Stut-
wecken. Danzig: Chrimsel, Alexandrinchen. Bremen: Klöven. Hamburg: Brezeln,
Rundstückchen, Judasohren, Klöven, Schönräzchen. Königsberg: Räderkuchen,
Strützel. Insterburg: Lochkuchen.
Ostpreussen: Schruppen, Hahnchenbrot, Boppert (Etymologie des Wortes
auch erwünscht), Sparbrot, Gründonnerstag - Kringel, Schieberplatz, Plammplatz,
Mohnsang (Bromberg), Aufläufer, Schlafsack, Hund, Katze, Katharinchen (Thorn).
Brandenburg: Mohnpielen, Kringel (Berlin), Franzbrot.
Schlesien: Franzbrot, Kleinbrotel, Galbrotel (Gelbbrötchen), Zeilenbrot, Trog-
scharre, Schurback, Streuselkuchen, Tünschelkuchen, Kranzkuchen, Afterkuchen,
Aschenplatz, Kringel (Warthe), Zeilensemmel, Knöpfelsemmel, Stösselsemmel,
Ostersemmel, Schleesack, Tallsack (Warmbrunn), Kotsch, Wuchtel, Strumpfsohlen,
Hobelspähne, Mohnhörnchen, Martinshörner, Storchnester, Knochen, Judentullen,
Bauerbissen, Judenzopf, Mehlweissen, Babe (Baba, Buber); Buchaniten, Bukneten,
Puchnitenbrot, Baclinitzen; Osterstrützel, Splitter-Hörnchen.
Sachsen: Osterüaden, Wullbrot (Wittenberg), Judasbrötchen, Osterbrot, warme
weeche Brezeln, Konvictschinken, Hillerchen (Etymologie des Wortes auch erwünscht),
Hohlhippen, Schnellhupfer (Leipzig), Bauernhase, Baebe, Fummel (Meissen), Ruprecht
(Dresden), Katzenzungen (Gohlis).
446
ieth:
Aus der Grafschaft Glatz.
Aufzeichnungen von Franz Wieth aus Tscherbeney (1878 stud. phil. in Breslau).
1. Der Baucrnhimmel.
Hopsa, hopsa, rüber on nüber
Gl mer a Guschel, ich gab dersch wieder. Hopsa, hopsa . . .
Ei dam Himmel is gut läba,
Nischt zu frassa als Kucha on Bäba. Hopsa.
Honigschnita, doss se klecka,
Doss ma macht die Finger lecka. Hopsa.
Lauter Brota warn mer assa,
On das Geld met Vertaln massa. Hopsa.
Jouger kenn nu Toback raucha,
Sich bekleckern on besaufa. Hopsa.
Soldota derfa ons ne kumma,
Der Säbel is au weggenumma. Hopsa.
Ferm Landroth derf mer olles macha,
M' Amtmonn eis Gesichte lacha. Hopsa.
Do hats ken Scholza on ken Richter,
Denn dos sein ock Flenngesichter. Hopsa.
Den Hardenberg den hüllt der Geier
Mit seiner verdammten Vermögenssteuer. Hopsa,
Nu kenn mer wie die Ferschta läba
Und braucha kene Okzise gäba. Hopsa.
Blosa kenn mer wie die Esel,
Kucha frassa mit viel Stresel. Hopsa.
Wenn se die Trompeta blosa,
Zielin wer 6 die güda Hosa. Hopsa.
Korz ich fre mich 6f a Himmel,
AVie ofs Futter Nuquers Schimmel. Hopsa.
Variante des in Schlesien weit verbreiteten Liedes, bei Hoffmann und Richter,
Schlesische Volkslieder, No. 269 (mit Melodie). In Troppauer Mundart bei P. Enns,
Das Oppaland 3, 73 f., Wien 1836; in Jauernick-Weidenauer bei A. Peter, Volks-
tümliches aus Österreich-Schlesien, I, S. 334 — 337, Troppau I<S65; in schlesisch-
mährischer bei J. G. Meinert, Alte deutsche Volkslieder in der Mundart des Kuh-
ländchens, Wien 1817, S. 99—102. Unser Text weist auf die Zeit der Harden-
bergschen Gesetzgebung.
2. Spottverse auf die Bewohner eines Glätzischen Dorfes.
Bei Eogan is die Segerei,
Bei Kassnern fällt sei Schloss füllt ei:
Der Motte tut 'm die Hösa flicka
Und tut se zum Peickert bijern schicka;
Der Mottla is a reicher Bauer,
Der Peickert frisst gern Kibelsauer;
Der Scholz dos ist der iberschte Mdn,
Er tut Höffma Jos'fan s' Wosser wegschlön;
Bei Tautzan ist das Kaffeehaus, [raus.
Bei Zimmer Tonen komma die verrächte Leute
Der Axma dar schlachts Kolb,
Der Grundma dar nimmts holb,
Die Knoppen nimmt's Gekrise,
Do is der Herr Dörner ne bise;
Die Bittnern nimmt die Kälberknocha,
Do hots der Ullrich Guste bäle gerocha:
Bei Ullrich Gustan hängts Groe für.
Der Dinter ziehts Gesinde für:
Bei Gerbern is die Schweinerei,
Bei Anders^han fällt der Schuppa ei;
Axmann ist genötigt, ein verunglücktes Kalb zu schlachten und' bedeutend
unterm Preise zu verkaufen. Dies nehmen seine armen Nachbarn wahr, um sich
den seltenen Fleischgenuss billig zu verschaffen.
Grundmann, ein armer arbeitsloser Schuster und Vater einer sehr zahlreichen
Familie, nimmt die Hälfte;
die Witwe Knoppe das Gekröse; die W^itvve Bittner muss mit den Knochen
zufrieden sein.
Groe. Ullrich. Seine junge Frau, aus dem Glätzischen gebürtig, machte Vor-
hänge an die Fenster an. Diese im Dorfe ungewohnte Sitte und das unreinliche
Aussehen „grau" jener veranlassten die Bemerkung.
Dinter, ein kinderloser Bauer, behandelt das Gesinde gut.
Gerbern. Drei unverheiratete Geschwister betreiben die Gerberei; ihre Wirt-
schaft wegen Unsauberkeit berüchtigt.
Kleine Mitteilungen. 447
Anders hat einen baufälligen Schuppen.
Rogel, ein armer Pfuscher in Uhrmacherarbeiten (Seger).
Kassner, Besitze^ eines winzigen Häuschens, aus einem ehemaligen Dörrhaus
entstanden, v/elches sehr baufällig ist. füllt = vollends.
Motte, Mottla = Mattern Maternus.
Scholz, Bauer am obersten Ende des Dorfes.
Jos. Hoffmann, Nachbar der Vorigen, der grösste Bauer und Scholze, bezieht
aber vom Obigen das Wasser für sein Gehöft.
Tautz und seine Familie leidenschaftliche Kaffeetrinker.
Anton Hoffmann, Zimmermann seines Zeichens, daher Zimmer Tone. Die
Familie unreinlich, die Wohnung ärmlich, mit schadhaftem Ofen, daher verrächt:
verraucht.
3. Scene eines Heiratsantrages.
Die Besitzerin eines grossen Bauerngutes in der Ober-Grafschaft ist Witvpe
geworden (Lise). Ihre Mutter und ältere unverheiratete Schwester (Pauline) wohnen
bei ihr. Der Nachbar, ein reicher Bauer (Spiller), hat vor kurzem seine Frau
verloren und besucht nun die junge Witwe, um ihre Hand anzuhalten.
Sp.: Guda O^mt!
Mutter: Guda 0''mt Spellerl — nu wo'"s brengst'n?
Sp.: Ich kumm üf de Hairot.
Mutter: Nu zu wäm denn, arn ze mir?
Sp.: Nai du bist mer schon ze alt.
Mutter: Willst'n die Paullinn?
Sp.: Nai! di is mr zu säusch! ich kumm zu der Lise.
Mutter: Di moi dich ne.
Sp.: Wart sich ju weisa.
Lise tritt ein: Guda O^Jmt Speller, neha! siht ma dich amol.
Sp.: Guda O^mt Lise. — Ich kumm zu'n dr of di Hairot.
Lise: Dich moi ich ne.
Sp. : Nu warum ock ne?
Lise: Du bist mer zu a äler Grajel!
Sp.: Taelsche Kapse! — Sich, mr kenda inse beda Gartlan a su hisch ze
nander schlo^n.
Lise: Nai, ich moi dich ne. —
Sp.: Nu do war ich wieder gihn.
Lise: Blei ock noch sitza!
Sp.: Ei Gots Noma (geht).
Lise ihm nachgehend: Du Speller, wie werschen? Sich ich ho'^ zwe Jonga
on du a Mädla, villecht kennt do^ arn moi wo^s warn?
Sp.: Nu nai, do=' war ich dr wo^s scheissa!
Internationaler Kongress für Tolkskunde.
Paris 1900 vom 10—12. September.
Gelegentlich der Welt- Ausstellung von 1900 erlässt ein Organisationskomitee
die Einladung zu einem Congres international des Traditions populaires. Ehren-
präsident ist M. Gaston Paris; Präsident M. Charles Beauquier, Vorsitzender der
Societe des Traditions populaires; Generalsekretär M. Paul Sebillot, an den alle
Zcitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. ^iO
448
Weiiiliold:
Zuschriften in dieser Angelegenlieit zu richten sind (Paris, Boulevard Saint-Marcel 80).
Der Kongress wird sich in zwei Sektionen teilen: 1. Litterature orale et art popu-
laire, 2. Ethnographie traditionelle. Französisch ist die officielle Sprache des Kon-
gresses, doch sind Mitteilungen in deutscher, englischer, italienischer und lateinischer
Sprache gestattet, unter der Bedingung eines französischen Resume. Dieselben
müssen dem Generalsekretär vor dem 1. Juli 1900 zugeschickt werden. Kein
Vortrag darf länger als eine Viertelstunde dauern. Der Mitgliedbeitrag beträgt
12 Francs, wofür die Sitzungsberichte und die etwaigen Druckschriften des Kon-
gresses unberechnet geliefert werden. Die Eröffnungs-Sitzung findet am 10. Sept.
1900 im Palais des Congres der Welt-Ausstellung statt.
Sammlung volkstümlicher Überlieferungen in Würtemberg.
Das K. Statistische Landesamt in Stuttgart und eine freie Vereinigung für
Volkskunde haben sich verbunden, gemeinschaftlich die Sammlung, Verarbeitung
und Veröffentlichung volkstümlicher Überlieferungen in Würtemberg zu veranstalten.
Geschäftsführer und Vertreter der Würtembergschen Vereinigung für Volkskunde
ist Prof. Dr. K. Bohnenberger in Tübingen. Zum Zweck der Sammlungen werden
Fragebogen in sämtliche Gemeinden des Landes, besonders an deren Geistliche
und Lehrer durch das K. Statistische Landesamt versandt Die erste Verarbeitung
des Gesammelten wird durch Herstellung von Sachregistern von der Vereinigung
übernommen. In den Würtembergischen Jahrbüchern für Statistik und Landes-
kunde werden von den Mitgliedern der Vereinigung Mitteilungen über die Samm-
lungen und deren Verarbeitung gemacht werden: doch sollen auch Veröffentlichungen
an anderen Stellen zugelassen sein, wenn das Interesse der amtlichen Jahrbücher
nicht im Wege steht.
Die Absicht der Sammlung geht zunächst auf die noch lebenden Überliefe-
rungen; doch sollen, wo es möglich ist, auch die „abgegangenen" berücksichtigt
werden. Die BVagebogen betreffen: I. Sitte und Brauch; II. Nahrung und Kleidung,
Wohnung und Geräte; III. Glaube und Sage; IV. Volksdichtung; V. Mundart
(daraus soll nur, was die Volkskunde unmittelbar angeht, aufgenommen werden).
BüclieranzeiR'en.
Allgemeine Methodik der Volkskunde. Berichte ül)er Ersc heiiuiuüen
in den Jahren 1890—1897. Von L. Hcherman und Friedricli
S. Kraus s. Erlangen, Fr. Jnn-e, 1899. S. IV. 134. S».
Das vorliegende Heft ist ein in 100 Exemplaren abgezogener Soiiderabdruck
aus dem Kritischen Jahresbericht über die Fortschritte der Romanischen Philologie,
herausgegeben von K. Vollmöller, Bd. IV, Heft 3. „Da das Studium der Volks-
kunde auch für die Romanisten mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, so erschien
es der Redaktion angemessen, mit vorstehendem Artikel eine längere Darstellung
der Grundprincipien dieser wissenschaftlichen Disciplin zu geben, um auch die
romanistischen Kreise für diese Studien besonders zu interessieren", merkt Herr
Bücheranzeigen. 449
K. V. am Schlüsse der Arbeit des Herrn Fr. Krauss S. 134 zur Erklärung der
Aufnahmen in seinen Jahresbericht über die Romanische Philologie an. Zuerst
hatte Herr Lucian Scherman in München die Aufgabe übernommen; nachdem er
aber isOl seinen Bericht über die volkskundlichen Erscheinungen des Jahres 1^90
abgeliefert hatte, trat er zurück und der Herausgeber wandte sich darauf wegen
der Portsetzung an Herrn Fr. S. Krauss in Wien, „den slavischen Ethnologen"
(S. 126), der „den wiederholten Aufforderungen gegenüber" (S. 21) auch nachgab
und einen Bericht über die Jahre 1891 — 97 geliefert hat.
Referent kann dem Bericht des Herrn Scherman das Lob einer klaren objek-
tiven Übersicht über die betreffende Litteratur des Jahres 1890 erteilen. Er führt
gut und geschichtlich in die Grundfragen über das Wesen, die Ziele und die
Methode der Volkskunde ein und wo er seine eigene Meinung äussert, ist dieselbe
wohl erwogen, so bei dem Gegensatze zwischen den philologischen oder ver-
gleichenden Mythologen (A. Kuhn, M. Müller, Benfey) und den Anthropo -Ethno-
logen, wie Tylor und Andrew Lang, den Folkloristen, wie er sie nennt, zwischen
denen er eine Vermittelung wünscht.
Herr Scherman, wie sein Nachfolger Krauss brauchen das 1(S46 erfundene
englische Wort folklore als Femininum, was falsch ist. Ganz richtig sagen die
Franzosen le folklore, wenn sie das Wort überhaupt brauchen, das keineswegs
(vgl. G. Kossinna in unsrer Zeitschrift VT, 188 ff.) den Inhalt und die Bedeutung
unsrer Disciplin ausdrückt. Wenn sich Herr Krauss rühmt (S. 23), dass er zu
dessen Einbürgerung in unseren deutschen Wortvorrat nicht wenig beigetragen
habe, so möge er diesen zw^eifelhaften Ruhm dahin haben.
Herr Kr. hat seinen Bericht in 10 Kapitel geteilt, die sich keineswegs reinlich
voneinander sondern. Über die Methode der Volkskunde wird z.B. in Kapitel 1,
5, b. 7, 8 gesprochen. Die Grundfragen, die Herr Scherman bereits behandelte,
werden, was wir nicht tadeln, da Herr Krauss seine Auffassung und seine Urteile
über Menschen und Bücher vorzutragen das Recht hat, noch einmal aufgeworfen.
Im Vordergrunde stehen die englischen und nordamerikanischen „Folkloristen",
zunächst dann die slavischen. Die Kenntnis der deutschen einschlägigen Litteratur
ist merkwürdig lückenhaft. Das tüchtige Buch von E. H. Meyer, Deutsche Volks-
kunde (Strassburg 1.S9S) wird selbst nicht in einer Anmerkung erwähnt, obschon
sonst hier und da über l'S97 hinausgegriffen wird. Mehr als seltsam ist die
Litteratur der Märchen und Sagen auf S. 124, wo im ganzen neun Bücher auf-
gezählt werden. „Anbei nenne ich nur die Sammlungen, die mir für den Bericht
übermittelt worden sind, alle die nennenswerten und brauchbaren Bücher dieses
Schlages anzuführen, hiesse beinahe eine Bibliographie der Folklore schreiben'^,
sagt in Bezug hierauf Herr Krauss! Wer in seinem Urquell geschrieben hat, wird
genannt und gerühmt; ^.ausgezeichnet, methodisch mustergültig'' erhält dieser und
jener als Lobzettel. Von Erk und Böhme wird gesagt, dass sie eine Schule ge-
bildet haben (S. 104)! Ich habe die Verdienste von Fr. M. Böhme stets anerkannt
und den fleissigen Sammler gelobt in seinen Grenzen, aber ein Muster für die
Herausgeber von Volksliedern konnte er nicht sein, weil ihm die gelehrte Schulung
ganz fehlte: Herr John Meier wird sich gerade nicht freuen, aus dieser Schule
nach Herrn Kr. hervorgegangen zu sein. Auf derselben Stufe des Urteils steht,
was Kr. über .,den Krimskrams" unseres unvergesslichen Reinhold Köhler S. 54
sich zu schreiben erdreistet. Das bezeichnet überhaupt den schlechten Ton, der
in diesen Berichten herrscht, zum Schaden des Richtigen und Brauchbaren, das
darin geboten wird. K. Weinhold.
30*
450 Plleiderer:
Robertson Smith: Die Religion der Semiten. Autorisierte deutsehe
Übersetzung aus dem Englischen von Dr. R. Stube. Freiburg. Mohr,
1899. S. 372. 8°.
Dieses Werk, dessen erste Lieferung in dieser Zeitschrift IX, 98 von mir be-
sprochen worden, Hegt nun vollendet vor. Es ist ein Werk von hervorragender
Bedeutung für die Religionsgeschichte, gleich wertvoll für Theologen, Ethnologen,
Kulturhistoriker und Orientalisten. Die eigentümliche Methode, die das Verständnis
der einzelnen Religionen und ihrer geschichtlichen Entwicklung nicht zunächst von
den Lehren und Mythen, sondern von den Kultusbräuchen und religiös-sozialen
Institutionen ausgehend zu gewinnen sucht, erweist sich durch das ganze Werk
hindurch als ungemein fruchtbar. Überall eröffnen sich neue Gesichtspunkte und
verbreitet sich neues Licht über dunkle Probleme. Ich hebe beispielsweise hervor
die geistvolle Parallele zwischen der bürgerlichen Verfassung und dem Gottes-
glauben im Abend- und Morgenland: den aristokratischen Staatswesen dort ent-
spricht die Götteraristokratie des Polytheismus, dem absoluten Königtum hier ent-
spricht die monarchische Machtstellung der semitischen Nationalgottheiten, die den
hebräischen Propheten den Anhaltspunkt bot für die Ausbildung des ethischen
Monotheismus. Nicht eine natürliche Tendenz der Semiten zum Monotheismus
(Renan) lässt sich behaupten, sondern nur so viel ist zu sagen, „dass der Osten
in höherem Masse vorbereitet war, die Idee eines absolut gerechten Gottes aufzu-
nehmen, weil seine politischen Verhältnisse und seine Geschichte, nicht zum
mindesten weil der ungeheure Abstand zwischen dem, was eine menschliche Herr-
schaft ihrem Ideal nach und was sie in der Wirklichkeit war, den menschlichen
Geist zur Erkenntnis der Notwendigkeit einer strengeren Gerechtigkeit führte und
daran gewöhnte, als deren notwendige Quelle eine Macht monarchischer Art anzu-
sehen. Während die Idee der Einheit Gottes in Griechenland eine philosophische
Spekulation war, die in der wirklichen Religion keinen bestimmten Anhaltspunkt
hatte, stand der Monotheismus der hebräischen Propheten mit den Anschauungen
und Institutionen der semitischen Rasse im Zusammenhang, indem er den einen
wahren Gott als den absolut gerechten König auffasste, der zugleich der Gott der
ganzen Welt war oder zu werden bestimmt war, nicht nur weil seine Macht die
Welt umfasste, sondern weil er als der vollkommene Herrscher sich alle Völker
dienstbar machen musste" (S. 52 f.). — Über das Verhältnis der Götter zu den
Halbgöttern und Dämonen bemerkt Smith treffend, dass der unterschied nicht in
einer anderen Natur der Götter lag, sondern nur in ihren Beziehungen zum Menschen,
genauer zu dem bestimmten Kreis ihrer Verehrer. Sobald diese Beziehungen an-
erkannt waren und feststanden, gaben sie den Anlass zur Ausgestaltung von ge-
ordneten religiösen Institutionen. Massgebend war dabei vorzugsweise das Ver-
hältnis der bestimmten Gottheit zu der Stätte ihrer Wirksamkeit. Welche Motive
ursprünglich die Menschen veranlassten, bestimmte Orte als „heilig", d. h. als
Machtsphären und Wohnsitze einer Gottheit zu betrachten, ist trefTlich erörtert
(S. 65 ff.). Sehr scharf und kurz wird ferner die Ansicht begründet, dass auch die
Semiten einmal die Stufe des Totemismus durchlebt haben. Die Heiligtümer der
semitischen Welt waren ursprünglich identisch mit den Sitzen der Ginnen und
diese waren nichts anderes als Tiergeister; dass aber in der geschichtlichen Zeit
direkte Zeugnisse für den Totemismus der Semiten fehlen, erklärt sich einfach
daraus, dass Totems oder freundliche dämonische Wesen sich schnell zu Göttern
entwickeln, sobald sich die Menschen über den Zustand der reinen Barbarei er-
heben; die Verehrung der Totemtiere konzentriert sich im Kultus des Stammgottes,
der zunächst noch in Tiergestalt vorgestellt, dann aber so anthropomorphisiert wird,
Bücheranzeigen. 451
dass seine Beziehungen zu den Tieren ganz zurücktreten (S. 96 ff.). — Zu den
Glanzpartieen des Werkes gehört die Untersuchung der Begriffe „Heilig" und
„Tabu" (S. 110 — 119): Mit dem Tabu der barbarischen Völker berühren sich die
semitischen Gesetze über Heiligkeit und Unreinheit so auffallend, dass kein Zweifel
über die Gemeinsamkeit der hierbei zu Grunde liegenden Vorstellungen möglich
ist; ursprünglich ist Heiliges und Unreines identisch mit dem Tabu, d. h. dem,
was mit übernatürlichen Mächten zusammenhängend für den Menschen gefahr-
drohend ist; die spätere Unterscheidung zwischen Heiligem und Unreinem be-
zeichnet einen Fortschritt über den Zustand kulturloser Barbarei, das Heilige wird
in Beziehung gesetzt mit dem Willen eines wohlthätigen Gottes, dessen Gesetze
die Willkür des Einzelnen im Interesse des Gemeinwohles einschränken und so
die Grundlage sozialer Ordnung und Sitte werden. „Im antiken Geraeinwesen fiel
das religiöse Ideal, das in der Ausübung des gemeinsamen Kultus zum Ausdruck
kam, und das ethische Ideal, das die Haltung des täglichen Lebens bestimmte,
gänzlich zusammen, und alle Sittlichkeit, wie sie damals aufgefasst wurde, erhielt
durch religiöse Begründung und Sanktion ihre Weihe und ihre Kraft" (S. 205). —
Die letzten Kapitel des Werkes untersuchen den Ursprung und die Entwicklung
des Opferwesens. Im Unterschied von der gewöhnlichen Theorie, nach welcher
das Opfer von Anfang ein der Gottheit dargebrachter Tribut sein soll, verteidigt
Smith seine Hypothese, dass die Auffassung des Opfermahles als eines Aktes der
heiligen Gottheit älter sei als das Opfer im Sinne eines Tributs, und dass diese
zweite Anschauung erst mit dem Ackerbau und der Auffassung der Gottheit als
Herr des Landes zur Geltung gekommen sei. Die Beweisführung für diese These
ist ungemein scharfsinnig und stützt sich auf eine Fülle geschichtlicher Details,
deren Deutung im einzelnen wohl da und dort problematisch sein mag, die aber
in ihrem Zusammenhang und Einklang miteinander eine imponierende Beweiskraft
gewinnen. Auch von den Weihe- und Sühnebräuchen wird nachgewiesen, dass
sie ursprünglich auf der Vorstellung einer Erneuerung und Befestigung des göttlich-
menschlichen Gemeinschaftsverhältnisses mittels des heiligen Mahles beruhten.
A^on dieser gemeinsamen Grundform aus differenzierte sich dann mit der Zeit das
Opfer in zweierlei Richtungen: einerseits zu den als Ehrenbezeugung dargebrachten
Opfern, andererseits zu den ausserordentlichen Sühnopfern der späteren Zeit. Bei
den letzteren spielt der Gedanke der Stellvertretung eine wichtige Rolle, der aus
dem uralten Zusammenhang der Kriminaljustiz mit dem Kultus herstammt: „W^enn
ein Mitglied des Stammes für eine Frevelthat hingerichtet wird, stirbt es um der
Gemeinschaft willen, um zwischen ihr und ihrem Gott wieder normale Beziehungen
herzustellen, so dass die Analogie zum Opfer hinsichtlich des Zweckes wie der
Form sehr eng ist. Daher werden die Fälle, in denen der Zorn des Gottes auf
das Verbrechen eines Einzelnen zurückgeführt und durch seinen Tod gesühnt
werden kann, naturgemäss benutzt, um auch solche Fälle zu erklären, in denen
die Sünde der Gemeinschaft nicht auf einen Einzelnen gelegt werden kann und
doch eine Sühnung erforderlich ist; der Tod des Opfers konnte dann als scenische
Veranschaulichung einer Hinrichtung gelten und somit zum Ausdruck bringen, dass
sich die Gemeinschaft von jedem Anteil an dem zu sühnenden Verbrechen frei-
macht." Übrigens bemerkt Smith mit Recht, dass die alte Religion derartige
Deutungen nicht zu offiziellen Dogmen gemacht, sondern sie jedem freigegeben
habe. Worauf es ankam, war nur die Ausübung des alten Ritus, dessen Sinn mit
der Zeit wechselnden Deutungen unterlag. Für den Religions- und Kulturhistoriker
aber liegt gerade darin eine Hauptaufgabe, nachzuweisen, wie aus ursprünglich
einfachen Grundgedanken mit der Zeit sich komplizierte Theorien, Kultus- und
452 Weinhold:
Glaubensformen herausgebildet haben, in welchen die schon naturalistischen An-
schauungen der Urzeit zum Gefäss und Symbol ethischer Ideen geworden sind,
so aber, dass doch bei aller Vergeistigung auch die alte sinnliche Vorstellungs-
weise noch immer irgendwie nachwirkt. Zu diesem Verständnis des Entwicklungs-
ganges menschlicher Religion, Sitte und Kultur liefert das vorliegende Buch einen
Beitrag von ausgezeichnetem Wert. Dank der Sorgfalt des Übersetzers hat es
auch noch in zahlreichen Anmerkungen und in einem ausführlichen Inhaltsregister
eine Bereicherung erfahren, die seine Brauchbarkeit für den deutschen Leser erhöht-
Möge es auch bei uns, wie schon längst in den Ländern englischer Zunge, einen
grossen Leserkreis finden! Otto Pf leider er.
Max Müller, Nouvelles etudes de Mythologie. Traduites de TAnglais par
Leon Job, Prof. au Ljcee de Nancy. Paris, Fei. Alcan, 18^»9. S. X.
65L 8°.
Das vorliegende Buch ist eine auf Veranlassung von M. Victor Henry. Prof.
des Sanskrit an der Sorbonne, ausgeführte Übersetzung der 1.S97 erschienenen
Contributions to the science of mythologie von Max Müller, unter "Weglassung der
langen Vorrede des Verfassers. Wir wollen die Existenz der französichen Über-
tragung zur Kenntnis unsrer Leser bringen, und dabei erwähnen, dass auch eine
gute deutsche Übersetzung 1898/1899 zu Leipzig (bei Engelmann) in 2 Bänden
erschienen ist: „Beiträge zu einer wissenschaftlichen Mythologie. Aus dem Eng-
lischen übersetzt von Dr. Heinrich Lüders." — Der mythologische Standpunkt Max
Müllers ist hinreichend bekannt. Er ist ein Hauptgründer der vergleichenden
arischen oder indogermanischen Mythologie und w^endet vornehmlich die etymo-
logische Analyse an, um die wedischen und griechischen Mythen zu erklären, lässt
den Mythus gewissermassen aus der Sprache entstehen. In den Contributions
unternimmt er die heftigen Angriffe, die von den ethnologischen Mythologen,
besonders von Andrew Lang, gegen ihn gemacht worden sind und noch gemacht
werden, abzuschlagen. Max Müller steht nach wie vor auf seinem vergleichenden
philologisch-mythologischen Grunde, und da er aus der Sprache seine Auffassungen
und Deutungen des Wesens der arischen Götter zieht und die Beweise dafür ent-
nimmt, ist es begreiflich, dass er die Hauptschwäche seiner Gegner in ihrer Un-
kenntnis der Sprachen jener „wilden" Völker findet, auf deren Religionen sich
das ethnologische System aufbaut. Er hält nicht alle Behauptungen aufrecht, die
er früher gemacht, verteidigt aber tapfer das Kornwerk der alten Festung der ver-
gleichenden Mythologie.
Das Buch zerfällt in sechs Kapitel verschiedenen Umfangs: 1. Rückblicke auf
die vergleichende Mythologie, 2. Probleme und Methoden, 3. Die analogische
Schule, 4. Die psychologische Schule, 5. Fragen der Lautlehre, 6. Die Mythologie
der Veden (S. 318—597). K. AV.
The Home of tlie Eddie Poems with especial reference to the Helgi-Lays
by Sophus Bugge. Revised edition with a iiew introduction concerning
Old Norse Mythology by the Author. Translated by W. H. 8chofield
London, D. Nutt, 1899. LXXIX, 408. [Grimm Library No. XL]
Das Buch ist — was aus dem Titel nicht ohne weiteres hervorgeht — eine
Übersetzung des zweiten Bandes von S. Bugges Studien über die Entstehung der
Bücheranzeigeu. 453
nordischen Götter- und Heldensagen, der im Jahre 1<S96 unter dem Hnupttitel
Helßedißtene i den celdre Edda, deres Hjem og Forbindeher (Die Helgilieder der älteren
Edda, ihre Heimat und ihre Verbindungen) erschienen ist. Der ganz abweichende
Titel der Übersetzung Hesse vermuten, dass das Werk auch inhaltlich durch den
Verfasser eine Umarbeitung und Erweiterung nach der durch den Titel angedeuteten
Richtung erfahren habe; doch beschränken sich die Abweichungen vom Original
auf unwesentliche Kleinigkeiten meist redaktioneller Natur, sowie auf die Beigabe
der Einleitung. Der Übersetzung als solcher giebt der Verfasser, der sie sowohl in
der Handschrift als in der Korrektur durchgesehen hat, das Lob der Sorgfalt und
Treue auf den Weg mit. Nach seinem berufenen Zeugnis kann sie somit das
Original vollkommen vertreten. Legt man der Titelfrage überhaupt irgend welche
Hedeutiuig bei, so muss allerdings der englische Titel als nicht ganz zutreffend
bezeichnet werden. Von einem Werke über die Heimat der Eddalieder erwartet
man doch verschiedentliches mehr als das Buch enthält, das anderseits wieder
vieles bringt, was über dieses Titelprogramm hinausgeht. Doch wäre es pedantisch,
sich darüber aufzuhalten, zumal die Frage nach der Heimat der Helgilieder im
Vordergrunde der Untersuchungen steht und der Verfasser sowohl andere Edda-
lieder dabei berücksichtigt, als auch seine Ansichten über die Heimat der Edda-
lieder überhaupt ausspricht. Diese Ansichten lassen sich kurz dahin zusammen-
fassen, dass die eigentliche Heimstätte der mythisch-heroischen Dichtung des Nordens
die britischen Inseln seien, wo Skandinavier mit Angelsachsen und Iren in enge Be-
rührung kamen und Beeinflussungen durch sie erfuhren; dass die meisten [S. XVIII]
Eddalieder dort gedichtet seien, oder vorsichtiger gefasst, von Dichtern herrühren,
welche dort ihre Impulse empfingen [S. XVIII], und dass auch die älteste hand-
schriftliche Sammlung solcher Lieder dort veranstaltet worden sei (S. 376). Die Be-
weisführung wird jedoch nicht auf der ganzen Linie angetreten, vielmehr stellen diese
Sätze nur eine Art Programm auf, dessen Begründung im einzelnen der Verfasser
in künftigen Arbeiten zu geben verspricht. Sein eigentliches Untersuchungsfeld
sind diesmal die Helgilieder, an denen gewissermassen vorbildlich die Richtigkeit
dieser Ansichten dargethan werden soll, wobei patürlich auch andere Eddalieder
gestreift und allgemeinere Fragen berührt werden.
Die theoretische Möglichkeit von westlichen Einflüssen überhaupt ist durch
die historischen und kulturellen Verhältnisse der Vikingerzeit gegeben; dass solche
wirklich stattgefunden haben, ist nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich,
in manchen Einzelheiten wie in allgemeineren Zügen der geistigen Physiognomie
dieser Zeiten auch nachgewiesen. Gewiss kann eine solche Erweiterung des
geistigen Horizontes, wie sie die Ausbreitung der Skandinavier über den Nord-
westen Europas zur Folge hatte, nicht ohne Einfluss auf ihre litterarische Produktion,
ihre geistige Kultur überhaupt geblieben sein, und wenn Bugge auf diese kultur-
geschichtichen Thatsachen Gewicht legt, wenn er sich bemüht, Folgerungen
daraus zu ziehen und bestrebt ist, mit diesen Möglichkeiten zu rechnen, zu erproben,
ob sie nicht einen Schlüssel an die Hand geben, der bisher verschlossene oder
unbeachtet gebliebene Pforten der Erkenntnis öffnet, so bedeutet der Versuch als
solcher gewiss ein theoretisches Verdienst. Aber nicht gegen diese allgemeine These
richtet sich die Opposition und der Unglaube, auf den die Studien — in ver-
schiedenem Ausmasse und mit Abstufungen — gestossen sind, sondern gegen die
positiven Einzelaufstellungen und die Methode, mittels welcher derartige Einflüsse
als wirklich vorhanden oder wahrscheinlich nachgewiesen werden sollen. Sie ist
aus dem ersten Bande der Studien bekannt; sie ist in dem zweiten Bande keine
andere geworden, es sei denn, dass ihrer Tragkraft noch grössere Belastungen
454 Jiriczek:
zugemutet werden, so grosse, dass nicht viele wagen werden, dem Verfasser bei
seinem schwindelnden Flug in das Reich der Möglichkeiten zu folgen. Gewiss,
die Sagen forschung muss mit Möglichkeiten rechnen: Beweise von mathematischer
Sicherheit lassen sich, sobald man das vorliegende Sagenmaterial überschreitet und
zur Rekonstruktion der Vorstufen, zu der vorlitterarischen Entwicklung übergeht,
kaum jemals beibringen; Wahrscheinlichkeit ist in den meisten Fällen das höchste,
was erreicht werden kann, Möglichkeit häufig das einzige, was wirklich erreicht wird.
Aber auch die Möglichkeit hat ihre Grade; und sehr viele Aufstellungen in diesen
Studien lassen sich nur insofern als Möglichkeiten bezeichnen, als sich ihre Unmög-
lichkeit nicht handgreiflich beweisen lässt. In einer Partie der Helgilieder wird eine
Werbesage erzählt; in dieser spielt ein Jarl Franmarr, der seinem König rät, die
Werbung Hjörvards um die Königstochter abzuschlagen, eine Rolle; er verwandelt
sich in einen Adler und bewacht die Frauen. In den Grundzügen der Werbesage
glaubt Bugge eine Ähnlichkeit mit der Werbung Chlodwigs um Chrodechildis zu
erkennen. Von dieser Basis aus — die als „unmöglich" nicht nachgewiesen werden
kann, die aber auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich hat — operiert
der Verfasser nun weiter. Nach der fränkischen Geschichte oder Sage rät ein
Ratgeber dem burgundischen König, die Zusage rückgängig zu machen; er heisst
Aridius. Aridius, Arideus konnte von Germanen als Adlermann verstanden werden:
er wird bei Fredegar als sainenn und pi'udentissimitn bezeichnet; ein entsprechender
Ausdruck konnte von Skandinaviern als zaubergewaltig aufgefasst werden: damit
war der Impuls gegeben, nach Analogie mythischer Erzählungen und Märchen die
Adlerverwandlung des Jarls zu erfinden. Auch sein Name erfährt in diesem Zu-
sammenhange einen Erklärungsversuch. Gregor von Tours (und Lib. bist. Franc.)
nennt den Aridius cirum mlustrem. Sobald die fränkische Erzählung zu den Angel-
sachsen gedrungen war, konnte dieses Epitheton durch das ags. freänunre oder
fru-m'krc ersetzt werden, und dieses kann ein nordischer Dichter wieder durch
Umdeutung in den Namen Franmarr verwandelt haben. Aber noch ein anderer
Aridius hat bei Franmarr Gevatter gestanden: der heilige Aridius, Abt in Limoges.
Die Taube, die sich nach Gregors Erzählung auf den Heiligen niederliess und an-
zeigte, dass er des heiligen Geistes voll war, hat mitgewirkt zu der Vorstellung
von der Verwandlung des Aridius-Franmarr in einen Adler. Die vielen Wunder
des heiligen Aridius mussten natürlich den Glauben an die Zauberkraft des Aridius-
Franmarr erhöhen. In der nordischen Werbesage spielt ein wunderbarer Vogel
eine Rolle; er bietet sich dem Werber an, ihm behilflich zu sein, und verlangt
dafür Tempel, viele Altäre und goldgehörnte Kühe. Wer sich hinter diesem
Vogel birgt, erfahren wir aus unserer Überlieferung nicht; Bugge vermutet, es sei
wieder Franmarr, der den Werber zum besten hat, und glaubt in der Rolle des
Aridius I. dafür Stützen zu finden. Aber auch Aridius II. ist nicht unbeteiligt,
denn von ihm wird erzählt, er habe als einzige Begünstigung angestrebt (oder wie
immer man die Worte unum sibi tantnm jvivilefjium cindicans wiedergeben mag),
Kirchen bauen zu können; er errichtete Tempel zu Ehren der Heiligen Gottes
und gründete ein Kloster. Alles das wird man nicht als unmöglich nachweisen
können, aber die Möglichkeit dieser Zusammenhänge beruht auf so vielen Voraus-
setzungen und Hilfsannahmen, die wiederum nur vage „Möglichkeiten" sind, dass
der wissenschaftliche Wert der Hypothese wohl äusserst gering ist. Diese Hypothese
ist nicht die einzige ihrer Art, auch nicht die extremste; sie ist nur als beliebiges
Beispiel für die Unmöglichkeit einer Widerlegung solcher Aufstellungen, bei denen
alles auf den Glauben ankommt, ausgehoben. Mit solchen Ähnlichkeiten lässt sich
eben alles beweisen und gegen solche Beweise lässt sich nicht kämpfen. Man
Büclieranzeigeu. 455
kann nur an sie glauben oder seinen Unglauben erklären. In dieser Lage befindet
man sich dem grössten Teil der Aufstellungen Bugges gegenüber, darüber kann
der Aufwand von Wissen und Gelehrsamkeit, Scharfsinn und Geistesbeweglichkeit,
mit dem Bugge seine Ideen darlegt und verficht, nicht hinwegtäuschen. Selbst-
verständlich ist er nicht fruchtlos verschwendet; in Abschnitten, wo festerer Boden
berührt wird, wie in den Kapiteln HeUji a danish King, Helgi in Saxo, Relation to
anqlosaxon epics u. a. m. wird man, auch ohne in allen Details zu folgen, eine
Vermehrung der Erkenntnis durch treffende Nachweise, eine Förderung der For-
schung durch Aufstellung neuer Gesichtspunkte mit weitem Ausblick begrüssen.
Zerstreut durch das Buch hin stehen neben gewagtesten Thesen und Erklärungen
wertvolle philologische und sagenhistorische Beobachtungen, wie es tiberhaupt
keiner Hervorhebung bedarf, dass auch diese Portsetzung der Studien auf jeder
Seite von der bekannten Gelehrsamkeit des Verfassers Zeugnis ablegt. Sofern aber
das Buch dem Nachweise irischer, antiker und fränkischer Bestandteile in den
Helgiliedern und Helgisagen und der Losreissung der Eddapoesie von ihrem hei-
mischen Boden bestimmt ist, erreicht es sein Ziel nicht. 0. Jiriczek.
Karl Bücher, Arbeit und Tihythmus. Zweite, stark vermehrte Auflage.
Leipzig, B. G. Teubuer, 1899. X. 412 S. 8°.
Dass die ausgezeichnete Schrift Büchers nicht nur gelobt, sondern auch gelesen
wurde, zeigt das Erscheinen dieser zweiten Ausgabe nach Ablauf von kaum drei
Jahren. Das Grundgerüste des Buches ist dasselbe geblieben; an dem von emsiger
Empirie zugleich und starker Intuition getragenen Gedankengang hatte der Verf.
nichts zu ändern. Dagegen hat er noch einige Fragen, die ihm am Wege lagen,
hereingezogen und zu drei neuen Kapiteln ausgestaltet: V. Die Anwendung des
Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten grösserer Menschenmassen; VI. Gesang mit
anderen Arten der Körperbewegung; VIII. Frauenarbeit und Frauendichtung. Von
den schon früher vorhandenen Abschnitten hat ganz besonders der über die ver-
schiedenen Arten der Arbeitsgesänge an Fülle gewonnen; sein Umfang hat sich
mehr als verdoppelt, indem die einzelnen Gattungen in grösserer Zahl aufgestellt,
vor allem aber mit reicheren Proben aus fernen und nahen Volksüberlieferungen
begleitet werden.
Wie sehr gerade der Volkskunde diese Erweiterungen zu Gute kommen, braucht
nicht gesagt zu werden Ausdrücklich wollen wir nur auf jenes Kap. Y verweisen
mit seinen lehrreichen Ausführungen über die Bittarbeit, das Stück der mensch-
lichen Arbeitsordnung, -das hinter der Stufe der Sklaverei und Leibeigenschaft
weit zurückliegt".
Auch im übrigen hat der Verf. da und dort einen Satz eingefügt, ein Ergebnis
bestimmter formuliert oder eine Behauptung eingeschränkt. In der 1. Auflage, S. 95
war dem Leser aufgefallen, dass B. den Beziehungen der epischen Poesie zur
Körperbewegung offenbar nicht gerecht wurde. Jetzt, S. 5-29 ff., wird diesen Be-
ziehungen etwas mehr eingeräumt, aber, wie uns scheint, noch nicht genug. Die
epische Dichtung auf der Stufe des Tanzliedes hat ein ausserordentlich weites
Gebiet inne. Man denke an die echte Ballade, deren Vortragsweise z. B. von
Steenstrup Vore Folkeviser (Kph. 1891) S. 8ff. anschaulich behandelt wird. Die
von B. erwähnten Tanzlieder der Faeringer stehen nicht so vereinzelt da, sie hatten
früher weit und breit ihre Gegenstücke. Auch an die isländischen Rimur ist zu
erinnern. Mochten bei dem getanzten Heldenlied auch mimische Elemente ein-
fliessen. so kann uns das doch nicht hindern, von wirklicher epischer Dichtung zu
456 Heusler:
sprechen. „Bis zur Stufe des Tanzliedes lüsst sich von einer epischen Dichtung^
eigentlich nicht sprechen, oder vielmehr ihre Entwicklung fällt bis dahin mit der-
jenigen des Dramas zusammen"; „dass die Zwischenstufe des epischen Tanzliedes
hier ausgeschlossen werden musste, liegt auf der Hand; wo es vorkommt, ist es
als Vorstufe des Dramas aufzufassen" — diese Sätze werden gerade durch die
germanischen Balladen nicht bestätigt. Der Isolierungsprozess der drei musischen
Künste lässt sich auf dem epischen Gebiet in lückenloser Vollständigkeit und an
der Hand von ungemein reichem Materiale verfolgen.
Zu den Liedern an der Handmühle möchte ich noch bemerken, dass auch
eine isländische Königsgeschichte eine norwegische Magd kennt, die allein an der
Mühle steht (oder sitzt) und mit wunderschöner Stimme zum Mahlen singt (Mor-
kinskinna S. 224. B^ornmanna sögur 7, 233). Und der von Bücher S. 98 auch kurz
erwähnte Valkyrjengesang der Niälssaga regt die Vermutung an, dass in der
stilistisch auffallenden Wiederholuugsfigur Vindum, vindum ein Stück echter
Webelieder nachgebildet sei.
Berlin. Andreas Heusler.
Kiinz Kistener, Die Jakobsbrüder, herausgegeben von K. Euling. (A. n.
d. T. Germauistische Abhandlungen, begründet von K. Weinhold,
herausgeg. v. Friedrich Yogt, 16. Heft.) Breslau, M. & H. Marcus,
1.S99. 130 S. <s.
Herr Adam, ein reicher bayerischer Graf, der schon zwölf Jahre mit seiner
Gemahlin in kinderloser Ehe lebt, fleht den hl. Jakobus an, ihm zu einem Erben
zu verhelfen und gelobt, diesen auf eine Fahrt zum hl. Jakobus nach Kompostella,
dem seit dem 9. Jahrhundert stets gern besuchten Wallfahrtsort in Spanien zu
senden. Seine Bitte wird erfüllt. Als der Knabe 12 Jahr alt ist, begiebt er sich
zur Betrübnis der Eltern auf die Reise und schliesst unterwegs treue Freundschaft
mit einem jungen Schwaben aus Heigerloh. Noch sind die beiden Pilger nicht am
Ziel, als der Grafensohn stirbt. Seinem letzten Wunsche folgend, nimmt der
Freund seine Leiche mit nach Kompostella, und auf seine unablässigen Bitten
weckt der hl. Apostel durch ein Wunder den Toten auf. In die Heimat zurück-
gekehrt nimmt sich der Grafensohn seines Freundes aufs beste an, so dass dieser
seinen verarmten Eltern aufhelfen kann. Ja, als der Schwabe am Aussatz erkrankt,
zögert er nicht, das Blut seines einzigen Kindes zu opfern, um dem Freunde, dem
er das Leben verdankt, zur Heilung zu verhelfen. Zur Belohnung für seine Treue
wird denn auch das Kind wieder lebendig, und zum Dank wird das Kloster
Gnadenau gegründet.
Dies in kurzen Zügen der Inhalt des anmutigen Gedichtes von den ,.Jakobs-
brüdern", das im 14. Jahrhundert Kunz Kistener im Elsass, vielleicht zu Strassburg,
zum Preise des hl. Jakobus, in stofflicher und stilistischer Anlehnung an Konrad
von Würzburg verfasste und das uns Euling hier in einer neuen, kritischen Aus-
gabe mit reichen litterarhistorischen, sprachlichen und sachlichen Beigaben vorlegt.
Uns interessieren besonders die Seiten 41 — 4.s seiner Einleitung, wo der Heraus-
geber über die zu Grunde liegende mittelalterliche Sage von der Aufopferung
zweier Freunde füreinander (die Amicus- und Ameliussage, von Konrad von
Würzburg im Engelhart behandelt) mit grosser Sachkenntnis und Beherrschung
der Legendenlitteratur sich verbreitet. Im deutschen Volksmärchen vom „treuen
Johannes" erscheint die Sage mit alten orientalischen Motiven eng verknüpft, wie
Bücheranzeigen. 457
Reinhold Köhler in seinem grundlegenden Aufsätze^) nachgewiesen hat. Auch
über die Verehrung des hl. Jakobus im deutschen Mittelalter, wie sie sich in
unserer Litteratur spiegelt, sowie über die poetische Verwertung alter Motive
(Wallfahrtsgelübde bei unfruchtbarer Ehe u. dgl.) iin 14. Jahrhundert belehrt uns
Eulings Buch in ausgiebiger Weise. Die Volkskunde dankt ihm eine gute Grund-
lage, auf der sie weiterbauen wird.
Würzburg. Robert Petsch.
Aus den Tiroler Bergen. Ein AVanderbuch von Adolf Pichle r. Zweite
Auflage. Leipzig, Georg Heinrich Meyer, 1899. S. oll. S°.
Adolf Pichler, der am 4. September d. J. sein achtzigstes Lebensjahr in voller
Frische unter allgemeiner Teilnahme vollendete, der grosse Tiroler Dichter, ist
auch ein tüchtiger Professor der Mineralogie an der Innsbrucker Universität ge-
wesen, und hat von Jugend auf den Hammer in der Hand die heimischen Alpen
durchstreift und bestiegen. Von kräftigen Gliedern und straffen Sehnen erkletterte
er wiederholt die unzugänglichsten Schroffen und kennt so die Geheimnisse der
wildesten Gebirge, wie nur ein Gemsjäger und kecker Hirtenbub. Von diesen
Wanderungen erzählt in kurzen Kapiteln das vorliegende Buch des Ritters von
Rautenkar, in vortrefflicher Sprache, lebendig, interessant und giebt auch an vielen
Stellen Blicke in Leben, Sitten und Meinungen des Tiroler Volkes, das Adolf
Pichler durchaus kennt und das er von ganzer Seele liebt. K. Weinhold.
Feilberg, H. F., Dansk Bondeliv, saaledes soni det i Mandes Minde fortes-
navuiig i A'estjylland.' Anden Del. Kjobenhavn, i Konnnission hos
G. E. C. Gad, 1899. S. TV. 212. 8^
Im Jahre 1889 erschien der erste Teil (2. Aufl. 1898) dieser Schilderung des
dänischen Bauernlebens, namentlich in Westjütland, entworfen von Dr. H. F. Feil-
berg, damals Pastor in Bramming. Er hatte eine genaue Bekanntschaft mit Land
und Leuten im Lande selbst erworben, und ward durch seine Vertrautheit mit den
litterarischen Quellen der dänischen Volkskunde unterstützt. Dieser erste Teil be-
handelte: 1. Westjütland nach seiner ärmlichen Natur unter den Weststürmen und
den Einbrüchen der West(Nord)see. 2. Der Hausbau. 3. Das arbeitvolle Leben
des Bauern. 4. Das innere Leben, ö. Handel. 6. Aus der Zeit der alten Kom-
muneverfassung. 7. Zollgrenze an der Königsau und Schmugglerei. Hausierhandel
und Märkte. 8. Feste. 9. Aus dem Familienleben.
Auf diesen ersten Teil ist erst jetzt der zweite gefolgt, welcher im ersten und
längsten Abschnitt (S. 1—135) die Familienfeste eingehend beschreibt: Hochzeit,
Geburt und Sechswochen, Tod und Begräbnis. Im 2. Abschnitt werden die Volks-
sünden: Trunkenheit und geschlechtliche Leichtfertigkeit besprochen, im 3. Aber-
glaube und Volksmedizin, in einer Beigabe: Die ungeschriebene Volkshtteratur:
Lieder, Märchen, Sagen, Tiergeschichten, Spott und Neckereien, Rätsel.
Ein ungemein reicher Stoff ist hier wohlgeordnet und zuverlässig vorgelegt
und in einer sehr geschickten und ansprechenden Form, so dass auch die Ver-
breitung des Buches unter den ungelehrten Lesern, für welche die Schriften be-
1) Aufsätze über Märchen und Volksheder, herausg. v. J. Rolte und E. Schmidt S. 24 ff.
458 Weinhold:
stimmt sind, die das Udvalg for Polkeoplysings Fremme in Kopenhagen heraus-
S'iebt, mit Zuversicht erwartet werden kann.
Pastor Dr. Feilberg hat seinen zahlreichen A'^erdiensten um die skandinavische,
insbesondere um die dänische Volkskunde ein neues zugefügt.
K. Weinhold.
Folklore Catalan. Legendes du Roussilloii par Horace Chauvet.
Paris, J. Maisonneuve. Perpignau, Imprimerie - Librairie de l'Inde-
pendant, 1899. S. 119. 8°.
üie kleine Sammlung von Sagen aus dem Roussillon, der südöstlichsten
Pyrenäenlandschaft Frankreichs, die von einer catalonischen Bevölkerung bewohnt
ist, heissen wir willkommen. Der Herausgeber H. Chauvet, Mitredakteur des Inde-
pendant des Pyrenees-orientales, hat 29 Sagen gesammelt, die er in legendes fan-
tastiques, 1. religieuses und 1. diverses teilte. Die ersteren sind meist Geschichten
von den Berg- und Wasserfräulein (fadas, encantadas, donas d'aygua, bruixas)
und ihren Liebschaften mit den Hirten der Berge und den Fischern der See. Der
Übergang dieser geisterhaften Schönen in die Hexen ist in mehreren Geschichten
vollzogen. Berührungen mit unseren deutschen Sagen von den elbischen Frauen
ergeben sich überall. Eine will ich kurz mitteilen, la Grisette de Collioure.
Die Hexen von Collioure waren drei reizende Mädchen; die eine, Grisette
genannt, hatte sich in einen hübschen jungen Fischer verliebt und wollte ihn
heiraten. Aber ein altes Weib verriet diesem, wie es um seine Braut stund und
riet zur Vorsicht. Er verbarg sich also in ihrer Stube und wartete der Dinge.
Um Mitternacht öffnete das Mädchen das Fenster, winkte mit einem weissen Tuche
und es kamen zwei schöne, schon verheiratete Frauen. Die drei beschlossen, auf
die Insel S. Vincent zu fahren, um für das morgende Kirchweihfest sich Blumen
zu holen. Grisette nahm aus ihrem Schranke einen Salbentopf, in den jede ihren
Daumen tauchte. Darauf sprachen sie: pet sus fuUa, mena nos ä la barca, schlugen
neunmal das Kreuz und verschwanden. Der Bursch machte das nach, folgte den
bruixas und trat vor ihnen in das Boot, das bereit lag und verbarg sich darin.
Darauf rief die eine: vara per un, vara per dos, vara per tres, vara per cuatre!
Das Boot fuhr nun rasch nach der Insel; während dessen sprach Grisette: ,.In
meiner Brautnacht will ich meinen Mann in einen Fisch verwandeln und er soll
an der ganzen Küste hinschwimmen. Das wird sehr drollig sein!" „Ich", sagte
die andere, „habe meinen Mann damals in ein Pferd verwandelt, und er musste
alle Strassen durchtraben. Am anderen Morgen war er davon ganz elend." Aber
da war man an der Insel, die drei Weiber stiegen aus, pflückten die seltenen
Blumen, und der Bauer that desgleichen, verbarg sich aber dann, ehe jene zurück-
kamen, im Boot. Die Rückfahrt ging rasch von statten, und der Mann war froh,
nach seiner lehrreichen Reise wieder daheim zu sein. Er erzählte sein Abenteuer
den Kameraden und teilte ihnen von den Blumen der Insel S. Vincent mit. Daran
erkannte die Braut, was geschehen war, sie gestand und um ihre Heirat war es
geschehen.
Aus der Abteilung der religiösen Geschichten sei folgendes (S. 69) mitgeteilt:
Am Johannisabend werden auf den offenen Plätzen und auf den Bergen grosse
Breuer angezündet, besonders aber charakteristisch ist la cueillette de la bonne
aventure. Die jungen Burschen und Mädchen gehen mit der Morgenröte in die
Wiesen, um gewisse neun Pflanzen zu sammeln, wenn sie noch nass vom Tau
sind: Johanniskraut, Verbena, Grundheil, Jasmin, Camille, Citronelle, Farn, Thymian
Bücheranzeigen. 451 >
und Rosmarin. Besonders gesucht sind Verbena und Grundheil (trescam), weil
sie alle Hautkrankeiten heilen und die Hautfarbe verschönern. Die Blumensträusse
bringen die Mädchen im Kreuz an Thüren und Fenstern an, um den bösen Geistern
den Eintritt zu verwehren. Man erzählt sich darüber folgendes:
Ein Mädchen hatte sich in einen schönen Burschen vom Gebirge verliebt und
wollte ihn heiraten. Am Johannismorgen hatte sie die Glückskräuter gesammelt
und aus Zufall einen Thymian und einen Rosmarinstrauss kreuzweise über der
Thür angesteckt. Als ihr Geliebter kam, konnte er nicht in das Haus eintreten,
und als sie ihn fragte, sprach er: „Ich fürchte mich vor dem Strauss, der wie eine
Natter aussieht." „Das ist keine Natter, das ist ein Kreuz von Blumen, vor dem
sich nur die Bösen fürchten." Und nun gestand der Bursche, dass er der Teufel
sei, der ihre Seele haben wollte und ohne dieses Kreuz sie bekommen hätte.
Seitdem stecken die Mädchen am Johannistage ein solches Kreuz über ihre Thür.
Sie stellen auch am Johannisabend ein Gefäss mit Wasser vor ihr Fenster, worin
sie Eiweiss schlagen. Aus den Bildungen, welches dieses beim Beginn des Tages
angenommen hat, werden die guten oder schlechten Eigenschaften ihrer Schätze
gedeutet.
Die Erinnerungen an Roland, den Helden Karls des Grossen, leben noch in
den östlichen Pyrenäen. Seine Pusstapfen in Steinen werden gezeigt, Felsspalten
hat er mit seinem Schwerte gehauen, grosse Steinblöcke hat er als Wurfsteine
gebraucht, Vertiefungen in Felsen bezeichnet man als Krippen seines Rosses. Er
ist zum Riesen gemacht, und Riesensagen, die den unseren gleichen, wurden auf
ihn übertragen (S. 115—118).
Auch das Gedächtnis eines anderen Helden Karls, des Markgrafen Wilhelm
von Aquitanien, Guillaume d'Orange, ist nicht erloschen. In der S. 71 mitgeteilten
Sage wird er, der am Ende seines Lebens Mönch ward und dafür den Heiligen-
schein bekam, nur als Sieger über Hölle und Hexen gerühmt. Die Einsiedelei des
hl. Wilhelm de Combred liegt am Fusse des Pic de Tretzevents. K. W.
Gitte'e, Aug., Curiosites de ia Vie enfantine. Etudes de Folklore.
Paris, Verviers (Pont St. Laurent 19), 1899. (Bibliotheque Gilon.)
S. 126. 8°.
Herr Prof. Aug. Gittee, z. Z. in Pepinster in Belgien, den Freunden der Volks-
kunde wohl bekannt, legt in diesem Büchlein eine Reihe kleinerer Aufsätze vor,
die er vergleicht ä de legers bateaux destines ä penetrer dans les baies les plus
etroites, pour approvisionner toutes les parties d'un pays. Er will also in den
weitesten Kreisen seiner Landsleute damit Interesse für die Volkskunde, le folklore,
erwecken, teils durch allgemeinere Darlegungen, wie in den Aufsätzen: I. le Folk-
lore, IL un Musee de Folklore, teils durch Besprechungen einzelner Gebräuche,
Vorstellungen, Überlieferungen, so in III. la Rime d'Enfant, IV. le Jeu de Madame
la Rose (ein im Lüttichschen unter diesem Namen, in Holland als das Spiel vom
Kanonike, in Deutschland vom Herrn von Ninive bekanntes, über viele Völker
verbreitetes Kinderspiel, das auf Brautwerbung und Brautkauf zurückgeht); V. le
trou en terre (eine mit Wasser gefüllte kleine Erdgrube wird mit Zweigen und
Erde bedeckt und ein Kind zum Hineinfall gebracht: Lüttich, Flandern); VI. Censes
de bapteme (durchbohrte Zweicentimstücke, die an einem Seidenbande getragen
werden und für glückbringende Amulete gelten. Gevatter und Gevatterin schicken
sie Freunden und Bekannten); VII. Sind Dj'han enn'e va nin sin s'pehon (Saint
460 Petsch:
Jean nc s'en va pas sans poisson; über den Glauben, dass das Wasser am Johannis-
tage ein Menschenopfer verlange); VIII. Les coups de feu pendant la nuit de Noel
(der Gebrauch, in der Christnacht zu schiessen, ist in Belgien nur im Lüttichschen,
wie es scheint, bekannt, in Deutschland findet er sich mehr in der Neujahrsnacht.
Herr G. deutet ihn im Anschluss an volksmässige Erklärungen auf das Verscheuchen
der Gespenster oder bösen Geister, indem er auf die Erklärung der Weihnachten
als grosses germanisches Totenfest sich stützt); IX. Les Mahometans dans le folk-
lore beige (im Hennegau nennt das Volk Pelslöcher creyas de Sarrasins, und er-
zählt von Schmieden, die darin gewohnt haben. Daran knüpft Herr G., was er
Verwandtes aus Flandern kennt, wo die Türken an Stelle der Sarazenen treten).
X. Spectres et fantomes (Spiritistisches). XI. Contes et fabliaux (im Anschluss an
das Buch von J. Bedier, les Fabliaux, werden die verschiedenen Theorien über
die Verbreitung der Märchen- und Erzählungsstoffe vorgeführt). K. W.
Adolf Flachs, Rumänische Hochzeits- und Totengebränchc. Berlin, Georg
Minuth. H''.
Auf Grund gediegener rumänischer Quellen und eigener Beobachtung schildert
uns Herr F. in lebhafter Sprache die Fülle von Vorstellungen und Bräuchen, die
das rumänische Volk mit der Hochzeit und dem Tode verknüpfen. Allenthalben
sind auch die Lieder und Sprüche, die sich auf die behandelten Vorgänge beziehen,
herangezogen und im wesentlichen geschmackvoll übersetzt. Erfreulich ist es, dass
wir keine abgebrochenen Einzelheiten vorgeführt bekommen, sondern zusammen-
hängende, freilich stellenweise fast novellistische Schilderungen. Auf die Herkunft
und die Verbreitung der einzelnen Gebräuche geht der Verf. nicht ein, weist uns
auch nichl nach, wo wir uns über rumänische Volkskunde weiter belehren können:
immerhin bietet das populäre Schriftchen auch dem Fachmanne des Neuen und
Outen manches.
Würzburg. Robert Petsch.
Bobert Mielke, Die Bauernhäuser in der Mark. Berlin 1<S')9 (Stankiewicz-
sclie Druckerei). 40 S. 8°.
Der Herr Verfasser ist ein weitgereister Freund der Volkskunde, gründlicher
Kenner der Mark und feinfühliger Künstler, hat uns schon öfters mit Schriften
über volkstümliche Kunst erfreut. Dies neue Büchlein ist um so dankbarer auf-
zunehmen, als sich Herr M. hier an reiches, selbst gesammeltes, konkretes
Material hält und im Anschluss an die grundlegenden Forschungen von Meitzen
u. a. die Bautypen mit ihren Unterabteilungen gegeneinander abzugrenzen sucht.
Einige Hausinschriften, die man in der Mark vollständig sammeln sollte, sowie
Litteraturangabeii schliessen das Heft, dass sich auch ausserhalb Brandenburgs für
die deutsche Hausforschung, besonders durch seine reichen Abbildungen nützlich
•erAveisen wird. R. Petsch.
Paul Wigand, Der menschliche Körper im Munde des deutschen
Volkes. Eine Sammlung und Betrachtung der dem menschlichen
Körper entlehnten sprichwörtlichen Ausdrücke und Kedensarten. —
Johannes Alt, Frankfurt a. M.. 1891). 119 S.
Bücheranzeigen. 461
Ungeschickt wie der kannibalische Haupttitel ist das ganze Büchlein: im Stil
(_Eine Komik ists z. B., wenn einer ein Auge auf ein Mädchen wirft", S. 3), in
der Anordnung (die fünfte Gruppe S. 56 f. bringt lauter Redensarten, die ebenso
gut anderswo unterzubringen wären), in der Auswahl („bei meinem Barte", S. 2ä,
soll eine deutsche Formel, „Gesichtspunkt", S. 29, volkstümlich sein u. dgl. ra.).
Trotzdem hat der liebenswürdige Eifer eines für die Sache begeisterten Dilettanten
eine lehrreiche Sammlung zustande gebracht, die nur unter der prüden Auslassung
alles Geschlechtlichen (S. 4) leidet. Und die Zusammenstellung bleibt doch
schliesslich die Hauptsache. Dass „Buckel" (S. 27) nicht bloss verächtlich und
burschikos, sondern mit einer gewissen liebkosenden Lithotes gebraucht wird, wie
der Bauer von einem „Sümmchen" spricht: dass „hitzige Leber" (S. 39) aus der
Volksmedizin und „Pfahl im Fleisch" (S. 59) aus der Bibel stammt, kann sich der
Leser leicht selbst ergänzen; die Fülle von Redensarten aber, zu denen die Körper-
teile Anlass geben, bietet an sich eine lehrreiche volkskundliche Thatsache. Be-
sonders interessant sind die „miraischen Redensarten" (S. 15 f.), wie ich die von
^symbolischen Bewegungen des menschlichen Körpers" (S. 13) genommenen nennen
möchte: fussfällig bitten, sich auf die Lippen beissen, einen schiefen Mund ziehen;
sodann die sachlichen Vergleiche (S. 63 f.), wie: der Arm am Kreuz, das Fettauge,
das Fischbein. Hier wäre freilich eine Sichtung in Bezug auf wirklich volkstüm-
lichen Gebrauch besonders nötig, Wigand führt sogar rein wissenschaftliche Termini
wie „Thalsohle" und „Landzunge" (S. 67) an. — Auch Familiennamen (S. 70) und
symbolische Redensarten allgemeinerer Art (S. 113) wie „etwas mit ansehen" und
Metaphern von der Kleidung wie (S. 115) „aus dem Ärmel schütteln" werden ver-
zeichnet. So kommt ein reichhaltiges Material zusammen, das sowohl für die
Volkskunde als auch für die Stilistik wertvoll ist. Wir wollen deshalb trotz allen
Bedenken für den Sammler keineswegs die erste der (S. 72) nach den Körperteilen
auch alphabetisch zusammengestellten 1030 Redensarten „über die Achsel ansehen"
verwenden, sondern lieber No. 554: beim Anblick dieses Reichtums „geht einem
das Herz auf."
Berlin. Richard M. Meyer.
Deutsche Mundarteu. Zeitschrift für Bearbeitung des Mundartlichen
Materials, herausgegeben von Dr. Joh. Willibald Xagl zu Wien.
Bd. L Heft 3. Wien. C. Fromme, 1899. S. 163—268. 8°.
Wir verweisen auf unsere Zeitschrift VI, 46. VII, 454. Das Heft enthält im
wesentlichen Fortsetzungen und polemische Auseinandersetzungen des Heraus-
oebers. Zu beachten sind die Worterklärungen von Valentin Hintner. Die Rund-
schau über die mundartliche Litteratur rührt mit geringer Ausnahme von Herrn
J. W. Nag] her.
Jakol) Bächtold, Kleine Schriften. Mit einem Lebensbilde von W.
von Arx. Herausgegeben von Theodor Vetter. Mit Porträt und
Bibliographie. Frauenfeld, J. Huber, 1899. ö. 330. 8».
Jakob Bächtold, als ordentlicher Professor an der Züricher Universität am
■s. August 1897 noch nicht fünfzigjährig gestorben, ist nicht bloss den Litteratur-
historikern und germanistischen Philologen rühmlich bekannt, sondern auch weiteren
Kreisen durch sein treffliches Werk „Gottfried Kellers Leben. Seine Briefe und
462 Eoediger:
Tagebücher", und seine Veröffentlichungen aus Mörikes Nachlass vertraut geworden.
Das vorliegende Buch bringt eine Auslese kleinerer Aufsätze von allgemeinem
Interesse, sodann eine warm geschriebene Biographie Bächtolds von W. v. Arx,
einem genauen Freunde und Wandergenossen des früh Geschiedenen, ein anziehendes
Lebensbild des schweizerdeutschen Gelehrten, dem eitel Mühe und Arbeit beschieden
war und der erst spät und kurz für seine der Heimat gewidmete rastlose Thätigkeit
einen massigen Lohn daheim empfing, nachdem Deutschland ihn der Schweiz hatte
entziehen wollen. — Weshalb wir dieses Bächtoldbuch in unserer Zeitschrift an-
zeigen? Hauptsächlich wegen der Reisebilder aus dem Wallis, welche die Neue
Züricher Zeitung Ende August 1883 zuerst gebracht hat und die von der lebendigen
Frische und dem feinen Humor des Bächtoldschen Stils in solchen Schriftstücken
Zeugnis geben. Vornehmlich sind für uns von Wert die Walliser Sagen, die
Bächtold auf Grund der Sagensammlung von Tscheinen und Ruppen mitteilt, und
die sich um den Aletschgletscher als den Aufenthalt der armen Seelen, angesetzt
haben. Die rührendste ist die im Wallis sehr verbreitete Sage von der belle reve-
nante oder der schönen Mailänderin. Es ist die geisterhafte Erscheinung eines
vornehmen schönen jungen Fräuleins aus Mailand, das barfuss und im blossen
Kopfe in die grauenhafte Wildnis der Törbjeralpe nahe der Grimsel wegen ihrer
Verzärtelung verbannt ist. Sie, die fast nie einen Schritt ging, immer fuhr, nie
dem Wetter sich aussetzte, vor aller Anstrengung zurückbebte, stets sorgsam be-
gleitet wurde, muss nun einsam, mit nackten, starren und wunden Füssen, über
Eis und scharfe Steine, den schönen Kopf ungeschützt, in dem Unwetter des Hoch-
gebirges wandern, bis sie diese ihre einzige Sünde der Verweichlichung gebüsst hat.
K. Weinhold.
Aus den
Sitzuiigs-Protokollen des Vereins für Volkskunde.
Freitag, den 27. Oktober 1899. Herr Privatdocent Dr. Rieh. M. Meyer
sprach über Goethe und die Volkskunde. Schon dem Knaben Goethe bot die
Vaterstadt mancherlei Eindrücke und Anregungen durch die ihn umgebenden
Bauten, verschiedenartigen Volksklassen, Sitten und Bräuche und durch Festlich-
keiten. Die Beobachtung im allgemeinen wurde dadurch geweckt, ein Sammeltrieb
aber nicht angeregt. Goethe geht mehr auf die grossen, durchgehenden Züge aus,
das Einzelne, Lidividuelle fesselt ihn minder. So waren ihm auch die Einzelheiten
der Geschichtsforschung weniger angenehm, weil sie ihm die grossen Gesamtbüder
störten, die er von den Vorgängen in sich trug. Selbst der Strassburger Aufenthalt
weckte doch in ihm nicht so viel Lust am Volkstümlichen, wie man zu behaupten
pflegt. Er nimmt das Volk als festen Stand im ganzen und fragt nicht viel nach
den landschaftlichen Unterschieden. Er notiert sich einiges als Kuriositäten, aber
er sammelt nicht systematisch und strenge, selbst nicht bei den Volksliedern.
Erst in Italien packt ihn das Volksleben und erscheint ihm überall poetisch, daher
giebt er hier viel mehr und genauere Beschreibungen des Äusserlichen. Man halte
daneben z. B., wie wenig sich für die Volkskunde aus Hermann und Dorothea
Protokolle. 4ß3
gewinnen lässt! In den Jahren 1811 — 18 findet bei Goethe freilich eine Annäherung
an das Volkstümliche in Deutschland statt, aber die Italiener bleiben ihm doch
das eigentliche, wirkliche Volk, eine Nation von künstlerischer Vollendung. —
Herr Geheimrat Wein hold hebt Goethes Interesse am Egerland hervor, das ver-
anlasst war durch die Beziehungen zum Rat Grüner. Prof. Roediger meint,
dass es Goethe wohl gegangen sei, wie den meisten Menschen: das Fremdartige
fällt mehr auf und erscheiftt wertvoller, als das gewohnte Heimische. Dass aber
Goethe auch deutsche volkstümliche Erscheinungen nicht übersah und nicht für
unwert hielt, lehre die Weisung, die er 1808 seinem Sohne nach Heidelberg gab:
„Besonders auch bemerke auf deinen Wallfahrten das Volk der verschiedenen
Provinzen, ihre Gestalt und Art, ihre Sitten und Betragen. Vergleiche sie mit
denen, die du schon kennst, und bereite dich auch hierdurch zu einer weiteren
und breiteren Erfahrung." — Herr Geheimrat Weinhold legte eine grössere An-
zahl eiserner Figuren aus St. Leonhart im Lavantthal in Kärnten und einige
aus St. Bartholomä in Bayern, letztere dem Museum für Volkstrachten gehörig,
vor. Sie stellen in roher kindlicher Ausführung zusammengejochte und einzelne
Ochsen, Kühe, Kälber, Pferde, einen Ziegenbock, Schweine, Lämmer dar;
Kröten, die alte Bilder des Uterus sind; Menschen und menschliche Gliedmassen.
Es handelt sich um Weihgeschenke, die teils beim Aussprechen des durch die
Figur angedeuteten Wunsches, teils nach seiner Erfüllung dargebracht w^erden.
Man stellt sie auch aus Wachs und Holz her; das Eisen nimmt ab. Es ist noch
gebräuchlich in Bayern, im Böhmervvald, im Salzbargischen, in Kärnten, Steiermark.
Gefunden werden diese Bildwerke in Marienkirchen, bei Marienbildern im Freien, in
Kirchen und Kapellen, die dem hl. Leonhard, Wolfgang, Oswald, der hl. Kummer-
nuss (über sie Zeitschr. 9, 322 ff.), der hl. Edigna (z. B. in Puch bei Fürstenfeld-
bruck, Oberbayern) geweiht sind (auch auf den Kirchhöfen, wenn es Sitte ist, sie
über die Mauer zu werfen). St. Leonhard gilt überwiegend als Viehpatron, war
aber früher Patron der Gefangenen, die ihm nach der Befreiung ihre Ketten dar-
brachten. Diese erinnerten den Viehzüchter an seine Viehketten, und auf diese Weise
änderte der Heilige seinen Wirkungskreis, dehnte ihn auch aus und ward zum all-
gemeinen Schutzherrn des Viehs und der viehzüchtenden Bauern. Der Vortragende
erwähnte noch die Lienharte oder Würdinger, schwere, kopflose Menschengestalten
männlichen oder w'eiblichen Geschlechts aus Eisen, die haben zu können heil-
bringend wirkt. Er gab ferner Nachrichten über die Feier bestimmter Leonhards-
feste und wies aus den Vitae patrum des Gregor von Tours (6. Jahrh.) und dem
Indiculus superstitionum et paganiarum (N. Jahrh.) nach, dass schon damals hölzerne
Gliedmassen als Weihegaben in den Kirchen niedergelegt wurden, jedoch wider
den Willen der Geistlichkeit, die jetzt Derartiges wenigstens duldet. Entsprechende
Weihgeschenke finden wir bei den Griechen, Römern und nordamerikanischen
Indianern. Vgl. auch Zeitschr. 9, 324 ff. — Herr Waiden bemerkte, dass er die
Zeitschr. 9, 333 ff. behandelten niedersächsischen Zauberpuppen nicht für solche,
sondern nur für Spielzeuge halten könne, die von Kindern angefertigt und zur
Erinnerung an sie aufbewahrt worden seien. Herr Sökeland bestritt das.
Freitaj»', den 24. November 1899. Der an Stelle des verstorbenen Herrn
Geheimrats Schwartz als Beisitzer in den Vorstand gewählte Herr Fabrikant
Sökeland wird eingeführt. Er erläuterte darauf einen im hiesigen Antiquarium
befindlichen römischen Desemer aus Bronze, seine Darlegungen durch Ab-
bildungen grossen Masstabes unterstützend, und gab hiermit eine Ergänzung zu
seinem Vortrage vom 24. Februar d. J. (oben S. 225). Er benutzte dabei einen
Vortrag, den Herr Direktorialassistent Dr. Pernice 1898 in der Archäologischen
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1899. 31
4()4 Roediger: Protokolle.
Gesellschaft über diesen und andere bekannte römische Desemer gehalten hat.
Griechische lassen sich nicht nachweisen. Unsere Wage stammt aus dem 4. oder
3. Jahrh. y. Chr. und ist schön gearbeitet und verziert. Die Grundlage bildet
eine Säule, aus deren einem Ende ein Pantherkopf als Gegengewicht hervorspringt,
während am anderen drei Haken hängen, die eine Wageschale trugen, was bei
unseren Desemern nicht vorkommt. ,Parallel zur Säule ist ein flacher Steg mit
Skala befestigt, unten der Einteilung entsprechend gozähnt. Beim Wiegen wird
ein Handgriff mit schlitzartiger Öffnung in die Einschnitte eingestellt, sodass sich
das Gewicht nach Pfunden und Unzen bequem ablesen lässt. Es geht bis zu
40 Pfund. Gegen ganz kleine Gewichte von wenigen Grammen scheinen unsere
Desemer empfindlicher zu sein, doch gestatten sie weder hierbei noch bei hohen
Gewichten ein zuverlässiges Wiegen, weil sie nicht so ruhig in der Hand liegen,
wie die römische Wage. Das Princip des Wagens ist bei beiden das gleiche.
Zu beachten ist, dass in der viel römische Funde liefernden Altmark die Besemer
oder Desemer Ünzel heissen, was an die römische Unzeneinteilung gemahnt. Und
im Hinblick auf die römischen Wagen dürfte die Ableitung der deutschen Be-
nennung von decem sich empfehlen und Desemer älter erscheinen als Besemer. —
Hierauf sprach Herr Direktor Dr. Müllenhoff über die Biene in deutscher
Sage und Geschichte. Der Vortrag wird in unserer Zeitschrift gedruckt werden.
Herr Waiden knüpfte einige Bemerkungen an über die Bienenzucht in der Lüne-
burger Heide, die Biene als Feindin der Vagabonden und Trunkenbolde (deren
Geruch ihr zuwider ist), die beliebte Verwendung der Biene in religiösen Schriften,
wobei noch heute sehr verkehrte Ansichten über sie zu Tage gefördert werden.
Herr Bartels weist Kennzeichnung von häuslicher Freude und Trauer am Bienen-
Jvorb aus Frankreich nach und erinnert an die alte Bienenzucht der Finnen (Kale-
wala), Herr Minden an die Bienen im napoleonischen Wappen (oben S. 107).
Zur Sprache kam noch der heilige Martin als Schutzpatron der Bienen, die Biene
als Wappen der Barberini, die Biene neben dem heil. Bernhard von Clairvaux
als Symbol seiner honigsüssen Beredsamkeit.
Max Roediger.
Eegister.
Abend 444.
Aberglaube, altenburgischer 209. branden-
bur^ischer, lausitzer 442. beim Vieh 166.
Abmullen 114.
Achtfüssiger Gaul (wilde Jagd) 366,
Ackerhau der Marschen 162.
Ackerbauschulen 167.
Advokaten 371. 374.
S. Ägydius, Viehpatron 325.
Akelei 247.
Alber (Teufel) 365.
Allgäuer Sagen 102.
Alpler 118.
Altartuxer 118.
Alter Mann der Indianer 224.
Altweibermühle 121.
Amulet 24().
Amsterdamer Trachtcnausstelluiig 204.
Androasabend 442.
Angelinka, Lied von 303.
April 235.
Arbeit und Rhythmus 455.
Arbeitsruhe 7. '8.
Arche, Frau 305.
Aridius 454.
Armsünderrast 379.
Aspcrn, Schlacht bei 383.
Astronomie, volkstümliche 229.
Ausspeien 250.
Aussendeich 170.
Auvergne 207. 221.
Axams 266.
Baba Scharka 196.
Bächtold, Jakob 461.
Backwerk 196. 414.
ßalkanvölker 58 f. 194 f. 295 f.
Bandletur, Bandschrift 184.
Bandstuhl 2(>. 31. -Weberei 17—33.
Bannspruch gegen den Teufel 363.
Bär und Zigeuner 405.
Bären 66. Bärentag 67.
Bartels, M. 107.
Bärtige heil. Jungfrauen 323.
Basilika 107.
Bauchranzeu 119.
Bauer bringt Wasser als Geschenk 37.
Bauernhaus, märkisches 460. niederösterreich.
105. in den Marschen 157 ff,
Bauernhimmel, schlesischer 446.
Bauemieben, dänisches 457.
Bauernmöbel, bayrische 344.
Bauernstolz 47.
Begräbnis 103. 444.
Beleuchtungsmittel 55—58.
Berchte, Frau 7. 11. 367.
Beschwörung des Teufes 77. 261. 269. 272
362. 368 f. 374.
Besemer 225. 463.
Bettler 91.
Bibliographie, volkskundliche 97.
Bielmann, Bielmerschnitt, Bielschnitt 252.
Bienentag 64. -zucht 464.
Bindepflock 107. Binderhocken 164.
Binsenbesen 304. -docht 58.
Bittarbeit 455.
Blank, Jan 171.
Blattern 195 f.
j Blauhütler 259. 272.
I Boccaccio 35.
j Bock 256. Bockgespanu 259. -reiter 252.
I Böhme, ,J. M. 95.
j Bohnen 288. 290. Bohnenernte 164.
1 Bolte, J. 102.
I Bonapartenbuche 385.
' Bracht, E. 226.
I Branntwein 291.
! Braunkohl 289.
I Braut, geistliche 398. Brautstehlen 388. Br.
I vom Teufel geholt 263.
Bräutigamswahl 97.
t ßrettchenweberei 24—33.
Brikker, Brikning 26.
Brocken, Berg 234.
Brotperlen 116. 121.
Brüder, drei (Märchen) 415.
Bruggerkirche bei Volders 361.
Bruixas 458.
Bruiik, A. 103.
Bruststück 119.
Brynjulfur Jonsson 181.
Buchel 56.
Bücher, K. 455.
Buckliger 344.
Bugge, S. 453.
Burns, R. 41. 43.
Camernsche Berge 10.
Cavalese 68 f.
Cavedolari 70.
31*
4G6
Register.
Censes de baptume 45i). 1
Cechische Volkskunde 215 f.
Chaiduteu 66. j
Oharalambij 197
Chinesische Fledermaus 176.
Christmesse und der Tod 344.
Christiiacht 344.
S. Christoph 248.
Civiltrauung .51.
Comuni ordinari, straordinari 70.
Congo 100.-
Coyote (indian. Mythenfigur) 224.
Crucifixtypus, ältester 32;^>.
Cuchullinsage 101.
Dachler, A. 105.
Dachwalni 151.
Decanieron des Boccaccio 35.
Demiett, R. E. 100.
Desemer 107. 464.
Deutsche im Sprichwort 220.
Diele 158.
Dienstag, schwarzer 67.
Dionysos 8.
Distel 78.
Docht 57.
Donauländer 96.
Donner und Muskito 225.
Donnerstag 8. Donnerwageu 7. 18.
Dornenkrone 328.
Doss de la forca, de le streghe 71.
Dreikönigslieder 90. 435.
Drenthe 204.
Drihe, drihan 206.
Dringen 206.
Dümmling 403.
Eddalieder 453.
Ehebruch 141. -Schliessung 48.
Ehrgefühl 48.
Eiche 376.
Eindrücke von Gliedmassen 256.
Elend 411.
Elfenblumen, -lieder 298. -mittwoch, -woche
295.
Elias der Donnerer 415.
Elxenholz 375.
Eniowtag 302.
Entrückung in die Weite 266.
Erdmutter 2. -spiegel 210.
Erdställe 382.
Erinnerungskreuze 401.
Es regnetauf der Brücke 280.
Esope" des F. del Tuppo :>(;.
Essen und Trinken 288 f.
Etikette, bäuerliche 47.
Evangelium Johannis 207.
Fabeltiere, zweideutige 337.
Fadas 458.
Fahne der Kaluscharen 298. 304.
Fastnacht geweihte Zeit 124 f. 305.
Fastnacht, braunschweigische 338—340,
Fastnachtiieder 91. -predigt 339.
Feen 207.
Feiertage der Krankheitsdämonen 59.
Feilberg, H. F. 457.
Ferkel im Walde 180.
Festmachen 209.
Feuererzeugung 66.
Feuerreiter 439 -stülpen 160. -segen 440.
Fewkes, J. W. 326.
Fingerwurm 247.
Fischfang 169.
Fjort lOi'.
Fledermaus 171-179. 207. 245-255.
Fleimser Thalgemeiude 68.
Fliege 368. 371.
Fliess, Pfarrer von 367. 372.
Fluchen 260.
Fingfett 248.
Fotzhobel 114.
S. Francisci Hosen 39. Weihnachtfeier 358.
Franken 204.
Franko, J. 217. 219.
Fränmarr, .Jarl 454.
Franzosenfalle 3^*5. -grab 386.
Fraubild, -tafel, -tragen, Fraueulieder 154—56.
Frau Harkenberg 10. 12. 13.
Frea Fria, Freen Frien 2. 129.
Freikugelu 248.
Freitag Hochzeittag 52.
Freke Erike, Frick Fricke Fuik 123. 125. 127.
129. 309 f.
Freundschaftssage 456.
Frey, K.
Freyr, Freys Umzug 155.
Friedel, E. 108.
Friedrich T. II., Kaiser 152.
Friesen 204. Friesinnen 205.
Frfimmel, 0. 105.
Fruchtbarkeit 121.
Fuchs 3 13.
Fudenabend 441.
Fudikan 134.
Fui 131 f. 310. Fuik 125-130. 309 f.
Fussbekleidung 293.
Gabriel. Erzengel 39. 40.
Games traditional 103.
Gangger (Teufel) 269.
Gänse der wilden Jagd 366. Gänsezucht 163.
Garten 161.
Gastaldio 70.
Gebäcknamen 444.
Gebetstäbchen, indianische 327.
Gebhart von Trient, Bischof 69.
1 Gebnacht-Berchta 367.
! Gebräuche, brandenburgische 441 f.
I Geissbock 256. 265.
1 Geldbringen des Teufels 271.
I Geldwerte 93.
; Gerichtsstätte 69.
Gerichtstage 71.
Gertraudibüchel 271.
Geschichten aus Etschland 77. Stubai 78.
Vintschgau 80.
Geschworene, Giurati 71.
Gesellschaftspiele 439. 442.
Gesindelöhne 93.
[ Gevatter Tod 418.
! Gewitter 231.
I Gewittermythen 1 ff. -wesen 7. 123 f.
\ Gittee, Aug. 459.
i Glatz, Grafschaft 446.
I Glit, glitofinn 25.
, Glockentöue gedeutet 440.
! Glückmittel 175. 248. 254.
Eegister.
4G7
Glücksporen 388.
Gnidelsteine 226.
Gode 5. 125.
Gomme, A. B. 89. 103.
Goethe und die Volkskunde 462.
Grauitbaukunst 227.
Graunzl (Teufel) 271.
Gredelgräber 333.
Grenzhügel 381.
Grimm, Jakob 3.
Grozdanka 62.
Grünes zur Hochzeit 52.
Gudrünarquida II. 29.
Haake, Frau 305.
Haarmittel 178. -opfer 319. -tag 68.
Haas, A. 103.
Habergeiss 266.
Habichtfeder 256. 262.
Hahnenfeder, weisse 118. 268.
Häksche, olle 16. 133. 306-309.
Hamm 165.
Hand aus dem Grabe 80,
Hansel, rotziger (Märchen) 269.
Harfe, Frau 305-307.
Harke, Frau 6. 9—18. 130. 305-:'.09.
Harre, Frau 10. 15.
Hase, dreibeiniyer 11.
Hasenbrot 353.^
Hausbau s. Bauernhaus.
Hausinschriften 284 f.
Hauslauch 232. -richte 161.
Haustaufe 54. -trauung 49. 51.
Heidnische Volksüberlieferungon 1—18. 123
bis 135. ;i05— 310.
Heilhand 247.
Heilige auf Marterln 242.
Heilkräuter 290. 302-304. 458.
Heilwirkung von Fledermaus und Maulwurf
177.
Heiratantrag 447. -ceremonie 89.
Heldensage, deutsche 349. irische 101.
Helgi 455. Helgilieder 453.
Helmolt, H. 20.^
Herd 158.
Herke, Frau 10. 13. 14. 305-308. Herksten
306 f. Herkster 306.
Hermanowski, P. 99.
Herrgottsgroschen 382.
Herrmann, P. 99.
Hexen 111. 121. 255. 266 f. 307. 372. 458.
Hexenmeister 209. Hexerei 1()6,
Hille 159.
Himmelsgötter 3.
Hinterpommern 4.
Hirke, Frau 306 f.
Hiunen 29.
Hlad, hlada 29. 30.
Hochzeit in den Wesermarscheu 49 f.
Hochzeit, stille 439.
Hochzeitaberglaube 443. -bitter 50. -essen .52.
-geschenke 53.
Höfdaletur 181-189.
Hockeu, hockseten 170.
Högeu (prellen) 163.
Holekreisch 72.
Holland 204.
Holle, Frau 5. 18. 72. 77. 234.
Holzfiguren, Weihgeschenke 327. 463.
Holzlarven 109. 116. 121.
Holzschuhe 292.
Hosen des hl. Franciscus 39.
Howände 158.
Hudlerlaufen 110.
Huhn 65.
Hüll, E. 101.
Hund 60. 259. 292.
Hundekur 62.
Hungergrube 381. -sucht 369.
Hünskar meyjar 29.
Huttierlaufen 109—123. 2(51.
Huzulen 10(5.
Ibykus, Kraniche 336.
Idiotikon, schweizerisches 105.
Indianer von Arizona ^2Cy. am Thompson river
223.
Indianerbräuche 122,
Inzing vermurt vom Teufel 365.
Irische Heldensage 101.
Isabella von Arragonieu 151.
Italienische Marterln 237.
Jacobsbrüder 456.
Jacobsthal, Prof. 31.
Jagd, wilde 1. 366.
Jäger, wilder 7. 124.
Jägerbursch (Teufel) 256. 262, 268. 272. 368.
Johannisabend, -tag 302. 458. 460.
Johannisbrot 355.
Johannis-Evangelium 207.
Johannisfeier, Bortfelder 438.
Johannisfener 213. 458.
J(5n Thoroddsen 25,
Jüdische Namengebung 72. J. Volkskunde 341.
Jungfrauen, drei 74.
Kaffee 53. 288.
Kahlköpfigkeit 68.
Kaindl, Pt. F. 106.
Kaluscharen 295 f.
Kamin (Kömat) 5(5.
Kanonierteufel 384.
Kapuziner 77.
Karfreitag 232.
Karlowicz, J. 214.
Kartenblätter beim Weben 28-30.
Kasermandl 260. 367.
Kassuben 214.
Kater, kluger 409.
Kathaprakäsa 336.
S. Katharina 41.
Katze 80.
Kelch unter dem Kreuz 324,
Kentel 56.
Kerzen, Kerzeschibe, Kerzestal 56.
Kettenreime 27().
Kienspäne 56.
Kinder, kleine 443. K.aussetzung 148.
Kinderpuppengräber 333.
Kinderreime 73 f. 105. 273-84. 389-95.
Kinderspiele, englische 89. 103.
Kingsley, M. H. 100.
Kipling, R. 102.
Kirchenbau 107.
Kirchhoff, Alfr. 20.
Klaubauf 257.
Kleidung in den Wesermarschen 292.
468
Eeffister.
Kleinrussische Volkskunde 218.
Klönken 293.
Klöpfelspiel 264.
Kluft ni.
Klütjen 289.
Kniphaube 205.
Knoop, 0. 3. 5-11. 123 f.
Köhler, Eeinh. 102.
Kojen 158.
Kölnische Studenten 358.
Kongress lüi* Volkskunde 447.
Königskerze (verbascum) 57.
Koptband 30. Kopfschwindeltag (JS.
Kornrade 232.
Körper in sprachlichen Ausdrücken 460.
K.istlin, H. A. 23.
Kragenhaube 205. -kappe 294.
Krakauer Akademie 213.
Krankheiten 777,, 302.
Krankheitdämonen 58-(;8. 194—204. 295—?
Kraukheitfeste 60. 65. 67. 194 f.
Krankheitnamenbuch 342.
Kranz durchkriechen 303.
Kranzbinden zur Hochzeit .52.
Krauss, Fr. S. 449.
Kreuz 265. 459.
Kreuzform, indianische Gebetstäbchen 327
Kriegsheilige 381.
Kroaten im Marchfelde 382.
Kroatische Volkskunde 218.
Kruzifixsagen 324.
Krzywicki, h. 214.
Kuckuck 21.5.
Kugelsegen 387.
Kühe 165.
Kuhn, Adalbert 1. 9. 12(; f.
Kuhschwanz an der Thür 92.
S. Kumniernuss 322—24.
Kupplerin 144.
Kuruzzen 383.
Kuss auf den Hintern 141 f.
Laicus, Joh. 351. 356.
Lampen 57.
V. Laschan 110.
Lazarus, M. 209.
Leber, Lewer = Hügel 381.
Legende 359. L., bretanische 343.
Lehmann, C. 30.
Lehmann-Filhes, M. 106.
Leichenbegängnis .54. -schmaus 55.
Lemke, E. IOC.
Lenorensage 217.
S. Leonhart 326. 328. 463.
Leonhartsuagel 328.
Lichter, weissagende 17.
Lichterbaum 107.
Lichtmess 229. 307. -tiegel 5(;.
Liebestüchlein 436.
Liebeszauber 137. 249.
Liebfrau in allen Nöten 379.
Lisso (Haartag) 68.
Litauen 97.
Lobe, A. 22.
Löffelschnitzer 182. -schrift 187. 189.
Löhne 93.
Losstage 229. 235.
Lud (Zeitschrift) 213.
Lügenmärchen 403.
m.
Luugauer Weilmachtlieder 420 — 43<i
Lusitanische Altertümer 345.
Lutscher 57.
Lutze 57.
Luxusverordnungen 339.
Madonna in den Schs
Mahl- oder Mühllieder 456.
Mahomedaner in der Sage 460.
Mailänderin, schöne, Sage 462.
Märchen vom Brüder- und Schwesterchen 353.
vom treuen Johannes 4.56.
Märchen, rumänische 84. ruthenische 401.
Märchentheorie 215. 460.
Marchf eidsagen 377—389.
Marker Tracht 205.
S. Maria 234. Marieneiche 380. _ ,
Marschbauern der Unterweser 45— .55. 157 bis
171. 288—294.
Marschweiden 165.
Märte (Alp) 307.
Marterln, deutsche 240—214. nichtdeutsche
236—245. mährische 399. schwedische 244.
Marterlbilder 238.
Martinipützel 366.
Martinsgstempf 260. 366.
Martinstag (U. 235.
Masken 109. 114. 261. Matschgerer 113.
Masuccio Salernitano 33-41. 136-153.
Maulwurf 171—79. 207. 245-55.
Maalwurfshügel 252.
Maus, Alois 363.
Melcherbuben 120.
Menschenfresser 257.
Meteorologie, volkstümliche 229.
Meyer, Hans 18. 20. Meyer, R. M. 462.
Mielke, R. 107. 227. 340. 460.
Milchstrasse 23L -Wirtschaft 165.
Mittwoch, verrückter 67.
Mladenzi 195.
Mogk, E. 9. 15. 21.
Mond 225. 230.
Monddienst 348. -flecke 230. 308.
Monotheismus der Semiten 450.
Montag 61.
Monskirchel 369.
Mratiuik 65. Mratinzi 64.
Muller 113. nmlien 114. 121.
Müller, Max 452.
Mundarten, deutsche 461.
Museum der deutschen Volkstrachten 228.
Musik der Kussalinen 298.
Muskito 225.
Mütze (Mutz) 205. 294.
Mythen abhängig vom Kultus 98.
Nachtvolk 367.
Nachtwächterruf 213.
Nacktheit in Heilgebräuchen 336.
Nagelgurt 116.
Namengebung, do;
Narodpisny Sborni
Nebel 233.
Nerthus 2. 1.55.
Neun 212. Neunkräuter 290. 4.58.
Niederdeutsche Sprüche 81.
S. Nikolaus 257.
Ninive, Herr von, Kinderspiel 392. 459
Nordthüringische Wetterkunde 229 f.
, der Juden 72.
Cechoslovansky 215.
Register.
4(59
Nork, F. 111.
Notfeuer 66.
Novellenstoffe 33-41. 136. 153.
6 Auslaut von Namen 113.
Obstbäume 168.
Oedipus 139.
Öl 57.
Obreiseu (oorijzer) 205.
Opfergebäck 64. 166. -wesen 451.
Opschortels 294.
Orakel 17.
Orion 231.
Ostereier 213.
Ostermorgen 217.
Pantinen 293.
Pantschatantra 312.
Passeirer 2.57.
Patti Gebardini 69.
Pensionstochter 160.
Perchte 7. 11. 367.
Perchtenlaufen 109.
Pest 197. Pestfrau 198. -lieder 200—204.
Pfalz 207.
Pfanne 291.
Pfauenfedern 119.
Pferde 63. 261. Pferdokolik 33.').
Pflanzendochte 58.
Pichler, Adolf 457.
Pinzgau 154.
Placas, portugiesische 347.
Placita ,Piaidi) 71.
Polivka, J. 215. 217.
Polizeiverbote 94.
Polnische Volkskunde 213.
Polterabend 52.
Pommersche Volkslieder 103.
Portugiesische Altertümer 345.
Preussongrab 389.
Priester als Liebesvermittler jl43.
Primizfeier 396—99.
Prototype der Götter 3.
Psychefabel 140.
Puppen, niederösterr. 333. uiedersächs. 334.
Puy de Dome, P. de Prechonnet 207.
C^uarteria der Fleimser Gemeinde 70.
IX zu ü 128.
Rapsdi-escheu 163.
Rasen 166.
Rätselfragen 356. Ratspielfragen 395.
Räubergeschichte 79.
Raufer 2(53.
Rauris 155
Regen 232. Regenbogen 231.
Reffola. Regolani 70.
Reif 233.
Reinigung des Hauses 304.
Reiser, K. 104.
Reit = Riet, Rohr 170.
Ric, ricken 207.
Richtfest 161.
Riesin 9—12.
Riten älter als Mythen 98.
Roediger, M. 107. 349. 463.
Roggenbrot 288. -ernte 164.
Rohrernte 169.
Roland als Riese 459.
Romeo und Julia 145.
Mad. la Rose, Kinderspiel 459.
Rote Erde 107, rote Farbe 106.
Roussillon, Volksüberlieferungen 458.
Rübezahl 216.
Rum bei Hall 109.
Rumänische Gebräuche 460. Märchen 84 f.
179 f.
Rummelspott 92.
Rusnaken 106.
Russalinen 295.
Russalki 195. 295. 301.
Ruten zum Schlagen des Viehes 17.
Saat und Ernte 82.
Sachs, Hans 189-194.
Sachsen 204.
Sagen aus Roussillon 458. aus Wallis 462.
Saint-Denis 138 f.
Salamander 375.
Sally Water, Kinderspiel 89.
Saltari 70.
Salz 167.
Samodivenlied 297.
Sbornik cech. 215. bulgar. 217. kroat. 218.
Scarius, Scario 7.
Schatzhüter 270.
Schaub 56. Schaubfackelu 57.
Schaukeln 61.
Scheibeuschlagen 350.
Scheideabend 441.
Scheiche, der (Teufel) 272.
Scherer, W. 18
Scherman, L. 449.
Scheveningen 205.
Schiff (Wolke) 7. Schiffahrt 168.
Schimmelreiter 2. 7. 124.
Schingassen 290.
Schlaf 246.
Schläge machen fruchtbar 121,
Schlangen fassen 211.
Schmuggel 169.
Schnaggeln 114.
Schnee 234.
Schneidergesell, Lied 373.
Schnurband 31.
j Schopen 66.
1 Schöpfung 414.
Schornstein 158.
Schwanke, rügische 342.
Schwartz, Wilh. 1 ff. 123 L 305. 328—30.
Schwedenmesse 377.
Schweiss 247.
Schweizerhaus in den Marschen 159.
Schweizerisches Idiotikon 105.
Sebillot, P. 207.
Seen, unterirdische 385.
! Selbstkenntnis 406.
Seil, K. 21,
Settembrini, L. 33.
Settletur 183.
Shakespeares Mass für Mass 151.
Siddhi-Kür 15. 336.
Siebensprung (Tanz) 164.
Siegelstempel 226.
Sigurdur Gudmundsson 183.
Singrün 375.
Sismanov, J. 217.
lO
Eefi-ister.
Slavische Volkskunde 213-219.
Slovenisohe Marterln 238. Sl. Volkskunde 218.
Srnitli, Robertson 98. 450.
Sökeland, H. 225. 228. 463.
Sommer, Eni. 10. 15.
Sommertagsfest 207.
Sonnabend 305.
Sonne 224. 229. Sonnengott 62. -tanz 63.
S. Spass 194.
Spatenrecht 162.
Speckwiemen 158.
Speicher 159.
Sperrung des Hochzeitwagen 51.
Spjald 24. 29.
Spielreime 277. 390 f.
Spinnen 8. 305—308. Spiuustube, Spinte 439
bis 441.
Spunaletur 182.
Spottverse 44(i.
Sprichwörter, apologische 83.
Sprüche, niederdeutsche 81.
Stab der Kaluscharen 297.
Stab ausfest 207.
Stalkerze 56.
Stalll)urschen 49.
Stanfe, L. A. 84. 179.
Stecknadel im Aberglauben 330—33.
Steinthal, Ch. 208.
Sterne 231.
Stewelholschen 293.
Stirnnadcl (voorhoofdsnaald) 205.
Stöllensche Berge 10.
Strählin, die alte, von Imst 258.
Strandraub 169.
Strassenrufe 349.
Strausz, Ad. 96.
Stricken 207.
Strohkerl, -wif 53.
Stubai 78. 284.
Stube, beste 159.
Sturm- und Gewitterwesen 123 f.
Stuten (Brot) 289.
Sühnopfer 451.
Tabu 451.
Talassüm 304.
Tagwildnis 367.
Talg 56.
Tanz 115. 261 (in der Christnacht). 296—299
(T. der Kaluscharen).
Tanzbesessenheit 367. Tanzlieder, epische 455.
Tänzer (des Teufels Freude) 261.
Tatarenkauzel 378.
Tatermannl 375.
Taublümchen 194.
Taufe in Teufels Namen 369.
Teidingsplatz 69.
Terschelling 205.
Teufel 4. 112. 211. 384. 414. 459.
Teufel mit dem alten Weib 189-94. 311-21.
Teufel in Pfarrergestalt 362.
Teufelsbeschwörung, -besessenheit 368.
Teufelsblendwerk 365.
Teufelsglaube, Tiroler 256—273. 361-376.
Teufelskönig, Vater der Fledermaus 251.
Teufelspakte 267—269.
Teufelsschöpfung 415. -segen 374. -Stempel
372. -tiere 375. -wagen 258. 365. 367.
-weibele 372.
Texel 205.
S. Theodorsbrot 64. Th.tag 63.
Thode, H. 22.
Thorkell Biarnasou 24.
Tieraberglaube 338.
Tierfiguren, eiserne 325. hölzerne, tönerne 327.
Tierkultus 348.
Tischgebet 291.
Tod 103. Gevatter Tod 418.
Torwart der Hölle 371.
Tote, was sie können 107.
Totemismus der Semiten 450.
Totenkreuze auf Marterlbildern 238. 24').
Totenkrone 107. -kultus 346.
Trachtenausstellung 204.
Trauer 55.
Treue, deutsche 19.
Trieut 69.
Trösteinsamkeit, kathol. 353. 361.
Trou en terre, Spiel 459.
Trutzliedel 373.
Tschirfe 57.
Tschuggau (Teufel) 262. 362.
Tüchel, ausgenähte 437.
Tüdern 170.
del Tuppo 36.
Türkenpaar beim Huttlerlauf 120.
Türkenstübel 378.
Tuxer 367.
Überzähliger unter Masken 261.
Uckermärkische Kinderreime 273—84. o^ll- 95-
Umä (Waschmittel) 199.
Umzug der Gewitterwesen 7. 124.
Ungewaschen 257. 269.
Unheimlich 209.
Unterer (Teufel) 265.
Ussowski-Dienstag 67.
Ustret, Ustrow 67.
Valtyr Gudmundsson 25.
Veckenstedt, E. 3. 5. 15.
Venedigniauneln 270.
Verbrüderung 194.
Verfluchungsformel 297.
Verkehrter (Teufel) 264.
Verkleidung als Rettung 144.
Verstellter (Teufel) 256.
Vesperfliegerin 255.
Viehpatrone 325. 463.
Viehsegen 327. -zucht 163. 165.
Vincenttag 235.
Vlieland 205.
Volksglaube 1()3.
Volkskunde, Kongress 447. Methodik 448.
Würtembergische 448.
Volkslied, bulgar. 217. dalmatin. 218. pomin.
103. schles. 41. 446. sloven. 218.
Volksliedzeitschrift 340.
V^olksmelodien, slavische 217.
Volksrätsel 222.
Volksschauspiele 220.
Volkstum, deutsches 18.
Volto Santo 324.
Votivfiguren 324-328. 463.
1
Wachskerzen 56.
Wachstum befördert 121.
Wahnsinngeister des Hundes
60.
Kegist er.
471
AVahrheit i\iibeliebt 408.
Walacheii, mährische 21.j.
Waiden 107. 463 f.
Waldfreund, J. E. 112.
Walther von Aquitanien 459.
Walther, Sam., Singul. Magdeb. 17.
Wandelkerze 56.
Wanne Thekla 7.
AVarzen 231.
Waschen 8.
Wasserfrauen 458.
Wasserpolakisch 214.
Wasserritus 89.
Watafin 296.
Webekamm 30.
Webelieder 456.
Webetechnik, alte 24—33.
AVeib, altes, und der Teufel 189-194.
Weiberrollen durch Männer 120. 122.
Weihefiguren 324-28. 463.
Weihhut rWehhut) 294.
Weihuachttlut 162.
Weihiiaclitli.'drr 420-436.
Weilmaciitpyramide 107.
Weihiuichtschiessen 460.
W^eihnachtspiel von Sebillot 343.
Weihnachtumgani;- 305. 307. 441 f.
Weinhold, K. 463.
Weise, 0. 21.
Weisse Frau 2. 6 f.
Wermut 295.
West-rmarschen 45 ff. ir)7. 288.
Wett.rbaum 231. -berge 233. -künde 229 f.
Widumshäuserinueu 372.
Wiesel 375.
Wigand, P. 461.
Wildfeuer 232.
Wildgfahr (wilde Jagd) 366 f.
Wildmänner 257.
Wind 179. 235. Windfang 50. 54. -opfer 130.
Winkler, Pfarrer 363. 369.
Wisla (Zeitschrift) 214.
Wochenbett 443.
Wodan 2. 124. Wode 5. 125.
Wohnzimmer, bäuerliches 160.
Wolf, .1. W. 351-61.
Wölfe, Wolfstag 66.
Wolken 231.
Wohlsein, Erkundigung darnach 58.
Wurmbeschwörung 39.
Wiu-ster Bauern 47. W. Haus 157.
Würtembergische Sammlungen 448.
Wychgram, J. 23.
Zahl, ungerade 297.
Zahnschmerzen 231.
Zauberbuch 211. 372. Z.puppen, niedersächs.
333 f.
Zaubermeister (Märchen) 217.
Zemper, zempern 441.
Zibrt, C. 97. 216.
Ziehbalgspieler 115.
Ziegeleien 169.
Zigeuner 85 f. 371. 40.").
Zingerle, J. v. 112.
Ziska, Frz. 110.
Zotenreissen 259.
Zottler 114. 116.
Zweck, \. 97.
Zweideutige Tiere 337.
Zweihörndler (Teufel) 256.
Zwölften, die 9 f. 130. 23.^. 305. 307. 442.
Zwölftengottheiten 10. 305.
Druck von Gebr. Unger in Berlin, Bernburger Str. 30.
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1899,
Taf. V.
H
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GR Zeitschrift Tür Volkskunde
1
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Jg. 9
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