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Full text of "Zeitschrift für Volkskunde"

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-1^ 


ZEITSCHRIFT 


des 


Vereins  für  Volkskunde. 


Begründet  von  Karl  Weinhold. 


Im  Auftrage  des  Vereins 

herausgresreben 


Johannes  Bolte. 


20.  Jahrgang. 


Mit  loi;  Abbildungea  im  Text 
und  einem  Inhaltsverzeichnis  zu  Band  1 — 20. 


BERLIN. 

BEHREND  &  C^'. 

1910. 


1910. 


I 


Inhalt.  III 


Iiilialt. 
Abhandlungen  und  grössere  Mitteilungen. 

Seite 

Geschichte    der    deutsclieu    Volkskunde,    1  — o.      Von    Adolf    Hauffen    1  —  17. 

129-141.    290-3(h; 

Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen  und  die  Verwandtschaft  und  Ver- 
mischung der  deutschen  Volksstämrae.  Von  Hans  Ziegler  (mit  einer 
Karte) 18-  35 

Volkslieder  aus  Tirol,  gesammelt  von   Adolf  Dörlerf 3(5—44.    306—317 

Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.    Von  August  v.  Löwis  .       45—  56 

Scheingeburt.     Von  Theodor  Zachariae 141 — 181 

Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  (11.  Ein  Rezept  für  böse  Weiber. 
12.  Bestrafung  der  schlemmenden  Ehemänner.  13.  Die  Pfaffenjagd.  14.  Das 
Schlaraffenland.  15.  Das  Narrenschiff.  16.  Der  Kunsthändler  Paul  Fürst  in 
Nürnberg).    Von  Johannes  Bolte  (mit  einer  Abbildung) 182—202 

Über  europäische    und  malayische  Verbotszeichen.      Von  Max  Bartels  f  (mit 

zwei  Abbildungen) 202—207 

Deutsche   Volkstrachten.      Von    Max  Bartels  f    (mit  neun    Skizzen  von  Julie 

Schlemm) 241-249 

Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.   Von  Richard 

Andree  (mit  14  Abbildungen) 250-264 

Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen.  Von  Karl  Brunn  er  (mit  103  Ab- 
bildungen   265-289 

Die  Sage  von    der  erweckten  Scheintoten.      Von  Johannes  Bolte 353-381 

Volksglauben  und  Volksmeinungen  aus  Schleswig -Holstein  (1.  Glück  und 
Unglück,  2.  Träume,  3.  Zauberei,  4.  Vorbedeutungen,  Teufel  und  Gespenster). 
Von  Heinrich  Carstens  f 382 — .387 

Ein  Wejhnachtszeltenspiel  aus  Tirol.    Mitgeteilt  von  Oswald  Menghin.    .    .   .     387—394 

Kleine  Mitteilungen. 

Wettermachen  und  Neujahrsn:iond  im  Norden.     Von  Axel  Olrik 57  -    61 

Ein  christlicher  Warnungsbrief.    Von  Victor  Kirchner  (mit  zwei  Abbildungen)  61 —  6(i 

Das  Riuglein  sprang  entzwei.    Von  Johannes  Bolte iM\—  71 

Amsterdamer  Häusersagen.    Von  Willem  Zuidema 72 —  7;5 

Armenische  Märchen  (Nr.  1—5).    Von  Clara  Daniel 74—78.  323—326 

Der  Schimmelreiter,  ein  braunschweigisches  Hochzeitsspiel.    Von  Otto  Schütte  79—  81 

Eine  Rätselsammlung  aus  dem  Jahre  1644.    Von  Johannes  Bolte 81 —  83 

Volksrätsel  aus  Ostermiething  im  oberen  Innviertel.     Von  Ernst  Jungwirth   .  83—85 

Westfälische  Hausinschriften  (Nr.  55— 100).    Von  Haus  Heu ft 85—90 

Erntereigen.     Von  Hermann  Strebel 90 


IV  Inhalt. 

Seite 
Drum  Brüder,    stosst   die  Gläser  an:    Es  lebe  der  Reservcmannl    Von  Johann 

Lewalter 207-209 

Das   polnische  Original    des  Liedes   'An    der  Weichsel   gegen  Osten'   und   das 

schwedische  Lied  'Spinn,  spinn,  Tochter  mein'.     Von  Johannes  Bolte   .    .  210—213 

Eine  haskischo  Rolandsage.     Von  Henri  Bonrgeois 213—214 

Der  Klingelstock  der  Hirten.     Von  Otto  Schell  (mit  4  Abbildungen)    ....  317—318 

Zu  dem  christliclien  Warnungsbriefe.    Von  Johannes  Bolte 319—321 

Das  Handschriftenarchiv  der  Deutschen  Kommission  der  Königlich  Preussischen 

Akademie  der  Wissenschaften.    Von  Fritz  Behrend 321—322 

Die  Adventskurrende  und  die  Jutrznia  in  Masuren.   Von  Hermann  Mankowski  326 — 327 

Zum  Liede  auf  den  Reservemann.   Von  Robert  F.  Arnold 327—328 

Der  Schäfergruss.    Von  Otto  Scliütte 328 

Leichenwasser  und  Geisterglaube  in  Ostpreussen.    Von  Emil  Schnippel.   .    .  394 — 398 

Karfreitagsglocken  und  damit  Zusammenhängendes.    Von  Otto  Heilig  .    .    .    .  398—399 

Der  Plingstcjuak  in  der  Saargegend.     Von  Karl  Lohmeyer 399  —  401 

Zwei  geistliche  Lieder  aus  dem  Odenwalde.    Von  Lina  Mangler 401—403 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 

Neuere  Märchenliteratur  (Schluss).    Von  J.  Bolte 91 — 100 

Neuere  Sagenliteratur.    Von  J.  Bolte 329—332 

Neuere  Arbeiten  über  das  deutsche  Volkslied.    Von  J.  Bolte 404 — 411 

Neue    Forschungen  über   die    äusseren  Denkmäler    der  deutschen   Volkskunde: 
volkstümlichen  Hausbau  und  Gerät,  Tracht  und  Bauernkunst  (Forts.).    Von 

Otto  Lauffer 100—107 

Neuere  Arbeiten  zur  slavischen  Volkskunde,    1.  Polnisch  und  Böhmisch.     Von 

Alexander  Brückner 213  —  225 

2.  Südslawisch.    Von  Georg  Polivka 411—428 

Abeling,  Th.    Das  Nibelungenlied  und  seine  Literatur  II  (H.  Michel).    .    .    .  336  —  338 

van  Andel,  M,  A.    Volksgeneeskunst  in  Nederland  (P.  Bartels) 343 

Beck,  R.,   0.    Drude,    C.    Gurlitt,   A.  Jacobi,   E.  Kühn,   F.    Mammen, 

R.  Wuttke,  Heimatschutz  in  Sachsen  (K.  Beucke) 225—226 

Bürgers  Gedichte  hsg.  von  E.  Conseutius  (H.  Lohre) 114 

Eisler,  R.    Weltenmantel  und  Himmelszelt  (R.  M.  Meyer) 441—443 

Fabo,    B.     Die    musikalische    Entwicklung     des     magyarischen     Volkliedes 

(G.  Brandsch) 340 

FranQais,  J.    L'eglise  et  la  sorcellerie  (R.  Petsch) 440—441 

van   Gennep,  A.    Religious,  moeurs  et  legendes,  2.  serie  (R.  M.  Meyer).    .    .  116  —  117 

Golther,  W.    Religion  und  Mythus  der  Germanen  (H.  Lohre) 112—113 

Grönbech,  V.    Lykkemand  og  Niding  (A.  Heusler) 226—227 

Günter,  H.    Die  christliche  Legende  des  Abendlandes  (R.  Petsch) 433—437 

Henry,  V.     La  magie  de  l'Inde  antique,  2.  edition  (R.  Petsch) 109—110 

van  Heurck,  E.H.,  et  G.  J.  Boekenoogen,  Histoire  de  l'imagerie  populairc 

flamande  et  de  ses  rapports  avec  les  imageries  ctrangeres  (J.  Bolte)    .    .    .  342—343 
Hoffstaetter,  W.    Das  Deutsche  Museum  und  das    Neue    deutsche  Museum, 

ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Zeitschriften  (H.  Lohre)  ....  115 

Horger,  A.    Hctfaluer  Csango -Volksmärchen  (E.  Rona-Sklarek) 338—339 

Hoernes,  M.    Natur-  und  LIrgeschichtc  des  Menschen  (P.  Bartels) 112 

Itchikawa,  Daiji.    Die  Kultur  Japans  (R.  Lange) 340—341 

Kleinpaul,  R.    Die  deutschen  Personennamen  (H.  Michel) 117 

Landau,  M.    Hölle   und  Fegfeuer  m  Volksglaube,  Dichtung  und  Kirchenlehre 

(R.  Petsch) 437-440 

Lehmann,  A.    Aberglauben   und  Zauberei  von    den  ältesten  Zeiten  an  bis  in 

die  Gegenwart,  2.  Aiill.  (R.  Petsch) 107—109 


Inhalt.  V 

Seite 

Meyer,  R.  M.    Altgermanische  Religionsgeschichte  (F.  v.  d.  Leyen) 428—431 

Mielke,  R,  Das  Dorf,  ein  Handbuch  der  künstlerischen  Dorf-  und  Flur- 
gestaltung (M.  Roediger) 229-231 

Pfleiderer,  0.    Reden  und  Aufsätze  (R.  M.  Meyer) 110 

Reinach,  S.    Orpheus.    Allgemeine  Geschichte  der  Religionen   (R.  M.  Meyer)  431—432 
Rhamm,  K.    Ethnographische  Beiträge  zur  germanisch -slawischen  Altertums- 
kunde II,  1-2  (0.  Schrader) 332-330 

Rona-Sklarek,  E.     Ungarische  Volksmärchen,  neue  Folge    (A.  Schullerus)   .  432 

Saintyves,  P.    Les  saints  successeurs    des  dieux.     Les  vierges   meres    et   les 

naissances  miraculeuses.    Le  discernement  du  miracle  (H.  Lohre)    ....  228—229 

Seligmann,  S.    Der  böse  Blick  und  Verwandtes  (F.  Bartels) 111 

Notizen  (Albers,  Amalfi,  Bourgeois,  Brage,  Dähnhardt,  Freybe,  Friedrich, 
Gebhardt,  Heidrich,  Heuvel,  Glock,  Götze,  Haas  &  Worni,  Hellwig,  Inu- 
viertler  Heimatkalender,  Kirchner,  Klein,  Laographia,  Lohmeyer,  Magnanelli, 
Marzell,  H.  Mayer,  Meinck,  Mende,  Messikommer,  Norlind,  Olsen  & 
Schetelig,  Orlamünder,  Pestalozzi,  Psichari,  Raccuglia,  Reisiger,  Richter, 
Röscher,  Siebs,  Weise,  Werner,  de  Wyl.  —  Andree-Eysn,  Bücher,  Freybe, 
Huss,  Kehrer,  Kaortz,  Maeterlinck,  Orsier,  Peabody,  Schullerus,  Straub.  — 
Ai-nold  &  Wagner,  Brunk,  Freybe,  v.  d.  Graft,  HeriTuann,  Höfler,  Hurt, 
Koskenjaakko,  Land,  Laographia,  Launis,  Mansikka,  Oberammergauer 
Passionsspiel,  Olrik,  Ohnesorge,  Playfair,  Rabe,  Richter,  Rolland,  Sartori, 
Schmidt,  Schuchardt,  Stahl,  Steinhauseu,  Stockmayer,  Thümmel,  Upmark, 
V.  Zingerle.  —  Arnold,  Bohrend,  Bernhöft,  Diels,  Feilberg,  Fiebelkorn, 
Folkers,  Grunwald,  Hilka,  Hoffmaun-Krayer,  Jensen,  Lauffer,  Messikommer, 
Nagl,  Oberammergauer  Passionsspiel,  Reiterer,  Reuschel,  Schultz,  Servettaz, 
V.  Spies,  Wehrhan,  Westen) 118—125.  231-235.  344-350.    443—449 

August  Meitzen  t-    Von  M.  Roedigcr 235—237 

Ludwig  Katonaf.     Von  A.  Schullerus 450 

Erwiderung  (zu  S.  332).    Vou  K.  Rhamm 449 

Antwort  des  Rezensenten.     Vou  0,  Schrader 450 

Aus  den  Sitzungsprotokollen    des  Vereins    für  Volkskunde.     Von  K.  Brunner 

125-128.  237-240.  350—352 

Register 451—456 

Inhaltsverzeichnis  zu  Band  1—20  (1891—1910)  nach  den  Mitarbeitern  geordnet    457-480 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde. 

Von  Adolf  HaufFen. 


„Die  Yolkskuude  als  selbständige  Wissenschaft  ist  eine  halbvollendete 
Schöpfung  der  letzten  hundert  Jahre;  die  Anläufe  und  Beiträge  zur 
Volkskunde  dagegen  sind  so  alt,  wie  die  Geschichte  der  Literatur"*). 
Mit  diesen  Worten  eröffnete  W.  H.  Riehl  1858  seinen  Vortrag  'Volks- 
kunde als  Wissenschaft',  die  auch  bei  einer  Geschichte  dieses  Wissens- 
zweiges beherzigt  werden  müssen.  In  der  Tat  Beiträge  und  Quellen  zur 
germanischen  Volkskunde  finden  wir  schon  bei  den  antiken  Historikern 
um  Christi  Geburt,  Keime  und  Ansätze  zu  einer  volkskundlichen  Dar- 
stellung im  16.  Jahrhundert;  doch  den  Beginn  einer  ausgesprochenen 
wissenschaftlichen  Pflege  der  Yolkskuude  können  wir  erst  mit  der  über- 
quellend reichen  Wirksamkeit  der  Brüder  Grimm  ansetzen.  Wiederholt 
wird  man  freilich  von  den  älteren  Zeiten  zur  Gegenwart  Brücken  schlagen 
können. 

Während  die  griechischen  Schriftsteller  die  eigenen  Stämme  und  die 
fremdenVölker  wesentlich  vom  wissenschaftlichen  Standpunkt  aus  schilderten, 
verbanden  die  römischen  Ethnographen  damit  das  praktische  Bestrebeu, 
die  Nachbarn,  die  Feinde,  die  besiegten  und  noch  zu  besiegenden  Völker 
näher  kennen  zu  lernen  und  ihren  Landsleuten  genaue  Berichte  darüber 
zu  liefern.  Besonders  den  Germanen  gegenüber  tritt  dieser  Standpunkt 
stark  hervor^). 

Dass  Strabos  'Geographika'  viele  Jahrhunderte  lang  als  Muster  einer 
Landes-    und  Völkerkunde  galten,    hat    es  wahrscheinlich    bewirkt,    dass 


1)  Der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  hat  mich  freundlichst  aufgefordert,  meinen 
bei  der  50.  Versammlung-  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  am  30.  September  lOOi) 
in  Graz  gehaltenen  Vortrag  in  diesen  Blättern  zu  veröffentlichen.  Ich  habe  meinen 
Vortrag,  bei  dem  ich  auf  eine  Stunde  beschränkt  war,  inzwischen  durchaus  und  besonders 
auf  dem  Gebiete  der  Romantik  ergänzt  und  vertieft;  doch  bin  ich  mir  bewusst,  dass  es 
nur  bei  einer  Skizze  geblieben  ist.  Denn  eine  Geschichte  der  deutschen  Volkskunde  von 
Tacitus'  Germania  bis  zur  Gegenwart  ist  ein  so  weitschichtiger  Gegenstand,  dass  es  eines 
Buches  bedürfte,  ihn  erschöpfend  zu  behandeln. 

2)  W.  H.  Eiehl,  Kulturstudien  aus  drei  Jahrhunderten  (G.  Auflage,  Stuttgart  und 
Berlin  190G)  S.  225 ff.:   'Die  Volkskunde  als  Wissenschaft'. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  1.  \ 


2  Hauffen: 

bis  tief  ins  neimzehnte  Jahrhundert  die  Neigung  bestand,  die  Yolks- 
schiklerung  nur  als  Ergänzung  zur  Landesbeschreibung  aufzufassen,  während 
es  doch  näher  läge,  die  Landschaft  nur  als  Hintergrund  für  das  Volkstum 
zu  betrachten.  Strabo  bringt  bereits  einige  Mitteilungen  über  die  Ger- 
manen und  unterscheidet  sie  von  den  Galliern  durch  ihre  grössere  Wildheit, 
grössern  Wuchs  und  grössere  Blondheit;  er  fasst  sie  also  als  gesteigerte 
Kelten  auf,  während  Cäsar  eingehender  die  Unterschiede  dieser  beiden 
Völker  in  Tüchtigkeit,  Lebensart  und  Tracht  darstellt,  ohne  späterer  Ver- 
wechslung von  Kelten  und  Germanen  vorbeugen  zu  können. 

Erst  Tacitus,  der  gründlichste  Beobachter  der  Germanen  unter  den 
antiken  Schriftstellern,  bezeichnet  dieses  Volk  als  eine  einheitliche,  in 
sich  gleiche  Masse,  obwohl  er  ihre  einzelnen  Stämme  nach  Sprache  und 
Sitte,  Religion,  Lebensweise,  Tracht  und  Behausung,  nach  Körper- 
beschaffenheit und  Sinnesart,  nach  der.  Stellung  des  Einzelnen  zum  Ober- 
haupt unterscheidet.  In  seiner  'Germania',  die  Riehl  als  „eine  Weissagung 
auf  die  moderne  freie  und  wissenschaftliche  Volkskunde"  bezeichnet,  hat 
Tacitus  im  Gegensatz  zu  Strabo  das  Schwergewicht  auf  das  Volkstum  gelegt, 
welches  er  in  einer  abgerundeten  sachlichen  Darstellung  würdigt,  mag  er 
auch  im  steten  Hinblick  auf  Rom  ein  Idealbild  geschaffen  haben.  Freilich 
rühmt  nur  Tacitus  die  Gastlichkeit  der  Germanen,  ihre  eheliche  und 
Gefolgstreue,  ihre  Ehrfurcht  vor  den  Frauen. 

Als  wesentliche  Merkzeichen  der  Germanen  erscheinen  den  römischen 
und  den  späteren  griechischen  Schriftstellern  die  von  ihnen  abweichenden 
körperlichen  Eigenschaften.  Nichts  verblüffte  sie  so,  wie  ihre  hohe 
Gestalt,  ihre  Stärke,  ihr  rotblondes  Haar.  Seltener  wird  von  ihren  Augen, 
und  ihrer  Haut  berichtet,  nie  von  der  Schädelbildung.  Bei  den  Frauen 
werden  die  Gewänder  und  die  Haai'tracht  beschrieben.  Von  der  Be- 
waffnung gilt  die  lange  Lanze  als  typisch  für  alle  germanischen  Völker. 
Von  den  seelischen  Eigenschaften  wird  die  Wildheit,  ihr  lärmendes  Treiben, 
aber  wiederum  ihr  Mangel  an  Übung  und  Ausdauer  im  Kampfe,  die 
Masslosigkeit  in  Trank  und  Speise,  das  unbändige  Freiheitsgefühl,  die 
jierino-e  Selbstzucht  —  Gewalt  für  Recht  — ,  ihre  Geradheit  und  Treu- 
herzigkeit,  ihre  Abhärtung  und  Anspruchslosigkeit,  die  Schwimmkunst, 
das  starke  Vertrauen  auf  Weissagungen,  die  sinnbildliche  Verwendung 
der  Schilde  und  Kessel,  sowie  der  grosse  Anteil  der  Frauen  an  Staat  und 
Religion  hervorgehoben  ^). 

Bei  den  Deutschen  selbst  erwacht  die  Aufmerksamkeit  für  Dichtung 
und  Glauben  des  eigenen  Volkstums  unter  Karl  dem  Grossen,  dessen 
eigene  Bestrebungen  durch  Gelehrte  au  seinem  Hofe  Förderung  fanden. 
Seine    Fürsorge    für    die    deutsche    S))rache,     für    die    Aufzeichnung    der 


1)  Richard  M.  Meyor,  Die  Anfänge  der  deutscheu  Volkskunde  (Zeitschrift  1".  Kultur- 
geschichte, Neue  [1.]  Folge  '2,  i:'..')— 165.    189.J.  —  Vgl.  oben  3,  4(jii . 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  3 

Monatsnamen  und  älterer  Heldenlieder  steht  in  diesem  Zeitraum  nicht 
vereinzelt  da.  Denn  Walahfried  Strabus  erörtert  den  deutschen  Wort- 
sehatz und  weist  auf  die  Gestalt  Dietrichs  von  Bern  hin.  In  theologische 
Handschriften  wird  das  Muspilli,  die  Merseburger  Zaubersprüche  und  ein 
Bruchstück  des  Hildebrandsliedes  eingetragen.  In  lateinischen  Kapitularien, 
Dekreten.  Verzeichnissen,  welche  staatlichen  und  besonders  kirchlichen 
Zwecken  dienen,  in  Abschwörungsformeln  und  Beichtspiegeln  findet  sich 
eine  Fülle  heidnischer  Überlieferungen.  Wohl  den  ältesten  Bericht  über 
heidnischen  Volksglauben  gibt  der  ludiculus  superstitionum  et  paganiarum, 
dreissig  Kapitelüberschriften  über  Bräuche  deutschredender  Franken  des 
nordöstlichen  Gallien  am  Schluss  des  Capitulare  Karlmanus  (743).  In  den 
Dekreten  des  Bischofs  Burchard  von  Worms  befindet  sich  ein  Pönitential 
(von  ungefähr  1020),  wo  heidnische  Bräuche  knapp  beschrieben  werden^). 

Reichliche,  noch  zu  wenig  ausgeschöpfte  volkskundliche  Beiträge 
liefern  deutsche  Dichtungen,  Chroniken,  lateinische  Predigten,  theologische 
Schriften  und  Beispielsammlungen  des  Mittelalters,  abgesehen  von  einem 
vielfach  brachliegenden  grossen  Handschriftenbestaud. 

Während  die  höfischen  Dichter  mit  Anteil  und  Behaoen  die  Kleidung 
und  Lebensweise  der  ritterlichen  Kreise  ausmalen,  schildern  Xeidhart  und 
die  ihn  nachahmenden  erzählenden  Dichtungen,  der  sogenannte  'Seifried 
Helbling',  'Meier  Helmbrecht',  'Motzen  Hochzeit'  und  andere,  Trachten, 
Bräuche,  Sitten  und  Feste  der  Dörper.  Früh  wurden  die  Unterschiede 
der  Mundarten  beobachtet.  Gute  Beispiele  solcher  Beurteilungen  liefern 
Albrecht  von  Halberstadt  in  seiner  Bearbeitung  von  Ovids  Metamorphosen 
(1210)  und  Hugo  von  Trimberg  im  Renner  (1300)^).  Am  Beginn  des 
15.  Jahrhunderts  bringen  die  'Blumen  der  Tugend'  des  Tirolers  Hans 
Vintler^)  und  der  'Ring'  des  Thurgauers  Heinrich  von  Wittenweiler  viele 
Beispiele  für  den  Volksglauben  ihrer  Heimat. 

Aus  den  handschriftlichen  lateinischen  Predigten  Bertholds  von 
Regensburg  schöpft  Anton  Schönbach*)  mit  Heranziehung  der  deutschen 
Predigten  reichhaltige  Angaben  über  Seelenglauben,  Verehrung  heidnischer 
Gottheiten,  über  W^asser-  und  Bergelben,  gespenstische  Tiere,  Zaubereien, 


1)  Jakob  Grimm,  Deutsche  Mythologie,  vierte  Ausgabe  o,  4U3ff. 

2)  Diese  und  weitere  Zeugnisse  teilt  Adolf  So  ein,  Schriftsprache  u.  Dialekte  im 
Deutschen  i^Heilbroiin  1888)  S.  I0(i— 118  mit. 

3)  Herausgegeben  von  J.  V.  Zingerle,  Ältere  Tiroler  Dichter  I  (1874).  Wiederholt 
herangezogen:  J.  Grimm,  Mjth.  3,  420f.,  J.  Zingerle,  Sitten  des  Tiroler  Volkes  (Inns- 
bruck 1857)  S.  187,  Joh.  Franck,  Hexe,  Anhang  zu  Jos.  Hansen,  Quellen  u.  Unter- 
suchungen zur  Geschichte  des  Hexenwesens  im  Mittelalter  (Bonn  1001)  S.  G41f. 

4)  Anton  E.  Schönbach,  Studien  zur  Geschichte  der  altdeutschen  Predigt  II: 
Zeugnisse  Bertholds  von  Regensbnrg  zur  Volkskunde  (Sitzungsberichte  der  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Wien,  phil.-hist.  Klasse,  142.  Band.  lOOO).  Die  -Beigaben'  bringen  nach 
anderen  Handschriften  des  Jlittelalters  weitere  Belege  zu  Volksglauben  und  Brauch.  Am 
Schluss  seiner  Darstellung  S.  130 f.  rät  Schöiibach  „den  Fachgenossen  und  vornehmlich 
jenen,   die   mit  rühmenswertem  Eifer   sich    um    die  Sammlung  des  heute  lebenden  Volks- 


4  Hauffen : 

abergläubische  Yorkehrungen,  Meinungen  und  Heilmittel.  Wiederholt, 
auch  im  lateinischen  Text  erscheinen  deutsche  Benennungen  dieser  Volks- 
anschauung: 'Werwolf,  hulden,  unhulden,  pilwitz,  nachtvahren,  mareu, 
truden,  \yahrsagerin,  zaubrerin,  aussprentzlerin'  usw.  Ferner  Bemerkungen 
über  Spielleute,  Volkslieder,  Kinderspiele,  Heldensagen,  Märchen  und 
Wunschdinge,  Sprichwörter,  Hochzeits-,  Neujahrs-,  Oster-  und  Kechts- 
bräuche,  Diebs-  und  Räuberzeichen.  Natürlich  erörtert  Berthold  den 
Volksaberglauben,  indem  er  diesen  vom  kirchlichen  Standpunkt  aus  be- 
kämpft, und  benützt  hierfür  wie  Vintler  u.  a.  für  seine  Anordnung  ältere 
Bussbücher,  geht  aber  in  seiner  genauen  Kenntnis  des  Volkstums  weit 
darüber  liinaus.  Von  grossem  Werte  ist  es,  dass  hier  die  Übereinstimmung 
dieser  Angaben  m'it  gegenwärtig  noch  lebendigen  Anschauungen  und 
Bräuchen  erwiesen  wird. 

Die  erstaunliche  Fülle  von  Segen-  und  Beschwörungsformeln, 
die  von  der  althochdeutschen  Zeit  an  bis  in  die  Gegenwart,  freilich 
immer  mehr  verderbt  und  zerstört,  ausdauern,  gibt  auch  für  das  Mittel- 
alter viele  Zeugnisse  der  Volksanschauungen,  weist  aber  gar  nicht  oder 
nur  im  geringsten  altheidnische  Spuren  auf.  Schönbach  teilt  diese  Formeln 
(nach  seiner  reichhaltigen,  noch  nicht  veröffentlichten,  aus  Handschriften 
geschöpften  Sammlung  von  ungefähr  1500  Stück)  in  vier  Gruppen  ein. 
Die  erste  besteht  in  einer  Erzählung  eines  Vorganges,  der  in  eine  Be- 
schwörung ausgeht.  Diese  Formeln  enthalten  nur  wenig  Germanisch- 
Heidnisches.  Alle  sind  ursprünglich  in  Versen  abgefasst  und  gegenüber 
den  andern  Gruppen  verhältnismässig  von  poetischem  Wert.  Die  zweite, 
im  allgemeinen  jüngere  Schicht  hat  die  Gestalt  von  Gleichnissen,  bei 
denen  meist  nur  die  Beschwörung  gereimt  ist.  Die  Segen  in  der  dritten 
Gruppe  zeigen  ohne  Einleitung  oder  Rahmen  nur  die  Beschwörungs- 
formeln, die  jetzt  unverständliche  Worte  enthält,  welche  bald  zu  einer 
Bedingung  der  Zauberkraft  wurden  und  die  zumeist  griechischen  oder 
semitischen  Ursprungs  sind.  Zur  vierten  Gruppe  gehören  Beschwörungen, 
Segnungen  und  Weihungen,  welche  kirchlichen  Benediktionen  nachgebildet 
und  frühestens  im  13.  Jahrhundert  verdeutscht  wurden.  Natürlich  gibt  es 
auch  viel  übergangsformen.  Der  Anteil  der  Geistlichkeit  bei  der  Ab- 
fassung, Verbreitung  und  Umbildung  dieser  Formeln  ist  sehr  stark. 

Auch  die    lateinischen  Sammlungen  von  Geschichten  und  erbaulichen 
Beispielen  geistlicher  Verfasser    bringen    viele  volkstümliche  Motive    und 


tümlichen  Aberglaubens  bemühen,  die  frühere  Überlieferung,  die  Handschriften  des  MA., 
in  ihre  Studien  einzubeziehen"  (bes.  die  lateinischen  Niederschriften  deutscher  Predigten 
aus  dem  13.  bis  zum  IG.  Jh.),  „die  Drucke  werden  nicht  viel  mehr  Ausbeute  gewähren," 
In  seinem  .\uslauf  über  die  Betonie  (S.  35— 50)  zeigt  Seh.,  wie  vorsichtig  man  dabei 
vorgehen  muss.  Denn  die  im  deutschen  Volke  allgemein  verbreitete  Meinung  von  der 
Zauber-  und  Heilwirkung  dieser  Pflanze  ist  nicht  bodenständig,  sondern  aus  antiker  Ge- 
lehrsamkeit ins  Volk  gesickert.  Über  die  Einteilung  der  Segen-  und  Beschwörungsformeln 
S.  123-130. 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  5 

Typen  volkstümlicher  Erzähliingskunst.  Ein  Meister  auf  diesem  Felde  ist 
der  Rheinländer  Cäsarius,  Cisterciensermönch  in  Heisterbach  (ungefähr 
1170 — 1240).  An  seinen  Wundergeschichten  und  Legenden  verfolgt 
Schönbach  ^)  ein  für  jede  Art  von  Volksdichtung  wichtiges  Problem, 
nämlich  „in  den  Fällen,  wo  unter  möglichst  gleichen  Bedingungen  eines 
Entstehens  verschiedene  Fassungen  derselben  Geschichte  vorlägen,  durch 
genaueres  Feststellen  und  Prüfen  der  bei  ihnen  vorhandenen  Unter- 
schiede etwas  7A1  gewinnen,  das  ein  theoretisches  Minimum  der 
Variabilität  eines  Erzählungsstoffes  darstellen  könnte."  Nun  läge  es  ja 
vielleicht  näher,  aus  dem  lebenden  Treiben  der  Gegenwart  zu  schöpfen 
und  innerhalb  eines  bestimmten  and  überschaubaren  Kreises  von  Menschen 
zu  beobachten,  wie  die  Darstellung  sich  von  Mund  zu  Mund  verändert 
bei  Zeitungsnachrichten  oder  Zeugenaussagen  vor  Gericht;  doch  Schönbach 
zieht  es  mit  Recht  vor,  solche  Beispiele  der  mittelalterlichen  Erzähluugs- 
literatur  zu  entnehmen,  und  betont,  wie  wichtig  die  hier  wahrzunehmenden 
Unterschiede  der  Darstellung  desselben  Stoffes  für  das  Studium  der  Ver- 
änderungen einer  mündlichen  Überlieferung  werden  können,  sei  es,  um  die 
Abstände  zwischen  den  verschiedenen  Fassungen  desselben  Gedichts  oder 
zwischen  gleichzeitigen  geschichtlichen  Berichten  oder  zwei  Gestaltungen 
eines  Märchens  oder  einer  Sage  zu  bemessen.  Dieses  Problem  konnte 
bei  Cäsarius  in  wünschenswerter  Reinheit  und  Einfachheit  durchgeführt 
werden,  weil  er  innerhalb  weniger  Jahre  an  hundert  Erzählungen  zweimal 
und  einige  mehrmals  aufgeschrieben  hat.  Und  zwar  in  den  ersten  drei 
Teilen  seiner  'Homilien',  wo  er  Erzählungen  aus  seiner  Zeit  einverleibt, 
welche  Disziplin  und  Organisation  seines  Ordens  erläutern  sollen,  ferner 
in  seinem  Dialogus  miraculorum,  der  nach  den  Stoffen  in  42  Bücher  ein- 
geteilt ist  und  wo  die  Geschichten  in  loserer  Weise  der  Erziehung  für  den 
Orden  dienen  sollen,  so  wie  in  den  drei  erhaltenen  Büchern  der  Libri  VIII 
miraculorum,  die  allein  den  Selbstzweck  der  Unterhaltung  zu  erfüllen 
scheinen,  aber  auch  viele  abgebrauchte  Stücke  aus  aller  Welt  bringen. 
Aus  einem  genauen  Vergleich  hat  es  sich  ergeben,  dass  dreissig  Er- 
zählungen zwei-  oder  dreimal  vollständig  gleich  lauten,  dass  aber  bei  den 
übrigen  Unterschiede  im  Wortlaut,  sachliche  Abweichungen  oder  gar  ein- 
greifende Veränderungen  der  Tatsachen  vorkommen.  Diese  Erzählungen 
werden  auch  später  mit  neuen  Begleitumständen  versehen,  anders  be- 
gründet oder  beschlossen.  Wahrnehmen  lässt  sich  dabei,  dass  eine  Geschichte, 
wo  der  Stoff  wichtiger  ist,  mit  den  Angaben  von  Ort,  Zeit  und  Per- 
sonen erzählt  wird  und  dann  keinen  Veränderunsen  unterliegt.    Überwiegt 


1)  Derselbe,  Studien  zur  Erzäliluuf^sliteratur  des  Mittelalters  IV.,  VI.,  VIII.  Teil: 
Cäsarius  von  Heisterbach  1- III.  (Ebenda  Bd.  144,  159,  1Ü3.  1902-1009).  Besonders 
1 1  ff.,  III  1  —  33).  —  Für  kleinere  Monographien  über  einzelne  Bräuche  nach  älteren  Uikundon 
und  Dichtungen  mit  Heranziehung  der  jüngsten  Zeugnisse  liefert  Friedr.  Vogt  iu  seiner 
abgerundeten  Studie  'Scheibentreiben  und  Frühlingsi'euer'  (oben  3,  349 — 3C>9)  ein  Vorbild. 


Q  Ilauffen : 

aber  eine  Tendenz  der  Moral  oder  der  Disziplin,  dann  fallen  diese  An- 
gaben weg,  die  Geschichte  wird  zu  einem  Beispiel  und  den  neuen  Um- 
ständen gemäss  umgestaltet 

Lehrhafter  gehalten  ist  die  Darstellung  bei  dem  Dominikanermönch 
Thomas  von  Chantimpre  in  dem  ungefähr  1260  abgefassten  'Liber  de 
proprietatibus  apum',  einer  Beschreibung  der  katholischen  Priesterschaft 
im  Bilde  eines  Bienenstaates  mit  eiugeflochtenen  Sagen  und  Erzählungen. 
An  der  Grenze  von  deutschem  und  französischem  Sprachgebiet  lebend, 
hat  Thomas  die  ihm  von  beiden  Seiten  zugetragenen  Geschichten,  darunter 
deutsche  Mythen  von  Teufelsluftfahrten,  von  Wald-,  Wasser-  und  Luft- 
eiben für  seine  Sammlungen  verwertet. 

Innerhalb  einer  Darstellung  der  Zeitereignisse  von  1336—1389  bringt 
die  Limburger  Chronik  Schwanke  und  Volkslieder,  sowie  .Nachrichten 
über  Musik  und  Trachten.  Eine  thüringische  Chronik  beschreibt  Kleider- 
trachten um  1430^).  Doch  über  Tracht,  Hausrat,  auch  über  Hausbau  des 
Mittelalters  unterrichten  uns  besser  Siegel,  Miniaturen,  Bildwerke,  Gemälde 
und  Holzschnitte'"^). 

An  der  Schwelle  der  Neuzeit,  mit  der  Wiederbelebung  des  klassischen 
Altertums,  mit  der  Befreiung  der  Wissenschaft  durch  den  Sieg  des  Huma- 
nismus über  die  Scholastik  begannen  die  Gelehrten  endlich  das  Leben 
um  sich  herum,  Land  und  Leute  zu  beobachten  und  zu  schildern.  Durch 
die  Entdeckung  neuer  Länder  und  Seewege  wurde  die  Geographie  und 
Ethnographie  verjüngt,  durch  das  Bekanntwerden  von  Tacitus'  Germania 
wurde  das  Nationalbowusstsein  gehoben  und  die  Heimatkunde  hervor- 
gerufen. Der  neue,  hauptsächlich  durch  die  Reformation  erzeugte  demo- 
kratische Geist  der  Zeit  bewirkte  eine  grössere  Beachtung  der  breiten 
Volksschichten,  ihrer  Dichtungen,  Meinungen  und  Sitten. 

Die  Anregung  zu  einer  sachlichen  Betrachtung  der  Heimat  brachten 
zuerst  italienische  Humanisten  nach  Deutschland.  Besonders  Aeneas  Sil- 
vius  Piccolomini,  der  zuerst  in  seiner  'Europa'  einzelne  Teile  Deutsch- 
lands beschrieb  und  hier,  wne  in  der  ebenfalls  1458  verfassten  'Germania' 
Handel,  Verkehr,  Sprache,  Charakter,  Beschäftigung,  Nahrungs-  und 
Rechtsverhältnisse  der  deutschen  Stämme,  wenn  auch  zum  Teil  in  kahlen 
Aufzähluno-en  behandelt  und  mit  diesen  Büchern  auf  die  älteren  Huma- 
nisten  und  späteren  Geographen  Deutschlands  stark  eingewirkt  hat^). 

Der  Erste,  der  eine  deutsche  Landschaft  ausführlich  beschreibt,  ist 
der  Kölner  Kartäuser  Werner  Rolevinck.    Seine  'Westfalia'  (ungefähr  1478) 


1)  Zeitschrift  f.  deutsches  Altertum  8,  468 f. 

2)  Vgl.  die  bekannten  grundlegenden  Darstellungen  der  Kultur  des  deutschen  Mittel- 
alters von  Karl  Weinhold,  Alwin  Schultz  und  Moritz  Heyne,  sowie  B.  Riehls 
Geschichte  des  Sittenbildes  in  der  deutschen  Kunst  (1884). 

o)  Oberlehrer  Erich  Schmidt,    Deutsche  Volkskunde  im  Zeitalter  des  Humanismus 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  7 

kann  man  als  die  älteste,  allerdings  dürftige  volkskundliche  Monographie 
ansehen.  Der  31önch  geht  von  geistlichen  Gesichtspunkten  aus  und  will 
durch  den  Preis  der  Tüchtigkeit  und  Treue  seiner  Landsleute  anderen 
ein  Vorbild  aufstellen.  Er  teilt  Sprichwörter  in  der  Mundart  mit,  sowie 
Hochzeitsbräuche,  einzelne  Bemerkungen  über  Veme  und  den  Charakter 
der  Bevölkerung.  Der  Ulmer  Frater  Felix  Fabri  verfasste  nach  1480  ein 
*Evagatorium\  dessen  Schluss  eine  kurze  'Historia  Suevorum'  mit  einer 
Charakteristik  der  schwäbischen  Art  in  sprichwörtlichen  Vergleichen  mit 
anderen  Stämmen  (die  Schwaben  seien  klüger  als  die  Elsässer,  vornehmer 
als  die  Bayern,  gerechter  als  die  Brabanter,  reicher  als  die  Franken  und 
frömmer  als  alle  übrigen  Germanen)  und  ferner  einen  'Tractatus  de 
civitate  Ulmensi'  bilden,  worin  Tauf-  und  Zunftbräuche,  Gespensterspuk, 
Mitteilungen  über  das  Horublasen  auf  den  Türmen,  über  Nixen  im  Röhr- 
brunnen und  in  einer  Höhle  der  Umgebung,  über  die  Unterschiede  der 
Stände,  über  Schauspiele  und  Luxus  in  geschlossener  Form  und  bereits 
im  Geiste  des  Humanismus  vorgeführt  werden.  In  dem  um  1500  ver- 
fassten  'Chronicon  Germaniae'  von  Johann  Nauclerus  werden  Lebensweise, 
Kleidung,  Tätigkeit,  Rechte  der  Schwaben  nach  eigener  Anschauung  ge- 
schildert. 

Bei  dem  deutschen  'Erzhnmanisten'  Konrad  Celtes  tritt  die  Landes- 
kunde schon  deutlich  als  Äusserung  vaterländischer  Begeisterung  zutage.  Sein 
grossangelegter  Plan  einer  'Germania  illustrata'  wurde  trotz  reicher  Stoff- 
sammlungen nie  ausgeführt.  Doch  die  Vorarbeiten  dazu,  die  Oden  und 
Epigramme  bringen  manche  hübsche  Einzelheiten  über  Volksbräuche,  so 
über  die  Weinlese  und  das  Martinsfest  in  Mainz,  auch  eine  Charakteristik 
der  Stämme.  Die  rauhe  Sprache  der  Schwaben  wird  mit  dem  Geräusch 
eines  Nussknackers  verglichen;  die  Franken  seien  lebenslustig,  die  Bayern 
lieben  schamlose  Witze;  Fehler  und  Vorzüge  der  Deutschen  werden  gegen- 
einander abgewogen.  Das  einzige  vollendete  Stück  des  geplanten  Werkes, 
die  Prosabeschreibung  Nürnbergs  'Noribergae  libellus'  (1502),  wo  die 
Spiele  der  Kinder  und  Erwachsenen,  die  Mundart,  die  Beschaffenheit  der 
Bevölkerung  in  ihrer  Abhängigkeit  vom  Boden  betrachtet  werden,  hat 
Schule  gemacht.  Bis  tief  ins  17.  Jahrhundert  werden  ausser  Nürnberg 
zahlreiche  deutsche  Städte  in  zum  Teil  sehr  umfänglichen  lateinischen 
und  deutschen  Lobgedichteu,  meist  in  Versen,  geschildert,  von  denen 
namentlich  die  eine  Gruppe  der  Städtegedichte,  wo  die  Kulturentwicklung 
besonders  berücksichtigt  wird,  als  Quelle  für  die  Volkskunde  gelten  kann^). 

und  der  Reformation  (Historische  Studien,  Heft  47.  Berlin  1904).  S.  84—107  wird  der 
Inhalt  der  'Volkskunde' -Kapitel  aus  Bohenius  ausführlich  -wiedergegeben,  so  dass  es 
oben  nur  eines  Hinweises  darauf  bedarf.  Vgl.  auch  die  Besprechung  von  H.  Michel 
oben  15,  360— 3G2. 

1)  Vgl.  H.  Eob.  Hessus,  Noriberga  illustra  und  andere  Städtegedichte,  hsg.  von  Joseph 
Neff  (Lateinische  Literaturdenkmäler  des  15.  und  IG.  Jh.,  hsg.  von  M.  Herrmann  12. 
Berlin  1896),  bes.  die  Einleitung  S.  VII— XIX. 


Hauffen : 


Den  ersten  Versuch  einer  Beschreibung  von  ganz  Deutschhind  machte 
Franciscus  Irenicus  in  seiner  'Germaniae  exegesis'  (1518),  einer  lücken- 
haften Kompilation,  die  lediglich  die  damaligen  Kenntnisse  der  deutschen 
Humanisten  wiedergibt.  Doch  neu  sind  seine  Bemerkungen  im  siebenten 
Buche  (Kapitel  24)  vom  Hirzelberge,  in  dem  Silvani  und  Satyri  hausen, 
vom  mons  Martis  in  Westfalen,  vom  Calus  mons  in  Hessen,  wo  noch  eine 
Fussspur  Karls  des  Grossen  zu  sehen  ist,  von  dem  Hechelberge,  den 
schwarze  Raben  krächzend  umfliegen.  Bald  danach  hat  der  bayrische 
Historiker  Joh.  Aventiu  den  Grundsatz  aufgestellt,  dass  man  Land  und 
Leute  nur  nach  eigenem  Augenschein  erforschen  könne.  Er  selbst  durch- 
wanderte unermüdlich  Heimat  und  Fremde. 

Nach  der  Veröffentlichung  einer  kleinen  Jugenddichtung  'Liber 
heroieus',  einer  anmutigen  Schilderung  der  vier  Jahreszeiten  mit  Er- 
wähnung von  Ackerbräuchen,  hat  Johannes  Bohemus  Aubanus  einen 
Anlauf  genommen  zu  einer  zusammenfassenden  Darstellung  deutscher 
Volksüberlieferungen  innerhalb  seiner  allgemeinen  Ethnographie  'Omnium 
gentium  mores,  leges  et  ritus'  (Augsburg  1520).  Im  dritten  Buch  (c.  12  —  16) 
o-ibt  er  mit  Benutzung  antiker  und  humanistischer  Schriftsteller,  doch 
vorwiegend  auf  eigenen  Beobachtungen  fussend,  eine  systematische,  über 
alle  deutschen  Stämme  sich  erstreckende  Darstellung,  welche  die  meisten 
Gebiete  berücksichtigt,  die  wir  heute  unter  dem  Begriff  Volkskunde  ver- 
einigen. Was  seine  Vorgänger  vernachlässigten,  die  Formen  des  täglichen 
Lebens,  beachtet  Bohemus  durchaus.  Besonders  anschaulich  schildert  er 
die  Rechtsverhältnisse,  und  aus  Jugenderinnerungen  seiner  Heimat,  der 
Umgebung  von  Würzburg  schöpfend,  die  Festbräuche  im  Kreislauf  des 
Kirchenjahres.  „Auf  dem  Boden  des  Humanismus  war  hier  eine  deutsche 
Volkskunde   erwachsen." 

Ein  Jahrzehnt  später  beginnt  Sebastian  Franck  seine  geschichtlichen 
und  geographischen  Bücher,  eine  Neuerung,  in  deutscher  Sprache  zu  ver- 
öffentlichen. Das  war  darum  günstig,  weil  nun  die  Volksüberlieferungen 
in  den  richtigen  Bezeichnungen  wiedergegeben  werden,  während  die 
früheren  hergebrachten  lateinischen  Namen  Missverständnisse  hervorrufen 
konnten.  Aus  niederem  Stande  hervorgegangen,  kannte  Franck  aus  eigener 
Beobachtung  das  Fühlen  und  Leben  des  Volkes.  Er  zog  die  deutsehe 
Sprache  auch  darum  vor,  weil  seine  Lebensaufgabe  die  Aufklärung  der 
breiten  Schichten  war.  Während  Bohemus  erst  lange  nach  der  Abfassung 
seines  Werkes  Protestant  geworden  ist  und  seinen  Gegenstand  durchaus 
sachlich  behandelt,  tritt  Franck  als  Protestant  an  sein  'Weltbuch'  (1534) 
heran,  wo  er,  Bohemus'  Angaben  benutzend,  doch  viel  Neues  hinzufügt, 
pädagogische  und  ethische  Bestrebungen  damit  verbindet  und  die  kirch- 
lichen Gebräuche  der  süddeutschen  Katholiken  als  seltsam,  töricht 
und  als  'Narrenwerk'  verhöhnt.  Über  seine  Vorgänger  kommt  er  auch 
dadurch  weiter,  dass  er  als  Erster  erkannt  hat,  dass  gleich  den  politischen, 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  9 

rechtlichen  und  kirchlichen  A'^erhältnissen  einer  Nation,  auch  die  Lebens- 
gewohnheiten der  ländlichen  Schichten  für  die  Erforschung  des  Charakters 
eines  Volkes  unentbehrlich  sind.  Ein  Gedanke,  der  noch  heute  unserer 
Sonderwissenschaft  als  letztes  Ziel  vorschwebt.  In  seiner  Darstelluno- 
unterscheidet  er  mit  kurzen  Bemerkungen  die  Franken  von  den  Schwaben, 
Elsässern,  Bayern,  Sachsen  und  den  Schweizern  und  bringt  in  dem  von 
Bohemus  ganz  unabhängigen  Kapitel  'Von  der  Römischen  Christen  Festen' 
viel  neues  Material  zu  Sitte  und  Brauch,  Zaubereien  und  Volksmedizin. 
Die  einschlägigen  Absätze  sind  die  Hauptquelle  von  Thomas  Naogeorgs 
Regnum  papisticum  (1553)  und  von  dessen  Bearbeitung,  dem  Täpstischen 
Reich'  von  Burkard  Waldis  (1555),  die  beide  trotz  zahlreicher  Er- 
weiterungen und  Zusätze  nur  wenig  neue  Beiträge  zur  Volkskunde  dar- 
bieten i). 

Mit  Franck  brechen  die  Anläufe  zu  einer  Art  wissenschaftlicher  Be- 
handlung der  Volkskunde  ab.  Auf  mehr  als  ein  Jahrhundert  findet  sich 
keine  Spur  davon.  Sebastian  Münsters  'Cosmographei'  (1544)  und  die 
zahlreichen  deutschen  landschaftlichen  und  Städtechroniken  der  nächsten 
Jahrzehnte  bieten  nur  geringfügige  Bemerkungen  zum  Leben  des  Volkes. 
Nur  die  Familienchronik  der  schwäbischen  Herren  von  Zimmern  ist  eine 
reichhaltige  kulturgeschichtliche  Quelle^). 

Allerdings  um  die  Wende  des  16.  zum  17.  Jahrhundert  wirkt  eine 
ausgeprägte  vielseitige  Persönlichkeit,  der  Luzerner  Stadtschreiber  Renwart 
Cysat  (1545  —  1614),  der  Aufzeichnungen  über  Schweizer  Volksüber- 
lieferungen, über  Mythen,  Sagen,  Legenden,  Gebräuche,  Rechtsanschauung, 
Volksglauben,  Sprichwörter  und  Redensarten  niederschreibt  von  einem 
Umfang  und  Wert,  wie  es  bei  keinem  späteren  Schweizer  Schriftsteller  der 
Fall  ist.  Dabei  geht  Cysat  mit  dem  Ernst  und  der  Gewissenhaftigkeit 
eines  Gelehrten  vor.  Jeden  Gegenstand  „observiert,  examiniert,  durch- 
gründet  er  fleissig".  Vorsichtig  wägt  er  alle  Begleitumstände  von  Ort 
und  Zeit  ab.  Er  steigt  auf  die  von  ihm  so  bewunderten  Berge,  lauscht 
den  Erzählungen  der  Senner  und  Jäger,  geht  von  Hütte  zu  Hütte,  um  die 
richtige  Fassung  zu  finden.  Nur  das  zeichnet  er  auf,  was  er  für  echtes 
Volksgut  hält.  Er  erfüllt  also  alle  Forderungen,  die  heute  an  Sammler 
gestellt  werden,  welche  der  Wissenschaft  dienen  sollen.  Er  legt  ein 
Wörterbuch  an,  leitet  jahrelang  die  berühmte  Volksschauspielbühne  seiner 
Vaterstadt  und  schreibt  einen  Stil,  „der  den  Schollengeruch  seiner  Heimat 
atmet".  Allerdings  kann  man  diesen  wahren  Volksfreund  nicht  als  ,,Be- 
gründer  der  schweizerischen  Volkskunde"  bezeichnen;  darum  nicht,  weil 
seine  handschriftlichen  Schätze    erst    vor    kurzem  bekannt   oeworden  sind 


1)  Ad.  Hauffen,  Neue  Fischart-Studien  (7.  Ergänzungsheft  zum  Euphorion.    Leipzig 
und  Wien  1908)  S.  2(J3-268. 

2)  Zimnierische  Chronik,  hsg.   v.  K.  A.  Barack  (Bibliothek  des  literarischen  Vereins 
in  Stuttgart,  Bd.  91—94.     Tübingen  18G8f.). 


]  0  Hauffen : 

und  leider  nicht  in  die  Entwicklung  der  volkskundlichen  Darstellung  seiner 
Heimat  eingreifen  konnten^). 

Wie  im  Mittelalter,  so  bieten  auch  im  16.  und  17.  Jahrhundert 
Dichtungen,  Predigten,  polemische  und  fachliche  Schriften  dem  kräftigen, 
volksmässigen  Geist  und  Ton  entsprechend  eine  bunte  Fülle  von  Volks- 
überlieferungen. So  Geilers  Predigten,  die  grosse  Schar  von  Sprichwörter-, 
Schwank-  und  Rätselsammlungen,  von  Liederbüchern,  die  Praktiken  und 
deren  Parodien,  die  Kräuter-  und  Arzneibücher;  die  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts,  durch  die  protestantische  Teufelslehre  begünstigt,  üppig 
ins  Kraut  schiessende  Teufelsliteratur  ^),  die  Bücher  über  Dämonen,  Hexen 
und  Naturgeister,  sowie  die  Hexenprozessakten.  Das  überreiche  Schrift- 
tum Luthers,  der  mit  offenem  Auge  Deutschland  durchwanderte  und  mit 
liebevollem  Anteil  Leben,  Sprechweise  und  Sitten  des  Volkes  betrachtet  hat, 
gewährt  verhältnismässig  wenig  Ausbeute;  am  meisten  noch  auf  dem  lehr- 
haften Felde  der  Fabeln  und  Sprichwörter.  Luthers  Tischreden,  Gespräche, 
Briefe,  Flugschriften,  Predigten  sind  ganz  erfüllt  von  anschaulichen  Bildern 
und  Gleichnissen,  die  er  wiederholt  dem  Tierreich  und  der  Natur  ent- 
nimmt, von  kräftigen  Ausdrücken,  wirksamen  Sprüchen  und  Redensarten. 
Er  schätzt  die  reife  Weisheit  und  den  Mutterwitz  des  Volkes,  er  weist 
als  erster  auf  das  Märchen  vom  tapfern  Schneiderlein  hin,  erwähnt  Fast- 
nachts-  und  Rechtsbräuche,  Kinderspiele  und  das  Fest  vom  Kinderbischof. 
Wie  so  viele  erleuchtete  Köpfe  seiner  Zeit,  ist  auch  Luther  vom  Aber- 
glauben beherrscht  und  spricht  wiederholt  von  den  Äusserungen  des  Volks- 
glaubens. Bei  seiner  Hochzeit  und  der  eines  Freundes  hält  er  an  den 
heimischen  Bräuchen  fest  und  setzt  sie  auch  für  die  Hochzeit  von  Kana 
voraus;  er  übt  auch  gelegentlich  den  Brauch  des  Johannissegens  als  Ab- 
schiedstrunk aus.  Es  zeigt  sich  daraus,  dass  „die  Verarmung  in  Sitte 
und  Brauch,  die  gemeinhin  dem  Luthertum  zur  Last  gelegt  wird,  nicht 
Luther  angerechnet  werden  darf,  der  die  alte  Fülle  und  Buntheit  liebt 
und  ehrt,  wo  er  sie  trifft,  sondern  den  trüben  orthodoxen  Generationen 
der  Pfarrer  und  Schulmeister  vom  Ende  des  IG.  Jahrhunderts"'). 

Die  Schwanke  und  Fastnachtspiele  von  Hans  Sachs  eröffnen  uns  eine 
ganze  Welt  von  Sitten,  Bräuchen  und  Geschichten,  welche  der  Meister 
den  niederen  Schichten  selbst  abgelauscht  hat,  während  Fischart  besonders 
in  der  Geschichtklitterung  die  langen  Reihen  von  Liedern  und  Lieder- 
bruchstücken,  von  Rätseln  und  Spielen,  die  Hinweise  auf  Sagen  und 
Schwanke,  die  ausfülirliclien  Schilderungen  von  Festen  und  Gelagen  zu 
einem  guten  Teil  gedruckten  Quellen  verdankt*).     Aus  Büchern  und  dem 


1)  Remvard    Brandstctter,     Renward    Cysat,     1545— 1(!14,     der    Begründer    der 
schweizerischen  Volkskunde  (Luzern  1!)09) 

2)  Vfi:l.  Max  üsborn,  Die  Teufollitteratur  im  IG.  Jh.  (Acta  germanica  )\.   Berlin  ISiK'i). 
;'.)  Alfred  Goetze,  Volkskundliches  bei  Luther,  ein  Vortrag  (Weimar  1909). 

4)  VkI-  H.  A.  Rausch,  Das  Spielverzeichnis  im  25.  Kapitel  von  Fischarts  Geschieht- 


Geschichte  der  df'utschen  Volkskunde.  ]  ] 

Leben  schöpfen  auch  Moscherosch  für  seine  'Gesichte  Philanders  von 
Sittewald',  Abraham  a  Santa  Clara  besonders  für  seinen  'Judas  den  Ertz- 
Schelin'.  in  den  er  Geschichten,  Gebräuche,  Lieder  und  Sprüche  einflicht  und 
Grimm  eishausen,  der  sich  in  seinen  Schriften  als  Sammler  und 
Systematiker  Ton  Volksüberlieferungen  erweist.  Seine  Kenntnisse  holt  er 
sich  zum  Teil  aus  gelehrten  Schriften,  aus  Paracelsus  'Liber  de  nymphis, 
sylphis,  pygmaeis  et  salamandris'  und  Kornemanns  'De  monte  Yeneris'  u.  a.; 
doch  sehr  viel  hat  er  auch  dem  Volksmund  entnommen  und  zum  erstenmal 
aufgezeichnet.  Zweifach  ist  hier  sein  Vorgehen,  bald  schichtet  er  mehrere 
Sammlungen  nebeneinander  auf,  förmlich  zu  wissenschaftlichen  Zwecken, 
bald  verwertet  er  Sagenmotive  für  seine  Romane.  Er  selbst  ist  überzeugt 
vom  Dasein  überirdischer  Mächte  und  von  den  Schutzmitteln  vor  Dämonen. 
Er  bekämpft  aber  den  Aberglauben  der  ungebildeten  Menschen,  die  Gott 
und  der  Sittlichkeit  zum  Trotz  in  den  Besitz  von  Zauberkräften  zu  gelangen 
suchen.    Er  nimmt  also  eine  ähnliche  Stellung  ein  wie   später  Prätorius^). 

Im  Jahre  IGOl  macht  Pfarrer  Konrad  JS'oll  in  Rüdesheirn  auf  Geheiss 
des  Vikariats  des  Erzbistums  Mainz  einen  lateinischen  Bericht  über  die 
religiösen  Zustände  des  Rheingaus,  wo  auch  die  Volksbräuche,  die  auf- 
gehoben werden  sollten,  behandelt  sind^). 

Im  17.  Jahrhuudert  kommen  noch  einige  Landesbeschreibungen  in 
Betracht:  die  Chronik  der  Ditmarschen  von  Joh.  Adolfi  Neocorus  (1598  bis 
1616),  Heinr.  v.  Rantzaus  (f  1598)  'Descriptio  chersonesi  Cimbricae',  das 
Memoriale  von  Joh.  Cadovius-Müller  (1691)  mit  Grundrissen  friesischer 
Bauernhäuser;  das  'Alte  Pommerland'  von  Micraelius  und  Chph.  Hartknochs 
'Altes  und  neues  Preussen'  (1684);  ferner  J.  \V.  von  Valvasors  'Topographia 
Carinthiae'  (1688)  und  'Ehre  des  Herzogtums  Krain'  (1689)  mit  besondrer 
Berücksichtigung  der  deutschen  Sprachinsel  Gottschee. 

Im  letzten  Drittel  des  ]7.  und  zu  Begiun  des  18.  Jahrhunderts  er- 
scheinen viele  Sammlungen  und  Darstellungen  von  VolUsüberlieferungen, 
besonders  aus  dem  weiten  und  vielgestaltigen  Gebiete  "des  Aberglaubens, 
deren  Verfasser  entweder  Merkwürdiges  und  Neuartiges  bringen  oder  ihre 
Mitteilungen  dem  Spotte  preisgeben  wollen.  Aus  dem  Bündel  von 
Schriften  des  eben  so  fleissigen,  als  kritiklosen  Leipziger  Magisters 
Johannes  Prätor  ins  (Schnitze)  wären  hervorzuheben  die  'Saturnalia,  d.  i. 
Weihnachtsfratzen'  (166.3),    deren  Titel    bereits    die    hämische  Auffassung 


klittening  (Erlanger  Dissertation,  Strassbnrg  1908.  Jahrbuch  f.  Gesch.  Elsass-Lothr.  24,  53). 
—  Ch.  A.  Williams,  Zur  Liederpoesie  in  Fischarts  Gargantua  (Heidelberger  Dissertation, 
Halle  1909). 

1)  K.  Amersbach,  Aberglaube,  Sage  und  Märchen  bei  Griramelshausen  (2  Pro- 
gramme des  Gymnasiums  in  Baden-Baden,  1892/93). 

2)  F.  W.  E.  Roth,  Zur  Geschichte  der  Volksgebräuche  und  des  Volksaberglaubens 
im  Rheingau  während  des  17,  Jhs.  (;Zeitschritt  f.  Kulturgeschichte,  Neue  [4]  Folge  2, 
183-191)  macht  nähere  AHtteilungeu  über  diesen  handschriftlichen  Bericht  und  druckt 
den  grössteu  Teil  einer  anderen  Hs.  über  Aberglauben  aus  der  ersten  Hälfte  des  17,  Jhs.  ab. 


12  Hauffon: 

erweist,  'Blockesberges  Verrichtung'  (Walpurgisuacht,  1668)  und  ins- 
besondere seine  dreibändige  'Daemonologia  Rubincalii  Silesii'  (1662 — 1665), 
wo  zum  erstenmal  vom  Mythus  des  Riesengebirgs-Elbeu  erzählt  wird. 
Doch  hat  Prätorius,  der  sich  viel  aufbinden  liess,  auch  fremde  Sagen  auf 
Rübezahl  übertragen.  Seitdem  ist  mit  diesem  Mythus  von  Dilettanten  viel 
Unfug  getrieben  worden,  sowohl  in  unmöglichen  Ausdeutungen  seines 
Namens,  wie  in  der  Rückführung  auf  Donar  oder  Wotan  ^),  wie  in  der 
Behauptung  alteinheimischer  Abstammung  dieser  Sagen,  die  aber  erst 
durch  Prätorius  und  besonders  später  durch  Musäus  ins  Yolk  gedrungen 
sind.  Die  letzte  von  Siebs  aufgestellte  Etymologie  ahd.  hriob  =  der 
Rauhe,  für  ßergelbe  überhaupt  und  zagel  =  Wirbelwind,  also  der  Bergelbe 
als  Herr  des  Wetters,  entspricht  völlig  dem  ursprünglichen  Keim  dieses 
Mythus.  Um  Klarheit  in  die  Entwicklung  dieses  Stoffes  zu  bringen,  hat 
vor  kurzem  de  Wyl  den  gelungenen  Versuch  gemacht,  Echtes  und  Un- 
echtes bei  Prätorius  zu  scheiden^).  Dieser  war  ein  wütender  Feind  eines 
gewissen  Kreises  abergläubischer  Vorstellungen,  die  das  tägliche  Leben 
beherrschten  und  die  er  verspottet  und  schilt.  Aber  wo  der  Aberglaube  ein 
religiöses,  wissenschaftliches  oder  gelehrtes  Gewand  trägt,  hält  er  daran 
fest,  so  an  der  Astrologie,  Chiromantie,  an  Hexenwahn  und  Zauberei.  Er 
unterscheidet  die  erlaubten  Mittel  der  göttlichen  Weisheit  von  den  ver- 
werflichen Mitteln  des  Teufels^). 

Im  Jahre  1675  erscheint  Joh.  Ch.  Framanns  'Tractatus  de  fascinatione', 
1692  Jul.  Reichelts  'Curiosus  amuletorum  scrutator',  1706  die  sogenannte 
Chemnitzer  'Gestriegelte  Rockenphilosophie  von  den  superklugen  Weibern' 
von  Joh.  Georg  Schmidt  in  Zittau,  die  1722-1729  von  400  auf  600  Bei- 
spiele des  Aberglaubens  erweitert  worden  ist.  Ein  einzelner  Brauch,  das 
Todaustreiben  am  Sonntag  Laetare,  scheint  früh  grössere  Aufmerksamkeit 
hervorgerufen  zu  haben;  denn  er  wird  in  dieser  Zeit  in  zwei  lateinischen 
Schriften  behandelt,  von  Hilscher  1690,  von  Zeumer  1706  und  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  in  einzelnen  Zeitschriften.  Schliesslich  erscheint  1737 
eine  reichhaltige  Sammlung  von  Joh.  Jak.  Brauner,  'Physikalisch  und 
historisch  erörterte  Curiositäteu  oder  entlarvter  teuflischer  Aberglaube  von 
Wechselbälgen,    Werwölfen,    Galgenmännlein,    Hexentanz,     Festmachung, 


1)  Rübezahl,  seine  Begründung  in  der  deutschen  Mythe,  seine  Idee  und  die  ursprüng- 
lichen Rübezahlmärchen  (Hohenelbe  1884).  Enthält  die  durch  die  Preisausschreiben  des 
österreichischen  Riesengebirgsvereins  veranlassten  Arbeiten  von  L.  J.  Richter,  J.  Böhm, 
C.  A.  Freihr.  v.  Schulenburg  u.  E.  M.  Schranka,  die  von  der  Kritik  einmütig  abgelehnt  wurden. 

Ü)  Theodor  Siebs  in  den  Mitteilungen  der  schlesischen  Gescllschalt  f.  Volkskunde 
10, 5?) ff.  15,  156 tf.  20, 12; 5 ff.  Die  Arbeit  von  de  Wyl  erscheint  in  der  von  dieser  Gesell- 
schaft herausgegebenen  Sammlung  Wort  und  Brauch,  5.  Heft  (Breslau  1909). 

.'})  Friedrich  Zarncke  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biograjjhie  2(i,  520—529.  Mit 
jienauer  Angabe  der  Titel  und  Fundorte  der  vierzig  Werke  von  Prätorius.  „Der  Mann 
verdiente  es  dennoch,  dass  sich  ein  Liebliaber  seiner  annähme,  wie  es  Meuselbach  mit 
Fischart  iieniacht." 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  13 

Nestelknüpi'en'  (Frankfurt  a.  M.),  Alle  diese  und  viele  andere  verwandte, 
im  ganzen  unerfreuliche  Erscheinungen  sind  Fundgruben  für  die  Volks- 
kunde, die  freilich  mit  grosser  Vorsicht  zu  verwerten  sind  *). 

Gegenüber  der  dünkelhaften  Stubengelehrsamkeit,  die  bis  über  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  Deutschland  herrschte  und  den  Äusserungen 
des  Volksgeistes  nicht  das  geringste  Verständnis  entgegenbrachte,  sondern 
nur  die  abstossenden  und  schädlichen  Auswüchse  bekämpfte  und  verhöhnte, 
trat  endlich  am  Ausgang-  der  sechziger  Jahre  ein  erfreulicher  Umschwung 
ein.  In  dem  jungen  Dichtergeschlechte  erwachte  scheinbar  mit  einem 
Male  das  Gefühl  für  das  Echte,  Frische,  für  die  Vorzüge  der  Volksdichtung, 
und  damit  begann  auch  die  Pflege  der  Volksüberlieferungen.  Der  äussere 
Anstoss  dazu  kam  von  England.  Doch  fanden  des  Bischofs  Thomas  Percy 
'Reliques  of  ancient  english  Poetry'  (17G5)  in  Deutschland  bereits  einen 
günstigen  Boden  zur  Aufnahme  der  neuen  Saat  vor.  Diese  Lieder  wurden 
hier  freudigst  begrüsst,  nachgeahmt  und  wiederholt  übersetzt.  Die  Samm- 
lung galt  fast  auf  ein  Jahrzehnt  als  das  Handbuch  der  Volkspoesie 
schlechtweg,  wiewohl  diese  viele  Kunstlieder  brachte  und  auch  der  Be- 
schäftigung mit  dem  deutschen  Volkslied  für  die  nächste  Zeit  die  Mängel 
willkürlicher  Textgestaltung  und  einer  schwankenden  Umgrenzung  des 
Begriffes  Volkslied  mitgab.  Sie  regte  die  Göttinger  Dichter  Boie,  Voss, 
Hölty,  Miller  zum  Schaffen  von  Balladen  und  volkstümlichen  Liedern  an. 
Für  Bürger  war  sie  geradezu  eine  Rettung,  weil  sie  ihn  (von  den  seiner 
Natur  so  gefährlichen  herkömmlichen  burlesken  Romanzen  weg)  zur  Be- 
handlung von  echten  A^olksballaden  leitete,  besonders  der  Lenore,  deren 
Keim  ein  in  der  Umgebung  von  Göttingen  erhorchtes  Volksliedbruch- 
stück war.  Sie  weckte  bei  ihm  auch  die  Sammellust  und  die  tlieoretische 
Betrachtung  der  Volkspoesie  ^). 

Bei  Herder,  der  sich  schon  in  jungen  Jahren,  aus  angeborener 
Neigung  und  durch  Hamann  darin  bestärkt,  für  die  Volkspoesie  erwärmte, 
hat  Percy  die  Begeisterung  dafür  nicht  erst  entzündet,  sondern  von  neuem 
angefacht.  Nun  erschien  1767  sein  Aufruf  zur  Sammlung  von  'alten 
Nationalliedern',  und  bis  1771  verdichteten  sich  seine  lang  gehegten  Ge- 
danken über  die  Unterschiede  zwischen  Natur  und  Kunstpoesie,  die  er 
nicht  so  sehr  in  der  Gattung,  wie  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  fand, 
zu  der  Abhandlung  'Auszug  aus  einem  Briefwechsel  über  Ossian  und  die 
Lieder  alter  Völker',  die  erst  1773  in  den  fliegenden  Blättern  'Von 
deutscher  Art  und  Kunst'    erschienen    ist.     Hier    taucht    zum  ersten  Male 


1)  Anmerkungsweise  sei  auf  das  'Frauenzimmerlexikon'  von  Amaranthes  (1715^  hin- 
gewiesen, das  die  Hauptquelle  für  das  Buch  von  Alwin  Schultz,  Alltagsleben  einer  deutschen 
Frau  zu  Anfang  des  18.  Jhs.  (1890)  war. 

2)  Heinrich  Lehre,  Von  Percy  zum  Wunderhorn.  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Volksliedforschung  in  Deutschland  (Palästra  22,  Berlin  101)2). 


u 


Haufifen ; 


neben  der  Verdeutschung  für  das  englische  populär  songs  gleich  Populär-, 
Provinzial-  und  Bauernlieder  auch  das  von  Herder  so  glücklich  geprägte 
Wort  Volkslied  auf.  Hier  wird  gleich  auch  dieser  Begriff  durch  eine 
meisterliche  Charakterisierung  der  Art  und  Kunst  des  A^olksliedes  um- 
orenzt.  In  dem  gleichen  Jahre  stellte  Herder  aus  seinen  Sammolschätzen 
ein  kleines  Bändchen  zusammen  'Alte  Volkslieder,  englisch  und  deutsch', 
die  aber  nicht  gedruckt,  sondern  für  die  spätere  Sammlung  aufbewahrt 
wurden.  Es  ist  Herder  mit  seinem  Aufruf  nicht  gelungen,  eine  grössere 
Zahl  heimischer  Lieder  zustande  zu  bringen.  Lessing  und  Peter  Sturz 
teilten  ihm  irrtümlich  mit,  es  gäbe  ihrer  hierzulande  nur  wenige.  Und 
Herder  fürchtete  darum,  die  Hand  zu  spät  au  den  Pflug  gelegt  zu  haben. 
In  zwei  Bänden  1778 — 1779  erschien  seine  Ausgabe  ^Volkslieder',  für 
welche  Herder  den  fremden  Liedern  durch  eine  kunstgerechte  Übersetzung, 
durch  wiederholtes  Feilen  den  „heiligen  Rost  und  Moder  zu  bewahren" 
suchte.  Diese  reiche  Auswahl  von  182  wertvollsten  Liedern,  worin 
die  Stimmen  vieler,  auch  überseeischer  Völker  erklingen,  und  die  mit 
einer  oehaltvollen  Vorrede  zum  zweiten  Bande  über  Geschichte  und 
Wesen  des  Liedes  versehen  ist,  hat  ungemein  stark  auf  die  folgende  Zeit 
der  Wiedergeburt  des  deutschen  Volksliedes  eingewirkt. 

Am  Eingang  dieser  Bestrebungen  steht  Goethe,  der  für  Herder  im 
Sommer  1771  „auf  seinen  Streifereien  im  Elsass,  aus  denen  Kehlen  der 
ältesten  Mütterchen"  ein  Dutzend  Balladen  „aufgehascht".  Mit  wissenschaft- 
lichem Sinn  vermied  Goethe  bei  diesen  Typen  ältester  deutscher  Volks- 
lieder jede  Nachbesserung  und  liess  besonders  in  der  ersten  Aufzeichnung 
das  Mundartliche  und  Lückenhafte  stehen.  Als  Erster  hat  er  sich  auch 
die  Melodien  dazu  notiert,  die  leider  verloren  gegangen  sind.  Dieser 
lebendige  Anteil  am  Volksliede  verliess  ihn  nicht  bis  zu  seinem  Lebens- 
abend. Goethe  schuf  Volkslieder  zu  vollendeten  Kunstwerken  um,  dichtete 
in  ihrem  Ton  und  Geist  zahlreiche  Lieder  und  Balladeu,  die  wiederum  in 
den  Volksmund  übergegangen  sind.  Nicht  nur  in  seinen  Singspielen, 
sondern  auch  in  einzelnen  Dramen  finden  sich  volkstümliche  lyrische  Ein- 
lagen. Seine  Lyrik  ist  überhaupt  durch  die  Gegenständlichkeit  und  An- 
schaulichkeit, durch  die  typische  Auffassung  und  Wiedergabe  des  Stoffes 
mit  dem  Volkslied  innerlich  verwandt.  In  seinen  verschiedenen  Be- 
trachtungen rückte  er,  geläutert  au  seinem  eigenen  Schaffen,  dem  Wesen 
des  Volksliedes  immer  näher  und  sieht  ihren  'eigentlichsten  Wert'  darin, 
'dass  ihre  Motive  unmittelbar  von  der  Natur  genommen  sind',  und  ihr 
äusseres  Kennzeichen  ist  ihm  die  allgemeine  Verbreitung.  Das  Erscheinen 
des  Wunderhorns  begrüsste  er  freudigst,  und  noch  1808  erwog  er  eine 
'allgemeine  Liedersammlung  zur  Erbauung  und  Ergetzung  der  Deutschen'  ')• 

1)  H.  Lohre,  Vou  Percy    zum  Wimderhorn   S.  Glff.    0.  Rothbarth,    Zu   Goethes 
Aufsatz  über  Volks-  und  Kinderlieder  (Euphorien  15,  (lOo). 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  15 

Da  in  Herders  Sammlung  wegen  der  Spärlichkeit  der  Quellen  die 
deutschen  Lieder  nur  ungefähr  den  vierten  Teil  einnahmen  und  sich  dar- 
unter mehrere  Gedichte  bekannter  Verfasser  fanden,  so  war  man  um  so 
mehr  bestrebt,  deutsche  Volkslieder  aufzuspüren  und  zu  veröffentlichen. 
Johann  Georg  Jacobi,  Bothe,  Eschenburg  und  viele  andere  beteiligten  sich 
daran.  Nicolais  würdelose  Persiflage  'Feyner  kleyner  Almanach'(1777 — 1778) 
hat  die  Freunde  des  Volksliedes  nicht  wegfegen  können,  sondern  im 
Gegenteil  ihnen  genützt,  weil  die  von  Nicolai  benützten  alten  Quellen  da- 
durch erst  bekannt  geworden  sind.  Boies  'Deutsches  Museum'  1776  ver- 
öffentlichte Volkslieder  und  Aufsätze  darüber,  so  Bürgers  'Herzens-Ausguss 
über  Volkspoesie'.  Die  ganze  Zeit  über  bis  zum  Erscheinen  des  Wunder- 
horns  stand  das  Volkslied  im  Mittelpunkte  des  regsten  Anteils,  den  jetzt 
Dichter  und  Gelehrte  an  der  Volksdichtung  nahmen.  Doch  werden  die 
übrigen  Zweige  der  Volksüberlieferungen  nicht  ganz  übersehen.  Schon 
Herder  richtete  in  seinem  Aufsatz  'Von  Aehnlichkeit  der  mittleren  eng- 
lischen und  deutschen  Dichtkunst'  (1777)  sein  Augenmerk  auch  auf  die 
Märchen,  Sagen,  Mythen,  Tänze  und  Gebräuche.  Er  wirft  hier  die  Frage 
nach  dem  Ursprung  der  Märchen  auf  und  meint,  es  wäre  „lehrreich,  dem 
Gange  der  A'erwandlungen  nachzuspüren".  Auch  anthropologische  Ge- 
sichtspunkte tauchen  auf,  Lieder  und  Märcheu  seien  „ganze  treue  Natur- 
geschichte der  Völker  in  eigenen  Denkmälern".  Er  fasst  also  liier  be- 
reits die  Erforschung  des  gesamten  Volkslebens  als  wissenschaftliche  Auf- 
gabe ins  Auge. 

Mit  der  eingehenderen  Betrachtung  der  Lieder  erweiterte  sich  natur- 
gemäss  der  Gesichtskreis  auf  die  übrigen  volkstümlichen  Erscheinungen. 
Von  den  Liedern  kam  man  auf  die  Spiele,  Bräuche,  Feste,  Singweisen, 
die  innig  damit  verquickt  sind.  Friedrich  Daniel  Gräter  charakterisiert 
z.  B.  Anfang  der  neunziger  Jahre  in  seiner  Zeitschrift  Bragur  in  ab- 
sonderlichen und  überschwänglichen,  doch  in  die  Zukunft  weisenden  Auf- 
sätzen die  Lieder  nach  mehreren  Gattungen  vom  Standpunkt  der  Sitten- 
geschichte aus  und  verspricht  sich  viel  von  der  Versendung  von  Frage- 
bogen Das  'Journal  von  und  für  Deutschland'  bringt  eine  häufig 
wiederkehrende  Abteilung  'Aberglaube  und  Gewohnheiten'  und  veröffent- 
licht 'Umfragen',  wie  sie  heute  noch  üblich  sind. 

Einen  Markstein  auf  unserem  Wege  bildet  Justus  Moser,  der  Vor- 
läufer romantischer  Politik.  Im  Zeitalter  der  Aufklärung  und  Humanität 
verteidigte  er  die  Bauernreligion,  die  Schwelgerei  bei  den  ländlichen 
Festen,  die  alten  Sitten  und  Rechtsgewohnheiten,  auch  wo  sie  grausam 
und  ungerecht  waren.  Er  eiferte  gegen  die  'neumodische  Menschenliebe' 
und  sah  die  selbstgewachsene  naturhafte  Freiheit  durch  die  ersonnene  der 
Philosophen  bedroht.  Trotzdem  bekämpfte  er  eigentlich  nicht  die  Auf- 
klärung und  Humanität.  Diese  scheinbaren  Widersprüche  seiner  sozial- 
politischen Anschauungen  erklären  sich  durch  die  Zustände  seiner  Heimat, 


]  ß  Hauffen : 

deren  Geschichte  er  geschrieben  hat.  In  der  altertümlichen  Verfassung 
des  kleinen  Bistums  Osnabrück  fand  sich  damals  ein  seltsames  Gemisch 
von  Freiheiten  und  Einschränkungen.  In  der  Würdigung  dieser  schwierigen 
Verhältnisse  hat  Moser,  während  der  Regierung  eines  protestantischen 
Bischofs  die  Seele  der  Verfassung,  eine  hohe  politische  Einsicht  bewährt 
Mosers  Beitrag  zu  den  fliegenden  Blättern,  'Deutsche  Geschichte',  ein  Aus- 
schnitt aus  der  Vorrede  zu  seiner  Osnabrückischen  Geschichte,  verfolgt  in 
o-rossen  Züs-en  die  Geschichte  Deutschlands  immer  im  Hinblick  auf  den 
'Reichsboden  und  seine  Eigentümer'.  Er  wünscht,  dass  man  „das  unter- 
schiedliche Verhältnis  des  Nationalcharakters  unter  allen  Veränderungen" 
bei  einer  grossen  Darstellung  der  deutschen  Geschichte  ins  Auge  fasse. 
Seine  1774  zusammengestellten  'Patriotischen  Phantasien'  sind  in  ihrer 
Mehrheit  unvergleichliche  Muster  volkstümlicher  Behandlung  verschieden- 
artiger, namentlich  volkswirtschaftlicher  Gegenstände,  gedankenreich,  voll 
Humor  und  sittlichem  Ernst  ^).  Kleine  Meisterstücke  darunter  sind  die 
'Spinnstuben -Phantasie'  und  der  Preis  des  niedersächsischen  Bauern- 
hauses, dessen  Kennzeichen  bekanntlich  die  Einräumigkeit  ist,  Herd-  und 
Schlafstätte  der  Familie,  Diele  und  Stallungen  ohne  Scheidewände  unter 
einem  hohen  Strohdach,  wo  die  Hausfrau  vom  Herde  aus  die  ganze  Wirt- 
schaft überschauen  konnte.  Freilich  ein  Idealbild  der  alten  Zeit,  denn 
der  Nachteile  wegen,  die  Moser  verschweigt,  ist  inzwischen  an  dieser  Bau- 
weise viel  geändert  worden.  Moser,  der  Kenner  des  Volksgesanges,  hat 
Nicolai  plattdeutsche  Bauernlieder  für  den  zweiten  Teil  des  Almanachs 
geliefert,  ohne  zu  ahnen,  welche  boshafte  Absicht  der  Aufklärer  damit 
verfolgte.  Denn  Moser  ersehnte  die  Zeit  herbei,  wo  die  'alten  Gesänge' 
gesammelt  würden,  die  ihm  „lieber  wären,  als  die  Knochen  aller 
11000  Jungfern  zu  Köln"  und  wo  „ein  Bürger  unsere  alten  Volks- 
erzählungen, die  zuweilen  so  kräftig  sind  und  immer  noch  den  Mann  ergetzen, 
wenn  er  die  Freuden  der  Jünglinge  geschmacklos  findet,  behandeln  möge". 

Das  Alltagstreiben  und  die  Sitten  der  Bauern  schildern  aus  getreuer 
Beobachtung  lebenswahr  bis  in  die  kleinsten  Züge  Maler  Müller  in  seinen 
pfälzischen  Idyllen  'Die  Schafschur'  (1775)  und  'Das  Nusskernen'  (erst  1811 
veröffentlicht)  in  frischer,  mit  Provinzialismen  durchsetzter  Prosa  und  Jo- 
hann Heinrich  Voss  in  den  Hexameterdichtungen,  besonders  in  der  'Leib- 
eigenschaft', der  'Bleicherin'  (1775)  und  in  den  zwei  'Veerlander  Idyllen' 
in  niederdeutscher  Mundart  (1776). 

Von  der  Vorliebe  Goethes  für  das  Volkslied  war  schon  die  Rede. 
Doch  hatte  er  auch  Aug  und  Ohr  für  die  übrigen  Äusserungen  des 
Volkes^).     Schon    in    seiner  Kinderzeit    hat    er  sich  unter  die  Menge  ge- 


1)  R.  A.  Fritzsche,    J.    Moser    und    W.   H.  Rielil.      Gedanken    über    Volkskunde 
(Hessische  Blätter  f.  Volkskunde  7,  Iff.). 

2)  K.  Reuschel,    Goethe    und    die  deutsche  Volkskunde    (Neue  Jahrbücher  15,  345 
bis  358.  1905)  gegen  R.  M.  Meyer  (oben  10,  1— lO). 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  17 

mischt,  und  der  Jüngling  liebte  den  Umgang  mit  Kindern  und  schlichten 
Laudieuten.  Bis  ins  hohe  Alter  nahm  er  warmen  Anteil  an  dem  Leben 
der  breiten  Volksschichten.  Durch  die  auf  den  Jahrmärkten  feilgebotenen 
'löschpapiernen  Büchlein'  lernte  er  früh  die  Volksbücher  kennen  und 
schätzen.  In  Leipzig,  im  Elsass  und  in  Weimar  achtete  er  auf  die  mund- 
artlichen Eigenheiten  verschiedener  Stämme.  Aus  zahlreichen  Werken, 
besonders  aus  dem  Götz  und  dem  ersten  Teil  des  Faust  ersehen  wir  seine 
innige  Vertrautheit  mit  Aberglauben  und  Bräuchen,  Liedern  und  Spielen, 
sowie  mit  der  bildkräftigen  Sprache  der  Bauern.  In  seinen  Tagebüchern 
verzeichnet  er  manche  Scherze  und  Schwanke,  schildert  landwirtschaftliche 
Bräuche  und  Zustände.  Auf  seinen  Reisen,  namentlich  in  der  Schweiz 
und  im  nordwestlichen  Böhmen,  von  Italien  ganz  zu  schweigen,  stellte  er 
genaue  Betrachtungen  über  das  Volksleben  an,  wobei  er  das  landschaftlich 
Eigenartige  sicher  herausfühlt  und  typische  Volksgestalten  mit  wenigen 
Strichen  kennzeichnet.  In  den  Briefen  über  seine  Schweizer  Reise  (1797) 
beschreibt  er  die  Körperbeschaffenheit,  die  Tracht,  Bauweise  und  den  Haus- 
rat der  Bauern.  Im  Egerlande,  das  er  durch  seine  zahlreichen  Reisen  in 
die  böhmischen  Bäder  genauer  kennen  gelernt  hat,  gibt  er  eine  Schilderung 
des  Yincenzfestes  und  eine  kurze  treffliche  Charakteristik  des  Landvolkes. 
Unter  seiner  regen  Anteilnahme  verfasste  Sebastian  Grüner  die  älteste, 
vielseitige  und  wertvolle  volkskundliche  Monographie  in  Deutschböhmen 
'Über  die  ältesten  Sitten  und  Gebräuche  der  Egerländer'  (1825).  In  seiner 
Selbstbiographie  schildert  er  mit  treuestem  Gedächtnis  festliche  Ereignisse 
seiner  Kindheit,  das  Pfeifergericht,  den  Geleitstag,  die  Hirtentänze  unter 
der  uralten  Linde  am  rechten  Mainufer,  das  Fest  der  Waisenkinder,  und 
in  Werthers  Leiden  den  Christbaum.  Vom  Rochusfest  in  Bingen  (1814) 
gibt  er  ein  reizvolles  Bild  mit  einer  Fülle  von  volkskundlichen  Beob- 
achtungen. Er  bewundert  die  urwüchsige  Erzählergabe  des  Volkes;  er 
bemerkt  'die  mannigfaltigste  Gesichtsbildung'  und  schreibt  eine  Liste  von 
Bauernsprüchen  und  Wetterregeln  aus  dem  Munde  von  Weinbauern  in 
sein  Taschenbuch.  In  allen  seinen  Spruchsammlungen  finden  sich  kernige 
volkstümliche  Aussprüche.  Ausdrücklich  betont  Goethe,  da  „Spriehworte 
und  Denkreime  vom  Volke  ausgehen  .  .  .,  so  kann  es  unserer  Sprache  an 
Ernst  und  Scherz  nicht  fehlen".  Er  nimmt  auch  volkstümliche  Wendungen 
aus  dem  16.  Jahrhundert  und  gereimte  Inschriften  auf.  Und  wie  er 
wiederholt  Beispiele  von  Vorzeichen  und  seltsamen  Zufällen  aus  seinem 
TiOben  berichtet,  so  erklärt  er  in  seinen  Sprüchen  in  Prosa:  „Der  Aber- 
glaube ist  die  Poesie  des  Lebens,  deswegen  schadet's  dem  Dichter  nicht, 
abergläubisch  zu  sein". 

^^^S-  (Schluss  folgt.) 


Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.   Heft  1. 


18  Ziegler: 


Die  deutschen  Yolksnamen  der  Pflanzen  und  die  Ver- 
wandtschaft und  A  ermischung  der  deutschen  Volks- 
stämme. 

Von  Hans  Ziegler. 


1.  Theoretischer  Teil. 

Alkeraeine  Ke2:ellosi,2;keit  scheint  auf  den  ersten  Anblick  in  der  Ver- 
breitung  der  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen  zu  herrschen.  Die  un- 
begrenzte Willkür  vieler  einzelner  scheint  hier  eine  Nameusverwirrung 
angerichtet  zu  haben,  die  jeden  Versuch,  das  einigende  Gesetz  in  dieser 
Verschiedenheit  zu  suchen,  zu  vereiteln  droht.  Doch  der  Gedanke,  dass 
die  grosse  Mannigfaltigkeit  in  Natur  und  Menschenwelt  überall  auf  ganz 
einfachen  und  klaren  Grundgesetzen  beruht,  ermuntert  uns  zu  diesem 
Unternehmen. 

Die  gegenwärtige  Verbreitung  der  Pflanzennamen  können  wir  erst 
dann  verstehen,  wenn  wir  erkannt  haben,  in  welcher  Art  und  Weise  ihre 
Verbreitung  vor  sich  ging.  Die  Nutz-  und  Kulturpflanzen  bieten  in  dieser 
Hinsicht  der  Erkenntnis  keine  Schwierigkeit.  Mit  der  Pflanze  selbst 
wanderte  auch  der  Name;  kam  sie  aus  einem  fremden  Lande,  wurde  oft 
auch  der  ausländische  Name  mit  übernommen.  Verkehr  und  Austausch 
machten  eine  Verständigung  notwendig  und  sorgten  dafür,  dass  die  Einheit 
des  Namens  erhalten  blieb.  Daher  herrscht  bei  ihnen  im  ganzen  deutschen 
Sprachgebiet  im  allgemeinen  Namensgleichheit. 

Alle  diese  Nutz-  und  Zierpflanzen  in  Flur  und  Garten  scheiden  wir 
von  unserer  Betrachtung  aus.  Uns  interessieren  hier  gerade  die  Namen 
der  Pflanzen,  an  denen  der  Mensch  gewöhnlich  kein  Interesse  hat,  weil 
sie  ihm  keinen  Nutzen  bringen,  nämlich  der  Blumen  und  Kräuter,  die 
wild  wachsen  in  Feld,  Wald  und  Wiese;  wir  wollen  sie  deshalb  nutzlose 
Pflanzen  nennen.  Und  zwar  betrachten  wir  nur  ihre  A^olksnamen,  d.  h. 
diejenigen  Benennungen,  welche  unter  der  Landbevölkerung  entstanden 
und  gebräuchlich  sind,  und  schliessen  diejenigen  aus,  welche  aus  den 
gelehrten  Kreisen  stammen.  Die  Verbreitungsgebiete  dieser  Namen  sind 
verschieden  gross.  Einige  sind  in  ganz  Deutschland  gleich  benannt,  die 
meisten  aber  haben  verschiedene  Namen,  die  bald  in  grösseren,  bald  in 
kleineren  Gebieten  üblich  sind.  Mancher  gilt  in  einem  grossen  Teil  von 
Deutschland,  ein  anderer  ist  bloss  in  einer  Gegend  oder  auch  nur  in 
einem  Dorfe  »ebräuchlich.     Die  Verschiedenheit  der  Benennung  entstand 


Die  deutschen  Yolksnamen  der  Pflanzen.  19 

infolge  von  Neubildungen;  wie  ist  aber  die  Gleichheit  der  Benennung  in 
grösseren  Gebieten  zu  erklären?  Wie  hat  sich  z.  B.  der  Name  'Hühner- 
kraut' für  das  Ackerunkraut  Stellaria  media  über  Bremen,  Holstein,  Dit- 
marsen,  die  ünterweser,  Göttingeu  u.  a.  0.  verbreitet,  während  es  bei 
St.  Gallen,  Luzern,  in  Siebenbürgen,  Schlesien,  Mecklenburg  'Vögelkraut', 
bei  Schmalkalden  und  Dresden  'Mäusdarm'  heisst?^) 

Von  einer  Übertragung  der  Pflanze  selbst  und  einer  bewussten  Ver- 
breitung ihres  Namens  kann  natürlich  keine  Rede  sein.  Denn  da  sie  dem 
Landmann  keinen  Nutzen  bringt,  hat  er  für  sie  fast  gar  kein  Interesse. 
Er  hat  sie  benannt,  weil  sie  ihm  täglich  bei  seiner  Arbeit  begegnete  und 
weil  er  sie  vielleicht  als  Unkraut  zu  bekämpfen  hatte  und  so  eine  Ver- 
ständigung zwischen  den  einzelnen  Menschen  erwünscht  war.  Doch  geschah 
die  Benennung  jedenfalls  meistens  durch  die  Frauen,  die  ja  vor  allem 
das  Ausjäten  des  Unkrauts  besorgen;  liegt  es  doch  im  AVesen  des  Weibes, 
dass  es  nicht  verstandesmässig  das  bloss  Nützliche  bedenkt,  sondern  alles, 
womit  es  sich  länger  beschäftigt,  auch  mit  dem  Herzen  erfasst.  Wie  die 
Erfahrung  zeigt,  ist  die  Interesselosigkeit  des  Bauern  gegenüber  solchen 
Pflanzen  so  gross,  dass  er  nur  einige  benennen  kann,  von  anderen  zwar 
oft  die  üblichen  Namen  kennt,  aber  nicht  genau  weiss,  welche  Kräuter 
damit  bezeichnet  werden.  Und  doch  ist  in  jedem  Dorfe  eine  unerwartet 
grosse  Anzahl  solcher  Pflanzen  benannt.  So  hatten  von  90  Kräutern, 
nach  welchen  ich  in  zehn  einander  benachbarten  Dörfern  Unterfrankens 
fragte,  nur  Prunella  und  Ajuga  reptans  nirgends  einen  Namen.  Die 
Wissenden  aller  ortsüblichen  Benennungen  sind  aber  fast  nur  die  Frauen 
und  vor  allem  diejenigen,  welche  oft  in  Gesellschaft  die  Unkräuter  aus- 
roden oder  auch  als  Viehfutter  nach  Hause  tragen.  Von  ihnen  haben 
auch  die  wissbegierigen  Kinder,  die  auch  selbst  manche  Namen  erfunden 
haben,  eine  grosse  Anzahl  erfragt. 

Und  doch  sind  dieselben  zum  geringsten  Teil  Neuschöpfungen,  meistens 
sind  sie  ein  uraltes  Erbgut.  Das  beweist,  abgesehen  von  ihrer  weiten 
Verbreitung,  der  Umstand,  dass  eine  grosse  Zahl  schon  in  althochdeutscher") 
oder  in  mittelhochdeutscher  Zeit  bezeugt  ist.  Wie  aber  entstand  die 
Namensgleichheit  dieser  Pflanzen  in  grossen  Gebieten?  —  Dafür  gibt  es 
zwei  Erklärungswege:  entweder  wir  nehmen  eine  Verbreitung  derselben 
in  der  Weise  an,  wie  sich  auch  andere  neue  Wörter  durchsetzten,  dass 
nämlich  durch  den  Menschenverkehr  ein  benachbartes  Dorf  den  neuen 
Namen  erfuhr  und  anwandte,  ohne  dass  die  Leute  seines  Ursprungs- 
gebietes   ihren  Wohnsitz    dauernd    verliessen,    oder  wir  nehmen  an,    dass 


1)  Nach  Pritzel  und  Jessen,  Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen  (Hannover 
1882).  Diesem  Werke  sind  alle  Pflanzennaraen  entnommen,  insoweit  nichts  anderes  be- 
merkt ist. 

2)  Vgl.  Björkman,  Die  PÜanzeunamen  der  althochdeutschen  Glossen  (^in  Kluges 
Ztschr.  f.  dtsch.  Wortforschung  Bd.  2.  3.  6). 


20  Ziegler: 

die  Menschen  selbst  auswanderten  und  die  Namen  mitbrachten.  Entweder 
es  geschah  ein  wenn  auch  langsames  Wandern  der  Namen  von  Dorf  zu 
Dorf  ohne  den  Menschen,  oder  sie  wurden  bloss  verbreitet  durch  die 
Auswanderung  des  Menschen  selbst,  verbreiteten  sich  also  nur  im  Kreise 
seiner  jeweiligen  Feldgenossen.  Die  Namensgleichheit  ist  also  zu 
erklären  entweder  durch  Namenswanderung,  oder  durch 
Menscheuwanderung,  d.  h.  Abstammung  (Abstammung  im  weiteren 
Sinne  gefasst). 

Es  ist  nicht  einzusehen,  wie  eine  Wanderung  der  Namen  bei  der 
allgemeinen  Interesselosigkeit,  die  diesen  Pflanzen  gegenüber  herrscht, 
vor  sich  gehen  könnte.  Gegen  diese  Annahme  sprechen  ferner  folgende 
Gründe: 

1.  Eben  die  Benennungsgleichheit  in  grossen  Gebieten.  Denn  es 
wäre  sonderbar,  wenn  bloss  in  einem  Orte  eine  Benennung  einer  auf- 
fallenden Pflanze  aufgetaucht  wäre  und  nicht  in  einem  anderen.  Die 
Tatsache,  dass  viele  Pflanzen  in  jedem  Dorfe  anders  benannt  sind,  zeigt 
nämlich,  dass  die  Lust  zur  Namengebung  eine  grosse  ist.  Noch  unter 
unseren  Augen  entstehen  neue  Namen,  und  manchmal,  wenn  ich  eine 
Frau  nach  einer  unbenannten  Pflanze  fragte,  sagte  sie  im  Bewusstsein 
souveräner  Benennungsfreiheit,  dass  man  sie  so  und  so  nennen  könnte. 
Auf  jeden  Fall  aber  müsste  es  dann  rätselhaft  bleiben,  wie  ein  einziger 
Name  zur  Herrschaft  gelangt  ist.  Dazu,  dass  dieser  fremde  Eindringling 
über  einheimische  Bildungen  den  Sieg  errang,  wäre  ein  oftmaliges  Ge- 
brauchen des  Namens,  ein  gegenseitiger  Verkehr  und  Wettbewerb  nötig 
gewesen,  auf  welche  Weise  auch  andere  sprachliche  Neuerungen  sich  durch- 
setzen. Aber  solch  ein  häufiger  Gebrauch  widerspricht  aller  Erfahrung. 
Diese  Pflanzen  werden  nur  zufällig,  hauptsächlich  bei  der  Arbeit  auf  dem 
Felde,  genannt. 

2.  Dagegen  spricht  ferner  die  Erfahrung,  dass  eben  heutzutage  die 
Pflanzennamen  nicht  von  Dorf  zu  Dorf  wandern  und  einander  verdrängen, 
obwohl  doch  heutzutage  der  Verkehr  auch  auf  dem  Lande  ein  regerer  ist 
als  früher.  Sie  bleiben  ruhig  in  ihrer  Verschiedenheit  nebeneinander  be- 
stehen, da  eben  kein  Bedürfnis  nach  Übereinstimmung  vorhanden  ist.  Für 
die  auffallende  Linaria  vulgaris  gibt  es  in  neun,  höchstens  je  3  km  von- 
einander liegenden  Ortschaften  Unterfrankens  folgende  Namen  (nach  der 
Nachbarschaft  aufgezählt):  Löwenmaul,  Hasenmaul,  Guckacksblume, 
Drachenmaul,  Eierschmalz  (die  Entfernung  der  beiden  Dörfer  beträgt  nur 
1  km\),  Krackemäuler  (=  Rabenmäuler),  Froschmäuler,  Zähneblecker.  Dazu 
erfuhr  ich  noch  aus  zwei  entfernteren  Dörfern:  Ochsenmäuler,  Kindlesdreck. 

3.  Auch  in  Siebenbürgen  haben  sich,  trotz  jahrhundertelanger  Ab- 
geschlossenheit, die  Namen  nicht  ausgeglichen,  sondern  bestehen  in  ihrer 
Verschiedenheit  heute  noch.  Beispiele:  Für  Anemone  pulsatilla:  Biere- 
blomen,  Isterbleam  (vgl.  Osterblume  im  Elsass  und  bei  Eichstädt),  Plump- 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  21 

blomen  (bei  Jakobsdorf).  Für  Anemone  hepatica:  Hasel voaltscher  (vgl. 
Haselmünich  in  Tirol),  Liewerkrokt  (vgl.  Leberblümchen  in  Deutschland). 
Für  Ranunculus  auricomus:  Boglarcher  (bei  Reps),  Freschbleiamen  (bei 
Jakobsdorf)  (vgl.  Pröschblumen  in  der  Eifel),  Moorblemmen  (bei  Mar- 
burg). Für  Taraxacum  officinale:  Gaddeläsen,  Katnbleamen  (ebenso  in 
Bern,  Schwaben,  Henneberg  u.  a.  a.  0.).  Für  Cuscuta  epilinum:  Zipergras 
(im  Rautal),  Deiwelzwirn  (ebenso  in  Hessen,  an  der  Werra,  in  Ostpreussen), 
Timseiden  (vgl.  Timtochter,  bezeugt  von  Toxites,  Strassburg  1574).  — 
Diese  Angaben  sind  dem  Übersichtswerke  von  Pritzel  und  Jessen  ent- 
nommen; in  Wirklichkeit  ist  natürlich  die  Verschiedenheit  noch  viel  grösser. 

4.  Das  Bedürfnis  nach  einer  Wanderung,  nach  einem  Ausgleich  der 
Namen  ist  so  gering,  dass  sogar  die  in  ein  Dorf  neu  eingeheirateten 
Frauen  die  früheren  Namen  noch  ihr  Lebenlang  beibehalten  und  jeden- 
falls teilweise  ihren  Kindern  überliefern. 

5,  Gegen  die  Wanderung  der  Namen  spricht  ferner  die  Tatsache, 
dass  gerade  eine  Gruppe  von  Namen  gleich  ist,  während  andere  Pflanzen 
überall  verschieden  oder  auch  gar  nicht  benannt  sind.  Es  wäre  sonderbar, 
dass  gerade  einige  Pflanzennamen  gar  nicht  wanderten.  Vgl.  das  obige 
Beispiel  der  Linaria  vulgaris. 

Aus  den  angeführten  Gründen  dürfte  wohl  hervorgehen,  dass  eine 
selbständige  Verbreitung  dieser  Namen  ausgeschlossen  ist.  Wir  kommen 
also  zu  dem  Schlüsse:  Die  Namen  der  nutzlosen  Pflanzen  besitzen 
eine  solche  Bodenständigkeit,  dass  sie  nicht  ohne  den  Menschen 
sich  verbreiten,  so  dass  hier  Nameuswanderung  nur  mit 
Menschenwanderung  eintritt. 

Auf  welche  Weise  aber  erklärt  diese  Theorie  die  Verbreitung  der 
Namen?  —  Das  Verbreitungsgebiet  ist  verschieden  je  nach  der  Länge  der 
Zeit,  die  seit  seinem  Aufkommen  verflossen  ist,  und  auch  nach  der 
Fruchtbarkeit  und  Wanderlust  eines  Volksstammes.  So  hängt  ein  Teil 
dieser  Benennungen  mit  der  Entstehung  unserer  Sprache  und  unseres 
Volkes  überhaupt  zusammen.  Naturgemäss  wurden  zunächst  die  Nutz- 
pflanzen benannt,  wie  die  folgenden,  dem  europäischen  Urvolk  eigenen 
Namen  bezeugen:  Buche,  Erle,  Föhre,  Haber,  Hirse,  Kiefer,  Korn,  Lein, 
Moos,  Roggen,  Rübe^).  Von  den  gemeingermanischen  Wörtern:  Bilsen- 
kraut, Bohne,  Dill,  Distel,  Eibe,  Eiche,  Efeu,  Esche,  Espe,  Flachs,  Linde, 
Mistel,  Schlehe,  Weizen^)  könnte  man  vielleicht  die  Distel  zu  der  Gruppe 
der  nutzlosen  Pflanzen  rechnen.  Ob  andere  derartige  Benennungen  in 
dieses  Alter  hinaufreichen,  würde  eine  Vergleichung  der  westgermanischen 
mit    den    nordischen  Namen    zeigen^).      Ein  Teil    derselben    wird    in  die 


1)  Nach  Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache  (Strassburg  1894). 

2)  Ebd. 

8)  Insoweit   sie   in   der   alten  Literatur  belegt  sind,   hat  sie  Björkman  behandelt  in 
Kluges  Ztschr.  f.  dtsch.  Wortf.    Bd.  2. 


22  Ziegler: 

Hirtenzeit  unseres  Volkes  zurückreichen,  da  es  die  Futterkräuter  inter- 
essieren mussten  und  dem  müssigen  Herdenhüter  Zeit  zur  Beobachtung 
der  Pflanzen  blieb;  aber  die  grosse  Masse  derselben  ist  wahrscheinlich 
erst  entstanden,  als  es  zum  Ackerbau  überging  und  sesshaft  wurde.  Da 
erst  lernte  es  die  Blumen  und  Kräuter  des  Feldes  genauer  kennen.  Und 
die  Verbreitung  eines  neuen  Namens  innerhalb  eines  Bezirkes 
war  damals  eine  raschere  und  umfangreichere,  da  die  Arbeiten 
im  Felde  in  Gesellschaft,  durch  die  Sippe  oder  durch  die  Feld- 
markgenossen,  verrichtet  wurden.  Der  Ackerbau  ermöglichte  dann 
eine  grössere  Dichtigkeit  der  Bevölkerung,  es  wurden  allmählich  neue  An- 
siedlungen  nötig,  neue  Rodungen,  neue  Dörfer  entstanden,  welche  die 
alten  Namen  beibehielten. 

Eine  Stichprobe  aus  dem  englischen  Lexikon  von  Muret- Sanders^) 
zeigt  uns  die  Gleichheit  einer  unerwartet  grossen  Zahl  englischer  und 
deutscher  Benennungen,  ein  Beweis  dafür,  dass  dieselben  schon  vor 
450  n.  Chr.,  um  welche  Zeit  die  Auswanderung  der  Angelsachsen  statt- 
fand, existierten.     Beispiele: 

Dog's  camomile  f.  Anthemis  cotula  =  Hundskamille. 

Cuckoo-flower  f.  Cardamine  pratense  =  Gauchblume  b.  Bock  1530,  Gukuks- 
blume  in  Schlesien. 

Oxeye  daisy  f.  Chrysanthemum  =  Ochsenauge  mhd.,  Rindsaug  b.  Brunfels  1530, 
Kalbsauge  in  Metz,  Trier,  Speier. 

Meadow-saffron  f.  Colchicum  autumnale  =  Mattensaffran  im  Elsass. 

Dodder  (of  flax)  f.  Cuscuta  epilinum  =  Dotter  mnd.,  bei  Fuchs  1542,  Todter  als 
in  Flachs  im  Vocabularius  1482. 

Shave-grass  f.  Equisetum  arvense  =  Schafheu  in  Bern  u.  a.  0. 

Lark-spur  f.  Delphinium  =  Lerchenklau  in  Ostpreussen. 

Hemp-nettle  f.  Galeopsis  tetrahit  =  Hanfnessel. 

Stork's-  (crane's-)  bill  f.  Geranium,  Erodium  =  Storchenschnabel,  Kranichschnabel, 

Hawk-weed  f.  Hieracium  =  Habichtskraut. 

John's  wort  f.  Hypericum  =  Johanniskraut. 

Hard-hey  f.  Hypericum;  ebenso  ahd.,  mnd. 

Bur  (dän.  borre)  f.  Arctium  =  Borren  in  Helgoland. 

Mouse-ear  f.  Cerastium  =  Mäuskraut,  -darra  (verbreitet). 

Cat's-foot  f.  Gnaphalium  dioicum  =  Katzenpotchen  in  Bremen,  Augsburg  u.  a.  0. 

Cow-wheat  f.  Melampyrum  =  Kühweizen  bei  Bock,  in  Schlesien  u.  a.  0. 

Rnot-grass  f.  Polygonum  =  Knotengras  in  Osterreich,  Knöterich. 

Fox-glove  f.  Digitalis  purpurea  =  Fuchskraut  (f.  Dig.  ambigua)  b.  Pholsprundt 
16.  Jahrh. 

Goat's  beart  f.  Tragopogon  =  Geissbart  (verbreitet). 

Colt's  foot  f.  Tussilago  farfara  =  Folenföt  in  Holstein  u.  a.  0. 

Crow-foot  f.  Ranunculus  =  Krcienfaut  in  Göttingen. 

Mug-wort  f.  Artcmisia  vulgaris  =  Mugwurz  b.  Cordus  1561,  Muggert  in  Ostfries- 
land u.  a.  0. 


1)  Encyklopädischcs  Wörterbuch    der  englischen  und  der  deutschen  Sprache  (Berlin, 
Langenscheidt). 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  2.3 

Cat's-tail  f.  Equisetum  =  ahd.  Katzenzagil,  Katzensteert  in  Altmark,  Mecklenburg, 

Pommern,  Bern. 
So w-thistle  f.  Sonchus  oleraceus  =  Saudistel    in  Ostfriesland,    Hadeln,    Altmark, 

Bern  u.  a.  0. 
Co  ekle  f.  Agrostemma  githago  =  Kuckel  in  Niederlausitz. 
Cat-thyme  f.  Teucrium  marum  =  Katzenkraut  in  Bern. 
Way-bread  f.  Plantago  maior-—ahd.  wegabreita. 

Diese  Namen  Hessen  sich  natürlich  durch  einen  Vergleich  der  be- 
treffenden Spezialliteratur  noch  weit  vermehren^). 

Hoops,  der  behauptet,  dass  der  weitaus  grösste  Teil  der  altenglischen 
Namen  in  England  selbst  entstanden  sei^),  scheint  dieselben  mit  den  heute 
noch  gebräuchlichen  nicht  verglichen  zu  haben;  z.  B.  finden  sich  für 
folgende  Namen,  die  er  S.  18  als  in  England  entstanden  bezeichnet,  bei 
Pritzel  und  Jessen  Belege: 

Aegwyrt,  Eierkraut  f.  Taraxacum  officinale  =  Eierblumen,  Eierbusch  in  Thüringen, 
Ei  fei. 

Foxesglofa  f.  Digitalis  purpurea  s.  o.  foxglove. 

Healswyrt,  Halskraut  f.  Campanala  trachelium  =  Halskraut  b.  Tabernaemontanus 
158>)  u.  a. 

Hlaedderwyrt,  Leiterkraut  f.  Polemonium  caeruleum  =  Himmelsleiter  bei  Hagen, 
Preussens  Pflanzen  1818;  Jakobsleiter  in  Ostfriesland. 

Hraefnesföt,  Rabenfuss  f.  Ranunculus  =  Rappenfuss  bei  Tabernaemontanus  1588 
u.  mhd. 

Hundesheafod,  Hundskopf  f.  Antirrhinum  adoratum  =  ahd.  hunthaubito;  Hunds- 
kopf in  Schlesien. 

Wulfescamb,  Wolfskamm  f.  Dipsacus  silvestris  =  ahd.  wolyeszeisila;  mhd. 
wolfstral,  wolfdistel. 

Ob  die  Mehrzahl  unserer  Yolksnamen  auf  diese  oder  erst  eine  spätere 
Zeit  zurückgeht,  müsste  erst  noch  festgestellt  werden.  Sicher  sind  in 
christlicher  Zeit  noch  viele  entstanden,  wie  noch  heute  neue  Benennungen 
auftauchen,  welche  sich  dann  mit  den  Menschen  weiter  verbreiten. 

Aus  dieser  Theorie  ergibt  sich  nun  die  praktisch -wissenschaftliche 
Polgeruno-,  welche  mir  diese  Studien  vor  allem  wünschenswert  macht: 
Sind  diese  Pflanzennamen  so  mit  dem  Menschen  verbunden,  dass  sie 
gleichsam  als  Haus-  oder  Dorf  eigentum  mit  ihm  ziehen,  so  müssen  sich  in  ihrer 
Yerbreitung  die  Verwandtschaftsverhältnisse  des  Volkes,  insoweit  sie  auf 
früheren  Volksbewegungen  beruhen,  widerspiegeln.  Diese  bescheidensten 
Erzeugnisse  der  deutschen  Sprache  erbten  sich  so  unbewusst  und  unbeachtet 
fort  und  waren  von  so  geringer  Eigenbewegung,  dass  sie  sicherer  und 
reichhaltiger  als  andere  sprachliche  Hilfsmittel  Auskunft  über  Wanderungen 
unserer  Vorfahren  geben.  Und  zwar  werden  auch  kleinere  Ansiedlungen, 
von  deren  Entstehung    keine  Urkunde    etwas    zu  melden  weiss,    in    ihren 


1)  Vgl.  Britton  &  Holland,  Dictionary  of  English  Plant-Names  (London  1886). 

2)  Über  die  altenglischen  Pflanzennamen  (Diss.  Freiburg  188',))  S.  75. 


24  Ziegler: 

Pflanzennamen  die  Spuren  ihrer  Herkunft  aufbewahrt  haben.  Ja  die  Be- 
völkerung jedes  Dorfes  hat  in  ihrem  Namensschatz  einen  Schlüssel, 
welcher  am  besten  über  ihre  Zusammensetzung  und  Stammesverwandt- 
schaft Auskunft  geben  kann.  Die  Frage,  wann  diese  Volksbewegungen 
stattfanden,  welche  sich  in  der  Verbreitang  gleicher  Namen  aussprechen, 
ist  zunächst  nebensächlich.  Zum  Nachweis  der  tatsächlichen  Verwandt- 
schaft genügt  die  Feststellung  der  räumlichen  Verbreitung.  Ein  sicheres 
Resultat  würde  sich  für  ganz  Deutschland  ergeben,  wenn  die  Volksnamen 
von  allen  deutschen  Ortschaften  gesammelt  wären.  Durch  Ausscheiden 
der  einem  Dorfe  individuellen  Benennungen  und  Zusammenfassung  der 
Ortschaften  nach  der  Gleichheit  der  Namen  würde  sich  eine  Stammes- 
verwandtschaft ergeben,  welche  immer  grössere  Kreise  um  sich  ziehen 
würde. 

Doch  nachdem  wir  auf  die  Bedeutung  der  eventuellen  Resultate  hin- 
gewiesen, müssen  wir  im  einzelnen  einige  Einschränkungen  machen  und 
auf  einige  theoretische  Einwände  hinweisen,  welche  uns  zugleich  näher 
in  die  zu  leistende  Arbeit  einführen. 

1.  Kann  nicht  durch  Zuwanderung  eines  einzelnen  oder  einer  Familie 
eine  Zufuhr  von  Namen  in  einer  Ortschaft  erfolgt  sein,  so  dass  der  jetzige 
Zustand  die  Verwandtschaftsverhältnisse  nur  unvollkommen  wiedergibt?  — 
Dass  auf  diese  Weise  ein  oder  zwei  Namen  für  Pflanzen,  die  nicht  be- 
nannt waren,  in  das  Dorf  kamen,  ist  möglich.  Dass  aber  eine  grössere 
Anzahl  dadurch  dauernd  eingeschleppt  wurde,  halte  ich  für  so  gut  wie 
ausgeschlossen.  Denn  warum  sollte  keine  von  diesen  Pflanzen  nicht  auch 
schon  hier  benannt  gewesen  sein?  So  wird  die  Gleichheit  vieler  Namen 
die  Stammesgleichheit  des  Kernes  der  Bevölkerung  beweisen,  und  die 
Gleichheit  einzelner  Namen  wird  dartun,  dass  Splitter  der  Bevölkerung 
aus  einer  anderen  Gegend  stammen. 

2.  Es  ist  auch  denkbar,  dass  ein  Name  einwandert  ohne  den  Menschen. 
Ein  Knecht  oder  eine  Magd  hat  sich  längere  Zeit  in  einem  Dorfe  auf- 
gehalten und  einen  neuen  Namen  mitgebracht,  der  sich  nun  verbreitet.  — 
Das  ist  aber  nur  bei  einzelnen  Namen  und  ausnahmsweise  wahr- 
scheinlich. 

3.  Ist  es  aber  nicht  möglich,  dass  in  zwei  verschiedenen  Gegenden 
durch  Zufall  der  nämliche  Name  entstanden  ist?  —  Ein  Name  viel- 
leicht, mehrere  sicher  nicht.  Darauf  ist  nun  jeder  Name  besonders  zu 
prüfen.  Ich  halte  es  z.  B.  für  ausgeschlossen,  dass  die  Gleichheit  des 
Namens  'Katzenäuglein'  für  Myosotis  palustris  (Vergissmeinnicht)  in  Grau- 
bünden und  in  der  Eifel  bei  Ulmen  auf  Zufall  beruht,  da  ihm  eine  ganz 
individuelle  Anschauung  zugrunde  liegt.  Schon  das  obige  Beispiel  des 
'Löwenmauls'  zeigt,  dass,  selbst  w^enn  die  gleiche  Anschauung  zugrunde 
liegt,  die  Benennung  sehr  oft  eine  verschiedene  ist.  Folgendes  Beispiel 
zeigt    besonders    die  Väriationsfähigkeit    der    Namengebung.      Die  Malva 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  25 

rotundifolia  ist  nach  ihrer  runden  Frucht  benannt,  die  von  den  Kindern 
o-poessen  wird.  Yon  den  15  meistens  nebeneinander  liegenden  Dörfern 
Unterfrankens,  in  welchen  ich  nach  dem  Namen  fragte,  ist  die  Benennung 
nur  in  je  drei  unmittelbar  benachbarten  gleich,  sonst  überall  verschieden. 
Die  Namen  sind  nach  der  Nachbarschaft:  Afterküchli,  Hundskümmerli 
(-gurkeu),  Käsli  (zwei  Dörfer),  Wecklaibli,  Knöpfli,  Küchli  (zwei  Dörfer), 
Laibli,  Rotzbeerli  (1  km  entfernt!),  Täscherli,  Täseherskraut  (zwei  Dörfer), 
Brötchenstrauch,  Kasemärli,  Pfankeli  (=  Pfannenküchlein).  Ob  Zufall 
möglich  ist,  muss  die  Einzelbetrachtung  zeigen.  So  ist  es  z.  B.,  die 
Blume  für  sich  betrachtet,  möglich,  dass  der  Name  Dickkopf  für  Centaurea 
jacea  in  Aschfeld  in  Unterfranken  und  Hartkopp  in  der  Eifel  bei  Altenahr, 
sowie  Dickkopp  für  Centaurea  paniculata  in  der  Altmark  auf  Zufall  be- 
ruht, weil  die  Benennung  sehr  allgemein  ist  und  naheliegt.  Doch  müssen 
sich  die  Schlüsse  auf  Abstammung  auf  eine  Mehrzahl  von  Namen  stützen, 
wobei  der  Zufall  dann  keine  Rolle  mehr  spielen  kann. 

Praktische  Schwierigkeiten.  Der  allgemeinen  Interesselosigkeit 
verdanken  diese  Namen  ihre  grosse  Bodenstäudigkeit,  ihren  Wert  für  uns. 
Aber  dieselbe  hat  auch  unsere  Forschungen  einigermassen  erschwert  und 
komplizierter  gemacht,  als  es  auf  den  ersten  Anblick  scheint. 

1.  Dadurch  war  es  möglich,  dass  vielleicht  der  eine  und  andere  Name 
in  einem  Dorfe  in  Vergessenheit  geriet  und  ausstarb  und  an  seine  Stelle 
ein  anderer  trat.  Dieser  Maugel  wird  jedoch  wegfallen,  wenn  wir  ein 
grösseres  Gebiet  vergleichen. 

2.  Und  doch  war  das  der  seltenere  Fall,  wie  das  hohe  Alter  vieler 
Namen  beweist.  Sehr  häufig  ist  es  dagegen,  dass  der  Name  zwar  im 
Gedächtnis  haftete,  aber,  da  man  nicht  mehr  genau  wusste,  welche 
Pflanze  er  bezeichnete,  auf  eine  andere,  ähnliche  Pflanze  überging.  Wir 
nennen  diesen  Vorgang  Namens  üb  er  gang.  Derselbe  ist  um  so  leichter 
möglich,  da  das  Volk  die  Pflanzen  nicht  nach  wissenschaftlichen  Gesichts- 
punkten, sondern  nach  äusseren,  oft  zufälligen  Merkmalen  benennt  und 
die  einzelnen  Kräuter  nicht  genau  unterscheidet.  Im  allgemeinen  gilt  da 
das  Gesetz:  Je  älter  und  verbreiteter  ein  Name,  auf  desto  mehr 
Pflanzen  ist  er  übergegangen.  Diese  Namen  scheiden  natürlich  von 
unserer  Forschung  auf  Stammesverwandschaft  nicht  aus;  für  ims  ist  die 
Benennung,  nicht  die  bezeichnete  Pflanze  Hauptsache.  Doch  dürfen  wir, 
um  unseren  Schlüssen  eine  sichere  Grundlage  zu  geben,  einen  Namens- 
übergang nur  da  annehmen,  wo  ihn  die  Ähnlichkeit  der  Pflanzen  er- 
leichterte. , 

Fast  bei  allen  Pflanzennamen  kommen  solche  Verwechslungen  vor, 
besonders  wenn  dieselben  zu  allgemein  waren  und  keine  Eigenart  einer 
bestimmten  Pflanze  bezeichneten,  oder  auch,  wenn  es  die  früher  so  be- 
nannte Pflanze  in  einer  neuen  Gegend  nicht  gab.  So  gilt  in  Asehfeld 
(Unterfranken)  der  Name  'Herrgottstöffeli'  für  Lathyrus  silvestris.  während 


^6  Ziegler: 

derselbe  in  der  Umgegend  für  Lotus  corniculatus  gebraucht  wird.  Dieser 
wird  in  Aschfeld  Goldklee  ^)  genannt.  Die  auf  beide  Pflanzen  passende 
Vorstellung  ist  die  bei  Schmetterlingsblüten  treffende  Form  eines  Pan- 
toffels. In  Münster  (Unterfranken)  gilt  der  Name  Muttergottesbettstroh 
sowohl  für  Galium  verum  als  für  Hypericum  perforatum.  Erst  wenn  man 
die  Leute  auf  die  gleiche  Benennung  dieser  verschiedenen  Pflanzen  aus- 
drücklich aufmerksam  machte,  kam  ihnen  das  Bedenkliche  derselben  zum 
Bewusstsein.  'Fleischblume'  (nach  dem  rötlichen  Aussehen)  heisst  in 
Obersfeld  und  Büchold  (Unterfranken)  die  Anemone  nemorosa;  in  Hunds- 
bach, Aschfeld,  Gössenheim,  Erlebach  (Unterfranken),  der  Schweiz  das 
Cardamine  pratense;  in  Sachserhof,  Weiersfeld,  Obereschenbach  die 
Capsella  bursa  pastoris.  Es  haftete  eben  bloss  der  Name  im  Gedächtnis, 
und  dieser  wurde,  wenn  er  nur  einigermassen  passte,  auf  andere  Pflanzen 
übertragen. 

Andere  Namen  sind  so  unbestimmt  und  daher  auf  so  viel  Pflanzen 
übergegangen,  dass  wir  sie  am  besten  überhaupt  ausscheiden,  da  der 
Zufall  dabei  eine  Rolle  gespielt  haben  kann.  Dahin  gehören  die  Be- 
nennungen nach  Standort,  Blütezeit,  Farbe  wie:  Bachblume,  Wiesen- 
blume, Märzenblume,  Holzblume,  Glockenblume  u.  a.  So  werden  durch 
Zusammensetzungen  mit  Kuckuck  (nach  Farbe,  Blütezeit  und  im  ver- 
ächtlichen Sinne)  allein  über  30  Pflanzen  bezeichnet.  Immerhin  gewährt 
die  gleiche  Benennung  derselben  Pflanze  einen  sichreren  Anhalt  und  kann 
vielleicht  auch  als  Zeichen  näherer  Verwandtschaft  manchmal  aufgefasst 
werden. 

3.  Die  Interesselosigkeit  und  der  daraus  folgende  geringe  Gebrauch 
der  Namen  hatte  ferner  zur  Folge,  dass  die  Namen  sich  teilweise  änderten, 
wenn  nur  die  Vorstellung  blieb.  Besonders  war  dies  bei  den  mit  Eigen- 
namen zusammengesetzten  der  Fall,  da  ein  innerer  Zusammenhang  hier 
nicht  bestand  oder  nicht  mehr  verstanden  wurde.  So  werden  in  St.  Gallen 
bei  Sargans  nebeneinander  gebraucht:  Herrgottaschüali  und  Frauaschüali; 
so  für  Galium  verum  in  Gauaschach  (Unterfranken)  Muttergotteshaar 
(auch  in  Obersfeld)  und  Engelshaar  (auch  in  Bühler).  Die  Anschauung 
ändert  sich  nicht,  ob  das  Hypericum  perforatum  nun  ^luttergottes-,  Maria-, 
Unserer  Frauen-,  Herrgotts-  oder  Johannisbettstroh  heisst;  ebenso  nicht, 
ob  eine  Schmetterlingsblüte  Herrgotts-,  Muttergottes-,  Johannisschuckeli, 
-schühli  oder  -töffeli  heisst.  Wir  können  also,  wenn  wir  auf  Abstammung 
schliessen,  solche  Namen  als  gleich  betrachten. 

4.  Verändern  sich  schon  andere  Wörter  rasch  im  Munde  des  Volkes 
und  sind  Miss-  und  Umdeutungen  ausgesetzt,  um  wie  viel  mehr  diese 
Namen,  die  so  selten  gebraucht  werden!  Oft  genügte  ein  ähnlicher  Klang, 
um    einen    nicht    mehr    verstandenen  Namen  in  einen  anderen  übergrehen 


1)  Schon  bei  Gesner  l.")41. 


Die  deutschen  Yolksnamen  der  Pflanzen.  27 

ZU  lassen.  In  den  durchforschten  unterfräukischen  Dörfern  fand  ich  für 
Achillea  millefolium  folgende  zwei  einander  gegenüberstehende  Namen: 
Schafgarbe  und  Barbarakraut.  Des  Rätsels  Lösung  gab  die  Form  in 
Büchoid,  wo  mir  zugleich  als  Namen  genannt  wurden:  Garbara,  Schaf- 
garbara,  Barbara  und  sogar  Rhabarbara.  Dazwischen  stehen  die  Be- 
nennungen Garberi  und  Schafgarberi.  Im  Althochdeutschen  ist  garawa 
als  alter  Name  bezeugt'),  und  der  Gleichklang  genügte,  um  die  un- 
verstandene altertümliche  Form  von  Garbara  in  Barbara  umzuwandeln. 
Vgl.  für  Viola  tricolor  die  Namen  Denkblümli  (Graubünden),  Denggeli 
(St.  Gallen),  Denkegli  und  Änkeli  (Bern);  ferner  für  Equisetum  ahd. 
Katzenzagil  (=  schwänz)  und  Katzenzügel  in  Siebenbürgen.  Zu  dieser 
Gruppe  gehört  wohl  auch  Geissblume  (SchafFhausen)  für  Gänsblume 
(Chrysanthemum  leucanthemum),  dafür  in  Zürich  sogar  Geisseiblume; 
Gaisglöggli  und  zugleich  Geistblümli  in  St.  Gallen  bei  Toggenburg  für 
Anemone  nemorosa  (in  Luzern:  Geistglöggli);  in  Appenzell  dafür  Gast- 
glöggli.  Auch  über  diese  Verwechslungen  und  Missverständnisse,  deren 
Zahl  Legion  ist,  können  wir  für  unseren  Zweck  hinwegsehen,  da  dieselben 
nicht  ursprünglich  sind,  sondern  sich  später  entwickelt  haben.  Wir  be- 
trachten also  solche  Namen  als  gleich.  Wenn  wir  nun  nach  diesen 
Gesichtspunkten  die  Orte  mit  gleichen  Pflanzennamen  zusammenfassen, 
werden  wir  ein  getreues  Abbild  der  Stammesverwandtschaft  gewinnen. 

5.  Doch  das  gilt  bloss  für  Pflanzen,  welche  für  den  Menschen  ohne 
Nutzen  und  ohne  besonderes  Interesse  waren.  Ein  wenn  auch  oft  ge- 
ringes Interesse  wurde  den  Pflanzen  entgegengebracht,  welche  in  der 
Arzneikunde ,  in  Sage  und  Aberglauben  eine  Rolle  spielten.  Bei  den 
Arzneikräutern  werden  sich  zugleich  mit  der  Verwendung  auch  die  Namen 
verbreitet  haben.  Die  Wirkung  und  Anwendung  derselben  wird  dann 
meistens  schon  im  Namen  ausgesprochen.  Wird  z.  B.  der  Wiesensalbei 
„Salbe"  genannt,  so  ist  die  Verbreitung  des  Ausdrucks  durch  die  Apotheken 
wahrscheinlich.  Die  Benennung  „Göckerskanmi"  dagegen  stammt  von 
seiner  Blütenform  her  und  wird  sich  nicht  auf  diesem  Wege  verbreitet 
haben.  Durch  die  Apotheken  kamen  auch  Fremdnamen  ins  Volk,  wie: 
Lavendel  von  lavandula,  Salbei  von  salvia,  Kerbel  von  cerefolium  u.  a. 
So  kam  auch  das  Wort  Tausendgüldenkraut  auf  als  falsche  Übersetzung 
von  cent-aurium^).  Nun  erbte  sich  aber  auch  eine  Menge  von  solchen 
Arzneikünsten  im  Volke  selbst,  und  zwar  im  engsten  Kreise  fort.  Daher 
sind  Namen  von  Arzneipflanzen  nicht  vollständig  auszuschliessen,  dürfen 
aber  nicht  zum  Beweise,  sondern  bloss  zur  Bestätigung  verwandt  werden. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  den  Kräutern,  welche  in  Aberglauben 
und    Sage    eine   Rolle    spielen.      Mit    den    erst    gottesdienstlichen,    später 


1)  Isach  Pritzel  u.  Jessen  a.  a.  0. 

2)  Nach  Sohns,  unsere  Pflanzen  1907  S.  7G. 


28  Ziegler: 

abergläubischen  Gebräuchen,  zu  welchen  sie  verwandt  wurden,  verbreiteten 
sich  auch  ihre  Namen.  Besonders  diejenigen  Pflanzen,  welche  Heiligen- 
namen tragen,  sind  in  dieser  Hinsicht  verdächtig.  So  war  das  Mutter- 
gottesbettstroh  (meistens  Galium  verum)  ursprünglich  der  Freya  heilig 
und  wurde  den  Wöchnerinnen  ins  Bett  gegeben^).  Doch  sind  solche 
Bräuche  sehr  alt  und  pflanzten  sich,  besonders  in  späterer,  christlicher 
Zeit,  hauptsächlich  in  der  Familie  und  im  nächsten  Bekanntenkreise  fort, 
so  dass  vielleicht  auch  diese  Namen  zur  Bestätigung  der  Ergebnisse 
unserer  Forschung  herangezogen  werden  können. 

Suchen  wir  nun  einen  Überblick  zu  gewinnen,  was  die  Erforschung 
der  Fflanzennamenverbreitung  zu  leisten  vermag.  Abgesehen  von  der 
Einsicht  in  das  Volksgemüt,  welche  die  oft  sinnigen  und  sinnvollen,  oft 
auch  derben  Namen  bieten,  gewährt  uns  diese  Forschung  einen  wertvollen 
Beitrag  zum  Wortschatz  der  deutschen  Sprache.  Sie  zeigt  uns  ferner  die 
Entstehung  und  Umformung  von  Wörtern  in  der  Gegenwart  unter  Be- 
dingungen, welche  der  Beobachtung  vielseitig  zugänglich  sind,  indem  sie 
uns  die  Umwandlungsprozesse,  die  sich  sonst  bloss  im  zeitlichen  Nach- 
einander in  der  Sprache  vollziehen,  im  räumlichen  Nebeneinander  vor- 
führt. (Vgl.  das  obige  Beispiel  von  Schafgarbe  und  Barbarakraut.)  Was 
die  oben  geschilderte  historische  Verwertung  solcher  Forschungen  an- 
belangt, so  wird  diese  Methode  schon  bei  der  Lösung  von  Einzelfragen, 
soweit  sie  Volksbewegungen  betreffen,  gute  Dienste  leisten.  Wenn  wir 
auch  erst  nach  einer  gründlichen  Sammlung  der  deutschen  Namen  ent- 
scheiden können,  in  welcher  Zeit  die  meisten  Namen  entstanden  sind,  so 
wird  doch  unsere  Methode  Antwort    geben    können    auf  folgende  Fragen: 

1.  Welches  ist  die  genauere  Volkszusammensetzung  bei  der  ost- 
elbischen    und    bei   der  bayrisch-schwäbischen  Kolonisation  in  Österreich? 

2.  Sie  wird  Auskunft  geben  über  die  genauere  Herkunft  des  angel- 
sächsischen Volkes. 

3.  Sie  gibt  Aufschluss  über  spätere,  ländliche  Volksbewegungen  in 
Deutschland. 

4.  Es  wäre  sonderbar,  wenn  die  grosse  Verschiedenheit,  die  zwischen 
den  einzelnen  deutschen  Stämmen  besteht  und  sich  schon  in  ihrem  übrigen 
Wortschatze  ausdrückt,  sich  nicht  auch  in  diesen  fast  unbewussten  und 
darum  individuellsten  Bildungen  ihrer  Sprache  zeigte.  Deshalb  erscheint 
der  Versuch  nicht  aussichtslos,  auf  diesem  Wege  über  die  Zusammen- 
setzuuo-  und  nähere  Verwandtschaft  der  deutschen  Stämme  Klarheit  zu 
gewinnen  und  so  weiter  in  das  von  c\ev  Geschichte  nicht  erhellte  Dunkel 
der  Vorzeit  unseres  Volkes  vorzudringen.  Und  da  sich  die  Stammes- 
zugehörigkeit noch  heute  in  Körper  und  Geist  eines  Deutschen  mehr  aus- 


1)  Sohns,  Unsere  Pflanzen  S.  35. 


Die  deutschen  Yolksnamen  der  Pflanzen. 


29 


prägt,  als  alle  späteren  historischen  Ereignisse  Eindruck  hinterlassen 
haben,  erschliesseu  uns  solche  Forschungen  ein  genaueres  Verständnis 
der  Gegenwart. 

2.  Praktischer  Teil. 

Die  Sammlung  der  deutschen  Pflanzennamen  ist  eine  Aufgabe,  welche 
die  Kräfte  eines  Menschen  übersteigt.  Folgendes  in  neun  unterfränkischen 
Dörfern  systematisch  gesammeltes  Material  möge  einen  Einblick  in  die 
Reichhaltigkeit  und  Verteilung  dieser  Namen  geben,  wenn  dasselbe  auch 
noch  nicht  alle  dortigen  Benennungen  umfasst.  Um  ein  möglichst  ge- 
treues Bild  derselben  zu  geben,  habe  ich  die  Arzneipflanzen  nicht  aus- 
o-eschaltet.     Ein  sicherer  Rückschluss  auf  die  Stammeszugehörigkeit  dieser 


Gegend  Hess  sich  nicht  ziehen,  weil  die  Sammlung  von  Pritzel  und  Jessen, 
welche  ich  für  die  übrigen  deutschen  Gegenden  heranzog,  nicht  entfernt 
an  Vollständigkeit  heranreicht,  so  dass  die  dort  erwähnten  Namen  wahr- 
scheinlich auch  noch  in  anderen  Orten  vorkommen.  Ausserdem  ist  die 
Ortsangabe  derselben  für  unsere  Zwecke  oft  zu  unbestimmt.  Immerhin 
zeigt  sich  aus  dem  Material  ein  deutlicher  Zusammenhang  mit  der 
schwäbisch-alemannischen  Volksgruppe,  welcher  der  Erklärung  harrt.  Bei 
dem  geringen  vorliegenden  Stoffe  mussten  die  Landschaften,  welche 
Nameusgleichheit  mit  der  untersuchten  haben,  sehr  umfangreich  ge- 
nommen, und  musste  ihre  Begrenzung  unbestimmt  gelassen  werden.  Das 
Folgende  soll  eben  keine  Resultate  bringen,  sondern  die  praktische  An- 
wendung der  Methode  zeigen. 

Zum  Erfahren    der  Namen    wendet    man    sich    am    besten  mit  einem 
Pflanzenatlas    oder    einem  dazu  hergestellten  Herbarium    an  Frauen  eines 


30  Ziegler: 

Ortes,  wobei  man  darauf  zu  achten  hat,  dass  sie  daselbst  geboren  und 
aufgewachsen  sind.  Die  Namen  müssen  in  Dialektform  aufgenommen 
werden;  aus  dieser  kann  meistens  schon  entschieden  werden,  ob  e& 
wirklich  Yolksnamen  sind,  oder  ob  sie  etwa  aus  der  Schule  stammen. 
Ich  habe  der  Kürze  halber  die  Dialektnamen  da  in  verhochdeutschter 
Form  gegeben,  wo  die  Übertragung  zweifellos  war. 

Folgende  neun  Ortschaften  habe  ich  gleichmässig  durchforscht: 
Büchold  (Buch.),  Sachserhof  (S.),  Gauaschach  (Gau.),  Obersfeld  (O.),^ 
Hundsbach' (Hb.),  Bühler  (Bü.),  Münster  (M.),  Aschfeld  (A.)  und 
Gössenheim  (Gö.).     (Siehe  die  Karte  S.  29.) 

Dazu  kamen  gelegentliche  Ergänzungen  aus  Bonnland  (Bo.),  Hunds- 
feld (Hf.),  Weiersfeld  (W.),  Obereschenbach  (Oberesch.),  Altbessingen 
(Altb.),  Schwebenried  (Schw.),  Erlenbach  (E.)  und  Roden. 

Das  Namenmaterial  teile  ich  in  zwei  Hauptgruppen  ein:  1.  in  solche 
Pflanzen,  deren  Namen  in  den  genannten  Dörfern  (im  allgemeinen) 
überall  verschieden  sind,  2.  in  solche,  deren  Namen  allen  gemein  sind. 
Die  erstere  Gruppe  wollen  wir  Dorfnamen,  die  letztere  wegen  ihrer 
grösseren  Verbreitung  Landschaftsnamen  nennen. 

1.  Dorfnamen. 

Prunella  und  Ajuga  reptans:    unbenannt. 

Centaurea  jacea:    unbenannt  in  S.,   Gau.,   Bo.,  M.,   Gö.     Ochsenmaul:    0.,    Hb. 

Erdhopfdistel    (Umschreibung)^):    W.  Herrnhuter:     Buch.     Knotenpfürz:    Bü. 

Dickkopf:   A.  (Splitter)  2). 
Capsella    bursa    pastoris:     unbenannt    in    Gau.,    Bo.,    0.,    Hb.,    Bü.,    M.,    A. 

Gänseri :      Buch.    (Splitter).      Klapperlesgras:     Gö.     Fleischblume:     S.,    W., 

Oberesch.  (Namensübergang) ^). 
Chrysanthemum    segetum:     unbenannt    in    Bü.,    Gau.,    Bo.,    Gö.     Kansbüsch 

(=  Johannisb.):    0.  (Splitter).     Strohblume:    Hb.  Stinker:  W.  (Unbestimmt)^). 

Pfeffernüssli:    Bü.      Wilde    Weckbröseli     (Calendula     officinalis):     M.    (Um- 
schreibung).    Studentenblume:  Oberesch.  (Unbestimmt,  vielleicht  Splitter). 
Cichorium  Intybus:  unbenannt  in  S.,  \V.,  Oberesch.,  Bo.  Teufelsgäschel  (-geisel): 

0.,  A.  Wegwarte:    Hb.,    Gau.  (Splitter;    vielleicht    aus  der   Schule,    vielleicht 

verbreitet  durch  die  Sage).     Steinkraut:    Buch.   (Splitter).    Cichoriblume:  Bü. 

(Nach  der  Verwendung;    unbrauchbar.)     Wilder  Endivi:    M.   (Umschreibung). 

Wilder  Raberi:    Gö.  (Umschr.). 
Echium    vulgare:    unbenannt  in  O,    Hb.,  W.  Bo.,    Bü.    M.,    Gö.     Rahmblnme: 

Oberesch.     Hundskraut:  Buch.  (Splitter?). 
Euphrasia  officinalis:  unb.  in  S.,  Gau.,  0.,  Hb.,  Bü.,  M.,  A.    Wilde  Ispel:  W. 

(Umschreibung).     Waldmeister:    Buch.    (Missverständnis).     Niess    (=  Nichts): 

Gö.  (Splitter). 


1)  D.  h.  der  Name  ist  unbestimmt,  mittels  einer  anderen  Pflanze  gebildet. 

2)  Splitter  nenne  ich  vereinzelte  Namen,  welche  noch  in  einer  anderen  Gegend  vor- 
kommen; s.  unten. 

3)  Oben  S.  25. 

4)  D.  h.  der  Name  ist  zu  allgemein. 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  31 

Epilopium  (angustifolium) :  unbenannt  in  Oberesch.,  Bo.,  Hb.,  Bü.,  M.,  Gö. 
Wilde  Weide:  0.,  Gau.  (Umschreibung).  Bachpäppeli:  A.  Giftblume:  Buch. 
(Unbestimmt). 

Galeopsis  versicolor:  unbenannt  in  Hb.,  Bo.,  Gau.,  M.,  Gö.  Wilder  Hanf:  0. 
(Umschreibung,  Splitter!).  Stecher:  Buch.  (Unbestimmt).  Stachelblume:  Bü. 
(Unbestimmt).     Wilde  Sodomannli:  A.  (Umschreibung). 

Gentiana  (selten  vorkommend):    unbenannt.      Holzglocke:    Buch.     (Unbestimmt). 

Hieracium:  unbenannt  in  Gau.,  Hb.,  M.,  Gö.  Fieberwurzelblume:  0.  (Un- 
bestimmt; Arzneiname).  Hundszunge:  Oberesch.  (Splitter).  Märzenblume: 
Buch.  (Namensübergang). 

Linaria  vulgaris.  Drachenmaul:  0.  Eierschmalz:  Hb.,  Bü.  Krakemäuler:  M. 
Froschmäuler:  A.  Zähneblecker:  Gö.  Löwenmäuler:  Buch.,  Oberesch. 
(Splitter;  von  der  Gartenpflanze?).  Einfache  Hasemäuler:  S.  (Umschreibung; 
von  der  Zierpflanze).  Ochsenmäuler:  W.  Rindlesdreck:  Holzkirchhausen  im 
Spessart.     Vgl.  Scheisskraut  bei  Bock  1530. 

Malva  rotundifolia.  Hundskümmerli  (-gurken):  Buch.  Käsli:  S.,  Bo.  (Splitter, 
oder  Zufall).  Küchli:  Hb.,  0.,  Gau.  Laibli:  Bü.  Wecklaibl:  Gau.  Rotz- 
beerli:  M.  Täscherli:  A.,  E.,  Roden.  Pfankeli:  Gö.  Brötchenstrauch:  Holz- 
kirchhausen.   Knöpfli:  AV.    Afterküchli:  Oberesch.    Kasemärli:  Homburg  (Ufr.). 

Pimpinella  saxifraga:  unbenannt  in  Bo  ,  M.,  Gö..  E.  Wilde  Peteries:  0.,  W.^ 
Altb.  (Umschreibung).  Bieberall:  Hb.  (aus  Pimpinella;  Apothekername). 
Schweikraut:  Oberesch.  (Namensübergang).  Wilder  Kümmel:  Buch.  (Um- 
schreibung).    Bescheidekraut:  A. 

Ranunculus  acer:  unbenannt  in  0.,  S.,  Gau.  Hohle  Dötterli:  Hb.  Schmar- 
blume:  Oberesch.  Schmelzblume:  Buch.,  Bo.  (Unbestimmt).  Hahnefuss:  B., 
A.,  Gö.  (Splitter,  oder  aus  der  Schule).     Giftblume:  E.  (Unbestimmt). 

Scabiosa  columbaria:  unbenannt  in  Oberesch.,  Gau.,  Bo.,  A.,  M.,  Gö.  Wilde 
Skorpione:  0.  (Splitter).  Sammete  Hühnli:  0,  Feldgeorgine:  Hb.  (Um- 
schreibung). Holzblume:  Buch.  (Unbestimmt).  Ochsenmaul:  Bü.  (Namens- 
übergang). 

Silene  inflata:  unbenannt  in  Oberesch.,  Bo.  Tatsche  (vom  Knallen  mit  der 
Hand):  0.  Glöberli:  0.,  Hb.,  Gau.  Vgl.  Klopfern:  Schweiz.  Klepfer:  Zürich. 
Klöpferli:  Luzern.  Klapperli:  Gö.  Schlotterblume:  Bü.  Puffer:  Buch. 
Taubenkropf:  M.,  Roden  (Splitter,  oder  Namensübergang). 

Solidago  virga  aurea:  unbenannt  Gau.,  M.,  A.  Bettstroh:  0.,  H.,  S.,  Oberesch. 
(Namensübergang).  Pfeffermünzli:  S.  Goldbluine:  Buch.  (Unbestimmt). 
Gelbe  Laibh:  Bü.     (Unbestimmt).     Gelbe  Rafel:  A.,  Gö.,  E.  (Rifl). 

Fumaria  officinalis:  unbenannt  in  M.,  Gö.  Silbertrippeli:  A.  Dotteri:  Altb., 
S.,  Oberesch.     Taubenkropf:  0.,  Gau.,  Hb.,  Bü.  (Splitter). 

Hierher  gehört  teilweise  Salvia  pratensis.  Salzbüsch:  0.  Honigblume:  Hb., 
Bü.,  M.  (Unbestimmt).  Wilde  Salbe:  A.,  Gau,  Oberesch.  (Apothekername). 
Göckersschwanz:  Altb,  Buch.,  A.,  Roden.  Göckerskamm:  Bo.,  Bü.  A"gl. 
Gockeler:  Memmingen.     Wilde  Ispel:  Gö.  (Umschreibung). 

Die  Verschiedenheit  der  Benennung  dieser  Pflanzen  ist  dadurch  zu 
erklären,  dass  dieselben  erst  benannt  wurden,  als  die  Bevölkerung  schon 
in  ihren  gegenwärtigen  Wohnsitzen  sesshaft  war.  Da  kein  Name  dafür 
vorhanden  war,  kamen  unbestimmte  Benennungen  auf,  oder  man  verglich 
sie    mit    anderen    Pflanzen    (Umschreibungen)    oder    verwechselte     sie 


32  Ziegler: 

damit  (Namensübergänge).  Wenn  sich  eine  fremde  Person  in  einem 
Dorfe  niederliess  und  einen  neuen  Namen  mitbrachte,  war  man  besonders 
geneigt,  denselben  anzunehmen  (Splitter),  sei  es  nun,  dass  sie  aus  der 
näheren  stammverwandten  Umgegend  stammte,  worüber  mir  das  Namen- 
material fehlt  und  wo  man  vielleicht  einen  alten  Namen  bewahrt  hatte, 
oder  dass  sie  aus  einer  stammfremderen  Gegend  einwanderte.  Aus  Pritzel- 
Jessen  würde,  soweit  man  sich  darauf  verlassen  kann,  hervorgehen,  dass 
die  obigen  Pflanzen  auch  in  anderen  süddeutschen  Landschaften  wenig 
benannt  und  ihre  Namen  sehr  zersplittert  sind. 

Splitter. 

Dickköpf:  A.  f.  Centaurea  jacea.  Hartkopp:  Eifel  b.  Altenahr.  Di".kkopp  f. 
Centaurea  paniculata,  Anthemis  arvensis  u.  cotula,  Chrysanthemum  leu- 
canthemum:  Altmark  (Namensübergang).  —  Dickkoppskrut  f.  Senecio  vulg.: 
Göttingen. 

Gänseri  f.  Capsella  bursa  past.:  B.  Vgl.  ahd.  gansekresse;  Hotton  1G95:  Gäns- 
kröss. 

Studentenblume  f.  Chrys.  seg. :  Oberesch.  —  f.  Calendula  off.:  Mark  Branden- 
burg (Übergang  möglich).  —  f.  Malva  alcea:    Schlesien  (Zufall?). 

Steinkraut  (Unbestimmt)  f.  Cich.  Intyb.:  B.  —  f.  Abyssum  calycinum:  Came- 
rarius  1588.  —  f.  Barbarea  vulg.:  Hotton  1695.  —  f.  Cochlearia  saxatilis: 
Berner  Oberland.  —  f.  Sedum  telephium:  Pholsprundt,  16.  Jahrh.  —  f.  Silene 
acaulis:  Berner  Oberland. 

Hundskraut  f.  Echium  vulg.:  B.  —  f.  Mercurialis  perennis:  Schlesien. 

Nieß  (=  Nichts)  f.  Euphr.  off.:  Gö.    Vgl.  Gibinix:  Waadt,  Entlibuch. 

Wilder  Hanf  f.  Galeopsis  versicolor:  0.  Berner  Oberland  (Ackerhanfneßle), 
St.  Gallen,  Österreich. 

Hundszunge  f.  Hieracium:  Oberesch.  —  mhd.  f.  Ajuga  reptans;  ahd.  und  in 
Göttingen  f.  Anchusa  off.  (häufig:  Ochsenzunge);  ahd.,  mhd.  f.  Cynoglossum 
off.;  in  Appenzell  f.  Taraxacum  off.  (Übergang  möglich). 

Käsli  f.  Malva  rotundifolia:  S.,  Bo.  Schweiz,  St.  Gallen  (Chäslichkrut);  Altmark, 
Mark  Brandenburg,  Unterweser  (Käseköpfe),  Oldenburg  u.  a.  a.  0. 

Wilde  Skorpione  (aus  Scabiosa;  Apothekerpflanze)  f.  Scab.  columb.:  0.  Rends- 
burger Apotheke  1850. 

Löwenmäuler  f.  Linearia  vulg.:  Bü.,  Oberesch.  —  Li  der  Schweiz  (Leuenmul) 
Siebenbürgen,  Schlesien  f.  Antirrhinum  majus  (Zierpflanze). 

Taubenkropf  f.  Silene  inflata:  M.,  Roden,  Gesner  1541.  —  Chur,  St.  Gallen  b, 
Werdenberg:  Taubenspeck.  —  Schweiz:  Vögelispeck. 

Ackerlessalat  f.  Valerianella  olitoria:  Hf.,  Memmingen,  Salzburg,  Tirol. 

Die  nun  folgenden  Namen  sind  in  allen  durchforschten  unterfränkischen 
Ortschaften  gleich.  Das  ist  darauf  zurückzuführen,  dass  dieselben  schon 
der  kleineren  oder  grösseren  Volksgruppe  gemeinsam  waren,  von  welcher 
die  Bewohner  abstammen.  Walirscheinlich  würde  eine  umfangreichere  Stoff- 
sammlung ergeben,  dass  manche  von  den  obigen  'Dorfnamen'  zu  der 
folgenden  Abteilung  gehören. 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  33 

2.  Landschaftsnamen. 

a)   Unterfranken  und  Umgegend^). 

Bärwinne  f.  Convulvulus  arvensis:  allgemein^)  —  Schlesien:  Bärwinde. 

Moral le  (Moueralle'')  f.  Daucus  carota:  allgemein.     Vgl.  ahd.  moraja,  morhila. 

Demede  (Frosch-,  Bach-,  Stink-)  f.  Mentha  aquatica:  allgemein.  Bock  1530: 
Dymenta. 

Katzestuhl  f.  Plantago  (media):  allgemein;  benannt  nach  einem  Kinderspiel. 

Moosdistel   (Mues-,  Mus-)  f.  Sonchus:    allgemein.     Vgl.  Fuchs  1542:  Mossdistel. 

Hühnerbolle  (-bohle,  -bouhle,  -bolg)  f.  Thymus  serpyllum:  allgemein.  Vgl. 
Brunschwyg  1500:  wild  Boley;  Soranus  1587:  Feldpolei;  Henneberg: 
Hühnerpolei;  Schlesien:    Hühnerkraut. 

Wilde  Weide  f.  Polygonum  persicaria  (Unbestimmt):  allgemein. 

Mäuseri  f.  Stellaria  media:  allgemein  (Roden,  E:  Meier).  Kilian  1777:  Mäus- 
darm.    Schmalkalden,  Dresden:  Mäusgedärme. 

Männertreu  f.  Eryngium  campestre:  ziemlich  allgemein  (A:  Falsche  Zungen).  — 
Namensübergang. 

Dazu  kämen  noch  mit  einem  Verbreitungsgebiet  in  der  Eifel: 
Hundsmilch    f.    Euphorbia  cyparissias:    allgemein  (Wolfsmilch  in  Oberesch.,  S., 

Roden).     Eifel;  Ostpreussen. 
Taubenkropf  f.  Fumaria  off.:  Buch.,  Gau..  0.,  Hb.,  Bü.    Vgl.  Brunfels  1530  u.  a. 

—  Eifel:  Taubenkerbel.     Übergang  von  Silene  inflata? 

b)   Unter  franken -Schwaben-Schweiz. 

Haschläffa    (Ha  =  Heu)    f.  Anemone  pulsatilla:  allgemein;  entstanden  aus  Had- 

schläffa  =  Heidesschleife;  vgl.  Hädelschläffer  in  Steinfeld  (Ufr.).  —  Schwaben: 

Heuschlafen;  wohl  falsch  verhochdeutscht. 
Neunuhrblümle  f.  Anagallis  arvensis:  Oberesch.,  S.,  0.  —  Gö:  Vieruhrblümle, 

sonst  unbenannt.  — Augsburg:  Neunerblümle,  Neunerle;  Schweiz:  Nüniblümli. 
Kühschlutten    f.    die  Blätter  von  Colchicum  autumnale:    allgemein.   Henneberg; 

Elsass:  Kühdutten. 
Schafschwanz    f.    Equisetum  arvense:  allgemein.    —    Luzern,    Bern:    Schafheu; 

vielleicht  aus  Schaft -heu. 
Ge weißte  (erg.  Dörner)  f.  Ononis  spinosa:  S.,  0.,  Hb.,  Bü.,  M.,  A.,  Gö.,  Oberesch. 

—  Schwaben:  Weiße;  Berner  Oberland:  Weißei,  Whigste,  Witschge  u.  Wüste; 
Österreich:    Weixen. 

Fünffingerkraut  f.  Potentilla  reptans:  S.,  0.,  Hb.,  Oberesch.,  sonst  unbenannt. 
Cordus  1561  u.  a.  —  Berner  Oberland,  St.  Gallen  b.  Werdenberg.  —  f.  Poten- 
tilla verna:    Tirol  im  Pongau. 

Göckersschwanz,  -kämm  f.  Salvia  pratensis:  Altb.,  Buch.,  Bo.,  Bü.,  A.  — 
Memmingen:  Gockeler.  Vgl.  f.  Salvia  sclarea,  mhd.  hancam.  —  f.  Pedi- 
cularis  palustris  (Übergang  möglich):   Ostfriesland:  Hahnekaram,  -kopp. 

Blutströpfchen  f.  Sanguisorba  off.:  allgemein;  Tabernaemontanus  1588.  Baireuth; 
Thüringen:    Blutkraut;    Ostpreussen,    Sachsen.    —    f.  Adonis  aestivalis:  Bern, 


1)  Von  den  östlichen  Kolonialgebieteii  sehen  wir  ab. 

2)  D.  h.   in  den  durchforschten  Ortschaften  ist  dieser  Name  allgemein  gebräuchlich. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  1.  Q 


34  Ziegler: 

Graubünden,  Toggenburg.  —  f.  Anagallis  arvensis:  Sommerfeld.  —  f.  Ane- 
mone vernalis:  Appenzell.  —  f.  Nigritella  angustifolia:  Schwaben:  Blutblümlein; 
Tirol:  Blutkraut;  Kärnthen:  Bluttröpfl,  -nägerl.  —  Der  Namensübergang 
konnte  leicht  geschehen,  da  diese  Pflanzen  nicht  überall  verbreitet  sind. 

Ringelbüsch  f.  Taraxacum  off.:  allgemein  (Buch:  auch  Kettenblume;  A:  auch 
Kühblume;  Gö.,  Roden:  Gänsbüsch).  —  Henneberg:  Ringelstöck;  Bern: 
Ringelblume,  Ringeza.     Vielleicht    auch  Namensübergang   von    Calendula  off. 

Geißbart  f.  Tragopogon  pratense:  Oberesch.,  Buch.,  Hb.,  Bü.,  M.,  A:  Geißrailch 
(Bo:  Zuckerstengel).  Schwaben,  Pongau,  Zillertal.  Der  gleiche  Name  f. 
Eriophorum,  Spiraea  aruncus  u.  a.  beruht  auf  verschiedenen  Vorstellungen. 

Tagenächtli  f.  Viola  tricolor:  allgemein.  Ulm,  Memmingen.  Viele  Namens- 
übergänge; die  Verbreitung  des  Namens  durch  die  Zierpflanze  ist  möglich. 

Schafmüulli  f.  Valerianella  olitoria:  allgemein,  ausser  Hf:  Ackerlessalat  (Splitter), 
Erlebach:  auch  Mäusöhrli  (Splitter);  Aschaffenburg,  Würzburg,  Schwaben, 
Schweiz. 

Fleischblume  f.  Capsella  bursa  pastoris:  S.,  W.,  Oberesch.  —  f.  Anemone 
nemorosa:  0,  Buch.  —  f.  Cardamine  pratense:  A.,  Gö.,  E:  Schweiz.  — 
f.  Stachys  betonica:  Eifel  b.  Dreis.  —  f.  Lychnis  flos  cuculi:  Bern,  St.  Gallen, 
Eifel,  Schlesien,  Unterweser.  —  Der  Name  ist  zu  unbestimmt,  daher  die 
vielen  Übergänge.  Dieser  und  die  folgenden  Namen  kommen  auch  im  Eifel- 
gebiet  vor. 

Taubenkropf  f.  Fumaria  off.:  Buch.,  Gau.,  0.,  Hb.,  Bü.  —  Eifel:  Taubenkerbel.— 
f.  Silene  inflata:  M.,  Roden.  Gesner  1541  u.  a.  —  Chur:  Taubenspeck; 
St.  Gallen  b.  Werdenberg:  Tubaknopf. 

Storcheschnabel  f.  Geranium,  Erodium:  allgemein,  —  mhd.  Bern,  Eifel, 
Siebenbürgen.  —  Vgl.  Mecklenburg:  Adebarsnavel ;  mnd.:  Kranekensnavel; 
Schlesien:  Ackerschnabel. 

Scheissmilde  f.  Chenopodium  album,  Atriplex:  allgemein.  Gesner  1541  u.  a. — 
St.  Gallen:  Schissmalter;  Eifel:  Schissmell;  Schlesien:  Schissmölten. 

c)    Unterfranken-Schwaben-Schweiz-Eifel-Thüringen- Altmark. 

Gänsblümli  f.  Bellis  perennis:  allgemein.  —  Eichstädt;  Graubündten,  Entlibuch: 
Gänsegisseli;  Göttingen:  Gänsekraut;  Schlesien  b.  Lauban,  Glogau.  Dazu 
gehört  wohl  auch:  St.  Gallen  a.  Rh.  u.  b.  Werdenberg:  Gaisblümli;  Zürich: 
Geissblümli;  Aargau:  Geisgisseli. 

Gänsblume  f.  Chrysanthemum  leucanthemum:  allgemein.  Brunfels  1530  u.  a.  — 
Memmingen,  Augsburg;  Schaffhausen:  Geissblume;  Zürich:  Geisselblume; 
St.  Gallen  b.  Werdenberg:  Gasblume. 

Herrgottsschühli,  -schuckeli,  -töffeli  f.  Lotus  corniculatus:  Bo.,  Buch., 
Hb.,  Bü.,  M.,  Gau,  Roden:  Muttergottesschühli;  A.  f.  Lathyrus  silvestris.  — 
Bern,  St.  Gallen  b.  Sargans,  Memmingen,  Augsburg;  Eifel  b.  Dann,  Dreis, 
Kerpen,  Uelmen.  —  f.  Cypripedium  calceolus:  Henneberg;  St.  Gallen,  Bern; 
Siebenbürgen.  —  f.  Pritillaria  montana:  Siebenbürgen  b.  Gross -Alisch. 
—  f.  Orchis  latifolia:  Eifel  b.  Dreis.  —  Zu  dieser  Namengruppe  gehört 
auch: 

Muttergottes-,  Frauen-,  Mariaschühli  f.  Lotus  corniculatus:  St.  Gallen  b. 
Sargans,  Werdenberg;  Luzern,  Bern,  Aargau;  Ulm;  Tirol  im  Pongau,  Pinz- 
gau;    Sachsen    b.  Leipzig.    —    f.    Cypripedium  calceolus:    Appenzell,    Luzern, 


Die  deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen.  35 

Bern,  Graubündten.  Aargau:  Jungfernschuh,  Pantoffeln.  Elsass;  Ulm:  Marien- 
schuh u.  Pfaffenschuh;  St.  Gallen  b.  Sargans:  Pfaffaschüali;  Thüringen,  Harz; 
Mark  Brandenburg,  Pommern,  Preussen.  —  f.  Anthyllis  vulneraria:  Luzern, 
Bern.  —  f.  Corydalis  cava:  Elsass,  Thüringen.  —  f.  Melilotus  off.:  Gesner 
1041  u.  a  Appenzell,  Vierwaldstätte,  Zug,  Zürich.  —  f.  Polygala  chamae- 
buxus:  Obertoggenburg.  —  f.  Primula  off.:  Bern.  —  f.  Viola  tricolor:  Tirol 
im  Pongau. 

Erdweizen  f.  Melampyrura  arvense:  allgemein  (W.,  S.,  Buch.,  M.:  wilder  "Weizen ; 
Gau.:  Wachtelweizen,  Armeleutskorn ;  Bü. :  welscher  Weizen).  —  Nemnich 
1793:  Erdweizen.  St.  Gallen  b.  Obertoggenburg:  Chuaweizä;  Österreich: 
Huudsweiz,  Taubenweiz:  Eifel  b.  Kerpen:  Katerweizen;  Siebenbürgen:  Kadder- 
weiz;  Thüringen:  Wachtelweizen;  Schlesien:  Kuh-,  Wachtelweizen. 

Jüdehechel  f.  Ononis  arvensis,  spinosa:  Gau.,  Altb.,  Buch.,  Oberpleichfeld.  — 
Hauhechel:  Cordus  1534  u.  a.  —  Berner  Oberland:  Hechelkraut;  ebenso 
Siebenbürgen,  Mecklenburg;  Altmark:  Hackel. 

Klitsche  f.  Papaver  rhoeas:  allgemein.  Cordus  15G1.  —  Henneberg:  Klitsch- 
blume; Würtemberg,  Thüringen:  Klatschrose;  Altmark:  Klaotschen. 

Wegtreter  f.  Polygonum  aviculare:  allgemein.  —  ahd.  wegatreta.  —  Luzern, 
Bern;  Altmark;  Schlesien:  Wegelauf.,—  f.  Plantago  major;  ahd.  wegatreta. 
Göttingen,  Mecklenburg. 

Märzenblümchen  f.  Tussilago  farfara:  Bü.,  Hb.,  Bo.,  0.,  Buch.  —  Schweiz, 
St.  Gallen,  Göttingen,  Schlesien.  —  Zu  allgemein,  daher  viele  Namensüber- 
gänge. 

Bärtatze,  -tatsche,  -tlatsche,  -läppe  f.  Heracleum  Sphondylium:  Oberesch., 
Buch.,  0.,  Bo.,  Gö.,  Roden.  Gesner  1541  u.  a.  —  Vierwaldstätte,  Zürich, 
Zug,  Würtemberg,  Kärnthen;  Göttingen:  Bärenwörtel;  Ostpreussen:  Barn- 
kraut. 

d)    Namen  mit  noch  grösserem  Verbreitungsgebiet. 

Schafgarbe  f.  Achillea  millefolium.  —  Rodel  f.  Agrostemma  Githago.  — 
Gänseri  f.  Potentilla  anserina.  —  Schlüsselblume  f.  Primula  veris.  — 
Kälberskern  f.Anthriscus  cerefolium (Volksetymologie  aus  Kerbel =cerefolium?).  — 
Schellkraut  f.  Chelidonium  majus  (Arzneipflanze).  —  Kansbüsch  (=Johannis- 
büsch)  f.  Chrysanthemum  segetum.  —  Maiblume  f.  Convallaria  majalis.  — 
Möralle  f.  Daucus  carota  (=  Möhre).  —  Zinnkraut  f.  Equisetum  arvense.  — 
Muttergottesbettstroh  f.  Galium  verum  u.  Hypericum  perforatum.  — 
Brunnenkresse  f.  Nasturtium  offlcinale.  —  Vergissmeinnicht  f.  Myosotis 
palustris.  —  Hahnefuss  f.  Ranunculus.  —  Sauerampfer  f.  Rumex  acetosa.  — 
Hederich  f.  Sinapis  arvensis.  —  Königskerze  f.  Verbascum  Thapsus.  —  Bei- 
fuss  f.  Artemisia  vulgaris.  —  Rittersporn  f.  Delphinium  consolida.  —  Wolfs- 
milch f.  Euphorbia.  —  Seide  f.  Cuscuta  Europaea.  —  Dousede,  Doust  (=Dost) 
f.  Origanum  vulgare.  — Wegwarte  f.  Cichorium  Intybus.  —  Tausendgülden- 
kraut f.  Erythraea  centaurium  (Arzneipflanze).  —  Judendocke  f.  Physalis 
Alkekengi. 

Erlanffen. 


36  Dörler: 


A  olkslieder  aus  Tirol. 

Gesammelt  von  •}-  Adolf  Dörler. 


Die  folgenden  Lieder  und  Sprüche  sind  1896  von  dem  1902  ver- 
storbenen Professor  Dr.  Adolf  Dörler^)  in  Tirol  aufgezeichnet  v^^orden. 
Da  wir  nur  eine  beschränkte  Zahl  von  Texten  abdrucken  können,  geben 
wir  ein  alphabetisches  Verzeichnis  sämtlicher  Anfänge  (114  Nummern) 
mit  den  nächstliegenden  Verweisen^)  und  eine  Auswahl  der  wichtigsten 
Stücke.  J.  Bolte. 

Ach  die  warmen  schönen  Stunden  (5  Str.).    Abschied  Liebender. 

Ach,  muss  ich  denn  allein  davon  (10).  —  Unten  nr.  o3. 

Ach,  wie  viele  schöne  Sachen  (8).  Auswandrerlied.  Str.  5  beginnt:  Jetzt  ist  die 
letzte  Stunde  da.  —  Meier,  Scllwäbische  VI.  1855  S.  257.  Erk-Böhme  2,  596 
nr.  795.    Marriage  S.  127.     Gassmann  S.  80.    Heeger-Wüst  2,  235  nr.  323. 

Als   der  liebe  Gott   die  Welt  erschaffen  (3).    —    Erk-Böhme  3,  54G  nr.  1760.    Kohl, 
Heit.  Vg.  S.  103. 
5     An   einem   Bach,   der   rauschend   schoss    (10).      [Lossius  1781.]   —  Böhme  S.  479. 
John  nr.  95. 

An  einem  schönen  Sommertag,  als  ich  (6).  —  Erk-Böhme  2,  338  nr.  517.  Oben 
15,  261.    John  nr.  49. 

An  einem  schönen  Sonntag,  wohl  zeitlich  (4).  —  Kohl  nr.  35. 

Anno  neun  da  bin  i  gstanden  (7).  —  Nicht  bei  Arnold  und  Wagner,  Achtzehnhundert- 
neun (Wien  1909). 

A  Stötzel  und  a  Melterl  (12).  —  Erk-Böhme  2,  375  nr.  551.     Greinz-Kapferer  2,  85. 
Köhler  nr.  105.    Heeger-Wüst.l  nr.  113. 
10      Auf,  frisch  auf,  ins  Schlachtfeld  lasst  uns  ziehn  (5). 

Auf,  ihr  Brüder  von  der  Infanterie  (6).  —  Erk-Böhme  3,  212  nr.  1329.  Oben  15, 
262:    'Frisch  auf,  ihr  Brüder  von  der  Atalarie'. 

A  Weiberl  haben  ist  a  Freud  (8).     Der  Herr  vom  Haus. 

Bauer,  kaf  mir  mei  Stierlan  o  (4).  —  Kohl  nr.  175:  'Geah'  .  .  . 

Bein  Nächbar  Klaus  häb  i  a  Schuld  (6).     Der  lustige  Wenzerl. 
15     Bein  Dianal  an  Fenstarl  (12).     Missglücktes  Fensterin. 

Bein  Dörfl  steaht  a  Hüttl  drobn  (12).    Der  schüchterne  Bua. 

Danket  Gott :,:  teure  Christen,  für  die  Gnaden  (2). 

Der  Bergmann  im  schwarzen  Gewände  (4).  —  Böhme  S.  457.  Hruschka  S.  250. 
Gassmann  S.  116. 


1)  Vgl.  oben  16,  278. 

2)  Böhme,  Volkstümliche  Lieder  (1895).  —  Erk-Böhme,  Liederhort  (1893—1894). 
—  Gassmann,  Das  Volkslied  im  Luzerner  Wiggertal  (190<i).  —  Greinz  und  Kapferer, 
Tiroler  Volkslieder  1—2  (1889-1893).  —  Hruschka-Toischer,  Deutsche  Volkslieder 
aus  Böhmen  (1891).  —  E.  John,  Volkslieder  aus  dem  sächsischen  Erzgebirge  (1909).  — 
Kohl,  Echte  Tirolerlieder  (1899);  erste  bis  dritte  Nachlese  (1900—1907);  Heitere  Volks- 
gesänge aus  Tirol  (1908).  —  Köhler-Meitir,  Volkslieder  von  der  Mosel  und  Saar  (.1896).  — 
Marriage,  Volkslieder  aus  der  badischen  Pfalz  (1902).  —  Schlossar,  Volkslieder  aus 
Steiermark  (1881).  —  Süss,  Salzburgische  Volkslieder  (1865). 


Volkslieder  aus  Tirol.  37 

Der  Besenbinder  insgemein  (3).  —  Unten  nr.  12. 
20     Die  Baiern  und  d'Antn  (2).  —  Unten  nr.  6. 
Die  Unschuld  bringt  Freude  (8). 
Ehstand  bringt  Wehstand  (7). 

Ei  du  schöne,  süsse  Nachtigall  (3).  —  Kohl,  erste  Nachlese  nr.  7. 
Ei  ei  ei,  wie  leben  jetzt  die  Leut  (12).  —  Unten  nr.  24, 
25     Ein   Fräulein   hochgeboren   (10).     [Pfeffel    1779:    'Eine   Heldin   wohlerzogen'].  — 
Köhler-Meier  nr.  15.     Meier,    Kunstlieder   im   Volksmunde  1906    S.  13    nr.  83. 
John  nr.  5. 
Ein  Krieger  schnallt  mit  Bangen  (5). 

Ein  Schiffer  schlägt  das  Ruder  (14).     Der  Schiffer  und  sein  Schatz. 
Entam  Bach  fliegn  die  Taubn  (5).  —  Unten  nr.  3. 

Er  geht  geschwind  nach  London  (Leben  Napoleons  III.  für  Solo  und  Chor.    Anfang 
fehlte 
30     Es  regelet,  es  schneielet  (8).  —  Unten  nr.  4. 

Franzerl,   i  bitt  di,   schau  mi  heut  nit  an  (5).   —    Kohl,  Heitere  Vg.  S.  61.    Greinz- 

Kapferer  1,  32. 
Geahn  mer  nach  Boarn  naus  (4).  —  Unten  nr.  10. 
Geahts,  lassts  euk  derzählen  (4  +  9).  —  Unten  nr.  25.  26. 
Graf  Radetzki,  edler  Degen  (6).  —  Erk-Böhme  2,  179  nr.  362. 
35      Guete  Nacht,  sagts  Diendl  zu  ihm  Bue  (8). 

Heiiges  Kreuz,  sei  hoch  verehret  (3).    —    Str.  1  bei  Gabler,   Geistl.  Volkslieder  1890 

nr.  178. 
Heinrich  schlief  bei  seiner  Neuvermählten  (11).     [Kazner  1779].  —  Böhme  S.  115. 

Meier,  Kunstlieder  1906  S.  20  nr.  131.     Gassmann  S.  20.    John  nr.  8. 
Herr  Franzi,    heut  wünsch   i  a  guten  Tag  (13).    Beichte   der  Sennerin.   —   Greinz- 

Kapferer  1,  17. 
Heut,  Baur,  sein  mer  ach  amal  do  (4).  —  Cnten  nr.  30. 
40     Heut  ist  die  erste  Klöpflnacht  (2).  —  Unten  nr.  28. 

Heut  scheint  der  Mond  so  schien  (4).  —  Hruschka  S.  178. 
Hin  zum  Strand  des  Meeres  ziehen  (3).    Abschied  von  Tirol. 
Hott  mein  Rössl,  hott  mei  Braun  (2).  —  Unten  nr.  22. 
Ich  bin  ein  armer  Knabe  (5). 
45      Ich  bin  ein  wahres  Kraftgenie  (20).     Schneider  und  Schuster. 

Ich  hab  ein  kleines  Hüttchen  nur  (14).   [Gleim  1775.]  —  Erk-Böhme  2,  337  nr.  516. 

Meier,  Kunstlieder  1906  S.  25  nr.  158.    John  nr.  101. 
Ich  hab  einst  ein  Mädchen  gehört  (15).  —  Unten  nr.  20. 
Ich  hab  halt  a  paar  kohlschwarze  Rappen  (11).  —  Hruschka  S.  262. 
Ich  tret  herein  recht  knödelfest  (4).  —  Unten  nr.  29. 
Ihr  Herreu  Kameraden,  wo  nehmt  ihr  das  Geld  (5).  —  Unten  nr,  8. 
Im  Schlosse  zu  Schönbronnen  (6).    [Saphir  1832.]  —  Köhler-Meier  nr.  294. 
In  meiner  Stubn  do  geht  der  Wind  (10).  —  Unten  nr.  17. 
I  und  mei  Alte  allsan  (2).  —  Unten  nr.  18. 
I  woass  noch  ganz  gut,  wie  der  Vater  hat  gsagt  (6). 
Jetz,  Gietsche,  ietz  werd  i  (6).  —  Unten  nr.  15. 
Jetz,  Joggl,  steah  gschwind  auf  (7).  —  Unten  nr.  24. 
Jetz,  Leutlen,  geats  her  (10).   Jungfernfahrt  ins  Sterzinger  Moos.  —  Greinz-Kapferer 

2,  65. 
Jetzt  ists  schon  bald  ein  Jahr  vorbei  (23).    Rekrutenklage. 
Jetzt  los,  sei  ruhig  und  fein  (14).  —  Greinz-Kapferer  2,  70. 
Jetzt  kimmt  die  lustige  Fasnachtzeit  (7).     Das  faule  Weib.    —    Oben  10,  203.    Vgl. 

Kohl,  Tiroler  Bauernhochzeit  S.  207. 
Jetzt  müess  mer  hoamwarts  ri  ra  reisen  (5).  —  Oben  15,  271:    'Nach  Ungarn'. 
Juhe,  des  is  a  Lehn  (11).     Brautexameu. 
Jungfrau  sein  war  schun  recht  (4).  —  Kohl  nr.  164,  3. 


50 


60 


38  Dörler: 

Kimm  i  hear  übarn  Brennar  (10).  —  Unten  nr.  14. 
65      Kleine  Blumen,  kleine  Blätter  (12).   [Goethe  1771.]  —  Böhme  S.  309.    Meier,  Kunst- 
lieder S.  31  nr.  192.     Er.  Schmidt,  Charakteristiken  2,  177,    Gassmaun  S.  30. 
Kloan  darf  sie  nit  sein  (4).  —  Unten  nr.  2. 

Komm  zu  mir  an  den  Schatten  (5).  —  Erk-Böhme  2,  355  nr.  530. 
Kommt  nur  her  zu  meinem  Standel  (7).  —  Unten  nr.  13. 
Lustig  ists  Buebnlebn  (4).  —  Unten  nr.  19. 
70      Mein  freies,  mein  eigenes  Leben  (10).    Der  Hagestolz. 

Mein  Schatz,  warum  so  traurig  (4).   —   Vgl.  Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde 

11,  5G. 
Menschenkinder,  schaudert  nicht  zurück  (7).    Der  Totengräber. 
Merkt  fleissig  auf,  mein  frommer  Christ  (4).  —  Unten  nr.  31. 

Muss  ich  jetzt  in  Trauern  leben  (11).  —  Erk-Böhme  2,  523  nr.  722:    'Ach  in  Trauern'. 
Heeger-Wüst  2,  80  nr.  203. 
75     Nachtn  auf  d'Nacht   (14).   —   Kohl,   Tirolerlieder  nr.  102.     Greinz-Kapferer   1,62: 
'Jatz  hat  mir  mein  Diandia'.     Schlossar  S.  384  nr.  346. 
Nur  kurz  und  gut  [will]  schweigen  stille  (8).  —  Unten  nr.  7. 

Nur,  nur  noch  einmal  in  meinem  ganzen  Leben  (12).  —  Böhme  S.  203.  Meier,  Kunst- 
lieder S.  79  nr.  505.     Gassmann  S.  81. 
0  des  verwegni  Hennenvolk  (6).  —  Kohl,  Heitere  Vg.  nr.  44. 
O  du  mei  liebe  Alte  (9).  —  Kohl,  Heitere  Vg.  nr.  40. 
80      0  Hearr,  o  schick  mir  zua  (7).    —   Kohl,  Tirolerlieder  nr.  164:    '0  Gott,  schick  mir 
decht  zu'.    Greinz-Kapferer  2,  100. 
0  Leutein,  was  i  ietz  derfahrn  (13).  —  Unten  nr.  16. 

S  Bettelweibele  hat  a  Häusl  kaft  (7).    Vgl.  Erk-Böhme  2,  694.  686.    Süss  S.  63. 
Schatz,   mein  Schätzelein,   reise   nicht  so  weit  von   mir   (8).    —    Erk-Böhme  2,   570 

nr.  766.    Hruschka  S.  145.    Köhler  nr.  251.     Gassmann  S.  67.     Oben  15,  261. 
Schenke  mir  ein  Angedenken  (3).  —  Unten  nr.  5. 
85      Sennerin,  schau,  dunkel  wirds  (6).  —  Anders  als  Schlossar  S.  200. 

Sieh,  0  Deutschland,   ich  muss  marschieren  (5).    [Arndt  vor  1814:    '0  du  Deutsch- 
land!] —  Erk-Böhme  3,  244  nr.  1375.    Meier,  Kunstlieder  S.  40  nr.  242. 
S  Liedl  ist  gsungen  (5).  —  Unten  nr.  27. 
Sobald  is  denn  auf   die  Almen   geah   (10).    —    Greinz-Kapferer  1,  169   'Bei  meinem 

Schatz'  und  2,  140  'Und  im  grünen  Wald'. 
Stets   in  Traurigkeit   muss   ich   leben    (4).    —    Erk-Böhme  2,  523   nr.  722:   'Ach  in 
Trauern'. 
90      Stumpfeter  Besn  (3).  —  Unten  nr.  23. 

Über  die  Almen  schreit  das  Duanal  (3).  —  Greinz-Kapferer  1,  149. 
Und   i   bin   halt   a  junger   lebfrischer  Bua  (6).    Die    gebannten  Jäger.    —    Greinz- 
Kapferer  2,  137. 
Unermüdet  stets  im  Jagen  (3). 
Von  Seirain  sein  mir  ausser  (7). 
95     Warum  sollt  i  denn  Durst  leidn  (5).  —  Unten  nr.  9. 
Was  die  Leut  nit  dertrachtn  (6).    Die  jetzige  Welt. 
Was  gibts  doch  für  mancherlei  Sachen  (6).     Das  ellenlange  Gesicht. 
Was  macht  der  Jagerbue  (4).  —  Greinz-Kapferer  1,  13. 

Weint  mit  mir,    ihr  nächtlich    stillen  Haine    (11).     [Ratschky?]    —    Böhme    S.  116. 
Meier,  Kunstlieder  S.  49  nr.  301.     Oben  16,  263.     Gassmann  S.  73.    John  nr.  19. 
100      Wenn  die  Soldaten   durch    die  Stadt   marschieren  (3).     [Cosmar  1839.]    —   Meier, 
Kunstlieder  S.  50  nr.  306. 
Wenn  i  die  Welt  zum  Spiegel  nimm  (9).    Der  Weltspiegel. 
Wer  die  alte  deutsche  Treu  und  Redlichkeit  ((!).     Das  Felsenland  Tirol. 
Wer  Wunder  sucht  und  Zeichen  will.  —  Unten  nr.  32. 
Wie  schön  ists  in  dem  Himmel  (5).  —  Unten  nr.  1. 
105      Wie  sehr  wird  euch  dies  Lied  gefallen  (11).     Unten  nr.  21. 


Volkslieder  aus  Tirol.  39 

Wie  wird  mir  mein  Herz  so  schwer  (5).    Der  Deserteur.  —  Vgl.  Erk-Böhme  3,  261 

nr.  1393  'Zu  Strassburg  auf  der  Schanz'.     Kohl,  dritte  Nachlese  S.  46  nr.  27. 
Willst  du  wissen  meine  Schmerzen  (15).  —  Oben  16,  266:    'Möchtest  du'. 
Wir  Deutschen,  wir  ziehen  in  das  Feld  (4).  —  Vgl.  Erk-Böhme  2,  176  nr.  359:  'Herzog 

Oels  der  tapfre  Held'.     Parisius,  Deutsches  Museum  1857,  1,  708 
Wir  kommen  vom  Gebirg  (5). 
110      Wir  leben  sehr  zufrieden  in  unserm  Oesterreich.     Das  neue  Mass  und  Gewicht. 

Wo    ich    geh   und    steh,    thut   mir   mein  Herz    so    weh    (4).      [Schosser  1849.]    — 

Böhme  S.  397  nr.  531.     Meier,  Kunstlieder  S.  54  nr.  330. 
Wo  tut  man  die  Säufer  begraben  (4).  —  Unten  nr.  11 
Zehn  Uhr  schlagts,  nun  gute  Nacht  (6).    —    Wichner,    Stundenrufe    und  Lieder    der 

deutschen  Nachtwächter  1897  S.  46. 
Zuagst  häb  i  amäl  den  ganzen  Tag  gmahnt  (6).     Der  z'nichte  Bauemknecht, 

1.  Beim  Fensterin  i). 

1.  Wie  schön  ists  in  dem  Himmel,       Dass  ich  hai  gestern  Abend  spat 

Wie  kühl  ists  auf  der  Erd!  Ein  andres  Schätzle  ghabt? 

Ei  du  mein  herzigs  Schätzelein,  ,     t^    •      i-    ,    • 

cn  u       e      A  i  ■  \.     ■   I  4.  'Es  ist  dir  keine  gut  genug, 

Steh  auf  und  lass  mich  ein!  ^  ,      ,    .         ,.  ,, 

Es  tut  dir  keine  gfallen. 

2.  'Ich  stehe  dir  nicht  auf,  Wenn  du  eine  schönre  willst. 

Ich  lasse  dich  nicht  ein.  So  lass  dir  eine  malen!' 

Hast  du  nicht  gestern  Abend  gsagt,  -    o     ,•  ,_      •  •     r 

T^,    „„•     ,     •  .   o,  0.  So  heb  mir  mein  Leben  ist, 

Du  seiest  nimma  mein.'^  c^     •,        •         ■  o, 

So  lieb  ist  mir  mein  Schatz, 

3.  Wer  hat  es  dir  schon  plauderlet?     Und  wenn  er  auch  gestorben  ist. 
Wer  hat  es  dir  schon  gsagt,  So  lieb  ich  noch  den  Platz. 

2.  Wie  die  Braut  sein  soll. 

1.  Kloan  darf  sie  nicht  sein, 
Denn  ich  selber  bin  kloan, 
Sonst  würden  wir  auf  die  Letzt 
Unter  die  Zwergl  versetzt. 

Es  ist  aber  währ,  was  gab  denn  des  o,  wenn  so  a  kloans  Weibl 
heiraten  tat?  Die  Kinder  wurden  immer  kloaner,  immer  kloaner,  und 
auf  die  Letzt  wurden  sie  so  kloan,  dass  man  sie  gar  nimmer  sehen  tat, 
nur  ein  wenig  schreien  höret.  (Jodler:)  Trillalla,  trillalla,  trillalla,  trillalla, 
jux  auf  der  Alm. 

2.  Jedoch  wäre  sie  zu  gross. 
Das  gab  mein   Charakter  an   Stoss; 
Denn  folgt  ich  ihr  nicht. 

Dann  prügelt  sie  mich. 

Es  ist  aber  währ,  was  gab  denn  des  o,  wenn  so  a  kloans  Mandl  so  a 
groasses  Weibl  nehmen  tat?     I  müsst  nach  ihrem  Pfiff  tanzen,    und  folgte 


1)  Str.  1—3  auch  in  J.  Grimms  oben  18,  84  erwähnter  Handschrift,  mit  der  4.  Strophe: 
Was  ist  dirs  dann  um  einmal,  |  was  wird  dirs  denn  drum  seyn!  ]  Und  wenns  ja  wirklich 
geschehen  war,  |  so  sollts  dir  nicht  drum  seyn.  —  Zu  Str.  1  —  2  vgl.  Hruschka  S.  178  und 
Schlossar  S.  208  nr.  180, 10;  zu  Str.  2  Erk-Böhme  2,  387  nr.  560,  2  und  628  nr.  821,  2  und 
Heeger  2,  nr.  369. 


40  Dörler: 

ich  ihr  nicht,  dann  prügelt  sie  mich,  dann  bleibt  mir  nichts  anderes  übrig, 
als  ich  sing  an  Jodler:  trillalla,  trillalla,  trillalla,  trillalla,  jux  auf  der  Alm. 

3.  Jung,  jung,  jung,   recht  schön, 
Ei,  da  möcht  i  vergehn, 

Und  war  sie  auch  reich,  juhe, 

A  solche,  die  möcht  i  wohl  gleich. 

Es  ist  aber  währ,  a  junge,  a  schiene,  die  liess  i  mir  schun  einreden, 
und  wenn  sie  a  Geld  a  no  hatt  — ,  i  wisset  mir  schun  beiläufig  oane,  aber 
mit  dear  häts  an  Fäden,  die  mag  mi  nit.  Weil  gestern  zu  nachts  bin  i 
zu  ihr  in  Hoangert  gangen,  dann  hat  sie  gsagt:  0  liebes  Schatzerl,  di 
hab  i  gern!  Dann  drahnt  sie  sich  um  und  singt  an  Jodler:  trillalla, 
trillalla,  trillalla,  trillalla,  jux  auf  der  Alm. 

4.  Alt,  alt  und  recht  reich, 
A  solche  möcht  i  wohl  gleich; 
Das  Geld  gehöret  dann  mein,  juhe, 
Es  könnt  ja  nicht  schöner  sein. 

Es  ist  aber  währ,  an  alte,  a  reiche  liess  i  mir  a  no  einreden;  die 
stirbt  wolten  bald,  und  das  Geld  gehöret  dann  mein,  aber  hinter  der 
Bahre  nachi  wur's  ja  amal  hoassen  zu  weinen!  0,  wenn  i  mei  Weibl 
erlebet!  aber  i  denk  mir  doch  allweil  an  Jodler:  trillalla,  trillalla, 
trillalla,  trillalla,  jux  auf  der  Alm. 

3.  Trutzliedlein. 

1.  Entarn  Bach,  entarn  Bach  När  ziihl  i  mein  Diana], 

Fliegn  die  Taubn,  Sie  boat  [wartet]  schun  läng  harscht  [hart]. 

Und  ietz  muess  is  giehn  ummi  ^     tt  j  i      j.     •  l  »       -t  u  ^ 

,    ^  4.  Und  heut  giehm  mers  gar  mt  hoam. 

Die  Fedarn  aufklaubn.  „    ,  -i    i  e  ■r.u 

Und  morgn  a  no  mt  z   trueh, 

2.  Die  Fedarn  sein  aufklaubt,  Und  'n  Vätern  sei  Weckar 
Sein  obn  auf  'n  Huet,  Geaht  oanerwegs  nie. 

Und  ietz  mächt  i  gern  wissn,  ^    ^^^^  ^^.^  ^^^^  ^p^^  ^^j.  ,^  ^^^^^ 

Wear  mers  ohar  dertuet.  g^^^^.^  ^^^^^  ^^^  ^^^^^ 

3.  Und  heut  is  Kirchsunntäg,  Und  die  Mentschar  sein  schläfrig. 


Und  morgn  is  Märscht  [Markt].  Geahts,  Buabn,  giehn  mer  zrugg 


4.  Ein  gleiches. 

1.  Es  regelet,  es  schneielet,  2.  Jetz  ist  er  hält  wohl  kämmen. 

Es  geaht  a  kälter  Wind.  Was  hat  er  mir  denn  brächt? 

Mei  Väter  ist  in  Oberland,  An  Ringal  in  Finger, 

I  woass  nit,  wenn  er  kimmt.  An  Branntwein  in  Glas. 

3.  's  Ringal  ist  derbrochn, 
Der  Branntwein  ist  gsoffn. 
Der  Kas  ist  no  ganz, 
Jetz,  Dienal,  geah  hcar,  nor  tien  mer  an  Tanz! 


Volkslieder  aus  Tirol. 


41 


5.  Lebe  wohF). 


1.  Schenke  mir  ein  Angedenken! 
Deine  Lieb  sollst  du  mir  schenken, 
Denn  das  Schicksal  ist  gewiss. 
Lebe  wohl  und  vergiss  mein  nicht! 
Und  es  ist  halt  so  schwer  voneinander 

zu  gehn, 
Und  so  lebe  wohl  auf  das  Wiederura- 

zusehn, 
Lebe  wohl,  lebe  wohl,  mein  Getreuster, 
Lebe  wohl  und  vergiss  mein  nicht! 

2.  Könnt  es   einst  der   Fall  ge- 

schehn, 


Dass  wir  einander  nicht  mehr  sehn, 
So   sehn  wir  einander  vor  dem   Welt- 
gericht. 
Lebe  wohl  und  vergiss  mein  nicht! 
Und  es  ist  halt  so  schwer  .  .  . 

3.    Hier    und    dort    in    fremdem 
Lande, 
Allwo  der  Freundschaft  Liebesbande, 
Wo    die    treue    Freundschaftsliebe 

spricht, 
Lebe  wohl  und  vergiss  mein  nicht! 
Und  es  ist  halt  so  schwer  .  .  . 


6.  Bruchstück  eines  Franzosenliedes. 


l.  Die  Baiern  und  d'  Antn, 
Häbts  uns  a  alls  zämm  gstohln; 
Jetz  möcht  enk  der  Teufel 
Lebendig  glei  holn. 
Er  holet  enk  wohl, 
Aber  d'  HöU  wur  'n  z'  voll. 


2.  Es  häbts  enk  sogar 
Über  's  Heiligste  traut, 
Die  Tiirn  eingschlägn. 
Die  Fenster  einghaut, 
's  Ciborium  gstohln. 
Ist  wohl  des  a  Reschu  [Raison]? 
Koa  Türk  hatt's  nit  tu. 


7.  Soldatenleben. 

1.  Nur  kurz  und  gut  [will]  schweigen  still, 
Denn  ein  Soldat  muss  leiden  viel; 

Hitz  und  Kälte  muss  er  ertragen, 
Hunger,  Durst  und  andre  Plagen. 
Für  alles  das  und  noch  viel  mehr 
Gibt  der  Soldat  sein  Leben  her. 

2.  Des  Morgens  früh,  wenn  der  Tag  anbricht, 
Der  Korporal  in  das  Zimmer  tritt: 

'Guten  Morgen,  meine  Herrn, 
Auch  's  aller  beste  soll  ich  gebieten: 
Zieht  euch   nur  hübsch  und  sauber  an! 
Es   kommt  der  Herr  Hauptmann   heran'. 

3.  Des  Morgens  früh,   wenn  die  Sonn  aufgeht 
Und  der  Soldat  auf  dem  Exerzierplatz  steht, 

Da  heisst  es  bald  dies,  bald  jenes  putzen. 
Da  darf  er  ja  kein  Wort  nicht  trutzen; 
Trutzt  er  nur  ein  einzigs  Wort, 
So  heisst  es  gleich:    Marsch  mit  ihm  ins  Loch! 


1)  Vgl.  Erk-Böhme  2,  5S3  nr.  782  c:  'Morgen  will  mein  Schatz  abreisen'.  Köhler- 
Meier  nr.  173:  'Eine  Schwalbe  macht  noch  keinen  Sommer'.  Gassmann  nr.  88:  'Schenke 
mir  das  Angedenken'.     Heeger-Wüst,  Volkslieder  aus  der  Rheinpfalz  2,  221  nr.  3U. 


42  Dörler: 


4.  Der  Geldtag,  der  kommt  auch  herbei, 
Dort  soll  man  hören  das  Geschrei. 

Kaum  hat  man  das  Geld  empfangen, 

Kommt  der  "Wirt  schon   gleich  herbei, 

Und  die  Wäscherin  will  auch  bezahlt  sein. 

5.  Man  sieht  den  Feind  schon  aufmarschieren. 
Und  die  Soldaten  einquartieren. 

Mein  Bruder  ist  schon  lang  erschossen, 
Und  es  soll  auch  mein  Leben  kosten. 
Und  soll  ich  auch  mein  Leben  geben, 
So  freut  mich  doch  das  Soldatenleben. 
Gibt  es  wohl  ein  schönres  Leben 
Als  das  Soldatenleben? 

6.  In  dem  Soldatenstand 
Kann  man  vieles  erleben, 

Und  verlassen  muss  man  's  Vaterhaus. 
Fürsten,  Grafen,  grosse  Herren 
Müssen  jetzt  zur  Fahne  schwören. 
Ist  wohl  ein  Mensch  auf  dieser  Welt, 
Dem  dieses  Leben  nicht  gefallt? 

7.  Wenn  der  Soldat  muss  exerzieren 
Und  vor  der  Fahne  stehn. 

Da  kann  der  Bauer  fröhlich  leben, 

Mit  seinen  Kindern  spazieren  gehn. 

Wenn  die  Kanonen  krachen 

Und  uns  nach  dem  Leben  trachten, 

Da  sitzt  der, Bauer  zu  Haus 

Und   isst  sein   Fleisch  mit  grossem  Schmaus. 

8.  Hat  der  Feldzug  geendet   [schier]. 
Kehrt  der  Soldat  zurück  in   sein   Quartier; 
Da  hat  man   nichts  als   Elend  und  Not 
Und  auch  im  Hause  kein  bisschen  Brot. 
Man  sieht  ihn  viel  lieber  gehn 

Und  vor  dem   Feinde  im  Feuer  stehn. 
Einen  solchen  Dank  hat  der  Soldat, 
Der  für  sein  Vaterland  gestritten  hat! 

8.  Soldateuschicksal^). 

1.  Ihr  Herren  Kameraden,  wo  nehmt  ihr  das  Geld? 
Wir  müssen  marschieren  ins  weite  weite  Feld, 

Wir  müssen  marschieren  dem  Feind  entgegen. 
Damit  wir  können  den  Pass  ablegen. 

2.  Wo  sind  denn  unsere  Herrn  Offizier, 
Die  uns  das  Volk  zusammen  ranschier? 

Es  ranschiert  sich  ein  jeder  nach   seinem  Ort, 
Wir  müssen  marschieren,  wir  müssen  fort. 


1)  Vgl.  Köhler-Meier  nr.  -JS-J:    'Wir  tapfren  Soldaten'.     Erk-Böhme  3,  201    nr.  1317. 
Gassmaun  nr.  150. 


Volkslieder  aus  Tirol. 


43 


3.  Wir  haben  keine  Betstunden  angestellt, 
Es  betet  ein  jeder,  was  ihm  gefällt; 
Befehlen  wir  uns  alle  dem  lieben  Gott, 
Wir  müssen  marschieren,   wir  müssen  fort. 

4.  Und  als  das  Bataillen  vollendet  war 
Und  einer  den  andern  sterben  sah, 

Spricht  einer  zu  dem  andern:  'Ach  Jammer,  ach  Not, 
Mein  bester  Kamerad  ist  geschossen  tot!' 

5.  Wer  eine  Frau  bei  sich  will  haben. 

Der  darf  sich  ja  fürwahr  nicht  ins  Feld  hinaus  wagen. 
Er  darf  sich  ja  nicht  fürchten  vor  Pulver  oder  Blei, 
Dem  Kaiser  muss  er  dienen  beständig  getreu. 

9.  Trinklied. 


1.  Warum  sollt  i  denn  Durst  leiden? 
Da  war  i  a  Narr; 

Bin  i  lustig,  so  trink  i, 
Bin  i  traurig,  schon  gar. 

2.  Hab  zweierlei  Flaschn, 
Is  a  jede  von  Glas; 

Für  Freud  ane,  für  Leid  ane. 
Haltet  jede  a  Mass. 

3.  Steh  i  mit  mein  Diandl 
Bald  aso,  bald  aso. 


So  bleibt  mir  nix  übrig. 
Als  i  trink  alle  zwo. 

4.  Der  Mensch  hat  an  Geist, 
Hat  der  Schullehrer  gsagt; 
Und  dass  der  Wein  au  an  hat, 
Han  i  selber  derfragt. 

5.  Und  wenn  die  zwoa  raufn. 
Da  hats  fast  'n  Schein, 

Als  wenn  halt  der  Weingeist 
Tat  der  stärkere  sein. 


10.  Verschiedene  Getränke^). 


1.  Geahn  mer  nach  Boarn  naus! 
Do  ist  das  Bier  zu  Haus. 

Der  edle  Gerstensaft 

Der  macht  den  Gliedern  Kraft, 

Weil  er  im  Glas  so  schien  tut  wellen. 

Aber  nur  koa  Wasser  nit! 

Na,  na,  des  mag  i  nit; 

Mei  schwacher  Magn 

Kunns  nit  vertragn. 

2.  Geahn  mer  nach  Ungarn  nab! 
Do  ist  a  gueter  Schnaps, 

Der  edle  Rebensaft, 

Der  macht  den  Gliedern  Kraft, 

Weil  er  im  Glas  so  schien  tut  wellen. 

Aber  .  .  . 


3.  Geahn  mer  nach  Welschland  nein! 
Do  ist  a  gueter  Wein. 

Der  edle  Traubensaft 

Der  macht  den  Gliedern  Kraft, 

Weil  er  im  Glas  so  schien  tut  wellen. 

Aber  .  .  . 

4.  Jetzt  ist  der  Schnaps  gar. 
Jetzt  ist  das  Bier  gar, 

Und  der  Wein  tut  nicht  mehr  wellen. 
Aber  jetzt  ist's  Wasser  guet; 
Des  macht  an  frischn  Muet. 
Mei  Spitzbuebnmagn 
Kunn  alls  vertragn. 


1)  Ein  ähnliches  Lied  hörte  ich  vor  etwa  fünfzehn  Jahren  in  Goslar: 


1.  Getränke  gibt  es  mancherlei 
Hier  auf  der  weiten  Welt; 
S  gibt  Bier,  s  gibt  Wein,  Champagner  gar. 
Wer  dazu  hat  a  Geld. 
Und  alle  die  Getränke  die 


Sind  gut  für  meinen  Magen, 
Aber  nur  ka  Wasser  net, 
Na,  na,  das  mag  i  net; 
Mein  schwacher  Magen 
Kanus  nit  vertragen  usw. 


J.  B. 


44 


Dörler:    Volkslieder  aus  Tirol. 


11.  Der  Saufkumpan'). 

1.  Wo    tut    man  die    Säufer    be-  3.  Zun  Tischlarbuebn    hun    i's    schun 

graben?  gs^gt, 

Wo  tut  man  die  Vollsäufcr  hin?  Er  soll  mer  a  Trühal  [Sarg]  mächa, 

Ira  Himmel  hinein,  wo  St.  Peter  tut  sein,  Er  soll  mer  oans  macha  und  mala  glei  a 

Und  St.  Peter  brennt  Enzlbranntwein.  A  Glasl  auf  meiner  Truha. 

2.  Wo    tut    man    die    Säufer  be- 

graben? 
Wo  tut  man  die  Vollsäufer  hin? 
Hinunter  in  Keller,  wohl  unter  das  Pass, 
Da  hat  er  nit  z'  trocken  und   a  nit  z' 

nass. 

12.  Die  Besenbinder 


4.  Jetz  hun  i  mein  Schimmel  verkaft, 
's  Geld,  des  hun  i  versaft, 
Der  Wirt  mit  der  Kreida,    der    kunn   mi 

guet  leida, 
Der   weard's    wohl    auf   d'  Wand    aufi 
schrei  ba. 


1.  Der  Besenbinder  insgemein 
Ist  lustig  und  wohlauf; 

Wir  machen  uns  brav  Beselein, 
Ein  jeder  einen  kauft. 

2.  Die  Bauern  müessen  schinden. 
Es  weard  decht  koaner  alt; 


Und  i  geah  Besen  binden, 
Wells  mir  in  besten  gfallt. 

3.  Wenn  mi  die  Läuse  beissen, 
Ist  glei  a  Mittel  guet: 
's  Gwand  von  Leib  weckreissen 
Und  sengen  in  der  Gluet. 


13.  Krämerstandel. 

1.  Kommtnur  herzu  meinem  Standel,  Gute  Äpfel,  Mausfalla,  gutes  Bier, 

kauft  nur  ein  Gute  Birnen,  Zwiebel,  gute  Knobel 

Schöne  Waren,    Zuckerkanden,  hübsch  Und  dazu  ein  Rettighobel, 

und  fein.  Nudlabrett, 
Spiegelschnalla,  Bohnastecken,  ^    ^^^^^^^^  ^^^  Kanarienvögel, 

Leberwurst  und  Apfelkräten,  nllprhand 

Fmgerrmg!  Schöne  Waren,  Stiefelhölzer,  Silbersand, 

2.  Nadelbüchsle,     Makkaroni    auch  Gute  Tintel,  Rettigkörner, 

dabei,  Schöne  lange  Ochsenhörner, 

Schneidernadel,  Ziterone,  Zwetschkebrei,  Winterschuh. 

Vorhängring  und  Feuerblasen,  g^  ^^^^^^  ^^^^^^  ^^^^  ^^iber  hab  ichs 

Budelkappa,  Lederhosen,  l- 

Krautsalat,  Fuchsenbälge,  Brotreiber,    Kuchegeschirr, 

3.  Öl  und  Essig,  Pech  und  Spindel,  Feine  Handschuh,  Wassertöpfe, 

grüne  Klee,  Grosse,  kleine  Pfeifenköpfe, 

Eisendraht  und  Hammerschlag,  wie  auch  Schnupftabak. 


Kaffee, 
Salz  und  Honig,  Maltersäcke, 
Gute  feine  Schusterzwecke, 
Fetten  Speck, 

4.  Milchhäfe,  Butterballa,    Wage- 
schmier, 


7.  Wollt  ihr  da  noch  weiter  sehen,  liebe 

Leut, 
Kommt  nur  her  zu  meinem  Standel,  kauft 

nur  ein! 
Könnt  ihr  schon  nicht  gleich  bezahlen, 
Könnt  ihr  auf  die  Woche  sparen. 


(Fortsetzung  folgt.) 


1)  Vgl.  oben  15,  270  nr.  17.     Schlossar  S.  215,  Str.  1.  (i.  7, 
Heitere  Vg.  S.  90  nr.  55,  Str.  3.  4.  G.  8. 


Hruschka  S.26G.    Kohl, 


V.  Löwis:   Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  45 


Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus. 

Von  August  V.  Löwis. 


Der  Landstreicher  aus  dem  Fluss. 

Es  war  einmal  ein  mächtiger  Zar.  Nach  dem  Tode  seiner  Frau  und  der 
erwachsenen  Kinder  blieben  von  der  ganzen  Zarenfamilie  nur  er  und  seine  zwei 
unmündigen  Kinder,  Tochter  und  Sohn,  am  Leben.  Die  Leute  vom  Hofe  liebten 
den  Zaren  sehr  und  wollten  nach  seinem  Tode  das  Herrschergeschlecht  nicht  mit 
einem  anderen  vertauschen,  daher  regierten  sie  das  Reich  selbst  im  Gedenken  an 
ihn  und  im  Namen  der  unmündigen  Kinder.  So  wuchsen  Bruder  und  Schwester 
zusammen  auf,  geliebt  vom  Hofgesinde;  keinen  Augenblick  trennten  sie  sich,  sie 
assen,  tranken  und  schliefen  miteinander.  Am  Ende  verführte  der  Satan  sie  zur 
Sünde;  die  Schwester  ward  schwanger  und  gebar  einen  Sohn.  Als  sie  ihre  Ver- 
fehlung erkannt  hatten,  suchten  Bruder  und  Schwester  das  Kind  heimlich  zu 
verderben,  legten  es  in  einen  Kasten  und  warfen  es  in  einen  grossen  Fluss. 
Danach  wanderte  der  Bruder  zur  Busse  nach  Jerusalem,  die  Schwester  jedoch 
blieb  und  verwaltete  das  Reich;  der  Kasten  aber  mit  dem  Kinde  schw^amm  den 
Fluss  hinab,  bald  hier,  bald  dort  an  das  Ufer  stossend. 

Lange  trieb  der  Kasten,  und  endlich  in  fernem  Lande  geriet  er  in  die  Leit- 
rinne einer  Mühle,  und  die  Fahrt  fand  ihr  Ende.  Das  alles  begab  sich  zu  Anfang 
des  Frühlings.  Der  Müller  wollte  mit  seiner  Arbeit  beginnen  und  machte  sich 
daran,  die  Rinne  vom  Eise  zu  befreien,  da  erblickte  er  das  Kindlein.  Weil  er 
selbst  kinderlos  war,  begrüsste  er  den  Findling  mit  Freuden  und  nahm  ihn  an 
Sohnesstatt  bei  sich  auf.  Als  der  Knabe  heranwuchs,  geschah  es  ihm  oft  während 
des  Spiels  mit  Gefährten,  dass  er  von  ihnen  den  Namen  bekam:  „Der  Land- 
streicher aus  dem  Fluss!"  Das  betrübte  ihn,  und  er  fragte  den  Müller,  ob  er 
wirklich  sein  Sohn  wäre  oder,  wie  seine  Kameraden  sagten,  ein  vom  Wasser 
hergeführter  Findling.  Der  Müller  versicherte  ihm,  dass  er  wirklich  sein  Sohn, 
wäre;  weil  aber  der  Jüngling  oft  und  von  vielen  den  Namen  hörte,  lag  er  dem 
Müller  beständig  in  den  Ohren,  dass  er  ihm  die  "Wahrheit  sagen  möge.  Da  er- 
zählte der  Müller  seinem  Pflegekind,  wie  er  ihn  gefunden  und  in  seinem  Hause 
auferzogen  habe.  Als  er  die  Wahrheit  erfahren  hatte,  nahm  der  Pflegesohn 
Abschied  von  seinem  Erzieher  und  machte  sich  auf,  die  Welt  zu  durchwandern^ 
um  zu  erforschen,  welcher  Herkunft  er  sei. 

Lange  wanderte  unser  Fremdling  aus  dem  Fluss  durch  Dörfer,  Städte  und 
Länder  und  kam  endlich  in  die  Hauptstadt  eines  Zarenreichs,  das  von  einer  Frau 
regiert  wurde.  Der  Zarin  aber  war  es  schwer,  das  ganze  Reich  zu  verwalten^ 
und  als  das  Volk  dieses  bemerkte,  beschloss  es,  ihr  einen  Mann  und  sich  einen 
Zaren  zu  wählen.  Zu  diesem  Zweck  versammelten  sich  eines  Tages  alle  auf  dem 
Platz  der  Hauptstadt  und  bereiteten  die  Wahl  eines  Zaren  durch  das  Los  vor. 
Man  warf  das  Los.  Es  fiel  auf  den  Herumtreiber-Pflegesohn.  Mit  Fragen  nach 
seiner  Herkunft  und  Beschäftigung  bestürmt,  erzählte  das  Pflegekind  des  Müllers 
seine  Geschichte,  wodurch  er  die  Teilnahme  aller  Einwohner  hervorrief.  Allein 
ungeachtet  aller  seiner  Vorzüge  und  seines  Verstandes    entschied    das  Volk  doch^ 


46  V.  Löwis: 

dass  der  heimatlose  Landstreicher  weder  den  Thron  einnehmen,  noch  in  die 
Gemeinschaft  [des  Volkes]  aufgenommen  werden  könnte,  und  darum  erklärte 
man  das  Los  für  ungültig.  Den  Pflegling  des  Müllers  entfernte  man  vom 
Platz  und  warf  das  Los  von  neuem.  Das  Los  aber  ging  verloren  und  fiel  auf 
keinen;  dasselbe  wiederholte  sich  ein  drittes  und  viertes  Mal;  die  Lose  gingen 
abhanden.  Da  beschloss  das  Volk,  den  Pflegesohn  in  seine  Mitte  aufzunehmen  und 
das  Los  noch  einmal  zu  werfen.  Der  Fremdling  aus  dem  Fluss  w^urde  auf  den 
Platz  gerufen,  und  das  Los  fiel  abermals  auf  ihn.  Voll  Erstaunen  über  das  Vor- 
gefallene, entschied  das  Volk,  dass  diese  Wahl  Gott  wohlgefällig  wäre,  rief  den 
Patriarchen  und  die  Geistlichkeit  und  vollzog  am  Herumtreiber  die  Krönungs- 
weihe. Der  neue  Zar  war  sehr  menschenfreundlich  und  mühte  sich  auf  jede 
Weise  um  das  Wohlergehen  seiner  Untertanen,  die  ihn  liebten  und  seinen  Ruhm 
in  allen  Landen  verkündeten.  Der  Zar  und  die  Zarin  liebten  einander  sehr,  sie 
lebten  froh  und  glücklich  und  hatten  zwei  Kinder.  Doch  ward  der  Zar  einst- 
mals gewahr,  dass  die  Zarin  aus  einer  Truhe  ein  Papier  hervorholte  und  beim 
Lesen  bitterlich  weinte.  Der  Zar  ward  darauf  aufmerksam,  und  er  ging  seine 
Frau  mit  Fragen  an  über  das  Gesehene.  Die  Zarin  weigerte  sich  und  sagte,  sie 
habe  in  keinem  Papier  gelesen  und  habe  nicht  geweint.  Da  begann  der  Zar  noch 
hartnäckiger  die  Zarin  auszufragen,  und  als  er  nichts  erreichte,  forderte  er  von 
ihr  den  Schlüssel  zur  Truhe.  Darauf  erwiderte  die  Zarin,  dass  sie  den  Schlüssel 
verloren  habe.  Nun  Hess  der  Zar  das  Schloss  aufbrechen,  und  als  er  die  Truhe 
geöffnet  hatte,  las  er  das  Papier,  in  dem  ausführlich  berichtet  war  über  die  Sünde 
des  Bruders  mit  der  Schwester  und  folglich  über  seine  eigene  Herkunft,  davon, 
wie  er  geboren  und  in  einen  Kasten  in  den  Fluss  geworfen  worden  war  .  .  .  Da 
erfuhr  der  Zar  und  die  Zarin,   in  welchem  Verhältnis  sie  zueinander  standen  .  .  . 

„Obwohl  die  Sünde  nicht  durch  unsere  Schuld  entstanden  ist,  dennoch  ist  es 
eine  Sünde,  und  ich  werfe  das  Zarentum  von  mir  ab  und  gehe  Ihn  um  Ver- 
gebung der  Sünde  anflehen,  so  lange  es  noch  nicht  zu  spät  ist;  du  aber  tue,  was 
dir  gut  dünkt!"  sagte  der  Sohn-Zar.  Und  als  er  sich  alte  Bettlerkleider  und 
-schuhe  verschafft  hatte,  machte  er  sich  auf  den  Weg,  ohne  darauf  zu  achten, 
dass  es  Winter  war. 

Lange  war  unser  Landstreicher  gewandert  und  hatte  seine  Pussbekleidung 
abgenützt,  da  gelangte  er  einst  in  der  Nacht  in  eine  ungeheure  Steppe.  Der 
Himmel  war  wolkenlos  und  schimmerte  voller  Sterne;  in  der  Ferne  aber  sah  der 
Wanderer  dichten  Nebel  und  ging  auf  ihn  zu.  Als  er  nahe  herangekommen  war, 
erblickte  er  ein  reiches  Haus,  das  am  Meeresufer  stand.  Vom  kalten  Wind 
durchschauert,  hungrig,  mit  zerrissenen  wunden  Füssen  und  von  der  mühseligen 
Wanderung  völlig  erschöpft,  lehnte  sich  der  Arme  mit  dem  Rücken  an  die  Wand, 
entfernt  von  der  Haustür,  und  wartete,  ob  nicht  jemand  herauskommen  würde,  um 
sodann  ein  Nachtlager  zu  erbitten.  Nach  einigen  Minuten  öffnete  sich  die  Tür, 
ein  Diener  warf  Unrat  heraus,  schloss  aber  sogleich  wieder  die  Tür,  weil  der 
Wind  ausserordentlich  stark  war.  Der  unglückliche  Wanderer  rief  dem  Diener 
zu,  dass  er  ihn  für  die  Nacht  einlassen  möge,  jener  aber  hatte  wegen  des 
Brausens  die  Worte  nicht  verstanden  und  berichtete  nur  dem  Hausherrn,  dass  er 
vor  der  Tür,  wenn  nicht  eine  menschliche,  so  doch  irgend  eine  andere  Stimme 
gehört  habe.  Der  Hausherr,  ein  Unglück  befürchtend,  sagte,  dass  die  vernommene 
Stimme  nicht  einem  Menschen  zugehören  könne,  der  Obdach  suche,  und  befahl 
darum  dem  Diener,  die  Tür  nicht  zu  öffnen,  aus  Furcht,  dass  Räuber  das  Haus 
überfallen  könnten,  um  so  mehr,  als  es  ganz  einsam  am  Meeresufer  stand.  (Der 
Hausherr    war   vom  Zaren  bestimmt,    auf   die  Schiffe    und  den  Fischfang  acht  zu 


Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  47 

geben,  und  musste  daher  am  Meeresstrand  leben.)  Der  Diener  aber,  der  sich  bei 
den  AVorten  des  Herrn  nicht  beruhigte,  ging  wiederum  zur  Tür,  begann  zu 
horchen  und  leise  zu  klopfen.  „Barmherziger  Mensch,  rette  mich!  Ich  komme 
um,"  glaubte  der  Diener  zu  hören;  da  ging  er  zum  zweitenmal  zum  Hausherrn 
und  erzählte,  was  er  gehört  hatte.  Jetzt  befahl  der  Herr  dem  Diener,  zusammen 
mit  noch  einem  von  den  anderen  hinauszugehen  und  zu  erfahren,  ob  dort  wirklich 
nur  ein  Mensch  und  nicht  viele  seien,  und  wenn  es  einer  wäre,  ihn  in  das  Haus 
zu  führen.  Die  Diener  taten  also,  und  der  Bettler  wurde  zum  Herrn  geführt. 
Im  Gespräch  mit  dem  Wanderer  fand  der  Herr  in  ihm  viel  edlen  Sinn  und  Ver- 
stand, trotzdem  dass  er  barfuss  und  in  Lumpen  gehüllt  war,  und  erfuhr  aus  der 
Erzählung  sein  ganzes  trauriges  Leben.  Alsdann  fragte  der  Gast  den  Hausherrn, 
ob  er  nicht  irgendwo  im  Meer  ein  Inselchen  wüsste,  auf  dem  er  sich  niederlassen 
und  die  Zeit  in  Gebet  und  Busse  verbringen  könnte.  Der  Herr  versprach,  ihn 
auf  eine  solche  Insel  zu  führen,  zunächst  aber  reichte  er  ihm  andere  Kleidung  und 
Schuhwerk  und  gab  ihm  Obdach  für  mehrere  Tage;  danach  befahl  er,  ein 
Schiff  mit  Mundvorrat  zu  füllen,  und  fuhr  mit  seinem  Gast  auf  dem  Schiff  zu 
jener  Insel,  von  der  er  unserem  Landstreicher  aus  dem  Fluss  erzählt  hatte.  Auf 
der  Insel  angelangt,  stieg  der  Herr  mit  seinem  Gast  ganz  allein  ans  Ufer  und 
ging  zu  einer  Höhle,  wo  unser  Wanderer  den  Hausherrn  zu  bitten  begann,  er 
möge  ihn  in  Ketten  schmieden,  den  Schlüssel  aber  in  das  Meer  werfen.  Als  der 
Herr  seine  Bitte  erfüllt  hatte,  sagte  der  unglückliche  Landstreicher,  dass  ihm  von 
dem  Augenblick  an  seine  Sünden  vergeben  sein  würden,  wo  der  Schlüssel  an  die 
Oberfläche  des  Meeres  emporsteigen  werde.  Der  Hausherr  hinterliess  in  der 
Höhle  die  notwendigsten  Vorräte,  verabschiedete  sich  von  dem  Ärmsten  und  fuhr 
auf  dem  Schiffe  heim  .  .  . 

Es  verstrichen  seitdem  viele  Jahre,  und  vieles  hatte  sich  auf  der  Erde  ge- 
ändert, und  vieles  war  vergessen;  vergessen  war  auch  unser  Einsiedler.  Da  starb 
aber  in  einem  Lande  der  Katholikos;  das  Volk  und  angesehene  Leute  suchten 
einen  würdigen  Nachfolger  und  konnten  nirgend  einen  solchen  finden.  Da  be- 
schloss  man,  das  Los  nach  allen  vier  Richtungen  zu  werfen,  zu  dem  Zweck,  um 
von  dort  her  den  neuen  Katholikos  zu  erwählen,  wohin  das  Los  fallen  würde. 
Das  Los  wurde  geworfen,  verschwand  aber;  es  fiel  auf  keine  der  vier  Seiten;  das 
gleiche  wiederholte  sich  ein  zweites  und  drittes  Mal.  Nun  beschloss  man,  das 
Los  so  zu  werfen,  dass  man  erfahren  könnte,  ob  der  neue  Katholikos  auf  dem 
Pestlande  oder  im  Meere  zu  suchen  sei;  das  Los  wies  auf  das  Meer  hin.  Das 
Volk  wählte  zwölf  weltliche  und  zwölf  geistliche  angesehene  Leute  und  sandte  sie 
aus,  den  neuen  Katholikos  in  allen  Ländern  zu  suchen.  Die  Erwählten  kamen 
auf  ihrer  Wanderung  auch  zu  jenem  Menschen,  der  den  Einsiedler  auf  die  Insel 
geführt  hatte,  und  sprachen  zu  ihm:  „Dir  sind  die  Meere  wohlvertraut.  Weisst  Du 
nicht  eine  Insel,  auf  der  ein  Mensch  lebt,  der  würdig  wäre,  den  Stuhl  des 
Katholikos  einzunehmen?"  Jener  entsann  sich  des  Einsiedlers,  den  er  auf  die  Insel 
geführt  hatte,  und  sagte:  „Vor  vielen,  vielen  Jahren  kam  zu  uns  ein  würdiger 
Mann,  dem  Aussehen  nach  ein  Bettler,  der  bat  mich,  ihn  auf  irgend  eine  Insel 
zu  fahren,  damit  er  dort  in  der  Einsamkeit  zu  Gott  beten  könne:  doch  weiss  ich 
nicht,  ob  er  noch  lebt  oder  nicht."  Darauf  schlug  er  in  seinem  Gedeukbuch  nach, 
wo  er  dieses  ungewöhnliche  Vorkommnis  vermerkt  hatte,  und  sagte,  dass  seit  der 
Zeit  bereits  .32  Jahre  verflossen  wären.  Dessenungeachtet  beschlossen  die  Er- 
wählten, sich  aufzumachen  und  den  Einsiedler  anzusehen;  sie  baten  ihren  Haus- 
herrn, sie  auf  die  Insel  zu  fahren  und  ihnen  den  Einsiedler  zu  zeigen.  Auf  der 
Insel  angekommen,    befahl    der  Herr  einem  Diener,    Fische  zu  fangen    und    einen 


48  V.  Löwis: 

Imbiss  zu  bereiten.  Er  selbst  aber  ging  mit  den  Erwählten  zur  Höhle,  wo  er  zu 
seinem  Erstaunen  den  betenden  Alten  und  die  Vorräte  erblickte,  die  jener  völlig 
unberührt  gelassen  hatte.  Als  der  Alte  den  gewahr  ward,  der  ihn  einst  be- 
herbergt hatte,  freute  er  sich,  umarmte  und  küsste  ihn;  die  Erwählten  aber  küssteu 
dem  Alten  die  Hände  und  eröffneten  ihm  den  Zweck  ihres  Kommens.  In  diesem 
Augenblick  kam  einer  von  den  Dienern  des  Strandaufsehers,  übergab  ihm  einen 
Schlüssel  und  sagte,  noch  von  Zweifeln  erfüllt,  dass  er  diesen  Schlüssel  im  Bauche 
eines  gefangenen  Fisches  gefunden  habe.  Da  rief  der  Alte  aus:  „Gott  hat  mir 
meine  Sünden  vergeben.  Führet  mich,  wohin  ihr  wollt!"  Es  war  der  Schlüssel, 
mit  dem  die  Ketten  des  Einsiedlers  verschlossen  worden  waren  und  der  hernach 
ins  Meer  geworfen  wurde.  Darauf  nahmen  die  Erwählten  den  Alten  mit  sich, 
und  er  wurde  unter  grossen  Feierlichkeiten  zum  Ratholikos  gewählt. 

Er  war  ein  gottesfürchtiger  Katholikos;  die  Leute  kamen  aus  verschiedenen 
Ländern  in  grosser  Anzahl  zu  ihm,  um  seine  Predigten  anzuhören  und  Trost  von 
ihm  zu  empfangen.  Die  Zarin,  die  seine  Mutter  und  Frau  gewesen  war,  kam 
ebenfalls  zu  ihm  in  der  Hoffnung  auf  Vergebung  ihrer  Sünden,  und  er,  ohne  sich 
merken  zu  lassen,  dass  er  sie  kenne,  erliess  ihr  die  Sünden. 


Es  ist  die  Gregoriuslegende,  die  'Geschiclite  vom  guten  Sünder', 
die  hier  in  neuer  Einkleidung  erscheint  und,  soweit  mir  bekannt,  die 
einzige  aus  Transkaukasien  stammende  Variante  ist.  Aufgezeichnet  ist  sie 
in  der  Kolonie  'Bajan'  (im  Kreis  Jelissavetpol,  der  hauptsächlich  von  Tartaren 
und  Armeniern  bewohnt  wird)  durch  den  Böttchermeister  an  der  Michailov- 
schen  professionellen  [wohl  Handwerk-]  Schule  genannter  Ansiedluug 
P.  Tonijev  und  veröffentlicht  als  erstes  von  vier  Märchen^)  in  russischer 
Sprache  im  Sbornik  mater.  dl'a  opis.  mestn.  i  plem.  Kavk.  9,  2.  Teil, 
S.  184—189  (Tiflis  1890).  Leider  fehlen  die  Angaben,  wann  die  Auf- 
zeichnung erfolgt  ist  und  welcher  Nationalität  der  Betreffende  (ein 
Schüler?)  war,  von  dem  T.  die  Geschichte  gehört  hat.  Es  lässt  sich  nur 
die  Vermutung  aufstellen,  dass  die  Aufzeichnung  in  der  vorlieg^enden  Form 
von  einem  armenischen  Erzähler  stammt,  denn  es  wird  (statt  des 
Papstes  in  den  Gesta  Romanorum)  hier  der  Katholikos  eingeführt,  eine 
Bezeichnung,  die  dem  Patriarchen  von  Etschmiadsin,  dem  Oberhaupte  der 
schismatischen  armenischen  Kirche  als  Ehrentitel  gebührt;  erwähnt  wird 
einmal  auch  ein  Patriarch  (oben  S.  46),  der  den  Heimatlosen  zum  Zaren 
krönt. 

Ein  Vergleich    mit    den    übrigen  Fassungen    und    Bearbeitungen    der 


1)  Nr.  2  'Der  Kuhsohn',  vgl.  Afanas'ev,  Nar.  russk.  skazki"  Nr.  76  =  A.  Meyer, 
Russ.  Volksmärchen  1905  Nr.  27.  Sbornik  mater.  Kavk.  7,  1,  128—141.  —  Nr.  3  'Der  dank- 
bare Tote',  vgl.  R.  Köhler,  Kleinere  Schriften  1,  Register  unter  'Toter  dankbar',  und  die 
'Belebung  der  Holzfigur',  Benfey,  Pantsch.  1,  489ff.;  v.  d.  Leyen,  Indische  Märchen,  Anm. 
zu  Nr.  5.  —  Nr.  4  'Gute  Ratschläge  kaufen',  vgl.  Sborn,  sväd.  o  Kavk.  gorcach  5,  1,  3, 
77—78.  Etnograf.  Obozrenije  15,  1,  98£f.  Nr.  1  (kirgis.)  Sborn.  mater.  Kavk.  18,  3, 
104— lOG  (griecb.)  u.  9,  2,  171— 174  (imerot.)  Afanas'ev,  Nar.  russk.  skazki»2,  292,  Gesta 
Rom.  c.  103.     Seiler,  Ruodlieb  1882  S.  45. 


Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  49 

Legeude  aus  mündlichen  und  literarischen  Quellen^)  zeigt,  dass  die  vor- 
liegende Erzählung  der  erweiterten  Prosabearbeitung  in  den  Gesta 
Romanorum  Kap.  81  ^)  am  nächsten  steht  und  mit  ihr  in  den  wesentlichsten 
Punkten  übereinstimmt.  Die  Abweichungen  betreifen  weniger  das  sach- 
liche Detail  und  die  Motive,  als  den  Rahmen  im  weitesten  Sinne  und  die 
besondere  Abtönung  und  ümfärbung  der  kaukasisphen  Erzählung.  Die 
Eigenart  dieser  Veränderungen  festzustellen  und  zu  erklären,  ist  der  Zweck 
dieser  Abhandlung  und  soll  im  folgenden  versucht  werden.  Auf  welchem 
Wege  der  Stoff  in  den  Kaukasus  eingeführt  worden  ist,  lässt  sich  nicht 
bestimmen.  Aus  dem  Norden,  etwa  durch  russische  Vermittlung  ist  er 
jedenfalls  nicht  in  den  Kaukasus  gelangt;  denn  die  bekannt  gewordenen 
russischen  Varianten,  die  zum  Teil  ebenfalls  mit  Sicherheit  auf  die  Gesta 
zurückzuführen  sind,  weichen  sehr  stark  von  der  kaukasischen  ab^). 
Wahrscheinlicher  ist  es,  dass  die  Legende,  deren  Urheimat  zwar  nicht  be- 
kannt ist*),  aber  doch  wohl  an  den  Gestaden  des  Mittelmeeres  gesucht 
werden  muss,  aus  dem  Westen  über  Klein-Asien  oder  das  Schwarze  Meer 
in  den  Kaukasus  gelangt  ist,  wobei  an  die  Vermittlung  durch  armenische 
Kaufleute  gedacht  werden  darf.  Eine  Untersuchung  über  die  Art  der 
Umbildung  der  kaukasischen  Aufzeichnung  muss,  wie  schon  angedeutet 
wurde,  nicht  nur  die  Abweichungen  in  den  sachlichen  Einzelheiten  und 
etwaige  Lücken  festzustellen  suchen,  sondern  hat  vor  allem  auch  auf  die 
innere  Entwicklung  der  Fabel,  auf  die  Bedeutungsnuancen  der  Motive  in 
der  Handlung  und  die  Übergänge,  soweit  sie  für  die  innere  Form  des 
Ganzen  in  Betracht  kommen,  zu  achten. 

Die  Gesta  erzählen  in  der  langen  Vorgeschichte  von  einem  klugen 
Könige  Marcus,  der  in  hohem  Alter  kurz  vor  seinem  Ende  auf  dem 
Krankenbette  für  die  Nachfolge  seines  Sohnes  und  das  Schicksal  seiner 
Tochter  Sorge  trägt.  —  Die  kaukasische  Variante  beginnt  dagegen  mit 
der  alten  Eingangsformel  des  Märche?is  „Es  war  einmaP)  ein  mächtio-er 
Zar"  und  weiss  den  Namen  des  Herrschers  nicht  mehr  zu  nennen.  Die 
Bezeichnung  'Zar'  ist  hier  keinesfalls  auffällig,  denn  für  einen  unter 
russischer  Oberherrschaft  lebenden  Armenier  ist  natürlich  der  Zar  die  In- 


1)  Vgl.  Hermann  Pauls  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  von  Hartmanns  Gregorius 
3.  Aufl.  Halle  190(;.  [R.  Köhler,  Kl.  Schriften  2,  173.  Klapper,  Mitt.  der  schles.  Ges.  f. 
Volkskunde  20,  22.  Rona-Sklarek,  Ungar.  Volksmärchen  2,  261)  nr.  28.  Strauss,  Bulgar. 
Volksdichtungen  1895  S.  218.  504.  Hemacandras  Pari.sistaparvan,  deutsch  von  Hertel  1908, 
S.  68.  228.  Journal  of  american  folklore  20,  112.] 

2;  Oesterley  S.  399  -  408. 

3)  Vgl.  Diederichs,  Russ.  Revue  17,  n9ff. 

4)  Ihre  Verwandtschaft  mit  der  Oedipussage  wird  bezweifelt  von  Seelisch,  Zeitschr. 
für  deutsche  Philol.  19,  385  und  E.  Müller,  Archiv  f.  Relig.-\Yiss.  3,  242f.  (1900).  bejaht  zu- 
letzt von  Paul  S.  VII. 

5)  Russisch:  zil,  byl. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  1.  4 


50  V.  Löwis: 

karnation  des  höchsten  Machthabers.  Übrigens  haben  auch  die  Gesta 
zweimal  'imperator'  neben  'rex'  in  allen  übrigen  Fällen i).  Die  Kinder 
lässt  die  kaukasische  Fassung  noch  unmündig  sein,  der  Grund  ist  nicht 
recht  klar,  und  braucht  deswegen  eine  Regentschaft  für  sie. 

Es  folgen  in  den  Gesta  die  Beschreibung  des  innigen  Zusammen- 
lebens von  Bruder  und  Schwester,  ihres  Fehltritts  und  dessen  Folgen  in 
breiter,  detailreicher  Ausführung,  wobei  besonderes  Gewicht  auf  die  Zer- 
knirschung der  Sünder  und  ihr  Verlangen  nach  Busse  und  Vergebung  ge- 
legt wird.  —  Die  kaukasische  Erzählung  weiss  von  letzterem  nichts,  sie 
berichtet  knapp  über  das  gemeinsame  Leben  und  den  Fall  der  beiden, 
den  sie  dem  Einfluss  des  Teufels  zuschreibt,  und  der  die  Geburt  eines 
Sohnes  zur  Folge  hat.  Getilgt  ist  also  das  Tendenziöse  in  der  lateinischen 
Fassung,  alle  dick  unterstrichene  Moral,  aber  zugleich  auch  das  Brutale 
und  Austössige  in  der  Verführungsgeschichte.  Mit  schlichten,  naiven 
Worten  gleitet  die  Erzählung  über  den  heikelsten  Punkt  hinweg:  „Der 
Satan  verführte  sie  zur  Sünde".  Die  Plastik  der  Charakterisierung  hat 
dadurch  unzweifelhaft  Schaden  erlittten,  die  handelnden  Personen,  der 
königliche  Rohling  und  die  schutzlose  vergewaltigte  fromme  Prinzessin, 
die  sich  vergebens  müht,  ihren  Bruder  von  dem  Verbrechen  zurück- 
zuhalten, sie  sind  in  der  vorliegenden  Fassung  nicht  mehr  wiederzufinden; 
lediglich  die  nackten  Tatsachen  werden  berichtet,  und  mit  eiligen  Schritten 
hastet  die  Vorgeschichte  ihrem  Ende  zu.  Nichts  weiss  sie  von  dem  alten 
Ritter,  dessen  Rat  eingeholt  wird  und  der  recht  salbungsvoll  zu  reden 
weiss,  er  ist  entbehrlich,  eine  Nebenfigur,  deren  Streichung  den  Fortgang 
der  Handlung  nur  beschleunigt  und  eine  gewisse  Ökonomie  der  Mittel 
verrät.  —  Die  Geburt  und  Aussetzung  des  Kindes,  in  der  lateinischen 
Fassung  mit  zahlreichen  Details  ausgestattet,  die  wiederum  viel  zur 
Charakterisierung  der  handelnden  Personen  beitragen,  werden  in  der  kau- 
kasischen Erzählung  mit  wenigen  Worten  abgetan.  Es  ist  aber  ein  Zug 
zwanglos  eingeführt,  der  beachtenswert  erscheint.  Es  heisst  nämlich: 
„Sie  suchten  das  Kind  heimlich  zu  verderben,"  um  ihre  Schande  nicht 
offenbar  werden  zu  lassen  und  jede  Spur  des  Verbrechens  zu  tilgen. 
Bruder  und  Schwester  sind  hier  die  feindlichen  Mächte,  die  den  Helden 
zu  verderben  trachten,  und  erweisen  sich  somit  als  echte  Gegenspieler 
gegenüber  dem  Helden  der  Erzählung,  und  zwar  in  absichtlich  gesteigertem, 
weit  höherem  Masse  als  in  den  Gesta,  wo  sie  kaum  noch  als  solche  gelten 
können;  denn  hier  wird  gerade  die  Fürsorge,  mit  der  die  Mutter  auf  das 
Wohl  ihres  Sohnes  bedacht  ist,  um  die  ihm  drohenden  Gefahren  zu 
mildern,  noch  besonders  hervorgehoben.  Das  Schicksal  des  Bruders,  sein 
Tod  im  heiligen  Lande  und  die  Leiden  der  Schwester  sind  breit  in  den 
Gesta  geschildert,  die  kaukasische  Überlieferung  weiss  nur  noch,  dass  der 


1)  Oesterley  S.  399,  33  und  404,  5. 


Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  51 

Sünder  nach  Jerusalem  gewandert  ist,  um  Vergebung  zu  erlangen,  vergisst 
ihn  dann  vollständig  und  wendet  sich  nun  zu  den  Erlebnissen  des  Helden. 
Die  Gesta  führen  gleich  hier  die  Geschichte  der  Schwester  bis  zu  dem 
Punkte  fort,  wo  sie,  bedrängt  von  einem  abgewiesenen  Freier,  in  eine 
wohlgeschützte  Stadt  flüchtet  und  dort  viele  Jahre  verweilt.  Die  kaukasische 
Fassung  kennt  diesen  entbehrlichen  Einschub  nicht  und  motiviert  an 
späterer  Stelle  die  Notwendigkeit  der  Wahl  eines  männlichen  Herrschers 
ganz  schlicht  durch  die  schwachen  Kräfte  eines  Weibes.  —  Weiterhin 
folgt  in  den  Gesta  der  Bericht  über  die  Auffindung  des  Kindes  durch  den 
Abt,  die  Taufe  und  das  Heranwachsen  des  Knaben  als  Pflegesohn  eines 
Fischers.  In  der  kaukasischen  Erzählung  schwimmt  der  Kasten  den  Fluss 
hinab  und  wird  daher  von  einem  Müller  gefunden,  der  den  Knaben  auf- 
zieht. Eine  Taufe  wird  nicht  erwähnt  und  ist  vollkommen  überflüssig, 
weil  auch  später  der  Name  des  Knaben  nie  genannt  wird.  Darin  zeio-t 
sich  wiederum  die  Tilgung  eines  Zuges,  der  in  einer  christlich-kirchlichen 
Fassung  nicht  gut  übergangen  werden  durfte.  Noch  weniger  aber  hätten 
Abt,  Kloster  und  die  Erziehung  der  Mönche  in  das  Milieu  der  kaukasischen 
Variante  gepasst,  jene  werden  denn  auch  durch  den  Müller  ersetzt,  und 
wiederum  ist  hierbei  die  Zahl  der  Nebenfiguren  gekürzt.  Hinzugefügt  ist 
nur  einiges  Detail  bei  der  Auffindung  des  Kindes  (Frühjahr,  Leitrinne), 
das  ohne  Schaden  für  die  Handlung  entbehrt  werden  könnte.  —  Das  Spiel 
des  Helden  mit  seinen  Gefährten  gehört  beiden  Fassungen  an,  ist  detail- 
reicber  natürlich  in  den  Gesta,  doch  hat  es  voneinander  abweichende 
Folgen,  deren  Wurzeln  zum  Teil  in  der  Vorgeschichte  liegen.  Das  Weib 
des  Fischers  in  den  Gesta  ist  hart  gegen  den  Pflegesohn  und  nimmt  kein 
Blatt  vor  den  Mund,  der  Müller  in  der  kaukasischen  Fassung  scheut  da- 
gegen auch  die  Lüge  nicht,  um  den  geliebten  Pflegesohn  bei  sich  behalten 
zu  können.  Hier  ist  ein  Gegensatz  zu  den  feindlich  gesinnten  Eltern  zu 
zeichnen  versucht:  der  Müller  ist  der  treue  Berater  und  väterliche  Freund 
des  Helden  und  zeigt  somit  Ansätze  zu  dem  Typus,  den  wir  in  seiner 
schönsten  Vollendung  aus  dem  Märchen  'Der  getreue  Johannes'  kennen 
und  der  auch  im  Kaukasus  nicht  unbekannt  ist*).  —  In  den  Gesta  erfährt 
schliesslich  der  Knabe  von  der  Frau  des  Fischers  die  Geschichte  seiner 
Geburt,  was  ihn  veranlasst,  in  das  heilige  Land  zu  reisen,  der  'Land- 
streicher' aber  hört  von  seinem  Pflegvater  nur,  dass  er  ein  Findling  ist,  er 
will  die  Welt  durchstreifen,  um  durch  Zufall  oder  Glück  hinter  das  Ge- 
heimnis seiner  Geburt  zu  kommen.  So  wandert  er  nun  wie  ein  echter 
Märchenheld  durch  Städte  und  Länder,  bis  ihn  das  blind  wählende  Schicksal 
auf  den  Zarenthron  und  an  die  Seite  seiner  Mutter  setzt,  nachdem  das  Los 
in  so  wunderbarer  Weise  für  ihn  entschieden  hat.    —    Die  Abweichung-en 


1)  Vgl.  Sbornik  mater.  Kavk.  9,  2,  75—83  (tatar.)    Slawische  Varianten  bei  Afanas'ev, 
Nar.  russk.  skazki  ^  i,  224  ff.  229. 

4* 


52 


V.  Löwis; 


von  den  Gesta  sind,  wie  man  sieht,  recht  stark;  denn  hier  ist  es  der  Ritter 
Gregorius,  der,  seinen  Pflichten  gehorchend,  der  bedrängten  Königin  bei- 
steht und  durch  heldenhafte  Taten  ihre  Hand  gewinnt.  Wiederum  sind 
zahlreiche  Nebenpersonen  und  Episoden  in  der  Variante  fortgefallen,  auf- 
genommen sind  der  Patriarch  (der  in  Armenien  eine  grosse  Rolle  spielt) 
und  die  Geistlichkeit,  ferner  der  Zug  von  dem  menschenfreundlichen 
Regiment  des  Herrschers  und  der  Kindersegen,  der  Sohn  und  Mutter  be- 
schieden ist;  das  sind  jedoch  verschwindend  wenige  Einzelheiten  neben 
der  langatmigen,  mit  Nebensächlichem  überladenen  Erzählung  in  den 
Gesta.  Die  Geburt  zweier  Kinder  ist  übrigens  auch  nicht  ungeschickt 
eingefügt,  denn  dieser  Zug  ist  wohl  geeignet,  die  Vorstellung  von  dem 
Glück  und  der  innigen,  obwohl  widernatürlichen  Liebe  der  Gatten  zu  ver- 
tiefen und  eindrucksvoller  zu  gestalten.  Abweichend  ist  weiterhin  die 
Entdeckung  des  verwandtschaftlichen  Verhältnisses  geschildert;  die  Zarin 
besitzt  eine  Aufzeichnung  über  ihren  Fehltritt,  die  der  Gatte  findet.  Eine 
naive  und  recht  unbeholfene  Motivierung,  die  von  der  Verlegenheit,  den 
Konflikt  zu  lösen,  diktiert  ist.  Das  Vergessen  der  dem  Kinde  mitgegebenen 
Tafel  rächt  sich  nun  auf  diese  Weise.  —  In  der  lateinischen  Fassung  er- 
folgt die  Enthüllung  durch  jene  Tafel,  die  die  Königin  in  dem  Gemach 
findet,  das  ihr  Gemahl  täglich,  sich  unbemerkt  glaubend,  aufsucht.  Stark 
gekürzt  sind  in  der  kaukasischen  Erzählung  wiederum  alle  grellen  Ver- 
zweiflungsausdrücke, auf  denen  die  Gesta  eingehend  verweilt,  und  eine 
Nebenperson  (die  Dienerin  in  den  Gesta)  ist  gestrichen. 

Der  folgende  Teil  wird  in  den  Gesta,  worauf  Seelisch,  ZfdPh.  19,  401 
aufmerksam  macht,  auffallend  eilig  abgetan,  so  dass  ein  kleiner  Zug 
—  Gregorius  vergisst  seine  Brieftafel  im  Hause  des  Fischers  —  im  weiteren 
Verlauf  der  Erzählung  gar  nicht  mehr  aufgenommen  wird.  Gregorius  ge- 
langt zu  dem  Hause  eines  Fischers,  der  ihm  mit  Misstrauen  begegnet, 
weil  die  vornehme  Haltung  nicht  im  Einklang  mit  der  ärmlichen  Kleidung 
des  Reisenden  steht.  Auf  Fürsprache  seiner  Frau  lässt  jedoch  der  Fischer 
den  Fremdling  in  sein  Haus,  und  auf  seine  Veranlassung  hin  begibt  sich 
Gregorius  auf  den  einsamen  Felsen  im  Meer,  wo  er  sich  fesseln  lässt  und 
17  Jahre  in  Busse  verharrt.  —  Die  kaukasische  Fassung  legt  grossen  Wert 
auf  die  Schilderung  aller  Mühen,  die  der  arme  Wanderer  in  eisiger  Winter- 
zeit zu  erdulden  hat,  und  auf  das  lange  vergebliche  Warten  vor  der  Haus- 
tür des  Aufsehers.  Hier  ist  die  Erzählung  weit  detailreicher  als  in  den 
Gesta,  und  einige  Abweichungen  machen  es  wahrscheinlich,  dass  diese 
nicht  als  direkte  Quelle  der  kaukasischen  Variante  angesehen  werden  darf, 
denn  statt  des  Fischers  erscheint  ein  Beamter  des  Zaren  und  statt  der 
Fischersfrau  ein  Diener,  vor  allem  aber  zieht  sich  der  Held  auf  seinen 
eigenen  Wunsch  hin  auf  den  Felsen  zurück,  und  dieser  Zug  kann  leicht 
der  ursprünglichste  gewesen  sein,  weil  er  sich  vollkommen  organisch  aus 
dem  Wunsche  des  Helden  ergibt,    sein  Leben    der  Sülme    und  Busse    zu 


Eiue  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  53 

weihen.  Das  Schlüsselmotiv  gehört  beiden  Fassungen  an,  doch  fehlt  in 
den  Gesta  die  Prophezeiung  des  Büssers;  hinzugefügt  ist  ferner  in  der 
kaukasischen  Geschichte  der  Zug  von  dem  hinterlasseneu  Speisevorrat,  der, 
wie  es  sich  später  zeigt,  vom  Einsiedler  nicht  berührt  wird.  Charakteristisch 
für  den  Stil  der  beiden  Fassungen  sind  die  folgenden  wenigen  Worte,  mit 
denen  das  Verstreichen  einer  langen  Frist,  die  für  die  Handlung  ereignis- 
los verläuft,  angedeutet  wird.  Die  Gesta  geben  den  Zeitraum  präzise  an: 
17  Jahre  hat  Gregorius  in  der  Einsamkeit  verbracht;  die  kaukasische  Ge- 
schichte dagegen  trifft  echten  Märchenton,  indem  sie  die  Über^-angsformel 
von  den  vielen  Jahren  braucht,  während  derer  vieles  sich  geändert  hat  und 
vergessen  worden  ist.  Später  freilich  glaubt  sie  eine  genaue  Zeitangabe 
(32  Jahre)  doch  machen  zu  müssen,  allein  hier  ist  diese  Angabe  direktes 
Erfordernis,  weil  der  wahrscheinlich  missverstandene  Zug  des  Nach- 
schlagens  im  Gedenkbuch  (=  Brieftafel  in  den  Gesta)  aufgenommen 
worden  ist.  —  Die  nun  folgende  Papstwahl  der  Gesta  ist  durch  die  Wahl 
des  Katholikos  der  armenischen  Kirche  ersetzt  und  verleiht  dadurch  der 
Erzählung  ein  Lokalkolorit,  das,  wie  schon  oben  erwähnt,  die  armenische 
Herkunft  der  Variante  wahrscheinlich  macht.  Es  fehlt  jedoch  die  allzu 
tendenziös-christlich  anmutende  Stimme  vom  Himmel,  die  den  zu  er- 
wählenden kirchlichen  Würdenträger  namentlich  bezeichnet.  Das  Los  werfen 
ist  eine  Wiederholung  des  schon  einmal  gebrauchten  Motivs  (vgl.  oben 
S.  45f.)  und  ist  die  bei  den  Armeniern  übliche  Form,  in  strittigen  Fällen 
eine  Entscheidung  herbeizuführen '^).  —  Neues  Detail  ist  auch  in  der  Aus- 
sendung der  Vertrauensleute  zu  finden,  aber  man  wird  nicht  fehlgehn  in 
der  Amiahme,  dass  die  präzisen  Zahlen  (12  geistliche  und  12  weltliche 
Boten)  an  dieser  Stelle  als  typische  formelhafte  Märchenzahlen  aufzufassen 
sind^).  Das  Gedenkbuch  des  Aufsehers  ist  der  Brieftafel  in  den  Gesta 
gleichzusetzen.  Sicherlich  hat  die  ungekürzte  Vorlage  der  Gesta  dieses 
Motiv  in  irgendeiner  Weise  ausgeführt,  hier  aber  wird  der  Zug  einfach 
fallen  gelassen  (vgl.  oben  S.  52),  in  der  kaukasischen  Fassung  dagegen 
erscheint  er  in  etwas  ungeschickter  Verwendung  und  ist  wohl  kaum  au 
richtiger  Stelle  eingefügt.  Die  Auffindung  des  Schlüssels  ist  beiden 
Fassungen  gemeinsam,  aber  wiederum  in  der  kaukasischen  Erzählung  an 
eine  andere  Stelle  gerückt.  Vergessen  ist  hier  auffälligerweise  auch  das 
sonst  so  beliebte  Motiv  der  von  selbst  läutenden  Glocken,  das  sich  weder 
die  Gesta^)  noch  das  Volksbuch*)  entgehen  lassen.  Abweichend  ist  end- 
lich der  Beschluss;  der  Zarin,  seiner  Frau  und  Mutter,  gibt  sich  der 
Katholikos  nicht    zu    erkennen,    im  Gegensatz  zu  Gregorius,  und  aus  der 


1)  Chalatianz,  Armenische  Bibliothek  4,  97  Anm.  1. 

2)  Über    die  Zwölfzahl    von  Personen    im    Märchen    vgl.    vier  Aufsätze  von  Potanin. 
Etnograf.  Obozr.  15  (190?.). 

3)  Oesterley  S.  407.     [Vgl.  Sartori,  oben  S,  SOf.J 

4)  Simrock,  Die  deutschen  Volksbücher  12,  109. 


54  V.  Löwis: 

Aufnahme  dieses  Zuges  spricht  deutlich  eine  zwar  ideal  gedachte,  aber 
doch  recht  grausame  Befriedigung  über  die  vollendete  Abtötung  des  Helden 
oesenüber  allem  Irdischen  und  selbst  dem  Teuersten,  das  er  besessen. 
Rückschauend  auf  die  Analyse  der  beiden  Erzählungen  fassen  wir  kurz 
die  Ergebnisse  zusammen: 

1.  Die  beiden  Fassungen  stehen  sich  besonders  im  ersten  Teil  sehr 
nahe  und  weichen  nicht  in  wesentlichen  Punkten  voneinander  ab,  sondern 
da,  wo  die  Gesta  ausführlich  berichten  und  die  kaukasische  Erzählung 
sich  kurz  fasst  oder  Lücken  zeigt,  kommen  nur  solche  Momente  in 
Frage,  die  für  den  Gang  der  Handlung  unwichtig  sind,  zum  grössten  Teil 
aber  sind  es  Abänderungen,  die  durch  die  Umbildung  der  sagenhaften 
lateinischen  Bearbeitung  zum  Märchen  entstanden  sind  (vgl.  das  unter 
Nr.  2  Gesagte).  Als  unmittelbare  Vorlage  wird  die  Erzählung  der  Gesta 
darum  nicht  gedient  haben,  weil  in  einigen  Nebenmotiven  die  vorliegende 
Fassung  teils  neue  Züge  einführt,  teils  Übereinstimmungen  mit  der 
Variante  im  Volksbuch  zeigt,  die  ihrerseits  allerdings  auf  die  Gesta  zurück- 
zugehen scheint^).  Die  Sünde  der  Geschwister  wird  nämlich  sowohl  in 
der  kaukasischen  Fassung  wie  im  Volksbuch  dem  Einfluss  des  Satans  zu- 
geschrieben^), das  Kind  wird  auf  der  Tiber  ausgesetzt,  was  mit  dem  Fluss 
der  kaukasischen  Erzählung  übereinstimmt  (in  den  Gesta  das  Meer)  und  auch 
dem  „Landstreicher"  oder  ,,Herumtreiber"  ^)  entspricht  aufs  Genaueste  der 
^Landstürzer"  des  Volksbuches*),  weniger  der  „Arme  Reisende"  in  den 
Gesta.  —  Im  zweiten  Teil,  wo  das  Volksbuch  von  den  Gesta  in  sehr 
wesentlichen  Punkten  abweicht  (das  Schlüsselmotiv  und  die  Fesselung 
des  Helden  fehlen),  zeigt  das  kaukasische  Märchen  keine  Überein- 
stimmungen mit  dem  Volksbuch.  Es  darf  somit  vielleicht  ange- 
nommen werden,  dass  eine  den  Gesta  sehr  nahe  stehende  Fassung  in 
Armenien  bekannt  gewesen  ist  und  erst  hier  zu  einem  Märchen  umgeformt 
wurde. 

2.  Die  Abweichungen  der  kaukasischen  Fassung  von  der  lateinischen 
bestehen  somit  in  folgendem: 

a)  Verschwunden  sind  die  genauen,  historische  Glaubwürdigkeit  fordernden 
Angaben  (Personen-  und  Ortsnamen)  bis  auf  wenige  Reste,  nur  die  Erinnerung 
an  die  mittehdterlichen  Pilgerfahrten  nach  Jerusalem  ist  bewahrt.  Die  kaukasische 
Erzählung  stützt  ihre  Angaben  nicht  mit  Belegen,  wie  Sagen  es  wohl  gerne  tun, 
sie  fordert  keinen  Glauben,  sondern  führt  ihre  Zuhörer  in  ein  Reich  der  Phantasie 
und  will  nichts  als  unterhalten s). 


1)  Vgl.  Seelisch,  ZfdPh,  J9,  4ül. 

2)  Simrock,  Volksbücher  12,  85. 

3)  Russisch  brod'aga. 

4)  Simrock,  Volksbücher  12,  lOG. 

ö)  Über   diese  Züge    als  Kennzeichen    des  Märchens   vgl.  Grimm,   Deutsche  Sagen* 
S.Vf.    Bethe,  Hess.  Blätter  f.  Volkskunde  4,  1041". 


Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus.  55 

b)  Die  kaukasische  Erzählung  sucht  sich  der  auf  Steigerung  angelegten  Kom- 
position des  Märchens  zu  nähern,  indem  sie  breite,  entbehrliche  Partien  besonders 
in  der  Vorgeschichte  kürzt,  überflüssiges  Detail  und  zahlreiche  Nebenpersonen 
ausmerzt.  Die  vollständige  Umbildung  zum  Märchen  ist  jedoch  nicht  erfolgt, 
denn  in  manchen  Partien  ist  der  Vortrag  sehr  wenig  gedrängt,  eher  weitschweifig 
und  ausmalend,  wie  z.  B.  in  der  Szene  vor  der  Haustür  des  Aufsehers  und  anderen 
neu  aufgenommenen  Episoden.  Daher  fehlt  durchaus  die  unaufhaltsame  Steigerung 
des  Märchens  bis  zu  einem  dramatischen  Höhepunkt,  wenn  schon  die  Handlung 
straffer  ist,  als  in  den  Gesta.  Das  Biographische,  d.  h.  die  möglichst  lückenlose 
Wiedergabe  der  Schicksale  des  Titelhelden  ist  auch  in  der  kaukasischen  Variante 
erhalten  und  scheidet  sie  in  diesem  wichtigen  Fall  vom  sprunghaft  fortschreitenden, 
nur  auf  den  Höhepunkten  verweilenden  echten  Volksmärchen. 

c)  Eine  möglichst  weitgehende  Loslösung  von  allem  Christlich -Tendenziösen 
ist  eingetreten  (Kloster,  Abt,  Stimme  vom  Himmel,  Taufe,  kirchliche  Ausdrücke, 
Gebetsformeln  u.  dgl.  sind  gestrichen),  doch  konnte  die  umgeformte  Fassung  der 
ursprünglichen  Überlieferung  nicht  soweit  untreu  werden,  dass  sie  den  eigent- 
lichen psychologischen  Kern  der  Erzählung  vollkommen  veränderte.  Der  christ- 
liche Grundgedanke:  aufrichtige  Busse  besiegt  selbst  die  in  Todsünde  verstrickenden 
Prüfungen  des  Lebens  und  führt  zum  ewigen  Heil  —  musste  somit  bleiben, 
wenn  nicht  zugleich  auch  die  überlieferte  Handlung  vollständig  umgestaltet  werden 
sollte. 

d)  Individuelle  Charakterzüge  der  handelnden  Personen  sind  möglichst  ge- 
glättet, daher  ist  nur  wenig  direkte  Rede  erhalten  und  ein  Dialog  fehlt  voll- 
kommen; der  Versuch,  den  Helden  sowohl  wie  Gegenspieler  und  helfende  Freunde 
als  Typen  zu  fassen  und  wiederzugeben,  ist  gemacht,  allein  zum  Charakter  eines 
echten  Märchenhelden  konnte  die  mehr  passive  Natur  der  Hauptgestalt  nur  schwer 
umgebildet  werden,  ohne  den  Gang  der  Fabel  völlig  umzustossen.  Der  un- 
schuldig leidende  Gregorius  ist  daher  auch  im  Märchen  fast  unverändert  wieder- 
zufinden. 

e)  Echte  Märchenzüge  sind  aufgenommen:  Eingangsformel,  mühselige 
Wanderungen,  die  Übergangsformel  von  den  'vielen  Jahren',  Übernatürlich-Wunder- 
bares (Loswerfen)  und  die  typische  Märchenzahl  12. 

Auf  Grund  dieser  Ergebnisse  wird  man  die  kaukasische  Erzählung 
als  ein  Märchen  zu  bezeichnen  haben,  das  nicht  alle  Spuren  seiner  Ver- 
gangenheit als  Legende  getilgt  hat,  sondern  sich  mitten  im  Prozess  der 
Umformung  befindet  und  in  diesem  Stadium  durch  einen  Glücksfall  ans  Licht 
gehoben  worden  ist.  Ähnlich  als  wäre  eine  alte  Freske  mit  Kalk  not- 
dürftig verkleidet  worden  und  als  hätten  flüchtige  Hände  auf  diese  Schicht 
ein  neues  Bild  hingeworfen,  das  den  gleichen  Vorwurf  wie  das  alte,  doch 
in  anderen  Farbenwerten  wiedergibt,  ähnlich  meine  ich,  yerhält  es  sich 
hier,  wo  sich  über  eine  christlich  gefärbte  Sage  das  Märchen  gelagert 
hat,  wobei  manche  Züge  unverändert  übernommen,  einige  leichter,  andere 
stärker  verändert  worden  sind  und  dadurch  das  Ganze  in  eine  eigene, 
neue  Stimmungswelt  übertragen  ist,  die  sowohl  dem  armenischen  wie  dem 
nahstehenden  europäischen  Märchen  eigen  ist^). 


1)  Man  vergleiche  die  Märchen  bei  Chalatianz,    Armen.  Bibliothek  4  (ISST).    Haxt- 
hausen,  Transkaukasia  (Leipzig  1S5G). 


56  V.  Löwis:    Eine  Umformung  der  Gregoriuslegende  im  Kaukasus. 

Man  wird  schwerlich  behaupten  können,  dass  die  Legende,  deren 
älteste  Fassung  schon  einem  zur  Vita  sancti  erweiterten  Typus  angehört, 
ihrem  Inhalte  nach  ein  günstiger  Gegenstand  für  eine  Umbildung  zum 
Märchen  war;  denn  Handlung  und  Charaktere  sind  allzu  fest  in  den 
Rahmen  eingefügt,  den  die  Durchführung  des  christlich-moralischen  Grund- 
gedankens gewählt  hatte.  Weder  das  kaukasische  noch  das  sizilianische 
Märchen  (Gonzenbach  Nr.  85)  konnten  sich  von  ihm  emanzipieren,  weil 
sie  der  Überlieferung  recht  getreu  folgen.  Besser  gelingt  dieses  einzelnen 
nordischen  Fassungen*),  aber  natürlich  nur  durch  starke  Freiheiten,  Ein- 
schübe  und  Umdichtung.  Der  einzige  die  Umbildung  zum  Märchen 
fördernde  Umstand  scheint  darin  zu  liegen,  dass  bereits  die  ältesten 
Fassungen  bekannte  Märchenmotive  enthielten  und  diese  mögen  durch 
ihren  vertrauten  Klang  die  Hörer  zu  dem  Yersuch  verleitet  haben,  die 
seltsame  Handlung  samt  ihrem  Helden  in  das  Märchenland  zu  ver- 
legen. 

Es  lag  im  Rahmen  dieser  Erörterungen,  nur  die  auf  einer  Legende 
beruhende  lateinische  Bearbeitung  mit  ihrer  zum  Märchen  umgebildeten 
Ableitung  zu  vergleichen.  Eine  umfassendere  Untersuchung  würde  zeigen, 
wie  die  kaukasische  Erzählung  trotz  geringer  sachlicher  Abweichungen 
doch  eigenartige  Nuancen  herausgebildet  hat  und  sich  durch  diese  von 
anderen  Märchen  gleichen  Inhalts,  wie  z.  B.  von  den  sizilianischen  recht 
kräftig  abhebt.  Notwendig  und  aufschlussreich  dürfte  aber  eine  Unter- 
suchung sein,  die  sich  auf  eine  umfangreichere  Stoffsammlung  von 
Leo-enden,  Sagen  und  den  entsprechenden  Märchen  gleichen  Inhalts  stützt. 
Dann  erst  wäre  es  möglich  zu  beobachten,  was  und  warum  das  Volk 
vergisst  und  in  welcher  Folge  sich  die  Züge  einer  Überlieferung  verlieren, 
wenn  diese  durch  vieler  Leute  Mund  geht,  die  nichts  mehr  von  dem 
ursprünglichen  Anlass  und  Zweck  der  Erzählung  wissen,  und  dann 
erst  könnte  die  Aufstellung  allgemein  gültiger  Gesetze  der  Märchen- 
bildunf^  und  eine  Chronologie  der  einzelnen  Umformungen  versucht 
werden,  die  vor  allem  dem  inneren  Bau  beider  Gattungen  gerecht  werden 
müssten. 

Berlin. 


1)  Diederichs,  Russ.  Eevue  17,  119ff. 


Olrik:    Kleino  Mitteilungen.  57 


Kleine  Mitteilungen. 


Wettermaclien  und  Neujahrsmond  im  Norden. 

Das  'Wettermachen'  in  Dänemark  wurde  zuerst  von  dem  Altmeister  dänischer 
Volkskunde  H.  F.  Feilberg  entdeckt  und  1889  in  seinem  'Dansk  Bondeliv' 
(1,  255)  hübsch  geschildert.  Hier  gebe  ich  nur  die  kurze  Zusammenfassung,  die 
er  1891  als  Umfrage  aussandte  (Folklore  2,  132:  Making  weather  in  Denmark): 

Eine  recht  seltsame  Sitte  ist  erst  in  einigen  Teilen  von  Dänemark  beobachtet.  Im 
Februar  und  März  'machen'  die  Bauernfrauen,  dann  ihre  Ehemänner  und  endlich  ihr 
weibliches  und  männliches  Gesinde  'Wetter'.  Gewöhnlich  macht  die  erste  Person  im 
Dorfe.  die  Pastorfrau,  am  ersten  Februar  Wetter.  Ist  das  Wetter  an  diesem  Tage  gut, 
dann  heisst  Frau  N.  N.  eine  sehr  wohlwollende,  gutgelaunte  Dame,  und  die  Nachbarinnen 
besuchen  sie,  um  ihr  zum  guten  Wetter  zu  gratulieren,  und  werden  freundlich  mit  Kaffee 
imd  Kuchen  bewirtet.  Ist  das  Wetter  dagegen  schlecht,  so  ist  Frau  N.  N.  übler  Laune: 
wir  gehen  und  strafen  oder  belustigen  sie.  Vielleicht  wird  sie  in  den  Hof  hinaus  geschleppt 
und  an  der  Pumpe  verhört,  damit  sie  ihr  eignes  Wetter  probieren  kann.  Die  Nachbarn 
erscheinen  in  grosse  Mäntel  und  Tücher  gehüllt,  während  sie  bei  schönem  Wetter  in 
Sommerkleidung  kommen.  Sonst  schleicht  wohl  ein  Nachbar  vorsichtig  an  der  Hauswand 
entlang  und  bindet  etwas  Werg  an  die  Türklinke.  Das  wird  augenblicklich  verstanden, 
und  alles  endet  mit  einer  Tasse  Kaffee,  welche  von  der  Person  gereicht  wird,  die  das 
schlechte  Wetter  macht,  und  nach  einigen  Scherzen  geht  jeder  heim.  Vgl.  Feilbei-g, 
Bondeliv  p.  255.  Ich  besitze  nur  ein  unzweideutig  auf  eine  ähnliche  Sitte  hinweisendes 
Zitat:  Kuhn,  Sagen  aus  Westfalen  2,  91  nr.  294:  „Die  Frauen  sind  im  Februar  Wetter- 
regentinnen"*).  Ist  diese  Sitte  noch  anderwärts  bekannt?  Woher  mag  dies  Wetter- 
machen stammen?     Warum  gerade  in  den  Monaten  Februar  und  März? 

Ausführlichere  Nachrichten  über  den  dänischen  Gebrauch  finden  sich  bei 
E.  T.  Kristensen  (Jydsk  Almueliv  4,  40 — 42;  Ergänzungsband  4,  35 — 37)  wie  auch 
hsl.  in  der  'Dansk  Folkemindesaraling'  zu  Kopenhagen.  Als  Probe  daraus  stehe 
hier  eine  1909  von  einer  Bauernfrau  im  Nordwesten  von  Seeland  niedergeschriebene 
Aufzeichnung: 

In  Jordlöse  am  Tissö  und  gewiss  auch  anderwärts  war  es  bis  vor  fünfzig  Jahren 
Brauch,  wenn  der  1.  Februar  herankam,  dass  jede  Bäurin,  dann  die  Frauen  der  Häusler, 
auch  die  Mädchen  und  endlich  die  Männer  einen  bestimmten  Tag  hatten,  wo  'ihr  Wetter' 
war.  Das  nahm  auf  dem  einen  Ende  des  Dorfes  seinen  Anfang  und  ging  weiter,  wie  die 
Häuser   und  Gehöfte  einander  folgten.     Wenn  nun  einer   'Wetter'  hatte,    und  es  traf  und 


1)  [„Dies  gilt  aber  nur  von  den  alten  Hausstellen.  'Heute',  heisst  es  z.  B.,  'hat  Frau 
A.  das  Wetterregiment'".  Wocste,  Zs.  f.  dtsch.  Mythol.  1,  388:  „In  nicht  wenigen  Dörfern 
der  Mark  und  des  kölnischen  Süderlandes  ist  Brauch,  dass  nach  der  Folge  der  Februar- 
tage und  der  alten  Feuerstellen  das  älteste  Frauenzimmer  au  jedem  Herde  als  Wetter- 
regentin  geneckt  wird.  Aber  der  nicht  überall  vorkommende  bestimmtere  Ausdruck  lautet: 
'Van  däge  es  de  Spüärklsche  in  diäm  Huse.'  Das  geht  unverkennl)ar  auf  einen  festlichen 
Umzug  und  eine  Festzeit  der  alten  Wettergöttin  im  Februar."  Montanus,  Volksfeste  1854 
S.  20:  „Noch  sagt  der  Landniann:  'Im  Monat  Hornung  (Hornmaned,  Spürkel,  Februar) 
regiert  die  Frau  oder  dat  wif.'"  —  Auch  in  Mecklenburg  glaubt  mau,  dass  die  Frauen 
im  Februar  das  Regiment  führen  (Bartsch,  Sagen  aus  Mecklenburg  1880  2,  214  nr.  1098).] 


58  OMk: 

war  im  Ernst  ein  Unwetter,  so  kam  es  darauf  an,  den  Schein  zu  erwecken,  dass  die  Be- 
sucher glaubten,  es  sei  richtiges  Sommerwetter.  So  hörte  ich  von  einer  Frau,  die  bei 
richtigem  Schneegestöber  im  Sonnenhut  (einer  Art  Kappe  aus  Pappe  mit  bunten  Blumen 
bemalt)  hinausging.  Ein  Knecht,  der  erst  kürzlich  in  die  Gegend  gekommen  war  und 
den  Brauch  nicht  kannte,  sah  das  und  äusserte  zu  seinen  Mitknechten:  „Was  in  aller 
Welt  fehlt  unsrer  Frau!  Sie  geht  ja  im  Sonnenhut  bei  solchem  Wetter  in  den  Hof." 
„Nun,  heut  ist  ja  ihr  Wetter",  erhielt  er  zur  Antwort.  Auch  galt  es,  unter  dem  oder 
jenem  Vorwande  Vorübergehende  in  ein  Nebengebäude  zu  locken,  um  sie  dort  ein- 
zuschliessen.  Bisweilen  sollte  ein  Schaf  gelammt  oder  eine  Kuh  gekalbt  haben  oder  ein 
Hühnernest  entdeckt  sein  u.  dgl.  Gelang  es  nun  einen  in  die  Falle  zu  locken,  so  ward 
die  Tür  unter  dem  Gelächter  des  ganzen  Gesindes  hinter  ihm  zugeschlagen;  denn  natürlich 
war  nicht  das  geringste  Merkwürdige  darin  zu  sehen.  —  Ich  hörte  sogar  von  Leuten  aus 
einer  andern  Gegend  erzählen,  die  in  dasselbe  Dorf  zu  Besuch  kamen  und  nicht  wenig 
erstaunten,  als  sie  ein  Mädchen  am  Dorfzaun  angebunden  sahen.  Als  sie  aber  die  Er- 
klärung hörten,  dass  es  sich  nur  um  Spass  und  Narrenpossen  handle,  entstand  ein  Ge- 
lächter. Man  brauchte  sich  gewiss  nicht  beleidigt  zu  fühlen,  selbst  wenn  der  Scherz 
etwas  grob  werden  sollte;  es  galt  nur  bei  gegebener  Gelegenheit  selber  Vergeltung  zu 
üben,     (Karoline  Graves  in  Viskiuge,  Seeland). 

Die  Deutung  dieses  Brauches,  d.  h.  was  für  ein  besondrer  Zusammenhang 
zwischen  dem  Wetter,  dem  Februar  und  den  "Weibern  besteht,  ist  bisher  nicht  ge- 
funden. Doch  kommen  wir,  glaube  ich,  der  Lösung  ein  gut  Stück  näher,  wenn 
wir  einige  isländische  Verhältnisse  heranziehen,  die  bisher  nicht  in  diesem  Zu- 
sammenhang erwähnt  wurden  (Jon  Arnason,  Isl.  pjöOsögur  2,  572).  Auf  Island  hat 
man  einen  besondern  Brauch,  der  an  die  ersten  vier  Monate  des  Jahres  anknüpft: 
Thorri  (Januar),  Göa  (Februar),  EinraänuOV  (März)  und  Harpa  (April).  Man  hält 
Thorri  für  den  Hausvater,  Göa  für  die  Hausmutter,  EinmänuOr  und  Harpa  für 
deren  Sohn  und  Tochter.  Darum  mussten  alle  Hausväter  an  dem  Morgen,  wo 
Thorri  'in  den  Hof  kam',  früh  aufstehen,  barbeinig,  im  blossen  Hemd,  ein  Hosen- 
bein angezogen,  das  andre  nachschleppend  zur  Haustür  gehen,  auf  einem  Fuss  um 
den  Hof  hüpfen  und  Thorri  im  Hofe  willkommen  heissen.  Später  am  Tage  hielten 
die  Hausväter  des  Kirchspiels  ein  Mahl  (porrablöt);  der  Tag  hiess  Hausvätertag 
(bönda  dagur),  und  die  Frau  rausste  sich  freundlich  gegen  ihren  Mann  erzeigen. 
Ebenso  musste  die  Frau  am  ersten  Morgen  der  Göa  ganz  leichtbekleidet  hinaus- 
gehn  und  Göa  ins  Haus  einladen:  „Willkommen,  meine  Göa,  tritt  ein  in  den  Hof! 
Bleib  nicht  draussen  im  Winde  den  frühlingslangen  Tag!"^)  An  diesem  ersten 
Göatag  mussten  die  Frauen  ein  Mahl  für  ihre  Nachbarinnen  bereiten.  Ebenso 
mussten  die  Burschen  EinraanuOr  und  die  Mädchen  Harpa  empfangen. 

Deutlich  genug  ist  der  Sinn  davon:  die  Monate  werden  als  lebende  Wesen 
von  göttlicher  Art  aufgefasst,  die  nacheinander  die  Menschen  besuchen  und  über 
ihr  Wohl  und  Wehe  walten^).  Die  Monate  mit  männliclien  Namen  werden  als 
Männer,  die  mit  weiblichem  Namen  als  Weiber  aufgefasst;  und  die  natürliche 
Folge  davon  ist,  dass  die  Männer  die  männliche  und  die  Weiber  die  weibliche 
Gottheit  empfangen  müssen.  Besonders  die  ersten  Monate  des  Jahres  muss  man 
sich  zu  Freunden  machen  nach  dem  Satze,  der  im  Volksglauben  eine  ungeheure 
Rolle  spielt,  dass  eine  Sache  gut  begonnen  w^erden  muss,  wenn  sie  gut  werden 
soll.     Um  diesen  Satz  gruppieren  sich  zahlreiche  Neujahrsbräuche. 


1)  Velkomin  sirtu  Gua  mm,  og  gakktu  inn  i  bseinn,  vertu  ekki  üti  i  vindinum  vor- 
längan  daginn.  —  Diese  Halbstrophe  ist  augenscheinlich  in  dem  gewöhnlichen  altnordischen 
Versmasse  forHyrtTislag  gedichtet;  ein  Zeichen  ihres  hoben  Alters. 

2)  [Über  die  Personifikation  der  Monate  vgl.  Bolte,  Archiv  f.  neuere  Sprachen  08, 82. 
100,  149  und  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  1,  ^80.] 


Kleine  Mitteilungen.  59 

In  alter  Zeit  waren  die  Monate  nicht  unsre  Kalendermonate,  sondern  die  sicht- 
baren Mondperioden  vom  Neumond  bis  zum  abnehmenden  Mond,  und  an  diese 
knüpfen  die  alten  Monatsnamen  an.  Die  Begrüssung  Thorris  soll  stattfinden,  wenn 
der  erste  Neumond  nach  Weihnachten  sich  blicken  lässt.  Aber  diese  Begrüssung 
am  Neujahrsneumond,  wenn  der  Herrscher  über  das  Gedeihen  des  Jahres  ent- 
scheidet, treffen  wir  auch  anderwärts  im  Norden*).  In  Schonen  zog  die  ganze 
Schar,  wenn  der  Neujahrsneumond  erschien,  aufs  Feld  hinaus  und  begrüsste  ihn 
mit  folgendem  Gesang': 


Välkoramen,  nykung,  välkommen  mäne 

i  Hailand  och  Skäne, 

med  körn  och  med  käme, 

med  sol  och  med  värme, 

med  fläsk  och  med  hoste, 

med  godt  öl  om  hosten, 


föd  ko,  ko  i  bäs, 
ge  hafre  ät  gas 
galtarna  i  skogen, 
träskarna  pä  logen, 
fiskarua  i  floden, 
föd  ko,  ko  i  bäs! 


In  einer  Aufzeichnung  aus  der  Mitte  des  1 8.  Jahrhunderts  trägt  die  erste  Zeile 
noch  ein  Kennzeichen  höheren  Alters: 

Välkommen,  Njkong,  välkommen  herre, 
med  körn  och  käme  usw. 

Dieser  alte,  heidnische  Willkommensgruss  ward  im  1 6.  Jahrhundert  zu  einem 
Neujahrspsalm  (Velkommen  nytär  og  velkommen  here)  umgedichtet.  Von  dieser 
christlichen  Zustutzung  findet  sich  dagegen  nichts,  wenn  der  Westjüte  beim  Neu- 
jahrsneumond mit  einem  Stück  Brot  in  der  ausgestreckten  Hand  hinausläuft: 

Nytärsny!     flaeskebestel 

Vorherre  gi  os  godt  körn  at  hoste! 

Oder  wenn  der  Anholter  in  gleicher  Weise  ruft: 

Nejes  uej,  gi  m?e  smter  po  med  brej, 
gi  mje  fl.-esk,  gi  mae  beest, 
gi  mfe  gät  kuen  ä  heest. 

Es  gab  also  auch  beim  Dänenvolke  eine  Zeit,  wo  man  den  ersten  Mond  des 
Jahres  als  den  König  und  Herren  begrüsste,  der  über  des  Jahres  Gedeihen  ent- 
schied, und  wo  man  ihm  mit  einem  feierlichen  gereimten  Gebet  Willkommen  bieten 
musste.  Kurz,  eine  Gottesverehrung,  die  ganz  dem  isländischen  porrablöt  ent- 
spricht 2). 

Kehren  wir  nun  zu  dem  dänischen  Brauche  des  Wettermachens  zurück!  Ein 
Hauptpunkt  im  isländischen  Kulte  ist,  dass  die  Männer  den  ersten  Jahresmonat 
begrüssen  müssen,  und  die  Frauen  den  zweiten.  In  Dänemark  kommt  gewöhnlich 
der  zweite  Monat  (Februar,  Göi,  Göjemaned)  den  Frauen  zu,  die  Männer  schwanken 
zwischen  dem  ersten  (selten)  und  dritten  Insofern  entsprachen  sie  bald  dem 
ersten  Monat  der  Isländer  (der  Hausväter),  bald  dem  dritten  (der  Burschen); 
dies  Schwanken  steht  vielleicht  in  Verbindung  mit  dem  Namen  Thorri;  Tormäned 
ist  im  neueren  Dänischen  vom  Januar  auf  den  März  übergegangen.    Im  Kirchspiel 


1)  [Begrüssung  des  Neumondes  in  Frankreich  und  Italien:  Sebillot,  Folk-lore  de 
France  1,  57.  Pitre,  Bibl.  delle  tradizioni  popolari  siciliaue  IG,  2l).  17,  474.  Grimm, 
Mythol.  3  S.  666.  676.] 

2)  Vgl.  E.  T.  Kristensen,  Jydsk  Almueliv  4,  141—144.  Westerdahls  Disputation 
(praeside  Lagerbring)  de  festo  calendarum  januarii.  Dausk  kirketideude  1849,  nr.  9.  Dausk 
Folkemindesamling,  Efterklaug  A  16. 


^0  Olrik,  Kirchner: 

Karlby  auf  der  jütischen  Halbinsel  Djursland  liat  man  ganz  dieselbe  Einteilung 
wie  auf  Island:  Januar  für  die  Männer,  Februar  für  die  Frauen,  März  für  die 
Burschen,  April  für  die  Mädchen  und  ausserdem  Mai  für  die  Knaben.  Auch  wenn 
die  Frauen  aus  Lust  am  Spass  und  Wohlgefallen  an  einem  kleinen  Schmaus  den 
alten  Brauch  am  meisten  bewahrten,  besteht  kein  Zweifel  darüber,  dass  in  Däne- 
mark wie  in  Island  einst  beide  Monate  und  beide  Geschlechter  Geltung  hatten. 
Ferner  legen  wir  Gewicht  darauf,  dass  an  beiden  Orten  der  Gebrauch  besteht,  dass 
die  Hausfrau  in  dünnem  oder  sommerlichem  Kleide  ins  Unwetter  hinaus  muss  und 
dann  eine  kleine  Frauengesellschaft  bei  sich  bewirtet.  Man  sieht,  es  ist  in  Wirk- 
lichkeit derselbe  Brauch. 

Der  Unterschied  besteht  darin,  dass  die  Isländer  ihre  alte  religiöse  Vorstellung 
bewahrt  und  die  Dänen  sie  zu  einer  blossen  Lustbarkeit  gemacht  haben:  ursprüng- 
lich ist  es  die  Verehrung  des  Mondes  als  eines  göttlichen  Wesens.  Was  die 
leichtgekleidete  Hausfrau  draussen  in  der  Kälte  zu  tun  hat,  ist  in  Dänemark  ver- 
gessen; und  das  ist  nicht  wunderbar,  weil  man  die  Einteilung  in  Mondmonate  auf- 
gegeben hat:  jetzt  gibts  keinen  Neumond  zu  begrüssen.  Nur  der  lustige  Spass  ist 
vorhanden,  dass  die  andern  Frauen  die,  welche  gerade  daran  ist,  ins  Freie  hinaus 
nötigen;  komisch  ist  jetzt,  was  einst  ernst  genug  war:  der  neue  Mond  musste 
begrüsst  werden,  sonst  gabs  für  die  Ernte  des  Jahres  kein  Gedeihen.  Auf  Island 
mochte  der  Brauch  jährlich  zwischen  den  Frauen  des  Dorfes  wechseln,  in  Däne- 
mark geht  er  in  den  Dörfern  den  Monat  hindurch  täglich  reihum.  Diese  letztere 
Vervielfältigung  ist  vielleicht  erst  eingetreten,  als  der  Brauch  sein  religiöses  Ge- 
präge verlor. 

Der  Brauch  ist  in  seiner  alten  Form,  als  Einladung  von  Thorri  und  Goi,  uralt. 
Auf  Island  wird  porrablöt  und  Göiblöt  bereits  um  1200  genannt  (Hversu  Noregr 
bygOiz,  Flateyjarbök  1,  22);  doch  ihr  Ursprung  liegt  sicherlich  viel  weiter  zurück. 
Religiöse  Bräuche,  in  denen  Männer  und  Frauen  solche  geschlossene  Gemeinschaft 
bilden,  jede  mit  eigner  Gottheit,  weisen  in  eine  sehr  frühe  Zeit  zurück.  Die  An- 
rufung solcher  augenblicklicher  Zeitgottheiten,  wie  des  Mondwechsels,  gehört 
zu  den  ältesten  und  unmittelbarsten  Niederschlägen  der  menschlichen  religiösen 
Gefühle. 

Eins  erklärt  uns  der  isländische  Brauch  nicht  Warum  muss  die  Hausfran  in 
ganz  leichtem  Gewände  Göi  empfangen?  Dass  dies  nur  Göi  beweisen  sollte,  dass 
sie  früh  aufgestanden  sei,  um  ihr  Ehre  zu  erzeigen,  ist  nicht  glaublich;  dann 
konnte  der  Brauch  nicht  so  fest  wurzeln,  wie  er  es  ist.  In  diesem  Falle  bietet 
der  dänische  Brauch  die  Erklärung:  man  soll  in  sommerlicher  Tracht  hinausgehn, 
wie  dies  in  Karoline  Graves  Bericht  ergötzlich  ausgemalt  wird.  Im  Gottesdienste 
der  fernen  Vorzeit  pflegt  man  den  Göttern  das  zu  zeigen,  dessen  Hervorbringung 
man  von  ihnen  haben  will;  man  lockt  oder  hypnotisiert  sie,  den  Sommer  her- 
zurichten, oder  man  versorgt  sie  auf  einer  gröberen  Stufe  der  Geistesentwicklung 
mit  soviel  Sommer,  dass  sie  den  Menschen  Sonne  und  Wärme  wiedergeben. 

So  erhält  unser  lustiger  Brauch  des  Wettermachens  aus  der  alten  Neumonds- 
verehrung auf  der  ganzen  Linie  seine  Erklärung;  er  ist  ein  Opfer  (blöt)  für  Thorri 
und  Göi.  Er  ist  also,  so  verschiedenartig')  er  aussieht,  ein  Seitenstück  zu  der 
alten  Anrufung  des  Neumonds  als  'Neujahrskönig',  die  wir  aus  andern  Gegenden 
des  Landes  mitteilten.     Dass  es  wirklich  Seitenstücke  sind  trotz  aller  scheinbaren 


1)  [Sollte  nicht  auch  der  weitverbreitete  Glaube,  dass  sich  aus  der  Witterung  be- 
stimmter Tage,  wie  des  Weihnachtstages,  des  I.Januars,  des  2.  Februars  (Maria  Licht- 
mess),   Schlüsse   auf  das  kommende  Jahr   ziehen  lassen,   mitgewirkt   haben?    Vgl.  Beda, 


Kleine  Mitteilungen.  61 

Verschiedenheit,  sehen  wir  auch  daraus,  dass  sie  nicht  in  derselben  Gegend  auf- 
treten, sondern  einander  geographisch  ergänzen:  'Wetter  halten'  gilt  für  Nordwest- 
seeland, Mittel-  und  Ostjütland  und  die  dazwischenliegenden  Inseln,  das  Neujahrs- 
gebet erstreckt  sich  in  einem  grossen  Bogen  aussen  herum,  von  Westjütland  über 
Anholt  bis  Schonen. 

Für  die  Sammler  der  dänischen  Volksüberlieferungen  bietet  dieser  Brauch  ein 
ergötzliches  Betrachtungsobjekt.  Ergötzlich  ist  es,  einen  Brauch  der  Vorzeit  so 
ausgeprägt  und  verhältnismässig  lebendig  vor  sich  zu  haben,  der  zugleich  unserm 
Volke  eigentümlich  zu  sein  scheint;  Feilberg  hat  seinerzeit  vergeblich  Aufklärung 
über  sein  anderweitiges  Vorkommen  zu  finden  gesucht.  Nicht  minder  merk- 
würdig aber  ist  eine  so  eigentümliche  Form  alter  Gottesverehrung,  wie  darin  auf- 
bewahrt ist. 

Noch  etwas  Erfreuliches  bietet  er  uns.  Er  zeigt,  was  das  Sammeln  nützt. 
Jede  neue  Aufzeichnung  bereichert  unser  Wissen  und  führt  sichrer  zum  Verständnis. 
Dient  sie  zu  nichts  andrem,  so  erweist  sie  jedenfalls  die  Verbreitung  des  Brauches, 
und  das  hat,  wie  wir  sahen,  keinen  geringen  Wert.  Immer  aber  hilft  sie  die 
Normalgeatalt  des  Brauches  festlegen.  Und  manchmal  bewahrt  sie  Einzelheiten, 
die  für  das  richtige  Verständnis  von  der  grössten  Wichtigkeit  sind;  so  hat  eine 
einzige  jütische  Aufzeichnung  das  Andenken  an  die  verschiedenen  Monate  des 
Bauern,  der  Hausfrau,  der  Burschen  und  Mädchen  bewahrt;  und  einige  wenige 
berichten,  dass  die  Frau  am  Pebruarmorgen  in  Sommerkleidung  geht. 

Wenn  ich  diese  Mitteilung  in  der  vornehmsten  deutschen  volkskundlichen 
Zeitschrift  veröffentliche,  so  geschieht  dies  in  der  Hoffnung,  dass  ihre  Leser  aus 
Büchern  oder  aus  ihrer  Kenntnis  des  Volkslebens  Kuhns  knappe  Mitteilung  über 
ähnliche  Bräuche  in  Deutschland  ergänzen  können.  Wir  wissen  nie,  ob  nicht  da 
und  dort  neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  alten  Gottesverehrung  zutage  kommen. 

Kopenhagen.  Axel  Olrik. 


Ein  christlicher  Warnungsbrief. 

Das  im  folgenden  beschriebene  Druckblatt  erhielt  ich  von  Herrn  F.  V.  aus 
Fulda,  der  es  im  Frühjahr  1909  in  den  'Deutschen  Gauen',  der  von  Kurat 
Chr.  Frank  in  Kaufbeuren  herausgegebenen  Zeitschrift  für  Heimatforschung,  als 
einen  Himmelsbrief^)  ausgeboten  hatte.  Eine  genauere  Betrachtung  aber  lehrt, 
dass  wir  es  hier  nicht  mit  einem  Himmelsbriefe,  d.  h.  einem  Schriftstücke,  das 
den  Anspruch  erhebt,  unmittelbar  aus  dem  Himmel  zu  stammen,  zu  tun  haben. 
Vielmehr  kann  man  behaupten,  das  Blatt  bekämpfe  das  abergläubische  Element, 
das  in  den  Himmelsbriefen  Anstoss  erregt.  Ums  Jahr  1850  entstanden,  wenn 
auch  vielleicht  auf  ältere  Vorbilder  zurückgehend,  handelt  es  im  Geiste  der  evan- 
gelischen Orthodoxie  von  Urzustand  und  Sündenfall,   von  Sündhaftigkeit  und  Hin- 


Prognostica  temporum  (Mignes  Patrologia  lat.  90,  951),  Schönbach,  Sitzgsber.  der  Wiener 
Akad.  142,  7,  13.  149.  Bolte,  Archiv  99,  12.  100,  154.  Melusine  10,  IIB.  Hanimer-Zin- 
serling,  1001  Nacht  1, 245.  Yermoloff,  Die  landwirtschaftliche  Volksweisheit.  1905.  — 
Endlich  könnte  auch  eine  scherzhafte  Anspielung  auf  das  Wetter  machen  der  Hexen 
(oben  7,  187)  beabsichtigt  sein.] 

1)  Vgl.  dazu  mein  nicht  nur  an  die  Fachmänner  der  Volkskunde  gerichtetes  Schriftchen 
'Wider  die  Himmelsbriefe'  (Leipzig-Gohlis,  Bruno  Volger  1908)  sowie  meine  weiteren 
Veröffentlichungen  im  Gustav-Glogau-Jahrbüchlein  1908  und  in  der  Neuen  kirchlichen 
Zeitschrift  1909,  284-311  (München).     [Dazu  oben  16,  422.  19,  356.] 


62 


Kirchner: 


fälligkeit  des  Menschen,  von  Christi  Erlösertod,  von  Himmel  und  Hölle,  von  Lohn 
und  Strafe.  Bilder  und  Verse  lassen  sicher  zu  wünschen  übrig,  aber  das  Ganze 
ist  geschickt  und  sinnreich  gedacht  und  ausgeführt.  Die  Art  der  Darbietung 
erinnert  an  die  Form  der  auseinanderfaltbaren  Patenbriefe,  die  ich  im  Montags- 
blatt der  Magdeburgischen  Zeitung  li?09,  13.  April  genau  beschrieben  habe  (vgl. 
auch  V.  Lüpke,  Dorfkirche  1908).  Solche  sinnigen  Spielereien  waren  früher  offenbar 
sehr  beliebt  (vgl.  Exemplare  in  den  Museen  von  Schmalkalden,  Benshausen,  Zella 
St.  Bl.).    [Oben  16,  427.] 

Der  vorliegende  Brief  besteht  aus  einem  27  cm  breiten  und  22  cm  hohen  Stück 
Papier,  das  auf  beiden  Seiten  mit  kolorierten  Lithographien  und  Yersen  in  Buch- 
druck versehen  und  um  1850  im  'Druck  u.  Verlag  v.  Ed.  Gust.  May,  in  Frank- 
furt a.  M.'  erschienen  ist.  Durch  In-  und  Auseinanderklappen  entstehen  auf  beiden 
Seiten  je  neun  selbständige,  miteinander  in  engerem  oder  loserem  innerem  Zu- 
sammenhange stehende  Flächen,  von  denen  die  drei  mittleren  untereinander  be- 
findlichen je  12  cm  breit  und  etwas  über  7  c?«  hoch  sind.  Die  2X3  zu  beiden 
Seiten  dieser  Flächen  entstehenden  Figuren  sind  Quadrate  von  je  7  cm  Seitenlänge. 
Wir  betrachten  nun  den  Brief  so,  wie  er  sich  nach  und  nach  gleich  einem  Wunder- 
knäuel entfalten  lässt. 

Das  mittelste  Feld  der  Vorderseite,  im  geschlossenen  Zustande  des  Briefes 
allein  sichtbar,  enthält  auf  einer  mit  Rankenwerk  und  an  den  Ecken  mit  vier 
Brieftauben  geschmückten  Bordüre  die  Adresse:  'An  mich  und  dich  und  alle 
Menschen',  die  in  den  Reimen  inmitten  dieses  Rahmens  ausführlicher  wieder- 
holt wird: 


(Ein  Sricf 

Sicbcr  ^frcunb  f^ab'  bod^  Me  (Sütc, 
£ef  ben  Brief,  ben  id)  D'n  biete.  — 
Sein  3nl|alt  [prtcbt  an  2IbamsFtnber, 
2In  Vid)  nni>  midj;  an  alle  Sütiber. 

au 
mid) 

unb 
bt* 

unb  alle  UTenfcfjcn 

Ohne  aufzuklappen,  betrachten  wir  zunächst  die  Rückseite,  die  auf  dem 
unteren,  über  das  obere  Feld  übergreifenden  Quadrate  das  Bild  Adams  im  Para- 
diese und  darüber  erklärende  Verse  enthält,  die  gleich  allen  folgenden  Darstellungen 
zur  Wegleitung  für  den  Betrachter  eine  Nummer  (2)  tragen. 

2.    0,  Anblick  voller  Lieblichkeit, 
Hier  gab  es  weder  Schmerz  noch  Leid. 
Der  Mensch  in  Unschuld  lebt'  nur  Gott-, 
Er  wusste  nichts  von  Noth  und  Tod. 
Allein,  was  bald  gescheh'n, 
Das  kannst  Du  hier  mit  Schmerzen  seh'n. 

Darunter  sehen  wir  das  Urstandsbild.  Adam  steht  am  Paradiesesbaura.  Löwe, 
Löwin,  Elefant,  Hirsch  und  andre  nur  angedeutete  Tiere  umgeben  ihn,    ohne  ihm 


Kleine  Mitteilungen.  63 

zu  schaden.  Die  Vegetation  ist  üppig,  ein  Quell  kommt  vom  Berg  herab.  — 
Klappt  man  das  Bild  zurück,  so  erscheint  der  schon  erwähnte  Yerlagsvermerk  auf 
dem  oberen  Quadrat:    Druck  u.  Verlag  v.  Ed.  Gust.  May  in  Frankfurt  a.  M. 

Nun  schlagen  wir  auch  die  obere  Klappe  auf  und  sehen  auf  der  schmalen 
Fläche  die  Darstellungen  '6  und  4,  den  Sündenfall  und  den  Kreuzestod,  überein- 
ander angeordnet. 

Aul  dem  oberen  Bilde  stehen  Adam  und  Eva  zur  Rechten  und  Linken  des 
Baumes,  von  dem  die  Schlange  sich  herunterwindet.  Eva  gibt  Adam  den  Apfel. 
Noch  ist  paradiesischer  Friede  unter  den  Tieren:  Panther,  Hirsch,  Einhorn  (?), 
Hühner,  Kaninchen,  Bär,  Strauß.     Darunter  die  Verse: 

3.    0  Anblick  zum  Erschrecken,  Da  war   das  Glück  entschwunden; 

Hier  lässt  Du  mich  entdecken  Doch  Deines  Heilands  Wunden 

Den  Sündenfall  zum  Tod.  Versöhnen  Dich  mit  Gott. 

Die  letzten  Verse  leiten  wiederum  über  zum  folgenden  Bilde  des  Gekreuzigten, 
zu  dessen  Füssen  Tod  und  Teufel  in  Schlangengestalt  als  überwundene  Mächte 
liegen.     Im  Hintergrunde  Jerusalem  und  Berge.     Darunter  steht: 

■4.    Damit  Du  Mensch  nicht  sollst  ver-  Ich  bin  die  Thür,  der  Weg,  das  Leben; 

derben,  Die  Sünden  kann  nur  ich  vergeben. 

Musst'  ich  für  Dich  am  Kreuze  sterben.  —  Ich  habe  Dir  den  Sieg  erkämpft 

Willst  Du  nun  werden  rein  von  Sünden,  Und  büsend  Gottes  Zorn  gedämpft. 

Kannst  Du  Dein   Heil    bei    mir  nur  Thu'  Buse  und  Dir  wird  vergeben; 

finden.  Nimmst  Theil  am  ewig  seligen  Leben. 

Wir  schlagen  die  dreiteilige  Längsseite  nach  links  um  und  wenden  das  Blatt 
halb  rechts,  dann  erblicken  wir  auf  der  so  gewonnenen  Fläche  von  27  cm  Breite 
und  l-iVa  <^'"  Höhe  (die  beiden  unteren  Flächen  liegen  noch  aufeinander)  die  auf 
S.  64  in  Vi  Grösse  wiedergegebene  Darstellung  des  engen  und  des  breiten  Weges 
(mit  den  Sprüchen  und  Reimen  5  und  6)  und  in  der  Mitte  die  stattlichen  Figuren 
eines  Menschenpaares  in  der  um  1850  modischen  Tracht.  Das  üppige  Weib  trägt 
über  dem  blauen  Kleiderrock  einen  roten  Überwurf  (panier),  dazu  Perlenkette, 
Armbänder  und  grünen  Sonnenschirm,  der  Mann  blauen  Frack,  gelbe  Weste, 
weiße  Reithosen,  Sporen  und  Gerte.  Allein  der  Dichter  (nr.  7)  bezeichnet  diese 
prächtigen  Kleider  nur  als  Sündendecken  und  fordert  uns  auf,  sie  aufzuheben. 

Klappen  wir  gehorsam  die  untere  Bildhälfte  nach  unten,  so  haben  wir  die 
ganze  innere  Fläche  des  Briefes  vor  uns,  und  auf  den  auf  S.  65  nachge- 
bildeten beiden  oberen  Dritteln  zeigt  sich  an  den  unten  der  Kleidung  beraubten 
Gestalten,  was  nach  Tod  und  Verwesung  vom  Menschen  übrig  bleibt:  nackte 
Bein-  und  Handknochen  ^).  In  den  entfleischten  Händen  halten  sie  Spaten  und 
Pickel,  mit  denen  sie  sich  gewissermassen  in  ihrer  Eitelkeit  selber  ihr  Grab 
graben.  Stundenglas,  Totenschädel  und  gesenkte  Fackeln  erblicken  wir  als  ver- 
ständliche Symbole  auf  einem  zwischen  dem  Paare  sichtbaren  Grabmonumente; 
dazu    die    Inschrift:    Memento    mori,    und    im    Hintergrunde    einen    Friedhof   mit 


1)  [So  zeigt  auch  ein  Holzschnitt  des  IG.  Jahrb.  im  Berliner  Ms.  germ  qu.  718, 
BL  65b,  wenn  man  die  Schürze  der  schönen  Frau  aufhebt,  nackte  Beine  von  Schlangen 
utnringelt:  dazu  die  gereimte  Auslegung:  Die  weit  ist  frolich  zu  sechen  an,  |  Das  soltu 
bey  mir  in  der  figiu-  verstan.  |  Er  sey  schon,  edel,  jung  oder  alt,  |  In  ainer  kurtz  wirt  er 
also  gestalt,  |  Als  du  mich  siehst  vnder  dem  schurtz  mein.  |  Gedenck  offt  au  das  lest 
vrthey]  dein!  —  Über  Frau  Welt  s.  Goethe- Jahrbuch  3,  V20.    Schauinsland  17,  58.] 


64 


Kirchner: 


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Zeitschr    d.  Vereins  f.  Volkskmule.    lOlO.   Heft  1. 


ß6  Kirchner,  Bolte: 

Kreuzen,  Cypressen  und  Trauerweiden.  —  Darunter  steht  (auf  dem  hier  nicht 
reproduzierten  unteren  Drittel  des  Blattes)  eine  auf  das  folgende  Bild  zielende- 
Doppelstrophe: 

9.  0  Mensch  hier  spiegle  Dich,  D'rum  folge  Jesu  Christ 
Da  braucht's  nicht  viel  Beweise,               Und  mühe  Dich  auf  Erden 
Hier  siehst  Du,  was  Du  bist,  Dieweil  Du  lebst  und  bist, 
Nichts,  als  der  Würmer  Speise.  Wie  Du  kannst  selig  werden. 

Das  Bild  lässt  einen  Toten  im  offenen  Sarge  mit  gefalteten  Händen  sehen; 
der  Sargdeckel  liegt  daneben.     Darunter  steht  in  kleinem  Druck: 

10.  Nun  ist  die  Pracht  dahin,  Was  ich  war,  bist  Du  nun! 

Die  Herrlichkeit  war  Staub,  Sieh',  was  Du  bald  wirst  werden*); 

Jetzt  siehe,  was  ich  bin,  Der  Tod  ereilt  auch  Dich, 

Bin  der  Verwesung  Kaub.  Auch  Du  wirst  Staub  und  Erden. 

Zu  Seiten  des  Mittelfeldes  schließen  sich  links  und  rechts  zwei  den  Dar- 
stellungen des  schmalen  und  des  breiten  Weges  entsprechende  Bilder  an,  welche 
die  Freuden  und  die  Qualen  des  Jenseits  offenbaren.  Links  wird  eine  fromme 
Seele  zu  den  Scharen  der  Seligen  emporgetragen.     Dazu  der  Text: 

11.  Sieh  da  den  Lohn,  den  die  Treue  verspricht. 
Die  Seele  erhebt  sich  zum  ewigen  Licht 
Getragen  von  Engel  zum  Throne  des  Herrn, 
Verlassend  die  Erde  in  ewiger  Fern.  — 

Sie  hör't  schon  den  Jubel  im  himmlischen  Chor, 
Und  höher  und  höher  noch  scliwebt  sie  empor, 
Sie  bebt  vor  Entzücken,  es  nahet  die  Zeit, 
Da  sieht  sie  ihn,  dem  sie  ihr  Leben  geweiht. 

Das  Bild  rechts  zeigt  einen  Sünder,  der  vom  Teufel  ins  Höllenfeuer  geschleppt 
wird.     Darunter  die  Erläuterung: 

12.  Hinab,  hinab  in  grundlos  tiefes  Dunkel, 
Hinab,  hinab  zum  Flammenpfuhl -Gefunkel. 

Zu  ewiger  Qual,  die  keine  Reue  lindert 

Die  keine  Bitte,  keine  Thräne  mindert; 

Wird  hier  die  Seele,  die  von  Gott  sich  wandte, 

Zu  ihrem  Schrecken  und  zu  ihrer  Schande 

Von  Teufelsklaun  trauend  hingerissen 

Zu  den  Verdammten  in  den  Pfuhl  geschmissen. 

Benshausen.  Victor  Kirchner. 


Das  Kinglein  sprang  entzwei. 

In    Eichendorffs    stimmungsvollem    und    vielgesungenem   Liede    Tu    einem 
kühlen  Grunde'  (1810)  klingen  uns  die  Zeilen 

Sie  hat  mir  Treu  versprochen,    Gab  mir  ein'n  Ring  dabei, 
Sie  hat  die  Treu  gebrochen,        Mein  Ringlein  sprang  entzwei 

so  vertraut  und  volksmässig,    als  stammten   sie    oder  wenigstens  der  darin  ausge- 
drückte Parallelismus  zwischen  der  Untreue  der  Geliebten  und  dem  Zerspringen  des 


1)  (Vgl.  zu  diesem  oft  wiederholten  Gedanken  die  Parallelensammlung  bei  R.  Köhler, 
Kleinere  Schriften  2,  27  und  die  oben  li>,  466  erwähnte  Schrift  von  Künstle,  Die  Legende 
der  drei  Lebenden  und  der  drei  Toten.] 


Kleine  Mitteilungen.  67 

Verlobangsringes  aus  der  älteren  deutschen  Volkspoesie.  Gleichwohl  sucht  man 
in  Des  Knaben  "NVunderhorn  und  älteren  Volksliedersammlungen  vergeblich  nach 
diesem  Motive.  Wenn  es  dagegen  in  neueren  Sammlungen  wiederholt  auftaucht, 
so  liegt  zumeist  eine  unverkennbare  Einwirkung  von  Eichendorffs  Gedicht  vor,  das 
tait  verschiedenen  Veränderungen  im  Volksmunde  fortlebt^).  So  lautet  in  einer 
bayrischen  Mädchenklage  'Einst  sass  ich  in  der  Laube' ^)  die  vierte  Strophe: 

Er  hat  mir  Treu  versprochen,    Gab  mir  den  Ring  dabei; 
Er  hat  die  Treu  gebrochen,         Das  Ringlein  sprang  entzwei. 

In  einer  hessischen  'Mein  Schatz  der  ist  im  fremden  Land'^): 

Mein  Schatz,  der  mir  geschworen  [hat].    Gab  mir  ein'n  Ring  dabei: 
Die  Lieb  die  ging  verloren,  Das  Ringlein  sprang  entzwei. 

In  einer  sächsischen  'Viele  Blümlein  sah  ich  stehen'*): 

Treue  hat  er  mir  geschworen,  Und  ein  Ringlein  war  dabei; 

Doch  die  Treue  ward  gebrochen.    Und  das  Ringlein  sprang  entzwei. 

Gleichlautend  kehren  diese  Verse  in  einem  schlesischen  Mädchenliede  -Der 
Himmel  ist  so  trübe' 5)  wieder.  Zweifelhafter  ist  das  Abhängigkeitsverhältnis  von 
dem  Kunstdichter  schon  in  einem  1S57  im  Inntale  aufgezeichneten''),  aber  auch 
im  Böhmerwalde  gesungenen^)  Liedchen: 

1.  Der  Sommer  geht  urami,  Falln  d  Läuberl  vom  Bam. 
Wenn  einmal  mein  lieb  Schatzerl    Aus  Österreich  kam! 

2.  Jetz  is  ä  heut  komme;  Was  hat  ä  mir  bracht? 
Und  a  Ringerl  am  Finger    Und  a  Brieferl  im  Sack®). 

3.  S  Ringerl  ist  brochen  Zu  tausend  Trümma: 
Bhüt  di  Gott,  mei  lieb  Schatzerl!     I  mag  di  nimma. 

Aus  Schlesien  gibt  PradeP)  eine  abweichende  Fassung: 
Mein  Schatz  reist  in  die  Fremde,  aha.     '       Mein  Schatz  hat  mich  belogen. 


AVas  wird  er  mir  mitbringen?  aha. 
Ein  rosmarie-Riechle, 
Dazu  ein  seidnes  Tüchle,  aha. 
Was  hat  er  an  seinem  Fingrer? 


Das  Ringlein  war  zerbrochen; 
Mein  Schatz  hat  mir  versprochen, 
Das  Ringlein  war  von  Dimant. 
Die  Liebe  die  weiss  niemand. 


Ein  Ring  von  Gold  und  Silber.  Wie  lange  währt  die  Liebe? 

Das  Ringlein  war  gebogen;  ]      Wie's  Wasser  in  dem  Siebe,  aha. 


1)  Nachweise  bei  J.  Meier,  Kunstlieder  im  Volksmunde  1906  S.  CHI  und  30  nr.  181 
und  Heeger-Wüst,  Volkslieder  aus  der  Rheinpfalz  2,  127  nr.  236  (1909). 

2)  Mitteilungen  und  Umfragen  zur  bayr.  Volkskunde  2  (1896)  nr.  4,  S.  )>. 

3)  J.  Meier,  Kunstlieder  1906  S.  CHI. 

4)  E.  John,  Volkslieder  aus  dem  sächsischen  Erzgebirge  1909  nr.  71. 

5)  Pradel,  Schlesische  Volkslieder  (Mitt.  der  schles.  Ges.  f.  Volkskunde  20,  101). 

6)  Erk-Böhme,  Liederhort  2,  526  ur.  724. 

7)  Jungbauer,  Volksdichtung  aus  dem  Böhmerwalde  1908  S.  151:  'Drei  Winta,  drei 
Summa'.  —  Die  3.  Strophe  allein  auch  bei  Pogatschnigg- Herrmann,  Volkslieder  aus 
Kärnten  1,  331  nr.  15(59  und  1647  (1879). 

8)  Statt  des  auffallenden  'Brieferl'  hat  Jungbauer:   A  Bussal  af  d'  Nos. 

9)  Mitt.  der  schles.  Ges.  f.  Volkskunde  20,  107.    Vgl.  noch  oben  S.  40,  nr.  4. 


68 


Bolte: 


In  Kärnten')  findet  sich  der  Vierzeiler: 

Das  Eingerl  is  brechen,     De  Liab  is  schon  aus  aus, 
Und  de  Busserl  sein  gflogen    Beim  Fenster  hinaus. 

Noch  weiter  entfernt  sich  ein  muntres  französisches  Tanzlied  aus  Loth- 
rino-en*),  das  durch  das  Zusammenlöten  des  zerbrochenen  Ringes  einen  heiteren 
Abschluss  erhält: 


1.  Oll  est-il,  mon  amant, 
A  I'heure  de  maintenant? 
II  est  a,  Paris, 

Ou  bien  ä  Orleans. 

Oll  sont-ils  ces  rosiers  blancs 

Qui  fleiirissent  en  boutons  d'argent? 

2.  II  apprend  ä  faire 
Des  anneaiix  d'argeut. 
Le  premier  qu'il  a  fait, 
II  m'en  a  fait  present. 


;').  II  r  a  mis  u  mon  doigt, 
II  y  a  reste  sept  ans, 
Et  au  bout  de  sept  ans, 
Voilä  l'anneau  fendu. 

4.  Yoilä  l'anneau  feudu, 
Nos  amours  sont  perdus. 
Voila  l'anneau  relie, 
Nos  amours  sont  retrouves. 
Oll  sont-ils  ces  rosiers  blancs 
Qui  fleiirissent  en  boutons  d'argent? 


Aus  dieser  lothringischen  Ronde  dürfen  wir  ohne  weiteres  schliessen,  dass 
das  Symbol  des  zersprungenen  Ringes  älter  als  Eichendorffs  Gedicht  ist.  Das 
bestätigt  auch  ein  mir  leider  nur  in  französischer  Übersetzung  zugängliches 
russisches  Volkslied^),  in  welchem  der  scheidende  Liebhaber  beim  Ringtausch 
zum  Mädchen  sagt: 

Si  Jamals  je  pense  ä  un  autre  amoiir, 
L'anneau  d'or  se  brisera; 
Et  toi,  si  tu  choisis  un  autre  fiance, 
Le  diamant  de  la  bague  se  detachera. 

Eine  Sage*)  berichtet  von  dem  brandenburgischen  Kurfürsten  Friedrich  III., 
bei  seiner  zweiten  Vermählung  sei  der  Ring,  den  er  von  seiner  ersten  Gattin 
empfangen,  plötzlich  zersprungen,  weil  er  sein  Versprechen  nicht  wieder  zu  heiraten 
gebrochen. 

In  andern  Fällen  bedeutet  das  Zerspringen  des  Ringes  nicht  die  Untreue, 
sondern    den    Tod    des    Schenkgebers.       Nach    der   Legende^)    empfing    die    hl. 


1)  Pogatschnigg-Herrmann  1,  350  nr.  1<J48. 

2)  Champfleury,  Chansons  populaires  des  provinces  de  France  1860  p.  168:  'Le  rosier 
d'argent'.  Piiymaigre,  Chants  pop.  recueillis  dans  le  pays  inessin  2,  170  (1881):  'L'anneau'. 
Frei  verdeutscht  bei  Erbrich,  Lieder  aus  dem  Metzer  Lande  (1894): 


Wohl  wusst  er  zu  fügen 
Metall  und  Gestein, 
Mir  schweisst  er  ein  Ringlein 
Von  Silber  so  fein. 


Der  Ring  ist  gesprungen. 
Gebrochen  die  Treu  — 
Die  Liebe  kam  wieder, 
Mein  Ringlein  ist  neu. 


Es  treiben  die  Knospen 
Am  Rosenstock  rot. 
Die  goldigen  Knösplein, 
Die  Röslein  so  rot. 


Ich  trug  es  am  Finger 
Wohl  sieben  Jahre  lang. 
Die  Jahre  vergingen. 
Das  Ringlein  zersprang. 

o)  A,  Million,  Les  chants  oraux  du  peuple  russe  1893  p.  153  'Les  gages  echanges'. 

4)  Lothar,  Volkssagen  und  Märchen  1820  S.  91  =  Grässe,  Sagenbuch  des  preussischen 
Staats  1,  31  nr.  14  (1868). 

5)  Passionael   efte   dat  leuent   der  hyllighen   (Basel  1517.    Wynterdeel  Bl.  67  a,  i  = 
Lübeck  1492,  Bl.  260b,  2):    'Nu  luidde   he    syuer  vrouwen   ein  vingerlyn   to  der  verdelage 


Kleine  Mitteilungen.  ß9 

Elisabeth  von  Thüringen  von  ihrem  zum  Kreuzzuge  aulbrechenden  Gemahl  einen 
Ring,  dessen  Stein  herausfallen  sollte,  wenn  dem  Landgrafen  ein  Unglück  zustiesse. 
In  einer  schottischen  Ballade*)  wird  Lord  ^Yearie  durch  das  Zerspringen  seines 
Ringes  inne,  dass  seine  Frau  daheim  von  dem  rachsüchtigen  Maurer  Lamkin  er- 
mordet worden  ist: 

The  lord  sat  in  England,  [  with  niy  lady  at  home; 

a  drinking  the  wine:  j  For  tlie  rings  of  my  fingers 

'I  wish  a  'may  be  weel  the  're  now  burst  in  twain.' 

Unheil,  das  dem  Träger  des  Ringes  selber  droht,  weissagt  in  einer  hsl. 
lateinischen  Salzburger  Schulkomödie-)  v,  J.  169G  der  von  ihren  Feinden  be- 
drohten Königin  Rhetorica  das  Zerspringen  ihres  Fingerreifs.  Man  denkt  dabei 
unwillkürlich  an  Schillers  Wallenstein  (Tod  V,  4),  dem  am  letzten  Lebensabend 
die  kaiserliche  Gnadenkette  zerspringt,  als  der  Kammerdiener  ihn  entkleiden  will. 

Bei  weiterer  Umschau  aber  können  wir  das  Motiv  des  zerspringenden  Ringes, 
das  wir  von  dem  bei  Joh.  Christian  Günther^)  mehrmals  erscheinenden  frei- 
willigen Zerbrechen  des  Verlobungsringes  zu  unterscheiden  haben,  in  die  grosse 
Gruppe  der  die  Lebensgefahr  des  fernen  Besitzers  ankündigenden  Gegenstände*) 
und  der  bereits  oben  19,  67  kurz  aufgezählten  Prüfmittel  der  Gattentreue  ein- 
reihen. Schon  im  altägyptischen  Brüdermärchen  ^)  schäumt  das  Bier  vor  Anepu 
und  der  Wein  trübt  sich,  um  ihm  den  Tod  seines  Bruders  Bata-u  zu  verkünden. 
Aus  gleichem  Anlass  wallt  in  andern  Märchen    das  Blut  in  der  Flasche,  wird  das 


[Abschiedsgescheuk]  gegeuen  mit  einem  legaut  [lechant  1492;  Name  eines  Edelsteins].  De 
steen  hefft  de  art  an  sik,  we  den  einem  hefft  gegeuen,  sterfft  he,  so  velt  he  uth.  Also 
schach  ok  sunte  Elizabeth,  der  vyl  de  steen  in  de  hant;  do  vorschrack  se  gans  seer, 
wente  se  vorstünt  do  wol,  dat  er  here  doet  was.'  In  der  Chronik  Joh.  Rothes  (Mencken, 
Scriptores  rerum  germ.  2,  1717)  dagegen  und  in  seinem  gereimten  Leben  der  hl.  Elisabeth 
(ebd.  2,  2071)  gibt  Ludwig  bei  der  Abreise  seiner  Gattin  seinen  Ring,  in  dessen  Stein  das 
Lamm  Gottes  eingegraben  war,  nicht,  sondern  zeigt  ihn  ihr  nur,  damit  sie  später  dem 
Boten  Glauben  schenke,  der  ihr  unter  Vorzeigung  des  Ringes  Nachricht  bringe:  ,,Dis 
fingirlin  [soll]  dir  ein  wäre  botschafft  sin  mynes  gesunden  lebins  adir  mynes  todes,  wer 
dir  das  brengit."  Vgl.  Montalembert,  Leben  der  hl.  Elisabetli  von  Ungarn  1S37  S.  li»2 
imd  über  das  leider  verlorene  Volkslied  'de  separatione  flebili  Elizabethae  et  mariti  sui 
Ludewici  lantgravii  in  terram  sanctam  ituri'  E.  Schröder,  Anz.  f.  dtsch.  Altert.  31,  207. 

1)  Child,  English  and  scottish  populär  ballads  2,  324  nr.  9oB  'Lamkin':  vgl.  Knortz, 
Lieder  und  Romanzen  Alt-Englands  1872  S.  162.  In  einer  andern  Fassung  (Child  nr.  93  E) 
fallen  dem  Lord  plötzlich  die  Knöpfe  vom  Rock  ab. 

2)  Bellum  ßhetoricum  Akt  1,  Sc.  9;  vgl.  Guarna,  Bellum  grammaticale  ed.  Bolte 
1908  S.  *68. 

3)  Günther,  Gedichte  hsg.  von  Tittmann  1874  S.  208  (So  brich  nur  Bild  und  Ring 
entzwei  |  Und  lass  die  Briefe  lodern),  40  (Es  lodern  die  Briete,  der  Ring  briclit  entzwei 
Und  zeigt  meiner  Schönen:  Nun  leb  ich  recht  frei),  3.')  (Will  ich  dich  doch  gerne 
meiden!  |  Gib  mir  nur  noch  einen  Kuss,  |  Eh  ich  sonst  das  Letzte  leiden  |  Und  den  Ring 
zerbrechen  muss!)  —  Wieder  verschieden  ist  der  zwischen  Eheleuten  oder  Freunden 
geteilte  Ring  (Sebillot,  Folklore  de  France  4,  342). 

4)  Cosquin,    Contes    pop,    de  Lorraine  1,  LXV.  60.  70 f.  2,    59.     J.  Lcvi,    Signes    de 
är    et    de    malheur   (Revue    des    t'tudes   juives    17,    202—209).      Leskien -Brugnian. 

Litauische  Volkslieder  1882   S.  547.     Clouston,    Populär   tales    1887    1,    169   (Life-tokens, 
tests  of  chastity).     Basset,  Nouveaux  contes  herberes  18117  p.  30;>— oKl.     Chauvin,  Biblio- 
graphie arabe  .'),  87.  6,  8.  7,  98.    Rittershaus,   Neuisländ.  Volksmärchen  i;)02  S.  27(i.  280. 
Macculloch,  Childhood  of  fiction  1905  p.  118.     Oben  17,  111  (ungariscli). 
ö)  Wiedemann,  Altägyptische  Sagen  190(5  S.  70. 


«70  Bolte: 

Wasser  trübe,  die  Milch  rot,  welkt  eine  Pflanze^),  rostet  oder  blutet  das  in  den 
Baum  gestossene  Messer"),  wird  ein  Tuch  blutig«),  ein  Bild*),  ein  Spiegel  oder 
Ringstein -5)  trübe  oder  schwarz,  presst  ein  Ring  den  Finger'^),  zerspringt  ein 
Trinkbecher'),  stürzt  ein  in  die  Erde  gesteckter  Speer  um**),  zerreissen  die  Saiten 
einer  Zither^),  versiegt  ein  Brunnen"),  erlischt  ein  Licht ^^)  usw.  Dadurch  erfährt 
der  Bruder  oder  die  Gattin  von  der  Gefahr  des  Helden  und  vermag  ihm  häufig 
noch  Rettung  zu  bringen;  auf  gleiche  Weise  wird  der  Gatte  durch  eine  nicht 
welkende  Rose,  ein  stets  weiss  bleibendes  Hemd  u.  a.  der  Treue  der  entfernten 
Frau  versichert.  Als  ein  schlimmes  Anzeichen  gelten  im  deutschen  Volksliede 
die  drei  roten  Rosen,  die  auf  den  Liebenden  unvermutet  herniederfallen.  So 
beginnt  ein  um  lö50  aufgezeichnetes  Lied ^2),  das  hernach  in  ein  anderes  Thema 
überlenkt: 

Ich  ritt  mit  hist  durch  einen  wald,  i  Nun  sag,  nun  sag,  gut  röslin  rot, 

do  sangen  die  vöglein  jung  und  alt.  lebet  mein  buhl  oder  ist  er  tot? 

Sy  sungen  als  lang,  bis  mich  verdroß,  '  'Er  lebet  noch,  er  ist  nit  tot, 

do  fielen  drei  röslin  in  mein  schoß.  i  er  leit  vor  Münster  in  großer  not' 


1)  Grimm,  KHM.  85.  Basset  1907  p.  ;J09.  Johannes-Album  2,  174  (Chemnitz  1857. 
Aus  Venezuela).  Plinius,  Nat.  hist.  15,  120:  'Sacrae  fuere  myrti  duae  ante  aedem 
[Quirini],  altera  patricia  appellata,  altera  plebeia.  patricia  multis  annis  praevaluit  exuberans 
ac  laeta.  quamdiu  senatus  quoque  floruit,  illa  ingens,  plebeia  retorrida  ac  squalida'  .  .  . 
M.  Schmuck,  Secretorum  uaturalium  thesauriolus  2,  3Gf.  (^Nbg.  1653)  =  Zs.  f.  Kultur- 
geschichte 1857,  205:  Orakel  mit  einem  abgebrochenen  und  eingepflanzten  Stengel  Tele- 
phium  oder  Crassula.  Ebenso  bei  Strackerjan,  Aberglaube  aus  Oldenburg  -  1,  32.  105  und 
Witzschel,  Kl.  Beiträge  aus  Thüringen  2,  291  (1878).  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte 
1,  48 f.  2,  23 f.    Sebillot,  Folklore  de  France  3,  433.  507.  527. 

2)  Grimm,  KHM.  (iO,  R.  Köhler  oben  6,  75  zu  Gonzenbach  nr.  39.  Rona-Sklarek, 
Ungar.  Volksmärchen  2,  103.  Andrejanoff,  Lettische  Märchen  189G  S.  44.  Kallas,  Verhdl. 
der  gel.  estnischen  Ges.  20,  11(3  nr.  2  und  4.  —  Baumlöcher  bemoosen  sich:  Zs.  f.  d. 
Mythol.  2,  391  (Bukowina). 

3)  Krauss,  Sagen  der  Südslaweu  2,  353.  —  Hemd  wird  schwarz:  Hahn,  Griech. 
Märchen  2,  45  nr.  G9.  —  Bürste  blutet:    Schieiner,  Kalewala  1852  S.  Gl.  75. 

4)  Rochholz,  Schweizersagen  185G  2,  34. 

5)  Flore  und  Blanscheflur  (Herzog,  Germania  29,  1G3.  IGG).  Gianandrea,  Canti  pop. 
marchigiani  1875  p.  20:  Si  l'anello  se  muta  de  colore,  Ricordate,  ch'  io  sono  '1  primo 
amore.  —  Eine  Perle  erbleicht:  Menzel,  Deutsche  Dichtung  1,  109.  —  Ring  rostet: 
Schuller,  Romanische  Volkslieder  1859  S.  37  =  Franken  1889  S.  Gl  =  Rudow  1888  S.  8. 
Leskien-Brugman  S.  548.  Ring  blutet:  Groome,  Gypsy  folk-tales  1899  p.  110.  —  Gold- 
stück rostet:    Wlislocki,  Märchen  der  Armenier  1891  S.  14G. 

())  Chauvin  (>,  8.     Spitta-Bey,  Contes  arabes  modernes  1883  p.  124. 

7)  Musäus,  Die  Erscheinungen  auf  Schloss  Hallermünd  (Volksmärchen  der  Deutschen, 
Stuttgart  [1887]  S.  332).    Jacottet,  Contes  des  Bassoutos  1895  p.  110.  211. 

8)  Jacottet  p.  2GG  =  T.  v.  Held,  Märchen  der  Neger  1904  S.  4. 

9)  Hahn,  Griech.  Märchen  2,  15  nr.  G4. 

10)  Basile,  Pentamerone  1,  9.  Nerucci,  Novelle  pop.  montalesi  nr.  8.  Schneller,  M. 
aus  Wälschtirol  nr.  28.  Cavallius-Stephens,  Schwed.  Älärchen  nr.  5.  Grimm,  D.  Sagen  nr.  104. 

11)  Zingerle,  KHM.  aus  Süddeutschland  18.54  S.  IIG  =  Zs.  f.  d.  Myth.  1,  45G. 

12)  Die  Lieder  der  Heidelberger  Hs.  Pal.  343  ed.  Kopp  1905  nr.  140  =  Uhland 
nr.  150  =  Erk-Böhme  nr.  20G.  Vgl.  Uhland,  Schriften  3,  428.  524.  4,  179.  Bei  Meinert 
(Volksheder  des  Kuhländchens  1817  S.  239)  antwortet  die  Nachtigall  dem  Mädchen  auf 
die  Frage,  ob  der  Liebste  lebe  oder  tot  sei:  'Dos  lavt  ni  mehr,  se  houns  derschloen'; 
vgl.  Erk-Böhme  nr.  204b.  —  Andre  Todeszeichen  bei  J.  (Jrimm,  Mythologie  3,  328  und 
Wuttke,  Volksaberglaube''  §297.  Drei  Blutstropfen  fallen  aus  der  Nase:  Strackerjan,  Aber- 
glaube -  1,  34-  Ein  Blutstropfen  fällt  dem  Sohne  des  Sterbenden  in  den  Teig:  Germania  7, 415. 


Kleine  Mitteilungen.  71 

Wenn  hier  die  Blume  sich  herbeilässt,  dem  sorgenden  Jüngling  ein  Orakel 
zu  erteilen,  so  bleibt  sie  in  dem  jüngeren  Liede  'Jetz  gang  i  ans  Brünnele'^) 
stumm.  Vielmehr  gerät  der  Liebhaber,  der  sein  Mädchen  nicht  beim  gewohnten 
Stelldichein  getroffen  hat,  beim  Anblick  der  fallenden  Rosen  in  Zweifel,  ob  sie 
■erkrankt  oder  mit  Absicht  ausgeblieben  sei,  und  wird  erst  belehrt,  als  er  darauf 
die  Ungetreue  mit  einem  andern  Burschen  plaudern  sieht ^): 

Ich  setzte  mich  nieder  aufs  Laub  und  grüne  Gras, 
Da  fielen  zwei  Röslein  mir  auf  meiuen  Schoß. 

Und  diese  zwei  Röslein  die  waren  rosenrot: 
Jetzt  weiß  ich  nicht,  lebt  mein  Schatz  oder  ist  er  tot. 

Nicht  um  einen  weissagenden  Talisman  oder  eine  Vorbedeutung  plötzlichen 
Unheils  handelt  sichs  in  dem  mährischen  Liede  'die  gebrochene  ßank'^),  sondern 
•um  ein  Gleichnis,  das  die  Trauernde  in  ihrer  nächsten  Umgebung  für  ihr  zer- 
brochenes Liebesglück  sucht: 

Die  Bank,  drauf  ich  so  oft  mit  ihm  gekoset  und  gelacht, 
Sie  ist  gebrochen,  und  war  doch  fest  aus  Eschenholz  gemacht. 

Sie  ist  entzwei,  sie  ist  entzwei  wie  unsre  Liebe,  achl 
Sie  ist  gebrochen,  die  holde  Bank,  wie  er  die  Treue  brach. 

Und  so  wie  nimmer  zusammenwächst,  ach  nimmer  Stück  mit  Stück, 
So  kehrt  auch  niemals,  niemals  wohl  der  alten  Liebe  Glück. 

Direkt  in  die  Stimmung  des  Eichendorffschen  Gedichtes,  von  dem  wir  aus- 
gingen, führt  uns  endlich  das  ähnliche  Bild  vom  zerbrochenen  Mühlrade  zurück, 
das  ein  Abschiedslied*)  des  16.  Jahrhunderts  anschaulich  verwertet: 

Dort  hoch  auf  jenem  berge  da  steht  ein  mühlenrad. 
Das  mahlet  nichts  denn  liebe  die  nacht  bis  an  den  tag. 

Die  mühle  ist  zerbrochen,  die  liebe  hat  ein  end: 
So  gesegen  dich  gott,  mein  feines  liebl     Jetz  fahr  ich  ins  elend. 

Und  vermutlich  haben  gerade  diese  auch  im  Wunderhorn')  zu  findenden 
Verse  bei  dem  jungen  Romantiker  die  Stimmung  zu  seinem  Mühlenliede  aus- 
gelöst, in  dem  Schauplatz  und  Sprecher  völlig  die  gleichen  wie  dort  sind.  Beide- 
mal ist  es  die  getäuschte  Liebe  zu  einer  schönen  Müllerstochter,  die  den  Burschen 
in  die  Fremde  treibt,  während  heutzutage  das  Volk  die  Situation  des  Eichen- 
dorffschen Gedichtes  meist  umkehrt  und  dies  zur  Klage  eines  verlassenen  Mädchens 
umdichtet.  Nur  statt  des  zerbrochenen  Mühlrades  hat  der  Dichter  passend  das 
gleichfalls  volkstümliche  Motiv  des  zersprungenen  Ringleins  eingeführt. 

Berlin.  Johannes   Bolte. 


1)  Erk-Böhme.  Liederhort  1,  (ilO  nr.  203 — 205.  Köhler- Meier,  VI.  von  der  Mosel 
nr.  86.  Marriage,  VI.  a.  d.  bad.  Pfalz  nr.  4(1.  Heeger-Wüst,  VI.  a.  d.  Rheinpfalz  1,  160  nr.  6S. 
John,  VL  a.  d.  sächs.  Erzgebirge  nr.  80.  Nach  Pixis  bei  L.  Schneider,  Jokosus  1,  21:3 
(18.38).     C.  Müller,  Progr.  Löbau  1901  S.  69. 

2)  So  ist  natürlich  die  in  manchen  Fassungen  in  Unordnung  geratene  Strophenfolge 
zu  bessern. 

3)  Wenzig,  Westslawischer  Märchenschatz  1858  S.  274. 

4)  Bergreihen  1537  nr.  54,  Str.  8  =  Erk-Böhme  2,  234  nr.  419.  Köhler-lMeier  nr.  99. 
Heeger-AVüst  1,  175  nr.  76.  J.  Kerner  schreibt  am  15.  März  1816  an  Varnhageu:  „Das 
]\Iühlrad  ist  gesprungen,  die  Liebe  hat  ein  End,  hörte  ich  von  Schiffern  auf  dem  Vierwald- 
stätter  See." 

5)  Arnim- Brentano,  Des  Knaben  Wunderhorn  1,  102  (1806).  Vgl.  K.  Bode,  Die  Be- 
arbeitung der  Vorlagen  in  Des  Knaben  Wunderhorn  1909  S.  ;>11. 


72  Zuidema. 

Amsterdamer  Häusersageu. 

1.  Das  Haus  mit  den  Köpfen  (auch  'mit  den  sechs  Köpfen')  ist  ein 
Patrizierhaus  aus  dem  1 7.  Jahrhundert,  das  mit  sechs  überlebensgrossen  steinernen 
Römerköpfen  geschmückt  ist.  Der  Sage  nach  war  einmal  der  Hausherr  mit 
Familie  und  Gesinde  bis  auf  eine  Magd  ausgegangen.  Das  benutzten  sieben  Diebe 
und  versuchten  durch  ein  Kellerloch  hineinzukriechen.  Allein,  die  Magd  hörte  das 
Geräusch,  nahm  das  Beil,  das  in  der  Küche  zum  Spalten  des  Brennholzes  benutzt 
wurde,  ging  in  den  Keller,  sah  einen  struppigen  Kopf  durchs  Loch  ragen  und  hieb 
ihn  herunter  und  zog  den  Rumpf  nach.  Der  zweite  Dieb  fragte  ganz  leise:  „Bist 
schon  drinnen?"  Die  Magd  antwortete  mit  verstellter  Stimme:  „Ja,  komm  nur 
schnell  nach!"  und  hieb  den  zweiten  Kopf  gleichfalls  herunter  usw.,  bis  zum 
sechsten.  Dem  siebenten  Räuber  aber  erschien  die  Sache  nicht  geheuer,  und  er 
machte  sich  davon.  Als  dann  am  andern  Tag  der  Hausherr  zurückkam,  belohnte 
er  die  treue  Magd  fürstlich  und  Hess  zum  Angedenken  die  sechs  Köpfe  im  Giebel 
meisseln  (Navorscher  3,  133;  auch  mündlich).  Dass  hier  ein  Erklärungsbedürfnis 
die  Geschichte  von  Ali  Baba  (Chauvin,  Bibliographie  arabe  5,  79)  lokalisiert  hat, 
liegt  am  Tage.  [Die  noch  näherstehenden  Märchen,  die  R.  Köhler  zu  Gonzen- 
bach  nr.  10  und  oben  G,  ()2  anführt,  fügen  eine  Portsetzung  hinzu,  in  welcher  der 
entkommene  Räuber  als  Freier  wiederkehrt,  um  sich  an  dem  Mädchen  zu  rächen.] 

2.  Das  Haus  mit  den  drei  Köpfen  als  Giebelschmuck  (alle  drei  ungeheuer 
langnasig)  soll  die  Porträts  des  ersten  Besitzers  und  seiner  Söhne  zeigen.  Spott- 
lustige Freunde,  heisst  es,  machten  ihm  das  Anerbieten,  die  Ausschmückung  des 
Giebels  zu  bezahlen,  mit  der  Bedingung,  ihn  selber  nebst  Söhnen  abbilden  zu 
dürfen;  er  schlug  ein,  und  das  Ergebnis  war  jene  Nasenparade  (Navorscher  5, 137). 
Das  ist  wohl  aus  Erklärungsbedürfnis  oder  zum  Spass  frei  erfunden;  die  wirkliche 
Bedeutung  dürfte  eine  ähnliche  sein,  wie  in  dem  spanischen  Giebelspruch,  den  ein 
altes  Haus  in  Groningen  trägt:  Dios  con  nos,  una  hica  para  vos  (Gott  mit  uns, 
eine  Feige  für  euch).  Und  wahrscheinlich  trug  jener  Nasengiebel  eine  gleich- 
artige, jetzt  aber  verschwundene  Inschrift.     [Neidköpfe,  vgl.  oben  18,  279.] 

3.  Das  Haus  mit  der  goldnen  Kette  zeigt  eine  vergoldete  eiserne  Kette 
statt  des  Aushängeschildes.  Man  erzählt,  der  einstige  Besitzer  sei  von  grossem 
Reichtum  in  tiefe  Armut  geraten,  dann  nach  Indien  gezogen,  um  sich,  wie  er 
selber  sagte,  eine  goldne  oder  eine  eiserne  Kette  zu  holen,  und  steinreich  zurück- 
gekehrt. Eine  andere  Sage  bezeichnet  es  als  Gespensterhaus:  beim  Brande  des 
Stadttheaters  1772  sei  der  damalige  Besitzer  mitverbrannt,  und  seine  Witwe  habe 
sich  erhängt;  seitdem  sei  das  Haus  nicht  geheuer;  was  aber  die  Kette  damit  zu 
schaffen  habe,  wird  nicht  angegeben  (Navorscher  ä,  157).  Die  erste  Erzählung 
lokalisiert  behufs  Erklärung  des  Aushängezeichens  die  Redensart:  „Der  spielt  um  eine 
goldne  oder  eine  eiserne  Kette",  d.  h.  sein  Bestreben  wird  ihn  entweder  reich  machen 
oder  ins  Zuchthaus  bringen.  Die  zweite  könnte  einen  wirklichen  Vorfall  berichten, 
aus  dem  die  abergläubisch  erregte  Phantasie  späterer  Bewohner  den  Spuk  erschuf. 

4.  Die  untilgbare  Blutschrift.  Ein  Haus  am  Amstel  zeigt  einige  rote 
hebräische  Buchstaben  ("13  d'?),  die  der  Sage  nach  von  einem  Juden,  dessen 
Bitte  um  ein  Almosen  abgewiesen  ward,  mit  seinem  Blute  geschrieben  und  trotz 
allen  Versuchen,  sie  zu  tilgen,  unverwüstlich  sind  (Pesel,  Eene  Episode  uit  het 
leven  van  Rabbi  Abraham  Prins,  leider  romantisch  ausgesponnen;  auch  mündlich). 
Die  Buchstaben  stehen  wirklich  da.  Der  Sinn  ist,  sagt  mir  ein  Sachverständiger, 
judendeutsch:  leib  nar,  also:  Levi  ist  ein  Narr,  oder:  leibh  neir  =  [mein]  Herz 
[ist]    Licht;    da  dies  aber  gar  nicht  zur  Sage  stimmt,    muss    diese    unter  Christen 


Kleine  Mitteilungen.  73 

entstanden  sein.  Zu  dem  schriftlichen  Protest  des  unschuldig  Hingerichteten  vgl. 
Urquell,  n.  F.  2,  245  (1808);  zu  der  wunderbaren  Bestätigung  seiner  Unschuld 
ebenda,  und  Pröhle,  Harzsagen  1854,  S.  109;  Wuttke,  Volksaberglaube  der  Gegen- 
wart, 3.  Aufl.  §  lo;  zum  Schreiben  mit  Blut  Strack,  Der  Blutaberglaube  bei  Christen 
und  Juden  1891  S.  6  und  die  allbekannte  Sage  vom  Teufelsbündnis;  zur  ünver- 
löschlichkeit  des  Blutzeichens  Wolf,  Niederländische  Sagen  1843  nr.  2<;6:  zur 
mystischen  Kraft  der  hebr.  Schrift  AVuttke  §  510  und  (ili^.  Den  Grund  dieses 
Aberglaubens  kann  man  suchen  in  der  jüdischen  Herkunft  der  Magie  (Kiesewetter, 
Faust  1<S93  S.  33;  Lehmann,  Aberglaube  u.  Zauberei,  übers,  von  Petersen,  S.  185), 
doch  ist  obendrein  zu  beachten,  dass  Unverständliches  immer  mystisch  anmutet  und 
noch  dazu  ja  allbekannt  war,  in  dieser  Schrift  sei  das  Alte  Testament  geschrieben. 

5.  Die  Atlasstatue  auf  dem  Palast.  Den  Giebel  des  ehemaligen  Rat- 
hauses, des  jetzigen  königlichen  Palastes,  krönt  ein  riesiges  Bronzebild,  Atlas  mit 
der  Weltkugel.  Durch  den  Koloss  führt  eine  Treppe  in  die  hohle  Kugel,  wo  ein 
Fensterchen  eine  herrliche  Aussicht  bietet.  Die  Sage  aber  macht  diese  Kugel  zum 
Kerker;  ein  Bürgermeister  habe  dort  einmal  seine  Magd  einsperren  und  ihr  nur 
Brot  und  Wasser  zur  Nahrung  reichen  lassen,  weil  sein  Sohn  sie  liebte  und  hei- 
raten wollte.  —  (Mitgeteilt  wie  oben).  Von  einem  geschichtlichen  Grunde  kann 
keine  Rede  sein.  Den  Anlass  der  Sage  gaben  vermutlich  (auch  deutsche)  Ritter- 
romane und  Ritterdramen,  in  denen  solche  Gewaltakte  alltäglich  sind,  und  die 
Vorstellungen,  die  man  nach  der  Revolution  von  der  Macht  und  dem  Stolze  eines 
Amsterdamer  Bürgermeisters  der  alten  Zeit  hatte;  ein  Kämmerlein  in  einer  Statue 
musste  ja  die  Volksphantasie  reizen. 

6.  Die  Fliegen  bringen  es  an  den  Tag.  Eine  jetzt  verschwundene 
Brücke  hiess  im  Volksmund  Moordenaarsbrug  (Mörderbrücke);  ihr  ganz  nahe  lag 
ein  als  Gastwirtschaft  benutzter  Keller,  der  Fliegenkeller  benannt.  Dort  setzte  sich 
einmal  ein  Fliegenschwarm  einem  Gast  aufs  Gesicht  und  trotzte  allen  Versuchen, 
ihn  zu  verjagen.  Das  machte  den  Mann  verdächtig;  er  wurde  verhaftet,  und  es 
stellte  sich  heraus,  dass  er  auf  der  Brücke  einen  Mord  verübt  hatte,  (ter  Gouw, 
Amstelodamiana  1,  265).  —  Vgl.  Die  Kraniche  des  Ibykus  und  Chamisso,  Die  Sonne 
bringt  es  an  den  Tag.  ;^/..  Köhler,  Kl.  Schriften  2,  563.  Chauvin,  Bibliographie 
arabe  2,  123.  7,  146.] 

7.  Der  Schreierstoren  (Turm  der  Weinenden),  der  letzte  Rest  des  alten 
Mauergürtels  der  Stadt,  zeigt  auf  einem  Steine  das  Bild  einer  weinenden  Frau,  im 
Hintergrunde  eine  Flotte  und  die  Jahreszahl  1569.  Der  Sage  nach  war  hier  der 
Ort,  wo  die  ausfahrenden  Seeleute  sich  von  ihren  Frauen  und  Bräuten  ver- 
abschiedeten und  deshalb  viel  gew^eint  wurde;  einmal  soll  eine  Frau  vor  Schmerz 
versteinert  und  dann  ihr  Bild  in  einen  Stein  des  Turmes  eingehauen  worden  sein. 
Melchior  Fokkens,  Beschryvinghe  van  Amsterdam  S.  733  sagt,  sie  sei  irrsinnig 
geworden.  Das  Bild  bezieht  sich  wohl  auf  die  trauernden  Weiber  im  allgemeinen 
und  ist  dann  von  der  Sage  auf  eine  gedeutet  worden. 

8.  Des  reichgewordenen  Bettlers  Bild.  An  einem  Hause  in  der  Doe- 
lenstraat  war  ehedem  die  Lehne  der  Treppe  mit  einem  bärtigen  Kopfe  aus  Metall 
geschmückt.  Vor  diesem  Hause  hatte  einmal  ein  jüdischer  Bettler  seinen  Stand- 
ort; eine  Erbschaft  aus  Portugal  machte  ihn  reich;  er  kaufte  das  Haus  und 
schmückte  die  Treppe  mit  seinem  eignen  Porträt.  (Mitgeteilt  von  'Amstellander' 
in  der  Wochenschrift  'Het  Leven',  April  1908).  Ein  Teil  der  Amsterdamer  Juden 
und  namentlich  der  Bessergestellten  unter  ihnen  stammt    tatsächlich   aus  Portugal. 

Amsterdam.  Willem  Zuidema. 


74  ^  Daniel: 

Armenische  Märchen. 

Die  nachfolgenden  Märchen  erzählte  mir  i.  J.  1901  ein  halbwüchsiger  arme- 
nischer Junge  Krikor  Kujuradjan  aus  Agn  (türkisch  Egin)  am  Euphrat,  der  nach 
dem  blutigen  Gemetzel  dort  von  seinen  Verwandten  nach  Konstantinopel  geschickt 
worden  war.  Er  hatte  sie  alle  von  seiner  ürgrossmutter  gehört  und  trug  sie  in 
einem  grauslichen  Gemisch  von  Armenisch,  Deutsch  und  Türkisch  vor.  Bei  der 
Wiedergabe  des  Inhalts  habe  ich  mich  möglichster  Knappheit  befleissigt  und  von 
der  ersten  Xummer  nur  einen  Auszug  gegeben. 

I.   Der  gefangene  Knabe. 

Ein  Knabe  träumt,  seine  Eltern  reichten  ihm  Waschwasser,  und  wird,  da  er 
den  Traum  niemandem  erzählen  will,  ins  Gefängnis  geworfen;  er  gelangt  durch 
die  Wand  in  das  Zimmer  der  Königstochter,  hilft  ihr  scharfsinnig  die  Aufgaben 
des  fremden  Königs,  der  die  Stadt  belagert,  lösen  und  überwindet  mit  Hilfe  von 
sechs  Gesellen  mit  wunderbaren  Eigenschaften  das  feindliche  Heer  wie  die  Nach- 
stellungen des  Vaters  seiner  geliebten  Prinzessin.  —  [G.  Chalatianz,  Armenische 
Märchen  und  Sagen  1887  S.  öl    'Der  Traumseher'.      Vgl.  R.  Köhler,  Kl.  Schriften 

1,  430.  P.  Schullerus,  Archiv  f.  siebenbg.  Landeskunde  n.  P.  33,  538.  586,  Schott, 
Walach.  M.  S.  125.  Jones-Kropf,  Magyar  folk-tales  p.  118.  Zs.  f.  österr.  Volksk. 
ö,  141  zu  59.    —    Zum  ganzen    ersten  Teile  Rona-Sklarek,    Ungar.  Volksmärchen 

2,  245  nr.  24.  Zu  den  Aufgaben  des  fremden  Königs  Chauvin,  Bibliographie 
arabe  G,  37.] 

2.    Das  Pferd  des  Kaimakam^). 

Es  hatte  ein  Mann  einen  Sohn,  der  hatte  zu  keiner  Arbeit  Lust.  Immer  sass 
er  träumend  bei  den  Tieren  oder  Blumen,  aber  von  anderen  Dingen  wollte  er 
nichts  wissen.  Das  verdross  den  Mann,  und  er  sprach:  „Aus  dir  wird  dein  Leben- 
lang nichts.  0,  warum  muss  ich  armer  Mann  einen  so  nichtsnutzigen,  gottlosen 
Jungen  haben!"  Diese  Klagen  hörte  ein  Derwisch,  der  eben  des  Weges  kam;  er 
trat  hinzu  und  sprach:  „Gib  mir  deinen  Sohn  mit;  ich  will  ihn  in  die  Lehre 
nehmen.  In  sieben  Jahren  bringe  ich  ihn  dir  wieder.  Dort  auf  jenem  Berge 
wollen  wir  uns  treffen."  Der  Vater  willigte  ein,  und  der  Derwisch  ging  mit  dem 
Knaben  fort. 

Der  Derwisch  verstand  die  Kunst,  sich  in  irgendein  Tier  oder  sonstiges  Ding 
zu  verwandeln,  und  er  zeigte  es  dem  Knaben  und  lehrte  ihn,  wie  man  es  macht. 
Aber  die  Frau  des  Derwisches  hatte  den  Jungen  lieb  und  sprach  heimlich  zu  ihm: 
^Wenn  er  dich  fragt,  ob  du  es  nun  nachmachen  kannst,  so  antworte  stets:  nein! 
Denn  sobald  du  dich  verwandelst,  tut  er  es  auch,  und  dann  frisst  er  dich."  Nach 
zwei  Jahren  fragte  der  Zauberer:  „Hast  du  nun  etwas  gelernt?"  Der  Junge  er- 
widerte: „Nein."  Da  lehrte  ihn  der  Derwisch  wiederum  und  machte  ihm  alles 
genau  vor,  und  nach  einem  Jahre  fragte  er  wieder  und  erhielt  dieselbe  Antwort. 
So  auch  in  den  folgenden  Jahren.  Schliesslich  fragte  er  jedes  halbe,  dann  jedes 
Vierteljahr,  dann  jeden  Monat,  dann  jede  Woche,  dann  jeden  Tag;  ja  in  den 
letzten  Tagen  fragte  er  jede  Stunde,  ab  jedesmal  erhielt  er  dieselbe  dumme  Ant- 
wort. Da  sah  der  Derwisch,  er  könne  mit  ihm  nichts  machen,  brachte  ihn  auf 
den  Berg  und  gab  ihn  seinem  Vater  zurück. 

1)  [Grimm,  KHM.  GS  'Ue  Gaudeif  un  sien  Meester'.    R.  Köhler  1,  138.  ööG.] 


Kleine  Mitteilungen.  75 

Der  Vater  freute  sich  doch  sehr,  als  er  seinen  Sohn  wieder  hatte.  Sie  gingen 
nun  heira;  unterwegs  aber  ging  der  Junge  hinter  einen  Stein,  und  während  der 
Vater  wartete,  sah  er  einen  schönen  Fuchs  auf  sich  zukommen,  der  ganz  zu- 
traulich tat.  Als  nun  der  Junge  wiederkam,  sagte  der  Vater:  „Schade,  dass 
du  den  schönen  Fuchs  nicht  gesehen  hast,  der  eben  über  den  Weg  lief!" 
Der  Sohn  schmunzelte,  sagte  aber  nichts.  Er  besann  sich,  wie  er  seine  Kunst 
anwenden  könne,  seinen  armen  Vater  reich  zu  machen,  doch  wusste  er  keinen 
Weg  dazu. 

Xun  hatte  der  Kaimakam  (Distriktsvorsteher)  zwei  wunderschöne  Pferde,  aufs 
Haar  einander  gleich,  die  er  sehr  liebte.  Da  starb  das  eine,  und  er  liess  im 
ganzen  Lande  nach  einem  ähnlichen  suchen.  Als  das  der  Knabe  hörte,  sagte  er 
dem  Vater,  er  wolle  sich  in  ein  Pferd  verwandeln,  und  der  Vater  solle  ihn  dem 
Kaimakam  verkaufen,  aber  für  mindestens  hundert  Goldstücke.  Nur  solle  er  nicht 
vergessen,  ihm  den  Zaum  aus  dem  Maule  zu  nehmen.  Er  ging  in  den  Stall,  und 
gleich  darauf  hörte  der  Alte  das  Wiehern  eines  Pferdes,  ging  und  nahm  es  beim 
Zaum  und  führte  es  in  die  Stadt,  vor  des  Raimakams  Haus.  Dessen  Diener  sahen 
kaum  das  edle  Tier,  so  eilten  sie  zu  ihrem  Herrn  und  riefen:  „Herr,  draussen 
steht  ein  Mann  mit  einem  Pferd,  welches  genau  deinem  verlornen  gleicht.  Komm 
doch  und  sieh  das  prächtige  Tier!''  Der  Kaimakam,  hoch  erfreut,  bewilligte  sofort 
die  verlangten  hundert  Goldstücke.  Aber  während  man  das  Geld  herbeiholte,  trat 
ein  Fremder  hinzu  und  sprach:  „Ich  biete  das  Zehnfache  für  das  Pferd,  doch 
muss  ich  zuvor  versuchen,  wie  es  läuft."  Und  er  schwang  sich  hinauf,  fasste  den 
Zügel  mit  starker  Paust  und  jagte  davon,  dass  ihn  niemand  einzuholen  vermochte. 
Dieser  Mann  war  der  Derwisch.  Höhnisch  sprach  er  zu  dem  Pferde:  „Eh,  so  hast 
du  mich  betrogen?  Nun,  jetzt  bist  du  in  meiner  Gewalt,  und  ich  werde  es  dir 
heimzahlen."  Er  hatte  sein  Haus  erreicht,  stieg  ab  und  befahl  seiner  Frau,  die 
Axt  zu  holen.  Aber  diese,  die  den  Jungen  lieb  hatte,  versteckte  die  Axt  auf  dem 
Söller  und  sagte,  sie  könne  sie  nicht  finden.  „So  komm  und  halte  das  Pferd.'' 
rief  der  Alte  wütend,  „bis  ich  die  Axt  suche."  Die  Frau  tat,  wie  befohlen, 
flüsterte  aber  dem  Tiere  ins  Ohr:  „Gib  mir  einen  leichten  Schlag  mit  dem  Fusse, 
so  werde  ich  hinfallen  und  du  entläufst."  Das  Pferd  gehorchte,  kaum  aber  be- 
rührte es  die  Frau  mit  dem  Fusse,  so  warf  sich  diese  hin  und  schrie:  „Oh,  das 
böse  Pferd  hat  mich  geschlagen!"  Das  Pferd  aber  machte  sich  zum  Vogel  und 
flog  fort;  der  Derwisch  jedoch  wurde  ein  noch  grösserer  Vogel  und  suchte  ihn  zu 
erhaschen.  Da  flog  der  kleine  Vogel  in  des  Königs  Garten,  wurde  ein  Apfel  und 
fiel  in  des  Königs  Schoss.  Schnell  aber  trat  der  Derwisch  in  Menschengestalt  in 
den  Garten,  als  ein  Fremder,  der  zu  Besuch  kommt,  und  als  er  mit  dem  Könige 
sprach,  erbat  er  sich  den  schönen  Apfel.  Der  König  wollte  nicht  recht,  doch  gab 
er  dem  Drängen  nach  und  reichte  den  Apfel  hin;  dieser  aber  zerfiel  in  lauter 
einzelne  Körner,  welche  über  den  Boden  rollten.  Geschwind  wurde  der  Derwisch 
ein  Hahn  und  pickte  alle  Körner  auf;  aus  dem  letzten  derselben  aber  wurde  ein 
Marder,  der  fuhr  dem  Hahn  an  die  Kehle  und  biss  ihn  tot.  Verwundert  schaute 
der  König  diesen  Dingen  zu,  liess  den  Marder  greifen  und  in  einen  Käfig  sperren. 
Aber  kaum  war  dieser  drinnen,  so  wurde  er  zur  Ameise  und  entschlüpfte  durch 
die  Stäbe;  dann  flog  er  als  Vogel  auf  und  kam  heim  zu  seines  Vaters  Haus. 
Dort  machte  er  sich  wiederum  zum  Pferd  und  liess  sich  dem  Kaimakam  verkaufen; 
der  Vater  zog  vergnügt  mit  seinen  hundert  Goldstücken  heim. 

Das  neue  Pferd  kam  aus  dem  Stall  und  ging  die  Treppe  hinauf.  Der 
Kaimakam  sah  es  und  rief  die  Diener;  diese  aber  sahen  nichts  und  wunderten 
sich  über  die  Reden  ihres  Herrn.     Nun  stieg  das  Pferd  in  eine  Wasserkanne  und 


7g  Daniel: 

bewegte  die  Ohren.  Der  Kaimakam  sah  es  und  rief:  „Seht  doch  das  Pferd  in 
der  Kanne,  wie  es  die  Ohren  bewegt!"  Die  Diener  aber  sahen  es  nicht,  lachten 
und  sagten:  „Unser  Herr  ist  verrückt  geworden,"  schlugen  ihn  und  stiessen  ihn 
zum  Hause  hinaus.  Der  Knabe  aber  ging  wieder  zu  seines  Vaters  Hause.  Dieser 
verkaufte  ihn  noch  mehrere  Male  in  Gestalt  verschiedener  Tiere,  aber  stets  kam 
er  wieder  heim.  Dadurch  aber  gewann  sein  Vater  Geld,  und  sie  lebten  vergnügt 
zusammen. 

3.   Der  Knabe  mit  dem  goldenen  Haar^). 

Es  war  ein  Mann  und  eine  Frau,  die  hatten  kein  Kind  und  waren  sehr  traurig 
darüber.  Endlich  sagte  der  Mann:  „Ich  werde  dort  auf  den  Berg  gehen  und  den 
Himmel  fassen  und  hineinsteigen  und  zu  Gott  gehen,  ihn  um  ein  Kind  zu  bitten." 
Als  er  nun  auf  den  Berg  ging,  traf  er  einen  Derwisch,  dem  erzählte  er  die  Sache. 
Dieser  sprach:  „Ich  gebe  dir  einen  Apfel;  iss  du  die  Hälfte  und  deine  Frau  die 
andere,  so  werdet  ihr  einen  Sohn  bekommen.  Aber  w^enn  er  sieben  Jahre  alt  ist, 
komme  ich  und  hole  ihn  mir."  Der  Mann  versprach  es,  und  es  geschah  alles, 
wie  der  Derwisch  gesagt  hatte.  Der  Knabe  wuchs  heran,  und  sie  schickten  ihn 
in  die  Stadt  zur  Schule.  Eines  Tages  traf  ihn  der  Derwisch  auf  dem  Wege  und 
sprach:  „Sage  deiner  Mutter,  sie  soll  mir  meinen  Lohn  geben."  Aber  der  Knabe 
vergass  es  zu  bestellen.  Am  andern  Tage  sprach  der  Derwisch  ebenso,  aber  der 
Knabe  vergass  es  wieder.  Am  dritten  Tage  steckte  der  Derwisch  dem  Knaben 
einen  Knöchel  in  den  Gürtel,  und  als  ihn  die  Mutter  abends  auszog  und  der 
Knöchel  zur  Erde  fiel,  erinnerte  er  sich  des  Mannes  und  erzählte  es  seiner  Mutter. 
Sie  wurde  sehr  traurig,  dass  sie  ihren  Sohn  hingeben  sollte.  Als  dieser  am 
nächsten  Tage  zur  Schule  ging,  ergriff  ihn  der  Derwisch  und  nahm  ihn  mit.  Er 
führte  ihn  in  ein  grosses,  schönes  Haus;  dort  lebte  er  jahrelang  und  wurde  gross 
und  schön  und  stark. 

In  dem  Hause  lebte  ein  Mädchen,  die  sprach  eines  Tages,  als  der  Derwisch 
schlief,  zu  dem  Jungen:  „Hast  du  schon  die  schönen  Zimmer  gesehen  und  alles, 
was  darin  ist?  Nimm  die  Schlüssel  von  der  Seite  des  Mannes  und  schliess  alle 
vierzig  Zimmer  auf!"  So  tat  der  Junge,  und  er  fand  in  dem  einen  Zimmer  schöne 
Kleider,  im  zweiten  Waffen,  im  dritten  Gold,  dann  kostbaren  Schmuck  und  andere 
wertvolle  Sachen.  Dann  kam  er  in  ein  Zimmer,  darin  war  ein  Brunnen,  aus  dem 
floss  Gold.  Der  Junge  hielt  seinen  Kopf  darunter,  da  wurde  sein  Haar  zu  lauter 
Gold.  Zuletzt,  nachdem  er  noch  viele  Herrlichkeiten  gefunden,  traf  er  in  der 
letzten  Stube  ein  Pferd  und  ein  Schwein.  Das  Schwein  hatte  Korn  zum  Fressen; 
vor  dem  Pferde  aber  lag  Fleisch.  Da  nahm  der  Junge  das  Korn  und  brachte  es 
dem  Pferde.  Dieses  dankte  ihm  und  sprach:  „Das  hast  du  gut  gemacht.  Willst 
du  frei  werden?  Dann  komm  und  setze  dich  auf  meinen  Rücken!  Nimm  aber 
einen  Krug  Wasser  mit  dir  und  ein  Gefäss  voll  Salz  und  ein  Messer!"  Der  Junge 
tat  alles,  sass  auf,  und  das  Pferd  sprang  mit  ihm  zum  Fenster  hinaus  und  eilte 
fort.  Aber  da  ertönte  ein  Glockenzeichen.  Der  Derwisch  erwachte,  setzte  sich  auf 
das  Schwein  und  ritt  dem  Jungen  nach.  Fast  hatte  er  ihn  eingeholt;  da  sagte  das 
Pferd:  „Wirf  das  Messer  hinter  dich!"  Da  wurde  der  ganze  Weg  voll  Messer; 
das  Schwein    trat   hinein    und  verwundete    sich  die  Füsse.     Dadurch    gewann  das 


1)  [Über  das  Märchen  vom  Grindkopf  vgl.  R.Köhler,  Kl.  Schriften  1,  DOO,  Eitters- 
haus,  Neuisländ.  Volksmäi-chen  S.  96  Bunker,  Heanzische  Märchen  nr.  71.  96.  Kind  einem 
Zauberer  oder  Teufel  versprochen:  R.  Köhler  1,  ooO.  388.  Futter  vertauscht:  oben  6,  63 
zu  nr.  13.    Löwenmilch  als  Heilmittel:  Chalatianz,  Armenische  Märchen  1887  S.  72.] 


Kleine  Mitteilungen.  77 

Pferd  einen  Vorsprung;  aber  nicht  lange,  so  hatte  das  Schwein  es  doch  wieder 
eingeholt.  Nun  warf  der  Knabe  das  Salz  hinter  sich;  da  wurde  der  Weg  voll 
Salz.  Das  Schwein  mit  seinen  zerschnittenen  Füssen  hatte  grosse  Schmerzen  und 
konnte  fast  nicht  weiter,  dennoch  holte  es  endlich  das  Pferd  ein.  Da  goss  der 
Knabe  das  Wasser  hinter  sich,  und  es  entstand  ein  grosser  Strom  daraus,  der  war 
zwischen  ihm  und  dem  Schwein,  auf  dem  der  Derwisch  am  andern  Ufer  hielt. 
Dieser  fragte  den  Jungen:  „Wie  bist  du  hinüber  gekommen?"  Er  antwortete: 
^Nimm  einen  Mühlstein,  steck  deinen  und  des  Schweines  Kopf  hhidurch  und  rollt 
ihn  durchs  Wasser,  so  werdet  ihr  beide  hinüberkommen."  Der  Derwisch  tat  es 
und  ertrank  samt  seinem  Tier. 

Nun  war  der  Junge  seinen  Feind  los  und  ritt  fröhlich  weiter.  Er  traf  einen 
Hirten,  von  dem  kaufte  er  für  eine  Handvoll  Goldstücke  ein  Schaf,  nahm  den 
Magen  des  Tieres  und  zog  ihn  über  seine  goldenen  Haare.  So  sah  er  aus,  als  ob 
er  grindköpfig  wäre.  Als  er  vor  die  Stadt  kam,  sprach  das  Pferd:  „Lege  deine 
Schätze  und  guten  Kleider  auf  meinen  Rücken  und  lass  mich  gehen!  Nimm  aber 
ein  Haar  aus  meinem  Schwanz;  sobald  du  dieses  anfasst  und  mich  rufst,  werde 
ich  kommen."  Er  tat  alles,  ging  in  die  Stadt  und  setzte  sich  neben  des  Königs 
Garten.  Als  einmal  der  Gärtner  auf  den  Markt  gegangen  war,  rief  er  sein  Pferd 
und  ritt,  schön  gekleidet  und  mit  seinem  leuchtenden  Goldhaar  durch  den  Garten. 
Da  verdorrten  alle  Pflanzen.  Er  entliess  sein  Pferd  und  setzte  sich  wieder  als  ein 
armer,  kopfkranker  Mann  ans  Tor.  Aber  des  Königs  jüngste  Tochter  hatte  alles 
gesehen;  doch  schwieg  sie  darüber.  Der  Gärtner  war  sehr  betrübt,  als  er  seinen 
verdorrten  Garten  sah.  Aber  am  andern  Tage  ritt  der  Knabe  wieder,  hinein;  da 
wurde  alles  wieder  grün,  und  alle  Pflanzen  trugen  Früchte.  Die  Königstochter 
hatte  wiederum  alles  gesehen.  Als  der  Gärtner  zurückkehrte,  sass  der  Jüngling 
wieder  da  als  Bettler. 

Nun  begab  es  sich,  dass  des  Königs  drei  Töchter  heiraten  sollten,  und  sie 
sollten  selbst  ihren  Gemahl  wählen.  Alle  jungen  Leute  des  Landes  wurden  ver- 
sammelt, um  vor  dem  Palaste  vorbeizugehen,  und  welcher  den  Königstöchtern  ge- 
iiel,  nach  dem  warfen  sie  einen  Apfel.  Die  älteste  warf  ihren  Apfel  dem  Sohne 
eines  Wali  zu,  die  zweite  dem  Sohne  eines  Pascha;  die  dritte  aber  behielt  den 
ihrigen.  Und  als  alle  jungen  Leute  vorbei  waren,  stand  da  noch  einer  mit  einem 
Grindkopf,  und  die  Wachen  trieben  ihn  fort.  Da  ging  er  an  dem  Palaste  vorbei, 
und  die  jüngste  Prinzessin  warf  ihm  ihren  Apfel  hin.  Der  König  rief:  „Das  gilt 
nicht I~  und  Hess  alle  jungen  Leute  noch  einmal  kommen;  aber  die  Königstöchter 
warfen  wie  zuvor.  Der  König  ward  zornig  und  rief  wieder:  „Nein,  es  ist  nicht 
richtig!"  und  Hess  die  jungen  Leute  zum  dritten  Male  vorbeigehen.  Als  nun 
wieder  die  Jüngste  dem  Grindköpfigen  ihren  Apfel  hinwarf,  fragte  ihr  Vater:  „Was 
soll  das  heissen?  Du  willst  doch  nicht  diesen  schäbigen  Kerl  zum  Mann  nehmen?" 
,,Ja,  das  will  ich,"  entgegnete  sie,  ihn  und  keinen  andern."  Da  wurde  der  König 
sehr  zornig  und  sagte:  „Wenn  das  dein  Wille  ist,  so  Verstösse  ich  dich  aus 
memem  Palaste;  geh  mir  aus  den  Augen  mitsamt  deinem  grindköpfigen  Schatz!" 
Und  er  gab  ihnen  nur  ein  kleines  Häuschen,  weit  entfernt  von  seiner  Stadt.  Aber 
sie  lebten  glücklich  und  zufrieden. 

Nun  begab  es  sich,  dass  der  alte  König  schwer  krank  wurde.  Die  Ärzte 
sagten:  „Wenn  er  gesund  werden  soll,  so  muss  er  Löwenmilch  trinken."  Da  rief 
der  König  seine  Schwiegersöhne  und  sandte  sie  aus,  ihm  Löwenmilch  zu  ver- 
schaö'en.  Aber  die  jüngste  Tochter  sprach  zu  ihrem  Mann,  er  solle  auch  aus- 
ziehen, und  bat  den  König  solange,  bis  er  es  erlaubte.  Doch  gaben  sie  ihm  zum 
Spott  einen  lahmen  Esel  und  einen  Bratspiess,  während  die  beiden  andern  prächtig 


yg  Daniel,  Schütte: 

gerüstet  auf  schönen  Pferden  davonsprengten.  Der  junge  Mann  ritt  aufs  Feld 
hinaus,  bis  ihn  keiner  mehr  sah,  dann  stiess  er  den  Bratspiess  in  die  Erde,  warf 
den  Esel  hin  und  band  ihn  daran  fest,  rief  sein  schönes  Pferd  und  ritt  weiter. 
Draussen  in  der  Wildnis  traf  er  ein  Mädchen  und  fragte  sie,  ob  sie  nicht 
einen  Ort  wisse,  wo  eine  säugende  Löwin  sei.  Sie  zeigte  ihm  einen  Berg, 
in  dessen  Höhle  eine  Löwin  mit  zwölf  Jungen  liege;  sie  habe  aber  einen 
kranken  Fuss.  Wenn  er  diesen  heilen  könne,  würde  sie  gewiss  alles  tun,  was  er 
verlange. 

Der  junge  Mann  ging  hin,  und  schon  von  weitem  hörte  er  die  Löwin  brüllen 
vor  Schmerz.  Im  Gebüsch  verborgen,  näherte  er  sich  leise  und  sah,  dass  ihre 
Tatze  dick  geschwollen  war  von  einem  Geschwür.  Da  schoss  er  einen  Pfeil  ab, 
der  das  Geschwür  schlitzte.  Die  Löwin  brüllte  vor  Wut;  als  aber  sogleich  der 
Eiter  auslief  und  der  Schmerz  nachliess,  rief  sie:  „Wer  hat  mir  das  getan?  Er 
komme  her,  ich  will  ihn  belohnen."  Nun  trat  er  hervor  und  sprach:  „Willst  du 
mir  geben,  um  was  ich  dich  bitte?"  Sie  versprach  ihm  alles,  was  er  wolle.  „So 
gib  mir  von  deiner  Milch  in  deiner  Haut!"  Sie  erwiderte:  „Meine  Haut  kann  ich 
dir  nicht  geben;  doch  nimm  eins  von  meinen  Jungen,  töte  es  und  ziehe  ihm  die 
Haut  ab.  Aber  geh  fort  von  hier,  dass  ich  sein  Geschrei  nicht  höre;  denn  sonst 
muss  ich  dich  zerreissen."  Er  tat,  wie  geheissen,  und  dem  jungen  Löwen  verband 
er  das  Maul,  dass  er  nicht  schreien  konnte.  Die  Löwin  füllte  nun  den  Schlauch  ^) 
mit  Milch,  und  er  ritt  zufrieden  fort. 

Im  nächsten  Dorfe  kaufte  er  zwei  Schläuche  Ziegenmilch,    lud  sie  auf  seinen 

Esel  und  zog  heim.    Als  er  sich  der  Stadt  näherte,  sah  er  von  ferne  auf  der  Strasse 

die  beiden  andern  Schwiegersöhne  kommen,    die    nichts  erbeutet  hatten.     Da  fing 

er  an,  auszurufen:  „Kauft  Löwenmilch,  frische  Löwenmilch!"  Da  kamen  die  beiden 

eilig  und  verlangten  alle  seine  Ware,    boten  ihm  auch  soviel  Geld    dafür,    als    er 

nur  irgend  verlange.     Er  wollte  aber  kein  Geld,    sondern    forderte,    dass    sie  sich 

mit  dem  glühenden  Eselshufeisen  ein  Mal  auf  ihre  Hinterseite  aufbrennen  Hessen. 

Und  sie  merkten  seine  Schalkheit  nicht  und  liessen  es  geschehen.    Da  gab  er  jedem 

einen  der  Schläuche  Ziegenmilch;  den  kleinen  Schlauch  Löwenmilch  aber  hatte  er 

unter  dem  Mantel  verborgen,    dass  ihn  niemand  sah.     Die    beiden    eilten  sogleich 

mit  ihrer  Beute  in  des  Königs  Palast.    Die  Ärzte  kosteten  und  merkten  wohl,  dass 

es  Ziegenmilch  war,    doch    gaben    sie    es  dem  Könige    zu    trinken.     Es   half  aber 

nichts,  sondern  es  wurde  nur  schlimmer.     Und  schon  war  der  König  seinem  Ende 

nahe,  da  kam  der  junge  Mann  und  brachte  ihm  die  Löwenmilch,    von  der  wurde 

ihm  sofort  besser,    und  bald  war  er  ganz  gesund.     Nun    kam  die  jüngste  Tochter 

herbei  und  sprach  zu  ihrem  Vater:  „Siehst  du  wohl,  was  für  ein  tüchtiger  Mensch 

mein  Mann  ist?     Das  wusste  ich  ja  vorher."     Und  sie  erzählten  dem  Könige,  wie 

die  beiden  andern  ihn  betrügen  wollten  mit  der  Ziegenmilch,  und  zur  Bestätigung 

zeigte  man  ihm  das  eingebrannte  Mal.     Der  König  ward  zornig  über  jene  beiden, 

und  er  bestimmte,    dass  der  Mann    seiner  jüngsten  Tochter    das  Königreich  erben 

solle.     Da  ging  dieser  hinaus,    tat    die    schlechten  Kleider  und    die  Grindhaut  ab 

und  erschien    nun    prächtig  gekleidet   und    mit    seinem    goldenen  Haar;    und  alle 

priesen  seine  Schönheit,  und  seine  Gemahlin  ward  hoch  beneidet. 

München.  Clara  Daniel. 


1)  Tierhäute,   unzerschnitten  abgezogen,   dienen   im  Orient  als  Behälter  für  allerlei: 
öl,  Fett,  Wasser  usw.    Diese  Schläuche  sind  durchaus  wasserdicht. 


Kleine  Mitteilungen. 


79 


Der  Schimnielreiter,  ein  braunschweigisehes  Uochzeitsspiel. 

Über  den  Schinimelreiter  hat  R.  Andree^)  zumal  nach  H.  Schattenberg 2)  ein- 
gehend gehandelt.  Wenn  er  aber  meint,  dass  schon  um  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts der  Schimmelreiter  in  den  braunschweigischen  Dörfern  verschwand,  so 
irrt  er.  In  Grasleben  bei  Helmstedt  wurde  noch  1880  vor  Weihnachten  'de 
Snurrschimmel  eredden',  in  den  Dörfern  nordwestlich  von  Braunschweig,  z.  B.  in 
Bortfeld  und  in  Wendeburg,  hier  beim  Schlachtefeste,  erschien  er  noch  um  das 
Jahr  1900.  Die  Verse  jedoch,  die  ich  hier  mitteilen  kann,  stammen  bereits  aus 
den  sechziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  und  wurden  bei  einer  Hochzeit 
in  Cremlingen  bei  Braunschweig  vorgetragen. 


Adjutant: 
Ich  bin  der  Flügeladjutant 
Einer  fremden  Armee  aus  Ungarland 
Und  soll  einen  Gruss  von  meinem  Herrn 

bestellen, 
Der  ist  draussen  im  Gasthofe  mit  seinen 
Gesellen 
5  Mit  einem  schön  und  geschwind  reitenden 
Schimmel, 
Sie  reiten  dort  unten  im  ^^''eltgetümmel. 
Sie  haben  eine  vreite  Reise  gemacht, 
Auch  scharfe  Degen   und   rauhe  Bärter 

mitgebracht. 
Sie  kommen  heute  aus  Sachsenland 
10  Und   wollen   gerne    zu    Eurer    Freund- 
schaft Band. 
Es  darf  aber  keiner  Anstoss  nehmen 
Und  sich  der  fremden  Gäste  schämen. 
Doch  eh  ich  noch  ein  Wort  zusage, 
Tu  ich  das  junge  Ehepaar  fragen 
IS  Und  bitte  sie  recht  herzlich  fein, 
Ob  sie  davon  bewilligt  sein. 
Soll  ich  die  Fremden  zu  Euch  bringen. 
Dann  lasst  recht  laut  das  Jawort  klingen  I 
Ich  danke  Euch  für  das  freundliche  Ja, 
-0  Sogleich  sind  die  bärtigen  Männer  auch  da. 
Herein  mit  den  bärtigen  Männern,  herein  I 

Offizier: 

Guten  Abend  alle  insgemein. 

Die  Sie  hier  versammelt  sein. 

Ich  bitte  mir  aus  recht  herzlich  fein, 
25  Hier  ein  wenig  zu  reden  allein. 

Hochgeehrte  Gesellschaft,  ich  tu  Sie 
bitten, 

Wir  kommen  mit  unserem  Schimmel  ge- 
ritten, 

Um  bei  diesen  Hochzeitsacheu 


Euch  ein  Vergnügen  hier  zu  machen. 

In  bunten  Kleidern  kommen  wir, 

Weil's  jetzt  Mod  ist  und  Gebühr. 

Wir  kommen  hier  nicht  um  Schlägerei, 

Auch  nicht  um  Fress-  und  Sauferei, 

Aus  lauter  Liebe  geschieht's  allein, 

Dies  junge  Ehpaar  zu  erfreun. 

Wir  haben  unsern  Schimmel  geschmücket 

fein 
Und  hoffen,  dass  wir  werden  willkommene 

Gäste  sein. 
Wir  durchwachten  manche  lange  Nächte, 
Um  ihn  zu  zieren  aufs  allerbeste. 
0  möge  doch  mein  Wunsch  gelingen, 
Dass  es  Ihnen  zu  Herzen  dringe, 
Dass   ich    mit    meiner    Gesellschaft   nach 

Gebühr 
Unsern  Schimmel  werde  vorführen  allhier 
Und  durch  sein  lustig  Tanzen  und  Springen 
Diesem  jungen    Ehpaar    die    letzte    Ehre 

bringen. 
Die  letzte  Ehre  in  dieser  Abendstunde, 
Weil  sie  sind  aus  unsrer  Gesellschaft  ver- 
schwunden! 
Mit  rührendem  Herzen  kommen  wir  eben. 
Von    Euch    den    traurigen    Abschied    zu 

nehmen. 
Von  Euch,  weil  manche  frohe  Stunden 
Sind  alle  schon  dahingeschwunden, 
Weil  wir  so  oft  zum  Freundschaftsband 
Recht  fest  verknüpfet  Hand  in  Hand. 
Auch  an  des  Bräutigams  Eltern  hier 
Wend'  ich  mich  nun  noch  uaoli  Gebühr, 
Wer  kann  wohl  Eure  Freuden  zählen. 
Die  Euch  heut'  um  das  Herze  schweben, 
Dass  Ihr  könnt  so  vergnüget  sein 
Und  munter  Euch  des  Tages  freun. 
Ach,  wieviel  trübe,  saure  Stunden 


35 


1)  Braunschweiger  Volkskunde  ^  S.  olOff. 

2)  Beiträge  zur  Anthropologie  Braunschweigs  (Braunschweig  1898)  S.  155 ff. 
oben  G,  430:  Anhalt:  7,  .515:  Ostpreussen;  8,  441:  Steiermark;  12,  388.]. 


[Vgl. 


80 


Schütte,  Bolte: 


Sind  wolil  darüber  hingeschwunden, 
Wieviel  Gefahren  mancher  Art, 
Eh  dieser  Tag  erreichet  ward, 
Wie  Ihr  ilm  könnt  heute  sehn 

«5    In  Ehrenkleidern  vor  Euch  stehn. 
Gott  schütze  ihn  durch  seine  Macht. 
Bis  hierher  hat  ihn  Gott  gebracht. 

(Musik!) 
Auch  an  die  Jungfer  Braut  allhier 
Wend'  icli  mich  nun  nach  Gebühr, 

70    Sie  war  ja  immer  nett  und  fein, 
So  möge  sie  "s  auch  ferner  sein. 
Ihre  braven  Eltern  stehn  daran 
Und  nun  auch  ihr  braver  Mann. 
Doch  hiervon  jetzt  nun  weiter  still, 

75    Und  hört,  was  ich  noch  sagen  will. 
Nun  sorget  für  die  Eltern  fein 
Und  lasst  sie  ganz  Euer  eigen  sein 
Und  schönet  ihre  alten  Tage, 
Erleichtert  ihnen  Not  und  Plage 

so     Und  stillet,  wenn  sie  treffen  Leiden, 
Bereitet  ihnen  täglich  Freuden  I 
So  wird  man  Euch  in  allem  loben. 
Der  Gott,  der  segne  Euch  von  oben! 
Nun  wünsch"'  ich  noch  Euch  Eheleuten 

85    Viel  Glück  an  allen  Enden, 

Das  Werk,  das  Ihr  jetzt  vor  Euch  habt, 
In  Liebe  zu  vollenden. 
Gott  möge  Euer  Schützer  sein, 
Abwenden  jede  Plage, 

so     Eintracht  alle  Zeit  verleihn 
Und  viel  gesunde  Tage. 

0  schenke  sie  Glück  im  Ehestand 
Und  gib  sie  Kinder  an  die  Hand, 
Das  erste  Jahr  einen  kleinen  Sohn 

<)5     Von  Deinem  lieben  Himmelsthron, 
Das  zweite  Jahr  ein  Töchterlein! 
Das  wird  dann  ihr  Vergnügen  sein. 
Hierauf  lass  ich  sie  zu  Ehren 
Die  Hörner  und  Trompeten  hören. 

(Nun  machte  der  Schimmel  seine 
Sprünge  und  verlor  dabei  ein  Eisen. 
Der  Schmied  war  sofort  zur  Hand,  um 
es  ihm  wieder  anzuschlagen.  Das  un- 
ruhige Tier  suchte  er  zu  beruhigen.) 

Schmied: 

100    Brr    Schimmel,      brr     Schimmel,    brr 
Schimmel! 

1  du  verdammtet  Aas, 

Du  makst  immertau  noch  Spass. 
(Dabei  wurde  er  aber  von  dem  Pferde  so 


geschlagen,  dass  er  zu  Boden  fiel  und  ein 
Arzt  geholt  werden  musste.) 

Arzt: 
Ich  bin  der  Doktor  Eisenbart, 
Kurier  die  Leut  nach  meiner  Art, 
Kann  machen,  dass  die  Lahmen  gehn  io5 

Und  dass  die  Blinden  wieder  sehn*). 
Ich  war  ein  ungeratner  Sohn 
Von  meiner  frühsten  Jugend  schon. 
Mein  Vater,  der  war  auch  nicht  dumm. 
Er  schickte  mich  aufs  Studium,  iio 

Liess  mich  durch  hohe  Schulen  führen 
Und  liess  mich  als  Student  studieren. 
Auf  der  Schule  zu  Frankfurt  am  Main 
Studierte  ich  auch  weltlich  eiu, 
Ich  gedachte  noch  auf  dieser  Erden  ii5 

Der  grösste  Astronom  zu  werden, 
Doch  das  sag'  ich  dreist  vor  allen, 
Damit  bin  ich  höchst  durchgefallen. 
Da  entschloss  ich  mich  denn  ganz  allein. 
Ich  wollte  nur  noch  Doktor  sein.  120 

Meine  erste  Kunst,  die  ich  probiert, 
Die  ist  bei  einem  alten  Weibe  passiert. 
Weil  die  vor  allen  anderen  Damen 
Das  allerhärteste  Leben  haben. 
Dann  fing  ich  auch  so  dann  und  wann       125 
Das  Brauchen  bei  den  Jungfern  an; 
Da  hab  ich  nun  seit  einigen  Jahren 
All  immer  so  mit  fortgefahren. 
Zuletzt  kuriert  ich  eine  Frau, 
So  wusst  ich  alles  sehr  genau.  130 

Da  bin  ich  gereist  durch  fremde  Länder, 
Habe  die  Leute  kuriert  au  allen  Enden, 
Arme,  Reiche,  gross  und  klein, 
So  wie  s'  auch  hier  versammelt  sein. 
Und  sollt  Euch  diese  Nacht   noch  etwas    i35 

drücken. 
So    wisst    Ihr    mich    und    könnt    gleich 

schicken. 
Ich  bin  auch  so  ein  Doktorsmann, 
Der  selbst  vom  Tode  retten  kann. 
Ihr  glaubt  es  fest  und  sicher  ja, 
Der  Tod  steht  diesem  Menschen  nah.         i40 

Schmied: 
Mein  Herz  ist  mir  so  ganz  beklommen. 
Ich  seh  den  Tod  von  ferne  kommen. 

Arzt: 
Johann,  nur  schnell  mit  Feuer  und  Brunst! 
Es  muss  geschehen  die  Zauberkunst: 


1)  (Vgl.  zu  diesem  Liede  A.  Kopp,  Eisenbart  im  Leben  und  im  Liede  (li>UO)  und  Zs. 
f.  Bücherfreunde  7,  217  (190:i).] 


Kleine  Mitteilungen. 


81 


145    Hux  fux  filiux  ober  döber  lapsak. 
Johann,  geschwind  zur  Apotheke 
Und  hole  für  fünf  Pfennig  Jungfernloch 
Und  für  fünf  Pfennig  maginierten  Hä- 

ring  ein, 
Denn  das  wird  wohl  noch  dienlich  sein. 

150    Johann,  noch  eins,  was  hier  gebricht, 
Vergiss  das  Liebespulver  nicht  I 
Er  ist  in  einer  grossen  Gefahr, 
Am  Beutel  hat  er  kein  trocknes  Haar. 
Nun  frag  ich  dreist  und  bange  nicht, 

»55    Warum  der  Tod  gekommen  ist. 

Tod: 
Ich  bin  dazu  hierher  befohlen. 
Die  Menschenseelen  abzuholen, 
Doch  gegen  Deine  Zauberkraft  allein 
Ist  meine  Macht  noch  viel  zu  klein. 
100    Drum  hol  ich  Dich,  du  altes  Schaf, 
Diese  Nacht  ans  Deinem  tiefsten  Schlaf. 

Arzt: 
Was,  willst  du  noch  vom  Schafe  sagen? 
Ei,  so  was  kann  ich  nicht  vertragen. 
Wart.  Du  verdammter  Ziegenbock, 

165    Jetzt  brauch  ich  meinen  Zauberstock. 
Johann,  geschwind  an  meine  Seite 
Und  gib  dem  Tode  das  Geleitel 
Das  sind  von  dem  noch  keine  Sachen, 
Er  kann  die  Welt  noch  Nutzen  schaffen, 

170    Das  ist  ein  braver  Kriegesheld, 

Der  bleibt  noch  hier  in  dieser  Welt. 
Musikanten,  stimmt  mit  Hörnern  ein. 
Dann  wird  er  wieder  lebend  sein. 

(Nun   springt   der   vom   Pferde  Ge- 
schlagene wieder  auf.) 

Offizier: 
Nun,  Herr  Steffen,  Herr  Baibier, 
175    Nun  zeige  deine  Kunst  allhier! 

Braunschweig. 


Nun  setze  sich  ein  fremder  Mann, 
Der  Herr  Baibier  fängt  jetzt  gleich  an; 
Er  ist  ja  auch  recht  flink  dabei, 
In  einer  Stunde  halbiert  er  zwei, 

Baibier: 
Diesen  zu  halbieren,  das  ist  man  Spass, 
Aber  gestern  halbiert'  ich  einen  Bars, 
Ein  altes  Weib  von  achtzig  Jahren, 
Der  war  ihr  Bart  zusammengefrorea, 
Die    wohnt    zu    Braunschweig    im    Katt- 

reppeln'). 
Die  hatte  ganz  barbarsche  Stoppeln. 

Paias-j: 
Ich  bin  gereist  durch  Anhalt, 
Da  liab  ich  gegessen  Schweineschmalz; 
Dann  bin  ich  gereist  durchs  Land  Hessen. 
Da  gab    es    grosse  Schüsseln  und  wenig 

zu  essen: 
Dann  bin  ich  gereist  durchs  Land  Sachsen, 
Wo  die  Mädchen  auf  den  Bäumen  wachsen; 
Hätt  ich  mich  nur  recht  bedacht, 
Hätt  ich  mir  u.  unserm  Herrn  Offizier  auch 

eine  mitgebracht. 
Nu  lat  ik  nu  tau  minen  Gefallen 
Usen  Herrn  Offizier  de  A — backen  knallen. 
[Schlägt  ihn.] 

Offizier: 
Nun  Sprech  ich  dreist  und  unverhohlen. 
Den  Paias  soll  der  Teufel  holen. 

Paias: 
Na  einen  spennt  e  nich  an. 

(Der  Teufel  kommt  und  sucht  den 
Paias  überall,  bis  er  ihn  fasst.  Dieser 
schreit,  wird  aber  vom  Teufel  auf  die 
Schulter  genommen  und  weggetragen.) 

Otto  Schütte. 


Eine  ßätselsammlang  aus  dem  Jahre  1644. 

Frag   vnd  Aufflösung  Etlicher  kurtzweiliger    schönen    Geist-    vnd  Weltlichen 
Rätzeln.     Durch  Michael  Ausser  von  Pesing  auß  Vngern  in  Truck  verfertigt^). 

1.    Frag:     Welches   seynd    die  vier   schwäresten   Arbeit?    —    Antwort:   Regieren, 
lehren,  hätten  vnd  gebären. 


1)  Strasse  in  Braunschweig.  —  2)  Bajazzo. 

3)  Folioblatt  mit  Blumenbordüre  (Kupferstichsammlung  des  Germanischen  Museums 
zu  Nürnberg);  nicht  verzeichnet  bei  H.  Hayu,  Die  deutsche  Rätselliteratur  (Zbl.  f. 
Bibliothekswesen  7,  516.  1890).  Hinter  der  Überschrift  ein  Holzschnitt,  auf  dem  ein  Kavalier 
und  eine  Dame  einander  gegenüberstehen.  Die  Heimat  des  deutschungarischen  Sammlers 
Pesing  dürfte  das  heutige  Pötsching  sein,  das  zwischen  Wiener-Neustadt  und  (»denburg 
nicht  weit  von  der  Leitha  liegt. 

Zeitschr.  li.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Heft  1.  (} 


g2  Bolte,  Jungwirth: 

2.  Was  ist  das  allerstärckeste  auff  der  Welt?  —  üie  Warheit.  Im  3.  buch  Esdrae 
am  o.  capitul. 

",.   Wie  groß  ist  die  Welt?  —  Fünff  tausend  vnd  vier  hundert  teutscher  meyllen. 

4.  Wie  groß  ist  die  Sonne?  —  Hundert  vnd  sechs  vnd  sechzig  mal  grösser  als  die 
gantze  Welt. 

5.  Wer  hat  gemacht,  daß  Sonn  vnd  Mond  haben  müssen  stille  stehen?  —  Josua. 

6.  Wer  hat  gemacht,  daß  die  Sonne  zehen  stafflen  hindersich  zurück  hat  gehen 
müssen?  —  Ezechias  der  König. 

7.  Wo  ist  der  Himmel  von  der  Erden  nicht  über  drey  eilen  hoch?  —  In  den 
Wasserbriinnen. 

8.  Wo  begrabt  der  Todte  den  Lebendigen?  —  Wann  die  äschen  das  Fewer  verdecket. 

9.  Was  ist  das  allergeschwindeste  auff  der  Welt?  —  Des  Menschen  Gedancken. 

10.  Was  ist  das:  Der  Bawer  siehst  [!]  alle  tag,  der  Keyser  siehst  gar  selten,  vnd  Gott 
kans  gar  nicht  sehen?  —  Seins  gleichen. 

11.  Welches  ist  das  allerstärckeste  Thier  auff  Erden?  —  Ein  Schneck,  dann  er  trägt 
sein  Hauß  mit  sich. 

12.  Was  ist  das:  Wann  man  viel  darzu  thut,  so  wirds  nicht  grösser,  vnd  wann  man, 
viel  darvon  nimmt,  so  wirds  nicht  kleiner?  —  Ist  das  ^leer. 

13.  Wer  hat  gemacht,  das  eysen  wie  holtz  geschwummen?  —  Elisa:  da  einem  am 
Jordan  die  Axt  von  jhrem  Helm  ins  Wasser  gefallen  war,  da  stieß  Elisa  mit  einer  Stangen 
an  den  grund,  da  fuhr  sie  herauff  vnd  schwämme  herzu,  daß  mans  mit  der  Hand  herauß 
langen  konte. 

14.  Was  ist  das:  Das  Wasser  war  das  Schloß,  das  Holtz  war  der  Schlüssel,  der 
Jäger  jagt  das  Gewild,  das  Gewild  das  war  entgangen,  vnd  der  Jäger  ward  gefangen?  — 
Das  ist  Moses,  als  er  mit  seinem  Stab  in  das  Meer  schlug,  da  zertheilete  es  sich  von 
einanderen,  daß  er  vnd  die  Kinder  Israel  trockenes  fuß  haben  durchziehen  können,  Pharao, 
aber,  der  jhnen  nachjaget,  mit  seinem  gantzen  Kriegßheer  darinnen  ertruncken  ist. 

15.  Was  ist  das:  Es  kam  der  Gerechte  zu  dem  Vngerechten  vnd  bat  jhme,  er  solte 
jhm  etwas  schencken,  da  schenckte  der  vngerechte  dem  Gerechten  etwas,  das  thewrer  ist 
dann  Himmel  vnd  Erden?  -  Das  ist  Joseph  von  Arimathia,  als  er  den  Leib  des  Herren, 
Christi  zu  begraben  erlangte  von  dem  vngerechten  llichter  Pontio  Pilato. 

K).  Was  ist  das:  ]^ein  Mutter  hat  mich  geboren,  vnd  sie  wird  wider  von  mir  ge- 
boren? —  Das  ist  Eyß  vnd  Wasser. 

17.  Wer  ist  gestorben  vnd  ist  nicht  geboren?  —  Adam  vnd  Eva. 

18.  Wer  ist  geboren  vnd  ist  nicht  gestorben?  —  Enoch  vnd  Elias. 

19.  Wer  ist  einmal  geboren  vnd  zweymal  gestorben?  —  Der  Lazarus  von  Bethania 
vnd  der  Wittwen  Sohn  von  Naim. 

20.  Wer  ist  ehe  geboren  dann  sein  Vatter  vnd  hat  die  Brüst  ehe  gesogen  als  seine 
Mutter?  —  Cain  vnd  Abel. 


2.    Vgl.  R.  Köhler,  Kleinere  Schriften  2,  5ö. 

S.  Wossidlo,  Mecklenburg.  Volksüberlieferungen  1,  162  nr.  677.  R.  Köhler  3,  509. 
Brunk,  Rad  to  1907  nr  450. 

9.  Paustbuch  1590  c.  56  =  1878  S.  137.  Creizenach,  Geschichte  des  Volksschauspiels 
vom  Dr.  Faust  1878  S.  52f.  76.  Lehmann,  Florilegium  politicum  1,  264  (1662):  'Kein. 
Vogel  ist  so  schnell  in  Lüfi'ten  als  die  Gedancken'.  Peter,  Volkstümliches  aus  Österr.- 
Schlesien  1,  273:  'Des  Menschen  Gedanken  sind  schneller  als  Pfeil.'  Grundtvig,  DgF, 
1,  247.  4,  744  (nr.  18  Svend  Vonved):    'Sinden  Gr  raskere  end  en  Raa.' 

10.  Strassburger  Rätsell)uch  ed.  Rutsch  1876  nr.  23.    R.  Köhler,  Kl.  Schriften  3,  502. 
Wossidlo  1,  122  nr.  394.     Brunk  nr.  291. 

11.  Wossidlo  1,  156  nr.  604.     Brunk  nr.  405. 
14.    Wossidlo  1,  127  nr.  413.     Brunk  nr.  306. 

17.  Strassburger  Rätselbuch  nr.  274.     Wossidlo  nr.  40!>.     Brunk  nr.  302. 

18.  Strassburger  Rätselbuch  nr.  275. 
20.    Wossidlo  nr.  411.     Brunk  nr.  303. 


Kleine  Mitteilungen. 


83 


21.  Welche  Schwestern  haben  jhre  Brüder  geboren?  —  Des  Loths  Töchter. 

22.  Wer  ist  geboren  vnd  nicht  gestorben,   ist  noch  auff  der  Welt  vnd  lebt  nicht?  — 
Des  Loths  Frau,  die  bey  Sodoma  vnd  Gomorrha  zur  Saltzsäul  worden  ist. 

23.  Welcher  Mensch  ist  weder  im  Himmel  noch  auff  Erden  gewesen  vnd  hat  gelebt?  — 
Jonas  im  Wallfisch. 

24.  Welcher  Mensch   hat   mit  Gott  gerungen  vnd   ist  obgelegen?    —   Der  Patriarch 
Jacob. 

25.  Wo  stehet  geschrieben,  daß   ein  Eselin  mit  jhren   Herren    geredt  habe?    —    Im 
4.  Buch  Mosis  im  22.  Capitel. 

26.  Wo  hat  ein  Esel  geschrien,  daß  die  gantze  Welt  gehört  hat?  —  In  der  Archen  Noe. 

Gedruckt  zu  Basel  bey  Georg  Decker  im  Jahr  1644. 
Berlin.  Johannes  Bolte. 


Volksrätsel  aus  Ostermiething,  im  oberen  lunviertel. 


1.  Immer  und  immer 
Ein  hohes  Getümmer, 
A  boanerne  Wies': 

Wenn's  d'  a  g'wisse  Jungfrau  bist, 
Darrät'st  d'as  g'wiß.  —  (Friedhof.) 

2.  Ich  geh  in  ein  kleines  Kämmerlein, 
Begegnet  mir  ein  kleines  Männelein. 
Jungfrau  darrat's,  darrät's! 

Wenn's  d'a  Jungfrau  bist, 
Darrät'st  d'as  g'wiß.  —  (Der  Ratz.) 


Und  denk  dars,  daß  ar  eini  muaßl   — 
(Brot  einschieben.) 

6.  Meinen  Bauch  auf  deinen  Bauch 
Und  laß  mi  mit  mein'm  Länga 

In  dein  Loh  hineing'länga!  —  (Mostheber.) 

7.  Loh  auf  Loh, 
Bauh  auf  Bauh, 
Und  den  Langa 

Laß  eini  g'länga!  —  (Dasselbe.) 


3.  Hintarm  Tüarl 
Sitzt  a  Miarl. 
Wer?    Darrät's,  darrät's!  —  (Der  Ratz. 


8.  Viar  Büabi 
Brunzen  in  oaii  Grüabi. 
euters.) 


(Zitzen  des  Kuh- 


4.  Zwoa  ziagn, 
Zwoa  schiabni 

Ubern  Schoaßlberi  auti.  —  (Zwei  Hände 
ziehen,  zwei  Füße  schieben  die  Hose 
übern  Hintern.) 

5.  Heb  an  Arsch 
Und  reib  an  Arsch 
Und  an  denk'n  Fuaß 


9.  Viar  lange  Stangen 
Können  Himmel  und  Erd'  not  darglängen.  — 
(Dasselbe.) 

1(1.  Viar  hängan, 
Viar  gengan, 
Zwoa  leuchten, 
Zwoa  schauen, 
Zwoa  losen, 


22.  Wossidlo  nr.  408.     Brunk  nr.  301. 

23.  Wossidlo  nr.  412.     Brunk  nr.  304. 

26.    Strassburger  Rätselbuch  nr.  285.    R.  Köhler  3,  506. 

1.  Getümmer   =    Getümmel;    doch   heisst   es   bei    A.  Peter    (Volkstümliches    aus 
Österreichisch-Schlesien  1865  1,  128  nr.  383)  Gezimmer.    Vgl.  oben  5,  157  nr.  160—162. 

2.  Oben  5,  155  nr.  134—136. 

3—4.    Oben  5,  148  nr.  9.    Das  deutsche  Volkslied  11,  48  (1909). 
5.    Oben  5,  156  nr.  150. 

6—7.    Wegener,  Volkstümliche  Lieder  aus  Norddeutschland  1879  S.  138  nr.  473. 
8.    Oben  5,  151  nr.  70. 

10.    Oben  5,    151    nr.  64-65.    11,129.    Wegener   S.  124   nr.  410.     Grundtvig,    Gamle 
danske  Minder  1,  223.     [Wossidlo,  Mecklenburgische  Volksüberlieferungen  1,  80  nr.  165.] 

6» 


84 


Jungwirth,  Heult: 


Oaner  treibt  hinten  nach,  —   (Die  Kuh: 
Zitzen,    Füße,   Augen,  Hörner,  Ohren, 

Sclnvanz.) 

11.  Runk'lte,  bunk'lte  übar  dö  Bahn, 
Runk'lte,  bunk'lte  auf  dar  Bahn, 
Wenn  Runk'lte  bunk'lte  brecha  tat 
Wer  Runk'lte  bunk'lte  macha  tat?  —  (Ei.) 


12.  Zwoa  kiunau's, 
Zwen  kinnan's, 
Äbar  zwo  kinnan's  not. 

Beichthören.) 


—  (Beichten  und 


13.  Du  hast  oani, 
A  rauchi,  a  kloani, 
Is  ällweil  naß, 

Mecht  ällwei  was.  —  (Zunge.) 

14.  G'schwind  oin  aus  Bett 

Und  wir   häbin    zwoa   rauchi    z'sämm- 
gsteckt.  —  (Augenschließen  nach  dem 
Schlafengehn.) 


15.  Knia  biagn, 
Löchi  stecha, 
Deant  nix  darbrecha. 


(Nudlteig-kneten.) 


16.  Kniggi,  knaggi  Ploderhosen, 
Tua'  n'n  eini  und  läß'n  losen, 
Tua'  n'n  außar  und  schau'  u'n  äu: 
Frag'  n'n,  was  ar  da  drinnan  hat  tan.  — 

(Kietzenbrot  backen.) 

17.  Der  Bauer  geht  übers  Land 
Hat  an  Wischl-Waschl  in  der  Hand; 


Du  Bäurin  denkt  eahm  in  seinem  Sinn: 
Hätt  ih  ihn  in  meiner  schwarzen  drinn.  — 

(Wischl-Waschl  ist  ein  Fisch,  die 

'schwarze'  die  Pfanne.) 

18.  Dö  Diarn  geht  übarn  Hof 
Und  zoagt  a'n  Knecht  's  Loh; 

Dar  Knecht  denkt  eahm  in  seinem  Sinn: 
Hätt  ih  mein  langa  drinn.  —  (Loh  ist  der 
Ring,  der  'lange'  der  Finger.) 

19.  Dös  is  a  Ding, 
Das  is  a  Ding, 

Das  man  habiu  muaß. 

Kriagt  mafis  beim  Kramar  not, 

Wachst  aut'n  Baman  not: 

Dös  is  a  Ding, 

Das  is  a  Ding, 

Das  man  habih  muaß.  —  (Backofen.) 

20.  Hint  und  vorn  is  g'stutzat. 

In  dar  Mitt  hats  a  Roafl.  —   (Reisigbündel.) 

21.  Gott  hats  not, 
D'  Welt  hats  a  not, 
A'n  Wassar  is  z'  find'n. 
Der  Adam  hats  vorn, 

Und  d'Eva  hats  hint'n.  —  (A.) 

22.  Stöffei,  Stöffei,  was  is  das, 
Hintar  dar  Bettstatt  krachit  was: 
Is  koau  Fuchs  und  is  koaü  Häs: 
Stöffei,  Stöffei,  was  is  dAs?  —  (Floh.) 

23.  Was  tuat  unsar  Herr  um  Siebnii 

Im  Himmi?  —  (Warten,  bis  es  acht  schlägt.) 


24.  Wer  versteht  denn  am  mehrarn  in  dar  Kira?  —  (Der  die  größten  Schuhe  hat.) 

25.  A  hülzars  Hafarl  und  a  fleischarne  Deck?  —  (Abort.) 

26.  's  hängt  an  dar  Wand  und  braucht  koan'  Nagel?  —  ('s  Rotz.) 


11.  Die  Ostereier  werden  über  zwei  zusammengelegte  Rechen  im  Spiel  lierunter- 
gelassen.    Oben  5,  152  nr.  8i).  5,  182  nr.  20. 

12.  Zweü  ist  Masculinum,  zwo  Feminium,  zwoa  Neutrum. 
14.    Wegener  S.  128  nr.  429. 

K;.  Der  Kletzenbrotteig  ist  plodarat,  d.h.  rogel,  körnig,  unfest.  Er  wird  in  den 
Ofen  gescholten  und  muß  auf  die  Frage,  was  erdrinnen  getan  habe,  antworten:  Gebacken 
hab  ich  mich. 

17.    [Wossidlo  1,  131  nr.  4:'.!.] 

20.  Peter  1,  131  nr.  401. 

21.  Oben  5,  159  nr.  203—205.  5,  181  nr.  11.  14.  Wegener  S.  143  nr.  498-499. 
[Wossidlo  1,  137  nr.  470.] 

22.  Peter  1,  119  nr.  338. 

25.   Oben  5,  158  nr.  172.     [Wossidlo  nr.  269.] 
2().    Oben  5,  154  nr.  123.     [Wossidlo  nr.  297.] 


Kleine  Mitteilungen.  ^5 

'JT.  Wia  bringst  a  Fuadar  Heu  übar  d'  Bruggn,  ohne  daß  d'as  abz'mauten  brauchst?  — 

:Setz  a  Henn  drauf,  dann  is  a  Hennarnest) 
'28.  Is  was  im  Keller  drunt  und  bringst  d'as  mit  4  Roß  not  aufar.    —    (Spule  Zwirn 

der  sich  von  der  Spule  abwickelt,  wenn  man  ihn  heraufzieht,  so  daß  zuletzt 

die  Spule  unten  bleibt.) 
29.  Wie  weit  lauft  das  Reh  ins  Holzr'  —  (Bis  in  die  Mitte;  dann  lauft  es  hinaus.) 
oO.  Geht  über  den  Laubarhaufen  und  rauscht  not?  —  (Die  Sonne.) 

31.  Liegt  mitten  im  Holz  drin  und  schreit  allweil?  —  (Kind  in  der  Wiege.) 

32.  Liegt  mitten  im  Holz  und  geht?  —  (Teig  im  Backtrog.) 

33.  Geht  eini  ins  Holz  nnd  läßt  die  Hörner  heraus?  —  (Bohrer.) 

34.  Was  brauchst  denn,  wenns  d'  ins  Boarn  gehst?  —  (An  Bohrer.) 

Innsbruck.  Ernst  Jungwirth. 


Westtälische  Hansinschriften. 

(Fortsetzung  zu  19,  101—107.) 

55.   WAN  ALLES  IST  GELAUFFEN  UNü  GERUNNEN, 
IST  NICHT  MER  ALS  DIE  KOST  GEVVUNNEN  | 
DER  DANN  GEWUNNEN  HAT  DIE  SEILIGKEIT 
HADT  WOL  BESTAN  SEIN  ARBEIT.  | 
ANNO  1711.     [Die  Namen  sind  übertüncht] 
(Stadt  Oelde  Nr.  24.) 

56.  HERR  SCHÖPFER  DIESE  GANSZE  WELDT  DURG  DEINE  MACHT  IN  STANDE 

ERHELDT  |  DU  WOLLES  VOR  FEVER  VND  VOR  ANDEREN   SCHADEN  VOR 
HAGEL  VND  VOR  |  GROSSEN  VNGEWITTER  AUCH  VOR  WASSER  VND  VOR 
BRANDT     DIESES    HAUS   |    BEWAHREN      J.    B.    FRIE    MARIA     CRISTINA 
OSSENBECK  |  1801    DEN  18  APRIL 
(Stadt  Oelde,  Nr.  162.) 

57.  0  GOTT   SCHENCKE  UNS   DEINE  GNADE    UND  BEWARE  DIESES  HAUS  \ 

GIBT   UNS  DEN  FRIEDEN   UND  EINNIKEIT  UND  DAS   HIMMELREICH 
ANo  1801  \  DEN  17  lUNIUS  \  M  F      L  K 
(Stadt  Oelde,  Nr.  283.) 

58.  ALLMÄCHTIGER   DU   SCHÜTZTEST  EINST    DIES   HAUS  VOR  NAHEN   BRAND 

SO  GNÄDIG  SCHÜTZ  UND  SEGNE  ES  STAETS  MIT  STARKER  MILDER  HAND 
JODOC  HENRICUS  FUNKE    ANNA  MARIA  SCHWARZE 
1803  {\  JULIUS 

(Stadt  Oelde,  Herrenstrasse  Nr.  171.) 

59.     SOLA  FIDE.     1880. 
(Stadt  Oelde,  Evangelische  Kirche.  —  Römer  3,  28.) 


28.  Oben  5,  155  nr.  138—139.  .5,  157  nr.  1G:>.     Peter  1,  12G  nr.  370. 

29.  [Wossidlo  nr.  709.] 

30.  Oben  .'i,    154    nr.  120.  5,  IMl    nr.  15-10.  5,  399    nr.  154.      Peter  1,    IIÜ    nr.  .".iS. 
W^egener  S.  115  nr.  :573— 374.     [Wossidlo  nr.  372.] 

31.  Wegener  S.  129  nr.  431. 
:>2.  Oben  5,  155  nr.  124. 

33.  [Wossidlo  nr.  317.] 

34.  Boarn  =  Bayern  und  Bohren. 


86 


Heuft: 


60.    WEE   GOTT    LIEB   HAT,    DEN   GIEßT   ER    EIN    SCHÖNES    HÄVSLEIN  VND 
WEIBLEIN. 

(Stadt  Oelde,  Nr.  30.    An  einem  in  der  Brauerei  eingebauten  Balken,  der  sich  über 
der  Haustür  des  früheren  Wohnhauses  befand.) 

61.     AUDIATUR  ET  ALTERA  PARS 
(Stadt  Oelde,  Amtsgericht.) 


62. 


Religion 
n.  Tuo:end 


Arbeitsamkeit 
u.  Fleiß 


Eintracht 
u.  Liebe 


Frohsinn 
u.  Scherz 


(Stadt  Oelde,  Nr.  174^2.    Katholisches  Gesellenhaus.) 

63.  VERLEI  .  UNS  .  0  HERR  .  DEINEN  .  FRIEDEN  .  VND  .  DAS  .  TAGLICHE  .  BRODT. 

IN  DIESER  ZEIT  .  VND  NACH  |  MAHLES  .  DIE  .  EWIGE  .  GLVCK  .  SEHLIKEIT  . 
JACOB  .  HOLTENBERG  .  GENANDT  .  FLASKAMP  .  l  VND  .  ANNA  .  ELISABETH  . 
VERKIECK .  GENANDT .  FLASKAMP .  EHELE VTE.  I  ANNO .  1743  .  DEN .  10.  JULLY . 

(Feldmark  Oelde,  Nr.  14.) 

64.  SIT   LAUS  DEO  SEMPER.     DIESES  HAUS   IST    GEBAUET  AUS   NOHT.     GOT 

GEBE  UNS    DAS   TÄGLIGHE   BROD.  |  HENRICUS  BOKMAN   ANNA   MARIA 
HANHUS  EHELEUTHE.  |  ANNO  1751.    DEN  2.  JAN.  |    IHS     IHS 
(Feldmark   Oelde,   Nr.  11.    —    Die  Inschrift   ist   im  Jahre  1907    beim  Umbau   des 
Hauses  verschwunden.) 

65.   WOLL  GODT  VORTROWET  HEFT  WOL  GEBOUWET.     1609. 
(Kirchspiel  Oelde,  Bauerschaft  Menninghausen  Nr. 31.) 

66.  HEST  DV  ZV  VOREN  GEKOMMEN,  SO  HEDE  ICK  MET  DIR  RADT  GENOMEN. 

BERNAT  BRVMAN    |    ANNA    HOPES.       ELVTE.     AN    GOTTES    SEGEN  IST 
ALLES    GELEGEN.       HINRRICH.     BRVMAN.    |    ELISABETH    HVCKELMANS 
ANNO  1694  DEN  25  AVGVSTVS.  |  MEISTER  |  CASPER  |  GERSHOF  i  GENADTl 
BAKER  1  HAT  DISES  HAVS  GE  |  BOWET. 
(Kirchspiel  Oelde,  Bauerschaft  Knitlinghausen  Nr.  38.) 

67.  SETTE  .  DEIN  .  VERTRAVEN  .  AVF  .  GODT     DEN  .  HEREN  .  DER  .  WIRT  .  DICH. 

VND.  DEIN.  I  H.AVS.ERNEREN.  |  STEFpEN  .  BROLING  .  GENANDT  .  SCHVR- 
MANN. VND. ANNA. SCHVRMANN.EELVDE.  |  ANNO. 1701  .  DEN  .  27.  JVLIVS.i 
CASPER  .  GOLLENBECK  .  |  TIMMER  .  MESTER. 
(Ksp.  Oelde,  Keitlinghausen  Nr.  32.) 

68.  ES  SEY  VND   BLEIBE  AN  DIESEM  ORTH  VND  HAVS  DER  SEGEN  |  GOTTES 

JOAN  CVLKEN  ANNA  CATHARINA  GRÖNING  |  1704  DEN  20.  MAY  ] 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  48.) 

69.  0  .  GOT  .  BEWAHRE  .  DIESES  .  HAVS  .  FVR  .  FEVER  .  VND  .  BRAND  . 

VND  .  SEGENE  .  ES  .  MIT  .  DEINE  .  HAND  . 

MISGVNST  .  DER  .  MENSCHEN  .  KAN  .  MIR  .  NICHT  .  SCHADEN  . 

DOCH  .  WAS  .  GOT  .  WIL  .  MVS  .  DOCH  .  GERATEN  . 

(ANNO)  1720. 
(Ksp.  Oelde,  Ahmenhorst  Nr.  22.) 

70.  GERHARDVS  STRICKER  I  VND  ELISABET  MÖWIG  ELAT  |  DER  AVS  VND  EIN- 

GANG MEIN  I  SOL  DIR  0  GOT  BEFOHLEN  SEIN  |  DEN  4.  JVNIVS  |  ANNO  1726 
(Ksp.  Oelde,  Älenninghausen  Nr.  37.) 


Kleine  Mitteilungen.  g7 

71  GELOBET  SEI .  JESVS  KKISTVS  .  BIS  .  TN  .  ALLE  .  EWIKEIT  .  |  JOHAN  FRIED: 
POLMAN:  ANNA  KATRINA .  HEITKEMPEES.  |  EHELEVTE.  |  AXNO  1728  DEN 
18.  NOVEMBER. 

(Ksp.  Oelde,  Ahmenhorst  Nr.  12.) 

72.    Du  SicJifs  mich  >ieii\  anfgebawet, 

Weil  ich  hab  auf  Gott  Veiirairet.  \ 
Meine  Hoffniiny  Steth  auf  den  herreu. 
Er  laß  mich  nicht  zu  Schande  werden.  | 
Johuii   Bernhard  Bitnue    und   Äiina  Catharina  Gerckmann   \  Eheleute,  j  Anno   den 

1751  I  15.  Juni/. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  l!l.) 

73.  Dem  Gerechten  Gehet  Das    licht  auff'  im  p'nstern    j   Durch  den  Gnädigen  und  Barmb- 

heii:igen  Gott.  \  Johan  Bernhard  Althoff  und  anna  Ehelisabeth  Schnieder  \  Auuo 
den  20.  Jung  1752 

(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  lo.) 

74.  Was  Verbrandt    ist  Verlohren,   Darumb  hab  ich  dich  mein  Gott  aun-  \  erkohren.     Ich 

bitt  Herr,  zeige  mihr  deine  Milte    haudt.     Wirst   mich  Setzen    in  Vo-  \  rigen  Standt. 
Anno  1758  den  24.  May. 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  9.) 

75.  ALLES  .  ZVR  .  DER  .  HÖGSTEN  .  EHR. GOTTES  .    GOTT. DER.  BEWAHRE. DIESES  . 

HAVSZ. ALLES.  WAS. DAR  .  GEHET. EIN. VND  AVSZ  .  |  JOHANN. BERNARDT  . 
HÖCKMANN  .  I  VND  .  ELISABETH  .  GENTTRVP.  E.  L. 

(Ksp.  Oelde,  Keitliiighausen  Nr.  28.     Die  Jahreszahl   ist   wegen  Verwitterung    des 
Balkens  nicht  mehr  zu  lesen,  anscheinend  1774.) 

76.  Hn  Sotteß  diamen   haben    wir    well    Sebauet.   |  t\antz   Snte   Qb'6rh:ff  und  .  .  .  ]   .    oÄnno  1773 

Q)en  Jit.   üulij. 

(Ksp.  Oelde,  Keitlinghausen  Nr.  33.) 

77.  GOT  ICH  BEGEHRE  DAS  DV  MIR  MOGTEST  i  VOR  SCHADEN  VND  VNGLVCK 

BEWAHREN  ;  DAS  DIESES  SPIECKERHAVS  STEHET  VON  AL  |  DEN  VNGLVCK 
SEI  BEFREIT.  J.  H.  ERNSTING  VND  |  A.  G.  D.  BACKMANN  ELEVTE  |  ANNO 
1781  DEN  24  OKTOB. 

(Ksp.  Oelde,  Bsch.  Menninghausen  Nr.  48.) 

78.  0  :  GOTT  .  DV  .  BIST  .  MEIN  .  HILF  .  MEIN  .  TROST .  MEIN  .  GOTT  .  VND  .  ALLES  .  I 

DV  .  BIST  .  MEIN  .  VND  .  ICH  .  BIN  .  DEIN  .  VND  .  DV. SOEST. MEIN  .  VND.  ICH. 
WILL  I  DEIN  .  BLEIBEN  .  IN  ALLE  EWIKEIT.  |  JOHAN  BERNDT  KEISER 
CHRISTINA  STIENES  1  EHELEVTE  |  ANNO  1785  DEN  .  23  .  NOFENBER. 

(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  30.) 

79.   An  einein  Schafstall   im  Kirchspiel  Oelde,  Bauerschaft  Menninghausen   Nr.  48 
befinden  sich  die  folgenden  vier  Inschriften,  über  jedem  Tor  eine: 

1.  ICH  .  HABE  .  HIR. GESTANDEN  .  VND  .  ICH. BIN.  VERBRANDEN. GOTT. H AT. l 
DICH.  LEGEN. NIEDER.  VND.  GIBT. MIR. DIE. GNADE. VND.  SETZET.  DICH. 

WIEDER. 

2.  JOHAN  HENRICH  ERNSTING:  VND  ANNA  GERTRVEDT  BACKMANS:  EHE- 

LEVTE. I  ANNO  178G  DEN  30.  MAIVS. 

3.  ICH  .  STAE  .  WIE  .  EIN  .  HIRT  .  DER  .  SCHAFFEN  .  VND  .  GOTT  .  WIRT  .  |  MIR  . 
DOCH  .  NICHT  .  VERL  ÄSEN.  VND  .  GOTT  .  IST.  EIN.  SCHÖFFER.  ALLER.    DIN- 
GEN .  DAS  .  KÖNNEN  .  WIR .  MENSCHEN  .  NICHT  .  ZWINGEN. 


88  Heuft: 

4.   VND  .  DER  .  SCHÄFFERN  .  DER.  SEIND  .  KLVCH.VND  .  FAREN .  IMMER  .  DIE. 
BESTE .  PFLVCH .  |  ZIMMERMEISTER  FRANS  WILME  LVKENKÖTTER. 

80.    HÖRET  IHR  BECKER  VND  BRAVER 
GEBET  ACHT  AVF  DAS  FEVER 
ANNO  1786  1  DEN  1»J.  AVGVSTVS 
(Ksp.  Oelde,  Menningliausen  Nr.  37.    Backhaus.) 

81.    0  Gott,  Sey  Du  Mein  hütcr.     Mein  Seelen,  Leib  und  guter,  | 
Diß  alles  Was  ich  habe,  das  Schenck  ich  dir  zur  gäbe.  | 
Johan  Wilhelm  Erdlandt  Anna  Maria  Elisabetfi  \  Binckhoff  Eheleute.    Anno  1788. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  11.     Scheune.) 

82.   DU  DREY  MAHL  HEILIGER  GOTT,  STEH  VNS  BEY  IN  ALLER  NOHT,  | 
WOLLEST   NIEMAL    VON  VNS  WEICHEN,   IN  ALLER   NOTH    VNS   HVELFE 

REICHEN. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  11.     Scheune.) 

83.    0  MARIA,  DU  SICHRE  ZUFLUCHT  MEIN, 

EINE  SALVAGARDE  DIESER  SCHEURE  SEY.  | 
UND  KEHRE  AB  DER  FEUER  BRUNST 
UND  SEIG  DEIN  MÜTTERLIE  GUNST. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  11.    Scheune.) 

84.    Suchet .  zuersten  .  das  .  Reich  .  Gottes  .  und  .  dessen  .  Gerechtigkeit,   So  .  irird  .  euch  .  alles ^ 

übrige  .  zugegeben  .  werden.  \ 
('hrist02)h  .  Lüttke  .  ErerscMoh  .  und  .  Anna  .  Catharina  .  Schemmann.  \  Den  .  '29.  Julius  . 

im  Jahr  1788. 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  11.    Über  der  Deele.) 

85.    Xu  einer  Scheune   im  Ksp.  Oelde,   Menninghausen    Nr.  37    befindet   sich   über 
jedem  der  sechs  Tore  je  eine  Inschrift: 

1.  DAS .  GVT .  IST .  NICHT .  MEHR .  ALS .  DER .  MANN  :  WER  .  REICH  .  IST  .  31VSZ . 

AVCH. WEISHEIT. HAN.  | 
DES .  ARMEN .  KLVGHEIT .  DIE .  HAT .  EHR .  DER .  REICH .  VERSTEIGT .  SICH . 

MER.VND.MER.  | 
VND  .  DABEI .  FROMM  .  IST  .  VERSTAND  .  NARHEIT   VND   REICHTVM  .  IST . 

NVR.SCHAND. 

2.  BOSHEIT  .VND .  DAS  .GELD .  DIE .  BLEIBEN .  IN .  DER  .WELT  DIE .  FRÖMMIG- 

KEIT .  ABER .  DOCH .  ALEIN .  BEHÄLT .  DAS .  PELDT .  | 
NICHTS .  BÖSER .  IST .  ALS .  GIFT  .  VND .  BITERER  .  ALS .  G  ALLE .  ABER .  DES . 
MENSCHEN  .  HERTZ .  VBERTRIFT .  DIE .  ALLE . 
:'..    DER .  IST . REICH .  VND .  VON .  GOTT .  GEEHRT  .  DEN .  SEIN .  HAND  .  VND  .  BE- 

RVF. ERNÄHRT. | 
NOCH .  SEELIGER  .VND  .  REICHER .  DER .  DER  BRA  VCHET.  WAS .  IH^l .  GIBT . 

DER. HER. 

4.  GOTT  GEBE  MIR  EINEN  GESVNDEN  LEIB  VND  EIN  DVGENTSAMFS  WEIB  : 
VND    DAVSEND   DAKATEN  ZV    MEINER    NOT    DARZV    EINEN    GLVCK- 

SELIGEN  DOTT. 

5.  BiEKlIPS:  :s(D5i£pli  m01l>3(S  VND  a'>3ii7(££2n:>iT2I  5€f7lliQ:(£  3K^.^(£££f  : 
EHELEVTE  .  ANNO  DOMINI  MDCCLXXXXII  |  DEN   17  .IVLIVS  ANNO   1792. 

6.  GOTT . HILF . VNS . ERWERBEN : CHRISTLICH . ZV. LEBEN . VND . SELICH .ZV. 

STERBEN. 

WER .  CHRISTLICH .  GELEBT .  VND .  SELICH .  GESTORBEN .  DER  |  H AT .  AVF . 

DIESER .  WELT .  GENVCH.  ERWORBEN . 


Kleine  Mitteilungen.  8<^ 

86.  AVER  AVF  GOT  VERTRAVET  DER  HAT  AVF  EINEN  GRVNEN  PLATZ  GE- 
BAVET.  GOT  GEBE  GLVCK  VND  SEGEN  VND  HERNACH  DAS  EWIGE 
LEBEN.  CHRISTOFFEL  SENKER  LISABETH  BRVGEMANN.  ANNO  ISOH. 
D.  15.  STB. 

^Ksp.  Gel  de,  Bergeler  Nr.  27.) 

87    GOTT  GIB  VNS  BEWOHNER  FRIEDE  VND  BESCHVTZE  AVCH  DISZ  HAVSZ 
WOLLEN  WIR  DICH  VND  MENSCHEN  LIBEN  BIS  WIR  GEHN  INS  KVHLE 
GRAB  i  25  JVNY  ISU. 

(Ksp.  Oelde,  Bauerschaft  Bergeler,  Nr.  IS.) 

88.    EIN  FEUERSBRUNST  LEGT  MICH  DANIEDER, 
DOCH  NEU  ERBAUET  STEH  ICH  NUN  WIEDER. 
0,  MÖGE  EINTRACHT  UND  ZUFRIEDENHEIT 
IN  MIR  BLÜHEN  LANGE  ZEIT. 
DIED:HERM:FIEGENER  UM)  .TOH:HENR:WÜRLINGHOP 
GERDRUD  WÖRLINGHOFEL     MARGARETH  DREES 
1817  DEN  2.  SEPTBR. 

^Ksp.  Oelde,  Ahmenhorst  Nr.  6.) 

89.  GOTT .  WIR .  WÜNSCHEN . HIER .  ZU . HABEN  .  WAS .  UNSERN .  LEIB .  UND . SELE. 

WIRD. LABEN. 
PETER .  ANTON .  STORCK .  M .  K .  HUSTER .  EHL .  j 
DEN  19.  MAY  1828. 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  60.) 

90.  GOTT .  SEGNE  .UNSEREN .  FLEISZ .  GIB .  MUTH.UND  GUTEN  .WILLEN .  UNSERE  - 

FLICKTEN .  ZU .  ERFÜLLEN . 

STEPHAN.  KLOD.  GEN  AND.  EDELBROCK  UND  CATHARINA.LEIFFERS. 
EHELEUTE.     DEN  2U  TEN. MAI   ANNO.  1837. 

(Ksp.  Oelde,  Ahmenhorst  Nr,  2G.) 

91.  DER .  FEUERSBRUNST  .WARF.  MICH .  NIEDER .  DURCH  .GOTTES .  HÜLFE .  STEH . 
ICH  .  DA  .  WIEDER  .  0 .  GOTT  .  SCHÖPFER .      ALLER  .  DINGE  .  DU  .  WOLLEST . 
UNS  .DEINE  .  GNADE  .BRINGEN .  DAS.  DIESES  .  HAUS  .SEI .  VON  .  ALLEM  .UN- 
GLÜCK. FREI,  i 

.JOHAN .  BERNARD .  VAHLMEIER .     ANNO .  1838.  D .  12.  N .  V.  B . 
{Ksp.  Oelde,  Keitlinghausen  Nr.  ;U.) 

92.    ~Si"  ZS'illi"^  '84()  bcn  3.  ^IprtU  xvax  für  uns  ein  llngiücfstag, 
ba  bies  fiaus  rem  BItt,  jcntiditet  laoi,  | 
ITtetifdjen  ITtitletb  unb  (gottes  Barmbci^ioifcit 
tjalfen  uns  aus  Mcfer  drauriiiFeit.  | 
tdj  bitte  btdj  0  (Sott,  laß  'ifoA)  ntdjt  5u, 
Da§  uns  fein  Ungcnntter  Sdjabcn  tliu.  | 
I^cinridj  Bccfftcbe  unb  (Scrtrub  Biüntcnliegcr.     ^£.  I.  |  biMi   i2.  ^uli  ih4<). 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  8.1 

93.    Alles  was  wir  hier  lialjeu, 

Sind  o  Gott  deine  Milden  Gaben, 
^rcinj  pietig  unb  ülaria  ^Inna  Sdrnücfcl  (Eheleute. 
17.  ^Ipr.  \852. 

(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  Gti.) 


90  Heuft:  Kleine  Mitteilungen. 

94.    Gott  beiralire  dieses  Hans  und  segne  uns  darein  und  aus. 

Bernard  Wigard  und  Lisette  Linnemann,  den  4.  August  1S53. 
;Ksp.  Oelde,  Ahmenhorst  Nr.  46.) 

95.    Der  ßerr  im  Ejtmmel  fd^ütjC  meitic, 
Dal^ter  €rbauetc  neue  Sdjenne,  | 
Unb  Ia§  Ptcl  (Slücf  unb  gcbetl^eu, 
2lm  Piel^  unb  am  (Setreibc  fein.  | 
'i)Z\\  ().  Vflai  ^801,.     (Serl^arb  Bcinrid?  ^reje- 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  7.) 

96.   Dies  fjäuslcin  (Sott  regiere 
init  Seiner  Segcnsl^anb 
Unb  Hüe  barin  führe 
(£r  einft  in  beffre  £anb.     [Sgg. 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  in  der  Nähe  von  Ernsting.  Die  Inschrift  ist  samt  dem 
Häuslein  bereits  verschwunden.) 

97.    Nur  in  der  Häuslichkeit  gemessnem  Frieden 
ist  uns  des  Lebens  wahres  Glück  beschieden.  \ 
Caspar  Sudhoff  und  Anna  Vrede   den  13.  Juni  1868. 
(Ksp.  Oelde,  Keitiinghausen  Nr.  S.").) 

88.    Xar  Gutes  geh  in  diesem  Haus,  Böses  bleib  draus.    Frau;:  Lemke.    Anna  Simminghoff 

den  25  März  \  1872. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  17.) 

99.    iüer  haben  tr>ir  fdjou  lange    an  gebadjt    unb  cnblidj  'bin  i?au  bnrdj   (Sottcs  I^ülfc  unb 
ineufdicn  ßänbe  üoUbradjt.  |  Bernarb  ^frcfc  (Elifabetl)  Kaifcr  |  (Etjeleute  (Errichtet  |  bcn 
20.  3"Ii  '876. 
(Ksp.  Oelde,  Menninghausen  Nr.  7.) 

100.    Ich  förchte  nicht  der  Menschen  list. 
Weil  Gott  mich  hilft  zu  Jeder  frist. 
(Ksp.  Oelde,  Bergeler  Nr.  11.     Seiteneingang  am  Wohnhause.) 

Oelde  i.  W.  Hans  Heuft. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Erntereigen. 

Herr  Dr.  Hermann  Strebel  in  Hamburg   teilt   uns  ein  Liedchen  mit,    das  in 
der  Nähe  von  Kiel  die  Mädchen  beim  Erntefest  zum  Reigentanz  singen. 
Es  lautet: 

Willst'  'n  Nachtmütz  hebben,  Hut  overst  Jahr 

Kannst  mi  man  seggen.  Sind  wi  'n  Paar. 
Ik  hef  noch  een  Ik  will  een  hebben  — 

To  söstein  Penn.  Wilt  ook  een  hebben? 

Magstu  mi  liden,  Dat  ik  gar  nich  mag, 

Kannst  mi  geern  kriegen.  Will  ik  nich  seggen. 

Das  Tanzliedchen  stellt  doch  wohl  ein  Zwiegespräch  dar,  in  dem  die  ersten 
vier  und  die  letzten  vier  Zeilen  derselben  Person  angehören.  Leider  fehlt  uns  die 
Melodie. 


Bolte:   ßerichte  und  Bücheranzeigen.  <^] 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 


Neuere  Märchenliteratur. 

(Schluss  zu  l',>,  458-462.) 

Einzelnen  Märchen  sind  diesmal  nur  wenige  Untersuchungen  gewidmet.  Die 
wichtigste  ist  die  von  Gerould*)  über  den  dankbaren  Toten,  ein  seit  Simrocks  Buch 
über  den  Guten  Gerhard  öfter  behandeltes  Thema.  G.  konnte  sich  auf  die  tüchtige 
Abhandlung  Hippes,  die  ISS-S  im  Archiv  für  neuere  Sprachen  erschien,  stützen, 
hat  jedoch  die  zahlreichen  Fassungen  selbständig  durchgearbeitet,  hie  und  da  ver- 
mehrt, leider  ohne  Reinhold  Köhlers  Nachträge^)  zu  benutzen,  und  neu  geordnet. 
Entstanden  ist  das  Märchen  aus  dem  uralten  Glauben  an  die  heilige  Pflicht  der 
Totenbestattung,  der  durch  eine  Erzählung  von  der  Vergeltung,  wie  die  von 
Cicero  berichtete  Rettung  des  Dichters  Simonides  durch  die  Warnung  des  dank- 
baren Toten,  besser  eingeprägt  werden  konnte.  Aber  die  einfachste  Form  des 
Märchens,  in  welcher  der  dankbare  Tote  dem  Helden  zu  einer  schönen  Braut 
verhilft  und  dann,  um  ihn  zu  prüfen,  gemäss  früherer  Abrede  die  Teilung  dieses 
Gewinnes  verlangt,  ist  nirgends  mehr  rein  erhalten,  vielmehr  erscheint  es  mit  ver- 
schiedenen anderen  Stoffen  vergesellschaftet.  Zuerst  bei  den  Juden  im  apo- 
kryphischen  Ruche  Tobit  mit  der  indischen  Fabel  vom  Giftmädchen,  die  in  roherer 
Gestalt  auch  dem  armenischen  Märchen  und  abgeschwächt  einem  1505  gedruckten 
Schauspiele  G.  Peeles  und  dem  'Reisekameraden'  Andersens  zugrunde  liegt;  dann 
im  Mittelalter,  wie  die  verstümmelte,  zur  Heiligenlegende  umgewandelte  Fassung 
der  Scala  cell  erkennen  lässt,  mit  dem  verwandten  Motiv  der  losgekauften  Königs- 
tochter; ferner  mit  dem  Wasser  des  Lebens,  dem  verschwenderischen  Ritter,  den 
beiden  Freunden,  den  dankbaren  Tieren,  dem  gestiefelten  Kater,  den  Schwan- 
jungfrauen, dem  Büsser  Gregorius  u.  a.     Und  zwar  sind  solche  Verbindungen  mit 


1)  Gordon  H.  Gerould,  The  grateful  dead,  the  history  of  a  folk  story.  London. 
D.  Nutt  1908.  X,  177  S.  10/6.  (Publ.  of  the  Folk-lore  society  60).  —  Die  Fabel  des  Guten 
Gerhard  behandelte  Gerould  besonders:  The  hermit  and  the  saint  (Publ.  of  the  Modern 
lang,  assoc.  20,  529—545,  1905).  —  Der  dem  Guten  Gerhard  voraufgehenden  jüdischen 
Legende  des  Rabbi  Nissim,  in  der  ein  frommer  Meister  Gott  fragt,  wer  sein  Gefährte  im 
Paradies  sein  werde,  widmet  B.  Heller  (La  legende  judeo-chretienne  du  compagnon  au 
paradis.  Revue  des  etudes  juives  56,  198 — 221.  1908)  eine  neue  Untersuchung;  er  glaubt 
ihren  Ursprung  in  der  talmudischeu  Erzählung  von  der  edlen  Tat  des  Pentakakos  zu 
finden.  Vgl.  zu  dem  Motiv  noch  Goldziher,  ZDMG  50,  493;  Basset,  Nouveaux  contes 
herberes  nr.  91  und  Revue  des  trad.  pop.  16,  395. 

2)  Kleinere  Schriften  1,  38  (1898)  und  oben  6,  168  zu  Gonzenbach  nr.  74.  —  Ferner 
notiere  ich:  Bezemer,  Volksdichtung  aus  Indonesien  1904  S.  321.  Macler,  Contes  armeniens 
1905  p.  149.  Wlislocki,  Zs.  f.  vgl.  Litgesch.  11,  470  (rumänisch).  Alcover,  Rondayes 
mallorquines  2,  65  (1897).  Dottin,  Contes  d'Irlande  1901  p.  55.  Hatiken;i?s,  Norsk  eventyr- 
skat  1888  p.  62.  Jahn,  Volksmärchen  aus  Pommern  1,  nr.  34,  35  u.  Anm.  Bunker, 
Schwanke  in  heanzischer  Mundart  1906  nr.  86.  Behrend,  Älärchen  aus  Westpreussen  1908 
S.  47  und  88.  Polivka,  Archiv  f.  slav.  Phil.  31,  280  nr.  152  und  169.  v.  Löwis  oben 
S.  45.  —  Zu  Gerould  p.  7  (Tobit)  vgl,  Wickram,  Werke  8,  ;!52;  zu  p.  l.")f.  und  22  vgl. 
R.  Baumbach,  Der  Ritter  im  Rauch  (Abenteuer  und  Schwanke  1884  S.  1),  Der  Junker 
u.  der  treue  Heinrich  ed.  Englert  1892,  Dramatisierungen  des  15.  u.  16.  Jahrh.  im  Nd. 
Jahrbuch  6,  29  und  bei  Bolte,  Das  Danziger  Theater  1895  S.  50. 


1)2  Bolte: 

andern  Motiven,  wie  G.  hübsch  sagt,  keine  Konvenienzheiraten,  sondern  gehen  aus 
innerer  Zuneigung  und  Übereinstimmung  hervor.  Das  ganze  Buch  ist  mit  be- 
sonnener und  nüchterner  Zurückhaltung  geschrieben;  die  Resultate  sind  freilich 
nicht  so  übersichtlich  wie  in  Hippes  Stammbaum  zu  überblicken,  aber  für  die 
hauptsächlichste  Abweichung  von  Hippe,  dass  die  Drachen  im  Leibe  der  Braut 
nicht  der  ältesten  Form  des  Märchens  angehören,  sondern  erst  durch  die  Kom- 
bination mit  dem  Motiv  des  Giftmädchens  hineingekommen  sind  (S.  75),  hat  G. 
beachtenswerte  Gründe  beigebracht.  —  Unsern  Lesern  schon  bekannt  sind  die 
Nachträge  Hertels  (oben  19,  83—92)  zu  Cosquins  Monographie  über  die  Erzählungen 
von  der  Muttermilch  und  der  schwimmenden  Lade  sowie  (19,  426 — 429)  zur  Fabel 
von  den  Hasen  und  Fröschen,  Boltes  (19,  314)  zum  Märchen  von  den  Töchtern 
des  l'etrus,  Aarnes  (19,  298—303)  zum  Märchen  von  der  Tiersprache.  Das 
Märchen  von  Rumpelstilzchen  (Tomtittot,  Titeliture)  behandelt  C.  W.  v.  Sydow^), 
der  früher  (oben  IS,  473)  eine  Untersuchung  über  die  damit  verwandte  Finnsage 
lieferte.  Durch  eine  sorgfältige  Betrachtung  einer  grossen  Zahl  von  Varianten 
gelangt  er  zu  der  Überzeugung,  dass  die  ursprüngliche  Fassung  in  Schweden 
heimisch  war  (ein  Mädchen,  dem  ein  Zwerg  Stroh  zu  Gold  spinnen  hilft,  muss 
dafür  versprechen  ihm  anzugehören,  falls  sie  nicht  seinen  Namen  errate)  und  von 
dort  nach  Deutschland,  England,  Frankreich  (M.  J.  Lheritier  1705)  usw.  wanderte. 
Man  kann  zugeben,  dass  die  heutige  schwedische  Fassung  der  ursprünglichen  am 
nächsten  steht,  ohne  die  Entstehung  der  letzteren  in  Schweden  anzuerkennen:  denn 
öfter  haben  andre  Länder  eine  Sagenform  erhalten,  die  im  Ursprungslande  zugrunde 
gegangen  ist  (piOVeksaga,  Earl  of  Toulouse,  Traum  von  der  Brücke,  indische 
Märchen).  Unsicher  bleibt  auch  die  Ableitung  des  Namens  Titeliture  aus  dem 
Drosselruf  oder  die  Einwanderung  des  Märchens  in  Prankreich  mit  den  Normannen. 
An  zweiter  Stelle  behandelt  S.  das  Märchen  von  den  drei  Spinnerinnen,  das  un- 
abhängig vom  Rumpelstilzchen-Typus,  aber  sich  öfter  mit  ihm  kreuzend,  in  Deutsch- 
land oder  Skandinavien  entstanden  ist.  —  Einen  ähnlichen  Übergang  vom  Märchen 
zur  Ortssage  lässt  der  Traum  vom  Schatz  auf  der  Brücke  erkennen,  den  Bolte 
(oben  19, -289— 298)  im  Anschluss  an  Lohmeyers  (S.  286-289)  Mitteilung  neuer 
Fassungen  durch  die  Jahrhunderte  verfolgte.  —  Gaidoz^)  geht  an  der  Hand 
einer  irischen  Erzählung  des  15.  Jahrhunderts  den  Motiven  des  Einschlafens  auf 
dem  Feenhügel  und  der  Geschlechtsverwandlung  nach.  Nyrop  stellt  in  drei 
schmucken  Bändchen  die  Entwicklung  der  Sagen  vom  Herzen  des  Sängers,  von 
der  Gräfin  mit  den  365  Kindern  und  die  jüdischen  Parabeln  von  den  drei  Ringen 
und  vom  Engel  und  Einsiedler  sachkundig  und  anziehend  dar  (vgl.  oben  19,  468).  — 
Aus  einer  Breslauer  Hs.  der  um  13U0  von  dem  südfranzösischen  Dominikaner 
Johannes  Gobii  Junior  abgefassten  lateinischen  Predigtmärleinsammlung  'Scala 
celi'  teilt  Klapper^)  in  Übersetzung  das  Mädchen  ohne  Hände,  die  Tochter  des 
Kaisers  von  Konstantinopel,  das  Wasser  des  Lebens,  die  drei  Brüder  mit.  dazu 
aus  einer  andern  Hss.  des  14.  Jahrhunderts  die  Legenden  vom  König  im  Bade, 
vom  Königssohn    im  Bade,    von    der  Königin,    die    den  Marschall  tötete,    von  der 


1)  C.  W.  v.  Sydow,  Tvä  spinnsapor,  en  studie  i  jämförande  folksagoforskning. 
(Lander  Diss.)  Stockholm,  Norstedt  &  söner  1901).     103  S. 

2)  H.  (Jaidoz,  Du  changemeiit  de  sexe  dans  les  coutes  celtiques  (Revue  de  Thist. 
des  roligions  57,  317—3321.     Vpl.  oben  19,  241. 

:'>)  J.  Klapper,  Sagen  und  Märchen  des  Mittelalters  (Mitt.  der  schles.  Ges.  f. 
Volkskunde  20,  1  —  29).  —  Das  Märchen  von  dem  Mädchen  ohne  Hände  als  Predigt- 
exempel  (ebd.  19,  29—45).  —  Eine  Quelle  der  Don-Juan-Sage  (Studien  z.  vgl.  Litgesch. 
9,  190-192). 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  *))-{ 

Königin  von  England,  Gregorius,  den  drei  Fragen,  dem  toten  Gast,  dem  Spiel- 
mann und  dem  Reichen  u.  a.  Die  nötigen  Literaturnachweise  sind  nicht  vergessen.  — 
Zu  den  Untersuchungen  über  die  grosse  Schar  der  Griseldis- Dichtungen  liefert 
Schuster^)  einen  nützlichen  Beitrag;  er  mustert  genauer  die  französischen  Über- 
tragungen von  Petrarcas  (hier  abgedruckter)  lateinischer  'Mythologia'  und  be- 
spricht u.  a.  die  von  Halms  Griseldis  abhängige  Tragödie  Ostrowskis  und  das 
Mystere  von  Silvestre  und  Morand,  welches  das  neue  Motiv  einer  AVette  mit  dem 
Teufel  über  Frauentreue  einschaltet;  die  ästhetische  Beurteilung  allerdings  geht 
etwas  in  die  Breite  und  erfolgt  nicht  immer  nach  festen  Massstäben.  —  Die 
antike  Erzählung  von  Amor  und  Psyche  verfolgt  A.  Hoffmann^)  durch  die 
englische  Literatur.  H.  liefert  eine  Ergänzung  zu  Stumfalls  oben  18,  454  er- 
wähnter Schrift  über  die  romanischen  Bearbeitungen  der  apulejanischen  Erzählung. 
Ohne  auf  die  Frage  nach  der  Quelle  der  letzteren  einzugehen,  untersucht  er  die 
erst  im  16.  Jahrhundert  mit  Adlingtons  Prosaübersetzung  anhebenden  englischen 
Bearbeitungen  sorgsam  auf  ihr  Verhältnis  zu  der  römischen  Vorlage.  Ausser 
Heywoods  Drama  (1636)  und  einigen  Bearbeitungen  von  Molieres  Psyche  sind  es 
Epen  von  Marmion,  Ridley,  Gurney,  Tighe,  Morris  und  Bridges,  die  teilweise 
unter  dem  Einfluss  von  Spensers  allegorisierender  Richtung  stehen,  teils  wie 
Beaumont  (1648)  die  Fabel  ganz  im  christlich-religiösen  Sinne  umwerten.  — 
In  Waxmans^)  Übersicht  über  die  Don  Juan-Dichtungen  vermisst  man  die  Be- 
rücksichtigung der  zugrunde  liegenden  Volkssage.  —  Zu  dem  bei  Petrus  Alfonsi 
nachgewiesenen  Schwank  von  dem  bei  der  Auswahl  zögernden  Diebe  (oben  18,  445) 
stellt  Zachariae*)  europäische  und  orientalische  Parallelen  zusammen., —  Stiefel^) 
erforscht  mit  gewohnter  Umsicht  und  Gründlichkeit  die  Quellen  des  um  1550  ent- 
standenen englischen  Schwankbuches  'Mery  tales',  die  zumeist  in  den  Werken 
der  Humanisten  Poggio,  Brant,  Abstemius,  Erasmus,  Gast,  Morus  u.  a.  und  nur 
zum  kleinen  Teil  in  der  mündlichen  Volksüberlieferung  bestehen.  —  Boekenoogen"') 
weist  zu  der  im  17.  Jahrhundert  in  England  und  Holland  verbreiteten  Sage  von 
einem  Mädchen  mit  Schweinsgesicht  neuere  Varianten  aus  Holland  und  Frankreich 
nach.  —  Der  hessischen  Mährchenerzählerin  Katharina  Dorothea  Viehmann  geb. 
Pierson  (1755—1815),  der  die  Brüder  Grimm  mehrere  ihrer  besten  Stücke  ver- 
dankten, und  deren  Bildnis  sie  1819  ihrer  Sammlung  beigaben,  hat  der  Chronist 
ihres  Heimatsortes'')  ein  anziehendes  Kapitel  gewidmet,  aus  dem  ich  hervorhebe, 
dass  ihr  Vater  aus  Metz  eingewandert  war. 

Unter  den  Textsammlungen  sind  an  erster    Stelle    Dähnhardts®)    natur- 


1)  E.  Schuster,  Griseldis  in  der  französischen  Literatur.  Diss.  Tübingen,  Hecken- 
hauer 1909.    4  Bl.,  144  S. 

2)  A.  Hoff  mann,  Das  Psyche-Märchen  des  Apuleius  in  der  englischen  Literatur. 
Diss.    Strassburg,  H.  Huber  1908.    111  S. 

S)  S.  M.  Waxman,  The  Don  Juan  legend  in  literature  (Journal  of  american  folklore 
21,  184-204). 

i)  Th.  Zachariae,  Zum  Schwank  vom  zögernden  Dieb  (Studien  zur  vgl.  Litgesch. 
9,  284—287). 

5)  A,  L.  Stiefel,  Die  Quellen  der  englischen  Schwankbücher  des  16.  Jahrhunderts, 
1 :    Die  Mery  Tales,  Wittie  Questions  and  Quicke  Answeres  (Anglia  n.  F.  l'.i,  455—520). 

6)  G.  J.  Boekenoogeu,  Het  meisje  met  het  varkenshoofd  (Volkskunde  20.  1—8. 
Vgl.  ebd.  K;,  1-17). 

7)  K  üsbeck,  Chronik  von  Niederzwehren  (Niederzwehren,  Selbstverlag  lii07.  ISS  S.) 
S.  40— 50:    Die  Brüder  Grimm  und  die  Märchenfrau  von  Niederzwehren. 

8)  0.  Dähnhardt,  Naturgeschichtliche  Volksmärchen,  gesammelt.  Mit  Bildern  von 
0.  Schwindrazheim.  S.verbess.  Aufl.  2  Bde.  Leipzig,  Teubner  190!i.  VI,  102.  \l,  127  S.  je  2,40  M. 


94  Bolte: 

geschichtliche  Volksmärchen  anzuführen,  die  in  dritter  Auflage  fast  um  das  Doppelte 
vermehrt  und  auf  l(i5  Nummern  angewachsen  vor  uns  liegen.  Wie  das  Werk 
zuerst  als  Vorläufer  der  grossen  wissenschaftlichen  Publikation  der  'Naturmärchen' 
auftrat,  so  hat  es  wieder  aus  D.s  Beschäftigung  mit  diesen  neue  Bereicherung 
erfahren,  aber  seinen  Zweck,  vor  allem  die  Jugend  in  die  bunte  Fülle  der  hier 
von  verschiedenen  Völkern  der  Erde  niedergelegten  Naturbeobachtungen  ein- 
zuführen, bewahrt.  Über  Wesselskis  'Mönchslatein',  eine  Sammlung  mittel- 
alterlicher Novellen  und  Schwanke,  ist  bereits  10,  o57  berichtet;  H.  Plörkes  Ver- 
deutschung von  Straparolas  Ergötzlichen  Nächten  (München,  Georg  Müller  1908. 
X,  425.  XIV,  3;iG  S.  28  Mk.)  kam  mir  bisher  nicht  zu  Gesicht.  —  Neue  Schätze 
der  noch  heut  umlaufenden  Volksüberlieferung  bot  das  Wallis.  Jegerlehner^), 
der  schon  im  vorigen  Berichte  (18,  456)  genannt  wurde,  hat  zwei  weitere  Bände 
erscheinen  lassen.  Der  erste,  'Am  Herdfeuer  der  Sennen'  betitelt,  bringt  o4  gut 
erzählte  Stücke.  Die  Märchen  sind  trotz  der  abweichenden  Überschriften  durch- 
weg bekannte  Grössen;  so  S.  27  (Selbergetan.  Zur  Polyphemsage),  41  (Sneewittchen. 
Grimm  nr.  53),  SG  (Bärenhäuter.  Gr.  101),  115  (Griselda.  R.  Köhler  2,  534),  121 
(Bärensohn.  Köhler  1,  543),  129  (Maria  und  die  Hausfrau.  Legenda  aurea  c.  119,  3. 
Hagen,  Gesamtabenteuer  nr.  78),  137  (Salomo  und  Markolf.  Köhler  2,  G40),  142 
(König  Drosselbart.  Gr.  52),  148  (Das  tapfere  Schneiderlein.  Gr.  20),  156  (Grind- 
kopf. Köhler  1,  330),  167  (Die  beiden  Wanderer.  Gr.  107),  179  (Der  dankbare 
Tote.  Köhler  1,  5),  190  (Bürle:  Gr.  Gl.  Eselsei:  Köhler  1,  323),  200  (Müller  mit 
dem  Kätzchen.  Gr.  106),  208  (Der  Teufel  mit  den  drei  goldenen  Haaren.  Gr.  29), 
238  (Seehse  kommen  durch  die  ganze  Welt.  Gr.  71).  —  In  der  andern  Samm- 
lung-), die  177  Sagen  und  Märchen  aus  sieben  Tälern  des  romanisch  redenden 
Untervvallis  enthält,  tritt  der  wissenschaftliche  Zweck  mehr  hervor;  die  Texte  sind 
knapper  gehalten  und  zwar  nicht  im  ursprünglichen  Patois,  sondern  teils  in  fran- 
zösischer, teils  in  deutscher  Übertragung,  aber  genau  so,  Avie  sie  der  Herausgeber 
von  seinen  Gewährsleuten  erhielt,  gedruckt.  Der  Inhalt  ist  reich  und  vielseitig; 
auch  ist  ein  kurzes  Sachregister  beigegeben,  das  freilich  die  fehlenden  Verweise 
auf  verwandte  Fassungen,  auch  Jegerlehners  frühere  Sammlung  nicht  ersetzen  kann. 
Ich  notiere  auch  hier  die  wichtigsten  Stoffe:  S.  5  und  164  (Sterben  beim  3.  Esels- 
winde. Köhler  1,  486),  7  (Sandseile;  oben  17,  461),  8  und  62  (Kirche  gerückt, 
Schildbürgerstreich.  Köhler  1,  324),  8  (Beterin  geäfft:  Frey,  Gartengesellschaft  S.  284. 
Nussknackende  Diebe  auf  dem  Kirchhofe:  Wickram,  Werke  3,  378  nr.  öi6),  30.  83 
(Dummling.  Frey  S.  215.  213),  72  (Hans  im  Glück.  Gr.  83),  73  (Rätsel.  Grimm  22. 
Köhler  1,  321);  74  (Mann  und  Frau  tauschen.  Frey  nr.  20),  76.  81.  101  (Setz 
deinen  Fuss  auf  meinen.  Oben  6,  204),  81  und  183  (Gang  zur  Hölle.  Gr.  29. 
Köhler  1,  466),  138  (Grindkopf  Köhler  1,  330),  143  Bärensohn  (Köhler  1,  543), 
154  (Jude  im  Dorn:  Gr.  110,  und  Spielhansel:  Gr.  82),  171  (Kuh  von  Hexen  ge- 
gessen und  belebt.  Köhler  1,  586),  179  (Teufel  in  der  Kirche.  Zs.  f.  vgl.  Litgesch. 
11,  259),  182  (Selbergetan.  Polyphem),  191  (Gevatter  Tod.  Gr.  44).  Dieser 
Band  aus  ünterwallis  bildet  eine  Ergänzung  zu  der  vom  historischen  Verein  von 
Oberwallis  neu  herausgegebenen  zweibändigen  Sammlung  'Walliser  Sagen'  (oben 
19,  123),  in  der  sich  freilich  kaum  eigentliche  Märchen  befinden.   Einige  Schwanke 

1)  J.  Jegerlehner,  Am  Herdfeuer  der  Sennen,  neue  Märchen  und  Sagen  aus  dem 
Wallis,  aus  dem  Volksmunde  gesammelt.  Illustriert  von  H.  Egger.  Bern,  A.  Fraucke  190S. 
2  BI.,  256  S.  3,50  Mk. 

2)  J.  Jegerlehner,  Sagen  aus  dem  Uuterwallis,  unter  Mitwirkung  von  Walliser 
Sagenfreunden  gesammelt  aus  d.'in  Volksmunde.  Basel  1909.  IX,  196  S.  4,50  Fr.  (Schriften 
der  Schweizerischen  Gesellschaft  für  Volkskunde  6\ 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  95 

und  Schildbürgergeschichten  aus  dem  Sarganserland  teilt  A.  Zindel-Kressig 
(Schweizer.  Archiv  f.  Yk.  1'2,  54 — 56)  mit.  —  Die  aus  Dörlers^)  Nachlass  ver- 
öffentlichten Vorarlberger  Märchen  behandeln  zumeist  bekannte  Motive,  knüpfen 
aber  teilweise  an  bestimmte  Ürtlichkeiten  und  Zeiten  an;  nr.  1  (Fürchtenlernen) 
Grimm  4;  3  (Hexenritt)  Köhler  1,  220;  6  (Hasenhirt)  Köhler  1,  554;  9  (Flucht 
mit  der  Hexentochter)  Köhler  1,  161;  10  (Goldgans)  Gr.  64;  11  (Blaubart)  Köhler 
],  161;  12  (Meisterdieb)  Gr.  192.  —  Latzenhofer^)  teilt  vier  von  Schottky  um 
1S20  und  25  von  ihm  selber  in  Österreich  und  Ungarn  gesammelte  Märchen, 
Blau  28  Sagen  und  Schwanke  aus  dem  Böhmerwalde  mit.  Zu  Latzenhofer  nr.  1 
vgl.  Grimm  110  (Jude  im  Dorn);  zu  4  den  Staufenberger  und  den  Glasberg 
(R.  Köhler  1,  444.  2,  413);  19  (Pfarrerlatein)  Wossidlo  1,  nr.  lOdO;  26  (Prediger 
will  werfen)  Wickram,  Werke  3,  369;  21  (Der  schlaue  Knecht)  Y.  Schumanns 
Nachtbüchlein  nr.  3;  22  (Yerkehrte  Begrüssungen)  Frey,  Gartengesellschaft  S.  216; 
28  (Ochsenschwanz  in  die  Erde  gesteckt)  Köhler  1,  150.  327.  Zu  Blau  nr.  1  (Der 
über  uns)  Köhler  3,  167;  2  (Schüler  aus  dem  Paradies)  Wickram  3,  391.  s,  347; 
25  (unruhiger  Toter)  oben  17,  8  nr.  2.  —  Die  19  schlesischen  Märchen,  die 
Schiller')  aus  hsl.  Aufzeichnungen  0.  Kolbergs  und  Lompas  veröffentlicht,  sind 
knapp  und  nicht  immer  volkstümlich  erzählt  und  verraten  in  Namen  und  Motiven 
einen  polnischen  Einschlag.  Zu  nr.  2  (Wiedergewinnung  des  Wunschhemdes  nach 
mehrfacher  Verwandlung)  Kristensen,  Fra  Mindebo  p.  3;  4  (Jüngster  wacht  am 
Grabe  des  Yaters)  R.  Köhler  1,  551;  5  (Belfegor)  oben  15,  104.  16,  448-;  6 
(Glücksvogel)  Köhler  1,  409;  8  (treulose  Gefährten)  Köhler  ],  543;  9  (Toter  Freund 
auf  der  Hochzeit)  Köhler  2,  226;  11  (Tierhülle  verbrannt)  Köhler.  1,  315;  13 
(Bärenhäuter)  Grimm  101;  14  (Bauerntochter)  Gr.  94;  15  (Die  zwölf  Raben)  Gr.  25; 
16  (Meisterdieb)  Gr.  192;  17  (Tiersprache)  oben  S.  298;  18  (Die  beiden  Wandrer) 
Gr.  107.  —  In  Posen  hat  Knoop*),  der  bereits  1893  ein  Sagenbuch  dort  heraus- 
gab, eifrig  weitergesammelt  und  seine  Schüler  und  Freunde  zu  gleicher  Tätigkeit 
angeregt.  So  ist  eine  für  die  Jugend  bestimmte  hübsche  Auswahl  von  90  Nr.  und 
eine  mit  gelehrten  Anmerkungen  versehene  Lese  von  13  Märchen  entstanden, 
welche  beide  die  der  Landschaft  eigentümliche  Mischung  deutschen  und  polnischen 
Volkstums  treu  wiederspiegeln.  Zu  nr.  6  der  Ostmärkischen  Sagen  vgl.  Gesta 
Romanorum  2(t;  22  (Mönch  und  Vöglein)  R.  Köhler  2,  239;  43  (die  beiden 
Wanderer  (Grimm  1(»7;  46  (Gänsemagd)  Gr.  89;  51  (der  liebste  Roland)  Gr.  Ö6i 
50  (Bärenhäuter)  Gr.  101;  58  Gevatter  Tod  (Gr.  44)  und  Spielhansel  (Gr.  s-j);  64 
(Goldgans)  Gr.  64;  65  (Frau  hat  Teufeiskopf)  oben  12,  258;  67.  68  (Spielhansel) 
Gr.  82;  72  (Vogels  Lehren)  Köhler  1,  575;  77  (Bauerntochter)  Gr.  94;  78  (Simeli- 
berg)  Gr.  142;  79.  80  (Meisterdieb)  Gr.  192;  81  (Dr.  Allwissend)  Gr.  98;  85. 
(Leber  vom  Galgen)  Grimm,  KHM.  3 3,  267;  86  (der  dumme  Hans)  Frey,  Garten- 
gesellschaft nr.  1;  87  (schwatzhafte  dumme  Frau)  Köhler  1,  342,  Wis'ser  2,  88. 
3,  38;  90  (Neckmärchen)  Gr.  200.  Knoop  hebt  selbst  hervor,  dass  mehrere  dieser 
aus  mündlicher  Überlieferung   aufgezeichneten    Erzählungen    auf  gedruckte  Texte- 


1)  A.  Dörler,  Sagen  und  Märchen  aus  Vorarlberg  (Zs.  f.  österr.  Volkskunde  14>. 
81-96.  155-167). 

2)  J.  Latzenhofer,  Märchen  und  Schwanke  aus  Österreich  und  Ungarn  Blümml, 
Beiträge  zur  deutschen  Volksdichtung.  Wien,  R  Ludwig  1908  S.  lu;»-12!)).  —  J.  Blau,, 
Schwanke  und  Sagen  aus  dem  mittleren  Böhmerwalde  (ebd.  S.  129  —  150). 

o)  Ad.  Schiller,  Schlesische  Volksmärchen.  Breslau, Verlag  Allegro.  1907.  82  S.  1  Mk. 

4)  0.  Knoop,  Ostmärkische  Sagen,  Märchen  und  Erzählungen,  gesammelt  und  hsg. 
Lissa  i.  P.,  0.  Eulitz  1909.  VII,  193  S.  —  0.  Knoop,  Posener  Märchen,  ein  Beitrag  zur 
Heimat-  und  Volkskunde  der  Provinz  Posen.    Progr.  Rogasen  1909.  29  S.  4". 


M6 


Bolte: 


zurückgehen.     Seine  Piograramabhandlung   geht   näher    ein  auf   1.  Räuber  Madej 
(oben  lo,  70),  2.  Geist  in  der  Flasche  (Chauvin,  Bibl.  arabe  G,  23),   3.  Prinzessin 
im    Sarg   und    Schildvvache    (R.  Köhler  1,    320),    4.  Der  Tote    und    sein    Diener 
(Sklarek,    Ungar.  Vm.  nr.  27),    5.  Teufel  geäfft  (Montanus,  Schwankbücher  S.  6u2, 
oben    14,    347),    6.  Teufel    als    Knecht,    7.  Teufel    gibt    Geige,    8.  Bilder   werden 
lebendig,    ^>.  Zaubrer    und    sein    Lehrling    (Gr.  G8),    10.  Tierquäler   in    Esel    ver- 
wandelt°    11.  Treulose  Schwester    (Köhler  1,   303),    12.  Jude  im  Dorn    (Gr.  110), 
13.  Unibos   (Köhler   1,    230).    —    Die    ebenfalls   in    Posen    aufgezeichneten    neun 
Märchen  von  Konrad^  scheinen    zum  Teil  etwas  ausgeschmückt  zu  sein,    merk- 
würdig ist  das  plattdeutsche  'Haas  Dusenddüwel'.  —  Viele  eigenartige  Züge  tragen 
die  westpreussischen    Märchen,    die  Behrendt)    teils    aus    einer    zu    Anfang   des 
19.  Jahrhunderts  angelegten  Hs.,  über  die  man  gern  Näheres  hörte,  teils  aus  dem 
Volksmunde  entnommen  hat;  öfter  wird  die  Tucheier  Heide  als  Schauplatz  genannt, 
auch  ein    'Reisegraf    begegnet  mehrfach.     Nr.  1    (Fürchten  lernen)    Grimm  4;    2 
(Bauerntochter)  Gr.  94;  3  (Lügen)  R.  Köhler  1,  322;  5  (Drei  Handwerksburschen) 
Gr.  120;  G  (verkehrte  Anreden)  Gr.   143;    7    (der  goldene  Berg)  Gr.  92;    8  (Lieb- 
haber als  Vogel)    Cosquin,    Contes  de  Lorraine  GS;    9    (Freiwillig  stumm)    Bolte, 
Danziu'er  Theater  S.  220';    10  und  17  (vertauschte  Ehepaare.   Schatz  des  Rhampsinit) 
Köhler  2,  307  und  1,    200;    11   (Herz  des  Wundervogels)    Gr.  GO;    12    (Sack  voll 
Wahrheiten)    Köhler    1,  554;    13  u.  25    (der    dankbare  Tote);    15    (Wunderpferd) 
Köhler   1,  467;    IG    (Kaiser    und  Abt)    Gr.  152;    19    (Schwiegersohn  durch    Brief- 
vertauschung)    Köhler  1,  465;    22  und  11    (Drachentöters  Hunde)    Köhler  1,  303; 
23    (Schwanjungfrau)    Köhler  1,    444;    24    (das  tapfre  Schneiderlein)    Gr.  20.    — 
Neben    diesem    reichhaltigen  Material    nehmen    sich   die  ostpreussischen  Märchen 
von  Baltus^)  dürftig  aus:   undeutliche,  verschwimmende,  nicht  volksmässige  Dar- 
stellung  und    manche    eigene    Umbildung    und    Erfindung.    —    Eine    vortreffliche 
Fortsetzung  haben  Wissers*)  ostholsteinische  Märchen  in  einem  dritten  Bändchen 
erhalten,  dessen  15  Nummern  sich  nicht  nur  durch  Einflechtung  eigenartiger  Züge, 
sondern  auch  die  frische,  lebendige  und   echt  volksmässige  Darstellungsweise  und 
die  Beibehaltung  der  Mundart  auszeichnen.    S.  5    (De  twölf  Swön)    oben  17,  333; 
23  und  93  (Lügenmärchen)  R.  Köhler  1,  322;  31  (die  vergessene  Braut)  Köhler  1, 
187.  318;  38  (schwatzhafte  Frau)  Knoop  1,  342;  42  (Flucht  mit  der  Hexentochter) 
Äöhler  1,  161.  279;    51    (Schlange  lösen)  Köhler  1,  581;    55  (Fortunat)  Köhler  1, 
186;    65    (der   alte  Mann  geht  zur  Schule)    oben   18,    4575.    19^    94.    g7   (treulose 
Brüder)  Köhler  1,  543;    77    (drei  Spinnerinnen,  Rumpelstilzchen)    Grimm  14,  55; 
82    (die   goldhaarige   Jungfrau)    Köhler  1,    396.    467.    542;    87    (Fürchten  lernen) 
Gr.  4:  91  (der  Zaubrer  und  sein  Lehrling)  Gr.  68.    —    Eine  hübsche  Auswahl  60 
niedersächsischer  Märchen  aus  den  Sammlungen  von  Kuhn-Schwartz,   Schambach- 
Müller,  Colshorn,  Ey,  Pröhle,  Strackerjan,  Müllenhoff,  Wisser,  Bartsch  u.  a.  haben 

1)  H.  Konrad,  Neues  Märchenbuch.  Volksmärchen,  aus  der  Provinz  Posen,  dem 
Plattdeutschen  nacherzählt.  Lissa  i.  P.,  F.  Ebbecke  1906.  111  S.  1.20  Mk.  —  Zu  S.  ^ö 
(Prinz  Wilhelm)  vgl.  R.  Köhler  1,  57.  110.  158;  zu  62  (der  Schwarzkünstler)  Grimm  68; 
zu  7(;  (Hauoseber)  Köhler  1,  543;  zu  88  (Der  beste  Dienst)  Grimm  106;  zu  106  (Hasen- 
lürt)  Köhler  1,  554. 

2)  Paul  B ehrend,  Märchenschatz.  Volksmärchen  in  Westpreussen  gesammelt  und 
nach  dem  Volksmunde  wiedergegeben.  Mit  Buchschumck  von  A.  Bendrat.  Danzig, 
Kafemann  1908.  VII,  96  S.   1,50  Mk. 

3}  K.  F.  Baltus,  Märchen  aus  Ostpreussen.  Kattowitz,  Gebr.  Böhm  liXJT.  159  S. 
■J,5U  Mk. 

4)  W.  Wisser,  Wat  Grotnioder  verteilt,  2.  Folge  (Bd.  3).  Ostholsteinische  Volks- 
märchen gesammelt.    Jena,  E.  Diederichs  1909.  96  S.  (>,80  Mk. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  97 

V.  Harten  und  Henniger^)  veranstaltet;  der  heitere,  schwankhafte  Charakter 
waltet  vor,  viele  Stücke  sind  in  der  Mundart  gegeben.  Dankenswert  ist,  dass  auch 
ungedruckte  oder  nur  in  Zeitschriften  veröffentlichte  Stücke  aufgenommen  und 
einige  Nachweise  anderer  Passungen  angehängt  sind.  Nur  in  den  teils  süsslichen, 
teils  allzu  geistreichen  Erzählungen  von  Vornbaum,  Abbenseth  und  Ruseler  im 
zweiten  Bande  werden  viele  Leser  den  wirklichen  Volkston  vermissen.  —  Dass 
von  Strackerjans  trefflichem  AVerke  'Aberglaube  und  Sagen  aus  dem  Herzogtum 
Oldenburg',  in  welchem  auch  eine  Anzahl  Märchen  enthalten  sind,  eine  neue  Be- 
arbeitung erschien,  ist  oben  19,  470  mitgeteilt.  —  Im  Paderbornischen  sammelte 
Oeke*)  einige  Schwanke.  —  Eine  Sonderstellung  nimmt  Polsterers^)  nur  für 
Gelehrte  bestimmte  Lese  derber,  zum  Teil  recht  unflätiger  Schwanke  ein:  Sl  aus 
dem  Munde  österreichischer  Bauern,  Handwerker  und  Soldaten  aufgezeichnete  Er- 
zählungen nebst  einem  Anhange  von  neun  andern  Stücken,  denen  Worterklärungen, 
aber  keine  literarischen  Nachweise  beigegeben  sind.  Wenn  der  Herausgeber  S.  1 
die  Bauern  im  Gegensatze  zu  den  Städtern  als  die  einzigen  Erfinder  und  Be- 
wahrer dieser  Geschichten  bezeichnet,  so  ist  das  angesichts  ihres  sehr  verschiedenen 
Alters  und  Ursprunges  voreilig  geurteilt;  denn  neben  Witzen  moderner,  städtischer 
Mache  und  Geschichten  vom  Kaiser  Joseph  erscheinen  Schwanke,  die  bereits  im 
16.  Jahrhundert  aufgezeichnet  und  seitdem  auch  literarisch  fortgepflanzt  wurden, 
und  internationale  Märchenstoffe.  So  begegnet  S.  69  eine  Umformung  der  'Halben 
bir'  Konrads  von  Würzburg  (ed.  Wolf  1893),  S.  120,  122,  130  der  vom  Ehemann 
beratene  Buhler  (Toldo,  oben  15,  60),  S.  92  das  Märchen  'Sechse  kommen  durch 
die  ganze  Welt'  (Grimm  71.  R.  Köhler  1,  134.  192);  zu  den  unsaubern  Rätseln 
S.  13  vgl.  Montanus,  Schwankbücher  S.  621;  21  (Kommen  sie,  so  kommen  sie 
nicht)  Wossidlo  1,  nr.  992;  35.  38  (der  Kopfmacher)  Wickram,  Werke  3,  386  nr.  79; 
53  (das  Kätzlein)  Frey.,  Gartengesellschaft  nr.  93;  55  (der  wohlversehene  Bursch) 
Montanus  S.  578;  72  (seltsame  Busse)  ebd.  621;  87  (der  dumme  Hans)  Frey  nr.  1; 
128  (der  Buhler  im  Nonnenkloster)  Montanus  S.  631.  Diese  wenigen  Hinweise 
mögen  auf  die  Wichtigkeit  des  Buches  für  die  Stoffgeschichte  aufmerksam  machen. 
Aus  den  Niederlanden  ist  ausser  einem  Märchen  von  den  elf  zu  Schwänen 
verwünschten  Brüdern  und  ihrer  Schwester*)  und  einer  neuen  Auflage  des  Märchen- 
buches von  Leroy^)  die  Fortsetzung  von  Boekenoogens^)  Sammlung  anzuführen, 
die  über  Zauberer,  Hexen  und  Werwölfe  berichtet;  in  nr.  119  schickt  ein  Karten- 


1)  J.  V.  Harten  uud  K.  Henniger,  Niedersächsische  Volksmärchen  und  Schwanke, 
gesammelt  und  hsg.  Mit  Zeichnungen  von  E.  Scbaefer.  Bremen,  C.  Schünemann  1908. 
120  4-  159  S.  —  Ich  hebe  hervor  1,  55  (Katzenkiudtaufe.  Grimm  73),  70  (Die  kluge  Grete. 
Gr.  34),  94  (Der  arme  Bauer.  Gr.  61);  2,  11  (Der  grosse  Hans.  Gr.  90),  19  (Die  Tage- 
löhner. Gr.  87),  21  (Maus  in  der  Schüssel.  R.  Köhler  3,  10),  46  (aus  derselben  Quelle 
bereits  in  Wissers  hsl.  Sammlung.  Leib  ohne  Herz.  K.  Köhler  1,  löiS),  67  (Goldgaus. 
Gr.  64),  78  (Siegfried.  Drachenzungen  ausgeschnitten),  148  (Die  schwatzhafte  Frau. 
Knoop.  Ostmark.  Sagen  1,  342). 

2)  W.  Oeke,  Dorfmärchen  und  anderes  aus  dem  Volke  (Zs.  f.  rheiu.  Volkskunde 
(;,  23—39). 

3)  Futilitates,  Beiträge  zur  volkskuudlichen  Erotik  2:  Schwanke  uud  Bauern- 
erzählungen aus  Nieder- Osterreich,  gesammelt  und  erläutert  vou  J.  Polsterer.  Wien, 
R.  Ludwig  1908.   182  S.   12  Mk. 

4)  A.  van  Speybrouck,  De  elf  zwanen  (Biekorf  19,  257— 26(;.  276—282.  2.^9—293). 

5)  J.  Leroy,  Oudviaamsche  zeisels  en  vertellingen  1:  Scharmauteka.  Nieuwe 
uitgave.     leper,  Callewaert  1908.    336  S.    1,50  Fr. 

6)  G.  J.  Boekenoogen,  Nederlandsche  sprookjes  en  vertelsels  nr.  118—128  »^Volks- 
kunde  19,  151-157.  229-235.  20,  59— 64.  109—114). 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  1.  7 


98 


Bolte: 


Spieler  den  Treffbuben  aus,  um  eine  Flasche  Branntwein  zu  holen.  —  Die  nor- 
wegische Märchensammlung  Asbjörnsens^  ist  in  zweifacher  Verdeutschung 
erschienen,  in  einem  Abdruck  der  1847  von  Bresemann  veröffentlichten  Über- 
setzung und  in  einer  neuen  Übertragung  von  Pauline  Klaiber.  —  Ein  Märchen  von 
den  beiden  Buckligen,  die  dem  Elfentanze  lauschen,  von  der  Insel  Man  teilt  Miss 
Morrison-)  mit;  vgl.  dazu  Archiv  f.  neuere  Spr.  90,  14.  —  In  der  Revue  des 
traditions  populaires'')  sind  vfiederum  zahlreiche  Versionen  bekannter  Themen  aus 
verschiedenen  Gegenden  Frankreichs  vereinigt;  die  Bretagne  hat  dazu  den  grössten 
Beitrao-  geliefert.  Nicht  gesehen  habe  ich  die  von  Galiot  und  Cercamons*) 
herausgegebenen  erotischen  Schwanke  aus  Südfrankreich.  —  In  Italien  hat 
Grisanti^)  seinem  vor  zehn  Jahren  erschienenen  wertvollen  Buche  über  Brauch, 
Aberglauben  und  Märchen  des  sizilischen  Tales  Isnello  (vgl.  oben  10,  lOG)  eine 
Fortsetzung  folgen  lassen.  In  bunter  Reihe  führt  er  darin  die  neuerdings  auf- 
gedeckten prähistorischen  Gräber,  historische  Vorgänge  aus  der  'guten  alten  Zeit', 
Hochzeits-  und  Totenbräuche,  kirchliche  Feste  und  Bittgänge,  Fischfang,  Färberei, 
Blumenzucht,  Tracht  und  Speise,  Redensarten  vor  und  fügt  auf  S.  KU— 258  noch 
27  Märchen  und  Sagen  hinzu.  Da  begegnet  z.  B.  auf  S.  1Ü2  die  Legende  vom 
Ginster  und  Dornbusch  (Dähnhardt,  Natursagen  2,  58),  163  Schlange  lösen 
(R.  Köhler  1,  581),  164  Däumling  (Grimm  37),  Ui8  Vergeltung  des  Almosens 
(Gonzenbach,  Sizil.  Märchen  47),  171  Unibos  (Köhler  1,  230),  175  der  singende 
Knochen  (Gr.  2s),  181  Simeliberg  (Gr.  142.  Chauvin  5,  79),  186  die  unter- 
geschobene Braut,  202  der  Gatte  der  Ehebrecherin  stellt  sich  blind  (Montanus, 
Schwankbücher  S.  611),  206  Livoretto  (Gonzenbach  83.  Köhler  2,  343),  216  Paten - 
kind  Marias  und  Josephs  (Gonzenbach  25),  236  das  Rätsel  (Gr.  22),  248  Dr.  All- 
wissend (Gr.  98),  252  die  treulosen  Brüder  (Köhler  1,  543).  —  Einige  maltesische 
Legenden  und  Schwanke  gab  uns  Fräulein  Ilg  oben  19,  308—312,  zwei  ungarische 
Märchen  Frau  Rona-Sklarek  oben  19,  92—95. 

Bei  den  aussereuropäischen  Märchen  müssen  wir  uns  mit  einer  kurzen  Auf- 
zählung begnügen.  Interessante  arabische,  neusyrische  und  baschkirische  Stücke 
bringt  die  Pariser  Revue  des  traditions  populaires^).  Aus  Indien  sind  neben  den 
oben  19,  122  und  244  angezeigten  ethnographischen  Veröffentlichungen  von  Hodson 
und  Stack  namentlich  zwei  neue  Bände  von  Griersons'')    grossartiger  Übersicht 

1)  P.  C.  Asbjörnsen  und  J.  Moe,  Norwegische  Volksmärchen,  eingeleitet  von 
H.  Bang  und  L.  Tieck.  Berlin,  H.  Bondy  [1908].  XV,  304  S.  (53  Nr.)  2  Mk.  — 
P.  C.  Asbjörnsen  und  J.  Moe,  Nordische  Volks-  und  Hausmärchen,  ausgewählt  imd 
hsg.  .von  B.  Björnson,  deutsch  von  Pauline  Klaiber,  t— 3.  München,  A.  Langen  19n9. 
171,  154,  15r>  S.    G  Mk. 

2)  S.  Morrison,  Billy  Beg,  Tom  Beg  and  the  fairies  (Folklore  19,  324-327). 

3)  Y.  Sebillot  u.  a.,  Contes  et  legendes  de  la  Basse-Bretague  72—83  (Revue  des  trad. 
pop.  23,  1—6.  125—132.  235f.  290.  404).  —  P.  Sebillot  u.a.,  Contes  et  legendes  de 
la  Haute -Bretagne  72-95  (ebd.  23,  82-92.  240-242.  283-288.  341  f.  381-385).  — 
D.  Bressan,  Contes  populaires  de  la  Bresse  3—4  (ebd.  23,  350—352.  405—408).  — 
A.  Millien,  Le  pere  Roquelaine,  conte  du  Nivernais  (ebd.  23,  27—34). 

4)  Galiot  et  Cercamons,  Contes  liceucieux  de  Toulouse  et  de  l'Aquitaine  recueillis. 
Paris,  G.  Ficker  [1907J.    XIX,  325  S.   20  Fr.   (Contributions  au  folklore  erotique  3). 

5)  C.  Grisanti,  Usi,  credenze  e  racconti  popolari  di  Isnello  raccolti  ed  ordinati, 
vol.  2.    Palermo,  A.  Reber  1909.  2G2  S.    3,  50  L. 

G)  R.  Basset,  Contes  et  legendes  arabes  735—748  (Revue  des  trad.  pop.  23,  74— 7G. 
227-233.  373-375).  —  F.  Macler,  Quatre  contes  chaldcens  1-2  (ebd.  23,  327-333).  — 
S.  Roudenko,  Lügendes  et  contes  bachkirs  1—20  (ebd.  23,  49-63). 

7)  G.  A.  Grierson,  Linguistic  survey  of  India  vol.  9,  part  2:  Specimens  of  the 
Rajasthani  and  Gujarüti.    Calcutta  1908.    XI,  477  S.  fol.  —  '.),  3:    The  Bhil  languages  in- 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  99 

^über  die  zahlreichen  Sprachen  des  Landes  anzuführen,  da  hier  als  Sprachproben 
neben  der  neutestamentlichen  Parabel  vom  verlorenen  Sohn  häufig  Volksmärchen 
abgedruckt  werden.  Wir  finden  hier  z.  B.  9,  2,  14.)  das  Lied  vom  Jockei  (R.  Köhler 
3,  355);  190  Tobias  Brautfahrt;  231  die  dankbaren  Tiere  (Benfey,  Pantschatantra 
1,  193);  262  die  beiden  Wandrer  (R.  Köhler  1,  280);  277  die  Verscheuchung  des 
Tigers  durch  den  Schakal  (Benfey  1,  506);  459  das  Spiel  der  15  Guten  und  15 
Bösen  (Euphorien  3,  360);  9,  3,  114  den  lügenhaften  Hirtenknaben  (Kirchhof, 
Wendunmut  7,  13(i);  123  das  Rutenbündel  (oben  17,  357);  220  das  der  Mutter 
abgebissene  Ohr  (Pauli,  Schimpf  nr.  19);  284  Tiger  und  Maus  (Kirchhof  7,  20); 
296  den  statt  des  Mädchens  in  die  Kiste  gesetzten  Affen  (oben  19,  84);  307  die 
zur  Rechtfertigung  der  Ehebrecherin  dienende  Vision  vom  Besuch  im  Feenreich 
(Dracott,  Simla  village  tales  1906  p.  155.  R.  Köhler  2,  ^06).  —  Aus  den  afri- 
kanischen Märchenpublikationen ^)  sei  das  Buch  von  Schönhärl  herausgegriffen, 
in  welchem  uns  der  als  Regierungslehrer  in  unsrer  Kolonie  Togo  wirkende  Vf. 
•eine  reichhaltige  und  charakteristische  Lese  der  Volksliteratur  der  Ewe-Neger 
nebst  deutscher  Übersetzung  vorlegt.  Ausser  200  von  dem  Mutterwitz  der  Neger 
zeugenden  Sprichwörtern.  176  Rätseln  und  Rätselmärchen,  119  Beinamen,  20 
Liedern  mit  den  W^eisen  und  einigen  Spielen  erhalten  wir  28  Märchen,  denen 
noch  6  aus  Dahome  angehängt  sind.  Echt  afrikanisch  ist  die  darin  zutage  tretende 
Freude  an  listigen,  selbst  boshaften  Streichen,  wie  an  der  Tötung  der  Krokodils- 
oder Leopardenkinder  durch  deren  Wärter  (S.  12.  30.  59),  die  Gestalt  der  ver- 
schlagenen Spinne  (Eyeni,  S.  70.  197.  2(iO;  in  Amerika  Ananzi),  die  Betrachtung 
über  die  Schädlichkeit  des  Sklavenhandels  (49),  der  Ursprung  des  Todes  (83), 
während  andre  Motive  wie  die  Dankbarkeit  des  Adlers  (69),  der  Streit  der  drei 
Retter  (111.  129),  die  Befreiung  des  Leoparden  durch  Ameisen  (11.  61.  200),  der 
Namentausch  aus  Gewinnsucht  (26),  die  Ersatzforderungen  für  beschädigtes  Eigen- 
tum-'),   die  Antwort    des  versteckten  Ehemannes^),    der  Wettlauf  von    Fuchs    und 


cluding  Khrinde>i,  Banjärl,  Bahrüpirt  etc.  Calciitta  1907.  IX,  325  S.  fol.  —  E.  M.  Gordon, 
Indian  folk-tales.  London,  E.  Stock  1908  (s.  Folk-lore  19,  506).  —  J.  A.  A.  McNair  & 
T,  L.  Barlow,  Oral  tradition  from  the  Indus.  Brighton  1908  (ebd.  19,  507).  —  Shaikh 
Chilli,  Folk-tales  of  Hindustau.  Allahabad,  Indian  press  19(»S  (ebd.  20,  248).  — 
R.  G.  Smith,  Ancient  tales  and  folk-lore  of  Japan.  London,  A.  &  C.  Black  1908.  XV, 
361  S.  4-.  —  A.  E.  Lawrence,  A  Milano  tale,  Sarawak  (Folk-lore  20,  88—85).  — 
A.  F.  Chamberlain  &  E.  S.  Hartland,  A  Macassar  Version  of  Cinderella  (ebd  19 
230-234). 

1)  J.  Schönhärl,  Volkskundliches  aus  Togo.  Märchen  und  Fabeln,  Sprichwörter 
und  Rätsel,  Lieder  und  Spiele,  Sagen  und  Täuschungsspiele  der  Ewe-Neger  von  Togo. 
Dresden,  C.  A.  Koch  1909.  204  S.  7  Mk.  —  J.  Struyf,  Kougoleesche  fabeis  (Volkskunde 
20,  10—21.  54—58.  114f.).  —  J.  H.  Weeks,  The  leopard  in  the  niaize-farm,  a  lower 
Congo  folk-tale  (Folk-lore  20,  209-211).  —  R.  S.  Rattray,  Some  folk-lore  stories  and 
songs  in  Chinyanja  with  english  translation  and  notes.  With  preface  by  A.  Hetherwick. 
London,  S.  P.  C.  K.  —  E.  J,  Bourhill  &  J.  B.  Drake,  Fairy  tales  from  South  Africa, 
coUected  from  original  native  sources  and  arranged.  London,  Macaiillan  1908.  26()  S.  — 
A.  C.  H Ollis,  The  Nandi,  their  language  and  folklore.  With  iutroduction  by  Sir 
Ch.  Eliot.   Oxford,  Clarendon  press  1909.   XL,  328  S. 

2)  S.  37.  49.  197.  Vgl.  Cosquin,  Contes  de  Lorraine  2,  205  'L"homme  au  pois"  und 
von  afrikanischen  Varianten  Stumme,  Tripolis  S.  118.  L).  H.  Müller,  Mehri-Sprache  3,  4. 
Reinisch,  Bilinsprache  1,  190.  Baissac,  He  Maurice  nr.  4.  Held,  Neger  1904  S.  17;J. 
Basset,  Afrique  1903  p.  266.  Callaway  1,  37.  Bleek,  Reineke  Fuchs  S.  XXV.  70.  169. 
Cape  Monthly  Magazine  17,  181  (1878).    Jekyll,  Jamaica  p.  XXI. 

3)  S.  63.  Vgl.  Grimm  nr.  128  'die  Spinnerin'.  Frey,  Gartengesellschaft  1896  S.  284 
>](42).    Montanus,  Schwankbücher  1899  S.  611. 


200  Bolte,  Lauffer: 

Krabbe  (7G)  teils  arabischem  Einflüsse  entstammen,  teils  allgemein  verbreitet  sind. 
Auch  die  Spiele  zeigen  bisweilen  Verwandtschaft  mit  den  unsrigen,  wie  Mühle- 
ziehen, Talerwandern,  Mehlschneiden. 

Einen  europäischen  Märchenstoff,  das  Halbhähnchen,  hat  unser  Landsmann 
Lehmann-Nitsche^,  Direktor  des  Museums  in  La  Plata,  in  Argentinien  und 
Chile  wiedergefunden;  vgl.  dazu  oben  8,  464  (zu  De  Mont  &  de  Cock  1898  S.  104) 
und  Sebillot,  Folklore  de  France  3,  253.  Die  im  Journal  of  american  folk-lore 
und  sonst^)  verölfentlichten  Märchen  der  nordamerikanischen  Indianer,  sowie  die 
Sagen  der  Australier^)  lassen  wir  bei  Seite,  da  es  uns  hier  nur  auf  die  näherea 
Verwandten  der  europäischen  Volkserzählungen  ankommt*). 

ßerlin.  Johannes  Bolte. 


Neue  Forscliungeu  über  die  äusseren  Denkmäler  der  deutschen  Volks- 
kunde: volkstümlichen  Hausbau  und  Gerät,  Tracht  und  ßauernkuust. 

(Fortsetzung  zu  18,  101—11:5.  19G— 200.) 

Dieser  Bericht  wendet  sich  den  neueren  Arbeiten  über  die  einzelnen  deutschen; 
Haustypen,  ihre  Abarten  und  deren  lokal  verschiedene  Formen  zu.  Wenn  er  sich 
über  Gebühr  verspätet  hat,  so  liegt  der  Grund  darin,  dass  der  Unterzeichnete- 
Berichterstatter  infolge  eines  Wohnungswechsels  durch  neu  an  ihn  herantretende 
dienstliche  Verpflichtungen  ganz  in  Anspruch  genommen  war. 

Wenn  wir  die  neueren  Arbeiten  über  das  niederdeutsche  Haus  ins  Auge 
fassen,  so  gebührt  es  sich,  an  erster  Stelle  einen  Mann  zu  nennen,  der  seit  dem- 
letzten  einschlägigen  Berichte  als  Neuling  in  die  Forschung  eingetreten  ist,  der 
aber  mit  solcher  Umsicht  und  Energie  seine  Arbeiten  durchgeführt  hat,  dass  er  von 
Anfang  an  höchst  anerkennenswerte  Erfolge  errungen  hat:  Willi  Pessler.  Der- 
selbe hat  uns  zunächst  sein  treffliches  Buch  'Das  altsächsische  Bauernhaus  in 
seiner  geographischen  Verbreitung'  geschenkt^).  Diese  Arbeit,  in  der  zum  ersten 
Male  mit  Erfolg  der  Versuch  gemacht  ist,  die  Ausbreitung  des  altsächsischen  Hauses 
auf  Grund  genauer  geographischer  Feststellungen  klarzulegen,  ist  aus  einer  Disser- 
tation hervorgegangen,  zu  der  Friedr.  Ratzel  die  Anregung  gegeben  hatte.   Pessler 


1)  R.  Lehmann-Nitsche,  Quiere  que  le  cuente  el  cuento  del  gallo  pelado?  estudio 
folkloristico  (Revista  de  derecho,  historia  y  letras  30,  *297— SOG.  Buenos  Aires  1908).  — 
R.  A.  Laval,  El  cuento  del  medio  pollo,  versiones  chilenas  del  cueuto  del  gallo  pelado 
(ebd.  32,  52G— 538.    1909). 

2)  William  Jones,  Fox  texts.  Lejden,  E.  J.  Brill  1907.  VI,  383  S.  (Publications 
of  the  American  ethnological  society  1). 

3)  0.  Strehlow,  Die  Aranda-  und  Loritja-Stämme  in  Zentral- Australien  1:  Mythen, 
Sagen  und  Märchen  des  Aranda -Stammes  (Veröffentlichungen  aus  dem  städt.  Völker- 
museum Frankfurt  a.  M.  1).  Frankfurt,  J.  Baer  1907.  101  S.  (s.  Hess.  Blätter  für  Volkskunde 
8,  72). 

1)  Nachträglich  verweise  ich  noch  auf  0.  Arnsteins  sorgfältige  Bibliographie  der 
Stoffgeschichte  für  190G-1907  (Jahresberichte  für  neue  deutsche  Literaturgeschichte  IG 
bis  17,  r2G-147)  und  auf  K.  Brockelmanu,  Eine  altarabische  Version  der  Geschichte 
vom  Wunderbaum  (Studien  z^ir  vgl.  Litgesch.  8,  237  f.),  der  eine  Variante  zu  Boccaccios 
Lidia  (Cliauviu,  Bibl.  arabe  8,  97  f.)  mitteilt. 

.'))  Braunschweig,  F.  Vieweg  &  Sohn  1906.  XVIII,  208  S.  «".  Mit  171  Illustrationen, 
im  Text,  6  Tafeln,  einer  Originalplanzeichnung  und  4  Karten.    Preis  geb.  10  Mk. 


Berichte  und  Bücheranzeigen,  101 

hat  sich  mit  achtungswertem  Mute  an  die  Aufgabe  herangemacht,  im  Interesse 
seiner  Studien  ganz  Norddeutschland  mit  der  Bahn,  mit  dem  Rade  und  zu  Fuss 
zu  durchstreifen,  um  so  zu  den  vielfach  ihm  zuteil  gewordenen  Auskünften  von 
Lokalforschern  und  zu  den  mancherlei  bereits  veröffentlichten  Einzelstudien  die 
beste  Grundlage  zu  weiterer  Erkenntnis,  die  eigene  Anschauung  zu  gewinnen. 
Dass  ihm  zu  diesem  Zwecke  von  der  Zentralkommission  für  deutsche  Landes-  und 
Volksforschung  ein  Reisestipendium  gewährt  wurde,  ist  dankbar  zu  begrüssen,  und 
es  erweckt  für  weitere  ähnliche  Unternehmungen  die  besten  Hoffnungen.  Der  erste 
'Gesichtspunkt  bei  der  Arbeit  war  ein  geographischer.  Pessler  spricht  das  selbst 
aus:  -,Die  Hauptsache  ist  die  geographische  V^erbreitung  des  altsächsischen  Bauern- 
hauses, das  sich  durch  Vergleich  mit  anderen  Grenzen  als  eines  der  wichtigsten 
Kennzeichen  des  Sachsenstammes  herausstellte."  Den  geographischen  Rücksichten 
schliessen  sich  dann  die  ethnographisch -volkskundlichen  und  die  architektonisch- 
technischen an.  Die  geographischen  Interessen  walten  vor,  ohne  dass  dabei  der 
für  die  Hausforschung  bestehende  Wert  anders  gearteter  wissenschaftlicher  Inter- 
essen herabgesetzt  würde.  Das  Wichtigste,  was  Pessler  geben  wollte,  hat  er  in 
drei  Hauptkapiteln  zusammengefasst.  Zunächst  stellt  er  in  einem  'Gang  durch  die 
Literatur'  mit  grossem  Fleiss  die  bisherigen  einschlägigen  Veröffentlichungen  ein- 
schliesslich der  Karten  zusammen  und  gibt  damit  den  künftigen  Forschern  eine 
treffliche  Übersicht  über  die  älteren  literarischen  Quellen.  Sodann  gibt  er  eine  ein- 
gehende Beschreibung  des  altsächsischen  Hauses.  Dabei  betont  er  folgende  Merk- 
male als  die  wesentlichen:  konzentrierte  Einheitlichkeit  unter  Einem  Dach,  kon- 
struktiv hervorragende  Bedeutung  der  Ständer  mit  nur  angeklappten  Längswänden, 
Eine  Feuerstelle  als  Mittelpunkt  des  ganzen  Anwesens,  dreischiffigerGrundriss  mit 
hoher  Mitteldiele.  Besonders  ist  davon  die  Eigenschaft  hervorzuheben,  die  P.  im 
Gegensatz  zu  manchen  älteren  Berichten  wiederholt  betont,  dass  bei  dem  Fach- 
werkbau des  sächsischen  Hauses  „die  ganze  innere  Festigkeit  auf  den  Dielen- 
ständern beruht"  (S.  113).  Im  übrigen  kommen  ihm  bei  der  Beschreibung  die 
vielen  selbst  aufgenommenen  und  gut  gewählten  Abbildungen  sehr  zu  statten,  und 
als  besonderes  Verdienst  rechne  ich  es  ihm  an,  dass  er  auch  die  volkstümlichen 
Bezeichnungen  für  die  einzelnen  Hausteile  von  vornherein  mit  grosser  Sorgfalt 
zusammengestellt  hat.  Das  glänzendste  Ergebnis  des  Buches  aber  ist  die  Fest- 
stellung der  Grenzen  des  altsächsischen  Bauernhauses,  die  im  dritten  Hauptkapitel 
besprochen  wird,  und  die  in  drei  Karten,  je  einer  für  das  östliche,  das  südliche 
und  das  nordwestliche  Gebiet,  im  Massstab  1  :  300  000  zur  Anschauung  gebracht 
ist.  Dabei  sind  die  Grenzverhältnisse  noch  insofern  näher  charakterisiert,  als  die 
Orte  mit  noch  vorhandenen  echten  Sachsenhäusern,  diejenigen  mit  umgebauten 
Sachsenhäusern  und  diejenigen,  wo  das  Sachsenhaus  seit  Menschengedenken  ver- 
schwunden ist,  durch  besondere  graphische  Markierung  unterschieden  werden. 
Wie  wertvoll  eine  solche  kartographische  Behandlung  für  die  Erforschung  volks- 
kundlicher und  ethnographischer  Erscheinungen  ist,  das  erkennt  hier  jeder  Benutzer 
auf  den  ersten  Blick.  Von  Einzelheiten  möchte  ich  nur  kurz  darauf  hinweisen, 
dass  Pessler  mit  Recht  darauf  aufmerksam  macht,  wie  wichtig  für  die  Ausprägung 
des  Haustypus  und  seine  Veränderung  an  den  Typengrenzen  der  Charakter  der 
umgebenden  Landschaft  ist.  Mit  Recht  ruft  er  auch  mehrfach  die  Lokalforschung 
für  die  weitere  genaue  Untersuchung  der  Hausformen  auf,  z.  B.  weist  er  besonders 
auf  den  Kreis  Hümmling  hin  wegen  seiner  primitiven  Bauart,  und  er  betont,  dass 
sich  hier  eine  Entwicklungsgeschichte  des  altsächsischen  Hauses  würde  schreiben 
lassen  (S.  233).  Es  kann  nicht  dringend  genug  gewünscht  werden,  dass  solche 
■Hinweise  auf  einen  fruchtbaren  Boden  fallen  möchten.     Was  die  von  Pessler  tre- 


]()2  Lauffer: 

wählte  Bezeichnung  'altsächsisches  Bauernhaus'  anlangt,  so  ist  nichts  dagegen  ein- 
zuwenden. Nur  eins  ist  zu  bemerken:  Pessler  erweckt  den  Anschein,  als  ob  wir 
bislang  den  Namen  'niederdeutsches  Haus'  als  gleichbedeutend  mit  seinem  'alt- 
sächsischen  Hause'  gebraucht  hätten,  und  er  lehnt  jene  von  uns  gebrauchte  Be- 
zeichnung ab,  „weil  sich  weder  das  niederdeutsche  Sprachgebiet  noch  auch  Nieder- 
deutschland mit  dem  altsächsischen  Hausgebiete  deckt"  (S.  1).  Dazu  ist  zu  sagen, 
dass  der  Name  'niederdeutsches  Haus'  für  uns  immer  einen  Oberbegriff  bezeichnet 
hat,  der  neben  dem  altsächsischen  auch  das  altfriesische  Haus  in  sich  einschliesst. 
Es  bleibt  mir  auch  heute  noch  fraglich,  ob  es  sich  nicht  in  vielen  Fällen  empfehlen 
wird,  jenen  Oberbegriff  beizubehalten;  denn  Friesenhaus  und  Sachsenhaus  mögen 
wirtschaftlich  zu  noch  so  verschiedenen  Formen  geführt  haben,  in  Rücksicht  auf 
den  ursprünglichen  Baugedanken  und  auf  die  Konstruktion  stehen  sie  sich  so 
nahe,  dass  ihr  engerer  Zusammenschluss  gegenüber  den  anderen  Haustypen  be- 
rechtigt erscheint.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  Pessler  selber  bald  Gelegenheit 
findet,  auch  das  Friesenhaus  in  einer  umfassenden  Arbeit  zu  behandeln.  Es  würde 
in  seinen  primitiven  Entwicklungsstufen  die  Verwandtschaft  mit  denjenigen  des 
Sachsenhauses  leicht  erkennen  lassen. 

Wenn  nun  Pessler  in  diesem  ersten  trefflichen  Hauptwerke  eine  Reihe  weiterer 
ergänzender  Mitteilungen  in  Aussicht  gestellt  hat,  so  sind  wir  heute  bereits  in  der 
Lage,  über  eine  grössere  Zahl  solcher  Arbeiten  zu  berichten.    Ich  führe  sie  in  der 
Reihenfolge  ihres  Erscheinens  auf.      In  einem  Aufsatz    „Die  Hausforschung,    vor- 
nehmlich in  Norddeutschland"»)    schildert  Pessler   zunächst  kurz,    was    bis  jetzt 
geleistet  ist.    Er  wägt  die  Interessen  ab,  die  die  einzelnen  historischen  Disziplinen 
an  der  Bauernhausforschung  haben,  und  er  wird  ihnen  auch  im  allgemeinen  gerecht. 
Nor  das  Verhältnis    des  Hauses    zum  Wirtschaftsbetriebe    hätte   meines  Erachtens 
etwas  stärker   betont  werden    müssen.     Wohl    sagt  P.  mit  Recht:    „Es  fehlt  noch 
sehr  viel    an    der  Erkenntnis,   dass    ein  bestimmter  wirtschaftlicher  Betrieb    auch 
eine  bestimmte  Bauart  zeitigen  müsse."      Aber  damit   ist   nicht  gesagt,    dass    der 
Einüuss    des  Wirtschaftsbetriebes    nur   gering  sei.     Ich    hätte    eine  schärfere  Be- 
tonung der  Tatsache  gewünscht,  dass  zwar  der  Einfluss  unter  verschiedenen  Ver- 
hältnissen sich  verschieden  äussert,    dass    diese  Äusserungen    aber   in  vielen  sehr 
wichtigen    Punkten    klar   vorhanden  sind,    und    dass    es  eben  nur  gilt,    sie  zu  er- 
forschen,   damit   man    ein  festes  urteil  darüber  fällen  kann.    —  Die  Erforschung 
der  Verbreitung  der  Hausformen    und    ihre  geographische  Festlegung    steht    auch 
hier  für  Pessler  im  Vordergrunde,  so  sehr,  dass  er  erklärt,  dass  der  geographische 
Standpunkt  „für  die  geschichtliche  Verwertung  der  Hausforschung  zunächst  allein 
fruchtbringend    sei",    und   von    diesem  Standpunkt    aus  beschäftigt    er   sich    (eine 
spätere  Arbeit  bereits  anbahnend)    vornehmlich  mit  der  Frage,    ob  der  Haustypus 
als  Stammeskennzeichen  angesehen  werden  kann,  mithin  ethnisch  bedingt  ist.    Auf 
die  Frage:    „In  welchem  Verhältnis    stehen    die  heutigen  Haustypen  zu  den  alten 
A^'olksstämmen?",    weist    er    darauf   hin,    dass  Haustypus    und  Volksstamm    nicht 
überall   in  ihrer  Verbreitung  zusammenfallen.     Er    gibt  einen  Überblick    über  die 
Geschichte  und  die  bisherigen  Ergebnisse    der   Hausgeographie  speziell   in  Nord- 
deutschland,   und    er    lässt   in    einer  verdienstvollen  Übersicht    erkennen,    wieviel 
daraus  bislang  für  die  Stammeskunde  gewonnen,  wieviel  noch  fraglich  sei.  —  Der 
kleine    Aufsatz    „Zur    Verbreitung    des    altsächsischen    Bauernhauses"  ^j,    in    dem 
Pessler    einen  kurzen  Überblick  über   die  von   ihm  gewonnenen  geographischen 
Ergebnisse  darbietet,  bedeutet  insofern  einen  gewissen  Portschritt,  als  er  hier  das- 

1)  Deutsche  Geschichtsblätter,  Lsg.  von  A.  Tille  7,  -JOl— 1'14  (Mai  lOOi;). 

2)  Niedersachsen  11,  37S-;)<S0.    Mit  8  Abb.  nach  Aufnahmen   des  Verfassers  (190G).. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  103 

altsächsische  Bauernhaus  nicht  nur  als  Ebenenhaus  und  als  wesentliches  Kenn- 
zeichen für  das  Auftreten  des  sächsischen  Stammes,  sondern  zugleich  auch  als 
Produkt  der  Landwirtschaft  und  der  Viehhaltung,  d.  h.  der  Wirtschaftsverhältnisse 
bezeichnet.  —  Kurz  und  klar  ist  ein  Aufsatz  .,Zur  Erforschung  des  altsächsischen 
Bauernhauses"'),  in  dem  Pessler  (auch  hier  künftige  Arbeit  vorbereitend)  auf 
die  Erforschung  der  Abarten  eingeht.  Er  weist  zunächst  auf  die  Verschiedenheiten 
hinsichtlich  der  Konstruktion:  in  der  Mitte  und  im  Norden  der  reine  Ständerbau, 
im  Süden  'Viersäulenbau'.  Daneben  zeigt  er  kurz  die  Verschiedenheiten  in  der 
Gestaltung  des  Äusseren  und  endlich  auch  die  Unterschiede  im  Grundriss:  die 
Abart  mit  Fletdiele  und  die  mit  Durchgangsdiele.  Die  Erforschung  auch  der 
volkstümlichen  Bezeichnungen  für  die  Hausteile  und  die  Feststellung  der  Ver- 
breitung dieser  Bezeichnungen  lässt  er  in  ihrer  wissenschaftlichen  Bedeutung  klar 
erkennen,  und  es  wäre  zu  wünschen,  dass  sein  Aufruf  zur  Mitarbeit  auf  diesem 
Sammelgebiete  nicht  vergebens  geschieht. 

In  den  vier  nun  folgenden  Aufsätzen  gibt  Pessler  Mitteilungen  über  bestimmte 
lokale  Formen  des  altsächsischen  Hauses.  In  dem  Aufsatz  „Das  altsächsische 
Bauernhaus  in  Mecklenburg'' -)  macht  er  den  gut  gelungenen  Versuch,  mit  Hervor- 
hebung der  technischen  und  sprachlichen  Momente  ein  Bild  des  Sachsenhauses 
zu  kennzeichnen.  Er  konstatiert  folgende  Grenzen:  „Herrschend  ist  das  alt- 
sächsische Bauernhaus  in  Mecklenburg  noch  jetzt  westlich  einer  Linie  Grabow, 
Goldberg,  Güstrow,  Ribnitz;  ostwärts  gibt  es  innerhalb  der  erdrückenden  Majorität 
von  ritterschaftlichen  Gütern  nur  vereinzelte  Haustypeninseln,  deren  bedeutsamste 
das  Amt  Dargun  ist."  Dementsprechend  schliesst  er  mit  der  Mahnung,  „in  der 
Osthälfte  des  Landes  die  letzten  Spuren  sächsischen  Stiles  aufzusuchen,  ehe  sie 
ganz  verwischt  sind".  —  Li  einer  zweiten  Abhandlung  bespricht  Pessler  „Das 
altsächsische  Bauernhaus  der  Insel  Rügen"  ^).  Für  den  Haustypus  der  Insel  ergibt 
sich  dabei  dasselbe  oder  ähnliches  wie  für  die  Mundart.  Letztere  gehört  aufs 
engste  mit  der  mecklenburgisch-neuvorpommerschen  zusammen  und  stellt  somit 
den  östlichen  Teil  der  nordniedersächsischen  Gruppe  dar.  Ebenso  bildet  der 
Wohnbau  von  Rügen  samt  Usedom,  Wollin  und  dem  hinterpommerschen  Küsten- 
strich den  östlichen  Ausläufer  des  grossen  Gebietes  des  altsächsischen  Bauern- 
hauses. Man  hat  es  hier  noch  mit  echten  altsächsischen  Häusern  zu  tun.  Auch 
hier  finden  sich  die  Ständer  als  Hauptträger,  das  grundlegende  Kennzeichen 
sächsischen  Stiles  neben  der  hohen  Mittellängsdiele.  Hinsichtlich  des  Grundrisses 
stellt  Pessler  fest,  dass  das  für  Hannover  charakteristische,  Flett  genannte  Quer- 
schiff  fast  völlig  fehlt,  vielmehr  der  Typus  mit  Durchgangsdiele  herrscht.  Er 
gibt  einen  Überblick  über  die  Hauptformen  des  Rügenschen  Hausgrundrisses, 
betont  aber  auch  hier,  dass  das  Aufmerken  auf  die  Konstruktion  das  Wichtigere 
sei.  Der  über  Mecklenburg,  Lauenburg,  ganz  Hannover,  Nordwestfalen  und  die 
Altmark  verbreitete  Name  'dönze'  für  Stube  findet  sich  auch  auf  Rügen.  —  Ein 
weiterer  Aufsatz  schildert  „Die  geographische  Verbreitung  des  altsächsischen 
Bauernhauses  in  Pommern"*).  Demnach  zerfällt  die  volkstümliche  Bauweise 
Pommerns  in  den  rein  sächsischen  Westen  bis  nahe  zur  Ucker  und  in  das  Misch- 
gebiet zwischen  Ucker  und  Leba.  Letzteres  teilt  sich  in  sächsische,  sächsisch- 
fränkisch gemischte  und  fränkische  Haustypenbezirke.  ., Vergleicht  man  das  Gebiet 
des  echten  altsächsischen  Haustypus  mit  anderen  ethnographischen  Erscheinungen, 


1)  Niedersachsen  12,  13-14.    Mit  G  Abb.    (190<5). 

•2)  Mecklenburg  1,  (iö— 70.    Mit  8  Abb.    (1906). 

o)  Zeitschr.  f.  Ethnologie  190G,  9G7-98(i.     Mit  17  Abb. 

4)  Globus  90,  357—362  (1906).    Mit  10  Abb.  und  einer  Karte. 


204  Lauffer: 

so  fällt  es  westlich    der  Oder    mit  den    ausschliesslich  von  Nordniedersachsen  be- 
siedelten oder  besser  kolonisierten   Rügen,    Neuvorpomraern,    Westaltvorpommern, 
Oderinseln  zusammen    und   geht  östlich  der  Oder   landeinvpärts  nirgends  über  die 
Südgrenze    der    sächsisch    gefärbten    hinterpommerschen    Küstenmundart    hinaus, 
westlich  der  Oder  mit  dem  Bezirk  des  rein  blonden  Menschentypus  sich  deckend, 
östlich  erheblich  hinter  ihm  zurückbleibend.   Am  dichtesten  stehen  auch  in  Hinter- 
pommern die  Sachsenhäuser  in  den  Gegenden,  die  nachweislich  am  dichtesten  von 
Deutschen  besiedelt  sind."     Eine  Karte  im  Massstabe  1  :  300  000  gibt  einen  guten 
Überblick   über    die    von    Pessler   gewonnenen  Ergebnisse.     Sie    ist    in    derselben 
"Weise  ausgeführt  wie  die  Karten  in  „Das  altsächsische  Bauernhaus"  und  sie  gibt 
die  östliche  Fortsetzung  der  dort  vorgelegten  Karte  2.  —  Die  vierte  einer  lokalen 
Abart   gewidmete  Monographie    bespricht    „Das    altsächsische  Bauernhaus   in    der 
Rheinprovinz" ^).     Hier  will  Pessler    eine  Beschreibung  der  einzelnen  im  Rhein- 
lande vorhandenen  Arten    des  Sachsenhauses,    ihrer  Entwicklung    und    schliesslich 
ihrer  Verbreitung  in  Beziehung  zu  anderen  Verbreitungserscheinungen  geben.     Er 
setzt  die  konstruktiven  Unterschiede  der  Abarten  einleuchtend  auseinander,  und  nach 
diesen  Konstruktionsunterschieden  —  nicht  nach  den  zahlreichen  Grundrissvarianten, 
auf  die  er  nur  in  ein  paar  charakteristischen    Enormen   eingeht    —    stellt  er    seine 
Typen  auf.    So  gelangt  er  zu  drei  verschiedenen  Abarten,  der  nordniedersächsischen, 
der  westfälisch-ostfälischen    und    der  niederrheinischen,    denen  die  Konstruktionen 
des  reinen  Ständerbaues,    des  Viersäulenbaues    und    des  überhöhten  Ständerbaues 
entsprechen.     Bezüglich  der  A'erbreitung    stellt  Pessler  folgendes  fest:    „Die   Süd- 
grenze des  Sachsenhausgebietes  im  Rheinlande  zieht  sich  von  Kaldenkirchen  über 
Süchteln    an    den  Rhein  gegenüber  Kaiserswerth,  hat  aber  früher  weiter  gereicht, 
wie    die  Sachsenhäuser    bei  Gladbach  beweisen  .  .  .;    am  Rhein   abwärts  erreicht 
die  Hausgrenze  Duisburg,    begleitet  die  Ruhr    und  schneidet  am  ganzen  Nordost- 
rande   der   Rheinprovinz    einen  schmalen  Streifen    ab,    indem    sie    über    Kettwig, 
Velbert,  Neviges,  Barmen  die  Wupper  erreicht  und  dieser  aufwärts  über  Wipper- 
fürth folgt,  um  dann  über  Gummersbach  die  Provinz  Westfalen  zu  treffen,  die  sie 
ausser    den  Kreisen  Siegen    und  Wittgenstein  vollkommen    einschliesst."      Pessler 
schliesst  diese  erfolgreiche  Arbeit    mit  einem  Vergleich  der  Hausgrenzen  mit  den 
Sprachgrenzen   und   stellt    fest,    dass    der  Niederrhein    durch    seine    altsächsische 
Bauart   viel  mehr  noch   als    durch    seine    Mundart    zu    Niederdeutschland    gehört 
(S.  2(S2).    —    In    dem    Aufsatz    „Neues  zur  Kenntnis    des    altsächsischen   Bauern- 
hauses"-)   versucht  Pessler    einige  Formen    von    grundlegender   technischer   Be- 
deutung zur  Besprechung  zu  bringen.    Er  behandelt  1.  den  Schafstall  als  mögliche 
Urform    des  altsächsischen  Hauses,    und  indem    er    ein  paar  Beispiele  von  Heide- 
schuppen   aus  dem  Hümmling    (Regierungsbezirk  Osnabrück)   vorführt,    gibt  er  in 
schematischen    Zeichnungen    die    Entwicklungsstadien    vom    Schafstall    zum    auf- 
geständerten  Sachsenhause,  so  wie  er  sie  sich  denkt,    und  wie  sie  im  Zusammen- 
hange   auch  durchaus    möglich  sind.     2.  Bezüglich    der  Kübbungen,    der    'Seiten- 
schiffe'   des  Sachsenhauses,    weist    er  darauf  hin,    dass   sie  konstruktiv  unwichtig, 
nur   angeklappt   sind.      Er   zeigt   die    verschiedenen    Hausformen,    die    entstehen 
können,  wenn  die  konstruktiv  bedeutungslose  Kübbung  fehlt.   Auf  die  entwicklungs- 
geschichtliche Frage    geht  er  hier  nicht  ein,    er  äussert  sich  aber  soweit,    dass  er 
meines  Erachtens   sehr   mit  Recht   erklärt,    dass    er   die   Kübbung    entwicklungs- 
geschichtlich nicht  etwa  als  sekundäre  Zutat  angesehen  wissen  will.    Wir  kommen 
so  zu  dem  Ergebnis,  dem  auch  ich  mich  aiischliessen  möchte,   dass   die  Kübbung 


1)  Zs.  d.  Vereins  f.  rhein.  ii.  westfäl.  Volksk.  a,  27-->— 282  (IDUG).    Mit  6  Figuren. 

2)  Niedersachsen  12,  2()0-2()4.     jMit  13  Abb.  (1907). 


Berichte  und  Bücheranzeigeu.  105 

gleichzeitig  mit  der  Aufständerung  entstanden  ist.  3.  Eine  Übersicht  über  die 
Abarten  des  altsächsischen  Bauernhauses  gibt  zunächst  nach  der  Konstruktion  die 
bereits  oben  genannten  drei  verschiedenen  Unterarten.  Dann  aber  findet  sich  bei 
Pessler  hier  zum  ersten  Male  auch  eine  scharfe  Unterscheidung  nach  dem  (jtrundriss, 
indem  er  erstens  das  Haus  mit  Flettdiele,  zweitens  das  mit  Durchgangsdiele  und 
drittens  das  niederrheinische  T-Haus  unterscheidet.  4.  Die  baulichen  Fachausdrücke 
im  Volksmunde  hat  Pessler  für  etwa  7ö  Formen  gesammelt.  Er  wählt  davon  einige 
aus,  nämlich  die  für  Einfahrtstor,  Ständer,  Schwelle,  Torständer,  Lehmwandstaken, 
"Windrispen,  Walm,  Dachtraufe,  Wohnstube,  und  indem  er  die  volkstümlichen 
Ausdrücke  für  dieselben  vergleicht,  erklärt  er:  „man  ist  vorläufig  versucht,  ein 
Nordostgebiet  (Nordhannover  und  Ostelbien),  ein  Mittelgebiet,  ein  Südwestgebiet 
(Emsland,  Westfalen,  Niederrhein)  und  ein  kleines  Südostgebiet  (Hessen  und 
Oberweser)  anzunehmen,  die  je  ihre  besonderen  plattdeutschen  Bezeichnungen 
haben." 

Dem  Gesamtarbeitsfelde  der  deutschen  Hausforschung  wendet  sich  Pessler 
zu  in  dem  Aufsatz  „Die  Haustypengebiete  im  Deutschen  Reiche.  Eine  ethno- 
geographische  Untersuchung"^).  Er  gibt  eine  Besprechung  des  deutschen  Bauern- 
hauswerkes der  Architekten  und  ergänzt  dasselbe  in  einer  sehr  wesentlichen 
Hinsicht,  indem  er  die  Verbreitungsgebiete  der  deutschen  Haustypen,  über  die  der 
Text  des  Bauernhauswerkes  keine  zusammenfassende  Darstellung  gibt,  festzustellen 
sucht.  Den  anschaulichen  Niederschlag  dieser  Arbeit,  zugleich  auch  den  wert- 
vollsten Teil  des  vorliegenden  Aufsatzes  bildet  die  im  Massstabe  1  :  2  öOO  000  ge- 
haltene Karte.  Dieselbe  ist  besonders  dadurch  für  jeden,  auch  für  den  der  Haus- 
forschung ferner  stehenden,  leicht  verständlich  gemacht,  dass  am  Rande  die  Grund- 
risse der  einzelnen  Haustypen  in  derselben  Farbe  vorgeführt  werden,  in  welcher 
ihre  Verbreitung  auf  der  Karte  angegeben  ist.  Was  die  Einteilung  der  verschiedenen 
Haustypen  anlangt,  so  scheidet  Pessler  die  Gruppe  von  Hausforraen,  die  wir 
früher  als  „niederdeutsch"  bezeichnet  haben,  in  'Friesische'  und  'Niederdeutsche' 
(d.  h.  sächsische  und  sächsisch  beeinflusste),  diejenige  aber,  die  wir  früher  'ober- 
deutsch' nannten,  nennt  er  jetzt  „Hochdeutsch"  und  scheidet  sie  in  'Mitteldeutsche 
und  "Oberdeutsche'  Typen.  Ich  kann  nicht  finden,  dass  damit  gegenüber  unserer 
früheren  Zweiteilung,  neben  der  natürlich  die  ausserdeutschen  (nordanglischen, 
dänischen  und  litauischen)  Formen  für  sich  stehen,  ein  grosser  Fortschritt  gemacht 
sei,  um  so  weniger,  als  nun  mit  den  Bezeichnungen  'Niederdeutsch'  und  'Ober- 
deutsch' in  einem  anderen  Sinne  als  früher  operiert  wird  und  dadurch  ohne 
\veiteres  eine  gewisse  Unklarheit  für  Jahre  bedingt  wird.  Was  Pessler  meint,  ist 
richtig.  Nur  die  Terminologie  ist  zu  bessern,  und  es  wird  dabei  immer  an- 
zustreben sein,  dass  die  Tatsache  zum  Ausdruck  gebracht  werde,  dass  wir  es  beim 
deutschen  volkstümlichen  Hause  mit  zwei  grossen  Gruppen  unter  sich  verwandter 
Haustypen  zu  tun  haben.  Über  diese  Zweizahl  freilich  wird  man  sich  erst  dann 
einigen,  wenn  der  meines  Erachtens  tatsächlich  vorhandene  entwicklungsgeschicht- 
liche Zusammenhang  des  Friesenhauses  und  des  Sachsenhauses  widerspruchslos 
zugestanden  wird. 

Eine  weitere  Ausführung  dessen,  was  er  bereits  in  dem  oben  angeführten 
Aufsatz  'Niedersachsen'  12,  200 — 204,  im  dritten  Abschnitt  gegeben  halte,  bietet 
Pessler  sodann  in  einem  sehr  übersichtlichen  zu  Lübeck  gehaltenen  Vortrage 
über:  „Die  Unterarten  des  altsächsischen  Bauernhauses"'),  und  unermüdlich  er- 
weitert und  vertieft  er  die  Behandlnna-  dieses  selben  Themas  in  einer  umfassenden 


1)  Deutsche  Erde  19()S,  14—22.  45—52.     Mit  einer  Karte  und  10  Abbildungen. 

2)  Korrbl.  d.  Ges.-Vereius  d.  dtsch.  Gesch.  u.  Altertums-Vereine  liKt'J,  2i;i— 224. 


106  Laiiffer,  Petsch: 

Arbeit  über  „Die  Abarten  des  altsächsischen  Bauernhauses"^).  Da  in  dieser  vor- 
trefflichen, methodisch  sicheren  und  erfolgreichen  Arbeit  die  Hauptergebnisse 
zusammengefasst  sind,  so  gehe  ich  hier  näher  darauf  ein.  Die  Arbeit  zerfällt  in 
zwei  gro^e  Abschnitte.  Im  ersten  werden  die  Abarten  nach  der  Konstruktion 
besprochen.  Verf.  gibt  zunächst  einen  kurzen  Überblick  über  die  Konstruktions- 
verhältnisse der  Heideschafställe,  den  er  meines  Erachtens  mit  Recht  als  beste 
Einführung  in  die  Entwicklungsgeschichte  des  altsächsischen  Bauernhauses  be- 
zeichnet, wenn  er  auch  glaubt,  dass  die  Ableitung  derselben  aus  den  Schafstall- 
bauten einstweilen  noch  nicht  genügend  sichergestellt  sei.  Von  den  Abarten 
erklärt  er  das  Kübbungshaus  für  die  ursprünglichere,  das  Vierständerhaus  für  die 
daraus  ableitbare  entwickeltere  Form.  Er  schildert  die  Konstruktionsunterschiede 
und  zeigt,  wie  weit  die  Verbreitung  jener  Abarten  geht,  hier  wieder  den  geo- 
graphischen Standpunkt  betonend,  der  sich  bei  seinen  Arbeiten  so  sehr  als  frucht- 
bringend erwiesen  hat.  Für  die  Altersbestimmung  des  altsächsischen  Hauses 
weist  P.  nicht  nur  darauf  hin,  dass  dasselbe,  nach  dem  Import  in  das  ostelbische 
Kolonisationsgebiet  zu  urteilen,  seit  mindestens  1150  im  Gebrauch  sein  muss» 
sondern  wir  finden  auch  die  höchst  interessante  und  wichtige  Angabe,  dass  im 
holländischen  Drenthe  und  den  Yssellandschaften  gleichfalls  das  sächsische  Haus 
in  der  Form  des  Kübbungshauses  herrscht.  Da  diese  Gegenden,  worauf  P.  hin- 
weist, lange  vor  400  von  Sachsen  erobert,  bald  darauf  aber  durch  erneute  Franken- 
besetzung dem  sächsischen  Einfluss  vollständig  entzogen  sind,  so  wird  man  mit 
P.  geneigt  sein,  dem  altsächsischen  Hause  ein  Alter  zuzuschreiben,  das  vor  das 
vierte  Jahrhundert  zurückreicht.  —  Um  die  Entstehung  des  Vierständerhauses  im 
Süden  zu  erklären,  zieht  er  vergebens  die  physiogeographischen  und  wirtschaft- 
lichen Einflüsse  heran  und  kommt  so  schliesslich  zu  dem  Urteil,  dass  hier  nichts 
übrig  bleibe,  als  an  völkische  Ursachen  zu  denken,  „sei  es,  dass  benachbarte 
Haustypen  durch  ihre  Nähe  gewirkt  haben,  sei  es,  dass  geradezu  ein  fremdes 
Volkstum  in  dieser  Gegend  auf  die  Bauweise  eingewirkt  hat".  Aus  der  geographischen 
Verbreitung  des  Vierständerhauses  im  Vergleich  mit  anderen  geschichtlichen  Daten 
schliesst  P.,  dass  diese  Abart  des  altsächsischen  Hauses  sich  wahrscheinlich  bis 
770  herausgebildet  habe,  während  das  Kübbungshaus  viel  älter  ist  (S.  1(3!» — 170). 
Besonders  bedeutsam  sind  schliesslich  die  wiederholten  Übereinstimmungen  der 
Ergebnisse  von  Hausforschung  und  Sprachforschung,  die  P.  festgestellt  hat,  und 
die  auch  die  Sprachforscher  zwingen,  sich  eingehend  mit  P.'s  Arbeiten  zu  be- 
schäftigen. Der  zweite  Hauptabschnitt  behandelt  „die  Abarten  nach  dem  Grund- 
riss".  P.  weist  auf  den  bisherigen  Mangel  einer  einheitlichen  Terminologie  hin 
und  schlägt,  um  die  Hauptabarten  zu  bezeichnen,  die  Ausdrücke  1.  „Haus  mit 
Flettdiele",  '2.  „Haus  mit  Durchgangsdiele",  3.  „Haus  mit  Sackdiele"  vor.  Er 
betont  aber  sogleich,  dass  die  ethnologische  Verwertbarkeit  bei  der  Klassifikation 
der  Grundrisse  lange  nicht  so  gross  ist  „wie  die  der  übersichtlich  gruppierten, 
wenig  differenzierten  Konstruktion".  —  Die  ursprünglichste  Grundrissform,  die 
ohne  Wohnräume,  findet  sich  nur  im  Westen  des  Stilgebietes,  besonders  in  ab- 
gelegenen Teilen  von  Drenthe  und  Oberyssel.  Sie  ist  ausgezeichnet  durch  Ein- 
räuraigkeit  und  freie  Herdanlage.  Aus  dieser  Urform  entstehen  zwei  verschiedene 
Entwicklungsformen:  1.  die  mit  Durchgangsdiele,  2.  die  mit  Flettdiele.  Bei  der 
Besprechung  der  Verbreitungsgebiete  dieser  Abarten  kommt  P.  zu  dem  Ergebnis,, 
„dass  dort,  wo  der  Sachsenstamm  unverwischt  sitzt,  stets  die  Flettdiele  vorkommt, 
während  Gegenden,  wo  verhältnismässig  starkes  Fremdtum  nachgewiesen  ist, 
andere  Abarten,  meist  die  Durchgangsdiele,  zeigen"    (S.  17Gb).    —    Wenn  P.  zum^ 

1)  Arch.  f.  Anthropologie,  N.  F.  S,  107— 1.S2  (1909).     Mit  23  Abb.  und  zwei  Karten. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.   .  107 

Schluss  dieses  vortrefflichen  Aufsatzes  die  Verbreitung  der  Hauptgrundrisstypen 
des  reinen  Sacbsenhauses  mit  anderen  ethnologischen  Erscheinungen  A'ergleicht 
(S.  181 — 182),  so  schneidet  er  damit  eine  Frage  an,  die  er  in  der  letzten  uns  A'or- 
liegenden,  ebenfalls  durchaus  empfehlenswerten  Arbeit  weiter  ausgeführt  hat.  Die- 
selbe führt  den  Titel  „Ethno-geographische  Wellen  des  Sachsentums.  Ein  Beitrag 
zur  deutschen  Ethnologie"^).  P.  geht  hier  mit  gutem  Erfolg  dazu  über,  die  Er- 
gebnisse seiner  Hausforschung  einzuordnen  in  das  Gesaratgebiet  stammeskundlicher 
Forschung.  Um  einen  Anhalt  zur  Erschliessung  der  Stammessitze  zu  gewinnen, 
will  er  unsere  Kenntnis  von  den  Äusserungen  oder  Merkmalen  des  Volkstums 
(Körper,  Geist,  Sprache  und  Sachen)  sowie  von  ihren  verschiedenen  Ausbreitungs- 
wellen, zu  deren  Bezeichnung  wir  übrigens  meines  Erachtens  eine  Reihe  neuer 
Fremdwörter  ganz  gut  entbehren  können,  miteinander  in  Beziehung  setzen.  In 
dieser  Richtung  verfährt  er  in  vorliegender  Arbeit  mit  den  Merkmalen  des  Sachsen- 
tums. Er  überträgt  die  für  das  Sachsentum  in  Frage  kommenden  Grenzlinien  auf 
eine  Karte  und  gewinnt  so  das  Gebiet  des  reinsten  Sachsentums.  „Es  ist  das: 
Holstein  von  Schlei  bis  Elbe  mit  Ausnahme  des  Ostens  und  der  AVestraarschen, 
ferner  Nordhannover  und  Oldenburg  mit  Ausschluss  der  Marschen  und  südlich  bis 
zu  einer  Linie  Saterland,  Kloppenburg,  Visbeck,  Wietingsmoor,  Diepenau,  Slein- 
huder  Meer,  Leinemündung,  nördliche  Oertze  und  südliche  Ilmenau,  wo  die  Ostgrenze 
beginnt,  die  von  hier  bis  zur  Kieler  Bucht  läuft.  Von  diesem  engen  Gebiet  aus 
hat  sich  das  Sachsentum-  dann  weiter  ausgebreitet,  am  reinsten  gegen  die  Ems 
hin,  überall  sonst  bald  auf  fremdes  Volkstum  stossend  und  diesem  bald  das  eine, 
bald  das  andere  Merkmal  seines  Volkstums  opfernd".  Auch  diese  letzte  Arbeit 
Pesslers  ist  in  ihrer  Methode  durchweg  gut  und  in  ihren  Ergebnissen  überzeugend, 
und  sie  wird  schliesslich  auch  noch  dadurch  sehr  wesentlich  gestützt,  dass  sie 
mit  den  archäologischen  Feststellungen  C  Schuchhardts  (Zs.  d.  bist.  Vereins 
f.  Niedersachsen  1908)  in  den  Folgerungen  übereinstimmt. 

Wenn  wir  damit  von  den  umsichtigen  und  an  wissenschaftlichen  Erfolgen  so 
reichen  Arbeiten  Pesslers  Abschied  nehmen,  so  bleibt  nur  noch  übrig  zu  erwähnen, 
dass  fast  alle  die  genannten  Aufsätze  durch  zahlreiche  Abbildungen  nach  des  Ver- 
fassers eigenen  Aufnahmen  illustriert  sind.  Sie  gew'ähren  so  zu  dem  geschriebenen 
Wort  eine  gute  Anschauung  und  ermöglichen  in  vielen  Fällen  auch  eine  unmittel- 
bare Nachprüfung  an  den  Darstellungen  der  besprochenen  Bauformen. 

Hamburg.  Otto  Lauffer. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Alfred  Lehmann,  Aberglauben  und  Zauberei  von  den  ältesten  Zeiten  an 
bis  in  die  Gegenwart.  Deutsche  autorisierte  Übersetzung  von  Petersen. 
Zweite  umgearbeitete  und  erweiterte  Auflage.  Mit  2  Tafeln  und  67  Text- 
abbildungen.    Stuttgart,  Ferdinand  Enke  1908.    XII,  665  S.  14  Mk. 

Victor  Henry,  La  Magie  de  l'Inde  antique.  2e  edition,  Paris,  E.  Xourry 
15J09.     XL,  286  S.  3,50  Er. 

Eine  Geschichte  der  Magie  ist  eine  der  reizvollsten,  aber  auch  schwierigsten 
Aufgaben  für  den  Kulturhistoriker  der  Zukunft;  ihr  Bearbeiter  würde  bis  auf  die 
vorgeschichtlichen  Anfänge  menschlichen  Geisteslebens  zurückgehen  und  vor  der 
Gegenwart  nicht  Halt  machen;  er  müsste  in  weitestem  Masse  die  Lebensäusserungen 
der  'Wilden'  heranziehen,  aber  auch  die  höchst  kultivierten  Völker  der  Gegenwart 

1)  Wörter  u.  Sachen,  kulturhistor.  Zeitschrift  1,  49— öC  (1000).     Mit  einer  Karte. 


108  Petsch: 

würden  ihm  ein  überreiches,  wenn  auch  durchaus  nicht  einheitliches  und  nicht 
reinliches  Material  liefern,  und  selbst  im  Seelenleben  der  führenden  Persönlich- 
keiten eines  'erleuchteten  Zeitalters'  könnte  er  seelische  Unterströmungen  antrefi'en, 
die  er  mit  Recht  für  seine  Darstellung  in  Anspruch  nehmen  dürfte.  Ethnologie 
und  Sprachforschung,  Religions-,  Kunst-  und  Literaturgeschichte,  historische  und 
systematische  Philosophie,  nicht  zum  wenigsten  die  empirische  Psychologie  müssten 
zu  diesem  Werke  mitarbeiten,  um  jene  eine  und  vermutlich  grössere  Hälfte  des 
menschlichen  Geisteslebens  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  zu  verfolgen. 
Wenn  der  natürliche  Mensch  unbewusst  oder  mit  bequemen  Analogieschlüssen 
seine  Umgebung  nach  Massgabe  des  eignen  Ich  beurteilt,  die  unbelebte 
Natur  wie  eine  beseelte  behandelt,  einzelne  Erlebnisse  verallgemeinert,  aus 
zufälligen  Berührungen  in  Raum  und  Zeit  auf  dauernde  Zusammenhänge 
schliesst,  wenn  er  innere  Wirkungen  auf  fremde  Persönlichkeiten  durch  äussere 
Eingriffe  etwa  an  ähnlich  geformten  Gegenständen  hervorzubringen  hofft  oder 
Traumbilder  und  Wirklichkeit  miteinander  verknüpft,  so  verhält  er  sich  in  allen 
diesen  Füllen  vorwiegend  passiv  gegenüber  den  Sinneseindrücken,  welche  die 
Aussenwelt  oder  seine  innere  Erfahrung  in  seiner  Seele  hinterlassen  haben.  Auf 
dieser  assoziativen  Verbindung  der  einzelnen  ßewusstseinsinhalte  beruht  letzt- 
lich alle  primitive  Beurteilung  des  eignen  Ich  und  seines  Verhältnisses  zu  der  es 
umgebenden  Welt;  auf  dieser  Grundlage  erwächst  schliesslich  eine  ganze  magische 
Weltanschauung,  die  so  etwas  wie  ein  System  werden  kann,  zumal  wenn  sie  sich 
mit  Elementen  aus  dem  gerade  entgegengesetzten  Weltbilde  verschmelzt.  Dies 
andere,  wissenschaftlich -kritische  Weltbild  aber  erwächst  auf  dem  Boden  aktiver 
Bewusstseinstätigkeit,  überlegender,  scheidender  und  neu  verbindender  Geistesarbeit, 
sie  beruht  auf  der  apperzeptiven  Verbindung  der  Elemente.  Darin  nun,  dass 
auch  in  dem  klarsten  und  gewissenhaftesten  geistigen  Arbeiter  die  rein  assoziativen 
Vorgänge  nie  ganz  einschlafen  und  nicht  bloss  im  Traum  und  ähnlichen  Ein- 
schläferungs-  oder  Betäubungszuständen,  sondern  mitten  im  wachen  Leben  immer 
wieder  eintreten,  beruht  die  grosse  Schwierigkeit,  aber  auch  der  eigentliche  Reiz 
und  vor  allem  die  ungeheure  Lebeusbedeutung  des  'Magischen'  im  weitesten  Sinne. 

In  diesem  Sinne  hat  uns  freilich  bisher  niemand  die  Geschichte  der  Magie 
dargestellt,  aber  auch  eine  rein  empirische  Darstellung  der  'Magie  im  engern 
Sinne',  eine  Zusammenfassung  des  gesamten  geschichtlichen  Materials  fehlt  uns 
zurzeit  noch.  Denn  Lehmanns  Buch  kann  trotz  der  Erweiterungen  der  2.  Auf- 
lage nicht  als  solche  gelten.  Sein  Werk  ist  ja,  im  ganzen  genommen,  vorzüglich 
eine  historisch  und  psychologisch  fundierte  Streitschrift  gegen  den  modernen  Ok- 
kultismus und  gegen  dessen  wissenschaftliche  Ambitionen.  Als  solche  hat  sie 
luftreinigend  gewirkt  und  natürlich  auch  heftige  Angriffe  von  selten  der  Gegen- 
partei hervorgerufen.  In  diesem  Sinne  wirtl  sie  immer  wieder  Segen  stiften,  in- 
dem sie  die  Diskussion  vertieft.  Die  einleitenden  Kapitel  suchen  vor  allem  das 
herauszuheben,  was  von  den  älteren  'Geheimwissenschaften'  heutzutage  in  irgend- 
einer Form  noch  fortlebt;  so  betrachten  sie  die  Vergangenheit  unter  dem  Gesichts- 
punkt der  Gegenwart,  mehr  urteilend  als  entwickelnd,  mehr  nach  den  Erscheinungs- 
formen als  nach  den  letzten  Grundlagen  und  inneren  Zusammenhängen.  Auf  diese 
Weise  gibt  Lehmann  uns  ein  überreiches  historisches  Material;  aber  es  ist  keines- 
wegs gleichmässig  und  mit  fester  Methode,  es  ist  vor  allem  nicht  um  seiner  selbst 
willen  verarbeitet.  So  kann  es  gerade  für  die  Leser  dieser  Zeitschrift  nur  als 
eine  äusserst  anregende  und  fesselnde  Lektüre,  keineswegs  aber  als  abschliessende 
Darstellung  oder  gar  als  Lehrbuch  in  Betracht  kommen. 

Gleich  die  Definition  der  Zauberei,  die  Lehmann  an  den  Anfang  seiner  Arbeit 
stellt,    muss    unter    diesen    Gesichtspunkten    unsern    Widerspruch    herausfordern: 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  109 

.Magie  ist  jede  Handlung,  die  eine  Beeinflussung  entweder  der  übersinnlichen  oder 
der  sinnlichen  Welt  bezweckt,  aber  weder  zu  den  Kultushandlungen,  noch  zu  den 
technischen  Operationen  gerechnet  werden  kann"  (S.  9).  Das  mag  für  die  Gegen- 
wart gelten,  für  die  Entstehung  der  Magie  sagt  es  gar  nichts,  weil  diese  in  Zeiten 
hinaufführt,  wo  von  einer  anerkannten  Religion  mit  ihrem  offiziellen  Kultus,  wo 
von  einer  auf  kausaler  Naturerkenntnis  beruhenden  Tecknik  noch  gar  keine  Rede 
sein  kann.  Lehmann  weiss  davon,  erwähnt  es  aber  nur  ganz  nebenher  (S.  12) 
und  übersieht  leider  Vierkandts  Aufsätze  über  'die  Anfänge  der  Religion  und 
Zauberei'  (Globus  92.  1904),  wonach  zauberische  Handlungen  bereits  ausgeübt 
werden,  ehe  von  Dämonologie,  ja  von  eigentlichem  Animismus  die  Rede  sein 
kann.  Der  Wilde  sieht  schon  in  dem  Pfeile,  der  den  fernerstehenden  Gegner 
tötet,  etwas  Geheimnisvolles,  was  seiner  eigenen  Kraft  überlegen  ist,  die  allenfalls 
den  unmittelbar  vor  ihm  stehenden  Feind  mit  der  Keule  niederschmettern 
könnte;  sucht  er  diese  geheimnisvolle  Wirkung  noch  zu  steigern,  indem  er 
den  Pfeil  in  der  Richtung  absendet,  in  der  sich  ein  unsichtbarer,  vielleicht  meilen- 
weit entfernter  Feind  befinden  muss,  dem  er  auf  diese  Weise  Schaden  zuzufügen 
hofft,  so  liegt  bereits  eine  magische  Betätigung  vor:  einer  natürlichen  Handlung 
wird  eine  Wirkung  beigemessen,  welche  die  natürlichen  (vielleicht  besser:  ge- 
wöhnlichen) Wirkungen  dieser  Handlung  übersteigt.  Lehmann  versucht  nun  im 
folgenden  wirklich  genetisch  vorzugehen  und  bringt  eine  recht  brauchbare  Skizze 
der  Magie  bei  den  Naturvölkern.  Dagegen  zeigt  seine  Geschichte  der  Magie  in 
der  antiken  Welt  wieder  bedenkliche  Lücken,  und  die  Überschrift  dieses  ersten 
Abschnitts  'Die  Weisheit  der  Chaldäer  und  ihre  Entwicklung  in  Europa'  kann  leicht 
zu  Irrtümern  Anlass  geben.  Vor  allem  fehlt  die  Darstellung  der  indischen  Magie,  die 
doch  auf  die  indogermanischen  Verhältnisse  so  helles  Licht  wirft  und  für  die  spätere 
Entwicklung  der  europäischen  Vorstellungen  von  so  grossem  Werte  gewesen  ist. 
Hier  greift  die  ausgezeichnete  Arbeit  von  V.  Henry  ein,  die  nun  schon  zum 
zweiten  Male  ihren  Weg  antritt.  Ihre  knappe  'Einleitung'  stellt  die  Gesichtspunkte- 
auf, unter  denen  eine  künftige  Geschichte  der  ältesten  Magie  zu  schreiben  wäre. 
Vor  allem  die  Konstanz  der  magischen  Grundvorstellungen  wird  hier  festgehalten: 
von  der  Urzeit  an,  wo  eigentlich  jeder  auf  eigene  Hand  ein  Zauberer  ist,  über  die 
Zeiten  hinweg,  wo  besonders  neuropathisch  veranlagte  Personen  die  Vermittlung 
zwischen  Menschen  und  Dämonen  übernehmen  bis  endlich  zu  dem  Punkte,  wa 
die  reine  Religion  die  Magie  von  sich  abzuschütteln  sucht,  und  diese  nun 
als  'schwarze  Kunst'  im  Dunkel  ihr  Wesen  treibt  und  die  Einrichtungen  der 
Kirche  für  ihre  Zwecke  parodiert,  hat  sich  die  magische  Kunst,  wie  alle  Künste, 
im  einzelnen  unendlich  differenziert  und  vervollkommnet,  aber  sie  ist  im  Grunde 
immer  dieselbe  geblieben.  So  werden  bei  der  gründlichen  und  allseitigen  Be- 
sprechung des  reich  entwickelten  und  fein  durchgeführten  magischen  Systems 
der  Hindus  alle  wichtigeren  Grundvorstellungen,  Formeln  und  Methoden  der 
Magie  überhaupt  zur  Sprache  gebracht.  Henry  beschreibt  zunächst  die  beiden 
Hauptquellen,  das  Atharva-Veda  und  den  Kaucika-Sutra  und  knüpft  daran  einzelne 
allgemeine  Bemerkungen  über  die  indische  Magie  uud  ihre  Erscheinungsformen: 
im  folgenden  geht  er  dann  die  Hauptzweige  der  zauberhaften  Betätigung  durch: 
die  Wahrsagung,  den  Lebens-,  Fruchtbarkeits-  und  Liebeszauber,  die  Zauberriten 
für  Krieg  und  Frieden,  die  Exorzismen,  die  Heil-  und  Sühnezauber  und  endlich 
die  Riten  der  'schwarzen  Magie';  denn  auch  die  'schwarze  Messe',  die  kecke  Per- 
siflage des  Heiligen,  zu  der  noch  im  17.  Jahrhundert  etwa  Mme.  de  Montespan 
ihre  Zuflucht  nahm,  findet  ihre  Vorbilder  schon  in  Indien.  Kurze  Bemerkungen 
über  den  Zusammenhang  der  Magie  mit  Mythus,  Religion  und  Wissenschaft 
schliessen  das  treffliche,  an  allgemeinen  Aufschlüssen  so  reiche  Buch. 


I  ]^0  Petsch,  Bartels: 

Lehmanns  Ausgangspunkt  bei  seiner  historischen  Musterung    ist    die  Zauberei 
der  Chaldiier,    die    er    nach    guten  Quellen    umsichtig  und  ansprechend  schilderte 
Dagegen    kann    seine    Darstellung    der   griechischen,    römischen   und    hebräischen 
Zauberei  durchaus  nicht  genügen;  die  hier  besprochenen  Arbeiten  von  Deissmann 
(oben  IN,  4(;i)i)  und  Abt  (oben   19,  ;;3(3)    konnten    wohl    freilich    noch  nicht  ver- 
wertet werden,  aber  so  dürftig  hätte  vor  allem  die  wichtige  Periode  des  hellenistischen 
Synkretismus"^)  dennoch  nicht  behandelt  werden  dürfen,    und  das  Weltsystem  des 
Neuplatonismus,  seine  allmähliche  Vermengung  philosophischer  Spekulation  mit  den 
Elementen  der  positiven  Volksreligion  mussten  als  Grundlagen    für  die  magischen 
Anschauungen  der  Renaissance  viel  gründlicher  dargelegt  werden,    als    es    in    der 
kurzen  Skizze  S.  Töf.  geschieht.     Hier  fehlt  es,  wie  so  oft  in  Lehmanns  Buch,  an 
•der  richtigen  Verteilung  von  Licht  und  Schatten;  nach  Massgabe  des  Raumes,  den 
er  etwa  auf  die  Darstellung  der  nordisch-finnischen  Magic  verwendet,  müsste  diese 
eine  viel  höhere  Bedeutung  für  den  modernen  Okkultismus  gehabt  haben,  als  die 
der  antiken  Welt,    was  doch  den  historischen  Verhältnissen  nicht  entspricht.     Für 
■das  Mittelalter  gibt  Lehmann  eine  knappe,    brauchbare  Übersicht,    um    sich    dann 
im    zweiten  Hauptabschnitt    den  'Geheimwissenschaften'    zuzuwenden.     Hier    wird 
vieles  nachgeholt,    was  bereits  an  früherer  Stelle    hätte  verwendet  werden    sollen; 
doch  gibt  Lehmann    in    diesem    und    in    dem    folgenden  Abschnitt  (Der  moderne 
Spiritismus  und  Okkultismus)  erheblich  eingehendere,    wenn  auch  ungleichwertige 
Analysen.     Einzelne  Kapitel  sind    hervorragenden  Okkultisten    wie  Agrippa,    Para- 
celsus  oder  Swedenborg  usw.  gewidmet  (die  Entstehung  der  Faustsage  wird  recht 
oberflächlich  besprochen),  andere  schildern  (und  hierin  besteht  der  grösste  Reiz  der 
Arbeit)  die  einzelnen  magischen  Wissenschaften  (Astrologie,  Auguralwissenschaften, 
praktische  Kabbala,    Alchemie)    und  spiritistische  Strömungen    der  Neuzeit.     Den 
Schluss  des  Ganzen  macht  eine  breite,  kritische  Darlegung  der  'magischen  Geistes- 
zustände', die  für  unsere  Zwecke  kaum  mehr  in  Betracht  kommt. 

Heidelberg.  Robert  Petsch. 


1)  Deissmanns  treffliches  Buch  (Licht  vom  Osten)  ist  soeben   in  zweiter,   vermehrter 
Auflage  erschienen  (Tübingen,  Mohr  li)()9). 

2)  AVir  wollen  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  versäumen,  auf  einzelne  trefflich  orientierende 
Schriften  über  diese  Epoche  zu  verweisen,  die  hier  nicht  eingehend  besprochen  werden 
können.  Im  Verlag  Vaudenhoeck  &  Ruprecht,  Göttingen,  erscheinen  soeben  'Die 
Schriften  des  alten  Testaments  in  Auswahl,  neu  übersetzt  und  für  die  Gegenwart 
erklärt'  (28  Lieferungen  zu  80  Pf.).  Hier  werden  auch  dem  Nichttheologen  die  gesicherten 
Ergehnisse  der  religionsgeschichtlichen  Exegese  in  knapper  Form  übermittelt;  die  vor- 
liegenden Hefte  bringen  u.  a.  eine  wertvolle  Einführung  in  die  alttestamentliclie 
Magie,  in  das  Wesen  der  Traum-  und  der  Wachvision  (Extase),  die  Organisation  der 
Propheteuschulen  usw.  aus  der  Feder  Hugo  Gressmanns,  der  auch  das  moderne  orienta- 
lische Derwischtum  geschickt  zur  Erklärung  mit  heranzieht.  Wie  stark  derartige  In- 
stitutionen und  die  von  ihnen  gepflegten  Vorstellungsreihen,  rabbinische  Angelologie, 
astraler  Äonenglaube,  hellenischer  Dualismus  und  orientalische  Erlöserhoffnungen  mit  der 
ganz  persönlichen,  religiösen  Erfahrung  einer  gewaltigen  Persönlichkeit  zusammenwirken, 
um  eine  wunderbar  kom])onierte,  an  Widersprüchen  nicht  arme,  aber  gerade  darum  von 
reichster,  werbender  Kraft  zeugende  Weltrehgion  vorzubereiten,  hat  Martin  Dibelius 
gezeigt:  Die  Geisterwclt  im  Glauben  des  Paulus.  Güttingen,  Vaudenhoek  &  Ruprecht. 
1!)09.  VI  250  S.  7  Mk.  Und  die  gesamte  'hellenistisch-römische  Kultur  in  ihren  Be- 
ziehungen zu  Judentum  und  Christentum'  behandelt  mit  bewundernswürdiger  Klarheit  und 
Konzentration  P.  Wendland  in  Lietzmanns  Handbuch  zum  Neuen  Testament  I,  2.  Teil 
(Tübingen,  Mohr  1907).  Hier  ist  der  Magie  ein  eigener  Abschnitt  gewidmet,  doch  dient 
ihrem  tieferen  Verständnis  das  Werk  in  fast  allen  seinen  Teilen. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  lU 

S.  Seligraann,  Der  böse  Blick  und  Yerwandtes.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
des  Aberglaubens  aller  Zeiten  und  Völker.  Berlin,  H.  Barsdorf  191U. 
2  Bände.     LXXXVIII,  406  S.  und  XII,  526  S.  mit  240  Abb. 

Ein  gewaltiges  Tatsachenmaterial  ist  in  diesen  beiden  Bänden  mit  wirklich 
bewundernswerter  Ausdauer  und  Belesenheit  zusammengetragen  und  in  einer  Reilie 
von  grösseren  Abschnitten  angeordnet  worden.  Nach  einer  kurzen  Erläuterung  des 
Begriffes  und  Wesens  des  bösen  Blickes  folgt  ein  sehr  ausführlicher  Abschnitt 
über  das  Vorkommen  und  die  Verbreitung  desselben,  dann  ein  Kapitel  über  die 
Art  der  Wesen,  welche  den  bösen  Bück  haben  (einzelne  Menschen,  ganze  Gemein- 
schaften, wie  bestimmte  Völker,  Religionsgemeinschaften,  Familien,  Berufs- 
klassen usw.,  Tiere,  Fabelwesen,  Dämonen,  selbst  leblose  Dinge):  darauf  werden 
die  Ursachen  und  Mittel,  welche  den  bösen  Blick  hervorrufen,  erörtert;  in  dem 
von  der  'Autofaszination'  handelnden  Abschnitt  werden  die  Gefahren  und 
Schädigungen  geschildert,  denen  man  sich  aussetzt,  wenn  man  sein  eigenes  Ant- 
litz, seinen  Doppelgänger,  seinen  Schatten  usw.  erblickt.  Es  folgt  dann  eine  Be-- 
sprechung  der  Wirkung  des  bösen  Blickes  auf  die  Wesen  und  Dinge,  die  ihm  aus- 
o'csetzt  sind  (wozu  übrigens  so  ziemlich  alles  gehört,  was  überhaupt  bezaubert 
werden  kann),  sowie  eine  Aufzählung  der  Mittel,  mit  deren  Hilfe  man  die  einge- 
tretene Bezauberung  erkennen  und  derer,  welche  man  dagegen  als  Heilmittel  ver- 
wenden kann.  Fast  der  ganze  zweite  Band  ist  dann  den  Schutzmitteln  gewidmet; 
einige  allgemeine  Ausführungen  über  die  Versuche,  die  Macht  des  Blickes  zu  er- 
klären, machen  den  Beschluss.  Mit  Ausnahme  vielleicht  dieses  letzten  Kapitels 
scheint  mir  der  Verf.  die  Gefahr,  allzu  breit  zu  werden,  im  ganzen  glücklich  ver- 
mieden zu  haben.  Nur  wäre  es  wohl  erwünscht  gewesen,  die  Übersichtlichkeit  des 
ausserordentlich  reichen  Stoffes  durch  wechselnden  Druck,  mehr  Sperrungen  bei 
den  Hauptpunkten  und  ausgiebigere  Verwendung  des  kleinen  Druckes  bei  der  Auf- 
zählung der  Tatsachen,  zu  erhöhen,  damit  sich  der  Benutzer  beim  Nachschlagen 
—  zum  Lesen  ist  ja  ein  solches  Buch  der  Natur  der  Sache  nach  nicht  bestimmt  — 
leichter  zurechtfinden  könne;  auch  bedaure  ich  sehr,  dass  die  vielen  interessanten 
Abbildungen,  die  das  Buch  schmücken  und  reiche  Belehrung  und  Anregung  bieten, 
meist  nicht  hinreichend  mit  erklärenden  Unterschriften  versehen  sind;  sie  rausstea, 
um  Häufungen  zu  vermeiden,  über  das  ganze  Werk  verteüt  werden,  stehen  nun 
aber  fast  ausnahmslos  an  ganz  anderer  als  der  zugehörigen  Stelle  —  viele  z.  B. 
im  ersten  Bande,  die  erst  im  zweiten  besprochen  werden  —  und  sind  dann  nur 
mit  einem  Hinweis  auf  die  betreffende  Stelle  des  Textes  versehen;  die  Notwendig- 
keit, sich  über  eine  das  Interesse  anregende  Figur  stets  immer  wieder  durch  Um- 
blättern belehren  zu  müssen,  wirkt  ermüdend  und  abschreckend.  Sehr  wertvoll 
sind  die  vielen  und  genauen  Literaturangaben;  welch  kolossales  Material  hier  ver- 
arbeitet ist,  lehrt  am  besten  die  Tatsache,  dass  das  Literaturverzeichnis  nicht 
weniger  als  71  Druckseiten  füllt;  jedem  Kapitel  sind  ausserdem  noch  spezielle 
Hinweise  auf  dieses  Verzeichnis  angehängt,  auch  ist  am  Schlüsse  des  ganzen  Werkes 
ein  50  Druckseiten  umfassender  Index  gegeben,  so  dass  also  die  Benutzung  des 
Buches  als  Quellenwerk  sehr  erleichtert  wird.  Ich  zweifle  nicht,  dass  es  als 
solches  vielen  willkommen  sein  würd,  sei  es  nun,  dass  man  sich  über  volks- 
medizinische Dinge  zu  unterrichten  wünscht,  sei  es,  dass  man  sonst  irgendeine 
Frage  aus  dem  grossen  Gebiete  des  Aberglaubens  vergleichend  zu  untersuchen 
unternimmt. 

Berlin.  Paul  Bartels. 


\\2  Bartels,  Lohre: 

Moritz  Hoernes,  Natur-  und  Urgeschichte  des  Meuscheu.    Wien  u.  Leipzig, 
Hartlebeu  1909.     2  Bände.     591  und  608  Seiten,    1  Tafel,  6  Vollbilder, 
10  Textkarten,  202  Abbildungen. 
Es    ist    sicherlich    ein    schönes  Zeichen   für    das  Aufblühen  der  Wissenschaft 
vom  Menschen  und  die  grossen  Fortschritte,  die  sie  gerade  in  der  letzten  Zeit  in 
allen  ihren  Zweigen  gemacht  hat,    dass   der  Plan  zu  einem  Werke    wie    das  vor- 
liegende gefasst  werden  konnte.     Der  Verfasser    liefert    uns    nicht    nur,    als  aner- 
kannter Vertreter  seines  Spezialgebietes,  eine  umfassende  Darstellung  dessen,  was 
die  prähistorische  Archäologie  bis  heute  geleistet  hat,  sondern  er   unternimmt   es, 
in  dem  Bestreben,  einen  wahrhaft  universellen  Standpunkt  durchzuführen,   die  Er- 
scheinung der  Menschheit  von  der  leiblichen  wie  von  der  geistigen  Seite   in  ihrer 
Totalität  zu  erfassen;  er  sucht  deshalb  die  Ergebnisse  der  naturwissenschaftlichen 
Forschungszweige  der  Anthropologie    mit    denen    der    kulturwissenschaftlichen    zu 
verknüpfen.     So    ist    etwa    ein    Drittel    des   gesamten    Textes    einem    Abriss    der 
physischen  Anthropologie    gewidmet,    soweit    sie  Bezug    nimmt    auf    die   grossen 
Fragen  des  Ursprungs    und    der  Entwicklung   der  Menschheit.     Dieselben    Fragen 
bilden    den  Gegenstand    der   Darstellung   in    dem    übrigen,    grösseren  Teile    des 
Werkes,  nur  dass  ihre  Lösung  hier  versucht  wird  vom  Standpunkte  der  psychischen 
Antliropologie:  die  Grundlagen  der  Kultur  und  ihre  Entwicklung  werden  geschildert 
sowohl  auf  Grund  der  archäologischen  Forschungsergebnisse  als  auch  an  der  Hand 
der  vergleichend-ethnologischen  Betrachtung.     Es    mag    wohl    als  ein  Wagnis  er- 
scheinen,   dass    von  derselben  Hand    in    ihrer  Technik    und    ihren  Grundlagen  so 
verschiedene  Wissenszweige,    rein  naturwissenschaftliche    sowohl  wie  mehr  philo- 
sophisch-kulturhistorische, vereinigt  werden;  und  der  Kundige  mag,  da  doch  natur- 
gemäss  in  den  ausserhalb  des  speziellen  Forschungsgebietes  des  Verfassers  liegen- 
den Ausführungen    eine    mehr    referierende  Darstellungsweise    eingehalten  w^erden 
musste,  in  der  Art  der  Auswahl  und  der  Aneinanderreihung  der  gesammelten  Er- 
gebnisse dies  zuweilen  empfinden;  doch  wird  jeder,  der  dies  ebenso  anregend  wie 
eingehend  geschriebene    und  mit  einer  grossen  Zahl  vorzüglich   ausgewählter   und 
ausgeführter  Abbildungen  geschmückte  Werk  zur  Hand  nimmt,    falls    er  nicht  auf 
einem  ganz  einseitig-fachwissenschaftlichen  Standpunkt  steht,  dem  Verfasser  Dank 
wissen,  der  auf  engem  E,aum  dicht  nebeneinander  die  Ergebnisse  der  verschiedenen 
SpezialWissenschaften  mit  lebendigem  Gefühl  für  das  Ganze  wieder  vereinigt  und 
sie  dorthin  zusammenführt,    von  wo  jede  einzelne   ausging:    zu  dem   Streben,    die 
Wissenschaft  vom  Menschen  in  ihrer  Gesamtheit  zu  erfassen  und  zu  fördern.    Cnd 
von  diesem  Gesichtspunkte    aus    seien    auch  die  Leser  unserer  Zeitschrift,    die  ja 
gleichfalls  an  ihrem  Teile  an  der  Erreichung  dieses  hohen  Zieles  mitarbeiten,  auf 
das  schöne  Werk  von  Hoernes  hingewiesen. 

Berlin.  Paul  Bartels. 

W.  Golther,  Eoligion  und  Mythus  der  Germanen.  Leipzig,  Verlag  Deutsche 
Zukunft,  1909.  115  S.  4^  4  Mk. 
Golthers  Buch  zeigt  in  knapper  Form  einem  weiteren  Kreise  von  Gebildeten, 
welches  Bild  der  germanischen  Religion  und  des  germanischen  Mythus  die  heutigen 
wissenschaftlichen  Arbeitsmethoden  im  ganzen  etwa  erschliessen.  Solch  eine 
gedrängte  Zusammenfassung  von  sachkundiger  Seite  war  ein  Bedürfnis,  denn  das 
grosse  Publikum  denkt  bei  germanischer  Religion  noch  immer  fast  ausschliesslich 
an  die  Götterfabeln,  die  es  mit  Richard  Wagnerscher  Romantik  erfüllt.  In  diesem 
Buche  aber  wird  die  Scheidung  von  Religion,  Theologie  und  Mythus  betont,  und 
der    'zeitgeschichtlichen'    geht    eine    'religionsgeschichtliche'    Betrachtung    voraus, 


\ 


Berichte  und  ßücheranzeigen.  113 

d.  h.  es  werden  vor  den  fertigen  Göttern  und  Göttergeschichten,  die  die  Germanen  in 
der  Zeit  ihrer  bezeugten  Geschichte  besassen  und  in  literarischen  Denkmälern 
spiegelten,  die  Vorstufen  ins  Auge  gefasst,  wie  sie  aus  allerlei  Überbleibseln  und 
deren  Vergleich  mit  den  religiösen  Gebilden  anderer  primitiver  Völker  sich  er- 
schliessen  lassen.  Denn  so  wenig  als  beim  Übergang  zum  Christentum  erlöschen 
beim  Übergang  zu  höheren  heidnischen  Religions formen  die  älteren  einfach 
spurlos.  Sie  leben  vielmehr  in  Unterschichten  weiter  und  dringen  (zu  unserem 
Glücke!)  auch  noch  in  die  Literatur.  In  der  Heranziehung  solcher  Überbleibsel 
hat  Golther  eine  glückliche  Hand;  eine  Geschichte  wie  die  von  Paulus  Diakonus 
erzählte,  dass  dem  schlafenden  Frankenkönige  Guntram  ein  'Tierlein  in  Schlangen- 
weise' aus  dem  Munde  kroch,  zeigt  den  alten  Seelenglauben  in  klassischer  Gestalt. 
Durch  solche  geschickte  Auswahl  gelingt  es  dem  Verf.,  die  religionsgeschichtlichen 
Grundbegriffe  des  Manismus  und  Animismus  und  den  Fortschritt  innerhalb  dieser 
Vorstellungsweisen  aussc|iliesslich  an  germanischem  Anschauungsmaterial  be- 
friedigend klar  zu  machen.  Ob  er  nicht  in  der  gewollten  Ausschliessung  fremder 
Beispiele  zu  weit  ging,  erscheint  mir  zweifelhaft;  es  ist  zu  bedenken,  dass  das 
Aufzeigen  verwandter  Erscheinungen  bei  anderen  Völkern  dem  Leser  mächtig  das 
Vertrauen  stärkt,  dass  jene  Vorstellungsweisen  wirklich  wie  mit  Notwendigkeit  die 
primitiven  Menschen  beherrschen,  nicht  etwa  kuriose  Einzelfälle  bilden.  Auch  der 
Forscher  glaubt  doch  nur  darum  an  der  Religionsgeschichte  eine  so  gute  Führerin 
zu  besitzen,  weil  sie  die  erstaunliche  Gleichförmigkeit  primitiver  A^orstellungen, 
fast  ein  Entwicklungsgesetz  derselben,  aufgedeckt  hat.  Warum  also  nicht  beispiels- 
weise für  den  Übergang  von  schlichter  Naturverehrung  zur  Personifikation  der 
Naturgewalten  jene  gewiss  den  meisten  Lesern  des  Buches  bekannte  Iliasstelle 
heranziehen,  wo  Achill  gegen  den  Skamander  ankämpft,  man  weiss  nicht,  ob  gegen 
das  Element  oder  gegen  den  Gott?  (Ilias  21,  23.-!).  Ein  so  bezeichnendes  Zwielicht 
liegt  nicht  über  vielen  Beschreibungen.  So  möchte  hin  und  wieder  massvolles 
Heranziehen  fremden  Materials  die  Anschauung  noch  mehr  geklärt  haben.  In 
einem  Punkte  versagt  einfach  das  deutsche  Material :  der  "Weg  von  den  schwanken- 
den und  formlosen  niederen  Vorstellungen  des  Göttlichen  zu  den  ausgebildeten 
Göttergestalten  bleibt  dunkel.  Golthers  Nachzeichnung  des  germanischen  Gottes- 
begriffs muss  da  auch  mehr  den  Abstand  feststellen,  als  einen  Zusammenhang 
zeigen.  Das  ist  nicht  seine  Schuld;  zwischen  der  sogenannten  'niederen  Mythologie' 
und  der  'höheren'  hat  die  Forschung  bisher  keine  recht  gangbaren  Brücken  ge- 
schlagen. Die  vergleichende  Religionsgeschichte  hat  da  auch  nicht  viel  erhellt, 
und  ein  Eingehen  darauf  hätte  einen  überlangen  Exkurs  gefordert. 

In  dem  zweiten  Teile,  der  'zeitgeschichtlichen  Betrachtung',  zeichnet  Golther 
mit  wenigen,  aber  sehr  bedacht  gesetzten  Strichen  die  Züge  nach,  die  die  Gölter- 
gestalten in  unseren  Quellen  haben,  stets  angebend,  w^elcher  Quelle  die  einzelne 
Schilderung  oder  Erzählung  folgt,  und  so  der  populären  Vermischung  des  Nord- 
und  Südgermanischen  und  anderen  Verschwommenheiten  erfolgreich  wehrend.  Auch 
die  kurzen  kritischen  Bemerkungen  leiten  den  Leser  zum  Scheiden  an  zwischen 
Jungem  und  Altem,  Religiösem  und  rein  Novellistischem.  Christliche  Einschläge 
werden  in  ziemlichem  Umfange,  wenn  auch  meist  mit  einem  'wahrscheinlich'  an- 
gesetzt. Sieht  mancher  Leser  so  ein  mitgebrachtes  reiches  Phantasiebild  in 
heterogene  Einzelzüge  zerfallen,  so  wird  er  dafür  das  befriedigende  Gefühl  haben. 
Wissenschaft  für  Dichtung  einzutauschen.  —  Im  ganzen  ein  klares,  geschmack- 
volles, besonnenes  Buch,  dem  der  Verleger,  abgesehen  von  der  steifen  Deckel- 
zeichnung, eine  musterhafte  Ausstattung  gegeben  hat. 

Berlin.  Heinrich   Lohre. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  1.  8 


j]4.  Lohre: 

Bürgers  Gedichte,  herausgegeben  und  mit  einem  Lebensbilde  versehen 
von  Ernst  Consentius.  Berlin.  Bong  &  Co.  (1909).  Zwei  Teile  in 
einem  Bande.    CXXXII,  248.  367  S.    2  Mk. 

A.  W.  Schlegels  schönes  Wort,  Bürger  habe  sich  mit  der  Lenore  'der  Volks- 
poesie, wie  der  Doge  von  Venedig  dem  Meere,  für  immer  angetraut',  ist  von  der 
o-elehrten  Forschung  erhärtet,  doch  nicht  auf  die  Lenore  beschränkt  worden.  Wer 
diesen  Beziehungen  nachfragt,  findet  in  den  Anmerkungen  der  vorliegenden  neuen 
Bürgerausgabe  die  Hilfsmittel  zu  wissenschaftlichem  Eindringen  aufs  bequemste 
zusammengestellt:  die  Quellenangaben,  die  wichtigste  Literatur  zur  Stoffgeschichte, 
spätere  Bearbeitungen  der  gleichen  volksmässigen  Grundlagen,  Jahrmarktsdrucke 
Bürgerscher  Gedichte.  Es  dürfte  auch  Lesern  dieser  Zeitschrift  neu  sein,  dass 
etwa  der  'Bruder  Graurock'  auf  einem  fliegenden  Blatte  mit  der  Melodie  von 
Schubarts  'Auf,  auf,  ihr  Brüder  und  seid  stark'  verbreitet  wurde,  die  Lenore  um 
18o5  zusammen  mit  'Sie  sollen  ihn  nicht  haben'  und  'Was  ist  des  Deutschen 
Vaterland'  als  'drei  neue  Lieder',  mit  grobem  Holzschnitte  geschmückt,  umlief. 
Selten  wünscht  man  diesen  reichen  Nachweisen  einen  Zusatz,  wie  etwa  bei  'Graf 
Walter'  den  Hinweis  auf  R.  Köhlers  Griscldis-Artikel  (Kl.  Schriften  2,  501)  oder 
eine  genauere  Kennzeichnung  der  aus  vielen  Quellen  gespeisten  englischen  Vor- 
lage des  'Bruder  Graurock'.  Aber  nicht  nur  für  die  Beziehungen  zur  Volkspoesie, 
sondern  beinahe  für  jede  wissenschaftliche  Frage,  die  man  den  Bürgerschen 
Gedichten  anschliessen  kann,  legen  diese  stofl'reichen  und  exakten  Anmerkungen, 
der  gelehrteste  Bestandteil  der  Ausgabe,  das  Handwerkszeug  bereit;  sie  ver- 
zeichnen z.  B.  die  vorhandenen  Drucke  und  handschriftlichen  Grundlagen  voll- 
ständig. Ein  Namensverzeichnis  macht  das  Material  der  Anmerkungen  und  der 
Einleitung  noch  bequemer  für  vielerlei  Zwecke  verwertbar.  Nur  eines  wünschte 
ich  diesen  Erläuterungen:  dass  Consentius  den  mit  Recht  viel  befragten  Nach- 
schlagewerken des  1<S.  Jahrhunderts  im  einzelnen  beherztere  Kritik  entgegen- 
gebracht hätte;  nicht  alle  Worterklärungen  bei  Adelung  halten  die  Probe,  und 
Nehrings  'Historisch-politisches  Lexikon'  erweckt  nicht  das  beste  Zutrauen,  wenn 
es  uns  belehren  will:  'Das  Paternoster  —  ein  Rosenkranz'  (2,  273).  Im  text- 
lichen Teile  bietet  uns  Consentius  die  zurzeit  vollständigste  Sammlung  Bürgerscher 
Gedichte,  denn  er  hat  alles  aufgenommen,  was  zerstreut  in  Zeitschriften  oder 
selbst  in  den  Katalogen  der  Autographenhändler  aufgetaucht  ist.  Ein  ansprechender 
Gedanke  war  es  auch,  die  Massen  dieser  'Nachlese'  möglichst  in  der  gleichen 
Ordnung  zu  bieten,  die  Bürger  in  der  Ausgabe  letzter  Hand  befolgt  hat.  Ein  vor- 
angestelltes, 127  S.  umfassendes  Lebensbild  ist  mit  Kenntnis  und  Urteil  ge- 
schrieben; dem  leidenschaftlichen  Helden  tritt  eine  vollendete  wissenschaftliche 
Ruhe  des  Betrachters  gegenüber,  die  doch  nicht  trocken  wird,  und  dem  Viel- 
geschmähten jedenfalls  die  äusserste  Gerechtigkeit  garantiert.  Auszuzeichnen  ist 
die  Behandlung  von  Schillers  Bürgerrezension,  jenes  scharfen  Angriffs,  der  Bürger 
das  Zeug  zum  Volksdichter  schlechthin  absprach;  Consentius  zeigt  gut,  worin  das 
für  den  Augenblick  Frappierende  der  Schillerschen  Ausführungen  liegt,  und  dass 
es  ruhiger,  objektsnaher  Prüfung  nicht  standhält.  Vielleicht  wäre  hier  noch  er- 
wähnenswert gewesen,  dass  Schiller  in  der  'Naiven  und  scntimentalischen  Dichtung' 
doch  eine  gewisse  Ptchabilitierung  Bürgers  brachte.  Die  neuere  Bürgerliteratur  bis 
1H08  ist  verwertet  und  in  umsichtiger  Auswahl  verzeichnet  (doch  warum  wird  zu 
den  Macbethfragmenten  nicht  Köster  'Schiller  als  Dramaturg'  genannt?).  —  Im 
ganzen  ist  eine  ungemein  gewissenhafte  und  fleissige  Editionsarbeit  für  diese  äusserst 
wohlfeile  Ausgabe  geleistet. 

Berlin.  Heinrich  Lohre. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  n^ 

Walther  Hofstaetter,  Das  Deutsche  Museum  (177G— 1788)  und  das  Neue 
Deutsche  Museum  (1789  —  1791),  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen 
Zeitschriften  im  18.  Jahrhundert.  (Kösters  'Probefahrten'  12).  Leipzig, 
R.  Yoigtländer,  1908.    IX,  237  S.    8\ 

Zeitschriften,  die  wie  Boies  Deutsches  Museum  mit  einem  reichen  Programm 
und  unter  weitherziger  Leitung  erscheinen,    sind  vorzügliche  Zeitspiegel:    nirgend 
erfasst    man    die  Bewegung    in    der   geistigen  Mittelschicht    einer  Epoche  sicherer 
und    lebendiger    als    hier.      Von    den    langen    Bändereihen     solcher    Zeitschriften 
sichtend  und  referierend  ein  verkleinertes  Abbild  zu  geben,  wäre  schon  eine  nütz- 
liche Arbeit.     Hofstaetter   hat    sie    mit    bündigen    und   geschickten    Analysen,    die 
einzelnen  Beiträge    zu    stofflichen  Gruppen  zusammenfassend,   geleistet,    aber  sich 
damit  nicht  begnügt.     Er  erläutert  auch  die  Beiträge  aus   einer  weiteren  Kenntnis 
der  Literatur    und    der  Zeitgeschichte,   ohne  Breite,    mit  kurzen  Hinweisen.     Aber 
das  'Museum'    interessiert    ihn  nicht  nur  als  Zeitspiegel.      Boies  Zusammenwirken 
mit  Dohm  und  die  fortschreitende  Entfremdung  der  beiden,   auch  Boies  Verhalten 
zu  den  anderen  Mitarbeitern  im  einzelnen  untersuchend,    gewinnt    er  Material  für 
die  Beurteilung    von    Boies  Charakter    und    seiner    Fähigkeiten    als  Kritiker.      Es 
ergibt  sich  da  freilich  nichts  wesentlich  Neues,    das  Bekannte  wird   nur  zum  Teil 
von  neuen  Lichtquellen  aus  beleuchtet.    Geschickter  als  Boie  in  allem  Redaktionell- 
Technischen  war  unstreitig  Dohm;    die  Blütezeit  des    'Museums'    ist  die  Zeit,    da 
er  neben  Boie  als  gleichberechtigter  Herausgeber  wirken  kann.     In  diesen  Jahren 
(1776  bis  Juli  177.S)  trägt  das  Museum  den  Charakter    einer  umfassenden  Revue; 
es  geht  auf   fast   alle  Gebiete  geistiger  Arbeit  ein,  die  Politik,    soweit  die  Zensur 
es  erlaubt,  keineswegs  ausschliessend.     Lieblingsthemata    der  Zeit  nehmen  breiten 
Raum  ein:    die  Abschaffung  der  Todesstrafe,  Sokrates  und  Christus,  Schulreformen. 
Mit  dem  Rücktritte  Dohms  gleitet  das  'Museum'  mählich  in  die  gewohnten  Gleise 
ästhetisch-literarischer  Zeitschriften  ein,  von  1784  an  sinkt  es  unaufhaltsam.    Boies 
engere  Interessen,  seine  zu  grosse  Konnivenz  gegen  unfähige,  aber  persönlich  be- 
kannte, und  seine  gelegentliche  Pedanterie  gegen  fähige,  aber  eigenwüchsige  Mit- 
arbeiter waren  daran  schuld.     Über  diese  ganze  innere  Geschichte  des  'Museums' 
unterrichtet  Hofstaetter  ausführlich  und  kaum  minder  eingehend  über  die  äussere: 
die  Gründung,    die  Mitarbeiter,    die  Honorare  und    die    anfangs    ganz    ansehnliche 
Verbreitung. 

Das  'Deutsche  Museum'  schürte  mehrfach  das  damals  wieder  aufkeimende 
Interesse  an  altdeutscher  Literatur,  Volkspoesie  und  Volkssitten.  Zu  den  von  dem 
Referenten  früher  ausführlich  behandelten  Beiträgen  über  Volksdichtung  fügt  Hof- 
staetter hier  den  Hinweis  auf  ein  paar  die  Volkskunde  streifende  Berichte  über 
deutsche  Städte  und  die  Eigenart  ihrer  Bewohner,  über  Volkssitten  in  Paraguay, 
und  lenkt  die  Aufmerksamkeit  auf  Niebuhrs  Berichte  über  allerlei  Kulturhistorisches 
und  Ethnologisches  aus  dem  Orient  (S.  197;  vgl.  174,  192,  199).  Es  bergen  die 
Zeitschriften  dieser  Zeit,  die  bei  ihrer  Verkehrsarmut  sich  so  gern  an  Reise- 
beschreibungen ergötzte,  gewiss  noch  manche  volkskundlich  interessante  Notiz; 
freilich  gehörte  eine  eigene  Gabe  des  Schnelllesens  dazu,  das  Brauchbare  aus 
einem  Meere  von  Schwatzhaftigkeit  herauszuholen. 

Berlin.  Heinrich  Lohre. 


116  Meyer.  Michel: 

Otto  Pfleiderer,  Reden  und  Aufsätze.  München,  J.  F.  Lehmanns  Verlag, 
1909.    ¥11^242  S.    4  Mk. 

Für  diese  neun  A'^ortriige  ist  es  bezeichnend,  dass  sie  einerseits  das  "Wesen 
der  deutschen  Nation  vorzugsweise  aus  der  Eigenart  ihrer  grossen  Männer  zu  ver- 
stehen, andererseits  das  Wesen  dieser  Heroen  vorzugsweise  aus  der  Eigenart  ihrer 
Nationalität  zu  erklären  suchen.  Gewiss  werden  für  den  „deutschen  Volks- 
charakter im  Spiegel  der  Religion"  (S.  7  f.)  oder  für  das  „deutsche  National- 
bewusstsein  in  Vergangenheit  und  Gegenwart"  (S.  (J-Sf.)  auch  breitere  Grund- 
lagen des  Verständnisses  aufgesucht,  und  für  Luther  (S.  116  f.),  Bismarck  (S.  95f.), 
Goethe  (S.  145 f.),  Schiller  (S.  173)  auch  individuellere  Momente  angeschlagen; 
vor  allem  ist  es  doch  aber  immer  jener  Weg  gegenseitiger  Aufhellung,  den  der 
berühmte  Religionsphilosoph  beschreitet.  Ein  gewisser  circulus  vitiosus  ist  dabei 
nicht  zu  vermeiden:  der  Heros  erscheint  als  deutsch,  soweit  er  die  Eigenschaften 
hat,  die  er  in  der  Nation  als  herrschend  erweisen  soll,  und  die  Nation  wird  dann 
wieder  durch  Tugenden  Luthers,  Bismarcks,  Goethes  charakterisiert.  Dennoch  ist 
diese  Methode  erfolgreich,  wo  sie  durch  reichere  Belege  gestützt  wird,  wie  in 
dem  Aufsatz  über  das  Nationalbewusstsein;  kann  freilich  auch  dann,  wie  in  dem 
grossen  ersten  Aufsatz,  leicht  zur  Überwertung  solcher  Züge  führen,  die  keines- 
wegs den  Deutschen  allein  eigen  sind.  Aber  der  frische  und  patriotische  Geist 
des  schwäbischen  Preussenfreundes  erfüllt  auch  solche  Annahmen  mit  Leben 
und  gestaltet  sogar  den  bei  dem  freisinnigen  Verfechter  der  wissenschaftlichen 
Theologie  (S.  202  f.)  und  ihrer  Verbindung  mit  der  Geschichtswissenschaft  (S.  222) 
befremdlichen  ewigen  Kriegsruf  (S.  50  f.)  zu  einem  rhetorisch  wirksamen  Dokument. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Arnold  van  Genuep,  Religions,  moeurs  et  legendes.  Essais  d'ethnographie 
et  de  liuguistique  (Deuxieme  serie).  Paris,  Mercure  de  France.  1909. 
318  S.    3,50  Frcs. 

A.  van  Gennep  ist  ein  Hauptvertreter  der  'ethnologischen  oder  soziologischen 
Schule',  und  auf  die  historische  Methode  (S.  31)  und  die  Historiker  (S.  50)  ist  er 
nicht  gut  zu  sprechen.  Auch  wird  man  ihm  gewiss  zugestehen  müssen,  dass  die 
vergleichende  Kulturgeschichte  ihre  eigene  Methode  erfordert  und  dass  in  dieser 
die  Hauptsache,  das  Auffinden  der  vergleichbaren  Momente,  eines  eigenen  Taktes 
bedarf.  Hierin  liegt  ohne  Zweifel  auch  die  Stärke  des  Verf.,  und  so  ist  er  etwa 
vor  den  Rückfällen  in  die  Methodelosigkeit  astraler  Interpretation  (S.  138f.)  ge- 
schützt, die  uns  jetzt  von  andern  Ethnologen,  wie  Ehrenreich,  so  eifrig  angepriesen 
wird. 

Eine  besondere  Schwierigkeit  auf  diesem  Forschungsgebiet  liegt  in  der  oft 
vagen  Anwendung  von  Kunstausdrücken.  Diese  verfolgt  v.  G.  mit  besonderer 
Strenge;  aber  wenn  er  Missbräuche  des  Terminus  'Schamanismus'  (S.  91)  mit 
Recht  verfolgt,  weiss  er  für  Tabu,  Totem  usw.  in  dem  umfangreichen  Aufsatz 
(S.  15 f.;  vgl.  besonders  S.  56)  doch  nur  durch  anfechtbare  eigene  Definitionen  zu 
helfen.  Und  auch  das  muss  uns  arme  Historiker  und  Philologen  ängstlich  machen, 
wenn  es  sich  von  selbst  zu  verstehen  scheint,  dass  Schriften  von  1903  bereits  1909 
veraltet  sind  (S.  26). 

Der  Verf.  entschuldigt  sich  (S.  8)  wegen  der  Anmerkungen,  was  doch  kaum 
nötig  erscheint.  Sie  beweisen  eine  erstaunliche  Belcsenheit  in  der  eigentlich 
ethnographischen  Literatur,    freilich    auch    sonderbare  Lücken,    wo    diese    aufhört. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  1]7 

Zur  Eunenlehre  kennt  v.  G.  wohl  die  wertlose  Schrift  von  Wilser,  sonst  aber 
keine  neuere  deutsche  Untersuchung  ausser  der  von  Losch;  weder  Lufft  noch 
Hempl  oder  mich;  und  wenn  zur  Religion  des  römischen  Haeres  v.  Domaszewski 
(S.  9  f.)  nicht  zitiert  wird,  kann  ich  mich  nicht  wundern,  in  dem  Essai  über  die 
Sondersprachen  (S.  285  f.)  meine  umfängliche  Studie  in  den  Indogermanischen 
Forschungen  nicht  erwähnt  zu  sehen.  Bedenklicher  ■  ist,  was  alles  die  Unter- 
suchune  über  die  'Heiligkeit'  (S.  115 f.)  nicht  berücksichtigt  —  übrigens  eine  sehr 
anregende,  an  die  Jungfrau  von  Orleans  anschliessende  Studie.  Der  Verf.  weiss 
auch  sonst  an  neue  Fragen  anzuknüpfen  und  interessiert  sich  für  die  Eiserne 
Maske  (S.  151)  so  gut  wie  für  die  Druiden,  die  er  im  wesentlichen  für  vorkeltisch 
hält  (S.  103—112);  und  eine  feinsinnige  Untersuchung  über  eine  Negerschrift 
(S.  258f.)  oder  über  Konversionen  zum  Islam  (S.  97)  steht  so  allgemeinen  Er- 
örterungen wie  der  ziemlich  pessimistischen  über  den  Kulturfortschritt  '^S.  237  f., 
vgl.  S.  120)  nicht  im  Wege. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 


Rudolf  Kleinpanl,  Die  deutschen  Personennamen.  Ihre  Entstehung  und 
Bedeutung.  Leipzig,  Göschen  1909.  132  S.  kl.  8^  0,80  Mk.  (Sammlung 
Göschen  Nr.  422). 

Die  einzelnen  Bändchen  der  'Sammlung  Göschen'  sind  ihrem  Werte  nach 
sehr  ungleich,  aber  eine  so  vollkommen  verfehlte  Nummer  wie  Kleinpauls  'Peisonen- 
namen'  enthält  sie  sonst  kaum.  Da  die  kleinen  grünen  Bücher  vielfach  von 
Schülern,  Studenten  und  wissbegierigen  Laien  gekauft  und  benutzt  werden,  so  sei 
hier  ausdrücklich  eine  Warnungstafel  errichtet:  der  Verf.  hat  offenbar  von  den 
Schwierigkeiten  der  wissenschaftlichen  Namenforschung  keine  Ahnung  und  fabuliert 
grösstenteils  ins  Blaue  hinein.  Seine  dilettantischen  Deuteleien  können  nur  Ver- 
wirrung stiften.  Dazu  kommt  der  unerträglich  witzelnde  Ton,  in  dem  das  Büchlein 
geschrieben  ist;  gleich  am  Anfang  karikiert  K.  die  Sitte  des  Vorstellens: 
„'von  Bredow,  Leutnant  der  Reserve'.  —  'Lehmann,  dauernd  untauglich'."  Ein 
andermal  heisst  es:  „Philipp,  als  Apostel:  Philippus,  als  Raubmörder:  Lips, 
als  Eulenburg:  Phili,  bedeutet  einen  Pferd ejokel"  (S.  30).  Ahnliche  Scherze  be- 
gegnen zu  Dutzenden.  Man  glaubt  mitunter  eine  Art  wissenschaftlich -unwissen- 
schaftlicher Bierzeitung  zu  lesen. 

Es  wird  jetzt  immer  deutlicher,  dass  die  Parole  für  alle  ernsthafte  Namen- 
forschung vor  der  Hand  lauten  muss:  „Erst  Namengeschichte,  Geschichte  der 
Naraenschöpfung,  und  dann  Namendeutung,  Deutung  des  als  deutbar  Erkannten." 
So  hat  es  Edward  Schröder  in  seiner  Göttinger  Festrede  'Die  deutschen  Personen- 
namen' (1907,  S.  7)  formuliert.  Über  die  Art  und  Weise  der  Sammlung  und  Ver- 
arbeitung des  Materials  mag  man  noch  streiten:  ich  gestehe,  dass  die  urkundlich 
statistische  Methode,  wie  sie  vor  kurzem  Karl  Heinrichs  in  seinen  mit  erstaun- 
licher Zähigkeit  betriebenen  'Studien  über  die  Namengebung  im  Deutschen  seit 
dem  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts'  (Strassburg  1908)  angewandt  hat,  mir  hier 
wie  anderwärts  nicht  die  alleinseligmachende  zu  sein  scheint.  Gleichviel,  jeden- 
falls brauchen  wir  noch  zahlreiche  Voruntersuchungen,  ehe  sich  ein  zusammen- 
fassendes, wissenschaftlich  zulängliches  Buch  über  die  deutschen  Personennamen 
schreiben  lässt. 

Berlin.  Hermann  MicheL 


Hg  Notizen. 


Notizen. 

J.  H.  Alb  er  s,  Festpostille  und  Festchronik.  Aufsätze  und  Vorträge  über  Ursprung, 
Entwicklung  und  Bedeutung  aller  Feste,  Feier-  und  Heiligentage  des  Jahres  nebst  Er- 
klärungen der  damit  verbundenen  Sagen,  Sitten  und  Gebräuche.  2.  vermehrte  und  ver- 
besserte Auflage.  Stuttgart,  C  Ulshöfer  1907.  VIII,  368  S.  6  Mk.  —  Diese  auf  die  Be- 
lehrung, Erheiterung  und  Erbauung  weiter  Kreise  berechnete  Zusammenstellung  macht 
zwar  keine  gelehrten  Ansprüche,  kann  aber  auch  nicht  als  eine  populäre  Wiedergabe  des 
heutigen  Standes  der  Wissenschaft  bezeichnet  werden,  da  der  Vf.  zumeist  aus  den  vergilbten 
Werken  von  Nork,  Alt,  Reinsberg-Düringsfeld  schöpft  und  von  dem,  was  die  Forschung 
der  letzten  30  Jahre  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  und  volkstümlichen  Jahresfeste  ge- 
leistet hat,  keine  Notiz  nimmt.  Es  lohnt  daher  kaum,  auf  Einzelheiten,  veraltete  mytho- 
logische Anschauungen,  das  über  die  Entstehung  des  Weihuachtsfestes  Vorgetragene  oder 
Versehen  wie  S.  47  (Clara  Hätzlerin)  und  5)3  (Hospinian)  besonders  hinzuweisen. 

G,  Amalfi,  Museo  etnografico  italiauo.  Napoli,  Gennaro  M.  Priore  1909.  15  S.  — 
Berichtet  über  das  von  den  Dr.  Loria  und  Mori  mit  Beihilfe  des  Grafen  Bastogi  in 
Florenz  gegründete  volkskundliche  Museum,  das  bereits  2000  Nummern  zählt,  und  macht 
aufmerksam  auf  die  weitschichtige  Sammelarbeit,  die  für  die  Erkenntnis  der  Sitten  und 
Besonderheiten  des  italischen  Volkes  noch  zu  leisten  ist. 

H.  Bourgeois,  Ethnographie  europeenne.  Bruxelles  1909.  45  S.  (aus:  Bulletin  de 
la  societe-  royale  beige  de  geographie). 

ßrage:  Arsskrift  3,  utgiven  av  föreningen  Brage  1908  (Helsingfors  1909.  211  S.).  — 
Der  zunächst  zur  Förderung  des  schwedischen  Volksgesanges  in  Finnland  gegründete 
Verein  Brage  hat  jetzt  seine  Wirksamkeit  auf  die  Erforschung  und  Pflege  des  gesamten 
schwedischen  Volkstums  ausgedehnt  und  sowohl  durch  Gesangaufführungen,  als  durch 
wissenschaftliche  Aufsätze  in  seinem  Jahrbuche  diesem  Ziele  nachgestrebt.  So  gibt  sein 
rühriger  Vorsitzender  0.  Andersson  auf  S.  145  seine  in  Berlin  gehaltenen  deutschen 
Vorträge  über  schwedische  Volkslieder  und  Volkstänze  in  Finnland  (vgl.  oben  18,  350), 
S.  3G  die  zahlreichen  Varianten  der  schwedischen  Fackeltanzweise,  S.  196  ein  verbreitetes 
Wiegenlied,  das  den  Liebhaber  draussen  warnt  (oben  17,  280),  und  ein  Begräbnislied;  er 
weist  die  Übereinstimmung  einer  Melodie  aus  Nyland  mit  einer  brasilianischen  nach  und 
berichtet  S.  91  über  die  Einrichtung  der  Phonogramm -Archive  in  Berlin  und  Wien. 
K.  J.  Fagerström  teilt  S.  106  Tanzweisen  aus  Lojo  mit,  J.  Tenggren  handelt  S.  85  über 
Volkstrachten,  G.  Landtman  S.  55  über  Volksglauben  in  Nyland,  H.  Sommarström 
S.  101  über  die  Ortsnamen  Skamkulla  und  Nyvärva.  Endlich  hat  der  Verein  eine  über- 
sichtliche Anleitung  zur  Sammlung  von  Volksüberlieferungen  ausgearbeitet  (S.  129). 

0.  Dähnhardt,  Heimatklänge  aus  deutschen  Gauen  ausgewählt  1:  Aus  Marsch  und 
Heide.  Mit  Buchschmuck  von  R.  Engels.  2.  Auflage.  Leipzig,  Teubner  1910.  XX,  176  S. 
kl.  4°.  geb.  2,60  Mk.  —  Die  für  die  Jugend  und  deren  Lehrer  trefflich  geeignete  Bluten- 
lese niederdeutscher  Dichtungen  in  Vers  und  Prosa  des  19,  Jahrhunderts,  die  bei  ihrem 
ersten  Erscheinen  von  dem  Begründer  dieser  Zeitschrift  (oben  11,  104)  warm  begrüsst 
wurde,  ist  in  der  neuen  Auflage  nur  wenig  verändert  worden.  Möge  sie  die  Freude  am 
Reichtum  der  deutschen  Volksart,  die  Liebe  zur  engeren  und  weiteren  Heimat  auch 
fernerhin  fördern  I 

A.  Freybe,  Das  Memento  mori  in  deutscher  Sitte,  bildlicher  Darstellung  und  Volks- 
glauben, deutscher  Sprache,  Dichtung  und  Seclsorge.  Gotha,  F.  A.  Perthes  1909.  VIII, 
2.')6  S.  4  Mk.  —  Das  Ziel  des  lleissigen  Vf.  ist  offenbar  nicht,  dem  Gelehrten  Neues  zu 
bieten,  obschon  auch  diesem  die  Stoffsammlung  nützen  kann,  sondern  ähnlich  wie  in  seinen 
früheren  Werken  dem  gebildeten  Publikum  die  sinnschweren  und  das  Gemüt  ergreifenden 
Gedanken  vertraut  zu  machen,  die  wir  im  deutschen  Volksglauben,  wie  in  der  mittel- 
alterlichen Dichtung  und  Kunst  über  das  Nahen  des  Todes  niedergelegt  finden.  Einige 
von  den  19  Kapiteln  beschäftigen  sich  mit  der  Sitte,  Sarg  und  Leichenhemd  bei  Lebzeiten 
vorzubereiten  und  dafür  schon  am  Hochzeitstage  zu  sorgen,  andre  mit  der  Gestalt  des 
Todes  in  den  Bildern  der  Altersstufen,  der  Totentänze,  in  Sagen,  Märchen  und  Dichtungen, 


Notizen.  119 

andre  mit  den  in  Grabschriften,  geistlichen  Dichtungen  und  Sterbebüchlein  niedergelegten 
Mahnungen.  Dem  populären  Zwecke  des  Buches  entspricht  die  bisweilen  etwas  breite, 
durch  umfäugliche  Textabdrücke  unterbrocliene  Darstellung,  Dabei  hätte  jedoch  auf  eine 
systematische  oder  chronologische  Entwicklung  und  auf  die  neueren  Forschungen  über  das 
Everymandrauia,  das  noch  immer  Orcagna  zugewiesene  Pisaner  Wandbild,  die  Totentauz- 
dichtungen  u.  a.  mehr  Bedacht  genommen  werden  können. 

Ernst  Friedrich,  Die  Magie  im  französischen  Theater  des  16.  und  17.  Jahrhunderts. 
Leipzig,  A.  Deichert  1908.  XXXVI,  .348  S.  8,60  Mk.  (Münchener  Beiträge  zur  romanischen 
und  englischen  Philologie  41).  —  Kömers  Rostocker  Dissertation  über  den  Aberglauben 
bei  den  Dramatikern  des  16.  Jahrhunderts  in  Frankreich  (1900)  ergänzend,  betrachtet  F., 
wie  die  praktische  Betätigung  des  Aberglaubens,  die  Magie,  auf  der  französischen  Bühne 
bis  1700  dargestellt  wird,  und  zieht  einen  erheblich  grösseren  Kreis  von  Dramen  als  R. 
heran,  welche  Liebeszauber,  Wahrsagung,  Geistererscheinungen,  Verwandlungen  teils  als 
reale  Dinge,  teils  als  schwindelhafte  Veranstaltungen  vorführen.  Die  Untersuchung  ist 
sorosam  und  übersichtlich  gehalten  und  wird  eingeleitet  durch  eine  lehrreiche  Übersicht 
(S.  10—76)  über  die  gleichzeitigen  Traktate  über  Aberglauben  und  Zauberei  und  über  die 
Massregeln,  welche  die  geistlichen  und  weltlichen  Behörden  dagegen  anordneten.  Es 
kann  indes  nicht  verschwiegen  werden,  dass  die  mit  guter  Methode  angelegte,  dankens- 
werte Arbeit  weit  mehr  der  Literaturgeschichte  und  Kulturhistorie  zugute  kommt  als  der 
Volkskunde.  Denn  wenngleich  der  Geisterspuk  und  die  Charlatanerie  in  den  Komödien 
für  den  Aberglauben  der  Zeit  und  die  Vorliebe  des  Theaterpublikums  für  gruselige 
Szenen  zeugt  und  wir  über  Wünschelruten,  durchstochene  Wachsbilder,  Liebestränke, 
Nestelknüpfen,  Spiritus  familiaris  einiges  erfahren,  so  mischt  sich  doch  zumeist  literarischer 
Einfluss  ausländischer  Vorbilder  ein:  der  Zaubrer  Ismeno  aus  Tassos  Befreitem  Jerusalem, 
der  Negromant  aus  Ariosts  Komödie,  die  Feen  aus  dem  Orlando  desselben  Dichters  und 
aus  italienischen  Schäferspielen,  Zauberspuk  aus  dem  Amadis,  der  Astree,  Verwandlungen 
aus  Ovid  u.  a.  Für  den  französischen  Volksglauben  erhalten  wir  aus  Prozessakten  und 
aus  der  bei  Nisard  und  Sebillot  berücksichtigten  niederen  Literatur,  dem  Evangile  des 
quenouilles,  den  Kalendern,  dem  Leben  des  Herzogs  von  Luxemburg,  selbst  aus  Cjrano 
und  Perrault  (oben  14,  413.  17,  452)  unzweideutigere  Zeugnisse.  Dass  S.  3  die  Erklärung 
der  Geomantie  und  S,  6  die  'legendäre  Persönlichkeit  des  Doktor  Faust'  einer  Korrektur 
bedarf,  sei  nur  nebenher  angemerkt. 

A.  Gebhardt,  Nürnberger  Wahrzeichen  und  ähnliche  Bildwerke  (Nordbayerische 
Zeitung  1909,  13.  April,  nr.  85). 

E.  Heidrich,  Die  altdeutsche  Malerei.  200  Nachbildungen  mit  geschichtlicher 
Einführung  und  Erläuterungen.  1.— 30.  Tausend.  Jena,  E.  Diederichs  1909.  276  S.  gr. 
8".  geb.  4,50  Mk.  —  Der  stattliche,  200  gut  ausgeführte  Vollbilder,  Einleitung  und  Er- 
läuterungen zu  den  Bildern  enthaltende  Band  gehört  zu  einem  auf  25  Teile  berechneten 
Unternehmen  'Die  Kunst  in  Bildern',  mit  welchem  der  Diederichssche  Verlag  einen  neuen 
Weg  kunstgescbichtlicher  Belehrung  und  Erziehung  einschlägt.  Eine  Reihe  charakteristischer 
Bilder  in  handlichem  und  doch  zumeist  genügend  grossem  Format  führt  uns  die  deutschen 
Meister  des  15.  und  des  angehenden  16.  Jahrhunderts  selber  vor;  dazu  geben  die  Er- 
läuterungen biographische  und  sachliche  Nachweise,  während  die  Einführung  den  Nach- 
druck auf  den  Geist  der  ganzen  Epoche  legt  und  die  landschaftliche  und  zeitliche 
Gruppierung  der  Künstler  durch  eine  Tabelle  veranschaulicht.  Auf  den  erstaunlich 
billigen  Preis  sei  besonders  hingewiesen. 

H.  W.  Heuvel,  Volksgeloof  en  volksleven.  Zutphen,  \Y.  J.  Thieme  &  Cie.  [1909.] 
448  S.  2,75  tl.  —  In  dem  umfangreichen  Buche  können  wir  leider  keine  eigentliche 
niederländische  Volkskunde  begrüssen,  sondern  nur  einen  Versuch,  durch  eine  aus  aus- 
gedehnter Lektüre  geschöpfte  Zusammenstellung  germanischer  und  antiker  Vorstellungen 
und  Bräuche  bei  einem  grösseren  Publikum  Interesse  und  Verständnis  für  die  junge 
Wissenschaft  zu  wecken.  Der  I.Teil  (S.  4— 243)  bespricht  den  Volksglauben  vom  Geister- 
und Götterglauben  an  bis  zur  Volksmedizin,  Wahrsagung,  Telepathie,  Hypnose  und  zum 
Spiritismus,  uro  daran  eine  hübsche  Würdigung  dieses  Glaubens  gegenüber  der  natur- 
wissenschaftlichen Erkenntnis  anzuknüpfen;  der  zweite  handelt  über  die  Staramgeschichte, 


120  Notizen. 

das  friesische  und  sächsische  Haus  (mit  guten  Abbildungen),  die  Familie,  Beschäftigungen, 
Belustigungen,  Charakter  der  Bauern,  die  Handwerker  und  das  fahrende  Volk,  endlich 
Hochzeit,  Kinderzucht,  Begräbnis.  Auf  Kirche  und  Schule,  Volksdichtung  und  Sprache 
einzugehen,  mangelte  der  Raum.  Bedauerlicherweise  hat  der  Vf.  auf  Quellenangaben,  die 
durch  eine  unzureichende  Liste  von  Buchtiteln  auf  S.  443  nicht  ersetzt  werden,  verzichtet 
und  namentlich  im  ersten  Teile  eine  deutliche  Scheidung  der  Länder  und  Zeiten  ver- 
absäumt, so  dass  man  oft  nicht  weiss,  ob  ein  abergläubischer  Zug  oder  ein  Brauch  für 
das  heutige  Holland  gilt  oder  für  eine  frühere  Periode  oder  für  Deutschland,  England, 
Skandinavien  usw.  Auch  ein  Register  fehlt.  Eine  Beschränkung  nach  Art  von  E.  H.  Meyers 
badischem  Volksieben,  Wuttkes  Aberglauben  oder  Sebillots  Folklore  wäre  verdienstlicher 
gewesen.  Trotzdem  und  trotz  verschiedener  Versehen  vermag  das  Werk  vielleicht  doch 
Nutzen  zu  stiften. 

Joh.  Phil.  Glock,  Breisgauer  Volksspiegel,  eine  Sammlung  volkstümlicher  Sprich- 
wörter, Redensarten,  Schwanke,  Lieder  und  Bräuche  in  oberalemannischer  Mundart,  ein 
Beitrag  zur  badischen  Volkskunde.  Lahr,  M.  Schauenburg  1909.  XIV,  182  S.  1,60  Mk.  — 
Der  Vf.,  der  schon  1897  eine  hübsche  Lese  von  Liedern  und  Sprüchen  aus  dem  Elsenztal 
herausgab,  tischt  uns  hier  allerlei  auf,  was  er  zu  Wolfenweiler  bei  Freiburg  in  lang- 
jährigem, vertraulichem  Verkehr  mit  seinen  Pfarrkinderu  erlauscht  hat:  einige  Dorfbilder 
in  der  anheimelnden  oberaleraannischen  Mundart,  ferner  1015  Sprichwörter,  53  Schwanke, 
dl)  volkstümliche  Lieder,  nebst  verschiedenen  Kinderreimen,  Schlätterliversen,  Orts- 
neckereien und  neuen  Dichtungen  eines  Dorfpoeten  (W.  Fotteler),  endlich  die  Beschreibung 
zweier  Frühlingsbräuche,  des  Scheibenschlagens  am  Funkensonntag  und  des  Pfingstreitens 
in  Sankt  Georgen.  Einer  weiteren  Sammlung  von  Volksliedern  aus  dem  Breisgau,  die 
Glock  vorbereitet,  sehen  wir  nach  dieser  beifallswerten  Leistung  mit  gutem  Vertrauen 
entgegen. 

A.  Götze,  Volkskundliches  bei  Luther,  ein  Vortrag.  Weimar,  H.  Böhlaus  Nachf. 
1909.  35  S.  1  Mk.  —  Einer  Anregung  Mogks  folgend,  durchmustert  ein  gelehrter  Kenner 
der  Reformationszeit  und  Mitarbeiter  der  Weimarischen  Lutherausgabe  des  Reformators 
Schriften  und  Briefe  auf  die  Erwähnung  von  Volkssitten.  Er  zeigt  hübsch,  wie  treu 
Luther  die  Sprichwörter,  Reime  und  Fabeln  des  Volkes  im  Gedächtnis  behält  (1527  zitiert 
er  das  Märchen  vom  tapfren  Schneiderlein),  wie  er  den  Aberglauben  seiner  Zeit  vielfach 
bezeugt  (Donnerkeile  =  ßelemniten,  Wetterläuten.  Anfang  des  Johannesevangeliums, 
Krokodilstränen,  Zauberspiegel),  wie  er  mit  offnem  und  fröhlichem  Sinne  auf  Hochzeits- 
bräuche, Kinderspiele  (s.  oben  19,  385),  Handwerkersitten,  Volksfeste,  Rechtsbräuche  acht- 
gibt und  uns  durch  solche  gelegentliche,  in  oft  fernab  liegende  .Ausführungen  eingestreute 
Erwähnung  wertvolle  Einblicke  in  das  Volkstum  seiner  Zeit  gewährt. 

A.  Haas  und  Fr.  Worm,  Die  Halbinsel  Mönchgut  und  ihre  Bewohner.  Mit 
16  Bildern.  Stettin,  J.  Burmeister  1909.  VII,  116  S.  2  Mk.  —  Wenn  früher  die  Bewohner 
der  1295  an  das  Cisterzienserkloster  Eldena  gefallenen  und  mit  westfälischen  Kolonisten 
besiedelten  Halbinsel  Mönchgut  sich  von  den  übrigen  Rügenern  merklich  unterschieden, 
so  ist  ihre  Eigenart  neuerdings  besonders  durch  den  Verkehr  mit  den  Badegästen  in 
Göhren  und  andern  Dörfern  sehr  geschwunden.  Haas,  der  schon  1905  ein  Stettiner  Schul- 
programm 'Volkskundliches  von  Mönchgut'  veröffentlichte,  tat  daher  sehr  recht  daran,  in 
einer  Monographie  die  charakteristischen  Züge  dieses  Stückchens  Erde  festzuhalten.  Aus 
älterer  Literatur  und  sorgsamer  eigener  Beobachtung  schöpfend  und  von  dem  Mönch- 
guter Lehrer  Worm  unterstützt,  schildert  er  nach  einer  geographischen  und  historischen 
Einleitung  Haus,  Tracht,  Stamraesart,  Sprache,  Aberglauben,  Brauch  und  Sagen  der 
Mönchguter.  Ich  hebe  beispielsweise  die  Abbildung  des  letzten,  1888  abgebrochenen 
Rauchhauses  hervor,  die  Lieder  und  Rätsel,  den  von  der  Volksphantasie  fortwährend  neu 
gestalteten  Aberglauben,  das  Laken  als  Trauertracht,  die  Schilderung  der  Hochzeit,  die 
durch  Wilh.  Müller  besungene  blaue  Schürze  vor  der  Tür  heiratslustiger  Mädchen  und  die 
Sagen  von  den  'witten  Wiwern',  unterirdischen  Wesen,  die  vom  wilden  Jäger  gejagt 
werden. 

A.  Hellwig,  Der  Hexenmord  zu  Forchheim  |189(;j.  (Pitaval  der  Gegenwart  5,  170 
bis  195.    Tübingen,  Mohr  1909). 


Notizen.  121 

Innviertler  Heimatkalonder  auf  das  Jahr  1910.  Ried.  H.  Mittermann.  100  S.  — 
Enthält  u.  a.  F.  Berger,  Bauernregeln;  Heimatkunde;  Trachtenfest  zu  Taufkirchen. 
H.  V.  Preen,  Bauernhausverzierungen.  A.  Bin  na,  Die  Bauernhochzeit.  W.  Mayer, 
Napoleonlieder.     F.  Holzinger,  Adam-  und  Eva-spiel.     Sagen. 

V.  Kirchner,  Die  Gedenkmünzen  des  Benshäuser  Heimatsmuseums  (Thüringer 
Warte  1009,  Beilage  277.  279.  285.  297.   1910,  Beil.  1.   Suhl). 

Joseph  Klein,  Deutsche  Sprüche  für  Inschriften,  gesammelt.  Köln,  Ph.  Gehly 
[1909].  G4  S.  1  Mk.  —  Für  praktische  Zwecke  bietet  der  selbst  dichtende  Sammler  eine 
grosse  Reihe  von  Wirtshaus-,  Trink-,  Wohnhaus-  und  Grabsprüchen  und  Kunterbunt. 
Manches  ist  echt  volkstümlich  und  kernig,  vieles  aber  auch  platte  Reimerei  jüngster 
Mache. 

Aaoygaqia,  öeXxiov  rfjg  eD.rjvixfj?  ?.aoyoa()HH>~]g  haigeiag  y.arä  Tgifi)]vi'ar  iy.öiÖoaevor, 
Touo;  A',  Tev/_o;  B  y.al  F' .  Athen,  P.  D.  Sakellarios  1909.  S.  169— 4G0.  —  Die  weiteren 
Hefte  der  oben  19,  466  angezeigten  Zeitschrift  enthalten:  Lieder  über  Digenis  Akritas,  ge- 
sammelt von  N.  G.  Politis  und  M.  D.  Chabiaras,  Volkskundliches  aus  Bamos  auf  Kreta 
von  Ph.  Kukule  (Liebeslieder,  Sprichwörter,  Lexikographisches),  Hochzeitsbräuche  in 
Leukas  von  E.  G.  Politis,  vier  Tiermärchen  aus  Paträ  von  Gh.  P.  Koryllos  mit 
Anmerkungen  von  N.  G.  Politis,  zwei  Sagen  von  J.  P.  Stamatulis,  zwei  Schwanke 
(/uio£?Jdeg)  aus  Epirus  von  A.  Traulantonis;  dann  eine  Übersicht  über  die  in 
griechischen  Zeitschriften  veröffentlichten  Artikel  zur  Volkskunde,  kleine  Mitteilungen 
und  Bücheranzeigen. 

K.  Lohmeyer,  Bearbeitung  von  Birkenfelder  Kirchenbüchern,  Teil  1 :  Die  geschicht- 
lichen, kultur-  und  volkskundlichen  Beziehungen.  Birkenfeld-Nahe,  F.  Filimann  1909. 
123  S.  1,50  Mk.  —  Die  seit  1568  vorhandenen  Kirchenbücher  von  Birkenfeld,  welche  der 
Vf.  durchgearbeitet  hat,  enthalten  manches  für  uns  Interessante:  das  'Radscheiben'  zur 
Fastnacht  1577,  die  Strafe  des  Steintragens,  allerlei  Hexenglauben  (Brauchen,  Sieb- 
drehen) u.  a. ,  was  durch  Vergleichung  andrer  Nachrichten  zutreffend  erläutert  wird. 
S.  100  erscheint  die  bereits  oben  19,  28(5  mitgeteilte  Sage  vom  Traum  von  der  Brücke, 
S.  19  Votivgaben,  S.  43  Glockeninschriften,  S.  117  Hausfassadenschmuck.  Besonders  dient 
das  Büchlein  natürlich  der  Lokalgeschichte  und  Heimatkunde. 

R.  Magnanelli,  Canti  narrativi  religiosi  del  popolo  italiano  novamente  raccolti  e 
comparati,  parte  prima.  Roma,  E.  Loescher  &  co.  1909.  207  S.  4L.  —  Wenig  berücksichtigt 
wurden  bei  der  Betrachtung  der  italienischen  Volkspoesie  bisher  die  gereimten  Legenden, 
die  wohl  zu  scheiden  sind  von  den  seit  dem  14.  Jahrhundert  verbreiteten  kunstmässigen 
Behandlungen  derselben  Stoffe.  M.  hat  nun  die  in  den  letzten  Dezennien  aus  dem  Volks- 
munde aufgezeichneten,  aber  zumeist  wohl  noch  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammenden 
Lieder  vom  h.  Alexius,  dessen  Legende  im  5.  Jahrhundert  syrisch  aufgezeichnet,  im  10. 
über  Byzanz  nach  Rom  gelangte  (armenisch  oben  19,  368),  von  der  h.  Barbara,  von 
Katharina  von  Alexandria,  von  der  Sünderin  Katharina,  die  durch  den  als  Kavalier  ge- 
kleideten Jesus  bekehrt  ward,  vom  h.  Julian,  der  unwissend  seine  Eltern  erschlug,  und 
von  der  h.  Lucia  von  Syrakus  zusammengestellt  und  den  Abdruck  sämtlicher  Fassungen 
mit  lehrreichen  Untersuchungen  über  die  Geschichte  der  Stoffe  und  die  metrische  Form 
begleitet.  Er  weist  den  bereits  von  Nigra  hervorgehobenen  Unterschied  zwischen  den 
piemontesisch-provenzalischen  Liedern  und  den  mittel-  und  unteritalienischen  auch  hier 
nach  und  zeigt  anderseits,  wie  sich  manche  neue  Motive  in  die  überlieferte  Erzählung- 
eingedrängt haben:  Johannes  Calybita  in  die  Geschichte  des  Alexins,  das  Mädchen  ohne 
Hände  in  die  der  h.  Barbara,  Christophorus,  Schicksalsglaube  und  Teufel  in  die  Julians, 
die  ausgestochenen  Augen  der  keuschen  Jungfrau  in  die  der  h.  Lucia  u.  a.  Durchweg 
tritt  Sachkenntnis  und  Vertrautheit  mit  der  neuesten  hagiographischen  Forschung  in  dem 
anziehenden  Buche  hervor. 

H.  Marzell,  Altbayrische  Volksbotanik  i^Blätter  zur  bayrischen  Volkskunde,  I.Reihe. 
16  S.  —  Beilage  der  Mitt.  u.  Umfragen  z.  bayer.  Volkskunde  1909).  —  Skizze  auf  Grund 
der  Einsendungen,  die  beim  Vf.  nach  einem  öffentlichen  Aufrufe  eingelaufen  sind. 

Hugo  Mayer,  Rüppurr,  ein  Bauern-  und  Industriearbeiterdorf.  Karlsruhe,  G.  Braun 
1909.  Vlir,  87  S,   8".   1,80  Mk.     (Volkswirtschaftliche  Abhandlungen  der  Badischen  Hoch- 


222  Notizen. 

schulen  10.  Band,  (i.  Heft).  —  Der  Verf.  entwirft  mit  knappen,  treffenden  Strichen  das 
Bild  einer  kleinen  Volkswirtschaft  und  versäumt  nicht,  neben  den  rein  wirtschaftlichen 
Verhältnissen  auch  die  sozialen  und  kulturellen  zu  schildern.  Was  dabei  über  Wohnung, 
Ernährung,  Kleidung  u.  dgl.  gesagt  wird,  hat  für  den  Volkskundler  das  gleiche  Interesse 
•wie  für  den  Kationalökonomen.  Das  schon  im  13.  Jahrhundert  nachweisbare  Dorf  Rüppurr 
(Riedburg?)  liegt  V2  Stunde  südlich  von  Karlsruhe.     (H.  Michel.) 

Meinck,  Über  die  Verehrung  der  Sonne  hei  den  Germanen  (Festschrift  zum 
(lOOjährigen  Jubiläum  des  Gymnasiums  zu  Liegnitz  1909  S.  15—41).  —  R.  Mende,  Die 
Tierwelt  im  deutsciieu  und  französischen  Sprichwort  (ebd.  S.  59— 70). 

H.  Messikommer,  Aus  alter  Zeit.  Sitten  und  Gebräuche  im  zürcherischen  Ober- 
lande, ein  Beitrag  zur  Volkskunde.  Zürich,  Art.  Institut  Orell  Füßli  1909.  200  S.  4  Mk.  — 
Seit  etwa  GO  Jahreu  ist  im  Zürcher  Oberlande  eine  grosse  wirtschaftliche  Umwandlung 
eingetreten;  statt  Getreide-  und  Weinbau  treibt  man  Obstbau  und  Viehzucht,  die  Haus- 
weberei ist  durch  Fabrikarbeit  verdrängt,  Wohnung  und  Nahrung,  Handel  und  Wandel 
siud  andre  geworden.  Da  erschien  es  dem  Vf.  an  der  Zeit,  ein  Bild  des  früheren  J.ebens 
an  der  Hand  der  Literatur  und  persönlicher  Erkundigungen  zu  zeichnen.  Er  vereinigt  in 
knapper  Form  ein  umfängliches  Material  über  Haus  und  Hof,  über  Volksdichtung  (Kinder- 
lieder, Tanzreime,  Sprüche),  Volksspiele,  Liebe  und  Heirat,  Jahres-  und  Familienfeste, 
Volksmedizin  und  Aberglauben.  Durchweg  sind  die  mundartlichen,  bisweilen  recht 
'urchigen'  Benennungen  imd  Ausdrücke  angegeben,  und  auch  ein  ausführliches  Register 
fehlt  nicht. 

T.  Nor  lind,  Latinska  skolsänger  i  Sverige  och  Finlaud.  Lund  1909.  XVI,  187, 
4  S.  (Lunds  universitets  arsskrift  n.  f.  afd.  1,  bd.  5,  nr.  5).  —  Das  Kernstück  dieser  vor- 
trefflichen Arbeit,  der  schon  1901  eine  deutsche  Skizze  in  den  Sammelbänden  der  inter- 
nationalen MusikgescUschaft  2,  552  voraufging,  bildet  eine  gelehrte  und  gründliche  Unter- 
suchung der  in  Abo  von  Jacobus  Petri  Finuo  gesammelten  und  15S2  von  Theodorus  Petri 
Rutha  in  Greifswald  zum  Drucke  beförderten  'Piae  cantiones  ecclesiasticae  et  scholasticae', 
nach  Herkunft,  Inhalt  und  Geschichte.  Dies  oft  aufgelegte  und  bald  auch  ins  Finnische 
und  Schwedische  übertragene  Schulgesangbuch  enthält  74  lateinische  Lieder  aus  dem 
Mittelalter  und  der  Reformationszeit  mit  ein-  und  mehrstimmigen  Weisen,  darunter  z.  B. 
die  bekannten  Weihnachtslieder  'Dies  est  laetitiae',  'Resonet  in  laudibus',  'In  dulci  iubilo', 
aber  auch  ■weltliche  wie  das  Vorbild  des  'Gaudeamus  igitur':  'Scribere  proposui'.  Mehr 
als  die  Hälfte  der  später  auf  91  vermehrten  Texte  ist  in  Schweden  entstanden  und  lässt 
einen  Schluss  ziehen  auf  den  regen  Betrieb  des  Gesangunterrichtes  in  den  geistlichen 
Schulen  Schwedens,  über  den  uns  der  Vf.  auch  in  seiner  ausführlichen  Einleitung  unter- 
richtet. Die  Schüler  verherrlichten  aber  nicht  nur  die  hohen  kirchlichen  Feste  durch 
ihren  Gesang,  sondern  nahmen  auch  au  deu  mehr  volkstümlichen  Feiern  des  Lucia-, 
Martins-,  Gregorius-,  Nicolaustages  teil  und  führten  sogar  Schwert-  und  Reifentänze 
(Abbildungen  S.  1(53)  auf.  Über  den  Einfluss  deutscher  Musiker  und  Volksweisen  wird 
z.  B.  auf  S.  41  und  1^5  gehandelt,  auch  die  Musikbeilage  führt  ein  Beispiel  dafür  vor. 

M.  Olsen  og  H.  Schetelig,  En  indskrift  med  ißldre  runer  fra  Floksand  i  Nord- 
hordland (Bergens  museums  aarbog  1909,  no.  7.  44  S.).  —  Die  auf  einem  dem  4.  Jahr- 
hundert angehörigen  knöchernen  Schabemesser  eingeritzten  Runen  lina  laukaR  a[lu] 
werden  gedeutet  als  'Lein  und  Lauch  mit  weihender  Kraft'  und  in  Verbindung  gebracht 
mit  dem  von  Heusler  oben  13,  24  behandelten  phallischen  Kult. 

Dieselben,  De  to  runestener  fra  Tu  og  Klepp  paa  Jiederen  (ebd.  1909,  no.  11. 
20  ö.).  _  Zwei  Runensteine  im  Bergener  Museum  berichten  von  dem  um  1000  zu  Klepp 
ansässigen  Geschlechte  Helges.  Die  auf  dem  einen  eingeritzten  Figuren  eines  Mannes 
und  Weibes  werden  verglichen  mit  dem  Liebespaar  auf  den  gestanzten  Goldplättchen  der 
Wikingerzeit,  in  welchen  0.  Opfergaben  von  Brautpaaren  an  Freyr  und  Gerda  erblickt. 

Paul  Orlamünder,  Volksmund  und  Volkshumor.  Beiträge  zur  Volkskunde. 
Bremen,  C.  Schünemann  1908.  XVil,  300  S.  —  0.  bietet  eine  bunte  und  lustige  Auslese 
von  allerlei  Äusserungen  des  deutschen,  aber  fast  ausschliesslich  des  niederdeutschen 
Volkshumors,  wie  er  sich  in  Redensarten,  Rätseln,  Inschriften,  Namen,  Etymologien, 
Reimen  und  Liedern,    Rechtsbräuchen,    Kanzelreden  usw.  offenbart.     Neben  vielem  Wohl- 


Notizen.  123 

bekannten  und  einigen  Versehen  (z.  T.  wohl  blossen  Druckfehlern)  wird  man  auch  manchem 
Neuen  begegnen.  Auf  die  benutzten  Quellen  wird  hie  und  da  hingewiesen,  dem  ver- 
bindenden Texte  ist  bisweilen  eine  gesuchte  Bildlichkeit  eigen. 

Rudolf  Pestalozzi,  Syntaktische  Beiträge.  I.  Systematik  der  Syntax  seit  Ries: 
II.  Die  Casus  in  Johannes  Keßlers  Sabbata.  (Teutonia,  Arbeiten  zur  germanischen 
Philologie  hsg.  v.  Wilhelm  Uhl,  12.  Heft).  Leipzig,  Eduard  Avenarius  1909.  VIII,  80  S. 
v^''.  3  Mk.  —  Der  erste  Teil  (S.  1 — 22)  dieses  Büchleins  bietet  eine  kritische  Übersicht 
über  die  Entwicklung  der  syntaktischen  Systematik  seit  dem  Erscheinen  der  geistreichen 
Riesschen  Schrift  'Was  ist  Syntax'  (1894),  die  ja  trotz  ihrer  aphoristischen  Art  in  der 
Tat  Epoche  gemacht  hat.  Der  Enthusiasmus  des  Verf.  für  das  von  Ries  entwickelte 
Reformprogramm  ist  so  gross,  dass  er  den  älteren  Richtungen  gegenüber  befangen  und 
bisweilen  ungerecht  wird.  Die  Darstellung  könnte  klarer  sein.  Da  die  Syntax  der  Volks- 
sprache in  methodischer  Hinsicht  nicht  genauer  behandelt  wird,  erübrigt  es  sich,  an 
diesem  Orte  auf  die  Ansichten  Pestalozzis  näher  einzugehen:  doch  möchte  ich  aus- 
drücklich betonen,  dass  mir  derlei  zusammenfassende  Berichte  über  die  systematischen 
Fortschritte  (oder  Rückschritte!)  einzelner  Disziplinen  der  philologisch-historischsn  Wissen- 
schaften von  Zeit  zu  Zeit  höchst  wünschenswert  scheinen.  —  Der  zweite  Teil  (S.  23—80) 
gibt  einen  sehr  exakt  gearbeiteten  und  förderlichen  Beitrag  zu  der  noch  lange  nicht 
genug  erforschten  Syntax  des  Flühneuhochdeutschen:  Johannes  Keßler  war  ein  jüngerer 
Zeitgenosse  Luthers,  den  er  in  seiner  trefflichen  St.  Galler  Chronik  aus  persönlicher  Be- 
kanntschaft anschaulich  geschildert  hat.     (H.  Michel.) 

M.  Psichari,  Les  jeux  de  Gargantua  (1.  1,  eh.  22).  Revue  des  etudes  Rabelaisienues  6, 
1-37.  124-181.  317—361.  7.  48-G4  (Paris  1908-09).  —  Über  Fischarts  Spielverzeichnis 
vgl.  L.  Sainean  ebd.  7,  234—2-36. 

S.  Raccuglia.  La  numerazione,  i  numeri  ed  i  numerali  [in  Sicilia].  (Archivio  delle 
tradizioui  popolari  24,  131  —  152). 

Hans  Reisiger,  Volkslieder  in  der  Toskana  (Der  Zeitgeist,  Beiblatt  zum  Berliner 
Tageblatt,  15.  November  1909).  —  Hübsches  Feuilleton  mit  Proben. 

Paul  Richter,  Medizinisches  aus  dem  kleinen  Berliner  medizinischen  Papyrus 
Nr.  3027  der  ägyptischen  Abteilung  der  Kgl.  Museen  in  Berlin,  ein  Beitrag  zur  ver- 
gleichenden Volksmedizin  (Archiv  f.  Geschichte  der  Medizin  3,  155 — 164.  1909).  —  In  dem 
von  Ernian  herausgegebeneu  und  übersetzten  Papyrus  (aus  der  Mitte  des  Ki.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.)  finden  sich  unter  anderem  fünf  Sprüche  gegen  die  „Kinderkrankheiten 
nsw  und  tmjt",  welche  Erman  nicht  zu  deuten  wusste:  v.  Oefele  hat  in  ersterer  Krank- 
heit den  Pemphigus  neonatorum  wiedererkennen  zu  sollen  geglaubt.  Richter  sucht  nun 
wahrscheinlich  zu  machen,  dass  es  sich  vielmehr  um  das  sog.  „nässende  Ekzem"  gehandelt 
habe;  die  Formel  „laufe  aus"  dürfe  nicht  auf  ein  Ausfliessen  von  Flüssigkeit  aus  Blasen 
bezogen  werden,  sondern  sei  nur  eine  Form  der  Aufforderung  an  die  Krankheit,  sich 
davonzumachen:  n>w  bedeute  etwa  Rauhes,  bei  dem  eine  Flüssigkeit  austritt,  und  dies 
treffe  bei  dem  so  häutigen  nässenden  Ekzem  zu.  In  „tmjt"  will  Verf.  einen  weiblichen 
Dämon  wiedererkennen,  der  Krämpfe  hervorruft.  Die  Kritik  der  Beweisführuug,  wenn 
von  einer  solchen  bei  derartigen  Deutungsversuchen,  die  ja  meist  auf  sehr  schwachen 
Füssen  stehen,  überhaupt  die  Rede  sein  kann,  muss  einer  etwaigen  weiteren  in  den  be- 
treffenden Fachzeitschriften  sich  anschliessenden  Diskussion  überlassen  bleiben.  (Paul 
Bartels.) 

W.  H.  Röscher,  Die  Tessarakontaden  und  Tessarakontadenlehren  der  Griechen  und 
anderer  Völker,  ein  Beitrag  zur  vergleichenden  Religionswissenschaft,  Volkskunde  und 
Zahlenmystik  sowie  zur  Geschichte  der  Medizin  (Berichte  der  k.  sächs.  Ges.  der  Wiss., 
phil.-hist.  Kl.  61,  17—206).  Leipzig,  Teubner  1909.  6  Mk.  —  Nachdem  R.  der  Bedeutung 
der  Zahlen  7  und  9  im  griechischen  Altertum  gelehrte  Untersuchungen  gewidmet,  geht  er 
auf  die  ebenfalls  nicht  geringe  Rolle  ein,  welche  die  Zahl  40  bei  Semiten,  Griechen  und  neuereu 
Völkern  spielt.  In  den  Abhandlungen  der  k.  sächs.  Ges.  27,  91 — 138  (Teubner.  1909.  2  Mk.) 
zeigt  er,  dass  bei  allen  semitischen  Stämmen  übereinstimmend  40  Tage  die  Frist  für  die  Un- 
reinheit der  Wöchnerinnen,  für  Trauer  um  den  Toten,  für  Fasten  und  Busse,  für  medizinische 
und  kalendarische  Regeln  bilden,  dass  40  Jahre  ein  Menschenalter  ausmachen,  dass  40  Hiebe 


124  Notizen. 

die  üblichste  Leibesstrafe  sind  usw.  Fast  genau  dieselben  Tessarakoutaden  ergeben  sich 
in  der  vorliegenden,  auf  ausgedehntem  Materiale  ruhenden  Fortsetzung  dieser  Abhandlung 
für  die  alten  Griechen.  In  den  Beobachtungen  und  Theorien  über  die  Bildung  des  Fötus 
iui  Mutterleibe,  die  vollständige  Verwesung  des  Leichnams,  die  yevEÜ  und  dy./n/]  des 
Menschen,  in  den  Bauernregeln  bei  Hesiod,  Varro,  Plinius,  in  der  hippokratischen  Lehre 
von  den  kritischen  Tagen  u.  a.  kehrt  stets  die  Zahl'  40  wieder;  sogar  die  Zeit  der  Handlung 
in  der  Ilias  und  Odyssee  hat  man  auf  je  40  Tage  berechnen  wollen.  Für  die  Vorsicht 
und  Gründlichkeit  Roschers,  der  hier,  von  Fachmännern  unterstützt,  ins  astronomische 
und  medizinische  Gebiet  hineinschreitet,  spricht  es,  dass  er  den  Geltungsbereich  dieser 
Rundzahl  sorgsam  umgrenzt  und  dass  er  nicht  den  Einfluss  der  babylonischen  Kultur  zur 
Erklärung  ihrer  Verbreitung  heranzieht,  sondern  den  Völkergedanken  Bastians.  Er  gibt 
schliesslich  noch  eine  wertvolle,  wenn  auch  nicht  erschöpfende  Übersicht  über  das  Vorkommen 
der  40  bei  Persern,  Armeniern,  Indern,  Slawen,  Germanen,  Finnen,  Ostasiaten,  Amerikanern 
und  macht  darauf  aufmerksam,  dass  mehrfach  die  Frist  von  sechs  Wochen  an  die  Stelle 
der  40  Tage  getreten  ist. 

Th.  Siebs,  Helgoland  und  seine  Sprache,  Beiträge  zur  Volks-  und  Sprachkunde. 
Mit  einer  Kaite  von  Helgoland.  Cuxhaven,  A.  Rauschenplat  1909.  :>19  S.  geb.  3  Mk.  — 
Das  auf  gründlichen  und  mühevollen  Studien  und  Erkundigungen  beruhende  Buch  be- 
handelt 1.  die  Geschichte  Helgolands,  das  schon  in  der  Steinzeit  bewohnt  war,  aber  erst 
um  1050  durch  Adam  von  Bremen  erwähnt  wird,  und  seiner  dem  friesischen  Stamme  an- 
gehörigen  Bewohner,  sowie  ihre  kirchlichen  und  rechtlichen  Verhältnisse;  2.  Gespräche 
und  Erzählungen  aus  dem  täglichen  Leben,  in  Helgolander  und  deutscher  Sprache,  Brauch 
und  Aberglaube  (Müllenhoffs  Angaben  von  1845  scheinen  auf  unzuverlässigen  Mitteilungen 
zu  beruhen),  Sprichwörter,  Gedichte  (von  H.  Claasen  u.  a.),  Personen-  und  Ortsnamen, 
Bezeichnungen  der  Vögel  und  Seetiere;  3.  die  noch  von  fast  "2000  Leuten  gesprochene, 
aber  im  Aussterben  begriffene  Helgolander  Sprache,  die  auffälligerweise  fast  gar  keine 
englischen  und  dänischen  Einflüsse  aufgenommen  hat;  auf  eine  kurze  Laut-  und  Formen- 
lehre folgt  ein  höchst  wertvolles,  114  Seiten  starkes  Wörterbuch. 

0.  Weise,  Unsere  Muttersprache,  ihr  Werden  und  ihr  Wesen.  Siebente  verbesserte 
Auflage.  Leipzig  und  Berlin,  B.  G.  Teubner  1909.  VIII,  278  S.  8".  geb.  2,80  Mk.  — 
Die  neue  Auflage  des  bekannten  Büchleins  unterscheidet  sich  von  der  vorigen  haupt- 
sächlich durch  die  Vermehrung  der  Beispiele  und  der  Anmerkungen,  in  denen  die  neueste 
Literatur  nachgetragen  ist.  Sehr  systematisch  scheint  der  Verf.  dabei  nicht  zu  Werke 
gegangen  zu  sein;  ich  vermisse  z.  B.  bei  Leibniz  einen  Hinweis  auf  Pietsch,  Leibniz  und 
die  deutsche  Sprache  (Wissenschaftl.  Beihefte  zur  Ztschr.  des  allgeni.  dtsch.  Sprachvereins 
29  u.  30,  1907/08),  bei  Gottsched  und  Hamann  auf  die  Bücher  Eugen  Wolffs  und  Rudolf 
Ungers,  bei  Friedrich  d.  Gr.  auf  Mentz,  Friedrich  d.  Gr.  und  die  deutsche  Sprache 
(Ztschr.  f.  deutsche  Wortforsch.  1,  194  ff.)  u.  dgl.  m.  Die  Darlegungen  über  das  Ver- 
hältnis des  Humanismus  zur  deutschen  Sprache  (§  135)  sind  ganz  schief:  wie  kann  man 
die  aus  guten  Gründen  lateinisch  schreibenden  Humanisten  mit  den  deutschen  Querköpfen 
vergleichen,  die  sich  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts  für  das  Volapük  begeistert  haben  I 
Was  über  die  Entwicklung  des  Stils  und  der  Kultur  im  Zeitalter  der  Romantik  und  des 
Jungen  Deutsclilands  gesagt  wird  («;§  96/7),  ist  recht  dürftig,  die  angeführte  Äusserung 
Paul  Heyses  über  Gutzkow  höchst  unbillig.  Auch  sonst  wäre  noch  manches  zu  be- 
anstanden; eine  weitere  Auflage,  die  ja  nicht  ausbleiben  wird,  bedarf  jedenfalls  gründ- 
licher Durchsicht.     (H.  Michel.) 

Ludw.  Friedr.  Werner,  Aus  einer  vergessenen  Ecke.  Beiträge  zur  deutschen  Volks- 
kunde. Langensalza,  H.  Beyer  &  Söhne  1909.  VI,  208  S.  —  Das  Buch,  dem  der  Göttinger 
Germanist  Edward  Schröder  ein  schönes  Geleitswort  mitgegeben  hat,  nimmt  nicht  die 
Richtung  der  meisten  volkskundliclicn  Schilderungen  einer  bestimmten  Landschaft.  Die 
vergessene  Ecke  ist  ein  nur  undeutlich  bezeichnetes  armes  Gcbirgsdorf  in  Oberhessen, 
in  dem  ein  genügsamer,  hart,  arbeitender  und  tüchtiger  Menschenschlag  haust.  Aber  der 
Vf.,  durch  seinen  Beruf  als  Landarzt  und  seine  Liebe  zum  Volk  nahe  vertraut  mit  dessen 
Gehaben  und  Wesen,  weiss  uns  in  diesem  Dörfchen  heimisch  zu  machen,  das  trotz  seiner 
Enge  eine  Fülle  verschiedenartiger  Charaktere  und  Lebensschicksale  birgt.    In  60  kleinen 


Brunner:    Protokolle.  125 

Skizzen  führt  er  uns  nicht  bloss  eine  Reihe  einzelner  Bewohner  und  lustiger  und  rührender 
Begebnisse  vor,  sondern  geht  auch  auf  bäuerliche  Eigenschaften,  wie  Eigennutz,  Reinlich- 
keit, Heimatsliebe,  Wirtshausleben,  Witz,  Verhältnis  zu  historischen  Ereignissen,  zur 
Sagenwelt,  zur  Poesie  näher  ein,  ohne  Schönfärberei,  doch  mit  liebevoller  Vertiefung 
und  die  Redeweise  des  Volkes  treu  bewahrend.  Man  kann  aus  dem  warmherzigen  Buche 
viel  lernen  und  wird  gern  an  diese  einfachen,  dem  Getriebe  der  grossen  Welt  allmählich 
immer  näher  gerückten  Menschen  zurückdenken. 

Karl  de  Wyl,  Rübezahl-Forschungen:  die  Schriften  des  M.  Johannes  Prätorius. 
Breslau,  M.  &  H.  Marcus  1909.  VIII,  159  S.  5,60  Mk.  (Wort  und  Brauch  hsg.  von 
Tb.  Siebs  und  M.  Hippe  5).  —  Das  Buch  erfüllt  in  vortrefflicher  Weise  einen  bereits 
öfter  ausgesprochenen  Wunsch:  es  schafft  Klarheit  darüber,  welche  Glaubwürdigkeit  dem 
Hauptgewährsmanne  der  Rübezahlsagen,  dem  Leipziger  Magister  Prätorius,  zukommt.  Die 
250  Sagen  vom  schlesischen  Berggeist,  welche  Prätorius  von  1G62  bis  1672  in  vier  Bänden 
veröffentlichte,  schöpfte  er  nur  zum  Teil  aus  älteren,  neuerdings  von  K.  Zacher  erforschten 
(oben  16,  473)  literarischen  Quellen  und  aus  dem  Munde  des  in  Hirschberg  und  Greifenberg 
ansässigen  Apothekers  H.  Sartorius,  des  Liebenthaischeu  Boten  und  einiger  Wurzelkrämer 
(er  selbst  war  nie  im  Riesengebirge);  viele  Geschichten  hat  er  nach  seinem  eignen 
Geständnis  selber  erdichtet  und  die  echten  Nummern  durch  die  Schlussformel  'Doch 
genug'  gekennzeichnet.  Als  Ergebnis  einer  umsichtigen  Betrachtung  der  Arbeitsweise  des 
Prätorius  und  der  einzelnen,  von  de  Wyl  in  22  Gruppen  geteilten  Erzählungen  stellt  sich 
nun  heraus,  dass  die  meisten  der  so  endenden  Geschichten  wirklich  aus  dem  Volksmunde 
stammen,  wenn  auch  manche  ursprünglich  nicht  von  Rübezahl,  sondern  vom  Teufel,  vom 
Nachtjäger  oder  von  Schwarzkünstlern  wie  Faust  und  Wagner  handelten.  Es  bleibt  indes 
noch  eine  stattliche  Zahl  echter  Rübezahlsagen,  die  vor  1662  nur  einzeln  im  Volksmunde 
umgingen  und  erst  durch  Prätorius  zu  jenem  Gesamtbilde  vereinigt  wurden,  das  uns  heut 
noch  durch  Musäus  Vermittlung  seit  den  Kinderjahren  bekannt  ist.  —  Zu 'S.  5 '^  vgl.  oben 
19,  293;  zu  97  ^  oben  19,  71;  über  die  Jakobsbrüder  S.  99  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  2,  558. 
3,  223.  639;  zum  Hängenspielen  S.  126  Köhler  1,  210.  585. 


Aus  den 

Sitziinsis- Protokollen  des  Yereins  für  Volkskunde. 


Freitag,  den  22.  Oktober  1909.  Der  stellvertretende  Vorsitzende  Prof. 
Bolte  machte  auf  eine  als  Supplement  der  Zeitschrift  für  österreichische  Volks- 
kunde erschienene  'Karte  der  österreichischen  Bauernhausforraen'  von  Anton 
Dachler  aufmerksam  und  erwähnte  eine  ihm  von  Hrn.  Pf.  Wilh.  Kauffmann  in 
Ralbsrieth  zugegangene  Mitteilung  über  einen  märkischen  Brauch  aus  dem  Dorfe 
Cossar  bei  Kressen,  wo  um  18Gü  bei  der  Hochzeit  eine  wie  ein  Weihnachtsbaum 
geschmückte  Tanne  als  Brautbaum  auf  den  Tisch  gestellt  und  umtanzt  wurde. 
Hr.  Prof.  Dr.  Kück  wies  auf  eine  ähnliche  Sitte  in  Hannover,  der  Unterzeichnete 
auf  einen  bei  den  Hanaken  in  Mähren  vorkommenden  Hochzeitsbaum  hin^).  Hr. 
Dr.  Brunner  legte  sodann  eine  Anzahl  von  Holzgeräten  mit  farbigen  Wachs- 
einlagen vor,  grösstenteils  Geräte  zur  Bearbeitung  des  Flachses,  welche  von  den 
Burschen  ihren  Mädchen  verehrt  wuiden.  Besonders  häufig  kommen  sie  vor  auf 
Kügen,  in  der  Mark  bei  den  Wenden  und  in  Braunschweig;  dagegen  fehlen  sie 
in  Skandinavien  und  Österreich.     Zur  Färbung  des  AVachses  ist  nur  Rot  und  Grün 


1)  Vgl.  auch  oben  4,  101,  wo  Weinhold  den  Brauch  des  Hochzeitbaumes  in  Ost- 
Steiermark,  Schwaben  und  dem  lüneburg.  Wendlande  erwähnt.  Mannhardt,  Wald-  und 
Feldkulte  1,  46.    Adelung,  Wörterbuch  1,  1170  (1793):  'Brautmaye'. 


J26  Brunner: 

verwendet.  Hr.  Prof.  Dr.  Bolte  berichtete  über  den  3.  Verbandsta^^  deutscher 
Vereine  für  Volkskunde  am  27.  September  d.  J.  in  Graz  (vgl.  oben  19,  472),  der 
von  mehreren  Vereinsmitgliedern  besucht  war.  Dann  hielt  Hr.  Oberlehrer 
Dr.  Samter  einen  Vortrag  über  Geburts-  und  Hochzeitsbräuche,  in  dem  er  an 
vielen  Beispielen  darlegte,  wie  der  primitive  Mensch  sich  bei  Geburten,  Hochzeiten 
und  Todesfällen  ganz  besonders  von  Geistern  bedroht  wähnt.  Da  nach  weit  ver- 
breiteter Anschauung  der  Mensch  während  des  Schlafes  seelenlos  und  daher  be- 
sonders leicht  von  den  Dämonen  zu  schädigen  ist,  sucht  man  vielfach  sowohl  bei 
Geburten  wie  Hochzeiten  den  Hauptpersonen  den  Schlaf  fernzuhalten,  ja  man  weckt 
z.  B,  in  Deutschland  bei  Todesfällen  Mensch  und  Vieh,  weil  sonst  die  sterbende 
Seele  die  andern  mitnehmen  würde.  Auf  die  Furcht  vor  bösen  Geistern  dürfte 
auch  die  Sitte  der  Verhängung  von  Spiegeln  zurückzuführen  sein,  welche  besonders 
bei  Todesfüllen,  zuweilen  auch  bei  Geburt  und  Hochzeit  geübt  wird.  Auf  den- 
selben Grund  führte  der  Redner  auch  den  bereits  im  alten  Griechenland  bezeugten 
Brauch  zurück,  die  Wöchnerin  durch  Kleidungsstücke  des  Mannes  zu  schützen, 
wobei  wahrscheinlich  die  Absicht  waltete,  die  bösen  Geister  zu  täuschen.  Auch 
die  Unkenntlichmachung  durch  Larven  und  Bestreuung  mit  Mehl  und  Kleie,  die 
in  den  griechischen  Mysterien  geübt  wurde,  dürfte  denselben  Zweck  haben.  Der 
Brauch,  dem  Bräutigam  an  Stelle  der  rechten  Braut  ein  oder  mehrere  alte  häss- 
liche  Weiber  vorzuführen  (Brautunterschiebung),  erklärte  der  Redner  gleichfalls 
durch  die  Absicht,  die  bösen  Geister  auf  falsche  Spur  zu  bringen.  Nach  allge- 
meiner Volksanschauung  sind  diese  Dämonen  leicht  zu  täuschen,  z.  B.  schon  durch 
eine  Namensänderung.  In  der  Besprechung  des  Vortrages  wies  Hr.  Prof.  Bolte 
auf  die  Artikel  'Den  Tod  betrügen'  oben  19,  203.  432  hin  und  erwähnte  auch  die  in 
Märchen  vorkommende  Wache  am  Brautbett.  Hr.  Dr.  Bartels  teilte  mit,  dass  z.B. 
in  Russland  die  Männerhose  als  Volksmedizin  bei  Entbindungen  eine  Rolle  spiele. 
Hr.  Geh.  Rat  Di  eis  bemerkte,  dass  als  bester  Schutz  gegen  die  feindseligen  Dä- 
monen eine  Verhüllung  der  Braut  angewendet  werde,  was  schon  in  den  antiken 
Mysterien  vorkomme,  und  wies  auf  die  bei  wilden  Völkern  beobachtete  Sitte  des 
Männerkindbettes  hin  (Couvade),  welche  vielleicht  dem  gleichen  Zweck  der  Irre- 
führung der  Dämonen  diene.  Hr.  Dr.  Samter  erklärte  jedoch,  dass  ihm  vielmehr 
Bastians  Erklärung  dieser  Sitte  durch  das  sog.  Vaterrecht  annehmbar  erscheine. 
Hr.  Dr.  Lukas  führte  die  Mythen  von  Nal  und  Damajanti  sowie  Herkules  und 
Omphale  an.  Hr.  Prof.  Dr.  Kück  und  Direktor  Dr.  Minden  erwähnten  ver- 
schiedene norddeutsche  Gebräuche,  wie  die  Umstellung  der  Haustiere  und  das  Um- 
werfen der  Sarguntersätze  bei  Todesfällen,  um  die  Dämonen  zu  verwirren.  Der 
Unterzeichnete  lud  zum  Besuche  der  Vorträge  ein,  welche  der  Verein  der  Kgl. 
Sammlung  f.  deutsche  Volkskunde  in  diesem  Winter  veranstaltet. 

Freitag,  den  26.  November  1909.  Der  Vorsitzende,  Hr.  Geheimrat  Roe- 
diger,  wies  auf  einige  neue  Erscheinungen  der  Literatur  hin.  besonders  die  von 
Friedel  und  Mielke  herausgegebene  'Landeskunde  der  Prov.  Brandenburg',  deren 
1.  Band  die  natürlichen  Verhältnisse  des  Gebietes  behandelt.  Dann  hielt  Hr. 
Dr.  Paul  Richter  einen  Vortrag  über  den  Ursprung  des  Aberglaubens,  besonders 
des  medizinischen.  Er  wies  auf  eine  bedeutende  Sammlung  volksmedizinischer 
Gegenstände  hin,  welche  sich  im  Besitze  des  Hrn.  Pachinger  in  Linz  befindet. 
Noch  jetzt  scheuen  selbst  gebildete  Familien  in  Berlin  eine  Operation  zwischen 
Weihnachten  und  Neujahr.  Für  den  Ursprung  des  medizinischen  Aberglaubens 
sind  besonders  wichtig  die  Zaubersprüche  mit  ihren  typischen  AViederholungen. 
Erman  hat  in  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  einen  ägyptischen  Papyrus 
aus  dem  16.  Jahrb.  v.  Chr.  veröffentlicht,  welcher  viele  Zaubersprüche  enthält,  wie 
sie  in  ähnlicher  Art  noch  heute  bekannt  sind.     Aus    dem    G.  Jahrh.    stammen    die 


Protokolle.  127 

auf  Tonamulette  geschriebenen  Zaubersprüche  der  Babylonier.  Auch  die  Sumerer 
stehen  in  dem  Rufe,  Übcrlieferer  oder  Urheber  solcher  Sprüche  zu  sein,  und  im 
alten  Indien  waren  Amulette  und  Aberglaube  über  die  heiligen  Zahlen  3  und  7 
bekannt.  Die  Griechen  dagegen  erhielten  von  diesen  orientalischen  Zaubersprüchen 
und  der  Furcht  vor  Dämonen,  bösem  Blick  und  dergleichen  erst  spät  Kenntnis. 
Bei  der  Besprechung  des  Vortrages  wandte  Hr.  Oberlehrer  Dr.  Lukas  ein,  dass 
bereits  im  hohen  griechischen  Altertum  Reste  von  Zauber-  und  Aberglauben  nach- 
weisbar seien.  Überhaupt  könne  keineswegs  überall  der  Orient  als  Urheber  des 
medizinischen  Aberglaubens  gelten,  wie  die  wilden  Völker  beweisen.  Hr.  Direktor 
Dr.  Minden  wies  darauf  hin,  dass  einheimischer  Aberglaube  zu  jeder  Zeit  in  den 
führenden  Kreisen  weniger  bekannt  gewesen  sei  als  fremder.  Hr.  Direktor 
Dr.  Rudolf  Meyer  bemerkte,  dass  sich  in  den  Schriften  des  Apollonius  von 
Thyana  Hinweise  auf  Persien  als  Ursprungsland  vieler  Zaubersprüche  und  dergleichen 
finden.  Hr.  Dr.  Richter  erwiderte,  dass  ihm  zwar  Spuren  von  altem  Aberglauben 
bei  den  Griechen  nicht  entgangen  seien,  dass  aber  Zaubersprüche  erst  seit  der 
Überschwemmung  mit  orientalischen  Einflüssen  nachweisbar  seien.  Die  Beziehungen 
der  wilden  Völker  zueinander  in  ältester  Zeit  seien  noch  wenig  geklärt  Der 
Vorsitzende  hielt  dafür,  dass  ganz  allgemeine  Anschauungen  der  Völker  am 
ehesten  durch  den  A^ölkergedanken  Bastians  erklärt  werden  könnten.  Nur  wo  ganz 
auffallende  Übereinstimmungen  bestimmter  Gebräuche  vorkommen,  könne  vielleicht 
an  Wanderung  und  Entstehung  gedacht  werden.  Dann  hielt  Frl.  Elisabeth 
Lemke  einen  von  98  Lichtbildern  begleiteten  Vortrag  über  das  Erdbeben  an  der 
Strasse  von  Messina,  der  auf  dem  Hintergrunde  der  bekannten  Tatsachen  mancherlei 
Einzelheiten,  persönliche  Eindrücke  und  volkstümliche  Charakterzüge  anführte. 
Die  Lichtbilder,  durch  seismographische  Darstellungen  eingeleitet,  zeigten  in  der 
Hauptsache  Messina,  einiges  aus  Calabrien  und  zum  Schluss  Taorraina,  Catania 
und  einige  Bildnisse  von  dort.  Erwähnt  wurde  u.  a.  vielerlei  Aberglauben,  der 
sich  an  Verstorbene  und  an  den  Anblick  von  Blut,  Leichen  u.  dgl.  knüpft.  Die 
Furcht  vor  letzteren  ist  unglaublich  gross;  könnte  doch  z.B.  ein  böser  Geist  solche 
Gelegenheit  wahrnehmen,  in  den  lebendigen  Menschen  zu  fahren.  Vielleicht  er- 
klärt dieser  Aberglaube  das  sonderbare  Verhalten  mancher  Eingebornen,  das  von 
der  staunenswerten  Hilfstätigkeit  der  Schiffsmannschaften  und  Soldaten  recht  ab- 
stach. Die  Verstorbenen  halten  zu  bestimmten  Zeiten  Umzüge  und  verwandeln 
sich  in  Ameisen,  um  so  zu  den  Stätten  ihrer  Familien  zu  kriechen;  daher  schliessen 
die  Angehörigen  sorgfältig  die  Tür  und  verdoppeln  ihre  Vorsicht,  um  das  Ein- 
schlüpfen in  den  eigenen  Körper  zu  verhüten.  Beim  Gähnen  schlägt  man  drei 
Kreuze  vorm  Munde;  auch  Knoblauch  essen  gilt  in  Sizilien  und  wohl  in  ganz 
Italien  als  besonderes  Schutzmittel  gegen  böse  Geister.  Sehr  gepflegt  wird  die 
Zeichensprache.  Ein  Bild  führte  den  sonderbaren  Brauch  vor,  der  uns  aus  der 
Oper  Cavalleria  rusticana  bekannt  ist:  der  gekränkte  Ehegatte  fordert  den  Räuber 
seiner  Ehre  zum  Bekenntnis  auf;  beide  umarmen  sich;  fühlt  nun  der  Gatte  den 
ijefürchteten  Biss  des  andern,  so  ist  damit  dessen  Schuld  eingestanden,  und  die 
Rache  wird  sogleich  vollzogen. 

Freitag-,  den  17.  Dezember  1909.  Hr.  Franz  Treichel  legte  eine  Anzahl 
von  Stickereien  vor,  welche  von  bäuerlichen  Arbeiterinnen  in  Sanddorf,  Kr.  Bereut 
in  Westpreussen,  in  Anlehnung  an  heimische  Muster  hergestellt  worden  sind.  Das 
Verdienst  dieser  Wiederbelebung  alter  Volkskunst  gebührt  der  Frau  des  Lehrers 
Gulgowski  in  Sanddorf.  Dann  wurde  die  Wiederwahl  des  bisherigen  Vereinsvor- 
standes auf  Antrag  des  Hrn.  Geheimrats  Friedcl  durch  Zuruf  beschlossen.  Den 
Vortrag  des  Abends  hielt  Hr.  Theodor  Traub:  Aus  dem  norwegischen  Volksleben 
und  der  norwegischen  Volkspoesie.     Die  natürliche  Beschaffenheit  des  Landes  ge- 


128  Brunner:    Protokolle. 

stattet  den  Norwegern  nur  die  Besiedelung  der  Täler  und  Fjorde    und    begünstigt 
die  Vereinzelung  der  Gehöfte  inmitten  ihrer  Felder  und  AViesen.     In    älterer  Zeit 
wurden  auch   einige  kleine  Dörfer    gegründet,    welche  aber  neuerdings  wieder  ab- 
nehmen.    Im  Jahre  1870    waren    noch  13pCt.  des  Bodens  Allmende.     Das  Klima 
ist  hart  und  der  Sommer  nur  kurz.     Die  Haupterzeugnisse  der  Landwirtschaft  sind 
Heu  und  Korn;  letzteres  wird,  um  nachzureifen  und  zu  trocknen,  oft  an  senkrecht 
eingepflanzten  Stangen  befestigt.     Obstbau    wird  wenig    betrieben.     Das  wichtigste 
Bodenerzeugnis  ist  Holz,    welches  für  Bauten  und  Schnitzereien  sehr  mannigfache 
Verwendung  findet.     Die  Häuser  werden  aus    horizontal    geschichteten  Balken  er- 
baut, das  Dach  deckt  man  mit  Birkenrinde  und  Rasenstücken.    Die  ältesten  Häuser 
hatten  keine  Fenster,  sondern  nur  eine  Luke  im  Dache  zur  Lüftung  und  bestanden 
gewöhnlich  nur  aus  einem  Vorraum    und    einer  Stube    mit  zentralem  Herd;    noch 
jetzt  ist  ein  solches  Blockhaus  mit  Runeninschrift    aus   dem  13.  Jahrh.  vorhanden. 
In  neuerer  Zeit  werden  sie  aus  Brettern  erbaut,  aussen  blutrot  bemalt    und  haben 
auch  Fenster,  deren  Bestimmung  ursprünglich  war,  besseren  Luftzug  für  das  Herd- 
feuer zu  erzielen  (Windauge  =  engl,  window).     Zum  eigentlichen  Hause  kommen 
hinzu    die  besonders  liegenden  kleinen  Speicher    (stabbur),    die    als   Vorrats-    und 
Schlafhäuser    dienen.      Diese    eigentümlichen    Gebäude    sind    ebenfalls    aus    Holz- 
stämmen   erbaut,    meist  zweistöckig,    und    oft    mit    reichen  Schnitzereien    in    nor- 
dischem   oder    romanischem  Stil    geziert.     Hier  stehen  die  Truhen,    die    zur  Auf- 
bewahrung   der    sich    stetig    mehrenden  Aussteuer  der  Kinder  des  Hauses  benutzt 
werden.      Ferner    findet    sich    häufig    ein    kleines    Badehaus    zur   Erzeugung    von 
Dampf-  und  Schwitzbädern;  eine  kalte  Wasserbesprengung  mittels  Zweigen  beschliesst 
das  Bad.     Das  heutige  Bauernhaus    ist    übrigens  meistens  grösser    als    in    älteren 
Zeiten  und  zweistöckig.     Die  alte  Form  findet  sich  vorwiegend  noch  als  Sennhütte 
im  Gebirge.     Seit  alter  Zeit   gibt    es  grosse  Bauern    und    kleine  Lehnbauern  oder 
Hausmänner,  deren  gegenseitiges  Verhältnis,  namentlich  bei  Liebesangelegenheiten 
der  Kinder,  in  der  norwegischen  Volkspoesie  vielfach  behandelt  worden  ist;  denn 
hier  wie  überall  gibt    kein  reicher  Bauer  gern  seine  Tochter    einem   unbegüterten 
Manne.     Den  norwegischen  Volkscharakter  erläuterte    der  Redner    durch  Wieder- 
gabe einiger  Volksmärchen,    durch  Besprechung    von  Sitten    und    Gebräuchen    im 
Leben  und  bei  Todesfällen  und  schilderte  zum  Schluss  das  norwegische  Weihnachts- 
fest (Jul).    Nach  dem  Volksglauben  gehen  die  Trolle  zu  dieser  Zeit  auf  Abenteuer 
aus.     Man  deckte  ehedem    in    dieser  Nacht    dem  Hausgeiste  den  Tisch    und  Hess 
auch  die  Betten  frei,    damit    er    und    seine  Begleiter    darin  ruhen  könnten.     Auch 
des  Viehes  wird  in  dieser  Nacht  gedacht,    und  für  die  Vögel  werden  Korngarben 
auf   Stangen    aufgestellt.     Weihnachtsritte  werden    veranstaltet,    entsprechend    den 
auch  in  Deutschland  bekannten  Umritten  am  26.  Dezember    zu  Ehren  des  Pferde- 
heiligen   Stephanus.      Hr.    Prof.   Bolte    sprach    sodann    über    eine    eigentümliche 
Volksanschauung  über  das  Wetterregiment  der  Frauen  im  Februar,  zu  der  A.  Olrik 
(oben  S.  57)  wichtige  Aufschlüsse  aus  dänischem  und  isländischem  Brauch  gegeben 
hat,  und  bat,  weitere  Zeugnisse  über  diese  Sitte  der  Redaktion  der  Zs.  mitzuteilen. 
Hr.  Direktor  Dr.  Minden  verwies  dazu  auf  die  im  jüdischen  Ritus  vorkommende 
Begrüssung  des  Neumondes,    Hr.  Geheimrat  Roediger  auf   die    in    der  Literatur 
bekannte  Personifikation  der  einzelnen  Wochentage,    wie  Herr  Sonntag  usw.     Der 
Vorsitzende  besprach  endlich  ein  soeben  erschienenes  Werk  unseres  Mitgliedes  Robert 
Mielke:   Das  Dorf,  Handbuch  zur  künstlerischen  Dorf-  und  Flurgestaltung  (Leipzig, 
Quelle  &  Meyer). 

Steglitz.  Karl  Brunner. 


tf^9 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde. 

Von  Adolf  Hauffen. 

(Fortsetzung  zu  S.  1—17.) 


Die  geringen  Anläufe  zu  einer  deutschen  Philologie:  Gottscheds 
und  Lessiugs  altdeutsche  Studien,  Bodmers  und  Breitingers  Beschäftigung 
mit  den  deutschen  Dichtungen  des  Mittelalters,  Herders  fruchtbare  Gedanken 
und  Hinweise  zu  einer  wissenschaftlichen  Literaturgeschichte,  die  Aus- 
gaben und  Forschungen  Gelehrter,  wie  C.  H.  Myller,  F.  D.  Gräter,  Lessings 
Schüler  Eschenburg,  das  'Compendium  der  deutschen  Literaturgeschichte 
von  den  ältesten  Zeiten  bis  auf  Lessings  Tod'  (1790)  von  Erdwin  Julius 
Koch,  solche  Vorarbeiten  also  haben  erst  durch  die  fruchtbare  Weiter- 
entwicklung der  älteren  Romantiker,  die  von  der  Liebhaberei  zur 
Wissenschaft  weitergeschritten  sind,  einen  Wert  für  unsere  nationale 
Bildung  und  unser  nationales  Leben  erhalten.  Durch  Kochs  Schüler 
W.  H.  Wackenroder,  der  in  der  altdeutschen  Kunst  und  Dichtung  „das 
Wesen  des  deutschen  Charakters  treu  und  deutlich  eingeprägt"  findet, 
wurde  Ludwig  Tieck  in  dieses  Bereich  gelenkt.  Seiner  Natur  entsprach 
es,  sich  die  Dichtungen  des  Mittelalters  durch  Bearbeitungen  anzueignen. 
Seine  halbschürige  neuhochdeutsche  Übertragung  der  'Minnelieder  aus  dem 
schwäbischen  Zeitalter'  (1803)  mit  einem  erfolgreichen  Versuch  die  Gesamt- 
dichtung des  deutschen  Mittelalters  in  den  Rahmen  der  romantischen 
Poesie  einzuordnen,  seine  und  August  Wilhelm  Schlegels  Beschäftigungen 
mit  dem  höfischen  und  dem  Volksepos  legen  den  Untergrund  zu  dem 
mächtigen  Bau  der  germanischen  Philologie.  Schlegel  ist  ausserdem  durch 
seine,  gleich  früchteschweren  Bäumen,  gedankenreichen  Besprechungen, 
Abhandlungen  und  Vorträge,  besonders  durch  seine  1802—1804:  in  Berlin 
gelialtenen  Vorlesungen  'Über  schöne  Literatur  und  Kunst'  zu  dem  Be- 
gründer der  Literaturgeschichte  geworden.  Einen  Mittelpunkt  dieser 
Bestrebungen  bilden  seine  Einleitung  zu  der  Geschichte  der  Poesie  und  der 
dritte  Kurs,  wo  er  die  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  der  deutschen 
Dichtung  mit  philosophischem  Blicke  betrachtet  und  in  den  Erörterungen 
über  'Deutschheit'  mit  kühler  Besonnenheit  und  doch  wieder  mit  warmer 
Empfindung  die  deutsche  Sprache  und  den  deutschen  Geist  würdigt. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  2.  q 


130  Hauff en: 

Mit  diesen  Bemühungen  der  Romantiker  gehen  Hand  in  Hand  ihre 
Bestrebungen  durch  Ausgaben  und  Umdichtungen  alter  volks- 
tümlicher Stoffe,  Volksbücher,  Märchen.  Sagen  und  Lieder,  die  so 
lange  vergrabenen  oder  von  den  gebildeten  Schichten  missachteten  Schätze 
des  Volkes  zu  neuem  Leben  zu  erwecken  und  für  die  weitesten  Kreise 
zu  neuer  Wirkung  zu  bringen^). 

Bei  der  Beschäftigung  mit  dem  Märchen  sind  verschiedene  Wege 
zu  verfolgen.  Zunächst  die  Verwendung  märchenhafter  Motive  in  der 
Kunstdichtung,  was  mit  dem  Eindringen  der  'contes  de  fees',  besonders 
der  als  echte  Volksmärchen  zu  betrachtenden  'Contes  de  ma  mere  l'Oye' 
von  Perrault  und  mit  Übersetzungen  und  Nachahmungen  der  arabischen 
Märchensammlungen,  besonders  denen  von  'Tausend  und  einer  Nacht' 
anhebt.  In  dieser  Zeit,  also  in  den  sechziger  Jahren  wird  auch  das  Wort 
'Märchen'  zuerst  in  der  heutigen  Auffassung  verwendet.  In  Verserzählungen, 
in  philosophischen  und  Unterhaltungsromanen  von  AVieland  bis  Klinger 
werden  solche  Märchen  zu  moralischer  Erbauung  oder  zur  Erheiterung 
aufgenommen;  doch  überwiegt  später  das  sinnliche  Element.  Die  erste 
Bearbeitung  eines  deutschen  Märchens  gibt  J.  F.  W.  Zachariae  in  seinen 
moralisierend -galanten  Erzählungen  'Zwey  schöne  Neue  Mährlein'  (1772). 
Ihm  folgt  Joh.  Heinrich  Jung,  genannt  Stilliug,  der  (1779)  das  Märchen 
Jorinde  und  Joringel  aus  den  Schwalmgegenden  in  schlichter  Weise 
erzählt.  Im  Jahre  1782  erscheint  die  erste  grössere  Sammlung  auf  diesem 
Gebiete,  Johann  Karl  August  Musäus'  'Volksmärchen  der  Deutschen',  die 
aber  nicht  alle  deutschen  Ursprungs  und  nicht  eigentliche  Volksmärchen, 
sondern  in  Wielands  Art,  mit  satirisch -frivoler  Auffassung  und  in  einem 
anmutigen  Plauderton  erzählte,  stark  verbreiterte  Sagen  sind.  Schon 
Görres  hat  darüber  zutreffend  geurteilt,  dass  „der  in  ihnen  herrschende 
Ton  keineswegs  eigentlicher  Volkston  und  ihre  Naivetät  nicht  Volks- 
naivetät  ist"^).  Eine  Art  Fortsetzung  dazu  gibt  Christiane  Benedikte 
Naubert,  geb.  Hebenstreit,  in  ihren  gewandten  und  liebenswürdigen  Be- 
arbeitungen volkstümlicher  Stoffe:  'Neue  Volksmärchen  der  Deutschen' 
(Leipzig  1789  — 179;3).  Der  Zusatz  'Neue'  bezieht  sich  auf  Musäus.  Einen 
Gegensatz  zu  diesen  Sammlungen  bilden  die  anonymen  'Kindermärchen' 
(Erfurt  1787),    vier  volkstümlich  erzählte,  längliche  Geschichten. 

Der  erste,  der  das  Wort  Sage  für  den  Titel  einer  allgemeinen 
Sammlung  verwendet  hat  und  schon  den  heutigen  Bedeutungsinhalt 
darunter  versteht,  ist  Leonhard  Wächter,  der  unter  dem  Namen  Veit 
Weber  vierzehn,  zu  förmlichen  Romanen  ausgesponnene  Märchen-  und 
Sagenstoffe  in  dem  mehrbändigen  Werke  'Sagen  der  Vorzeit' (1787  — 1798) 
veröffentlichte.      Ihm  kommt    mit    dem    crleichen  Titel    zuvor    die    älteste 


1)  R.  Haym,  Die  romantische  Schule  (Berlin  1870^,  S  789-816. 

2)  In    einer    Anmerkung    zu    der    Einleitung    seiner    'Teutschen    Volksbücher'    1807 
S.  21.     [Andrae,  Studien  zu  den  Volksmärchen  von  Musäus.     (Diss.  ]\Iarburg  1897.)] 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde,  131 

landschaftliche  Sammlung  'Sagen  der  Vorzeit  .  ,  .  von  dem  berühmten 
Salzburgischen  Untersberg  (1782).  Die  erste  theoretische  Schrift  über 
diesen  Gegenstand  'Einige  Winke  über  Yolkssagen  und  Volkserzählungen' 
von  Otmar  (Nachtigall)  erschien  1706^). 

Die  von  den  Gebildeten  lauge  verschmähten  Volksbücher  brachten 
schon  die  Stürmer  und  Dränger  wieder  zu  Ehren.  Faust,  der  ewige  Jude, 
Genoveva  boten  Goethen,  dem  Maler  Müller,  Klingern  u.  a.  willkommene 
poetische  Stoffe.  Jung-Stilling  und  Lessing  befassten  sich  mit  diesen 
Büchern.  Xach  französischem  Muster  begründete  Reichard  die  'Bibliothek 
der  Romane'  (1778—1791),  die  auch  Volksbücher  in  Nacherzählungen 
mit  bibliographischen  Mitteilungen  und  gelehrten  Abhandlungen  bringt. 
Schlegel  hat  in  seinen  Berliner  Vorlesungen  den  Wert  dieser  'unschein- 
baren Büchelchen'  betont  und  einzelne  davon  besprochen. 

Ludwig  Tieck  gab  Volksbücher  und  Märchen  in  leichterer  und 
stärkerer  Bearbeitung  heraus  uud  schritt  später  zu  eigener  Märchen- 
dichtung vor^).  Der  in  Berlin  des  ausgehenden  18.  Jahrhunderts  unter 
dem  Banne  des  einseitigen  Rationalismus  aufgewachsene  Dichter  hat 
einige  Jahre  im  Solde  des  Verlegers  Nicolai  für  die  von  Musäus  be- 
gründete Sammlung  'Straussfedern'  französisch-frivole  Schwanke  im  Sinne 
der  Aufklärung  satirisch  bearbeitet  und  bald  eigene  in  gleichem  Geschmack 
gehaltene,  auch  die  Stürmer  und  Dränger  verspottende  Erzählungen 
verfasst.  Die  steigende  Unlust  an  dieser  Tätigkeit  und  die  Bekanntschaft 
mit  der  Volksdichtung  bewirkte  in  ihm  einen  allmählichen,  doch  gründ- 
lichen Umschwung.  Schon  im  zweiten  Teil  seines  'Peter  Lebrecht'  (1796) 
gibt  er  den  Volksbüchern  vom  gehörnten  Siegfried,  vom  Herzog  Ernst  u.  a. 
wegen  ihrer  'wahren  Erfindung'  und  'reinen  Darstellung'  den  Vorzug  vor 
den  damals  'beliebten  Modebüchern'.  Dieser  neu  erschlossenen  Welt  der 
Phantasie  gab  er  sich  völlig  hin.  lu  seiner  dreibändigen  Sammlung 
'Volksmärchen'  (1797),  einem  bunten  Gemisch  abenteuerlicher  Geschichten 
in  den  verschiedensten  Formen,  lässt  er  das  Wunderbare  wie  etwas 
Natürliches  frei  schalten,  und  der  aufblitzende  Spott  richtet  sich  jetzt 
gegen  die  Alleinherrschaft  des  nüchternen  Verstandes.  Bei  der  'Geschichte 
von  den  Haimonskindern'  wahrt  er  noch  den  alten  treuherzigen  Ton  und 
tritt  nicht  persönlich  hervor.  Aber  'Die  wundersame  Liebesgeschichte  von 
der  schönen  Magelone'  umwebt  er  schon  mit  einem  romantischen  Duft 
und  versieht  sie  mit  poetischen  Naturschilderungen  und  Liedern.  Die 
Schwanke  der  Schildbürger  nützt  er  weidlich  aus,  um  die  Narrheit  seiner 
Zeit  mit  scharfen  Spitzen  gegen  das  Selbstbewusstsein,  die  Eitelkeit  und 
Aberweisheit  der  Aufklärer  zu  geissein.  Für  diese  Sammlung,  sowie 
für    die    'Romantischen    Dichtungen'    (1799   und    1800)    und    noch    später 


1)  R.  Benz,  Märchendichtung  der  Romantiker  mit  einer  Vorgeschichte  (Gotha  1907). 

2)  B.  Steiner,  L.  Tieck  und  die  Volksbücher  (Berlin  1893). 

9* 


132  Hauffen: 

wandelte  er  Märchen,  Sagen  und  Volksbücher  zu  Dramen,  meist  in  den 
damals  üblichen  Kostüm  der  Ritterzeit  um,  den  gestiefelten  Kater,  Karl 
von  Berneck,  das  Rotkäppchen,  Genoveva,  Oktavian,  'die  poetische  Summe 
der  Romantik'  u  a. 

Tiecks  spätere  Märchendichtungen  sind  Kunstmärchen,  wie  die 
der  übrigen  Romantiker,  welche  auch  grösstenteils  von  ihm  ausgehen. 
Aller  Vorbild  ist  Goethes  'Märchen'  (1796),  das  in  seinen  schönen  Natur- 
bildern die  Möglichkeit  vielseitiger  Ausdeutungen  bietet.  Das  Märchen, 
das  „Bilder,  Ideen  und  Begriffe  durcheinander  schlingt",  ist  nicht 
allegorisch,  sondern  symbolisch,  weil  es,  um  mit  Goethe  zu  sprechen, 
nicht  „zum  Allgemeinen  das  Besondere  sucht",  sondern  „im  Besonderen 
das  Allgemeine  schaut"  ^).  Tiecks  naturphilosophische  Grundanschauungen 
stammen  aus  der  Bilderwelt  des  mystischen  Schuhmachers  Jakob  Böhme, 
aus  den  Schrifteu  von  Schellings  Schüler  Heinrich  Steffens  und  aus 
eigenen  Gefühlserlebnissen.  Die  Naturbeseeluno-  zeichnet  er  in  seinen 
Märchen  als  Wesensverwandtschaft  zwischen  Mensch  und  Natur  und  als 
das  zerstörende  Walten  der  Natur,  dem  der  Mensch  erliegt.  In  seiner 
düsteren,  aus  Jugenderinnerungen  seiner  Mutter  geschöpften  Erzählung 
'Der  blonde  Eckbert'  (1797)  herrscht  das  Traumhafte,  das  Unheimliche 
der  'Waldeinsamkeit'.  Das  Grauen  der  lockenden  Sünde  schwebt  über 
der  Erzählung  'Der  getreue  Eckart  und  der  Tannenhäuser'  (1799),  wo  die 
Sage  vom  Venusberg  in  der  neueren  Dichtung  zum  erstenmal  verwertet 
und  mit  den  Motiven  des  treuen  Eckart  und  des  Rattenfängers  von 
Hameln  verknüpft  wird.  Im  'Runenberg'  (1803)  hinwiederum  erscheint 
das  Grauen  als  geheimnisvolle,  dräuende  Macht  der  Gesteine  und  Metalle. 
Naturmärchen  sind  auch  Fouques  liebliche  Operndichtung  Undine 
(1814),  wo  der  Zauber  des  Wassers  herrscht,  sowie  die  Märchen 
E.  T.  A.  Hoffmanus,  bei  denen,  wie  bei  Tieck,  Traum  und  Bewusstsein 
ineinander  verschwimmen,  wo  aber  das  Dämonische  viel  grausiger  und 
die  Wirklichkeit  viel  greller  zutage  tritt.  Die  Anschauungen  der  Roman- 
tiker über  die  'Nachtseiten'  der  Natur  werden  von  Hoffmann  noch  weiter 
geführt  in  das  Reich  des  Übersinnlichen,  der  Magie,  der  Seelenrätsel 
unter  dem  Einflüsse  der  Schriften  Gotthelf  Heinrichs  von  Schubert. 
Allegorisch-philosophisch  sind  Märchen  von  Novalis  und  Chamisso,  wo 
bestimmte  Gedanken  und  Erkenntnisse  durch  Sinnbilder  ausgedrückt 
werden  sollen^).  Volksmässiger  gehalten  sind  die  Märchen  von  Clemens 
Brentano  und  seinem  Nachahmer  Wilhelm  Hauff.  Schon  1808  beabsichtigte 
Brentano  Märchen  zu  sammeln  und  herauszugeben.  Nach  1810  kam  er 
davon  ab,  erfand  in  Stimmungen  und  Einfällen  des  Augenblicks,  Selbst- 
erlebtes und  Gefühltes  verwertend,  eigene  Märchen,  erzählte  sie  Kindern 
von  Berliner  Verwandten  und  schrieb  sie  1816  nieder.    Sie  sind  von  Tieck 


1)  Goethe-Jahrbuch  25,  S.  37— 44;  116-127  und  Goethes  Werke  (Hcmpel)  IG,  22. 

2)  0.  F.  Walzel,  Deutsche  Eoniantik  (Leipzig  1908)  S.  137-143. 


I 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  133 

und  den  phantastischen  Dramen  Gozzis  angeregt,  dem  raschen  Entstehen 
entsprechend  straff  zusammengefasst  und  dramatisch  gehalten.  Brentano 
verwendet  für  sie  Motive  aus  Basiles  Pentamerone,  aus  französischen 
Märchen,  doch  auch  deutsche  volkstümliche  Stoffe,  so  für  den  Bären- 
häuter und  einige  Rheinmärchen.  Ihr  schlicht  kindlicher,  schalkhafter 
Ton  wurde  früh  bewundert.  Eichendorff  verglich  sie  'mit  alten  Bildern  auf 
Goldgrund',  doch  die  Einmischung  literarischer  Satire  und  persönlicher 
Ausfälle  fiel  bereits  seinen  Freunden  unangenehm  auf^). 

Nach  diesem  langen  Auslauf  müssen  wir  wieder  in  den  Weg  von 
Percy  zum  Wunderhorn  einlenken.  In  seinem  Aufsatz  über  Bürger  (1800) 
bewährt  A.  W.  Schlegel  in  der  Beurteilung  des  Volksliedes  glänzend  seine 
neue,  entwickelnde  Kritik.  In  dem  Abgerissenen  der  Darstellung,  in  dem 
Verstecken  der  Beweggründe,  im  bescheidenen  Farbenauftrag,  im  Zarten, 
Gemütlichen,  Leisen,  im  Verzicht  auf  Rhetorik  bei  spannender  Handlung 
erblickt  er  die  Kennzeichen  des  Volksliedes.  Ausgesprochen  romantische 
Urteile  folgen.  „Im  scheinbar  Kindischen  ist  das  Volkslied  oft  un- 
ergründlich tief  und  göttlich  edel"  oder  „die  ursprünglichen  Volksgesänge 
hat  das  Volk  gewissermassen  selbst  gedichtet;  wo  der  Dichter  als  Person 
hervortritt,  da  ist  schon  die  Grenze  der  künstlichen  Poesie."  In  seinen 
Berliner  Vorlesungen  betrachtete  Schlegel  das  Volkslied  geschichtlich. 
Als  erster  erkannte  er,  dass  die  uns  erhaltenen  Volkslieder  nicht  über 
das  16.,  höchstens  in  das  15.  Jahrhundert  hinaufreichen.  Hier  erhob  er  den 
Ruf  nach  einem  deutschen  Percy.    Dieser  Wunsch  sollte  sich  bald  erfüllen! 

Seit  Herders  internationaler  Volksliedersammlung  ist  nur  eine  weitere 
Ausgabe  erschienen:  'Ungedruckte  Reste  alten  Gesanges'  von  Anselm 
Elwert  (1784),  die  auch  insofern  einen  Übergang  zum  Wunderhorn  bildet, 
als  sie  zum  grössten  Teil  deutsche,  am  Rhein  getreu  aufgezeichnete, 
gelegentlich  mit  Varianten  versehene  Volkslieder  bringt.  Besonderen 
Wert  weist  diese  Sammlung  dadurch  auf,  dass  sie  neben  den  bisher  ein- 
seitig bevorzugten  Balladen  auch  Lyrik  enthält,  und  zwar  Liebeslieder, 
die  auf  Goethe,  Brentano  und  Eichendorff  eingewirkt  haben.  Unter  den 
fremden  Liedern  befindet  sich  auch  ein  Abschnitt  des  altfranzösischen  'Lai 
du  corn',  der  die  Anregung  zu  Titel  und  Prolog  des  Wunderhorns  ge- 
geben hat.  Gleich  danach  kamen  Schubarts  'Gedichte'  (1785—1786)  mit  den 
prächtigen  im  Volkston  gehaltenen  schwäbischen  Bauernliedern  heraus. 
Friedrich  Heinrich  Bothes  zur  Hälfte  aus  Percy  geschöpfte  Sammlung 
'Volkslieder  nebst  untermischten  anderen  Stücken'  (1795)  bringt  nicht  ein 
wirkliches  deutsches  Volkslied.  An  der  Schwelle  des  19.  Jahrhunderts 
erschienen  in  Bayern,  Tirol  und  in  der  Schweiz  innerhalb  statistischer 
und  landwirtschaftlicher  Werke  kleinere  Reihen  von  Schnadahüpfeln  und 


1)  0.  Bleich,  Entstehung  und  Quellen  der  Märchen  Brentanos  (Archiv  f.  n.  Sprachen 
96,  43—96).    H.  Cardauns,  Die  Märchen  C.  Brentanos  (Köln  1895). 


134.  Hauffen: 

Kuhreigen,  dann  1805  die  erste  selbständige  Ausgabe  'Schweizer  Kühreigen' 
Siegmunds  von  Wagner,  welche  in  späteren  Bearbeitungen  die  wichtigste 
und  am  stärksten  ausgeschriebene  Schweizer  Liedersammlung  geworden 
ist.  Um  die  Zeit  verfasste  Goethe  wieder  volksmässige  Gedichte.  Durch 
das  'Bergschloss'  und  'Schäfers  Klagelied'  (Taschenbuch  auf  das  Jahr  1804) 
schuf  er  eine  neue  Art  von  Romanzen,  welche  nun  die  Lieblingsform  der 
romantischen  Lyriker  wird. 

Der  Briefwechsel  zwischen  Achim  von  Arnim  und  Clemens  Brentano^) 
eröffnet  uns  den  Einblick  in  die  Entstehungsgeschichte  von  des  Knaben 
Wunderhorn.  Beide  haben  früh  in  Heimat  und  Fremde  gern  dem 
Volksgesang  gelauscht  und  Lieder  aufgezeichnet.  Besonders  Brentano 
hatte  bald  eine  reichhaltige  Sammlung  gedruckter  und  handschriftlicher 
Quellen  beisammen.  Der  beide  beglückende  Gedanke  einer  gemeinsamen 
Arbeit  verdichtete  sich  bei  ihrer  Zusammenkunft  in  Berlin,  Dezember  1804, 
zu  dem  Plan  einer  Volkslied-Ausgabe.  Im  folgenden  Jahre,  in  Heidel- 
berg, bearbeiteten  sie  ihren  reichen  Liederbestand.  Arnims  „fruchtbare 
Schaffenskraft  verlor  sich  leicht  ins  Unendliche",  Brentanos  „auf  ein  be- 
stimmtes Ziel  gerichtete  Tätigkeit  ermüdete  leicht  vor  der  Vollendung."  So 
wurde  es  beiden  zum  Heil,  dass  sie  sich  zu  einem  gemeinsamen  Unternehmen 
verpflichteten  und  im  Bestreben  gleiches  zu  leisten,  rasch  zum  Ziel  ge- 
langten. Arnims  Neigung  zu  volksliedartig  träumerischen,  verschwimmenden 
Tönen  und  Brentanos  schon  in  den  lyrischen  Einlagen  des  Romans  Godwi 
bewährte  „geniale  Kunst  im  Sinne  des  Volkes  mythenbildeud  zu  schaffen" 
und  den  echten  Ton  des  Volksliedes  erstaunlich  getreu  wiederzugeben, 
verlockten  beide,  an  den  ihnen  vorliegenden  Liedern  kräftige  Eingriffe 
vorzunehmen.  Im  Jänner  1805  erschien  Arnims  hochgemutes  Send- 
schreiben 'Von  Volksliedern'  in  'Reichardts  Berlinischer  musikalischer 
Zeitung',  dann  eine  Ankündigung  im  Reichsanzeiger  und  in  der  'Jenaischen 
allgemeinen  Literaturzeitung'  mit  der  Erklärung,  dass  diese  Lieder  „von 
uns  aus  dem  Munde  des  Volkes,  aus  Büchern  und  Handschriften  gesammelt, 
geordnet  und  ergänzt  sind'.  Im  Herbst  dieses  Jahres  erschien  der  erste 
Teil  'Des  Knaben  Wunderhorn.  Alte  deutsche  Lieder',  Frankfurt  und 
Heidelberg  1806,  mit  einer  launigen  Zueignung  an  Goethe.  Wegen  der 
Kriegswirren  und  der  fortwährenden  Änderungen  und  Einschübe  neu  ein- 
laufender Lieder  verzögerte  sich  das  Erscheinen  des  zweiten  und  dritten 
Teiles  (mit  einem  Anhang  'Kinderlieder')  bis  gegen  Ende  1808.  Goethe 
hatte  bereits  im  Jahre  1806  in  der  'Jenaischen  allgemeinen  Literatur- 
zeitung' diese  Sammlung  freudigst  begrüsst  und  jedes  der  210  Lieder  des 
ersten  Teiles  kurz  und  treffend  charakterisiert.  Görres  gab  in  den 
'Heidelberger  Jahrbüchern'  (1809)  eine  durchgehende  ethische  Würdigung 
der  Lieder    nach    den  Lebenslagen  von    der  Kindheit  bis  zum  Tode    und 

1)  Herausgegeben  von  lleinliold  Steig,  Arnim  und  Brentano  (Stuttgart  1894). 

I 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  J35 

rief  hier  aus,  die  Herausgeber  haben  „die  ßürgerkrone  verdient  um  ihr 
Volk,  dass  sie  retteten  von  dem  Untergang,  was  sieh  noch  retten  Hess".  — 
Freilich  die  kühne,  schier  planlose  Anordnung  dieser  bunten  Fülle  von 
Liedern,  die  Aufnahme  von  Kunstgedichten,  die  „Ipsefacten  und  Restau- 
rationen", an  denen  Arnim  nachweislich  stärker  beteiligt  war,  riefen 
Bedenken  und  Widerspruch  hervor.  Der  alte  Johann  Heinrich  Voss  erhob 
1808  den  Vorwurf:  'zusammengeschaufelten  Wust  voll  mutwilliger  Ver- 
fälschungen sogar  mit  untergeschobenem  Machwerk';  Friedrich  Schlegel 
bezeichnete  es  in  seiner,  Goethes  günstige  Besprechung  parodierenden, 
Anzeige  der  1807  von  Büsching  und  von  der  Hagen  in  strenger  Be- 
handlungsart herausgegebenen,  doch  recht  kärglichen  'Sammlung  deutscher 
Volkslieder'  als  Abweg  der  Herausgeber  des  Wunderhorns,  dass  sie  „das 
Wesen  des  Volksliedes  vorzüglich  in  die  Unverständlichkeit  setzen".  Doch 
allen  Widerbellern  zum  Trotz  hat  dieses  „Buch  voll  herrlichen  Lebens" 
eine  unvergleichlich  tiefgehende  Wirkung  erzielt.  Die  Herausgeber  ver- 
folgten ja  keinen  wissenschaftlichen  Zweck.  Dadurch,  dass  sie  mit  feinem 
Gefühl  für  das  Volksmässige  und  Poetische  Lücken  ausfüllten,  Derbes 
und  Geschmackloses  milderten,  haben  sie,  wie  Brentano  an  Goethe 
schreibt,  diese  Lieder,  die  so  sehr  dem  Leben  gehören,  dem  Leben 
wiedergegeben.  In  der  Tat  sind  gerade  die  Lieder,  welchen  die  Heraus- 
geber ihren  Geist  aufgedrückt  haben,  nicht  nur  von  Kennern  als  echte 
Volkslieder  angesehen  worden,  sondern  auch  zu  allgemeinster  Beliebtheit 
gelangt.  Was  die  Herausgeber  erstrebten,  das  hat  dieses  unvergängliche 
Denkmal  der  deutschen  Romantik  erfüllt.  Es  hat  die  Poesie  des  Volkes 
den  Gebildeten  zugeführt,  die  Lyrik  des  19.  Jahrhunderts  befruchtet  und 
verjüngt,  der  Wissenschaft  den  Weg  zu  reger  allgemeiner  Aufsammlung 
und  Herausgabe  von  Volksüberlieferungen  gewiesen  und  das  Vaterlands- 
gefühl in  schweren  Tagen  gestählt  und  erhoben*). 

In  der  Heidelberger  Romantik  wurzeln    die  altdeutschen  Studien  von 
Josef  Görres^).     Den  Antrieb  dazugaben  ihm  seine  Beziehungen  zu  dem 


1)  H,  Lohre,  Von  Percy  zum  Wunderhorn,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Volks- 
liedforschung in  Deutschland.  (Palaestra  22.  Kerlin  1902)  S.  79-127.  —  0.  F.  Walze! 
a.  a.  0.  S.  121— 12(j.  —  In  den  letzten  vier  Jahren  sind  drei  Untersuchungen  über  die 
Bearbeitungen  der  Vorlagen  zum  Wunderhorn  erschienen,  deren  letzte  und  eingehendste 
diesen  Gegenstand '  wohl  völlig  erschöpft.  J.  E.  V.  Müller,  Arnims  und  Brentanos 
romantische  Volksliederneuerungen,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  und  Kritik  des  Wunder- 
horns (Programm  der  Hansaschule  zu  Bergedorf  1905/190G).  F.  Rieser,  Des  Knaben 
Wunderhorn  und  seine  Quellen,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Volksliedes 
und  der  Romantik  (Dortmund  1908).  K.  Bode,  Die  Bearbeitung  der  Vorlagen  in  Des 
Knaben  Wunderhorn  (Palaestra  76.  Berlin  1909).  Bode,  der  auch  den  handschriftlichen 
Nachlass  Arnims  heranziehen  konnte,  setzt  sich  insbesonders  die  Aufgabe,  im  einzelnen 
zu  zeigen,  wie  sich  im  Wunderhorn  romantische  Ideen  äussern.  Es  hätte  mich  natürlich 
zu  weit  geführt,  diese  wertvollen  Ergebnisse  für  meine  Darstellung  zu  verwerten. 

2)  Franz  Schultz,  Josef  Görres  als  Herausgeber,  Literarhistoriker,  Kritiker  im  Zu- 
sammenhang mit  der  jüngeren  Romantik  (Palaestra  12.    Berlin  1902). 


136  Hauffen: 

politischen  Leben  Deutschlands,    das    er    von   der  Literatur  aus    erneuern 
wollte.     Kasch  ist  er  durch  seine  Verbindung  mit  den  Brüdern  Grimm  in 
den  Kern  ihres,  von  dem  seinigen  so  abweichenden,  Wesens  und  Arbeitens 
eingedrungen.     In  Heidelberg,    wo  er  1806  —  1808  weilte,   auch  Privatvor- 
lesiingen  über    die  deutsche  Literatur    an    der  Universität    unter    grossem 
Zulauf  hielt,  mit  Arnim  und  Brentano    die  Einsiedler-Zeitung    herausgab, 
verfasste    er    die  Schrift  'Die  teutschen  Volksbücher,    Nähere   Würdigung 
der  schönen  Historien-,  Wetter-  und  Arzneybüchlein,  welche  teils  innerer 
Wert,  teils  Zufall  Jahrhunderte  hindurch  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  hat', 
Heidelberg  1807.     Für  dieses,  sein  bestes  und  am  tiefsten  nachwirkendes 
literargeschichtliches  Werk    benutzte    er    eine  von  Clemens  Brentano  seit 
1802  zustande  gebrachte,  reichhaltige  Sammlung  von  gedruckten  und  hand- 
schriftlichen Volksbüchern,    woraus  er  nur   diejenigen  heranzog,    die  ihm 
geeignet  schienen,  der  Gegenwart  zu  dienen.    Der  an  Brentano  gerichteten 
Widmung,  einer  poetischen  Vision  von  den  bergentrückten  Helden  deutscher 
Vorzeit,    folgt    eine    wohlgegliederte    Einleitung,    welche,    von    Gedanken 
Herders,    Bürgers,    A.    W.   Schlegels    ausgehend,    in    grossen    Zügen    die 
deutsche    Volksdichtung    charakterisiert.       Görres     scheidet     hier     streng 
zwischen  niederer,    unheiliger  'Pöbelhaftigkeit'    und  dem  'heiligen  Volks- 
geist'   und    verteidigt    mit    gesunden    Anschauungen    den     Begriff   Volks- 
literatur.    Dem  in  Volksliede  erwachten  'lyrischen  Naturgeist'  stellt  er  die 
'Volkssagen'    gegenüber,    aus    denen    er    in    einer  zu  weit  gehenden  Ver- 
mutung 'die  meisten  Volksbücher',    nämlich  die   erzählenden,  hervorgehen 
lässt.    Er  betont  aber,  dass  die  lehrenden  Volksbücher  „nicht  von  früherer 
mündlicher  Überlieferung    ausgegangen,    mithin    auch    nicht    wie  die  rein 
poetischen   aus  dem  Volke    selbst  hervorgewachsen    und    auch  keineswegs 
so    tief   mit  seiner  innersten  Natur  verwachsen"    sind.     In    der  folgenden 
Beschreibung   von  49  Volksbüchern    geht    er    von    den    lehrenden    zu  den 
romantischen    und    den    religiösen    über    und    schliesst    dann    „mit  einem 
grossen  Blick    auf    das    durchlaufene   Gebiet    von    der    gewonnenen  Höhe 
hinab".    Bibliographische  Ungenauigkeiten  und  die  unrichtige  Anschauung, 
dass    die    meisten    Volksbücher    Prosaauflösungen    mittelalterlicher    Epen 
seien,  muss  man  einem  nicht  nur  gelehrten,  sondern  auch  Leben  atmenden 
Buche  zugute  halten.     Persönliche  Voreingenommenheit  zeigt  sich,    wenn 
er  der  Volksheilkunde  das  Wort  redet,    weil  er  selbst  Wunderkuren  vor- 
genommen   hat.     Den    Höhepunkt    dieser    literargeschichtlichen    Leistung 
bildet  die  Abhandlung    über    die  Entstehung    und  Weiterentwicklung  der 
Faustsage,  wie  er  auch  die  Geschichte  des  Buches  vom  Eulenspiegel  richtig 
vermutet.    Seiner  Würdigung  einzelner  Volksbücher  vom  Standpunkt  mit- 
geniessender  Empfindung  aus  ist  nichts  Besseres  an  die  Seite  zu  setzen. 

Von  dem  Wunderhorn,  von  Tiecks  Minneliedern  und  Jakob  Grimms 
Schrift  'Über  den  alten  deutschen  Meistergesang'  1811  gehen  Görres' 
weitere  Beschäftigungen  mit  den  Volks-,    Minne-    und  Meisterliedern    aus 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  I37 

und  führen  zu  der  Ausgabe  'Altteutsche  Volks-  und  Meisterlieder  aus  den 
Handschriften  der  Heidelberger  Bibliothek',  1817.  In  der  Einleitung  dazu, 
welche  eine  lebendige,  aus  den  Minneliedern  erschlossene  Vergegen- 
wärtigung der  deutschen  Vergangenheit  zeigt,  teilt  er  den  Standpunkt 
Grimms,  dass  das  Volkslied  die  ganze  Zeit  neben  dem  Minne-  und 
Meistergesänge  bestanden  habe,  fasst  aber  den  Begriff  Volkslied  viel 
weiter  als  jener,  wenn  ihm  Volksmässigkeit  gleichbedeutend  mit  der  all- 
gemeinen Aufnahme  und  Verbreitung  eines  Liedes  ist.  Er  geht  aber  zu 
weit,  wenn  er  in  der  Vorrede,  wie  in  der  Ausgabe  die  drei  deutlich  von- 
einander zu  scheidenden  Gruppen  zusammenwirft.  Seine  Auswahl  aus  den 
eben  glücklich  wiedererlangten  pfälzischen  Handschriften  trifft  er  ziem- 
lich sorglos  und  willkürlich,  ordnet  die  'recht  schönen  Volkslieder'  in 
stoffliche  Gruppen  ohne  organischen  Zusammenhang  an,  versieht  sie  mit 
zum  Teil  unpassenden  Überschriften,  schreibt  sie,  wie  damals  üblich, 
halbschlächtig  ins  Neuhochdeutsche  um  und,  was  schlimmer  ist,  ändert 
Wortlaut  und  Reim,  streift  den  Reiz  des  Mundartlichen  und  Frischen 
ab;  ganz  zu  geschweigen  von  den  zahllosen  Missverständnissen  und  Lese- 
fehlern. Wie  Görres  bei  den  Volksbüchern  nur  den  Stoff  und  nicht  die 
Form  beachtete,  so  erweist  er  auch  hier  kein  Gefühl  für  den  Rhythmus 
und  den  poetischen  Stil. 

Von  Brentanos  und  Arnims  Bemühuno^en  um  die  Volksdichtung 
und  von  Görres'  'Volksbüchern'  gingen  die  wissenschaftlichen  An- 
fänge der  Brüder  Grimm  aus.  Doch  im  Gegensatz  zu  den  Roman- 
tikern wurden  sie  früh  durch  Erziehung  und  knappe  Verhältnisse 
an  eine  einfache  zurückgezogene  Lebensweise  und  stete  pflichtgetreue 
Arbeit  gewöhnt.  Auch  hatten  sie  bei  ihrem  ernsten  wissenschaftlichen 
Gewissen  eine  ganz  andere  Auffassung  von  den  winkenden  schönen  Auf- 
gaben als  die  Romantiker,  so  dass  eine  gemeinsame  Arbeit  mit  diesen 
unmöglich  wurde.  Bei  der  Vorbereitung  der  späteren  Bände  des  Wunder- 
horns  hatte  Arnim  im  Reichsanzeiger  Ende  I8O0  eine  Aufforderung  an 
das  Publikum  veröffentlicht  mit  dem  Ersuchen  um  Einsendung;  von 
Liedern.  Ferner  wurde  Brentanos  gedrucktes  Zirkular  von  1806  zum 
Teil  aufgenommen  in  die  von  ihm  und  Arnim  November  1807  in  den 
verbreitetsten  Blättern  erlassene  Erklärung.  Diese  Aufrufe  sind  schon  als 
erster  Versuch  zu  einer  Organisierung  der  Sammelarbeit  zu  betrachten. 
Ungefähr  1808  teilte  Jakob  Grimm  mündlich  Brentano  seinen  Plan  zu 
einem  'deutschen  Sammler'  mit.  Im  Neujahrsbrief  von  1811  schlug 
Brentano  auf  Grund  seiner  eigenen  Erfahrungen  Grimm  vor,  mit  ihm, 
Arnim,  Görres  und  anderen  eine  Aufsammlung  von  'Tradition  und  Volks- 
sage' zu  unternehmen,  wofür  Deutschland  in  Kreise  mit  besonderen 
Leitern  der  Sammelarbeit  geteilt  werden  sollte  und  für  die  Veröffent- 
lichung eine  Zeitschrift  'Der  Altdeutsche  Sammler'  oder  'ein  fortwährendes 
Buch'  zu  bestimmen  wäre.    Mit  einer  zustimmenden  Antwort  hatte  Grimm 


138  Hauffen: 

auch  gleich  die  erbetene  'Aufforderung  an  die  gesamten  Freunde  deutscher 
Poesie  und  Geschichte  erlassen'.  Dieser,  im  wesentlichen  nur  die  Auf- 
sammlung von  Sagen  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  bezweckende  Ent- 
wurf ist  nicht  nur  zu  umfänglich,  sondern  auch  zu  gründlich,  zu  wissen- 
schaftlich wuchtig  geraten,  als  dass  er  sich  zu  einer  Verbreitung  in  den 
weitesten  Schichten  geeignet  hätte.  Unwillkürlich  wird  hier  auch  die  beim 
Wunderhorn  angewendete  Methode  gerügt,  weil  die  getreueste  Wiedergabe 
der  Yolkserzählungen  gefordert  ist.  So  war  es  also  für  Arnim  und 
Brentano  nicht  möglich,  diesen  Aufruf  zu  unterschreiben.  Jakob  Grimm 
hätte  sich  auch  nie  zu  einer  anderen  Überzeugung  bestimmen  lassen  und 
sah  bald  die  Aussichtslosigkeit  dieses  Unternehmens  ein.  So  blieb  die 
Sache  liegen,  doch  entschloss  er  sich  nun,  seiner  eigenen  Kraft  vertrauend, 
ohne  Verbindung  mit  den  Romantikern  nur  mit  seinem,  zwar  phantasie- 
vollen, dichterisch  begabten,  aber  der  echten  Wissenschaft  treu  ergebenen 
Bruder  Wilhelm  zu  arbeiten,  und  verwendete  viele  Gedanken  des  aufge- 
gebenen Planes  für  ein  neues  Unternehmen^).  Während  des  Wiener 
Kongresses  stiftete  Jakob  Grimm  eine  Gesellschaft,  die  „alles,  was  unter 
dem  gemeinen,  deutschen  Landvolke  von  Lied  und  Sage  vorhanden  ist, 
retten  und  sammeln"  sollte.  Er  versendete  ein  Zirkular,  das  später 
^Märchenbrief  zubenannt  wurde,  und  das  neben  Märchen,  Sagen  imd 
Liedern  auch  Schwanke,  Puppenspiele,  Bräuche,  Rechtsgewohnheiten, 
Aberglauben  und  Sprichwörter  ins  Auge  fasst^). 

Zwischen  1810 — 1815  haben  die  Brüder  Grimm  ihren  festen  Stand- 
punkt gefunden,  von  dem  aus  sie  in  ihren  Arbeiten  und  Plänen  folge- 
richtig und  fruchtbar  zu  systematischen  Forschungen  und  Darstellungen 
der  geistigen  Erzeugnisse  des  deutschen  Volksturas  vorgehen  konnten.  Sie 
haben  diesen  Weg  weiter  verfolgt  bis  zu  ihrem  Lebensende,  mit  immer 
wachsenden  Erfolgen  und  viele  Ziele  erreicht,  die  sie  sich  in  ihrer  Jugend 
gesteckt  hatten.  Freilich  der  kräftigere  und  gesündere  Jakob  war  viel 
leistungsfähiger  und  ging  mit  unablässigem  Fleiss  unbeirrt  auf  sein  Ziel 
los,  während  Wilhelm  oft  durch  Nebenbestrebungen,  seine  Familie  und  ge- 
selligen Verkehr  von  seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  abgezogen  wurde  ^). 


1)  Vgl.  R.  Steig,  oben  12,  129  —  138,  wo  auch  die  erwähnte  'Aufforderung'  nach  der 
Handschrift  abgedruckt  ist. 

2)  Vgl.  J.  Bolte,  oben  12,  9(5  Anmerkung.  Das  Zirkular  ist  abgedruckt  in  J.  Grimms 
Kleineren  Schriften  7,593—595.  Über  die  Volksdichtung  hinaus  greift  eine  Anleitung,  die 
Jakob  Grimm  1822  seinem  Freunde,  dem  Regierungsrat  Werner  von  Haxthausen  in  Köln, 
für  eine  geplante  Aufsammlung  westfälischer  Überlieferungen  vorschlägt.  In  elf  Ab- 
schnitten wird  hier  die  Aufzeichnung  der  'Volksdialekte  nach  Schmellers  Muster',  von 
Rechtsgewohnheiten,  Bräuchen,  Tracht,  Hausrat,  'Eigenheiten  bei  Viehzucht  und  Acker- 
bau', von  Volkssagen,  Sprichwörtern,  Liedern  und  Tänzen  in  Aussicht  genommen.  Ein 
Plan,  der  den  weitesten  Stoffkreis  der  Volkskunde  in  sich  fasst.  (Mitgeteilt  von  Erich 
Schmidt  oben  12,  96-98.) 

3)  Hermann  Paul,  Geschichte  der  germanischen  Philologie  S.  61  — (55.  68—73.  83—90. 
94—96.     (In  seinem  Grundriss  der  germanischen  Philologie*  I.     Strassburg  1901.) 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  139 

Zunächst  hatten  sich  die  Brüder  die  Aufgabe  gesetzt,  gegenüber  dem 
Wunderhorn  die  volkstümlichen  Prosadichtungen  zu  sammeln  und 
herauszugeben.  Sie  begnügten  sich  nicht  mit  den  gedruckten,  vielfach 
trüben  Quellen,  sondern  schöpften  auch  aus  dem  Volksmund.  Nur  Echtes, 
in  möglichst  unverfälschter  Gestalt  wollten  sie  gewinnen.  Frühzeitig 
fassten  sie  den  Plan  zu  zwei  Sammlungen;  sie  schieden  die  Erzählungen, 
die  an  Ort  und  Zeit  gebunden  sind,  also  die  Sagen,  von  den  freien 
Märchen.  Nach  ungefähr  sechsjähriger  Vorarbeit  des  Sammeins  und 
Sichtens  zerstreuten  Stoffes,  einer  vorsichtigen,  den  ursprünglichen  Ton 
nicht  verwischenden  Stilisierung  erschien  der  erste  Band  der  'Kinder-  und 
Hausmärchen'  1812  und  bald  danach  der  zweite  1814.  Die  zweite  Aus- 
gabe (1819  —  1822)  brachte  eine  erhebliche  Vermehrung,  besonders  der 
Anmerkungen,  die  zu  einem  neuen,  dem  dritten  Bande  erweitert  wurden. 
Den  ältesten  Bestand  bilden  Erzählungen  alter  Frauen  aus  Hessen;  das 
meiste  entstammt  überhaupt  mündlicher  Überlieferung.  Neben  Joh.  Hein- 
rich Jung-Stilling  steuerte  auch  Philipp  Otto  Runge,  der  Maler  der 
Romantik  und  Liederdichter,  die  zwei  plattdeutschen  Märchen  vom  Fischer 
und  seiner  Frau  und  dem  Mahandelboom  bei>).  Wurden  die  Märchen  ein 
Gemeingut  des  deutschen  Volkes,  so  haben  die  reichhaltigen  Anmerkungen 
dazu,  welche  die  Quellen,  verwandte  Fassungen  und  Stoffvergleichungen 
bieten,  trotz  dem  unrichtigen  Standpunkt,  die  Übereinstimmungen  auf 
einen  gemeinsamen,  mythischen  Kern  zurückzuführen,  die  gesamte,  spätere 
Märchenforschung  auch  über  Deutschland  hinaus  angebahnt^). 

In  zwei  Bänden  erschien  auch  die  nächste  reichhaltio^e  Sammlung 
der  Brüder  'Deutsche  Sagen'  (1816  und  1818)  mit  wunderschönen  Ein- 
leitungen, die  neben  der  Würdigung  des  Gebotenen,  auch  Auswahl,  Ein- 
teilung und  Anordnung  rechtfertigen.  Der  erste  Teil  enthält  die  'mehr 
örtlich  gebundenen',  das  heisst  zum  grössten  Teil  mythische  Sagen,  die 
sich  an  bestimmte  Orte  festgesetzt  haben,  und  hier  nach  den  mannig- 
faltigen Erscheinungen  der  Eiben  angeordnet  sind.  Alle  stammen  aus 
dem  Volksmund  und  sind  zum  grossen  Teil  von  den  Brüdern  selbst  auf- 
gezeichnet worden.  Von  älteren  Sammlungen  verwenden  sie  besonders 
die  von  Prätorius  —  legen  aber  die  Rübezahlsagen  für  später  bei  Seite  — 
und  die  wenigen  vor  ihnen  erschienenen  landschaftlichen  Sagensammlungen, 
die  vom  Untersberge  (vgl.  oben  S.  131),  die  Eisenacher  Volkssagen  (1795), 
Otmars  Sagen  aus  dem  Harz  (1800)  und  die  von  Wyss  (Bern  1815),  die 
aus  umfänglichen  Gedichten  'in  die  nackende  Wahrheit  eingelöst'  werden 
mussten.  Der  zweite  Teil  bringt  die  fast  durchaus  Chroniken  und  älteren 
Geschichtswerken  entnommenen,  'mehr  geschichtlich  gebundenen'  Sagen. 
Hier  werden  die  Heldensagen,  viele  Geschlechtersagen  und  Legenden  über- 
haupt nicht  aufgenommen.     Die  Anordnung  in  den  beiden  Bänden    ist  so 

1)  Andreas  Aubert,  Runge  und  die  Eomautik.     (Berlin  1909). 

2)  Eine  neue  Ausgabe  wird  von  Joh.  Bolte  im  Vereine  mit  G.  Polivka  bearbeitet. 


140  Hauffen:    Geschichte  der  deutschen  Volkskunde. 

glücklich,  dass  sie  den  Eindruck  eines  einheitlichen,  ungestörten  Verlaufes 
macht.  Das  Bedeutsame  dieser  Sammlung  von  585  Sagen  liegt  auch  darin, 
dass  hier  bereits  alle  typischen  Arten  von  Yolkssagen  vorliegen,  so  dass 
die  zahllosen  späteren  allgemein  deutschen  und  landschaftlichen  Sagen- 
sammlungen, die  sich  auch  in  Einteilung  und  Anordnung  nach  dieser  Aus- 
gabe richten,  nur  neue  Beispiele  dazu  liefern  konnten^). 

Im  Jahre  1819  erscheint  der  erste,  die  Flexionen  und  einen  Teil  der 
Laute  behandelnde  Band  der  'Deutschen  Grammatik',  die  erst  1837  mit 
dem  4.  Band  fertig  vorliegt^).  Hier  hat  Jakob  Grimm  den  überausreichen 
Bestand  an  Lauteu,  Formen,  Wort-  und  Satzbikhmg  aller  germanischen 
Yölker  von  den  Anfängen  bis  in  seine  Zeit  auf  Grund  zahlreicher  Quellen 
gebucht  und  mit  seiner  Anschauung  vom  geschichtlich  Gewordenen  das 
erste  Beispiel  einer  wissenschaftlichen,  historischen  Grammatik  gegeben 
und  damit  erst  die  Erkenntnis  der  geschichtlichen  Entwicklung  der 
Sprache  eröffnet.  Die  lebenden  Mundarten  sind  hier  nur  gelegentlich 
berücksichtigt,  weil  Jakob  die  Fähigkeit  abging,  die  feinen  Unterschiede 
und  Färbungen  mundartlicher  Laute  genau  zu  erfassen.  Eine  um  so  wert- 
vollere Ergänzung  fand  seine  gewaltige  Leistung  durch  die  gleichzeitig 
anhebende  Erforschung  der  lebenden  Mundarten,  deren  erste  reife  Frucht 
das  vielfach  nachgeahmte  'Bayerische  Wörterbuch'  (1827—1837)  von  Johann 
Andreas  Schmeller  ist,  das  nicht  nur  eine  Fülle  mundartlicher  Aus- 
drücke, sondern  auch  zur  Erläuterung  eine  Fülle  von  Redensarten, 
Sprichwörtern,  Bräuchen  und  anderen  Volksüberlieferungen  bringt. 

Jakob  Grimm  wandte  sich  inzwischen  anderen  Gebieten  zu.  Schon 
lange  zogen  ihn  an  den  deutschen  Rechtsbräuchen  die  sinnlichen,  leben- 
den Erscheinungen  besonders  an.  Hier  fand  er  'dasselbe  stille  Walten  der 
Volksphantasie,  das  Festhalten  an  alter  Überlieferung,  wie  in  Sage  und 
Mythos'.  Nach  einer  Vorarbeit  mit  dem  bezeichnenden  Titel  'Von  der 
Poesie  im  Recht'  erschienen  1828  die  'Deutscheu  Rechtsaltertümer',  wo 
die  bildkräftige  Sprache  der  Formeln  mit  Stab-  und  Endreim,  sowie  die 
von  den  Rechtshandlungen  unzertrennlichen  Sinnbilder  besonders  eingehend 
berücksichtigt  wurden^). 

Sieben  Jahre  später  (1835)  erschien  wieder  ein  auf  emsigster  Arbeit  be- 
ruhendes, grundlegendes  Werk  von  Grimm,  die  'Deutsche  Mythologie'*). 


1)  Deutsche  Sagen,  herausgegeben  von  den  Brüdern  Grimm,  4.  Auflage  besorgt  von 
Reinhold  Steig  (Berlin  1905).  In  einem  Bande.  Beide  Vorreden  stehen  jetzt  an  der 
Spitze.  Der  mehrfach  entstellte  Wortlaut  ist  gebessert.  Die  Quellenangaben  am  Schluss 
sind  mit  den  Zusätzen  aus  dem  Handexemplar  der  Bücher  ergänzt. 

2)  Neuer  vermehrter  Abdruck  des  1.  und  2.  Bandes  durch  Wilhelm  Scherer  (Berlin 
1870-1878);  des  3.  und  4.  Bandes  durch  Gustav  Roethe  und  Edward  Schröder  (Gütersloh 
1890  u.  1898). 

3)  Vierte  Auflage  von  Andreas  Heusler  und  R.  Hübner  (Leipzig  1900). 

4)  Vierte  Auflage  besorgt  von  Elard  Hugo  Meyer  (Berlin  1875—1878),  wo  Grimms 
handschriftliche  Nachträge  verwertet  sind. 


Zachariae:    Scheingeburt.  141 

Nur  schwache  Versuche  sind  vor  ihm  auf  diesem  Gebiete  ent- 
standen, so  hat  er  auch  dieses  Werk  wie  die  Grammatik  aus  dem 
Vollen  geschaffen.  Mit  Absicht  zog  er  hier  die  nordischen  Quellen  nicht 
heran,  weil  er  der  Frage,  ob  die  beiden  Mythologien  urgermanisch,  also 
gemeinsamer  Besitz  seien,  nicht  vorgreifen  wollte.  In  Deutschland  aber 
lagen  ihm  nur  weit  zerstreute  Trümmer  vor,  doch  hat  er  es  verstanden, 
aus  schriftlichen  Quellen  aller  Zeiten  des  deutschen  Volkes  und  aus 
mündlichen  Überlieferungen  einen  stattlichen  Bau  aufzurichten.  Die 
Heldensage  hat  er,  was  auffällig  ist,  nur  wenig  ausgebeutet.  Unter  der 
beigebrachten  Masse  von  Belegen  ist  von  der  späteren  Kritik  manches 
gestrichen  worden,  was  überhaupt  nicht  mythischen  oder  doch  nicht  alt- 
deutschen Ursprunges  ist,  sondern  späterer  Ausbildung  oder  fremder  Be- 
einflussung entstammt  Vorsichtig  aber  hat  sich  Grimm  im  Gegensatz  zu 
seinen  Vorgängern  und  Nachfolgern  aller  Ausdeutung  von  Mythen  ent- 
halten. So  wie  seine  Grammatik,  hat  auch  seine  Mythologie  auf  den 
wissenschaftlichen  Betrieb  dieser  Gebiete  nicht  nur  in  der  deutschen 
Nation,  sondern  bei  allen  gebildeten  Völkern  mächtig  und  nachhaltig  ein- 
gewirkt. 

°'  (Schluss  folgt.) 


Scheingeburt. 

Von  Theodor  Zachariae. 


Der  italienische  Reisende  Pietro  della  Valle  ist  ein  klassisch 
gebildeter  Schriftsteller,  'ein  in  den  Historicis  und  alten  Scribenten,  die 
er  an  vielen  Orten  anführet,  wohl  belesener  und  vieler  Sprachen  kundiger 
Mann'.  Er  wird  nicht  müde,  die  Klassiker  zu  zitieren,  namentlich  dann, 
wenn  sichs  um  die  Vergleichung  orientalischer  Sitten  und  Gebräuche  mit 
denen  der  Griechen,  Römer  und  anderer  Völker  handelt.  Den  Türken 
ist  es  nicht  erlaubt,  mit  Schuhen  oder  Pantoffeln  in  die  Moscheen 
zu  gehen ^),  gleichwie  man  auch  in  der  Dianen  Tempel  auf  Kreta  hat 
tun  müssen,  nach  dem  Bericht  des  Julius  Soliuus.  Auf  den  Särgen  der 
ottomanischen  Kaiser  sieht  Della  Valle  (1,21)  ein  Kleid  und  ein  Tulband 
von  der  Form,  wie  es  der  Verstorbene  getragen  hat,  liegen.  Beide  Gegen- 
stände werden,    wie  er  hört,    alle  Jahre  erneuert.     Dies  erinnert  ihn  an 

1)  Della  Valle  1.  14.  Ich  zitiere  Della  Valles  Reisebesrhreibung  nach  der  deutscheu 
Ausgabe  vou  Widerhold  (4  Teile,  Genff  1674),  mit  Vergleichuiiir  des  unentbebrlichea 
italienischen  Originals  in  der  Ausgabe  von  Gancia,  Brighton  ISlo. 


242  Zachariae: 

das,  was  nach  Thuc.  3,  58,  3  die  Bürger  von  Platää  taten.  In  Konstantinopel 
wurde  Della  Yalle  von  einer  römisch-katholischen  Familie  zu  einer  Tauf- 
feierlichkeit eingeladen;  er  selbst  musste  bei  dem  Kinde,  einem  Mädchen, 
Gevatter  stehen.  Die  Handlung  unterschied  sich  in  nichts  von  der  in 
Italien  üblichen  i);  nur  wurde  das  Kind,  nachdem  es  in  die  Kirche  ge- 
tragen worden,  zunächst  auf  eiilen  Teppich  gelegt,  und  nachdem 
der  Priester  etliche  Gebete  gesprochen,  musste  Della  Yalle  als  Pate  das 
Kind  von  der  Erde  aufheben:  'Welches  vor  alters  die  Yätter  selbsten 
bey  ihrer  Kinder-Geburt  gethan  haben  ^),  hierdurch  zu  erkennen  zu  geben, 
dass  sie  Yätter  darzu  wären,  und  sie  für  die  ihrige  erkenneten'.  Della 
Yalle  fügt  hinzu,  dass  er  das  Kind  nicht  allein  von  der  Erden,  sondern 
auch,  ihrer  Gewohnheit  nach,  so  hoch  in  die  Höhe  heben  musste, 
als  seine  Arme  reichen  konnten,  gleich  als  ob  dieses  ein  gutes  Yorzeichen 
wäre,  dass  das  Kind  zu  seinem  vollkommenen  Gewächs  gelangen  würde 
(1,  43).  Bei  den  Türken  gilt  die  linke  Hand  als  die  Oberstelle,  als  der 
ehrlichste  Platz ^).  So  hat  auch  Cyrus,  wie  Xenophon  Cyr.  8,  4,  3  berichtet, 
die  linke  Hand  für  die  ehrlichste  gehalten.  In  Kairo  lernt  Della  Yalle 
(1,  128  vgl.  2,  236)  zum  ersten  Male  die  Tauben  kennen,  deren  man  sich 
im  Orient  bedient,  um  Briefe  zu  befördern*).  Er  erinnert  an  die  Tauben, 
die  Decumus  Brutus  aus  dem  belagerten  Mutina  ins  Lager  der  Konsuln 
schickte  (Plinius  10,  37),  sowie  an  die  'fliegenden  Boten'  Tassos  (Gerusa- 
lemme  liberata  18,  52).  Im  Jahre  1616  beobachtete  Della  Yalle  (1,  176) 
in  Aleppo  eine  Mondfinsternis.  Mit  kupfernen  Becken,  auf  die  sie 
schlugen,  und  auf  andere  Weise  machten  die  Bewohner  der  Stadt  einen 
grossen  Lärm,  um  das  Tier  zu  verjagen,  das,  nach  ihrem  Glauben,  den 
Mond  zu  verschlingen  drohte^).  So  machtens  auch  die  Alten  mit  ihren 
sistra  und  anderen  Instrumenten  von  Metall,  wie  Della  Yalle  in  Cartaris 
Imagini  degli  Dei  gelesen  hat®).      Mit    einer    in  Persien  geltenden  Strafe 

1)  Doch  vgl.  Della  Valles  nachträgliche  Bemerkung  über  die  Wachskerze,  die  bis 
zum  Tode  des  Täuflings  aufbewahrt  und  ihm  mit  ins  Grab  gegeben  wird  (Reiss-Be- 
schreibung 1,  45  b). 

2)  Belegstellen  gibt  Della  Valle  nicht,  wenigstens  nicht  in  der  deutschen  Ausgabe. 
In  Gancias  Ausgabe  1,  79  wird  verwiesen  auf  Dempster,  Antiqu.  roman.  lib.  II.  Paralip. 
ad  cap.  19  [Kölner  Ausgabe  von  1620  S.  391—95].  Siehe  sonst  A.  Dieterich,  Mutter 
Erde  1905  S.  6  ff.  und  meine  Bemerkungen  in  der  Wiener  Zs.  für  die  Kunde  des  Morgen- 
landes 17,  143  f.  Id  Bihar  wirft  die  Hebamme  das  Kind  fünfmal  in  die  Luft  und  fängt 
es  wieder  auf.  Dies  —  und  anderes  —  geschieht,  um  den  bösen  Blick  abzuwenden 
(G.  A.  Grierson,  Bihür  peasant  lifo  §  1401.  1402).  Vgl.  noch  Fischarts  Gargantua  1891 
S.  167:  'Secht,  daß  ihrs  hoch  genug  auffjiebt,  daß  es  auch  hoch  wachß!  Hebts  ihr 
lieben  Paten,  wie  die  frommen Cheiben  dieEydgnossen  iren  lieben  Pfetterman  König  Heinrich!' 

3)  Della  Valle  1,  57.  64.  Vgl.  Tbevenots  Reisen  (Franckfurt  1693)  1,  42.  Otto 
Stoll,  Das  Geschlechtsleben  in  der  Völkerpsychologie  S.  279. 

4)  Vgl.,  u.  a.,  Thevenots  Reisen  2,  56.  91. 

5)  Ähnlich  das  Verhalten  der  Bewohner  von  Ispahan  bei  Gelegenheit  einer  Mond- 
finsternis (Della  Valle  2,  42). 

6)  Vgl.,  u.  a.,  Preller,  Griechische  Mythologie  *  1,  134,  Römische  Mythologie  ^  1,  328; 
Grimm,  Deutsche  Mythologie^  668 ff. 


Scheingeburt.  ]4;-{ 

für  Notzuchtsverbrechen  vergleicht  er  (2,  231)  die  Strafe,  die  nach  Diodor 

1,  78,  4  bei  den  Ägyptern  bestand  (roü  ßtaoajuevov  yvvaly.a  i/Lev&egav 
irgogha^av  ojioyMTneo^ni  xä  aiddla).  Die  Türschwelle  wird  von  den 
Persern    für    heilig  i)    und   unverletzlich    gehalten    (Della  Valle  3,   87  vgl. 

2,  29);  ebenso  wie  es  die  Alten  im  Brauch  gehabt,  die,  nach  Varro& 
Bericht,  den  Servius  in  seiner  Auslegung  über  die  8.  Ecloga  Yirgilii  an- 
führt, die  Türschwelle  gleichfalls  für  heilig  gehalten  und  der  Göttin  Vesta 
gewidmet  haben.  Die  Perser  nennen  alles  das,  was  seiner  Art  und  Natur 
nach  stärker  und  dauerhafter  ist,  männlich,  hingegen  aber  was  weich 
und  zart  ist,  weiblich  (Della  Valle  3,  143);  dasselbe  berichtet  Seneca 
von  den  Ägyptern  (aquam  virilem  vocant  mare,  muliebrem  omnem 
aliam  etc.;  Nat.  Quaest.  3,  12,  2  ed.  Gercke).  In  Passa  (Fasa)  in  Persien 
sah  Della  Valle  (3,  144.  182)  einen  sehr  alten,  mächtigen  Zypressenbaum, 
den  die  Mahometaner  mit  grosser  Andacht  verehren^).  Diese  Baum- 
verehrung möchte  er  für  einen  Rest  alten  Heidentums  erklären;  er  zitiert 
die  'cupressus  Religione  patrum  multos  servata  per  annos'  des  Virgil  und 
bemerkt  noch,  dass  auch  die  Juden  dem  Baumkultus  gehuldigt  haben 
(1.  Könige  14,  23  und  sonst;  vgl.  R.  Smith,  Religion  of  the  Semites  * 
p.  185if.).  Von  den  Klageweibern  bei  den  Persern  handelt  er  3,  205. 
Er  vergleicht  sie  mit  den  Praeficae  der  Römer,  erinnert  daran,  dass  Klage- 
weiber bereits  in  der  Heiligen  Schrift  vorkommen  (Jeremias  9,  17),  und 
fügt  hinzu,  dass  Klageweiber  noch  heute  in  Kalabrien  (nach  Ortelius) 
und,  wie  er  glaubt,  auch  in  Sizilien  gebräuchlich  sind.  Anknüpfend  an 
einen  bestimmten  Fall  von  Verhexung  verbreitet  sich  Della  Valle  3,  2 18 f. 
ausführlich  über  die  Gattung  von  Zauberei,  die  von  den  Mahometanern 
'mangiare  il  cuore',  Herzessen,  genannt  wird^).  Dieses  Herzessen  ist, 
meint  er,  nichts  anderes,  als  was  wir  'bezaubern'  (affascinare)  nennen, 
welches  durch  der  Hexen  böses  und  schädliches  Anschauen  geschieht, 
dass  man  bisweilen  darüber  sterben  muss;  es  ist  auch  nichts  Neues,  noch 
anderswo  Unerhörtes;  so  erzählt  Plinius,  nach  des  Isigoui  Bericht,  dass 
sich  Beschreier  (effascinantes)  unter  den  Illyrern  und  Triballeru  finden, 
die  sogar  durch  den  Blick  bezaubern  und  die  töten,  die  sie  längere  Zeit 
mit  zornigen  Augen  ansehen.  In  Indien  macht  Della  Valle  4,  14  die 
Beobachtung,  dass  man  das  Angesicht  eines  Abgottes  'über  und 
über    mit    hoch  -  leibfarb'    (di    un    colore    incarnato    acceso)    angestrichen 


1)  Vgl.  Thevenots  Reisen  2,  116.  James  Morier,  A  second  journev  through  Persia 
1818  p.  254. 

2)  Fast  200  Jahre  später  sah  und  bewunderte  William  Ouseley  denselben  Baum 
(Travels  in  various  countries  of  the  East  1,  374  ff.  2,  90  f.). 

3)  Grimm,  DM.  ^  S.  1031.  1034  ff.  M.  Höfler,  Archiv  für  Anthropologie  33  (1906), 
269 ff.  Derselbe,  Volksmedizinische  Organotherapie  1908,  S.  230 ff.  Auf  die  Stelle  iu 
Della  Yalles  Reisebeschreibung  hat  schon  Liebrecht,  Heidelberger  Jahrbücher  57,  826 
hingewiesen. 


144  Zachariae: 

hat  ^).    So  färbten  auch  vor  alters  die  Römer,  wie  Plinius  33,  7   berichtet 
das  Angesicht  ihres  Jupiter  rot  mit  Minium. 

Von  nicht  geringem  Interesse  ist  eine  persische  Sitte,  die  Della 
Yalle  3,  38.  39  mitteilt  und  mit  einer  von  Diodor  überlieferten  Sitte 
vergleicht;  eine  Sitte,  an  die  ich  eine  Reihe  von  Betrachtungen  und  Unter- 
suchungen knüpfen  möchte.  Alljährlich  an  dem  Tage,  an  dem  Mahomet 
nach  der  Lehre  der  Perser*)  seinen  Eidam  Ali  an  Kindesstatt  annahm 
und  zu  seinem  Erben  und  Nachfolger  einsetzte,  feiern  die  Perser  zum 
Gedächtnis  daran  das  sogenannte  Fest  der  Brüderschaft  (festa  della 
fratellanza),  'an  welchem  sich  nicht  allein  die  Feinde  miteinander  ver- 
söhnen; sondern  auch  viel  unter  ihnen,  zur  Nachfolge  ihres  Gesetzgebers 
(ad  imitazione  del  loro  legislatore),  andere  an  Kinds-Statt  annehmen, 
und  mit  einem  theuren  Eyd  bekräfftigen,  dass  sie  die  Knäblein  für  ihre 
Brüder,  und  die  Mägdlein  für  Schwestern  halten  wollen,  welchen  Eyd  sie 
auch  die  Zeit  ihres  Lebens  unverbrüchlich  halten.  Weil  nun  dieses  eine 
sonderbare  anmerkliche  Sache  ist,  so  kau  ich  hierbey  unaagefügt  nicht 
lassen,  dass  sie,  wann  sie  jemand  an  Kindes  Statt  annehmen  wollen,  fast 
eben  die  Ceremonien  brauchen,  deren  sich,  wie  Diodorus  Siculus  schreibt, 
die  Juno  bedienet  hat,  als  sie  den  Hercules  zu  ihrem  Sohn  angenommen, 
welciie  dann  bey  den  Barbarischen  Völkern  noch  immer  im  Gebrauch 
geblieben  seyn.  Diese  Ceremonien  nun  bestehen  darinnen,  dass 
sie  die  jenige  Person,  die  sie  an  Kinds-Statt  annehmen 
wollen,  gantz  nackend  in  ihr  Hembd  stecken,  und  an  ihr 
Fleisch  legen,  und  alssdann  dieselbe  wieder  heraus   ziehen,    als 


1)  Vgl.  Ouselpy,  Travels  1,  84.  86if  mit  den  Anmerkungen  Liebrecht,  Zur  Volks- 
kunde S.  .395 f.  F.  V.  Duhn,  Archiv  für  Religionswissenschait  9,  19  ff.  Beiläufig  mache 
ich  auf  das  aufmerksam,  was  Della  Valle  3,  205  über  die  rote  Beuialung  von  Gräbern 
sagt.  In  der  Nähe  seines  Hauses  in  Schiras  befand  sich  ein  'Begräbnuss',  das,  wie  auch 
die  Äste  zweier  Zjpressenbäume  daselbst,  stets  mit  roter  Färb  angestrichen  worden. 

2)  A.  Müller,  Der  Islam  im  Morgen-  und  Abendland  2,  13.  Eine  kurze  Erwähnung 
des  Brüderschaftstestes,  das  auf  den  18  Tag  des  Monats  Dsül-hedsche  fälli,  bei  Della 
Valle  2,  67.  (Ob  das  Fest  noch  heute  gefeiert  wird,  weiss  ich  nicht;  nach  dem,  was 
A.  Müller  2,  17  f  bemerkt,  ist  es  nicht  wahrscheinlich.)  Das  Fest  wird  auch  von  anderen 
Autoren  erwähnt,  so  von  Chardin,  Oharius  (Pers.  Reisebeschreibung  4,  19),  Le  Bruyn, 
William  Francklin;  aber  das,  was  Della  Valle  darüber  mitteilt,  finde  ich  sonst  nirgends 
an<regeben.  Nur  Adam  Olcarius  scliildert  in  seiner  Persianischen  Reisebe.-^chreibung  5,  14 
(Haml)urg  1G96,  S.  310,  mit  dankensw.Tter  Ausführlichkeit,  wie  die  Perser  jährlich  einmal 
zusammenzukommen  pflegen  und  sich  miteinander  verbinden,  treue  Freundschaft  und 
Brüderschaft  Zeit  ihres  Lebens  zu  halten.  Doch  Olearius  sagt  nicht,  an  welchem  Tage 
des  Jahres  die  Eingehung  und  'Einscjinung'  der  Brüderschaften  stattfand.  Vgl.  noch 
Jo.  de  Laet,  Persia,  seu  regni  Persici  status,  Lugd  Batav.  1633,  p  158.  Dass  die 
Schliessung  der  Brü'lerschaft  in  Persien  an  einen  bestimmten  Tag,  an  ein  bestimmtes 
Fest  gtkiiüpft  war,  ist  bemerkenswert.  Man  trifft  diese  Erscheinung  auch  anderwärts. 
Vgl.  nur  Ciszewski,  Künstliche  Verwandtschaft  bei  den  Südslaven  S.  41  fl'.;  Krauss.  Sitte 
und  Brauch  der  Südslaven  S.  (ioOf.  So  werden  auch  Gottesurteile  an  bestimmten 
Tagen  vorgenommen.  Oben  18,  384  (Freitag);  Post,  Grundriss  der  ethnologischen  Juris- 
prudenz 2,  478. 


Scheingeburt.  145 

wann  sie,  wie  ihre  leibliche  Kinder,  aus  ihrem  eigenen  Leibe 
kommen   wäre.' 

Die  von  Della  Yalle  angezogene  Diodorstelle  lautet:  rtjv  Texvcooiv 
yeveo&ai  q)aol  TOiavrrjv.  tijv  "Hqqv  ävaßäoav  em  y.?uv)]r  xal  rov  'HgaxMa 
7ioooXaßoij,evtp'  tiqo^  to  ocojLia  did  rcov  tvövfiUTCOV  dq^eTvai  Jioög  Ti)v  yrjv, 
fUjiiovuh')]v  Ttjv  dh]div)p'  yereoiv.  ojieo  i^d'/Qi  rov  vvi'  Tioieiv  rovg  ßagßdoovg 
oxav  &eTÖ)'  i'lör  Jioielo&at  ßovXcovxai^).  Diese  Adoptionsart  wird  kaum 
anders  aufgefasst  werden  können,  als  wie  sie  Diodor  aufgefasst  hat.  Es 
liegt  hier  offenbar  eine  juljutjoig  xT/g  dhy&irijg  yeveoEwg,  eine  imitatio  naturae, 
eine  Scheingeburt^),  vor,  und  man  wird  Frazer  durchaus  Recht  geben 
müssen,  wenn  er  den  von  Diodor  überlieferten  Brauch  unter  der  Rubrik 
'imitative  magic'  aufführt'). 

Seit  der  Zeit,  wo  Della  Valle  schrieb,  sind  fast  300  Jahre  verflossen. 
Die  Ausleger  zu  Diodor  4,  39,  2  (namentlich  Wesseling),  ferner  Everardus 
Otto,  Grimm,  Liebrecht,  Bachofen,  Frazer  und  andere  haben  sich  mit  der 
von  Diodor  geschilderten,  als  barbarisch  bezeichneten  Sitte  beschäftigt  und 
eine  ganze  Anzahl  von  Parallelen  beigebracht.  Wir  wissen  jetzt,  dass  der 
Adoptionsritus,  den  Della  Yalle  bei  den  Persern  vorfand,  in  derselben  oder 
in  einer  ähnlichen  Form,  im  Mittelalter  verbreitet  war;  ja  er  soll  noch 
heute  im  Schwange  sein.  Von  den  Parallelen,  die  die  genannten  Autori- 
täten und  andere  zusammengestellt  haben,  will  ich  die  wichtigsten  hier 
folgen  lassen.  Im  voraus  bemerke  ich  nur,  dass  wir  bei  unseren  Be- 
trachtungen ausser  den  Adoptionsriten  auch  die  beim  Abschluss  der  Bluts- 
oder Wahlbrüderschaft  herrschenden  Gebräuche  zu  berücksichtigen  haben. 
Fallen  doch  Adoption  sowie  Brüderschaftsschliessung  beide  unter  den  Be- 
griff der  künstlichen  Verwandtschaft*). 

Zunächst  ist  der  türkische  Brauch  zu  erwähnen,  von  dem  Herbelot 
in  seiner  Bibliotheque  Orientale  u.  d.  W.  Akhrat  berichtet:  L'adoption 
qui  est  frequente  parmi  eux  (les  Turcs]  se  fait  en  faisant  passer  celuy  qui 
est  adopte  par  dedans  la  chemise  de  celuy  qui  l'adopte.  Cest  pourquoy 
pour  dire  adopter  en  Türe,  Ton  s'exprime  en  ces  termes:  Faire  passer 
quelqu'un  par  sa  chemise.  Die  bosnischen  Türken^)  'pflegen  in  der 
Regel  unmündige  Kinder  zu  adoptieren,  und  zwar  nach  orientalischem 


1)  Bibl.  bist.  4,  39,  2.  Zu  der  Stelle  vgl.  E.  Eohde,  Psyche  ^  2,  421.  A.  Dietericb, 
Eine  Mithrasliturgie  S.  124.  1:^6. 

2)  Dieser  Ausdruck  wird  gebraucht  von  A.  H.  Post,  Grundriss  der  ethnologischen 
Jurisprudenz  1,  111. 

3)  The  golden  bough  -  1,  21.  Der  von  Della  Valle  bezeugte  persische  Brauch  wird 
von  Frazer  nicht  erwähnt. 

4)  J.  Kohler,  Studien  über  die  künstliclie  Verwandtschaft  (Zeitschrift  für  vergleichende 
Rechtswissenschaft  5,  415—440).  A.  H.  Post,  Grundriss  der  ethnologischen  Jurisprudenz  1. 
93-111. 

5)  F.  S.  Krauss,  Sitte  und  Brauch  der  Südslaven  1885  S.  1)00.  Stanislaus  Ciszewski, 
Künstliche  Verwandtschaft  bei  den  Südslaven  (Leipzig  1897)  S.  103. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  2.  10 


146  Zachariae: 

Brauche.  Die  Adoptivmuttei'  stopft  nämlich  das  Kind  in  ihre  weiten 
Hosen  hinein  und  lässt  es  durch  die  Hosen  auf  die  Erde  nieder,  als 
wenn  sie  das  Kind  gebären  würde'.  Eine  ähnliche  Adoptionsart  soll 
früher  in  Serbien  geherrscht  haben.  Man  glaubt  dies  aus  einer  Stelle  in 
einem  serbischen  Volksliede  schliessen  zu  können,  worin  wir  von  einer 
Kaiserin  lesen,  dass  sie  ein  Kind  durch  ihren  seidenen  Busen  zog, 
damit  das  Kind  ein  Herzenskind  genannt  werde^).  In  Bulgarien  bestand 
und  besteht  noch  heute  die  folgende  Adoptionsart ^).  Die  Adoption  wird 
von  einer  Frau  vollzogen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  sie  das  Kind 
unter  ihrer  Kleidung  in  der  Richtung  von  ihren  Füssen  her  nach  der 
Brust  zieht  und  es  in  der  Brustgegend  wieder  hervorholt. 

Von  der  Adoption  mittels  des  Durchziehens  durchs  Hemd  u.  dgl. 
haben  wir  nun  eine  Reihe  von  geschichtlichen,  mehr  oder  weniger  gut 
beglaubigten  Beispielen.  Diese  Beispiele  sind  zusammengestellt  worden 
von  Ducange  in  seiner  Dissertation  'Des  adoptions  d'honneur  en  fils'  (in 
seiner  Ausgabe  von  Joinvilles  Geschichte  Ludwigs  des  Heiligen;  abge- 
druckt auch  im  7.  Bande  von  Henschels  Ausgabe  des  Glossarium  ad 
scriptores  mediae  et  infimae  latinitatis,  Paris  1850)  und  von  Ev.  Otto  in 
seiner  Jurisprudentia  symbolica  1730  p.  276 — 278.  Siehe  auch  Grimm  RA. 
S.  464;  Bachofen,  Mutterrecht '"^  S.  254 f.;  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  432. 
Ich  lasse  die  wichtigeren  Beispiele  folgen,  indem  ich  wegen  der  hier  nicht 
gegebenen  Belegstellen  auf  die  genannten  Werke  verweise.  Balduins 
Adoption  durch  den  griechischen  Fürsten  von  Edessa  wird  in  einer  Quelle 
wie  folgt  geschildert:  (Princeps  Edessae)  Balduinum  sibi  filium  adoptivum 
fecit,  sicut  mos  regionis  illius  et  gentis  habetur,  nudo  pectori  suo  illum 
astringens,  et  sub  proximo  carnis  suae  indumento  semel  hunc  investiens; 
in  einer  anderen  Quelle:  Intra  lineam  interulam,  quam  nos  vocamus  cami- 
siam,  nudum  intrare  eum  facieus  sibi  astrinxit.  Von  der  adoptierenden 
Maria  Cantacuzena  heisst  es:  biaoyfovoa  ibv  Inevbm^v  aixcpoi  Miyai^X  xal 
ücpsvTio&laßov  Ttaq  h.dreQa  tcov  avrfjg  äyxaX&v  eri^ei.  In  verschiedenen 
Handschriften  der  Crönica  general  de  Espana  wird  erzählt,  wie  an  dem 
Tage,  wo  Mudarra  getauft  und  zum  Ritter  geschlagen  wird,  seine  Stief- 
mutter ein  sehr  weites  Hemd  über  ihre  Gewänder  angelegt  hat,  einen  Ärmel 
des  Hemdes  über  ihn  wegzieht  und  ihn  durch  die  Kopföffnuug  wieder  heraus- 
kommen lässt;  wodurch  sie  ihn  für  ihren  eigenen  Sohn  und  Erben  erklärt^). 

1)  Ciszewski,  Künstliche  Verwandtschaft  S.  104.  Doch  vgl.  Krauss,  Sitte  und  Brauch 
der  Südslavcn  S.  599. 

2)  Ciszewski,  Künstliche  Verwandtschaft  S.  104. 

3)  Frazer,  Golden  boiigh^  1,  21  n.  hebt  hervor,  dass  in  den  mittelalterlichen  Beispielen 
einer  Adoption  durch  'Simulation  of  birth'  die  Adoption  von  Männern  ausgeführt  werde; 
Liebrecht  jedoch  habe  einen  Fall  zitiert,  wo  die  Zeremonie  von  der  adoptierenden 
Mutter  vollzogen  wurde  (nämlich  die  Adoption  Mudarras:  Zur  Volkskunde  432).  Dieser 
Fall  ist  aber  keineswegs  der  einzige  in  seiner  Art.  Auch  ist  Liebrecht  nicht  der  erste, 
der  auf  Mudarras  Adoption  liingewiesen  hat. 


Scheingeburt.  X47 

In  einer  anderen  Quelle^)  wird  Mudarras  Adoption  wie  folgt  erzählt: 
(Adoptionis)  hie  ritiis  fuit,  rudis  quidem  sed  insignis.  Quo  die  nostra 
Sacra  suscepit,  et  balteo  militari  donatus  a  Garsia  Fernando  Comite 
Castellae  est,  novercae  amplissimi  indusii  manica  acceptus,  collari  etiam 
indusii  capiti  inserto,  additoque  osculo  in  familiam  transiit.  Ex  eo 
more  vulgare  proverbium  manavit,  Ingressus  manica,  collari  tandem 
egreditur:  de  eo  qui  ad  familiaritatem  admissus  raajora  sibi  indies 
sumit").  Mit  Bezug  auf  die  Adoption  Ramiros  wird  gesagt^):  Adoptionis 
ins,  illorum  temporum  instituto  more,  rite  sancitum  tradunt:  qui  is  ino- 
leuerat,  ut  quae  adoptaret,  per  stolae  fluentes  sinus  eum,  qui  adoptaretur, 
traduceret*).  —  Unbestimmte  Hinweise  auf  den  uns  beschäftig-enden 
Ritus,  wie  y.axä  xbv  naQaxolov&rjoavra  Jiegl  tcov  roiomcov  ndXai  xvnov,  sicut 
mos  est  terrae,  secundum  regionis  morem  lasse  ich  beiseite'). 

In  den  Berichten,  die  wir  durchmustert  haben,  —  wenn  nicht  in  allen, 
so  doch  in  den  meisten  —  tritt  als  das  wesentliche  des  alten  Adoptions- 
ritus hervor:  ein  Durchziehen  (traducere),  ein  Hindurchgehenlassen  des 
Adoptauden  durchs  Hemd  u.  dgl.    Es  fragt  sich  jetzt,    ob    es  andere,    bei 


1)  Joh.  Marianae  Historiae  de  rebus  Hispaniae  lib.  8,  c.  9.  Vgl.  Lafuente,  Historia 
general  de  Espana  3,  16  (1888). 

2)  Diccionario  de  la  lengua  Castellaua  por  la  R.  Ac.  Espanola*  (1817)  u.  d.  W. 
manga  ('Entra  por  la  manga,  y  sale  por  el  cabezon').  Roniancero  general  trad.  par  Damas 
Hinard  (1844)  1,  12-2. 

o)  Hieronymus  Surita,  Indices  rerum  ab  Aragoniae  regibus  gestarum.  Diese 
Autorität  wird  von  Bachofen,  Mutterrecht  S.  254  fälschlich  für  Balduins  Adoption  an- 
geführt. 

4)  Quitard,  Etudes  sur  les  proverbes  Fran<;ais  1860  p.  229  erwähnt  Ramiros  Adoption 
und  fügt  u.  a.  hinzu,  dass  adoptierte  Kinder  mit  Vorliebe  Rene  (Renatus)  genannt 
wurden.  Davon  ist  mir  nichts  bekannt.  Aber  der  iivoxr]?  wird  bisweilen  als  renatus 
bezeichnet:  Rohde,  Psyche"  2,  421.  Wir  haben  es  hier  nur  mit  den  Adoptionsriten  zu 
tun;  es  sei  aber  bei  dieser  Gelegenheit  auf  die  Rolle  hingewiesen,  die  das  Bild  von  Tod 
und  Wiedergeburt  bei  der  Weihe  (Pubertätsfeier,  Initiation)  spielt:  Frazer  •">, 422  —  44.'\ 
Oldenberg,  Religion  des  Veda  468 ff.  Dieterich,  Mithrasliturgie  157  ff.  Preuss,  Globus 
87,  398.  Caland,  Archiv  f.  Religionswissenschaft  11,  128.  Von  besonderem  Interesse  ist 
es,  dass  bei  der  Initiation  ein  Durchkriechen  vorkommt;  vgl.  Frazer  3,  403,  n.  4; 
W.  F.  Otto  im  Rhein.  Museum  für  Philologie  64,468. 

5)  Unter  der  Überschrift  'Simulation  of  birth'  erwähnt  Frazer  1,  21  f.  noch  folgenden, 
in  Sarawak  auf  Borneo  herrschenden  Brauch:  The  adopting  mother,  seated  in  public  on 
a  raised  and  covered  seat,  allows  the  adopted  person  to  crawl  from  behind  between 
her  legs,  etc.  Nahe  steht  der  von  Ciszewski  S.  105  beschriebene  bulgarische  Adoptions- 
ritus (Der  Adoptivvater  nimmt  das  zu  adoptierende  Kind  zwischen  seine  Füsse).  Nach 
Ciszewski  S.  109  herrscht  in  vielen  Gegenden  Bulgariens  die  Sitte,  dass  die  junge  Frau, 
ehe  sie  das  Haus  ihres  Gatten  betritt,  unter  einem  Bein  oder  unter  einer  Hand  des  Gatten 
hindurchgehen  muss  (Adoptionsbräuche  und  Hochzeitsbräuche  stimmen  vielfach  über- 
ein; vgl,  z.  B.  Rieh,  Scliröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte'"  S.  71,  A.  (i2). 
So  auch  in  der  Hercegovina;  wenn  die  Braut  das  erste  Mal  das  Haus  des  Bräutigams  be- 
tritt, muss  sie  unter  seinem  aufgehobenen  Arm  durchschlüpfen,  'damit  sie  ihn  allezeit 
fürchte'  (Wissenschaftliche  Mitteilungen  aus  Bosnien  und  der  Hercegovina  6,  (ill).  Nach 
Curtiss,  Ursemitische  Religion  1903,  S.  91  gibt  es  in  einem  Dorf  in  den  Drusenbergen 
aufrecht  stehende  Steine,  zwischen  denen  ein  Brautpaar  hindurchgehen  muss. 

10* 


148  Zachariae: 

der  Adoption  sowie  bei  der  Legitimation  und  beim  Abschluss  der  Bluts- 
brüderschaft vorkommende  Bräuche  gibt,  die  mit  dem  besprochenen  Ritus 
in  Zusammenhang  stehen,  die  aus  ihm  hervorgegangen  sind,  oder,  wie 
dieser,  als  eine  imitatio  naturae  aufgefasst  werden  können. 

Da  ist  zunächst  das  Umfangen  mit  einem  Mantel:  üblich  bei  der 
Adoption,  namentlich  auch  bei  der  Legitimation  (filii  mantellati,  Mantel- 
kinder)  und  bei  der  Trauung^).  Dass  auch  diesem  Eitus  eine  imitatio 
naturae  zugrunde  liege,  ist  vielfach  angenommen  worden.  Die  Kinder,  die 
man  unter  den  Mantel  nahm,  sollten  dadurch  als  'quasi  prognati'  bezeichnet 
werden  (s.  Ducange  im  Glossarium  unter  pallio  cooperire).  Indessen  ist 
auch  eine  andere  Auffassung  möglich.  Der  Mantel  ist  ein  Zeichen  des 
Schutzes  (Grimm  RA.  S.  160.  892)  sowie  auch  der  Besitznahme. 
'Unter  den  Mantel  ward  derjenige  genommen,  den  man  schützen  und  in 
Obhut  haben  wollte',  heisst  es  im  Deutschen  Wörterbuch  unter  Mantel  G^ 
1608.  Es  kommt  aber  auch  vor,  dass  jemand  einen  Mantel  über  eine 
Person  wirft,  um  auszudrücken,  dass  er  von  ihr  Besitz  ergreifen  will-). 
Alles  in  allem  glaube  ich  nicht,  dass  das  Umfangen  mit  dem  Mantel  als 
ein  Rest  jenes  alten,  auf  einer  imitatio  naturae  beruhenden  Adoptionsritus 
anzusehen  ist.  Post  dürfte  recht  haben,  wenn  er  unter  den  Adoptions- 
formen die  'Scheingeburt'  und  das  'Mitumfangen  mit  Kleid  oder  Mantel' 
gesondert  aufführt  (Grundriss  der  ethnologischen  Jurisprudenz  1,  111). 

Dagegen  ist  wohl  die  Schoss-  oder  Kniesetzung  hierherzuzieheu 
(Grimm  RA.  160.  433.  465;  auch  als  Verlobungszeremonie  vorkommend). 
Sie  erinnert  jedenfalls,  um  Kohlers  Worte  zu  gebrauchen,  lebhaft  an  die 
Adoption  durch  Nachahmung  des  Geburtsaktes ^). 

Der  Gedanke,  dass  der  Adoptand  eine  'Scheingeburt'  durchmachen 
muss,  ehe  er  an  Kindesstatt  angenommen  werden  kann,  tritt  uns  augen- 
scheinlich auch  bei  einer  anderen  Art  von  künstlicher  Yerwandtschaft  ent- 
<reo-en:  bei  der  Blutsbrüderschaft.  In  erster  Linie  ist  hier  der  alt- 
nordische  Rechtsbrauch  des  Ganges  unter  den  Rasenstreifen  zu  er- 
wähnen^), den  Pappenheim  als  eine  Darstellung  des  zur  künstlichen 
Schaffung  von  Brüdern  dienenden  Geburtsaktes  erklärt  hat  (s.  namentlich 


1)  Die  Trauung-  -wurde  als  eine  Hino^abe  der  Braut  in  Adoption  aufgefasst;  R.  Schröder, 
Lehrbuch  der  deutschen  Rcchtsgeschichte*  1907  S.  71. 

2)  Ciszewski,  Küustliclie  Verwandtschaft  S.  109 ff.  Wellhausen,  Archiv  für  Religions- 
wissenschaft 7, 40  f. 

3)  Zs.  für  vgl.  Rechtswissenschaft  7,  222.  Erwähnt  sei  auch  die  'adoption  par 
allaitement',  über  die  Cosquin  vor  kurzem  gehandelt  hat;  vgl.  Joli.  Bolte  oben  IS,  454 f. 
nnd  Post,  Grundriss  der  ethnologischen  .furisprudenz  1,  93.  98. 

4)  M  Pappenheim,  Die  altdänischen  Schutzgilden  1885  S.  21  ff.  und  die  daselbst 
Eitierte  Literatur  Der  Rasengang  kommt  auch  in  anderen  Verwendungen  vor,  z.  B.  als 
Gottesurteil  (Grimm  RA.  119).  Sehr  passend  vergleichen  Felix  Dahn,  Bausteine  2,14.44 
und  Pappenheim,  Schutzgilden  S.  514  das  Gehen  unter  den  Rasenstreifen  im  Dienste 
des  Gottesurteils  mit  dem  'Hergehn  unter  dem  Stock',  dem  'Stockordal',  bei  Grimn> 
RA.  932. 


Scheingeburt.  14y 

Zs.  für  deutsche  Philologie  24,  161).  Nur  liegt  in  diesem  altnordischen 
Brauche  ein  eigentliches  Durchziehen  oder  Durchkriechen  allerdings 
nicht  vor:  die  Männer,  die  den  Blutbund  schliessen  wollen,  treten  unter 
den  Rasenstreifen,  wecken  sich  Blut  und  lassen  ihr  Blut  zusammenfliessen 
in  die  Erde  und  rühren  alles  zusammen,  die  Erde  und  das  Blut;  danach 
fallen  sie  auf  die  Knie  und  schwören  den  Eid,  dass  jeder  den  anderen 
rächen  soll,  wie  seinen  Bruder.  Aber  wenn  der  'Rasengaug'  als  Heil- 
ritus zur  Verwendung  kommt,  so  haben  wir  ein  regelrechtes  Durch- 
kriechen —  oder  Durchziehen  — ,  was  auf  dasselbe  hinausläuft.  Der 
folgende  nordische  Brauch  ist  uns  von  Feilberg  beschrieben  worden:  Ist 
ein  Kind  vom  bösen  Blick  getroffen,  so  schneidet  man  aus  einem  neuen 
Grabe  drei  Rasenstücke,  stellt  zwei  lotrecht,  das  eine  wagerecht  über  die 
beiden  lotrechten,  so,  dass  ein  Loch  gebildet  wird.  Das  kranke  Kind 
wird  gewöhnlich  nach  Sonnenuntergang  oder  vor  Sonnenaufgang  nackt, 
den  Kopf  voran,  mit  der  Sonne,  schweigend,  dreimal  durch  dies  Loch 
gezogen^). 

Ferner  will  ich  nicht  unterlassen,  in  diesem  Zusammenhang  auf  einen 
sehr  merkwürdigen  südslavischen  Brauch  hinzuweisen,  wo  das  Kriechen 
durch  eine  Öffnung,  wie  mir  scheint,  ganz  deutlich  als  eine  Vorbedingung 
oder  Einleitung  zu  der  Brüderschaftsschliessung  auftritt.  Bei  den  Pilger- 
fahrten zu  dem  Kloster  des  h.  Johannes  von  Rila,  einem  der  ältesten 
bulgarischen  Klöster,  wird  unter  folgenden  Umständen  Wahlbrüderschaft 
geschlossen.  An  jenem  Orte  befindet  sich  ein  Stein  mit  einer  engen 
Öffnung,  durch  die  sich  die  Pilger  hindurchdrüoken.  Infolge  der  engen 
Öffnung  des  Steines  und  des  ungleichen  Leibesumfanges  der  Pilger  wird 
es  vielen  oft  schwer,  sich  durch  die  Öffnung  hindurchzudrücken.  In  diesem 
Falle  reicht  die  Person,  die  schon  hindurchgekommen  ist,  einer  anderen 
Person,  die  es  nicht  vermag,  die  Hand  zur  Hilfe,  worauf  beide  zum  Geist- 
lichen gehen,  entsprechende  Gebete  verrichten  lassen  und  öffentlich  ver- 
kündigen, dass  die  Wahlbrüderschaft  unter  ihnen  geschlossen  sei. 
Ciszewski"),  dem  ich  die  Kenntnis  des  Brauches  verdanke,  rechnet  diese 
auf  so  eigentümliche  Weise  geschlossene  Wahlbrüderschaft  zu  den  künst- 
lichen Verwandtschaften,  die  durch  Zufall  entstehen.  Es  wird  aber 
gestattet  sein,  den  Vorgang  anders  aufzufassen.  Nicht  der  Zufall  waltet 
hier,  sondern  der  ursprüngliche,  den  Pilgern  natürlich  nicht  mehr  be- 
wusste  Gedanke,  dass  sie  vor  dem  Eingehen  der  Wahlbrüderschaft  eine 
neue  Geburt  durchzumachen  haben.     Ich  bin  jedoch  weit    entfernt  davon. 


1)  Vgl.  oben  11,327.  7,42ff.  'Nackt,  den  Kopf  voran":  vgl.  dazu  Liebrecht,  Gervasius 
von  Tilbury  1856  S.  170.  Auch  das  Hindurchschreiten  eines  Kranken  durch  zwei 
Rasenstücke  kommt  vor:  Fr.  Krauss,  Volksglaube  der  Südslaven  S.  52  (zitiert  von  Wein- 
hold, Zur  Geschichte  des  heidnischen  Ritus  S.  38). 

2)  Künstliche  Verwandtschaft  bei  den  Südslaven  S.  5  (vgl.  S. ;»).  nach  einer  Mitteilung 
von  Naßov. 


250  Zachariae: 

meine  Beurteilung    des    bulgarischen    Brauches    als    sicher    hinstellen    zu 
wollen. 

Wir  gehen  weiter.     Wenn  die  Annahme  richtig  ist,  dass  sich  dieAb- 
schliessung  von  Bündnissen    zwischen   Stämmen    oder  Völkern    aus    der 
Brüderschaftsschliessung    zwischen    zwei  Individuen    entwickelt    hat'):    so 
müssen  wir  erwarten,    in  jenem  Falle  wie  in  diesem  dieselben  oder    ähn- 
liche Kiten  anzutreffen.     Und    so    finden  wir    in    der  Tat  beim  Eingehen 
der  Brüderschaft  sowohl  wie  beim  Abschliessen  von  Bündnissen  zwischen 
Völkern  das  Aufritzen  der  Arme  und  das  gegenseitige  Bluttrinken  (Hero- 
dot  1,  74.     Grimm  RA.  192 ff.).     Aber  bei  der  Bundesschliessung  tritt  uns 
noch  ein  anderer,    ganz  eigentümlicher  Ritus  entgegen:    das    Hindurch- 
schreiten   durch    zerschnittene  Opfertiere.     Da  bereits  Liebrecht,   Zur 
Volkskunde  S.  350,    an  einer  Stelle,    wo    er    sich    mit  der  Erklärung  des 
Durchkriechens  beschäftigt,    auf   einige    der    hier  zunächst  in  Betracht 
kommenden  Fälle  hingewiesen  hat'^),    so  glaube  auch  ich  darauf  eingehen 
zu  müssen.     Die  eigentümliche  Zeremonie  der  Bundesschliessung,  bei  der 
das  Hindurchschreiten  eine  Rolle  spielt,  lernen  wir  aus  dem  Alten  Testa- 
ment kennen  (Genesis  15,  9 ff.;,  Jeremias  34,  18 f.).      Gewisse    Haustiere: 
eine  dreijährige  Kuh,    eine    Ziege    und    ein  Widder    von  gleichem  Alter, 
eine  Turteltaube  und  eine  junge  Taube  (nach  Jeremias:  ein  Kalb)  wurden 
geschlachtet    und    mit    Ausnahme    der    Vögel  halbiert,     worauf    man    die 
einzelnen  Hälften  und  die  Vögel  einander  gegenüberlegte.     Nun  schritten 
die,  die  Verpflichtungen  auf  sich  genommen  hatten,  hindurch  und  sprachen 
dabei  den  grässlichen  Fluch,  dass  es  ihnen  für  den  Fall  einer  Bundesver- 
letzung so  ergehen  möge  wie  diesen  Tieren^).    Nach  Ephraem  wäre  dieses 
Hindurchschreiten     durch     Opfertiere     eine     chaldäische    Sitte     gewesen: 
Chaldaeis  istud  solemne  fuit,    ut  lampadem  manu  gestautes,  inter  dissecta 
hostiarum  corpora  et  certo  utriuque  ordine  disposita  transeuntes,    faetas 
pactiones  sancirent.     Ob  auf  dieses  Zeugnis  viel  zu  geben    ist,    weiss  ich 
nicht.     Wiederholt  wird  Ephraems  Behauptung  von  Cyrillus  (Gegen  Julian, 
Buch  10;    Migne,  Patrologia  Graeca  76,  1054).     Cyrillus    fügt  hinzu,    dass 
noch  heute  bei   den  Barbaren  Eidschwüre    in    ähnlicher  Weise    bekräftigt 
werden;    ja    auch    bei    den  Alten    komme    das    vor:    er  verweist    auf  das 
Feuerdurchschreiten    bei    Sophokles*).      Im    übrigen    lassen    sich    als 


1)  E.  Kraetzschmar,  Die  Bundesvorstellung  im  Alton  Testament,  Marburg  189(i, 
S.  20.  41.     W.  R.  Smith,  Die  Religion  der  Semiten,  deutsch  von  R.  Stube  1899,  S.  245. 

2)  Danach  auch  Gaidoz,  Un  vieux  rite  medical  S.  GS  ff.  Die  Stellen,  wo  das  Hin- 
durchschreiten durch  Opfertiere  u.dgl.  erwähnt  wird,  sind  schon  in  älterer  Zeit  zusammen- 
gestellt und  besprochen  worden,  z.  B.  von  Hugo  Grotius  zu  Matth.  2G,  28  (Opera  theologica 
17:52  vol.  2  p.  252)  und  von  Samuel  Bochart,  Hierozoicon  lib.  2  c.  iio.  5G  (=  od.  Rosen- 
müller 1,  p.  332.  333.  798). 

3)  Nach  Kraetzschmar,  ßundesvorstellung  S.  43  f.  Auch  den  Hinweis  auf  Ephraem 
den  Syrer  verdanke  ich  diesem  Buche. 

1)  Anligone  2G5:    die  zum  Beweise  dafür,    dass  auch  bei  den  Griechen  Gottesurteile 


Scheingeburt.  151 

Parallelen  zu  dem  altjüdischen  'ritus  foederalis'  (um  Bocharts  Ausdruck 
zu  gebrauchen)  eigentlich  nur  drei  Fälle  anführen.  Sie  finden  sich  sämt- 
lich in  der  Ephemeris  des  Diktys  von  Kreta.  Die  Fürsten  Griechenlands 
verpflichteten  sich  mit  einem  heiligen  Eide,  dass  sie  nicht  eher  vom  Kriege 
ablassen  würden,  als  bis  sie  Ilium  zerstört  hätten.  Vorher  Hess  der  Seher 
Kalchas  ein  männliches  Schwein  herbeibringen,  zerteilte  es  und  legte  die 
beiden  Hälften  nach  Osten  und  Westen  zu  auseinander:  sodann  Hess  er 
die  Fürsten  einzeln,  mit  nackten  Schwertern,  mitten  hindurchschreiten 
(1,  15).  Etwas  weiter  ab  stehen  die  Stellen  2,  49  und  5,  10.  An  der 
ersten  Stelle  wird  erzählt,  wie  Agamemnon  zur  Bekräftigung  der  Ver- 
sprechungen, die  er  dem  Achilles  machte,  ein  Opfertier  zerteilte,  die  Teile 
auseinanderlegte,  sein  Schwert  mit  dem  Blute  des  Tieres  bestrich  und 
durch  die  Teile  hindurchging.  Nach  5,  10  schwuren  Diomedes  und  Ulixes, 
dass  sie  halten  würden,  was  sie  mit  Antenor  ausgemacht  hatten;  wobei 
sie  Jupiter,  die  Mutter  Erde,  die  Sonne,  den  Mond  und  den  Oceanus  als 
Zeugen  anriefen.  Hierauf  gingen  sie  durch  Opfertiere  hindurch,  die  in 
zwei  Teile  zerlegt  wurden,  'ita  ut  pars  ad  Solem,  residuum  ad  naves 
expectaret'. 

Wie  ist  nun  dieses  Hindurchgehen  durch  zerteilte  Opfertiere  zu  er- 
klären? Ganz  allgemein,  in  älterer  wie  in  neuerer  Zeit,  fässt  man  die 
Handlung  als  eine  Art  von  Selbstverwünschung  auf:  die  Paziszenten 
fordern,  dass  sie  für  den  Fall  der  Eidbrüchigkeit  in  ähnlicher  Weise  in 
Stücke  gehauen  werden  sollen,  wie  die  Opfertiere  ^).     Damit  ist  aber,  wie 


bestanden,  oft  angeführte  Stelle  (Grimm  RA.  933.  R.  Hirzel,  Der  Eid  1902  S.  199).  Das 
Feuerdurchschreiten  kann  jedoch  mit  dem  Schreiten  durch  geschlachtete  Opfertiere  keines- 
wegs auf  dieselbe  Stufe  gestellt  werden:  bei  jenem  ist  eine  Verletzung  oder  Verbrennung 
der  hindurchschreitenden  Person  möglich,  bei  diesem  ist  jede  Gefahr  ausgeschlossen.  Das 
Feuerdurchschreiten  erscheint  übrigens  oft  als  Reinigungszeremonie.  Ein  hierher  ge- 
höriger Fall  wird  uns  am  Schluss  dieser  Abhandlung  begegnen.  Auch  das  Überschreiten 
des  Feuers  kommt  vor;  vgl.  z.  B.  Festus  3,  1  Müller:  Funus  pfosecuti  redeuntes  ignem 
supergradiebantur  aqua  aspersi;  quod  purgationis  genus  vocabant  suffitionem. 

1)  Vgl.  1.  Samuelis  11,  7.  Selbstverwünschungen  bei  feierlichen  Eiden  häufig  in 
Griechenland  und  Rom:  Kraetzschmar,  Bundesvorstellung  S.  44.  Siehe  sonst  Post,  Grund- 
riss  2,  485ff.,  wo  viel  Material  zu  finden  ist.  Ich  will  noch  zwei  weniger  bekannte  Fälle 
anführen,  die  schon  deshalb  unser  Interesse  erregen,  weil  die  darin  geschilderten  Vorgänge 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  dem  jüdischen  Bundesritus  besitzen.  Joinville  erzählt  in 
seiner  Geschichte  Ludwigs  des  Heiligen,  wie  bei  denKomauen  Blutsbündnisse  geschlossen 
wurden.  Die  Komanen  Hessen,  wie  auch  anderwärts  üblich.  Blut  aus  den  Adern  rinnen, 
vermischten  das  Blut  mit  Wein  und  tranken  es  gegenseitig  aus  (s.  Grimm  R.\.  194). 
Ausserdem  gab  es  bei  ihnen  noch  einen  besonderen  Ritus:  'Encore  firent  passer  un  chien 
entre  nos  gens  et  la  lour,  et  descoperent  le  chien  de  lour  espees,  et  nostre  gent  aussi : 
et  distrent  que  ainsi  fussent-il  decopei  se  il  falloient  li  uns  a  FaUtre'  (Joinville  ed.  N.  de 
Wailly  1874,  p.  272,  §  496).  —  In  seinem  Aufsatz  über  die  Blut-  und  Speichelbünde  bei 
den  Wadschagga  teilt  der  Missionar  J.  Raum  (Archiv  f.  Religionswissenschaft  10,  289) 
eine  Form  der  Bundesschliessung  mit,  der  ein  hohes  Alter  zugeschrieben  wird.  Sie  besteht 
darin,  dass  ein  Knabe  und  ein  Mädchen,  nachdem  die  Paktierenden  damit  drei-  oder 
siebenmal    eingekreist    und    die  Beschwörungsformeln    gesprochen    worden    sind,    in    der 


152  Zachariae: 

Kobertsoü  Smith  mit  Recht  betont  hat,  der  charakteristische  Zug  in  der 
(jüdischen)  Zeremonie,  das  Hindurchschreiten  zwischen  den  Stücken,  nicht 
erklärt.  Derselbe  Gelehrte  hat  auch  versucht,  eine  Erklärung  für  dieses 
Hindurchschreiten  zu  geben.  Er  schreibt^):  We  see  from  Ex.  24,  8,  'this 
is  the  blood  of  the  covenant  which  Jehovah  hath  cut  with  you',  that  the 
dividing  of  the  sacrifice  and  the  application  of  the  blood  to  both  parties 
go  together.  The  sacrifice  presumably  was  divided  into  two  parts  (as  in 
Ex.  1.  c.  the  blood  is  divided  into  two  parts),  when  both  parties  joined  in 
eating  it;  and  when  it  ceased  to  be  eaten,  the  parties  stood  between 
thepieces,  as  a  symbol  that  they  were  taken  within  the  mystical  life 
of  the  victim.  This  Interpretation  is  confirmed  by  the  usage  of  Western 
nations,  who  practised  the  same  rite  with  dogs  and  other  extraordinary 
victims,  as  an  atoning  or  purificatory  ceremony. 

Ob  Smith  mit  seiner  Erklärung  das  richtige  getroffen  hat,  muss  ich 
dahingestellt  sein  lassen.  Jedenfalls  hat  er  das  grosse  Verdienst,  darauf 
hingewiesen  zu  haben,  dass  nicht  nur  das  Töten  der  Opfertiere,  sondern 
auch  das  Hindurchschreiten  durch  die  Stücke  dringend  einer  Er- 
klärung bedarf.  Um  nun,  wenn  möglich,  zu  einem  sicheren  Urteil  über 
den  merkwürdigen  Vorgang  zu  gelangen,  müssen  wir  noch  die  Fälle  von 
Hindurchschreiten  betrachten,  in  denen  es  sich,  nach  Smith,  um  eine 
Sühn-  oder  Reinigungszeremonie  (lustratio,  xd&agoig)  handelt.  S.  Bochart 
(auf  den  Smith  verweist)  und  andere  haben  die  folgenden  Fälle  aus 
griechischen  und  römischen  Klassikern  angeführt: 

Im  Monat  Xandikos  pflegten  die  Makedonier  eine  Musterung  und 
Reinio-un^  des  Volkes  in  Waffen  vorzunehmen.  Die  Reinigung  geschah 
in  der  Weise,  dass  ein  Hund  mitten  durchgeschnitten  und  zwischen  den 
blutigen  Hälften  die  ganze  waffentragende  Mannschaft  in  fester  Ordnung  hin- 
durchgeführt wurde  ^). 

Herodot  7,  38  -  40  berichtet,  wie  Pythios  der  Lyder  den  Xerxes  bat, 
er  möchte  einen  von  seinen  fünf  Söhnen,  den  ältesten,  vom  Kriegsdienst 
befreien.  Denn  alle  fünf  sollten  mitziehen  in  den  Krieg  gegen  Hellas. 
Da  schonte  Xerxes  zwar  den  Vater  und  die  vier  jüngsten  Söhne;  den 
ältesten  aber  liess  er  heraussuchen  und  mitten  durchhauen,  und  die  beiden 
Hälften  liess  er,  die  eine  zur  Rechten,  die  andere  zur  Linken  des  Weges 


Mitte  entzwei  geschnitten  und  an  der  Grenze,  die  die  beiden  Länder  trennt,  einge- 
graben werden,  worauf  dann  die  Paziszenten,  über  das  Grab  hinwegschreitend,  ihren 
Heimweg  antreten.  Nach  einer  Angabe  soll  es  auch  geschehen  sein,  dass  beide  Kinder 
lebendig  begraben  wurden.  Wie  die  Kinder  entzwei  geschnitten  wurden,  so 
auch  das  Dasein  des  Bundbrüchigen,  er  soll  sterben  wie  sie  ohne  Nach- 
kommenschaft. (Zum  Hinwegschreiten  über  das  Grab  vgl.  Post.  Grundriss  der 
ethnologischen  Jurisprudenz  2,  480.) 

1)  W.  R.  Smith,    Lectures    on    the    religion    of   the  Scmites  1894  p.  4SI;    in  Stübes 
deutscher  t'bersetzung  1S99  S.  "242 f. 

2)  Usener,  Archiv  für  Religionswissenschaft  7,  3(11:  nach  Livius  und  Curtius. 


Scheingeburt,  153 

hinlegen.  Darauf  musste  das  ganze  Heer  mitten  hindurchgehen.  Seneca, 
der  dieselbe  Geschichte  kürzer  und  etwas  abweichend  erzählt  (De  ira  3,  16, 
4  Haase),  bemerkt:  Hac  victima  [Xerxes]  lustravit  exercitum  und  fügt 
hinzu:  Habuit  itaque  quem  debuit  exitum;  victus  et  late  lougeque  fusus 
ac  stratam  ubique  ruinam  suam  cernens  medius  inter  suorum  cada- 
vera  incessit^). 

Hierher  gehört  wohl  auch  Apollodor  8,  13,  7.  Peleus  eroberte  Jolkos, 
tötete  die  Astydameia,  die  Gattin  des  Akastos  (die  ihn  beim  Akastos  ver- 
leumdet hatte),  zerteilte  die  Glieder  und  führte  sein  Heer  hindurch  in 
die  Stadt. 

Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  350  verweist  noch  auf  Plutarch  Quaest. 
Rom.  111,  wonach  die  Böoter  zum  Zweck  der  Reinigung  zwischen  den 
Teilen  eines  entzweigeschnittenen  Hundes  hindurchgingen,  und  auf 
Diodor  1,  G5,  wo  dem  ägyptischen  König  Bokchoris^)  in  einem  Traume 
verkündet  wird,  er  könne  nur  dann  glücklich  und  lange  über  Ägypten 
regieren,  wenn  er  alle  Priester  mitten  entzwei  schnitte  und  mit  seinem 
Gefolge  zwischen  den  Teilen  hindurchginge. 

Und  wie  will  nun  Liebrecht  diese  und  ähnliche  Fälle,  bei  denen 
sichs  doch  augenscheinlich  um  Sühn-  oder  Reinigungszeremonien  handelt, 
erklären?  Er  stellt  die  Fälle  auf  eine  Stufe  mit  dem  wohlbekannten 
Durchziehen  oder  Durchkriechen,  das  gewöhnlich  als  Heilritus,  aber 
auch  in  anderen  Verwendungen  vorkommt,  und  das  er  als  eine  symbolische 
Wiedergeburt  auffasst.  In  einer  bemerkenswerten  Auslassung  (Heidel- 
berger Jahrbücher  der  Literatur  1869,  812  =  Zur  Volkskunde  S.  34?, 
Nr.  15),  die  ich  hier,  wenigstens  auszugsweise,  wiedergeben  muss,  geht  er 
aus  von  dem  Aberglauben  bei  Wuttke  §  695,  wonach  man  eine  Kuh,  die 
vom  Bullen  kommt,  durch  einen  entzweigeteilten  Wagen  hindurchführt, 
damit  sie  tragend  werde.  Liebrecht  sieht  in  dieser  Zweiteilung  des 
Wagens  eine  symbolische  Handlung,  die  aber  wie  alle  dergleichen  aber- 
gläubische Mittel  zugleich  auch  sympathetisch^)  wirken  soll.  Hier  wird 
symbolisch  eine  Geburt  angedeutet;  sowie  nämlich  die  Kuh  durch  den 
entzweigeteilten  Wagen  durchgeht,  so  soll  das  gewünschte  Kalb  durch 
das  sich  teilende  Geburtsglied  zur  Welt  kommen.  Wenn  nach  dem  Aber- 
glauben bei  Grimm  DM.\    Anhang  Nr.  929    ein  der  Schwangerschaft  ver- 


1)  Wie  Xerxes  den  Sohn  des  Pythes  (Pjthios)  schlachtete  und  zerschnitt  und  dem 
Heer  befahl,  durch  die  Teile  hindurchzugelieu,  erzählt  Bochart,  Hierozoicon  1,  33;'>  uach 
Plutarchs  Schrift  über  die  Tugenden  der  Frauen  und  bemerkt  dazu:  ut  [Xerxes]  tarn 
atroci  supplicio  militiae  desertores  terreret.  Itaque  idem  fuit  ritus,  qui 
Judaeorum,  sed  finis  plane  diversus. 

2)  So!  Ein  seltsamer  Irrtum  Liebrechts.  Gemeint  ist  Sabakou  ^Sabakos)  der 
Athioper,  der  längere  Zeit  über  Ägypten  herrschte.  Vgl.  Herodot  2,  139,  wo  ebenfalls 
von  dem  Traume  des  Sabakos  die  Rede  ist;  nur  wird  bei  Herodot  nichts  gesagt  von 
einem  Hindurchschreiten  durch  die  zerschnittenen  Priester. 

3)  Vgl.  Gaidoz,  Uu  vieux  rite  medical  p.  79.    Hoops,  Globus  ()3,  199  b. 


154  Zachariae: 

dächtiges  Mädcheu  genötigt  wird,  zwischen  einem  entzweigeteilten  Wagen 
hindurchzugehen,  so  soll  sie,  meint  Liebrecht,  auf  diese  Weise  gezwungen 
werden,  eine  richtige  Gehurt  abzuhalten.  Schwieriger  ist  die  Erklärung 
des  Aberglaubens  bei  Burkhard  von  Worms  (Grimm  DM.*  1097),  wonach 
ein  Wagen  entzweigeteilt  und  eine  Leiche  zwischendurch  getragen  wird^). 
Liebrecht  vermutet:  wie  man  von  Krankheiten  durch  eine  symbolische 
Wiedergeburt  geheilt  wurde,  so  hatte  man  dies  auch  auf  eine  Wieder- 
geburt durch  den  Tod  im  christlichen  Sinne  übertragen,  was  aber  die 
Kirche  als  abergläubisch  verwarf.  Liebrecht  verweist  dann  auf  den  bereits 
erwähnten  böotischen  Brauch  (Reinigung  vermittels  des  Durchgehens  durch 
entzweigeschnittene  Hunde);  'auch  hier  ist  vielleicht  eine  reinigende 
Wiedergeburt  angedeutet  und  zwar  vermittels  eines  zugleich  dar- 
gebrachten Opfers'.  Liebrecht  verweist  ferner  auf  das,  was  Diodor  1,  65 
von  Bokchoris  (vielmehr  Sabakon!)  erzählt,  und  endlich  auf  Jeremias 
;U,  18,  mit  anderen  Worten,  er  zieht  auch  den  oben  ausführlich  ge- 
schilderten altjüdischen  Ritus  der  Bundesschliessung  herbei.  —  Soweit 
Liebrecht. 

Sollen  wir  Liebrecht  Glauben  schenken?  Wenn  wir  uns  ihm  an- 
schliessen,  so  werden  wir  alle  die  Zeremonien,  die  wir  bei  der  Eingehung 
von  Brüderschaften  oder  Bündnissen  angetroffen  haben,  auf  eine  Linie 
stellen  müssen:  den  Rasengang,  das  Kriechen  durch  hohle  Steine,  das 
Hindurchschreiten  durch  zerschnittene  Opfertiere.  Es  könnte  diesen 
Handlungen  der  Gedanke  zugrunde  liegen,  dass  vor  dem  Eingehen  von 
Brüderschaften  oder  Bündnissen  eine  'Reinigung"  stattfinden  müsse.  Und 
diese  Reinigung  käme  ebenso  oder  ähnlich  zustande,  wie  die  Heilung 
von  Krankheiten  mittels  des  Durchkriechens  durch  hohle  Steine,  ge- 
spaltene Bäume  u.  dgl.  zustande  kommt. 

Ich  vermag  nicht  über  Liebrecht  hinauszugehen  und  au  die  Stelle 
der  von  ihm  gegebenen  Erklärung  eine  bessere  zu  setzen.  Wohl  aber 
möchte  ich  die  sich  mir  darbietende  Gelegenheit  benutzen,  um  mich  über 
die  verschiedenen  Erklärungen  zu  verbreiten,  die  das  Durchziehen  oder 
Durchkriechen  zu  Heilzwecken  (die  'Kriechkur')  bisher  erfahren  hat. 
Und  zwar  geschieht  dies  in  dem  Bestreben,  die  von  Liebrecht  aufgestellte 
Wiedergeburtstheorie  zu  stützen  und  einiges  zur  Klärung  der  ganzen 
Frage  beizutragen  ■•^). 

Liebrecht  hat  sich,  zuerst^),  soweit  ich  sehe,  in  seinen  Bemerkungen 


1)  Auch  Gaidoz  (p.  62)  hält  die  Erklärung  dieses  Brauches  für  schwierig. 

2)  Zur  Literatur  über  die  Frage  vgl.  z.  B.  die  Zusammenstellungen  von  BdUc  (aus 
Weinholds  Notizen)  oben  12,  110'.  Leider  ist  mir  nicht  alles,  was  dort  angeführt  wird, 
zugänglich.  Übrigens  ist  die  einschlägige  Literatur  jetzt  schon  so  angeschwollen,  dass 
sie  sich  kaum  mehr  übersehen  lässt.     [Sebillot,  Folklore  de  France  3,  417.  4,  56.  157.] 

3)  Siehe  sonst  auch  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  349f.  397 f.;  Germania  Kl.  226: 
Zeitschrift  für  roinan.  Philologie  5,  419;  u.  s.  f. 


Scheingeburt.  ]55 

zu  CTrimms  Deutscher  Mythologie  (s.  Gervasius  von  Tilbiiry  1856  S.  170) 
dahin  ausgesprochen,  dass  ihm  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Durch- 
kriechens in  einer  symbolischen  Wiedergeburt  des  Kranken  zu  be- 
stehen scheine,  wodurch  der  Kranke  gleichsam  aufs  neue  durch  eine  den 
weiblichen  Geburtsteilen  ähnliche  Öffnung  in  die  Welt  eintrete  und  seine 
frühere  Krankheit  hinter  sich  zurücklasse.  Zur  Begründung  seiner  Ansicht 
weist  Liebrecht  auf  zwei  merkwürdige  Bräuche  hin:  zunächst  auf  einen 
indischen  Brauch,  wonach  sich  einer,  der  eine  symbolische  Wieder- 
geburt sucht,  in  eine  goldene  Kuh  einschliesseu  und  durch  die  Geburts- 
teile derselben  herausziehen  lässt.  Das  ist  die  'Wiedergeburt  durch  die  Kuh", 
von  der  weiter  unten  ausführlich  gehandelt  werden  soll.  Sodann  verweist 
Liebrecht  (Zur  Volkskunde  S.  397)  auf  einen  von  Plutarch  überlieferten 
griechischen  Brauch:  Ein  Totgesagter,  für  den  die  Bestattungsriteu  in 
absentia  vollzogen  worden  waren,  galt,  wenn  er  wider  Erwarten  zurück- 
kehrte^), solange  für  unrein,  bis  er  eine  symbolische  Wiedergeburt 
durchgemacht  hatte;  er  musste  durch  den  Schoss  eines  W^eibes  gehen,  er 
niusste  sich  waschen,  in  Windeln  wickeln  und  säugen  lassen.  Eine  nahe 
verwandte  Zeremonie,  die  im  alten  Indien  aus  derselben  Veranlassung 
wie  in  Griechenland  vorgenommen  wurde,  ist  später  von  Caland  ans  Licht 
gezogen  worden^).  Es  ist  nun  auffällig,  dass  Liebrecht  den  von  Della 
Valle  und  andern  überlieferten,  von  mir  ausführlich  besprochenen 
Adoptionsritus  nicht  zur  Unterstützung  seiner  Wiedergeburtstheorie 
verwertet  hat;  um  so  auffälliger,  als  er  diesen  Ritus,  das  Hindurchziehen 
durchs  Hemd,  sehr  wohl  kennt  und  ziemlich  ausführlich  behandelt  (Zur 
Volkskunde  S.  432.  514),  Meines  Erachtens  ist  der  Ritus  sehr  gut  geeignet, 
zugunsten  von  Liebrechts  Theorie  ins  Treffen  geführt  zu  werden.  Denn 
das  Hindurchziehen  durchs  Hemd  findet  sich  nicht  nur  bei  der  Adoption: 
es  gilt  auch  als  Heilritus.  Ich  zitiere  den  französischen  Aberglauben 
bei  Liebrecht  zu  Gervasius  S.  240  IS^r.  256:  'Faire  passer  un  enfant 
malade  du  mal  appelle  de  S.  Gilles,  dans  la  chemise  de  son  pere,  et 
porter  ensuite  cette  chemise  sur  un  autel  de  S.  Gilles,  afin  que  l'enfant 
guerisse'.  Und  in  Schweden^),  'pour  guerir  un  enfant  rachitique  on  con- 
seille  de  dechirer  une  bände  de  la  chemise  du  pere,  de  neuer  cette 
bände  de  trois  uoeuds  et  d'y  faire  passer  Tenfant'.  Was  liegt  nun 
näher,  als  das  Durchziehen  durchs  Hemd,  wenn  es  als  Heilritus  auftritt, 
ebenso  aufzufassen,  wie  bei  der  Adoption?  Wird  das  Durchziehen  hier, 
bei  der  Adoption,    mit  Recht  als  eine  Nachahmung  des   Geburtsaktes,  als 


1)  Ein  solcher  hiess  voTeoöjroTito;  oder  (^fiTfoo.Tor/toc.  Letzteres  Wort  wird  unter 
anderem  erklärt  mit  6  öevteqov  öiu  yvraty.elov  xöXnov  diaövg.  (ög  fOo.;  i'jf  .-laoä  ' Adijvaioi^ 
'^y.  devTsoov  yevväadai  (Hesychios).  Vgl.  dazu  Rohde,  Psyche  -  2,  421.  A.  Dieterich.  Eine 
Mithrasliturgie  S.  160. 

2)  W.  Caland,  Von  der  Wiedergeburt  Totgesagter;  Der  Urquell,  N.  F.  2,  193  i^lSOS  . 
Frazer,  Golden  bough  -  1,  22. 

.])  Nyrop  bei  Gaidoz,  Un  vieux  rite  medical  p.  Go.     Vgl.  auch  .Alelusine  8,  177 f. 


J56  Zachariae: 

eine  iuiui]oig  r)~jg  äh]ßivrjg  yevsoecog,  erklärt,  so  wird  auch  Liebrechts  Er- 
klärung der  Durchzieh-  oder  Kriechkur  zu  Recht  bestehen.  Die  Kriechkur 
ist  ein  symbolischer  Akt  der  Wiedergeburt  zur  Gesundheit. 

Liebrechts  Wiedergeburtstheorie  hat  Anerkennung  und  Beistimmung*), 
aber  auch  Widerspruch  gefunden.  So  stimmt  Kristoffer  Nyrop  ^)  im  wesent- 
lichen mit  Liebrecht  überein.  Insonderheit  aber  hat  sich  K.  Weinhold 
für  Liebrechts  Theorie  ausgesprochen,  s.  oben  2,  50.  3,  233  und  die  Ab- 
handlung Zur  Geschichte  des  heidnischen  Ritus  1896  S.  37,  wo  Weinhold 
schreibt:  'Das  Durchkriechen  durch  ein  Loch  oder  eine  Öffnung  in 
der  Erde,  in  Felsen  oder  Bäumen,  oder  durch  eine  künstlich  gebildete 
Höhlung  ist  eine  rituale  Handlung,  die  wohl  nicht  das  Abstreifen  der 
Krankheit  und  die  Übertragung  auf  den  Stein  oder  den  Baum  usw.  be- 
zweckt, wie  manche  angenommen  haben,  sondern  welche  die  symbolische 
Wiedergeburt  als  gesunder  Mensch  bedeutet'.  In  ähnlichem  Sinne 
hat  sich  auch  B.  Kahle  geäussert;  s.  oben  16,  318  und  vgl.  A.  von  Doma- 
szewski,  Abhandlungen  zur  römischen  Religion  1909  S.  222  und  233. 

Andere  dagegen  verwerfen  Liebrechts  Erklärung;  sie  gestehen  im 
beäten  Falle  zu,  dass  der  Glaube  an  eine  Wiedergeburt  mittels  des 
Durehkriechens  beim  Zustandekommen  dieses  abergläubischen  Brauches 
mitgewirkt  haben  könne;  keineswegs  aber  dürfe  dieser  Glaube  als  Aus- 
gangspunkt des  Brauches  angesehen  werden.  Als  Hauptgegner  Liebrechts 
darf  man  wohl  Gaidoz  und  Frazer  bezeichnen.  Henri  Gaidoz  hat  in 
einer  kleinen,  aber  gehaltvollen  Schrift  (Un  vieux  rite  medical,  Paris  1892) 
das  Durchkriechen  ausführlich  behandelt^).  Im  6.  und  letzten  Kapitel  der 
Schrift  (Explication  et  theories)  erklärt  sich  Gaidoz  für  die  wohl  zuerst 
von  J.  Grimm*)  vorgetragene  Auffassung  des  Durchkriechens  als  Über- 
tragung (trausplantation)  der  Krankheit  auf  einen  Baum,  einen  Stein  oder 
dergleichen.  Hinzugesellt  hat  sich  die  Idee  des  Abstreifens  der  Krank- 
heit an  einem  Baum  oder  Felsen.  Gaidoz  denkt  an  die  Reptilien,  die 
sich  an  einem  Baum  oder  Felsen  reiben,  um  ihre  alte  Haut  abzustreifen. 
Auch  Sympathiezauber  soll  noch  im  Spiele  sein  (S.  79f.;  vgl.  Grimm 
DM.  ^  1118);  endlich  auch  'transfusion",  d.h.  die  Überleitung  der  Kraft 
z.  B.  eines  jungen  uud  kräftigen  Baumes  auf  den  durchkriechenden  Kranken 


1)  Vgl.  Liebrecht  in  deu  Heidelberger  Jahrbüchern  der  liiteratur  1869,  803. 

2)  Dania  1,  1-31.  Mir  nicht  zugänglich;  doch  siehe  diese  Zeitschrift  2,  50.  7,  43. 
H;,  318.     Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  24,  157. 

3)  Die  Schrift  ist  für  jeden,  der  sich  mit  dem  merkwürdigen  Heilbrauch  des  Durch- 
kriechens beschäftigt,  unentbehrlich,  wie  Weinhold  oben  3,  233  mit  Recht  bemerkt  hat. 
Leider  kann  ich  die  seltene  Schrift  jetzt  nur  in  den  Auszügen  benutzen,  die  ich  mir  vor 
einiger  Zeit  habe  machen  können,  tibrigens  sind  die  Nachträge  nicht  zu  übersehen,  die 
Gaidoz  im  8.  und  9.  Bande  der  Melusine  zu  seiner  Schrift  gegeben  hat. 

4j  Deutsche  Mythologie*  S.  1119.  1122.  Übrigens  meint  auch  Liebrecht,  dass  man 
beim  Dui-chkriechen,  als  sich  die  ursprüngliche  Idee  (die  Idee  von  der  Wiedergeburt) 
verdunkelte,  vermutlich  bloss  an  ein  Übertragen  der  Krankheit  auf  einen  Baum  u.  dgl. 
dachte;  Gervasius  S.  171. 


Scheingebuxt.  157 

(vgl.  Melusine  1»,  6).  Die  Wiedergeburtstheorie  will  Gaidoz  nicht  ganz 
ausgeschlossen  wissen  (noas  ne  voulons  pas  exclure  entierement  la  theorie 
de  la  renaissance);  nur  dürfe  man  diese  Theorie  bei  der  Erklärung  des 
Ritus  nicht  zum  Ausgangspunkt  nehmen. 

Auf  die  Aufstellungen  von  Gaidoz  werde  ich  weiter  unten  gelegentlich 
zurückkommen  müssen.  Hier  will  ich  nur  darauf  aufmerksam  machen, 
wie  schwierig  sich  für  ihn  die  Erklärung  des  Ganges  unter  den  Rasen- 
streifen gestaltet  (S.  82 f.).  Selbst  in  diesem  Falle  will  er  die  Wieder- 
geburtstheorie nicht  gelten  lassen.  In  der  Melusine  9,  6 ff.  allerdings,  wo 
er  noch  einmal  auf  Liebrechts  Theorie  zu  sprechen  kommt,  erklärt  er, 
dass  sich  die  Idee  von  der  Wiedergeburt  mit  den  Primär- Ideen  (trans- 
plantatio  morbi  usw.)  vermischt  habe,  ja  dass  sie  bisweilen  vorherrschend 
>ei,  so  z.  B.  in  den  Fällen,  wo  der  Mensch  unter  den  Rasen  kriecht. 

Für  Frazer  (The  golden  bough ",  London  1900)  ist  Liebrechts 
Wiedergeburtstheorie,  wie  es  scheint,  gänzlich  abgetan.  Er  erwähnt  sie, 
soweit  ich  sehe,  mit  keinem  Worte:  weder  in  dem  kurzen  Abschnitt  über 
Scheingeburt  (Simulation  of  birth)  1,  19—22,  noch  in  dem  grösseren 
Abschnitt  'Fassing  through  apertures  to  shake  off  ailments'  .3,  394 — 406. 
Im  ganzen  und  grossen  stimmt  Frazer  in  seiner  Auffassung  des  Durch- 
kriechens mit  Gaidoz  überein,  wie  er  selbst  bekennt  (3,  396,  X.  2).  Er 
sieht  in  der  Kriechkur  ein  Abstreifen  der  Krankheit:  'Apparently  the 
disease  is  conceived  as  something  physical,  which  forms  part  of  the 
patient  and  yet  can  be  stripped  off  him  and  left  behiud  in  the  narrow 
aperture  through  which  he  has  forced  his  way".  Zur  Bestätigung  seiner 
Ansicht  verweist  Frazer  auf  eine  Reihe  von  Begräbniszeremonien  ^), 
Zeremonien  von  der  Art,  wie  die  oben  17,  470  (nach  Caland)  geschilderte 
indische   Reinigungszeremonie ^).      Wie    Gaidoz,    so    glaubt    auch  Frazer, 


1)  Siehe  auch  Andree,  Ethnographische  Parallelen  und  Vergleiche  1878,  S.  32.  Einer 
älteren  Beschreibung  der  Begräbniszeremonien  im  Königreich  Guinea  entnehme  ich 
folgende  Stelle:  Cum  ad  locum  sepulturae  ventum  est,  Libitinarii  humum  aperiunt, 
foueani  facientes  i  pedes  profundam,  haue  deinde  imposito  cadauere  multis  palis  operiunt, 
ita  vt  nihil  penetrare  ad  lunus  possit,  postmodo  mulieres  hac  illac  per  sepulchrum 
serpeudo,  multas  querelas  lamitantes  nectunt,  et  vltimum  defuncto  suo  vale  dicunt. 
Vgl.  die  India  Orientalis  der  Gebrüder  De  Brj^  Teil  (j,  Frankfurt  1601,  S  93  f.  (=  All- 
gemeine Historie  der  Reisen  4,  166).  In  dem  diesem  Teile  beigegebenen  Tafelband  findet 
sich  eine  Abbildung  (Nr.  18),  wo  dargestellt  ist,  'quomodo  mulieres  hinc  inde  per  sepul- 
chrum serpant,  cum  defunctus  in  id  iam  collocatus,    et  terra  aliquo  modo  opertus  est'. 

2)  Oben  17,  470  ist  auch  angegeben  worden,  wie  sich  Caland  den  indischen  Brauch 
zurechtlegt.  Wenn  die  vom  Verbrennungsplatz  nach  Hause  zurückkehrenden  Verwandten 
des  Toten  unter  einem  'Joch'  von  zusammengebundenen  Ästen  liindurchgehen,  wobei  der 
letzte,  der  hindurciigeht,  die  Äste  auseinanderwirft,  so  soll  das  bedeuten:  die  Verwandten 
verbarrikadieren  dem  Geiste  des  Verstorbenen,  der  ihnen  folgen  möchte,  den  Weg. 
Wie  Frazer,  auf  den  die  Erklärung  zurückgeht  (.Golden  bough:'),  399  ff),  diese  und  andere 
•Reinigungszeremonien',  insbesondere  die,  die  nach  der  Bestattung  eines  Toten  vor- 
genommen werden,  aufgefasst  sehen  will,  setzt  er  im  Journal  of  the  Anthropological 
Institute  15,  80  kurz  auseinander.      'In  general,    I  think  we  may    lay  down  the  rule  that 


J58  Zachariae: 

•dass  der  Gedanke  an  die  Möglichkeit  einer  Überleitung  z.  B.  der  Kraft 
■eines  starken  Tieres  auf  den  durchkriechenden  Kranken  eine  Rolle  beim 
Durchkriechen  gespielt  habe  (Golden  bough  3,  405). 

Zu  den  Bekänipfern  der  Wiedergeburtstheorie  hat  sich  neuerdings 
auch  gesellt  Reinhard  Hofschläger  in  seinem  Aufsatz^)  Über  den 
Ursprung  der  Heilmethoden  S.  209—215.  'Der  Brauch  des  Hindurch- 
kriechens', sagt  dieser  Autor,  —  'ursprünglich  eine  primitive  Heilform 
mit  dem  realen  Zweck  des  Abstreifens^)  lästiger  Parasiten,  wurde  erst 
auf  der  Kulturstufe  des  Seelenglaubens  mit  dem  Kultus  in  Beziehung 
gebracht.  Da  aber  die  Ursprungsbedeutung  mit  fortschreitender  Kultur 
im  Gedächtnis  der  Völker  vollkommen  verloren  ging,  erhielt  die  Heil- 
methode die  symbolische  Bedeutung  einer  mit  Hilfe  des  Baumgeistes  sich 
vollziehenden  'Wiedergeburt'  oder  eines  symbolischen  'Abstreifens  der 
Krankheit'.  Mit  diesen  Worten  gibt  Hofschläger  zu,  dass  die  Idee  der 
Wiedergeburt  wenigstens  für  die  spätere  Zeit  anzunehmen  sei.  Er 
selbst  bemerkt  S.  213,  dass  diese  Idee  in  der  Tradition  des  norddeutschen 
Volkes  im  Vordergrund  stehe.  Mecklenburger  Weiber  lassen  abends 
kränkliche  Kinder  zwischen  ihren  Beinen  hindurchkriechen.  Auch  beim 
Durchkriechen  durch  Wunderbäume  wird  die  Heilkraft  dem  symbolischen 
Akte  der  Wiedergeburt  beigemessen.  Wie  K.  Bartsch^)  betont,  ist  es  in 
Mecklenburg  notwendig,  dass  der  Zwieselbaum  an  seinem  Wieder- 
vereinigungspunkte eine  mit  den  weiblichen  Geschlechtsteilen  überein- 
stimmende Gestaltung  besitzt.  Ein  Baum  zu  Lützow,  zu  dem  noch  im 
19.  Jahrhundert  gewallfahrtet  wurde,  hat  eine  wulstförmige,  einem  Bauch 
mit  Hüfte  und  Nabel  ähnliche  Bildung;  die  ganze  Baumpartie  gleicht  dem 
Unterteil  eines  die  Beine  spreizenden  Weibes. 

Blicken  wir  jetzt  zurück  auf  die  Äusserungen  der  genannten  Gelehrten 
über  das  Durchkriechen,  so  ergibt  sich,  dass  vielfach  verschiedene  Aus- 
gangspunkte   zugleich    für  diesen  Heilbrauch   angenommen  werden.     Es 


wherever  we  find  a  so-called  purification  by  lire  or  water  Irom  pollution  contracted 
by  contact  with  the  dead,  we  inay  assume  with  much  probability  that  the  original  inteution 
was  to  place  a  physical  barrier  of  fire  or  water  between  the  living  and  the  dead,  aud 
that  the  o.onceptions  of  pollution  and  purification  are  merely  the  fictions  of  a  later  age, 
invented  to  explain  the  purpose  of  a  ceremony  of  wliich  the  original  Intention  was  for- 
gütten.  The  discussiou  of  the  wider  question,  whether  all  forms  of  so-called  puri- 
fication may  not  admit  of  an  analogous  explanation,  niust  be  reserved  for  another 
occasion'.    Vgl.  The  golden  bough  3,  57  ff. 

1)  In  der  Festschrift  zur  Feier  des  50jährigen  Bestehens  des  Naturwissenschaftlichen 
Vereins  zu  Krefeld  (Krefeld  1908)  S.  135-'2LS. 

2)  Das  Hindurchkriechen  ist  ein  elementarer  Völkerbrancli,  der  seine  Wurzel  in  dem 
tierischen  Triebe  hat,  durch  mechanisches  Scheuern  an  rauhen  Flächen  sich  des  Unlust- 
gefühles  eines  Hautreizes  zu  entledigen  (Hofschläger  S.  21b).  Das  ist  also  etwa  das 
'frottement',  von  dem  Gaidoz  spricht  (s.  diese  Zeitschrift  .".,  2:V.\). 

o)  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Meklcnburg  1,  418  (Wer  zwischen  den 
-Beinen  eines  Weibes  durchkriecht,  wird  neu  geboren)  und  2,  321f. 


Scheingeburt.  159 

habeu,  wie  es  scheint,  'Ideenkreuzimgen'  stattgefunden.    So  schreibt  denn 
auch  Feilberg-    oben  11,  327    au    einer  Stelle,    wo    er    verschiedene  Fälle 
von  Durchziehen,  die  zur  Abwendung  des  bösen  Blicks  dienen,  bespricht: 
dass  diese  Mittel  'wohl  unter  die  Vorstellung  von  einer  bildlichen  Wieder- 
geburt zusammengefasst  werden  können,    obwohl    auch    der  Gedanke  an 
Abstreifen    oder  Überführung    des  Übels  auf  andere  Gegenstände  die 
Vorstellung  mit  beeinflusst  haben  mag\   Und  mit  einer  gewissen  Resignation 
schreibt    Albrecht  Dieterich  ^):    'Den  verbreiteten  Heilbrauch    des  Durch- 
ziehens (auch  wenn  es  durch  Erdgruben  oder  Brdstücko  geschieht)  würde 
ich    nur    in  wenigen  Fällen    als    einen  Akt    magischer  Wiedergeburt 
verstehen    können.     Auch^)    hier    kann    nicht    ein    ganzer    Komplex    von 
Bräuchen    aus    einem  Funkte    erklärt  werden:    unentwirrbar    knüpfen 
sich    ineinander    die    verschiedensten    Fäden     alten    Glaubens'. 
Daher    könnte    es    scheinen,    dass   ich    für    eine  verlorene  Sache  eintrete, 
wenn  ich,  wie  im  obigen  geschehen  ist,  nochmals  zugunsten  von  Liebrechts 
Wiedergeburtstheorie  das  Wort  ergreife  und  sie  durch  einen  Hinweis  auf 
jenen  alten  Adoptionsritus  zu  stützen  versuche.    Und  wenn  man  das  grosse 
Material  überblickt,  das  von  Gaidoz,  Frazer  und  vielen  anderen  Forschern 
zusammengebracht     und    zur    Erklärung     des    Durchkriechens    verwertet 
worden  ist,  so  könnte  es  fast  unmöglich  erscheinen,  noch  etwas  neues  vor- 
zubringen, noch  etwas  beizutragen  zur  Lösung  der  Frage.   Dennoch  meine 
ich,    dass  das  möglich  ist.      Ich  glaube  einige    bisher  übersehene,    höchst 
charakteristische  Fälle  von  Durchkriechen  anführen  zu  können;  ich  glaube 
auch,  dass  sich  einiges  von  dem,  was  bereits  bekannt  ist,  in  eine  bessere 
Beleuchtung  rücken  und  richtiger  als  bisher  erklären  lässt. 

Der  indische  Hiranyagarbha-Ritus. 

Zunächst  habe  ich  einiges  über  jenen  eigentümlichen  indischen 
'Religiousgebrauch'  zu  sagen,  den  Liebrecht^)  seinerzeit  bei  der  Erklärung 
des  Durchkriechens  heranzog:  über  die  'Wiedergeburt  durch  die  goldne 
Kuh',  über  den  Hiranyagarbha-Ritus*).  Wer  eine  symbolische  Wieder- 
geburt sucht,  lässt  sich  in  eine  goldene  Kuh  einschliessen  und  durch  ihre 

1)  Mutter  Erde,  ein  Versuch  über  Volksreligion  S.  29.  Siehe  auch  Dieterich,  Eine 
Mithrasliturgie  S.  160. 

1^)  Dieses  'auch'  bezieht  sich  unter  anderem  auf  eine  Äusserung  Dieterichs  über  die 
Beerdigung  von  Menschenleichen  in  Hockerstelluug:  'Es  braucht  hier  nicht  aus  einem 
einzigen  Grunde  und  einer  einzigen  Vorstellung  der  so  weit  und  mannigfaltig  ver- 
breitete Brauch  erklärt  zu  werden"  (Mutter  Erde  S.  28  Anm.;  vgl.  S.  i)  Anm.).  Ähnlich 
habeti  sich,  mit  Bezug  auf  andere  Bräuche,  ausgesprochen  z.  B.  F.  Galton,  Journal  of  tho 
Anthropological  Institute  15,  101,  und  W.  Hertz,  Gesammelte  Abhandlungen  S.  208. 

3)  Gervasius  von  Tilburj  S.  171.     Zur  Volkskunde  S.  31)7. 

4)  Hiranyagarbha,  Goldkeim,  Goldschoss;  auch  Bezeichnung  des  Gottes  Brahman. 
Liebrecht  nennt  den  Hiranyagarbharitus,  nach  einer  Zeitungsnotiz,  Ernjagherpuni. 
Dieses  Ernjagherpuni  ist  =  Hiranyagarbha. 


160  Zachariae: 

Geburtsteile  wieder  herausziehen.  Die  Kuh  stellt,  meint  Liebrecht,  bei 
dieser  symbolischen  Handlung  die  grosse  Erdmutter  dar,  aus  deren  Schoss 
wir  hervorgegangen,  in  den  wir  zurückkehren  und  aus  dem  wir,  ob  wirk- 
lich oder  symbolisch,  auch  wiedergeboren  werden  sollen^).  Liebrechts 
Angaben  über  die  Wiedergeburt  durch  die  Kuh  sind  von  Gaidoz^),  wenn 
ich  mich  recht  erinnere,  bezweifelt  worden.  Seine  Zweifel  beziehen  sich 
insonderheit  auf  die  Glaubwürdigkeit  Wilfords,  der  Liebrechts  Gewährs- 
mann war^).  Allein  Frazer  erzählt  im  Golden  Bough  1,  307  unter  Be- 
rufung auf  Wilford  die  auch  sonst  öfters  erzählte*)  Geschichte  von  den 
zwei  indischen  Gesandten,  die  nach  England  geschickt  und  nach  ihrer 
Rückkehr  für  unrein  und  ihrer  Kaste  für  verlustig  erklärt  wurden,  und 
die  dann  durch  das  Bildnis  einer  goldenen  yoni  (Mutterschoss,  Vulva)  hin- 
durchkriechen mussten,  um  gereinigt  zu  werden").  Die  Herstellung  einer 
goldenen  Kuh  wäre  zu  teuer  gewesen.  Dabei  zitiert  Frazer  wörtlicli 
genau  dieselbe  Stelle,  die  Liebrecht  zu  Gervasius  S.  171  aus  Colemans 
Mythology  of  the  Hindus  p.  151=  Wilford,  As.  Researches  6,  538  anführt. 
Wenn  Liebrecht  bei  seiner  Erklärung  des  Durchkriechens  grosses  (rewicht 
auf  den  indischen  Brauch  legte,  so  war  er  meines  Erachtens  vollkommen 
im  Recht.  Aber  einige  genauere  Angaben  über  den  Brauch  dürften  den 
Lesern  dieser  Zeitschrift  willkommen  sein.  Erst  nach  der  Zeit,  wo 
Liebrecht  seine  Bemerkungen  niederschrieb,  sind  die  Texte  bekannt  oder 
besser  bekannt  geworden,  auf  die  sich  eine  Darstellung  des  Brauches  in 
erster  Linie  gründen  muss. 

Die  älteste  Fassung  des  Hiranyagarbharitus  finden  wir  in  einem  der 
Parisistas  (Anhänge,  Ergänzungen)  zum  Atharvaveda*).  Das  13.  Parisista 
führt  den  Titel  Hiranyagarbhavidhi  und  enthält  das  Ritual  für  eine  Zere- 


1)  Liebrecht  fügt  hinzu:  'deshalb  aucli  liess  der  ägyptische  König  Mykerinos  seine 
Tochter  in  einer  goldnen  Knh  begraben,  Herod.  2,  129'.  Diese  Parallele  ist  bereits  vor 
Liebrecht  von  James  Forbes  bei  einer  Besprechung  des  Hirauyagarbbaritus  gezogen  worden 
(Oriental  Memoirs  1,  379.  1S13).     Siehe  auch  A.  Dieterich,  Eine  Mithrasliturgie  S.  lo7. 

2)  Un  vieux  rite  medical  S.  TOff.  76 f.;  vgl.  S.33f. 

3)  Die  Angaben  von  Coleman,  Mythology  of  the  Hindus  p.  151,  auf  den  sich  Liebrecht 
beruft,  gehen  zurück  auf  einen  Artikel  von  Francis  Wilford  'On  mount  Caucasus'  iu 
den  Asiatick  Researches  (Oktavausgabe)  G,  455-539. 

4)  Vgl.  z.  B.  James  Forbes,  Oriental  Memoirs,  London  1813,  vol.  1,  p.  379.  Von 
einem  neueren  Fall  der  Art  berichtet  William  Crooke,  Things  Indian,  being  discursive 
notes  ou  various  subjects  connected  wiih  India,  London  190(),  p.  5U0:  Quite  recently  the 
ambassadors  of  a  native  prince,  who  had  become  polluted  by  crossiug  the  'Black  \Vater\ 
were  purified  by  passing  through  the  golden  image  of  a  cow. 

5)  Vgl.  Dubois,  Hindu  manners,  custoras  and  ceremonies,  translated  by  Beauchanip, 
Oxford  1897,  p.  42-  When  expulsion  from  caste  is  the  result  of  some  heinous  offence,  the 
guilty  person  who  is  readmitted  into  caste  has  to  submit  to  one  or  otherofthe  following 
ordeals:  his  tongue  is  slightly  burnt  with  a  piece  of  heated  gold;  he  is  brauded  indelibly 
on  different  parts  of  his  bodj-  with  red-hot  iron;  he  is  made  to  walk  barefooted  ovcr 
red-hot  embers;  or  he  is  compelled  to  crawl  several  times  under  the  belly 
of  a  cow. 

6)  Über  diese  Parisistas  vergleiche  man  M.  Bloomlield,  The  Atharvaveda,  Strassburg 


Scheingeburt,  161 

monie,  die  die  'Vereinigung  des  Königs  mit  Hiranyagarbha,  dem  goldnen 
Embryo',  bezweckt.  Die  Herausgeber  der  Parisistas  schildern  die  Zere- 
monie in  ihren  Hauptzügen  wie  folgt:  'The  king  is  washed  over  a  golden 
vessel  with  water  containing  pancagavya^)  and  the  leavings  of  the  offerino-, 
and  poured  from  golden  jars;  he  is  then  shut  up  in  a  golden  vesseP) 
and  left  to  meditate  upon  Hiranyagarbha;  afterwards  he  is  taken  out 
and  pressed  down  again  with  a  golden  wheel;  the  Brähmans  declare  that 
he  has  been  accepted  by  Hiranyagarbha .  Zum  Schluss  heisst  es,  dass  die 
Brahmanen,  die  bei  dem  Ritus  assistieren,  den  üblichen  'Opferlohn'  er- 
halten sollen.  Aber  davon  ist  noch  keine  Rede,  dass  das  goldene  Gefäss 
wie  es  später  der  Fall  war  oder  noch  heute  der  Fall  ist,  zerschlao-en  und 
an  die  Brahmanen  verteilt  werden  muss.  Erst  später  wurde,  um  mich  so 
auszudrücken,  aus  dem  Hiranyagarbha-Ritus  eine  Hiranyao-arbha- 
Schenkung  (Hiranyagarbha däna).  Und  so  ist  es,  wie  ich  meine,  zu  er- 
klären, dass  der  Hiranyagarbha  unter  die  16  'grossen  Geschenke' 
(mahädänäni)  aufgenommen  wurde.  Geschenke  spielen  im  relio-iösen  Leben 
der  Inder  eine  grosse  Rolle;  die  Berechtigung  zum  Empfang  von  Geschenken 
bildet  das  wichtigste  Privileg  der  Brahmanen.  Je  wertvoller  das  Geschenk 
desto  grösser  der  Himmelslohn ^).  An  der  Spitze  der  16  orossen  Ge- 
schenke steht  der  Tuläpurusa  (Tuläbhära),  d.  h.  das  Wegschenken  von 
'Gold  oder  anderen  Kostbarkeiten  im  Gewicht  eines  Mannes';  an  zweiter 
Stelle  steht  der  Hiranyagarbha.  Über  die  Geschenke  handeln  eine  o-anze 
Reihe  von  indischen  Schriften.  Die  wichtigsten  Stellen  daraus  hat  He- 
mädri  (zwischen  1260  und  1309  n.  Chr.)  ausgezogen  und  zu  einem  Bande 
dem  Dänakhanda*),  vereinigt.  Auf  eine  genauere  Darstellung  des  Hiranya- 
garbha nach  den  späteren  Sanskritschriften  kann  ich  mich  hier  nicht  ein- 


1899,  S.  16 f.:  J.  von  Negelein,  Orientalistische  Litteraturzeitung  11,  44-7_45(3_  Eine 
Ausgabe  der  Parii^istas  ist  begonnen  worden  von  G.  M.  Bolling  und  v.  Neo-elein  (Teil  1 
Leipzig  1909). 

1)  D.  h.  die  5  (pafica)  Dinge  von  der  Kuh:  Milch,  saure  Milch,  Butter,  Harn  und 
Kot,  denen  eine  ausserordentliche  reinigende  Wirkung  zugeschrieben  wird;  Dubois  Hindu 
manners  p.  42f.  154f.  19Gf.  W.  Crooke,  Populär  religion  2,  28.  J.  Jolly,  Eecht  und 
Sitte  §  37.  Noch  heute  wird  beim  Hiranyagarbharitus  das  goldene  Gelass  mit  dem 
paücagavya  angefüllt:  siehe  S.  Mateer,  Native  Life  in  Travancore  1883  p.  130.  389. 

2)  Man  sehe  das  Titelbild  'Processionof  golden  tub'  in  dem  eben  zitierten 
Buche  von  S.  Mateer.  Was  die  goldene  Kuh  angeht,  so  ist  davon  in  den  mir  be- 
kannten Sanskrittexten  keine  Rede.  Doch  gibt  es  z.  B.  einen  Tiladhenuvidlii,  d.  h.  einen 
Ritus  (der  Schenkung)  einer  Kuh,  die  künstlich,  aus  Sesam,  hergestellt  wird:  und  der- 
gleichen mehr. 

3)  Nach  J.  Jolly,  Recht  und  Sitte,  Strassburg  1896,  §  31,  wo  man  näheres  über  die 
16  grossen  Geschenke  finden  kann. 

4)  Dieser  Band,  ein  Teil  des  'imposanten'  Caturvargaciutämaui,  umfasst  in  der  ge- 
druckten Ausgabe  (Calcutta  1873)  nicht  weniger  als  1056  Seiten.  A'om  Hiranyagarbha 
handelt  Hemadri  auf  S.  218—232.  Zum  ersten  Male  erschien,  soviel  ich  weiss  eine  Dar- 
stellung des  Hiranyagarbha  in  dem  zu  wenig  beachteten  enzyklopädischen  Wörterbuch 
Sabdakalpadruraa  u.  d.  W.  Hiranyagarbha. 


Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Hefe  2. 


11 


162  Zachariae: 

lassen.  Im  ganzen  und  grossen  deckt  sich  der  Ritus  mit  dem  Ritus,  der 
im  Atharva-Parisista  13  vorgeschrieben  wird.  Eine  Einzelheit  aber,  von 
der  wir  im  Parisista  nichts  erfahren,  —  eine  Einzelheit,  die  für  unsere 
Untersuchung  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist,  muss  besonders  hervorge- 
hoben werden.  Während  die  Person,  die  sich  dem  Ritus  unterwirft,  in 
dem  Gefäss^)  sitzt,  werden  die  sogenannten  Schwangerschaftszere- 
monien, vom  Garbhädhäna  ab,  von  den  Priestern  vollzogen;  und  wenn 
die  Person  aufgestanden  und  aus  dem  Gefäss  herausgekommen  ist,  werden 
die  Geburtszeremonien  verrichtet^).  Es  ergibt  sich  nun  die  interessante 
Tatsache  —  eine  Tatsache,  auf  die  meines  Wissens  noch  niemand  mit 
voller  Schärfe  hingewiesen  hat:  dass  der  Hiranyagarbharitus  fast  ganz 
genau  übereinstimmt  mit  dem  indischen  Ritus,  der  mit  einer  totgesagten, 
in  effigie  bestatteten,  aber  wider  Erwarten  zurückkehrenden  Person  vor- 
genommen wird.  Man  vergleiche  nur  die  Darstellung  dieses  Ritus,  die 
W.  Caland  nach  den  indischen  Quellen,  die  er  wie  kein  anderer  beherrscht, 
gegeben  hat^). 

Die  Nacht  nach  seiner  Rückkehr  wird  der  Totgesagte  in  eine  mit  flüssiger 
Butter  und  Wasser  gefüllte  Wanne  eingeschlossen.  Sein  Vater  oder  dessen  Stell- 
vertreter rezitiert  einen  vedischen  Spruch,  aus  dessen  Inhalt  hervorgeht,  dass  die 
Wanne  als  der  Mutterschoss  angesehen  wurde.  Der  Eingeschlossene  bringt  die 
Nacht,  wie  ein  Embryo  im  Mutterschoss  die  Fäuste  ballend*),  ohne  ein  Wort 
au  sprechen,  in  der  Flüssigkeit  zu.  Am  nächsten  Morgen  werden  an  ihm  vom 
Vater  alle  die  Zeremonien  (Sakramente)  vollzogen,  die  an  einer  schwangeren 
Frau  verrichtet  zu  werden  pflegen.  Dann  wird  der  Totgesagte  aufs  neue  ge- 
boren, indem  er  die  Wanne  auf  der  hinteren  Seite  verlässt.  Endlich  werden 
noch  die  Geburtszeremonien  an  ihm  vollzogen,  er  heiratet  in  optima  forma 
seine  frühere  Gattin  wieder,  oder  er  nimmt  eine  andere,  und  er  legt  mit  ihr  wieder 
die  sakralen  Feuer  an. 

Der  Hiranyagarbha  kann  nicht  anders  aufgefasst  werden  als  der  eben 
geschilderte  Ritus.  Der  Hiranyagarbha  ist  ein  Regenerations- 
ritus. Mit  Bewunderung  müssen  wir  feststellen,  dass  Liebrecht  schon 
vor  Jahren,  gestützt  auf  höchst  dürftiges  Material,  mit  genialem  Blick  den 
Zusammenhang  erkannte,  der  zwischen  dem  indischen  'Ernjagherpum'  und 
der  'symbolischen  Wiedergeburt'  der  voreQOJtoTjiwi  in  Griechenland  besteht 
(Zur  Volkskunde  S.  397).  Warum  Frazer  im  Golden  Bough  1,  22,  wo  er 
unter  der  Überschrift  'Simulation  of  birth'  von  der  Wiedergeburt  der  Tot- 
gesagten   in  Griechenland    und  Indien    handelt,    nicht    auch  den  Hiranya- 


1)  Sanskrit  kunda  'Krug,    Topf";    soll  die  Gestalt    eiuer  Trommel    haben;    also   etwa 
'Tonne,  Wanne'. 

2)  Über    diese   Zeremonien   vgl.   A.  Hillebrandt,    (Indische)    Ritualliteratur    S.  41ff.; 
J.  JoUy,  Recht  und  Sitte  §  ÖG. 

3)  Die  altindischen  Toten-  und  Bestattungsgebräucho,    Amsterdam  1896,  S.  89:    Der 
Urquell  1898,  AiJf.    Die  von  Caland  benutzten  Quellen  sind  mir  nicht  zugänglich. 

4)  Zum  Ballen  der  Fäuste  vgl.  die  Bemerkungen  von  Caland  im  Archiv  für  Religions- 
wissenschaft 11,  128. 


Scheingeburt.  163 

garbharitus  (der  ihm  wohl  bekannt  ist;  vgl.  1,  807)  erwähnt  hat,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen.  Neuerdings  hat  übrigens  Crooke,  wie  ich  mit  Be- 
friedigung gesehen  habe,  bei  seiner  Behandlung  des  Hiranyagarbha  (Things 
Indian  p.  501)  unter  anderem  auch  auf  Frazer,  Golden  Bough  1,22  ver- 
wiesen; d.  h.  also,  Crooke  zweifelt  nicht  daran,  dass  der  Hiranyagarbha 
und  der  Ritus,  der  an  einem  Totgesagten  vollzogen  wird,  eng  zusammen- 
gehören. Und  noch  eins.  Wenn  Liebrecht  den  indischen  Ritus,  'genannt 
Ernjagherpum',  bei  seiner  Erklärung  des  Durchkriechens  heranzog  und 
das  Durchkriechen  als  eine  symbolische  Wiedergeburt  auffasste,  so  hat 
derselbe  Crooke  eine  Äusserung  getan,  die  darauf  schliessen  lässt,  dass  er 
Liebrechts  Standpunkt  durchaus  teilt.  Crookes  Äusserung  ist  deshalb  be- 
sonders wertvoll,  weil  sie  wahrscheinlich  in  keiner  Weise,  weder  mittelbar 
noch  unmittelbar,  durch  die  Liebrechtsche  Wiedergeburtstheorie  beeinflusst 
ist.  Crooke  schreibt  in  seinem  Buche  Things  Indian  S.  500:  'We  may 
perhaps  connect  rites  like  thesei)  with  the  custom  common  in  Europe  and 
elsewhere  of  passing  people  through  the  holes  in  a  dolmen,  or  through  a 
cloven  ash-tree  as  a  eure  for  rupture  or  rheumatism,  or  as  a  chastity 
test,  as  at  «St.  Wilfrid's  Needle"  in  Ripon")  Cathedral". 

Ich  habe  noch  einiges  hinzuzufügen  über  den  Hiranyagarbharitus,  wie 
«er  uns  in  der  neueren  und  neuesten  Zeit  entgegentritt.  Denn  wie  schon 
aus  der  Zeitungsnotiz  vom  Jahre  1869  bei  Liebrecht,  Zur  Volkskunde 
S.  397,  zu  ersehen  ist,  wird  der  Ritus  noch  heute  vorgenommen.  Über 
Form  und  Zweck  des  heutigen  Ritus  unterrichtet  uns  z.  ß.  William 
Crooke,  Things  Indian  S.  499 f.  in  dem  Artikel  'Twice-born'. 

In  the  modern  form  of  the  rite,  which  was  solemnised  [in  Travancore]  in 
1854  and  again  in  1894,  the  Maharaja  entered  a  largo  golden  vessel  filled  with 
water,  which  had  been  mixed  with  all  the  products  of  the  sacred  cow^'). 
A  Cover  was  put  on  the  vessel,  and  he  bathed  four  times  in  the  liquid,  while 
Brahmans  chanted  hymns.  On  einerging,  he  bowed  before  the  tutelary  gods  of 
his  kingdom,  and  the  crown  was  placed  on  his  head.  The  object  of  the  rite 
is  to  elevate  the  Maharaja  from  the  lower  caste  to  which  he  right- 
fuUy  belongs^)  to  the  dignity  of  a  Brahman,  or  as  near  this  as  it  is 
possible  for  him  to  reach.  After  the  'Regeneration  cereraony',  the  Prince  can 
no  longer  partake  of  food  with  the  niembers  of  his  own  family,  to  whora  he  is 
now  superior  in  caste  as  well  as  rank.  But  he  is  admitted  to  the  privilege  of 
being    present  w^hen    the    Brahmans  are  fed,    and    he   may  eat    in    their  presence. 


1)  D.  h.  den  Hiranjag-arbha  und  andere,  später  von  mir  zu  erwähnende  Riten.  Den 
Namen  Hiranyagarbha  erwähnt  Crooke  a.  a.  0.  nicht,  wohl  aber  in  seinem  Buche:  The 
Populär  Religion-  2,  231. 

2)  Vgl.  oben  16,  316  f.  Auf  das  'Nadelöhr'  im  Dom  zu  Ripon  komme  ich  weiter 
unten  zu  sprechen. 

•3)  1).  h.  mit  dem  bereits  im  Atharvaparisista  erwähnten  paucagavya;  siehe  oben. 

4)  Der  König  ist  ein  'Nair'  und  wird  als  solcher  zur  Kaste  der  Südras  gerechnet. 
Eine  reiche  Literatur  über  die  Nairen  verzeichnet  Wilhelm  Hertz,  Gesammelte  Ab- 
handlungen S.  11)9. 

11* 


164  Zachariae: 

Formerly  the  Mahiiräja  passed  through  a  golden  Image  of  the  cow.  More  re- 
cently  a  representation  of  the  holy  lotus  of  Vishnu  was  selected.  After  the  rite 
the  Image  is  broken  up,  and  the  fragments  shared  between  the  Brahmans  and 
the  temple  treasury. 

Aus  dieser  Mitteilung  Crookes,  sowie  aus  dem,  was  Samuel  Mateer  ^) 
ausgeführt  hat,  geht  hervor,  dass  der  Hiranyagarbha  zusammen  mit  dem 
oben  genannten  Tuläpurusa  heutzutage  zu  den  Feierlichkeiten  gehört,  die 
bei  der  Thronbesteigung  eines  Fürsten  vorgenommen  werden.    , 

Dem  Berichte  Crookes  will  ich  noch  zwei  andere  hinzufügen.  Der 
erste  ist  "200,  der  zweite  fast  100  Jahre  älter  als  Crookes  Bericht.  Yon 
dem  grössten  Interesse  ist  die  ausführliche  Beschreibung  eines  Hiranya- 
garbha, die  der  Venetianer  Niccolao  Manucci  (in  Indien  von  1653— -1708) 
gegeben  hat.     Der  Bericht  ist  erst  seit  drei  Jahren  bekannt^). 

Some  years  ago  a  Hindu  prince  called  'the  Victorious',  whose  country  is- 
close  to  Cape  Comorin^),  sought  to  obtain  the  privileges  of  a  Brahman,  a 
thing  that  in  that  country  is  absolutely  impossible.  However,  the  prince,  anxious 
to  carry  out  this  design,  called  an  assembly  of  all  the  Brahmans  within  his  do- 
minions.  He  gave  them  a  great  feast,  and  promised  a  large  sum  of  money  if 
they  would  grant  him  the  right  to  enjoy  their  privileges.  To  this  the  Brahmans 
answered  that  he  was  asking  an  irapossibility.  Nevertheless,  he  continued  to  press 
them  with  such  insistence  that  to  get  rid  of  him  they  told  him  that  nothing  of 
the  sort  could  be  effected  until  he  was  born  anew  in  the  stomach  of 
a  cow. 

Not  to  lose  so  excellent  an  opportun ity,  the  prince  caused  a  golden  cow. 
to  be  made  secretly  such  as  would  suit  his  purpose.  Then  he  caused  the  Brah- 
mans to  be  sent  for,  and  once  more  renewed  his  demands.  The  Brahmans  gave 
the  same  answer  as  before.  At  this  the  king  put  on  a  look  of  sadness,  bub 
retiring,  placed  hiraself  in  the  belly  of  the  golden  cow,  which  stood  ready  in  a 
large  hall  close  by.  All  the  Brahmans  were  called  in,  and  then  the  prince 
issued    from   the    cow    and    began    to    bellow    like    a    calf.     They    per- 


1)  Native  life  in  Travancore  p.  130.  388—390.  Weitere  Einzelheiten  über  den. 
Hirai.ijagarbha  hat  Mateer  in  seinem  Buche  'Land  of  Charitj'  p.  169—175  gegeben. 
Dieses  Buch  ist  mir  leider  nicht  zugänglich.  Ich  verweise  noch  auf  den  Aufsatz 
'A  Travancore  State  Ceremony'  in  der  Calcutta  Review  111,  330. 

2)  Manucci,  Storia  do  Mogor;  ins  Englische  übersetzt  von  William  Irvine,  3,  274 
(1907).  Eine  kurze  Erwähnung  des  Hirai.iyagarbha  auch  schon  bei  dem  Holländer 
Ph.  Baldaeus,  Beschreibung  der  Ost-indischen  Küsten  Malabar  und  Cororaandel,  Amsterdam 
1672,8.445:  'Dann  der  König  von  Trevancor,  damit  er  ein  Bramine  würde,  soll 
von  einer  guldnen  Kuh  hergekommen  seyn,  die  er  darzu  hatte  machen  lassen'. 

3)  Nach  Irvine  in  seiner  Ausgabe  des  Manucci  4,  151  ist  gemeint:  König  Vijaya 
Räghava  (f  1674)  von  Tanjore,  Präsidentschaft  Madras.  Auf  denselben  König  bezieht 
sich  folgende  Beschreibung  des  Hiranyagarbha,  die  ich  der  Calcutta  Review  117,  28  ent- 
nehme: 'A  colossal  cow  in  bronze  was  cast  in  a  mould  and  the  king  was  shut  up  inside. 
The  wife  of  the  king's  Brahman  Guru  acted  as  nurse,  received  him  in  her  arms, 
Tocked  him  on  her  knees,  and  caressed  him  on  her  breast,  and  he  tried  to 
cry  like  a  baby'  (vgl.  Plut.  Quaest.  Rom.  5:  UysTai  ror  'AgiaiTvor  naQaayjlv  mvTov 
ojoiTteo  i^  uQyijQ  TixiöfiEror  TuTg  yvvai^lv  anokovaai  xal  ojiagyavwoai  y.al  drjXijv  enioxEiv). 
Derselbe  Bericht,  wohl  aus  Nelson,  Madura  3,  188  stammend,  bei  Baierlein,  Allgemeine 
Missionszeitschrift  7,  166. 


Scheingeburt.  165 

formed    on    him    such    ceremonies    as    are    observed     for    a    new-born 
child'),  in  spite  of  bis  being  theti  fifty-two  years  of  age. 

The  Brahmans  were  much  incensed  at  being  thus  overreached,  and  asserted 
that  he  was  not  truly  a  calf.  At  these  complaints  the  would-be  new-born 
calf  weut  down  on  all  fours  and  bellowed  louder  than  ever.  In  spite 
of  all  this  they  were  not  satisfled,  and  they  made  every  effort  to  evade  the  claim 
of  this  prince.  To  this  intent  they  set  forth  divers  reasons,  to  each  of  which  an 
instant  reply  was  produced.  Pinally  they  were  reduced  to  asking  that  the  cow 
might  be  sent  to  the  teraple  where  they  dwelt.  When  this  had  been 
done,  the  prince  at  last  obtained  what  he  desired,  and  enjoyed  the  Privileges 
of  Brahmanhood,  and  after  him  bis  posterity  likewise. 

Die  meisten  Berichte  über  den  Hiranyagarbha  stammen,  wie  der 
Bericht  Manuccis,  aus  dem  Süden  Indiens.  Travancore  zumal  scheint 
das  klassische  Land  des  Hiranyagarbha  zu  sein;  Crooke,  Things  Indian 
p.  501  spricht  geradezu  von  einem  'Travancore  rite'.  Aber  der  Ritus  ist 
sicher  auch  in  anderen  Gegenden  Indiens,  ja  ausserhalb  des  eigentlichen 
Indiens,  vorgekommen.  Zum  Beweise  folge  hier  ein  Bericht,  der  aus  der 
Landschaft  Katschar  in  der  indobritischen  Provinz  Assam  stammt.  Ich 
entnehme  ihn  einer  Xotice  sur  le  Royaume  de  Katchar  ou  Hiroumba-)  in 
Malte-Bruns  Xouvelles  Annales  des  Yoyages  15,  362  (Paris  1822).  Von 
einem  König  der  Katschäris  wird  hier  erzählt,  dass  er,  aus  Yorliebe  für 
den  Brahmanismus,  ein  Proselyt  dieser  Religion  habe  werden  wollen. 
Dann  heisst  es  weiter: 

A  cet  effet,  il  subit  la  ceremonie  connue  sous  le  nom  de  pounneh  djenma'^); 
il  s"y  prepara  par  plusieurs  actes  religieux.  et  nourrit  un  grand  nombre  de  brahmes. 
Ceux  de  ses  serviteurs  qui  etoient  animes  du  desir  de  lui  plaire  suivirent  son 
exemple.  On  raconte  encore  qu'il  fit  faire  une  vache  en  or,  par  le  ventre  de 
laquelle  il  passa  avec  ses  courtisans  les  plus  devots,  afin  de  se  rendre  plus  dignes 
d'etre  admis  dans  la  religion  de  Brahma.  Si  le  fait  est  vrai,  il  n'est  pas  douteux 
que  la  figure  en  or  de  Fanimal  sacre  n'ait  ete  tellement  sanctifiee  par  cet  acte, 
qu'elle  n'ait  pu  passer  ensuite  que  dans  les  mains  des  brahmes. 

Der  Hiranyagarbha  ist  ein  Regenerationsritus.  Es  scheint 
aber,  dass  er  auch  als  Sühnritus  sowie  als  glückbringender  Ritus  vor- 
genommen wurde  oder  noch  vorgenommen  wird.  Auffällig  wäre  das  nicht. 
Crooke,  Things  Indian  p.  499  schreibt  geradezu:  'The  rite  is  still  retained 
as  being  most  efficacious  in  removing  sin  and  impurity'.  Ob  freilich 
der  Fall,  den  Crooke  als  Beleg  anführt,  hierher  gehört,  ist  zweifelhaft. 
Der  unbeschuhte  Karmeliter  Fr.  Paullinus  a.  S.  Bartholomaeo  erzählt 
nämlich  in  seinem  Systema  Brahmanicum*),  dass  ein  König  von  Travan- 
core, der  mehrere  heidnische  Tempel  hatte  abbrennen  lassen,  nur  dadurch 


1)  Die  Geburtszeremonien,  die  jütakarmridikrih  kriyäli  der  Sans^krittexte  (siehe  oben). 

2)  Ein  Auszug  aus  der  mir  nicht  zugänglichen  Zeitschrift  'The  friend  of  India'. 
■3)  Dieser  Ausdruck  ist  =  Sanskrit  punarjanma  'Wiedergeburt'. 

4)  Romae  1791,  p.  39.    Vgl.  auch    des  Fra  Paolino    da   San  Bartolomeo  Reise  nach 
Ostindien,  deutsch  von  J.  R.  Forster  1798,  S.  174f. 


j.66  Zachariae: 

von  seiner  Sünde  habe  losgesprochen  werden  können,  dass  er  durch  eine 
goldene  Kuh  kroch ^).  Dabei  polemisiert  der  allzeit  kampflustige 
Karmeliter  gegen  Karsten  Niebuhr  und  Anquetil  Duperron^),  die  be- 
hauptet hatten,  jener  König  sei  durch  die  Kuh  hindurchgekrochen  'ut  se 
nobilem  redderet'.  Es  ist  aber  möglich,  dass  sich  vielmehr  Paullinus 
einen  Irrtum,  eine  Verwechslung  hat  zuschulden  kommen  lassen.  Näheres 
darüber  bei  S.  Mateer ^).  Dagegen  wird  man  hierher  ziehen  dürfen,  was 
Forbes*)  von  Raghunath  Räo  (genannt  Ragoba)  berichtet.  Ragoba  soll, 
als  er  von  seinen  Feinden  besiegt  und  aus  seiner  Hauptstadt  vertrieben 
war,  'in  hopes  of  better  fortune"  durch  eine  goldene  Kuh  gekrochen 
sein.  Man  vergleiche  auch  die  Sitte,  die,  nach  Crooke,  im  Norden 
Indiens  heimisch  ist:  wenn  das  Horoskop  eines  Kindes  anzeigt,  dass  das 
Kind,  irgend  ein  A'erbrechen  in  einer  früheren  Existenz  begangen  hat,  oder 
dass  ihm  ein  Unglück  in  seinem  Leben  bevorsteht,  so  wird  ein  dem 
Hiranyagarbha  sehr  ähnlicher  Ritus  an  dem  Kinde  vollzogen"). 

Ein  paar  Worte  möchte  ich  noch  hinzufügen  über  den  Tuläpurusa, 
von  dem  ich  oben  gesagt  habe,  dass  er,  wie  der  Hiranyagarbha,  in  den 
Sanskritschriften  zu  den  16  'grossen  Gescheuken'  gerechnet  wird.  Doch 
kann  ich  mich  kurz  fassen,  da  Max  Bartels  in  dieser  Zeitschrift  13,  359 
den  Tuläpurusa  bereits  erwähnt,  und  da  Michael  Haberlandt®)  ausführlich 
darüber    gehandelt  hat.     Beim  Tuläpurusa    ist,    wie    beim  Hiranyagarbha, 


1)  Ähnlich  äussert  sich  auch  Robert  Orme  (bei  Forbes,  Oriental  Memoirs  1,  378  n.): 
The  klag  of  Travencore  has  couquered,  or  carried  war  into  all  the  countries  which  lay 
round  his  domiuions,  aad  lives  in  the  continual  exercise  of  bis  arms,  To  atone  for  Ihe 
blood  which  he  has  spilt,  the  brahmius  pcrsuaded  him  that  it  was  necessarj  he 
should  be  born  anew:  this  ceremony  consisted  in  putting  the  prince  into  the  body 
ofa  golden  cow  of  immense  value:  where,  after  he  had  laid  the  tinie  prescribed,  he 
came  out  regen erated,  and  frecd  from  all  the  crimes  of  his  former  life.  The  cow 
was  afterwards  cut  up,  and  divided  amongst  the  Seers  who  had  invented  this  cxtra- 
ordinary  method  for  the  remission  of  his  sius. 

2)  Niebuhr,  Reisebeschreibung  2,  17 f.:  Anquetil  Duperron,  Zendavesta,  Discours 
preliminaire  p.  CXLTX  n.  ('renaissance   du  Veau  d"Or'). 

3)  Native  Life  in  Travancore  S.  130  gegen  Ende.  Mau  sehe  auch  Papi,  Lottere  suU' 
Indie  Orientali,  deutsch  Weimar  180G  (Bibliothek  der  neuesten  und  wichtigsten  Reise- 
beschreibuugen  32),  S.  oloff. 

4)  Oriental  Memoirs  1,  379.  Der  oben  genannte  Ragoba  kroch  auch,  um  seine 
Sünden  loszuwerden,  durch  einen  hohlen  Felsen:  siehe  Campbell,  Indian  Anti- 
quary  27,  108. 

5)  Crooke,  Things  ludian  p.  500.  Fast  dasselbe  sagt  Crooke  in  seiner  'Populär 
Religion'  2,  231  (s.  schon  oben  12,  112f.,  wo  die  Stelle  nach  der  1.  Auflage  des  Buches 
im  \Yortlaut  mitgeteilt  ist).  Nachdrücklich  will  ich  noch  hinweisen  auf  die  Sage  von 
der  Verheiratung  des  Gottes  Brahman  mit  der  Hirtentochter  Gäyatri  bei  Crooke,  Pop. 
Religion  2,  231  (vgl.  1,  54.  2,  233),  wo  eine  'Wiedergeburt  durch  die  Kuh'  vor- 
kommt. (Dieser  Zug  fehlt  iu  der  entsprechenden  Sage  des  Padmapuräna;  siehe  Lenz, 
Jounial  of  the  Royal  Asiatic  Society,  old  serics  2,  190 ) 

())  Da  Bartels,  der  sich  auf  Haberlandt  beruft,  anzugeben  unterlassen  hat,  wo  man 
Haberlandts  Abhandlungen  finden  kann,  so  will  ich  das  hier  nachholen.  Kurz  liat  Haber- 
laudt  den  Tuläpurusa  behandelt  unter    der  Überschrift    'Die  wohltätige  Wage'    in    seinem 


I 


Scheingeburt.  167 

das  Schenken  allmählich  zur  Hauptsache  geworden.  In  Travancore 
kommt  der  Tuläpurusa  noch  heute  vor,  und  zwar  in  inniger  Verbindung 
mit  dem  Hiranyagarbha,  unter  den  Krönungsfeierlichkeiten.  Die 
Kosten  für  beide  Zeremonien  belaufen  sich,  nach  S.  Mateers  Berechnung, 
auf  30  000  Pfund  Sterling.  Aber  der  ursprüngliche  Sinn  und  Zweck  des 
Tuläpurusa  war  nicht  das  Verschenken  des  Gewichtes  der  eigenen  oder 
einer  andern  Person  in  Gold  u.  dgl.  Wir  wissen,  dass  das  Gewicht  des 
menschlichen  Körpers,  ebenso  wie  das  Mass,  eine  übersinnliche  und  über- 
natürliche Bedeutung  besitzt  (M.  Bartels).  Das  Zahlen  von  Gold  im 
Gewichte  des  Körpers  erscheint  als  eine  Ersatzleistung  für  begangene 
Sünden  oder  Verbrechen.  Es  kann  also  als  eine  Art  Busse  angesehent 
werden.  In  dem  ältesten  indischen  Dokumente  über  den  Tuläpurusa  heisst 
es,  dass  sich  zuerst  der  Gott  Indra  dieser  Prozedur  unterzogen  habe 
'sarvapäpapranäsäya'  d.  h.  zur  Vernichtung  aller  seiner  Sünden  (Atharva- 
parisista  11,  2,  2).  So  schreibt  Mateer:  'Scale -weighing  is  primär ily  a 
religious  donation  as  atonement  for  sin,  or  as  a  deed  of  merit  no 
uncommonly  practised  in  Bengal'  (Native  lifo  in  Travancore  p.  390).  Aus 
Pegu  berichtet  Mendez  Pinto,  dass  sich  bei  Gelegenheit  eines  Festes  viele 
Leute  abwägen  Hessen  und  eine  ihrem  Körpergewicht  entsprechende  Gabe 
opferten,  und  zwar  einerseits,  um  Gelübde  zu  erfüllen,  die  sie  bei  Unglücks- 
fällen und  Krankheiten  getan  hatten,  andererseits,  um  Vergebung  für 
früher  begangene  Sünden  zu  erlangen  (liiebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  505). 
Besonders  bemerkenswert  in  diesem  Berichte  ist  das,  was  über  das  Ab- 
wägenlassen im  Fall  einer  Krankheit  gesagt  wird.  Denn  das  Opfern 
einer  Gabe  im  Gewicht  des  Kranken,  also  gewissermassen  das  Loskaufen 
des  Kranken  von  dämonischen  Mächten,  ist,  wie  Grimm  und  andere 
gezeigt  haben,  etwas  sehr  gewöhnliches.  So  in  Indien^);  so  auch  ander- 
wärts. Ich  zitiere  nur  den  Satz:  Ad  superstitionem  pertinet  ponderatio 
hominis  ad  aequalitatem  siliginis  contra  morbum  caducum  (Dionysius 
Carthusianus  bei  Liebrecht,  Gervasius  von  Tilbury  S.  237,  nr.  223).  — 

Was    ich    über    das    Durchkriechen    zu    sagen    habe,    will  ich  zu- 
sammenfassen unter  der  Überschrift 

Durchkriechen  als  Reinigungszeremonie  (Gottesgericht;  Keuschheitsprobe). 

Man  ist  gewohnt,  das  Durchkriechen  oder  Durchziehen  als  einen  Heil- 
ritus anzusehen.    Grimm  hat  das  Kriechen  durch  ausgehöhlte  Erde,  hohle 

Buche  'Der  altindische  Geist"  1887  S.  343—347  und  ausführlicher  in  den  Mitteilungen  der 
anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien  19,  160—164  (1869'.  Ferner  will  ich,  da  Haber- 
landt  seine  Quellen  fast  durchweg  ungenau  zitiert,  noch  besonders  hinweisen  auf  Grimm 
RA.  G7of.,  auf  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  8  236.  505,  auf  Ducange  u  d.  W.  ponderare 
und  auf  Godefroy,  Dictionnaire  de  Faucienne  langue  Franraise  u.  d.  W.  contrepeser. 
Eine  Abhandlung,  die  Gaidoz  über  den  Tuläpurusa  geschrieben  hat  (siehe  Journal  of  the 
R.  Asiatic  Society  1891,  349),  ist  mir  leider  nicht  zugänglich. 

1)  Ausser  dem,  was  Haberlandt  beigebracht  hat,    vergleiche  mau  namentlich  Indian 
Antiquarj  11,  122. 


jgg  Zachariae: 

Steine  oder  gespaltene  Bäume  in  dem  Kapitel  'Krankheiten'  behandelt 
(DM.2  g_  1118—1121).  Gaidoz  hat  sein  kleines  Buch  über  das  Durch- 
kriechen mit  dem  Titel  'Un  vieux  rite  medical'  versehen.  Dem  gegen- 
über kann  nicht  genug  betont  werden,  dass  mit  dem  Durchkriechen 
keineswegs  nur  eine  körperliche,  sondern  auch  eine  geistige  Wieder- 
geburt bezweckt  wird,  um  Liebrechts^)  Ausdruck  zu  gebrauchen.  Ja, 
nach  Nyrop  bedeutet  der  Ritus  des  Durchkriechens  ursprünglich  die 
Reinigung  von  Sünden,  erst  später  die  Befreiung  von  Krankheiten^). 
Fälle,  die  hierher  gehören,  sind  allerdings  von  Gaidoz  und  anderen  bereits 
erwähnt  und  besprochen  worden.  Doch  sind  die  Fälle  in  der  Schrift  von 
Gaidoz  nicht  ohne  weiteres  zu  übersehen,  da  es  diesem  Autor  in  erster 
Linie  darauf  ankommt,  die  verschiedenen  Arten  des  Durchkriechens  und 
die  dabei  in  Betracht  kommenden  Gegenstände  vollständig  aufzuzählen; 
die  Beantwortung  der  wichtigen  Frage,  zu  welchen  Zwecken^)  das  Durch- 
kriechen unternommen  wird,  steht  bei  Gaidoz  in  zweiter  Linie  und  nimmt 
eine  mehr  untergeordnete  Stellung  ein.  Jedenfalls  dürfte  es  nicht  über- 
flüssig sein,  hier  einige  weniger  bekannte  Fälle  aufzuführen,  in  denen 
das  Durchkriechen  klar  und  deutlich  als  Reinigungszeremonie  auftritt. 
Das  Durchkriechen  kommt  nicht  selten  zur  Verwendung,  wenn  sich 
jemand  von  einem  Verdacht  reinigen,  wenn  jemand  seine  Unschuld  be- 
weisen will.  Wem  es  gelingt,  durch  eine  enge  Öffnung  zu  kriechen,  der 
gilt  als  ein  ehrlicher,  unschuldiger  Mann.  Kurz,  das  Durchkriechen  steht 
im  Dienste  des  Gottesgerichts*),  genau  so,  wie  etwa  das  Schreiten 
durchs  Feuer  oder  das  Tragen  glühenden  Eisens.  Wenn  wir  also  z.  B. 
lesen,  dass  sich  der  Brahmane  Vatsa,  von  seinem  jüngeren  Bruder  unedler 
Herkunft  beschuldigt,  der  Feuerprobe")  unterwarf,  wobei  ihm  'das 
Feuer  auch  nicht  ein  Haar  versengte";  oder  wenn  wir  bei  Grimm  RA.  463 


1)  Zu  Gervasius  S.  171:  'In  Indien  wh-d  die  geistige,  in  Europa  die  körperliche 
Wiedergeburt  symbolisch  dargestellt'.  Wogegen  nur  zu  bemerken  ist,  dass  die  'geistige 
Wiedergeburt'  keineswegs  auf  Indien  beschränkt  ist. 

2)  Siehe  Weinhold  oben  3,  233:  vgl.  2,  50  und  seine  Abhandlung  Zur  Geschichte  des 
heidnischen  Eitus  1895  S.  37.  Nyrops  Ansicht  wird  bekämpft  von  Gaidoz,  Un  vieux  rite 
medical  p.  76.     [M.  Andree-Eysn,  Volkskundliches  1910  S.  9—12.] 

3)  Zu  den  verschiedensten  Zwecken  wird  das  Durchkriechen  unternommen.  Durch- 
kriechen kann  höheres  Wissen  verleihen.  So  wurden  in  Obersteiermark  zwei  Bauern 
belauscht,  als  sie  nackt  durch  eine  gespaltene  Buche  krochen,  in  der  Meinung,  danach 
hexen  zu  können  (Weinhold,  Zur  Gesch.  des  heidn.  Eitus  S.  38 f.).  In  einem  polnischen 
Märchen  kriecht  ein  Prinz  durch  die  Ohren  eines  Wunderpferdes  und  gewinut  dadurch 
übermenschliche  Stärke,  die  er  später,  nach  wiederholtem,  aber  umgekehrtem  Durch- 
kriechen wieder  verliert  (E.  Köhler,  Kl.  Schriften  1,  406). 

4)  Der  Easengang  im  Sinne  eines  Beweises  der  Unschuld  oder  Wahrheit  ist  bereits 
oben  erwähnt  worden.  'Der  Rasen  konnte  losbrechen  und  den  darunter  stehenden  be- 
schädigen, insofern  war  es  gefährlich  und  einem  Gottes  Urteil  zu  vergleichen'  (Grimm 
EA.  119).  Dubois  nennt  das  Hindurchkriechen  unter  dem  Bauch  einer  Kuh  ein  'ordeaU 
(Hindu  mauners  1897  p.  42). 

5)  Manu  8,  IIG;  vgl.  A.  AVebcr,  Indische  Studien  9,  44f. 


Scheingeburt.  169 

leseu,  dass  ein  natürlicher  Sohn  im  alten  Norden  den  Yater  aufsuchen 
und.  wenn  er  im  Gottesgericht  das  glühende  Eisen  trug,  seine  An- 
erkennung fordern  konnte:  so  lesen  wir  ähnlich  auch  von  einem  Fels- 
locli  in  dem  Gebirge  nahe  bei  Desht-e-arjun^),  das  durchkrochen  wird 
zum  Beweise  legitimer  Geburt.  James  Morier,  A  second  journey  through 
Persia,  London  1818,  S.  54  (deutsch,  Weimar  1820,  S.  62)  erzählt  davon 
folgendes: 

At  Desht-e-arjun  there  is  a  hole. in  the  mountain,  which  the  Persians  believe 
possesses  the  quality  of  deciding  legitimacy  of  birth.  The  epithet  of  haram 
zadeh  (unlawfuUy  begotten)  is  nearly  the  most  odious  that  can  be  given  to  a 
Persian.  one  which  easiest  excites  his  wrath,  and  therefore  in  tlieir  quarreis  they 
constantly  recur  to  it,  as  a  great  raeans  of  Irritation.  One  of  their  stories  is, 
that  a  corpulent  man,  of  larger  circumference  than  the  hole,  once  presented 
hiraself  to  pass  through  it,  in  order  to  ascertain  his  legitimacy,  when  the  sagacious 
rock  yielded  him  an  easy  passage;  but  that  a  thin  man,  who  came  on  a  like 
errand,  could  not  force  his  way  through^),  and  was  ever  after  calied  haram 
zadeh. 

Kurz  erwähnt  auch  William  Ouseley  dieses  Felsloch  (by  passing 
through  which,  a  man  of  suspected  birth  might  absolve  himself  from 
every  Imputation  of  illegitimacy)  in  seinen  Travels  in  various  countries  of 
the  East  1,  305.     London  1819. 

Felslöcher,  durch  die  man  kriecht,  um  sich  von  Sünden  zu  reinigen 
oder  um  seine  Unschuld  zu  beweisen,  gibt  es  auch  anderswo.  So  in 
Indien^).  Ich  erwähne  zunächst  das  von  Liebrecht  (Zur  Volkskunde 
S.  398)  und  anderen  bereits  genannte  berühmte  Felsloch  auf  dem  Malabar 
Point  bei  Bombay,  wo  die  Gläubigen  hindurchkriechen,  um  ihre  Sünden 
loszuwerden,  wie  es  z.  B.  John  Henry  Grose  im  6.  Kapitel  seiner  Reise 
nach  Ostindien  geschildert  hat  (s.  Crooke,  Things  Indian  p.  500f.).  Ton 
unten  gehen  die  Pilger  in  den  Felsen  hinein  und  oben  kommen  sie  wieder 
heraus.  Berühmte  Männer,  wie  Siväji,  Kanoji  Angria  und  der  oben  schon 
genannte  Itaghunäth  Peishwa  sollen  durch  das  Felsloch  auf  dem  Malabar 
Point  bei  Bombay  gekrochen  sein.     Campbell,    aus   dessen  Notes    on    the 


1)  An  der  Strasse  von  Abuscliehr  nach  Schiras;  etwa  5(»  englische  Meilen  von 
Schiras  entfernt. 

"2)  So  gibt  es  auch  in  Ezra  (im  Haurän;  Syrien)  zwei  Pfeiler,  zwischen  denen  ein 
Bastard  nicht  hindurchschreiten  kann:  s.S.  J.  Curtiss,  Ursemitische  Religion  IWS  S.  91. 

•"i)  Wie  Gaidoz,  Uu  vieux  rite  medical  p.  33  f.  feststellt,  ist  die  folgende  Anfrage, 
die  in  den  Panjrib  Notes  and  Queries  1,  50  erschien,  ohne  Antwort  geblieben:  "Holy 
S  ton  es.  It  has  been  stated  that  naturally  perforated  stones  (possibly  artificially  en- 
larged)  exist  in  parts  of  India,  —  the  neighbourhood  of  Bombay  and  Gujarüt  have  been 
cited  as  localities,  —  and  that  people  who  have  passed  through  them  are  supposed  to 
have  become  new-born  —  i.  e.,  to  receive  a  new  birth  of  the  soul.  Can  any  one  state 
exactly  wherc  such  stones  are  to  be  found,  and  whether  they  are  still  in  common  use 
in  such  a  sense.  as.  for  instance,  when  the  Mahäräjä  of  Travancore,  a  Nair  by  birth,  is 
made  a  Brähman  by  passing  through  a  golden  cow?"  (Nach  dem  Wiederabdruck  der 
Anfrage  im  Indian  Antiquary  2(),  252.) 


170  Zachariae: 

spirit  basis  of  belief  and  custorn  ich  diese  Angabe  schöpfe,  bemerkt  noch: 
The  cleft  stone  in  Malabar  Point  is  explained  by  Brähmans  as  a  symbol 
of  a  second  birth  (Indian  Antiquary  27,  109). 

Weiter  nenne  ich  den  durchlöcherten  Stein  in  Bhownuggeri),  über 
den  Alexander  Kinloch  Forbes,  Ras  Mala  (London  185G)  2,  285  in  einer 
Besprechung  der  indischen  Gottesgerichte  folgendes  bemerkt: 

Another  kind  of  ordeal  is  used  at  Bhownugger.  There  is  a  stone  there 
with  a  hole  in  it,  through  which,  if  a  suspected  man  can  creep,  his  character 
is  held  to  be  cleared;  if  he  cannot,  he  is  pronounced  to  be  a  liar.  The  stone 
goes  by  the  name  of  the  window  of  truth  and  falsehood. 

In  der  Anmerkung  zu  dieser  Stelle  verweist  Forbes  auf  Ras  Mala  1,  460, 
wo  er  den  Stein  kurz  erwähnt  (an  oblong  stone,  derived,  apparently, 
from  the  funeral  monument  of  an  ascetic);  ausserdem  bemerkt  er,  dass 
sich  ein  ähnlicher  Stein  in  Dhuboy^)  befinde.  Von  diesem  Stein  berichtet 
James  Forbes,  der  von  1780  bis  1782  britischer  Resident  in  Dhuboy  war: 

Near  it  [d.  h.  nicht  weit  von  dem  Grabmal  der  Mahma  Doocree]  a  perfo- 
rated  stone  is  used  for  ordeal  trials,  and  I  was  often  obliged  to  consent  to 
this  experiment  in  favour  of  injured  innocence,  from  the  faith  which  the  pre- 
sent  inhabitants  of  Dhuboy,  both  Hindoos  and  Mahomedans,  place  in  the  sanctity 
of  this  heroine.     (J.  Forbes,  Oriental  Memoirs  2,  33'S.     London  181  y.) 

Denselben  Stein  erwähnt  auch  Crooke,  Things  Indian  p.  357  in  dem 
Ai'tikel  über  die  indischen  Gottesgerichte;  sehr  passend  vergleicht  er  das 
'Nadelöhr'  in  dem  Dom  zu  Ripon  in  England,  von  dem  weiter  unten  noch 
die  Rede  sein  wird.  Crooke  fügt  hinzu,  dass  ein  heiliger  Baum  in 
Riwakantha  (FRewakantha;  Präsidentschaft  Bombay)  ebenso  verwendet 
werde,  wie  der  durchlöcherte  Stein  in  Dabhoi.  'Its  intertwined  branches 
form  a  loop,  through  which  suspected  persous  are  made  to  pass; 
every  one  believes  that  it  grips  the  guilty,  and  allows  the  innocent  to 
pass  unscathed'. 

Steine,  wie  die  in  Bhaunagar  und  Dabhoi,  durch  deren  Öffnungen 
man  kriecht,  um  seine  Unschuld  oder  Ehrlichkeit  zu  beweisen,  gibt  es 
auch  in  Tibet.  Von  solchen  Steinen  gab  Sven  Hedin  in  den  Vorträgen 
über  seine  letzte  tibetische  Reise  Kunde  und  erregte  mit  seinem  Bericlit 
die  Heiterkeit  der  Zuhörer. 

The  Tibetans  have  some  stränge  tests  for  ascertaining  the  character  of 
a  man.  One  is  by  nieans  of  a  hole  in  a  block  of  granite,  through  which  the  in- 
dividual  has  to  crawl.  If  he  is  an  honest  man  he  will,  according  to  the  theory 
of  the  Tibetans,    creep  through,    but  if  a  scoundrel    he  will  stop  in  the  middle. 


1)  Bhownugger  (Bhaunagar)  liegt  in  Gnjarät,  am  Golf  von  Cainbay. 

2)  Dhuboy  (Dabhoi),  im  Staate  Baroda  (Gujarät).  W.  W.  Hunter  schreibt  im  Imperial 
Gazetteer  of  India"  4,  76  in  dem  Artikel  Dabhoi:  'In  the  towu  is  a  place  called  nninui- 
dokri,  where  Stands  a  khirni  or  nuisk-melon  tree,  through  wbose  hoUow  trunk  no  guilty 
person  can  pass.'  (In  der  neuesten  Auflage  des  Imperial  Gazetteer  11,  99  ist  dieser 
Passus  weggeblieben.) 


I 


Scheingeburt.  171 

'W'e  hud  a  very  funny  experience  with  one  of  these  blocks  of  granite',  said 
Dr.  Hedin.  'A  fellow  could  not  continue  and  could  not  come  back,  and  so  all  our 
men  had  to  tie  ropes  to  his  feet  and  drag  him  out  in  that  way'.  (The  Daily 
Telegraph,  February  12,  1909.) 

Ob  der  'Stein  mit  einer  engen  üffuung'  im  Kloster  des  h.  Johannes 
von  Rila,  wovon  ich  oben,  nach  einer  Mitteilung  Ciszewskis,  gesprochen 
habe,  hierher  gezogen  werden  kann,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Dagegen  gehört  ohne  Zweifel  ein  Brauch  hierher,  den  derselbe  Ciszewski 
(Künstliche  Verwandtschaft  S.  5  Anni.)  aus  einer  Schrift  Nacovs  mitteilt. 
Nacov  erzählt  aus  seiner  Jugend,  dass  sich  in  der  Nähe  der  Stadt  Stara- 
Zagora  ein  Stein  mit  nicht  allzugrosser  Öffnung  befand,  durch  die  er  sich 
als  Kind  zusammen  mit  seinen  Altersgenossen  hindurchdrückte,  um  zu  er- 
kennen, wer  ein  Sünder  sei;  den  Sünder  nämlich  sollte  der  Stein 
zusammenquetschen. 

Die  hier  und  auch  sonst  zutage  tretende  Anschauung,  dass  der  Gute 
leicht  und  unversehrt  durch  eine  enge  Öffnung  zu  gelangen  vermag, 
während  der  Schlechte  stecken  bleibt  oder  zerdrückt  wird,  kehrt  ähnlich 
wieder  in  einem  türkischen  Brauche,  den  ich  nicht  unerwähnt  lassen 
möchte.  In  einem  Aufsatz  über  osmanisch-türkischen  Volksglauben  schreibt 
Julius  Meszäros  (Keleti  Szemle  7,  65): 

Stambul  ist  voll  von  Heiligengräbern,  an  jedes  derselben  knüpft  sich  irgend 
etwas  aus  dem  Volks-Aberglauben.  Unter  die  berühmtesten  derselben  gehört  das 
Grab  Merkez  efendis  in  der  Nähe  des  Brunnens  Cilehäne.  Will  jemand,  dass  ihm 
irgend  ein  Wunsch  in  Erfüllung  gehe,  so  geht  er  zu  dem  in  der  Nähe  dieses 
Heiligengrabes  gelegenen  Brunnen,  dessen  Wasser  schon  ausgetrocknet  ist  und  zu 
dessen  Auslaufrohr  ein  schmaler  enger  Weg^)  führt.  Dort  hebt  er  ein  kleines 
Steinchen  auf,  steckt  es  in  die  Tasche  und  trägt  es  ein  volles  Jahr  bei  sich.  Nach 
Verlauf  eines  Jahres  trägt  man  das  Steinchen  wieder  zurück  und  legt  es  dort 
wieder  nieder,  von  wo  man  es  genommen.  Man  mag  was  immer  wünschen,  ist 
es  was  Gutes,  so  geht  alles  in  Erfüllung,  sollte  es  aber  jemand  wagen,  sich  dem 
Brunnen  in  böser  Absicht,  oder  mit  schlechten  Wünschen  zu  nähern,  so  wird  er 
von  dem  zu  den  Auslaufröhren  führenden  schmalen  Weg  erdrückt. 

G.  Jacob,  dem  ich  den  Hinweis  auf  diesen  türkischen  Brauch  ver- 
danke-), macht  noch  aufmerksam  auf  das  Säulenpaar  der  'Amr-Moschee  in 
Kairo,  von  dem  erzählt  wird,  dass  sich  nur  der  wahre  Gläubige  hin- 
durchzudrücken vermöge^). 

Als  Reinigungszeremonie  scheint  das  Durclikriechen  auch  in 
zwei    deutschen    Bräuchen    aufzutreten,    die    R.  Hofschläger    in   der  oben 


1)  Professor  E.  Littmann  macht  mich  aufmerksam  auf  eine  abessinische  Zauber- 
handlung, in  der  ein  enger  Pfad  vorkommt  (yg\.  Andree,  Abessinien.  Leipzig  lS(i9, 
S.  97). 

2)  Vgl.  G.  Jacob,  Türkische  Bibliothek  7,  17,  Anmerkung. 

3)  Vgl.  R.  Andree,  Ethnographische  Parallelen  und  Vergleiclie  1878,  S.  34:  H.  Gaidoz, 
Un  vieux  rite  medical,  chap.  5.  G.  Jacob  zitiert  den  mir  nicht  zugänglichen  Cicerone 
durch  das  alte  und  neue  Ägypten  von  G.  Ebers  1,  190.     [Andree-Eysu  1910  S.  l'J.J 


272  Zachariae: 

zitierten  Abhandlung^),    nacli    einer    mir    nicht    zugänglichen   Quelle,    an- 
geführt hat. 

Am  Niederrhein  war  noch  vor  etwa  einem  halben  Jahrhundert  das  Hindurch- 
kriechen eine  Entsühnungsprozedur,  durch  die  man  sich  von  sittlichen  Ver- 
fehhmgen  reinigen  konnte.  Ein  Bursche,  der  durch  die  Lösung  eines  Liebesver- 
hältnisses in  den  Kreisen  der  Dorfjugend  moralischen  Anstoss  erregt  hatte,  konnte 
von  allem  Makel  befreit  werden  durch  eine  Zeremonie,  bei  der  er  durch  einen 
bodenlosen  Korb  kriechen  musste.  Durch  einen  feierlichen  Ausruf  wurde  kund 
^etan,  dass  er  'rein  und  ledig  sei,  wie  ein  Kind  von  Mutterleib  her,  rein  wie  die 
Sonne,  rein  wie  der  Mond  und  rein  wie  das  Licht  des  Tages'.  War  ein  Mädchen 
zur  'Drüwäsch'  (Trockenwaschung)  verurteilt,  so  musste  sie  durch  das  'Drügels- 
iuch'  hindurch,  d.  h.  durch  ein  langes,  schmales  Handtuch,  dessen  Enden  zu  einem 
Ring  zusammengenäht  waren'-). 

Ich  komme  jetzt  zu  einem  Fall  von  Durchkriechen,  das  klar  und 
deutlich  im  Dienst  eines  Gottesgerichts  steht.  Ja  die  Quellen,  die  ich  so- 
fort anführen  werde,  sprechen  ausdrücklich  von  einem  Gottesgericht. 
Letzterer  Umstand  ist  es,  der  den  Fall  besonders  interessant  macht.  Wie 
bekannt,  wird  die  Entscheidung  durch  ein  Gottesgericht  nicht  selten  an- 
gerufen zum  Beweis  der  jungfräulichen  Keinheit  oder  der  ehe- 
lichen Treue.  So  ruft  Sita,  des  Räma  Gattin,  als  ihre  Treue  ange- 
zweifelt wird,  das  Feuer  zum  Zeugen  ihrer  Unschuld  an  und  stürzt  sich 
in  die  Flammen;  da  steigt  der  Feuergott  aus  dem  Scheiterhaufen  empor, 
übergibt  die  Sita,  die  unverletzt  geblieben  ist,  dem  Käma  und  versichert 
ihn,  dass  ihm  seine  Gattin  die  Treue  gewahrt  habe^).  In  einer  indischen 
Erzählung  badet  sich  eine  verleumdete  Frau  in  siedendem  Öl,  um  ihre 
Keuschheit  zu  beweisen*).  Nach  den  Chroniken  des  Mittelalters  soll 
Richardis,  Karls  des  Dicken  Gemahlin,  ihre  Unschuld  bewährt  haben,  in- 
dem   sie    im    blossen  Hemde    durch    einen   entflammten  Holzstoss  ging®). 


1)  über  den  Ursprung  der  Heilmethoden  S.  213.  Quelle:  Montanus,  Die  deutschen 
Volksfeste  1854  S.  82. 

2)  Über  die  Drüwäsch  (dröge  Wäsche)  und  verwandte  Gebräuche  macht  mir  Prof. 
Bolte  die  folgende  Mitteilung:  Die  Drüwäsch  gehört  zu  den  Ehrenstrafen,  die  an  dem 
treulosen  oder  abgewiesenen  Burschen  oder  Mädchen  von  den  Dorfgenossen  vollzogen 
wurden:  körben  oder  durch  den  Korb  fallen  lassen  (Schmitz,  Sitten  und  Sagen  a.  d.  Eifel 
185G  1,  52.  Deutsches  Wörterbuch  5,  ISOOff.  1805),  durch  den  Teich  ziehn  (Borkum), 
Häcksel  streuen  oder  Strohmann  setzen  (E.  H.  Meyer,  Badisches  Volksleben  S.  l!)o.  223. 
A.  de  Cock,  Volkskunde  12,  15)  usw.  —  Siehe  auch  E.  H.  :\[oyer,  Deutsche  Volkskunde 
1898  S.  165.  Bereits  Albrecht  Weber  hat  'die  entsühnende  Kraft  des  Körbens  in  der 
Eifel'  mit  dem  Durchziehen  oder  Durchkriechen  verglichen;  Indische  Studien  5,453(1802). 

:•))  M.  Winternitz,  Geschichte  der  indischen  Literatur  1,  420.  Vgl.  Crooke,  Populär 
Religion  1,  52. 

4)  Steel  and  Temple,  Wide-awako  Stories  1884  p.  421).  Crooke,  Populär  Religion 
2,  272. 

.5)  Siehe  Grimm  RA.  l»12if.,  wo  weitere  ähnliche  Fälle  zu  finden  siud.  Vgl.  sonst 
«twa  Weinhüld,  Die  deutschen  Frauen  in  dem  Mittelalter ^  1,  205.  Wuttke,  Der  deutsche 
Volksaberglaube  §  284.  342.  420.  Funkhänel  im  Philologus  2,  395.  398 f.  R.  C.  Temple, 
Indian  Antiquary  29,  95. 


Sclieingebiut.  173 

Das  gleiche  begegnet  nun  in  einer  Erzählung  der  Sukasaptati  (Textus 
simplicior,  Nr.  15),  in  einer  von  jenen  Erzählungen,  die  das  in  der 
Literatur  so  berühmte  Motiv  vom  gefälschten  Gottesurteili)  ent- 
halten. Und  zwar  vollzieht  sich  die  Rechtfertigung  einer  ungetreuen  Frau 
hier  mittels  des  Durchkriechens  zwischen  den  Beinen  (der  Statue)  einea 
Halbgottes. 

Sriyädevl,  die  Gattin  des  Gunäkara,  hat  ihrem  Gatten  die  Treue  gebrochen. 
Als  man  sie  verdächtigt,  erbietet  sie  sich,  zum  Beweis  ihrer  Treue  ein  Gottes- 
urteil anzurufen.  'Hier  im  Dorfe  steht  im  Norden  ein  Yaksa;  zwischen  seinen 
Beinen  will  ich  hindurchgehn.  Wer  auch  immer  die  Wahrheit  sagt,  der  geht 
zwischen  den  Beinen  (unversehrt)  hindurch:  das  ist  bekannt.'  Ehe  es  Tag  wird, 
geht  die  Treulose  in  das  Haus  ihres  Buhlen  und  spricht  zu  ihm:  'Geliebter,  früh- 
morgens will  ich,  eines  Gottesurteils  halber,  zwischen  den  Beinen  des  Yaksa 
hindurchgehn.  Du  musst  dorthin  kommen,  dich  wahnsinnig  stellen  und  mir  um 
den  Hals  fallen'.  Als  er  zugesagt  hat,  kehrt  sie  in  ihr  Haus  zurück.  Am  Morgen 
nun  versammelt  sie  alles  Volk,  geht  nach  dem  Tempel  des  Yaksa,  nimmt  in  dem 
nahen  Teiche  ein  Bad  und  fängt  an,  den  Yaksa  zu  verehren;  da  schlingt  ihr  Buhle 
nach  der  vorher  getroffenen  Verabredung  als  Wahnsinniger  seine  beiden  Arme  um 
ihren  Hals.  Da  ruft  sie:  'Was  soll  das?'  und  geht  nochmals  baden,  während  der 
Verrückte  von  den  Leuten  an  der  Gurgel  gepackt  und  von  dem  Platze  entfernt 
wird.  Als  sie  ihr  Bad  vollendet  hat,  tritt  die  Frau  zu  dem  Yaksa,  bringt  ihm 
Verehrung  dar  und  spricht,  so  dass  es  alle  hören  können:  'Ehrwürdiger  Yak.sa, 
wenn  mich  ausser  dem  eignen  Gatten  und  diesem  Verrückten  noch  ein  andrer 
Mann  jemals  berührt  hat,  dann  möge  ich  zwischen  deinen  Beinen  hindurch  keinen 
Weg  finden.'  Mit  diesen  Worten  schreitet  sie  vor  den  Augen  aller  Welt  zwischen 
die  Beine  und  hindurch.  Der  Yaksa  lobt  sie  im  Herzen  wegen  ihrer  Klugheit. 
Sie  aber  geht  in  ihre  Behausung,  von  allen  Leuten  als  eine  Gattentreue  ge- 
priesen 2). 

Dieselbe  Erzählung  findet  sich,  als  Episode  einer  grösseren  Erzählung 
'Xüpurapanditä  und  der  Schakal',  in  Hemacandras^)  Parisistaparvan  2, 
533 — 545.  Auch  hier  sagt  die  ungetreue  Frau,  dass  sie  sich  einem 
Gottesurteil  (daivi  kriyä)  unterwerfen  wolle;  und  weiter,  dass  es  einem 
Linreinen  unmöglich  sei,  zwischen  den  Beineu  des  Y^aksa  hindurch- 
zugehen. 

In  den  verwandten  Erzählungen,  oder  auch  in  den  Erzählungen,  die, 
im  übrigen  unverwandt,  dasselbe  Motiv  vom  gefälschten  Gottes- 
urteil*) enthalten,  wie  Sukasaptati  15,  kommt  das  Durchkriechen,  so- 


1)  'Die  raffinierte  Eidesleistung  mit  Reservation':  E.  Rohde,  Der  griechische  Roman 
S.  4y4. 

2)  Nach  R.  Schmidts  Übersetzung  der  Sukasaptati,  Textus  simplicior,  Kiel  1894, 
S.  29 f.  Genau  stimmt  zu  dieser  Version  die  gleichfalls  von  R.  Schmidt  übersetzte  Ma- 
räthiversion  der  Sukasaptati  (Abhandlungen  für  die  Kunde  des  ]Morgenlandcs  10,  4  S.  29f^ 
106f.).  In  der  entsprechenden  Erzählung  des  Textus  ornatior  der  Sukasaptati  (Nr.  24^ 
fehlt  das  g'ifälschte  Gottesurteil. 

3)  Vgl.  die  ausgewählten  Erzählungen  aus  Hemacandras  Pari.^istaparvan.  deutsch  von 
Job.  Hertel  1908,  S.  102.  2:35. 

4)  Job.  Hertel  oben  18,69.    Benfey,  Pantschatantra  1,  455ff. 


174  Zachariae: 

weit  ich  sehe,  nicht  vor.  Im  Andabhüta-Jätaka  (Nr.  62)  erbietet  sich  die 
Frau  des  betrogenen  Brahmanen,  zum  Beweis  ihrer  Unschuld  durchs 
Feuer  zu  schreiten^).  In  dem  von  Joh.  Hertei  übersetzten  kasch- 
mirischen Volksroman  (oben  18,  384  f.)  besteht  das  Gottesurteil  darin,  dass 
die  Prinzessin  die  Kette  einer  Moschee  berührt:  ruft  sie  das  Gottes- 
urteil ungerechterweise  an,  so  wird  ihre  Hand  von  der  Kette  gefesselt; 
tut  sie  es  gerechterweise,  so  bleibt  ihre  Hand  frei.  Im  Ardschi  Bordschi 
leistet  Naran  Gerel  den  Reinigungseid  über  Gerstenkörnern-).  In 
der  Geschichte  'La  femme  justifiee'  bei  Cardonne,  Melanges  de  litterature 
Orientale  1,  39—49  steigt  die  des  Ehebruchs  angeklagte  Frau  ins  Eid- 
wasser,  ohne  unterzusinken  usw. 

Das  Durchkriechen  zwischen  den  Beinen,  das  in  der  15.  Erzählung 
der  Sukasaptati  und  bei  Hemacandra  vorliegt,  ist  uns  oben,  in  einem 
anderen  Zusammenhang,  bereits  begegnet.  Ausserdem  sind  hier  noch  zwei 
Fälle  erwähnenswert.  Der  erste  Fall  findet  sich  in  einem  indischen 
Drama,  in  der  Viddhasälabhanjikä  des  Räjasekhara. 

Mekhalä,  die  Milchschwester  der  Königin  Madanavatl,  hat  dem  Vidüsaka'') 
einen  Possen  gespielt.  Der  Yidflsaka  beschliesst,  sich  dafür  zu  rächen.  Eine 
Dienerin  der  Königin  muss  in  der  Dämmerstunde,  als  Mekhalä  im  Garten  lust- 
wandelt, einen  Baum  besteigen*)  und  ihr  zurufen,  dass  sie  an  einem  bestimmten 
Tage  sterben  werde.  Auf  die  Frage  der  Mekhalä,  wie  sie  dem  Tode  entrinnen 
könne,  verkündet  ihr  die  Dienerin:  'Wenn  du  einem  Brahmanen  Verehrung  dar- 
bringst, ihm  zu  Füssen  fällst  und  zwischen  seinen  Beinen  hindurchgehst, 
so  wirst  du  dein  Leben  empfangen.'  Als  nun  die  Schergen  des  Todesgottes 
kommen,  um  die  Mekhalä  zu  fesseln  und  fortzuführen,  flüchtet  sie  sich  zu  dem 
VidQsaka,  geht  zwischen  seinen  Beinen  hindurch  und  wird  so  gerettet^). 

Auf  diese  interessante  Stelle  hat  Hanns  Oertel  vor  kurzem  hingewiesen 
(Studien  zur  vergleichenden  Literaturgeschichte  8,  116).  Wenn  er  aber 
meint,  die  Stelle  beziehe  sich  auf  'Heilung  durch  Durchkriechen',  so 
kann  ich  ihm  darin  nicht  beistimmen.  Ich  meine  vielmehr,  dass  Mekhalä 
mittels  des  Durchkriechens  ein  neues  Leben,  eine  AViedergeburt  er- 
langt®). 


1)  H.  Oldenberg,  Die  Literatur  des  alten  Indien  S.  118—121. 

2)  Mongolische  Märchen.  Die  neun  Nachtrags-Erzilhlungen  des  Siddi-Kür  und  die 
•Geschichte  des  Ardschi-Bordsehi  Chan.     Übersetzt  von  B.  Jülg  1SG8  S.  IKi— 118. 

o)  Der  Vidüsaka  ist  die  lustige  Person  des  indischen  Dramas  und  immer  ein 
Brahmane. 

4)  Auf  Bäumen  wohnen  die  Bhütas,  die  bösen  Geister. 

b)  Vgl.  L.  H.  Grays  Übersetzung  der  Viddhasälabhaüjika  im  Journal  of  the  American 
Oriental  Society  27,  42-45  und  S.  Levi,  Le  theätre  Indien  1890  p.  24().  Bemerkenswert 
ist  der  Ausspruch  der  'alten  Weisen',  den  Räjasekhara  anführt:  'Von  den  Füssen  eines 
Brahmanen  her  (kommt)  Reinheit'.  Gray  verweist  dazu  auf  Böhtlingk,  Indische  Sprüche* 
4508:  'Brahmanen  sind  an  den  Füssen  rein,  Kühe  am  Rücken,  Ziegen  und  Pferde 
am  JMaule,  —  Weiber  aber  an  allen  Teilen  des  Körpers'. 

())  Auch  Wiaternitz  geht  in  seiner  ausgezeichneten  Abhandlung  über  das  altiudische 
Hochzeitsrituell  18i>2  S.  46   bei    der   Erklärung    eines    indischen  Brauches    (das  Loch  des 


Scheingeburt.  175 

Den  zweiten  Fall  entnehme  ich  dem  Buche  von  S.  Levi  über  NepaU). 
Bei  den  Gorkhas  in  Xepal  wird  der  Ehebruch  sehr  streng  bestraft.  Der 
Verführer  wird  gefangen  gesetzt  und  vor  Gericht  gestellt;  wird  er  schuldig 
befunden,  so  erhält  der  betrogene  Gatte  das  Recht,  ihn  mit  dem  Kukhri- 
niesser^)  niederzustossen.  Doch  stehen  dem  Verurteilten  zwei  Möglich- 
keiten der  Rettung  offen.  Es  ist  ihm  gestattet,  sein  Heil  in  der  Flucht 
zu  suchen,  ja,  man  gibt  ihm  sogar  einen  kleinen  Vorsprung.  Gewöhnlich  aller- 
dings umzingeln  ihn  des  Gatten  Freunde  und  stellen  ihm  ein  Bein,  so  dass  ein 
Entrinnen  unmöglich  ist.  Das  Gesetz  erlaubt  ihm  aber  noch  einen  anderen 
Ausweg;  'il  peut  sauver  sa  vie  en  acceptant  de  passer  sous  la  jambe 
levee  du  mari:  mais  du  nieme  coup  il  perd  la  caste  et  l'honneur'.  — 
Soweit  der  Bericht.  Eine  Beurteilung  des  Falles  ist  nicht  leicht.  Ist  das 
Durchkriechen  unter  dem  Bein  des  beleidigten  Ehegatten  wirklich  eine 
^Schmach",  wie  Boeck^)  oder  sein  Gewährsmann  annimmt?  Wurde  es 
ursprünglich  als  eine  Schmach  empfunden?  Ist  der  Verlust  der  Kaste 
eine  Folge  des  Durchkriechens  unter  dem  Bein  des  Beleidigten? 
Vielleicht  hat  der  Verlust  der  Kaste  mit  dem  Durchkriechen  gar  nichts 
zu  tun,  sondern  ist  nur  als  eine  Ehebruchsstrafe  anzusehen,  eine  Strafart, 
die  auch  sonst  vorkommt*). 

Wir  haben  gesehen,  dass  das  Durchkriechen  häufig  als  Reinigungs- 
zerem.onie  auftritt;  wir  haben  gesehen,  dass  solche,  die  in  irgendeinem 
Verdachte  stehen,  mittels  des  Durchkriechens  ihre  Unschuld  beweisen 
können.  Wir  sind  jetzt  genügend  vorbereitet,  um  einen  Aberglauben  zu 
begreifen,  der  sich  an  St.  Wilfrids  Needle,  das  'Nadelöhr'  in  der  Kathedrale 
zu  Ripon  (Yorkshire),  knüpft.  Nach  den  Berichten,  die  B.  Kahle  oben 
16,  317  mitgeteilt  hat,  diente  dieses  Nadelöhr,  ein  enger  Gang,  zur  Probe 
für  die  Frauen,  die  mehr  'mit  dem  Herzen  als  mit  dem  Verstand'  geliebt 
hatten.  Valderaar  Bennike  erfuhr  von  einem  Kirchendiener,  dass  Frauen, 
die  im  Verdacht  standen,  ausserehelich  schwanger  zu  sein,  zu  dem  Nadel- 
öhr geführt  worden  seien.  Die  Frauen  knieten  auf  einem  Stein  nieder, 
der  unter  der  Öffnung  lag,  und  baten  Gott,  ihre  Unschuld  zu  be- 
-weisen.  Darauf  probierten  sie,  durch  die  Öffnung  zu  kriechen,  während 
der    Priester    im  Gang    davor    stand    und    sie    durchziehen    half. 


Wagenjochs  wird  auf  das  Haupt  der  Braut  gelegt)  von  der  Voraussetzung  aus.  dass  das 
Durchziehen  'eigentlick  eine  Heilzeremoiiie'  ist.  Ich  sehe  mit  Oldenberg,  Religion  des 
Veda  495  in  dem  indischen  Brauche  eine  Reinigungszeremonie,  die  mit  dem  Braut- 
bade, dem  /.ovToor  vi\u(fty.6r,  auf  einer  Stufe  steht. 

1)  Sj^lvain  Levi,  Le  Nepal:  etude  historique  d'un  royaume  Hindou  1,  äliS  (Paris  1905). 
Vgl.  auch  [Daniel  Wright],  Encyclopaedia  Britannica"  17,  343:  Kurt  Boeck,  Durch  Indien 
ins  verschlossene  Land  Nepal  1903  S.  2SG.  Die  gemeinsame  Quelle,  die  Levi  und  Boeck 
benutzt  zu  haben  scheinen,  habe  ich  bis  jetzt  nicht  aufzuspüren  vermocht. 

2)  Kukliri,  die  Nationalwaffe  der  Gorkhas.  Eine  Abbildung  bei  Levi  1,  278  und  bei 
Boeck  S.  319. 

3)  Durch  Indien  ins  verschlossene  Land  Nepal  S.  286. 

4)  A.  H.  Post,  Grundriss  der  ethnologischen  Jurisprudenz  2,  370. 


I'JQ  Zachariae: 

War  die  Öffnung  nun  zu  eng,  so  dass  es  nicht  anging,  hielt  man  sie 
der  Schuld  überführt.  Ausserdem  soll  der  Glaube  herrschen,  dass  sich 
eine  Frau,  die  durch  St.  Wilfrids  Nadel  hindurchkriecht,  die  Treue  ihres 
Mannes  und  ein  glückliches  Zusammenleben  mit  ihm  für  immer  sichert. 
Dennoch  diente  das  Durchkriechen  im  vorliegenden  Falle,  seinem  ersten 
und  ursprünglichen  Sinne  nach,  ohne  Zweifel  als  Keuschheitsprobe^): 
eine  unschuldige  Frau  gelangte  mit  Leichtigkeit  durch  die  Öffnung  hin- 
durch, eine  schuldige  blieb  stecken. 

B.  Kahle  ist  allerdings  anderer  Ansicht.  Er  vermutet,  dass  der  Sinn 
der  Handlungsweise  falsch  angegeben  oder  nicht  mehr  verstanden  worden 
ist.  Das  Ursprüngliche,  meint  er,  wird  gewesen  sein,  dass  schwangere 
Frauen  zur  Erleichterung  der  Geburt  durch  die  Öffnung  krochen. 
Dafür  sprechen  ja,  wie  Kahle  mit  Recht  bemerkt,  zahlreiche  Analogien. 
Ich  selbst  habe  in  dieser  Zeitschrift  12,  110  ff.  einen  Aufsatz  über  das 
'Durchkriechen  als  Mittel  zur  Erleichterung  der  Geburt'  veröffentlicht, 
wozu  ich  noch  einige  Nachträge  geben  kann-).  Allein  in  dem  Falle,  der 
uns  hier  beschäftigt,  sind  wir,  wie  ich  glaube,  nicht  berechtigt,  die  Über- 
lieferung für  falsch  zu  halten.  Für  die  Richtigkeit  der  Überlieferung 
treten  die  analogen  Fälle  beweisend  ein,  die  ich  im  vorhergehenden  aus- 
führlich besprochen  habe. 

Zum  Schluss  habe  ich  einiges  über  eine  sehr  alte,  wohlbekannte  Sitte 
zu  sagen:  über  das  Hindurchgehen  oder  Entlassen  eines  gefangenen  Heeres 
unter  dem  'Joch'  (sub  iugum  abire,  iugum  subire;  sub  iugum  mittere, 
emittere,  traducere;  vjiö  Cvyov  exnefxneiv  usw.).  Dass  hier  ein  regelrechtes 
Durchkriechen*)  vorliegt,  ist  nicht  zu  bezweifeln.  Und  so  ist  denn  der 
Fall    auch  bereits  von  Gaidoz    am  Schluss    seines  Buches    Un    vieux    rite 


1)  'A  chastity  test';  W.  Crooke,  Things  Indian  p.  500.  Auch  auf  S.  357  erwähnt  er 
'the  opening  of  the  crypt  of  Eipon  Cathedral,  through  which  only  the  virtuous 
can  pass'. 

2)  In  Ljubinje  (Hercegovina)  herrscht  der  Brauch,  dass  schwangere  Frauen  unter  der 
Türschwelle  hindurchschlüpfen,  damit  sie  leicht  gebären  (Lilek,  Wissenschaftl- Mitteilungen 
aus  Bosnien  und  der  Hercegovina  4,  48(1).  Ebenso  dient  das  Durchkriechen  zur  Er- 
zielung von  Nachkommenschaft.  Einer  Frau,  die  unfruchtbar  ist,  rät  man,  unter 
dem  Bauche  eines  Elefanten  hindurchzugehen  (Mitteilungen  des  deutschen  Palästinavereins 
7  114,  Kr.  215).  In  Gujarät,  when  an  ascetic  of  the  Dündiya  sect  dies,  women  who  seek 
the  blessing  of  a  son  try  to  secure  it  by  creeping  under  the  litter  on  which  his  corpse  is 
removed  (Crooke,  Populär  religion  1,  227).  Women  in  Cairo  walk  under  the  stone  on 
which  the  decapitated  bodies  of  criminals  are  washed,  in  the  hope  of  curing  Ophthalmia 
or  procuring  offspring.  The  woman  must  do  this  in  silence,  and  with  the  left  foot 
foremost  (Crooke  2,  1()5). 

;'.)  Weinhold,  Zur  Geschichte  des  heidnischen  Ritus  S.  '61  weist  nach,  dass  sich  die 
ursprünglich  allgemein  beim  Ritus  des  Durchkriechens  vorauszusetzende  Nacktheit  noch 
jetzt  erhalten  hat.  Wer  die  Berichte  über  das  Mittere  sub  iugum  wörtlich  nimmt,  kann 
behaupten,  dass  Weinholds  Voraussetzung  in  ihnen  zuweilen  erfüllt  erscheint:  Nudos  enim 
emiserat  Livius  3,  29,  1;  omnes  nudi  sub  iugum  missi  10,  36,  14;  vgl.  Primi  consules 
prope  seminudi  sub  iugum  missi  9,  (i,  1;  cum  singulis  vestimcntis  9,  4,  8;  5,  12;  15,  i'>: 
oiv  xixoi%-Loxo)  fiovcp  Appian.  de  rebus  Punicis  7:>. 


Scheingeburt.  177 

medical  zur  Sprache  gebracht  worden.  Auf  S  83  behandelt  er  den  von 
mir  bereits  erwähnten  Rasengang,  der  auch  als  ein  Zeichen  der  Unter- 
werfung vorkommt^).  Er  meint,  in  diesem  Falle  liege  eine  Vermischung 
des  Durchkriechens  mit  einem  ünterwerfungsritus  vor;  er  erinnert  an 
das  Werfen  auf  die  Erde,  an  Redensarten  wie  deutsch  'ins  Gras  beissen'^), 
französisch  'mordre  la  poussiere'  und  zieht  schliesslich  auch  die  alte  Sitte 
des  Jochganges  —  wie  ich  sie  der  Kürze  halber  nennen  will  —  herbei. 
Es  fragt  sich  aber,  ob  der  Jochgang  als  ein  ünterwerfungsritus  be- 
trachtet werden  kann.  Wenn  wir  ergründen  wollen,  was  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  Jochganges  gewesen  ist,  so  müssen  wir  uns  ganz  und 
gar  frei  machen  von  der  uns  so  nahe  liegenden  Yorstellung,  als  sei  das 
Joch  ein  'Symbol'  der  Knechtschaft,  der  Unterwerfung.  Ausdrücke  wie: 
einem  ein  Joch  auflegen,  den  stolzen  Nacken  unters  Joch  beugen^);  Joch 
der  Dienstbarkeit,  der  Fremdherrschaft  usw.  sind  uns  ja  so  geläufig,  sind 
so  gewöhnlich  im  Deutschen  wie  in  anderen  Sprachen.  Die  falsche  Yor- 
stellung, die  wir  an  den  Jochgang  zu  knüpfen  gewöhnt  sind,  ist  hervor- 
gerufen durch  die  freilich  wörtliche,  aber  nur  allzu  wörtliche  Übersetzung 
des  lateinischen  iugum.  Der  Weg  zu  einem  richtigeren  Verständnis  des 
Jochganges  ebnet  sich  sofort,  wenn  wir  für  'Joch'  einen  anderen  Ausdruck 
einsetzen.  Man  gebe  dem  Gerüst,  das  die  Römer  iugum  naiinten,  und 
das,  den  Beschreibungen  zufolge,  die  Form  eines  griechischen  11  hatte, 
die  Bezeichnung   'Pforte'   oder  'Torweg'*).      Und    so  darf  denn    auch  der 


1)  Grimm  RA.  119.  Der  Rasengang  'eine  demütigende  Art  der  Busseleistung': 
Pappenheim,  Zs.  für  deutsche  Philologie  24,  158. 

2)  R.  Pischel  in  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie  1908,  S.  447.  Siehe 
auch  Grimm  UM.  -  S.  609. 

3)  Forcellini  schreibt  im  Lexicon  totius  latinitatis:  'Iugum  dicitur  in  re  militari, 
cum  transversa  hasta  duabus  stantibus  imponitur,  ita  tarnen  demissa,  ut  qui  subter 
transire  velit,  curvare  se,  et  corpus  duplicare  necesse  sit'.  Was  Forcellini  in  der 
zweiten  Hälfte  dieses  Satzes  sagt,  dürfte  in  den  Bereich  der  Phantasie  gehören.  Bei 
■welchem  antiken  Autor-  steht  zu  lesen,  dass  sich  die  Jochgänger  bücken  und  krümmen 
mussten?  Aber  selbst  wenü  von  einem  Klassiker  etwas  derartiges  erwähnt  würde,  so 
brauchten  wir  kein  besonderes  Gewicht  darauf  zu  legen. 

4)  So  sagt  C.  Peter,  Geschichte  Roms  ^  1,  150  von  dem  Jochgang  der  Aequer  im 
Jahre  458  v.  Chr  :  'Es  wurden  zwei  Speere  in  die  Höhe  gerichtet,  über  diese  wurde  ein 
dritter  gelegt,  und  durch  dieses  schimpfliche  Tor  wurden  sie  aus  ihrer  Einschliessung  ent- 
lassen'. Bemerkenswert  ist  ferner,  dass  Appian  einmal  nvXr}  (öiä  fitä?  TTvlrjg  öiE^s?.^sTr 
De  reb.  Pun  73)  gebraucht,  wo  man  ^vyov  erwarten  sollte.  Mommsen  RG. '  2,  24,  der 
die  Appianstelle  wiedergibt,  spricht  von  einem  Abzug  der  Karthager  'unter  dem  Joch'. 
Auch  die  scheinbar  so  weit  abliegende  porta  triumphalis  mag  zum  Vergleich  mit  dem 
iugnm  herangezogen  werden,  s.  A.  von  Doniaszewski,  Archiv  für  Religionswissenschaft 
12,  72  f.  =  Abhandlungen  zur  römischen  Religion  1909  S.  223.  Ebenso  auch  das  a.a.O. 
erwähnte  tigillum  sororium,  von  dem  weiter  unten  gesprochen  werden  soll.  Die  Alten 
selbst  verglichen  dns  Hindurchgehen  des  Horatiers  unter  dem  'Schwesterbalken'  mit  dem 
Jochgange:  Liv.  1,  26,  13:  is  (Horatii  pater)  transmisso  per  viam  tigillo  capite  adoperto 
velut  sub  iujrum  misit  iuvenem,  und  Dionys  von  Halikarnass  sagt  geradezu: 
vTi^yayov  tov  ' Ooduov  vno  L.vy6r  (Ant.  Rom.  3,  22,  7  ed.  Jacoby). 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.   Heft  2.  12 


178  Zachariae: 

Jochgang  nicht  als  eine  Schande  betrachtet  werden,  als  eine  Schande, 
die  ein  siegreicher  Feind  einem  besiegten  Heere  antun  wollte.  Der  oft 
gebrauchte,  übrigens  wohl  nicht  klassische  Ausdruck  iugum  ignominiosum 
ist  zu  verwerfen.  Die  Alten  sind  freilich  anderer  Ansicht.  Fassen  wir 
nur  das  berühmteste  Beispiel  eines  Jochganges  ins  Auge,  den  Jochgang 
der  Römer  nach  der  Niederlage  bei  Gaudium.  Ob  die  Schilderung  der 
Vorgänge  bei  und  nach  dieser  Niederlage  auf  Wahrheit  beruht,  verschlägt 
nichts^).  Den  Berichten  zufolge  werden  die  Römer  von  den  Samnitern 
in  den  furculae  Caudinae  eingeschlossen.  Sie  müssen  sich  zu  einem 
Vertrag  bequemen,  600  Ritter  als  Geiseln  stellen  und  die  Waffen  aus- 
liefern; dann  werden  sie  unter  dem  Joch  aus  der  Gefangenschaft  ent- 
lassen. Dieser  Jochgang  wird  nun  ganz  allgemein  von  den  alten  Historikern 
für  einen  grossen  Schimpf,  der  den  Römern  widerfuhr,  ausgegeben.  Es 
genügt,  auf  Liv.  9,  5 f.  zu  verweisen.  Livius  sagt  auch,  die  Samniter 
hätten  die  Römer  beim  Durchzug  unter  dem  Joch  verhöhnt  und  ver- 
spottet; ja  sie  hätten  einige,  in  deren  Mienen  sie  den  Ingrimm  über  die 
unwürdige  Behandlung  seitens  der  Sieger  entdeckten,  verwundet  und  ge- 
tötet. Appian  bemerkt:  övvaxai  e/uol  doxeiv  ro  eiöog  rfjg  uqpeoEcog,  o  xalovoiv 
Ol  rfjÖE  ^vyöv,  öveidiCstv  (hg  doQiaXcöroig^). 

Dennoch  war  das  Entlassen  durchs  Joch  ursprünglich  keine  Be- 
schimpfung. Liest  man  die  Berichte  über  die  Einschliessung  der  Römer 
bei  Gaudium  und  über  ähnliche  Katastrophen  ohne  Voreingenommenheit, 
so  muss  man  zu  dieser  Auffassung  gelangen.  'Ich  will  einen  jeden  von 
euch',  sagt  Pontius  zu  den  Römern,  'unversehrt  durch  das  Joch  entlassen, 
wenn  ihr  schwört,  die  und  die  Friedensbedingungen  zu  halten'  (App. 
Samn.  4,  5;  vgl.  Liv.  9,  4,  3).  Ebenso  sagt  Jugurtha  zu  dem  Legaten 
A.  Postumius  Albinus,  den  er  besiegt  und  eingeschlossen  hat:  se  memorem 
humanarum  rerum,  si  secum  foedus  faceret,  incolumis  omnis  sub 
iuo'um  missurum^).  Das  heisst  also:  wenn  sich  ein  besiegtes  oder  ein- 
geschlossenes Heer  den  Kapitulationsbedingungen  fügte,  die  ihm  ein  sieg- 
reicher Feind  stellte,  so  erhielt  es  freien  Abzug  durchs  Joch.  Schimpflich 
war  wohl  der  Vertrag*),  den  man  schliessen  musste,  ehe  man  freien  Abzug 


1)  Die  Erzählung  von  den  Vorgängen  bei  Gaudium  eine  Dichtung:  Nissen,  Rhein» 
Museum  l'ür  Philologie  25,  57. 

2)  Liv.  9,  (5,  2;  Appian,  de  reb.  Samn.  4,  G  ed.  Mendelssohn.  Es  ist  vielleicht  be- 
merkenswert, dass  Dionys  von  Halikarnass  an  der  Stelle,  wo  er  ausführlich  von  dem 
iugum  der  Römer  handelt,  nichts  von  einer  Beschimpfung  sagt.  Er  schreibt  (Ant. 
Rom.  3,  22,  7):  sozi  'Fco/naiois  vöfufiov,  ozav  jioh/iicDV  jiagadiSövziov  xa  öjiXa  yevmviai  xvqioi, 
ovo  xazanrjTXEiv  ^vXa  oQ&a  xal  tqIxov  ifpaQ/Liözxsiv  avxolg  uvcoßev  nXäycov,  eji£i&'  vjrdyeiv  xovs 
aixiiaXojzovg  vno  ravxa  xal  disXdvvxa?  anolvstv  eXsv&eQovg  ijil  xa  o(pEZSQa.  xovxo  xalsTzai, 
nag    avxocg  ^vyov. 

3)  Sallust  Jug.  38,  9.  Zu  beachten  Liv.  10,  3G,  19  quod  captivos  sine  pactione 
sub  iugum  misisset  (?). 

4)  So  z.  B.  die  pax  Caudina,  die  von  Livius  als  ignominiosa  (oder  foeda)  pax  odeK 
als  sponsio  infamis  bezeichnet  wird. 


Scheingeburt.  179 

erlangte;  aber  der  Jochgang  selbst  war  kein  Schimpf.  Der  Schimpf,  der 
einem  ungünstigen,  demütigenden  Vertrag  naturgemäss  anhaftet,  wurde 
von  den  Historikern,  wenn  ich  so  sagen  darf,  auf  den  Jochgang  über- 
tragen. Für  meine  Ansicht,  dass  der  Jochgaug  keinen  Schimpf  in  sich 
schliesst,  kann  ich  eine  Stelle  aus  H.  Nissens  Abhandlung  über  den 
caudinischen  Frieden,  Rhein.  Museum  für  Philologie  25,  58 f.,  zitieren. 
Sie  scheint  mir  wichtig  genug,  um  hier  wörtlich  mitgeteilt  zu  werden: 

Die  Annalisten  betonen  die  Schmach  so  überaus  stark,  dass  das  römische 
Heer  das  Joch  passierte  und  wissen  ihre  Freude  nicht  laut  genug  zu  bezeugen, 
als  die  Samniten  von  Luceria  das  gleiche  Schicksal  betraf  (Liv.  9,  15).  Allein 
sie  verkennen  damit  das  allgemeine  Kriegsrecht,  welches  bei  einer  Anzahl  von 
Völkern  des  Altertums  Geltung  hatte.  Es  ist  mitnichten  ein  besonderer 
Schimpf,  den  C.  Pontius  über  die  Legionen  verhängen  wollte.  Vielmehr 
wenn  in  die  geheiligte  Umzäunung  des  Lagers  von  dem  Sieger  ein  Durchgang 
gebrochen  ward^)  und  die  Eingeschlossenen  unter  dem  Speer  davonzogen,  so 
deutet  die  Symbolik  an,  dass  sie  sich  als  kriegsgelangen  und  nur  durch  Gnade 
in  Freiheit  gesetzt  bekennen-). 

Ich  glaube,  dass  man  sich  dieser  Äusserung  Nissens  in  jeder  Hinsicht 
anschliessen  kann.  Nur  mit  der  'Symbolik',  die  Nissen  in  dem  Jochgang 
sucht,  wird  heutzutage  schwerlich  noch  jemand  einverstanden  sein.  Der 
Jochgang  ist  eine  Form  des  freien  Abzuges;  aber  warum  musste  der 
Abzug  'durchs  Joch'  geschehen?  Ich  meine,  der  Jochgang  ist  nichts 
weiter  als  eine  uralte,  später  gar  nicht  mehr  verstandene  Form  der 
Reinigung,  eine  Reinigungszeremonie,  eine  lustratio.  Die  Frage, 
welches  der  ursprüngliche  Zweck  der  Reinigung  war,  will  ich  vorläufig 
offen  lassen^). 

Die  Ansicht,  dass  der  Jochgang  ursprünglich  eine  Reinigungszeremonie 
war,  ist  nicht  neu.  Sie  ist  bereits  von  Frazer,  The  golden  bough  3,  406  Anm. 
aufgestellt  worden*).  In  der  Tat,  wer  die  Fälle  bei  Frazer  3,  398 ff. 
durchmustert,  die  Fälle,  wo  das  Durchkriechen  deutlich  als  Reinigungs- 

1)  Hierfür  zitiert  Nissen  Appian,  Samn.  4,  6  yerofisvoov  de  rcöv  öqxcov  6  uh  IJovrio? 
jiaQaXvaag  xi  rov  diarst)ria/.iazog,  nai  övol  dÖQaoiv  kg  rt^v  yrjv  ifiji£:rci]y6aiv  i:Tix(xgaiov 
äXXo  ifii&ei'g,  s^ejie/.ijie  'Poofiaicov  k'xaarov  vjio  zovtco. 

2)  Vgl.  was  Livius  3,  28,  10  den  L.  Quinctius  Cincinnatus  sagen  lässt:  Sanguinis 
se  Aequorum  non  egere;  licere  abire;  sed  ut  exprimatur  tandera  confessio  sub- 
actam    domitamque    esse    gentem,    sub  iugum  abituros. 

3)  Frazers  Ansicht  über  diesen  Punkt  teile  ich  in  der  folgenden  Anmerkung  mit. 
Vielleicht  war  das  Durchkriechen  unterm  Joch  ein  Kitus,  der  ursprünglich  die  Zurück- 
luhrung  der  Kriegsgefangenen  in  ihre  frühere  Stellung,  in  ihre  früheren  Rechtsbeziehungen 
bezweckte  ('Kriegsgefangenschaft  suspendirt  das  Bürgerrecht';  Mommsen,  Römisches  Staats- 
recht ^  3,  46).  Vgl.  E.  Goldmann  in  den  Untersuchungen  zur  deutschen  Staats-  und 
Rechtsgeschichte  68,  132.  Doch  dies  will  nur  eine  Vermutung  sein.  Möglich  wäre  es, 
dass  in  unserem  Falle,  wie  sonst  oft,  eine  'Kreuzung  von  Motiven''  stattgefunden  hat. 

4)  With  the  preceding  examples  before  us,  it  seems  worth  while  asking  whether  the 
ancient  Italian  practice  of  making  conquered  enemies  to  pass  under  a  yoke  niay  not  in 
its  origin  have  been  a  purificatory  ceremony,  designed  to  strip  the  foe  of  bis  mali- 
gnant  and  hostile  powers  before  dismissing  him  to  bis  home.  For  apparently  the  cere- 
mony was  only  observed  with  prisoners  who  were  about   to    be  released;   had  it  been   a 

12* 


IgO  Zachariae: 

Zeremonie,  zumal  nach  Leichenbegängnissen,  auftritt,  der  muss,  wie  Frazer 
selbst,  zu  der  Überzeugung  gelangen,  dass  der  Jochgang  nicht  'a  mere 
mark  of  ignominy'  gewesen  ist.  Das  Material  aber,  das  Frazer  zusammen- 
gebracht hat,  lässt  sich  noch  durch  einige  charakteristische  Fälle  vermehren. 

Da  ist  zunächst  das  Tigillum  sororium  in  Rom,  der  'Schwester- 
balken', zu  erwähnen.  Wie  W.  F.  Otto  vor  kurzem  gezeigt  hat^),  war 
dies  ein  heiliger,  über  die  Strasse  gelegter,  in  die  gegenüberliegenden 
Wände  eingerammter  Balken.  Nicht  mit  Unrecht  hat  man  dies  Gebilde 
als  'eine  Art  Pforte'  bezeichnet,  als  ein  Gebilde,  das  mit  dem  iugum  eine 
gewisse  Ähnlichkeit  besass.  Von  dem  grössten  Interesse  aber  ist  es,  dass 
die  Kultbräuche,  die  sich  an  das  tigillum  knüpften.  Sühn-  oder 
Reinigungsbräuche  waren.  'Der  zu  Reinigende  ging  unter  dem 
heiligen  Balken  durch,  gewissermassen  in  ein  neues  Leben,  und  liess 
die  Befleckung  hinter  sich'  (W.  F.  Otto)  So  musste  der  Horatier,  zur 
Sühne  des  Schwestermordes^),  nach  verschiedenen  anderen  Reinigungen 
mit  verhülltem  Haupte^)  unter  dem  Balken  hindurchgehen  (Liv.  1,  26,  13. 
Dion.  Hai.  3,  22,  7). 

Ferner  gehört  hierher  ein  schon  oben  17,  470  von  mir  besprochener, 
auch  von  W.  F.  Otto  Rhein.  Mus.  64,  468  erwähnter  indischer  Ritus*). 
Wenn  die  Leidtragenden  von  einer  Verbrennungsstätte  zurückkehren, 
wird  u.  a.  die  folgende  Reinigungshandlung  vollzogen:  man  schlägt  zwei 
Äste  des  Paläsa-  oder  Sami-Baumes  in  den  Boden,  deren  Spitzen  mit 
einer  dünnen  oder  gräsernen  Schnur  zusammengebunden  werden.  Durch 
diesen  Bogen  ('Joch'  Oldenberg,  Religion  des  Veda  S.  577)  gehen  die 
Verwandten  des  Verstorbenen  hindurch.  Aus  dem  Spruch®),  den  der 
'Vollzieher'  oder  'Verrichter'  der  Bestattuugszeremonien  dabei  sprechen 
muss,  geht  klar  hervor,  dass  mit  dem  Durchkriechen  durch  den  Bogen 
eine  Reinigung  bezweckt  wird. 

Einen  Ritus,  der  dem  indischen  ziemlich  genau  entspricht,  der  auch, 
gerade  wie  der  indische,  nach  einem  Leichenbegängnis  vorgenommen  wird, 
finden  wir  bei  den  Mongolen  (Tartaren). 

mere  mark  of  ignominy,  there  seems  to  be  no  reason  why  it  should  not  have  bcen 
inflicted  also  on  men  who  were  doomed  to  die.  —  Für  den  Brauch  zitiert  Frazer:  Liv.  3, 
28.  9.  6.  15.  10,  oC).  l)azu  sei  kurz  bemerkt,  dass  der  Brauch,  der  Überlielerung  nach, 
auch  ausserhalb  Italiens  vorgekommen  ist  (s.  Nissen,  Rhein.  Museum  25,  59).  Ja  die 
Parther  sollen  einmal  römische  Lejiionen  unterm  Joch  entlassen  haben.  Tac.  Ann.  15,  15: 
addidit  rumor   sub  iugum  missas  legioues 

1)  Rheinisches  Museum  für  Philologie  64,  4(;6-4GS  (1909).  —  2)  Mord  heischt  Sühne. 
Siehe  Frazt-r  im  Journal  of  the  Authropological  Institute  15,  80f.  und  im  (Jolden  Boutih 
1,  ö31  341.  Vgl.  auch  Festus  p.  117, 13  Müller:  Laurcati  milites  sequobantur  cnrrum 
triuuiphantis,  ut  quasi  purgati  a  caede  humana  intraront  Urlicm.  —  3)  Zur  Hanpt- 
verhüllung  vgl.  H.  Diels,  Sibyllinische  Blätter  S  122.  E.  Samter,  Familienfeste  der  (iriechen 
und  Röiiipr  S.  36 f.  43  f.  A.  Dieterich,  Eine  Mithrasliturgie  S.  167.  —  4j  Die  ausführlichste 
Darstellung  des  Ritus  bei  Caland,  Die  altindischen  Toten-  und  Bestattungsgebräuche 
1896  S.  73.  —  5)  Vgl.  den  Spruch  bei  Caland  S.  73.  xVlan  beachte  Calands  Bemerkung 
zu  diesem  Spruch  auf  S.  75,  Anm.  278. 


Scheingeburt.  181 

Bei  den  Mongolen  vollzieht  sich  die  Reinigung  im  allgemeinen  mittels 
des  Hindurchschreitens  oder  Hindurchtragens  zwischen  zwei  Feuern. 
Notwendig  ist  diese  Reinigung  in  den  verschiedensten  Fällen.  Wenn  z.  B. 
Gesandte  zu  einem  Khan  kommen,  so  müssen  sie,  ehe  sie  bei  ihm  vor- 
gelassen werden,  durch  zwei  Feuer  gehen.  Ebenso  müssen  die  Geschenke, 
die  sie  mitbringen,  durch  zwei  Feuer  getragen  werden^).  Besonders 
wichtig  aber  ist  die  Reinigung  nach  einem  Todesfalle.  Und  da  genügen 
die  beiden  Feuer  nicht.  Um  den  Zauber  zu  verdoppeln,  'to  make  assurance 
doubly  sure',  wie  Frazer  bei  der  Besprechung  eines  cähnlichen  Brauches 
sagt  (Golden  bough  3,  402),  werden  zwei  Spiesse  neben  die  Feuer  ge- 
stellt, und  die  Spitzen  dieser  Spiesse  werden  mit  einem  Seil  verbunden. 
Zwischen  diesen  zwei  Feuern  und  unter  dem  Seile  gehen  die  zu  reinigen- 
den Menschen,  Tiere  und  Zelte  hindurch.  Und  wie  die  indischen  Zauber- 
handlungen immer  von  Sprüchen  begleitet  werden:  so  steht  hier  auf  jeder 
Seite  ein  Weib,  das  Wasser  sprengt^)  und  Sprüche  hersagt. 

Die  einzige  Quelle,  die  ich  für  diesen  mongolischen  Ritus  kenne,  ist 
die  Historia  Mongalorum  ('quos  nos  Tartaros  appellamus')  des  Franziskaners 
Johannes  de  Piano  Carpini.  In  Kap.  3,  §4  (De  ritu  funeris)  teilt 
er  über  die  'purificatio  familiae  et  bonorum  post  mortem'  folgendes  mit^): 

Parentes  et  omnes  alios  qui  morantur  in  stationibus  suis  oportet  puriflcari  per 
ignern;  quae  purificatio  fit  hoc  modo:  Faciunt  duos  ignes,  et  duas  hastas  ponunt 
juxta  ignes,  et  unam  cordam  in  sumniitate  hastarum;  et  ligant  super 
cordam  illam  quasdam  scissuras  de  bucarano;  sub  qua  corda  et  ligaturis  inter  illos 
duos  ignes  transeunt  homines,  bestiae  ac  stationes;  et  sunt  duae  muiieres  una  hinc, 
et  aha  inde,  aquam  projicientes  et  quaedam  carmina  recitantes:  et  si  aüqui  currus 
ibi  franguntur,  vel  etiam  res  ibidem  ahquae  cadunt,  incantatores  accipiunt*).  Et  si 
aliquis  occiditur  a  tonitruo,  omnes  illos  homines  qui  morantur  in  stationibus  illis 
oportet  praedicto  modo  per  ignes  transire. 

Halle  a.  S. 


1)  Joh.  de  Piano  Carpini  ed.  D'Avezac  p.  231:  Ut  breviter  dicam,  per  ignem  credunt 
omuia  purificari:  unde  quando  nuncii  veniunt  ad  eos,  vel  principes,  vel  personae  quae- 
cunque,  oportet  ipsos  et  munera  quae  portant  per  duos  ignes  transire,  ut  purificentur, 
ne  forte  veneficia  fecerint  et  venenum  vel  aliquid  mali  portaverint.  Vgl.  S.  225.  229.  348. 
"Wilhelm  von  Rubruck  (Rubruquis)  bei  Purchas,  Pilgrimes  3,42  (1G25):  They  (theirSooth- 
sayers)  inake  all  things  which  are  sent  to  the  Court  passe  betweene  fires,  and  they  haue 
a  due  portion  thereof.  They  also  purge  all  the  houshold-stuffe  of  the  Dead,  drawing 
them  betweene  the  fires.  —  The  Voiage  and  Travaile  of  Sir  John  Maundeville  ed  by 
Halliwell  1839  p.  249.    Frazer,  The  golden  bough  1,  308. 

2)  Vgl.  Sartori,  Das  Wasser  im  Totengebrauche,  oben  18,  3öo-  378:  namentlich  S.  SGSff. 

3)  Nach  D'Avezacs  Ausgabe,  Paris  1838,  S.  23G.  Die  Stelle  ist  auch  mitgeteilt 
worden  von  Liebrecht,  Gervasius  von  Tilbury  S.  104  Anm.,  aber  nicht  nach  D'Avezacs 
Ausgabe,  sondern  nach  dem  Auszug  aus  'Johannes  de  Plancarpio'  bei  Vincentius  Bello- 
vacensis  Spec.  hist.  31,  7.  Man  berichtige  Liebrechts  Angabe,  dass  die  Reinigung  'wie  es 
scheint  an  den  Neumonden'  stattgefunden  habe. 

4)  Rubruck  bei  S.  Purchas,  Pilgrimes  3, 42:  If  any  liuing  creature,  or  any  thing  eise, 
fall  to  the  ground,  while  they  (their  Sooth-sayers)  thus  make  them  passe  betweene  the 
fires,  that  is  theirs. 


182  Bolte: 

Bilderbogen  des  16.  and  17.  Jahrhnnderts. 

Von  Johannes  Bolte. 

(Vgl.  oben  17,  425—441.  19,  51-82.) 


11.  Ein  Rezept  für  böse  Weiber. 

Es  ist  ein  recht  grober,  aber  im  17.  und  18.  Jahrhundert  öfter  wieder- 
holter Rat  für  einen  geplagten  Ehemann,  der  in  dem  folgenden  Gedichte 
zu  einer  Erzählung  ausgesponnen  wird,  nämlich  das  böse  Weib  so  zu 
prügeln,  dass  sie  noch  in  derselben  Woche  das  Leben  verlässt  und  dem 
Manne  dadurch  einen  ruhigen  Sonntag  verschafft^).  Dies  unten  in  Y.  43 
bis  51  wiederkehrende  Rezept  habe  ich  im  Zusammenhang  mit  andern 
Wochenliedern  bereits  im  Archiv  für  neuere  Sprachen  98,  298 f.  besprochen; 
vgl.  auch  R.  Köhler,  Kl.  Schriften  3,  417  und  oben  19,  177,  Zeile  3 
(Scherzpredigt  aus  der  Oberlausitz).  Hier  begnüge  ich  mich,  ein  englisches 
Kinderlied  aus  den  Notes  and  Queries  6.  Ser.  3,  473  (1881)  als  nächste 
Parallele  anzuführen: 

Tom  married  a  wife  on  Monday,  Dead  was  she  on  Friday,  5 

He  got  a  stick  on  Tuesday,  Glad  was  Tom  on  Saturday, 

He  beat  her  well  on  Wednesday,  To  bury  bis  wife  on  Sunday. 
Sick  was  sbe  on  Thursday, 

Ein  köstlich  gutes  bewertes  Recept,  vor  die  Männer,  so  böse 
Weiber  haben. 

(Folioblatt  des  17.  Jahrhunderts,  mit  dreispaltigem  Text  und  neun  kleinen  Kupfer- 
stichen. —  Wolfenbüttel.) 

Ein  jung  Gesell  in  einer  Stat  Zu  lebn  ohn  all  Vnfried  vnd  Streit,        lo 

Sich  mit  sein  Freundn  beratschlagt  So  bßnd  er  gar  das  Wiederspiel; 

hat,  Dann  sie  jhm  nicht  gehorchen  will, 

Daß  er  sich  wolt  in  Ehstandt  gebn  Wie  das  eim  Weib  zusteht  vnnd  gbürht. 
Mit  einer  Jungfraw  schön  vnd  ebn,  Derhalb  er  hoch  bekümmert  würdt 

5   Bey  welcher  er  in  Prewd  vnd  Ruh  Vnd  klagts  seim  Nachbarn  in  Vertrawn    is 

Die  Zeit  seins  Lebens  brächte  zu.  Vber  sein  bitter  böse  Frawn, 

Da  er  dieselbig  nun  bekam  Daß  er  bey  jhr  hett  kein  gut  Stund, 

Vnd  zu  sich  heim  in  sein  Hauß  nam,  Sondern  sie  hett  ein  gidtign  Mund, 

Vermeint  mit  jhr  in  Einigkeit  Daß  jhm  leydlichr  wehr,  hat  auch  liebr 


1)  Das  ähnlich  betitelte  Flugblatt  'Offt  Probiertes  und  Bewährtes  Eecept  oder  Artzney 
für  die  büße  Kranckheit  der  vnartigen  Weiber'  (Nürnberg,  P.  Fürst.  —  Weller,  Annalen 
2,  485.  In  Berlin  und  Wolfenbüttel)  dagegen  bebandelt  die  Fabel  von  den  neun  Häuten 
der  schlimmen  Frauen;  vgl.  oben  11,  258,  wo  noch  Schreger,  Zeitvertreiber  1753  S.  Go3, 
Diederichs,  Dtsch.  Leben  der  Vergangenheit  '2,  nr.  1105  und  ein  Folioblatt  'Von  den  neun 
Häuten  der  bösen  Weiber'  (Augspurg,  J.  Klocker.  Im  Braunschweiger  Museum)  nach- 
zutragen ist. 


I 


Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts. 


183 


30  Das  drey  oder  viertäglich  Fiebr, 
So  hett  er  doch  je  bißweiln  Ruh; 
Aber  das  Keiffn  wehrt  immerzu, 
Daß  er  von  jhr  an  keinem  Orht 
Wedr  Tag  noch  Nacht  hett  ein  gut 
Wort, 
25  Sondern  wegn  jhrer  grossn  ßoßheit 
Möcht  sie  zerspringen  allezeit. 
'Dernthalb  weiß  ich  nicht,  was  ich 

thu, 
Damit  ich  han   niocht  Fried  vnd 

Ruh. 
Kam  derhalb  in  Vertrawn  zu  euch, 
30  Mir  mitzutheihi  ewrn  Rath  ohn 
scheuch'. 
Der  Nachbar  jhm  bald  antwortet: 
"Ihr  habet  ewrm  Weib  bald  zur  Stat 
Erstlich  den  Zaum  zu  lang  gelassn; 
Solchs  kompt  euch  nun  gar  zu 
Vnraassn. 
35  Dann  da  sie  solchs  an   euch  ver- 
merckt, 


Ist  sie  dardurch  worden  gesterckt, 
Sich  der  Herrschafft  genommen  an 
Vnd  euch  nicht  wolln  seyn  vnterthan. 
Derhalb  so  were  diß  mein  Raht, 
Daß  jhr  hinginget  vff  der  Statt 
Vnd  folgendt  Reimen  practicirt 
Damit  jhr  ewrs  bosn  Weibs  loß  würdt: 
Hastu  ein    böses  Weib    am 

Sontag, 
So    fahr   ins    Holtz    am    Montag 
Vnd    haw    Bengel    am    Dinstag, 
Schlag   dapfer    drauf    am 

Mitwoch, 
So    wärdt    sie    kranck    am 

Donnerstag 
Vnd    legt    sich    gewiß    am 

Freytag. 
Stirbt    sie    dann    am    Sambstag, 
So  begrebst  du  sie  am   Sontag, 
Vnd    darauf    machst    ein   gutn 

Montaff." 


[Diese  letzten  neun  Verse  stehen  in  grösserer  Schrift  über  neun  kleinen  Kupfer- 
stichen, unter  denen  je  zehn  Verse  gleich  die  Ausführung  des  groben  Rates  schildern. 
Das  erste  Bild  zeigt  eine  Stube  mit  drei  Butzenscheibenfensteru;  die  Frau  schreitet 
auf  den  zur  geöffneten  Tür  hereingekommenen  Mann  los.] 


'W^eil  ich  dann  hab  gar  ein  boß 
Weib, 
Welch  Täglich  plagt  mein  jungen 

Leib 
Mit  Keiffen,  Zancken,  Murrn  vnnd 
ßeissn, 
55  Mit  Hadern,  Balgen,  Rauffn  vnnd 
Schmeissn, 


Daß  ich  bey  jhr  wedr  Nacht  noch  Tag 
Zu  Tisch  vnd  Beth  Ruh  haben  mag, 
Derhalb  will  ich  ein  andr  Manir 
Mit  jhr  anfangn,  damit  sie  mir 
Muß  vnterthan  vnd  ghorsam  seyn, 
Vnd  solts  gleich  kostn  das  Leben 
mein. 


[2.  Bild:    Der  Mann  reitet  auf   einem  vor   einen  Karren  gespannten  Pferde   in    den 
Wald,  während  die  Frau  drohend  in  der  Tür  steht.] 

'Derntweg  will   ich  in  Wald  Welches    ich  meim    Weib    vff  jhr 
naußfahrn  Haut 

Vnd  an  mein  Fleiß  gar  nichts  er-  Mocht  legen,   damit  sie  erweicht 

sparn,  Vnd    freundlichr    sich    gegn  mir  er- 
Damit  ich  ein  gut  Recept  bkem,  zeigt. 

65  Daß  meim  Weib  jhr  Boßheit  ab-  Dann  in  den  Kreutern  verborgn  leit       lo 

nehm.  Groß  Krafft,  wann  mans  braucht  zu 
Oder  mocht  finden  ein  out  Kraut,  rechtr  Zeit. 


[3.  Bild:    Der  Mann  haut  im  Wald  Knittel  ab;    sein  Hund    und    sein  Karren  stehn 
daneben.] 


184 


Bolte: 


'Weil  ich  dann  nuu  im  Wald 
hie  bin, 
Will  ich  abhawen  nach  meiin  Sinn 
Ein  zimlich  hauffen  Bengei  starck, 
75  Mit  welchen  ich  mein  AVeibe  arg 
Will  schmiren  vnd  recht  salben  wohl, 


Daß  sies  gar  wohl  empfinden  soll. 
Auch  jhr  bezahlen   vnd  vergeltn 
Ihr  böße  Wort  vnd  grobes  Scheltn, 
Damit  sie  mich  gar  offt  vnd  dick 
Beleydigt  hat  gar  vngeschick.' 


[4.  Bild:    In    der  Stube    steht   der  Mann   und   schlägt  mit  einem  Stocke  auf  seine 
Frau,  die  er  am  Haare  gepackt  hat,  los.] 

Vnd  diese  Bengl  vff  dir  probirn. 
Dir    auch    anhencken    ein    Denck- 
zeichn, 


'Hör,  Weib,  weil  du  mich  jeder- 
zeit 
Geschendet  hast  vnd  wol  geheit. 
Mich  nur  gehalten  für  dein  Narrn, 
So  will  ich   dir  dein  Haut  nicht 

sparn, 
Sondern  dein  Lenden  salbn  vnd 
schmirn 


Damit  andere  Weibr  deins  gleichn 
An  dir  ein  Exempel  mogn  sehn 
Vnd  jhrn  M-innern  freundlich  vndr 
Augn  gehn.' 


[5.   Bild:   Die    Frau    sitzt    im    Lehnstuhl    hinterm    Tisch,    den    Kopf  in    die    Hand 
gestützt,] 


"Ich  bin  ein  krafftloß  kranckes 
Weib. 
Zerbleut  ist  mir  mein  Kopff  vnd 

Leib, 
Daß  ich  kan  weder  gehn  noch  stehn. 
95  Solchs  ist  mir  von   meim  Mann 
geschehn, 
Derselb  hat  mir  mit  Brüg^eln  hart 


Also  gesalbt  mein  Lenden  zahrt 
Vnd  mich  so  zum  Gehorsam  bracht. 
Weil  ich  jhn  jederzeit  veracht. 
Deßhalb    will    ich    mit  gdultigm 

Hertzn 
Willig    leiden    solch    Pein    vnd 

Schmertzn." 


[6.  Bild:    Die  Frau  liegt  in  einem  Himmelbett,  um  das  zwei  Frauen  imd  ein  Mann 


herumstehn.j 

"Ihr  mein  liebe  Nachbaurin  all, 
Nembt  ein  Beispiel  ob  meim  Vnfall, 
Habt  ewr  Männer  in  hohem  Ehrn, 
105  Wie  solchs  die  Heilig  Schrifft  thut 
lehrn. 
Seit  jhn  ghorsam  vnd  vnderthan! 


Dazu  ich  euch  vermahnt  will  han, 
Will  auch  hiermit  vor  meinem  Endt 
Mein  letzten  Wiiln  vnd  Testament 
Gemacht   han  vnd  meim    frommen 

Mann 
All  mein  Nahrun"'  zukommen  lan." 


[7.  Bild:    Neben  dem  leeren  Bett  steht  ein  Sarg  mit  der  Leiche  der  Frau,  um  die 
zwei  Weiber  beschäftigt  sind.] 

"Weil  ich  dann  nun  auß  dieser  Das  bitt  ich  euch  gar  freundlich  ab, 

Welt  Bevehl  nun  an  meim  letzten  End 

Abscheiden  muß,  wans  Gott  gefeit.  Mein  Seel,  0  Gott,  in  deine  Händt, 

So  bitt  ich  euch.  Hertzliebster  Schatz,  Wolst  mir  Sünderin  gnädig  seyn.  120 

115  Ihr  wolt  verzeihen  mir  den  Tratz,  Ade,  ich  stirb  im  Nahmen  dein." 
Den  ich  euch  als  bewiesen  hab. 

[8.  Bild:    Auf  dem  Friedhofe  senken  zwei  Männer  den  Sarg  in  das  Grab;  dabei  ein 
grosses  Leichengefolge  in  Trauermänteln.] 

'Nachdem  nun  ist  mein  böses  Weib    Nach  Christlicher  Ordnung  vnd  Brauch 
Gestorben  ab,  will  ich  jhrn  Leib  Statlich  vnd  ehrlich  bcgrabn  auch  1^5 


Bilderbogen  des  K).  und  17.  Jahrhunderts.  185 

Vnd  jhr  hiermit  jhr  letzte  Ehr  Meinten,  ich  hätt  sie  lieb  gehatt, 

Erweisen  thun  nach  jhreni  Bekehr,      Vnd  mich  ein  schone  Jungfraw  nem,     is» 
Damit  andre  Leuth  an  der  Statt  Dajmit  ich  bald  widr  ein  Weib  bkem.' 

[9.  Bild:  Fünf  Zecher  sitzen  im  Wirtshause  am  Tische.  Ein  Knecht  bringt  Wein 
herein;  im  Hintergrunde  drei  Musikanten.] 

'Weiln  nun  die  Bgrabnuß  ist  So  lang  vnser  einer  kan  stehn, 

volnbracht,  Darmit  raeim  Weib  jhr  Seelmeß  haltn. 

So  will  ich  hiermit  vff  diß  Nacht  Spielt  aufT,  jhr  Spielleut,   last  Gott 
Mit  guten  Freundn  das  Leyd  ver-  waltn, 

trinckn,  Seyt  frolich,  lustig,  guter  Ding!  i4o 

135  Daß  wir  vnter  die  Bänck  sincken.  All  mein  Trawren  fährt  jetzt  dahin, 

Vnd  den  Trawr  beehr  lan  rumber  Dann  ich  vom  Fegfewr  erlost  bin. 
gehn, 

Protestation  an   alle  Ehrliebende,   Fromme   vnd  gütige  Weiber. 

In  diesen  oberzehltn  Reimen  Welchm  Mann  nun  Gott  ein  solch  be- 
Thut  mann  nur  böse  Weibr  meinen,  schert, 

145  Von  gütigen  abr  vnnd  gelindn  Derselb  kann  jm  nicht  gnug  drumb 
Ist    hierin    kein    boß   Wort    za  danckn. 

findn;  Derhaib  bitt  ich  ohn  alles  wanckn,        läo 

Dann    solch    seind    aller    Ehren  Es  wols  Ein  jed  zum  bestn  verstehn 

wehrt.  Vnd  denckn,  es  teht  sie  nit  angehn. 

12.  Bestrafung  der  schlemmenden  Ehemänner. 

Ein  vermutlich  aus  Strassburg  stammender  grosser  Holzschnitt  des 
16.  Jahrhunderts  in  Querfolio  (Gothaer  Museum,  Xylogr.  II,  165),  dessen 
oberster  Rand  leider  abgerissen  ist,  schildert,  wie  eine  üppige  Kirch weih- 
feier  jäh  durch  die  über  diese  Schlemmerei  ergrimmten  Frauen  unter- 
brochen wird  und  die  Männer  von  diesen  weidliche  Prügel  erhalten.  Die 
Erwähnung  des  Ablasses  und  des  Jubeljahres  1550  legt  uns  nahe,  hier 
der  von  Luther  (An  den  christlichen  Adel  1520.  Werke,  Weimarische 
Ausg.  6,  446)  und  andern  (Naogeorg-Waldis,  Das  bäbstisch  Reich  1555 
Blatt  Oo  3a:  4,  29.  Wickram,  Werke  3,  65.  4,  213)  geführten  Polemik 
wider  die  zu  wüsten  Saufgelagen  entarteten  Kirchweiheu  zu  gedenken^). 
Das  Bild  zerfällt  in  vier  Szenen,  die  durcli  mitten  darin  stehende  Inschrift- 
tafeln erläutert  werden.     Die  Überschrift  lautet: 


.     .     .  vfi  halt  in  eyner  Sum, 

Wölches  wcyb  hat  ein  verspielten  liederlichen  man, 

Der  sol  hienfürter  jm  Reich  kein  Freiheit  mer  han. 

Auch  sol  eyn  jedes  weyb  jren  man  selbs  Reformieren, 

Wol  mit  Stangen,  gablen,  stecken,  Ruten  schmieren 

Und  keyn  vertrag  mer  mit  jenen  machen, 

Auch  nit  auffhoren,  das  loch  thü  im  dan  krachen. 


1)  Vgl.  die  von  Kassel  im  Jahrbuch  f.  Gesch.  v.  Elsass-Lotliringen  'lo,  171  —  183  zu- 
sammengetragenen Nachrichten  über  die  Elsässer  Kirwen. 


186  Bolte: 

[l.  Gruppe,  rechts  oben.     Zwei  Frauen  kommen  mit  Stöcken  auf  einen  Tisch  zu,  an 
dem  neun  Männer  im  Freien  trinken,  und  schlagen  auf  diese  los.] 

Wol  her,  hie  ist  kilchwy  in  disem  tal! 
10     Ablaß  vor  alle  schand  laster  liberal 
Gibt  man  vni  gelt,  wz  dir  ist  vö  noten, 
Wan  du  schon  willen  hast  nur  zu  toten. 
Vin  geltt  han  ich  vil  ablaß  vertriben, 
Der  aller  jm  1550  jubel  jar  ist  überbliben. 

[2.    Links  davon  fliehen  acht  Männer  in  den  Wald.] 

15  Her,   her,  lieben  gsellen  jung  vnd  alt! 

Es  ist  kein  fryheit  allein  in  dem  walt. 
Vns  ist  auch  dz  rych  verhütten   darum. 
Die  weiber  verklagten  vf  dem  consilium. 

[3.    Unten  rechts  und  links  hauen  Frauen  Ruten  von  den  Bäumen.] 

Wol  her,   her  mit  freidigem  hertzen  dran! 
20     Nun  Wollen  wir  auch  gute  kilwey  han 
Vnd  sie  vmb  jhr  böses  leben  straffen. 
Frisch  her  mit  stecken,  stangen  vnd  wafen! 

Her,  der  angriff  ist  geschehen  schon. 
Yede  fraw  thüt  zu  jrera  man  gon. 
25     Schlahen  drin  mit  stecken  vnd  rüthen, 
Von  ensten  mocht  eim  dz  loch  bluten! 

[4.  Unten  in  der  Mitte  schlägt  eine  Frau  einen  liegenden  Mann  auf  das  entblösste 
Gesäss,  während  ein  Narr  ihr  eine  neue  Rute  reicht.] 

Herzu,  alle  weiber,  vnd  schawen  an!  Thü  dich  auch  frün[t]lich  bitten. 

Min  Junckern  sie  ich,  den  verspilten  [Will]  dich  fieren  jn  einem  schlitten.      is 

man.  Was  sal  ich  singen  oder  sagen! 

On  ketten,  dolchen,  ring  vnd  Golt.  Kan  nit  genüg  materi  erzu  tragen, 

30  Darum  nym  on  din  verthienten  solt!  Da    mit    man    die    man    thüt    er- 

Ja  nun  sei  dir  der  teüfel  mer  holdt.  boren, 

Nit  also,  0  liebe  frawe  mein!  Wolch  dz  ir   so  schentlich  thon  ver- 
leb bin  nur  eimal  vß  gsein.  zeren. 

13.   Die  Pfaffenjagd. 

Von  einer  antikatholischen,  in  der  alten  Folio -Ausgabe  fehlenden 
Dichtung  des  Hans  Sachs  (v.  J.  1545),  die  erst  E.  Goetze  im  22.  Bande 
seiner  Gesamtausgabe  (Tübingen  1894)  S.  316  nach  des  Dichters  Hand- 
schrift veröffentlicht  hat,  fand  ich  auf  der  Feste  Coburg  den  von  Goetze 
vermissten  alten  Einzeldruck:  'Das  Münich  vnd  Pfaffen  gaid  |  Nyemand 
zu  lieb  noch  zu  laid',  ein  Folioblatt  mit  einem  grossen  Bild  und  68  Versen, 
doch  ohne  des  Dichters  Namen  und  ohne  Angabe  von  Druckort  und  Jahr. 
Auf  dem  Holzschnitte,  den  Pauli  (H.  S.  Beliam  1901  S.  463  nr.  1431. 
35,5  cm  hoch,  49  cm  breit)  nach  einem  in  London  befindlichen  Abdrucke 
ohne  Text  beschreibt,  jagen  viele  Teufel  verschiedene  Mönche  mit 
Dreschflegeln,  Spiessen,  Netzen,  Hunden  und  hornblasend  dem  Höllen- 
rachen zu. 


Bilderbogen  des  16.  und  17,  Jahrhunderts.  187 

Varianten:  8.316,4  erschröcklich  träum  —  5  eygentlich  in  der  bildtnus  —  12  groß 
geschell  —  13  endtrisch  —  i4  Daruor  —  ig  durch  das  —  i7  gedöss,  echtzn  —  22  ab- 
wartz  —  27  eyner,  der  wurd  geiagt  —  317,  2  Vnd  man  jn  so  —  5  geistlichkeyt  —  7  dann 
die  weltlich  wellt  —  12  stiften,  pfründ,  reut  —  21  Fast  all  sitzen  an  —  28  jrer  stewr, 
gpot  —  31  Verfürten  den  gmeyn  man  —  32  Das  er  hat  Gottes  wort  —  36  Darumb  so 
geben  wir  —  318,  2  in  werck  vnd  leben  —  3  geben,    AMEN  —  4-c  fehlen. 

14.   Das  Schlaraflfenland. 

Das  Märchenland  des  grenzenlosen  Genusses^)  hat  uns  Deutschen 
niemand  eindrucksvoller  geschildert  als  Hans  Sachs  in  seinem  1530  ver- 
fassten  Schwanke  'Das  Schlauraffenlandt' ^).  Schon  die  alten  Griechen 
wussten  von  der  goldenen  Zeit  und  den  Inseln  der  Seligen  Wunderdinge 
zu  berichten,  unter  den  fahrenden  Klerikern  des  Mittelalters  lief  die 
lustige  Fabel  um  von  dem  Wunschreiche  Cucania,  als  dessen  Abt  sich 
der  trinkfrohe  Dichter  der  'Confessio  Goliae"  um  1163  bezeichnet,  im 
13.  Jahrhundert  ward  das  Keich  in  dem  launigen  französischen  'Fablel  de 
Coquaigne")  als  das  Land  der  Faulenzer  und  Schlemmer  ausgemalt,  und 
sein  Ruhm  drang  bald  nach  England*)  und  Holland")  wie  nach  Italien*') 
und    Spanien^),    während    in    Deutschland    die    Lügendichtung    'Wachtel- 


1)  Vgl.  J.  Poeschel,  Das  Märchen  vom  Schlaraffenlande  (Paul-Braune,  Beiträge  5, 
389-427.  1878)  und  Erich  Schmidt,  Charakteristiken  2,  51—90:  Das  Schlaraffenland 
(1901). 

2)  H.  Sachs,  Folioaasgabe  1,  5,  541a  (1558)  =  Fabeln  ed.  Goetze  1,  8  nr.  4. 

3)  Meon,  Fabliaux  4,  175.     Histoire  litt,  de  la  France  23,  149. 

4)  Mätzner,  Altenglische  Sprachproben  1,  147  (1867).  Im  16.  Jabrh.  kommt  auch 
der  Ausdruck  'Lubberland'  vor. 

5)  Van  dat  edele  lant  van  Cockaengen  (132  Verse.  Priebsch,  Tijdschrift  voor 
nederl.  Taalkunde  13,  185—191.  1894).  Van  't  Lujeleckerlandt  (1546,  nach  H.  Sachs. 
Bolte,  ZfdA.  36,  297).  'My  lust  van  hier  te  varen'  (Kalff,  Het  lied  in  de  middeleeuwen 
1884  S.  490).  'Sa,  wevers  met  g'heel  hopen'  (Lootens-Feys,  Chants  pop,  flamands  1879 
nr.  92).  Ein  Sticii  nach  Pieter  Brueghel  mit  Versen  (L.  Maeterlinck,  Le  genre  satirique 
dans  la  peinture  flamande  1907  p.  313).     Auch  neuere  Bilderbogen  existieren. 

6)  [G.  C.  Groce?]  Capitolo  di  Cuccagna  1581:  'Son  stato  nel  paese  di  Cuccaggna' 
(57  Terzinen.  Storia  di  Campriano  contadino,  ed.  Zenatti  1884  p.  55  und  LXI);  1625 
(Mones  Anzeiger  7,  406);  Giovannino  il  Tranese,  Historia  di  Cuccagna  1715  (Giambattista 
Basile  2,  84.  1884).  Über  die  Schilderungen  von  Calmo,  Folengo,  Basile,  Quirico  Rossi, 
Goldoni  u.  a.  vgl.  Novati,  Giornale  storico  della  lett.  ital  5,  263  f.  und  A.  Graf,  Miti  del 
medio  evo  1,  236  (1892).  Die  bei  Drugulin  (Histor.  Bilderatlas  1,  nr.  2535— 3S'i  und 
Nagler  (Künstlerlexikon  10,  182)  angeführten  Bilderbogen  des  venezianischen  Kupfer- 
stechers Nicolo  Nelli  (II  paese  di  Cucagna  1564.  II  trionfo  di  Carnavale  nel  paese  di 
cucagna.  La  vcnerabile  Poltroneria  regina  di  Cucagna  1565)  blieben  mir  bisher  leider 
unzugänglich.     Boccaccio  (Dec.  8,  3)  nennt  das  Freudenland  ßengodi. 

7)  Um  1340  erwähnt  Juan  Ruiz  Erzpriester  von  Hita,  der  auch  einen  Kampf  von 
Frau  Fasten  mit  Herrn  Fastnacht  (Meon  4,  80.  Montaiglon  10,  110.  Keller,  Fastnsp. 
624.  1516.  Brueghels  Bild  1559.  Wright,  Hist.  de  la  caricature  1875  p.  341.  Ashton, 
Huraour  of  the  17.  Century  1883  p.  282)  schildert,  einen  'escolar  goloso  companero  de 
Cucana'  (copla  112  und  331.  Biblioteca  de  autores  esp.  57,  225.  260).  Die  'tierra  de 
Jauja'  wird  beschrieben  in  einem  1567  gedruckten  Zwischenspiele  von  Lope  de  Rueda 
(Obras  1,  50.  1895)  und  in  zwei  Romanzen  (Duran  nr.  1347.  1733.  Depping,  Romaucero 
castellano  1844  2,  430.  477).     Auch  der  IMamo  tierra  del  Pipiripao  ist  üblich. 


188  Bolte: 

maere'  von  den  Fladendächern  und  Wurstzäuneu  des  Landes  Kurrelmurre- 
und  der  Strassburger  Prediger  Geiler  von  den  Milchquellen,  Semmel- 
bäiimen  und  den  herumfliegenden  gebratenen  Tauben  eines  Fabellandes 
zu  erzählen  wusste.  Das  anschaulichste  und  ausführlichste  Bild  aber  ent- 
warf, wie  gesagt,  Hans  Sachs:  im  Schlauraffenlande,  zu  dem  man  sich 
durch  einen  drei  Meilen  dicken  Berg  von  Hirsebrei  hindurchessen  muss, 
sind  die  Häuser  mit  Fladen  gedeckt,  die  Wände  bestehen  aus  Speck- 
kuchen, Tür  und  Fensterladen  aus  Lebkuchen,  die  Zäune  sind  aus  Brat- 
würsten geflochten,  aus  den  Brunnen  rinnt  Malvasier,  auf  den  AVeiden- 
bäumen  an  den  Milchbächen  reifen  Semmeln^),  den  Hungrigen  schwimmen 
gesottene  und  gesulzte  Fische  zu  oder  fliegen  gebratene  Tauben  ins  Maul,. 
Baueru  wachsen  auf  Bäumen,  unter  denen  schon  Stiefel  für  sie  bereit- 
stehen, Pferde  legen  Eier,  Esel  Feigen  usw.  Doch  in  diesem  Lande  (so 
spottet  der  Dichter  ohne  langweilige  Moralpredigt  der  trägen  Genuss- 
sucht) ist  nur  Platz  für  faule,  liederliche  und  grobe  Gesellen;  vernünftige,, 
arbeitsame  und  ehrbare  Leute  werden  ausgewiesen. 

Der  Schwank  ist  einer  der  allerbesten  des  Nürnberger  Dichters, 
trotzdem  er  nicht  auf  den  Ruhm  selbständiger  Erfindung  Anspruch  er- 
heben darf.  Den  Namen  'Schluraffen'  (sluderaffen)  hatte  bereits  Brant 
im  108.  Kapitel  seines  Narrenschiffes  (1494)  auf  die  gedankenlose  und 
üppige  Rotte  angewandt,  die  mit  einander  zu  Schiff  gen  Narragonia  und 
Schluraffenland  fährt.  Mit  Beziehung  auf  Brant  redet  1515  die  Quaestio 
de  generibus  ebriosorum^)  von  'der  preiteu  geselschafft,  die  do  schiffen 
und  segeln  mit  halben  wind  versus  Narragoniam,  in  Schlauraffenland,  do 
die  heußer  mit  bratwürsten  gezeunet  und  mit  honig  bekleibt  und  mit 
fladen  gedeckt  seyn,  da  uns  die  gebraten  tauben  in  die  meuler  fliegen'. 
Und  wohl  noch  früher  fällt  der  'Spruch  vom  Schlauraffenlandt'^),  welcher 
im  Eingange  auf  das  Narrenschiff  Bezug  nimmt,  in  der  Beschreibung  der 
Schlauraffey  (v.  10 — 55)  hie  und  da,  doch  nicht  in  Reihenfolge  und  Aus- 
druck zu  Hans  Sachs  stimmt,  in  der  Schelte  auf  die  dahin  gehörigen 
Gesellen  (v.  56—163)  aber  sich  weit  mehr  Raum  gönnt  und  mit  einem 
Gebet  an  Maria  schliesst.  Zwischen  1527  und  1538  erschien  zu  Nürn- 
berg ein  Meistergesang  vom  Schlauraffenlande  im  roten  Zwingerton*}, 
dessen  Autor  gleichfalls  selber  zum  Zug  dahin  auffordert;  die  Schilderung 
steht  in  der  Reihenfolge  der  Einzelheiten  dem  Hans  Sachs  noch  näher, 
mischt  jedoch    grobianische  und  sexuelle  Unflätereien  ein.     Ferner  liegen 


1)  Den  Semmelbaum  am  Milchweiher  hatte  schon  Rosenplüt  (Stiefel,  H.  Sachs- 
Forschungen  S.  48j  geschildert. 

2)  Zarncke,  Die  deutschen  Universitäten  im  Mittelalter  1,  121  (1857). 

:5)  In  Brants  Narrenschiff  hsg.  von  Zarncke  1854  S.  CXXII  aus  der  Wiener  Hs.  3027, 
Bl.  llHb  (1G7  Verse). 

4)  In  disem  land  kan  ich  nymmer  beleyben  (7).  Gedruckt  zu  Nürnberg  durch 
Kunegund  Hergotin.    4  Bl.  8"  (Berlin  Yd  7821,  18)  =  Brant  hsg.  von  Zarncke  S.  455. 


Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  189 

in  späteren  Drucken  zwei  Fassungen  eines  Liedes  im  Lindenschmidston^) 
vor,  eine  von  37  und  eine  von  34  Strophen,  welche  unzweifelhaft  in 
nächster  Verwandtschaft  zu  Hans  Sachs  stehen;  nur  ist  es  fraglich,  ob  sie 
aus  Hans  Sachs  entlehnen  oder,  wie  Stiefel  in  seiner  scharfsinnigen 
Untersuchung^)  annimmt,  Hans  Sachs  aus  einer  älteren  Fassung  schöpfte, 
welche  die  Eigentümlichkeiten  von  L  1  und  L  2  vereinigte.  Denn  ausser 
den  gemeinsamen  Versen  weist  jede  dieser  drei  Versionen,  sowohl  das 
Spruchgedicht  Hans  Sachsens  (S)  wie  die  strophischen  Dichtungen  L  1 
und  L  2,  besondere  Züge  auf,  die  wieder  auf  eine  ältere  Überlieferung 
zurückgehen.  So  besteht  der  Berg,  durch  den  sich  jeder,  der  ins 
Schlaraffenland  will,  durchbeissen  muss,  in  L  2  wie  im  mittelenglischen 
'Poem  of  Cocaygne'  aus  Dreck,  bei  S  aber  aus  dem  appetitlicheren  Hirse- 
brei; in  L  1  und  L  2  regnet  es  Honig  und  schneit  es  Zucker  entsprechend 
dem  Fladenregen  im  französischen  und  niederländischen  Gedicht,  und 
wer  eine  alte  Frau  hat,  schickt  sie  zum  Jungbrunnen,  worauf  sie  zu 
einem  jungen  Maidlein  wird;  auch  dieser  Zug  findet  sich  im  Französischen 
und  Niederländischen,  aber  nicht  in  S.  Umgekehrt  fehlt  in  L  1  und  L  2 
<iie  Ortsbestimmung  'das  ligt  drey  meyl  hinder  Weyhnachten',  die  S  nebst 
einigen  anderen  Versen  aus  dem  roheren  Meisterliede  im  roten  Ton  Peter 
Zwingers  entlehnt  hat;  es  fehlen  dort  auch  die  auf  Bäumen  wachsenden 
Bauern,  die  H.  Sachs  wohl  als  eiu  ergötzliches  Naturwunder^)  einführt 
das  zugleich  Knechte  und  Hörige  für  die  Schlauraffen  liefert,  ohne  doch 
diese  ihre  Bestimmung  deutlich  zu  bezeichnen.  Wenn  nun  Stiefel  bei 
den  gemeinsamen  Verspartien  die  Priorität  nicht  S,  sondern  L  1  —  2  zu- 
erkennt, so  leitet  ihn  dabei  die  Einheitlichkeit  von  L  1  —  2,  während  ihm 
bei  H.  Sachs  die  doppelte  Erwähnung  der  drei  Meilen  in  V.  3  und  7  und 
„die  nicht  hineingehörenden  auf  Bäumen  wachsenden  Bauern"  als  ein 
Anzeichen  der  Kompilation  erscheinen.  Ferner  meint  er,  ein  Nachahmer*) 
des  H.  Sachs  hätte  sich  die  vortrefflichen  Stellen,  die  in  L  1  — 2  fehlen, 
nicht  entgehen  lassen.     Allein  umgekehrt  kann  man  auch  behaupten,  dass 


1)  L  1:  Nun  höret  zu  und  schweiget  still.  37  Str.  mit  einer  Einleitung  von 
16  Versen:  Ein  Land  das  ist  mir  wolilbekannt.  4  Bl.  o.  0.  u.  J.  (Berlin  Ye  481. 
Wernigerode)  =  Hoü'mann  v.  F.,  Altdeutsche  Blätter  1,  168  (1836'.  —  L  2:  Nun  höret  zu 
und  schweiget  still.  84  Str.  Gedruckt  im  Jahr  1611.  4  Bl.  (Zürich)  =  Wackernagel, 
ZfdA.  2,  464  =  Scheiblf,  Schaltjahr  1,  301  =  Mittler,  Volkslieder  1855  nr.  1334  =  Böhme, 
Altdeutsches  Liederbuch  nr.  278a  =  Erk-Böbme,  Liederhort  3,  40  nr.  1096. 

2)  In  der  Festschrift  Hans  Sachs-Forschungen  1894  S.  37  —  52  und  in  Kochs  Studien 
zur  vgl,  Literaturgeschichte  2,  154-156  (1902). 

8)  Vgl.  sein  verlorenes  Gedicht  'Pauni,  darauf  maid  und  gesellen  wachsen':  dazu 
Fabeln  ed.  Goetze  1,  111  nr.  33,  MüUer-Fraureuth,  Lügendichtungen  S.  97 f.  und  oben  19, 
51.  Den  vermutlich  zu  diesem  Gedichte  gehörigen  Holzschnitt  (20,5  :  36,2  c»i)  sah  ich 
jüngst  auf  der  Feste  Coburg. 

4)  Ein  solcher  Plagiator  ist  Hans  Witstatt,  der  des  H.  Sachs  Schwank  'Der  Sturm 
des  vollen  Berges'  (Fabeln  1,  138  nr.  43)  unter  neuem  Titel:  'Vom  ßacho  Vnd  seinen 
Gesellen,  höret  wunder  wie  sie  sich  stellen'  (4  Bl.  o.  J.  Berlin  Yh  901)  plünderte. 


190 


Bolte: 


H.  Sachs,  falls  ihm  die  angeführten  Plusstellen  aus  LI  —  2  vorlagen,  diese 
schwerlich  verschmäht  hätte,  wenn  er  auch  den  Dreckberg  absichtlich 
in  einen  Hirseberg  umwandelte;  und  sollte  L  1 — 2  jünger  sein  als  S,  so 
kann  der  Verfasser  die  Zusätze  aus  der  älteren  Tradition  eingesetzt 
haben.  Mich  dünkt  es  daher  vorsichtiger,  in  dieser  Frage  ein  Non  liquet 
auszusprechen,  zumal  wir  doch  gewiss  nur  einen  Bruchteil  der  im 
16.  Jahrhundert  umlaufenden  Schilderungen  des  Schlaraffenlandes  kennen. 
Zu  dieser  Rekapitulation  veranlasst  mich  die  Auffindung  eines  Einzel- 
druckes^) von  S  aus    dem  letzten  Viertel  des  16.  Jahrhunderts,    der    eine 


charakteristische  Illustration  enthält.  Der  Holzschnitt  allein,  welcher  alle 
oben  aufgezählten  Züge  des  Gedichtes  in  derben  Umrissen  wiedergibt, 
ohne  sich  durch  P.  Brueghels  Bild  beeinflussen  zu  lassen,  war  mir  bereits 
auf  dem  Berliner  Kupferstichkabinett^)  begegnet  (18  :  28,5  cm),  das  voll- 
ständige Blatt  besitzt  die  Wiener  Hof  bibliothek  (L  6,  nr.  48): 

Das  Schlauraffenlandt.     [Darunter  das  oben  •wiedergegebene  Bild.] 

Der   bei  Hans  Sachs    110  Verse    umfassende  Text    ist    auf  88  Verse 

zusammengestrichen  und  ohne  Rücksicht  auf  das  Metrum  etwas  modernisiert; 

des  Dichters  Name  fehlt: 

V.  ?>  bis  10   fehlen    —    11    gedeckt   mit   Fladen   —   12   Laden   —    13   Thielen   — 
17  Malmasier  —  18  selbst  —  19  bis  24  fehlen  —  25  die  Semel  —  26  Bech  mit  Milch  — 


1)  Der  älteste  Einzeldruck  (1530)  ist  verloren,  ebenso  die  hsl.  Fassung  im  :>.  Spruch- 
buche. Goetzes  Text  beruht  auf  einem  frühestens  1534  entstandenen  Einzeldrucke 
(Gesamtausgabe  24,  144  Enr.  117,  5;. 

2)  Vgl.  Sachs,  Fabeln  ed.  Goetze  2,  XI  nr.  4. 


Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  191 

-21  falln  —  29  pehn  —  Lachen  —  30  Gesotten  —  bachen  —  33  mügt  jr  glauben  — 
36  selbst  —  37  Jar  wol  geraten  —  38  gebraten  —  42  Die]  fehlt  —  4!)  bis  52  fehlen; 
dafür:  Am  weg  vil  Gelds  man  finden  ist,  J  Ein  Junck  Brun  ist  im  Land  alle  frist  — 
53  alten  —  54  thut  halten  —  5G  weitest  —  57  bis  60  fehlen  —  67  welcher  sein  Geld 
auch  —  68  gibt  —  69  gern  —  71  Muß  jhm  jhener  zu  geben  ohn  klag  —  72  wol 
trincken  mag  —  73  batzen  —  74  fatzen  —  7(>  geyt  man]  fehlt  —  78  gantz]  frey  — 
79  brauchen  —  87  Der  der  feulest  —  88  Derselbig  —  89  vnd  wild  —  90  zu  aller  frist  — 
91  Fürsten  —  92  gern  —  Leberwürsten  —  94  nichts  nit  —  95  Denn  —  schlaffen  — 
96  Graffen  —  97  nichts  nit  —  103  gewönlich  ist  faul  —  105  man  sie  weiß  in  Schlau- 
raffen —  106  schlüchtig  —  straffen  —  108  nye]  nichts  —  Zu  Nürnberg,  bey  Wol  ff 
Strauch^). 

Diesem  Bilderbog-en  reihe  ich  zwei  weitere  Darstellungen  des  Schlaraffen- 
landes an.  Auf  einem  Wandkalender,  den  der  Zürcher  Buchdrucker 
Christoph  Froschower  d.  j.  1566  herausgab  2),  ist  oben  ein  Holzschnitt 
angebracht,  der  allerlei  närrische  Ess-  und  Trinkverrichtungen  von  einzelnen 
darstellt.     Die  Beischrift  lautet: 

Eumpt  har  jr  liebhaber  deß  Lands,  War  dryn  wil  kon,  muß  mögen  ässen. 

Lugend  als  in  eim  spiegel  gantz,  Deß  trinckens  ouch  gar  nit  vergässen. 

Ob  derglych  land  sey  vff  erden!  So  man  den  schnuderberg  hat  bstigen. 

Gar  keins  mag  jm  verglychet  werden.  Thut  es  der  linken  hand  nach  ligen  lo 

5  Ein  Insel  ists  vnd  wirdt  genannt  Dry  myl  hinder  Sant  Vrbans  tag. 

Zu  rechtem  tütsch  Schlur äffen  land.  Kein  eebrecher  dryn  kommen  mag. 

Auf  einem  Kupferstiche  des  17.  Jahrhunderts^)  hat  der  Zeichner 
die  Szenerie  des  Strauchschen  Holzschnittes  benutzt,  um,  vermutlich  in 
Anlehnung  an  die  oben  S.  187  ®  zitierten  italienischen  Bilderbogen,  einen 
Triumphzug  des  Königs  von  Schlauraffenland  hiueinzusetzen,  dessen  Pferd 
hier  nicht  mehr  Eier  legt,  sondern  Geld  in  grossen  IVIengen  münzt,  und 
hinter  dem  eine  appetitlich  anzuschauende  Schar  essbarer  Dinge,  Eier, 
Käse,  gebratene  Hühner,  Schweine,  Rinder  usw.  einherzieht.  In  einem 
Mandat*)  ladet  er  alle  guten  Schlemmer  in  sein  Reich  ein: 

Der  König  von  Schlauraffen  Landt. 

In  diesem  Landt  da  ist  gut  sein,  Diß  Land  ist  gutt  für  manchen  Bruder, 

Aber  gar  langsam  Kompt  man  drein,  Der  frist  vnd  saufft  vnd  ligt  im  Luder. 
Dieweil  der  Weg  ist  gar  zu  Weit,  Die  Lufft  Kocht  gar, 

Nimbt  dahin  zu  reysen  lange  Zeitt.  Schmeckt  wol  l'urwar.  10^ 

5  Wer  da  hin  kompt  bey  seinen  tagen,  Kam  eß  auch  an  mich, 

Der  kan  vnd  mag  von  gluck  wohl  sagen.  Ohn  sorg  wäre  Ich. 


1)  Goetze,  Hans  Sachs  24,  246  verzeichnet  Drucke  von  Wolfgang  Strauch  v.  J.  1570 
und  1596. 

2)  Folioblatt  im  Besitz  der  Antiquarischen  Gesellschaft  zu  Zürich;  vgl.  E.  Weller, 
Anzeiger  f.  K.  der  dtsch.  Vorzeit  1859,  368  f.  Leider  ist  das  Blatt  gegenwärtig,  wie  mir 
Herr  Prof.  Dr.  G.  Meyer  von  Knonau  mitteilt,  in  Zürich  nicht  aufzufinden. 

;3)  Folioblatt  im  Germanischen  Museum  zu  Nürnberg.  Eeproduziert  bei  Diederichs, 
Deutsches  Leben  der  Vergangenheit  in  Bildern  1908  2,  nr.  1115.  —  Vgl.  damit  den  älteren 
Bacchuszug  bei  Diederichs  2,  nr.  1117. 

4  Vgl.  die  Edicta  ludicra  im  Anzeiger  f.  K.  d.  d.  Vorzeit  1868,  198.  288.  1872,  311. 
Zs.  des  Harzvereins  25,  262.  liindener,  Rastbüchlein  1883  S.  50.  Zs.  f.  d.  Alt.  36,  301., 
Oben  15,  41.  43. 


192 


Bolte: 


[Der  Kupferstich  zeigt  den  von  einem  Fahnen schwinper  und  drei  Knechten  mit 
Weinkrügen  und  Geldkorb  geleiteten  König  zu  Pferde  sowie  die  andern  in  den  folgenden 
Versen  beschriebenen  Szenen,  mit  den  Nunijnern  1  bis  11  versehen  ] 


Wovon  mau  gelust,  kau  man  von 

schneidt. 
Das[e]lbst  springt  auch  ein  schön 

Fontein 
Vom  besten  weissen  vnd  rothen  Wein. 
Diß  Landt  hatt  auch  in  sich  die  arth, 
40  Daß  man  nur  zehrt  vnd  gantz  nichts 

spart  h. 
Daselbst  mawret  man  die  heußer  mit 

fladen, 
Die  Tächer  mit  Pfaunenkuchen  vber- 

laden. 
Die  Gärten  sind  geziehret  recht, 
Die  Zeune  mit  bratwurst  außgeflecht. 
45  Die  Beüme  tragen  Frucht  von  aller- 

handt, 
Bleibt  alle  Zeit  reiff  vnd  gar  im  Land. 
Es  muutzet  auch  hier  des  Konig  Pferdt 
Vberflußig  geld,   drumb  ists   nicht 

werth. 
In  Summa,  da  ist  Abuudanz. 
50  Frew  dich,  Bruder,  di  ßes  LandtsI 
Da  zu  wohnen  wehr  wohl  mein  Sin, 
Wen  ich  nur  kommen  könt  dahin. 


10. 


11. 


Ihr  Königliclie  Majestätt  1. 

Ausdrücklich  Publiciret  hattl 
15  In  seinem  gantzen  Königreich: 

Alle  Fres.ser  vnd  Sauffer  zugleich, 

Welche  sich  nimmer  lassen  genügen. 

Die  sollen  sich  in  sein  Land  verfugen, 

Die  weil  mau  da  gute  Mores  lehrt, 
20  Wofern  sich  daß  Blatt  nicht  verkelirt. 

Daß  (Jrobianus  Meister  wirdt. 

Mit  dießer  Tugendt  ist  der  geziert. 

Die  Freiheit  geb  ich  ietzundtz  [!]  allen, 

Den  dieses  Landt  thut  Wohlgefallen, 
25  Die  kommen  frölich  letzt  ins  Reich, 

Fresser,  Sauffer,  Faulleutzer  zugleich.     2. 

Ja  welch'T  diß  am  besten  kan. 

Der  ist  alda  der  beste  Mann, 

Vnd  welcher  an  Tugendt  ist  sehr  faul, 
so  Dem  fliegen  gebratene  tauben  ins       3. 
Maul. 

Auch  man  im  Kochen  keine  Muhe 
anwendt. 

Alles  ist  gar  vnd  lenü't  behendt.  4. 

Pasteten,  Ochsen,  Schaff  vnd  Schwein,    5. 

Die  lauffen  von  sich  selbst  herein, 
35  Alles  gekocht  vnd  wohlliereitt; 

Über  die  Verbreitung  der  Dichtung,  die  sich  ja  vielfach  mit  den 
Gruppen  der  Lügenmärlein,  Utopien,  der  Schilderungen  des  irdischen  und 
des  himmlischen  Paradieses  und  anderer  phantastisch  ausgemalter  Wunsch- 
länder^)  berührt,  haben  Poeschel,  Müller-Fraureuth  (Die  deutschen  Lügen- 
dichtungen 1881  S.  96 f.),  das  Grimmsche  Wörterbuch  und  Erich  Schmidt 
zahlreiche  Zeugnisse  gesammelt:  aus  Hans  Sachs,  Sebastian  Franck 
(Chronik  15o9  Bl.  60b),  Liiidener  (18h3  S.  50),  dem  Finkenritter,  der 
Zimmerschen  Chronik  (3,  155),  Fischart  (Gargantua  1891  S.  143),  Mangolt 
(1596),  Eyring  (2,  54),  Schweigger  (1608.  Germ.  15,  101),  Schuppius 
(S.  352.  539),  Grimmeishausen  (1,  262.  2,  225.  -80  Kurz),  Weise  (Erz- 
narren 1878  S.  39),  Stranitzky  (1886  1,  27.  2,  72),  Ertl  (1721.  Germ.  17,  93), 
Niviandts  (1752.  Germ.  16,  S5)  u.  a.  Ich  füge  hinzu:  Nie.  Gryse,  Leieu 
Bibel  1,  Bl.  Cc  la  (Rostock  1604):  „Se  tehen  hen  in  Sloraffen  Landt, 
darvon  men  redet,  dat  darsüluen  de  Hüser  allenthaluen  mit  Peperkoken 
gedecket,  mit  Bradtwörsten  getünet  vnde  mit  Specksyden  vnde  hounich- 
zucker  Fladen  kalcke  vpgemüret  syn  schöhfu."  Bei  S.  von  Birken, 
Androfilo  und  Sylvia  1656  S.  72  sagt  Tewes:  „Ich  habe  mich  drey  Meilen 
durch    den  Heydelbrey   ins  Schlauraffenland   durchgefressen."     Auf   einem 

1)  Vgl.  z.  B.  Matthaei,  Das  weltliche  Klösterlein  und  die  deutsche  Minneallegorie 
(Diss.  Marburg  19('8)  und  Mac  Conglinnes  Vision  bei  Tlmruej^seu,  Sagen  aus  dem  alten 
Irland  1901  S.  137-145. 


Bilderbogen  des  1(3.  und  17.  Jahrhunderts.  1<)3 

gleichzeitigen  Nürnberger  Bilderbogeni)  beginnt  ein  Aufschneider  seine 
Lügen  folgendermassen: 

Ich  schwer,  ich  habe  mehr  als  tausend  mal  gesehen, 
Was  in  der  gantzen  >Velt  vom  Anfang  her  geschehen 
In  Süden,  Ost,  Nord,  West.    Dort  in  Schlar äffen  Land 
Da  steht  ein  guter  Äff  in  einem  guten  Stand. 
5    Die  Häuser  sind  bedeckt  mit  güldenen  Marzipanen, 
Die  Tische  zieren  schön  Pasteten  vnd  Fasanen 
Vnd  was  das  Hertz  begehrt.     Die  üänse  sind  geropfft. 
Gebraten,  fliegen  um  mit  Kesten  voll  gestopfft. 
Die  Brunnen  die  sind  Milch,  die  Bach  mit  Honig  fliessen, 
10     Die  gantz  Schlaraffen  Land  mit  Milch  Kern  übergiessen  .  .  . 

Dagegen  geht  das  Ryrabökelin  (ed.  Seelmann  1885  Y.  3311  f.)  nur 
auf  Braut  zurück,  und  in  der  Frischlin  nachgebildeten  Komödie  Rebecca 
des  Schlesiers  Calagius  (Liegnitz  1599  Bl.  E  3b)  entspricht  das  Schlaraffen- 
land, von  dem  der  Parasit  Gastrodes  Fabeldinge  berichtet,  dem  Lügenlande 
Utopia  bei  Frischlin  lY,  6,  ebenso  wie  in  [Schnebelius  oder  Schrebelins] 
albernem  Yoyage  imaginaire  'Der  Staat  von  SchlarafFen-Land'  (um  1700. 
Berlin  Yz  3559.  Müller-Fraureuth  S.  97)  und  in  den  Liedern  bei  Böhme, 
Altdeutsches  Liederbuch  nr.  278  b,  Erk-Böhme,  Liederhort  nr.  1095,  Peter, 
Ytl.  aus  Österr.-Schlesien  1,  73  nr.  198  oder  Grimm,  KHM.  158.  Zu  den 
von  Pöschel  (Beitr.  2,  425)  und  Müller-Fraureuth  (Lügendichtungen  S.  97) 
besprochenen  Landkarten  des  Schlaraffenlandes,  die  durch  Morus'  Utopia 
(1516)  angeregt  sind,  sei  auf  Exemplare  im  Joachimsthalschen  Gymnasium 
zu  Berlin  und  im  Germanischen  Museum  hingewiesen  (Drugulin,  Histor. 
Bilderatlas  1,  nr.  2914—15)2). 

15.  Das  Narrenschiff. 

Zur  Nachgeschichte  von  Brants  Narrenschiff  (1494),  die  Zarncke  1854 
in  seiner  bahnbrechenden  Ausgabe  S.  CXYI  f.  behandelt  hat,  gehören  auch 
einige  von  ihm  nicht  erwähnte  Bilderbogen  des  16.  bis  17.  Jahrhunderts. 
Zwei  Kapitel  Brants  hat  der  Augsburger  Briefmaler  Hans  Hof  er  um  1550 


1)  New  außgebildeter  jedoch  wahrredenter  ja  rechtschaffener  Auffschneider.  Nürn- 
berg bey  Paulus  Fürsten  (Berlin,  Gotha,  München,  Nürnberg). 

2)  Ob  in  Skandinavien  das  Schlaraffenland  zu  einer  ähnlichen  Volkstümlichkeit 
gelangte  wie  bei  uns,  ist  mir  zweifelhaft,  obwohl  die  Wörterbücher  ein  dänisches  Over- 
daadighedensverden  und  ein  schwedisches  Lättingarsland  verzeichnen.  Bei  den  Cechen 
entspricht  der  Ausdruck  Lenoraj  (Land  der  Faulen),  wie  Spina  (Die  alttschechische 
Schelmenzunft  Frantova  präva  1909  S.  199  f.)  bemerkt.  Eine  polnische  Beschreibung 
findet  sich,  wie  mir  Herr  Prof.  Dr.  A.  Brückner  freundlich  nachweist,  bei  Podworzecki, 
Wrozki  (Kvakau  1589;  zit.  bei  Adalberg,  Ksi^ga  przyslüw  S.  77):  „Schon  sind  nicht  mehr 
jene  Jahre,  da  man  aus  Würsten  Zäune  flocht,  die  Häuser  mit  Speckseiten  und  Klössen 
deckte  und  Met  und  Honig  in  den  Strömen  floss."  Ähnlich  bei  Cnapius  (1632;  vgl. 
Wurzbach,  Histor.  Sprichwörter  der  Polen  S.  251):  „W^o  sind  die  Zeiten  hin,  da  die 
Würste  auf  der  Welt  herumflogen?"  Aus  einer  Hs.  des  17.  Jahrhunderts  führt  Herr 
Prof.  Brückner  die  Ortsbezeichnung    'im  dyrlandischen  Lande'   (w  ziemi  dyrlandzkiej^    an. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.    Heft  2.  13 


194 


Bolte : 


ohne  Andeutung  der  Entlehnung  und  mit  einem  neuen  Holzschnitte  ver- 
sehen, veröffentlicht,  cap.  33  'Vom  Ebruch")  und  cap.  48  (Eyn  gesellen 
schiff)  als  'Das  verdorben  schiff  der  handtwercksleut,  Getruckt  zu  Augs- 
purg  durch  Hans  Hofer  Briefmaler,  im  klainen  Sachsen  geßlin'^)  durchweg 
in  abgeändertem  Ausdruck.  Eine  selbständigere  Stellung  dagegen  darf 
das  folgende,  in  zwei  Drucken  erhaltene  Poem  beanspruchen: 

A)  Narrenschiff.  Folioblatt  o.  0.  u.  J.  um  1600  (Wien  L  6,  49).  Der  Kupfer- 
stich (11,2  :  15,0  cw)  zeigt  ein  Schiff  voll  trinkender  Narren;  die  Mastspitze  mit  der 
Raae  bricht  ab:  ein  Narr  sucht  einem  ins  Meer  gefallenen  Genossen  herauszuhelfen*). 
Der  Text  in  drei  Spalten. 

B)  Narrenschiff.  Folioblatt.  Augspurg,  bey  David  Mannasser,  Kupfferstecher 
1630.     (Feste  Coburg). 

N  arrenschiff. 


Dise  Schiffart  vor  Augen  stellt 
Dem  [!]  gmainen  Lauff  jetziger  Welt, 
Weil  man  erstlich  darob  wirdt  gwahr 
AUerley  Volck  ein  grosse  Schar, 

;.    Gelehrt,  Idioten,  Arm  vnd  Reich, 
Edel  vnd  Vnedel  deßgleich, 
Auß  jeder  Handthierung  vnd  Zunfft 
Ein  Außschuß,  die  mit  jhr  Vernunfft 
Andere  vbertreffen  weit 

10   Nach  jhrem  Beduncken  der  Zeit; 
Derhalb  sie  auch  von  jederman 
Ohn  corrigirt  wollen  hingahn, 
Vnd  maint  ein  jeder  stoltzer  Kropff, 
Die  Mainung,  so  er  in  sein  Kopff 

15   Vast,  muß  hinauß  gehn  zu  der  stund, 
Vnd  solt  die  Welt  drob  g:ehn  zugrund. 
Fangen  vil  an,  machen  nichts  auß. 
Als  daß  sie  Tag  vnd  Nacht  im  sauß 
Fressen,  sauö'en  vnd  panckatiern. 

20   Andere  thun  jhr  Zeit  verliern 
Mit  Wirffei,  Karten  vnd  Bretspil. 
Auch  so  findt  man  wol  jhrcr  vil, 
Die  mit  Saitenspil  all  jhr  Gelt 
Einbüssen,  vnd  dannoch  otft  feit 

25    Zu  bezahlen,  die  jlim  hofiert, 

Welchs  solche  Gänch  mächtig  wol  ziert. 
Etlich  jhr  Recreation 
Hond  mit  dem  Fraweuzimmer  schon, 
Bemühen  sich  vil  Tag  vnd  Nacht, 

30    Werden  doch  letztlich  drob  verlacht. 


Auch  finden  sich  ein  grosse  Summ 

Herren  Almodiscipul  jung, 

Die,  was  jhr  Eltern  han  erspart, 

Wenden  an  die  laidig  Hoffart. 

Andere  thun  sich  selber  verführen 

In  Künsten,  so  jhn  nicht  gebüren. 

Und  lesen  alle  Bücher  auß, 

Biß  jhm  Fraw  Armut  kompt  zu  Hauß. 

Ein  grosser  Hauff  mit  köglen,  schiessen 

Auch  Gelt,  Arbeit  vnd  Zeit  einbüssen. 

Jagen,  hötzen,  beissen,  Gwildt  fällen 

Ohn  Noth  verderbt  vil  gutr  Gesellen, 

Auff  Gutschen  fahren,  reiten  vil 

Grosses  Einkommen  haben  wil. 

Das  nicht  betracht  manch  junger  Boß, 

Biß  der  Schuster  beschlägt  sein  Roß. 

Ein  guter  theil  die  Arbeit  fliehen, 

Darfür  spatziern  herumb  ziehen 

Oder  Agiren  jederman 

Ohn  noth,  wer  nur  für  sie  thut  gähn. 

Dise  Bürschlein,  so  vor  diß  mahl 

Ich  jetzt  nicht  kan  erzehlen  all, 

Wollen  vor  lauter  Büberey 

Mit  auffgezognem  Segel  frey 

Auffwarts  fahren  im  Wasser  groß. 

Wie  starck  der  Windt  herwider  stoß. 

Ist  jemand  da,  der  sie  redt  an 

Von  sollicher  Weiß  abzustahn. 

Vnd  sagt,  wie  auff  diser  Manier 

Der  Handl  nicht  lang  bstehn  kan  schier. 


35 


45 


1)  Gothaer  Museum,  Sammclband  2,  80.  Reproduziert  von  Ed.  Fuchs,  Die  Frau  in 
der  Karikatur  1906  S.  176,  Tafel. 

2)  Gotha  2,  93.  —  Aus  Murners  Schelmenzunft  (1512)  nr.  12  stammt  der  Bilder- 
bogen 'Die  oren  laßen  melken'  (Gotha  2,  77).  Über  ein  aus  Schwarzenbergs  Cicero 
(1531)  Bl.  30a  geschöpftes  nid.  Blatt  vgl.  Tijdschrift  voor  nederl.  Taalkunde  14,  138. 

3)  Über  die  Idee  des  Schiffes  s.  Zarncke,  Nanenschiff  S.  LX  f.  und  Kalff,  Het  Lied 
1884  S.  4G6,  auch  den  Kupferstich  'Banckrotdirer  Freyheyt  vnd  Privilegium'  (Berlin 
Kupferstichkab.,  München,  Nürnberg). 


Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  195 

Was  vor  Kletten,  Schmach,  Hon  vnd  Eim  jedem  vndern  Füssen  ligen,  so 

Spott  Den  sie  vormal  vfft  selb  veracht. 

Einem  zlohn  wirdt  von  diser  Rott,  So  bald  ändert  sich  solcher  Pracht 

Darff  er  gar  nicht  thailen  mit  mir:  Diser  vollen  ßurcht  vnbesunnen. 

Dann  sie  gedencken  für  vnd  für  Drumb  wer  dem  Vnglück  wil  entrinnen, 

6.i    Ihr  Sach  durchzuführn  mit  Gwalt.  Steig    auß  dem   Schiff  behendt  vnnd  85 

Ob  schon  der  Mastbaum  vns  zerspalt,  schnell, 

Gleichwol  sollen  all  Sach  behendt  Damit  jhn  nicht  treff  Vngefäll, 

Nach  jhrem  Kopff  lauffen  zu  Endt,  Vnd  ergeh  sich  mit  Hertz  vnd  Muth 

Mit  welcher  weiß  sie  offt  vnd  dick  Verständiger  Leuth  Warnung  gut, 

70    Widerstreben  Gott  vnd  dem  Glück  Die  es  mit  jhm  mainen  in  trewn, 

Vnd  wollen  zwingen  die  Natur,  Auff  das  jhn  nicht  erst  thu  gerewn  90 

Hawen  mit  Gwalt  vber  die  Schnur,  Der  Haudel,  so  es  ist  zu  spat 

Biß  sie  vnversehens  mit  Gfahr  Vnd  nicht  mehr  hilfft  getrewer  Rath 

Sambtlich  an  ein  Stock  fahren  gar.  Ehrlich  Kurtzweil  zu  aller  stundt 

75    Vnd  zutrüramern  geht  das  Scliiff,  Wie  auch  Gsellschafft  ist  wol  vergunst 

Ob  dem  Wasser  der  Trübsal  tieff  Nach  eines  jeden  Beruff  vndt  Standt  95 

Mit  noth  vnd  Jammer  herumb  schwemmen,  Oder  seinem  Einkommen  zuhandt, 

Daß  sie  sich  hernach  müssn  schemmen  Aber  wer  vber  sein  Vermögen 

Vnd  gantz  demütiglichen  schmügen,  Mit  Gwalt  wil  thon,  der  muß  erlegen. 

FINIS. 

16.   Der  Kunsthändler  Paul  Fürst  in  Nürnberg. 

Einen  Überblick  über  die  reiche  Produktion  der  älteren  volkstüm- 
lichen Bilderbogen  zu  gewinnen  hält  zurzeit  schwer.  Wir  brauchen  auch 
nach  Drugulins  Bilderatlas  (1863 — 1867)  und  Wellers  Annalen  der  poetischen 
Nation alliteratur  (1862 — 1864)  genaue  Verzeichnisse  der  Bestände  unsrer 
öfiPentlichen  Sammlungen  und  Übersichten  über  die  Tätigkeit  der  einzelnen 
Verleger^),  um  zu  einer  Datierung  der  einzelnen  Blätter  zu  gelangen. 
Nur  als  einen  bescheidenen  Versuch  auf  diesem  Gebiete  stelle  ich  hier 
einige  Notizen  über  den  fruchtbarsten  Verleger  von  Flugblättern  des 
17.  Jahrhunderts,  den  Nürnberger  Paul  Fürst,  zusammen. 

Paul  Fürst  war  zufolge  den  Messkatalogen ^)  von  1638 — 1666  als 
Buchhändler  in  Nürnberg  tätig,  muss  also  vor  1615  geboren  sein.  Er 
übernahm  das  Geschäft  des  1635    verstorbenen    Buch-  und  Kunsthändlers 


1)  In  Augsburg  druckten  Bilderbogen  Dominicus  Custodis  (1.397 — 1603),  Christoph 
Mang  (1612),  Sara  Mangin  Wittib  (1618),  Martin  Wörle  (um  1620),  Hans  Jörg  Mannasser 
(1621—1623),  Daniel  Mannasser  (1621—1623),  David  Jlannasser  (1630),  Mattheus  Rembold 
(1622—1630),  Lucas  Schultes  (um  1622),  Christoph  Greutter  (1622),  Job.  Klockher  (1626 
bis  1629),  Marx  Anthoni  Hannas  (um  1640),  Job.  Umbach  (1648),  Martin  Zimmermann 
(1649—1653);  in  Darmstadt  Balthasar  Hofmann  (1619);  in  Frankfurt  a.  M.  Conrad 
Corthoys  (um  1600),  Eberhard  Kieser  (1620);  in  Kempten  Stephan  Michelspacher  (1614 
bis  1617);  in  Köln  Peter  Overadt  (1593),  Job.  Bussemacher  (1604—1616),  Gerhard  Altzen- 
bach  (1648.  Merlo,  Kölnische  Künstler  1895  S.  40):  in  München  Peter  König;  in  Nürn- 
berg, wo  für  das  16.  Jahrhundert  Hampe  (Nürnberger  Ratsverlässe  über  Kunst  1904: 
auch  H.  Sachs  ed.  Keller-Goetze  24,  242f.)  treffliche  urkundliche  Nachweise  lieferte,  Peter 
Isselburg  (1614-1616),  Balthasar  Caymox  (1622),  Joh.  Hofmann  (1658—1674);  in  Speier 
Mattheus  Buschweller  (1620);  in  Strassburg  Jacob  von  der  Heyden  (1()16),  Marx  von 
der  Heyden,  A.  Aubry  (1668)  usw. 

2)  G.  Schwetschke,  Codex  nuudinarius  1850  S.  94ff.  Bei  J.  F.  Roth,  Geschichte  des 
Nürnberger  Handels  3,  36  (1801)  steht  nur:    Fürst,    Paul,    Kunst-  und  Buchhändler,  1663. 

13* 


196  Bolte: 

Balthasar  Caymox^),  deu  er  1642  seinen  „geliebten  Herrn  Yhr  Schwer- 
vater" nennt  ^)  und  als  dessen  Erbe  er  schon  1640  auftritt.  1646  ward  er 
unter  die  Genannten  des  Grösseren  Rates  aufgenommen^).  Sein  Tod  fällt 
nach  Roths  Angabe  ins  Jahr  1666,  was  durch  die  Messkataloge  bestätigt 
wird;  denn  hier  erscheinen  von  1667 — 1696  nur  Paul  Fürsts  Erben  oder 
Paul  Fürsts  Witwe  und  Erben.  Da  in  den  Totenbüchern  von  St.  Sobald 
in  Nürnberg*),  die  Herr  Archivrat  Dr.  Mummenhoff  von  1662  —  1697 
freundlichst  für  mich  durchgesehen  hat,  sein  Name  nicht  begegnet,  muss 
er  ausserhalb  Nürnbergs,  etwa  auf  einer  Geschäftsreise,  verstorben  sein. 
Wenn  trotzdem  ein  1678  neu  aufgelegtes  Werk  D.  Meisners  ^),  eine  Ab- 
bildung des  Marktplatzes  von  1675  und  ein  Papstporträt  von  1689  (unten 
nr.  74-76)  den  Druckvermerk  tragen:  'Paulus  Fürst  excu[debatj',  so  ist 
diese  Beibehaltung  der  alten  Firma  als  eine  nachlässige  Geschäftspraxis 
bei  Neuauflagen  anzusehen  und  beweist  keine  längere  Lebensdauer  Fürsts. 
Es  überlebten  ihn  seine  Witwe,  ein  1697  un vermählt  verstorbener  Sohn 
Georg  Paulus®)  und  drei  Töchter^),  von  denen  eine  den  Buchhändler 
R.  J.  Helmers  heiratete*)  und  eine  andere, 'Magdalena  (1652 — 1717)  sich 
als  Blumenmalerin  hervortat;  sie  war  eine  Schülerin  von  J.  Fischer  und 
Sibylle  Merian^). 

Yon  Fürsts  Yerlagsartikeln  beschäftigen  uns  nicht  die  Bücher,  die 
sich  aus  den  Messkatalogen  ohne  Mühe  feststellen  lassen'"),  sondern  die 
mit  Kupferstichen  gezierten  Flugblätter,  die  einst  als  Wandschmuck 
in  viele  Bürger-  und  Bauernhäuser  drangen  und  sich  in  den  Mappen  von 


1)  Vgl.  unten  nr.  1  (1G40)  und  die  neue  Auflage  von  J.  Sauberts  Emblemata  sacra 
(1646.  1647).  Caymox,  der  1596—1630  verschiedene  Bücher  herausgab  (Schwetschke 
S.  33.  Ein  Bilderbogen  von  1622  unten  S.  197  zu  nr.  3),  starb  1635  im  52.  Lebensjahre 
(Nagler,  Künstlerlexikon  2,  278). 

2)  In  der  Widmung  zu  der  1638  begonnenen  achtbändigen 'Sciographia  cosmica,  d.  i. 
Newes  Emblematisches  Büchlein'  des  Deutschböhmen  Daniel  Meisner  an  den  Nürnberger 
Ratsherren  Hans  Wilhelm  Kress  von  Kressenstein. 

:))  Roth,  Genanntenbuch  1802  S.  127. 

4)  Da  Fürst  in  der  Zisselgasse  wohnte,  gehörte  er  in  diesen  Sprengel. 

5)  Libellus  novus  politicus  emblematicus,  pars  5 — 8.    1678  (München  K.  Bibl.). 

6)  Totenbücher  von  St.  Sebald  1697,  zum  8.  Oktober:  'Der  Erbar  und  Fürnehni  Georg 
Paulus  Fürst,  des  Erbaren  und  Fürnehmen  Paulus  Fürsten  seel.  hinterlassener  Sohn  in  der 
Zießelgaß'. 

7)  Auf  einem  kleinen  Kupferstiche  der  Nürnberger  Stadtbibliothek,  der  drei  mit 
Handarbeiten  beschäftigte  Damen  und  zwei  daneben  sitzende  Herren  zeigt,  ist  hsl.  beige- 
fügt; 'Paul  Fürsten  Töchter'. 

8)  G.  A.  Seyler,  Geschichte  der  Heraldik  1889  S.  549. 

9)  Nagler,  Künstlerlexikon  4,  523. 

10)  Ausser  den  bereits  angefühlten  Werken  verzeichne  ich  beispielsweise  J.  Vogel, 
Icones  mortis  sexaginta  imaginibus  (nach  Holbein.  1648);  G.  P.  Harsdörft'ers  Trincierbuch 
(1649.  1657.  1664);  A.  Bosse,  Etzbüchlein  verteutscht  durch  G.  A.  Böckler  (1652.  Nach 
dem  Traicte  des  manieres  de  graver  en  taille  douce  sur  l'airin  1645);  J.  Siebmachers 
Wappeubuch  1—5  (1655—1667;  Bd.  1-4  von  Harsdörffcr) ;  Die  Drillkunst  (1664):  Ortelius 
redivivus  et  continuatus,  oder  der  ungarischen  Kriegs- Empörungen  historische  Beschreibung, 
vermehrt  durch  Martin  Meyern  (1()65). 


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Bilderbogen  des  IG.  und  17.  Jahrhunderts.  197 

Kunstliebhabern  teilweise  bis  heut  erhalten  haben.  Da  sich  Fürst  nirgends 
als  Stecher*),  sondern  nur  als  Drucker  und  Verleger  bezeichnet,  so  wird 
sich  seine  Tätigkeit  auf  die  Auswahl,  Zurichtung  und  den  Vertrieb  dieser 
Bilderbogen  beschränkt  haben.  Findig  und  in  bezug  auf  Prioritätsrechte 
wenig  skrupulös,  druckte  er,  was  dem  Geschmacke  des  Publikums  am 
meisten  entsprach:  Abbildungen  bekannter  örtlichkeiten,  historischer  Be- 
gebenheiten und  Porträts,  erbauliche  Stücke,  vor  allem  aber  lustig 
spottende  und  für  uns  als  Sittenbilder  wertvolle  Satiren  auf  Laster  und 
Modetorheiten,  auf  das  zarte  Geschlecht,  das  klatschende  Gesinde,  die 
Bauern,  auch  Schwanke  und  Tierfabeln.  Er  griff  sowohl  auf  Dürer  (84) 
und  Beham  (53)  zurück  wie  auf  die  späteren  Meister  P.  Isselburg  (3.  44), 
H.  Troschel  (3),  31.  Merian  (9),  A.  Khol  (22),  Heberlein  (2),  Sadeler  (36), 
A.  van  Ostade  (52),  Bosse  (29.  61  —  64),  Lievens  (76),  Ambrosius  Franck 
(68—75),  G.  Sti-auch  (77),  Columbiua  (15)  und  Anonyme  (20.  24.  25.  31. 
35.  37.  40.  42.  43.  55.  59.  67.  88.  89),  hielt  aber  immer  auf  eine  soro-- 
fältige  und  geschmackvolle  Ausführung.  Die  Modernisierungen,  die  er 
öfter  mit  den  Texten  vornahm,  mögen  vielfach  sein  Eigentum  sein;  gab 
er  doch  auch  1663  eine  türkische  Chronik")  heraus,  bei  der  wohl  nicht 
bloss  der  Bilderanhaug  und  die  Vorrede  von  ihm  herrühren.  In  zwei 
Flugblättern  (25.  41)  liegen  Spruchdichtungen  des  alten  Meisters  Hans 
Sachs  zugrunde,  drei  andere  (2.  46.  79)  enthalten  Lieder  seiner  Zeit- 
genossen S.  von  Birken  und  J.  Klaj.  So  können  wir  den  nachhaltigen 
Erfolg,  den  seine  Bilderbogen  errangen,    als   einen  verdienten  bezeichnen. 

A.  Datierte  Blätter  (l(i40-1664). 

1.  Venus  die  Göttin  sehr  ergrimmt,  |  Wenn  ein  Alter  ein  Junge  nimpt,  |  Dann  nicht 
vngereimbters  seyn  kan  |  Als  ein  jung  Weib  vnd  alter  Mann.  (Greis  umarmt  eine  Jung- 
frau, daneben  der  Dichter).  Koenig  David,  als  er  war  alt  ...  (o6  Verse').  Nürnberg,  bey 
Paulus  Fürst,  Balthasar  Caymox  Sei.  Erben  zu  finden.  Gedruckt  im  Jahr  Christi  1G40.  — 
(Berlin  KL).    Zum  Motiv  vgl.  Bolte.  Tijdschr.  voor  nederl.  Taalkunde  lo,  146f. 

2.  Nürnbergisches  Denkwürdiges  Freuden  Fest,  wegen  deß  Völlig-geschlossenen. . . 
Reichs-Friedens  den  2(;/lG.  Junij  jetzlaufifenden  1650.  Jahrs.  (Bild:  Abfahrt  der  Gesandten. 
Leonhart  Heberlein  inven.  A.  Khol  sculps.).  Dazu  ein  Gedicht  von  J.  Klaj:  Es  liegt 
in  Nordgaus  Land.  —  (Berlin  KB.).    Drugulin  2,  nr.  2328. 

:').  Magengifft,  d.  i.  Eines  alten  Schlemmers  Klage  über  seinen  bösen  Magen.  Ich 
alter  armer  Man  muß  leider  meinen  Magen...  Nürnberg,  Bey  Paulus  Fürst  1G51.  — 
(Berlin  KB.  und  Kk.,  Braunschweig,  Coburg,  Dresden,  Wolfenböttel).  Weller  1,  :j85.  — 
Nach  einem  Stiche  von  Hans  Troschel  (f  1633)  'Magengifft,  Nürnberg  bey  Peter  Issel- 
burg Kupferstechern  zu  finden'  (München,  Ulm,  Wolfenbüttel.    Weller  2,  559"    Diederichs, 


1)  Von  Stechern  nennt  sich  nur  Peter  Paul  Troschel  (nr.  16.  46.  47.  90),  A.  Khol  (2), 
M.  van  Somer  (17),  L.  Schnitzer  (18),  G.  Walch  (57);  einmal  erscheint  der  Drucker 
H.  Pillenhofer  (66);  Sauberts  Emblemata  sacra  (1625)  sind  meist  von  P,  Isselburg  (Merlo, 
Kölnische  Künstler  1895,  S.  459),  D.  Meisners  Sciographia  cosmica  (1638—1642)  zum  Teil 
von  Seb.  Furck  in  Frankfurt  (1589—1666.  Nagler,  Monogrammisten  4,  nr.  4054 f.  4085) 
gestochen. 

2)  Türckische  und  Ungarische  Chronica.  Nürnberg,  In  Verlegung  Paul  Fürsten, 
Kunsthändlern,  Gedruckt  daselbst  bey  Christoff  Gerhard  1663.    Folio   (München  K.  Bibl.\ 


198  Bolte: 

Deutsches  Leben  in  der  Vergangenheit  2,  nr.  1158),  der  auch  mit  dem  Vermerk  vorkommt: 
Nürnberg-,  bei  Balthasar  Caymox  zu  finden  1G22  (reprod.  bei  Scheible,  Die  fliegenden 
Blätter  1850  S.  108  -  11".). 

4.  Spiegel  einer  Christlichen  und  friedsamen  Haußhaltung.     1651.  —  (Wolfenbüttel ). 

5.  Pulsiloquium  spirituale.  Eröffne  dich,  o  schwacher  Mund...  1651.  —  (Wolfen- 
büttel). 

6.  Lustiges  Gespräch  Eines  alten  Greißen,  wie  es  jhme  auff  seiner  jungen  Bulschafft 
und  Freyerey  ergangen.    1652.  —  (Wolfenbüttel). 

7.  Aller  Verlaßnen  Wittiben  vnd  Vatterlosen  Waysen...  Gebett.  1652.  —  (Wolfen- 
büttel;. 

8.  Neuer  Eathschluss  der  Dienst-Mägde.  Verzeih  mir,  Jungfer  Mäid,  wann  dir  diß 
nit  behag,  Ich  sag  dir,  was  Du  thust,  thu  du  nicht  was  ich  sag.  (Ich  weiß  nicht,  hab 
ich  jüngst  im  Traume  nur  ge[se]hen  (136  V.).  1652.  —  (Nürnberg).  Reprod.  bei  Hirth, 
Kulturgeschichtl.  Bilderbuch  5,  1747  nr.  2603.  -    Vgl.  nr.  48.  90. 

9.  Lustige  Abbildung  Der  drey  Natürlichen  Lüsten  deß  Menschen  hier  auff  Erden. 
(Kindheit,  Jugend,  Alter).  1652.  —  (Dresden,  Nürnberg).  Wohl  nach  einem  Blatt  von 
M.  Merian:  Von  dreyen  natürlichen  Lüsten  des  Menschen.  Es  ist  ein  Sprichwort,  welches 
kan...  (Weller  2,  488). 

10.  Geld  regirt  die  Welt.  Du  edles  Fräulein  Geld  (64  V.\  1652.  —  (Berlin  Kk., 
Coburg,  Gotha,  Nürnberg,  Wolfeubüttel).  Weller  2,  485.  Reprod.  bei  Steinhausen,  Der 
Kaufmann  1899  S.  9().    Vgl.  Bolte,  ZfdA.  48,  53 f. 

11.  Der  Thier  und  Jäger  Krieg.  Alles  ist  nun  umbgekehret,  was  man  fast  siht  in 
der  Welt...     (Erstürmung  einer  Festung).    1652.  —  (Nürnberg).     Vgl.  nr.  66. 

12.  Lobspruch  deß  edlen,  hochberühmten  Krauts  Petum  oder  Taback.  Ein  Sprich- 
wort heist:     Was  gut  ist,  ist  weit  her...  1652.    —    (Dresden,  Wolfenbüttel).    Vgl.  nr.  28. 

13.  Eigentlicher  Abriss  der  Reichstages  Solennitet  so  in  Regensburg  bey  eröfnung 
der  Kaiserlichen  Proposition  gehalten  worden.     [1653].  —  Drugulin  2,  221.  nr.  2384. 

14.  Kronungs-Adler  Deß  Allerdurchleuchtigsten  . . .  Herrn  Ferdinands  deß  IV.  Er- 
wählten Römischen  Königs  (Beschreibung  der  Regensburger  Feier  am  18.  Juni  1653).  — 
(Berlin  Kk.\ 

15.  Der  Doctor  Schnabel  von  Rom.  J.  Columbina  ad  vivum  delineavit.  1656. — 
(Gotha).    Reprod.  bei  H.  Peters,  Der  Arzt  190(J  S.  58. 

16.  Iconographia  arcus  triumphalis  invictissimo  Caesari  Leopoldo  .  .  .  positi.  Die 
6./16.  Augusti  Anno  1658.     P.  Troschel  sculpsit.   —  (Berlin  KB.)     Drugulin  2,  nr.  2470. 

17.  Abbildung  welcher  gestalt  die  Rom.  Kais.  Maj.  Leopoldus  ...  zu  Nürnberg  . . . 
ist  eingeholet  worden  den  (;./16.  Augusti  im  J.  1658  (NV;  Somr.  ad  vivum  del.  et  sculps.).  — 
(Berlin  KB.).  Der  Stecher  Mathias  van  Somer  erscheint  1649  in  Rotterdam,  dann  in 
Köln  und  Nürnberg  (noch  1663),  1667  in  Regensburg. 

18.  Abbildung  und  Beschreibung  des  herrlichen  Siegs,  welcher  . . .  den  19.  Julii  1664 
von  den  Christen  wider  die  Türeken  erhalten  worden.  (L.  Schnitzer  feeit).  —  (Berlin 
KB.).    Drugulin  2,  nr.  2618. 

B.    Undatierte  Blätter  (um  1638-1666)^). 

19.  Spottstreitt  Der  alten  und  neuen  Manns-  und  Weiber-Tracht.  Junger  Teutscher 
Kleider  Geck,  sag  was  gelten  die  Frantzosen  ...  —  (Braunschweig,  Coburg). 

20.  Gantz  New  eröffneter  Bartkram,  Darinnen  24.  Sorten  allerhand  zierliche  .  .  . 
Barte  zu  finden.  —  (Dresden,  Wolfenbüttel).  Nach  einem  bei  Diederichs,  Deutsches 
Leben  2,  nr.  1148  reproduzierten  älteren  Stiche  (Nürnberg):  vgl.  Bolte,  Jahrbuch  f.  Gesch. 
Elsass-Lothr.  13,  169'. 


1)  Möglicherweise  befinden  sich  unter  diesen  undatierten  Blättern  einige,  die  gleich 
nr.  85-87  Paul  Fürsts  Namen  mit  Unrecht  tragen,  d.  h.  erst  nach  seinem  Tode  her- 
gestellt sind. 


Bilderbogen  des  10.  und  17.  Jahrhunderts.  199 

21.  New  aaßgebildeter  jedoch  wahrredenter  ja  rechtschaffener  Auffschneider  vnd 
übermühtiger  Großsprecher.  Ich  schwer,  ich  habe  mehr  als  tausend  mal  gesehen  (GOV.). 
—  (Berlin  KB.,  Gotha.  München,  Nürnberg).     Vgl.  oben  S.  193. 

22.  Kurtzweilige  Vnterredung  Eines  grossen  Riesens  vnd  eines  kleinen  Männleins. 
Hol  Roland,  sey  gegrüst  von  einem  Erdgewürme  (8U  V.).  —  (Berlin  Kk.,  Nürnberg, 
Wolfenbüttel).  Wohl  nach  einem  undatierten  Kupferstiche  des  1G56  verst.  A.  Khol 
(Weller  2,  489). 

23.  Speculum  bestialitatis  Das  ist:  Der  unvernünfftigen  Thier:  oder  Narrenspiegel  .  .  . 
Pythagoras  thut  fabulirn  (132  V.).  —  (Braunschweig,  Coburg,  Nürnberg,  Wolfenbüttel). 
Reproduziert  oben  17,  438. 

24.  Die  Verkehrte  Welt  hie  kan  Wohl  besehen  Jedermann.  25  Bilder  mit  je  zwei 
Versen.  —  (Braunschweig,  Gotha).  Abgedruckt  oben  15,  IGl  mit  Hinweis  auf  ein  älteres 
Vorbild. 

25.  Der  heutigen  Welt  Lauff.  (Stich:  ein  vorn  und  hinten  bespannter  Wagen\ 
Lateinisches  und  deutsches  Gedicht.  —  (Nürnberg).  —  Stimmt  vermutlich  überein  mit 
dem  Blatt  o.  0.  u.  J.  Der  Welt  Lauff.  Hie  sih,  gut  Freund,  zum  Augenschein.  (Wolfen- 
bütteli.  Vorbild  war  wohl  ein  durch  Hans  Sachsens  Spruch  'der  Zuchtwagen'  (ed. 
Keller-Goetze  23,  360.  58(i.  Boesch,  Kinderleben  1900  S.  48  Taf.)  angeregtes  Blatt 
'Currus  cursus  mundi'  (Coburg). 

26.  Daß  Lachen  stehet  ja  Für  alle  Menschen  frey,  Drümb  Lachen  Du  und  Ich,  Wir 
Narren  alle  zwey.     (Stich:  ein  lachender  Narr).  —  (Nürnberg). 

27.  Ein  Narr,  welcher  Schellen  an  die  Kappe  nähen  will.  —  Drugulin  1,  nr.  2576. 
Kopie  nach  einem  Stiche  von  M.  Quad  v.  J.  1588. 

28.  Tabacologia.  Das  ist  Lobspruch  deß  edlen  Krauts  Petum  oder  Tabac.  Ich 
kom  von  fernen  vber  Meer  (99  V.).  —  (Gotha).  Reprod.  bei  Hirth,  Bilderbuch  4,  1170 
nr.  1712.  —  Vgl.  nr.  12. 

29.  Der  Schulmeister.  (A.  Bosse  inv.)  —  Drugulin  1,  nr.  1329.  Vgl.  G.  Duplessis, 
Catalogue  de  l'oeuvre  de  Abraham  Bosse  1859  nr.  1389  (Revue  des  arts). 

30.  Der  Neue  Allamodische  Postpost.  Ich  bin  die  Post  zu  Fuß,  Ich  trage  diß  und 
das  (12  V.).  —  (Coburg). 

31.  Allamodischer  Niemandt.  Ich  bin  ie  ein  vnschuldig  Mann  (32  V.).  —  (Berlin 
Kk.,  Brauuschweig,  Gotha).     Bolte,  Jahrbuch  der  d.  Shakespearegesellschaft  29,  15. 

32.  Trawrige  Klag  vber  den  erbärmlichen  Abschied  deß  wolbekandten  Herrn 
Credits  ,  .  .  Hör,  Wandrer,  was  in  kurtzer  Frist  (90  V.).  —  (Berlin  Kk.,  Wolfenbüttel). 
Reprod.  bei  Steinhausen,  Der  Kaufmann  1899  S.  82. 

33.  Geld  zeucht  die  Welt.  —  (Nürnberg). 

34.  Da  kommet  der  Karren  mit  dem  Gelt,  Freu  dich!  aufl  du  verarmte  Welt. 
(Stich:  Jungfrau  auf  einem  mit  Geldsäcken  beladenen  Wagen,  den  mehrere  Teufel  ge- 
leiten). Man  hat,  seither  der  Fried  in  Teutschland  wiederkommen.  —  (Dresden,  Wolfen- 
bütteli. 

.35.  Spanneuer  geflochtener  Freyerkorb,  Allen  Jungen -Gesellen  und  Jungfern  .  .  . 
Es  giebet  von  neuen  ein  neues  entzweyen  (46  V.).  —  (Wolfenbüttel).  Reproduziert  oben 
19,  53 f.  nebst  dem  älteren  Vorbilde. 

36.  Manns  manum  lavat.  (P.  Troschel  sculpsit).  Schaut!  Ehen  die  werden  im 
Himmel  beschlossen  (16  V.).  —  (Nürnberg).  Reprod.  bei  Diederichs,  Deutsches  Leben  2, 
nr.  1102.  Vorbild  war  wohl  ein  gleichbetitelter  Stich  von  Job.  Sadeler  nach  Frid.  Sustris 
(Berlin  Kk.    Hirth,  Bilderbuch  3,  989  nr.  1509). 

37.  Der  Jungfrauen  Narrenseil.  Mein  Seil  ist  aufgespannt,  zu  narren  die  Gesellen 
{12  V.).  —  (Wolfenbüttel).    Reproduziert  oben  19,  56f.  nebst  dem  älteren  Vorbilde. 

38.  Eigene  Schuldbekäntnüß  Einer  so  genandten  vnd  vermeinten  Jungfraw  Ader- 
lässerin.  Eine  Jungfrau  hat  in  Schertzen  (14  Str.).  —  (Wolfeubüttel).  Zu  diesem  Schwanke 
vgl.  Montanus.  Schwankbücher  1899  S.  573.  652.  ZfdPh.  40,  418.  H.  Sachs,  Fabeln  5, 
342  Nr.  813. 

39.  Des  holdseligen  Frauenzimmers  Kindbeth-Gespräch.  Als  Jüngsten  eine  Frau 
•war  in  die  Wochen   kommen  (148  V.).  —  (Dresden,   Nürnberg).    Weller  1,   409.    Reprod. 


200  Bolte: 

bei  Boesch,  Kinderleben  1900  S.  24  und  Hirth,  Bilderbuch  5,  1774  Nr.  2632.    Wohl  nach 
einem  älteren  Stich  in  Merians  Manier  (Drugulin  1,  nr.  2557). 

40.  Neweröffneter  Ernsthaffter  Männerbefehlich.  Wir  groß-  und  Ertzhertzog  (80  V.). 
—  (Dresden,  Gotha,  Nürnberg,  Wolfenbüttel).  Weller  2,  485.  Eeproduziert  oben  15,  41 
und  bei  Diederichs,  Deutsches  Leben  2,  nr.  1095.  Ein  'Männer  Mandat'  in  Prosa  sah  ich 
in  Gotha. 

41.  Offt  Probiertes  und  Bewährtes  Recept  oder  Artzney  für  die  böße  Kranckheit  der 
unartigen  Weiber.  Es  war  ein  Junggesell...  —  (Berlin  KB.,  Wolfenbüttel).  Drugulin  1, 
nr.  2564.  —  Es  ist  der  Schwank  des  Hans  Sachs  von  den  neun  Häuten  (ed.  Keller 
Goetze  24,  164  Enr.  161h;  vgl.  Fabeln  1,  nr.  54  und  oben  8,  163.  11,  258.  20,  182»). 

42.  Ein  New  auffgethanener  Köpff  kram,  Darinnen  allerliand  possierliche  wolanständige 
Männer  vnd  Weiber  Köpffe  vor  Junge  vnd  Alte  Personen  befindlichen.  Es  ist  ein  altes 
Wort  vnd  waares  Wort  im  Land  (48  V.).  —  (Berlin  KB.,  Braunschweig)..  Abgedruckt  im 
Jahrbuch  f.  Gesch.  Elsass-Lothr.  13,  KiSf.  nebst  Nachweis  des  Vorbildes  (ZdA.  28,  79: 
Moscher osch);   vgl.  auch  Diederichs,   Deutsches  Leben  2,  nr.  1098  'Weiterhaupt  Artzt\ 

48.  Künstliche  Winnd-Müll:  Auff  welcher  mann  die  Alten  .  .  .  Weiber  widerumb 
gantz  Schön  vnd  Sauber  durchmallen  vnd  herauß  Beiteln  kan.  Zu  wissen  sey  hiemit 
(Prosa).  —  (Berlin  KB.,  Coburg,  Gotha).  Vgl.  Bolte,  Archiv  f.  neuere  Sprachen  102,  245, 
wo  auch  eine  metrische  Vorlage  mit  einem  Stiche  von  GAB  nachgewiesen  ist. 

44.  Bericht,  Wie  es  gehe  gar  nach  dem  A  B  C,  welche  sich  zur  Ehe  unbesonnen 
gebn.  —  (Dresden,  Wolfenbüttel).  Nach  dem  Flugblatte  P.  Isselburgs  von  1616  mit 
dem  Gedichte  von  Cheruspatte  Faron,  d.  i.  R.  v.  Castenhof,  reprod.  bei  Hirth,  Bilder- 
buch ',),  1067  nr.  1596  und  Diederichs,  Dtsch.  Leben  2,  nr.  1596  (Braunschweig,  München, 
Nürnberg,  Wolfenbüttel),  das  auch  1616  bei  J.  Büssemächer  in  Colin  erschien  (Gotha). 

45.  Kurtzweilige  Erzehlung  einer  Frawen  im  Elsaß,  welche  bey  nächtlicher  Weil 
jhrem  Mann  die  Taschen  geraumet,  vnd  wie  sie  sich  selber  drüber  verrahten  müssen.  Kommet 
nur  alle  her,  sehet  die  Tasche  hier  hangen  .  .  .    (Wolfenbüttel). 

46.  Die  Weiber-Treu  der  Frauen  zu  Weinsberg  (P.  Troschel  sculp.)  Lasset  uns 
ein  Liedlein  singen  (12  Str.  von  S.  v.  Birken).  —  (Berlin  KB.,  Wolfenbüttel).  Weller  2, 
49.    Drugulin  1,  nr.  2981.     Montanus,  Schwankbücher  1899  S.  617. 

47.  Hierinnen  man  befind  Daß  recht  loß  Haußgesind.  (P.  Troschel  sculpsit).  Wer 
einen  Sohn  hat  der  gerne  spielt  (12  V.).  —  (Berlin  KB.,  Nürnberg). 

48.  Ein  Rahtschluß  der  Dienst  Mägde.  —  (Wolfenbüttel).     Vgl,  nr.  8.  90. 

49.  Nürnbergische  Bäurin  und  Bauer.  —  (Braunschweig,  Nürnberg).  Reprod.  bei 
Diederichs,  Deutsches  Leben  2,  nr.  1072. 

50.  Newe  Bawren-Klag  Vber  die  unbarmherzigen  Bawren-Reuter  dieser  Zeit  .  .  . 
Ist  auch  jetzt  wol  ein  Mensch  in  dieser  Welt  zu  finden  (56  V.)  —  (Gotha).  Reprod.  bei 
Bartels,  Der  Bauer  1900  S.  120  Tafel. 

51.  (Der  Advokat  und  die  Bauern.)  Rabula  de  tabula  nil  dat  nisi  pinguia  dona  .  .  . 
Der  Zungendrescher  nimbt  Gelt,  Butter,  Hüner,  Endten  ...  —  (Gotha). 

52.  (Der  Bauer  beim  Wundarzt.)  Kein  Narr  ist  klug,  er  werde  dann  geschlagen 
(12  V.).  —  (Nürnberg).  Nach  A.  van  Ostade.  Reprod.  bei  Diederichs,  Deutsches 
Leben  2,  nr.  1049. 

53.  Kurtzweilige  Beschreibung  der  löblichen  Spinn-  und  Rockenstuben.  Mein  lieber 
Leser,  steh  hier  still  (91  V.).  —  (München).  Weller  2,485  (P.  Troschel  fec).  Wendeler, 
Archiv  f.  Litgesch.  7,  .T).'!  und  oben  15,  28. 

54.  Abbildung  und  entwurff  der  Sieben  Frommen  und  Redlichen  Schwaben. 
8  Alexandriner.  —  (Nürnberg).     Abgedruckt  in  Montanus  Schwankbüchern  1899  S.  597. 

55.  Historia  von  den  Sieben  frommen  vnd  redlichen  Schwaben.  44  Verse  in  schwä- 
bischer Mundart.  —  (Gotha).  —  Vgl.  das  bei  Diederichs,  Deutsches  Leben  2,  nr.  952  und 
oben  4,  435  reproduzierte  Blatt  o.  0.  u.  J. 

56.  (Künstler-Elend.)  Stich  von  G.  Walch:  ein  Maler  sitzt  in  seiner  ärmlichen 
Werkstatt  mit  seiner  Frau  und  zwei  Kindern.  Ars  mendica  gemit  . . .  Wo  krieges-Unfal 
hat  ...  —  (Berlin  KB.). 

57.  Unvorgreiflf liebes  Bedencken  Lucas  und  Leckes    über   den  Spruch   Der  Mars  ist 


Bilderbogen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  201 

nun  im  Ars.  Der  Krieg  und  ^Ears  gewinnen  nun  ein  loch  ...  —  (Berlin  KB.).  Vgl.  den 
Kupferstich  G.  Altzenbachs  bei  Diederichs,  Deutsches  Leben  2,  nr.  1067. 

ö8.  Newauffgerichte  Verträgliche  Brüderschafft  eines  Frantzösischen  vnd  teutschen 
Soldatens.  —  (Gotha). 

50.  Halsprunner  Hof  zu  Nürnberg.  (Fechtspiel).  —  (Nürnberg).  —  Nach  einem 
Stiche  von  1623. 

60.  Omnium  Pontificum  a  S.  Petro  vsque  ad  praesentem  [Innocentium  X.]  Effigies 
ab  antiquis  diligenter  extractus.     ("246  Porträts  in  10  Eeihen).  —  (Berlin  KB.). 

61 — (i4.  Die  vier  Jahreszeiten  nach  A.  Bosse.  —  (Hamburg).  Reprod.  bei  Diede- 
richs,  Deutsches  Leben  2,  nr.  1039—1041.  Vgl.  G.  Duplessis,  L'a'uvre  de  Abr.  Bosse  1809 
nr.  1082—1085. 

65.  Das  langgeohrte  Thier,  das  sonsten  sich  bequemet  (12  V.  Stich:  ein  Esel  im 
Bett,  von  Hasen  bedient).  —  (Nürnberg). 

66.  Der  Maus  und  Katzen  Krieg.  (Stich:  Belagerung  einer  Festung.  Gedicht  in 
Alexandrinern).     Gedruckt  bey  Heinrich  Pillenhof  er.  —  (Nürnberg).     Vgl.  nr.  11. 

67.  Der  Wolff  den  Gänssen  Predigt.  Paulus  Fürst  Excudit.  —  (Coburg).  Vgl. 
oben  17,  431. 

68—75.  Der  wohl  und  übel  gearte  Mensch.  Ambrosi  Franc  k  Liventor.  Paulus 
Fürst  Exeu.  8  Stiche  (18 :  26  an)  mit  je  8  Versen.  —  (München).  Ambrosius  Francken 
d.  ä.  starb  1618  in  Antwerpen. 

1.  Weisheit  und  Torheit,  mit  je  zwei  Schülern. 

Deß  Weisen  kluger  Sinn  gedenckt  auf  seinen  Gott 

Und  richtet  seinen  Weg  nach  dessen  Lehr  Gebott. 

Er  hält  sich  allzeit  für,  wie  man  im  tod  und  Leben 

Sol  Gott  vereinigt  seyn,  und  nach  dem  Himmel  streben.     . 

Der  thöricht  aber  spricht,  Ich  frage  nicht  nach  Gott; 

Es  halte  wer  da  wil,  die 'Göttlichen  Gebott, 

Die  Welt  ist  meine  Freud,  Ich  wil  im  tod  und  Leben 

Der  Welt  und  ihrer  Lust  nicht  säumen  nachzustreben. 

2.  Hoffart,  Unnötige  Sorge,  Demut.  —  3.  Glaub,  Unglaub.  —  4.  Neid,  Liebe.  — 
5.  Verzweifl'elung,  Hofnung.  —  6.  Ungehorsam,  Gehorsam.  —  7.  Wanckelmut,  Standhaftig- 
keit.  —  8.  Leben,  Tod. 

76.  (Zwei  Spieler  und  der  Tod.  Joannes  Lyvyns  [Lievens]  invent.  Paulus  Fürst 
excudit.)  Ruchloß  und  Wucherhold  ergrimmen  ob  dem  Spiel  (8  Verse).  —  (Gotha,  Nürn- 
berg).    Reprod.  bei  Diederichs  2,  nr.  1136. 

77.  So  treibet  mancher  Tod  der  Menschen  Lebens  lauff:  Das  Rad  hält  Angst  und 
Noht  zuletzt  der  Grabstein  auff.  (Ein  Rad  mit  13  Totentanz-Szenen :  G.  Strauch  inv.)  — 
(Katalog  80  von  A.  Weigel  in  Leipzig  1905  nr.  1991). 

78.  Passions-Schiff  . . .    Was  ist  diß  Elend  Leben  (K;  Str.).  —  (Wolfenbüttel). 

79.  Einer  Christglaubigen  angefochtenen  Seelen  Ritterliche  Angstkämpffung  .  .  . 
Ich  halt  dir  auß,  mein  Gott,  in  meinen  Nöthen  (12  Str.  von  J.  Klaj\  —    (Wolffenbüttel). 

80.  Christliche  Betrachtung  Der  nichtigen  Flüchtigkeit  zeitlicher  Güter.  Betracht, 
0  Seele,  wie  es  ist  (20  Str.).  —  (Wolfenbüttel). 

81.  Bußfertige  Beschreibung  schwermütiger  Gedancken.  Nun  hab  ich  meinen  Lauff 
vollend. . .  —  (Wolfenbüttel). 

82.  Der  Schönste  unter  den  Menschenkindern.  (Brustbild  Christi).  Die  Welt  ist  ie 
verkehret,  dieweil  sie  nicht  mehr  liebet  (24  V.).  —  (Coburg).  Benutzt  sind  die  alten  Verse 
der  Klagen  Christi:  Nd.  Kbl.21,  11.  .')4.  61  (19o0).  C.  Steinii  Peregrinus  2,  lo  (Königs- 
lierger  Univ.  progr.  1874).  Reinh.  Baku  Commentarius  in  psalterium  2,  354 b.  :'>,  226  a 
(1664).     Hörmann,  Haussprüche  aus  den  Alpen  1892  S.  151. 

83.  Schau,  welch  ein  Mensch,  o  Mensch,  wer  dich  und  deine  Sund  (4  V.  Christus 
an  der  Martersäule).  —  (Coburg). 

84.  0  Mensch I  Schau  an  diß  Martterbild  und  denck  in  deinem  Hertzen  (4  V.  Der 
gemarterte  Christus  sitzend,  nach  A.  Dürer).  —  (Coburg\ 


I 


202  M.  Bartels: 

C.  Blätter  aus  dem  Verlage  der  Witwe  Fürst  (1G67— 1G96). 

85.    Papst  Clemens  X.  [seit  1G70].    (Sitzbild.     Paul.  Fürst  exe.)  —  (Coburg). 
.S(i.   Papst  Alexander  VIII.,  creatus  1689.    (P.  Fürst  exe.)  —  (Coburg). 

87.  Eigentliche  Abbildung  des  Markts  der  L.  K.  Reichs  Statt  Nürnberg  mit  all  des- 
selben gelegenheit.    Paul.  Fürst,  excud.  1()7.').  —  (Nürnberg  Stadtbibl.). 

88.  Extract  zweyer  Particular-Schreiben,  Eins  an  Signor  Pladis,  von  den  Rebellischen 
Bauren  (im  Land  ob  der  Enß;  in  gebrochenem  Deutsch).  Bey  Paulus  Fürsten  Wittib.  — 
(Braunschweig,  Wolfenbüttel).  —  Abdruck  eines  älteren  Blattes  (Coburg). 

S9.  Wunderliche  Zeitung  Von  dem  neuen  Wunder-Krieg  und  erlangten  Weiber  Sieg. 
Hört  einen  neuen  Krieg!  Nach  dem  der  Fried  geschlossen  ((14  V.).  Bey  P.  Füi-sten  Wittib 
und  Erben.  —  (Dresden).    Abgedruckt  oben  8,  22 f.;  vgl.  15,  151. 

90a.  Neuer  Rathschluß  der  Dienst  Mägde.  P.  Troschel  fec.  Ich  weiß  nicht,  hab 
ich  jüngst.  .  .     Bey  Paulus  Fürsten  Wittib.  —  Weller  2,  485.     Vgl.  nr.  8.  48. 

90b.  Neuer  Rathschluß  der  Dienst-Mägde  (Beschliesserin,  Kindsmagd,  Köchin,  Hauß- 
magd,  Bauernmagd).    Bey  P.  Fürsten  Wittib  und  Erben.  —  (Dresden). 

Berlin. 


rber  europäische  und  malayisclie  Verbotszeichen'). 

Von  f  Max  Bartels. 


Wenn  dem  Städter  sich  einmal  die  erwünschte  Gelegenheit  bietet,  in 
der  ihm  knapp  zugemessenen  Sommerfrischzeit  auf  dem  Lande  einen 
Spaziergang  zu  machen,  so  begegnet  es  ihm  ab  und  zu,  dass  der  nahe- 
liegende Waldessaum  ihn  zum  Besuche  der  Waldeinsamkeit  einladet. 
Aber  von  dem  Walde  trennt  ihn  ein  grünbewachsenes  Feld  oder  eine 
Wiese,  'welche  sich  längs  der  staubigen  Landstrasse  hinzieht.  Ein  schmaler 
Fusspfad  führt  durch  dieses  Feld,  dessen  Einmündungssteile  in  die  Land- 
strasse man  glücklich  erreicht,  froh  darüber,  dass  man  nun  endlich  den 
brennenden  Sonnenstrahlen  entrinnen  könne.  Aber  da  findet  man  eine 
aufgerichtete  Stange  mit  einer  hölzernen  Tafel  daran,  auf  welcher  uns  die 
niederschmetternden  Worte:  Verbotener  Weg  entgegenstarren. 

Nicht  selten  wird  dem  Übertreter  des  Verbotes  auch  gleich  die  Strafe 
angedroht,  und  es  heisst  dann  auf  der  Tafel:  'Das  Betreten  dieses  (Jrund- 
stückes  ist  bei  Pfändung  verboten'. 

Wir  haben  hier  in  diesen  Warnungstafeln  Dinge  vor  uns,  w^elche  in 
die  Gruppe  der  sogenannten  Verbotszeichen  gehören.  In  der  soeben 
beschriebenen  Form  können  sie  natürlicherweise  auf  kein  sehr  hohes 
Alter  zurückblicken.  Denn  die  Zeit  liegt  nicht  viel  mehr  als  ein  halbes 
Jahrliundert  hinter  uns,  wo  ausser  dem  geistlichen  Herrn  und  dem  Schul- 
meister kein  einziger  Mensch  in  dem  ganzen  Dorfe    bis    zu  der  schweren 

1)  Vortrag,  am  20.  Oktober  1900  im  Verein  für  Volkskunde  gehalten.  Vgl.  oben 
10,  460. 


über  europäische  uud  malayische  Verbotszeichen.  203 

Kunst  des  Lesens  vorgedrungen  war.  Was  sollten  in  jener  Zeit  und  bei 
derartig  ungeschulten  Bauern  nun  also  wohl  geschriebene  Warnungstafeln 
helfen?  Hier  musste  man  sich  der  Zeichensprache  bedienen,  und  solche 
stumme  Verbotszeichen  sind  auch  heute  noch  vielfach  bei  uns  im  Ge- 
brauch. Aber  sie  werden,  soweit  ich  beurteilen  kann,  immer  seltener 
und  seltener,  uud  man  sollte  sie  für  die  volkskuudliche  Forschung  wohl 
durch  genaue  Beschreibungen  und  durch  Zeichnungen  oder  Photographien 
festzulegen  suchen,  bevor  sie  vollkommen  verschwunden  sein  werden.  Ich 
erinnere  hier  au  ein  paar  bekannte  Formen,  von  denen  mir  drei  im  Ge- 
dächtnis geblieben  sind. 

Die  erste  und  wohl  am  allerwenigsten  misszuverstehende  Form  ist 
der  kleine,  ausgehobene  Graben,  w^elcher  sich  quer  vor  den  Zugang  des 
verbotenen  Weges  legt  und  welcher  in  auo'onfällio-ster  Weise  zeisjt,  dass 
man  hier  nicht  gehen  dürfe.  —  Eine  zweite  Form,  nicht  minder  deutlich, 
ist  ein  langgestreckter,  kleiner  Haufen  von  abgeschnittenem  Dornen- 
reisig,  welcher  den  Anfang  des  Weges  sperrt.  —  Ferner  ist  dann  endlich 
noch  die  aufgerichtete  Stange  zu  erwähnen,  an  deren  oberstem  Ende  sich 
ein  angebundener  Strohwisch  befindet.  Um  dieses  Zeichen  richtig  zu 
deuten,  um  es  für  jedermann  verständlich  sein  zu  lassen,  muss  natur- 
gemäss  eine  sehr  lange  Zeit  verstrichen  sein.  Sonst  würde  es  uns  un- 
begreiflich bleiben,  wie  der  Sinn  und  die  Bedeutung  dieses  Verbots- 
zeichens derartig  in  Fleisch  und  Blut  der  gesamten  deutschen  Bevölkerung 
überzugehen  vermochte,  dass  es  jetzt  wohl  keinen  einzigen  Menschen 
gibt,  der  dasselbe  nicht  verstehen  sollte.  Wie  es  entstanden  ist,  wann  es 
eingeführt  wurde,  warum  man  gerade  ein  Strohbündel  wählte,  das  an  die 
Stange  angebunden  wird,  darüber  würde  es  sich  wohl  verlohnen,  weitere 
Forschungen  anzustellen. 

In  den  Weingärten  bei  Meran  sah  ich  kürzlich  hier  und  da  eine 
hochaufgericlitete  Stange,  an  deren  Spitze  sich  ein  Bündel  von  frischem 
Laube  befand.  Begreiflicherweise  hielt  ich  auch  diese  Stangen  für  Ver- 
botszeichen, um  so  mehr,  als  soeben  die  Trauben  die  zum  Essen  nötige 
Reife  erlangt  hatten.  Aber  mein  Kutscher  belehrte  mich  eines  Besseren. 
Xicht  Verbotszeichen  waren  es,  sondern  vielmehr  um  Einladungszeichen 
handelte  es  sich.  Sie  sagten  aus,  dass  hier  ein  sogenannter  Buschen - 
schank')  sich  befinde,  in  welchem  man,  ausser  einem  Trunk  Wein,  auch 
Käse  und  Brot,  aber  keine  warmen  Speisen  erhalten  könne. 

Ein  Verbotszeichen  kennen  die  Meraner  aber  auch.  Es  wird  nament- 
lich auch  an  ihren  Weingärten  zur  Zeit  der  Traubenreife  aufgerichtet. 
Es  ist  das  ebenfalls  eine  Stange  oder  eine  Latte,  deren  Schaft  mit 
Dornenzweigen  umwunden  ist.  An  dem  oberen  Ende  befindet  sich  eine  aus 
einem  Brett  roh  auso-esäg-te   flache  Hand  mit  aussiestreckten  Fingern.     So 


1)  [Vgl.  dazu  R.  Andree,  oben  17,  19.5.] 


204 


M.  Bartels: 


So  sieht  das  ganze  einem  Wegweiser  nicht  unähnlich.  Aber  derselbe  fordert 
nicht  auf,  den  Weg  in  den  Weingarten  hinein  zu  nehmen,  sondern  er  zeigt 
im  Gegenteil  an,  dass  derjenige,  der  den  Weingarten  betritt,  einer  Pfändung 
verfallen  würde.  Eine  solche  aufgerichtete  Hand  wird  als  des  Königs 
Handschuh  bezeichnet.  Die  kleine,  in  Fig.  1  wiedergegebene  photo- 
graphische Aufnahme,  die  ich  bei  Gargazon  in  der  Nähe  von  Meran 
gemacht  habe,  zeigt  solch  einen  Handschuh  des  Königs.  Dieser  Königs- 
liandschuh  war  schwarz,  ebenso  wie  einer,  den  ich  in  Nals  sah.  Ludwig 
von  Hörmann  (Das  Tiroler  Bauernjahr  1899)  sagt,  dass  die  Saltner- 
Hand,  wie  dieses    A'erbotszeichen    auch    noch    genannt    wird,    von  roter 


Fig.  1.    Des  Königs  Handschuh,  Verbotszeichen  an  einem  Weingarten  in  Gargazon 
bei  Meran  (hölzerne  Hand  an  einer  mit  Dornenzweigen  bebundenen  Stange). 


Farbe  sei  und  dass  manchmal  auf  dieselbe  noch  die  Figur  des  Teufels 
aufgemalt  würde,  um  dem  Verbotszeichen  melir  Respekt  zu  verschaffen. 
In  Italien  scheint  die  Einrichtung  der  Verbotszeichen  nicht  bekannt 
zu  sein.  Ich  habe  namentlicli  in  der  Lombardei,  sowie  in  Toscana 
und  Umbrien,  aber  auch  in  anderen  Teilen  des  Landes  vielfache 
Gelegenheit  gehabt,  ländliche  Gegenden  zu  besuchen,  aber  ich  kann  niicli 
nicht  erinnern,  jemals  ein  Verbotszeichen  gesehen  zu  haben,  obgleich  es 
die  Zeit  der  Fruchtreife  war.  Begreiflicherweise  werden  aber  auch  in  Italien 
die  Felder  in  besonders  gefährdeten  Gegenden  bewacht.  Aber  ein  Abzeichen 
habe  ich  niemals  an  irgend  einem  Menschen  bemerken  können,  das  ihn. 
wie  etwa  in  Tirol  den  Saltner,  als  Feldwächter  kenntlich  gemacht  hätte ^). 


1)  [Vielleicht  aber  bezeugt  eine  in  Florenz  spielende  Novelle  Boccaccios  (Decameron 
7,  1)   diesen  Brauch   wenigstens   für    das    14.  Jahrhundert.     Dort  benutzt  ein  Liebespaar 


über  europäische  und  malayische  Verbotszeichen. 


205 


An  der  Küste  des  Schwarzen  Meeres,  in  der  südlichen  Krim,  habe 
ich  Verbotszeichen  von  sehr  eigentümlicher  Form  gesehen,  durch  welche 
die  tatarisclien  Bauern  ihre  Weinberge  schützten  (vgl.  die  Skizze  in 
Fig.  2).  Auch  hier  war  es  die  hoch  aufgerichtete  Stange,  damit  das 
Zeichen  deutlicher  sichtbar  wird,  und  auf  diese  war  der  gebleichte 
Schädel  eines  Pferdes  oder  Kindes  aufgesteckt.  Er  war  mit  dem  soge- 
nannten grossen  Hinterhauptsloch  auf 
die  Stange  geschoben,  und  infolge- 
dessen war  sein  Schnauzenteil  gerade 
nach  oben  gerichtet.  Diese  weissen 
Schädel  hoben  sich  sehr  malerisch  von 
dem  dunkelgrünen  Weinlaube  ab.  Die 
Wächter  dieser  Weinberge  haben  sich 
in  den  höheren  Ästen  eines  Baumes 
eine  Art  von  Lagerstatt  bereitet,  von 
der  aus  sie  den  Weinberg  zu  über- 
sehen vermochten. 

Verbotszeichen  zum  Schutze  der 
landwirtschaftlichen  Anlagen ,  der 
Palmenpflanzungen ,  der  Bananen- 
gärten usw.  sind  auch  in  dem  malay_ 
ischen  Archipel  bekannt,  nament- 
lich im  Osten  desselben,  auf  den 
Inseln  des  alfurischen  Meeres,  welche 
sich  zwischen  Neu-üuinea  und 
Selebes  hinstrecken^).  Sie  werden 
gewöhnlich      mit      dem       malayischen  __ 

Namen    Matakäu    bezeichnet.       Ihre  ~     _       -  ~  _^~~-'^^     ^"^^  _     ~? 

Form     ist     eine    vielfach    wechselnde.      ...      ,    ,r    ,   ^     .  ,       ,      ,.  .    •    v. 

Flg.  2.    Verbotszeicnen  der  tatarischen 

Vor  den  Verbotszeichen  unseres  Vater-  Bauern  in  der  Krimm. 

landes  haben  sie  etwas  sehr  Wichtiges 

voraus.  Unsere  Verbotszeichen  warnen  den  Herannahenden;  aber,  wenn 
er  das  Verbot  übertritt,  so  kann  er  doch  nur  dann  der  angedrohten  Strafe 
verfallen,  wenn  er  von  dem  Feldwächter  ergriffen  wird.  Das  ist  nun  bei 
dem  Matakau  viel  besser.  Demselben  wohnt  selber  die  Fähigkeit  inue, 
den  Übeltäter  in  Strafe  zu  nehmen.  Die  Sache  hat  folgende  Bewandtnis. 
Das  Aufrichten  eines  Matakäu    ist    eine    sehr  wichtige  Angelegenheit.     In 


1  - 


einen  Eselsschädel,  der  auf  einem  Weinpfahle  am  Eingange  eines  Weinberges  auf- 
gesteckt ist,  um  durch  die  Drehung  des  Scliädels  nach  einer  bestimmten  Richtung  ein 
Stelldichein  zu  verabreden.  Wozu  sollte  der  Schädel  hier  ursprünglich  sonst  dienen,  als 
zum  Verbote  des  Eintrittes  in  den  Weinberg?     J.  B.] 

1)  J.  G.  F.  Riedel,    De   sluik-eu   kroesharige   Rassen   tusschen    Selebes    en   Papua 
(s'  Gravenhage  1886)  S.  G2.  KIT.  477  Taf.  XIII. 


1 


206  ^I-  Bartels:    Über  europäische  und  malayische  Verbotszeichen. 

sehr  vielen  Fällen  muss  dazu  erst  die  Erlaubnis  der  Dorfältesten  einge- 
liolt  werden.  Ist  diese  letztere  aber  erteilt,  dann  geht  der  Besitzer  des 
betreffenden  Grundstücks  an  die  zur  Errichtuns:  des  Matakau  aussre wählte 
Stelle  und  bringt  hier  zuerst  der  Gottheit  ein  Opfer  dar.  Bei  demselben 
spricht  er  eine  Beschwörungsformel,  durch  welche  er  das  zu  errichtende 
Verbotszeichen  beauftragt,  demjenigen,  der  seine  Pflanzungen  unberechtigter- 
weise betritt,  oder  der  gar  von  den  Früchten  etwas  stiehlt,  einen  ganz 
bestimmten  Schaden  zu  bringen,  dessen  Auswahl  und  Bestimmung  der 
Phantasie  und  dem  Ermessen  des  Grundstückbesitzers  überlassen  bleibt. 
Wenn  diese  Zeremonie  vorüber  ist,  dann  wird  das  Matakau  aufgerichtet, 
und  nicht  nur  der  Errichtende  selbst,  sondern  auch  alle  seine  Dorf- 
genossen sind  so  fest  davon  überzeugt,  dass  den  Übeltäter  unverzüglich 
das  durch  das  Matakau  angedrohte  Übel  ereilen  werde,  dass  solch  Ver- 
botszeichen in  Wirklichkeit  einen  sicheren  und  unfehlbaren  Schutz  des 
betreffenden  Grundstückes  abgibt. 

Was  das  nun  für  ein  Unglück  ist,  welchem  der  Dieb  verfallen  würde, 
das  ist  an  der  Form  und  Gestaltung  derjenigen  Gegenstände  erkenntlich, 
welche,  aus  Holz  oder  Palmenblättern  gefertigt,  an  der  Spitze  der  Mata- 
käustange  angebracht  sind.  Sie  sprechen  für  die  Eingeborenen  eine  ganz 
deutliche  Zeichensprache,  die  wir  überkultivierten  Europäer  allerdings 
nicht  in  allen  Fällen  ohne  Erklärung  verstehen  würden. 

Die  durch  das  Matakau  angedrohten  Übel  sind  nun  allgemeinerer  Art, 
Verfeindung  mit  den  Stammesgenossen,  plötzlicher  Tod,  Tod  durch  irgend 
ein  gefährliches  Tier,  oder  es  sind  ganz  bestimmte  Krankheiten  oder 
Krankheitssymptome,  welche  den  Dieb  befallen  sollen. 

Hierdurch  gewinnen  diese  Matakäus  auch  ein  weiteres  ethnographisches 
Interesse.  Denn  wir  können  nun  aus  denselben  ersehen,  welche  Unglücks- 
fälle und  Krankheitserscheinungen  diese  Insulaner  für  besonders  quälend 
und  gefährlich  erachten,  und  hierdurch  wird  es  uns  gestattet,  einen  Rück- 
schluss  darauf  zu  machen,  welche  Krankheiten  auf  der  betreffenden  Insel 
vorkommen  können.  Denn  es  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Betonung,  dass 
diese  Leute  doch  nur  solche  Krankheitssymptome  in  das  Verbotszeichen 
hineinzaubern  werden,  welche  sie  selber  schon  einmal  beobachtet  haben, 
oder  welche  sie  wenigstens  vom  Hörensagen,  also  durch  die  Beobachtung 
ihrer  Landsleute  kennen^). 

Unser  Königliches  Museum  für  Völkerkunde  besitzt  eine  schöne 
Sammlung  solcher  Matakäus.    (Es  folgte  eine  Vorlegung  von  Abbildungen.) 

Auf  die  Analyse  dieser  angedrohten  Krankheitssymptome  und  die 
Rückschlüsse,    die    man    hieraus    auf    die   in  jenen  Inseln  vorkommenden 


1)  Vgl.  M.  Bartels,  Die  Medizin  der  Naturvölker  (Leipzig,  Th.  Griebens  Verlag 
1893\  wo  eine  ganze  Reihe  von  Verbotszeichen  unter  diesem  Gesichtspunkte  abgebildet 
und  beschrieben  sind.  [Treichel,  Verbotszeichen.  Zs.  f.  Ethnologie  20,  Verh.  S.  lOOf.  ;52, 
Verl).  S.  .587— 592.J 


Lewalter:    Kleine  Mitteilungen.  207 

Krankheiten  machen  kann,  vermag  ich  hier  nicht  näher  einzugehen. 
Aber  von  diesen  Matakäus  in  Niederländisch  Indien  wollen  wir  nun 
noch  einmal  zu  unserem  einfachen  Strohwisch  zurückkehren.  Sollte  der- 
selbe in  alten  Zeiten  auch  so  harmlos  gewesen  sein,  wie  jetzt?  Oder  liegt 
nicht  der  Gedanke  nahe,  dass  man  auch  ihm  ursprünglich  durch  Be- 
schwörungen bei  seiner  Aufrichtung  allerlei  böse  Zauberkraft  verliehen 
habe,  durch  welche  er  dem  Übertreter  des  Verbotes  Schaden  oder  Unglück 
zu  bringen  vermochte?  Ich  möchte  auf  diesen  Punkt  die  Aufmerksam- 
keit lenken,  aber  ich  kann  nicht  verhehlen,  dass  ich  hier  nur  eine 
Vermutung  ausspreche.  Anhaltspunkte  aus  der  deutschen  Sage,  dem 
Märchen  oder  dem  Sprichwort  stehen  mir  für  diese  Annahme  nicht  zu 
Gebote.  Erinnern  möchte  ich  aber  daran,  dass  man  in  dem  gesamten 
Deutschland  fest  daran  geglaubt  hat,  und  zum  Teil  noch  daran  glaubt, 
dass  es  durch  Zaubersprüche  möglich  sei,  Feld-  oder  Obstdiebe  fest- 
zubannen, bis  die  Strafe  sie  ereilen  kann.  Hierdurch  erhält  meine  Ver- 
mutung eine  kräftige  Stütze,  dass  wohl  auch  der  Strohwisch  einstmals 
imstande  gewesen  sein  wird,  gleich  dem  malayischen  Matakau  durch  die 
ihm  übertragenen  Zaubersprüche  dem  unvorsichtigen  Übertreter  den  ange- 
drohten Schaden  beizubringen. 

Berlin. 


Kleine  Mitteilungen. 


Dram  Brüder,  stosst  die  Gläser  an:  Es  lebe  der  Keservemann! 

Gemässigt. 

EEE3{i^^3Eg^jSEE^|E^^^^IE^^|^EE^ 


Es  blinkt  so  freundlich  in     der      Fer  -  ne       das       lie  -  be,    teu  -  re 

warn  Sol-  da  -  ten,  wa  -  ren's    ger  -  ne,     doch    jetzt   ist    un  -  sre 


-^t^T- 


-0- 


Va  -  ter-haus:  wir        Dienstzeit  aus.  Drum  Brü-der,  stosst  die  Glä  -  ser    an:      Es 


le    -    be      der     Re  -    ser  -  ve-manni  Wer     treu     ge  -  dient  hat      sei  -    ne 


^^^^i^EEm^m^mmM 


Zeit,    dem    sei     ein      vol  -  les     Glas      ge  -  weiht.     (4—5  Str.) 


208  Lewalter: 

Der  erste  Druck  dieses  bekannten  Reservistenliedes  fällt  in  das  Jahr  1880 
(Liederbuch  für  Soldaten  von  Clemens  und  Justus  Pape,  Hamburg,  S.  137  Nr,  126). 
Ausserdem  ist  es  noch  in  folgenden  Sammlungen  zu  finden:  bei  Adolf  Andre, 
Der  Volksspiegel,  Liederbuch  für  den  Soldaten  (Offenbach  a.  M.  1882)  S.  35 
Nr.  34,  Dr.  Alfred  Müller,  Volkslieder  aus  dem  Erzgebirge  (Annaberg  1883)  S.  31, 
Hans  Ziegler,  Deutsche  Soldaten-  und  Kriegslieder  aus  fünf  Jahrhunderten, 
1386_1871  (Leipzig  1884)  S.  77  Nr.  81,  'Des  deutschen  Soldaten  Liederbuch' 
(Berlin  1889)  von  einem  aktiven  Offizier  S.  132  Nr.  153,  Johann  Lew  alter, 
Deutsche  Volkslieder  aus  Niederhessen  (1890)  Heft  1,  S.  49  Nr.  23,  Freiherr 
von  Mirbach,  Lieder  für  Soldaten  (Berlin  1891)  S.  109  Nr.  173,  Karl  Becker, 
Rheinischer  Volksliederborn  (Neuwied  1892)  S.  97  Nr.  134,  Ernst  H.  Wolfram, 
Nassauische  Volkslieder  (Berlin  1894)  S.  263  Nr.  299,  Erk-Böhme,  Deutscher 
Liederhort  Bd.  3  (1894),  S.  238  Nr.  1367  aus  Hessen  und  Schlesien,  Köhler- 
Meier,  Volkslieder  von  der  Mosel  und  Saar  1  (Halle  a.  S.  1896),  S.  286  Nr.  278, 
ferner  im  'Deutschen  Armee-LiederbucV  (Leipzig,  ohne  Jahreszahl)  S.  84  Nr.  95 
und  'Soldatenlieder buch'  (Leipzig,  Reclam,  ohne  Jahreszahl)  S.  43  Nr.  50. 
[H.  H(ermelink),  Soldatenlieder  (Tübingen  1902)  Nr.  83.  Pecher  in  F.  Pfaffs 
Volkskunde  im  Breisgau  1906  S.  131  Nr.  21.  Liederbuch  des  K.  Alexander- 
Garde-Grenadier-Regiments  Nr.  1,  Mülheim-Styrum  o.  J.  Nr.  214.] 

Der  Anfang  des  Reservistenliedes  lautet  meist  „Was  blinkt  so  freundlich  in 
der  Ferne",  aber  auch  „Es  blinkt"  oder  „Es  winkt".  Die  Melodie  ist  allenthalben 
der  von  mir  aufgezeichneten  im  grossen  und  ganzen  ähnlich.  Bei  Böhme, 
Wolfram  und  Köhler-Meier  ist  der  Schluss  „Es  lebe"  etwas  anders. 

Nach  den  bisherigen  Niederschriften  sollte  man  annehmen,  das  Lied  sei  aus 
jüngerer  Zeit.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Ich  habe  Gewährsmänner,  die  dasselbe 
schon  vor  dem  Jahre  1870  gehört  haben.  Nach  Aussage  des  Landesrates  und  Geheimen 
Regierungsrates  Herrn  von  Dehn-Rotfelser  in  Kassel  wurde  das  Reservistenlied 
auf  einer  Jenenser  Korpskneipe  schon  im  Jahre  1865  zu  Ehren  eines  auf  dieser 
als  Reservist  anwesenden  Studenten  mit  folgendem  auf  ihn  gemünzten  Schluss: 
Drum  Brüder,  stosst  die  Gläser  an:    Es  lebe  August  H  .  .  .  .  manni 

gesungen.  Also  schon  vor  1865  war  das  Lied  im  Munde  des  Volkes.  Aber  seine 
Entstehung  wird  wohl  in  noch  frühere  Zeit  verlegt  werden  müssen,  wenn  man 
berücksichtigt,  dass  die  Weise  dazu  von  dem  berühmten  französischen  Romanzen- 
Komponisten  Frederic  Berat  stammt.  Berat,  ein  guter  Freund  Berangers,  hatte 
dessen  Volkstümlichkeit  auf  seine  Tondichtungen  übertragen  und  deshalb  in 
Prankreich  die  allergrössten  Erfolge  als  Romanzen-  und  Chansonetten-Komponist 
aufzuweisen.  Jahrzehntelang  wurden  Berats  Lieder,  zu  denen  der  Komponist 
auch  häufig  noch  die  Worte  dichtete,  in  allen  Gauen  des  Franzenlandes  gesungen 
und  sind  heute  noch  nicht  verklungen.  Am  bekanntesten  wurden  'Le  depart', 
'A  la  frontiere',  'La  Lisette  de  Beranger',  'Bibi,  mon  cheri',  'C'est  demain  qu'il 
arrive',  'Mon  petit  cochon  de  Barbarie'  und  'Ma  Normandie'.  Ich  lasse  zunächst 
Weise  und  Worte  des  letztgenannten  schönen  Liedes  folgen. 

Andante. 


quc  rhi  -  ver      fuit      loin     de     nous. 


Kleine  Mitteilungen. 


2Ü9 


2.    J'ai  vu  les  champs  de  l'Helvetie 
Et  ses  chälets  et  ses  glaciers; 
J'ai  vu  ie  ciel  de  Fltalie, 
Et  Venise  et  ses  gondoliers. 
En  salutant  chaque  patrie, 
Je  me  disais:  aucun  sejour 
N'est  plus  beau  que  ma  Normandie, 
C'est  le  pays  qui  m'a  donne  le  jour. 


3.    II  est  un  Age  dans  la  vie 
Oü  chaque  reve  doit  finir; 
Un  äge  oü  Fäme  recueillie 
A  besoin  de  se  souvenir: 
Lorsque  ma  muse  refroidie 
Aura  fini  ses  chants  d'amour, 
J'irai  revoir  ma  Normandie, 
C'est  le  pays  qui  m'a  donne  le  jour. 

Selbst  der  Laie  wird  beim  Vergleiche  der  Weise  des  Reserveliedes  mit  der 
Melodie  dieser  Beratschen  Romanze  zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass  unser 
deutscher  Soldatensang  seine  Musik  dem  französischen  Komponisten  verdankt. 
Ja,  die  deutschen  Soldaten  haben  die  französische  Melodie  so  schön  'zersungen' 
(wie  das  ja  im  Volksliede  so  häufig  geschieht),  dass  'Der  Reservemann'  fast  noch 
besser  klingt  wie  das  Original.  Nun  ist  Berat  im  Jahre  1800  in  Rouen  geboren 
und  in  Paris  am  "2.  Dezember  1855  gestorben.  Die  alte,  volkstümliche  Weise  von 
^Ma  Normandie"  wird  also  gewiss  schon  längere  Zeit  vor  1865  ein  deutscher 
Soldat  lieb  gewonnen  und  dazu  dann  das  schöne  Soldatenlied  gedichtet  haben. 
Vielleicht  tragen  diese  Zeilen  dazu  bei,  den  Verfasser  endgültig  feststellen  zu 
können^). 

Kassel.  Johann  Lewalter. 


1)  [Berats  Melodie  ward  um  1842  durch  F.  Sucher  (Ausländische  Volksmelodien 
Nr.  19)  mit  Adelbert  Kellers  Verdeutschung  des  Textes:  'Wenn  Frühlingstage  neu 
beleben'  und  durch  verschiedene  Einzeldrucke  in  Deutschland  eingeführt.  Eine  üm- 
dichtung  'Wenn  von  des  Lenzes  Hoffnungsspuren',  die  aus  hsl.  Liederbüchern  von  1857 
bis  1858  bei  Heeger-Wüst,  Volkslieder  aus  der  Rheinpfalz  2,  276  nr.  356  (1909)  mit- 
geteilt wird,  fügt  eine  die  deutsche  Heimat  preisende  4.  Strophe  hinzu: 

Ich  war  in  manchem  schönen  Städtchen,      Der  Himmel  hat  mich  weggetrieben, 


Wo  schöne  Mädchen  Engeln  gleich. 
Sah  Hannchen,  Lenchen,  Gretchen, 

Käthchen, 
An  Schönheit  wie  an  Schätzen  reich. 


Ich  habs  gesehn  und  nicht  begehrt; 
Am  Eh  ein  da  ist  mein  Herz  geblieben. 
Das  Heimatland  mir  über  alles  wert. 


Die  beiden  neuerdings  in  der  Pfalz  aufgezeichneten  Melodien  bei  Heeger-Wüst  stehen 
zwischen  Berats  Weise  und  der  des  Reservistenliedes,  auf  die  auch  in  der  Anmerkung 
hingewiesen  wird,  in  der  Mitte.  —  J.  B.] 


Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Heft  2. 


14 


210 


Bolte: 


Das  polnische  Original  des  Liedes  <An  der  Weichsel  gegen  Osten'  und 
das  schwedische  Lied  *Spinn,  spinn,  Tochter  mein'. 

(Vgl.  oben  19,  314  421.) 

Zu  den  oben  19,  421  von  Fräulein  A.  Simon  mitgeteilten  vier  Volksweisen') 
des  polnischen  Liedes  'Tam  na  bloniu  btjrszczy  kwiecie'  möchte  ich  eine  fünfte 
nachtragen,  die  1907  von  Paul  Grossmann  in  der  Zeitschrift  des  oberschlesischen 
Geschichtsvereins  (Oberschlesische  Heimat  3,  ■208—210)  veröffentlicht  wurde.  Dem 
Herausgeber,  der  sie  bereits  1861  in  Stubendorf,  Kr.  Gross-Strehlitz  gehört  und 
mitgesungen  hat,  erschien  sie  deshalb  merkwürdig,  weil  ihre  zweite  Hälfte  ganz 
zu  der  des  seit  etwa  zwei  Jahrzehnten  in  Deutschland  verbreiteten  schwedischen 
Liedes  'Spinn,  spinn,  Tochter  mein'  stimme,  nach  der  auch  die  sog.  oberschlesische 
Nationalhymne  gesungen  werde;  er  stellt  deshalb  die  Frage:  Ist  die  Melodie  zu 
'Spinn,  spinn,  Tochter  mein'  schwedisch  oder  oberschlesischV  Die  Sache  verdient 
•wohl,  dass  wir  ihr  einige  Aufmerksamkeit  schenken,  wenn  sie  auch  mit  der  von 
Herrn  R.  Bartolomäus  und  Fräulein  Simon  untersuchten  Einwirkung  des  polnischent 
Liedes  auf  den  deutschen  Volksgesang  nur  in  losem  Zusammenhange  steht.  Ich 
drucke  deshalb  die  Stubendorfer  Weise  ab  und  füge  auch  das  schwedische  Spinn- 
lied bei.  Trotz  des  abweichenden  Taktes  ist  die  Identität  beider  Melodien,  be- 
sonders vom  Zeichen  *  an  unverkennbar  2). 


-8^-2- — ! 


Aus  Stubendorf,  Kr.  Gross-Strehlitz  1861. 


-^^ä3?^3^£t5^il=Öl3i=^^ 


1.      Tam   na       blo  -  niu  btyszczy      kwie  -  cie,       sto  -  i 


lan    na    we- 


1)  Die  drei  S.  422  f.  abgedruckten  Melodien  sind  bereits  bei  J,  Roger,  Polnische 
Volkslieder  der  Oberschlesier  1863  S.  22  nr.  43  a— c  zu  finden. 

2)  Ein  solches  Überlenken  in  eine  andere  Melodie  (So  leb  denn  wohl,  du  stilles 
Haus;  von  Wenzel  Müller)  zeigt  auch  eine  von  Herrn  Ernst  Koschny  in  Charlottenburg 
freundlich  mitgeteilte  oberschlesische  Weise  aus  Neu-Berun  bei  Kattowitz  (um  1880): 


—S—ä- 


Na     tej     gor    -    ze  kwit-na 
(Auf  den    Ber    -  gen  blü  -  hen 


ru    - 
Ro    - 


ze, 
sen. 


— t-: • — 


V— - 


■-Z^ßT. 


A 
und 


ur  - 
ich 


wac 
kann 


ich    nie  mo- 
sie  nicht  pflnk- 


^L^ 


ge- 

ken. 


Mi- 
Ich 


lo  -  wa  -  lam   f a  -  lecz-ni    -    ka,  mi-  lo  -  wac     go    nie  rao  -  g?. 
lieb  -   te     ei  -  nen  Fal-  sehen,  ich  kann  ihn  nicht  mehr  lie  -  ben.) 


Denn  eine  um  30  Jahre  ältere  Melodie  desselben  Liedes  lautet: 


eS 


izq: 


^^^M=E^I^ 


Kleine  Mitteilangen. 


211 


^gsiü-^JI^ 


-1^ 1 

de  -    cie,      a      dziew  -  czy  -  na  jak    ma  -   li  -   na    nie  -  sie  ko  -  szyk  roz. 


iti=:^z^. 


4=1: 


^S 


2.    Stöj,  po- cze  -  kaj,  mo  -ja      dusz-ko!  gdzie  tak  drob- na    stapisz  noz  -  ka? 


3: 


t- 


— #•-- 


.0 0 — 


Tarn  z  tej     chat  -  ki,    rwa  -  lam     kwiatki, 


po  -  wra-  cam     juz '). 


t-n- 


Aus  dem  Schwedischen,  nach  einer  estländischen  Volksweise.^) 


4- 


^^ 


-^ 


1.    Mägd-lein  hielt     Tag   und  Nacht  trau  -  rig   an   dem    Spinn-rad    Wacht; 


^^S^^^^ 


^^1 


nd 


draussen  rau-schend  'sWas-ser  sprang,  saust  der  Wind  und's  Vög  -  lein  sang. 


2.  'Röslein  man  holt  im  Hag. 
Mich  doch  niemand  lieben  mag. 
Zeiten  fliehn;  nein,  dieses  Jahr 
Führt  mich  keiner  zum  Altar'. 


3.  „Spinn,  spinn,  spinn,  Tochter  meini 
Morgen  kommt  der  Freier  dein."  — 
Mägdlein  spann,  die  Träne  rann, 
Nie  doch  kam  der  Freiersmann. 

(Hermann  Graeser.) 


Von  dem  schwedischen  Spinnliede  sind  verschiedene  Ausgaben  mit  wenig 
abweichenden  Texten  in  Deutschland  erschienen:  'Mägdlein  von  früh  bis  spät" 
(Berlin,  Schlesinger.  Vor  1888),  'Mägdlein  am  Spinnrad  saß'  (Berlin,  Simrock. 
Vor  1894),  'Mägdlein  in  stiller  Nacht'  (Zürich,  Hug).  Die  älteste  Bearbeitung 
aber,  aus  der  jene  Abdrücke  geflossen  sind,  ist  die  von  Hugo  Jüngst  für  Männer- 
chor gemachte,  die  von  ihm  zuerst  am  21.  Juni  1881  auf  einem  Konzert  des  von 
ihm  geleiteten  Dresdener  Männerchors  zur  Aufführung  gebracht  wurde  (erschienen 
im  April  1881  in  Wien  bei  Buchholz  u.  Diebel,  jetzt  Ad.  Robitschek).  Wie  mir 
Herr  Professor  Jüngst  in  Dresden  unter  dem  21.  Januar  1910  freundlichst  schreibt, 
hatte  er  die  nicht  harmonisierte  Melodie  einige  Jahre  zuvor  von  einem  befreundeten 
Herrn,  der  sich  längere  Zeit  in  Schweden  aufgehalten  hatte,  als  schwedisches 
Volkslied  erhalten;  erst  später  erfuhr  er,  dass  das  Lied  eigentlich  „ein  estländisches 
oder  livländisches  A^olkslied  sei,  das  gelegentlich  eines  schwedisch -russischen 
Krieges  von  einem  russischen  Offizier  nach  Schweden  gebracht  und  erst  durch 
diesen  daselbst  bekannt  geworden  sei."  —  Als  ein  Beleg  für  die  grosse  Beliebtheit, 


1)  Weitere  Varianten  zu  dem  Texte  oben  19,  315:  Str.  4,  3  Ach  dla  Bogal  nigdzie 
wroga  —  6,  3  do  tej  chetki  —  8, 4  Ja  buziaka  dam. 

2)  Nach  H.  Jüngsts  Originalausgabe,  Der  schwedische  Text  beginnt:  'üngmön  vid 
sländan  satt,  sorgsen  bade  dag  och  natt;  fjerran  hördes  bäckens  sprang,  \'indens  sus  och 
trastens  sang'. 

14* 


212  Bolte: 

die  sich  die  von  Jüngst  eingeführte  Weise  rasch  errang,  ist  folgende  im  Wester- 
walde  gehörte  Fassung  anzusehen,  die  mir  Herr  Musikdirektor  Karl  Becker  in 
Köpenick  aus  seiner  reichen  hsl.  Sammlung  von  Volksmelodien  mitteilt: 

Rengsdorf,  Kr.  Neuwied  1887. 


"Weitere  Auskunft  verdanke  ich  dem  tüchtigen  schwedischen  Musikhistoriker 
Dr.  T.  Norlind.  In  Schweden  taucht  die  Melodie  erst  um  1880  in  Eggelings 
'Sfingbok'  mit  der  Bezeichnung  'aus  Üsel'  auf,  hat  sich  dann  aber  rasch  verbreitet. 
Herr  Dr.  Norlind  erklärt  sie  für  keine  schwedische  und  überhaupt  für  keine 
eigentliche  Volksweise;  er  vermutet  vielmehr  (ohne  Grossmanns  Aufsatz  zu  kennen), 
dass  sie  aus  Deutschland  nach  Livland,  Estland,  Ösel,  Finnland  und  zuletzt  nach 
Schweden  gedrungen  sei.  Ist  dem  so,  so  hätte  die  "Weise  durch  die  neue  Über- 
tragung aus  Schweden  nach  Deutschland  einen  Kreislauf  beendet.  Welche  Stellung 
dabei  die  oberschlesische  Melodie  des,  wie  wnr  sahen,  auch  nach  andern  Weisen 
gesungenen  polnischen  Liedes  von  F.  Kowalski  vom  Jahre  1831  einnimmt,  bleibt 
bei  dem  Mangel  älterer,  d.  h.  vor  1881  liegender  Zeugnisse  noch  zu  erforschen. 
Vielleicht  vermag  einer  unserer  Leser  hier  weiter  zu  helfen.  — 

Auch  für  den  Text  der  'Spinnerin'  suchte  Grossmann  eine  oberschlesische 
Parallele  bei  Roger  nr.  501  (deutsch  von  Erbrich,  Oberschlesische  Heimat  3,  46 
nr.  11)  nachzuweisen: 

1.  Ach  ich  armes  Mägdelein!    "Wer  erbarmt,  erbarmt  sich  mein? 

7.  Schmücke  mich,  soviel  ich  kann;  doch  es  kommt  kein  Freiersmann. 

0.  Muss  zuletzt  doch  ganz  allein  ohne  Mann  im  Hause  sein. 

Allein  gerade  die  charakteristischen  Verse  finden  sich,  wie  Herr  Dr.  Norlind 
bemerkt,  eingesprengt  in  ein  schwedisches  Kniereiterlied  der  Kinder  'Rida,  rida 
ranka',  von  dem  Nordlander,  ßarnvisor  och  barnrim  1886  S.  107  nr.  178  (Nyare 
bidrag  tili  kännedom  om  de  svenska  landsmalen  b,  5)  Varianten  aus  üppland, 
Roslagen,  Helsingland,   Finnland  mitteilt: 

'Spinn,  spinn,  doter  min,  i  morgen  kommer  friarn  diu'. 
Dottern  spann,  ock  taren  rann, 
Men  aldrig  kom  den  friarn  fram. 

Und  dadurch  wird  es  wah'-scheinlich,  dass  die  ursprüngliche  (polnische  oder 
deutsche)  Melodie  einem  andern  Texte  angehörte  als  dem  von  der  traurigen 
Spinnerin. 

Grossmann  fügt  auch  eine  freie  Verdeutschung  des  polnischen  Liedes  von 
Emil  Erbrich  hinzu,  die  man  mit  der  oben  19,  315  gegebenen  wörtlichen  Version 
vergleichen  mag. 

Auf  Wacht. 

1.  Rosen  blühen  licht  und  heiter,  2.  'Halt!  woher,  wohin?  Verweile, 

Nach  dem  Feinde  späht  der  Reiter.  Hemm  der  flinken  Füßchen  Eile!' 

Ohne  Bangen  kam  gegangen  „Dort  zum  Häuschen  (pflückt  ein  Sträußchen) 

Rosenfrisch  die  Maid.  Kehr  ich  nun  zurück." 


Kleine  Mitteilungen.  213 

3.  'Solch  ein  Vorwand  wäre  billig;  7.  'Ei,  so  wag  ich  denn  mein  Leben, 
Hin  zur  Wache  folg  mir  willig!'  Einen  Kuß  mußst  du  mir  geben.' 
,Hab  Erbarmen  mit  mir  Armen!  „Willst  du  sterben,  dich  verderben, 
Mutter  harret  mein/  Bist  du  selber  schuld." 

4.  'Nein,  die  Feinde  sind  nicht  ferne,  8.  'Doch  kehr  ich  vom  Streite  wieder, 
Kunde  gäbst  du  ihnen  gerne.'  Leg  ich  einst  die  Waffen  nieder?' 
„Wen  ich  kenne,  Freund  ich  nenne,  „Dann  begrüß  ich  dich  und  büß  ich 
Habe  keinen  Feind.'-  Gerne  meine  Schuld." 

5.  'Nun  wohlan,  dein  will  ich  schonen,  9.  'Wenn  die  Glocken  Frieden  künden, 
Doch  ein  Kuß  soll  es  mir  lohnen'.  Wo  soll  ich  dich  wiederfinden?' 

,Bin  nicht  spröde,  bin  nicht  blöde;  „Harre  deiner,  denkst  du  meiner, 

Steig  vom  Rößlein  nur!"  Hier  beim  Mütterlein." 

»;.  'Darf  von  Roß  und  Wehr  nicht  10.  'Doch  bin  ich  zum  Tod  erkoren, 

scheiden,  Ist  dein  Kuß  mir  ja  verloren.' 

Sonst  muß  ich  den  Tod  erleiden.'  „0,  dann  wisse,  daß  ich  küsse 

, Welch  Bedenken!  Willst  mich  kränken;  Still  dein  Totenkreuz!" 
Sieh,  ich  bin  bereit." 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Eine  baskische  Bolandsage. 

In  der  Landschaft  Soule  in  den  französischen  Pyrenäen  kennt  man  eine 
Rolandsage.  Diese  erhält  besonderes  Interesse  durch  die  Nähe  von  Roncesvalles, 
wohin  die  historische  Legende  den  Heldentod  von  Karls  des  Grossen  Neffen  ver- 
setzt. Doch  entfernt  sich  die  Souletiner  Fassung  erheblich  von  der  gewöhnlichen 
Erzählung,  ihr  Held  erinnert  vielmehr  an  den  weltbekannten,  aber  echt  fran- 
zösischen Gargantua,  sowie  an  den  estnischen  Nationalhelden  Kalewipoeg '), 
wenigstens  da,  wo  dieser  als  eine  Personifikation  der  ßergnatur  gelten  darf. 

Der  baskische  Roland  ist  eine  Art  Herkules.  Noch  heut  sagt  man  in  der  Soule 
sprichwörtlich:  so  stark  wie  Roland  (Errolan  bezan  azkar).  Bis  zu  seinem  dritten 
Jahre  ward  er  von  einer  Kuh  gesäugt,  die  er  seine  Amme  nannte  und  die  er  so 
liebte,  dass  er,  als  sie  viele  Jahre  später  starb,  nm  sie  trauerte  wie  ein  Kind  um 
seine  Mutter.  Die  Milch  bekam  ihm  gut;  denn  mit  fünf  Jahren  war  er  schon 
stärker  als  ein  Erwachsener.  Sein  Vater  fürchtete  sich  vor  ihm  und  veranstaltete, 
um  ihn  zu  bändigen  und  zu  demütigen,  ein  Abenteuer,  wobei  der  junge  Riese 
unterliegen  sollte.  So  hiess  er  ihn  eines  Tages  unter  dem  Vorgeben,  Feuer  zu  be- 
dürfen, bei  einigen  Schäfern  in  der  Nähe,  mit  denen  er  sich  vorher  verständigt 
hatte,  Kohlen  holen.  Die  Schäfer  gaben  ihm  eine  grobe  Antwort,  um  ihn  zum 
Streite  zu  reizen.  Da  packte  Roland  mit  einer  Hand  den  sukhubel,  d.  h.  den 
auf  dem  Herde  glimmenden  Baumstumpf,  und  trug  den  gewaltigen  Brand,  ohne 
dass  jemand  ein  Wort  zu  sagen  wagte,  zu  seinem  Vater.  Diese  Kraftprobe  ver- 
mehrte noch  die  Furcht  des  A^aters  und  der  Nachbarn;  sie  beschlossen,  Roland 
von  den  Wächterhunden  zerreissen  zu  lassen,  und  hetzten  bei  erster  Gelegenheit 
eine  Meute    auf  ihn.     Allein    der  junge  Held  packte  einen  Hund   beim  Schwänze 


1)  Kalewipoeg  übersetzt  von  Reinthal  und  Bertram  ISGl;  vun  Löwe  und  Reiman 
19(»0.  [über  die  französischen  Gargantua-Sagen  und  deren  Verwandtschaft  mit  den 
Rolandsagen  vgl.  Sebillot,  Gargantua  dans  les  traditions  populaires  (188o)  und  Folklore 
<le  France  4,  334.] 


214  Bourgeois:    Kleine  Mitteilnngen. 

und  brauchte  ihn  als  Keule,  um  die  andern  totzuschlagen.  Noch  mehr  erschreckt, 
sandte  ihn  sein  Vater  in  den  Krieg,  damit  er  dort  umkomme.  Doch  Roland  zer- 
schmetterte mit  seiner  Durandal  die  Feinde  zu  Tausenden.  Bemerkenswert 
ist,  dass  die  Durandal  in  der  Souletiner  Fassung  kein  Schwert,  sondern  eine  Art 
Dreschflegel  ist,  ein  Knittel,  an  dessen  einem  Ende  eine  eiserne  Kugel  angekettet 
ist.  Noch  heut  zeigt  man  in  der  Abtei  zu  Roncesvalles  eine  Waffe  dieser  Art, 
welche  allerdings  recht  neu  zu  sein  scheint,  als  eine  Reliquie  Rolands.  In  einem 
der  Kämpfe,  an  denen  Roland  teilnahm,  begab  er  sich  auf  die  Spitze  des 
Magdalenenberges  bei  Tardets  und  schleuderte  von  da  gegen  die  in  den  Bost- 
Mendita  (einem  aus  fünf  in  einer  Reihe  liegenden  Spitzen  bestehenden  Bergzuge) 
verborgenen  Feinde  20  km  weit  alle  Felsen,  die  man  noch  zahlreich  in  der 
tiefen  Schlucht,  wo  der  Aphura  entspringt,  und  den  nahen  Bergwäldern  er- 
blickt. 

Anders  erklärt  Elisoe  Reclus  in  seinem  Artikel  'Die  Basken'  (Revue  des  deux 
mondes  18G7,  338)  den  Ursprung  dieser  Felsen.  Der  junge  Roland  soll  mit  diesen 
ungeheuren  Steinen  Steinwerfen  gespielt  haben.  Während  er  jedoch  seine  Ge- 
schosse handhabte,  glitt  sein  Fuss  auf  einem  Kuhfladen  aus^),  und  der  Felsen, 
den  er  im  Begriff  war  fortzuschleudern,  fiel,  ohne  sein  Ziel  zu  erreichen,  bei 
Lacarry  auf  der  linken  Talseite  nieder.  Ihn  nennen  die  Landleute  heut  'Rolands 
Felsen'. 

Rolands  Tod  endlich  soll  unter  etwas  andern  Umständen  als  in  der  land- 
läufigen Sage  eingetreten  sein.  Dass  er  bei  Roncesvalles  besiegt  ward,  geschah, 
weil  er  seine  Durandal  mitzunehmen  vergessen  hatte.  Er  merkte  erst  zu  spät, 
dass  die  Schlacht  verloren  war,  stiess  nun  in  sein  Hörn  Oliphant  und  blies  so 
stark,  dass  die  Sehnen  an  seinem  Halse  zerrissen  und  das  elfenbeinerne  Hörn 
zersprang.  Dann  versuchte  er  vergebens  sein  Schwert  am  Felsen  zu  zerbrechen,  da 
er  es  nicht  in  die  Hände  der  Feinde  fallen  lassen  wollte;  vielmehr  zersprang  der 
Fels  und  eine  Quelle  sprudelte  hervor.  Von  brennendem  Durst  gequält,  trank 
der  Paladin  in  langen  Zügen  von  diesem  Wasser,  das  sofort  sein  Herz  erstarren 
liess  und  seinen  Tod  bewirkte.  So  ward  ihm  die  Schmach  einer  Niederlage 
erspart. 

So  lautet  die  baskische  Rolandsage  aus  der  Soule,  die  uns  Hr.  G.  Her  eile 
in  Bayonne,  korrespondierendes  Mitglied  des  französischen  Unterrichtsministeriums, 
mitgeteilt  hat. 

Brüssel.  Henri  Bourgeois. 


1)    [Vgl.    St'ibillot,    Folklore    de   France    1,    37G   nach    Cerquand,    Taranis   lithobole 
1881  p.  7.] 


Brückner:   Berichte  und  Bücberanzeigen.  215 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 

Neuere  Arbeiten  zur  slavischen  Volkskunde. 

I.  Polnisch  und  Böhmisch. 

Von  polnischeD  periodischen  Publikationen  vertritt  nur  noch  der  Lud,  seit- 
dem die  Wisla  leider  dauernd  eingegangen  ist,  die  Volkskunde.  Von  dem  'Kwar- 
talnik  etnograficzny  Lud',  unter  der  kundigen  und  aufopfernden  Redaktion  von 
Szymon  Matusiak,  ist  Bd.  15,  Heft  1 — 3  erschienen  (Lemberg  1909).  Daraus  sei 
besonders  hervorgehoben  "W.  Klinger,  Zum  Einfluss  des  Altertumes  auf  die  Volks- 
überlieferung 1 — 3.  Der  Verf.  sucht,  wie  in  zahlreichen  vorausgegangenen  Studien, 
Elemente  des  klassischen  Altertums  im  modernen  Volkstum  nachzuweisen;  so  zeigt 
er,  dass  die  südrussische  Sage  vom  Schlangenkönig,  wie  er  seine  Goldkrone  auf 
rotes  Tuch  abwirft,  einfach  Philostratus,  vita  Apollonii  III,  8  übersetzt;  ebenso 
wiederholt  sich  hier  und  dort  die  Sage  von  der  Fortpflanzung  der  Echsen,  und 
eine  andere,  wie  man  durch  Schlangen  die  Tiersprache  erlernt:  Benfey  (Orient  und 
Occident  2,  133 — 171)  hatte  das  entsprechende  indische  Märchen  als  die  Quelle 
des  griechischen  angenommen.  Klinger  weist  das  Gegenteil  überzeugend  nach; 
endlich  leitet  er  eine  Episode  in  der  Magdalenenlegende  (Legenda  aurea  ed.  1890 
p.  907 — 917)  aus  dem  Roman  des  Apollonius  von  Tyrus  her.  Der  Lemberger 
Romanist  Ed.  Poezbowicz  bespricht  die  Abhandlung  von  J.  Reinhold,  Berte  aus 
grans  pies  in  den  germanischen  und  romanischen  Literaturen  (194  S.  46.  Bd.  der 
Krakauer  Philolog.  Abhandlungen);  er  erkennt  hier  zwei  Schichten:  die  alte  genea- 
logische Sage  liess  Pipin  von  Heristal  mit  einer  Fee  den  Karl  Martell  zeugen 
(um  dessen  uneheliche  Geburt  zu  rechtfertigen);  die  jüngere  übertrug  dies  auf 
Karl  den  Grossen,  den  Pipin  mit  der  Bertha  (einer  Art  Melusine;  ihre  Füsse  er- 
innern an  die  Gänsefüsse  der  Königin  von  Saba  in  den  salomonischen  Apokryphen) 
gezeugt  hätte;  die  anders  gefassten  Ergebni-ose  Reinholds  werden  mit  Recht  abge- 
wiesen. A.  Fischer  bespricht  die  Verbreitung  des  Motivs  vom  blühenden  Stecken 
(Aarons  Stab).  Die  Materialiensammlungen  usw.  übergehen  wir;  sie  enthalten 
mancherlei  Interessantes  (Volkslieder,  Bräuche  usw.).  Auf  die  'Mitteilungen  des 
Vereins  für  kaschubische  Volkskunde',  vierteljährliche  Hefte,  herausgegeben  von 
Dr.  F.  Lorentz  und  W.  Gulgowski  (Leipzig,  Harrassowitz),  sei  hier  nur  ver- 
wiesen, da  sie  in  deutscher  Sprache  herausgegeben  werden ;  einzelnes  Material  selbst 
wird  polnisch  (kaschubisch)  gedruckt.  Als  Gegenstück  sei  der  von  Dr.  A.  Maj- 
kowski  in  Behrent  polnisch  herausgegebene  Gryf  (Greif,  nach  dem  alten  Landes- 
wappen) genannt,  der  monatlich  erscheint  und  regelmässig  auch  kaschubisches 
volkskundliches  Material  bringt.  Die  Societas  literaria  Torunensis  hat  wiederum 
zwei  Bände  erscheinen  lassen,  den  13.  ihrer  Fontes  (Thorn  1909,  XLVIII  und 
385 — 576.  den  Schluss  der  Kirchenvisitationen  des  17.  Jahrhunderts  enthaltend)  und 
Rocznik  (Jahrbuch)  16  (214  S.);  aus  seinen  Beiträgen  seien  die  wichtigen  lokal- 
historischen von  St.  Kujot  genannt,  u.  a.  über  die  Lage  des  alten  Kulm  (die  An- 
gaben   des  Chronisten    Peter  von  Duisburg    über    eine    Verlegung   der  Stadt  sind 


216  Brückner: 

irrig;  der  Orden  hat  Kulm  ebenso  wie  Thorn  weit  ab  von  der  Ordensburg  an- 
legen lassen,  um  sie  nicht  in  ihrer  freien  Entwicklung  zu  hindern);  dann  die 
Geschichte  der  Prechlauer  Pfarre;  ein  Tagebuch  des  Wal.  "Wolski  aus  den  Jahren 
1806—1810  (Belagerung  von  Danzig);  die  Geschichte  des  polnischen  Buchdruckes 
in  Westpreussen  (Schluss);  Berichte  über  Gräberfunde  und  Abbildungen  zweier 
interessanter  Gesichtsurnen  (mit  Schmuckstücken  in  den  Ohren)  u.  a.;  den  Schluss 
bildet  eine  kritische  Bibliographie  aller  auf  Westpreassen  bezüglicher  Publikationen. 
Von  den  'Notizen'  (Zapiski)  der  Gesellschaft  enthalten  die  Nr.  7 — 8  einen  ausführlichen 
Katalog  der  Sammlungen,  speziell  der  prähistorischen,  aus  ihrem  Besitz  (S.  135 
bis  187),  mit  einem  Abriss  der  prähistorischen  Heimatskunde,  von  K.  Chmie- 
lecki.  —  ImAnschluss  an  diese  westpreussischen  Drucke  sei  genannt  die  fleissige 
Monographie  von  Dr.  Fr.  Duda,  Rozwoj  terytorjalny  Poraorza  Polskiego  (die 
territoriale  Entwicklung  des  Polnischen  Pommerns,  Krakau  1909.  170  S.  mit 
Stammtafel  und  Karten),  eine  Ergänzung  und  Fortführung  der  historischgeo- 
graphischen Arbeiten  von  Quandt  und  Toeppen  mit  manchen  neuen,  dankenswerten 
Ausführungen. 

Von  Publikationen  alter,  zumal  volkskundlicher  Texte  erschien  eine  neue  Reihe 
u.  d.  T.  Biate  Kruki  (weisse  Raben,  d.  i.  bibliographische  Seltenheiten),  heraus- 
gegeben von  K.  Badecki;  das  erste  Heft  (Lemberg  1910,  VII  und  25  S.)  brachte 
den  Lament  chlopski  na  pany  (Klage  der  Bauern  über  die  Herren,  s.  1.  e.  a.,  aus 
dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts;  herausgegeben  von  Prof.  J.  Kallenbach);  in 
die  beweglichen  Klagen  hat  der  gebildete  Anonymus  die  bekannte  Anekdote  von 
der  Ungleichheit  der  Stände  (die  H.  Sachs  mehrfach  bearbeitete:  Die  ungleichen 
Kinder  Evä;  Wie  Gott  der  Herr  Adam  und  Eva  ihre  Kinder  segnet)  eingeflochten. 
Eine  gediegene  Publikation  verdanken  wir  der  neuen  Warschauer  Gesellschaft  des 
Schutzes  alter  Denkmäler;  Adam  Jarzgbski,  Hofmusiker  des  Königs  Wladislaus  IV, 
hatte  1643  die  neue  Reichshauptstadt,  Warschau  (gegenüber  der  alten,  Krakau), 
dem  Publikum  mit  ihren  Palästen  und  Kirchen  geschildert,  in  einem  Dialog,  den 
ein  Bauer  als  Geschenk  vom  Jahrmarkt  seinem  Herrn  mitbringt;  die  Verse  sind 
recht  schlecht,  desto  interessanter  dafür  der  Inhalt,  auch  von  Bürgern  und  Juden 
handelnd;  der  Abdruck  (Adama  Jarzebskiego  Gosciniec  albo  opisanie  Warszawy, 
Warschau  1909.  XXVII,  176  S.)  ist  mit  vielen  Stadtansichten,  alten  Plänen  u.  dgl. 
reich  ausgestattet.  Von  den  Collectanea  der  Ordinatsbibliothek  der  Grafen  Krasiriski 
erschien  Nr.  2,  der  Pseudolucianische  Dialog  zwischen  Charon  und  Palinurus  in 
der  Bearbeitung  in  Versen  des  Begründers  der  polnischen  Literatur,  Biernat  von 
Lublin,  die  sich  vom  lateinischen  Original  durch  die  Betonung  der  Standesunter- 
schiede, durch  die  Verurteilung  der  grossen  Herren  und  ihres  Treibens,  scharf 
unterscheidet;  leider  ist  der  Dialog  nur  in  Fragmenten  aus  einem  alten  Einband 
erhalten  (aus  den  20er  Jahren  des  IG.  Jahrhunderts;  herausgegeben  von  Fr.  Pu- 
iaski,  Warschau  1909.  XXXVII,  27  S.).  Während  die  Privilegien,  Innungsbriefe 
u.  dgl.  der  Krakauer  Zünfte  und  Gilden  längst  von  Prof.  Fr.  Piekosiüski  heraus- 
gegeben sind,  erfolgen  erst  jetzt  ähnliche  Publikationen  für  Warschau;  ihre  Reihe 
eröffnet  B.  Slaski  mit  einer  Sammlung  der  Privilegien  der  Bierbrauer  (Dawne 
przywileje  cechu  piwowarow  miasta  Warszawy,  Warschau  1909,  41  S.). 

Historischen  und  rechtshistorischen  Arbeiten  sei  vorausgeschickt  ein  Kapitel 
der  Bevölkerungsstatistik.  Dr.  L.  Sawicki  verfasste  eine  Schrift  über  die  Dichtig- 
keit der  Besiedolung  der  Westkarpathen  (Rozmieszczenie  ludnosci  w  Karpatach 
zachodnich,  Krakau  1910.  60  S.,  mit  2  Tafeln).  Die  Bearbeitung  der  Adels- 
geschichten schreitet  rüstig  fort;  Frl.  Dr.  Hei.  Polaczek  gab  heraus  Materjaly  do 
heraldyki  polskiej  (Krakau  1909.  84  S.),  die  eine  vollständige  Sammlung  der  mittel- 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  217 

alterlichen  proclamationes  (Klan-  oder  Sippenrufe,  älter  in  Polen  als  die  Wappen) 
samt  den  zugehörigen  Wappen  bringen.  Die  Entstehung  und  den  Verfall  einer 
Schicht  dieses  alten  Adels,  eines  militärischen  Kleinadels,  behandelt  Dr.  Wl.  Sem - 
kowicz,  Wlodycy  polscy  na  tle  porownawczym  slowianskien  (die  p.  Wlodyken 
auf  vergleichendem  slavischen  Hintergrunde,  die  südslavischen  vojnik,  böhmischen 
panose,  Lemberg  1908);  Ergänzungen  dazu  über  die  niederen  Adelsschichten  in 
den  Rechtsstatuten  König  Kasimirs  des  Grossen  gab  0.  Balzer  in  dem  Peters- 
burger slavistischen  Sbornik  (Sammelband,  Petersburg  1909,  23  S.  fol.  des  Ab- 
druckes) 5  sie  stehen  etwa  mit  den  squire's  auf  gleicher  Stufe.  Der  von  Dr.  Wt. 
Semkowicz  herausgegebene  Miesiecznik  heraldyczny  (Her.  Monatsschrift,  Lem- 
berg) ist  in  seinen  dritten  Jahrgang  eingetreten:  Familiengeschichten,  allgemeinere 
Fragen,  eingehende  Bibliographie  füllen  ihn  aus.  Hierher  gehört  das  von  Dr.  Pr. 
Dabkowski  herausgegebene  Prawo  prywatne  polskie  (Polnisches  Privatrecht, 
Bd.  1,  Lemberg  1910.  XXII,  601  S.),  weil  es  in  klarer,  populärer  Darstellung  die 
Anfänge  auch  der  polnischen  Rechtsinstitutionen  (z.  ß.  Ehe,  künstliche  Verwandt- 
schaft durch  Adoption  und  Anbrüderung  usw.)  und  die  volkstümlichen  Rechts- 
gewohnheiten stark  berücksichtigt.  Der  Historiker  A.  Szelagowski  behandelt 
mit  Vorliebe  ökonomische  und  geographische  Probleme;  ich  sehe  von  seinen 
neuesten  Arbeiten  über  die  Rivalität  zwischen  Polen  und  Moskau  einer-,  Deutsch- 
land und  England  andererseits  in  bezug  auf  den  Ostseehandel  ab;  aber  besondere 
Erwähnung  verdient  sein  Buch  'Die  ältesten  Strassen  aus  Polen  nach  dem  Oriente 
im  arabisch-byzantinischen  Zeitalter'  (Najstarsze  drogi  z  Polski  na  Wschod  etc., 
Krakau  1909.  IX,  145  S.),  wobei  sich  ergibt,  dass  es  keine  direkten  Wege,  z.  B. 
von  Krakau  ostwärts  gab,  sondern  nur  grosse  Umwege  über  die  Weichsel  und 
den  Bug,  wie  die  Ausgrabungen  (arabische  Münzfunde)  beweisen.  In  bezug  auf 
Ausgrabungen  sei  genannt  das  Buch  von  St.  J.  Czarnowski,  Polska  przed- 
historyczna  (das  vorhistorische  Polen,  Warschau  1909.  148  S.  gr.  8^):  dieser  ein- 
leitende Band  enthält  nur  die  systematische  Bibliographie  des  Gegenstandes  (und 
im  10.  Abschnitt  eine  alphabetische),  nicht  nur  der  Literatur,  sondern  auch  der 
Sammlungen  und  Museen  selbst  und  bespricht  auch  die  angrenzenden  Länder. 
Zur  Geschichte  der  fremden  Völkerschaften  in  Polen  nennen  wir  z.  B.  die  Studie 
von  Prof.  0.  Balzer,  Über  die  armenische  Gerichtsbarkeit  im  mittelalterlichen 
Polen  (Lemberg  1909,  187  S.);  zur  Geschichte  der  Juden  in  Polen  ist  'Das  Juden- 
viertel (in  Lemberg),  seine  Geschichte  und  Denkmäler'  (Lemberg  1909,  als  4.  und 
i).  Heft  der  'Lemberger  Bibliothek',  100  S.)  von  Dr.  ßalaban  Majer  zu  erwähnen 
—  eine  sehr  lebhafte  und  anschauliche,  auch  reich  illustrierte  Erzählung  von 
diesem  Ghetto.  Aus  der  zahlreichen  Memoirenliteratur  sei  nur  ein  Werk  genannt, 
wegen  seiner  grossen  Fülle  volkskundlichen  Stoffes  (Anekdoten,  Beschreibung  der 
Bräuche,  Feste  usw.  des  krakauischen  Volkes):  des  Krakauer  Bürgers  und  Anti- 
quars Ambrozy  Grabowski  (1782 — 1868)  Aufzeichnungen,  die  aus  einer  Unzahl 
von  Bänden  Prof.  St.  Estreicher  ausgewählt  hat  ('Wspomnienia' =  Erinnerungen, 
2  Bde.,  Krakau  1909,  XLVII  und  344,  417  S.  Nr.  40  der  'Krakauer  Bibliothek). 
Aus  der  historischen  Literatur  nennen  wir  weiter  St.  Kutrzeba,  Der  Mord  im 
polnischen  Recht  des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  Krakau  1907,  eine  treffliche  Studie; 
dann  Publikationen  aus  den  Archiven  der  Fürsten  Sanguschko,  der  Grafen  Droho- 
jowski  und  Zamoyski  (letztere  veröffentlichen  das  Archiv  ihres  grossen  Vorfahren, 
des  Kanzlers  und  Grosshetman,  davon  enthält  Bd.  2,  Warschau  1909,  445  S.,  den 
Ertrag  von  nur  drei  Jahren,  1580 — 1582,  allerdings  sind  es  Kriegsjahre,  muster- 
haft bearbeitet  von  Dr.  J.  Siemieiiski);  diese  tragen  namentlich  zur  Kunde  der 
ökonomischen  Verhältnisse  bei  und  gewähren  einen  immer  tieferen  Einblick  in  die 


•)]^g  Brückner: 

inneren,  auch  volklichen  Verhältnisse  der  'Republik'.  In  einem  neuen  Bande  des 
grossen  Sammelwerkes,  Geographisch-statistisches  Bild  Polens  im  16.  Jahrhundert, 
Bd.  17,  Warschau  1909,  252  und  XXXV.  S.  schildert  A.  Jabtonowski  die  Be- 
siedelung  und  Organisierung  des  den  heidnischen  Jatwingen  entrissenen  Podlachien 
durch  Polen  und  Russen.  Die  Herausgabe  der  Lauda  (Beschlüsse)  der  Partikular- 
tage von  AVisznia  aus  den  Jahren  1572—1648,  durch  Ant.  Prochaska  (20.  Band 
der  Grod-  und  Landesakten,  Lemberg  1909.  50,  6;!9  S.)  lässt  die  steigenden  An- 
sprüche des  Adels  auf  Dezentralisation  und  Autonomie  sichtlich  erhellen.  Das 
Werk  von  Dr.  W.  Tokarz,  Galizien  in  den  Anfängen  der  Josephinischen  Ära  im 
Lichte  einer  offiziellen  Enquete  vom  Jahre  17S3  (Rrakau  1909.  400  S.)  würdigt 
kritisch  die  Berichte  des  Hofrates  J.  von  Margelik  über  die  Lage  der  Bauern, 
Bürger,  Juden  usw.,  die  Kolonisation  durch  Deutsche,  die  Emigration  des  Volkes, 
während  man  eine  Immigration  wegen  der  gebesserten  Lage  des  Bauern  erhofft 
hatte,  u.  dgl.  m.  Über  neueste  Verhältnisse  handelt  Ed.  Czyuski,  Ethno- 
graphisch-statistischer Grundriss  der  Zahl  und  Ansiedlung  polnischer  Bevölkerung, 
2.  Aufl.,  Warschau  1909,  mit  Karten  und  Plänen:  die  Zahl  gibt  Czyuski  auf  etwas 
über  20  000  000,  davon  an  2  000  000  in  Amerika  an  (anders  Niederle;  s.u.).  Diese 
Aufzählung  möge  beschliessen  ein  von  der  Krakauer  Akademie  herausgegebenes 
Werk,  'Ubiory  ludu  polskiego'  (polnische  Volkstrachten);  die  bisher  erschienenen 
zwei  Hefte  enthalten  nur  das  Krakauer  Land;  Text,  Tafeln  und  Illustrationen 
stammen  von  dem  Maler  AVI.  Tetmajer  und  gewähren  grossen  Genuss  durch  die 
Pracht  und  Genauigkeit  der  Ausführung.  F.  Kopera  und  J.  Pagaczewski  gaben 
ein  'Polskie  Muzeum  oder  eine  Sammlung  von  64  Abbildungen  unserer  Denk- 
mäler', Krakau  1909,  reich  illustrierte  Skizzen  polnischer  Kunstgeschichte,  Bild- 
hauersachen, von  den  Bronzetüren  der  Gnesener  Kathedrale  (Magdeburger  Arbeit) 
aus  dem  12.  Jahrhundert  an  bis  zu  Thorwaldsens  Denkmälern,  das  Krönungsschwert 
(eine  deutsche  Ordenswafl'e  des  13.  Jahrhunderts),  Holzschnitte,  ausgewählte 
Malereien  usw.;  manches  davon  befindet  sich  im  Krakauer  Nationalmuseum,  das 
wegen  der  beschlossenen  Überführung  in  das  alte  Königsschloss  auf  dem  Wawel 
bedeutende  Zuwendungen  erhalten  hat. 

Bei  der  Besprechung  der  böhmischen  Publikationen  stellen  wir  die  des  un- 
ermüdlich tätigen  Prof.  C.  Zibrt  voran.  Zuerst  seinen  'Markolt  a  Nevim  v 
literatufe  staroceske'  (Morolf  und  Niemand  in  der  altböhmischen  Literatur,  Prag 
1909,  böhm.  Akad.  d.  Wiss.,  264  S.  gr.  8»);  abgedruckt  ist  hier  der  Marcolphus, 
disputationes  quas  dicuntur  habuisse  rex  Salomon  sapientissimus  et  Marcolphus  etc. 
Francofordiae  1591  (u.  ö.),  dann  der  böhmische  Text  nach  einem  Unicum  vom 
Jahre  1608,  parallel  damit  eine  nur  wenig  modernisierte  Jahrmarktausgabe  von 
1877  mit  dem  'Mandat  von  der  Weiberherrschaft  des  Perimarus'  (auf  drei  Jahr  in 
einem  Jahr),  wonach  die  Frauen  von  den  Männern  zu  bedienen  sind  und  nach 
Ablauf  dieser  Frist  den  Männern  mit  gleichem  vergelten  sollen.  Derartige 
Privilegien,  ohne  den  Namen  Ferimarus,  sind  in  polnischen  Handschriften  des 
17.  Jahrhunderts  häufig,  vgl.  auch  den  Einzeldruck  aus  dem  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts 'Mcjzatek  Dam  przywileje'  (Privilegien  der  verheirateten  Damen,  an- 
geblich 'aus  dem  Deutschen  in  diesem  Jahr').  Weiter  druckt  Zibrt  ab  die 
,  Komödie  von  König  Salomon  aus  dem  dritten  Buch  der  Könige  auserwählt,  in 
böhmische  Sprache  in  Rhythmen  gebracht",  1571  und  1604  (ebenfalls  ein  unicum). 
Prof.  H.  Machal  hat  nachgewiesen,  dass  dieses  anonyme  Spiel  aus  der 'Sapientia 
Salomonis  drama  comicotragicum'  des  Xystus  Betuleius  (Sixt  Birk  1547)  frei 
übersetzt  ist,  doch  sind  gerade  die  bei  Birk  ganz  kurzen  Reden  des  Marcolphus 
von  dem  böhmischen  Bearbeiter  im  Sinn  und  Stil  der  alten  CoUationes    stark    er- 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  219* 

weitert  (vgl.  Über  zwei  böhmische  biblische  Komödien  aus  dem  16.  Jahrhundert 
im  Vestnik  der  kgl.  Ges.  d.  Wiss.  1902;  die  andere  Komödie,  von  Paul  Kyrmezersky, 
Leitomischl  1573,  beruht  auf  Leonh.  Culmanns  'Spiel  von  der  Widtfraw,  die  Gott 
durch  den  Propheten  Elisa  mit  Öl  von  ihrem  Schuldherrn  erlediget'  1544).  End- 
lich des  Jos.  Gallas,  eines  bekannten  Sammlers  von  Volksbräuchen  u.  dgl.,  hand- 
schriftliche (unvollendete)  Bearbeitung  und  Auszüge  aus  dem  Markolf,  vom  Jahre 
1826:  die  Abweichungen  in  Namen  und  Einzelheiten  sind  wohl  den  idyllisierenden 
und  slavisierenden  Tendenzen  des  Bearbeiters  zuzurechnen.  Der  zweite  Teil  be- 
handelt den  Nemo,  den  mittelalterlichen  Text  und  die  Nachahmungen  (U.  v.  Hütten 
u.  a.),  namentlich  des  Strassburgers  Georg  Schans  Gedichte  vom  Niemand,  von 
denen  das  kürzere  und  ältere  (um  1512)  über  die  Unsitte  des  Hausgesindes,  auf 
den  Niemand  alle  Schuld  zu  schieben,  in  einem  böhmischen  Flugblatt  bearbeitet 
ist,  das  J.  Bolte  in  Gotha  fand  und  im  Archiv  f.  slav.  Philologie  18,  126 — 129 
mitteilte.  Zibrt  gibt  den  'Nemo  vir  perfectus',  den  Campanus  und  nach  ihm  der 
Universitätspedell  Jioinsky  aus  einer  alten  Hs.  1618  und  1610  in  Prag  abdruckten, 
dann  das  Gothaer  Flugblatt;  in  der  Einleitung  hebt  er  besonders  hervor,  wie  der 
Text  deutlich  anspielt  auf  ein  beliebtes  Motiv  slavischer  (und  deutscher)  Volks- 
lieder vom  Herrn,  der  dem  Mädchen  den  Krug  zerschlug  und  mit  eigener  Person 
den  Schaden  bezahlte.  Zuletzt  druckt  Zi'brt  eine  'Unwahrscheinliche  und  über- 
natürlich wunderbare  Neuheit  von  einem  grossen  Riesen,  der  von  einem  Fürsten 
auf  einer  wilden  Insel  gefangen  ward  ...  in  narrischer  (sie!)  Sprache  geschrieben 
und  jetzt  ins  böhmische  übersetzt  1587'  (nebst  einer  komischen  'Pranostika',  d.  i. 
Kalenderprophezeiungen  für  alle  Zeiten);  beides  ist  so  originell,  so  voll  von  An- 
spielungen und  Beziehungen  auf  böhmische  Verhältnisse,  dass  es  durchaus  nicht 
übersetzt  zu  sein  braucht.  —  Eine  Fülle  alter  volkstümlicher  Texte  gab  Zi'brt 
heraus  in  den  'Rädy  a  präva  starodavnych  pijanskych  cechü  a  druzstev  krato- 
chvilnych  v  zemich  eeskych'  (Ordnungen  und  Rechte  der  alten  Säuferzünfte  und 
kurzweiliger  Brüderschaften  in  den  böhmischen  Landen,  Prag  190'S.  372  S.),  nicht 
weniger  als  61  Nummern,  ganze  Broschüren,  Flugblätter  u.  dgl.  und  Auszüge  aus 
Predigten  und  moralisierenden  Traktaten  der  Zeit.  Besonders  zahlreich  sind  die 
Ausführungen  über  die  alten  Hackebrüderschaften  (auch  in  Schlesien  wohlbekannt)^ 
die  man  ganz  missverständlich  mit  den  böhmischen  Brüdern  oder  mit  Freimaurern 
in  Zusammenhang  brachte,  während  dies  nur  freundschaftliche  Vereinigungen  von 
Saufbrüdern  und  lustigen  Kumpanen  waren,  die  'auf  die  alte  Hacke'  tranken. 
Ich  kann  hier  nicht  alle  Dialoge,  Lieder  u.  dgl.  meist  des  16.  Jahrhunderts  auf- 
zählen, die  Zibrt  in  dem  eng  gedruckten  Bande  (als  Beilage  zum  'Brauer',  den 
0.  Zachar  herausgibt)  vereinte;  er  nahm  u.  a.  auch  eine  polnische  Schelmen- 
zunft aus  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  auf,  die  durch  ihren  urwüchsigen 
Witz  auffällt.  Das  Buch  verfolgt  zwar  keine  wissenschaftlichen  Ziele,  ist  populär 
gehalten,  aber  durch  die  Fülle  des  Materials  ein  wertvoller  Beitrag  zur  Kultur- 
geschichte Böhmens;  ein  zweiter  Band  soll  verwandtes  Material  aus  dem  19.  Jahr- 
hundert bringen.  —  Ähnliches  umfasst  eine  neue  Publikation  Zi'brts,  eine  Er- 
gänzung förmlich  zum  Cesky  Lid,  in  derselben  Ausstattung,  mit  zahlreichen 
Illustrationen:  Toc  se  a  vre  kolovratku.  Obrazky  z  piastek  byvalych  (Laufe  und 
schnurre,  Spinnrad.  Bilder  von  den  einstigen  Spinnabenden),  Prag  19(^9,  56  S.; 
es  werden  zuerst  die  alten  Angaben  aus  dialektisch -satirischen  Schriften  des 
16.  Jahrhunderts,  obrigkeitliche  Gebote  u.  dgl.  besprochen,  dann  nach  den  einzelnen 
Gegenden  in  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  der  Brauch  unserer  Zeit  (mit  den 
Spielen  usw.)  nachgewiesen  und  die  einschlägige  Literatur  ausgezogen.  Von  der 
'Bibliographie    der   böhmischen    Geschichte'    ist    Bd.  IV,    2    erschienen,    die    Ge- 


220  Brückner: 

schichte  des  Dreissigjährigen  Krieges,  die  Jahre  1621 — 1632,  Nr.  8074 — 11  820, 
S.  481 — 720  zweispaltig;  aus  der  erstaunlichen  Fülle  des  Materials  sei  nur 
hervorgehoben  das  alphabetische  Verzeichnis  der  böhmischen  'Exulanten'  nach 
der  Schlacht  am  Weissenberge  und  ihrer  Lieder  (mit  interessanten,  sonst  ganz 
unbekannten  Einzelnheiten),  S.  5o7 — 578.  Eine  ähnliche,  ebenso  genaue  wie 
ausführliche  Bibliographie  ihrer  Geschichte  kann  keine  andere  Nation  aufweisen. 

Daneben  nehmen  ihren  Portgang  die  periodischen,  von  Zibrt  als  Herausgeber 
geleiteten  Publikationen.  In  erster  Reihe  für  uns  der  Cesky  Lid,  Band  18, 
Heft  5 — 10  und  19,  Heft  1 — 4.  Aus  dem  bunten  und  reich  illustrierten  Inhalt  sei 
hervorgehoben  der  Abdruck  dreier  Komödien  aus  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
durch  Zibrt,  18,  306 — 325  Dialogi  variarum  personarum;  der  erste  enthält  die 
nachdrückliche  Zurückweisung  eines  Trunkenboldes;  der  zweite  schildert  den 
Bacchusdienst;  der  dritte  (unvollendet)  handelt  von  Kartenspiel,  einem  Quack- 
salber und  Tauben:  alles  kurze  B^'astnachtszenen  von  derbem  Humor  und  einer 
urvolkstümlichen,  mit  Sprichwörtern  reich  durchsetzten  Sprache.  Volkstexte  und 
Melodien,  Prosaaufzeichnungen  aller  Art,  Berichte  über  Bräuche  (namentlich  das 
Umgehen  mit  den  drei  Königen,  mit  der  Beruchta  usw.),  die  Erinnerungen  des 
Franz  Hais  (Aufzeichnungen  über  Dorfleben  aus  den  vierziger  Jahren  des  19.  Jahr- 
hunderts); die  Untersuchungen  von  Dr.  Joseph  Volf  über  die  Rosenkreuzer  in 
Böhmen,  die  Polemik,  die  sie  hervorgerufen  haben  (mit  Budovec,  ihre  Prophe- 
zeiungen für  das  Jahr  1622),  desselben  über  die  Reste  der  Adamitensekte  im 
Böhmen  des  19.  Jahrhunderts,  ziehen  sich  durch  mehrere  Hefte,  Genannt  seien 
noch  Aufsätze  über  die  Berührung  der  Smetanaschen  Kompositionen  mit  dem 
Volksliede  (Dr.  Ott.  Zieh);  über  die  Wünschelrute  (aus  alter  und  neuester  Zeit); 
zahlreiche  dialektische  Beiträge  (Glossare  u.  dgl.).  Besonders  sei  hervorgehoben 
die  Bibliographie  böhmischer  Volkskunde  für  1908  und  Zibrts  Übersicht  der 
kulturhistorischen  und  ethnographischen  Literatur  1908  (S.  462 — 480);  hier  sind 
u.  a.  aufgezählt  die  zahlreichen  Feuilletons  Zibrts  in  der  Abendausgabe  der 
Narodni  listy,  die  u.  d.  T.  Jindy  a  nyni  (Einst  und  jetzt)  eine  Menge  kultur- 
historischer und  ethnographischer  Einzelnheiten  behandeln. 

Von  dem  Casopis,  der  böhmischen  Musealzeitschrift,  ist  Band  83  ab- 
geschlossen (480  S.)  und  der  84.  für  11)10  begonnen.  Ich  hebe  hervor  die  Be- 
richte Zibrts  über  Safaiik,  über  Jugend  und  Schicksale  des  berühmten  Historikers 
und  Ethnographen  der  Slavenwelt,  auf  Grund  der  Familienkorrespondenz; 
J.  Jelinek  weist  aus  Kirchenbüchern  und  ürbarien  alles  Nähere  über  die  erste 
Jugend  des  J.  Arnos  Comenius  nach,  bis  zum  Besuch  der  Lateinschule  in  Prerau 
1608  (geboren  in  Ungarisch-Brod  den  28.  März  1592).  Zibrt  ergänzt  seine  Aus- 
gabe der  böhmischen  Bearbeitung  von  (angeblich)  Konrad  Has  'Gesprech  des 
Herrn  mit  S.  Petro  von  der  itzigen  Welt  lauff'  (1560),  die  ihm  nur  in  einem  ver- 
stümmelten Unicum  von  1585  vorlag,  nach  dem  vollständigen  Exemplar  des 
Wiederabdruckes  von  1605,  und  bespricht  das  Verhältnis  zur  deutschen  Vorlage. 
Jedes  Heft  enthält  zudem  zahlreiche  Beiträge  zur  älteren  böhmischen  Bio-  und 
Bibliographie.  Von  fremden  Themen  sei  nur  erwähnt  die  Studie  von  Rowalski 
über  Carlo  Goldoni  als  Reformator  des  Schauspieles  im  18.  Jahrhundert.  Die 
Literatur-Übersicht  behandelt  vor  allem  Boheraica  in  fremden  Sprachen,  z.  B. 
The  life  and  times  of  Master  John  Hus,  London  1909  (von  Graf  Fr.  Lützow); 
Teza,  I  viaggi  di  Marco  Polo  nella  vecchia  versione  boema,  Venezia  1709  (auf 
Grund  der  trefflichen  Akademieausgabe  des  Million,  die  Dr.  Prasek  und 
Flajshans  1902  besorgten);  Dr.  Fr.  Spina,  Die  alttschechische  Schelmenzunft 
Frantova  priiva,    Prag  1909    (in    den  Prager  deutschen  Studien  13,    als    erster  der 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  221 

'Beiträge  zu  den  deutsch-slavischen  Literaturbeziehungen'  erschienen);  auf  Grund 
der  ausgezeichneten  Ausgabe  Zi'brts  weist  Spina  eine  gewisse  Abhängigkeit  von 
der  Schelmenzunft  des  Gribus  1479  und  der  Schweinezunft  Schramms  1494 
(weniger  von  anderen)  nach;  die  Schwanke  selbst  stammen  aus  Bebel  und  Poggio; 
besonders  gelungen  ist  der  Nach\veis  der  engen  Kulturbeziehungen  zwischen  Pilsen 
und  Nürnberg,  wo  Pilsener  Bürger  das  böhmische  Buch  drucken  liessen.  Darüber 
hat  Fr.  Spina  bereits  im  9.  Heft  der  Prager  Studien  besonders  gehandelt 
(Tschechischer  Buchdruck  in  Nürnberg  am  Anfang  des  1 6.  Jahrhunderts)  und  dabei 
die  vielen  'Ratsverlässe'  zur  Kontrole  der  'pikartischen'  Drucker  besprochen. 

Von  dem  Närodopisny  Vestnfk  ceskoslovansky  (Ethnographischer  Anzeiger) 
unter  der  Redaktion  von  Kraus,  Polivka  und  Tille  ist  Band  4  abgeschlossen 
(232, 158  S.)  und  Band  5  eröffnet.  Eine  auch  das  deutsche  Volkslied  in  Österreich  nahe 
berührende  Studie  sei  zuerst  genannt.  1819  ward  auf  Anregung  der  Wiener 
Gesellschaft  der  Musikfreunde  den  Statthaltereien  in  den  Kronländern  die  Samm- 
lung geistlicher  und  weltlicher  Volkslieder  aufgetragen;  diese  wälzten  die  Aufgabe 
auf  die  armen  Volksschullehrer  ab,  ohne  diesen  irgend  eine  Entlohnung  dafür  zu 
gewähren^).  So  entstanden  bereits  1819  wertvolle  deutsche  und  slavische  Lieder- 
sammlungen; die  böhmische  ist  sofort  von  Rittersberg  (Böhmische  Volkslieder, 
Prag  1825)  verwertet,  die  mährische  liegt  noch  heute  ungedruckt.  Zwar  hat  sie 
der  bekannte  Sammler  alles  mährischen  Volkstumes,  Fr.  Bartos,  eingesehen  und 
bei  seinen  eigenen  Publikationen  benutzt;  aber  wie  ungenügend,  wie  viel  er 
davon  übergangen  hat,  zeigt  St.  Soucek  in  einem  längeren  Aufsatz;  Soucek  hat 
auch  in  Lid  19,  26 ff.  über  die  gleichzeitige  handschriftliche  Sammlung  deutscher 
und  böhmischer  Volkslieder  des  Kuhländchens  (unabhängig  von  Meinerts  Ausgabe 
von  1817)  gehandelt,  die  ein  Deutscher,  Felix  Jaschke  (gest.  1831  in  hohem 
Alter),  als  stattlichen  Anhang  u.  d.  T.  'Sammlung  alter  Lieder'  zu  seinem 
Quodlibet  oder  Sammelchronik  von  Fulnek  und  Umgebung  veranstaltete;  seine 
böhmischen  (mährischen)  Texte  decken  sich  fast  vollständig  mit  dem  entsprechenden 
Faszikel  jener  amtlichen  Sammlung  von  1819.  Es  ist  hier  ein  noch  nicht  ganz 
gehobener  Schatz  zu  verzeichnen. 

Besondere  Aufmerksamkeit  verdient  die  Beilage  zu  Bd.  4  und  5,  die  Samm- 
lung böhmischer  Erzählungen  aus  der  Grafschaft  Glatz  von  J.  Kubin,  die  Prof. 
Polivka  kommentiert  hat.  Die  Texte  dieser  preussischen  Böhmen  sind  äusserst 
sorgfältig  phonetisch  aufgezeichnet  und  schon  darum  wertvoll,  aber  der  Kommentar 
verleiht  ihnen  noch  ganz  besonderen  Wert,  denn  Polivka  begnügt  sich  nicht  mit 
blossem  Zitieren  der  Parallelen,  wie  er  es  sonst  tut,  sondern  verweilt  in  grösster 
Ausführlichkeit  bei  allen  Einzelheiten  des  Stoffes  und  schafft  einen  hoch- 
willkommenen Beitrag  zur  Märchenkunde  überhaupt.  Hier  sei  gleich  ein  anderer 
Beitrag  zur  böhmischen  Märchenkunde  angeführt:  'Ceske  pohädky  do  roku  1848' 
(Böhmische  Märchen  bis  1848,  herausgegeben  von  der  Prager  Akademie,  1909. 
VI  und  18(1  S.  gr.  8»);  W.  Tille  hat  hier  die  Geschichte,  Inhalt  und  Wert  aller 
böhmischen  Märchen-  und  Sagensammlungen,  angefangen  von  W.  A.  Gerles  Volks- 
märchen der  Böhmen  (1819)  bis  zu  den  reichen  Sammlungen  von  Krolmus,  Maly 
und  B.  Nemcova  (1845—1847)  kritisch  geprüft,  damit  man  sie  zu  vergleichenden 
Studien    verwerten    kann;    ein    zweiter  Teil    wird    denselben  Stoff   für    die  zweite 


1)  Einer  von  ihnen  beklagt  sich  auch,  dass  den  Lehrern  verboten  ist,  in  Schank- 
häuser  spielen  zu  gehen,  aber  er  hätte  von  seinem  bitteren  Verdienste  zahlen  müssen, 
„um  einige  von  denen  Volkliedern  anführen  zu  können".  Zudem  mussten  die  Lehrer  ihre 
Sammlungen  in  zwei  Exemplaren  einschicken. 


•222  Brückner: 

Hälfte  des  Jahrhunderts,  d.  i.  bis  zum  Aufkommen  wissenschaftlich  genauer  Auf- 
zeichnungen, zu  behandeln  haben;  ausserdem  hat  er  dem  Neudrucke  der  "Werke 
der  B.  Nemcova  eine  ausführliche  Studie  über  deren  Märchen  gewidmet. 

Aus  dem  übrigen  Inhalt  des  Anzeigers  seien  noch  die  Arbeiten  von  Srdinko 
und  Bohäc  über  die  Bewegung  der  Bevölkerung  in  den  böhmischen  Rronländern 
genannt:  in  Böhmen  hat  das  deutsche  Gebiet  relativ  höhere  Geburtenziffern,  in 
Mähren  das  slavische.  Sonst  wäre  die  sorgfältige  Studie  Ton  J.  Tykac  über  die 
Leinwandhausindustrie  in  der  Gegend  von  Böhmisch-Trübau,  St.  Klimas  ethno- 
graphische Skizzen  aus  der  östlichen  Slovakei  (Texte  u.  a.)  usw.  zu  nennen;  die 
literarischen  Besprechungen  zeichnen  sich  durch  Ausführlichkeit  und  Objek- 
tivität aus. 

Von  anderweitigen  Publikationen  sei  eine  neue  'Sammlung  von  Volksliedern 
erwähnt,  die  die  alte  Erbensche  fortführt  und  ergänzt:  Cen.^Holas,  Ceske  narodni 
pisne  a  tance  (böhmische  Volkslieder  und  Tänze);  der  2.  Teil  (Prag  1908. 
199  S.)  bringt  319  vom  Herausgeber  selbst  gesammelte  Lieder  und  Melodien,  mit 
Verweisen  auf  Parallelen  usw.,  aus  dem  Prachiner  Bezirk. 

Von  der  ausgezeichneten  Sprichwörtersammlung  von  Prof.  Vaclav  Flajshans 
sind  drei  Hefte  erschienen,  'Ceskä  pTislovi,  Prag  1909  und  1910,  Spalte  1 — 384 
folio.  Ich  wüsste  aus  keiner  anderen  Literatur  der  Welt  eine  gleich  ausführliche 
und  genaue,  erschöpfende  Sammlung  zu  nennen.  Eine  Art  Vorarbeit  hatte  Prof. 
Flajshans  in  seiner  Neuausgabe  der  slovakischen  Sprichwörter  des  Daniel 
Horcicka-Sinapius  (Neoforum  latinoslovenicum,  Lissa  1(577)  geleistet,  indem  er  den 
polnischen  Ursprung  (aus  des  Cnapius  Thesaurus  1632)  der  Mehrzahl  dieser 
Sprichwörter  nachwies.  Sein  neues  Werk  wird  in  den  ersten  acht  Heften  das 
alte,  in  den  folgenden  das  neue  Material  bieten.  Es  ist  von  einer  erstaunlichen 
Fülle  und  Genauigkeit;  gerade  der  historische  Teil  dürfte  unübertroffen  bleiben; 
gesammelt  sind  nicht  nur  die  eigentlichen  Sprichwörter,  sondern  auch  sprich- 
wörtliche Wendungen  und  Benennungen  (von  Personen);  alle  Nachweise  aus  der 
.heimischen  Literatur  und  die  Nachweise  des  Ursprunges  (Frage  der  Ent- 
lehnung usw.),  wobei  besonders  beachtet  wird,  dass  nicht  für  ein  böhmisches 
Sprichwort  angesehen  werde,  was  bloss  als  Übersetzung  aus  dem  Polnischen, 
Russischen  usw.  meist  durch  Öelakovsky  in  dessen  Sammlung  eingeschmuggelt 
wurde.  Diese  Erörterungen  füllen  manchmal  ganze  Spalten.  So  braucht  z.  B. 
•der  berühmte  Didaktiker  Stitny  (Ende  des  14.  Jahrhunderts)  helmbrecht  (mit 
Ableitungen)  für  einen  losen  Vogel,  Geck,  Schwelger,  das  sicher  aus  dem  Meier 
Helmbrecht  des  Gartenaere  stammt,  aber  Flajshans  führt  auch  eine  andere 
Erklärung  an,  aus  helmberechtigt,  d.  i.  zum  Turnier  berechtigt,  als  Beweis  der 
Zügellosigkeit  des  damaligen  Adels;  schon  in  Rücksicht  auf  das  altböhmische 
najthard,  najthartovati  (aus  dem  Neidhart  der  deutschen  Literatur)  ist  nur  die 
erste  Erklärung  richtig.  Eine  ähnliche  interessante  Entstehung  ist  hampajs,  im 
16,  Jahrhundert  für  Schwelgerei  weit  verbreitet,  aus  dem  bekannten  hanbeis 
=  gallimordium  (öffentliches  Haus),  heute  für  Kegelbahn  gebraucht! 

Von  den  Publikationen  der  Akademie  seien  genannt  die  Herausgabe  des  alt- 
böhmischen 'Lebens  der  alten  Väter'  (Staroceske  zivoty  svatych  otcuv,  durch 
E.  Smetanka,  Prag  1909,  712  S.,  davon  S.  481—708  das  Glossar  zu  diesen 
Texten).  Interessanter  ist  die  Ausgabe  der  Übersetzungen  der  Werke  Wiklefs, 
die  ja  in  andern  mittelalterlichen  Literaturen  fehlen,  in  Böhmen  ausserordentlich 
(Hussitismus  schien  ja  erst  nur  Wikleffismus  zu  sein),  eingewirkt  haben,  verbot 
sie  doch  schon  Papst  Martin  V.  1418  und  liess  sie  vertilgen.  Wohl  wusste  man, 
dass  Hus    und  Hieronymus    den  Trialog  Wiklefs    übersetzt    hatten    und    dass    ihr 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  223 

eifrigster  Mitstreiter,  Jacobellus  von  Mies  (Jakoubek  ze  Stribra)  anderes  über- 
setzte, aber  alle  Texte  schienen  verschollen.  Nun  ist  die  einzige,  leider  un- 
vollständige Handschrift  einer  Übersetzung  eines  der  Hauptwerke  Wikleffs,  des 
Dialogus  (zwischen  Wahrheit  und  Ltige),  gefunden  und  von  Milan  Svoboda 
herausgegeben,  Mistra  Jakoubka  ze  Stribra  Pfeklad  Viklefova  Dialogu  usw.,  Prag 
1909,  XXXVIII  und  197  S.  Der  Herausgeber  weist  nach,  dass  Jacobellus  diesen 
Traktat  etwa  1410  oder  1411  übersetzt  haben  dürfte,  und  nun  fällt  Licht  auf  eine 
bisher  unerklärte  Angabe.  Petr  Cheicicky,  der  grosse  böhmische  Reformator  des 
15.  Jahrhunderts,  den  Leo  Tolstoj  als  seinen  Vorläufer  bezeichnet,  polemisiert  in 
einigen  seiner  Werke  mit  einem  Magister  Protiva  (d.  i.  Widerpart);  es  sind  Stellen 
aus  Wikleff  offenbar  gemeint,  doch  warum  nennt  ihn  nicht  Cheicicky  ausdrücklich, 
wie  er  es  sonst  tut?  Nun  zeigt  es  sich,  dass  Cheicicky  eben  diesen  Übersetzer 
als  „Widerpart"  bezeichnet,  weil  Jacobellus  faktisch  sein  eigener  Widerpart  in 
Prag  1419  und  1420  war,  in  dem  Streite,  ob  Christen  die  Waffen  gebrauchen 
dürfen:  die  Universität  und  ihr  Hauptsprecher,  Jacobellus,  bejahten  dies  Recht  für 
die  Defensive,  Cheicicky  verwarf  es  wie  Tolstoj  und  verlangte,  dass  die  siegreichen 
Hussiten  wegen  ihres  Kämpfens  in  Acht  und  Bann  getan  würden.  Die  treffliche 
Übersetzung  gibt  den  gelehrten  Dialog  in  freier  Paraphrase  wieder,  erweitert  ihn 
namentlich  an  allen  Stellen,  wo  von  der  Verweltlichung  und  der  Simonie  des 
Klerus  die  Rede  ist,  eifernd  gegen  die  falschen  Ablässe.  Andere  Ausgaben, 
'Studien  zu  Stitny'  von  A.  Soucek,  die  Werkchen  des  Neulateiners  Joannes 
Cocinus  a  Cocineto  (Isagoge  zu  Cicero,  De  Oratore),  stattliche  Bände  von 
Korrespondenzen  (des  Begründers  der  Slavistik,  Abt  Dobrovsky,  des  Literaten 
Celakovsky,  eine  schier  unerschöpfliche  Fundgrube  für  die  Geschichte  der 
böhmischen  Wiedergeburt  (1.  Teil,  die  Jahre  1818—1829,  452  S.),  des  Politikers 
Vinaricky)  u.  a.  seien  nur  flüchtig  genannt.  Der  17.  Band  des  Anzeigers 
(Vestnik)  der  Akademie,  499  S.  gr.  8",  für  1908,  enthält  u.  a.  einen  Bericht  von 
Flajshans  über  die  zahlreichen  Bohemica  des  Klosters  Schlägl  in  Oberösterreich 
(10  Handschriften  von  Werken  des  Hus  u.  a.)  und  die  Polemik  von  Janko  gegen 
Peiskers  Ausführungen  über  die  germanische  und  turkotatarische  Sklaverei  der 
ürslaven,  ein  viel  umstrittenes  Thema. 

Von  besonderen  dialektologischen  Publikationen  der  Akademie  sei  namentlich 
auf  Dr.  Ant.  Kasik,  Popis  a  rozbor  nareci  stredobecevskeho  (Prag  1908,  154  S.) 
hingewiesen,  denn  die  Hälfte  des  Bandes  umfassen  lauter  Gespräche  und  Er- 
zählungen, die  das  Leben  des  Volkes  an  der  mittleren  Becva,  um  Walachisch 
Meseritz  in  Mähren  herum,  aus  seinem  eigenen  Munde  wiedergeben,  äusserst 
charakteristisch  ausgewählt;  dadurch  unterscheidet  sich  diese  Sammlung  sehr  zu 
ihrem  Vorteil  von  der  gewöhnlichen  Schablone.  V.  J.  Dousek  beendigte  mit 
einem  dritten  Teil  seine  Lautlehre  südböhmischer  Dialekte  (Hlaskoslovi  usw.,  1908. 
66  S.).  —  Von  dem  monumentalen  Werke  Lubor  Niederles,  das  uns  endlich 
die  schon  seit  einem  halben  Jahrhundert  veraltete  slavische  Altertumskunde 
J^afariks  würdig  ersetzen  wird,  ist  jetzt  der  zweite  Teil  (Herkunft  und  Anfänge 
der  Südslaven,  Prag  1910.  547  S.  gr.  8*^)  abgeschlossen.  Es  werden  die  ethno- 
graphischen Verhältnisse  der  Donauländer  und  des  Balkan  im  Altertum  (in  Kap.  6 
dieselben  im  6.  und  7.  Jahrhundert  n.  Chr.)  und  die  Thesen  über  die  Ankunft 
der  Slaven  erörtert.  Verf.  rückt  sie  sehr  hoch  hinauf,  findet  Spuren  sporadischer 
Besiedelung  schon  im  1.  bis  5.  Jahrhundert,  schildert  die  historisch  beglaubigten 
Einfälle  und  verweilt  namentlich  bei  der  Einwanderung  der  Serben  und  Kroaten 
(die  sagenhaften  Angaben  desPorphyrogenetos  darüber),  zeigt  dann  die  Differenzierung 
der  Südslaven  in  die  heutigen  Stämme,  behandelt  die  schwierige  Frage  der  Namen 


224  Brückner: 

Slave,  Serbe,  Kroate  und  endigt  mit  einem  Kapitel  über  die  archäologischen  Ver- 
hältnisse auf  dem  Balkan,  das  Vordringen  der  lausitz-schlesischen  Kultur  nach 
dem  Süden,  die  ältesten  slavischen  Gräber  und  Grabstätten  daselbst  (8.  bis 
11.  Jahrhundert).  Ihm  verdanken  wir  gleichzeitig  ein  'Geographisches  und 
statistisches  Bild  des  zeitgenössischen  Slaventums',  das  in  russischer  Sprache  (als 
zweite  Nummer  der  grossen,  von  der  Petersburger  Akademie  herausgegebenen 
Encyklopädie  der  slavischen  Philologie,  Petersburg  1909,  160  S.  gr.  8")  und  in 
böhmischer  Fassung  erschienen  ist  ('Slovansky  Svet'  usw.,  die  slavische  "Welt  usw., 
Prag  1909,  197  S.):  eine  äusserst  sorgfältige,  auf  den  zahlreichsten  und  neuesten 
Quellen  beruhende  Arbeit,  welche  die  einzelnen  Stämme  nach  ihren  Sitzen,  Gruppen 
und  Zahlen  behandelt;  an  Zahl  ergibt  sich  für  alle  Slaven  für  das  Jahr  19< Kj 
1H6  500()()0  (der  russische  Gelehrte  Florinskij  in  seinem  'Slavenstamm'  gibt 
für  1906  148  521000  an),  davon  allein  Russen  (Gross-  und  Kleinrussen)  ungefähr 
94O0O0O0  (102  000  000  Florinskij),  gegenüber  85  000  000  Deutschen  (nach  Lang- 
hans, 82  000  000  nach  Henoch)  für  dieselbe  Zeit. 

Über  historische  Publikationen  dürfen  wir  uns  nur  kurz  fassen.  An  ihre 
Spitze  darf  gestellt  werden  das  eben  vollendete  'Vollständige  topographische 
Lexikon  des  Königreichs  Böhmen,  Historischer  Teil'  (Uplny  mistopisny  slovnik 
kralovstvi  ceskeho,  Prag  1895—1909,  1043  S.  gr.  8°  kleinen  Druckes),  ein 
Ertrag  der  Lebensarbeit  von  August  Sedlacek,  die  Geschichte  aller  Städte, 
Burgen,  Dörfer,  Klöster  Böhmens,  aus  den  Archiven  geschöpft,  eine  Arbeit,  wie  sie 
nicht  leicht  irgend  eine  andere  Literatur  aufzuweisen  vermag;  besondere  Rücksicht 
wird  auf  alte  Namensformen  und  auf  eingegangene  Ortschaften  genommen;  bei  den 
Klöstern  werden  nach  Möglichkeit  sogar  die  Äbte,  bei  den  Städten  die  be- 
rühmteren Mitbürger  aufgezählt  usw.  Es  ist  der  Verfasser  der  'Burgen  und 
Schlösser  Böhmens',  von  deren  Beschreibung  seine  auch  Genealogie  und  Heraldik 
umfassenden  Studien  ihren  Ausgang  nahmen.  Die  Beschreibung  der  historischen 
Denkmäler  des  Königreiches  nach  den  einzelnen  Kreisen  nimmt  ihren  Fortgang, 
zuletzt  erschien  Nr.  32,  den  Turnauer  Kreis  betreffend,  von  J.  V.  ."?imäk  (Prag 
1909,  259  S  ).  Degleichen  begann  Kanonikus  A.  Podlaha  eine  nach  den  Vikariaten 
der  Prager  Erzdiözese  geordnete  Beschreibung  der  Kirchen,  Kapellen,  Klöster  und 
anderer  Denkmäler  katholischen  Glaubens  und  Eilers  in  Böhmen;  bisher  sind  drei 
Teile  erschienen  ('Posvätna  mi'sta  kralovstvi  Ceskeho,  dejiny  a  popsäni  chramil 
kaph"  etc.,  Prag  1907—1909,  319,  373,  338  S.);  es  wird  die  Geschichte  jeder 
Kirche  usw.  gegeben.  Legenden  und  alte  Lieder  abgedruckt,  weil  das  gross  an- 
gelegte Werk  für  ein  weites  Publikum  bestimmt  ist,  aber  die  Fülle  der  aus 
Kirchenbüchern,  Konsistorialakten  usw.  geschöpften  Materials  leihen  ihm  wissen- 
schaftlichen Wert. 

Zur  Geschichte  der  Reformation  in  Böhmen  ist  oben  einiges  bereits  genannt. 
Fr.  Loskot  schrieb  die  erste,  vollständige  Studie  über  Leben,  Wirken  und  Werke 
des  Augustinerchorherrn  Konrad  Waldhauser,  des  Vorläufers  von  Hus  (Prag  1909, 
125  S.  als  Eröffnung  einer  Serie:  Die  grossen  Männer  der  böhmischen  Reformation). 
Von  dem  weitläufigen  Werke  des  Mathias  von  Janov  (De  regulis  Veteris  et  Novi 
Testamenti)  erschien  der  zweite  Teil  mit  vier  Traktaten  (über  Kirche,  Zeugen  der 
Wahrheit  usw.)  des  wichtigsten,  dritten  Buches.  Das  4.  Heft  der  „Quellen  zur 
böhmischen  Kirchengeschichte  vom  16.  bis  18.  Jahrhundert"  (herausgegeben  von 
A.  Podlaha,  Prag  1909),  enthält  die  Geschichte  des  Klosters  Plass.  Eine  Gesell- 
schaft von  Bibliophilen  erneuerte  in  einer  Prachtausgabe  des  Comenius  'Testament 
der  sterbenden  Mutter  Brudereinheit'  (Ksaft  etc.)  nach  der  ersten  Ausgabe;  zu 
Comenius  hat  sein  unermüdlicher  Erforscher,  der  Dorpater  Professor   J.  Kvacala 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  225 

Analecta  Comeniana  in  den  Denkschriften  der  Dorpater  Universität  (Bd.  18),  neue 
Briefe,  Drucke,  die  Akten  der  Synode  der  böhmischen  Brüder  in  Lissa  1G35,  ver- 
öffentlicht. In  den  'Quellen  der  böhmischen  Geschichte  6*  begann  J.  Simäk  den 
Abdruck  der  Städtechroniken  des  16.  Jahrhunderts  mit  der  Prager  Chronik  des 
Bartos  und  andern  auf  die  Wirren  von  1524  bezüglichen  (Prag  1907,  438  +  XXXIX); 
sie  sind  böhmisch  geschrieben. 

Die  treffliche  historische  Zeitschrift  (Cesky  Casopis  Historicky)  ist  in  den 
15.  Jahrgang  getreten;  im  14.  beendigte  J.  B.  Novak  die  sehr  instruktive  Studie 
über  die  mittelalterlichen  Diktamina;  er  weist  speziell  für  Petrarka,  was  man 
bisher  unbeachtet  gelassen  hatte,  für  dessen  Epistolographie  den  engsten  Zu- 
sammenhang mit  den  Dictatoren  des  Mittelalters  nach.  J.  Hanns  bespricht  die 
Anfänge  kritischer  Geschichtsschreibung  in  Böhmen  als  Beiträge  zur  nationalen 
Wiedergeburt,  speziell  Dobner  u.  a.  Im  neuesten  Heft  (15,  1)  beginnt  A.  Neu- 
bauer eine  Studie  über  Prokop  Holy,  den  Nachfolger  des  Zizka  bei  den  Taboriten, 
Aus  Anlass  von  Jubiläumsdaten  sind  zwei  stattliche  Publikationen  erschienen: 
vom  Senat  der  böhmischen  Universität  die  notarielle  Abschrift  des  Kuttenberger 
Dekretes  König  Wenzels  (über  die  Stimmen  der  Universitätsnationen),  die  für 
Hus  zu  Zwecken  seiner  Verteidigung  auf  den  Konzil  angefertigt  wurde  (Dekret 
Kutnohorsky  etc.,  Prag  1909,  72  S.,  mit  Faksimile)  und  vom  Historischen  Klub  der 
Majestätsbrief  Kaiser  Rudolf  II.  über  die  Glaubensfreiheit  in  Böhmen,  dieser 
glanzvolle  Erfolg  der  Bemühungen  der  böhmischen  Stände  (K.  Krofta,  Majestät 
Rudolfa  II,  Prag  1909,  43  S.  mit  einem  trefflichen  Faksimile  der  böhmischen 
Urkunde). 

Übergangen  sind  hier  vollständig  lokale  Veröffentlichungen,  die  gerade  in 
Tageszeitungen,  Zeitschriften,  Museal publikationen  eine  Fülle  lokalen  ethno- 
graphischen Materials  gewähren,  die  mährischen  z.  B.  und  andere.  Schon  was 
hier  vorgebracht  ist,  beweist  hinlänglich  die  rege  Tätigkeit,  ja  die  Hingabe,  mit  der 
weite  Kreise  an  die  Erforschung  der  heimischen  Volkskunde  herantreten. 

Berlin.  Alexander  Brückner. 


Heimatschutz  in  Sachsen .  Vorträge  von  Kichard  Beck,  Oskar  Drude, 
Cornelius  Gurlitt,  Arnold  Jacobi,  Ernst  Kühn,  Franz  Mammen, 
Robert  Wuttke.  Mit  74  Abbildungen.  Leipzig,  B.  G.  Teubner  1909. 
184  S.     2,25  Mk. 

In  Dresden  haben  sich  vier  Hochschulen,  die  Technische,  die  Tierärztliche, 
die  Bergakademie  und  die  Forstakademie  zusammengeschlossen,  um  einen  Verein 
für  volkstümliche  Hochschulkurse  zu  gründen.  Eins  der  ersten  Unternehmen  des 
Vereins  ist  der  hier  im  Druck  vorliegende  Zyklus  von  acht  Vorträgen  über 
Heimatschutz.  Die  Bewegung  für  Heimatschutz  hat  in  Sachsen  nach  rühriger 
Vorarbeit  des  Vereins  für  Volkskunde  überraschend  schnell  Wurzeln  geschlagen. 
Die  Regierung  hat  diese  Bestrebungen  kräftig  unterstützt,  vor  allem  durch  Vor- 
legen eines  Gesetzes  gegen  die  Verunstaltung  von  Stadt  und  Land,  das  im  März 
1909  von  beiden  Kammern  angenommen  worden  ist. 

Bedeutung  und  Ziel,  Umfang  und  Grenzen  des  Heimatschutzes  im  allgemeinen 
behandelt  der  letzte  Vortrag  (R.  Wuttke);  die  übrigen  sind  den  einzelnen  Gegen- 
ständen des  Heimatschutzes  gewidmet.     Sachsen    ist   reich  an  geologischen  Denk- 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Heft  2.  15 


226  Beucke,  Heusler: 

malern  der  verschiedensten  Formationen,  die,  wie  z.  B.  der  einzigartige  Topas- 
felsen des  Schneckensteins,  Schutz  verdienen  und  bedürfen.  Die  Entstehung  des 
Landschaftsbildes  und  ihres  Pflanzenkleides  schildert  0.  Drude  und  fordert  Schutz 
nicht  nur  für  die  floristischen  Seltenheiten,  wie  z  B.  gewisse  „Glazialrelikte''  in 
den  Schluchten  der  Sächsischen  Schweiz  und  auf  den  Hochmooren  des  Erz- 
gebirges, sondern  auch  für  solche  Bestände,  in  denen  besonders  reichhaltige  und 
charakteristische  Pflanzengenossenschaften  sich  zusammengefunden  haben.  Zur 
Erhaltung  der  Schönheit  des  Waldes  ist  es  erwünscht,  dass  wenigstens  die  Um- 
gebung besuchter  Aussichtspunkte  und  anderer  landschaftlich  hervorragender 
Stellen  von  dem  Kahlschlagbetriebe  verschont  bleiben.  Einzelne  Waldpartien  von 
besonders  urwüchsiger  Art  sollten  als  „Urwaldreservationen"  überhaupt  von  der 
Durchforstung  ausgeschlossen  bleiben.  Prachtexemplare  von  Bäumen,  die  durch 
Alter  oder  Wuchsform  sich  auszeichnen,  sind  vor  Vernichtung  zu  bewahren.  Der 
heimatliche  Tierschutz  sollte  sich  nicht  engherzig  auf  den  Nützlichkeitsstandpunkt 
stellen,  sondern  auch  die  „schädlichen"  Tiere,  wo  sie  nicht  überhandnehmen,  ge- 
währen lassen,  weil  jedes  in  seiner  Weise  zur  Harmonie  und  Fülle  des  ganzen 
Naturbildes  beiträgt. 

Wie  eine  rücksichtslose,  der  landschaftlichen  Eigenart  zuwiderlaufende  oder 
auch  an  sich  hässliche  Bebauung  den  harmonischen  Charakter  des  Landschafts- 
bildes zerstören  kann  und  wie  nötig  hier  energischer  Schutz  und  Abkehr  von 
verfehlter  Entwicklung  ist,  das  zeigt  E.  Kühn  besonders  an  dem  Beispiele  des 
Plauenschen  Grundes.  In  ähnlicher  Weise  will  C.  Gurlitt  das  Städtebild  vor 
Verunstaltung  bewahrt  wissen.  Wichtiger  noch  als  die  Schonung  wertvoller  alter 
Bauwerke  scheint  ihm  die  Erhaltung  des  alten,  naturgemäss  entwickelten  Plan- 
bildes, die  Beibehaltung  der  schönen,  geschwungenen  Linienführung  in  den 
Strassenzügen,  der  geschlossenen,  ruhigen  Platzanlagen.  Hier  werden  dem  ver- 
meintlichen Verkehrsbedürfnis  durch  Fortreissen,  Verbreitern  und  Durchbrechen 
oft  ganz  unnötige  Opfer  gebracht,  und  manches  reizvolle  Bild  nutzlos  zerstört. 

Heimatschutz  kann  nur  gedeihen,  wo  im  Volke  die  Gesinnung  innerlicher 
Hochachtung  vor  den  Werten  der  Natur  und  der  Kultur  erweckt  ist.  Dazu  bei- 
zutragen sind  diese  Vorträge  durch  die  vielseitigen  Anregungen,  die  sie  geben, 
wohl  geeignet.  Da  Ziele  und  Gegenstände  des  Heimatschutzes  in  allen  deutschen 
Landen  wesentlich  dieselben  sind,  so  ist  dem  hübschen  Büchlein  mit  seinem 
reichen,  zweckdienlichen  Bilderschmuck  eine  weite  Verbreitung  auch  ausserhalb 
der  grün-weissen  Grenzpfähle  zu  wünschen. 

Berlin.  Karl  Beucke. 


Vilh.  Gronbecli,  Lykkemand  og  Niding.     Vor  Folkea-t  i  Oldtiden.     Forste 
Bog.     Kobenhavn.  V.  Pio,  1909.     220  S.     8°. 

Schon  nach  den  ersten  zwei  Seiten  merkt  man,  dass  man  einem  ganz  persön- 
lichen Buche  und  Stile  gegenübersteht.  Erst  viel  später  kommt  man  dahinter, 
was  der  Autor  eigentlich  will  und  wie  sich  der  geheimnisvolle  Obertitel  zu  dem 
fassbareren  Untertitel  verhält.  Der  Lykkemand,  das  ist  der  Begabte  im  Vollbesitz 
der  Ehre,  dem  es  im  Leben  gelingt,  und  der  Niding  ist  der  von  diesen  Gütern 
Ausgeschlossene.  Nämlich  in  der  Welt  der  aisl.  Sagas,  der  aengl.  Epen  und 
der  anderen  Kronzeugen  für  das  vorkirchliche  Germanentum.  Eine  Einleitung 
kontrastiert    die    Schilderung    des    Aussenseiters    Tacitus    mit    den    germanischen 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  227 

Selbstporträts  in  der  Saga  und  stellt  das  Leitmotiv  auf:  das  agerm.  Seelenleben 
liegt  uns  viel  ferner,  als  man  beim  ersten  Blicke  glaubt;  viel  ferner  als  das  der 
homerischen  Griechen;  wer  es  wahrhaft  verstehen  will,  muss  es  sich  von  den 
Fundamenten  aus  aufbauen  unter  steter  Abwehr  der  störenden,  verwischenden 
Analogien  aus  unserer  heutigen  Welt.  Jene  Fundamente  aber  sind  das  Sippe- 
gefühl, das  Ehrgefühl  und  der  Glaube  an  Glück  und  Unglück  als  dem  Menschen 
angewachsene  Eigenschaften.  So  überschreibt  sich  denn  ein  erster  Abschnitt 
'Friede',  d.  i.  eben  Sippegeftihl;  dann  kommt  einer,  betitelt  'Ehre'  S.  69;  dann, 
S.  120,  noch  einmal  'Ehre',  S.  144  'Glück'  und  S.  181  abermals  'Glück'.  Dies 
lässt  schon  ahnen,  dass  G.  kein  Landstrassenwanderer  ist.  Als  Probe  des  Stils 
nehme  man:  „Wir  können  das  Sippegefühl  verfolgen  von  seiner  bewussten  Ent- 
faltung rückwärts  durch  den  Menschenwillen  und  bis  an  die  Grenze,  wo  es  sich 
in  der  Wurzel  dieses  Willens  auflöst.  Wir  ahnen,  nicht  der  Mensch  will  den 
'Frieden',  sondern  der  'Friede'  will  ihn.  Er  liegt  in  der  Tiefe  seiner  Seele  als 
das  grosse  Grundelement,  so  blind  und  so  stark  wie  die  Natur  selber"  (S.  55). 
„Die  Rache  enthält  die  Verklärung  und  die  Erklärung  des  Lebens,  das  Wahrste 
und  Schönste  am  Leben,  die  innerste  Natur  des  Lebens  kommt  zum  Ausdruck  in 
dem  Rächer"  (S.  72).  „Unstern  ist  ein  Bubenstreich,  und  ein  Unsternsmensch  ist 
soviel  wie  ein  Neiding  oder,  je  nachdem,  ein  Neidingskandidat"  (S.  179).  Man 
sieht,  wie  der  Verf.  seine  Gedanken  zuspitzt.  Auf  jeder  dritten  Seite  streift  er 
ans  Paradoxon.  Aber  er  verliert  sich  nicht  daran;  eine  treffsichere  Intuition  be- 
schirmt ihn.  Man  muss  ihm  freilich  ohne  Pedanterie  folgen,  sonst  hätte  man 
allzu  oft  zu  widersprechen.  In  den  späteren  Abschnitten,  von  S.  116  an,  gerät  er 
wohl  öfter  auf  einen  toten  Strang,  redet  er,  seitenweise,  wortreich  um  die  Sache 
herum.  Nur  in  kleinen  Dosen  kann  man  diese  fein  berechneten,  oft  grüblerischen, 
auch  tüfteligen  Sentenzen  in  sich  aufnehmen.  Das  wohltuende  Gegengewicht, 
die  Stellen  mit  köstlicher  Ironie  (siehe  S.  80.  86.  193 f.),  findet  sich  nur  selten  ein. 
Im  ganzen  ein  kulturreifes  Buch,  wie  es  vielleicht  nur  in  Dänemark  ent- 
stehen konnte.  Es  erinnert  an  die  delikate  Kunst  Valdemar  Vedels,  ohne  dessen 
realistische  Frische  zu  erreichen.  Grenbech  redet  nicht  als  Fachmann,  sondern 
als  ein  Künstler,  der  sich  in  einen  Ausschnitt  der  alten  Schriftwerke  innig  ein- 
gelebt hat,  durch  kein  philologisches  Blatt  Papier  von  diesen  Quellen  getrennt. 
Es  nimmt  sich  fast  aus  wie  Selbstgespräche  eines  Schriftstellers,  der  sich  von 
dem  Geäder  des  altnordischen  Seelenlebens  genaue  Rechenschaft  ablegt,  um  der- 
einst aus  dieser  gesättigten  Anschauung  einen  geschichtlichen  Roman  zu  formen. 
An  welchen  Leserkreis  wendet  sich  solch  ein  Buch?  Wer  das  germanische 
Altertum  nur  aus  Abstand  kennt,  müsste  eine  festere,  stofflichere,  handgreiflichere 
Belehrung  verlangen.  Und  von  den  Kennern  der  Sagas  werden  wenige  geneigt 
sein,  ein  Buch  durchzulesen,  dessen  Ertrag  für  sie  in  einer  langen  Reihe  geist- 
reicher Epigramme  besteht.  Und  doch  fände  der  Rechts-,  der  Sittenhistoriker 
hier  Formulierungen,  die  dazu  taugten,  als  geflügelte  Worte  durch  ihre  Lehrbücher 
zu  gehen!  Die  wenigen  Leser  werden  sich  in  einem  persönlichen  Verhältnis  zu 
dem  Autor  fühlen.  Der  Ref.  zählt  sich  zu  dieser  dankbaren  kleinen  Gemeinde, 
nur  kommt  er  über  die  Frage  nicht  hinweg:  war  das  Buch,  das  220seitige  Buch 
die  rechte  Kunstform  für  diesen  Inhalt?  Bogenzahl  und  Entstofflichung  bedingen 
sich  doch  wohl,  und  zwar  in  umgekehrtem  Verhältnis.  War  ein  so  überlegener 
Abstracteur  de  quintessences  gezwungen,  über  die  drei,  vier  Druckbogen  hinaus- 
zugehen? .  .  .  Und  auf  dem  Titelblatte  drohen  die  Worte  'Erstes  Buch'. 

Berlin.  Andreas  Heusler. 


15^ 


228  Lohre,  Eoediger: 

P.  Saintyves,  Les  saints  successeurs  des  dieux.  Paris,  Emile  Nourry 
1907.  410  S.  —  Les  vierges  meres  et  les  uaissances  miraculeuses. 
Ebenda  1908.  280  S.  —  Le  discernement  du  miracle.  Ebenda  1909. 
352  S. 

Die  Zeiten,  da  Hermann  üsener  eine  ausgezeichnete  kritische  Legenden- 
studie der  34.  Philologenversammlung  nur  mit  einer  gewissen  Entschuldigung  vor- 
zulegen wagte  und  erzählte,  auf  der  Angelikana  habe  man  seine  Beschäftigung  mit 
Legendenhandschriften  als  preussische  Spionage  beargwöhnt  —  diese  Zeiten  sind 
für  immer  vergangen.  Heute  bemühen  sich  Philologen,  Theologen  und  Historiker 
wetteifernd  um  diese  Literatur,  und  Streit  herrscht  wohl  um  Einzelheiten,  kaum 
noch  um  die  kritischen  Methoden.  Den  (pseudonymen?)  Verfasser  der  vorliegenden 
Schriften  werden  wir  in  jenen  kritisch  gerichteten  Kreisen  katholischer  Theologen 
Frankreichs  zu  suchen  haben,  für  die  der  unendlich  vieldeutige  Name  der 
'Modernisten'  erfunden  ward. 

Dass  unter  den  zahlreichen  Märtyrergeschichten  nur  eine  verschwindend  kleine 
Zahl  historischen  Wert  habe,  wusste  man  eigentlich  schon  seit  den  Arbeiten  des 
Mauriners  Thierry  Ruinart  (f  17(i9).  Heute  erkennt  Harnack  gegen  18,  Delehaye 
(vgl.  oben  16,  123)  mit  Vorbehalten  etwa  13  Texte  als  historisch  brauchbar  an. 
Aus  welchen  Quellen  nun  aber  die  grosse  Masse  der  übrigen  Legenden  gespeist 
wurde,  wenn  nicht  aus  der  historischen  Wirklichkeit,  das  hat  erst  die  neueste 
Forschung  zu  erhellen  sich  bemüht.  Usener  und  andere  klassische  Philologen 
zeigten  den  Einfluss  hellenistischer  Vorstellungskreise,  Delehaye  und  H.  Günter 
(Legendenstudien  1906)  zeigten  die  spontane  Arbeit  der  Volksphantasie,  die  irgend 
einen  geringen  Wirklichkeitskeim,  eine  bildliche  Darstellung,  ein  metaphorisches 
Bibelwort  u.  dergl.  zu  bunten  Fabeleien  aufquellen  Hess.  So  ergab  sich  eine 
mehr  kulturhistorische  und  eine  mehr  volkspsychologische  Betrachtungsweise,  die 
einander  ergänzten,  nicht  ausschlössen.  Saintyves'  Buch  erweckt  durch  seinen 
Titel  den  Anschein,  schlechthin  der  Usenerschen  Richtung  anzugehören;  der  Inhalt 
zeigt,  dass  das  nicht  der  Fall  ist.  Es  ist  ein  Buch  weitblickender  Zusammen- 
fassung. -Der  Verfasser  schürft  selbst  keine  neuen  Resultate  aus  den  Quellen 
empor,  so  teilt  er  auch  nicht  die  Einseitigkeit  der  Pfadfinder;  er  kennt  und 
würdigt  alle  kritischen  Gesichtspunkte,  die  man  an  die  Legenden  herangebracht 
hat;  sein  Buch  fasst  das  Wesentliche  aus  einer  reichhaltigen  Literatur  zusammen. 
Namentlich  in  den  Arbeiten  französischer  Gelehrter  ist  er  überaus  belesen;  er 
kennt  aber  auch  alles  Wichtige  aus  der  deutschen  und  englischen  Forschung.  So 
scheidet  er  6  Quellen,    aus    denen    die  Phantasie    der  Legendenerzähler  schöpfte: 

1.  La  lecture  des  epitaphes  (falsche  Deutung  von  Abkürzungen,  Adjektiven  usw.), 

2.  L'interpretation  des  images,  3.  Le  temps  et  le  mobilier  liturgiqucs,  4.  Les 
fahles  et  les  paraboles  dans  la  vie  des  saints;  les  doublets  hagiographiques,  5.  Les 
traditions  populaires;  l'eraigration  des  contes,  6.  La  migration  des  miracles  et 
l'amour  du  surnaturel,  7.  Les  traditions  mythiques.  Noch  nicht  auseinandersetzen 
konnte  sich  der  Verf.  mit  Reitzensteins  erst  1906  erschienenen  'Hellenistischen 
Wundererzählungen'  und  der  darin  angedeuteten  Einwirkung  der  Propheten-  und 
Philosophenaretalogien  auf  die  Legenden.  Sonst  aber  ist  nichts  Wichtiges  über- 
gangen, und  überall  zeigt  sich  gediegene  Verarbeitung  und  selbständig  durch- 
dachte Verbindung  des  aus  der  gelehrten  Einzelarbeit  Geschöpften.  Das  gilt  auch 
von  dem  Eingangskapitel  über  den  Ursprung  der  Hciligcnverehrung  überhaupt  und 
von  dem  anregenden  Schlussabschnitt:     'La  raythologie    des  noms  propres'.     Hier 


Berichte  und  ßücherauzeigen.  229 

werden  Tatsachen,  wie  die  Hypostasen  göttlicher,  in  einem  Adjektiv  festgehaltener 
Eigenschaften  zu  selbständigen  Göttern  oder  Heiligen,  der  Einfluss  gelehrter  und 
ungelehrter  Etymologien  und  ähnliches  behandelt.  Es  zeigt  sich,  dass  die 
Mythologie  der  Sprachforschung  noch  immer  bedarf,  wenn  sie  auch  die  einseitig 
etymologische  Methode  Ad.  Kuhns  und  Max  Müllers  verlassen  hat.  Man  darf  mit 
Spannung  der  angekündigten  Fortsetzung  des  Werkes  entgegensehen,  die  'la 
mythologie  des  Images  paiennes'  und  'la  mythologie  des  rites  paiens'  be- 
handeln soll. 

Das  Buch  'Les  Vierges  meres'  trägt  das  Kennzeichen  gewaltiger  Be- 
lesenheit so  gut  wie  das  erste  Werk.  Ziel  der  Darstellung  und  darum  letztes 
Kapitel  ist  hier  die  Einordnung  der  Geburtsgeschichten  Jesu  bei  Lucas  und 
Matthäus  in  einen  religionsgeschichtlichen  Zusammenhang  —  für  den  Kenner  der 
deutschen  kritischen  Theologie  kein  neues  Thema.  Aber  so  weit  wie  hier  ist  der 
religionsgeschichtliche  Rahmen  wohl  selten  gespannt  worden;  alle  nur  irgend  auf- 
findbaren Überlieferungen  von  wunderbaren  Geburten  werden  herangezogen, 
keineswegs  die  Jungfrauengeburt  allein,  sondern  die  Mythen  von  gebärenden 
Steinen,  Wasserfluten,  Pflanzen,  der  befruchtenden  Sonne  usw.  Dies  weite  Material 
wird,  so  weit  irgend  angängig,  in  Verbindung  gebracht  mit  rituellen  oder  profanen 
Volksgebräuchen:  ohne  die  verbreitete  Praxis  des  Kinderaussetzens  keine  Geschichte 
wie  die  von  Roraulus  und  Remus.  Die  umsichtige  Durchführung  dieses  Er- 
klärungsprinzipes  ist  geeignet,  manche  Mythe  des  romantischen  Geheimnisses  zu 
entkleiden,  das  ihr  zunächst  anhaftet;  wie  denn  überhaupt  ein  gesunder,  nicht 
überheblicher,  Rationalismus  dem  Autor  eignet. 

Das  zeigt  sich  auch  in  seinem  dritten,  der  Kritik  des  Wunders  gewidmeten 
Buche,  das  aus  früher  veröfTentlichten  Einzeluntersuchungen  hervorgegangen  ist. 
Anders  als  zur  Zeit  der  Aufklärung  ruht  hier  der  Akzent  nicht  auf  der  philo- 
sophischen, sondern  auf  der  historischen  und  naturwissenschaftlichen  Kritik. 
Kapitel  wie  das  vierte  und  fünfte:  'Du  genre  litteraire  des  livres  historiques  qui 
racontent  des  miracles',  'De  l'idee  que  les  redacteurs  de  recits  miraculeux  se  sont 
faits  de  l'histoire'  konnten  erst  in  unserer  Zeit  geschrieben  werden;  sie  ergänzen 
manche  Ausführungen  über  die  Legenden  in  dem  ersten  Buche.  Auch  der  Teil, 
der  der  philosophischen  Wunderkritik  ^ilt,  ist  weniger  erkenntnistheoretisch  als 
psychologisch  gehalten:  die  seelischen  Zustände,  die  Wunderglauben  erzeugen, 
werden  diskutiert.  Für  näheres  Eingehen  auf  dieses  am  meisten  theologische 
Buch  des  gelehrten  Verfassers  ist  hier  nicht  der  Ort. 

Berlin.  Heinrich  Lohre. 


Robert  Mielke,  Das  Dorf.  Ein  Handbuch  der  künstlerischen  Dorf-  nnd 
Flurgestaltuug.  Mit  256  Textabbildungen.  Leipzig,  Quelle  nnd  Meyer, 
1910.     VI,  290  S.    gr.  8  ^     5,40  Mk.,  geb.  6  Mk. 

Seit  langen  Jahren  hat  Mielke  seine  Studien  dem  deutschen  Dorf  und  seinen 
Bewohnern  zugewandt.  Er  hat  das  bäuerliche  Haus  und  Gehöft  nach  ihren  Typen 
und  deren  Verbreitung  sowie  nach  einzelnen  ihrer  Teile  untersucht,  hat  sein  Auge 
auf  die  landschaftliche  Umgebung  des  Dorfes  und  die  bäuerliche  Kunst  gerichtet 
und  hat  endlich  in  zwei  Büchern  diese  und  andere  Beobachtungen  zusammenzu- 
fassen gesucht:  „Das  deutsche  Dorf^,  1907  erschienen,  charakterisiert  auf 
historisch-geographischer  Grundlage,  das  vorliegende  Werk  stellt  dar  und  beurteilt 
nach  künstlerischen  Gesichtspunkten.     Es  ist  eine  architektonische  Dorfkunde  und 


230  Roediger:   Berichte  und  Bücheranzeigen. 

Dorfkritik  mit  dem  Ziele  des  Heimatschutzes,  wendet  sich  aber  nicht  nur  an  dvn 
Baukünstler,  sondern  an  jeden,  der  durch  seine  Stellung  als  dörflicher  Grund- 
und  Hausbesitzer  oder  als  Beamter  an  der  Gestaltung  des  Dorfes  mitzuwirken  be- 
rufen ist,  oder  der  auch  nur  das  deutsche  Dorf  liebt  und  lernen  möchte,  sich 
Rechenschaft  zu  geben  über  die  Ursache  der  von  ihm  ausgehenden  Eindrücke, 
der  sein  Urteil  messen  möchte  an  dem  eines  durch  weite  Umschau  geschulten 
Mannes.  Denn  die  in  diesem  Buche  niedergelegten  Beobachtungen  sind  das  Er- 
gebnis zwanzigjähriger  Reisen  (Vorwort  S.  VI),  deren  Ausdehnung  durch  ganz 
Deutschland  die  rund  2t)U  Abbildungen  erkennen  lassen,  alle  bis  auf  ein  Zehntel 
von  Mielke  selbst  aufgenommen. 

Das    mit   einem    eingehenden    Namen-   und    Sachregister    ausgestattete    Buch 
setzt  sich  aus  drei  Teilen    zusammen.     Der    allgemeine    behandelt    die    Lage    des 
Dorfes  in  der  Landschaft  und  seine  Abhängigkeit  von  der  Natur,  die  sich  in  seiner 
Gestalt  sowie  in  den  Stoffen  und  Formen  der  Bauten  äussert.      Freilich  bestimmt 
die  umgebende  Natur  jetzt  nicht  mehr  allein  die  Tätigkeit  der  Dorfbewohner,  weil 
diese    sich  vielfach  durch    äussere  Anstösse  verschoben  hat,    was  dann  wieder  zu 
Änderungen    der    baulichen    Anlagen,    der  Landeinteilung    usw.    Anlass    gab.     Der 
vierte  Abschnitt  dieses  Teiles  „Das  Dorf  in  seinen  geschichtlichen  Formen"   wird 
seiner  Überschrift  nicht  gerecht.     Die  ästhetische  Betrachtung    überwiegt   zu  sehr 
die  historische,  so  dass  der  Inhalt  sich  zum  grössten  Teil  anderweitig  unterbringen 
Hesse,    das  Entwickelungsgeschichtliche    aber    an    einleitender  Stelle    Platz    finden 
könnte.     Gerade  hier  bietet  übrigens  Mielkes    zweites  Buch    eine  Ergänzung,    und 
auch  der  erste  Abschnitt  des  die  Dorfgestaltung  betrachtenden  zweiten  Teiles    im 
vorliegenden  Werke,    der  vom  Lageplan    handelt,    greift    ein.      Daneben   kommen 
in    diesem  Teil    andere    umfassende  Gebilde  zur  Sprache:    das  Dorf    von    aussen 
und  innen  gesehen,  die  Gestaltung  der  Wege,  die  Flur.     Die  Überschriften    ,.Das 
Dorfbild,  das  Strassenbild,  die  Strasse"  drücken,    scheint  mir,  den  Inhalt  der  Ab- 
schnitte nicht  ganz  glücklich  aus.     Der  letzte  Teil  prüft  die  Bauten  im  einzelnen, 
wobei  ich  den  Brunnen  lieber  zu  den  übrigen  Nutzbauten,  die  Denkmäler  —  deren 
Begriff  ein  wenig  schillert!  —  an  den  Schluss    gerückt    hätte.      Kleine    Bedenken 
in  bezug    auf  Form    oder  Technik    habe    ich    auch    sonst   noch    hin    und    wieder 
empfunden.     S.  85  nimmt  sich  das  „Gesetz,    dass    die    zunehmende  Grösse    (eines 
Bauwerkes    in    der  freien  Natur)    proportional    der    abnehmenden    Helligkeit    sein 
muss",  sonderbar  aus,    und  es    geht    selbst    aus    dem  Zusammenhange  nicht  glatt 
hervor,    dass    die    helle  Färbung    des  Bauwerks    gemeint    ist.     S.  180  sind  AYege- 
steine  in    den   Zwischenräumen    mit    Hecken    bepflanzt,    statt    der    Zwischenräume 
zwischen  den  Wegesteinen.     S.  112    „um    so  näherliegender"    statt    näher   liegend 
oder  allenfalls  naheliegender.     S.  55  ff.  finde  ich  Schindel  durchweg  als  Masculinum 
statt  als  Femininum  gebraucht,    ohne  Zweifel    durch    Attraktion    an    „der  Ziegel^. 
Anderes  mag  in  das  Gebiet  der  Druckfehler  fallen,  unter  denen  Baumgruppe  statt 
Baugruppe  (S.  240)    der   unangenehmste    ist    und    von    denen    ich    nur    noch    die 
falschen  Zitate  S.  210   statt   154  f.  (S.  243)    und    S.  2G9    statt    2(JG  f.    (S.  234)    be- 
richtige.    Sie  sind  jedoch  selten,  nur  leider  nicht  in  den  Verweisungen  auf  Bilder. 
S.  76°  muss    es    heissen  Abb.  03   statt  6!>,    S.  95  bei  dem  unteren  Bilde    145    statt 
150,  S.  102   /^bb.  13'J  satt  3ii,   S.  IGG  Abb.  145  statt  152,    S.  233  Abb.  üla  statt  91, 
S.  240  Abb.  214  statt  228,    S.  248  Abb.  223  statt  222.     An    einigen    Stellen    weiss 
ich  den  Fehler  nicht  mit  Sicherheit  zu  bessern,  oder  liegt  er  in  den  Illustrationen. 
Ist  S.  127  Abb.  113  statt  110  gemeint?      S.  180:    Abb.  96    stellt    keinen    Bergweg 
dar.     Abb.  62  erläutert  die  Angaben  des  Textes  S.  223  nicht,  Abb.  23  zu  S.  37  is^t 
undeutlich,    Abb.  7    genügt    für  die  Anmerkung    auf  S.  43    nicht    und    auf  Abb.  27 


Notizen.  231 

tritt  die  charakteristische  Bretterverkleidung  des  Giebelzwickels,  von  der  der  Text 
redet,  nicht  hervor.  Aber  das  sind  wohl  die  einzigen  Mängel  an  den  sonst  vor- 
züglich geratenen  und  ihren  Zweck  durchaus  erfüllenden  Bildern. 

Wie  immer  bei  Geschmacksurteilen  wird  der  Verfasser  nicht  durchweg  Zu- 
stimmung finden.  Aber  man  dürfte  die  Überlegtheit  und  Duldsamkeit  seiner 
Kritik  anerkennen  und  ihm  zugestehen,  dass  er  nicht  mit  einem  theoretisch  kon- 
struierten, fertigen  Massstab  an  die  Dinge  herantritt,  sondern  aus  der  Betrachtung 
des  Vorhandenen  zu  lernen  und  Normen  zu  gewinnen  sucht.  Er  hebt  auch  mit 
Recht  hervor,  dass  die  Vorfahren  nicht  die  von  uns  abgezogenen  Regeln  besassen 
und  nach  ihnen  geschaffen  haben,  sondern  dass  eine  verständige  Anpassung  an 
das  Gegebene  und  Zweckmässige  die  Grundlage  des  Wohlgefälligen  in  der 
bäuerlichen  Kunst  bildet.  Mielke  ist  weder  ein  blinder  Lobredner  und  Ver- 
teidiger des  Alten,  noch  ein  Verächter  der  Mittel  und  Forderungen  der  Neuzeit, 
sondern  verlangt  nur  ruhiges  Abwägen  nach  beiden  Richtungen  und  Vorsicht  im 
Verwerfen  des  Altbewährten,  w^eil  es  sich  oft  genug  schonend  und  doch  vorteilhaft 
und  befriedigend  umgestalten  lässt.  So  gesellen  sich  seine  systematischen  Be- 
trachtunijen  zu  den  praktischen  Bestrebungen  hervorragender  Architekten  und 
werden  das  Verständnis  für  sie  hoffentlich  immer  mehr  wecken  und  ver- 
breiten. 

Berlin.  Max  Roediger. 


Notizen. 

Marie  Audree-Eysn,  Volkskundliches,  aus  dem  bayrisch-österreichischen  Alpen- 
Gebiet.  Braunschweig,  F.  Vieweg  1910.  XIV,  274  S.  gr.  S"  mit  Titelbild  und  2-25  Ab- 
bildungen. —  IG  Abhandlungen  enthält  der  stattliche  Band,  in  welchem  die  verehrte  Ver- 
fasserin den  Ertrag  einer  langjährigen,  fruchtbaren  Sammelarbeit  und  einer  besonnenen, 
knappen  und  dabei  deutsche  wie  ausländische,  neue  wie  alte  Literatur  umsichtig  heran- 
ziehenden Betrachtung  niedergelegt  hat:  1.  St.  Wolfgangs  Verehrung  in  Bayern  und 
■Österreich:  seine  Wunder:  Quellenerweckung,  Erweichen  der  Steine,  Beilwurf  u.  a.  Bräuche 
der  Pilger:  Durchkriechen  durch  eine  Felsenspalte,  Steinschleppen,  Opfergaben,  Glocken- 
zeichen des  Beters  für  den  Heihgen.  2.  Pestkapellen  und  -bilder,  Sebastianspfeile  als 
Amulette:  die  Patrone  Sebastian,  Rochus,  Cbristophorus,  Anna.  3.  Die  drei  h.  Jungfrauen 
Einbetta.  Worbetta,  Wilbetta  und  ihre  Bilder  in  Süddeutschland,  Luxemburg  und  Böhmen. 
4.  Der  Buchstabe  T  als  Pestamulett  über  der  Tür,  auf  Schutzbriefen  imd  Anhängern 
(nach  Hesekiel  9,  4:  iri  =  Zeichen  auf  der  Stirn  der  Auserwählten).  .">.  Das  Frautragen 
in  Salzburg  oben  9,  154.  13,  430).  6.  Deckengehäuge  im  deutschen,  slawischen  und 
schwedischen  Bauernhause:  die  kunstvoll  aus  Holz  geschnitzte  Heihggeist-Taube  und  die 
aus  Stroh  oder  Zittergras  hergestellte  'Unruh'.  7.  Pranger-  oder  Reifstangen  in  Salzburg. 
8.  Schutzmittel  für  Haus  imd  Hof:  Inschriften,  Benediktuspfennig,  Bilder,  Segen,  Palm- 
buschen.  Antlaß-ei,  Schädel,  Trudensteine  u.  a.  9.  Amulette:  Feige,  Schutzzettel,  Benediktus- 
kreuz,  Nepomukzunge,  Walpurgisöl,  Lorettohauben,  Ringe,  Trudenmesser,  Fraisschlüssel, 
Edelsteine.  Maulwurfspfoten  usw.  10.  Schädelkultus  im  Alpenlande;  Bemalung.  Inschriften. 
11.  Die  Perchten  in  Salzburg,  die  schiachen  und  die  schönen.  12.  Maibäume.  13.  Vieh- 
schmuck beim  Almabtrieb.  14.  Verstücher  und  -briefe.  15.  Sagen  aus  der  Rauris:  Berg- 
mandl,  wilde  Frau,  Zauberer,  Hexen,  Festbannen,  Spuk.  16.  Hag-  und  Zaunformen: 
Brauch.  Sprichwort,  Aberglaube,  Sagen  über  den  Zaun.  Natürlich  vermag  diese  knappe 
Aufzählung  nur  eine  schwache  Vorstellung  von  der  ungemein  reichen  Fülle  des  Inhalts, 
die  durch  eine  grosse  Zahl  vortrefflicher  Abbildungen  noch  anschaulicher  wird,  und  von 
den  zum  Teil  ganz  neuen  Forschungsergebnissen,  z.  B.  bei  Nr.  3,  4,  (>,  9,  10,  IG,  zu  geben. 
Durch  die  wohltuende  Vorsicht  gegenüber  mythologischen  Spekulationen  (S.  ."lö.  87.  157') 
und  die  scheinbar  mühelose  Beherrschuns:  der  volksktmdlicheu  Literatur  erinnert  das  Werk 


232  Notizen. 

uns  fast  auf  jeder  Seite  an  Richard  Andrees  glänzende  Arbeit  über  die  süddeutschen 
Votive  (s.  oben  15,  233),  der  es  nun  als  die  zweite  Frucht  eines  harmonischen  Zusammen- 
wirkens des  verehrten  Paares  an  die  Seite  tritt. 

K.  Bücher,  Arbeit  und  Rhythmus.  Vierte  ueubearbeitete  Auflage.  Leipzig  und 
Berlin,  B.  G.  Teubner  190!).  XI,  47G,  XIV  S.  8".  7  Mk.  —  lu  der  vor  vierzehn  Jahren 
erschienenen  ersten  Auflage  dieses  Werkes  legte  der  bekannte  Leipziger  Nationalökonom, 
den  uralten  Zusammenhang  zwischen  Arbeit,  Rhythmus  und  Lied  ins  Auge  fassend,  die 
historische  Entwicklung  einer  ursprünglich  nur  mit  Unlust  betriebenen  Arbeitsleistung  zu 
ihrer  rhythmischen  Gestaltung  und  weiter  zur  Entstehung  von  Arbeitsgesängen  zum  ersten 
Male  einleuchtend  dar  und  knüpfte  daran  weitere  in  die  Urgeschichte  der  Musik  und 
Dichtung  hineingreifende  Folgerungen.  Der  fruchtbare,  durch  eine  stattliche  Zahl  von 
Beispielen  und  Belegen  gestützte  Grundgedanke  Büchers  hat  bald  Anklang  gefunden,  und 
wir  freuen  uns,  nach  der  oben  12,  372  ausführlicher  charakterisierten  dritten  Auflage  eine 
durch  neue,  namentlich  ostasiatische  Arbeitslieder,  einen  instruktiven  Bilderanhang  von 
14  Tafeln  sowie  durch  allgemeine  Ausführungen  vermehrte  Bearbeitung  begrüssen  zu 
können.  "Was  über  die  Frauendichtung  der  primitiven  Völker  (S.  394)  ausgeführt  wird,  ist 
sicherlich  ernster  Beachtung  wert.  Dagegen  scheint  mir  die  Behauptung:  „Es  ist  die 
energische  rhythmische  Körperbewegung,  die  zur  Entstehung  der  Poesie  geführt  hat,  ins- 
besondere diejenige  Bewegung,  welche  wir  Arbeit  nennen"  (S.  36ö)  allzu  kühn  und  schwer 
beweisbar.  Soll  Tanz,  Musik,  Poesie  aus  der  körperlichen  Arbeit  hervorgegangen  sein, 
nur  weil  diese  wesentlich  geistigen  Betätigungen  sich  gleichfalls  dem  rhythmischen  Ge- 
setze unterordnen?  In  der  rhythmischen  Begleitung  der  primitiven  Arbeit  die  einzige 
oder  auch  nm-  die  hauptsächliche  Wurzel  der  Poesie  zu  sehen  vermag  ich  nicht.  Nach- 
träge zu  den  Liedern  der  Böttcher,  Schmiede,  Drescher,  Rammer,  Klöpplerinnen  zu  geben 
wäre  natürlich  leicht;  ich  möchte  aber  nur  auf  den  schweizerischen  Erntegeiger  bei 
Messikommer,  Aus  alter  Zeit  1909  S.  46  hinweisen. 

A.  Freybe,  Der  deutsche  Volksaberglaube  in  seinem  Verhältnis  zum  Christentum 
und  im  Unterschiede  von  der  Zauberei.  Gotha,  Perthes  1910.  XV,  194  S.  3,60  Mk.  — 
Für  junge  Geistliche  schreibt  F.  ein  in  den  Lehrbüchern  der  praktischen  Theologie 
fehlendes  Kapitel  über  die  rechte  Behandlung  des  Aberglaubens.  Indem  er  ausführlich 
über  die  verschiedeneu  Äusserungen  des  Aberglaubens  und  seinen  Zusammenhang  mit 
dem  germanischen  Heidentum  orientiert,  macht  er  auf  die  ethischen  Züge,  die  poetische 
Naturanschauung  und  die  zahlreichen  christlichen  Spuren  darin  aufmerksam  und  empfiehlt 
statt  rationalistischen  Spottes  zarte  und  wohlwollende  Rücksichtnahme  nach  dem  jMuster 
der  alten  Kirche.  Dagegen  will  er  von  der  Zauberei  und  dem  Spiritismus  nichts  wissen. 
Karl  Huss,  Die  Schrift  vom  Aberglauben,  nach  dem  in  der  fürstlich  Metternichschen 
Bibliothek  zu  Königswart  befindlichen  Manuskripte  hsg.  von  A.  John.  Prag,  J.  G.  Calve 
1910.  XXXII,  48  S.  mit  12  Abbildungen  und  4  Farbentafeln.  3  Mk.  (Beiträge  zur  deutsch- 
böhmischen Volkskunde  9,  2).  —  Die  1823  abgefasste,  volkskundlich  wertvolle  Schrift  des 
Egerer  Scharfrichters  Huss  (1761—1838)  handelt  nicht  wie  die  ältere  seines  Nürnberger 
Kollegen  Meister  Franz  (ccL  Endter  1801)  von  seinen  amtlichen  Verrichtungen;  sondern 
der  aufgeklärte,  nur  durch  das  allgemeine  Vorurteil  von  einem  gelehrten  Berufe  aus- 
ireschlossene  Mann,  dessen  Antiquitätenmuseum  wiederholt  von  Goethe  besucht  und  endlich 
vom  Grafen  Metternich  erworben  wurde,  trägt  hier  eine  Fülle  abergläubischer  Meinungen 
des  Volkes  zusammen,  ohne  mit  seiner  ehrlichen  Entrüstung  und  seinem  herben  Spott 
über  die  menschliche  Torheit  zurückzuhalten.  Schon  in  der  ZföVolksk.  G,  107  hatte  der 
um  die  Volkskunde  des  Egerlandes  hochverdiente  A.  John  einen  sachlich  geordneten 
Auszug  aus  der  bisher  unbekannten  Hs.  gegeben;  jetzt  erscheint  der  vollständige  Text 
mit  den  interessanten  Zeichnungen  einer  Wünschelrute,  eines  Erbschlüssels,  Drutenfusses, 
kabbalistischer  Figuren,  der  Satorformel  usw.  und  mit  einer  ausführlichen  Einleitung. 

H.  Kehrer,  Die  heiligen  drei  Könige  in  Literatur  und  Kunst.  2  Bde.  Leipzig, 
E.  A.  Seemann  1908.  X,  114.  XV,  327  S.  4«  mit  1  Taf.  und  348  Abbildungen.  30  Mk.  — 
Kehrer,  der  bereits  1904  eine  Studie  über  die  h.  drei  Könige  in  der  Legende  und  in  der 
deutschen  Kunst  veröffentlicht  hatte,  kehrt  hier  mit  reiclierer  Ausrüstung  zu  seinem  Thema 
zurück  und  liefert  eine  auf  umfassenden  Quellenforschungen  ruhende,  trefflich  illustrierte 


Notizen.  233- 

Darstellung.  Wie  sich  die  durch  Springer,  Ficker  u.  a.  vertretene  neuere  Richtung  der 
mittelalterlichen  Kunstgeschichte  überhaupt  dadurch  kennzeichnet,  dass  sie  an  die  Be- 
trachtung und  Deutung  der  Kunstwerke  nicht  ohne  ein  ausgedehntes  Studium  des  ge- 
samten Literatur-  und  Kulturlebens  dieser  Zeit  herantritt,  so  hat  auch  K.  der  Entwicklung 
der  Dreikönigslegende  einen  ganzen  Band  gewidmet,  der  alle  theologischen  und  literar- 
historischen Fragen  berücksichtigt  und  mit  den  neuesten,  bisweilen  noch  ziemlich  hypo- 
tlietischen  Ansichten  operiert.  Im  Anschluss  an  Dieterich  erblickt  er  in  dem  Stern  und 
den  Magiern  des  Matthäusevangelinms  einen  Zusammenhang  mit  der  babylonischen 
Astrologie  und  dem  Mithraskulte.  Er  schildert  die  geistliche  Deutung  der  orientalischen 
Kirchenväter,  die  volkstümliche  Erweiterung  der  Legende  in  der  syrischen  •Schatzhöhle'^ 
(drei  Könige,  ihre  Namen)  und  das  zuerst  bei  den  alexandrinischen  Gnostikern  gefeierte, 
um  350  auch  nach  dem  Westen  gedrungene  Epiphanienfest,  dessen  Liturgie  ursprünglich 
auch  die  Geburt  und  Taufe  Christi  verherrlichte.  Nachdem  dann  das  Gebuitsfest  Christi 
davon  abgelöst  und  auf  den  "25.  Dezember  verlegt  worden  war,  prägte  Augustin  das  Fest 
um  zum  Geburtstage  der  Heidenkirche,  als  deren  Erstlinge  er  die  Magier  bezeichnete. 
Die  Dreizahl  und  das  Königtum  der  letzteren  taucht  nun  auch  im  Abendlande  auf,  ihre 
Namen  Bithisarea,  Melichior,  Gathaspa  führt  hier  zuerst  ein  Mönch  des  Merowiugerreiches 
an.  und  die  lateinischen,  deutschen,  französischen  Bearbeiter  der  Legende  fügen  immer 
neue  reizvolle  Züge  hinzu.  Eine  üppig  ausgeschmückte  deutsche  Fassung,  die  1475  in 
Freysing  aufgezeichnet  ward,  hat  K.  1,  82—95  aus  dem  Cgm.  504  abgedruckt.  Aus  der 
abendländischen  Liturgie  des  Dreiköuigstages  entwickelte  sich  in  Frankreich  zu  Ende  des 
11.  Jahrhundert  ein  kirchliches  Schauspiel,  bei  dem  wohl  eine  Madonnenstatue  auf  dem 
Altar  stand,  und  dem  später  ein  Herodesspiel,  eine  Hirtenszene  und  der  Ludus  inno- 
centium  angefügt  ward.  Im  Volksglauben  galten  die  h.  drei  Könige  als  Patrone  der 
Reisenden  und  Helfer  gegen  Epilepsie,  ihre  Reliquien  wurden  11()2  aus  Mailand  nach 
Deutschland  gebracht.  —  Der  zweite  Band  behandelt  in  27  Kapiteln  die.  verschiedenen 
Typen  der  künstlerischen  Darstellung  der  Legende.  Aus  seinem  ungemein  reichen  In- 
halte sei  nur  einzelnes  hervorgehoben.  Den  auf  dem  oben  18,  28i)  reproduzierten  Kata- 
kombengemälde vertretenen  Typus  nennt  K.  den  hellenistischen,  weil  hier  die  in  der 
Ti-acht  der  Mithraspriester  erscheinenden  Magier  ihre  Huldigung  nach  antiker  Weise 
stehend,  nicht  mit  dem  persisch -byzantinischen  Fußfall  (Proskynesis)  darbringen.  Die 
Sarkophagreliefs  zerfallen  in  eine  Gruppe,  die  vor,  und  eine,  die  nach  der  Einführung  des 
Weihnachtsfestes  entstanden  ist.  Im  orientalischen  Typus  erscheint  statt  des  Sterns  eiU' 
Stemengel.  Auf  den  Einfluss  des  Schauspiels  gehen  zurück  die  vollständige  Kniebeugung 
statt  der  halben  Genuflexio  und  der  Gestus  des  Hindeutens  auf  den  Stern,  ferner  die 
Ruinenarchitektur  des  15.  Jahrhunderts  und  der  seit  1470  in  Deutschland  (wo  Kaspar 
allmählich  zum  lustigen  Kasperle  wird)  auftretende  Mohrenkönig,  endlich  das  Zusammen- 
treffen der  drei  Könige  samt  ihrem  stattlichen  Gefolge.  —  Sorgfältige  Literaturnachweise 
und  Register  erhöhen  den  Wert  des  Werkes,  dem  ein  paar  stilistische  Härten  und  will- 
kürliche Schreibweisen  wie  Hepting,  Hippolyth,  Komestor,  Märlant  besonders  aufzunmtzeii 
kleinlich  wäre. 

K.  Knortz,  Die  Insekten  in  Sage,  Sitte  und  Literatur.  Annaberg,  Graser  1910. 
151  S.  2,40  Mk.  —  In  vier  Kapiteln  werden  uns  I^esefrüchte  aus  allen  möglichen  Ländern 
und  Zeiten  mitgeteilt  über  Biene  und  Honig,  Floh  und  Laus,  Fliege  und  Spinne,  allerlei 
Kriecher  und  Flieger.  Der  Mangel  an  Ordnung  und  höheren  Gesichtspunkten  verschuldet 
es,  dass  man  höchstens  einzelne  Partien  daraus  als  eine  unterhaltende,  wenn  auch  nicht 
immer  geschmackvolle  Plauderei  bezeichnen  kann.  Der  Forscher  wird  dies  bunte  Sammel- 
surium, dem  häufig  keine  Quellenangaben  zur  Seite  stehen,  nur  gelegentlich  als  ^laterial- 
sammlung  benutzen, 

L.  Maeterlinck,  Le  genre  satirique,  fantastique  et  licencieux  dans  la  sculpture 
flamande  et  wallonne.  Les  misericordes  de  stalles  (^art  et  folklore).  Paris,  J.  Schemit 
1910.  III,  380  S.  12  Fr.  —  Maeterlincks  neues  Werk  ergänzt  sein  oben  17,  3-'>5  charakte- 
risiertes Buch  über  die  satirische  Richtung  in  der  vlämischen  Malerei  durch  eine  sorg- 
fältige Sammlung  und  Beleuchtung  der  gleichartigen  kirchlichen  Holzschnitzereien  des 
13.  bis  17.  Jahrhunderts.     An  den  Miserikordien,    d.  h,  den  Knäufen    der  Sitzklappen  des 


234  Notizen. 

Chorgestühls,  auf  denen  man  während  des  durch  die  liturgische  Ordnung  gebotenen 
Stehens  ausruhte,  haben  die  belgischen  Bildschnitzer  eine  reiche  Phantasie,  eine  für  die 
Sittengeschichte  höchst  wertvolle  Beobachtung  des  Volkslebens  und  einen  oft  jede  Schranke 
überspringenden  Humor  bekundet.  Auf  diesen  kleinen  Holzreliefs  gewahren  wir  nicht 
bloss  grinsende  Köpfe  oder  Fabeltiere,  Affen  und  gliederverrenkende  Narren,  sondern 
vor  allem  lebendige  Szenen  des  Alltagslebens,  Liebespaare,  Prügeleien,  Stockspiel,  Band- 
wurmkuren und  ähnliche  skatologische  Vorgänge,  Satiren  auf  die  Streitsucht  der  Frau, 
die  ihrem  Manne  die  Hosen  eutreisst  und  selbst  den  Teufel  bindet,  auf  die  Uukeuschheit 
der  Mönche  und  Nonnen,  auf  die  Juden.  Der  derbe,  oft  unflätige  Realismus  dieser  Dar- 
stellungen ist  in  der  späteren  Malerei  kaum  überboten  worden.  Literarische  Einflüsse 
treten  zu  Tage,  wenn  der  Zauberer  Vergil  im  Korbe  zwischen  Himmel  und  Erde  hängt 
oder  der  Meister  Aristoteles  der  schönen  Phyllis  als  Pieittier  dient,  wenn  die  Gestalten 
der  Tierfabel,  die  Katze  mit  der  Schelle,  der  beim  Storch  speisende  Fuchs,  auftreten  oder 
lehrhafte  Gleichnisse  (Perlen  vor  die  Säue  werfen,  blinde  Blindenleiter)  und  Sprichwörter 
(den  Backofen  angaffen,  mit  dem  Kopf  durch  die  Wand,  die  Welt  durchkriechen)  er- 
scheinen. Die  Anschaulichkeit  der  Schilderung  wird  durch  275  vom  Autor  selber  ge- 
zeichnete Abbildungen  unterstützt.  In  der  Anordnung  ist  der  Grundsatz  durchgeführt, 
die  örtlich  und  zeitlich  zusammengehörigen  Denkmäler  zusammen  zu  besprechen.  Wie 
in  seinem  früheren  Werke  hat  M.  überall  auf  den  Zusammenhang  mit  der  gleichzeitigen 
Literatur  und  den  aktenmässig  zu  belegenden  Tatsachen  der  Kulturgeschichte  hin- 
gewiesen: besonders  interessant  ist  der  Nachweis  illustrierter  vlämischer  Sprichwörter 
(S.  2S9.  o(i2:  dazu  Fred.  Muller,  De  nederlandsche  Geschiedenis  in  Platen  nr.  3020  und 
Nachtrag  nr.  703  a — b).  Auch  in  England,  Frankreich,  Spanien  und  Deutschland  hat  die 
vlämische  Bildschnitzerei  Einfluss  ausgeübt;  vielleicht  regt  Maeterlincks  vortreffliche 
Leistung  einen  unserer  Kunsthistoriker  an,  einmal  die  Darstellungen  der  in  Deutschland 
vorhandenen  Miserikordien  im  grösseren  Zusammenhange  zu  mustern. 

J.  Orsier,  La  moquerie  savoyarde,  apologue  en  vers  patois  de  la  fin  du  KJ.  siecle 
et  ses  origines.  Paris,  H.  Champion  1910.  28  S.  8".  —  Das  1603  zu  Chambery  er- 
schienene Gedicht  in  savoyardischem  Dialekt,  welches  0.  abdi'uckt  und  durch  eine  weitaus- 
holende Stoffgeschichte  erläutert,  behandelt  die  bekannte  Fabel  vom  Vater,  Sohn  und 
Esel  (Pauli,  Schimpf  und  Ernst  477)  im  Anschluss  an  Poggios  lateinische  Fassung. 

Ch.  Peabody,  Certain  quests  and  doles  (The  Putnam  Anniversary  volume  1900, 
344  — oG7).  —  Eine  vergleichende  Übersicht  über  den  in  England  wie  in  anderen  euro- 
päischen Ländern  nachweisbaren  Brauch  der  Kinder,  zu  Weihnachten,  Neujahr,  Drei- 
königstag, Ostern  und  an  anderen  Tagen  des  Jahres  herumzuziehen  und  durch  Bettelverse 
Gebäck  und  ähnliche  Gaben  einzufordern. 

Siebenbürgisch-sächsisches  Wörterbuch,  mit  Benutzung  der  Sammlungen 
Johann  Wolffs  hsg.  vom  Ausschuss  des  Vereins  für  siebenbürgische  Landeskunde, 
1.  bis  O.Lieferung,  bearbeitet  von  Adolf  Schullerus.  Strassburg  i.  E.,  K.  J.  Trübner 
1908—1910.  LXXir,  416  S.  gr.  S^  12  Mk.  —  Die  siebenbürgische  Mundart  ist  im  eigent- 
lichen Deutschland  wenig  bekannt,  trotzdem  dieser  wackere,  kernige  Stamm  alljährlich 
viele  seiner  Söhne  und  Töchter  auf  deutsche  Hochschulen  sendet  und  eine  keineswegs 
unbedeutende  Dialektliteratur  aufzuweisen  hat.  Vor  allem  freilich  muss  die  Entwicklung 
der  Mundart  dieser  im  12.  Jahrhundert  aus  dem  mittelfränkischen  Eifel-  und  Moselgebiet 
ausgewanderten  Volksgemeinschaft  den  Sprachforscher  aufs  höchste  interessieren.  Und 
so  hat  schon  Leibniz,  der  als  erster  das  Wesen  der  Mundarten  in  den  Kreis  wissenschaft- 
licher Betrachtung  zog,  ein  siebenbürgisch-sächsisches  Wörterbuch  gefordert.  Seiner  An- 
regung leisteten  im  18.  und  19.  Jahrhundert  verschiedene  siebenbürgische  Pfarrer  und 
Beamte  Folge,  insbesondere  griffen  J.  K.  Schuller,  J.  Haltrich  und  J.  Wolff  diese  grosse 
Arbeit  mit  Avissenschaftlichem  Sinne,  wenn  auch  jeder  in  anderer  Weise,  an,  ohne  zum 
Abschlüsse  und  zur  Drucklegung  zu  gelangen.  1S95  endlich  nahm  sich  der  Verein  für 
siebenbürgische  Landeskunde  der  durch  Wolffs  Tod  ins  Stocken  geratenen  Sache  an: 
A.  Schullerus  schrieb  eine  Vorgeschichte  des  Wörterbuches  (Hermannstadt  1895)  und  ver- 
sandte in  Gemeinschaft  mit  A.  Scheiner  und  0.  Wittstock  neue  Fragebogen.  Zehn  Jahre 
.später  konnte  er  mit  G.  Keintzel  und  G.  Kisch  einige  Proben  von  ausgearbeiteten  Artikeln 


Roediger:   August  Meitzen  f-  235 

veröffentlichen,  und  der  Vereinsausschuss  beschloss  nunmehr  die  Drucklegung.  —  In- 
zwischen war  dem  Wörterbuch  durch  Untersuchungen  über  einzelne  Teilmundarten  und 
über  die  Yervraudtschaft  mit  dem  niederrheinischen  Dialekt  Förderung  erwachsen.  Hübsch 
berichtet  Schullerus,  wie  er  mit  einigen  Genossen  durchs  Moseltal  wandernd  die  Bauern 
in  seiner  Mundart  anredete,  um  die  vor  70(t  Jahren  verlassene  Heimat  seines  Stammes 
festzustellen,  oder  wie  ein  alter  Letzeburger,  dem  die  Siebenbürger  sich  als  Landsleute 
vorstellten,  bedächtig  meinte:  „Wenn  ir  Letzeburger  sit,  da  sit  ir  lang  fürt  von  hai,  da 
must  ir  schong  als  Kanuer  (Kinder)  se  fürt  gange."  Die  historische  Betrachtung  des  ge- 
sammelten ^^'ortvorrates  schied  jetzt  das  vom  Rhein  mitgebrachte  romanische  liehngut 
(lat.  cavea,  trabs,  satellum,  gradus  etc.)  von  den  durch  die  veränderten  wirtschaftlichen 
Verhältnisse,  durch  den  Verkehr  mit  Magyaren  und  Rumänen  und  durch  den  Einfluss  der 
deutschen  Schriftsprache  hinzugekommenen  Ausdrücken.  So  stark  aber  blieb  der  Einfluss 
der  ererbten  Mundart,  dass  die  Schriftsprache  bis  vor  kurzem  nur  eine  geschriebene,  nicht 
auch  gesprochene  Sprache  war.  Bis  gegen  1850  herrschte  die  Älundart  auf  der  Kanzel 
und  in  den  Gerichtsverhandlungen  ausschliesslich,  auch  die  Schule  übte  wohl  das  Hoch- 
deutschschreiben, aber  nicht  das  Sprechen:  hochdeutsche  Ausdrücke  wurden  also  einfach 
in  mundartliche  Laute  umgesetzt:  aus  hd.  Knabe  ward  ein  'Knu°we'  statt  des  heimischen 
'Gang'.  Immerhin  hat  sich  neben  den  kräftigen  Dorfmundarten  unter  dem  Einflüsse  dieser 
Kanzel-  und  Amtssprache  eine  abgeschliffenere  Umgangsmundart  gebildet.  —  Die  Aus- 
führung des  nach  so  langer  und  umsichtiger  Vorbereitung  ans  Licht  tretenden  Unter- 
nehmens verdient  nach  den  vorliegenden  Lieferungen,  die  auf  41G  zweispaltigen  Seiten 
den  Wortschatz  von  A  —  Bätsch  vorführen,  warmes  Lob.  Da  der  gesamte  Sprachschatz 
des  siebenbürgischen  Volkes  in  möglichster  Vollständigkeit  vorgeführt  werden  soll,  so 
sind  die  Belege  aus  den  früheren  Jahrhunderten  und  die  Formen  der  allgemeinen  Um- 
gangssprache wie  der  drei  Hauptmundarten  sorgsam  aufgezählt,  Personen-  und  Ortsnamen 
sind  aufgenommen,  insbesondere  aber  ist  der  sachlichen  Belehrung  über  volkskund- 
liche Gegenstände  ein  breiter  Raum  gewährt,  so  dass  einst  das  Werk  eine  Fundgrube 
für  die  Kenntnis  des  siebenbürgischen  Volkslebens  bilden  wird.  Welch  reiches  Material 
über  Hochzeitsbräuche  bieten  z.B.  die  Artikel  abbitten,  abdanken,  abfangen,  abtanzen, 
Almesch,  anbieten,  anhalten,  ansinnen,  aufnehmen,  auftuen,  ausgrüssen,  auskehren,  Aus- 
schank: über  Spiele:  abreiten,  abschneiden,  Apfel,  Asche,  Bär:  über  Aberglauben: 
Abnehmen.  Ader,  Altar,  Äscher,  auslöschen  u.  a.I  Welche  Fülle  steckt  in  den  .\bschuitten 
Arm,  Auge,  Bach,  Backen I  Nach  dem  Vorbilde  des  schwäbischen  Wörterbuchs  ist  die 
alphabetische  Reihenfolge  nach  dem  hochdeutschen  Stichworte  eingerichtet  und  die 
Schreibung  möglichst  einfach  und  gemeinverständlich  dargestellt.  Die  einzelnen  Orts- 
dialekte werden  durch  Lauttafeln  versinnlicht,  welche  144  Worte  in  ihren  Abwandlungen 
vorführen  und  später  durch  einen  geographischen  Atlas  der  Mundart  ersetzt  werden  sollen. 
Möchte  das  schöne  Werk  weithin  Anerkennung  und  Förderung  finden! 

K.  Straub,  Die  alte  Reichsstadt  Xördlingen  im  Ries  und  ihre  nähere  Umgebung. 
Nördlingen,  Verein  zur  Hebung  des  Fremdenverkehrs  [1910].  48  S.  0.50  Mk.  —  Ein 
hübsch  illustrierter  Führer. 


August  Meitzen  •]'. 

Wieder  ist  einer  von  den  Begründern  des  Vereins  für  Volkskunde  dahin- 
gegangen, Weinholds  mit  ihm  eng  befreundeter  Landsmann  August  Meitzen.  Er 
wurde  am  IG.  Dezember  1822  in  Breslau  geboren  und  starb  zu  Berlin  am 
19.  Januar  d.  J.  In  den  ersten  Jahren  unseres  Vereins  beteiligte  er  sich  lebhaft 
an  den  Versammlungen,  hat  auch  das  Amt  eines  Beisitzers  bis  zu  seinem  Tod 
innegehabt,  aber  nach  und  nach  musste  er  Zeit  und  Kraft  für  seine  Arbeiten 
aufsparen,  wie  denn  auch  zunehmende  Kränklichkeit  und  Schwäche  ihn  ans  Haus 
fesselten. 


236  Eoediger:    August  Meitzen  f. 

Meitzen  widmete  sich  zuerst  dem  Studium  der  Medizin,  ging  aber  bald  zur 
Rechts-  und  Staatswissenschaft  über.  Den  Doktorgrad  darin  erwarb  er  1846, 
dazu  1848  den  der  Philosophie  mit.  einer  Arbeit  über  die  Schwarzwälder  Uhren- 
industrie. Die  begonnene  Laufbahn  als  Staatsbeamter  verliess  er,  als  er  1853 
zum  Bürgermeister  von  Hirschberg  gewählt  wurde,  kehrte  aber  1856  in  den 
Staatsdienst  zurück.  Durch  seine  Tätigkeit  bei  den  Grenzregulierungen  der 
Schlesischen  Generalkommission  legte  er  den  Grund  für  seine  agrarhistorischen 
Arbeiten,  lernte  den  Wert  der  Plurkarten  und  Kataster  als  Wegweiser  in  die  Ver- 
gangenheit erkennen  und  wurde  mit  den  ländlichen  Verhältnissen  zunächst 
Schlesiens  vertraut.  Von  seinem  Eindringen  in  ihre  Geschichte  legten  die  1863 
von  ihm  herausgegebenen  Urkunden  schlesischer  Dörfer  Zeugnis  ab,  doch  unter- 
brach diese  Forschungen  eine  ministerielle  Berufung  nach  Berlin.  Er  wurde  dort 
mit  einer  Arbeit  betraut,  die  bis  in  seine  letzten  Jahre  hineinreicht  und  deren 
Ergebnisse  vorliegen  in  dem  achtbändigen,  mit  einem  Atlas  versehenen  Werke 
'Der  Boden  und  die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Preussischen  Staates' 
(Berlin  1868—1872.  1894—1901).  Als  Mitglied  des  preussischen  Statistischen 
Bureaus  war  er  zugleich  Lehrer  am  Statistischen  Seminar  und  ging  später  zum 
Kaiserlichen  Statistischen  Amt  über.  Er  schied  1882  aus  ihm,  als  er  zum  Mit- 
direktor des  Staatswissenschaftlich-statistischen  Seminars  der  Berliner  Universität 
ernannt  wurde,  der  er  seit  1875  als  Extraordinarius,  seit  1892  als  ordentlicher 
Honorarprofessor  angehörte.  Ich  übergehe  seine  uns  ferner  liegenden  Veröffent- 
lichungen und  nenne  nur  die  der  Volkskunde  besonders  wertvollen  wirtschafts- 
geschichtlichen: Die  Ausbreitung  der  Deutschen  in  Deutschland  1879,  Der  älteste 
Anbau  der  Deutschen  1881  (aus  dem  Jahrbuch  für  Nationalökonomie  und  Statistik 
N.  F.  2),  Das  deutsche  Haus  in  seinen  volkstümlichen  Formen  1882,  Das  Nomaden- 
tum  der  Germanen  (in  den  Verhandlungen  des  zweiten  deutschen  Geographen- 
tages, April  1882),  Die  Grösse  von  Volkshufe  und  Königshufe  (in  der  Festgabe 
für  Hanssen  1889).  Sie  bereiten  das  zweite  grossartige  Hauptwerk  Meitzens  vor, 
das  den  Gipfel  seiner  Lebensarbeit  bildet:  Siedelung  und  Agrarwesen  der  West- 
germanen und  Ostgermanen,  der  Kelten,  Römer,  Finnen  und  Slawen  (drei  Bände 
und  ein  Atlas,  Berlin  1895).  Hierin  zeichnet  Meitzen  das  aus  Flurkarten,  Ur- 
kunden und  Geschichtswerken  ihm  aufgegangene  Bild  der  Besiedelung  Europas 
nördlich  der  Alpen,  die  Verschiebungen  der  Völker  und  ihr  Ringen  um  Land,  das 
Wesen  ihrer  Niederlassungen  und  ihrer  sich  wandelnden  Wirtschaftsformen.  Als 
Einführung  und  zum  Teil  Ergänzung  hierzu  können  dienen  die  drei  einleitenden 
historischen  Abschnitte  des  1901  erschienenen  sechsten  Bandes  des  ersten  grossen 
Werkes  über  den  Boden,  die  speziell  aus  der  Agrargeschichte  Norddeutschlands 
behandeln  die  ersten  Bewohner,  Wanderungen,  Stammes-  und  Sprachverhält- 
nisse, die  feste  Besiedelung  und  Agrarverfassung,  die  deutsche  Kolonisation  und 
Grosswirtschaft  im  slawischen  Osten.  Im  dritten  Bande  der  Siedelung  beschäftigt 
sich  Meitzen  eingehend  mit  dem  deutschen  und  nordischen  Hause  und  vertieft 
seine  älteren  Forschungen  darüber,  die  neben  Hennings  Arbeiten  der  Beschäftigung 
mit  den  Hausformen  einen  neuen  Anstoss  gegeben  haben.  Dass  er  dabei  nicht 
zu  unbestrittenen  Ergebnissen  gelangte,  können  wir  ihm  angesichts  des  fort- 
dauernden Ringens  mit  diesen  Problemen  nicht  zum  Vorwurf  machen,  und  das 
gilt  ebenso  für  das  gesamte  Werk.  Wir  denken  jetzt  anders  über  das  Nomaden- 
tum  der  Germanen  und  zweifeln  an  Meitzens  darauf  gebauten  Berechnungen  und 
Schlüssen;  w^ir  nehmen  seine  Ansichten  über  den  Einfluss  der  Kelten  und  die 
Völkerverschiobungen  nicht  ohne  Einspruch  hin,  und  auch  gegen  andere  Resultate 
machen  Gelehrte  verschiedener  Richtung  und  verschiedener  Fächer  Einwendungen. 


Brunner:    Protokolle.  237 

Aber  diese  Bedenken  richten  sich  nur  gegen  die  Ausdeutung  des  Materials.  Zu- 
gestehen wird  ihm  jeder  seine  Bereicherung,  die  energische  Durchdringung  des 
Stoffes,  die  Verfolgung  der  Probleme  bis  zu  ihren  Wurzeln  und  letzten  Kon- 
sequenzen, die  Vertrautheit  mit  den  bäuerlichen  und  wirtschaftlichen  Verhältnissen, 
und  den  grossen  Zug  in  der  Anlage  des  Werkes.  Eine  feste,  freudige  Über- 
zeugung, auf  dem  richtigen'jWege  zu- sein,  durchwehtes,  trieb  Meitzen  zu  rastloser 
Arbeit  und  fand  auch  im  persönlichen  Verkehr  Ausdruck.  Aber  sie  war  frei  von 
jeder  Anmassung,  die  diesem  reinen  und  liebenswürdigen,  freundlich  milden 
Charakter  gänzlich  fern  lag.  Nur  ein  wohltuendes  Bild  kann  von  ihm  nach- 
bleiben. 

Berlin.  Max  Roediger. 


Aus  den 

Sitziings-ProtokoUen  des  Vereins  für  Volkskunde. 


Freitag,  den  28.  Januar  1910.  Der  Vorsitzende,  Herr  Geheimrat  Roediger, 
widmete  dem  verstorbenen  Mitglicde  A.  Meitzen  einen  längeren  Nachruf,  der  die 
Verdienste  des  Gelehrten  im  allgemeinen  und  seine  Bedeutung  für  die  Volkskunde 
im  besonderen  behandelte.  Durch  seinen  Tod  wurde  auch  eine  schmerzliche 
Lücke  im  Vereinsvorstande  gerissen,  dem  er  seit  langen  Jahren  als  Beisitzer  an- 
gehörte. Der  Schriftführer  Herr  Direktor  Minden  wurde  auf  eigenen  Wunsch 
zum  Beisitzer  im  Vorstande  und  Herr  Schriftsteller  Robert  Mielke  an  seine 
Stelle  neu  in  den  Vorstand  gewählt.  Der  Vorsitzende  erstattete  den  Bericht  über 
das  vergangene  Vereinsjahr  und  an  Stelle  des  verhinderten  Herrn  Schatzmeisters 
Dr.  Fiebelkorn  auch  den  Kassenbericht,  aus  welchem  die  infolge  steter  Steigerung 
der  Druckkosten  entstandene  ungünstige  Lage  der  Vereinskasse  hervorging.  Es 
ist  infolgedessen  geboten,  auf  Werbung  neuer  Mitglieder  bedacht  zu  sein  oder 
andere  Einnahmequellen  zu  erschliessen.  Auf  Vorschlag  von  Herrn  Geheimrat 
Friedel  wurde  dem  Schatzmeister  Entlastung  erteilt  und  ihm  der  Dank  des 
Vereins  für  seine  Mühewaltung  ausgesprochen.  Der  Vorsitzende  wies  sodann  auf 
eine  in  den  'Mitteilungen  des  Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volkskunde'  ent- 
haltene Anregung  hin,  welche  die  Sammlung  von  Soldatenbriefen  aus  Feldzügen 
bezwecke.  Herr  Professor  Roediger  teilte  mit,  dass  ein  Elsässer  Pfarrer 
Jakobi  sich  an  ihn  gewendet  habe,  um  Auskunft  über  etwa  bekannte  ornamen- 
tierte Ziegelsteine  zu  erhalten.  Vielfach  finden  sich  an  solchen  Hausmarken  und 
andere  Zeichen.  Die  Sammlung  dieser  Erscheinungen  möge  den  A'^ereinsmitgliedern 
empfohlen  sein.  Herr  Sökeland  erinnerte  an  die  mit  Kopfdarstellungen  versehenen 
Firstziegel,  welche  von  Herrn  von  Preen  oben  18,  277  veröffentlicht  wurden. 
Herr  Friedel  teilte  mit,  dass  sich  im  Märkischen  Museum  eine  Anzahl  von 
Ziegeln  mit  Marken  vorfänden.  Der  Vorsitzende  machte  dann  Mitteilung  von  der 
Herausgabe  eines  neuen  Werkes  'Schlesische  Sagen',  Teil  1,  welche  die  Schlesische 
Gesellschaft  für  Volkskunde  bearbeitet  hat.  Herr  Franz  Treichel  legte  einige 
kaschubische  Flechtereien  aus  Wacholder  (Kaddik)-AVurzeln  vor,  die  in  neuen 
Formen  alte  Arbeitsüberlieferungen  wieder  beleben  sollen.  Er  zeigte  dann  noch 
eine  Anzahl  grosser  Photographien  von  volkstümlichen  Vorgängen  und  Bauten  in 
der    Kaschubei,     wie    den    Hochzeitsbitter,     das    bekannte    'Binden'    von    Gästen 


238  Brunn  er: 

während  der  Ernte,  Kartoffelkaulen,  Armenkathe,  Erdsiedelungen  usw.  Herr 
Professor  Bolte  zeigte  dann  einen  aus  Thüringen  stammenden,  mit  meist  un- 
verständlichen schriftartigen  Zeichen  beschriebenen  Papierbogen  vor,  der  wohl 
einen  Bausegen  bedeuten  sollte  und  hinter  dem  Türpfosten  eines  Hauses  auf- 
gefunden worden  ist.  Er  besprach  sodann  das  neu  erschienene  Buch  von  Marie 
Andree-Eysn  'Volkskundliches  aus  dem  bayrisch -österreichischen  Alpengebiet'.  — 
Herr  Sökeland  besprach  ebenfalls  unter* Vorlegung  von  Gegenständen  einzelne  Ab- 
schnitte des  ebengenannten  Buches,  so  besonders  die  interessante  Gruppe  der 
Heiliggeisttauben  und  anderer  Deckengehänge  in  Bauernstuben,  die  in  nördlichen 
Gegenden  oft  als  Unruh  bezeichnet  werden  und  als  hexenwehrend  oder  -anzeigend 
gelten.  Zu  dem  Kapitel  Volksmedizin  in  Form  von  gedruckten  kleinen  Heiligen- 
bildchen und  dergleichen,  die  verschluckt  werden  müssen,  erwähnte  er  eine  vor 
wenigen  Jahren  in  Berlin  beobachtete  Parallele.  Junge  Damen  im  Backfischalter 
schrieben  den  Namen  eines  schwärmerisch  verehrten  Bühnenkünstlers  auf  Papier- 
zettel und  verschluckten  sie.  —  Herr  stud.  phil.  Hugo  Siebenschein  sprach  dann 
unter  Vorlegung  zahlreicher  farbiger  Bilder  des  Malers  Jöza  Vprka  über  Volks- 
leben und  Volkstracht  in  Südmähren.  Die  Hauptmasse  der  Bevölkerung  besteht 
aus  Slowaken,  die  ein  arbeitsames,  frohes  und  frommes  Völkchen  sind.  Die  vor- 
wiegend ländliche  Arbeit  vermag  die  Bevölkerung  nicht  zu  ernähren,  deshalb  ziehen 
besonders  die  armen  Gebirgsslowaken  auf  Arbeit  nach  Österreich.  Trotzdem  lieben 
sie  bunte  Farben  in  ihrer  Tracht  und  sind  grosse  Freunde  des  Humors  und  der 
Musik.  Auf  der  slowakischen  Kirchweihe  pflegt  es  sehr  lustig  herzugehen.  Auch 
andere  Feste  werden  geräuschvoll  gefeiert.  Die  Sitte  des  Maibaumes  ist  ihnen 
bekannt.  Man  tanzt  unter  ihm,  während  bunte  Bänder  die  Paare  verbinden; 
Nationaltänze  werden  von  einzelnen  zum  besten  gegeben.  Bemerkenswert  ist  auch 
die  grosse  Frömmigkeit  der  Slowaken.  Fast  jedes  Dorf  hat  eine  Kirche.  Ihre 
Andacht  entbehrt  völlig  der  Mystik,  und  Wallfahrten,  besonders  zu  einer  Kapelle 
des  Heiligen  Anton,  spielen  eine  bedeutende  Rolle.  Ihre  Wohnhäuser  sind  von 
einfacher  Bauart  und  weissglänzend  bemalt,  über  den  Fenstern  häufig  farbige 
Verzierungen,  welche  von  den  Frauen  hergestellt  sind.  Die  Ausstattung  der  kleinen 
Stuben  zeigt  Vorliebe  für  bunte  Geschirre  und  bemalte  Truhen,  während  Schränke 
fehlen.  Die  slowakische  Volkstracht  in  Nordungarn  wurde  von  einer  anwesenden 
jungen  Dame  veranschaulicht.  Dann  beschloss  der  Redner  seinen  interessanten  Vortrag 
mit  einigen  gesungenen  slowakischen  Volksliedern.  —  In  den  Ausschuss  des 
Vereins  wurden  gewählt:  Fräulein  Elisabeth  Lemke  und  die  Herren  Bartels, 
Behrend,  Friedet,  Goetze,  Hahn,  Heusler,  Ludwig,  Maurer,  Samter, 
Erich  Schmidt,  Schulze-Veltrup. 

Freitag,  den  25.  Februar  1910.  Der  Vorsitzende  Geheimrat  Prof.  Roediger 
begrüsste  das  anwesende  Ehepaar  Professor  Andree  aus  München  und  teilte  mit, 
dass  der  neugewählte  Ausschuss  Herrn  Geheimrat  Fr i edel  zum  Obmann  erwählt 
habe.  Der  Unterzeichnete  legte  aus  der  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde 
einige  Gegenstände,  wie  einen  Wettersegen,  einige  Trudenmesser  und  Photo- 
graphien aus  einer  grossen  Sammlung  von  deutschen  Zunftaltertümern  vor.  Letztere 
gehören  dem  nordischen  Museum  in  Stockholm  und  sollen  demnächst  in  Deutsch- 
land versteigert  werden.  Ferner  verlas  er  eine  Mitteilung  des  Herrn  Rendanten 
Ratig  in  Perleberg  über  'Feierabend-  oder  Sonnensteine'.  Das  sind  Dachsteine 
mit  eigentümlichen  fächerförmigen  Verzierungen,  die  früher  als  erster  Stein  im 
Jahre,  auch  nach  Feierabend  oder  am  Schluss  der  jährlichen  Arbeitsperiode  in 
den  Ziegeleien  von  den  Gesellen  hergestellt  und  dem  Besitzer  oder  Meister  über- 
reicht wurden.     p]s  kommen  ausser  den  erwähnten  Mustern  auch   Namen,    Jahres- 


Protokolle.  239 

zahlen,  Kreuze,  Tannenbäume  und  Sprüche  auf  ihnen  vor.  Ausserdem  wurden 
diese  Dachziegel  öfter  Besuchern  der  Ziegelei  überreicht  unter  Aufsagung  eines 
Spruches,  der  zur  Hergabe  eines  Geldgeschenkes  aufforderte,  ähnlich  wie  das 
z.  B.  bei  Erntearbeiten  und  anderen  Gelegenheiten  allgemein  üblich  ist.  Herr 
Professor  Andree  wies  im  Anschluss  daran  auf  Morse  hin,  der  diesen  Gegen- 
stand ausführlicher  bearbeitet  hat.  Dann  besprach  Herr  Treichel  die  'Mit- 
teilungen des  Vereins  für  kaschubische  Volkskunde',  und  Herr  Geheimrat  Friedel 
an  der  Hand  einer  Sammlung  von  verschiedenartigen  Löffelformen  die  Entwicklung 
der  Essgeräte.  Als  älteste  Form,  vor  Messer  und  Gabel  entstanden,  sieht  er  den 
Löffel  an,  in  der  Form  der  hohlen  Hand  und  der  Muschel  von  der  Natur  dem 
Menschen  dargeboten.  Besonders  die  Muschel  ist  als  Schöpfgerät  in  der  Kunst 
von  jeher  dargestellt  worden  und  hat  auch  bei  religiösen  Zeremonien  eine  Rolle 
gespielt.  So  findet  sich  auf  alten  Bildern  die  Muschel  oft  bei  der  christlichen 
Taufe  angewendet.  Als  vermutlich  älteste  Form  des  Messers  wurde  ein  rohes 
Gerät  aus  Hornstein  ägyptischer  Herkunft  gezeigt,  dessen  Alter  auf  10-  bis 
20  000  Jahre  geschätzt  wurde.  Eine  eigentümliche  gebogene  und  spitze  Messer- 
form, wie  die  süddeutschen  Trudenmesser,  im  Spanischen  navajo  genannt  und  als 
Messer  der  St.  Jakobspilger  bekannt,  dürfte  ehedem  zugleich  als  Gabel  gedient 
haben.  Die  Benutzung  einer  eigentlichen  Gabel  beim  Essen  ist  erst  spät  auf- 
gekommen; noch  im  13.  Jahrhundert  galt  das  als  ungewohnter  Luxus.  Als  Küchen- 
gerät mag  die  Gabel  schon  uralt  sein,  wie  aus  der  Erzählung  von  Elis  Söhnen  im 
zweiten  Buche  Samuelis  hervorgeht.  Herr  Maurer  bemerkte,  dass  bei  Alpen- 
burg (Mythen  und  Sagen  Tirols)  ausführlich  über  den  Gebrauch  der  Truden-  oder 
Pinzgerraesser  gehandelt  sei.  Herr  Stadtverordneter  Sökeland  gab  sodann  einen 
ausführlichen  Bericht  über  das  Linviertler  Trachtenfest  zu  Taufkirchen  in  Ober- 
österreich, Pfingsten  1909,  mit  Erläuterung  der  Tänze  und  Spiele.  Zu  den 
festlichen  Veranstaltungen  gehörte  vor  allem  eine  Bauernhochzeit,  die  von 
F.  Holzinger,  Taufkirchen,  in  der  kleinen  Festschrift  'Alt-Innviertler  Trachtenfest' 
ausführlich  geschildert  ist.  Dann  wurden  vom  Vortragenden  eine  grosse  Zahl  von 
Volkstänzen  wie  Siebenschritt,  Eckerischer,  Polstertanz  und  vor  allem  der  Schwert- 
tanz besprochen.  Zur  Veranschaulichung  des  letzteren  hatte  ein  jüngeres  Vereins- 
mitglied die  Tanztracht,  weiss  mit  roten  Besätzen  und  fezartige  Kopfbedeckung, 
angelegt.  Von  den  Spielen,  die  bei  dem  Feste  vorgeführt  wurden,  sind  einige 
identisch  mit  den  oben  14,  361  beschriebenen  Drischlegspielen.  Besonders  er- 
wähnenswert wäre  das  durch  seine  naive  Frische  erheiternde  Adam-  und  Evaspiel 
(Paradeisspiel),  das  in  Irüherer  Zeit  zu  Weihnachten  dargestellt  zu  werden  pflegte. 
In  der  Besprechung  des  Vortrages  wies  Herr  Roediger  zur  Vergleichung  auf 
die  in  der  Zs.  f.  österr.  Volkskunde  1909,  S.  161  gegebene  illustrierte  Darstellung 
von  Spielen  der  Gössler  Holzknechte  hin.  Hinsichtlich  des  angenommenen  tür- 
kischen Ursprunges  des  Schwerttanzes  möchte  er  lieber  einen  uralten  und  später 
umgestalteten  Volksbrauch  annehmen.  Schon  Tacitus  erwähnt  einen  Schwerttanz 
der  Germauen.  Der  mit  auftretende  Hanswurst  des  oberösterreichischen  Schwert- 
tanzes deutet  auf  spätere  volkstümliche  Umwandlung.  Allerdings  sei  es  schwierig 
bei  der  grossen  Lücke  in  der  Tradition  hierin  zu  einem  sicheren  Schluss  zu  ge- 
langen. Herr  Professor  Bolte  wies  darauf  hin,  dass  man  den  neueren  Schwert- 
tanz, der  ja  nicht  nur  in  Oberösterreich  bekannt  sei,  für  eine  gelehrte  Wieder- 
belebung des  alten  germanischen  Tanzes  angesprochen  habe.  Herr  Dr.  Hahn 
erwähnte  den  Lübecker  Schwerttanz  und  fand  in  der  voi'geführten  Schwerttänzer- 
Iracht  keinen  zwingenden  Grund  für  die  Annahme  türkischer  Herkunft,  sondern 
wollte  diese  Tracht  eher  als  ältere  deutsche  ansehen. 


240  Brunner:    Protokolle. 

Freitag,    den  18.  März  1910.      Fräulein    [da    Bahn    legte    eine  Reihe    von 
Stickmustertüchern    aus  Lübeck    vor,    die    eine    mit    der  Zeit  fortschreitende  Ver- 
armung   in  den  Mustern  erkennen  liessen,    ferner    ältere   Häkelarbeiten,    ein  Kon- 
iirmationstuch  von  1847  und  ein  blau-weiss  gewebtes  Tischtuch  aus  dem  18.  Jahr- 
hundert   mit    einem  Adler    als    Mittelbild    und    Bärenfiguren    in    den    vier    Ecken. 
Fräulein  Elisabeth  Lemke    zeigte    einige  schwedische   Stickereien,    Gobelins    und 
Leinenmalereien  vor,  die  auf  Grund    alter  volkstümlicher  Motive    neuerdings  her- 
gestellt werden.   Herr  Prof.  Bolte  bezog  die  auf  diesen  Leinentüchern  dargestellte 
lichtertragende  Jungfrau   auf   die    in  Schweden  übliche  Feier  des  Lucientages  am 
13.  Dezember.     Er  besprach    dann    einen    neu    erschienenen  Führer    durch    Nörd- 
lingen,    um    dies  volkskundiich  interessante  Gebiet    zur  Bereisung    zu    empfehlen, 
und    legte    eine  von    Alois  John    herausgegebene  Schrift    'Vom  Aberglauben'    vor, 
die  1823    von    dem    Egerer    Scharfrichter    Karl    Huss    verfasst    ist  und  auch  Ab- 
bildungen von  Egerländer  Trachten  enthält.    Herr  Prof.  Ludwig  zeigte  eine  mehr- 
fingrige    Pflanzenwurzel    aus    dem    schlesischen    Gebirge    vor,    die    als    Wichtel- 
männchen bezeichnet  und  zusammen  mit  einem  Stückchen  Brot,   Salz  und  kleiner 
Münze  in  die  Kleiderfalten  einer  Frau  eingenäht  war,  um  Glück  zu  bringen.    Für 
den  Hausbedarf  hatte  man  grössere  Wichtelmännchen.  —  Herr  Dr.  Eduard  Hahn 
sprach    über    das    Säuern    der    Lebensmittel    in    der    bäuerlichen    Wirtschaft   und 
•anderes.     Er  zeigte,    wie    schon  in  primitiven  Zuständen    der  Frau    die  Sorge  um 
•die   Ernährung    der  Familie    zufiel  und  wie  auf   diese   Weise  die   Konservierung 
mancher    Lebensmittel    allmählich    Gemeingut   geworden  ist,    besonders    aber    die 
Pflege  und  Erzeugung    der  Gärungserreger.      Eine  eigentümliche    und  in  weiteren 
Kreisen    noch  wenig    bekannte  Art  der  Aufbewahrung  von  Kraut    in    Gruben,    wo 
es  bis  zu  drei  Jahren  liegt,  sah  der  Vortragende  in  Steiermark,    nachdem    er  von 
Rosegger  darauf   aufmerksam    gemacht  worden  war:    der    Kohl    wird    geschnitten 
-oder  in  ganzen  Köpfen  etwas  angekocht  fest  in  die  Grube  eingestampft;    auf  den 
Deckel  der  Grube  werden  mehrere  Zentner  Steine  gepackt;  so  entwickelt  sich  eine 
.gewisse  Gärung.     Das  Kraut  wird  zur  Nahrung  für  Mensch    und  Vieh  verwendet. 
Auch    in    anderen  Erdteilen    spielt    die    Konservierung    von    Lebensmitteln    durch 
Säuern  eine  Rolle.     So  wird    in  Ozeanien  Tarok  eingesäuert,    in    Südafrika,    z.  B. 
bei  den  Herero,  wird  alle  Milch  in  den  nie  gereinigten  Milchsack  geschüttet,  und 
das  sich  nun  entwickelnde,  etwas  berauschende  Getränk  wird    lieber  genossen  als 
reine  Milch.     Ähnliches  ist  aus  Steiermark,  Island,  Pinnland  usw.  bekannt.     Auch 
die  Chinesen  weisen  Milch    und  Käse    als    menschliche  Nahrung    zurück,    obwohl 
-sie  Eier  jahrelang    liegen  lassen,    ehe    sie    diese    geniessen.      Die  Bereitung   des 
Brotes  zeugt  schon  von  einem  hochentwickelten  Kulturstandpunkt;  früher  wird  die 
tägliche  Nahrung    der  Brei  gewesen  sein,    wie    es    noch    heute    hier  und    da  vor- 
kommt.    So    ist  der  Flammeri  ursprünglich    nichts    als    ein   einfaches  schottisches 
Nationalgericht,   das  man  bereitet,    indem  man  Mehl  in  siedendes  Wasser  schüttet 
und  darin  verrührt.     Weit  verbreitet    ist  die  Verwendung  von  Baumrinde  bei  der 
Bereitung  des  Brotes;    in  Skandinavien    setzt    man  diesem   die  Rinde    von    zarten 
Zweigen  zu;    dasselbe  Verfahren  ist  den  Weddas  auf  Ceylon  bekannt.     Man  kann 
annehmen,    dass  diese  verschiedenen  Methoden  der  Bereitung    und  Konservierung 
von  Lebensmitteln  bereits  in  uralten  Zeiten  von  den  Frauen  erfunden  sind. 

Steirlitz.  Karl  Brunner. 


5V' 


Deutsche  Volkstrachten'). 

Von  Max  Bartels  f. 

Mit  neun  Skizzen  nach  Albert  Kretschmer  von  Julie  Schlemm. 


Als  im  Jahre  1888  zu  Berlin  das  'Museum  für  deutsche  Volkstrachten 
und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes'  begründet  worden  war,  da  wurde 
dieser  die  Zwecke  und  Bestrebungen  des  Museums  sehr  bezeichnende, 
aber  etwas  lange  und  unbequeme  Titel  in  dem  gewöhnlichen  Sprach- 
gebrauche sehr  häufig  in  den  Namen  Trachten-Museum  abgekürzt.  Es 
knüpfte  sich  dann  hieran  die  falsche  Vorstellung,  als  ob  für  das  Museum 
überhaupt  nur  alte  Anzüge  gesammelt  werden  sollten;  und  wir  mussten 
nicht  selten  die  höhnische  Bemerkung  hören,  dass  wir  eine  Masken- 
garderobe zusammenbringen  wollten.  Aber  auch  sehr  ernst  zu  nehmende 
Gregner  erwuchsen  dem  jungen  Institute,  und  unter  diesen  befanden  sich 
Männer,  denen  eine  Sachkenntnis  nicht  abzusprechen  war.  Es  wurde  be- 
hauptet, däss  es  keinen  Sinn  habe,  deutsche  Volkstrachten  sammeln  zu 
wollen,  denn  es  gäbe  gar  keine  deutschen  Volkstrachten.  Das, 
was  dafür  ausgegeben  würde,  sei  weiter  nichts  als  stehengebliebene 
höfische  oder  höchstens  Patriziermode  des  17.  oder  18.  Jahr- 
hunderts. Weiter  als  bis  in  das  17.  Jahrhundert  reiche  keine  ländliche 
Tracht  zurück. 

Um  nun  zu  sehen,  was  an  diesem  vielfach  nachgesprochenen  Satze 
Wahres  ist,  müssen  wir  dasjenige,  was  wir  als  Volkstracht  anzusprechen 
pflegen,  einmal  etwas  genauer  betrachten.  Vor  allen  Dingen  müssen  wir 
uns  aber  klar  machen,  dass  sich  die  Volkstracht  doch  in  ver- 
schiedene Gruppen  sondert,  welche  nebeneinander  betrachtet  werden 
müssen. 

Erstens  zerfällt  sie  in  die  Männer-  und  in  die  Weibertracht, 
welche  letztere  sich  sehr  häufig  noch  in  die  Tracht  der  jungen  Mädchen, 
der  verheirateten  Frauen  und  der  Witwen  sondert.  Dann  ist  meistens  die 
Alltagstracht  von  derjenigen  bestimmter  Feiertage  zu  trennen,  Sonutags- 
tracht,    Abendmahlstracht,    Hochzeitstracht  usw.     Zu  der  Alltags- 


1)  Die  folgenden  drei  Aufsätze  erscheinen  gleichzeitig  in  den  'Mitteilungen  aus  dem 
Verein  der  Königlichen  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin',  Bd.  3,  S.  125—173. 

ZeJtschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Heft  3.  lÖ 


242  M.  Bartels: 

tracht  gesellt  sich  die  Tracht  für  ganz  besondere  Arbeiten.  Ich 
erinnere  hier  an  die  Almentracht  der  Sennerinnen,  an  die  Tracht  der 
Fischerinnen  in  Cuxhaven  usw.  Auch  die  Tracht  der  Knaben  und  der 
Mädchen  ist  nicht  selten  von  der  der  Erwachsenen  unterschieden. 

Wenn  wir  nun  finden,  dass  sich  in  einem  ländlichen  Gebiete  die 
Einwohner  in  bezug  auf  die  Form,  die  Farbe  und  die  Zusammenstellung 
der  Kleidungsstücke  in  gleichmässiger  und  übereinstimmender  Weise  tragen, 
dass  diese  Tracht  nicht  der  schleunig  wechselnden  Mode  unterworfen  ist, 
sondern  seit  langen  Jahrzehnten  oder  selbst  seit  Jahrhunderten  sich  un- 
verändert erhalten  hat,  dass  sie  von  der  in  den  Städten  des  Landes  ge- 
bräuchlichen Tracht  erheblich  abweicht,  so  müssen  wir  sie  unweigerlich 
als  eine  ländliche  Volkstracht  ansprechen.  Da  wir  nun  in  verschiedenen 
Teilen  Deutschlands  Trachten  dieser  Art  antreffen,  so  kann  es  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  es  deutsche  Volkstrachten  gibt,  und  es 
muss  billig  wundernehmen,  wie  es  in  unserer  reiselustigen  Zeit  noch 
Männer  geben  konnte,  welche  diese  Tatsache  bestreiten  wollten. 

Sieht  man,  dass  in  einem  Gebiete,  in  welchem  eine  Volkstracht 
gebräuchlich  gewesen  war,  diese  allmählich  ausser  Gebrauch  gerät  und 
durch  internationale  Fabrikware  ersetzt  und  verdrängt  wird,  so  ist  es  die 
allerhöchste  Zeit,  bevor  die  Komponenten  der  alten  Tracht  gänzlich  der 
Vernichtung  anheimgefallen  sind,  Proben  davon  als  Belegstücke  für  die 
Heimatskunde  zu  retten  und  sie  entsprechenden  Sammlungen  zur  Er- 
haltung und  Aufbewahrung  zu  überweisen.  Anstatt  Tadel  und  Vorwürfe 
einzutragen,  sollte  ein  solches  Vorgehen  vielmehr  als  eine  Betätigung  der 
Vaterlandsliebe  und  der  Hochschätzung  der  Heimat  Beifall  und  An- 
erkennung finden. 

Die  Frage  nach  dem  Alter  der  betreffenden  Tracht,  ob  sie  hundert, 
zweihundert  oder  noch  viel  längere  Jahre  in  Gebrauch  gewesen  ist,  steht 
erst  höchstens  in  zweiter  Linie,  und  auch  durch  ein  geringeres  Alter  büsst 
sie  nichts  von  ihrer  volkskundlichen  Bedeutung  ein.  ^)  Wenn  diese  Tracht 
auch  erst  seit  hundert  Jahren  in  Gebrauch  sein  sollte,  so  muss  man  sie 
für  die  betreffende  Periode  doch  unweigerlich  als  die  herrschende  Volkstracht 
ansehen,  und  damit  hat  sie  Anspruch  darauf,  dass  Belegstücke  von  ihr  für  die 
vaterländische   Kulturgeschichte  gesammelt    und  bewahrt  werden  müssen. 

So,  denke  ich,  ist  es  hinreichend  bewiesen,  dass  es  deutsche  Volks- 
trachten gibt,  und  dass  wir  recht  daran  getan  haben,  sie  nach  Möglichkeit 
zu  sammeln.  Das  erläutert  auch  deutlich  der  Umstand,  dass  unser  Museum 
manche  Stücke  besitzt,  welche  als  das  allerletzte  Überbleibsel  gerade  noch 
aufgetrieben  werden  konnten. 

1)  [Beispiele  hierfür  bieten  der  Neudruck  von  F.  Frieses  Historischer  Nachriebt  von 
den  Cereinonien  der  Altenburgiscben  Bauern  1703  (Schmölln  1887),  K.  Häberlin,  Trauer- 
trachten auf  der  Insel  Föhr  (Zs.  f.  Volkskunde  19,  2G5)  und  J.  Heierli,  Basler  Trachten 
des  17.  Jahrb.  (Schweizer.  Archiv  f.  Volkskunde  14,  117).] 


Deutsche  Volkstrachten. 


243 


In  dem  oben  wiedergegebenen  Satze,  welcher  unsere  Sammeltätigkeit 
als  unlogisch  und  überflüssig  zu  charakterisieren  sucht,  wird  fernerhin 
behauptet,  dass  alles,  w^as  man  gewöhnlich  als  deutsche  Volkstracht 
ausgibt,  nichts  anderes  als  stehengebliebene  höfische  oder  Patriziermode 
des  18.  oder  höchstens  des  17.  Jahrhunderts  sei^).  Solche  mit  dem  Tone 
der  Sicherheit  und  Sachkenntnis  ausgesprochenen  Behauptungen  haben 
für  sehr  viele  Hörer  etwas  Bestechendes  und  Überzeugendes.  Es  will 
mir  daher  nicht  ganz  unnütz  erscheinen,  wenn  wir 
einmal  die  deutschen  Volkstrachten  näher  in 
Augenschein  nehmen,  um  zu  untersuchen,  ob  jener 
Satz  auf  Wahrheit  beruht,  und  ob  die  Tatsachen 
für  ihn  sprechen.  Sehr  geeignet  ist  für  diese  Zwecke 
das  bekannte  Werk  von  Albert  Kretschmer: 
'Deutsche  Volkstrachten'  (Leipzig  o.  J.).  Einige 
seiner  schönen  Figuren  werden  hier  in  leichter 
Skizze  wiedergegeben. 

Dass  der  oben  angeführte  Satz  nun  mindestens 
nicht  für  alle  Fälle  zutreffend  ist,  das  beweisen 
mancherlei  Trachten;  Ich  weise  unter  anderen  nur 
auf  die  Tracht  der  Altenburgerinnen  (Fig.  1)  und 
der  Vi  er  länderinnen  (Fig.  2)  hin,  oder  auch  auf  die 
der  Oberbayern  mit  der  Juppe  und  der  die  Knie 
frei  lassenden  Lederhose  (Fig.  3).  Wann  sollten 
diese  Trachten  höfische  Mode  gewesen  sein?  Die 
Zahl  solcher  Beispiele  Hesse  sich  aber  mit  grosser 
Leichtigkeit  noch  vervielfältigen.  Aus  den  Nach- 
barländern möchte  ich  als  Beispiele  unhöfischer 
Mode  die  bekannte  Mädchentracht  des  Alpbach- 
tales bei  Brixlegg  (Unterinntal)  erwähnen,   deren     ^^^'  ^-    Sachsen-Altenburg 

■  ^       .      r^       r.  ,  ^  c  „  ,  (Kretschmer  Tafel  21). 

weite,    m  Querfalten    gelegte   Strümpfe   ungeheure 

Waden  vortäuschen,  und  aus  dem  Schweizer  Kanton  Tessin  die  Hirten- 
mädchentracht,  welche  von  der  höfischen  so  weit,  wie  irgend  möglich, 
abweicht.  Letztere  findet  sich  in  dem  schönen  Werke  der  Frau  Julie 
Heierli  'Die  Schweizer  Trachten  vom  17.  bis  19.  Jahrhundert  nach 
Originalien  dargestellt'  (1901). 

Wenn  der  Satz  nun  in  seiner  Allgemeinheit  nicht  gilt,  so  müssen 
w^ir  jetzt  der  Frage  näher  treten,  ob  es  denn  überhaupt  eine  deutsche 
Volkstracht  gibt,  welche  sich  als  höfische  Mode  erkennen  Hesse.  Ich  muss 
das  verneinen;  mir  wenigstens  ist  keine  solche  bekannt.  Die  bei  vielen 
Stämmen  in  Gebrauch  befindliche  Brautkrone  würd  man  nicht  als  Beweis 
dagegen    anführen    können.     AHerdings   hat    für    sie    sicherlich  wohl    ur- 


1)  Vgl.  Mitt.  a.  d.  Museum  f.  d.  Volkstrachten  Heft  7,  S.  270  f. 


KV 


244 


M.  Bartels: 


sprünglich  eine  Königskrone  als  Vorbild  gedient.  Aber  diese  Nachbildung 
ist  ja  auch  nur  so  lange  in  Benutzung,  als  die  Braut  sich  in  der  Würde 
der  Königin  des  Hochzeitsfestes  befindet.  In  Vorarlberg  wird  die  Krone 
nicht  von  der  Braut,  sondern  von  den  Brautjungfern  getragen,  aber 
natürlicherweise  auch  nur  während  der  Hochzeit. 

Dehnen  wir    die   Frage    dahin    aus,    ob    bei    den    Trachten    der    den 
Deutschen  stammverwandten    Nachbarvölker    ebenfalls    keine    Überlebsel 


Fig.  2.  Vierlande  bei  Hamburg 
(Kretschmer  T.  G). 


Fig.  3.    Schliersee  in  Oberbayern 
(Kretschmer  T.  ()2). 


höfischer  Mode  existieren,  so  ist  dafür  allerdings  ein  Beispiel  anzuführen, 
das  sich  in  dem  oben  erwähnten  Werke  der  Frau  Heierli  findet.  Es  ist 
ein  Bauer  aus  dem  Lötschentale  in  Wallis,  welcher  mit  seinem  licht- 
gelben Frack  und  gleichfarbigen  Kniehosen,  mit  seiner  gestickten  W^este 
und  Schnallenschuhen,  mit  seinem  kleinen  dreispitzigen  Hute  ohne 
weiteres  unter  den  Kavalieren  Ludwigs  XVI.  auftreten  könnte.  Aber 
dieses  ist  auch  der  einzige  Fall,  und  dieses  Gewand  ist  nicht  die  tägliche 
Tracht,  sondern  der  Hochzeitsanzug  des  Bräutigams.  Seine  Braut  aber 
zeigt    in  ihrem  Anzüge    keine  Andeutung    mehr  an  höfische  Mode.     Dass 


Deutsche  Volkstrachten. 


245 


es  nun  untunlich  ist,  nach  einer  solchen  Ausnahme,  für  die  noch  dazu 
das  gleiche  wie  für  die  Brautkrone  gilt,  die  originale  Bedeutung  der  Volks- 
trachten ableugnen  zu  wollen,  das  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Erörterung. 
Wie  verhält  es  sich  nun  mit  der  Patriziermode?  Ist  diese  in  der 
Volkstracht  stecken  geblieben?  Um  diese  Frage  zu  entscheiden,  empfiehlt 
es  sich,  die  Tracht  der  Männer  und  die  der  Frauen  gesondert  zu  be- 
trachten. Wir  wollen  mit  der  letzteren  beginnen.  In  einem  Studenten- 
liede  heisst  es: 

Denn  lange  Kleider  und  spitze  Schuh  |  Die  kommen  keiner  Dienstmagd  zu. 


Fig.  4.   Amt  Biedenkopf  in  Hessen 
(Kretschmer  T,  38). 


Fig.  5.    Weissenburg  im  Elsass 
(Kretschmer  T.  44). 


Dementsprechend  finden  wir  auch,  dass  die  Volkstracht  der  Weiber  über- 
wiegend eine  kurzröckige  ist,  und  das  sehen  wir  bereits  auf  Abbildungen 
aus  dem  15.  Jahrhundert^).  Hier  gibt  es  nun  allerdings  manche  Ab- 
stufungen. In  einer  Anzahl  von  Fällen  blickt  das  Bein  nur  bis  ungefähr 
handbreit  über  dem  Fussgelenk  unter  den  Kleidern  hervor;  in  anderen 
Fällen  reichen  die  Röcke  nur  bis  zur  höchsten  Wölbung  der  W^ade,  wie 
z.B.  bei  der  Vierländerin  in  Fig.  2;  und  in  noch  anderen  bedecken  sie 
eben  noch  die  Knie,  so  dass  das  ganze  Strumpfband  sichtbar  wird.  Das 
letztere  sehen  wir  bei  den  Altenburgerinnen  (Fig.  1),  und  bei  den 
Hessinnen    im  Amt  Biedenkopf   (Fig.  4).     Diese  Trachten    bieten    eine 


1)  [Vgl.  z.  B.  Ad.  Bartels,  Der  Bauer  in  der  deutschen  Vergangenheit  1900  S.  ^i.  86.] 


246 


M.  Bartels: 


Fig.  6.    Betzingen  in 

Württemberg 
(Kretschmer  T.  55). 


reiche  Gelegenheit,  mit  geschmackvoll  gestickten  Strümpfen  und  reichen 
und  zierlichen  Strumpfbändern  zu  prunken.  Yon  einer  höfischen  oder 
Patriziertracht  kann  hier  keine  Rede  sein. 

Nun  gibt  es  aber  einige  Gegenden,  in  denen  die  Weiber  wirklich 
längere  Kleider  tragen,  z.B.  in  Tannhausen  (Schlesien),  in  Dannstedt 
(Sachsen),  im  Elsass  (Fig.  5)  und  in  Lothringen, 
in  Donaueschingen  (Baden),  im  Oberinntal  und 
Zillertal  in  Tirol.  Aber  hier  sind  die  Kleider 
wenigstens  immer  noch  fussfrei,  oder  zum  alier- 
mindesten  blickt  noch  der  vordere  Teil  des  Fusses 
unter  dem  langen  Kleide  hervor.  Schleppen  aber 
finden  sich  niemals.  Auch  hier  erscheint  es  mir 
zweifelhaft,  ob  von  Patriziermode  gesprochen  werden 
kann.  Wenn  an  vereinzelten  Punkten  auch  ein 
langes  Kleid  mit  den  Hals  bedeckender  Taille  ge- 
tragen wird,  so  ist  es  doch  beinahe  die  Regel,  dass 
der  städtische  Eindruck,  den  diese  Tracht  macht, 
durch  verschiedenes  wieder  illusorisch  gemacht  wird. 
Entweder  ist  es  die  Art  der  Umhüllung  und  Be- 
kleidung des  Kopfes,  oder  die  Form  des  die  Schultern 
bedeckenden  Übertuches,  oder  eine  sehr  grosse  und 
lange  Schürze  oder  endlich  auch  die  Mehrfarbigkeit 
des  Kleiderrockes,  dessen  obere  Hälfte  anders  als  die 
untere  gefärbt  ist,  welche  uns  doch  wieder  zum 
Bewusstsein  bringen,  dass  wir  eine  Bauerntracht  vor 
uns  haben. 

In  dieser  kurzen  Besprechung  ist  nicht  der  Platz,  um 
alle  Volkstrachten  Deutschlands  zu  analysieren;  doch 
will  ich  kurz  erwähnen,  dass  bei  der  Bedeckung  des 
Kopfes  der  Weiber  durch  Tücher,  Hauben,  Mützen 
und  Kappen,  bei  der  Bekleidung  des  Oberkörpers 
durch  offene  oder  geschlossene  Mieder,  durch  Taillen, 
durch  ärmellose,  kurzärmelige  oder  langärmelige 
Jacken  sich,  dem  Gebrauchszweck  des  Kleidungs- 
stückes entsprechend,  vielleicht  bisweilen  hier  und 
da  ein  leichter  Anklang  an  die  analogen  Kleidungs- 
stücke des  Bürgerstandes  wird  auffinden  lassen.  Der  Schluss  aber,  dass 
die  ersteren  dann  die  Nachahmungen  und  stehengebliebenen  Überreste 
der  letzteren  sein  müssten,  ist  sicherlich  voreilig  und  unrichtig.  Denn 
es  könnte  ebensogut  die  Städterin  eine  Zeit  hindurch  die  ihr  geschmack- 
voll, kleidsam  und  praktisch  erscheinende  ländliche  Mode  nachgeahmt 
haben.  Also  auch  das  wäre  kein  Beweis  gegen  den  Wert  und  die  Be- 
deutung dieser  ländlichen  Volkstracht. 


Fig.  7.    Schwalm  in 

Hessen 
(Kretschmer  T.  36). 


Deutsche  Volkstrachten. 


•247 


Als  Überreste  patrizischer  Mode  könnte  man  allenfalls  bei  mancher 
ländlichen  Mäunertracht  zwei  Arten  der  Kleidungsstücke  ansehen;  das  ist 
einmal  der  langschössige  Tuchrock  und  ausserdem  die  Gruppe  von  festen, 
steifen  Hüten,  welche  hier  und  da  noch  als  Dreispitz,  als  Zweispitz  und 
als  hochaufgeschlagener  Napoleonshut  auftreten.  Man  sehe  Fig.  6—7  aus 
Betzingen  in  Württemberg  und  aus  der  Schwalm  in  Hessen.  Diese 
Hüte  sind  aber  wohl  weniger  den  Kopfbedeckungen  der  Patrizier,  als 
vielmehr  denen  der  hohen  Offiziere  nachgebildet. 


Fig.  8.   Prechtal  in  Baden 
(Kretschmer  T.  48). 


Fig.  9.    Betzingen  in  Württemberg 
(Kretschmer  T.  54). 


Als  eine  Nachahmung  patrizischer  Kopfbedeckung  kann  man  eventuell 
die  absonderlichen  Yariationen  von  Zylinderhüten  ansehen,  welche  sich 
in  manchen  ländlichen  Gebieten  Deutschlands  noch  in  Gebrauch  finden, 
z.  B.  im  pommerschen  Weizacker,  in  Baden,  dem  Pinzgau  usw.  Es  findet 
sich  jedoch  schon  eine  Art  von  Zylinderhut  als  Bauernkopfbedeckung  auf 
bildlichen  Darstellungen  aus  dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts,  z.  B.  bei 
Dürer.  Müssen  wir  nun  die  Gebiete,  wo  solche  Bekleidungsstücke  noch 
getragen  werden,  aus  der  Reihe  derjenigen  Distrikte,  welche  noch  im 
Besitze  von  Volkstrachten  sind,  ausscheiden,    und    diese  Tracht,    weil  sie 


248  M.  Bartels: 

nicht  von  originaler  Erfindung  ist,  als  Volkstracht  nicht  mehr  in  Betracht 
ziehen?  Hierzu  ist  folgendes  zu  bemerken.  In  erster  Linie  muss  daran 
erinnert  werden,  dass  der  langschössige  Rock  in  den  betreffenden  Gebieten 
niemals  die  ausschliessliche  Männertracht  darstellt,  sondern  dass  daneben 
immer  auch  noch  andere  Trachten  gebräuchlich  sind,  welche  unverkennbar 
originale  Bauerntracht  sind.  Namentlich  häufig  findet  sich  daneben  die 
kurze  Jacke.  Dasselbe  gilt  nun  auch  von  den  vorher  erwähnten,  steifen 
Hüten.  Es  werden  an  den  gleichen  Stellen,  wo  sie  sich  finden,  auch 
allerlei  andere  Kopfbedeckungen  getragen:  niedere,  runde,  weiche  Filz- 
hüte, Schirmmützen,  Pelzmützen  und  dergleichen,  und  selbst  die  Zipfel- 
mütze fehlt  manchmal  nicht,  welche  wir  als  Kennzeichen  oder  Attribut 
des  deutschen  Michels  zu  betrachten  gelernt  haben. 

Wird  der  Zylinderhut  nun  aber  zu  einer  weiblichen  Kopfbedeckung, 
nimmt  er  dabei  statt  des  männlichen  Schwarz  eine  leuchtend  rote  oder 
gelbe  oder  auch  grüne  Farbe  an,  so  ist  er  doch  zur  echten  Volkstracht 
geworden.  Das  treffen  wir  im  Prechtal  (Baden)  Fig.  8,  in  der 
Jachenau  (Bayern)  und  in  Oberösterreich.  Im  Pinzgau  hat  sich 
allerdings  auch  der  schwarze  Zylinderhut  als  weibliche  Kopfbedeckung 
erhalten,  aber  mit  einer  grossen,  goldenen  Quaste. 

Unbestreitbar  echte  Volkstracht  wird  auch  aus  dem  von  den  Bauern 
adoptierten  langschössigen  Rock,  wenn  er  sich  nicht  unbeträchtlich  in  der 
Anordnung  und  der  Zahl  der  Knöpfe  und  namentlich  in  seiner  Farbe 
ändert.  Ich  kann  es  mir  nicht  vorstellen,  dass  irgend  jemand  den  weissen 
Rock  des  braunschweiger,  westfälischen  oder  württemberger  Bauern  (Fig.  9) 
mit  dem  scharlachroten  Futter  nicht  als  eine  echte  Volkstracht  anerkennen 
wollte,  nur  weil  er  lange  Schösse  besitzt.  Gern  soll  nun  zugegeben 
werden,  dass  einzelne  Teile  der  ländlichen  Tracht  in  patrizischer  Mode 
des  18.  Jahrhunderts  ihre  Vorbilder  haben.  Aber  immer  handelt  es  sich 
nur  um  einzelne  Stücke.  Andere  Kleidungsstücke  aber,  namentlich  be- 
stimmte Jacken,  gewisse  Mieder,  allerlei  Mützen  und,  wie  wir  gesehen 
haben,  selbst  der  Zylinderhut,  reichen  bis  in  den  Anfang  des  16.  und 
soffar  bis  in  das  15.  Jahrhundert  zurück.  Und  dass  das  höhere  oder 
^erinsere  Alter  für  das  Wesen  oder  den  Wert  einer  Volkstracht  ohne 
Bedeutung  ist,  das  glaube  ich  oben  schon  gezeigt  zu  haben. 

Soll  man  nun  Volkstrachten  sammeln  einzig  und  allein  aus  dem  Grunde, 
weil  sie  uns  eine  gute  Vorstellung  von  der  allgemeinen  Erscheinung  einer 
gewissen  Bevölkeruugsgruppe  während  einer  bestimmten  Zeitperiode  zu 
geben  vermögen?  Das  allerdings  ist  in  erster  Linie  der  Zweck  solchen 
Sammeins.  Aber  wir  lernen  daraus  auch  noch  mehr,  als  nur  den  Schnitt 
und  die  Anordnung  der  Kleidung  kennen.  Interesse  bieten  auch  die 
Stoffe,  aus  welchen  die  Kleidungsstücke  hergestellt  wurden.  Denn  in 
früheren  Zeiten  sind  sie  bekanntlich  stets  in  dem  Hausstande  selber  an- 
gefertigt   worden.      Der  Flachs    und    die   Wolle    wurden    gesponnen,    die 


Deutsche  Volkstrachten.  249 

Leinwand  gewebt,  das  Tuch  gewalkt,  auch  das  Färben  fand  auf  dem 
Bauernhofe  statt;  das  Stricken,  das  Schneidern,  das  Putzmachen  und  das 
Sticken  wurde  ebenfalls  daselbst  ausgeführt.  So  gibt  die  Volkstracht  uns 
gute  Belegstücke  für  die  frühereu  Hausindustrien:  Spinnen,  Weben,  Wirken, 
Tuchwalken,  Färben  usw. 

Beachtenswert  ist  ferner  auch  die  Wahl  und  Zusammenstellung  der 
Farben,  da  sie  uns  eine  Vorstellung  von  dem  Geschmack,  von  dem  Farben- 
sinn und  von  der  Farbenfreudigkeit  des  Landvolkes  liefern.  Von  ganz 
besonderer  Wichtigkeit  sind  auch  die  Muster  ihrer  Webereien  und 
Stickereien,  welche  für  das  Studium  des  Ornaments  ein  unschätzbares 
Material  zu  bieten  vermögen.  In  der  letzteren  Beziehung  ist  auch  die 
Formgestaltung  des  bäuerlichen  Schmuckes  nicht  zu  unterschätzen. 

Wenn  es  nun  nach  den  obigen  Darstellungen,  wie  ich  hoffe,  An- 
erkennung finden  wird,  dass  das  Sammeln  der  Koste  der  deutschen 
Volkstrachten  keine  zwecklose  Arbeit  ist,  sondern  dass  es  zu  den  not- 
wendigen und  unabweislichen  Aufgaben  eines  der  vaterländischen  Volks- 
kunde gewidmeten  Museums  gehört,  so  möge  doch  auf  eines  noch  hin- 
gewiesen werden.  Unendlich  vieles  von  diesen  Dingen  ist  bereits  durch 
die  Freude  an  neuer  Mode,  sowie  durch  die  Leichtigkeit  der  Beschaffung 
billiger  Fabrik-  und  Jahrmarktsware,  welche  manche  mühevolle  Haus- 
industrie überflüssig  macht,  unwiederbringlich  verloren  gegangen.  Dieser 
Prozess  bedauerlicher  Zersetzung  wirkt  aber  in  immer  sich  steigerndem 
Masse  fort,  je  mehr  die  Bequemlichkeit  des  Reisens  andere  Sitten  und 
fremde  Erzeugnisse  kennen  lehrt. 

Noch  aber  ist  hier  und  da  im  deutschen  Vaterlande  manches  lehr- 
reiche Stück  erhältlich,  vielleicht  schon  längere  Zeit  ausser  Gebrauch, 
aber  noch  nicht  verloren  und  vernichtet.  Mögen  uns  hier  recht  viele 
Helfer  erstehen,  dass  es  uns  glücklich  gelingen  möge,  derartige  Zeugen 
unserer  Vergangenheit  für  die  deutsche  Volkskunde  zu  retten.  Dazu  ist 
unser  Museum  gegründet;  aber  noch  bietet  es  manche  Lücke,  welche  ihrer 
Ausfüllung  harrt.  Xur  die  weite  Tätigkeit  vieler  kann  hier  das  Er- 
strebenswerte erreichen. 

Berlin. 


250  Andree: 

Eatschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der 
Karfreitagsglocken. 

Von  Richard  Andree. 


In  die  neuerdings  von  den  Ethnographen  vielfach  besprochenen  'Kultur- 
kreise' wird  oft  recht  Zweifelhaftes  hineingeheimnisst.  Solchen  mit  einem 
Fragezeichen  versehenen  Kreisen  können  aber  andere  gegenübergestellt 
werden,  die  durchaus  einen  sicheren  und  auch  geschichtlich  nachweisbaren 
Zusammenhang  haben,  und  dafür  liefert  uns  die  grossartigste  Organisation, 
die  wir  kennen,  die  katholische  Kirche,  ein  Beispiel.  Ihre  Gebräuche 
und  ihre  Geräte  gehen  gleichförmig  durch  die  ganze  Welt,  der  schwarze 
Priester  auf  Haiti  liest  seine  Messe  so,  wie  der  weisse  in  Rom,  wobei 
allerdings  bald  feinere,  bald  gröbere  Abweichungen  zu  bemerken  sind,  die 
durch  Milieu  und  Rasse  bedingt  werden,  ein  Kapitel,  dem  einmal  nach- 
zugehen, eine  lohnende  Aufgabe  für  einen  Ethnologen  wäre.  All  der 
Schmuck  und  Prunk,  den  jene  Kirche  ihren  Gläubigen  bietet,  wiederholt 
sich  in  der  alten,  wie  in  der  neuen  Welt.  Wie  anziehend  wirken  bei 
uns  zur  Weihnachtszeit  die  'Krippen'  der  katholischen  Kirchen,  und 
ins  Indianische  übersetzt  kann  man  sie  z.  B.  in  Mexiko  finden,  dessen 
schöne  Wachsfiguren  auf  spanische  Krippen  zurückgehen^).  Der  Rosen- 
kranz, buddhistischen  Ursprungs,  ist  durch  die  katholische  Kirche  über 
die  Erde  verbreitet  worden,  und  der  'bekehrte'  Melanesier  oder  Indianer 
hat  ihn,  der  ohnehin  an  seinen  Schmuck  anklingt,  sich  zum  lieben  Alltags- 
gerät erkoren.  Als  Keller-Leuzinger''^)  den  brasilianischen  Madeirastrom 
hinauffuhr,  übten  sich  seine  indianischen  Ruderer  in  der  Kunst,  Rosen- 
kranzperlen zu  schnitzen  und  zu  durchbohren,  eine  Kunst,  die  aus  längst 
eingegangenen  Jesuitenmissionen  stammte.  Wie  das  eindrucksvolle  Ritual 
der  katholischen  Kirche  von  den  Jesuiten  im  16.  Jahrhundert  nach  Japan 
übertragen  wurde,  wie  man  dort  den  Gottesdienst  ganz  wie  in  Europa 
handhabte,  erkennen  wir  aus  zahlreichen  Briefen  der  damaligen  Missionare; 
in  der  geschicktesten  Weise  verstanden  diese  es,  alles  dem  Japaner  zu 
akkoramodieren,  althergebrachte  Formen  beizubehalten  und  mit  neuem, 
christlichen  Gehalte  zu  erfüllen,  wobei  allerdings  auch  manche  weniger 
nützliche  und  erbauliche  Bräuche,  wie  die  Geisselung,  mit  unterliefen. 
Aber  auch  hier  wie  in  Europa  verstummten  in  der  Osterwoche  die 
Glocken,    wurden    die  Wände    der  Kirchen  verhüllt    und  ertönten  unter 


1)  Zeitschrift  f.  Ethnologie  1908,  S.  960. 

2)  Vom  Amazonas  und  Madeira  1874,  S.  123. 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstninmen  der  Karfreitagsglocken.  251 

dem  englischen  Lobgesange  erst  am  Karsamstage  die  Glocken  wieder^). 
Es  ist  dies  ein  Brauch,  der  seit  alters  ungemindert  durch  die  ganze 
katholische  Christenheit  geht  und  eine  Anzahl  volkstümlicher  Gebräuche 
im  Gefolge  hat,  von  denen  hier  die  Rede  sein  soll. 

Am  Donnerstag  vor  Ostern  setzte  Jesus  Christus  das  Abendmahl  ein 
und  ging  dann  nach  dem  ölberge.  Coena  domini  wird  der  Tag  zur  Er- 
innerung von  der  Kirche  daher  genannt.  Bei  der  Messe  läuten,  unter 
dem  englischen  Lobgesange  Gloria  in  excelsis,  noch  alle  Glocken  und  die 
Orgel  spielt  feierlich.  Aber  sofort  nach  dem  Schlüsse  des  Lobgesanges 
verstummen  allüberall,  wo  katholische  Kirchen  stehen,  die  Glocken  zum 
Zeichen  der  Trauer,  um  erst  am  Karsamstag  beim  Gloria  in  der  Messe 
wieder  freudig  zu  erschallen.  Und  als  ein  weiteres  Zeichen  der  Trauer 
in  jenen  drei  Tagen,  werden  nach  der  Vesper  am  Grünen  Donnerstag 
alle  Altäre  ihrer  Zierden  beraubt,  die  Bilder  werden  verhüllt,  und  nur 
ein  Kruzifix  bleibt  sichtbar,  als  Zeichen,  dass  Jesus  am  Abend  dieses 
Tages,  seiner  Jünger  beraubt,  allein  und  verlassen  war  und  am  folgenden 
Tage  entblösst  am  Kreuze  hing.  Trauer  und  Stille  herrscht  ringsum,  ver- 
misst  wird  der  gewohnte  Klang  der  Glocken,  und  die  Sage  bemächtigt 
sich  ihrer,  fragt,  was  aus  ihnen  geworden  ist. 

Glocken  haben  in  der  Sage  von  jeher  eine  wichtige  Rolle  gespielt. 
Man  hat  sie,  die  ja  getauft  sind,  sich  als  eine  Art  belebter  Wesen  vor- 
gestellt, die  selbständig  handeln  .  können.  Sie  beginnen  von  selbst  zu 
läuten,  wenn  ein  wichtiges  Ereignis  bevorsteht,  ein  hervorragender  Mann 
stirbt,  ein  Feind  der  Stadt  naht.  Sie  haben  Stimmen,  ihrem  Klang  legt 
man  Worte  unter,  sie  bannen  Gewitter,  vertreiben  böse  Geister^).  Besonders 
verbreitet  sind  die  Sagen  von  der  Romreise  der  Glocken,  welche  mit 
unserm  Thema  zusammenhängen. 

Nach  Mitte  der  heiligen  Wochen  Vom  Glöcklein  der  Waldkapelle 

Ziehn  alle  Glocken  nach  Rom,  Bis  zur  Riesenglocke  im  Dom. 

So  heisst  es  bei  uns,  und  im  vlämischen  Belgien  sprechen  die  Kinder: 

Op  wüten  donderdag  |  Gaan  de  klokken  naar  Roomen 

All  over  hagen  en  boomen,  |  En  Paschavond  komen  ze  te  huis. 

Während,  zum  Zeichen  der  Trauer  um  den  Tod  des  Herrn,  vom 
Mittwoch  bis  zum  Karsamstag  die  Glocken  schweigen,  erfolgt  ihr  lautes 
Getön  wieder  zur  Feier  der  Auferstehung.  W^as  geschieht  mit  ihnen  in 
der  Zwischenzeit?  Hier  und  da  ist  wohl  die  Rede  davon,  dass  die  Glocken 
dann  'sterben");  aber  allgemein  ist  der  Glaube  an  ihre  Romreise,  und  ihr 
Aufenthalt    in    der    ewigen    Stadt  wird    sehr    verschieden    aus2;eschmückt. 


1)  Haas,  Geschichte  des  Christentums  in  Japan  (Tokio  1902)  2,  322.  324.  326.  327. 

2)  Zahlreiche  Glockensagen  hat  Sartori  gesammelt  (Zeitscbr.  f.  Volkskunde  7,  113ff.), 
aber  die  hier  in  Betracht  kommende  Romreise  der  Glocken  nicht  berücksichtigt. 

3)  [A.  John,  Sitte  im  deutschen  Westböhmen  1905  S.  59.] 


^52  Andree : 

Nach  Meinung  der  Pfälzer  Kinder  halten  sie  sich  dort  auf,  um  zu  beichten 
und  Milchbrote  zu  essen  ^),  und  die  Lothringer  Kinder  wissen,  dass  sie 
dort  sogar  Mahlzeit  mit  dem  Papste  halten '^).  Sehr  weit  verbreitet  ist 
der  Kinderolaube,  dass  bei  ihrer  Heimkehr  die  Glocken  die  Ostereier 
mitbringen.  In  der  Tuchmacherstadt  Aachen  wünschen  sich  die  Kinder 
aber  etwas  anderes.  Wenn  die  dortige  Marienglocke  nach  Rom  reist, 
werfen  die  Kinder  ihr  ein  Stückchen  Tuch  nach  und  bitten  sie,  ihnen 
dafür  ein  neues  Kleid  am  Karsamstag  zurückzubringen^).  Selbst  zum 
Transport  von  Menschen  werden  die  Glocken  benutzt;  denn  in  der  Bretagne 
erzählt  man  sich  von  einem  Glöckner,  der  auf  einer  Osterglocke  rittlings 
die  Fahrt  nach  Rom  machte*). 

Aber,  wenn  auch  die  Glocken  verstummt  sind  und  nicht  mehr 
die  Gläubigen  zur  Kirche  rufen  können,  wenn  selbst  die  Schellen  und 
Altarglöcklein  im  Innern  der  Kirche  nicht  mehr  erklingen  dürfen,  der 
Dienst  der  Kirche  feiert  nicht  und  geht  seinen  Weg.  Da  müssen  andere 
Zeichen  für  die  Gläubigen  an  Stelle  des  Glockenklanges  treten;  es  er- 
tönen, aber  niemals  harmonisch,  andere  Geräte,  zum  Teil  uralter  Herkunft 
aus  der  Vorglockenzeit.  Das  sind  die  Klappern  und  Ratschen  für  den 
Handgebrauch  und  die  grösseren  Schallbretter,  Tafeln  und  deren  Nach- 
folger statt  der  Turmglocken.  Ihr  Gebrauch  geht  in  das  frühe  Mittelalter 
zurück,  wofür  mehrere  Beispiele  vorliegen,  von  denen  nur  eines,  auf  die 
Karwoche  bezügliches  hier  mitgeteilt  werden  soll.  Es  ist  uns  überliefert 
durch  Symphosius  Amalarius  von  Metz,  der,  ein  Franke  von  Geburt, 
Schüler  Alkuius  war  und  um  857  starb.  In  seinem  Hauptwerke  De 
ecclesiasticis  officiis  libri  IV,  21,  das  dem  Kaiser  Ludwig  gewidmet  war, 
ist  davon  die  Rede,  dass  durch  den  Klang  der  sehr  alten  Schallbretter  das 
Volk  zur  Kirche  berufen  wurde  ^).  Eine  Andeutung  in  der  Richtung,  dass 
schon  im  13.  Jahrhundert  vor  der  Osterzeit  (und  auch  vor  Weihnachten) 
Knaben  auf  den  Strassen  Lärm  vollführten,  um  das  Fest  anzukündigen, 
finden  wir  bei  Berthold  von  Regensburg®);  wenn  auch  nicht  gesagt 
wird,  dass  es  während  des  Schweigens  der  Glocken  geschah  und  die 
Instrumente  tubae  waren. 


1)  Bavaria  4,  393. 

2)  H.  Lerond,  Lothriüger  Sammelmappe  Heft  5,  S.  61  (Metz  1894). 
8)  H.  Boeckeler,  Beiträge  zur  Glockenkunde  (Aachen  1882)  S.  111. 

4)  A.  Le  Braz,  Contes  du  Brume  et  du  Soleil  (Paris  1906)  p  213. 

5)  Necnon  etiam  altitudo  siguorum,  quae  fiebat  per  vasa  aerea,  deponitur,  et  lig- 
Tiorum  sonus  usquequaque  humilior  aeris  sono,  necessario  pulsatur,  ut  conveniat 
populus  ad  Ecclesiam.  Botest  et  in  hoc  liumilior  usus  Ecclesiae  Romanae  designari 
antiquis  temporibus,  quam  nunc  sit,  et  praecipue  tunc,  quando  latitabat  per  cryptas 
propter  persecutores:  Nam  adhuc  junior  Roma,  quae  antiquis  temporibus  sub  uno  Domino 
cum  antiqua  Roma  regebatur,  usum  lignorum  tenet,  non  propter  aeris  penuriam,  sed 
propter  vetustatem  (Migne,  Patrologia  Latina  105,  1201). 

G)  Bei  Schünbacli,  Studien  zur  altdeutschen  Predigt  2  (Sitzungsberichte  der  philos.- 
histor.  Klasse  der  Akademie  d.  Wissensch.  Band  142,  VII.   Wien  1900)  S.  110. 


Katschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.  253 

Allgemein  werden  in  der  katholischen  Welt  an  jenen  drei  Tagen 
heute  jene  Geräte  als  Glockenersatz  benutzt,  die  wir  zusammenfassend 
als  Klappern  und  Ratschen  bezeichnen  wollen,  und  deren  Benutzung  mit 
vielerlei  volkstümlichen  Gebräuchen  verknüpft  ist.  Sie  führen,  je  nach 
Yolk  und  Landschaft,  zahlreiche  verschiedene  Benennungen,  meist  onomato- 
poetischer Art,  sind  mit  dem  Katholizismus  über  die  Erde  gewandert, 
nach  Ost  und  West,  und  bilden  den  Kulturkreis  der  Ratschen.  Ehe  ich 
zu  den  sehr  verschieden  gestalteten  Geräten  selbst  übergehe  und  die 
Lieder  und  Gebräuche  bespreche,  mit  denen  die  Zeit  des  Glocken- 
verstummens  bei  uns  ausgefüllt  wird,  will  ich  an  einem  Beispiele  zeigen, 
wie  diese  katholische  Sitte  sich  in  einem  fernen  Lande  äussert,  wo  sie 
von  christlichen  Spaniern  zu  einem  heidnisch-indianischen  Volke  gebracht 
wurde.  Auch  in  Mexiko  schweigen  am  Gründonnerstag  nach  der  Nach- 
mittagsmesse alle  Glocken  und  verschwinden  selbst  die  lärmenden  Wao-en 
von  der  Strasse.  Statt  dessen  wird  auf  dem  Turme  der  Kathedrale  eine 
mächtige  hölzerne  Maschine  gleich  einem  Wasserrade,  la  Matraca  (die 
Rassel),  errichtet,  welche  nun  die  Stunden  angibt  und  statt  des  Läutens, 
bedient  von  ein  paar  Sträflingen  oder  Soldaten,  ihren  unharmonischen 
Lärm  ertönen  lässt.  Das  Rasseln  steckt  an,  und  zur  Feier  des  Oster- 
festes ergreift  jedermann.  Alt  und  Jung,  Hoch  und  ISliedrig,  eine  kleine 
Rassel  und  zieht  damit  durch  die  Strassen,  um  dem  Judas  auf  diese  Art 
die  Knochen  zu  zerschlagen;  Judaspuppen,  entweder  von  spanischen  oder 
aztekischen  Typus,  werden  verkauft,  man  hängt  sie  oder  verbrennt  sie. 
Es  sind  alte,  einige  Jahrhunderte  zählende  Typen,  an  denen  der  Mexikaner 
keinerlei  Veränderung  vorgenommen  hat^).  Das  Judasbrennen  und  die 
Ostereier  sind  aber  allenthalben  in  der  katholischen  Christenheit  dem 
Osterfeste  folgende  volkstümliche  Gebräuche,  auf  die  ich  aber  hier  nicht 
näher  eingehen  kann*). 

Die  Glocken  sind  also  für  drei  Tage  verstummt,  und  an  ihre  Stelle 
treten  die  Lärmgeräte  in  zweierlei  Art.  Erstens  die  grosse,  meistens 
auf  dem  Kirchturm  stehende  Ratsche,  welche  die  Tageszeiten  zu  ver- 
kündigen und  den  Beginn  des  Gottesdienstes  anzuzeigen  hat.  Zweitens 
statt  der  im  Lmeren  der  Kirche  beim  Gottesdienste  benutzten  kleinen 
Schellen  und  Glöcklein  eine  zumeist  hinter  dem  Altar  versteckte  Ratsche 
oder  Klapper.  Die  Turmratsche  gewöhnlich  vom  Mesner,  die  kleinen 
Geräte  von  den  Ministranten  bedient.  Genügt  aber  die  grosse  Turmratsche 
nicht  oder  ist  sie  überhaupt  nicht  vorhanden,  dann  übernehmen  es  die 
Ministranten  und  ihnen  befreundete  Schulknaben,  in  ihrer  Weise  Stunden- 


1)  E.  B.  Tjlor,  Anahuac  (London  1^61^  p.  49. 

2)  [Eiu  Judasliedchen  der  Kinder  aus  Köln  bei  Erk-Böhme,  Liederhort  3,  139  nr.  1230. 
Im  Mieser  Bezirk  singen  die  ratschenden  Buben  nach  A.  John  (Sitte,  Brauch  und  Volks- 
glaube im  deutschen  Westböhmen  1905  S.  64)  das  alte  Lied  „0  du  armer  Judas":  vgl. 
Bäumktr,  Das  katholische  deutsche  Kirchenlied  1,  463f.     Erk-Böhme  3,  GTO  nr.  19G3.] 


254  Andree: 

zeit  und  Beginn  des  Gottesdienstes  mit  Handratschen  und  Handklappern 
im  Orte  auszurufen,  währenddem  sie  nicht  vergessen,  auch  Gaben  zu 
heischen,  meistens  Ostereier.  Dabei  fehlen  aber  auch  fromme  Ermahnungen 
und  fromme  Lieder  nicht,  die  in  Deutschland  vielfache  Übereinstimmung 
zeigen:  dass  bei  diesen  Umzügen  auch  Lieder  mit  unterlaufen,  die  aus 
Missverständnis  in  die  Osterzeit  verlegt  wurden,  aber  ursprünglich  einem 
andern  Feste  oder  Heiligen  angehören,  ist  eine  häufig  beobachtete  Sache. 
Im  nachstehenden  Liede  der  Katschbuben  aus  Friedland  in  Nordböhmen ^) 
gehört  z.  B.  nur  der  erste  Vers  der  Osterzeit  au,  während  der  Rest  einem 
Dreikönigsliede  entnommen  ist: 

Klapper,  klapper  Griindodsch!  Lasst  mich  ne  zu  lange  stehn! 

Bin  ein  kleiner  König;  Muss  a  Häusl  weiter  gehn. 

Gebt  mer  ne  zu  wenig. 

Sehr  weit  durch  Süddeutschland  ist  der  fromme  Spruch  der  Ratsch- 
buben verbreitet: 

Wir  ratschen,  wir  ratschen  den  englischen    Fallt  nieder,  fallt  nieder  auf  eure  Knie 

Gruss,  Und  betet  fünf  Vaterunser  und  Avemarie! 

Den  jeder  katholische  Christ  beten  muss. 

Die  Tageszeit  wird  auch  unter  Ratschen  mit  bestimmten  Sprüchen 
ausgerufen  und  dabei  gesagt,  ob  es  sich  um  die  Morgen-,  Mittags-  oder 
Abendglocke  handelt,  wie  in  den  Orten  an  der  preussisch-holländischen 
Grenze^).  Schon  am  frühen  Morgen  sind  die  Ratschbuben  bei  ihrer  Arbeit. 
So  rufen  sie  in  Ranschbach  bei  Landau  in  der  Pfalz: 

Steht  auf  ihr  Leut!  's  isch  Betenszeit,         Für  die  Armen  und  die  Reichen. 
Der  Tag  fängt  an  zu  bleichen  Betglock'). 

Besonders  wird  die  Mittagsglocke  durch  starkes  Ratschen  hervor- 
gehoben, damit  jeder  Gläubige  dann  den  Hut  ziehen  kann. 

Mittagsglock  Wenns  nicht  klingelt, 

Rosestock.  Da  rappelts  doch, 

heisst  es  in  Deutsch -Lothringen  am  Gründonnerstag,  während  am  Kar- 
freitag gerufen  wird: 

Mittagsglock 

Bohneblatt, 

Iwermorje  ischt  Oschtersunntag*). 

Zum  letzten  Male  spielen  an  manchen  Orten  die  Ratscher  ihre  Rolle 
in  der  Nacht  vom  Karsamstag  zum  Ostersonntag.  Noch  einmal  ertönen 
ihre  Geräte  mit    dem  Rufe:     „He  Leute,    stehet  auf,    es   ist  Ostertag"   in 

1)  Zeitschrift  f.  österr.  Volkskunde  12, 213.  —  2)  Zeitschr.  f.  rhein.-westfäl.  Volksk.  3,  148. 

3)  Bronner,  Von  deutscher  Sitt  und  Art  (1908)  S.  128.  —  [E.  H.  Meyer,  Badisches 
Volksleben  1900  S.  100:  Kerren  und  Ratschen.  „S  örschte  Mole,  s  ander  Mole,  zamme, 
zamme  in  die  Keriche!"'  u.  ä.] 

4)  Lerond,  Lothring.  Sammelmappe  5,  G3.  Dort  ist  aus  St.  Julien  bei  Metz  auch 
eiu  französischer  Dialektvers  der  'Rätscherknechtc'  mitgeteilt. 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.  255 

den  Eifeldörfern^)  und  zu  Delbrück  bei  Paderborn  singen  dann  die  'Klapper- 
jungen' laut  in  die  Osternacht  hinaus:  „Stohet  up,  jung  un  olt,  dainet 
Guod,  dem  beeren"^)!  Anderwärts  übernahmen  es  die  mit  den  Katschen 
versehenen  Nachtwächter,  den  Auferstehungsgruss  um  Mitternacht  aus- 
zurufen, so  in  der  alten  Deutsch- Ordensstadt  Lauchheim  in  Württemberg, 
wo  sie  sangen: 

Die  Glocke  hat  geschlagen,  Zu  einem  neuen  Leben 

Das  ist  zur  halben  Nacht,  Macht  eure  Seel  parat! 

Der  Herr  ist  auferstanden  Bewahret  Licht  und  Feuer, 

Und  hat  gross  Genad  euch  bracht.  Dass  euch  beschieht  kein  Schad*). 

Aber  während  des  Ratschens  wird  auch  für  die  Mühewaltung  der 
Lohn  verlangt,  wobei  es  meist  die  Ostereier  sind,  auf  welche  es  ab- 
gesehen ist. 

Da  komme  de  arme  Rätscherknechte,  En  dutzend  Eier  isch  nit  sc  viel, 

Suchen  ihre  Hasenrechte.  Ratschen  is  ken  Kinderspiel, 

rufen  sie  in  Deutsch-Lothringen*),  und  in  Schlesien  (Neurode)   heisst  es: 

Gelobt  sei  Jesus  Christus  zum  grünen  Do  seit-r-ne  schine  Muhme; 

Donnerschtijel  Umma  Ziega-ättr  (Ziegeneuter) 

Seid  gebäta  ema  Honigschnite,  Do  seit-r-a  guder  Vetter*). 
A  üsterae  derzune, 

Mit  diesen  Beispielen  dürften  die  wesentlichen  Typen  der  sich  ziemlich 
gleichbleibenden  Rätschlieder  und  Sprüche  gekennzeichnet  sein. 

In  protestantischen  Ländern  ist  die  katholische  Sitte  des  Ver- 
stum.mens  der  Glocken  in  der  Osterwoche  abgekommen,  damit  sind  auch 
die  Ratschbuben  verschwunden,  aber  sie  leben  noch  in  den  mit  Versen  und 
Liedern  auftretenden  Ostereiersammlern.  Hier  und  da  haben  sich  Nach- 
klänge aus  katholischer  Zeit  erhalten,  wie  ja  noch  so  mancher 
katholische  Brauch  im  Bereiche  der  evangelischen  Kirche  in  einzelnen 
Sitten  sich,  wenigstens  rudimentär,  erhielt  (Wallfahrten,  Quellenverehrung, 
Opfer,  Märkte  an  Heiligentagen,  Fastenspeisen  u.  dgl.  —  ein  besonderes 
Kapitel).  Wenn  im  Schaumburger  Lande  junge  Burschen  den  Kirchturm 
besteigen  und  statt  des  Läutens  die  Glocken  mit  Hämmern  schlagen,  w^as 
dort  'bimmeln'  heisst,  so  ist  dieses  vielleicht  dorthin  zu  rechnen;  es 
geschieht  allerdings  nicht  zu  Ostern,  sondern  Weihnachten®).  Li  dem 
evangelischen  Orte  ßeuern  in  Hessen  Hessen,  trotz  mehrfacher  Verbote 
im  18.  Jahrhundert,  sich  die  Burschen  es  nicht  nehmen,  gewaltsam  in  die 


1)  Zeitschrift  für  rhein.-westfäl.  Volkskunde  1,  137. 

2)  Ebendort  4,  21. 

3)  A.  Gerlach,  Die  Stundenlieder  der  Nachtwächter  in  Lauchheim  1907  S.  14. 

4)  Lerond,  Lothr.  Sammelmappe  5,  64. 

5)  Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien  1,  79  (1903). 

6)  Hessler,  Hessische  Landes-  imd  Volkskunde  2,  579.    [In  Pommern  wird  am  Abend 
or  den  Fasten  'gebeiert';    Blätter  f.  pommersche  Volkskunde  5,  95.  1897.    ZfVk.  15,  93.] 


256  Andree: 

Kirche  einzudringen,  um  am  Ostermorgen  'den  Has  auszuläuten',  eine  Ent- 
artung der  ursprünglich  ernsten  Sitte  ^).  Und  auch  als  Nachklang  der 
katholischen  Ostersitte  kann  man  es  betrachten,  wenn  die  Sage  im 
protestantischen  Visbeck  in  Oldenburg  und  zu  Neukirchen  in  der  Wieding- 
harde,  Holstein,  erzählt,  die  in  Sümpfen  oder  Teichen  versunkenen 
Glocken  erhielten  am  Ostertage  ihre  Stimmen  wieder^).  Ebenso  ist  wohl 
auch  als  Überlebsel  aus  katholischer  Zeit  zu  betrachten,  wenn  am  Kar- 
freitag in  Fishlake,  einem  Dorfe  an  der  Südostküste  von  Yorkshire,  die 
Glocken  früh  morgens  um  8  Uhr  nicht  wie  gewöhnlich  zur  Kirche  rufen, 
„but  the  great  bell  of  the  church  is  solemnly  tolled  as  for  a  death  or 
funeral""). 

Im  katholischen  Kirchendienst  muss  man,  wie  schon  kurz  bemerkt 
wurde,  nach  Grösse  und  Funktion  zweierlei  Arten  von  Ratschen  unter- 
scheiden, die  grossen  und  die  kleinen.  Die  ersteren  dienen  dazu,  die 
verstummte  Kirchenglocke  zu  ersetzen,  stehen  gewöhnlich  auf  dem  Turme 
der  Kirche,  zeigen  die  Stunden  an  und  rufen  zum  Gottesdienst.  Die 
kleineren  dagegen  sind  die  Handratscheu  und  Handklappern,  die  inner- 
halb der  Kirche,  bei  der  Messe,  Wandelung  usw.  von  den  Ministranten 
bedient  werden,  während  die  grossen  Turmratschen  meist  vom  Mesner 
in  Bewegung  gesetzt  werden.  Können  diese  grösseren  Geräte  aus  irgend 
einem  Grunde  nicht  auf  dem  Kirchturme  angebracht  werden,  dann  stehen 
sie  gewöhnlich  vor  der  Kirche,  auf  dem  Freithofe  usw.  Sie  heissen  dann 
in  Bayern  'Standratschen'*). 

Auch  die  grossen  Turmratschen  sind  je  nach  den  verschiedenen 
Ländern  von  verschiedener  Art.  Da  es  sich  nur  darum  handelt,  die  in 
der  Osterwoche  verstummten  Glocken  zu  vertreten,  so  hat  man  statt  der 
gewöhnlichen  Ratschen  auch  ganz  andere  Lärmmacher  an  ihre  Stelle 
gesetzt.  Aus  der  Kirche  St.  Cerneuf  in  Billom  (Auvergne)  finde  ich 
dafür  die  Strorabusschnecke  erwähnt,  anderwärts  in  Südfrankreich  eine 
Art  Posaune  und  in  Spanien  die  Zambomba,  eine  grosse  Trommel.  Auf 
Korsika  schiesst  man  sogar,  um  die  Zeit  des  Kirchgangs  anzuzeigen. 

Gewöhnlich  sind  die  grossen  Lärmgeräte  auf  den  Türmen  auch 
richtige  Ratschen,  die  durch  Drehen  in  Bewegung  gesetzt  werden.  Eine 
solche  in  Habeischwert  in  Schlesien  nimmt  einen  Flächenraum  von 
0,75x1  m  ein").  In  München  kann  man  sie  mitten  durch  den  Strassen- 
lärm  in  der  Osterwoche  hören.  Zuweilen  handelt  es  sich  um  Ratschen,  die 
zweierlei  Töne,  einen  dumpferen  und  einen  helleren,  abgeben.    Eine  solche 


1)  Hessische  Blätter  für  Volkskunde  8,  187. 

2)  Strackerjai],   Aberglaube  aus  Oldenburg  2,  212   (=  2.  Aufl.  2,   319).     MüUenhofif, 
Sagen  aus  Schleswig-Holstein  184")  S.  118. 

3)  W.  Henderson,  Folk-Lore  of  the  Northern  Counties  of  England  1879  p.  81. 

4)  Schlicht,  Altbayernland  (Augsburg  1886)  S.  107. 

5)  Abgebildet  hei  Otte,  Glockenkunde  2.  Aufl.  S.  31. 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.  257 

Doppelratsche  ertönt  z.  B.  vom  Kirchturme  zu  Mittel-Darching  bei  Holz- 
kirchen in  Oberbayern.  Die  Fig.  1,  die  ich  von  ihr  hier  gebe,  lässt  er- 
kennen, wie  die  zwei  Töne  entstehen,  für  deren  Hervorbringung  je  eine 
besondere  Kurbel  den  Apparat  in  Bewegung  setzt. 

Dass  ursprünglich  statt  der  mit  der  Hand  gedrehten  Ratschen  die  mit 
Klöppeln  geschlagenen  Schallbretter  benutzt  wurden,  lässt  sich  nach- 
weisen. Im  katholischen  Teile  "Württembergs,  Rottenburger  Gegend,  heisst 
das  Gerät  Karfreitagsratsche  oder  Dofel.  Der  ganze  Apparat  besteht  aus 
einem  kastenförmigen  Resonanzgehäuse,  über  dem  eine  zackenbesetzte 
Walze  mit  einer  Kurbel  gedreht  wird,  an  der  lauggestielte  Hämmer  ab- 
gleiten, die  ein  starkes  Geräusch  hervorbringen^).  Aber  die  Bezeichnung 
Dofel  (Tafel)  deutet  sicher  darauf  hin,  dass  man  in  jener  Gegend  ur- 
sprünglich ein  Schallbrett  anwendete,  für  welches  in  Süddeutschland  der 
Ausdruck  Tafel  gebräuchlich  ist.  Man  gebrauchte  'täfern'  geradezu  für 
das  Läuten  und  Ratscheu,  wofür  Schmeller^)  einen  Beleg  vom  Jahre  1519 
aus  dem  Kloster  Tegernsee  anführt.  Man  'täferte'  dort  in  der  Karwoche 
und  beim  Tode  eines  Klosterinsassen.  Die  grösseren  Tafeln  standen 
wohl  auf  dem  Kirchturme,  und  wir  haben  ein  Zeugnis  dafür,  dass  sie 
geradezu  'Char-Freytags-Glocken'  genannt  wurden.  So  berichtet  Reht- 
meyer^),  dass  unter  den  17  Glocken  des  Braunschweiger  Doms  die  Kar- 
fi'eitagsglocke  „eine  hölzerne  gewesen,  davon  hängt  noch  (1707)  ein 
hölzerner  Hammer  und  ist  nur  am  Char-Freytag,  da  andere  Glocken  nicht 
gezogen  werden,  im  Papstthum  damit  geläutet."  Wie  der  Hammer  an- 
deutet, muss  es  sich  um  ein  geschlagenes  Schallbrett  gehandelt  haben, 
um  keine  hölzerne  'Glocke'.  —  In  der  Schweiz  heisst  (im  Frei-  und 
Kelleramt)  das  grosse  auf  dem  Kirchturme  aufgestellte  Klappergerät,  der 
Ersatz  der  Osterglocken,  Rafele.  Es  ist  dort  schon  im  18.  Jahrhundert 
belegt*). 

Was  nun  die  kleineren,  von  den  Knaben  in  der  Osterwoche  benutzten 
Handratschen  und  Handklappern  betrifft,  so  sind  sie,  wie  schon  diese 
beiden  Ausdrücke  andeuten,  gewöhnlich  von  zweierlei  Art  und  im  land- 
schaftlichen Gebrauche  geschieden.  Die  Typen  beider  sind  aus  den 
Fig.  2  und  3  erkenntlich.  Die  Klapper  ist  das  einfachere  Gerät,  das  ur- 
sprüngliche, das  aber  auch  schon  eine  Entwicklung  durchgemacht  haben 
muss,  da  es  zunächst  nur  aus  einem  mit  einem  Hammer  oder  Klöppel  mit 
der  Hand  geschlagenen  Brett  bestand.  Dabei  waren  zwei  Hände  nötig; 
brachte  man  aber  den  Hammer  über  dem  Brette   in  einem  Scharnier  be- 


1)  Abbildung   in    den  Mitteilungen    aus  dem  Verein  der  Königlichen  Sammlung  für 
deutsche  Volkskunde  zu  Berlin  2,  163  (190(j). 

2)  Bayrisches  Wörterbuch^  1,  587.     [Tafeln,  belegt  aus  dem  14.  Jahrh.  bei  Grimm, 
DWb.  11,  21.] 

3)  Der  berühmten  Stadt  Braunschweig  Kirchenhistorie  1707  S.  109. 

4)  Schweizer.  Archiv  f.  Volksk.  9,  14A:. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  3.  17 


258  Andree: 

weglich  an  und  schwang  das  Brett  an  einem  Stiele,  so  war  die  heutige 
Klapper  fertig,  die  mit  einer  Hand  regiert  wird.  Als  schon  etwas  kom- 
plizierter Mechanismus  ist  die  Ratsche  jünger  als  die  einfachere  Klapper. 
Bei  der  Ratsche  entsteht  der  Ton  dadurch,  dass  eine  Anzahl  elastischer 
Holzfedern  oder  nur  ein  dünnes  Holzbrettchen  gegen  ein  kleines  Kamm- 
rad stossen,  wobei  die  Bewegung  des  letzteren  durch  Drehen  des  Stieles 
mit  der  Hand  hervorgebracht  wird.  Bei  beiden  Geräten  ist  der  hervor- 
gebrachte lärmende  Ton  sehr  verschieden;  er  wird  durch  die  Benennungen 
gekennzeichnet,  die  somit  onomatopoetisch  sind  (klapp-klapp  und  rätsch- 
rätsch).  Und  solcher  Art  sind  auch  die  verschiedenen  mundartlichen 
Ausdrücke^)  für  das  Gerät,  wie  aus  der  nachstehenden  Zusammenstellung 
ersichtlich,  die  auch  einige  Anhaltspunkte  für  die  geographische  Ver- 
breitung der  Geräte  gibt. 

Kleppe  oder  Rauspel,  einfache  Klapper  oder  Rassel  mit  Kammrädchen 
an  der  deutsch-holländischen  Grenze    Zeitschr.  f.  rhein.-westfäl.  Volkskunde  3,  148. 

Klenkel,  deutsche  Gegend  von  Znaim  in  Mähren.  Zeitschr.  f.  österr.  Volks- 
kunde 2,  310. 

Klätter,  'hölzerne  Klapperorgel'  zu  Delbrück  bei  Paderborn.  Zeitschr.  f. 
rhein.-westf.  Volkskunde  4,  21. 

Klapper  oder  Ratzein  in  Deutsch-Lothringen,  wogegen  in  Metz  1716  und 
1758  Polizeiverordnungen  erlassen  wurden.  H.  Lerond,  Lothringische  Sammel- 
mappe, Heft  5,  S.  62  (Metz  1894). 

Klibberklaber  oder  Jarr,  hölzerne  Klapper  in  Luxemburg.  De  La  Fon- 
taine, Luxemburger  Sitten  1883  S.  37. 

Chlofele  in  Jonen,  Schweiz,  hölzerne  Klapper,  deren  sich  der  Ministrant 
statt  der  Klingel  in  der  Kirche  bedient.     Schweiz.  Archiv  9,  144. 

Ratschen  im  Kanton  Glarus,  der  hinter  dem  Hochalter  versteckte  Klopfer. 
Daselbst  4,  269.     [Grimm  DWb.  8,  190.] 

Bilapp,  ebenso  in  Merenschwand,  Schweiz.     Schweiz.  Archiv  9,  144. 

Klepaty,  Klappern,  ein  mit  Klöppeln  geschlagenes  Brett,  wird  von  den- 
Ruthenen  in  den  Ostkarpaten  benutzt  statt  der  in  der  Osterwoche  schweigenden. 
Glocken.     Kaindl  in  der  Zeitschr.  f.  österr.  Volkskunde  1902  S.  244. 

Gipe-Gep,  hammerartige  Handklapper  in  der  Rottenburger  Gegend  Württem- 
bergs, wie  Fig.  2.  Mitt.  aus  dem  Verein  der  Königlichen  Sammlung  für  deutsche 
Volkskunde  zu  Berlin  2,  163  (1906). 

Schubklapper,  Rumpel,  Schnurre  im  nordwestlichen  Deutsch-Böhmen. 
A.  John,  Sitten  in  Deutsch- Westböhmen  1905  S.  59. 

Klebern,  das  nachstehend  näher  beschriebene  und  abgebildete  Gerät,  welches 
nach  G.  Zeller  (Zeitschr.  d.  V^er.  f.  Volkskunde  12,  215)  im  Salzburgischen  haupt- 
sächlich als  Essglocke,  aber  auch  während  der  Karwoche  Verwendung  findet  (wo 
nicht  durch  Ratschen  verdrängt).  Im  Brixental  heisst  dieses  Schallgerät  Klebei 
oder  Klapperl.  Einem  vortrefflichen  Kenner  der  Salzburger  Volkskunde,  Herrn 
Fachlehrer  K.  Adrian,  verdanke  ich  nähere  Auskunft  über  die  Klebern,  die  er 
schon  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  13,  436  besprochen  hat,  über 
die    aber    unter  Beifügung    von    Fig.  4  und  5    nach    seinem  Briefe    noch    näheres 


1)  [Otte,    Handbuch    der  kirchl.  Kunstarchäologie  ^  1,  3G7  zitiert   die  lateinischen. 
Bezeichnungen  crcpitacula  ecclesiastica  und  crecollae.] 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.  259 

gesagt  werden  kann.  Die  Klebern  dient  zunächst  keinem  kirchlichen  Zwecke, 
sondern  vertritt  die  Essglocke.  Sie  fand  sich  (denn  jetzt  ist  sie  nur  durch  Exem- 
plare im  Salzburger  Museum  vertreten)  vereinzelt  in  der  Gegend  von  Fuschl 
(Flachgau),  häufiger  im  Oberpinzgau  von  Piesendorf  bis  Krimml.  Im  Pinzgau 
wurde  sie  auch  Klapper,  Schepper,  hauptsächlich  aber  Glagl  genannt.  Meist 
war  sie  aus  Ahornholz  verfertigt,  in  ihrem  vorderen  Teil  ausgehöhlt  und  mit 
einem  an  einem  Lederriemen  hängenden  Holzklöppel  (oder  einer  Bleikugel)  ver- 
sehen, der  auf  die  Schallplatte  aufschlug  (Fig.  4).  An  dessen  Stelle  trat  auch  ein 
im  Scharnier  schwingender  Holzhammer,  wie  ein  Exemplar  des  Salzburger 
Museums  aus  Aufhausen  bei  Piesendorf  im  Pinzgau  zeigt  (Fig.  5).  Diese  grösseren, 
20  cm  langen  und  7  cm  breiten  Klebern  haben  aber,  wie  K.  Adrian  betont,  kirch- 
lichen Zwecken  nicht  gedient,  dafür  sind  die  kleineren,  auf  dem  gleichen  Prinzipe 
beruhenden  Klappern  da,  bei  denen  der  Hammer  auf  ein  einfaches,  nicht  durch- 
höhltes  Brett  schlägt.  Sie  dienen  in  den  letzten  Tagen  der  Osterwoche  statt  der 
Altarglocke. 

[Klabatter  (Aachen)  bei  Grimm  DWb.  5,  887.  Vgl.  ebd.  S.  955  Kl äp fe- 
iein, Klepfl,  965  Klapper.  E.  H.  Meyer,  Bad.  Volksleben  1900  S.  100: 
Scharre.] 

Klabbaerd,  Klepberd,  Klappe,  Klippe,  die  in  den  Niederlanden  viel- 
fach gebräuchlichen  Ausdrücke,  mit  denen  am  'Mitten  Donderdag'  (unserm  Grün- 
donnerstag) die  Knaben,  Ostereier  sammelnd,  den  Ort  durchziehen.  Das  Klep- 
berd ist  dort  etwas  umständlicher  hergestellt,  als  bei  uns  (wie  Fig.  6  aus  Hedersum), 
da  der  Hammer  an  einer  Querschnur  befestigt,  zwischen  zwei  senkrechten  Pflöcken 
auf  das  Schallbrett  niederschwingt.  De  Cock  en  Teirlinck,  Kinderspel  in  Zuid- 
Nederland  7,  80  (Gent  1907).  Weitere  Ausdrücke  in  den  Niederlanden  für  das 
österliche  Lärmgerät  sind:  Klater,  Kreckeleere,  Krakere,  Kreckel, 
Reutelare,  Rotelare,  Ruttelare.  Als  Ratel  oder  Rateltje  wird  dort  be- 
sonders das  Gerät  bezeichnet  (Fig.  7),  welches  unserer  Ratsche  entspricht.  Es  ist 
aber  dieser  gegenüber  vervollkommnet,  da  es  mit  einem  Resonanzkasten  versehen 
ist.     Ebendort,  S.  284. 

Rumpeln  (Verbum)  in  Tirol.  Nach  L.  v.  Hörmann,  Tiroler  Volksleben 
(Stuttgart  o.  J.)  S.  53  hat  der  'Grump  Mittich'  seinen  Namen  von  Gerumpe, 
rumpeln,  Lärmmachen,  da  an  diesem  Tage  bei  der  abendlichen  Rumpelmette 
(Pumpermette)  das  erstemal  mit  den  Ratschen  'gerumpelt'  oder  'gedämmert'  wird. 
An  manchen  Orten  Tirols  wird  in  den  letzten  Tagen  der  Karwoche  in  der  Kirche 
die  'Dammermette'  gefeiert.  „Dabei  werden  eine  Anzahl  Schlegel  hinter  dem 
Altar  versteckt  gehalten,  bis  die  letzte  Kerze  verlöscht  ist.  Hierauf  holt  sich 
jeder  einen  oder  zwei  derselben  und  nun  geht  das  'Dammern'  (Klopfen,  Hämmern) 
los,  welches  die  Entrüstung  über  die  böse  Tat  des  Judas  ausdrücken  soll."  Es 
ist  also  etwa  dasselbe,  als  wenn  die  Juden  am  Purimfeste  in  den  Synagogen  mit 
Hämmern  ihren  Feind  Haman  totschlagen.^) 

Nicht  minder  mannigfaltig  nach  Namen  und  Gestalt  sind  die  öster- 
lichen Lärmseräte  in  den  romanischen  Ländern.     Mundartliche  Wörter- 


1)  Panzer,  Beitrag  z.  dtsch.  Mythol.  2,  554  hat  hier  noch  folgende  Erklärung:  „Die 
Pumpermetten,  Chorgesang,  der  jetzt  an  den  Vorabenden  des  Donnerstags,  Freitags 
und  Samstags  in  der  Charwoche  statt  hat,  ursprünglich  aber  in  den  horae  matutinae  ge- 
halten zu  werden  pflegte.  Ehemals  sollen  hierauf  die  Kirchgänger  mit  Stöcken,  Hämmern 
Steinen  usw.  an  die  Bänke  und  Wände  geschlagen  und  dieser  Lärm  soll  dem  Verräter 
Judas  gegolten  haben."     [Grimm,  DWb.  7,  2231  und  8,  1488:    Eumpelmette.] 

17* 


260 


Andree: 


Fig.  1.  Doppelrätsche  aus  der  Kirche  zu  Mittel-Darching  bei  Holzkirchen,  Oberbayern. 


Fig.  2.  Deutsches  Klapperbrett  (allgemein}.      Fig.  3.   Deutsche  Eatsche  (allgemein). 


Fig.  4.  Klebern  aus  dem  Pinzgau 
(Museum  Salzburg). 


Fig.  6.    Belgisches  Klapberd 
(nach  A.  de  Cock). 


Fig.  5.    Klebern  aus  Aufhausen,  Pinzgau 
(Museum  Salzburg). 


Fig.  7.   Belgische  Katel 
(nach  A.  de  Cock). 


4 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken, 


i. 


261 


I 

Fig.  8.   Römische  Trocola.  Fig.  9.    Neapolitanische  Trocola. 


Fig.  10.   Aus  Siena. 


Fifj.  11.    Italienische  Ratsche. 


Fig.  13.   Klappergerät  aus  Plessnitz,  Kärnten 
(nach  Bunker). 


Fig.  12.    Spanische  Matraca. 


Fig.  14.   Simandra  im  Kloster  Stiris  am  Farnass 
(nach  H.  Belle). 


262  Andree: 

bücher  würden  hier  die  beste  Auskunft  geben  ^),  Indessen  kann  ich 
einiges  hier  mitteilen,  und  zwar  nach  einem  mit  Abbildungen  versehenen 
Artikel  der  Londoner  Zeitschrift  The  Graphic  vom  1.  April  1899.  Der 
weitgereiste,  ungenannte  Verfasser  schildert  hier  'the  Beils  of  the  holy 
weak'  und  bemerkt,  dass  in  romanischen  Ländern  der  allgemein  ver- 
breitete Name  Claquette  (Fig.  8  und  9)  sei.  Das  Gerät  besteht  dort 
aus  einem  länglichen  harten  Holzbrette,  oben  mit  einer  Öffnung  für  das 
Hineinstecken  der  Hand,  die  das  Brett  schwingt.  Der  lärmende  Ton  wird 
durch  die  in  Haspen  schwingenden  eisernen  Bügel  hervorgebracht.  Dieses 
Gerät  findet  sich  in  Italien,  Spanien  und  Osterreich.  Die  Namen 
dafür  sind: 

Tabella  (Florenz), 

Crepitaculo  (Padua), 

Trocola  (Neapel,  Rom)  siehe  Fig.  8  und  9, 

Batarella  (Rovigo), 

Croccola  (Palermo), 

Tric-Trac  (in  den  Abruzzen). 

Statt  der  eisernen,  den  Lärm  verursachenden  Bügel  hat  man  in 
Siena  zwei  eiserne  Kugeln  an  Ketten  angebracht,  die  beim  Schwingen 
des  Brettes  durch  ihr  Rollen  den  Glockenersatz  liefern  (Fig.  10).  Es 
fehlt  übrigens  in  Italien  nicht  an  Geräten,  die  ganz  auf  dem  Prinzipe 
unserer  Ratschen  beruhen  (Fig.  11),  doch  ist  in  unserer  oben  bezeichneten 
Quelle  weder  Name  noch  Ort  dabei  angegeben. 

In  Spanien  und  in  den  von  ihm  sprachlich  abhängigen  amerikanischen 
Ländern  vertritt  die  Matraca  die  verstummten  Osterglocken.  Der  Ausdruck 
(Klapper)  wird  sowohl  für  die  grösseren  Geräte  auf  den  Türmen,  als  die 
Handklappern  gebraucht.  Die  Matraca  beruht  auf  dem  Prinzipe  der 
Kastagnette,  Holz  klappert  gegen  Holz  (Fig.  12). 

Die  Rasseln  und  gleichwertigen  Klapperinstrumente  im  kirchlichen 
Gebrauche  sind  auch  zu  Prozessionsinstrumenten  geworden,  wie 
dieses  aus  Kärnten  bekannt  ist,  von  wo  aus  dem  Dorfe  Plessnitz  bei 
Leoben  durch  J.  R.  Bunker  ein  derartiger  Brauch  geschildert  wird^).  In 
dem  dortigen  Johanniskirchlein  befindet  sich  eine  jener  bekannten 
Johannisschüsseln  mit  dem  Haupte  des  Täufers,  das  in  der  Nähe  unter 
einem  alten  Kirschbaum  gefunden  sein  soll.  Dort  steht  jetzt  eine  Säule 
mit  dem  Bilde  Gottvaters  und  zu  diesem  finden  die  Klapperprozessionen 
statt.  In  der  Kirche  befinden  sich  zu  diesem  Zwecke  etwa  15  Instrumente 
von  verschiedener  Grösse  und  von  der  Art,    wie  die  Fig.  13  zeigt.     Wird 


1)  In  dem  Werke  von  J.  D.  Blavignac,  La  Cloclie,  Etudes  sur  son  histoire,  Geneve 
1877  p.  o!)4  sollen  die  Ratschen  (traquet,  matraca,  tartarelle)  behandelt  sein.  Dieses 
Werk  konnte  ich  mir  nicht  verschafl'en. 

2)  Mitt.  der  Anthropol.  Ges.  in  Wien  ;U,  Sitzungsbericht  S.  119.  Es  kann  sich 
hierbei  auch  um  die  Geräte  handeln,  welche  die  verstummten  Osterglocken  ersetzen. 


Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken.  263 

der  Apparat  auf-  und  abgeschwungen,  dann  beginnen  die  Hämmer  ihr 
Klapperkonzert,  was  man  'Taferln'  nennt.  Dieses  findet  „an  einem  be- 
stimmten Tage"  statt.  Die  klappernde  Prozession  zieht  zum  Gottvater- 
bilde, betet  dort  und  kehrt  unter  fortgesetztem  Taferln  zurück". 

Ich  habe  mich  hier  fast  nur  auf  jene  Lärmgeräte  beschränkt,  die  in 
der  katholischen  Welt  zum  kirchlichen  Gebrauche  benutzt  werden  und 
eine  weite  Verbreitung  besitzen.  Aber  sie  sind  nur  ein  ganz  kleiner 
Ausschnitt  aus  der  ungeheuren  Masse  ganz  gleicher,  ähnlicher  und  ver- 
wandter Klappern  und  Rasseln,  die  über  die  ganze  Erde  verbreitet  sind, 
bei  Natur-  wie  Kulturvölkern  vorkommen  und  in  ein  hohes  Altertum 
hinaufreichen,  in  die  Yorglockenzeit.  Sie  dienten  mehr  noch  profanen 
wie  kirchlichen  Zwecken.  Sehr  verbreitet  waren  sie  bei  den  Nacht- 
wächtern, falls  diese  kein  Hörn  besassen,  beim  Stundenausruf.  Rättel- 
keerls  heissen  die  Hamburger  Xachtwächter  nach  ihren  Geräten^),  und 
in  Braunschweig  unterschied  man  Rättelwächter  mit  der  Ratsche  und  Tut- 
wächter mit  dem  Tuthorn.  Zum  Zusammenruf  der  Gemeinde  bedient 
sich,  wo  nicht  der  Gebotstock  herumgeht,  ihrer  der  Gemeindediener. 
[Auch  Bettler  und  Aussätzige  riefen  durch  eine  Klapper  die  Mild- 
tätigkeit der  Begegnenden  an;  Grimm  DWb.  5,  965.]  Mit  einem  Klapper- 
instrument wie  Fig.  8  waren  im  18.  Jahrhundert  die  österreichischen 
Briefträger  ausgerüstet,  um  ihr  Kommen  anzuzeigen,  wie  eine  Ab- 
bildung im  Reichspostmuseum  zu  Berlin  lehrt.  Heute  noch  ist  die  Treiber- 
klapper bei  Jagden  ein  Gerät,  wie  die  Fig.  6.  Und  die  Bauernjungen 
vertreiben  mit  der  Klapper  die  Sperlinge  aus  den  Feldern.  Über  die 
weite  Verbreitung  und  ganz  überraschende  Ähnlichkeit  dieser  Geräte, 
namentlich  der  einfachen  mit  Klöppeln  geschlagenen  Schallbretter,  be- 
sitzen wir  seit  nicht  langer  Zeit  eine  ganze  angeschwollene  Literatur. 
Ich  habe  dazu^)  die  Veranlassung  gegeben,  indem  ich  das  Signalbrett  der 
Harzer  Köhler,  die  jetzt  verschwundene  'Hillebille',  ans  Licht  zog 
und  ähnliche  Geräte  damit  verglich.  Wer  sich  für  diesen  Kulturkreis,  der 
seiner  Natur  nach  gar  nicht  aus  einer  Quelle  stammen  kann,  interessiert, 
findet  das  meiste  zusammengetragen  in  der  unten  angeführten  Stelle'). 

Für  den  kirchlichen  Gebrauch  der  Schallbretter  {äyia  |r/a) 
liegen  sehr  alte  Zeugnisse  vor.  Als  die  Reliquien  des  627  gestorbenen 
persischen  Märtyrers  Auastasius  nach  Cäsarea  gebracht  wurden,  zog  das 
Volk  ihm  in  Prozession  voll  Jubel  entgegen  und  schlug  die  heiligen 
Hölzer*).  Und  in  der  orthodox-griechischen  Christenheit  leben  sie  bis 
zum  heutio-en  Tao;e  fort.     In  unseren  Lauden  kamen  sie  als  Ersatz  sogar 


1)  M.  Richey,  Idioticon  Haraburgense  1755  S.  207.    [ZfVk.  13,  437:  Siidrussland.] 

2)  Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  5,  103  (1895). 

3)  Richard  Andree,    Braunschweiger  Volkskunde,    2.  Aufl.    S.  253.      [ZfVk.  tJ,  445.  7, 
208.  8,  347.  15,  93.  IG,  430.     Auch  ZföVk.  15,  40:    Fressglocken.] 

4)  Wetzer  und  Weite,  Kirchenlexikon,  3.  Aufl.  5,  697. 


264      Andree:    Eatschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der  Karfreitagsglocken. 

wieder  zum  Vorschein,  wenn  Gemeinden  zu  arm  waren,  sich  Glocken  an- 
zuschaffen^). Als  im  Jahre  1627  das  Dorf  Rhode  bei  Königslutter  von 
Kaiserlichen  Soldaten  ausgeplündert  wurde,  zerschlugen  diese  die  Kirchen- 
glocken und  führten  das  Metall  hinweg.  Da  schrieb  der  Geistliche  in 
das  Kirchenbuch:  „Weiln  nun  keine  Glocke  mehr  vorhanden  gewesen, 
damit  man  die  Leute  zum  Gottdienste  rufen  konnte,  hat  mau  aus  Noth 
ein  Brett  vor  die  Kirchtür  hängen  lassen  müssen,  an  welchem  der  Küster 
mit  zwei  Hämmern  anschlagen  und  zum  Gottesdienst  klappern  müssen, 
welches  man  dann  zwei  Jahre  lang  also  continuiert"  ^).  —  Wer  heute  statt 
der  Glocken  das  uralte  Schallbrett  (äyia  ^vla)  bei  christlichen  Kirchen 
noch  im  täglichen  Gebrauche  sehen  will,  der  muss  sich  allerdings  schon 
nach  der  Balkauhalbinsel  begeben.  Dort  findet  er  es,  von  Mönchen  ge- 
schlagen, so  benutzt,  wie  Fig.  14  es  darstellt.  Als,  vor  etwa  40  Jahren, 
der  französische  Reisende  Henri  Belle  das  griechisch-orthodoxe  Kloster 
Stiris  am  Parnass  besuchte,  da  wurden  die  Mönche  durch  die  Simandra 
zum  Gottesdienste  zusammengerufen.  Zwischen  zwei  Pfählen  hing  ein 
hölzernes  mit  Eisenstreifen  beschlagenes  Brett,  auf  welches  zwei  Mönche 
mit  gekrümmten  Hämmern  schlugen,  so  dass  kurze,  dumpfe  Töne  ent- 
standen^). —  Diese  Schallbretter  haben  schon  vor  ein  paar  Jahrhunderten 
den  gelehrten  Leo  Allatius  interessiert,  und  er  hat  ihnen  auch  eine  nähere 
Beschreibung  gewidmet").  Er  setzt  zunächst  auseinander,  dass  die  Türken, 
nachdem  sie  das  byzantinische  Reich  unterworfen  hatten,  den  Christen  den 
Gebrauch  der  Glocken  verboten  und  diese  daher  wieder  zum  Gebrauche 
der  Schallbretter  griffen,  um  den  Beginn  des  Gottesdienstes  zu  bezeichnen. 
Allatius  beschreibt  dabei  das  Gerät  so  genau  und  die  Art,  wie  es  geschlagen 
wird,  dass  wir  darüber  vorzüglich  unterrichtet  werden  und  ich  seine  Be- 
schreibung in  der  Anmerkung  hier  beifügen  wilP). 
München. 


1)  Z.  B.  Digot,  Histoire  de  Lorraine  1,  182  bei  Lerond. 

2)  Vaterländisches  Archiv  des  Königreichs  Hannover  1820,  II,  360. 

3)  Globus  32,  68  (1877). 

4)  Leo  Allatius,  De  tempHs  Graecorum  recentioribus  (Coloniae  Agrippinae  apud 
Jodocum  Kalcovium  et  socios  1645)  p.  4. 

r>)  Quare  sacerdotes  Graeci  ligneo  instruinento,  ad  Graecos  in  ecclesiam  convocandos, 
utuntur.  Id  est  lignum  binarum  decempedarum  longitudine,  duorum  digitorum  crassi- 
tudine,  latitudine  quatuor,  quam  optime  dedolatum,  non  fissum  aut  rimosum;  quod 
manu  sinistra  medium  tenens  Sacerdos,  vel  alius,  dextra  malleo  ex  eodem  ligno,  cursim 
hinc  inde  transcurrens,  modo  in  unam  partem,  modo  in  alteram,  prope  vel  eminus  ab 
ipsa  sinistra,  ita  lignum  diverberat,  ut  ictum,  nunc  plenum,  nunc  gravem,  nunc  acutum, 
nunc  crebrum,  nunc  extentum,  edons  perfecta  musices  scientia  auribus  suavissime  modu- 
latur.  Et  hoc  otjfiavrrjQiov  nuncupatur,  magisque  proprio  nomine  xf'^Qf^o/jfiavTQov,  quod 
manibus  teneatur,  iisque  pulsetur;  ad  differenfiam  alterius  magni,  quod  ^liya  oi'ifiavTQor 
dicitur,  ex  eodem  ligno  et  in  turribus,  sive  campanariis  catenis  ferreis,  suis  extremitatibus 
appenditur.  Illud  est  insigni  magnitudine,  ut  quandoque  sex  palmos  latitudo,  unum 
crassitudo,  triginta  longitudo  exaequet,  malleoque  pro  magnitudine  Semanterii  pulsetur. 


Brunner:    Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen.  265 

Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 

Von  Karl  Brunner. 


Die  Bestände  der  Königlichen  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde 
an  Erzeugnissen  bäuerlicher  Töpferei  und  Fayencen  volkstümlicher  Art 
sind  bisher  in  unseren  'Mitteilungen'  noch  wenig  berücksichtigt  worden. 
Es  erscheint  daher  an  der  Zeit,  dieses  vielfach  noch  recht  dunkle  Gebiet 
durch  eine  umfassendere  Veröffentlichung  wenigstens  zu  umgrenzen  und 
die  einzelnen  Erscheinungen  so  weit  als  möglich  zu  gruppieren,  um  so 
eine  endliche  Lösung  der  Fragen  nach  Herkunft  und  Verbreitung  gewisser 
charakteristischer  Erzeugnisse  der  Töpferkunst  anzubahnen.  Vorerst  sollen 
die  keramischen  Sammlungen  unseres  Museums  behandelt  werden,  die  sich 
auf  die  neuere  Zeit,  vorwiegend  das  18.  und  19.  Jahrhundert  beziehen. 
Denn  die  Hauptmasse  der  Gegenstände  stammt  aus  dieser  Periode;  das 
wenige  Ältere  ist  noch  zu  lückenhaft,  um  einen  erschöpfenden  Rückblick 
auf  die  Bauerntöpferei  älterer  Zeit  zu  gestatten.  Um  den  Stoff  der  Be- 
arbeitung etwas  einzuschränken,  soll  auch  zunächst  nicht  die  Ofentöpferei 
einbezogen  werden,  die  einer  besonderen  späteren  Erörterung  vorbehalten 
bleiben  mag,  ferner  auch  nicht  die  Steinzeugtöpferei,  die  besonders  am 
Rhein,  in  Nassau  und  in  der  Lausitz  blühte. 

Obwohl  die  Töpferscheibe  zu  den  ältesten  Erfindungen  des  Menschen 
gehört,  gab  es  doch  bis  in  die  neuesten  Zeiten  sogar  in  Europa  Töpfer- 
werkstätten, die  dieser  Einrichtung  entbehrten.  Da  sind  z.  B.  die  so- 
genannten Juten-  oder  Tatertöpfe,  von  denen  Fig.  1  einen  zeigt,  über 
deren  Herstellung  durch  jütische  Frauen  J.  Mestorf  im  Archiv  für  Anthropo- 
logie 11,  453  (1879)  ausführlich  berichtet.  Diese  Töpfe  zeigen  ein  so 
prähistorisches  Äussere,  dass  man  sie  wohl  mit  alten  Graburnen  ver- 
wechseln könnte,  und  die  Beschreibung  ihrer  Erzeugung  lediglich  mit  der 
Hand  und  einigen  höchst  einfachen  Geräten  von  Stein,  Holz  und  Eisen 
mutet  ausserordentlich  altertümlich  an.  Sie  werden  keinem  scharfen 
Brande,  sondern  nur  einem  mehrmaligen  Trockenprozess  bei  schwachem 
Feuer  unterworfen.  Die  dunkle  Farbe  erhielten  sie  durch  Einwirkung 
des  Rauches  von  einem  Schmauchfeuer.  Man  sollte  meinen,  dass  so  zer- 
brechliche Ware  nicht  weiter  durch  Handel  vertrieben  werden  könne, 
aber  doch  sind  sie  nach  J.  Mestorf  von  Jütland  aus  nicht  nur  nach  den 
dänischen  Inseln,  sondern  sogar  über  die  Elbe  bis  tief  nach  Deutschland 
hinein  verfrachtet  worden. 

AVie  eine  Drehscheibe  für  Töpfereibetrieb  bis  in  unsere  Tage 
aussieht,  zeigt  das  in  Fig.  2  hier  abgebildete  Modell  aus  glasiertem  Ton, 
welches  Herr  Töpfermeister  Bluth    in  Goslar    seinerzeit    für    das  Museum 


266  Brunner: 

gefertigt  hat.  Wir  sehen  den  Meister  vor  der  Seheibe  sitzend,  deren 
Unterteil  er  mit  dem  nackten  rechten  Fuss  in  drehende  Bewegung  setzt, 
während  die  Hände  oben  mit  der  Formung  des  Gefässes  beschäftigt  sind, 
welches,  auf  einer  kleineren  runden  Plattform  stehend,  um  seine  Achse 
rotiert.  Zur  rechten  Hand  des  Meisters  liegen  aufgestapelte  Tonklumpen 
und  daneben  steht  eine  Lade,  welche  Wasser  enthält  und  oben  aufliegend 
allerlei  Werkzeuge.  Auf  der  Bank  vor  dem  Töpfer  stehen  vier  fertig  ge- 
formte einfache  Gefässe.  Dass  die  Töpferscheibe  in  Europa  bereits  in 
grauen  vorchristlichen  Zeiten  in  Gebrauch  war,  ist  bekannt  genug,  ebenso 
auch,  dass  sie  im  Norden  Europas  nur  zuweilen  erst  um  den  Beginn 
unserer  Zeitrechnung  benutzt  wurde.  Ja,  noch  in  den  frühgeschichtlichen 
Siedelungen,  wo  vorslawische  und  slawische  Gefässsch erben  aufgefunden 
werden,  betrachtet  man  die  Spuren  der  Drehscheibe  als  slawisches  Merkmal. 
Haben  nun  die  Yerfertigerinnen  der  oben  besprochenen  jütischen 
Tatertöpfe  die  altgermanische  Methode  der  Formung  ohne  Scheibe  noch 
bis  in  die  neuere  Zeit  sich  bewahrt,  so  kann  es  uns  nicht  wundern,  dass 
bei  den  Kassuben,  einem  polnischen  Yolksstamm  in  Westpreussen,  sich 
die  ganze  Technik  und  Formgebung  altslawischer  Keramik  bis  in  die 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  erhalten  hat,  wie  Fig.  3—4  zeigen.  Diese 
Gefässe  sind  sogenannte  Kassuben-Töpfe,  die  im  Jahre  1873  von 
einem  Töpfer,  sogenanntem  Schwarzbrenner,  in  der  Tucheier  Heide  nicht 
weit  von  Hornberg  in  Westpreussen  angefertigt  wurden.  Der  rohe  Ton, 
nicht  die  schwarzgebrannte  Vase,  nimmt  bei  festem  Streichen  mit  einem 
Poliersteine  oder  Knochen  Glanz  an.  Diese  kassubischen  Töpfe  kamen 
um  1840  auf  die  Jahrmärkte  und  wurden  zu  Kochgeschirren  verwendet. 
Um  1880  waren  sie  bereits  ausser  allgemeinem  Gebrauch.  Ygl.  A.  Voss, 
Katalog  der  Ausstellung  prähistorischer  und  anthropologischer  Funde 
Deutschlands  (Berlin  1880)  S.  474  Nr.  89. 

Nicht  minder  prähistorischen  Eindruck  macht  das  in  Fig.  5  dargestellte 
rohe  Tongerät,  welches  ein  sogenanntes  Muläpen  ist,  eine  aus  Lübeck 
stammende  Fusswärmvorrichtung,  die  auf  dem  Markte  feilgehalten  werden 
und  wegen  ihrer  grossen  Öffnung  zur  Einführung  glühender  Kohlen  ihren 
drastischen  Namen  erhielten.  Der  Ausdruck  'Maulaifen  feilhalten'  dürfte 
hiermit  erklärt  sein.  [Vgl.  A.  Richter  und  O.  Weise,  Deutsche  Redens- 
arten 1910  S.  142.] 

In  den  Spreewald  führt  das  Bild  Fig.  6,  welches  einen  mit  einem 
Stülpdeckel  versehenen  unglasierten  Tontopf  darstellt,  der  zum  Aus- 
räuchern der  Bienen  gebraucht  wird. 

Fig.  7  zeigt  einen  kleinen  Ofen  aus  unglasiertem  roten  Ton  mit  ab- 
nehmbarem Deckel,  offenbar  eine  Nachahmung  eines  gusseisernen  so- 
genannten Kanonenofens.  Diese  Öfen  werden  in  Barmen  als  Weihnachts- 
geschenke für  kleine  Mädchen  hergestellt.  Über  der  unteren  Öffnung  befindet 
sich  inwendig  ein  Feuerungsrost.    Die  obere  Türöffnung  ist  nur  angedeutet. 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


267 


Eine  andere  Verwendung  primitiver  Töpferkunst    ist   die  Herstellung 
von  Opfern    für    die  Gottlieit.     Schon    aus  dem  Altertum  ist  das  bekannt 


Fig.  1. 


Vis.  2. 


Fiff.  8. 


Fio:.  4. 


Fiff. 


Fiff.  (i. 


Fiff.  7. 


Fisr.  5. 


Fiff.  9. 


und  wird  in  Bayern  und  Österreich  noch  heute  geübt.  Die  Fig.  8  zeigt 
einen  solchen  Opferkopf  aus  St.  Valeutinshaft  im  Mattigtal,  Oberösterreich, 
ein  Geschenk  von  Fräulein  Marie  Eysn.    Die  grosse  Ähnlichkeit  des  Ge- 


268 


Brunner: 


fässes  mit  römischen  Graburnen  aus  dem  Rheinlande  springt  in  die  Augen. 
Diese  unsere  Opferköpfe  wurden  von  der  bäuerlichen  Bevölkerung  teils 
wegen  Kopfleiden,  teils  zur  Erzielung  von  Fruchtbarkeit  in  den  Kirchen 
und  Kapellen  niedergelegt,  vielfach  auch  mit  Getreide  gefüllt.  Näheres 
hierüber  bei  R.  Andree,  Votive  und  Weihegaben  des  katholischen  Volkes 
in  Süddeutschland  1904  S.  139  ff.  —  Fig.  9  zeigt  ein  kleines  Töpfergerät 
aus  Ludwigslust  in  Mecklenburg  mit  oben  eingesteckter  Federpose.  Es 
wird  zum  Auftragen  von  Farbe  auf  Tonwaren  benutzt  und  ist  ein  Geschenk 
des  Herrn  Hans  von  Schier städt. 


Fig.  11,  12. 


Fi?.  15. 


Fisr.  14. 


Fis.  10. 


Fi-    13. 


Zur  Herstellung  von  Festgebäcken  hat  man  sich  in  Süddeutschland 
vielfach  der  Formen  aus  unglasiertem  Ton  bedient,  wie  hier  in  Fig.  10 
eine  solche  nebst  Abdruck  abgebildet  ist,  die  eigentümliche  Darstellungen 
zeio-t,  während  Fig.  11—12  eine  kleine  Tonform  vorführt,  welche  in  Salzburg 
zur  Herstellung  von  Weihnachtskrippenfiguren  benutzt  wurde. 

Um  den  porösen  Ton  undurchlässiger  zu  machen,  hat  man  schon  in 
sehr  alter  Zeit  Salz-  und  Bleiglasuren  erfunden,  die  an  sich  durchsichtig 
sind,  aber  auch  vielfach  gefärbt  werden.  Die  grosse  Masse  der  als  Bauern- 
töpferei bezeichneten  Gefässe  und  Geräte  ist  mit  solchen  Glasuren,  meistens 
nur  einseitig,  überzogen.  Sehr  interessant  ist  eine  grosse  Kuchen-  oder 
Speiseform  aus  Stützheim,    ein   Wickelkind    darstellend.      Die   Form    ist 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


269 


innen  glasiert.  Vermutlich  hat  man  sie  besonders  in  der  Weihnachts- 
zeit benutzt.  Fig.  13  ist  eine  aus  Nordfriesland  stammende,  innen 
glasierte  Reisform  aus  Ton  mit  Darstellung  einer  Öeejungfer,  datiert  1611. 
Ahnliche  Formen  sollen  in  der  Umgegend  von  Glückstadt  bei  Hochzeiten 
gebraucht  werden  und  oft  mit  sehr  drastischen  Darstelluno^en  versehen  sein. 


Fig.  18. 


Fig.  19. 


Fig.  22. 


Tis.  20. 


Fig:.  21. 


Fiff.  17. 


Ein  eigentümliches  Gerät  ist  in  Fig.  14  dargestellt.  Es  dient  zum 
Waschen  von  Spitzen,  die  um  das  Gerät  herumgewickelt  werden, 
und  ist  in  Ludwigslust  in  Mecklenburg  von  Herrn  Hans  von  Schierstädt 
erworben  worden,  der  es  dem  Museum  überwies.  Zahlreich  sind  die 
Siebge fasse  in  der  Sammlung,  die  zu  verschiedenartigen  Zwecken  im 
Haushalte  gebraucht  werden.  Das  hier  in  Fig.  1')  dargestellte  dreifüssige 
Siebgefäss    diente    zur  Käsebereitung    im  Schwarzwalde.     Mit  dieser  Ver- 


270  Brunner: 

besseruDg  des  Geschirrs  durch  die  Glasuren  steigert  sich  natürlich  die  Ver- 
wendungsmöglichkeit des  Tongeschirrs,  wie  wir  aus  den  folgenden  Proben 
noch  weiter  sehen  können.  Fig.  16  ist  ein  irdener  glasierter  Bettwärmer 
aus  Sufflenheim  im  Elsass  mit  eingedrückten  Ornamenten,  Fig.  17  ein 
kacheiförmiger  Topf,  der  in  Ostfriesland  mit  glühenden  Kohlen  gefüllt 
in  den  sogenannten  Bakerkorb  (Badekorb)  zum  Anwärmen  der  Kinder- 
wäsche gestellt  wird,  Fig.  18  eine  im  bajuvarischen  Gebiet  häufige  Flaschen- 
form, Fig.  19  eine  Nachtlampe  aus  Oberösterreich,  wozu  das  hiesige 
Kunstgewerbemuseum  in  seiner  Fayencesammlung  ein  Vergleichsstück  aus 
Ravenna  besitzt,  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  entstammend,  Fig.  20 
ein  Lämpchen  aus  Wasselnheim  im  Elsass,  Fig.  21  ein  Lämpchen  für 
Binsenmarkdocht  und  Öl  aus  Litauen  und  Fig.  22  ein  Totenleuchter  aus 
Genuin  bei  Landsberg  a.  Warthe.  Das  Drillingsgefäss  Fig.  23  stammt 
aus  Ludwisrslust  in  Mecklenburg. 


Von  diesen  einfach  glasierten,  nicht  mit  farbigen  Verzierungen  ver- 
sehenen Gefässen  und  Geräten  führt  uns  der  nächste  Schritt  zu  denjenigen 
Irdenwaren,  welche  mit  Glasur  und  ein-  oder  mehrfarbigen  Ornamenten 
geschmückt  sind.  Bereits  oben  Fig.  9  ist  ein  einfaches  Töpfergerät  ab- 
gebildet worden,  welches  zum  Farbenauftragen  benutzt  wird.  Die  Zahl 
dieser  Erzeugnisse  ist  natürlich  jederzeit  sehr  gross  gewesen,  da  der  meist 
geringe  Brand  der  Gefässe  sie  leicht  zerbrechlich  machte,  so  dass  wenig- 
Älteres  erhalten  geblieben  ist.  Solche  Töpferarbeiten  sind  überall  an- 
gefertigt worden,  aber  nur  wenige  Orte  oder  Bezirke  sind  als  Ursprungsort 
bestimmter  Ware  allgemeiner  bekannt  geworden.  Von  diesen  dürften  am 
berühmtesten  die  als  Marburger  Geschirre  durch  ganz  Deutschland  ver- 
triebenen braunroten  Irdenwaren  sein,  die  oft  mit  aufgelegten  Blumen  und 
anderen  Figuren  in  verschiedenen  Farben  geschmückt  sind.  Fig.  24  gibt 
eine  Anzahl  solcher  höchst  charakteristischer  Erzeugnisse  wieder.  Andere 
hessische  Tongeschirre  sind  in  Fig.  25  dargestellt. 

Weit  bekannt  sind  auch  die  Töpferwerkstätten  von  Bürgel  bei  Jena, 
von  der  das  kleine,  am  Arm  zu  tragende  Henkeltöpfchen  Fig.  26  stammt 
mit  der  humoristischen  Inschrift:  Bleib  mir  3  ]  4  und  4.  Die  gelbe  Kaffee- 
kaune  Fig.  27  ist  aus  Gerstungen  bei  Eisenach. 

Nicht  minder  berühmt  sind  die  Erzeugnisse  von  Bunzlau  in  Schlesien. 
Fig.  28  zeigt  zwei  Teller,  von  denen  einer  am  Rande  mit  einer  frommen 
Inschrift,  der  andere  mit  grün-weiss-gelben  einfachen  Verzierungen  auf 
dunkelbraunem  Grunde  versehen  ist.  Der  Hauptruhm  von  Bunzlau  liegt 
aber  auf  dem  Gebiet  des  Steinzeugs,  das  hier  nicht  besprochen  werden  soll. 

Durch  künstlerisch  sehr  hochstehende  Irdenwaren  sind  die  Töpfereien 
von  Heimberg  bei  Thun  bekannt,  von  denen  Fig.  29  Beispiele  gibt.  Sie 
zeichnen  sich  durch  prachtvolle  Glasur  aus,  die  besonders  auch  auf  der 
Rückseite  durch  ihren  warmen  rotbraunen  Ton  auffällt.     Die  eine  Schale 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


271 


ist  innen  weiss  mit  vorwiegend  blauem,  die  andere  mit  mehrfarbigem 
Blumenmuster  auf  schwarzbraunem  Grunde  verziert.  Diese  und  die 
folgende  schweizerische  Gruppe  ist  mit  Abbildungen  besprochen  im 
Schweizerischen  Archiv  für  Volkskunde  1905,  243 ff.  1910,  161  f. 

Eine  andere  schweizerische  Werkstatt  in  Langnau  im  Kanton  Bern 
lieferte  die  in  Fig.  30  dargestellte  kleine  braune  Suppenterrine  mit  kronen- 
artig verziertem  Deckel.      Vielleicht    gehört    das   Gefäss    zu  der  Gattuno: 


m»~ 


Fig.  24. 

jener  oft  reich  geschmückten  Patengeschenke,  die  in  Niederdeutschland 
als  Möschentöpfe  bekannt  sind.  Das  Stück  ist  mit  der  Marke  (?)  jj  oder 
11  inwendig  gezeichnet. 

Auch  im  Elsass  hat  die  Bauerntöpferei  einst  in  Blüte  gestanden,  wie 
die  grosse  Schüssel  Fig.  31  aus  Offenheim  zeigt,  deren  Ornamente  aus 
Weiss,  hellerem  und  dunklerem  Braun  zusammengesetzt  und  durch  präch- 
tige Glasur  ausgezeichnet  ist.  Das  Essigfass  Fig.  32  von  W^esthofen  in 
Elsass  dürfte  wohl  aus  Marburg  bezogen  sein,  an  dessen  Glasur  und  weiss- 
grüne  Ornamentik  es  lebhaft  erinnert. 


272 


Brunner: 


Fig.  25. 


Fijr.  26. 


Fiff.  00. 


Fig.  37. 


Fier.  38. 


Fiff.  27. 


Fig.  28  a. 


Fiff.  28  b. 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


273 


Fig.  29. 


Fig:  o2. 


Fisr.  HX 


Fi».  3G. 


Fig.  33. 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  3. 


Fi-.  34. 


18 


274 


Brunner: 


Die  bayrische  Bauerntöpferei  sei  hier  durch  einige  grosse  Schüsseln 
Fig.  33—35  vertreten.  Die  eine,  aus  dem  Dorfe  Hundham  bei  Schliersee 
stammend,  zeigt  innen  auf  grünlich-weissem  Grunde  etwas  unsicher  ge- 
zeichnete gelbliche  Blüten  mit  grünen  Stengeln  und  Blättern,  eine  andere 
auf  grünem  Grunde  einen  Wanderer  mit  Hund  in  weisser,  dunkelbrauner 
und  hellbrauner  Farbe.  Die  dritte  Schüssel  endlich  aus  der  Gegend  von 
Tegernsee  zeigt  weisse  Zickzacklinien  auf  dunkelbraunem  Untergründe. 


Fig.  39. 


Fie.  35. 


^ 

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/  '^:  ^ 

Fiff.  31. 


Fiff.  44. 


Sehr  beliebt  sind  dort  auch  ganz  einfarbig,  besonders  in  Blau,  hergestellte 
glasierte  Tonwaren.  Auch  Gefässe  mit  marmorierten  Glasuren  sind  beliebt^ 
wie  solche  der  in  Braun  und  Weiss  bemalte  Vexierkrug  Fig.  36  aus  Ober- 
österreich zeigt.  Der  Henkel  dieses  Kruges  ist  hohl  und  hat  oben  eine 
Öffnung,  aus  der  allein  die  eingegossene  Flüssigkeit,  ohne  davon  zu  ver- 
schütten, gegossen  werden  kann.  Der  Hals  des  Gefässes  ist  von  aus- 
geschnittenen Dreiecken  und  Ellipsen  durchlöchert. 

Ein  Gerät,    das    in    keinem  katholischen  Hause  fehlt,  ist  der  Weih- 
■wasserkessel,  Weihbrunn,    wie  ihn  Fig.  37    aus  Tirol  vom  Jahre  1769> 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


275 


darstellt.  Das  einer  Kanzel  nachgebildete  Stück  ist  dunkelbraun  glasiert 
und  mit  farbigen  Engelköpfen  und  einer  Rosette  verziert.  Die  Rückwand 
bildet  einen  viereckigen  Rahmen,  in  welchen  ein  kleiner  Kupferstich  der 
Mutter  Maria  mit  dem  Christusknaben  eingesetzt  ist.  Fig.  38  ist  ebenfalls 
solch  ein  Weihbrunn  aus  der  Schweiz. 

Aus    Böhmen    besitzt  die  Sammlung  einige  farbige  Bauerntöpfe  mit 
einfachen,    kräftig    gezeichneten  Blumenmustern,    die    ein    gutes  Bild  all- 


Fig.  43. 


Fig.  45. 


Fig.  46. 


Fig.  42. 


Fig.  41. 


Fig.  47. 


gemeiner  Bauernornamentik  gewähren.  Fig.  39  zeigt  einen  solchen  grossen 
Teller  mit  grün -gelb -braunroter  Bemalung  auf  weissem  Grunde  vom 
Jahre  1840  und  mit  einer  Umschrift  auf  dem  Rande,  wie  sie  allgemein 
in  der  Bauerntöpferei  beliebt  sind.  Der  Haubenkopf  Fig.  40  stammt 
gleichfalls  aus  Böhmen  und  ist  mit  gelb-grünen  Glasuren  Überflossen. 

Zum  Schluss  seien  hier  noch  einige  bäuerliche  Töpferarbeiten  ab- 
gebildet, die  vereinzelten  Werkstätten  hier  und  da  angehören  und  nur 
dazu  dienen  sollen,  das  Bild  dieser  bäuerlichen  Kunstübung  abzurunden 
und  einige  ihrer  weit  verbreiteten  Eigentümlichkeiten  zur  Anschauung  zu 
bringen.      Da    ist  zunächst    in    Fig.  41    eine   Gefässform,    der    sogenannte 

18* 


276  Brunner: 

Paartopf,  dargestellt,  der  besonders  dazu  dient,  den  ausserhalb  des  Hofes 
beschäftigten  Arbeitern  Mittagessen  zuzutragen.  Dieses  einfache  hellbraune 
Gefäss  mit  farbiger  Verzierung  stammt  aus  Rombitten  in  Ostpreussen. 
Der  darauf  liegende  Deckel  ist  aus  Holz  geschnitzt.  Ebendaher  kommt 
der  in  Fig.  42  abgebildete  Teller,  in  der  Mitte  auf  weissem  Grunde  mit 
farbigen  und  zum  Teil  vertieften  Mustern  verziert.  Dass  dieses  einfaciie 
Stück  schon  zum  Schmuck  der  einfachen  Bauernstube  dienen  sollte,  be- 
weisen die  auf  der  Rückseite  angebrachten  Durchlochungen  zum  Durch- 
ziehen einer  Schnur  und  verdeutlichen  uns  so  die  künstlerische  Anspruchs- 
losigkeit jener  Bevölkerung. 

Fig.  43  zeigt  ein  grosses  terrinen artiges  Gefäss  aus  Mecklenburg, 
aussen  dunkelbraun,  innen  hellbraun  glasiert  und  mit  einer  frommen 
Umschrift:  'Lass  Gott  in  allen  Dingen  dein,  den  Anfang  und  das  Ende 
sein',  in  weisser  Farbe  aufgetragen. 

Die  grosse  Schüssel  Fig.  44  aus  Schleswig-Holstein  mit  einem 
kleineren  Mittelnapf  zeigt  auf  weissem  Grunde  vorwiegend  braungefärbte 
Blumenranken  und  eine  originelle  Umschrift  auf  dem  Rande:  „Est  meinen 
lieben  Gäste  so  ihr  nicht  Est  so  sind  ihr  nicht  meine  lieben  Gäste. 
Maria  Wulfen  in  Hohenwestedt.     AnQ  1826." 

Die  beiden  folgenden  Fig.  45  —  46  zeigen  das  in  der  Bauernornamentik 
aller  Zeiten  und  Länder  so  sehr  beliebte  Tulpenmuster.  Fig.  45  stammt 
aus  einer  neueren  Werkstatt  in  Cuxhaven,  ist  glänzend  braun  glasiert 
und  mit  kräftigen  grünen,  weissen  und  dunkelbraunen  Farben  geschmückt. 
Fig.  46  aus  Braunschweig  bietet  ausserdem  das  in  der  Volkskunst 
gleichfalls  sehr  beliebte  Muster  des  Vogels  auf  Blütenzweigen,  ausser- 
ordentlich schmuck  und  in  schönen,  besonders  rotbraunen  w^armen  Farb- 
tönen.    Die  Mitte  zeigt  weissen  Grund. 

Endlich  gibt  Fig.  47  einen  hell  ziegelroten  Krug  mit  weissen  und 
grünen  Mustern  wieder,  der  aus  einer  neueren  Werkstatt  in  Münster  am 
Stein,  Kreis  Kreuznach,  stammt. 


Man  kann  ganz  im  allgemeinen  vielleicht  die  Beobachtung  machen, 
dass  bei  der  grossen  Masse  der  landläufigen  als  Bauerntöpferei  zu  be- 
zeichnenden Irdenwaren  die  blaue  Farbe  etwas  in  den  Hintergrund  tritt, 
während  Braun  mit  Abstufungen  nach  Rot  hin,  Grün,  Weiss  und  Gelb 
am  meisten  verwendet  werden.  Diese  Erscheinung  verschwindet  um 
so  mehr,  je  lieber  die  weisse  Farbe  als  Malgrund  für  die  ganze  Gefäss- 
dekoratiou  gebraucht  wird.  Zugleich  erkennt  man  die  Vorliebe  für  Ver- 
wendung nur  blauer  Farbe  auf  dem  weissen  Grunde.  Das  ist  zweifellos, 
wenigstens  im  nördlicheren  Deutschland,  auf  den  Einfluss  der  Delfter 
Fayencefabrikation  zurückzuführen,  während  in  Bayern  Blau  auch  bei  der 
einfachen  Bauerntöpferei  als  nationale  Farbe  eine  ganz  andere  Rolle 
spielt.     Ausserdem    ist  natürlich  das  blaue  Steinzeug  aus  Nassau  von  der 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


277 


obigen,  nur  ganz  allgemein  gültigen  Regel  auszunehmen,  wie  ja  das  Stein- 
zeug als  besonders  zu  behandelndes  keramisches  Erzeugnis  bei  unseren 
Erörterunii-en  hier  ausscheidet. 


Fiff.  50. 


Fier.  52. 


Fi?.  51. 


Fi?.  5.: 


Fig.  49. 


Fiff.  48. 


Fi?.  54. 


Das  Museum  besitzt  nun  eine  reiche  Zahl  von  Tellern  und  Schüsseln 
aus  Bauernhäusern,  die  den  Ansprüchen  nicht  ganz  zu  genügen  scheinen, 
welche  man  ankeramischeErzeuguisse  mit  dem 
Namen  Fayence  zu  stellen  pflegt.  Der  Grund 
hat  oft  nicht  den  Glanz  und  die  Weisse,  welche 
die  für  Fayence  charakteristische,  durch  Zinn- 
asche undurchsichtig  weiss  gefärbte  Glasur  den 
Gefässen  verleiht.  Ausserdem  ist,  im  Gegensatz 
zu  dem  gewöhnlichen  Fayencerieverfahren, 
meist  nicht  das  ganze  Gefäss  in  die  Glasur  ge- 
taucht, sondern  nur  die  Innenfläche  damit  über- 
zogen. Auf  diesen  Überzug  pflegte  dann  die  far- 
bige Bemalung  gebracht  zu  werden,  worauf  das 
Gefäss  in  den  Brennofen  kam.  Diese  Gruppe 
von  Geschirren  steht  also  gewissermassen  selbständig  in  der  Mitte  zwischen 
den  oben  besprochenen  irdenen  Waren  mit  Blei-  oder  Salzglasuren  und  den 
eigentlichen  Fayencen.    Und  dieser  Gruppe  gehört  ein  beträchtlicher  Teil  der 


Fic 


278 


Brunner: 


auf  weissem  Grunde  farbig  dekorierten  Bauernteller  unseres  Museums  an.  Die 
Farben,  mit  denen  diese  Geschirre  bemalt  wurden,  sind  vorwiegend  Blau, 
Grün  und  schwärzliches  Braun  oder  Violett.  Auch  Gelb  ist  verwendet, 
dagegen  fehlt  fast  ganz  die  rote  Farbe.  Die  Gefässe  sind  meistens  keine 
künstlerischen  Leistungen,  zeigen  aber  doch  hier  und  da  Geschick  in  der 
Verzierung  und  manche  interessante  Einzelheit.    Fabrikmarken  fehlen  wie 


Fig.  56,  57. 

bei  den  früher  beschriebenen  Irdenwaren  auch  hier  fast  völlig.  Die  ganze 
Masse  lässt  sich  in  zwei  grosse  Gruppen  teilen,  eine  brandenburgisch- 
pommersche  und  eine  schleswig-holsteinische,  von  denen  die  erstere  die 
einfachsten  Gefässe  umfasst. 

Fig.  48—54  zeigt  eine  Anzahl  derselben  aus  dem  Spreewalde,  dem 
Weizacker  und  von  der  Halbinsel  Möuchgut,  die  anscheinend  zwei  V^erk- 
stätten  entstammen,  von  denen  eine,  Fig.  48  —  50,  die  grüne,  die  andere, 
Fig.  51—52,  die  dunkele  tintenartige  Farbe  bevorzugte.  Eine  dritte  Unter- 
gruppe dieser  Abteilung    ist  nur  blau  auf  weiss  dekoriert.      Sie  ist  durch 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


279 


einige  Teller    aus    dem  Weizacker    Fig.  53  — .54  repräsentiert  und  scheint 
Delfter  Einfluss  zu  verraten.  —  Als  Einzelerscheinung  möge  noch  Fisr.  55 


Fig.  58. 


Fig.  59. 

zeigen,  wie  der  Zeitgeschmack  auch  später  diese  bäuerlichen  Töpfereien 
beeinflusst  hat.  Die  Schüssel  stammt  aus  dem  Spreewald  und  dürfte  im 
Anfanore  des  19,  Jahrhunderts  ano-efertio-t  sein. 


280  Brauner: 

Wir  kommen  nun  zu  einer  im  Museum  sehr  reich  vertretenen  Gruppe 
von  schleswig-holsteinischen  Schüsseln,  die  innen  mit  magerer  weisser 
Zinnglasur,  aussen  aber  mit  einer  ins  Gelbliche  spielenden  durchsichtigen 
Glasur  überzogen  sind.  Ihre  Bemalung  ist  teilweise  recht  ungeschickt, 
zeigt  aber  auch  vielfach  einen  kräftigen  Schmuckstil  und  dürfte  von  den 
Delfter  Erzeugnissen  nicht  unwesentlich  beeinflusst  sein.  Die  vorkommen- 
den Farben  sind  Blau,  Violett,  Gelb  und.  Orange. 

Fig.  56 — 57  zeigt  einige  Stücke  dieser  charakteristischen  Gruppe. 
Herr  Direktor  Dr.  Justus  Brinckmann  hatte  die  grosse  Güte,  mir  über 
diese  Gefässe  folgende  Auskunft  zu  geben:  „Dies  ist  eine  sehr  häufig 
verstreut  im  Lande  bei  uns  vorkommende  Gruppe  grosser  Schüsseln,  denen 
allen  gemeinsam  ist  die  nicht  mit  Zinnglasur  überschmolzene,  sondern 
gelbliche  Rückseite,  ähnlich  der  Rückseite  der  Majoliken  von  Diruta  aus 
dem  Anfange  des  16.  Jahrhunderts.  Die  Bemalung  dieser  Schüsseln  auf 
der  Vorderseite  ist  stets  auf  weissem  Grund  ausgeführt.  Dargestellt  sind 
sehr  häufig  Reiter,  Brustbilder,  auch  gekrönte  Häupter,  Fruchthaufen. 
Die  Malerei  ist  sehr  roh  ausgeführt;  die  Baumkronen  scheinen  wie  mit 
einem  Schwamm  getupft.  Sie  werden  bestätigen,  dass  die  Glasur  bei  allen 
Ihren  Stücken  nur  oerino-en  Glanz  hat.  Eine  Örtlichkeit  für  die  Ent- 
stehung  dieser  überaus  häufigen  Fayencen  habe  ich  nicht  ermitteln 
können,  da  sie  nirgends  so  gedrängt  sich  finden,  um  damit  auf  eine  Spur 
zu  kommen.  Ich  glaube  nicht  zu  irren,  wenn  ich  annehme,  dass  diese 
Schüsseln  aus  keiner  der  von  mir  schon  vor  Jahrzehuten  festgestellten 
schleswig-holsteinischen  Fayencefabriken  stammen,  also  nicht  aus  Criseby, 
Eckernförde,  Kiel,  Schleswig,  Rendsburg,  Flensburg,  Stockelsdorff.  Auch 
an  die  Kopenhagener  Manufaktur  ist  nicht  zu  denken,  und  Kelling- 
husen,  an  das  der  Derbheit  seiner  Bauernfayencen  wegen  vielleicht 
gedacht  werden  könnte,  ist  uns  in  charakteristischen  Erzeugnissen  doch 
zu  gut  bekannt.  Ich  vermute,  dass  die  Schüsseln  jener  Gruppen,  wenn 
nicht  aus  Holland  eingeführt,  so  doch  in  einem  westelbischen  Platze, 
vielleicht  zwischen  Weser  und  Ems  entstanden  sind,  und  zwar  vor  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  Ähnliche  Schüsseln  mit  Reitern  und  Brust- 
bildern kommen  auch  in  England  vor  und  gelten  als  englische  Erzeug- 
nisse, sind  aber  doch  weniger  roh  als  die  hier  vorliegenden."  Herr 
Detlev  Schröder  in  Rosdorf  bei  Kellinghusen,  Besitzer  einer  grossen 
Fayencesammlung,  hatte  ferner  die  Freundlichkeit,  über  die  fragliche 
Gruppe  von  Fayencen  die  folgenden  Angaben  zu  machen:  „Es  sind  die 
sogenannten  Klütenföät  (Klösseschüsseln).  Ich  glaube,  diese  Schüsseln 
sind  bedeutend  älter  als  Kellinghusen  (1765)  und  entweder  in  Holland 
oder  Oldenburg  gemacht.  Es  ist  eine  grosse  Menge  davon  angefertigt 
und  ist  Delft  das  Vorbild  gewesen.  Für  die  gewöhnliche  Bürger-  und 
Bauersfrau  war  die  Delfter  Ware  zu  teuer;  sie  wollte  aber  auch  ihre 
Küche  schmücken,    und    der  Absatz    war   gross.      Kellinghusen,   ja    ganz 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen.  281 

Schleswig-Holstein,  hatte  rege  Verbindung  mit  Holland.  So  erklärt  es 
sich,  dass  die  Teller  fast  in  jedem  Dorf  zu  finden  sind,  oder  vielmehr 
waren,  denn  jetzt  sind  sie  schon  selten."  Diese  Schüsseln  sind  durch- 
gehends  ohne  Marke,  nur  in  einem  einzigen  Falle  fand  ich  eine  solche 
auf  einem  Stücke  in  der  Sammlung  des  Herrn  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  Halling 
in  Glückstadt.  Diese  Schüssel  war  mit  einem  gekrönten  Frauenbrustbild 
in  Yiolett  und  wenig  Gelb  bemalt.  Die  Marke  hatte  O  diese  Form  und 
ist  meines  Wissens  sonst  nicht  bekannt.  Die  Verbreitung  dieser  Gefäss- 
gruppe  nach  Westen  und  Süden  konnte  noch  nicht  festgestellt  werden. 
Bemerkenswert  ist  es  vielleicht,  dass  nach  Mitteilung  von  Herrn 
H.  Sökeland  eine  derartige  Schüssel  sich  im  Goethemuseum  in  Frank- 
furt a.  M.  befindet.  Eine  nahe  verwandte  kleine  Gruppe  befindet  sich 
noch  in  unserem  Museum;  es  ist  eine  Anzahl  kleiner  Schüsseln,  von  denen 
Fig.  58  einige  zeigt,  die  in  Schmuck,  Farbe  und  Glasur  ähnliches  auf- 
weisen wie  die  grossen  Gefässe. 

Dass  auch  anderwärts  das  Verfahren  der  unvollkommenen  Zinnglasur 
geübt  wurde,  zeigen  die  vier  Teller  Fig.  59  aus  Schlesien,  Oberbayern 
und  Oberösterreich,  welche  auf  der  Rückseite  eine  magere  durchsichtige 
oder  gar  keine  Glasur  tragen.  Die  Malerei  der  Innenseite  ist  in  ziemlich 
matten  Farben,  vorwiegend  blau  und  gelb,  sowie  grün  und.  violett  aus- 
geführt. Am  meisten  interessieren  die  naiven  Inschriften  der  zwei  ober- 
bayrischen Teller:  „Die  Däller  Lieb  ich  ins  gemein,  wen  wass  gutts  dar 
in  Thut  seyn"  und  „Lieben  und  nichts  haben:  Ist  härter  als  steyn 
graben". 


Wir  gehen  hiermit  über  zu  den  in  unserer  Sammlung  reich  ver- 
tretenen bäuerlichen  Fayencen  mit  beiderseits  überflosseuer  Zinnglasur. 
Wir  können  hier  mehrere  gut  vertretene  Gruppen  nennen,  neben  zahl- 
reichen mehr  oder  minder  bemerkenswerten  Einzelstücken.  Die  Haupt- 
gruppen sind  die  Fayencen  von  Kellinghusen  in  Holstein,  von  Delft 
nebst  Nachahmungen,  dann  solche  aus  Lausitzer  Fabriken,  aus  Elsässer 
und  bayrisch-österreichischen  Werkstätten.  Marken  sind  bei  allen 
diesen  Erzeugnissen  selten  vorhanden,  da  es  sich  vorwiegend  um 
künstlerisch  geringer  bewertete  Stücke  handelt,  wie  sie  das  Volk  mit 
Rücksicht  auf  den  Preis  eben  bevorzugt. 

Die  Fabriken  von  Kellinghusen  haben  vorwiegend  wohl  in  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  eine  grosse  Menge  von  charakteristischen 
Gefässen,  besonders  Teller  und  Schüsseln,  für  den  bäuerlichen  Bedarf 
hergestellt.  Diese  Gattung  ist  bekannt  genug  und  auch  im  Museum  reich 
vertreten.  Fig.  60  zeigt  solche  Schüssel  mit  der  üblichen  Malerei  in 
bunten  Farben,  von  denen  das  häufig  zur  Randbemalung  benutzte  Zitronen- 
gelb am  meisten  auffällt.  Eine  andere  Gattung,  welche  Fig.  61—66  zeigt, 
mit  Gebäuden  und  Baumschlag;    nach  Art  der  Delfter   Fliesenbilder  vor- 


282  Brunner: 

wiegend  in  Violett  bemalt,  ist  durch  die  auf  dem  grossen  Teller  Fig.  61 
angebrachte  Marke  KH  als  Kellinghusener  Fabrikat  gekennzeichnet. 
Hiernach  unterliegt  es  kaum  einem  Zweifel,  dass  auch  die  in  Fig.  62  ff. 
dargestellten  Teller  derselben  Fabrik  entstammen,  wenn  sie  auch  keine 
Marke  tragen. 

Die  Delfter  Fayencefabrikation  mit  ihrer  Nachahmung  ostasiatischen 
Porzellanschmuckes  ist  ja  bekannt  genug,  als  dass  es  nötig  wäre  hier 
weiter  auf  die  Erzeugnisse  dieser  Industrie  in  unserer  Sammlung  näher 
einzugehen.  Fig.  68  gibt  einige  Proben  dieser  Fayencen,  meist  ohne 
Marken  und  zum  Teil  auch  nicht  besonders  bemerkenswert  in  ihren  durch 
lange  Überlieferung  erstarrten  Verzierungen.  Dass  die  Delfter  Fayencerei 
durch  ihre  gewaltige  Produktion  und  Verbreitung  auch  ihrerseits  wieder 
den  Trieb  zur  Nachahmung    erweckte,    haben  wir    oben   bereits    gesehen, 

und  es  wird  sich  gelegentlich  der  weiteren 
Besprechung  unserer  Fayencen  noch  wieder- 
holt zeigen. 

Zunächst  aber  soll  jetzt  hier  eine 
grössere  Gruppe  von  Fayencen  betrachtet 
werden,  die  besonders  aus  geradwandigeu 
Bierkrügen  besteht  und  meistens  mit  Zinn- 
deckel, zuweilen  auch  mit  Fussreifen  aus 
Zinn  versehen  ist.  Die  Sammlung  besitzt 
eine    grosse  Zahl  dieser  Gefässe,  und  zwar 

sind    die   meisten  im   Spreewalde   erworben 

Fig.  60.  , 

worden. 

Nur  wenige  dieser  Bierkrüge  sind  mit  einfachen  Marken  am  Boden 
versehen,  die  aber  ausnahmslos  nicht  weiter  bekannt  sind.  Eine  grössere 
Gruppe  stammt,  wie  gesagt,  aus  Spreewälder  Bauernstuben,  und  unter 
ihnen  zeigen  zwei  Stücke  einen  deutlichen  Hinweis  auf  sächsischen 
Ursprung  durch  das  aufgemalte  sächsische  Wappen  Fig.  69 — 70.  Da  die 
Lausitzen  ehemals  sächsisches  Gebiet  waren,  so  können  wir  wohl  schliessen, 
dass  diese  Krüge  im  Lande  angefertigt  sind,  wenn  auch  die  Fabrik  nicht 
näher  bekannt  ist.  Der  eine  der  beiden  Krüge  mit  den  in  Blau  gemalten 
Abzeichen  des  Metzgerhaudwerks  zeigt  ein  plumpes  G  als  Marke  auf  dem 
Boden.  Ein  anderer,  ebenfalls  aus  diesem  Gebiet  stammender  Krug  zeigt 
einen  arbeitenden  Schuster  in  charakteristischer  Zeichnung  (Fig.  71). 

Unter  den  Spreewälder  Krügen  finden  sich  ferner  solche,  die  ein 
Mittelbild  aufweisen,  das  beiderseits  mit  palmenartigen  Bäumen  eingefasst 
ist,  wie  Fig.  72 — 74  zeigt.  Diese  Palmen  sind  den  Fayencefabriken 
Hannoverisch-Mündeu  und  Magdeburg  eigentümlich,  doch  ist  ihre 
Übertragung  durch  wandernde  Gesellen  in  andere  Werkstätten  sehr  wohl 
denkbar.  Eine  andere  Eigentümlichkeit  in  der  Verzierung  der  Mündener 
Fayencen  ist  nach  Herrn  Dr.  Robert  Schmidt  in  Berlin  eine  kleine  gitter- 


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Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


283 


artige,  in  Gelb  ausgeführte  Zeichnung,  wie  sie  an  dem  Spreewälder  Krug 
Fig.  75  sich  zeigt.  Dieses  Gefäss  trägt  am  Boden  eine  violette,  etwa 
achtförmige  unbekannte  Marke.  Noch  charakteristischer  tritt  das  gelbe 
Gitter  bei  dem  Kruge  Fig.  76  aus  Neuhardenberg,  Kr.  Lebus,  he^rvor. 
Beide  Krüge  zeigen  im  übrigen  das  für  die  Mündener  Fabrikate 
charakteristische  Vorwiegen  der  violetten  Farbe  in  der  Bemalung,  wie 
auch  bei  dem  Kruge  Fig.  77,  der  nur  violett  bemalt  ist.    Hierher  ist  auch 


Fi-   67. 


Fi-  m. 


Fig.  65. 


Fiff.  63. 


Fig.  61. 


FifiT.  Gi. 


Fi-.  62. 


vielleicht  der  aus  Braunschweig  stammende  Teller  Fig.  78  mit  Pfau- 
darstellung in  Violett,  Blassgrün  und  wenig  Gelb  zu  stellen,  der  die 
violette  Marke  AI  in  Cursivschrift  trä^t. 

Als  bessere  Einzelleistungen  seien  dann  noch  die  in  Fig.  79  —  80  dar- 
gestellten grossen  Krüge  mit  buntfarbiger  Bemalung  erwähnt.  Fig.  79  ist 
mit  eine  munterstrichenen  W  als  Marke  versehen,  das  vielleicht  auf  die 
Fabrik  W^risbergholzen  bei  Hildesheim  geht,  während  Fig.  80  mit  der 
Marke  K  durch  die  frischen  Farben  auffällt  und  dadurch  besonderes 
Interesse  erregt,  dass  der  Krug  von  der  ehemaligen  Besitzerin  als  Meister- 


284 


Branner: 


stück  eines  Töpfermeisters  Krün  in  Bürgel  bei  Jena  bezeichnet  wurde. 
Er  ist  1734  datiert.  Den  Delfter  P]influss  verraten  einige  aus  dem  Spree- 
walde stammende  Krüge  Fig.  81 — 82,  denen  zum  A"er2:leich  ein  aus 
Schlesien  stammender  Teller  (Fig.  83)  gesellt  ist.  Die  Dekoration  dieser 
drei  Stücke  ist  mehrfarbig,  vorwiegend  in  blau,  violett,  grün  und  gelb 
gehalten.  In  Schlesien  zeigen  ja  sogar  die  bäuerlichen  Möbel  den  Einfluss 
der  Delfter  Fayencen  in  ihrer  Bemalun"-. 


W 


Fig.  GS. 

Als  letzte  der  nord-  und  mitteldeutschen  Gruppen  von  Fayence- 
krügen unserer  Sammlung  sei  eine  in  Rügen  gesammelte  und  durch 
besonders  grosse  Exemplare  auffallende  noch  erwähnt,  die  in  Fig.  84 — 8(> 
dargestellt  ist.  Sie  sind  deutlich  als  Erzeugnisse  einer  noch  unbekannten 
Fabrik  charakterisiert,  welche  den  oberen  und  unteren  Abschluss  der  Be- 
malung durch  wagerechte  blaue  und  gelbe  Ringe  andeutet,  während  für 
die  figürliche  und  pflanzliche  Dekoration  zum  Teil  Schablonen  angewendet 
worden  sind.  Die  Farben  sind  etwas  matt,  vorwiegend  dunkelgrau,  gelb, 
violett  und  s-iün. 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


285 


Die  Gruppe  der  aus  dem  Elsass  stammenden  Fayencen  der  Sammlung 
zeigt  Fig.  87.  Da  sind  besonders  die  mit  fünf  Öffnungen  versehene  Blumen- 
vase und    die  Flasche  in  Form  eines    auf   einem  Fasse  reitenden  Mannes 


Fiff.  71. 


Figf.  Gl 


Fiff.  70. 


Fig.  75. 


Fig.  7(;. 


Fiff.  78. 


Fig. 


hervorzuheben,  weil  in  diesen  Formen  vielleicht  Delfter  Einflüsse  er- 
kennbar sind.  Die  Bemaluug  der  Blumenvase  ist  mehrfarbig  mit  hervor- 
stechendem Karminrot,  eine  Eigentümlichkeit  der  Strassburger  Fayence- 
fabrik.    Auch  bei  den  übrigen  Stücken   der  Gruppe  tritt  dieses  Merkmal 


286 


Brunner: 


hervor,  nur  nicht  an  dem  Teller  mit  dem  vorwiegend  in  Gelb,  Grün  und 
Blau  gemalten  Sternmuster,  der  vielleicht  der  Fabrik  von  Niederweiler  in 
Lothringen  entstammt.     Charakteristisch    ist    bei  zweien  der  Teller    auch 


Fig.  80. 


Fis.  84. 


Fie:.  85. 


Fiff.  86. 


Fi^.  81. 


Fig.  83. 


Fitr.  82. 


Fig.  9G.  Yig.  95.  Fig.  07.  Fig.  100. 

die  vielfach  geschwungene  Randlinie.  Nur  eines  der  Gefässe,  der  ein- 
henklige Krug,  ist  mit  einer  etwas  undeutlichen  blauen  Marke  St  M  nebst 
zwei  gekreuzten  grünen  Stäbchen  bezeichnet. 


Bauerntöpferei  und  volkstümliche  Fayencen. 


287 


Unter  den  Fayencegefässen  der  Sammlung  aus  Süddeutschland  und 
Österreich  fallen  besonders  zwei  Gruppen  auf,  von  denen  die  eine  durch 


Fiff.  87. 


Fig.  88. 


Fi?.  89. 


Fig.  93. 


Fig.  94. 


Fig.  99.  Fig.  91. 


Fig.  90 


das  Überwiegen    der    blauen  Bemalung,    die    andere    durch  vorherrschend 
matte  grüne,    manganviolette    und  gelbe  Farben  gekennzeichnet  ist.     Die- 


^88 


Brimner: 


erstere  Gruppe  stammt  meistens  aus  Bayern,  die  andere  aus  Österreich. 
In  Fig.  88 — 89  sind  ein  Krug  und  ein  Teller  abgebildet  mit  ähnlicher 
Blaumalerei,  in  Fig.  90  ein  an  Delft  erinnernder  blauweisser  grosser  Teller 
und  in  Fig.  91—92  zwei  Krüge,  gleichfalls  blau  bemalt,  von  denen  einer 
(Fig.  91)  eine  blaue  Marke  S  mit  vier  Punkten  darunter  aufweist.  Die 
Marke  ist  nicht  bekannt,  doch  dürften  für  alle  diese  Erzeugnisse  bayrische 
Fabriken,  wie  Nürnberg,  Bayreuth,  Künersberg  usw.  in  Frage  kommen.  — 
Ton  geringerem  künstlerischen  Werte  sind  die  in  Fig.  93—94  dargestellten 
Oefässe.  Der  Teller  ist  in  Gelb,  Yiolett,  Blau  und  Grün  bemalt  und  mit 
der  Inschrift  'Maria'  in  der  Mitte  versehen,  während  der  übrige  Schmuck 
gleichsam  die  Strahlenkrone  der  Mutter  Gottes  darstellt.  Die  Deckel- 
schale Fig.  94  stammt  aus  Hundham  in  Oberbayern  und  diente  bei  der 
Hochzeit  zum  Einsammeln  der  Geldgeschenke  für  die  Braut. 


Fiff  102. 


Fig.  101. 


Fig.  103. 


Die  in  Fig.  95—97  dargestellte  Gruppe  von  Fayencen  besteht  aus 
•einem  Teller  mit  äusserst  mattfarbiger  Dekoration,  einem  Bilde  des 
heiligen  Franciscus,  umgeben  von  einem  Blätterkranze.  Auch  die  Glasur 
ist  im  Gegensatz  zu  den  eben  besprochenen  bayrischen  Fayencen  mager 
•und  rissig.  Ähnlichen  Charakter  tragen  die  beiden  walzenförmigen  Krüge 
Fig.  96 — 97,  deren  Verzierung  allerdings  etwas  kräftiger  gemalt  ist.  Merk- 
Avürdig  ist  die  Figur  einer  Heiligen  (?)  in  Gebirgstracht  mit  Sichel  und 
Zinnkanne.  Der  gelbe  Kreis  um  ihr  Haupt  scheint  nach  Analogie  der 
zwei  anderen  Gefässe  doch  eine  Heilige  anzudeuten.  Das  Gefäss  ist  durch 
zwei  umgelegte  Drähte  oben  ausgebessert.  Diese  drei  Fayencen  dürften 
aus  der  Fabrik  G munden  stammen. 

Eine  andere,  oben  verjüngte  Krugform,  wie  sie  Fig.  98  zeigt,  ist  in 
■der  Sammlung  mehrfach  vertreten.  In  den  Farben  entsprechen  diese 
Krüge  ungefähr  den  eben  erwähnten  von  Gmunden.  Die  Darstellungen, 
welche  sie  zeigen,  sind  meistens  dem  ländlichen  Leben  entnommen,  auch 


Bauerntöpfevei  und  volkstümliche  Fayencen.  289 

tragen  sie  öfter  Inschriften.  Die  Herkunft  dieser  Gefässe,  deren  Form 
sowohl  in  deutschen  als  slawischen  Gebieten  Österreichs  wiederkehrt, 
konnte  nicht  mit  Sicherheit  ermittelt  werden,  doch  deutet  ihre  Verbreitung 
auf  Ober-  oder  Niederösterreich,  vielleicht  auch  Salzburg  als  Herstellungs- 
mittelpunkt hin.  Die  Glasur  dieser  Gefässe  zeigt  einen  rötlichen  Ton; 
bemalt  sind  sie  in  Grün,  Gelb,  Violett  und  Blau. 

Bei  dem  Kruge  Fig.  99  sind  wir  dagegen  in  der  Lage  mit  ziemlicher 
Sicherheit  die  Stadt  Salzburg  als  Ursprungsort  angeben  zu  können. 
Das  Gefäss  ist  mit  einer  blassblau  gefärbten  Glasur  überzogen  und  mit 
violetter  Farbe  sowie  mit  weissen  Punkten  und  Spuren  von  Gelb  bemalt. 
Eigentümlich  verzerrt  ist  die  Figur  des  Hirsches  mit  einem  Blätterbüschel 
im  Maul,  das  an  die  eigentümlichen  blasenartigen  Gebilde  erinnert,  welche 
sich  an  gleicher  Stelle  bei  Tierdarstellungen  der  vorgeschichtlichen 
Hallstattperiode  vorfinden.  Sollte  die  Volkskunst  dieses  alte  Motiv  solange 
bewahrt  haben? 

Als  Einzelstücke  möchte  ich  zum  Schlüsse  noch  einige  Fayencen 
aufführen,  die  aus  verschiedenen  Gegenden  stammen,  aber  hinsichtlich 
ihres  Herstellungsortes  bisher  zum  Teil  nicht  bestimmbar  waren.  Fig.  100 
zeigt  eine  grössere,  aus  dem  Spreewalde  bezogene  Schüssel  mit  farbiger, 
besonders  karminroter  Bemalung,  Fig.  101  einen  in  leuchtendem  Blau,  Gelb, 
Grün  und  Violett  dekorierten  Teller,  angeblich  aus  der  ungarischen  Fabrik 
Holitsch  stammend  und  in  einem  schlesischen  Bauernhause  vorgefunden; 
Fig.  102  ist  ein  ebenfalls  aus  Schlesien  stammender  Bauernteller  von  1832 
mit  aufgemaltem  Besteck  in  Gelb  und  Blau.  Das  Eisen  ist  blau  gemalt, 
die  Jahreszahl,  die  Umrisslinien  und  eine  Kreislinie  ringsherum  violett.  Ich 
erwähne  das,  weil  für  die  Forschung  nach  dem  Ursprung  und  dem  Alter 
des  Eisens  die  Frage  von  Interesse  ist,  wie  der  volkstümliche  Künstler 
die  verschiedenen  Materialien  farbig  darzustellen  pflegt.  Schliesslich  zeigt 
Fig.  103  eine  zweihenklige  Vase  von  1715  mit  blauem  Dekor  auf  weissem 
Grunde.  Die  Herkunft  dieses  Gefässes  ist  bisher  unbekannt,  doch  dürfte 
durch  Vergleichung  wohl  einmal  die  Fabrik  festzustellen  sein. 

Zum  Schlüsse  möclite  ich  nicht  unterlassen,  den  Herren,  welche  mir 
bei  diesen  Nachforschungen  bereitwilligst  ihre  Hilfe  geliehen  haben,  den 
Herren  Direktor  Prof.  Dr.  Justus  Brinckmann  in  Hamburg,  Detlev 
Schröder  in  Rosdorf  bei  Kellinghusen  und  Dr.  Robert  Schmidt  in 
Berlin,  den  herzlichsten  Dank  auszusprechen,  indem  ich  hoffe,  dass  diese 
erste  Gruppierung  unseres  reichen  Materials  Veranlassung  zur  weiteren 
und  besseren  Bearbeitung  jener  wichtigen  Klasse  deutscher  Volksaltertünier 
geben  wird. 

Berlin. 


Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  3.  19 


990  Hauffen 

GescMchte  der  deutschen  Volkskunde. 

Von  Adolf  HaufPen. 

(Fortsetzung  zu  S.  1—17  und  129—141)»). 


Während  dieser  bewundernswerten  Wirksamkeit  der  Brüder  Grimm 
wurde  nicht  nur  die  Aufsammlung  von  Volksliedern  eifrig  fortgeführt, 
sondern  es  setzte  auch  bald  die  Forschung  auf  diesem  Felde  kräftig  ein. 
Die  lange  Reihe  der  landschaftlichen  Liedersammlungen  wurde  1817  er- 
öffnet durch  Joseph  George  Meinerts  'Alte  teutsche  Volkslieder  in  der 
Mundart  des  Kuhländchens'.  Yor  diesem  Titelblatt  steht  noch  ein  Blatt 
mit  einem  Kupferstich  (an  einer  Eiche  eine  Harfe  angelehnt,  dahinter 
ein  Wasserfall  und  ein  schlossgekrönter  Berg)  mit  der  Überschrift  'Der 
Fylgie'.  Meinert  war  durch  seine  Beschäftigung  mit  literarischen,  ge- 
schichtlichen und  ethnographischen  Stoffen,  sowie  als  Professor  der  Ästhetik 
und  Geschichte  der  Wissenschaften  an  der  Universität  in  Prag  (1806  bis 
1811)  für  seine  beste  Leistung  fachmännisch  vorgebildet.  Von  dem  Wunder- 
horn  angeregt,  das  ihm  Brentano  in  Prag  im  Spätherbst  1811  persönlich 
übergeben  hatte,  bereitete  Meinert,  nachdem  er  durch  zwei  volle  Jahre 
aus  dem  Munde  von  etwa  hundert  Sängern  eine  Sammlung  von  150  Stücken 
zustande  gebracht  hatte,  seine  vielseitige  Ausgabe  von  Balladen,  Liebes-, 
Fabel-  und  Weihnachtsliedern,  Kinderreimen  und  Rätseln  ungemein  sorg- 
fältig vor.  Das  erweisen  seine  Angaben  in  der  Vorrede.  Er  befragte 
'über  ein  und  dasselbe  Lied   nicht  bloss    einen  Mund,  und  zwar  mehr  als 


1)  Bei  der  Darstellung  des  letzten  Jahrhunderts  hatte  ich  mit  zwei  grossen  Schwierig- 
keiten zu  rechnen.  Zunächst  mit  der  einen,  die  chronologische  Aufeinanderfolge  mit  der 
Behandlung  der  Fortschritte  auf  den  verschiedensten  Gebieten  der  Volksdichtung  ins  Ein- 
vernehmen zu  bringen,  und  ferner  mit  der  Gefahr  einer  Überwucherung  der  Bibliographie 
über  die  Darstellung.  Das  Gebiet  der  'sachlichen  Volkskunde',  welches  in  den 
letzten  Jahrzehnten  ungemein  fruchtbar  betrieben  wurde,  musste  ich  völlig  weglassen, 
weil  ich  als  Literarhistoriker  die  Geschichte  der  deutschen  Volkskunde  im  wesentlichen 
nur  im  Rahmen  der  Literaturgecchichte  zu  schildern  versucht  habe.  Ich  weiss  wohl,  dass 
dadurch  wichtige  Abschnitte  aus  dem  Kreise  der  Volkskunde  wegfallen,  doch  werden  die 
Leser  dieser  Zeitschrift  über  die  neuesten  Fortschritte  der  sachlichen  Volkskunde  durch 
die  ständigen  Berichte  von  Prof.  Dr.  0.  Lauffer  ausgezeichnet  unterrichtet.  —  Zur  Ent- 
lastung meiner  bibliographischen  Angaben  ist  mir  sehr  zugute  gekommen  die,  Herbst  1900, 
in  zweiter,  bis  zum  letzten  Jahre  vermehrter  Auflage  erschienene  lückenlose  Übersicht 
über  die  aus  mündlicher  Überlieferung  geschöpften  Sanmilungen  der  deutschen  und  nieder- 
ländischen Volkspoesie  von  John  Meier  (H.  Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie 
'J.  Aufl.  2,  1,  1178—1297).  Nach  kurzen  wertvollen  Vorbemerkungen  werden  hier  bei 
allen  Absclmitteii:  Volkslied,  Sagen  und  Märchen,  Sprichwort,  Rätsel,  Volksschauspiel, 
die  Bibliographie,  die  Schriften  über  den  bctrctfenden  Gegenstand  und  sämtliche  allgemein 
deutscheu  und  landschaftlichen  Sammlungen  verzeichnet. 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  291 

einmal,    sondern    die  verschiedenen   Sänger    gleichsam    als    ebenso    viele, 
mehr  oder  minder  reichhaltige,  leserliche  und  abweichende  Handschriften, 
aus    denen    sich    der  Text    zusammentragen    und    durch   sorgfältige    Ver- 
gleichung    in    seiner    möglichst    schönen  Gestalt  herstellen  lasse'.     'Jedes 
Bruchstück  zu  heilen,  jede  Lücke  auszufüllen,  jede  Verbildung  durch  das 
Schönere  zu  verdrängen  wird  vielleicht  der  ausgedehntesten  Nachforschung 
nicht  gelingen;    aber  daran  zu  verzweifeln,   ziemte  wenigstens  nicht  mir'. 
Er  nahm  fast  alles  in  seine  Sammlung  auf;  denn  er  meint,  'auf  jeden  Fall 
ist  äusserst  weniges,    was  das  Volk    in  seiner    alten  Mundart    singt,    ganz 
ohne  dichterischen  Wert'.     In    der  Würdigung    seiner  Sammlung  hebt  er 
mit  Recht  hervor,  dass  diese  die  'christlich-mythische'  Weltanschauung  und 
die  Lebensverhältnisse  des  deutschen  Mittelalters  wiederspiegelt.    Die  vor 
seiner  Ausgabe  erschieneneu  Liedersammlungen  von  Herder,  von  Nicolai, 
das  Wunderhorn,  auch  die  Zeitschrift  Bragur  und  die  Märchen  der  Brüder 
Grimm    zieht    er    zu    vergleichenden  Anmerkungen    heran.      Die    damals 
allgemein  verbreitete  Anschauung  der  Gebildeten,  'es  sei  mit  Liedern,  die 
in  einer  Bauernsprache  herausgegeben  werden,  auf  weiter  nichts  abgesehen, 
als    auf   behagliche  Erschütterung  des  Zwerchfelles',    will    er  durch  seine 
mundartlichen    Lieder    bekämpfen.      Durch    eine    geschickte,    verständige 
Schreibung  erreichte    er    ein  wohltuendes    Ebenmass    und    Gleichartigkeit 
des  mundartlichen  Gewandes.      Durch    seine    eingehende  Darstellung   der 
Mundart  des  Kuhländchens  und  das  mit  Erläuterungen  versehene  Wörter- 
verzeichnis im  Anhang  hat  seine  Ausgabe  auch  der  Dialektforschung  eine 
frische  Quelle  erschlossen^). 


1)  Unter  dem  Titel:  'I.  Band.  Wien  und  Hamburg.  1817'.  Doch  ein  zweiter  Band 
ist  nicht  erschienen.  'Unveränderter  Neudruck,  herausgegeben  vom  Deutschen  Volkslied- 
Ausschuss  für  Mähren  und  Schlesien.  Mit  Bildschmuck  und  einer  biographischen  Ein- 
leitung nebst  Vorwort  zum  Neudruck  von  Josef  Götz',  Brunn  li)09.  Dieser  Abdruck  ist  sehr 
dankenswert,  weil  Meinerts  überaus  wertvolle  Sammlung  seit  langem  nur  schwer  zu  be- 
schaffen war.  Götzens  Einleitung  bringt  auf  Grund  neuer  Funde  ein  knappes,  doch  ab- 
gerundetes Lebensbild  Meinerts  und  einen  Bericht  über  seine  poetischen  und  gelehrten 
Schriften.  S.  XXIII*  wird  erwähnt,  dass  gleichzeitig,  doch  unabhängig  von  Meinert,  ein 
Fulnecker  Grossbürger  Felix  Jaschke  mundartliche  Lieder  mit  Melodien  (ISIS.  Hand- 
schrift im  Landesarchiv  zu  Brunn)  aufgezeichnet  hat.  Da  Meinerts  Sammlung  keine 
Singweisen  enthält,  so  hat  sich  Götz  der  Mühe  unterzogen,  Melodien  dazu  aufzuspüren 
und  einen  grossen  Teil  bereits  gefunden,  die  erst  in  der  vom  Unterrichtsministerium  ge- 
planten Ausgabe  'Das  Volkslied  in  Österreich'  herauskommen  werden.  Zu  bemängeln  ist,  dass 
bei  der  Anordnung  des  Neudruckes  die  Zugaben  Götzens  und  die  bibliographischen  An- 
merkungen Josef  Matzuras  zwischen  die  verschiedenen  Abschnitte  der  Meinertschen  Aus- 
gabe eingeschoben  wurden,  so  dass  das  Neue  von  dem  alten  Bestand  sich  nicht  deutlich 
abhebt.  Wenigstens  hätte  das  im  Inhaltsverzeichnis  ausdrücklich  betont  werden  sollen.  — 
Fylgie  gebraucht  Meinert  männlich,  obwohl  im  Nordischen,  wie  nach  seiner  eigenen  Mit- 
teilung im  Kuhländchen  diese  Schutzgeister  als  weiblich  angesehen  werden.  Das  theatralische 
und  unnatürliche  Auftreten  der  Fylgie,  wie  sie  in  der  Vorrede  geschildert  wird,  entspricht 
durchaus  nicht  dem  Wesen  der  nordischen  Fylgjen  (vgl.  Eugen  Mogk,  Mythologie  iu 
Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie  ^^  '2.  Aufl.  3,  251  und  371  f.).  Zweifellos  liegt 
hier  eine  Selbsttäuschung  Meinerts  vor. 

i;>* 


2<)2  Hauffen: 

Der  schon  erwähnten  Sammlung  deutscher  Yolkslieder  von  Büsching 
und  von  der  Hagen  sind  einige  Melodien  beigegeben.     1810  erschien  das 
vielleicht    von    dem  berühmten  Kechtslehrer    Anton  F.  J.  Thibaut    oder 
von    Arnim    und  Brentano    selbst    herausgegebene    Liederbuch    'Vierund- 
zwanzig   deutsche    Lieder    aus    dem  Wunderhoru,    mit    bekannten,    meist 
älteren  Melodien  beim  Klavier  zu  singen'   (Heidelberg  1810).     Das  Wort 
Weise  für  Melodie  kommt  jetzt  allgemein  in  Gebrauch,  so  bei  A.  Zarnacks 
Sammlung  'Deutsche  Yolkslieder,    zwei    Teile    mit  Weisen'    (Berlin  1818 
bis  1820)    und    gleich  danach    in  einer  Zusammensetzung  bei  den  'Öster- 
reichischen Volksliedern  mit  67  Siugweisen,  gesammelt  und  herausgegeben 
von  Franz  Ziska  und  J.  M.  Schottky'   (Wien  1810).    Entsprechend  der 
lebenslustigen  und  wohlhabenden  Bevölkerung    im  Wiener  Wald,    in  den 
Wein-    und  Hügelgeländen    bis    zum  Semmering    und    nach  Ungarn    hin 
atmen    die    hier  aufgelesenen,    durchaus    mundartlichen  Kinder-,    Liebes-, 
Schützenlieder  und  Schnadahüpfeln  einen  gemütlichen,   heiteren  und  auch 
übermütigen  Geist  aus.     Nach  dem  Vorbild  Meinerts  folgen  auch  hier  Be- 
merkungen über  die  Mundart  und  ein  Wörterverzeichnis^).  —  Keine  Melodien 
enthält    die    heute     nur    als    Nachschlagewerk    verwendbare    fünfbändige 
Sammluno-  des  Freiherrn  Friedrich  Karl  von  Erlach  'Die  Volkslieder  der 
Deutschen'  (1834 — 1836),  die  nicht  nur  Volkslieder,  sondern  zum  grösseren 
Teile    Gedichte    bekannter  Verfasser    von  der  Mitte    des    15.  bis    in    die 
erste    Hälfte    des    19.   Jahrhunderts    bringt.      Den    später   allgemein  ver- 
wendeten, treffenden,  doch  in  seinen  Grenzen  fliessenden  Ausdruck  'Volks- 
tümliches Lied'    gebraucht  Erlach    zum  erstenmal   im  letzten  Band  dieser 
Sammlung.      Früher    sagte    man    dafür    volksmässig    oder    im    Volkston. 
'Volkstümlich'   ist  eine  Weiterbildung  der  von  dem  Turnvater  F.  L.  Jahn 
geschaffenen  Zusammensetzung,  die  durch  sein  kraftstrotzendes  Buch  'Das 
deutsche  Volkstum'  (1810)  unseren  Sprachschatz  bereichert  hat. 

Im  Sommer  1836  begann  Heinrich  August  Hoffmann  von  Fallers- 
ieben, durch  den  Gesang  eines  Grasmädchens  in  der  Umgebung  von 
Breslau  bewogen,  schlesische  Volkslieder  zu  sammeln.  Glückliche  Funde, 
eifrige  Unterstützung  seiner  Freunde  und  Aufrufe  in  Zeitungen  förderten 
rasch  sein  Unternehmen.  Sein  Arbeitsgenosse  Ernst  Richter  besorgte 
gewissenhaft  die  Singweisen.  Die  Lückenhaftigkeit  und  Verkehrtheit 
mancher  Aufzeichnungen  machten  ihm  grosse  Mühe.  Seine  eigenen  Er- 
gänzungen und  Berichtigungen  bestätigten  sich  oft  durch  spätere,  bessere 
Nachsendungen.  Abweichende  Singweisen  für  das  gleiche  Lied  hat  er 
nebeneinander  gestellt.  Er  ist  der  erste,  der  Volkweisen  richtig  behandelte, 
und    der    erste,    der  Schüler,    nämlich    seine    Zöglinge    am    evangelischen 


1)  Die  zweite  vermehrte  Auflage  (1844)  gab  Tschischka  (der  jetzt  in  deutscher 
Schreibung  erscheint)  allein  heraus.  —  Über  den  Neudruck  von  Friedrich  Krauss  (1906) 
vgl.  oben  17,  206. 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  293 

Lehrerseminar  in  Breslau,  zur  Mitarbeit  heranzog.  Ein  Vorgehen,  das  bis 
heute  mit  grossem  Nutzen  befolgt  wurde.  Als  wertvolles  Ergebnis  der  ge- 
meinsamen Arbeit  erschienen  1842  'Schlesische  Volkslieder  mit  Melodien  aus 
dem  Munde  des  Volkes  gesammelt'.  HofPmann  gab  überdies  in  den  nächsten 
Jahren  zahlreiche  verschiedenartige  Sammlungen  heraus:  Politische  Gedichte 
aus  der  deutschen  Vorzeit,  Deutsche  Gesellschaftslieder  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts, Volksgesangbuch,  Die  Kinderwelt  in  Liedern.  Auch  sind  viele 
seiner  einfachen,  gemütvollen  Gedichte  zum  Eigentum  des  Volkes  geworden. 
Wenig  jünger  als  die  Brüder  Grimm,  schloss  sich  Ludwig  Uhland 
auch  der  Heidelberger  Romantik  an.  Als  Dichter  und  Forscher  streifte 
er  bald  das  Phantastische  der  Romantik  ab  und  vertiefte  sich  im  immer 
mehr  in  das  Volkstümliche  der  alten  deutschen  Poesie.  Durch  'des  Knaben 
Wunderhorn"  wurden  den  Deutschen  die  Augen  geöffnet  über  das  Wesen 
des  Volksliedes,  nun  musste  noch  die  wissenschaftliche  Erforschung  und 
geschichtliche  Betrachtung  hinzutreten.  Wie  die  Brüder  Grimm  auf  dem 
Felde  der  Mythen,  Sagen,  Märchen  und  Rechtsbräuche,  so  hat  Uhland  mit 
seiner  Ausgabe  und  Erforschung  des  Volksliedes,  dem  Höhepunkt  seiner 
gelehrten  Tätigkeit,  'an  die  Stelle  eines  glänzenden  Bildes  mit  ver- 
schwimmenden Umrissen  ein  klar  und  scharf  nach  der  Wirklichkeit  ge- 
zeichnetes gesetzt'.  Seine  Beschäftigung  mit  dem  Minnesang  und  seine 
eigenen  besten  Leistungen  als  Dichter,  die  Balladen  und  lyrischen  Gedichte 
im  Volkston,  führten  ihn  zur  Sammlung  und  wissenschaftlichen  Behandlung 
des  Volksliedes.  Das  wurde  nun  sein  Lieblingsgebiet,  demgegenüber  seine 
früheren,  wertvollen  Studien  zu  Mythos  und  Sage  zurücktraten.  Seit  1833, 
nach  seiner  Dienstenlassung,  verwendete  er  seine  unfreiwillige  Müsse  zu 
tief  eindringenden  Studien  und  zu  weiten  Reisen  durch  ganz  Deutschland 
bis  nach  Dänemark  und  Holland,  um  sich  das  weit  verstreute  Material  zu 
beschaffen,  das  er  dann  sorgfältig  verarbeitete.  Bei  der  Aufsammlung  der 
Lieder  waren  ihm  unter  anderen  auch  Massmann,  Freiligrath  und 
Hoffmann  v.  Fallersleben  behilflich.  In  den  Jahren  1844  und  184.5  er- 
schienen in  zwei  Bänden  seine  'Alten  hoch-  und  niederdeutschen  Volks- 
lieder', die  erste  ausgesprochen  wissenschaftliche  und  noch  heute  un- 
entbehrliche Ausgabe.  Sie  enthält  rund  370  Lieder  aus  dem  ganzen 
deutschen  Sprachgebiet,  und  zwar  nur  ältere  Lieder  nach  Handschriften 
vom  15.  bis  18.  Jahrhundert  und  nur  ausnahmsweise,  wo  ältere  Auf- 
zeichnungen nicht  erreichbar  waren,  einige  aus  mündlicher  Überlieferung. 
Der  vorsichtige  Gelehrte  traute  nicht  recht  dieser  Quelle  beständiger  Ver- 
fälschung. Die  mit  feinstem  Gefühl  aus  seinem  reichen  Bestand  getroffene 
Auswahl  ordnete  er  stofflich  an:  Liebes-  und  Naturlieder,  Balladen, 
geschichtliche,  Reiter-  und  Landsknechtslieder,  Gesellschaftslieder  (Fest-, 
Trink-,  Tanz-  und  Lügenlieder),  Lieder  auf  bestimmte  Berufe  und 
schliesslich  religiöse  Lieder.  Li  dem  kurzen  bescheidenen  Vorwort  erklärt 
er  ausdrücklich,    weil    es  damals  nocli  notwendig  schien:    „Das  Ganze  ist 


294  Hauffen : 

weder  eine  moralische  noch  eine  ästhetische  Mustersammlung,  sondern  ein 
Beitrag-  zur  Geschichte  des  deutschen  Yolkslebens".  In  seinem  I^s^achwort 
begründete  er  Auswahl  und  Anordnung,  seine  gewissenhafte  Textkritik, 
die  Schreibung  der  mundartlichen  Lieder  und  gibt  seine  Quellen  genau 
an.  Mit  dieser  wissenschaftlichen  Verarbeitung,  mit  der  stofflichen  Ein- 
teilung, mit  dem .  Yerzeichnis  der  Liederanfänge  ist  Uhlands  Ausgabe 
Vorbild  geworden  für  alle  späteren  Liedersammlungen.  —  Uhlands  'Ab- 
handlung über  die  deutschen  Volkslieder  und  die  umfänglichen,  von 
ausserordentlicher  Belesenheit  zeugenden,  stoffvergleichenden  Anmerkungen 
zur  Abhandlung  und  zur  Ausgabe  sind  erst  nach  seinem  Tode  in  den 
'Schriften  zur  Geschichte  und  Sage'  (dritter  und  vierter  Band,  1866  und 
1869)  erschienen.  Von  den  geplanten  Studien  sind  nur  vier  ausgeführt: 
Sommer  und  Winter,  Fabellieder,  Wett-  und  Wunschlieder,  Liebeslieder, 
die  mit  Recht  als  die  feinste  Blüte  seiner  Gelehrtentätigkeit  bezeichnet 
wurden.  Wenn  auch  hier  deutlich  Jakob  Grimms  romantische  An- 
schauungen durchschimmern,  dass  die  Kämpfe  zwischen  Sommer  und 
Winter  und  die  Fabellieder  auf  alte  Göttersage  und  auf  ein  irrtümlich  an- 
genommenes Tierepos  zurückgehen,  so  berührt  das  nicht  den  Kern  dieser 
Abhandluno-en.  Und  obwohl  Uhland  bei  seinen  Arbeiten  und  besonders 
bei  diesem  ihn  so  anziehenden  Gegenstand  nicht  nur  mit  dem  Kopfe, 
sondern  auch  mit  dem  Herzen  dabei  war,  so  erscheint  diese  warmblütige, 
fesselnde  Darstellung  doch  durchaus  sachlich  und  überzeugend.  Hier  hat 
sich  der  Dichter  mit  dem  Forscher  verbündet,  um  ein  Werk  von  tiefer 
Gründlichkeit  und  innigem  Gemüt  in  einer  durch  kunstvolle  Gliederung 
und  meisterhafte  Bewältigung  des  überreichen  Stoffes  vollendeten  Form 
zu  schaffen,  das  ohne  Beispiel  in  unserer  gelehrten  Literatur  dasteht^). 

Wie  Hoffmann  v.  Fallersleben  und  Uhland  ist  auch  Karl  Simrock 
ein  gelehrter  Literarhistoriker,  der  sich  mit  Liebe  der  Volksdichtung  zu- 
wandte und  zvrar  ihrem  ganzen  Umfang  nach,  freilich  nicht  mit  demselben 
Erfolg  wie  Uhland.  Bald  nach  den  trefflichen  Bearbeitungen  deutscher 
Volksbücher  von  Uhlands  Freund  und  Dichtergenossen  Gustav  Schwab 
(1836)  und  von  Marbach  (1838—1847)  gab  Simrock  seine,  auf  Grund  der 
ältesten  Ausgaben  erneuerten  'Deutschen  Volksbücher'  (1839 — 1843)  heraus, 
welche,  wie  die  von  Schwab,  oft  aufgelegt  wurden  und  die  Kenntnisse 
dieser  alten  Geschichten  in  den  weitesten  Kreisen  verbreitet  haben. 
Simrock  stellte  auch  das  alte  Puppenspiel  von  Faust  her  und  gab  es 
gleichzeitig    mit    dem  Volksbuch  (1846)  heraus.      In    dem  gleichen  Jahre 


1)  Die  letzte  Ausgabe  1H93  in  der  'Cottaschen  Bibliothek  der  Weltliteratur'.  Der 
erste  und  zweite  Band  enthält  die  Ausgabe;  der  dritte  und  vierte  Band  bringt  die  Ab- 
handlungen mit  den  dazu  gehörigen  Anmerkungen,  doch  nicht  die  Anmerkungen  zu  der 
Ausgabe.  Die  gehaltvolle  Einleitung  von  Hennann  Fischer  wurde  oben  dankbar  ver- 
wertet. —  Vgl.  E.  K.  Blümml,  Briefe  von  und  an  Uhland  (Zeitschrift  für  Bücherfreunde, 
Neue  Folge  1,  Heft  5-6). 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  295 

erschienen  'Die  deutschen  Sprichwörter',  ferner  'Das  deutsche  Kinderbuch' 
(18J:8),  die  erste  Sammlung  deutscher  Kinderlieder  und  Sprüche,  'Die 
geschichtlichen  deutschen  Sagen'  (1850),  welche  nur  erzählende  Gedichte 
aus  Stoffen  von  Volks-  und  Heldensagen  von  bekannten  Dichtern  und 
vom  Herausgeber  selbst  bringen,  und  die  aus  dem  Volksmund  geschöpften 
'Deutschen  Volkslieder'  (1851),  'Das  deutsche  Rätselbuch'  mit  Nachlesen 
(1850 — 1863),  wofür  Simrock  handschriftliche  Sammlungen  Müllenhoffs 
verwerten  konnte,  schliesslich  'Deutsche  Weihnachtslieder'  (1859)  und 
'Deutsche  Märchen'  (1864). 

Der  erste,  der  im  Sinne  von  Jakob  Grimm  eine  Darstellung  deutscher 
Sitten  und  Festbräuche  versuchte,  war  Fr.  A.  Reimann.  Sein  Werk 
'Deutsche  Volksfeste  im  19.  Jahrhundert'  (1839),  Geschichte  ihrer  Ent- 
stehung und  Beschreibung  der  Feier,  von  dem  nur  der  erste  Band  erschien, 
ist  heute  noch  gut  zu  verwerten,    da    der  Verfasser    auf  Grund  von  sorg- 

CT"  1  O 

fältig  verzeichneten  Quellen  Bräuche  und  Feste  schildert,  die  längst  ver- 
schwunden sind.  Ende  der  vierziger  Jahre  erschien  ein  merkwürdiges, 
mehrbändiges  Sammelwerk  'Das  Kloster',  eine  kritiklose  Anhäufung  von 
Abdrücken  und  von  Mitteilungen  nach  dem  Volksmunde,  wovon  drei  Bände 
Volksüberlieferungen  bieten:  'Die  gute,  alte  Zeit'  nach  handschriftlichen 
Sammlungen  von  Reinöhls  und  der  'Festkalender',  sowie  'Sitten  und 
Gebräuche'  von  F.  Kork.  Die  landschaftlichen  Sagen  und  Märchen- 
sammlungen der  vierziger  und  fünfziger  Jahre  nehmen  auch  Sitten, 
Bräuche  und  Volksmeinungen  auf^).  Den  Weg  dazu  hat  A.  Kuhn  ge- 
wiesen in  seinen  'Märkischen  Sagen  und  Märchen'  (1843)  und  in  den  mit 
seinem  Schwager  W.  Schwartz  herausgegebenen  'Norddeutschen  Sagen, 
Märchen  und  Gebräuchen  aus  Mecklenburg,  Pommern,  der  Mark,  Sachsen, 
Thüringen,  Braunschweig,  Hannover,  Oldenburg  und  Westfalen'  (1848). 
In  der  A'orrede  dazu  bezeichnen  die  Herausgeber  als  ihr  letztes  Ziel, 
alles  was  an  Sagen  und  Gebräuchen  noch  lebendig  war,  zu  sammeln,  um 
so  Quellen  für  die  Darstellung  der  Geschichte  des  Volksglaubens  von  den 
ältesten  Zeiten  herab,  zu  gewinnen.  Bei  der  Anordnung  erschien  es 
ihnen  am  zweckmässigsten,  die  Sagen  der  verschiedenen  Stämme  bei- 
sammen zu  lassen,  und  nur  bei  den  Bräuchen  die  stoffliche  Einteilung 
beizubehalten.  Sie  haben  sich  vorzugsweise  an  die  niederen  Stände  ge- 
wendet, da  bei  diesen  die  Sage  sich  in  einer  oft  bewunderungswürdigen 
Reinheit  fortpflanzt.  „Dieselben  Wörter  und  Wendungen  gehen  hier  meist 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht,  und  man  hält  mit  einer  Treue  daran  fest, 
dass  man  oft  glauben  möchte,  alle  hätten  ihre  Erzählung  nach  einem  ge- 
meinsamen Berichte  auswendig  gelernt".  Sie  beschweren  sich  über  die 
Poliziverbote  und  meinen  mit  Recht,    dass  das  Volk  seine  wenigen  Feste 


1)  Vgl.  Eugen  Mogk,    Sitte.     (In  H.  Pauls  Grundriss    der   germanischen   Philologie 
'>   496-499). 


296  Hauflfen: 

als  Vereinigungsorte  zu  gemeinsamen  Vergnügen  liebe:  „sie  sind  die 
einzigen  Haltpunkte  für  seine  Einheit,  und  da  man  bisher  nichts  Besseres 
an  die  Stelle  der  alten  Gebräuche  zu  setzen  wusste,  so  lasse  man  sie  ihm 
und  suche  sie  nur  von  ihren  Auswüchsen  zu  befreien".  Die  Feste,  Lieder 
und  Sagen  „sind  das  einzige  poetische  Element  im  Leben  des  Landvolkes, 
und  man  wird  nicht  leugnen  wollen,  dass  sie  oft  einen  veredelnden  Einfluss 
auf  seine  rauhe  Derbheit  üben".  Die  Herausgeber  bringen  auch  be- 
merkenswerte Aussprüche  von  Leuten  aus  dem  Volke  bei,  z.  B.  von  einem 
Halberstädtischen  Bauer:  „Der  alte  Fritz  hat  die  Zwerge  verjagt,  aber 
Napoleon  hat  allen  Spuk  aus  dem  Lande  vertrieben".  Dieser  Sammlung 
ist  ein  ausgezeichnetes  Sachregister  beigegeben,  wohl  das  erste  und 
auf  lange  hinaus  das  einzige  Beispiel  dieser  Art. 

Karl  Müllenhoffs  'Sagen,  Märchen  und  Lieder  der  Herzogtümer 
Schleswig-Holstein  und  Lauenburg'  (1845)  sind  eingeteilt  in  die  Gruppen: 
Historie  von  der  ältesten  bis  in  die  neuere  Zeit,  Thaumaturgie,  Mythologie 
und  Poesie  (Märchen,  Schwanke,  Fabeln,  Kinderreime,  Rätsel,  Segen  und 
Sprüche).  Die  Lieder,  zum  grössten  Teil  erzählende,  sind  nach  ihrem 
Inhalt  unter  die  Sagen  und  Märchen  eingereiht.  Eine  schwer  gelehrte 
Einleitung  berichtet  über  die  Geschichte  der  deutschen  Volkspoesie  und 
den  mythologischen  Wert  dieser  Ausgabe.  Am  Schluss  folgt  ein  kurzer 
Aufruf  zur  Sammlung  von  Sitten  und  Bräuchen,  der  mit  seinem  eng- 
gepackten Reichtum  noch  heute  als  Richtschnur  dienen  kann. 

Rasch  hintereinander  folgen  dann  ganz  ähnliche  Sammlungen  von 
E.  Sommer  'Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Sachsen  und  Thüringen' 
(1846),  F.  Panzers  'Bayerische  Sagen  und  Gebräuche'  (1848  und  1853)» 
Ign.  V.  Zingerles  'Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Tirol'  (1859)  und 
Ernst  Meiers  'Sagen,  Sitten  und  Gebräuche  aus  Schwaben'  (185'2).  Die 
letztgenannte  Sammlung  ist  nach  dem  Vorbild  der  Brüder  Grimm  in 
mythische  und  geschichtliche  Sagen  eingeteilt;  das  dritte  Buch  bringt 
Sitten,  Gebräuche  und  Volksmeinungen.  In  der  deutlich  von  Kuhn  be- 
einflussten  Vorrede  teilt  der  Verfasser  mehreres  aus  seinem  Umgang  mit 
dem  Volke  mit,  das  er  offen  und  ehrlich  wie  eine  Kinderseele  gefunden 
hat.  Ein  künstlich  angelegter  Eroberungsplan  werde  bei  natürlichen 
Menschen  ohne  Erfolg  bleiben.  Auch  Meier  wendet  sich  gegen  die  Polizei- 
verbote und  gegen  das  ungerechte  Vorgehen  der  pietistischen  Seelsorge. 
Ein  krasses  Beispiel  von  beschränkter  Gelehrtheit  wird  hier  mitgeteilt.  Ein 
Grammatiker  wollte  ihn  von  dieser  Arbeit  abhalten,  mit  dem  Einwand,  'die 
Schwaben  besässen  ja  kein  Imperfektum,  könnten  mithin  auch  nicht  erzählen'! 

Für  den  weiteren  Stoffkreis,  mit  dem  sich  jetzt  die  Sammler  und 
Forscher  beschäftigen,  kommt  die  sehr  zutreffende  Bezeichnung  Volks- 
überlieferungen auf.  Sie  erscheint  1848,  wohl  zum  erstenmal  auf  dem 
Titel  des  Buches  von  J.  F-  L.  Woeste  'Volksüberlieferungen  in  der  Graf- 
schaft Mark'. 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  297 

Der  grosse,  aus  dem  Geist  der  Romantik  geborene  Gedanke  der 
Brüder  Grimm  von  der  Einheitlichkeit  aller  Äusserungen  des  Volkes  und 
ihrer  ununterbrochenen,  in  immer  neuen  Formen  lebendig  bleibenden  Ent- 
wicklung, bewirkte  auch  die  Vorstellung,  dass  die  von  ihnen  eingebürgerten, 
gelehrten  Begriffe  3[ythus,  Märchen  und  Sage,  die  sich  zu  scharfen  Formen 
auswuchseu  und  bald  schieden,  was  sie  nur  ordnen  sollten,  einander 
abgelöst  hätten.  Aus  dem  Mythus  also  seien  später  Märchen  und  Sage 
erwachsen  und  ihr  wahrer  Sinn  sollte  nur  durch  Rückführung  auf  ihren 
mythischen  Ursprung  zu  erfassen  sein.  Ihr  Lieblingsbeispiel  dafür  war 
das  Märchen  vom  Dornröschen,  welches  ihnen  als  Nachklang  des  Mythus 
von  Brünhild,  Odin  und  Sigurd  erschien.  Das  haben  sie  als  sicheres^ 
Ergebnis  in  den  Anmerkungen  zu  den  Märchen  (1856)  ausgesprochen^J. 
Diese  anziehende  Auffassung,  die  mit  ihrer  werbenden  Kraft  nachwirkte, 
wurde  von  Theodor  Benfey  erschüttert.  In  seiner  Einleitung  zu  der 
Bearbeitung  der  indischen  Märchen-  und  Fabelsammlung  'Pantschatantra" 
(1859),  die  auf  lange  Zeit  das  Vorbild  für  die  vergleichende  Märchen- 
forschung wurde,  zeigte  er,  dass  die  germanischen  Märchen  nicht  eine 
Ausstrahlung  der  heimischen  Göttermythen,  sondern  wie  bei  anderen 
Völkern  aus  dem  Orient  eingewandert  seien.  Indien  sei  das  Quelland, 
dessen  reiche  Ströme  sich  im  11.  Jahrhundert  über  Europa  ergossen.  Das 
Verdienst  dieser  Ausführungen  ist  die  Erkenntnis,  dass  Märchen,  Schwanke, 
kurze  Geschichten  frei  über  die  Erde  hinwandern.  Spätere  Untersuchungen 
haben  auch  Benfeys  Annahme  von  der  Ausbreitung  ausländischer  Märchen 
über  Asien,  Europa  und  Afrika  bestätigt,  doch  anderseits  nachgewiesen, 
dass  diese  Wanderungen  viel  früher  begannen  und  dass  nicht  nur  aus 
Indien,  sondern  auch  aus  Ägypten,  dem  ältesten  Kulturland,  aus  Griechen- 
land u.  a.  Märchen  nach  Westeuropa  gedrungen  sind,  und  dass  sich  auch 
bei  überseeischen  Völkern,  sogar  bei  den  Ureinwohnern  Amerikas  zahl- 
reiche verwandte  Märcheumotive  wiederfinden.  Die  englischen  Anthropo- 
logen Tylor,  Lang,  Frazer  haben  wieder  autochthone  Abstammung  der 
Märchen  in  den  verschiedenen  Ländern  behauptet.  Diese  gegensätzlichen 
Anschauungen  Hessen  sich  doch  miteinander  vereinigen.  Gewiss  ist  es, 
dass  indische  und  sonstige  fremde  Stoffe  die  germanische  Märchenwelt 
beeinflusst  haben,  auch  in  späteren  Zeiten  durch  die  ausgebildete  Er- 
zählungstechnik der  Orientalen,  aber  andererseits  sind  bei  allen  A-'ölkern 
so  viele  Keime  zur  Mythen-  und  Märchenbildung  gemeinsam,  dass  sich 
auch  deutsche  Märchen,  wie  Schneewittchen,  Goldener,  Allerleirauh,  das 
Wasser    des    Lebens,    der    Meisterdieb  u.  a.    ganz    selbständig    entwickelt 


1)  Märchen  0^  85.  —  Friedrich  Vogt,  Dornröschen-Thalia  (Beiträge  zur  Volkskunde. 
Festschrift  Karl  Weinhold  zum  50  jährigen  üoktorjubiläum,  dargebracht  von  der  schlesischeu 
Gesellschaft  für  Volkskunde,  Breslau  18%)  S.  195—237.  —  H.  Hamann,  Die  literarischen 
Vorlagen  der  Kinder-  und  Hausmärchen  und  ihre  Bearbeitung  durch  die  Brüder  Grimm 
(Berlin  190(;). 


•298  Hauffen: 

haben  konnten  und  dass  die  Ähnlichkeit  mit  fremden  Motiven  auch  nur 
aus  den  allen  Völkern  gemeinsamen  Anschauungeai  erklärt  werden  könne. 
Die  Frage,  ob  allgemein  menschliche,  gemeinsam  indogermanische  oder 
gemeinsam  germanische  Keime  vorliegen,  ob  die  Märchen  von  Volk  zu 
Volk  wandern  oder  in  späterer  Zeit  aus  der  Kunstdichtung  ins  Volk 
dringen,  kann  nicht  grundsätzlich  entschieden,  sondern  muss  bei  jedem 
einzelnen  Märchen  sorgfältig  untersucht  werden,  wobei  man  wohl  nur 
selten  zu  unbedingt  sicheren  Ergebnissen  kommen  dürfte^). 

Den  Grimmschen  Märchen  am  nächsten  stehen  an  Zeit,  Güte  und 
Beliebtheit  Ludwig  Bechsteins  Märchenbücher  (1846  und  1856),  die  bis 
y.ur  Gegenwart  immer  wieder  neu  aufgelegt  werden.  Bechstein,  der  auch 
einige  Märchen-  und  Sagensammlungen  seiner  Heimat  Thüringen  heraus- 
gegeben hat,  war  der  erste,  der  über  die  verschiedenen  Arten  der  Volks- 
erzählungen, Mythus,  Sage,  Märchen  und  die  Nebenformen  Fabel  und 
Schwank,  die  trotz  mannigfachen  Übergängen  und  Mischungen  in  den 
reinen  Typen  deutlich  voneinander  zu  scheiden  sind,  eine  grössere 
theoretisch-geschichtliche  Darstellung  'Mythe,  Sage,  Märe  und  Fabel  im 
Leben  und  Bewusstsein  des  deutschen  Volkes'  (1854  und  1855)  geschrieben 
hat,  in  welcher  er  den  ganzen  damals  erreichbaren  Stoff  zusammenfassend, 
verarbeitete.  In  demselben  Jahrzehnt  sind  noch  die  Märchensammlungen 
von  J.  W.  Wolf  (1845  und  1851),  Heinrich  Pröhle  (1853),  E.  Meier  für 
Schwaben  (1852)  und  Ignaz  und  Josef  Zingerle  für  Süddeutschland  (1854) 
erschienen. 

Jakob  Grimms  Mythologie  hatte  indessen  einen  sehr  eifrigen,  doch 
vielfach  dilettantischen  Betrieb  hervorgerufen,  weil  viele  seiner  Nachfahren 
gerade  die  unrichtigen  Anschauungen  ihres  Meisters  weiterführten  und 
übertrieben.  In  Bräuchen  und  Volksmeinungen,  in  Sagen  und  Märchen 
witterte  man  nun  Reste  uralten  Götterglaubens,  die  ohne  weiteres  mit 
nordischen  Mythen  zusammengeworfen  wurden.  Diese  verkehrte  Auf- 
fassung wurde  besonders  durch  Karl  Simrocks  'Handbuch  der  deutschen 
Mythologie  mit  Einschluss  der  nordischen'  (1853 — 55)  weitverbreitet,  und 
sie  beeinflusst  noch  heute  Dilettanten  in  schädlichster  Weise.  In  der  von 
J.  W.  W^olf  1853  begründeten  Zeitschrift  für  deutsche  Mythologie  und 
Sittenkunde  liefen  die  mythologischen  Aufsätze  in  den  gleichen  Spuren, 
doch  enthielt  sie  wertvolle  Beiträge  über  Brauch  und  Volksglauben  aus 
verschiedenen  deutschen  Gegenden.  Es  war  das  Verdienst  dieser  Zeit- 
•schrift,  dass  in  den  nächsten  Jahren  die  Beschäftigung  damit  einen  solchen 
Aufschwung  genommen  hatte,  dass  die  reichhaltige,  abgerundete  Zu- 
sammenfassuno;  von  A.  Wuttke  'Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegen- 


1)  E.  Bethe,  Mythus,  Sage  und  Märchen  (Hessische  Blätter  für  Volkskunde  4,  S.  97 
bis  142).  —  F.  V.  d.  Leyen,  Zur  Entstehung  des  Märchens  (Archiv  f.  d.  Studium  der 
neueren  Sprachen  und  Literaturen  11:5,  249-2G9.  114  1—14:  115,  1-21.- 273-289;  HG, 
1—24.  282-300). 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  299 

wart'  (1860)  möglich  wurde  ^).  Der  Verfasser,  Professor  der  Theologie  in 
Halle,  unterscheidet  in  der  Einleitung  und  im  Schlusswort  vorsichtig  die 
christliche  und  die  heidnische  Religion  von  dem  Aberglauben  und  da 
noch  besonders  den  einheimischen  'mehr  natürlichen'  Volksglauben  der 
ländlichen  Schichten  von  dem  'widerwärtigen  und  lächerlichen'  Aber- 
glauben der  Gebildeten.  Kirche  und  Schule,  mahnt  er,  sollten  nicht 
alle,  besonders  nicht  die  mit  der  Sitte  verwachsenen  Yolksmeinungen  aus- 
rotten. Trotzdem  der  Verfasser  an  diesen  Stoff  als  protestantischer  Theolog 
herantrat,  ist  die  Darstellung  durchaus  sachlich  gehalten.  Diese,  aus 
Büchern,  handschriftlichen  Mitteilungen  und  eigenen  Aufzeichnungen  des 
Verfassers  geschöpfte  übersichtlich  geordnete  Darstellung  wird  noch  auf 
lange  "die  reichste  Schatzkammer  des  Volksaberglaubens'  bilden.  Spätere 
verwandte  Bücher  wie  E.  L.  Rochholz  'Deutscher  Glaube  und  Brauch 
im  Spiegel  der  heidnischen  Vorzeit  (1.  Deutscher  Unsterblichkeitsglaube, 
2.  Altdeutsches  Bürgerleben'.  1867)  und  Ch.  Rogges  'Aberglaube,  Volks- 
glaube und  Volksbrauch'  (1890)  und  andere  können  sich  mit  Wuttkes  ab- 
gerundetem Stoffe  nicht  messen. 

W.  Schwartz  hatte  aus  seiner  Beschäftigung  mit  Sitten  und  Sagen 
erkannt,  dass  noch  zu  seiner  Zeit  im  Volke  ein  reicher  mythischer  Grund- 
stock vorlag,  der  Jahrtausende  überdauert  hat  und  sich  im  Kern  bei  fast 
allen  Völkern  findet,  welcher  also  viel  älter  ist,  als  der,  eine  höhere 
Kultur  voraussetzende  und  nur  kurze  Zeit  währende  Glaube  an  Götter. 
Diese  unanfechtbare  Erkenntnis  hat  er  in  der  Schrift  'Der  heutige  Volks- 
glaube und  das  alte  Heidentum  mit  Bezug  auf  Norddeutschland'  (18J:9) 
niedergelegt.  Er  verfolgte  diesen  Gedanken  weiter  in  zahlreichen  Schriften 
und  eröffnete  so  die  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  niederen 
Mythologie,  wie  er  diese  Anschauungen  von  niederen  mythischen  Wesen, 
den  Eiben,  benennt,  im  Gegensatz  zu  der  höheren  Mythologie,  der  Götter- 
kunde, die  bei  den  Germanen  in  den  eddischen  Dichtungen  vertreten  ist. 
Den  Ausgang  der  Eiben  und  Dämonen  erblickt  er  in  den  Naturerscheinungen, 
geht  aber  in  seiner  Beweisführung  insofern  willkürlich  vor,  als  er  auch 
bei  den  jüngsten  Sagen  mythischen  Kern  voraussetzt.  Schwartz,  ferner 
sein  unvergleichlich  kritischer  vorgehender  Schwager  Adalbert  Kuhn, 
besonders  mit  seiner  'Herabkunft,  des  Feuer-  und  Göttertrankes'  (1859  bis 
1886),  sowie  der  Indogermanist  Max  Müller,  mehr  auf  sprachlichem 
Gebiete,  sind  die  Begründer  der  vergleichenden  Mythologie  geworden. 
Schwartz  hat  durch  seinen  Nachweis,  dass  bestimmte  Anschauungen  ein 
notwendiger    Ausfluss    allgemein    menschlicher    Natur    auf    ältester    Stufe 


1)  Zweite  völlig  neue  Bearbeitung  (18(39).  In  der  dritten  Bearbeitung  bat  Elard 
H.  Meyer  (1900)  den  Grundstock  und  die  Auffassung  dieses  Buches  nicht  angetastet,  doch 
die  Belege  nach  inzwischen  erschienenen  Sammlungen  und  nach  eigenen  Forschungen, 
besonders  aus  Südwestdeutschland,  reichlich  vermehrt  und  Versehen  berichtigt.  Mit  der 
Zeit  wird  natürlich  dieser  Gegenstand  eine  völlig  neue  Darstellung  erheischen. 


300  Hauffen: 

seien,  der  'Anthropologie  der  Naturvölker'  (1859 — 1864)  von  Theodor 
Waitz  vorgearbeitet.  Die  Ergebnisse  der  Werke  der  von  Waitz  aus- 
gehenden Ethnographen  A.  Bastian  und  des  Engländers  Gt.  Tylor  wurden 
zur  Erhellung  der  Vergangenheit  der  Kulturvölker,  also  namentlich  der 
Deutschen  und  der  Engländer,  herangezogen.  So  entstand  eine  Völker- 
kunde, die  auch  der  Volkskunde  zugute  kommen  sollte^). 

Nach  Wolfs  Tode  führte  Wilhelm  Mannhardt  dessen  Zeitschrift  bis 
zu  ihrem  Eingehen  (1859)  weiter.  Von  dilettantischen  Versuchen  auf  dem 
(lebiete  der  Märchenmythologie  arbeitete  er  sich  allmählich  zu  einer 
historisch-philologischen  Kritik  und  zu  einem  eigenen  Standpunkt  empor. 
Er  folgte  den  Bahnen  von  Kuhn  und  Schwartz,  stellte  aber  seine 
Forschungen  auf  eine  breitere  und  festere  Grundlage.  Er  fand  bald, 
dass  Volksglaube  und  Brauch  der  Gegenwart  ältere  und  echtere  Elemente 
darbieten  als  Lied  und  Märchen.  Seinen  gross  angelegten  Plan,  einen 
'Quellenschatz  germanischer  Volksüberlieferungen'  zu  schaffen,  verfolgte 
er  mit  ganzer  Kraft  und  sicherer  Methode.  Sein  sorgfältig  ausgearbeiteter 
Fragebogen  über  alle  beim  Ackerbau  gebräuchlichen  Sitten  und  Meinungen 
wurde  in  vielen  Tausenden  über  ganz  Deutschland  und  ins  Ausland  ver- 
sendet. Er  selbst  machte  weite  Reisen,  um  ein  möglichst  vollständiges 
Material  zu  beschaffen.  Seine  überaus  umfänglichen  Sammlungen,  die 
jetzt  auf  der  Königlichen  Bibliothek  in  Berlin  liegen,  hat  er  nur  zum 
Teil  verarbeitet.  In  den  sechziger  und  siebziger  Jahren  erschienen  seine 
wichtigsten  Werke,  über  den  'Roggenwolf  und  Roggenhund',  die  'Korn- 
dämonen', 'Wald-  und  Feldkulte'.  Er  unterscheidet  hier  verschiedene 
Schichten  der  Überlieferung,  die  ineinander  und  nebeneinander  fliessen, 
und  verfolgt  auch  die  fortwährenden  Einflüsse  der  Um-  und  Neubildung. 
Sein  ziemlich  kühnes  und  abstraktes  System  eines  Vegetationsdämonen- 
kults hat  sich  keine  Anerkennung  verschaffen  können.  Trotzdem  hat 
Mannhardt  Schule  gemacht  in  Deutscliland  wie  in  England  und  dort 
besonders  auf  Frazer  eingewirkt. 

Trotz  dieser  wertvollen  Bestrebungen  kam  es  nicht  zu  grösseren  be- 
friedigenden Ergebnissen.  Viel  Schweiss  geistiger  Arbeiter  floss  ver- 
geblich, viel  Kraft  wurde  zersplittert.  Und  das  ist  um  so  schlimmer,  als 
gerade  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  weite,  blühende  Gefilde  von 
Volksüberlieferungen  durch  den  heissen  Odem  der  Industrie  und  gross- 
städtischer Kultur  versengt  worden  sind.  Es  ermangelte  eines  Zusammen- 
schlusses, eines  bewährten  Führers,  einer  leitenden  Zeitschrift,  einer  Be- 
zeichnung für  den  allmählich  in  der  Stille  wachsenden  Wissenszweig. 
Ein  Name  ist  nicht  immer  Schall  und  Rauch;  eine  glückliche  Bezeichnung 
kann  zu    einem  Programm  werden,    zu    einer  flatternden  Fahne,    um  die 


1)  Eugen  Mogk,  Geschichte  der  germanischen  Mjthologio  (H.  Pauls  Grundriss  der 
germanischen  Philologie  2.  Aufl.  3,  238  —  247.  Strassburg  1!)00).  Die  Behandhing  der 
volkstümlichen  Sitte  der  Gegenwart  (ebd.  3,  493—5307. 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  301 

sich  die  Streiter  zu  gemeinsamer  Arbeit  schareD,  Streiter,  die  sonst  ver- 
einzelt blieben  oder  in  Beschaulichkeit  verharrten. 

So  geschah  es,  dass  die  Engländer  uns  mit  der  Ausgestaltung  eines 
besonderen  Wissenszweiges,  mit  einer  neuen  Bezeichnung  und  einer  gross 
angelegten  Sammeltätigkeit  zuvorgekommen  sind.  In  England,  wo  bereits 
1725  durch  die  'Antiquitates  Vulgarenses'  von  H.  Bourne^)  eine  ergiebige 
Quelle  erschlossen  wurde,  hat  William  John  Thoms  durch  einen  in  der 
bekannten  Wochenschrift  'The  Athenaeum'  1846  erschienenen  Aufsatz  die 
Volkskunde  in  Eluss  gebracht.  Thoms  geht  von  Jakob  Grimms  Mytho- 
logie aus,  die  er  als  Vorbild  rühmend  empfiehlt,  und  spricht  den  Wunsch 
aus,  dass  in  allen  Gegenden  Grossbritanniens  ein  ähnlicher  Stoff  aufge- 
sammelt und  dem  Athenaeum  eingesendet  wercJe.  Hier  schlägt  er  für  die 
älteren,  nicht  zutreffenden  Bezeichnungen  'Populär  Antiquities'  oder 
'Populär  Literature'  ein  neues  Wort,  'a  good  Saxon  Compound",  Folklore 
vor').  Dieser  Aufruf  wirkte  wie  ein  Zauberstab-,  neben  reichlichen  Ein- 
sendungen an  diese  Zeitschrift  entstanden  in  allen  englischen  Landschaften 
von  1850  ab  eigene  Monographien  mit  dem  Titel  'Folklore'.  Zeitschriften 
und  Vereine  für  Folklore  wurden  allerdings  erst  vom  Ende  der  siebziger 
Jahre  ab  begründet.  Diese  Bezeichnung,  die  also  Thoihs  geschaffen  und 
deren  Umfang  er  begrenzt  hat,  drang  dann  zu  den  übrigen  germanischen 
und  den  romanischen  Völkern.  In  Deutschland  bedienten  sich  besonders 
Dilettanten  dieses  Fremdwortes  und  nannten  sich  mit  eitlem  Stolze  'Folk- 
loristen', damit  es  gelehrter  klinge.  Und  gerade  in  Deutschland  wurde 
dieses  Wort  lange  in  unrichtiger  Bedeutung  verwendet,  als  die  Wissen- 
schaft oder  die  Lehre  vom  Volke,  also  gleichgesetzt  der  Bezeichnung 
'Volkskunde'.  Folklore  bedeutet  aber  nicht  eine  Wissenschaft,  sondern 
den  Gegenstand,  den  Stoff  kreis  einer  Wissenschaft,  the  lore  of  the 
people;  also  sie  entspricht  unserer  Bezeichnung  'Volksüberlieferungen'  ganz 
genau. 

Inzwischen  ist  in  Deutschland  ein  Dichter  und  Gelehrter  aufgetreten, 
der  Aufgaben  und  Probleme  für  die  Zukunft  angedeutet  und  der  Wissen- 
schaft Lösungen  vorweggenommen  hat,  Wilhelm  Heinrich  Riehl.  Er 
selbst  pries  Moser  als  einen  Meister  und  Seher,  und  zwar  den  Moser  der 
'Patriotischen  Phantasien'.  Das  Studium  dieses  Vorbildes  befähigte  Riehl 
Volksstämme,  Stände  und  Berufe  in  ihren  besonderen  Lebensäusserungen  zu 
verfolgen  und  das  Volkstümliche,  das  Moser  entdeckt  hatte,  sicher  zu  erfassen. 
Wie  Moser  ist  auch  Riehl  in  seinem  Denken  von  der  Romantik  beeinflusst, 
besonders  in  der  verklärenden  Auffassung  des  Mittelalters.  Seine  Schriften 
sind  mehr  anregend  als  belehrend.  Von  Haus  aus  Journalist,  behält  er  in 
seinem  Stil  die  Vorzüge  und  Unarten  dieser  Zunft  bei.    Riehl  betrachtet  das 


1)  umgearbeitet  von  J.  Brand  1777,  H.  EUis  1813,  W.  E.  Hazlitt  1870. 

2)  G.  Kossinna,  Folklore,  oben  6, 188—192. 


302  Hauffen: 

Volk,  welches  er  auf  weiten  Fusswanderungen  kennen  und  lieben  gelernt, 
sowie  in  zahlreichen  Schriften  geschildert  hat,  als  eine  plastische  Persön- 
lichkeit, als  ein  harmonisches  Kunstwerk.  Seine  Antithesen  sind  allerdings 
überscharf,  und  seine  Sinnbilder  für  Ideen  können  der  Kritik  nicht  stand- 
halten. Er  will  das  Land  und  die  Leute  ineinanderschauen;  eine  Ver- 
flechtung von  Bodengestalt,  Geschichte  und  Menschenart  schwebt  ihm  vor, 
während  heute  die  Volkskunde  das  Land  um  der  Leute  willen  betrachtet. 
Wie  Moser  in  der  Zeit  der  Aufklärung  in  politischer  Absicht  schrieb,  sa 
Riehl  in  der  Zeit  des  beginnenden  Liberalismus.  Seine  'Naturgeschichte 
des  deutschen  Volkes'  entstand  unter  dem  Eindruck  der  Revolution  von 
1848.  Ähnlich  wie  Moser  war  er  besorgt  um  die  gefährdete  Eigentüm- 
lichkeit der  alten  Landschaften  und  Stände.  Da  Kiehl  den  Standescharakter 
am  reinsten  bei  den  Bauern  gewahrt  sieht,  so  waiidte  er  diesen  seine 
ganze  Zuneigung  zu,  die  er  freilich  in  seinen  feinsinnigen  Schilderungen 
idealisiert.  Sein  Herz  war  bei  den  'Mächten  des  Beharrens',  beim  Knorrig- 
bodenständigen. Bei  seiner  geschichtlichen  Einsicht  konnte  er  sich  der 
freien  Entwicklung  nicht  entgegenstemmen.  Verwirrung  und  Unverstand 
der  Revolution  hat  er  miterlebt,  doch  konnte  er  sie  nicht  als  Unheil  an- 
sehen. Seine  Anschauung,  sein  Stil  sind  ganz  anderer  Art,  als  bei  den 
Schriftstellern  des  Vormärz^).  Sein  grosses  Lebensziel  war  die  Ausbildung 
einer  deutschen  Volkskunde.  Mit  seiner  ausgezeichneten  Monographie 
'Die  Pfälzer'  (1857),  wo  die  Entstehung  dieser  mannigfaltigen  Stammesart 
aus  den  natürlichen,  das  wirtschaftliche  Leben  gestaltenden  Bedingungen 
erklärt  wird,  hat  er  ein  Vorbild  für  zahlreiche  ähnliche  Arbeiten  ge- 
schaffen. Unter  seiner  Leitung  entstand  das  fünfbändige  geographisch- 
ethnographische Werk  'Bavaria'  (1859—1867).  In  seinem  1858  gehaltenen 
Vortrag  'Die  Volkskunde  als  Wissenschaft'  erscheint  zum  ersten  Male 
dieses  bestimmt  von  ihm  geprägte  Wort  Volkskunde.  Er  kann  darum 
auch  als  der  Taufpate  dieses  jungen  Wissenszweiges  bezeichnet  werden. 
Der  Gehalt  dieses  Vortrags  lässt  sich  kurz  mit  seinem  eigenen  Ausspruch 
zusammenfassen:  „Die  Volkskunde  selber  aber  ist  gar  nicht  als  Wissen- 
schaft denkbar,  solange  sie  nicht  den  Mittelpunkt  ihrer  zerstreuten  Unter- 
suchungen in  der  Idee  der  Nation  gefunden  hat."  Weiters  zieht  er  hier 
die  Grundlinien  einer  wissenschaftlichen  Volkskunde,  wie  er  sie  sich  vor- 
stellt und  wünscht,  wie  sie  aber  erst  drei  Jahrzehnte  später  verwirklicht 
werden  sollte^).  Denn  Riehls  Bestrebungen  wurden  in  den  nächsten 
Jahren  scheinbar  vergessen,  und  das  Wort  Volkskunde  kam  erst  um  1880 
in  Gebrauch. 


1)  E.  Gothein,  W.  H.  Riehl  (Preussische  Jahrbücher  02,  1-27).  —  R.  A.  Fritzsche, 
Justus  Moser  und  W.  H.  Riehl,  Gedanken  über  Volkskunde  (Hessische  Blätter  für  Volks- 
kunde 7,  1-9). 

2)  Erschienen  in  den  gesammelten  Vorträgen :  'Kulturstudien  aus  drei  Jahrhunderten' 
(1859.  —  6.  Auflage  190;5)  S.  225 -251. 


\ 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  305 

Eine  ganz  anders  geartete  Persönlichkeit  war  der  Weimarer  Ober- 
bibliothekar Reinhold  Köhler,  'dessen  Dasein  sich  im  Engen  und  Engsten 
abgespielt,  dessen  Wissen  und  Wirken  aber  die  weite  Welt  umspannt  hat'. 
Trotz  seiner  ausserordentlichen  Fruchtbarkeit  ist  dieser  gründliche  und 
vielbelesene  Gelehrte  nie  ein  Schriftsteller  geworden,  weder  dem  Umfang 
noch  der  Form  nach.  Reichliche  Beiträge  zu  Märchenausgaben,  Hunderte 
von  meist  kleineren  Aufsätzen,  Notizen  und  Besprechungen  liegen  von  ihm 
vor.  Abgesehen  von  dem  weiter  ausgreifenden  Yortrag  über  Art,  Ent- 
stehung und  Verbreitung  der  europäischen  Märchen  (1865)  und  einigen 
stoffgeschichtlichen  Abhandlungen  über  Griselda,  Genoveva  und  Hirlanda,. 
Eulenspiegel,  St.  Petrus  den  Himmelspförtner,  die  Balladen  von  der 
sprechenden  Harfe  und  den  eingemauerten  Menschen,  über  die  Märchen 
und  Allegorien  von  Glück  und  Unglück  u.  a.  sind  es  meist  überaus  wert- 
volle Zusammenstellungen  von  Parallelen.  Dieser  'Doktor  Allwissend'  war 
der  grösste  Kenner  von  Sagen,  Märchen  und  Schwänken  der  ganzen  Welt, 
die  er  in  ihren  Keimen,  Zusammenhängen  und  Veränderungen  gewissenhaft 
und  besonnen  verfolgte,  indem  er  nie  Hypothesen  versuchte,  sondern  nur 
unsere  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiet  ungemein  vermehrte.  Auch  über  Lieder, 
Sprüche,  Rätsel,  Sprichwörter,  Volksglaube  und  Brauch  verdanken  wir  ihm 
manche  fruchtreiche  Spende,  trotzdem  hat  er  die  Bezeichnung  Folklore 
nie  angewendet.  Dieser  rührend  bescheidene,  uneigennützige  Mensch  war 
von  einer  beispiellosen  Hilfsbereitschaft  den  Forschern  aller  Nationen 
gegenüber.  Aus  der  Fülle  seiner  kleinen  Schriften  wäre  viel  verschollen 
und  vergessen  worden,  hätten  sich  nicht  getreue  und  dazu  berufene 
Freunde  das  grosse  Verdienst  erworben,  seinen  handschriftlichen  Nachlass 
und  seine  wichtigsten,  an  abgelegenen  Stellen  erschienenen  Artikel  und 
Rezensionen  herauszugeben^). 

Von  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  an  tritt  eine  überaus  rege 
Tätigkeit  auf  allen  Gebieten  der  Volksüberlieferung  ein.  Darstellungen, 
methodologische  und  theoretische  Schriften,  Ausgaben  und  Sammlungen 
folgen  einander  in  ununterbrochener  Reihe  bis  zur  Gegenwart.  Die  Ge- 
danken und  Ergebnisse  Mannhardts  wurden  in  Forschungen  über  Mythen, 
Kulte  und  Sagen  fortgeführt.  Der  bedeutendste  von  Mannhardts  deutschen 
Schülern,  Elard  Hugo  Meyer  ist  durch  die  Bearbeitung  der  vierten  Auf- 
lage von  Jakob  Grimms  Mythologie  (1875  —  1878)  tiefer  in  diesen  Stoff 
eingedrungen,  obschon  er  hier  lediglich  die  Masse  von  Zitaten,  An- 
deutungen und  Einfällen    nach    ihren  Beziehungen  zum  Handexemplar  in 


1)  Erich  Schmidt,  Reiuhold  Köhler:  mit  einem  Verzeichnis  seiner  Schriften  (oben  2,. 
418  -  437).  —  R.  Köhler,  Aufsätze  über  Märchen  und  Volkslieder,  aus  seinem  handschrift- 
lichen Nachlass,  herausgegeben  von  Johannes  Bolte  und  Erich  Schmidt  (Berlin  1894).  — 
R.  Köhler,  Kleinere  Schriften  1 :  Zur  Märchenforschung.  2 :  Zur  erzählenden  Dichtung 
des  Mittelalters.  3:  Zur  neueren  Literaturgeschichte,  Volkskunde  und  Wortforschung,  hg. 
von  J.  Bolte  (Berlin  1898—1900).      Mit  reichen  Beiträgen  des  Herausgebers. 


304  Hauffen : 

Gruppen  zu  sondern  und  durch  Erläuterungen  und  Verknüpfungen  in  einen 
verständlichen  Zusammenhang  zu  bringen  hatte.  In  seinen  eigenen  Ar- 
beiten, .den  'Indogermanischen  Mythen'  (1883  und  1887),  bildete  er  das 
Kiihnsche  Periodensystem  weiter  aus,  gewiss  beeinflusst  von  den  inzwischen 
erschienenen  religionsgeschichtlichen  Schriften  Julius  Lipperts,  wo  zum 
erstenmal  Seelenglaube  und  Kult  als  Ausgang,  und  zwar  einseitig  als 
einziger  Ausgang  für  Mythenbildungen  aufgestellt  wird,  Meyer  nimmt 
mehrere  Schichten  an;  aus  dem  Seelenglauben  und  Totenkult  entwickele 
sich  eine  Verehrung  der  in  der  Natur  erscheinenden  Seelen,  also  Natur- 
dämonen, besonders  im  Sturm,  Gewitter,  im  Regenbogen  und  den  Ge- 
stirnen und  eine  dritte  Schicht,  nur  denkbar  bei  Völkern  mit  Ackerbau 
und  staatlicher  Kultur,  wo  Einzeldämonen  zu  Göttern  werden.  Er  über- 
schätzte aber  den  Dämoneuglauben  und  übertrug  später  diese  einseitige 
Auffassung  auf  sein  Lehrbuch  'Germanische  Mythologie'  (1891)  und  auf 
die  für  weitere  Kreise  berechnete  'Mythologie  der  Germanen'  (1903). 
Was  Meyer  versäumte,  der  Mythenbilduug  der  einzelnen  Stämme  und 
Landschaften  ihr  Recht  einzuräumen,  das  wurde  von  Ludwig  Laistner 
in  den  'Nebelsagen'  (1879)  eingehend  durchgeführt,  indem  er  bei  den 
Volkssagen  die  verschiedenen  mythischen  Erscheinungen  aus  der  Land- 
schaft erklärte  und  dadurch  deren  Zahl  vermehrte.  In  seinem  späteren 
Werke  'Das  Rätsel  der  Sphinx,  Grundzüge  der  Mythengeschichte'  (1889), 
berücksichtigte  er  auch  die  aus  dem  Traumleben  erwachsenen  Mythen. 

In  seinen  tief  eindringenden  mythologischen  Abhandlungen  beschäftigte 
sich  Karl  Müllenhoff  nur  mit  höheren  Mythen  und  betrachtete  die  Helden 
als  gesunkene  Götter.  Bei  den  mythischen  Quellen  ging  er  mit  ebenso 
strenger  Kritik  vor  wie  bei  den  literarischen  Denkmälern,  doch  seine 
Schlüsse  sind  oft  allzu  kühn.  Von  Müllenhoff  ausgehend,  wies  Karl  Wein- 
hold in  mehreren  Einzeldarstellungen,  die  sich  über  fünf  Jahrzehnte  hin- 
ziehen, auf  die  Wichtigkeit  der  Kulte  als  Wurzeln  für  Mythen  nachdrück- 
lich hin. 

Das  beste  zusammenfassende  W^erk  über  germanische  Kulte  rührt  von 
Heino  Pfannenschmid  her,  'Germanische  Erntefeste  im  heidnischen  und 
christlichen  Kultus  mit  besonderer  Beziehung  auf  Niedersachsen'  (1878). 
Trotz  dieser  landschaftlichen  Beschränkung  auf  dem  Titel  werden  hier 
auch  die  übrigen  deutschen  Stämme  und  germanischen  Völker  reichlich 
herangezogen.  Der  Verfasser  selbst  schöpfte  in  seiner  Heimat  Hannover 
aus  dem  Volksmund,  dann  in  Franken,  in  der  Pfalz  und  in  seinem  späteren 
Aufenthalt  im  Elsass.  Handschriftliche  Sendungen  aus  verschiedenen 
Landschaften,  Studien  in  Archiven  und  die  ihm  zur  Verfügung  stehende 
Literatur  bereicherten  seinen  Stoff.  Pfannenschmid  verfolgte  hier  eine 
ganz  besondere  Aufgabe,  die  Zeit  der  germanischen  Völker  in  ihrem 
Übergang  vom  Heidentum  zum  Christentum  an  Beispielen  darzulegen,  wo- 
für   ihm    die    Erntefeste    ihres    hohen  Alters    wegen    besonders    geeignet 


Geschichte  der  deutschen  Volkskunde.  305 

schienen,  und  hier  auch  zu  zeigen,  was  die  Kirche  von  heidnischen 
Bräuchen  aufgenommen  und  was  sie  ausgeschieden  hatte  und  wie  unge- 
mein viel  Heidnisches  sich  in  diesen  Festen  bis  zu  seiner  Zeit  noch  fort- 
pflanzte, das  als  unzertrennlicher  Begleiter  der  christlichen  Feiertage  auftritt. 
Wie  mehrere  seiner  Vorgänger  ist  auch  Pfannenschmid  der  Meinung,  dass 
diese  weltlichen  Belustigungen  zur  Gesundheit  des  Volkes  gehören,  und 
wünscht,  dass  sie  von  der  Kirche  nicht  lieblos  abgewiesen  und  von  der 
Obrigkeit  nicht  unverständig  verfolgt,  sondern  mit  Einsicht  geregelt  werden 
mögen.  Die  begründende  Darstellung  ist  von  den  umfänglichen  An- 
merkungen und  Ausläufen  getrennt;  Sach-  und  Ortsregister,  sowie  eine 
oenaue  Inhaltsübersicht  erleichtern  die  Benützung.  Eine  wertvolle  Er- 
gäuzung  dazu  bilden  die  Schriften  von  Ulrich  Jahn,  'Die  deutschen 
Opfergebräuche  bei  Ackerbau  und  Viehzucht'  (1884)  und  von  Alexander 
Tille,  'Die  Geschichte  der  deutschen  Weihnacht'  (1893).  Eine  ähnliche 
Aufgabe  wie  Pfannenschmid,  doch  nicht  so  gediegen  und  beweiskräftig 
führte  der  katholische  Kirchenhistoriker  Joh.  Nep.  Sepp  durch  in  seinem 
umfänglichen  Werke  'Die  Religion  der  alten  Deutschen  und  ihr  Fort- 
bestand in  Volkssage,  Aufzügen  und  Festbräuchen  bis  zur  Gegenwart. 
Mit  durchgreifender  Religionsvergleichuug'  (1890). 

An  allgemeinen  Darstellungen  von  Festen  und  Bräuchen  ist  kein 
Maugel.  Von  O.  v.  Reinsberg-Düringsfelds  unkritischer  bunter  Dar- 
stellung 'Das  festliche  Jahr  der  germanischen  Völker'  (1863)^)  über  die 
einziehende  und  in  gutem  Sinne  volkstümliche  Schrift  von  Julius  Lippert, 
'Deutsche  Festbräuche'  (1884)  und  die  Preisschrift  von  Rolfs  'Unsere 
Volksfeste'  (1896)  bis  zu  der  jüngsten  Erscheinung  'Feste  und  Spiele  des 
deutscheu  Landvolkes'  von  E.  Kück  und  H.  Sohnrey  (1009).  Doch 
diese  und  andere  verwandte  Darstellungen  beanspruchen  keinen  wissen- 
schaftlichen Wert. 

Während  vor  dem  Sagenbuch  der  Brüder  Grimm  nur  ungefähr  ein 
Dutzend  Sagensammlungen  erschienen,  folgten  von  1816  —  1830  mehr  als 
fünfzig  und  nach  dem  Erscheinen  von  Jakob  Grimms  Mythologie  in  dem 
Jahrfünft  bis  1840  allein  wiederum  ungefähr  fünfzig,  und  von  da  ab  bis 
zur  Gegenwart  ein  halbes  Tausend  deutscher  Sagensammlungen.  Wie  in 
den  vierziger  und  fünfziger  Jahren,  so  bringen  auch  jüngere  Sagen- 
sammlungen nebenbei  Bräuche  und  Volksmeinungen,  so  die  beiden  Aus- 
gaben von  A.  Birliuger  für  Schwaben  (1861  und  1873f.)  und  Karl 
Bartsch  für  Mecklenburg  (1879),  später  Karl  Reiser  für  das  Allgäu 
(1895)  und  J.  A.  Heyl  für  Tirol  (1897).  Erwähnenswert  wegen  des 
reichen  Bestandes  oder  wertvoller  wissenschaftlicher  Beigaben  wären  noch 


1)  Der  ungenannte  Verfasser  der  Neubearbeitung  (1907)  behält  den  völlig  veralteten 
Text  bei  und  fügt  nur  ganz  äusserlich  einiges  Neue  hinzu. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.   Heft  3.  20 


306  üörler: 

J.  W.  Wolf  für  Hessen  (1853),  Georg  Schambach  und  Wilh.  Müller 
für  Niedersachsen  (1855),  Ignaz  Zingerle  für  Tirol  (1859,  zweite  vermehrte 
Auflage  1891),  drei  Bücher  von  H.  Pröhle  für  den  Harz  (1854—1886),  August 
Stöber  für  das  Elsass  (1852,  wozu  erst  Kurt  Mündel  in  der  zweiten  ver- 
mehrten Auflage  [1892  bis  I896J  Quellen  und  Nachweisungen  hinzufügte), 
schliesslich  die  Sagenbücher  des  Preussischen  Staates  (1871)  und  des  König- 
reichs Sachsen  (1874)  von  J.  E.  Grässe. 

P^^S-  (Schluss  folgt.) 


Volkslieder  aus  Tirol. 

Gesammelt  von  f  Adolf  Dörler. 

(Vgl.  oben  S.  36—44.) 


14.   Erlebnisse  des  Senners  Klaus. 

1.  Kimm  i  hear  übarn  Brennar, 
Bia  a  schmutziger  Sennar, 

Hun  a  Bartl  wie  a  Goass. 

Madl,  mögst  nit  a  wissn,   wie  i  hoass? 

2.  Hoassn  tue  i  Klaus, 
In  Buggl  hun  i  a  Laus, 
Dö  Laus  hat  rai  bissn, 

Hat  mir  an  groassn   Schlempn  aussar  grissn. 

3.  Kimm  i  hear  vu  Trins, 

Hun  i  wölln  häbn  vu  sechs  Batzn  in  Zins, 
Hun  i  wölln  's  Kapital  a  no  habn, 
Häbn  s'  mi  bein  Doarf  ausgschlägn. 

4.  Kimm  i  hear  vu  Bamkirchn, 
Do  tian  sechs  Weber  wirchn, 

Häbn  Schnoatling  [Anschnitte  von  Sägebäumen]  einträgn, 
Und  mit  Drämml  [Stämmen]  häbn  se  's  Zuig  gschlägn! 
Madl,  mögst  nit  a  a  sölla  Brustigfleckl  häbn? 

5.  Kimm  i  hear  vu  der  Hall  er  Au, 

Hat  a  Weibele  die  Knödl  ungmächt  mit  ar  Hau, 

Mit  an  Knoschpen  [Holzschuh]  hat  sies  eini  gemächt!  — 

Hun  i  decht  gelacht. 

G.    Kimm  i  hear  äft  an  Georgn, 
Do  hun  i  300  Guldn  z'  erbn; 


"Volkslieder  aus  Tirol.  307 

Die  halbn  hun  i  verlumpt,  die  hälbn  versoffn, 
Die  halbn  hun  i  schien  Gitschnen  gschenkt; 
Zelm  hun  is  gar  z'n  ergstn  troffn^). 

7.  In  ändern  Tag  war  mers  hält  a  schieni  gangen, 
Hätt  i  gsollt  Hennen  hüetn,  so  war  i  nix  kann, 

Hun  i  gnoramen  an  Knüttl,  an  dickn  und  an  längen; 
Teuxl,  is  dear  Huhn  \u  der  Henn  dervun  gangen! 

8.  In  ändern  Tag  drau,  war  mers  a  schieni  gangen; 
Hätt  i  gsollt  Hennen  greifen,  so  war  i  nix  kann. 
Hun  i  oane  derwuschn  bein  ar  Griti; 

De  Henna  hat  unghebt  ze  tien  und  ze  schreidn, 
Do  hun  is  denkt:    När  lasch  es  bleibn! 

9.  Kimm  i  hear  vu  Keara, 

Do  singen  die  Leut  hintern  Heara  [Geistlichen], 
Do  häbns  mi  ungstellt  a  Böckl  ze  schneidn; 
Dös  Ding  hat  mi  unghebt  ze  derloadn 
Und  an  der  Lescht  gär  nit  meahr  z'  freudn. 

10.  Kimm  i  hear  zun  Tonigstöcklan, 
Begegnet  mir  an  älts  Weibele  mit  an  Böcklan. 

Des  Böcklan  hat  unghebt  ze  bachelen  und  ze  soachn, 
Dass  raer  hatt  kinnen  hundert  Elln  Tuech  bloachh. 
Nächar  is  no  a  Lackn  übrig  gebliebn, 
Dass  's  hatt  an  Stampf  und  a  Mühli  dertriebn. 

15.   Mein  Häusl. 

1.  Jetz,  Gitsche  [Mädchen],  ietz  werd  i 
Von  mein  Häusl  die  Wahrheit  sägn; 
Wenn  d'  es  mir  nit  glabst, 

Kannst  an  lustign  Buebn  frägn. 

2.  Mei  Häusl  ist  so  nett  und  angenehm  gebaut; 
Das  Dach  ist  von  ar  alten  Gitschenhaut, 

Der  Kamin  ist  von  ar  alten  Ruebn, 

Dianal,  du  magst  glaubn,  du  bekemmst  gwiss  an  alten  Buebn. 

3.  Die  Tür  ist  von  ar  lärchenan  Rindn, 
Die  hätt  i  bald  ängschürt  mit  Tabak  änzündn. 
Hinter  der  Stubntür 

Ist  a  Kätznschwoaf  statt  an  Riegl  vür. 

4.  Hinter  der  Ofnbänk 
Liegt  a  toati  Maus  kränk. 

Der  Groassknecht  muess  sie  kuriern, 

Und  die  Kuchldirn  muess  sie  aufs  Labl  [Abort]  führn. 

5.  Die  Ofnhöhla  ist  a  saggrisch  weit, 
Do  hat  Platz  a  paar  Leut; 


1)  Damit  hab  ichs  gar  am  besten  getroffen. 

20* 


308 


Dörler: 


Des  tuet  'n  Knecht  und  der  Dirn  taugn, 
Do  lässt  gär  die  Dirn  in  Knecht  atie  [manchmal]  die 

Knie  unschaugn. 

6.    Der  Ofn  ist  a  saggrisch  höh, 
Brauchet  a  Loater  zun  steign  auf  und  o, 
Aber  des  Dianal  lässt  si  lei  nit  derschreckn, 
Des  kiramt  ihr  oft  wohl,  Kindsblachelen  ze  drockn. 

16.   Das  zerbrochiie  Häusl. 


1.  0  Leutein,  was  i  ietz  derfährn, 
Des  könnts  enk  bildn  nit  ein, 

Die  Dürftigkeit  därfts  nit  spärn, 
AVie's  bei  meiner  Wirtschaft  tuet  sein: 

2.  Mai  Häusl  steaht  drobn  auf  der 

Leitn, 
Bin  a  koa  Stund  sicher  derbei, 
Obs  mir  nit  eher  tuet  reitn  [rutschen], 
Und  Spreitz  häts  a  schun  zwoa  drei. 

3.  Die  Haustür  ist  freilich  derbrochn, 
Seit's  baut  woarn  ist,  ist's  hält  soviel 

läng, 
Auf  'n  Heard  kunn  i  a  nimmer  kochn. 
Drum  fällt  mir  jetzt  alles  zusämm. 

4.  Die  Stubn,  die  muess  i  mir  ziern. 
Wenn  i  amäl  selber  derhoam, 

'n  Ofen  muess  i  a  no  aufführn, 

Häb  freilich  koan  Kälch  und  koan  Loam. 


8.  Und  in  Speisgwölm  ist's  gräd  wie 
in  Keller, 
Und    der  Geldbeutel   tuet    ällweil    an 

Scheller, 
Und  die  Kistn  sein  alle  so  rein, 
Wie  die  Kinder  in  der  Unschuld  tien 
sein. 

9.  Die  Kummer  [Kammer],    de  tuet 

no  älls  ziern, 
Es    tuet    freili    a    wieg    Schnea   eini 

führn. 
Weil  fast  nicht(s)  mehr  beianänd  hängt, 
Ist  der  Strohsäck  ganz   faul  bei   der 

Wand. 

10.  Der  Tennen,  älls  derbrochn. 
Es  ist  hält  älls  soviel  alt, 

'n  Heustock  ist  a  nimmer  ums  Lächn, 
Er  woass  a  koa  Stund,  wenn  er  fällt. 


5.  Die  Stüehl  und  die  Bank  und  die 
Sächn 
Toan  Referenz  voar  anänd  inächn. 
Und  wenn  mer  bein  Fenster  geaht  vir,     Und  melchen  zu  ander  Leut  giehn 
So  siecht  mer  kräd  's  bloasse  Papier. 


11.  Mit  Schleglen  [Butter  rühren]  dearf 
si  oane  nit  plägn, 
Kuehställ  hat  koaner  koan  Bodn; 
Se  muess  si  hält  drauf  verstiehn 


6.  Wenn  i  mei  Diandl  in  Keller  tue 

führn. 
So  ist  si  glei  kämmen  und  hat  zu  mir 

gseit; 
Dass  es  gär  nit  kunn  ausser  studiern, 
Was  es  bei  dear  Wirtschaft  ietz  treit. 

7.  Auf  der  Tafel  stiehn  drei  Metzn 

Rüabn, 
Sein  de  no  nit  sicher  voar  'n  Diebn, 
Und  unter  die  Mauern  herum. 
Da  häbn  die  Maus  ihrn  Sprung. 
(Oder:  Do  springen  die  Maus  umedum.) 


12.  Und  wenn  i  mein  Dianal  die  Feidung 

tue  zoagn, 
Wo  unsre  Peldung  tuet  stiehn. 
So  muess  se  mit  mir  ins  Boarn 
Und  Poln  und  Sachsn  und  Wien. 

13.  Da  gibt's  Acker  wohl  a  ganze 

Renkn 
Und  Mahder  wohl  a  g;inze  Flenkn, 
Und  essn  kunn  oane  kräd  gnueg, 
Wenn  oane  nu  's  Kochn  dertuet. 
Und  kochn  kunn  oane  kräd  gnueg, 
Wenn  oane  nu  's  Essn  dertuet. 


Volkslieder  aus  Tirol. 


309 


17.   Bettlerlied. 


1.  In  meiner  Stubn 

Do  geaht  der  Hm,  Hm,  Hm, 
In  meiner  Stubn, 
Do  geaht  der  Wind. 

2.  War  fast  derfroarn 
-Mit  Weib  und  Kind. 

3.  I  geah  bettlen, 
Und  du  geahst  mit. 

4.  I  nimm  'n  Bettel  sack 
Und  du  'n  Koarb. 

5.  I  geah  ins  Dörfl  ein 
Und  du  in  d'  Stadt. 


6.  I  bitt  a  Stückl  Broat, 
Und  du  an  Loab. 

7.  I  säg:    Vergelt's  Gott, 
Und  du  sägst  Dank. 

8.  I  kimm  in  Himmel, 
Und  du  in  d'  Höll. 

9.  I  bin  a  halber  Narr, 
Und  du  a  gänzer. 

10.  I  tue  gern  fluechn, 
Und  du    tuest  hm,    hm,    hm, 
Ich  tue  gern  fluechn. 

Und  du  no  lieber. 


18.   I  und  luei  Alte. 

1.  I  und  mei  Alte  alloan 

Häbn  in  Dächbodn  a  Kammerl  alloan, 
Do  häbn  mer  hält  ällm  a  Gfrett, 
Weil  mer  häbn  mitsammen  a  Bett. 

2.  Und  wie  si  hält  's  Mandl  umkeahrt. 
Liegt  di  Alte    schun  aussn   auf   der  Eard: 
Aber  Alte,  bleib  liegn  und  sei  stad! 

Jetz   hat   si   auf  oamal  die   Weltkugl   draht. 


19.   Lustig  ists  ßuebnlebn. 


1.  Lustig  ists  Buebnlebn, 
Derfn  koa  Steuer  nit  gebn, 
Derfn  koa  Geld  nit  zahln, 
Weil  mer  koans  häbn. 


3.  Lustig  ists  Bue  sein, 
I  tauschat  mit  koan  Hearru, 
Wenn  mi  's  Bue  sein  nimmer  freut, 
Kunn  i  Frühmesser  wearn. 


2.  Lustig  ists  Bue  sein, 
Voaraus  bein  Land, 
Wenn  oar  amäl  schlüpft. 
Hat  er  glei  wieder  Stand. 


4.  Wenn  i  Frühmesser  bin, 
Kunn  i  Beicht  hearn  a; 
Wenn  a  feins  Dienal  kimmt, 
Kunn  i  's  absolviern  a. 


20.  Das  wählerische  Mädchen  i). 


1.   Ich  hab   einst  ein   Mädchen   ge- 
hört, 
Die  hat  sich  am  meisten  beschwert, 
Sie  hat  alles  durcbkritisiert, 
Die  Männer  im  Lieben  probiert. 


2.  Es  war  ihr  fast  keiner  nit  recht, 
Sie  schildert  an  jeden  nit  schlecht. 
Drum  nenn  ich  sie  alle  so  dar, 
Und  höret  gefällig  mich  an! 


1)  Vgl.  Greinz-Kapferer  2,  70:    'Jatz  losts  und  seids  rüabig  und  fein'. 


310 


Dörler: 


3.  Der  Vincenz,  der  macht  ihr  zu 

viel  Gräm, 
Der  Siegmund  tut  z'  einfältig'  gehn, 
Der  Schorschl,  der  ist  ihr  zu  fromm, 
Der  Lipl  viel  z'  dalket  und  z'  dumm, 

4.  Der  Nazi  geht  z'  wenig  nach  der 

Mod, 
Der  Heinrich  ist  blass  wie  der  Tod, 
Der  Rochus  hat  Augen  wie  a  Drach, 
Der  Wilhelm  zu  viel  Ausländersprach, 

5.  Der  Ludwig,  der  schnupft  zu  viel 

Tabak, 
Beim  Loisl  gehts  bums  auf  das  Gnack, 
Dem  Karl  gings  gerne  zu. 
Der  kriegt  halt  die  andern  genug. 

6.  Vom  Gottfried  das  Köstl  ist  ihr 

z'  schwach, 
Beim  Florl  ist  s  Feuer  im  Dach, 
Beim  Toni  gehts  allweil  verkehrt. 
Der  Hansl  ghört  unter  den  Herd, 

7.  Der  Fritz  hat  z'  viel  Feuer  im 

Blut, 
Dem  Ulrich  wird  öfters  nit  gut. 
Der  Konrad  ist  ihr  zu  faul, 
Der  Michl  hat  's  Hölzl  im  Maul, 

8.  Der  Dominikus  geht  zu  wenig  zu 

der  Gailn, 
Der  Elias  zuckt  ihr  die  Feign, 
Der  Gabriel  wankelt  wie  a  Jad, 
Der  Wenzl  greift  z'  oft  auf  den  Hut, 


9.  Der  Ferdinand  hat  z'  wenig  in  Blech, 
Vom  Seppl  kriegts  alle  Tag  Schlag, 
Den  Ludwig,  den  möchts  weiter  nit, 
Der  gibt  Tag  und  Nacht  nie  koan  Fried, 

10.  Der  Anderl  ist  gschreckig  wie  a 

Ross, 
Beim  Wastl  ist  die  Gurgl  viel  z'  nass. 
Der  Christoph,  der  ist  ihr  zu  gross. 
Der  Valentin  schnarcht  wie  a  Ross, 

11.  Der  Nikolaus,  der  ist  ihr  zu  klein, 
Der  Poldl  ist  gar  wie  a  Stein, 

Der  Jakob,  der  ist  wie  a  Stock, 
Der  Lazarus  stinkt  wie  a  Bock, 

12.  Der  Simon,  der  ist  ihr  zu  keusch, 
Der  Eduard  z'  mager  im  Fleisch, 
Der  Petrus,  der  hat  ja  an  Glatz, 

Der  Quirin  ist  falsch  wie  a  Katz. 

13.  Jetzt  hab  ich  sie  alle  benennt, 
Damit  ihr  die  Mädchen  erkennt. 
Wie  zärtlich  im  Leben  sie  sind. 
Bis  eine  an  Liebhaber  findt, 

14.  Ists  Madl  ein  wenig  noch  jung, 
Sucht  sie  unter  die  Mannsbilder  um, 
Sie  braucht  bei  a  vierzig  gewiss, 

Bis  einer  ihr  anständig  ist; 

15.  Ists  Madl  amal  a  dreissig  Jahr, 
Und  sei  der  Bue  gar  hundert  Jahr, 
Und  wenns  auch  der  Teufel  selbst  war, 
So  müsst  er  als  Bräutigam  her. 


21.   Die  zehn  Alter  des  Menschen^). 

1.  Wie  sehr  wird  euch  dies  Lied  gefallen. 
Von  zehn  bis  hundert  angeführt. 

Und  in  diesen  Zehent  allen 

:,:  Das  Menschenalter  expliziert  :,: 

2.  Was  ist  der  Mensch  dann?    Ein  Meisterstück  aus 

Schöpfers  Händen, 
An  Körper  schwach,  an  Weisheit  blind; 
Mit  seinen  Gaben  und  Talenten 
Ist  er  bis  zehen  Jahr  ein  Kind. 


1)  Vgl.  über  die  menschlichen  Altersstufen  oben  ir»,  399  und  IT,  IG. 


Volkslieder  aus  Tirol. 

3.  Dann  bis  20:   Ist  er  ein  unerfahrner  Jüngling, 
Der  alles  wissen  und  können  will. 

Dann  kommt  die  Lieb,  macht  ihn  zum  Dümmling, 
Verdirbt  sein  ganzes  Lebensziel. 

4.  Dann  bis  30:   Ist  er  ein  Mann  aus  vollen  Kräften, 
Und  die  Vernunft  tritt  wirklich  ein; 

Ist  er  nun  glücklich  in  Geschäften, 
So  kann  er  sich  des  Lebens  freun. 

5.  Dann  bis  40:   Das  ist  die  schönste  Lebensstufe, 
Er  schaut  dem  Reichtum  in  den  Schoss; 

Ist  er  nun  glücklich  im  Berufe, 
So  ist  beneidenswert  sein  Los. 

(3.    Dann  bis  50:    Umschlungen  vom  Familienkreise, 
Wo  er  als  Vater  sich  erblickt; 
Dann  steht  er  still  in  seiner  Reise 
Und  lebt  zufrieden  und  beglückt. 

7.  Dann  bis  GO:    Da  sieht  man  schon  im  Angesichte, 
Dass  das  Alter  fängt  nun  an, 

Er  geniesst  die  süssen  Früchte 
Von  dem,  was  Guts  er  einst  getan. 

8.  Dann  bis  70:  Lebt  er  in  seiner  Eignen  Mitte 
Und  freut  sich  immer  noch  als  Greis 

Und  wirft  erziehungsvoll  die  Blicke 
Zurück  auf  seine  Lebensweis. 

9.  Dann  bis  80:    Da  geht  die  Weisheit  wiederum  zu 

Grunde, 
Er  bittet  täglich  Gott  den  Herrn 
Um  eine  frohe  Abschiedsstunde 
Und  lebt  noch  immer  herzlich  gern. 

10.  Dann  bis  90:    Ist  er,  was  er  einst  gewesen, 
Ein  Kind,  doch  andern  nur  zum  Spott, 

Da  sind  die  Worte  auserlesen, 
Er  lebt  bis  hundert  Jahr  vor  Gott. 

11.  Dann  bis  100:    Dies  Los  ist  wenigen  beschieden. 
Drum  lebet  allzeit  gut  und  fromm! 

Dann  bringt  es  euch  die  süssen  Früchte 
Hinüber  ins  Elysium. 

22.   Kinderreime. 

1.  Hott,  mei  Rössl,  hott,  mei  Braun,        2.  Zottl,  zott,  mei  Rössl  mein, 

Morgn  toan  mer  Haber  einbaun.  Wenn  mer  kloan  und  winzig  sein, 

Hott,  mei  Rössl,  hott,  Wenn  mer  grösser  wearn. 

Mir  reitn  in  die  Stadt,  Reif  mer  mit  die  Hearrn, 

Wo  die  grosse  Bäurin  ist.  Wenn  mer  uns  nit  traun, 

An  drei  Dutzend  Knödl  frisst.  Reit'  mer  mit  die  Fraun. 

Hott,  mei  Rössl,  hott,  Fraun  reitn  übern  Bach, 

Mir  reitn  in  die  Stadt.  I  und  's  NN  hintn  nach. 


311 


312 


Dörler : 


o.    Heia  dutscha  rutscha, 
Kaf  mer  a  silberne  Gutscha, 
Kaf  mer  a  Gutscha 
Und  sechs  Schimml  drun, 
Dass  i  und  mei  Büebl  fährn  kunn. 
Jetz  müess  mer  no  a  Rössl  bschlägn 


Und  derrait  auf  Halli  (Hall)  fahrn, 

Um  a  Massl  Meahl, 

Um  a  Massl  Salz, 

Um  a  Massl  Fisslkern, 

Die  frisst  's  Rössl  a  soviel  gern. 


23  bis  30.     Sternsinger-  oder  Klöpfelliederi). 

23. 

2.  „Die  Englang  tänd  singen, 
Die  Müettergöttes  tuet  spinnen, 
Die  Hiachlang  [Hirtlein]  tänd  blasen, 
Die  Schaf  lang  tänd  grasen." 

o.  Wenn  die  Schlüsselang  klingen, 
Wearn  s'  ins  bald  uane  Kloaperlang  [gedörrte  Äpfel  und  Birnen]  bringen. 
Wenn  die  Spridelang  [Holzscheite]  krachen, 
Wearn  s'  ins  bald  uane  Kiachlang  [Küchel]  hear  bachen. 

(Zell  am  Ziller.) 
24. 


1.  'Stumpfater  Besn, 
Wo  bische  gewesn?' 
„An  Himmelreich  öbn". 
'Was    tänd    [tun]    se    denn    öbn?' 


1.  'Jetz,  Joggl,  steah  gschwind  auf, 
Schloif  aussar  vun  Nest, 

Und  boat  [warte]  decht  nit  völlig 
Gär  all  weil  auf  d'  Lescht! 

2.  'I  hun  di  jo  schun 
A  zwoa  dreimal  geweckt. 
Jetz  nimm  i  äft  's  Rüetl, 
Wenns  Schrein  nit  kleckt  [hilft]!' 

3.  „Heut,  Väter,  heut  geistets, 
Geit  mer  gär  nie  koan  Fried. 
Noat  ist  nö  ietz  's  Aufstiehn 
Hält  decht  amäl  nit. 

4.  „Mir  häm  ins  jo  erst 
Nit  läng  niedergelegt, 
Ist's  eppar  erst  zwölfe? 
Jetz  wenns  meahr  schlägt." 

1.  Geahts,  lässts  enk  derzähln, 
Wie's  mir  ietz  ach  geaht: 
1  hed  [hatte]  hält  mit  Heiratn 
Viel  z'  fast  an  Gneat  [zu  sehr  Eile]. 


5.  'Du  wearst  müssen  föign, 
Wenn  ich  eppas  säg. 

Geah  schaug,  wie  's  liecht  ist, 
Ist  schun  umedum  Tag!' 

6.  „Jetz  Väter,  ietz  kimmt  mir  decht 

vir, 
Der  Himmel  brinnt  o. 
Es  ist  schun  an  Engel 
Um  d'  ßrändstuier  [milde  Gabe  für  die 

Abgebrannten]  do. 

7.  „Schau  Väter,  dort  kimmt  oar. 
Red  du,  frag  'n,  was  's  ist, 

Aber  hält  fein  höflach 
Redn  tue  sist  [sonst]!' 

(Zell  am  Ziller.) 


25. 


2.  Die  Zergl  verbrennt. 
War  noat  Strempflar  awaus. 
Die  Kräpfn  legts  ein 
Wie  a  trägende  Maus. 


1)  Diese  Lieder  variieren  dieselben  Motive  wie  die  von  Weinhold  (Weihnachtspiele 
und  Lieder  aus  Süddeutschland  1853  S.  399),  Hartmann  (Oberbayerisches  Archiv  34. 
1875),  Pailler  (Weihnachtlieder  aus  Oberösterreich  und  Tirol  1881-83),  Wackerneil  (Archiv 
f.  neuere  Sprachen  102,  1),  Leuwald  (ebd.  123,  397),  Ulr.  Schmid  (Walhalla  ö,  179), 
Schlossar  u.  a.  veröffentlichten  Weihnachtsgesänge. 


Volkslieder  aus  Tirol, 


313 


3.  Es  kam  raer  halt  vir, 
Wenn  i  kräd  a  Koch  [Mus]  kochn  kunnt, 
Es  blieb  hält  decht  wienigar 
Steckn  in  Schlund. 


4.  Wenn  sie  nit  so  füdisch  [spöttisch]  war, 
Decht  war  i  froah. 

Mächt  se  wegn  raei  noch  hundert  Jähr  lebn 
Oder  gär  nö  a  zwoa. 

(Zell  am  Ziller.) 


26. 


1.  Geahts,  lässts  enk  derz<ähln 
"n  heutign  Schei(n)! 

Die  Sunnen,  weils  Nacht  ist, 
Kunns  decht  schier  nit  sei. 

2.  Es  singen  die  Vögel 
Vun  Meer  bis  as  Tüx, 
Es  tänzn  die  Gans 

Und  kolt  (bellt;  der  Fuchs. 

3.  Die  Schaf  hebn  un  springen, 
Decht  gär  recht  verhöllt, 

Sie  hebn  un  tänzn, 

Dass'  die  Schwänz  aufn  schnellt. 

4.  Die  Gans  hebt  un  schrein, 
Dass  es  klumpacht  in  Haus, 
Und  die  Hennen  de  mächens 
Schier  nö  bos  awaus. 

5.  Und  äft  sitzt  si  die  Graue  [Henne] 
Hält  recht  hintn  u(n) 


Und  schreit,  was  sie  Kraft  hat, 
Was  giggerihu. 

6.  Ist  der  Heiland  geboren 
Do  untn  an  Stall, 

Was  müss  mer  gien  eppar  [denn  etwa] 
Bringen  amäl? 

7.  A  näglnuis  Spatl, 
A  Bital  do  drein, 

Des  wur  hält  den  Kindl 
Wohl  uständig  [passend]  sein. 

8.  Des  fälschate  Kitzl 
Und  's  scheckate  Lamm, 
Und  äft  nö  dessn  Huhn 
Mit  'n  zwislign  Kämm. 

9.  Toll  braun  presste  Knödl 
Und  an  Pfensar')  oben  drauf, 
Des  gait  hält  die  Bäurin 

n'  Jöppl  nö  auf.  (Tuxer  Tal.) 


27. 


1.  S  Liedl  is  gsungen 
Und  s  Kreuzarl  is  gwungen; 
Wear  s  Kreuzarl  nit  geit. 
Hat  'n  Kreuzerles-Neid. 

2.  S  Liedl  is  gsungen, 
Dauert  nimmar  längar, 

Und  die  Muetter  schupft  Nudl', 
Die  längstn  Drümmar. 

3.  S  Liedl  is  gsungen. 
Und  's  Gsatzl  is  aus, 


Jetz  kuglt  's  Madl 
Übars  Roandl  abaus. 

4.  Kimmt  der  Bua, 
Schaugt  ihr  zua. 
Lacht  sie  brav  aus. 

5.  Die  Nudl  aufn  Heard 
Sein  in  Wässer  gebächt! 
Hat  der  Huhna  drein  gaget, 

Häts  assigar  [schmackhafter]  gmächt. 


28. 


1.    Heut  ist  die  erste  Klopf Inächt'-), 
0  heut  is  kalt. 

Wenn  ihr  uns  ebbes  geben  woUts, 
0  so  gebts  uns  bald! 


1)  Pfensar  =  über  die  Speise  gegossenes  heisses  Schmalz. 

2)  Vgl.  Erk-Böhme  :'..  Kil  nr.  1273. 


314  Uöiier: 


2.    Jetzt  hab  i  hören  das  Schlüssele  klingen, 
I  glaub,  man  wird  uns  ebbes  bringen, 
Sei  es  an  Zelten  oder  a  Wurst, 
Das  hilft  für  'n  Hunger  und  für  'n  Durst. 

29. 

1.  Ich  tret  herein  recht  knödelfest. 
Ich  grüss  den  Herrn  samt  seine  Gäst^). 
Ich  grüss  den  Herrn  samt  seine  Goass, 

I  möcht  gern  wissn,  wie  die  Hausfrau  hoasst. 

2.  Die  Hausfrau  hoasst  Anna  Pfefferkern, 
Den  Weihnachtszelten,  den  ess  i  gern. 

Den  Weihnachtszelten,  der  war  schon  guet, 

Wenn  mer  von  die  Weinbeern,  Mandeln  und  Zibebn  drein  tuet. 

3.  Bin  is  der  Türk  und  du  der  Schweizer, 
Krieg  i  an  Zeltn  und  du  an  Kreuzer. 

Aha,  do  hun  i  schun  hearn  die  Schlüsselang  klingen, 

Do  wird  mir  die  Bäurin  gwiss  a  vier  a  fünf  Kreuzer  bringen. 

4.  Na,  na,  do  krieg  i  schun  gär  a  Stuck  Zeltn! 

(Nun  fängt  der  Sternsinger  an  zu  radeln,  d.  h.  er  setzt  den 
goldenen  Stern  auf  dem  Stecken  in  kreisende  Bewegung.) 
Und  ietz  isch  es  aus  und  ietz  isch  es  gär, 
Jetz  wünsch  i  dem  Bauer  a  glückseligs  neus  Jähr! 

5.  Und  ietz  isch  es  aus  und  ietz  isch  es  gär, 
Jetz  wünsch  i  der  Bäurin  a  glückseligs  neus  Jähr! 

(Ebenso  allen  anwesenden  Familienmitgliedern.) 

30. 

1.  Heut,  Bauer,  sein  mer  ach  amäl   do, 
I  wünsch  dir  nur  recht  a  guets  Jähr; 

Die  Hennen  legn  a  recht  toll. 
Die  Gans,  de  sein  federvoll, 
Weard  's  Bett  a  schien  lind 
Und  auf's  Jähr  a  schiens  Kind. 

2.  Jo,   Bauer,   hast  du  an  schien   Stier, 
Der  versieht  dir  wohl  fleissig  die  Küeh; 
Die  Küeh  die  wearn  alle  früeh  [kälbern] 
Do  gibts  a  Milch  was  wie. 

Die  Sau  tuet  a  schiene  gleich  [gedeiht  auch  gut], 
Wearn  mer  stuenewegs  reich. 

3.  Die  Töchter  sein  woltei  z'  hoach  drun, 
Hun  öfter  schun  sägn  gheart  dervun, 

Jo  de  sein  lieb  und  fein, 
Lässn  Buebn  aus  und  ein. 
Gär  a  zwoa  drei 
Sein  all  Nacht  derbei. 


1)  Vgl.  Schlossar  S.  41. 


Volkslieder  aus  Tirol.  .  315 

4.    Jo,   Bauer,   hast  du   frische  Buebn, 
De  wächsn  nett  auf  wie  die  Ruebn. 
Jo,  des  sein  frische  Leut, 
Gehn  die  Nacht  auf  d'  Weit, 
Beim  Tag  do  liegns  hear, 
Jo,  was  willst  du  no  meahr?  (Tuxer  Tal.) 

31.  Neujahrslied. 

1.  Merk  fleissig  auf,  mein  frommer  Christ, 
Ein  guts  neus  Jahr  vorhanden  ist, 

Ein  guts  neus  Jahr  kommt  auch  herein, 
Wir  Menschen  sollen  fröhlich  sein. 

2.  Das  alte  Jahr  vergangen  ist. 
Wir  danken  dir,  Herr  Jesus  Christ, 
Dass  uns  hast  in  grob  Gefahr 

So  gnädig  uns  behüt  dies  Jahr. 

3.  Wir  wünschen  dem  Herrn  Hauswirt  im  Ehestand 
Ein  guts  neus  Jahr  von  Gotteshand, 

Wie^der  Hausfrauen  alsogleich 

Ein  guts  neus  Jahr,  den  gesunden  Leib, 

4.  Wie  auch  der  Jugend  Sonderheit. 
Gott  Vater  der  Barmherzigkeit, 

Gott  wird  euch  geben  ein  guts  neus  Jahr, 

Wie  das,  was  in  Gnad  uns  gewähret  war.        (Wolfurt.) 

32.  St.  Antonius. 

Reponsorium  zu  dem  heiligen  Antoni  von  Padua,   so    zu    betten    ist,   wenn    man    in 
Unglück  kommet  oder  was  verliert  oder  gestohlen  wird. 

Wer  Wunder  sucht  und  Zeichen  will,  Er  vielen  wiederbringen  tut. 

Bei  Sankt  Antoni  findt  er  viel;  Die  Gefahr  hört  auf,  die  Not  vergeht. 

Der  Tod,  der  Irrtum,  Aussatz,  Not,  Sein  Lob  in  Padua  ewig  besteht. 

Weicht  ab  von  dannen  gar  geschwind.  Ehr  sej  dem  Vater,  Sohn 

Wo  er  Antoni  Fürbitt  findt.  Und  heiligen  Geist  im  höchsten  Thron. 

Die  Kranken  werden  auch  zur  Stund,  Heiliger  Antoni,  du  edler  Beichtiger,   bitt 
Da  sie  ihn  bitten,  frisch  und  gesund.  für  mich. 

Das  Meer  wird  still,  die  Eisenband  Dass  ich  der  Verheissung  Christi  teilhaftig 
Erbrechen  sich  ohn  alle  Hand.  werde  durch  dich.    Amen. 

Verlornes  Geld,  verlornes  Gut 

(Aus  einer  Abschrift  eines  sog.  Gertraudi-Büchels  vom  Jahre  1504.) 

33.   Abschied  vom  Leben'). 

1.  Ach,  muss  ich  denn  allein  davon  2.  Ich  tu  ein  Reis,  die  niemand  weiss; 

Und  weiss  nicht,  welche  Strassen!  Gott  weiss,  wie's  wird  noch  gehn. 

Ins  Grab  bin  ich  gerichtet  schon,  Herr  Jesu  Christ,  mein  Zuflucht  bist, 

Die  Welt  muss  ich  verlassen.  Mir  tröstlich  wollst  beistehn! 


1)  Vgl.  im  allgemeinen  Blümml,   Germanische  Totenlieder   (Archiv  f.   Anthropologi< 
n.  F.  5,  149- 181). 


316 


Dörler:    Volkslieder  aus  Tirol. 


3.  Behüt  eucli  Gott,  all  Freunde  mein, 
Euch  Nachbarn  und  Bekannte, 
Gevatters  auch  und  Eltern  mein 

Und  alle  Blutsverwandte! 

4.  Hab  ich  was  wider  euch  geredt, 
Ach,  tut  mir's  doch  vergeben. 

Denkt  nicht  mehr  dran,  was  ich  getan, 
Wünscht  mir  das  ewig  Leben! 

5.  Ihr  Brüder,  Freund,  die  mir  lieb  sind, 
Von  euch  muss  ich  abscheiden. 
Gedenket  mein,  wann  ich  werd  sein 
Vielleicht  dort  in  dem  Leiden! 

6.  Wann  ich  werd  sein  in  schwerer  Pein, 
Tut  fleissig  für  mich  beten! 

Ihr  werdt  den  Lohn  bekommen  rein. 
Wenn  ihr  mich  werdt  erretten. 


7.  Die  hier  allda  beisammen  sein 
Und  mir  das  Gleit  tut  geben. 

Mein  Freundschaft  und  Geschwisterten 
Und  ihr  alle  Träger  eben, 

8.  Hab  ich  euch  etwas  Leids  getan, 
Ach,  tut  es  mir  verzeihen! 

Bet't  all  für  mich!    Glaubt  sicherlich, 
Gott  wird  euch  Gnad  verleihen. 

9.  Ich  nimm  Urlaub  von  euch  allhier, 
Ihr  Alte  und  auch  Junge, 

Der  Tod  hat  gwart't  vor  meiner  Tür, 
Bis  er  mich  hat  bekommen. 

10.  Von  allen  mein  geliebten  Freund, 
Die  ich  jetzt  nur  verlasse. 

Macht  euch  bereit,  gebt  mir  das  Geleit 
Zu  meiner  Ruhbett-Strasse! 


34.   Die  Hölle. 

1.  Ei,  ei,  ei,  wie  leben  jetzt  die  Leut        7.  Im  zweiten  Zimmer  obendrein 


So  lustig  und  fidel! 

Kein  Mensch  denkt  an  die  Ewigkeit, 

Kein  Mensch  denkt  an  die  Höll. 

2.  Ich  sah's  wohl  deutlich  bei  der  Nacht 
In  einem  Traum  einmal. 
Ja,  Teufel  gibt  es  in  der  Höll 
Viel  tausend  an  der  Zahl. 


Gibts  Weiber  ohne  Zahl, 
Da  treibt  der  Teufel  Luzifer 
Mit  ihnen  spezial. 

8.  Der  Teufel  hat  die  grösste  Furcht 
Und  traui  sich  nicht  daran, 
Er  hängt  ein  jeder  ein  Schloss  ans  Maul, 
Sie  ihn  nicht  beissen  kann. 


3.  Beim  Höllentor  da  steht  a  Wacht,  9.  Auch  hab  ich  in  der  untern  Welt 

Potz  tausend  saperaraent!  Viel  Bäcker  dort  erblickt. 

Der  hat  ganz  feurige  Stiefel  an,  Ein  Teufel  ist  dort  angestellt, 

Der  Rock  der  ist  verbrennt.  Der  sie  beständig  zwickt. 


4.  Der  Stuhl  der  ist  ganz  feuerrot, 
Da  sitzt  der  Teufel  drauf. 

Und  kommt  aso  a  Jungfraupost, 
Macht  er  das  Tor  gleich  auf. 

5.  Im  ersten  Zimmer  unten  drin 
Ein  Geissbock  und  ein  Scher, 

Da  dacht  ich  mir  beim  ersten  Blick, 
Die  Schneiderzunft  es  war. 


10.  Sie  zwicken  auch  auf  dieser  Welt 
Von  jedem  Laibchen  Brot, 

Drum  zwickt  sie  auch  der  Teufel  dort 
Für  jedes  bare  Lot. 

11.  Auch  Schuster  gibt  es  in  der  Höll, 
Der  Teufel  schaut  nur  zu, 

Da  flickt  der  Meister  und  der  Oberg'sell 
Dem  Teufel  die  alten  Schuh. 


G.  Ja,  Schneider  ein  ganzes  Regiment        12.   Hantierer  gibt  es  allerhand, 

Dabei  sind  gross  und  klein;  Kurz,  jeder  Handwerksmann. 

Ein  jedes  gstohlne  Fleckl  brennt,  Der  Teufel  hat  die  grösste  Freud, 

Das  ist  die  Schneiderspein.  Wenn  er  nur  zwicken  kann. 

Nachtrag-  zu  S.  üG,  nr.  4:  'Als  der  liebe  Gott  die  Welt  erschaffen';  vgl. 
John  Meier  zu  Grolimund,  Volkslieder  aus  dorn  Kanton  Solothum  1910  nr.  55.  —  S.  39  nr.  2: 
Wie  die  Braut  sein  soll.    Auch  bei  Grolimund  nr.  51.   —    S.  41  nr.  5:    'Schenke  mir 


Schell:    Kleine  Mitteilungeii.  317 

ein  Angedenken'  rührt  von  Cordes  her:  vgl.  John  Meier,  Kunstlieder  im  Volksmund 
nr.  190.  —  Nr.  G.  Dies  'Bruchstück  eines  Frauzoseuliedcs  ist,  wie  Herr  Professor 
Dr.  E.  F.  Arnold  in  Wien  freundlich  mitteilt,  die  arg  verstümmelte  7.  und  5.  Strophe 
eines  dem  Jahre  1813  (nicht  1809)  entstammenden,  ziemlich  langen  Gedichtes,  das  uns 
dreimal  überliefert  ist:  bei  Peternader,  Tirols  Landes -Verteidigung  2,  54  (15  Strophen), 
in  der  Kufsteiner  Festschrift  1893  S.  38  (14  Str.)  und  in  F.  F.  Kohls  Echten  Tiroler- 
Liedern  S.  2r)l  (nur  4  Str.  mit  Siugweise).  Das  aus  der  Gegend  von  Kufstein  oder 
St.  Johann  stammende  Lied  beginnt  bei  Peternader:  'Jetzt  sing  ich  noch  eins,  Wenn  ich 
gar  nimmer  möcht".  Näheres  ündet  sich  bei  R.  F.  Arnold  und  K.  Wagner,  Achtzehn- 
hundertneun, die  politische  Lj'rik  des  Kriegsjahres  (Wien  1909)  S.  439—443.  —  In  dem 
Trinkliede  nr.  9  sind  die  Strophen  4—5,  wie  flerr  Prof.  Dr.  John  Meier  in  Basel  uns 
nachweist,  von  K  ob  eil  (Schnaderhüpfln  S.  31  nr.  95  und  96)  verfasst. 


Kleine  Mitteilungen. 


Der  Klingelstock  der  Hirten. 

Auf  einem  Teil  des  Westerwaldes,  namentlich  bei  den  Ortschaften  Maxein, 
Freilingen  usw.,  bedienen  sich  die  Hirten  noch  heute  vereinzelt  eines  Instrumentes, 
das  im  allgemeinen  jetzt  sehr  selten  im  Gebrauch  sein  dürfte;  es  wird  die  Heck- 
genannt  (Fig.  1).  Dieselbe  besteht  aus  einem  Haselstock  von  V4  '«  und  mehr 
Länge,  welcher  einen  starken  Ast  aufweist;  letzterer  wird  seiner  Spitze  beraubt 
und  dann  mit  Draht  an  dem  Hauptstabe  befestigt,  in  die  so  gebildete  Schlinge 
hängt  man  mehrere  Eisenringe.  Fügen  sich  nun  die  Tiere  den  Anordnungen  des 
Hirten  nicht,  so  rasselt  er  mit  der  Heck  oder  wirft  diese  nach  dem  betreffenden 
Tier.  Die  Heck  ersetzt  dem  Hirten  mithin  den  sonst  üblichen  Stab,  aber  auch  den 
Hund.   Der  letztere  Umstand  fällt  auf  dem  armen  AVesterwald  immerhin  ins  Gewicht. 

Auch  in  Westfalen  muss  dieses  Instrument  einst  bekannt  gewesen  sein. 
Fr.  Woeste  (Wörterbuch  der  Westfälischen  Mundart)  bemerkt  nämlich:  'Klinge,  f. 
1.  Hirtenstab  mit  Ringen,  Synonyma  Krummelte,  Ringelbengel'.  Und  weiter: 
Krumm elte,  f.  Hirtenstab  (Fürstenb.)  Syn.  Krümmel  (W^aldeck).  [Vgl.  Woeste, 
Zs.  f.  dtsch.  Mythol.  3,  304  und  Grimm,  DWb.  5, 1176:  Klinge,  Klingelstock.] 

[In  der  Mark  Brandenburg  begegnet  die  Klimperkeule  oder  Klimper- 
büsse  in  der  Hand  der  Pferdehirten.  Das  unter  Nr.  2  nach  einer  Photographie 
von  Herrn  Dr.  K.  Brunner  abgebildete  Exemplar  hat  Herr  W.  v.  Schulenburg  der 
königl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin  überwiesen;  vgl.  seine  Be- 
schreibung im  Archiv  der  Brandenburgia  11,9  f.  100  (1904).  Auch  Schmidt  von 
Werneuchen  erwähnt  sie  in  seinem  Gedichte  'Frühlingstag  auf  der  Dorfpfarre" 
(Calender  der  Musen  und  Grazien  1796,89  =  Archiv  der  Brandenburgia  8,  24. 
1891):  „Wo  der  Pferdehirte  mit  eisernen  Ringen  am  Knüppel  |  Seiner  Heerde  ge- 
beut i)."  —  Der  'Hirtenstock  mit  Klingel'  ist  nach  A.  Treichel  (Zs.  f.  Ethnologie  21, 
Verh.  1889,  S.  749)  auch  in  Westpreussen  und  nach  Dr.  K.  Brunner  in  Litauen 
üblich.     A'om  Starnberger  See  stammt    ein   im  Hamburger  Museum  für  Völker- 


1)  [Sollten  nicht  auch  die  'wilden  Klapperstöcke'  in  Goethes  Erster  Walpurgisnacht 
(1799)  hierher  zu  ziehen  sein?  „Kommt,"  ruft  der  heidnische  Brockenwächter,  „mit  Zacken 
und  mit  Gabeln  |  und  mit  Glut-  und  Klapperstöcken  |  lärmen  wir  bei  nächtger  Weile."] 


318 


Schell,  Bolte: 


künde  befindliches,  anscheinend  verkürztes  Exemplar  aus  Weichselholz  und  Eisen,, 
von  dem  mir  Herr  Prof.  Dr.  K.  Hagen  freundlichst  eine  Zeichnung-  sandte  (Fig.  3). 
In  der  Schweiz  dagegen  ist  laut  Mitteilung  von  Herrn  Prof.  Dr.  E.  Hoffmann- 
Krayer  das  Gerät  nicht  bekannt.  —  J.  B.] 

Ferner  vermag  ich  den  Klingelstock  im  skandinavischen  Norden  nachzu- 
weisen. H.  F.  Peilberg  (Dansk  Bondeliv,  Köbenhavn  1889,  S.  177)  bringt  eine 
Abbildung  von  diesem  Werkzeug  aus  der  schwedischen  Provinz  Schonen  (ehemals 
dänischem  Besitze)  und  gibt  dazu  folgende  Beschreibung:  „Ausser  dem  Hörn  hatte 
der  Hirte  auch  einen  Ringlestav  oder  Ranglestock,  einen  kurzen  Stab  mit  einem 
dünnern  Stock,  hier  auf  dem  Bilde  (vgl.  Fig.  4)  von  Eisen  und  festgemacht  an  der 
Seite.  Auf  dem  dünnen  Stab  war  eine  ganze  Reihe  rasselnder  Eisenringe  ange- 
bracht.    Wenn  ein  Stück  Vieh    die  Herde    verlassen    wollte,    warf   der  Hirte  den. 


Fig.  1.  Heck 

(Westerwald), 
85  cm  lang. 


Fig.  2.  Klimperkiile 

(Mark  Brandenburg), 

(51  cm  lang'. 


Fii 


.  3.  Vom  Starn- 
berger  See, 
46  cm  lansr. 


Fig.  4.  Ringlestav 
(Schonen). 


Stab  nach  ihm.  Das  Vieh  gehorchte  dann  ebensogut,  als  es  in  unsern  Zeiten  dem 
Hunde  gehorchte.  Es  war  auch  ein  starker  Lärm,  welchen  solch  ein  Stab  machen 
konnte,  wenn  er  dahinsauste  (Skattegraveren  6,  95  nr.  85;  vgl.  das  Märchen  ebd. 
6,  110.     Kristensen,  Jyske  Folkeminder  5,  132)." 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Haselstock  ursprünglicher  und  be- 
deutsamer ist  als  der  halbeiserne  Rasselstock  des  skandinavischen  Nordens,  welcher 
wohl  nur  aus  praktischen  Rücksichten  später  an  des  ersteren  Stelle  trat.  Als  ich 
einen  Mann  vom  Westerwalde  fragte,  warum  die  Heck  nur  aus  einer  Haselstaude 
gemacht  würde,  meinte  er,  dieser  Stock  eigne  sich  am  besten  dazu.  Das  dürfte 
aber  nicht  ganz  zutreffen,  denn  die  Hainbuche  (ebenfalls  die  Eberesche)  ist  nach 
vielen  Richtungen  hin  vorzuziehen.  Der  Grund  liegt  tiefer  und  dürfte  sich  aus 
der  besondern  Bedeutung,  welche  der  Hasel  im  Volksglauben,  vor  allen  Dingen  in 
bezug  auf  das  Vieh,  beigemessen  wird,  ergeben.  Darüber  hat  sich  u.  a. 
K.  Wcinhold  (oben  11,  8 ff.)  ausführlich  verbreitet.  Wir  dürfen  wohl  annehmen, 
dass  der  Klingelstock  in  ein  hohes  Alter  hinaufreicht.  Jedenfalls  wäre  es  von, 
Interesse,  das  Vorkommen  desselben  weiter  zu  verfolgen. 

Elberfeld.  Otto  Schell. 


Kleine  Mitteiluns-en. 


31<> 


Zu  dem  christlichen  Warnungsbriefe. 

Eine  handwerksmässige  Kopie  des  oben  S.  61  beschriebenen  Frankfurter 
Blattes  bietet  eine  um  1860  entstandene  kolorierte  Neuruppiner  Lithographie 
(21,5  :  27,3  cm),  die  mein  Bruder,  Pastor  Gotthard  Bolte,  im  Dorfe  Briesen  bei 
Cottbus  auffand  und  mir  mitteilte.  Die  Bilder  sind  schlechter  gezeichnet,  die  Verse 
durchweg  abgeändert. 


1.  Vorderseite  mit  der  Adresse: 
Einen  Brief  an  mich  u.  Dich 

Laß  mich  Freund  Dir  überreichen, 

Lies  ihn  Dir  bedächtiglich 

Und  beachte  seine  Zeichen. 

Nicht  zur  Kurzweil,  nicht  zum  Scherz, 

Nein  zum  Segen  für  Dein  Herz, 

2.  Bild:    Adam  im  Paradiese. 
Gott  schuf  den  Menschen  ihm  zum  Bilde, 

Zum  Bilde  Gottes  schuf  er  ihn. 
Zu  seines  Spöpfers  f!]  Huld  und  Milde 
Sah  er  sich  Freud  u.  Wonne  blühn. 
Voll  Unschuld  könnt'  er  ohne  Grauen 

3.  Bild:    Adam  und  Eva  mit  der 
Ach  wider  Gottes  heil'gen  Plan, 

Das  Prüfungswort  der  Liebe, 

Liebt  sich  im  falschen  Glückeswahn 

Die  Macht  bethörte  Triebe. 


Denn  er  zeigt  im  Ueberblick, 
Was  da  gilt  uns  Menschen  allen, 
Wie  wir  aus  dem  höchsten  Glück 
In  das  tiefste  Leid  gefallen, 
Zeigt  den  Weg  zum  Höllenpfuhl 
Und  den  Weg  zu  Gottes  Stuhl. 


Ihm  allezeit  ins  Antlitz  schauen. 
Des  Paradieses  reines  Glück 
Stell  sich  hier  dar  vor  Deinem  Blick. 
Der  Mensch  ein  Herr  der  Creatur 
Empfand  hier  keines  Leidens  Spur. 

Schlange. 

Vom  Schlangenwort  der  Lust  versucht, 
Vergällt  der  Mensch  durch  ihre  Lust 
Sein  Glück,  sein  Herz  u.  Leben. 


4.    Bild:    Christus  am  Kreuz, 
0  Menschenkind,  o  Menschenkind! 
Sieh  hier  die  Folgen  deiner  Sund, 
Du  hast  den  Tod  verdient. 
Da  zahlet  selbst  der  Herr  der  "Welt 
Sein  Blut  am  Kreuz  als  Lösegeld, 
Und  du  wirst  Gott  versühnet. 
Für  solche  Liebe  deines  Herrn 
Sei  dankbar  stets  u.  folg  ihm  gern 


darunter  Maria,  Johannes  und  Magdalena. 
Mit  liebentflammtem  Herzen. 
Wer  seinen  Geist  hier  widerstrebt 
Und  ohne  Scheu  der  Sünde  lebt, 
Der  wird  sein  Heil  verscherzen. 
0  Menschenkind,  o  Menschenkind! 
Bedenk  dein  Heil,  verlaß  die  Sund, 
Sonst  wird  dich's  ewig  schmerzen! 


.5 — 7.  Ein  Menschenpaar  in  modischer  Tracht;  doch  steht  diesmal  der  Mann 
(in  blauem  Rock,  einen  Cylinderhut  unter  dem  Arm)  auf  der  linken  Seite  neben 
dem  schmalen  Wege,  die  Dame  rechts  neben  der  breiten  Pforte. 

5.  Die  Pforte  ist  eng  und  der  "Weg  ist  schmal,  der  zum  Leben  führet,  u.  wenig 
sind  ihrer  die  ihn  finden.    Matth.  7,  14. 

Mein  Jesus  macht  mir  offenbar. 
Die  Lebenspforte  sei  sehr  enge. 
So  reiche  mir  nur  Kräfte  dar, 
Daß  ich  mich  bücke,  schmieg  u.  dränge, 
Und  mache  mich  von  Sünden  frei, 
Damit  der  Eingang  leichte  sei. 
"VVer  mir  nachfolgen  will,    der  verläugne    sich    selbst  u.    nehme  sein  Kreuz  auf  sich 
täglich  u.  folge  mir.     Luca  Cap.  9.  23—26. 

6.  Die  Pforte  ist  weit  und  der  Weg  ist  breit,  der  zur  "Verdammniß  abführet  u.  ihrer 
sind  viele  die  darauf  wandeln.     ]\[atth.  7.  v.  J3. 


Mein  Jesu  spricht:    Der  Weg  ist  schmal, 
Der  uns  in  jenes  Leben  führet, 
Und  deren  wenig  an  der  Zahl, 
Die  man  auf  solchem  Pfade  spüret. 
Laß  mich  mein  Gott  bei  denen  stehen. 
Die  mit  der  kleinen  Heerde  s-ehn. 


320 


Bolte,  Behrend: 


Sagt  Jesu  Mund,  der  Weg  ist  breit, 
Der  Viele  zur  Verdammniß  leitet, 
Und  zeigt  er  mir  die  Pforte  weit, 
Durch  die  man  in  die  Hölle  schreite. 
Ach  so  bewahre  meinen  Fuß, 
Daß  er  den  Abgrund  scheuen  muß. 


Sieht  Jesu  Auge  ihrer  viel 

Auf  diesem  breiten  Wege  gehen, 

So  lasse  mich  ein  ander  Ziel 

In  meinem  Wandel  vor  mir  sehen. 

Mein  Jesus  sei  mir  Pfort  und  Bahn, 

Daß  ich  den  Himmel  finden  kann. 


Die  Welt  vergehet  mit  ihrer  Lust,   wer  aber  den  Willen  Gottes   thut  der  bleibet  in 
Ewigkeit.     1.  Joh.  2.  v,  17. 

7.   0  Menschenkind  voll  Eitelkeit,  Gedenke  deiner  Sterblichkeit, 

Was  hilft  es  dir  in  dieser  Zeit,  Und  du  wirst  vor  dir  selbst  erschrecken. 

Mit  Putz  u.  Flieder  [!]  dich  zu  decken? 

Herr    lehre    uns   bedenken,    daß    wir    sterben   müssen,    auf   daß    wir    klug   werden. 
Psalm  90,  12. 


9.    Unter  den  halb  zu  Gerippen 

Ein  kurzer  Schritt  ist  nur  dahin. 
Wo  ich  der  Würmer  Speise  bin. 
Dies  will  ich  stets  bedenken 
Und  in  der  flüchtigen  Sterbenszeit 
Den  Blick  von  Tand  u.  Eitelkeit 
Hinweg  auf's  Ew'ge  lenken. 


verwandelten  Menschengestalten  steht: 

Was  nützen  Schätze,  Putz  u.  Pracht? 
Wir  haben  hier  nichts  mitgebracht 
Und  werden  nichts  mitnehmen. 
"Wer  das  bedenkt  in  seiner  Seel, 
Der  wird  die  sündig  Leibeshöhl 
Zu  putzen  sich  nur  schämen. 


10.    Bild:    Ein  Leichnam  im  Sarge. 

0  Eitelkeit,  o  Eitelkeit, 
Fleuch  hin  aus  meinem  Herzen  weit, 
Du  sollst  mich  nicht  berücken. 


Mit  Christi  Blutgerechtigkeit, 
Mit  seiner  Unschuld  Ehrenkleid 
Will  ich  die  Seele  schmücken. 


11.    Offenbarung  Cap.  4.   Cap.  7  v.  9  (Darstellung  des  Himmels). 


Hier  siehst  du,  die  aus  großer  Trübsal 
kommen  [1.  kamen] 

Und  wuschen  ihre  Kleider  in  des  Lammes 
Blut. 

Geschrieben  wurden  ihre  theuren  Namen 

Ins  Buch  des  Lebens  von  dem  höchsten  Gut. 

Jetzt  dürfen  sie  vor  seinem  Thron  sich 
weiden 


In  ewig  ungetrübten  heil'gen  Freuden, 

In  reiner  weißer  Kleider  Pracht, 

Geschmückt  mit  Friedenspalmen, 

In  hohe  [!]  Jubelpsalmen 

Lobpreisen  Gottes  Gnad'  u.  Macht, 

Die  sie  hiedurch  gebracht. 

0  würde  dieses  unaussprechlich  große  Heil 

Durch  Jesu  Blut  auch  mir  u.  dir  zu  Theill 


12.    Offenbarung  Cap.  20  v.  10-14 
Thu  einen  Blick  voll  Graus  hienein 
In  diesen  Ort  der  Flammeupein. 
Hier  siehst  du,  die  im  Erdenthal 
Nach  eitlen  Dingen  nur  getrachtet, 
Die  Gnade  Gottes  frech  verachtet. 


(Darstellung  der  Hölle). 

Kein  Trost  das  matte  Herz  erfrischt, 
Ihr  Wurm  nicht  stirbt,  nicht  untergeht, 
Verwünschen  sie  zu  spät,  zu  spät, 
Daß  sie  die  Gnad'  des  Herrn  verschmäht. 
Freund  laß  mit  Zittern  uns  auf  Erden 
Stets  schaffen,  daß  wir  selig  werden! 


Die  flücht'ge  Lust  trug  ew'ge  Qual. 
Hier,  wo  ihr  Feuer  nicht  erlischt, 

Druck  u.  Verlag  v.  F.  W.  Bergmann  in  Neu-Rupphi. 

Ich  reihe  noch  ein  paar  Notizen  zur  Vorgeschichte  dieses  Bildergedichtes  an. 
Nur  aus  der  kurzen  Beschreibung  in  Drugulins  Historischem  Bilderatlas  1,  nr.  2632 
(Leipzig  18G3)  ward  mir  ein  Vorläufer  aus  dem  18.  Jahrhundert  bekannt: 
„Warnungsbrief  gegen  die  Freuden  der  Welt.  rad.  4".  Anonym.  Zum  Zu- 
sammenlegen nach  Art  eines  Briefes.  Aussen  Adresse  an  die,  so  sich  der  Lust . . . 
Warnungsbrief  gestellt.  Erste  Klappe  ein  Gastmahl,  zweite  ein  Tanz;  beim 
Öffnen  derselben  erscheinen    die  Tänzer  als  Gerippe."    —    Aus  dem  Anfange  des 


Kleine  Mitteilungen.  321 

17.  Jahrhunderts  stammen  zwei  Kölner  Kupferstiche  von  Conrad  Goltzius,  welche 
Drugulin  1,  nr.  2502  und  2503  verzeichnet:  „Die  Hof  fahrt.  Ein  Klappenbild; 
unter  dem  Rocke  ein  Gerippe  und  der  Sündenfall.  Mit  Versen.  C.  Goltzius  sc. 
J.  Bussemiicher  exe.  fol.^)  —  Die  Hoffahrt,  durch  eine  männliche  und  eine 
weibliche  Figur  dargestellt.  2  Klappenbilder.  Unter  dem  Rocke  der  Frau  der 
Sündenfall,  unter  den  Beinen  des  Mannes  die  Vertreibung  aus  dem  Paradiese. 
Mit  Versen.     C.  Goltzius  sc.     P.  Overradt.  exe.  fol." 

Man  sieht,  es  reicht  die  Hauptidee  des  Warnungsbriefes,  die  Verwandlung 
einer  blühenden  Frauengestalt  in  ein  abschreckendes  Gerippe,  durch  verschiedene 
Zwischenglieder  bis  ins  16.  Jahrhundert  zurück,  wo  wir  bereits  ein  an  die  mittel- 
alterlichen Darstellungen  der  Frau  Welt  erinnerndes  Klappbild  fanden. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Das  Handschriftenarchiv   der  Deutschen  Kommission  der  Königlichen 
Preussischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

„Soviel  der  Spürgeist  unserer  Tage  aufgraben  mag,  so  wird  wohl  doch  auch 
für  folgende  Geschlechter  noch  genug  zu  finden,  zu  sichten,  zu  bessern  bleiben.  Und 
das  ist  unsern  Nachkommen  zu  gönnen,  denn  auch  sie  werden  vielleicht  oft  mehr  Wert 
legen  auf  das  Finden  als  auf  das  Gefundene!"  So  schrieb  183.S  Andreas  Schmeller 
an  seinen  Freund  Hoffmann  von  Fallersleben,  in  einer  Zeit,  da  die  junge  Germa- 
nistik ihr  Jugendträumen  für  ernste  Arbeit  bereits  hingegeben  hatte:  Uhland,  Jakob 
und  Wilhelm  Grimm  und  Lachmann,  an  ihren  eigenen  Leistungen  wachsend,  legten 
damals  die  Fundamente.  Gruben  sie  in  die  Tiefe,  so  forderten  die  anschwellenden 
Materialien  auch  die  Arbeit  in  die  Breite.  Der  literarische  Grundriss  zur  Geschichte 
der  deutschen  Poesie  von  den  ältesten  Zeiten  bis  in  das  Ki.  Jahrhundert  (Berlin 
iyi2),  den  Friedrich  Heinrich  von  der  Hagen  im  Verein  mit  Büsching  geboten 
hatte,  wurde  bald  als  unzulänglich  empfunden.  So  sehr  die  Handschriftenkunde 
dank  der  Arbeit  zahlreicher  Forscher  wuchs,  so  dauerte  es  doch  bis  zum  Jahre  1904, 
als  die  neu  geschaffene  Deutsche  Kommission  der  Preuss.  Akademie  der  Wissen- 
schaften neben  anderen  Aufgaben  sich  unter  Burdach  und  Roethe  zur  Inven- 
tarisierung sämtlicher  literarischen  Handschriften  Deutschlands  bis  ins  16.  Jahr- 
hundert rüsten  konnte.  „Nur  so  wird  es  möglich  werden",  so  heisst  es  in  ihrem 
ersten  Bericht,  „das  reich  bew^egte  sprachliche  und  geistige  Leben  voll  zu  erfassen 
und  zu  verstehen,  aus  und  in  dem  sich  Humanismus,  Reformation  und  Schrift- 
sprache bei  uns  entwickelt  haben;  insbesondere  wird  nur  so  ein  umfassender 
Überblick  zu  gewinnen  sein  über  die  erbauliche,  wissenschaftliche,  technische  und 
Cbersetzungsprosa  der  mächtig  ringenden  Zeit,  die  dem  Buchdruck  unmittelbar 
vorhergeht.  Auch  deutsche  Handschriften  des  späteren  16.  und  17.  Jahrhunderts, 
sowie  die  mittel-  und  neulateinischen  Manuskripte  Deutschlands  sollen  berück- 
sichtigt werden,  soweit  sie  Werke  von  ästhetischem  Anspruch,  vornehmlich 
Dichtungen,  enthalten." 


1)  Etwas  ausführlicher  beschreibt  Merlo,  Kölnische  Künstler  1895  S.  299  das  Blatt: 
„Die  Hoffahrt,  eine  reich  gekleidete  Dame  mit  Pfau.  Über  dem  Haupte:  Exterivs  picta, 
svmqve  interivs  maledicta  usw.  Hebt  man  das  Kleid  in  die  Höhe,  so  zeigt  sich  die 
untere  Hälfte  eines  Skeletts.  Conradus  Goltzius  sculptor.  Johan  busseraecher  excudebat. 
Tiefer  20  Zeilen  Verse:   Die  Holifart  jhr  selbst  wolgefelt  usw.     Folio." 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  3.  21 


322  Behrend,  Daniel: 

Trotz  mancher  Hemmungen  weiss  der  letzte  Bericht  (Sitzungsber.  der  Rönigl. 
Preuss.  Akademie  der  Wissensch.  1910,  77)  wie  seine  Vorgänger  erfreuliche  Er- 
gebnisse zu  melden.  Nicht  weniger  als  4000  nach  bestimmten  Grundsätzen  ge- 
arbeitete Beschreibungen  von  Handschriften  aus  ganz  Europa  sind  dem  Hand- 
schriftenarchive einverleibt  worden.  Sie  wurden  nach  verschiedenen  Gesichts- 
punkten —  die  I.Abteilung  enthält  die  Eigennamen,  die  2.  die  Anfänge,  die  3. 
Stoffe  und  Titel,  die  4.  die  Jahreszahlen,  die  5.  Realien  (Wasserzeichen,  Wappen 
u.  dgl.),  die  6.  formale  Erscheinungen  —  auf  über  162  000  Zettel  verarbeitet. 
Zahlreiche  wissenschaftliche  Anfragen  konnten  vom  Archivar  positiv  beantwortet 
werden. 

Ist  dank  dieser  Sammeltätigkeit  manch  Erzeugnis  der  hohen  Literatur  erst  be- 
kannt geworden,  so  wird  es  unseren  Lesern  besonders  interessant  zu  erfahren 
sein,  dass  auch  zahlreiche  bisher  gar  nicht  oder  wenig  bekannte  Materialien  für 
die  Geschichte  der  deutschen  Volkskunde  aufgespeichert  wurden:  Volkslieder, 
Zauber-  und  Segensprüche,  Rätsel  und  Volksreime  usw.  Wie  in  Sammelhand- 
schriften des  Mittelalters  Wissenschaftliches  und  Populäres  oft  bunt  durcheinander 
gewürfelt  wurde,  mögen  zwei  Handschriften  veranschaulichen. 

Die  Hds.  Ms.  allem.  o3ob  der  Pariser  Nationalbibliothek,  die  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  geschrieben  sein  mag,  und  über  deren  Provenienz 
nichts  feststeht,  bietet  in  ihren  ersten  Seiten  Bruchstücke  verschiedener  Heilmittel; 
daran  schliessen  sich  Wundsegen,  Blutsegen,  Rosssegen,  Brandwundensegen, 
Wurmsegen,  Pestsegen,  Segen  gegen  den  Brand,  Segen  für  Pferde,  Augensegen  in 
all  den  verschiedenen  Einkleidungen,  wie  sie  Dr.  Ebermann  in  seiner  Arbeit  über 
Blutsegen  charakterisiert  hat.  —  Noch  bunter  sieht  die  Hds.  XVI  P  3  der  Prager 
Universität  aus,  deren  einstiger  Besitzer  1643  einzeichnete:  'Hans  Victor  Geranß 
von  Libuschin  |  Gott  der  heylandt  ist  mein  gewinn.'  Eine  ernste  Abhandlung  von 
des  Menschen  Vernunft  und  ihrem  Zweck  steht  am  Anfang;  dem  folgenden  Arznei- 
buch sind  angefügt  Bemerkungen  von  der  Heilkraft  des  Geiers,  Winke,  heil-  und 
zauberkräftiges  ül  herzustellen,  ferner  Blutsegen,  Zahnsegen,  Segen  für  Nieder- 
kunft —  mit  lateinischen  Bestandteilen  — ,  Anweisungen,  sich  unsichtbar  zu 
machen,  Feuerkugeln  herzustellen,  Glas  zu  schmelzen.  Bäume  zu  züchten,  Schlösser 
durch  Zauber  aufzusperren.  Auch  der  Humor,  der  so  lebendig  im  Mittelalter 
quillt,  fehlt  nicht.  Der  schalkhafte  Schreiber  fügt  am  Schluss  zu:  'Item  dz  ein 
schloß  auffgehet,  |  So  nim  ein  schlisl  vnnd  mag  auff.  |  Probatum  est.' 

Stehen  diese  Materialien  wissenschaftlichen  Interessenten  ohne  Entgelt  zur 
Verfügung,  so  ist  es  gewiss,  dass  dieses  grosse  nationale  Unternehmen  nur  ge- 
deihen kann,  wenn  ausser  den  zahlreichen  Beauftragten  spontane  Mitarbeit  Kundiger 
eintritt.  Gern  wird  der  unterzeichnete  Archivar  die  Grundsätze  der  Inventarisierung 
mitteilen.  Besonders  sei  hier  noch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  schon  der 
Hinweis  auf  den  Privatbesitz  solcher  Handschriften  wichtig  ist. 

Die  Freude  am  Finden,  von  der  der  alte  Schmeller  sprach,  wird  auch  heute 
noch  lebendig  sein,  und  dass  das  Gefundene  richtig  gewertet  werde,  dafür  bürgen 
die  Namen  der  Leiter  des  Unternehmens. 

Berlin.  Fritz  Behrend. 


Kleine  Mitteilungen.  323 

Armenische  Märchen. 

■   (Vgl.  oben  S.  74—78.) 
4.   Der  kluge  Zauberer'). 

In  einer  Stadt  lebte  ein  armer  Weber.  Dessen  Frau  ging  eines  Tages  ins 
Badehaus,  und  da  sah  sie,  wie  eine  Zauberin,  die  am  Hofe  des  Königs  angestellt 
war,  von  der  Badefrau  aufs  höflichste  bedient  wurde.  Die  Frau  des  Webers 
wurde  neidisch;  sie  hätte  auch  gern  gesehen,  dass  man  ihr  Tücher  brachte  und 
sie  abrieb;  aber  weil  sie  arm  war,  tat  ihr  niemand  diesen  Dienst.  Da  ging  sie 
A-erstimmt  nach  Hause  und  sagte  ihrem  Mann:  „Du  musst  auch  ein  Zauberer 
werden,  damit  du  reich  wirst!  Ich  will  nicht  länger  arm  und  verachtet  sein." 
Der  Mann  in  seiner  Dummheit  wusste  nicht,  was  er  dazu  sagen  sollte.  Seine 
Frau  aber  kaufte  ihm  einen  neuen,  schönen  Kaftan  und.  ein  grosses  Buch  und 
schickte  ihn  auf  die  Strasse,  nahe  beim  Badehause.  Dort  stand  er  nun  und  rief 
mit  lauter  Stimme  aus,  er  sei  ein  grosser  Zauberer  aus  fernen  Landen  und  erbiete 
sich,  verlorene  Sachen  wiederzufinden. 

Nun  begab  es  sich,  dass  ein  fremder  Fürst,  der  sich  zurzeit  in  jener  Stadt 
aufhielt,  im  Badehause  einen  Ring  verloren  hatte.  Als  der  den  neuen  Zauberer 
rufen  hörte,  forderte  er  ihn  auf,  sein  vermisstes  Kleinod  herbeizuschaffen.  Da 
war  der  arme  Mann  in  nicht  geringer  Verlegenheit.  Was  sollte  er  tun?  Er 
öffnete  das  Buch,  machte  allerlei  seltsame  Bewegungen,  murmelte  Unverständliches 
in  seinen  Bart,  und  endlich  vernahm  man  abgerissene  Worte:  „Haare  —  zwischen 
Steinen."  —  Die  Diener,  die  seines  Winkes  warteten,  hatten  dieses  kaum  gehört, 
so  eilten  sie  ins  Badehaus  zurück,  durchsuchten  alle  Steinritzen  und  fanden  in 
einem  Winkel  den  Ring,  in  Haare  gewickelt.  Der  Fürst  belohnte  den  Zauberer 
nach  Gebühr;  seine  Diener  aber  verbreiteten  die  Kunde  durch  die  ganze  Stadt, 
und  alle  Leute  fürchteten  sich  vor  dem  Mann.  Wenn  nun  seine  Frau  ins  Bad 
ging,  eilten  alle  Dienerinnen,  ihr  Hilfe  zu  leisten,  und  so  hatte  sie,  was  sie 
gewollt. 

Einige  Zeit  danach  verlor  auch  der  König  einen  überaus  wertvollen  Ring. 
Da  liess  er  den  Zauberer  rufen  und  versprach  ihm  grossen  Lohn.  Dieser  erbat 
sich  drei  Tage  Zeit,  um  in  seinem  Buche  nachzulesen.  Dann  eilte  er  hinweg  und 
lief  in  seiner  Ratlosigkeit  ganz  verzweifelt  durch  alle  Strassen  der  Stadt.  In 
einer  abgelegenen  Gasse  eilte  plötzlich  eine  Frau  auf  ihn  zu,  fiel  nieder,  umfasste 
seine  Knie  und  flehte:  „0  Herr,  verrate  mich  nicht!  Ich  weiss,  warum  du 
kommst;  aber  höre  mich  erst  an:  ich  fand  den  Ring  auf  dem  Hofe  des  Palastes, 
und  als  ich  ihn  aufgehoben,  fürchtete  ich  mich,  ihn  abzugeben,  denn  man  würde 
sagen,  ich  habe  ihn  gestohlen.  So  nahm  ich  ihn  mit.  Aber  ich  war  in  grosser 
Angst  seinetwegen,  und  nun  bitte  ich  dich,  nimm  ihn  mit  und  sage  niemand, 
woher  du  ihn  hast."  Der  Zauberer  war  überglücklich,  auf  diese  Art  den  Ring 
entdeckt  zu  haben,  tat  aber  klug  und  sprach  bedächtig:  „Du  hast  recht  geraten; 
ich  kam  soeben,  um  von  dir  den  Ring  zu  fordern  und  dich  zur  Bestrafung  aus- 
zuliefern. Aber  du  dauerst  mich,  und  wenn  du  tust,  was  ich  dir  sage,  will  ich 
dich  nicht  ins  Unglück  bringen."  Und  nun  erkundigte  er  sich,  ob  nicht  der  König 
einen    Hühnerhof   habe,    und    darin  vielleicht    irgend    ein  auffälliges  Tier.     „Eine 


1)  [Vgl.  Grimm,  KHM.  98  'Doktor  Allwissend'.  R.  Köhler,  Kl.  Schritten  1,  39.  584. 
Oben  15,  373.  16,  242  (zu  Künos,  Türk.  Volksmärchen  nr.  o^).  17,  333  (Bunker  2)  und  ;i41 
(Hahn  1.  7).] 

21* 


324  Daniel: 

lahme  Ente,  die  er  sehr  liebt,"  erwiderte  die  Frau.  „Nun,  so  höre!  Morgen  ganz 
früh  gehst  du  hin  und  gibst  der  Ente  den  Ring  zu  schlucken.  Dann  bist  du  frei 
von  der  Schuld."   Die  Frau  war  ganz  glücklich  und  versprach,  alles  genau  zu  tun. 

Als  nun  am  nächsten  Tage  der  Zauberer  vor  dem  Könige  erschien,  sprach 
er:  „0  Herr,  du  hast  einen  Hühnerhof  voll  allerlei  Geflügel,  und  unter  diesem 
befindet  sich  eine  lahme  Ente."  „Woher  weiss  er  das?"  dachte  der  König  ver- 
wundert. Der  Zauberer  fuhr  fort:  „Diese  Ente  hat  den  Ring  verschluckt;  lass 
sie  schlachten,  so  wird  man  ihn  finden."  Der  König  antwortete:  „Die  lahme 
Ente  ist  mein  Liebling.  Lasse  ich  sie  nun  schlachten  und  finde  den  Ring  nicht, 
so  lasse  ich  dich  zur  Strafe  auch  schlachten."  Da  kriegte  es  der  Zauberer  mit 
der  Angst,  schwieg  aber  und  liess  sich  nichts  anmerken.  Als  man  nun  die  Ente 
schlachtete,  fand  sich  der  Ring.  Da  war  grosse  Verwunderung.  Der  König  be- 
lohnte den  klugen  Mann,  und  alle  Leute  ehrten  ihn  und  priesen  seine  grosse 
Macht.     Seine  Frau  hatte  nun  gute  Tage,  und  sie  lebten  fröhlich  und  vergnügt. 

Da  geschah  es,  dass  eines  Nachts  des  Königs  Schatzhaus  ausgeraubt  wurde. 
Der  König  rief  den  Zauberer  und  befahl:  „Schaffe  mir  meinen  Schatz  herbei, 
oder  du  musst  sterben!"  Der  Zauberer  bat  um  vierzig  Tage  Bedenkzeit  und  ver- 
langte vierzig  Gänse.  Diese  brachte  er  nach  Hause  und  sprach:  „Liebe  Frau,  in 
vierzig  Tagen  müssen  wir  sterben.  Wir  wollen  bis  dahin  leben,  so  gut  wir 
können,  und  jeden  Tag  eine  von  diesen  Gänsen  essen."  Und  so  lebten  sie  dahin 
und  dachten  an  ihren  nahen  Tod.  —  Die  Diebe  aber,  welche  den  Schatz  gestohlen, 
hatten  keine  Ruhe,  denn  sie  fürchteten  sich  vor  dem  berühmten  Zauberer,  der 
schon  so  manche  schwere  Aufgabe  gelöst  hatte.  Es  waren  ihrer  vierzig,  und  der 
eine  sprach:  „Ich  will  mich  auf  seinem  Dach  verstecken  und  hören,  was  sie  im 
Hause  sprechen;  so  erfahre  ich,  ob  er  von  uns  weiss."  So  tat  er,  und  da  hörte 
er,  wie  der  Mann  auf  den  Hof  hinausrief:  „Frau,  der  erste  von  den  Vierzig  ist 
da;  schlachte  die  erste  Gans!"  Er  meinte  den  ersten  von  den  40  Tagen;  der  Dieb 
aber  dachte  an  sich  und  erschrak:  „Woher  weiss  er,  dass  ich  hier  bin?"  und 
eilig  entrann  er  zu  seinen  Kameraden.  Von  diesen  ging  am  nächsten  Tage  ein 
anderer  hin;  der  hörte  den  Zauberer  rufen:  „Der  Zweite  ist  gekommen;  schlachte 
Nr.  Zwei!"  So  sprach  der  Mann  jeden  Tag  zu  seiner  Frau,  wenn  sie  die  Gans 
schlachten  sollte.  Die  Diebe  aber,  die  einer  nach  dem  andern  kamen,  um  es 
selbst  zu  hören,  fürchteten  sich  sehr  vor  dem,  was  er  nun  wohl  insgaheim  gegen 
sie  vorbereite,  und  als  zuletzt,  am  40.  Tage,  ihr  Oberster  es  auch  vernommen, 
versammelte  er  seine  Leute,  und  sie  gingen  alle  zu  dem  Zauberer  und  baten  ihn, 
sie  nicht  zu  verraten;  sie  wollten  ihm  das  Gestohlene  wiedergeben  und  noch 
reichen  Lohn  dazu.  Der  Zauberer  erwiderte:  „Vergrabt  den  Schatz  hier  an  dieser 
Stelle  des  Berges,  so  will  ich  ihn  morgen  dem  Könige  zeigen,  und  ihr  werdet 
straffrei  ausgehen."  Die  Diebe  waren  herzlich  froh,  dass  er  sie  nicht  anzeigen 
wollte,  und  taten,  wie  ihnen  geheissen.  Der  Zauberer  aber  führte  am  Morgen 
<les  41.  Tages  den  König  an  den  Platz,  wo  der  Schatz  vergraben  lag.  Der  König 
erschrak  vor  der  Allwissenheit  des  Zauberers.  Er  baute  ihm  ein  Schloss,  dem 
seinigen  gegenüber,  und  gab  ihm  viele  Geschenke. 

So  lebten  nun  der  Zauberer  und  seine  Frau  lange  Zeit  in  Ruhe  und  Frieden. 
Eines  Tages  sass  er  auf  dem  Divan  und  schlief;  im  Traum  aber  bewegte  er  die 
Hände  wie  früher,  wenn  er  das  Weberschifflein  hin  und  her  warf.  Der  König, 
der  eben  gegenüber  ans  Fenster  trat,  sah  seine  sonderbaren  Bewegungen 
und  rief  seine  Gemahlin.  Diese  antwortete:  „Verstehst  du  nicht,  was  er  will? 
Er  winkt  uns,  zu  ihm  zu  kommen."  Und  beide  beschlossen,  ihn  mit  der  Ehre 
ihres  Besuches  zu  erfreuen  und  hinüber  zu  gehen.   Aber  kaum  waren  sie  auf  der 


Kleine  Mitteilungen.  325 

Strasse,  so  stürzte  die  Decke  des  Gemaches  ein,  in  dem  sie  soeben  geweilt  hatten. 
Als  sie  sich  von  dem  Schrecken  erholt  hatten,  riefen  sie  aus:  „Das  hat  der 
Zauberer  gewusst,  und  darum  hat  er  uns  mit  solchem  Eifer  gewinkt,  heraus- 
zukommen! O  der  gute  Mann!"  Und  in  ihres  Herzens  Freude  beschenkten  sie 
ihn  über  die  Massen  reich.  Der  kluge  Zauberer  aber  lebte  in  Reichtum,  Macht 
nnd  Ehren  bis  an  sein  ruhiges  Ende,  und  seine  Frau  war  mit  ihm  zufrieden. 

5.  Der  Habgierige. 

In  einer  Stadt  des  Ostens  lebte  ein  reicher  Mann,  der  über  die  Massen  hab- 
gierig war.  Er  hatte  die  üble  Gewohnheit  angenommen,  bei  allen  Leuten  Geld- 
schulden zu  machen  und  bei  deren  Rückzahlung  einen  Teil  des  geliehenen  Geldes 
widerrechtlich  zu  behalten.  So  wurde  er  immer  wohlhabender.  Die  armen  Leute, 
die  er  derart  betrog,  konnten  nichts  dagegen  machen,  denn  er  war  ein  grosser 
und  mächtiger  Herr;  sie  durften  nicht  einmal  wagen,  ihm  ihr  Geld  zu  weigern, 
wenn  er  es  als  Darlehen  forderte.  Der  Reiche  wurde  schliesslich  so  frech,  dass 
er  öffentlich  prahlte,  er  habe  noch  nie  eine  Schuld  richtig  zurückbezahlt  und  werde 
es  auch  niemals  tun. 

Nun  wohnte  in  einem  Orte  unweit  jener  Stadt  ein  vornehmer  Mann,  der  auch 
sehr  reich  war,  dabei  aber  rechtschaffen.  Er  zahlte  all  seinen  Arbeitern  ihren 
Lohn  zu  rechter  Zeit  und  blieb  niemandem  etwas  schuldig.  Er  verlangte  aller- 
dings von  seinen  Schixldnern,  dass  auch  sie  pünktlich  ihrer  Verpflichtung  nach- 
kamen. Dieser  Mann  hörte  von  dem  Habgierigen  und  seiner  Prahlerei  und  nahm 
sich  vor,  ihm  eine  gründliche  Lehre  zu  geben.  Er  kehrte  einst  besuchsweise  in 
die  Stadt  ein,  und,  wie  er  erwartet,  kam  der  Habgierige  alsbald  zu  ihm,  um  Geld 
zu  leihen,  und  zwar  verlangte  er  1000  Goldstücke.  Der  Rechtschaffene  tat  ihm 
den  Willen,  kam  aber  nach  Ablauf  der  gesetzten  Frist,  um  sein  Geld  zurück- 
zufordern. Da  geriet  der  Geizige  in  grosse  Verlegenheit.  Denn  sein  Gläubiger 
war  zu  reich  und  mächtig,  als  dass  er  hätte  wagen  dürfen,  ihn  zu  schädigen; 
wiederum  wollte  er  von  seinem  bösen  Grundsatz  nicht  lassen,  ja  er  hätte  sich 
geschämt,  pünktlich  zu  zahlen.  Schliesslich  übergab  er  dem  Boten  den  Betrag 
von  1000  Pfund,  mit  Ausnahme  eines  Fünf-Parastückes  (272  Pf-  an  Wert).  Darauf 
hatte  der  andere  gewartet.  Er  schickte  sogleich  einen  seiner  Diener  und  Hess  die 
fünf  Para  fordern.  Natürlich  vergebens.  Da  sandte  er  einen  andern  Diener  hin, 
und  dann  wieder  einen,  und  dann  noch  einen,  und  so  fort  den  ganzen  Tag  und 
alle  folgenden  Tage.  Alle  paar  Minuten  erschien  ein  Mann  am  Hoftor,  klopfte  an 
und  verlangte  mit  lauter  Stimme  Einlass,  so  dass  das  Volk  zusammenlief  und  ein 
grosser  Tumult  entstand;  liess  er  ihn  dann  vor  sich  kommen,  so  forderte  jener 
das  Geld  für  seinen  Herrn.  So  hatte  der  Geizige  keine  ruhige  Stunde  mehr  und 
geriet  schliesslich  in  helle  Verzweiflung.  Ja,  bald  mietete  sein  Gläubiger  das 
gegenüberliegende  Haus,  um  ihn  von  dort  aus  noch  besser  plagen  zu  können. 
Es  war  schliesslich  nicht  mehr  zum  Aushalten.  Statt  sich  nun  aber  durch  Zahlung 
der  fünf  Para  von  dem  lästigen  Forderer  zu  befreien,  besann  sich  der  Habgierige 
auf  eine  List,  ihn  los  zu  werden.  Er  liess  den  Dienern  des  Fremden  sagen,  er 
sei  krank.  Aber  diese  drangen  bis  an  sein  Lager  vor  und  schrien  und  verlangten 
das  Geld.  Da  befahl  er,  ihnen  mitzuteilen,  er  sei  gestorben.  Man  führte  sie  in 
(las  Zimmer,  wo  der  Sarg  stand,  und  gegen  Abend  wurde  das  Begräbnis  begangen. 
Der  Gläubiger  aber  ahnte  den  Schwindel  und  sagte:  „Gebt  acht,  ob  der  uns  nicht 
wieder  betrügen  will!  Er  ist  gar  nicht  tot.  Ich  selbst  werde  an  seine  Grabstätte 
gehen,  um  mich  zu  überzeugen."     Als  nun  die  Nacht  kam,  schlich  er  sich  in  das 


326  Dauiel,  Mankowski,  Arnold: 

Grabgewölbe,  verbarg  sich  im  tiefen  Schatten  und  lauerte  darauf,  dass  der  neue 
Sarg  sich  öffne  und  der  Mann  heraussteige,  um  zu  essen  oder  gar  um  nach  Hause 
zu  gehen. 

Indem  er  dort  wartete,  kamen  zwei  Diebe,  die  von  der  ganzen  Sache  nichts 
wussten,  in  das  Gewölbe,  machten  Licht  und  breiteten  ihre  Beute  auf  dem  Boden 
aus,  die  sie  hier  ungestört  zu  teilen  gedachten.  Es  war  ein  reicher  Schatz  von 
Gold  und  Kleinodien.  Sie  gerieten  aber  bei  der  Verteilung  in  Streit.  Als  sie 
sich  durchaus  nicht  einigen  konnten,  sprach  der  eine:  „Gib  acht,  wenn  ich  jenen 
Toten  dort  mit  einem  Schwertschlage  mitten  durchschneide,  so  soll  jener  Teil 
mein  sein!"  Der  andere  war  mit  dem  Vorschlag  zufrieden;  sie  hoben  den  losen 
Sargdeckel  ab  und  wollten  den  Körper  des  Reichen  herausnehmen  und  zerhauen. 
Aber  da  begann  der  vermeintliche  Tote  ganz  erbärmlich  zu  schreien,  und  hinten 
aus  der  Ecke  ertönte  eine  tiefe,  heulende  Stimme,  so  dass  die  Diebe  glaubten,  böse 
Geister  seien  hinter  ihnen  her,  und  voller  Angst  fortliefen,  so  schnell  sie  konnten. 
Und  siehe,  da  trafen  sich  der  Schuldner  und  sein  Gläubiger  bei  der  verlassenen 
Diebesbeute.  Der  sprach:  „Schau,  schau!  Man  sagte  doch,  du  wärest  tot? 
Geschwind  geh  und  hole  mir  meine  fünf  Para!"  Der  andere  antwortete:  „Warte 
doch!  Sieh,  dieser  Schatz  ist  jetzt  unser,  denn  die  Diebe  haben  ihn  verlassen. 
Komm  schnell,  lass  uns  teilen!"  Aber  der  Gläubiger  sprach:  „Nicht  eher,  als  bis 
ich  meine  fünf  Para  wieder  habe.''  Da  bot  ihm  jener  ein  Goldstück  statt  der 
Kupfermünze,  aber  er  bestand  darauf,  er  wolle  nur  das,  was  ihm  zukomme.  Und 
als  der  Schuldner  endlich  ärgerlich  ins  Haus  ging,  um  das  verlangte  Kupferstück 
zu  holen,  packte  der  Gläubiger  den  ganzen  Schatz  zusammen,  trug  ihn  heim  und 
sandte  einen  Diener  hinüber,  die  fünf  Para  auch  noch  in  Empfang  zu  nehmen. 
Der  Geizige  war  rasend  vor  Zorn.  Aber  endlich  besann  er  sich,  dass  ihm 
eigentlich  recht  geschehen  sei,  sagte  sich  von  seinem  schlechten  Grundsatz  los 
und  begann  sich  auch  sonst  zu  bessern.  —  [Vgl-  Wickram,  Werke  3,  368  nr.  23.] 

München.  Clara  Daniel. 


Die  Adventskurrende  und  die  Jutrznia  in  Masuren. 

Es  sind  nun  schon  über  40  Jahre  verflossen,  seit  ich  wiederholt  als  Knabe 
bei  meinen  Verwandten  im  masurischen  Kreise  Sensburg  weilte  und  so  die 
Masuren  ziemlich  genau  kennen  lernte.  Damals  trugen  die  Männer  noch  grosse 
blaue  Röcke  mit  gelben  Messingknöpfen  und  weiss-  und  rotkarrierte  Leinwand- 
westen,  zuweilen  auch  grobe  hohe  Pilzhüte.  Heute  erblickt  man  jene  alten  Trachten 
nicht  mehr;  aber  viele  Bräuche  sind  noch  in  Masuren  geblieben,  und  dazu  ge- 
hören u.  a.  auch  die  Adventskurrende  und  die  Jutrznia  (Morgenröte).  Beide 
habe  ich  mit  angesehen,  und  ich  weiss  noch  recht  lebhaft,  dass  die  Jüngern 
Burschen  nach  der  Adventskurrende  in  das  Dorfwirtshaus  einkehrten,  um  dort 
mehr  oder  weniger  Wodki  (Wasserchen)  zu  trinken.   So  nennt  der  Masur  den  Schnaps. 

Ist  die  Adventszeit  da,  dann  sammeln  sich  jüngere  Leute  am  Sonntage 
abends  entweder  am  Schulhause  oder  an  einem  andern  Hause,  zünden  Laternen 
an  und  ziehen  in  Begleitung  erwachsener  Personen  singend  durch  das  Dorf,  um 
sich  an  einem  festgesetzten  Punkte  aufzulösen.  Wo  eine  Kirche  vorhanden  ist, 
tritt  die  Adventskurrende  am  Schlüsse  entweder  in  diese  oder  vor  das  Pfarrhaus, 
wo  noch  ein  feierliches  Adventslied  gesungen  wird.  Auf  den  Dörfern  besteht 
dieser  Brauch  noch  heute,  und  die  Jugend  wird  dazu  angehalten. 


Kleine  Mitteilungen.  327 

Die  Jutrznia*)  trägt  schon  den  Charakter  des  Christfestes  und  ist  sowohl  in 
einzelnen  Kirchen  als  auch  Schulen  erhalten  geblieben.  Ehedem  begann  sie  in 
der  heiligen  Nacht  bald  nach  12  Uhr  und  setzte  sich  bis  zur  Morgenfrühe  fort. 
Da  zogen  beispielsweise  in  Passenheim  die  Bürger  der  Stadt  wiederum  durch 
die  Stadt.  Adventslieder  singend:  „Wachet  auf,  ruft  uns  die  Stimme"  und  andere. 
Bald  scharten  sich  Leute  aus  den  Dörfern  zu  ihnen,  immer  weiter  zogen  sie  durch 
die  Strassen,  bis  endlich  die  Kirche  geöffnet  und  beleuchtet  wurde.  Gegen  3  Uhr 
meldete,  wie  Herr  Superintendent  Skierlo  in  Johannisburg  berichtet,  der  Glöckner: 
„Herr,  die  Kirche  ist  voll,  sie  singen  ein  Lied  nach  dem  andern." 

Da  war  es  Zeit,  zur  Feier  ins  Gotteshaus  zu  gehen.  Freilich,  der  Geistliche 
hatte  bei  der  Feier  nicht  viel  zu  sprechen,  nur  hin  und  her  einzugreifen  und  zu 
leiten.  Die  Hauptsache  machte  die  Gemeinde  unter  Leitung  des  Kantors.  In 
unserm  deutschen  Gesangbuch  stehen  18  Weihnachtslieder,  im  polnischen  39,  mit 
denen  im  Anfang  sogar  41,  darunter  auch  Lieder  mit  eingemischten  lateinischen 
Worten  und  ursprünglich  lateinische  Lieder,  deren  Text  neben  der  polnischen 
Übersetzung  steht,  z.  B.  'Puer  natus  in  Bethlehem,  in  Bethlehem,  unde  gaudet 
Jerusalem,  Halleluja,  Halleluja'.  Es  steht  auch  ein  kurzes  Lied  darin  mit  der 
Überschrift:  Lied  der  Abc-Schützen  bei  dem  Weihnachtsfrühgottesdienst,  ein 
Lied  in  vier  Chören,  wo  abwechselnd  ein  Chor  nach  dem  andern  von  den  Emporen 
aus  seinen  Vers  anstimmte,  bis  dann  alle  Chöre  von  den  Emporen  her  Umzug 
durch  die  Kirche  hielten  und  den  letzten  Vers  vor  dem  Altar  sangen.  —  Was  den 
Gesängen  aber  den  wesentlichen  Reiz  gab,  war,  dass  sie  zum  grossen  Teil  von 
'Engeln'  gesungen  wurden.  Welche  Freude  wars  für  die  Kinder,  dass  die  tüchtigsten 
die  Erlaubnis  erhielten,  in  der  Kirche  im  Engelchor  zu  singen!  Diese  hatten  über 
ihre  Kleider  ein  weisses  Hemd  gezogen,  das  um  die  Hüften  mit  einem  farbigen 
Bande  zusammengehalten  wurde;  auf  den  Köpfen  trugen  die  Mädchen  bunte  Papier- 
kränze, die  Knaben  von  buntem  Papier  gefertigte  hohe  Kronen;  so  führten  sie 
Wechselgesänge  auf  und  stellten  sich  dann  vor  den  Altar,  wo  sie  die  Weihnachts- 
geschichten vortrugen.  Auch  pflegten  wohl  in  späterer  Zeit  Waisenkinder  durch 
Hersagen  von  Liederversen  die  Gemüter  der  Gemeinde  zum  Mitleid  zu  bewegen 
und  für  eine  spätere  Gabe  an  sie  willig  zu  machen." 

Die  Sachsengängerei  hat  nun  freilich  mit  den  herkömmlichen  Gebräuchen  in 
den  Städten  aufgeräumt,  aber  in  den  Dorfkirchen  haben  sie  sich  noch  erhalten, 
und  wahrscheinlich  noch  bis  auf  fernere  Zeit.  Nur  wird  die  Jutrznia  schon  am 
heiligen  Abende  gefeiert,  statt  am  ersten  Weihnachtsfeiertage  bald  nach  Mitternacht. 

Danzig.  Herrmann  Mankowski. 


Zum  Liede  auf  den  Keservemauu. 

Zu  den  interessanten  Ausführungen  Joh.  Lew  alters  (oben  S.  207  f.)  möchte 
ich  bemerken,  dass  mir  das  Lied  vom  Reservemann  mit  einer  von  der  dort  auf- 
gezeichneten ganz  verschiedenen  Melodie  bekannt  ist,  und  zwar  aus  meiner  Dienst- 
zeit (18*JIff.)  bei  den  k.  und  k.  Infanterie -Regimentern  Nr.  2  und  Gl,  deren 
deutsche  Mannschaft  aus  Siebenbürger  Sachsen  der  Gebiete  von  Kronstadt  und  von 
Broos  besteht. 


1)  [Über  diesen  dem  im  Nordosten  Deutschlands  verbreiteten  Quenipas -Singen  nach- 
gebildeten Brauch  vgl.  das  oben  19,  122  besprochene  Buch  von  E.  Heidrich  über  die 
Christnachtfeier  1907  S.  184 — 188:  Polnischer  Christnachtsgesang  in  Adelnau,  Kempen 
und  Wilhelmsbrück.l 


328 


Schütte:    Kleine  Mitteilungen. 


E^3fcz*dEizt:zz^=J=:[:ihti=5=:i:~t5=U=U^?3±=: 


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1?: 


-#• — •- 


1.  Was  glänzt  so  freund-lich  von  dem  Berg,  von  dem  Berg?  Das  ist    mein  lie-bes  Hei-mat- 
Brü-der  stossts  die  Glä-ser  zsamm,  Glä-ser  zsamml  Es  le  -  be     der  Re  -  ser  -  ve- 


|iöi^^^^i=^=L=il^^i3^^1 


-?— ? — '- — y/. 

haus,  ja  Hei-mat-haus.    Ich  war   Sol-dat  und  wars  so  gern,  wars  so  gern,  drum  ist  jetzt 
mann,  Re-ser-ve-mann,    der  treu  ge-dient  hat    sei-ne  Zeit,  sei  -  ne  Zeit,   dem    sei  ein 


:t:=t:==t:z=if:=t=l 
mei  -  ne  Dienst- zeit    aus 
vol  -  les  Glas    ge  - 

Wien. 


Drum 


weiht! 


Robert  F.  Arnold. 


Der  ScMfergrass  ^). 

Wo  ich  auf  meinen  Wanderungen  im  Braunschweiger  Lande  einen  Schäfer 
traf,  hielt  ich  an  und  redete  mit  ihm.  In  den  meisten  Fällen  fand  ich  bereit- 
williges Entgegenkommen  und  Eingehen  auf  meine  Fragen.  Einer  fragte  mich 
sogar  eines  Tages  selbst,  ob  ich  denn  den  Schapergruss  kenne. 

Auf  meine  verneinende  Antwort  gab  er  mir  als  Gruss  der  Schäfer  zwei 
Rätsel  an: 

1.  Wannehr  dregt  et  Schap  de  meiste  Wulle?    (Wenn  er  de  Bock  uppe  sitt.) 

2.  Wann  is  de  Schaper  ein  Schaper?     (Wenn  e  allene  bi  den  Schapen  is.) 

Danach  habe  ich  alle  Schäfer,  die  ich  traf,  danach  gefragt,  aber  nur  von 
zweien  noch  eine  Auskunft  erhalten.     Der  eine  nannte  mir  als  Schäfergruss: 

Buffen,  schillen,  schaben. 
Fix,  geist  op  en  Graben. 

Der  andere  die  folgenden,  unzweifelhaft  alten  Reime,  die  aber  etwas"  verderbt 
zu  sein  scheinen: 

Patjedach-)  op  en  Graben, 
Zug 2)  in  de  Före  [=  Furche]. 
Patjedach,  du  säst  Wost  hebben. 
Ne,  uist  will  ik  seggen. 

Otto  Schütte. 


Ene  Bene 
Pitschenrime, 
Ränzel  in  en  Ring, 
De  Hunne  sind  flink. 


ßraunschweig. 


1)  [Vgl.  oben  7,  97.  210.    E.  H.  Meyer,  Deutsche  Volkskunde  1898  S.  150..    Bcauquicr, 
Blason  populaire  de  Franche-Comte  1897  p.  253.] 

2)  Namen  der  Schäferhunde. 


Bolte:    Berichte  und  Bücheranzeigen.  325-> 


Berichte  und  Bücheranzeigen. 


Neuere  SagenUteratur. 

Endlich  scheint  sich  auf  dem  Gebiete  der  Sagenforschung,  das  in  dem  letztere 
Jahrzehnt  nur  vereinzelte  Arbeiten  von  Bedeutung  aufwies,  eine  regere  Tätigkeit 
zu  entfalten.  Grössere  Sagensammlungen  erscheinen,  in  denen  der  Stoff  gebucht 
und  gesichtet  wird;  einzelne  Sagen  werden  nach  Ursprung  und  Verbreitung  er- 
forscht; Methode  und  Umfang  der  zu  lösenden  Aufgaben  werden  erörteit. 

Um  mit  dem  zuletzt  Genannten  zu  beginnen,  so  hat  kurz  nach  dem  oben  18,  4(i& 
angezeigten  Handbuche  Wehr hans  auch  BöckeH)  eine  Einführung  in  die  deutsche 
Volkssage  erscheinen  lassen,  die  zwar  in  Hinsicht  auf  die  Definition  der  Sage 
und  die  Verweise  auf  wissenschaftliche  Arbeiten  und  auf  die  Anführung  von 
Varianten  2)  strengere  Anforderungen  nicht  völlig  erfüllt,  aber  ausgebreitete  Kenntnis 
mit  poetischem  Sinne  und  warmer  Heiraatliebe  so  verbindet,  dass  eine  auf  alle 
Hauptpunkte  eingehende,  anschauliche  und  anregende  Darstellung  entstanden  ist. 
B.  unterscheidet  bodenständige  und  Wandersagen  und  teilt  den  Stoff  in  mythische, 
geschichtliche,  Natur-,  Zauber-  und  Schatzsagen,  Verhältnis  zur  Volkssitte  und  zum 
Humor,  überall  Beispiele  einflechlend;  er  zählt  die  älteren  und  neueren  Sagen- 
quellen auf  und  fordert  eine  kritische  grosse  Sammlung  für  das  ganze  deutsche 
Sprachgebiet.  —  In  eigenartiger  Weise  verbindet  Ranke^)  Sagenstoff  und  Er- 
läuterung in  dem  4.  Teile  des  von  F.  v.  d.  Leyen  herausgegebenen  Deutschen 
Sagenbuches.  Während  die  ersten  noch  nicht  erschienenen  Bände  den  Götter-,. 
Helden-  und  historischen  Sagen  gewidmet  sind,  führt  der  vorliegende  die  im 
19.  Jahrhundert  aus  dem  Volksmunde  geschöpften  Sagen  mit  Ausschluss  der  ge- 
schichtlichen in  einer  geschickten  Auswahl  vor.  Die  Anordnung  ist  natürlich  eine 
sachliche:  auf  die  Sagen  von  der  menschlichen  Seele  (Truden,  Hexen,  Werwölfe, 
Tote)  folgen  die  selbständigen  Gestalten  des  Volksglaubens  (Zwerge,  Wald-  und 
Wassergeister,  geheimnisvolle  Tiere),  Wesen  und  Ereignisse  der  Vergangenheit 
(Riesen,  Freveltaten,  Schätze,  Glocken)  und  endlich  der  Teufel.  Zwischen  diese 
aus  allen  Gegenden  Deutschlands  entlehnten  Texte  sind  kurze  Bemerkungen  ein- 
geschaltet, die  in  schlichter  und  vorsichtiger  Weise  eine  psychologische  Erklärung 
der  Entstehung  versuchen  und  sich  in  die  dämmerige  Tiefe  des  so  vielen  Gebildeten 
verschlossenen  Volksbewusstseins  und  in  den  Kindheitszustand  der  dichtenden 
Phantasie  mit  Glück  hineinversetzen,  ohne  gleich  etwa  in  der  Art  von  Henne -Am 
Rhyn  (Die  deutsche  Volkssage  1879)  alles  aus  einem  mythologischen  Systeme  her- 
zuleiten. Die  am  Schlüsse  des  Buches  folgenden  Quellennachweise  deuten  ge- 
legentlich auch  auf  gelehrte  Arbeiten  hin;  hübsch  veranschaulicht  die  Einleitung 
das  Wesen  der  Sage  durch  einen  Vergleich  mit  dem  Märchen:   jene  verlangt    für 


1)  0.  Böckel,  Die  deutsche  Volkssage,  übersichtlich  dargestellt.     Leipzig,    Teubner 
1909.     IV,  162  S.  geb.  1,25  Mk.     (Aus  Natur  und  Geisteswelt  202). 

2)  Über  die  Entstehung  von  Sagenvariationen  vgl.  die  Bemerkungen  von  K.Spiegel 
(Mitt.  zur  bayer.  Volkskunde  n.  F.  20,  153—158). 

3)  Fr.  Ranke,    Die    deutschen  Volkssagen.     München,    Beck    1910.      XYII,    294  8. 
geb.  2,50  Mk.  (-  F.  v.  d.  Leyen,  Deutsches  Sagenbuch,  4.  Teil). 


330  l^olte: 

ihren  kurzen  und  sachlichen  Bericht  unbedingt  den  Glauben  der  Zuhörer,  dieses 
will  der  zeitkürzenden  Unterhaltung  dienen  und  schmückt  sich  mit  dichterischen 
Zutaten;  jene  lässt  der  Schuld  regelmässig  die  Strafe  folgen,  dieses  meidet  seiner 
kindlich  heiteren  Weltanschauung  entsprechend  tragischen  Ausgang.  —  Den  ge- 
samten Sagenvorrat  eines  ganzen  Gebietes,  des  Königreiches  Sachsen,  legt  uns 
Meiche^)  in  einer  umfänglichen  Neubearbeitung  von  Grässes  Sagenschatz  (2.  Aufl. 
1874)  vor,  die  bereits  1903  erschien,  auf  die  wir  aber  in  diesem  Zusammenhange 
zurückkommen  wollen.  Sie  zählt  nicht  weniger  als  1 268  Nummern,  darunter  freilich 
viele  aus  älteren  Quellen  entlehnte,  die  heut  im  Volk  nicht  mehr  bekannt  sind. 
Die  Anordnung  ist  auch  hier  sachlich:  Mythische  (Seelen,  Eiben,  Dämonen  und 
Oötter,  Teufel,  Wunder,  Schätze),  geschichtliche  (Land,  Orte,  Familien)  und  roman- 
tische, d.  h.  literarisch  beeinflusste  Sagen.  Pleissig  hat  M.  den  Stoff  für  weitere 
Forschungen  bereitgelegt,  auch  nach  Möglichkeit  unechte  Sagen  ausgeschieden.  — 
Eine  ähnliche  Kodifikation  hat  nun  Kühnau^)  im  Auftrage  der  schlesischen  Ge- 
sellschaft für  Volkskunde  für  Schlesien  unternommen,  wo  Weinhold  und  Kastner 
wohl  diese  Arbeit  angefangen,  aber  nicht  zu  Ende  geführt  hatten.  Er  beschränkt 
sich  auf  Mittelschlesien,  Üsterreichisch-Schlesien  und  das  Braunauer  Ländchen  und 
lässt  sowohl  Oberschlesien  und  die  durch  Haupt  bereits  bearbeitete  Oberlausitz  als 
auch  die  Breslauer  und  die  Rübezahlsagen  beiseite.  Wenn  trotzdem  der  die 
Seelensagen  enthaltende  Band  658  Nummern  bringt,  so  wird  diese  Zahl  eine  Vor- 
stellung von  der  aufgewandten  Mühe  wie  von  der  vorhandenen  Sagenfülle  geben. 
Die  romantischen  und  die  unechten  Sagen  sind  ausgeschieden,  die  allzu  breite 
Darstellung  ist  gekürzt,  so  dass  wir  nun  ein  wissenschaftlich  zuverlässiges  Material 
vor  uns  haben,  dem  K.  auch  einige  Erläuterungen  voraufschickt.  Dass  den  Quellen- 
nachweisen sich  keine  Parallelen  beigesellen,  wird  man  nicht  tadeln  können;  in 
einigen  Fällen  wäre  aber  wohl  eine  Verweisung  auf  Grimms  Märchen  am  Platze 
gewesen,  so  bei  Nr.  108  auf  'Brüderchen  und  Schwesterchen'  (Gr.  11),  bei  117 
auf  das  'Fürchten  lernen'  (Gr.  4),  bei  584  auf  das  'Tränenkrüglein'  (Gr.  109),  bei 
638  auf  das  1.  Bruchstück  (Grimm  3%  267).  Dass  in  einzelnen  Fällen  die  Por- 
.schung  noch  ältere  Quellen  ermitteln  kann,  mag  das  Beispiel  des  Ringes  im 
Schädel  der  Toten ^)  beweisen.  —  Li  Vlämisch-Brabant,  wo  zuerst  J.  W.  AVolf 
Sagen  sammelte,  haben  zwei  bewährte  Forscher,  A.  de  Cock  und  Teirlinck*), 
im  Auftrage  der  Genter  Akademie  ein  neues  Sagenbuch  hergestellt,  das  in  Plan 
und  Ausführung  von  wissenschaftlicher  Umsicht  zeugt.  Von  den  vier  geplanten 
Gruppen  der  mythologischen  (Zauber-,  Geister-,  Pflanzen-,  Götter-),  Teufelssagen, 
Legenden  und  historischen  Sagen  liegen  die  beiden  ersten,  249  Nummern  umfassen- 


1)  A.  M  ei  che,  Sagenbuch  des  Königreichs  Sachsen,  Leipzig,  G.  Schönfeld  190?). 
LVII,  1085  S.  12  Mk. 

2)  R.  Kühnau,  Schlesische  Sagen  1:  Spuk-  und  Gespenstersagen.  Leipzig,  Teubner 
1910.  XXXVIIl,  618  S.  8  Mk.  (=  Schlesiens  volkstümliche  Überlieferungen  hsg.  von 
F.  Vogt  und  Th.  Siebs  3,  1). 

3)  Zu  Kühnau  Nr.  140  (v.  J.  1833)  vgl.  Harsdörffer,  Gesprächspiele  7, 363  (1647)  und 
Mordgeschichte  1649  Nr.  75.  Kindermanu,  Buch  der  Redlichen  1663  S.  575.  Happel,  Re- 
lationes  curiosae  3,  522  (1()87).  Unterredungen  von  dem  Reiche  der  Geister  2,  232 
(1731).  Bräuner,  Curiositäten  1737  S.  272.  A.  v.  Arnim,  Werke  3,  124.  127  (1840).  Baader, 
Volkssagen  aus  Baden  1851  Nr.  91.    Menzel,  Deutsche  Dichtung  2,  171  (1875). 

4)  A.  de  Cock  en  Is.  Teirlinck,  Brabantsch  sagenboek  1:  Mythologische  sagen, 
Duivelsagen.  Gent,  A.  Siffer  1909.  XXXII,  307  S.  4  Fr.  (Publ.  der  K.  Vlaamsche 
Academie  voor  taal-  en  letterkunde).  —  Zum  Teufel  in  der  Kirche  (nr.  200)  vgl.  Bolte, 
Zs.  f.  vgl.  Litgesch.  11,  249;  zu  dem  Teufel  und  dem  seltsamen  Vogel  (nr.  239)  H.Sachs, 
Schwanke  ed.  Goetze  3,  33.   5,  9. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  331 

den  Abteilungen  vor,  die  viel  Interessantes  bringen;  ich  nenne  z.  B.  das  Lied  und 
Bild  des  ewigen  Juden  (nr.  G4)  und  das  Verzeichnis  der  Teufelsnamen  (nr.  199). 
Sehr  nützlich  sind  die  Verweise  auf  deutsche  Parallelen  und  auf  wissenschaftliche 
Forschungen.  —  Eine  vortreffliche  Vorarbeit  für  das  Schweizer  Gebiet  liefert 
Heinemann')  in  einer  Fortsetzung  seiner  Bibliographie  der  Kulturgeschichte  und 
Volkskunde  (vgl.  oben  17,  357.  18,  232.  471),  die  bis  1900  reicht,  mehrfach  aber 
auch  über  diesen  Termin  hinausgreift.  Mehr  als  100  Seiten  füllt  die  Liste  der 
allgemeinen  und  kantonalen  Sagensammlungen,  für  die  auch  ältere  Zeitschriften 
und  Kalender  ausgebeutet  wurden;  dann  folgen  die  Artikel  über  Einzelsagen 
(Ahasver  usw.,  für  Teil  nur  ein  Nachtrag  zu  Heinemanns  Bibliographie  von  1907), 
über  Legenden  und  Märchen.  Die  Vorrede  weist  auf  ein  künftiges  gesamtschweize- 
risches Sagenlesebuch  hin. 

Neben  solcher  Sammelarbeit  geht  die  Erforschung  der  einzelnen  Stoffe  und 
Stoffkreise  einher.  In  die  Probleme  der  ältesten  Entwicklungsperiode  leuchtet  eine 
•durch  Klarheit  und  scharfe  Formulierung  ausgezeichnete  Untersuchung  von 
Heus  1er 2)  hinein.  Auf  wenigen  Blättern  unterwirft  er  die  verbreitete  Ansicht 
über  die  Entstehung  der  germanischen  Heldensage  aus  geschichtlichen  und 
mythischen  Elementen  einer  strengen  Prüfung  und  zeigt,  dass  bei  der  Aufnahme 
historischer  Personen  nur  deren  rein  menschliche  Konflikte  Geltung  behielten,  dass 
aber  die  unpersönlichen  Mächte  Vaterland  und  Religion  hier  im  Gegensatz  zur 
französischen  Heldendichtung  keine  Triebkraft  hatten  und  erst  bei  der  späteren 
Ausstaffierung  eine  gewisse  geschichtliche  Haltung  hineinkam.  Der  Kern  der  Sage 
ist  auch  nirgends  ein  deutbarer  Naturmythus,  neben  den  mit  phantastischen  Motiven 
ausgestatteten  Sagen  gibt  es  auch  wunderlose,  lebenswahre.  Die  im  .4. — 6.  Jahrh. 
aufgekommene  Kunstgattung  der  Heldensage  schöpfte  vielmehr  aus  vier  Quellen: 
der  Geschichte,  dem  Privatleben,  eigener  Erfindung  und  vorhandenem  Erzählgute 
(Märchen,  Mythen,  Anekdoten  usw.).  —  Von  methodischem  Werte  ist  auch 
Schönbachs^)  neue  Studie  über  Caesarius  von  Heisterbach.  Er  bemerkt,  dass 
der  rheinische  Cistercienser  des  13.  Jahrh.  in  seinen  drei  Werken  oft  denselben 
Vorfall  in  verschiedener  Form  berichtet,  ermittelt  in  38  unter  84  Fällen  sachliche 
Differenzen  und  erkennt  aus  47  Fällen,  in  denen  der  Dominikaner  Etienne  de 
Bourbon  ein  Predigtmärlein  dem  Jacques  de  Vitry  nacherzählt,  dasselbe  Prinzip 
<ier  Variation.  Die  Erbauungsschriftsteller  des  Mittelalters  legten  also  auf  treue 
Wiedergabe  solcher  historischer  Überlieferungen  keinen  Wert,  sondern  änderten 
sie  mit  einer  heut  nur  den  Dichtern  zugestandenen  Freiheit,  und  zwar  besonders, 
sobald  Ort,  Zeit  und  Personen  nicht  mehr  genau  bezeichnet  waren.  —  Kundig  und 
ausführlich  behandelt  A.  de  Cock*)  die  dem  Don  Juan-Drama  zugrunde  liegende 
Sage  von  dem  zum  Mahl  eingeladenen  Toten;  er  zählt  45  Fassungen  auf,  unter 
denen  die  vlämischen  auf  die  von  Poirters  1646  gereimte  Leontiusfabel  zurück- 
gehen. —  Einem  andern  ebenso  berühmten  Stoffe,  der  Tannhäusersage,  widmete 
Nyrop^)    ein    anmutiges,    mit  Abbildungen    geschmücktes   Büchlein.     Er    begnügt 


1)  F.  Heinemaun,    Bibliographie    der  schweizerischen  Landeskunde  V,    5,    Heft  3: 
Sagen  und  Legenden,  Märchen  und  Fabeln.     Bern,  Wyss  1910.     XX,  211  S. 

2)  A.  Heusler,    Geschichtliches  und  Mythisclies    in    der   germanischen   Heldensage 
(Sitzungsberichte  der  Berliner  Akad.  1909,  922—945). 

3)  A.  E.  Schünbach,     Studien    zur    Erzählungsliteratuv    des    Mittelalters  8:     t'ber 
Caesarius  von  Heisterbach  III  (Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  163,  1.    1909),   90  S. 

4)  A.  de  Cook,  De  sage  van  den  te  gast  genooden  doode  (Verslagen  der  k.  Vlaamsche 
academie  1909,  641— G82). 

5)  Kr.  Nyrop,  Fortids  sagn  og  sänge  (>:  Tannhäuser  i  Venusbjaerget,  med  billeder. 
Kobenhavn,  Gyidendal  1909.     120  S. 


332    ■  Bolte,  Sclirader: 

sich  nicht  mit  einer  Betrachtung  des  historischen  Minnesängers,  der  deutschen 
Lieder  und  der  Wagnerschen  Oper,  sondern  zeigt  auch,  dass  die  Sage  vom  Ritter 
im  Venusberge  erst  um  1450  aus  Italien  nach  Deutschland  drang  und  dort  loka- 
lisiert und  mit  dem  Wunder  des  blühenden  Stabes  verbunden  ward.  Die 
italienischen  Erzählungen  vom  Berge  der  Sibylla  (vgl.  oben  17,  249)  bringt  er  in 
Verbindung  mit  der  Fee  Morgana  und  mit  keltischen  Vorstellungen  von  einem 
Feenlande,  wie  sie  im  Lai  de  Guingamor,  in  den  Sagen  vom  irdischen  Paradiese 
und  sogar  bei  den  von  Sven  Hedin  besuchten  Kirgisen  Tibets  fortleben;  er  ver- 
mutet den  Einüuss  eines  verlorenen  französischen  Artusromanes  'Lionel  le 
sauvage'.  —  Ebenso  aufschlussreich  und  anziehend  ist  Nyrops  oben  19,  469  er- 
wähnte Studie  über  die  Sage  von  der  Gräfin  mit  den  3G5  Kindern.  Den  ver- 
breiteten, aus  einem  orientalischen  Märchen  herzuleitenden  Traum  vom  Schatz  auf 
der  Brücke  verfolgte  Bolte  oben  19,  289  durch  die  Jahrhunderte  und  wies  ebd. 
19,  312  den  ersten  Bericht  vom  Hexensabbat  am  Nussbaum  zu  Benevent  nach. 
Von  K.  de  Wyls  tüchtiger  Arbeit  über  die  Rübezahlsagen  war  schon  oben  S.  125, 
von  J.  Endts  Sammlung  der  im  Erzgebirge  über  den  zauberkundigen  Pater  Hahn 
und  den  Wunderdoktor  Rölz  umlaufenden  Sagen  oben  19,465  die  Rede. 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Karl  ßhamm,  Ethnographische  Beiträge  zur  germanisch-slawischen  Alter- 
tumskunde. Zweite  Abteilung:  Urzeitliche  Bauernhöfe  in  germanisch- 
slawischem Waldgebiet,  1.  Teil:  Altgermanische  Bauernhöfe  im  Übergang 
vom  Saal  zu  Fletz  und  Stube.  Mit  152  in  den  Text  eingedruckten 
Abbildungen  und  zwei  Tafeln.  Braunschweig,  F.  Vieweg  1908,  XXXII, 
1117  S.  42  Mk.  —  2.  Teil:  Germanische  Altertümer  aus  der  slawisch- 
finnischen Urheimat,  1.  Buch:  Die  altslawische  Wohnung.  Mit  45  in 
den  Text  eingedruckten  Abbildungen,    ebd.  1910.    431  S.    15  Mk. 

Von  diesen  beiden  mir  vorliegenden  Bänden  des  Rhammschen  Werkes  (vgl. 
oben  19,  330)  werde  ich  ausführlicher  nur  den  zweiten  hier  besprechen,  einer- 
seits, weil  es  mir  zurzeit  an  der  nötigen  Müsse  fehlt,  den  beiden  umfangreichen 
Bänden,  die  zusammen  an  1600  Druckseiten  umfassen,  in  gleicher  Weise  gerecht 
zu  werden,  andererseits,  weil  ich  nach  Massgabe  meiner  Studien  glaube,  auf  dem 
Gebiet  des  altslawischen  Wohnungswesens  eher  als  auf  dem  des  altgermanischen 
dem  Verfasser  und  Leser  etwas  Neues  bieten  zu  können.  Doch  hängen,  wie  sich 
noch  zeigen  wird,  beide  Gegenstände  in  dem  Werke  des  Verfassers  so  eng  zu- 
sammen, dass  es  notwendig  sein  wird,  bei  Besprechung  der  altslawischen  Wohnung 
die  Ausführungen  des  Verfassers  über  die  altgermanischen  Bauernhöfe,  namentlich 
den  zweiten  und  dritten  Abschnitt  (Die  urnordische  Wohnung  und  der  Übergang 
von  dem  Saal  zur  Stofa  und  Die  altnordische  Wohnung  in  der  Stofa-Zeit)  häufiger 
heranzuziehen.  Was  nun  die  Darstellung  der  altslawischen  Wohnung  durch  den 
Verfasser  betrifft,  so  sei  ihm  vor  allem  der  uneingeschränkte  Dank  der  Volkskunde 
dafür  ausgesprochen,  dass  er  uns  zum  erstenmal  ein  deutsches  Werk  geschenkt 
hat,  in  dem  eine  der  wichtigsten  Seiten  des  slawischen,  besonders  des  russischen 
Volkstums,  eben  das  Wohnungswesen,  auf  Grund  einer  vorzüglichen  Kenntnis  der 
einheimischen  Quellen  untersucht  wird. 

Damit  ist  hoffentlich  das  Eis  gebrochen,  welches  die  deutsche  Wissenschaft  in 
Beziehung  auf  die  Erforschung  der  volkstümlichen  russischen  Einrichtungen,  Sitten 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  333 

und  Gebräuche  seit  lange  gefangen  hielt,  und  alle  A.usstellungen,  die  man  an  dem 
vorliegenden  Buche  im  einzelnen  machen  kann,  müssen  vor  dieser  seiner 
prinzipiellen  Bedeutung  zurücktreten.  Auch  verdient  die  Arbeit  des  Verfassers 
doppelte  Anerkennung,  wenn  man  die  von  ihm  (Vorwort  S.  VIII)  mit  Recht  hervor- 
gehobene, wahrhaft  klägliche  Ausstattung  unserer  Bibliotheken  mit  der  auf  die 
Volkskunde  der  slawischen  Länder  bezüglichen  Literatur  bedenkt.  Doch  bereitet 
sich  auch  hier  ein  Wandel  vor,  und.  wie  man  hört,  soll  wenigstens  eine  der 
preussischen  Universitätsbibliotheken,  nämlich  unsere  Breslauer,  als  Zentrale  für 
die  slawische  Literatur  ausgebildet  werden,  wobei  dann  natürlich  vor  allem  die 
Volkskunde  gebührend  zu  bedenken  wäre. 

Das  Buch  des  Verfassers  zerfällt  in  zwei  Abschnitte,  von  denen  der  erstere 
Das  Wohnhaus  der  russischen  Slawen  und  seine  verschiedenartige  Einrichtung' 
betitelt  ist.  In  dem  L  Kapitel  werden  zunächst  die  beiden  sich  fundamental  von- 
einander unterscheidenden  Gruppen  des  russischen  Hauses,  nämlich  'das  Stock- 
haus', d.  h.  das  auf  einem  niedrigeren  oder  höheren  Unterbau  errichtete  Haus, 
das  demzufolge  wieder  in  ein  'Niederstockhaus'  (in  den  mittleren  Landschaften) 
und  ein  'Hochstockhaus'  (Nordrussland)  zerfällt,  und  'das  Niederhaus',  d.  h.  das 
auf  dem  flachen  Erdboden  stehende  Haus  (südwestliches  Gross-,  Klein-  und  Weiss- 
russland)  anschaulich  und  ausführlich  dargestellt  und  erläutert. 

Nachdem  sodann  das  durch  die  Verbindung  von  Hof  und  Haus  charakterisierte 
nordrussische  Haus  in  seinen  beiden  Erscheinungen,  der  des  Einbaus  (mit  Längs- 
rerband  von  domü  und  dvorä),  des  'Nowgoroder  Hauses'  (Wologda,  Archangel, 
Olonetz)  und  der  des  Zwiebaus  (mit  seitlicher  Verbindung  von  domii  und  dvorü; 
Jaroslaw,  Wologda)  eingehend  besprochen  worden  ist,  geht  der  Verfasser  in  dem 
2.  Kapitel  des  ersten  Abschnitts  (Die  Entwicklung  des  russischen  Bauernhauses) 
dazu  über,  die  ersten  seiner  Hauptsätze  aufzustellen.  Sie  lauten:  1.  Das  altslawische 
Haus  war  ein  einziger  Raum  mit  der  Tür,  bzw.  dem  Vorhaus  am  Giebel.  Er  besass  als 
Feuerstätte  einen  von  innen  zu  heizenden  Ofen  und  führte  überall  den  Namen  izba. 
—  2.  Hoch-  und  Niederhaus  besitzen  die  Einrichtung  des  polü,  ein  Wort,  das  in 
ersterem  den  das  Haus  über  den  Erdboden  erhebenden  hölzernen  Fussboden,  in 
letzterem  eine  Art  von  hölzerner  Bühne  bezeichnet. 

Der  Begründung  dieser  Sätze  sind  das  3.  Kapitel  (die  izba  des  grossrussischen 
§tockhauses)  und  das  4.  Kapitel  (die  izba  des  Niederhauses)  gewidmet.  Das 
5.  Kapitel  beschreibt  die  Konstruktion  des  Daches  (die  Strohtechnik,  der  Walm, 
der  Traufrand,  das  Dachgerüst).  In  einem  Anhang  wird  über  die  Vorhalle,  die 
seni,  gehandelt,  die  einen  wesentlichen  Teil  der  izba-Wohnung  ausmacht. 

Die  Urbestandteile  der  altrussischen,  d.  h.  nach  dem  Verfasser  zugleich  alt- 
slawischen Wohnung  sind  demnach  die  durch  den  Ofen  geheizte  izba  zusammen 
mit  dem  immer  kalten  Vorraum  der  seni. 

Ist  dieses  den  Slawen  nach  dem  Verfasser  vor  der  Zeit  der  grossen  Wanderung 
eigentümliche  Wohnhaus  bodenständiges  Gewächs?  Oder  haben  sie  es  anders- 
woher übernommen?  Und  woher?  Die  Antwort  lautet,  und  mit  ihr  betreten  wir 
zugleich  das  Gebiet  des  zweiten  Abschnitts  unseres  Buches  (Das  altslawische 
Wohnhaus  —  istüba  —  und  sein  germanischer  Hintergrund):  „Die  altslawische 
Wohnung  ruht  mit  allem,  was  in  ihr  niet-  und  nagelfest  ist,  nicht  auf  eigenem 
Gründe,  sondern  auf  einer  Nachahmung  germanischer  Wohnungsverhältnisse" 
(S.  311). 

Um  dies  zu  verstehen,  muss  man  sich  einige  der  Ergebnisse  vergegenwärtigen, 
2u  denen  der  Verfasser  in  dem  ersten  Teil  der  zweiten  Abteilung  seines  Werkes 
hinsichtlich  des    altgermanischen  Bauernhauses    gekommen  zu  sein  glaubt.     Ihnen 


334  Schrader: 

zufolge  wäre  für  die  altskandinavischen  Verhältnisse  eine  doppelte  Wohnart  zu 
unterscheiden.  Die  ältere  wird  durch  die  Namen  Saal  oder  Halle  mit  dem  Plet 
(zum  Sitzen  oder  Schlafen),  die  jüngere  durch  den  Namen  Stofa  mit  dem  pallr 
(eine  treppenstufenartig  hergestellte  bretterne  Erhebung  des  Erdbodens)  charakteri- 
siert. Die  letztere  ist  aus  der  Badestube  hervorgegangen,  in  welcher  der  pallr 
dazu  diente,  dem  sich  Abdampfenden  immer  höhere  Wärmegrade  zu  ermöglichen. 
Eine  solche  Stofa-Wohnung  muss  nach  dem  Verfasser  schon  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten unserer  Zeitrechnung  bei  einem  germanischen  Stamm  im  inneren  Russ- 
land vorhanden  gewesen  sein  (II,  1,  436).  Sie  ist  es,  die  der  slawischen  izba 
zum  Vorbild  gedient  hat. 

Um  dies  zu  erhärten,  dient  dem  Verfasser  die  Sprache  als  "Wegweiser,  d.  h. 
es  wird  eine  Reihe  charakteristischer  Ausdrücke  der  altnordischen  Pallstube  mit 
ebensolchen  Termini  des  grossrussischen  Stockhauses  verglichen  und  der  Versuch 
gemacht,  die  letzteren  als  Entlehnungen  aus  dem  ersteren  zu  deuten.  Es  handelt 
sich  dabei  um  folgende  Gleichsetzungen  (S.  312): 

1.  Russisch  istüba,  izba  (s.  o.)  aus  altn.  stofa,  2.  russisch  banja  'Bad' 
aus  altn.  baO  („unter  Anfügung  des  Suffixes  -nja"),  3.  russisch  laznja  'Bad'  aus 
altn.  laug  'Lauge'  (ebenfalls  „unter  Anfügung  des  Suffixes  -nja"),  4.  russisch 
culanü  'Abscheidung  in  der  izba'  aus  altn.  kylna  'Kochhaus',  5.  russisch  polü 
(s.o.)  aus  altn,  pallr 'Sitzbühne  zu  beiden  Seiten  der -stuf  a',  6.  russisch  golbecü 
'schrankartiger  Verschlag  am  Ofen'  aus  altn.  golf  'die  vorderste  Abteilung  der 
stufa',  7.  russisch  polati  'hohe  Schlafbühne  in  der  izba'  aus  altn.  loptr  'jeder 
obere  Raum,  insbesondere  der  Oberstock  des  Hauptgadems',  8.  russisch  selomü 
'First'  aus  schwed.  hjelm  'bewegliches  Schutzdach'. 

Hier  sind  wir  zugleich  bei  dem  Funkte  angekommen,  wo  unser  Widerspruch 
gegen  den  Verfasser  einzusetzen  hat;  denn,  um  es  kurz  zu  sagen,  von  den  hier 
aufgezählten  Gleichsetzungen  ist  keine  beweiskräftig,  weil  sie  entweder  direkt 
falsch  oder  äusserst  zweifelhaft  sind,  oder,  wenn  an  sich  richtig,  doch  aus  anderen. 
Gründen  nicht  das  beweisen  können,  was  sie  beweisen  sollen. 

Als  direkt  unmöglich  sind  aus  zwingenden,  jedem  Sprachforscher  unmittelbar 
deutlichen  Gründen  der  Lautgeschichte  und  Wortbildungslohre  die  Erklärungen  des 
russischen  banja  und  laznja  anzusehen.  An  ihre  Entlehnung  aus  altn.  baO'  und 
laug  kann  unter  keinen  Umständen  gedacht  werden.  Vielmehr  ist  banja  eine 
gemeinslawische  Entlehnung  aus  lat.  balneum,  griech.  |3a>.«-i'eTov,  wie  schon 
Sieznevskij  erkannte  (vgl.  jetzt  auch  Berneker,  Slav.  etymol.  Wörterbuch  S.  43),  und 
für  laznja  ist  trotz  Rhamm  S.  'ö22^  an  der  schon  von  Dahl  angenommenen 
Identität  mit  laznja  'Stiege'  von  lazatT  'steigen'  festzuhalten.  Tatsächlich  hat 
das  Holzgorüst  des  russischen  Dampfbads  nicht  selten  die  Ähnlichkeit  mit  einer 
Stiege  oder  Treppe.  Ebenso  unhaltbar  ist  die  Herleitung  des  russ.,  und  zwar 
nur  russ.  culanü  aus  dem  oben  genannten  altn.  Wort  für  Küche.  Vielmehr  ist 
culanü  ein  Wort  türkisch -tatarischer  Herkunft  (vgl.  Miklosich,  Türk.  Elemente 
S.  42),  wie  denn  gerade  im  russischen  Bau-  und  Wohnungswesen  ein  starker 
orientalischer  Einschlag  hervortritt.  Vgl.  Wörter  wie  chata  'Hütte',  saraj 
'Remise',  cerdakü  'Erker',  ambaru  'Scheune'  u.  a.  Auch  für  russ.  solnusü, 
das  nordrussische  Synonym  für  culanü,  ist  gewiss  nicht  mit  Rhamm  S.  346ff.  an 
Entlehnung  aus  altn.  svefnhus  'Schlafhaus',  sondern  eher  mit  Kors  an  finnischen 
Ursprung  zu  denken.  Zu  finnisch  aitta  (Rhamm  S.  35<S)  bemerke  ich,  dass  es  in 
dem  Russisch-karelischen  Wörterbuch  von  M.  D.  Georgievskij  (St.  Petersburg  1908) 
einfach  mit  culanti  übersetzt  wird. 


Berichte  uud  Bücheranzeigen.  335 

Ganz  unmöglich  ist  endlich  die  Ableitung  des  russ.  polati  'Schlaf bühne'  aus 
altn.  loptr,  wie  übrigens  der  Verfasser  S.  o83  selbst  zu  erkennen  scheint.  Es 
kommt  ohne  Zweifel  von  lat.-griech.  palatium  —  TraÄctVioi',  TraXaVa,  wenn  auch  die 
Bedeutungsentwicklung  noch  besser  erforscht  werden  muss.  Eine  der  Mittelstufen 
scheint  'Empore'  (im  kirchlichen  Sinn)  gewesen  zu  sein  ("vgl.  DahP  S.  645  und 
M.  R.  Vasmer,  Griechisch-slawische  Studien  3,  154  f.) 

Als  noch  nicht  sicher  gestellt  ist  das  Verhältnis  von  altn.  pallr:  slaw.  polü 
anzusehen.  Mit  Rhamm  oder  besser  vor  ihm  leitet  Johannson  K.  Z.  36,  370  das 
slawische  "Wort  aus  dem  Germanischen  ab.  Aber  die  Mehrzahl  der  Germanisten, 
zuletzt  Fischer,  Die  Lehnwörter  des  Altnordischen,  Berlin  1909,  S.  16,  44,  nehmen 
doch  umgekehrt  Entlehnung  des  altn.  pallr  aus  slawischem  poKi  an,  das  seiner- 
seits wieder  entweder  für  einheimisch,  oder  aus  dem  urgriech.  rraXo;  'Stange,  Balken' 
als  entlehnt  angesehen  wird  (vgl.  Vasmer  S.  155).  Mir  scheint  der  slawische  Ur- 
sprung von  polü  'Diele'  am  wahrscheinlichsten,  das  zu  polot!  'spalten'  gehören, 
und,  worauf  mich  mein  Kollege  Neckel  aufmerksam  macht,  mit  altn.  fi^l  'Brett' 
(*pelä)  zusammenhängen  wird.  Ob  pallr,  das  sich  auf  das  Altnordische  be- 
schränkt —  ein  deutsches  von  Rhamm  (II,  1,  434)  herangezogenes  phal  'die 
oberste  der  terrassenförmig  aufgestellten  Bänke  im  Bad'  scheint  auf  schwachen 
Füssen  zu  stehen  — ,  aus  polü  entlehnt  ist,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Jeden- 
falls ist  die  Reihe  pallr-polü  viel  zu  unsicher,  um  historische  Schlüsse  von 
solcher  Bedeutung  zu  tragen. 

Für  einigermassen  wahrscheinlich  ist  hingegen  mit  Rhamm  die  Entlehnung 
des  russ.  golbecü  aus  altn.  golf  anzusehen  (so  auch  Berneker  S.  320).  Allein 
dasselbe  könnte  bei  seiner  Beschränkung  auf  das  Russische  einer-,  das  Nor- 
dische anderseits,  ungefähr  wie  das  russ.  jarusü  'Stockwerk'  aus  altn. 
jardhüs,  höchstens  etwas  für  die  Warägerzeit,  nicht  aber  für  germanisch-slawische 
Beziehungen  vor  dem  6.  Jahrhundert  beweisen.  Russ.  selomü  'First'  und  schwed. 
hjelm  endlich  haben  ihre  besondere  Bedeutung,  was  übrigens  auch  der  Verfasser 
als  möglich  andeutet,  offenbar  erst  auf  dem  Boden  der  beiden  Einzelvölker  ent- 
wickelt. 

Somit  bleibt  von  der  oben  angeführten  Liste  nur  das  gemeinslawische  izba 
aus  einem  germanischen  stuba  (des  genaueren  ist  die  Lautentsprechung  noch 
nicht  ermittelt)  als  beweisend  für  einen  germanisch-slawischen  Zusammenhang  auf 
dem  Gebiet  des  Wohnungswesens  vor  der  slawischen  Wanderung  übrig.  Was 
aber  bedeutete  izba  damals  auf  slawischem  Boden?  Die  durch  den  Araber  Ibrahim 
ihn  Jakub  für  itba  =  izba  bezeugte  älteste  Bedeutung  ist  Badestube.  Da  aber,, 
so  folgert  Rhamm  S.  331,  die  Slawen  für  diesen  Begriff  bereits  zwei  andere  Aus- 
drücke, nämlich  banja  und  laznja,  von  den  Germanen  entlehnt  haben,  so  kann 
das  Wort  izba  „von  Anfang  an  nur  die  Wohnstube  bedeutet  haben".  Nachdem 
wir  oben  gezeigt  haben,  dass  der  Vordersatz  Rhamms  falsch  ist,  fällt  auch  der 
Nachsatz  in  sich  zusammen.  Die  älteste  Bedeutung  von  izba  auf  slawischem 
Boden  kann  daher  sehr  wohl  Badestube  gewesen  und  die  Entwicklung  von  der 
Badestube  zur  Wohnstube  auf  slawischem  Boden  erfolgt  sein.  Ein  Überbleibsel 
der  Zeit,  in  der  izba  nur  Badestube  oder  Bade-  und  Wohnstube  war,  wird  die 
auch  von  Rhamm  angemerkte,  in  zahlreichen  Teilen  Russlands  herrschende  Sitte 
bewahren,  das  sonnabendliche  Dampfbad  in  dem  Ofen  der  izba  selbst  zu  nehmen. 
Genau  dieselbe  Entwicklung  wie  die  russ.  izba  hat  die  litauische  pertis  'Bade- 
stube' von  periü  'schlage  mit  dem  Badequast'  durchgemacht,  insofern  im  Lettischen, 
wie  Bielenstein  Holzbauten  S.  110  gezeigt  hat,  die  Badestube  zugleich  auch  als 
Wohnung  und  zu  anderen  Zwecken  gedient  hat.     Im  Finnischen,  z.  B.  im  Kareli- 


336  Schrader,  Michel: 

sehen  (parti)  ist  dann  das  lit.-lett.  Wort  der  gewöhnliche  Ausdruck  für  izba 
geworden. 

Für  die  Rekonstruktion  der  urslawischen  Wohnung  ist  meines  Erachtens  von 
•dem  echt  slawischen  seni  'Vorhalle  =  griech.  o-xvivv]'  (*ska(i)na)  'leichte  Hütte,  Zelt' 
auszugehen.  Die  Gleichung  beweist,  wie  die  Beschaffenheit  der  ältesten  slawischen 
Wohnung  gewesen  ist.  Gebadet  wird  man  damals,  d.  h.  vor  Einwirkung  des 
germanischen  Einflusses,  ebenso  haben  wie  die  Skythen  des  Herodot  IV,  73,  d.  h. 
in  Zelten,  die  mit  Filzdecken  behangen  waren.  Demgegenüber  wird  die  germanische 
stuba  (izba)  den  ürslawen  zuerst  den  germanischen  Blockbau,  der  den  Dampf 
und  die  Hitze  weit  besser  festhielt,  gebracht  haben.  Nachdem  die  izba  in  der 
oben  geschilderten  Weise  sich  auf  slawischem  Boden  selbst  zu  einer  Art  von 
Wohnung  entwickelt  hatte,  wird  aus  seni  und  dem  germanischen  izba  (bei  den 
Klein-  und  Weissrussen  aus  sini,  seni  und  dem  persischen  chata)  durch  Zu- 
sammenrückung der  ürtypus  des  altrussischen  Bauernhauses  entstanden  sein.  Doch 
muss  ich  die  weitere  Erörterung  dieser  Frage  auf  einen  anderen  Ort  und  eine 
hindere  Zeit  verschieben  und  kehre  zu  unserem  Verfasser  zurück. 

Der  Leser  hat  gesehen,  dass  ich  den  Hauptsatz  des  Verfassers,  dass  die  alt- 
slawische Wohnung  mit  allem,  was  in  ihr  niet-  und  nagelfest  ist,  auf  einer  Nach- 
ahmung germanischer  Wohnungsverhältnisse  beruhe,  nicht  unterschreiben  kann. 
Trotzdem  wird  der  Wert  des  Buches  dadurch  nicht  wesentlich  beeinträchtigt.  Die 
Hauptsache  ist,  dass  wir  vor  Rhamm  in  Deutschland  über  das  russische  Haus 
recht  wenig  wussten,  und  dass  wir  jetzt  durch  Rhamm  über  sein  Inneres  und 
Äusseres  in  einer  Vollständigkeit  belehrt  werden,  von  der  diese  immerhin  kurze 
Anzeige  kaum  eine  genügende  Vorstellung  gegeben  haben  dürfte.  Wenn  der  Ver- 
fasser geirrt  hat,  so  hat  er  als  Sprachforscher  geirrt,  der  er,  wie  er  selbst  bemerkt, 
nicht  ist,  als  der  er  sich  aber  doch  wohl  zu  viel  zutraut.  Gleichwohl  wird  auch 
der  Sprachforscher  dem  Verfasser  dankbar  sein  müssen,  da  er  durch  ihn  auf  eine 
Fülle  kulturhistorisch  wichtiger  Wörter  aufmerksam  gemacht  wird  und  mit  den 
Wörtern  richtige  Vorstellungen  von  den  Sachen,  die  sie  bezeichnen,  ver- 
binden lernt. 

Wir  sehen  dem  folgenden  Bande,  der  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des 
slawischen  Bauernhofs  untersuchen  soll,  mit  Spannung  entgegen. 

Breslau.  Otto  Schrader. 


Theodor  Abeling,  Das  Nibelungenlied  und  seine  Literatur  (Zweiter  Teil). 
Mit  einem  Faksimile  (=  Teutonia  hrsg.  v.  W.  IJhl,  7.  Heft,  Supplement). 
Leipzig,  Eduard  Avenarius  1909.    XX,  76  S.    8".    3  Mk. 

Bunter  noch  als  der  erste  Teil  dieses  Buches,  den  ich  oben  18,  117  f.  be- 
sprochen habe,  ist  der  zweite. ,  Er  bringt  nach  einer  etwas  breit  geratenen  Vor- 
rede, in  der  sich  Abeling  mit  seinen  bösen  Kritikern  auseinandersetzt,  schätzbare 
Nachträge  und  Ergänzungen  zur  Bibliographie  und  zu  den  Handschriften- 
beschreibungen. Dann  folgt  ein  Abdruck  nebst  Faksimile  des  bisher  nicht  be- 
achteten Wiener  Fragments  einer  Nibelungenhandschrift  (=  Lachm.  530 — 551). 
Daran  schliesst  sich  die  'Klage'  nach  der  neuerdings  öfter  behandelten  Hand- 
schrift J:  Abeling  meint,  es  sei  noch  sehr  zweifelhaft,  ob  diese  Fassung  der  'Klage' 
wirklich  nur  einen  'Auszug'  darstelle,  wie  man  in  der  Regel  annehme,  und  nicht 
vielmehr    die    älteste  vorhandene  Gestalt    des    Gedichts    repräsentiere.      So  wenig 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  337 

glücklich  mir  diese  These  scheint,  so  verdienstvoll  bleibt  doch  die  vollständige 
Veröffentlichung  der  'Klage'  in  einer  jedenfalls  eigenartigen  Fassung.  Minder 
förderlich  ist  der  Neudruck  des  niederdeutschen  Liedes  von  'König  Ermenrichs 
Tod',  auf  den  ich  gleich  noch  näher  eingehen  will.  Im  Anhang  werden  die 
Bibliotheks-Signaturen  der  Handschriften  des  Nibelungenliedes  und  ähnliche  Dinge 
zusammengestellt.  Endlich  erhalten  wir  noch  nützliche  Register  und  Schluss- 
bemerkungen, unter  denen  für  unsere  Zwecke  die  leider  nur  allzu  aphoristischen 
Angaben  über  Vortragsweise  und  Apparat  von  Moritatenerzählern  auf  Jahrmärkten 
des  19.  Jahrhunderts  in  Betracht  kommen. 

Das  Lied  'Koninc  Ermenrikes  döt'  druckt  Abeling  nach  Goedekes  bekannter 
Ausgabe  (Hannover  1851)  ab,  da  über  den  Verbleib  des  Originals  nichts  zu  er- 
mitteln gewesen  sei  (S.  57).  Nun,  es  gehörte  kein  besonderer  Spürsinn  dazu,  um 
es  in  der  Königl.  Bibliothek  zu  Berlin  zu  entdecken  (Yf  80G1),  zumal  Goedeke 
im  'Grundriss'  l  ^,  459  ausdrücklich  darauf  aufmerksam  gemacht  hat.  Aber  Abeling 
hat  offenbar  nur  die  erste  Stelle  des  'Grundrisses'  aufgeschlagen,  wo  Goedeke  des 
Liedes  gedenkt  (1  ^  338),  und  nicht  die  eben  zitierte  zweite.  Aus  dieser  zweiten 
hätte  er  auch  ersehen,  dass  das  Lied  seither  mehrfach  in  leicht  zugänglichen 
Werken  (z.  B.  in  Oesterleys  Anhang  zu  Goedekes  'Deutscher  Dichtung  im  Mittel- 
alter' Dresden  1871,  S.  19  ff.  und  in  F.  M.  Böhmes  'Altdeutschem  Liederbuch' 
Leipzig  1877,  S.  9  ff.)  abgedruckt  worden  ist,  und  vielleicht  wäre  ihm  dann  auch 
klar  geworden,  was  es  mit  dem  von  MüUenhoff  in  der  'Zeitschr.  f.  deutsches 
Altertum'  12,  363  erwähnten  'jüngeren  Druck  in  einem  Liederbuch  auf  der  Ham- 
burger Stadtbibliothek"  für  eine  Bewandtnis  hat:  denn  offenbar  dachte  MüUenhoff 
an  das  sogenannte  'de  Boucksche  Liederbuch',  von  dem  er  durch  die  Mitteilungen 
im  18.  Bande  des  'Serapeums'  (1857,  S.  262)  wissen  konnte  und  auf  dessen  Abdruck 
in  den  'Niederdeutschen  Volksliedern'  (1.  Heft,  Hamburg  1883)  Goedeke  an  jener 
zweiten  Stelle  des  'Grundrisses'  hinweist.  In  dieser  freilich  weder  recht  bekannt 
gewordenen  noch  wissenschaftlich  zulänglichen  Publikation  finden  sich  als  Nr.  85 
von  'Koninc  Ermenrikes  döt'  24,  zum  Teil  unvollständige  Strophen  Weitere 
Orientierung  bietet  A.  Kopps  kundiger  Aufsatz  'Die  niederdeutschen  Lieder  des 
16.  Jahrhunderts'  im  26.  'Jahrbuch  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung' 
;1900,  S.  1  ff.,  32  f.;.  Aber  damit  sind  selbst  die  bibliographischen  Fragen,  die 
sich  an  dieses  merkwürdige  Lied  schliessen,  noch  nicht  entfernt  erledigt:  es 
bleibt  noch  festzustellen,  wann,  wo  und  bei  wem  es  in  der  älteren  Gestalt  gedruckt 
worden  ist.  Goedeke  meinte  (S.  4  seiner  Ausgabe),  es  sei  zwar  ein  selbständiges 
fliegendes  Blatt,  in  Hamburg  oder  Magdeburg  um  1560  hergestellt,  aber  das 
sechste  aus  einer  grösseren  Reihe,  da  es  die  Signaturen  F,  Fij  und  Fiij  trage; 
'einige  Blätter  der  Reihe  aus  derselben  Druckerei  zeigen,  dass  vielleicht  noch 
andere  Heldenlieder  dabei  waren,  der  grösste  Teil  aber  wahrscheinlich  aus 
lyrischen  Gedichten  bestand'.  Wir  haben  keinen  Grund,  Goedekes  Angaben  zu 
bezweifeln,  allein  bevor  die  erwähnten  Blätter  nicht  zum  Vorschein  kommen, 
können  wir  damit  wenig  anfangen.  Ein  Buch,  das  von  vornherein  dazu  bestimmt 
war,  in  fliegende  Blätter  zerteilt  zu  werden,  dürfte  immerhin  zu  den  grössten 
Seltenheiten  gehören.  Viel  wahrscheinlicher  ist  die  Annahme,  dass  'Koninc 
Ermenrikes  dot'  (und  das  mit  ihm  zusammengedruckte  Lied  auf  den  Junker 
ßaltzer,  vgl.  Liliencron,  Historische  Volkslieder  4,  44)  einem  bisher  nicht  be- 
kannten Buch  als  Annex  dienten:  derlei  'Beiwagen"  waren  ja  im  16.  Jahrhundert 
ausserordentlich  beliebt. 

In  einem  solchen  Anhang,  den  Joachim  Greff  seinem  Zachaeusdrama  ('Ein 
schön  neue  Action  auf  das  18.  vnd  19.  Capittel  des  Evangelisten  Lucae',  Zwickau 

Zeitschr.  d.  Vereius  f.  Volkskunde.  1910.    Heft  3.  22 


338  Michel,  Rona-Sklarek: 

1546)  beigegeben  hat,  fand  ich  kürzlich  ein  noch  nicht  gebuchtes  Zeugnis  für  das 
Fortleben  der  Heldensage  im  16.  Jahrhundert.  Greff  sucht  da  sein  endloses 
Lazaruslied  durch  die  Bemerkung  zu  rechtfertigen,  dass  'yederman  dis  sagen 
mus  /  das  es  vil  Christlicher  vnd  seliger  ist  /  .  .  .  von  solchen  ,  das  ist  Geistlichen 
vnd  Christlichen  Historien  zu  singen  /  Sonderlich  Frawen  vnd  Junckfrawen  /  ia 
auch  noch  wol  Jungen  gesellen  /  als  das  sie  auswendig  lernen  vnd  singen  /  die 
lieder  von  Herr  Ditterich  von  Bern  /  vom  alten  Hildebrandt  /  von  Hertzog  Ernst 
odder  von  dem  Ritter  aus  der  Steyermarck  /  welche  yetz  erzalte  lieder  ia  auch 
zimlicher  lenge  /  Schweres  thon  vnd  doch  nur  pul  Jieder  vnd  weltlich  sein' 
(Bl.  Giiij'').  Wir  wissen  längst,  namentlich  aus  Müllenhoffs  'Zeugnissen  und  Ex- 
kursen zur  deutschen  Heldensage'  und  Jänickes  Nachträgen  dazu  (Zeitschr.  f.' 
deutsches  Alt.  12,  253  ff.  413  ff.  15,  310  ff.),  dass  Dietrich  noch  im  16.  Jahrhundert 
neben  Siegfried  die  bekannteste  Persönlichkeit  aus  dem  Kreise  der  Heldensage 
gewesen  ist.  Man  hat  aber  zu  wenig  betont,  dass  auch  das  Ermenrichslied  mit 
dazu  beigetragen  haben  wird,  diese  Bekanntschaft  lebendig  zu  erhalten.  Damit 
soll  nicht  gesagt  sein,  dass  Greff  den  eben  zitierten  Stossseufzer  just  im  Hinblick 
auf  das  Ermenrichslied  getan  haben  müsse.  Die  Stelle  bedarf  eingehenderer 
Interpretation,  die  ich  in  diesem  Zusammenhange  nicht  geben  kann. 

Eingehenderer  Interpretation  bedarf  jedoch  auch  das  Ermenrichslied  selbst, 
das  Abeling  eben  nur  abgedruckt  hat.  Ich  sehe  nicht,  dass  wir  bisher  über  die 
Ergebnisse  Goedekes  und  Jacob  Grimms  wesentlich  hinausgekommen  sind;  was 
Rassmann  in  seiner  'Deutschen  Heldensage'  1,  356  ff.  über  das  Lied  sagt,  ist  kaum 
erwogen  worden.  Wann  es  in  der  vorliegenden  Fassung  entstanden  ist,  muss  sich 
bei  genauer  Betrachtung  von  Sprache  und  Metrik  annähernd  sicher  bestimmen 
lassen.  Aber  auch  die  ursprüngliche  Gestalt  ist  vielleicht  mit  Hilfe  eddischer  und 
rtltdänischer  Heldenlieder  in  ihren  Grundzügen  zu  erschliessen.  Dass  es  trotz  der 
jungen  und  entstellten  Form  Spuren  hohen  Alters  an  sich  trägt,  wird  von  den 
Sagenforschern  wohl  allgemein  zugegeben;  auch  die  Ähnlichkeiten  mit  den 
HamÖismQl  sind  ihnen  nicht  entgangen  (vgl.  etwa  Symons  in  Pauls  Grundriss  3  % 
640.686;  Jiriczek,  Deutsche  Heldensage  ^  Leipzig  1906,  S.  33  f.).  Heusler  hat 
gelegentlich  darauf  hingewiesen,  dass  es  möglich  sei,  durch  Heranziehung  des 
Krmenrichsliedes  eine  richtigere  Strophenfolge  des  HamOirliedes  zu  gewinnen 
(Anzeiger  für  deutsches  Altertum  30,  81,  vgl.  oben  8,   102). 

Berlin.  Hermann  Michel. 


Hetfalusi  Csängö  Nepmesek  gyöjtötte  es  jegyzetekkel  kiserte  Horger 
Antal.  [Hetfaluer  (Siebendörfer)  Csango- Volksmärchen,  gesammelt 
und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Antal  Horger.]  Budapest,  Az 
Athenaeum  Reszveuytarsulat  tulajdona.     1908.     YIII,  464  S.    8  °. 

Im  vorliegenden  Werke,  das  den  10.  Band  der  von  der  Risfaludy-Gesellschaft 
herausgegebenen  Sammlung  ungarischer  Volksdichtungen  bildet  (Magyar  nepköltesi 
gyüjtemeny),  ist  wieder  ein  gut  Teil  des  reichen  ungarischen  Märchenhortes  ge- 
borgen worden.  A.  Horger  hat  darin  einen  Teil  der  Märchen  veröffentlicht,  die 
er  bei  den  in  [sieben  Dörfern  des  Kronstadter  (Brassö-)  Komitats  ansässigen 
Csango-Magyaren  gesammelt  hat,  eines  wahrscheinlich  vom  grossen  Stamme  der 
Szekler  abgesprengten,  armen  Völkchens,  dessen  Leidensgeschichte  uns  in  der 
Einleitung  erzählt  wird.  —  Wenngleich  die  53  Märchen  des  Bandes    in  stofflicher 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  339 

Hinsicht  kaum  Neues  bieten,  bilden  sie  doch  eine  sehr  dankenswerte  Ergänzung 
der  ungarischen  Märchenliteratur;  denn  sie  bringen  teils  sehr  interessante  Varianten 
bekannter  Märchen,  teils  bessere,  d.  h.  absolut  treue  Wiedergaben  von  Märchen, 
die  wir  bisher  nur  in  etwas  redigierter  Form  kannten.  In  den  Anmerkungen  weist  der 
Herausgeber  auf  die  entsprechenden  ungarischen  Märchen  früherer  Sammlungen  hin. 
Sehr  dankbar  wird  der  Leser  das  Verzeichnis  der  in  den  Märchen  vorkommenden 
Dialektausdrücke  am  Schluss  des  Bandes  begrüssen.  —  Den  grossen  Vorzug  der 
ungarischen  Märchen,  ungemein  lebendig  und  anschaulich  erzählt  zu  werden,  teilen 
auch  die  vorliegenden  Märchen,  überraschen  aber  den  durch  angarische  Volks- 
märchenerzählkunst Verwöhnten  durch  die  oft  verwirrende  Häufung  verschiedenster 
Motive  in  einem  Märchen.  Den  lang  ausgesponnenen  humoristischen  Einleitungen 
und  Schlüssen  begegnen  wir  auch  hier  wieder.  Durch  die  Form  interessiert 
Nr.  25,  eine  Variante  des  in  Ungarn  sehr  beliebten  Märchens  vom  entwendeten 
und  wiedergewonnenen  Zauberring.  Es  ist  in  Versen  erzählt  und  dürfte  damit 
bisher  ganz  einzig  in  ungarischen  Märchensammlungen  dastehen.  Wie  A.  Horger 
in  der  Anmerkung  mitteilt,  hat  er  es  von  einem  45  jährigen  Töpfer,  dem  besten 
Märchenerzähler  des  Dorfes,  der  ihm  berichtete,  er  habe  es  in  seiner  Jugend  von 
zwei  berühmten  Märchenerzählern  gehört,  die  dieses  Märchen  im  Walde  beim 
Holzhauen  oder  Sägen  herzusagen  pflegten,  und  zwar  abwechselnd  jeder  einige 
Worte  oder  eine  Zeile,  zum  Takt  der  Axthiebe  oder  des  Sägens. 

Die     bekannte     Motive     behandelnden     Märchen^)     seien     zum    Schluss     zur 
Orientierung    über    die    Sammlung    zusammengestellt.      Zu    Nr.  1 :    Märchen    vom 
Glücks vogel,    Grimm  <30  und  122.  —  Nr.  2:    Einäuglein,  Zweiäuglein,  Dreiäuglein, 
verbunden    mit    dem  Märchen    von    dem    dämonischen  Wesen,    das    das  Vieh  ins 
Hörn  zurücktreibt  und  dafür  die  Heirat  des  Helden  verbietet.     List  mit  der  Klage 
des  Brotes  (vgl.  Köhler  1,  131).    —    Zu  Nr.  3  und  32:    Der  junge  Riese    (Grimm 
90).  —   Nr.  5:    Treulose  Schwester  und  Drachentöter.    —    Zu  Nr.  6,    30  und  50 
Der  Krautesel  (Grimm  122).  —  Zu  Nr.  7:    Bruder  Lustig  (Grimm  81).  —   Nr.  11 
Die  drei  Pomeranzen.    —    Nr.  12:   Schäfer  Wahrhaft  (Gonzenbach  n).    —   Nr.  13 
Das  kluge  Mädchen  (Grimm  94).  —  Nr.  15  und  16:  Der  Tierbräutigam.  —  Nr.  20 
Die  drei  Ratschläge  (Gonzenbach  81).  —  Nr.  21:  Das  Brüdermärchen  (Grimm  60) 
—  Nr.  22:  Cymbelinestoff.    —    Nr.  23:  Räuberbräutigam  (Grimm  40).    —    Nr.  26 
Polyphem.  —  Nr.  27:  Grindkopfmärchen.   —  Nr.  28  und  29:  Märchen  von  der  auf 
der  Hochzeitsfahrt    durch    eine    andere    verdrängten    und   geblendeten  Braut.    — 
Nr.  31:  Narrenstreiche  (u.  a.  Fett  und  Kuhhaut  verkaufen).  —  Nr.  33:    Das  Rätsel 
(Grimm  22).    —    Nr.  35:    Gestiefelter  Kater.    —    Nr.  36:    Märchen  von  den  zwölf 
Brüdern,  deren  jüngster  die  goldhaarige  Jungfrau  holen  muss.  —  Nr.  37:  Märchen 
von  den  zwei  neidischen  Schwestern  in  1001  Nacht.  —  Nr.  38:   Märchen  von  den 
Tierschwägern,     verbunden     mit    Rhampsinits     Schatz.    —    Nr.  40:     Allerleirauh 
(Grimm  65).    —    Nr.  41:  Lügenmärchen.    —    Nr.  42,  51,  52:    Märchen  vom  hohen 
Baum,    in  dessen  Wipfel  ein  Schloss  ist    —    Nr.  44:    Schneewittchen.   —  Nr.  46: 
Feuerzeug  (Andersen).  —  Nr.  47:  Das  tapfere  Schneiderlein  (Grimm  20).  —  Nr.  48: 
Simeliberg  (Grimm  142).    —    Nr.  53:  Meisterdieb  und  der  gescheite  Hans  (Grimm 
192  und  32). 

Berlin.  Elisabet  Rona-Sklarek. 


1)  [Von  den  Nummern  14,  27,  28,  36,  37,  38,  42  linden  unsere  Leser  jetzt  eine 
deutsche  Übertragung  bei  E.  Bona  -  Sklarek,  Ungarische  Volksmärchen,  neue  Folge. 
Leipzig,  Dieterich  1909.  —  J.  B.] 

22* 


340  Brandsch,  Lange: 

B.  Fabö,  A  magyar  nepdal  zenei  fejlödese.    (Die  musikalische  Entwicklung- 
des  magyarischen  Volksliedes.)     Budapest  1908.     608  S. 

Der  Verfasser  versucht  es  auf  Grund  vorhandener  Liedersammlungen,  eigener 
VolksHedaufnahmen  und  des  allerdings  nicht  sehr  reichen  handschriftlichen  und 
gedruckten  Materials  aus  älterer  Zeit  eine  Geschichte  des  magyarischen  Volksliedes 
und  Tanzes  und  die  Entwicklungsgeschichte  der  magyarisch-volkstümlichen  Melodik 
und  Rhythmik  zu  schreiben.  Da  eigentlich  alle  Vorarbeiten  fehlen,  war  der  Ver- 
such bei  den  eigentümlichen  ethnographischen  Verhältnissen  Ungarns  trotz  ge- 
legentlicher Heranziehung  slowakischer,  rumänischer  und  anderer  Volkslieder  gewagt. 
Und  es  zeigt  sich  denn  auch  im  Verlauf  der  Darstellung  auf  Schritt  und  Tritt, 
dass  der  Verfasser  in  Ermanglung  gründlicher  Einzeluntersuchungen  zu  anfecht- 
baren Hypothesen  greifen  muss,  so  in  der  Konstruktion  des  magyarischen  Ur- 
verses,  der  von  westeuropäischem  Einfluss  unabhängig  aus  der  Urheimat  mit- 
gebracht worden  sein  soll,  in  der  Aufweisung  slawischer  und  türkischer  Elemente 
im  magyarischen  Volkslied,  in  seinen  Ansichten  über  die  Entstehung  und  den  Ur- 
sprung der  einzelnen  Tanzformen.  Namentlich  steht  die  Melodienvergleichung  im 
einzelnen  noch  auf  unwissenschaftlicher  Grundlage,  und  es  genügt  dem  Verfasser 
häufig  eine  entfernte  Ähnlichkeit  im  Rhythmus  oder  in  der  Tonführung,  um  Ver- 
wandtschaft zu  konstatieren. 

Trotz  alledem  ist  das  Buch  wertvoll,  nicht  nur  weil  es  eine  Fülle  von  an- 
regenden und  zum  Teil  neuen  Ideen  enthält,  sondern  auch  als  Materialiensamm- 
lung  (es  bringt  gegen  tausend  Notenbeispiele).  In  grossen  Zügen  ist  wohl  auch 
die  Entwicklung  des  magyarischen  Volksliedes,  namentlich  seine  Befruchtung  durch 
die  kirchliche  Musik  und  dann  wieder  die  jüngste  Epoche  im  19.  Jahrhundert, 
richtig  gezeichnet.  Für  das  so  interessante  Problem  des  gegenseitigen  Verhältnisses 
und  der  gegenseitigen  Beeinflussung  der  nationalen  Musik  bei  den  verschiedenen 
Volksstämmen  Ungarns  bleibt  der  Einzelforschung  noch  sehr  viel,  um  nicht  zu 
sagen  alles,  zu  tun  übrig. 

Treppen,  Post  Mettersdorf  (Siebenbürgen).  Gottlieb  Brandsch. 


Daiji  Itchikawa  (Lektor  am  orientalischen  Seminar  und  Lehrer  des 
Japanischen  an  der  Königlichen  Kriegsakademie  zu  Berlin),  Die  Kultur 
Japans.    Berlin,  Karl  Curtius  1907.     149  S.     2  Mk. 

Die  meisten  Leser  werden  dieses  Buch  mit  grossen  Erwartungen  in  die  Hand 
nehmen,  in  der  Hofi'nung,  dass  ein  Japaner  die  Kulturverhältnisse  seines  Vater- 
landes klar  und  wahrheitsgetreu  darlegen  werde.  Aber  ich  fürchte,  dass  sie  es 
nicht  voll  befriedigt  aus  der  Hand  legen  werden.  Das  kleine  Werk,  das  seine 
Entstehung  einer  Reihe  von  Vorträgen  verdankt,  die  der  Verf.  an  verschiedenen 
Orten  gehalten  hat,  ist  nach  dem  Vorwort  nicht  für  Fachgelehrte,  sondern  für 
Laien  bestimmt  und  soll  nur  die  allgemeinsten  und  allerwichtigsten  Punkte  der 
japanischen  Kultur  enthalten.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  der  Laie  manche  Be- 
lehrung über  die  japanische  Kultur  erhalten  wird,  und  selbst  auch  der  Fach- 
gelehrte dürfte  manches  darin  finden,  was  ihn  interessieren  wird  und  was  in 
Büchern  ähnlichen  Inhalts,  die  von  Europäern  geschrieben  sind,  nur  selten  zu 
finden  ist.  So  z.  B.  die  Darstellung  über  die  Einführung  der  holländischen  Sprache 
im  18.  Jahrh.  (S.  68  ff.),    ferner  die  Wiedergabe    der  fünf  Artikel  des  sogenannten 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  341 

Eides  (S.  14d),  den  der  jetzige  Kaiser  kurz  nach  seinem  Regierungsantritt  im 
Jaiiro  18G8  abgelegt  und  auf  dem  die  Forderung  der  Japaner  nach  einer  Ver- 
fassung beruht.  Auch  kann  man  den  Ansichten  des  V^erf.  über  die  angebliche 
gelbe  Gefahr  (S.  48  fr.),  die  uns  von  China  und  Japan  drohen  soll,  nur  zustimmen. 
Auf  der  andern  Seite  leidet  das  Werkchen  aber  an  vielen  Mängeln,  die  eine  ge- 
rechte und  unparteiische  Kritik  nicht  verschweigen  darf.  Leider  ist  die  Dar- 
stellungs-  und  Ausdrucksweise  des  Verf.  stellenweise  so  knapp,  unklar  und  schief, 
dass  der  Laie  oft  nicht  wissen  wird,  was  derselbe  meint,  und  falsche  Vorstellungen 
von  den  Verhältnissen  erhalten  wird ;  nur  der  Fachgelehrte  wird  in  solchen  Fällen 
den  Worten  des  Verf.  den  richtigen  Sinn  unterzulegen  imstande  sein.  Der  Raum 
gestattet  mir  nur  ganz  wenige  von  den  vielen  Fällen  anzuführen.  So  spricht  der 
Verf.  oft  von  der  Politik  'Tokugawas',  während  er  die  'Tokugawafamilie'  meint, 
er  spricht  stets  von  'Buddha',  worunter  man  nur  den  Stifter  der  Religion  ver- 
stehen kann,  während  doch  die  japanische  Sonnengottheit  Amaterasu  nicht  mit 
diesem  Buddha  identifiziert  worden  ist  (s.  hierzu  S.  98 f.).  Was  soll  sich  der 
Laie  ferner  bei  dem  kurzen  Ausdruck  'Universjtätshalle',  S.  83,  denken?  usw.  usw. 
Auch  fehlt  es  nicht  an  Verstössen  gegen  bekannte  historische  Tatsachen.  Nach 
der  Darstellung  des  Verf.  ist  z.  B.  die  Einführung  der  westlichen  Kultur  der  Ini- 
tiative des  jetzigen  Kaisers  zuzuschreiben,  während  es  doch  eine  historische  Tat- 
sache ist,  dass  damit  schon  die  Shögunregierung  während  der  letzten  Zeit  ihres 
Bestehens  begonnen  und  der  Kaiser  nach  der  Beseitigung  jener  Regierung  und 
Wiederherstellung  seiner  Macht  diese  Politik  nur  fortgesetzt  hat.  Der  Fürst  No- 
bunaga  wird  S.  20  Shögun  genannt,  und  lyeyasu  soll  die  Shögunregierung  errichtet 
haben  (S.  28.  33).  Falsch  ist  auch  die  Darstellung  des  Abschlusses  der  ersten 
Verträge  (S.  32)  und  die  Behauptung,  dass  die  Amerikaner  im  Jahre  1860  zum 
zweiten  Male  nach  Japan  gekommen  wären.  Merkwürdig  und  unverständlich  ist 
die  Bemerkung  S.  113  über  den  Ursprung  der  japanischen  Ethik.  Es  heisst  dort 
folgendermassen:  „Was  die  Quelle  der  japanischen  Ethik  anbetrifft,  so  ist  sie  so- 
wohl in  den  orientalischen  als  auch  in  den  okzidentalischen  Religionen  zu  finden, 
ganz  besonders  aber  in  der  westlichen  Philosophie  und  hauptsächlich  in  der  Lehre 
des  Konfuzius."  Aus  seiner  weiteren  Darlegung  geht  hervor,  dass  sie  nur  auf  den 
Grundsätzen  des  Buddhismus  und  der  chinesischen  Philosophen  beruht,  was  auch 
den  Tatsachen  entspricht.  Vor  allem  vermisst  man  aber  eine  Darstellung  der 
japanischen  Kunst  auch  nur  in  den  kleinsten  Umrissen,  die  doch  auch  zur  japa- 
nischen Kultur  gehört.  Eigentümlich  ist  auch,  dass  der  Verf.  bei  der  Besprechung 
der  geistigen  Kultur  nur  die  religiösen  Verhältnisse  und  die  Ethik  behandelt, 
während  Sprache,  Wissenschaft  und  Erziehungswesen  in  dem  Artikel  materielle 
Kultur  ihren  Platz  gefunden  haben.  Der  Stil  und  die  Ausdrucksweise  sind  ein- 
fach, aber  stellenweise  einförmig  und  durch  die  häufige  AViederholung  derselben 
Ausdrücke  ermüdend  (man  vgl.  nur  S.  91,  wo  zehnmal  der  Ausdruck  'geistige 
Kultur'  gebraucht  ist);  bisweilen  ist  die  Darstellungsweise  naiv,  und  der  Verf. 
verbreitet  sich  über  manches,  was  sich  von  selbst  versteht,  wie  besonders  in  dem 
Artikel  über  die  Ethik. ' 

Man  darf  nicht  verkennen,  dass  die  Bearbeitung  eines  solchen  Themas  in 
deutscher  Sprache  für  einen  Japaner  grosse  Schwierigkeiten  hat,  aber  es  ist  die 
Frage,  ob  die  Notwendigkeit  vorlag,  wiederum  ein  Werk  so  allgemeinen  Inhalts 
über  Japan,  von  denen  es  schon  so  viele  gibt,  zu  veröffentlichen.  Was  nach 
meiner  Ansicht  für  unsere  Kenntnis  des  Landes  ein  viel  dringenderes  Bedürfnis 
ist,  das  sind  Arbeiten  über  Spezialfragen. 

Berlin.  R udolf  Lans:e. 


342  Bolte,  Bartels: 

E.  H.  van  Heurck  et  G»  J.  Boekenoogen,  Histoire  de  rimagerie  populaire 
flamande  et  de  ses  rapports  avec  les  imageries  etrangeres.  Bruxelles, 
G.  van  Oest  et  cie  1910.     IX,  729  S.     4^     30  Fr. 

Öfter  schon  ist  der  Mangel  einer  Übersicht  über  die  reiche  Bilderbogen-Pro- 
duktion Deutschlands  während  des  IG.  und  17.  Jahrhunderts  bedauert  worden;  noch 
auffälliger  aber  ist  die  Vernachlässigung  der  künstlerisch  freilich  weit  tieferstehenden 
Volksbilderbogen  des  19.  Jahrhunderts.  Höchstens  die  politischen  Karikaturen 
oder  die  Leistungen  begabter  Zeichner  wie  Schadow,  Schwind,  Busch  haben  Be- 
achtung gefunden,  und  gelegentlich  ist  auf  die  Bedeutung  der  Neuruppiner  Ver- 
lagsfirmen hingewiesen  worden  (Bauer  in  Velhagens  Monatsheften  18,  2,  633 — 650. 
1904).  Und  doch  böten  diese  für  manche  Volksschichten  so  einflussreichen  und 
für  die  Kulturgeschichte  wichtigen  Blätter  ein  hübsches  Objekt  für  Sammler.  Die 
alten  Verse  „Was  Glehrte  durch  die  Schrift  verstahn,  Das  lehrt  das  Gmähl  den 
gmeinen  Mann"  (Scheible,  Die  fliegenden  Blätter  des  17.  Jahrhunderts  1850,  S.  249) 
gelten  mutatis  mutandis  auch  noch  für  die  Zeit  vor  100  Jahren. 

Solche  Gedanken  steigen  uns  beim  Durchblättern  des  vorliegenden  grossen 
und  prächtig  ausgestatteten  Bandes  auf,  der  eine  Geschichte  der  vlämischen  Bilder- 
bogenliteratur zu  geben  verheisst.  Den  Anlass  zu  seiner  Entstehung  gab  die  Er- 
werbung sämtlicher  Holzstöcke  des  Verlegers  Brepols  zu  Turnhout  und  des  Bilder- 
vorrates des  Verlegers  Beersmans  ebenda  durch  Herrn  van  Heurck.  Dieser  ver- 
fasste  nun  ein  beschreibendes  Verzeichnis  sämtlicher  während  des  19.  Jahrhunderts 
in  Turnhout  angefertigter  Bilderbogen  und  ging  der  Entwicklung  der  dabei  be- 
teiligten Druckerfirmen  nach  (S.  21— 517),  vervollständigte  aber  diesen  Abschnitt 
dann  im  Verein  mit  Dr.  Boekenoogen  durch  eine  Schilderung  des  Herstellungs- 
verfahrens und  durch  gelegentliche  Berücksichtigung  anderer  Blätter  aus  Gent 
und  Schaerbeck.  Ja,  wir  erhalten  auf  S.  531—665  einen  dankenswerten  Überblick 
über  die  Bilderbogenliteratur  in  den  Niederlanden,  in  Frankreich,  Deutschland, 
Österreich,  Schweiz,  Italien,  Spanien,  England,  Russland  und  Schweden,  wobei 
natürlich  viele  Partien  in  Ermanglung  ausreichender  Vorarbeiten  ungleichmässig 
behandelt  werden.  Trotzdem  freuen  wir  uns  dieser  nützlichen  und  warm  an- 
zuerkennenden Leistung,  deren  Wert  durch  die  Beigabe  von  mehr  als  300  Ab- 
bildungen, zum  Teil  Abdrücken  der  Originalstöcke,  und  von  14  Tafeln  noch  er- 
höht wird.  Hinsichtlich  des  Kunstwertes  können  sich  diese  roh  ausgeführten 
Blätter  allerdings  nicht  mit  den  Bilderbogen  des  16.  bis  17.  Jahrhunderts  messen, 
die  als  beliebter  Wandschmuck  in  vielen  Bürgerhäusern  dienten,  aber  sie  führen 
uns  hinein  in  den  Gedankenkreis  des  niederen  Volkes,  und  besonders  der  Kinder, 
die  sie  oft  im  Tauschhandel  vom  Lumpenmatz  erhielten:  wir  finden  das  Abc  dar- 
gestellt, Kinderspiele,  den  Popanz,  Musikanten,  Handwerker,  Zeitereignisse. 
Mächtig  erweist  sich,  hier  wie  in  allen  Erscheinungen  des  Volkstums,  die  Tradition: 
in  den  bis  ins  Mittelalter  zurückgehenden  geistlichen  Darstellungen,  in  den  Figuren 
der  Volksbücher  Reinke  Vos,  Eulenspiegel,  Valentin  und  Oursson,  des  ewigen 
Juden,  Cartouche,  Robinson,  in  den  nationalen  Typen  des  Lammen  Goedzak,  Jan 
Klaassen,  Klaes  Kapoen,  Tetjeroen,  Mannekenpis,  in  den  Abbildungen  der  Sprich- 
wörter, der  Stände,  Altersstufen,  des  Kredits,  der  Mode,  des  schon  bei  H.  Sachs 
beschriebenen  Freierbauraes,  der  Ehesatiren,  der  verkehrten  Welt,  des  Schlarafl:en- 
landes  usw.  Die  Märchen  sind  teils  aus  Perrault  geflossen,  teils  aus  der  Grimm- 
schen Sammlung  (Bremer  Stadtmusikanten,  Marienkind).  Und  nicht  nur  Schillers 
Gang  nach  dem  Eisenhammer,    sondern    auch  Meyerbeers  Robert  der  Teufel    und 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  343 

Mozarts  Zauberflöte  gelangen  durch  diese  Vermittlung  ins  vlämische  Volk.  Wer 
der  Geschichte  verbreiteter  Vorstellungen  und^  Erzählungsstoffe  nachgeht,  findet 
hier  mancherlei  Material,  dessen  Verwendung  durch  gute  Register  der  Abbildungen, 
Gegenstände,  Städte,  Drucker  usw.  bequem  gemacht  wird.  Es  wäre  zu  wünschen, 
dass  sich  viele  Leser  des  Werkes  zur  Mitarbeit  auf  diesem  noch  wenig  beackerten 
Felde  bewegen  Hessen. 

Berlin.  Johannes   Bolle. 


M.  A.  yan  Andel,   Volksgeneeskunst  in  Nederlaud.    Proefschrift    (Leiden). 
Utrecht,  J.  van  Boekhoven  1909.     459  S.     2  Abb.     8°. 

Diese  als  medizinische  Doktordissertation  abgefasste  Schrift  enthält  eine  Zu- 
sammenstellung einer  grossen  Reihe  von  volksmedizinischen  Angaben,  die  der 
Verfasser  mit  grossem  Fleisse  teils  selbst  gesammelt,  teils  aus  der  Literatur  zu- 
sammengetragen hat.  Wie  er  sehr  richtig  hervorhebt,  hat  ja  gerade  der  Arzt  sehr 
häufig  gute  Gelegenheit,  besonders  wenn  die  Art  seiner  Hilfeleistung,  z  B.  bei 
Entbindungen,  ihn  lange  Stunden  im  Hause  der  Patienten  festhält,  das  Vertrauen 
der  Familien  auch  nach  der  Richtung  hin  zu  gewinnen,  dass  sie  ihn  in  manche 
Geheimnisse  der  Hausapotheke  einweihen;  dies  hat  sich  der  Verfasser  zunutze 
gemacht  und  bei  Gelegenheit  seiner  beruflichen  Tätigkeit  mancherlei  in  Erfahrung 
zu  bringen  gesucht,  was  hier  als  der  Kern  seines  Werkes  wieder  erscheint.  Dazu 
kommt  weiteres  Material,  welches  er  durch  Versendung  von  Fragebogen  an  Ärzte, 
Apotheker,  Lehrer,  Geistliche  und  von  Hebammen  erhielt;  ferner  wurde  natürlich 
die  Literatur  berücksichtigt,  und  da  diese  zum  Teil  solchen  Quellen  entnommen 
ist,  welche  im  Ausland  weniger  bekannt  und  zugänglich  sind,  so  dürften  auch  diese 
Angaben  vielen  willkommen  sein.  Die  Anordnung  des  Stoffes  richtet  sich  nach 
der  Systematik  der  Krankheiten.  Zuerst  wird  Schw^angerschaft,  Geburt  und  Kind- 
bett behandelt;  dann  folgen  die  Kinderkrankheiten,  Geistes-,  Augen-,  Ohrenkrank- 
heiten, Erkrankungen  der  Atmungs-,  A'^erdauungs-  und  Geschlechtsorgane,  In- 
fektionskrankheiten, Hautkrankheiten,  Chirurgisches  und  rheumatische  Erkrankungen. 
Die  Einzelheiten  lassen  sich  hier  natürlich  nicht  zusammenfassen;  man  wird 
manchen  interessanten  Fund  machen.  Als  Beispiel  führe  ich  an  das  Inserat  aus 
dem  „Xieuwsblad  voor  Neederland"  von  1907:  „Mejuffr.  N.  N.,  Planeet-  en 
Handlijnkundige,  is  met  en  heim  geboren.  Geeft  opheldering  in  alle  zaken,  is 
elken  dag  te  spreken"  —  ein  interessanter  Beleg  dafür,  wie  allgemein  verbreitet 
in  Holland  noch  heute  der  Glaube  sein  muss,  dass  ein  'im  Helm'  oder,  wie  wir 
sagen  würden,  'in  der  Glückshaube'  geborener  Mensch  mit  übernatürlichen  Kräften 
begabt  sei.  Von  den  Abbildungen  stellt  die  eine  ein  Amulett  gegen  die  Fraisen 
vor:  an  einer  Schnur  sind  aufgereiht  eine  Elensklaue,  ein  in  Silber  gefasstes  Maul- 
wurfspfötchen,  eine  ohrförmige  Muschel  und  ein  mit  einer  eingeschnittenen,  an- 
geblich Jesus  vorstellenden  Figur  geschmückter  violetter  Stein,  gleichfalls  beide 
in  Silber  gefasst;  das  Mittel  wird  verliehen  und  dem  Leidenden  unter  das  Rissen 
gelegt.  Man  erkennt  hier  auch  sonst  beliebte  Fraismittel  wieder.  Die  andere  Ab- 
bildung zeigt  drei  gegen  die  fallende  Sucht  gebrauchte  Zettel  mit  einem  Gebet  an 
die  h.  drei  Könige  von  Köln  (welche  vor  Maria  mit  dem  Kinde  "niederfielen') 
aus  dem  19.  Jahrhundert;  eines  derselben  ist  in  französischer,  die  anderen  beiden 
in  holländischer  Sprache  abgefasst;  sie  befinden  sich  in  der  Kgl.  Bibliothek  zu 
's  Gravenhage. 

Berlin.  Faul  Bartels. 


344  Notizen. 

Notizeü. 

Achtzehnhundertneun,  die  politische  Lyrik  des  Kriegsjahres,  herausgegeben  von 
E.  F.  Arnold  und  K.  Wagner.  Wien  190i>.  XXIX,  482  S.  geb.  20  Mk.  (Schriften  des 
literarischen  Vereins  in  Wien  11).  —  Die  österreichische  Jahrhundertfeier  der  Schlacht 
von  Aspern  und  der  Tiroler  Kämpfe  gegen  Napoleon  I.  und  seine  Verbündeten  hat  neben 
wissenschaftlichen  und  gemeinverständlichen  Rückblicken  auch  das  vorliegende  Buch  ge- 
zeitigt, in  dem  der  Wiener  Literarhistoriker  Prof.  Arnold  mit  einem  jüngeren  Mit- 
arbeiter eine  überraschend  reiche,  um  nicht  zu  sagen  erschöpfende  Sammlung  der  öster- 
reichischen Kriegslyrik  jenes  Vorspiels  zu  dem  deutschen  Befreiungskriege  von  1813  aus 
Zeitungen,  Flugblättern  und  Handschriften  mit  allen  -wünschenswerten  historischen,  sprach- 
lichen und  literarischen  Erläuterungen  vor  uns  ausbreitet.  Die  grosse  Zahl  von  172  Liedern, 
die  während  dieses  einzigen  Jahres  in  Österreich  entstanden,  hat  allerdings  noch  be- 
sondere Gründe.  Mit  Bewusstsein  suchte  die  Regierung  damals  ausser  ihren  politischen 
und  militärischen  Reformen  auch  durch  eine  literarische  Agitation  in  Prosa  und  Versen 
den  Patriotismus  des  Volkes  zu  erwecken  und  zu  steigern.  Namentlich  die  neue  Schöpfung 
der  Landwehr  ward  von  H.  J.  v.  Collin,  der  als  Vorläufer  des  Hoffmannschen  Liedes 
'Deutschland  über  alles'  ein  'Ostreich  über  alles'  (S.  50)  dichtete,  u.  a.  in  geschickter 
Weise  verständlich  gemacht.  Neben  Collin,  Friedrich  Schlegel,  Schleifer  und  Zoller 
marschieren  freilich  manche  matte  Reimer  mit  Reminiszenzen  an  Klopstock  und  Schiller 
auf;  doch  auch  das  ältere  Soldatenlied  vom  Prinzen  Eugen  klingt  kräftig  nach,  und  viele 
mundartliche  Gedichte  unbekannter  Verfasser  treffen  den  echten  Volkston.  So  schliesst 
eine  derbwitzige  Satire  auf  die  in  Tirol  eingedrungenen  Bayern  mit  den  launigen  Versen 
(S.  226): 

Gemacht  habens  unser  vier:  Und  werdt  mich  nicht  verrathen; 

Ich,  Tinte,  Feder  und  Papier.  Sonst  kam  ich  auf  die  Polizey, 

Ihr  seyd  ja  Kameraden  Und  da  war  aller  Spass  vorbey. 

Wirkliche  Volkslieder  von  kühner  und  leidenschaftlicher  Färbung  finden  wir  insbesondere 
in  der  Gruppe,  welche  die  Heldenkämpfe  der  Tiroler  darstellt,  Dass  Andreas  Hofers 
treuherziges  Sterbelied  'Ach  Himmel,  es  ist  verspielt'  (S.  270)  von  Hofer  selber  herrührt, 
wie  Hörmann  annimmt,  möchten  wir  entschiedener  als  die  Herausgeber  bezweifeln. 
Rühmenswert  ist  die  musterhafte  Textbehandlung  und  die  ausgiebige  sachliche  Erläuterung, 
um  derenwillen  das  Werk  R.  v.  Liliencrons  schöner  Sammlung  unsrer  älteren  historischen 
Volkslieder  an  die  Seite  gestellt  zu  werden  verdient. 

A.  Brunk,  Osnabrücker  Rätselbüchlein  (Progr.  des  Gymn.  zu  Osnabrück  1910, 
Nr.  429.  84  S).  —  Die  oben  17,  298—307  herausgegebene  Sammlung  erscheint  hier  von 
106  auf  343  Nummern  vermehrt  und  mit  einer  hübschen  Einführung. 

A.  Freybe,  Das  deutsche  Haus  und  seine  Sitte.  2  Teile.  Gütersloh,  Bertelsmann 
1910.  VIII,  163.  X,  223  S.  5  Mk.  —  F.  behandelt  nach  einer  in  Riehls  Weise  gehaltenen 
Einleitung  die  Herd  und  Haus  gründende,  die  bekennende  und  heiligende,  die  gesellig 
verbindende,  die  warnende  und  bewahrende,  die  schmückende  und  die  trauernde  und 
tröstende  Sitte.  Der  Wert  seines  nachdrücklich  auf  die  ethischen  Werte  der  Volkssitte 
hinweisenden  Buches  beruht  weniger  in  den  hier  zusammengetragenen  Materialien,  bei 
deren  Auswahl  er  von  den  neueren  landschaftlichen  Forschungen  nur  selten  Notiz  nimmt 
und  zuweilen  (in  Mythologie,  Etymologie,  Hausbauforschung  usw.)  kritische  Vorsicht  ver- 
missen lässt,  als  auf  den  Anregungen,  die  er  damit  weiteren  Kreisen,  besonders  Geistlichen 
und  Lehrern,  zum  Nachdenken  und  zur  Schonung  bestehender  Bräuche  gibt.  Der  erste 
Teil  war  bereits  1892  zum  ersten  Male  erschienen. 

C.  Catharina  van  de  Graft,  Palmpaasch,  een  folkloristische  Studie  van  pahii- 
zondaggebruiken  in  Nederland.  Dordrecht,  C.  Morks  Gz.  1910.  72  S.  mit  13  Tafeln.  — 
Die  aus  einer  kleinen,  aber  methodisch  angelegten  Abhandlung  (s.  oben  17,  357)  er- 
wachsene Studie  schildert  die  durch  umständliche  Nachfragen  ermittelte  Verbreitung  der 
verschiedenen  Formen  des  mit  einem  Kranz  und  Vogel  aus  Brotteig  u.  a.  verzierten 
Palmsonntagszweiges,   mit  .dem    die  Kinder    in  Holland  herumziehen   und  singend  Gaben 


Notizen.  345 

heischen.  Natürlich  stammt  der  Brauch  aus  der  kirchlichen  Sitte  des  Mittelalters,  an 
diesem  Tage  mit  grünen  Zweioen  in  Prozession  hinter  dem  Palmesel  herzuziehen;  aber 
die  mit  der  neueren  volkskundlichen  Forschung  vertraute  Verfasserin  weist  noch  weiter 
zurück  auf  die  altgriechische  Eiresione  und  die  heidnischen  Opferkuchen,  um  endlich  in 
den  letzten  Kapiteln  die  nid.  Zeugnisse  und  Bilder  aus  dem  17.  bis  18.  Jahrhundert  und 
die  neueren  Palmzweigliedchen  und  deren  Weisen  vorzuführen.  Die  Illustrationen,  ins- 
besondere die  farbige  Reproduktion  eines  Gemäldes  von  J.  Buys  (1772),  sind  wohlgelungen.  — 
Vgl.  G.  Schmidt,  Palmsonntagszweige  in  Westböhmen  (Zs.  f.  öst.  Yk.  15,  153f.). 

M.  Herrmann,  Bilder  aus  dem  Kinderleben  des  16.  Jahrhunderts  (Mitteilungen  der 
Ges.  f.  deutsche  Erziehungsgeschichte  20,  125 — 145).  —  Zehn  Abbildungen  aus  den  in 
Braunschweig  befindlichen  Trachtenbüchern  des  Augsburgers  Matthäus  Schwarz  und  seines 
Sohnes. 

M.  Höfler,    Die   Schnecke    (Die  Propyläen  7,  Nr.  25,  S.  392-394.    München  lillO'. 

Jakob  Hurt,  Setukeste  laulud:  Setukesian  songs,  the  old  folksongs  of  the  Esthonians 
in  the  government  Pskov  and  in  two  neighbouring  parishes  of  Lifland,  with  a  summary 
in  german,  1—8.  Helsingfors  1904  — 1907  (Monumenta  Estoniae  antiqua  1,  1—3:  Carmina 
popularia  =  FF  Publications,  northern  series  1).  XL,  73(J,  88.  XXVTII,  710,  1G8.  IX, 
474,  137  S.  42  Mk.  —  Von  den  grossen  Sammlungen  zur  estnischen  Volkskunde,  die  der 
1907  verstorbene  Pastor  Hurt  zusammengebracht  hat,  liegen  nunmehr  die  Lieder  der 
orthodoxen  Pleskauer  Esten  in  vollständigem  Textabdrucke  vor.  Es  sind  268  epische  und 
699  lyrische  Texte  in  dem  bekannten  Versmasse  von  vier  Hebungen  ohne  Auftakt: 
Melodien  fehlen.  Leider  konnte  Hurt  nicht  gleich  seinen  Vorgängern  Neus  und  Kreutz- 
wald  (ISöOff.)  eine  vollständige  Verdeutschung  beigeben,  sondern  wurde  durch  V'i  ge- 
waltigen Umfang  seines  Werkes  genötigt,  sich  auf  eine  angehängte  Inhaltsarf^*55e  in 
deutscher  Sprache  zu  beschränken.  Auch  für  diese  sind  wir  sehr  dankbar,  da  wir  so  er- 
wünschten Einblick  in  die  Gemütswelt  des  Estenvolkes  und  die  verwendeten  Motive  ge- 
winnen. Wenn  in  den  'mythischen'  Liedern  Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Freier  einer 
Jungfrau  auftreten  oder  ein  Sonnensohn  erstochen  wird,  so  scheint  dies  mehr  eine  poetische 
Hyperbel  als  eine  mythologische  Figur  zu  bedeuten;  nur  vom  Hause  des  Totengottes 
Tooni  herrscht  eine  konkretere  Anschauung.  Bäume,  Sterne,  ein  Schmuck  werden  redend 
eingeführt,  Vögel  als  Boten  oder  als  Lehrer  des  Gesanges:  der  Schlaf,  das  Lied,  die 
Lustbarkeit  werden  personifiziert;  ein  eigentümliches  Symbol  bildet  das  'Liebesblatt' 
(1,  12),  das  ein  Mädchen  im  Walde  findet,  aber  nicht  eher  aufzuheben  vermag,  als  bis  sie 
ihren  Schmuck,  ihre  gesamte  Aussteuer,  ihr  Haus  mit  allen  Brüdern  verspi'ochen  hat: 
wie  sie  darauf  heimkommt,  ist  das  Haus  samt  den  Ihrigen  in  einem  See  versunken. 
Bekannte  epische  Stoffe  sind  die  Losgekaufte  (Erk-Böhme  nr.  78),  das  in  den  Krieg  ent- 
botene, aber  durch  seinen  Bruder  vertretene  Mädchen,  die  Mutter  und  die  Spinnerin  (Erk- 
Böhme  nr.  838),  die  zum  Lachen  gebrachte  Prinzess  (Grimm  KHM.  64),  ätiologische 
Fabeln  von  Pferd,  Ochs,  Espe,  der  mit  Maria  (nicht  Petrus)  wandernde  Christus.  Eine 
eigentümliche  Erscheinung  ist  die  Zusammenschweissung  von  zwei  -oder  drei  epischen 
Liedern  zu  einem  neuen.  Die  im  2.  und  3,  Bande  enthaltenen  lyrischen  Stücke  betreffen 
die  verschiedenen  Lebensstände,  Beschäftigungen,  Spiele  und  Feste.  Den  meisten  Raum 
nahmen  die  Hochzeitsgesänge  ein,  welche  das  bei  dieser  Feier  übliche  umständliche 
Zeremoniell  zeigen;  bei  jeder  einzelneu  Handlung  wird  gesungen,  und  für  alle  Gäste  und 
alle  Verhältnisse  gibt  es  besondere  Lieder,  so  z.  B.  wenn  eine  Einladung  an  die  ver- 
storbenen Eltern  im  Grabe  oder  an  einen  früheren  Liebhaber  der  Braut  ergeht,  wenn'  der 
Bräutigam  eine  Witwe  oder  ein  gefallenes  Mädchen  ehelicht  oder  selber  ein  'Gefallener' 
ist.  Wir  erhalten  ferner  Begräbnislieder,  Gesänge  beim  Johannisfeuer,  für  den  Martins-, 
Annen-,  Katharinentag,  Aufzählungen  der  Flachsarbeiten,  Klagen  des  Rekruten,  der  Magd,, 
der  Waise,  der  unglücklichen  Frau,  Lügenlieder,  Tierfabeln  wie  das  Begräbnis  der  Bremse, 
des  Hasen  Klage  usw.  Das  eigentliche  Verdienst  des  Sammlers  kann  natürlicii  nur  ein 
Kenner  der  estnischen  Sprache  würdigen,  aber  auch  so  gebührt  der  Finnischen  Literatur- 
gesellschaft lebhafter  Dank,  welche  diesen  Schatz  allgemein  zugänglich  gemacht  und  au 
die  Spitze  der  Veröffentliclmngen  der  Folklore-Fellows  Society  gestellt  hat,  von  denen 
schon  eben  19,  233  (Thuren;  vgl.  unten  S.  347  Launis)  die  Rede  war. 


346  Notizen. 

A.  Koskenjaakko,  Koira  suomalaisissa  ynnä  virolaisissa  sananlaskuissa  (Der  Hund 
in  linnischen  und  estnischen  Sprichwörtern).     Diss.  Helsingfors  1909.    142  S. 

Das  Land,  Zeitschrift  für  die  sozialen  und  volkstümlichen  Angelegenheiten  der  Land- 
bevölkerung, Organ  des  Deutschen  Vereins  für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimatpflege, 
Organ  des  Deutschen  Landpflege  Verbandes.  Herausgeber  Prof.  Heinrich  Sohnrey. 
18.  Jahrgang.  Berlin,  Trowitzsch  &  Sohn.  1910.  24  Nr.  4".  6  Mk.  —  Unter  den  Zeit- 
schriften, welche  sich  mit  deutscher  Volkskunde  beschäftigen,  nimmt  'Das  Land'  nicht  die 
letzte  Stelle  ein.  Die  Ziele,  welche  diese  von  Heinrich  Sohnrey  im  Auftrage  des  Deutschen 
Vereins  für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimatpflege  herausgegebene  Halbmonatsschrift 
verfolgt,  decken  sich  in  manchen  Punkten  mit  den  Bestrebungen  der  Vereine  für  Volks- 
kunde. Dafür  legt  besonders  der  Abschnitt  'Heimat  und  Volkstum'  in  jeuer  Zeitschrift 
beredtes  Zeugnis  ab.  Diese  Abteilung  ist  eine  reiche  Fundgrube  von  Originalberichten 
über  alle  Gebiete  der  Volkskunde.  Die  grosse  Zahl  der  Mitglieder  des  Deutschen  Vereins 
für  ländliche  Wohlfahrts-  und  Heimatpflege  —  nach  dem  letzten  Geschäftsbericht  sind  es 
über  5000  persönliche  und  etwa  450  korporative  —  diese  grosse  Zahl,  denen  allen  die 
Zeitschrift  'Das  Land'  zugeht,  bürgt  für  eine  weite  Verbreitung  und  Kenntnisnahme  der 
volkskundlichen  Artikel  durch  ein  hierfür  besonders  interessiertes  Publikum.  Wir  haben 
daher  aus  diesen  Anregungen  auch  weiterhin  viele  schätzenswerte  Beiträge  zu  erwarten 
und  können  für  die  Pflege  und  Bewahrung  volkstümlicher  Überlieferungen  aller  Art  die 
besten  Hoffnungen  auf  'Das  Land'  setzen.  —  Was  die  Hauptziele  des  'Deutschen  Vereins' 
betrifft,  so  liegen  sie  auf  dem  Gebiet  der  praktischen  Arbeit  und  Sorge  für  das  Wohl- 
ergehen der  Landbevölkerung  in  geistiger,  körperlicher  und  sozialer  Hinsicht.  Diese  Be- 
stre'iiiogen  müssen  jedem  höchst  'dankenswert  erscheinen,  der  für  die  Zukunft  unseres 
Volke'.?'*  besorgt  ist  und  in  der  Abwanderung  der  Landbevölkerung  in  die  grossen  Städte 
keine  naturnotwendige  Erscheinung  erblickt,  sondern  eine  Krankheit,  deren  Heilung  uns 
allen  am  Herzen  liegen  muss.  In  der  richtigen  Erkenntnis,  dass  die  Liebe  zur  Heimat 
viel  zur  Bekämpfung  des  Übels  der  Landflucht  beitragen  kann,  hat  der  Herausgeber  des 
•Land'  der  geistigen  Waffe  der  Volkskunde  in  seiner  Zeitschrift  Raum  gewährt  und  be- 
kämpft so  durch  die  Kunde  von  der  deutschen  Eigenart  in  Wohnbau,  in  Tracht,  Gerät, 
Glaube,  Brauch  und  Sitte  die  Gleichgültigkeit  gegen  die  Grundlagen  menschlicher  Zu- 
friedenheit und  irdischen  Glücks,  Heimat  und  Vaterland.  —  Um  nun  auch  einige  Bei- 
spiele aus  dem  Inhalt  der  besprochenen  Zeitschrift  zu  geben,  sei  der  laufende  18.  Jahr- 
gang herangezogen.  Da  finden  wir  eine  von  Chr.  Schlag  in  Weida  verfasste  ausfülirliche 
Schilderung  des  Spinn-  und  Hutzenstubenwesens  im  Vogtlande  und  in  Ostthüringen  im 
2.  bis  4.  Heft,  eine  Beschreibung  des  interessanten  Richtefestes  in  Nordhannover  von 
Job.  Autlos  in  Lüneburg  im  8.  Heft,  dann  eine  lebensvolle  Besprechung  der  Advents- 
gebräuche im  Böhmerwalde  von  Joh.  Peter  im  5.  und  von  demselben  im  12.  Heft  einen 
Aufsatz  über  das  'Eierpecken',  eine  Ostersitte  im  Böhmerwalde.  Schliesslich  sei  noch  ein 
anderer,  vom  Pfarrer  Wildhagen  zu  Cumlosen  im  Heft  13  beschriebener  Ostergebrauch 
aus  der  Priegnitz  erwähnt,  der  'Brautball'  und  'Brautschiebel'  heisst.  Das  sind  zwar  alles 
Volksbräuche,  welche  sich  nicht  nur  iu  den  angegebenen  Orten  finden,  sondern  weit  verbreitet 
sind  oder  waren,  aber  ihre  Schilderung  ist  teils  unmittelbar  aus  dem  Leben  oder  der  Er- 
innerung der  ehemals  dabei  Beteiligten  geschöpft  und  deshalb  von  Wert,  zumal  auch 
immer  einige  lokale  Besonderheiten  n)it  unterlaufen,  die  bei  systematischen  Untersuchungen 
wichtig  werden  können.  So  ist  die  Zeitschrift  'Das  Laud'  allmählich  zu  einer  zeit- 
genössischen Quellensammlung  für  deutsche  Volkskunde  geworden ,  welche  eine  aus- 
führlichere Besprechung  und  Empfehlung  an  dieser  Stelle  rechtfertigt.  (Karl  Brunner.) 
^laoy ()Uffia,  dsXzcov  Tijg  flkrjvixrj^  XaoyQa<fixijg  haiQfia;,  TÖfiog  A' ,  Tsv^og  A'  (Athen, 
Beck  &  Barth.  1910.  S.  461—732).  —  Das  Schlussheft  des  1.  Bandes  der  von  N.  G.  Polites 
vortrefflich  geleiteten  Zeitschrift  enthält  eine  ausführlich  ikonographische  Studie  von 
A.  Adamantios  über  die  auf  Elfenbeinreliefs,  Miniaturen,  Wandgemälden  und  Holztafelu 
dargestellte  Keuschlieitsprobe  der  Jungfrau  Maria  mittels  des  Fluchwassers  (4.  Mose  5,  IT); 
ferner  mehrere  Lieder  und  Rätsel,  einen  Traktat  über  die  Bedeutung  der  Muttermäler 
und  einen  Brief  C.  Dapontes,  alles  von  A.  Papadopulos-Kerameus  aus  Hss.  hervor- 
gezogen;   K.  D.  Papajoannides,    68  Volkslieder  aus  Sozopolis;    E.  Kurilas,   30  alba- 


Notizen.  347 

nesische  Spricliwörter:  Polites,  Yolkskundliche  Zeitschriftenschau.    Ausserdem  Miscelleu, 
Mitteilungen,  Bücherbesprecbungen,  Register. 

Annas  Launis,  Lappische  Juoigos-Melodien  gesammelt  und  hsg.  Helsingfors  1908. 
LXIV,  209  S.  10  Mk.  (Memoires  de  la  soc.  finno-ougrienne  26  =  F.  F.  Publications, 
northern  series  no.  3).  —  712  in  Finnisch-  und  Norwegisch-Lappland  gesammelte  Lied- 
weisen  (Juoigos)  bietet  uns  L.,  ein  Schüler  Ilmari  Krohns.  Die  Texte  bestehen  oft  nur 
aus  dem  oft  wiederholten  Namen  des  besungenen  Menschen,  Tieres  oder  Ortes  mit  einigen 
Füllworten  oder  aus  einem  charakteristischen  Ausspruch:  'Piera:  Ich  habe  kein  Mädchen 
gesehen,  um  dessen  willen  ich  mir  das  Gesicht  waschen  würde'  (384),  'Klein  Margit: 
Hätte  ich  doch  Kadja  Jovsa  genommen,  so  hätte  ich  ein  Kiud  im  Zelte  wiegen  können' 
(468),  'Das  Dampfschiff  geht,  das  Wasser  sprudelt'  (712),  'Tag  und  Nacht  arbeitet  er,  selbst 
Träume  quälen  ihn  nicht'  (18.  Spott  auf  den  Liedersammler).  Wesentlicher  sind  die 
Melodien,  für  welche  die  Lappen  ein  feines  Gehör  und  gutes  Gedächtnis  haben.  Die  ein- 
fache Melodik,  welche  dieselbe  Toufolge  öfter  wiederholt,  bewegt  sich  meist  in  der  pen- 
tatonischen  Tonleiter;  sehr  entwickelt  ist  das  rhythmische  Gefühl,  das  öfter  verschiedene 
Taktarten  kombiniert.  Angeordnet  ist  das  reiche  Melodienmaterial  nach  der  Zahl  der 
Akzente  in  der  Zeile.  Das  S.  I  angeführte  Werk  von  Wiklund  (Lapparnes  sang  och  poesi, 
üppsala  190())  ist  dem  Ptef.  bisher  unbekannt  geblieben. 

V.  J.  Mansikka,  Kleinere  Beiträge  zur  Balder-Lemminkäinen-Frage  (Finnisch- 
ugrische  Forschungen,  Anzeiger  8,  206—217).  —  Slawische  Apokryphen  des  16.  bis 
18.  Jahrh.  schmücken  den  Kreuzestod  Christi  mit  ähnlichen  legendarischen  Zutaten  über 
-den  Kreuzesbaura,  Gespräche  mit  Maria  u.  a.  aus,  wie  sie  Bugge  für  die  nordische  Balder- 
sage  und  Kroha  für  die  finnische  Lemminkäineu-Rune  als  Vorbild  annahmen. 

Der  älteste  Text  des  Oberammergauer  Passionsspieles,  nach  der  Handschrift 
im  Archiv  des  Hauses  Guido  Lang  hsg.  [von  Georg  Queri].  Oberammergau,  Gg.  Lang 
sei.  Erben  1910.  XLVII,  172  S.  kl.  4".  Kart.  8  Mk.  —  Die  Geschichte  des  berühmten 
Passionsspieles,  das  in  diesem  Sommer  wiederum  viele  Tausende  von  Zuschauern  in  Ober- 
ammergau versammeln  wird,  liegt  dank  den  Forschungen  Aug.  Hai-tmanus  u.  a.  im  wesent- 
lichen klar  vor  uns.  1633  infolge  einer  Pest  gestiftet,  hat  es  im  Laufe  der  Zeit  eine 
Menge  grösserer  und  kleinerer  Abänderungen  erfahren,  die  wir  in  drei  Perioden  gliedern 
können:  1.  die  des  Meistersäugerstiles  seit  1662,  2.  die  des  J^uitenstiles  seit  1750,  3.  die 
des  Prosadialoges  seit  1811.  Der  gegenwärtige  Spieltext  (gedruckt  190O)  ist  seit  1850 
vom  Pfarrer  Daisenberger  verfasst  auf  Grund  der  1811  von  P.  Ottmar  Weiss  unter- 
nommenen Neugestaltung:  Weiss  hatte  die  prunkvollen  allegorischen  Figuren,  die  krasse 
Ausmalung  von  Judas  Selbstmord  u.  ä.  in  der  Fassung  des  P.  Ferd.  Rosner  aus  Kloster 
Ettal  (1750)  gestrichen  und  die  schwülstigen  Verse  durch  einen  auf  den  Bibeltext  zurück- 
gehenden Prosadialog  ersetzt,  in  den  er  alttestamentliche  Vorbilder  und  Liederstrophen 
einlegte.  Rosners  Text,  der  schon  1780  durch  M.  Knipfelberger  aus  Ettal  überarbeitet 
ward,  ist  uns  bisher  nur  durch  einzelne  Proben  bekannt;  dagegen  liegt  die  älteste  er- 
haltene Gestalt  des  Passionsspieles  vom  Jahre  1662  uns  jetzt  in  einem  wortgetreuen,  vor- 
züglich ausgestatteten  und  mit  Dürer.schen  und  Altdorferschen  Holzschnitten  gezierten 
Abdruck  vor,  in  dem  wir  uur  eine  Zählung  der  Verse  vermissen.  Die  Einleitung  macht 
keine  gelehrten  Ansprüche,  fügt  aber  den  bereits  früher  ermittelten  Tatsachen  einige 
neue  Mitteilungen,  besonders  über  Rosners  Stück,  und  zwei  aus  Oberammergauer  Hss. 
geschöpfte  Weihnachtslieder  hinzu.  Der  Text  ist,  wie  Hartmann  1880  darlegte,  keine 
Originaldichtung,  sondern  aus  zwei  Augsburger  Passionsspielen,  einem  anonymen  ■  des 
15.  Jahrhunderts  und  einem  1566  gedruckten  des  Meistersängers  Seb.  Wild,  in  ziemlich 
mechanischer  Weise  zusammengesetzt;  er  reicht  also  wirklich  teilweise  bis  ins  Mittelalter 
zurück  und  streckt  seine  Wurzeln  sogar  über  Deutschlands  Grenzen  hinaus.  Denn  wie  im 
Archiv  für  neuere  Sprachen  105,  1  gezeigt  wurde,  fusst  Wilds  Drama  auf  dem  lateinischen 
'Christus  redivivus'  des  Oxforder  Magisters  Nicholas  Grimald,  der  15o6  von  Augsburger 
Gymnasiasten  aufgeführt  wurde.  So  bildet  der  uns  jetzt  zugänglich  gemachte  Ober- 
ammergauer Spieltext  von  1662  für  die  Geschichte  des  Volksschauspieles  ein  wertvolles 
Dokument,  an  dem  sich  die  überraschende  Fortdauer  der  mittelalterlichen  Kunstübung 
gut  studiereu  lässt. 


348  Notizen. 

A.  Olrik,  Irminsul  og  gudestetter  (Maal  og  minne  1910,  1—9).  —  Die  Säulen  mit 
dem  Götternagel,  die  im  Hause  der  altnordischen  Häuptlinge  neben  dem  Ehrensitze  standen 
hatten,  wie  aus  einem  Vergleiche  der  altdeutschen  Irminsäulen  (universalis  columna,  quasi 
sustinens  orania)  und  der  noch  im  IS.  Jahrhundert  bei  den  Finnen  verehrten  'Weltpfeiler' 
erhellt,  die  zweifache  Bedeutung  einer  die  Welt  tragenden  Säule  und  eines  rohgeschnitzten 
Götterbildes. 

W.  Ohnesorge,  Deutung  des  Namens  Lübeck,  verbunden  mit  einer  Übersicht  über 
die  lübischen  Geschichtsquellen  sowie  über  die  verwandten  Namen  Mitteleuropas,  ein 
Beitrag  zur  deutschen  und  slawischen  Ortsnamen- Forschung.  Progr.  des  Katharineums. 
Lübeck  1910.    104  S.  —  Ein  erweiterter  Abdruck  der  oben  19.  469  augezeigten  Abhandlung. 

A.  Playfair,  The  Garos.  With  an  introduction  by  Sir  J.  Bampfylde  Füller. 
London,  D.  Nutt  1909.  XVI,  172  S.  mit  Illustrationen  und  Karten.  7  sh.  6  d.  —  Die 
Garos  sind  ein  aus  Innerasien  nach  Assam  eingewanderter  Stamm  am  Brahmaputra,  der 
inmitten  des  dortigen  Völkergemisches  viel  von  seiner  Eigenart  bewahrt  hat.  Ihre  Sprache 
gehört  der  tibetanischen  Gruppe  an,  enthält  aber  auch  türkische  Elemente.  Die  Sitte  des 
Matriarchates  haben  sie  mit  den  benachbarten  Khasis  gemeinsam,  über  die  eine  tüchtige 
Monographie  von  Major  Gurdou  (s.  oben  17,  357)  vorliegt.  Nach  dem  Muster  dieses 
Werkes  ist  auch  das  vorliegende  Buch  des  Majors  P.  disponiert;  es  behandelt  in  sieben 
Abschnitten  mit  militärischer  Knappheit  Allgemeines,  häusliches  Leben,  Gesetze  und  Sitten, 
Religion,  Volksüberlieferungen,  Vermischtes,  Sprache.  Ohne  auf  die  Götterwelt  der  Garos, 
ihre  geschnitzten  Ahnenpfeiler,  die  zahllosen  Ohrringe  u.  a.  einzugehen,  weisen  wir  nur 
auf  die  S.  118—146  mitgeteilten  Erzählungen  und  Lieder  hin.  Ausser  einer  Lokalsage 
und  mehreren  Tiermärchen  (warum  der  Rattenschwanz  kahl;  der  Regenwurm;  der  Krebs 
rettet  seine  Freundin,  die  Bachstelze)  begegnet  ein  hübsches  Märchen  von  der  Jungfrau 
Singwil,  die,  um  einer  harten  Mutter  zu  entrinnen,  sich  in  eine  Taube  verwandelt,  von 
einem  Jüngling  gefangen  und  geheiratet  wird  und  diesen  dreimal  vom  Tode  errettet: 
ferner  eine  Totenklage,  ein  Liebesduett  und  Festgesänge. 

J.  E.  Rabe,  Kasper  Putscheneller  (Mitt.  aus  dem  Quickborn  3,  69—83.  Hamburg 
1910).  —  Anziehende  Mitteilungen  über  Hamburger  Kasperlespiele  und  deren  Abbildungen, 
Abdruck  einiger  Szenen.  —  Vgl.  A.  Delen,  Het  poppenspei  in  Viaanderen  (Elsevier 
1910,  96—115). 

A.  Richter,  Deutsche  Redensarten  sprachlich  und  kulturgeschichtlich  erläutert, 
dritte  vermehrte  Auflage  hsg.  von  0.  Weise.  Leipzig,  F.  Brandstetter  1910.  II,  238  S. 
2,40  Mk.  —  Die  nützliche,  dem  Buche  von  Borchardt- Wustmann  verwandte  Sammlung 
erscheint  hier  auf  212  Nummern  vermehrt.  Die  neuere  Literatur  hat  W.  berücksichtigt 
und  bei  zweifelhaften  Erklärungen  meist  Vorsicht  beobachtet.  Doch  ist  Nr.  42  'Es  ist  die 
höchste  Eisenbahn'  ohne  Quellenangabe  wörtlich  aus  dieser  Zs.  12,  348  übernommen,  während 
andre  Zeitschriftenartikel  sorgsam  gebucht  werden. 

E.  Rolland,  Faune  populaire  de  la  France  tome  11:  Reptiles  et  poissons,  premiere 
partie.  Paris  1910.  VII,  255  S.  8  Fr.  —  Zu  den  sechs  Bänden  seines  ausgezeichneten 
Werkes  über  die  Tierwelt  im  französischen  Volksmunde  (1877—83)  hatte  der  unermüdliche 
Sammler  R.  eine  im  Selbstverlage  erscheinende  Eigänzung  begonnen  und  bereits  drei 
Bände  (7.  8.  12.)  veröffentlicht,  als  ihn  am  24  Juni  1909  der  Tod  abrief.  Aus  seinem 
Nachlasse  gibt  nun  sein  Freund  H.  Gaidoz,  der  auch  die  Fortführung  der  'Flore  populaire' 
(1—7.  1896—1906)  und  der  Zeitschrift  'Melusine'  übernommen  hat,  den  11.  Band  heraus, 
welcher  die  Reptilien  und  die  Fische  vom  Haifisch  bis  zum  Hering  behandelt.  Die  knappe 
und  übersichtliche  Einrichtung,  nach  der  die  zahlreichen  mundartlichen  Bezeichnungen 
der  romanischen  und  germanischen  Sprachen,  die  Redensarten,  Meinungen,  Bräuche, 
Märchen  usw.  aus  den  letzten  vier  Jahrhunderten  nebst  Quellenangabe  vorgeführt  werden, 
ist  dieselbe  geblieben.    Für  Volkskundler  und  Sprachforscher  eine  wahre  Fundgrube. 

P.  Sartori,  Sitte  und  Brauch,  1:  Die  Hauptstufen  des  Menschendaseins.  Leipzig, 
W.  Heims  1910.  VIII,  186  S.  2  Mk.  (Handbücher  zur  Volkskunde  5).  —  Mit  besonderer 
Freude  begrüssen  wir  den  neuen  Band  der  volkskundlichen  Handbücher,  der  uns  eine 
längst  ersehnte  zuverlässige  Zusammenfassung  des  in  Büchern  und  Zeitschriften  ver- 
streuten Materiales    über    die    au  Geburt,    Hochzeit    und  Tod    anknüpfenden  Bräuche    des 


Notizen.  34*> 

deutschen  Landvolkes  bietet.  Mit  -wissenschaftlichem  Takte  sind  dabei  die  wichtigsten 
Berichte  ausgewählt  und  knapp,  aber  hinreichend  deutlich  die  Besonderheiten  einzelner 
Landschaften,  die  sich  neben  aller  Gemeinsamkeit  geltend  machen,  hervorgehoben.  Zur 
Erläuterung  hat  der  Vf.  mehrfach  auf  verwandte  Bräuche  andrer  europäischer  und  ausser- 
europäischer  ^'ölker  verwiesen,  bei  der  Deutung  aber  durchweg  Vorsicht  geübt.  Die 
reichhaltigen  Quellennachweise  nehmen  zumeist  die  untere  Hälfte  jeder  Seite  ein,  öfter 
auch  mehr.     Auf  S.  101  —  186  folgt  ein  gut  ausgewähltos  Literaturverzeichnis. 

E.  L.  Schmidt:  Johannes  Bohemus,  Das  deutsche  Volk  (152()).  Progr.  des  k.  Luiscn- 
gymnasiums  zu  Berlin  1910.  63  S.  —  Aus  dem  ersten  wissenschaftlichen  Kompendium 
der  Völkerkunde,  dem  von  Seb.  Franck,  Münster  u.  a.  ausgeschriebenen  Werke  des  Huma- 
nisten J.  Bohemus  'Omnium  gentium  mores,  leges  et  ritus'  druckt  S.,  der  bereits  1904 
die  Anfänge  der  deutschen  Volkskunde  sachkundig  dargestellt  hatte  (oben  15,  360),  die 
Kapitel  12—17  des  3.  Buches,  die  von  den  Sachsen,  Westfalen,  Franken,  Schwaben, 
Bayern  handeln,  mit  einer  kurzen  Einleitung  ab.  Er  empfiehlt  diesen  Text  nicht  nur  den 
Freunden  der  Volkskunde,  sondern  auch  den  Gymnasiasten  als  Klassen-  oder  Privatlektüre. 

H.  Schuchardt,  Sachwortgeschichtliches  über  den  Dreschflegel  (Zs.  f.  romanische 
Philologie  34,  257-294). 

H.  Stahl,  P.  Martin  von  Cochem  und  das  'Leben  Christi',  ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  religiösen  Volksliteratur  (Beiträge  zur  Literaturgeschichte  und  Kulturgeschichte  des 
Rheinlandes  2).  Bonn,  Hanstein  1909.  VIII,  200  S.  4,50  Mk.  —  Während  die  protestantische 
Erbauungsliteratur  in  H.  Beck  (1883)  einen  Darsteller  fand,  ist  die  religiöse  Volksliteratur 
der  Katholiken  lange  ein  vernachlässigtes  Gebiet  geblieben.  Doch  hat  schon  Scherer 
nachdrücklich  auf  die  Bedeutung  des  Kapuzinerpaters  Martin  von  Cochem  (1634—1712) 
hingewiesen.  Unter  den  Werken  dieses  fruchtbaren  Schriftstellers  verdient  neben  dem 
'Historybuch',  aus  dem  die  Volksbücher  von  Griscldis,  Hirlanda,  Genovefa,  Elisabeth  von 
Thüringen  geflossen  sind,  namentlich  sein  1677  erschienenes  und  unzählige  Male  aufgelegtes 
*Leben  Christi'  Beachtung.  Ihm  gilt  die  vorliegende  fleissige  Arbeit.  Stahl  zeigt  an  ein- 
zelnen Kapiteln,  dass  M.  durchweg  kompilatorisch  verfuhr  und  aus  lateinischen  und 
deutschen  Quellen  (Bernhard,  Bonaventura,  Walasser,  Stanihurstus,  Quaresmius  usw.)  alle 
Züge  zusammentrug,  die  dem  Volke  verständlich  waren  und  die  heilige  Geschichte  an- 
schaulich« r  und  ergreifender  machen  konnten,  wie  er  sich  jedoch  zugleich  in  die  Seelen- 
zustände  seiner  Personen  hineinversetzte,  so  dass  ihn  ein  rationalistischer  Kritiker  nicht 
ohne  Grund  den  Oberseufzervorschneider  nannte.  M.  hat  zwar  nicht  aus  älteren  Passions- 
spielen geschöpft,  wie  Wackerneil  annahm,  wohl  aber  auf  die  späteren  Volksdramen  ein- 
gewirkt. 

G.  Steinhausen,  Germanische  Kultur  in  der  Urzeit.  2.  Auflage.  Leipzig,  Teubner 
1910.  IV,  136  S.  geb.  1,25  Mk.  (Aus  Natur  und  Geisteswelt  75).  —  Die  zunächst  als  Ein- 
leitung in  St.s  'Geschichte  der  deutschen  Kultur'  gedachte  Schilderung  der  germanischen 
Urzeit  berücksichtigt  durchweg  die  neuesten  Forschungen,  ohne  im  Widerstreit  der 
Meinungen  jedesmal  Partei  zu  ergreifen.  Die  durch  gute  Literaturnachweise  gestützte 
Orientierung  über  die  vorrömischen  Einflüsse,  die  mit  andern  Völkern  gemeinsamen  Züge, 
den  verhältnismässig  hohen  Stand  des  Ackerbaues  und  der  Kultur  überhaupt  u.  a. 
wird  vielen  willkommen  sein,  zumal  der  Vf.  auch  in  schwierigen  Fragen  ein  massvolles 
und  besonnenes  Urteil  bewährt. 

Gertrud  Stockraayer,  Über  Naturgefühl  in  Deutschland  im  10.  und  11.  Jahrhundert. 
(Beiträge  zur  Kulturgeschichte  des  Mittelalters  und  der  Renaissance,  hrsg.  v.  Walter  Goetz. 
Heft  4)  Leipzig  und  Berlin,  B,  G.  Teubner  191(i.  VI,  86  S.  —  Dass  man  seit  einiger  Zeit 
daran  geht,  Alfred  Bieses  schätzbare  Arbeiten  zur  Geschichte  des  Naturgefühls  zu  er- 
gänzen und  zu  vertiefen,  ist  gewiss  erfreulich,  nur  sollte  man  nicht  unterlassen,  sich  zuvor 
über  den  keineswegs  eindeutigen  Terminus  'Naturgefühl'  etwas  genauer  zu  verständigen. 
Vieles,  was  die  Verf.  mit  anerkennenswertem  Fleiss  und  in  übersichtlicher  Gliederung  aus 
den  spröden  Quellen  des  10.  und  11.  Jhs.  zusammengestellt  hat,  scheint  mir  weniger  Natur- 
gefühl zu  bezeugen  als  ein  gewisses,  zum  Teil  sehr  verstandesmässiges  Verhalten  zur 
gegenständlichen  Welt.  Ja  oft  genug  bin  ich  zweifelhaft,  ob  überhaupt  eine  Relation  zu 
den  Dingen  stattgefunden  hat  und  nicht  vielmehr  lediglich  die  Sprachmühle  in  Bewegung 


350  Brumier: 

fjesetzt  worden  ist.  Denn  das  Material  besteht  häufig  aus  stereotypen  Metaphern  und 
Gleichnissen,  vor  allem  aber  aus  antiken  Zitaten,  über  deren  Verwendbarkeit  für  Unter- 
suchungen dieser  Art  die  Verf.  sich  doch  wohl  täuscht  (S.  5).  Ich  leugne  nicht,  dass  ein 
Zitat  von  wirklichem  Gefühl  eingegeben  sein  kann,  aber  wann  dies  in  den  behandelten 
Jahrhunderten  der  Fall  war,  lässt  sich  bei  dem  eigentümlichen,  ganz  und  gar  von 
Wendungen  aus  dem  (heidnischen  und  christlichen)  Altertum  durchtränkten  Sprachgebrauch 
jener  Zeit  schwerlich  feststellen.  Trotz  diesen  prinzipiellen  Bedenken  wird  der  Kultur- 
historiker die  Arbeit  mit  Interesse  durchsehen  und  sich  diesen  oder  jenen  Hinweis  zunutze 
machen.  Zu  der  Bezeichnung  der  Jungfrau  Maria  als  'maris  Stella'  (S.  23)  wäre  auf 
Hrotsvithas  'Abraham'  (ed.  Strecker  S.  1(;4  Z.  12ff,)  zu  verweisen  gewesen.     (H.  Michel.) 

Albert  Thümmel,  Der  germanische  Tempel.  Leipziger  philosophische  Dissertation. 
Halle,  E.  Karras  1909.  124  S.  Mit  2  Karten.  (Auch  abgedruckt  in  den  Beiträgen  zur 
Geschichte  der  deutschen  Sprache  35,  1.  Heft).  —  Der  weitaus  grösste  Teil  dieser  vor- 
trefflichen Arbeit  beschäftigt  sich  mit  dem  isländischen  Tempelbau,  von  dem  der  Verf.  auf 
Grund  archäologischer  und  literarischer  Untersuchungen  ein  sehr  anschauliches  Bild  ent- 
wirft. Auch  die  Bemerkungen  über  den  Berg-  und  Waldkult  der  Germanen  sowie  ander& 
religionsgeschichtliche  Erwägungen  sind  für  unsere  Zwecke  beachtenswert.  Vgl.  Stutzs- 
lehrreichen  Aufsatz  'Arianismus  und  Germanismus'  (Internationale  Wochenschrift  1909^ 
Nr.  50—52)  und  Gudmundssons  ergänzende  und  berichtigende  Besprechung  (Deutsche 
Literaturzeitung  1910,  Nr.  17).     (H.  Michel.) 

G.  Upmark,  En  gesällbok  frän  1700-talet  (Fataburen  1909,  37—45).—  Handwerks- 
gebrauch der  Zinngiessergesellen,  1755  von  C.  F.  Baldthoff  in  Stettin  aufgezeichnet. 

0.  V.  Zingerle,  Mittelalterliche  Inventaro  aus  Tirol  und  Vorarlberg,  mit  Sach- 
erklärungeu  hsg.  Innsbruck,  Wagner  1909.  IX,  401  S.  14  Mk.  — -  Ein  für  die  deutscheu 
Privataltertümer  höchst  -wertvolle  Quellenpublikation.  Einzelne  Hausinventare  sind  wohl 
bisher  in  Zeitschriften  abgedruckt,  so  oben  17,  454;  hier  aber  erhalten  wir  zum  ersten 
Male  eine  Sammlung,  die  ein  bestimmtes  Gebiet  und  eine  bestimmte  Zeitperiode  aus- 
schöpft, nämlich  82  Inventare  von  Tiroler  Burgen,  sowie  von  einigen  städtischen  Behausungen 
und  Kirchen,  sämtlich  aus  dem  15.  Jahrhundert,  durchweg  dem  Innsbrucker  Statthalterei- 
Archive  entnommen.  Besonderen  Dank  verdienen  des  Herausgebers  Sacherklärungen,  die 
er  auf  S.  240—392  in  lexikalischer  Form  neben  dem  Personen-  und  Ortsverzeichnis  und 
dem  Verzeichnis  der  Wertansätze  uns  darbietet;  sowohl  die  Kulturgeschichte  und  Volks 
künde  als  die  deutsche  Wortkunde  wird  daraus  Gewinn  ziehen. 


Aus  den 

Sitziings-ProtokoUeii  des  Vereins  für  Volkskunde. 


Freitag,  den  22.  April  1910.  Der  Vorsitzende,  Hr.  Geheimrat  Prof. 
Dr.  Roediger,  teilte  mit,  dass  der  Herr  Kultusminister  dem  Verein  wieder  eine 
Beihilfe  zur  Herausgabe  der  Zeitschrift  bewilligt  habe.  Der  Unterzeichnete 
legte  eine  Reihe  von  bemalten  und  gefärbten  Ostereiern  aus  der  Kgl.  Sammlung 
für  deutsche  Volkskunde  vor.  Bereits  in  alter  Zeit  wurde  das  Ei  als  Auferstehungs- 
symbol geschätzt;  bei  dem  römischen  Totenopfer  spielte  es  eine  bedeutsame  Rolle, 
und  schon  im  frühen  Mittelalter  ist  die  Sitte  der  Verspeisung  von  Ostereiern  nach- 
gewiesen. Die  verschiedenen  neueren  Techniken  der  Verzierung  von  Ostereiern 
wurden  eingehend  besprochen  und  ihre  Verbreitung  festgestellt.  Die  drei  Haupt- 
arten der  Verzierung  sind  erstens  das  einfache  Färben  ohne  Musterung,  besonders 
in  roter  Farbe,    zweitens  willkürliche  Musterung    der  gefärbten  Eier   und    drittens 


Protokolle.  351 

Zeichnungen  verschiedenster  Art;  unter  letzteren  besonders  bemerkenswert  das 
Wachsüberzugverfahren  (zu  vgl.  mit  dem  Batiken  der  Malaien),  hauptsächlich  in 
slawischen  Gebieten,  und  die  Kratztechnik  (Sgraffito),  wo  aus  dem  farbigen  Grunde 
mit  einem  Instrument  oder  mit  Scheidewasser  (Vitriol)  helle  Muster  oder  Schriften 
herausgehoben  werden.  Dieses  Verfahren  ist  ebenso  wie  das  einfache  Färben  sehr 
weit  verbreitet,  nicht  nur  im  deutschen,  sondern  auch  im  slawischen  und  ungarischen 
Gebiet.  Andere  Verzierungsarten,  wie  Bekleben  und  direktes  Bemalen  der  Oster- 
eier, sind  weniger  volkstümlich  und  vereinzelt.  Bemerkenswert  ist  es  dann  noch, 
dass  die  Ostereier  mit  ihrem  reichen  Schmuck  vielfach  nicht  zum  Essen  bestimmt 
sind,  sondern  als  Stubenschrauck  und  wohl  auch  als  Fruchtbarkeit  erzeugende 
Symbole  in  den  Bauernhäusern  von  einem  Jahr  zum  andern  aufbewahrt  werden.  — 
Im  Anschluss  daran  legte  Frl.  M.  Lauf  fer  ein  reich  mit  Filigran  verziertes  Osterei 
aus  einem  russischen  Kloster,  R-c.  H.  Sökeland  ein  solches  aus  dem  Gasteiner 
Tal  vor,  welches  im  Innern  einen  Papierstreifen  mit  aufgeschriebenem  Verse  barg. 
Hr.  Geheimrat  Roediger  zeigte  mährische,  im  Wachsüberzugverfahren  reich  ver- 
zierte Ostereier  und  Ostergebäcke  sowie  einige  auf  Osterbräuche  bezügliche  Ab- 
bildungen. Er  wies  auf  einen  hier  geschilderten  Brauch,  das  sog.  Schmackostern 
hin,  welche  Bezeichnung  sich  in  slawischen  und  ehemals  slawischen  Gebieten  vor- 
findet. Es  ist  das  Berühren  mit  der  Osterrute,  die  von  Mannhardt  als  Dämonen 
vertreibende,  Fruchtbarkeit  weckende  Lebensrute  gedeutet  wird.  Auch  St.  Nikolaus 
wird  von  Mannhardt  als  lebenspendendes  Wesen  älterer  Mythologie  erkannt.  Dass 
St.  Nikolaus  nicht  nur  in  Deutschland,  sondern  auch  in  Frankreich  um  die  Weih- 
nachtszeit gefeiert  wird,  lehrte  auch  ein  vorgelegtes  Weihnachtsgebäck  aus  Rheims, 
das  die  Bischofsflgur  zeigt.  Hr.  Dr.  Bolte  verwies  auf  einige  neuere  Veröffent- 
lichungen, in  denen  das  Palmpaschen  in  Holland,  das  Todaustragen  u.  dgl.  in 
Böhmen  geschildert  wird.  Hr.  F.  Treichel  erwähnte  schliesslich,  dass  in  West- 
preussen  Ruten  vorher  ins  Wasser  gesetzt  und  zum  Keimen  getrieben  werden,  um 
sie  alsdann  zum  Osterpeitschen,  in  der  Mark  auch  Äschern  genannt,  zu  benutzen. 
Er  machte  ferner  auf  Gebäcke  aufmerksam,  die  Figuren  darstellen  mit  einem 
ganzen  Ei  im  Leibe;  diese  Gebäcke  hat  er  in  Berlin  gesehen.  Frl.  E.  Lemke 
teilte  ähnliche  Beobachtungen  aus  Italien  mit.  Hr.  Dr.  Samter  fragte  nach  der  Be- 
deutung des  Wortes  Dingüs,  welches  in  Posen  zur  Bezeichnung  der  österlichen 
Wasserbegiessung  gebraucht  wird.  —  Hr.  Robert  Mielke  sprach  dann  über  das 
Thema  'Von  der  Volkskunst  zur  Hausindustrie'  unter  Vorlegung  von  Gegenständen 
aus  der  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde.  Er  führte  aus,  dass  die  Auffassung 
des  Wortes  Volkskunst  sehr  verschiedenartig  sei.  Man  soll  den  Begriff  aber  nicht 
zu  eng  fassen;  er  ist  nicht  auf  das  Landvolk  zu  beschränken,  da  auch  in  den. 
Städten  viel  Volkskunst  geleistet  worden  ist.  Man  kann  in  der  Volkskunst  drei 
Entwicklungsstufen  unterscheiden:  reine  Volkskunst,  dörfliches  Handwerk  und  Heim- 
industrie. Bereits  im  14,  u.  15.  Jahrh.  geben  die  Weistümer  an,  was  alles  aa 
volkskünstlerischen  Leistungen  auf  einem  Bauernhofe  vorkommt.  Was  im  Hause 
und  in  der  Wirtschaft  gebraucht  wird,  durfte  vom  Hausherrn  und  seinem  Gesinde 
selbst  hergestellt  werden,  darüber  hinaus  verboten  die  Zunftverfassungen  zu  gehen. 
Die  fortschreitende  Entwicklung  zum  Bezüge  fertiger  Waren  setzte  schon  früh  ein,, 
ist  aber  je  nach  der  Lage  des  Ortes  und  seinem  Zusammenhange  mit  dem  grossen 
Verkehr  zeitlich  sehr  verschieden.  Neben  der  alten  Hauskunst  bildete  sich  als 
Übergang  zum  Handwerk  die  Stör  heraus,  die  im  Gegensatz  zum  Handwerk  keine 
Betriebsmittel  voraussetzte.  In  Niederdeutschland  wurde  auf  der  ärmeren  Geest 
die  Stör,  in  den  reichen  Marschen  das  Handwerk  bevorzugt.  Was  aus  der  Hand 
des  Bauern  oder  ländlichen  Handwerkers  hervorging,  darf  nicht  mit  dem  Massslabe 


352 


Brunner:    Protokolle. 


der  historischen  Stile  geraessen  werden.  Für  die  Volkskunst  sind  andere  Grund- 
lagen vorhanden,  so  vor  allem  die  textilen  Arbeiten  in  Verbindung  mit  der  Land- 
wirtschaft. Allmählich  entwickelte  sich  aus  dem  Hausfleiss  eine  mehr  handwerk- 
liche Spezialisierung  und  im  18.  Jahrh.  die  Hausindustrie,  indem  die  Vermittler 
oder  Unternehmer  die  Arbeitskräfte  nach  dem  Geschraacke  der  Besteller  modelten. 
Meist  geschah  das  in  landwirtschaftlich  dürftigen  Gebieten.  Aber  man  sah  bald, 
dass  die  Industrie  schädliche  Polgen  für  den  Betrieb  der  Landwirtschaft  hatte,  und 
bereits  1765  fing  man  an  sie  einzuschränken.  Aus  dem  Hausfleiss  entwickelte  sich 
die  Hausindustrie,  aus  ihr  die  Fabrik.  Im  Gegensatz  zur  modernen  Entwicklung 
setzte  sich  früher  die  Industrie  vorwiegend  da  fest,  wo  die  vorhandenen  Einwohner 
aus  äusseren  Gründen  keine  genügenden  Erwerbsmöglichkeiten,  besonders  in  der 
Landwirtschaft  hatten.  So  im  Schwarzwalde,  wo  teilweise  das  Klima  acht  Monate 
im  Jahre  landwirtschaftliche  Arbeiten  unmöglich-  macht.  Wenn  man  Volkskunst 
befördern  will,  soll  man  die  landwirtschaftliche  Grundlage  nicht  aus  den  Augen 
verlieren.  Die  Überzeugung  von  der  Schädlichkeit  der  Industrie  hat  Riehl  schon 
vor  60  Jahren  ausgesprochen.  Man  soll  vor  allem  keine  Spezialmassenartikel  von 
der  Volkskunst  herstellen  lassen,  da  eine  Änderung  in  der  Konjunktur  verderblich 
wirkt.  Weniger  gefährlich  ist  die  künstlerische  Individualisierung  solcher  Ar- 
beiten. Da  jedes  Hausgewerbe  abhängig  ist  von  seinem  Stoffe,  so  muss  dieser 
nahe  und  leicht  erreichbar  sein.  Dann  können  Versuche  zur  Wiederbelebung  der 
Volkskunst  aussichtsvoll  sein,  wenn  Hauskunst  und  Handwerk  sich  verbinden. 

Freitag,  den  27.  Mai  1910.  Vorsitzender  Geheimrat  Prof.  Dr.  Roediger. 
Elr.  Dr.  Fiebelkorn  legte  eine  grössere  Anzahl  von  Trachtenpostkarten  aus  dem 
französischen  Departement  Savoyen  vor,  ohne  aber  die  Tatsachen  bestätigen  zu 
können,  da  er  die  Trachten  an  Ort  und  Stelle  nicht  mehr  feststellen  konnte.  Hr. 
Prof.  Dr.  Bolte  besprach  eine  bemerkenswerte  Veröffentlichung  der  Herren  van 
Heurck  und  Boekenoogen  'Histoire  de  l'imagerie  populaire  flamande',  welche  eine 
grosse  Anzahl  volkstümlicher  Bilderbogen  z.  T.  nach  den  Originalstöcken  und  in 
Dreifarbendruck  vereinigt.  Er  empfahl  diese  älteren,  durch  ihre  volkstümlichen 
Personifikationen  volkskundlich  interessanten  Bilderbogen  auch  in  Deutschland  zu 
sammeln,  wie  z.  B.  die  Ruppiner,  Stuttgarter  und  Münchener.  Hr.  Prof.  Ludwig 
erwähnte,  dass  in  einem  Ruppiner  Bilderbogen  auch  der  Schwank  von  einer  auf 
dem  Wege  zum  Grabe  erwachenden  Scheintoten  dargestellt  sei  Hr.  Maurer 
teilte  mit,  dass  im  Märkischen  Museum  eine  Sammlung  Ruppiner  Bilderbogen  vor- 
handen sei.  —  Der  Unterzeichnete  legte  eine  Anzahl  deutscher  Zunftaltertüiner 
vor,  die  vor  kurzem  von  der  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  erworben  wurden. 
Sie  sollen  mit  den  älteren  Beständen  vereinigt  zum  Ausbau  einer  Zunftstube  im 
Museum  benutzt  werden.  —  Hr.  Prof.  Dr.  Bolte  sprach  dann  über  die  Sage  von 
der  erweckten  Scheintoten.  In  der  anschliessenden  Diskussion,  an  der  sich  die 
Herren  Direktor  R.  Meyer-Krämer,  Sökeland,  Roediger  und  Brucker  beteiligten, 
wurde  besonders  betont,  dass  der  Volksglaube  noch  immer  an  der  Möglichkeit  des 
Scheintodes  festhält,  trotzdem  in  neuerer  Zeit  noch  kein  solcher  Fall  wissenschaft- 
lich einwandfrei  festgestellt  wurde.  Hr.  Dr.  Hahn  regte  an,  in  der  ersten  Sitzung 
des  Herbstes  eine  Besprechung  des  germanischen  Schwerttanzes  stattfinden  zu 
lassen.  Der  Vorsitzende  teilte  mit,  dass  der  Verein  im  Laufe  des  Winters  sein 
20jähriges  Bestehen  werde  feiern  können,  und  wünschte  ein  gesundes  Wiedersehen 
in  der  ersten  Sitzung  nach  den  Ferien  am  28.  Oktober. 

Steglitz.  Karl   Brunner. 


5b-5 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten. 

Von  Johannes  Bolte. 

Dass  mit  dem  Tode  eines  Menschen  sich  eine  undurchdringliche 
Pforte  hinter  dem  Dahingeschiedenen  schliesst  und  dass  fortan  jeglicher 
Verkehr  zwischen  ihm  und  seinen  Lieben  aufhören  rnuss,  ist  eine  harte 
und  bittere  Wahrheit,  die  sich  dem  Empfinden  der  schmerzbewegt 
Zurückbleibenden  nur  schwer  einprägt.  Daher  liebt  es  die  Phantasie  der 
verschiedensten  Völker  und  Zeiten,  sich  eine  zeitweilige  Rückkehr  des 
Toten  zu  den  Stätten  seines  Erdenwallens  auszumalen.  Insbesondere 
schreibt  sie  den  Tränen  brennender  Sehnsucht  oft  eine  magische  Gewalt 
zu;  sie  rufen  in  der  altdänischen  Ballade  der  Mutter  Geist  nachts  an  das 
Bett  der  verlassenen  Kinder,  sie  führen  im  deutschen  Märchen  vom 
Tränenkrüglein  das  tote  Kind  zu  kurzer  Zwiesprache  mit  der  trostlosen 
Mutter  zurück,    sie  locken  in  der  Lenorensage  den  verstorbenen  Jünfflin» 

*^  DO 

aus  dem  Grabe,  in  das  er  seine  einsam  klagende  Braut  mit  sich  hinab- 
reisst^).  Hellere  und  freundlichere  Bilder  dagegen  entrollen  uns  andere 
Erzählungen,  die  nicht  von  einem  kurzen  Geisterbesuch  zu  nächt- 
licher Stunde,  sondern  von  der  dauernden  Wiederkehr  einer  o-e- 
liebten  Frau  aus  dem  Totenreiche  ins  frische  Leben  berichten.  Dem 
liederreichen  Orpheus  freilich  gibt  in  der  altgriechischen  Sage  der 
Herrscher  der  Schatten  die  verstorbene  Gattin  nur  mit  einer  Bedino-uno- 
zurück,  die  er  nicht  zu  erfüllen  vermag;  doch  die  treue  Alkestis  wird 
dem  trauernden  Admetos  durch  dessen  starken  Freund  Herakles  wieder 
zugeführt,  und  in  dem  indischen  Märchen  von  der  undankbaren  Gattin, 
mit  dessen  Wanderungen  uns  Gaston  Paris  in  seiner  letzten  Arbeit  (oben 
13,  1.  129)  bekanntmachte,  gelingt  es  dem  treuen  Manne,  durch  Aufopferung 
seines  Blutes  oder  eines  Teiles  seiner  Lebensjahre  seine  Frau  vom  Tode 
zu  retten.  Wenn  nun  in  den  letztgenannten  Sagen  nur  die  Gottheit  das 
vollzogene  Urteil  rückgängig  machen  und  die  Verstorbene  den  Lebenden 
wieder  zugesellen  kann,    so  stellt  das  Märchen,  dessen  Fundamentalunter- 


1)  Vgl,  Erich  Schmidt,  Charakteristiken  1  ^,  L'12  (1902). 
Zeitschr.  d  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.  Heft  4.  23 


.354  Bolte: 

schied  von  der  Sage  gerade  in  seinem  anders  gearteten  Verhältnis  zur 
Wirklichkeit  besteht'),  die  Wiederbelebung  leichter  und  phantastischer 
dar.  Ein  Tote  erweckendes  Zauberkraut,  dessen  Kenntnis  der  Mensch 
einem  Tier  ablernt*),  tritt  in  dem  aus  jener  indischen  Erzählung  er- 
wachsenen Märchen  von  den  drei  Schlangenblättern  (Grimm  nr.  16. 
Oben  13,  137)  an  die  Stelle  der  Gottheit  oder  ihres  wundermächtigen 
Propheten.  Oder  die  Heldin  versinkt,  wie  es  die  Märchen  von  Snee- 
wittchen')  und  Dornröschen*)  schildern,  statt  wirklich  zu  sterben,  in 
einen  Zauberschlaf,  aus  dem  sie  durch  einen  Kuss  oder  eine  Berührung 
erweckt  wird,  welche  den  giftigen  Bissen  aus  dem  Halse,  die  Agen  aus 
dem  Finger,  den  Schlafbrief,  Ring,  Kamm,  die  Nadel  usw.  entfernt  und 
so  ihre  hypnotische  Wirkung  aufhebt. 

Doch  auch  in  andern  Erzählungen,  die  sich  um  die  realen  Be- 
dingungen des  Geschehens  mehr  kümmern  und  stärkere  Ansprüche  auf 
Glaubhaftigkeit  erheben,  erscheint  etwas  dem  Zauberschlafe  Sneewittchens 
Ähnliches,  nämlich  eine  voreilig  von  allen  Hausgenossen  als  das  Lebens- 
ende angesehene  Ohnmacht,  als  ein  Scheintod.  Dann  erfolgt  die  Rettung 
entweder  vor  dem  eigentlichen  Begräbnis  durch  einen  weisen  Arzt,  wie 
in  der  antiken,  oft  übersetzten  'Historia  Apollonii  regis  Tyri"),  wo  der 
Sarg  der  Gattin  des  Helden  von  den  Schiffsleuten  über  Bord  geworfen 
und  von  den  Wellen  bei  Ephesus  ans  Land  gespült  wird;  oder  die  scheintote 
Frau  schlägt  bei  einer  zufälligen  oder  absichtlichen  Berührung  die  Augen 
auf,  wie  in  den  weiter  unten  genauer  zu  betrachtenden  Sagen  und  in 
dem  Schwanke  von  der  au  der  Dornenhecke  vorübergetragenen  und  von 
ihr  gestreiften  Leiche^);  oder  es  wird  drittens  die  vermeintliche  Tote  in 
einem  Grabgewölbe  beigesetzt  und  erwacht  nach  einiger  Zeit  von  selber 
aus  ihrem  Starrkrämpfe.  Diese  einer  breiten  und  spannenden  Ausmalung 
fähige  Situation    begegnet    uns  bereits  in  zwei  griechischen  Romanen  der 


1)  Vgl.  die  klaren  Ausführungen  von  F.  Ranke,  Die  deutschen  Volkssagen  1910 
S.  XI  f. 

2)  R.  Köhler  zum  Lai  d'Eliduc  (Marie  de  France,  Lais  hsg.  von  Wamke  1885 
S.  CIV). 

3)  Grimm,  KHM.  nr.  53.  Oben  G,  GO  zu  Gonzenbach  nr.  2—4.  Böklen,  Snce- 
wittchenstudien  191Ü  S.  135. 

4)  Grimm  nr.  50.  F.  Vogt,  in  den  Beiträgen  zur  Volkskunde,  Festschrift  für  Wein- 
hold 189G  S.  195. 

5)  Historia  Apollonii  ed.  A.  Riese  1893  cap.  26;  über  Ursprung  und  Verbreitung 
dieses  Romans  vgl.  E.  Klebs,  Die  Erzählung  von  ApoUonius  aus  Tyrus  1899.  —  Auch  der 
antike  Arzt  Asklepiades  entdeckte,  als  er  einem  Leichenzuge  begegnete,  noch  lieben  in 
der  vermeintlichen  Leiche  (Weinreich,  Antike  Heilungswunder,  Religionsgeschichtliche 
Versuche  8,  173);  ebenso  Apollonios  von  Tyana  (Philostratus,  Vita  Apollonii  4,  45)  und 
ein  Chaldäer  bei  lamblichos  c.  G  (Hercher,  Erotici  Graeci  1,  22:»). 

G)  Als  vierzehn  Jahre  später  die  Frau  wirklich  stirbt,  ruft  ihr  Mann  auf  dem  Wege 
zum  Kirchhofe  an  jener  Stelle  den  Trägern  zu:  'Kommt  der  Hecke  nicht  zu  nahe!' 
(Menagiana  1G93  p.  117;  Gellerts  Gedicht  'Der  betrübte  Witwer';  ein  oben  S.  352  an- 
geführter  Neui'uppiner  Bilderbogen  u.  a.).     In   einem    IGU   vcrfassten   Meisterliede    des 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  355 

römischen  Kaiserzeit.  Um  200  n.  Chr.  erzählt  Chariton  von  Aphrodisias^), 
wie  die  schöne  Syrakusauerin  Kallirrhoe,  bei  ihrem  Gatten  Chaereas  ver- 
leumdet, von  diesem  in  eifersüchtigem  Grimm  durch  einen  Fusstritt  zu 
Boden  geschleudert,  für  tot  gehalten  und  'einer  schlafenden  Ariadne  ver- 
gleichbar zu  Grabe  getragen  wird.  Nachts  kommt  sie  wieder  zu  sich, 
erkennt  ihre  Lage  und  ruft  vergeblich  um  Hilfe.  Während  sie  in 
rührenden  Worten  ihr  Los  bejammert,  bricht  der  nach  ihren  Kostbar- 
keiten lüsterne  Räuber  Theron  mit  seinen  Gesellen  ins  Grabmal  ein. 
Er  schrickt  zwar  zurück,  als  sie  ihm  zu  Füssen  fällt  und  um  Erbarmen 
fleht,  schleppt  sie  dann  aber  auf  sein  Schiff  und  verkauft  sie  in  Milet  als 
Sklavin.  Fast  das  gleiche  Abenteuer  begegnet  der  Epheserin  Antheia  in 
dem  uns  wohl  nur  im  Auszuge  vorliegenden  Romane  des  Xenophon 
von  Ephesus^),  nur  dass  diese,  von  ihrem  Gatten  Habrokomes  getrennt 
und  in  Tarsus  zur  Heirat  mit  Perilaos  gezwungen,  selber  am  Hochzeits- 
tage Gift  nimmt,  das  sich  zum  Glück  nachher  als  ein  Schlafpulver  er- 
weist'), und  darauf  begraben  und  von  Räubern  fortgeführt  wird.  Beide- 
mal bilden  der  Scheintod  und  die  nachfolgende  Gefangenschaft  nur  ein 
Glied  in  der  Kette  der  gefährlichen  Abenteuer,  durch  welche  die  beiden 
Hauptpersonen  des  Romans  nach  dem  für  diese  ganze  Gattung  üblichen 
Schema  getrennt  und  bis  zu  ihrer  endlichen  Vereinigung  herumgeschleppt, 
geängstigt  und  geprüft  werden.  —  Kein  vom  Schicksal  verhängter  Unfall, 
sondern  eine  listige  Yeranstaltung  ist  der  Scheintod  in  der  französischen 
Romanze*)  von  der  Prinzessin,  die  sich  auf  den  Rat  ihres  Liebsten  tot- 
stellt,  um  der  väterlichen  Hut  zum  Trotz  zu  ihm  zu  gelangen,  und  sich 


Nürnbergers  B.  v.  Watt  'Einer  wirt  in  der  todtenbar  wider  lebendig'  (Nürnberg  Ms. 
Will  III  fol.  784,  Bl.  323a)  ist  das  Verhältnis  der  Gatten  umgekehrt:  der  Mann  soll  be- 
graben werden  und  erwacht,  als  die  Träger  an  der  Schmiede  vorübergehend  anstossen; 
und  die  Frau  äussert  später  jene  Besorgnis  vor  einem  zweiten  Erwachen. 

1)  Tä  jiEQi  XaiQsar  xal  KalhQQÖip'  1,  4—9  (Hercher,  Erotici  scriptores  Graeci  2, 
11).  Die  Datierung  nach  W.  Schmidt  bei  Pauly-Wissowa,  Eealencyclopädie  des  class. 
Altertums  3,  2168  f. 

2)  Tot  y.aza  'Ardsiar  y.ai  'AßQoy.6fi7]v 'E(f£oiay.d  3,  6—8  (Hercher  1,  366);  vgl.  E.  Eohde, 
Der  griechische  Eoman  1876  S.  401. 

3)  Auch  bei  lamblichos  c.  4.  6.  7  (Hercher  1,  222—224)  spielt  der  Scheintod  eine 
grosse  EoUe,  und  zwar  werden  immer  beide  Liebenden,  Ehodanes  und  Sinonis,  zugleich 
für  tot  gehalten:  einmal  weil  sie  vom  Honig  vergifteter  Bienen  genossen,  dann  weil  sie 
sich  in  einem  Grabmale  zum  Schlafe  niedergelegt  haben:  das  drittemal  schiebt  ihnen 
Soraechus  einen  Schlaftrunk  statt  des  Gifttrankes  unter.  E.  Eohde  S.  377  weist  auf  die 
Nachahmungen  in  der  Sofouisbe  des  Frl.  von  Scudery  und  Philipps  von  Zesen  hin.  Noch 
künstlicher  richtet  ein  Zauberer  in  einer  öfter  dramatisierten  Episode  im  9.  Buche  des 
Amadis  (Bolte,  Das  Dauziger  Theater  1895  S.  113.  Toldo,  Morti  che  mangiano  1909  p.  13 
[aus  der  Eivista  teatrale  italiana  13])  es  so  ein,  dass  Arpilior  und  Galathea  einander  für 
tot  halten,  indem  er  jedem  die  Leiche  des  andern  zeigt. 

4)  Doncieux,  Eomancero  populaire  de  la  France  1904  p.  71  'La  füle  du  roy  Loys': 
vgl.  Schweiz.  Archiv  f.  Volkskunde  14,  156.  Nigra,  Canti  popolari  del  Piemonte  18S8 
nr.  45  'Amor  costante'.  Child,  English  and  scottish  populär  ballads  nr.  96  'The  gay 
goshawk'. 

23* 


356  ßolte: 

rasch  ermuntert,  als  ihr  Liebster  dem  Leichenzuge  begegnet  und  die 
Decke  von  der  Bahre  abreisst.  Ebenso  täuscht  Shakespeares  Julia*) 
durch  einen  Schlaftrunk  den  aufgedrungenen  Bräutigam  und  die  Eltern 
in  der  Hoffnung,  mit  Hilfe  des  aus  der  Ferne  herbeigerufenen  Romeo 
aus  der  Gruft  zu  entrinnen;  doch  eine  verhängnisvolle  Verkettung  der 
Umstände  hindert  das  Gelingen  ihres  Planes. 

Nach  dieser  kurzen  Umschau,  die  zugleich  eine  Abgrenzung  unsres 
Gebietes  bedeutet,  treten  wir  an  die  in  einer  Fülle  von  Varianten  vor- 
liegende Sage  von  der  erweckten  Scheintoten'')  heran,  um  sie  etwas 
genauer  zu  mustern.  Hier  beruht  die  Krankheit  und  die  totenähnliche 
Ohnmacht  der  Frau  auf  keiner  Verstellung;  als  eine  Verstorbene  be- 
stattet, erwacht  sie  plötzlich  in  dem  Augenblick  aus  dem  Starrkrämpfe, 
wo  ein  Mann  ihren  Sarg  öffnet,  sei  es  um  ihren  kostbaren  Schmuck  zu 
rauben  oder  um  die  im  stillen  Geliebte  noch  einmal  zu  betrachten.  Der 
Erwecker  ist  also  entweder  ein  Dieb  oder  ein  unglücklicher  Liebhaber, 
und  demgemäss  ist  auch  die  weitere  Entwicklung  verschieden:  entweder 
kehrt  die  Frau  zu  ihrem  erstaunten  und  erfreuten  Gatten  zurück,  oder 
der  Liebhaber  macht  sie  diesem  streitig  und  sucht  sie  für  sich  zu  ge- 
winnen. Wir  haben  somit  zwei  Hauptformen  der  Sage  zu  unter- 
scheiden, eine  einfachere  ohne  erotischen  Charakter  und  eine  romantisch 
gefärbte. 

1.  Die  einfachere  Sagenform  (Ringdiebstahl-Motlv) 

treffen  wir  seit  dem  15.  Jahrhundert  ohne  wesentliche  Abweichungen  an 
verschiedenen  Orten  von  Deutschland,  Frankreich  und  England  an.  Die 
berühmteste  Fassung  ist  die  Kölner  Erzählung  von  Frau  Richmod,  deren 
Gedächtnis  dort  noch  heut  durch  den  Namen  einer  vom  Norden  des  Neu- 
marktes ausgehenden  Strasse  fortlebt.  Die  1499  gedruckte  Koelhoffsche 
Chronik  der  Stadt  Köln^)  meldet  unter  dem  Jahre  1400,  'wie  ein  vrauwe 
zo  Coellen,  die  gestorven  ind  begraven  was  ind  weder  upgegraven, 
levendich  wart',  nennt  aber  keine  Namen: 

It  was  ein  grois  sterfde  zo  Coellen,  dat  der  lüde  in  Coelne  sere  ind  vil  starf, 
dat  men  groisse  kulen  machde  ind  die  dairin  warp.  So  woinde  ein  eirber  vrauwe 
do  zer  zit  zo  der  Pappegeien  up  dem  Nuimart,  die  wart  krank  ind  starf,  als  men 


1)  Über  verwandte  Dichtungen  vgl.  L.  Fränkel,  Zs.  f.  vgl.  Litgesch.  7,  155  f.  Ferner 
eine  Novelle  von  Giraldi  Cinthio  (Hecatommiti  3,  5),  übersetzt  von  B.  Riebe,  Farewell  to 
militarie  profession  1581  nr.  6,  und  die  von  Carl  Loewe  wundervoll  komponierte  Ballade 
'Die  Gruft  der  Liebenden'  von  E.  v.  Puttkamer  (1832.  Loewe,  Balladen  hsg.  von  Kunze  G, 
28.     Vgl.  Yogi,  Balladen  1851  S.  69  'Der  Grabeswächter"). 

2)  Gehandelt  haben  über  sie  bereits  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1875»  S.  54  und 
E.  A.  Axon,  The  dead  lady's  ring  (The  Reliquary  8,  146-150.  1867—68)  und  Tennyson's 
Lover's  tale,  its  original  and  analügues  (Transactions  of  the  royal  society  of  literature 
2.  series  24,  61-79.  1903). 

3)  1499  Bl.  286a  ^  Die  Chroniken  der  deutschen  Städte  14,  736  f.  (1877j.  Vgl. 
Merlo,  Die  Familie  Hackeney  zu  Köln  1863  S.  46. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  357 

meint,  so  dat  men  si  vur  doit  zo  sent  Apostelen  droich,  ind  ir  eeman  lies  ir 
durch  liefden  ind  jamers  wille  irren  truwerink  an  dem  vinger.  Dat  verstoinden 
die  dodengrevere  van  ir  sagen  ind  quamen  des  nachtz  ind  schorren  ir  die  erde 
af  ind  daden  die  lade  up  ind  begunten  ir  den  rink  uisser  hant  zo  zien.  Ind  as 
die  vrauwe  so  lucht  kreich  ind  beweicht  wart,  so  begunte  si  zo  suchten  ind  zo 
sprechen,  ind  die  grevere  vlouwen  van  anxsten  vur,  ind  die  vrauwe  richte  sich 
up  ind  trat  allentzelen  vur  ir  huis  heim.  Der  man  ind  dat  gesinne  waren  lange 
slaifen,  ind  si  scheide.  Dat  gesinde  wuscht  risch  up  ind  vraegede,  wer  dae 
scheide.  Die  vrauwe  antworde:  si  wer  it,  dat  si  up  deden  ind  Hessen  si  in.  Dat 
gesinde  wart  ervert  [erschrocken]  ind  vlo  geringe  weder  zo  bedde.  Die  goide 
vrauwe  scheide  widder;  mer  niemans  quam,  der  si  inliesse.  Si  scheide  so  dick 
ind  so  lange,  dat  der  man  dat  gesinde  begunte  zo  scheiden,  dat  si  niet  upstunden 
ind  besegen,  wer  dae  scheide.  Si  antworden:  'Lieve  here,  wir  sin  upgeweist  ind 
hain  gevraicht,  wer  dae  were,  ind  it  hait  uns  gesaicht,  it  si  unse  vrauwe,  dat  wir 
updoin  ind  laissen  si  in.  Do  wurden  wir  verveirt,  want  si  doch  doit  is  ind 
begraven,  ind  van  der  ververnisse  endorren  [wagen]  wir  niet  widder  an  die 
portzen  gain'.  Der  rede  verwonderde  den  man,  ind  gingen  zosamen  wederumb 
slaifen.  Do  scheide  die  goide  vrauwe  noch  me  ind  me.  Der  man  dede  die 
kertzen  intfengen  ind  gink  selve  vur  die  portze  ind  vraegede,  wat  dae  scheide. 
Die  vrauwe  antworde  ind  sprach:  'Och  lieve  huiswirt,  erbarmstu  dich  niet,  dat 
ich  sus  lange  hain  gestanden  ind  bin  beslossen  vur  dat  huis,  dat  doch  unser 
beider  is  van  der  gotz  genaiden,  ind  leis  mich  sus  ellendich  vervreissen  [er- 
frieren]?' Der  man  hoirte  ind  erkante  sinre  huisfrauwen  minschliche  stimme  ind 
slouis  die  portze  up  ind  entfink  sin  lieve  huisfrauwe,  ind  dede  vuir  ind  cleider 
warm  machen  ind  erquikde  si.  Ind  got  halp  der  vrauwen,  dat  si  gantz  stark 
ind  gesunt  wart,  ind  leifde  dairnae  lange  zit  in  gesuntheit,  ind  kriegen  noch  dri 
kinder.  Ind  as  si  starf,  wart  si  wederumb  begraven  zo  den  Apostelen  bineven 
der  vurder  kirchduere  in  eime  verhaven  grave  an  der  muiren,  dae  men  it  noch 
zoenet  [zeigt]. 

Diese  anschaulich  und  hübsch  ausgemalte  Erzählung  trägt  ganz  das 
Gepräge  einer  mündlichen  Yolksüberlieferung,  die  an  die  Apostelkirche 
auf  dem  Neumarkte  und  das  ebenda  auf  der  östlichen  Ecke  der  Oliven- 
gasse gelegene  Haus  zum  Papagei  anknüpft,  aber  weder  das  Jahr  des 
Ereignisses  (denn  14.00  ist  offenbar  nur  als  ungefähre  Zeitbezeichnung 
aufzufassen)  noch  die  Xamen  der  Personen  anzugeben  weiss.  Der  Chronist 
(wahrscheinlich  der  Schulmeister  Job.  Stump)  schöpfte  anscheinend  weder 
aus  einer  schriftlichen  Aufzeichnung,  noch  kannte  er  die  Erinnerungstafel 
in  der  nördlichen  Vorhalle  der  Apostelkirche,  die  1582  zum  ersten  Male 
erwähnt  wird,  1604  eine  Erneuerung  erfuhr  und  1785  beim  Abbruch  der 
Vorhalle  zugrunde  ging^).  1582  nämlich  weist  der  Bremer  Arzt  Joh. 
Ewich,  um  vor  einer  vorschnellen  Bestattung  der  Pestleichen  zu  warnen, 
auf  die  Kölner  Geschichte  und  die  Tafel  folgeudermassen  hin"): 


1)  F.  E.  V.  Mering,  Geschichte  der  Cunibertskirche  in  Köln  1833  S.  31.  Doch  nennt 
er  das  Bild  'schauerlich  an  die  Wand  gemalt',  während  Ewich  von  einer  'tabula  picta 
et  suspensa  ad  aedem  Apostolorum'  redet.    Vgl.  auch  Bussenmacher  ^^unten  S.  Iv)8). 

2)  J.  Ewich,  De  officio  magistratus  tempore  pestilentiae  rempublicam  praeservandi 
(Neapoli  Nemetum  exe.  Matthaeus  Harnisch  1582)  S.  140.  Ich  gebe  oben  die  Ver- 
deutschung von  Justus  Moller  (J.  Ewich,  Pestilentzordenunge  1583  Bl.  0  Ib)  wieder. 


358  Bolte: 

Ein  gleiches  Exempel  weis  man,  welches  auch  die  gemahlte  und  auffgehangene 
Taffei  in  der  Apostel  Kirche  bezeuget,  von  einem  AVeibe  zu  Colin,  welche,  ob  sie 
wol  in  dem  Sarck  verschlossen  und  mit  der  Erden  all  begraben  gewesen,  so  ist 
sie  doch  wunderbarer  weis  errettet  worden,  zu  jrem  Manne  wider  gekeret  und 
noch  lange  zeit  mit  ihme  im  Ehestande  gelebt;  denn  da  der  Todtengräber  ge- 
sehen, das  sie  einen  köstlichen  Ring  an  eim  Finger  stecken  gehabt,  eröffnet  er 
in  der  Nacht  das  Grab,  im  willen,  ihr  den  Ring  abzuziehen.  Indem  er  [0  2  a] 
aber  an  dem  Finger  also  rüttelt  und  den  Cörper  erschüttelt,  kompt  das  Weib 
wider  zu  ihr  selber  und  lebt  noch  lange  zeit  hernach. 

Eiuen  wortlosen  Beweis  für  die  Popularität  der  Geschichte  liefert 
zehn  Jahre  später  der  Kölner  Zeichner  Augustin  Braun,  der  in  seiner 
'Vita  beatae  Mariae  yirginis'  1592  auf  einem  Kupferstiche  die  Gestalt  des 
Todes  und  im  Hintergrunde  die  Apostelkirche  darstellt,  neben  der  eine 
Frau  aus  dem  Grabe  steigt  und  die  Totengräber  vor  ihr  davonlaufen^). 
Und  1597  setzt  Petrus  Opmersensis  seu  Cratepoleus  (auch  Mersaeus 
genannt)  im  Catalogus  omnium  archiepiscoporum  p.  103  das  Faktum  ums 
Jahr  1350  unter  dem  Erzbischof  Wilhelm  von  Genep  an^),  während  er 
in  der  früheren  Ausgabe  von  1578  S.  35  nichts  davon  berichtet  hatte. 
Wichtiger  aber  ist  ein  1604  erschienener  Bilderbogen  des  Kölner  Kupfer- 
stechers Johann  Bussenmacher '^);  denn  hier  wird  zum  ersten  Male  der 
Name  der  Frau  'Richmuth  von  der  Adoicht'  und  das  Jahr  1357  genannt 
und  eine  Erneuerung  der  alten  Tafel  erwähnt.  Bei  dieser  Gelegenheit 
mögen  die  holperigen  Verse,  welche  inhaltlich  mit  der  Koelhoffschen 
Chronik  übereinstimmen  und  nur  den  geistlichen  Stand  der  drei  Söhne 
hinzufügen,  verfasst  sein;  denn  'alt'  klingen  sie  keinesfalls. 

Reno:   Ao.  1604. 

Abbildung  der  alten,  wunderbaren,  vnd  doch  warhafften  geschieht,  so  sich 
vor  drittehalb  hundert  Jahren  in  Collen  am  Newen  marckt,  vff  dem  Kirchhoue  zu 
S.  Apostolen  zugetragen,  durch  Frau  Richmuth,  deren  geschlechts  wapen,  sampt 
jhres  Mannes  biltnuss  mit  hieunden  an  gesatzt.  new  in  truck  gebracht,  nach  der 
alten  tafel  bej  der  kirch  thuren  daselbst  hangende.  —  Zu  Colin  truckts  Johan 
bussemacher  im  jähr  Christi  1604. 

Das  Bild  beschreibt  Merlo  folgendermassen.  Im  Vordergrunde  ist  der  bei  der 
'Sanct  Aposteln  kirch'  gelegene  Friedhof,  zwischen  Leichensteinen  erhebt  sich  aus  dem 
eben  geöffneten  Grabe  die  vom  Scheintode  erwachte  Frau:  die  Totengräber,  von  Ent- 
setzen ergriffen,  fliehen  von  dannen  und  lassen  einen  Teü  ihrer  Gerätschaften  sowie  aut 
dem  beiseit  gelegten  Deckel  des  Sarges  die  Leuchte  zurück.  Hinter  der  niedern  Kirch- 
hofmauer zeigt  sich  'Der  New  marck',  auf  dem  man  'Die  AVindmüll'  sieht.  Rechts 
schreitet  der  Leichenzug  der  Frau  Richmuth  an  der  Kirche  vorüber,  Ordensbrüder  tragen 
den  Sarg,  die  Leidtragenden  geben  mit  Fackeln  voran;  in  der  Ferne  sieht  man  Geistliche. 


1)  Reproduziert  von  0.  Zaretzky,  Zs.  f.  Bücherfreunde  3,  143  (1899-1900). 

2)  Sub  hoc  contigit  illud  spectrum  de  mortua  muliere  apud  dd.  Apostolos,  quae  a 
morte  triam  filiorum  facta  est  mater. 

;3)  Exemplare  in  Köln  (Historisches  Museum  nr.  1258)  und  Nürnberg  (German. 
Museum).  Vgl.  Merlo,  Nachrichten  von  dem  Leben  kölnischer  Künstler  1850  S.  7&' 
=  Kölnische  Künstler  1895  S.  151.    Die  Verse  auch  bei  v.  Mering  1833  S.  34. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten,  359 

Links  liegt  das  Wohnhaus  der  Erstandenen,  'In  der  Papegeien'  genannt,  an  der  Ecke  der 
Olivengasse.  Frau  Richmuth,  die  Laterne  in  der  Hand,  zieht  die  Schelle,  ihr  Gemahl 
schaut  am  obern  Fenster  heraus.  An  der  andern  Ecke  der  Gasse  steht  ein  stättliches 
Gebäude,  welches  der  Wohnsitz  der  Edeln  von  Hackeney  war.  Wir  müssen  nun  wieder 
zum  untern  Teile  des  Bildes  zurückkehren,  wo  rechts  ganz  im  Vordergrunde  Frau 
Richmuth  neben  ihrem  Gemahl  und  hinter  ihnen  drei  Söhne  in  Priestertracht,  alle  betend 
knien,  als  Stifter  des  Gemäldes.  Vor  ihnen  ist  das  Wappen  der  von  Adocht:  drei  ge- 
krönte Vögel  im  Schilde.    Darunter  liest  man  folgende  Verse: 

Als  man  zallt  MCCCLVII  Jahr, 

Alhier  zu  Collen  ein  gros  sterben  war. 

Vmb  vier  vhren  im  nachmittag 

Ein  wunder  ding  das  da  geschach. 
5    Ein  erbar  Fraw,  Richmuth  genant. 

In  den  fünfzehn  Geschlechtern  hoch  bekant, 

Von  der  Adoicht  dises  Ihr  herkunfift  war, 

In  der  Papegeien  Ihr  wonung  hatt  offenbar. 

Diese  stirbt,  wie  sie  vermeinet  haben, 
10    Vnd  als  man  sie  nun  solt  begraben. 

Durch  lieb  des  Ehstandts  ohn  verdriess 

Ihr  Man  Ihr  den  Trewrink  am  finger  liess, 

Damit  man  sie  zu  dem  grab  hintrug.  • 

Der  Doten  Gräber  dess  nam  achtung  gnug, 
15    Des  Abents  spaet  mit  seinem  knecht 

Der  schantzen  -waar  sie  namen  eben  recht. 

Die  Lade  sie  gruben  aus  der  Erden 

Vnd  hofften,  Ihnen  solt  der  Ringk  so  werden. 

Damit  der  knecht  den  deckel  auffbricht, 
20     Alsbald  sich  da  die  Fraw  auffricht, 

Vor  schrecken  die  beide  da  lauffen  gehn, 

Vnd  laessen  der  Frawen  die  Lucern  da  stehen, 

Mit  welcher  sie  heim  geht  und  die  Schell  thut  trecken, 

Damit  sie  den  Man  vnd  das  gsind  thut  wecken. 
25    Der  Man  sie  bej  der  stimm  vnd  dem  Ring  erkant, 

Gieug  bald  hin,  liess  sie  hnein  zu  hant, 

Mit  fewr  und  kost  that  er  sie  erquicken. 

Zu  frischer  gesundtheit  ward  sie  sich  schicken, 

Drei  junger  Söhne  hernach  sie  trug, 
30     Dess  sie  Got  nicht  kundt  dancken  gnug. 

Welcher  drej  sich  in  Geistliche  Orden  begaben, 

Vnd  thaten  Got  unseren  Herren  allzeit  loben. 

Bussenmachers  Blatt    ist    wiederholt   nachgestochen^)    und    durch  den 
Arzt    Wilhelm   Fabricius^)    aus    Hilden    in    die    gelehrte    Literatur    der 


1)  In  G,  H.  Velschii  Sylloge  curationum  et  observationum  medicinalium  1(568, 
Episagmata  p,  68  nr.  100  'Mortua  reviviscens',  37  lateinische  Distichen  nebst  Tafel 
(Recudit  Augustae  Vindel,  J.  G,  Bodenehr  1667).  Ein  niederländischer  Kupferstich  des 
17,  Jahrh.  von  Matham  im  Nürnberger  G.  Museum;  ebenda  ein  Holzschnitt  von  1739  mit 
einem  Lied,  das  wohl  dem  Texte  von  Kretzschmer-Zuccalmaglio,  Volkslieder  2,  170  zu- 
grunde liegt, 

2)  Guilh.  Fabricius,  Observationum  et  curationum  chirurgicarum  centuriae  (Lugd. 
1641)  1,  312;  in  der  1011  zuerst  gedruckten  Centuria  2,  nr.  95  (geschrieben  1008):  Reich- 
muth  Adolch. 


360  B«lte  = 

Curiositäteni)  eingeführt  worden.  An  der  weiteren  Ausbildung  der  Ge- 
schichte beteiligten  sich  Lokalhistorie  und  Volksdichtung.  In  einer 
Familienchronik  des  Geschlechtes  Lieskirchen  wird  dieser  'casus  plus 
admirationis  habiturus  apud  posteros  quam  fidei'  übereinstimmend  mit  der 
Chronik  und  Bussenmacher  erzählt  und  der  Geburtsname  Lieskirchen  der 
Frau  Kichmodis  von  der  Aducht  aus  der  Widmung  eines  Messgewandes 
erschlossen^).  Gelen  ins,  der  uns  diese  Nachricht  aufbewahrt  hat,  fügt 
den  Namen  des  Gatten  'Mengosus  vel  Menginus  de  Aquaeductia  gente' 
und  sein  aus  drei  Papageien  bestehendes  Wappen  hinzu.  Als  dann  1687 
Maximilien  Misson^)  auf  seiner  Reise  nach  Italien  durch  Köln  kam, 
hatten  sich  verschiedene  Nebenumstände  in  der  Tradition  verändert:  der 
Vorfall  ward  ins  Jahr  1571  und  in  ein  benachbartes  Haus  am  Neumarkt, 
aus  dessen  Bodenfenstern  zwei  weisse  Pferdeköpfe  herausschauen,  ver- 
legt; der  Hausherr  sollte,  als  ihm  gemeldet  wurde,  seine  tote  Frau  stehe 
draussen  vor  der  Tür,  ungläubig  gerufen  haben:  'Das  ist  so  unmöglich, 
als  dass  meine  Pferde  aus  dem  Bodenfenster  sehen'.  Da  vernahm  er  ein 
Getrappel  auf  der  Treppe,  und  die  Pferde  standen  alsbald  im  obersten 
Geschoss.  Ferner  sah  Misson  in  der  Apostelkirche  ein  grosses  Leinen- 
tuch, das  die  erstandene  Frau  selbst  gewebt  und  gestiftet  haben  sollte.  — 
Damit  ist  die  Sagenbildung  im  wesentlichen  erschöpft.  Die  späteren 
Aufzeichnungen  der  Reisenden*)  und  der  Sagensammler "),  die  auffälliger- 
weise   an    den    ältesten    Fassungen    achtlos    vorübergingen,    bieten    keine 


1)  H.  Kornmann,  De  miraculis  mortuorum  1694  (zuerst  1610)  p.  41  (2,  c.  16). 
G.  Horst  bei  Marcellus  Donatns,  De  historia  medica  mirabili  1613  p.  707  (lib.  7,  c.  9). 
S.  Goulart,  Les  3.  et  4.  volume  du  Thresor  des  histoires  admirables  de  nostre  temps 
(Col.  1614)  p.  661.  G.  Nymman,  De  apoplexia  tractatus  1629  p.  178.  J.  Brandmyller, 
Manuductio  ad  ius  canonicum  ac  civile  1661  p.  437.  G.  A.  Eeies,  Elysius  iucundarum 
quaestionum  campus  1661  p.  527.  T.  Winckler  praeside  B.  Bebel,  Diss.  theologica  de  bis 
mortuis  1672  §  9  Bl,  A  4b.  Happel,  Relationes  curiosae  3,  790  (1687.  nach  Horst). 
W.  Turner,  History  of  the  most  remarkable  providences  2,  33  (Lond,  1697.  Richmet 
Adolick  1537).  Ph.  Wahrmund,  Compendiöses  Historien-Buch  1722  nr.  25  (R.  Adolch). 
Hilscher,  Goldschmids-Frau  in  Dreßden  1725  S.  6. 

2)  Tandem  vocantibus  fatis  priori  redditur  sepulchro,  quod  elevatum  terra  altius 
cum  historia  ibidem  adiecta  hodie  apparet,  sed  posito  nomine  Richmodis  solo  et  gentis 
cognomine,  in  quam  haec  transit  nubendo  .  .  .  Nomen  gentile  Richmodis  non  promptum 
est,  quod  vestis  ad  Minores  cxim  nomine  utriusque  et  insignibus  auro  multo,  argento 
atque  serico  intertexta  sacra  profitetur.  —  Bei  A.  Gelenius,  De  magnitudine  Coloniae 
1645  p.  202. 

3)  (M.  Misson),  Nouveau  voyage  d'Italic  faict  en  l'annee  1688  1,  35  (A  la  Haye 
1691)  =  1,  5(;  (Amsterdam  1743). 

4)  Z.  B.  (Dielhelm),  Rheinischer  Antiquarius  1739  S.  536.  Pöllnitz,  Memoires  3,  154 
(1735).  (Riesbeck),  Briefe  eines  reisenden  Franzosen  über  Deutschland  2,  496  (1783). 
Ph.  W.  Gerken,  Reisen  durch  Schwaben  etc.  3,  324  (1786).  J.  Lang,  Reise  auf  dem 
Rhein  2,  288  (1789). 

5)  Grimm,  Deutsche  Sagen  1818  nr.  340.  E.  Weyden,  Cölns  Vorzeit  1826  S.  192. 
Kiefer,  Sagen  des  Rheinlandes  1845  S.  48  =  Grässe,  Sagenbuch  des  preuss.  Staates  2,  69 
(1871).    Sagen,  Mythen  und  Legenden  der  Stadt  Köln  1880  S.  82  (Grootes  Gedicht). 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  361 

neuen  Züge;  auch  die  Dichter^)  haben  sich  durchweg  treu  an  die  Über- 
lieferung gehalten;  nur  Oehlenschläger  lässt  in  seiner  Novelle  den  Toten- 
gräber nicht  aus  gemeiner  Habsucht,  sondern  durch  bittere  Not  getrieben 
den  Raub  begehen  und,  als  die  Tote  sich  aufrichtet,  sofort  zu  Herrn 
Adocht  eilen,  der  sich  darauf  mit  einem  Knecht  zum  Dome  begibt  und 
seine  Frau  auf  dem  Altar  sitzend  findet. 

Wie  steht  es  aber  nun  mit  der  historischen  Glaubwürdigkeit  der 
Kölner  Erzählung,  deren  allmähliches  AYachstum  wir  an  der  Hand  der 
Zeugnisse  verfolgen  konnten?  Merlo"),  der  einzige,  der  ihr  eine  kritische 
Untersuchung  gewidmet  hat,  wies  aus  den  Schreinsbüchern  nach,  dass 
weder  1400  noch  1357  das  Haus  zum  Papagei  auf  dem  Neumarkte  der 
Familie  von  der  Aducht  oder  von  Lyskirchen  gehört  hat  und  dass 
Watelm  Mennegin  von  der  Aducht,  welcher  noch  vor  1353  starb,  mit 
seiner  Frau  Richmodis  in  einem  Hause  auf  der  Sandkaule  in  der 
St.  Albanspfarre  wohnte.  Damit  fällt  die  Glaubwürdigkeit  der  Angaben 
auf  der  mindestens  seit  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrh.  an  der  Apostelkirche 
angebrachten  Gedächtnistafel,  die  1604  bei  Bussenmacher  erweitert  und 
ausgeschmückt  werden,  in  sich  zusammen,  und  wir  müssen  diese  Inschrift 
als  einen  Versuch  ansehen,  eine  längst  vorhandene  Sage,  die  1499  in  der 
KoelhofFschen  Chronik  noch  ohne  Personennamen  erscheint,  mit  einem 
fremden,  nicht  zu  ihr  gehörigen  Grabmonument  in  Verbindung  zu  bringen: 
ein  Vorgang,  der  sich  in  der  Entwicklung  der  Ortssagen  häufig  wieder- 
holt. Auch  die  am  Hause  zum  Papagei  haftende  Erzählung  vom  Jahre 
1499,  welche  die  handelnden  Personen  nicht  benennt,  verdient  keinen 
Glauben;  wie  sollte  eine  nicht  in  einem  luftigen  Grabgewölbe  beigesetzte, 
sondern  in  die  Erde  vergrabene  Scheintote  viele  Stunden  aushalten,  ohne 
an  Luftraangel  zu  ersticken!  Nehmen  wir  dazu  das  Auftauchen  derselben 
Geschichte  an  anderen  Orten,  so  wird  uns  deutlich,  dass  wir  es  hier  mit 
einer  Wanders age  zu  tun  haben.  Möglich  ist  natürlich,  dass  ein  wirk- 
licher, weniger  komplizierter  und  wunderbarer  Vorfall  in  Köln  im  Sinne 
dieser  bereits  vorhandenen  Sage  ausgeschmückt  wurde ^).  Späte  Zusätze 
sind  die  Pferdeköpfe  am  Giebel  des  Wohnhauses,  die  auf  den  Unglauben 


1)  E.  V.  Groote,  Richrauth  von  der  Aducht  (Taschenbuch  f.  Freunde  ad.  Kunst  1816, 
21  =  Ziehnert,  Preussens  Volkssagen  3,  40.  1840  =  Hocker,  Deutscher  Volksglaube  1853 
S.  15.  222  =  Simrock,  Rheinsagen  1869  S.  (M  nr.  22;  vgl.  A.  Kaufmann,  Quellenangaben 
1862  S.  25).  J.  Dilschneider,  Richmodis,  ein  Epos  (Brewers  Vaterländische  Chronik  der 
Rheinprovinzen  1,  160.  273.  1825).  Oehlenschläger,  Richmuth  von  Adocht  (Werke  20, 
7—22.  1839).  F.  Jacobs,  Das  Pferd  im  Bodenloch  (Schriften  für  die  Jugend  1844). 
Kretzschmer-Zuccalmaglio,  Volkslieder  2,  176  nr.  85  'Richmut  und  Adocht'  (1840)  =  Erk- 
Böhme,  Liederhort  1,  595  nr.  196  c. 

2)  Merlo,  Die  Familie  Hackeney  zu  Köln  1863  S.  46  —  52.  Ich  verdanke  deu  Hin- 
weis auf  diese  wichtige  Schrift  Herrn  Stadtbibliothekar  Dr.  0.  Zaretzky  in  Köln. 

3)  Vgl.  die  interessante  Darlegung  ähnlicher  Vorgänge  bei  Schönbach,  Über  Cäsarius 
von  Heisterbach  III  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie  163,  1.  1909). 


362  Bolte: 

des  Gatten  hinweisen  sollen  und  erst  1687  erwähnt  werden^),  und  das  in 
der  Apostelkirche  als  eine  Weberei  der  Frau  Richmodis  gezeigte  graue 
Leinentuch  mit  dem  Bilde  einer  vor  der  Jungfrau  Maria  knienden 
Frau;  denn  dies  einst  wohl  als  Fastentuch  dienende  Stück  stammt  aus 
dem  Ende  des  12.  Jahrh.''). 

Mustern  wir  nun  die  parallelen  Ortssagen!  Um  1566  berichtet  die 
Zimmersche  Chronik  (1,  309  ed.  Barack  1869),  wie  zu  Lebzeiten  Johanns 
von  Zimmern  des  älteren  im  15.  Jahrh.  die  Frau  Haugs  von  Hausen,  eine 
seb.  Winenden,  zu  Mösskirch  an  der  Pest  starb  und  auf  dem  Kirchhofe 
zu  St.  Martin  in  die  Grube  gelegt  ward,  aber  nachts  erwachte,  als  ihr  der 
Totengräber  den  Ring  und  ihre  Röcke  abziehen  wollte,  und  heimkehrte. 
Keinen  Ort  nennt  Phil.  Salmuth^)  in  seiner  ähnlichen  Erzählung  von  der 
wieder  auflebenden  Frau  des  Buchdruckers  Matthäus  Harnisch;  sollte  er  hier 
aufs  Geratewohl  den  in  Neustadt  a.  d.  Hardt  ansässigen  Drucker  von  Ewichs 
oben  S.  357  erwähnter  Schrift  über  die  Pestbehandlung  eingesetzt  haben? 
Ferner  liegen  Varianten  unsrer  Sage  vor  aus  Dresden,  Laibach,  Magde- 
burg, Altenburg,  Hamburg,  Danzig,  Thorn,  Glückstadt,  Lübeck,  Dünkirchen, 
Aachen,  Bolkenhain,  aus  dem  Yogelsberg,  aus  Nürnberg,  Schweinfurt, 
Memmiugen,  Regensburg,  Freiburg  i.  B.  und  Siebenbürgen,  die  wir 
im  Interesse  des  Lesers   zusammenfassend  charakterisieren  wollen*).     Die 


1)  Mit  Unrecht  erblickte  also  Simrock  (Deutsche  Mythologie  ^  §  106,  4)  in  den 
Pferdehäuptern  am  Söller,  denen  er  eine  Beziehung  zum  Totenreiche  zuschrieb,  den 
Anlass  zur  Entstehung  der  Sage.  Viel  einleuchtender  ist  L.  Friedländers  (Petronius, 
Cena  Trimalchionis  1891  S.  289  zu  c.  63  'Asinus  in  tegulis')  Hinweis  auf  altrömische 
Prodigia,  bei  denen  ein  Esel  oder  Rind  aufs  Dach  steigt.  Ein  allnächtlich  die  Treppen 
emporsteigender  Spukschimmel  bei  Seifart,  Sagen  aus  Hildesheim  1,  15  (1854). 

2)  F.  Bock,  Das  heilige  Köln  1858  Nr.  92-93  (St.  Aposteln)  S.  8. 

3)  Ph.  Salmuth,  Observationum  medicarum  centuriae  tres  1648  p.  102  (cent.  2,  87): 
'Puerpera  hysterica  sepulta  reviviscit'.  Danach  Job.  Praetorius,  Anthropodemus  Plutonicus 
1666  1,  342;  C.  Blanckardus,  Neuer  historischer  Lust -Garten  1701  S.  84  nr.  26; 
J.  C.  Hilscher,  Goldschmids-Frau  1725  S.  5;  Bruhier,  Kennzeichen  des  Todes  1754  S.  133. 

4)  Dresden:  J.  Lassenius,  Adeliche  Tisch-Reden  1661  S.  83.  *M.  Grundmann,  Geist- 
und  weltliche  Geschicht-Schul  (um  1665)  S.  221.  J.  Praetorius,  Anthropodemus  Plutonicus 
1666  1,  341.  J.  C.  Hilscher,  Nachricht  von  der  aus  ihrem  Grabe  wieder  auferstandenen 
Goldschmids-Frau  in  Dreßden,  nebst  einer  Erinnerung  von  der  unerkannten  Sünde,  die 
Leute  zu  begraben,  ehe  sie  noch  gestorben  sind,  1725  (mit  Abbildung  des  Grabsteins). 
W.  Schäfer,  Deutsche  Städtewahrzeichen  1,  167—172  (1858.  Mit  Abbildung).  Fehlt  bei 
Meiche,  Sagenbuch  des  Königreichs  Sachsen  (1903).  —  Laibach:  Valvassor,  Ehre  des 
Erzherzogtums  Crain  2,  715  (1689).  Hilscher,  Goldschmidsfrau  1725  S.  28.  Hormayrs 
Taschenbuch  1840,  374.  —  Magdeburg:  Büsching,  Volkssagen  1812  S.  389  'Der  Wink 
Gottes'.  Reissieg,  Sagen  der  Stadt  Magdeburg  1,  246  (1848)  =  Grässe,  Sagenschatz  des 
preuss.  Staates  1,  251  (1868).  Revue  des  trad.  pop.  11,  466.  F.  Lohmann,  Mathilde  von 
Asseburg  (Novelle  in  Schutzes  Taschenbuch  der  Liebe  und  Freundschaft  1826,  161—241). 
H.  A.  Pröhle,  Chronik  von  Hornhausen  1850  S.  121.  A.  F.  v.  d.  Asseburg,  Denkwürdig- 
keiten 1842  S.  23.  H.  Pröhle,  Deutsche  Sagen  '^  1879  S.  65  nr.  35  'Sophia  von  der  Asse- 
burg und  das  weisse  Ross  auf  dem  Breiten  Wege  zu  Magdeburg'.  *C.  L.  Brandt,  Der 
Dom  von  Magdeburg  186:'>.  Hanftmaim,  Führer  durch  den  Magdeburger  Dom  1909  S.  88 
(Epitaph    des    1611    verstorbenen  Domherrn  Heinrich   von  Asseburg).    Ploss-Bartels,    Das 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  363 

Grundform  der  Sage  ist  überall  dieselbe;  in  mehreren  Fällen  (Dresden, 
Magdeburg,  Altenburg,  Lübeck,  Schweinfurt,  Thorn,  vielleicht  auch  Bolken- 
hain)  zeigt  man  noch  heut  das  Grabrelief  der  Frau,  das  aber  keinerlei 
Besonderheit,  sondern  nur  die  kniende  Verstorbene  mit  ihren  Kindern, 
bisweilen  auch  mit  ihrem  Manne  enthält;  in  Magdeburg,  wo  eine  zweifache 
Form  der  Sage  existiert,  blickt  auf  einem  Gemälde  des  Jüngsten  Gerichts 
im  Dome  unter  einem  sich  hebenden  Leichensteine  ein  Kopf  hervor,  in 
dem  sich  vermutlich  der  Maler  selber  verewigen  wollte.  Die  jüngeren,, 
erst  im  19.  Jahrhundert  aufgezeichneten  Varianten  (Magdeburg,  Hamburg,. 
Danzig,  Glückstadt,  Dünkirchen,  Aachen,  Hessen,  Nürnberg,  Memmingen, 
Freiburg,  Mühlbach)  weisen  fast  sämtlich  auf  den  am  Hausgiebel  oder  au  den 
Fensterläden  (Nürnberg)  befindlichen  Pferdekopf  hin,  der  zur  Erinnerung 
an  den  anfänglichen  Unglauben  des  Witwers  und  das  darauf  erfolgte 
Wunder  angebracht  worden  sei;  in  Hamburg  ist  es  dagegen  der  Kopf 
eines  Einhorns,  in  Memmingen  ein  Steinrelief  mit  einem  in  der  Wiege 
liegenden  Gaul.  Der  bei  Langbein  und  Ziehnert  verwertete  Zug,  der 
Gatte  sei  durch  die  Wiederkehr  der  auferstandenen  zänkischen  Frau  un- 
angenehm überrascht  worden,  ist  vermutlich  eine  satirische  Erfindung  des 
ersteren^).  In  Freiburg  wird  wie  in  Köln  auch  ein  angeblich  von  der 
Sagenheldin  gewebtes  Fastentuch  gezeigt.  Man  kann  hier  deutlich  ge- 
wahren, wie  die  zuerst  in  Köln  lokalisierte  Geschichte  gleich  Sommer- 
fäden durch   die  Luft  fliegt  und   als    'ikonischer  Mythus'    bald  hier,    bald 


Weib  ®  2,  808  (1908).  Gedichte  von  Langbein,  Die  selige  Frau  (Minerva,  Taschenbuch  f. 
1815,  177  =  Sämtl.  Schriften  5,  169.  1835),  Ziehnert,  Preussens  Volkssagen  1,  113  (1838. 
'Das  Pferd  in  Magdeburg')  und  Jul.  Wolf,  Die  Frau  des  Ratsherrn  (Nord  u.  Süd  23,  211. 
1882).  —  Altenburg:  Gräsae,  Sagenschatz  des  Königreichs  Sachsen  *  2,  371.  Geyer, 
Osterlandsagen  1901  S.  36  nr.  22  (Grabstein  von  1622).  —  Hamburg:  Amalie  Schoppe, 
Sagenbibliothek'  1,  200  (1866;  zuerst  1833):  'Das  Einhorn'.  —  Danzig:  Karl,  Danziger 
Sagen  2,  31;  anders  in  Brans  Minerva  1856,  2,  219.  —  Thorn:  Behrend,  Westpreussischer 
Sagenschatz  3,  50  (1908):  der  Totengräber  holt  reuig  den  Gatten.  —  Glückstadt: 
MüUenhoff,  Sagen  von  Schleswig-Holstein  1845  nr.  554.  —  Lübeck:  Deecke,  Lübische 
Geschichten  1852  S.  277.  —  Dünkirchen:  J.  W.  Wolf,  Niederländische  Sagen  1843 
nr.  536.  —  Aachen:  fievue  des  trad.  pop.  11,  328.  466  (1896):  'La  morte  ressuscitee, 
legende  liegeoise'.  —  Bolkenhain:  Goedsche,  Die  Sagen  des  Riesengebirges  1884  S.  93 
(Frau  Schuller  1533).  —  Dorf  am  Vogelsberg:  Bindewald,  Oberhess.  Sagenbuch  1873 
S.  170.  Böckel,  Die  dtsch.  Volkssage  1909  S.  12.  —  Nürnberg:  Lotter,  Sagen  der 
Stadt  Nürnberg  1899  nr.  136  'Die  verfluchte  Jungfer'.  —  Schweinfurt:  Bechstein, 
Sagenschatz  des  Frankenlandes  1,  166  nr.  35  (1842)  und  Deutsche  Sagen  nr,  818. 
V.  Hefner-Alteneck,  Trachten  des  christl.  Mittelalters  3,  131  Taf.  119  (1840— .54.  Grabmal 
der  Frau  Susanna  des  Syndikus  Adam  Alberti,  f  1565).  Schöppner,  Sagenbuch  der 
bayerischen  Lande  1,  217  nr.  222  (1852).  A.  Kaufmann,  Mainsagen  1853  nr.  28.  — 
Memmingen:  Schöppner  2,  413  nr.  877  'Das  Pferd  in  der  Wiege'.  Reiser,  Sagen  des 
Allgäus  1,  411  nr.  497  (1897.  mit  Abb.).  —  Regonsburg:  Brandt  1863.  —  Freiburg 
i.  B. :  Baader,  Neugesammelte  Volkssagen  aus  Baden  1859  nr.  50.  Eine  hsi.  Fassung 
erhielt  ich  1904  von  Hjn.  Prof.  Amersbach.  —  Mühlbach:  F.  Müller,  Siebenbürgische 
an  1857  nr.  155. 
1)  Vgl.  dazu  den  oben  S.  354^  erwähnten  Schwank. 


364  Bolte: 

dort  anhaftet,  wo  sich  ein  ihr  entsprechendes  Denkmal  auf  dem  Kirchhof 
oder  am  Hause  darbietet. 

Keine  solche  lokalen  Erinnerungszeichen  finden  wir  in  den  fran- 
zösischen Varianten.  Tallemant  des  Reaux^)  berichtet  von  der  um  1550 
lebenden  Baronin  de  Panat,  die  an  einem  Knöchelchen  erstickt  und  be- 
graben, durch  eine  Dienerin  erweckt  wurde,  welche  ihren  Schmuck  stehlen 
und  sich  zugleich  durch  Schläge  auf  den  Nacken  an  ihr  rächen  wollte.  Zur 
selben  Zeit  soll  Renee  Taveau,  die  Gemahlin  des  Herrn  Fran^ois  de 
Rochechouart,  durch  einen  Diener,  der  es  auf  ihren  Diamantring  abgesehen 
hatte,  vom  Scheintode  erweckt  worden  sein^).  Misson^)  reiht  seinem 
Berichte  über  die  Kölner  Sage  den  gleichen  Fall  der  Goldschmiedsfrau 
Mervache  in  Poitiers  an;  und  der  Pariser  Arzt  Bruhier  zählt  in  seiner 
^Dissertation  sur  l'incertitude  des  signes  de  la  mort'*)  ganz  analoge 
Geschichten  aus  Orleans  (Frau  des  Notars  Bellejoie),  Toulouse  (morgens 
hören  die  Mönche  die  begrabene  Frau  klagen  und  finden  neben  ihr  den 
vor  Entsetzen  halbtoten  Diener,  der  ihr  den  Finger  abgeschnitten  hatte); 
Bordeaux  (Frau  von  Revenac)  und  Dublin  auf,  die  bei  einem  kritischer 
gestimmten  Forscher  gerade  durch  ihre  Ähnlichkeit  Verdacht  erweckt 
hätten.  Dass  auch  in  England  die  Sage  Verbreitung  gewann,  erfahren 
wir  aus  einer  lehrreichen  Zusammenstellung  von  Axon^).  In  einer  Ballade 
von  R.  S.  Hawker,  die  zu  Cothele  in  Calstock,  Cornwall  spielt,  heisst  die 
Scheintote  Annot  of  Benallay,  nach  Mrs.  Bray  aber  Lady  Edgcumbe  in 
Maker.  Eine  von  Timbs  erwähnte  Sage  knüpft  sich  an  eine  neben  der 
Kanzel  der  St.  Giles-Kirche  in  Cripplegate  angebrachte  Gedenktafel  für 
Constance  Whitney,  welche  die  sich  aus  ihrem  Sarge  aufrichtende  Frau 
zeigt.  Die  Erweckung  durch  den  Ringdieb  wird  ferner  erzählt  von  einer 
Mrs.  Killigrew,  von  einer  Lady  Longstone  of  Longstone  in  Derbyshire, 
aus  Glocestershire,  Drogeda,  Halifax,  Watchett,  Somersetshire.  —  Aus 
Ungarn  meldete  1904    die  Budapester  Zeitung®)    als    einen    kürzlich  ge- 


1)  Les  historiettes  de  Tallemant  des  Reaux  3.  ed.  par  Monmerque  et  Paris  1,  436 
(1854). 

2)  Bayle,    Dictionnaire   historique   4,   323    (1730)    nach    dem   Mercure   galant  1702, 

Oct.  p.  107. 

3)  Misson,  Voyage  d'Italie  1,  60  (1743.  Noch  nicht  in  der  1.  Ausgabe)  =  Bruhier, 
Kennzeichen  des  Todes  1754  S.  48  =  Bouchut,  Signes  de  la  mort  1874  p.  282. 

4)  Bruhier,  Abh.  von  der  Ungewissheit  der  Kennzeichen  des  Todes,  übersetzt  von 
J.  G.  Jancke  1754  S.  9.  21  (Orleans;  :=  Bouchut  1874  p.  284).  53  (Toulouse;  =  Bouchut 
p.  283).    73  (Bordeaux).    78  (Dublin). 

5)  The  Reliquary  8,  148  f.  (1867—68)  und  9,  249.  Vgl.  Hawker,  Recor^s  of  the 
westem  shore  1832  p.  13.  Mrs.  Bray,  Gentleman's  Magazine  1853,  Nov.  p.  449.  Münchner 
Neueste  Nachrichten  1903,  25.  Juli.  Timbs,  Things  not  generally  known  2.  ser.  1859 
p.  179.  Miss  Wynne,  Diaries  of  a  lady  of  quality  p.  1.  Hunt,  Hundred  romances  from  real 
life  p.  88  (Francis  de  St.  Civile). 

6)  Berliner  Lokal-Anzeiger  1904,  30.  April  und  Münchner  Neueste  Nachrichten  1904, 
17.  Mai. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  365 

schehenen  Vorfall,  dass  Helene  Fritsch  in  Egerszeg,  die  man  für  tot 
bestattet  hatte,  wieder  erwachte,  als  Diebe  ihr  nachts  drei  Finger  ab- 
schnitten, und  darauf  in  ihr  Haus  zurückkehrte. 

Ein  neues  Motiv  enthält  eine  in  Padua  spielende  Erzählung  bei  dem 
schon  erwähnten  Arzte  Joh.  Ewich*): 

Ein  solches  ist  mir  auch  erzelt  worden  von  einem  andern  Weibe  zu  Padua, 
welche  schwanger  gewesen  und,  wie  man  sich  bedüncken  lassen,  sie  were  todt, 
zu  Grabe  gebracht  worden  und  baldt  hernach  im  Grabe  zween  Kindlin  geboren, 
die  auch  so  laute  geschrihen,  das  es  die  Rüster  in  der  Kirchen  gehört  und  die 
Kindlin  neben  der  [0  1  b]  Mutter  lebendig  wider  aus  dem  Grabe  genommen 
haben  .  .  . 

Und  diese  Überlieferung,  welche  die  seltsame  Rettung  der  scheintoten 
Frau  durch  die  glückliche  Geburt  von  Zwillingen  ins  Fabelhafte  steigert^), 
hat  sich  bis  in  ein  Bänkelsängerlied  des  18.  Jahrhunderts  fortgepflanzt: 
'Eine  sehr  merkwürdige  und  noch  nie  erhörte  Wundergeschichte,  welche 
sich  in  dem  Städtlein  Hirschleben  mit  einer  Sechswöchnerinn,  eines 
Bergmanns  Ehefrau  zugetragen  hat,  wie  nehmlich  dieselbe  drey  Tage  und 
drey  Nächte  in  Kindesnöthen  gearbeitet,  endlich  gestorben  und  begraben 
worden,  nach  dreyen  Tagen  aber  hat  man  sie  im  Grabe  singen  hören; 
worauf  das  Grab  geöfnet  worden,  sie  lebendig  gefunden,  und  an  jeder 
Brust  ein  säugendes  Kindlein  angetroffen,  über  welche  zwey  weisse  Tauben 
gesessen.  Ganz  neu  gedruckt'  ('Nun  lasst  uns  Wunder  hören',  29  Str. 
4  Bl.  8**.  Berlin  Yd  7923,  16).  Eine  andre  Bearbeitung  dieser  Wunder- 
geschichte ('Hört  zu,  ihr  lieben  Christen  Leut',  20  Str.  Berlin  Yd  7922,  43), 
die  Arnim  und  Brentano  1805  für  ihr  Wunderhorn  benutzten,  verlegt  das 
Ereignis  nach  Zürich  in  den  Januar  1792;  neun  Tage  nach  dem  Tode 
der  Frau  Jerman  Weizers  vernehmen  die  überlebenden  Kinder  aus  ihrem 
Grabe  den  Gesang  eines  Wiegenliedes;  die  eilig  Ausgegrabene  berichtet, 
wie  sie  von  einem  Knäbleiu  wunderbar  gespeist  und  getröstet  worden  sei, 
und  prophezeit  ausführlich  Kriegsnot  und  Pestilenz.  In  zwei  jüngeren 
Fassungen  aus  Schlesien  und  Brandenburg  ist  die  Erzählung  sehr  zu- 
sammengestrichen und  die  Ortsangabe  fortgefallen^). 

Ganz    abseits    steht    endlich    eine    düstre    alt  dänische    Ballade    von 


1)  Ewich,  De  officio  magistratus  1582  p.  140  =  Ewich,  Pestilentzordenung  deutsch 
durch  J.  Mollerum  1583  Bl.  01a.    Vgl.  Bruhier  S.  88. 

2)  Vermischung  mit  dem  Motive  der  Erweckung  durch  den  Dieb  zeigt  die  von  Matth. 
Hammer  (Rosetum  historicum,  Zwickau  1G54  S.  514  nach  einer  Magdeburger  Leichen- 
predigt) überlieferte  Geschichte  einer  thüringischen  Edelfrau,  die  an  Maria  Krautweih  in 
der  Kirche  in  eine  Ohnmacht  fällt,  als  wäre  sie  tot.  Ihr  Eheherr  lässt  die  vermeinte 
Leiche  samt  dem  Geschmeide  gleich  in  der  Kirche  liegen;  als  aber  nachts  ein  Dieb  die 
Kleinode  rauben  will,  erwacht  sie  und  gebiert  einen  Sohn,  der  später  Pfarrer  wird. 

3)  Erk- Böhme,  Liederhort  1,  594  nr.  liKia— b  (nach  Arnim -Brentano,  Wunderhorn 
1,  322  =  Erlach,  Volkslieder  4,  82  und  Peter,  Volkstümliches  aus  Üst.  Schlesien  1,  202). 
Vgl.  K.  Bode,  Die  Bearbeitung  der  Vorlagen  in  Des  Knaben  Wunderhorn  1909  S.  557 
bis  560. 


.366  Bolte: 

Stolz  Lydborg,  der  jungen  Gattin  Herrn  Wolmers^).  Als  diese  in  Ab- 
wesenheit ihres  Ehemannes  in  Kindesnöten  liegt,  weigert  die  arge  Schwieger 
ihr  jede  Erquickung  und  lässt  sie,  als  sie  in  Ohnmacht  sinkt,  schleunig  be- 
graben. Doch  ihre  Mutter  Frau  Mettelille  wird  durch  den  treuen  Pagen 
benachrichtigt,  kommt  zum  Friedhofe,  hört  Lydborg  aus  dem  Grabe  rufen, 
befreit  sie  und  gebietet,  die  tückische  Schwieger  zu  verbrennen.  Als  Herr 
Weimer  heimkehrt,  ist  seine  Mutter  tot  und  seine  Frau  fortgezogeu. 

2.   Die  romantische  Sagenform  (Kussmotiv). 

Die  zweite  Hauptform  der  Sage,  in  der  die  Erweckung  der  Schein- 
toten von  einem  unglücklichen  Liebhaber  der  Dame  ausgeht,  lässt  sich  bis 
ins  13.  Jahrhundert  zurückverfolgen  und  zeigt  in  ihrer  Ausgestaltung 
naturgemäss  eine  grössere  Mannigfaltigkeit  als  der  besprochene  erste 
Typus,  da  sich  hier  eine  grössere  Zahl  von  Möglichkeiten  darbot  und  die 
Lösung  zugleich  den  juristischen  Scharfsinn  beschäftigen  konnte.  Die 
Begrabene  konnte  Jungfrau  oder  Braut  oder  jüngst  vermählte  Frau  sein; 
der  Jüngling  konnte  ihre  Hand  mit  oder  ohne  Einwilligung  der  Eltern 
erhalten,  er  konnte  versuchen  sie  ihrem  rechtmässigen  Gatten  abzusiewinnen 
oder  in  edelmütigem  Verzicht  sie  diesem  wieder  zuführen;  der  erste 
Gemahl  konnte  durch  törichtes  und  unwürdiges  Verhalten  oder  durch 
seinen  Tod  die  Vereinigung  der  Liebenden  ermöglichen;  der  angerufene 
Gerichtshof  konnte  seine  Entscheidung  nach  der  einen  oder  andern  Seite 
hin  fällen  usw.  Der  Stoff  hat  seine  Anziehungskraft  bis  in  die  neueste 
Zeit  bewährt,  und  mehrfach  wiederholt  sich  das  fesselnde  Schauspiel  einer 
Ausgestaltung  und  Verfeinerung  des  Sagenstoffes  durch  einen  begabten 
Poeten  und  einer  Beeinflussung  der  Volksüberlieferung  durch  eine  solche 
Kunstdichtung;  doch  muss  sich  hier  unsre  Betrachtung  hüten,  allzuweit 
ins  literargeschichtliche  Gebiet  überzugreifen. 

Um  1260  berichtet  der  Löwener  Dominikaner  Thomas  von  Cantimpre 
in  seinem  lateinischen  Bieueubuch'^),  wie  ein  armer  Jüngling  in  dem 
brabantischen  Dorfe  Gwerthena  (Werchten,  Zwarteva?)  ein  Mädchen  lieb- 
gewann, aber  von  dessen  Eltern  zurückgewiesen  ward.  Das  Mädchen  fiel 
in  ein  starkes  Fieber,  starb  und  ward  bestattet.  In  der  Nacht  darauf 
wanderte  der  Jüngling  traurig  durch  einen  Wald,  da  hörte  er  eine  klagende 
weibliche  Stimme.     Er  trat  hinzu  und    fand    die  totgeglaubte  Jungfrau^), 


1)  Grundtvig-Olrik,  Danmarks  gamle  Folkeviser  6,  149  nr.  342  'Volmers  hustru  levende 
begravet'.    Eine  schwächliche  Umbildung  ist  nr.  343  'Faßstem^en  levende  begravet'. 

2)  Bonum  universale  de  apibus  2,  57,  20  (Duaci  1G05  p.  551)  =  Gering,  Isl.  Aeventyri 
2,  194:  deutsch  bei  J.  W.  Wolf,  Ndl.  Sagen  1843  nr.  315.  Vgl.  A.  Kaufmann,  Th. 
V.  Chantimpre  1899  S.  105  und  W.  A.  van  der  Vet,  Het  bienboec  van  Th.  van  Cantimpre 
1902  S.  157. 

3)  Also  einsam,  nicht  inmitten  einer  Schar  verstorbener  Frauen,  wie  es  in  der  Sage 
bei  Walther  Mapes  (De  nugis  curialium  1850  p.  82.  168;  vgl.  Uhlaud,  Schriften  8,  455 
und  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879  S.  55)  heisst. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  367 

die  ihm  erzählte,  ein  Mann  sei  vor  ihr  hergegangen  und  habe  sie  her- 
geführt. Rasch  entschlossen  barg  der  Jüngling  sie  in  einem  Hause  ausser- 
halb des  Dorfes,  eilte  zu  ihrem  Yater,  der  noch  beim  Leichenmahle  sass, 
und  fragte  diesen,  ob  er  ihm  jetzt  seine  Tochter  zum  Weibe  geben  wolle, 
wenn  er  sie  ihm  lebend  zuführe.  Als  der  Yater  dies  zusagte,  gingen  sie 
zum  Sarge  und  fanden  unter  dem  Linnen  ein  teuflisches  Gebilde  aus 
faulem  Holz,  mit  einer  Haut  überzogen.  Einige  Tage  darauf  ward  eine 
fröhliche  Hochzeit  gefeiert. 

Nicht  recht  begreiflich  erscheint  in  diesem  Berichte  die  Handlungs- 
weise des  Dämons,  der  das  scheintote  Mädchen  in  den  Wald  bringt.  Ist 
er  hier  nur  die  Kraft,  die  stets  das  Böse  will  und  stets  das  Gute  schafft? 
Oder  ist  er  ein  mönchischer  Zusatz  zu  einer  einfacheren  Gestalt  der  Über- 
lieferung? Man  möchte  dies  fast  glauben,  wenn  man  die  isländische  Er- 
zählung des  133y  verstorbenen  Bischofs  Jon  Halldörsson^)  vergleicht, 
die  dieser  auf  seinen  Reisen  in  Frankreich  und  Italien  gehört  haben  mag; 
denn  sie  spielt  in  einer  Stadt  der  Lombardei.  Der  arme  Jüngling  wagt 
hier  gar  nicht,  um  die  einzige  Tochter  des  reichen  Ritters  zu  werben, 
schleicht  aber,  als  sie  plötzlich  stirbt  und  bestattet  wird,  nachts  in  die 
Familiengruft,  trägt  die  Leiche  auf  seinen  Armen  in  sein  Haus  und  wärrat 
sie,  bis  sie  die  Augen  aufschlägt^).  Als  er  dann  sie  bittet,  seine  Frau  zu 
werden,  ist  sie  einverstanden;  er  begibt  sich  zum  Yater  und  fragt  ihn, 
ob  er  ihm  seine  Tochter  verloben  würde,  wenn  er  sie  ihm  lebend  zurück- 
bringe. Ungläubig  weigert  der  Alte  eine  solche  Zusage,  willigt  aber 
freudio-  ein,  als  der  Jünorlins:  die  Totgesrlaubte  holt  und  ausführlich 
Bescheid  gibt. 

In  Italien  ist  auch  die  berühmteste  und  wichtigste  Yersion  unserer 
Geschichte  heimisch,  die  uns  Giovanni  Boccaccio  zweimal  überliefert, 
zuerst  ohne  die  Namen  der  Personen  um  1340  in  seinem  Romane  Filocopo 
und  dann  ausführlicher  im  Decameron  10,  4  (um  1358).  Unter  den 
13  Fragen,  die  in  der  Hofgesellschaft  zu  Neapel  in  jenem  Romane^)  auf- 
gegeben werden,    erzählt    an  letzter  Stelle  Massalino  eine   in  seiner  Stadt 


1)  Gering,  Islendzk  Aeventyri  1882  2,  192  nr.  86  'Die  scheintote  Geliebte'  (aus  einer 
um  1400  geschriebeneu  Kopenhagener  Hs.);  vgl,  Germania  25,  142. 

2)  Der  isländische  Autor  setzt  hinzu,  der  Jüngling  habe  sich  jeder  Unzucht  ent- 
halten; und  mit  Recht  schliesst  Gering  2,  194  aus  dieser  Bemerkung,  dass  ihm  Erzählungen 
bekannt  waren,  die  von  einer  Leichenschändung  berichteten  (Liebrecht,  Zur  Volkskunde 
1879  S.  49.  Oben  13,  18.  16,  416.  Ploss-Bartels,  Das  Weib  ^  2,  798.  Hebbel,  Tagebücher 
ed.  Werner  2,  444.  Wlislocki,  Märchen  der  Zigeuner  1886  nr.  40).  Einen  solchen  Fall  von 
einem  Mönche,  der  bei  einem  scheintoten  Mädchen  Leichenwache  hielt  und  sie  später 
heiratete,  erzählt  Pitaval  (Causes  celebres  8,  425.  1737.  Bruhier,  Kennzeichen  des  Todes 
1754  S.  62). 

3)  Boccaccio,  II  Filocopo  (Vinegia  1551)  Bl.  241b— 245  a.  Deutsch  in  der  Histori 
der  hochen  lieb  Florio  und  Bianceffora  (Metz  1499)  Bl.  89  a  mit  Holzschnitt.  Ohne  Quellen- 
angabe nacherzählt  von  Harsdörffer  (1641)  und  Abele  (1654).  Englisch  1567  von  H.  G., 
A  pleasant  disport  of  diuers  noble  personages  (Hazlitt,  Handbook  1867  p.  42,  6). 


368  Bolte: 

(also  Neapel)  Yorgefallene  Geschichte  von  einem  Ritter,  der  eine  ver- 
heiratete Edelfrau  liebgewann,  ohne  von  ihr  Huld  zu  erlangen,  und 
während  er  in  einer  nahen  Stadt  ein  Amt  verwaltete  (al  reggimento  d'una 
cittä  assai  alla  nostra  vicina  fu  chiamato),  vernahm,  dass  jene  Frau  in 
Kindesnöten  plötzlich  verblichen  und  alsbald  bestattet  worden  sei.  Er 
verwünschte  den  Tod,  der  ihm  die  Geliebte  geraubt  habe,  und  ritt  in  der 
Nacht  mit  einem  getreuen  Diener  in  die  Heimat,  öffnete  das  Grab,  stieg 
hinein  und  begann  die  Tote  zu  küssen.  Da  spürte  er  an  ihr  einen  leisen 
Pulsschlag  und  erkannte  mit  freudigem  Erschrecken,  dass  sie  nicht  tot 
war.  Sanft  zog  er  sie  aus  dem  Grabe  hervor,  hüllte  sie  in  einen  Mantel 
und  trug  sie  mit  dem  Diener  in  das  Haus  seiner  Mutter,  wo  sie  unter 
guter  Pflege  bald  zu  sich  kam  und  einem  Knaben  das  Leben  gab.  Der 
Ritter,  der  nicht  länger  verweilen  konnte,  nahm  ihr  das  Versprechen  ab, 
vorläufig  im  Verborgenen  bei  seiner  Mutter  zu  bleiben.  Bald  darauf  war 
seine  Amtszeit  abgelaufen;  er  kehrte  zurück  und  lud  eine  grosse  Gesell- 
schaft zu  Tisch,  darunter  den  Gatten  der  Dame  und  ihre  Brüder.  Die 
Dame  nahm  schweigend  neben  ihrem  Manne  Platz,  der  sie  staunend  und 
zweifelnd  betrachtete  und  endlich  den  Wirt  fragte,  wer  dies  sei.  Der 
Ritter  offenbarte  nun,  wie  sich  alles  zugetragen,  und  gab  ihm  Frau  und 
Kind  zurück.  Urteilet  nun,  schliesst  der  Erzähler,  ob  der  Edelmut  des 
Ritters  oder  die  Freude  des  Gatten  grösser  war!  —  Im  Decameron  verlegt 
Boccaccio  den  Schauplatz  der  Handlung  nach  Bologna  und  nennt  die 
Heldin  Catalina,  Gattin  des  Niccoluccio  Caccianimico,  und  ihren  Liebhaber 
Geutile  da  Carisendi.  Er  lässt  ferner  das  Begräbnis  in  Abwesenheit  des 
Ehemanns  stattfinden  und  gestaltet  die  Schlussszene  eindrucksvoller;  bei 
dem  Mahle  fragt  Gentile,  ob  ein  Herr,  der  einen  erkrankten  Diener  von 
sich  stosse  und  verlasse,  noch  ein  Anrecht  auf  ihn  habe,  nachdem  ihn  ein 
Fremder  aus  Mitleid  aufgenommen  und  mit  Sorgfalt  gesund  gepflegt 
habe^);  und  als  Niccoluccio  diese  Frage  verneint,  lässt  er  Catalina  mit 
ihrem  Kinde  auf  dem  Arme  unter  die  erstaunte  Gesellschaft  treten  und 
vereinigt  die  beiden  Gatten.  Diese  mehrfach  übersetzte^)  Novelle  ward 
von  Hans  Sachs  und  von  Tennyson  in  dichterische  Form  gekleidet;  sie 
liegt  ferner  einem  niederländischen  Epos  von  Cats  und  einer  französischen 
Novelle  von  Lenoble  zugrunde;  einen  entsprechenden  Vorfall  aus  Pont  Saint- 
Esprit  in  Languedoc  erzählt  Bruhier  (Kennzeichen  des  Todes  1754  S.  504). 


1)  Ein  Gegenstück  dazu  ist  die  Frage  der  vor  einer  zweiten  Vermählung  stehenden 
Märchenheldin,  ob  sie  den  neuen  Schlüssel  oder  den  wiedergefundenen  alten  gebrauchen 
solle  (R.  Köhler,  Kl.  Schriften  1,  169.  426;  dazu  Schell,  Bergische  Sagen  18'.>7  S.  407. 
Wisser,  Wat  Grotmoder  verteilt  2,  52.  Archiv  f.  siebenbg.  Landeskunde  33,  680.  Revue 
des  trad.  pop.  23,  128).    Vgl.  unten  S.  37(1  das  Gleichnis  von  dem  Gärtner  und  der  Blume. 

2)  Ausser  den  Übertragungen  des  gesamten  Decameron  vgl.  Nicolas  de  Troyes,  Le 
grand  parangon  des  nouvclles  1536  nr.  126  (Auswahl  von  E.  Mabille  1869  p.  XXXVII). 
Painter,  Palace  of  pleasure  2,  19  (1567).  Turbervile,  Tragical  tales  nr.  3  (um  1576). 
Coornhert,  Lustige  historien  of  nyeuwicheden  J.  Bocacii  1564  nr.  46. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  3(39 

Hatte  Boccaccio  den  Nachdruck  auf  den  edelmütigen  Verzicht  des 
Liebhabers  gelegt,  so  gestaltete  ein  toskanischer  Dichter  des  15.  Jahr- 
hunderts Agostino  Yellettii)  eine  ähnliche  Florentiner  Lokalsage  von  einer 
auferstandenen  Scheintoten  zu  einer  Verteidigung  der  Rechte  des  Herzens 
gegen  die  starre  Satzung  der  Kirche.  Ginevra  degli  Almieri  (eigentlich 
Amieri),  welche  von  Antonio  Rondinello  geliebt  wird,  muss  nach  dem 
Willen  ihrer  Eltern  Francesco  de'Angolanti  heiraten.  Nach  einiger  Zeit 
erkrankt  sie  und  wird  als  tot  neben  dem  Dome  (S.  Reparata)  nahe  dem 
Glockenturme  beigesetzt.  Nachts  jedoch  erwacht  sie  von  selbst  aus 
ihrem  Starrkrämpfe,  steht  auf,  hebt,  von  einem  durch  eine  Ritze  fallenden 
Mondstrahl  geleitet,  mit  grosser  Anstrengung  die  schadhafte  Steinplatte 
der  Gruft  und  schreitet  durch  die  einsame  Strasse,  die  seitdem  Via  della 
morte  heisst,  zum  Hause  ihres  Gatteu.  Der  aber  hält  die  Anpochende 
für  ihren  Geist  und  weist  sie  von  dannen,  morgen  wolle  er  für  ihre 
Seelenruhe  beten.  Sie  wandert  zum  Hause  der  Eltern  und  klopft  an;  die 
Mutter  ruft  aus  dem  Fenster:  'Geh  fort  in  Frieden,  seliger  Geist!'  Ebenso 
ergehts  ihr  an  der  Tür  ihres  Oheims.  Jammernd  ruft  sie  Maria  an,  da 
Eltern,  Oheim  und  Gatte  sie  Verstössen*),  und  will  sich  schon  zum 
Sterben  hinlegen,  da  gedenkt  sie  ihres  einstigen  Liebhabers  Antonio  und 
pocht  an  seine  Tür.  Antonio  eilt,  als  er  ihren  Namen  hört,  hinunter, 
trägt  sie  auf  ein  Lager,  das  seine  Mutter  und  die  Magd  bereiten,  und  geht 
dann  aus,  um  die  Gruft  wieder  zu  schliessen  und  köstliche  Speisen  ein- 
zukaufen. Erst  nach  mehreren  Tagen,  als  Ginevra  sich  völlig  erholt  hat, 
wagt  er  die  Frage,  ob  sie  zu  ihrem  Gatten  zurückkehren  wolle.  'Nein', 
antwortet  sie  entschlossen,  'aber  wenn  du  mich  willst,  so  werde  ich  deine 
Frau.  Der  Tod  bricht  Gesetz  und  Verwandtschaft.'  Sie  verloben  sich 
vor  dem  Notar,  Antonio  kauft  (und  das  ist  ein  Zug,  der  den  praktischen 
Sinn  des  Italieners  verrät)  dem  Witwer  Francesco  die  Kleider  seiner  an- 
geblich verstorbenen  Frau  ab,  und  Ginevra  geht  am  Sonntag  mit  Schwieger 
und  Magd  öffentlich  zur  Messe.  Voll  Erstaunen  erblickt  ihre  Mutter  sie 
dort  und  redet  sie  an,  dann  ihr  Gatte  Francesco:  'Wo  warst  du?  Wer 
zog  dich  aus  dem  Grabe?'  Sie  erwidert:  'Du  nicht,  denn  du  hast  mich 
lebend  begraben',  und  verlässt  den  Ort.  Francesco  fordert  von  Antonio 
seine  Frau  zurück  und  verklagt  ihn  beim  erzbischöflichen  Gericht.     Dort 


1)  A.  Velletti,  La  storia  di  Ginevra  degli  Ahnieri  che  fu  sepolta  viva  in  Firenze, 
ed.  A.  d'Ancona,  Pisa  1863  (82  Stanzen).  Über  andre  Ausgaben  vgl.  Passano,  I  novellieri 
italiani  in  verso  18G8  p.  Gl.  über  die  Sage  F.  Rondinelli,  Relazione  del  contagio  in 
Firenze  1634  p,  55.  Manni,  Istoria  del  Decamerone  174:-2  p.  553  und  Le  veglie  piacevoli 
(2.  ediz.  1816)  6,  44—60.  AdemoUo,  Marietta  de'  Ricci  6,  2169  (1845).  G.  Reies,  Eljsius 
iucundarum  quaestionum  carapus  1661  p.  527:  'Memini  in  quodam  poeta  Italo  similem 
casum  legisse'  .  .  . 

2)  Ognun  mi  ha  di  pietä  chiuse  le  porte;  |  0  vitupero,  o  misera  vergogua  |  Di  padre, 
madre,  di  zio  e  marito  |  D'abbandonarmi  in  si  estrenio  partito!    (St.  37), 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.   Heft  4.  24 


370  Bolte: 

aber  führt  Ginevra  ihre  Sache  so  gut,  dass  die  Ehe  mit  Francesco  für 
nichtig  erklärt  und  ihre  Verbindung  mit  Antonio  anerkannt  wird.  —  Der 
Dichter  setzt  den  Vorfall  1396  (andere  1400  zur  Zeit  einer  Pest)  an.  er 
erwähnt  neben  andern  Florentiner  örtlichkeiten  die  noch  vorhandene 
gesprungene  Grabplatte i).  Seine  Erzählung,  welche  die  Befreiung  aus 
dem  Grabe  nicht  dem  Jünglinge,  sondern  der  Heldin  selber  zuschreibt 
und  durch  die  vergebliche  Anrufung  von  Gatte,  Eltern  und  Oheim  kaum 
zufällig  an  die  weit  verbreitete  Volksballade  von  der  losgekauften  Jung- 
frau') anklingt,  entsprach  mehr  als  Boccaccios  Novelle  dem  Geschmacke 
des  grossen  Publikums  und  ward  wiederholt  dramatisiert,  zuerst  1546  in 
Florenz^),  dann  in  italienischen  und  französischen  Opern*),  1840  noch  von 
dem  englischen  Dichter  Leigh  Hunt.  Auch  Shelley  begann  1821  eine 
poetische  Bearbeitung. 

Küchterne  Beurteiler  mochten  freilich  über  die  dem  kirchlichen  Rechte 
widersprechende  Entscheidung  des  Florentiner  Erzbischofs  einigen  Zweifel 
hegen.  Und  aus  solcher  Erwägung  heraus  hat  der  Bischof  Matteo 
Bandello®),  der  sicherlich  Vellettis  Dichtung  so  gut  wie  Boccaccios- 
Novelle  kannte,  in  seiner  Erzählung  aus  der  Ehefrau  eine  Braut  gemacht. 
Elena,  die  Tochter  eines  venezianischen  Edelmanns,  soll,  während  ihr 
heimlicher  Geliebter  Gerardo  über  See  gefahren  ist,  mit  einem  andern 
vermählt  werden.  Aus  Kummer  fällt  sie  vor  der  Hochzeit  in  eine  tiefe 
Ohnmacht  und  wird  begraben.  Kurz  darauf  kehrt  Gerardo  heim;  wie  er 
von  Elenas  Tod  hört,  steigt  er  mit  seinem  Bootsmanne  nachts  in  die 
Gruft,  entdeckt  in  der  Scheintoten  noch  Leben  und  bringt  sie  in  da» 
Haus  des  Bootsmannes.  Er  gewinnt  seines  Vaters  Einwilligung  zur  Heirat-^ 
in  der  Kirche  aber  erkennt  der  erste  Bräutigam  Elena  und  fordert,  da 
Gerardo  ihre  Auslieferung  weigert,    diesen  zum  Zweikampfe  heraus.     Der 


1)  A  Santa  Reparata,  Rasente  chiesa,  ov'  e  la  sepoltura,  Che  ancor  oggi  vi  si  puö 
vedere  La  lapida  con  un  po'  di  fissura  (St.  16f.).  Nach  Manni  befand  sich  neben  dem 
Dome  ein  mit  den  Buchstaben  GA  bezeichneter  Grabstein  der  Ginevra  degli  Amieri. 

2^  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879  S.  222.  A.  Herrmanu,  Ethnol.  Mitt.  aus  Ungarn 
1,  33.  10(5  (1887).  Krohn,  Journal  de  la  soc.  finno-ougrienne  10,  111  (1892).  Erk-Böhme, 
Liederhort  nr.  78.    Geijer-Afzelius,  Svenska  folkvisor  nr.  14  (1880). 

3)  1546  ward  im  Palaste  des  Herzogs  Cosimo  eine  Komödie  'Ginevra  morta,  dal 
Campanile,  la  quäle  essendo  morta  e  sotterrata  resuscitö'  gespielt  (Manni,  Veglie  6,  60). 
Luigi  del  Buono,  Ginevra  degli  Almieri  sepolta  viva  in  Firenze  con  Stenterello  commedia 
1855.    J.  V.  d.  Traun  1883  (unten  S.  372). 

4)  Paer,  Ginevra  degli  Almieri  (Dresden  1802),  G.  Farinelli,  G.  degli  Almieri  (Venedig 
1812,  Text  von  Foppa),  Halevy,  Guido  et  Ginevra  (Paris  1838,  Text  von  Scribe),  S.  Levi, 
Ginevra  (Triest  1840),  Älabellini  (Turin  1841),  Tommasi,  Guido  e  G.  (ISöG).  Vielleicht 
gehören  auch  die  'Ginevra'  betitelten  Opern  von  G.  A.  Perti  (Florenz  1708),  Santo  Lapis 
(Prag  1739),  F.  G.  Bertoni  (Venedig  1753),  P.  Soracci  (Mailand  1876)  und  G.  Vigoni 
(Florenz  1891,  Text  von  Venuti)  hierher. 

5)  Novelle  2,  nr.  41  (1554).  Französisch  bei  F.  Bellcforest,  Histoires  tragiques 
nr.  62  (4,  243—282.  Lyon  1590).  Deutsch  bei  E.  v.  Bülow,  Novellenbuch  2,  133  (1835> 
und  A.  Keller,  Italiän.  Novellenschatz  4,  111  (1851). 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten,  371 

Rat  der  Zehn    gebietet  jedoch    beiden,    den  Handel    vor    das  Gericht   zu 
bringen,  und  dieses  entscheidet  zu  Gerardos  Gunsten. 

Es  hiesse  allzuweit  von  der  Richtung  dieser  Zeitschrift  ablenken, 
wollte  ich  nun  die  ganze  Schar  der  Kunstdichtungen  vorführen,  die  durch 
diese  drei  italienischen  Erzählungen  Boccaccios,  Vellettis  und  Bandellos 
direkt  oder  indirekt  angeregt  wurden.  Ich  gebe  nur  eine  Liste,  die  den 
Freunden  der  versrleichenden  Literaturgeschichte  zu  weiterer  Vermehrung 
und  Betrachtung  empfohlen  sei,  und  hebe  einige  wichtigere  Züge  heraus: 

Spanisch:  Lope  de  Vega,  La  difunta  pleyteada  (1604  in  seinem  Peregrino  en  su 
patria,  Vorrede  angeführt;  1663  in  den  Comedias  varias  compuestas  por  los  majores 
ingeniös  de  Espaua  20,  185  unter  dem  Namen  von  Francisco  de  Rojas  gedruckt.  Vgl. 
Wurzbach,  Lope  de  Vega  1899  S.  224.  Schaeffer,  Gesch.  des  span.  Nationaldramas  2, 
122).  F.  de  Rojas  Zorrilla,  Varios  prodigios  de  amor  (Comedias  de  los  mejores  ingeniös 
42,  1.  1676).  Maria  de  Zayas,  Novelas  amorosas  y  exemplares  1,  81b  nr.  8  'El  imposible 
vencido'  (1659;  zuerst  1635).  Mila  y  Fontanals,  Observaciones  sobre  la  poesia  populär 
1853  p.  125  =  ßomancerillo  catalan  1882  nr.  249  'La  amante  resuscitada';  deutsch 
Germania  29,  359.  —  Portugiesisch:  Almeida  Garrett,  Romanceiro  3,  127  (1851) 
=  Hardung,  Romanceiro  portuguez  1,  267  (1877)  'Dona  Agueda  de  Mexia'  mit  Ver- 
gleichung  von  Braga,  Romanceiro  geral  1867  p.  53;  deutsch  von  Ferd.  Wolf,  Sitzgsber. 
der  Wiener  Akad.  20,  105  (1856)  und  Geibel-Schack,  Romanzero  der  Spanier  und  Portu- 
giesen 1860  S.  366  'Guimar'. 

Französisch:  E.  Le  Noble  (f  1711),  Promenades  (deutsch  1783  bei  Mylius,  Kleine 
Romane  2,  91  'Treu'  und  Edelmut').  Gatien  de  Courtilz  (f  1712),  La  morte  vive  (wo?). 
Madame  de  Gomez,  Cent  nouvelles  nouvelles  2,  36  nr.  8  'La  mort  vaincue  par  l'amour' 
(1733).  Pitaval,  Causes  celebres  8,  434  (1737)  -  Brubier,  Kennzeichen  des  Todes  1754 
S.  59  =  Bouchut,  Signes  de  la  mort  1874  p.  323;  englisch  bei  Stephen  Collet,  Reücs  of 
literature  1823  p.  186,  Brubier  S.  75  (ein  Offizier  aus  Perigord  lässt  sich  vom  Küster 
das  Grab  der  Geliebten  öffnen;  das  Gericht  entscheidet  gegen  den  Ehemann).  Bouchut 
1874  p.  308  (Victorine  d'Omond  und  Chevalier  de  Sejanne  in  Toulouse.  Angeblich  aus 
Pitaval).  Florian  (f  1794),  Oeuvres  completes  1826  1,  158:  Valerie,  nouvelle  italienne. 
E.  Scribe,  Guido  et  Ginevra  ou  la  peste  de  Florenöe  (1838,  komp.  von  Halevy.  Oeuvres 
completes  3.  Serie  3,  173—253.  1875).  —  Der  von  Liebrecht  (.Zur  Volkskunde  1879  S.  63) 
angeführte  Roman  'Sylvandire'  von  Alex.  Dumas  (1843)  gehört  nicht  hierher;  denn 
Constance  de  Beuzerie  ist  dort  nicht  scheintot,  sondern  wird  nur  für  tot  ausgegeben;  sie 
tritt  (1,  159)  nachts  als  Geist  vor  das  Lager  ihres  verzweifelnden  Geliebten  Roger 
d'Änguilhem,  um  ihn  von  seinem  Entschlüsse,  ins  Kloster  einzutreten,  abzubringen,  sinkt 
ihm  aber  beim  dritten  Erscheinen  in  die  Arme. 

Englisch:  Beaumont  &  Fletcher,  The  knight  of  Malta  (vor  1619,  gedruckt  1647. 
Koeppel,  Quellenstudien  zu^Ben  Jonson,  J.  Marston  und  Beaumont  1S95  S.  68).  Shelley, 
Ginevra  (1821.  Fragment.  Vgl.  Notes  &  Queries  7.  ser.  11,  387.  481.  1891).  A.  Tennyson, 
The  lovers  tale  (1828.  Tennyson"s  suppressed  poems  ed.  by  J,  C,  Thomson  1903  p,  140. 
Ein  Teil,  The  golden  supper,  ward  publiziert  in  The  holy  grail.  Vgl.  Axon,  Transactious 
of  te  Royal  society  of  literature  24,  61—79.  1903).  Leigh  Hunt,  A  legend  of  Florence 
(1840.  Drama).  Über  den  lange  in  Florenz  lebenden  Dichter  Charles  Grant  hörte  Isolde 
Kurz  (Florentinische  Erinnerungen  1910  S.  301)  dort  erzählen,  „sein  Vater  habe  seine 
Mutter  zum  erstenmal  gesehen,  als  sie  scheintot  im  Sarge  lag,  habe  sich  in  sie  verliebt 
und  sie  von  der  Bahre  weg  geheiratet  —  eine  Geschichte,  der  man  gerne  Glauben 
schenkte,  weil  sie  dem  romantischen,  glühenden  und  doch  so  zarten  Gefühlsleben  des 
Sohnes  entsprach"  (Mitteilung  von  Hermann  Michel). 

Niederländisch:  J.  Cats,  Proefsteen  van  den  Trouringh  1637:  'Graf-houwelick  of 
Leven  uytten  doodt'  (vgl.  Worp,  Noord  en  Zuid  20,  65.  Bolte,  Tijdschrift  voor  nederl. 
taalkunde  16,  245.  S.  Schroeter,  Cats'  Beziehungen  zur  deutschen  Literatur,  Diss.  Heidel- 
berg 1905  S,  6):  lateinisch  von  C.  Boyus  in  Cats,  Faces  sacrae  1643:  'E  tumulo  thalamus', 

24* 


372  Bolte: 

deutsch  von  Titz  1G44  und  von  Feind  1712  (Cats'  Sinnreiche  Werke  4,  745).  Zitiert  von 
J.  Lassenius,  Adeliche  Tischreden  1661  S.  81. 

Deutsch:  H.  Sachs,  Gentile  mit  der  doten  frawen  (1544,  nach  Boccaccio.  Meister- 
lied und  Spruchgedicht.  Schwanke  ed.  Goetze  3,  337  nr.  173  und  Folioausgabe  1,  2,  159  a). 
Titz,  Leben  aus  dem  Tode,  oder  Grabesheirat  1644  =  Deutsche  Gedichte  ed.  Fischer  1888 
S.  18.  273  (nach  Cats).  Harsdörffer,  Gesprächspiele  2,  ö(]  (1641)  =  2,  69  (1657.  Nach 
Boccaccio,  Filocopo).  Abele,  Metamorphosis  telae  iudiciariae  2,  659  nr.  67  (1654.  Nach 
Harsdörffer).  J.  M.  Dilherr,  Ehre  der  Ehe  vom  Ehe-  und  Wittwen-Stand  (1662)  =  Vulpius, 
Curiositäten  9,  183  (1821)  =  Ernst,  Historisches  Lusthaus  2,  886  (1703).  Happel,  Relationes 
curiosae  3,  792  (1687.  Die  wieder  auffgewachte  Liebste.  Nach  Abele).  F.  Gräffer, 
Romantische  Vignetten  (1813).  Leop.  Schefer,  Genevion  von  Toulouse  (1846).  C.  Paul 
(F.  Pachler),  Die  Frau  von  Bouisseur  (Aurora  1856,  97—188).  G.  Keller,  Die  Provencalin 
(Entwurf.  Baechtold,  G.  Kellers  Leben  2,  509.  3,  171.  1897).  J.  v.  Weilen,  Dolores 
(1874).  Julius  V.  d.  Traun  (Schindler),  Ginevra  di  Almeri,  1.  Akt  (Die  Dioskuren  12, 
3—15.  1883).  E.  V.  Handel-Mazzetti,  Deutsches  Recht  (1908).  G.  Hirschfeld,  Das  zweite 
Leben  (Drama.  1910)  nach  einer  Novelle  aus  einer  Zeitschrift  zu  Anfang  der  sechziger 
Jahre. 

Schwedisch:  Selma  Lagerlöf,  Ingrid  1^99  (deutsch  von  K.  Oberländer,  Stuttgart 
1901  =  Eine  Gutsgeschichte,  übers,  von  M.  Buchholz,  Lpz.  1901). 

Die  meisten  dieser  Bearbeitungen  übernehmen  ohne  weiteres  eine  der 
drei  Lösungen  der  Verwicklung,  welclie  Boccaccio,  Yelletti  und  Bandello 
gefunden  hatten:  entweder  führt  der  Liebhaber  in  edler  Entsagung  die 
auferweckte  Frau  dem  rechtmässigen  Gatten  wieder  zu,  oder  das  Gericht 
trennt  die  erste  Ehe,  weil  der  Mann  seine  Frau  für  tot  erklärt,  bestattet 
und  bei  ihrer  Rückkehr  aus  dem  Grabe  fortgewiesen  hat,  oder  weil  keine 
Eheschliessung,  sondern  nur  ein  Verlöbnis  durch  die  Eltern  stattgefunden 
hatte,  dessen  Aufhebung  keine  erheblichen  Schwierigkeiten  macht.  So 
lässt  Frau  von  Gomez,  deren  Novelle  gleich  der  Bandellos  in  Venedig 
spielt,  ihre  Heldin  Isabelle  Contariuy  erst  sechs  Monate  nach  der  Hoch- 
zeit ohnmächtig  werden  und  bestatten;  in  effektvollerer  Weise  fällt  bei 
Florian,  der  aus  dem  Liebhaber  einen  Offizier  des  österreichischen 
Generals  Laudon  macht,  und  in  Scribes  Oper,  die  in  die  florentinische 
Erzählung  Motive  aus  der  Leichenraubsage  einmischt^),  Scheintod  und 
Begräbnis  auf  den  Hochzeitstag;  und  bei  allen  dreien,  wie  auch  in  der 
spanischen  Novelle  der  Maria  de  Zayas  und  in  der  Romanze  'La  amante 
resuscitada',  tritt  der  Gerichtshof  ohne  weiteres  auf  die  Seite  des  Liebes- 
paares. Selbständiger  verfährt  der  spanische  Dramatiker  Lope  de  Vega 
in  seiner  'Verstorbenen  vor  Gericht';  hier  fällt,  obwohl  der  Advokat 
Fabricio  den  Satz  'Mors  omnia  solvit'  für  den  Liebhaber  Manfrede  an- 
führt, der  Fürst  Robert  von  Neapel  das  Urteil,  dass  Isabela  bei  ihrem 
Gatten  zu  verbleiben  habe;  denn  ihm  habe  sie  Treue  gelobt  mit  ihrer 
Seele,  die  noch  dieselbe  sei  wie  früher.  Ebenso  lässt  der  deutsche  Jurist 
Abele  die  Gerichtsverhandlung  zugunsten  des  Ehemannes  enden,    und  in 


1)  Dass  Ginevra  in  der  Gruft  nachts  von  selber  aufwacht  und  dann  erst  die  Räuber 
einbrechen,  ist  eine  wohl  zufällige  Ähnlichkeit  mit  den  griechischen  Romanen  des 
Chariton  und  Xenophon  (oben  S.  355). 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  373 

Pitavals  merkwürdigen  Rechtshändeln  entgeht  der  Liebhaber,  der  die 
erweckte  Frau  nach  England  entführt  und  zehn  Jahre  darauf  mit  ihr  nach 
Paris  zurückkehrt,  nur  dadurch  der  Verurteilung,  dass  er  wiederum  mit 
ihr  Frankreich  verlässt.  Auch  Leopold  Schefer  erkennt  in  seiner  mit 
romantischen  Verwicklungen  überladenen  Novelle  'Genevion  von  Toulouse' 
das  höhere  Recht  des  Ehegatten  an;  als  der  Pariser  Gerichtshof  das  erste 
Urteil,  das  Genevions  Ehe  mit  Herrn  von  Boissieux  aufhob,  für  ungültig 
erklärt,  kehrt  sie  zu  dem  verhassten  Manne  zurück,  um  dem  provenzalischen, 
auch  in  einer  ergreifenden  Erzählung  Paul  Heyses^)  verherrlichten  Grund- 
satze Genüge  zu  tun:  „Der  Schuldner  zahlt  dem  Gläubiger  seine  Schuld" ; 
allein  gleich  darauf  sinkt  sie  tot  nieder,  denn  sie  hat  zuvor  Gift  ge- 
nommen. 

Eine  einfachere  Lösung  ersinnt  der  niederländische  Dichter  Cats, 
indem  er  an  Boccaccios  Novelle  noch  einen  befriedigenderen  Schluss  anhängt. 
Gleich  Messer  Gentile  veranstaltet  der  edelmütige  Liebhaber  Gaurin, 
nachdem  die  wiedererweckte  Rhode  in  seiner  Mutter  Pflege  völlig  ge- 
nesen ist,  ein  Mahl  und  führt  sie  dabei  ihrem  Gatten  Sylas  wieder  zu; 
allein  der  Alte  erschrickt  bei  ihrem  Anblick  so  heftig,  dass  er  auf  den 
Tod  erkrankt;  kurz  vor  seinem  Ende  befiehlt  er  dem  zartfühlenden 
Gaurin  die  Sorge  für  seine  Frau  an.  Diesen  Schluss  haben  auch  eine 
kurze  Prosaerzählung  des  Nürnberger  Predigers  Dilherr  (1662)  und  ein 
um  1800  im  Schwarzwalde  aufgezeichnetes  Volkslied  'Kummet  her, 
kummet  her,  ihr  jungi  Leut'^)  mit  dem  niederländischen  Epos  gemeinsam; 
nur  geleitet  der  Liebhaber  (bei  Dilherr  ein  Apothekergesell,  im  Volks- 
liede  ein  Färber  zu  Miltau  oder  Moldau)  die  wiederbelebte  Frau  sofort 
in  das  Haus  ihres  betagten  Gatten  zurück;  von  einer  Entbindung  der 
Frau  ist  hier  so  wenig  wie  bei  Cats  die  Rede'). 

Ein  zweites  deutsches  Bänkelsängerlied,  das  die  Liebenden  Adolf  und 
Emilie    nennt    und    mir    in    fünf  Fassungen    vorliegt*),    scheint   aus  einer 


1)  Heyse,  Novellen  4,  125  (1873):  'Geoffrey  und  Garcinde'. 

2)  Arnim-Brentano,  Wunderhorn  2,  298  (1808):  'Der  Färber'  =  Erlach,  Volkslieder 
4,  294  =  Günther,  Gedichte  in  versch.  dtsch.  Mundarten  1841  S.  92;  vgl.  ßode,  Die  Be- 
arbeitung der  Vorlagen  in  Des  Knaben  Wunderhorn  1909  S.  104.  748. 

3)  Treuer  als  Cats  folgt  der  französische  Novellist  Le  Noble  dem  Boccaccio:  bei 
ihm  schenkt  Frau  von  St.  Just  im  Hause  ihres  früheren  Verlobten,  des  Chevaliers 
St.  Memin,  einem  Knaben  das  Leben,  und  der  Gatte  erhält  Frau  und  Kind  zurück,  stirbt 
indes  nach  18  Monaten,  worauf  der  Chevalier  die  Witwe  heimfülirt. 

4)  A.  Das  unten  abgedruckte  Flugblatt  von  1854  (Der  Schwur  der  Treue  und  ge- 
zwungene Ehe,  oder  Die  lebendig  begrabene  Braut.  4  Bl.  8").  —  B.  Ein  zweites,  etwa 
1870—1880  entstandenes  Flugblatt  (Der  Eaub  des  Todtengräbers  oder:  Die  Erwachung. 
Zu  haben  bei  Carl  Heinemann  in  Breitungen.  Schwiebus,  Druck  von  Hennigmann  u. 
Reiche.  4  Bl.  8°).  —  C.  D.  Zwei  schlesische  Fassungen  aus  Eckersdorf  und  Hermsdorf 
bei  F.  Pradel,  Mitteilungen  der  schlesischen  Ges.  f.  Volkskunde  Heft  14,  102  (,1902).  — 
E.  Aus  Wiesa  1900  bei  E.  H.  H.  John,  Volkslieder  aus  dem  sächs.  Erzgebirge  1909 
nr.  22.  —  Eine  prosaische  Nacherzählung  in  Olvenstedter  Mundart  'Oadolf  un  Eemileje' 
bei  Wegener,  Geschichtsblätter  f.  Magdeburg  15,  71  nr.  7G  (1880). 


374  Bolte: 

Prosaerzählung  hervorgegangen,  der  es  in  zwei  Flugblättern  angehängt 
wird.  Als  ein  beachtenswertes  Beispiel  für  den  Zusammenhang  von 
Prosaerzählung  und  epischen  Liedern^)  lasse  ich  hier  die  älteste  Fassung 
folgen : 

Der  Schwur  der  Treue  und  die  gezwungene  Ehe,  oder:  Die  lebendig  be- 
grabene Braut.     1854  2). 

In  Kopenhagen  lebte  ein  reicher  Kaufmann,  er  war  verheirathet  und  zeugte 
fünf  Kinder,  wovon  vier  starben;  nur  eine  Tochter  blieb  ihm  am  Leben,  welche 
ihm  zu  seiner  größten  Freude  aufwuchs. 

Weil  er  mehrere  schöne  Gärten  hatte,  hielt  er  sich  einen  Gärtner,  welcher 
ebenfalls  verheirathet  war.  Beide  Frauen  waren  in  gesegneten  Umständen,  beide 
wurden  an  einem  Tage  entbunden;  die  Kaufmannsfrau  gebar  eine  Tochter  und 
die  Gärtnersfrau  einen  Sohn.  Beide  Kinder  wuchsen  mit  einander  auf,  zur  größten 
Freude  ihrer  Eltern,  und  liebten  sich  wie  Schwester  und  Bruder.  —  Da  traf  leider 
den  Gärtner  ein  hartes  Schicksal,  seine  Frau  starb  plötzlich  am  Schlagfluß;  trostlos 
stand  der  Vater  mit  dem  kleinen  Adolph  am  Sarge  seiner  Mutter.  Der  Knabe 
hob  die  Händchen  gen  Himmel  und  rief:  „Ach,  lieber  Gott,  schenke  mir  doch 
meine  Mutter  wieder!"  Da  kam  der  Kaufmann  mit  seiner  Frau  und  der  kleinen 
Emilie  und  trösteten  den  Gärtner.  Die  kleine  Emilie  umfasste  den  kleinen  Adolph 
und  rief:  „Weine  nicht,  Du  sollst  mein  Bruder  sein;  meine  Mutter  wird  für  Dich 
sorgen  und  Deine  Mutter  sein."  Diese  kindliche  Liebe  rührte  die  Aeltern  so, 
daß  sie  beschlossen,  den  kleinen  Adolph  zu  sich  zu  nehmen  und  ihn  als  ihren 
Sohn  zu  erziehen.  Der  Gärtner  willigte  mit  freudigem  Herzen  ein  und  überließ 
seinen  Sohn  den  reichen  Kaufmannsleuten. 

Als  Adolph  confirmirt  war,  erlernte  er  die  Kaufmannschaft  bei  seinem  Pflege- 
vater. Da  sich  nun  Adolph  und  Emilie  täglich  sahen,  konnte  es  nicht  anders 
kommen,  als  daß  die  jungen  Leute  sich  liebten.  So  vergingen  Jahre,  ohne  daß 
die  Aeltern  etwas  davon  gewahr  wurden,  und  so  nahete  auch  die  Zeit  heran,  daß 
Adolph  ausgelernt  hatte.  Sein  Pflegevater  wollte  ihn  aber  noch  in  der  Handlung 
behalten,  weil  er  viele  Schulkenntnisse  hatte  |  und  er  ihm  seine  ganze  Handlung 
überlassen  konnte.  Allein  die  Liebenden  ahnten  nicht,  daß  ihre  Liebe  sollte  durch 
einen  Andern  gestört  werden.  Ein  reicher  Handlungsdiener,  welcher  mit  in  der 
Handlung  war,  hatte  sich  auch  in  Emilien  verliebt  und  bat  sie  flehentlich  um  ihre 
Gegenliebe.  Sie  aber  wies  ihn  zurück  und  gab  zur  Antwort,  ihr  Herz  habe 
schon  gewählt.  Hierüber  machte  er  ihr  Vorwürfe,  daß  sie  einen  armen  Gärtner 
vorzöge,  der  nur  aus  Mitleid  von  ihren  Aeltern  erhalten  würde,  er  wisse  wohl, 
daß  sie  den  Gärtner  heimlich  liebe. 

Sie  wurde  gewahr,  daß  ihr  Geheimniß  entdeckt  sei.  Adolph  aber  tröstete  sie 
und  sprach:  „Liebe  Emilie,  sollten  wir  verrathen  sein,  so  trifft  uns  ein  hartes 
Schicksal:  Dein  Vater  wird  mich  gleich  aus  seinem  Hause  verweisen."  —  Adolph 
wurde  den  andern  Tag  von  seinen  Aeltern  auf  die  Stube  gerufen.  Sein  Pflege- 
vater sagte  zu  ihm,  daß  er  in  drei  Tagen  sein  Haus  verlassen  müsse,  er  habe  ihn 
nach  Bremen   in    eine  Handlung  verschrieben.     „Ich  habe  Dich  so  weit  gebracht, 


1)  Vgl.   Ulrich  Jahn,   Jahrbuch   f.   nd.   Sprachforschung    12,    157  f.    (188G).     Bolte, 
oben  3,  Gl. 

2)  Die  Schwiebuser  Fassung  (B)    ändert   vielfach    den  Ausdruck  und  schaltet  ausser 
einer  kurzen  Einleitung  oft  kleine  Zusätze  ein. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  375 

daß  Du  nun  Dein  Glück  weiter  suchen  kannst;  denn  in  meinem  Hause  würde  Dir 
das  Glück  zum  Unglück  werden.  Denke,  daß  Du  nur  mein  Püegesohn  bist  und 
das  Gute,  was  Du  von  uns  genossen,  nicht  mit  Undank  belohnen  solltest."  Adolph 
stand  wie  versteinert,  ihra  ahnte,  daß  seine  Liebe  zu  Emilien  entdeckt  und  von 
seinem  CoUegen  verrathen  war.  Mit  Thränen  rief  er  aus:  „Geliebte  Aeltern, 
womit  habe  ich  mich  vergangen?"  —  „Du  fragst  noch?"  sprach  der  Kaufmann. 
„Kannst  Du  glauben,  ich  kenne  Dein  Geheimniß  mit  Emilien  nicht?  Dein  armer 
Gärtnervater  kann  Dir  nichts  geben,  wovon  Du  mit  Emilien  dem  Stande  gemäß 
leben  könntest;  ich  habe  Dich  jetzt  mit  Wohlthaten  überhäuft,  welche  Du  mit 
Undank  belohnst;  aber  aus  Dir  und  Emilien  wird  nichts."  Mit  weinenden  Augen 
verließ  er  nun  seiner  Pflegeältern  Haus  und  nahm  Abschied  von  seinem  A'ater. 
Noch  vor  seiner  Abreise  bestellten  sich  beide  Liebende  in  den  Garten,  wo  sie  von 
einander  Abschied  nahmen  und  sich  ewige  Liebe  und  Treue  schwuren.  Dann  be- 
sprachen sie  sich,  daß  sie  einen  heimlichen  Briefwechsel  führen  wollten,  damit  sie 
beiderseits  wüßten,  wie  es  ihnen  ginge.  | 

So  waren  sie  mehrere  Jahre  getrennt,  da  begab  es  sich,  daß  ein  reicher 
Kaufmann  um  Emilien  anhielt;  es  wurde  ihr  vorgestellt,  mit  wem  sie  verlobt  sei, 
ohne  sie  weiter  zu  fragen,  worüber  sie  sich  so  erschreckte,  daß  sie  in  eine  Ohn- 
macht fiel.  Als  sie  sich  erholte,  bat  sie  sich  von  ihrem  Vater  in  dieser  Sache, 
die  ihr  in  den  Tod  zuwieder  war,  eine  Bedenkzeit  von  mehreren  Wochen  aus. 
Während  dieser  Zeit  schrieb  sie  ihrem  geliebten  Adolph:  „Rette  mich,  oder  ich 
bin  für  Dich  verloren;  ich  soll  meine  Hand  einen  [!]  Andern  geben  und  gezwungen 
in  eine  Sache  willigen,  die  uns  beide  auf  ewig  trennt,  die  mir  das  Leben  kosten 
wird."  Adolph  las  den  Brief  und  grämte  sich  so,  daß  er  in  eine  Krankheit  ver- 
fiel, wovon  er  sich  erst  nach  mehreren  Wochen  erholte.  Darauf  reiste  er  von 
seinem  Aufenthaltsort  ab,  um  seinen  Pflegevater  noch  einmal  zu  bitten,  von  seinem 
Vorhaben  abzustehen. 

Als  er  die  Thore  Kopenhagens  erreichte,  hörte  er  ein  Glockengeläute,  er 
fragte  die  Leute,  was  es  zu  bedeuten  hätte.  Sie  sagten  ihm,  die  Tochter  des 
reichen  Kaufmannes  N.  feiere  heute  ihre  Vermählung  mit  einem  reichen  Kauf- 
mann aus  Danzig.  Es  hätte  nicht  viel  gefehlt,  so  wäre  Adolph  vom  Pferde 
gesunken;  er  faßte  sich  aber,  kehrte  in  einen  Gasthof  ein  und  ging  nach  seines 
Vaters  Hause,  ließ  sich  aber  weder  vor  seinem  Pflegevater  noch  sonst  vor  einem 
Bekannten  sehen.  Der  Brautzug  kam  näher.  Adolph  trat  vor  die  Hausthür  seines 
Vaters,  um  noch  einmal  seine  geliebte  Emilie  zu  sehen.  Als  die  Braut  vor  dem 
Hause  [!]  kam,  schlug  sie  die  Augen  auf;  kaum  blickte  sie  nach  der  Thür,  so  sah 
sie  da  Adolph  stehen  und  sank,  ohne  einen  Laut  von  sich  zu  geben,  leblos  zu 
Boden,  Man  machte  Anstalten,  die  Braut  wieder  in's  Leben  zurückzubringen; 
aber  Alles  war  vergebens.  Alle  Hochzeitsgäste  blieben  nun  zum  Begräbniß  da; 
sie  wurde  am  dritten  Tage  mit  ihrem  Brautschmuck  in  ein  Gewölbe  zur  Ruhe 
bestattet. 

Adolph  hatte  Alles  mit  angesehen;  vor  Schreck  und  Verzweiflung  wurde  er 
krank,  sein  alter  Vater  pflegte  ihn;  seine  Pflegeältern  wußten  nicht,  daß  Adolph 
da  war.  —  Vor  Kummer  konnte  Adolph  nicht  einschlafen.  Es  hatte  kaum  zwölf 
geschlagen,  so  hörte  er,  daß  Jemand  an  der  |  Hausthür  klopfte.  Er  stand  auf  und 
sah  zu  seinem  Erstaunen  Emilien  vor  der  Hausthür  stehen.  Er  rief  ihr  zu:  „Bist 
du  ein  Geist  oder  lebst  Du  noch?"  —  Sie  rief:  „Geschwind  mach'  auf  und  laß 
mich  an  Deiner  Brust  erwärmen!"  —  Er  sprach:  „Es  kann  nicht  möglich  sein, 
daß  Du  noch  lebst!"  —  Sie  antwortete:  „Ich  bin  kein  Geist;  mach'  geschwind 
auf,  nachher  werde  ich  Dir  erzählen,  auf  welche  Weise  ich  von  der  Ohnmacht, 
in  die  ich  nur  gefallen  war,  erweckt  wurde." 


376  Bolte: 

Nachdem  Adolph  sie  herauf  geholt  hatte,  erzählte  sie  ihm,  daß  der  Todteu- 
gräber in's  Gewölbe  gekommen  wäre,  um  ihren  Brautschmuck  zu  rauben:  „aber 
einen  King  von  meinem  Finger  konnte  er  nicht  abziehen;  er  nahm  daher  ein 
Messer  und  wollte  den  Finger  abschneiden.  Durch  den  Schmerz  bin  ich  von 
meiner  Ohnmacht  erwacht.  Als  ich  mich  aufrichtete,  lief  der  Todtengräber  davon 
und  ließ  das  Gewölbe  offen.  Als  ich  zur  Besinnung  kam,  erinnerte  ich  mich.  Dich 
gesehen  zu  haben,  und  so  eilte  ich  hierher." 

Am  andern  Morgen  ließ  sich  Adolph  bei  seinen  Pflegeältern  anmelden,  er 
wurde  freundlich  empfangen;  sie  baten,  Trauerkleider  anzulegen  und  mit  ihnen 
den  Verlust  ihrer  einzigen  Tochter  und  seiner  jugendlichen  Gespielin  zu  betrauern. 
„Wäre  unsere  Tochter  noch  am  Leben,  kein  Anderer  sollte  ihre  Hand  erhalten, 
als  Du,  lieber  Adolph." 

Hierauf  wurde  ein  Gastmahl  angestellt,  und  alle  Gäste,  die  zum  Begräbniß 
o-evvesen,  dazu  eingeladen.  Als  sie  an  der  Tafel  saßen,  unterhielten  sich  die  Gäste 
mit  Erzählungen.  Als  die  Reihe  an  Adolph  kam,  erzählte  er:  „Ich  habe  mir  in 
meinen  Kinderjahren  eine  Blume  gepflanzt^),  sie  war  die  schönste,  die  im  Garten 
stand.  Ich  kam  fort  und  sah  sie  nicht  mehr;  sie  wurde  mir  durch  einen  andern 
entrissen.  Sie  begann  zu  welken,  da  trieb  mich  mein  Herz  sehnsuchtsvoll,  noch 
einmal  meine  Pflegeältern  zu  sehen.  Ich  ging  in  den  Garten  und  sah  die  schöne 
Blume  welken;  ich  richtete  die  Blume  auf  und  pflegte  sie,  daß  sie  wieder  auf- 
blühte. Nun  antworten  Sie  mir:  ob  ich,  der  sie  pflegte,  oder  der,  der  sie  ver- 
welken ließ,  ein  Recht  daran  hat?"  Alle  Gäste  stimmten  überein,  daß  die  Blume 
dem  zukomme,  der  sie  gepflegt  und  erhalten  hat.  „Nun  erlauben  Sie,  geliebte 
Aeltern  und  Freunde,  daß  ich  die  Blume  hole."  | 

Adolph  ging;  aber  wie  erstaunten  die  Aeltern,  als  er  mit  Emilien  wieder 
zurückkehrte.  Er  sprach:  „Liebe  Aeltern,  hier  ist  die  Blume,  nun  sprecht  Euer 
Urtheil."  —  Sie  schlössen  Emilien  und  Adolphen  in  ihre  Arme  und  gaben  den 
Segen  zu  ihrer  Verlobung.  Aus  dem  Trauermahl  wurde  ein  Freudenmahl,  und 
bald  war  die  Hochzeit.  Ihr  aufgezwungener  Bräutigam  mußte  abtreten.  Adolph 
übernahm    seiner  Pflegeältern  Handlung  und  lebte  mit  seiner  Emilie  glücklich,  i 

Die  lebendig  begrabene  Braut^). 

1.  In  der  Hauptstadt  Kopenhagen  Adolph  weihte  sich  dem  Stande 
Lebte  einst  ein  Handelsmann,  Seines  lieben  Pflegeherrn, 

Der  durch  kluges,  frisches  Wagen  Blieb  nicht  nur  im  Heimathlande, 

Geld  und  Gut  gar  viel  gewann.  Sondern  selbst  beim  Pflegeherrn. 

Von  fünf  Kindern  blieb  nur  leben  3    pj^  gj.  stündlich  sonst  gesprochen, 

Ihm  ein  zartes  Töchterlein,  pj^  ^j.  brüderlich  geliebt, 

Zum  Gespielen  ward  gegeben       ^  j  ,^^4.  f^^lt  er  sein  Herz  erpochen, 

Ihr  des  Gärtners  Sohn,  noch  klein.  ^^^^  g-^  ^^^j.  ^jg  jj^nd  ihm  giebt. 

2.  Adolph  und  Emilie  liebten  Kaum  wird  es  der  Vater  inne, 
Sich  wie  ein  Geschwisterpaar,  Daß  Emilien  Adolph  liebt, 
Lernten  fleißig  und  betrübten  Zürnt  er  so  ob  ihrer  Minne, 
Keine  Seel'  im  ganzen  Jahr.  Daß  er  ihm  den  Abschied  giebt. 


1)  Nach  Pradel  (Mitt.  14,  103)  hätte  dieses  an  Boccaccio  (oben  S.  368')  erinnernde 
Gleichnis  auch  in  der  Eckersdorfer  Fassung  (C)  des  folgendes  Liedes  gestanden:  „Ein 
Gärtner  zog  eine  Blume  aiif,  ein  andrer  brach  sie  ab;  wem  gehört  sie  zu  Recht?" 

2)  Varianten  der  Fassungen  BCDE:  1,5  Von  zwölf  C  —  1, 7  Und  das  war  des 
Vaters  Streben  CDE  —  1,8  Adolf  der  Emilie  klein  B;  Sich  dem  Kinde  ganz  zu  weihn. 
I  Zum  Gespielen  ward  erkoren  |  Adolf,  eines  Gärtners  Sohn,  |  Der  die  Mutter  früh  ver- 
loren, 1  Dessen  Vater  dient  um  Lohn  CDE  —  2,5  —  3,4  fehlen  in  CD  —  3,7  mit  seiner 
Miene  C;  und  machte  Miene  D  —  auf  3,8  folgt  in  E:   Doch  bevor  sich  beide  trennen,  | 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten. 


377 


4.  Als  drei  Jahr'  dahin  geschwunden, 
Da  erschien  ein  reicher  Mann, 

Der  Emilien  schön  gefunden, 

Hielt  um  sie  beim  Vater  an. 

Doch  sie  konnte  ihn  nicht  lieben. 

Da  ihr  Herz  für  Adolph  schlug. 

Drum  ward  schnell  ein  Brief  geschrieben, 

Der  die  Kunde  zu  ihm  trug. 

5.  Kaum  las  Adolph  diese  Kunde, 
So  griff  er  zum  Wanderstab, 
Reisete  zur  selben  Stunde 
Sehnsuchtsvoll  von  Bremen  ab. 

Als  er  nahet  Kopenhagen, 
Hört  er  feierlich  Geläut 
Und  vernimmt  auf  sein  Befragen: 
„Eine  Reiche  hat  Hochzeit!"  | 

6.  Schnell  durchzieht  er  Straßen,  Gassen, 
Eilt  zum  Vater  klagend  laut: 

..Ach  wie  groß  ist  mein  Verlangen, 
Noch  einmal  zu  sehn  die  Braut!" 
Kaum  hat  er  dies  Wort  gesprochen, 
Nahet  eine  Menschenschaar, 
Und  es  wallt  mit  Herzenspochen 
Die  Geliebte  zum  Altar. 

7.  Als  man  Adolph's  Hause  nahet, 
Blickt  die  Braut  es  traurig  an, 
Sinket,  eh'  man  sie  umfahet, 
Leblos  hin  zur  Erde  dann. 


Nichts  vermag  der  Eltern  Klage, 
Fruchtlos  müht  der  Arzt  sich  ab, 
Drum  senkt  man  am  dritten  Tage 
Sie  in  ihrer  Väter  Grab.  — 

8.  Um  die  mitternächt'ge  Stunde 
Pocht  es  stark  an  Adolph's  Thür, 
Und  ihm  klingt's  wie  Geisterkunde: 
„Adolph!    Adolph!    öffne  mir!" 
Aengstlich  wird  die  Thür  erschlossen, 
Und  mit  Furcht  läßt  man  sie  ein: 
Doch  die  Freudenthränen  flössen. 
Denn  sie  hatte  Fleisch  und  Bein. 

9.  „Mich  des  Brautschmucks  zu  berauben. 
Trat  der  Todtengräber  ein; 

Er  entfernt  des  Sarges  Schrauben, 
Plündert  mich  bei  Lichtes  Schein. 
Doch  ein  Ring,  des  Bundes  Zeichen, 
Der  längst  zwischen  uns  besteht, 
Wollte  nicht  vom  Finger  weichen, 
Daß  ihm  die  Geduld  vergeht. 

10.  „Da  versetzt  mit  scharfer  Waffe 
Er  mir  einen  scharfen  Schnitt, 

Daß  im  Sarg  ich  mich  aufraffe 
Und  er  eiligst  von  mir  schritt."  — 
Kaum  drang  diese  Wunderinähre 
Zum  betrübten  Elternpaar, 
Giebt  man  Gott  gerührt  die  Ehre 
Und  führt  Adolph  zum  Altar. 


Schwuren  sie  mit  Mund  und  Hand,  ]  Für  einander  treu  zu  brennen,  |  Trenne  sie  auch 
Meer  und  Land.  CD  bieten  Unverständliches:  Den  er  stündlich  hat  gesprochen,  |  Doch 
die  Herzen  konnte  er  nicht  trennen,  |  Trennte  sie  auch  Meer  und  Land.  —  4,  2  Kam  ein 
schöner  reicher  Herr  B  —  4, 4  Um  sie  warb  beim  Vater  sehr  B  —  auf  4,  s  folgt  in  E : 
Eile,  Adolf,  mich  zu  retten!  |  Man  will  rauben  dir  mein  Herz,  |  Mich  an  einen  Freier 
ketten.  |  Eile,  ich  vergeh  vor  Schmerz!  CD  fast  ebenso  —  5,4  Hamburg  C  —  6,  2  Eilt  dem 
Vaterhause  zu  |  Und  erfähret  mit  Erblassen,  |  Seine  Emilie  freit  im  Nu.  |  Schlnchzeud 
[Und  nun]  hielt  er  fest  umschlungen  |  Seinen  Vater,  klagend  laut  CDE  —  G,  2-4  Eilt  zum 
Vater  klagend  hin:  |  Kann  von  meiner  Lieb  nicht  lassen,  |  Nicht  ohn  sie  durchs  Leben 
ziehn  B  —  6,5—7,8  Als  Emilie  ihn  erblicket,  |  Stürzt  sie  leblos  vor  ihm  hin.  |  Keinem 
Arzt  ist  es  geglücket,  |  Sie  dem  Grabe  zu  entziehn  B  —  7,3  Und  getroffen  von  einem 
Schlage  C  —  8,  i-3  fehlen  CD  —  auf  8,4  folgt  in  E:  Zitternd  eilet  er  zum  Fenster,  | 
Schauet  leise  dann  hinaus  |  Und  erblickt  statt  der  Gespenster  I  Schaut  [Schön?]  Emilie 
vor  dem  Haus  E;  verstümmelt  in  C:  Und  er  schaut  hinaus  zum  Fenster,  |  Und  er  sieht 
statt  der  Gespenster  |  Emilie  seine  Braut  —  8,5—8  Als  der  Stimme  er  gehorchet,  |  Tritt 
Emilie  zu  ihm  ein,  |  Die  im  Grabe  gar  erwecket  |  Will  vom  Totengräber  sein.  |  Sie  erzählt 
mit  leisem  Worte,  |  Während  er  sich  an  sie  schmiegt,  |  Wie's  geschehn  am  Todesorte,  | 
Daß  an  seiner  Brust  sie  liegt:  B  —  9,  i  Um  die  mitternächtge  Stunde  B  —  9,3-4  Er 
beraubt  mit  bleichem  Munde  |  Mich  bei  hellen  Lichtes  Schein  B :  ähnlich  E  —  9,  6  bestand 
BE  —  9, 8  Er  darob  in  Wuth  entbrannt  BE  —  10,4  Und  dann  eilend  zu  dir  schritt  E  — 
10,  6  geliebten  B  —  10,  8  Und  führt  beide  B.  —  Man  erkennt  aus  den  Varianton  zu  1,  s. 
3,8.  4,8.  6,2.  8,4,  dass  A  aus  einer  ausführlicheren  Rezension  geflossen  ist,  deren  Reste 
sich  in  den  trümmerhaften  und  entstellten  jüngeren  Fassungen  CDE  erhalten  haben  und 
von  der  sich  die  selbständig  ändernde  Fassung  B  am  meisten  entfernt.  A  hat  80,  B  7-2, 
CD  79,  E  96  Verse. 


378  Bolte: 

Der  sentimentale  Vortrag  der  Prosaerzählung  zeigt,  dass  ihre  Ent- 
stehung frühestens  in  die  letzten  Jahre  des  18.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist. 
Offenbare  Mängel,  wie  die  Schwächlichkeit  des  Liebhabers  der  Tochter 
seines  Wohltäters,  die  schattenhafte  Gestalt  des  Nebenbuhlers,  die  unklare 
A'orstellung  von  Kopenhagens  Lage,  übergehe  ich  und  weise  nur  darauf 
hin,  dass  Emilie  am  Hochzeitstage  beim  Anblicke  des  heimlich  Geliebten 
in  eine  todesähnliche  Ohnmacht  sinkt,  dass  in  ihrer  Erweckung  durch 
den  Leichenräuber  ein  (auch  bei  Scribe  beobachtetes)  Eindringen  eines 
Motivs  der  ersten  Sagenversion  in  die  zweite,  romantische  Form  vorliegt 
und  dass  sich  in  Adolfs  Rätselrede  das  bei  Boccaccio  und  Cats  die  Vor- 
stellung der  wiederbelebten  Frau  einleitende  Gleichnis  in  etwas  ver- 
änderter Gestalt  fortpflanzt.  —  Nicht  aus  dieser  beliebten  'Volksuovelle'  und 
ihrer  kürzeren  Versifizierung  im  Metrum  von  Schillers  Ritter  Toggenburg 
geflossen  ist  eine  in  Hessen  aus  mündlicher  Überlieferung  aufgezeichnete 
Fassungi),  welche  die  Kaufmannstochter  Thereschen  nennt,  den  Liebhaber 
zu  einem  Schäferssohn  Häuschen  macht  und  von  einer  genaueren  Orts- 
angabe absieht;  denn  hier  ist  nicht  der  Totengräber,  sondern  der  älteren 
Sagengestalt  entsprechend  der  unglückliche  Liebhaber  der  Erwecker;  er 
zieht  mit  dem  Mädchen  heimlich  von  dannen  und  stellt  es  erst  nach 
einigen  Jahren  ihren  Eltern  als  seine  Frau  vor.  Dazu  stimmen  zwei 
Volksmärchen  aus  Mähren,  deren  Kenntnis  ich  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Polivka^) 
verdanke.  Dagegen  fehlt  das  erotische  Moment  in  einer  Erzählung,  die 
Herr  Professor  0.  Knoop  von  einem  Schüler  in  Ro gasen  vernahm  und 
mir  brieflich  übermittelte:  ein  Student  wettet,  um  seine  Furchtlosigkeit 
zu  erweisen,  dass  er  nachts  die  Leiche  eines  soeben  begrabenen  Mädchens 
holen  und  in  sein  Zimmer  bringen  wolle;  als  er  das  ausgeführt  und  sich 
schlafen  gelegt  hat,  erwacht  die  Tote  auf  dem  Tische  und  verlangt  ein 
Glas  Wasser;  er  bringt  sie  morgens  zu  ihren  Eltern  und  erhält  eine  gute 
Belohnung.  In  andern  slawischen  Varianten  aus  Kroatien,  Polen  und 
Kleinrussland,  die  Polivka  herangezogen  hat,  wird  die  Toteuerweckung 
nicht  als  ein  unerwarteter  Zufall  geschildert,  sondern  als  eine  durch  zauber- 
kräftige Gebete  oder  Talismane  (Eidechsenkraut,  Lebenswasser)  bewirkte 
Wundertat;  es  ist  also  eine  Kombination  mit  fremden  Märchenkreisen 
eingetreten.  Ein  indisches  Märchen  der  Vetälapancavincati^)  lenkt  gar 
in  den  Streit  der  kunstreiclien  Gesellen  um  die  belebte  hölzerne  Frau  über. 


1)  Hoffmeister,  Hessische  Volksdichtung  1869  S.  86  nr.  93  'Thereschen'. 

2)  Polivka,  oben  13,  410—412:  Zu  der  Erzählung  von  der  undankbaren  Gattin.  — 
Zwei  von  Herrn  Prof.  0.  Knoop  mir  freundlich  mitgeteilte  Yolkssagen  aus  Kujavien  legen 
das  Hauptgewicht  auf  die  Erlebnisse  der  Scheintoten  im  Jenseits,  auf  ihre  Wanderung 
durchs  Fegfeuer  bis  an  die  Himmelspforte. 

3)  Oesterley,  Baitul  Pachisi  1873  S.  :'.9  nr.  2.  Tawney,  Kathä  Sarit  Sägara  2,  242 
eh.  76  (1884).  Lescallier,  Le  tröne  enchante  1,  111  (1811.  Nachgewiesen  von  Professor 
Th.  Zachariae).    Swynnei-ton,  Indian  uights'  entertainment  1892  p.  237. 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  379 

Einheitlicher  und  schöner  empfunden  ist  es  jedenfalls,  wenn  der 
Dichter  der  oben  S.  371  zitierten  portugiesischen  Romanze  'Guimar'  die 
Belebung  der  toten  Jungfrau  dem  Mitleide  der  gnadenreichen  Gottes- 
mutter zuschreibt.  Als  Don  Johann  verzweifelnd  an  Guimars  Sarge  sich 
erstechen  will,  wirkt  Maria  ein  Wunder: 

Die  Gestorbne  reicht  die  Rechte 
Ihrem  Herzgeliebten  hin, 
Und  die  holden  Augen  öffnend 
Lächelt  sie  ihm  sanft  und  mild. 

Ebenso  tritt  Maria  in  der  in  Barcelona  spielenden  spanischen 
Romanze  'La  amante  resuscitada'  im  entscheidenden  Augenblicke  hilfreich 
ein,  und  auch  in  einem  armenischen  Märchen^)  weist  sie  im  Traume 
den  Burschen  an,  das  Grab  der  Neuvermählten  nachts  zu  öfPnen,  dann 
aber  still  heimzugehen;  die  Braut  erwacht,  schreitet  allein  zum  Hause 
ihres  angetrauten  Mannes  und  ihrer  Eltern,  wird  aber  gleich  Ginevra 
d'Almieri  (oben  S.  369)  als  Gespenst  fortgewiesen  und  pocht  endlich  bei 
ihrem  früheren  Geliebten  an. 

Alle  bisher  erwähnten  Erzählungen  stammten,  wenn  wir  von  dem  nur 
teilweise  hergehörenden  indischen  Märchen  absehen,  aus  Europa;  wir 
treffen  indes  unsern  Stoff  auch  in  Asien  an.  In  einem  kirgisischen 
'Büchergesange' ^)  wird  berichtet,  wie  ein  Derwisch  namens  Adam  abends 
an  den  Gräbern  vorüberwandelnd  aus  einem  Grabe  eine  Stimme  vernimmt. 
Als  er  dieses  öffnet,  findet  er  die  kurz  zuvor  bestattete  Tochter  des 
Herrschers,  die  mondgleiche  Jungfrau  Sakyp  Dschaman.  Er  zieht  die 
Wiedererwachte  heraus  und  will  sie  zu  ihren  Eltern  bringen;  aber  sie 
spricht:  „0  Adam,  du  bist  mir  Vater  und  Mutter;  was  habe  ich  früher 
von  Yater  und  Mutter  gesehen?  Du  sprich  von  mir  zu  keinem  Menschen! 
Wenn  ich  sterbe,  will  ich  aus  deiner  Tür  hinausgehen."  Der  Derwisch 
holt  einen  Mulla,  der  die  Trauung  vollzieht,  und  die  Prinzessin  lebt 
sieben  Jahre  in  Adams  Hause  verborgen,  bis  ihre  alte  Amme  in  dem 
jungen  Sohne  der  Prinzessin  deren  Züge  erkennt  und  die  Fürstin  ver- 
anlasst, des  Knaben  Mutter  holen  zu  lassen.  Als  der  Fürst  die  totges-laubte 
Tochter  wiedersieht,  erhebt  er  ihren  Mann  zum  Wesir.  —  Verwickelter 
ist  die  Handlung  in  einer  chinesischen  Novelle  der  Sammlung  Lung-tu- 
Kung-ngan^).  Der  junge  Gelehrte  Fan -Sien  wird  vom  Vater  genötigt, 
seiner  Geliebten  Hoa-hien  zu  entsagen  und  eine  andre  Ehe  zu  schliessen. 
Die  verlassne  Junojfrau  fällt  vor  Betrübnis  in  Ohnmacht  und  wird  als  eine 


1)  Wlislocki,  Märchen  der  Bukowinaer  und  Siebenbürger  Arm^ier  1S91  nr.  r)2   'Die 
scheintote  Geliebte'. 

2)  Radioff,   Proben  der  Volksliteratur   der  türk.  Stämme  Südsibiriens  o,  742   'Sakyp 
Dschaman'  (1S70). 

3)  C.  Puini,   Novelle  cinesi  tradotte  (Piacenza  1871)   p.  71  =  Axon,   Transactious    of 
the  R.  Society  of  lit.  2.  ser.  24,  76. 


380  Bolte: 

Tote  begraben.  Aber  als  ihres  Yaters  Diener  Li-Sin  nachts  zu  ihrem 
Grabe  schleicht,  um  die  heimlich  verehrte  Herrin  zu  küssen,  erwacht  sie 
und  lässt  sich  bereden,  nicht  ins  Elternhaus  zurückzukehren,  sondern  ihres 
Erweckers  Weib  zu  werden.  Sechs  Monate  leben  beide  zusammen,  da 
brennt  nachts  ihr  Haus  nieder;  Hoa-hien,  im  Getümmel  von  ihrem  Manne 
getrennt,  sucht  bei  ihrem  Vater  Zuflucht,  wird  aber  (gleich  der  Floren- 
tinerin  Ginevra)  als  Gespenst  abgewiesen.  Nun  pocht  sie  an  ihres  früheren 
Geliebten  Tür  und  erinnert  ihn  an  den  roten  Elfenbeinball,  den  er  ihr 
einst  zugeworfen  habe.  Fan -Sien  lässt  Weihrauch  anzünden,  um  dem 
ruhelosen  Geiste  Frieden  zu  verschaffen;  als  sie  weiter  klagt,  tritt  er 
liinaus,  gebietet  ihr,  zu  ihren  Eltern  zu  gehen,  und  schliesst  dann  wieder 
seine  Tür;  als  ihre  lauten  Bitten  nicht  aufhören,  stürzt  er,  um  dem  Spuk 
ein  Ende  zu  machen,  nochmals  hinaus  und  schlägt  ihr  mit  einem  Schwert 
das  Haupt  ab.  Die  Wächter  finden  die  Leiche,  und  ihr  Yater,  durch  eine 
Traumerscheinung  unterrichtet,  verklagt  den  Mörder  seiner  Tochter.  Der 
weise  Richter  Pao-Kung  jedoch  verurteilt  den  entlaufenen  Diener  Li-Sin, 
der  sich  infolge  einer  öffentlichen  Aufforderung  als  Öffner  des  Grabes 
und  Erwecker  des  Mädchens  gemeldet  hatte,  um  die  verheissene  Belohnung 
zu  erhalten,  als  den  Urheber  des  ganzen  Unfalles  zur  Enthauptung  und 
spricht  Fan-Sien  frei.  Allein  Reue  und  Kummer  werfen  diesen  aufs 
Krankenlager,  auf  dem  er  seinen  Geist  aufgibt. 

Diese  blutige  Schauernovelle,  über  deren  Alter  ich  nicht  zu  urteilen 
vermag,  zeigt  jedenfalls  nicht  jene  Einfachheit,  die  das  Kennzeichen  der 
Ursprünglichkeit  ist;  vielmehr  vereinigt  sie  zwei  sich  schlecht  miteinander 
vertragende  Motive:  die  erweckte  und  ihrem  Erwecker  folgende  Schein- 
tote und  die  nachts  aus  dem  Grabe  heimkehrende,  aber  von  den  nächsten 
Verwandten  als  Gespenst  zurückgewiesene  Tote,  und  schliesst  sie  zu  einer 
tragischen  Lösung  zusammen.  Seltsam  verwandelt  tritt  uns  hier  unsre 
mittelalterliche  Sage  entgegen,  und  doch  kaum  stärker  verändert  als  in 
den  neuesten  Bearbeitungen  der  österreichischen  Dichterin  Enrica 
V.  Handel -Mazzetti,  deren  Heldin  ihrem  Retter,  dem  wegen  Grabes- 
schändung zum  Tode  verurteilten  Diebe,  aus  freiem  Entschlüsse  vor 
Gericht  Hand  und  Herz  bietet,  oder  der  Schwedin  Selma  Lagerlöf,  bei 
der  die  auferstandene  Ingrid  ihren  Erwecker  in  selbstüberwindender  Liebe 
von  jahrelangem  Irrsinne  heilt,  oder  gar  in  Georg  Hirschfelds  Drama  'Das 
zweite  Leben'  (Berlin  1910),  wo  ein  Anatom  plötzlich  in  dem  gestohlenen 
Leichnam  Leben  entdeckt  und  durch  Hypnotismus  in  der  von  ihm  Auf- 
erweckten, mit  der  er  sich  vermählt,  jede  Erinnerung  an  die  Vergangenheit 
zu  tilgen  sucht.  Die  Frage,  ob  hier  eine  Wanderung  des  Motivs  von 
Westen  nach  Osten  stattgefunden  habe  oder  umgekehrt,  lassen  wir  vor- 
läufig besser  unbeantwortet.  Deutlicher  zeigt  sich  uns  die  allmähliche 
Entfaltung  und  Ausgestaltung  der  Sage  iu  den  europäischen  Fassungen, 
welche  in  bezug  auf  den  Stand  der  Heldin  (Jungfrau,  Braut,  Frau,  Kind- 


Die  Sage  von  der  erweckten  Scheintoten.  381 

betterin)  und  ihres  Ketters  (Dieb,  Liebhaber,  zufällig  am  Grabe  Vor- 
übergehender), seine  Belohnung  (Begnadigung  des  Diebes,  Yerzicht  des 
Liebhabers,  Befreiung  von  Krankheit  und  Lebensgefahr,  Heirat;  nur  im 
Chinesischen  Tötung)  und  das  Verhalten  des  Ehegatten  (freudige  Auf- 
nahme, Unglaube  oder  Abwehr  aus  Gespensterfurcht  oder  Widerwillen) 
ziemlich  alle  Möglichkeiten  erschöpfen.  Von  den  beiden  Gruppen  mit 
dem  Ringdiebstahl  und  dem  Kussmotiv  ist  die  erste  zwar  erst  aus  dem 
Jahre  1499  bezeugt,  aber  als  die  einfachere  Sagenform  sicherlich  älter  als 
die  bereits  im  13.  und  14.  Jahrhundert  auftauchende  romantische  und 
verwickeitere  Gestalt.  Einen  Zusammenhang  mit  den  oben  S.  355  be- 
sprochenen Episoden  aus  den  griechischen  Romanen  des  Chariton  und 
Xenophon  glaube  ich  durchaus  ablehnen  zu  müssen;  vielmehr  kann  der 
Ursprung  der  Erzählung  sich  recht  wohl  auf  einen  wirklichen  A^orfall 
gründen,  den  die  mündliche  Tradition  weiter  ausschmückte;  denn  schon 
um  1300  berichtet  Arnaldus  von  Villanova ^)  von  im  Grabe  erwachten 
Scheintoten  und  warnt  vor  der  Unsitte  voreiliger  Bestattung,  besonders  in 
Pestzeiten;  ebenso  Alexander  Benedicti  um  1500  und  andre  Arzte.  Was 
wir  aber  von  der  Ausgestaltung  und  Lokalisierung  der  Sage  in  den  ver- 
schiedensten Gegenden  (insbesondere  Deutschland  und  Italien)  vom  14.  bis 
ins  19.  Jahrhundert  kennen  lernten,  das  bewahrheitet  aufs  schönste  Schillers 

Worte: 

Alles  wiederholt  sich  nur  im  Leben, 
Ewig  jung  ist  nur  die  Phantasie: 
Was  sich  nie  und  nirgends  hat  begeben, 
Das  allein  veraltet  nie. 

Berlin. 


1)  Arnaldus  Villanovanus,  Breviarium  practicae  1,  14  (Opera,  Basel  1585  p.  1080B): 
'Vidi  enim  et  audivi  hoc  de  multis,  qui  taliter  subterrati  fuerunt  et  postmodum  auditi 
sunt  in  sepulcro  clamantes,  ut  iuvarentur,  infra  spatium  LX  horarum.  Et  alii,  qui 
mortui  sunt  in  sepulcris  et  postmodum  in  processu  temporis,  cum  aperta  sunt  sepulcra 
eorum,  inventa  sunt  linimenta  eorum  dilacerata  ab  ipsis  et  ipsi  cum  bracchiis  et  pedibus 
dissolutis  mortui  sunt  inventi.'  —  Alexandri  Benedicti  Veronensis  De  re  medica  opus, 
Basel  1549  p.  193  (lib.  10,  c.  9):  'Feminae  aliquando  in  vulvae  cruciatu  elatae  in  se- 
pulchris  ad  vitam  rediere,  quae  pro  alterius  mortui  sepultura  detectae  locum  mutavere 
atque  ita  miserrime  mortuae  inveutae  sunt.'  Und  p.  555  (De  pestilenti  febre  c.  1):  "Una 
ex  magnis  matronis  hoc  modo  sepulta  paulo  post  visa  est  mortua,  tarnen  quae  sedens  et 
emota  loco  inter  cadavera  revixerat;  evulsae  comae  dilaniatumque  ungue  pectus  maiori 
indicio  fuere.'  —  Vgl.  auch  die  oben  S.  354  erwähnten  Geschichten  von  Asklepiades  und 
Apollonios  von  Tyana. 


38*2  Carstens: 


Volksglauben  und  Yolksmeinungen  aus  Schleswig- 
Holstein. 

Von  Heinrich  Carstens  f. 


1.    Glück  und  Unglück. 

1.  Die  grosse  Zehe  eines  Hingerichteten  in  der  Tasche  bringt  Glück  im 
Kartenspiel  (Dithmarschen).  —  2.  Ein  Schweinsgehör  in  der  Tasche  bringt  Glück 
beim  Kartenspiel  (Stapelholm).  —  3.  Wer  Glück  haben  will  beim  Kartenspiel, 
muss  sich  an  einen  Schweinstrog  scheuern  (Dithm.).  —  4.  Ein  'Knoop'  (früheres 
dänisches  Vierbankschillingstück)  in  der  Tasche,  ohne  dass  man  es  weiss,  bringt 
Glück  im  Kartenspiel  (Kleinsee  in  Stapelholm).  —  5.  Unterm  Balken  sitzen  beim 
Kartenspiel  bringt  Unglück  (Bahren wurth  bei  Lunden).  —  6.  Auf  ein  Lotterielos 
oder  auf  sonst  ein  Los,  das  man  erhält,  muss  man  spucken,  dann  gewinnt  es 
(Kellinghusen  a.  d.  Stör).  —  7.  Ein  weisser  Fleck  unter  dem  Nagel,  vorzüglich 
der  linken  Hand,  bedeutet  Glück,  und  das  abergläubische  Volk  hütet  sich,  den 
Nagel  zu  beschneiden,  der  die  Giücksblurae  trägt  (Schütze,  Holsteinisches  Idiotikon 
1,  116).  —  8.  Wer  in  einen  Dienst  tritt,  muss  sich  vorher  an  einen  Schweinstrog 
scheuern;  das  bringt  Glück  (Osdorf  bei  Gettorf  im  Dänischen wohld).  —  9.  Tritt 
jemand  in  einen  Dienst  und  zerbricht  sofort  etwas,  so  bringt  das  Glück  (Dithm,). 
—  10.  Wächst  ein  Hollunder  (Sambucus  niger)  unter  der  Mauer  heraus,  so  bringt 
das  Glück  (Schwienhusen  bei  Delve  in  Dithm.).  —  11.  Ein  vierblätteriges  Klee- 
blatt bringt  Glück,  desgleichen  ein  sechsblätteriges;  ein  fünf  blätteriges  bringt 
Unglück  (Lunden  in  Dithm.  Schütze  2,  273).  — r  12.  Findet  man  im  Brote  ein 
heiles  Roggenkorn,  so  muss  man  es  in  der  Tasche  bei  sich  tragen,  da  das  Glück 
bringt  (Dithm.).  —  13.  Ein  ganzes  Roggenkorn  im  Brote  bedeutet  grosses  Glück 
(Drage  in  Stapelholm).  —  14.  Schönmalven  (Abutelon),  Efeu  und  Fuchsien  soll 
man  nicht  als  Topfgewächse  ziehen;  sie  bringen  Unglück  (Lunden).  —  15.  Efeu 
soll  das  grösste  Unglück  sein  (Osdorf  bei  Gettorf).  —  16.  In  einem  Weizenfeld, 
Roggenfeld,  über  einem  Brunnen  darf  man  kein  Haus  bauen;  das  bringt  Unglück 
über  die  Bewohner  (Lunden).  —  17.  Die  Blüten  vom  Mohn  bei  sich  tragen, 
bringt  Unglück  (Dahrenwurth  bei  Lunden).  —  18.  Die  Zahl  11  ist  eine  Unglücks- 
zahl, weil  sie  die  10  Gebote  überschreitet  (Schütze  1,  301).  —  19.  Man  darf 
nicht  umkehren,  wenn  man  ausgeht  und  etwas  im  Hause  vergessen  hat;  ein 
anderer  muss  es  herausbringen  (Kellinghusen  a.  d.  Stör).  —  20.  Kommt  beim 
F'lütten  (Umziehen)  etwas  entzwei,  so  bringt  das  Glück  (Dithm.).  — ■  21.- Begegnet 
einem  bei  einem  Angange  ein  junger  Mann  mit  Pferd  und  Wagen  oder  ein 
Reiter,  so  bringt  das  Glück  (Dithm.).  —  22,  Begegnet  einem  bei  einem  Angange 
ein  altes  Weib,  oder  läuft  ein  Hase  quer  über  den  Weg,  oder  kommt  einem 
eine  Katze  entgegen,  so  kehre  man  um;  sonst  gibts  Unglück  (Dithm.).  —  23.  Ist 
jemand  auf  einer  Tour  und  stösst  unterwegs  mit  dem  rechten  Fuss  an  einen 
Stein,  so  wird  die  Reise  nicht  gut  ablaufen  (Lübeck).  —  24.  Wenn  bei  einem 
Angange  eine  schwarze  Katze  über  den  Weg  läuft,  so  hat  man  Unglück  (Kelling- 
husen a.  d,  Stör).  —  25.  Läuft  einem,  wenn  man  ausgeht,  eine  Katze  nach,  so  bedeutet 


Volksglauben  und  Volksmeinungen  aus  Schleswig-Holstein.  383 

das  Glück.  Daher  warf  man  dem,  der  ausging,  früher  wohl  eine  Katze  nach, 
erzählte  meine  verstorbene  Schwiegermutter  (Bunsoh  bei  Albersdorf).  —  2G.  Läuft 
eine  Spinne  an  jemandem  hinauf,  oder  spinnt  einen  Faden  vor  ihm  nieder,  so 
bringt  das  Glück  (Dithm.).  —  27.  Eine  weisse  Spinne  bringt  Glück  (Angeln).  — 
21  &.  Eine  kleine  Spinne  bringt  Glück  (Dithm.).  —  28.  Spinne  nach  Uhr  12  bringt 
Glück,  vor  Uhr  12  Unglück  (Schwienhusen  bei  Delve.)  —  29,  Eine  weisse  Katze 
bringt  Glück,  eine  schwarze  Unglück  (Angeln).  —  30.  Vogelschmutz  am  Fenster 
bringt  Glück  (Landen).  —  31.  Ein  gefundenes  Hufeisen  über  der  Haustür  oder 
Stalltür  angebracht,  bringt  Glück  (Allgemein).  —  32.  Kommt  das  Vieh  nass  auf 
den  Stall,  so  bedeutet  das  Glück  (Kellinghusen  a.  d.  Stör).  —  33.  Den  Kehricht 
darf  man  nicht  über  die  Türschwelle  hinweg  fegen,  da  man  dann  das  Glück  mit 
hinaus  fegt  (Stapelholm).  —  34.  Wenn  man  jemanden  beim  Ausfegen  anfegt,  so 
fegt  man  ihm  das  Glück  fort  (Stapelholm).  —  35.  Fällt  das  Glas,  das  bei  der 
Richtrede  von  dem  neu  erbauten  Hause  heruntergeworfen  wird,  entzwei,  so  bringt 
das  Glück  über  die  Bewohner;  fällt  es  nicht  entzwei,  so  bringt  es  Unglück 
(Norderdithm.,  Stapelholm,  Kolonie  Christiansholm  bei  Hohn).  —  36.  Macht 
jemand  zufällig  beim  Sprechen  einen  Reim,  so  bekommt  er  etwas  geschenkt 
(Kellinghusen).  —  37.  Sieht  man  einen  Stern  vom  Himmel  fallen,  so  muss  man 
sich  in  dem  Augenblick  etwas  wünschen;  das  geht  nämlich  in  Erfüllung  (Dithm.). 
—  38.  Liegt  ein  Messer  auf  dem  Rücken,  so  liegt  jemand  im  Wasser  und  kann 
sich  nicht  helfen  (Marne  in  Dithm.).  —  39.  Beschenken  zwei  sich  gegenseitig  mit 
Messer  oder  Schere,  so  gibt  es  Streit  (Husum).  —  40.  Schere  oder  Messer  als 
Geschenk  zu  geben,  ist  bedenklich  und  schneidet  die  Freundschaft  entzwei 
(Schütze  4,  31).  —  41.  Das  Jucken  des  rechten  Auges  bedeutet  Tränen,  das  des 
linken  Freude  (Husum).  —  42.  Wenn  das  rechte  Auge  juckt,  so  gibt  es  etwas  zu 
weinen,  wenn  das  linke  Auge  juckt,  etwas  zu  lachen  (Süderstapel  in  Stapel- 
holm). —  43.  Legen  die  Hühner  ein  Sparei  (d.  i.  ein  kleines  Ei,  Ständerei),  so 
bedeutet  das  Unglück.  Ein  solches  Ei  muss  man  hinter  einen  Sparren  stecken 
(Schwienhusen  bei  Delve).  —  44.  Wer  des  Morgens  schon  so  früh  singt,  den 
trifft  noch  an  demselben  Tage  ein  Unglück.  Das  Sprichwort  sagt:  De  Vagele,  de 
so  froh  singt,  de  halt  öwer  Dag  de  Katt  (Dithm.).  —  45.  Morgens  singen  gibt 
abends  Klage  (Hansen,  Charakterbilder  S.  11).  —  46.  Kein  wichtiges  Werk  fange 
Montags  an;  Montags  wird  nicht  Wochen  alt.  Kinder  dürfen  nie  an  einem 
Montage  zum  ersten  Male  in  die  Schule  geschickt  werden;  erst  recht  nicht  darf 
der  Schulbesuch  nach  überstandener  Krankheit  an  einem  Montage  wieder  be- 
ginnen (Lunden).  —  46a.  Freitags  beginne  keine  Reise;  kein  Schiffer  lichte  die 
Anker;  das  bringt  Unglück  (Dithm.,  Kellinghusen).  —  4  7.  Wäscht  man  sich  mit 
einem  andern  zusammen  in  demselben  Wasser  die  Hände,  so  gibt  es  Streit. 
Spuckt  man  aber  ins  Wasser,  so  geht  es  gut  (Üithm.,  Eiderstedt).  —  48.  Steigt 
man  morgens  zuerst  mit  dem  linken  Fuss  aus  dem  Bette,  so  gibt  es  sicherlich 
Streit.  Von  einem,  der  nicht  gut  gelaunt  ist,  heisst  es:  „De  is  ok  mit'n  linkn 
Fot  to  irs  ut  't  Bett  kam"  (Dithm.,  Stapelholm,  Husum).  —  49.  Auf  das  erste 
Stück  Geld,  das  auf  einem  Markte  eiugenomman  wird,  muss  gespuckt  werden, 
das  bringt  Gewinn  (Dithm.).  —  50.  Jedem  Menschen  steht  sein  Schicksal  vor  der 
Stirn  geschrieben  (Drage  in  Stapelholm).  —  5L  Treibt  Schaum  auf  der  Kaffee- 
tasse und  treibt  nicht  an  den  Rand,  so  erhält  man  Geld  (Allgemein).  —  52.  Gibt 
es  in  einem  Jahre  viele  'Goldsmäd'  (Goldschmiede,  Libellen),  so  deutet  das  auf 
Krieg  (Feddringen  in  Dithm.).  —  53.  Hände  besehen  gibt  Streit  (Erfde  in  Stapel- 
holm). —  54.  Finger  besehen  gibt  Streit  (Kellinghusen).  —  54a.  Verliert  jemand 
den  Trauring  oder  zerspringt  dieser,   so  gibt  es  Unglück  (Lunden).    —    55.    Wirft 


384  Carstens: 

man  einen  Spiegel  entzwei,  so  gibt  es  sieben  Jahre  Unglück  (Friedrichstadt  a.  d.  E  ). 

—  56.  Wenn  vor  einem  vorüber  eine  Elster  über  den  Weg  iliegt,  so  passiert  ein 
Unglück  (Kellinghusen).  —  57.  In  einem  Schaltjahr  passiert  viel  Unglück  (Süder- 
stapel  in  Stapelholm).  —  58.  Wer  durchs  Fenster  kriecht,  wird  nicht  grösser. 
Kleine  Kinder    dürfen    nicht    durch  ein  offenes  Fenster  gehoben  werden  (l)ithm.). 

—  59.  Zwei  Personen  dürfen  nichts  miteinander  teilen,  z.  B.  Brot,  da  das  die 
Freundschaft  zerstört  (Dithm.).  —  60.  Nadeln  darf  man  nicht  wegschenken,  da 
das  die  Freundschaft  aussticht  (Dithm.).  —  61.  Für  Nadeln  darf  man  sich  auch 
nicht  bedanken  (Dithm.)  —  62.  Einer  Hexe  darf  man  keine  Nadel  leihen;  sie  tut 
einem  leicht  etwas  an  (Dahrenwurth  bei  Lunden).  —  63.  Eine  Mehlgase  darf 
man  einer  Hexe  nicht  leihen  (Lunden  in  Dithm.).  —  63a.  Ein  Mehlsieb  darf  man 
einer  Hexe  nicht  leihen  (Drage  in  Stapelholm).  —  64.  Der  helle  Funke  am  Licht 
zeigt  an,  dass  ein  Dieb  im  Hause  ist  (Dithm.).  —  65.  Wenn  man  niest,  so  geht 
das,  was  man  in  dem  Augenblick  denkt,  in  Erfüllung  (Preil  bei  Lunden).  — 
66.  Einen  Donnerkeil  (Belemniten),  der  mit  einem  Blitz,  der  irgendwo  zündet, 
vom  Himmel  fährt,  soll  man  aufheben,  weil  er  Glück  bringen  soll  (Schütze  2, 
252).    —    t)?.    Ein  Kreuz  von  einem  Kirchhof  im  Hause  bringt  Unglück  (Lunden). 

—  68.  Beim  Sandstreuen  in  der  Stube  darf  man  keinen  Sand  auf  einen  Gegen- 
stand werfen,  das  bringt  allerlei  Unglück  (Gegend  von  Hohenwestedt).  —  69.  Zieht 
man  Wäsche  verkehrt  an,  so  gibt  es  Streit  (Süderstapel).  —  70.  Liegt  eine 
Harke  mit  den  Zinken  nach  oben  und  fällt  in  gewissem  Umkreis  davon  jemand 
ins  Wasser,  so  muss  derselbe  ertrinken  (Lunden). 

2.   Träume. 

1.  Träumt  man  von  Brand,  so  bekommt  man  Blut  zu  sehen  (Christiansholm 
bei  Hohn).  —  2.  Traum  von  Feuer  bedeutet  Geld  (Dithm.).  —  2a.  Träumt  man 
von  Brand,  so  muss  man  die  Summe  der  Jahre,  die  diejenigen  Personen  zählen, 
die  man  auf  der  Brandstätte  antrifft,    in   der  Lotterie  besetzen  (Lahn  bei  Lunden). 

—  3.  Wer  ein  Haus  brennen  sieht,  muss  die  Nummer  des  Hauses  in  der  Lotterie 
besetzen  (Lunden).  —  4.  Ein  Haus  im  Innern  im  Traume  brennen  sehen,  bedeutet 
eine  Leiche  (Lahn  bei  Lunden).  —  5.  Träumt  man  von  Blut,  so  bedeutet  das 
Feuer  (Dithm.).  —  6.  Träumt  man  von  Eiern,  so  gibt  es  Streit  (Dithm.).  — 
7.  Was  man  in  der  ersten  Nacht  in  einer  neuen  Wohnung  oder  in  einer  fremden 
Wohnung  träumt,  geht  in  Erfüllung  (Dithm.,  Stapelholm),  —  8.  Träume  in  der 
Scheidenacht  zweier  Jahre  oder  in  der  Geburtstagsnacht  gehen  in  Erfüllung 
(Schütze  1,  259).  —  9.  Wer  von  Nummern  träumt,  muss  dieselben  in  der  Lotterie 
besetzen  (Dithm.).  —  10.  Träumt  man,  dass  man  mit  einer  Person,  die  schon 
längst  verstorben,  zusammen  ist,  so  bedeutet  das  eine  Leiche  (Dithm.).  — 
11.  Träumt  man  von  einem  Toten,  so  muss  man,  sobald  man  aufwacht,  ein 
Vaterunser  für  ihn  beten  (Drage  in  Stapelholm).  —  12.  Traum  von  Mäusen  be- 
deutet Zwist  (Schütze  3,  126).  —  13.  Wer  von  Schlangen  träumt,  kommt  in 
Gesellschaft  (Feddringen  in  Dithm.).  —  14.  Sieht  man  im  Traum  einen  Sarg,  so 
bedeutet  das  Glück  (Blankenmoor  bei  Neuenkirchen).  —  15.  Traum  von  Läusen 
bedeutet  eine  Leiche  (Lahn  bei  Lunden).  —  16.  Träumt  man,  dass  man  ins 
Wasser  gefallen  oder  im  Wasser  umherschwimrat,  so  bedeutet  das  eine  schwere 
Krankheit  (Drage  in  Stapelholm).  —  17.  Träumt  man  von  Zähnen,  so  hat  man 
den  folgenden  Tag  Glück  (Kellinghusen).  —  18.  Traum  von  Kindern,  von  Pferd 
und  Wagen  bedeutet  Glück  (Dithm.).  —  19.  Traum  von  Läusen  bedeutet  Streit 
(Dithm.).  —  20.  Traum  von  Gold  bedeutet  Streit  (Dithm.).  —  2Üa.  Wer  rück- 
wärts ins  Bett  steigt,  träumt  etwas  Gutes  (Norderdithm.).    —    21.    Hat  jemand  im 


Volksglauben  und  Volksmeinungen  aus  Schleswig-Holstein.  385 

Traum  mit  weissem  Zeug  zu  tun,  so  deutet  das  Trauer  an  (Lunden).  —  22.  Ein 
Haus  im  Traum  hell  brennen  sehen,  bedeutet  Glück;  dunkel  mit  Rauch  und 
Qualm  Unglück  (Dithm.).  —  23.  Ein  Traum  von  ausgefallenen  Zähnen  bedeutet 
Krankheit  oder  Tod  (Dithm.,  Husum).  —  24.  Traum  von  Kleingeld  bedeutet  Streit 
(Dithm.). 

3.  Zauberei. 

1.  \yer  einen  falschen  Schilling  in  der  Tasche  hat,  kann  'Ogenverschrön' 
(Blendwerk,  Zauberwerk)  sehen  (Dithm.).  —  2.  Wer  ein  vierblätteriges  Kleeblatt, 
ohne  eigenes  Wissen,  bei  sich  trägt,  kann  'Ogenverschrön'  sehen  (Lunden).  Vgl. 
Müllenhoff,  Sagen  nr.  563.  Kl.  Groth,  Quickborn  1,  195.  —  3.  Um  ein  Stück 
Wild  zum  Stehen  zu  bringen  und  sicher  schiessen  zu  können,  schreibe  der  Jäger 
auf  die  Flinte:  „Dat  Dai  Di!''  und  er  kann  alles  Wild  treffen.  Pulver  von  ge- 
erbten Silbersachen  einnehmen  dient  zur  Entzauberung  (Schütze  4,  224).  — 
4.  Wenn  man  in  dieFussspur  eines  Diebes  einen  Nagel  schlägt,  so  muss  der  Dieb  das  Ge- 
stohlene wiederbringen  (Dithm.)  —  5.  Man  fange  einen  Maulwurf,  ziehe  demselben 
lebendig  das  Fell  ab,  so  dass  die  Vorderfüsse  daran  sitzen  bleiben;  und  daraus 
fertige  man  sich  einen  Geldbeutel,  der  dann  immer  Geld  halten  wird  (Rehm  bei 
Lunden).  —  6.  Wenn  man  die  Fussspur  eines  Diebes  aufnimmt,  in  eine  'Fase' 
steckt  und  so  in  den  Rauch  hängt,  so  muss  der  Dieb,  wenn  er  nicht  das  Ge- 
stohlene wiederbringt,  elendiglich  umkommen  (Lunden).  —  7.  Ist  Obst  gestohlen 
worden,  so  vergrabe  man  eine  Katze  lebendig  (beim  Obstbaum?),  und  so,  wie  die 
sich  in  der  Erde  quälen  muss,  so  muss  der  Dieb  sich  quälen  und  sterben 
(Feddringen  in  Dithm.)  —  8.  Ist  man  bestohlen  worden,  so  male  man  ein  Auge 
auf  Papier,  zersteche  dasselbe  mit  einer  Nadel,  und  der  Dieb  muss  ein  Auge 
verlieren  (Lunden).  —  9.  „Hut  is  Nicasiusdag!"  an  die  Stubentür  geschrieben 
verscheucht  Ratten  und  Mäuse  (Schütze  3,  176).  —  10.  Will  ein  unbändiges  Pferd 
sich  nicht  beschlagen  lassen,  so  gehe  man  dreimal  um  dasselbe  herum  und 
spreche:  „Uni,  nu-ni,  ne-ri!"  und  das  Pferd  steht  wie  ein  Lamm  (Norderdithm.). 
—  11.  In  der  Neujahrsnacht  zwischen  12  und  1  Uhr  legen  die  Bewohner  eines 
Hauses  sich  auf  den  Bauch  und  werfen  die  Pantoffeln  von  den  Füssen,  und  zwar 
über  Kopf.  Je  nachdem  nun  die  Pantoffeln  mit  der  Spitze  oder  nicht  nach  der 
Tür  hin  liegen,  deutet  man  daraus,  ob  die  Person  als  Braut  aus  dem  Hause 
ziehen  oder  noch  darin  bleiben  wird  (Dithm;,  Stapelholm.  Vgl.  Schütze  2,  11; 
4,  286).  —  12.  Wenn  jemand  beim  Schwören  die  drei  Finger  der  rechten  Hand 
in  die  Höhe  hebt  und  drei  Finger  der  linken  Hand  von  sich  nach  unten  streckt, 
so  kann  er  gerne  falsch  schwören,  der  Meineid  schadet  ihm  nichts  (Kramper 
Marsch). 

4.  Vorbedeutungen,  Teufel  und  Gespenster. 

1.  Einen  Knopf  darf  man  nicht  auf  dem  Körper  annähen  (Dithm.).  —  2.  Eine 
helle  Stelle  am  Licht  bedeutet  einen  Dieb  im  Hause  (Schütze  1,  209).  —  3.  Eine 
helle  Stelle  am  Licht  bedeutet  für  die  nächste  Zeit  einen  Brief  (Schütze  1,  149. 
Feddringen  in  Dithm.).  —  4.  Das  Jucken  der  inneren  Handfläche  bedeutet  Ge- 
winn. Das  Jucken  der  Nase  bedeutet  Neues  in  Erfahrung  bringen,  oder  etwas 
Gutes  erfahren,  oder  aber  auch  einen  Dreck  zu  riechen;  auch  die  Schmerzens- 
träne  (Dithm.,  Stapelholm.  Hansen,  Charakterbilder  S.  10).  —  5.  Wenn  zwei  zur 
gleichen  Zeit  denselben  Gedanken  aussprechen,  so  loben  sie  noch  ein  Jahr  zu- 
sammen (Dithm.,  Stapelholm).  —  6.  In  der  Neujahrsnacht  schmilzt  man  Blei  oder 
Wachs,  giesst  es  aufs  Wasser  und  deutet  aus  den  entstehenden  Figuren  sich  oder 
andern  Glück  oder  Unglück  (Schütze  1,  12).  —  7.  In  der  Neujahrsnacht  giesst  man 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  4.  20 


386  Carstens:  Volksglauben  und  Volksmeinungen  aus  Schleswig-Holstein. 

Eiweiss  aufs  Wasser  und  lässt  es  bis  zum  Neujahrstage  stehen.  Aus  der  Form  deutet 
man  dann  auf  Glück  oder  Unglück  (Schütze  1,  297).  —  8.  Wenn  bei  einem  Brande  das 
Vieh  losgebunden  ist,  so  muss  man  es  mit  dem  Handrücken  (mit  de  verwende 
Hand)  schlagen;  dann  geht  es  hinaus  und  kehrt  auch  nicht  zurück  in  das  brennende 
Haus  (Drage  in  Stapelholni).  —  9.  Will  man  die  Raupen  loswerden,  so  sammle 
man  sich  vor  Sonnenuntergang  eine  ungerade  Zahl  und  gehe  damit  gegen  den 
Lauf  der  Sonne  an  ein  Wasser  und  werfe  sie  da  hinein  mit  den  Worten:  „Hier 
bring'  ik  jüm  an  dissen  Ort;  un  all  de  in  min  Garn  kamt,  de  folg  jüm  na."  Im 
Namen  f  t  t-  (Von  Frau  Schacht  aus  Finkenwerder).  —  10.  Man  sammle  drei 
Raupen  und  werfe  die  ins  Feuer,  so  verschwinden  auch  die  andern  (Süderstapel 
in  Stapelholm).  —  11.  Wer  im  Besitze  eines  Erbschlüssels  ist,  kann  damit  einen 
Dieb  ermitteln.  Man  nimmt  den  Schlüssel,  legt  ihn  in  eine  Eibbibel  und  hängt, 
während  einer  die  Bibel  hält,  ein  Sieb  daran.  Dann  nennt  man  verdächtige 
Personen,  und  w^ird  der  Name  des  Diebes  genannt,  so  fällt  das  Sieb  zur  Erde 
(Dithm.,  Kolonie  Christiansholm  bei  Hahn  in  Südschleswig).  —  12.  Nägel  muss 
man  entweder  Freitags  bei  abnehmendem  Mond  oder  Dienstags  beschneiden.  Die 
abgeschnittenen  Nägel  müssen  unter  der  Türschwelle  verwahrt  werden  (Osdorf 
bei  Gettorf  im  Dänischenwohld).  —  13.  Freitags  Nägel  schneiden  schützt  gegen 
Fieber  (Süderstapel  in  Stapelholra).  —  14.  Schneidet  man  die  Nägel  drei  Freitage 
nach  der  Reihe  stillschweigend,  und  zwar  über  Kreuz,  d.  h.  die  Nägel  des  linken 
Fusses  mit  der  rechten  Hand  und  die  des  rechten  Fusses  mit  der  linken  Hand, 
und  später  immer  nur  an  einem  Freitage,  so  schützt  das  sicher  gegen  Zahnweh 
(Lunden).  —  15.  Sonntags  die  Nägel  beschneiden  gibt  Verdruss  (Dithm.).  — 
lu.  Kleinen  Kindern  darf  man  die  Nägel  nicht  beschneiden  (Dithm.).  —  17.  Dem 
Toten  darf  man  die  Nägel  nicht  beschneiden  (Dithm.).  —  18.  DasHaar  muss  man 
bei  zunehmendem  Mond  (towassen  Mand)  schneiden  lassen;  dann  wächst  es  gut 
(Dithm.).  —  19.  Märzschnee  aufbewahrt  und  damit  das  Haar  gewaschen,  gibt 
demselben  gutes  Gedeihen  (Feddringen  in  Dithm.).  ■ —  20.  Das  abgeschnittene 
Haar    darf   man    nicht    fortwerfen,    da    man  dann  Kopfweh  bekömmt  (Dithm.).  —  - 

21.  Wenn  man  das  abgeschnittene  Haar  fortwirft,  so  nisten  die  Vögel  darin,  oder 
auch  man  erhält  einen  kahlen  Kopf,  sog.  Mondschein  auf  dem  Kopfe  (Dithm.).  — 

22.  Man  muss  das  abgeschnittene  Haar  entweder  verbrennen  oder  vergraben  oder 
auch  in  dem  Dachstuhl  verstecken  (Dithm.).  —  23.  Beim  Verbrennen  des  Haares 
halte  man  den  Daumen  fest  in  der  Hand;  dann  stinken  sie  nicht  (Dithm.).  — 
24.  Klingen  einem  die  Ohren,  so  redet  jemand  von  uns.  Klingt  das  linke  Ohr, 
so  redet  man  Gutes;  klingt  das  rechte  Ohr,  so  wird  Böses  geredet;  darum:  „Dat 
linke,  dat  flinke;  dat  rechte,  dat  siechte"  (Delve  in  Dithm),  —  25.  Klingt  das 
rechte  Ohr,  so  klemme  die  Zungenspitze  zwischen  die  Zähne,  und  der  Verleumder 
beisst  sich  auf  die  Zunge  (Lunden).  —  26.  Klingt  einem  das  rechte  Ohr  und 
man  denkt  zufällig  an  diejenige  Person,  so  Böses  von  einem  redet,  so  ist  das  Ohren- 
klingen sofort  vorüber  (Dithm.).  —  27.  Klingt  das  Ohr  und  jemand  spricht  Böses 
von  einem,  so  schlage  man  sich  mit  der  Hand  an  das  klingende  Ohr,  und  der 
Betreffende  beisst  sich  ein  Stück  von  der  Zunge  ab  (Eckernförde).  —  28.  Wenn 
Kindern  die  Milchzähne  ausgehen,  so  müssen  sie  dieselben  in  der  Stube  fort- 
werfen (Angern:  unters  Bett  werfen)  und  sprechen:  „Mus,  ik  gev  di'n  ol'n  Tän, 
giv  mi  'n  nien  weller!"  Oder:  „Ich  gebe  dir  einen  goldenen  Zahn,  gib  mir  einen 
knöchernen  wieder  (Feddringen).  —  29.  Den  Zahn  muss  man  unter  einen  Schrank 
werfen  und  sprechen:  „Mus,  ik  bring  di'n  holten  Tän,  giv  mi  en  nien  weller,  de 
ni  gillt  (killt?),  de  ni  swillt,  de  ni  weh  deit  (Lunden).  —  30.  Auch  heisst  es: 
„Mus,   ik  gev  di  'n  Kus  (Backzahn),    giv  mi  'n  goH'n  Tän  weller!"     Oder:    „Hest 


Menghin:    Ein  Weihnachtszeltenspiel  aus  Tirol.  387 

mi'n  ol'n  Tän,  giv  nii  'n  nien  well'r!"  (Schwienhusen  bei  Delve).  —  31.  Man 
wirft  den  Zahn  in  ein  Mauseloch  und  spricht:  „Mus,  Mus,  ik  gev  di  'n  ol'n  Tän, 
giv  mi  'n  nien  weller !"  Auch  vergräbt  man  den  alten  Zahn  unter  der  Tür- 
schwelle (Lehe  bei  Lunden).  —  32.  In  Stapelholm  heisst  es:  „Mus,  ik  gev  di  'n 
ol'n  Tän,  giv  mi  'n  nien  weller,  de  ni  kellt,  de  ni  swellt,  de  ni  weh  deiti" 
(Drage  in  Stapelholm).  —  33.  Die  Zähne,  die  der  Mensch  später  verliert,  werden 
aufbewahrt  und  ihm  mit  in  den  Sarg  gelegt.  —  34.  Spricht  man  von  jemauden, 
so  ist  er  nicht  weit.  Wenn  man  vun  'n  Düvel  snakt,  so  is  he  nicht  wiet.  — 
35.  Wer  gern  und  viel  in  den  Spiegel  schaut,  dem  guckt  der  Teufel  über  die 
Schulter  (Dithm.)-  —  36.  Wenn  man  bei  Licht  in  den  Spiegel  sieht,  so  steht  der 
Teufel  hinter  einem  (Dithm.).  —  37.  Ein  Kind  muss  abends  nicht  in  den  Spiegel 
sehen,  sonst  steht  der  Teufel  hinter  ihm  (Schütze  4,  164).  —  38.  Abends,  wenn 
man  mit  dem  Pflug  vom  Felde  kommt,  muss  man  denselben  von  der  Schleife 
nehmen;  da  sonst  der  Teufel  darauf  (darunter)  ruht  (Schütze  3,  220).  — 
39.  Freimaurer  sind  böse  Leute  und  stehen  mit  dem  Teufel  im  Bunde.  Wer 
Mitglied  einer  Freimaurerloge  ist,  wird  stets  beobachtet.  Verrät  er  den  ge- 
leisteten Eid,  so  wird  er  getötet.  Von  jedem  Mitgliede  hat  man  ein  Bild,  und 
dann  sticht  man  mit  einer  Nadel  die  Stelle,  wo  das  Herz  sitzt,  und  —  er  muss 
sterben  (Dithm.).  —  40.  Geister  gehen  nachts  um,  und  es  gibt  weisse  oder 
himmlische,  bunte  oder  weltliche  und  schwarze  oder  höllische  (Lehe  bei  Lunden). 
—  41.  Will  man  in  der  Walpurgisnacht  die  Hexen  oder  was  man  will,  sehen,  so 
muss  man  sich  unter  zwei  an  einem  Kreuzwege  gegeneinander  aufgestellte  Eggen 
legen  (Schütze  1,  295).  —  42.  Wenn  ein  Schiff,  das  im  Hafen  liegt,  heftig  knackt, 
so  wird  es  untergehen  (Christiansholm  bei  Hohn  im  südl.  Schleswig).  —  43.  Wenn 
der  Klabautermann  sich  auf  einem  Schiff  sehen  oder  hören  lässt,  so  wird  das 
Schiff  untergehen  (Delve  in  Dithm.). 

Nachschrift.  Am  5.  Januar  1910  verstarb  zu  Dahrenwurtli  bei  Lunden  der  Lehrer 
Heinrich  Carstens,  geb.  1849  zu  Heuwisch,  ein  emsiger  Sammler  auf  dem  Gebiete  der 
holsteinischen  Volkskunde,  wie  seine  'Wanderungen  durch  Dithmarschen'  (1903.  1907)  und 
die  mit  F.  Höft  herausgegebene,  freilich  strengeren  wissenschaftlichen  Anforderungen 
nicht  genügende  Zeitschrift  'Am  Urdsbrunnen'  (1  —  6.  1881 — 89.  Am  Urquell  1.  1890; 
bezeugen. 


Ein  Weilinachtszeltenspiel  aus  Tirol. 

Mitgeteilt  von  Oswald  Menghin. 


Das  folgeude  Stück  gehört  einem  nicht  unbekannten  Typus  der  volks- 
tümlichen Tiroler  Dichtung  an.  Der  Weihnachtszeiten,  den  die  pietät- 
lose Fremdenindustrie  unter  dem  geschmeidigeren  Titel  'Tiroler-Früchten- 
brot' das  ganze  Jahr  hindurch  herstellt,  spielt  bei  der  tirolischen  Weihnachts- 
feier eine  grosse  Rolle.  Nur  zu  Weihnacliten  leistet  sich  der  Bauer,  der  auf 
Religion  und  alten  Brauch  noch  etwas  hält,  diese  edle  Speise.  Was  Wunder, 
dass  der  Anschnitt  des  Zeltens,    den    die  Sehnsucht  der  Kinder  kaum  er- 

25* 


388  Menghin: 

warten  kann,  in  vielen  Gegenden  unter  feierlichen  Zeremonien  statt- 
findet, und  dass  das  köstliche  Gebäck  auch  als  gern  gesehenes  Geschenk, 
besonders  unter  Liebenden,  verwendet  wird! 

Ärmere  Leute,  die  sich  den  Zelten  nicht  selbst  zu  backen  vermögen, 
suchen  ihn  von  wohlsteheuden  Bauern  durch  Aufführung  eines  Spieles  zu 
erlangen;  solchem  Zwecke  entsprang  das  nachstehende  Stück.  Ein  Bauern- 
dichter, S.  Klocker  aus  Axams  bei  Innsbruck,  Kerschbuchhofer  in  Hötting, 
hat  Text  und  Weisen  im  Jahre  1853  geschaffen.  Er  muss  seinen  Spass 
an  derlei  Dingen  gehabt  haben,  da  er  selbst  die  Hauptrolle,  den  Wald- 
gott ^),  gab.  Die  übrigen  Rollen  waren  durch  Knechte  und  Senner  besetzt. 
Zu  Perchtalhof,  Sennerhof,  Sauerweinhof,  Danielhof,  ötztalerhof,  Zircherhof, 
Kranewicken  und  beim  Fritz,  lauter  in  Hötting  gelegenen  Höfen,  kam  das 
Stück  in  den  Weihnachtsfeiertagen  des  obgenannten  Jahres  zur  Aufführnng. 
Neben  jenen  materiellen  Zwecken  verfolgten  die  Darsteller  aber  auch 
einen  lehrhaften:  sie  wollten  die  Bauern  darauf  aufmerksam  machen,  wie 
sehr  sie  den  Wäldern  durch  unvernünftiges  Schlagen  und  insbesondere 
durch  die  damals  aufgekommenen  eisernen  Rechen  zur  Streusammlung 
schadeten. 

Das  vorliegende  Stück  hat  sich  nur  durch  einen  Zufall  erhalten. 
Obgleich  es  ungemein  gefiel,  die  Darsteller  in  einigen  Gasthöfen  zu 
Hötting  auftreten  mussten,  ja  sogar  nach  Innsbruck  verlangt  wurden,  kam 
es  in  den  folgenden  Jahren  nicht  mehr  zur  Aufführung  und  geriet  endlich 
in  Vergessenheit.  Aber  in  einem  der  ehemaligen  Spieler,  dem  letzten, 
der  noch  lebt,  hat  es  sich  erhalten.  Herr  Alois  Mayr,  geboren  zu  Yöls 
bei  Innsbruck,  seit  langem  in  Meran  wohnhaft,  war  als  ITjähriger  Bursche 
am  Sennerhof  bedienstet  und  hatte  die  Aufführung  des  Stückes  zu  über- 
wachen, beteiligte  sich  auch  an  der  Ausarbeitung  der  Gesänge.  Der  nun 
wusste  trotz  seines  hohen  Alters  von  73  Jahren  Text  und  Melodie  des 
Spieles  noch  vollkommen  auswendig.  Herr  Otto  Mayr  schrieb  auf  den 
Wunsch  seines  Vaters  die  Verse  nieder,  Herr  Lehrer  Josef  Moll  in 
Meran  zeichnete  den  gesanglichen  Teil  auf. 

Hier  gebe  ich  das  Stück  genau  nach  der  Niederschrift  des  Herrn 
Otto  Mayr.  Sie  bietet,  da  Herr  Mayr,  obwohl  in  der  Stadt  lebend,  den 
Zusammenhang  mit  dem  Volke  sich  noch  ganz  gewahrt  hat,  ein  getreues 
Bild  des  sogenannten  Bauernhochdeutsch,  einer  konsequenzlosen  Mischung 
von  Schriftsprache  und  Dialekt.  Nur  einige  wenige  orthographische 
Kleinigkeiten  habe  ich  verändert  und  schwer  verständlichen  Worten  Er- 
klärungen beigefügt. 

Wien. 


1)  (Oben  7,  435  ist  ein  Singspiel   'Der  grosse  Waldgott'    etwa    aus  dem  Anfang 
es  19.  Jahrhunderts  erwähnt,  dessen  Hs.  L.  v.  Hörmann  in  Innsbruck  besitzt.] 


Ein  Weihnachtszeltenspiel  ans  Tirol. 


389 


Weihnachtszelten  spiel. 

Personen: 

Der  Vorläufer. 


Der  Waldgott. 
Die  Fichte. 
Die  Kiefer. 


Die  Birke. 

Die  Lärche  (auch  Echo). 

Der  Bauer. 

Der  Kehraus. 


Kostüme: 


Der  Vorläufer:  Rote  Bluse  mit  Ledergürtel,  am  Kopfe  eine  rot -wollene  Türkenmütze 
(Fes)  mit  weisser  Flaumfeder  vorne;  in  der  Rechten  einen  Stab  mit  bunten  Bändern, 
der  zum  Platzmachen  dient. 

Der  Waldgott:  Mantel,  ganz  mit  Baumbart  bedeckt  und  von  feinem  Silberflitter  durch- 
zogen: langes  Kopfhaar  und  Vollbart  aus  Baumbart,  in  der  Rechten  einen  Stab 
mit  Waldfrüchten  geziert. 

Die  Bäume:    Jeder  Darsteller  mit  Zweigen  seines  Baumes  ganz  bedeckt;  am  Kopfe  eine 

kleine  Baumkrone. 
Der  Bauer:    Natioualkostüm,  eiue  Hacke  unterm  Arm. 
Der  Kehraus:    Dorfteppartig  gekleidet,   mit  grossem  Birkenbesen:   sehr  witzig,   hat  es 

besonders  auf  die  Weiber  und  etwa  in  der  Stube  anwesende  Liebespaare  abgesehen. 


Prolog. 

Vorläufer  (in  die  Stube  tretend); 

Hochwertgeschätzte  Freunde, 
Gott  grüß  euch  all  beisammen! 
Ihr  wisset  es  vielleicht, 
Warum  ich  her  bin  kommen. 
Wir  haben  uns  auf  heut 
Ein  Kurzweil  unternommen: 
Ein  Schauspiel  wird  es  halt. 
Vom  Waldgott  angefangen. 
Meine  Laufbahn  ist  als  heut. 
An  alle  Ort  und  End, 
Wohin  ich  immer  komme, 
Zu  machen  mein  Kompliment. 
Ich  komme  als  ein  Kurier, 
Als  Läufer  und  als  Bot, 
Es  kommet  gleich  nach  mir 
Der  große  Wäldergott, 
Der  hier  ein  Auftritt  macht 
Mit  seinem  Waldkonvent, 
Weil  man  bei  Tag  und  Nacht 
Jetzt  so  viel  Holz  verbrennt. 
Ein  Bauer  kommet  auch, 
Der  schreit  den  Wald  voll  ein; 
Sein  Widerhall,  meint  er. 
Das  muß  ein  GeistP)  sein. 
Und  weil  der  Bauer  noch  mehr 


Den  Wald  will  niedermachn, 
Laßt  der  Waldgott  nix  mehr  her 
Als  nur  zum  Zeltn  bachn. 
Doch  endlich  laßt  uns  geltn. 
Hält  mit  sein  Lärmen  ein; 
Denkt  ihm:  wenn  nur  die  Zeltn 
Recht  wohl  geraten  sein. 
Dann  singt  noch  der  Konvent 
Ein  Liedlein  zum  Beschluß; 
Dann  hat  das  Spiel  ein  End 
Und  ÖS  öpper^)  koan  Verdruß. 

(Platz  machend.) 

Nun  aber  machet  Platz, 
Räumt  alles  auf  die  Seitn! 
Der  Waldgott  kommt  herein 
Mit  seinen  Edelleutn. 
Indessen  will  ich  gehn, 
Ihr  alle,  lebet  wohl! 
Weil  ich  Vorläufer  bin, 
Mich  weiter  machen  soll.     (Ab.) 

I.  Auftritt. 

W  a  1  d  g  0 1 1 : 
Ich  bin  ein  edler  Greis, 
Waldgott  tu  ich  mich  nennen; 
Komm  her  aus  finstrem  Gsträuß, 
Laß  mich  durch  nichts  verbrennen. 
Ich  bin  schon  lang  im  Wald, 


1)  Gespenst  —  2)  ihr  etwa. 


390 


Menghin : 


60   Seitdem  die  Welt  ersctiaffn, 
Und  hab  bis  jetzt  noch  meist 
So  leidlich  ruhig  gschlafn. 
Aber  weil  jetzt  so  viel  Bäum 
Im  "Wald  werdn  niedergschnittn, 

55   Drum  derleid  is  jetztn  kam, 


Wia  is  früher  hun  derlittn. 
Drum  moch  i  jetzt  an  Ernst; 
Es  kunn  nit  anders  sein, 
Und  daß  i  mi  kunn  wehrn. 
Drum  ruaf  i  meine  Bäum. 


Ihr  Bäu-me  steigt  her-aus 
Es    ruft  euch  eu  -  er  Gott, 


aus  finst-rer  Er  -  de  Schoss,  be-  waff-net  euch  mit 
ja  weil  die  Bau-  ern-rott      sich  wie- der  mei-  ne 


Stär-ke 
Macht 


m^m^m^^^^ 


und  brecht  die  Wur-  zeln  los ! ') 


und  meinen  Thron  will  setzen,  sich 


^i^^^^ip^; 


.izr.^r=i^5=3=. 


—1-?  - 
-ä.—^-i-i': 


3 


:izz_-=:iff 


schon  die  Hacken  wet-zen,  da  -  mit  ich  mei-neu Mut  und  Stär-ke    zei-gen     kann. 


,-a!f5 ^^. 


1.  Lasst  hö-ren,  wie    ra- send,  feu-er  -  fun-keln-des  Blit-zen!  Ver  -  lan- ge    Ge- 

2.  Ihr    wil-  de-sten  Höh-len    der  Lö-  wen  und   Bä-  ren,  der    Wöl-fe     und 

3.  Kommt,  rieht  euch  zur  Waffe,      ihr  Feichten  nud  Lär-che,  ver  -  til  -  get  den 


m 


1.  hor-sam  und     Wil-len -)  von  euch.Kommt,helft  mir  meinThron  und  die  Macht  un-ter- 

2.  Ti  -  ger,brechtauf  doch  ein-mal,      da  -    mit  ihr  nicht    säu- met  den  Wald  zu  ver- 

3.  Stachel!    Dies     sei  nun  mein  Will.  Laub- höl-zer    und     Zir- men^),zeigt  auch  eu-re 


-^^ 


1.  stüt-zen,  er  -  schüt-tert  im    Abgrund  das  ir  -  di  -  sehe  Reich! 

2.  meh-reD,und    wir  uns    er  -  götzen    im         jauchzen-den  Schall! 

3.  Stär-ke    und    las  -  set  den  Bauern   1:  zu  derHacknko-an     Stiel!  :| 


1)  Wird  hinter  der  Türe  durch  Abbrechen  von  Holz  nachgeahmt. 

2)  Willigkeit.  —  3)  Zirbelkiefer. 


Ein  VVeihnachtszeltenspiel  aus  Tirol. 


391 


2.  Auftritt. 

(Die  vier  Bäame.    Waldgott  bleibt  in  der 
Mitte  stehn). 

Alle  vier  Bäume 

(singen  nach  derselben  Melodie): 

0  Gott  und  Gebieter,  siegreicher 
Florierer, 
«5   Dein  Reich  ist  gestützet  auf  festesten 
Grund. 

Du  Unüberwindlicher,  stets  Trium- 
phierer, 

Ja  wenn  du's  befehlest,  :,:  geht  alles 
zugrund  :,: 

Wir  stehn  allzeit  bereit. 

Zu  folgen  dein  Begehren; 
90   Das  ist  ja  unsre  Freud, 

Die  Hacken  zu  zerstören. 

Waldgott: 
Ein  jeder  Bauersmann  spricht: 
Ihr  sollet  in  die  Flammen! 

Die  Bäume: 
Das  soll  uns  treffen  nicht, 
95   Wir  schwören's  alle  zusammen! 

Fichte: 
Ich  schwinge  meine  Äst, 
Schlag  ihm  die  Augen  ein; 
Ich  glaub,  es  ist  das  Best, 
Wenn  er  stockblind  tuat  sein. 
100   Wenn  mich  die  Bauernrott 
Von  meinen  Sitz  will  heben. 
Ich  schwör s  bei  meinem  Gott: 
Ich  geh  ihnen  auf  das  Leben. 

Kiefer: 
Wenn  er  mi  hackt  und  zuawer- 
stehet'), 

loö   So  stell  i  mi  grad  faul, 

Und  wenn  er  sunst  nit  weiter  geaht, 
Wirf  i  d'n2)  a  Schoat^)  ins  Maul, 
Daß  ihm  grod's  Bluat  hearrinnt, 
Und  sollt  er  a  drum  sterben; 

110   Do  moch  i  mir  koan  Wind, 
Weil  er  ins  will  verderben. 


Birke: 
Weil  i  die  Birken  bin, 
Tuat  mir  koan  Axt  nit  weah; 
Wenn  ober  der  Kehraus  kimmt. 
Stutzt  er  mi  sauber  hear.  ns 

I  kunn  ihms  a  mit  wehrn. 
Wenn  er  mir  nimmt  die  Reiser, 
Weil  er  muaß  sauber  kehrn 
Fast  gar  in  alle  Häuser. 
Und  kehrn  tuat  er  sauber  120 

Mit  seinen  groaßn  Ratzn*) 
Und  hin  und  hin  tuat  er  nix 
Als  die  Weiberleut  recht  tratzn').  . 

Waldgott: 

Nun,  also  ist  es  recht, 

Tiat  nur  koan  Hieb  verschonen,  125 

Ihr,  meine  getreuen  Knecht! 

Ich  werd  euch  schon  belohnen. 

3.  Auftritt. 

Bauer   (mit  einer  Hacke  unterm  Arm 
hereinspringend; : 

Was  hör  i  in  dem  Wald? 

Wer  will  mir  widersprechn? 

Wenn  mir  der  erste  fallt,  iso 

Muaß  a  der  zweite  brechn. 

Mei  Hack  ist  voller  Schneid, 

Die  alles  niedermacht; 

Vor  mir  der  Wald  nit  leit. 

Gib  i  nit  iander^)  nach.  135 

Brauch  Besn-,  Gabi,  Rechenstiel, 

Muaß  Ladn,  Schindln  machn. 

Und  mein  Weib  braucht  a  gor  viel, 

Voraus  zum  Zeltn  bachn. 

Dös  wur'^)  a  Handl  fein  iio 

Und  erst  die  Weiberleut! 

Dö  kriagatn  ja  den  Ziepf^) 

Oeatzt^)  bei  der  kaltn  Zeit. 

Do  hättets  ös*°)  die  Schuld, 

Wenn  mir  oane  derfriern  soll;  145 

I  war  ja  gor  koan  Stund 

Meahr  sicher  in  Tirol. 

Lärche    (Echo):   Tirol! — 

Bauer  (sich  umdrehend); 

Wer  antert";  mi  denn  do? 

Den  gab  i  glei  a  Schnol^^)!  150 


1)  herzusteht  —  2)  ich  ihm  —  3)  Rindenstück  —  4)  Schnurrbart,  hier  scherzhaft  für 
Besen  —  5)  necken  —  6)  eher  —  7)  würde  —  S)  Pips,  eine  Krankheit  des  Geflügels  — 
9)  jetzt  —  10)  ihr  —  11)  äfft  nach  —  12)  Ohrfeige. 


392 


Menghin : 


Lärche: 

Echo  hats  getan, 
Dei  eigner  Widerhall! 

Bauer  (für  sich): 

Echo?  was  ist  das  für  a  Vieh? 

Dös  möcht  i  gearn  söchn; 
155   AVerd  öpper^)  woll  nit  gifti  sein, 

Nor  kann  miar  ja  nix  gschöchn. 

Es  tuet  als  wia  a  Mensch; 

Moanst  net,  es  warn  zwoa; 

Wenn  mi  mei  AVeiberl  antern  tuat, 
160   Ist  grad  a  so  a  Gschroa. 

Lärche: 

Schrei  du  nur  Echo  frei, 
So  werd  es  si  schun  mahrn^), 
Und  wenn  dus  nor^)  der  wischt, 
Muaßt  gschwinn  an  Stoan  drau 
schwarn*). 

165   Bauer  (schreit)-.   EchooGOOo! 


Lärche:  Echoooooo! 

I  bin  allzeit  bereit 
An  jedn  Antwort  z'  gebn; 
Mags  sein,  wer's  immer  will, 
Tua  i  mei  Stimm  erhebn. 
Er  mag  lateinisch,  deutsch, 
Wohl  gar  französisch  lachn; 
Dös  ist  mir  koane  Kunst, 
Ihm  alles  nach  zu  machn. 
Gar  alle  Tier  und  Vögl, 
Was  immer  schreit  und  bellt, 
Dö  kennen  meine  Stimm, 
Fast  in  der  ganzen  Welt. 
I  bin  schun  lang  im  Wald, 


Schun  bei  sechstausend  Jahr; 
Wer  nur  ein  wenig  schreit, 
Hört  mich  ein  jeder  Narr. 

Bauer    (für  sich): 

Dös  muaß  a  Wichtele  sein. 
Dös  gor  so  's  Maul  auslaart^); 
Den  möcht  i  gearn  kennen, 
Dear  do  an  Stoan  drau  schwärt. 
Der  Geist  verhindert  mi. 
Daß  i  nit  Holz  kann  fällen; 
Hon  dechterst**)  heut  no  glabt 
A  zwoa  drei  nieder  z'  schnölln'). 

Waldgott: 
Da  laßt  man  dir  schun  Holz, 
Voraus  zum  Zeltn  bachn; 
Was  krump  und  schadhaft  ist. 
Kannst  alles  niedermachn. 

Pichte: 
I  gib  an  Ast! 

Kiefer: 
Und  i  an  ganzn  Stamm! 

Birke: 

Es  ist  grod  souvl^)  a  guate  Kost! 

Alle: 
Do  helfn  miar  alle  z'samm! 

Waldgott: 
Dann  singen  wir  zum  Schluß 
Ein  saubres  Lobgesang, 
Und  dös  im  Augenblick. 
Drum  zaudert  nit  so  lang! 


Waldgott  und  die  vier  Bäume   (singen) 


Auf, 


auf    ihr    Bau  -  me,     schreit  und  singt,     dass      uns 


je 


der 


\^^^^M 


J 1 K 1 1- ' 


1)  etwa  —   2)  so  wird  es  sich  schon  melden   —    :'>)  dann  —  4)  pressen   —   5)  aus- 
leert —  6)  doch  —  7)  niederzuhauen  —  8)  gerade  so  viel. 


Ein  "Weihnachtszeltenspiel  aus  Tirol. 


393 


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■    I    M • 1 1 1 1-^ W S<| , 


heart, 


dass's    Maul  schiar      aus    den  An  -  geln  springt!    Der 


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c^ ! — ^ — I — [-^^r — t;-— ^ — r -^ 


1.     Zeltn 


J.-^-^     * 


äf^n^^f—^- 


ist' 
--J- 


weart. 


fe 


2.  Holz  schaffn  miar  euch  in 

Überfluß, 
Larch,  Feichte,  kloan  und  groaß, 
Damit  die  Madin  koan  Verdruß; 
•jio   So  werd  der  Ofen  hoaß. 

3.  Birnen-,  Äpfl-,  alle  Bam, 
Dö  stiahn  in  unsern  Wald, 

Und  wenn  man  halt  koan  Obst  bekam. 
So  warn  die  Zeltn  galt*). 

215       4.  Beim  Ofenloch  ists  Weiberchor, 
Die  ganze  Zeltnweich-); 
Bald  oane  schreit,   bald  Poor  und 

Poor, 
Z'löscht^)  Schrein  sie  alle  z'gleich. 

5.  Und  wenn  s'n  öpper  gar  ver- 

brennt, 
2-'o   Daß  's  öpper  nit  gschwind  reart*); 
So  höbt  fürs  Maul  glei  boade  Hand, 
Daß  mans  nit  weiter  heart! 

6.  Dö  Vesper  dauert  oft  lange  Zeit, 
Bis  er  ist  ausgebacht^); 

.-.'3   Frau  Wirtin  hat  aus  lauter  Freud 
'Te  deum  laudamus'  gmacht. 


AValdgott   (zu  den  Bäumen): 

Jatzt  ziachn  miar  giahn^)  ab. 
Bleibt  miar  fein  koaner  hintn! 

(Zu  den  Zuschauern). 

Und  ös  kemmts  a  zu  ins"), 

Im  Wald  a  Ströbe®)  schindn. 

In  Wosn^)  laßts  miar  liegn! 

Grund  und  Bodn  gheart  nou^")  mein; 

Wenn  i  enk")  die  Gratn^'^)  laß. 

So  kennts  schun  zfrieden  sein. 

(Zu  den  Bäumen). 

Und  wenn  die  'eisernen  Rechen'  ; 

Einreißen  in  mein  Reich, 
So  ziacht  mit  mir  ins  Feld 
Und  wehrt  enk  alle  z'gleich! 

Alle  Bäume: 

Miar  schwörn  alle  zsammen: 
Miar  leidn  koan  eisernen  Rechn.  : 

Sonst  schlagn  miar  zua,  bis  uns 
Die  ganze  Macht  möcht  brechn. 

(Alle  ab). 

Epilog. 

Kehraus   (mit  einem  grossen  Birkenbesen): 

Weil  i  der  Kehraus  bin, 
Muaß  i  halt  zletztn  kemman; 


1)  abgetan  —  2)  Zeltenweihe  —  3)  zuletzt  —  4)  weint  —  5)  ausgebacken 
<i)  gehn  (adverb.)  —  7)  ihr  kommt  auch  zu  uns  —  S)  Streu  —  i»)  Rasen  —  10)  noch 
11)  euch  —  12)  Gräten. 


394  Schnippel: 

245   Den  Zeltn,  den  die  oan^)  nit  ein-  Was  miar  nit  recht  tuat  taugn; 

packt  habm,  Drum  machts  mi  fleißig  sein 

Den  werd  halt  i  miar  nemman.  Und  in  die  Winkel  schaugen. 

Der  Kehraus,  hätt  halt  noat,  Weil  jetzt  ober^)  alls  sauber  ist, 

Der  schauget^)  in  alle  Winkel,  So  geah  i  wieder  fort; 

Ob  wohl  koan  ungleichs  Gschlecht  Nimm  mein  Besen  über  die  Achsl 

250  Beieinander  in  der  Dünkel.  Und  kehr  in  an  andern  Ort. 

Und  alles  kehr  i  aus, 


Kleine  Mitteilungen. 


Leichenwasser  und  Geisterglaube  in  Ostpreussen. 

Im  Anschluss  an  den  inhaltsreichen  Aufsatz  von  P.  Sartori  'Das  Wasser  im 
Totengebrauche'  (oben  18,  .359)  sind  vielleicht  die  nachfolgenden  Mitteilungen  von 
Interesse,  die  ich  aus  Anlass  eines  ganz  neuerdings  beobachteten  Falles  gesammelt 
habe  —  wobei  ich  aber  noch  ausdrücklich  hervorheben  will,  dass  sie  zusammen- 
gestellt sind,  noch  ehe  ich  jenen  Aufsatz  kannte.  Sie  beziehen  sich  auf  einen 
auffallenden  und,  wie  ich  nunmehr  ermitteln  konnte,  in  gewissen  Teilen  Ostpreussens 
noch  immer  gar  nicht  ganz  seltenen  abergläubischen  Brauch,  der  sich  aber  meist 
im  Verborgenen  abspielt  und  so  auch  mir,  der  ich  seit  einem  Menschenalter 
Land  und  Leute  recht  gut  zu  kennen  glaubte,  wunderlicherweise  gänzlich  un- 
bekannt geblieben  war.  Er  begegnete  mir  zum  ersten  Male  am  13.  September  1909  in 
unserem  Städtchen,  das,  im  ostpreussischen  Oberlande  genau  auf  der  Sprachgrenze 
gelegen,  etwa  15  000  grösstenteils  evangelische  Bewohner  zählt  und  im  allgemeinen 
einer  'der  Neuzeit  entsprechenden'  Aufklärung  huldigt.  Abgesehen  von  kurzen, 
nur  die  Tatsache  selbst  bestätigenden  Erwähnungen  bei  M.  Toppen,  E.  Lemke  und 
M.  Philipp  ist  er,  soweit  ich  sehe,  der  volkskundlichen  Literatur  unserer  Provinz 
ebenfalls  völlig  fremd  geblieben. 

Bei  der  Beerdigung  einer  hochbetagten,  würdigen,  dem  besseren  Mittelstande 
angehörigen  Witwe  trat,  als  der  Leichenzug  sich  in  Bewegung  setzen  sollte,  aus 
dem  Trauerhause  eine  alte  Frau  heraus  mit  einer  grossen  verdeckten  irdenen 
Schüssel  und  goss,  noch  bevor  die  Leidtragenden  herbeigekommen  waren,  eine 
ziemliche  Menge  schmutzigen  Wassers  gegen  den  Sarg  hin  auf  den  Boden,  so  dass 
der  begleitende  Pfarrer  beinahe  stark  bespritzt  wurde.  Die  Umstehenden  waren 
entrüstet,  die  Alte  aber,  die  beim  Ausgiessen  einige  unverständliche  Worte  ge- 
murmelt hatte,  ging  befriedigt  von  dannen;  offenbar  hatte  sie  nicht  etwa  den  An- 
gehörigen oder  gar  dem  Andenken  der  allgemein  geachteten  Toten  einen  Possen 
spielen  wollen,  sondern  freute  sich  anscheinend  des  Bewusstseins,  ein  gutes  Werk 
getan  zu  haben.  Und  ein  dabeistehendes  junges  Dienstmädchen,  das  die  Sache 
ebenfalls  mit  angesehen  hatte,  sagte:  „Das  ist  nur  recht  gut,  dass  sie  das  getan 
hat;    nun  kann  der  Tod  nicht  ins  Haus  zurückkommen."     Sie  hatte  schon  vorher 


1)  einen  —  2)  schaute  —  3)  aber. 


Kleine  Mitteilungen.  395 

die  Besorgnis  geäussert,  es  könne  der  Tod,  der  von  unserer  niederen  Bevölkerung, 
zumal  der  weiblichen,  als  leibhaftig  uraherwandelnd  gedacht  wird^),  nochmals 
wiederkehren,  vielleicht  weil  gerade  ein  Kind  in  demselben  Hause  schwer  krank 
lag.  Andere  sagten,  das  sei  ein  alter  Brauch,  und  das  Weib  habe  so  getan, 
damit  der  Tod  nicht  übers  Wasser  kommen  könne.  Die  Alte  selber,  später  zur 
Rede  gestellt,  erwiderte  höchst  erstaunt:  „Das  wissen  Sie  nicht?  Das  muss  so 
sein;  denn  sonst  geschieht  im  Hause  oder  in  der  Familie  ein  Unglück.'-  —  Die 
Schüssel  hatte  sie  sogleich  nachher  zertrümmert,  damit  'der  Tod  erschlagen'  werde. 

Nähere  Erkundigungen  meinerseits  ergaben  alsdann  noch  Folgendes.  Das  aus- 
gegossene Wasser  war  Leichen w asser,  d.  h.  dasjenige,  womit  die  Alte  (nicht 
etwa  eine  gewerbsmässig  tätige  Leichenwäscherin,  sondern  eine  wackere  ältere 
Aufwartefrau  und  nur  gelegentlich  zu  diesem  Dienst  herangezogen)  die  Gestorbene 
gewaschen  hatte.  Und  das  gilt  allerdings  als  ein  ganz  besonderer  Saft.  In  der  Tat 
hatte  sie  geglaubt,  dass  das  Wasser  einen  kleinen  Bach  bilde,  der  für  den  Tod 
unüberschreitbar  sei;  sie  mache  das  stets  so,  wenn  sie  jenen  Dienst  zu  leisten  habe. 
Ob  dabei  aber  vielleicht  auch  an  den  Gestorbenen  selbst  gedacht  war,  dessen 
Wiederkehr  etwa  befürchtet  wurde  und  der  andere  'nachholen'  könnte,  war  nicht 
mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  Jedenfalls  hatte  sie,  wie  sich  nachträglich  ergab,  das 
Leichenwasser  wie  immer  im  Sterbezimmer  selber  unter  einem  Sopha  sorglich 
verwahrt,  um  es  dann  auf  der  Strasse  ausgiessen  zu  können.  —  Auch  der  beteiligte 
Geistliche  bestätigte  mir  nicht  nur  die  Tatsache  selber,  sondern  konnte  des  weiteren 
berichten,  dass  der  Brauch  namentlich  bei  der  niederen  Bevölkerung  der  Vor- 
städte trotz  seines  Protestes  gegen  den  'Aberglauben'  noch  immer  vorkomme, 
allerdings  gewöhnlich  möglichst  heimlich  vollzogen  werde.  Meist  seien  es  die 
Angehörigen  des  Toten,  die  das  Wasser  ausgössen  oder  aber  auch  den  'Topf 
mit  dem  Leichenwasser  samt  den  beim  Abwaschen  der  Leiche  gebrauchten 
Lappen  vor  den  Leichenwagen  stellten,  damit  er  von  diesem  entzweigefahren 
werde.  Das  solle  verhindern,  dass  der  Tod  noch  ein  weiteres  Mitglied  der 
Familie  hole.  —  Ebenso  kannte  auch  der  Geistliche  der  Landgemeinde  aus  seinem 
ganzen,  sehr  ausgedehnten  und  bereits  halbpolnischen  Kirchspiel  den  noch  immer 
überall  trotz  des  Verbotes  geübten  Brauch,  beim  Abfahren  der  Leiche  die  Schüssel 
mit  dem  Leichenwasser  zu  zerfahren,  so  dass  das  Wasser  umherspritzt. 
Seines  Wissens  geschehe  dies,  damit  der  Geist  des  Verstorbenen  Ruhe  finde,  oder 
aber  damit  er  nicht  ins  Haus  zurückkommen  und  die  Hinterbliebenen  ängstigen  könne. 

Was  die  Verbreitung  der  Sitte  anbetrifft,  so  scheint  sie,  soweit  ich  habe  fest- 
stellen können,  sich  im  wesentlichen  auf  die  beiden,  für  die  Volkskunde  so  er- 
giebigen Landschaften  Oberland  und  Ermland  zu  beschränken.  Für  letzteres  be- 
richtet M.  Philipp  in  seiner  ausserordentlich  inhaltsreichen  Dissertation  'Beiträge 
zur  ermländischen  Volkskunde'  (Greifswald  190G)  S.  123  dazu  noch,  dass  das 
Schreiten  über  die  Schüssel  mit  dem  Leichenwasser  Krankheiten  verursacht: 
„Darum  lässt  man  sie  vom  abfahrenden  Wagen  zertrümmern  oder  giesst  das 
Wasser  dem  Rade  nach"  —  wozu  er  aber  auch  die  in  der  deutschen  Mythologie 
vielfach  zu  belegende,  die  Geister  abwehrende  Kraft  des  Wassers  vergleicht,  mit 
Verweis  auf  Grimm,  Deutsche  Mythologie  S.  90  und  786,  Müllenhoff,  Sagen  Nr.  429  ■^)t 


1)  „Neulich  ging  er  (nämlich  der  Tod)  hinter  mir  her,  er  ging  dann  aber  weiter 
nach  der  Vorstadt."  So  erzählte  erst  kürzlich  in  vollstem  Glauben  ein  jüngeres  Aufwarte- 
mädchen. 

2)  Er  hätte  auch  auf  den  Nachen  des  Charon  verweisen  können.  Dass  Geister  'nicht 
übers  \Y asser'  können,  sagt  u.  a.  E.  Mogk  bei  H.  Meyer,  Deutsches  Volkstum  S.  32S  n.  sonst, 
und  Sartori,  oben  IS,  SGi.  n6ö.  3G7. 


396  Schnippel: 

Die  Angaben  bei  M.  Toppen,  Aberglauben  aus  Masuren  1867,  S.  108  (Sartori, 
S.  359),  beziehen  sich  ebenfalls  grösstenteils  auf  das  Oberland  (Hohenstein  und 
Gilgenburg),  nur  Willenberg,  Kr.  Orteisburg,  wo  'es  spukt',  wenn  die  Schüssel 
mit  dem  Leichenwasser  nicht  dem  Sarge  aus  dem  Hause  'nachgeworfen'  wird^), 
gehört  bereits  dem  eigentlichen  Masuren  an.  Aus  Hohenstein  weiss  er  noch  zu 
vermelden,  das  Ausgiessen  des  Wassers  solle  bedeuten:  „wenn  der  Geist  des 
Toten  zurückkommen  will,  wird  ein  See  vor  dem  Hause  sein,  und  da  kann  er 
nicht  hinüber."  Und  ebenso  aus  Gilgenburg,  dass  auch  der  Kamm,  mit  welchem 
man  die  Leiche  gekämmt  hat,  erst  mit  dem  Leichenwasser  zusammen  bei  dem 
Hinaustragen  hinausgeschafft  wird.  Insbesondere  ist  auch  im  nördlichen  —  rein 
deutschen  —  Oberlande,  den  Kreisen  Pr.  Holland  und  Mohrungen,  der  Gebrauch 
des  ausgeschütteten  Leichenwassers  nach  persönlichen  Mitteilungen  „früher"  nicht 
unbekannt  gewesen;  aus  der  Saalfelder  Gegend  gibt  Frl.  E.  Lemke,  Volkstümliches 
aus  Ostpreussen  1,  56  (Mohrungen  1884;  vgl.  oben  18,  359)  noch  an,  dass  die 
aufbewahrte  Schüssel  mit  dem  Leichenwasser  am  Rade  des  Leichenwagens  zer- 
schlagen wird.  „Wird  das  Wasser  vor  dem  Begräbnistage  fortgegossen,  so 
findet  der  Tote  keine  Ruhe."  Aber  gerade  auch  das  Zerschlagen  der  Töpfe 
und  Schüsseln  ist  etwas  Wesentliches,  vgl.  oben  18,  356;  365  Anm.,  367  u.  ö. 

Nachträglich  erfahre  ich  noch,  dass  auch  in  vielen  Teilen  des  angrenzenden 
Königreichs  (d.  h.  Russisch-)  Polen  das  Ausgiessen  des  Leichenwassers  früher  sehr 
verbreitet  war  und  hin  und  wieder  noch  vorkommt,  doch  so,  dass  (wie  so  oft)  es 
kaum  auszumachen  ist,  ob  der  polnische  Brauch  dem  preussischen,  oder  der 
preussische  dem  polnischen  entlehnt  ist,  oder  ob  beide  in  einer  älteren  'slawisch- 
germanischen Kulturgemeinschaft'  (V.  Hehn)  ihren  Ursprung  haben.  Ebenso  wird 
mir  berichtet,  dass  noch  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  jene  Sitte  auch 
bei  vornehmeren  Toten  oft  geübt  ward:  im  Jahre  1853  schüttete  z.  B.  in  Osterwein 
die  'Wirtin'  dem  Kinde  der  adligen  Herrschaft  das  Leichenwasser  nach,  wobei  es 
als  der  tiefere  Sinn  gegolten  habe,  dass  mit  diesem  Wasser  nun  alles,  auch  das 
letzte  Körperliche  vom  Toten  aus  dem  Hause  der  Lebenden  hinweggeführt  sei. 
Namentlich  aber  schreibt  mir  Frl.  Elise  Witt  in  Königsberg  bezüglich  jenes  Teiles 
des  ostpreussischen  Oberlandes,  den  einst  Max  v.  Schenkendorf  in  seinem  Gedichte 
'Das  Lied  von  den  drei  Grafen'  so  begeistert  als  das  'schöne  Oberland'  pries,  d.  h.  der 
anmutigen  Landschaft  links  von  der  unteren  Passarge,  über  die  in  Rede  stehende 
Sitte  und  den  damit  zusammenhängenden  Geisterglauben  aus  eigener  Erfahrung 
folgendes,  was  mir  von  anderen  Seiten  durchaus  bestätigt  wird: 

„Die  Sitte,  das  Leichenwasser  beim  Begräbnis  dem  Sarge  nachzugiessen, 
bestand  dort  noch  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  vergangenen  Jahrhunderts. 
Gemeint  ist  das  Wasser,  mit  welchem  man  die  Leiche  abwäscht,  ehe  sie  auf  das 
sogenannte  Leichenbrett  gelegt  wird 2).  Dieses  Totenwasser  wurde  in  einer 
Schale  unter  das  Leichenbrett^)  gestellt  und  nach  erfolgter  Einsargung  der  Leiche 
anderswo  sorgfältig  aufbewahrt.  Beim  Hinaustragen  der  Leiche  aus  dem  Sterbe- 
hause folgte  jemand  möglichst  unbemerkt  der  Leiche  mit  dem  Totenwasser.  War 
der  Leichenzug  etwa  100  Schritte  vom  Sterbehause  entfernt,  so  wurde  die  Schale 
mit  dem  Wasser  der  Leiche  nachgeworfen,  so  dass  sie  zerbrach.  Wurde  die 
Leiche  auf  einem  Wagen  zum  Friedhofe  gebracht,   so  zerschellte  man  das  Gefäss 


1)  Vgl.  Sartori  oben  18,  3G4. 

2)  „Die  Leiche  liegt  auf  dem  Brett"  ist  eine  bis  heute  auf  dem  Lande  gebräuchliche 
Redensart  (E.  Witt). 

3)  P.  Sartori,  oben  18,  265  u.  ö. :    'unter  das  Totonbett'. 


Kleine  Mitteilungen.  397 

mit  dem  Leichenwasser  an  den  Rädern  des  Leichenwagens.  —  Lag  die  Leiche 
auf  dem  Brett,  so  erhielt  sie  als  Kopfkissen  einen  mit  Stroh  gefüllten  Sack. 
Dieses  Stroh  wurde  dann  beim  Begräbnis  auf  den  Leichenwagen  gelegt  und  bei 
der  Fahrt  zum  Kirchhofe  (der  meist  im  Kirchdorfe  sich  befindet)  oder  auch  bei 
der  Heimfahrt  auf  der  Grenze  zwischen  dem  Dorfe,  in  dem  der  Entschlafene 
gelebt,  und  dem,  welches  der  Leichenwagen  zunächst  durchfuhr,  niedergeworfen. 
Nach  dem  Volksglauben  diente  dieses  Totenstroh  den  Geistern,  die  zwischen 
11  und  12  Uhr  nachts  zu  den  heimatlichen  Gefilden  wanderten,  als  Ruhesitz^). 
Kein  Wanderer,  ist  er  auch  noch  so  müde,  nimmt  bei  Tage  auf  diesem  Stroh 
Platz,  und  von  jedem  Vorübergehenden  wird  es  mit  Scheu  betrachtet.  Noch  jetzt 
ist  mir  erinnerlich,  wie  der  Kutscher  kurz  vor  der  Grenze,  an  der  Totenstroh 
lagerte,  die  Pferde  jedesmal  zu  rasender  Eile  antrieb,  wenn  wir  um  Mitternacht 
solche  Stellen  passierten.  Das  Totenstroh  wird  aber  noch  jetzt  (1909)  im  Sam- 
lande,  in  Natangen  und  im  Oberlande  gefunden. 

„Der  Glaube,  dass  der  Tote  Zeuge  seines  Toten  mahl  es  sei  (im  Oberlande 
nennt  man  es  Zärm),  stand  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  sowohl 
im  Oberlande,  als  auch  im  Samlande  fest.  Bei  jedem  Begräbnis  hing  an  der  nach 
dem  Hausflur  führenden  Tür  der  Gaststube  ein  langes  Handtuch,  das  halb  einen 
dahinter  stehenden  Stuhl  verdeckte.  Nach  der  Volksansicht  beobachtete  von  diesem 
Stuhle  aus  der  Tote  die  Vorgänge  beim  Totenmahl.  An  dem  Handtuche  trocknete 
er  sich  die  Finger  ab,  die  er  in  die  'dicke  Grütze'  ^)  gesteckt  hatte,  um  zu  prüfen, 
ob  sie  auch  nicht  angebrannt  sei.  Im  Oberlande  stellte  man  auf  den  Stuhl  auch 
wohl  ein  Schüsselchen  mit  Grütze,  um  dem  Toten  das  Grützeschmecken  zu  er- 
leichtern, vielleicht  auch,  um  ihn  von  der  Tafel  fernzuhalten,  während  anderer- 
seits häufig  auch  an  der  Gasttafel  selber  ein  Stuhl  unbesetzt  bleibt:  das  ist  der 
Totenstuhl,  von  dem  aus  der  Tote  die  Gesellschaft  beobachten  und  scharf  hin- 
horchen kann,  ob  man  seiner  auch  lobend  gedenkt.  Vertraut  mit  diesem  A^'olks- 
glauben,  habe  ich  mich  als  Kind  nur  schwer  dazu  entschliessen  können,  meine 
Eltern  zu  einem  Begräbnis  im  Dorfe  (Schlobitten)  zu  begleiten.  Auf  die  'dicke 
Grütze'  habe  ich  stets  mit  Schaudern  geblickt,  von  ihr  gegessen  habe  ich  nie;  und 
so  fest  eingewurzelt  ist  bei  mir  trotz  der  grossen  Spanne  Zeit,  die  zwischen  meiner 
Kindheit  und  der  Gegenwart  liegt,  jener  Kinderglaube,  dass  ich  auch  heute  noch 
in  einem  Sterbehause  nur  mit  Überwindung  esse. 

„Der  Glaube  an  die  Wiederkehr  der  Entschlafenen  spricht  sich  auch 
noch  in  einer  anderen  Sitte  aus.  Die  eingesargte  Leiche  steht  auf  zwei  kurzen, 
quergestellten  Bänken.  Wird  der  Sarg  aus  der  Wohnung  herausgetragen,  so  werden 
diese  über  Kreuz  mit  den  Füssen  nach  oben  gekehrt'').  Geschieht  dies  nicht,  so 
stellt  sich  der  Tote  wieder  ein  und  nimmt  auf  einer  der  Bänke  Platz.  Dass  diese 
Sitte  auf  dem  Lande  noch  gang  und  gäbe  ist,  wusste  ich;  interessant  aber  war  es 
mir,  das  Umdrehen  der  Bänke  noch  kürzlich  bei  einem  Begräbnis  in  hiesiger 
Stadt  (Königsberg)  beobachten  zu  können.     Falls    es  von  den  Leidtragenden  oder 


1)  H.  Frischbier,  Preuss.  Wörterbuch  2,  407,  zitiert  zu  dem  Worte  aus  dem  im 
Platt  der  Elbingischen  Höhe  verfassten  Gedichte  „Dat  Spook"  (Neue  Preuss.  Prov.-Blätter 
4,  471"! :  Öm  blingen  Brook  |  Da  wankt  dat  Spook,  |  Da  sott  et  op  em  Doodenstroh  |  On 
schnört  ju  all'n  die  Gorgeln  to,  |  Vgl.  auch  M.  Philipp  S.  123. 

2)  „Nun  gibt  es  bald  dicke  Grütze"  sagt  man  noch  heute,  wenn  jemand  lebens- 
gefährlich krank  ist,  und  „Aus  der  dicken  Grütze  wird  nichts"  heisst  es,  wenn  es  mit 
dem  Schwerkranken  zur  Besserung  geht,  womit  früher  wohl  Hirsebrei,  jetzt  meist  'dicker 
Pteis'  gemeint  ist  (E.  Witt). 

3)  Vgl.  Sartori,  oben  18,  363. 


398  Schnippel,  Heilig,  Lohmeyer: 

den  Dienstbeflissenen  des  Hauses  vergessen  wird,  sollen  die  Leichenträger  das 
Umdrehen  der  Bänke  besorgen.  Dass  die  letzteren  beim  Hinaustragen  des  Sarges 
diesen  möglichst  unbemerkt  einmal  umdrehen,  um  den  Toten  bei  einer  etwaigen 
Wiederkehr  in  der  Richtung  irre  zu  machen,  beobachtete  eine  bereits  verstorbene 
Freundin  vor  einigen  Jahren  in  Zinten,  allerdings,  wenn  ich  nicht  irre,  bei  einem 
jüdischen  Begräbnis.  —  Wird  nun  einerseits  der  Wiederkehr  des  Verstorbenen 
vorgebeugt,  so  ist  man  andererseits  auch  wieder  bemüht,  ihm  diese,  falls  er 
wirklich  wiederkommen  soll,  zu  erleichtern').  Die  Leiche  wird  vollständig  an- 
gekleidet, insbesondere  dürfen  auch  die  Schuhe  nicht  fehlen,  und  zwar  werden 
diese  streng  nach  Mass  gekauft,  und  mit  ängstlicher  Sorgfalt  wird  darauf  geachtet, 
dass  sie  genau  passen,  denn  der  Tote  soll  doch  bei  seinen  Erdenwanderungen  in 
ihnen  fest  auftreten  können.  Verliert  aber  der  Tote  bei  seinen  Gängen  einen  Schuh, 
so  stirbt  ihm  bald  einer  aus  seiner  Familie  nach.  Das  Hemd  freilich  darf  nur  bis 
zu  den  Waden  reichen,  damit  sich  sein  Träger  darin  nicht  'verzappelt'.  Auch  das 
für  eine  weibliche  Leiche  bestimmte  Kleid  wird  aufgenäht,  wenn  es  zu  lang  ist, 
um  der  Toten  bei  der  Wanderung  nicht  hinderlich  zu  sein.  An  dem  Nähmaterial 
aber  darf  kein  Knoten  sein,  weil  dieser  die  Ruhe  des  Toten  beeinträchtigen  würde 

ebenso  wie  Tränen,    die    etwa    auf   seinen  Körper,    auf   sein  Gewand  oder   in 

seinen  Sarg  fallen.  —  Dem  Totenhemd  übrigens  wurden  allerlei  Heilkräfte  zu- 
geschrieben. Insbesondere  sollten  Feuermale,  von  ihm  berührt,  verschwinden. 
Das  Berühren  der  grossen  Zehe  des  Verstorbenen  sollte  gegen  übergrosse  Toten- 
furcht schützen." 

Soweit  meine  Gewährsleute.     Die    'Gebildeten'    freilich  wissen    auch  bei  uns 
von  alledem  —  nichts. 

Osterode    in    Ostpreussen.  Emil  Schnippel. 


Karfreitagsglocken  und  damit  Zusammenliäiigeiides. 

Zu  R.  Andrees  Aufsatz  'Ratschen,  Klappern  und  das  Verstummen  der 
Karfreitagsglocken'  (oben  S.  250)  kann  ich  vorwiegend  aus  dem  nördlichen  Teile 
Badens  folgende  Sagen  und  Gebräuche  anführen: 

1.  Die  Glocken  werden  nicht  nach  Rom,  sondern  nach  Speier  wandernd 
gedacht  (Gegend  von  Wiesloch).  —  2.  Sie  wandern  nach  Rom,  wo  sie  Kaffee 
trinken  (Bruchsal).  —  3.  Sie  gehen  nach  Rom,  um  dort  vom  Papste  wieder 
geweiht  zu  werden.  Nach  einer  anderen  Sage  befinden  sie  sich  in  einem  benach- 
barten Wald,  wo  sie  hoch  oben  an  den  Bäumen  hängen.  Die  Ersatzglocken  heissen 
hier  'Klappern'  (Waibstadt).  —  4.  Die  Ersatzglocken  heissen  'Karren';  dazu  auch 
das  Verbum  'karre'  (Herbolzheim).  —  5.  Die  Ersatzglocken  und  das  Klappern 
mit  denselben  heisst  'Dofle'  (Oberbaibach).  —  G.  Die  Glocken  fliegen  am  Grün- 
donnerstag  nach    dem   Gloria    über    den  Rhein.      Sie    werden    ersetzt   durch    die 


1)  Frl.  Witt  fügt  hinzu:  „Ich  wohne  hier  (in  Königsberg)  zusammen  mit  einer 
TGjährigeD,  aus  dem  Samlande  stammenden  Tante.  In  der  Silvesternacht  lässt  sie  (und 
ich  mag  sie  darin  nicht  stören)  in  unserer  besten  Stube  die  Lampen  die  ganze  Nacht 
hindurch  brennen;  an  den  stark  geheizten  Ofen  stellt  sie  einen  Stuhl,  damit  die  Toten, 
die  nach  dem  Volksglauben  in  dieser  Nacht  die  Runde  bei  den  Verwandten  machen,  ihre 
erstarrten  Glieder  zur  weiteren  Wanderung  an  dem  warmen  Ofen  geschmeidig  machen 
können." 


Kleine  Mitteilungen.  399 

'Klappern'.  Am  Karfreitag  laufen  die  sog.  'Karrbuben'  im  Dorfe  herum  und  sagen 
folgenden  Spruch:  ^Karre,  Karre,  Hutzel  raus,  |  Schickt  den  Marder  ins  flühner- 
haus."  Am  Morgen  dieses  Tages,  gegen  4  Uhr,  wird  von  ihnen  das  'Ave  Maria' 
gesungen.  Gegen  6  Uhr  wird  das  sog.  'Osterfeuer'  angezündet,  zu  dem  tags  vorher 
alte  Kreuze  und  Kränze  aus  dem  Kirchhof  geholt  werden.  Ein  jeder  der  Buben 
legt  in  dieses  Feuer  einen  Pfahl,  den  er  ankohlen  lässt.  Der  Pfahl  wird  während 
des  ganzen  Jahres  im  Keller,  Speicher  oder  Stall  aufbewahrt.  Er  schützt  das  Haus 
gegen  Feuer  oder  sonstiges  Unglück  (Malschenberg  bei  Heidelberg).  —  7.  Wenn 
die  Glocken  von  Rom  mit  herrlicherem  Geläute  zurückkehren,  schütteln  die  Kinder 
die  Bäume.  Sie  glauben  dadurch  einen  reichen  Obstertrag  zu  erwirken.  Die 
Ersatzglocken  heissen  'Retze(n)';  ebenso  das  Verbum.  Am  Karsamstag  holen 
die  Ministranten,  von  Haus  zu  Haus  gehend,  Ostergeschenke.  Dabei  singen  sie 
folgendes  Lied: 

Wir  haben  geklappert  zum  heiligen  Grab 
Gebt's  uns  Eier,  Gottes  Gabi 
Nicht  so  klein,  nicht  so  gross, 
Dass  das  Körblein  niclit  zerstoss! 
Glück  in  Haus,  Unglück  naus, 
Sechzig  Eier  müssen  raus, 
Suuscht  schicke  mer  de  Marder  ins  Hühnerhaus. 

Variante:    Wir  haben  gehütet  das  heilige  Grab 
Und  bitten  um  eine  Ostergab'  ....    (Rauenberg  b.  Heidelberg). 

8.  Die  Glocken  gehen  nach  Rom,  werden  dort  geweiht  und  erhalten  wieder 
schöneren  Klang.  Nicht  der  'Judas'  wird  am  Karsamstag  verbrannt,  sondern  der 
'ewige  Jude'  (Schwarzach  b.  Rastatt). 

Rastatt.  Otto  Heilig. 


Der  Pflngstquak  in  der  Saargegend. 

Ein  heutzutage  nahezu  verschwundener  Gebrauch  ist  das  Pfingstquakreiten  in 
der  Saargegend,  eine  alte  Volkssitte,  die  als  Grundlage  die  Begrüssung  des 
Frühlings  hat').  In  den  Saarstädten  selbst  ist  der  Brauch  schon  lange  ein- 
geschlafen, er  hatte  sich  hier  bis  gegen  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  gehalten, 
und  zwar  in  der  Weise,  dass  die  Quock  oder  Quackritter,  verkleidete  junge  Leute, 
von  Haus  zu  Haus  zogen,  um  in  herkömmlicher  Weise  Eier  zu  fordern.  In  den 
Dörfern  haben  sich  hie  und  da  noch  Reste  erhalten;  in  Dud Weiler  ritten  die 
jungen  Burschen  mit  Bändern  geschmückt  durch  den  Ort  und  sammelten  Eier, 
Butter,  Speck  und  Mehl  ein,  die  dann  als  Picknick  verwandt  wurden,  dabei  war 
dann  folgender  Gesang  üblich,  wie  man  ihn  jetzt  wohl  noch  von  Kindern  am 
ersten  Pfingsttag  hören  kann: 

Quock,  Quock,  Quock, 
Eier,  Butter,  Mehl  unn  Speck 
Ehnder  gehn  ich  net  vor  der  Dier  ewegg 
Oder  der  Bese  muss  met. 


1)  [Vgl.  Mannhardt,  Wald-  und  Feldkulte  1,  355.  Kück-Sohnrey,  Feste  und  Spiele 
1909  8.122.  Oben  12,  425  (Nahetal).  Becker,  Hess.  Bl.  f.  Volkskunde  6,  170  f.  Weinhold, 
oben  3,  10  deutet  das  Wort  als  Ptiugstfroscb.] 


^.QQ  Lohmeyer,  Mangler: 

In  Waldhambach  bei  Diemeringen  zogen  noch  1860  kleine  mit  Blumen 
bekränzte  Jungen  von  Haus  zu  Haus  mit  einem  Korb,  um  die  gesammelten  Gaben 
darin  unterzubringen;  dabei  sangen  sie: 

Do  klimme  die  arme  Pingstenknecht,  Gehn  mer  all  mituander 

Sie  hätte  gäre  das  Pingstenrecht,  For  der  Dier  ewegg. 

An  Ei  odder  zwei  Eier  eraus,  Budder  eraus, 

Odder  e  Stickel  Speck;  Sitzt  e  scheni  Jungfer  im  HausI 

In  Hirzweiler,  einem  kleinen  Dörfchen  eine  Stunde  von  Ottweiler,  wurde 
der  Quack  noch  um  1878  geritten:  Auf  Ackergäulen  ritten  je  zwei  Burschen 
hintereinander  durch  das  Dorf.  Der  Vorreiter  trug  den  Quack,  ein  mit  Bändern 
geschmücktes  Birkenbäurachen.  Vor  jedem  Hause  wurde  zwei-  bis  dreimal  die 
Runde  gemacht  und  'Quackauf'  gerufen.  Am  Nachmittage  sammelten  die  Burschen 
bei  Leuten,  wo  sie  den  Quack  geritten,  Eier,  Speck  usw.  ein,  die  dann  abends  in 
der  Dorfschenke  verzehrt  wurden.  In  der  Stadt  Ottweiler  wurde  zu  Pfingsten  und 
am  1.  Mai  ein  mit  blühendem  Ginster  geschmückter  Mann  auf  einem  Pferde,  von 
einer  zahlreichen  Kinderschar  umgeben,  durch  die  Stadt  geführt  und  dabei  von 
Zeit  zu  Zeit  'Quackauf  gerufen.  In  Fechingen,  Bischmisheim,  Güdingen, 
Brebach,  Scheidt  gab  es  bis  weit  ins  19.  Jahrhundert  Quacken  zu  Fuss  und 
zu  Pferd;  erstere  waren  Kinder,  letztere  junge  grössere  Burschen,  eine  Schar  von 
10  bis  20  Reihen.  Die  Hauptperson  war  der  eigentliche  Quack,  der  gewöhnlich 
mit  Blumen  und  Laubw^erk  gänzlich  unkenntlich  gemacht  war.  So  zog  die  Schar 
vor  jedes  Haus  und  rief  davor  aus: 

Quack,  Quack,  Sieben  sind  gesotten, 

Sieben  Eier  sind  gebackt,  Der  Quack  ist  wohl  nicht  gerothen. 

Hierauf  sammelte  man  Eier,  Butter,  Mehl,  Milch  und  Salz,  und  davon  wurden 
in  einem  bestimmten  Hause  Pfingst-Pfannenkuchen  gebacken. 

Einst  wagten    sich  einige  20  Fechinger  Pfingstreiter    in    die  Stadt    St.  Johann 
hinein,  wurden  aber  von  der  Polizei  schleunigst  zurückgewiesen. 

In  dem  Saarbrücken  benachbarten,  schon  im  Pfälzischen  gelegenen  St.  Ingbert 
hatte    sich    der  Brauch  noch   längere  Zeit  gehalten,  er  war  dort  bis  vor  wenigen 
Jahren    üblich    und    mag    auch     noch    vereinzelt    vorkommen.       In    aller    Stille 
wurde  vor  dem  Feste   ein  in  frischem  Laube  prangender  Birkenbaum  im  Walde 
gehauen,    heimlich   nach  Hause    gebracht   und  versteckt  gehalten.     Ein    niederer, 
flacher,    zweiräderiger    Karren    stand    dann    bereit,    über    den    sich    bald    durch 
der    Burschen    fleissige    Hände    eine    Tannen-    und   Birkenlaube   wölbte,    so   dass 
sein  Inneres    dem  neugierigen  Auge  verborgen  blieb.      In    der  Mitte    des  Karrens 
erhob  sich    hoch  über    das    andere  Grün    der  weisse  Birkenstamm,    dessen  Krone 
mit    bunten  Bändern    und  Blumen  geziert  war.     Hierbei    waren    hauptsächlich  die 
jungen   Arbeiter    des    St.    Ingberter    Eisenwerks    tätig.      Am    Pfingstmontage    nun 
zwischen  5   und   G  Uhr    erschallten    plötzlich    langgezogene    Töne,    und    der    von 
Burschen  gezogene  grüne  "Wagen  hielt  seinen  Einzug  im  Städtchen,    durch  das  er 
in  aller  Eile  durchraste,  unter  Durchfahren  aller  Gässchen,    in  denen  das  Gefährt 
wenden  konnte;    denn  je  schneller  und  knapper  letzteres  ausgeführt  wurde,    desto 
grösser  war  die  Befriedigung  der  Teilnehmer;    dabei  knallte  ein  auf    dem  Wagen 
befindlicher  Bursche  fortwährend  mit  der  Peitsche,  und  auch  aus  dem  Innern  des 
Wagens  erschallten   die  langgezogenen  Töne,  und  unzählige  Kinder  und  auch  Er- 
wachsene folgten  dem  Gefährt.    Alle,  gross  und  klein,  riefen  fortdauernd:   „Quack, 


Kleine  Mitteilungen.  401 

Quack".  AVar  nun  die  Rundfahrt  beendet,  so  gingen  die  'Quackbuben'  in  die 
Häuser,  um  wieder  Eier  und  auch  Geld  einzusammeln.  Einer,  der  Mohr,  der  im 
Gesichte  gehörig  angeschwärzt  war,  sagte  an  der  Haustür  dieses  Sprüchlein: 

Dominus  hallelujahl  Holb  Ei,  gonz  Ei, 

Krie  mer  ebbes,  Holbe   Dohler,  gonze  Dohler. 

Krie  mer  olle  Johr  ebbes. 

Die  empfangenen  Gaben  wurden  dann  teils  zur  Deckung  der  Auslagen  ver- 
wandt, während  der  Rest  zur  Veranstaltung  eines  vergnügten  Nachmittags  diente. 
Der  Quack  aber,  also  die  Birke,  wurde  hoch  auf  dem  ßrunnenhause  angebracht^). 

In  Ettingen  bei  Saargemünd  wird  noch  am  Pfingstsonntag  ein  ganz  in  Gras 
eingewickelter  Knabe  von  Haus  zu  Haus  getragen;  er  heisst  dort  Neschkwack, 
und  die  Kinder  singen: 

Nesch  Kwack,  Nesch  Kwack,  Sin  gerot,  sin  gesot, 

Siwe  Eier  sin  geback,  Sin  dem  Häre  wohlgerot. 

In  demselben  Orte  wird  auch  noch  am  Vorabend  vor  Ostern  ein  Lied  ge- 
sungen im  Reste  des  Pfingstquaks  stecken: 

Kwick,  Kwack,  Kwick,  Kwack,  Oder  e  Stick  Speck, 

Morje  frih  isch  Oschtersuuda.  Oder  geh  mer  heit  de  Da 

E  Dutzert  Eier  oder  zwen  Nit  von  der  Dür  eweck-). 

Saarbrücken.  Karl  Lohmever. 


Zwei  geistliche  Lieder  aus  dem  Odenwalde. 

Die  beiden  folgenden  Lieder  hörte  ich  als  Kind  häufig  von  der  jetzt  60jährigen 
Frau  eines  Waldhüters  in  Buchen  im  badischen  Odenwalde  singen.  Sie  hat  sie, 
wie  sie  sagt,  in  der  Strickschule  von  der  Lehrerin  gelernt,  die  ein  Buch  mit 
mehreren  derartigen  Liedern  besass. 

I.   Sankt  Katharina. 


'  -^        -0-        -0-  ^  •  '^ 

1.     Hei-lig  Ka  -    thri  -  na  ging  ü  -  ber  das  Land,  da    be  -  g^g  -  net     ihr        ein 


:Eiqz=iq=z-i=H= 


heid-ui-scherMann,da      be- geg  -    net      ihr  ein    heid  -  ni  -  scher  Mann. 

2.  „Heilig  Kathrina,  willst  werden  mein  3.  'Ein  heidnischen  Mann  mag  ich  nicht 

Weib,  haben, 

So  will  ich  dir  geben  Land  und  Leut."  Ein  heidnisches  Weib  mag  ich  nicht  sein.' 


1)  Vgl.  Niesseu,  Sagen  und  Geschichten  des  Saartals  1900  S.  135. 

2)  Follmann.  Wörterbuch  der  deutsch-lothringischen  Mundart  li)00  S.  382. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.   Heft  4.  26 


402  Maugler: 

4.  Da  fasste  der  König  ein  grimmigen  13.  Und  als  die  vierzehn  Jahr  um  waren, 

Zorn  Der  König  zu  ihr  hineine  kam. 

Und  hatte  Kathrina  ja  nimmer  verschont. 

14.  „Heilig  Kathrina,  wer  hat  dich  er- 

5.  Er  sperrt  sie  ein  sieben  Jahre  nährt, 

lang,  Dass   dich   die   Würmer   nicht  haben  ver- 

Keine    menschliche  Speise    genoss    sie  zehrt?" 

dann. 

15.  'Mich  hat  ernährt  ein  heiliger  Mann, 
G.  Und  als  die  sieben  Jahr  um  waren,      Mit  Namen  Jesus  mein  Bräutigam.' 

Der  König  zu  ihr  hineine  kam. 

16.  „Heilig  Kathrina,  willst  werden  mein 

7.  „Heilig  Kathrina,  wer  hat  dich  er-  Weib, 

nährt,  So  will  ich  dir  geben  Königreich." 

Dass  dich  die  Würmer  nicht  haben  ver- 
zehrt?'- 17.  Ein  heidnischen  Mann  mag  ich  nicht 

haben, 

8.  'Mich  hat  ernährt  ein  heiliger  Mann,     Ein  heidnisches  Weib  mag  ich  nicht  sein. 
Mit  Namen  Jesus,  mein  Bräutigam.' 

18.  Er  Hess  ihr  macheu  ein  Eädelein 

9.  „Heilig  Kathrina,  willst  werden  mein     Von  siebenundsiebzig  Messerlein. 

Weib, 
So  will  ich  dir  geben  Königreich."  19.  Er  Hess  das  Rad  herumetreiben, 

Der  heilig  Kathrina  ihm  l.eib  zerschneiden. 

10.  'Ein  heidnischen  Mann  mag  ich  nicht 

haben,  20.  Und  wo  ein  Tröpflein  Blut  hinsprang» 

Ein  heidnisches  Weib  mag  ich  nicht  sein.'     Da  stand   eine  Kerze  schneeweiss  und 

brannt. 

11.  Da  fasste  der  König  ein  grimmigen 

Zorn  21.  Und  wo  der  heilig  Kathrina  ihr  Haupt 

Und  hatte  Kathrina  ja  nimmer  verschont.  hinsprang. 

Da  stand  ein  Engel  schneeweiss  und  sang. 

12.  Er  sperrt  sie   ein  vierzehn  Jahre 

lang,  22.    Und  wer  dies  Lied    alle  Freitag 

Keine  menschliche  Speise  genoss  sie  singt, 

dann.  Der  wird  sein  Lohn  im  Himmelreich  linden. 

Das  gleiche  Lied  mit  grösseren  und  kleineren  Abweichungen  steht  bei  Erk- 
Böhme,  Liederhort  Nr.  2116.  Unsre  Fassung  unterscheidet  sich  vor  allem  durch 
die  Anfangsverse,  die  in  einer  Reihe  von  Segen  wiederkehren.  Siehe  A.  Kuhn, 
Sagen  aus  Westfalen  (1856)  2,  201  Nr.  566:  Unser  Herrgott  und  St.  Peter  gingen  über 
Land,  |  Da  fanden  sie  nichts  als  Feuer  und  Brand  im  Sand.  —  Nr.  576:  Unsre 
liebe  Frau  Mutter  ging  über  Land,  |  Da  fand  sie  einen  Baum,  der  brannt'. 
J.  ^y.  Wolf,  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie  1,  254  (1852):  Die  heiligen  drei 
Könige  gingen  über  das  Feld,  |  do  mutten  ihnen  Alfmedi,  Alfinne.  —  S.  259: 
0ns  liewe  ATOUwken  ging  over  het  land  |  zonder  stok  of  steen  in  de  hand, 
daer  kwam  hacr  teegen  een  kwade  hond.  —  Mehrfache  Übereinstimmungen 
zeigen  auch  die  Nummern  2117—2119  bei  Erk-Böhme.  [Hess.  Blätter  f.  Volks- 
kunde 9,  118.] 

[Über  die  Legende  vgl.  Knust,  Geschichte  der  Legenden  der  h.  Katharina  von 
Alexandrien  und  der  h.  Maria  Aegyptiaca  1890;  H.  Varnhagen,  Zur  Geschichte 
der  Legende  der  Katharina  von  Alexandrien  1891;  Magnanelli,  Canti  narrativi 
religiös!  del  popolo  italiano  1,  103  (1909);  Melusine  1,  508;  Grundtvig,  Danmarks 
gamle  folkeviser  2,  543  nr.  lOl;  Geijer-Afzelius,  Svenska  folkvisor  -  nr.  3.] 


Kleine  Mitteilungen. 


403 


2.  Die  arme  Seele. 


Es     warn     ein  -  mal    zwei      ar  - 


-I        A-ia        naiu.       mu  -    uiai     i«ci         d.1  -    mC 

die    woll  -  ten      ja       bei      Gott  ein 


Seein, 
kehrn, 


die     woll-  ten   ja       bei 


E^-IEE^klzE^El 


Gott     ein  -  kehrn,  die     woll  -  ten    ja       bei     Gott       ein  -  kehrn. 


2.  Und  als  sie  kamen  vor  die  Himmelstür,  9.  'Eine  arme  Seel  und  unsre  liebe  Frau, 


Sprach  Peterus:    „AlVer  ist  dafür?" 

3.  'Zwei  arme  Seelen  stehn  vor  der  Tür, 
Sie  wollen  ja  bei  Gott  einkehrn.' 

4.  „Die  eine  soll  hereine  gehn. 
Die  andre  soll  bleiben  draussen  stehn. 

ö.  ..Die  soll  gehn  den  breiten  Weg, 
Allwo  "s  in  die  bittere  HöU  ueiugeht.'' 


Sie  wollen  ja  bei  Gott  einkehrn.' 

10.  ,,Unsre  liebe  Frau  soll  hereine  gehn, 
Die  arme  Seel  soll  bleiben  draussen  stehn. 

11.  „Die  soll  gehn  den  breiten  Weg, 
Allwo  "s  in  die  bittere  Höll  npingeht." 

12.  '.Ja  lieber  als  die  Seel  fortgeht. 
Ja  lieber  will  ich  selbst  fortgfehn.' 


G.  Und  als  sie  ging  den  breiten  Weg, 
Da  begegnet  ihr  unsre  liebe  Frau. 

7.  „Ei  arme  Seel,  geh  du  mit  mir, 
Geh  du  mit  mir  vor  die  Himmelstürl'' 

8.  Und  als  sie  kamen  vor  die  Himmelstür, 
Sprach  Peterus:    „Wer  ist  dafür?" 


13.  „Was  hat  sie  dir  denn  guts  getan, 
Dass  du  für  sie  willst  selbst  fortgehn?" 

14.  'Sie  hat  mir  alle  Samstag  Nacht 
Zwei  Kerzlein  in  die  Kirch  gebracht.' 

15.  „Und  weil  sie  dir  hat  das  getan. 

So  soll  sie  sitzen  auf  dem  höchsten  Thron." 


Das  zweite  Lied  entspricht  der  Nr.  217a  bei  Erk- Böhme:  „Zwei  Schwestern 
starben  an  einem  Tag"  [Marriage,  VI.  aus  der  badischen  Pfalz  nr.  15].  Während 
aber  dort  die  Sünde,  derenwegen  Petrus  der  Seele  den  Eintritt  in  den  Himmel 
weigert,  in  einem  Reigentänzchen  zu  jeder  Samstag- Nacht  besteht  und  das  Wort 
Marias  genügt,  sie  in  die  Seligkeit  einzuführen,  liegt  hier  das  Hauptgewicht  nicht 
auf  der  Sünde,  sondern  auf  dem  Verdienst,  das  sie  trotz  anfänglicher  Zurück- 
weisung in  den  Himmel  führt;  jene  Verse  wurden  also  versetzt  und  für  den 
neuen  Zweck  geändert.  Sicher  ist  das  eine  bewusste  Änderung  in  kirchlichem 
Sinne.  Vgl.  auch  Erk-Böhme  Nr.  218  (Drei  Schwestern),  2031 — 39  (Die  arme 
Seele),  2070—71  (Unerschöpfliche  Gnade). 

Die  gleiche  Frau  pflegte  auch  die  Legende  von  der  heiligen  Ottilia  zu  singen 
in  der  Fassung  wie  Erk-Böhme  Nr.  2113.     Doch  fehlten  einige  Strophen. 

Buchen,  Baden.  Lina  Mungler. 


26" 


404 


Bolte: 


Bericlite  und  Bücheranzeisen. 


Neuere  Arbeiten  über  das  deutsche  Yolkslied^). 

Unter  den  der  Volksdichtung;^  zugewendeten  Untersuchungen  von  allgemeinere 
Bedeutung  verdient    die    neue  Auflage  von  Büchers  'Arbeit  und  Rhythmus',    die 
oben  S.  232  kurz  gewürdigt  wurde,    den  ersten  Platz.     Der  zweite  gebührt  einem 
Buche  von  Daur-)  über  die  formelhaften  Ausdrücke  des  deutschen  Volksliedes  im 
15,  und  16.  Jahrh.    Dass  das  Volkslied  dieser  Zeit  gleich  dem  mhd.  Spielmannsepos 
durchweg  mit  typischen,  festgeprägten  Ausdrucksformen  arbeitet,  dass  der  Volksdichter 
im  Geo-ensatz  zum  Kunstdichter  nicht  bewusst  nach   selbständiger  Gestaltung  des 
Ausdrucks  strebt  und  dass  Äusserungen  eines  besonders  gearteten  Geistes  in  Kunst- 
liedern vom  singenden  Volke  entfernt  werden,  ist  eine  öfter  gemachte  Beobachtung, 
die  aber  von  D.  hier  mit  Energie  weiter  verfolgt  wird.    Trotz  solcher  Beschränkung 
entstanden    in   jener  Zeit    dort,    wo    ein    zartes    und  reiches    dichterisches  Gefühl 
lebte,  Lieder,  die  uns  noch  heut  entzücken;  ja  es  bildete  sich,  weil  das  Volkslied 
mit    einem  Bestände    fester    Formeln    wirtschaftete,    die    der  Schmiegsamkeit  ent- 
behren, joner  springende,  durch  Verschweigen  wirkende  Balladenstil;  mit  der  Ab- 
nahme des  lyrischen  Vermögens  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrh.  führte  diese 
Technik    zu    einem  leeren  Spiel    mit  Worten.     D.  scheidet    epische    und    lyrische 
Formeln;  jene  betreffen  äussere  Vorgänge  (Menschen,  Ort,  Zeit,  Handlung),    diese 
Gefühle  (Liebesversicherung,  Bitte,  Klage,  Abschied).     Die  typischen  Formeln  er- 
scheinen besonders    im  Eingange,    auch    als    'Gerippformeln'    mit  einem  variablen 
Teile  (In  braun  [grün,  schwarz]  will  ich  mich  kleiden),  und  im  Schluss  (Wer  ist, 
der   uns    das    Liedlein    sang'?),    Reimbänder  werden    zu  Motivbändern,    die    neue 
Strophe  nimmt  einen  Ausdruck  der  vorigen  auf  usw.     Diese  durch  zahlreiche  Be- 
lege   gestützten    Darlegungen    werden    ergänzt    durch    die    Betrachtung    einzelner 
Lieder,    die  mehrere  Strophen    mit    andern  gemeinsam  haben    oder    die  ganz    aus 
formelhaften  Versen    komponiert  sind.      Eine    gewisse  Einseitigkeit    des  Vf.    liegt 
auf  der  Hand;  denn  jene  Formeln  haben  doch  nicht  von  Anfang  fertig  und  bereit 
dao-eleo-en,    sondern    sind    zu    irgend  einer  Zeit    für  einen  bestimmten  Zusammen- 
hang geschaffen  worden.    Aber  absichtlich  lässt  D.  den  Ursprung  bestimmter  Verse 
und  Strophen,    den  E.  v.  d.  Recke    für  die   dänischen  Kärapeviser  (oben  17,  209) 
festzustellen    suchte,    beiseite    und  beschäftigt    sich    nur    mit    ihrer  Art    und  Ver- 
wendung.    Obwohl  die  Formulierung  seiner  Gedanken  bisweilen    umständlich  und 
schwerfällig  wirkt   und    die  Variantensammlungen  von    A.  Kopp  und    E.  Marriage 
öfter    hätten    herangezogen  werden  können,    begrüssen  wir    seine    gründliche    und 
ertragreiche  Arbeit  mit  Dank.  —  Mühsame  und  solide  Detailforschung  zeichnet  auch 
Hennig s^)    Buch  über  die  geistliche  Kontrafaktur  aus.     Die  Sitte,    beliebte  welt- 

1)  Vgl.    unsern    letzton  Bericht    oben    19,  219—234    und    die    Abteilung  17    (Volks- 
dichtung) im  Jahresbericht  über  germanische  Philologie  1909  (Leipzig,  Rcisland). 

2)  A.  Daur,    Das    alte  deutsche  Volkslied    nach  seinen  festen  Ausdrucksformen    be- 
trachtet.   Leipzig,  Quelle  u.  Meyer  1909.    VII,  200  S.   (i  Mk. 

3)  K.  Hennig,    Die  geistliche  Kontvafaktiir   im  Jahrhundert    der  Reformation,    ein 
Beitrag  zur  Geschichte   des   deutschen  Volks-   und  Kirchenliedes   im    IG.  Jahrh.     Halle, 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  405 

liehe  Lieder  durch  geistliche  ümdichtungen  zu  verdrängen,  lässt  sich  vom  14.  bis 
ins  18.  Jahrh.  in  Deutschland  nachweisen;  besonders  stark  trat  sie  in  der 
Reformationszeit  hervor,  wo  Katholiken,  Lutheraner,  Reformierte,  Wiedertäufer 
und  böhmische  Brüder  darin  miteinander  wetteiferten.  Wenn  damals  Triller, 
Knaust,  Yespasius,  Winnenberg  ganze  Serien  dieser  Art  herausgaben,  so  mag  auch 
der  Mangel  an  geistlichen  Melodien  dazu  mitgewirkt  haben.  Nicht  weniger  als 
oOO  Nummern  aus  dem  IG.  Jahrh.  zählt  H.  auf,  die  entweder  vollständige  oder 
teilweise  Parodien  weltlicher  Lieder  sind,  vergleicht  sie  mit  ihren  Vorbildern  und 
charakterisiert  die  Umbildung  der  Motive  (Wächterlied,  Liebesverhältnis,  Klage, 
Jahreszeiten  usw.)  und  die  technische  Verwertung  derselben,  der  Eingangsworte 
und  Reime.  Für  das  Alter,  die  Beliebtheit,  die  Weise  und  selbst  für  den  Text 
vieler  Volkslieder  liefern  diese  Kontrafakta  brauchbare  Zeugnisse.  Wünschenswert 
wäre  nur,  dass  H.  ausser  dem  alphabetischen  Register  der  geistlichen  Parodien 
noch  ein  Verzeichnis  der  weltlichen  Lieder  und  der  geistlichen  Umdichter  gegeben 
hätte.  —  Allgemeineren  Interesses  ist  die  umfängliche  Untersuchung  sicher,  die 
ßode*)  den  Vorlagen  zu  'Des  Knaben  Wunderhorn'  gewidmet  hat.  Denn  obschon 
Rieser  vor  kurzer  Zeit  (oben  19,  224)  dasselbe  Thema  in  einem  fleissigen  Buche 
bearbeitet  hat,  so  ist  B.  dadurch,  dass  er  Arnims  hsl.  Nachlass  in  Erks  treuen 
Kopien  benutzen  konnte,  und  durch  intensivere  Studien  zu  weit  bedeutenderen 
Ergebnissen  gelangt.  Er  untersucht  1.  die  Entstehung  der  Sammlung  und  ihre 
Wirkung,  2.  die  benutzten  Quellen,  3.  die  Bearbeitung  der  Vorlagen.  Hier  scheidet 
er  nach  dem  Grade  der  vorgenommenen  Änderungen  fünf  Typen:  unveränderten 
Abdruck:  Modernisierung  von  Sprache,  Dialekt  und  Metrum;  Änderungen,  Kürzungen 
und  Zusätze;  Ümdichtungen  und  endlich  eigne  Dichtungen.  Scharfsinnig  sondert 
er  den  Anteil  beider  Freunde,  Brentanos,  der  den  Stoff  lieferte  und  bei  seinen 
Änderungen  schonend  verfuhr,  und  Arnims,  der,  um  die  Kluft  zwischen  den  Ge- 
bildeten und  dem  Volke  zu  überbrücken  und  den  vaterländischen  Sinn  zu  wecken, 
nicht  vor  weiteren  Ausführungen  einer  kargen  Überlieferung  und  Zudichtungen 
zurückscheute.  Die  Untersuchung  ist  aber  nicht  bloss  eine  geschmackvolle 
Charakteristik  und  ein  förderlicher  Beitrag  zur  Geschichte  des  Volksliedstudiums, 
sondern  auch  reich  an  positiven  Ermittlungen  über  die  Texte  und  Quellen  aller 
im  Wunderhorn  enthaltenen  Volkslieder.  —  Eine  Liedergruppe,  auf  die  schon 
Pfannenschmid  in  seinen  Germanischen  Erntefesten  hingewiesen  hatte,  wird  durch 
Jürgensen-)  in  helleres  Licht  gesetzt:  die  Gesänge,  mit  denen  im  nieder- 
ländischen Sprachgebiet  und  in  Nordwestdeutschland  die  Kinder  am  11.  November 
und  am  Abend  vorher  Gaben  heischend  umherziehen.  Aus  der  gedruckten 
Literatur  bringt  J.  102  solcher  Martinslieder  zusammen,  die  mit  der  im  Mittel- 
alter aus  Prankreich  herübergekommenen  Verehrung  des  h.  Martin  zusammen- 
hängen, aber  auch  Züge  aus  den  Weihnachts-  und  Neujahrsversen  aufgenommen 
haben,  wozu  der  Abschluss  des  bäuerlichen  Wirtschaftsjahres  und  die  Ähnlichkeit 
des  mildtätigen  Bischofs  mit  St.  Nicolaus  (auf  protestantischem  Gebiete  mit 
Martin  Luther!)  Anlass  jjab.     Dass  das  Martinsfeuer,   für  das   die  Kinder  sich  wie 


Niemeyer  1909.  XI,  322  S.  8  Mk.  —  Vgl.  zu  S.  (j  (Ich  weiss  mir  ein  Blümlein^  Zs.  f. 
vgl.  Litgesch.  :3,  285.  2il2.  —  10  (Narrenkappe^  Wickram,  Werke  ö,  XCIII.  —  10  (Mag 
ich  Unglück)  Zs.  f.  dtsch.  Alt.  oö,  435.  —  56  (Susanna  Avilt  du  mit)  oben  12,  101.  —  Ferner 
Zs.  f.  d.  Phil.  21,  145  (Anna  von  Köln)  und  22,   lOO  (Anialia  von  Cleve). 

1)  K.  Bode,   Die  Bearbeitun«;    der  Vorlagen    in    des    Knaben  Wunderhorn,    Berlin, 
Mayer  &  Müller  1909.    IV,  807  S.   20  Mk.  (=  Palaestra  TG). 

2)  W.  Jürgensen,  Martinslieder,  Untersuchung  und  Texte.     Breslau,  Marcus  1910. 
VI,  174  S.   5,G0  Mk.  (Wort  und  Brauch  hsg.  von  Th.  Siebs  und  M.  Hippe  G). 


406 


Bolte: 


bei  andern  Festen  (oben  5,  420)  Brennholz  erbitten,  ursprünglich  wohl  einem 
Reinigungszauber  (S.  :i3)  diente,  kann  man  dem  Vf.  zugestehen;  weniger  w^ahr- 
scheinlich  ist  mir,  dass  der  herumgeführte  Martinsvogel  einst  die  Seele  des  Heiligen 
bedeuten  sollte  (S.  41)  und  dass  die  Verbindung  Martins  mit  der  Gans  nicht  aus  der 
in  den  November  fallenden  Schlachtzeit  dieses  Tieres,  sondern  aus  dem  altrömischen 
Kultus  des  Mars  (S.  69)  herzuleiten  ist.  Die  angehängten  28  Gesellschaftslieder 
des  15.  bis  17.  Jahrb.,  welche  Martin  als  Spender  des  Weins  und  des  Gänse- 
bratens preisen,  berühren  sich  mit  jenen  Kinderversen  natürlich  nur  flüchtig. 

Unter    den    Textpublikationen    aus    älterer    Zeit    erwähne    ich    neben 
Schmidts^)  Abdruck  einiger  Inedita  die  Beschreibung,  die  Williams^)  von  zwei 
im  Vatikan    aufbewahrten    Liederbüchern     (Prankfurt,     Basseus    158(».       Collen, 
H.    Nettessera   o.  J.)    liefert,    und    Blümmls^)    Inhaltsübersicht    über    zwei    von 
Leipziger  Studenten  angefertigte  Liederhandschriften  des  17.  Jahrh.   Die  erste  l<it)9 
von  Christian   Clodius  zusammengeschriebene  und   jetzt  in  Berlin    befindliche   Hs. 
enthält  109  Nummern  mit  Melodien  von  Ad.  Krieger,   H.  Albert,   M.  Colerus  u.  a. 
und  war  in  musikalischer  Hinsicht  bereits  1891  von  Niessen   ausgebeutet  worden; 
die  andre  minder  umfangreiche,  die  1683—95  von  drei  verschiedenen  ungenannten 
Besitzern  gefüllt  wurde    (Wiener  Hs.  13  287),    wurde  1887  von  Creizenach  in  die 
Erörterungen  über  Chr.  Reuters  literarische  Tätigkeit  hineingezogen.     Den  Haupt- 
inhalt bilden  natürlich  Trink-  und  Liebeslieder  zahmer  und  derbster  Art,  daneben 
einige  historische  und  Gelegenheitsgedichte,  sowie  ein  paar  Stücke  in  meissnischem 
und  schlesischem  Dialekt.     Der  Herausgeber    hat  einen  sachkundigen  Kommentar 
und    den    Abdruck    der    wichtigeren    Nummern    beigefügt.    —    Auch    die  für    das 
Gesellschaftslied  des  18.  Jahrh.   so  wichtige  Leipziger  Sammlung  von  Sperontes 
(J.  S.  Scholze  1736—45)    hat    in    den  Denkmälern  deutscher  Tonkunst   ihre   Auf- 
erstehung gefeiert*).    —    August  Hartmann^)    hat  dem   oben  19,   224  erwähnten 
ersten    Bande    seiner    verdienstlichen  Sammlung  historischer  Volkslieder    eine   bis 
1750  reichende  Portsetzung  (Nr.  97—181)    folgen  lassen,    die  wiederum  viele   un- 
bekannte süddeutsche  Stücke  bringt,    wenn    auch  der  poetische  Wert  durchgängig 
nicht    sehr    hoch  ist.      Die    meisten    Lieder,    Sprüche    und  Dialoge    betreffen    die 
Raubkriege    Ludwigs  XIV.,    den    spanischen    Erbfolgekrieg    und    die    Salzburger 
Exulanten,  unter  deren  Liedern  sich  auch  eine  Wiedertäuferdichtung  des  16.  Jahrh. 
fortgepflanzt  hat  (S.  271).    Leider  fehlen  auch  in  diesem  Bande  Überschriften  und 
Kolumnentitel,  dagegen  erfreuen  wiederum  die  saubre  Text-  und  Dialektbehandlung 
und    die    ausführlichen    sachlichen    und    sprachlichen    Erläuterungen,    die    zu    der 
Sorglosigkeit    v.  Ditfurths    einen  wohltuenden  Gegensatz  bilden.      Auffällig  häufig 
erscheint    die  Form    des    mundartlichen  Bauerngespräches;    zu    dem    gebrochenen 
Deutsch    der  Franzosen  auf  S.  155    vgl.  oben  19,  190;    zur  Breisacher   Buhlschaft 
S.  41  R.Köhler,  Kl.  Schriften  3,  397;  zum  steirischen  Raufjodel  S.  325  oben  4,  335. 


1)  Ulrich  Schmidt,  Volkslieder  (Walhalla  5,  17G-18S). 

2)  Ch.  A.  Williams,  Zwei  deutsche  Liederbücher  des  16.  Jahrh.  (Journal  of  english 
and  germanic  philology  8,  489-500). 

15)  E.  K.  Blümml,  Zwei  Leipziger  Liederhandschriften  des  17.  Jahrh.,  als  Beitrag 
zur  Kenntnis  des  deutschen  Volks-  und  Studentenliedes  hsg.  Leipzig,  E.  Avenarius  191t  I. 
XXIII,  117  S.  (TeutoDia  10). 

4)  Sperontes  Singende  Muse  an  der  Pleisse,  hsg.  von  E.  Buhle.  Leipzig,  Breit- 
kopf und  Härtel  1909.   XLV,  242  S.  fol. 

5)  Aug.  Hartmann,  Historische  Volkslieder  und  Zeitgedichte  vom  IG.  bis  19.  Jahr- 
hundert, gesammelt  und  erläutert,  2.  Bd.  Von  Mitte  des  17.  bis  zu  der  des  18.  Jahr- 
hunderts.   Münclien,  Beck  1910.    IV,  355  S.    12  Mk. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  407 

Gar  nicht  berücksichtigt  hat  H.  die  historischen  Lieder  des  wackren  bayrischen 
Chorherrn  J.  A.  Poyssl  (IG'22  bis  nach  1690),  mit  dessen  Lebensumständen  und 
dichterischem  Nachlass  sich  Rolte^)  beschäftigt.  —  Die  ausgezeichnete  Sammlung 
der  politischen  Lyrik  Österreichs  im  Kriegsjahre  1809  von  R.  Arnold  und 
K.  Wagner  haben  wir  bereits  oben  S.  344  unsern  Lesern  vorgestellt.  —  Einen 
mehr  populären  Zweck  verfolgt  Glock^)  in  seinen  badischen  Rriegsliedern  des 
19.  Jahrb.,  von  denen  er  nicht  weniger  als  233  Nummern  aus  hsl.  und  mündlicher 
Überlieferung  zusammengebracht  hat:  Napoleonslieder  aus  der  Rheinbundzeit, 
Dichtungen  aus  den  Befreiungskriegen,  der  badischen  Revolution,  den  Kriegen  von 
1864,  1866  und  LsTO,  auch  einen  Widerhall  der  Einigung  Deutschlands  aus 
Deutsch-Amerika.  Hübsch  erläutert  er  in  der  Einleitung  die  zeitgeschichtlichen 
Beziehungen,  ohne  doch  gebührend  auf  den  ausserbadischen  Ursprung  so  vieler 
Lieder  aufmerksam  zu  machen;  namenlos  marschieren  da  Dichtungen  von  Schubart, 
Schenkendorf,  Zedlitz,  Holtei,  Mosen  u.  a.  auf,  selbst  bei  der  Wacht  am  Rhein, 
beim  Kutschkelied,  bei  'König  Wilhelm  sass  ganz  heiter'  wird  kein  Verfasser 
genannt.  Hier  hätte  der  Sammler  sich  der  bequemen  Führung  Hoifmann-Prahls 
und  John  Meiers  anvertrauen  sollen.  —  Drei  Lieder  auf  den  bei  Quatrebras  ge- 
fallenen 'Herzog  Oels',  dazu  das  alte  niederdeutsche  'Bronsewyk  du  leiwe  Stadt' 
und  die  1871  von  Rossmann  gedichtete  'Treue  Rieke'  vereinigte  Hassebrauk^) 
zu  einem  allerliebst  ausgestatteten  Hefte.  —  Zu  einem  früher  von  R.  M.  Werner 
behandelten  Thema  'Das  Vaterunser  als  politisches  Kampfmittel'  lieferte  G.  Mehring 
(oben  19,  129 — 142)  willkommene  Nachträge;  politische  Satiren  aus  der  Zeit  des 
spanischen  Erbfolgekrieges  zogen  P.  Beck  (oben  19,  186 — 190)  und  Bolte  (ebd. 
190  —  194)  hervor.  Als  Quelle  des  neuerdings  vielgesungenen  Soldatenliedes  'An 
der  Weichsel  gegen  Osten'  wiesen  R.  Bartolomäus  und  A.  Simon  (oben  19, 
314—316.  -421  —  423.  20,  210—213)  eine  1831  verfasste  polnische  Dichtung  von 
F.  Kowalski  nach.  Für  die  Ballade  von  der  erstochenen  Geliebten  (Erk-Böhme 
Nr.  52)  ermittelte  John  Meier*)  durch  methodische  Vergleichung  von  50  Auf- 
zeichnungen die  ursprüngliche  Gestalt  (9  X  8  V.),  eine  von  einem  österreichischen 
Bänkelsänger  verfasste  katholische  Legende,  aus  der  die  kürzeren  Passungen  unter 
Veränderung  der  Motive  geflossen  sind. 

Auch  die  Erforschung  des  noch  lebenden  Volksliedes  hat  nicht  gerastet. 
Aus  Österreich  haben  wir,  abgesehen  von  dem  S.  291  erwähnten  Neudrucke  von 
Meinerts  Sammlung  und  kleineren  Arbeiten  von  Dörler  (oben  S.  36 — 44.  306 
bis  317)  und  Webinger  (oben  19,  96 — 101),  eine  interessante  Veröffentlichung 
Pommers^)    zu  verzeichnen,    die    von    dem  Tiroler  Bauern  Blattl    zu    St.  Johann 


1)  J.  Bolte,  Drei  Gedichte  von  Johann  Albert  Poyssl  (Archiv  f.  neuere  Spr.  122, 
225-245). 

2)  J.  Ph.  Glock,  Badischer  Liederhort  I.Band:  üie  historischen  Volkslieder  des 
Grossherzogtums  Baden,  insbesondere  die  Kriegslieder  der  badischen  Truppen  in  den 
Feldzügen  des  19.  Jahrh.  Karlsruhe,  G.  Braun  1910.  XII,  279  S.  k.  1,50  Mk.  -  Doubletten 
sind  Nr.  15  und  49,  18  und  20,  123  und  131. 

3)  G.  Hassebrauk,  Altbraunschweigische  Volk-  und  Soldatenlieder,  mit  Bildern 
von  H.  F.  Hartmann  und  Noten  von  A.  Kurzrock  nebst  einer  geschichtlichen  Einleitung. 
Braunschweig,  Ramdohr  [1909].   7  Bl.  fol.  1,25  Mk. 

4)  John  Meier,  Geschichte  eines  modernen  Volksliedes  (Schweizerisches  Archiv  f. 
Volkskunde  13,  241—270).  Leichtherzige  Unkenntnis  der  Literatur  zeigt  sich  in  den 
Konstruktionen  von  Liesenfeld  über  das  gleiche  Lied  (Zs.  f.  rhein.  Vk.  G,  124—127). 

5)  Blattl -Lieder,  nach  Wort  und  Weise  verfasst  von  dem  Tiroler  Bauerndichter 
Christian  Blattl  (1805— 18G5)  mit  einem  Anhang:  Blattls  Lieblingslioder  fremden  Ur- 
sprungs, bearbeitet  von  J.  Pommer.    Wien,  Robitschek  1910.    XIX,  221  S.   5  Kr. 


408  Bolte: 

verfassten  und  komponierten  Gesänge,  welche  P.  aus  dem  Munde  von  Blattls 
blinder  Tochter,  die  bei  des  Vaters  Tode  erst  neun  Jahre  zählte,  niederschrieb 
und  dann  vierstimmig  harmonisierte.  Diese  Dichtungen  behandeln  teils  im  Dialekt 
das  Leben  des  Bauern,  Senners,  Schützen,  Fuhrmanns,  teils  im  redseligen  Bauern- 
hochdeutsch den  Gegensatz  von  Arm  und  Reich,  die  Jahreszeiten,  die  Weihnachts- 
geschichte, die  Heimatliebe  und  lassen  bisweilen  auch  Einflüsse  der  Kunstpoesie 
erkennen  (Cupido  und  der  Schmied;  Weint  mit  mir  ihr  stillen  Haine;  Das  Jahr 
ist  gut,  braun  Bier  ist  geraten);  manche,  wie  die  Betrachtung  des  Totenkopfes, 
haben  sich  weiter  verbreitet.  Sorgfältig  hat  P.  solche  anderweitigen  Überlieferungen 
verglichen  und  von  den  73  angeblichen  Blattl-Liedern  15  als  älteres  Gut  aus- 
geschieden, darunter  z.  B.  die  oben  S.  -ilO  von  Dörler  mitgeteilten  'Zehn  Alter  des 
Menschen'.  —  Die  Schweiz  hat  uns  zwei  anmutige  Bändchen  von  Grolimund*) 
und  Wiederkehr^)  beschert;  der  erste  bietet  in  knapper  Form  102  Balladen  und 
Lieder  aus  dem  Solothurnischen  Schwarzbubenlando  samt  wertvollen  literarischen 
Nachweisen  J.  Meiers  über  Texte  und  Melodien,  während  Wiederkehr  durch  eine 
gemeinverständliche  Abhandlung  über  Form,  Arten  und  Schicksale  des  Volksliedes 
das  Interesse  wecken  und  zur  Sammlung  anregen  will  und  anhangsweise  32  Lieder 
mitteilt.  —  Von  der  prächtigen  Pfälzer  Unternehmung  von  Heeger  und  Wüst^), 
die  wir  oben  19,  354  begrüssten,  ist  ein  weiterer  Band  herausgekommen,  der  die 
Fortsetzung  der  Liebeslieder  enthält.  Die  Nr.  158  b  bis  378c  entsprechen  in  ihrer 
Reihenfolge  den  Nummern  659—740  des  Erk-Böhraeschen  Liederhortes,  dazwischen 
stehen  aber  noch  viele  andre  Liebeslieder  des  19.  Jahrh.  von  bekannten  und  un- 
bekannten Verfassern  mit  Varianten,  Melodien  und  Literaturangaben.  So  alt- 
väterische  Lieder  wie  'Zerdrück  die  Träne  nicht'  singt  der  Pfälzer  noch  heut. 
Wer  sich  ein  wenig  auf  die  vom  Herausgeber  sehr  erleichterte  Vergleichung  der 
Texte  einlässt,  erstaunt  über  die  Dauer  im  Wechsel  dieser  Lyrik;  Wanderstrophen 
und  Wandermotive  kehren  immer  wieder  und  setzen  sich  kaleidoskopartig  zu 
neuen  Gebilden  zusammen.  Zu  Nr.  356  vgl.  Lewalter  oben  20,  207;  zu  Nr.  372 
oben  15,  264.  —  In  dem  sangesfrohen  Hessen  hat  Weber*)  den  gesamten  Lieder- 
schatz des  Dorfes  Storndorf,  Kr.  Alsfeld  samt  den  Weisen  zum  Drucke  befördert, 
ein  Unternehmen,  das  bisher  nur  Augusta  Bender  für  das  badische  Dorf  Ober- 
schefflenz  durchgeführt  hat;  ausgeschlossen  sind  nur  einige  überall  bekannte 
Soldatenlieder  und  ganz  kürzlich  zur  Aufnahme  gelangte  Kunstlieder,  die  noch 
nicht  im  Munde  des  eigenmächtig  ändernden  Volkes  ein  volkstümliches  Gepräge 
angenommen  haben.  Unter  den  177  Nummern  gewahren  wir  manche  kaum  be- 
kannte, z.  B.  ein  Dreschmaschinerlied  (Nr.  30),  die  Abzugslieder  der  Dienstboten 
am  Schürztage,  d.  h.  am  dritten  Weihnachtstage  (z.  B.  137:  Von  dir  muß  ich 
scheiden,  prächtiges  Berlin),  die  angehängten  Triller,  d.  h.  Refrains  (Nr.  162  f.). 
Sehr  nützlich  sind  die  beigegebenen  literarischen  Nachweise;  vgl.  noch  zu  Nr.  16 
(Im  Manöver)  oben  15,  99.  337.  16,  86;  zu  42  (Die  scheintote  Geliebte)  oben 
S.  373;  zu  49  (Die  Selbstmörderin)  oben  11,  459,  Jungbauer  1908  S.  89,    E.  John 


1)  S.  Grolimund,  Volkslieder  aus  dem  Kanton  Solothurn  gesammelt  und  hsg. 
Basel  1910.  VII,  111  S.  3  Fr.  (Schriften  der  Schweizerischen  Gesellschaft  für  Volks- 
kunde 7). 

2)  G.  Wiederkehr,  Das  Volkslied,  mit  Beispielen  aus  dem  Freiamte.  Bern, 
A.  Francke  1909.   92  S.    1,50  Mk. 

3)  G.  Heeger  und  W.  Wüst,  Volkslieder  aus  der  Rheinpfalz,  mit  Singweisen  aus 
dem  Volksmunde  gesammelt,  Bd.  2.    Kaiserslautern,  H.  Kayser  1909.    318  S.  geb.  ."»,80  Mk. 

4)  Heinr.  Weber,  Die  Storndorfer  Volkslieder,  der  Liederschatz  eines  Vogelsberger 
Dorfes,  gesammelt  in  den  Jahren  1907  —  1909  (Hessische  Blätter  f.  Volkskunde  9,  1—12.')). 


Berichte  und  Bücherauzeigen.  409 

1909  Xr.  98.  Mitt.  f.  sächs.  Volksk.  4,  h)2,  Aus  dem  Posener  Lande  2,  7.")  (1907), 
Mitt.  der  schles.  Ges.  '20,  90;  zu  76  (Ach  Annchen)  oben  17,  207*  (Blüraml,  Erot. 
Volksl.  S.  30).  Die  ganze  Arbeit  Webers  kann  als  eine  prompte  Antwort  auf  einen 
Aufsatz  Schultes^)  angesehen  werden,  der  zu  rascher  Bergung  der  Liederschätze 
des  hessischen  A'olkes  auffordert.  —  Das  sächsische  Erzgebirge,  dem  A.  Müller 
1883  eine  kleine  Liederlese  entnahm,  hat  jetzt  durch  John-)  eine  weit  stattlichere 
Vertretung  erhalten.  J.  bietet  uns  i'15  Lieder  mit  den  Melodien  und  mit  Nach- 
weisen, zu  denen  J.  Meier  beigetragen  hat,  ferner  129  Tschumperlieder  (Vier- 
zeiler) und  64  Spottreime  auf  einzelne  Ortschaften.  Wo  die  Mundart  deutlicher 
zu  spüren  war,  hat  er  sie  sorgfältig  wiedergegeben.  Vgl.  zu  Nr.  24  (der  Toten- 
kopf} Pommer,  Blattl-Lieder  1910  Nr.  4;  zu  Nr.  83  Erk-Böhrae  1,  48;  zu  Nr.  IdS 
Erk-Böhme  3,  1599;  zu  Nr.  108,  Str.  1  Simrock,  Gedichte  1863  S.  68  'Schnür  dein 
Bündel';  zu  Nr.  108a  (der  Heiratslustige)  Treichel  1895  S.  81  und  Kopp  1899 
S.  147;  zu  Nr.  114  (der  kleine  Mann)  Erk-Böhme  2,  895;  zu  Nr.  171  (Böttcherlied) 
oben  15,  172;  zu  Nr.  173  (Schlosserlied)  Grübeis  Gedichte;  zu  Nr.  I!i8  (Morgen 
marschieren  wir)  Koffmann  v.  Fallerslebens  Gedichte.  S.  96  u.  ö.  w'ird  Gassmann, 
Das  Volkslied  im  Luzerner  Wiggertal  1906  falsch  zitiert.  —  Eine  erfreuliche  Gabe 
aus  Ostpreussen  erhalten  wir  von  Fräulein  v.  Batocki^):  30  Balladen  und  Liebes- 
lieder mit  Melodien,  zumeist  ältere  Volkspoesie,  doch  auch  Dichtungen  von  Pfeffel 
(Nr.  6),  Lossius  (2),  Chamisso  (5),  v.  Zedlitz  (21),  Dreves  (22),  teilweise  in  der 
mündlichen  Überlieferung  umgemodelt,  sowie  das  aus  Kowalskis  polnischem 
Originale  verdeutschte  Lied:    'An  der  Weichsel  gegen  Osten'  (1). 

Auf  dem  Gebiete  des  Kinderliedes  sind  zwei  westdeutsche  Sammlungen 
anzuführen,  eine  reichhaltige  (407  Nr.)  und  gutgeordnete  aus  dem  Hunsrück  von 
Dillmann*),  an  der  man  wieder  beobachten  kann,  wie  sich  Balladen  der  Er- 
wachsenen hier  als  dramatische  Spiele  fortpflanzen,  und  Schöns^)  Saarbrücker 
Kinderreime  und  Spiele  ohne  Verstext,  denen  auch  die  bescheidenen  Melodien  und 
Versuche  mythologischer  Deutung  beigegeben  sind.  —  Für  den  praktischen  Gebrauch 
der  Schulkinder  haben  zwei  Lehrerinnen,  Frl.  Radczwill^)  und  Frl.  G.  Meyer'), 
zwei  nette  Büchlein  verfasst,  welche  auf  der  volkskundlichen  Forschung  ruhend 
die  alten  Tanzspiele  und  Singtünze  wieder  zum  Gemeingut  der  Jugend  machen 
wollen.  Beide  beschreiben  die  Ausführung  genau  und  fügen  die  Melodien  hinzu; 
jene  gruppiert  67  Spiele  sorgsam  nach  Alter  und  Herkunft,  so  dass  die  platten 
Reime  Fröbels  und  seiner  Nachfolger  für  sich  stehen,  diese  gibt  33  deutsche  und 
schwedische  Volkstänze  mit  Klavierbegleitung.  —  Auf  die  kleineren,  in  Zeit- 
schriften verstreuten  Beiträge  zur  Kunde  des  Volksliedes  kann  hier  nicht  ein- 
gegangen w'erden,  nur  Pommer s  bis  zum  12.  Jahrgange  gelangte  Zeitschrift  'Das 


1)  0.  Schulte,  Das  Volkslied  in  Oberhessen.     Giesson,  R.  Lange  [19(t9|.    26  S. 

2)  E.  H.  H.  John,  Volkslieder  und  volkstümliche  Lieder  aus  dem  sächsischen  Erz- 
gebirge, nach  Wort  and  Weise  aus  dem  Munde  des  Volkes  gesammelt  und  mit  literar- 
historischen Anmerkungen  versehen.     Annaberg,  Graser  1909.    239  S.    4,80  Mk. 

3)  E.  T.  V.  Batocki,  V2  Schock  alte  ostpreussische  Volkslieder,  in  Heuaust  und 
Spinnstube  gesammelt.     Königsberg  i.  Fr.,  Ostpreussische  Druckerei  191u.    8^1  S.    1.50  Mk. 

4)  J.  Dillmann,  Hunsrücker  Kinderlieder  und  Kinderreime,  gesammelt,  geordnet 
und  mit  Anmerkungen  versehen.     Frankfurt  a.  M.,  A.  Heil  [1909].    VIII,  104  S.     1,25  Mk. 

5)  Fr.  Schön,  Kinderlieder  und  Kinderspiele  des  Saarbrücker  Landes,  zum  prak- 
tischen Gebrauche  hsg.  und  mit  Anmerkungen  versehen.  Saarbrücken,  C.  Schmidtke  1909. 
4Bk    129  S. 

6)  Minna  Rade z will,  Singspiele,  im  Auftrage  des  Ausschusses  für  Volksfeste 
verfasst.    Leipzig,  Teubuer  1908.   VIII,  139  S.  k.    1,10  Mk. 

7)  Gertrud  Meyer,  Volkstänze.   Leipzig,  Teubner  U)09.   IV,  50  S.  k.    1,20  Mk. 


410  Bolte,  Polivka: 

deutsche  Volkslied'  (Wien,  Holder),  das  Organ  des  Wiener  Volksgesangvereins, 
sei  genannt.  Pommer^)  hat  ferner  zwei  weitere  Hefte  ausgewählter  Volkslieder 
in  einfachem  vierstimmigem  Satze  herausgegeben,  die  manchen  Vereinen  will- 
kommen sein  werden.  Gleich  ihm  legt  der  Münchner  Peslmüller^)  in  seinem 
geschmackvoll  ausgestatteten  Hefte  'Aus  entschwundenen  Tagen'  Nachdruck  auf 
die  Echtheit  der  dargebotenen  deutschen  und  niederländischen  Volkslieder  älteren 
und  neueren  Datums,  während  die  von  Cornelius  Schmitt  besorgte  Klavier- 
begleitung bei  den  Melodien  des  16.  Jahrh.  keine  moderne,  sondern  eine  stil- 
gerechte Harmonisierung  erstrebt.  Nur  für  geniessende  Liebhaber  bestimmt  ist 
die  von  Hesse,  Lang  und  Strauss^)  besorgte,  feinsinnige  und  zierliche  Lese 
von  Texten,  die  ungleich  dem  Wunderhorn  sogar  Quellenangaben  meidet.  Ohne 
gelehrte  Ansprüche,  ja  mit  einem  gewissen  Gegensatze  gegen  die  von  den  Literar- 
historikern gerühmten  'alten'  Volkslieder  stellt  ein  Wiener  Anonymus^)  220  Volks- 
und volkstümliche  Lieder  des  18.  bis  19.  Jahrh.  mit  einstimmigen  Weisen  für 
gesellige  Kreise  zusammen,  wobei  er  natürlich  die  in  Österreich  entstandenen 
bevorzugt.  Die  im  Vorworte  abgewiesene  'Akribie  der  Forscher'  lässt  sich  aller- 
dings bisweilen  in  den  Notizen  über  die  Herkunft  der  Texte  und  Weisen  ver- 
missen. —  Zu  den  keineswegs  gering  zu  schätzenden  Bemühungen,  die  Arbeit 
gelehrter  Forscher  für  grössere  Kreise  auszumünzen  und  zugänglich  zu  machen, 
rechnen  wir  ein  schmuckes  Händchen  von  Bonus^),  welches  von  den  durch 
Weinhold,  Hartmann,  Pailler  veröffentlichten  Weihnachtsspielen,  Hirtenszenen  und 
-liedern  eine  gute  Auswahl  (14  Nr.)  gibt  und  dazu  26  ältere  Weihnachtslieder 
fügt.  Die  Einleitung  beschäftigt  sich  etwas  zu  ausschliesslich  mit  der  Recht- 
fertigung des  kecken  Humors,  mit  dem  die  heiligen  Gestalten  darin  vorgeführt 
werden.  Noch  weiter  in  der  Nutzbarmachung  geht  der  praktische  Versuch  des 
badischen  Pfarrers  Degen*^),  aus  den  Volksschauspielen  ein  neues,  durch  Kinder 
in  der  Kirche  aufzuführendes  Weihnachtsdrama  herzustellen,  dessen  zehn  Szenen 
durch  Chorgesänge  eingerahmt  sind. 

Den  musikalischen  Problemen  des  Volksliedes  ward,  wenn  man  von  ver- 
einzelten Bemerkungen  in  den  erwähnten  Sammlungen  absieht,  nicht  allzuviel  Auf- 
merksamkeit geschenkt.  Durch  eine  Untersuchung  des  Auftaktes  und  seiner 
tonalen  Beziehungen  zu  seinen  Nachbartönen  in  älteren  und  neueren  Volksweisen 


1)  J.  Pommer,  27  deutsche  Volkslieder  im  Satze  für  gemischten  Chor  ausgewählt 
und  mit  Anmerkungen  versehen.  Wien  1907.  G9  S.  0,60  Mk.  (Flugschriften  hsg.  von  dem 
Deutschen  Volksgesaug -Vereine  in  Wien  13).  —  Lustige  deutsche  Volkslieder  älterer 
und  neuerer  Zeit  ausgewählt  und  eingerichtet.  Wien  1\W.  83  S.  0,80  Mk.  (Flug- 
schriften 14.) 

2)  J.  Pe simulier,  Aus  entschwundenen  Tagen,  50  echte  Volkslieder  in  Wort  und 
Weise  15.  bis  19.  Jahrh.  ausgewählt  im  Auftrage  des  Vereins  für  Volkskunst  und  Volks- 
kunde. Musiksatz  von  C.  Schmitt.  München,  Seyfried  u.  Co.  1909,  III,  90  ö.  Querfol. 
4,80  Mk. 

3)  H.  Hesse,  M.  Lang  und  E.  Strauss,  Der  Lindcubaum,  Deutsche  Volkslieder. 
Berlin,  S.  Fischer  1910.    268  S.  kart.  2  Mk. 

4)  Neues  Wiener  Volksliederbuch  für  alle  geselligen  Kreise,  gesammelt  von  Freunden 
des  Volksgesanges.    Wien,  A.  Hartleben  o.  J.   XV,  304  S.    3,60  Mk. 

5)  A.  Bonus,  Deutsche  Weihnacht,  Spiel  und  Lied  aus  alter  Zeit,  mit  einer  Ein- 
führung und  i:\  Bildern.  München,  R.  Piper  cl-  Co.  [1909].  XXVII,  266  S.  1,80  Mk. 
(=  Die  Fruchtschale  18 ) 

6)  E.  Degen,  Ein  deutsches  Weihnachtskrippenspiel  aus  Liedern  und  Spieleu  des 
Volkes  zusammengestellt  und  bearbeitet  (.Partitur).  Karlsruhe,  J.  J.  Reift"  1909.  46  S. 
4».    3Mk. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  411 

gelangt  Brandsch^)  zu  der  Erkenntnis,  dass  hier  seit  1600  deutlich  der  zu- 
nehmende Einfluss  der  modernen  polyphonen  Musik  mit  ihrer  vorwiegenden  Dur- 
harmonik wahrzunehmen  ist,  während  die  älteren  Volksmelodien  durchweg  ein- 
stimmig empfunden  sind  und  sich  gegen  eine  Akkordbegleitung  sträuben.  Xef^) 
schildert  eine  wenig  beachtete,  aber  als  Vorläuferin  des  heutigen  schweizerischen 
Volksgesanges  wichtige  Periode  der  Musikgeschichte,  nämlich  die  Einführung  des 
begleiteten  volkstümlichen  weltlichen  Liedes  durch  die  von  J.  Schmidlin  1769 
komponierten  Schweizerlieder  Lavaters  und  seine  Entwicklung  bis  zum  Auftreten 
Nägelis.  Während  man  vorher  in  der  reformierten  Schweiz  nur  mehrstimmige 
Goudiraelsche  Psalmen  und  begleiteten  geistlichen  Sologesang  kannte,  ward  nun 
der  Einfluss  der  Berliner  Schule  mächtig,  welche  Einfachheit  und  Natürlichkeit 
forderte;  charakteristisch  aber  blieb  die  Betonung  des  Nationalgefühls.  Wenig 
später  fällt  das  gleichfalls  für  die  Richtung  des  Gesellschaftsliedes  bedeutsame 
Auftreten  von  Schulz,  der  1782  'Lieder  im  Volkston'  herausgab;  zu  seiner 
Charakteristik  liefert  Klunger^)  Beiträge.  Die  Wanderungen  einer  französischen 
Tanzweise  des  16.  Jahrh.  nach  den  Niederlanden  und  nach  Deutschland,  wo  sie 
in  einem  Glockenspiel,  in  Soldatenraärschen  und  Liedern  erscheint,  verfolgte 
Brandsch  (oben  19,  418—421),  der  auch  die  siebenbürgischen  Melodien  zur 
Ballade  von  der  Nonne  zusammenstellte  (oben  19,  194—197),  Die  Herkunft  der 
Singweise  des  Liedes  vom  Reservemann  aus  Berats  französischem  Liede  'Ma 
Normandie'  erwies  J.  Lewalter  (oben  S.  207 — 209). 

Berlin.  Johannes  Bolte. 


Neuere  Arbeiten  zur  slawischen  Volkskunde. 

(Vgl.  oben  S.  213-225.) 

2.  Südslawisch. 

Einen  wertvollen  Beitrag  zur  slowenischen  Volkskunde  gab  Matko  Potornik 
in  seinem  Buche  'Das  Herzogtum  Kärnten',  1.  Bd.  (Laibach  1909.  8  und  184  S.). 
Es  werden  hier  die  nationalen  und  sprachlichen  Verhältnisse  des  Landes  ge- 
schildert und  die  Zahl  der  slowenischen  Bevölkerung  gegenüber  der  offiziellen 
Statistik  richtiggestellt;  im  ganzen  beträgt  die  Zahl  der  Slowenen  etwas  über 
120  000  gegenüber  rund  239  000  Deutschen.  In  dem  der  Volkskunde  gewidmeten 
Kapitel  werden  gedrängt  beschrieben  Tracht,  Gebräuche,  Hochzeit,  Aberglauben, 
Volksmedizin,  Sagen  vom  König  Matthias  und  verschiedene  Ortssagen.  Die  bei- 
gelegte Karte  stellt  die  deutsch-slowenische  Sprachgrenze  in  Kärnten  sehr  detailliert 
dar.  —  Von  der  Sammlung  slowenischer  Volkslieder  des  Prof.  K.  Strekelj  (vgl. 
oben  18,  317)  erschien  das  13.  Heft.  Es  enthält  (S.  81—192)  die  weitere  Fort- 
setzung der  Soldatenlieder  nr.  6897—7174;  es  sind  das  vielfach  wenig  ver- 
schiedene Varianten  eines  und  desselben  Liedes,  wie.  z.  B.  nr.  (3908— (■.915, 
6950—6982,  7063—7088,    7108—7120;    manche   sind  ganz   kurze  Liedchen.     Stark 


1)  G.  Brandsch,  Die  Tonalität  des  Auftaktes  in  den  deutschen  Volksweisen  (Archiv 
des  V.  f.  siebenbürg.  Landeskunde  n.  F.  36,  399—426). 

2)  A.  Nef,    üas    Lied    in    der    deutschen    Schweiz    Ende    des    IS.  und    Anfang    des 
19.  Jahrh.    Zürich,  Hug  &  Co.  190; i.    VII,  167  S.    2  Mk. 

3)  C.  Klunger,    J.  A.  P.  Schulz   in    seinen  volkstümlichen  Liedern.    Diss.  Leipzig 
1909.    63  S. 


412  Polivka: 

sind  sie  mit  tiefer  Religiosität,  wenn  nicht  Bigotterie  erfüllt.  Von  dem  Zwecke 
und  der  Richtung  ihrer  Kriegszüge  haben  diese  armen  Soldaten  recht  dunkle  Vor- 
stellungen, einer  meint  z.  B.,  er  werde  auf  des  Kaisers  Ruf  sein  Blut  für  den 
Glauben  Jesu  vergiessen  (nr.  715.'))  u.  a.  —  Auch  sei  hier  der  Aufsatz  des 
J.  Kostitil  'Erotik  in  slowenischen  Volksliedern'  (Anthropophyteia  5,  157f.)  notiert, 
Excerpte  aus  bekannten  Liedersammlungen. 

Sehr  wichtig  ist  für  alle,  die  sich  mit  der  Kunde  der  Balkanhalbinsel  und 
ihrer  Völker  beschäftigen,  die  von  J.  Cvijic  redigierte  'Übersicht  (Pregled)  der 
geographischen  Literatur  der  Balkanhalbinsel'.  Der  letzte  5.  Bd.  derselben  (Belgrad 
1908,  217  S.  4«)  umfasst  die  Jahre  1901—1905.  Das  3.  umfangreichste  Kap.  ent- 
hält die  Arbeiten  zur  Anthropologie  und  Ethnographie  (S.  98 — 193)  und  bringt 
mitunter  sehr  ausführliche  Rezensionen  über  hierher  gehörige,  in  allen  Sprachen 
selbständig  oder  in  Zeitschriften  erschienenen  Arbeiten,  so  z.  B.  über  R.  Meringer, 
Die  Stellung  des  bosnischen  Hauses  und  Etymologien  zum  Hausrat  (S.  124 — 129), 
Karl  Dieterich,  Die  Volksdichtung  der  Balkanländer  in  ihren  gemeinsamen  Ele- 
menten (S.  137 — 139)  u.  a.  Es  wäre  nur  sehr  erwünscht,  dass  diese  Rezensionen 
systematisch  aneinander  gereiht  würden.  Der  Gebrauch  des  Buches  wird  einiger- 
massen  durch  die  beigegebenen  Register  erleichtert;  neben  einem  Autorenregister 
sind  die  Titel  der  besprochenen  Arbeiten  nach  den  Ländern  zusammengestellt; 
doch  hätten  wir  in  diesem  speziellen  Register  eine  systematische  Aneinanderreihung 
gewünscht,  und  zwar  nach  sachlichen  Gesichtspunkten,  nicht  so  pele-mele  wie 
z.  B.  Smirnov,  Eine  Skizze  der  Kulturgeschichte  der  Südslawen,  Vasil.  Gjeric, 
Über  den  sorbischen  Namen  in  den  w^estlichen  Gegenden  unseres  Volkes,  Tih. 
R.  Gjorjevir,  Das  serbische  Folklore,  VI.  Titelbach,  Die  serbische  Stickerei, 
AI.  S.  Jovanovic,  Beiträge  zur  Geschichte  des  alten  serbischen  Rechtes,  Dr.  S.  Vatev, 
Anleitung  zur  Sammlung  der  Materialien  zur  Volksmedizin  usw.  Noch  erwünschter 
wäre  ein  im  Detail  durchgearbeitetes  Sachregister.  Ausserdem  wären  wenigstens 
die  wichtigeren  Rezensionen  zu  registrieren,  wie  es  sonst  in  Bibliographien 
üblich  ist. 

Sehr  schwierige  und  komplizierte  Fragen  nach  der  physischen  Beschaffenheit 
der  ältesten  Völkerschaften  der  Balkanländer  und  den  Ursachen  der  anthropo- 
logischen Merkmale  ihrer  jetzigen  Bevölkerung  sucht  Niko  Zupanic  in  seinem 
Buche  'Ein  System  der  historischen  Anthropologie  der  Balkanvölker' (Belgrad  1909, 
92  S.  4",  S.-A.  aus  dem  2.  u.  3.  Jg.  der  Zs.  „Starinar")  zu  lösen,  und  verteidigt 
energisch  seine  Thesen  gegen  seine  Kritiker  (Starinar  4,  101  ff.,  vgl.  Letopis  Mat. 
Srpske  259,72);  er  schreibt  den  alten  Illyriern  die  Schädel  von  Glasinac  in  Serbien 
zu,  und  auf  Grund  des  Berichtes  des  römischen  Arztes  Galenus  behauptet  er,  dass 
die  alten  lllyrier  noch  im  2.  Jh.  n.  Chr.  Xanthodolichokephalen  waren,  wie  auch, 
dass  die  alten  Thraker,  gleichfalls  die  alten  Griechen  nach  dem  Zeugnis  der  Ho- 
merischen Gedichte  und  ebenso  die  um  das  Jahr  (iOO  n.  Chr.  eingewanderten  sla- 
wischen Stämme  denselben  physischen  Habitus  hatten.  Heute  freilich  gehören  die 
letzteren  grösstenteils  zu  den  Melanobrachykephalen.  Betreffs  der  Griechen  meint 
er,  dass  schon  unter  den  römischen  Kaisern  sich  ihr  Habitus  stark  modifizierte  und 
verdunkelte,  und  unterscheidet  die  griechische  Bevölkerung  der  Inseln  von  der  des 
Festlandes;  bei  der  letzteren  sind  noch  9,58  pCt.  blauäugig,  überhaupt  tritt  das  helle 
Auge  desto  häufiger  auf,  je  mehr  man  sich  ihrem  Zentrum,  den  slawischen  Gegen- 
den nähert,  und  dies  erklärt  er  durch  Mischung  mit  slawischen  Volksstämmen. 
Er  betont  weiter  den  grossen  physisch-anthropologischen  Kontrast  zwischen  den 
heutigen  Albanesen  und  den  alten  Illyriern,  und  meint  diese  ungemein  starke  Ver- 
änderung   der    einstigen    Xanthodolichokephalen    in    die    heutigen   Melanobrachy- 


Herichte  und  Bücheranzeigen.  413 

kephiilen  habe  sich  mit  der  Zeit  vollzogen,  ebenso  wie  die  Veränderung  des  ganzen 
Habitus  bei  den  Griechen.  Auch  betreffs  der  Serben  und  Kroaten  greift  Zupanir 
auf  Konstantin  Porphyrogenetos  zurück  und  meint,  es  wären  das  zwei  anthro- 
pologisch verschiedene  Völker.  Alle  diese  und  ähnliche  Probleme  entziehen  sich 
eigentlich  dem  Programme  dieser  Zeitschrift,  aber  dennoch  wollten  wir  diese 
Schrift  nicht  mit  Schweigen  übergehen,  und  konnten  das  um  so  weniger,  da  auch 
die  Volkskunde  näher  tangierende  Fragen  in  dieser  Schrift  behandelt  werden;  so 
will  Z.  die  Reichhaltigkeit  und  Schönheit  der  Volksmelodien  in  dem  Kosover  Vi- 
lajet  als  ein  Erbe  der  älteren  illyrischen  Bevölkerung  des  Landes  erklären,  wo- 
gegen in  anderen  Ländern  in  Montenegro,  in  der  Herzegowina,  in  Dalmatien  und 
in  der  Lika  das  musikalische  Talent  sehr  schwach  entwickelt  ist.  Zupanic  ver- 
öffentlichte noch  in  der  Zs.  „Prosvetni  Glasnik"  1909  einen  Aufsatz  'Gedanken 
über  die  Physio-Ethnologie",  wo  die  Wichtigkeit  tieferer  Erforschung  der  Balkan- 
völker von  diesem  Gesichtspunkt  aus  betont  wird.  —  Eine  gedrängte  allg-emeine 
Schilderung  des  serbischen  Volkes  lieferte  Dr.  Sima  Trojanovic  (Bosanska  Vila 
Bd.  23),  dessen  physisch-psychischen  Eigenschaften,  sozialen  und  wirtschaftlichen 
Verhältnissen,  Glauben,  Festtage,  Rechtsgebräuche,  Arbeit  und  Gewerbe,  Spiel  und 
Tanz,  endlich  Heldentum.  Dieser  Aufsatz  wurde  in  das  Buch  'Servia  by  the  Ser- 
vians'  by  Alfred  Stead  (London  1909,  S.  169  —  198)  aufgenommen.  Dieses  Werk 
enthält  ausserdem  einen  viel  zu  kurzen  Aufsatz  von  Tihomir  Gjorgjevir  über 
Aberglauben  und  Volksüberlieferungen  (158—168).  Die  anderen  Kapitel  des  eng- 
lischen Buches  berühren  nicht  die  Volkskunde.  Die  Beschreibung  der  'Ansiedelungen 
der  serbischen  Länder'  schreitet  unter  der  Redaktion  Jovan  Cvijics  rüstig  vorwärts. 
Nach  dem  in  unseren  Berichten  geschilderten  Plan  (vgl.  oben  13,  240)  beschrieben 
Pop  Stjepo  und  Vladimir  Trifkovir  die  Ansiedelungen  des  westlichen  Teiles 
der  Serajewoer  Ebene  (Srpski  etnograf.  Zbornik  11,  1 — 309).  Nach  einer 
knappen  Schilderung  der  physischen  Eigenschaften  des  Landes  folgt  eine  Be- 
schreibung der  Siedelungen,  der  Lage  des  Dorfes,  der  ökonomischen  Verhältnisse, 
des  Dorf-Typus,  hierauf  des  Hauses,  wobei  natürlich  das  mohammedanische  Haus 
selbständig  beschrieben  wird.  Es  folgen  dann  'Reste  älterer  und  Entstehung  der 
jetzigen  Dörfer'.  Die  Dörfer  selbst  sind  bis  auf  eine  geringe  Anzahl  alten  Ur- 
sprungs, doch  deren  Bevölkerung  ist  bis  auf  die  mohammedanischen  Dörfer 
jüngeren  Ursprungs,  wurde  vor  erst  100 — 150  Jahren  angesiedelt.  Der  Bewegung 
und  dem  Ursprung  der  Bevölkerung  ist  ein  besonderes  Kapitel  gewidmet,  worin 
die  Verfasser  übersichtlich  darzustellen  suchen,  aus  welchen  Gegenden  diese  jetzige 
Bevölkerung  herrührt.  Ziemlich  wenig  werden  die  ethnischen  Eigentümlichkeiten 
berührt,  wie  Sprache,  Tracht,  sehr  wenig  der  Brauch  (76 — 83);  vielmehr  die  Be- 
schäftigung der  Bevölkerung,  Ackerbau,  Viehzucht,  ausserdem  Fuhrwesen,  Müllerei, 
Wirtshäuser,  Schmiederei  u.  a.  In  dem  bei  weitem  grösseren  'speziellen  Teil' 
(S.  94 ff.)  wird  jedes  einzelne  Dorf  in  derselben  Weise  beschrieben.  —  Noch  aus- 
führlicher und  gründlicher  beschrieb  nach  demselben  Plan  Dr.  Jevto  Dedijer  die 
Herzegowina  (ebd.  Bd.  12,  S.  1 — 448).  Der  Verfasser  arbeitete  an  diesem  Werke 
fast  10  Jahre;  er  sammelte  das  Material  grösstenteils  selbst,  teilweise  vervoll- 
ständigte er  bereits  vom  anderen  gesammelten  und  publizierten  Stoff.  Die  ein- 
zelnen Kapitel  sind  viel  gründlicher  und  tiefer,  als  es  sonst  in  diesen  Studien  ge- 
schieht, ausgearbeitet.  Neu  eingeführt  ist  ein  Kapitel  über  die  anthropogeographisch 
wichtigeren  historischen  Momente  (S.  24  —  36),  wie  die  Reste  des  prähistorischen 
Lebens,  besonders  der  klassischen  Zeit,  den  Typus  und  die  Lage  der  herzego- 
winischen  Ansiedlungen  in  der  römischen  Zeit  u.  a.,  wo  der  Verfasser  auf  Grund 
der  Forschungen  des  Dr.  K.  Patsch  vorgeht.     Sehr    eingehend  werden    die  ökono- 


414  Polivka: 

mischen  Verhältnisse  besprochen,  u.  a.  die  wichtigeren  Agrikultur-Pflanzen,  das 
Hirtenleben  (S.  37 — 71).  Wie  hier,  so  werden  auch  bei  der  Untersuchung  der 
Lage  und  des  Typus  der  Städte,  Städtchen,  Dörfer  die  physischen  Verhältnisse 
des  Landes  stets  berücksichtigt.  Besondere  Aufmerksamkeit  ist  der  Etymologie 
der  Ortsnamen  zugewendet  (S.  1>Ö — 106),  da  vielfach  diese,  auch  die  echt  sla- 
wischen, sich  von  den  Ortsnamen  anderer  serbischer  Länder  unterscheiden;  her- 
vorgehoben wird  noch,  dass  oft  die  herzegowinischen  Ortsnamen  fremden  (alba- 
nesischen  und  romanischen)  Ursprungs  sind,  und  hieraus  auf  einen  engeren  Zu- 
sammenhang der  alten  roraanisierten  illyrischen  Bevölkerung  mit  der  späteren 
serbischen  geschlossen.  Sehr  genau  werden  die  alten  und  neueren  Schichten  der 
Bevölkerung  untersucht,  die  alten  Brüderschaften  und  die  später  in  verschiedenen 
Zeiten  eingewanderten  Familien,  wie  auch  deren  Urheimat  festgesetzt,  und  so  wird 
eine  Geschichte  der  Wanderungen  gegeben.  Ausser  der  Einwanderung  ins  Land 
und  der  Wanderung  in  diesem,  gab  es  auch  eine  starke  Emigration;  ihr  widmet 
der  Vf.  ebenfalls  besondres  Augenmerk,  da  eben  Herzegowina  eines  der  aktivsten 
serbischen  Länder  ist  und  seit  früher  Zeit  (die  Nachrichten  reichen  bis  in  die 
Hälfte  des  14.  Jh.  hinauf)  die  Nachbarländer  nach  allen  Seiten  bevölkerte  (S.  162 
bis  168).  Das  Schlusskapitel  des  ersten  allgemeinen  Teiles  dieser  Studie  behandelt 
die  soziale  Psychologie  der  herzegowinischen  Bevölkerung  (S.  171 — 184).  Der  Ver- 
fasser konstatiert  drei  Gruppen  der  sozial-psychologischen  Erscheinungen,  drei  ver- 
schiedene ethnische  Seelen:  die  alten  Bewohner,  die  neueren  Ansiedler  aus  der 
östlichen  Herzegowina  und  Montenegro  und  die  neueren  Ansiedler  aus  der  west- 
lichen Herzegowina  und  Dalmatien.  Die  alten  Bewohner  kommen  in  grösseren 
Massen  nur  in  der  östlichen  Herzegowina  vor;  soweit  sie  orthodox  sind,  haben  sie 
sich  mit  neueren  Ansiedlern  so  vermischt,  dass  unter  ihnen  keine  bedeutendere 
psychische  Unterschiede  erblickt  werden  können.  Nur  die  mohammedanischen 
'Balijer'  scheiden  sich  durch  ihr  Nomadenleben  ab;  in  ihren  Sitzen  im  Hochgebirge 
haben  sie  sich  nicht  in  Bruderschaften,  Stämme,  organisiert  wie  die  jüngeren  An- 
siedler, noch  haben  sie  alle  Vorschriften  der  mohammedanischen  Religion  ange- 
nommen. Leider  können  wir  da  nicht  alle  wertvollen  und  interessanten  Aus- 
führungen des  Vf.  wiedergeben.  In  dem  speziellen  Teil  werden  die  einzelnen 
Dörfer  beschrieben.  —  Weiter  beschreibt  Kosta  Jovanovic  das  obere  Dragacevo 
in  Serbien  (ebd.  11,  311 — 426)  und  Jovan  Erdeljanovic  den  montenegrinischen 
Stamm  Bratonozici  (ebd.  12,  449—538),  dessen  Geschichte  bis  in  die  Hälfte  des 
15.  Jh.  hinaufreicht.  Nach  den  Darlegungen  des  Vf.  war  es  ursprünglich  ein  ro- 
manisierter  illyrischer  Stamm,  wie  unzweifelhaft  die  Namen  einiger  Brüderschaften 
beweisen.  Eine  gedrängte  Charakteristik  der  Bevölkerung  des  Sandzak  Novi  Pazar 
gibt  E.  J.  Cvetic  in  einer  kleinen  Broschüre  'Novopazarski  Sandzak'  (Jagodina  s.  a.). 
Endlich  gab  Dr.  Jovan  Chadzi-Vasiljevir  den  1.  Bd.  eines  grösser  angelegten 
Werkes  über  das  südliche  Alt-Serbien  heraus.  'Das  Land  von  Kumanovo'  (hsg. 
von  der  Stiftung  des  J.  M.  Kolarac  Bd.  140.  Belgrad  1909,  558  S.)  mit  einer  ethno- 
graphischen Karte.  Der  grössere  Teil  des  AVerkes  ist  ethnographisch  und  vielfach 
ähnlich  ausgearbeitet,  wie  die  unter  der  Redaktion  Jov.  Cvijirs  erschienenen;  ent- 
hält demnach  auch  eine  genaue  Beschreibung  von  35  Dörfern  dieses  Landes.  Wir 
erfahren  Lage,  Anlage,  Grösse  usw.  der  Ansiedelungen,  Namen,  Haus  und  wirt- 
schaftliche Gebäude,  ökonomische  Verhältnisse,  Beschäftigung  der  Bevölkerung, 
Verhältnisse  zu  den  Grossgrundbesitzern  (133—161)  u.  ä.;  über  die  Bevölkerung 
nach  ihrer  Nationalität  (171),  hauptsächlich  Serben  und  Albanesen  (177),  deren 
Vordringen:  gegen  bulgarische  Schriftsteller  versucht  er  zu  beweisen,  dass  die 
slawische  Bevölkerunjj  des  Landes  ethnisch  mit  den  Serben   enge  zusammenhängt 


Belichte  und  Bücheranzeigen.  415 

(290);  beschreibt  die  Tracht,  Lebensweise  (314),  Nahrung  (324),  Hausgemeinschaft 
(327)  und  ihren  raschen  Verfall,  Verwandtschaft  und  deren  Bezeichnungen.  Nun  erst 
geht  der  Vf.  zu  einer  flüchtigen  Charakteristik  des  Dialektes  und  seiner  ver- 
schiedenen Nuancen  über  (333)  und  führt  als  dessen  Beispiel  einige  Sagen,  Märchen 
und  Lieder  an.  Eingehend  werden  die  Gebräuche  beschrieben  samt  Aberglauben 
bei  Geburt,  Hochzeit;  es  herrscht  noch  Brautkauf;  wenn  der  Hochzeitszug  vor  das 
Haus  der  Braut  ankommt,  muss  der  Bräutigam  eine  Art  Turnierspiel  aufführen 
(37Ö)  u.  a.,  Tod  und  Begräbnis;  bei  den  Jahresfesten,  Tanz  (393)  und  Spiele  (398). 
—  Der  neue  Band  von  P.  Rovinskij  'Montenegro  in  seiner  Vergangenheit  und 
Gegenwart'  (Bd.  2,  Abt.  4,  St.  Petersburg,  Akademie  19u9,  23U  S.)  bringt  die  Be- 
schreibung der  Denkmäler  aus  der  vorhistorischen,  römischen  und  serbischen  Zeit. 
Tich.  R.  G  Jorge  vi  c  beschreibt  die  sog.  weissen  Zigeuner  im  westlichen  Serbien 
(Srpski  kniz.  glasnik  22,202  0".),  die  Mohammedaner,  jetzt  teilweise  Christen,  aus 
Bosnien  eingewandert  sind  und  jetzt  ausschliesslich  serbisch  sprechen;  deren  Hoch- 
zeits-,  Begräbnisgebräuche  u.  a. 

Dr.  Sima  Trojanovic  behandelt  recht  ausführlich  das  serbische  Fuhrwesen, 
welches  das  sich  immer  mehr  verdichtende  Eisenbahnnetz  Serbiens  nun  auch  aus 
seinen  letzten  Sitzen  in  üzice  und  Carak  bald  verdrängen  wird  (Srpski  etnograf. 
Zbornik  13,  1  —  153).  Er  beschränkt  sich  nicht  bloss  auf  Serbien,  sondern  stellt 
seine  diesbezüglichen  Beobachtungen  aus  allen  serbischen  Ländern  zusammen  über 
das  Leben  und  Treiben  der  Fuhrleute,  ihre  Tracht,  die  von  ihnen  beförderten 
Waren,  ihre  Reise,  Wege  u.  a.,  wobei  er  auch  Nachrichten  aus  früheren  Zeiten 
heranzieht;  das  Hauptaugenmerk  jedoch  wendet  er  dem  südwestlichen  Serbien  zu 
und  teilt  dann  gründliche  statistische  Daten  mit.  Eingehend  werden  die  Strassen 
und  Einkehrhäuser,  Jahrmärkte  (S.  88),  Postbeförderung  (S.  197),  verschiedene 
Waren  und  Artikel,  Tausch  statt  Kauf  (S.  25)  u.a.  besprochen.  Wir  finden  ausser- 
dem verschiedene  kulturhistorisch  interessante  Exkurse,  über  die  Verbreitung  der 
Kartoffel  (S.  68),  über  den  illyrisch-romanischen  Ursprung  mancher  Artikel  und 
Produkte,  besonders  der  Viehzucht  (S.  8G)  u.  a.  —  Andrija  Jo  vice  vir  beschreibt 
den  Fischfang  am  See  von  Scutari  (ebd.  S.  155—257),  dabei  auch  das  Trocknen 
und  die  Zubereitung  der  Fische,  Schiffe  u.  a.  Einen  Beitrag  zur  serbischen 
Töpferei  im  Bez.  von  Uzice  in  Serbien  liefert  Zivko  J.  Joksimovic  (ebd.  13, 
483 — 497).  Vid  Vuletic-Vukasovic  beschreibt  das  Weben  auf  der  Insel  Lopud 
(ebd.  S.  599—511). 

Eine  gedrängte  Skizze  der  serbischen  'Volksliteratur'  gibt  Pavle  Popovic  in 
seiner  'Übersicht  der  serbischen  Literatur'  (Belgrad  1909.  486  S.);  sie  umfasst 
daselbst  S.  76—176  und  behandelt  eigentlich  nur  Volkslied  und  Märchen,  an 
Sprichwort  und  Rätsel  vorübergehend.  Auf  eine  kurze  Erwähnung  älterer  Be- 
richte über  die  Volkstraditionen,  besonders  Lieder,  folgt  eine  knappe  Schilderung 
der  lyrischen  und  epischen  Lieder,  wie  auch  der  verschiedenen  Arten  der 
prosaischen  Überlieferungen,  dann  die  verschiedenen  Theorien  über  Alter  und 
Ursprung  der  epischen  Poesie,  der  langsilbigen  und  zehnzeiligen,  wie  auch  über 
die  Entstehung  des  Märchens.  Bei  dem  bisherigen  Stand  der  Wissenschaft  konnte 
das  Verhältnis  der  serbischen  Märchen  zu  dem  orientalischen  und  zu  dem  mittel- 
und  westeuropäischen  Märchengut  nicht  näher  erörtert  werden.  Mit  des  Vf. 
Gruppierung  der  prosaischen  Überlieferungen  können  wir  uns  nicht  recht  be- 
freunden. Sehr  willkommen  ist  die  angehängte  Bibliographie  der  einschlägigen 
Werke  und  Abhandlungen,  Sammlungen  von  Volksliedern  und  Märchen.  —  Der 
wichtigste  Beitrag  zur  Erforschung  der  serbokroatischen  Volkspoesie  ist  unter  den 
Erscheinungen    des    vergangenen  Jahres    das  Buch  von  Prof.  T.  Maretie  'Unsere 


41G  Polivka: 

Volks-Epik'  (Agram,  Akademie  1909.  8  +  263  S.)-  Es  fasst  die  Ergebnisse  der 
bisherigen  Forschung  zusammen  und  weist  ihr  zugleich  neue  Bahnen.  Der  Ver- 
fasser, der  selbst  früher  sehr  eifrig  auf  diesem  Felde  gearbeitet  hat,  hält  sich 
nun  sehr  zurück  fast  in  allen  Fragen  nach  dem  Alter  der  serbokroatischen  Epik 
und  dem  Alter  und  Ursprung  ihrer  einzelnen  Formen:  „Die  ersten  bestimmt 
sicheren  Beweise  für  unsere  Volksepik  finden  wir  erst  im  16,  Jh.;  wie  lange  vor 
dem  Anfange  des  16.  Jh.  Kroaten  und  Serben  epische  Volkslieder  hatten,  wissen 
wir  nicht  und  können  es  nicht  wissen;  es  ist  nicht  notwendig,  die  Anfänge 
unserer  Epik  schon  in  das  13.  oder  14.  Jh.  zu  setzen,  sie  können  auch  später 
angesetzt  werden"  (S.  S — 10).  Über  die  Entstehung  der  Volksepik  belehren  uns 
die  'epischen  Frauenlieder'  (zensko-junacke  pjesme),  d.  i.  solche  Frauenlieder,  die 
sich  auch  der  Form  nach  vielfach  gar  nicht  von  den  Heldenliedern  unterscheiden, 
und  auch  vielfach  unter  die  echten  Heldenlieder  gerechnet  werden,  je  nachdem 
sie  (von  Frauen)  rezitiert  oder  unter  Begleitung  der  Gusle  (von  Männern)  vor- 
getragen wurden.  An  dem  hohen  Alter  dieser  Frauenlieder  zweifelt  auch  Maretir 
nicht.  In  dem  einleitenden  Kap.  berührt  er  den  geschichtlichen  'Wert'  der  in  den 
epischen  Liedern  bearbeiteten  Traditionen,  den  internationalen  Charakter  vieler 
Stoffe  und  einzelner  Motive,  wie  z.  ß.  der  über  den  Gräbern  der  Liebenden 
zusammenwachsenden  Bäume,  der  von  Helden  hochgeworfenen  Schwerter,  des 
von  Marko  Kraljevic  aus  trockenem  Hartriegel  gepressten  Wassers  (S.  25);  der 
Held  wählt  nur  das  Pferd,  welches  sich  unter  seiner  Hand  nicht  rührt,  nicht 
einmal,  wenn  es  am  Schweife  gezogen  wird  (S.  26);  der  aus  dem  Macbeth  be- 
kannte wandelnde  Wald  (S.  27)  u.  a.  Mit  Recht  betont  Maretir,  dass  die  Lieder 
nach  ihrem  Inhalte,  ihren  Motiven  zusammenzustellen  sind,  nicht  nach  den  in 
ihnen  genannten  historischen  oder  halbhistorischen  Namen.  Sehr  ausführlich  be- 
spricht er  die  formale  Seite  der  Volksepik  (S.  36 — 108).  Er  berührt  die  Frage 
nach  dem  Verhältnis  des  Zehnsilblers  zur  sog.  'bugarstica',  will  aber  trotz  der 
ausführlichen  Untersuchungen  dieser  Frage  sich  nicht  bestimmt  aussprechen: 
„Über  ihr  Alter  lässt  sich  nichts  Sicheres  sagen;  es  ist  nicht  unmöglich,  dass  der 
Zehnsilbler  älter  ist  als  die  bugarstica  der  alten  Lieder",  sicher  ist  höchstens, 
dass  der  Zehnsilbler  den  östlicheren  Stämmen  eigen  ist  (S.  36 — 41).  Hier  sei 
noch  eine  lesenswerte  Kritik  älterer  Aufsätze  T.  Maretios  über  die  Metrik  der 
serbokroatischen  Volkslieder  von  Vlad.  Corovic  notiert  (Nastavnik  19,  290ff., 
367  ff.).  Weiter  behandelt  Maretic  die  ständigen  Epitheta,  weist  auf  deren 
Primitivität  hin,  Allegorien,  stereotype  Einleitungen  und  Schlüsse,  Beschreibungen, 
ständige  Zahlen  (S.  91),  Hyperbeln,  Humor  und  Ironie  u.  a.  Überall  werden  zum 
Vergleich  russische  Heldenlieder  und  die  homerischen  Epen  herangezogen.  Die 
'historischen  Persönlichkeiten',  welche  in  der  serbokroatischen  Epik  auftreten,  sind 
Gegenstand  des  3.  Kap.  (S.  109 — 190);  sie  erscheinen  in  alphabetischer  Reihen- 
folge, weil  nur  wenige  von  ihnen  sich  chronologisch  fest  bestimmen  lassen.  Am 
wichtigsten  und  interessantesten  ist  für  uns  das  4.  Kap.  (S.  191 — 236),  welches 
einzelne  internationale  Motive  der  serbokroatischen  Volksepik  bespricht.  Leider 
begnügt  sich  der  Vf.  mit  einer  blossen  Inhaltsangabe  und  einer  flüchtigen 
Charakteristik,  und  übergeht  mit  Schweigen  wichtige  Studien  eines  Dragomanov 
und  Wesselofsky  über  einzelne  Motive  und  Stoffe,  wie  über  die  dualistische 
Legende  von  der  Erschaffung  der  Welt,  die  Legende  vom  hl.  Georg  (vgl. 
Kirpirnikovs  Buch);  bei  der  Legende  vom  toten  Bruder  hätte  auf  den  gründlichen 
Aufsatz  Siismanovs  hingewiesen  werden  sollen,  bei  den  Legenden  vom  Incest 
(Nahod  Siraeun)  auf  Dragomanovs  Studie,  bei  dem  Liede  vom  Mädchen  ohne  Hände 
auf  Pavlc  Popovic's  Buch,  bei  der  Sage  von  der  Gründung  Konstantinopels  (S.  223) 


Berichte  und  Büclieranzeigen.  417 

auf  die  Studie  Dragomanovs  und  Köhler.  Kl.  Schriften  2,  356.  Dieser  Mangel  ist 
um  so  fühlbarer,  da  das  Buch  in  erster  Reihe  wohl  als  Einleitung  in  das  Studium 
der  Volksepik  und  Einführung  in  das  tiefere  Studium  derselben  dienen  soll.  Im 
letzten  Kap.  (S.  237 — 263)  werden  verschiedene  gesellschaftliche  Formen,  soziale 
Institutionen,  Vorstellungen  von  übernatürlichen  Wesen  (Feen,  Wilen  S.  251)  be- 
sprochen, so  das  Handküssen  (S.  237),  Bruderschaft  und  Schwesterschaft  (S.  240), 
Gevatterschaft  (S.  244),  Grausamkeit  und  Wildheit  u.  ä.  (S.  245),  wobei  der 
Unterschied  der  mohammedanischen  Lieder  wie  auch  der  sog.  'bugarstice' 
beachtet  wird  (S.  248).  —  Jovan  N.  Tomic  beginnt  eine  grössere  Reihe  von 
Studien  'Die  Geschichte  in  den  epischen  Volksliedern  vom  Prinzen  Marko'  und 
unterzieht  im  ersten  Bande  die  Lieder  von  Markos  Gegnern  Musa  Kesedzija  (dem 
'Strassenräuber')  und  Gjemo  Brdjanin  einer  Untersuchung  (Belgrad,  Akademie 
1909,  208  S.).  An  der  Anschauung  über  die  Volksepik,  die  er  bereits  I0o7 
darlegte  (vgl.  oben  is,  217),  hält  er  auch  in  dieser  Arbeit  fest.  Gegenüber  den 
älteren  Forschern  über  die  epischen  Gedichte  vom  Prinzen  Marko  konnte  er  neues 
handschriftliches  Material  benutzen  und  teilt  im  Anhange  seines  Buches  acht  neue 
Lieder  mit.  Er  scheidet  die  in  diesen  Kreis  gehörigen  Lieder  in  drei  Gruppen 
nach  den  Orten  ihrer  Aufzeichnung  und  den  mit  ihrer  verschiedenen  territorialen 
Abkunft  zusammenhängenden  Unterschieden.  Die  erste  Gruppe,  in  der  Markos 
Widersacher  auch  unter  anderen  oder  ganz  allgemeinen  Namen  auftreten,  haben 
einen  recht  allgemeinen  Inhalt  und  hängen  zusammen  mit  den  unter  der  türkischen 
Herrschaft  Jahrhunderte  hindurch  dauernden  Raubzügen,  bei  denen  Männer,  Frauen 
und  Kinder  in  die  Sklaverei  oder  in  den  Soldatendienst  fortgeschleppt  wurden. 
Diese  historischen  Tatsachen  machen  es  begreiflich,  dass  der  Nationalheld  Prinz 
Marko  zum  Befreier  der  geraubten  Volks-  und  Glaubensangehörigen  wurde,  ohne 
dass  auch  der  Ursprung  dieser  Lieder  deshalb  in  eine  bestimmte  Zeit  und  an 
einen  bestimmten  Ort  versetzt  werden  kann.  Dennoch  versucht  der  Verfasser  dies 
zu  bestimmen.  In  diese  Gruppe  rechnet  der  Vf.  noch  andere  Lieder,  die  einen 
bestimmteren,  Markos  Person  betreffenden  Inhalt  haben;  doch  kann  von  einem 
'historischen"  Ereignis  hier  noch  weniger  die  Rede  sein.  Der  Vf.  verraisst  in 
den  Liedern  der  ersten  Gruppe,  besonders  in  den  Liedern  von  Gjemo,  Gjino,  die 
Lokalfärbung,  die  Kennzeichnung  des  Terrains,  wo  sie  aufgezeichnet  wurden.  Viel 
interessanter  sind  in  dieser  Hinsicht  die  Lieder  der  zweiten  Gruppe,  die  aus  den 
zentralen  und  westlichen  serbischen  Gegenden  herrühren.  Musa  Kesedzija  ist 
eine  viel  bestimmtere  Figur,  er  ist  Abtrünniger,  Rebell  und  Feind  des  Sultans; 
als  die  gegen  ihn  gesandten  Scharen  keine  Erfolge  erringen,  wird  Prinz  Marko 
aus  dem  Kerker  geholt;  er  vernichtet  Musa  durch  List  und  mit  Hilfe  seiner  Fee. 
Gjemo  Brdjanin  will  an  Marko  den  Tod  seines  Freundes  (Bruders)  Musa  rächen. 
Diese  Lieder  macht  T.  wegen  ihrer  historischen  und  topographischen  Elemente 
zur  Grundlage  seiner  Untersuchungen,  Das  geringste  Interesse  bieten  in  dieser 
Hinsicht  die  Lieder  der  dritten  Gruppe  aus  den  nördlichen  und  nordwestlichen 
serbischen  und  kroatischen  Gegenden.  Wertvoll  sind  sie  nur  deswegen,  weil  sie 
klar  zeigen,  wie  das  epische  Volkslied  sich  verändert,  sobald  es  von  seinem 
Ursprungsort  in  eine  Gegend  getragen  wird,  wo  kein  Verständnis  für  den  ge- 
schichtlichen Inhalt  und  die  topographischen  Verhältnisse  waltet.  So  treten  an 
Musas  Stelle  andere  lokale  Helden,  berühmte  Hajduken  ohne  Rücksicht  auf  den 
Haupthelden  Prinz  Marko.  Bei  der  Untersuchung  der  historischen  Grundlage 
dieser  Lieder  stellt  der  Vf.  mit  Recht  den  Prinzen  Marko  und  seine  Zeit  ganz 
beiseite  und  geht  von  den  historischen  Ereignissen  der  Gegend  aus,  wo  sich 
Lieder  mit  vielen  historischen  Elementen  erhalten  haben,    und   schreitet  erst  dann 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Vülkskunde.    1910.    Heft  4.  07 


418  Poh'vka: 

zur  Bestimmung  der  Identität  dieser  Gestalten  mit  historischen  Persönlichkeiten. 
Er  macht  es  höchstwahrscheinlich,  dass  der  Gjemo  des  Volksliedes  mit  dem  im 
vorletzten  Jahrzehnt  des  18.  Jh.  berüchtigten  Jegen-Pascha  identisch  ist.  Den 
Musa  Kesedzija  sucht  er  gegen  ältere  Meinungen  unter  den  Helfershelfern  Jegens. 
Theoretisch  angesehen,  läge  die  Annahme  nahe,  dass  die  Lieder  der  ersten  Gruppe, 
da  sie  doch  dem  'Wirkungskreise'  des  Jegen-Pascha  am  nächsten  waren,  die 
historischen  Tatsachen  und  die  lokale  Färbung  am  meisten  und  treuesten  erhalten 
haben.  Allein  gerade  hierin  zeichnen  sich  die  Lieder  der  zweiten  Gruppe  aus. 
Den  Grund  dafür  könnte  man  nach  der  Meinung  des  Vf.  darin  erblicken,  dass 
diese  Gegenden,  die  den  Schauplatz  der  Raubzüge  Jegen-Paschas  bildeten,  bald 
darauf  durch  starke  Auswanderungen  entvölkert  wurden;  doch  neigt  er  mehr  der 
Ansicht  zu,  dass  auch  die  Lieder  der  ersten  Gruppe  im  Terrain  der  zweiten 
Gruppe  entstanden  und  „von  der  'Kaja'  geschaffen  und  erhalten  wurden''.  Die 
Bevölkerung  dieser  Gegend  litt  gleichfalls  unter  den  Räubereien  der  albanesischen 
Bergstämme,  die  V^erhältnisse  waren  die  gleichen  und  auch  ziemlich  gleichzeitig. 
So  erklären  sich  auch  die  Beinamen  des  Musa  'Arbanas'  (Albanese)  und  des 
Gjemo  'Brdjanin'  (Gebirgsbewohner)  am  leichtesten.  Zum  Schlüsse  seiner  Studie 
(S.  U)6)  versucht  der  Vf.  darzustellen,  wie  die  Lieder  von  den  Raubzügen  aus 
dem  Ende  des  17.  Jh.  auf  dem  Terrain  der  zweiten  Gruppe  mit  den  Lifedern 
vom  Prinzen  Marko  kontaminiert  wurden,  mit  diesen  in  neue  Lieder  zusammen- 
flössen, dann  auf  das  Terrain  der  ersten  Gruppe  übertragen  wurden  und  nach 
und  nach  verallgemeinert,  ihre  ursprünglichen  speziellen  Züge  verloren.  Der  Vf. 
schreitet  streng  methodisch  vor.  reiht  systematisch  eine  Folgerung  an  die  andere, 
so  dass  es  methodologisch  recht  interessant  und  anregend  ist,  seinen  Ausführungen 
trotz  ihrer  grossen  Wortschw^eifigkeit  zu  folgen.  —  Andra  Gavrilovic  versucht 
in  einer  kleinen  Abhandlung  'Das  Lied  von  der  Schlacht  auf  der  Kunovica,  ein 
Beitrag  zur  geschichtlichen  Erforschung  der  serbischen  Volkspoesie'  ('Glas'  der 
serb.  Akad.  76,  63 — 68)  nachzuweisen,  dass  Gundulir,  als  er  im  achten  Gesänge 
seines  'Osman'  vier  Volkslieder  vier  Bauern  in  den  Mund  legte,  wirkliche  Volks- 
lieder im  Auge  hatte,  dass  das  dritte  Lied  den  Kampf  der  christlichen  Heer- 
scharen an  der  Kunovica  behandelte,  und  dass  sich  ein  Rest  des  alten  Liedes  von 
diesem  Kampfe  bis  heute  in  Dobric,  wo  der  grösste  Teil  des  serbischen  Heeres 
nach  jenem  Siege  blieb,  erhalten  hat.  Derselbe  versuchte  in  'Kleineren  Bei- 
trägen zur  Erforschung  der  serbischen  Volkslieder'  (Godisnica  Nik.  Cupica  29, 
15Ü— 162)  die  Historizität  einiger  Helden  der  serbischen  Volksepik  darzulegen.  — 
Camilla  Lucerna  schrieb  einige  ästhetische  Bemerkungen  'Zur  Asanagica'  (Zagreb 
1909.  18  S.),  worin  einige  neuere  Varianten  dieses  Stoffes  verglichen  werden 
und  auch  eine  neue  kroatische  Dramatisierung  des  durch  Goethe  berühmt  ge- 
wordenen Liedes  gewürdigt  wird  (vgl.  Letopis  Mat.  Srpske  259,  77).  Dieselbe 
Dame  gab  Skizzen  von  den  alten  dalmatinischen  Dichtern  Barakovir,  Mavro 
Vetranic  und  P.  Hektorovir  heraus  (Studienblättchen  zur  Literaturgeschichte  des 
südslawischen  Küstenlandes.  31  S.  16^  Aus  dem  Agramer  Tagblatt).  Das  Buch 
von  K.  P.  Misirkov  'Die  südslawischen  epischen  Sagen  von  der  Heirat  des 
Königs  Vukasin  in  Verbindung  mit  der  Frage  nach  den  Ursachen  der  Popularität 
des  Königs  Marko  bei  den  Südslawen'  (russisch.  Odessa  19ll9)  ist  mir  nicht  zu- 
gänglich. Nach  einer  ausführlichen  Kritik  in  der  Zs.  'Periodicesko  Spisanije'  70, 
725 ff.  bringt  es  kaum  etwas  Wesentliches  zur  Lösung  dieses  Problems,  gibt  nur 
eine  Kritik  des  bekannten  Werkes  von  M.  Chalanskij  und  läuft  ohne  solide 
wissenschaftliche  Ausrüstung  auf  eine  ganz  paradoxe  Trennung  der  bulgarischen 
von  der  serbischen  Volksepik,  auf  phantastische  Hypothesen  von  der  ursprünglich 


Berichte  unä  Bücheraiizeigen.  41 Ö 

vermeintlich  grundverschiedenen  Stellung  des  Prinzen  Marko  im  bulgarischen 
und  serbischen  Epos  hinaus.  —  Einige  serbische  Varianten  des  Märchens  von  den 
Urteilen  Schemjäkas  stellte  Dr.  Vlad.  Coro  vi  c  zusammen  (Glasnik  des  Landes- 
Museum  für  Bosnien-Herzeg.  21,  555 ff.).  Derselbe  beschliesst  seinen  Aufsatz 
'Prinz  Marko  in  den  serbischen  Volksmärchen'  (Srpski  kniz.  Glasnik  22,  43 f. 
111»  f.,  vgl.  oben  19,  324)  und  zeigt  darin,  dass  Marko  im  Volksmärchen  gar  nichts 
Individuelles,  gar  nichts  von  dem  historischen  Marko  besitzt.  Zuletzt  freilich  be- 
merkt er,  dass  die  alten  Volkslieder  in  Erzählungen  übergehen,  und  stellt  die 
Traditionen  von  Markos  Todesschlaf  zusammen,  die  sich  den  zahlreichen  Sagen 
von  schlafenden  Helden  und  Rittern  anschliessen.  Derselbe  schrieb  einige  Worte 
über  das  Märchen  von  der  Zeichensprache;  er  findet  soviel  Ähnlichkeit  der 
bosnischen  Fassung  mit  dem  durch  deutsche  Lesebücher  auf  den  bosnischen 
Mittelschulen  verbreiteten  Märchen,  da&s  er  deren  engeren  Zusammenhang  an- 
nimmt (Bos.  Vila  1908,  S.  122).  Dr.  Sima  Trojanovic  teilt  eine  Fassung  des 
Märchens  vom  dankbaren  Toten  mit  (ebd.  1909,  S.  l()8f.),  die  ziemlich  mit  den 
südosteuropäischen  Versionen  desselben  übereinstimmt:  eigentümlich  ist  nur  der 
Schluss:  der  junge  Mann  besucht  den  Toten  und  findet  in  dessen  Stube  einen 
unbekannten  Mann,  dessen  zehn  Finger  wie  Kerzen  brennen:  der  hatte  den  (dank- 
baren) Toten  erschlagen  und  musste  ihm  daher  leuchten ;  je  länger  sie  sprechen, 
desto  mehr  beginnen  die 'Leuchter  auszulöschen;  der  Tote  verflucht  seine  Brüder, 
dass  sie  ihn  gerächt  haben  und  er  deswegen  fortan  in  der  Finsternis  verbleiben 
muss.     Die  beigefügten  Anmerkungen  gehen  wenig  in  die  Tiefe. 

Den  wertvollsten  Beitrag  zur  serbokroatischen  Volkspoesie  lieferte  Dr.  Nikola 
Andri('  mit  seiner  Ausgabe  der  'Frauen -Lied er',  welche  den  -i.  Bd.  der  von 
dem  Vereine  'Hrvatska  Matica'  in  Agram  herausgegebenen  'Kroatischen  Volkslieder' 
(Hrvatske  Narodne  Pjesme,  Knjiga  peta.  Drugi  oddio:  Zenske  pjesme,  1909. 
19  +  640S.)  bilden.  Der  vorliegende  I.Teil  kennzeichnet  mit  dem  Xebentitel 
'Romanzen  und  Balladen'  deren  Inhalt,  wobei  freilich  der  Herausgeber  bemerkt, 
dass  nicht  alle  Lieder  dieses  Bandes  unter  diese  Bezeichnung  einzureihen  sind, 
aber  doch  7io  derselben.  Es  werden  noch  zwei  weitere  Bände  folgen.  H.  Andric 
sucht  vorerst  im  Anschluss  an  den  Altmeister  Vuk  St.  Karadzic-  zu  bestimmen, 
was  'Frauenlieder"  eigentlich  seien.  Manche  unter  diesen  Liedern  stehen  den 
Heldenliedern  nahe,  werden  aber  ihrer  Länge  wegen  kaum  mit  Begleitung  der 
Gusle  gesungen,  sondern  rezitiert:  das  längste  der  in  diesem  Bande  gedruckten 
Lieder  (Sr.  21!»)  zählt  34G  Verse,  Nr.  205  hat  243  Verse,  Xr.  216  222  Verse,  andere 
weniger,  die  grosse  Mehrzahl  etwa  50  Verse.  Diese  'halbmännlichen'  Lieder  haben 
sich  am  besten  in  rein  kroatischen  Ländern,  besonders  in  Dalmatien  und  auf  den 
Inseln  des  Adriatischen  Meeres  erhalten.  Soweit  die  Sänger  der  Lieder  angegeben 
sind,  rühren  sie  von  Frauen,  und  zwar  älteren  Frauen  her.  Andric  zitiert  einen 
Bericht  aus  dem  Jahre  1846,  nach  welchem  die  Mädchen  kürzere  Liebeslieder  sangen 
und  ältere  Frauen  längere  Lieder  rezitierten,  und  meint,  dass  die  Weiber  die  Reste 
der  alten  Lieder  erhalten  und  den  Männern  zu  weiterer  Bearbeitung  und  Ver- 
jüngung übergeben  haben;  so  seien  aus  den  weiblichen  Balladen  die  männlichen 
Lieder  mit  den  Namen  neuerer  und  bekannterer  Helden  entstanden.  Diese  bei- 
läufige Bemerkung  erfordert  indes  eine  gründliche  Untersuchung,  wie  ja  überhaupt 
die  Frage  nach  der  Rolle  der  B>au  in  der  Erhaltung  der  Volkstraditionen  keines- 
wegs gelöst  ist.  Wie  gesagt,  ist  es  vielfach  schwierig,  diese  'Frauenlieder'  von 
den  'Männerliedern',  den  epischen  Heldenliedern  scharf  zu  unterscheiden,  und  der 
Herausgeber  verweist  in  seinem  Kommentar  nicht  selten  auf  Varianten,  die  in  dem 
1.  und  2.  Bd.  der  'Kroatischen  Volkslieder,    welche    eben    die   Heldenlieder    ent- 


^•)Q  Polivka: 

halten,  gedruckt  worden  sind;    vgl.  zu  Nr.  76,    90—92,    112—113,    115,    148,  SOG, 
208,  209,  211,  217.     Sogar  bei  Yuk  St.  Karadzic  finden  wir  unter  dessen  'ältesten 
Heldenliedern",    was    hier    unter    die    'Frauenlieder'    eingereiht    ist:     Nr.  76    unter 
II  Nr.  5,    Nr.  90— 92    unter    11  Nr.  26    (Der    Bau    von    Scutaril),     Nr.  2(>6    unter 
II  Nr.  10—11,  Nr.  209  unter  JI  Nr.  25,  Nr.  211  nnter  II  Nr.  6.  —    Hr.  Andrir  be- 
tont ausdrücklich,    dass  alle  Lieder  dieser  Sammlung  rein  kroatisch  sind,    rezitiert 
in  kroatischen  Gegenden  von  kroatischen  Frauen.     Hierzu    bemerke    ich,    ohne  an 
dieser  Stelle  auf  die  ethnographische  Bedeutung  des  Wortes  'kroatisch'  einzugehen, 
dass    verschiedene  Lieder    aus  Serajevo,    Mostar,    Bilar  u.  a.    zweifellos    moham- 
medanischen Ursprunges  sind,  bei  denen  gar  nicht  erwähnt  wird,  ob  sie  von  Frauen 
gesungen  oder  rezitiert  wurden;   mehrfach  wie  bei  Nr.  83,   105,  161  heisst  es  aus- 
drücklich,   dass  die  Sängerin    sie    von  'Buhlen'    des  Ali-Pascha-Rizvan-Begovir  in 
Stolac,    also    von    mohammedanischen    F'rauen    erlernt    habe.     Es    wäre   jedenfalls 
empfehlenswert  gewesen,  das  Religionsbekenntnis  der  Sängerinnen  anzugeben  oder 
doch  zu  ermitteln,  in  welchen  Kreisen  die  Sammlung,  aus  welcher  geschöpft  wurde, 
angestellt    wurde.      Das    Archiv    des   Vereines    'Hrvatska  Matica"    ist   nämlich  un- 
gemein reich  an  hsl.  "Volksliedersammlungen;  in  der  Einleitung  des  I.Bandes  S.  12 
bis  19  wurde  ein  Bericht  über  diese  122  Sammelbände  gegeben,  und  der  Leser  des 
Materialienvcrzeichnisses,    welches  Andrir  seiner  Publikation  beigefügt  hat  (S.  625 
bis  629),  muss  dort  nähere  Belehrung  über  Ort  und  Zeit  ihres  Ursprunges  suchen. 
Mittlerweile    sind    aber    die  Sammlungen    der  'Hrvatska  Matica'    bedeutend    ange- 
wachsen, und  in  Andrics  Veizeichnis  finden  wir  neue  Namen  (Banic  Filip,  Banovir 
Stjepan,  Dobrilo  Mladineo,  Gjurkovecki  Mirko,  Hangi  Antun,    Kusmis  Autei  Juraj, 
Namatak  Fehrai  Hasan  u.  a),    deren  nähere  Erklärung  wir  schmerzlich  vermissen. 
Abgesehen  von  diesen  wahrscheinlich  neueren  Aufzeichnungen  stammt  das  Quellen- 
material zumeist  aus  dem  letzten  Alertel  des  19.  Jh.;  doch  nicht  weniges  reicht  bis 
in  das  erste  V^iertel  des  19.  Jh.  hinauf.     Bei  der  kritischen  Beurteilung  der  Lieder 
wird  dieses  chronologische  Moment  sicher  in  Betrachtung  gezogen  werden  müssen, 
dessen    Berücksichtigung    der  Herausgeber    leider    nicht    erleichtert    hat.     AVie  im 
1. — 2.  Bd.  wählte  Andri(-  aus  den  überaus  zahlreichen  Varianten  jedes  Liedes    die 
besten  und  gediegensten  aus,    und  diese  219  Lieder  veröffentlichte   er  auf  S.  3  bis 
407.     Mit  den  auf  S.  411 — 623  folgenden  Varianten  (Inhalt  und  Textproben)  leistete 
er  eine  Arbeit,    für   die    ihm  der  Erforscher  der    südslawischen  Volkspoesie  nicht 
genug  Dank  sagen  kann.     Verdienstlich    sind    auch    die  kurzen    bibliographischen 
Hinweise  auf  verwandte  Bearbeitungen  desselben  Stoffes  in  30  gedruckten  serbischen 
und  kroatischen  Liedersammlungen.     Interessant    sind    die    S.  451   in  Nr.  74  ange- 
führten   Veränderungen,    Verschlechterungen,    die    dasselbe   Lied    im    Gedächtnis 
einer  Sängerin    im  Laufe  von  20  Jahren  erlitt.     Inhalt    und  Form  der  von  Andric 
veröffentlichten  Lieder  verdienen  das  höchste  Interesse  auch  des  Forschers  auf  dem 
Gebiete  der  vergleichenden  Volkskunde.     Ich  verzeichne    kurz    den  Inhalt    einiger 
Lieder.     Nr.  2:    Die  Sonne  ruht  in  Gottes  Schoss  und  lässt  sich  von  ihm  wecken. 
^:    Die  Heirat  der  Sonne.     6:    Die  Mutter  wird   in    die  Hölle  gestossen,    weil  sie 
Knaben    und  Mädchen   veruneinigte.     7;    Das  Mädchen    macht    sich    selbst    einen 
Bruder  aus  Seide,  und  Christus  schickt  zwei  Engel,  ihn  zu  beleben.    12:  Die  böse 
Schwieger  verwandelt  sich  am  Wege  zur  Quelle  in  eine  Schlange,    als    die   junge 
Frau  Wasser  holt;    der  Sohn    tötet   die  Schlange.     17:    Einem  Mädchen,    das  vor 
Sonne,  Mond  und  Sternen  mit  seiner  Schönheit  prahlte,    wird   von  der  Sonne  das 
Antlitz  schvvarzgebrannt.     Vom  Liebeszauber  und    der  Macht  des  Fluches  handeln 
56,  57,  63.     Eine  Flöte  aus  einem  Strauche,  in  welchem  das  Mädchen  verwandelt 
wurde,  in  62.     Nr.  76  behandelt  den  Mürchenstoff   der    von   ihrer  Schwägerin  ver- 


Berichte  und  Bncheranzeigen.  421 

schiedener  Freveltaten  bezichtigten  Schwester.  90 — 92:  Sagen  vom  Bauopfer. 
109  eine  Variante  zu  Fortis  berühmtem  Klagegesang  der  Frau  des  Hasan-Aga, 
S.  471f.  Varianten  dazu.  Des  Palken  Augen  sind  ein  Symbol  der  Augen  des 
Helden:  125,  126.  Nr.  139  eine  Legende  vom  Incest;  die  Mutter  bestratt  die 
Sünde  ihrer  Kinder  mit  dem  Tode.  140:  Der  Vater  nimmt  mit  Gewalt  seine 
Tochter  zur  Frau,  sie  ertränkt  sich.  141:  Das  Mädchen  vergiftet  den  Bruder  und 
wird  deswegen  vom  Bräutigam  verworfen.  Die  Form  besteht  grösstenteils  in  den 
gewöhnlichen  Zehnsilblern  der  serbischen  epischen  Poesie;  daneben  kommt  der 
achtsilbige  Vers  vor  in  Liedern  von  dalmatinischen  Inseln  (Nr.  12,  14,  74)  und 
dem  dalmatinischen  Festlande  (18,  33,  73),  selten  aus  Bosnien  (20,  51),  Slavonien 
(29,  35,  39,  142),  Kroatien  (128),  Südwest-Ungarn  (134);  vereinzelt  in  2  Liedern 
(Nr.  136,  137)  aus  Kroatien,  einem  kajkaviscben  und  einem  cakavischen  der  sechs- 
silbigeVers  und  der  sechzehnsilbige  Vers  in  einem  mohammedanischen  Liede  (101) 
aus  Sarajewo.  Ein  wahres  Unikum  in  der  serbokroatischen  Volkspoesie  ist  das 
Lied  218  aus  Cerzula,  das  zwar  im  regelmässigen  Zehnsilbler,  aber  in  Reimpaaren  (I) 
abgefasst  ist. 

Die  Sammlung  mohammedanischer  epischer  Lieder  von  Esad  Hadziomers- 
pahic  wurde  zu  Ende  gebracht  (Banjaluka  1909,  440  S.  vgl.  oben  19,  324).  Sie 
enthält  12  mitunter  recht  lang-  und  weitläufige  Lieder,  Nr.  4  hat  1 850  Verse,  Nr.  5 
hat  1627  Verse,  6  1386  Verse,  das  kürzeste  Lied  Nr.  8  noch  781  Verse.  Die 
grosse  Sammlung  von  Luka  Marjanovii-  dagegen  hat  nur  ein  einziges  etwas  längeres 
Lied,  Nr.  40  des  2.  Bd.  zählt  1862  Verse,  zwei  andere  sind  etwas  kürzer,  Nr.  49 
1784  Verse,  Nr.  29  1765  Verse;  im  1.  Bd.  hat  Nr.  23  1812  Verse.  Leider 
beobachtet  der  Herausgeber  vollständiges  Stillschweigen  über  Heimat,  Ursprung 
und  Sänger  seiner  Sammlung,  die  er  ohne  jedes  einleitende  Wort  in  die  Welt  sendet. 
—  Ohne  besonderen  Wert  ist  eine  Sammlung  serbischer  Volkslieder  aus  Bosnien 
von  Ljubomir  Vasilijevic  (D.  Tuzla,  bei  Jos.  Schnürmacher.  Vgl.  Bos.  Vila 
1909,  S.  62).  Schulzwecken  dient  eine  von  Dr.  Branko  Drechsler  gut  getroffene 
Auswahl  serbokroatischer  Heldenlieder  (Agram  19(i8,  254  S.  Rez.  in  der  Zs. 
Nastavnik  19,  380).  —  L.  Kuba  setzt  seine  Sammlung  von  Liedern  und  Melodien 
fort  (Glasnik  zem.  muz.  Bos.-Herzeg.  2(J,  '6():\f.  5811".  Nr.  628—898,  vgl.  oben  19, 
324).  —  Eine  ziemliche  Anzahl  lyrischer  und  epischer  Volkslieder  aus  Bosnien, 
der  Herzegowina  und  Serbien  bringt  die  in  Serajewo  erscheinende  Zs.  'Bosanska 
Vila'  auch  in  ihrem  letzten  24.  Jahrgange.  Teilweise  interessant  sind  die  daselbst 
abgedruckten  Märchen;  z.  B.  wird  dem  einzigen  Sohne  eines  reichen  Mannes  pro- 
phezeit, dass  ihn  eine  Schlange  an  einem  bestimmten  Orte  töten  werde;  er  rettet 
sich  nur  dadurch,  dass  er  ihren  Namen  ausspricht,  den  er  gehört  hatte,  als  er  die 
Prophezeiung  von  der  Schlangenkaiserin  belauschte.  Da  verwandelt  sich  die 
Schlange  in  ein  Mädchen,  und  er  heiratet  sie.  Nach  einiger  Zeit  schlägt  sie  ihr 
Schwiegervater  mit  einem  Pferdehalfter,  und  sie  wird  wieder  zur  Schlange,  dann 
aber  erlöst,  als  sie  der  Schwiegersohn  (Schwestermann y  'zet')  ebenfalls  mit  einem 
Pferdehalfter  schlägt  (S.  131".).  Ferner  eine  Fassung  des  Märchens  von  dem  treu- 
losen Weibe,  welches  ihren  Mann  aus  Liebe  zu  einem  Helden  töten  will  (S.  189), 
von  der  im  Jenseits  rasch  schwindenden  Zeit  (S.  61),  vom  Mädchen  im  Mäusefell, 
dessen  Kinder  ihr  Vater  umbringt,  um  es  als  Mörderin  erscheinen  zu  lassen 
(S.  76f.  89f.);  die  Schlange  als  Mann;  die  Frau  findet  ihn,  als  ihre  eisernen  Schuhe 
zerrissen  sind  (S.  124),  von  den  AVunschdingen:  Tischlein-deck-dich,  d.  i.  ein  von 
der  Prinzessin  mit  Perlen  gesticktes  Tuch,  2.  Esel,  aus  dem  Soldaten  heraus- 
kommen, o.  Kanonendonner  aus  dem  gedrehten  Hut,  4.  ein  Stock,  aus  dem  eine 
feste  Burg  entsteht  (S.  214f.);  Doktor  Allwissend  (S.  365);  der  Vater  wird  gesund. 


422  Polivka: 

wenn  er  die  glückliche  Uhr  bekommt;  der  jüngste  Sohn  gewinnt  sie,  findet  die 
entführte  Prinzessin  und  bekommt  Antwort  auf  andere  Fragen,  aber  nicht  beim 
Sonnengott,  sondern  bei  dem  Drachen,  der  jene  Prinzessin  entführt  hatte  (S.  254  fl'.). 

Sagen  von  verschiedenen  Burgen  und  Schlössern  Kroatiens  stellt  Mile  Mag- 
dic  zusammen  (Zbornik  za  nar.  ziv.  14,  1-24— 133),  etymologische  Sagen,  Schatz- 
sagen u.  a.  So  wird  vom  Mrsii'igrad  erzählt  (S.  127),  dass  der  König  seine  Tochter 
verfluchte,  weil  sie  nicht  mit  ihm  die  Burg  verlassen  wollte:  sie  wird  in  eine 
Schlange  verwandelt,  welche  die  vergrabenen  Schätze  hütet,  bis  sie  ein  mensch- 
liches Wesen  durch  einen  Kuss  befreit.  Mit  dem  Starigrad  ist  die  Midassage  ver- 
knüpft (S.  12!»):  König  Attila,  der  einen  Hundskopf  hat,  lässt  sich  jeden  Tag  durch 
einen  Soldaten  rasieren,  der  darauf  geköpft  wird,  damit  er  nicht  sein  Gesicht  ver- 
rate. Von  den  'Nemri',  welche  vor  den  Griechen  und  Türken  lebten  und  die  Burg 
Belaj  erbauten,  wird  die  Sage  von  der  Tötung  der  Greise  erzählt  (S.  124):  Als  sie 
in  den  Krieg  mit  Russland  ziehen,  rät  ein  greiser  Vater  seinem  Sohne,  die  Stute 
mitzunehmen,  das  Fohlen  aber  zu  Hause  zu  lassen.  Die  Russen  führen  sie  in  ein 
finsteres  Land,  aber  die  Stute  eilt  zu  ihrem  Fohlen,  und  so  befreit  der  Jüngling 
mit  ihrer  Hilfe  das  ganze  Heer.  —  Eine  kleine  Sammlung  serbischer  Volksmärchen 
aus  Mostar  veröffentlicht  Vladimir  Coro  vir  (Novi  Sad  =  Neusatz,  Mat.  Srpska 
iyu9,  S.  23):  die  Mutter  soll  nicht  ihr  totes  Kind  beweinen  (S.  9),  der  Tod  wird  von 
einem  Greise  trunken  gemacht  und  aufgehängt,  vom  Teufel  befreit;  beide  führen 
dann  den  Greis  zum  Himmel  (S.  14  Nr.  5);  der  Sohn  kehrt  zurück,  wenn  er  noch 
dümmere  Leute  findet  als  Mutter  und  Vater  (S.  17  Nr.  7);  der  reuige  Räuber  (S.  19 
Nr.  8)  hier  der  hl.  Ignaz;  einige  Legenden  u.  a.  —  Die  4.  Fortsetzung  der  von 
Fr.  S.  Kr  au  SS  gesammelten  'Südslawischen  Volksüberlieferungen,  die  sich  auf 
den  Geschlechtsverkehr  beziehen'  (Anthropophyteia  5,  276 — 3.32)  bietet  im  ganzen 
nichts,  was  für  die  vergleichende  Stoffwissenschaft  von  Belang  wäre,  bis  auf 
einige  wenige  Nummern,  wäe  Nr.  717  S.  312,  wo  der  Vater  reiche  Belohnung  dem 
verspricht,  welcher  errät,  was  für  ein  Mal  seine  Tochter  habe,  aber  den,  der  es 
nicht  trifft,  köpfen  lässt.  Nr.  72ü  S.  32.')  Grossmütterchen  und  Grossväterchen  auf 
einem  Baum,  unter  welchem  Räuber  lagern.  Nr.  721  S.  327  Fleisch  an  Kunden 
verkauft,  Gold  produzierender  Esel.  Nr.  722  S.  330  Meisterdieb.  —  Die  ange- 
fügten 'Parallelen  zu  den  südslawischen  Erzählungen  in  den  Anthropophyteia  Bd.  V 
(ebd.  5,  353 — 357)  bieten  herzlich  wenig. 

Die  Geschichte  der  Volkskunde  betreffen  zwei  bisher  unbekannte  italienische 
Übersetzungen  serbischer  Volkslieder  von  Albert  Fortis,  die  V.  M.  Jovanovii- 
(Archiv  f.  slav.  Phil.  30,  586  ff.)  mitteilt.  Jovan  Skerlic  überarbeitete  und  ver- 
vollständigte seine  ältere  Studie  'Die  französischen  Romantiker  und  die  serbische 
Volkspoesie',  welche  dem  Aufs^atze  von  T.  Matic  zugrunde  lag  (vgl.  oben  18,  217), 
in  Buchform  (Mostar  1908.  SOS.  16").  —  Jovan  Erdeljanovic'  gab  eine  sehr 
willkommene  bibliographische  Übersicht  und  kritische  Analyse  der  ethnographischen 
Arbeiten  Mili(-evi(-s  (Zs. 'Delo'  Bd.  49,  S.  292— 321).  Fr.  .■>.  Kuhac  beendigte  seine 
Arbeit  über  die  'Eigentümlichkeit  der  A'olksmusik,  besonders  der  kroatischen'  (Rad 
jugoslav.  Akad.  176,  1 — 82;  vgl.  oben  19,  325);  er  behandelt  die  Figuren  der 
Anaphora,  Epiphora,  Circulus,  Anadiplosis,  Regressio,  Epizeuxis,  Antimetabole, 
Assonanz,  Alliteration,  leoninische  Verse,  Schallnachahmung,  Strophenbau,  vergleicht 
die  kroatische,  deutsche  und  magyarische  Volksmusik  und  stellt  zugleich  Forderungen 
an  die  kroatischen  Komponisten.  Dr.  Sima  Trojanovic  beschreibt  'Die  musikalischen 
Instrumente  des  serbischen  ethnographischen  Museums  in  Belgrad'  (Zs.  'Svetlost , 
S.-A.  26  S.),  handelt  über  ihre  Geschichte  und  sucht  zu  beweisen,  dass  die  'gusle' 
serbischen  Ursprunges  sind  und  von  den  Serben  auf  verschiedenen  Wegen  zu  den 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  428 

Ambern  drangen.  —  Einen  Beitrag-  zur  Sprichwörterkunde  liefert  P.  V.J.  Skarpa  in 
seinen  'Kroatischen  Volkssprichwörtern"  (Sebenico  19U9.  16  und  i)"20  S.).  Er  benutzt 
ausser  den  älteren  Saramlungeu  und  Zeitschriften  eine  hsl.  und  eigene  Auf- 
zeichnungen; leider  ist  die  Herkunft  der  einzelnen  Sprichwörter  teils  unpraktisch, 
teils  überhaupt  nicht  bezeichnet.  Er  hat  auch  das  bisher  veröffentlichte  Material 
nicht  erschöpft,  nicht  einmal  die  akademischen  Publikationen,  und  zeigt  sich  trotz 
unverkennbaren  Fleisses  als  ein  Dilettant,  der  von  der  wissenschaftlichen  Sprich- 
wörterkunde keine  Ahnung  hat.  Darauf  weist  seine  noch  ganz  romantische  Vor- 
stellung von  den  Sprichwörtern,  seine  Neigung  zu  mythologischen  Erklärungen,  zur 
Ableitung  aus  der  heidnischen  Vorzeit.  Auch  die  ganz  veraltete  Gruppierung,  die 
einst  "philosophisch"  genannt  wurde.  Eine  Anführung  von  fremdsprachlichen 
Parallelen  wäre  wohl  zu  viel  verlangt.  Die  Anmerkungen  zu  einzelnen  Sprich- 
wörtern sind  moralistischen  oder  nationalpolitischen  Charakters,  oder  vom  priester- 
lichen Standpunkt  des  Herausgebers  diktiert.  So  ist  trotz  der  grossen  Arbeit  der 
wissenschaftliche  Wert  des  Buches  gering.  —  Ljubomir  Mitrovic  stellte  aus 
verschiedenen  Sammlungen  serbischer  Sprichwörter  180  Nummern  religiösen 
Charakters  zusammen  und  meinte  so  'Die  Religion  in  den  serbischen  Volkssprich- 
wörtern' darzustellen  (Duchovna  Straza  1909,  S.  233 ff.).  —  Alexander  Mitrovic 
sammelte  'Erotische  und  skatologische  Sprichwörter  und  Redensarten  dalmatinischer 
Serben'  (Anthropophvteia  5,  161  ff.);  Th.  R.  Gj  (orgjevir)  schöpfte  dergleichen 
aus  der  2.  Auflage  der  alten  Sammlung  Muskatirovi('s  vom  Jahre  1807  (ebd.  5, 
176  ff.). 

Die  serbische  Akademie  hat  nun  auch  eine  systematische  Sammlung  der  Ge- 
bräuche und  Gewohnheiten  unter  der  Leitung  des  Dr.  Tichomir  R.  Gjorgjevic 
begonnen;  unter  seiner  Redaktion  erschien  der  14.  ausschliesslich  diesem  Zweige 
der  Volkskunde  gewidmete  Band  des  'Srpski  Etnografski  Zbornik'  (468  S.).  In 
der  Einleitung  setzt  der  Redakteur  kurz  seine  Ziele  und  Grundsätze  auseinander 
und  fügt  eine  Bibliographie  und  Charakteristik  der  bisherigen  Arbeiten  und  eine 
knappe  Anleitung  für  Sammler  hinzu.  Darauf  folgen  eine  sehr  ausführliche  Studie 
'Serbische  Volksgebräuche  aus  dem  Bezirk  Boljevac'  von  Savatije  M.  Grbic 
(S.  1 — 38*2),  welche  unter  der  Leitung  von  Gjorgjevir  geschrieben  ist  und  als 
Muster  für  spätere  Sammler  gelten  soll.  Wir  erhalten  hier  wirklich  ein  aus- 
führliches, das  geringste  Detail  erschöpfendes  Bild  des  Lebens  und  Webens  in 
dem  genannten  Kreise,  im  Gebiete  der  oberen  Schwarzen  Timok,  wo  das  serbische 
Volkstum  an  das  rumänische  Element  stösst  und  zugleich  ein  ziemlich  fest  ab- 
gegrenztes Gebiet  bildet  Die  Arbeit  zerfällt  in  zwei  ungleiche  Teile,  a)  die  festen 
Gebräuche  des  Jahres,  d.  h.  die  an  bestimmte  Tage,  besonders  Festtage,  gebundenen 
Gebräuche  (Volkskalender)  und  b)  die  beweglichen  Gebräuche,  d.  i.  in  der  Familie 
und  im  gesellschaftlichen  Leben.  Gebräuche  und  Aberglauben  werden  nach  den 
Stufen  des  Menschenalters  aneinandergereiht,  bei  der  Schilderung  der  Kinderzeit 
zugleich  abergläubische  Gebräuche,  Zaubermittel,  Beschwörungsformeln  gegen 
Krankheiten  angeführt.  Bei  der  Jünglings-  und  Mädchenzeit  wird  auch  das  Liebes- 
leben geschildert,  doch  betont,  dass  die  Mädcheii  peinlich  darauf  achten,  ihre 
Ehre  nicht  zu  verlieren.  Geschieht  dies  aber,  besonders  im  A'erkehr  mit  ver- 
heirateten Männern,  so  nehmen  sie  Zuflucht  zu  Weibern,  die  sich  auf  das  Ab- 
treiben der  Leibesfrucht  verstehen.  Letztere  Unsitte  nimmt  auch  bei  Frauen,  die 
keine  Kinder  mehr  gebären  wollen,  überhand.  Ausführlich  wird  die  Hochzeit  be- 
schrieben (148 — 19öff.),  die  Feier  des  Haus-  oder  Familienpatrons,  die  sog.  'Slava" 
(195—212),  das  Kirchweihfest.  Hieran  schliesst  sich  ein  ausführliches  Kapitel 
über  Volksmedizin  (217 — 241),  Tod  und  Begräbnis,  wobei  eine  Anzahl  Klagelieder 


424  Polivka : 

mitgeteilt  wird  (241—  258).   Nun  geht  der  Verfasser  zu  den  Bräuchen  beim  Acker- 
bau über,  wobei  wieder  mehrere  bei  der  Ernte,  bei  der  Weinlese  u.  a.  gesungene 
Lieder    angeführt    werden.      Es    folgen    'technologische    Gebräuche',     beim    Kalk- 
brennen   (277),    Bereitung   des    Branntweines,    des    Traubenweines;    hierauf    die 
einzelnen  weiblichen  Arbeiten,    besonders  Spinnen  (281—291).      Nun  wendet    sich 
der  Vf.  zur  Schilderung  der  sozialen  Verhältnisse,    schildert   die  künstlichen  Ver- 
wandtschaften als  Gevatterschaft  (39:5),  Bruderschaft  (294—301)  u.  a.,  die  Stellung 
des    Weibes    in    der    Familie,    Leben    und    Pflichten    des    Mannes    (302 ff.)    u.  a. 
Schimpfworte    und    Flüche    (S.  310);    die    Hausgemeinschaft    (zadruga),    Hausbau, 
dabei  Bauopfer  (322),  religiöses  Leben  (324  ff.),  Unterhaltungen  (328  fl'.),  Gebräuche 
bei  ungewöhnlichen  Naturerscheinungen,  wie  Erdbeben:    die  Erde  steht    auf  einer 
Säule,  an  welcher  der  Teufel  angebunden  ist;    der  nagt  an  der  Säule,    und    wenn 
von  der  wenig  überbleibt,    schüttelt  er  mit  ihr;    aber  sogleich  wächst   die   durch- 
gebissene Stelle  zu;  Donner,  Hagel,  Sonnen-  und  Mondfinsternis,  Dürre  und  Regen, 
Bittprozession    der  sog.  Dodolkas  um  Regen  (33.3),    Viehzucht  (337  f.),    besonders 
Schafzucht,    Krankheiten  des  Viehes  (346),    Bienenzucht  (352),    warum    die  Biene 
schwarz  geworden  ist,    Geflügelzucht  (356).    —    Einen  Beitrag  zur  Geschichte  der 
serbischen  Bräuche  gibt  Tich.  R.  Gjorgjevir,    indem  er  Material  aus  Akten  der 
Jahre  1815—1839  zusammenstellt  (S.  383—466);    wir  finden  da  z.B.   noch  in  den 
zwanziger    Jahren    des     19.    Jh.     Hexenverfolgung    (393—396),      Vampirglauben 
(431—434),  Hochzeitsgebräuche  (435),   Brautraub  (441),  Weglaufen  des  Mädchens 
vom  aufgedrungenen    Bräutigam    in  das  Haus  des  Geliebten  (448),  Verkaufen  der 
Mädchen  (452),  Hochzeitsgeschenke  (456)  u.  a.     Spinnabende  (458),    Teilung    der 
Hausgemeinschaft  (400).    —    Einige  Nachrichten    über    'schwiegerväterlich^r  Zeit- 
ehe'')   und    deren    Einfluss    auf   die    Zerstörung    der   Hausgemeinschaft    bei    den 
Serben  stellte  Dr.  Trgji<-  aus  gerichtlichen  Akten  aus    den  dreissiger  Jahren  des 
19.  Jh.  zusammen    (Anthropophyteia  5,  32;  vgl.  oben    19,  318).    —    Verschiedene 
Materialien     'Zur    Urgeschichte    der    menschlichen    Ehe'     bringt    (ebd.    5,    204) 
Fr.  S.  Krauss  aus  Slavonien  und  Serbien;  weiter  über  den  Geruchssinn  in  der  Vita 
sexualis    (ebd.  5,  210),    von    absonderlichen    geschlechtlichen  Gelüsten    und  Lüst- 
lingen   (ebd.  252 fl".),    Masturbation    (258 f.).     Die    Frage,    wie    weit    Bigamie    und 
Polygamie    bei    den    Serben    verbreitet    war,    untersucht    von    neuem    Radoslav 
M.  Grujir  (LetopisMat.  Srpske  256.  30—43.  257,  49—66)  und  sucht  gegen  Vlad. 
Corovic  und    T.  R.  Gjorgjevic    (vgl.  oben  18,  317)  nachzuweisen,    dass    wirkliche 
Bigamie    oder  Polygamie    keinesfalls    bei   dem    serbischen  Volke    verbreitet    war, 
sondern  dass  nur  von  einzelnen  Fällen  aus  sozialer  Notwendigkeit   die  Rede  sein 
kann,    dass  seit   jeher  freiwillige    und  willkürliche   Ehescheidungen    üblich  waren 
und  dass  die  geschiedenen  Gatten  dann  neue  Ehebündnisse  eingingen:  der  Grund 
lag  vielfach  nicht  bloss  in  der  Unbeständigkeit  der  Gatten,    sondern    in  Unfrucht- 
barkeit, Unfähigkeit  u.  ä.    Die  Bigamie    in  älteren  Berichten   ist  vom  Standpunkte 
der  römisch-katholischen  Kirche  aufzufassen,  die  neue  Ehebündnisse  geschiedener 
Ehegatten  für  Bigamie  erklärte  und  seit  dem  Ende  des  17.  Jh.  bei  den  serbischen 
Untertanen    der  südungarischen  Komitate    streng  ahndete,    während    die  serbische 
orthodoxe  Kirche  sich  hierin  viel  liberaler  verhielt;  die  österreichische  Regierung 
vertrat    energisch    den  rigoroseren  Standpunkt   der  römischen    Kirche.     Wirkliche 
Bigamie   kam  bisweilen  vor,  wenn  die  unfruchtbare  Frau  selber  ihren  Mann  dazu 


1)  Diese  schildert  als  gang  und  gäbe  unter  der  bäuerlichen  Bevölkerung  ein  neuerer 
serbischer  Schriftsteller,  Borisav  Stankovir,  in  einer  aus  dem  Leben  der  Bevölkerung  des 
südlichen  Serbiens  geschöpften  Erzählung  'Unreines  Bhif  (Belgrad  11110). 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  425 

drängte,  eine  zweite  Frau  zu  heiraten,  worauf  sie  als  "Schwester'  ihres  Mannes  im 
Hause  verblieb.  Auf  eine  Anfrage  von  Tih.  li.  Gjorgjcvirs  über  Existenz  der 
Cou  vade  bei  den  Serben  bestätigten  diese  Dr.  Alex.  Mitro  vir  (Bos.  Vila  23,  121) 
für  das  nördliche  Dalmatien,  Jelica  Belovii-  und  Pet.  Ivanrevii-  für  Bosnien 
(ebd.  23,  202).  —  Die  Feier  des  Haus-  und  Familienpatrons  im  westlichen  Teile 
der  'Krajina'  Bosniens,  des  sog.  Türkisch-Kroatien,  wird  beschrieben  im  Glasnik 
des  Landesmus.  f.  Bos.-Herzeg.  21,  577  ff.  —  Ein  weites  Ziel  steckte  sich  Paul 
Sofri(-  in  seinem  Buche  'Drei  Beiträge  zur  Kenntnis  der  serbischen  Volksseele' 
(Nisch  1909,  84  S.),  doch  ohne  es  zu  erreichen.  Er  versucht  auf  Grund  alter 
Schriftdenkmäler,  des  Volksglaubens  und  der  Volksüberlieferungen  'die  Seele  des 
serbischen  Volkes'  zur  Zeit  des  Stefen  Nemanja  und  des  hl.  Sawa,  wie  auch  während 
dessen  Knechtschaft  unter  den  Türken  aufzudecken  und  eine  Geschichte  des 
serbischen  Teufels  zu  liefern,  wie  auch  die  serbischen  Hexen  zu  schildern  (vgl. 
Srpski  kiiiz.  Glasnik  23,  238;  Letopis  Mat.  Srpske  258,  82). 

Einen  wichtigen  Beitrag  zur  Volksmedizin  liefert  Dr.  Fran  S.  Gundrum- 
Oriovcanin,  der  ein  Arzneibuch,  welches  der  Paulinermönch  Imbro  Lui(-  im 
Jahre  1746  in  Kroatien  niederschrieb,  veröffentlicht  (Zbornik  za  nar.  ziv.  14,  55 
bis  123).  Vier  andere  Arzneibücher  aus  dem  18.  bis  19.  Jh.  druckt  (ebd.  14,  1G8 
bis  284)  Mojo  Medii-  ab;  das  zweite  enthält  auch  ein  Brontologion  und  Prognostica. 
Der  Herausgeber  zieht  neben  bekannten  älteren  Arzneibüchern  und  neueren  aus 
dem  Volke  geschöpften  Arzneimitteln  auch  einige  ältere  deutsche  Kräuterbücher 
zum  Vergleiche  heran.  Neues  selbst  gesammeltes  Material  zur  Volksmedizin 
bringt  Toma  Dragiccvii-  (Glasnik  d.  Landesmuseum  f.  Bos.-Herzeg.  21,  461  bis 
478).  Verschiedene  Mittel  gegen  geschlechtliche  Krankheiten  sammelten  Friedr. 
S.  Krauss  und  Dr.  A.  Mitrovi('  (Anthropophyteia  5,  219—227,  wie  auch  Zauber- 
und  Bannsprüche  ebd.  5,  228  ff.)  und  Liebeszauber  (ebd.  5,  237 — 249).  Stauoje 
M.  Mijatovi(-  berichtet  von  der  Volksmedizin  der  serbischen  Bauernbevölkerung 
in  Levac  und  Temnii'  (Srpski  etnograf.  Zbornik  13,  259 — 4>s2).  Es  ist  das  die 
gründlichste  Arbeit  auf  diesem  Felde  aus  der  letzten  Zeit.  Zuerst  werden 
hygienische  Verhältnisse  bei  dem  Hausbau  besprochen,  die  Schlafstätte,  Pflege 
des  Körpers,  Nahrung,  Regeln  beim  Speisen  u.  a.,  dann  Zauberraittel  gegen  ver- 
schiedene Missstände  bei  dem  Gebären,  mit  den  Kindern,  Liebeszauber  u.  a.,  wobei 
natürlich  auch  Zaubersprüche  vorkommen  (281 — 297),  Beschwörungsformeln 
(298 — 319),  bei  welchem  vielfach  die  neunte  Feder  aus  dem  rechten  Flügel  des 
neunten  am  neunten  Dienstag  nach  Weihnachten  ausgebrüteten  Huhnes  gebraucht 
wird:  Ärzte  und  Arzneimittel  (320 — 381),  'Was  sich  schickt'  und  "was  sich  nicht 
schickt',  d.  i.  Aberglaube  im  Leben  der  Braut,  der  jungen  Mutter,  bei  der  Erziehung 
der  Kinder  u.  a.,  z.  B.  wenn  viele  Kinder  sterben,  bekommt  das  Neugeborene  den 
Namen  Vuk  (Wolf)  oder  hiervon  abgeleitete  Namen,  oder  Zivojin,  Zivan.  Zivka  u.  ä. 
(Ziv  =  lebend);  wenn  viel  Kinder  geboren  werden  oder  sterben,  bekommen  sie 
den  Namen  Stojan,  Stanoje,  Stanislav  u.  ä.  (stojati  =  stehen):  Zauber,  Beschwörungs- 
formeln, Arzneimittel  für  das  Vieh  (424 — 435):  verschiedenes  wie  Begrüssungs- 
formeln  (436),  warum  laufen  nicht  die  Kinder  gleich  nach  der  Geburt  (437),  vom 
Adamsapfel  (438),  verschiedener  Aberglauben,  Prognostica  auf  die  Zukunft  der 
Kinder,  z.B.  in  welchem  Mondviertel  es  geboren  wurde,  Sprichwörter  (440 f.), 
Träume  und  ihre  Bedeutung  (442 f.);  Feen  (Vile  444),  Hexen  (445)  als  Schmetter- 
linge u.a.:  Vampir  (44()f.),  Pestglauben:  wenn  die  Pest  in  der  Nähe  erscheint, 
müssen  Zwillingsbrüder  zwei  schwarze  Ochsen  (ebenfalls  Zwillinge)  um  das  Dorf 
herumführen  (vom  Ackern  ist  nicht  die  Rede)  u.a.  (447f.):  ein  anderes  böses 
Wesen  wird  als  ein  dickes  altes  Weib  mit  eisernen  Zähnen  und  vielfach  Hörnern 


j.2(;  Polivka: 

vorgestellt  (448),  Drache  (zmaj),  vorgestellt  als  eine  geflügelte  Schlange  mit  einem 
Menschenkopf,  wird  aber  nicht  als  besonders  gefährlich  vorgestellt  (449),  andere 
ähnliche  \V^esen  sind  die  'Ala',  welche  Hagel  tragende  Wölken  und  Stürme  anführt 
und  die  'Azdaja',  ein  gefrässiges  im  "Wasser  hausendes  Wesen,  welches  unserem 
Drachen  entspricht  (449),  Teufelsglauben  (449),  Vorstellungen  von  der  Welt  (450). 
Ursprünglich  hat  Gott  für  Mann  und  Weib  nur  einmal  im  Jahr  geschlechtlichen 
Verkehr  bestimmt.  Als  sie  von  Gott  zurückkehrten,  behauptete  das  Weib,  dass 
er  zweimal  im  Jahr  stattfinden  sollte,  und  als  der  Mann  ihr  gehorchte,  verlangte 
sie  dreimal.  Als  beide  Gott  baten,  den  Streit  zu  schlichten,  verfluchte  dieser  das 
Weib,  es  möge  geschlechtlichen  Umgang  pflegen,  so  oft  es  wolle,  aber  ihr  Kind 
werde  nicht  vor  einem  Jahre  laufen  (452).  Der  Verfasser  führt  weitere  Beispiele 
vom  geschlechtlichen  Umgang  mit  Stuten,  Kühen,  Ziegen  auf  (45K),  vom  Verkehr 
des  Hausvaters  mit  der  Schwiegertochter  (40.3);  endlich  Sprichwörter  von  Gesund- 
heit, Krankheit  und  Tod  (401). 

Zur  Kenntnis  des  Rechtes  lieferte  Beiträge  Dr.  Iv.  Strohal.  In  dem  Auf- 
satz 'Die  Bestimmung  des  Rechtes,  welches  im  Volke  lebt'  (Zbornik  zanar.  ziv. 
14^  1  — ö4)  übt  er  scharfe  Kritik  an  der  Arbeit  von  V.  Bogisir  über  die  Erforschung 
des  Gewohnheitsrechtes  der  Südslawen  und  auch  an  dem  Quästionar  des  Dr.  Ant. 
Radi('.  Danach  war  der  Grundfehler  des  ersteren,  dass  er  an  der  Theorie  vom 
Gewohnheitsrechte  festhielt,  obwohl  es  ihm  nur  als  Ausgangspunkt  zur  Erforschung 
der  Rechtsgebräuche  des  Volkes  überhaupt  dienen  sollte.  Strohal  kritisiert  die 
Fragebogen  Bogisics,  und  noch  mehr  die  von  nicht  juristisch  gebildeten  Leuten 
eingelaufenen  Antworten.  Bogisic  hat  selbst  manche  seiner  Irrtümer  erkannt,  dass 
das  Volk  die  Unterschiede  zwischen  den  Rechtsprinzipien  für  die  weitere  Familie 
und  denen  für  die  engere  Familie,  zwischen  Hausgemeinschaft  (zadruga)  und  dem 
Einzelhaus  (inokostina)  nicht  kenne,  dass  die  Zadruga  seit  jeher  geteilt  wurde  u.  a., 
und  hat  neue  Fragebogen  aufgestellt,  die  aber  nicht  gedruckt  wurden.  Der  Autor 
des  späteren  Quästionars,  A.  Radii-,  hatte  überhaupt  keine  juristische  Vorbildung 
und  glaubte  an  eine  unüberbrückbare  Kluft  zwischen  den  'Herren"  und  dem  Bauern- 
volke; trotzdem  räumt  ihm  der  Vf.  einige  Vorzüge  vor  Bogisic  ein.  Zugleich  hat 
Dr.  Iv.  Strohal  einen  neuen  Fragebogen  zusammengestellt  (ebd.  14,  134 — 160. 
28.") — 326),  worin  er  die  Sammler  darauf  hinweist,  was  im  Leben  des  Volkes  den 
Juristen  und  die  Rechtswissenschaft  interessiert  oder  interessieren  könnte.  Ob- 
gleich er  weiss,  dass  das  Material  grösstenteils  im  Bauernvolk  gesammelt  werden 
wird,  so  betont  er,  dass  seine  Fragebogen  alle  Klassen  und  Stände  der  Bevölkerung 
des  slawischen  Südens  im  Auge  haben.  Endlich  fordert  derselbe  noch  zu  einer 
Sammlung  der  im  Munde  des  Volkes  umlaufenden  juristischen  Namen,  der  Be- 
zeichnungen der  Rechtsbegriffe,  wie  auch  ihres  Gebrauches  auf.  Derselbe  Gelehrte 
untersuchte  von  neuem  die  Frage  der  'Hausgemeinschaft  bei  den  Südslawen'  (Glas- 
nik  des  Landesmuseum  f.  Bos.-Herzeg.  21,  215—296);  er  übt  scharfe  Kritik  an  den 
Berichten  von  der  Hausgemeinschaft,  der  südslawischen  'Zadruga'  und  bestreitet 
energisch,  dass  sie  in  der  ältesten  Zeit  bestanden  habe;  ursprünglich  existierte  die 
unbegrenzte  Herrschaft  des  Familienvaters  bei  den  Südslawen  wie  bei  allen  anderen 
Völkern,  an  seine  Person  war  das  Eigentumsrecht  gebunden;  bei  den  primitiven 
Rechtsgewohnheiten  kann  der  Mann  nur  Herr  oder  Sklave  sein.  Die  alten  Denk- 
mäler berichten  nicht  nur  nichts  von  der  'Zadruga'.  sondern  sie  beweisen,  dass 
eine  Gütergemeinschaft  in  der  alten  Zeit  überhaupt  nicht  bestehen  konnte.  Sie 
entstand  erst  verhältnismässig  spät  im  Zusammenhang  mit  den  sozial-wirtschaft- 
lichen Verbältnissen,  und  zwar  nur  in  der  Bauernbevölkerung.  Weiter  wird  eine 
Reihe  von  Gesetzen,    die    die  Verhältnisse    der  Hausgemeinschaft    regeln  wollten. 


iJericlite  uiul  Büclieranziiiijen.  4'27 

kritisiert.  An  dieser  Stelle  sei  noch  der  ausführliche  Nekrolog  Dr.  Valtazar  Bo- 
gisi('s  aus  derselben  Feder  verzeichnet  (Letopis  Jugoslav.  Akad.  2.3,  80 — 140),  eine 
sehr  eingehende  kritisch-bibliographische  Übersicht  seiner  gesamten  wissenschaft- 
lichen Tätigkeit,  die  auch  den  auf  Bogüics  Publikationen  beruhenden  fremden  Arbeiten, 
z.  B.  Fr.  S.  Krauss  'Sitte  und  Brauch  der  Südslawen'  (S.  09)  den  gebührenden 
Platz  in  der  Wissenschaft  anweist.  —  Einen  'Beitrag  zur  ethnologisch-juristischen 
Symbolik"  lieferte  Dr.  Sima  Trojanovir  in  seinem  Aufsatze  'Die  Wahl  der 
serbischen  Häuptlinge'  (Srpski  kuiz-Glasnik  23,  45f.  114f.;  S.-A.  16  S.).  Es 
sind  da  verschiedene  Gebräuche:  bei  den  Serben  Südungarns  wird  noch  jetzt  der 
neugeweihte  Priester  in  die  Höhe  gehoben,  so  war  es  auch  Brauch  bei  der  grie- 
chischen Geistlichkeit  in  Süd-Mazedonien  und  im  Epirus;  der  Verfasser  bringt 
diesen  Brauch  in  Verbindung  mit  der  altgermanischen  Schilderhebung.  In  Monte- 
negro wird  nach  dem  Tode  des  Häuptlings  dessen  Sohn  als  Nachfolger  eingesetzt, 
indem  ihn  der  älteste  Häuptling  im  Kreise  der  anderen  dreimal  um  sich  herum- 
dreht. Darin  erblickt  der  Vf.  die  römische  'manumissio',  die  er  noch  in  dem 
Hochzeitszeremoniell  von  Risano  in  denBocche  di  Cattaro  findet.  Bei  dem  monte- 
negrinischen Stamme  der  Kuci  beantragte  der  freiwillig  abtretende  Herzog  die 
^Vahl  eines  Nachfolgers  und  behielt  sich  nur  das  Recht  vor,  den  Erwählten  zu  be- 
stätigen; als  Zeichen  davon  nahm  er  seine  eigene  Kappe  ab  und  setzte  sie  dem 
Erwählten  mit  Blumen  geschmückt  auf  den  Kopf.  Auch  die  Sage  A^on  dem  alten 
serbischen  Kloster  Zica,  wo  der  neugekrönte  König  immer  durch  ein  neues  Tor 
hinausging  und  dieses  sogleich  zugemauert  wurde,  sucht  der  Verfasser  ethno- 
logisch zu  erklären.  —  Einige  Rechtsgebräuche  hat  Stanoje  M.  Mijatovii-  im 
Belgrader  Archiv  für  Rechts-  und  Sozialwissenschaft  8,  4;-{ff.  mitgeteilt. 

Zur  bulgarischen  Volkskunde  lieferte  das  vergangene  Jahr  ungemein  wenig 
Beiträge.  Der  wichtigste  ist  N.  P.  Kondakovs  Buch  'Mazedonien,  eine  archäo- 
logische Reise"  (russisch.  St,  Petersburg,  Akademie  1!>U9,  308  S.  mit  12  photo- 
typischen Beilagen  und  zahlreichen  Textillustrationen).  Das  Werk,  welches  die 
Ergebnisse  einer  im  Jahre  1900  nach  Mazedonien  unternommenen  wissenschaft- 
lichen Expedition  verarbeitet,  ist  eigentlich  der  Untersuchung  und  Schilderung  der 
ai'chäologischen,  besonders  Kunstdenkmäler  des  Landes  gewidmet.  Doch  verbreitet 
t?s  sich  recht  ausführlich  über  die  historische  Ethnographie  Mazedoniens,  über 
dessen  Besiedelung  durch  slawische  Volksstämme,  deren  A'erhältnis  zu  den  älteren 
Völkern  des  Landes,  zu  den  späteren  nomadischen  Kriegsvölkern,  welche  die 
ackerbautreibenden  Slawen  vorschoben,  über  das  Verhältnis  der  einzelnen  sla- 
wischen Stämme  und  die  Entwicklung  der  zwei  slawischen  Volkstypen  auf  der 
Balkanhalbinsel.  K.  versucht  darzulegen,  dass  die  Besiedelung  der  ackerbau- 
treibenden slawischen  Stämme  durch  allmähliches  Vorschieben  der  Siedelungen 
bis  vor  die  Tore  Salonikis  und  Ochrid,  während  oder  öfter  nach  den  Einfällen  der 
nomadischen  Kriegshorden  vor  sich  ging;  die  Besiedelung  der  östlichen  Hälfte  der 
Halbinsel  war  gegen  den  Schluss  des  7.  Jh.  fast  beendet;  im  Anfange  des  8.  Jh. 
war  auch  Mazedonien  fast  ganz  mit  Slawen  besiedelt.  Dass  diese  Besiedelung 
durch  ackerbautreibende  Völkerstämme  in  verhältnismässig  kurzer  Zeit  vor  sich 
gehen  konnte,  erweist  der  Vf.  durch  ein  Beispiel  aus  neuerer  Zeit,  wo  in  weniger 
als  loO  Jahren  die  sog.  neurussischen  Steppen  mit  einer  ackerbautreibenden  Be- 
völkerung besetzt  wurden.  Über  die  Frage  nach  einer  genaueren  Unterscheidung 
der  slawischen  Stämme  Mazedoniens  scheint  Kondakov  nicht  ganz  im  klaren  zu 
sein,  er  hält  sie  auch  in  erster  Reihe  für  eine  philologische,  linguistische.  Im 
Anfange  seines  Buches  sagt  er  (S.  7),  dass  die  erste  Besiedelungsmasse  Mazedoniens 
„ohne  Zweifel  vorzüglich,    wenn  nicht  ausnahmslos   serbisch"  war.     Später    (S.  23 


428  Polivka,  V.  d.  Leyen: 

bis  52)    ist    er    überzeugt    vom  ^östlich-bulgarischen  Ursprung  des  mazedonischen 
Slawentums"  (vgl.  noch  S.  2S7).     Besondere  Aufmerksamkeit  wendet  K.  der  Volks- 
tracht, namentlich  dem  weiblichen  Kostüme  zu   und  vergleicht  einzelne  Teile  des- 
selben,   Kopftuch  und  -schmuck,    Gürtel,    Schuhwerk,    Ornamente    mit  der  Tracht 
anderer  Völker    und    mit    den   alten  byzantinischen  Trachten.     Hier    gibt    der  Vf. 
sehr  wertvolle  Bemerkungen  und  Winke   für  künftige  Forscher    der  Volkstrachten 
der  Balkan-Slawen.    Sehr  interessant  sind  seine  Darlegungen  des  Zusammenhanges 
der  Kultur  des  russischen  und  balkanslawischen  Süden  mit  der  griechisch-orienta- 
lischen Kultur,  welche  er  von  der  byzantinischen  trennt,  bei  der  Besprechung  der 
Ornamentik  der  ältesten  slawo-bulgarischen  Handschriften,  Fragen,  welche  auch  die 
Volkskunde  angehen.     Im  Verlaufe  seiner  Reisebeschreibung  berührt  K.  die  Volks- 
trachten anderer  Örtlichkeiten  Mazedoniens  und  hebt  die  Gleichheit  des  serbischen 
und  bulgarischen  Kostüms  hervor,  besonders  in  der  Umgebung  von  Üsküb-Skopije 
(S.  I.s7fl'.),    womit    die  Frage  von  dem  Verhältnis    beider    slawischen  Völker  ver- 
bunden wird.    —    Die  Volkskunde  pflegt  nur  die  Zs.   'Rodopski  Napredi.k'.     Ihr 
Redakteur,    St.  N.  Siskov,    bringt   Notizen    über  Volkstracht    und  Gebräuche  im 
Dorfe    Golemi-Dervent.    Bz.  Sofuli    (<i,  113ff.),    handelt   vom    Kulte    des  Wassers 
(6,  IGlff.)  und  von  Resten  des  Sonnenkultes  in  Rhodope  (7,  Iff);    er    führt    sehr 
interessante  Beispiele    an,    wie    dem  Wassergeiste  Opfer,    sogar  Geldopfer    darge- 
bracht werden;  wenn  ein  Mensch  oder  Vieh  ertrinkt,  glaubt  man,  dass  der  erboste 
oder  beleidigte  Wassergeist  sich  selbst  das  Opfer  geholt  habe;  der  Wassergeist  hat 
unter  sich  eigene  Hüter,  besonders  in  Schlangengestalt;  das  Wasser  in  Gebräuchen, 
seine  Bedeutung  in  Träumen  u.  a.     Die  Sonne  wird  als  ein  einäugiges  Wesen  vor- 
gestellt; als  sie  einmal  aus  einem  Flusse  trinken  wollte,  packte  eine  Schlange  das 
eine  Auge;  hätte  sie  beide'Augen,  so  würde  die  Erde  verbrennen;  von  der  Sonnen- 
mutter.    Derselbe    bringt  noch  einen  Beitrag    zu  den  Geheimsprachen  (6,  I20ff.) 
bei  den  Rhodoper  Handwerkern    (Maurer,    Zimmerleute,    Steinmetze,    Dachdecker 
u.  a.);  bei  den  Kindern  und  der  Jugend  überhaupt  ist  die  sog.  Vogelsprache  ver- 
breitet, jeder  Silbe  wird  fa  oder  re  oder  pci  nachgesetzt.  —    Jedes  Heft  der  Zs. 
bringt  endlich  Volkslieder  aus  den  Rhodope,  der  Gegend  von  Adrianopel,   Philip- 
popel (<:,  142—157.  183—190.  265—271;  7,  28—32.  (;()-64.  103  —  110),   balladen- 
artige Lieder;  Legenden  (6,  Ulf.):  die  Mutter  Gottes    wollte  Jesus    nicht    als    ihr 
Kind  nehmen,  obwohl  alle  Tiere  sie  baten;  erst  die  grosse  Liebe  der  Fröschin  zu 
ihren  Jungen  bewegte  sie;    die  Spinne  ist  gesegnet,   weil  sie  den  Herrn  durch  ihr 
Spinngewebe  vor  den  Juden  verbarg;    auf  den  erschaffenen  Menschen  spuckte  der 
Teufel,    und    aus    dem  weggenommenen  Speichel  wurde    der  Hund    erschaffen.  — 
Endlich  beschreibt  St.  N.  Siskov  die  Volksgebräuche    im  Dorfe  Isman-Koj,    Bez. 
Malgar  von  Weihnachten  angefangen  (ebd.  7,  171  —  190)    und    teilt    die    dabei  ge- 
sungenen Lieder  mit. 

Prag.  Georg  Polivka. 


Kichard  M.  Meyer,    Altgermanische  Religionsgeschichte.     Leipzig,  Quelle 
und  Meyer  1910.     VII  u.  645  8.     16  Mk.,  geb.  17  Mk. 

Das  Buch  von  Richard  M.  Meyer  über  die  Geschichte  der  altgermanischen 
Religion  ist,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  überreich  an  Stoff  und  Gesichts- 
punkten. Die  Religionsgeschichte  als  Wissenschaft  ist  in  letzter  Zeit  überall  in 
einer  mächtigen  und  fortreissenden  Bewegung:  einen  erfrischenden  und  belebenden 
Hauch  davon  spürt  man  in  dem  Werke  Meyers    auf  jeder  Seite,    man  merkt  ihm 


Berichte  und  Bücheranzeioren.  429 

auch  die  Freude  wohl  an.  die  es  dem  Vf.  machte.  Meyer  unterbricht  oder 
bestätigt  seine  Ausführungen  ausserdem  fortwährend  durch  Hinweise  auf  die 
griechische  und  römische,  semitische  und  indische  Religion. 

Solche  Ausblicke  sind  natürlich  eine  Gefahr.  Sie  tragen  in  den  Stoff  leicht 
eine  nervöse  Unruhe  und  verwirren  dann,  anstatt  zu  klären.  Mir  wenigstens 
scheint,  als  bedürfe  gerade  die  Mythologie  als  Wissenschaft  dringend  der  Ruhe, 
des  langsamen,  ungestörten  Einfühlens.  Auch  verleiten  den  Vf.  seine  Hinweise 
manchmal  zu  allerhand  Mitteilungen  und  Meinungsäusserungen,  die  mit  dt-m 
Thema  in  gar  keinem  oder  nur  sehr  losem  Zusammenhang  stehen.  Was  soll 
«twa  auf  S.  120  die  Bemerkung,  dass  Tirschenreut  der  Geburtsort  des  trefflichen 
Germanisten  Schmeller  sei,  oder  die  auf  S.  23t'),  dass  Goethe  und  Mozart  beide  Wolf- 
gang hiessen,  und  dass  in  Wolfram  von  Eschenbachs  Namen  sich  Wolf  und  Rabe, 
die  Tiere  Odhins,  vereinigten,  oder  die  auf  S.  237,  dass  der  grosse  Chemiker 
Kerthelot  mit  der  Idee  gespielt  hätte,  die  Zukunft  werde  nur  noch  chemische 
Destillate  als  Nahrung  kennen,  oder  die  Parenthese  auf  S.  480:  Ich  liebe  die 
Dummheit,  wenn  sie  nur  heroisch  ist,  rief  Gustav  Roethe  den  Berliner  Studenten 
zul  —  Hier  wäre  wohl  auch  der  Ort,  einer  Unart  des  Vf.  zu  gedenken,  gegen  die 
man,  w'ie  mir  scheint,  gar  nicht  unduldsam  genug  sein  kann,  der  Unart  nämlich, 
mythische  Auffassungen,  Personen  und  Symbole  durch  Zustände  und  Benennungen 
aus  unserer  Kultur  und  Antikultur  zu  charakterisiere  Man  nennt  das  'Näher- 
bringen, im  Grunde  ist  es,  nicht  nur  für  mein  En  pii  . ..,  eine  abscheuliche 
Fälschung.  —  S.  38:  Die  Dämonen  werden  in  ihren  Ressorts  unbeschränkte  Vor- 
steher ...  die  Götter  sind  kosmische  Beamte  (!),  die  dem  Krieg  usw.  vorstehen, 
wie  ein  moderner  Minister.  —  Ein  Dämon,  der  sich  zum  Gott  entwickelt,  schlägt 
alle  Konkurrenten  um  die  Kundschaft  aus  dem  Feld.  S.  41:  Die  Dämonen  er- 
scheinen bereits  avant  la  lettre  als  Verfechter  des  gi.ten  Prinzips.  S.  12Ö: 
Hymir,  ein  Holofernes,  halb  von  Hebbel,  halb  von  Nestroy  gezeichnet.  S.  156 
spricht  von  einem  Schicksalsbureau,  das  die  christliche  Theologie  eingerichtet 
habe;  S.  174  redet  von  incognito  und  offiziell  erscheinenden  Göttern:  S.  211  sagt, 
die  Riesin  Skadi  habe  sich  bei  der  Kotillontour  vergriffen;  S.  231  findet  einen 
Gott  mit  einer  ins  Gesicht  geklemmten  Sonne  seltsam;  S.  2;)7  spricht  von  der 
flüssigen  Diät  Odhins  —   und  nun  höre  ich  damit  lieber  auf. 

Meine  Grundanschauungen  in  mythischen  Fragen  weichen  von  denen  Richard 
Meyers  recht  oft  recht  weit  ab.  Dadurch  wurde  sein  Buch  für  mich  doppelt  an- 
regend. M.  steht  MüUenhoff  und  der  vergleichenden  Mythologie  viel  näher  als 
ich;  der  allgemeinen  Mythologie  oder,  wie  er  es  nennt,  der  folkloristischen 
Richtung  steht  er  viel  ablehnender  gegenüber.  Freilich  habe  auch  ich  (Deutsches 
Sagenbuch  1,  3G)  meine  Bedenken  gegen  diese  Richtung  entschieden  betont,  stehe 
auch  nicht,  wie  Richard  Meyer  (S.  606)  sagt,  auf  dem  Standpunkt,  dass  die  Edda 
bloss  alt  ist  und  die  Volksmärchen  altertümlich;  ich  sage  nur,  dass  ein  Märchen 
altertümlich  sein  und  uralte  Motive  treuer  wiedergeben  kann,  als  die  Edda. 

Für  Richard  Meyer  ist  beispielsweise  Hermann  Usener  der  grosse  Erneuerer 
der  Mythologie.  Mir  scheint,  dass  die  Bedeutung  üseners  viel  weniger  in  seinen 
mythologischen,  als  in  seinen  religionsgeschichtlichen  und  Legenden forschungen 
liegt.  Die  Bedeutung  der  mythenbildenden  Kraft  und  der  Gesetze  der  Umbildung 
des  Mythus  hat  z.  B.  W.  Mannhardt  energischer  gesehen  und  umfassender  gezeigt,  als 
Usener.  Die  Entdeckung  der  Sondergötter  ist  für  die  Mythologie  von  recht  be- 
schränktem Wert,  und  der  von  Usener  so  gescholtene  Animismus,  dem  doch 
AVerke  wie  die  von  E.  Rohde  und  H.  Oldenberg  ihre  Entstehung  zum  Teil  vordanken, 
war  in  seinen  Folsren  und  Erkenntnissen  viel  segensreicher,     t'brigens    hat  Meyer 


430  '^'-  ^^-  Leyeu,  Meyer: 

die  Bedeutung  der  Sondergöttinnen  für  das  Germanische  (S.  402,  vgl.  mein  Sagen- 
buch 1,  '2oO)  übersehen.  Vergleicht  man  etwa  Useners  Aufsatz  Dreiheit  (Rheinisches 
Museum  58)  mit  Axel  Olriks  Epischen  Gesetzen,  seine  Sintflutsagen  mit  Olriku 
Ragnarök,  so  muss  jedem  die  tastende  Unsicherheit,  der  Mangel  an  mythologischen 
Kenntnissen  und  mythologischem  Sinn  bei  dem  klassischen  Philologen  auf- 
fallen. —  Mit  diesen  Anschauungen  von  Richard  Meyer  hängt  es  zusammen,  dass 
die  Abschnitte  über  niedere  Mythologie  am  wenigsten  befriedigen,  er  ist  hier  über 
seine  Vorgänger  nirgends  hinausgekommen,  ja,  wenn  man  bedenkt,  dass  er 
reichere,  eindringendere  Sagensammlungen  hätte  benutzen  können,  als  jene,  so  ist 
er  hinter  ihnen  zurückgeblieben.  Hier  wäre  eine  tiefe  Kenntnis  unserer  deutschen 
Sagensammlungen  wichtiger  gewesen  als  eine  Kenntnis  unserer  mythologischen 
Handbücher. 

Aus  diesem  Grunde  hat  mir  das  auch  wenig  eingeleuchtet,  was  Meyer  über 
die  Ursprünge  der  germanischen  Götter  sagt.  Zu  diesen  gelangt  doch  nur  der 
Forscher,  der  in  die  ältesten  und  untersten  Schichten  der  Mythologie  eindringt 
und  sich  dort  heimisch  fühlt.  Dass  die  Grundanschauung  von  Odhin  die  mächtige 
Bewegung  ist  (S.  228)  oder  dass  Hönir  das  unterirdisch  fliessende  Wasser  sei, 
das  nur  stellenweise  sichtbar  ist  (S.  371):  zu  solchen  Abstraktionen  reicht  das 
Denkvermögen  der  Zeiten  nicht  aus,  in  denen  Götter  entstehen.  Odhins  Ursprung 
ist  deshalb  so  schwer  zu  finden,  weil  die  verschiedenen  germanischen  Stämme 
verschiedene  Seiten  seines  Wesens  verehrten,  und  Hötiirs  Wesen  deutet  viel  eher 
auf  einen  Wolkengott  als  auf  einen  Wassergott. 

Meyer  ist,  wie  gesagt,  in  der  mythologischen  Forschung  besser  zu  Hause  als 
in  den  mythologischen  Überlieferungen.  Wenn  er  sich  den  geistigsten  Göttern 
zuwendet  oder  wenn  er  der  Forschung  neue  Probleme  stellt,  gibt  er  sein  Bestes. 
Die  Darstellung  von  Odhins  Wesen  bringt  Ausgezeichnetes,  und  der  Gedanke, 
Odhin  als  den  Gott  des  Speeres  dem  Tyr  als  Gott  des  Schwertes  gegenüber- 
zustellen, und  die  Überlegenheit  Odhins  aus  der  Überlegenheit  seiner  Waff'e  ab- 
zuleiten, hat  etwas  Bestechendes,  wenngleich  ich  in  der  nordischen  Überlieferung 
nirgends  Anhaltspunkte  dafür  sehe.  Der  Versuch,  den  Mythus  von  Thiazi  zu 
rekonstruieren,  ist  beachtenswert,  und  noch  nie  wurde  die  Bedeutung  des  Un- 
sterblichkeitsglaubens für  die  Entwicklung  der  germanischen  Religion  so  klar  und 
glücklich  gesehen,  wie  von  Meyer.  Das  Unternehmen,  eine  Geschichte  der  alt- 
germanischen Religion  zu  zeichnen,  und  das  andere,  die  Entwicklung  und  die  Grund- 
sätze der  religiösen  Namengebung  aufzudecken,  verdienen  unbedingte  Anerkennung; 
sie  konnten  noch  nicht  gelingen,  aber  der  Forschung  werden  hier  Gebiete 
gezeigt,  auf  denen  noch  viele  Erkenntnisse  wachsen  müssen  und  die  bisher  über 
Gebühr  vernachlässigt  blieben.  Auch  die  literarische  Charakteristik  solcher  Lieder 
wie  der  Grimnismal  und  Wafthrudnismal  geben  viel  zu  denken,  und  die  von 
Snorri  und  Saxo  sind  sehr  anregend.  Mir  ist  allerdings,  da  der  Vf.  ein  so 
scharfes  Auge  für  das  Literarische  und  Künstlerische  in  den  Liedern  der  Edda 
hat,  nicht  ganz  verständlich,  dass  er  die  exklusive  Art  vieler  von  diesen  Liedern, 
besonders  der  Odhin-Lieder,  nicht  zugeben  will,  und  dass  er  das  Spiel  mit  Thors 
Schwäche  harmlos  gemütlich  findet:  wo  ist  denn  in  diesen  immer  sehr  bewusst  und 
kunstreich  gebauten  Dichtungen  jemals  harmlose  Gemütlichkeit?  Den  tragischen 
Ernst  in  der  Edda  und  die  Schwere  des  germanischen  Pflichtbewusstseins  hebt 
Meyer  in  schönen  Worten  hervor. 

Es  baut  sich  in  dem  Werk  Richard  Meyers  die  altgermanische  Religion  nicht 
organisch  auf.  Namentlich  in  den  ersten  grundlegenden  Kapiteln  ziehen  Primitives 
und  Spätes,    alte    und    neue  mythologische  Auffassungen,   nicht  streng  geschieden, 


Berichte  uud  Rücheranzcigen.  431 

sondern  im  Durcheinander  an  uns  vorüber.  Dafür  werden  in  fast  endloser  Reihe 
Anregungen,  Einfälle,  Gedanken,  neue  Auffassungen,  neues  Material,  neue 
Zusammenhänge,  neue  Gesichtspunkte,  neue  Kombinationen  vor  uns  aus- 
c^ebreitet  —  ein  ungeheurer,  natürlich  nicht  gleichwertiger  Haufen  von  inter- 
essanten und  geistreichen  Dingen.  Ich  kann  hier  —  dann  müsste  ich  ein  ebenso 
dickes  Buch  schreiben  —  den  Einzelheiten  nicht  zustimmend  oder  ablehnend 
folgen;  ich  kann  nur  versichern,  dass  es  der  Mühe  wert  ist,  diesen  Haufen  ein- 
gehend zu  betrachten:  es  können  sich  viele  Forseher  Hinweise  und  Anregungen 
daraus  holen. 

München.  Friedrich  v.  der  Leyen. 


Salomon  Reinach,  Orpheus.  Allgememe  Geschichte  der  EeligioneD. 
Deutsche,  vom  Verf.  durchgesehene  Ausgabe  v.  A.  Mahl  er.  ^yien  und 
Leipzig,  Eisenstein  &  Co.    1910.    XII  +  463  S.    7,50  Mk. 

Dies  mit  Recht  auf  schlechtem  Papier  in  grauen  Lettern  gedruckte  Buch  wirkt 
auf  den  deutschen  Leser  wie  ein  verblüffender  Anachronismus.  Gewiss,  Reinach 
ist  in  der  mythologischen  Literatur  erstaunlich  bewandert,  wenn  er  auch  die 
deutschen  Forschungen  der  neueren  Zeit  bedauerlich  vernachlässigt:  bei  der 
unglaublich  oberflächlichen  Darstellung  der  Azteken  etwa  (S.  147)  wird  man  Namen 
wie  Seier  und  Preuss  vergeblich  suchen,  woneben  die  Vernachlässigung  eines 
Oldenberg,  Pischel,  Hillebrandt  beim  Buddhismus  (S.  73)  noch  verzeihlich  erscheint. 
Die  glänzenden  Darstellungen  in  der  'Kultur  der  Gegenwart'  sind  für  R.  so  wenig 
vorhanden  wie  (S.  104)  für  Römer  und  Hellenen  Wissowa,  Rohde,  Wilamowitz; 
nur  gerade  Useners  Name  ist  noch  bis  zu  ihm  gedrungen.  Bei  der  Gleichstellung 
von  babylonisch  shabbatum  und  hebr.  sabbat  ist  (S.  39)  von  Meinholds  Kritik  so 
wenig  die  Rede,  wie  etwa  bei  der  Lehre  vom  Opfer  (S.  91)  auch  nur  mit  einem 
Wort  Robertsons  gedacht  wird!  Aber  immerbin  es  gibt  für  die  meisten  Gebiete 
hier  auch  vortreffliche  französische  Schriften,  und  der  Verf.  hat  sich  ja  selbst 
produktiv  in  der  Mythologie  bewährt,  wenn  auch  nicht  jedermann  etwa  seine  Er- 
klärung vom  Ted  des  Grossen  Pan  (S.  42)  für  so  sicher  halten  wird  wie  er. 

Auch  diese  unbefangene  Sicherheit  ist  —  leider  —  noch  nicht  schlechtweg 
anachronistisch.  R.  sieht  überall  Totem,  wie  andere  überall  Naturgötter.  Dass 
der  Totemismus  etwa  bei  den  Hebräern  von  Sachkennern  lebhaft  angezweifelt 
worden  ist,  kümmert  ihn  nicht;  ihm  ist  schon  Bileams  Eselin  (S.  171)  beweisend. 
Ebenso  rasch  findet  sich  (S.  127)  ein  germanischer  Pferdegott.  Warum  auch 
nicht?  Da  ja  an  Odins  Hof  (S.  131)  auch  der  Mondgott  und  die  Sonnengöttin 
wohnen  —  ebenfalls  eine  Entdeckung  Reinachs!  Die  Beweise  für  den  hellenischen 
Totemismus  (S.  79)  beruhen  auf  einer  groben  Gleichsetzung  von  Fetischismus  und 
Animismus,   für  die  etwa  Edvard  Lehmanns  Unterscheidungen  nicht  existieren. 

Aber  auch  so  würden  wir  nur  sagen:  Der  Verf.  ist  um  eine  Reihe  von 
Jahren  zurückgeblieben.  Was  seinen  Verf.  um  mehr  als  ein  Jahrhundert  zurück- 
datieren lässt,  das  ist  der  Geist  des  Buches:  flachster,  dürftigster  Rationalismus. 
Die  negative  Definition:  „Religion  ist  eine  Summe  von  Bedenken,  welche  den 
freien  Besitz  unserer  Fähigkeiten  behindern",  verspricht  viel;  das  Buch  hält  es. 
Wenn  der  Verf.  meint,  sieben  Achtel  des  Rigveda  seien  'blanker  Unsinn"  (S.  53: 
„die  Indologen  wissen  das  auch  ganz  gut  und  machen  untereinander  kein  Hehl 
daraus"  .  .  .),    so    hören  wir    den    seligen  Less;    und    wenn    er    den  Mystizismus 


^3'J  Meyer,  Schullerus,  Petsch: 

(z.  B.  S.  276  vgl.  3G0)  einfach  als  'dunkel  und  langwierig'  beseitigt,  so  sind  wir 
über  die  Aera  dieses  modernen  Religionsforschers  wohl  vollends  im  klaren. 

Die  Vorrede,  deren  unendliche  Geschmackslosigkeit  noch  von  den  späteren 
Witzeleien  über  Kaiser  Wilhelm  (S.  ob)  und  La  Valette  (S.  349)  übertroffen  wird, 
vcrheisst  häufigen  Anschluss  an  Voltaire,  und  wirklich  hat  R.  (S.  257.  28^' f.  vgl. 
375  u.  ö.)  die  trivialsten  Stellen  des  grossen  Spötters  anzuziehen  gewusst.  (Viel 
berechtiger  ist  S.  14  der  Hinweis  auf  Fontenelie,  der  wohl  von  Nietzsche  her- 
stammt). Aber  Voltaire  war  in  einem  grossen  Kampf;  R.  will  positive  Wissen- 
schaft geben.  Was  sollen  da  die  an  den  Haaren  herbeigezerrten  Anspielungen 
auf  moderne  katholische  Reaktion  (S.  25)'?  Wie  viel  vornehmer  hat  etwa  der 
jüngst  verstorbene  Völlers  in  seinen  'Weltreligionen'  einen  ähnlichen  Standpunkt 
durchgeführt! 

Was  sich  nun  ergibt,  wenn  von  dem  Boden  nicht  eines  starken  Positivismus, 
sondern  eines  feuilletonistischen  Antiklerikalismus  nun  gar  (S.  200 ff.)  die  Geschichte 
des  Christentums  gegeben  wird,  das  kann  man  sich  vorstellen.  Eine  vorurteils- 
lose wissenschaftliche  Eingliederung  des  christlichen  in  die  allgemeine  Religions- 
o-eschichte  wäre  eine  verdienstliche  Tat:  aber  wer  nicht  einmal  weiss,  was  ein 
'revival'  ist  (S.  338),  der  soll  davon  bleiben.  Aus  dieser  Reihe  von  Leitartikeln, 
die  von  den  treibenden  Kräften  des  religiösen  Lebens  auch  keine  Ahnung  haben, 
kann  man  nur  lernen,  dass  auch  die  antiklerikale  Religionsforschung  im  üblen 
Sinne  'theologisch'  getrieben  werden  kann;  d.  h.  nicht  von  einem  Priester,  sondern 
von  einem  Küster;  nicht  von  einem  Voltaire,  sondern  von  einem  Homais! 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 


Elisabet  R6na*Sklarek,  Ungarische  Volksmärcheu,  ausgewählt  und  über- 
setzt, Xeue  Folge.  Leipzig,  Dieterichsche  Yerlagshandlung.  Theodor 
Weicher  1909.    A^II,  313  8.    S«.    5  Mk. 

Durch  den  Erfolg  der  ersten  Veröffentlichung  ungarischer  Volksmärchen  (1901) 
ermuntert,  bietet  Frau  Röna-Sklarek  mit  Unterstützung  der  ungarischen  Akademie 
der  Wissenschaften  hier  eine  zweite  Auswahl,  die  um  so  berechtigter  erscheint, 
als  seither  die  Sammlung  magyarischer  Volksdichtungen  in  den  Publikationen  der 
Kisfaludy-Gesellschaft  rüstig  fortgeschritten  ist  und  gerade  den  Märchenschatz 
ungeahnt  bereichert  hat.  Aus  diesen  zuverlässigen  Quellen  schöpft  auch  die  neue 
Auswahl.  Die  Übersetzung  ist  gewandt  und  kernig,  wenn  auch  selbstverständlich 
der  eigenartige  mundartliche  Ausdruck  in  der  deutschen  Übersetzung  nicht  immer 
ganz  zu  seinem  Recht  kommen  kann.  Doch  ist  der  Erzählton  trefflich  wieder- 
gegeben, t' hersetzt  sind  32  meist  längere  Märchen,  die  ein  recht  anschauliches 
Bild  des  magyarischen  Märchenstils  bieten,  dessen  Hauptkennzeichen  die  Aus- 
malung der  Einzelsituation  mit  Mitteln  der  eigenen  täglichen  Erfahrung  ausmacht. 
Da  ein  grösserer  Teil  der  aufgenommenen  Märchen  aus  Siebenbürgen  stammt, 
finden  sich  naturgemäss  zahlreiche  Parallelen  zu  verwandten  rumänischen  und 
siebenbürgisch-deutschen  Märchen,  auf  die  in  den  Anmerkungen  verwiesen  wird. 
(Zu  Nr.  10  wäre  insbesondere  Haltrich  Nr.  1<>  'Das  Zauberross'  nachzutragen,  wo 
die  Situation  der  Flucht  vor  dem  Gewittersturm  als  Stutenherde  unvergleichlich 
klarer  und  ursprünglicher  erscheint  als  in  der  angezogenen  rumänischen  Variante). 
Beigegeben  ist  ein  dankenswertes  Sachregister. 

Her  mann  Stadt.  Adolf  Schullerus. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  433 

Heinrich  Günter,  Die  christliche  Legende  des  Abendlandes.  (Religions- 
wissenschaftliche Bibliothek,  hsg.  v.  W.  Streitberg  und  R.  Wünsch, 
2.  Band.)     Heidelberg,  Carl  Winter  1910.     YIII,  246  S.  8". 

Prof.  Günter  gehört  neben  dem  gelehrten  Jesuiten  Delehaye  (oben  19,  240) 
zu  den  besten  Kennern,  zu  den  verständnisvollsten  und  vorurteilsfreiesten  Beurteilern 
der  christlichen  Legenden  des  Mittelalters;  wir  verdanken  ihm  bereits  eine  sehr 
förderliche  Untersuchung  über  den  Gegenstand,  die  'Legenden-Studien'  (oben  17, 
236),  welche  vor  allem  die  Identität  der  Legendenmotive  innerhalb  des  christ- 
lichen Mittelalters  nachzuweisen  versuchen.  Diesmal  legt  der  Verfasser  den  Xach- 
druck  auf  die  Legenden  quellen;  aber  sein  Gegenstand  bringt  es  mit  sich,  dass 
«ine  Reihe  andrer  Probleme  angeschnitten  und  zum  Teil  ausführlich  diskutiert 
wird.  Es  handelt  sich  zunächst  um  den  Begriff  der  'Legende'  überhaupt,  um 
seine  Abgrenzung  gegen  andre  Erzeugnisse  der  theologischen  und  vor  allem  der 
volkstümlichen  Literatur.  Denn  wie  die  antike  Göttersage,  so  entspringt  die  christ- 
liche Legende  der  'Volkstheologie';  bei  der  Legende  i.A.  handelt  es  sich  um  die 
Übertragung  geeigneter  Motive  auf  einzelne  Persönlichkeiten,  die  durch  irgend- 
welche hervorragenden  Eigenschaften  die  Teilnahme  der  Menge  erregt  haben; 
wenigstens  möchte  ich  diese  Abgrenzung  des  Begriffs  vorschlagen,  den  wir  doch 
alle  gegenüber  'Mythus,  Sage,  Märchen,  Roman,  Novelle'  usw.  als  etwas  Be- 
sonderes empfinden;  ich  möchte  also  nicht  mit  "Wundt  den  erbaulichen  Charakter 
der  Legende  zu  ihrer  Unterscheidung  von  der  Sage  verwenden,  da  wir  doch  heute 
ohne  weiteres  von  Goethelegenden,  von  der  Lessinglegende  usw.  reden;  da  erscheint 
die  Legende,  die  nicht  notwendig  erbaulich  sein  muss,  als  eine  besondere  Art  der 
Sage,  die  sich  um  eine  historische  oder  für  historisch  gehaltene  Persönlichkeit  be- 
wegt; natürlich  wird  der  Begriff  dann  vielfach  mit  dem  der  Heldensage  sich 
schneiden,  ja  vielleicht  zusammenfallen;  nur  eine  besondre  Gruppe  wäre  es  aber, 
die  sich  auf  Helden  der  Religion  bezieht;  jedenfalls  arbeitet  die  Heldensage  im 
engern  Sinne,  z.  B.  die  Dietrichsage,  so  gut  wie  die  christliche  Heiligenlegende 
mit  der  Verbindung  historischer  und  mythischer  Motive,  und  eine  ähnliche 
Stimmung  wird  beiderseits  für  Komposition  und  äussere  Form  der  Erzählung 
massgebend  (vgl.  die  Neigung  zu  Hyperbeln  usw.).  Wohl  dreht  sich  auch  das 
Märchen  um  das  Schicksal  eines  einzelnen,  aber  hier  fungiert  der  Held  doch  mehr 
als  Träger  des  Motivs,  gegen  das  er  schliesslich  zurücktritt.  Es  wird  daher  auch 
viel  weniger  Kraft  und  Zeit  darauf  verwandt,  seine  Persönlichkeit  über  alle  Staub- 
geborenen herauszuheben,  er  wird  nicht  als  historische  Erscheinung  erfasst,  deren 
empirische  Eigenschaften  erst  ins  Mythische  gesteigert  werden  müssten;  die 
Schilderung  bleibt  ruhiger,  gemessener,  aber  auch  typischer  und  unbestimmter,  als 
in  der  Heldensage  oder  der  Legende.  Ich  kann  also  hier  weder  Welcker  zu- 
stimmen („Zwischen  der  Legende  und  ihrem  Gegenstand  findet  gar  kein  innerer 
Zusammenhang  statt"),  noch  Erwin  Rohde,  der  die  Legende  einfach  dem  erklären- 
den Mythus  gegenüberstellt  „als  die  durch  die  Anschauung  des  täglichen  Lebens, 
des  Heimatbodens,  alter  Gebräuche  veranlasste  Volkssage";  beide  werden  dem, 
was  jeder  Legendenleser  mit  der  Zeit  instinktiv  als  den  eigentlichen  Kernpunkt 
und  höchsten  Reiz  der  Gattung  auffasst,  nicht  gerecht.  Vielmehr  stimme  ich 
A.  Harnack  (Reden  und  Aufsätze  1,  10.  1904)  zu:  Die  Legende  will  charakteri- 
sieren, das  Wesen  ihres  Helden  zeichnen,  sie  „ist  Beurteilung  der  Geschichte  in 
der  Form  der  (unwahren)  Geschichtserzählung";  dazu  stimmt  auch  die  Auffassung 
von  Bernheim  (Historische  Methode);  auf  dieser  Grundlage  beruht  auch  die  weit- 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.  1910.    Heft  4.  2.S 


434  Petsch : 

herzige  Definition  der  christlichen  Heiligenlegende  durch  Günter  selbst:  ^Ich  ver- 
stehe unter  Legende  die  mit  einer  historischen  oder  erdichteten  Heiligengestalt 
oder  religiösen  Sache  in  der  Form  der  Geschichtserzählung  verknüpfte  verchrist- 
lichte  Völkervorstellung  von  dem  Verhältnis  des  Menschen  zum  Übersinnlichen" 
(S.  201).  —  Etwas  weiter  als  dies  erste  Kapitel,  das  übrigens  einen  lehrreichen 
Überblick  über  den  bisherigen  Betrieb  der  Legendenforschung  einschliesst,  führen 
uns  die  Erwägungen  Günters  über  den  'Legendenbestand'.  Toldo  hat  in  seinen 
bekannten  Aufsätzen  in  Kochs  'Studien  zur  vergleichenden  Literaturgeschichte'  seit 
1901  'Leben  und  Wunder  der  Heiligen  im  Mittelalter'  nach  ihren  einzelnen  Mo- 
tiven zergliedert  und  damit  eine  äusserst  brauchbare  Übersicht  gegeben;  und  doch 
hat  der  Leser  dieser  Aufsätze  noch  keine  rechte  Vorstellung  von  dem  eigentlichen 
Charakter  der  Heiligenlegende,  eben  weil  sich  bei  dieser  Zergliederung  das  per- 
sönliche Element  ganz  verflüchtigt  und  damit  das  Kompositionsprinzip  des  Ganzen 
verloren  geht;  Günter  analysiert  uns  zwei  ältere,  typische  Heiligenlegenden:  die 
des  Nikolaus  von  Trani  und  die  des  Keivin  von  Glendalough.  Beidemale  steht 
die  Figur  eines  Heiligen  im  Mittelpunkte;  beidemal  wird  der  Lebenslauf  einer 
Persönlichkeit  geschildert,  wenn  auch,  wie  wir  sehen  werden,  von  eigentlicher  Ent- 
wicklung kaum  die  Rede  ist. 

Im  Gegensatz  dazu  ist  die  mit  dem  13.  Jahrhundert  einsetzende  Marien- 
legende nach  Günter  überindividualistisch:  es  handelt  sich  einfach  um  Samm- 
lungen von  einzelnen,  wunderlichen  Erzählungen  (die  übrigens  aus  sehr  ver- 
schiedenen Motiven  entstanden  sind;  vgl.  Benrath,  Geschichte  der  Marienverehrung, 
Theol.  Studien  u.  Kritiken  5i).  18S6);  in  allen  spielt  Maria  die  Hauptrolle,  aber 
sie  tritt  im  ganzen  doch  immer  als  bestimmte,  ein  für  allemal  bekannte  Persönlich- 
keit auf,  über  deren  Werdegang  nichts  Besonderes  gesagt  zu  werden  braucht. 
Der  Inhalt  ist  unpersönlich,  international.  Günter  macht  uns  klar,  dass  diese 
Wandlung  im  Legendenstil  auf  die  Geschichtsdarstellung  hinübergewirkt  habe  (falls 
es  sich  nicht  etwa  überhaupt  um  eine  Wandlung  des  mittelalterlichen  Menschen  in 
seiner  Stellung  zum  Geschichtlichen  handelt);  auch  die  ältere  geschichtliche  Arbeit 
ist  wesentlich  biographischer  Art,  während  mit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  die 
grossen  Anekdotensammlungen  einsetzen.  Er  zeigt  bei  einem  Durchblick  durch  diese 
Marienlegenden,  wie  immer  die  gleichen  religiösen  Grundvorstellungen  sich  in 
reale  Motive  umsetzen:  Maria  belohnt  ihre  treuen  Verehrer,  straft  ihre  Verächter, 
lehrt  neue  Formen  ihres  Kultus;  jedes  neue  Mirakel  ist  eine  weitere  Bestätigung 
eines  solchen  Grundmotivs;  untereinander  stehen  die  Geschichten  in  keinem  andern 
Zusammenhang  als  diesem;  man  kann  ihre  Reihe  beliebig  unterbrechen  oder  ver- 
ändern, ohne  der  Legende  wesentlichen  Abbruch  zu  tun.  Nun  finden  wir  freilich  ganz 
Ähnliches  auch  bei  der  erwähnten  Nikolauslegende;  der  Held  ruft  bei  jeder  passenden 
und  unpassenden  Gelegenheit  Kyrie  eleison;  er  wird  als  lästig  empfunden,  für  einen 
Toren  gehalten,  wird  beschimpft,  geschlagen  und  auf  alle  Weise  misshandelt,  aber  die 
göttliche  Gnade  lässt  ihn  seine  Leiden  entweder  gar  nicht  empfinden  oder  doch 
schnell  über  alles  Ungemach  hinwegkommen,  ohne  dass  jemals  sein  Überzeugungs- 
eifer nachliesse.  Da  wird  ein  Grundmotiv  in  unzähligen  Variationen  abge- 
handelt, und  wir  könnten  auch  hier  beliebig  Glieder  auslassen  oder  hinzufügen, 
ohne  das  Ganze  wesentlich  zu  verändern.  Aber  diese  Erzählung  hat  einen  Anfang 
und  ein  Ende;  wir  hören,  wo  und  wie  Nikolaus  herangewachsen  ist,  und  wir  hören 
von  seiner  Verklärung  im  Tode.  Damit  wird  ein  Rahmen  um  das  Ganze  herum- 
gelegt. Man  könnte  hierin  einen  wesentlichen  Gegensatz  zur  Marienlegende  er- 
blicken, wenn  nicht  bei  deren  Erzählung  doch  die  ganze  Gruppe  biographischer 
Motive  von  der  Verkündigung  bis  zur  Himmelfahrt  der  Jungfrau,    wenn  nicht   vor 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  435 

allem  der  Inhalt  des  apokryphen  Buches  De  transitu  b.  Mariae  V.  dem  mittel- 
alterlichen Hörer  fotwährend  vor  Augen  stünde.  Kai  also  die  Marienlegende  keinen 
epischen  Rahmen,  so  hat  sie  doch  einen  ganz  bestimmten  Hintergrund,  der  dem 
Ganzen  seine  Einheit  gibt;  aber  beide  Male  steht  die  Persönlichkeit  in  ihrer  charak- 
teristischen Wirkungsweise  im  Mittelpunkt  der  Erzählung,  während  das  eigentlich 
biographische  Element  nur  ganz  dürftig  ausfällt  und  die  Auffädelung  der  Ereignisse 
so  gut  wie  gar  keine  Entwicklung  verrät.  Eine  solche  ist  schon  in  viel  höherem 
Grade  vorhanden  bei  der  Legende  des  Keivinus  oder  Coemgenus  von  Glenda- 
lough.  Hier  wechselt  mehrfach  der  Schauplatz  der  Erzählung,  und  mit  der  neuen 
Umgebung  erscheinen  jew^eils  neue  Motive,  Beziehungen  zu  historischen  Persönlich- 
keiten usw.  Da  liegt  nach  meinem  Gefühl  etwas  wesentlich  anderes  vor,  als  in 
den  soeben  behandelten  Fällen.  Vielleicht  wird  das,  was  ich  meine,  noch  deut- 
licher, w^enn  wir  aus  dem  religiösen  ins  weltliche  Gebiet  der  Personalsage  hinüber- 
greifen; von  Till  Eulenspiegel  wird  wohl  berichtet,  wo  er  zu  Hause  gewesen 
und  wo  er  gestorben  sei,  den  Hauptinhalt  des  alten  Volksbuchs  aber  bilden  die 
Schwanke,  die  in  überwiegender  Zahl  auf  die  eine  Pointe  hinauslaufen:  jemand 
führt  alles  wörtlich  aus,  was  ihm  gesagt  wird.  Das  ist  genau  der  Typus  der 
Nikolauslegende.  Ähnlich  dann  wie  die  Marienmirakel  lassen  sich  die  Anekdoten 
etwa  von  Friedrich  dem  Grossen  aufeinanderhäufen,  die  immer  wieder  die 
Schlagfertigkeit,  den  blendenden  Witz,  auch  wohl  die  durchgreifende  Gerechtig- 
keitsliebe, die  Vorurteilslosigkeit  des  grossen  Königs  schildern  und  gern  auf  Grund 
von  Assoziationen  aneinandergereiht  werden,  ohne  dass  der  biographische  Rahmen 
auch  nur  erwähnt  würde,  der  eben  jedem  Zuhörer  vor  der  Seele  steht.  Anders 
z.  B.  die  Faustlegende,  wie  sie  im  alten  Volksbuch  verkörpert  worden  ist;  auch 
da  eine  grosse  Reihe  von  Schwänken,  die  aber  nicht  auf  ein  einheitliches  Motiv 
bezogen  werden  können,  auch  da  eine  Reihe  von  Disputationsszenen,  in  dem  allen 
aber  doch  eine  wirkliche  menschliche  Entwicklung,  die  durch  Konflikte  hindurch- 
führt, der  Prozess  der  Degeneration  einer  von  Hause  aus  gross  angelegten  Seele. 
Von  der  gleichen  Art  aber  sind  altkirchliche  Legenden  wie  die  Cyprianus-  und 
Justina-  oder  die  Theophiluslegende.  Ob  diese  stilistischen  Differenzen  auf  chronolo- 
gisch zu  sondernde  Schichten  des  Legendenmaterials  hinweisen,  muss  unsern 
grossen  Legendenkennern  zu  untersuchen  überlassen  bleiben.  Wohl  aber  können 
jene  Gruppen  für  die  Einteilung  des  Bestandes  sich  brauchbar  erweisen.  Ich  möchte 
in  einem  Falle  von  Häufungslegenden  reden,  im  andern  von  biographischen  Legenden. 
In  jedem  Falle  liegt  eine  einheitliche  Grundvorstellung,  hier  natürlich  religiöser  Art 
vor;  aber  das  eine  Mal  lautet  das  Urteil:  „Ein  Mann  von  der  und  der  Beschaffen- 
heit wirkt  das  und  das,"  das  andre  Mal:  „Ein  solcher  Mann  hat  solches  Schicksal. - 
Der  dritte  und  wichtigste  Abschnitt  des  Buches  mustert  die  „Legenden- 
quellen"  und  gipfelt  in  dem  erdrückenden  Beweise,  dass  die  Vorstellungswelt 
der  christlichen  Legenden  des  Mittelalters  weder  spezillsch  mittelalterlich,  noch 
spezifisch  christlich  ist.  Eine  Musterung  des  Pausanias,  der  zunächst  um  der 
Kuriosität  willen  antike  Legenden  mitnahm,  dann  aber  sie  um  ihres  tieferen  Ge- 
halts willen  sammelte,  zeigt  die  verblüffende  Übereinstimmung  der  wichtigsten 
Motive,  die  denn  auch  bei  den  Mythographen  und  Geographen  wiederkehren  und 
im  Neuplatonismus  wie  im  Pythagoreismus  im  echten  l.egendenstil  gepflegt  werden; 
und  an  der  Hand  einer  kurzen  Musterung  der  legendarischen  Motive  des  Talmuds 
kann  Günter  nach  allen  Seiten  Verbindungsfädon  ziehen:  Wasser-,  Regen-  und 
Milchwunder,  Verlöbnis  und  Teufelspakt,  Jenseitsglaube  aller  Art,  Geburts-  und 
Jugendlegenden,  Elementarwunder,  Vermehrungs-  und  Verwandlungswunder,  er- 
staunliche Verrichtungen  der  Heiligen,    Dämonenglaube  usw   usw.,    alles    kehrt  in 


436  Petsch 

Altertum  und  Mittelalter,  im  Orient  und  im  Occident  immer  wieder.  Also  lassen 
sich  die  Urquellen  der  Legende  so  wenig  fassen,  wie  die  des  Märchens;  nur  in 
einzelnen  Fällen  können  wir,  wie  bei  bestimmten  Sagengruppen,  die  Entstehungs- 
ursachen nachweisen  oder  doch  vermuten.  Es  handelt  sich  um  die  Erklärung  von 
Naturereignissen,  um  Volksetymologie  und  um  die  Verkörperung  von  Sentenzen: 
ein  Vers  z.  B.  wie  Ps.  14G,  7:  „Jehova  gibt  den  Hungrigen  Brot  und  macht  die 
Gefangenen  los"  fordert  geradezu  heraus  zur  Bildung  von  Speisungslegenden,  in 
denen  denn  auch  der  Talmud  schwelgt,  um  nachher  nur  noch  von  der  christlichen 
Heiligenlegende  übertroffen  zu  werden.  Aus  der  Volkspsychologie  möchte  ich 
weniger  mit  Günter  die  Entstehung,  als  die  Ausgestaltung  der  Legende  erklären. 
Schon  Pausanias  weiss  damit  Bescheid  (VHI,  2):  „Wer  Heroenerzählungen  gern 
hört,  macht  gern  noch  mehr  dazu."  Vielleicht  darf  ich  zu  diesem  Paragraphen 
auf  meinen  Aufsatz  über  'Volksdichtung  und  volkstümliches  Denken'  verweisen 
(Hessische  Blätter  für  Volkskunde  '2,  192—211). 

Das  vierte  Kapitel  schildert  die  Entwicklung  und  Wandlungen  der 
Legende  im  christlichen  Abendlande.  Günter  zeigt,  wie  lange  es  gedauert  hat,  bis 
der  Occident  sich  der  apokryphen  Märtyrerliteratur  des  Ostens  erschloss.  Erst  im 
7.  Jahrhundert,  unter  dem  Einfluss  eines  allgemeinen  internationalen  Gedankenaus- 
tausches beginnt  man  im  Frankenreiche  die  eigne,  ziemlich  ärmliche  Heiligenvita 
im  Sinne  der  bunten  W^undergeschichten  aus  der  Fremde  umzugestalten.  Übrigens 
hat  die  ausländische  Richtung  hier  nur  solange  geherrscht,  als  die  wilden  Partei- 
kämpfe des  7.  und  8.  Jahrhunderts  den  Sinn  der  Bevölkerung  für  Torturszenen 
lebendig  erhielten.  Dann  aber  beginnt  das  religiöse  Interesse  mit  den  italienischen 
Heerfahrten  Pipins  und  Karls  sich  mehr  auf  Rom  zu  konzentrieren,  und  zudem 
erzeugt  das  Jahrhundert  seine  eignen  grossen  Heiligen;  zur  Zeit  Pipins  wird  in 
St.  Viktor  bei  Mainz  die  hervorragende  Vita  S.  Bonifatii  geschrieben.  „Das  war 
erlebt  und  sah  völlig  anders  aus.  Die  Wirkung  sehen  wir  an  dem,  was  nun- 
mehr neu  geschrieben  wird.  Und  eine  w-eitere  Wirkung  war  eine  grössere  Zu- 
rückhaltung und  Vorsicht  gegenüber  dem  Volksgerede,  der  Legendenbildung."  An 
Stelle  des  blutigen  Märtyrertypus  dringt  das  neue  Bekennerideal  durch.  An  der 
Hand  der  gallischen  Verhältnisse  legt  Günter  diesen  Entstehungsprozess  der  mittel- 
alterlichen Legende  ausführlich  dar.  Neue  Erlebnisse  zeugen  auch  neue  Legenden- 
gruppen: die  Kreuzzugsstimmung,  die  Mystik,  die  Christianisierung  der  Massen  ver- 
mehren das  legendarische  Material  und  neben  die  Marienlegenden  treten  unmittelbar 
die  Hostienwunder.  Cäsarius  von  Heisterbach  ist  charakteristisch  für  den  Geschmack 
des  12.  und  1.3.  Jahrhunderts.  Die  grosse  Frage  bleibt,  ob  mit  der  erhöhten  Empfäng- 
lichkeit der  Christenheit  auch  Wesen  und  Charakter  der  Legende  sich  geändert  haben. 
Günter  untersucht  diese  Frage  im  Schlusskapitel  'Legende  und  Mittelalter';  er 
sucht  die  Schreiber  selber  'auszuhorchen',  zunächst  über  ihr  persönliches  Verhältnis 
zu  ihrer  Aufgabe.  Ein  tiefer  Ernst  ist  für  sie  charakteristisch.  Strenge  katholische 
Gesinnung  und  subjektives  Wahrhaftigkeitsstreben  kennzeichnen  den  mittelalter- 
lichen Legendenstil.  Damit  ist  das  Verhalten  der  Schreiber  gegenüber  dem  Stoif 
gegeben.  Der  Erzählungsgehalt  ist  als  Heiligenlegende  wahr,  auch  wenn  die  be- 
hauptete Augenzeugenschaft  nicht  im  eigentlichen  Sinne  besteht;  der  Verf.  glaubte 
an  die  Autopsie  des  Quellenschriftstellers  oder  doch  der  ältesten  Gewährsmänner. 
Und  der  Zuhörer  war  von  der  Wahrheit  des  Vorgetragenen  um  so  mehr  überzeugt, 
als  ja  der  Schreiber  sich,  wenn  auch  unbewusst,  zum  Sprachrohr  der  V'olks- 
stimmung  machte  und  nach  Stoff  und  Stil  von  seiner  Umgebung  beeinflusst  wurde. 
Der  im  Mittelalter  so  mächtige  „Zwang  des  Typus  hat  die  Legende  gemacht,  nicht  die 
Willkür  der  Autoren";  das  Jch  verschwindet  bei  der  Erzählung  oder  geht  ganz  in  seinem 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  437 

Gegenstande  auf.  Mit  feinem  Verständnis  für  die  Eigenart  volkstümlicher  Erzählungs- 
kunst sagt  Günter  (S.  I77f.):  „Nach  der  formalen  Seite  ist  die  Pseudoaugenzeugen- 
schaft  psychisch  bedingt  und  so  alt  als  die  mündliche  Erzählung  überhaupt.  Ein 
lebhaftes  Temperament  ist  durch  das,  was  es  zu  schildern  hat,  immer  persönlichst 
in  Anspruch  genommen;  am  lebhaftesten  und  wärmsten  wird  die  Schilderung,  wenn 
der  Erzähler  mit  Leib  und  Seele  dabei  ist,  als  Ichbericht.  In  dieser  Form  hat  die 
Pseudoautopsie  auch  in  die  religiösen  Erzählungen  eindringen  können."  Der  Autor 
steht  mit  seiner  ernsten,  reifen  Persönlichkeit  für  die  Wahrheit  des  Vorge- 
tragenen ein.  Denn  ganz  mit  Recht  sträubt  sich  Günter  dagegen,  aus  den  Be- 
scheidenheitsphrasen der  Verfasser  auf  wirkliche  Schülerübungen  zu  schliessen. 
„Man  hat  reiferen  Klerikern,  etwa  den  Subdiakonen  für  das  Cubiculariat.  die  Auf- 
sicht über  die  Heiligengräber  und  die  Reliquien,  und  in  den  Klöstern  altern  neu 
Eintretenden  hagiographische  Themata  als  Probestücke  gestellt;  stets  aber  nahm 
eine  derartige  Arbeit,  wenn  sie  weiterging,  die  Approbation  der  Obern  mit,  die  ihr 
den  individuellen  Charakter  nahm"  (S.  183  f.).  Freilich  bezieht  sich  die  Kritik  der 
Oberen  eben  vor  allem  auf  die  Rechtgläubigkeit  und,  sozusagen,  auf  die  kirch- 
liche Wahrscheinlichkeit  des  Vorgetragenen.  Von  historischer  Kritik  im 
modernen  Sinne  kann  gar  keine  Rede  sein,  denn  das  Mittelalter  hat  die  Be- 
deutung der  Legende  als  solcher  nicht  erkannt;  dafür  stand  sie  zu  stark  in  dem 
Banne  des  Autoritätsglaubens  und  unter  dem  Druck  typischer  Anschauungs-  und 
Ausdrucksformen:  „Über  den  Wunderstandpunkt  der  gemeinen  menschlichen 
Populärtheologie  war  das  Mittelalter  doch  nicht  hinausgekommen."  ■ —  Wie 
sich  dann  im  Zeitalter  der  Reformation  bei  Katholiken  und  Protestanten  die 
Anschauungen  über  den  Wert  der  Legende  allmählich  oder  auch  plötzlich  ge- 
wandelt haben,  wie  unter  der  Einwirkung  des  modernen  Individualismus  der 
scheinbar  unerschütterliche  Typus  erweicht  und  schliesslich  gar  aufgelöst  wird, 
das  zu  zeigen  wäre  eine  reizvolle  Aufgabe,  die  über  Günters  Arbeitsgebiet  hinaus- 
weist, für  die  er  aber  an  verschiedenen  Punkten  seines  Buches  wertvolle  An- 
regungen und  Fingerzeige  gegeben  hat. 

In  gedrängtester  Form,  mit  einer  Beschränkung,  die  den  Meister  verrät,  hat 
Günter  zusammengefasst,  was  die  bisherige  Legendenforschung  an  sicheren  Er- 
gebnissen gezeitigt  hatte,  und  seine  eigne,  tiefe  Sachkenntnis  bringt  auf  allen  Seiten 
Neues  und  Wertvolles  hinzu;  ein  reichhaltiges,  nur  leider  noch  immer  nicht  ge- 
nügend vollständiges  Namen-,  Sacb-  und  Motivregister  sucht  diese  Fülle  zu  er- 
schliessen  und  macht  damit  das  Kompendium  zugleich  zu  einem  nützlichen  Nach- 
schlagewerke. 

Heidelberg.  Robert  Petsch. 


Marcus    Landau,     Hölle    und    Fegfeuer    in    Volksglaube,    Dichtung    und 
Kircheulehre.    Heidelberg,  Carl  Winter  1909.    XIX,  2[H)  S.  8".    4  Mk. 

Der  grosse  Wert  dieses  Werkes  liegt  in  dem  geradezu  überwältigend  reich- 
haltigen und  recht  geschickt  gruppierten  Material,  über  das  der  Verf.  verfügt;  von 
den  babylonischen  Urkunden  an  bis  zu  den  famosen  Darstellungen  von  Hölle  und 
Fegefeuer  'im  Anschluss  an  die  Scholastik'  durch  den  Münsterer  Theologen  Bautz, 
von  den  primitiven  Anschauungen  der  Naturvölker  bis  zu  den  subtilen  Erwägungen 
Lessings  über  die  Ewigkeit  der  Höllenstrafen  werden  wir  geleitet;  überraschende 
Parallelen  werden  allenthalben  gezogen  und  elementare  Formen  des  'Völkerge- 
dankens' treten  mit  greifbarer  Deutlichkeit  heraus.    Reiche,  wenn  auch  nicht  immer 


438  Petsch: 

ganz  genaue  und  vollständige  Literaturangaben  führen  den  Benutzer  weiter  und 
dienen  wiederum  als  Vorarbeit  für  denjenigen,  der  nach  Landau  des  gleichen 
Weges  ziehen  wird.  Denn  für  eine  abschliessende  Behandlung  des  ungeheuren 
Themas  kann  man  das  vorliegende  Buch  nicht  ansehen;  eine  solche  war  von  einem 
ersten  Wurf  auch  kaum  zu  verlangen,  selbst  wenn  der  Verfasser  mehr  kritische 
Begabung  für  eine  so  umfassende,  religionsgeschichtliche  Aufgabe  mitgebracht 
hätte,  selbst  wenn  er  ernstlich  bemüht  gewesen  wäre,  den  einzelnen,  noch  so 
wunderlichen  Ausgeburten  des  Jenseitsglaubens  und  des  dogmatischen  Grübelns 
gegenüber  sich  ein  historisches  Verständnis  zu  erkämpfen,  während  uns  nun  oft 
genug  ein  gequälter  und  manchmal  zynischer  Witz  unangenehm  berührt.  Mancher 
möchte  das  Buch  vielleicht  breiter  angelegt  sehen,  Avie  denn  z.  B.  gleich  das  Ka- 
pitel über  die  Wege  zur  Unterwelt  nicht  streng  beim  Thema  bleiben  kann,  sondern 
entsprechend  den  Jenseitsvorstellungen  der  einzelnen  Völker  vielfach  die  Wege  zur 
andern  Welt  überhaupt  oder  gar  zum  Himmel,  und  nicht  die  Bahn  zur  Hölle  im 
besondern  darstellen  muss;  freilich  hätte  eine  Arbeit  über  die  Beziehungen  des 
Menschen  zur  jenseitigen  Welt  überhaupt  noch  einen  viel  grösseren  Umfang  an- 
nehmen müssen,  und  Landau  selbst  weiss  ganz  wohl,  dass  die  Vorstellungen  der 
Völker  über  die  Gefilde  der  Seligen  viel  verblasener,  viel  weniger  eindrucksvoll 
zu  sein  pflegen  als  die  düstern  Ausgeburten  eines  verängsteten  Gewissens;  so  wäre 
denn  eher  zu  wünschen  gewesen,  Landau  hätte  sein  Thema  noch  enger  begrenzt, 
um  auf  einem  kleineren  Gebiete  die  jeweiligen  Erscheinungsformen  des  Volks- und 
Kirchenglaubens  auf  Ererbtes,  Erlerntes  und  Erlebtes  hin  genauer  anzuschauen. 
Bringt  doch  Landau  für  eine  sorgfältige,  historische  Detailuntersuchung  mit,  was 
sich  die  meisten  Forscher  nur  mit  der  grössten  Mühe  aneignen  könnten:  eine  er- 
staunliche Kenntnis  der  jüdischen  Überlieferung,  mit  deren  Hilfe  sich  manche 
neue  Verbindungslinie  zwischen  Hellenismus  und  Mittelalter  ziehen  Hesse. 

Landau  mustert  nicht  die  Höllenvorstellungen  der  Völker  in  ihrer  kulturge- 
schichtlichen Gesamtentwicklung,  sondern  er  greift  die  einzelnen  Motive  heraus 
und  verfolgt  sie  durch  die  Weltliteratur;  er  erörtert  in  einem  einleitenden  Kapitel 
'die  Quellen  unsres  Wissens  vom  Jenseits',  die  visionären  Ausgeburten  von 
Traum  und  Rausch:  der  Vorgeschichte  und  der  historischen  Entwicklung  einzelner 
Formen  des  Jenseitsberichts,  vor  allem  der  Apokalypse  und  der  Translation  (der 
Reise  des  Lebenden  ins  Jenseits  an  der  Hand  eines  überweltlichen  Führers)  wäre 
genauer  nachzugehen,  immer  im  Hinblick  auf  die  orientalischen  Mysterienreligionen, 
die  den  Hellenismus  und  auch  das  Christentum  so  nachdrücklich  beeinüusst  haben. 
In  dem  Mysterium  der  Isis^),  das  uns  Apuleius  Metam.  XI,  .3  beschreibt,  nimmt 
der  von  der  Göttin  erwählte  Myste,  an  den  der  Ruf  ergangen  ist,  von  der  Ge- 
meinde Abschied  und  „steigt  an  der  Hand  des  Oberpriesters  in  das  Adyton  herab 
zu  der  eigentlichen  Weihe,  von  der  er  nur  verrät,  bis  auf  die  Schwelle  der  Toten- 
welt sei  er  gekommen  und  durch  alle  Elemente  getragen  (oder  gewandert)  zum 
Licht  zurückgekehrt.  Aus  mitternächtlichem  Dunkel  habe  ihm  leuchtende  Sonne 
gestrahlt,  die  Götter  der  Totenwelt  und  des  Himmels  habe  er  geschaut  und  letztere 
aus  unmittelbarer  Nähe  angebetet"  usw.  Mit  der  Sehnsucht  nach  Erlösung  der 
Seele  aus  der  körperlichen  Hülle,  mit  dem  metaphysisch-ethischen  Dualismus  u.  a. 
überliefert  der  Orient  dem  Abendlande    auch    das  Motiv    der  Entrückung  ins  Jen- 


1)  Vgl.  R.  Reitzenstein,  Die  hellenistischen  Mysterienreligionen  1910  S.  2.S.  Die 
breiten  J'.xkurse,  die  R.  seinem  gohultvolleu  Vortrage  beifügt,  verbreiten  eine  Fülle  von 
Licht  über  primitive  Formen  des  religiösen  Lebens  und  dürfen  auch  in  unserm  Leserkreis 
nicht  übersehen  werden. 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  439 

seits.  II.  Die  Entstehung  von  Hölle  und  Paradies.  Die  einzelnen  Stufen,  in 
denen  der  Yolksgedanke  vom  Jenseits  sich  entwickelte,  hat  Landau  behutsam  ge- 
sondert und  mit  ethnologischem  Material  belegt.  Das  früheste  Differenzierungs- 
motiv des  Schicksals  der  Seele  im  Jenseits  ist  jedenfalls  sozialer  Art;  mit  der 
Ausbildung  und  W''andlung  der  ethischen  AVerte  verändern  sich  auch  die  An- 
schauungen über  die  andre  Welt.  Sicherlich  trägt  zur  Ausbildung  des  Glaubens 
an  einen  'Ausgleich'  sehr  viel  das  unbefriedigte  Gerechtigkeitsbedürfnis  des  Menschen 
bei:  solange  noch  die  alten  festen  Pamilienverbände  bestehen,  begnügt  man  sich, 
wenn  Lohn  und  Strafe  auf  die  Nachkommen  vererbt  erscheinen  und  die  Götter  an 
den  Kindern  rächen,  was  der  Vater  gesündigt  hat;  wenn  sich  das  Individuum  erst 
emanzipiert,  so  soll  es  auch  selbst  die  Folgen  seines  Tuns  tragen;  je  weniger  nun 
Handlung  und  Schicksal  nach  den  geltenden  Rechtsbegriffen  einander  zu  ent- 
sprechen scheinen,  um  so  sehnsuchtsvoller  greift  die  Erwartung  des  Menschen  über 
diese  Erde  hinaus,  bis  ihm  dann  zuletzt  die  Idee  aufgeht,  dass  jede  Handlung 
ihren  Lohn  in  sich  selbst  trägt  und  der  Mensch  gerade  soviel  wert  ist,  als  er  aus 
sich  macht.  Landau  hat  recht  mit  seiner  Bemerkung,  „dass  diese  Stufen  des 
Glaubens  an  Lohn  und  Strafe  nicht  immer  zeitlich  voneinander  geschieden  waren, 
eher  wohl  räumlich,  nach  den  Volksklassen;"  nur  möchten  wir  noch  hinzufügen, 
dass  sie  sogar  in  einer  und  derselben  Persönlichkeit  hart  beieinander  wohnen 
können,  dass  sich  auch  der  reife  Geist,  der  sich  zur  letzten  Stufe  durchgerungen 
hat,  immer  wieder  auf  Gedanken  ertappt,  die  einer  überwundenen  Kulturstufe  an- 
gehören sollten.  Das  alles  erschwert  die  Beurteilung  der  historischen  Urkunden, 
will  aber  auch  bei  der  Beurteilung  einzelner  Persönlichkeiten,  auch  dichterischer 
Schöpfungen  wohl  beachtet  sein. 

III.  Wege  und  Führer  zur  Unterwelt.  S.  41  bezieht  sich  Landau  auf 
jüdische  Legenden  (Mose,  der  sich  dem  Ruf  des  Todesengels  widersetzt);  dabei 
hätten  die  mancherlei  Schnurren  von  der  Überlistung  des  Todesboten  erwähnt 
werden  sollen,  die  Andree  und  Hartmann  in  dieser  Zeitschrift  zusammengestellt 
haben  (oben  19,  203  und  432).  lY.  Die  Urteilsbrücke.  V.  Unterweltstore 
und  Pförtner.  VL  Topographie  und  Regierung:  „Die  Frage,  welchen  Ein- 
fluss  altpersische  Vorstellungen  vom  Jenseits  auf  die  jüdischen  hatten  und  ob  nicht 
letztere  wieder  den  jüngeren  persischen  Schriften  als  Vorbild  dienten,  kann  hier 
nicht  behandelt  werden  und  liegt  auch  nicht  in  meiner  Kompetenz.  Pentateuch 
und  andre  ältere  Teile  der  Bibel  sind  wohl  von  persischem  Einfluss  unberührt  ge- 
blieben" (S.  84).  Ist  es  Landau  unbekannt,  dass  uns  auch  der  Pentateuch  nur  in 
einer  Redaktion  vorliegt,  die  nach  der  intimen  Berührung  Israels  mit  persischer 
Kultur  zustande  kam?  Er  spricht  sich  an  andern  Stellen  über  Fragen  wie  diese 
doch  entschiedener  aus,  wo  es  z.  B.  die  Zurückweisung  F.  Delitzsch'  gilt.  — 
Hier,  wie  anderwärts  vermissen  wir  die  genügende  Heranziehung  der  reichen  dä- 
monologischen  Literatur  des  16.  Jahrhunderts,  die  u.  a.  auf  das  Volksbuch  vom 
Doktor  Faust  und  seine  Hüllenbeschreibungen  sicher  mit  eingewirkt  hat.  VII.  Ge- 
richt und  Buchführung  im  Jenseits.  VIII.  Die  Verdammten  und  ihre 
Strafen.  IX.  Die  Ewigkeit  der  Höllenpein.  X.  Ferien  und  Unterbrechung  der 
Qualen  in  der  Hölle.  XI.  Die  Verdammten  und  die  Seligen;  in  der  Freude 
der  Seligen  über  die  Qualen  der  Verw^orfenen  einen  Rest  alter  Blutrache  zu  sehen, 
geht  doch  wohl  nicht  an;  von  hier  führt  jedenfalls  keine  Brücke  zu  dem  uns  ab- 
stossenden  Hohn  Tertullians,  mit  dem  er  (De  speciaculis  c.  30)  auf  das  künftige 
Schauspiel  des  Gerichts  hinweist.  XII.  Feg f euer  und  Limbus.  Hier  vor  allem 
wären  die  Zusammenhänge  mit  den  orientalischen  Läuterungsmysterien  darzulegen 
gewesen.     XIII.  Der  Verkehr  zwischen  Toten  und  Lebenden.    Zu  S.  217 f.    (Von 


440  Petsch,  Meyer: 

Mitgaben  an  Tote)  war  auf  Hans  Sachsens  Fastnachtsspiel  vom  fahrenden  Schüler 
im  Paradies  und  die  ihm  zugrunde  liegende  Schwankerzählung  zu  verweisen;  ebenso 
zu  der  ganzen  Unterabteilung:  'Die  Toten  als  Feinde  und  Schädlinge'  auf  die 
Sage  von  der  Geisterkirche  (vgl.  oben  6,  441  f.).  Gelegentlich  der  Höllenfahrt 
Christi  wird  auch  die  altslawische  Übersetzung  eines  griechischen  Briefes  der  Jung- 
frau Maria  über  ihre  Höllenfahrt  erwähnt;  näher  lag  die  Höllenfahrt  der  Jung- 
frau im  deutschen  Theophilusdrama.  XIV.  Gewerbsmässige  Erlösung  und  Ver- 
sicherung gegen  üntervveltspein  (so!). 

Landau  beschliesst  seine  Vorrede  mit  dem  Bekenntnis:  „Eine  bestimmte  Ten- 
denz habe  ich  mir  beim  Beginn  meiner  Arbeit  nicht  vorgesetzt,  ich  bin  aber  im 
Laufe  derselben  zu  der  Ansicht  gelangt  und  hoffe  auch,  der  Leser  werde  sie  sich 
aneignen,  dass  alle  Religionen  und  Glaubensformen  bei  aller  Verschiedenheit  von 
Rasse,  Kulturzuständen  und  Dogma,  doch  wieder  in  einzelnen  Vorstellungen  und 
Bräuchen  so  viel  Ähnlichkeit  haben,  dass  sie  mit  Entlehnung  oder  gemeinsamer 
Abstammung  nicht  erklärt  werden  kann.  Da  scheint  doch  eine  dem  Menschen  an- 
geborene gleiche  Geistesanlage  zugrunde  zu  liegen."  Sicherlich  wirkt  auch  hier  die 
besondre  Struktur  des  Menschengeistes  mit  der  Tradition  zusammen,  um  immer 
wieder  überraschend  ähnliche  Vorstellungen  vom  Jenseits  zu  erzeugen;  wir  wünschten 
dem  psychologischen  Problem  einen  Bearbeiter  von  der  Schärfe  und  Tiefe  des 
Denkens,  wie  E.  Spranger,  der  in  seinem  klassischen  Buch  über  W.  von  Humboldt 
(Berlin  1909)  die  Grundlagen  des  Humanitätsbegrilfs  einer  so  überaus  fruchtbaren, 
für  jede  begriffsgeschichtliche  Arbeit  vorbildlichen  Analyse  unterzogen  hat.  Ihm 
würde  das  Buch  von  Landau  wertvolles  Material  in  Fülle  liefern.  Ein  ausführ- 
liches Register  erschliesst  uns  die  Reichtümer  des  Werkes,  das  auch  von  der 
Verlagsbuchhandlung  in  würdiger  Weise  ausgestattet  worden  ist. 

Heidelberg.  Robert  Petsch. 

J.  Fran^'ais,  L'Eglise  et  la  sorcellerie.  Precis  historique;  suivi  des  do- 
cuments  officiels,  des  textes  principaux  et  d'iin  proces  inedit.  (Bibliotheque 
de  critique  religieuse).     Paris,  Emile  Nourry.    1910.    272  s.    8**. 

Die  Sammlung,  worin  die  kleine  Schrift  erschien,  ist  auch  bestimmend  für 
ihre  Tendenz,  die  sich  zwar  in  der  Darstellung  nicht  störend  breit  macht,  aber 
doch  gelegentlich  durchblickt;  der  Verfasser  selbst  lässt  z.  B.  das  Hexendogma 
der  Kirche  aus  dem  Hexenaberglauben  des  Volkes  entstehen;  nachdem  aber  das 
Dogma  vom  Teufelspakt  und  Hexensabbat  einmal  akzeptiert  ist,  scheint  nach  seiner 
Darstellung  die  Kirche  allein  für  seine  scheusslichen  Konsequenzen  verantwortlich; 
ich  meine,  gelegentlichen  Aufwallungen  des  Unwillens  beim  Volke,  wie  der  Revolte 
im  Ogliotale  1517  dürfen  wir  nicht  allzuviel  Bedeutung  beimessen:  im  allgemeinen 
haben  die  abergläubische  Angst  des  Volkes  und  der  Fanatismus  der  Kirche  ein- 
ander gesteigert.  Auch  andre  Faktoren  kamen  hinzu;  so  hat  in  Spanien  das  Königtum 
die  Inquisition  für  seine  politischen  Zwecke  ausgenutzt  und  mit  ihrer  Hilfe  die 
Selbständigkeit  des  teilweise  mit  semitischen  Elementen  durchsetzten  Adels 
wirklich  gebrochen.  Davon  liest  man  freilich  nichts  bei  Franqais,  dessen  Arbeit 
über  ihre  Vorlagen,  über  die  Geschichte  der  Inquisition  von  Lea  und  über 
I.  Baissac,  Les  grands  jours  de  la  sorcellerie  (1 «!)())  nicht  wesentlich  hinaus- 
kommt. Die  ausgezeichnete  Darstellung  von  J.  Hansen  (Zauberbann,  Inquisition 
und  Hexenprozess  im  Mittelalter  und  die  Entstehung  der  grossen  Hexenverfolgung. 
1900)  scheint  ihm  fremd  geblieben  zu  sein.  Im  übrigen  gibt  er  eine  recht  ge- 
schickte, durch  gut  gewählte  Proben  und  Beispiele  belebte  Darstellung  der  Vor- 
geschichte   und    der   eigentlichen    Ausbildung   des  Hexendogmas;    dabei    kommen 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  441 

freilich  die  Überlieferungen  aus  dem  Altertum  zu  kurz,  aber  den  ethnologischen, 
mythologischen  und  psychologischen  Grundlagen  des  Zauberwahns  im  Mittelalter 
wird  Francais  im  ganzen  durchaus  gerecht.  Das  Hauptgewicht  liegt  auf  einer 
knappen,  aber  wirkungsvollen  Geschichte  der  Hexenprozesse  in  den  einzelnen 
Ländern,  wobei  nur  Spanien  zu  kurz  kommt;  auch  die  Gegenströmungen  werden 
charakterisiert,  aber  neben  Agrippa,  Wier  und  Spee  fehlt  der  ausgezeichnete 
Augustin  Lercheimer  (d.  h.  der  Heidelberger  Professor  H.  Wittekind),  dessen 
'Christlich  Bedenken  von  Zauberei'  neuerdings  (188.S)  Binz  bequem  zugänglich 
gemacht  hat.  Wertvoll  sind  die  dokumentarischen  Anhänge,  die  u.  a.  die  ver- 
hängnisvolle Bulle  'Summis  desiderantes'  (1484)  in  französischer  Übersetzung 
vorführen. 

Heidelberg.  Robert  Petsch. 


Robert  Eisler,  Weltenmantel  und  Himmelszelt.  Religionsgeschichtliche 
Untersuchungen  zur  Urgeschichte  des  antiken  Weltbildes.  2  Baude. 
München,  Beck  1910.    XXXII  -f-  811  S.    40  Mk.;  geb.  48  Mk. 

Seit  sich  unter  dem  starken  Einfluss  einerseits  der  englischen  Polkloristen 
(Tylor,  Lang,  Frazer),  anderseits  der  deutschen  Philologen  (üsener,  Diels, 
Wilamowitz)  eine  zweite  vergleichende  Mythologie  neuen  Stils  herausgebildet  hat, 
stehen  im  Mittelpunkt  der  allgemeinen  Religionsgeschichte  zwei  Probleme:  die 
Wanderungsfrage  und  die  nach  dem  gegenseitigen  Verhältnis  von  Ritus  und 
Mythus.  Zwar  die  zweite  Frage  wird  kaum  als  Problem  behandelt:  dass  der 
Ritus  allemal  primär  sei,  ist  seit  Robertson  Smith  Dogma  —  auch  für  unsern 
Verfasser  (S.  752).  —  In  diese  Bewegung  tritt  Eisler  mit  einem  gross  angelegten 
Werk,  über  das  ich  die  Worte  von  Kampers  (Internat.  Wochenschrift  4,  1183; 
wiederholen  möchte:  „Die  Fülle  des  hier  aufeinandergetürmten  gelehrten  Materials 
benimmt  dem  Laien  den  orientierenden  ümblick."  Und  darin  muss  ich  jenem 
Kritiker  zustimmen,  dass  „solche  weitausgreifende  Untersuchungen  auf  keinen 
recht  wohlwollenden  gelehrten  Leserkreis  rechnen  dürfen."  Dass  der  Verf.  freimütig 
in  den  Nachträgen  einige  Sätze  zurücknimmt  (S.  765.  769),  sollte  man  ihm  nicht 
zum  Vorwurf  machen  dürfen;  bedenklicher  schon  ist  es,  dass  in  den  anfangs  so 
hochbewerteten  'Isopsephien'  sich  so  vielfache  Rechenfehler  einstellen  (S.  334  f. 
vgl.  S.  340  und  bes.  S.  767).  Doch  ist  dies  Verfahren,  rätselhafte  Termini 
durch  Gleichsetzung  mit  andern  von  gleichem  Buchstabenwert  zu  deuten,  über- 
haupt in  seiner  Anwendung  noch  so  jung,  dass  man  diese  in  bestimmten  Fällen 
sicher  berechtigte  Kabbala  gern  an  die  Aussenwerke  der  umTänglichen  Arbeit 
versetzt  sieht.  Wird  z.  B.  das  'Anziehen  Jesu'  (S.  761  zu  S.  1.S8)  durch  Deiss- 
manns  Erklärung  der  Formel  'in  Christo  Jesu'  nicht  besser  gedeutet  als  durch 
die  Gleichung  IH^OY^  =  XITÜN? 

Das  Hauptziel  der  Arbeit  aber  ist  ein  eigentlich  volkskundliches.  Zur  "Ur- 
geschichte des  antiken  Weltbildes'  bringt  Eisler  wichtiges  Material;  und  wenn  er 
in  der  Einleitung  die  bekannten  Schriften  von  Troels-Lund  anführt,  so  hat  doch 
sein  eigenes  Werk  viel  tiefer  in  die  Fundamente  der  volkstümlichen  Welt- 
anschauung hinabzublicken.  Sein  wissenschaftlicher  Gegensatz  gegen  die  Mythologen 
und  Philosophiehistoriker  besteht  vor  allem  darin,  dass  es  eine  deutliche  Be- 
wahrung volkstümlichen  Glaubens  da  sieht,  wo  Zeller  (S.  635)  und  Diels  (vgl. 
S.  580)  nur  Metaphern  oder  Sinnbilder  des  einzelnen  Philosophen  erblicken  (vgl. 
bes.  S.  322f.).  Die  Untersuchungen  über  Pherekydes,  die  das  ganze  Buch  durch- 
ziehen,   geben    eigentlich    nur   ein  Hauptbeispiel    für    diesen  Gegensatz    der  Auf- 


442  Meyer: 

fassungen.  E.  polemisiert  (S.  458  Anm.)  gegen  die  'Puritaner  der  Exaktheit';  er 
wendet  sich  (S.  121)  gegen  die  'herköramliche  Betrachtungsweise',  die  immer 
Miterargeschichtlich  fassbare  Übertragung'  erreichen  will,  wobei  es  sich  also  um 
dieselbe  Differenz  der  Grundanschauungen  handelt,  wie  etwa  in  der  Forschung 
über  die  Heldensage  zwischen  Bedier,  Becker,  Voretzsch  und  andern  Verfechtern 
rein  literarischer  Portpflanzung  und  Vertretern  der  älteren  Lehre  von  der  breiteren 
volkstümlichen  Unterlage  wie  Panzer  oder  Olrik.  Die  methodische  Bedeutung 
des  Buches  ist  daher  eine  sehr  grosse.  Ich  bin  nicht  imstande,  die  zahlreichen 
Etymologien  zu  beurteilen,  bei  denen  der  Verf.  hebräische  oder  babylonische 
Wurzeln  u.  dgl.  heranzieht;  wie  ihm  denn  eine  phänomenale,  von  Gilgamesch  bis 
zu  Tegethotf  (S.  175,  1)  reichende  Belesenheit  gestattet,  etwas  zu  herablassend 
von  Gruppes  'nicht  unbedeutendem  Aufwand  an  Gelehrsamkeit'  (S.  640)  zu  sprechen. 
Ehensoweaig  habe  ich  über  seine  Beschaffung  und  Benutzung  von  Quellen  ein 
Urteil;  doch  habe  ich  durchaus  den  Eindruck  einer  staunenswerten  Gelehrsamkeit 
und  einer  scharfsinnig  durchdachten  Arbeitsweise,  die  wohl  der  Konsequenz- 
macherei  nicht  entgeht  (der  heilige  Rock?  S.  188f.,  Josefs  Gewand?  S.  284,  der 
Garten  des  Paradieses?  übrigens  sehr  interessant,  S.  480),  auch  vielleicht  etwas 
rasch  Hilfskonstruktionen  anwendet  (der  Gott  'Sticker'?  S.  227)  und  bis  zu  so 
haltlosen  Analogiespielereien  gelangen  kann,  wie  bei  dem  Vergleich  fürstlicher 
Handwerksdilettantismen  mit  alten  Königshandwerken  (S.  238)  —  die  aber  doch 
ihr  eigentliches  Thema  mit  staunenswerter  Gründlichkeit  und  Vielseitigkeit,  wie 
mir  scheint,  erschöpfend  darstellt. 

Dies  eigentliche  Thema  lässt  sich  kurz  in  die  Sätze  fassen:  ein  uralter  Ritus, 
der  Priester  oder  Könige  mit  dem  'Himraelsmantel'  bekleidet,  um  sie  göttlicher 
Funktionen  fähig  zu  machen,  und  ein  uralter  Mythus  von  dem  Gott,  der  das 
Himmelszelt  aufgerichtet  und  auf  den  Weltenbaum  gestützt  hat,  halten  sich  gegen- 
seitig lebendig.  Ihre  Wechselwirkung  lässt  noch  die  römischen  Kaiser  und  die 
deutschen  Könige  so  gut  wie  den  Mithra  mit  dem  symbolischen  Mantel  voller  Sterne, 
an  dem  3G5  Tagestroddeln  hängen,  in  feierlichsten  Augenblicken  sich  schmücken. 
Der  hellenische  Peplos  (S.  116,  3)  und  das  Kosmoskleid  des  Erlösers  (S.  185  f.), 
die  Herstellung  der  Weltwebe  und  die  Benennung  des  Hymen  (S.  129  f.)  sowie 
die  Göttin  Penelope  (S.  121),  die  Amazonensage  (S.  15i))  und  —  Aschenputtels 
Pantoffel  (S.  Kiö  Anm.)  werden  mit  diesem  Zentraldogma  in  überraschender  Weise 
verbunden,  und  Wendungen  wie  die,  dass  Gott  „das  Meer  einwickelt  wie  in 
Windeln"  (S.  224),  erhalten  eine  merkwürdige  Beleuchtung.  Soweit  freilich  braucht 
man  nicht  zu  gehen,  auch  noch  in  dem  Zerreissen  des  Vorhanges  beim  Tode 
Christi  (S.  252)  eine  Portwirkung  des  Mythus  zu  sehen,  der  Kleid  und  Herrschaft 
gleichsetzt.  —  Das  Himmelszelt  nun  erfährt  seine  Abspiegelung  in  dej  Götterburg 
(S.  5r)0f.),  sein  rituelles  Gegenbild  im  Bau  der  Tempel  (S.  606)  und  Gräber 
(S.  607).  Mythisch  aber  wird  das  Dogma  weiter  geführt  in  der  Erzählung  von  der 
Hochzeit  des  El  mit  der  Sonne  {S.  602)  oder  andern  ähnlichen  Mythen,  die 
wieder  in  heiligen  Handlungen  wie  der  Hierogamie  (S.  599),  dem  Sonnenzauber 
am  Wetterbaum  (S.  585 f.),  der  Überzeitung  des  Heiligtums  vermittels  der  Laub- 
hütte (S.  598)  ihr  rituelles  Gegenstück  finden.  —  Über  dieser  Grundlage  errichtet 
nun  aber  der  Verf.  selbst  sein  Himmelszelt.  Er  entwirft,  fast  als  erster,  eine 
Weltreligionsgeschichte  vom  Boden  der  vergleichenden  Mythologie  aus.  Er  ver- 
folgt die  wichtigsten  Momente,  wie  (S.  245)  das  Selbständigwerden  der  ursprünglich 
gebundenen  Götter;  er  statuiert  den  Kampf  einer  aufkommenden  hellenistischen 
Weltroligion  (S.  572)  gegen  mehr  'heidnische'  Vorstellungen.  Vor  allem  aber 
macht  er,  im  Anschluss  an  Cumont,  den  Begriff  der  Ewigkeit  des  Gottes  (S.  372) 
zu  einem  Angelpunkt  in  der  Religionsgeschichte  der  Menschheit  (vgl.  S.  467  Anm.). 


Berichte  und  Bücheranzeigen.  —  Ts'otizen.  443 

Aus  einer  gemeinsamen  persischen  Quelle  stamme  (S.  Ö08)  die  Religion  des 
Zrvanismus,  der  'Zeitkult'  (ein  interessantes  spätes  Zeugnis  S.  748  Anm.).  Semitische 
Kultureinflüsse  bringen  (S.  737f.)  eine  wirkliche  Festigung  der  Anschauungen  vom 
Wesen  der  Zeit  zustande,  die  an  den  Gestirnen  erfasst  wird.  Bei  den  Hellenen 
aber  erlangten  schon  Thaies  und  Pherekydes  (S.  746)  die  Vorstellung  der  'ewigen 
Gottheit',  und  die  Entwicklungsgeschichte  der  modernen  Weltanschauung  ist  (S.  (331) 
'rein  hellenistisch'. 

Die  Bedeutung  der  Konzeption  ist  wohl  aus  diesem  kleinen  Modell  schon  er- 
sichtlich. Beobachtungen  wie  die,  dass  die  Babylonier  den  Begriff  des  'Verhäng- 
nisses' nicht  erfassten  (S.  743  vgl.  094),  beweisen,  dass  hier  ein  grosser  Instinkt 
für  religionsgeschichtliche  Probleme  neben  grosser  Sachkenntnis  wirkt.  Ich  ge- 
stehe gern,  dass  die  Ausführungen  über  den  Weltenbaum  mich  in  der  Ablehnung 
der  Weltesche  Yggdrasill,  die  ich  soeben  in  meiner  Altgermanischen  Religions- 
geschichte  vorgetragen  habe,  wankend  machen;  wie  denn  auch  sonst  für  die  (im 
ganzen  stiefmütterlich  behandelte)  germanische  Mythologie  beachtenswerte  An- 
regungen sich  finden  (Odins  blauer  Mantel,  Sceafs  Garbe  S.  281,  der  Weltwinter 
S.  452f.,  AVetterwart  des  Himmels  S.  750).  Gegen  die  Ausführungen  über  das 
Weltsperma  (S.  461),  Onan  (S.  389)  und  den  Sonnenstrom  (S.  471)  möchte  ich  mich 
freilich  noch  skeptisch  verhalten;  auch  bedauern,  dass  der  Österreicher,  dem 
Kaiser  Josef  (S.  272)  noch  eine  lebendige  Mythenflgur  ist,  nicht  nur  den  Namen 
eines  neuerdings  wieder  in  Aufnahme  kommenden  mythologischen  Monisten 
Dupuys  schreibt  (S.  517,  637),  sondern  sogar  den  Heinzeis  mit  tz  (S.  759)  — , 
was  soll  da  aus  den  Isopsephien  werden?  Und  dass  er  (S.  148)  nun  gar  John 
Burns,  den  englischen  Arbeiterminister,  zum  Dichter  von  'John  Barleycorn'  macht, 
eine  höchst  unerwartete  Hypostase  des  schottischen  Nationalheros  Robert  Burns I 
Der  Verf.  widerspricht  (S.  120)  einer  „im  selbstgeschaffenen  Regelzwang  ersticken- 
den Hyperkritik."  Mir  scheint  zwar  auf  mythologischem  Boden  diese  jetzt  seltener 
als  die  Phantastik,  doch  freilich  macht  auch  diese,  lunarisch  bei  Siecke,  totemistisch 
bei  Reinach  sich  selbst  bald  ihren  Regelzwang  zurecht.  Eisler  hat  eins  vor  den 
meisten  konstruierenden  Mythologen  unserer  Zeit  voraus;  er  ist  nicht  'Monist', 
nicht  von  der  fixen  Idee  beseelt,  überall  dasselbe  finden  zu  müssen  —  wenn  er 
es  auch  schon  reichlich  oft  findet.  Aber  wie  die  Mythologie  und  die  Religion  der 
Gottheit  lebendiges  Kleid  weben,  das  wird  aus  seinen  kühnen  Konstruktionen 
lebendig  und  anschaulich;  und  hierin  seh  ich  das  letzte  und  nicht  das  geringste 
Verdienst  des  Werkes. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 


Notizen. 

E.  F.  Arnold,  Allgemeine  Büclierkuude  zur  neueren  deutschen  Literaturgeschichte, 
Strassburg,  Trübner  1910.  XIX,  354  S.  8  Mk.  —  Das  aus  der  zwiefachen  Praxis  eines 
Bibliotliekars  und  Universitätslehrers  erwachsene  Buch  will  zunächst  die  studierenden 
'Neugermanisten'  zum  rechten  Gebrauch  der  zahlreichen  literarischen  Hilfsmittel  anleiten. 
Der  Vf.  zieht  daher  nicht  etwa  die  wichtigsten  Arbeiten  über  die  Literatur  dos  18.  und 
19,  Jahrh.  aus  Goedekes  Grundriss  und  ähnlichen  Werken  aus,  sondern  orientiert  genau 
über  diese  Hilfsbücher,  indem  er  den  Umfang  des  darin  abgehandelten  Stoffes  angibt. 
kurze  Urteile  über  den  wissenschaftlichen  Wert  und  Parteistandpunkt  beifügt  und 
methodische  Winke,  die  dem  Suchenden  manches  fruchtlose  Nachschlagen  ersparen,  ein- 
schaltet, Zeitschriftenartikel  sind  nicht  aufgenommen.  Da  er  zugleich  auf  die  früheren. 
oft  mit  Unrecht  vergessenen  Vorgänger  seit  dem  17.  Jahrh.  eingeht,  so  bietet  er  auch 
älteren  Forschern  vielfach  Neues.     Noch  mehr    ist  das  in  der  zweiten  Hälfte    des  Werkes 


444  Notizen. 

der  Fall,  die  den  Hilfswissenschafteu  gewidmet  ist:  Biographie,  Bibliographie,  Sprach 
■Wissenschaft,  Eeligiou,  Philosophie,  exakte  Wissenschaften,  Geographie  und  Volkskunde, 
Eechtswissenschaft,  Politische  und  Kulturgeschichte,  Kunst,  Musik,  Theater.  Auch  hier 
erhebt  sich  der  vielseitige  Vf,  über  eine  trockne  Aufzählung  stets  zu  einer  Hervorhebung 
des  Wertvollen  und  Bleibenden.  Die  schwierige  Aufgabe  einer  zuverlässigen  Wegweisung 
durch  so  viele  Wissensgebiete  scheint  durch  diese  Avahrhaft  kritische  Bibliographie  mit 
Glück  gelöst.  Auch  die  Volkskunde,  der  es  für  verschiedene  Zweige  an  bibliographischen 
Hilfsmitteln  noch  durchaus  gebricht,  kann  hier  Anregung  und  Muster  finden. 

P.  Behrend,  AVestpreussischer  Sagenschatz,  eine  Auswahl  der  schönsten  Heimatsagen 
für  die  Jugend  bearbeitet  und  zusammengestellt,  2.  bis  5.  Bändchen.  Danzig,  Kafemann 
1906-1909.  VIII,  80.  XVI,  80.  VII,  83.  VIII,  72  S.  geb.  je  1,50  Mk.  —  Unter  den  neuer- 
dings erschienenen  populären  Sagensammlungen,  die  sich  die  Förderung  der  Heimatliebe 
einzelner  Landschaften  zur  Aufgabe  machen,  nimmt  die  vorliegende  westpreussische  Lese 
einen  Ehrenplatz  ein.  Jedes  Bändchen  enthält  50  —  60  schlicht  erzählte  Sagen  nach  Tettau- 
Terame,  Treichel  und  andern,  auch  ungedruckten  Quellen,  in  historischer  Folge;  so  be- 
gegnet 2,  79  die  von  Schnippel  oben  16,  177  behandelte  Erzählung  vom  versteinerten 
Gottesfrevler.  Besonders  anziehend  wirken  die  vielen  vortrefflichen  Alibildungen  von  Land- 
schaften, Schlössern,  Städten,  Einzelgebäuden  und  merkw-ürdigen  Denkmälern.  Das  erste 
Bändchen  ist  bereits  vergriffen. 

Elisabeth  Bernhöft,  Das  Lied  vom  hörnenen  Sigfrid,  Vorgeschichte  der  Druck- 
redaktion des  16.  Jahrh.  Diss.  Rostock  1910.  128  S.  —  Das  1889  von  Golther  edierte  Lied 
vom  hürnen  Seyfrid  hat  wegen  des  verwickelten  Verhältnisses  der  Drucke  und  des  vom 
Nibelungenliede  abweichenden  Sageninhaltes  schon  öfter  die  Forscher  beschäftigt.  Fräulein 
B.  ermittelt  auf  dem  Wege  einer  scharfsinnigen  Ausscheidung  der  inneren  Widersprüche 
und  einer  Vergleichung  der  andern  Sagenformen  als  Urform  eine  nd.  Ballade  des  12.  Jahrh., 
nach  der  Sigfrid  bei  einem  Schmied  aufwächst,  einen  Drachen  erschlägt,  sich  mit  seinem 
Blute  bestreicht  und  eine  von  einem  Riesen  Kuperan  gefangene  Jungfrau  befreit.  Diese 
in  der  Thidreksaga  und  im  Seifrid  de  Ardemont  Albrechts  von  Scharfenberg  benutzte 
Ballade,  zu  der  noch  das  Schatzmotiv  und  die  Zwergenepisode  hinzutrat,  ward  die  Quelle 
für  eine  (gleichfalls  verlorene)  Spielmannsdichtung,  die  neue  Züge  aus  der  Georgslegende 
(zweiter  Drachenkampf)  und  dem  Rosengarten  und  im  15.  Jahrh.  ungeschickte  Inter- 
polationen aus  dem  Nibelungenliede  erhielt.  Ihre  letzte,  um  1520,  wenn  nicht  früher,  ge- 
druckte Fassung  liegt  der  Tragödie  des  Hans  Sachs  (1557)  und  dem  um  1680  entstandenen 
prosaischen  Volksbuche  zugrunde.  Es  hängt  mit  der  Natur  der  behandelten  Fragen  zu- 
sammen, dass  die  Rekonstruktion  dieses  Entwicklungsganges  mit  den  älteren  Perioden  an 
Sicherheit  etwas  abnimmt;  trotzdem  wird  man  die  Besonnenheit  der  Arbeit  und  namentlich 
das  Geschick  in  der  Polemik  anerkennen.  Die  S.  101  erwähnte  Episode  von  Jorciis  und 
Zivelles  ist  wohl  Sidneys  Arcadia  3,  7  nachgebildet;  s.  Archiv  f.  n.  Sprachen  121,  287. 

H.  Di  eis.  Orientalische  Fabeln  in  griechischem  Gewände  (Internationale  Wochen- 
schrift für  Wissenschaft  1910,  993  —  1002).  —  In  einem  ägyptischen  Papyrus  (Oxyrhynclius 
Papyri  7,  15  ed.  by  Hunt  1910)  haben  sich  kürzlich  Bruchstücke  der  'lamben'  des 
alexandrinischen  Dichters  Kallimachos  gefunden,  und  darin  ein  an  Jothams  Fabel 
(Richter  9,  6)  erinnernder  Wettstreit  des  Lorbeerbaumes  mit  dem  Ölbaume,  der  zugleich 
persönliche  Beziehungen  auf  Kallimachos  und  einen  Nebenbuhler,  vermutlich  Alexander 
Aitolos,  enthält.  Auf  Assyrien  als  die  Heimat  der  Fabel  weist  nicht  bloss  eine  Bemerkung 
des  Babrios,  sondern  auch  ein  Pflanzenwettstreit  in  dem  ueuentdeckten  aramäischen 
Achikarromane. 

H.  F.  Feilberg,  Dansk  Bondeliv  saaledes  som  dit  i  Mands  Minde  fortes  navnlig  i 
Vestjylland,  1,  Del.  3.  forogede  Oplag  med  75  Billcder.  Kobenhavn,  G.  E.  C.  Gad  1910. 
XIV,  A4o  S.  —  Der  hohe  Wert  des  Buches,  das  der  im  80.  Lebensjahre  stehende  Verf. 
zum  dritten  Male  in  die  Welt  sendet,  braucht  hier  nicht  von  neuem  dargelegt  zu  werden. 
Bekannt  ist  die  musterhafte  Sorgfalt,  mit  der  er  das  westjütische  Bauernleben  in  neun 
Kapiteln  darstellt;  Land,  Hausbau,  Arbeiten,  Leben  im  Hause,  Handel,  Gemeindeleben, 
Schmuggler  und  Hausierer,  Feste,  Familienleben,  und  noch  jüngst  wurden  unsre  Leser  bei 
Gelegenheit  des  Wettermachens  und  des  Klingelstockes  (oben  S.  57  und  818)  auf  mehrere 


Notizen.  445 

dort  zum  ersten  ]\Iale  behandelte  Bräuche  aufmerksam  gemacht.  Die  neue  Auflage  unter- 
scheidet sich  von  der  des  Jahres  188'J  durch  verschiedene  Zusätze  zu  Text,  Anmerkungen 
und  Illustrationen;  für  das  Brauen,  die  Spinnstube,  die  Wochenstube,  die  Erntebräuche 
hat  F.  neues  Material  verwertet,  die  Dorfanlage  (S.  11)G)  nach  Lauridsens  Untersuchungen 
geschildert,  mehrere  Geräte  (S.  46.  56.  337)  in  Abbildung  vorgeführt  und  in  den  An- 
merkungen auch  auf  ausländische  Forschungen  verwiesen.  Lehrreich  sind  endlich  die  von 
Christiansen  entworfenen  Bilder  des  Flachsbrechens,  Brauntweinbrennens,  Lichterziehens, 
der  Strickstube,  der  Jütentopffabrikation  und  andrer  bäuerlicher  Verrichtungen.  Marius 
Kristensen  hat  eine  kurze  Biograjjhie  des  verehrten  Autors  beigesteuert. 

M.  Piebelkorn,  Kopfziegel  als  Giebelschmuck  (Tonindustrie-Zeitung  34,  94Gf. 
Berlin  1910).  —  Zu  den  oben  18,  277  mitgeteilten  Beispielen  werden  noch  weitere  aus 
A.  Walcher  (Die  deutsche  Keramik  in  der  Sammlung  Figdor,  Wien  1909)  gefügt. 

Derselbe,  Feierabend-  oder  Sonnenziegel  (ebd.  34, 1036 f.).  —  Nachtrag  zu  W.  Eatigs 
Artikel  über  verzierte  Dachziegel  und  die  bei  ihrer  Überreichung  üblichen  Reime 
(ebd.  34,  527). 

J.  Folkers,  Zur  Stilkritik  der  deutschen  Volkssage.  Diss.  Kiel  1910.  99  S.  —  Eine 
Beschreibung  des  Stils  der  Volkssagen  stösst  auf  Schwierigkeiten,  da  unsre  Sammlungen 
selten  die  lebendige  Erzählung  zuverlässig  wiedergeben.  F.,  der  sein  Material  aus  Grimm, 
Dähnhardt  und  sechs  norddeutschen  Sammlungen  entnimmt  und  die  mundartlichen 
Fassungen  bevorzugt,  findet,  dass  hier  im  Gegensatz  zum  Märchen  und  zur  Heldensage 
die  Episoden,  die  stehenden  Formeln,  das  Interesse  am  glücklichen  Abschluss,  das  erotische 
Moment  bei  der  Erlösung  zurücktreten,  auch  die  Zeitangaben  ziemlich  unbestimmt  bleiben, 
um  so  mehr  aber  der  Zauberglaube  und  die  Anknüpfung  an  den  Ort  Bedeutung  gewinnen. 
Das  hauptsächlichste  Merkmal  der  Sage  sieht  er  in  ihrer  explikativen  Tendenz,  der  Er- 
klärung von  Ortsnamen,  Bräuchen,  Grabmälern,  Bauwerken,  Merkmalen  von  Tieren  und 
Pflanzen,  von  Spuk  u.  a.,  wogegen  der  Zweck,  ein  Dogma  diu'ch  ein  konkretes  Beispiel 
zu  erläutern,  minder  häufig  auftritt.  Wenngleich  manche  Partie  geschickter  angeordnet 
und  beleuchtet  werden  konnte,  so  erkennen  wir  doch  gern  die  Solidität  der  Arbeit  an,  die 
in  der  Kritik  der  verschiedenen  Ansichten  (z.  B.  Wuudts  S.  95)  oft  glücklich  ist, 

M,  Grunwald,  Das  Josefspiel,  eine  Umfrage.  S.  Weissenberg,  Josef  und  seine 
Brüder  (Mitteilungen  f.  jüdische  Volkskunde  13,  93—117).  —  Das  interessante  hier  ab- 
gedruckte jüdisch -deutsche  Josefdrama  stammt  aus  Südrussland;  es  fehlt  die  Szene 
zwischen  Joseph  und  Potiphars  Weib,  die  ismaelitischen  Kaufleute  heissen  Türken.  Über 
den  Zusammenhang  dieser  Purimspiele  mit  älteren  deutschen  Dramen  war  E.  M.  Werner 
(Anzeiger  f.  deutsches  Altertum  15,  53-67.  1889)  zu  vergleichen. 

A.  Hilka,  Das  Leben  und  die  Sentenzen  des  Philosophen  Secuudus  des  Schweig- 
samen in  der  altfranzösischen  Literatur  nebst  kritischer  Ausgabe  der  lateinischen  Über- 
setzung des  Willelmus  Medicus,  Abtes  von  Saint -Denis  (aus  dem  88.  Jahresbericht  der 
Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterl.  Cultur).  Breslau,  Aderholz  1910.  42  S,  —  Die 
griechische,  vermutlich  auf  indische  Grundlage  zurückgehende  Novelle  von  dem  Philosophen 
Secundus,  der  von  der  Unbeständigkeit  der  Weiber  hört  und  ein  tragisch  verlaufendes 
Experiment  an  seiner  eignen  Mutter  macht,  ist  um  1170  samt  der  angehängten,  angeblich 
durch  den  Kaiser  Hadrian  veranlassten  Sentenzensammlung  des  Philosophen  von  Guillaume 
de  Gap  ins  Lateinische  übertragen  und  dann  in  vielen  Sprachen  bearbeitet  worden.  H. 
gibt  den  lat,  Text  nach  der  ältesten  Pariser  Hs.  (12.  Jahrh.)  heraus  und  fügt  mehrere 
altfranzösische  Übersetzungen  in  Prosa  und  Versen  hinzu,  die  bisher  unbekannt  oder  noch 
ungedruckt  waren. 

E.  Hoffmann- Kr ay er.  Der  Küfertanz  in  Basel  (Schweizer.  Archiv  f.  Volkskunde 
14,  97 — 107).  —  Der  bis  1792  in  Basel  übliche  Keifentanz  der  Küfer  gehört  zu  den 
Musterungsumzügen  der  Zünfte,  an  die  sich  aucli  anderwärts  oft  Tänze  (besonders  Schwort- 
tänze)  anschlössen.  Zu  den  Nachweisen  aus  andern  Städten  vgl.  auch  Bolte,  Das  Dauziger 
Theater  1895  S.  XIII. 

Chr.  Jensen,  Bestrebungen  zur  Erhaltung  des  nordfriesischeu  Volkstums  im 
19.  Jahrhundert,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Nordfriesen.  Schleswig,  Selbstverlag 
190!).    24  S.   0,50  Mk.    —   Der  seit  188;'»  für  die  nordfriesische  Heimatskunde   tätige  Ver- 


446  Notizen. 

fasser  gibt  einen  schlichten  Bericht  über  die  "Wirksamkeit,  die  von  Dichtern  wie  dem 
Sylter  J.  P.  Hansen  (1SU9),  von  Sprachforschern  wie  B.  Bendsen,  C.  P.  Hansen,  C.  Johansen 
und  den  Universitätslehrern  Bremer,  Siebs.  Kauffmann,  Künstlern  und  Museumsleuten  zur 
Festhaltung  der  nordfriesischen  Sitten,  Volkskunst  und  Sprache  entfaltet  worden  ist. 

0.  Lauffer,  Zur  Hamburgischen  Volkskunde  (aus  den  Tageblättern  der  Deutscheu 
Landwirtschafts-Gesellschaft  1910,  Stück  2—4).  20  S.  fol.  —  Drei  wertvolle,  mit  guten 
Abbildungen  versehene  Aufsätze  über  das  Bauernhaus  im  Hamburgischen  Landgebiete  und 
in  dessen  näherer  Umgebung,  über  die  Bauerntrachten  um  Hamburg  fVierlande,  Blankenese, 
Alteland)  in  ihrer  Entwicklung  seit  dem  17.  Jahrhundert  und  über  die  Bauernkunst  in 
Hamburgs  ländlicher  Umgebung. 

0.  Lauffer,  Der  volkstümliche  Wohnbau  in  Frankfurt  a.  M.  Frankfurt  a.  M., 
Völcker  1910.  105  S.  2,80  Mk.  (aus  dem  Archiv  f.  Frankfurts  Geschichte  3.  Folge, 
10.  Bd.). 

H.  Messikommer,  Aus  alter  Zeit.  Volksleben  (im  Dialekt),  Gesang  und  Humor 
im  zürcherischen  Oberlaude,  ein  Beitrag  zur  Volkskunde,  2.  Teil.  Zürich,  Orell  Füssii 
1910.  247  S.  4,80  Fr.  —  Die  Fortsetzung  des  oben  S.  122  augezeigten  hübschen  Buches 
gilt  der  Sprache  und  Dichtung  des  Volkes  im  Zürcher  Oberlande.  Um  seine  Sammlung 
volkstümlicher  Redensarten  auch  einem  grösseren  Publikum  mundgerecht  zu  machen, 
führt  der  Verf.  sie  mittels  einer  Keihe  von  mundartlichen  Skizzen  der  Kinderzeit,  der 
ländlichen  Arbeiten  und  der  Dorfgespräche  im  lebendigen  Gebrauche  vor;  beispielsweise 
verweise  ich  auf  die  Lockrufe,  Schimpfworte,  die  Namen  der  Küchengeräte,  die  allerdings 
anfechtbare  und  bei  Weigand-Hirt  nicht  verzeichnete  Ableitung  von  Schubjak  aus  dem 
italienischen  Viehmarkt  in  Giubiasco  (S.  86).  Auf  S.  194  folgen  hochdeutsche  Gitarren- 
lieder (seit  etwa  1850;  meist  auch  sonst  bekannt),  Tanzlieder,  Bonbonverse  (Füürstein- 
sprüchli  genannt),  gereimte  Liebesbriefe,  Gratulationskarten  und  Buchzeichen  aus  dem 
18.  und  19,  .Tahrh.,  endlich  Listen  von  mundartlichen  Pflanzen-  und  Tiernamen. 

J.  W.  Nagl,  ()sterreichische  Grussformeln  (Wiener  Zeitung  1910,  19.  April,  Beilage 
'Wiener  Abendpost'  nr.  88).  —  Zu  diesem  oben  15,  IGG  berührten  Thema  vgl.  auch 
ISiedersachsen  15,  nr.  4  und  7:  'Wie  grüsst  der  Bauer?'  (K.  Wehrhan  und  L.  Stüve), 
Revue  des  trad.  pop.  5,  119—121,  Feilberg,  Dansk  Boudeliv '  1,  o78,  Globus  89,  30-34 
(G.  Friederici,  Der  Tränengruss  der  Indianer). 

Text  des  Oberammergauer  Passions-Spiels.  Historisch-kritische  Ausgabe,  um- 
fassend den  Urtext  von  P.  Ottmar  Weiss  mit  Proben  der  gesamten  älteren  Textentwicklung 
und  vollem  Variantenapparat  für  die  Umformung  durch  J.  A.  Daisenberger.  Erstdruck 
der  Ottmar  Weißschen  Fassung,  Jubiläumsausgabe  von  Dr.  Otto  Mausser.  Diessen  vor 
München,  J.  C.  Huber  1910.  XX,  313  S.  1  Mk.  —  Als  Fortsetzung  von  Aug.  llartmauns 
1880  erschienener  Ausgabe  der  ältesten  Gestalt  des  Oberammergauer  Passionsspiels  über- 
nahm es  M.,  auch  die  späteren  Bearbeitungen  der  Ettaler  Patres  Rosner  (seit  1750)  und 
Weiss  (seit  1811)  zu  veröffentlichen,  die  oben  S.  347  bereits  im  allgemeinen  charakterisiert 
wurden.  Er  bietet  uns  zunächst  einen  getreuen  Abdruck  der  einzigen,  zu  Andechs  auf- 
bewahrten Hs.  von  Weiss ens  Fassung  (v.  J.  1829)  und  verzeichnet  darunter  sämtliche 
Abweichungen  des  heute  geltenden  Daisenbergerschen  Textes.  Die  Vergleichung  beider 
Versionen  ergibt,  dass  Daisenbergers  Leistung  gcmeinhiu  viel  zu  hoch  angeschlagen  wird. 
SöpCt.  seines  Textes  stehen  schon  bei  Weiss,  der  die  Allegorien,  Teufelszcneu  und 
legendarischen  Züge  (Veronika,  Longinus)  des  18.  Jahrb.  strich  und  statt  der  pomphaften 
Alexandriner  und  vierhebigen  Reimpaare  die  nüchterne,  oft  allzu  wohlgesetzte  Prosaform 
für  den  Dialog  einführte,  aber  zugleich  im  Aufbau  der  Handlung  ein  gewisses  Geschick 
bewährte.  Die  Änderungen  Daisenbergers  sind  meist  redselige  Verwässerungen  der 
dramatischen  Charakteristik,  und  auch  seine  Besserungen  von  Weissens  oft  unbeholfenen 
Gesängen  und  die  antiken  Strophen  des  Prologsprechers  verdienen  nicht  immer  Lob.  Wir 
sind  dem  Herausgeber  für  seine  mühevolle  Arbeit  dankbar  und  hoffen,  bald  in  seiner 
Ausgabe  von  Rosners  metrischer  und  prosaischer  Fassung  nicht  bloss  neues  Material  zu 
der  interessanten  Textgeschichte  des  Oberammergauer  Spieles  zu  erhalten,  sondern  auch 
eine  kritische  Übersicht  derselben  und  ihrer  umfänglichen  Literatur.  Hätte  nur  nicht 
der  Verleger  den  unglücklichen  Einfall  gehabt,  mitten  in  den  Passionstext  Inserate  von 
Münchener  Bier,  Malzkaü'ee,  Damenkonfektion,  Pedicure  usw.  einzufügen  I    Das  stört  doch 


Notizen.  447 

noch  mehr  als  die  leider  auch  in  Oberammergau  bisweilen  zu  spürende  Verquickung  von 
Andacht  und  Geschäftsbetrieb. 

Das  Passionsspiel  in  Oberammergau,  mit  Benutzung  der  alten  Texte  verfasst 
von  J.  A.  Daisenberger,  oilizieller  Gesamttext  für  das  Jahr  1910  überarbeitet  und  neu 
hsg.  von  der  Gemeinde  Oberammergau.    München,  C.  A.  Seyfried  &  Co.    176  S.    1  Mk. 

G.  Pitre,  Proverbi,  motti  e  scongiuri  del  popolo  siciliano  raccolti  ed  illustrati. 
Torino,  C  Clausen  1910.  441  S.  7  Lire  (Biblioteca  delle  tradizioui  popolari  siciliane  23). 
—  Vor  30  Jahren  erschien  Pitres  grosse  vierbändige  Sammlung  sizilianischer  Sprich- 
wörter; zu  jenen  13  000  Nummern  fügt  der  greise,  hochverdiente  Gelehrte  jetzt  eine  dem 
Andenken  seiner  beim  Erdbeben  von  Messina  umgekommenen  Tochter  gewidmete  Nach- 
lese von  über  1000  weiteren  Sprichwörtern  in  ähnlicher  sachlicher  Gruppierung  hinzu, 
unter  den  38  Abschnitten  bringt  besonders  der  über  die  Ortsneckereien  (S.  118-184) 
Neues.  Daran  schliessen  sich  die  geschichtlich  begründeten  Palermitaner  Redensarten 
(S.  252),  die  scherzhaften  Antworten  auf  ernsthafte  Fragen  (S.  298),  die  volkstümlichen 
Vergleichungen  (S.  320),  die  überraschend  mannigfaltigen  Bettlerrufe  (S.  355),  die  Flüche 
(S.  362)  und  Drohungen  (S.  366),  allerhand  Volksetymologien  (.8.372)  und  eine  recht 
wertvolle  Zusammenstellung  von  Segen  und  Zauberformeln  (S.  389).  In  dieser  Gruppe 
treffen  wir  sowohl  die  epische  Form  an,  zufolge  der  Jesus,  Maria  oder  Joseph  einst  die 
Krankheit  siegreich  bekämpft  hi.ben,  als  auch  direkte  Gebete  an  den  h.  Antonius,  Georg, 
die  Seelen  der  hingerichteten  Verbrecher  (vgl.  Hartland,  The  cult  of  executed  criminals. 
Folk-lore  21,  168  —  179)  u.a.,  auch  eine  am  ersten  Montage  des  Monats  zu  sprechende  An- 
rufung des  Glückes  (Sorte),  St.  Juliaus  Paternoster  usw. 

K.  Reiterer,  Waldbauernblut,  Volksbilder  aus  Steiermark  (mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  Ennstales).  Leoben,  J.  H.  Prosl,  1910.  VII,  175  S.  —  Durch  eine  25jährige 
Lehrertätigkeit  mit  dem  steirischen  Volksleben  wohlvertraut  und  durch  Roseggers  Vor- 
bild angeregt,  entwirft  R.  hier  eine  Reihe  ungeschminkter  Schilderungen  aus  dem  Kreis- 
laufe des  Jahres,  aus  dem  Alm-  und  Gebirgsleben,  über  Volksmedizin,  Wilderer- 
aberglauben, Volkslieder,  Komödianten  u.  a.;  munter  plaudernde,  bunte  Skizzen,  die  eine 
Fülle  eigener  Beobachtungen,  auch  auf  dem  Gebiete  der  Redensarten  und  Vierzeiler,  zu 
raschem  Überblicke  vereinigen.  Zu  dem  angeblich  von  Simon  Schaffer  gedichteten 
Räuberliede  'Ist  kein  schöneres  Leben  auf  Erden'  (S.  158)  vgl.  Erk-Böhme,  Liederhort 
3,  415  und  Köhler-Meier,  Volkslieder  von  der  Mosel  1896  m-.  335.  Die  zahlreichen 
Illustrationen  sind  nach  Photographien  angefertigt,  hängen  jedoch  nicht  immer  mit  dem 
Texte  zusammen. 

K.  Reuschel,    Allgemeine    und    französische  Volkskunde    1897—1909,    ein    Bericht, 

1.  Teil.  Erlangen  1910.  45  S.  (Krit.  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  rom_anischen 
Philologie,  Bd.  Kl).  —  Diese  Fortsetzung  der  von  Fr.  S.  Krauss  begounenen  Übersicht 
bespricht  1.  die  Theorie  der  Volkskunde,  der  in  Deutschland  von  Hauffen,  Hoffmauu- 
Krajer,  Strack,  Dieterich,  Kaindl,  Mogk  u.  a.  eingehende  Erörterungen  gewidmet  wurden. 

2.  Bibliographien,  Zeitschriften  und  Sammelwerke,  3.  Gesamtdarstellungen  der  deutschen 
und  französischen  Volkskunde,  d.  h.  Bücher,  die  möglichst  alle  Volksüberlieferungen  eine.< 
Landes  oder  Stammes  (wie  Sachsen,  Baden,  Braunschweig,  Ostfriesland)  behandeln:  dabei 
wird  Sebillots  treffliches  Werk  'Le  folk-lore  de  France'  genau  analysiert.  Der  Verf,  dem 
wir  für  seinen  sorgfältigen  und  anziehenden  Bericht  aufrichtigen  Dank  sagen,  will  ihn 
auf  die  andern  Länder  Europas  ausdehnen  und  die  Einzelliteratur  nach  Sachgruppen 
geordnet  behandeln. 

Wolfgang  Schultz,  Gesetze  der  Zahlenverschiebung  im  Mythos  und  in  mytlien- 
haltiger  Überlieferung  (Mitt.  der  anthropologischen  Gesellsciiaft  in  Wien  40,  101  —  150).  — 
Dass  bei  Griechen,  Germanen  und  ludern  die  heilige  Neun  als  Konkurrentin  der  heiligen 
Sieben  auftritt,  bemerkte  sclion  1903  Röscher,  dessen  Studien  über  die  Viorzigzahl  oben 
S.  123  Erwähnung  fanden.  Hüsing  behauptete  1909,  dass  die  typischen  Zahlen  3  und  12 
in  einem  ähnlichen  Zusammengehörigkeitsverhältnis  ständen,  und  dass  7  und  12  in  der 
Regel  an  die  Stelle  der  alten  9  und  3  getreten  seien.  Schultz  unternimmt  es,  für-  Hüsings 
Behauptung  den  Beweis  zu  führen  und  durch  zahlreiche  Beispiele  eine  der  grammatischen 
Lautverschiebung  entsprechende  'Zahlenverschiebung'  der  'arischen'  Zahlen  3  und  '.• 
zu   den  astronomischen  Zahlen   der  Babylonier  7  und  12  zu  belegen.     Die  Frage  ist  der 


448  Notizen. 

Untersuchung  wert,  scheint  mir  aber  durch  den  Vf.  nicht  entschieden,  der  selbst  eine 
Reihe  von  Ausnahmen  zugeben  muss.  Ein  der  Lautverschiebung  vergleichbarer  Wechsel 
der  genannten  Zahlen  müsste  in  einer  bestimmten  Periode  vor  sich  gegangen  sein;  tat- 
sächlich finden  wir  aber  ein  Schwanken  zwischen  jenen  Zahlen  in  den  verschiedensten  Zeiten. 

Cl.  Servettaz,  Chants  et  chansons  de  la  Savoie,  recueillis,  uotes  et  coramentes. 
Paris,  E.  Leroux  1910.  XXXII,  256  S.  gr.  8".  —  Von  dem  Reichtum  des  französischen 
Alpengebietes  an  Volksliedern,  den  schon  Tiersot  1903  in  einer  trefflichen  Sammlung  vor- 
führte, erhalten  wir  ein  weiteres,  gewichtiges  Zeugnis  in  dem  vorliegenden  Bande,  der  als 
Beginn  einer  gegen  500  Nr.  umfassenden  Lese  aus  Savoyen  197  Lieder  und  Weisen  bringt. 
Die  Einteilung  in  Ernte-,  Schäferinnen-  und  Liebeslieder  ist  vielleicht  anfechtbar,  da  die 
erste  Abteilung  keine  Beziehung  auf  die  Feldarbeit  enthält;  aber  der  Hsg.,  Professor  an 
der  höheren  Schule  zu  Thonon,  zeigt  sich  in  der  Behandlung  der  Texte  und  Varianten 
ausserordentlich  gewissenhaft  und  unterrichtet  in  den  ausführlichen  Einleitungen  der 
einzelnen  Gruppen  sorgsam  und  klar  über  Entstehungszeit,  Umwandlung  der  zahlreichen 
Kunstdichtungen  im  Volksmunde  (Dialektlieder  sind  nicht  eben  häufig),  die  Veränderungen 
der  Melodietaktart  (S.  120  eine  Komposition  von  Orlando  Lasso;  bisweilen  MoUtonarf),  die 
Verbreitung  durch  Soldaten,  Hausierer,  Schäfer  und  hsl.  Liederbücher  und  andre  Fragen. 
Die  zur  Verwendung  kommenden  Motive  sind  weit  über  Frankreichs  Grenzen  verbreitet; 
ich  nenne  die  Anrufung  der  Nachtigall,  Wenn  ich  ein  Vöglein  war,  Verwandlungskampf 
des  Liebespaares,  Dialog  der  Heiratslustigen  mit  der  Mutter  oder  des  Stadtherren  mit  der 
Schäferin,  Liebhaber  als  Mädchen  verkleidet,  Ehestandsklagen,  Kasten  samt  dem  ver- 
steckten Buhler  vom  Ehemann  verkauft,  das  Lied  verfasst  von  drei  Gesellen  beim  Wein. 
Zu  näherer  Vergleichung  mit  deutschen  Liedern  laden  etwa  ein  S.  28  das  Wiedersehen 
unter  der  Ulme  (Erk-ßöhme  nr.  G7),  29  Versuchung  durch  den  Bruder  (oben  15,  2(53),  103 
drei  Fräulein  (Erk-B.  418),  U9  der  plauderhafte  Liebhaber  (Erk-B.  1303). 

K.  V.  Spies,  Prähistorie  und  Mythos.  Gymn.-Programm.  Wiener -Neustadt  1910. 
29  S.  —  Ein  überzeugter  Anhänger  von  Sieckes  Mondmythologie  findet  in  den  aus  der 
jüngeren  Steinzeit,  Bronzezeit  und  frühen  Eisenzeit  erhaltenen  menschlichen  Idolen,  den 
Bildern  von  Vogel,  Rind,  Pferd,  Schlange,  dem  Rad,  Hakenkreuz  usw.  völlige  Über- 
einstimmung mit  jener  seltsamen,  zur  Erklärung  der  heterogensten  Erscheinungen  so  ge- 
eigneten Theorie  und  erblickt  auch  in  den  Mysterien  der  Isis-  und  des  Mithraskultes  nur 
eine  Weiterbildung  des  Mondmythos. 

K.  Wehrhan,  Die  Kapelle  St.  Amorsbrunn  bei  Amorbach  im  Odenwalde,  ein  Beitrag 
zur  Quellenverehrung  und  Votivforschung  (Globus  97,  282—285). 

J.  L.  Weston,  The  legend  of  Sir  Perceval,  Studies  upon  its  origin,  developinent  and 
Position  in  the  Arthurian  cycle,  vol.  2:  The  prose  Perceval  according  to  the  Modena  ms. 
London,  D.  Nutt  1909.  XVI,  335  S.  15  sh.  (Grimm  library  19).  —  Schon  lange  beschäftigt 
sich  Miss  Weston  mit  den  dichterisch  nicht  immer  wertvollen,  aber  gerade  durch  ihre 
Dunkelheit  den  Forscher  anziehenden  Gralsdichtungen.  Der  vorliegende  Band,  dem  190G 
€in  andrer  über  Chretien  von  Troyes  voraufgiug,  enthält  erstens  willkommenes  neues 
^laterial,  den  Text  einer  französischen  Prosaauflösung  von  Robert  de  Borrons  verlorener 
Percevaldichtung,  welcher  der  1874  von  Hucher  publizierten  Pariser  Hs.  überlegen  ist 
(S.  9— 112),  sodann  Untersuchungen  über  das  Verhältnis  dieser  Modenaer  Fassung  zu 
andern  Überlieferungen  und  endlich  (S.  249-31G)  eine  gedrängte  Übersicht  über  die  Ent- 
wicklung der  Gralssage.  In  dieser  ebenso  interessanten  wie  schwierigen  Frage,  die  bereits 
<lie  verschiedensten  Beantwortungen  gefunden  hat,  steht  die  Vf.  auf  der  Seite  derjenigen, 
die  wie  Nutt,  Martin  u.  a.  den  Ursprung  der  Sage  in  einem  keltischen  Märchen  aus 
heidnischer  Zeit  suchen.  In  der  bei  Wauchier  de  Deuain  erscheinenden  Leiche  mit  den 
weinenden  Frauen  erblickt  sie  eine  Art  Adoniskultus  und  im  Suclien  nach  dem  Gral 
somit  ein  Aufsuchen  der  Quelle  des  Lebens,  wobei  die  blutende  Lanze  und  die  Schale  als 
Zeugungssymbole  aufzufassen  sind.  Dies  im  12.  Jahrhundert  von  Bleheris  (*Bledri)  in 
Wales  bearbeitete  Alärclien  ward,  wie  die  Vf.  glaubt,  im  normannischen  Kloster  Fescamp, 
wo  die  Verehrung  des  Blutes  Christi  bestand,  verchristlicht  und  mit  den  Legenden  von 
Longinus  und  Joseph  von  Arimathia  verbunden,  die  andern  Forschern  (so  auch  Burdach, 
Arcliiv  108,  31.  DLitztg.  1903,  2821.  3051)  als  der  eigentliche  Kern  der  Sage  erscheinen; 
an  die  Stelle   des  früheren  Helden   Gawain   trat  jetzt   Perceval,   der   im    englischen  Syr 


Rhamm:   Erwiderung.  4.4.9 

Percyvelle  noch  nicht  mit  dem  Gralmotiv  verbunden  ist.  Aus  dieser  von  Miss  W. 
rekonstruierten  Sagenfassung  sind  sowohl  Borrons  (1190—1200)  und  Wauchiers  Dichtungen 
wie  der  neue  Perceval  hervorgegangen,  der  für  Chretien  und  Kiot  (und  somit  auch  für 
Wolfram  und  Gerbert  a)  die  Anregung  gab.  Natürlich  bleibt  bei  so  diffizilen  Unter- 
suchungen über  das  Abhängigkeitsverhältnis  der  einzelnen,  zum  Teil  längst  verschwundenen 
Graldichtungen,  das  ein  Stammbaum  auf  S.  iSo  veranschaulicht,  manches  fraglich: 
namentlich  aber  für  die  vorausgesetzte  keltische  Mysterienfeier,  bei  der  ein  Vegetations- 
dämon in  menschlicher  Gestalt  auftrat  und  philosophische  Geheimlehren  sich  anschlössen, 
werden  viele  Leser  schlagendere  Gründe  verlangen. 


Erwiderung  (zu  S.  332). 

Auf  die  Besprechung  meines  Buches  von  0.  Sehr  ad  er,  die  sich  an  gewisse  Etymologien 
klammert,  ohne  den  von  mir  dargelegten  Übereinstimmungen  der  beiderseitigen  Ein- 
richtungen Rechnung  zu  tragen  (oben  S.  332—336)  erwidere  ich  folgendes: 

1.  Wenn  die  Slawen  die  istüba  =  Wohnstube  aus  der  Badstube  entwickelt  hätten,  so 
müssten  wir  erwarten,  in  ihr  statt  des  Lehmofens  den  Steinofen  der  Badstube  zu  finden 
wie  in  der  finnischen  pirtti,  auf  die  sich  ja  Schrader  beruft.  Ebenso  unglücklich  ist  seine 
Berufung  darauf,  dass  man  hie  und  da  in  der  izba  'badet',  indem  man  iu  den  Lehmofen 
kriecht:  das  ist  kein  Dampfbad.  Wenn  jemand  bei  uns  zu  gleichem  Zwecke  in  den  Back- 
ofen kröche,  würde  es  doch  niemand  einfallen,  daraus  zu  schliessen,  dass  die  Backstube 
früher  eine  Badestube  gewesen  sei. 

2.  Wenn  noch  im  9.  Jahrhundert  die  istüba  die  Badestube  gewesen  wäre,  so  hätten 
die  einzelnen  slawischen  Stämme  getrennt  die  Entwicklung  zur  Wohnstube  vorgenommen. 
Wie  reimt  sich  damit,  dass  diese  Entwicklung  überall  auf  den  pec,  den  Backofen  aus 
Lehmschlag,  hinausläuft?  Nein,  nur  dadurch,  dass  die  Slawen  bei  ihrer  Zerstreuung  den 
Backofen  in  der  istüba  mitbrachten,  sind  die  verschiedenartigen  Übergänge  zwischen  der 
deutschen  Herdfeuerung  mit  Kessel  und  der  slawischen  Ofenfeuerung  mit  Topf  und  Ofen- 
gabel zu  erklären  (S.  95 f.). 

3.  Da  Schrader  ja  annehmen  muss,  dass  die  Stufenbühne  seiner  Ur-istüba  aus  der 
skandinavischen  Badstube  stammt,  wozu  denn  ohne  jede  Not  die  Wörter  pall-r  und  pol(-ok) 
auseinanderreissen?  Wenn  aber  einmal  pol  von  pallr  stammt,  so  liegt  es  doch  näher, 
den  pol  der  Wohn -istüba  in  seinen  verschiedenen  Erscheinungen  direkt  auf  den  pallr  der 
Wohn-stofa  hinzuführen  als  anzunehmen,  dass  der  pol  hier,  der  pallr  dort  parallel  aus  den 
beiderseitigen  Badestuben  in  die  Wohnstube  übertragen  ist. 

4.  Der  golbec  ist  für  Schrader  ein  Stein  des  Anstosses,  weil  er  nur  aus  der  stofa 
stammen  kann,  weshalb  er  ihn  der  Warägerperiode  zuweist,  unter  Verweisung  auf  jarus. 
Aber  die  russische  izba  kennt  weder  jarus  noch  die  warägische  gridnica,  wogegen  der  golbec 
untrennbar  mit  den  polati  und  dem  podpolje  verknüpft  ist  (S.  119 f.  375  f.). 

5.  Wenn  die  Slawen  die  Bad-istuba  zur  Wohn -istüba  entwickelten,  mussten  sie  auf 
einen  neuen  Namen  für  erstere  bedacht  sein,  und  siehe,  da  kommt  nach  Schrader  wie  ein 
Dens  ex  machina  das  balneum  zugeflogen.  Ja,  wenn  balneum  sich  schon  etwa  als  eine 
verfeinerte  Badstube  bei  den  Vornehmen  gefunden  hätte,  aber  unglücklicherweise  haben 
wir  dafür  zu  Ende  des  Mittelalters  myl'nja,  während  banja  stets  die  gemeine  bäuerliche 
Badstube  ist. 

G.  Wenn  Schrader  sich  für  einen  finnischen  Ursprung  von  solnus  auf  Kors,  für  einen 
tatarischen  von  culan  anf  Miklosich  beruft,  so  muss  der  lieser  doch  deuken,  dass  dort 
gewisse  Anhaltspunkte  zu  finden  sind.  Aber  nichts  davon!  Kors  selbst  schreibt  mir  nach- 
träglich, dass  er  meine  Ableitung  des  solnus,  sovnus  von  altnord.  svefnhüs  annimmt,  ja 
„für  so  sicher  hält,  wie  nur  eine  Etymologie  unter  ähnlichen  Bedingungen  sicher  sein  kann." 
Was  öulan  anlangt,  so  weiss  Miklosich  nur  anzuführen,  dass  er  sich  unter  den  Tataren 
von  Kasan  findet,  die  das  Wort  ebenso  von  den  Russen,  unter  denen  sie  wohnen,  entlehnt 
haben  werden  wie  die  finnischen  Mordwinen  und  Tscheremissen  im  gleichen  Falle, 

Graz.  Karl  Rhamm. 

Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.   1910.  Heft  4.  29 


450  Schrader:    Antwort  des  Eezensenten.  —  L.  Katona  f. 

Antwort  des  Rezensenten. 

üer  Herr  Yerf.  verschiebt  den  Schwerpunkt  meiner  Anzeige.  Er  hatte  sich  für  seine 
Annahme,  dass  die  rassische  izba  mit  allem,  „was  in  ihr  niet-  und  nagelfest"  sei,  aus 
dem  Germanischen  entlehnt  sei,  auf  eine  lange  Reihe  russischer  Ausdrücke  berufen,  die 
nach  seiner  Meinung  aus  dem  Germanischen  entlehnt  wären.  Ich  hielt  es  unter  diesen 
Umständen  für  angezeigt,  darauf  hinzuweisen,  dass  die  sämtlichen  von  Herrn  Rhamm 
genannten  Wörter  für  seine  Ansicht  nicht  beweiskräftig  seien,  weil  sie,  wie  die  meisten, 
entweder  gar  nicht  aus  dem  Germanischen  entlehnt  sind  oder,  wenn  entlehnt,  anders  ge- 
deutet werden  müssen.  Hierbei  habe  ich  mich  wiederholt  auf  die  Ansichten  hervor- 
ragender Sprachforscher  wie  F.  Miklosich  und  E.  Bemeker  berufen.  Wenn  nun  der  Herr 
Verf.  derartigen  Gelehrten  nicht  die  geringste  Beachtung  schenkt  —  es  ist  für  ihn 
„gelehrte  Slawistik"  (S.  361)  — ,  sondern  ohne  irgendwelches  eigenes  "Verständnis  für 
slawische  oder  germanische  Lautgesetze  darauf  los  etymologisiert,  so  ist  ihm  in  dieser 
Beziehung  leider  nicht  zu  helfen.  So  wusste  er,  um  noch  einen  weitem  Punkt  zu  nennen, 
dass  schon  Miklosich  (a.  a.  0.)  die  lautlich  ganz  unmögliche  Entlehnung  von  russ.  ovinü 
'Getreidedarre'  aus  deutsch  'Ofen'  verwirft.  Gleichwohl  hält  er  an  ihr  fest,  während  der 
einheimische  Ursprung  des  Wortes  ovinü  (aus  *jevinü,  lit.  jawaT  'Getreide'  längst 
feststeht  (vgl.  jetzt  auch  Berneker,  Slaw.  etym.  Wb.  S.  455,  der  die  Ableitung  aus  'Ofen' 
überhaupt  nicht  erwähnt).  Damit  fällt  auch  diese  Stütze  für  den  behaupteten  ger- 
manischen Einfluss.  Hinsichtlich  der  wirklichen  Entlehnungen  versieht  es  der  Verf.  vor 
allem  darin,  dass  er  sie  zeitlich  alle  in  einen  Topf  wirft.  So  ist  das  allen  slawischen 
Sprachen  gemeinsame  chlebü  'Brot',  aus  got.  hlaifs,  eines  der  allerältesten,  das  nur 
im  Russischen  vorkommende  golbecü  ein  junges  Lehnwort.  Was  öulanu  betrifft,  so 
hat  Miklosich  vielleicht  nicht  recht,  es  aus  dem  Türkischen  zu  erklären.  Ganz  sicher 
aber  ist,  dass  es  nicht  aus  altnord.  kylua  stammen  kann,  das  entweder  auf  *kulina 
(lat.  culina)  oder  auf  ein  *kiluna,  nicht  aber  auf  ein  'kylana  (Rhamm  S.  ;)12)  zurück- 
führt. Vielleicht  ist  russ.  culanu,  worauf  mich  Herr  Kollege  Berneker  aufmerksam  macht, 
mit  pers.  kulxän,  türk.  k'ülxan,  k'ülhan  'Feuerstelle,  Ofen,  Schmiedeofen,  Bad- 
stubenofen' zu  verbinden. 

Wie  ich  mir  selbst  auf  Grund  der  sprachlichen  und  geschichtlichen  Tatsachen  (über 
itba  'Badestube'  bei  Ibrahim  ihn  Jakub  kommen  wir  schwerlich  hinweg)  die  Entwicklung 
des  slawischen  Wohnhauses  vorstelle,  habe  ich  nur  in  äusserster  Kürze  angedeutet  und 
auf  eine  ausführlichere  Behandlung  des  Gegenstandes  (nämlich  in  der  in  Vorbeitung  be- 
lindlichen  2.  Auflage  meines  Reallexikons)  verwiesen.  Bis  dahin  muss  sich  der  Herr  Verf. 
gedulden,  da  ich  hier  nicht  eine  ganze  Abhandlung  schreiben  kann.  Dabei  werde  ich 
den  sachlichen  Ausführungen  des  Herrn  Verfassers  nach  wie  vor  die  grösste  Beachtung 
schenken. 

Breslau.  Otto  Schrader. 

L.  Katona  }'. 

Anfang  August  11)10  starb  Ludwig  Katona,  Professor  der  älteren  magyarischen 
Literaturgeschichte  an  der  Universität  in  Budapest,  im  Alter  von  48  Jaliren.  Mit  ihm  ist 
der  bedeutendste  Kenner  der  magyarischen  Volksüberlieferungen  dahingeschieden.  In 
Grazer  Universitätsjahren  durch  E.  A,  Schönbach  in  das  Studium  der  mittelalterlichen 
Literatur  eingeführt,  widmete  er  seine  eindringende  Arbeitskraft  namentlich  der  Erforschung 
der  älteren  (magyarischen  und  lateinischen)  Legenden-  und  lat.  Codex-Literatur.  Seine 
reichen  Sammlungen  und  Studien  zur  magyarischen  I\Iärchenkunde  haben  nun  leider  nicht 
den  erwarteten  Abschluss  finden  können.  A.  Schullerus. 


Da  Hen-  Prof.  Dr.  A.  Hauffen  gegenwärtig  verhindert  ist,  die  Geschichte  der 
deutschen  Volkskunde  zu  Ende  zu  führen,  so  wird  der  Schluss  seiner  Darstellung  im 
nächsten  Jahrgange  erscheinen. 


Ee^ister. 


451 


Hegister*. 

(Die  Namen  der  Mitarbeiter  sind  kursiv  gedruckt.) 


Aachen  363. 
Aarne,  A.  92. 
Abeling,  Th.  336. 
Aberglaube     126.     127.     232. 

382—387.  425. 
Adamantios,  A.  346. 
Adolf  und  Eniilie  373  f. 
Adoption  144.  147. 
Aducht:    s.  Eichmod. 
Adventskurrende  826. 
Afrikanische  Märchen  9!». 
Ägvptische  Medizin  123. 
Albers,  J.  H.  118. 
Alexius  121. 
Ali  Baba  72. 
Allwissend,  Doktor  323. 
Altenburg  363.  Tracht  243. 
Altersstufen  310. 
Anialarius  252. 
Amalti,  G.  118. 
Amor  u.  Psyche  93. 
Amsterdam:    Sagen  72 f. 
Amulette  231. 
V.  Andel,  M.  A.  343. 
Andersson,  0.  118. 
Andrer.    E.   238 f.    Eatschen, 

Klappern  u.  das  Verstummen 

der  Karfreitagsglocken  25<) 

bis  264. 
Andree-Eysn,  M.  231. 
Andric,  N.  419. 
Antonius  315. 
Apollonius  von  Tjrus  354. 
Apuleius  93. 
Arbeitslieder  232. 
Argentinische  Märchen  100. 
Armenische  Märchen   49.    74 

bis  78.  323-326. 
V.  Arnim,  A.  134. 
Arnold,  R.  F.  344.  443.    Zum 

Liede  auf  den  Eeservemann 

327  f. 
Arnstein,  0.  100. 
Asbjörnsen,  P.  C.  98. 
Atlasstatue  73. 
Axon,  E.  A.  356. 

Badecki,  K.  216. 

Baden  398  f.  Lied  407.  Tracht 

247. 
Balder  347. 
Balkanhalbinsel  412. 
ßaltus,  F.  K.  96. 
Balz  er,  0.  217. 
Bandello,  M.  370. 
Barbara  121. 
Barlow,  T.  L.  99. 
Baiiels,  M.  Europäische  und 


malaiische  Verbotszeichen 
202—207.  Deutsche  Volks- 
trachten 241—249. 

Bcu-tels.  P.  126.  Eec.  111.  112. 
343. 

Bartsch,  K.  305. 

V.  Batocki,  E.  T.  409. 

Baskische  Sage  213 f. 

Basset,  E.  98. 

Bauerntöpferei  265—289. 

Bäume  u.  Waldgott  389 f. 

Bechstein,  L.  298. 

Beck,  E.  225. 

Behrend,  F.  Das  Hss.-Archiv 
der  Akademie  zu  Berlin 
321—323. 

Behrend,  P.  96.  444. 

Beieru  255. 

Belovic,  J.  425. 

Benfey,  Th.  297. 

Berat,  F.  208. 

Berger,  F.  121. 

Berlin :  Archiv  der  Akademie 
321  f.  Museum  f.  dtsch. 
Volkstrachten  241.  265. 

Bernhöft,  E.  444. 

Bertha-Sage  215. 

Berthold  v.Eegensburg  3.  252. 

Betonie  4. 

Betzingen  246  f. 

Bevcke,  K.  Eec.  225 f. 

Bienen  ausräuchern  26(i. 

Bilderbogen  182-202.  319. 
342.  352.    Verleger  195. 

Binna,  A.  121. 

Birk,  S.  218. 

Birkenfeld  121. 

Birlinger,  A.  305. 

Blattl,  C.  407. 

Blau,  J.  95. 

Blick,  böser  111.  142f. 

Blümml,  E.  K.  406. 

Blutbrüderschaft  148.  -schrift 
72.  -tropfen  Vorzeichen  70. 

Boccaccio,  G.  205.  367  f. 

Böckel.  0.  329. 

Bode,  K.  405. 

Boekenoogen,  G.  J.  93.  97.  .■542. 

Bohäc  222. 

Bohemus,  J.  8.  34!i. 

Böhmen:  Geschirr 275.  Volks- 
218-225. 

Bolkenhain  363. 

Bolte.J.  92.  125  f.  128.  238  f. 
332.  351  f.  407.  Das  Eing- 
lein  sprang  entzwei  66—71. 
Eine  Eätselsammlung  von 
1644    81—83.    Bilderbogen 


des  16.  bis  17.  Jhs.  ril— 16) 
182—202.  Das  poln.  Ori- 
ginal des  Liedes  'An  der 
Weichsel  gegen  Osten'  und 
das  schwed.  Lied  'Spinn, 
!  spinn,  Tochter  mein'  2]<i 
bis  213.  Zu  dem  christ- 
lichen Warnungsbriefe  319 
bis  321.  Die  Sage  von  der 
erweckten  Scheintoten  35."'« 
bis  381.  Neuere  Märchen- 
literatur 91 — 100.  Neuere 
Sagenliteratur  329—332. 
Neuere  Arbeiten  über  das 
d.  Volkslied  404—411.  Eec. 
I  342  f.  :Sotizen  118-125. 
281-235.  344-350.  44:5 
I     bis  449. 

Bonus,  A.  410. 

Bordeaux  364. 

Botanik  18-35.  131. 

Bourgeois,  H.  118.  Eine  bas- 
kische Eolandsage  213. 

Bourhill,  E.  J.  99. 

Brage  118. 

Brandsck,  G.  411.  Eec.  340. 

Brant,  S.  188.  193. 

Bräuche  295.  344.  348.  423. 
ßreisgau  120.  Hessen  124. 
I  Zürich  122.  s.  Feste,  Geburt, 
1  Handwerk,  Hochzeit,  Martin, 
Schimmelreiter,  Tote,  Wet- 
termachen. 

Braunschweig:  Geschin-  276. 
Hochzeitsspiel  79.  Lied  4(  »7. 

ßrautbaum  125. 

Brentano,  C.  182.  134. 

Bressan,  D.  98. 

Brieftauben  142. 

Brockelmann,  K.  100. 

Brückner,  A.  Poln.  u.  böhm. 
Volkskunde  213-225. 

Brunk,  A.  344. 

ßrunncr,  K.  125.  350f.  352. 
Bauemtöpferei  und  volks- 
tümliche Favencen  26-5  bis 
289.  Eec.  ";U6.  Sitzunss- 
protokoUe  125—128.  237 
bis  240.  350-352. 

Bücher,  K.  232.  404. 

Buhle.  E.  406. 

Bulgarische  Volkskunde  427. 

Buuzlau  270. 

Burdach,  K.  321. 

Bürgel  270.  284. 

Bürger,  G.  A.  114. 

Buschenschank  203. 

Bussenmacher,  J.  358  f. 

Ol)* 


452 


Kegister. 


Carstens,  H.  Volksglauben  u, 
Volksmeinungeu  ausSchles- 
wig-Holsteiu  382—387. 

Cäsarius  v.  Heisterbach  o.  331. 

Cats,  J.  371.  373. 

Celtes,  K.  7. 

Cercamons  98. 

Chabiaras,  M.  D.  121. 

Chadzi-Vasiljevic,  J.  414. 

Chamberlain,  A.  F.  99. 

Chariton  v.  Aphrodisias  355. 

Cliilli,  Sh.  99. 

Chinesische  Novelle  379 f. 

nhunielecki,  K.  216. 

(laquette  262.^ 

de  Cock,  A.  3.30.  331. 

Consentius,  E.  114. 

Corovic,  V.  416.  419.  422. 

Cossar  b.  Kressen  125. 

Couvade  425. 

Cratepoleus,  P.  358. 

Crepitacula  262. 

CuxJiaven  276. 

Cvetic,  E.  J.  414. 

Cvijic,  J.  412. 

Cysat,  E.  9. 

Czaruowski,  S.  J.  27. 

Czyi'iski,  E.  218. 

Dabkowski,  P.  217. 

Dähnhardt,  0.  93.  118._ 

Daisenberger,  J.  A.  436. 

Daniel,  C.  Armenische  Mär- 
chen 74 — 7S.  323 — 326. 

Dänische  Ballade  365  f.  Brauch 
57.     Volkskunde  444. 

Danzig  363. 

Uaur,  A.  4(J4. 

Deckengehänge  231. 

Dedijer,  J.  413. 

Degen,  E.  410. 

Delen,  A.  348. 

Delft  282. 

Dibelius,  M.  110. 

Dieb  strafen  385. 

Diels,  H.  126.  444. 

Dillmann,  J.  408. 

Dofle  398. 

Dorf  229. 

Darier,  Ä.  95.  Volkslieder 
aus  Tirol  36—44.  306-317. 

Dousek,  V.  J.  223. 

Dragiöevic,  T.  425. 

Drake,  J.  B.  99. 

Drechsler,  B.  421. 

Dreschflegel  349. 

Dresden  362. 

Drude,  0.  225. 

Dublin  3()4. 

Duda,  F.  216. 

Dünkirchen  362. 

Durclikriechen,  -schreiten, 
-ziehen  147-159.  167—181. 

Edicta  ludicra  191. 
Ehe  424. 

Ehemänner:  schlemmende  be- 
straft 185  f. 
V.  Eicheudorff,  J.  66. 


Eisler,  R.  441. 

Elisabeth  v.  Thüringen  69. 

Elsass:  Geschirr  285.  Tracht 
245. 

Elwert,  A.  133. 

Euglische  Ballade  69.  Mär- 
chen 98.  Pflanzennamen 
22  f.    Sage  364. 

Erbschlüssel  386. 

Evdeljanovic,  J.  414.  422. 

Ennenrikes  dot  337. 

Erntereigen  90. 

Essgeräte  239. 

Estnische  Lieder  345. 

Estreicher,  S.  217. 

Ewich,  J.  357  f.  365. 

Fabeln  434. 

Fabo,  B.  340. 

Fabri,  F.  7. 

Fabricius,  W.  359. 

Fagerström,  K.  J.  118. 

Fayence  277. 

Februar  58.    Fegfeuer  437. 

Feilberg,  H.  F.  57.  444. 

Feste  118.  295.  304  f. 

Feuer  reinigt  181.  406.  -probe 
168.  172.  174. 

Fiebelkorn,  M.  237.  352.  445. 

Fischart,  J.  10. 

Fischer,  A.  215. 

Flajshans,  V.  220.  222. 

Fliegen  verraten  Mord  73. 

Folkers,  J.  445. 

Folk-lore  301. 

Formeln  404. 

Fran(;ais,  J.  440. 

Franck,  S.  8. 

Frankfurt  a.  M.  437. 

Fränkische  Pflanzennamen29f. 

Französisches  Lied  68.  448. 
Magie  119.  Sage  ;)64.  Tier- 
welt 348.     Volkskunde  43. 

Frauenlieder  419. 

Freiburg  i.  B.  363. 

Freimaurer  387. 

Freybe,  A.  118.  232.  344. 

Friedel,  E.  237.  239. 

Friedrich,  E.  119. 

Fürst,  P.  195-202. 

Gaidoz,  H.  92.  156 f.  348. 

Gans  406. 

Garos  348. 

Gattentreue:  Prüfmittel  49. 

Gavrilovic,  A.  419. 

Gebhardt,  A.  119. 

Geburt:  Bräuche  126.  Durch- 
kriechen erleichtert  G.  176. 
G.  nachgeahmt  144 f.  153  f. 

Geheinisprache  428. 

van  Gennep,  A.  116. 

Gerhard,  der  gute  91. 

Germauen  2.  Haus  332 f.  Tem- 
pel 350.  Urzeit  349.  s.  ^Ij- 
thologie. 

Gerould,  G.  H.  91. 

Gesta  Romanorum  49. 

Gjorgjevic,  T.  413.  415.  423  f. 


Glasur  268. 

Glock,  J.  P.  120.  407. 

Glocken  verstummen  am  Kar- 
freitag, reisen  nach  Rom 
251  f.  398  f. 

Glück  u.  Unglück  382  f. 

Glückstadt  363. 

Gmunden  288. 

Görres,  J.  135. 

Goethe,  J.  W.  14.  16  f. 

Golther,  W.  112. 

Gordon,  E.  M.  99. 

Gottesurteil  168.  gefälschtl73. 

Götze,  A.  120. 

Grabowski,  A.  217. 

V.  d.  Graft,  C.  C.  344. 

Gralsage  448. 

Grässe,  J.  E.  306. 

Gräter,  F.  D.  15. 

Grbic,  M.  423. 

Gregoriuslegende  45 — 56. 

Gressmann,  H.  110. 

Griechische  Schallbretter  264. 
Volkskunde  121.  346. 

Grierson,  G.  A.  98. 

Grimm,  Brüder  137 — 141. 

V. Grimmeishausen,  H.  J.  C.  11. 

Grindkopf  76. 

Grisanti,  C.  98. 

Griseldis  93. 

Grolimund,  S.  408. 

Grönbech,  V.  226. 

Grujic,  M.  424. 

Grunwald,  M.  445. 

Gruss  446. 

Gulgowski,  W.  215. 

Gundrum-OriovöaniD,F.S.425. 

Günter,  H.  433. 

Günther,  J.  C.  69. 

Gurlitt,  C.  225. 

Haas,  A.  120. 
Hadziomerspahic,  E.  421. 
Hahn,  E.    239.  240.   352.   — 

J.  240. 
Hamburg  363.  446. 
Handschiiftenarchiv  ,321. 
Handwerksbrauch  350. 
Hannov.  Münden  282. 
Hanus,  J.  225. 
V.  Harten,  .1.  97. 
Hartland,  E.  S.  99. 
Hartmann,  Aug.  406. 
Has,  Konr.  220. 
Hassebrauk,  G.  407. 
Haubenkopf  275. 
Hauffen,  A.     Gesch.    der    d. 

Volkskunde  1—17.   129  bis 

141.  290-306.  450. 
Hausforschung  100—107.  125. 

332—336.     446.     -gemeiu- 

schaft       (Zadruga)       426. 

-Industrie  351  f.  -Inschriften 

85—90.  -sagen  72  f.  -sitteu 

344.  -zeichen  72. 
Heeger,  G.  408. 
Heidrich,  E.  119. 
Heilritus  167. 
Heimatschutz  22öf. 


Register. 


453 


Heiuemann,  F.  331. 

Helgoland  124. 

Hellwig,  A.  120. 

Hemd:  durchs  H.  durchziehen 
14.j. 

Hennig,  K.  404. 

Henuiger,  K.  i*7. 

Henry,  V.  107. 

Herder,  J.  G.  13. 

Herrmann,  M.  345. 

Hertel,  J.  92. 

Herz  essen  143. 

Herzegovina  413. 

Hesse.  H.  410. 

Hessische  Bräuche  124.  Lied 
408.   Tracht  245  f. 

Hessus,  E.  7. 

Heup,  H.  Westfäl.  Haus- 
inschriften 85—90. 

V.  Heurck,  E.  H.  342. 

Heusler,  A.    331.   Rec.  226f. 

Heuvel,  H.  W.  119. 

Hexenwahn  12.  120.  440. 

Heyl,  J.  A.  305. 

Hilka,  A.  445. 

Hillebille  2(>3. 

Himmelsbrief  61. 

Hirauvagarbha-Ritusl59— 167. 

Hirschleben  365. 

Hirtenstock  317  f. 

Hochzeitsbaum  125.  -brauche 
126.  -spiel  79. 

Hoernes,  M.  112. 

Hoffart  personifiziert  321. 

Hoffmann,  A.  93.  —  A.  H. 
V.  Fallersleben  292.  — 
H.  -Krayer,  E.  445. 

Höfler,  AI.  345. 

Hofstaetter,  W.  115. 

Holas,  C.  222. 

Hölle  316.  4.37. 

HoUis,  A.  C.  99. 

Holstein :  Lied  90.  Märchen  96. 

Holzgeräte  mit  Wachsein- 
lagen 125. 

Holzinger,  F.  121. 

Horger,  A,  338. 

Humor  122. 

Hund  34(i. 

Hundham  274.  288. 

Hurt,  J.  345. 

Huss,  K.  233. 

Ikonische  Mythen  363. 

Hg,  B.  98. 

ludiculus  superstitionum  3. 

Indische  Märchen  98  f.  348. 

Innviertel  83.  120. 

Inschriften  85—90.  121. 

Insekten  233. 

Inventare  350. 

Irenicus,  F.  8. 

Irminsäule  348. 

Island:  Brauch  58.  Sage  367. 

Tempel  350. 
Italien:  Aberglaube  127.  Lied 

121.     123.       Märchen      98. 

Sprichwörter   447.      Volks- 

kimde  118. 


Itchikawa,  D.  340. 
Ivanöevic,  P.  425. 

Jablonowski,  A.  218. 

Jacobi,  A.  225. 

Jäger  385. 

Jahn,  U.  305. 

Janko  223. 

Januar  58. 

Japan  2.30.  340. 

Jegerlehner,  J.  94. 

Jelinek,  J.  220. 

Jensen,  Chr.  445. 

Joch:  durchs  J.  gehn  176—180. 

John,  A.  232.  —  E.  409. 

Joksimovic,  J.  415. 

Jon  Halldorsson  367. 

Jones,  W.  100. 

Josephspiel  445. 

Jovanovic,  K.  414.   —   V.  M. 

422. 
Jovicevic,  A.  415. 
Juan:  Don  J.-Sage  331. 
Judas-Lieder  253. 
Julian,  der  h.  121. 
Jungfrauengeburt  229. 
Junguirth,  E.  Volksrätsel  aus 

Ostermiething  83—85. 
Jürgensen,  W.  405. 
Jütentöpfe  265. 
Jutrznia  327. 

Kallenbach,  J.  216. 

Kallimachos  444. 

Karfreitagsglocken   250.  398. 

Karl  d.  Gr.  2. 

Kärnten  411. 

Karren  398. 

Kasik,  A.  223. 

Kassubentöpfe  266. 

Katharina  121.  401. 

Kaukasus  45. 

Kehrer,  H.  232 f. 

Kellinghusen  281. 

Kessler,  J.  123. 

Keuschlieitsprobe    172  f.    346. 

Kind  aufheben  142.  dem  Teu- 
fel versprochen  76. 

Kindbetterin    scheintot    465 f. 

Kinderleben  345.  -reime  311  f. 
409. 

Kirchner,  V.  121.  Ein  christl. 
Warnungsbrief  61 — 66. 

Kirgisen:  Epos  379. 

Klageweiber  143. 

Klappbild  320  f. 

Klapper,  J.  92. 

Klappern  252—262.  398. 

Klebern  258. 

Klein,  J.  121. 

Kleinpaul,  R.  117. 

Klima,  S.  222, 

Klimperkeule  317. 

Klingelstock    der  Hirten  317. 

Klinger,  W.  215. 

Klocker.  S.  388. 

Klöpfellieder  31 2  f. 

Klunger,  C.  411. 

Knoop,  0.  95. 


Knortz,  K.  233. 

Köhler,  R.  303. 

Köln:  Sage  356-362. 

Kondakov,  N.  P.  427. 

Könige,  die  h.  drei  232  f. 

Konrad,  H.  96. 

Kontrafaktur,  geistl.  404. 

Kopera,  F.  218. 

Koryllos,  C.  P.  121. 

Koskenjaakko,  A.  346. 

Kostiäl,  J.  412. 

Krankheitsübertragung  1.56  f. 

Kraus,  A.  221. 

Krauss,  F.  S.  422.  424 f. 

Kroatische  Lieder  419. 

Krofta,  K.  225. 

Kuba,  L.  421. 

Kuben,  J.  221. 

Kück,  E.  125.  126.  305. 

Küfertanz  445. 

Kuhaö,  F.  S.  422. 

Kuhn,  A.  295. 

Kühn,  E.  225. 

Kühnau,  R.  .330. 

Kujot,  S.  215. 

Kukule,  Ph.  121. 

Kurilas,  E.  346. 

Kussmotiv  366. 

Kutrzeba,  S.  217. 

Kvacala,  J.  224. 

Laibach  362. 

Laistner,  L.  304, 

Land,  Das  346. 

Landau,  M.  437. 

Landtman,  G.  118. 

Lang,  M.  410. 

Lange,  E.  Rec.  341. 

Langnau  271. 

Laographia  121.  346. 

Lappische  Lieder  347. 

Latein.  LiederinSchwedenl22. 

Latzenhofer,  J.  95, 

Lauffer,  M.  351. 

Läufer,  0.  446.  Neue  For- 
schungen über  Hausbau, 
und  Gerät,  Tracht  und 
Bauernkunst  inO— 107. 

Launis,  A.  347. 

Laval,  R.  A.  lOO. 

Lawrence,  A.  E.  99. 

Legenden  228. 433,  italienisch 
121.  s.  Elisabeth,  Gregorius, 
Katharina,  Könige. 

Lehmann,  A.  107. 

Lehmann-Nitsche,  R.  100. 

Leichenbrett 396.  -wasser394f. 

Lemke,  E.  127,  240,  351. 

Leraminkäinen  347. 

Leroy,  J.  97. 

Leiralter,  J.  Es  lebe  der 
Reservemann  2o7— 209. 

V.  d.  Lci/en,  F.  Rec.  428—431. 

Liebhaber  und  tote  Geliebte 
3(56  f. 

Liebrecht,  F.  154  f.  356. 

Lieder:  böhmisch  221.  bul- 
garisch 428.  dänisch  365. 
deutsch    14  f.    133  f.    290  f. 


454 


Register. 


404—411.  Breispau  120.  l 
Tirol  oG— 44.  306-317. 
Adolf  u.  Emilie  3731.  Alters- 
stufen 310.  Ai-beit  232. 
Besenbinder  44.  Bettler 
307  f.  Ernte  90.  Färber  373. 
Historisch  344.  40G.  Judas 
253.  Katharina  401.  Kinder 
311.  400.  409.  Krämer  44.  , 
Liebe  39.  G7.  Martin  405.  | 
Eeservemann  207.  327. 
Scheintote  3G5.  Arme  Seele 
403.  Soldaten  41.  407. 
Spinnerin  211.  Studenten 
40G.  Weihnachten  312.  400. 
—  estnisch  345.  französisch 
68.  italienisch  121.  123. 
kroatisch  419.  lappisch  347. 
lateinisch  122.  polnisch  210. 
portugiesisch  371.  379. 
russisch  6S.  schwedisch  118. 
122.  210.  serbisch  415  f. 
slowenisch  411.  spanisch 
371.    379.    ungarisch    340. 

Liesenfeld  407. 

Linke  Hand  142. 

Lippert,  J.  305. 

Lohmei/er,  K.  92.  121.  Pfingst- 
quack  399-401. 

Lohre,  H.  Rec.  112.  114.  115. 
228. 

Lope  de  Vega  372. 

Lorentz,  F.  215. 

Loskot,  F.  224. 

Löwenmilch  76. 

V.  Löwis,  A.  Gregoriuslegende 
im  Kaukasus  45-56. 

Lübeck  240.  348.  363. 

Lucerna,  C.  418. 

Lucia  121.  240. 

Ludwig,  H.  240.  352. 

Lukas,  H.  126. 

Luther,  M.  10.  120. 

Lützow,  F.  220. 

Mächal,  H.  218. 

Macler,  F.  98. 

Mc  Kuir,  J.  A.  A.  99. 

Mädchen,  wählerische  309. 

Maeterlinck,  L.  233. 

Magdeburg  282.  362. 

Magdic,  M.  422. 

Magie  107.  110.  119. 

Magnanelli,  R.  121. 

Mähren  238. 

Majer,  ß.  217. 

Majkowski,  A.  215. 

MalayischeVerbotszeichen205. 

Mammen,  F.  225. 

Mankoirski,  II.  Advents- 
kurrende  u.  Jutrznia  3261. 

Mannhardt,  W.  300. 

Mansikka,  V.  J.  347. 

Mantelkinder  148, 

Manucci,  N.  164. 

Marburg:    Geschirr  270. 

Märchenforschung  90-10*^). 
130.  132.  139.  297.  All- 
wissend 323.  421.  Esel, 
Vater,  Sohn  2:)4.    Rumpel- 


stilzchen 92.  Toter  dankbar 
91.419.  Zeichensprache419. 
afrikanisch  99.  argentinisch 
lOO,  armenisch    49.    54.  74 
bis     78.     323-326.      379. 
böhmisch  221.    deutsch   93 
bis  97.    holländisch  72.  97. 
indisch  98.    348.    378.   ital. 
98.  norwegisch  98.  polnisch 
378.  serbisch  419.  421.  un- 
garisch 338.  432. 
Maretic,  T.  415. 
Marko,  Prinz  417. 
Markolf  218. 
Martin  v.  Cochem  348. 
Martinslieder  405. 
Marzell,  H.  121. 
Matakau  205. 
Matic,  T.  422. 
Matraca  253.  262. 
Matusiak,  S.  215. 
Maurer,  H.  239.  352. 
Mausser,  0.  4.36. 
Mayer,  H.  121.  —  W.  121. 
Mazedonien  427. 
Mecklenburg  57.  276. 
Mediö,  M.  425. 
Medizin  123. 126.  322.  343.  425. 
Meiche,  A.  330. 
Meier,  E.  296.  —  J.  407. 
Meinck  122. 
Meineid  385. 
Meinert,  J.  G.  290. 
Meitzen,  A.  235  -  237. 
Melodien  207.    210.  327.  347. 

4 10  f. 
]Memmingen  362. 
Mende,  R.  122. 
Mpitqhin,  0.  Weihnachtszelten- 
spiel aus  Tirol  387—394. 
Meran  203. 

Messer  239.   im  Baum,   Vor- 
zeichen 70. 
Messikommer,  H.  122.  446. 
Meyer,  E.  H.  303.  —  G.  409. 

—  Rud.  127. 
Mei/er,  R.  M.    428.   Rec.  116  f. 

431  f.  441. 
Michel,  H.   Rec.  117.  122.  123. 

124.  336.  349.  350. 
Mielke,  R.  128.  229.  237.  351. 
Mijatovic,  S.  M.  425.  427. 
Millien,  A.  98. 
Minden,  G.  126  f.  237. 
Miserikordien  233. 
Misirkov,  K.  P.  418. 
Misson,  M.  3(50. 
Mitrotic,  A.    423.  425.  —  L. 

423. 
Monate  begrüsst  58. 
Möuchgut  120. 
Mondfinsternis  142. 
Montenegro  415. 
Morrison,  S.  98. 
Moser,  J.  15  f. 
Mösskirch  362. 
Mühlbach  363. 
Mühlrad  zerbrochen  71. 
Mul-apen  266. 
:\lüllenh()ff,  K.  296.  304. 


Müller,  Fr.  16.  —  M.  229.  — 

W.  ;506. 
Münster  a.  S.  276. 
Musäus,  J.  K.  A.  130. 
Mythologie  431.  441.448.  ger- 

man.  112f.  140f.  298f.  428f. 

Nachtigall  wahrsagt  70. 

Nachtlampe  270. 

Nacktheit  176. 

Nägel  beschneiden  386. 

Nagl,  J.  W.  436. 

Narrenschiff  193  f. 

Naturgefühl  349. 

Naubert,  B.  130. 

Nef,  A.  411. 

Neidkopf  72. 

Nemo,  Niemand,  Nevim  219. 

Neubauer,  A.  225. 

Neujahrslied  315.    -mond  57. 

-nacht  385.  398. 
Neuruppiuer  Bilderbogen  319. 

352. 
Nibelungenlied  3.3Gf. 
Niederländische  Märchen  97. 

Sagen     72  f.       Volksglaube 

119.  -medizin  343. 
Niederle,  L.  223._ 
Nordfriesland  43*. 
Nördlingen  235. 
Nork,  F.  295. 
Norlind,  T.  122. 
j  Norwegische      Märchen      98. 

Volksleben  127. 
Novak,  J.  B.  225. 
Nürnberg  119.  195.  363. 
Nyrop,  K.  92.  331  f. 

Oberammergau  347.  446. 

Oeke,  W.  97. 
'  Offenheim  271. 

Ohnesorge,  W.  348. 

Olfil;  A.  348.   Wettermachen 
u.  Neujahrsmond  57—61. 

Olsen,  M.  122. 

Opferkopf  267.    -tier  zerteilt, 
hindurchgegangen  150f. 

Orlamünder,  P.  122. 

Orleans  ;>64. 

Orsier,  J.  234. 

Ostereier  350. 

Österreich:  Lieder  407.  Mär- 
chen 95. 

Ostpreussen  382.  394.  409. 

Paartopf  276. 
Padua  365. 
Pagaczewski,  J.  218. 
Palmsonntagszweige  344. 
Panzer,  F.  296. 
Papadopulos-Kerameus,     A. 

346. 
Papajoannides,  K.  D.  346. 
Passionsspiel  347.  446. 
Patenbrief  62. 
Peabody,  Ch.  235. 
Perchten  231. 
Percy,  Th.  13. 
Personennamen  117. 
Peslmüller,  J.  410. 


Register. 


455 


Pessler,  W.  100—107. 

Pestalozzi,  R.  123. 

Pest-Amulett  231. 

Petsch,  B.  Rec.  107—110.433. 
437.  440. 

Pfaffenjasrd  ISG. 

Pfalz  408. 

Pfannenschmid,  H.  .'>04. 

Pferd  385.  Kopf  am  Giebel  360. 

Pfingstquack  399  f. 

Pflanzennamen  18—35.  121. 
englisch  22  f. 

Ptleiderer,  0.  116. 

Piccolomini,  Aeneas  Silvius  6. 

Pitre,  G.  447. 

Playfair,  A.  348. 

Podlaha,  A.  224.  _ 

Popzbowicz,  E.  215. 

Poitiers  364. 

Polaczek,  H.  216. 

Polites,  N.  G.  121.  347. 

Polh-ka,  G.  221.  Neuere  Ar- 
beiten zur  südslaw.  Volks- 
kunde 411—428. 

Polnisch:  Lied  210.  Volks- 
kunde 215-218. 

Polsterer,  J.  97. 

Pommer,  J.  407.  409  f. 

Popovic,  P.  415. 

Posener  Märchen  95  f. 

Potocnik,  M.  411. 

Prdsek  220. 

Prätorius,  J.  11.  125. 

Y.  Preen,  H.  121. 

Prochaska,  A.  218. 

Pröhle,  H.  306. 

Psichari,  M.  123. 

Pulaski,  F.  216. 

Pulcinella  348. 

Puppenspiel  348. 

(Juempas  327. 
Qiieri,  G.  347. 

Rabe,  J.  E.  348. 
Raccuglia,  S.  123. 
Radczwill,  M.  409. 
Rauke,  F.  329. 
Rasengang  148f.  177. 
Ratschen  252  -  263.  399.  Verse 

254  f.  399. 
Rätsel  81—85.  328.  344. 
Rattray,  R.  S.  99. 
Raupen  386. 
Recht  426. 
Redensarten  348. 
Regensburg  363. 
Reimann,  F.  A.  295. 
Reinach,  S.  431. 
V.  Reinsberg-Düringsfeld,  0. 

305. 
Reinigungszeremonie  171  f. 
Reiser,  K.  305. 
Reisiger,  H.  123. 
Reiterer,  K.  447. 
Reuschel,  K.  447. 
Bhamm,  K.  332.    Erwiderung 

449. 
Richraod  v.  d.  Aducht  356  bis 

362. 


Richter,  A.  348.  —  E.  292.  — 

P.  123.  126. 
Riehl,  W.  H.  1.  301. 
Ring  im  Schädel  330.  springt 

entzwei  66.    zerbrochen  69. 

Diebstahl  35C)f. 
Rochholz,  E.  L.  299. 
Roediqer,     M.      126f.      238f. 

350  f.    Meitzenf  235—237. 

Rec.  229  f. 
Roethe,  G.  321. 
Rogge,  C.  299. 
Rolandsage  213. 
Rolevinck,  W.  6. 
Rolfs  305. 
Rolland,  E.  348. 
Rombitten  276. 
Romeo  u.  Julia  356. 
Rona-Sklarek,    E.    98.    432. 

Rec.  3:'i8. 
Röscher,  W.H.  123. 
Rosen,      niederfallende      70. 

-kränz  250. 
Rote  Farbe  143  f. 
Roudenko,  S.  99. 
Rovinskij,  P.  415. 
Rowalski  220. 
Rübezahl  12.  125. 
Rumpeln  259.   R.  mette  259. ; 

R.  stilzchen  92.  ! 

Runeninschriften  122. 
Rüppurr  121. 
Russisches  Lied  68. 

Saargegend  399  f. 

Sachs,  H.    10.  186.  187—190. 

216.  372. 
Sachsen:  Lieder 409  Sagen  330. 
Saeen  329—332.    deutsch  68. 
92  f.    130.    139.  305  f.  353  f. 
44r4f.  englisch  364.  französ. 
364.    447.    holländisch    72. 
kroatisch  422. 
Sainean,  L.  123. 
Saintyves,  P.  228. 
Salmuth,  Ph.  362. 
Saltnerhand  204. 
Salzburg.  289. 
Samter,  E.  126.  351. 
Sartori,  P.  348. 
Säuern  der  Lebensmittel  240. 
Savoyen  134.  352.  448. 
!  Sawicki,  L.  216. 
j  Schädelkultus  231. 
i  Schäfergruss  328. 
!  Schallbretter    252.  257.  263  f. 
'  Schambach,  G.  306. 
Schau,  G.  219 

Schauspiel:      böhmisch     218. 
220.  s.  Joseph-,    Passions-, 
Puppenspiel,        Schimmel- 
j      reiter,  Weihuachtsspiel. 
I  Scheingeburt  141—181. 
Scheintote    erweckt    352.  ;i53 
j      bis  381.  heuchelt  355 f. 
Schell,    0.     Klingelstock    der 

Hirten  317  f. 
Schetelig,  H.  122. 
Schiller,  A.  95. 
I  Simäk,  J.  V.  224  f. 


Schimmelreiter  79. 
Si.skov,  S.  N.  428. 
Schlaraffenland  187—193. 
Schlegel,  A.  W.  129  f.  133. 
Schlemm,  J.  241. 
Schlesien :  Geschirr  289.  Mär- 
chen 95.    Sagen  330. 
Schleswig-Holstein  276.   280. 

382—387. 
Schliersee  244. 

Schlüssel,  alter  wiedergefun- 
den 368. 
Schmidt,  E.  L.  349.  —  G.  345. 

—  U.  406. 
Schmitt,  C.  410. 
Schnecke  345. 

Schnippel,  E.    Leichenwasser 
u.  Geisterglaube  394—898. 
Schön.  F.  409. 
Schönbach,  A.  E.  331. 
Schönhärl,  J.  99. 
Schoßsetzung  148. 
Schottische  Ballade  69. 
Schottky,  J.  M.  292. 
Schrader,  0.    Rec.  332.    Ant- 
wort 450. 
Strekelj,  K.  411. 
Schuchardt,  H.  349. 
Schullenis,A.  234. L.Katonaf 

450.    Rec.  432. 
1  Schulte,  0.  409. 
:  Schultz,  W.  447. 
Schuster,  R.  93. 
i  Schüüe,    0.     Der    Schimmel- 
reiter 79—81.   Schäfergruss 
328  f. 
Schwalm  246. 
Schwartz,  W.  295.  299. 
Schwedischer  Brauch  59.  Hir 
tenstock  318.   Lied  118. 122 
210f.    Stickerei  240. 
Schweinfurt  363. 
Schweiz:  Lieder 408.  411.  Mär- 
chen 94  f.  Tracht  248.  Volks- 
kunde 331. 
Schwerttanz  239.  852. 
Sebillot,  P.  98.  —  Y.  98. 
Secundus  445. 
Sedlacek,  A.  224. 
Segenformeln    4.    327.    385 f. 
Seligmann,  S.  111. 
Semkowicz,  W.  217. 
Sepp,  J.  N.  305. 
Serbien  413f. 
Servettaz,  Gl.  448. 
Sieb  269. 

Siebenbürgen  234. 
Siebenschein.  H.  238. 
Siebs,  Th.  124 
Sigfridsage  434. 
Simieiiski.  J.  217. 
Simrock,  K.  294f.  298. 
Sitte:  s.  Brauch. 
Skarpa,  P.  V.  J.  428. 
Skerlic,  J.  422. 
Slaski,  B.  216. 

Slawische  Hausforschuns  332. 
Volkskunde    215-225.    411 
bis  428. 
Slowenen  411. 


456 


Register. 


Smetanka,  E.  222. 
Smith,  R.  G.  99. 
Sofric,  P.  425. 
Sobnrey,  H.  305.  346. 
Sökeland,  H.  237  f.  351. 
Sommarström,  H.  118. 
Sommer,  E.  296. 
Sonnenverehrung  122. 
Souöek,  A.  223.  —  S.  221. 
Sperontes  406. 
V.  Speybrouck,  A.  97. 
Spiegel,  K.  329. 
Spiele  123.  409. 
V.  Spies,  K.  448. 
Spina,  F.  220. 
Spinnstuben  219. 
Spreewald:  Geschirr  282. 
Sprichwörter    122.    böhmisch 

222.  finnisch  346.  ital.  447. 

serbisch  423. 
Sprüche:  s.  Hausinschriften. 
Srdinko  222. 
Stab,  blühender  215. 
Stahl,  H.  349. 
Stamatulis,  J.  P.  121. 
Stead,  A.  413. 
Steiermark  447. 
Steinhauseu,  G.  349. 
Stiefel,  A.  L.  93. 
Stjepo,  P.  413. 
Stöber,  A.  306. 
Stockmayer,  G.  349. 
Strackerjan,  L.  97. 
Straparola,  G.  F.  94. 
Straub,  K.  2:55. 
Strauss,  E.  410. 
Strehel,  H.    Erntereigen  90. 
Strohal.  J.  426. 
Strohwisch  20)5. 
Struyf,  J.  99. 
Svoboda,  M.  223. 
V.  Sydow,  C.  W.  92. 
Syntax  123. 
Szelegowski,  A.  217. 

T  als  Amulett  2:',1. 

Tacitus  2. 

Tafeln,  täfern  257. 

Talmud  91. 

Tannhäuser  331  f. 

Tanz  239.  -spiele  409. 

Tatarische  Verbotszeichen  205. 

Taufbräuche  142. 

Tegemsee  274. 

Teirlinck,  J.  330. 

Teller  277  f. 

Tempel  350. 

Tenggren,  J.  118. 

Tessarakontaden  123. 

Tetmajer,  W.  218. 

Teufelliteratur  10. 

Teza,  E.  220. 

Thomas  v.  Chantimpre  6,  366  f. 

Tliomas,  W.  J.  301. 

Thorn  363. 

Thümmel,  A.  350. 

Tieck,  L.  129  f. 

Tierwelt  348. 


Tille,  A.  305.  —  W.  221. 

Tirol:  Geschirr  274.  Lieder 
36—44.  306—317.  Schau- 
spiel 387  f. 

Tod  118.  austreiben  12.  Vor- 
zeichen 69  f. 

Tokarz,  W.  218. 

Tomic,  J.  N.  417. 

Töpferei  2<i5— 289.  415. 

Totenbräuche  394 f.  -mahl  397. 
-stroh  397.  Toter  dankbar 
91  f.  419.  kehrt  wieder  397  f. 

Toulouse  364. 

Trachten  241—249.  428. 

Traub,  Th.  127. 

Traulantonis,  A.  121. 

Traum  des  Knaben  74.  Deu- 
tungen 384  f. 

Treichel,  F.  127.  2.37.  239. 351. 

Trgjic  424. 

Trifkovic,  V.  413. 

Trinker  219  f. 

Trocola  261  f. 

Troianovic,  S.  413.  415.  419. 
422.  427. 

Tuläpurusa  166. 

Türschwelle  143. 

Tykac,  J.  222. 

Uhland,  L.  293  f. 

Ungarn:    Lied  340.    Märchen 

338  f.  432.   Sage  364. 
Unterwerfungsritus  177. 
Upmark,  G.  350. 
Usbeck,  K.  93. 

Valle,  P.  della  141. 
Vasilijevic,  L.  421. 
Velletti,  A.  369  f. 
Verbotszeichen  202—207. 
Versbriefe  231. 
Verwandtschaft,       künstliche 

145.  424. 
Vierländerin  244. 
Vierzig  123. 
Vlämische    Bilderbogen    342. 

Sagen  330. 
Vo«elsberg  363. 
Volksbücher  130f.  294.  349. 
Volkskunde,     Geschichte    der 

deutschen  1—17.  129-141. 

290-306.    Französisch  447. 
Volkskunst  351. 
Volkslied  14,  133.  404.  s.  Lied. 
Vorbedeutungen  3S5. 
Vorzeichen,  s.  Tod,  Wetter. 
Voss,  J.  H.  16. 
Vuletic-Vukasovic,  V.  415. 

Wagner,  K.  344. 

Wahl  des  Häuptlings  427. 

Waldgott  ;'.88f. 

Wallis  94. 

Warnungsbrief,  christl.  61  bis 

(;6.  319-321. 
Wasser  im  Totenbrauch  394f. 
Waxman,  S.  M.  93. 
Weben  415. 


Weber,  H.  408. 

Weeks,  J.  H.  99. 

Wehrhan,  K.  448. 

Weiber:  Privilegien  218.  Re- 
zept für  böse  W.  182—185. 

Weihnachtsfeier  326  f.  -lieder 
312 f.  410.  -spiel  387.  410. 
zelten  387  f. 

Weise,  0.  124.  348. 

Weiss,  0.  446. 

Weissenberg,  S.  445. 

Welt,  Frau  63. 

Wendland,  P.  110. 

Werner,  L.  F.  124. 

Wesselski,  A.  94. 

Westfalen:  Brauch  57.  In- 
schriften 85-  90. 

Weston,  J.  L.  448. 

Wettermachen  57—61.  128. 
-Orakel  60. 

Wiedergeburt  155.  165.  174. 

Wiederkehr,  G.  408. 

Williams,  C.  A.  406. 

Wisser,  W.  96. 

Wochentage  128. 

Woeste,  J.  F.  L.  296. 

Wolf,  J.  W.  298. 

Wolfganff  231. 

Worm,  F.  120. 

Wunder  229. 

Wunderhorn  134.  405. 

Württemberg  246 f. 

Wüst,  W.  408. 

Wuttke,  A.  298.  —  R.  225. 

de  Wyl,  K.  125. 

Xenophon  von  Ephesus  355. 

Zachar,  0.  219. 

Zachariae,  Th.  93.  Schein- 
geburt 141-181. 

Zahlen  123.  -Verschiebung  447. 

Zahn  386  f. 

Zarnack,  A.  292. 

Zauberei  385.  -kraut  354. 
-schlaf  354. 

Zauberer  u.  Lehrling  74. 

Zaun  231. 

Zibrt,  C.  218-220. 

Zieh,  0.  220. 

Ziegel  445. 

Z/cgler,  H.  Volksnamen  der 
Pflanzen  u.  Vermischung 
der  deutschen  Volksstämme 
18-35. 

Zimmersche  Chronik  9.  362. 

Zindel-Kressig,  A.  95. 

V.  Zingerle,  J.  V.  296.  306.  — 
0.  350. 

Ziska,  F.  292. 

Zuckungen  gedeutet  385  f. 

Zuidcina,  W.  Amsterdamer 
Sagen  72 f. 

Zunftaltertümer  352. 

^upanic,  N.  412. 

Zürich  122.  365. 

Zylinderhut  247  f. 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20.  —  Aarne— Andree. 


457 


Iialialtsverzeiclmis 

zu  Band  1—20  (1891—1910)  der  Zeitschrift  des  Vereins 

für  Volkskunde, 

nach  den  Mitarbeitern  geordnet. 


A. 

Aarne,  Antti  (Rektor  Dr.  in  Sortavala,  Finn- 
land). Zum  Märchen  von  der  Tiersprache 
19,  298-303. 

Abebiu^,  Marie  (Frau  Sanitätsrat  in  Char- 
lottenburf^).  Volkstänze  in  Baixo-Alemtejo 
12,  349—351.  —  Symbolische  Wurfgeschosse 
in  der  portugiesischen  Volksdichtung  13, 
317 — 320.  —  Stern-  und  Wetterkunde  des 
portugiesischen  Volkes  14,  224 f.  —  Ein 
Aberglaube  der  portugiesischen  Seeleute 
17,  314. 

Adler,  Max  (Gymnasialdirektor  Dr.  in  Salz- 
wedel). Zwei  Volkslieder  aus  dem  Geisel- 
tal bei  Merseburg  11,  459—461.  —  Zu  den 
ätiologischen  Sagen  14,  117  f.  —  Allerlei 
Brauch  und  Glauben  aus  dem  Geiseltal  14, 
427-430. 

Adrian,  Karl  (Fachlehrer  in  Salzburg).  Zwei 
Frauenlieder  aus  Rauris  13,  430f.  —  Klap- 
pergeräte in  Tirol  13,  43Gf.  —  Volksbräuche 
aus  dem  Chiemgau  (1—4)  IG,  322  f.  17, 
321-325. 

Amalfl,  Gaetano  (Procuratore  del  Re,  Dr.  jur. 
in  Fotenza,  Basilicata).  Eine  türkische  Er- 
zählung in  einem  italienischen  Schwanke 
4,  428 — 430.  —  Zwei  orientalische  Episoden 
in  Voltaires  Zadig  5,  71—80.  —  Eine  No- 
vellette  des  Vottiero  in  literarischen  und 
volkstümlichen  Fassungen  5,  289  —  293.  — 
Die  Kraniche  des  Ibykus  in  der  Sage  6, 
115—129. —  Wer  hat  dieFacetien  des  Pio- 
vano  Arlotto  kompiliert  7,  2G1 — 270.  37G 
bis  382.  —  Quellen  und  Parallelen  zum 
Novellino  des  Salernitaners  Masuccio  9, 
33-41.  13G-153. 


Ammann,  Johann  Joseph  (Gymn.-Professor 
a.  D.  in  Krumau).  Volkssegen  aus  dem 
Böhmerwald  1,  197—214.  307-314.  2,  165 
bis  176.  —  Das  Leben  Jesu  von  P.  Marti- 
nus  von  Cochem  als  Quelle  geistlicher  Volks- 
schauspiele 3,  208—223.  301  »-329. 

Audrae,  August  (Oberlehrer  Dr.  in  Wilhelms- 
haven). Hausinschriften  aus  Goslar  15, 
428-438. 

Andree-Eysn,  Marie  (Frau  Professor  in 
München).  Aus  der  Rauris  8,  91—93.  — 
Totenbretter  um  Salzburg  8,  205-209.  — 
Botanisches  zur  Volkskunde  8,  226 f.  — 
Mittel  gegen  Zahnweh  8,  228  f.  —  Das 
Antlass-Ei  im  Salzburgischen  8,  339  f.  — 
Reisichthäufung  in  Niederösten^eich  8, 4.55  f. 
—  Das  Frautragen  im  Salzburgischen  9, 
154 — 157.  —  Gestickte  Liebestüchlein  9, 
436—438.  —  Pranger-  oder  Reifstangen  im 
Herzogtum  Salzburg  10,  90  f.  —  Über 
einige  Votivgaben  im  Salzburger  Flachgau 
11,  181 — 186.  —  Erlöschen  der  Altarkerzen 
15,  438.  —  Kirchenstaub  heilt  Wunden  IG, 
320-322. 

Andree,  Richard  (Professor  Dr.  in  München). 
Die  Hillcbille  5,  103-106.  —  Volkskund- 
liches aus  dem  Boldecker  und  Knesebecker 
Lande  (i,  354—373.  7,  130 — loG.  —  Harzer 
Köhlerlied  7,  208 f.  —  Niedersächsische 
Zauberpuppen  9,  333—335.  —  W'ie  im 
Lüneburgischon    Pferdekolik     geheilt    wird 

9,  335  f. —  Pferdeschädel  wendet  Unheil  ab 

10,  226.  —  Zur  Frage  der  hannoverschen 
Wenden  10,  439  f.  —  Trudensteine  13,  295 
bis  298.  15,  92  f.  —  ABC-Kuchen  15,  94 
bis  96.    —    Erlöschen    der   Altarkerzen  15. 


458 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


438,  18,  311.  —  Der  grüne  Wirtshauskranz 
17,  195— 'JOO.  —  Das  neue  vlämische  Mu- 
seum für  Volkskunde  in  Antwerpen  17,  457 
bis  460.  —  Westfälische  Hochzeitsladung 
in  Missouri  18,  99—101.  —  Tiere  über- 
nehmen   menschliche  Krankheiten    18,  311. 

—  Den  Tod  betrügen  19,  ^203f.  —Ratschen, 
Klappern  und  das  Verstummen  der  Kar- 
freitagsglocken 20,  250-264.  —  Rec.  De 
Cock-Teirlinck  15,  463  f.  16,  356 f.  Fata- 
buren  17,  239-241. 

Anonym').  Das  Weihnachtspiel  in  Wien 
1893  4,  9:5  f.  —  Aberglaube  und  Be- 
sprechungen aus  Zöllmersdorf  in  der  Nie- 
derlausitz 10,  229-231. 

Arendt,  Carl  (Professor  am  Orientalischen 
Seminar  in  Berlin;  f  1902).  Moderne 
chinesische  Tierfabeln  und  Schwanke  1, 
325—334.  —  Ein  Kapitel  aus  dem  Aber- 
und  Geisterglauben  der  Chinesen  2,258—271. 
374—381. 

Arnold,  Robert  Franz  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Wien).  Die  Natur  verrät  heimliche  Liebe 
12,  155-167.  291-295.  —  Zum  Liede  auf 
den  Reservemann  20,  327 f.  —  Rec.  v. 
Reinhardstöttner  12,  122  f. 

B. 

ß,  (Reykjavik)  s.  Olsen,  Björn. 

Bacher,  Josef  (Kurat  in  Unterfennberg,  Süd- 
tirol). Von  dem  dänischen  Grenzposten 
Lusern  im  wälschen  Südtirol  10,  151 — 162. 
306-319.  407—417.  11,  28-37.  169-180. 
290—296.  443-452.  12,  172-179.  —  Die 
Prozession,  Gedicht  aus  dem  Vintschgau 
10,  328-330.  —  Wie  die  Wälschen  fluchen 
10,  338.  —  Rec.  Lusern  10,  455. 

Back,  Friedrich  (Museumsdirektor  Prof,  Dr. 
in  Darmstadt).  Literatur  des  Jahres  1890 
1,  113-127.  234-240. 

Bahlmann,  Paul  (Oberbibliothekar  Prof.  Dr. 
in  Münster  i.  W.).  Die  Lambertusfeier  zu 
Münster  i.  W.  5,  174-180. 

Bartels,  Max  (Geh.  Sanitätsrat  Dr.  in  Berlin, 
tl904;  s.  15,  106).  Über  Krankheitsbe- 
schwörungen 5,  1—40.  —  Ein  paar  merk- 
Avürdige  Kreaturen   9,  171 — 179.   245—255. 

—  Was  können  die  Toten  10,  117—142.— 
Märkische  Si)iiinstuben-Erinnerungen  12,  73 
bis  SO.  180-1.S7.  316-319.  415—418.  — 
Zur  Wünschelrute  13,  286f.  —  VolksAn- 
thropometric  13,  353  —  368.   —   Übe:  euro- 


päische und  malayische  Verbotszeichen  20, 
202—207.  —  Deutsche  Volkstrachten  20, 
241—249.  —  Rec.  Zichy  8,  110 f.  Hoernes 
8,  348  f.  Anthropologie  Braunschweigs  8, 
460f.  Temesvary  10,239f.  Rumpe  ll,108f. 
Stieda  11,  227-229.  Tiffaud  11,  467f. 
Burghold  12,  121  f. 
Bartels,  Paul  (Privatdozent  Dr.  med.  in 
Berlin).  Fortpflanzung,  Wochenbett  und 
Taufe  in  Brauch  und  Glauben  der  weiss- 
russischen  Landbevölkerung  17, 160  —  171.  — 
Rec.  Martin  17,  237—239.  Hovorka-Kron- 
feld  18,  233.  19,  339  f.    Höfler  18,341—343. 

19,  340 f.  Aigremont  19,  341.  Hoernes  19, 
355.  20,  112.     Seligmann  20,  111.    Richter 

20,  123.    V.  Andel  20,  343. 
Bartolomäus,     Richard    (Amtsgerichtsrat  in 

Krotoschin).  Das  polnische  Original  des 
Volksliedes  'An  der  Weichsel  gegen  Osten' 
19,  314-316. 

Baumgart,  August  (Pastor  in  Fürstenau,  Kr. 
Neumarkt,  f  1882).  Aus  dem  mittelschle- 
sischen  Dorfleben  3,  144—155.  —  Ver- 
schiedenes vom  Aberglauben,  von  Sitten 
und  Gebräuchen  in  Mittelschlesien  4, 80—86. 

Beck,  Henry  (Pastor  Dr.  in  Braunschweig). 
Aus  dem  bäuerlichen  Leben  in  Nordsteimke, 
Braunschweig  8,  213—217.  —  Nieder- 
deutsche Spruchweisheit  aus  Nordsteimke 
8,  301—304.  —  Aus  dem  bäuerlichen  Leben 
in  Nordsteimke  8,  428—439.  —  Nieder- 
deutsche Sprüche  und  Redensarten  aus 
Nordsteimke  9,  81—83.  —  Notizen  zum 
Geldwerte  im  18.— 19.  Jahrh.  im  Braun- 
schweigischen 9,  93  f. 

Beck,  Paul  (Amtsrichter  a.  D.  in  Ravensburg). 
Die  Bibliothek  eines  Hexenmeisters  15,  112 
bis  420.  —  Volksliedvarianten  aus  Missver- 
ständnis 16, 190.  —  Volkslieder  aus  Schwa- 
ben 16,  432  —  436.  —  Ein  Wettersegen  aus 
dem  16.  Jahrh.  17,  313  f.  —  Alte  Studenten- 
lieder 17,  443—447.  —  Nochmals  die  Sage 
vom  unbewusst  überschrittenen  See  18,  305  f. 
—  Volksgericht  im  Montavon  19,  95.  — 
Zwei  Satiren  in  Gebetsform  auf  Tököly  und 
Ludwig  XIV.  19,  186  f.  —  Zwei  deutsch- 
französische Flugblätter  aus  dem  spanischen 
Erbfolgekriege  19,  188-190. 

Becker,  Marie  Luise  (jetzt  Frau  Dr.  Kirch- 
bach in  Gross-Lichterfelde).  Ungarische 
Volkskunst  13,39—49.  —  Das  Kunstgewerbe 
in  Bosnien  und  der  Herzegowina  14, 192— 198. 


1)  Die  anonymen  Notizen  und  Bücheranzeigen,  die  sicli  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit 
W  einhold  zuweisen  Hessen,  sind  unter  seinem  Namen  verzeichnet. 


Anonym  — Bolte. 


459 


Behrend,  Fritz  (Archivar  der  Deutschen 
Kommission  der  Berliner  Akademie  der 
Wiss.  Dr.  in  Gross-Lichterfelde).  Ein 
Oberstdorfer  Fastnachtspiel  vom  Schinder- 
hanues  l'J,  326— 333.  —  Das  Handschriften- 
archiv  der  Deutschen  Kommission  derKgl. 
preussischen  Akademie  der  Wissenschaften 
•20,  321  f. 

Benes,  Julius  (Direktor  des  Lehrerseminars 
in  Wiener-Neustadt).  Das  städtische  Mu- 
seum in  Krems  a.  d.  Donau  8,  309 — 313. 

Bemeker,  Erich  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Breslau).  Das  russische  Volk  in  seinen 
Sprichwörtern  14,  75-87.  179-191. 

Bernheim,  Ernst  (Geh.  Reg.-Rat  Univ.-Pro- 
fessor Dr.  in  Greifswald).  Zum  Ver- 
wunderungsliede  6,  209 f. 

Bethany,  M.  (in  Elberfeld).  Die  Geistermesse 
zu  Köln  G,  441  f. 

Bencke,  Karl  (Eealgymnasialdirektor  Prof. 
Dr.  in  Zehlendorf).  Eec.  Friedel-Mielke 
19,  462 f.  Beck-Drade-Gurlitt-Jacobi-Kühn- 
Mammen-Wuttke  20,  22.')  f. 

Biegeleisen,  Heinrich  (Dr.  in  Lemberg). 
Jüdisch-deutsche  Erzählungen  aus  Lemberg 
4,  209  f. 

Biel,  Anna  Maria  (Fräulein,  in  München). 
Volksreime  von  der  Insel  Rügen  16, 
87  f. 

Blümml,  Emil  Karl  (Dr.  phil.  in  Wien). 
Vom  öffentlichen  Baden  in  Niederösterreich 
10,  97.  —  Notizen  über  niederösterreichische 
Sonnwendfeuer  im  17.  und  18.  Jahrhundert 

10,  97—99.  —  Zum  niederösterreichischen 
Bienenrechte  10,  225  f.  —  Aus  der  Ver- 
gangenheit des  Safranbaues  10,  340  f.  — 
Kinderspiele  aus  Niederösterreich  10,  440 
bis  442.  —  Die  Verwendung  der  Pflanzen 
durch  die  Kinder  in  Deutschböhmen  und 
Niederösterreich  11,  49—64.  —  Beiträge 
zur  Flora  der  Friedhöfe  in  Niederösterreich 

11,  210—213.  —  Volkstümliche  Vogelnamen 
aus  Westböhmen  12,  457— 462.  —  Rekruten- 
lieder aus  Niederösterreich  13,311—316. — 
Notizen  zum  steirischen  Volksliede  16,  324 
bis  328.  436—440.  —  Drei  Primizlieder  aus 
Tirol  18,  88—90.  —  Zum  Montavoner 
Krautschneiderlied  18,  90.  —  Zur  Ballade 
vom  Ritter  Ewald  18,  431-433. 

Bock,  Alfred  (Schriftsteller  in  Giessen).  Hoch- 
zeitsbräuche in  Hessen  und  Nassau  13,  287 
bis  294.  376-383. 

Böckel,  Otto  (Schriftsteller  Dr.  in  Michen- 
dorf,  Mark).    Luiska  18,  441. 

Bolle,    Carl    (Dr.    phil.    in    Scharfeuberg  b. 


Tegel,  1 1909).  Die  Eichenfrucht  als  mensch- 
liches Nahrungsmittel  1,  138—148. 
Bolte,  Johannes  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Berlin'.  Der  Schwank  von  den  drei  lispeln- 
den Schwestern  3,  58 — 61.  7,  320f.  —  Zu 
dem  Märchen  von  den  sieben  Grafen  3,  61 
bis  67.  462f.  —  Das  Märchen  vom  Gevatter 
Tod  4,  34—41.  —  Das  Kinderlied  vom 
Herrn  von  Ninive  4,  180-184.  6,  98.  — 
Zwei  Flugblätter  von  den  sieben  Schwaben 
4,  430—437.  —  Zu  den  von  Laura  Gonzen- 
bach  gesammelten  sicilianischen  Märchen, 
Nachträge  R.  Köhlers  6,  58-78.  161 — 175. 

—  Setz  deinen  Fuss  auf  meinen  I  6,  204  bis 
208.  —  Der  Schwank  vom  Esel  als  Bürger- 
meister bei  Th.  Murner  7,  93—96.  — 
Schäfergruss  7,  97—100.  210.  —  Die  di'ei 
Alten  6,  205—207.  —  Kranzwerbung,  ein 
Gesellschaftsspiel  des  17.  Jahrh.  7,  382  bis 
392.  12,  456.  —  Zum  Märchen  vom  Bauer 
und  Teufel  8,  21—25.  —  Staufes  Sammlung 
rumänischer  Märchen  aus  der  Bukowina  9, 
84—88.  179-181.  —  Volkstümliche  Zahl- 
zeichen und  Jahreszahlrätsel  10,  186  —  194. 

—  Ein  dänisches  Märchen  von  Petrus  und 
dem  Ursprünge  der  bösen  Weiber  11,  252 
bis  262.  19,  314.  —  Eine  geistliche  Aus- 
legung des  Kartenspiels  11,  376—406.  — 
Italienische  Volkslieder  aus  der  Sammlung 
Hermann  Kestners  12,57  —  65.  167 — 172. — 
W.  Hertz  1 12,  98.—  Zum  deutschen  Volks- 
liede (1-35)  12,  101-105.  215-219.  343 
bis  348.  13,  219-226.  14, 217-224.  16, 181 
bis  190.  18,  76—88.  —  Eine  Predigtparodie 
12,  224f.  —  Doktor  Siemann  und  Doktor 
Kolbmann,  zwei  Bilderbogen  des  16.  Jahrh. 
12,  296—307.  -  Zu  den  Karten- und  Zahlen- 
deutungen 13,  84—88.  —  Der  Mann  mit 
der  Ziege,  dem  Wolf  und  dem  Kohle  13, 
95  f.  311. —  Abweichungen  der  Wiesbadener 
Hs.  13,  149  f.  —  Zur  Geschichte  des  Weih- 
nachtsbaumes 13,  227.  —  Die  72  Namen 
Gottes  13,  444-450.  —  Zur  Sage  von  der 
freiwillig  kinderlosen  Frau  14,114—117. — 
Deutsche  Segen  des  16.  Jahrh.  14,  4;)5— 438. 

—  A.  M.  Cohnf  14,  471.  —  Neidhart,  eine 
volkstümliche  Personifikation  des  Neides 
15,14-27. —  Bildergedichte  des  17. Jahrb., 
gesammelt  von  C.  Wendeler  15,  27—45. 
150—165.  —  Zu  den  zwölf  goldenen  Frei- 
tagen 15,  98 f.  —  Joli  Tambour  15,  100. 
337  f.  —  Zur  Sakristanin  15,  186  f.  —  Das 
Kutschkelied  15,  173—176.  —  Zur  Biblio- 
thek eines  Hexenmeisters  15,  420—424.  — 
Kristensens    neuere  Saiumlungon  dänischer 


460 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


Volksüberlieferungen  15,  448—457.  —  Zur 
Gaunersprache  15,  467.  —  Die  erste 
Tagung  des  Verbandes  deutscher  Vereine 
für  Volkskunde  15,468-470.  —  Das  Sprich- 
wort 'den  Hund  vor  dem  Löwen  schlagen' 
16,  77 — 81.  —  Die  Legende  von  Augustinus 
und  dem  Kuäblein  am  Meere  16,  90—9."). 
426.  —  Hin  geht  die  Zeit,  her  kommt  der 
Tod  16,  194  f.  —  Die  Varusschlacht  im 
Volksmunde  16,  197.  —  A.  ötrack  f  16,  365. 

—  Die  sieben  Lebensalter  werden  auf  den 
Tod  vorbereitet  17,  41  f.  —  Zum  Fang- 
steinchenspiele 17,  85—89.  —  Bilderbogen 
des  16.— 17.  Jahrh.  (1—16)  17,  425-441. 
19,  51-82.  20,  182-202.  —  (Jh.  Perrault 
über  französischen  Aberglauben  17,452—454. 

—  Spielmannsbusse  17, 461.  —  Der  Schwank 
von  der  faulen  Frau  und  der  Katze  18, 
53—60.  —  Die  Sage  von  dem  unbewusst 
überschrittenen  See  18,  91.  306.  —  Ein 
Weihnachtspiel    aus    dem  Salzkammergute 

18,  129—150.  —  Ein  Lobspruch  auf  die 
deutschen  Städte  aus  dem  15.  Jahrh.  18, 
300-304.  19,  206  f.  —  Aberglaube  aus 
Württemberg  18,  499.  —  Weitere  Predigt- 
parodien 19, 182—185.  —  Ein  Reimgespräch 
zwischen   Prinz  Eugen    und  Villeroi  (1702) 

19,  190—194.  —  Zur  Sage  vom  Traum  vom 
Schatz  auf  der  Brücke  19,289—298.—  Der 
Nussbaum  zu  Benevent  19,  312—314.  — 
Zeugnisse  zur  Geschichte  unsrer  Kinder- 
spiele 19,  381-414.  —  Die  Herkunft  einer 
deutschen  Volksweise  19,  420 f.  —  Die  2. 
und  3.  Tagung  des  Verbandes  deutscher 
Vereine  für  Volkskunde  19,  128.  472.  — 
Das  Ringlein  sprang  entzwei  20,  66—71.  — 
Eine  Rätselsammlung  a.  d.  J.  1644  20,  81 
bis  83.  —  Das  polnische  Original  des  Liedes 
'An  der  Weichsel  gegen  Osten'  20,  210  bis 
213.  —  Zu  dem  christlichen  Warnungsbriefe 

20,  319-321.  —  Die  Sage  von  der  er- 
Aveckten  Scheintoten  20,  353-381.  — 
Neuere  Märchenliteratur  14,  244-248.  15, 
226-230.  16,  444-460.  17,  329—342.  18, 
450-46L  19,  458-462.  20,  91—100.  — 
Neuere  Arbeiten  über  das  deutsche  Volks- 
lied 15,  350-356.  17,  203-210.  19,  219 
bis  234.  20,  404-411.  —  Neuere  Sagen- 
literatur 20, 329—332.  —  Sitzungsprotokolle 
11, 469 f.  12, 128.  247  f.  472 f.  13,  126  f.  351. 17, 
128.  —  Nachrichten  14,  256.  —  Rec.  Stiefel 
5, 464f.  Böhme  6,  104-106.  De  Mont  &  De 
Cock  6,  22:J-225.  Arfert  7,  215  f.  Bols  7, 
331f.  Ludwig  Salvator;  Alcover  7,  451  bis 
453.   8,  351.    Liizar   8,  232  f.     Pedersen  8, 


352f.  De  Mont-de  Cock  8,463-466.  Gri- 
santi  10,  106f.  Vogt  11,  96f.  Kallas  11, 
98-100.  Prahl  11,  102—104.  —  Kippenberg 
12,  117  f.  Grigorovitza  12,  118  f.  Grüner 
12,  127.  Njrop  12,  127.  Dähnhardt  12, 
244.  Andree  12,  244.  Ulrich  12,  246.  Le- 
derbogen 12,  246.    Schaer  12,  369 f.  Sainean 

12,  371.    Orain  12,  372.    v.  Duyse  12,373f. 

15,  464  f.  De  Cock-Teirlinck  12,  374  f.  14, 
254.  15,  237.  18,  231.  19,  121.    —    Cosquin 

13,  107  f.  Heinemann  13,  llOf.  Reiser  13, 
111.  Ulrich  13,  117.  Boesch:  Hampe  13, 
119  f.  Becker  13,  120  f.  Pitre  1.3,  123. 
Lampert  13, 123  f.  14, 125.  Finnisch-ugrische 
Forschungen  13,  125  f.  Knortz  13,  126. 
Archiv  f.  Religionswissenschaft  13,  454 f. 
Festschrift  Breslau  13,  4.37  f.  Hwof  13,458. 
Haas  13,  467.  Wiepen  13,  468.  Le  Braz 
13,  469  f.  —  Giannini  14,  125.  Wisser  14, 
125.  Storck  14,  125  f.  Frazer  14,  254  f. 
Lo-Giudice  14,  255.  Doncieux;  Fink  14, 
356  f.  Bezemer  14,  357  f.  Vasconcellos  14, 
358.  Kurz  14,  470.  Nyrop  14,  470  f.  — 
Kehrein  15,  127.  Andree  15,  233  f.  van 
Moerkerken  15,  238.  Pitre  15,  238  f. 
Mitzschke  15,  240.    Sebillot  15, 362  f.  16, 118. 

17,  121  f.  18,  118  f.  Yermoloff  15,  458  f. 
Hackman  15,  460  f.  Bacher  15,  465.  — 
Kück  16,  116f.  Schumann  16,  117.  Ghes- 
quiere  16,117.   Portugalia  16,  118f.  Zeitler 

16,  119.  Tommaseo  16,  119.  John  16, 125  f. 
Schvindt  16,  126.  De  Cock  16,  238  f.  Lam- 
bert 16,  245.  Feilberg  16,  358f.  Grimm; 
Beneke  16,  364.  J.Meier  16,  364f.  v.  Lip- 
perheide  16,  365.  17,  245.  Jakobsen  16, 
460f.  V.  Andrian  16,465.  Bricteux  16,471. 
Fontane;  Günther-Schneider;  Heilborn; 
Heilig;  Hellwig;  Höfler;  Hubert;  Isäger: 
Knoop;  Lessmann:  Loose;  Mätzke;  Mauss; 
Mogk:  Rieh];  Schattenberg;  E.  Schmidt; 
G.  Schmidt;  Strackerjan;  Szulczewski; 
Egerland;  Zacher;  v.  Zahn  16,  472 f.  — 
Feilberg  17,  115  f.  d'Ancona  17,  242  f. 
Kronfeld  17,  243  f.  Pf  äff  17,  244.  Arnstein; 
Brandstetter;  v.  Gennep;  Gerhardt;  Heine- 
mann; Hoffmann-Krayer;  Kaindl;  Kropa- 
tschek;  Rabben;  Scliullerus;  Spiess;  Vascon- 
cellos 17,  245 f.  Jacob  17,  354f.  Maeter- 
linck 17,  355 f.  Andree;  Basset;  Bournc; 
Dingelstedt;  Forke;  Gaidoz;  v.  de  Graft: 
Gurdon;  Heinemann;  Hellwig;  Hikmet;  Ho- 
witt;  Höfler;  Löhr;  Paris;  Reuschel  17,356 
bis  358.    Dames  17,  465—467.  —  Diederichs 

18,  119f.  46Sf.  Baragiola;  Brunk;  Bunker: 
Dachler;    Diels;    Dietrich;    Frazer:    Hahn: 


Bolte — Brunner. 


461 


Hartmann:  Knopf:  v.  Künssberg;  Lazzeri; 
Kristensen-Olrik;  Olsen;  Reuschel  18,  I23f. 
Dähnhardt  18,  224f.  Bernstein:  Bronner: 
Colson;  Diels;  Ehrenzweig:  Faitlovitch: 
Fehse;  Fischer;  Freybe:  Giese:  Heiueinann; 
Hertz :  Madelaine:  Müller-Fraureuth ;  Sauer: 
Schii'macher:  v.  Schröder:  Sohns;  v.  Sydow: 
Tille;  Weise;  Wistrand  18,231—234.  Lüp- 
kes  18,  344.  Ive  18,  344 f.  Adrian;  Brand- 
stetter;  Bngge;  Cleraenz:  Dingelstedt; 
Grothe;  Hilka;  Jacob;  Knoop;  Kück;  v.  d. 
Leyen;  Liliental;  Löwinger;  R.  Meyer; 
Xyrop;  Olsen;  Otto  18,  347—349.  Kluge 
18,  4G7f.  Scbillot  18,  469f.  Pradel  18,  470. 
Bek;  Berliner  Kalender;  Heinemann;  Jaisle; 
Keller;  Lemcke:  Meisinger;  Ohle;  Ploss- 
Bartels;  Schulz;  Steinmetz;  v.  Sydow:  Vas- 
concellos  18,  471—473.  —  Brandenburgia: 
Brummer;  de  Cock:  Förster;  Freytag;  v. 
Gennep;  Heidrich;  Hodson;  Höfler;  John; 
Kahle:  Kafuzniacki;  Kinderspelen:  Krohn; 
Kück:  Schwartz:  Walliser  Sagen  19,  121 
bis  123.  Uhl  19,  236 f.  Kück-Sohnrey  19, 
238.  Blümml  19,  238f.  Basset;  Delehaye; 
Diels;  Dingelstedt:  Falk;  Gaidoz;  Galle; 
Gloede;  Heldmann:  Hellwig;  Hirschfeld: 
Hofmann;  Lohmeyer;  Neumann;  Olrik; 
Prätorius:  Reichardt;  Reinach;  Reuschel; 
Salzberger;  E.  Schmidt:  Söffe;  Spence; 
Stack:  Tevfiq;  Tiedt:  Vollmer  19,240-244. 
Amalfi;  Berendes;  Brandstetter;  Buchanan; 
Corso;  Goldmann:  Heeger-Wüst;  Ilg- 
Stumme;  Kirchner;  Knortz:  Perot:  Rahn: 
Schullerus  19,  354—357.  Brechenmacher; 
Endt;  Hewelcke;  Hoffmann-Krayer;  Höfler; 
V.  Hörmann;  Künstle;  Laographia;  Maal  og 
minne:  Mansikka;  Mogk;  Nyrop;  Ohne- 
sorge; Ploss-Bartels:  Societe  Ramond; 
Sohnrey;  Strackerjan:  Stuhl;  Toldo:  de 
Wolf:  Wossidlo  19,  4G5-471.  —  Albers; 
Amalfi;  Bourgeois:  Brage:  Dähnhardt; 
Freybe;  Friedrich;  Gebhardt;  Heidrich; 
Heuvel:  Glock:  Götze;  Haas-Worm;  Hell- 
wig; Innviertler  Heimatkaleuder;  Kirchner; 
Klein:  Laographia;  Lohmeyer:  Magnanelli: 
Marzell;  Meinck;  Mende;Messikommer:  Nor- 
lind:  Olsen-Schetelig:  Orlamünder;  Psichari; 
Raccuglia:  Reisiger;  Röscher;  Siebs;  Wer- 
ner; de  Wyl  20,  118—125.  Andree-Eysn; 
Bücher;  Freybe;  Huss;  Kehrer;  Knortz; 
Maeterlinck;  Orsier;  Peabody;  Schullerus; 
Straub  20,  231—235.  v.  Heurck-Boekenoogen 
20,  342f.  Arnold- Wagner;  Brunk:  Freybe; 
van  de  Graft;  Herrmann:  Höfler;  Hurt; 
Koskenjaakko;    Laographia;    Launis;  Man- 


sikka; Oberammergauer  Passionsspiel;  Ol- 
rik; Ohnesorge;  Playfair;  Rabe:  Richter; 
Rolland:  Sartori;  Schmidt;  Schuchardt; 
Stahl;  Steinhausen;  Upmark;  v.  Zingerle 
20,  344-350.  Arnold:  Behrend;  Bernhöft; 
Diels;  Feilberg;  Fiebelkorn:  Folkers;  Grun- 
wald  u.  Weissenberg;  Hilka;  Hoffmann- 
Krayer:  Jensen;  Lauffer;  Messikoramer; 
Nagl;  Oberammergauer  Passionsspiel;  Pitre ; 
Reiterer;  Reuschel;  W.  Schultz;  Servettaz; 
V.  Spies;  Wehrhan;  Weston  20,  443—449. 

Boerschel,  Ernst  (Schriftsteller  in  Gross- 
Lichterfelde).  Abzählreime  aus  dem  Po- 
senschen  6,  19G— 199. 

Bonrgeois,  Henri  (Prof.  Dr.  in  Brüsselj.  Eine 
baskische  Rolandsage  20,  213. 

Braudl,  Alois  (Geh.  Reg.-Rat  Univ.-Professor 
Dr.  in  Berlin).  —  Rec.  Gutch  12,  114  f. 
Spencer-Gillen  14,  469  f. 

Brandsch,  Gottlieb  (Pfarrer  in  Treppen,  Post 
Mettersdorf,  Siebenb.).  Die  siebenbürgischen 
Melodien  zur  Ballade  von  der  Nonne  19, 
194—197.  —  Die  Herkunft  einer  deutschen 
Volksweise  19,  418—420.  —  Rec.  Fabö 
20,  340. 

Branky,  Franz  (Professor,  k.  Rat  in  Wien). 
Mein  Mädchen  ist  nicht  adelich  15,  101.  — 
Ein  Patenbrief  aus  dem  J.  1839  16,  427 
bis  429. 

Brnchuiann,  Karl  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Berlin).  Zur  Mythendeutung  3,  55—58.  — 
Rec.  Drosihn  8,  107 f. 

Brückner,  Alexander  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin).  Sitzungsprotokolle  2,  96  f.  214  f. 
448  f.  3,  116.  237  f.  469.  —  Slavische  Volks- 
kunde 9,  213—219.  10,  241—348.  Neuere 
Arbeiten  zur  slavischen  Volkskunde  (Pol- 
nisch u.Böhmisch)  12,228-237.  13, 229-238. 
14,  328-339.  15,  204—215.  16,  198—209. 
17,  210-222.  18,  203—214.  19,  208—219. 
20,  213—225.  —  Rec.  Zibrt  1,  456 f.  Zivaja 
Starina  2,  91f.  3,  112f.  Wisla  2,  93f.  3, 
115.  5,  236.  Cesky  Lid  3,  113  f.  468.  4,  224. 
5,  234.  6,  109.  229  f.  Cerny  3,  34i5.  8,  461. 
Franko  4,  225.  Mencik  5,  114 f.  Zibrt  5, 
115 f.  Adalberg  5,  116 f.  Zibrt  5,  234 f. 
Mencik  6,  l08f.  Lud  6,  109  f.  230  Bern- 
stein 11,  347  f. 

Brunk,  August  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Osnabrück).  Der  wilde  Jäger  im  Glauben 
des  pommerschen  Volkes  13,  179—192.  — 
Volksrätsel  aus  Osnabrück  und  Umgegend 
17,  298-307. 

Brnnner,  Karl  (Direktorialassistent  am  Museum 
für  Völkerkunde,  Dr.  in  Berlin).  Bericht  über 


462 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1 — 20. 


die  Neuaufstellung  der  Kgl.  Sammlung  für 
deutsche  Volkskunde  in  Berlin  18,  241  bis 
26o.  —  Ein  Holzkalender  aus  Pfranten  19, 
249— 2G1.  —  Die  Kgl.  Sammlung  für 
<lcutsche  Volkskunde  auf  der  internationalen 
Ausstellung  für  Volkskunst,  Berlin  1909 
19,  281  —  286.  —  Bauerutöpfcrei  und  volks- 
tümliche Fayencen  20, 2G5— 289.  —  Sitzungs- 
protokolle 17,  240—248.  358-3G0.  18,  124 
bis  128.  237-240.  349—352.  19,  124-128. 
245-248.  357-360.  20,  125—128.  237  bis 
240.  350-352.  —  ßec.  Schwantes  19,  118. 
Das  Land  20,  346. 
Bunker,  Johann  Reinhard  (Lehrer  in  Öden- 
burg,  Ungarn).  Herde  und  ()fen  in  den 
Bauernhäusern  des  ethnographischen  Dorfes 
der  Milleniumsausstellung  in  Budapest  7, 
11 — 31.  —  Heanzische  Schwanke,  Sagen 
und  Märchen  7,  307-315.  396-403.  8,  82 
bis  90.  188-196.  291-300.  415-428.  — 
Eine  heanzische  Bauernhochzeit  10,  288  bis 
306.  365-382.  —  Das  Szekler-Haus  14, 
105-114. 

C. 

Carstens,  Heinrich  (Lehrer  in  Dahrenwurth 
b.  Lunden,  f  1910).  Graf  Wolfen  und  seine 
Schwester  Christina  1,  444—446.  —  Die 
sieben  Grafen  2,  201-206.  —  Das  Märchen 
von  der  Königstochter,  die  nicht  lachen 
konnte  3,  456—459.  —  Volksrätsel,  be- 
sonders aus  Schleswig-Holstein  6,  412 — 423. 
—  Topographischer  Volkshumor  aus  Schles- 
wig-Holstein 16,  302-310.  396-402.  — 
Volksglauben  und  Volksmeinungen  aus 
Schleswig-Holstein  (1—4)  20,  382-387. 

Chalatianz,  Bagrat  (Dr.  phil.  in  München). 
Die  armenische  Heldensage  12,  138—144. 
264—271.  391—402.  —  Die  iranische  Helden- 
sage bei  den  Armeniern  14,  35  -  47.  290  bis 
301.  385-395.  17,  414-424.  18,  61-66. 
19,  149—157.  —  Kurdische  Sagen  (1-15) 
15,  322-330.  16,  35-46.  402-414.  17,  76 
bis  80.  —  Armenisclic  Heiligenlegenden  19, 
361—369. 

Chauvin,  Victor  (Univ. -Professor  Dr.  in 
Lüttich).  Felix  Liebrecht  12,  249—264.  — 
Wunderbare  Versetzungen  unbeweglicher 
Dinge  14,  816—320.  —  Die  rechtliche 
Stellung  der  wiedererwachten  Toten  15, 
439—442.  —  Rec.  Stumme  15,  461—463. 
Künos  16,  239-243.  Macler  16,  243  f. 
Christaller,  J.  G.  (Missionar,  Scliorndorf  in 
Württemberg).  Negermärchen  von  der 
Goldküste  4,  61—71. 


Cobn,  Alexander  Meyer  (Bankier  in  Berlin, 
t  1904;  s.  14,  471).  Jamund  bei  Göslin  1,  77 
bis  100.  335-343. 

Croon,  Robert  (in  Smolensk,  Russland). 
Grussformeln  russischer  Bauern  im  Gouver- 
nement Smolensk  15,  166—171. 

Crusias,  Otto  (Geh.  Hofrat  Univ.  -  Professor 
Dr.  in  München).    Zu  Zs.  6,  Heft  2.  6,  346. 

1>. 

Dahl,  M.  C.  (auf  Rom).  Die  Volkstracht  der 
Insel  Rom  16,  167—170. 

Dähnbardt,  Oskar  (Gymn. -Rektor  Dr.  in 
Leipzig).  Beiträge  zur  vergleichenden 
Sagenforschung  I :  Sintflutsagen  16,  369  bis 
396.  —  II:  Naturdeutung  und  Sagen- 
entwicklung 17,  1—16.  129-143. 

Damliöhler,  Eduard  (Gymn. -Professor  in 
Blankenburg  a.  H.).  Der  Wolf  mit  dem 
Wockenbriefe,  Märchen  3,  189—195. 

Daniel,  Clara  (Fräulein,  in  München).  Ar- 
menische Märchen  (1—5)  20,  74  —  78.  323 
bis  326. 

Davidsson,  Olafur  (Cand.  phil.  in  Island, 
t  1903;  s.  14,  119).  Zwei  Erinnerungen  au 
den  Handel  der  Hamburger  mit  Island  4, 
408 — 412.  —  Isländische  Zauberzeichen  und 
Zauberbücher  13,  150—167.  267—279. 

Denk,  Joseph  (Pfarrer  in  München).  Zu 
Reinhold  Köhlers  Kleineren  Schriften  12, 
351—353. 

Diels,  Hermann  (Geh.  Reg.-RatUniv.-Professor 
Dr.  in  Berlin).  Das  Lied  vom  Pater 
Guardian  4,  332-334.  —  Rec.  Allen  3,  98. 

Dieter,  Ferdinand  (Realschulprofessor  Dr.  in 
Berlin,  f  1908).  Es  ist  die  höchste  Eiseu- 
bahn  12,  348  f. 

Dietericli,  Karl  (Privatdozent  Dr.  in  Leipzig). 
Die  Volksdichtung  der  Balkanländer  in 
ihren  gemeinsamen  Elementen  12,  145  bis 
155.  272—291.  403—415.  —  Neugriechische 
Rätseldichtung  14,  87 — 104.  —  Aus  neu- 
griechischen Sagen  15,  380—398.  —  Rec. 
Politis  11,  105—108.  13,  245-248.  15,  123 
bis  126.  The  shade  of  the  Balkans  15, 
239f.    Pachtikos  15,  465-467. 

Dirksen,  Karl  (Lehrer  in  IMeiderich,  f  nach 
1900).  Sitten  und  Gebräuche  bei  Sterbe- 
fällen in  Meiderich  1,  219  f.  —  Püngstlied 
2,  82  f.  446.  —  Kinderlied  2,  83.  —  Sprich- 
wörter aus  Meidericli  2,  84.  —  Lügenreime 
2,  324f.  —  Kindergeschichte  vom  armen 
Jan  2,  325  f.  —  Aus  Ostfriesland  3,  90  bis 
93.  —  Asar  und  Gemir,  ostfriesisches 
Märchen  3,   336 f.    —    Ostfriesische  Laut- 


Bunker— Fränkel . 


463 


spiele  und  Sprechübungen  4,  91  f.  —  Aus 
Meiderich  4,  1)23—327.  -  Bemerkungen 
zu  einem  ostfriesischen  Martiniliede  5,  451  f. 

—  Meidericher  Rechtssprichwörter  6,  211 
bis  213.  —  Der  Schneider  im  Himmel  7, 
207  f.  —  Ostfriesischer  Schneckeuspruch  7, 
209.  —  Ostfriesisches  Rammerlied  8,  9G.  — 
Marienkind  8,  222  f.  —  Personennamen  auf 
kamp  8,  457 f.  —  Rec.  Krüger  4,  344. 

Dörler,  Adolf  F.  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Saaz,  t  1902).  Die  Tierwelt  in  der  sym- 
pathetischen Tiroler  Volksmedizin  8,  38  bis 
48.  168—180.  —  Tiroler  Teufelsglaube  9, 
256-273.  361—376.  —  Märchen  und 
Schwanke  aus  Nordtirol  und  Vorarlberg 
16,  278—302.  —  Volkslieder  aus  Vorarl- 
berg 17,  307—311.  —  Volkslieder  aus 
Tirol  20,  36—44.  306-317. 

Drechsler,  Paul  (Gymnasialdirektor  Dr.  in 
Zabrze).  '0  lass  mich  doch  hinein,  Schatz!' 
Vergleichuug  eines  schottischen  und  eines 
schlesischen  Volksliedes  9,  41—45.  — 
Schlesische  Pfingstgebräuche  10,  245—254. 

—  Der  Wassermann  im  schlesischen  Volks- 
glauben 11,  201—207.  —  Schlesische  Ernte- 
gebräuche 12,  337-341.  —  Kec.  Beyschlag 
10,  231—233. 

Drexler,  W.  (Dr.  phil.  in  Greifswald).  Noch 
einmal  Sancta  Kakukakilla-Cutubilla  8, 
341  f. 

Dübi,  Heinrich  (Gymnasiallehrer  Dr.  in  Bern). 
Drei  spätmittelalterliche  Legenden  in  ihrer 
Wanderung  aus  Italien  dm-ch  die  Schweiz 
nach  Deutschland  17,  42—65.  143—160. 
249—264. 

£beling,  Georg  (Privatdozent  Dr.  in  Berlin). 
Rec.  Schwarzfeld  12,  375f. 

Ebermann,  Oskar  (Oberlehrer  Dr.  in  Haien- 
see bei  Berlin).  Segen  gegen  den  Schlucken 
13,  64—69.  —  Württembergisches  Soldaten- 
lied 13,  429.  —  Joli  Tambour  15,  99  f.  — 
Sitzungsprotokolle  13,  127  f.  256.  351  f.  14, 
126—128.  358-360.  15,  127  f.  242-244. 
364.  16,  127  f.  247  f.  366-368.  17,  127.  - 
Deutsche  Volkskunde  im  J.  1904  15,  442 
bis  448.  —  Rec.  Friedli  15,  359 f.  18,  334. 
L'Houet  17,  462  f. 

Englert,  Anton  (Reallehrer  a.  D.  in  München), 
Zu  dem  Beitrag  von  K.  Voretzsch  3,  337  f. 
—  Wiegenlieder  aus  dem  Spessart  4,  54 
bis  60.  88 f.  —  Zu  dem  Liede  'Die  Sonne 
steht  am  Himmel'  4,  90.  —  Der  Brand  der 
Stadt  Weiden  1536  in  der  Sage  4,  329  bis 
331.   —    Das    Lied  vom  Pater  Guardian  4, 


437—441.  —  Zu  Goethes  Schweizerlied  5, 
160— 1()7.  —  Zum  Volkslied,  Spruch  und 
Kinderreim  (i,  296—303.  —  Die  mensch- 
lichen Altersstufen  in  Wort  und  Bild  15, 
399-412.  16,  16—42. 

EnHng,  Karl  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Königs- 
berg).     Zu    Heinrich  Kaufringer  11,  4641". 

Eysn,  Marie  s.  Andree-Eysn. 

F. 

Feilberg,  Henning  Frederik  (Pastor  emer. 
Dr.  in  Askov  bei  Vejen,  Jütland).  Die 
Zahlen  im  dänischen  Brauch  und  Volks- 
glauben 4,  243—256.  374-387.  —  Das 
Kinderlied  vom  Herrn  von  Ninive  5,  1<>6. 
Zu  dem  Liede  vom  Pater  Guardian  5,  10(jf. 
Die  Sage  von  dem  Begräbnis  König  Erik 
Ejegods  von  Dänemark  auf  Cypern  5,  239 
bis  246.  —  Zwieselbäume  nebst  verwandtem 
Aberglauben  in  Skandinavien  7,  42 — 53.  — 
Der  Kobold  in  nordischer  Überlieferung  8, 
1—20. 130—146.  264—277.  —  Pater  Guardian 
8,  96f.  —  Zu  den  niedersächsischen  Zauber- 
puppen 10,  417—420.  —  Der  böse  Blick 
in  nordischer  Überlieferung  11,  304—330. 
420-430.  —  A.  Hazelius  f  12,  99—101.  — 
Stellvertreter  vornehmer  Zuchthäusler  16, 
195_197.  _  Rec.  Pineau  8,  103.  12,  240. 
16,  357  f.  Bilfinger  12,  368  f. 
Feist,    Sigmund    (Waisenhausdirektor  Dr.  in 

Berlin).  Rec.  Gebhardt  18,  335 f. 
Finck,  Franz  Nikolaus  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin,  f  1910).  Vier  neuirische  Zauber- 
sprüche 6,  88—92. 
Flaischlen,  Cäsar  (Schriftsteller  Dr.  in 
Berlin).  Zur  Volksdichtung:  Uhlands  'Der 
gute  Kamerad'  3,  79  —  85. 
Förster  (Oberstleutnant  a.  1).  in  München). 
Liedein  aus  dem  Wipptal  in  Tirol  7,  210. 
Franck,  Johannes  (Geh.  Reg. -Rat  Univ.- 
Professor  Dr.  in  Bonn).  Rec.  Kisch  16, 
352—354. 
Fränkel,  Ludwig  (Reallehrer  Dr.  in  München). 
Zum  Märcheumotiv  von  den  drei  tindigeu 
Brüdern  .".,  96.  —  Anfrage  4,  218.  —  Nord- 
thüringcr  Volkssagen  4,  ;527— 329.  —  Altes 
und  Neues  zur  Melusinensage  4,  387—392. 
—  Das  Volksschauspiel  zu  Englmar  4,  443 
bis  445.  —  Bräuche  portugiesischen  Volks- 
glaubens 5,  212  f.  —  Heutiger  Volksglauben 
5,  213.  —  Feen-  und  Nixenfang  nebst 
Polyphems  (bcrlistung  5,  264—274.  — 
Bräuche  von  der  l'irolor  Grenze :  die  Käth  5, 
453  —456.  —  Das  Sommortags-  oder  Stabaus- 
fest  in   der  Pfalz  9,  207  f.    —    Volkskund- 


464 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


liches  aus  J.  W.  Wolfs  Jugenderinnerungen 
9,  351—361.  —  Rec.  Spiller  4,  221—223. 
Schröder  5,  463.  Hertens  5,  467  f.  13, 
Ulf.    Renz  12,  120f.    Langer  13,  467. 

Fraenkel,  Siegmund  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Breslau,  f  1909).  Miscellen  (Wochentags- 
uainen  als  Personennamen;  das  Zeichen 
des  ausfahrenden  bösen  Geistes)  3,  87  f.  — 
Zum  Zauber  mit  Menschenbildern  13,  440f. 

Franko,  Iwan  (Dr.  phiJ.  in  Lemberg). 
Kirchenslawische  Apokrypha  von  den  72 
Namen  Gottes  14,  408-413. 

Friedel,  Ernst  (Geh.  Regierungs-  und  Stadt- 
rat in  Berlin).  Vom  Glückstopf  oder  Glücks- 
hafen 1,  446—449.  —  Der  Zwieselbaum  im 
Elisenhain  bei  Greifswald  2,  81  f.  —  An- 
fänge der  Webekunst  5,  134—147.  326  f.  — 
Rec.  V.  Benesch  16,  120—123. 

Frischauf,  Eugen  (Notar  Dr.  iur.  in  Wien). 
'Die  falsche  Braut'  in  Niederösterreich  3, 
451  f.  —  Schwerttanz  und  Wettlauf  4,  88.  — 
Ein  alter  niederösterreichischer  Hochzeit- 
brauch 4,  215  f. 

Fuchs,  Max  (Realschulprofessor  Dr.  in 
Friedenau).      Gaston  Paris  f  13,  227-229. 

e. 

Oaidoz,  Henri  (Professor  in  Paris).  Die  drei 
Alten  7,  327. 

Gebhardt,  August  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Erlangen).  Zum  Namen  höfdaletur  12, 
113  f. 

Crerbing,  Luise  (Frau,  in  Schnepfenthal- 
Rödichen  bei  Gotha).  Die  Thüringer  Volks- 
trachten 18,  412—425.  —  Eine  Volkskunst- 
ausstellung in  Dermbach  1!),  436—438. 

Gerhardt,  Marie  (Fräulein,  in  Joachimsthal, 
Mark).  Uckermärkische  Kinderreime  8, 
407-415.  9,  273-284.  389-395. 

Gittee,  August  (Lycealprofessor  a.  D.  in 
Verviers  f  1909).  Scherzhaft  gebildete  und 
angewendete  Eigennamen  im  Nieder- 
ländischen 3,  415—438.  —  Dienstrecht  und 
Dienstbotengewohnheiten  in  Flandern  5, 
298-302.  —  Rec.  De  Cock  1,  229. 

Godden,  Gertrude  M.  (Miss,  in  Ridgefield, 
Wimbledon,  England).  Grozdanka  und 
Daidalea3,88f.  —  Gefesselte  Götter  3,  89  f. 
—  Bekleidet^.  Götterbilder  5,  lOOf. 

Goldziher,  Ignaz  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Budapest).  Die  verweigerte  Kmebeugung 
7,  441-443. 

Greussing,  Paul  Rudolf  (Schriftsteller  in 
Telfs  im  Stubai,  Tirol).  Sagen  und  Ge- 
bräuche im  Stubaital  in  Tirol  3,  169—176. 


Die    alte    Jungfer,    Lebensbild    aus    dem 
Stubai   5,  171-174.    —    Der   Kirchtag   in 
Stubai  6,  83—87. 
Gunkel,  Hermann  (Univ.-Professor  D.  Dr.  in 
Giessen).    Rec.  Küchler  16,  244. 

H. 

Haase,  K.  Eduard  (Gyran. -Professor  a.  D.  in 
Neuruppin).  Sprichwörter  und  Redens- 
arten aus  der  Grafschaft  Ruppin  und 
Umgegend  2,  437—440.  —  Volksrätsel  aus 
der    Grafschaft     Ruppin     und     Umgegend 

3,  71 — 79.  5,  396 — 407.    —    Bastlösereime 

4,  74—76.  6,  99—101.  —  Volksrätsel  aus 
Thüi-ingen  5,  180—183.  —  Volksmedizin 
in  der  Grafschaft   Ruppin   und   Umgegend 

7,  53-74.   162—172.    287-292.    405—412. 

8,  56-62.  197—205.  304—309.  389-394. 
Häberlin,   Karl    (Arzt  Dr.  med.  in  Wyk  auf 

Föhr).  Trauertrachten  und  Trauerbräuche 
auf  der  Insel  Föhr  19,  261-281.  —  Rec. 
Portius  19,  469. 

Hahn,  Eduard  (Privatdozent  Dr.  in  Berlin). 
Übertragung  von  Krankheiten  auf  Bäume  19, 
174 f.  —  Rec.  Sahler  18,  120 f. 

Hahn,  Ida  (Fräulein,  in  Berlin).  Eierlesete 
im  schweizerischen  Rheintal  12,  210 
bis  214. 

Hammershaimb,  V.  U.  (emer.  Propst  in 
Kopenhagen,  f  1909).     Vgl.  Jiriczek. 

Hanauer,  G.  (Heidelberg).  Abzählreime  aus 
dem  Kurpfälzischen  5,  450f. 

Härder,  Ernst  (Dr.  phil.  in  Charlottenburg). 
Meschreb  der  weise  Narr  und  fromme 
Ketzer  13,  472-476. 

Hartmann,  Albert  (Lehramtskandidat  in 
München).  Weiteres  über  'Den  Tod  be- 
trügen' 19,  432 f.  —  Rec.  Randolph  18, 
343  f. 

Hartmann,  Felix  (Prof.  Dr.  am  Kadetten- 
hause in  Gross-Lichterfelde).  Rec.  Schrader 
15,  122  f.  Schrader  16,  468  f.  18,  338 
bis  340. 

Hartmann,  Martin  (Prof.  Dr.  am  Orien- 
talischen Seminar  in  Berlin).  Zum  Stein- 
kultus in  Syrien  1,  101  f.  —  Zahlen-  und 
Monatsnamen  als  Personennamen  2,  320  bis 
322.  —  Schwanke  und  Schnurren  im  isla- 
mischen Orient  5,  40—67.  —  Aus  dem 
Volkstum  der  Berber  6,  '265—276.  —  Blut 
ist  dicker  als  Wasser  6,  442 f.  —  Die  Frau 
im  Islam  11,  237—252.  —  Rec.  Büttner 
3,  236 f.  Stumme  6,  460  f.  Lidzbarski  7, 
105—107.  Euting  8,  236.  Harpf  16,  360 
bis  364. 


Fraenkel— Heusler. 


465 


Hartan?,  Oskar  (Gymn.-Professor  in  Dessau, 
t  1902).  Zur  Volkskunde  aus  Anhalt  6, 
•215-217.   429—438.    7,  74-93.    147-155. 

10,  85—90.    —    Bastlösereime    aus  Anhalt 

11,  (54-67. 

Haaffen,  Adolf  (üniv.-Professor  Dr.  in  Prag). 
Das     deutsche     Volkslied      in     Österreich- 
Ungarn    4,     1—33.      —     Aufführung    des  j 
Passionsspiels    in    Höritz    4,  211—213.    —  j 
Passionsspiele  in  Krain  4,  443.    —    Kleine  | 
Beiträge  zur  Sagengeschichte  10,  432-438. 
—  Die  Ausstellung   für   deutsch-böhmische 
Hausindustrie  und  Volkskunst  in  Bodenbach 
10,  450  f.    —    Nachtrag   zum   Traum   vom 
Schatz    auf   der  Brücke  11,  226  f.    —    Das 
deutsche    Spottlied    auf    die    Flucht    des 
Königs  Heinrich   von  Polen    1574   11,   286 
bis  289.  —  Geschichte  der  deutschen  Volks- 
kunde 20,    1-17.    129-141.   290-306.    — ! 
Rec.  Tille  4,  98  f. 

Haupt,  Hermann   (Geh.    Hofrat    Bibliotheks- 
direktor Prof.  Dr.  in  Giessen).   F.  A.  Reuss'  | 
Sammlungen    zur    fränkischen   Volkskunde  { 
5,  413-416.  : 

Haupt,  Richard  (Prov.-Konservator  Prof.  Dr.  j 
in  Preetz).  Eine  Zauberfigur  aus  Mecklen-  j 
bürg  12,  106  f.  I 

Hauser,  Christian  (Gjmn.-Professor  in  Inns- 
bruck). Rätsel  aus  Paznaun  7,  197 — 199.  — 
Sprüche  und  sprichwörtliche  Redensarten , 
aus  Paznaun  7,  199 — 202.  —  Der  heilige 
Abend  in  einem  Dorfe  Paznauns  7,  348 
bis  358. 

Heerwagen,  Heinrich  fDr.  in  Nürnberg). 
Totenbretter  im  oberfränkischen  Amte 
Forchheim  8,  346  f. 

HeiHg,  Otto  (Gymn.-Professor  in  Rastatt). 
Segen  aus  Handschuhsheim  5,  293—298.  — 
Zwei  Sagen  aus  dem  nördlichen  Breisgau 
7,  328.  —  Pfingst-  und  Johannisfeier  im 
nördlichen  Breisgau  7,  328 f.  —  Sagen  aus 
dem  Simonswäldertal,  Breisgau  8,  227  f.  — 
Scheibenschlagen  im  nördlichen  Breisgau 
9,  350.  —  Sage  über  die  St.  Barbarakirche 
in  Langensteinbach  13,  436.  —  Zur  Kennt- 
nis des  Hexenwesens  am  Kaiserstuhl,  aus 
Prozessakten  des  16.  bis  17.  Jahrh.  14,  416 
bis  418.  —  Badische  Volksbräuche  des 
17.  Jahrh.  17,  96 f.  —  Zum  Spiel  von  der 
goldenen  Brücke  19,  414—416.  —  Kar- 
freitagsglocken und  damit  Zusammen- 
hängendes 20,  398  f. 

Hein,    Wilhelm     (Kustos- Adjunkt    am    Hof- 
museum Dr.  in  Wien,  f  19(13).    Das  Huttier- 
laufen 9,  109  —  123.  —  Eiserne  Weihefiguren 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.    1910.    Heft  4. 


9,  324—328.  —  Mährische  Marterln  und 
rumänische  Erinnerungskreuze  9,  899—401. 

—  Die  Opfer-Bärmutter   als    Stachelkugel 

10,  420—42(3.  —  Rec.  Poramer-Fraungruber 
9,  340 f.  Kohl  10,  109  f.  Kiessling  10,  233  f. 
Unser  Egerland  10,  349  f. 

HeH,  Thomas  (Dr.  med.  in  Welsberg,  Tirol, 
t  1884).  Auf  einem  Bauernhofe  im  (jsiess- 
tal  in  Tirol  4,  77-80. 

HeUwig,  Albert  (Assessor  Dr.  in  Frie- 
denau  bei  Berlin).  Himmelsbriefe  in 
einem  modernen  Betrugsprozesse  16,  422 
bis  426. 

Hermann,  Eduard  (Oberlehrer  Dr.  in  Berge- 
dorfj.  Gebräuche  bei  Verlobung  und  Hoch- 
zeit im  Herzogtum  Koburg  14,  279 — 289. 
377 — 384.  —  Der  Siebensprung  15,  282  bis 
311.  17,  81 — 85.  —  Bedeutungsvolle  Zahlen 
im  litauischen  Volksliede  19,  107  —  110. 

Herrmann,  Anton  (Prof.  Dr.  in  Budapest). 
Zu  Glückshafen  und  Wettlauf  3,  459 f.  — 
Der  volkstümliche  Kalenderglaube  in  Ungarn 
4,  305-323.  392-407. 

Hertel,  Gustav  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Magdeburg,  f  1903).  Abergläubische  Ge- 
bräuche aus  dem  Mittelalter  11,  272 
bis  279. 

Hertel,  Johannes  (Oberlehrer  Dr.  in  Döbeln). 
Eine  alte  Paficatantra-Erzählung  bei  Ba- 
brius  16,  149  —  156.  —  Meghavijayas  Auszug 
aus  dem  Paficatantra  1(5,  249—278.  —  Die 
das   Meer    austrinkenden   Vögel   16,   426  f. 

—  Der  kluge  Vezier,  ein  kaschmirischer 
Volksroman  18,  66-76.  160-177.  379 
bis  393.  —  Zu  den  Erzählungen  von  der 
Muttermilch  und  der  schwimmenden  Lade 
19,  83-92.  128.  —  Zur  Fabel  von  den 
Hasen  und  den  Fröschen  19,  426 — 429. 

Uenft,  Hans  (Kassengehilfe  in  Oelde  i.  W.). 
Hausinschriften  aus  Detmold  17,  447  f.  — 
Volkslieder  aus  der  Eifel  18,  184-188.  — 
Westfälische  Hausinschriften  (1—100)  19, 
101—107.  20,  85-90. 

Heusler,  Andreas  (Univ. -Professor  Dr.  iu 
Berlin).  Die  altnordischen  Rätsel  11,  117 
bis  149.  —  Die  Geschichte  vom  Völsi,  eine 
altnordische  Bekehruugsanekdote  12,  25  bis 
39.  —  Rec.  Jiriczek  8,  101—103.  Steffen 
8,  349  f.  Bücher  9,  455 f.  Faraday  12,  238 
bis  240.  13,  251  f.  Heilig  13,  H2-117. 
Norvegia  13.  124  f.  Bang  14,  252.  Hymmcn 
14,  253.  Thalbitzer  15,  235 f.  Crome  17, 
11:5-115.  Bjerge  17,  241  f.  Bonus  17,465. 
19,  116.  Ohrt  18,  345f.  Olrik  19,  335f. 
Grönbech  20,  226 f. 

30 


466 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


Hoflfmaun-Krayer,  Eduard  (Uuiv.-Professor 
Dr.  in  Basel).  Blaue  Kleidung  der  Hexen 
7,  327.  —  Geheimsjirachen  8,  458.  —  Hexen- 
salbe 10,  102.  —  F.  S.  Krauss  über  die 
Schweizerische  Gesellschaft  für  Volkskunde 

10,  450.  —  Abricias  13,  102. 
Holfmann,     Johannes     (Oberlehrer    Dr.    in 

Berlin).  Eec.  Zache  IG,  351  f. 
Uöfler,  Max  (Hofrat  Dr.  med.  et  phil.  in 
Tölz).  Die  Kalenderheiligen  als  Krankheits- 
patrone beim  bayerischen  Volk  1,  292  bis 
;506.  —  Der  Geruch  vom  Standpunkte  der 
Volkskunde  3,  438—448.  —  Die  Jungfer  im 
Bade  5,  101—103.  —  Der  Wechselbalg, 
Beitrag  aus  der  Volksmedizin  H,  52—57.  — 
Die  Quelle  von  Nonza   auf  Korsika  8,   91. 

—  Gebildbrote  und  Gebäckformen  9,  444  f, 

—  Salz-  oder  Bergweihe  10,  93.  —  Er- 
innerungstafel an  eine  Sennerin  10,  93 f.  — 
St.  Notburga  auf  Ziegelplatten  10,  219  bis 
221  —  Der  Klausenbaum  10,  319-324.  — 
Was  das  Schatzkästlein  einer  oberbayrischen 
Bäurin  enthält  10,  448  f.  —  Die  Opfer-Bär- 
mutter als  Stachelkugel  11,  82.  —  Sankt 
Michaelsbrot  11,  193—201.  -  St.  Hubertus-  ; 
Schlüssel  11,  207—210.  —  Kröte  als  Ge-  j 
bäckmodel  11,  340f.  —  Die  Hedwig-Sohlen  [ 

11,  4.55  —  458.    —    St.    Nikolaus-Gebäck   in  ^ 
Deutschland  12,  80-89.  198-203.  —  Das  | 
Ungenannt  12,  225  f.    —    Knaufgebäcke  12,  ] 
430-442.  —  Schneckengebäcke  13,  391  bis 
398.   —    Zwei   Votivbleche    aus    Korfu  13, 
441  f.  —  Die  Gebäcke    des  Dreikönigstages 
14,  257—278.  —  Das  Faiminger  St.  Blasien- 
brot   14,    431  f.     —    Lichtmessgebäcke    15, 
312 — 321.    —    Das  Hausbauopfer    im  Isar-  | 
Winkel  16,  165—167.   —    Der  Krapfen    17, 
65—76.  —  Ein  Johannisbaum  in  den  Pyre- 
näen 17,  94f.  —  Zum  St.  Coronagebet  17, 
95 f.  —  Zum  Sagenschatze  des  Isarwinkels 

18,  182-184.  —  Angebliche  Urahnen 
unsrer  Festgebäcke  19,  173 f.  —  Unter- 
haltung mit  Toten  19,  202.  —  Rec.  Herr- 
mann 3,  345  f.     Jühling    10,  458  f.     Mader 

19,  242. 
Uöni?,   Berthold    (Prof.  Dr.    in    Prag).    Ein 

Sommer-  und  Winterspiel  aus  Schlesien  3, 

226-228. 
Hoops,     Johannes     (Univ.-Professor    Dr.     in 

Heidelberg).    Zur  Etymologie  der  Hillebille 

5,  328  f. 

I. 
Ilg,    Bertha  (Fräulein  in  La  Valette,  Malta). 

Maltesische    Legenden   und   Schwanke    19, 

3(),s-312. 


nie,  Eduard  (Professor,  Maler  in  München, 
tl900).  Tiroler  Trachten  nach  Beob- 
achtungen aus  den  Jahren  1852—53  8,  94 
bis  96.  —  Büschelzuig  aus  Tirol,  gesammelt 
1847—56  8,  323-330. 

Ilwof,  Franz  (Reg. -Rat  Dr.  iu  Graz).  Allerlei 
Inschriften  aus  den  Alpenländern,  gesammelt 
und  mitgeteilt  3,  278—285.  —  Haus-  und 
Hofmarken  4,  279—282,  —  Abzählreime  aus 
Steiermark  6,  101  f.  —  Jägermesse  7,  101. 
—  Das  Lösen  des  Zuugenbandes  7,  101.  — 
Hexenwesen  und  Aberglaube  in  Steiermark 
7,  184-196.  244-254.  —  Volkstümliches 
aus  Jonathan  Swift  11,  463  f. 

Ivauoff,  S.  (Gutsbesitzer  in  Hasan-Tersie  bei 
Razgrad,  Bulgarien).  Die  Sitten  der  Türken 
in  Bulgarien  4,  202—208.  269-279. 

J. 

Jahn,  Ulrich  (Gymnasialoberlehrer  Dr.in  Berlin, 
t  1900:  s.  10,  216).    Jamund  bei  Cöslin  1,  77 
bis  100.  335  —  348. —  Segen  aus  Preussisch- 
Litauen  11,  84.  —  Sagen  vom  Rübezahl  11, 
336  f.    —     Sitzungsprotokolle    1,  230—233. 
347-352.  458—460.  —  Rec.  Krauss  1,  227. 
Ullrich  1,  227  f.     Handtmann  2,  89  f. 
Jaköbiec,    Jan     (in   Wien).      Nachtrag    zu 
Napoleons -Gebeten    und    Spottliedern   10, 
449  f. 
Jarnik,    Johann    Urban  (Univ.-Professor  Dr. 
in  Prag).     Rec.  Weigand  5,  331  f.    Säinean 
5^  459-462.     Weigand  6,  457 f. 
Jaworskij,    Juljan    (Gymn.- Lehrer    Dr.    in 
Kiew).    Sanct  Stölprian,  russische  Parallelen 
zum  69.  Fastnachtspiele  des  Hans  Sachs  8, 
I      217—222.  —  Südrussische  Vampyre  8,  331 
I     bis  336. 
'  JelHnek,   Arthur  L.    (Schriftsteller  in  Wien, 

1 1907).    Zur  Vampyrsage  14,  322—327. 
;  Jenseu,     Christian    (Lehrer    in    Schleswig). 
Zwergsagen     aus     Nordfriesland    2,      407 
!      ßis  418. 

Jiriczek,  Otto  Luitpold  (Univ.-Professor  Dr. 
1  in  Würzburg).  F;eröische  Märchen  und 
Sagen  2,  1—24.  142-165.  —  Bilder  aus 
dem  fteröischen  Volksleben  (nach  Hammers- 
haimb)  3,155—169.  285-293.  —  Hamlet  iu 
Iran  10,  353—364.  —  Rec.  Golther  6,  218 
bis  223.  Bugge  9,  452-455. 
John,  Alois  (Schriftsteller  in  Eger).  Zur 
Volkskunde  des  Egerlandes  2,  313—320.  — 
Alte  Sitten  und  Bräuche  im  Egerland  7, 
303—306.  392-396.  —  Das  Fahnenschwingen 
der  Fleischer  in  Eger  17,  201—203.  — 
Rec.  Hruschka-Toischer   1,    155 f.    v.  Wlis- 


HofiFmann-Krayer — Kopp. 


46( 


locki   3,  465  f.    Hauffen    7,  107  f.      Wuttke 

10,  103  f. 
Jönsson,     Brynjulfr    (Schriftsteller   und  Ar- 

chäolog    in    Miuni-Nupar,    Island).      Über 

HöfiTaletur  9,  181—189. 
Jungwirth,  Ernst  (Stud.  phil,  in  Innsbruck). 

Volksrätsel  aus    Ostermiethiug    im   oberen 

Innviertel  20,  83—85. 

K. 

Eahle,  Bernhard  (Univ.-Professor  Ur.-  in 
Heidelberg).  Krankheitsbeschwörungen  des 
Nordens  ö,  194—199.  —  Aus  schwedischem 
Volksglauben  10,  194—202.  —  Der  Ort  der 
Hochzeit  auf  Island  zur  Sagazeit  11, 40— 48. 
—  Von  de  la  Martinieres  Eeise  nach  dem 
Norden  11,  431—443.  —  Über  Steinhaufen, 
insbesondere  auf  Island  12,  89—96.  203 
bis  210.  319—325.  —  Noch  einiges  vom 
bösen  Blick  13,  213—216.  —  Zu  den  uieder- 
sächsischen  Zauberpuppen  13,  298—300.  — 
Das  Verpflöcken  von  Krankheiten  13,  438 
bis  440.  —  Volkskundliche  Nachträge  (1 
bis  13)  15,  347—350.  16,  311—320.  414  bis 
418.  —  Ein  russischer  Hochzeitsbrauch  15, 
438  f.  —  Eec.  Steinmetz  18,  113—115. 
Kaindl  18,  115-117.    Heilig  18,  222f. 

Eaiudl,  Raimund  Friedrich  (Univ.-Professor 
Dr.  in  Czernowitz).  Lieder,  Neckreime, 
Abzählverse,  Spiele,  Geheimsprachen  und 
allerlei  Kunterbunt  aus  der  Kinderwelt,  in 
der  Bukowina  und  Galizien  gesammelt  7, 
136—147.  296—302.  422-427.  8,  67-73. 
182—188.  314—322.  —  Eutheuische  Märchen 
und  Mythen  aus  der  Bukowina  9,  401—419. 
Napoleons-Gebete  und  Spottlieder  10,  280 
bis  284.  —  Euthenische  Hochzeitsgebräuche 
in  der  Bukowina  11,  158-169.  280-286.  — 
Sprichwörter  und  Redensarten,  in  der  Bu- 
kowina und  in  Galizien  gesammelt  12,  443 
bis  448.  13,  75—81. —  Deutsche  Lieder  aus 
Rosch,  Bukowina  15,  260—274.  —  Fried- 
hofsreime aus  Hallstatt  16,  190—193.  — 
Beiträge  zur  Volkskunde  des  Ostkarpathen- 
gebietes  (1-6)  17,315-321.  18,  92-98.— 
Rec.  Schurtz;  Günther  14,  466—469. 

Kauffmaun,  Friedrich  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Kiel).  Der  Matronenkultus  in  Germanien 
2,  24-46. 

Kelemina,  Jakob  (Dr.  phil.  in  Wien).  Hand- 
werksburscheugeographie,  ein  uiederüster- 
reichisches  Lied  des  18.  Jahrh.  18,296  —  300. 

Kirchuer,  Victor  (Pastor  Lic.  Dr.  in  Bens- 
hausen, Thüringen).  Ein  christlicher  War- 
nungsbrief 20,  61 — 66. 


Kleckmayer,  Alois  (Fachlehrer  in  Stockerau 
bei  Wien).  Rekrutenlieder  aus  Nieder- 
österreich 13,  311—316. 

Klemm,  Kurt  {Dr.  phil.  in  Gross-Lichterfelde). 
Sunäbai  Dschai,  ein  Aschenbrödelmärchen 
5,  390-396.  —  Tod  und  Bestattung  des 
armen  Sperlingsweibchens,  ein  Märchen  aus 
dem  Panjab  7,  155—159.  —  Über  doppelte 
deutsche  Vornamen  7,  370—375. 

Knaack,  Georg  (Oberlehrer  Dr.  in  Stettin, 
t  1905).  Eine  antike  Parallele  zu  einem 
rügenschen  Märchen  14,  118  f. 

Enoop,  Otto  (Gymn.-Professor  in  Rogasen). 
Schmied  Eisenhart  8,  225.  —  Sagen  aus 
Kujawien  (1-8)  15,  102-105.  16,  96— KXJ. 

Eobligk,  Anna  (Fräulein,  in  Herzberg  am 
Harz).  Traumdeutungen  aus  Hessen:  Be- 
obachtung der  Zugvögel  18,  312. 

Kohl,  Franz  Friedrich  (Custos  am  Hof- 
museum in  Wien).  Zwei  Tiroler  Volks- 
lieder 10,  94-96. 

Köhler,  Carl  (Lehrer  in  Mülheim  a.  d.  Ruhr). 
Lied  auf  die  Besetzung  Saarbrückens  und 
auf  die  Schlacht  bei  Spichem  1870  8,  223 
bis  225. 

Köhler,  .Joseph  (Lehrer  in  Mühlessen  bei 
Eger).  Von  dem  Hochzeitbitter  im  Eger- 
lande  10,  443  f.  —  Das  Hutzahaus  imEger- 
land  11,  223  f.  —  Egerländer  Volksglaube 
12,  463  f. 

Köhler,  Reinhold  (Oberbibliothekar  Dr.  in 
Weimar,  f  1892.  2,  418).  Ein  anscheinend 
deutsches  Märchen  von  der  Nachtigall  und 
der  Blindschleiche  und  sein  französisches 
Original  1,  .53 — 56.  —  Zu  den  von  Laura 
Gonzenbach  gesammelten  siciUanischen 
Märchen  G,  .')8-78.  161  —  175. 

Kollmanu,  Paul  (Geh.  Ober-Reg.-Rat  Dr.  in 
Dresden).  Der  Umfang  des  friesischen 
Sprachgebietes  im  Grossherzogtum  Olden- 
burg 1,  377—403. 

Königsberger,  ß.  (Rabbiner  Dr.  inPasewalk). 
Aus  dem  Reiche  der  altjüdischen  Fabel  6, 
140-161. 

Kopp,  Arthur  (Oberbildiothekar  Prof.  Dr.  in 
Marburg).  Alter  Kernsprüchlein  und  Volks- 
reime für  liebende  Herzen  ein  Dutzend  12. 
38 — 58.  —  Zu  den  Testamentsliedern  i:'>, 
429 f.  —  Das  Fuchsrittlied  und  seine  Ver- 
zweigungen 14,  61 — 71  —  Die  Grabschrift 
vom  schiefbeinigen  Bock  in  Lübeck  16, 431  f. 
-  Rec.  Bücher  12,  372f.  Bender  13,  462 
bis  466.  Ernst  14,  123-125.  Marriage  14. 
847—358.  Reling-Bohnhorst:  Sohns  16, 
354—356. 

30* 


468 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1 — 20. 


Eosch,  Marie  (Frau,  Ebreichsdorf  in  Nieder- 
österreich). Die  adelichen  Bauern  von 
Turopol  6,  199—204. 

Kossinna,  Gustav  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin).  Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung 
der  Germanen  in  Deutschland  6,  1—14.  — 
Folklore  6,  188-192.  —  Rec.  Stolz  3,  98 
bis  100.    Loewe  6,  449-451. 

Krammer,  Mario  (Dr.  phil.  in  Berlin). 
Rec.  Eccardus  18,  332 f. 

Kranss,  Friedrich  S.  (Dr.  phil.  in  Wien).  Der 
Tod  in  Sitte,  Brauch  und  Glauben  der  Süd- 
slawen 1,  148-163.  2,  177—189.  —  An- 
merkungen zu  Zs.  II.  2,  444— 44G.  —  Die 
Fußspur  4,  216  f.  —  Ein  montenegrinisches 
Tagelied  5,  210—212.  —  Rec.  Fränkel4,  97. 
Radic  5,  220f. 

Krejöi,  Johann  (Privatdozent  und  Gymn.- 
Professor  Dr.  in  Prag).  Zu  den  deutschen, 
böhmischen  und  mährischen  Volksliedern 
1,  414-421. 

Kretschuier,  Paul  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Wien).    Albert  Kretschmer  f  1,  450f. 

Krüger,  Karl  (Gymn.-Professor  a.  D.  in 
Bromberg).  Pferdeköpfe  als  Giebelschmuck 
7,  104.  —  Wie  man  giftige  Schlangen  an- 
fasst  9,  211  f.  -  Die  Ballade  vom  Ritter 
Ewald  15,  335-837. 

Kück,  Eduard  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Frie- 
denau).  Die  Bauernhochzeiten  in  der  Lüne- 
burger Heide  7,31-42. 

Kuhn,  Ernst  (Geh.  Rat  Univ.-Professor  Dr.  in 
München).  Ein  Brief  W.  Mannhardts  an 
Ernst  Kuhn  10,  214-216.  —  Rec.  Pischel 
5,  218  f. 

Kunze,  Friedrich  (Lehrer  in  Suhl).  Der  Ge- 
brauch des  Kerbholzes  auf  dem  Thüringer 
Walde  2,  50—56.  —  Volkskundliches  vom 
Thüringer  Walde,  aus  der  Wiedersbacher 
Chronik  des  Pfarrers  Möbius  6,  14—24. 
175-183. 

li. 

Landau,  A.  (Dr.  in  Wien).  Holekreisch  9, 
72 — 77, 

Lange,  Rudolf  (Geh.  Reg. -Rat  Prof.  am 
Orientalischen  Seminar  Dr.  in  Berlin).  Bitten 
um  Regen  in  Japan  3,  334 — 336.  —  Rec. 
Ehmann  8,  234  f.    Itchikawa  20,  341  f. 

Laski,  Alice  (Fräulein,  Hamburg).  Rammer- 
lied 7,  437. 

Laue,  Max  (Oberbibliothekar  Dr.  in  Berlin). 
Literatur  des  Jahres  1890  1,  352—368.  4(51 
bis  477.  —  Literatur  des  Jahres  1891  2,98 
bis  116.  216—244.  331-366.  450—467. 


Lauffer,  Otto  (Museumsdirektor  Prof.  Dr.  in 
Hamburg).  Neue  Forschungen  über  Hausbau 
und  Tracht  in  Deutschland  12,  360-368. 
13,  330-340.  14,  226-244.  15,  107—122, 
182-204.  16,100-116.  223-235.329-351. 
18,  104—113.  196-203.  237.   20,  100-107. 

—  Rec.  V.  Amira  13,  117. 

Lehmann,  Karl  (Univ.-Professor  Dr.  in  Rostock). 
Zum  Bahrgericht  6,  208 f.  —  Rec.  Chri- 
stensen  10,  2341". 

Lehmann-Filhes,  Margarete  (Fräulein,  in 
Berlin).  Einige  Beispiele  von  Hexen-  und 
Aberglauben  aus  Thüringen  5,  93—98.  — 
Kulturgeschichtliches  aus  Island  6,  235  bis 
251.  373—395.  438  f.  —  Volkskundliches  aus 
Island  8,  154—162.  285—291.  —  Ein  eigen- 
tümlicher Keller  8,  342 f.  —  Isländischer 
Aberglaube  8,  448—452. —  Über  Brettchen- 
weberei 9,  24—33.  —  Über  Höfdaletur 
(Brynjulfr  Jonsson)  9,  181—189.  —  Islän- 
dische Zauberzeichen  und  Zauberbücher 
(Olafur  Davidsson)  13,  150—167.  267—279. 

—  Olafur  Davidsson  f  14, 119  f.  —  Ein  islän- 
disches Pfarrhaus  vor  hundert  Jahren  18, 
429 — 431.  —  Die  letzten  Isländer  in  Grön- 
land 19,  170—173.  —  Isländische  Be- 
zeichnungen für  die  Himmelsgegenden  19, 
207.  —  Vielseitige  Verwendung  der  Schaf- 
knochen in  Island  19,  433—435.  —  Rec. 
Thoroddsen  8,  353 — 355.  Gudmundsson  1."), 
122  f.  Gudmundsson  15,  126.  Herrmann 
18,  219—221. 

Lehmann-Nitsche,  Robert  (Museumsdirektor 
Dr.  in  La  Plata).  Märchen  der  argentini- 
schen Indianer  16,  156-164. 

Lemke,  Elisabeth  (Fräulein,  in  Berlin).  Ur- 
altes Kinderspielzeug  5,  183 — 187.  — 
Citronen  auf  den  Altar  gelegt  10, 336.  — 
A.  Treichel  f  11,  465  f.  -  Die  Eibe  in  der 
Volkskunde  12,  25—38.  187-198.  —  Ad- 
ventsmütterchen und  Adventsweiblein  12, 
335-337.  —  J.  Preuschoff  13,  102f.  — 
Zwei  fürstliche  Tegtamentslieder    13,    316 f. 

—  Das  Gnocchifest  in  Verona  14,  320—322. 

—  Märchen  aus  Ostpreussen  15,  344 f.  — 
Das  Fangsteinchenspiel  16,  46  —  66.  17,  85 
bis  88.  —  Drei  russische  Wurfspiele  mit 
Knöcheln  17,  89-91.  —  Berichtigung  19, 
248.  —  Rec.  Zweck  13,  255.  Hildebrandt 
15,  236f.  Passarge  16,471.  DieKarpathen 
18,  225. 

Lewalter,  Johann  (Musiklehrer  in  Kassel). 
Drum,  Brüder,  stosst  die  Gläser  an:  Es 
lebe  der  Reservemann  I  20,  207  —  209. 

Lewy,  Heinrich  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Mül- 


Kosch — ^reitzen. 


469 


hausen  i.  E.)  Morgenländischer  Aberglaube 
in  der  römischen  Kaiserzeit  3,  23—40.  ISO 
bis  143.  '238.  —  Das  Vogelnest  im  Aber- 
glauben 11,  462  f.  —  Zu  den  ABC-Kuchen 
15,  181  f. 

T.  (1.  Leyen,  Friedrich  (Univ.-Professor  Dr. 
in  München).    Eec.  Meyer  20,  428-431. 

Lohineyer,  Edward  L.  VV.  (Direktor  der  Lan- 
desbibliothek, Dr.  in  Kassel).  Wirtschafts- 
verse 6,  446.  —  Zum  Siebensprunge  17,447. 

Lohmeyer,  Karl  (Privatgelehrter  in  Saar- 
brücken). Der  Traum  vom  Schatz  auf  der 
Coblenzer  Brücke  19,286-289.  —  DerPfingst- 
quak  in  der  Saargegend  20,  399—401. 

Lobre,  Heinrich  (Oberlehrer  Dr.  in  Berlin). 
Rec.  Günter:  Lucius  17,  236 f.  Keller  17, 
463f.  Boer  19,  113—115.  333—335.  Holz 
19,  355.  V.  Kralik  19,  356.  Golther  20, 
112f.  Consentius  20,  114.  Hofstaetter  20, 
115.     Saintyves  20,  2281'. 

Loose,  F.  (Pastor  in  Grossraühlingen,  Kr. 
ßernburg).  Die  Eiserkuchen  der  Zerbster 
Gegend  11,  75—78. 

Lovariui,  Emilio  (Lyceal-Professor  Dr.  in 
Bologna).  Die  Frauenwettrennen  in  Padua 
2,  56—67. 

Loeyre,  Richard  (Dr.  phil.  in  Hamburg).  Die 
Ausnahraslosigkeit  sämtlicher  Sprachneue- 
rungen 1,  55 — 66.  —  Rübezahls  Wagen- 
spuren 15,  176—179.  —  Rübezahl  im  heu- 
tigen Volksglauben  18,  1—24.  151—160.— 
Rec.  V.  Negelein  14,  121  f. 

T.  Löwis  of  Menar,  August  (Cand.  phil.  in 
Berlin).  Eine  Umformung  der  Gregorius- 
legende  im  Kaukasus  20,  4")  — 56. 

Lübeck,  H.  L.  (Gymn. -Lehrer  in  Gabrovo. 
Bulgarien).  Die  Krankheitsdämonen  der 
Baikauvölker  8,  241-249.  379-389.  9,58 
bis  68.  194-204.  295-304. 

Lucas,  Hans  (Oberlehrer  Dr.  in  Charlotten- 
burg). Rec.  Reitzenstein  17,  122—126. 
Friedländer  19,  120  f. 

Lnkas,  Franz  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Wien). 
Das  Ei  als  kosmogonische  Vorstellung  4, 
227—243. 

JH. 

Mackel,  Emil  (Schulrat  Prof.  Dr.  in  Stettin). 
Rec.  Gössgen  14,  455 f.  Jäschke  19,  341 
bis  343.  V.  ünwerth  19,  343—345.  Gerbet 
ili,  340-347. 

ManacorUa,  Guido  (Bibliothekar  Dr.  in  Ca- 
tauia).  Zu  dem  volkstümlichen  Motiv  von 
den  weiblichen  Schönheiten   18,  436—441. 

Mau  gier,  Lina  (Stud.  phil.  in  München).    Zwei 


geistliche  Lieder  aus  dem  Odenwalde  20, 
401—403. 

Mankoivski,  Herrmann  (Schriftsteller  in  Dan- 
zig).  Das  polnische  Herodesspiel  in  West- 
preussen  19,  204—206.  —  Eine  unterge- 
gangene Frauentraclit  des  Ermlandes  19, 
438 f.  —  Die  Adventskurrende  und  die 
Jutrznia  in  Masuren  20,  326  f. 

Mannhardt,  Wilhelm  (Stadtbibliothekar  Dr. 
in  Danzig,  f  1880).  Vier  Briefe  an 
W.  Schwartz  10,  27—36.  —  Ein  Brief  an 
Ernst  Kuhn  10,  214-216. 

Marelle,  Charles  (Professor  in  Berlin,  f  1903). 
Rec.  Thuriet  2,  212.  3,  234.  Beauquier  5, 
113.  Maury  6,  459.  Trebury  6, 459.  Beau- 
quier 7,  215. 

Marriage,  M.  Elizabeth  (jetzt  Frau  Mineoff 
in  Sofia).    Bons  dies,  Bock  12,  219-221. 

Mason,  Otis  T.  (Univ.-Lecturer  in  Washing- 
ton). Zu  den  Anfängen  der  Webekunst  5, 
325  f. 

T.  Maurer,  Konrad  (Geheimrat  üniv.-Pro- 
fessor  Dr.  in  München,  f  1902).  Zur  Volks- 
kunde Islands  1,  36—53.  —  Das  Schnee- 
schuhlaufen in  Norwegen  2,  301 — 313.  — 
Zum  Aberglauben  auf  Island  3,  225.  —  Die 
HöUe  auf  Island  4,  256—269.    S,  452-454. 

—  Zahlbezeichnungen  und  Rechtsleben  4, 
442.  —  Zur  Volkskunde  Islands  5,  98—100. 

—  Die  Königslösung  6,  92—94.  —  Die  be- 
stimmten Familien  zugeschriebene  besondere 
Heilkraft  6,  443 f.  7, 100.  —  Zum  Wettkampf 
des  Zauberers  mit  seinem  Lehrling  6,  444. 

—  Zur  Namengebung  7,  318 — 320.  —  Das 
Eibenkreuz  8,  454 f.  —  Rec.  Nyrop  1,  109 
bis  112.  F.  Jonsson,  V.  Gudmundsson, 
B.  Meisted  3,  1(X)-107.    Davidsson  6,  453. 

Mayer,  Joseph  (Buchhändler  in  Lutzerath, 
Rheinland).  Kinderspiele  aus  der  Eifel  19, 
416  f. 

T.  Medem,  J.  (Frau  Baronin,  in  Florenz). 
Ostpreussische  Volksgebräuche  7,315  —  318. 

3Iehriag,  Gebhard  (Ai-chivrat  Dr.  in  Stutt- 
gart). Das  Vaterunser  als  politisches 
Kampfmittel  19,  129-142. 

Meier,  John  (Univ.-Professor  Dr.  in  Basel). 
Zu  den  beiden  Volksliedern  aus  dem  Gei- 
seltal 12,  221—224. 

Meiuhold,  Eberhard  (Hauptmann  a.  D.  in 
Dresden-TrachauX  Eine  pommersche  Hoch- 
zeit in  Rio  Grande  do  Sul  13,  192— 2».)2. 

Meitzen,  August  (Geheimrat  Univ.-Professor 
Dr.  in  Berlin,  f  1910:  vgl.  20.  235).  Land 
und  Leute  der  Saalegegenden  1,  129 — 13S. 

—  Rec.  Kotier  2,  90 f. ^ 


470 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


Mencik,  Ferdinand  (Reg.-Rat,  Kustos  an  der 
Hofbibliothek  in  Wien).  Ein  erprobter 
Feuersegen  8,  345. 

Meugbin,  Oswald  (Dr,  phil.  in  Wien).  Ein 
Weihnachtszeltenspiel  aus  Tirol  20,  387 
bis  394. 

Meughiui,  Mario  (Univ.-Sekretär  in  Rom). 
Kritische  Übersicht  über  die  italienische 
Volksliteratur  während  des  Jahres  1890  1, 
403-413. 

Meyer,  Elard  Hugo  (üniv.-Professor  Dr.  in 
Freiburg  i.  B.,  f  1908;  s.  18,  234).  Indo- 
germanische Pflügebräuche  14,  1—18.  129 
bis  löl. 

Meyer,  Richard  M.  (Univ.-Proiessor  Dr.  in 
Berlin).  Neue  Zeugnisse  von  altgerma- 
nischen  Sitten  7,  341—348.  —  Eine  Ge- 
samtdarstellung des  deutschen  Volkstums 
9,  18—24.  —  Goethe  und  die  deutsche 
Volkskunde  10,  1— IG.  —  Ein  Volkslied  im 
Kindermunde  10,  325  f.  —  Moritz  Lazarus  f 
13,  820-324.  —  Rec.  Macdonald  3,  340  f. 
Schläger  5,  225.  Mason  5,  458 f.  Bremer; 
Wenker-Wrede  G,  226 f.  Grosse  6,  448. 
Bower  7,  334f.  E.  H.Meyer  8,  98 f.  Bruch- 
mann 8,  349.  Herrmann  9,  99  f.  Wigand 
9,  460f.  Herrmann  11,  97 f.  Lang;  Atkin- 
son  13,  45Gf.  Reclus  14,  120f.  Bader  14, 
253.  Hei-tz  15,  459.  Delehaye  IG,  123  f. 
Dulaure  16,  235  f.  Dieterich  16,  236. 
E.  Meyer  18,  226  f.  19,  328-330.     Schmidt 

18,  227  f.  Leithäuser  18,  33G.  Stucken  18, 
337.  Troels-Lund  18,  465.  Arrhenius  18, 
465.      Riegler  19,  117  f.    353.      v.  Gennep 

19,  463  f.      Pfleiderer  20,  116.      y.  Gennep 

20,  116f.   Reinach  20,  431  f.   Eisler  20,  441  f. 
])[ichel,  Hermann  (Dr.  phil.  in  Berlin).    Rec. 

Deren  13,  468  f.  Meumann  14,  122  f.  Gün- 
ther 14,  456 f.  E.  Schmidt  15,  360—362. 
Euling  16,  236-238.  Erler  16,  359  f. 
Kluge  17,  234f.  Klemm  17, 235 f.  Abeling 
18,  117f.  20,  336-338.  Wiener  18,  118. 
Consentius  18,  340  f.  Böckenhoff  18,  470 f. 
Pieper  18,  472  f.  Scbiepek  19,  239  f. 
v.  Gennep  19,  241.  Haendcke;  Kassner: 
Pohle  19,  354-357.  Hahn  19,  469.  Wein- 
stein 19,  471.  Kleinpaul  20,  117.  Mayer 
20,  121  f.  Pestalozzi  20,  123.  Weise  20, 
124.  Stockmayer;  Thümrael  20,  :'.49f. 
3Iielke,  Robert  (Schriftsteller  in  Wilmersdorf). 
Zur  Giebelentwickelung  des  sächsischen 
Bauernhauses  2, 134  — 142.  —  Volkstümliche 
Kirchendarstellungen  :'),  225f.  —  Verschwin- 
dende Erntegebräuche  10,  272—280.  —  Ein 
Brauch   in    der  Krossener  Gegend  11,  87  f. 


—  Weiteres  zu  den  Zauberpuppen  11,  217  f. 

—  Volksaltertümer  aus  dem  Schwarzwalde 
12,  108  f.    —    Karridela    in    Treuenbrietzen 

12,  470f.  —    Klappergeräte  in  Südrussland 

13,  437.  —  Alte  Bauübeilieferungen  (1—4) 

14,  151-168.  16,  66- 76.  —  Rec.  Zell  9, 
344f.  Hager  11, 468 f.  Lehmann-Filhes  13, 
121  f.    John  19,  119. 

Minden,  Georg  (Direktor  des  Pfandbriefamts 
Dr.  in  Berlin).  Die  Thorah -Wimpel  oder 
Mappe,  ein  Beitrag  zur  jüdischen  Volkskunde 
3,  205 — 208.  —  Das  Vernageln  der  Zahn- 
schmerzen 10,  449.  —  Sitzungsprotokolle  G, 
233  f.  7,  338-340.  8,4G7f.  10,352.  14,  235  f. 

15,  127 f.  17,  127 f.  —  Rec.  Mitt.  f.  jüd. 
Volkskunde  8,  lOOf.  9,  341  f. 

Mitzsclike,  Paul  (Dr.  pliil.  in  Weimar). 
Sagen  von  Tautenburg  17,  98— KM).  — 
Kinderreim  und  Aberglauben  aus  Weimar 
und  Ettersburg  17,  448  f. 

Mogk,  Eugen  (Üniv.-Professor  Dr.  in  Leipzig). 
Rec.  Olrik  5,  112.     Olrik  14,  250-252. 

MüUenhoflf,  Karl  (Realschuldirektor  Prof. 
Dr.  in  Berlin).  Zur  Geschichte  der  Bienen- 
zucht in  Deutschland  10,  16—26. 

MüllenLoff,  Karl  (Univ. -Professor  Dr.  in 
Berlin,  f  1884).  Zwei  Briefe  an  W.  Schwartz 
10,  36  f. 

Müller,  ('Urt  (Oberlehrer  Dr.  in  Leipzig). 
Kinderreime  aus  I^eipzig  und  Umgegend 
5, 199 — 204.  —  Der  Schlag  mit  der  Lebens- 
rute 10,  332 f.  —  Parodistische  Volksreime 
aus  der  Oberlausitz  15,  274  —  282.  —  Predigt- 
parodien und  andre  Scherzreden  aus  der 
Oberlausitz  19,  175  —  181.  —  Rec.  Tetzner 
12,  243  f. 

Müller,  Gustav  Ad.  (Dr.  phil.  in  München). 
Zur  Sage  von  den  drei  Jungfrauen  3,  93 
bis  96. 

Müller,  Matthäus  (Diakonus  in  Spremberg, 
t  1878).  Über  das  wendische  Sprachgebiet 
3,  460-462. 

Marko,  Matthias  (Üniv.-Professor  Dr.  iu 
Graz).  Die  Volksepik  der  bosnischen  Mo- 
hammedaner 19,  13—30. 

K. 

T.  Negelein,  Julius  (Privatdozent  Dr.  in 
Königsberg).  Die  Reise  der  Seele  ins 
Jenseits  11,  16-28.  149-158.  263—271.  — 
Das  Pferd  im  Seelenglauben  und  Totenkult 
I  11,  406-420.  12.  14-25.  377-390.  —  Der 
!  Tod  als  Jäger  und  sein  Hund  13,  257  bis 
267.  368-376.  —  Macedonischer  Seelen- 
glaube und  Totenkultus  11,  19  —  35. 


Menöik — Polivka. 


471 


Xehriug,  Wladislaw  (Geheimrat  Univ. -Pro- 
fessor Dr.  in  Breslau,  f  19ui)).  Die  ethno- 
graphischen Arbeiten  der  Slaven,  vor- 
nehnilich  Oskar  Kolbergs  1,  250—279.  431 
bis  44o. 

Xeubaner,  Richard  (Gymn. -Professor  a.  D. 
Dr,  in  Berlin).  Woher  stammt  das  Wort 
'ausmerzen'?  13,  KX)— 102.  —  Viel  Geschrei 
und  wenig  Wolle  13,  432—434.  —  Er  ist 
zur  grossen  Armee  abgegangen  14,  313  bis 
316.  —  Einem  die  Hölle  heiss  machen  17, 
325-328. 

Xoll,  Karl  vP^rrer  in  Rappenau,  Baden). 
Fragstücke  beim  Ruggericht  iu  Rappenau 
vor  300  Jahren  19,  304-308. 

Xyrop,  Kristoffer  (.Univ.- Professor  Dr.  in 
Kopenhagen).     Zwei  Bienensegen  2,  80. 

O. 

Olrik,  Axel  (Univ. -Dozent  Dr.  in  Kopen- 
hagen). Märchen  in  Saxo  Grammaticus  2, 
117—123.  252—2.38.  367-374.  —  Der 
Sonnenwagen  von  Trundholm  14,  210  bis 
215.  —  Wettermachen  und  Neujahrsmond 
20,  57— Gl. 

Olsen,  Björn  (Rektor  emer.  in  Reykjavik, 
Island).     Rec.  Huld  1,  112. 

Otto,  Eduard  (Schuldirektor  Dr.  in  Offen- 
bach a.  M.).    Die  Hüttenberger  Volkstracht 

8,  3G1— 379. 

Otto,  Paul  (Lehrer  in  Fröhden,  Kr.  Jüter- 
bogk).  Die  Spinten  in  Gross-Krausnigk, 
Kr.  Luckau  9,  441.  —  Gebräuche  und 
Spiele,    sowie    Aberglauben    aus     Fröhden 

9,  441-444. 

P. 

Pappeulieim,  Max  (Geh.  Justizrat  Univ.- 
Professor  Dr.  in  Kiel),  Rec.  v.  Amira  2,  213 f. 

Pappusch,  Otto  (Stockholm).  Inschriften 
an  Kruzifixen  und  Bildstücken  in  West- 
falen 18,  433-43G. 

Paris,  Gaston  (Professor  Dr.  in  Paris,  f  1903 ; 
13,  227).  Die  undankbare  Gattin  13,  1  bis 
24.  129-150. 

Passler,  P.  (Gymn.-Professor  in  Hörn,  ISiieder- 
österreich).  Ein  Hochzeitbrauch  aus  dem 
Wipptale  in  Tirol  10,  202-205. 

Pavolini,  Paolo  Emilio  (Univ.-Professor  Dr. 
in  Florenz).  Zu  Arnolds  Aufsatz  'Die 
Natur  verrät  heimliche  Liebe"  13,  42G 
bis  429. 

Pedersen,  Holger  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Kopenhagen).  Zu  den  neuirischen  Zauber- 
sprüchen G,  192— 19G. 


Petak,  Arthur  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Wien). 
Alte  deutsche  Weihnachtslicder  aus  dem 
Lungau  9,  420-436. 

Peter,  Johann  (Lehrer  in  Grossmeiseldorf 
bei  Ziersdorf,  Wien).  Dorfkurzweil  im 
Böhmerwalde  5,  187 — 194. 

Petsch,  Robert  (Univ.-Professor  Dr.  in  Heidel- 
berg). Uckermärkische  Kinderreime  8, 
407-415.  9,  273-284.  389-395.  —  Ein 
Kunstlied  im  Volksmunde  10,  66—71.  — 
Ein  uckermärkischer  Brauch  bei  der  Braut- 
wäsche 11,  341.  —  Bindesprüche  der  Roggen- 
schnitter in  Mecklenburg  12,  341  f.  —  Das 
fränkische  Puppenspiel  von  Doktor  Faust 
15,  245-260.  —  Rec.  Küffner  9,  220  bis 
222.  Euling  9,  456  f.  Flachs  9,  4G0. 
Mielke  9,  460.  Schumann  10,  233.  E.  H. 
Meyer  10,  452 f.  Züricher  12,  119.  Amers- 
bach  12,  370  f.    Riehl  13,  350.    Deissmann 

18,  461—464.    Krauss    19,   234-236.     Abt 

19,  336-339.  Lehmann:  Henry  20,  107  bis 
110.  Günter  20,  433-437.  Landau  20,  437 
bis  440.    Francais  20,  440  f. 

Petzold,  Albert  (Amtsgerichtsrat  Dr.  in 
Berlin).     Pfingstquaas  10,  142—150. 

Pfeifer,  E.  (Lehrer  in  Altenburg).  Von  einem 
Unheimlichen,  Beitrag  zum  Aberglauben  im 
Altenburgischen  9,  209-211. 

Pfleiderer,  Otto  (Univ.-Professor  Dr.  theol. 
in  Berlin,  f  1908).  Rec.  Smith  9,  98 f. 
450-452. 

Pichler  von  Rautenkar,  Adolf  (Univ.- 
Professor  Dr.  Hofrat  in  Innsbruck,  t  1900). 
Tirolische  Volksdichtung  4,  197—201.  — 
Dialektpoesie  in  Tirol  4,  3;>lf. 

Pichler,  Fritz  (Univ.-Professor  Dr.  in  Graz). 
Von  Glan-  imd  Furt-Orten,  im  besondern 
von  Klagenfurt  7,  412—422. 

Pig-er,  Franz  Paul  (Gymn.-Professor  in 
Iglau).  Handwerksbrauch  in  der  Iglauer 
Sprachinsel  in  Mähren  2,  272—285.  382 
bis  392.  —  Geburt,  Hochzeit  und  Tod  in 
der  Iglauer  Sprachinsel  G,  251 — 264.  407 
bis  412.  Eine  Priiniz  in  Tirol  9,  396  bis 
399.  —  Faschingsgebräuche  in  Prutz  im 
Oberinntal  10,  80— S5.  —  Rec.  NY.  Müller 
3,  342-344. 

Pisehel,  Richard  (Univ.-Professor  Dr.  iu 
Berlin,  f  1^08).  Rec.  Wlislocki  2,  209 f. 
Schmidt  4,  94  -  '^^ii. 

Polek,  Johann  (Univ. -Bibliothekar  Dr.  in 
l'zernowitz).  Regenzauber  in  Osteuropa  3, 
85—87. 

Polivka,  Georg  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Prag).   Seit  welcher  Zeit  werden  die  Greise 


472 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


nicht  mehr  getötet?  Slavische  Parallelen 
8,  25-29.  —  Tom  Tit  Tot,  ein  Beitrag  zur 
vergleichenden  Märchenkunde  10,  254  bis 
272.  325.  382- 39G.  —  Zu  der  Erzählung 
von  der  undankbaren  Gattin  13, 3!)9— 412.  — 
Mittel  wider  die  Tollwut  13,  440.  —  Neuere 
Arbeiten  zur  slavischen  Volkskunde  (Süd- 
slavisch,  Russisch)  13,  238-244.  14,  339 
bis  347.  15,  215-226.  16,  209—223.  17, 
223—234.  343-354.  18,  214-219.  313—331. 
19,  317-328.  441—457.  20,  411-428.  — 
Rec.  Sklarek  12,  124—126.  Preindlsberger- 
Mrazovic  15, 2.30—232.  Lorentz  IG,  461—464. 

Pommer,  Joseph  (Regierungsrat  Prof.  Dr.  in 
Wien).  Der  Binder  15,  172 f.  —  Ein  Lied 
auf  den  Feldzug  in  Ungarn   16,  88 f. 

Prahn,  Hermann  (Rektor  in  Berlin).  Glaube 
und  Braucii  in  der  Mark  Brandenburg  1, 
178 — 197.  —  Der  Hausgeist  in  der  Neu- 
mark, in  Barnim  und  im  Sternberger  Lande 
2,  78-80. 

Prato,  Stanislao  (Lyceal- Professor  in 
Correggio).  Zwei  Episoden  aus  zwei  tibe- 
tanischen Novellen  in  der  orientalischen 
und  occidentalen  Überlieferung  4,  347—373. 
—  Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Schönheits- 
symbole in  Volksmärchen  und  -liedern  5, 
363—383.  6,  24-52.  —  Vergleichende  Mit- 
teilungen zu  Hans  Sachs  Fastnachtsspiel 
'Der  Teufel  mit  dem  alten  Weib'  9,  189  bis 
194.  311-321. 

V.  Preen,  Hugo  (Kunstmaler  in  Osternberg 
b.  Braunau).  Drischlegspiele  aus  dem 
oberen  Inuviertel  14,  361—376.  471.  — 
Kopfziegel,  ein  Giebelschmuck  aus  Ober- 
baden 18,  277—279.  —  Spatzenhafen  aus 
Müllheim  in  Baden  18,  280. 

Prem,  Simon  M.  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Grazj.  Mittelalterliche  Wunder-  und  Schatz- 
sagen aus  Tirol  2,  326-328. 

B. 

Rademacher,  Carl  (Rektor  in  Köln).  Das 
Sprengeltuch,  ein  Totenbrauch  aus  der 
Eitel  4,  86-88. 

Raff,  Helene  (Fräulein  in  München).  Ge- 
schichten aus  Bayern  6,  439—441.  —  Hexen- 
geschichten aus  Bayern  7,  292—296.  — 
Spukgeschichten  aus  dem  bayrischen  Kreise 
Schwaben  8,  180-182.  —  Aberglauben  in 
Bayern  8,  394-402.  —  Geschicliten  aus 
dem  Etschland  und  aus  dem  Stubai  9,  77 
bis  81.  —  Münchner  Stadtsagen  und 
Sprüche  10,  181-185.  —  Bayerische  Ge- 
schichten 10,  284-287.  —  Geschichten  aus 


Bamberg  11,  37—39.  —  Alt- Münchener 
Festgebäck  11,  84  —  87.  —  Volksmeinuugen 
von  der  bayerisch- österreichischen  Grenze 
11,  219—221.  Geschichten  aus  Franken 
13,  434—436.  —  Rec.  Lawrence  8,  467. 

Ramsaner,  Wilhelm  (Pastor  in  Rodenkirchen, 
Oldenburg).  Dat  geit  mit'n  Snellert  10, 
228  f. 

Ranisch,  Wilhelm  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Osnabrück).    Rec.  Olrik  14,  457—463. 

Rehsener,  Marie  (Fräulein,  in  Müuchen). 
Wind,  Wetter,  Regen,  Schnee  und  Sonnen- 
schein in  Vorstellung  und  Rede  des  Tiroler 
Volks  1,  67  —  77.  —  Die  Gebirgsnatur  in 
Vorstellung  und  Sage  der  Gossensasser  1, 
421—431.  —  Weiteres  über  Wind,  Wetter, 
Regen,  Schnee  und  Sonnenschein  und  die 
Gebirgsnatur  2,  189  —  197.  —  Aus  Gossen- 
sass:  Arbeit  und  Brauch  in  Haus,  Feld, 
Wald  I-II:  3,  40-55.  4,  107—133.  — 
Seitenfüllung  4,  346.  —  Die  Weber-Zenze, 
eine  Tii-oler  Dorftigur  5,  80—93.  —  Das 
Leben  in  der  Auffassung  der  Gossensasser 
6,  304—319.  395—407.  —  Gossensasser 
Jugend  6,  117—129.  249—263.  —  Von  den 
Tieren  und  ihrem  Nutzen  nach  Gossensasser 
Meinung  10,  48-62.  —  Der  Tod  von  Basel, 
Spinnstubenlied  10,  326  f.  —  Aus  dem 
Leben  der  Gossensasser  1:  Das  Heiraten 
10,  397-406.  —  Wirtschaftliches  15,  46 
bis  60.  —  Das  Jahr  1809,  Erinnerungen 
alter  Gossensasser  18,  191 — 194.  —  Tiroler 
Volksmeinungen  über  Erdbeben  19,  198 f. 

Reichardt,  Rudolf  (Pfarrer  in  Rotta  bei 
Kemberg).  Die  Drostin  von  Haferuugen, 
eine  Sagengestalt  aus  der  Grafschaft  Hohen- 
stein  6,  78—82.  —  Bastlösereime  aus  der 
Provinz  Sachsen  8,  62 — 66.  —  Abzählreime 
aus  der  Grafschaft  Hohenstein  8,  402  bis 
407.  —  Volksastronomie  und  Volksmeteoro- 
logie in  Nordthüringen  9,  229—235.  — 
Volksanschauungen  über  Tiere  und  Pflanzen 
in  Nordthüringen  10,  208—214.  —  Sagen 
aus  Nordthüriugen  9,  68 — 73.  12,  66—72.  — 
Das  Margaretenfest  in  Schmiedeberg,  Prov. 
Sachsen  12,  333 — 335.  —  Volksbräuche  aus 
Nordthüringen  13,  384—390.  —  Thüringer 
Pfingstvolksfeste  14,  418-423. 

Reissenberger,  Karl  (Reg.-Rat  Oberreal- 
schuldirektor a.  D.  Dr.  in  Graz).  Zu  dem 
Volksliede  von  der  Tochter  des  Komman- 
danten zu  Grosswardein  11,  298— .')04. 

Reiterer,  Karl  (Schulleiter  in  Donnersbach- 
wald, Steiermark).  Hexen-  und  Wilderer- 
glaubeu    in    Steiermark    5,    407 — 413.     — 


Pommer — Schell. 


47: 


Yolkssprüche  aus  dem  Ennstal  G,  129—139. 

—  Zwölf  goldene  Freitage   1.3,   96—98.  17, 

449 f.    —    Beschwörung  der  hl.  Corona  15, 

424 — 427.  —  Segensprüche  aus  den   Alpen 

17,  450. 
Kcnk.     Anton    (Schriftsteller    in    Innsbruck, 

t  190G).      Volksrätsel     aus     Tirol    5,     147 

bis  li'.n. 
Reuschel,   Karl   (Professor   Dr.  in  Dresden). 

Rec.  Ebermann  14,  353-356.     Böckel  17, 

116-121. 
Rhaiuni,   Karl  (Privatgelehrter  Dr.  in  Graz). 

Erwiderung  20,  449. 
Richter,  Elise  (Privatdozentin  Dr.  in  Wien). 

Die  schönste  der  Feen,  rumänisches  Märchen 

17,  105—109. 

Riegler,  Pächard  (Gymn.- Professor  Dr.  in 
Pola).     Entgegnung  19,  353. 

Risop,  Alfred  (Realschul -Professor  Dr.  in 
Berlin).     Rec.  Pfeffer  13,  248—251. 

Roediger,  Else  (jetzt  Frau  Oberleutnant 
Pretzsch  in  Berlin).  Segen  aus  Rollsdorf, 
Mansfelder  Seekreis  12,  105  f.  —  Allerlei  aus 
Bärwalde,  Kr.  Xeustettin  13,  98  f.  —  Allerlei 
aus  Rollsdorf  bei  Höhnstedt  19,  439  f. 

Roediger,  Max  (Geh.  Reg.-Rat  üniv.-Professor 
Dr.  in  Berlin).  Die  Sage  von  Ermenrich 
und  Schwanhüd  1,  241—250.  —  Karl 
Weinhold,  Gedächtnisrede  11,  353 — 364.  — 
Chronologisches  Verzeichnis  der  Schriften 
Weinholds  11,  364-376.  —  Die  Flutsagen 
12,  226.  —  Japanische  Frauennamen  12, 
226 f.  —  M.  Bartels  f  15,  106  f.  — 
A.  Bastian  f  15,  241.  —  Anna  Weinhold  f 
15,  242.  —  Moriz  Heyne  f  16,  245-247.  — 
A.  Voss  t  17,  113.  —  E.  H.  Meyer  f  18, 
234-2.36.  -  A.  Meitzen  f  20,  235—237.  — 
Sitzungsprotokolle  4,  105  f  225  f.  345.  5, 
118f.  237  f.  353  f.  6,  111—114.  230—233. 
343-345.  7,  110-112.  219-224.  337 f.  455 
bis  4.58.  8,  113—116.  238-240.  358-360. ; 
9,  106-108.  225-228.  349.  4(52-464.  10,  ; 
114—116.  241—244.  460f.  11,  109-116. 
235f.  349-352.  —  Rec.  Lukas  3,  464. 
Wolfskehl  4,  220.  Zschiesche  6,  225f. 
Elton-Powell  6,  452.  Schönbach  11,  229 
bis  231.  Hoffmann-Krayer  12,  237.  Hessische 
Blätter  f.  Vk.  12,  241.  Meitzen  12,  241  f. ' 
E.  Schmidt  12,  376.  Herrmann  13,  106f.  [ 
Andree  13,  252  f.  Brandenburgia  13,  253  ' 
bis  255.  Reuschel  13,  458  -  460.  Detter- 
Heinzel  13,  460-462.  47(5.  Kaindl  14,  248 
bis  250.    Wuttke    15,   356—35!».     Wehrhan 

18,  466f.    Mielke  20,  229-231. 
Rona-Sklarek,  Elisabet  (Frau  Dr.  in  Berlin). 


Ungarische  Volksmärchen  (1  —  6)  13,  70  bis 
75.  17,  109-112.  19,  92-95.  —  Reo. 
Vikar;  Mailand  16, 470f.  Sebestyen  17,  467 f. 
Berze  Xagy  18,  228-230.  471.  Borger  20, 
338  f. 
Rott,  A,  .J.  (Lehrer  in  Pilsen).  Die  Ver- 
wendung der  Pflanzen  durch  die  Kinder  in 
Deutschböhmen  und  Niederösterreich  11, 
49 — 64.  —  Volkstümliche  Vogelnamen  aus 
Westböhmen  12,  4.57—462. 

S. 

Sajaktzis,  Georg  (in  Wien).  Gräkowalachische 
Sitten  und  Gebräuche  4,  134—148. 

Samter,  Ernst  (Gymn.-Prof.  Dr.  in  Berlin). 
Rec.  Kern  13,  105 f.  Dieterich  16,  4fö  bis 
468.  Politis  18,  121-123.  Usener  19,  110 
bis  114. 

Sartori,  Paul  (Gymn. -Professor  in  Dort- 
mund). Der  Schuh  im  Volksglauben  4,  41 
bis  54.  14S-1S0.  282-. 'Xö.  412—427.  — 
Glockensagen  und  Glockenaberglaube  7. 
113-129.  270-286.  358-369.  8,  29-38.  — 
Vogelweide  15,  1—13.  —  Feuer  und  Licht 
im  Totengebrauche  17,  361 — 386.  —  Das 
Wasser  im  Totengebrauche  18,  353 — 378. 

Sass,  Johannes  (Bibliothekar  Dr.  in  Berlin). 
Rec.  Kunze  12,  242 f. 

Schaar,  Heinrich  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Berlin).  Plattdeutsche  Rätsel,  ein  Beitrag 
zur  märkischen  Volkskunde  14,  168 — 179. 

Schäfer,  Dietrich  (Geheimrat  Univ.-Professor 
Dr.  in  Berlin).    Entgegnung  18,  236f. 

Scharringhauseii,D.  (Postsekretär  in  Bremen). 
Das  erste  uiedersächsische  Volkstrachten- 
fest 14,  439-444. 

Schatzuiayr,  E.  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Mautua  f).  Villatte  friulane  (friaulische 
Dorflieder)  3,  329—334.  411—415.  — 
Kärntner  Liedein  6,  96—98. 

Scheel,  Willy  (Realgymnasialdirektor  Dr.  in 
Nowawes).     Rec.  Fischer  19,  117. 

Schell,  Otto  (Bibliothekar  in  Elberfeld\ 
Anton  Birlinger  t  1,  449  f.  —  Volksrätsel 
aus  dem  Bergischen  3,  293—299.  Der 
Bergische  Blocksberg  4,  213 f.  —  Sich 
drehende  und  blutende  Steine  4,  214.  — 
Abzählreime  aus  dem  Bergischen  5,  67  bis 
71.  —  Die  Gezelinquelle  bei  Schlebusch 
unweit  Köln  8,  343  f.  —  Dreikönigslieder 
vom  Niederrhein  9,  90 f.  —  Einige  Fast- 
nachtslieder vom  Niederrhein  9,  91  f.  — 
Bergische  Hochzeitsgebräuche  10,  37— 4S. 
162—180.  428—432.  —  Zwei  alte  Gerichts- 
stätten   in    den    Rheinlanden    11,    47 — 49. 


474 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1 — 20. 


296 — 298.  —  Zwei  Hubertusschlüssel  11,  l 
342.  —  Über  den  Gebrauch  des  Rummels- 
potts 18,  226 f.  —  Das  Salz  im  Volks- 
glauben 15,  137—149.  —  Bergische  Zauber- 
formeln 16,  171-176.  —  Die  Entwicklung 
des  bergischen  Hauses  19,  1—12.  —  Der 
Donnerbesen  in  Natur,  Kunst  und  Volks- 
glauben 19,  429-432.  —  Der  Klingelstock 
der  Hirten  20,  317  f. 

Scheppig.  Richard  (Museumsdirektor  Prof. 
Dr.  in  Kiel,  f  19(i3).  Rec.  Vasconcellos  9, 
345-349. 

Schläger,  Georg  (Oberlehrer  Dr.  in  Esch- 
wege). Nachlese  zu  den  Sammlungen 
deutscher  Kinderlieder  17,  264-298.  387 
bis  414.  18,  24-53. 

Schlossar,  Anton  (Oberbibliothekar  Dr.  in 
Graz).  Kinderreime  aus  Steiermark  5,  275 
bis  288. 

Schmidt,  Erich  (Geh.  Reg.-Rat  Univ.-Professor 
Dr.  in  Berlin).  Reinhold  Köhler  2,  418  bis 
437.  —  Lesefrüchte  zum  Volkslied  5,  355 
bis  363.  —  Jakob  Grimm  über  Volkskunde 
12,  96-98.  —  Rec.  Kluge  5,  225-233. 
334—352.    Fabricius  6,  107  f. 

Schmidt,  Richard  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Halle).  Rec.  Natesa  Sastri  11,  101  f. 
J.  J.  Meyer  13,  471  f.  Winternitz  15,  363. 
18,  230  f. 

Schnippe],  Emil  (Prof.  Dr.  in  Osterode,  Ostpr.). 
Eine  moderne  Sage  von  einem  Gottes- 
frevler 16,  177  —  181.  —  Das  ostpreussische 
Hölzchen-  oder  Klötzchenspiel  17,  91—94. 
—  Volkskundliches  aus  dem  Danziger 
Werder  19,  158-170.  —  Leichenwasser 
und  Geisterglaube  in  Ostpreussen  20,  394 
bis  398. 

Schön,  Friedrich  (Cand.  theol.  in  Mettmann). 
Eine  vollständige  Fassung  des  Kinder- 
liedes von  den  Nornen  19,  417  f. 

Schönbach,  Anton  E.  (Hofrat  Univ.-Professor 
Dr.  in  Graz).  Zeugnisse  zur  deutschen 
Volkskunde  des  Mittelalters  12,  1—14.  — 
Die  Bereitung  der  Osterkerze  im  Mittel- 
alter 18,  426-428.  —  Rec.  H.  Meyer  14, 
450—454.    Weise  14,  455. 

Schönhoff,  Hermann  (Dr.  in  Münster  i.  W.). 
Zwei  Volksballaden  aus  dem  Münsterlande 
16,  440f. 

Schrader,  Otto  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Breslau).  Rec.  Rhamm  19,  330-333.  20, 
332—336.  —  Antwort  20,  450. 
Schröder,  Edward  (Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr. 
in  Göttingen).  Die  Gerichtslinde  von  Bas- 
dorf in  der  Herrschaft  Itter  6,  347—354. 


Schröer,  KarlJulius  (Hochschul-Professor Dr. 
in  Wien,  1 1900;  11.  213).  Rätselfragen, 
Wett-  und  Wunschlieder  3,  67 — 71.  — 
Rec.  V.  Wlislocki  3,  346—348. 

Schukowitz,  Hans  (Bibliotheksbeamter  Dr. 
in  Graz).  Kiuderreime  aus  dem  Marchfelde 
6,  290—296.  —  Über  volkstümliche  Namen- 
gebung  7,  10« I f.  —  Patenscheine  7,  210 
bis  212.  —  Geschichten  aus  dem  March- 
felde 7,  321—326.  —  Hausgerätinschriften 
aus  Nieder-Österreich  8,  48—56.   147 — 153. 

—  Kriegs-  und  Schlachtensagen  aus  dem 
Marchfelde  9,  377-389.—  Das  KelleiTecht 
11,  452-455. 

V.  Schulenburg,  Wilibald  (Schriftsteller  in 
Zehlendorf).  Trudensteine  15,  91  f.  —  Zur 
Sage  vom  Gottesfrevler  16,  429.  —  Alte 
Türriegel  17,  314. 

SchuUerus,  Adolf  (Stadtpfarrer  Dr.  in  Her- 
mannstadt). Die  deutsche  Volkskunde  im 
Jahre  1901—1903  12,  354—359.  13,  324 
bis  330.  14,  445—450.  —  Neuere  Arbeiten 
zur  ungarischen  Volkskunde    13,  340-349. 

—  Germanische  Mythologie  in  den  Jahren 
1901  und  1902  13,  451-454.  —  L.  Katonaf 
20,  450.  —  Rec.  Rona-Sklarek  20,  432. 

Schütte,  Otto  (Gymn.-Professor  in  Braun- 
schweig). Eine  braunschweigische  Fast- 
nachtfeier vor  fünfzig  Jahren    9,  338-340. 

—  Aus  dem  Herzogtum  Brauuschweig  9, 
438—441.  —  Braunschweigische  Segen  10, 
62—65.  —  Deutung  der  Tierstimmen  im 
Braunschweigischen  10,  221—223.  13,  91 
bis  95.  17,  311-313. —  Heilung  der  Pferde- 
kolik 10,  223.  —  Braunschweigische  Tauf- 
und Hochzeitsgebräuche  10,  223 f.  —  Die 
Bräutigamsmagd  10,  224.  —  Braun- 
schweigische Dorfueckereien    10,  330 — 332. 

—  Braunschweigische  Sprechübungen  10, 
336  f.  —  Die  Hornsprache  im  Volksmunde 
10,  337.  —  Vernageln  der  Zahnschmerzen 
10,  338.  —  Braunschweiger  Volksreime  10. 
426—428.  11,  73—75.  —  Das  Notfeuer  im 
Braunschweigischen  11,  216  f.  —  Das  Hän- 
seln im  Braunschweigischen   11,   332 — 334. 

—  Braunschweigische  Sagen  11,  338  —  340. 

—  Braunschweigische  Abzählverse  11,  461. 

—  Drohung  und  Verspottung  beim  Ver- 
sagen einer  Bitte  11,  462.  —  Erziehung  zur 
Aufmerksamkeit  11,  162.  —  Das  Lerchen- 
fegen  12,  342.  —  Ein  Heilsegen  aus  dem 
J.  1697  13,  440.  —  Das  Nestelknüpfen  14, 
119.  —  Ein  Liebesbrief  in  Herzform  14, 
438f.  —  Zimmermannsverse  beim  Rammen 
15,  101  f.—  Zaubersegen  des  16.  Jahrh.  15, 


Scheppig — Stiefel. 


475 


180f.  —  Glockenspraclie  uud  Geräterufe  15, 
342—344.  —  Die  Hornsprache  im  Volks- 
munde 16,  81—86.  —  Braunschweigischer 
Hochzeitbitterspruch  16, 444—446.  —  Braun- 
schweigische Segensprüche  17,  451.  —  Vier 
Liebesbriefe  einer  Braunschweigerin  v.  .1. 
1642  und  1643  19,  423-426.  —  Der  Schim- 
melreiter, ein  braunschweigisches  Hoch- 
zeitsspiel 20,  79—81.  —  Der  Schäfergruss 
20,  328. 
Schwartz,  Wilhelm  (Geheimrat  Prof.  Dr. 
Gymuasialdirektor  in  Berlin,  tl899:  vgl.' 
9,  828).  —  Volkstümliche  Schlaglichter 
I— IV  1,  17-36.  220.  279—292.  2,  245  bis 
251.  3,  117—130.  —  Die  Wünschelrute  als 
Quellen-  und  Schatzsucher  2,  67—78.  — 
Gegen  Bücherdiebe  2,85.  —  Die  gefesselten 
Götter  bei  den  Indogermaneu  2,  197 — 199. 
3,  448—451.  —  Ein  paar  volkstümliche 
Miscellen  2,  440 f.  —  Ein  paar  Miscellen 
aus  den  Havellandschaften  5,  167 — 171.  — 
Die  volkstümlichen  Namen  für  Kröte, 
Frosch  und  Regenwurm  in  Norddeutsch- 
land 5,  246-264.  —  Vom  Spuken  6,  9i-96. 

—  Det  möt  wol  s6n  ollet  Herkomu  sin  6, 
328 f.  —  Miscellen  6,  444 f.  —  Eine  Gewitter- 
anschauung Jean  Pauls  mit  allerhand  my- 
thischen Analogien  7,  1 — 11.  —  Der  Schim- 
melreiter und  die  weisse  Frau  7,  225—244. 

—  Heidnische  Überreste  in  den  Volksüber- 
lieferungen der  norddeutschen  Tiefebene  9, 
1-18.  123-135.  305-310.  —  Brief  an 
W.  Mannhardt  10,30-33.—  Rec.  Zingerle 
2,  89. 

Seclmaun,  Wilhelm  (Oberbibliothekar  Prof. 
Dr.  in  Berlin).  —  Rec.  Gloth  13, 108-110. 
Driemaandelijksche  Bladen   13,  124. 

Seier,  Cäcilie  (Frau  Professor  in  Steglitz). 
Mexikanische  Küche  19,  369—381. 

Seier,  Eduard  (Univ.-Professor  Dr.  in  Steg- 
litz bei  Berlin).  —  Rec.  Starr  10,  237 
bis  239. 

Seybold,  Christian  F.  (Univ.-Professor  Dr. 
in  Tübingen).  Zur  Zeitschrift  X,  100. 
11,  82  f. 

Siebs,  Theodor  (Univ.-Professor  Dr.  in  Bres- 
lau). Das  Saterland,  ein  Beitrag  zur 
deutschen  Volkskunde  3,  239-278.  37:'.  -  410. 

—  Ostfriesisch-plattdentisches  Ranimerlied 
7,  437—440. 

Sieger,  Robert  (Univ.-Professor  Dr.  in  Graz). 

Xichtdeutsche  Marterln  9,  236—245. 
Sikora,  Adalbert  (Schriftsteller  in  Innsbruck). 

Ein  Innsbrucker  Hausinventar    aus    dem  J. 

1626  17,  454-456. 


Simon,  Alicja  (Fräulein  in  Berlin),  Nochmals 
das  polnische  Original  des  Volksliedes  'An 
der  Weichsel  gegen  Osten'  19,  421—423. 

Siuger,  Samuel  (Univ.-Professor  Dr.  in  Bern). 
Sagengeschichtliche  Parallelen  aus  dem 
babylonischen  Talmud  2,  293-301. —Bud- 
dhistische weibliche  Heilige  4,  71 — 73.  — 
Segen  und  Gebräuche  des  17.  Jahrb.  aus 
der  Schweiz  4,  447—451.  —  Deutsche 
Kinderspiele  13,  49-64.  167-179.  —  Ein 
französischer  Indiculus  superstitionum  aus 
der  Mitte  des  17.  Jahrh.  14,  413-416.  — 
Rec.  Bundi  12,  245 f. 

Sklarek,  Elisabet  s.  Roua. 

Söhus,  Franz  (Oberlehrer  in  Hannover).  Rec. 
Strack  5,  223-225. 

Sökelaud,  Hermann  (Stadtverordneter  in  Ber- 
lin). Die  Wünschelrute  13,  202-222.  280 
bis  287.  16,  418-422.  —  Dunkelfarbige 
Marienbilder  18,  281—295.  —  Rec.  Da- 
rapsky  13,  350.     Weber  16,  124 f. 

Sommerfeldt,  Gustav  (Prof.  Dr.  in  Königs- 
berg). Märchen  aus  Ostpreussen  15,  345 
bis  347. 

Spiegelhalder,  Oskar  (Fabrikdirektor  in  Lenz- 
kirch i.  B.).  Die  Glasindustrie  auf  dem 
Schwavzwald  18,  267—277. 

Steck,  Johann  (Pfarrer  in  Margreid,  Südfirol'. 
Rec.  Bass  11,  346. 

Steig,  Reinhold  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Berlin).  J.  Grimms  Plan  zu  einem  Alt- 
deutschen Sammler  12,  129—138.  —  Hoch- 
zeitslieder und  Hochzeitssitten  12,464—470. 
—  Märkische  Sitten  und  Sagen  13,  96 f.  — 
Der  Liebenbach  13,  301.  —  Volksgebräuche. 
Volksglauben  und  Volkssagen  im  Ländchen 
Bärwalde  14,  423-427.  —  Rec.  Karsten 
13,  350  f. 

V.  d.  Steinen,  Karl  (Prof.  Dr.  med.  et  phil. 
in  Berlin).    Rec.  Grosse  4,  103. 

Steinttaal,  Chajim  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin,  1 1S99;  vgl.  9,  208).  Au  den  Leser 
1,  10—17.  —  Zusatz  3,  84 f.  —  Rec.  Me- 
hemed  Emin  7, 330 f.  Archiv  f.  Religions- 
wissenschaft 8,  459. 

Stewart,  Caroline  T.  (Assistant-Professor  in 
Columbia,  Missouri).  Die  Entstehung  des 
Werwolfglaubens  19.  30-51. 
Stiefel,  Abraham  Ludwig  (Real-Professor  Dr. 
in  München).  Ein  Eulenspiegelstreich  aus 
Franken  5,  208—210.  —  Die  stärksten 
Dinge  5,  448—450.  —  Zur  Schwankdichtung 
des  Hans  Sachs  8,  73—82.  162—168.  278 
bis  284.    —    Zu  Hans  Sachsens   'Der  plint 

I     Mesner"  10,  71 — 80.    —    Der  Schwank  von 


476 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20. 


den  drei  Mönchen,  die  sich  den  Mund  ver- 
brannten 13,  88 — 90. —  Sprichwörter-Anek- 
doten aus  Franken  18,  446 — 449.  —  Rec. 
Amalfi  13,  470  f. 

Stolz,  Friedrich  (Univ.-Professor  Dr.  in  Inns- 
bruck). Rec.  Schneller  1,  22l>- 224.  3, 
4(;4f.  5,  lU9f.     Schwitzer  1,  34Gf. 

Storck,  Karl  (Schriftsteller  Dr.  in  Berlin). 
Spruchgedichte  und  Volksbräuche  aus  der 
Vorderschweiz  5,  384—390. 

Stratil,  Domitius  (Bürgerschuldirektor  in 
Fulnek).  Volkslegeuden  aus  dem  Böhmer- 
wald und  dem  Kuhland  17,  100—105. 

Strebel,  Hermann  (Dr.  phil.  in  Hamburg). 
Das  Altouaer  Museum  13,  103—105.  — 
Erntereigen  20,  90.  —  Rec.  Salin  14,  464 
bis  466. 

V.  Strele,  Richard  (Vorstand  der  Studien- 
bibliothek in  Salzburg).  Aus  einer  Polizei- 
verordnung von  178(5  9,  94f.  —  Passions- 
komödien in  Böhmen  10,  333  f.  —  Weih- 
nachtsfeier in  der  ehemaligen  Deutsch- 
banater  Militärgrenze  15,  179  f. 

Struck,  Bernhard  (Dr.  phil.  in  Heidelberg). 
Eine  Geschichte  der  Wanyaruanda  18,  188 
bis  191. 

Stumme,  Hans  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Leipzig),  Rec.  Biarnaj:  Boulifa  19,  347 
bis  351. 

T. 

Tbimme,  Adolf  (Gymn.-Professor  Dr.  in  Er- 
furt).   Rec.  Wesselski  19,  351  f. 

Thomas,  Emil  (Privatdozent  Prof.  Dr.  in  Berlin). 
Rec.  Samter  12,  123 f. 

Thomas,  N.  W.  (Bibliothekar  in  London). 
Zweideutige  Fabeltiere,  eine  Umfrage  9, 
337  f. 

Thorkelsson,  Jon  (Dr.  phil.  in  Reykjavik). 
Ein  isländischer  Blutsegen  1,  102 f.  —  Die 
.Annalen  des  Bischof  Gisli  Odsson  in  Skal- 
holt  von  1637  1,  164—171. 

Thumb,  Albert  (Univ.-Professor  Dr.  in  Strass- 
burg).  Zur  neugriechischen  Volkskunde  2, 
123-134.  285-293.  392-406. 

Tienken,  A.  (Dr.  phil.  in  Steinkirchen  bei 
Stade).  Kulturgeschichtliches  aus  den 
Marschen  am  rechten  Ufer  der  Unterweser 
9,  45-55.  157-171.  288-291. 

Tille,  Alexander  (Syndikus  der  Handels- 
kammer, Dr.  phil.  in  Saarbrücken).  Der 
Sonnenochse  1,  443. 

Toblcr,  Adolf  (Univ.-Professor  Dr.  in  Berlin, 
tl910).     Rec.  Farsetti  11,  2.".lf. 

Tobler,     Ludwig     (Univ.-Professor    Dr.    in 


Zürich,  1 1895.    5,  456).      Mythologie    und 

Religion  1,  369-377. 
Toldo,  Pietro  (Univ.-Professor  Dr.  in  Turin). 

Aus  alten  Novellen  und  Legenden    (1 — 12) 

13,  412-426.    14,  47—61.    15,  60-74.    129 

bis  137.  365-373.  16,  24—35. 
Treichel,    Alexander  (Rittergutsbesitzer   auf 

Hoch-Paleschken  in  Westpreussen,   f  1901 : 

s.  11,  465).    Anmerkungen  zu  Zs.  II.  2,  443f. 

—    Schmackostpru,    Kleiderfortnahme    und 

Torverleguug    nach     dem    Deutschordens- 

Tresslerbuche  10,  444—447. 
Tschiedel,    Johannes    (Dr.    phil.    in    Rom). 

Italienische  Volksrätsel  6,  276 — 283. 

U. 

Ullrich,  Hermann  (Prof.  Dr.  in  Brandenburg). 

Des     Schneiderleins     Glück     3,    452—456. 

6,  102. 
Unger,  Theodor  (Adjunkt  am  Archiv  in  Graz  tj. 

Aus  dem  deutschen  Volks-  und  Rechtsleben 

in  Alt-Steiermark    6,    184-188.    284-289. 

424-428. 

V. 

Vogt,  Friedrich  (Univ.-Professor  Dr.  in  Mar- 
burg). Beiträge  zur  deutschen  Volkskunde 
aus  älteren  Quellen  (1.  Scheibentreiben  und 
Frühlingsfeuer.  2.  Seb.  Franck  und  Joh. 
Bohemus.  3.  Neujahrsorakel.    4.  Hahnjörs) 

3,  349—372.   —   (5.  Zum    Scheibentreiben) 

4,  195-197. 

Vetter,  August  (in  Augsburg).  Schwäbische 
Beiträge  zu  Blümml  und  Rott,  Verwen- 
dung der  Pflanzen  11,  224—226. 

Voretzsch,  Karl  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Tübingen).  Zu  den  deutschen  Volksliedern 
aus  Böhmen  und  aus  Niederhessen  3,  176 
bis  189.  337. 

Weber,  Albrecht  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin,   f  1901).    Rec.  Jacobs  3,  108 f. 

Weber,  Franz  (Oberamtsrichter  a.  D.  Dr.  in 
München).  Eiserne  Votivfiguren  aus  Ober- 
bayern 14,  215  f. 

Webinger,  Alfred  (Stud.  phil.  in  Graz).  Tracht 
und  Speise  in  oberösterreichischen  Volks- 
liedern 19,  96—101. 

Wehrhan,  Karl  (Mittelschullehrer  in  Frank- 
furt a.  M.).  Wachsvotive  aus  Kiedrich  im 
Rheingau  19,  199-201. 

Weinhold,  Karl  (Geh.  Reg.-Rat Univ.-Professor 
Dr.  in  Berlin,  t  1901;  s.  11,  353).  Zur  Ein- 
leitung 1,   1—10.    —   Volksüberlieferungen 


Stolz— Weinhold. 


477 


aus  Eisenerz  in  Obersteiermark  1,  '215  bis 
21il,  —  Über  Bielensteins  neues  Werk:  Die 
Grenzen  des  lettischen  Volksstammes  und 
der  lettischen  Sprache  1,  344.  —  Die  Regen- 
katze 1,  444.  —  Sancta  Kakukabilla-Cutu- 
billa  1,  444.  —  F.  Liebrecht  f  1,  103.  — 
Joseph  Zingerle  f  1,  344.  —  Zu  Goethes 
Parialegende  "2,  46  —  50.  —  Eine  mytho- 
logische Anfrage  2,  84 f.  —  Zwei  Bienen- 
segen 2,  86.  —  Vülksüberlieferuugen  in 
Mecklenburg  2,  86.  —  Lettische  Samm- 
lungen 2,  86.  —  H.  Frischbier  f  2,  87.  — 
Zu  den  sieben  Grafen  2,  206 f.  244.  —  Er- 
löschen der  Altarkerzen  2,  208.  —  M. 
V.  Lexer  f  2,  208.  —  Ignaz  Zingerle  von 
Summersberg  f  2,  442f.  —  E.  L.  Rochholz  f 

2,  446  f.  —  Aus  dem  Utztal  2,  447  f.  —  Aus 
Oberinntal  2,  448.  —  Der  AYettlauf  im 
deutschen  Volksleben  3, 1—23.  —  Schlesische 
Sagen  vom  Nachtjäger  3,  96f.  —  Eine 
Avestpreussische    Spukgeschichte    von    1333 1 

3,  97  f.  —  Aus  dem  mittelschlesischen  Dorf- 
leben 3,  144 f.  —  Der  Wolf  mit  dem 
Wockenbriefe  3,  195—205.  —  Schwur  unter 
dem  Rasen  3,  224f.  4,  214f.  —  Der 
Sommersonntag  in  Heidelberg  1893  3,  228.  [ 

—  Volksreime  auf  Bettlerhochzeiten  3, 
228 — 230.  —  Aus  Bekehrungsgeschichten  I 
der  Jesuiten  4,  91.  —  Sammlungen  der 
volkstümlichen  Überlieferungen  in  Deutsch- 
land 4,  217  f.  —  Das  Lied  vom  Pater 
Guardian  4,  334.  —  Steyermarckischer 
Raufjodl  4,  3351".  —  Nachrichten  aus  dem 
Bereiche  der  Volkskunde  4,  336  f.  459  f.  5, 
107  f.  217.  —  Teufelssagen  aus  Oberkärnten 

4,  445—447.  —  Aus  der  Gegend  von  Sausal 
in  üntersteiermark  4,  451.  —  Aus  der 
windischen  Steiermark  4,  452.  —  Schlesische 
Sagen  4,  452—458.  —  Lösung  des  Zungen- 
bandes 4, 458  f.  —  Zur  süddeutschen  Namens- 
kunde 5,  119 f.  —  Beitrag  zur  Nixenkunde 
auf  Grund  schlesischer  Sagen  5, 121 — 133.  — 
Die  Widderprozession  von  Virgen  und 
Prägratten  nach  Lavaiit  im  Pustertal  5, 
-205—208.  —  Über  ein  schlesisches  Wiegen- 
lied 5.  214—217.  —  Zur  Hillebille  5,  327  f. 

—  Heinrich  Piöhle  t  5,  329  f.  —  Stan. 
Prato  5,  330 f.  — -  Vom  heiligen  Ulrich  5, 
416—424.  —  Das  Notfeuer  5,  452  f.  — 
Untersuchungen  über  das  deutsche  Bauern- 
haus 5,  456.  —  Ludwig  Tobler  f  5,  456  bis 
458.  —  Plan  einer  Ethnographical  Survey 
über  Britannien  6,  101.  —  Der  Tod  der  ist 
ein  grober  Mann  6,  211.  —  Beschwörung 
des   Alps   6,   213—215.    —    Märchen    vom 


Hahnreiter    6,    320-322.     —     Steirische 
Sagen  vom  Schratel  6,  322-324.  —  Kleine 
Ijiedeln    aus    dem    oberen     Kainachtal    in 
Steiermark  6,  325.    —    Die   Schweizerische 
Gesellschaft  für  Volkskunde  6,  329.. —  Zum 
sog.  Verwunderungsliede    und    dem    Liede 
von    den    drei    Jungfern    6,    345  f.    —    Die 
Geistermesse  6,  442.  —  Gegen  Bücherdiebe 
6,  446.  —  Klosterinschrift  6,  44(5.  —  Fritz 
Staub  t  6,  447.  —  Jüdische  Volkskunde  7, 
105.    —   Zu    dem   Märchen   von   Tod   und 
Begräbnis  des  armen  Sperlingsweibchens  7, 
159—162.  —  Weiteres  zu  der  Heilkraft  ge- 
wisser Familien  7,  212.  —  Von  verwandten 
Vereinen  7,  212  f.    —    Grüners  Werk   über 
die    Sitten    und  Gebräuche   des  Egerländer 
Volkes    7,   329.    —    Verein  für    sächsische 
Volkskunde  7,  329  f.  —  Zwei  alte  Gerichts- 
stätten 7,  404  f.   —    Der  Wildemännlestanz 
von  Oberstdorf  7,  427 — 437.  —  Ostfriesisch- 
plattdeutsches   Eammerlied    7,    437  f.     — 
Fruchtbarkeit    im    hohen  Alter  7,   447.    — 
Professuren  für  Volkskunde  8,  97.  —  Nach- 
trag 8,  116.  —  Frau  Harke  in  Dithmarschen 
8,  210—213.    —    Saint  Sesne,    der    Schutz- 
patron   der    kranken    Hunde   8,   225  f.     — 
Hühnersegen  8,  229.   —    Hirtensprüche   8, 
336—339.  —  Ein  Diebsegen  8,  346.  —  Zui- 
Hillebille  8,  347.  —  Vom  Verein  für  Eger- 
länder Volkskunde  8,  347.    —   Aus    Steier- 
mark,    Volkstümliches     in     alphabetischer 
Reihe  8,  439—448.    —    Das  tausendjährige 
Jubiläum  der  Wurst  8,  456  f.    —   Die  Aus- 
stellung     niederländischer     Trachten     in 
Amsterdam  1898  8,  458.  9,   204 f.    —    Die 
alte  Gerichtsstätte  zu  Cavalese  im  Fleimser 
Tal  in  Südtirol  9,  68—71.  —  Das  englische 
Kinderspiel  Sally  Water  9,   89  f.    —   F.  M. 
Böhme  f   9,    95f.    —    Die  Spelte   und  die 
Drihe,    zur  Geschichte    der  Weberei  9,  205 
bis  207.   —   Fledermaus   und  Maulwurf  9, 
207.  —  Chajira  Steinthal  f  9,  208  f.  —  Sanct 
Kummernuss    9,    322-324.     —     Wilhelm 
Schwartz  f  9,  328—330.  —  Kinderpuppen- 
gräber  (Gredlgräber)  in  Niederösteireich  9, 
333.  —  Internationaler  Kougress  für  Volks- 
kunde, Paris  1900  9,   447  f.    —    Sammlung 
volkstümlicher  Überlieferungen  in  Württem- 
berg 9,  448.    —    Zu    den  niedersächsischen 
Zauberpuppeu  10,  99  f.  —  Laura  Weinhold  f 
10,    102.     —     Zum    Hochzeitcharivari    10, 
■_)06f.    —    ririch  Jahn  f    10,  216-219.    — 
Ein  oberbayrisclier  Palm    10,  227.   —   Das 
Halmmessen    10,    227  f.    —    Sonnwendfeuer 
in  Tirol    10,   335 f.    —    Anfrage    über   Ge- 


478 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1 — 20. 


brauche  und  Aberglaube,  die  sich  an  den 
Anbau  des  Hirses  knüpfen  10,  339  f.  — 
Über  die  Bedeutung  des  Haselstrauchs  im 
altgermanischen  Kultus  und  Zauberwesen 
11,  1 — 16.  —  Ein  hochdeutscher  Augen- 
segen in  einer  Cambridger  Hs.  des  12.  Jahrh. 
11,  79—82.  22(5.  —  Blau  als  Trauerfarbe 
11,  83.  —  K.  J.  Schröer  f  H,  213f.  —  Der 
Palmbusch   in   den  Niederlanden  11,  215  f. 

—  Sterbende  werden  auf  die  Erde  gelegt 
11,  221.  —  Über  das  echte  Tirolerlied 
{nach  Zangerle)  11,  222.  —  Wochenzettel 
für  den  kärntischen  Bauerntisch    11,    222  f. 

—  Sagen  vom  Rübezahl  11,  33Gf.  — 
Rec.  Bucher  1,  106-109.  Dania  1,  112. 
Schweizerisches  Idiotikon  1,  221  f.  3,  107  f. 
4,  338.  6,  226.  9,  105.  11,  466.  Schlossar 
1,  225  f.  Philo  vom  Walde  1,  229.  Bayerns 
Mundarten  1,  345.  2,  210.  3,  342.  4,  464. 
(i,  106.  Hartland  1,  345.  Andree  1,  346. 
E.  H.  Meyer  1,  451—454.  Monseur  1,  454. 
Pineau  1,  454f.  Grimm  1,  455.  Wilhelm 
1,  458.  Martiny  1,  458.  Widmann  1,  458.  — 
Ploss-ßartels  2,  87  f.  Glock  2,  88.  E.  H. 
Meyer  2,  88.  List  2,  90.  Jacobs  2,  95. 
Hyde  2,  95.  Leeb  2,  211.  Franziszi  2, 
211.  Monseur  2,  211  f.  Ammann  2,  212. 
Kollmann  2,  21:).  Kotelmann  2,  214.  Stöber- 
Mündel  2,  328.  Monseur  2,  329.  Folk- 
lorist 2,  329  f.  Freund  2,  330.  Treichel  2, 
330.  —  Günther  3,  109 f.  Pineau  3,  110  f. 
Harou  3,  111.  467.  Hofer  3,  Ulf.  Branky 
3,  112.  Symons  3,  230f.  Sander  3,  231. 
Jevons  3,  232.  Graf  3,  232.  Gaidoz  3, 
232  f.  Cox  3,  233f.  Bielenstein  3,  234  bis 
236.  Folklore -Congress  338  f.  Bugge: 
Maurer  3,  839  f.    Heim  3,  341.    Macritchie 

3,  341  f.  Merkens  3,  344.  Neubaur  3,  344. 
Krauss  3,  348.  Stern  3,  463.  Jacobs  3, 
466.  Martinengo-Cesaresco  3,  467.  Le- 
walter 3,  467  f.  —  Büttner  4,  96.    Schröer 

4,  96  f.  Köhler  4,  98.  Tille  4,  100 f.  John 
4,  101  f.  Bartels  4,  102.  v.  d.  Steinen  4. 
104 f.  Hörn  4,  105.  Pitre  4,  218f.  Rand 
4,  219.  Gomme  4,  223.  Eckart  4,  224. 
Sebillot  4,  337.  Erk-Böhme  4,  338f.  5, 
112  f.  Joyce  4,  339  f.  Chatelain  4,  340  bis 
343.    Sebillot  4, 343.  Beyer  4, 344.  Schwartz 

4,  460.  Beiträge  zur  Anthropologie  von 
Tirol  4,  461.  Georgeakis-Pineau  4,  461  f. 
Wardrop  4,  463.  Hein  4,  463  f.  Doebler  4, 
464.   Nabert  4,  4(i5.  Voss  4,  465.  —  Ratzel 

5,  lOSf.  217 f.  Hartland  5,  llOf.  6,  103. 
451  f.  Jacobs  .5,  111.  Hansjakob  5,  114. 
Krohn  5,  117.      Hauffen  5,  220.     Tyson  5, 


221  f.  Gander  5,  222  f.  Kock  5,  233.  Cur- 
tin  5,  332  f.  Le  Braz  5,  333.  Voges  5, 
334.  Treichel  5,  352  f.  Krauss  5,  353. 
Denham   5,   462  f.    Kohler  5,  463 f.    Reiser 

5,  465  f.  6,  331.  7,  333.  9,  102 f.  10,  106.  11, 
2; '.2  f.  Dirksen  5,  466.  Fortier  5,  466. 
Sebillot  5,  467.    Hellmann  5,  468.   —    Cox 

6,  103.  K.  Meyer  6,  104.  Lübke  6,  106. 
Drechsler  6,  106  f.  Larsen  6,  107.  Wein- 
hold 6,  llOf.  Jacobs  6,  223.  Pfaff  6,  227. 
Cutrera  6,  228.  Hellmann  6,  228.  Lang 
6,  329  f.  Faulisi  6,  330.  Laube  6,  331. 
Lincke  6,  -332.    Bergen  6,  332  f.    Edwards 

6,  341.  Mielke  6,  341  f.  Bunker  6,  342. 
V.  Lipperheide  6,  343.  7,  217  f.  v.  Hell- 
wald 6,  343.  462.  7,  219.  455.  Andree  6, 
453 f.  Haas  6,  454.  Schröder  6,  455  f. 
Bielenstein  6,  456  f.  Kaindl  6,  457.  Trom- 
batore  6,  459 f.  Nagl  6,  461  f.  7,  454.  9, 
461.  11,  345.  —  Köhler-Meier  7,  108  f. 
Zibrt  7,  109.  Mark  7,  109.  Semon  7,  110. 
Wossidlo  7,  213  f.  Knoop-Haas  7,  214. 
Eskuche  7,  214.  Schumann  7,  216.  Wand- 
bilder 7,  216 f.  8,  109.  358.  Heierli  7,  217. 
454f.  8,  109 f.  358.     Lutsch  7,  218.    Kaindl 

7,  218 f.  Böhme  7,  332  f.  Pitre  7,  333  f. 
Sapper  7,  335  f.  Matthews  7,  336  f.  Tobler 
7,  447  f.  Olrik  7,  448.  Renk  7,  448 f. 
Courthion  7,  449 f.   Sebillot  7,  450f.   Becker 

7,  454.   —   Mitt.  f.  deutsche  Volkstrachten 

8,  99 f.  Schell  8,  105 f.  Asmus-Knoop  8, 
106.  Haas  8,  106.  Dähnhardt  8,  106 f. 
Löwenstimm  8,  lOSf.  Nyrop  8,  111.  Esser 
8,  112.  Hansjakob  8,  112.  Archiv  f.  Re- 
ligionswissenschaft 8,  229  f.  10,  103.  348  f. 
11,  94.  L'annee  sociologique  8,  2.30.  Wein- 
hold 8,  230f.  Weineck  8,  231.  Hesseling 
8,  232.  Bahlmann  8,  233.  Ammann  8, 
233 f.  9,  220.  10,  456  f.  Sächsische  Volks- 
trachten 8,  236 f.  Kroll  8,  237.  Kaindl  8, 
237.  Jaworskij  8,  238.  Maurmann  8,  350 f. 
Politis  8,  .351.  MüUenhoff  8,  355 f.  Dähn- 
hardt 8,  356.  462.  Haass;  Glock  8,  356. 
Strauss  8,  357.  Bunker  8,  357.  John- 
Czerny  8,  462  f.     Dreselly  8,  466.     Zahler 

8,  4667.  —  Die  Donauländer  9,  96  f.    Zibrt 

9,  97.  Zweck  9,  97.  Dennett  9,  100.  Köhler 
9,  102.  11,  95f.  Pestschrift  für  Lemke  9, 
103.  Gomme  9,  103-105.  Frömmel  9, 
105.  Dachler  9,  105 f.  Kaindl  9,  106. 
Petsch  9,  222  f.  Sebillot  9,  223.  Teit  9, 
224 f.  Höiler  9,  ,342.  Haas  9,  342 f.  Si'billot 
9,  343 f.  Scherman- Krauss  9,  448 f.  M. 
Müller  9,  452.  Pichler  9,  457.  Feilberg 
9,  457  f.     Chauvet  9,  158  f.    Gittee  9,  459  f. 


Weinhold— Zingerle. 


479 


Bächtold  9,  4lilf.  —  Wossidlo  10,  lOif. 
Lemke  10,  105  f.  Sobillot  10,  100.  Pitre 
10,  107.  Olrik  10,  108  f.  Gusinde  10,  110. 
•Politis  10,  UOf.  Schiepek  10,  111.  Justi 
10,  Ulf.  11,  23-2-235.  Troels-Lund  10, 
112  f.  Lerond  10,  233.  Pitre  10,  235  bis 
237.  Einlaufe  10,  240.  Skeat  10,  350. 
Petsch  10,  350  f.  Weise  10,  351.  Lechner 
10,  351.  Wuttke  10,  452.  Röscher  10, 
453 f.  Kunze  10,  454.  Renk  10,  454. 
V.  Jan  10,  455.    Agnetheln  10,  456.    Lange 

10,  457  f.  Euling  10,  458.  Den  danske 
Hejskole  10,  460.  —  Geyer  11,  100.  SebiUot 

11,  100  f.  Dähnhardt  11,  104.  Drechsler  11, 
233.  Unser  Egerlaud  11,  344 f.  H.  Meyer 
11,  345  f.  Brunk  11,  346  f.  Wichmaun  11, 
348f.     Sobillot  11,  467. 

IVeinliold,  Laura  (Fräulein,  Reichenbach  in 
Schlesien,  f  I9t»0:  s.  10,  102).  Das  Lösen 
des  Zungenbandes  5,  107.  —  Schlesische 
Sagen  7,  101-104.  443-447. 

Welcker,  Rudolf  (Direktorialassistent  Dr. 
in  Frankfurt  a.  M.).  Rec.  Naue  16, 
119  f. 

y.  Wendheim,  Marie  (Fräulein,  in  Salzburg). 
Grabinschrift  in  Gosseusass  4,  92.  —  Spruch 
des  Nachtwächters  in  Hindelang,  Algäu  9, 
212.  —  Die  Stecknadel  im  Volksaberglauben 
9,  330—333.  —  Silberne  Votivgaben  der 
Cubaner  10,  334  f. 

TVieth,  Franz  (in  Breslau).  Aus  der  Graf- 
schaft Glatz  9,  446  f. 

Wilhelm,  Friedrich  (Privatdozent  Dr.  in 
München).  Hausspriiche  aus  dem  Stubai- 
tal  in  Tirol  9,  284-287. 

Winter,  A.  (Libau,  Kurland).  'Mein  Bruder 
freit  um  mich',  mythologischer  Versuch 
über  ein  lettisches  Volkslied  und  ein  Lied 
des  Rig-Veda  7,  172—184. 

T.  Wiuterfeld,  Paul  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Berlin,  j  1905).  Ein  lateinischer  Segen 
mit  den  Namen  Christi  13,  442—444. 

Wisser,  Wilhelm  (Gymn.-Professor  a.  D.  Dr. 
iu  Oldenburg  i.  Gr.).  Das  Märchen  vom 
Meisterdieb  in  Ostholstein  13,  301 — 310.  — 
Das  Märchen  vom  Schweinehirten  und  der 
Königstochter,  zwei  holsteinische  Fassungen 
14,  432—435.  —  Vier  Volksballaden  aus 
dem  östlichen  Holstein    15,   331—335.  470. 

WolCf,  Theodor   (Pfarrer  iu  Niederbrombach, 
■   ßirkenfeld,    f  1904).      Volksleben    an    der 
oberen  Nahe  12,  308-31(5.  418-429. 

Wolters,  Paul  (Univ.-Professor  Dr.  in  Würz- 
burg). Zu  M.  Schneckenburgers  'Wacht  am 
Rhein'  16,  441  f. 


Wossidlo,  Richard  (Gymn.-Professor  Dr.  in 
Waren).  Der  Tod  im  Munde  des  mecklen- 
burgischen Volkes  4,  184—195.  —  Sage 
vom  Nibelungenland  4,  441  f.  —  Die  grüne 
Wiese  5,  214.  —  Das  Naturleben  im  Munde 
des  Mecklenburger  Volkes  5,  302—325.  424 
bis  448.  —  Ein  Viehsegen  aus  Mecklen- 
burg gegen  die  neunerley  Elven  11,  83  f.  — 
Über  die  Technik  des  Sammeins  volks- 
tümlicher Überlieferungen  16,  1—24. 

Z. 

Zachariae,  Theodor  (Univ.-Professor  Dr.  in 
Halle).  Zur  15.  Erzählung  des  Siddhi-Kür 
9,  336  f.  10,  100-102.  13,  216-218.  -  Zu 
Goethes  Parialegende  11,  186—192.  —  Und 
wenn  der  Himmel  war  Papier  11,  331.  — 
Durchkriechen  als  Mittel  zur  Erleichterung 
der  Geburt  12,  110—113.  —  Die  Paria- 
legende bei  Bartholomäus  Ziegenbalg  12, 
449-456.  13,  218  f.  —  Zur  indischen 
Witwenverbrennung  14,  198-210.  302  bis 
313.  395—407.  15,  74-90.  —  Zum  Doktor 
Allwissend  15,  373-379.  —  Indische 
Märchen  aus  den  Lettres  edifiantes  et 
curieuses  16,  129—149.  —  Zur  Geschichte 
vom  weisen  Haikar  17,  172—195.  —  Die 
Aufgabe  Stricke  aus  Sand  zu  winden  17. 
4G1.  _  Ein  merkwürdiger  Fall  von  Durch- 
ziehen 17,  315.  —  Die  weissagende  in- 
dische Witwe  18,  177—181.  —  Das  Dach 
über  einem  Sterbenden  abdecken  18,  442 
bis  447.  —  Das  Vogelnest  im  Aberglauben 
19,  142—149.  —  Scheingeburt  20,  141  bis 
181.  —  Rec.  Schrader  14,  232 f.  Caland 
17,  468-472. 

Zaretzky,  Otto  (Stadtbibliothekar  Dr.  in 
Köln).     Zur  Hillebille  15,  93f.  16,  430. 

Zeller,  Gustav  (Altbürgermeister  in  Salzburg, 
t  1902).  Bäuerliche  Krafts[)iele  am  Aber- 
see 11,  218  f.  —  Der  Nikolausabend  am 
Abersee  im  Salzburgischen  11,  3;>4f.  — 
Maibaumsetzen  am  Abersee  12,  109f.  — 
Die  Klebern  12,  214f. 

Ziegler,  Hans  (Cand.  phil.  in  Erlangen).  Die 
deutschen  Volksnamon  der  Pflanzen  und 
die  Verwandtschaft  uud  Vermischung  der 
deutschen  Volksstämme  20,  18—35. 

Zillner,  Anna  (Fräulein,  Lehrerin  in  Salz- 
biu-g).     Vom  Walser  Birnbaum  10,  91  f. 

Zingerle  v.  Sunimersberg,  Ignaz  (Univ.- 
Professor  Dr.  in  Innsbruck,  f  1892;  s.  2, 442). 
Ochseuhaut  als  Landmass  2,  80.  —  Zur 
Sancta  Kakukabilla-Cutubilla  2.  199-201. 
—  Die  drei   h.  Jungfrauen  zu  Meranseu  2. 


480 


Inhaltsverzeichnis  zu  Bd.  1—20.  —  Zingerle— Zupitza. 


32Bf.  —  Sagen  vom  Sinichkopfe  in  Mais 
bei  Meran  2,  441  f.  —  Rec.  Hörmann  1, 
104 f.  Greinz-Kapferer  1,  105  f.  M.  Meyer, 
2,  328  f. 

Zingerle  v.  Summersberg,  Oswald  (Univ.- 
Frofessor  Dr.  in  Czernowitz).  Segen  und 
Heilmittel  aus  einer  Wolfsthurner  Hand- 
schrift des  15.  Jahrh.  1,  172—177.  315  bis 
324.  —  Zum  altdeutschen  Bauwesen  7, 
202—205.  —  Brantreite  8,  93f.  —  Über 
alte  Beleuchtungsmittel  9,  55-58.  —  Der 
Kuhschwanz  an  der  Türe  9,  92  f. 

Ziskal,  Johann  (Museumsdiener  in  Wien). 
Mährische  Marteln  10,  335. 

Zoder,  Raimund  (Lehrer  in  Wien).  Wiener 
Lieder   beim  Pilotenschlagen  15,  338  —  342. 


—  Scheibensprüche  aus  Oberösterreich  17, 
441  f.  —  Eine  Methode  zur  lexikalischen 
Anordnung  von  Ländlern  18,  307—311.  — 
Die  Melodien  zu  der  Ballade  von  der 
Nonne  18,  394—411. 

Zuidema,  Willem  (Dr.  phil.  in  Amsterdam). 
Abermals  Le  joli  tambour  IG,  86  f.  —  Zu 
den  Mailehen  18, 101  f.  —  St.  Raspinus  und 
Ponus  18,  102  f.  —  Zum  Märchen  vom 
fliegenden  Pfannkuchen  18,  195.  —  Zu 
Kerkerings  Grabschrift  18,  449.  —  Amster- 
damer Häusersagen  20,  72  f. 

Zupitza,  Ernst  (Univ.- Professor  Dr.  in 
Greifswald).  Rec.  Nutt  8,  104 f.  Hüll  9, 
101  f.  Schrader  11,  89-94.  342-344. 
Maclagan  11,  347.    Thurneysen  12,  115f. 


Druck  von  Gebr.  Unger  iii  Berlin,  Bernburger  Str.  30. 


GR      Zeitschrift  Tür  Volkskunde 

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Z4 

Jg.  20 


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