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Zeitschrift
für
WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE
begründet
von
Carl Theodor v. Siebold und Albert v. Kölliker
herausgegeben von
Ernst Ehlers
Professor an der Universität zu Göttingen
Siebenundneunzigster Band
Mit 95 Figuren im Text und 33 Tafeln
LEIPZIG
Verlag von Wilhelm Engelmann
1911
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I tox
Inhalt des siebenuiidneunzigsten Bandes
Erstes Heft
Ausgegeben den 20. Dezember 1910
Seite
Josef Seh äff er, Über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpel-
gewebes und über verwandte Formen der Stützsubstanz. III. Teil.
(Mit Tafel I und II) 1
Walther Kolmer, Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren. (Mit
Tafel III) 91
Ernst Born, Beiträge zur feineren Anatomie der Pbyliirhoe bucephala.
(Mit 2 Figuren im Text und Tafel IV— VIII) 105
Zweites Heft
Ausgegeben den 14. Februar 1911
Friedrich Theodor Rosenberg, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte
und Biologie der Colyrabidae. (Mit 13 Figuren im Text und Tafel IX) 199
Wilhelm Johnas, Das Facettenauge der Lepidopteren. (Mit 3 Figuren
im Text nnd Tafel X— XII) 218
Felix Sieglbauer, Zur Entwicklung der Vogelextremität. (Mit 16 Figuren
im Text und Tafel XIII und XIV) 262
D. Tretjakoff, Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes.
(Mit Tafel XV— XVIII) 314
IV
Drittes Heft
Ausgegeben den 7. März 19J1
Seite
Kurt Bedau, Das Facettenauge der Wasserwanzen. (Mit 5 Figuren im
Text und Tafel XIX und XX) 417
E. Verson, Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung und der Häutungs-
driiseu bei Borabyx mori. (Mit Tafel XXI und XXII, 457
Alexius Zawarzin, Histologische Studien über Insekten. I. Das Herz
der Aeschnalarven. (Mit 9 Figuren im Text und Tafel XXI II und XXIV) 481
Kurt Marcus, Über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen aus der Gruppe
der Galatheiden. (Mit 18 Figuren im Text und 1 afel XXV und XXVI) 511
Iwan Sokolow, Über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. (Mit
Tafel XXVII-XXIX; 546
Viertes Heft
Ausgegeben den i. April 1911
G. Senn, Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten, nebst Bemer-
kungen über deren System. (Mit 8 Figuren im Text und Tafel XXX
und XXXI) 605
Gustaf Gering, Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.).
(Mit 1 Figur im Text und Tafel XXXII) 673
J. Henneke. Beiträge zur Kenntnis der Biologie und Anatomie der Tardi-
graden (Macrobiotus maeronyx Duj). (Mit 20 Figuren im Text und
Tafel XXXIII) 721
über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpel-
gewebes und über verwandte Formen der Stützsubstanz.
III. TeiP.
Mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften in Wien aus dem Legate Wedl
Josef Schaffer
in Wien.
Mit Tafel I und II.
Inhalt.
Die Chorda dorsalis und das chordoide blasige Stütz-
gewebe bei Wirbellosen und Wirbeltieren. Mechanisch
funktionelle Bedeutung der Chorda; ihre Beziehung zum Knorpelgewebe.
A. Diffuses chordoides Stützgewebe, a. Die zellig-blasige
Bindesubstanz der Mollusken; Kalk- und Glykogengehalt, Geschicht-
liches, b. Das zellig-blasige Stützgewebe der Decapoden und von Sijnin-
culus. c. Das blasige Gewebe des Tunicatenmantels. d. Das perimenin-
geale Füllgewebe bei Ammocoetes und Petromyzon. e. Das blasige
Gewebe bei Myxine in der Nachbarschaft des Auges usw. f. Das
chorioideale Gewebe von Petromyzon marinus. g. Die endoneuralen
Zellblasen, h. Das Gewebe des Sinuskissens in den Tasthaaren, i. Das
Gewebe im Sinus rhomboidalis der Vögel, k. Das Fettgewebe.
B. Kompaktes chordoides Stützgewebe. — Das Chorda-
gewebe beim erwachsenen Säugetier. — Das Stützgewebe in den Tentakeln
der Hydroidpolypen und in den soliden Tentakeln, den Schirmspangen
und im Schümrand der Medusen, — Der sogenannte ^TwpAioxMs-Knorpel.
Die vorangegangenen Untersuchungen an zwei Hauptvertretern
aus der Gruppe jener Knorpel, welche Kölliker als »Knorpel ohne
1 Das Manuskript der vorliegenden Arbeit war größtenteils schon am
Anfange des Jahres 1907 fertig gestellt. Schwierigkeiten bei der Beschaffung
des mannigfaltigen Materials, sowie die sich als notwendig ergebende selbständige
Bearbeitung des Epiglottisskelettes, haben die Vollendung bis heute verzögert.
Dadurch sind mannigfache Einfügungen und Nachträge nötig geworden.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 1
2 Josef Schaffer,
Grundsubstanz« bezeichnete und den Knorpeln mit Grundsubstanz
prinzipiell gegenüberstellte, haben einerseits ergeben, daß auch das
Knorpelgewebe der Petromyzonteni und Myxinoiden^ ein Grund-
substanzgewebe ist, d. h. zwischen den Zellen eine zusammenhängende,
unter unmittelbarem Einfluß der letzteren entstandene und stehende
Intercellularsubstanz besitzt, anderseits bei sfenauer Verfolgung der
ersten und späteren Entstehung dieser Grundsubstanz, besonders beim
harten (gelben) Myxinoidenknorpel gezeigt, daß die Bildungsvorgänge
dieser Grundsubstanz und die damit Hand in Hand gehende territoriale
Gliederung des Knorpels ganz dieselben sind, wie bei den grundsub-
stanzreichen Knorpeln höherer Tiere.
Bei der geringen Menge der Grundsubstanz und den scharf aus-
geprägten physikalisch-chemischen Unterschieden ihrer einzelnen Lagen,
tritt im harten Knorpel der genannten niederen Tiergruppen die
territoriale Gliederung nur viel schärfer hervor und kann daher leichter
verstanden und gedeutet werden.
In diesem III. und im IV. Teil sollen die übrigen Gewebe, welche
KöLLiKER noch zu den »Knorpeln ohne Grundsubstanz« rechnete,
untersucht werden. Dabei wird sich zeigen, daß ein Teil von ihnen
dem Knorpelgewebe überhaupt nicht zugerechnet werden kann, während
der andre Teil, ebenso wie die Knorpel der Petromyzonten und My-
xinoiden echte Grundsubstanzgewebe darstellt, welche nur durch die
Spärlichkeit ihrer Grund- oder Intercellularsubstanz ausgezeichnet sind.
Bekanntlich hat Kölliker bereits in der ersten Auflage seiner
Gewebelehre (1852, S. 44) an erster Stelle zu den »Knorpeln ohne
Grundsubstanz« (Knorpelzellenparenchym) die Chorda dorsalis der
Embryonen und mancher ausgewachsener Fische gerechnet; ferner
viele fötale Knorpel, die Knorpel der Kiemenplättchen der Fische
zum Teil und die des äußeren Ohres mancher Säugetiere. Dieselbe
Einteilung findet sich noch in der letzten Auflage der Gewebelehre
(1889, I. Bd. S. 111); nur bezeichnet er jetzt den »Knorpel ohne Grund-
substanz« auch als Zellenknorpel und rechnet nunmehr noch dazu
den Knorpel der Achillessehne des Frosches und die Knorpel der Ge-
ryonien, Anneliden, Cephalophoren und von Limulus.
3. Die Chorda dorsalis und das chordoide blasige Stützgewebe.
Die Chorda dorsalis. — Es liegt mir fern, hier eine eingehende
Darstellung vom feineren Bau der Chorda geben zu wollen; es genügt,
1 Diese Zeitschrift Bd. LXX. 1901. S. 109—170.
2 Ebendort, Bd. LXXX. 1905. S. 155—258.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes uaw. III. 3
in dieser Hinsicht auf die gründlichen, neueren Untersuchungen von
V. Ebner und Studnu^ika zu verweisen, in denen auch die ältere
Literatur genügend berücksichtigt erscheint.
Hier soll nur die Stellung der Chorda zum Knorpelgewebe und zu
verwandten Formen der Stützsubstanz kritisch-geschichtlich erörtert
und der Versuch gemacht werden, die histologische Verschiedenheit
zwischen Chorda- und Knorpelgewebe auf funktionelle Unterschiede
zwischen beiden zurückzuführen oder wenigstens die erstere teilweise
durch die letzteren verständlicher zu machen.
Die Auffassung der Chorda als eines knorpeligen Gebildes —
DuGES^ bezeichnete sie geradezu als cartilage rachidien, Quekett^
als nucleated cartilage — beruhte ursprünglich sicher nur auf deren
physikalischen Eigenschaften: ihrem hyalinen Aussehen im frischen
Zustande, ihrer Biegmigselastizität und relativen Festigkeit, welche
sie befähigen, ein stützendes Achsengebilde darzustellen.
Als dann die zellige Zusammensetzung der Chorda von Joh. Müller ^
und Th. Schwann* entdeckt wurde und letzterer auf ihre gToße Ähn-
lichkeit mit gewissen Knorpeln (Kiemenknorpel von Fischen und
Amphibienlarven) hinwies (1. c. S. 21), schien die Knorpelnatur der
Chorda auch histologisch begründet; man sprach, wie Henle^ sich
an einer Stelle ausdrückt, vom Knorpel der Chorda dorsalis als einem
Aggregat von großen Zellen mit geringen Mengen von Intercellular-
substanz.
Zur Bezeichnung der Auffassung jener Zeit sei noch angeführt, daß
Henle^ an andrer Stelle die Zellen eines von Haeckel'^ beim Fluß-
krebs beschriebenen großblasigen Gewebes zum Knorpelgewebe stellte,
»insbesondere bestimmt« durch »ihre Ähnlichkeit mit dem Gewebe
der Chorda dorsalis«; und daß F. E. Schulze ^ das eigentümliche
1 Recherches sur l'osteologie et la myologie des Batraciens etc. Mem.
Inst, de France. T. VI. 1835.
2 Lectures on histology. London 1852. p. 118.
3 Vgl. Anatomie der Myxinoiden. Abhandlgn. Kgl. Akad. Wiss. Berlin
(1834), 1836. S. 138.
* Mikroskopische Untersuchungen usw. Berlin 1839. S. 8. Hier beruft
sich Schwann in betreff der Entdeckung der zelligen Struktur der Chorda auf
eine kleine Mitteüung in der Med. Zeitung 1837 (VI. Jahrg. S. 169), in der je-
doch der Chorda mit keinem Worte Erwähnung getan wird.
5 Jahresber. über die Fortschr. der Anat. u. Phys. 1857. S. 83.
6 I. c. S. 87.
7 Müllers Arch. 1857.
8 Diese Zeitschr. Bd. XII. 1863. S. 181.
1*
4 Josef Schaffer,
Mantelgewebe gewisser Ascidien, dessen Grundsubstanz er (wie wir
heute wissen, irrtümlich) für ein Produkt der in sie eingeschlossenen
blasigen Zellen hielt, für ein der Chorda dorsalis ähnliches Gewebe
erklärte. Anderseits muß aber auch betont werden, daß sowohl Jon.
Müller, als auch Schwann das Gewebe der Chorda vom Knorpel
getrennt haben, besonders ausdrücklich und wiederholt ^ ersterer, in-
dem er nicht nur auf die »anatomische«, sondern bereits auch auf die
chemische Verschiedenheit hinwies. »Diese Gallerte (d. h. Chorda)
hat vielmehr eine Textur, wie sie bei keinem einzigen der vielen von
mir untersuchten Knorpel der Tiere vorkommt; es ist eine durchsich-
tige, in ebenfalls durchsichtigen, dicht aneinander stoßenden Zellen, die
den Pflanzenzellen analog sind, enthaltene Materie«.
Schwann hat ganz zutreffend jede Chordazelle für sich von einer
besonderen Haut umschlossen beschrieben (1. c." S. 12), an andrer Stelle
(S. 109) das Getrenntbleiben der Zellwände betont; er hat auch bereits
die Isolierbarkeit der Zellen (wie ich aus seiner Darstellung auf S. 15
schließen muß) und ihre auffallende Größe, im Vergleich zu den Knorpel-
zellen hervorgehoben. Da man aber auch die dünnen Grundsubstanz-
scheidewände in den oben genannten Knorpeln als »Membranen« oder
Zellhüllen auffaßte, anderseits auch wieder die Membranen der Chorda-
zellen als »Intercellularsubstanz« bezeichnete, konnte sich die Er-
kenntnis vom wesentlichen Unterschiede zwischen dem Chorda- und
Knorpelgewebe noch nicht Bahn brechen, obwohl auch Valentin^
und Valenciennes^ sich entschieden gegen die Knorpelnatur der
Chorda ausgesprochen hatten. Letzterer vermißte beim Vergleiche
der Chorda mit dem Knorpelgewebe der Selachier eigentliche Knorpel-
zellen in der Chorda. »Ich kann sie daher jetzt nicht als einen Knorpel
auffassen, trotz ihres äußeren Ansehens.« Dagegen betonte Valen-
ciENNES, daß die Knorpel der Mollusken in ihrem Bau mit der Chorda
übereinstimmen.
Leydig, welcher noch in seinem Lehrbuch der Histologie (1857,
Fig. 17) eine Partie aus der Chordagallerte von Polypterus als )^ Zellen-
knorpel« abbildet, hat dann* ebenfalls die Ähnlichkeit des Chorda-
gewebes mit dem von ihm als »zellig-blasigem« bezeichneten Gewebe
bei Wirbellosen (Weichtieren, Arthropoden, Würmern) hervorgehoben
1 POGGENDORFFS Annalen Bd. XXXVIII. 1836. S. 337.
2 Handbuch der Entwicklungsgesch. d. Menschen. BerHn 1835. S. 157.
3 Recherches sur la structure et la nature du tissu elementaire des carti-
lages. C. R. Acad. Sc. Paris. T. XIX. 1844.
4 Vom Bau des tierischen Körpers. Tübingen 1864. '
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 5
und ist geneigt die Chorda der Wirbeltiere hierher zu rechnen (S. 34),
obwohl er sie auch wieder unter dem »Zellenknorpel« anführt (S. 53).
Bestimmter spricht er sich später i aus, indem er sagt: »Die Chorda
dorsalis, welche man früher zum KnorpeK rechnete, stellte ich schon
vor langer Zeit zu jener Form des Bindegewebes, welches ich als , zellig-
blasiges' bezeichnet hatte.«
Dieser Auffassung hatte sich unterdessen auch Gegenbaur^ an-
geschlossen, obwohl er sich selbst noch später (vgl. Grundriß der ver-
gleichenden Anatomie, 1874, S. 22 u. f.) von der irrigen Vorstellung,
daß die Zellmembranen in der Chorda den benachbarten Zellen ge-
meinsam seien, nicht frei machen konnte. Früher hatte er ebenfalls
die Chorda zum Knorpelgewebe gestellt, was daraus hervorgeht, daß
er wiederholt 3 die Membranen der Chordazellen als » Intercellular-
substanz« bezeichnet hat. An einer Stelle (3, A, Fig. 1, Taf. IV) läßt
er die von einer zarten Membran begrenzten Chordazellen (im Schwanz-
wirbelkörper eines reifen Embryo von Lacerta agilis) von reichlicher
Intercellularsubstanz umgeben sein; hier handelt es sich offenbar um
die Verwechslung von endochordalem Knorpel mit Chordagewebe.
An einer andern Stolle — als er die Intercellularsubstanz im
Sesamknoten der Achillessehne vom Frosch nachwies* — bemerkt er
ausdrücklich über dieses Gewebe: »Daraus geht aufs sicherste hervor,
daß man es mit einer eigentümlichen Modifikation von Knorpel zu
tun hat, einer Form, bei der es nicht zur Bildung einer reichlichen
Intercellularsubstanz kommt, so daß das Gewebe . . . Ähnlichkeit
mit dem der Chorda dorsalis besitzt. «
Eine vollkommen klare Darstellung des wesentlichen Unterschiedes
zwischen Chorda- und Knorpelgewebe hat dann Langerhans ^ ge-
geben. Indem er zunächst betont, daß die Zellen der Chorda (von
Ammocoetes) durch Salpetersäure, wie durch MüLLERsche Flüssigkeit
isoliert werden können und daß zwischen ihnen keine Zwischensub-
stanz vorhanden ist, fährt er fort: »Der Anschein einer solchen wird
vielmehr nur durch die aneinander stoßenden Membranen der Zellen
1 Zelle und Gewebe. Bonn 1885. S. 50.
- Über das Skeletgewebe der Cyclostomen. Jenaische Zeitschr. Bd. V.
1870. S. 52.
3 Z. B. A. Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule
bei Amphibien und Reptilien. — Leipzig 1862. S. 60. — B. Über die Entwick-
lung der Wirbelsäule des Lepidosteus usw. Jenaische Zeitschr. Bd. III. 1867.
S. 361. S. 376, Anm. 1.
* Über einige Formelemente im Bindegewebe. Ebendort, S. 309.
5 Untersuchungen über Petromyzon Planeri. Freiburg i. Br. 1873. S. 37.
6 Josef Schaffer,
hervorgebracht. Es scheint mir somit notwendig, die scharfe Trennung,
welche Johannes Müllee aus so wichtigen Gründen zwischen dem
Gewebe des Knorpels und der Chorda vornahm, wieder einzuführen,
und nicht die Chorda ä conto einer in der Tat nicht existierenden
Zwischensubstanz weiter zu einem Gewebe zu stellen, von dem
sie sich scharf genug sondern läßt. Denn wenn auch die Zwischen-
substanz des Knorpels ähnlich den Zellmembranen durch die Tätig-
keit der Zellen entsteht, so existiert doch im fertigen Knorpel überall
zwischen den Zellen und eventuell ihren Hüllen eine differente Gewebs-
lage, von welcher in der Chorda des Neunauges auch keine Andeutung
vorhanden ist. «
v. MiHALKOVicsi wurde durch eine Reihe von Gründen, haupt-
sächlich entwicklungsgeschichtlicher, aber auch histologischer Natur
bewogen, in der Chorda ein epitheliales Gebilde zu vermuten. »Auf
jeden Fall steht das Gewebe der Chorda dem Epithelgewebe näher
als dem Knorpel, dem es bisher zugereiht wurde. « Als Gründe führt
er an : die scharfe Trennung der Chorda von den Gebilden des mittleren
Keimblattes, die sich auch später immer erhält; die glashelle Scheide,
wie man sie überall an der Grenze zwischen Bindegewebe und Epithel
antrifft; der gänzliche Mangel einer Zwischensubstanz zwischen den
Zellen der Wirbelsaite; die eigentümlichen Formumwandlungen ihrer
Zellen (Verhornung) und die Vacuolisierung des Zellinhaltes, eine
degenerative Erscheinung, die meist nur bei Epithelien vorkommt.
Sehr entschieden hat auch Eanvier^ die Knorpelnatur des Chorda-
gewebes in Abrede gestellt auf Grund einer zutreffenden Schilderung
vom feineren Bau desselben; auch hat Ranvier wieder darauf hin-
gewiesen, daß es leicht sei, die Zellen der Chorda bei jungen Fischen
und Froschlarven nach 24stündiger Maceration in Jodserum oder
Dritte] alkohol als dünnwandige Bläschen zu isolieren.
Als Neumann 3 die eigentümliche Jodreaktion der Knorpel- und
Chordazellen entdeckte, glaubte er diese Tatsache zugunsten der von
Ranvier bestrittenen Zugehörigkeit der Chorda zum Knorpelgewebe
ins Feld führen zu sollen. Wenu Neumann zur Begründung dessen
sagt : »Wenigstens hätte Ranvier, wenn er die Jodreaktion der Chorda-
zellen erkannt hätte, darin mit demselben Rechte einen Beweis für
ihre Knorpelnatur erbhcken müssen, mit welchem er das Nichteintreten
1 Wirbelsaite und Hirnanhang. Arch. mikx. Anat, Bd. XI. 1874. S. 391.
2 Traite technique d'Histologie. Paris 1875. p. 271.
3 Die Jodreaktion der Knorpel- und Chordazellen. Arch. mikr. Anat.
Bd. XIV. 1877. S. 57.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 7
der Jodreaktion an den Zellen des sogenannten Achillesknorpels der
Frösche als Argument gegen die wirklich knorpelige Beschaffenheit
desselben benützt«, so scheint mir dies insofern nicht zutreffend, als
die Chorda ihren hohen Glykogengehalt (13% des Trockenrückstandes
nach KosselI) mit andern embryonalen Geweben teilt, wogegen der
geringe Glykogengehalt echter Knorpelzellen, welchem sie die Jod-
reaktion verdanken, wohl ein auffälliger Unterschied von den die Re-
aktion nicht gebenden • Zellen im Sesamknoten der Achillessehne vom
Frosch ist.
Erwähnt sei hier auch, daß Kossel (1. c.) das Gewebe der Chorda
viel wasserreicher (etwa 96%), als das des umgebenden Knorpels bei
demselben Tier (Stör) findet (81,5 %) und an den bereits von Sten-
BERG^ erbrachten Nachweis vom Fehlen des Chondromucoids (Chon-
drins) und Collagens (Glutins) im Chordagewebe erinnert.
In seiner Entwicklungsgeschichte (2. Auflage 1879, S. 402) gibt
KÖLLiKER einerseits zu, daß Gründe vorhanden seien, die Chorda nicht
zum Knorpelgewebe zu rechnen, doch überwiegen ihm jene, nach
welchen er sie zum zelligen Knorpel rechnet. Als solche führt er an:
hauptsächlich den Umstand, daß die Chordazellen nach seinen und
andrer Erfahrung bei vielen Tieren sich in echten hyalinen Knorpel
umwandeln können und daß manche unzweifelhafte Knorpel im Bau
der Chorda sehr ähnlich sehen.
Renaut^ hat dann auch die Ähnlichkeit der Chorda mit epithe-
lialen Bildungen hervorgehoben; sie besitzt nach ihm kein einziges
charakteristisches Merkmal des Knorpelgewebes. Wohl aber hat er
ihre physikalische und strukturelle Ähnlichkeit mit einer Reihe andrer
Stützsubstanzen, die allerdings sehr heterogener Natur sind und die
er unter der Bezeichnung des tissu fibro-hyalin zusammenfaßt, betont.
Hierzu gehören: die hyalinen Knötchen und Zellen an der Innenseite
des Perineuriums bei Pferd und Esel, der Sesamknoten der Achilles-
sehne vom Frosch, das innere Skelet gewisser Mollusken {HelixY, das
arachnoidale Hüllgewebe der Cyclostomen, jenes um die Retina von
Petromyzon marinus und Chamäleon, um das Ganglion nervi acustici,
die blasenförmigen Zellen in den Tasthaaren der Säugetiere (Ratte,
1 Gewebelehre von Schieffeedeckek und Kossel. 1. Abt. 1891. S. 349.
2 G. Retzius, Einige Beiträge zur Histologie und Histochemie der Chorda.
Arch. Anat. Phys. Anat. Abt. 1881. S. 89.
3 Traite d'HistoIogie pratique. T. I. Paris 1893. p. 336. (Vorrede datiert
von 1888).
4 C. R. de l'Acad. Sc. Paris. T. XC. 1880. p. 711.
8 Josef Schaffer,
Meerschweinchen), wahrscheinlich das Gewebe über dem Sinus rhom-
boidalis der Vögel i.
0. Hektwig^ hat die Chordazellen mit vacuolisierten Zellen ge-
wisser Wirbellosen (in den Tentakeln mancher Cölenteraten, gewissen
Körperanhängen von Anneliden) zusammengestellt und zuerst ausdrück-
lich betont, daß es der Turgor in diesen Zellblasen ist, welcher sie zur
stützenden Funktion befähigt. »Indem die zahlreichen turgeszenten,
kleinen Chordazellen nach außen durch eine feste elastische Scheide
zu einem Organ verbimden und gegen die Umgebung abgegrenzt sind,
werden ihre einzelnen Turgorkräfte sich summieren und durch inneren
Druck die gemeinsame Scheide in Spannung erhalten. «
Auch Fol 3 hat die Ähnlichkeit der Chordazellen mit gewissen
Stützzellen in den soliden Tentakeln mancher Cölenteraten und
Eöhrenwürmer betont (1. c. S. 224) und das Chordagewebe mit einer
Reihe von Stützgeweben bei Wirbellosen (dem Zungenknorpel von
Dentalium und Gastropoden, Schirmrand der Trachymedusen), aber
auch dem Knorpelgewebe der Petromyzonten als Kapselgewebe
zusammengefaßt, das er als niedersten Typus der Bindesubstanzen
bezeichnet.
Rauber* trennt das Chordagewebe wegen der Verschiedenheit
seines Ursprunges und der chemischen Beschaffenheit vom Knorpel-
gewebe und faßt es als eine besondere Gruppe des Epithelgewebes auf.
Bergh^ bezeichnet das Gewebe der Chorda, sowie das Gewebe
des Achsenstranges in den Tentakeln der Hydroidpolypen, welche
wegen des Mangels an Intercellularsubstanz nicht zu den bindege-
webigen Substanzen gerechnet werden können, als epitheliale Stützgewebe.
Ein wesentlicher Fortschritt in der Erkenntnis des geweblichen
Aufbaues der Chorda dorsalis und ihrer histologischen Stellung wurde
durch die eingehenden Untersuchungen v. Ebners ^ angebahnt; er
1 Arch. de physiol. 1881. p. 161 et p. 845.
2 Die Zelle und die Gewebe. Jena 1893. S. 127.
3 Lehrbuch der vergl. mikr. Anatomie. Leipzig 1896 (vollendet 1892).
* Lehrbuch der Anatomie. LeijDzig 1892. S. 101.
5 "Vorlesungen über die Zelle und die einfachen Gewebe. Wiesbaden 1894. S.95,
•^ Über den Bau der Chorda dorsalis des Amphioxus lanceolatus. Sitzber.
kais. Akad. Wiss Wien. Bd. CIV. Okt. 1895. S. 199. — Über die Wirbel der
Knochenfische und die Chorda dorsalis der Fische und Amphibien. Ebendort,
Bd. CV. Mai 1896. S. 123. — Die Chorda dorsalis der niederen Fische und die
Entwicklung des fibrillären Bindegewebes. Diese Zeitschr. Bd. LXXII. 1896.
S. 469. (Hier findet man auch das Verzeichnis der übrigen auf die Chorda be-
züglichen Arbeiten.)
über deu feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 9
wies nicht nur zuerst einwandfrei nach, daß die indifferenten Bildungs-
zellen der Chorda (das sogenannte Chordaepithel) leimgebendes Gewebe
bilden und sich in echte Knorpelzellen umwandeln können, sondern
auch, daß aus denselben unter Umständen Zelltypen hervorgehen,
welche an die in geschichteten Pflasterepithelien und Horngewebe vor-
kommenden Bildungen erinnern.
Somit »\\nrd man die Frage, ob die Chorda ein Bindesubstanz-
oder ein Epithelgewebe ist, weder bejahen, noch verneinen können«,
sondern muß ihr eine selbständige, vermittelnde Stellung zwischen
beiden Gruppen zuweisen, v. Ebner wendet sich auch wiederholt
gegen die Auffassung des typischen, blasigen Chordagewebes als
Parenchym- oder Zellenknorpel und führt als microchemischen Unter-
schied des Chordagewebes vom Hyalinknorpel noch an, daß Phenol,
Eugenol, Salizylaldehyd usw. die Doppelbrechung des Hyalinknorpels
nach vorausgehender Entwässerung in Alkohol in eine entgegengesetzte
umwandle, während dies bei der Chorda nicht der Fall ist.
StudnickaI hat dann das Chordagewebe bei zahlreichen Ver-
tretern der niederen Wirbeltierklassen, besonders einer großen Anzahl
von Knochenfischen, untersucht und ist zu dem Schlüsse gekommen,
daß das Chordagewebe mit dem Knorpelgewebe überhaupt nichts
Gemeinschaftliches hat. Näher geht er auf die Frage in einer weiteren
Arbeit 2 ein, in welcher ein umfangreiches Kapitel sich mit dem Chorda-
gewebe und seinem Verhältnis zum Knorpelgewebe befaßt. Die Schluß-
folgerungen, zu denen er hier kommt, decken sich teilweise vollkommen
mit meiner Anschauung, weshalb dieselben hier angeführt sein sollen :
»Zur Charakteristik eines Knorpels gehört in erster Reihe eine Grund-
oder . . . Intercellularsubstanz, die, wenn sie auch manchmal in ganz
dünnen Schichten vorhanden ist, doch immer auf eine ganz deutliche
Weise die einzelnen Zellen voneinander trennt. Ein »Knorpel ohne
Grundsubstanz«, dessen Existenz früher vielfach angenommen wurde,
kommt überhaupt nicht vor. Nun findet man im Chordagewebe in
der Tat keine Substanz, die in voller Bedeutung des Wortes als ,inter-
cellular' bezeichnet werden könnte. Im Gegenteil sind die einzelnen
Zellen desselben voneinander durch Lücken getrennt, und darin besteht
eben der wesentlichste Unterschied zwischen den beiden Gewebsarten. «
Anderseits kann ich mit Studnicka nicht übereinstimmen, wenn
1 Über das Gewebe der Chorda dorsalis und den sogenannten Chorda-
knorpel. Sitzb. kgl. böhm. Ges. Wiss. 1897. S. 47.
2 Histologische und histogenetische Untersuchungen über das Knorpel-,
Vorknorpel- und Chordagewebe. Anat. Hefte. Bd XXI. 1903. S. 400 u. f.
10 Josef Schaff er,
€r die Chorda aus der Keihe der Stützsubstanzen streichen und zu
dem Epithelgewebe stellen wiRi. Das Chordagewebe ist eine primitive,
aber typische Stützsubstanz, deren Verwandtschaft mit dem Knorpel-
gewebe unverkennbar ist. Studniöka weist selbst darauf hin, daß
die Chordazellen, besonders bei gewissen Teleostiern, eine Reihe von
Eigentümlichkeiten aufweisen, welche »wieder nirgend anderswo, als
im Knorpelgewebe ihre Analogien finden können «^ und hat auch selbst
eine ausführliche Darstellung der merkwürdigen Substitutionsfähigkeit
des Chordagewebes durch Knorpelgewebe gegeben.
Wir begegnen dieser Substitutionsfähigkeit als einer charakteristi-
schen Eigentümlichkeit in der ganzen Reihe der Stützsubstanzen,
was schon Reicheet^ erkannt und Ranviek* betont hat, indem er
z. B. auf die Sclera als ein Organ hinweist, welches bei verschiedenen
Tieren fibrös, knorpelig oder knöchern sein kann. Wenn er dabei
von einer »Transformation« des einen Gewebes in das andre spricht,
so scheint mir dieser Ausdruck, welcher an die Vorstellung einer Meta-
plasie im älteren Sinne des Wortes erinnert, nicht glücklich gewählt.
Wie heute wohl allgemein angenommen wird^, ist diese Substitutions-
möglichkeit einzig auf die Fähigkeit der indifferenten Bildungszellen
der Bindesubstanzen zurückzuführen, unter geänderten (mechanischen
oder funktionellen) Bedingungen Gewebe von verschiedener Art zu
bilden. So zeigt sich auch die Verwandtschaft zwischen Chorda- und
Knorpelgewebe vornehmlich darin, daß — nach den übereinstimmenden
Angaben von v. Ebner, Klaatsch^ und Studnicka — die indiffe-
renten Chordazellen (das Chordaepithel) die blastische Potenz besitzen,
gelegentlich auch echtes Knorpelgewebe zu erzeugen. Diese histo-
blastische Verwandtschaft, sowie die funktionelle Ähnlichkeit vor-
ausgesetzt, läßt sich der durchgreifende Unterschied im feineren Bau
des Chorda- und Knorpelgewebes durch eine genauere Betrachtung
ihrer mechanischen Aufgaben dem Verständnis näher bringen. Wie
sich besonders an den grundsubstanzarmen Knorpeln der Cyclostomen,
welche noch die meiste Ähnlichkeit mit dem Chordagewebe besitzen.
1 Anat. Hefte, 1. c. S. 400.
2 Ebendort, S. 403.
3 Bemerkungen zur vergl. Naturforschung usw. Dorpat, H. Gläseb, 1845.
* Les elements et le tissu du Systeme conjonctif. Journ. de Micrgr. T. XIII.
1889. p. 10.
^ Über die neueste, abweichende Anschauung von Fb. Krauss siehe
weiter unten.
ß Über die Chorda und die Chordascheiden der Amphibien. Verhandl.
Anat. Ges. 11. Vers. Gent 1897. S. 82.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgevvebes usw. III. 11
nachweisen ließ^, zeigt die Grundsubstanz derselben ein architektonisches
Gefüge, welches den Knorpeln ihre Druck- und Biegungsfestigkeit,
aber auch eine gewisse Biegungselastizität verleiht.
Diese mechanischen Eigenschaften werden beim Knorpel dadurch
erreicht, daß die strebefeste, aber doch elastische Grund- oder Inter-
cellularsubstanz ein zusammenhängendes Fachwerk oder Alveolen-
wandsystem bildet, das z. B. in einem cylindrischen Knorpelstab (der
sich am besten zum Vergleiche mit der Chorda eignet) oberflächlich eine
verdickte Rinde bildet, von der radiär in sagittalen, wie übereinander
liegenden horizontalen Ebenen stützende Lamellen auf axiale Balken-
systeme zu laufen (vgl. die Fig. 10 u. 12, Taf . VII, diese Zeitschr. Bd. LXX).
Das mechanisch-funktionelle Element ist demnach im
Knorpel die Intercellularsubstanz.
Immerhin dürfte die Turgescenz der verhältnismäßig großen
Zellen zur Erhöhung der Biegungs- und Druckfestigkeit der dünn-
wandigen Systeme nicht unwesentlich beitragen, wie dies Schäfer ^
für die ähnlich gebauten Knorpel der Froschlarven nachgewiesen hat.
Jedoch wird beim Knorpel einerseits durch Herabsetzung oder Auf-
hebung des Turgordruckes (wie sie z. B. durch Schrumpfung der Zellen
bei der Fixierung eintritt) niemals auch die Druck- und Biegungs-
festigkeit aufgehoben, und anderseits erreicht die Biegungselastizität
auch beim dünnsten Knorpelstab niemals einen solchen Grad, daß
er parallel zu sich selbst umgebogen werden könnte, da dies die un-
verschieblichen, radiär zu seiner Oberfläche gestellten Grundsubstanz-
wände verhindern.
Anders bei der Chorda dorsalis. Fol^ sieht die Funktion seines
»Kapselgewebes«, dem er auch die Chorda zurechnet (s. o.) in der
elastischen Resistenzkraft der Verdickungsschichten seiner Zellmem-
branen. Dies trifft für einzelne Formen des Chordagewebes wohl zu;
für jenes mit dünnen Zellmembranen (Cyclostomen, Froschlarven u. a.)
spielt jedoch, wie Schäfer* gezeigt hat und der hohe Wassergehalt
der Chordagallerte (vgl. oben die Angabe Kossels) beweist, der Turgor-
druck der Zellen und die diesen wesentlich erhöhende Chordascheide,
in deren Widerstand der Grund für die von v. Ebnere nachgewiesene
1 Diese Zeitschr. Bd, LXI. 1896. S. 628 und Bd. LXX. 1901. S. 128 u. f.
2 Beiträge zur Analyse des tierischen Wachstums usw. Arch. f. Entwick-
lungsmech. Bd. XIV. 1902. S. 381.
3 Lehrbuch der vergl. mikr. Anat. Leipzig 1896. S. 338.
4 I. c.
^ Über den feineren Bau der Chorda dorsahs der Cyclostomen. Sitzb.
Kais. Akad. Wiss. Wien. Bd. CIV. Jann. 1895. S. 9.
12 Josef Schaffer,
positive Spannung der Chordagallerte gesehen werden muß, die Haupt-
rolle. Mit Kecht hat v. Mack solche Gewebe geradezu als »Turgor-
gewebe << bezeichnet, worüber auf Abschnitt C. verwiesen sei. Wird dieser
Turgordruck hier herabgesetzt oder aufgehoben, so falten sich die
Zellmembranen und ihre elastische Resistenzkraft ist verloren.
In der Chorda ist eben das mechanisch-funktionelle
Element die Zelle; eine Intercellular- oder Grundsubstanz ist zwi-
schen den blasigen Zellen nicht nachweisbar. An Schnitten hat es
allerdings oft den Anschein, als ob die blasigen Chordazellen durch
einfache Scheidewände getrennt würden; »nur selten sieht man in den
Zwickeln, wo mehrere Zellen aneinander stoßen, Andeutungen von
Mittellamellen und von Intercellularräumen « sagt v. Ebner i, der
sich durch diese Bilder verleiten ließ, die Membranen als für je zwei
Nachbarzellen gemeinsam anzunehmen. Ganz denselben Eindruck
machen aber auch Schnitte durch geschichtete Pflasterepithelien mit
blasigen Zellen, imd man würde auch hier nach dem Aussehen der
Schnittpräparate allein nie an eine Isolierbarkeit der Zellen denken,
die hier ja so leicht und allgemein bekannt ist. Aber auch die Chorda-
zellen von Ammocoetes lassen sich, wie verschiedene Autoren angegeben
haben, leicht als ringsum geschlossene Blasen isolieren, ohne daß zwi-
schen ihnen etwa ein verbindender Kitt sichtbar würde. In Fig. 1
habe ich solche Zellen aus der in V2%ige Osmiumsäure eingelegten und
dann zerzupften Schwanzchorda abgebildet. Sie zeigen die von G.
Retzius^ beschriebene Faserung ihrer Membranen und an ihren der
Chordaachse zugewendeten Enden deutliche Druckfacetten; auch konnte
ich mich durch Rollen der Zellen unter dem Deckglas davon über-
zeugen, daß sie ringsum geschlossen waren. Zerzupft man in ähnlicher
Weise einen chordaähnlichen Knorpel, so kann man nur Teile des
Fachwerks und nackte Zellen isolieren.
Diese blasigen, mit Flüssigkeit gefüllten Zellen werden nun durch
die Chordascheiden fest aneinander gepreßt, und ihre Verbindung
untereinander wird durch die Rippen in den Zellwänden oder durch
eigne Intercellularbrücken (v. Ebner, Studnicka) hergestellt. So
entsteht ebenfalls ein einigermaßen druckfester, aber in viel höherem
Grade biegungselastischer Cylinder, in dem die Zellen, etwa ähnlich
wie in einem geschichteten Epithel auf dehnbarer Unterlage, noch
eine gewisse Beweglichkeit, d. h. Verschiebbarkeit besitzen, so daß
sie bei starken Biegungen nach den Stellen geringeren Druckes aus-
1 Über den Bau der Chorda dorsalis des Amphioxics lanceolatus, 1. c. S. 207.
2 1. c.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 13
■weichen können. Zu dieser Vorstellung gelangte ich durch die Be-
obachtung von Ammocüten, die, in wenig Wasser gebracht, mit dem
Schwänze schlagen; da kann man sehen, daß diese Biegungen in so
spitzen Winkeln erfolgen können, daß der seitlich umgeschlagene
Schwanz mit seiner ganzen Innenfläche der hinteren Körperseite an-
liegt, was mit einem knorpeliegen Achsengebilde nie möglich wäre.
Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, daß die Gleitfähigkcit der
Zellblasen in der Chordagallerte geradezu als funktioneller Reiz zu
ihrer Erhaltung nötig ist^. Denn in allen Fällen, wo die stützende
Funktion der Chorda hauptsächlich auf die- irgendwie (durch Ver-
knorpelung, Einlagerung von Knochen) versteifte Chordascheide über-
geht, verschwindet die gegenseitige Unabhängigkeit der Zellblasen,
d. h. ihre Wände verwachsen (was schon Schwann von den Chorda-
resten bei Knochenfischen erwähnt; vgl. auch A. Albrecht 2) und
werden durchbrochen, wie bei gewissen Selachiern und Knochen-
fischen (vgl. Studnicka, Sitzb. böhm. Ges. Wiss. 1897, S. 51).
Die Chorda kann also bis zu einem gewissen Grade ähnlich wie.
Knorpel funktionieren; verfolgt man jedoch diese Funktion in ihre
Einzelheiten, so wird man sie in mehrfacher Richtung wesentlich ver-
schieden von der des Knorpelgewebes finden, welche potenzielle Ver-
.schiedenheit durch die hervorgehobene strukturelle verständlich wird.
Man kann daher das Chordagewebe weder vom histologischen,
noch chemischen, noch mechanisch-funktionellen Standpunkte als
eine Art Knorpelgewebe bezeichnen.
Neuestens hat nun Fr. Krauss^ versucht, das Chordagewebe
geradezu als Larvalknorpel, also wieder als Knorpelgewebe im
Sinne Köllikers hinzustellen. Dies muß um so mehr überraschen
als Krauss in klarer Weise die besondere mechanische Funktion des
Chordagewebes erläutert. Für seine Auffassung sind ihm jedoch im
wesentlichen zwei Dinge maßgebend: einmal die als Tatsache hin-
gestellte Umwandlungsfähigkeit auch der wohlaussebildeten, vacuoli-
sierten Chordazellen in Knorpelzellen und dann die Annahme einer
»minimalen und nicht notwendigerweise nachweisbaren Menge von
1 Auch L. F. Henneguy, (Histogenese de la corda dorsale. C. R. Soc.
Biol. Paris, T. LXIII. 1907. p. 510) nimmt eine Verschiebung der Chorda-
zellen innerhalb der Chorda an.
2 Zur Entwicklungsgeschichte des Achsenskelettes der Teleostier. Diss.
Straßburg 1902.
3 über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen und die Natur des
Chordagewebes. Arch. mikr. Anat. Bd. LXXIII. 1908. S. 69.
14 Josef Schaff er,
verbindender Kittsubstanz« zwischen den verschmolzenen Membranen
der Chordazellen.
Daß dieser letzteren Annahme, die in Anlehnung an die alte Vor-
stellung von Gegenbaur auch heute noch von M. FürbringerI fest-
gehalten wird, während Studnicka^ eine Intercellular- oder Kittsub-
stanz nirgends findet, für die Auffassung des Chordagewebes als eines
Knorpelgewebes keine Bedeutung zukommen kann, beweist die Isolier-
barkeit der Chordazellen. Was aber die Umwandlung voll ausgebildeter
blasiger Chordazellen in Knorpelzellen anlangt, so muß ich auf diesen
Punkt etwas näher eingehen.
Krauss schildert diese Umwandlung so, daß an den blasigen
Chordazellen eine Verdickung der Zellmembran, sowie Bildung von
Tropfen und Netzen im Innern der Zellen auftritt. Diese Tröpfchen
sitzen zunächst an den festeren Partien des Endoplasm?s oder der
Vacuolenwand und verbreiten sich von dort Fäden und Netze bildend;
auch zu größeren Tropfen oder zu verschiedenen zackigen oder tropf-
steinartigen Gebilden können die Tröpfchen konfluieren. Durch diese
Konfluenz und Verdichtung verfallen größere Gewebspartien der Ver-
knorpelung. Die Tröpfchen und Fäden färben sich mit Hämatoxylin,
Bismarckbraun, Kresylviolett ebenso wie » Chondromucoid «, zu welcher
Behauptung Krauss bemerkt, daß er keine Rücksicht darauf nehme,
» daß das Chondromucoid sich mit dem Mucin färberisch gleich verhält « ^.
Die geschilderten Veränderungen treten nach Krauss zuerst im
Vertebralteil der Chorda auf, und zwar fallen sie zusammen mit der
ersten Anlage des perichordalen Knochens.
Ahnliche Vorgänge nun, wie sie hier Krauss an den angeblich
verknorpelnden Chordazellen beschreibt, habe ich an Zellen des harten
Knorpels von Myxine beobachtet*. Hier steht das Auftreten von
basophilen Tropfen und Netzen, die zu größeren Massen konfluieren
können, aber zweifellos in Zusammenhang mit regressiven Prozessen
an den Zellen, die schließlich zur Umwandlung dieser Zellen in Grund-
substanz führen.
Der Umstand, daß die von Krauss geschilderten angeblichen
1 Gegenbaubs Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 8. Aufl. I. Bd.
1909. S. 436.
2 Zu der »Erwiderung« von Friedrich Krauss usw. Anatom. Anz.
Bd. XXXIV. 1909. S. 582.
3 Die Annahme halte ich für ungerechtfertigt. Drüsenmucin läßt sich
färberisch von dem Stoffe, welcher der Knorpelgrundsubstanz ihre charakteri-
stische Basophilie verleiht, wohl differenzieren.
4 Diese Zeitschr. Bd. LXXX. 1905. S. 190 u. f.
über den feineren Bau u. die P^ntwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 15
Verknorpelungsvorgänge an den Chordazellen des Axotlotl gerade dort
beginnen, wo die Chorda später zugrunde geht, d. h. mit der ersten
Anlage des perichordalen Knochens zeitlich zusammenfallen, legt den
Gedanken nahe, daß es sich auch hier um die Einleitung von Rück-
bildungsvorgängen an den blasigen Chordazellen handelt; an deren
Umwandlung in Knorpelzellen zu denken, fällt schon — neben andern
Gründen — deshalb schwer, weil die weit differenzierte Chordazelle
die Knorpelzelle um ein Vielfaches an Volumen übertrifft. Auch läßt
uns die Schilderung von Krauss über das Schicksal der festen Mem-
bran der Chordazellen bei der Metaplasie dieser letzteren in membran-
lose, protoplasmatische Knorpelzellen vollkommen im unklaren.
Ich habe nun die Vorgänge bei der Verknorpelung der Chorda
teils beim Axolotl, teils beim Salamander, der nach Krauss im wesent-
lichen gleiche Verhältnisse zeigt, nachgeprüft i, konnte aber zu einer
Bestätigung der Auffassung von Krauss nicht kommen.
Wie ich an andrer Stelle gezeigt habe, werden bei der normalen
Knorpelbildung oft fremde Bestandteile in das Knorpelgewebe einge-
schlossen; dann aber assimiliert, indem sie als solche zu existieren
aufhören und ihr Material zum Aufbau der Knorpelgrundsubstanz
verwendet wird.
Dasselbe ist der Fall dort, wo durch die Knorpelbildung vom Chorda-
epithel aus, die ja auch Krauss für die Entstehung der peripheren
Partien des Chordaknorpels verantwortlich macht, blasiges Chorda-
gewebe eingeschlossen wird. Die Assimilation und Resorption dieser
eingeschlossenen Chordazellen ließ sich beim Salamander wie Axolotl
mit wünschenswerter Deutlichkeit verfolgen.
Bei einer 44 mm langen Larve von Salamandra sehe ich die Knorpel-
bildung im cranialen Abschnitt der Chorda nur von der Peripherie
ausgehen, so zwar, daß die blasigen Chordazellen in dorsoventraler
Richtung zu einem ganz flachen Septum zusammengedrückt erscheinen,
das die verknorpelte Chorda der ganzen Breite nach durchsetzt.
Diese Chordareste sind in ihren kleinsten Teilen durch eine starke
Rotfärbung mit Eosin in der mit Hämalaun bläulich gefärbten Knorpel-
grundsubstanz zu sehen, ähnlich wie dies die Fig. 10, Taf. V von
Krauss zeigt.
In der aus flach gedrückten Chordablasen bestehenden Platte sieht
man auch einzelne pykno tische Kerne. An verschiedenen Stellen sind
1 Ich konnte dies an den Serien von Salamandra maculosa meines geehrten
Kollegen und Freundes Professor D. H. Rabl tun, die teils mit Cochenille-Häm-
alaun- Eosin, teils mit Delafields Hämatoxylingemisch-Eosin gefärbt waren.
16 Josef Schaff er,
einzelne Teile von der Platte losgesprengt und liegen in den interterri-
torialen Zwickeln des Knorpels, wo sie eingeschmolzen und assimiliert
werden, ganz ähnlich, wie andre fremdartige Einschlüsse, z. B. elastische
Fasern oder die Chordascheide zwischen peri- und endochordalem
Knorpel usw. (vgl. den ersten Teil dieser Untersuchungen S. 159 u. f.).
Bei einem vollständig metamorphosierten Tiere fand ich abwech-
selnd starke Ausbildung des peri- und endochordalen Knorpels. Ersterer
engt die Chorda konzentrisch ein und bringt sie zum Schwund. Die
lebhaft rot gefärbte Chordascheide zeigt immer deutlich die Grenze
der Chorda an; allerdings kann diese Scheide stellenweise durch den
vordringenden Knorpel zersprengt werden, was schon H. Kabl be-
merkt hati. Das ist aber nur dort der Fall, wo der perichordale Knorpel
auf endochordalen übergreift und die Scheide zwischen beide einge-
schlossen wird und deren assimilatorischer Tätigkeit verfällt.
An den Stellen rein perichordaler Knorpelbildung zeigt nun das
Chordagewebe jene Veränderungen, die Krauss als Vorläufer der
Verknorpelung beschrieben hat, die ich aber als ganz charakteristische
Rückbildungserscheinungen auffassen muß. Die peripheren großen,
blasigen Zellen besitzen Netzwerke, die sich mit Delafields Häma-
toxylingemisch färben und mit ebenfalls stark blau gefärbten Tröpf-
chen besetzt sein können. Die centralen Zellen erscheinen zusammen-
gedrückt, so daß sich ihre Membranen zu sträng- und plattenartigen
Zügen aneinander gepreßt zeigen, welche oft zwischen die peripheren
Zellen mit blau gefärbten Wandbelägen hinemreichen und so dicke
Wände mit einer roten Zwischenlamelle vortäuschen oder mannigfache
Zwickelbildungen (man vgl. die Fig. 25 und 45 bei Krauss) darstellen
köimen.
Dort wo in der eingeengten Chorda die blasigen Zellen sämtlich
zusammengedrückt sind, können die peripheren protoplasmatischen
abgerundete Formen, ähnlich den Knorpelzellen annehmen, natürlich
auch Knorpelgrundsubstanz zwischen sich erzeugen, die aber durch
die umgebende Chordascheide stets als endochordale gekennzeichnet ist.
Auch an den Stellen, wo sich die peri- mit endochordaler Knorpel-
bildung kombiniert, kommt es zur Zusammenpressung der centralen
Chordazellen durch die unmittelbar unter der Scheide, aus den proto-
plasmatischen, membranlosen »Epithelzellen« entstehenden Knorpel-
zellen. Diese wieder stark mit Eosin färbbaren Zellstränge werden
zersprengt, man sieht sie in der interterritorialen Grundsubst£Miz
1 Verhdlgn. anat. Ges. 11. Vers. Gent 1897. S. 88, Anm. 1.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 17
zwischen den Knorpelzellen eingeschmolzen werden. Daneben sind auch
karyolytische Erscheinungen an den Kernen der Chordazellen sichtbar,
so daß an der Einschmelzung der blasigen Chordazellen nicht gezweifelt
werden kann. Dieser endochordale Knorpel kann allein die noch
prall gespannte Chordascheide ausfüllen, auf der dann unmittelbar
die dünne Knochenrinde aufsitzt, Oder es ist reichlich perichordaler
Knorpel entwickelt; dann wird die Chordascheide vielfach zersprengt
und aufgelöst, so daß beide Knorpel verschmelzen.
Eine mögliche Täuschung in Hinsicht auf die Beziehungen zwischen
blasigen Chorda- und Knorpelzellen möchte ich nicht unerwähnt lassen.
Dort, wo der perichordale Knorpel ausläuft, besteht er aus einer ein-
zigen Lage auffallend großer Zellen mit äußerst dünnen, blaugefärbten
Scheidewänden, die bei der starken Retraktion der Zellen den Ein-
druck großer Zellblasen machen, ähnlich den Chordazellen. Da die
Chordascheide an solchen Stellen oft der Fläche nach angeschnitten
ist, kann sie der Beobachtung entgehen, und dann entsteht der täu-
schende Eindruck, als ob die blasigen Chordazellen mit ihren blau
gefärbten Wandbelägen direkt in die echten Knorpelzellen mit den
anscheinenden blaugefärbten Kapseln übergingen. Wo aber die Chorda-
scheide rein quer getroffen ist, überzeugt man sich leicht, daß die
perichordalen Knorpelzellen nichts zu tun haben mit den blasigen
Chordazellen und umgekehrt.
Die Untersuchung der Axolotllaiven führte im wesentlichen zu
denselben Ergebnissen. Ich untersuchte die vordere Brust- und die
Schädelchorda an Schnittserien einer 27,5 mm und einer 45 mm langen
Larve. Die Tiere waren in Pikrinsublimat fixiert und wurden zu
polychrom gefärbten Celloidinserien von 10 — 12 i^i Schnittdicke ver-
arbeitet. Als auffallend muß ich erwähnen, daß an diesen Objekten
von der Bildung basophiler Tropfen und Netze in den Chordazellen
so gut wie nichts zu sehen war.
Bei der jüngeren Larve fand sich endochordaler Knorpel nur an
einer beschränkten Stelle, cranial vom ersten Wirbel und in geringerer
Entwicklung im zugespitzten Ende der Schädelchorda.
An ersterer Stelle dringt der Knorpel von der Peripherie kon-
zentrisch gegen die Chordaachse vor, so daß die letztere die Gestalt
eines sanduhrartig eingeschnürten Teiles besitzt. Am Längsschnitt
stellt der Knorpel zwei gegenüberliegende Kissen dar, ganz ähnlich
wie es Krauss in seiner Fig. 7, Schneider i in Fig. 603 (von einer
1 Lehrbuch der vergl. Histologie. Jena 1902.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd.
18 Josef Schaff er,
Salamanderlarve) darstellt. Wo der Knorpel der hier noch deutlicli
sichtbaren Faserscheide aufsitzt, fehlt (das platte Chordaepithel, das
sonst überall gut zu sehen ist; es hat sich in Chondroblasten, bzw. in
die Knorpelzellen umgewandelt. Der vorwachsende Knorpel drängt
das blasige Chordagewebe vor sich her; dadurch werden die großen
Zellblasen teilweise zusammengepreßt zu flachen, am Durchschnitt
fadenartigen Formen von oft beträchtlicher Länge oder mehreckiger
Gestalt, die leicht an ihrer starken Färbbarkeit mit Eosin erkenntlich
sind und oft noch pyknotische Kerne einschließen; teilweise werden
die Zellblasen zersprengt, einzelne solche Zellen losgetrennt und von
der ausgeschiedenen basophilen Grundsubstanz umflossen, in diese
als leicht kenntliche Fremdkörper eingeschlossen, um schließlich der
Auflösung, Assimilation, zu verfallen.
Noch viel entschiedener war die ausschließlich vom indifferenten
Chordaepithel ausgehende endochordale Knorpelbildung bei der älteren
Larve festzustellen. Die Verknorpelung der Schädelchorda war hier
fortgeschritten, so daß letztere im Basilarteil des Schädels, vor dem
ersten Wirbel zusammenhängend verknorpelt erscheint, bis auf
einen axialen Chordarest aus strangartig zusammengepreßten Blasen.
Am Querschnitt stellt dieser eine bald vieleckige, oder sternförmige,
bald mehr abgerundete oder ganz unregelmäßige, strahlige Figur,
deren Schenkel oft vier bis fünf Knorpelzellen entlang laufen, dar,
die stets durch ihre lebhafte Rotfärbung mit Eosin in der basophilen
Knorpelgrundsubstanz scharf hervortritt. Krauss hat dieses Gebilde,
das gegen das zugespitzte Schädelende der Chorda immer mehr
schwindet, endlich ganz fehlt, als »Chordastrang« bezeichnet (Fig. 10);
von einem solchen kann aber bei Urodelen keine Rede sein. Es handelt
sich vielmehr um die Reste der ganzen Chorda, welche durch kon-
zentrische Einengung in die Mitte gedrängt wurden. Dabei wieder-
holt sich stets derselbe Vorgang: teilweise werden die komprimierten
Chordazellblasen auch zersprengt und gelangen zwischen die Knor})el-
zellhöfe, diese wie eine oxyphile Interterritorialsubstanz trennend.
Solche zersprengte und in Auflösung begriffene Reste finden sich dann
in der Umgebung des axialen Restes, aber auch weiter gegen die
Peripherie zu, mitten im Knorpel als eosinophile Fäserchen, Körnchen,
ganze Zellreste mit pyknotischen Kernen, nackte solche Kerne in der
basophilen Grundsubstanz, die dadurch stellenweise ein eigentümliches
fleckiges, durchaus nicht hyalines Aussehen bekommt.
Außer diesem verknorpelten cranialen Chordaende fanden sich
aber in diesem Stadium an allen Wirbelanlagen dort, wo der Mitte
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 19
des zukünftigen Wirbelkörpv^rs entsprechend die Knochenkruste un-
mittelbar der Chordascheide aufsitzt, in geringer Ausdehnung, meist
am ventralen Umfang der Chorda, endochordale Knorpelbildungen im
allerersten Anfange. Sie treten ausschließlich in Form flacher Plaques
auf, die durch Umwandlung des Chordaepithels in Knorpelzellen ent-
stehen. Sie sitzen daher unmittelbar der Chordafaserscheide auf und
drängen das blasige Chordagewebe vor sich her.
Diese Kompression der Blasenzellen hat die Degeneration der
letzteren zur Folge, der die von Krauss geschilderten Bildungen baso-
philer Tropfen und Netze vorausgehen können; daß dies aber nicht
stets der Fall sein muß, zeigen die geschilderten Degenerationsvor-
gänge bei den von mir untersuchten Axoiotllarven.
Es handelt sich hier um ganz analoge Vorgänge, wie ich sie beim
Untergang von Knorpelzellen bei Myxine geschildert habe, wo auch
bald die Bildung chondromucoider Tropfen und Netze zur Einschmelzung
und Assimilation ganzer Zellen und Zellgruppen führt, bald einfache
Kompression und Auflösung der Zellen beobachtet wird.
Dieselben Verhältnisse, wie bei der 45 mm langen Axolotllarve
fand ich bei einer 46 mm langen Larve von Salamandra atra, nur ent-
sprechend weiter fortgeschritten. Die wirbelsegmentalen Anlagen des
endochordalen Knorpels hatten sich in der Mitte der Wirbelkörper
zu kurzen Knorpelcylindern entwickelt, in deren Achse noch die kom-
primierten Reste der blasigen Zellen sichtbar sind, ganz analog wie
im cranialen Teil der Chorda. Jene Teile der Wirbel, in denen peri-
chordaler Knorpel entwickelt ist, zeigen die unversehrten blasigen
Zellen und Chordaepithel an der Oberfläche.
Ich kann also die Berechtigung des Grundes, aus welchem Krauss
die Chorda als Larvalknorpel bezeichnet hat, nicht anerkennen, da
eine einfache, chemisch-strukturelle Metaplasie ihrer voll ausgebildeten,
mechanisch funktionierenden Zellen in Knorpelzellen nicht nachge-
wiesen werden kann.
Vielmehr erscheint auch bei der Verknorpelung der Chorda (analog
wie bei der Knorpelbildung im Fettgewebe [Neurapophysenbildung
bei Petromyzon^ , Epiglottis der Katze 2], der Knochenbildung auf
knorpeliger Grundlage, der Umwandlung des fötalen Oesophagus-
epithels in das definitive^), das Prinzip gewahrt, daß es nur die in-
differenten Bildungszellen sind, welche in einem Muttergewebe von
1 Vgl. Arch. mikr. Anat. Bd. L. 1897. S. 181.
2 Vgl. Anat. Hefte Bd. XXXIII. 1907. S. 457.
3 Vgl. ViRCHOws Arch. Bd. CLXXVII. 1904. S. 181,
2*
20 Josef Schaffer,
determiniertem Charakter eine physiologisch und mcchanisch-funktionell
von den Elementen des Muttergewebes verschiedene Zellart erzeugen
können. Wie aus einer voll entwickelten Fettzelle keine Knorpelzelle,
aus einer typischen Knorpelzelle keine Knochenzelle, aus einer flimmern-
den Cylinderzelle keine Plattenzelle werden kann, so kann aus einer
blasigen Chordazelle keine Knorpelzelle werden.
Echte Metaplasie ist eben außerordentlich selten und dürfte über-
haupt nur bei wenig weit differenzierten Elementen oder solchen von
sehr ähnlicher Funktion vorkommen. Die meisten Fälle, die man als
Metaplasie bezeichnet hat, erweisen sich als ein cellulärer Umbau^,
indem die einen Elemente zugrunde gehen (durch Ausstoßung, Auf-
lösung, Einschmelzung) und durch nachrückende von anderem Cha-
rakter ersetzt werden.
Wenn daher Studnicka^ in der von Keauss gegebenen Darstel-
lung von der Entstehung des Chordaknorpeis aus blasigen Chorda-
zellen eine Stütze seiner eigenen Theorie — nämlich, daß die Knorpel-
grundsubstanz aus verschmelzenden Exoplasmen entsteht — begrüßt,
so muß ich diese Stütze als hinfällig erklären. Wohl aber stimme ich^
mit Studnicka vollständig überein, wenn er den chondioiden Charakter
des Chordagewebes und damit die Berechtigung, die Chorda als Larval-
knorpel zu bezeichnen, in Abrede stellt. Das Gewebe der Chorda dor-
salis stellt vielmehr ein blasiges (vesiculöses) Stützgewebe von primi-
tiverer Form dar und kann als phylogenetischer Vorläufer des Knorpel-
gewebes, beziehungsweise des chondroiden Gewebes aufgefaßt werden.
Dafür spricht der Umstand, daß die Chorda als zusammenhän-
gendes, funktionierendes Organ nur den niedersten Wirbeltieren zu-
kommt und daß nach demselben funktionellen Prinzip, wie die Chorda,
gebaute Stützsubstanzen hauptsächlich bei Wirbellosen vorgefunden
werden.
Man kann alle diese Stützsubstanzen unter dem gemeinschaftlichen
Namen des blasigen (vesiculösen) Stützgewebes von chordoidem Typus
zusammenfassen. In etwas mundgerechterer Abkürzung werde ich
im folgenden vom chordoideii, blasigen Stützgewebe sprechen.
Als wesentliche Merkmale für die Einreihung in diese Gruppe
1 Hierher gehören in erster Linie der Umbau des knorpeligen Skelettes in
das knöcherne und jener des fötalen Oesophagusepithels mit seinen flimmernden
Cylinderzellen in das fertige geschichtete Plattenepithel.
2 Die Natur des Chordagewebes. Anat. Anz. Bd. XXXIV. 1909. S. 88.
3 Siehe meine vorl. Mitteilung: Über das vesiculöse Stützgewebe. Anat.
Anz. Bd. XXIIII. 1903. S. 467.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 21
der Stützsubstanzen muß man betrachten: 1) Die blasige oder kugelige
Form der Zellen, welche hauptsächlich durch einen hohen Turgordruck
der in den Zellen eingeschlossenen Flüssigkeit bedingt ist. 2) Eine
membran- oder kapselartige Oberflächendifferenzierung an den Zellen,
welche um so widerstandsfähiger gegen äußeren Druck sein muß,
je mehr der Turgordruck in der Zelle abnimmt. 3) Unabhängigkeit
der Zellen voneinander, so daß sie auch dort, wo sie dicht aneinander
gelagert oder gepreßt erscheinen, isolierbar bleiben, ohne daß zwischen
ihnen eine von den Zellen selbst erzeugte Intercellularsubstanz übrig
bliebe.
Die mechanisch-funktionellen Elemente dieses Gewebes, d. h. die
blasigen Zellen, können entweder verstreut in einem fremdartigen
Gewebe, dem sie als Stütze dienen, erscheinen; diese, von Renaut nicht
unpassend als »verstreute Chordagallerte« bezeichnete Form ist die
primitivste und kann gleichsam als phylogenetischer Vorläufer der
Chorda angesehen werden — diffuses, chordoides Stützgewebe.
Oder sie können, wie in der Chorda, durch dichte Aneinander-
lagerung und Differenzierung einer festeren Umhüllung (Scheide) eigene
Skeletstücke bilden — kompaktes, chordoides Stützgewebe.
Sucht man nun Beispiele für diese zwei Gruppen des chordoiden Stütz-
gewebes beizubringen, so ergeben sich zwei Schwierigkeiten: die erste
liegt darin, daß verschiedene Autoren, wie im vorhergehenden gezeigt
wurde, das Gewebe der Chorda mit verschiedenen Gewebeformen zu
verschieden benannten Gewebegruppen vereinigt haben, die nicht
immer der hier schärfer gefaßten Einteilung entsprechen; es mußten
also alle diese Gewebe so weit als möglich von den hier entwickelten
Gesichtspunkten aus neuerdings untersucht werden; die zweite liegt
in dem Unzureichenden der Einteilung selbst. Die einzelnen Formen
der Stützsubstanzen sind, sobald man sie vergieichend-histologisch
betrachtet, durch fließende, oft kaum merkbare oder festzuhaltende
Übergän^ge verbunden, so daß jede Einteilung nur auf gewisse aus-
gesprochene Typen begründet werden kann.
Wenn ich im folgenden in ausgedehnterem Maße auch die Wirbel-
losen in den Kreis der Betrachtungen ziehe, so möge dies nicht als ein
»Spiel mit Analogien« aufgefaßt werden, sondern als das Bestreben,
auf breitester, vergleichend histologischer Basis zu zeigen, daß Geweben
verschiedener genetischer Herkunft und chemischer Beschaffenheit
durch die gleiche oder ähnliche Funktion, die gleiche oder ähnliche,
dieser Funktion am besten entsprechende Form aufgeprägt wird, mit
22 Josef Schaffer,
andern Worten, daß bei phylogenetisch, weit getrennten Formen die
ähnliche Funktion ähnliche Gewebe züchtet.
Daß eine möglichst umfassende Besprechung der verschiedenen
Stützgewebe im Tierreich nicht überflüssig ist, geht auch aus den
jüngsten spekulativen Betrachtungen über die Phylogenese des Knorpel-
gewebes von LuboschI hervor. Diese zeigen deutlich, daß die Kenntnis
von dem großen Formenreichtum dieser Stützsubstanzen, welche von
sehr primitiven Formen bei Wirbellosen (die aber teilweise auch bei
höheren Tieren angetroffen werden) durch eine Unzahl von Über-
gangsformen zu knorpelartig funktionierenden und endlich auch knor-
pelartig gebauten Geweben heraufführen, noch wenig verbreitet ist.
Und doch kann sich die Gewebelehre erst dann über den Rahmen einer
lediglich deskriptiven Wissenschaft erheben und kann sie die Bezie-
hungen der einzelnen Gewebeformen zueinander erst dann ermitteln,
wenn sie diese Gewebeformen kennt.
Einen weiteren Gewinn dieser Untersuchungen verschiedenartiger,
oft sehr knorpelähnlicher Stützsubstanzen der Wirbellosen mittels
moderner Färbmethoden, liegt meiner Meinung nach auch darin, daß
sie uns Anhaltspunkte liefern für die Beurteilung des specifischen
Wertes unsrer Knorpelfärbungen.
Ein großes Gewicht habe ich bei den nachfolgenden Darstellungen
auf gewissenhafte Literaturstudien gelegt; von jeder der zahlreichen
Einzelfragen versuchte ich ein übersichtliches historisches Bild zu geben.
Dabei kam es mir weniger auf Vollständigkeit — die bei dem kaum
zu überblickenden Reichtum der zoologischen Literatur wohl nicht zu
erreichen ist — , als auf die Verläßlichkeit der Literaturangaben an.
Diese kann aber nur durch das unmittelbare Studium der Originalar-
beiten gewährleistet werden.
A. Diffuses, chordoides Stützgewebe. — Als Typus kann
hier a. die eigentümliche, sogenannte zellig -blasige Bindesubstanz
der Mollusken, insbesondere einer Reihe von Gastropoden gelten.
Diese scheint am besten geeignet, dem weichen Körper dieser Tiere,
welcher durch seine fließenden Bewegungen ausgezeichnet ist, die
nötige Widerstandskraft und Elastizität zu verleihen.
Ich habe diese Gewebeelemente hauptsächlich im Mantel, dann
auch im Fuß von Limnaea stagnalis, Palndina vivipara, Planorbis
corneus, Helix pomatia untersucht.
1 Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes und ihre stammes-
geschichtliche Bedeutung. Biolog. Centralbl. Bd. XXIX. 1909. S. 738.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 23
Bei Limnaea bestellt das Mantelgewebe fast ausschließlich aus
sich durchflechtenden Faserbündeln und in die Maschenräume ein-
gelagerten, großen, blasigen Zellen. Diese sind am frischen Objekt
glasartig durchscheinend und etwas weniger stark lichtbrechend als
Fettzellen. Bei stundenlanger Behandlung mit ^/2%iger Osmium-
säure nehmen die Zellen keine Färbung an. Versucht man ein solches
fixiertes Stückchen mit Nadeln zu zerzupfen, so fühlt es sich fast
knorpelartig an, und es gelingt nur schwer, aber zweifellos, einzelne
Zellen zu isolieren. Diese isolierten Zellen zeigen ein verschiedenes
Aussehen. Die überwiegende Mehrzahl besitzt eine glänzende, glatte,
kapselartige Umhüllung (Fig. 2 M). Einzelne erscheinen ganz blaß
und zeigen am Rande eine Art ganz unregelmäßig unterbrochenen
oder erhaltenen kapselartigen Saumes. Die Mehrzahl der Zellen ist
nämlich mit dem faserigen Zwischengewebe so fest verbunden, daß
ihre Membran beim Isolieren teilweise mit letzterem im Zusammenhang
bleibt. Sie zerreißt daher manchmal beim Zerzupfen und erscheint
dann im Profil wie eine stark glänzende Faser (Fig. 2 M'). Die Form
der Zellblasen ist rund oder ovoid, ihre Durchmesser betragen 25 — 65 jn.
Viele lassen leicht einen kugeligen Kern mit Kernkörperchen
erkennen (Fig. 2 a, K).
Färbt man ein in Osmiumsäure fixiertes Stückchen des Mantel-
gewebes mit Cochenillealaun, so nimmt der Zellinhalt eine leichte
Färbung an, fällt beim Zerzupfen vielfach aus den zerrissenen Blasen
heraus und stellt sich als homogene, oft zerbrochene Masse mit un-
scharfem, wie abgebröckeltem Rande dar.
Selten umschließt diese Masse einen Kern. Auch nach Behand-
lung mit Drittelalkohol gelingt es, einzelne Zellen vollständig zu iso-
lieren. Färbt man solche Objekte mit Hämalaun-Eosin, dann treten
die Membranen besonders scharf hervor. Während ihre Außenfläche
vollkommen glatt ist, erscheint die innere wie mit feinsten Körnchen
bestäubt; auch kurze, fadenförmige Verbindungen zwischen den Körn-
chen werden sichtbar. Es handelt sich um einen dünnen Protoplasma-
belag (Fig. 2, h), der an einer Stelle auch meist den Kern einschließt.
Färbt man nur mit Kongorot, dann tritt dieser Protoplasmabelag
allein hervor, während die Membran farblos bleibt.
Nach dem Gesagten entspricht also dieses Gewebe vollkommen
der oben gegebenen Definition des chordoiden Stützgewebes: isolier-
bare Blasen, welche in vivo mit einer Flüssigkeit prall gefüllt sind.
Diese Flüssigkeit wird durch Osmiumsäure zur Gerinnung gebracht;
eine Membran mit dünnstem Protoplasmaüberzug, der an einer Stelle
24 Josef Schaffer,
den Kern einschließt, umhüllt diese Flüssigkeit. Wo diese Zellen
dicht aneinander grenzen, gewinnt das Gewebe ein sehr chordaähn-
liches Aussehen.
Dies zeigt z. B. Fig. 3, welche eine Stelle aus dem Mantelgewebe
von Paludina vivi'para darstellt. Allerdings sind die wesentlichen Unter-
schiede vom kompakten Chordagewebe bei näherer Untersuchung sofort
in die Augen springend.
Zunächst sind die Kerne der Zellen nur selten wandständig, wie bei
Limnaea und besonders deutlich bei Helix 'pomatia, sondern liegen
mitten in der Blase oder gegen deren Wand verschoben, stets von
einem Häufchen körnigen Protoplasmas umgeben; dieses kann dem
Kern auch mehr einseitig angelagert erscheinen (Fig. 4 P) und enthält
stets, wenigstens im Mantelgewebe, auch einige Pigmentkörnchen.
Von diesem Protoplasmarest ziehen zarte Fäden (F) an die Blasenwand,
beziehungsweise an ihren äußerst feinen Protoplasmabelag, so daß
der Kern mit dem Protoplasmarest wie aufgehangen erscheint. Der
Kern ist in der Regel kugelig, mit deutlicher Kernmembran und zeigt-
meist ein Kernkörperchen, nebst wenigen Chromatinkörnchen.
Der sonstige Inhalt der Zellblase erscheint im frischen Zustande
und an Schnitten aus Formalinmaterial vollkommen farblos, glasartig
durchsichtig.
Die Membranen sind von äußerster Dünnheit und zeigen keine
weitere Struktur. An vielen Stellen grenzen sie direkt aneinander,
ohne daß ein andres Gewebe zwischen sie eindringen würde. Hier
nehmen die Zellblasen durch gegenseitigen Druck auch meist eine
polyedrische Gestalt an; dies ist am ausgesprochensten zwischen den
Muskelfasern der Fall. Mit Prikrofuchsin färben sich die Membranen
lebhaft rot und lassen sich so scharf von den gelbgefärbten Muskel-
fasern sondern. Von Stelle zu Stelle fällt zwischen den polyedrischen
Zellen, häufiger im Mantelgewebe, seltener zwischen den Muskeln eine ab-
gerundete Zellblase mit stark hervortretender Membran auf (Fig. 3 KZ),
die einen sehr verschiedenartigen Inhalt umschließen kann.
Ich bemerke ausdrücklich, daß sich dies, besonders die verhältnis-
mäßige Spärlichkeit dieser abgerundeten Zellblasen, auf Tiere bezieht,
die im Juli getötet und an einfach in Formalin fixierten und in Celloidin
eingebetteten Schnitten untersucht worden waren. Bei einigen dieser
abgerundeten Zellblasen schließt sich dicht an die Oberflächenmembran
eine dicke, mit Delafields Hämatoxylingemisch, aber auch mit Häm-
alaun sich bläulich färbende, deutlich radiär gestreifte Rindenzone an,
welche mit scharfem, der Oberfläche parallelem Kontur eine Höhle
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 25
umschließt. Diese kann wie leer erscheinen (Fig. 6 b) oder ein kern-
artiges Gebilde (d) enthalten oder endlich von einer ebenfalls bläulich
gefärbten homogenen Masse mit oder ohne Kern erfüllt werden.
In andern Fällen wird der Inhalt der Membran von einer blau
gefärbten, bis zum Centrum radiär gestreiften Masse gebildet (Fig. 6 /).
Weiter kann zur radiären eine mehr oder minder scharfe kon-
zentrische Streifung hinzukommen oder letztere allein wahrnehmbar
sein (Fig. 6 e). Endlich kann die Membran einen geschrumpften, wie
gefaltet oder zerknittert aussehenden, stark blau gefärbten Inhalts-
körper mit Kern umschließen (Fig. 4 /).
Zerzupft man ein Stückchen des in Formalin fixierten Gewebes,
wobei man beim Ansetzen der Nadeln unter der Lupe deutlich einen
elastischen Widerstand spürt, so gelingt es leicht, einzelne abgerundete
Zellen mit ziemlich dicker Kapsel vollkommen zu isolieren; diese
besitzen meist einen glänzenden Inhaltskörper.
Als ich nun im Herbst (Mitte November) meine Untersuchungen
wieder aufnahm, war ich sehr überrascht, bei Paludina ganz andre
Verhältnisse zu finden, als sie oben bei der gleichzeitig gefangenen
Lymnaea und bei der ^om.m.eT-Paludina beschrieben worden sind.
Bei der Untersuchung des frischen Mantelgewebes sieht man zu-
nächst fast nur dichtgedrängte, stark lichtbrechende, rundliche Gebilde,
die wie Fettzellen aussehen, sich aber auch bei 24stündigem Liegen
in l%iger Osmiumsäure nicht bräunen, geschweige denn schwärzen.
Diese Gebilde lassen sich beim Zerzupfen leicht isolieren; sie besitzen
nicht immer rein kugelige Formen, sondern manchmal auch etwas
längliche mit leicht abgerundeten Ecken. Sie sind deutlich doppelt-
brechend, und zwar zeigen die rein kugeligen ein zierliches, vollkommen
regelmäßiges negatives Kreuz, umgekehrt wie ein Stärkekorn. Diese
Doppelbrechung wird durch Osmiumsäure nicht verändert. Mit Jod-
tinktur zeigen wohl die Muskeln deutliche Braunfärbung, nicht aber
die Kugeln. Zerdrückt man letztere im frischen Zustande, wozu ein
ziemlich starker Druck auf das Deckglas nötig ist, so zerspringen sie
wie Glas unter Bildung scharfer Kanten und Spitzen. Salpetersäure,
Essigsäure, sowie alle andern Säuren lösen die Gebilde unter lebhafter
Gasentwicklung ; ebenso verdünnte Schwefelsäure unter Bildung deut-
licher Gipskristalldrusen. Auch in 5%iger Alaunlösung bedeckt sich
ein frisch eingebrachtes Stückchen des Mantelgewebes bald mit Gas-
bläschen.
In allen diesen Fällen wird an Stelle des stark glänzenden Körpers
eine ziemlich derbe, doppelt konturierte Membran sichtbar, w^elche
26 Josef Schaffer,
die Form des ursprünglichen Körpers wiedergibt, aber keine Spur von
Doppelbrechung mehr zeigt. Es kann also keinem Zweifel unter-
liegen, daß es sich hier um einen eigentümlichen Kalkgehalt der blasigen
Zellen, d. h. um die den Zoologen lange bekannten Kalkzellen im
Bindegewebe der Mollusken handelt.
Schon LeydigI war es bekannt, daß sich in den Bindesubstanz-
zellen » sehr gewöhnlich Kalk abgelagert « findet, » und zwar kann der
abgeschiedene Kalkkörper die ganze Zelle so ausfüllen, daß die Zellen-
membran erst erkannt wird, wenn nach Anwendung von Säuren der
Kalk gelöst ist «. Auch der fettartige Glanz dieser Gebilde war Leydig
schon aufgefallen. Bei der Beschreibung der Kalkkörper im äußeren
Neurilemm ^ hebt er auch schon nachdrücklich ihren geschichteten und
strahligen Bau hervor und betont, daß sie nicht rein aus Kalk bestehen,
sondern eine organische Grundlage besitzen, die schon das schalig-
streifige Aussehen an sich haben kann, ohne den Glanz des Kalkes
zu besitzen. An überwinterten Tieren fand Leydig weder im Neuri-
lemm noch sonst im Bindegewebe andrer Organe Kalk.
An andrer Stelle ^ spricht er von einem » kalkführenden Zellennetz
oder einer »Kalkdrüse« zwischen der Hautmuskulatur und vergleicht
sie dem Fettkörper der Arthropoden. Für einen Teil dieser »Kalk-
drüsen« gibt Leydig an, daß es sich einfach um kalkerfüllte Binde-
substanzzellen handle.
Gelegentliche Bemerkungen über die Kalkzellen finden sich später
bei vielen Autoren, wie aus dem folgenden geschichtlichen Überblick
ersehen werden mag. Eingehender haben sich aber die Forscher nur
mit jenen Kalkzellen beschäftigt, welche als wesentliche Bestandteile
bestimmter Organe von besonderem Interesse sind. So z. B. Clapa-
EEDE* mit den Kalkkörpern in der von ihm so benannten Concrementen-
drüse, Barfueth^ mit den Kalkzellen der Leber.
In diesen beiden Fällen handelt es sich aber größtenteils nicht
um kohlensauren Kalk, wie in den bindegewebigen Kalkzellen; nur
in der Concrementendrüse scheint nach der Beschreibung Claparedes
ein Teil der Kalkkörper aus solchem zu bestehen, während die Haupt-
1 Über Paludina vivipara. Diese Zeitschr. Bd. II. 1850. S. 151.
2 Zur Anatomie und Physiologie der Lungenschnecken. Arch. mikr. Anat.
Bd. I. 1865. S. 51.
3 Hautdecke und Schale der Gastropoden. Arch. für Naturgesch. Jhrg. 42.
Bd. I. 1876. S. 233.
* Beitrag zur Anatomie des Cydostoma elegans. Müllers Archiv 1858,
S. 22 u. f.
ß Arch. mikr. Anat. Bd. XXII. 1883. S. 482 u. f.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 27
masse nach GaknaultsI Schilderung Harnsäure enthält. Die Größe
dieser Kalkkörper (13 — 100 /.i Durchmesser), sowie ihr feinerer Bau
(konzentrische Schichtung, organische Grundlage) zeigen viel Über-
einstimmung mit den bindegewebigen Kalkzellen, so daß man ver-
sucht wäre, diese ganze rätselhafte »Drüse« nur für blasiges Stütz-
gewebe mit Kalkkörpern zwischen den Organen zu halten, wenn nicht
Garnaults und Simroths^ Angaben dagegen sprächen. Übrigens
hat schon ersterer die ganze Bildung für eine mesodermale erklärt
und sie mit dem Bindegewebe um den Darm bei Bithynia verglichen,
in dem die LEYDiGschen Zellen mit kohlensaurem Kalk erfüllt sind.
Auch hat schon Gartenauer^ bei Paludina und den einheimischen
Pulmonaten gerade an allen Stellen des Darmes Kalkzellen in erstaun-
licher Masse gefunden, »oft so zahlreich, daß sie alle andern Bildungen
in den Hintergrund drängen und nur noch Pigment zwischen sich
durchtreten lassen «.
Als »Kalkzellen« hat Joyeux-Laffuie* im engeren Sinne bei
Oncidium große, unregelmäßig ovoide Zellen beschrieben, »welche in
ihrem Innern eine große Menge von Concretionen enthalten. Diese
füllen jede Zelle vollkommen aus. Sie sind meist rundlich, stark licht-
brechend, lösen sich in Essigsäure, Salzsäure usw. unter Kohlensäure-
entwicklung. Setzt man nach Behandlung mit Ammoniak im Über-
schuß Oxalsäure zu, so entstehen bald die bekannten Briefkuvert-
formen des Oxalsäuren Kalkes. Diese Zellen findet man überall, wo
sich Zellgewebe findet.
Bei Paludina stellen die Kalkzellen, wie erwähnt, durchweg
einheitliche Körper dar.
Als besonders bemerkenswert hebe ich noch hervor, daß Clapa-
REDE ^ an konserviertem Material den Kalk vermißte, Joyeux-Laffuie
angibt, daß Owens Konservierungsf lüssigkeit *^ die Concretionen all-
mählich löst, so daß nur die Zellhülle bleibt, endlich Garnault be-
merkt, daß die Kalkkörner in den LEYDiGschen Zellen um die Gefäße
ihre starke Lichtbrechung beim Aufenthalt in Wasser verlieren.
1 Recherches anatomiques et histologiques sur le Cyclostoma elegans. —
Actes Soc. linn. Bordeaux. 1887.
2 Bronns Kl. u. 0. III. Bd. Mollusca 1899. S. 577.
3 Über den Darmkanal einiger einheimischen Gastropoden. Dissert. Straß-
burg 1875.
* Organisation et developpenient de TOncidie. Arch. zool. exper. et gen.
T. X. 1882. p. 260.
5 Müllers Arch. 1858. S. 25.
•^ Eine beiläufig 8%ige Kochsalzlösung, die fast 5% Alaun enthält.
28 Josef Schaffer,
Dies veranlaßt mich, hier etwas näher auf die eigentümlichen
Lösungsverhältnisse dieser Kalkzellen einzugehen, die ich vornehmlich
bei Paludina vivi'para beobachtet habe und die mir nach mehr als
einer Eichtung von Interesse scheinen. Während kleine Stückchen
des Mantelgewebes frisch in l%iger Osmiumsäure fixiert und dann
in Glyzerinwasser zerzupft den Kalkkörper an der Mehrzahl der Zellen
auch nach Monaten unverändert erkennen lassen (nur einzelne Zellen
zeigen eigentümliche, gleich zu besprechende Lösungserscheinungen),
hatten die Kalkzellen, welche man dem längere Zeit — einige Stunden
— in ^/^YoigQ^ Kochsalzlösung gelegenen vorderen Körperteil der
Schnecke entnommen und erst dann in die Osmiumsäure gebracht
hatte, ihren Glanz verloren und erschienen sämtlich wie leere Blasen.
Dasselbe ist der Fall, wenn man den frisch mit dem Deckel heraus-
gerissenen, vorderen Körperteil in 33%igem Alkohol über Nacht liegen
läßt und dann das Mantelgewebe untersucht.
An den frisch mit Jodtinktur behandelten und dann in Glyzerin-
wasser übertragenen Stückchen, zeigten die Kalkzellen vielfach Lösungs-
erscheinungen, indem der Kalkkörper vom Rande her einschmolz und
die Membran sichtbar wurde (Fig. 5 M). Freiliegende Kalkzellen er-
schienen nach 24 Stunden vollkommen kalkfrei. Frisch in reines
Glyzerinwasser gebracht, zeigen die Zellen nach längerem Liegen eine
feine, von zwei bis drei stärkeren Kreisen unterbrochene konzentrische
Schichtung und ebenfalls Lösung der Oberflächenschichten, so daß
zwischen diesen und der Membran ein schmaler oder breiterer Spalt
sichtbar wird.
Sehr eigentümlich erscheinen die in Osmiumsäure fixierten Kugeln ;
sie zeigen in Glyzerinwasser an ihrer Oberfläche eine feinwabige Zeich-
nung (Fig 6 a, 0), bei Einstellung auf das Profil der Membran eine
deutlich radiäre Streif ung der Oberfläche (Fig. 6 a, R). Entnimmt man
das Mantelgewebe dem vorderen, in Osmiumsäure fixierten Körperteil
der Schnecke, der mehrere Tage in destilliertem Wasser gelegen hatte,
so zeigt sich der Kalk in sämtlichen Blasen gelöst.
Bettet man den in Osmiumsäure fixierten Kopfteil in Celloidin ein,
so findet man an den Schnitten im Mantelgewebe noch eine große
Anzahl kalkhaltiger Blasen, neben solchen, die nur mehr kleinere
oder größere glänzende Kügelchen enthalten und endlich ganz kalk-
freien.
Zwischen den Muskeln sind die Kalkzellen in geringer Zahl vor-
handen, fallen aber durch ihre runde Form zwischen den durch gegen-
seitige Abflachung ausgesprochen polyedrischen, ungemein zartwan-
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. 111. 29
diszen und farblosen Zellblasen um so mehr auf. Färbt man einen
solchen Schnitt mit Hcämalaun, so genügen 5 — 7 Minuten, um den
Kalk in sämtlichen Blasen zu lösen. An größeren Stückchen des
Mantelgewebes, die lange in 70%igem Alkohol gelegen haben, erscheinen
die Kalkzellen fast alle schwarz im durchfallenden Lichte; die Ursache
sind wieder mannigfache Lösungserscheinungen, welche alle einen
strahligen und konzentrisch geschichteten Bau aufdecken. Schließt
man ein solches Stückchen von Mantelgewebe in Glyzerinwasser ein,
so erscheint nach einigen Tagen der Kalk vollkommen gelöst, an Stelle
der dunklen Kugeln sieht man helle Blasen.
Überblickt man diese Angaben, so können zwei Tatsachen nicht
übersehen werden: einmal die auffallend leichte Löslichkeit dieser
Kalkkörper — sie legt die Vermutung nahe, daß man es hier mit einem
wasserhaltigen Calciumkarbonat zu tun hat (vgl. Bütschli^) — und
zweitens der merkwürdige Unterschied im Verhalten der Kalkkörper,
je nachdem man sie möglichst für sich allein, in kleinen Stückchen,
z. B. des Mantelgewebes behandelt oder größeren, vorbehandelten
Stücken des Schneckenkörpers entnimmt.
Die wiederholte Beobachtung, daß die Kalkkörper gelöst waren,
wenn man das Mantelgewebe dem ganzen, vorderen Schneckenkörper
entnahm^, der stundenlang in einer neutralen Flüssigkeit (^/4%iger
Kochsalzlösung, Alkohol) gelegen hatte, konnte nur so gedeutet werden,
daß irgend eine Säure aus dem Schneckenkörper selbst die Lösung ver-
ursacht hatte. Ich untersuchte daher zunächst die Reaktion des Alko-
hols, in dem. die Schnecken gelegen hatten, mit der empfindlichen
Phenolphthaleinprobe und fand sie in der Tat deutlich sauer, während
sie vorher neutral gewesen war. Die Säure konnte demnach nur aus
dem Körperstücke der Paludina vivipara stammen. Nun ist es be-
kannt, daß es eine Reihe von Säure produzierenden Schnecken gibt,
und ebenso bekannt ist es, daß die Kalkkörper im Bindegewebe bei
toten Tieren durch Diffusion der Säure gelöst werden können.
Dies zeigt die klassische Beobachtuno; von De Luca und Panceri ^ :
1 Untersuchungen über organische Kalkgebilde nebst Bemerkungen über
organische Kieselgebilde usw. Abhandig. Kgl. Ges. Wiss. Göttingen, math.-phys.
Kl. N.-F. Bd. VI. Berlin 1908.
2 Diese Entnahme geschah in der Regel so, daß ich den Rand des Deckels
mit einer starken Pinzette faßte und mit kräftigem Zuge den anhaftenden Fuß
und vorderen Körperteil aus dem Gehäuse herausriß.
3 Recherches sur la salive et sur les organes salivaires de Dolium galea.
C. R. Acad. Sc. Paris. T. LXV. 1867. p. 577 u. p. 712. — Ann. sc. nat. Zool.
eer. 5. Bd. VIII. 1867. p. 82.
30 Josef Schaffer,
wenn diese Autoren die säurebereitenden Speicheldrüsen von Dolium
am eben getöteten Tiere anschnitten, so konnten sie ein Aufschäumen
beobachten, indem die Säure die im Bindegewebe verstreuten Kalk-
körperchen unter Kohlensäureentwicklung löste. Wurde die Drüse
erst einige Zeit nach dem Tode angeschnitten, so trat keine Gasent-
wicklung auf. Die Säure war schon früher durch Diffusion in das
Bindegewebe gelangt und hatte die Kalkkörperchen gelöst.
Die Säure könnte aber auch einen andern Ursprung haben, und
da wäre zunächst daran zu erinnern, daß Barfurth^ bei Helix u. a.
das Lebersecret sauer fand, während N. Schulz ^ in der Haut von
Pleurobrancfiaea Meckelii, einer nackten Meerschnecke, zahlreiche Säure-
drüschen erwähnt.
Diese zwei Säurequellen kommen aber bei Paludina für unsre
Frage sicher nicht in Betracht. Der mit dem Deckel und Fuß aus
der Schale herausgerissene Körperteil dieser Schnecke enthält nichts
von der Leber, wohl aber die Speicheldrüsen. (Er entspricht etwa
den Organen, welche Speyer ^ in Fig. 26, Taf . I, abgebildet hat.)
Anderseits kann man Hautdrüsen, die Säure bereiten, bei einer
Gehäuseschnecke wohl kaum annehmen. So käme man also auf diesem
Wege zu der Annahme, daß es die Speicheldrüsen sein könnten, welche
bei Paludina (und wahrscheinlich auch bei andern Süßwasserschnecken)
eine Säure produzieren.
Dies näher zu untersuchen liegt außerhalb meiner Aufgabe*; es
wäre dies aber um so interessanter, als Paludina eine pflanzenfressende
Schnecke ist und N. Schulz, einer der letzten Bearbeiter dieser Frage,
1 Über den Bau und die Tätigkeit der Gasteropodenleber. Arch. niikr.
Anat. Bd. XXII. 1883. S. 517.
2 Beiträge zur Kenntnis der Anatomie und Physiologie einiger Säure -
Schnecken des Golfes von Neapel. Zeitschr. allg. Physiol. Bd. V. 1905. S. 210.
3 Zootoniie der Paludina vivipara. Kassel 1855.
4 Es scheinen da ziemlich vermckelte Verhältnisse vorzuliegen. Für Helix
will BoNABDi (Suir azione dei succhi digestivi di alcuni gasteropocü terrestri suU'
amido e sui saccarosi. Boll. scient. 1884. Nr. 2) eine saccharifizierende Wirkung
des Secretes nachgewiesen haben. R. Monti [Le ghiandole salivari dei Gastero-
podi terrestri nei diversi periocU funzionali. Mem. Ist. Lomb. Sc. Milane. V. XVIII.
(1896—1900), 1899. p. 115 und Rendiconti Ist. Lomb. (2) V. XXXII. p. 534]
und A. Lange (Über den Bau und die Funktion der Speicheldrüsen bei den
Gastropoden. Diss. Rostock, Wiesbaden 1902. S. 52) betonen übereinstimmend
die stark alkalische Reaktion des Secretes. Sollte sich eine solche auch für das
Speicheldrüsensecret von Paludina nachweisen lassen, dann wäre noch die Mög-
lichkeit offen, daß das (nach R. Monti) zweifellos saure Magensecret eine Rolle
bei der Lösung der Kalkkörper spielt.
über den feineren Bau u. die Entwicki. d. Knorpelgewebes usw. III. 31
ZU der Auffassung als der wahrscheinlichsten gekommen ist, »daß
die Bedeutung der abgesonderten Säure in einer specifischen Gift-
wirkung auf die Organismen zu sehen ist, die die Nahrung der betref-
fenden Säureschnecken bilden«.
Man könnte sich aber auch vorstellen, daß die Säure bei verschie-
denen Tieren eine verschiedene Aufgabe oder Bedeutung hat. Bei den
Gehäuse tragenden Schnecken müssen die Kalkkörper wohl mit dem
Aufbau des Gehäuses in Zusammenhang gebracht werden. Wie ich
gezeigt habe, findet im Herbste, also vor dem Überwintern, eine reich-
liche Aufspeicherung von Kalk in Form der Kalkkörper im Binde-
gewebe von Paludina statt. Möglicherweise spielt auch hier weniger
die Jahreszeit (Biedermann i), als die Temperatur eine Rolle (Bütschli,
1. c). Nach der zitierten Beobachtung Leydigs soll sich nach dem
Überwintern kein Kalk mehr finden 2. Man könnte sich also recht
gut vorstellen, daß die Säure hier die Aufgabe hätte, das ohnedies
so leicht lösliche Kalkmaterial in eine transportfähige und für den
Gehäuseaufbau geeignete Form zu überführen, eine Vorstellung, wie
sie ähnlich schon von Barfurth ausgesprochen worden ist^.
Bei Planorbis ist das blasige Stützgewebe nicht so reichlich ent-
wickelt, der Mantel ist vorwiegend muskulös; Kalkzellen finden sich
zahlreicher an der Basis um die Hautdrüsen und zwischen den Muskel-
fasern in den tieferen Teilen. Sie erreichen Durchmesser bis über 50 ,«
und zeigen an Stelle eines sphäritischen Inhaltskörpers meist einen
dicht- und grobkörnigen Inhalt. Bei Vorbehandlung mit Osmium-
säure löst sich der Kalk schon bei längerem Liegen der Schnitte in
70%igem Alkohol, und in den Zellen bleibt eine grobkörnige, von der
Blasen wand zurückgezogene Masse zurück. Viele der Zellen erscheinen
wie leer, nur mit einer dicken Membran umhüllt. Diese färbt sich an
1 Über den Zustand des Kalkes im Crustaceenpanzer. Biol. Centralbl.
Bd. XXI. 1901. S. 343.
2 Leydig hat offenbar im Freien überwinterte Tiere untersucht. Bei
Tieren, die ich über Winter im Aquarium hielt und fütterte, war die Kalkmasse,
d. h. die Zahl der Kalkzellen, anscheinend nicht verringert.
3 Nach Barfueth soll der aufgespeicherte Kalk teils im Winter zur Bildung
des Winterdeckels, teils zur Reparation der Schale oder Festigung der Haut oder
zum Ersatz des kalkhaltigen Hautschleimes dienen. Neben dieser supponierten
Bedeutung des sauren Secrets wäre natürlich eine andre Verwendung der Säure
nicht ausgeschlossen. So besitzt nach Hescheler (Längs Lehrbuch der vergl.
Anat. der wirbellosen Tiere. 2. Aufl. 1. Liefg. 1900. S. 294) Natica eine Säure
absondernde Drüse, deren Secret beim Anbohren der Muschelschalen zur Auf-
lösung des kohlensauren Kalkes dient.
32 Josef Schaffer,
Formalinpräparaten metachromatisch mit wässerigem Thionin, stark
mit Delafields Gemisch und auch mit alkoholischem Thionin, aber
wenig alkoholecht. Im übrigen zeigen die Kalkzellen dieselben Ver-
hältnisse wie bei Paludina.
Auch bei Helix pomatia erreichen die blasigen Zellen nicht die
hohe Entwicklung, wie bei Paludina, doch finden sie sich reichlich
besonders zwischen den Muskeln. Sie zeigen deutlich wandständige
Kerne, so daß man oft Siegelringformen sehen kann. Auch tritt an
Präparaten aus MüLLERscher Flüssigkeit der Wandbelag von Proto-
plasma an der Innenfläche der Blasen deutlich hervor.
An im Frühling (April) gefangenen Tieren finde ich die blasigen
Zellen erfüllt von Glykogen, dagegen vermisse ich Kalk noch fast ganz.
Zum Schlüsse dieser Besprechung des diffusen chordoiden Stütz-
gewebes der Gastropoden, sei besonders darauf hingewiesen, daß
die blasigen Zellen außer ihrer mechanischen Stützfunktion noch eine
andre Bedeutung besitzen, indem sie auch noch verschiedene Stoff-
wechselprodukte in sich aufspeichern können. Diese Erscheinung ist
deshalb von Interesse, weil sie auch beim chordoiden und chondroiden,
blasigen Stützgewebe und selbst beim Knorpelgewebe der Säugetiere
wiederkehrt.
Geschichtliches zum blasigen, chordoiden Stützgewebe
der Mollusken.
Bekanntlich hat Leydig^ zuerst gezeigt, daß im Körper von Paludina,
Arion, Helix »überall da, wo bei höheren Tieren das Bindegewebe sich findet,
helle, große Zellen mit einem kleinen wandständigen Kern vorkommen.
Langer 2 hat solche »gerundete helle Blasen von verschiedener Größe, die
durch nachträglichen Zusatz von verdünnter Salpetersäure ihre Konturen bei-
behalten «, dann auch bei Acephalen beschrieben, sie aber nicht als Zellen er-
kannt. »Zellenkerne haben sie keine, und da sie stellenweise auch miteinander
verschmelzen, so können sie kaum für Zellen gehalten werden. Ich muß gestehen,
daß mir diese Gebilde rätselhaft geblieben sind. «
Nach Sempera besteht das »großmaschige« Bindegewebe (neben dem er
noch ein »homogenes«, mit vielen freien Kernen unterscheidet) »aus den von
Leydig zuerst bei Paludina näher beschriebenen Bindesubstanzzellen«. Bei
Lymnaeus stagnalis unterscheidet er dreierlei, voneinander sehr abweichende
1 Über Paludina vivipara. Diese Zeitschr. Bd. II. 1850. Nach einer
Anmerkung von Cuenot (Arch. Biol. T. XII. 1892. p. 683) soll Leuckart diese
Zellen schon vor Leydig erkannt haben.
2 Das Gefäßsystem der Teichmuschel. Denkschr. kais. Akad. Wiss. Wien.
Bd. XII. 1856. S. 60.
3 Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten. Diese Zeit-
schr ift. Bd. VIII. 1856. S 342 u. 361 u. f.
über den feineren Bau ii. die Entwickl. d. Knorpclgewebes usw. 111. 33
Formen von solchen: auffallend große und vollkommen durchsichtige mit ziem-
lich großem, rundem Kern mit körnigem Inhalt und ein bis zwei Kern körperchen,
» um welchen sich . . . eine geringe Zone feinkörniger Substanz lagert. Der übrige
Inhalt dieser Zellen ist vollkommen glashell und homogen, und nie tritt in ihnen
Kalk, Pigment oder Fett auf«. Dies sind die oben von mir beschriebenen, blasigen
Stützzellen, wie auch Sempers Fig. 3 a deutlich zeigt. Über die Bedeutung
dieser Zellen blieb er sich » völlig im unklaren «, so daß er sogar an eine para-
sitische Natur dachte.
Als zweite Form beschreibt er »sechs- bis achtmal so kleine rundliche Zellen,
welche alle ohne Ausnahme von einer Menge kleiner, runder, ziemlich scharf
konturierter Bläschen ganz angefüllt sind «, die er für Fett hielt. Die dritte Form
ist durch ihren Gehalt an kohlensaurem Kalk ausgezeichnet, » welcher sie oft gänz-
lich ausfüllt. Doch findet man bisweilen auch solche, an denen die Zellmembran
und der durch den Kalk an diese gedrängte Kern deutlich zu sehen sind. . . .
Der Kalk tritt immer in Form von ziemlich großen, rundlichen oder ovalen, un-
kristallinischen Concretionen auf. « Diese zwei Formen, deren Größe in Wirk-
lichkeit von der der ersten nicht so sehr abweicht, wie Semper angibt, sind
nichts andres, als blasige Stützzellen mit Kalkkugeln, und ich halte besonders
die vermeintlichen Fettkugelzellen nur für Lösungs- oder Entwicklungsformen
solcher Kalkzellen.
Schon frühzeitig hat sich in der Beurteilung des in Rede stehenden Gewebes
eine große Schwierigkeit bemerkbar gemacht, die bis heute noch nicht über-
wunden ist, weil sie in der Natur des Gewebes liegt: nämlich die Frage, ob man
es mit geschlossenen Zellblasen zu tun hat, deren flüssiger Inhalt den Kern meistens
ganz an die Wand drückt oder ob die oft dicht aneinander gelagerten Membranen
dieser Zellblasen im optischen oder wirklichen Durchschnitte nicht eher als faser-
förmige Fortsätze verästelter, anastomosierender Zellen aufzufassen wären, deren
Körper — nach der ersten Auffassung den Zwickeln entsprechen würden, welche
durch das Aneinandergrenzen von drei bis vier Zellblasen entstehen und in deren
Nachbarschaft auch gewöhnlich ein Kern gelegen erscheint. So hat z. B. Goette i
das Chordagewebe in letzterem Sinne gedeutet. Auch von Leydig^ wurde vor-
übergehend, trotz seiner ersten Angabe, eine Reihe hierher gehöriger Gewebe
bei Mollusken, Tunicaten, beim Kjebs, im Sinus rhomboidalis der Vögel so auf-
gefaßt und dem Gallertgewebe zugerechnet, indem er den Inhalt der Zellen für
Intercellularsubstanz genommen hat.
Die Frage ist in manchen Fällen, wie z. B. bei der Chorda, leicht durch die
Isolation der Zellblasen zu lösen; in andern Fällen, besonders wenn eine Ver-
schmelzung der benachbarten Zellwände vorliegt, bietet die Entscheidung große
Schwierigkeiten .
Claparede^ hat die Zellen der sogenannten Bindesubstanz bei Cyclostoma
elegans als »schöne, farblose, durchsichtige Zellen beschrieben, deren großer Kern
meist ohne Essigsäurezusatz sichtbar ist. Sie sehen wie Fettzellen aus und er-
reichen bis zu 78 u im Durchmesser. Sie finden sich um das Gehörorgan,
1 Arch. mikr. Anat. Bd. XV. 1878. S. 316.
2 Lehrbuch d. Histol. 1857. S. 24, Fig. 9.
3 Beitrag zur Anatomie des Cyclostoma elegans. Müllers Arch. 1858.
S. 1—34.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 3
34 Josef Schaffer,
zwischen den Windungen des Darmkanals am Magen, um den Eierstock, zwischen
den Leberlappen. Um die Gefäße ist ihr Inhalt aus kleinen, lichtbrechenden,
bei durchfallendem Lichte schwärzlich, bei auffallendem aber weißlich erschei-
nenden Körnchen gebildet.
LeydigI hat später dieses Gewebe als zellig-blasiges bezeichnet;
es soll eine große Rolle bei Weichtieren, Arthropoden und Würmern spielen . . .
aus dem Körper der W^irbeltiere könnte das Gewebe der Chorda dorsalis hierher
gestellt werden. Bei andrer Gelegenheit hat Leydig- betont, daß dieses Ge-
webe die Rolle des Knorpels vertreten kann.
Flemming^ hat das Gewebe bei Anodonta und Mytilus untersucht und
gezeigt, daß die großen, gerundeten Elemente, die im Mantel, Fuß und Mittel-
körper massenhaft vorkommen, die sogenannten LANGERschen Blasen, nicht
die Blutbahnen selbst sind, wie Langer vermutet hat, sondern Zellen von rund-
licher Form und mit eigentümlicher erweichter Substanz; Flemming nannte sie
deshalb »Schleimzellen«. Gartenauer (1875, 1. c.) hat die dünnen, aneinander
liegenden Hüllen der blasigen Zellen (am optischen Durchschnitt) für verzweigte
Bindegewebszellen gehalten (vgl. seine Fig. VII), ähnlich wie Goette bei der
Chorda.
Der Auffassung Flemmikgs trat Kollmann* entgegen; er bezeichnet die
Bindesubstanz der Acephalen als Gallertgewebe (wie man ja auch von der Chorda-
gallerte spricht) und hat die hellen Blasen in demselben wie Langer als Lacunen
aufgefaßt. Sie messen 50 — 60 ^, sind bald rund, bald oval und wurden schon
oft als Schleimzellen gedeutet. »Man hat Leydig entschieden Unrecht getan,
als man ihm die Entdeckung jener angeblichen Kugeln, die in Wirklichkeit Ge-
webelücken sind, zugeschrieben hat. « Kollmann übersieht dabei die erste
Angabe Leydigs und verweist nur auf Fig. 55 in dessen Lehrbuch der Histologie
(1857), wo die sich überschneidenden Blasen ganz richtig dargestellt sind, in der
Beschreibung allerdings nur von großmaschigem Gallertgewebe gesprochen wird
(1. c. S. 102).
Nach FlemmingsS fortgesetzten Beobachtungen fällt an dem frischen
Mantelgewebe auf, daß es zum größten Teil aus eigentümlichen blassen Blasen
zusammengesetzt erscheint. Er bezeichnet sie zunächst als LANGERsche Blasen
und weist ihre Zellnatur unzweifelhaft nach. Im Verlaufe seiner Darstellung
nennt er sie wieder »Schleimzellen«, »lediglich um einen bequemen Namen zu
haben«. Sie messen im Mantelrand von Mytilus 40 — 100^, der Kern 6 — 9//.
»Ob die Schleimzellen noch zarte, membranartige Umhüllungs- oder Rinden-
schichten besitzen oder nicht, kann ich auch jetzt nicht sicher entscheiden«, doch
bemerkt er, daß sich am frischen Präparate der Inhalt nicht in die benachbarten
Blasen hineindrücken läßt.
1 Vom Bau des tierischen Körpers. Tübingen 1864. S. 29 u. 34.
2 Zelle und Gewebe. Bonn 1885. S. 54.
3 Über Bindesubstanzen und Gefäß wandung bei Mollusken. Hab. -Schrift.
Rostock 1871.
* Die Bindesubstanz der Acephalen. Arch. mikr. Anat. Bd. XIII. 1877.
S. 558—603.
s Über Bindesubstanz und Gefäßwandung im Schwellgewebe der Muscheln.
Ebendort, S. 818.
f
über den feineren Bau u. die P^ntwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 35
RenautI hat dann aIvS erster dieses Gewebe von Helix mit einer Reilje
andrer elastischer und widerstandsfähiger .Stützgewebe bei Wirbeltieren in Ana-
logie gebracht und ausdrücklich auf die mechanische Bedeutung dieses Tissu
fibreux hyalin, wie er es nennt, bei den Pulmonaten hingewiesen'-.
Eine sehr eingehende Untersuchung der Bindesubstanz bei den Mollusken
verdanken wir Brock 3; sie ist aber ohne die wesentliche Erkenntnis der histo-
logischen und mechanischen Bedeutung dieses zellig- blasigen Gewebes durch-
geführt. Dies geht vor allem daraus hervor, daß Brock einen Vergleich desselben
mit den embrj'onalen Bindesubstanzen der Vertebraten für zulässig hält und
glaubt, daß sich die fibrilläre Bindesubstanz, die er zuerst bei den Mollusken
näher untersucht hat, ungezwungen als eine weitere Entwicklung der zellig-
blasigen Bindesubstanz auffassen läßt. In Wirklichkeit müssen wir aber diese
letztere als eine durch besondere funktionelle Beanspruchung aus embryonalen
oder indifferenten Zellen hervorgegangene, hoch spezialisierte Gewebeform
betrachten.
Brock ging bei seinen Untersuchungen von den Aplysien* aus, bei denen
er die, nach seiner Meinung, den blasigen Zellen (Schleimzellen, Flemming) homo-
logen Gebilde von protoplasmatischer Natur und oft durch gegenseitige Ab-
flachung polyedrischer Form fand. Er nannte diese Zellen »in Ermangelung
eines besseren Namens Plasmazellen, weil sie mit den von Waldeyer
so genannten Elementen des Vertebratenbindegewebes in bezug auf äußeres
Aussehen und den Ort ihres Vorkommens eine gewisse Ähnlichkeit aufzuweisen
haben«. Das Protoplasma dieser Zellen wird im Leben von rötlich-grauen Con-
cretionen von punktförmiger Feinheit bis zu 4 ,a Durchmesser erfüllt. Diese letz-
teren färben sich außerordentlich intensiv mit Hämatoxylin und bestehen aus
Kalk, der an ein organisches Substrat gebunden ist, weshalb Joyeux-Laffuie^
für diese Zellen den Namen Kalkzellen vorgeschlagen hat. In diesen Plasmazellen
soll es auch zum Auftreten von Vacuolen unter gleichzeitiger Verdrängung des
granulären Inhaltes kommen.
Wir könnten in diesen Gebilden dann gleichsam ein ontogenetisches Vor-
stadium der blasigen Stützzellen erblicken.
Brock bezeichnet aber auch die blasigen Stützzellen bei Pulmonaten und
1 Sur les cellules godronnees etc. C. R. Acad. Sc. T. XC. 1880. p. 713.
2 Systeme hyalin de soutenement etc. Arch. physiol. 1881. p. 857.
3 Untersuchungen über die interstitielle Bindesubstanz der Mollusken.
Diese Zeitschr. Bd. XXXIX. 1883. S. 1—64.
* Aplysia ist sin sehr ungünstiges Objekt für die Untersuchung der blasigen
Zellen. Bei der großen Zartheit der Gewebe ist es schwer zu entscheiden, ob
sie blasige Stützzellen besitzen oder nicht. Wenn sie welche besitzen — - und das
scheint mir nach meinem fixierten, von Neapel bezogenen Material, sehr wahr-
scheinlich — , so sind sie sehr groß und so dünnwandig, daß sie kaum als ringsum
geschlossene Blasen zu erkennen und wohl auch kaum zu isolieren sind. —
Blochmann (diese Zeitschr. Bd. XXXVIII. 1883. S. 412) bezeichnet das Binde-
gewebe von Aplysia als »eigentümlich maschiges«. Nach seinen Zeichnungen
könnte es aber ebensogut aus großen dünnwandigen Blasen bestehen.
5 Organisation et developpement de l'Oncidie. Arch. Zool. exper. et gen.
T. X. 1882. p. 260.
3*
36 Josef Schaffer,
Prosobranchiern, bei denen sie so massenhaft auftreten, daß »sie über weite
Strecken epithelartig dicht aneinander gelagert, alle übrigen Bestandteile der
Bindesubstanz vollkommen verdecken« als Plasmazellen. Betrachtet man (bei
Helix, Limax, Arion) ein Stückchen der Bindesubstanz im frischen Zustande,
»so sieht man in der Regel nichts weiter, als Lagen von dicht gedrängten großen,
runden oder ovalen Zellen, welche durch ihren starken Glanz sehr an das Fett-
gewebe der Vertebraten erinnern«. Dies ist schon Clapakedei aufgefallen (vgl.
oben S. 33), neben dem Brock eine ganze Reilie älterer Autoren anführt, welche
diese Zellen gesehen haben 2. Er selbst gibt eine ganz zutreffende Schilderung
dieser Zellen, bestätigt auch das regelmäßige Vorkommen und die Lage der Kerne
in den LAMGEBschen Blasen und unterscheidet mit Sempeb drei Arten: die mit
fettartig glänzendem, homogenem Inhalt (der aber kein Fett ist) und mit strah-
ligem Protoplasmahof um den Kern ; dieser Hof enthält »feine, dunkle Körnchen
von unbestimmter chemischer Natur«, offenbar die oben von mir erwähnten
Pigmentkörnchen. Die zweite Art dieser Zellen ist durch matt fett- oder wachs-
glänzende Körnchen charakterisiert, welche in dem durchsichtigen Protoplasma
wie Tropfen zu schwimmen scheinen. Sie sind in Alkohol unlöslich und färben
sich tief in Hämotoxylinlösung, weshalb sie Bbock nicht, wie Sempeb, für Fett
hält, sondern als Körnchenzellen bezeichnet. Als dritte Art bezeichnet er jene
» Plasmazellen «, welche kohlensauren Kalk enthalten. Er unterscheidet solche,
die ihn in staub- oder pulverförmiger Verteilung und solche, die ihn in Gestalt
kugeliger oder »polygonaler« Körperchen einschließen.
Flemming^ vertritt nochmals gegen Kollmann und Gbiesbach mit vollem
Nachdruck seine Auffassung von der Zellennatur der LANGEBschen Blasen, in-
dem er hauptsächlich auf den Nachweis des Kernes in jeder Blase und auf den
Umstand Gewicht legt, daß bei Injektionen der Gefäßbahnen, die Masse dort,
wo LANGERsche Blasen sind, nicht in den Raum dieser Blasen eindringt.
Babfurth* sagt von Arion: '^Die großen hellen Zellen . . . haben einen
verhältnismäßig kleinen wandständigen Kern (Leydig) und enthalten zuweilen
größere blasse oder gelbliche Kügelchen. « » Die großen Bindesubstanzzellen
nehmen durch längere Einwirkung von Osmiumsäure einen eigentümlichen,
bläulichgrauen Farbenton an. « Babfurth beschäftigt sich auch mit den Kalk-
zellen im Bindegewebe; er beschreibt in der Adventitia der Leberarterien bei
Arion helle Bindesubstanzzellen, welche glänzende Kugeln von kohlensaurem
Kalk enthalten, die bei Säurezusatz aufbrausen. Bei Helix. Limax usw. ent-
halten die Gefäße keinen Kalk, wohl aber ist der wulstige Mantelrand der Heli-
cinen besonders reich an Kalkdrüsen, d. h. Kalkzellen. Wenn die Zellen ihren
Kalk abgeben, so findet man an Stelle der Kalkkugeln eine Protoplasmalücke,
die die Form einer Hohlkugel hat, aber nicht leer oder lufthaltig, sondern mit der
Zellflüssigkeit erfüllt ist. Diese Hohlkugeln besitzen aber besonders in dickeren
Schichten noch einen gewissen Glanz.
1 Cyclostomatis elegantis anatome. Diss. Berolini 1857. p. 13.
2 1. c. S. 39, Anm. 2.
3 Bemerkungen hinsichtlich der Blutbahnen und der Bindesubstanz bei
Najaden und Mytiliden. Diese Zeitschr. Bd. XXXIX. 1883. S. 137.
4 1. c. S. 479, 482.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 37
BoNABDii bildet das blasige Stützgewebe zwischen den Muskelfasern ab
(Fig. IIa); er bezeichnet es als eine gallertartige Substanz, welche durch netz-
artige Stränge in zahlreiche mehr oder minder regelmäßige polygonale Felder
geteilt wird. Irrtümlich meint Bonardi, daß Semper (s. o.) diese Felder für
Knorpelzellen gehalten hat und führt gegen diese Deutung an, daß er nicht in
jedeiu Feld einen Kern findet, aucii nicht jeder Umriß deutlich ist und daß sich
die Felder besonders mit Jodtinktur nur leicht und gleichmäßig färben. Wie
ich erwähnte, enthalten die Zellen zweifellos Glykogen, was aber mit einer Knorpel-
natur nichts zu tun hat. Bonardi bildet auch, vereinzelte elliptische, scharf
begrenzte Zellen zwischen den polyedrischen ab, die nichts andres, als entkalkte
Kalkzellen sind.
Frenzel^ hat versucht, die Existenz der Kalkzellen Barfürths in der
Leber in Abrede zu stellen und eine Reihe von Reaktionen der vermeintlichen
Kalkzellen angegeben (Aufquellen und Matt werden vor der Auflösung in ver-
dünnten Säuren, Schwärzung beim Erhitzen und deutliches Hervortreten einer
konzentrischen Schichtung, intensiv braunschwarze Färbung mit Jodtinktur),
aus denen hervorgeht, daß Frenzel offenbar glykogen- und kalkhaltige
Zellen verwechselt hat, ohne zu wissen, daß Glykogen zu gewissen Zeiten ein
regelmäßiges Vorkommen bei den Schnecken bildet.
Barfürths widerlegte die Einwürfe Frenzels und betonte nochmals, daß
sich neben dem kohlensauren Kalk in den großen »Kalkdrüsen« auch glänzende
Kügelchen von phospliorsaurem Kalk im Mantel der Sommertiere finden. Später*
wies er auch nach, daß es gerade die blasigen (LEYDiGschen) Zellen der Binde-
substanz sind, in denen sich das Glykogen zuerst aufspeichert.
Ohne Kenntnis von dieser Mitteilung Barfurths hat dann Blundstone-''
den Glykogengehalt der blasigen Zellen (der Ausdruck »vesicular cells« soll von
Lankaster stammen) nachgewiesen und Angaben über das feinere Verhalten
dieser Zellen gemacht. Dabei entging ihm allerdings die Tatsache, daß dieselben
Zellen zu andern Zeiten Kalk enthalten können; er betont ausdrücklich, daß ihr
stark glänzender Inhalt nicht doppeltbrechend ist.
Betreffs der Auffassung der Natur dieser blasigen Zellen, schloß er sich
Flemming an; sie seien identisch mit den Plasmazellen von Brock u. a., den
LANGERschen Blasen vieler Autoren und äquivalent mit vielen der Lacunen
von Kollmann, Griesbach usw.
Bei Helix finden sie sich an der Grenze der großen lacunären Räume und
in den »Mesenterien«. Speziell begleiten sie bei allen untersuchten Mollusken
die Arterien, weshalb diese so glänzend weiß hervortreten.
1 Contribuzione all' istologia del sistema digerente dell' Helix pomatia.
Atti R. Accad. Sc. Torino. Vol. XIX. 1883.
2 Über die sogenannten Kalkzellen der Gasteropodenleber. Biol. Centralbl.
III. Bd. 1883/84. S. 323.
3 Der phosphorsaure Kalk der Gasteropodenleber. Biol. Centralbl. Bd. III.
1884. S. 435.
* Das Glykogen in der Gasteropodenleber. Zool. Anz. 10. Dez. 1883. S. 652.
5 On the occurrence of Glycogen as a constituent of the vesicular cells
of the connective tissue of Molluscs. Proc. R. Soc. London. Vol. XXXVIII.
1885. p. 442.
38 Josef Schaffer,
SchülekI hat bei Anodonta die »Schleimzellen« in Gestalt heller, rund-
licher oder länglicher Blasen, sowohl in Kochsalzlösung als in 33%iger Kalilauge
isoliert. »Dieselben sind von einer zarten Membran begrenzt und enthalten
einen hellen schleimigen Inhalt, in dem etwas exzentrisch oder wandständig
ein scharf konturierter Kern mit Kernkörperchen liegt, von dem aus körnige
Fäden in radiärer Richtung und auch netzförmig ausgehen. «
Nach Thiele 2 zeichnen sich diese LANGERschen Blasen oder, wie Flemming
will, »Schleimzellen« durch bedeutende Größe, kugelrunden, wandständigen Kern,
der von wenig Protoplasma umgeben ist und im übrigen wasserhellen Inhalt aus «.
List3 bildet isolierte »Plasmazellen der Autoren« von Tethys ab. »Sie er-
reichen oft einen Durchmesser von 46 u und haben gewöhnlich kugelige oder
mehr ellipsoidähnliche Form. Sie sind von einer deutlichen Membran umgeben,
die wohl nur als eine besondere Differenzierung der Zellsubstanz selbst aufzu-
fassen ist. «
Dbost* hat dann bei Cardium die FLEMMiNGschen »Schleimzellen« an
zuerst in verdünnter Osmiumsäure erhärteten und dann in Kaliumbichromat
übertragenen Objekten als sicher umgrenzte, rundliche Ballen isoliert und ihre
Identität mit den LANGERschen Blasen und damit die Zellennatur der letzteren
nachgewiesen.
Renaut^ hat eine gute Beschreibung des Gewebes bei Helix gegeben: Die
blasigen Zellen werden von einer glasartig durchsichtigen Masse gebildet, die sich
mit Osmiumsäure kaum rauchgrau färbt. An ihrer Peripherie folgt eine schmale
Zone von Protoplasma, welches einen flachen, bläschenförmigen Kern einschließt.
Außer dem Kern ist ein Häufchen protoplasmatischer Körnchen vorhanden,
die sich mit Eosin färben. Endlich wird das Ganze von einem kapselartigen Exo-
ptasma umschlossen. Wo sich diese Zellen berühren, bilden sie hyaline Streifen,
welche die Rolle eines Knorpels spielen und nach Art der Chorda, mit der sie
verglichen werden können. Widerstand leisten. Es findet sich im ganzen Körper
zerstreut, in allen bindegewebigen Scheidewänden der Eingeweide bildet es von
Stelle zu Stelle Streifen oder Knötchen.
Rawitz^ macht nur gelegentlich kurze Bemerkungen über die »Schleimzellen «
oder »Bindesubstanzzellen von Flemming«.
Cttenot'^ hat eine sehr eigentümliche Auffassung von der physiologischen
1 Über die Beziehungen der cavernösen Räume im Bindegewebe der Ano-
donta zu dem Blutgefäßsystem. Arch. mikr. Anat. Bd. XXV. 1885. S. 84.
2 Die Mundlappen der Lamellibranchiaten. Diese Zeitschr. Bd. XLIV.
1886. S. 261.
3 2ur Kenntnis der Drüsen im Fuße von Tethys fimbriata. Ebenda, Bd. XLV.
18 87. S. 311.
4 Über das Nervensystem und die Sinnesepithelien der Herzmuschel (Car-
dium edule L.) nebst einigen Mitteilungen über den histologischen Bau ihres Man-
tels usw. Morph. Jahrb. Bd. XII. 1887.
5 Traite d'Histologie prat. T. I. 1893 (1888). p. 336 u. f.
6 Der Mantelrand der Acephalen. Jenaische Zeitschr. Bd. XXII, XXIV,
XXVII. 1888—1892.
" Etudes physiologiques sur les Gasteropodes pulmones. Arch. Biol.
T. XII. 189 2. p. 683.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 39
Bedeutung der LEYDiGschen Zellen bei Pulmonaten zu vertreten gesucht, indem
er ihnen einerseits phagocj'täre Tätigkeit, anderseits eine excretorische Bedeutung
zuschrieb. Er schildert die Zellen als große Blasen, deren größter Durchmesser
bis zu 80 // erreicht, die eine helle Flüssigkeit einschließen, manchmal erfüllt von
kleinen Vacuolen, manclimal von starkem Lichtbrechungsvermögen (Glykogen).
Sie sollen sauer reagieren und imstande sein, Ammoniakkarmin und Lackmus
zu resorbieren. Die Kalkzellen sollen nichts mit diesen Gebilden zu tun haben,
weshalb er sie vollkommen trennt.
LoiSEL^ hält die blasigen Zellen zwischen den Muskeln für vollkommen
übereinstimmend mit denen in den Radulastützen ; auch läßt er sie aus einem
syncytialen Vorstadium entstehen, wie diese. Im fertigen Zustand enthalten
sie neben sehr wenig Protoplasma eine durchscheinende Flüssigkeit schleimiger
oder eiweißartiger Natur. Loisel charakterisiert diese Zellen als echte Stütz-
zellen, indem er sagt, daß sie sich stets dort finden, wo ein Muskel einen festen
Ansatzpunkt braucht oder selbst als Stützorgan wirken muß.
Ch.\tin2 verwahrt sich dagegen, daß die Bindegewebselemente der Gastro-
poden lediglich durch »abgerundete Zellen, welche ein durchscheinendes Plasma
und sehr wenig Protoplasma einschließen «, vertreten seien. Diese durchsichtigen
Blasen sind sogar die seltenste Form; man trifft sie vor allem im Gewebe um
die Zunge der Pulmonaten.
Hier identifiziert Chatin offenbar, ähnlich wie dies Leydig, Renaut und
Loisel zu tun scheinen, das blasige Stützgewebe in den Radulastützen mit der
zellig-blasigen Bindesubstanz.
Nach Leon 3 scheinen bei Dentalium die blasigen Stützzellen ebenfalls nur
wenig entwickelt und vereinzelt vorzukommen; »das Plasma ist fein granuliert
und färbt sich mit Hämatoxylin-Eosin tiefrot, die kreisrunden (meist mehrfachen)
Kerne sind groß, mittelständig. . . . Dies sind die Zellen, welche Rawitz mit
den FLEMMiNGschen Zellen identifiziert hat«.
Im Mantel von Paludina vivipara findet Chätin*, entgegen seiner oben
wiedergegebenen Behauptung, die blasigen Zellen am weitesten verbreitet. Sie
sollen jedoch durch ihre Größe und einige Einzelheiten im feineren Bau ver-
schieden sein von den LEYDiGschen Zellen, LANGERschen Blasen und Plasma-
zellen. Von den Kalkzellen ist keine Rede.
In sehr eingehender Weise hat sich mit den blasigen Zellen, besonders ihrem
Glykogengehalt, CreightonS beschäftigt. Er gibt auch eine historische Über-
sicht über diese Zellen, die er mit Brock »Plasmazellen« nennt; nicht so sehr,
weil sie protoplasmareich sind — sie erscheinen im Lackpräparat als große, helle
1 I. c. S. 37 u. f.
2 Contributions ä l'etude de la cellule conjonctive chez les Mollusques
Gasteropodes. 0. R. Acad. Sc. Paris. T. CXIX. 1894. p. 922.
3 Zur Histologie des DentoZmm-Mantels. Jen. Zeitschr. Bd. XXIX. 1895.
S. 413.
4 Evolution et structure des elements conjonctifs chez la Paludine. C. R.
Acad. Sc. Paris. T. CXXVI. 1898. p. 659.
6 Microscopic researches on Glycogen. P. II. Glycogen of snails and
siugs in morphological and physiological correspondence with the Lymph System
of Vertebrates. London, A. and C. Black, 1899.
40 Josef Schaffer,
Blasen — , als um sie von den gewöhnlichen Bindegevvebszellen als ganz verschie-
dene, natürliche Zellgruppe zu unterscheiden. » Dabei ist es irrelevant, was der
Autor des Namens (Waldeyeb) damit gemeint hat. «
Unter den Mollusken sind hauptsächlich die Pulmonaten reich an Glykogen,
weniger die andern Gastropoden. So ist es bei Patella nirgends sehr hervor-
tretend, außer in dem p\Tamidenförmigen Knorpelpaar unter der Zungenscheide,
in dem es gerade so wie im Säugetierknorpel vorkommt. Bei Buccinum sind
die großen Plasmazellen voll Glj-kogen leicht nachweisbar in der Nierengegend,
im dicken Mantelrand und um die Schläuche der Verdauungsdrüse.
Limnaeus und Planorbis sollen sehr verschieden sein in Hinsicht auf das
System ihrer Plasmazellen und ihren Kohlehydratgehalt . . . Der gewöhnliche
Typus ihrer Plasmazellen ist ein dickwandiges Bläschen, rund oder oval, welches
eine Substanz enthält, die sich mit Jod nicht färbt, sondern mattweiß bleibt
und kaum mit Karmin sich färbt. An andrer Stelle (S. 16) rechnet er auch Pa-
ludina hierher. Diese Zellen sind stets isolierte Elemente und bilden kein Paren-
chym oder Gewebe. Mit ihnen finden sich auch gewöhnliche Glykogenzellen
und solche mit »Kalkbläschen«.
Offenbar hat hier Creightox auch Kalkzellen und Glykogenzellen nicht
scharf auseinander gehalten.
Cuenoti beschäftigt sich nunmehr eingehender mit den LsYDiGschen Zellen,
deren Vorkommen er bei allen Gruppen der Mollusken untersucht. Er wider-
ruft seine Angabe einer phagocytären Tätigkeit dieser Zellen und betont ganz
einseitig ihre excretorische Bedeutung für den Stoffwechsel. Bei den Opistho-
branchiern beschreibt er sie als große oder unregelmäßige Zellen, welche in
enormer Anzahl im Bindegewebe verstreut, isoliert sind oder aneinander schließend
mehr oder minder mächtige Massen bilden. Man findet sie fast überall, zwischen
den Eingeweiden, in den Mesenterien, in der Haut. Sie schließen braune oder
schwärzliche Körnchen und Vacuolen in wechselnder Zahl ein. Nach Injektionen
von Karmin oder Lackmus findet man diese Substanzen ausschließlich in diesen
Zellen, entweder an die Granula gebunden oder in den Vacuolen aufgelöst.
CuENOT macht auch auf den außerordentlichen Reichtum des Bindegewebes
an Kalkkarbonat bei den Wasserpulmonaten aufmerksam, hält aber die großen,
stark lichtbrechenden Kalkconcretionen meistenteils für »un depot inutilisable «.
MojfTi RiNA^ erwähnt einen Strang von enorm großen, blasenförmigen
Bindegewebszellen, mit dicker Membran, die sich mit Osmiumsäure nicht schwärzen,
welcher die Speicheldrüse mit dem Magen verbindet. Etwas eingehender beschreibt
sie die LEYDiGschen Zellen später 3; sie enthalten manchmal stark lichtbrechende,
ölartige Kugeln. Der Kern ist selten in der Mitte gelegen, meist an der Peri-
pherie in einer Protoplasmaanhäufung, welche in den offenbar flüssigen Inhalt
vorspringt.
Nach SiMKOTH* haben die LEYDiGschen Zellen, LANGEEschen Blasen, die
1 L'excretion chez les mollusques. Arch. de Biol. T. XVI. 1899.
2 1. C.
^ Sulla fina struttura dello stomaco dei Gasteropodi terrestri. Rendiconti
Ist. Lomb. Sc. miano (2). Vol. XXXII. 1899. p. 1086.
* Mollusca (Weichtiere) in Bronns Klassen und Ordnungen. Bd. III. Leipzig
1899. S. 229.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 41
er als Bindegewebszellen mit mehr oder weniger derber Membran und wenig
Protoplasma um den Kern bezeichnet, Ähnlichkeit mit den Chordazellen oder
auch mit denen der Pflanzen. »Sie bilden ein weit verbreitetes Füllmaterial
im Mantel, Fuß, um die Gefäße usw«.
Xach PekelharixgI besteht das Bindegewebe der Auster fast ganz aus
benachbarten Gruppen blasiger Zellen von 30 — 50 u Durchmesser, mit rundem,
vorwiegend an der Zollwand gelegenem Kern. Diese großen Blasenzellen gehen
aus kleinen, körnigen Vorstufen hervor und enthalten neben Fetttröpfchen ver-
schiedener Größe, meist am Rande auch Glykogen in so reichlicher Menge, daß
Pekelharing den Namen »Glykogenzellen« für diese blasigen Gebilde
vorschlägt. An andrer Stelle ^ bildet er isolierte solche Zellen von einer jungen
Auster ab.
Die letzte Arbeit, die sich mit dem Bindegewebe der Gastropoden beschäftigt,
die von Enriques 3, enthält nichts über die zellig-blasige Stützsubstanz. Das
Bindegewebe von Paludina soll durch die Anwesenheit zahlreicher Leucoyten,
von denen viele Pigment enthalten, ausgezeichnet sein. Außerhalb der Leuco-
cyten soll sich keine Spur von Pigment im Bindegewebe finden; eine Angabe,
die ich nicht bestätigen kann. 1^
Nach der Schilderung und Auffassung einiger Autoren soll sich
ein ähnliches, zellig-blasiges Stützgewebe, b, auch bei De-
capoden (Flußkrebs) finden. Wenn ich dieses Gewebe ebenfalls hier
bespreche, so geschieht es unter der ausdrücklichen Betonung, daß
es mir nicht gelungen ist, seinen Aufbau aus isolierbaren Blasen nach-
zuweisen. Dies kann aber seinen Grund in der überaus großen Zart-
heit der Blasen Wandungen haben; vielleicht auch in dem ganz be-
sonderen Verhältnis, daß dieses Stützgewebe meistens durch den starren,
verkalkten Panzer, wenn auch nicht ganz außer Funktion gesetzt,
so doch mechanisch entlastet wird, während es zur Zeit der Häutung
von wesentlicher Bedeutung sein muß. Es ist daher nicht ausgeschlossen,
daß es sich hier in der Tat um einheitliche Scheidewände zwischen den
Blasen handelt, wodurch die Stützfestigkeit des Gewebes zweifellos
erhöht würde. Dies müßte angenommen werden, wenn die Isolation
der Blasen in keiner Weise gelänge. Dann wäre das Gewebe als eine
sehr primitive Form des blasigen Stützgewebes von chondroidem
Typus zu betrachten.
Es ist aber sicher ein echtes Turgorgewebe, dessen zarten Wan-
dungen eine stützende Funktion sicher nur durch den intracellulären
1 Le tissu conjonctif chez I'huitre. Petrus Camper. I. T. 2. L. 1901.
S. 228—237.
2 Voordrachten over Weefselleer. Haarlem 1905. Fig. 49.
3 Studi sui leucociti ed il connettivo dei Gasteropodi. Arch. ital. Anat.
Embr. Vol. IV. 1905. p. 153.
42 Josef Schaffe!',
Druck zukommen kann. Deshalb und weil es m seiner ganzen An-
ordnung mehr dem blasigen Stützgewebe bei den Schnecken vergleich-
bar ist, soll es hier besprochen werden.
LeydiqI erwähnt in der weichen Haut unter dem Panzer des Fhißki'ebses
ein großes Maschengewebe, »dessen Gerüst in den Knotenpunkten schöne große
Kerne besitzt und in den Hohlräumen eine Gallerte einschließt«. Die »Gallert-
räume« sind 0,024 — 0,04'" (52 — 87 a) groß. Dasselbe Gewebe findet sich auch
um die Nerven und sonst als interstitielles Gew-ebe.
Leydig hat dieses Gewebe irrtümlich zum Gallertgewebe gerechnet, indem
er den Inhalt blasiger Zellen für Intercellulärsubstanz, die optischen Durch-
schnitte der aneinander stoßenden Zellmembranen für ästige Zellkörper hielt.
Dieselbe Auffassung hatte Leydig zunächst auch vom Gewebe des Tunicaten-
mantels und dem Bindegewebe bei Mollusken, z. B. Anodonta (vgl. Fig. 55 in
seinem Lehrbuch der Histologie). Doch kamen ihm selbst frühzeitig Zweifel
an der Richtigkeit dieser Annahme-, und \\\e wir im vorigen Kapitel gesehen
haben, hat Leydig diese Gewebe später ganz richtig der zellig-blasigen Binde-
substanz zugerechnet.
Auch Haeckel^ hatte die erste Darstellung Leydigs bezweifelt und die
Frage aufgeworfen, ob es sich beim Krebse nicht um ein »Zellgewebe« handle,
d. h. ob das Gewebe nicht aus geschlossenen Blasen bestünde. Diese Vermutung
wurde durch eine eingehende Untersuchung des Gewebes bestätigt. Haeckel
bezeichnet dieses Gewebe als »Zellgewebe« und findet es in unverkennbarer Be-
ziehung zu den Blutgefäßen, sowie dort, » wo ein besonders lebhafter Stoffwechsel
stattfindet, namentlich rings um den ganzen Darmkanal, unter der dünnen Cutis-
schicht usw. angehäuft«. Er möchte daher diesem Gewebe eine viel höhere, als
eine rein physikalische, namentlich chemische Bedeutung zusprechen, da es
nirgends »als Konstituens physikalischer Apparate auftritt «.
Diese Darstellung Haeckels, sowie die histologische Beschreibung charak-
terisieren das Gewebe auf das beste als diffuses chordoides Stützgewebe. Seine
Anordnung um lebenswichtige Organe (Nervensystem, Darm, Blutgefäße) ge-
währt diesen Schutz und Stütze; diese Funktion muß besonders an der ober-
flächlichen Lage dieses Gewebes unter dem Panzer zur Zeit der Häutung hervor-
treten. Diese ausgesprochen physikalische Funktion schließt natürlich eine
besondere Bedeutung dieses Gewebes für den Stoffwechsel nicht aus, wie wir ja
auch die blasigen Stützzellen bei den Mollusken zeitweilig mit wichtigen Stoff-
wechselprodukten (Glykogen, Kalk) erfüllt sehen.
Nach Haeckel sind die Zellen durch besondere Größe ausgezeichnet, indem
sie Durchmesser von 40 — 80 // erreichen. Ihre Form ist im allgemeinen kugelig
oder rundlich. Das Gewebe gleicht manchen Pflanzengeweben oder der Chorda
mancher Fische. Die Zellmembran ist vollkommen homogen und durchsichtig,
schwach glänzend, und zwar meist sehr dünn, aber doch sehr fest, zähe und
1 Zum feineren Bau der Arthropoden. Müllers Arch. 1855. S. 378 u. f.,
S. 389. Lehrbuch 1857. S. 24, S. 114.
2 Lehrbuch d. Histologie. S. 25.
3 De telis quibusdam astaci fluviatilis. Diss. inaug. Berol. — Über die
Gewebe des Flußkrebses. Müllers Arch. 1857. S. 469.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 43
elastisch. Der reicliliclie Inhalt, bald mehr dünnflüssig, bald mehr gallertig, ist
auch vollkommen durchsichtig und enthält außer dem Kern keine geformten Be-
standteile.
»Nur selten umgibt ein kleiner Haufen zarter, körniger Substanz . . . den
Kern wie ein Wölkchen. « Häufig aber enthält die Zelle, besonders bei jungen
Tieren einen Fetttropfen, der bald sehr klein, bald so groß sein kann, daß er die
ganze Zelle ausfüllt. Der Kern ist immer genau wandständig. »Glyzerin und
Chromsäure entziehen den Zellen das Wasser sehr heftig und »bewirken ein
rasches Zusammenfallen, so daß der Kern allein in der entleerten Zelle zurück
bleibt, deren kollabierte Membran in viele Falten und Runzeln sich legt. Mit
Hilfe der Chromsäure gelingt es überdies die einzelnen Zellen zu isolieren, was
im frischen Gewebe fast nicht möglich ist«.
Henlei stellte diese Zellen zum Knorpelgewebe; »insbesondere bestimmt
mich dazu ihre Ähnlichkeit mit dem Gewebe der Chorda dorsalis«.
Braun 2 bildet in Fig. 1 und 34 das »großzellige Bindegewebe«, allerdings
schematisch, ab, als aus großen, isolierten Blasen bestehend, ohne sich näher
über dessen feineren Bau auszulassen. Ähnlich später Vitzou^, der zuerst auf
den großen Glj^kogengehalt dieser Zellblasen zur Zeit der Häutung aufmerksam
gemacht hat.
Krieger* hat die Bedeutung des Gewebes als Stütz- und Hüllgewebe her-
vorgehoben. Es dient zur Fixierung des Nervensystems innerhalb der Leibes -
höhle, wie es auch alle andern Organe innerhalb der letzteren umkleidet 5. Be-
sonders reiciilich ist es am Gehirn und am unteren Schlundganglion ausgebildet.
Dies ist deshalb von besonderem Interesse, weil wir etwas ähnliches bei Petro-
myzonten finden werden.
Nach Kirch 6 ist die Bindesubstanz bei den Krebsen am weitesten in Form
von großen hyalinen Zellen verbreitet. Diese besitzen einen meist exzentrisch
gelegenen Korn und spärliches Protoplasma, das teils um den Kern gelagert ist,
teils in feinen Bälkchen den Zellleib unregelmäßig durchzieht. Die Zellen er-
scheinen auf den ersten Blick lückenhaft; durch Jodfärbung kann man sich jedoch
überzeugen, daß die scheinbaren Lücken mit einer homogenen Masse erfüllt sind,
die sich vorzugsweise als Träger des Glykogens erweist. Das sind den Leydig-
schen Bindesubstanzzellen, den Plasmazellen Brooks, wie sie bei den Mollusken
gefunden werden, entsprechende Zellen. Sie finden sich hauptsächlich unter
dem Panzer, in der Darmwand und als Füllung zwischen den Muskeln.
Zur Zeit der Häutung bildet diese großzellige Bindesubstanz ein wahres
Glykogenreservoir.
1 Jahresbericht für 1857. S. 87.
2 Über die histologischen Vorgänge bei der Häutung von Astacus fluviatilis.
Arbeiten zool. zootom. Inst. Würzburg. Bd. II. 1 875.
3 Recherches sur la structure et la formation du teguments chez les Crusta-
cees decapodes. Paris 1882.
* Über das Centralnervensystem d. Flußkrebses. Diese Zeitschr. Bd. XXXIII.
1888. S. 542.
5 Dieser Darstellung hat sich Gerstaecker (Bronns Kl. u. Ordn. Bd. V.
Abt. 2. 1901. S. 918) angeschlossen.
^ Das Glykogen in den Geweben des Flußkrebses. Diss. Bonn 1886.
44 Josef Schaffer,
HalpebnI bildet in Fig. 11 einen Durchschnitt durch das großblasige Stütz-
gewebe ab, nach dem man den Eindruck bekommt, daß es sich um eine Art ge-
kammerter Blasenzellen handelt, mit sehr dünnen, aneinander liegenden Mem-
branen.
Ich habe dieses Gewebe beim Flußkrebs unter dem Hautpauzer,
um die Nervenstränge und Ganglien, wo es sich in größerer Menge
rein gewinnen läßt, und bei einem in Häutung befindlichen Hummer ^
untersucht. Es bietet in der Tat einen sehr chordaähnlichen Anblick
(Fig. 7), indem auffallend große Blasen unmittelbar aneinander gedrängt
erscheinen und so nur durch äußerst dünne Scheidewände getrennt
werden.
Die im frischen Zustande prall gefüllten Blasen sind ungemein
empfindlich; selbst nach Härtung in Formalin bringt sie die Behand-
lung mit einer stärkeren Alaunlösung (Färbung mit Hämalaun) so
zm- Schrumpfung, daß man nur ein zerknittertes Häutchenwerk vor
sich hat, in welchem man unmöglich Zellgrenzen von Falten unter-
scheiden kann. Die Blasen erreichen, im gehärteten Zustande, Durch-
messer von 50 — 65 fi und besitzen so dünne Wandungen, daß diese im
.ungefärbten Zustande von der Fläche gesehen kaum wahrzunehmen
sind. Zerzupft man aber ein vorher mit Hämalaun durchgefärbtes
Stückchen dieses Gewebes oder untersucht man es an dünnen gefärbten
Durchschnitten, so treten die Wandungen scharf und dunkel gefärbt
als ringsum geschlossene Linien hervor.
Von der Fläche betrachtet, zeigt eine solche gefärbte Blasenwand
ein unregelmäßig grobnetziges oder w^abiges Aussehen (Fig. 7, M); im
optischen oder wirklichen Durchschnitt erscheint die Scheidewand
zwischen zwei benachbarten Blasen wie einheitlich ; es gelingt nie, mit
Sicherheit einen trennenden Spalt oder eine Mittellamelle wahrzu-
nehmen. Wohl aber machen die Scheidewände am senkrechten Durch-
schnitt den Eindruck, als wären sie stellenweise von ungleich großen
Poren durchsetzt; dann erscheinen sie wieder beiderseits mit feinsten
Spitzen oder Höckerchen besetzt, durchaus nicht glatt, wie man es
etwa an Durchschnitten durch die Chordagallerte zu sehen gewohnt ist.
Was sich mit Hämalaun dunkel färbt, sind nämlich nicht die Mem-
branen, sondern ein feiner netzförmiger Protoplasmabelag an ihnen.
1 Das Hüll- und Stützgewebe des Bauchmarks bei Astacus fluviatilis.
Arbeiten zool. Inst. Univ. Wien. T. XIV. 1903. S. 423.
2 Für dieses letztere, in Formalin konservierte Material, bin ich dem Vor-
stande der biologischen Versuchsanstalt im Prater, Herrn Dozenten Dr. Hans
Przibram zu Dank verpflichtet.
über den feineren Bau u. die Ent\AickI. d. Knorpelgewebes usw. III. 45
Um den auffallend großen (16 — 22 tt), runden oder ovalen, stets
wandständigen Kern ist dieses Protoplasma reichlicher angehäuft.
Einzelne zarte Protoplasmafäden scheinen auch das Innere der Blasen
zu durchspannen. Im übrigen findet man im Innern der Zellblasen
große und kleine stark glänzende Tropfen einer homogenen Substanz,
die sich an Formalinmaterial stark mit Hämalaun färben, bei Nach-
färbung mit Eosin sich aber oxyphil erweisen.
Bei dem in Häutung begriffenen Hummer war an ihrer Stelle in
jeder Blase ein ovaler bis runder, ziemlich stark glänzender, fast homo-
gener Körper vorhanden, der weder doppeltbrechend erschien, noch
sich besonders stark mit Jodjodkalium färbte; bei der Färbung nach
Mallory nehmen diese Körper eine lebhafte Orangefärbung an. Offen-
bar handelt es sich um eine Trägersubstanz von Glykogen; ob sie aber
nicht auch gelegentlich leicht lösliche Kalkverbindungen enthalten
kann, war an meinem in Formalin gelegenen Material nicht zu ent-
scheiden. Die Analogie mit den Verhältnissen bei Mollusken läßt dies
nicht unmöglich erscheinen, doch könnten darüber nur Untersuchungen
an frischem Material Aufschluß geben. Für die Verkalkung des weichen
Panzers könnte ein solcher Kalkgehalt von Bedeutung sein.
Wenn nun auch dieses Gewebe dort, wo es reichlicher angesammelt
ist, durch den unmittelbaren Aneinanderschluß seiner großen Blasen
geeignet ist, den Eindruck eines kompakten chordoiden Stützgewebes
zu machen, so verlieren sich die Blasen doch auch ohne festere Begren-
zung zwischen den Muskeln, finden sich auch sonst durch den ganzen
Körper verstreut, so daß das Gewebe vollkommen dem oben entwickelten
Begriffe des diffusen, chordoiden Stützgewebes entspricht.
Ein sehr ähnliches Gewebe, wie bei Decapoden, findet sich nach
der Schilderung von v. Mack^ auch um das Nervensystem von Sipun-
culus nudus und wahrscheinlich noch bei andern Wirbellosen an ver-
schiedenen Stellen.
V. Mack bezeichnet das Gewebe, welches den Bauchstrang von
Sipunculus umhüllt »wie so manches großzellige oder vesiculäre Ge-
webe im Tierreich (Tentakelachse mancher Cölenteraten, Tentakel-
stützen der Spirographis, Kiemenstützen der Sahella, Chorda der
Vertebraten usf.) und auch im Pflanzenreich«, als ein Turgorgewebe,
ein Stützgewebe /.az iioyj^v. Denn auf dem Turgor der Hohlräume
1 Das Centralnervensystem von Sipunculus nudus L. (Bauchstrang). Mit
besonderer Berücksichtigung des Stützgewebes. Arbeiten zool. Inst. Univ. Wien.
Bd. XIII. 1900/02. S. 237.
46 Josef Schaffer,
(Zellvaciiolen) beruht in erster Linie die Kigidität, die Widerstands-
kraft dieser Stützgewebe gegen Biegung und Druck«.
Eine Zerlegung dieses Gewebes in seine Elemente (durch Mace-
ration mit Müllers Flüssigkeit oder Salpetersäure) gelang auch v. Mack
nicht oder nur sehr unvollkommen. Er bezeichnet das Gewebe, von
dem er eine sehr eingehende Schilderung gibt, auch als zelliges Gallert-
gewebe und sagt, daß ihm unbestreitbar eine große Ähnlichkeit mit
einem Knorpel zugestanden werden muß (auch TeuscherI hat es als
»Knorpelgewebe (?) « bezeichnet), und zwar ist es die Abart oder die
Vorstufe eines Knorpels, wie er bei Ammocoetes als Füllgewebe zwischen
Rückenmark und Chorda ^ zuerst von Renaut, später im Skelet von
Myxme und Petromyzon (Kiemenbogen) als Schleimknorpel beschrieben
wurde, an den diese Bindesubstanz erinnert«.
So wenig zutreffend dieser Vergleich in Hinsicht auf den Schleim-
knorpel auch ist, so hat v. Mack doch schon die Verwandtschaft dieses
Gewebes mit dem blasigen Stützgewebe und seine Vergleichbarkeit
mit Knorpelgewebe in funktioneller Beziehung erkannt ; eine ■ richtige
Vorstellung vom prinzipiellen Unterschiede dieser beiden Stützgewebe
hat er jedoch nicht besessen, wie aus der Bemerkung hervorgeht, daß
in diesem Gewebe die »Grundsubstanz« auf ein schwaches Fachwerk
zwischen den Zellen reduziert ist.
c. Das blasige Gewebe des Tunicatenmantels. — Dieses
Gewebe, welches anscheinend vom diffusen chordoiden Stützgewebe
ganz verschieden ist, muß hier berücksichtigt werden, da es
wiederholt mit dem Gewebe der Chorda und ähnlichen Textiu-en
verglichen worden ist. Denkt man sich übrigens im Mantel einer
Schnecke das gesamte Zwischengewebe zwischen den blasigen Stütz-
zellen zu einer homogenen, von Gefäßkanälen durchzogenen Masse
erstarrt, dann hat man vom rein morphologischen Standpunkt aus
eine Vorstellung vom blasigen Gewebe des Tunicatenmantels. Der
prinzipielle Unterschied liegt aber darin, daß jener im wesentlichen
eine Oberhautbildung darstellt, bei welcher die Blasen offenbar nichts
andres bezwecken, als Ersparung an Material und Verminderung des
specifischen Gewichtes, ohne Verminderung der Stütz- oder Druck-
festigkeit des, einem äußeren Skelet vergleichbaren Mantels.
Bekanntlich besitzt der Mantel bei gewissen Tunicaten eine knor-
pelige Konsistenz — »sac cartilagineux externe (Savigny), enveloppe
1 Jenaische Zeitschr. f. Naturw. Bd. VIII. 1878.
2 Es befindet sich dorsal von der Chorda; siehe Abschn. d.
über den feineren Ban u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 47
cartilagineuse (Löwig et Kölliker^) — und enthält große blasen-
förmige Räume, welche oft so dicht gedrängt sind, daß sie nur eine
verhältnismäßig spärliche Zwischensubstanz übrig lassen (Fig. 8).
Dieses Aussehen hat schon Leydig^ veranlaßt, die Zurechnung
dieses Gewebes zum Knorpelgewebe für nicht ungerechtfertigt zu
erklären. Schon lange vorher hat R. Wagner, der diese blasigen
Elemente des Ascidienmantels zuerst gesehen hat, sie als Knorpel-
zellen gedeutet. Desgleichen haben später Löwig und Kölliker
einerseits auf die Ähnlichkeit dieser Elemente mit Chordazellen hin-
gewiesen (S. 200), anderseits die auffallende Ähnlichkeit der Zell-
nester im Mantel von Cijnthia mit knorpelähnlichen Elementen hervor-
gehoben; allerdings betonen die Verfasser, daß diese Ähnlichkeit nur
eine äußerliche, auf der abgerundeten Form und endogenen Vermeh-
rungsweise der Zellen beruhende sei.
F. E. Schulze 3, welcher die wandständigen Kerne der Blasen-
zellen nachgewiesen hat, betonte die Ähnlichkeit dieser großen, hohlen
Elemente mit den Zellen der Chorda dorsalis; diese letztere hielt er
aber damals entschieden für ein knorpelartiges Gebilde, wie daraus
hervorgeht, daß er die homogene hyaline Cellulosemasse zwischen den
Zellblasen als ein Produkt dieser letzteren betrachtet. »Durch all-
mähliche Umwandlung der äußeren Protoplasmarinde der ursprünglich
wandungslos zu denkenden embryonalen Zellen in homogene hyaline
Cellulosemasse und ein Verschmelzen dieser so gebildeten Rinden
miteinander entsteht ein der Chorda dorsalis ähnliches Gewebe. «
Auch BoLL* hat dieses Gewebe für dasselbe gehalten, wie es im
» Zungenknorpel <( mancher Mollusken, z. B. von Pterotrachea vor-
kommt.
In der Tat scheint dieses Gewebe auf den ersten Blick viel eher
chondroiden Charakter (siehe Abschnitt 4) zu besitzen, wenngleich die
Zellen als Blasen mit wandständigen Kernen dem chordoiden ent-
sprechen. Aber die Grundsubstanz zwischen diesen Zellen (Fig. 8 G)
ist eine einheitliche Masse und bedingt offenbar die knorpelartige
Festigkeit des ganzen Gewebes. Man wird um so mehr geneigt sein
1 De la composition et de la structure des enveloppes des Tuniciers.
Ann. sc. nat. (3) T. V. 1846. p. 193—239.
2 Lehrbuch der Histologie. 1857. S. 34 und Vom Bau des tierischen
Körpers. Tübingen 1864.
3 Über die Struktur des Tunicatenmantels und sein Verhalten im polari-
sierten Lichte. Diese Zeitschr. Bd. XII. 1863. S. 175.
* Arch. mikr, Anat. Supplement. 1869.
48 Josef Schaffe!',
das Gewebe zum chondroiden zu rechnen, wenn man erfährt, daß diese
Grundsubstanz neben der Cellulose auch Chondrin enthalten soll.
Diesen Nachweis wollten nämlich HilgerI und Schäfer ^ erbracht
haben; ihre Angaben scheinen jedoch keine Bestätigung gefunden zu
haben, indem Schmiedeberg ^ bei Brachiopoden, bei denen Hilger
ebenfalls Chondrin gefunden zu haben glaubte, nachwies, daß es sich
um Chitin handle und v. FtJRTH'*^ nach Besprechung der Untersuchungen
von Schäfer sagt: »So interessant und ansprechend bei den Tunicaten
der Nachweis eines Analogon des Wirbeltierknorpels wäre, so wenig
genügen die vorliegenden Daten, um einen solchen Schluß zu recht-
fertigen. «
Der Tunicatenmantel besteht, wie wir heute wissen, aus einem
der Cellulose verwandtem Körper, dem Tunicin, über dessen chemisches
Verhalten man A. Reichard ^ vergleiche.
Hier sei bemerkt, daß auch eine oberflächliche histologische Unter-
suchung des Gewebes eine gewisse Knorpelähnlichkeit vortäuschen
kann. So färben sich z. B. Schnitte durch den Mantel von Phallusia
mcwimillata nicht nur mit Delafields Gemisch, sondern in stark
verdünnten wässerigen Lösungen von Safranin oder Thionin ebenso
metachromatisch, wie echtes Knorpelgewebe. Dieses Verhalten ist
von Interesse, da man bisher diese Färbung als charakteristisch für das
Knorpelgewebe betrachtet hat. Doch sei hier daran erinnert, daß eine
Reihe andrer Stoffe, z. B. Schleim, Amyloid, kalkhaltige Substanzen,
sich ebenfalls metachromatisch färben. Weiter kann man in der hya-
linen Grundsubstanz zwischen den großen Zellblasen, ganz ähnlich,
wie unter Umständen in der Knorpelgrundsubstanz, Pseudofasern
sehen, besonders an Schnitten aus absolutem Alkohol. Diese Fasern
können ganz, wie im Hyalinknorpel, von verschiedener Dicke, auch
verästelt sein, sich stärker färben als die Grundsubstanz, und besonders
wenn sie sehr dünn sind und scharf hervortreten, berechtigte Zweifel
über ihre Natur hervorrufen. Wie im Knorpel sind sie meist inter-
1 Über die chemische Zusammensetzung der Schalen und einige Weich-
teile lebender Brachiopoden. Journ. prakt. Chemie. Bd. CIL 1867. S. 418.
2 Über das Vorkommen chondrigener Substanz in den Tunicaten. Ann.
aiemie u. Pharm. Bd. CLX. 1871. S. 330.
3 Über die chemische Zusammensetzung der Wohnröhren von Omiphis
tubicola. Mitt. zool. Stat. Neapel. Bd. III. 1882. S. 391.
4 Vergleichende ehem. Physiologie der nied. Tiere. Jena, G. Fischek, 1903.
S. 470.
•'' Über Cuticular- und Gerüstsubstanzen bei wirbellosen Tieren. (Heidel-
berg.) Ohne Jahreszahl und Erscheinungsort.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. 111. 49
cellular ausgespannt und hören an den Rändern der Zelllücken wie
abgeschnitten auf. Wie im Knorpel verschwinden sie aber auch, wenn
man den Schnitt in Wasser überträgt, der beste Beweis für ihre Be-
deutung als Stauchungslinien (Fig. 8 /). Weiter finden sich zwischen
den großen Zellblasen kleine, kernhaltige Protoplasmakörper (Z) in
der Grundsubstanz, ähnlich, wie sie als Reste verkümmernder Zellen
in massigen Hyalinknorpeln gesehen werden. Im Tunicatenmantel
dürften sie wohl die Bedeutung nicht blasig gewordener Mesoderm-
zellen besitzen. Dieses ganze Verhalten ist in der Tat recht knorpel-
ähnlich. Wendet man aber empfindlichere, d. h. mehr specifische
Färbungen an, so versagen diese am Gewebe des Tunicatenmantels
vollkommen. So färbt es sich nicht in gesättigter, alkoholischer Thionin-
lösung, in saurer Toluidinblaulösung (H, LundvallI) imd in eben-
solcher Methylenblaulösung (F. C. Hansen 2).
Wenn somit sowohl die macro- wie die microchemische Beschaffen-
heit heute keinen Schluß auf einen knorpeligen Charakter dieses Gewebes
zuläßt, so wird die richtige Beurteilung seiner histologischen Stellung
erst möglich, wenn man seine Entwicklung in Betracht zieht.
Schon 0. Hektwig^ hat entgegen der Deutung F. E. Schulzes den
Nachweis erbracht, daß die Grundsubstanz des Cellulosemantels eine
Cuticularbildung der Epidermis ist, in welche erst sekundär Zellen
einwandern; diese Zellen hat 0. Hertwig allerdings irrtümlich für
Epidermiszellen gehalten. Doch hat er eine zutreffende Schilderung
von der Entwicklung der Hohlzellen gegeben und den Vorgang als
»flüssige Zellinfiltration« bezeichnet. Besonders hervorgehoben sei,
daß 0. Hertwig bereits als Analoga das blasige Bindegewebe der
Arthropoden und Mollusken, die Chordazellen und auch die Fettzellen
der Wirbeltiere anführt; »alle diese Zellen sind Gebilde, die wir uns
durch Ansammlung einer flüssigen Substanz in dem Protoplasma ein-
facher Bindegewebszellen entstanden denken müssen«.
Gegen diese Deutung des Mantels als wirklicher Bindesubstanz
hat sich sehr entschieden C. Sempera gewendet. Der Ascidienmantel
ist nach seiner Meinung einfach als eine eigentümliche Form der ge-
schichteten Epidermis zu betrachten.
1 Anat. Anz. Bd. XXV. 1904. S. 219.
2 Anat. Hefte Bd. XXVII. 1905. S. 600.
3 Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung des Cellulosemantels
der Tunicaten. Jen. Zeitschr. f. Naturw. Bd. VII. 1873. S. 59.
* Über die Entstehung der geschichteten Celluloseepidermis der Ascidien.
Arbeiten zool. zootom. Inst. Würzburg. Bd. II. 1875. S 21.
Zeitschrift f. wissen8:h. Zoologie. XOVII. Bd. 4
50 Josef Schaffer,
Vollkommen klargestellt ist die Entwicklung des Tunicatenniantels
erst durch die neueren Untersuchungen von KowalevskyI, Salensky 2,
Seeliger 3 u. a. worden. Nach diesen ist die cellulosehaltige Grund-
substanz als ein, von den Ectodermzellen geliefertes Fremdgewebe
anzusehen, in welches die mesenchymatischen, späteren Blasenzellen
erst einwandern. Seeliger hat die Auswanderung der Mesoderm-
zellen am Lebenden beobachtet und die Umbildung zur sogenannten
Hohlzelle beschrieben. Das Protoplasma erscheint zuletzt auf eine
dünne Rindenschicht beschränkt, die nur an der Stelle, an welcher
der Kern liegt, etwas verdickt ist, so daß dieser in sie eingebettet ruht.
Diese Blasenzellen entbehren somit allerdings in der Regel einer resi-
stenteren Oberflächenmembran, wie schon F. E. Schulze gegen
H. Schacht* gezeigt hat. Sie dürften daher z. B. aus denj Mantel von
Phallusia kaum isolierbar sein, was ich wegen Mangel an frischem
Material nicht untersuchen kann. Doch bin ich nicht imstande, an den
Schnitten des gut fixierten Mantels dieses Tieres an jeder Zellblase
eine zusammenhängende Protoplasmaumhüllung überhaupt nach-
zuweisen, womit ich nur eine alte Angabe 0. Hertwigs bestätige.
Delage und Herouard^ lassen die Blasen sogar durch eine Degene-
ration der enthaltenen Zellen entstehen.
Der Mangel einer eignen Membran wird aber durch den beson-
deren Charakter des Zwischengewebes, welches selbst genügende Festig-
keit besitzt, verständlich. Es liegt hier eine ähnliche Erscheinung
vor, wie wir sie schon beim kompakten chordoiden Stützgewebe der
Chorda kennen gelernt haben, bei der auch in dem Moment, als eine
selbst stützfähige Umhüllung zur Entwicklung gelangt und somit die
Zellblasen funktionslos werden, die Wände dieser letzteren schwinden
können. Daß unter Umständen der blasige Charakter dieser Zellen
deutlich hervortritt, geht aus der Angabe Hertwigs hervor, daß bei
Phallusia cristata zwischen Mantel und Muskelschlauch in einer flüssigen
Intercellularsubstanz freischwimmende Blasenzellen »bestehend aus
einer zarten Membran mit Flüssigkeit im Innern, einem wandständigen
1 Einige Beiträge zur Bildung des Mantels der Ascidien. Mem. Acad.
St. Petersbourg. S. VII. T. XXXVII. 1892.
2 Beiträge zur Embryonalentwicklung der Pyrosomen. Zool. Jahrb. Abt.
f. Anat. Bd. IV. 1891. S. 424 u. Bd. V. 1892. S. 1.
3 Einige Beobachtungen über die Bildung des äußeren Mantels der Tuni-
caten. Diese Zeitschr. Bd. LVI. 1893. S. 488.
* Mikroskopisch - chemische Untersuchung des Mantels einiger Ascidien.
Müllers Arch. 1851. S. 176.
5 Traite de Zool. concr. T. VIII. Paris 1898. S. 295.
I
über den feineren Bau u. die Entvvickl. d. Knorpelgewebes usw. Ili. 51
Kern mit Protoplasma« gefunden werden. Im übrigen dürfte der Tur-
gordruck in den Zellblasen dort, wo sie nur durch dünne Scheide-
wände von Zwischensubstanz getrennt sind (Fig. 8 S), eine nicht un-
wichtige mechanische Rolle für die Versteifung des Gewebes spielen,
das demnach in den wesentlichen Punkten der oben aufgestellten
Definition des chordoiden Stützgewebes entspricht, wenn es auch einen
ganz besonderen, mit den in a. und b. besprochenen nicht auf eine
Stufe zu stellenden Typus eines solchen vorstellt.
Bei den Wirbeltieren müssen wir als typischen Vertreter des dif-
fusen chordoiden Stützgewebes d. das perimeningeale (arachnoi-
dale) Füllgewebe bei Ammocoetes und Petromyzon betrachten,
obwohl es stellenweise einem kompakten, chordoiden Stützgewebe
nicht unähnlich sieht.
Es ist zwischen Pia (Fig. 9 P) und Dura (D) eingeschlossen und
stellt eigentlich eine Aufblätterung beider dar^, in der aber die blasigen
Elemente, wenigstens im Bereiche des Rückenmarks, verstreut er-
scheinen in einem andern Gewebe (Fig. 9 g). Wie Renaut^ bereits
zutreffend bemerkt hat, ist die Aufgabe dieser elastischen und un-
zusammendrückbaren Masse hauptsächlich im Schutze des Rücken-
markes gegen die energischen Kontraktionen der anliegenden Musku-
latur zu sehen. Im Bereiche des abgeplatteten Rückenmarkes sind
die blasigen Zellen verstreut in einem reichlichen, schleimhaltigen
Grundgewebe (Fig. 9 g), welches der Hauptsache nach aus fibrillären
Platten und Häutchen mit ihnen anliegenden, ästigen Bindegewebs-
zellen :; und verästelten Bindegewebsbündelchen b besteht. An median
durchschnittenen, in Alkohol oder MüLLERscher Flüssigkeit gehärteten
Ammocöten kann man dieses Gewebe als zusammenhängende Gallert-
säule aus dem Rückenmarkskanal herausheben. Zerzupft man ein
solches in Müllers Flüssigkeit erhärtetes Gewebe, so fallen die bla-
sigen Zellen leicht heraus und können isoliert untersucht werden. Sie
besitzen kugelige, noch öfter aber ovoide Gestalt und im ersten Falle
eine Größe von 10 — 44/<, im letzteren kann der lange Durchmesser
zwischen 21 — 68,«, der kurze zwischen 17 und 58 u schwanken. Der
Kern in den größeren Zellen mißt etwa 10/<.
Umhüllt werden die Zellen (Fig. 10) von einer ziemlich dicken,
1 Eine getrennte Arachnoidea fehlt den Fischen; vgl. darüber Sagemehl
(Beiträge zur vergl. Anatomie der Fische. II. Einige Bemerkungen über die
Gehirnhäute der Knochenfische. Morph. Jahrb. Bd. IX. 1884. S. 457) und Sterzi
{weiter unten).
2 Traite d'Histol 1. c. p. 338.
4*
52 Josef Schaff er,
glänzenden, doppeltkonturierten Kapsel {M), welche eine beträchtliclie
elastische Widerstandskraft besitzen muß, da sie dem Drucke, welcher
durch die Schrumpfung bei der Fixierung des Gewebes zur Wirkung
kommt, zu widerstehen vermag. Das Protoplasma der Zelle ist durch
große, vacuoläre Räume auf ein centrales, unregelmäßiges Klümpchen
verdrängt, welches den ovalen Kern K und manchmal noch ein sphären-
ähnliches Gebilde einschließt. Von dieser mittleren Protoplasmamasse
ziehen einzelne, zarte Protoplasmastränge (P) in radiärer Richtung an
die Innenfläche der Kapsel, um sich hier mit einem dünnen Proto-
plasmabelag {R) zu vereinigen. Die Netzstränge dieses Protoplasma-
körpers umschließen stets einige kleinere oder größere Fetttröpfchen (F).
Dagegen besteht der Inhalt der großen vacuolären Räume aus einer
Substanz, die an Alkoholmaterial kleinere und größere glänzende
Tropfen darstellt, die sich mit Jod-Jodkalium lebhaft braun färben
und in Wasser lösen.
Auffällig ist, daß sich die Membranen der blasigen Zellen an
Schnitten aus Pikrinsublimat oder an Isolationspräparaten aus Müller-
scher Flüssigkeit deuthch blau mit Delafields Hämatoxylingemisch
färben. In verdünntem Safranin oder Thionin zeigen sie keine meta-
chromatische Färbung.
Gegen das verlängerte Mark hin nehmen diese blasigen Zellen
so an Zahl zu, daß sie sich gegenseitig polyedrisch abflachen (Fig. 11)
und nur dünne, von den Membranen gebildete Scheidewände zwischen
sich erkennen lassen, also ein sehr chordaähnliches Aussehen darbieten.
Dorsal vom vierten Ventrikel sind auch Pigmentzellen nur spär-
lich zwischen den blasigen Zellen; auf Strecken fehlen sie vollständig.
Dies ist auch der Fall innerhalb der Gehörkapsel, wo dieses
Gewebe an der unteren Fläche den Träger der Sinnesepi-
thelien bildet und die dünnen Zell wände unter gegenseitiger Ab-
flachung sich dicht aneinander legen
Die Zellen bleiben aber voneinander unabhängig, als ringsum
geschlossene Blasen isolierbar.
Noch weiter gegen das Gehirn zu ändert sich aber der Charakter
des Gewebes; während es bisher vollkommen gefäßlos war, treten nun
allmählich immer reichlicher Gefäße zwischen den blasigen Zellen auf
und außerdem auch verästelte Pigmentzellen. Auch nimmt der Fett-
gehalt der Zellen zu, doch bleiben die Fetttröpfchen in ihnen stets
getrennt. Vergleicht man damit gewöhnliche Fettzellen der Umgebung,
so' erscheinen diese an Objekten aus MüLLERscher Flüssigkeit grau
von feinkörnigen, gleichmäßig oder in Form von Kristalldrusen die
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 53
Zellen erfüllenden Fettniassen. Auch sind die Membranen der Fett-
zellen im Gegensatz zu denen der blasigen Stützzellen um das Gehirn
vielfach gefaltet und verbogen.
Mit Hinsicht auf die bemerkenswerte Substitutionsfähigkeit der
Bindesubstanzformen untereinander sei hier noch daran erinnert, daß
bei Myxine sich an Stelle der blasigen Stützzellen im arachnoidalen
Füllgewebe anscheinend gewöhnliche Fettzellen finden i.
Ebenso finde ich beim Karpfen in dem Gallertgewebe, welches
das Rückenmark umschließt, Fettzellen eingeschlossen; außerdem aber
noch zahlreiche Körnerzellen von der Größe und dem Aussehen eosino-
philer Leucocyten.
Beim Aal ruht das Rückenmark im Wirbelkanal auf einem Kissen
auf, das fast ausschließlich aus dicht aneinander gedrängten Fettzellen
besteht.
Nach den Angaben von Sagemehl 2 besitzen alle Knochenganoi-
den, sowie die größte Mehrzahl der Knochenfische um das Central-
nervensystem ein zartes Schleimgewebe mit reichlichen, großen,
kugeligen Fettzellen.
Mechanisch wird dieses Fettgewebe wohl ganz ähnlich zu
funktionieren vermögen, wie das eigentümliche Stützgewebe der
Petromyzonten.
JoH. Müllers erwähnt bereits diese mittlere Hülle des Gehirns als ziemlich
lockere Schicht, welche nicht in die Vertiefungen eingeht. Später haben Stännius^^
und sehr ausführlich Reissner^ die Hülle des Rückenmarks beschrieben; Lan-
GERHANS^ hat diese Angaben bestätigt und erweitert. Nach ihm enthält das
weiche, aber solide, arachnoide Gewebe in einer hellen, homogenen Intercellular-
substanz kleine verästelte Bindegewebskörper und große ovoide, zum Teil mit
Fett gefüllte Zellen. Die Zwischensubstanz wird »radiär durchzogen von breiten,
oft geschlängelten, elastischen Fasern, welche dem weichen Gewebe einen ziem-
lich hohen Grad von Starrheit verleihen, so daß dasselbe auch nach Entfernung
des Rückenmarkes nicht kollabiert«.
GoETTE^ erwähnt desselben einfach als eines zelligen, mit elastischen Fasern
durchsetzten Gewebes zwischen Pia und Dura.
1 Arch. mikr. Anat. Bd. L. 1897. S. 183.
2 1. c.
3 Vergl. Anatomie der Myxinoiden. Abhdlgn. Kgl. Akad. Wiss. Berlin 1838.
S. 171.
4 Handbuch der Anat. der Wirbeltiere. II. Aufl. Berlin 1854. S. 126, Anm. 2.
5 Beitrag zur Kenntnis vom Bau des Rückenmarks. Müllers Arch. 1860.
^ Untersuchungen über Petromyzon Planeri. Freiburg i. Br. 1873.
'' Beiträge zur vergl. Morphologie des Skeletsystems der Wirbeltiere. Arch.
mikr. Anat. Bd. XV. 1878. S. 319.
54 Josef Schaff er,
RexautI hat zuerst die funktionelle Wichtigkeit dieser druck- und biegungs-
elastischen Masse betont und auch einige Irrtümer in der Beschreibung i'ichtig
gestellt. So erkannte er die bindegewebige Grundlage dieses Ge\\'ebes als eine
Aufblätterung von Dura und Pia und stellt das Vorkommen von elastischen
Fasern in Abrede. Die blasigen Zellen sind an ihrer Oberfläche von einem doppelt
konturierten Exoplasma bedeckt. Das Protoplasma ist glasartig durchsichtig
und enthält stets einige Körnchengruppen oder -häufen und kleine Fetttröpfchen.
Beim ausgewachsenen Tier (P. marinus) enthalten sie zahlreiche Fetttropfen.
Ahlbobn2 gibt eine Abbildung von einem Isolationspräparat diese Gewebes
(Taf. XIII, Fig. 53) und beschreibt eine klare, wässerige Grundsubstanz, die von
multipolaren Schleimzellen durchzogen wird, die untereinander ein Netzwerk
bilden . . . Die großen, ovoiden Zellen liegen zerstreut und lose in dem Geflecht
der elastischen Fasern und des Schleimzellennetzes. Sie besitzen eine Membran
und einen stark vacuolisierten Inhalt, so daß der granulierte Kern an Protoplasma-
fäden aufgehängt erscheint. In den Vacuolen sind in einer homogenen, wässerigen
Flüssigkeit kleinere und größere, gelbe Fetttröpfchen suspendiert. Beim Über-
gang des Rückenmarks in die Medulla erfährt das Hüllgewebe mehrfache Ver-
änderungen. Die ovoiden Zellen nehmen rasch an Zahl zu und liegen in der Um-
gebung des Gehirnes so eng nebeneinander, daß sie durch den gegenseitigen Druck
wie Zellen eines losen Pflanzenmarkes polyedrisch abgeplattet erscheinen. Die
elastischen Fasern und Schleimzellen sind dabei fast ganz verschwunden, und statt
dessen treten jetzt nach vorn fortschreitend große, weit verästelte, spinnen-
förmige Pigmentzellen auf.
Eine höchst eigentümliche Auffassung dieses Gewebes hat Gaskell ^ zu
vertreten gesucht. Er spricht ihm, besonders um das Gehirn, einen drüsenartigen
Charakter zu und erklärt es für die degenerierten Reste einer Kopfleber. Mit
Unrecht wirft er Sagemehl vor, daß dieser das Gewebe als eine besondere Art
von Fettgewebe betrachtet habe, da Sagemehl nur von Knochenfischen spricht
und Petromyzon mit keinem Wort erwähnt. Gaskell stellt die geringste Ähn-
lichkeit mit einem Fettgewebe vollkommen in Abrede, beschreibt den Zellinhalt
genau und betont, daß er sich mit Osmiumsäure nicht färbt. »Nur kleine Fett-
kügelchen da und dort, das ist alles ; der Kern liegt im Centrum. «
C. Vogt* hat das Gewebe einfach als Fettgewebe, helle Blasenzellen, die
Fett enthalten, erklärt.
RenautS hat später seine ausführliche Beschreibung des Gewebes durch
gute Abbildungen vervollständigt. Hier betont er auch die polyedrische Form
der Zellen um das Gehirn und daß dieses Gewebe unmöglich mit Fettgewebe
verwechselt werden kann.
Studnicka^ hat dieses Gewebe bei Petromyzon und Myxine zuerst irrtüm-
1 Systeme hyalin etc. Arch. physiol. 1881. p. 845.
- Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. Diese Zeitschr.
Bd. XXXIX. 1883.
3 On the origin of Vertebrates from a Crustacean-like Ancestor. Quart.
Journ. Micr. Sc. Vol. XXXI. 1890. p. 379.
* Vogt u. Yung, Lehrbuch. II. Bd. S. 423.
5 Traite d'Histol. prat. T. I. Paris, p. 338.
6 Arch. mikr. Anat. Bd. XLVIII. 1897. S. 629. Anm. 1.
über den feineren Bau und die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. ,5.5
licli mit dem epaxialen Stützgewebe zum »eigentlichen Fettgewebe« gerechnet,
trotzdem er die Zellen desselben ausdrücklich als fettfrei erklärte.
Ich selbst habe dann eine eingehende Beschreibung dieses Gewebes gegeben i
und es auf Grund seines Schleimgehaltes mit dem Schleimknorpel von Ammo-
coetes verglichen. Wenn ich damals als Unterschied angeführt habe, daß es nicht
so dicht gefügt erscheint und daß viele seiner Zellen eine Umwandlung in blasige,
knorpelzellenähnliche Gebilde erfahren haben, so muß ich heute betonen, daß
diese Zellen im arachnoidalen Füllgewebe nur den Charakter von blasigen
Stützzellen beanspruchen können und dieses Xxewebe insofern vom Schleim-
knorpel wesentlich verschieden ist, als es niemals in echten Knorpel umge-
wandelt wird.
Sterzi^ hat auf Grund einer umfangreichen vergleichenden Untersuchung
die Auskleidung des Rückenmarkskanals bei Petromyzon fluv., die Dura der
Autoren, als Endorachide, die unmittelbare Umhüllung des Rückenmarkes als
primitive Meninx (Sagemehls primäre Gefäßhaut) bezeichnet, während er das
eigentümliche Gewebe zwischen beiden perimeningeales Gewebe be-
nennt. Es besteht aus sternförmigen, anastomosierenden Zellen, in deren Ma-
schen große, ovale oder elliptische gelegen sind. Diese dürfen nicht für Fett-
zellen gehalten werden; sie ähneln sehr dem tessuto connettivo vescicolare, das
nach FiCALBi3 die ursprüngliche Form des Bindegewebes darstellen soll. (Diese
Anschauung ist viel älter und rührt von Köllikeb, Gegenbatjb, Brock u. a.
her.) Sterzi läßt auch stärkere elastische Fasern das perimeningeale Gewebe
durchsetzen. Schneider'*^ bezeichnet die blasigen Zellen als Fettzellen und
findet bei Eisenhämatoxylin-Färbung in ihnen geAvundene, von Desmochondren
besetzte Fäden. Ebenso deutet Nemiloff-^ die Zellen bei Ammocoetes, während
Kolmerö das Gewebe als »ganz eigentümliches Schleimgewebe« bezeichnet.
Sehr eingehend hat sich dann Sterzi' in seiner Monographie mit dem peri-
meningealen Gew-ebe der Cyclostomen befaßt und auch eine ausführliche Ge-
schichte^ des Gewebes gegeben.
Er betont den bemerkenswerten Grad von Elastizität der blasigen Zellen,
die im frischen Zustand einen großen Druck ertragen, ohne zu zerreißen. Bei der
eingehenden Schilderung des feineren Baues der blasigen Zellen werden so\^'ohI
1 Arch. mikr. Anat. Bd. L. 1897. S. 181 u. f.
~ Ricerche intorno all' anatomia comparata ed all' ontogenesi delle meningi
e considerazioni suUa filogenesi. Atti R. Ist. Veneto sc. lett. ed arti, A. 1900/01.
T. LX. Par. 2. p. 1101.
3 Zoologia generale. Firenze. 1895. p. 231.
* Lehrbuch der vergl. Histologie der Tiere. Jena 1902. S. 757.
5 Zur Frage über den Bau der Fettzellen bei Acipenser ruthenus. Anat.
Anz. Bd. XXVIII. 1906. S. 515.
6 Zur Kenntnis des Rückenmarks von Ammocoetes. Anat. Hefte. Bd. XXIX.
1905. S. 174.
" II sistema nervoso centrale dei Vertebrati. V. I. Ciclostomi. Padova
1907. p. 196—237.
8 In dieser führt Sterei auch Gegenbaur an, welcher das Gewebe als »ske-
letogenes« bezeichnet haben soll. Das ist ein Irrtum, indem Gegenbaur nur
vom epaxialen Gewebe spricht.
56 Josef Schaffer,
die Unterschiede bei den verschiedenen Species, als die in den verschiedenen Ab-
schnitten des Geliirns und Rückenmarks berücksichtigt.
Eigentümlicherweise bezeichnet Sterzi die ästigen Bindegewebszellen
zwischen den blasigen als Stützzellen (cellule di sostegno). Bei Petromyzon Pla-
"neri bilden die blasigen Zellen nahezu allein das ganze perimeningeale Gewebe
um das Gehirn ; mit Kalilauge lassen sich die frischen Zellblasen isolieren. Sie
sind hauptsächlich durch den Gehalt an zahlreichen Nebenkernen und Vacuolen,
die mit einer gelatinösen Substanz (daß es sich um Glykogen handelt, hat Sterzi
nicht erkannt) erfüllt sind, ausgezeichnet. Im Bereich des Schädels sollen sie
niemals Fett enthalten, während sie um das Rückenmark reich daran sind. (Dem
kann ich, für Ammocoetes wenigstens, nicht zustimmen, da ich bei ihm die Zellen
um das Gehirn sogar fettreicher fand.) Die Fasern zwischen den blasigen Zellen
beschreibt Sterzi nun auch als Fibrillenbündel, die an ihren Enden sich pinsel-
artig auflösen. Er glaubt einen Überzug dieser Bündel mit einem feinsten elasti-
schen Häutchen ausschließen zu können, weil sie bei Essigsäurezusatz gleich-
mäßig, ohne die charakteristischen ringförmigen Einschnürungen qviellen. Sterzi
macht auf die Unähnlichkeit zwischen diesen Zellen der Cyclostomen und den
mit ihnen von Renaut zusammengestellten im Sesamknoten der Achillessehne
vom Frosch aufmerksam; dagegen sollen sie eine große Ähnlichkeit mit jenen
Zellen zeigen, welche im Fuß von Helix die Nervenstränge begleiten.
Weiter reiht sich hier e. jenes Gewebe an, welches ich im zweiten
Teil dieser Untersuchungen i bei Myxine »in der Nachbarschaft
des Auges, bzw. zwischen diesem und der Nasenkapsel, an der cau-
dalen, lateralen und ventralen Fläche der Ohrkapsel und unter der
Haut längs der unteren, lateralen Ränder der Schnauze« beschrieben
habe.
Die blasigen, glasartig durchsichtigen Zellen, welche hier iu den
Lücken einer schleimhaltigeii, faserigen G-rundsubstanz liegen, besitzen
ein sehr dünnes Exoplasma und erscheinen im gehärteten Zustande
meist faltig, zerknittert oder durch Scheidewände gekammert (vgl.
Fig. 46 1. c).
Solche Zellen hat Renaut ^ auch als hyaline Zellen bezeichnet
und sie als typisch für eine Reihe von Stützsubstanzen erklärt, die
er, wie schon oben angedeutet, unter der Bezeichnung des tissu fibro-
hyalin zusammengefaßt hat. »Dieses eigentümliche Gewebe, welches
weder gewöhnliches, geformtes Bindegewebe, noch Fettgewebe, noch
Knorpelgewebe ist, zeigt mit diesen eine Reihe von Analogien.«
Eine genauere Analyse der von Renaut hier zusammengefaßten
Gewebebildungen ergibt jedoch, daß es sich um sehr verschiedene
1 Diese Zeitschr. Bd. LXXX. 1905. S. 252 u. f.
2 Systeme hyalin de soutenement etc. Arch. de physiol. 1881. p. 845
bis 860. — Traite d'Histol. prat. T. I. Paris 1893 (1888). p. 336.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 57
Formen handelt, die teils dem chordoiden, teils dem chondroiden
Stützgewebe zugerechnet, teils ganz ausgeschieden werden müssen.
So rechnet er hierher das blasige Stützgewebe der Schnecken —
ohne einen Unterschied zwischen dem in den Radulastützen und dem
im übrigen Körper zu machen — und das arachnoidale Füllgewebe
der Petromyzonten, die oben bereits besprochen wurden. Dann das
Gewebe im Sesamknoten der Achillessehne vom Frosch; dieses soll
als besonderer, vom chordoiden gänzlich verschiedener Typus später
besprochen werden. Weiter f. das Gewebe um die Retina des
Petromyzon marinus und Chamäleon.
Zur Anordnung des ersteren bemerkt Renaut^: Es bildet bei
den Cyclostomen einen stützenden Becher für die Retina zwischen
Choriocapi llaris und Sclera. Sein verdickter Boden wird vom Opticus
durchbohrt, sein freier Rand reicht bis gegen die Ora. Zunächst muß
ich betonen, daß sich dieses merkwürdige Gewebe nur bei Petromyzon
■marinus findet; bei P. Planen und bei großen Exemplaren von P.
fluviatilis fand ich keine Spur davon.
Es besteht aus verhältnismäßig großen, rundlichen oder ovalen
Zellen, welche zum Teil so dicht aneinander grenzen, daß sie sich be-
rühren, zum Teil nur verästelte Pigmentzellen, spärliche Bindegewebs-
bündelchen und Blutgefäße zwischen sich fassen (Fig. 12).
Bei einem durchschnittlichen Durchmesser von 50 — 60 fi können
ovale Formen 110 x TO u erreichen.
Die Zellen besitzen eine ausgesprochene membranartige Ober-
flächenbegrenzung und im Innern einen großen, runden Kern; meist
jedoch zwei bis drei und mehr (Fig. 13 b K), dann kleinere und häuf-
chenartig gruppierte Kerne, die nicht selten Zeichen von Amitose
zeigen.
Vom Kern zieht zur Oberfläche ein ziemlich dichtes, an Alkohol-
material derb- oder starrfädiges Gerüstwerk, dessen Lücken von fett-
artig glänzenden, kugeligen oder durch Zusammenfließen von Kugeln
entstandenen, homogenen Inhaltskörpern erfüllt werden. Diese lösen
sich nicht in Alkohol, färben sich mit schwacher Jodlösung stark braun
und zeigen auch im übrigen das Verhalten von Glykogen. An den
mit Hämalaun-Eosin gefärbten Celloidinschnitten findet man in vielen
Zellen mit Eosin rot gefärbte, formähnliche Kugeln und Tropfen,
offenbar Trägersubstanz des gelösten Glykogens (Fig. 13).
So gleicht dieses Gewebe am ehesten dem arachnoidalen Füllgewebe
1 Traite d'Histologie prat. T. I. 1. c. p. 343, Anm. 1.
58 Josef Scbaffer,
im Bereiche des Gehirns, von dem es nur durch den reicheren
Glvkogengehalt und die Größe seiner Zellen unterschieden erscheint.
Beim Chamäleon soll nach Renaut (1. c.) das Gewebe auf einen
hyalinen Ring reduziert erscheinen, welcher den N. opticus bei seinem
Dm'chtritt durch die Sclera umgibt. Auch hier soll die Grundlage
eine Aufblätterung der Nervenscheide und der Sclera sein, und die
Faserbündel sollen sich von vorn nach hinten in die hyaline Masse
fächerförmig ausbreiten.
Bei dem von mir untersuchten Exemplare, dessen hintere Bulbus-
hälfte ich in eine Serie zerlegte, fand ich keine Spur von einem ähnlichen
Gewebe; wohl aber erscheint die innere Hälfte der Sclera verknorpelt,
indem die Faserzüge einfach von einer chondromucoiden Kittsubstanz
durchtränkt erscheinen, während die Zellen ohne Kapseibildung ihre
abgeplattete und teilweise verästelte Form beibehalten. So bietet diese
dünne Knorpellamelle das Aussehen einer oberflächlichen perichondralen
Schicht eines typischen Hyalinknorpels dar. Dieser Knorpel ist auch
schon von Chatin i beschrieben worden.
Weiter rechnet Renaut ^ hierher g. die blasigen Zellen an der
Oberfläche des Endoneuriums gewisser Nervenstämme;
es sind dies eigentümliche Zellen von der Größe der im Sesamknoten
der Achillessehne vom Frosch, mit glasartig durchsichtigem Proto-
plasma, das ein Aussehen darbietet wie Schaumblasen, die halskrausen-
artig um den polymorphen Kern angeordnet sind. Renaut hat sie
daher als cellules godronnees, Falten- oder Krausenzellen bezeichnet.
Sie finden sich vereinzelt, oft in großer Zahl, oder durch eine lamelläre
Hülle zu knötchen- bis strangförmigen Gruppen vereinigt zwischen
die imieren Lamellen des Perineuriums gewisser Nerven (Facialis,
Medianus) von Pferd und Esel eingelagert, gegen die Oberfläche des
Nervenbündels vorspringend. Renaut hält dies für eine Vorrichtung,
welche die Nerven beim Durchtritt durch größere Muskelmassen vor
Druck schützen soll. Diese Gebilde sind später auch bei andern
Tieren und beim Menschen beschrieben und von Fr. Schultze^ als
1 Formes de passage dans le tissu cartilagineux. C. R. Acad. Sc. Paris
1897. T. CXXV. p. 738.
2 Sur les cellules godronnees et le sj-steme de soutenement intravaginal des
nerfs des Solipedes. C. R. Acad. Sc. Paris. T. XC. 1880. p. 711. — Recherches
&ur quelques points particuliers de Fhistologie des nerfs. — Arcli. de physiol.
1881. p. 161. — Traite d'Histologie prat. T. I. 1893. p. 347 u. f.
3 Über circumskripte Bindegewebshyperplasien oder Bindegewebsspindeln
(Nodules hyalins von Renaut) in den peripheren Nerven des Menschen. VrR-
CHOws Arch. Bd. CXXIX. 1892. S. 172.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgcwebes usw. III. ,59
RENAUTSche Körperchen bezeichnet worden; vielfach hat man sie
für den Ausdruck pathologischer Veränderungen gehalten (endoneu-
rale Wucherungen, Langhans i), worüber das zusammenfassende Re-
ferat von Fr. Pick 2 einzusehen ist. Aus diesem geht auch hervor,
daß es sich nicht um besondere pathologische Gebilde handelt; doch
hält Pick auch ihre Bedeutung als eines einfachen Schutzapparates
gegen Druck und mechanische Schädigung für unwahrscheinlich.
Ich habe verschiedene Nerven des Pferdes auf diese Gebilde hin
untersucht, unter anderm ein 12 mm langes Stück des N. facialis an
einer Querschnittsserie, nachdem ich mit der von Renaut empfohlenen
Präparationsmethode (Spaltung der Perineuralschneide und Entfernung
der Nervenfasern) kein Glück gehabt hatte.
Ich fand nun an vielen Querschnitten von Primitivbündeln an der
Innenfläche der Perineuralscheide, wo sich deren Lamellen in das
Endoneurium auflösen, zwischen die auseinander weichenden Lamellen
oder Fäserchen einzelne blasige Zellen von der ganz charakteristischen
Form, wie sie zuerst Renaut beschrieben hat, eingelagert: rundliche
oder längliche Zellen, letztere bis zu 34 u lang und 20 11 breit, mit ein
bis zwei Kernen und an Stelle eines Protoplasmakörpers eine struktur-
lose, glasartig durchsichtige und chromophobe Membran. Diese
umschließt aber fast nie einen einheitlichen Hohlraum, sondern grenzt
durch tiefe Einziehungen gegen den Kern oder mehrfache Scheide-
wandbildungen blasenförmige Kammern ab (Fig. 15).
Gute Abbildungen dieser Zellen hat außer Renaut auch Kopp^
gegeben; sehr zutreffend scheint mir die Bezeichnung der Zellen als
»gekammerter Blasenzellen« von Langhans zu sein.
Wegen der Durchsichtigkeit dieser Gebilde, welche an die von
Endothelschüppchen erinnert und ihrer mangelnden Färbbarkeit — am
besten färben sie sich noch mit Hämalaun und Kongorot — können
sie leicht übersehen werden. Stellenweise findet man mehrere solcher
Zellen durch häutchenartige Scheidewände oder durchziehende Bündel-
chen getrennt zu knötchenförmigen Gruppen angeordnet; sie stellen
dann die von Renaut beschriebenen hyalinen Knötchen dar, welche
die Nervenfasern nach innen drängen. An diesen Stellen finde ich
in der Regfei eine Lage stärkerer läno;s verlauf ender Bindegewebsbündel
1 ViRCHOws Arch. Bd. CXXVIII. 1892. S. 318.
2 Über die RENAUTschen Körperchen (endoneurale Wucherungen, Lang-
hans). Zusammenfassendes Referat. Centralbl. allg. Path. path. Anat. Bd. XII.
1901. S. 212.
3 VmcHOws Arch. Bd. CXXVIII. 1892. Taf. IX.
60 rJosef Schaffer,
zwischen Knötclien und Nervenfaserbündel eingeschoben. Dieses Ge-
webe gleicht am meisten jenem, welches ich bei Myxine in der Nach-
barschaft des Auges beschrieben habe (siehe oben Abschnitt e). Wie
ich schon dort hervorgehoben habe, sind die gekammerten Blasen-
zellen von denen des typischen chordoiden Gewebes durch den Mangel
der prall gespannten, funktionellen Gestalt unterschieden, doch können
sie immerhin als Übergangsformen hierher gerechnet werden. Daß
sie ein normales Vorkommen bilden, kann kaum bezweifelt werden,
wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß Druck ihre Entwicklung
befördert. Wenigstens stimmen die Angaben der verschiedensten Be-
obachter darin überein, daß sich diese Zellen am häufigsten an Stellen
finden, wo die Nerven besonderem Druck ausgesetzt sind: beim Durch-
tritt durch größere Muskelmassen, Kenaut; an der Streckseite des
Ellbogengelenks im N. ulnaris, Kopp; an der Umschlagsstelle des
N. cutan. fem. ext. über die Spina ossis ilei, NavratzkiI; ich selbst
finde diese Zellen in den Nerven der Volarseite der Finger und denen
der Planta pedis von einem Hingerichteten. Bei diesem bilden sie
deutlich knötchenförmige Gruppen (Fig. 14) dicht unterhalb des Peri-
neuriums, P, zwischen diesem und den Nervenfasern, N. Die blasigen
Zellen B, welche in diesem Falle durch die schwache Färbbarkeit ihres
homogenen Inhalts mit Eosin ausgezeichnet sind, liegen vereinzelt
oder zu Gruppen bis zu vier und mehr, um welche zarte Häutchen
konzentrisch angeordnet erscheinen (L), so daß das ganze Gebilde
auf den ersten Anblick einem Lamellenkörperchen ähnlich sieht. In
der Tat scheint Dogiel^ echte, RENAUTsche Knötchen in einem N.
alveolaris des Pferdes (Fig. 78) für »modifizierte VATER-PACiNische
Körperchen« gehalten zu haben. Diese Topographie der blasigen
endoneuralen Zellen würde am ehesten für die alte Annahme Kenauts
sprechen, daß es sich um eine Einrichtung zur Verminderung des me-
chanischen Druckes handelt; damit wäre dieses eigentümliche Gewebe
funktionell den früher besprochenen Formen anzureihen.
Nach Renauts Angabe ^ sollen ferner hierher gehören h. die
blasenförmigen Zellen in den Tasthaaren der Säugetiere
(Ratte und Meerschweinchen), weiter jene, welche die Umhüllung
der Tastkörperchen im Entenschnabel bilden.
Was die letzteren anbelangt, so wird ihre Umhüllung, so weit
1 Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. XVII. 1900. S. 99.
2 Der Bau der Spinalganglien des Menschen und der Säugetiere. Jena,
G. Fischer, 1908.
3 Arch. de physiol. 1881. p. 856.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 61
ich sehe, ausschließlich von den bekannten konzentrischen Lamellen
gebildet, deren äußere ziemlich kernreich sind^. An Osmimnpräpa-
raten sehe ich allerdings oft eine eigentümliche, wellenförmige Faltung
der äußersten, sonst ebenfalls enge aneinander liegenden Lamellen.
Indem sich diese Ausbuchtungen mit einer gewissen Regelmäßigkeit
in der Weise wiederholen, daß den Auswärtsbuchtungen der einen
Lamelle Einwärtsbiegungen der benachbarten gegenüberstehen, kann
am Durchschnitt der Eindruck einer Reihe blasiger Räume entstehen,
an deren Wandung häufig ein Kern anliegt. Möglicherweise hat Re-
NAUT derartige Durchschnittsbilder für blasige Zellen gehalten.
Was das Gewebe in den Tasthaaren betrifft, so habe ich
nach der sehr allgemein gehaltenen ersten Angabe Renauts zuerst
geglaubt, es handle sich um das eigentümliche Alveolenwerk zwischen
den beiden Haarbalgschichten, welches an Durchschnitten eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit einem blasigen Stützgewebe hat, aber nur ein
bindegewebiges Balkenwerk mit unregelmäßigen, manchmal auch
rundlichen Lücken, ohne blasige Zellen darstellt 2.
Im zweiten Teil seines Lehrbuches ^ gibt Renaut aber an, daß
es sich um den eigentümlichen Wulst an der Basis des Ringsinus handelt.
(Ringwulst von Leydig und Odenius, 1. c.) Dieser soll bei der
Ratte aus blasigen, hyalinen Zellen bestehen, zwischen denen zarte
Bindegewebsbündel fächerförmig durchziehen. Dieses Gewebe soll
nur an in l%iger Osmiumsäure fixierten Präparaten richtig erkannt
werden. Ich habe diesen »Ringwulst« bei der weißen Ratte genauer
untersucht; er besteht in der Tat aus einem höchst eigentümlichen
Gewebe, dessen Bedeutung ebenfalls in seiner Druckelastizität zu
liegen scheint, dessen Bau jedoch abweicht von dem des typischen
blasigen Stützgewebes. Bevor ich auf die Ergebnisse meiner eignen
Untersuchungen eingehe, sei kurz der bereits vorliegenden Anschau-
ungen über den feineren Bau dieses Gewebes gedacht.
Nach Odeniu« (1. c.) besteht der halbmondförmige Wulst aus einem fast
homogenen Bindegewebe mit zahlreichen, im Innern kleinen und von den Kernen,
sowie elastischen Fasern, die in der Richtung vom Stiele nach der Peripherie,
besonders nach dem unteren Ende zu ziehen. »Gefäße habe ich hier nicht ge-
funden. «
1 Man vgl. darüber Dogiels eingehende Schilderung (diese Zeitschrift
Bd. LXVI. 1899. S. 364u. f.), welche von blasigen Zellen kein Wort erwähnt.
2 Dieses Gewebe wurde zuerst von Leydig (Arch. Anat. Physiol. 1859.
S. 716), dann von Odenius (Arch. mikr. Anat. Bd. II, 1866. S. 451) genau be-
schrieben.
3 Paris 1897. S. 330.
62 Josef Schaffer,
BürkartI gibt eine ziemlich eingehende Schilderung der mikroskopischen
Struktur des Ringwulstes nach Osmiumpräparaten. Die stärkeren, radienförmig
den Körper des letzteren durchsetzenden Bindegewebsbündel sollen sich durch
viele einander kreuzende Queranastomosen zu einem feinen Maschenwerk ver-
einigen, in dessen enge aneinander liegenden Maschen Zellen eingebettet sind von
polygonaler Gestalt und vergänglicher Natur. »Es war mir nicht möglich, an
diesen Zellen eine Membran unzweifelhaft nachzuweisen, doch grenzen sich diesel-
ben so scharf gegeneinander ab, daß man die Gegenwart einer selbständigen Um-
hüllung wohl vermuten darf. — Sie haben einen verhältnismäßig großen, meist
runden oder auch eckigen dunkelgefärbten Kern, welcher sich bei Karminbe-
handlung rötet. « Die Bindegewebsfibrillen sind im frischen Zustand wenig deut-
lich zu sehen. Die äußere Grenze des Ringwulstes wird von einer Membrana
propria mit länglichen Kernen gebildet.
DiETL" hat sich ebenfalls, zunächst ohne Kenntnis der vorstehend be-
sprochenen Arbeiten, eingehender mit dem »schildförmigen Zellkörper«, wie er
damals den Ringwulst nannte, beschäftigt. »Was seine histologische Struktur
anbelangt, so besteht er in seiner Grundlage aus einem faserigen Gewebe, das ihn
von seinem Insertionsrande an der inneren Sinuswand gegen den unteren freien
Rand und gegen seine Oberfläche hin durchzieht und hier die erwähnten Flügel
formiert. Dieses Gewebe ist in seiner ganzen Ausdehnung von schönen, teils
runden, teils polygonalen, deutliche Kerne enthaltenden Zellen durchsetzt«; diese
sollen besonders an Chromsäurepräparaten in Glyzerin deutlich zur Anschauung
kommen.
Die Abbildung, die er von der Katze gibt, zeigt dicht gedrängte und scharf
begrenzte blasige Zellen in fünf- bis sechsfacher Reihe, durch die ein einziges
Bindegewebsbündelchen zieht.
In einer späteren Untersuchung ^ hat Dietl gezeigt, daß Form und feinerer
Bau des »Ringwiilstes « so charakteristisch sind, daß man oft die Tierspecies an
ihm erkennen kann. Dietl gibt eine Reihe von Abbildungen, die besser als seine
gar zu kurze Beschreibung den geweblichen Aufbau des Wulstes kennzeichnen,
und auf die sich die folgenden Bemerkungen beziehen. Als Grundlage des Wulstes
nimmt er fibrilläres Bindegewebe und elastische Fasern an; letzteres halte ich
für einen Irrtum, bedingt durch die Fixierung in Osmiumsäure, wie ich noch
zeigen werde.
Bei der braunen Ratte sind zahlreiche blasse Kerne so zwischen den feinen
Fasern angeordnet, daß sie zu langen, hellen, spindelförmigen Zellen zu gehören
scheinen. Das Gewebe erinnert so einigermaßen an das von mir* beschriebene
um die lateralen Schlundkiemenknorpel bei Myxine.
Bei Arvicola nehmen diese Zellen eine breitere, ovale Form mit zugespitzten
1 Über Nervenendigungen in den Tasthaaren der Säugetiere. Vorl. Mitt.
Centralbl. med. Wiss. Bd. VIII. 1870. S. 514.
~ Untersuchungen über Tasthaare. I. Der anatomische Bau der Tasthaare.
Sitzb. Kais. Akad. Wiss. Wien. Bd. LXIV. 1. Abt. 1871.
3 Untersuchungen über Tasthaare. III. Beiträge zur vergleichenden Ana-
tomie derselben. Sitzber. Kais. Akad. Wiss. Wien. Bd. LXVIII. 1873. III. Abt.
S. 213.
^ Diese Zeitschr. Bd. LXXX. 1905. S. 253.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 63
Enden an, so daß dieses Gewebe am ehesten der Auffassung von Renaut ent-
sprechen würde.
RänvierI hat das Gewebe des Ringwiilstes als .Schleimgewebe bezeichnet.
Bonnet- bestätigt die Angaben Dietls und erwähnt kurz, »daß sich der
Ringwulst aus Bindegewebe, Stern- oder Rundzellen und Kernen aufbaut, ein
Bau, der mit der inneren Balglage mehr oder weniger konform, berechtigt, ihn
als eine partielle Verdickung derselben aufzufassen«.
Nach SzYMONOWicz^ besteht der Ringwoilst aus »schleimigem Bindege-
webe, in dem sich zwischen den Bindegewebsfasern, welche von der inneren Wand
des Blutisnus ausgehen, viele große stern- oder spindelförmige Zellen mit großen
runden Kernen befinden*.
KsjUNiN* gibt eine kurze historische Übersicht über den Ringwulst und
stellt fest, »daß der schildförmige Körper in Wirklichkeit nur aus collagenen
Gewebe- und Zellelementen besteht, elastische Fasern in seinem Innern jedoch
nicht anzutreffen sind«, mit Ausnahme einzelner Fäserchen in den äußersten
Abschnitten und im Stiel. Er findet diesen fast vollständigen Mangel bei dem
sonstigen Reichtum des inneren Haarbalgblattes an elastischen Fasern geradezu
auffallend. »In den dicht sich verflechtenden Bündelchen collagener Fasern des
schildförmigen Körpers liegen bald mehr oder weniger runde, bald sternförmige
Bindegewebszellen mit einem gut sich färbenden Kern in ihrem Körper. Die
Fortsätze der sternförmigen Zellen sind zuweilen sehr lange und anastomosieren
miteinander. « Auch bräunliche bis schwarze Pigmentkörner konnte Ksjunin
öfters im Ringwulst beobachten.
Im Gegensatz zu Ksjttnin betont Fritz neuestens^ das Vorkommen ela-
stischer Fasern im Sinuskissen bei der Katze; sie sollen von der Längsfaserschicht
in radiärer Richtung in das Kissen abgehen und sich da verzweigen. Auch un-
regelmäßig verlaufende Fasern scheinen daneben vorzukommen. Weiter geht
Fritz auf den Bau des Sinuskissens nicht ein. Doch zeichnet er in der schema-
tisch ausgeführten Fig. 1 rundlich begrenzte, mit einem Kern in der Mitte ver-
sehene Gebilde im Sinuskissen.
Meine eignen Untersuchungen an den Spürhaaren der weißen
Ratte ergaben, daß es sich im Gewebe des »Ringwulstes« oder »Sinus-
kissens« (Martin^) um ein gefäßloses Gewebe handelt, wie dies schon
1 Traite technique d'HistoIogie. Paris 1875. p. 913.
2 Studien über die Innervation der Haarbälge der Haustiere. Morph.
Jahrb. Bd. IV. 1878. S. 357.
3 Beiträge zur Kenntnis der Nervenendigungen in Hautgebilden. Arch.
mikr. Anat. Bd. XLV. 1895. S. 643.
* Über das elastische Gewebe des Haarbalgs der Sinushaare nebst Be-
merkungen über die Blutgefäße der Haarpapille. Ebendort, Bd. LVII. 1900.
S. 143.
5 Über einen Sinnesapparat am Unterarm der Katze nebst Bemerkungen
über den Bau des Sinusbalges. Diese Zeitschr. Bd. XCII. 1909. S. 299.
^ Beitrag zur Entwicklung der Sinushaare unsrer Haussäugetiere. Deutsche
Zeitschr. Tiermed. Bd. X. 1884. S. 112.
64 Josef Schaffer,
Odenius und Schöbl^ betont haben. Es besteht aus ziemlich dicht
gedrängten kugeligen Kernen von 7 — 8 /< Durchmesser, die an Osmium-
präparaten (Fig. 16 K) vollkommen homogen, stark glänzend erscheinen.
Zwischen diesen Kernen ziehen auffallend starre, ebenfalls stark glän-
zende und ziemlich dicke Fäserchen im allgemeinen vom Stiel des
Ringwulstes radiär gegen seine Peripherie, wobei sie fächerförmig
ausstrahlen müssen. Am Osmiumpräparat machen diese Fäserchen
entschieden nicht den Eindruck von leimgebenden, sondern eher von
elastischen, doch sind wirkliche Verästelungen an ihnen nicht fest-
zustellen.
An Alkoholmaterial erscheinen die Fasern als blasse, streifige
Bündelchen. Sie färben sich mit keiner der Methoden, mit denen
man sonst elastische Fasern nachweist (Unna-Tänzee, Weigert,
KuczYNSKi u. a.), dagegen lebhaft rot mit Pikrofuchsin, blau nach
Mallory; sie sind deutlich positiv doppelbrechend und quellen in
Essigsäure sofort zu einer glasartig durchsichtigen Masse auf, in der
nur mehr die Kerne der Zellen erkenntlich sind.
Es handelt sich also um dünnste Bündelchen collagener Fibrillen,
die dm'ch die eigentümliche Wirkung der Osmiumsäure in starre,
glänzende Fasern umgewandelt werden.
Diese Fasern grenzen um die Kerne schmale helle Zonen ab, die
im günstigsten Falle 14 — 16 fi im Durchmesser erreichen und welche von
einem durchsichtigen Zellkörper eingenommen werden, in dem höchstens
da und dort spärliche glänzende Körnchen gesehen werden können.
An der Peripherie des Ringwulstes sind diese Zonen um die Kerne natur-
gemäß am breitesten, und hier (Fig. 16 Z) entsteht der Eindruck, als
würden die Kerne blasigen Zellen angehören, deren Oberfläche zum
Teil von glänzenden Säumen begrenzt wird. Diese Säume sind in der
Tat Fibrillenmäntel, welche radiär gestellte kegel- oder säulenförmige
Zellgruppen abgrenzen, etwa ähnlich wie die Lebercapillaren einen
sogenannten Leberzellbalken. Durch seitlichen Faseraustausch werden
die Zellen manchmal auch quer zur Bündelrichtung begrenzt; doch
ist dies durchaus nicht bei jeder Zelle der Fall. Vielmehr hängen in
radiärer Richtung viele »Zellen« ohne deutliche Abgrenzung zusammen.
Im ganzen entsteht allerdings bei oberflächlicher Betrachtung
ein Bild, das einigermaßen an die blasigen Zellen im Sesamknoten der
Achillessehne vom Frosch erinnert. In Wirklichkeit sind aber solche
1 Über die Nervenendigung an den Tasthaaren der Säugetiere, sowie über
die feinere Struktur derselben. Sitzber. Kgh böhm. Ges. Wiss. Prag. April 1872
und Arch. mikr. Anat. Bd. IX. 1873. S. 197.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 65
Zellen in keiner Weise zu isolieren. Was man bei Isolationsversuchen
erhält, sind Kerne mit anhaftenden zerrissenen Resten des homogenen
Plasmakörpers, niemals eine Zelle mit scharf begrenzter Oberfläche.
Die Zelloberflächen scheinen kontinuierlich mit den Fasern zu-
sammenzuhängen; diese ziehen in einem Syncytium in einer gewissen
Entfernung von den Zellkernen durch und begrenzen so Territorien,
die je einer Zelle oder einem mehrkernigen Symplasma entsprechen. Nie-
mals sah ich bei der Ratte eine verästelte Zelle; die Zellen machen
mit ihren durchsichtigen, chromophoben Körpern vielmehr den Ein-
druck von Blasen, doch entspricht ihr Verhalten nicht dem eines typi-
schen blasigen Stützgewebes noch dem eines Schleimgewebes, als das
es wiederholt bezeichnet wurde. Ein solches findet man aber in aus-
gezeichneter Weise unterhalb des Ringwulstes gegen die Haarzwiebel
hin, wie schon Dietl^ beschrieben hat. Die gallertartige Grundsub-
stanz dieses »sulzigen Körpers« färbt sich auch mit Schleimfärbemitteln,
was am Ringwulst nie der Fall ist. Das Gewebe des letzteren bildet
also eine Stützsubstanz eigner Art, die aber nicht ohne Analogien ist.
Ähnliche Verhältnisse zeigen z. B. die Barteln von Äcipenser und
stellenweise das dorsale elastische Längsband vom Aal.
Erstere stellen ungemein biegungselastische Gebilde dar, deren
Gewebe von Pollard^ mit zweifellos chondroiden Formen dem »Vor-
knorpel« zugerechnet wurde. In Wirklichkeit bestehen sie aus mem-
bran- oder kapsellosen Zellen, welche von dichten Mänteln elastischer
Fasernetze abgegrenzt werden.
Ebenso verhält sich nach der Schilderung von Studnicka^ das
elastische Längsband vom Aal, dessen Gewebe ebenfalls eine große
Ähnlichkeit mit »Vorknorpel« besitzen soll.
Ich finde jedoch die Abgrenzung der Zellen nur durch die elasti-
schen Längsfasernetze bewirkt; zwischen diese durch hängen die Zellen,
soweit man bei der Kleinheit dieser Gebilde beurteilen kann, zusammen,
ohne eigne Wände zu besitzen.
Ich komme auf diese Gewebeformen bei der Besprechung des
chondroiden Gewebes zurück. Nebenbei möchte ich hier nur be-
merken, daß ich bei der Untersuchung eines etwa 5 mm langen Stückes
des Ligam. dors. sup. vom erwachsenen Aal keine Spur von »blasigen«
Zellen zwischen den elastischen Fasern gefunden habe.
1 1873 I. c. S. 9 (S. A.)
~ The oral cirri of Siluroids and the origin of the head in vertebrates.
Zool. Jahrb. 1895. Abt. f. Ontogenie. Bd. VIII. S. 373.
3 Anat. Hefte. XXI. Bd. 1903. S. 395.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 5
66 Josef Schaffer,
Als letzte, von Renaut i mit Wahrscheinlichkeit hierher gerechnete
Gewebeform wäre endlich das von M. Duval^ beschriebene i. Gewebe
im sogenannten Sinus rhomboidalis der Vögel zu erwähnen.
Nach der Schilderung, welche Duval gegeben hat, mußte Renaut,
ohne das Gewebe selbst untersucht zu haben, eine hierher gehörige
Form vermuten.
Duval läßt es gebildet sein aus großen polyedrischen Zellen mit durch-
scheinendem Inhalt, deutlicher Membran, einem exzentrisch nahe der Wand
gelegenen Kern, der von etwas körniger Substanz umgeben wird. Sie messen
30 — 60 fx. Durch Überschneidung der unter- und übereinander liegenden Zell-
wände entsteht der Anschein eines Netzwerkes. Die Kerne liegen aber keines-
wegs in den Knotenpunkten desselben, sondern innerhalb der Zellen. Ein Schnitt
durch dieses Gewebe, welches Duval auch als blasiges bezeichnet, soll voll-
kommen einem durch das Gewebe der Chorda dorsalis gleichen.
Die durch gegenseitigen Druck polyedrischen Zellen nehmen wieder die
Form runder Bläschen an, wenn man sie isoliert.
Über den gliösen Charakter dieses Gewebes war sich Duval vollkommen
klar, indem er ausdrücklich betont, daß es sich ebenso aus Elementen des Me-
dullarrohres entwickelt, wie die Ganglien- und Ependymzellen.
Schon lange vor Renaut hat Leydig^ »die weiche Substanz, welche bei Vögeln
den Sinus rhomboidalis des Rückenmarks ausfüllt «, mit den Geweben zusammen-
gestellt, welche er später bei Mollusken und Decapoden als zellig-blasige Binde-
substanz beschrieben hat. Allerdings rechnete er diese damals noch dem Gallert-
gewebe zu, d. h. er hielt den Inhalt blasiger Zellen für Intercellularsubstanz und
die optischen Durchschnitte aneinander stoßender Zellmembranen für ästige Zell-
körper. Besonders die Gallertmasse im Sinus rhomboidalis schildert er* zu-
sammengesetzt aus » Zellen von eigentümlich klarem Aussehen «, die mit ihren
Ausläufern ein Maschenwerk bilden, »innerhalb dessen eine helle homogene Sub-
stanz, die sich in Essigsäure nicht trübt, eingelagert ist«. Aber schon frühzeitig
äußerte Leydig Zweifel über die Richtigkeit dieser Darstellung^, und später
hat er, wie erwähnt, wenigstens das Gewebe der Mollusken und Decapoden als
aus blasigen Zellen zusammengesetzt erklärt.
Stieda^ bezeichnet Leydig als den ersten Autor, welcher das Füllgewebe
des Sinus rhomboidalis richtig aufgefaßt hat; er selbst beschreibt dieses gallertige
Gewebe auch als ein Netz von Zellen, welche durch Ausläufer miteinander ana-
1 Systeme hyalin de soutenement des centres nerveux etc. Arch. de phy-
siol. 1881. p. 856.
2 Recherches sur le sinus rhomboidal des oiseaux, sur son developpement
et sur la nevroglie periependymaire. Journ. de l'Anat. 1877. p. 1.
3 Lehrbuch d. Histologie. Frankfurt a. M. 1857. S. 24.
* Kleinere Mitteilungen zur tierischen Gewebelehre. Müllers Arch. 1854.
S. 334.
5 Lehrbuch 1. c. S. 25.
^ Studien über das centrale Nervensystem der Vögel und Säugetiere.
Diese Zeitschr. Bd. XIX. 1869. S. 8.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 67
stomosieren. Es »färbt sich gewöhnlich in Karmin äußerst intensiv, indem die
in den Maschen des Netzwerkes befindliche und durch die Einwirkung der Chrom-
säure geronnene Flüssigkeit das Karmin lebhaft aufnimmt«.
Wie DuvAL hat auch der erste Untersucher dieses Gewebes, RemarI, in
ihm nur Kugeln, ähnlich den Fettkugeln (nur lösen sie sich nicht in Äther), kern-
haltige Körper und Capillaren gefunden. Auch Stilling^ erklärte die Füllungs-
masse des Sinus rhomboidalis als aus rundlichen und polyedrischen Zellen
zusammengesetzt. Toldt^ hat das C4ewebe zum gallertartigen Bindegewebe
gerechnet.
Lachi* hat das Gewebe sowohl an Isolationspräparaten (aus Drittelalkohol)
als an Schnitten untersucht. Die isolierten Elemente erwiesen sich »hauptsäch-
lich als Kerne, von denen zahlreiche Fortsätze in allen Richtungen ausstrahlten.
Um den Kern konnte ich keine Protoplasmaschicht erkennen, d. h. die Fortsätze
gehen direkt vom Kern aus«. Diese Fortsätze sind zahlreich und haben die Ge-
stalt feinster Fäden und nicht von Membranen, wie Duval glaubt; sie stehen
mit den Xachbarzellen in Verbindung, so daß es nicht leicht ist, isolierte Elemente
zu sehen, sondern meist nur Gruppen von solchen.
Wesentlich für den Nachweis, daß es sich nicht um geschlossene Blasen,
sondern, wie Lächi glaubt, um ästige Zellen mit flüssigkeitserfüllten Maschen-
räumen handelt, ist die Beobachtung des Autors, daß diese Flüssigkeit beim
Anstechen sich vollkommen entleert.
Der Beschreibung Lachis entspricht auch seine Fig. 8 von isolierten Zellen,
welche aber, wie die übrige Darstellung des Gewebes an Durchschnitten, als sehr
sehematisch bezeichnet werden muß.
In jüngerer Zeit hat sich Köllikeb^ mit diesem Gewebe beschäftigt und
es einfach als eine Varietät des gewöhnlichen Gliagewebes erklärt, »das durch
die Weite seiner Maschen und den mehr flüssigen Inhalt derselben, der unstreitig
wesentlich Eiweiß ist, sich charakterisiert«. In der Anmerkung sagt er aller-
dings, daß er bei der Untersuchung des frischen Gewebes neben sternförmigen
Zellen Gebilde sah, die den von Duväl abgebildeten kernhaltigen Zellen glichen
»und wird möglicherweise eine weitere Untersuchung ergeben, daß der betref-
fende Gliawulst zweierlei Elemente enthält, die beide von Ependymzellen ab-
stammen «.
Diese weitere Untersuchung liegt nunmehr vor, wie ich nach Niederschrift
des Vorstehenden finde. Imhof^ hat das Gewebe im Lumbaiwulst, wie er den
Gliawulst (Köllikeb) im Sinus rhomboidalis nennt, sorgfältig an Schnitten mittels
moderner Färbemethoden, sowie der schwarzen Silbermethode untersucht. Er
1 Observationes anatomicae et microsc. de syst, nervosi structura. Berol.
1838. p. 18.
2 Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Kassel 1859.
3 Lehrbuch der Gewebelehre. 3. Aufl. 1888. S. 127.
* Alcune particolaritä anatomiche del rigonfiamento sacrale nel midollo
degli uccelli. Atti Soc. toscana sc. nat. Mem. Vol. X. Pisa 1889. p. 268.
^ Über die oberflächlichen Nervenkerne im Marke der Vögel und Reptilien.
Diese Zeitschr. Bd. LXXII. 1902. S. 156.
ß Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Lumbaimarkes bei den Vögeln.
Arch. mikr. Anat. Bd. LXV. 1905. S. 526.
5*
68 Josef Schaffer,
schildert das Gewebe als ein allgemeines protoplasmatisches Reticulum, dessen
Elemente in syncytialer Verbindung sind und dessen einzelne Protoplasmabalken
durch unverzweigte, freiendigende Gliafasern verstärkt und versteift werden.
Die scheinbaren Blasen sind intercelluläre Lymphräume von polygonaler bis
rundlicher Querschnittsgestalt und 20 — QO u Durchmesser. »Sie sind im un-
verletzten Zustande prall mit Lymphe gefüllt, deren beim Fixieren und Härten
coagulierende Eiweißverbindungen stets als trübe, diffus gefärbte Massen zu
finden sind und die zuweilen dann als Zellprotoplasma gedeutet werden. « Die
scheinbaren Blasenwände sind radiäre protoplasmatische Fortsätze eigentümlicher
Gliazellen, die mit den Fortsätzen benachbarter Zellen stets in stumpfwinkelige
Verbindung treten. »Diese Fortsätze können dann und wann die Gestalt eigent-
licher Protoplasmabänder und Membranen annehmen, die, wenn sie schräg ge-
schnitten sind, leicht Blasenwände vortäuschen «.
Ich habe die Angaben der verschiedenen Autoren beim Huhn,
der Taube und dem Sperling nachgeprüft und bin im wesentlichen
zu demselben Ergebnis wie die neueren * Untersucher gekommen,
daß es sich hier nicht um ein blasiges Stützgewebe handelt. Dagegen
spricht schon die geringe Konsistenz des zerfließlichen Gewebes.
Was jedoch das feinere Verhalten seiner Elemente betrifft, glaube
ich auf Grund meiner Beobachtungen eine Auffassung vertreten zu
müssen, welche die Angaben Duvals wenigstens teilweise verständ-
lich macht, was ja nicht der Fall wäre, wenn es sich im Lumbal wulst
schlechtweg um ästige Gliazellen handeln würde.
Untersucht man das Gewebe z. B. bei einem Taubenfötus am Ende
der Bebrütimg an Isolationspräparaten, die vorher stark mit Hämalaun
und Eosin oder Kongorot gefärbt wurden, so gelingt es leicht zahl-
reiche Elemente von rundlicher oder polyedrischer Gestalt zu be-
obachten. Sie bestehen aus einem Kern (Fig. 17 a), von dem aus
nach verschiedenen Richtungen, meist in einer kugelmantelartig
gekrümmten Ebene, Fortsätze ausgehen, die aber untereinander durch
ein zartes Häutchen von netzförmiger Struktur verbunden sind.
Dieses Häutchen ist von der Fläche gesehen sehr blaß, und in
ihm liegen, wie aufgesetzte Rippen, die stärker färbbaren Zellfortsätze
und der nach innen vorspringende Kern. Im optischen Durchschnitt
gesehen, erscheint das Häutchen wie ein Saum, der ein blasiges Gebilde
begrenzt und in den glänzende, stark färbbare Fasern oder solche
Punkte eingelagert erscheinen, je nachdem ein Zellfortsatz im optischen
Längs- oder Querschnitt gesehen wird (Fig. 17 c, d). Diese Mem-
branen traten an Schnitten durch den Lumbal wulst eines 18 Tage
alten Hühnerembryo bei der Untersuchung in Wasser sehr deutlich
hervor und verliehen dem Gewebe in der Tat ein blasiges Aussehen,
L'ber den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 69
^o daß die Schilderuni!; Duvals begreiflich erscheint. Dieses blasige
Aussehen verschwand sofort bei Aufhellung der mit Hämalaun-Eosin
gefärbten Schnitte, wobei die Membranen keine Farbe annehmen und
im Lack unsichtbar werden. Nunmehr entsprach das Gewebe der
Schilderung Lachis.
Schließlich wäre hier auch noch in gewissem Sinne k. das Fett-
gCAvebe anzureihen.
Niemand wird die mechanische Bedeutung dieses als eines Stütz-
gewebes leugnen wollen. Es vermag durch die Elastizität und Un-
zusammendrückbarkeit seiner mit Flüssigkeit prall gefüllten, von
einer Membran umschlossenen, blasigen Zellen an vielen Stellen des
Tierkörpers eine ähnliche mechanische Rolle zu spielen wie typisches,
blasiges Stützgewebe. Um nur zwei Beispiele anzuführen, so sehen
wir die Kiemenregion von Myxine, welche des Schutzes durch ela-
stische Knorpelspangen bis auf unansehnliche Reste vollständig ent-
behrt, ausschließlich durch dichtgedrängte, große und mit derben
Membranen ausgestattete Fettzellen vor Kompression geschützt i.
Anderseits konnte ich zeigen 2, daß bei Bradypus der plantare, terminale
Sesamknoten, der bei verschiedenen Tieren bald aus Knochen, bald
aus Knorpel oder blasigem Stützgewebe besteht, durch eine Fettmasse
ersetzt ist, die augenscheinlich einen großen Druck zu ertragen be-
stimmt ist.
Diese Auffassung des Fettgewebes, welche ihm neben seiner wesent-
lichen Bedeutung für den Stoffwechsel auch eine nicht minder wichtige
Funktion als Stützgewebe zuspricht, ist nichts Neues, aber, wie mir
scheint, bisher zuwenig gewürdigt. Daß die erstere Bedeutung des
Fettgewebes nicht die einzige sein kann, scheint mir schon daraus
hervorzugehen, daß an gewissen Stellen das Fettgewebe auch beim
Hungertode seine prallgefüllten Blasenzellen bewahrt.
Bereits Kölliker^ und Leydig* haben die Zellen des Fettgewebes mit
den blasigen Zellen der Mollusken, Kruster u. a. zusammengestellt und die me-
chanische Leistung derselben betont.
HaeckelS hebt besonders hervor, daß auch der Fettkörper der Insekten
zum Teil zu jenem Bindegewebe gehört, »welches vorwiegend aus großen, hellen
Bindesubstanzzellen besteht«; weiter betont er, daß ein Zusammenhang zwischen
1 Vgl. meine Mitt. im Anat. Anz. Bd. XXVIII. 1906. S. 68.
2 Diese Zeitschr. Bd. LXXXIII. 1905. S. 277.
3 Icones histologicae oder Atlas der vergl. Gewebelehre. Leipzig 1864/65.
2. Abt. 1. Hft. S. 97.
* Lehrbuch der Histologie. Frankfurt 1857. S. 25.
5 Arch. f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1857. S. 504 u. 510.
70 Josef Schaffer,
dem Fett- und Zellgewebe (wie er das zellig-blasige nennt) beim Krebse nicht
zu verkennen ist. Die größten Formen des ersteren, wo ein großer Fetttropfen
die ganze Zelle erfüllt, sind von denen des letzteren, wo oft dasselbe der Fall ist,
nicht zu unterscheiden.
Sehr nachdrücklich hat Fol^ die stützende Funktion des Fettgewebes
betont, indem er dieses zu den Zellgeweben rechnet, »welche wegen ihrer Kon-
sistenz und Gestalt die Rolle eines Skeletes übernehmen«. Bei Cetaceen erhebt
es sich zu einer beständigen Schutzvorrichtung gegen Kälte und äußere Läsionen.
Auch ScHiEFFERDECKEB^ hebt als eine der Funktionen des Fettgewebes
die hervor, »als Schutzpolster gegen Druck und Stoß« zu dienen
Die Verwandtschaft des Fettgewebes mit typischem Stützgewebe
geht auch daraus hervor, daß 1) sowohl blasige Stützzellen s.str., als
Knorpelzellen so viel Fett aufspeichern können, daß das ganze Ge-
webe einem Fettgewebe sehr ähnlich wird (blasiges Stützgewebe bei
Vögeln, Ohrknorpel und andre Knorpel kleiner Nager und Fleder-
mäuse); 2) das Fettgewebe an manchen Stellen typisches Stützgewebe
ersetzen kann; so z. B. geht das periaxiale Stützgewebe bei Cyclo-
stomen gegen den Kopf zu allmählich in Fettgewebe über und ebenso
das arachnoidale Füllgewebe wenigstens in eine fettreichere Modi-
fikation.
Anderseits sehen wir auch echte Knorpel durch Fettgewebe ersetzt
werden.
Ob die von Gegenbaur^ gemachte Angabe, daß bei der Entwick-
lung der Wirbelsäule von Urodelen im vorderen Abschnitt der Wirbel-
körper eine Umwandlung der Knorpelzellen in Fettzellen stattfindet,
hierher gehört, habe ich nicht untersucht.
Dagegen ist es bekannt, daß bei manchen Tieren der Knorpel der
Epiglottis bis auf kleinste Reste durch Fettgewebe ersetzt sein kann.
Über die Bedeutung dieser Substitution sei auf meine Unter-
suchung* verwiesen. Aus ihr sei nochmals besonders hervorgehoben,
daß das substituierende Fettgewebe der Epiglottis aus derselben embryo-
nalen Anlage hervorgeht wie andre, höher stehende Stützsubstanzen
(blasiges Stützgewebe, Knorpel) und daß alle diese Formen bei ein-
zelnen Tieren (z. B. Hund) auch im räumlichen Übergange neben-
einander an der Zusammensetzung des Epiglottisskeletes teilnehmen.
1 Lehrbuch der vergl. mikr. Anat. Leipzig 1896. S. 31 L
~ ScHiEFFERDECKEB und KossEL, Gewebelehre. Braunschweig 1891. S. 282.
3 Untersuchungen zur vergl. Anatomie der Wirbelsäule bei Amphibien und
Reptilien. Leipzig 1862. S. 17 u. 20.
* Zur Histologie, Histogenese und phylogenetischen Bedeutung der Epi-
glottis. Anat. Hefte. Bd. XXXIII. 1907. S. 457.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 71
Spricht dieser Umstand deutlich für die Verwandtschaft aller
dieser, im feineren Bau so verschiedenen Stützgewebe, so beweist die
Substitution des Epiglottisskeletes durch Fettgewebe, daß letzteres
imstande ist, die für die Epiglottis wesentliche Funktion elastischer
Versteifung zu leisten, wodurch seine Zurechnung zum blasigen Stütz-
gewebe vom mechanisch-funktionellen Standpunkt aus gerechtfertigt
erscheint.
Damit wäre auch die bis heute etwas unklare Stellung des Fett-
gewebes im histologischen System befriedigend erklärt. Es vermittelt
die Verbindung zwischen den reinen Füll- und Hüllgeweben, d. h.
jenen Bindesubstanzformen, welche hauptsächlich zur Umhüllung
von Organen und Ausfüllung von Spalträumen zwischen solchen, be-
ziehungsweise ihnen und den Elementen höherer Gewebe (Drüsen-
läppchen, Muskel-, Nervenfasern) dienen und den eigentlichen Stütz-
geweben und stellt eine Abart des primitivsten, bei Wirbellosen noch
weitverbreiteten dieser Gewebe, nämlich des diffusen, blasigen Stütz-
gewebes, vom chordoiden Typus dar.
B. Kompaktes chordoides Stützgewebe.
Die isolierbaren Zellblasen grenzen mit ihren Membranen un-
mittelbar aneinander und werden durch eine derbe, aber — in der
reinen Form — selbst nicht stützfähige Umhüllung zu einem wohl-
abgegrenzten Skeletgebilde zusammengehalten.
Als Typus dieses Gewebes hat die Chorda dorsalis der Neunaugen
und Myxinoiden, von Chimaera und den Ganoiden, von gewissen
Knochenfischen {Sytignathus, Lophius^), von den meisten Amphibien-
larven und endlich die embryonale Chorda der höheren Wirbeltiere
zu gelten.
Jedoch auch beim Säugetier nach der Geburt hat das Chorda-
gewebe seine mechanische Rolle nicht ausgespielt, indem es stellen-
weise seine Zusammensetzung aus blasigen, durch Turgordruck ge-
spannten, isolierbaren Zellen und damit seine Funktionsfähigkeit
bewahrt^.
Dies ist der Fall bei den kleinsten Säugetieren, vornehmlich bei
den langschwänzigen Nagern und Insectivoren in den distalen Teilen
der Schwanz Wirbelsäule. Bei diesen Tieren kommt es nicht zur Ent-
wicklung einer eigentlichen Zwischenwirbelbandscheibe. Der Raum
1 Vgl. Studnicka, Sitzb. böhm. Ges. Wiss. 1897.
2 Vgl. meine inzwischen erschienene vorl. Mitt. : »Die Rückensaite der
Säugetiere nach der Geburt. Wien. akad. Anz. Nr. XVIII. 1910 <'.
72 Josef Schaff er,
zwischen überknorpelten Wirbelenden und den Zwischenwirbeibändern
wird ausschließlich von einem Chordasegment ausgefüllt. In den
distalen Partien der Schwanzwirbelsäule besteht diese elastische Füll-
masse aus großen, mit ihren Membranen dicht aneinander gepreßten,
gespannten, an Glykogen reichen Blasenzellen, also aus typischem
Chordagewebe (Fig. 18). Die Unzusammendrückbarkeit und Elastizität
dieser Chordasegmente ist offenbar von wesentlicher, mechanischer Be-
deutung für die Elastizität und Gleichgewichtslage (Streckung) des
Schwanzes, welcher andrer elastischer Einrichtungen entbehrt.
Weiter gegen die Wurzel der Schwanzwirbelsäule und im Bereiche
des Kumpfes erleidet dieses Chordagewebe Veränderungen, welche
hauptsächlich in einer reichen Schleimabsonderung zwischen die blasigen
Zellen und eine dadurch bedingte Zerlegung des kompakten Chorda-
segmentes in Stränge und Zellgruppen besteht, innerhalb welcher aber
der blasige Charakter der Zellen teilweise erhalten bleibt.
Bei fortschreitender Rückbildung können die durch schleimhaltige,
netzförmig anastomosierende intercelluläre Kanäle und Lacunen zer-
sprengten, ebenfalls netzförmig angeordneten Chordazellen zusammen-
gepreßt werden und ihren Turgor verlieren. Sie bilden dann ein ent-
fernt an das epitheliale Gewebe der Schmelzpulpa erinnerndes Netz-
und Strangwerk, welches aber nicht aus verästelten Epithelzellen
besteht, sondern aus zusammengefallenen, langgestreckten Zellblasen,
die sich sträng- und netzartig aneinander fügen.
Noch weiter gehen die Veränderungen bei jenen Tieren, bei denen
es zur Entwicklung von Zwischenwirbelbandscheiben kommt.
Beim Menschen z. B., bei dem wir noch nach der Geburt ein scharf
abgegrenztes intervertebrales Chordasegment finden, welches teilweise
aus schönen blasigen, teilweise aus zu Strängen verdrückten Chorda-
zellen besteht, findet eine Durchwachsung dieses Chordagewebes von
selten des umgebenden, überaus weichen Faserknorpels statt. Dabei
werden die Chordazellen entweder durch einen Verschleimungsvorgang
gänzlich aufgelöst oder sie bleiben in kleinen Gruppen als bläschen-
förmige Zellen bestehen, oder sie kapseln sich ab. Dabei sondern sie,
oft in vielzelligen Gruppen zusammengedrängt, eine dicke, geschichtete,
gemeinsame Hülle ab, w^elche von den Autoren als Knorpelkapsel be-
zeichnet worden ist, über die hinaus jedoch die Zellen keine assimila-
torische Wirkung auszuüben vermögen. So entsteht das eigentümliche
Mischgewebe des Nucleus pulposus.
Kann man also hier nicht mehr von einem in mechanischem Sinne
funktionsfähigen Chordagewebe sprechen, so ist ein solches zweifellos
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 73
in den langen Schwänzen der Mäuse und Ratten, vielleicht auch einiger
Spitzmäuse vorhanden.
Die Chorda dorsalis von Amphioxus, welche nach Fol^ ebenfalls
hierher zu rechnen wäre, zeigt einen so abweichenden Bau, daß sie
weder der von Fol selbst gegebenen Definition seines » Kapselgewebes «,
noch der oben aufgestellten des chordoiden Stützgewebes entspricht
und als ein Gewebe sui generis betrachtet werden muß.
Dasselbe scheint von der sogenannten Chorda, dem Achsenorgan
im Euderschwanz der Appendicularien (Copelaten), zu gelten; denn
es bildet einen homogenen elastischen Stab, der an seiner Oberfläche
von kernhaltigen Zellen (Chordascheide) bedeckt erscheint und nach
KüPFFER 2 fest, elastisch, der Knorpelgrundsubstanz sehr ähnlich sein
soll. Eine Zusammensetzung der Chorda aus polyedrisch aneinander
schheßenden gleichartigen Zellen, wie sie Kowalewsky^ abgebildet
hat, beruht nach Kupffer auf schematischer Darstellung.
Bei manchen Ascidien (Clavelina) erscheint aber die Chorda nach
der Darstellung Seeligers* durch kernhaltige, scheibenförmige Zeli-
körper quer septiert, was wohl wie eine Aneinanderpressung groß-
blasiger Zellen gedeutet werden könnte. Man vergleiche auch die
neueste Mitteilung von Martini 5, welcher die ganze Chorda als eine
syncytiale Bildving auffaßt.
Das »Kapselgewebe« von Fol, welches »aus Zellen mit derben,
kapselartigen Membranen« bestehen soll, »welche miteinander ver-
kittet eine elastische und dennoch steife Masse bilden«, deckt sich
zum Teil mit meinem chordoiden Stützgewebe, umschließt aber ander-
seits auch chondroide Formen und echtes Knorpelgewebe. Fol rechnet
hierher — außer der Chorda von Amphioxus — das Gewebe am Schirm-
rande und in den soliden Tentakeln der Trachymedusen, sowie in den
Kopfarmen mancher festsitzender Borstenwürmer, in den Stützorganen
des Kauapparates bei Dentalium und den gastropoden Mollusken, die
embryonale Chorda der höheren Wirbeltiere und das Skelet der Petro-
myzonten.
Von allen diesen angeführten Geweben ist aber hierher nur noch
1 Lehrbuch 1. c. S. 224 u. 338.
2 Zur Ent^väckhing der einfachen Ascidien. Arch. mikr. Anat. Bd. VIII.
1872. S. 358.
3 Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. Arch.
mikr. Anat. Bd. VII. 1871.
4 Bronns Kl. u. Ord. III. Bd. Supplement, Leipzig 1904. S. 824.
5 Studien über die Konstanz histologischer Elemente. I. Oikopleura longi-
cauda. Diese Zeitschr. Bd. XCII. 1909. S. 592.
74 Josef Schaff er,
ZU rechnen das Stützgewebe in den Tentakeln der Hydroid-
polypen und jenes im Sctiirmrand, in den Schirmspangen
und soliden Tentakeln der Medusen.
Für die Tentakel der genannten Cölenteraten bestellt kein Zweifel,
daß sie aus isolierbaren, blasigen, mit festeren Membranen versehenen,
ähnlich den Chordazellen aus dem Entoderm stammenden Zellen be-
stehen, die von einer Scheide (dem Stützlamellenschlauch) zusammen-
gehalten werden. Weniger klar sind die Angaben über den Bau des
O <D <T>
Schirmrandes gewisser Medusen (Geryonien), welcher einerseits als
knorpelig beschrieben, anderseits aber wieder mit dem chordoiden
Gewebe der Tentakelachsen verglichen wird.
GegenbaurI bildet das Angelorgan einer Bhizophysa ab, dessen Körper
aus großen, polyedrischen Zellblasen, »gewissen Pflanzengeweben .nicht unähn-
lich besteht«. Später^ beschreibt er bei Lizzia in den Randtentake'n polyedrische
helle Zellen, die weiterhin in einfacher Reihe übereinander liegend die ganze Dicke
des Tentakels einnehmen. »Die Zellmembranen bilden übereinanderliegende
Scheidewände mit wandständigem Kern. « Ebenso gereihte Zellblasen bildet
er aus den starren Tentakeln einer Qeryonia (Cunina) ab.
Nach Kölliker3 enthalten die Tentakel der (von ihm untersuchten)
Hydroidpolypen und alle soliden Tentakel von Medusen eine aus schönen Zell-
reihen gebildete Achse, welche er zur » einfachen zelligen Bindesubstanz « rechnet.
»Die Zellen stehen in einer, zwei oder mehr Reihen, haben deutliche Membranen,
ein den Kern einschließendes Protoplasma, von welchem meist sternförmig Fäden
nach verschiedenen Gegenden der Zellwand ausstrahlen imd neben demselben
noch eine helle Flüssigkeit als Inhalt. « Köllikeb betrachtet sie als elastische
Stützbildungen und leitet sie bereits vom inneren Epithel des Leibes ab.
An andrer Stelle* betont Kölliker bereits, daß die Zellen der »einfachen
zelligen Bindesubstanz «, die er als »rund oder dem Runden sich nähernd « be-
zeichnet und die daher dem entsprechen, was ich hier als »blasige Zellen« be-
spreche, teils als Stützsubstanz dienen und dann eine wässerige Zellflüssigkeit
und festere Membran besitzen, wie z. B. die Achsenzellen der Tentakel der Hydro-
zoen, die Zellen des Zellenknorpels; teils als Ausfüllungsmasse verwertet werden
und dann zartere Wandungen und ebenfalls flüssigen oder mehr protoplasmatischen
Inhalt besitzen. Hierher rechnet er die blasigen Zellen der Mollusken und Kruster
und die Zellen des Fettgewebes. (Betrachtet man aber die mechanische Be-
deutung dieser Ausfüllungsmasse näher, so kommt es schließlich doch auch auf
eine stützende Funktion hinaus.)
1 Beiträge zur näheren Kenntnis der Schwimmpolypen (Siphonophoren).
Diese Zeitschr. Bd. V. 1854. Fig. 8, Taf. XVIII.
2 Versuch eines Systems der Medusen usw. Ebendort, Bd. VIII. 1857.
S. 227.
3 Kurzer Bericht über einige . . . vergleichend anatomische Untersuchungen.
Würzburger naturw. Zeitschr. Bd. V. 1864. S. 236.
* Icones histologicae oder Atlas der vergl. Gewebelehre. Leipzig 1864/65.
2. Abt. 1. Hft. Die Bindesubstanz der Cölenteraten.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 75
KöLLiKER befaßt sich hier selir eingehend niit der »zelligen Bindesubstanz«
der Cölentcraten und bezeichnet für sie als charakteristisch, daß sie einzig und
allein aus zelligen Elementen mit Ausschluß jeder Zwischensubstanz besteht.
»Diese Zellen haben immer und ohne Ausnahme deutliche und festere Mem-
branen. Die Zellen sind allerdings nur durch einfache Konturen abgegrenzt,
dabei aber so scharf und deutlieh gezeichnet, daß man unwillkürlich an Knorpel-
zellen erinnert wird. « »Die Zellen sind druckfest und werden auch von kausti-
schen Alkalien und schwächeren Säuren in der Kälte so wenig angegriffen, daß
man sie damit frei darstellen kann. «
Diese letztere Angabe, verbunden mit der weiteren, daß die Tentakelachsen
mancher Medusen, z. B. Aequorea, eine bedeutende Ähnlichkeit mit der Chorda
dorsalis der höheren Tiere erreichen, läßt wieder deutlich den schon wiederholt
betonten Widerspruch erkennen, in welchen Kölliker bei Beurteilung des Chorda-
gewebes und des »Zellenknorpels« geraten mußte, da er beide Gewebe als solche
ohne Zwischen- oder Grundsubstanz aufgefaßt hat.
Einer ähnlichen Unklarheit begegnen wir in der Schilderung, welche gleich-
zeitig HaeckelI vom Stützgewebe der Medusen, das er als M e d u s e n k n o r -
p e 1 bezeichnet, gegeben hat.
Er beschreibt diesen »Knorpel « bei verschiedenen Medusen an verschiedenen
Stellen und unterscheidet danach einen Ring-, Spangen- und Tentakelknori^el.
Bei Glossocodon {Liriope.) bildet ein dünner cylindrischer oder halbcylindrischer
Knorpelring den untersten Teil des Schirmrandes. Er gibt dem Mantelrand
vermöge seiner mit großer Elastizität verbundenen Festigkeit seine bestimmte
und bleibende Kreisform. Er besteht aus dicht gedrängten Reihen kleiner Knorpel-
zellen, welche durch ziemlich reichliche Intercellularsubstanz getrennt sind.
Bei Carmarina gehen von dem Knorpelring noch mehrere kurze, haken-
förmig gebogene Ausläufer in Form sehr schmaler Knorpelstreifen (Mantelspangen)
aus, die nur aus einer einzigen Reihe von Knorpelzellen bestehen.
Die interradiären Tentakel bestehen aus sehr großen, wasserklaren Zellen,
die nach der Abbildung (Fig. 40) ganz chordoiden Stützzellen entsprechen; dafür
spricht auch die weitere Angabe, daß in den starren Tentakeln der Aginiden,
die ebenfalls aus einer Reihe sehr großer Zellen gebildet werden, die Knorpel-
kapseln der einzelnen Zellen bisweilen voneinander isoliert werden können. Dem-
gegenüber macht der »Ringknorpel« nach der Beschreibung und Abbildimg von
Haeckel (Fig. 41 u. 70) mit den breiten Zügen von homogener Intercellular-
substanz — »in der Mitte zwischen je drei Zellen ist sie oft breiter, als der Quer-
durchmesser der Zellen selbst« — und den protoplasmatischen membranlosen
Zellen allerdings eineii sehr knorpelähnlichen Eindruck, trotzdem die Intercellular-
substanz nichts enthält, was den Knorjselkapseln der höheren Tiere entspricht
und auf eine schichtenweise Ablagerung deutete.
Kölliker 2 bemerkt auf Grund dieser Darstellung Haeckels, daß es sich
in der Tat um einen echten Knorpel mit Grundsubstanz handelt, der von dem-
jenigen höherer Tiere nicht verschieden zu sein scheint. Er fügt aber an der-
selben Stelle (S. 107) hinzu: »Es kann übrigens keinem Zweifel unterliegen, daß
1 Die Familie der Rüsselquallen (Geryonida). Jen. Zeitschr. Bd. II. 1866.
S. 103, 307—316.
2 Icones histolog. 1. c. S. 106.
76 Josef Schaff er,
der Geryonien-Knorpel histologisch unmittelbar an die einfache zellige Binde-
substanz der Hydrozoen sich anreiht und daß zwischen beiden nur der geringe
Unterschied besteht, der an andern Orten zwischen älterem und jüngerem Knorpel
sich findet. «
Es ist auffallend, daß diese gewiß höchst bemerkenswerten Angaben Haeckels
eigentlich keine Bestätigung gefunden haben. GegenbatjrI bezeichnet den
»Ringknorpel« der Geryoniden als ähnlich zusammengesetzt, wie die Tentakel-
achsen der Hydriformen und Medusen, und Kölliker rechnete ihn später 2,
wie erwähnt, zum »Knorpel ohne Grundsubstanz«. Eine eingehende Schilderung
des Stützgewebes der Polypoidenarme hat dann F. E. Schulze 3 bei Cordylo'phora
lacustris gegeben. Der handschuhfingerförmige Stützlamellenschlauch wird von
einem soliden, aus großen, vollsaftigen Zellen bestehenden Achsenstrang voll-
ständig ausgefüllt. An allen diesen Zellen unterscheidet man »deutlich eine
derbe Membran, welche sich sowohl gegen die benachbarten Teile, als auch nach
innen zu scharf abgrenzt. Durch den zum großen Teil von wasserheller Zell-
flüssigkeit erfüllten Binnenraum zieht sich ein verästeltes Netiz von Proto-
plasmafäden, welches von einer den Kern umhüllenden centralen Ansammlung
ausgehend an der Peripherie mit einer primordialschlauchähnlichen, dünnen
Grenzlage sich verbindet. Der helle, rundliche Kern zeigt ein sehr großes, stark
lichtbrechendes kugeliges Kernkörperchen . . . Besonders hervorheben ^\dll ich
endlich noch, daß es mit Hilfe der oben angegebenen Maceriermethoden — Vor-
fixierung in 0,2%iger Osmiumsäure kurze Zeit (2 — 3 Min.), nachträgliche Maceration
mit Müllers Flüssigkeit, Jodserum oder V2%iger Kochsalzlösung • — außer-
ordentlich leicht gelingt die einzelnen Zellen sowohl voneinander, als auch von
der Umgebung zu trennen und so vollständig zu isolieren, daß sie in dem Stütz-
lamellenschlauch hin- und herflottieren. «
Ähnlich schildert F. E. Schulze* den Bau der Tentakel von Syncoryne
Sarsii, wobei er die blasigen Stützzellen direkt als » den Chorda dorsalis-Elementen
ähnliche Zellen« bezeichnet und von Tiarella singularis^.
Hamann ^ bezeichnet das Gewebe in der Tentakelachse als e n d o d e r m a -
les Bindegewebe. Er schildert den feineren Bau der Zellen übereinstim-
mend mit F. E. Schulze. Bei den Tubularien, bei welchen das Gewebe am
mächtigsten entwickelt auftritt, liegt der Kern der Zellwandung an; diese
besitzt eine blasige, kugelige Form. Sonst liegen die Zellen »in der Tentakel-
achse, wie die Geldstücke in einer Geldrolle oder die Zellen im Chordagewebe. —
Auch bei den Tentakelachsen der jungen Actinulae ist dies der Fall. Beim
erwachsenen Tier hingegen liegen dieselben regellos angeordnet, wde sie auch
im Ringwulst vorkommen«. Hamann bildet auch vollkommen isolierte,
1 Grundriß der vergl. Anat. Leipzig 1874. S. 105.
2 Handbuch der Gewebelehre. 6. Aufl. I. Bd. 1889. S. 114.
3 Über den Bau und die Entwicklung von Cordylophora lacustris Allm.
Leipzig 1871.
* Über den Bau von Syncoryne Sarsii Loven usw. Leipzig 1873.
5 Tiarella singiilaris, ein neuer Hydroidi^olyp. Diese Zeitschr. Bd. XXVII.
1876. S. 402.
6 Der Organismus der Hj^droidpolypen. Jen. Zeitschr. Bd. XV. 1882,
S. 480 u. f.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 77
»chordaähnliclie« Zellen aus der Tentakelachse einer Pennaria Cav. ab (Fig. 12,
Taf. XXlll).
Eine abweichende Schilderung gibt JickeliI, indem er zwischen den blasigen
Zellen der Tentakelachsen trennende Lamellen beschreibt, welche die Stütz-
lamelle zwischen die Achsenzellen hineinsenden soll. Wenn sich diese Angabe,
welche in Analogie stände mit einer im nächsten Abschnitt zu besprechenden
Airffassung, die Klaatsch vom Bau der Amphioxus-Chorda, entwickelt hat, be-
wahrheiten würde, dann könnte das Gewebe der Tentakelachsen bei den Hydroid-
polypen nicht dem koii.ipakten, sondern müßte als besondere Form dem diffusen,
chordoiden Stützgewebe zugerechnet werden.
Vogt und Yuxg'^ vergleichen die Stützzellen in den Tentakelachsen und
Mantelspangen mancher Craspedoten mit Knorpelzellen.
C. Rael3 faßt das Tentakelgewebe der Hydroidpolypen ähnlich auf wie
das Chordagewebe; »nur daß hier in jeder Zelle eine größere Anzahl von Vacuolen
entsteht und das Protoplasma zwischen den Vacuolen als zierliches Plastinnetz
zurückbleibt«. Wie oben gezeigt wurde, kommen diese Verhältnisse gelegentlich
auch im Chordagewebe vor, so z. B. in der Schwanzchorda der Ratte und nach
Studnicka'I^ in der Chorda mancher Teleostier, deren Zellen er mit den sogenannten
Knorpelzellen gewisser Cölenteraten, Campanularia, Limnocodium (Entoderm-
zellen der Tentakel), weiter den Zellen der knorpeligen Achse der Tentakel von
Spirographis vergleicht. Allerdings muß dazu bemerkt werden, daß es sich hier
nicht um die typische, auf der vollen Höhe ihrer mechanischen Funktion stehende
Chordazelle handelt. Auch Bergh^ stellt das Tentakelgewebe mit dem der Chorda
als epitJieliale Stützgewebe zusammen und bemerkt, daß sie nicht
ohne weiteres zu den bindegewebigen Substanzen gezählt werden können, wegen
des Mangels an Intercellularsubstanz.
ChUiS'ö schließt sich in der Auffassung des Gewebes bei den Hydroidpolypen,
das er als e n t o d e r m a 1 e s S t ü t z g e w e b e bezeichnet, hauptsächlich
F. E. Schulze und Hamann an. Auch er betont die auffallende Ähnlichkeit
der Achsenzellen, besonders in den mehrzelligen basalen Polstern von Tubularia
mit dem Chordagewebe der Vertebraten. »Unter den Medusen lassen sich ähn-
liche Verhältnisse wie bei den Hydroiden nachweisen. «
Ich selbst habe das chordoide Stützgewebe von Tuhidaria und
Carmarina hastata, leider nur an konserviertem Material, untersuchen
können.
Betreffs der allgemeinen Anordnung der großen, blasigen Zellen
im basalen Polster von Tubularia kann ich auf die Textfiguren von
1 Der Bau der Hydroidpolypen. Morph. Jahrb. Bd. VIII. 1883. S. 390.
^ Lehrbuch der prakt. vergl. Anatomie. Braunschweig 1885/88. Bd. I.
S. 163.
3 Prinzipien der Histologie. Anat. Anz. Verhandl. Anat. Ges. IIL Vers.
Berlin 1889. S. 48.
i Anat. Hefte. Bd. XXI. 1903. S. 450.
^ Vorlesungen über die Zelle usw. Wiesbaden 1894. S. 95.
6 Bronns Kl. u. Ord. Coelenterata. IL Bd. 2. Abt. 1897. S. 316.
78 Josef Schaff er,
GoDLEWSKi jun.i verweisen. Die äußerst dünnen Membranen dieser
Zellen liegen so dicht aneinander, daß sie an Schnitten, ganz ähnlich
wie im blasigen Gewebe des Krebses, mit dem sie die meiste Ähnlichkeit
besitzen, als einfache Scheidewände erscheinen (Fig. 19 AI). Von einer
Mittellamelle zwischen den blasigen Zellen im Sinne Jickelis konnte
ich nichts sehen. Das Vorhandensein einer solchen ist um so unwahr-
scheinlicher, als es an Material aus Müllers Flüssigkeit gelingt, durch
Streichen der Tentakel mit einer flach aufgelegten Nadel den zelligen
Inhalt auszustreuen, ähnlich wie dies Schwann von der Chordagallerte
beschreibt. Man erhält dann oft ganze Zellgruppen im Zusammen-
hang, während die Scheide als glattwandiger leerer Schlauch zurück-
bleibt. Allseitig geschlossene Zellblasen zu isolieren, gelang mir auf
diese Weise nicht, obwohl diese Isolierbarkeit nach der Angabe der
Autoren außer Zweifel steht.
Das basale Polster mit seinen großen Zellen wird von den kleineren
Zellen der aufsitzenden Tentakel ringsum durch eine dünne Lamelle
getrennt. Die kleinen Kerne der blasigen Zellen sind wandständig
und liegen in einer stärkeren Protoplasmaumhüllung, die als dünnster
Belag die Membran der Zellen bedeckt, ganz ähnlich wie dies beim
Krebs beschrieben wurde.
Die der Chordascheide entsprechende Umhüllung der blasigen
Zellen zeigt eine feine Längsstreifung und ist, entsprechend dieser,
positiv einachsig doppeltbrechend. Bei Zusatz von altem Nelkenöl
kehrt sich diese Doppelbrechung um, wird aber nach Entfernung des
Nelkenöls mit Alkohol wieder hergestellt.
Diese Tentakel besitzen einen hohen Grad von Elastizität; biegt
man sie mit Nadeln unter der Lupe zusammen, so schnellen sie nach
Entfernung der Nadeln sofort wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück.
Die starren Tentakel von Carmarina besitzen eine auffallend dicke,
anscheinend homogene Scheide, ähnlich etwa wie die im nächsten
Abschnitt zu besprechenden Mundeirren von Amyhioxus. Sehr auffällig
ist die starke Basophilie dieser Scheide; sie färbt sich stark mit Dela-
FiELDs Hämatoxylingemisch, aber auch mit Hämalaun und meta-
chromatisch in maximal verdünntem Thionin oder Safranin. Sie
besteht aus zwei ungleich dicken Lagen: einer dünneren, inneren, die
aus feinsten circulär angeordneten Fäserchen besteht und stärker
basophil ist als die dickere, äußere, längsstreifige Lage, an welcher
unmittelbar die Muskeln inserieren.
1 Zur Kenntnis der Regenerationsvorgänge bei Tubularia mesembryan-
themum. Arch. Entwicklungsmech. Bd. XVIII. 1904.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 79
Die feinfaserige Struktur dieser Scheide ist wahrscheinlich durch
eine basophile Kittsubstanz maskiert und nur an Zerzupfungspräpa-
raten nachweisbar. An Schnitten erscheint sie glasartig durchsichtig,
aber ziemlich stark doppelt lichtbrechend, und zwar positiv, entspre-
chend der Faserung. Auch diese Doppelbrechung läßt sich durch Zusatz
von Phenolen umkehren.
Diese Scheide muß in Verbindung mit den großen, blasigen Zellen,
welche sie umschließt, den Tentakeln den hohen Grad von Elastizität
und Festigkeit, der sie auszeichnet, verleihen. Die dünnen Scheide-
wände der fest aneinander gepreßten Zellen erscheinen am Schnitt
wieder wie einfache Membranen, über welche man im Profil die Kerne
vorragen sieht. Diese Kerne sind oft in der Mehrzahl, manchmal in
Gruppen von fünf bis sechs, vorhanden, die wie durch Sprossung ent-
standen aussehen.
Sie liegen in einem zarten, großlöcherigen Protoplasmanetz, das
größtenteils den Zellmembranen anliegt, in feinen Fäden aber auch den
von Flüssigkeit erfüllten Raum der Zellen durchspannt. An Schnitten
aus Müllers Flüssigkeit heben sich die Membranen vielfach als zu-
sammenhängende Häutchen von der Scheide ab. Eine zweifellose
Isolation der Zellblasen ist mir an meinem konservierten Material
nicht gelungen; doch muß ich eine solche mittels entsprechender
Methoden, z. B. denen, welche F. E. Schulze bei den Hydroidpolypen
angewendet hat, voraussetzen.
Der elastische Reifen des Schirmrandes zeigt nun ganz denselben
Bau wie diese Tentakel, nur daß ihm die äußere Lage der basophilen
Faserscheide fehlt, an deren Stelle sich die zarte Gallerte des Schirmes
selbst findet.
Wo ein starrer Tentakel von diesem Randreifen entspringt, gehen
die blasigen Zellen des Reifens, sowie deren stark basophile Scheide
unmittelbar in und auf den Tentakel über; nur tritt sofort auch die
äußere Schicht der Scheide zur inneren hinzu.
An Schrägschnitten durch den Randreifen zeigt er stärker gefärbte,
bandartige Längsstreifen, die teilweise untereinander unter spitzen
Winkeln anastomosieren, die aber mehr den Eindruck einer Pseudo-
struktur infolge der zweifellos vorhandenen Schrumpfung machen.
Ein »Medusenknorpel« im Sinne Haeckels ist demnach
nicht vorhanden; nirgends konnte ich eine stärker entwickelte
Intercellularsubstanz mit in ihr eingeschlossenen, nackten, proto-
plasmatischen Kernen finden. Das Skelet von Cmmarina wird viel-
mehr ausschließlich von einem typischen chordoiden Stützgewebe
80 Josef Schaffer,
gebildet, das zum Aufbau chordaäbnlicher, wohl abgegrenzter Skelet-
stücke — Scliirmreifen, Maiitelspangen und Tentakel — verwendet
erscheint.
Hierher gehört endlich noch jenes Gewebe von Am'phioxus, welches
von manchen Autoren als Knorpel, insbesondere von KlaatschI als
^w^j/woxtts - Knorpel bezeichnet worden ist, wenn auch die Zellen
dieses Gewebes den funktionellen Charakter gespannter Blasen kaum
mehr erkennen lassen.
Es hat zwar schon Eathke^ die Grundlage des Tentakelapparates
als »Mundknorpel« bezeichnet und Jon. Müller ^ sie geradezu mit
den Knorpelfäden in den Kiemenblättern der Fische verglichen; trotz-
dem sind die verschiedensten Anschauungen über das, was man bei
dmphioxus als » Knorpel « zu betrachten habe, geäußert worden. Ohne
mich auf eine erschöpfende geschichtliche Darstellung der Frage ein-
zulassen, erwähne ich, daß Kathke und Jon. Müller auch die Kiemen-
stäbe als knorpelig bezeichnen. Ray Lankester* hat jenes galler-
tige, von Fasern und zelligen Röhren durchzogene Gewebe, das sich
in der Haut besonders mächtig entwickelt, im Bereiche der Peri-
branchialfalten findet und sich mit Hämatoxylin färbt, für eine Art
Knorpel gehalten.
Klaatsch ^ wiederum bezeichnet die Inhaltsmasse der ■ Mund-
tentakel als einen zelligen Knorpel, der direkt mit dem Cyclostomen-
knorpel zu vergleichen sei und hebt zuerst die ganz intensive Färb-
barkeit der Hülle oder »Achsenscheide« mit Hämatoxylin hervor.
Nicht ganz in Übereinstimmung mit dieser Deutung scheint es mir
zu stehen, wenn Klaatsch gleichzeitig die auffallende Ähnlichkeit
des Gewebes mit dem der Chorda von Ämphioxus betont, eine Ähnlich-
keit, die bereits Quatrefages*^, Stieda", Rolph^ und Schneider ^
1 Über den Bau und die Entwicklung des Tentakelapparates des Am-
'phioxus. Verhd. Anat. Ges. 12. Vers. Kiel 1898.
2 Bemerkungen über den Bau des Amphioxus lanceolatus. Königsberg 1841.
3 Über den Bau und die Lebenserscheinungen des Branchiostoma lubri-
cum usw. Abhdl. K. Akad. Wiss. Berlin 1842. 1844.
* Contributions to the knowledge of Amphioxus lanceolatus. Quart. Journ.
Micr. Sc. Vol. XXIX, 1889.
5 1. c.
G Ann. Sc. Natur. Ser. III. (Zool.) Vol. IV. 1845.
■^ Mein, de l'Acad. imper. des sc. de St. Petersbourg. VII. Ser. T. XIX.
1873. Nr. VII. p. 27.
8 Morph. Jahrb. Bd. II. 1876. S. 101 u. f.
ä Beiträge zur vergl. Anatomie und Entwicklungsgesch. der Wirbeltiere.
Berlin, Reimer, 1879. S. 10.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 81
hervorgehoben haben und die nach der Schilderung, welche Klaatsch
vom Cirrengewebe gibt, noch größer wäre, als sie in der Tat ist. Er
beschreibt es (bei jungen Stadien) nämlich als » einfache Zellsäulen,
deren Elemente durch genau zur Längsachse gestellte zarte Septen
geschieden sind .... Die Zellsepten gehen außen in eine der ganzen
Zellsäule gemeinsame, aus gleicher Substanz gebildete Hülle über. . .
Beim erwachsenen Tier erscheinen die Zellen bedeutend in die Länge
gewachsen, die Septen vielfach geknickt, gleichsam zerknittert und
der Zelliiihalt durch einen Vacuolisierungsprozeß aufgehellt.«
Wie ich zeigen werde, gibt es zwischen den Zellen des Tentakel-
gewebes solche Septen, die etwa den dünnen, homogenen Chordaplatten
des Tieres (v. EbnerI) entsprechen würden, nicht; aber Klaatsch war
in keinem Falle berechtigt, dieses Gewebe als Knorpel zu bezeichnen,
da einerseits die Ähnlichkeit mit dem »Zellknorpel der Cyclostomen«
nicht vorhanden ist, anderseits die »nahen genetischen Beziehungen
von Knorpel- und Chordagewebe« nicht genügen, um ein chorda-
ähnliches Gewebe als »Knorpel« hinzustellen.
Joseph 2 hat sich sowohl gegen die Auffassung von Ray Lan-
KESTER als gegen die von Klaatsch gewendet. Gegen ersteren be-
merkt er, daß die von ihm für Knorpel gehaltene Substanz durch ihre
Konsistenz vom Knorpel grundverschieden ist und auch nach ihrer
Verteilung im Körper keinerlei Beziehungen zu demselben zeigt.
Klaatsch gegenüber betont er, daß der Bau des Tentakelinhaltes mit
seinen großen Vacuolen nicht die Bezeichnung Knorpel rechtfertige;
vielmehr erinnere derselbe an die merkwürdigen Stützvorrichtungen
bei vielen Wirbellosen, z. B. an die soliden, aus einer Zellreihe be-
stehenden Tentakelachsen der Hydroidpolypen.
Dagegen schildert Joseph in dem von ihm beschriebenen Halb-
cylinder der Mundtentakel, in den Kiemenstäben und Velumzacken
ein zellenloses, fibrilläres Gewebe, welches durch eine intensive Färb-
barkeit mit Pikrinsäure ausgezeichnet ist; dieses Gewebe faßt er als
zellenloses Vorstadium des zelligen Knorpels der Cranioten auf. Wenn
man nun auch mit Joseph in dem zellenlosen Zustande dieses »Am-
'phioxus-ls.novjieh « ein » phylogenetisches Stadium « erblicken wollte,
so muß doch betont werden, daß auch bei den niedersten Wirbel-
tieren, den Petrom3^zonten, kein Knorpelgewebe vorkommt, welches
I Über den Bau der Chorda dorsalis des Amphioxus lanceolatus. Sitzb. K.
Akad. Wiss. Wien. Bd. CIV. Abt. III. Okt. 1895.
- Beiträge zur Histologie des Amphioxus. Arbeit. Zool. Inst, zu Wien.
T. XII. Hft. 2. 1. Febr. 1900.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 6
82 Josef Schaffer,
ursprünglich oxyphil und fibrillär gebaut wäre; denn selbst der soge-
nannte harte Knorpel der Cyclostomen besitzt nur oxyphile Höfe, welche
aus einem zunächst basophilen Vorstadium entstehen. Ausschließlich
deshalb jedoch, weil die Kiemenbogen als Homologa der Kiemenstäbe
des Amphioxus bei höheren Tieren tatsächlich aus echtem Knorpel
bestehen, auch das Gewebe dieser Kiemenstäbe so zu bezeichnen,
widerspricht den histologischen Erfahrungen, welche uns lehren, daß
für die Natur eines Gewebes nicht seine organologische Verwendung,
sondern nur seine Funktion maßgebend ist. Als Beweis dafür sei auf
eine ganze Reihe von Organen hingewiesen, welche bei verschiedenen
Tieren aus den verschiedensten Bindesubstanzen (fibrösem Gewebe,
blasigem Stützgewebe, Knorpel, Knochen) aufgebaut sein können i.
Ich halte die von Joseph zusammengefaßten zellenlosen Gewebe
nur für besondere Verdichtungen des fibrillären Bindegewebes, eine
Anschauung, die für die Kiemenstäbe von Rolph ^ schon bestimmt
ausgesprochen wurde.
Van Wijhe ^ scheint das Skelet der Velartentakel und Kiemen-
stäbe für elastische Substanz zu halten und gibt an, daß es mit »Wei-
GERTs Kresof uchsin « die charakteristische Blauschwarzfärbung jener
gäbe. Auch bestätigt er die auffallende Pikrophilie und fügt in der
Anmerkung (S. 26, Anm. 2) hinzu, daß das Gewebe mit Knorpel auch
Anilinfarben gegenüber keine Ähnlichkeit zeige. Dagegen entwickelt
Van Wijhe über das, was beim Amphioxus als Korpel anzusehen ist,
eine ganz eigne Auffassung: der einzige Knorpel, welchen Amphioxus
besitzt, ist im Skelet der Girren vorhanden, dessen Struktur mit seinen
geldrollenähnlich angeordneten platten Zellen, die von einer dicken,
glashellen Hülle umgeben sind, an diejenige der knorpeligen Visceral-
bogen von Teleostierlarven erinnert. Während jedoch Klaatsch das
Hauptgewicht auf den zelligen Inhalt gelegt hat, ist es bei Van Wijhe
die glashelle Hülle im Cirrenskelet, die aus hyaliner Knorpelsubstanz
besteht; er findet die Ähnlichkeit mit dem Chordagewebe unwesentlich.
»Ich finde nämlich bei in Formol fixierten Tieren — andre habe ich
in dieser Hinsicht nicht untersucht — , daß die glashelle Hülle des
Cirrenskeletes, nicht die Chorda oder deren Scheide, auf mit Bismarck-
braun ganz kurze Zeit gefärbten Schnitten tiefbraun wird. Mit Alaun-
1 Man vgl. hierzu meine Mitteilung : »Anatomisch-histolog. Untersuchungen
über den Bau der Zehen usw. Diese Zeitschr. Bd. LXXXIII. 1905. S. 268.
2 1. c. S. 125.
3 Beiträge zur Anatomie der Kopfregion des Amphioxus lanceolatus. Petrus
Camper. 1. Jahrg. 1901.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 83
hämatoxylin wird sie tiefblau, und mit Safranin zeigt sie die für Knorpel
charakteristische Orangefärbung. « Auch mit Methylenblau färbt sich
die Knorpelhülle, während das wabige innere Zellengerüst farblos
bleibt. »Die Struktur des Knorpels ist also eigentümlich, indem die
Zellen in der Achse des Skeletstabes nicht ringsum eine Knorpelkapsel
abscheiden, sondern nur eine gemeinschaftliche, äußere kernlose Knor-
pelhülle liefern. «
Wie Joseph, würde also auch Van Wijhe ein zellenloses Gewebe
als )>Äniphioxus-Knov])e\« hinstellen; nur wäre die Knorpelnatur dieses
Gewebes durch seine Basophilie noch wahrscheinlicher gemacht. Die
Natur dieser Basophilie müßte allerdings erst genauer untersucht
Averden; nach A. Schneider ^ verhält sich die Gallertsubstanz gegen
Karmin und Säuren ganz wie die glashelle Hülle der Girren, und nach
Joseph ^ färbt sich auch das Gallertgewebe mit Hämatoxylin ähnlich
wie Knorpelgrundsubstanz.
Aber selbst, wenn die Basophilie der Tentakelscheide mit jener
von Knorpel vollkommen übereinstimmen sollte — was in der Tat,
wie gezeigt werden soll, der Fall ist — , könnte ich mich der Auffassung
Van Wijhes nicht anschließen, weil es mir nicht zulässig erscheint,
bei der Beurteilung des histologischen Charakters dieses Gewebes,
die Matrixzellen desselben, welche wir in der centralen Zellsäule zu
sehen haben, außer acht zu lassen.
Amfhioxus besitzt eben, wie schon Stieda (1. c.) und dann
M. Jaquet^ ausdrücklich betonen, kein echtes Knorpelgewebe, sondern,
nach meiner Anschauung, ein chordoides Stützgewebe, welches aller-
dings zweckmäßig modifiziert erscheint, um die Funktionen eines
Knorpelgewebes auszuüben.
Es kann nicht bezweifelt werden, daß bei Amphioxus das eigen-
tümliche Gewebe, welches dem Tentakelapparat zur Stütze dient,
dem Knorpelgewebe der höheren Tiere homolog ist. Der feinere Bau
dieses Gewebes, welcher im allgemeinen aus den vorstehend angeführten
Schilderungen erhellt, rechtfertigt jedoch nur sehr oberflächlich einen
Vergleich mit Knorpel (Rathke, Joh. Müllre, Klaatsch, Van Wijhe),
sondern läßt sich ungezwungen auf die Verhältnisse des chordoiden
Stützgewebes zurückführen.
1 1. c.
2 1. c. S. 111. Daß auch schon A. Schneider diese Angabe gemacht haben
soll, wie Joseph sagt, kann ich nicht finden.
3 Vogt u. Yung, Lehrbuch der prakt. vergl. Anatomie, II. Bd. 1889/94.
S. 335.
6*
84 Josef Schaff er,
Allerdings sind die Zellen in der Achse der Skeletstücke mehr oder
minder stark zusammengedrückt, so daß letztere im Profil gesehen
ein geldrollenartiges oder querstreifiges Ansehen darbieten, wie es ja
auch die Chorda z. B. bei Ammocoetes oder Froschlarven im äußersten
Schwanzende zeigt; das betrifft aber hauptsächhch nur die (dünneren)
Girren.
In den größten Gliedern des Cirrenträgers zeigen die Zellen ein
unregelmäßig blasiges Aussehen, ähnlich, wie es Joseph i in seiner
Fig. 15 wiedergegeben hat; nur finde ich die Zellwände viel starrer
und glänzender, als es dort dargestellt erscheint. Der Durchschnitt
eines solchen Sketetstückes (Fig. 20) erinnert dann viel mehr an eine
typische Chorda, als an die des Amphioxus selbst. Der ganze zellige
Inhalt zeigt sich an Schnitten durch fixierte Objekte manchmal von
der umhüllenden Scheide auf größere Strecken losgelöst; auch gelingt
es an in Mülleks Flüssigkeit, 70%igen Alkohol, aber auch in Sublimat
fixierten Cirren leicht den zelligen Inhalt als zusammenhängende Säule
aus der Hülle zu isolieren, so daß ein kontinuierlicher Zusammenhang
besonderer intercellularer Septen mit der Scheide (Klaatsch) sehr
unwahrscheinlich ist.
An Schnitten kann jedoch dieser Eindruck leicht durch die eigen-
tümliche Form der Zellen entstehen; diese kann aber nur an isolierten
Zellen richtig beurteilt werden. Die Isolation gelingt ähnlich wie bei
der Chorda an Objekten aus MüLLERscher Flüssigkeit.
An solchen isolierten Zellen (Fig. 21) sieht man, daß es sich größten-
teils um hornige Plättchen mit aufgesetzten Hippen und Flügeln handelt,
welche letzteren im optischen Durchschnitt wie glänzende Fasern
oder Streifen erscheinen. Die größeren dieser Zellen (im Cirren träger)
zeigen kleinere und größere, aber ganz unregelmäßige, blasige Auf-
treibungen, welche in flügeiförmige, mit Rippen besetzte und aus-
gefransten Rändern versehene Platten übergehen. Ich kann mich
daher nicht der Ansicht von Joseph anschließen, daß die Wände der
Zellen auch im erwachsenen Zustande noch protoplasmatisch sind.
Daß RoLPH in den Zellwänden faserige Differenzierungen beschrieben
hat, wie Joseph 2 angibt, habe ich nicht finden können (er spricht
nur von einer zarten Querstreifung am Querschnitte); doch würden
sie als der Ausdruck der aufgesetzten Rippen und Flügel ihre Erklärung
finden. Rippen und Flügel stehen der Hauptsache nach senkrecht
1 Einige anatomische und histologische Notizen über Am'phioxus. Arbeit,
zool. Inst. Wien. T. XIII. Hft. 2. 1901.
2 1. c. >S. 20.
über den feineren Bau u. die Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 85
zur Längsachse der Skeletstücke und verleihen diesen in der Total-
ansicht oder an Längsschnitten das querstreifige Ansehen.
Die Zellen haben hier also größtenteils ihre funktionelle Bedeutung
verloren, weil diese auf die umhüllende Scheide übergegangen ist.
Etwas ähnliches sehen wir bei der Chorda der höheren Selachier, bei
denen die Zellmembranen verschmelzen und durchbrochen werden;
ich verweise hierzu auf das S. 13 Gesagte.
Die Hülle oder Scheide, welche die Zellen in den Mundeirren bei
Amfhioxus umschließt, erreicht im Verhältnis zur geringen Dicke der
Skeletstücke eine auffallende Mächtigkeit, welche sie in Verbindung
mit ihrer Konsistenz befähigt, die stützende Funktion zu übernehmen.
Wie man an Isolationspräparaten und Querschnitten der mäch-
tigsten Basalglieder sehen kann, besteht diese Hülle aus zwei Lagen:
einer dicken, inneren (Fig. 20 ßÄ) und einer dünnen, äußeren^ {OS).
An den Girren ist umgekehrt die letztere stärker entwickelt und
die innere gegen das sich verjüngende Ende hin kaum wahrnehmbar,
wenn sie nicht mit einem basischen Farbstoff gefärbt wurde. Die
innere Lage erscheint an in Lack eingeschlossenen Präparaten homogen
(»elastische Scheide« A. Schneider »giashelle Hülle« Van Wijhe)
und färbt sich auffallend stark mit Hämatoxylin (Klaatsch, Joseph),
Toluidinblau (Joseph), Bismarckbraun , Methylenblau, metachroma-
tisch mit Safranin (van Wijhe), ebenso mit Thionin aus maximal
verdünnter Lösung; sie färbt sich aber auch, was ich besonders be-
tonen möchte, mit Hämalaun. Dieses Verhalten spricht, wie ich an
andrer Stelle 2 ausgeführt habe, sehr dafür, daß die Scheide eine chon-
dromucoide Kittsubstanz enthält. Diese Annahme wird noch wahr-
scheinlicher gemacht dadurch, daß sich die Scheide auch mit allen
empfindlichsten Knorpelfärbungen, über die wir heute verfügen, stark
und electiv färbt, so mit dem sauren Toluidinblau nach Lundvall,
mit dem sauren Methylenblau nach Hansen und mit stark alkoholischer,
salzsaurer Lösung von Thionin (Thionin 0,25, 96% Alkohol 100, Salz-
säure 1).
Trotz dieser vollkommenen und ganz auffallenden färberisclien
Übereinstimmung der Scheide mit typischem Hyalinknorpel, möchte
ich es dahingestellt sein lassen, ob der Gehalt an Chondroitinschwefel-
säure diese charakteristische BasophiUe der Scheide bedingt. Dies
müßte die chemische Untersuchung lehren, die mir nicht unmöglich
scheint. Offenbar bedingt aber diese basophile Kittsubstanz, wie das
1 Vgl. A. Schneider 1. c. Taf. XIV, Fig. 6.
2 Anat. Anz. Bd. XXIII. 1903. S. 527 u. f.
36 Josef Schaffer,
Chondromucoid im Knorpel, eine Versteifung der Scheide und ist wohl
auch der Grund dafür, daß, wie schon A. Schneider gezeigt hat, letztere
ffegen Essigsäure, selbst beim Kochen widerstandsfähig ist. Wie man
sich an Isolationspräparaten aus Müllers Flüssigkeit und Alkohol,
nach Joseph an mittels Cochenillealaun oder Boraxkarmin gefärbten
Schnitten überzeugen kann, zeigt diese Scheide eine deutlich circuläre
Faserung, was schon Rolph angibt. Umgekehrt ist die äußere Lage
deutlich längsgefasert, oxyphil und an den dicken Basalgliedern, die
sie ununterbrochen, die Zwischenräume zwischen ihnen überbrückend,
verbindet, von einer Keihe kleiner Kerne belegt. Sie muß also als von
außen aufgelagert betrachtet werden, während die innere, basophile
Schicht als Produkt der chordoiden Zellen aufzufassen ist.
Die längsfaserige Außenschicht besitzt an den Basalgliedern nur
eine geringe Entwicklung, ist aber in Gestalt einer dünnen Membran
auch zwischen den Basen der Cirren ausgespannt, so daß sie diese
etwa wie eine Schwimmhaut die Zehen verbindet i. An den freien
Cirren erreicht die Längsfaserschicht eine beträchtliche Mächtigkeit,
so daß sie gegen das Ende zu die innere, circuläre bedeutend an Dicke
übertrifft. Besonders auffallend ist dieses Verhalten, wenn man den
Tentakelapparat mit dem polarisierenden Mikroskop untersucht, da
hierbei an den freien Cirren die Längsfaserschicht aliein wirksam zu
sein scheint. Sie zeigt eine stark positive Doppelbrechung mit der
optischen Achse in der Längsrichtung der Cirren gelegen, während der
zellige Inhalt bei dieser Stellung negativ wirkt; die innere circuläre
Lage kommt optisch gar nicht zum Ausdruck. Orientiert man also
einen Cirrenstab zwischen gekreuzten Nikols über einer Gipsplatte
Rot /. 0. parallel zur Additionsrichtung, so erscheinen die beiden
Oberflächenstreifen der Scheide intensiv blau, der Inhalt gelblich.
Nach diesen Bildern könnte man glauben, daß der Cirrus eine andre
Scheide als die längsfaserige überhaupt nicht besitzt. Bringt man
jedoch den Cirrenträger in dieselbe Stellung, so folgt auf die ober-
flächliche blaue Schicht eine, diese an Breite übertreffende optisch
nahezu neutrale, also in allen Azimuthen die Farbe des Gipsgrundes
1 Belage und Herouard (Traite de Zool. concr. T. VIII, 1898. p. 85)
erwähnen diese Einrichtung kurz als » palmature «. Van Wijhe (1. c. S. 22) be-
zeichnet die Membran als »Fascie, die den inneren und äußeren Lippenmuskel
trennt« und bildet sie wiederholt am Querschnitte (Fig. 4 u. 8), sowie von der
Fläche in Fig. 7 ab. Mechanisch muß man dieser Einrichtung eine große Be-
deutung für das Tier zusprechen, da sie die Wirkung des Cirren apparates zu der
einer kräftigen Flosse gestaltet.
über den feineren Bau ii. d. Entwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 87
zeigende; das ist die innere circuläre Schicht. Diese ist in Wirklichkeit
nicht optisch neutral ; ihre geringe, in Radien senkrecht zur Oberfläche
des Cylinders positive Doppelbrechung kann infolge der circulären
Anordnung der Fibrillen nicht zur Geltung kommen.
Behandelt man einen Cirrus mit Salizylaldehyd, dann erscheint
die positive Doppelbrechung in der äußeren Scheide umgekehrt, während
die des zelligen Inhaltes unverändert bleibt; es herrscht hier demnach
ganz dasselbe Verhalten, wie es v. Ebner für die Chordascheide und
ihren Inhalt nachgewiesen hat.
Kurz zusammengefaßt haben wir im Tentakelapparat von Am-
'phioxus ein chordoides Stützgewebe vor uns, bei dem die Scheide, welche
durch eine, wahrscheinlich chondromucoide Kittsubstanz versteift er-
scheint, die stützende Funktion übernommen hat, während die Zellen
ihre funktionelle Gestalt größtenteils eingebüßt haben, aber noch
isolierbar geblieben sind.
Zum Schlüsse sei mir noch die Bemerkung gestattet, daß ich weit
davon entfernt bin, zu glauben, eine erschöpfende Darstellung des
blasigen Stützgewebes von chordoidem Typus gegeben zu haben.
Hier galt es nur nachzuweisen, daß die Chorda dorsalis weder dem
Knorpel- noch dem Epithelgewebe zugerechnet werden kann, sondern
der typische Repräsentant einer weit verbreiteten und formenreichen
Gewebegruppe ist, deren ausgesprochen mechanische Bedeutung und
Rolle auf der Verwendung von großen, blasigen Zellen mit wider-
standsfähigen, durch Turgordruck gespannten Membranen beruht.
Sicher ist vielen Zoologen das Vorkommen von blasigen Zellen
ähnlicher Form und Bedeutung an manchen Stellen bei andern Wirbel-
losen bekannt. So sind vielleicht die sogenannten »Blasenzellen« im
Parenchym der Trematoden hierher zu rechnen, von denen Schwarze i
und Walter 2 übereinstimmend annehmen, daß die Turgescenz der
blasenförmigen Zellen wesentlich ist zur Erhaltung der Spannung der
Haut.
Von besonderem Interesse scheint mir der Hinweis von Chun ^
zu sein, daß auch das Ectoderm ähnliche, nur durch ihre enorme Größe
1 Die postembrjonale Entwicklung der Trematoden. Diese Zeitschr.
Bd. XLIII. 1885/86. S. 59.
~ Untersuchungen über den Bau der Trematoden. Ebendort, Bd. LVI.
1893. S. 204.
3 Zur Morphologie der Siphonophoren. Zool. Anz. Bd. X. 1887. S. 529
und Bronns Kl. und 0. 1. c. S. 307 u. f.
88 Josef Schaffer,
auffallende blasige Stützzellen bilden kann. So z. B. bei einigen Physo-
phoren, wo sie im Umkreis des Lufttrichters ein elastisches Polster
bilden. »Auf den Nesselköpfen der Chalicophoriden und vieler Physo-
phoriden treten gleichfalls Ectodermzellen von ungewöhnlichen Dimen-
sionen auf, welche die Rolle von Stützzellen spielen. «
Wir sehen also, daß alle drei Keimblätter Elemente liefern, welche
sich zu der gleichen, gegenseitig bedingten, Funktion und Form diffe-
renzieren können; mit andern Worten: Die Funktion eines Gewebes —
und was hier von der mechanischen gezeigt wurde, gilt bis zu einem
gewissen Grade von der physiologischen Funktion im allgemeinen —
ist nicht unbedingt gebunden an die histogenetische Abstammung.
Diese Bemerkung scheint mir bei der heute noch immer herrschenden
Ansicht von der unbedingten Spezifität der Keimblätter nicht über-
flüssig zu sein.
Wien, im Mai 1910.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I.
Fig. 1. Durch Zerzupfen mit Nadeln isolierte Zellen der in ^/2%iger Über-
osmiumsäure gehärteten Chorda dorsalis von Ammocoetes. K, Kern einer Zelle.
Vergr. 500.
Fig. 2. Isolierte blasige Stützzellen aus dem Mantelgewebe von Limnaea
stagnalis. a. aus ^/2%igeY Osmiumsäure, ungefärbt in Glyzerin- Wasser, b. aus
MüLLERscher Flüssigkeit mit Hämalaun-Kongorot gefärbt. M, Membran ; 31', Riß-
rand dieser; K, vvandständiger Kern mit dem umgebenden Protoplasma. Vergr. 500.
Fig. 3. Schnitt durch blasiges Stützgewebe aus dem Mantel einer Paludina
vivipara (Juli). Formalin, Delafields Hämatoxylingemisch-Eosin. BZ, chor-
doide, blasige Stützzellen; KZ, Kalkzellen; Z, Zwischengewebe mit Pigment.
Vergr. 110.
Fig. 4. Zwei blasige Stützzellen und eine Kalkzelle (KZ) desselben Ob-
jekts bei 500 f acher Vergr. 31, Membran der chordoiden, blasigen Stützzellen;
K, Kern; P, centrales Protoplasmaklümpchen mit Pigmentkörnchen, von dem
Protoplasmafäden zur Membran gehen; 31', Membran der Kalkzelle; K, Kern
dieser, umhüllt von einer Anzahl konzentrischer, verknitterter, stark blau gefärbter,
häutchenartiger Bildungen J.
Fig. 5. Blasiges Stützgewebe aus dem Mantel einer im November ge-
fangenen Paludina, fast ausschließlich aus Kalkzellen bestehend. Zupf präparat aus
l%iger Osmiumsäure in Glyzerin-Wasser. Die Kalkzellen zeigen leichte Lösungs-
erscheinungen ihres Inhaltes, so daß die Membran 31 deutlich sichtbar wird.
Der Kalkkern K zeigt vielfach eine grubige Oberfläche, K', oder ein radiär und
konzentrisch gestreiftes Aussehen, K". Vergr. 110.
über den feineren Bau u. die Eiitwickl. d. Knorpelgewebes usw. III. 89
Fig. 6. Kalkzellen aus dem Mantelgewebe von Paludina vivipara bei 500-
f acher Vergr. a — c, frisch nach Behandlung mit l%iger Osmiumsäiire in Glyzerin-
Wasser untersucht; d — /, aus Celloidinschnitten des in Formalin fixierten Ge-
webes mit Delafields Hämotaxylingemisch-Eosin gefärbt, a, beginnende Lösung
der Kalkraasse ; die Mitte O ist bei hoher, der radiär gestreifte Rand bei mittlerer
Einstellung gezeichnet; M. Zellmembran; b, scheinbar leere Membran, innerhalb
welcher aber noch schattenhaft eine Rindenzone R sichtbar ist; c, leere Mem-
bran mit stark glänzendem Inhaltskörper J; d, stark blau gefärbte und radiär
gestreifte Rindenzone; in der centralen Höhle ein schwächer blau gefärbter Rest;
e, deutliche konzentrische Schichtung und schwache radiäre Streif ung; /, radiäre
Streifung und Zerklüftung bis auf einen centralen Kern K.
Fig. 7. Blasiges Stützgewebe vom Flußkrebs. Formalin, Hämalaun;
Paraffinschnitt. M, Zellmembran von der Fläche; K, Kern; T, Trägersubstanz.
Vergr. 365.
Fig. 8. Aus einem Durchschnitt durch den Mantel einer Ascidia mammil-
laris. Pikrinsublimat. Hämalaun. B, leere Zellblasen verschiedener Größe;
Z, protoplasmatische Zellen; G, Grundsubstanz; S, dünne Scheidewand zwischen
zwei Blasen; bei S' gefaltet; l, Stauchungslinien. Vergr. 150.
Fig. 9. Querschnitt durch einen Teil der seitlichen Hälfte des arachnoi-
dalen (perimeningealen) Füllgewebes eines 19 cm langen Ammocoetes. Pikrin-
sublimat, Van Giesons Färbung. D, dorsale, äiißere, der Dura vergleichbare
Faserschicht; P, der oberflächlichen Gliahülle unmittelbar anliegende, der Pia
entsprechende Faserschicht, g, schleimhaltige Grundsubstanz mit bindegewebigen
Häutchen; b, collagenen Bündelchen, z, ästigen Bindegewebszellen, BZ, großen
Blasenzellen. Vergr. 500.
Fig. 10. Eine durch Zerzupfen mit Nadeln isolierte blasige Zelle aus dem
arachnoidalen Füllgewebe eines in MÜLLEBscher Flüssigkeit gehärteten Ammo-
coetes. M, doppeltkonturierte Membran; R, Rindenschicht des Protoplasmas;
P, Protoplasmastränge, welche den Kern K und das ihn umgebende Protoplasma
mit der Rindenschicht verbinden; F, Fetttropfen. Vergr. 557.
Fig. 11. Eine Partie des arachnoidalen Füllgewebes von der Decke des
vierten Ventrikels eines 19 cm langen Ammocoetes. Querschnitt. Pikrinsubl.
VAN GiEsoNs Färbung. Vergr. 500.
Fig. 12. Blasiges Stützgewebe der Chorioidea von Petromyzon marinus.
g, die äußere Grenze gegen den Blutraum zwischen Chorioidea und Sclera; BZ,
blasige Zellen; P, Pigmentzellen zwischen diesen; B, Bindegewebsbündelchen.
Vergr. 110.
Fig. 13. Zwei einzelne Zellen dieses Gewebes mit verschiedenen Formen
von Glykogenresten. a, mit homogener, wie zersprungener, die ganze Zelle aus-
füllender Masse; b, mit zahlreichen Kügelchen. Ä", Kern. Vergr. 500.
Tafel II.
Fig. 14. Ein RENAUTsches Knötchen aus einem Ast des N. plantaris
vom Hingerichteten. Zenkebs Fl., Delafields Häm.-Eosin. P, Perineurium;
N, Nervenfasern; B, blasige Zellen; L, konzentrische Lamellen um diese. Vergr. 110.
Fig. 15. Gekammerte Blasenzellen aus dem oberflächlichen Endoneurium
des N. facialis vom Pferd. Müllees Flüss.
Fig. 16. Gewebe des Sinuskissens eines Tasthaares der weißen Ratte.
90 Josef Schaffer, Über d. feineren Bau u. d. Entw. d. Knorpelgewebes nsw. III.
Aus einem Querschnitt des in ^/2%iger Osmiumsäure fixierten Haares. Binde-
gewebsfärbung nach Mallory. K, Kern; Z, durchsichtiger Zellkörper; F, Binde-
gewebsfaserbündel ; M, Grenzmembran gegen den Ringsinus; B, rote Blutkörper-
chen dieses Sinus. Vergr. 500.
Fig. 17. Isolierte Zellen aus dem lumbalen Gliawulst; a und h eines fast
reifen Taubenembryo, Pikrinsublimat ; c und d von der erwachsenen Taube, i/2%ige
Osmiumsäure durch 24 Stunden. Beide nach Färbung mit Hämalaun-Eosin in
Glyzerin-Wasser zerzupft. Vergr. 500.
Fig. 18. Eine Partie aus dem intervertebralen Chordasegment (dem achten
von der Schwanzspitze an gerechnet) einer 1 Jahr alten weißen Maus. Zenkers
Fl., Delafields Häm.-Eosin. M, Zellmembran; K, wandständiger Kern; P,
Protoplasmastränge zwischen den extrahierten Glykogentropfen. Vergr. 500.
Fig. 19. Blasiges Stützgewebe aus dem massigen, basalen Tentakelträger
von Tubuluria mesembryanthemum. Sublimat, Hämalaun-Eosin. 31, Zellmem-
branen; K, wandständiger Kern; P, Protoplasma (Plastin)-Stränge. Vergr. 365.
Fig. 20. Aus einem sagittalen Längsschnitt durch einen Skeletstab des
Cirrenträgers von Amphioxus (4,5 cm langes Exemplar, Neapel). Pikrinsublimat,
Hämalaun-Eosin. ZE, geschlossene Enden der blasigen Zellen; K, Kerne der
Zellen; BS, basophile; OS, oxyphile Scheide. Vergr. 720.
Fig. 21. Drei isolierte Zellen aus einem Skeletstabe des Cirrenträgers von
Amphioxus nach Härtung in Müllers Flüssigkeit. Färbung mit Eosin, Unter-
suchung in Glyzerin-Wasser. Bei I vollständig isolierte blasige Zelle mit Druck-
facetten; bei // zwei noch leicht zusammenhängende Zellen. E, ausgefranstes
Ende; K, Kern. Vergr. 720.
Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren.
Von
Walther Kolmer.
(Aus dem Institut für Anatomie und Physiologie der Hochschule
für Bodenkultur in Wien.)
Mit Tafel III.
Vor etwa Jahresfrist machte ich die merkwürdige Beobachtung,
daß das Auge von Pteropus medius in seinem Bau sich in auffallender
Weise von den Augen der andern Säuger, ja aller Wirbeltiere über-
haupt, unterscheidet, und habe in einer kurzen Notiz die Physiologen
auf diese Tatsache aufmerksam gemacht. Seither habe ich mich nach
Kräften bemüht, zu erfahren, ob überhaupt irgend ein andres Auge
einen ähnlichen Bau zeige. Es scheint sich aber herauszustellen, daß
dies nicht der Fall ist, und daß also das Auge der Macrochiropteren
einen ganz besonderen und alleinstehenden Typus darstellt. Dieses und
die Gelegenheit, einen Pteropus neuerdings längere Zeit zu beobachten
und seine Augen nach bester Konservierung zu untersuchen, recht-
fertigen es wohl, dieses Auge genauer zu schildern.
Das Tier, welches ich beobachtete, war ein offenbar ausgewachsenes
männliches Exemplar von Pteropus medius. Das Tier wurde etwa
2 Monate im Zimmer gehalten und war vollkommen zahm, fraß Apfel
aus der Hand und war gewohnt, seinen Käfig manchmal zu verlassen
und selbst wieder die Stange, an der es darin hing, aufzusuchen. In
seinem Verhalten war eigentlich von Lichtscheu keine Rede, wenn
ihm auch direktes Sonnenlicht oder eine nahegehaltene elektrische
Lampe unangenehm schien. (Übrigens zeigen auch viele Microchiro-
pteren dieses Verhalten, so sah ich täglich die Fledermäuse [Vesperugo
pipistrellus] in Neapel bei hellstem Sonnenschein kurz nach Mittag
fliegen und auch oft mit vielen Wolframlampen versehene Kronleuchter
umkreisen.)
92 Walt her Kolmer,
Das Tier scliien sehr gut bei normaler Zimmerbeleuchtung zu
sehen.
Es folgte bei Annäherung des Beobachters oder eines Gegenstandes
mit Aufmerksamkeit seinen Bewegungen. Es kletterte, wie dies ja
bekannt ist, sehr geschickt herum und orientierte sich offenbar auch
bei hellem Licht gut mit den Augen. In unbequeme Lage gebracht,
faßte es rasch in der Nähe befindliche Gegenstände, und auf den Boden
gelegt, kroch es direkt auf Stuhlbeine, Kastentüren usw. zu, um sofort
an diesen emporzuklettern.
Die Pupille war dabei stets stecknadelgroß, auch bei der schwäch-
sten Beleuchtung, bei der sie sichtbar war, kaum merklich größer. Eine
accommodative Veränderung war daran nicht nachzuweisen.
Da es von Interesse war, zu wissen, ob die eigentümliche Netzhaut
im Spiegelbilde Besonderheiten zeigen würde, hatte Herr Frivatdozent
Dr. Sachs die Liebenswürdigkeit, das Tier zu untersuchen. Es zeigte
sich nach seiner Aussage ein grauschwarzer, chagrinierter, keinerlei
Differenzierung bietender Augenhintergrund, in dem keine Gefäße zu
sehen, nur die Papilla Nervi optici deutlich zu erkennen war. Das
Tier schien emmetrop zu sein. Die A tropin Wirkung war eine recht
starke und hielt trotz der geringen Dosis (1 Tropfen 1 : 1000) an beiden
Augen mehrere Tage, an dem atropinisierten über 8 Tage an. Dabei
war das Tier etwas lichtscheu.
Behufs Konservierung wurde das Tier mit Äther narkotisiert;
der eine Bulbus wurde exstirpiert, mit Osmiumdämpfen, dann mit
2%iger Osmiumsäure behandelt, schließlich in 4%iges Formalin
gebracht. Teile dieses Bulbus wurden mit Wasserstoffsuperox^^d
depigmentiert. Das Tier wurde dann von der Aorta aus mit körper-
warmer KiNGERscher Lösung durchspült, und nachdem aus dem rechten
Herzen die Lösung farblos auslief, mit Kaliumbichromat-Formol-Eis-
essig injiziert, einer Lösung, die nach meiner Erfahrung bei gleichzeitiger
guter Erhaltung der topographischen Verhältnisse am raschesten gleich-
mäßig alle Gewebe durchdringt und bei Anwendung der Beizfärbungen
die Differenzierung feinerer Zellstrukturen mehr ermöglicht als alle an-
dern mir bekannten Fixierungsmethoden. Der so fixierte zweite Bulbus
wurde nach 4 Wochen aus der Fixierungsflüssigkeit genommen, 1 Tag
in 5%ige Lithiumsulfatlösung gelegt, um Quellungen des Bindegewebes
zu vermeiden, dann in fließendem Wasser ausgewaschen und nach
vorsichtiger Härtung in steigendem Alkohol in Celloidin eingebettet.
Es wurden Schnitte durch den ganzen Bulbus von 20 // Dicke her-
gestellt, die den Cornealscheitel und den Opticuseintritt trafen. 5 f^i
Zur Kenntnis des Auges der Macrocliiropteren. 93
dicke Radiürschnitte durch Peripherie und Centrum der Augenhäute
dienten zur Ermittehnig des feineren Baues und Serienschnitte in
tangentialer Richtung, in gleicher Dicke durch den Augenfundus
zum Studium von Flächenschnitten durch die Retina. Zur Färbung
diente das Molybdänhäniatoxylin nach Helds Angabe nach voraus-
gegangener Beize in Eisenalaunlösung, zur Nachfärbung Erythrosin.
Der Bulbus von Pteropus ist verhältnismäßig sehr groß, wenn
wir ihn mit den Bulbis vergleichen, welche die Microchiropteren be-
sitzen. Die von mir untersuchten Bulbi zweier Tiere maßen 12 und
13 mm im äquatorialen Durchmesser und 11 bzw. 10,4 mm vom
Cornealscheitel bis zum hinteren Augenpol, während bei Vesperugo
noctula diese Größen um 1,7 mm schwanken, also etwa sieben- bis
achtmal kleiner sind. Dabei verhalten sich die Nacken-Steißlängen
der beiden Tiere wie 7,5 : 23, die Spannweite der Flügel wie 18 : 50,
so daß also der Pteropus etwa dreimal so groß wie Vesperugo ist.
Das Gewicht der Tiere verhielt sich wie 30 g zu 470 g.
Das Gewicht der Gehirne betrug 0,35 bzw. 6,1 g.
Die Form des Bulbus kommt der Kugelform sehr nahe, da die
Krümmung der Hornhaut nur wenig die des hinteren Bulbusabschnittes
übertrifft. Der Cornealabschnitt nimmt bei Pteropus etwa 115° der
Bulbusoberfläche ein, bei den Microchiropteren ist das Verhältnis ein
ähnliches.
Die Sclera zeigt die größte Dicke in der Gegend des Irisansatzes,
sie wird gegen den Äquator des Auges etwas dünner, in der Gegend
des Opticus ist sie wieder etwas stärker entwickelt. Gegenüber der
Sclera der Microchiropteren ist sie {Vesperugo etwa 40 ;«) mit 360 /t
sehr dick zu nennen. Ihre Zusammensetzung aus dicken Bindegewebs-
bündeln, die sich regelmäßig durchweben, ist besonders auf Flach-
schnitten durch den Bulbus sehr leicht zu erkennen.
Pigmentzellen finden sich nur vereinzelt in den innersten Schichten.
Die Chorioidea ist neben der Retina das merkwürdigste Gewebe
am Auge der Macrochiropteren, und es ist ihre eigentümliche Ent-
wicklung, welche den ganz abnormen Bau dieses Auges bedingt, so
daß sich dies von allen übrigen Wirbeltieraugen unterscheidet. Es
lassen sich in ihr leicht drei Schichten abgrenzen: die der Sclera an-
liegende Schicht, die, wie bei allen andern Säugern, die großen venösen
Gefäße enthält, eine eigentümliche specifische Schicht der Kegel-
bildungen und eine die letzteren oberflächlich überziehende Schicht,
die Choriocapillaris.
Die Stromazellen der Chorioidea sind in der zu äußerst oelegenen
94 Walther Kolmer,
Schicht, der Lamina fusca, unregelmäßig gestaltete, epitheloide Ele-
mente, dicht erfüllt von gelbbraunen Pigmentkörnchen, in den ähnlich
gestalteten, aber etwas mehr länglichen Zellen zwischen den Blut-
gefäßen finden sich auch einzelne größere, dunkler gefärbte Pigment-
schollen. Die Gefäße selbst werden von Pigmentzellen begleitet, die
durch die starke Pigmententwicklung besonders dunkel erscheinen.
In ihnen ist der Kern durch das Pigment so verdeckt, daß man ihn
erst nach Depigmentierung zu Gesicht bekommt. Die Kerne sind
chromatinarm. Auf die äußere Lage der Chorioidea finden sich nun die
Kegel aufgesetzt. Ähnliche Bildungen vermissen wir bei allen Wirbel-
tieren, auch bei den Microchiropteren, so weit sie bisher vintersucht sind.
Die Kegel sind im Querschnitt kreisrund und bauen sich aus Stroma-
zellen auf, unter denen man zwei Arten unterscheiden kann, die sich
durch Färbbarkeit der Kerne und den Pigmentreichtum unterscheiden.
Das Pigment ist in den Kegeln so dicht entwickelt, daß man die Zell-
anordnung erst nach Depigmentierung übersehen kann. Man findet
die Zellen ungefähr konzentrisch um ein centrales Gefäß angeordnet.
Dieses, eine präcapillare Arterie, geht aus größeren Arterien, Ästen
der Ciliares posteriores der äußeren Schicht hervor und verläuft in
streng radialer Richtung zur Bulbusoberfläche.
Bei teilweiser Depigmentierung sieht man, daß die dem Gefäß
anliegenden und die unmittelbar auf der Oberfläche der Kegel ge-
legenen Zellen am dichtesten pigmentiert sind.
Die Basen der Kegel stehen dicht nebeneinander, dort, wo sie
auf der äußeren Lage der Chorioidea aufsitzen, berühren sie sich; an
der Basis verbundene Doppelkegel kommen vereinzelt vor. Man er-
kennt dieses Verhalten am besten auf Flachschnitten durch den Bulbus.
Die Höhe der Kegel beträgt 100 u und ist fast im ganzen Augenfundus
ziemlich konstant, nur gegen die Ora serrata hin nehmen die Kegel
langsam an Höhe ab, um daselbst ganz zu verschwinden.
Die centralen Gefäße der Kegel gehen an deren Spitze in eine
lange schmale Capillarschlinge über, die aus dem Kegel herausragt
und weit in die Schichten der Retina eindringt. Die Capillarschlinge
bildet eine Spitze, das rückläufige Gefäß geht in die Capillaren der
Choriocapillaris über, die ihrerseits mit den Venen in Verbindung stehen.
Die Arterien der Chorioidea verzweigen sich in der über den Venen
unter den Basen der Kegel gelegenen Schicht, dabei scheinen Ana-
stomosen vorzukommen.
Die Venen, weite, anastomosierende Gefäße, zeigen das gewöhn-
liche Aussehen. Die geometrische Form der Kegel ist eine auffallend
Zur Kenntnis des Auges der Macrüchiropteren. 95
regelmäßige, die Neigung der Kegelfläche eine recht gleichförmige,
so daß man vielleicht daraus auf eine physiologische Bedeutung der
Oberfläche schließen kann. Die Richtung der Kegelachse ist offenbar
eine derartige, daß dieser bei der normalen Richtung des einfallenden
Lichtes keinen Schatten werfen kann. Gegen den Rand der Retina
zu weichen die Kegel etwas von der streng radiären Stellung ab, viel-
leicht hängt dies damit zusammen, daß hier die Lichtstrahlen, die den
Randteil der Linie passieren, in anderer Richtung einfallen.
Auch dürfte das Pigment in seiner so ungewöhnlich dichten An-
ordnung auf den Kegeln imstande sein, in besonders vollkommener
Weise das Licht zu absorbieren und Reflexion zu verhindern. Damit
hängt auch wohl die Pigmentarmut des retinalen Pigmentepithels
zusammen.
Die Retina wird durch das eben angeführte Verhalten der Cho-
rioidea in weitestem Grade verändert, ihre äußere Oberfläche erscheint
nicht glatt, sondern bei markoskopischer Betrachtung von zahlreichen
Vertiefungen einoebuchtet, ihr Querschnitt auf dem Radiärschnitt
nicht als breites Band, sondern gezackt. Die Zacken werden durch
die äußeren Schichten der Retina gebildet, während die inneren
Schichten, die Schicht der Opticusfasern und die Ganglienzellenschicht,
einen ebenen Verlauf zeigen.
Man erkennt bei Betrachtung von Schnittserien, die in radialer
Richtung durch den Bulbus geführt sind, daß die in die Retina ein-
gelagerten Chorioidealkegel in dieser ein vollkommen mit der Ober-
fläche der Kegel kongruierendes Rehef erzeugen. Noch deutlicher
tritt dies in Schnittserien hervor, die tangential die Wand des Auges
treffen. Das heißt, die Oberfläche der Retina erscheint, wenn man
sie von der Chorioidea trennt, von konischen Gruben durchlöchert.
Zwischen diesen Gruben sind Kämme vorhanden, auf welchen dort,
wo die Basen mehrerer Kegel zusammenstoßen, wieder kleinste Kegel
aufgestzt sind. Allen diesen Niveauunterschieden folgen die äußeren
Retinaschichten, speziell die Schicht der Sehepithelien.
Während in allen andern Retinen das Prinzip festgehalten erscheint,
daß alle perzipierenden Elemente mosaikförmig in der Projektions-
fläche fast mit mathematischer Exaktheit angeordnet sind, wird dieses
Prinzip, das sonst ausnahmslos in allen Wirbeltierretinen und auch
bei den meisten Wirbellosen vertreten ist, hier durchbrochen.
Es finden sich im wesentlichen dieselben Schichten in der Retina,
die wir bei Microchiropteren zu finden gewohnt sind, aber durch die
eigentümliche Konfiguration erscheinen die Elemente teilweise
96 Walther Kolmer,
verlaoert, so daß der Radiärschnitt der Retina ein äußerst charakte-
ristisches Bild bietet.
Das Pigment epithel macht alle Niveauunterschiede der cho-
rioidealen Zapfen mit, die es überkleidet. Die ziemlich flachen, 4 — 5 u
dicken Zellen desselben lassen nur schwer die fransenförmigen Fort-
sätze erkennen. Das Protoplasma entbehrt zumeist des Pigments,
nur ganz vereinzelt finden sich hier und da einige Pigmentnadeln,
häufig dagegen Vacuolen und Aleuronidkörner. Von den secretartigen
Körnern zwischen den Stäbchenaußengliedern, die vom Pigment-
epithel ausgehen, sah ich beim Pteropus häufig Andeutungen. Die
Kerne sind infolge des Pigmentmangels deutlich zu sehen, etwa 5 /t
lang. Die Capillaren der Choriocapillaris liegen an dem Epithel außer-
ordentlich dicht an, so daß man fast den täuschenden Eindruck be-
kommt, als ob die Wandung teilweise von den Epitheizellen selbst
gebildet würde. Dort, wo die centrale Capillarschlinge .des Kegels
am tiefsten eingesenkt ist, überzieht sie das Pigmentepithel in Form
eines äußerst zarten endothelartigen Häutchens, welches der Limitans
externa der Netzhaut an den tiefsten Stellen direkt anliegt.
Die Sehelemente stehen auf ganz verschiedenen Höhen des
retinalen Reliefs. Man gewinnt zuerst den Eindruck, daß Längenver-
schiedenheiten zwischen ihnen vorhanden seien, aber diese sind jeden-
falls minimal, so daß die auf der Höhe der Faltungen stehenden Ele-
mente und die in der Tiefe der Einsenkungen in den Gruben befind-
lichen Stäbchen ungefähr gleiche Länge haben. Die äußeren Enden
bilden also eine Treppe. Die Längsrichtung der Stäbchen ist trotz
ihrer veränderten Stellung genau radiär orientiert, wie bei allen andern
Wirbeltieraugen. Auf diese Weise ist eine Vermehrung der Sehelemente
durch die Faltenbildung der Retinaoberfläche, die man vielleicht erwarten
würde, nicht gegeben, wohl aber stehen die Elemente etwas weniger dicht
gedrängt. Die Länge der Stäbchen beträgt 51 ii, davon entfallen 30 h auf
das Außenglied, 21 u auf das Lmenglied. Das Außengiied ist wie bei
andern Fledermäusen gebaut, zart, etwa 1 u breit, am äußeren Ende
zeigt es eine abgerundete Kuppe. Das Lmenglied ist nur wenig breiter.
Während das Außenglied im allgemeinen streng radiäre Richtung
besitzt, steht das Innengiied besonders bei den in der Tiefe der Ein-
senkungen gelegenen Elementen etwas geneigt. Man findet in den
Zwischenräumen zwischen den Innengliedern einzelne Elemente, die im
Lmern ein feines Fädchen erkennen lassen, vielleicht handelt es sich
um modifizierte Zapfen, die allerdings ganz besonders klein wären und
in deren Innengiied ein Lmenfaden verläuft; auf Horizontalschnitten
Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren. 97
konnte ich solche Elemente nicht nachweisen. Die Limitans
externa der Netzhaut ist an den Basen der Stäbchen deutlich
zu erkennen. Sie präsentiert sich als feiner deutlicher Saum im Ra-
diärschnitt, auf dem Tangentialschnitt als polygonale Felderung. Man
kann an günstigen Stellen innerhalb der Felderung Körnchen sehen,
die wohl den Diplosomen der Stützfaserzellen entsprechen. Daß die
Limitans aus den MüLLERschen Stützfasern in ihrem oberen Teil ge-
bildet wird, das läßt sich ja an andern Retinen nur schwer und meist
nur unter Anwendung der Chromsilberimprägnationsmethoden zeigen.
Bei Pteropus ist das aber besonders leicht zu sehen. Dort, wo die
Capillarschlingen der Chorioidea umbiegen, findet man die Lage der
Stäbchen und Zapfen unterbrochen und die Limitans liegt frei, sie
erscheint durch die Schicht der äußeren Körner hindurch gestülpt, und
hier erkennt man ganz deutlich ihre Beziehung zu den Stützelementen
der Netzhaut, die Spitze der Capillarschlinge von dem dünnen Über-
zug der sehr verdünnten Pigmentepithelzellen umgeben, liegt hier der
Limitans dicht an. Man sieht, daß diese sich direkt in gabelartige,
auffallende Verbreiterungen der Stützfasern fortsetzt. Die Schicht der
äußeren Körner erscheint durch die Verlagerung der Schichten auf dem
Radiärschnitt auch als gezacktes Band von sehr wechselnder Dicke. An
ihr erkennt man gleichfalls Unterbrechungen, allerdings nur dort, wo
der Schnitt eine Capillarschlinge der choiioidealen Kegel genau der
Länge nach getroffen hat. Sonst merkt man nur, daß die Körner
auf den höchsten Teilen der Retinaleisten in 12 — 14f acher Schicht
angeordnet sind, während gegen die Vertiefungen hin die Zahl der
Schichten abnimmt. Dort, wo die Schicht der Stäbchen unterbrochen
erscheint, begleiten nur wenige (zwei bis drei) Reihen von äußeren
Körnern die Capillare in die Tiefe, um dann ganz aufzuhören. Wie
man es auch auf dem Tangentialschnitt sieht, sind diese Körner dann
durch die äußere plexiforme Schicht und die innere Körnerschicht
hinein vorgetrieben. Die Körner zeigen zweierlei Formen, weitaus
die Mehrzahl derselben zeigt einen minimalen, kaum abgrenzbaren
Protoplasmaleib, der Kern ist rundlich, 5 — 6 ii dick und enthält eine
sehr auffallende, gewundene Chromatinmasse, in der Form wie man
sie typisch bei einzelnen polynucleären Leucocyten sieht. In der
obersten Lage der äußeren Körner sieht man zuweilen, speziell auf
den Kuppen der Kämme der Retina, hellere größere Kerne mit etwas
Protoplasma umgeben. Da die Zapfen fehlen und eine große Überzahl
von Körnern vorhanden ist, so könnte es sich um überzählige Schalt-
elemente handeln. Es muß als besonders auffällig bezeichnet werden,
Zeitschrift f. wissenseh. Z jologie. XCVII. Bd. 7
98 Walther Koliner,
daß die äußeren Körner im Radiärschnitt in Reihen angeordnet er-
scheinen, die seitlich durch die zarten, aber sehr deutlichen gerade
gestreckten Züge der MüLLERSchen Stützfasern begrenzt werden.
Die äußere plexiforme Schicht ist durch die Einstülpung
der äußeren Körnerschicht entsprechend unterbrochen und in lauter
einzelne Territorien geteilt. Die innere Körnerschicht zeigt dieselbe
Veränderung. Auch hier sind die Elemente in einzelnen Gruppen, auf
dem Radiärschnitt kleine Hügel bildend, angeordnet, zwischen diese
Ansammlungen hindurch reichen die Züge von äußeren Körnern, die
die Kegel begleiten, bis in die innere plexiforme Schicht hinein.
Bei den Microchiropteren findet man in den centralen Netzhaut-
partien in der äußeren plexiformen Schicht vereinzelte Zellen mit
horizontaler Ausbreitung, entsprechende Zellen konnte ich bei Pteropus
nicht konstatieren.
Die Zellen der inneren Körnerschicht sind bedeutend größer
als die der äußeren, auch an ihnen ist es nicht leicht den Protoplasma-
körper deutlich abzugrenzen, derselbe ist in horizontaler Richtung
entwickelt. Der Kern dagegen liegt meist mit seiner größeren Achse
in radiärer Richtung. Die Kerne sind etwa 7 /t groß und ziemlich
chromatinarm.
Unter die Zellen der inneren Körnerschicht vermengt findet sich
eine zweite Zellart, die durch ihre ovalen Zellkerne und die diesen
anhaftenden, meist dreieckig verbreiterten Plasmateile mit flügei-
förmigen Anhängen auffällt, es sind die kerntragenden Teile der Mül-
LERschen Stützzellen. Sie liegen zumeist in den unteren Lagen dieser
Schicht.
Die innere plexiforme Schicht, die Schicht der Opticusganglien-
zellen und die Schicht der Opticusfasern, sind wie bei andern Wirbel-
tieren angeordnet. Die Opticusfasern sind zu kleinen Bündeln vereinigt,
die zmschen den MÜLLERschen Stützfasern durchziehen. Diese zeigen
sich so gestellt, daß immer gegenüber der Einsenkung eines chorioi-
dealen Kegels die Stützelemente am dichtesten stehen. Es erscheint
durch gabelförmige Verbreiterung der Stützfaserenden, dort wo sie in
die Limitans übergehen, die Spitze der Capillare gestützt. Diese mittleren
Stützfasern sind dann besonders dick und färbbar. Diese eigentümliche
Anordnung der Stützfasern läßt sich auch im Horizontalschnitt nach-
weisen, in dem die Querschnitte der Stützfasern schon in der inneren
plexiformen Schicht kleine Kreise bilden, die ins Auge fallen. Die
Ganglienzellschicht scheint von der Anordnung nicht berührt zu sein.
Regionäre Verschiedenheiten in der Retina finden sich nicht ausgeprägt,
Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren. 99
weder das Spiegelbild noch das Bild des eröffneten Bulbusfundus,
noch die Verhältnisse an Radiärschnitten weisen auf das Bestehen einer
Area centralis, einer Macula oder Fovea hin. Der geschilderte Typus
der Retina besteht fast bis zur Ora serrata. Hier sind die Kegel der
Chorioidea seltener und stehen in Zwischenräumen. Infolgedessen ist
auch die Retina zwischen ihnen in ihren Schichten eben. An der
Ora serrata gehen die Schichten ziemlich unvermittelt in das retinale
Epithel des Ciliarkörpers über. Erwähnenswert ist, daß in der Geg6nd
der Ora serrata das Pigmentepithel ziemlich viel Pigment in Form der
charakteristischen Pigmentnadeln führt, sogar auf dem dünnen Überzug
der eingesenkten Capillaren ist es deutlich zu sehen. Die Dicke der
Opticusfaserschicht nimmt gegen die Peripherie rasch ab.
Die Cornea zeigt eine ziemlich starke Wölbung. Sie nimmt von
der ganzen Oberfläche des Bulbus etwa den dritten Teil ein, ihre Dicke
beträgt am Scheitel etwa 376 in, das Epithel hat eine Dicke von 56 /<,
so daß dasselbe 15% der Cornealdicke ausmacht. Gegen den Corneal-
rand zu ist die Dicke eine größere, bis 480,«. Die Cornea übertrifft
damit die Sclera an Dicke, ähnlich wie dies auch von der Cornea bei
den Microchiropteren bekannt ist.
Das Epithel zeigt, abgesehen von der basalen Keimschicht der
cylinderförmigen Zellen, noch sechs Lagen von platten Epithelien,
davon sind die zwei obersten verhornt.
Das Stroma der Cornea wird aus etwa 30 Schichten von Lamellen
gebildet, mit deutlich ausgebildeten interlamellären Hohlräumen. Eine
Elastica anterior ist nicht deutlich zu erkennen. Die DESCEMETsche
Membran ist kräftig entwickelt.
Die Iris ist sehr stark pigmentiert. Die Pigmentierung betrifft
gleichmäßig alle Schichten. Der Sphincter pupillae am freien Rande
ist deutlich zu sehen, auch gehen von ihm in radiärer Richtung ver-
einzelte Fasern ab, von dem Vorhandensein eines besonderen Diktator
konnte ich mich nicht recht überzeugen. Das retinale Blatt der Iris
und des Ciliarkörpers ist nur wenig stärker pigmentiert als das Stroma.
Im Iriswinkel finden wir das Ligamentum pectinatum durch ein-
zelne derbe Faserzüge repräsentiert, unter diesen liegen offenbar Lymph-
gefäße mit sehr zarten Wandungen.
Auch der Canalis Schlemmii ist vorhanden.
Die Form der Pupille ist rund und bleibt dies auch bei der Ein-
wirkung von Atropin.
Der Ciliarkörper ist nur aus Bindegewebszellen und Pigment-
zellen zusammengesetzt; glatte Muskeln sind so wenig vorhanden, daß
IT*
JQO Walther Kolmer,
man von einem Ciliarmuskel eigentlich gar nicht reden kann, was
wohl auf ein Fehlen der Accommodation hindeutet. An der Ansatz-
stelle des Ciliarkörpers finden sich zahlreiche Lamellen von pigment-
haltigem Bindegewebe in die Sclera verflochten.
Die Linse ist für die Dimensionen des Bulbus ziemlich groß.
Sie nähert sich in ihrer Form einer Kugel, indem ihr axialer Durch-
messer 6,160, ihr äquatorialer 7,000 /< beträgt. Die hintere Fläche ist
stärker gewölbt als die vordere. Die Linsenkapsel ist am vorderen
Pol 24 /< dick, am Äquator Tu, am hinteren Pol 3 u. Die centralen
Linsenfasern sind etwa 12 /< dick, an der Oberfläche gezähnt, im
Querschnitt polyedrisch, gegen die Peripherie werden sie dünner bis
2 1^1. Von einem Ringwulst oder sonstigen auffallenden Anordnungen
der Linsenfasern ist nichts zu sehen. Das ganze Bild der Linse ähnelt
dem von Tieren, welche keine Accommodation besitzen, was mit dem
Fehlen des Ciliarmuskels übereinstimmt. Der vordere und der hintere
Linsenstern sind, ohne sich zu entsprechen, vierstrahlig. Die Ansatz-
stelle der Zonulaf asern ist ein gleichmäßig breites Band. Die Zonula-
fasern ziehen über die Ciliarfortsätze hinweg und inserieren an und
zwischen ihnen bis zur Ora serrata hin.
Die Entfernung des vorderen Linsenpols von der vorderen Corneal-
f lache beträgt 1800 /.i, von der hinteren Cornealf lache 1400 /<.
Der Opticus zeigt Avenig charakteristische Eigenheiten. Sein Durch-
messer beträgt 900 i^i. Die Fasern, die ihn zusammensetzen, besitzen
meist eine sehr zarte Markscheide. Die Glia ist durch zahlreiche
Spinnenzellen und deutliche Gliaf asern vertreten. Das Bindegewebe
ist mäßig entwickelt, einzelne gröbere Balken dringen in den Nerven
ein, aber ohne ihn in eigentliche Bündel zu zerlegen. Pial- und Dural-
scheide sind zart entwickelt.
Eine eigentliche wohlentwickelte Arteria centralis fehlt, doch sind
arterielle und venöse zarte Gefäße im Opticus und in der nächsten
Umgebung der Opticuseintrittsstelle vorhanden, auch Reste der Arteria
hyaloidea finden sich in der deutlich ausgebildeten Excavation des
Opticuskopfes.
Versucht man aus dem Befunde an Zellelementen allein (Unter-
suchungen an Methylenblaupräparaten oder Chromsilberimprägnationen
erlaubte leider das beschränkte Material nicht), sich über die Quer-
leitungsverhältnisse in der Netzhaut eine Vorstellung zu bilden,
so kommt nach der herrschenden Annahme in Betracht, daß wir auf
einem Quadratmillimeter etwa 300 000 Stäbchen finden, daß aber
sicher im gleichen Bezirk viel mehr äußere Körner vorhanden sind.
Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren. 101
Die. Ganglienzeil Schicht dagegen zeigt auf dem gleichen Flächen-
raiim schätzungsweise nur 700 Ganglienzellen. Alan muß diese Zahlen
auf den Horizontalschnitten dort, wo die Schnittrichtung möglichst
genau getroffen ist, zu bestimmen suchen, das Verfahren kann aber bei
den Lagerungsverhältnissen in dieser Retina nur ein recht ungenaues
sein. Man müßte also annehmen, daß mit einem Element der Gan-
glienzellenschicht etwa 400 Stäbchen in Zusammenhang stehen müßten.
Eine irgendwie maßgebende Zählung der Opticusfasern ist mir nicht
möglich gewesen. In der äußeren Körnerschicht wird man wohl über-
zählige Elemente als Schaltzellen annehmen müssen.
Über die Hilfsapparate des Auges wäre zu bemerken, daß der Lid-
spalt mittlere Weite zeigt. Die Lidränder decken bei Zimmerbe-
leuchtung eben den Irisrand. Auffallende Veränderungen der Weite
der Lidspalte bei wechselnder Beleuchtungsintensität konnten nicht
beobachtet werden.
Die Nickhaut ist recht stark entwickelt, sie enthält im freien
Anteil einen Netzknorpel, an ihrem Ansatz die gut entwickelte Nick-
hautdrüse, der Ausführungsgang der letzteren durchbohrt eine starke
Ansammlung von lymphoiden Elementen, offenbar Lymphfollikel mit
verstreuten Keimcentren.
Die Tränendrüse ist gut entwickelt, auch die andern Schutzappa-
rate des Bulbus, das Lid mit seinen Drüsen, zeigt eine gute Ausbildung.
An den Augenmuskeln ist mir nichts Besonderes aufgefallen, ein Re-
tractor bulbi fehlt.
Wir haben es, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, beim Auge
des Pteropus mit Einrichtungen in der Chorioidea und Retina zu tun,
welche unter den bisher untersuchten Wirbeltieraugen kein Analogon
haben. Es ist schwer, sich darüber eine Vorstellung zu machen, wie
wir uns das Zustandekommen solcher Abweichungen im Bau eines
Sinnesorgans erklären sollen, das bei den nächsten Verwandten der
Macrochiropteren, den Microchiropteren, von diesen Eigentümlichkeiten
keine Spur zeigt. Vielleicht könnte man das ursächliche Moment, das zur
Ausbildung der chorioidalen Kegel geführt hat, in der Entwicklung der Ge-
fäße erblicken. Wir sind gewohnt, bei Augen jener Größenklasse, wie sie
der Pteropus besitzt, bei den Säugern die Retina zumeist mit Gefäßen
versehen zu finden. Das Microchiropterenauge besitzt keine Netzhaut-
gefäße, und man könnte sich denken, daß, wenn dieser Augentypus
sich vergrößert, für eine bessere Ernährung der immer umfangreicheren
Netzhaut, speziell der inneren Schichten, schließlich die Choriocapillaris-
gefäße nicht mehr ausreichen und ein innigeres Verhältnis zwischen
102 Walther Kolmer,
Netzhaut und Chorioideacapillaren zur Ausbildung von Gefäßschlingen
und diese sekundär zur Entstehung der Kegel Anlaß gegeben habe.
Allerdings ist es nicht ohne weiteres einzusehen, wieso sich nicht aus
den vorhandenen Gefäßen des Opticuskopfes ein retinaler Blutkreis-
lauf ausbildete, sondern eine Blutgefäßversorgung unter Vorstülpung
beider epithelialen Blätter der Netzhaut sich entwickelte. Die eigen-
tümliche Blutversorgung nimmt auch deshalb eine Ausnahmestellung
ein, weil wir sonst in der Retina, ja vielleicht fast in allen Sinnesorganen,
mit Ausnahme der Riechschleimhaut mancher Tiere und des Jakob-
soNschen Organs mancher Reptilien, beobachten, daß die eigentliche
Schicht der Sinneszellen von dem nahen Kontakt mit Blutgefäßen
durch deren Lagerung bewahrt ist, um, wie angenommen wird, die
Sinneszellen vor plötzlichen mechanischen, vielleicht auch chemischen
Beeinflussungen, die von den Capillaren ausgehen könnten, unabhängig
zu machen. Auch dieses Prinzip scheint hier durchbrochen, da hier
wirklich nur durch ein verschwindend dünnes Endothel getrennt die
Capillarwände den Stäbchen anliegen.
Andre teleologische Erklärungsweisen machen einige Schwierig-
keiten. Bei Beurteilung von Verhältnissen in einer Wirbeltierretina
ist die dem Menschen allein zugängliche subjektive Erfahrung immer
mitbestimmend. Wir sind gewohnt, beim Menschen und bei den
andern Wirbeltieren die Elemente, die allein das Licht perzipieren
sollen, peinlich genau in der Projektionsebene als Mosaik angeordnet
zu sehen. Wir wissen aus den Erfahrungen der menschlichen Pathologie,
daß die geringste Verlagerung der Sehelemente aus dieser Projektions-
fläche heraus, das Zustandekommen der Bilder stört. Im Pteropus-Ange
aber stehen die Basen und die freien Enden der Netzhautstäbchen in
bis um 100 /t verschiedenen Höhen. Da nun bei Verkleinerung der
Brennweite die Tiefenschärfe abnimmt, so muß sich eine Verlagerung
in dem kleineren Auge des Pteropus noch mehr fühlbar machen als
beim Menschen, das heißt, es müßten bei wechselnder Einstellung
immer nur besondere, in einer Querschnittshöhe der Kegel stehende
Sehelemente im Bereiche eines scharfen Bildes stehen, nicht aber
gleichzeitig die höher oder tieferstehenden. Von der dabei in Betracht
kommenden Höhendifferenz, kann man allerdings vielleicht die Höhe
des Außengliedes der Stäbchen abziehen, wenn man annimmt, daß es
gleichgültig ist, welche Höhe des Außen gliedcylinders das Bild trifft.
Dazu kommt noch, daß die Netzhaut in ihren äußeren Schichten vor
allem in der Sehepithelschicht auch Unterbrechungen zeigt, welche
Löcher den Capillarschlingen entsprechen.
Zur Kenntnis des Auges der Macrochiropteren. 103
Nur wenn man annimmt, daß der dioptrische Apparat des Auges
größere Tiefenschärfe besitzt, wäre ein gleichzeitiges Perzipieren des
Bildes in verschiedenen Höhen der Netzhaut denkbar. In dieser An-
nahme könnten uns vielleicht die Verhältnisse bestärken, welche wir
im dioptrischen Apparat finden. Form und Bau der Linse, sowie das fast
vollständige Fehlen der Accommodationsmuskeln deuten wohl darauf
hin, daß dem Auge die Accommodation wahrscheinlich fehlt. Es wirkt
also wie eine kurze kleine Momentcamera mit feststehender Linse,
bei der alle Gegenstände von einem gewissen Abstand an scharf auf
der Projektionsfläche abgebildet werden. Ein scharfes Sehen nahe
gelegener Gegenstände ist aber bei diesem Auge schwer vorstellbar.
Tast- und insbesondere Geruchssinn sind gewiß vorzüglich ent-
wickelt, das Labyrinth fand ich dem der Microchiropteren sehr ähn-
lich. Es wäre auch zu erörtern, ob nicht bei Wegfall einer Accommo-
dation die verschiedene Entfernung der Sehelemente dem Tier, das
wohl nur monoculär sieht, das Schätzen der Tiefendimension und
Entfernung vielleicht bei bewegten Objekten ermöglicht. Es werden
die Tiere gewöhnlich als Baumfruchtfresser in einen gewissen Gegen-
satz zu den insektenfressenden Microchiropteren gebracht, bei denen
eine solche Einrichtung, die vielleicht den Fang von fliegenden Insekten
erleichtern könnte, in diesem Sinne erklärlich wäre. Es gibt Angaben,
daß die Pteropi imstande seien, im Fluge Fische von der Oberfläche
von Teichen während der Dämmerung wegzufangen. Eine solche
Jagdweise hat wohl genaues Abschätzen der Entfernung, ein gutes
Tiefensehen zur Voraussetzung. Vielleicht könnte man für eine solche
funktionelle Bedeutung der Pigmentkegel den Umstand geltend machen,
daß die Oberfläche der Kegel so regelmäßig gestaltet und die Flächen-
neigTing derselben so gleichförmig ist, da ja gewöhnlich die Ausbildung
geometrisch regelmäßiger Strukturen histologischer Gebilde auf deren
funktionelle Bedeutung hinweist. Bei der Schwierigkeit der Material-
beschaffung und der Ausführung von Experimenten mit den fliegenden
Hunden muß es entschuldigt werden, wenn diese Untersuchung lücken-
haft ist. Vielleicht ist es mir selbst oder einem andern Untersucher
einmal möglich, die Besonderheiten des Pterofus- Auge& in physio-
logischer, vielleicht auch in ent\säcklungsgeschichtlicher Hinsicht auf-
zuklären.
Großes Interesse würde natürlich auch eine vergleichende Unter-
suchung der verschiedenen Augen von Macrochiropteren und Microchiro-
pteren der Tropen bieten. Es könnte dabei wohl das x4uge Aufschlüsse
über Verwandtschaftsverhältnisse geben. Durch die Liebenswürdigkeit
104 Walther Kolmer, Zur Kenntnis des Auges der Macrochiroptefen.
Herrn Professor Grossers wurde ich in die Lage versetzt, auch ein
Auge der afrikanischen Art Cynomjcteris zu untersuchen. Es finden
sich bei dieser Art dieselben Verhältnisse in der Chorioidea wie bei
Pterofus. Die Kegel zeigen etwas kleinere Dimensionen, und das
Pigmentepithel ist pigmenthaltig.
Wien, im Juni 1910.
Literatur.
Kolmer, Centralblatt für Physiologie. XXIII. Nr. 6.
Held, Die Entwicklung des Nervengewebes. Leipzig, Barth 1909. S. 12.
Pütter, Organologie des Auges. Graefe-Saemisch, Handbuch der Augenheil-
kunde. 2. Auflage.
Bbehm, Tierleben.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel III.
Alle Figuren sind mit Hilfe der Projektionseinrichtung direkt entworfen.
Fig. 1. Auge von Pterojms medius in natürlicher Größe nach Entfernung
der Augenmuskeln.
Fig. 2. Asialer Durchschnitt durch das Auge, um das Verhältnis der ein-
zelnen Teile zu zeigen. 5mal vergrößert.
Fig. 3. Ein Quadrant des am Äquator eröffneten Bulbus, die leichte Wel-
lung der Innenfläche der Retina zeigend. 7mal vergrößert.
Fig. 4. Genau radiärer Schnitt durch die Chorioidea und Retina aus der
Gegend des Augenfundus. 48mal vergrößert.
Fig. 5. Pigmentkegel der Chorioidea mit centralem Gefäß, der Chorio-
capillaris und dem Pigmentepithel. Zeiss. Apochromat 2 mm 1,40, Oc. 6.
Fig. 6. Partie der Retina zwischen zwei Gefäßeinsenkungen. Verlagerung
der äußeren Retinaschichten. Anordnung der Stützfasern. Zeiss, Apochromat
3 mm 1,40, Oc. 6.
Fig. 7. Partie aus einem Tangentialschnitt durch Chorioidea und Retina.
Querschnitte der chorioidealen Kegel der centralen Capillaren und des Retina-
mosaiks. Zeiss, Apochromat 16 mm, Oc. 6.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala.
(Aus dem Zoologischen Institut der Universität Leipzig.)
Von
Ernst Born,
approb. Tierarzt.
Mit 2 Figuren im Text und Tafel IV— VIII.
Die durchsichtigen pelagischen Mollusken des Mittelmeeres haben
schon früh die Aufmerksamkeit der Naturforscher auf sich gelenkt.
Die bedeutendsten Vertreter der vergleichenden Anatomie, Gegenbaur,
KöLLiKER, Leuckart, Heinrich Und Johannes Müller, haben uns
aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Reihe wertvoller Arbeiten
über diese interessanten Tiere hinterlassen. In den folgenden De-
zennien sind diese »Normalobjekte anatomischer Forschung <(, wie sie
Ranke (104) bezeichnet, wenig gewürdigt worden; über den feineren
Bau ihrer Haut, die wegen ihrer durchsichtigen Beschaffenheit ein
geeignetes Untersuchungsobjekt ist, finden sich nur in den von Paneth
im Jahre 1885 veröffentlichten »Beiträgen zur Histologie der Pteropoden
und Heteropoden« ausführlichere Angaben. Unsere Kenntnis der
Anatomie dieser eigenartigen Gastropoden ist dm'ch die umfangreichen
Beobachtungen, welche wir in neuerer Zeit Meisenheimer (87) und
Tesch (131) verdanken, bedeutend erweitert worden; doch die feineren
Strukturverhältnisse des Integuments finden auch bei diesen Autoren
nur wenig Berücksichtigimg. Eins der zierlichsten Geschöpfe in der
pelagischen Fauna des Mittelmeeres ist die nur 1 — 3 cm große Phylli-
rhoe bucephala'^, mit deren feinerer Anatomie ich mich auf den gütigen
1 Die Schreibweise des Namens ist bei den einzelnen Autoren eine sehr
verschiedene. Müller und Gegenbaur (1854), ferner Ludwig (1883) in der
Synopsis der Tierkunde, auch Hescheler in Längs Lehrbuch der vergleichenden
Anatomie der wirbellosen Tiere schreiben: »Phyllirhoe bucephalum «, wohl mit
Rücksicht auf das Neutrum: ro cpvVkov. Ich behalte die schon von Eschscholtz
(1825) und später auch von v. Marxens (1888) in der Enzj^klopädie der Natur-
wissenschaften gewählte Schreibweise bei, weil die Endigung des Substantivums
(-oe), welche für das Adjektiv maßgebend ist, femininen Charakter trägt.
106 Ernst Born,
Rat von Prof. Chun schon vor längerer Zeit im zoologischen Institut
der Universität Leipzig befaßt habe. Wegen der glasartigen Durch-
sichtigkeit ihrer Haut und der im Gegensatz zu den Heteropoden und
Pteropoden nur schwach entwickelten Muskulatur ist Phyllirhoe ein
besonders günstiges Objekt zum Studium der Innervation; an mittel-
großen Totoexemplaren, die nur mit FLEMMiNGscher Lösung fixiert
und in Glyzerin aufgehellt sind, lassen sich die Nerven von den Schlund-
ganglien bis zu ihren feinsten Ausläufern verfolgen; man braucht nur
die Objektive am Revolver des Mikroskops zu wechseln. Die vor-
liegenden Untersuchungen waren schon im wesentlichen abg'eschlossen,
als VissiCHELLi seine » Contribuzioni allo studio della Phyllirhoe buce-
fhalaa. veröffentlichte; diese Arbeit veranlaßte mich, in den Sitzungs-
berichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin (Jahr-
gang 1907, Nr. 4 und 10) über meine an demselben nudibranchiaten
Gastropoden gemachten Beobachtungen eine vorläufige Mitteilung zu
publizieren.
Material und Methode.
Das zu den Untersuchungen erforderliche Material erhielt ich von
der zoologischen Station zu Neapel. Phyllirhoe wird dort, wie mir
mitgeteilt wird, in den Monaten Dezember bis April gefangen; doch
tritt sie so unregelmäßig auf, daß auch während dieser Zeit von der
Station oft kein Material zu erhalten ist. In Villefranche wird Phylli-
rhoe, wie Herr Dr. Davidoff mich gütigst benachrichtigt, ebenfalls
nur selten und auch dort in manchen Jahren überhaupt nicht be-
obachtet. Das Material erhielt ich in 70%igem Alkohol, nachdem es
in verschiedener Weise fixiert war.
Zum Studium der peripheren Nerven eigneten sich besonders, wie
schon erwähnt, Objekte, die ich mit FLEMMiNGscher Lösung in vor-
trefflicher Weise fixiert erhielt; und zwar war folgende Mischung in
Anwendung gekommen :
Chromsäure 1% 25 ccm
Essigsäure 2% 5 »
Osmiumsäure 1% 10 »
Wasser 60 »
Für die Untersuchung der Drüsen erwiesen sich namentlich Exem-
plare geeignet, die mit l%iger Chromsäure fixiert waren; befriedigende
Resultate lieferten auch Tiere, bei denen zum Fixieren Chromessigsäure
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 107
verwendet war. Dagegen kann ich die Siiblimatgemische als Fixier-
mittel für PJn/Uirhoc nicht empfehlen; brauchbare Präparate erhält
man bisweilen noch nach Anwendung von Sublimatessigsäure; da-
gegen zeigten die mit Sublimatalkohol fixierten Tiere eine so weiche
Konsistenz, daß eine weitere Behandlung der Objekte unmöglich war;
letzteres Fixiergemisch ist übrigens nur auf meinen besonderen Wunsch
gebraucht worden.
Um die Natur der zahlreichen Hautdrüsen festzustellen, wandte
ich entsprechende Farblösungen an: Mucikarmin, häufig in Verbindung
mit Hämalami und Indigokarmin; ferner Böhmers und Delafields
Hämatoxylin, als Kontrastfarbstoff wurden hierbei Eosin und Orange G-
benutzt. Nach mehreren Versuchen erwies sich die Ausführung dieser
Doppelfärbung am zweckmäßigsten in der von Rawitz (108, S. 69)
angegebenen AVeise, welche ich etwas modifiziert habe. Die mittels
einer feinen Schere abgetrennten Hautteile kamen zunächst nicht in
die von Rawitz empfohlene konzentrierte, sondern nur in eine l%ige
wässerige Eosinlösung. Der von Rawitz empfohlene 24 stündige Aufent-
halt in der Farblösung war nur bei Präparaten erforderlich, die mit
FLEMMiNGscher Lösung fixiert waren; bei Chromsäurepräparaten ge-
nügten einige Stmiden, und mit Chromessigsäure fixierte Objekte
waren schon nach wenigen Minuten mit den sauren Teerfarbstoffen
überfärbt. Die Schnitte wurden dann sorgfältig mit destilliertem
Wasser ausgewaschen; doch habe ich es bei der Färbung mit Eosin
als zweckmäßig empfunden, aus den Schnitten nach dem Aus-
waschen mit Wasser das überschüssige Eosin sofort mit 70%igem
Alkohol zu extrahieren, w^eil andernfalls durch die anschließende Fär-
bung mit Hämateintonerde keine gute Kernfärbung zu erzielen ist.
Zur Tinktion der Drüsen wurden außerdem noch Methylenblau und
Methylgrün in der von Böhm und Oppel (15) mitgeteilten Weise
benutzt.
Zum Studium nervöser Elemente wurden auch Apathys Häma-
tein la und Heidenhains Eisenalaunhämatoxylinfärbung, zur Unter-
scheidung des Bindegewebes von der Muskulatur die von Hansen und
VAN GiESON angegebenen Färbungen mittels Säurefuchsin und Pikrin-
säure ausgeführt; auch Pikrokarmin leistete mir zu letzterem Zweck
gute Dienste, wenn die Präparate vorher eine viertel bis eine halbe
Stunde mit Wasser behandelt waren, das eine Spur Eissgsäure (auf
10 ccm Wasser ein Tropfen 2%iger Essigsäure) enthielt. Dieses Ver-
fahren hat von den von Hansen und van Gieson angeführten Methoden
den Vorzug, daß bei ihnen keine besondere Kernfärbung erforderlicli
108 Emst Born.
ist. Zum Nachweis elastischer Elemente bediente ich mich der
Orzeinfärbung nach Unna und des WEiGERTschen Verfahrens mittels
Eesorzin-Fuchsinlösung.
Als Einschlußmittel ist für diese ohne Paraffineinbettung herge-
stellten Schnitte Kanadabalsam zu vermeiden, weil er die Präparate
zu stark aufhellt und daher die feineren Strukturen der in der gallertigen
Substanz liegenden Elemente nicht scharf genug hervortreten. Am
empfehlenswertesten ist zum Studium der histologischen Details der
Haut der Einschluß in Glyzerin. Leider zieht dieses Medium aber
viele Farben ziemlich schnell aus; über die Haltbarkeit der Hämatein-
färbungen in Glyzerin liegen, wie auch P. Mayer in der Enzyklopädie
der mikroskopischen Technik (28, S. 512) betont, eingehende Unter-
suchungen noch nicht vor; es dürfte daher die Mitteilung meiner Er-
fahrungen in dieser Beziehung von einigem Interesse sein. Vor allem
ist es erforderlich, daß man sich nicht des in den Apotheken käuflichen
Glyzerins bedient, da dieses fast immer noch Spuren von Säure enthält;
vielmehr ist zum Einschließen völlig säurefreies Glyzerin (von Grübler,
Leipzig, bezogen) und ferner eine Umrandung der Deckgiäschen not-
wendig. In derart aufbewahrten Objektträgern war die Farbe nach
Monaten noch nicht verblaßt; nur hatten in fast allen Präparaten die
blauen Farbennuancen einen grauen Ton angenommen. Sehr wider-
standsfähig zeigten sich die Hämateintinktionen nach Apathy und
Delafield. Ferner kommt es nach meinen Beobachtungen bei
Phyllirhoe wesentlich auf die Art der angewandten Fixierung an; in
Präparaten, die in Sublimatessigsäure fixiert und in Hämalaun gefärbt
waren, sind jetzt nach 2 Jahren die Kerne noch intensiv blau ge-
färbt. Sehr schnell bleichen bekanntlich in Glyzerin die Anilinfarben
aus; nur in Objekten, zu deren Fixierung Chromessigsäure benutzt war,
hielt sich die Eosinfärbung monatelang im Glyzerin. Sehr gut werden
die Teerfarben, wie auch Lee (69, S. 72) bemerkt, durch den Einschluß
in dünnflüssigem Cedernöl konserviert.
Besondere Vorteile bot mir bei PhylUrJioe das Paraffinum liquidum
als Medium zum Aufbewahren der Präparate; das Paraffinöl extrahiert
nämlich weder Hämatein- noch Anilinfarben. Nach Monaten noch
zeigen letztere ihre ursprünglichen Nuancen; nur Säurefuchsin verblich
mit der Zeit. Außerdem besitzt das Paraffinöl in seinem geringen
Brechungsindex einen für meine Untersuchungen wesentlichen Vorzug;
es hellt die Präparate nicht stärker auf als Glyzerin. Da nun zwischen
Harz und Stransky in der Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie
(Bd. XX, 1903) sich ein Prioritätsstreit hinsichtlich der Einführung
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 109
des Paraffinöls als Einbettimgsmittel entwickelt hat, erlaube ich mir
darauf aufmerksam zu machen, daß Altmann schon im Jahre 1890
(1, S. 34) in seinen »Elementarorganismen« das Paraffinum liquidum als
Einschlußmittel empfiehlt. Wie beim Glyzerin, so umrandete ich auch
nach Einschluß in Paraffinöl das mittels Wachsfüßchen am Objekt-
träger haftende Deckgläschen mit der Kkönig sehen Masse. Harz hat
seine in Paraffinöl eingeschlossenen Präparate mit Glyzeringelatine
umrahmt, während Stransky (129) von einer Fixierung der Deck-
gläschen nichts angibt. Auch in den .nicht umrahmten Präparaten
hielten sich die Tinktionen lange; dies ist wohl auf den Umstand zu-
rückzuführen, daß das Paraffinöl im Gegensatz zum Glyzerin nicht
hygroskopisch ist. Da aber die Wachsfüßchen durch das flüssige
Paraffin leicht aufgelöst werden, und dann das Deckgläschen jeglichen
Halt verliert, ist eine Umrandung erforderlich. Von der von Harz
empfohlenen Glyzeringelatine habe ich aber Abstand nehmen müssen,
weil sie zu leicht unter das Deckglas dringt.
Bei den nach Einschmelzung in Paraffin mit dem Mikrotom ge-
wonnenen Schnitten war ein Einschluß in flüssige Medien nicht er-
forderlich, da bei ihnen das starke Aufhellungsvermögen des Kanada-
balsams nicht störend wirkte.
Die Haut.
Das die äußere Haut bedeckende Epithel ist wie bei allen Mollusken
einschichtig und läßt zwei Hauptformen erkennen, die durch das Vor-
handensein oder Fehlen von Wimpern bedingt werden. Während das
Epithel am ventralen und dorsalen Körperrand von fast kubischer
Gestalt ist, plattet es sich auf den anstoßenden Seitenflächen stark ab.
Auf den mittleren Hautpartien sind die Epithelzellen spärlich vor-
handen; nur an den Mündungen der verschiedenen Hautdrüsen sind
sie in etwas größerer Menge anzutreffen. Bei Färbung mit Hämalaun-
Eosin sind die Kerne in den Epithelien meist blau, in vielen aber auch
rot gefärbt. Die blau tingierten Kerne, die meist von ovaler Gestalt
sind, haben eine deutlich ausgeprägte chromatische Substanz. Die
rot gefärbten Kerne sind meist kleiner als die blauen, dichter granuliert
und fast stets von unregelmäßiger Form. Daher ist wohl die Annahme
berechtigt, daß die roten Nuclei degenerierten Epithelien angehören.
Am Rüssel wird das Epithel schmäler und höher; seine größte
Höhe erreicht es an den Übergangsstellen der Lippen zum Vorraum
zur Mundhöhle (Taf. IV, Fig. 6), bis hierher sind auch in dem
Epithelsaume die Flimmerzellen vorhanden, die hier entsprechend den
110 Ernst Born,
Übrigen Epithelzellen ebenfalls ihre Form geändert haben; auch sie
sind am Kopfe sehr schmal und von cylindrischer Gestalt. Der
Kern dieser Fiimmerzellen liegt in der Mitte des Zellleibes, während
er bei den übrigen Deckepithelien des Rüssels an der Zellbasis zu
finden ist.
Die Flimmerzellen werde ich später unter den Sinnesorganen ein-
gehender besprechen.
Das Epithel sitzt einer strukturlosen Basalmembran auf, die sich
auf nach der Methode von I^ansen oder mit Pikrokarmin gefärbten
Schnitten als eine zarte rote Linie von dem etwas gelblich tingierten
Epithel abhebt. Die strukturlosen Membranen der Mollusken sind nach
Kollmann (67, S. 593) entweder durch Zellenausscheidung hervor-
gegangen oder durch Verdichtung der strukturlosen Grundsubstanz
entstanden. In der Basalmembran der PhylUrlioe habe ich keine be-
sonderen Kerne angetroffen, und sie ist demnach nur als die äußere
verdichtete Schicht der gallertigen Grundsubstanz des Körpers auf-
zufassen. Letztere wird allgemein als Intercellularsubstanz gedeutet;
und zwar wird sie bei den Heteropoden nach der schon von Gegen-
BAUR (36) vertretenen Ansicht, welcher sich später Paneth (96, S. 254)
und neuerdings Tesch (131, S. 62) angeschlossen haben, von stern-
förmigen, reich verästelten Zellen ausgeschieden. Nach Leuckart da-
gegen haben die Bindesubstanzzellen der pelagischen Mollusken das
Aussehen von » Eiterkörperchen «, wie er sie auch bei Phyllirhoe be-
obachtete. In der homogenen Grundsubstanz der Phyllirhoe finden
sich in großer Menge Zellen, deren kleiner Kern am Rande des fein-
granulierten Körpers liegt (Taf. V, Fig. 4 a). Diese Zellen sind von
einem schmalen homogenen Protoplasmasaum umgeben, der oft einzelne,
sehr feine und kurze Fortsätze aussendet. Sie liegen häufig auch den
Muskelfasern und den inneren Organen seitlich an. Ferner findet man
unter der Basalmembran der Phyllirhoe, oft in Haufen zusammenliegend,
kleine Zellen mit einer breiten, homogenen Protoplasmaschicht; letztere
stimmen völlig mit den von Leuckart und Boll beobachteten Zellen
überein (Fig. 4 b). Der periphere Protoplasmasaum dieser Zellen
kann sich aber bei Phyllirhoe an dem einen oder auch an beiden Zell-
polen zu einem langen Fortsatz ausziehen, der die verschiedensten
Formen annehmen kann (Fig. 5). Alle diese Zellen sind bei Phyllirhoe
ohne Zweifel als die Bildungszellen der homogenen Grundsubstanz
aufzufassen, und ich vermute, daß es sich bei ihnen nicht um ver-
schiedene Zellarten handelt, sondern daß sie auf einen und denselben,
nämlich auf den zuerst erwähnten Zelltypus zurückzuführen sind
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 111
(Fio. 4ö). Die große Umwandlungsfähigkcit der Bindegewebszelle der
Mollusken ist ja am besten in den Angaben Chatins (20) über Palu-
dina gekennzeichnet; Chatin leitet alle die verschiedenen Zellen des
Bindegewebes: die bläschenförmigen, die multipolaren, die Plasma-
zellen, die LANGERschen Blasen, von einem Typus ab.
Sternförmige Zellen, wie sie von Gegenbaur, Paneth, Brock
und andern bei den verschiedensten Gastropoden als die eigentlichen
Bindegewebszellen beschrieben worden sind, habe ich in der hyalinen
Intercellularsubstanz der PhjlUrhoe auch beobachtet; eine genauere
Beschreibung dieser Zellen findet sich in dem den Hautdrüsen ge-
widmeten Kapitel (vgl. S. 162), da sie ohne Zweifel bei Phyllirhoe
secretorische Elemente darstellen.
Erwähnen will ich noch, daß die Bindegewebskörperchen der
Phyllirhoe von Günther (44) als die Spermatozoen der an ihr schma-
rotzenden Meduse Menestra angesehen worden sind.
In die collagene Grundsubstanz sind außer ihren eigentlichen
Bildungszellen noch andre freie Zellarten, ferner das Nervensystem,
die Muskulatur und die Hautdrüsen eingelagert. Von den freien Zellen
sind die Pigmentzellen die interessantesten.
Die Pigmentzellen. *
An dem oberen und unteren Körperrande machen sich nach H. Mül-
ler und Gegenbaur (92) beim lebenden Tier gelbe Punkte bemerkbar,
die von ihnen mit den Chromatophoren der Tintenfische verglichen
werden. Über die beobachteten zwei Modifikationen dieser Zellen
geben die genannten Autoren folgende Angaben: »Man findet einmal
große, sehr platte, wenig intensiv gefärbte Zellen, die in einzelne spitze
Zacken ausgeben. • Andernfalls sind die Zellen klein, nach allen Di-
mensionen von ziemlich gleichem Durchmesser, bei durchfallendem
Lichte sehr dunkel und deutlich von einer Anzahl strahlig gestellter
Fortsätze umgeben. « Diese Beschreibung kann ich in folgender Weise
ergänzen.
Nahe dem Körperrande der Phyllirhoe findet man mitunter Gebilde,
an denen mehrere, 2 bis etwa 20 Kerne sichtbar sind; ohne Zweifel
sind aber in den tieferen Schichten, die nicht der Beobachtung zu-
gänglich sind, noch mehr Kerne enthalten. In diesen Syncytien sind
die Grenzen der einzelnen Zellen häufig durch einen fibrillären, licht-
brechenden Kontur gekennzeichnet (Taf. V, Fig. 2). Diese Zellver-
bände haben meist nur wenige und sehr kurze Ausläufer, Die Zellen
112 Ernst Born,
können sich nun voneinander entfernen; es stellen dann zunächst
noch deutlich sichtbare protoplasmatische Stränge die Verbindung
zwischen ihnen her (Fig. 1); je größer die Entfernung zwischen den
einzelnen Pigmentzellen wird, desto feiner werden die verbindenden
Stränge, und schließlich werden die Ausläufer so fein, daß die Ver-
bindung sich nur noch an einzelnen Pseudopodien nachweisen läßt;
bisweilen haben sich einzelne Zellen so weit entfernt, daß ein Zusammen-
hang mit der dicht am Körperrande gelegenen Pigmentzellenreihe
mittels der äußerst feinen Ausläufer nicht mehr zu konstatieren ist.
Solche isoliert erscheinenden Zellen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit
einem Khizopoden; sie sind stark abgeplattet, relativ groß und haben
einen central gelegenen, bläschenförmigen Kern; ihr äußerer Kontur,
der mitunter fast kreisförmig ist, entsendet zahlreiche, feine homogene
Ausläufer, die nur bei Färbung mit Heidenhains Eisenhämatoxylin
eingelagerte schwarze Körnchen erkennen lassen. In diesen expan-
dierten Zellen sind die Kerne in der Regel etwas größer als in den
kontrahierten mehrzelligen Gebilden ; die in letzteren enthaltenen Zellen
sind auch von bedeutend kleinerem Umfang und haben dichter granu-
liertes Pigment*
Die durch die feinen Ausläufer verbundenen Pigmentzellen zeigen
oft ganz sonderbare Formen ; häufig sind sie lang ausgezogen und liegen
in einer Reihe dicht nebeneinander. Diese Zellen weisen keine Pseudo-
podien mehr auf, nur von den beiden Polen jeder Zelle gehen wenige
oder sogar nur je ein fibrillärer Strang zu der benachbarten Zelle. Der
Körper solcher Zellen ist dann meist von einer lichtbrechenden Fibrille
umgrenzt; außerdem liegt ihm oft bei Präparaten, die mit Flemming-
scher Lösung fixiert sind, noch ein schmaler, heller, feingestrichelter
Saum auf (Fig. 3). Ich habe bisweilen sich über eine größere
Strecke hin ausdehnende Chromatophorenfelder beobachtet, welche
aus etwa 40 miteinander verbundenen Zellen bestanden. In diesen
Zellen lag der Kern häufig nicht in der Mitte, sondern nahe dem einen
Zellpole, und zwar regellos bald in diesem, bald in jenem Ende der
Zelle. Das Pigment ist meist im Centrum der Zelle in größerer Menge
vorhanden; bisweilen ist es aber auch an die Peripherie gedrängt und
der mittlere Teil des Zellkörpers erscheint homogen.
Viel Zeit und Mühe habe ich darauf verwandt, um einen eventuellen
Zusammenhang mit Nervenfasern feststellen zu können, wie er von
den Chromatophoren der Tintenfische bekannt ist. Sehr oft habe ich
Nerven über die Pigmentzellen hin wegziehen sehen; einmal hat sogar
der Nerv gerade über einer solchen Zelle eine ganglionäre Anschwellung
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 113
gehabt; doch ich bezweifle, daß die Pigmentzellen von diesen Nerven
tatsächlich innerviert werden. Desgleichen ist es mir nicht geglückt,
einwandfreie Verbindungen mit Muskelfasern festzustellen. Müt.ler
und Gegenbaur haben übrigens an den Pigmentzellen der Phyllirhoe
eine selbständige Bewegung nicht beobachtet, sondern nur bemerkt,
»daß die Zellen an der Formveränderung des Tieres überhaupt Anteil
nehmen «.
Bezüglich des biologischen Wertes dieser Zellen weise ich darauf
hin, daß E. Hecht (53) in seiner Monographie über die Nudibranchier
dreierlei Färbungen bei diesen l'ieren unterscheidet. Einmal indifferente
Farben, sie haben keine wesentliche Bedeutung; ferner Schutzfärbungen
(coloration homochromique), die aber selten beobachtet werden, und
schließlich Warnfarben (couleurs premonitrices) ; letztere zeigen einen
auffallenden Farbenton; sie sind fast immer rot, orange und nament-
lich gelb. In der Anordnung dieser Färbungen macht sich eine
gewisse Regelmäßigkeit bei den Nudibranchiern bemerkbar; meist ziert
die Farbe die Spitzen der Papillen; auch an den Seiten des Körpers
findet man lebhaft gefärbte, unregelmäßig gestaltete Flecken ; besondere
Pigmentzellen aber sind von Hecht nicht beobachtet worden. Alle
Arten mit Warnfarben sind äußerst flink und besitzen in ihren Nessel-
zellen kräftige Verteidigungsmittel. Wie Hecht weiterhin erwähnt,
ist Wallace der Ansicht, daß bei den Äolidiern die durch die Warn-
farben angelockten Feinde mittels der Nesselorgane zurückgetrieben
werden und infolgedessen in Zukunft die Angriffe nicht wiederholen.
Hecht kann diese Theorie nicht annehmen, da es ihm zweifelhaft
erscheint, daß den niederen Tieren die Gaben der Erinnerung und
Vernunft in so hohem Maße zuzusprechen sind. Übrigens hat auch
später noch Cockerell (25) die farbigen Pigmente in der Haut der
Chromodoris als "warning coloration" gedeutet. Hierzu muß aber
bemerkt werden, daß die Nesselzellen nicht von den Äolidiern erzeugt
werden, wie man lange Zeit annahm und selbst noch in der letzten,
von Grobben bearbeiteten Auflage des Lehrbuchs der Zoologie von
Claus auf S. 597 zu lesen ist; vielmehr entstammen die Nesselzellen
der Äolidier den Hydroiden, von welchen sich diese Tiere ernähren.
Durch Beobachtungen jedoch glaubt man sich davon überzeugt zu
haben (zit. nach Spengel, Die Nesselkapseln der Äolidier. Naturw.
Wochenschrift, Bd. XIX, 1904), daß die Äolidier die mit der Nahrung
aufgenommenen Nesselkapseln als Verteidigungswaffen gebrauchen; die
bunten Farben ihrer Papillen sind daher nach Spengel u. a. als un-
verkennbare Trutzfarben zu erklären. Ob auch bei Phyllirhoe die
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 8
114 Ernst Born,
Pigmentzellen die Rolle von Warnzeichen spielen, wage ich nicht
zu entscheiden. Es ist möglich, daß die eine oder andre Art der
am Körperrande, wo auch die Chromatophoren namentlich ihren Sitz
haben, sich findenden Drüsenzellen als Verteidigungsorgane zu deuten
sind; aber ich kann nicht die von Bergh (7, S. 216) gemachte Angabe
bestätigen, daß in der Haut der Phyllirhoe zahlreiche Nesselkapseln sich
finden.
Das Nervensystem.
Das centrale Nervensystem ist schon von Vissichelli (137) ein-
gehend beschrieben worden, so daß ich mich auf wenige Angaben über
dasselbe beschränken kann.
Das Centralnervensystem der Phyllirhoe hat die für die Nudi-
branchier charakteristische Lage hinter dem Pharynx; die vier über
dem Oesophagus liegenden Ganglienknoten haben eine verschiedene
Deutung erfahren. Vissichelli bezeichnet die oberen Centren als
cerebropleurale, aber auch als cerobroviscerale Ganglien, da nach seinen
Angaben der aus dem hinteren Abschnitt der dorsalen Ganglien hervor-
gehende Nerv Zweige an die oberen Leberschläuche, das Herz und
die Niere abgibt. Ich bezweifle übrigens, daß dieser Nerv die Mittel-
darmdrüse innerviert; seine Äste ziehen zwar über letztere hinweg,
ohne sich aber irgendwie auf diesem Organ zu verästeln; ich habe da-
gegen einigemal feine Zweige aus dem sympathischen Plexus an die
Leberschläuche abtreten sehen. Ferner halte ich es für ausgeschlossen,
daß der Seitennerv, so will ich diesen Zweig entsprechend der von
Vissichelli eingeführten Nomenklatur nennen, das Herz innerviert.
Dagegen tritt dieser Nervenstamm zur Niere tatsächlich in Beziehung,
jedoch in einer andern Weise als Vissichelli annimmt. Über die Inner-
vation des Herzens und des Nephridiums werde ich später ausführlichere
Angaben machen. Der Seitennerv gibt nun aber auch im weiteren
Verlaufe, wie ja auch Vissichelli bekannt ist, Zweige an das Inte-
gument ab; er ist also kein reiner Eingeweidenerv; demnach müssen
noch andre Gehirnabschnitte in den dorsalen Ganglien enthalten sein.
Nach Vissichelli haben sich letztere durch Verschmelzung der Cerebral-
und Pleuralganglien gebildet, und zwar entspringt der Seitennerv aus
dem hinteren, dem pleuralen Abschnitt. Dieses Verhalten ist aber in-
sofern bemerkenswert, als Guiart (45, S. 89) in seiner umfangreichen
Arbeit über die Opisthobranchier, die von Vissichelli nicht berück-
sichtigt wird, behauptet, daß auch bei diesen Gastropoden die Pleural-
ganglien keine Nerven mehr abgeben. Auch Pelseneer (97) hält die
Beiträge zur feineren Anatomie iler Pli\ Uirhoe bucephala. 115
von ihm bei Acera, Aplijsia und Apltjsidla beobachteten Pleurainerven
für Neubildungen. Für die Prosobranchier hatte schon vorher Spen-
OEL (125, S. 34) angegeben, daß bei ihnen die Pleuralganglien stets nur
die Visceralcomraissur und niemals peripherische Nerven abgeben.
Falls bei den Opisthobranchiern die Pleuralganglien Nerven an das
Tntegument senden, so stammen diese nach Guiart stets aus den mit
ihnen verschmolzenen »ganglions palleaux«. Bei Guiart sind näm-
lich nicht, wie sonst üblich, die Bezeichnungen Pleural- und Pallial-
ganglien synonym, vielmehr besteht nach ihm die Visceralcommissur,
sein »centre palleo- visceral «, von vorn nach hinten aus folgenden
Ganglien: aus zwei Pleuralganglien, welche niemals Nerven abgeben;
ihnen folgen zwei Pallialgangiien, welche das Integument der vorderen
Körperregion innervieren; letzteren Centren schließen sich dann noch
drei Visceralganglien an. Bei Phyllirhoe enthalten demnach die oberen,
die Cerebropleuralgangiien, auch noch die »ganglions palleaux« im
Sinne Guiarts und wohl außerdem noch Teile der Visceralganglien,
da der Seitennerv auch die Urinkammer innerviert. Daß bei Nudi-
branchiern Cerebral-, Pleural- und Visceralganglien miteinander ver-
schmelzen können, lehrt die Beobachtung Guiarts (S. 125) bei Archi-
doris tiiberculata und Idalia racemosa. Letztere Angabe ist insofern
bemerkenswert, als durch sie die von Pelseneer (98) aufgestellte
Behauptung widerlegt wird, daß sich die Pleural- und Visceralganglien
nie miteinander vereinigen.
Die unteren Ganglien bezeichnet Vissichelli nur als pedale,
während sie von Ihering (59) als visceropedale in Anspruch genommen
werden, da aus ihnen auch die Nerven für den Geschlechtsapparat
stammen. Nun bemerkt ja allerdings Pelseneer (97), daß bei den Mol-
lusken die Innervation des Penis immer durch das Pedalganglion erfolgt ;
auch Guiart bestätigt diese Innervierung des Penis für die Opistho-
branchier; aber bei allen diesen Angaben finden wir, daß neben dem
pedalen Penisnerv noch ein Nerv aus dem Visceralganglion die Genital-
organe innerviert. Wie aus den Angaben Pelseneers ersichtlich ist,
kann bei einigen Opisthobranchiern {Pleurobranchius, Polycera, Gonio-
doris, Elysia) der aus dem rechten Pedalganglion hervorgehende Penis-
nerv in demselben Umfange accessorische Ganglien bilden, wie wir
sie bei Phyllirhoe an dem aus dem rechten unteren Ganglion an den
Geschlechtsapparat tretenden Nerven beobachten; aber auch bei diesen
opisthobranchiaten Gastropoden innerviert der Penisnerv nur die Rute,
während den übrigen Teil des Fortpflanzungsapparates ein besonderer^
aus dem Visceralganglion stammender Genitalnerv versorgt. Bei
8*
11 G Ernst Born,
PhyllirJioe nun übernimmt der rechte pedale Ganglienknoten die
Innervation des gesamten Geschlechtsapparates, ein Innervationsgebiet
also, das allgemein zum Visceralganglion gerechnet wird. Die Be-
stimmung der Lage des Visceralganglions bei Phyllirhoe verursacht
demnach Schwierigkeiten; einen besseren Aufschluß würde uns wohl
ein Studium an Embryonen geben.
Es ist übrigens zweifelhaft, ob wir aus den Bezeichnungen, welche
die einzelnen Ganglien bei den Mollusken führen, immer direkte Schluß-
folgerungen auf das Innervationsgebiet ziehen können. Kawitz (105,
S. 448) hat schon für die Acephalen angegeben, daß ein weitgehender
Faseraustausch zwischen den verschiedenen Ganglien stattfindet; diese
Angaben haben durch List (81, S. 212) ihre Bestätigung gefunden.
Da bei den Muscheln die einzelnen Ganglien keine eigentlichen getrennten
Centren darstellen, so sind sie nach List »nichts als Namen, die sich auf
frühere vergleichend anatomische Untersuchungen stützen und nur mit
Rücksicht auf die vergleichende Betrachtung mit den übrigen Mollusken-
gruppen berechtigt sind. Auf jeden Fall darf man bei den Muscheln
keinen Lokalisationsbegriff damit verbinden« (List). Auch bei Phyl-
lirhoe sind die Ganglien nicht voneinander völlig getrennt (Taf. IV,
Fig. 3); ob aber die vom Gehirn abtretenden Nervenstämme Axone
verschiedener Ganglien enthalten, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
Über die physiologische Bedeutung der einzelnen Ganglienknoten gibt
uns wohl am besten das Experiment Aufschluß. Steiner (127, S. 93)
hat an Pterotrachea und Octopus festgestellt, daß nach Abtragung
des Pedalganglions jede Locomotion aufhört; es ist also zweifellos
das allgemeine Bewegungscentrum; mit demselben Erfolg hat
Mendelsohn (88) die Pedalganglien bei Carinaria und Pterotrachea
zerstört.
Der Ursprung der drei Schlundcommissuren bei Phyllirhoe
ist von Vissichelli richtig angegeben worden; und zwar deutet er
dieselben als subcerebrale, pedale und parapedale Coramissuren. Nach
Vissichelli fehlt also der Phyllirhoe die Visceralcommissur, während
nach Pelseneek die Subcerebralcommissur nicht vorhanden ist; das
Fehlen des letzteren Schlundringes wäre insofern auffallend, als nach
den eignen Angaben Pelseneers (97, S. 68), bei den Nudibranchiern
von allen Schlundringen die Subcerebralbralcommissur am häufigsten
beobachtet wird.
Die Innervation der Zwitterdrüsen ist von allen bisheri-
gen Beobachtern falsch beschrieben worden; während nach v. Ihering
der von ihm als Genitalnerv bezeichnete hintere Pedalnerv die bei
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirlioü bucephala. 117
Phyllirhoc bucephala stets paarigen Gonaden versorgt, zieht nach
VissiCHELLi der fortlaufende Stamm des Genitalnerven am Magen
entlang und tritt dann in die Keimdrüsen ein. Ich kann beiden Autoren
nicht beipflichten. Vielmehr bildet nach meinen Beobachtungen der
Genitalnerv am Receptaculum seminisi ein durchschnittlich nur 0,06mm
großes Ganglion, von dem ein feiner Nerv zum Zwittergang geht. Dieser
Nerv, der mehrere äußerst kleine accessorische Ganglien durchläuft,
teilt sich an der Vereinigung der Ausführungsgänge der dorsalen und
ventralen Gonade in zwei feinere Stämmchen, die sich bis zu den
Zwitterdrüsen verfolgen lassen.
Das sympathische Nervensystem wird bei den Gastropo-
den durch die Buccalganglien dargestellt. Letztere liegen bei PhyUirhoe
an der ventralen Fläche des Oesophagus, und zwar meist dicht hinter dem
Pharynx. Sie befinden sich also bei PhyUirhoe vor den Schlundringen,
während sonst bei den übrigen Opisthobranchiern nach Guiart die
I^age der Buccalganglien hinter dem Central nervensystem die ge-
Avöhnliche ist. Während die centralen Ganglienknoten bei PhyUirhoe
symmetrisch zur Medianebene des Körpers liegen, sind die Buccal-
ganglien meist etwas nach links verlagert. Zweimal lagen sie der
inneren Fläche der linken Speicheldrüse dicht an. Die Buccalganglien
stehen jederseits durch das Cerebrobuccalconnectiv mit dem gleich-
seitigen Cerebralganglion in Verbindung. Die Angabe Guiarts (S. 90),
daß dieses Connectiv aus dem Cerebral- und Pedalganglion entspringt,
finde ich nirgends bestätigt. Auch für PhyUirhoe ist ein doppelter
Ursprung des Cerebrobuccalconnectivs ausgeschlossen. Wie Vissi-
€HELLi schon angibt, bilden die beiden aus dem hinteren Rand der
Buccalganglien entspringenden Nerven auf dem Magen ein Geflecht.
Letzteres ist aber nach meinen Beobachtungen auf dem hinteren Teil
des Magens am stärksten entwickelt; der Mitteldarm wird hier von
den Nerven umflochten; auch war das Geflecht auf der linken Magen-
seite stärker ausgebildet als rechts. Von diesem Plexus treten auch
Nerven zu den Leberschläuchen und dem Enddarm ab. Bemerken
möchte ich noch, daß diese aus dem hinteren Rand der Buccalganglien
stammenden Nerven bald nach ihrem Ursprung jederseits häufig einen
feinen Zweig nach vorn senden, der auf dem Oesophagus erst kurz vor
1 Während nach Bergh (8) den Phyllirhoiden eine Samenblase fehlt, wird
in Längs Lehrbuch der vergleichenden Anatomie in Fig. 343 der Blindsack des
Eileiters als »Receptaculum seminis« gedeutet. Durch Schnittserien habe ich
mich davon überzeugt, daß das von Bebgh als Ampulle des Zwitterganges be-
zeichnete Gebilde einen Samenbehälter darstellt.
118 Ernst Born,
dem Pharynx mit einem sehr kleinen Ganglion endet. Diese äußerst
kleinen Ganglienzellenkonglomerate müssen wir als » gastrocsopha-
geale « Ganglien ansehen, die ja nach Pelseneer (97, S. 64), für die
Niidibranchier charakteristisch sind; ihre Lage weicht aber bei Phylli-
rlioe insofern ab, als diese Ganglien sonst, ausgenommen bei den Ely-
soideen, in unmittelbarer Nähe der Buccalganglien liegen.
Was nun das periphere Nervensystem anbetrifft, so hat Vissi-
CHELLi nur die Hauptstämme beschrieben; mit dem Verlauf der feineren
Nebenäste hat er sich nicht befaßt; ich werde auf das Verhalten der
letzteren aus praktischen Gründen erst bei den Ausführungen über
die Innervation der Muskulatur (S. 145) näher eingehen.
Histologie des centralen Nervensystems.
Auf Schnittserien erkennt man, daß bei Phyllirhoe die centralen
Ganglienzellen von verschiedener Größe sind. In den Cerebropleural-
ganglien sind sehr große, mittelgroße und sehr kleine Ganglienzellen
zu unterscheiden; in den Pedalganglien dagegen sind nur Zellen von
mittlerer. Größe; sehr große Zellen finden sich hier nur an den Ab-
gangsstellen der Schlundringe. An den großen Ganglienzellen kann
man deutlich beobachten, daß es sich um unipolare Zellen handelt.
Der Zellfortsatz, der oft eine fibrilläre Längszeichnung zeigt, scheint
sich in der centralen Fasermasse, dem Neuropil, meist aufzusplittern;
nur einmal trat ein Zellfortsatz direkt in einen abgehenden Nerven-
stamm über (Taf. IV, Fig. 3 bei a). Schon Buchholtz (18) erwähnt,
daß in den Ganglienzellen der Mollusken die Größe des Kernes in einem
ganz bestimmten Verhältnis zu derjenigen des Zellkörpers steht. Auch
in den Ganglien der Phyllirhoe findet man in den sehr großen Zellen,
deren birnenförmiger Körper ungefähr einen Durchmesser von 0,07 mm
hat, die größten Kerne. Die Behauptung H. Schultzes (119, S. 74)
dagegen, daß die Größe des Kernkörperchens im gleichen Verhältnis zur
Größe des Kernes steht, trifft für Phyllirhoe nicht zu (Taf. V, Fig. 11,
12 u. 13). Desgleichen finde ich bei Phyllirhoe nicht die Angabe
Bethes (9, S. 26) bestätigt, daß der Ganglienzellkern bei Mollusken
fast immer nur einen großen Nucleolus, selten aber mehrere Kern-
körperchen zeigt; vielmehr weisen hier die großen Kerne meist viele
Nucleolen auf, die allerdings häufig nur wenig größer, als die größten
Chromatenkörnchen sind (z. B. in Fig. 10). Jedoch unterscheiden sich
die Kernkörperchen von letzteren stets durch ihre Eigenschaft bei
Anwendung der Doppelfärbung mit Hämatoxylin-Eosin den Anilin-
farbstoff anzunehmen, während das Chromatin sich mit dem Häma-
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 11*J
toxylin färbt. Die größeren Nucleolen sind häufig von einem schmalen,
lichten Hof umgeben (Fig. 12) i. Während die Nuclei der kleineren
Ganglienzellen bei PhylUrhoe stets rund sind, zeigen die großen Gan-
glienzellen häufig einen längsovalen Kern; so habe ich unter diesen
Kernen häufiger solche angetroffen, die 0,04 mm lang, dagegen nur
halb so breit waren. In den großen Ganglienzellen beobachtet man
hin und wieder Kerne mit einer unregelmäßigen und undeutlichen
Kontur. Die Angaben über das Vorkommen unregelmäßig gestalteter
Kerne in den Ganglienzellen der Mollusken sind nur äußerst spärlich;
da diese Mitteilungen in der Literatur verstreut sich finden, ist es
wohl angebracht, sie hier einmal in chronologischer Folge anzuführen.
Die ersten Notizen über das Auftreten polymorpher Kerne in den
Ganglienzellen der Mollusken finden sich in der schon oben zitierten
Arbeit von Buchholtz auf S. 240; der genannte Autor schreibt dort:
»Man trifft nämlich unter den Kernen von größerem Umfang nicht
gerade selten derartige an, welche statt der gewöhnlichen kugelrunden
Form eine stark nierenförmige Gestalt besitzen, indem sie in der Mitte
mehr oder weniger tief eingeschnürt erscheinen. « Die seiner Abhand-
lung beigegebene Fig. 6 stellt eine große Gangiienzelle von Planorhis
dar, deren Kern eine tiefe Einbuchtung zeigt. Buchholtz beobachtete
diese Kernformen sehr häufig an völlig unversehrt erhaltenen Zellen,
und zwar nicht allein nach Chromsäureanwendung, sondern selbst an
1 Wie Pflücke (101, S. 535) angibt, hat Th. Eimer »in den verschiedensten
Zellen der verschiedensten Tiere« um die Nucleolen einen hellen Hof beobachtet.
Pflücke hat diesen von Eimer als Hyaloid bezeichneten Hof, welcher nach An-
sicht seines Entdeckers eine allgemeine Eigenschaft des Zellkernes darstellen soll,
häufig in den centralen Xervenzellen der Muscheln angetroffen. Bei der Unter-
suchung des Nervensystems, aber auch der andern Gewebe der Phyllirhoe be-
merkte ich öfter ebenfalls eine die Nucleolen umgebende helle Zone. Bestätigen
kann ich auch den Befund der genannten Autoren, daß durch diesen hellen Hof
feinste Fädchen in radiärer Richtung zum Nucleolus ziehen. Ich pflichte Pflücke
bei, wenn er dieses radiäre Easersystem als einen Teil des vom Nucleolus aus-
gehenden Kerngerüstes ansieht. Nach Fischer (31, S. 243) stellt der die Nu-
cleolen umgebende Hof nicht ein besonderes Gebilde dar, sondern er soll bei Diffe-
renzierungsfärbungen, z. B. bei der Eisenhämatoxylinmethode nach Heidenhain,
durch stärkere und längere Wirkung der entfärbenden Lösungen hervorgerufen
werden. Fischer spricht daher von einer »Spiegelfärbung der Nucleolen«. Ob
dieser Ansicht Fischers eine allgemeine Gültigkeit zukommt, erlaube ich mir
zu bezweifeln, denn ich habe bei Phyllirhoe einen die Nucleolen umgebenden
hellen Hof auch sehr häufig bei Exemplaren beobachtet, die nur mit Flemming-
scher Lösung fixiert und in keiner Weise gefärbt waren (z. B. in Zelle G^ in
Fig. 17 auf Taf. V).
120 Ernst Born,
Zellen, die durch einfache Maceration isoliert waren; er hält daher
diese Kernstrukturen nicht für Kunstprodukte.
Auch Hans Schültze (119, S. 72) hat in den centralen Ganglien-
zellen der Gastropoden wiederholt die von Buchholtz beschriebene
Nierenform des Kernes beobachtet; er läßt es aber unentschieden, ob
diese Form nicht etwa durch eine Einwirkung der beim Isolieren der
Ganglienzellen gebrauchten Zupfnadel verursacht ist.
Von allgemeinerem Interesse sind nun diese unregelmäßig ge-
stalteten Kerne der Ganglienzellen seit der Auslegung, die ihnen in
der Arbeit von Rohde (112) über ;> Ganglienzellkern und Neuroglia«
zuteil geworden ist. Rohde sieht nämlich diese Kernstrukturen, ent-
gegen der sonst allgemein acceptierten Lehre, daß eine postembryonale
Vermehrung der Ganglienzellen nicht eintritt,- als Teilungsperioden an;
und zwar glaubt er nach seinen Studien an Helix und den Riesenganglien-
zellen der marinen Opisthobranchier nicht weniger als vier Arten ihrer
Vermehrung gefunden zu haben.
Bald darauf beobachtete McClure (24, S. 51) in einigen Ganglien-
zellen von Helix nierenförmige Kerne; besonders interessant ist der
Befund, welchen auch seine Fig. 21 und 22 wiedergeben, daß nämlich
das Zellplasma in der Einbuchtung am Kern oder etwas davon ent-
fernt eine scheibenförmige Struktur zeigt; die feingranulierte Scheibe
sieht McClure als Sphäre und die zwei bis drei in ihrem Centrum ge-
legenen Granula, welche sich mit Eisenalaunhämatoxylin intensiv tin-
gieren, als Centrosomen an. Ganz analoge Erscheinungen hatte übrigens
einige Zeit zuvor v. Lenhossek (70) in den Spinalganglienzellen des
Frosches bemerkt und damit zuerst Centrosom und Sphäre in Nerven-
zellen beobachtet. McClure hat unter den Ganglienzellen von Helix
mitunter auch solche mit zwei Kernen angetroffen; er schließt sich
daher der von Rohde vertretenen Lehre an, daß den Ganglienzellen
auch im späteren Leben noch eine Teilungsfähigkeit zukommt. Auf
die Angaben Rohdes und Mc Clures werde ich unten noch etwas
ausführlicher eingehen.
In jüngster Zeit hat Merton (90) in Schnittserien durch die centrale
Ganglienmasse von TetJiys zuweilen Ganglienzellen gefunden, bei
welchen sich das Kerngerüst innerhalb der Kernmembran einseitig
verlagert hatte; in andern Zellen war der Kern mit breiten, lappenartigen
Fortsätzen in das Cytoplasma eingedrungen. Merton sieht aber diese
Kernstrukturen nicht als Teilungsfiguren an, sondern nach ihm sind
derartige Kernbilder auf die Wirkung der angewandten Fixiermittel
zurückzuführen.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 121
In den Arbeiten von Vignal (136), Halder (48), Rawitz (105),
Pflücke (101), und List (81), in weichen sich ausführliche Angaben
über die feinere Anatomie der Ganglien bei Mollusken finden, wird das
Vorkommen unregelmäßig konturierter Kerne in Ganglienzellen nicht
erwähnt.
In den großen centralen Ganglienzellen der Phyllirhoe findet man,
wie schon oben erwähnt, mitunter Kerne mit einer oder mehreren
Einkerbungen; am häufigsten sind die Kerne, welche nur eine Ein-
buchtung zeigen und deren Gestalt dadurch der Form einer Niere nicht
unähnlich ist. In diesen nierenförmigen Kernen der Phyllirhoe bildet
das Chromatin in den eingeschnürten Stellen häufig eine durch die
angewandten Kernfarbstoffe dunkel tingierte Leiste, während das übrige
Kerngerüst nur wenig chromatische Substanz trägt (Fig. 10). In dem
in der Kerndelle gelegenen Zellplasma habe ich die von Lenhossek
in den Spinalganglienzellen des Frosches und von McClure in den
Ganglienzellen von Helix beobachtete Sphäre mit den Centrosomen
nie vorgefunden, obwohl die Präparate nach Heidenhain gefärbt
waren und die betreffenden Zellen mit den stärksten ölimmersions-
svstemen in der Schnittserie verfolgt wurden. Ebenso kann ich den
beiden Autoren nicht darin beipflichten, daß diese nierenförmigen
Kerne eine exzentrische Lage aufweisen, vielmehr nehmen sie in den
Ganglienzellen der Phyllirhoe, wie die regelmäßig geformten Kerne,
stets die Mitte der Zelle ein. Nach McClure findet sich die Einker-
bung stets an einer bestimmten Stelle des Kernes, und nie soll sie nach
dem Ursprung des Gangiienzellfortsatzes gerichtet sein. Bei Phijlli-
rhoe dagegen zeigt der Kern die napfartige Vertiefung häufig an der
Stelle, welche dem Zellfortsatz zugekehrt ist; die in Fig. 8 abgebildete
Ganglienzelle ist schräg geschnitten und daher der von ihr abgehende
Stammfortsatz nicht getroffen; wie aber aus den folgenden Schnitten
ersichtlich ist, entsendet die Zelle ihren Fortsatz an dem, z. B.
in Fig. 11 schon etwas hervorgewölbten, der Kerndelle gegenüber-
liegenden Teil des ZelUeibes. Bei Phyllirhoe befinden sich außer den
Kernen mit einer Einbuchtung hin und wieder auch Nuclei, deren
Kontur mehrere Einkerbungen zeigt; ein solcher gelappter Kern ist in
Fig. 9 bei a dargestelt. Nach Rohde sollen sich nun von derartigen
Kernen einzelne Teile abschnüren und zur Bildung neuer Zellen führen.
Wie ich schon erwähnt habe, hat auch McClure bei Helix zweikernige
Ganglienzellen beobachtet; nach Rawitz kommen bei den Acephalen
sogar Ganglienzellen mit drei Kernen vor; sonst finde ich in der ein-
schlägio-en Literatur derartige Angaben nicht; von einzelnen Autoren,
122 Ernst Born,
z. B. von Haller, wird das Vorkommen von mehrkernigen Ganglien-
zellen bei Mollusken entschieden bestritten. Bei Phyllirhoe habe ich
einigemal unter den großen Ganglienzellen solche angetroffen, Avelche
zwei voneinander getrennte Chromatinanhäufungen enthielten (Fig. 8) ;
verfolgte ich aber die betreffende Zelle in der Serie, so konnte einwand-
frei festgestellt Averden, daß es sich nicht um eine mehrkernige Ganglien-
zelle handelte, sondern vielmehr diese gesonderten Chromatinanhäu-
fungen nur die Ausläufer eines tief eingekerbten Kernes darstellten.
Bestätigen kann ich die Angabe Rohdes, daß die polymorphen Kerne,
welche nach seiner Auffassung zum Zerfall des Kernes in mehrere
Bruchstücke führen sollen, ein sehr dichtes und sich ungemein stark
färbendes Kerngerüst haben; in Fig. 9 hat der gelappte Kern a sich
intensiv schwarz mit Eisenhämatoxylin fingiert, während in den Kernen
der benachbarten Zellen das Chromatin nur einen grauschwarzen Ton
zeigt. Auch habe ich dieselbe Beobachtung gemacht, wie sie die Fig. 5 a
der Arbeit Rohdes zeigt, daß nämlich die Ganglienzellenkerne feine
Fortsätze entsenden ; der linksgelegene Chromatinhauf en in Fig. 8 zeigt
z. B. dieses Verhalten. Diese Forsätze sind übrigens nicht zu ver-
wechseln mit den starken, schon von Solbrig (124) im Jahre 1872
beobachteten Kernfortsätzen, welche in periphere Nervenfasern über-
gehen sollen. Kernfortsätze im Sinne Solbrigs besehreiben auch Hans
ScHULTZE und Haller, während von den übrigen Forschern ihre Exi-
stenz bezweifelt wird. Beipflichten kann ich ferner der Bemerkung
Rohdes, daß es an solchen Kernen schwer fällt anzugeben, >)wo der
Kern aufhört und das Zellprotoplasma anfängt; ein derartig allmäh-
licher Übergang des Kerngerüstes in das Spongioplasma des Zellleibes
findet hier statt; es macht den Eindruck, als wenn Kern und Zellkörper
dasselbe Gerüst hätten «. Dieselbe Beobachtung ist an den in Fig. 8
und 11 abgebildeten Ganglienzellen der PhyUirhoe zu machen. Im
Anschluß hieran will ich noch die Ansicht Pflückes anführen, daß
die Kernmembran der Ganglienzellen der Wirbellosen als ein Ver-
schmelzungsprodukt von Kern- und Plasmabestandteilen auf zxifassen ist.
Pflücke erachtet es infolgedessen für möglich, daß das Kerngerüst
in das Gerüst des Zellleibes ohne scharfe Grenze übergehen kann.
Nach der Beobachtung Rohdes an den Riesenganglienzellen von
Boris wird die Entstehung von Tochterzellen stets durch das Aus-
wandern der massenhaft im Kern auftretenden Nucleolen in den Zellleib
eingeleitet. Auch bei PhyllirJioe sind mir Ganglienzellen zu Gesicht
gekommen, deren Zellleib ohne Zweifel ausgewanderte Nucleolen be-
herbergt. Fig. 12 zeigt eine solche Zelle, die nach Heidenhain gefärbt
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirlioe bucephala. 123
ist; die zahlreichen im Kern enthaltenen Nncleolen sind tief schwarz
tingiert; von derselben Farbe ist auch ein bei * auf der Grenze zwischen
Kern und Zellleib liegendes Kernkörperchen, während einige nucleolus-
artige Bildungen, welche mitten im Cytoplasma lagern, einen grau-
schw^arzen Farbenton zeigen. Nach K. C. Schneider (115, S. 113)
wird ein solcher Nucleolenaustritt an Zellen mit regem Stoffwechsel,
namentlich an Eizellen und Nervenzellen beobachtet; er vermutet, daß
das in den Nucleolen enthaltene Nuclein einen Reizstoff darstellt,
durch welchen die Zelle zum Eintritt in die Funktionsphase angeregt
wird. Schneider erwähnt auch, daß mit dem Austritt der Nucleolen
eine unregelmäßige Begrenzung des Kernes verbunden ist.
Wie schon mehrfach erwähnt, sieht Rohde alle diese Kernbilder
als Teilungsperioden an ; ich kann die ähnlichen, in den vorhergehenden
Zeilen beschriebenen Kernformen der Phyllirhoe nicht in diesem Sinne
deuten; nach meiner Beobachtung stellen sie vielmehr funktionelle
Strukturen dar. Doch bevor ich noch weitere Angaben zur Begrün-
dung meiner Ansicht mache, möchte ich besonders hinweisen auf
KoRSCHELTs »Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes «
(68), welche der Aufmerksamkeit Rohdes entgangen sind. Korschelt
kommt nach seinen Beobachtungen an den Eizellen und den secer-
nierenden Zellen der Insekten zu dem Resultat, daß der Kern zu ver-
schiedenen Zeiten verschiedenartige Beziehungen zum Zellplasma hat.
Der Kern kann nach Korschelt anfangs gegen das Zellplasma ab-
gesetzt erscheinen, später aber schwindet diese scharfe Grenze und es
findet ein stetiger Übergang zwischen Kern- und Zellsubstanz statt.
Dieses verschiedene Verhalten des Kernes hängt mit den Verrichtungen
der Zelle zusammen, an denen sich der Kern lebhaft beteiligt. Um die
Einwirkung auf das Zellplasma zu verstärken, entsendet der Kern
Fortsätze, wodurch seine Berührungsfläche mit dem Cytoplasma ver-
größert wird. Diese Ausführungen Korschelts erleichtern das Ver-
ständnis für das soeben beschriebene verschiedene Aussehen des Kernes
in den Ganglienzellen der Phyllirhoe; erwähnen will ich noch, daß das
Keimbläschen aus dem Ovarium von Dytiscus, welches er in Fig. 21
abbildet, dieselbe nierenförmige Gestalt zeigt, wie der in meiner Fig. 11
dargestellte Kern der Gangiienzelle der Phyllirhoe. '' -
Völlig gesichert wird aber die Diagnose, daß diese verschieden-
artig gestalteten Kerne verschiedene Funktionszustände darstellen,
durch folgenden interessanten Befund. Findet man in einem cen-
tralen Ganglienknoten der Phyllirhoe einen unregelmäßig konturierten
Kern, so trifft man in dem gleichnamigen Ganglion der andern
J24 Ernst Born.
Körperseite an derselben Stelle einen ebenso geformten Nucleus an.
Die in Fig. 9 abgebildeten drei großen Kerne liegen am unteren
Rande des rechten Cerebropleuralganglions, in dem links gelegenen
gleichnamigen Ganglion finden sich ebenfalls am centralen Rande drei
ebenso gestaltete und gefärbte Kerne. Ich besitze mehrere Schnitte,
die in instruktiver Weise diese Symmetrie zeigen. Apäthy (4) hat
schon im Jahre 1896 an den Bauchganglien der Hirudineen beobachtet,
daß die Ganglienzellen vollkommen symmetrisch angeordnet sind; er
hat auch schon damals bemerkt, daß dieser Symmetrie der Lage auch
eine Symmetrie der Fixier- und Tingierbarkeit entspricht. Insbesondere
hat Apathy gezeigt, daß die Methylenblautinktion vollkommen sym-
metrisch ausfällt; wenn eine Ganglienzelle auf der rechten Seite die
Färbung angenommen hat, so ist auch die entsprechende Ganglienzelle
der linken Seite mit derselben Intensität tingiert. Apathy hat schon
darauf hingewiesen, daß diese Erscheinungen auf eine Symmetrie der
Funktion hindeuten. Dieselben Angaben hat der Autor (6) vor kurzem
in einer Streitschrift gegen Goldschmidt wiederholt. In dem Bericht
über seinen auf der 17. Jahresversammlung der Deutschen Zoologischen
Gesellschaft gehaltenen Vortrag führt Goldschmidt (38) an, daß es im
Nervensystem von Ascaris eine Symmetrie der Lage und der Funktion
gibt. »Wie alle lebhaft funktionierenden Gewebszellen zeigen auch die
Ganglienzellen einen Chromidialapparat. Dieser zeigt sich in den ver-
schiedenen Funktionszuständen der Zelle in verschiedener Form aus-
gebildet, und da kann man sicher sein, die beiden symmetrischen
Zellen stets im gleichen Zustand des Baues des Chromidialapparates
vorzufinden.« (Goldschmidt.) Als Chromidialapparat bezeichnet
Goldschmidt (40) Fäden, welche sich im Cytoplasma aller aktiv tätigen
Gewebszellen in der Nähe des Kernes befinden und mit Kernfarbstoffen
sich intensiv tingieren. Solche Chromidialstränge habe ich zwar in
den Zellen der Phyllirhoe, auch in ihren Ganglienzellen, nicht beobachtet,
aber auf Grund des oben näher angeführten Verhaltens der polymorphen
Kerne halte ich mich zu der Annahme berechtigt, daß auch bei
Phyllirhoe die symmetrischen Ganglienzellen sich auch in dem gleichen
physiologischen Zustand befinden; auch wird durch meine Beobach-
tungen der Einwand Mertons (vgl. oben S. 120) widerlegt, daß die
unregelmäßige Gestalt der Kerne durch die angewandten Reagenzien
verursacht ist. Erwähnen will ich noch, daß bei Phyllirhoe häufig
auch die völlig runden Kerne bei der Färbung nach Heidenhatn oder
mit verdünntem DELAFiELDschen Hämatoxylin sich in derselben Weise
tingiert haben, wie die entsprechenden Kerne der andern Körperseite.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 125
Eine Symmetrie der Färbung hat bei Mollusken schon Gilchrist (37)
im Jahre 1897 beobachtet; als Gilchrist die Buccalganglien der Aflysia
mittels Methylenblau tingierte, fiel es ihm auf, daß die korrespondieren-
den Ganglienzellen sich stets zu derselben Zeit färbten.
Als mir zum erstenmal der in Fig. 2 auf Taf. IV abgebildete Kern-
haufen zu Gesicht kam, glaubte ich eine durch Fragmentierung im
Sinne Rohdes erfolgte Kernvermehrung vor mir zu haben. Doch bald
überzeugte ich mich, daß der obere innere Winkel jedes Cerebralgan-
glions stets von einem Paket sehr kleiner, dicht aneinander gedrängter
Kerne gebildet wird (Taf. IV, Fig. 3 bei h). Es stellt also dieser Kern-
haufen nicht das Produkt einer Ganglienzellteilung, sondern eine ganz
besondere Form von Ganglienzellen dar, welche Guiart (45) als » cellules
sensorielles « beschrieben hat. Guiart unterscheidet nämlich zwei ver-
schiedene Typen von Ganglienzellen; einmal die bekannten »cellules
ganglionnaires «, welche in allen Ganglien vorhanden sind, und ferner
die »cellules sensorielles«, welche sich in den Cerebralganglien und in
den Anschwellungen der Sinnesnerven finden. Im Anschluß hieran
bemerke ich, daß in den Tentakelganglien der PhyUirJwe fast ausschließ-
lich nur sehr kleine Zellen vorkommen.
Als einen weiteren Einwand gegen die von Rohde und McClure
aufgestellte Behauptung der Teilungsfähigkeit der Ganglienzellen
möchte ich von den Studien Apäthys und Goldschmtdts noch das
Resultat hier anführen, daß man bei Hirudineen und Ascaris stets
nahezu dieselbe Anzahl von Zellen in den Ganglienknoten zählt, einerlei
ob man ein ganz junges oder ein vollkommen erwachsenes Tier unter-
sucht. Wie auch Apäthy betont, ist demnach eine postembryonale
Vermehrung der Ganglienzellen ausgeschlossen.
Schon Hans Schultze war es bekannt, daß die centralen Ganglien-
zellen der Gastropoden in den Maschen eines bindegewebigen Fach-
werks liegen. Während nun aber nach Schultze diese Scheidewände
von der neurilemmatischen Hülle der Ganglien ausgehen, lassen bei
Phyllirhoe Gehirnschnitte, bei denen die Bindegewebsfärbung nach
Hansen ausgeführt ist, erkennen, daß das schmale, homogene Neu-
rilemm als ein roter Streifen sich scharf von der Ganglienzellenschicht
abhebt; letzteres entsendet also bei Phyllirhoe keine Septen in die
Rindenzone der Ganglienzellen. Vielmehr zeigt bei diesem nudibran-
chiaten Gastropoden das die Ganglienzellen umhüllende Fachwerk an-
scheinend ein ähnliches Verhalten, wie es List (81) neuerdings an
diesem Gewebselement bei den Mytiliden beobachtet hat. Bei diesen
Tieren werden nämlich die GansHenknoten von einer ziemlich dicken,
126 Ernst Born,
meist homogenen Hülle eingefaßt, deren Innenfläche eine zarte eosino-
phile Schicht aufliegt; letztere enthält viele kleine Kerne, die sich
intensiv mit Kernfarbstoffen tingieren; ähnliche Kerne finden sich
zwischen den Ganglienzellen, welche mit den peripher gelegenen zu-
sammen ein reiches Netz von Fasern liefern, in dessen Maschen sich
die Ganglienzellen befinden. Bei Phyllirhoe liegen nun der inneren
Wand des Neurilemms häufig stark abgeplattete, sehr kleine Kerne
an, an denen ein eigentlicher Zellkörper nicht nachgewiesen werden
kann; bei der Tinktion nach Heidenhain oder mit Hämatoxylin färben
sie sich wegen ihres reichen Chromatingehaltes sehr dunkel und lassen
dann eine besondere Struktur nicht mehr erkennen. In den Fig. 6,
8 und 11 auf Taf. V sind diese Gebilde unter der Bezeichnung Gl
dargestellt. Von den Kernen gehen lichtbrechende, eosinophile Fibrillen
aus, welche die Ganglienzellen allseitig umspinnen; eine eigentliche
Membran besitzen aber letztere nichts.
Dieses die centralen Ganglienzellen der Wirbellosen umgebende
Stützgewebe ist nun vielfach mit der Neuroglia der Vertebraten ver-
glichen worden. Ein derartiger Vergleich ist wohl zuerst von Vignal
(136, S. 137) angestellt worden; er hat in den Ganglien vieler Mollusken
zwischen den Ganglienzellen besondere Bindegewebszellen mit langen
Fortsätzen gefunden, welche er mit den Neurogliazellen der Säugetiere
vergleicht. In den Ganglien von Aphjsia, Hei ix, Pleurobranchus, Tethys
und Doris fand auch Rohde (111) das von ihm ebenfalls als Neuroglia
bezeichnete Stützgewebe reich entwickelt. Dagegen haben Rawitz
(105) bei den Acephalen und Veratti (134) bei Limaeiden keine
Neuroglia angetroffen; auch Guiart (45) erwähnt bei seinen Angaben
über die feinere Struktur der Ganglienknoten der Opisthobranchier
nichts von einem die Ganglienzellen einfassenden Stützgewebe.
Besondere Aufmerksamkeit hat vor kurzer Zeit Bocheneck (13)
diesem Gewebselement geschenkt. Nach seinen Beobachtungen an
Anodonta unterscheidet er drei Arten von Gliazellen: einmal äußere
Gliazellen, welche der äußeren Fläche der gelatinösen Hülle der Gan-
glien aufliegen. In Parenthese erwähne ich hier, daß man auch bei
Phyllirhoe an der Außenseite des Neurilemms (Taf. V, Fig. 6 B) hin
1 Die Angabe H, Schultzes, daß der centralen Ganglienzelle der Mollusken
eine besondere Zellmembran zukommt, ist schon von Apäthy, Rawitz, List u. a.
entschieden zurückgewiesen worden. Es sei hiermit auf eine wenig bekannte
Arbeit Ramon y Cajals (103) hingewiesen, in welcher für die Ganglienzellen
von Helix außer einer gliösen Hüllschicht noch die Existenz einer besonderen
Zellmembran behauptet wird.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 127
und wieder kleinere Zellen antrifft ; letztere stellen aber bei Phyllirhoe
keine besonderen Gliazellen, sondern nur die bekannten Bindegewebs-
körperchen dar. Mit den Fortsätzen der äußeren Gliazellen sollen
nun nach Bocheneck die inneren Gliazellen in Verbindung stehen,
die zwischen den Ganglienzellen liegen. Die inneren Gliazellen ana-
stomosieren außerdem noch mit der dritten Art von Gliazellen, welche
in der centralen Fasermasse der Ganglien liegen. Letztere Gebilde
vergleicht auch Havet (51) mit den Neurogliazellen der Vertebraten,
während andre Autoren sie für Ganglienzellen halten. Da diese Zellen
sich auch in der Mitte der Ganglien der Phyllirhoe finden, komme ich
auf sie noch einmal zu sprechen.
Wie Bochenek übrigens hervorhebt, lassen sich die Gliaelemente
allein durch die Form ihres Kernes von den Nervenzellen unterscheiden ;
letztere haben nach Ansicht dieses Forschers nämlich stets einen völlig
runden Kern, während die Kerne der Neurogliazellen immer oval und
außerdem auch kleiner sind. Diese Behauptung Bochenecks trifft für
Phyllirhoe nur teilweise zu; wie aus meiner obigen Beschreibung des
Ganglienzellkernes ersichtlich ist, finden sich in den großen Ganglien-
zellen häufig längsovale Kerne. Ein sicheres Kriterium ist aber, wie
auch Haller angibt, die auffallend minimale Größe der meist oblongen
Gliakerne; letztere sind auch bei Phyllirhoe stets kleiner, wie die Kerne
selbst der kleinsten Ganglienzellen. Derartig runde und große Glia-
kerne, wie sie in Fig. 9 bei Gl zu finden sind, habe ich sehr selten bei
Phyllirhoe' beobachtet. Auch pflichte ich Haller bei, wenn er den
reichen Chromatingehalt der Gliakerne als Unterscheidungsmerkmale
angibt. Nach K. C. Schneider (115, S. 401) ist bei Evertebraten zur
Darstellung der Gliazellen, deren eigentlicher Körper sich auch bei
Helix (ebenda, S. 565) nur durch den Kern markiert, die Eisenhäma-
toxyliimiethode unbedingt erforderlich; bei diesem Tinktionsverfahren
sollen die langen Fasern, welche die Gliazellen entsenden, sich intensiv
schwärzen, während die nervösen Teile nur einen lichten grauen Ton
annehmen. Bei Phyllirhoe habe ich einige der von den Gangiienknoten
angefertigten Schnittserien nach Heidenhain gefärbt und in verschieden
starkem Grade differenziert, ohne den von Schneider angegebenen
Farbeneffekt erzielt zu haben
Nach den Beobachtungen verschiedener Forscher soll die GliahüUe
zu der von ihr eingeschlossenen Ganglienzelle in Beziehungen stehen.
So hat Kohde, wie schon erwähnt, namentlich an Gastropoden, ferner
Nansen (93) bei Crustaceen, Apathy (4) bei Hirudo und Goldschmidt
(39) bei Ascaris ein Eindringen der Neurogliafasern in das Protoplasma
128 Ernst Born,
der Ganglienzellen beobachtet. Da dieses Verhalten der Gliafasern bei
den verschiedensten Evertebraten beobachtet ist, vermutet Gold-
schmidt, daß die Gliahülle mit ihren Fortsätzen ein konstantes, für die
Funktion der Ganglienzellen wesentliches Element darstellt. Auch für
Phyllirhoe halte ich es nach meinen Beobachtungen nicht für aus-
geschlossen, dai3 die die Ganglienzellen umspinnenden Gliafibrillen in
das Cytoplasma eindringen; jedoch handelt es sich hier um Fäserchen
von der subtilsten Art, so daß bei der Beurteilung der Strukturen
die größte Vorsicht geboten ist.
Wie bei allen Evertebraten, so umgeben auch bei Phyllirhoe die
Ganglienzellen wie eine Mantelschicht die centrale Fasermasse (Taf . IV,
Fig. 3). Über den Aufbau der letzteren gehen die Meinungen sehr aus-
einander. Schon im Jahre 1864 hat F. Leydig (75) angegeben, daß
die Punktsubstanz — so bezeichnet er diesen Bestandteil des centralen
Nervensystems — von »netz- oder geflechtartig gestricktem Charakter «
sei. Später stellten dann Haller an Rhipidoglossen und Rawitz bei
Acephalen eingehendere Studien der centralen Gehirnsubstanz an. Beide
Autoren kamen zu dem Ergebnis, daß die centrale Fasermasse sich
aus einem Netzwerk feinster Fäserchen zusammensetzt. Während nun
aber nach der Auffassung Leydigs (79, S. 173) dieses Netz aus Spongio-
plasma besteht, also ein bindegewebiges Gerüstsystem darstellen soll,
handelt es sich nach den Beobachtungen Hallees und Rawitz um
ein nervöses Fibrillensystem, dessen Ursprung die Ausläufer der Gan-
glienzellen sind. Die Fortsätze der Ganglienzellen sollen sich nämlich
in feinste Fibrillen teilen und mit den gleichen Teilprodukten der Fort-
sätze benachbarter Zellen sich verbinden. Rawitz gibt übrigens der
LEYDiGschen Punktsubstanz die schon von Dietl (1876) vorgeschlagene
Bezeichnung »i' Marksubstanz «, da sie bei den Acephalen einen dem
Myelin der Vertebraten ähnlichen Stoff enthält.
Von allgemeinerem Interesse wurden diese centralen Nervennetze,
als Apathy (5) mittels besonderer Färbemethoden an meisterhaft aus-
geführten Präparaten in der centralen Fasermasse des Bauchstranges
der Hirudineen ein feines Gitterwerk nachwies und auf das bestimmteste
behauptete, daß in den Knotenpunkten des diffusen Elementargitteis,
so benennt er dieses Gebilde, die Neurofibrillen sich nicht nur kreuzen
sondern substantiell miteinander verschmelzen. Bald darauf gab auch
Bethe (9, S. 44) an, daß die Fortsätze der centralen Ganglienzellen bei
den Wirbellosen sich in feinste Fibrillen aufsplittern und in der Mitte
diss Ganglienknotens, welche er als Neuropil bezeichnet, wirkliche Anasto-
mosen miteinander eingehen. Diese Mitteilungen über Verbindungen
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 129
centraler Ganglienzellen mußten berechtigtes Aufsehen erregen, da
sie ja zur Neuronenlehre, die sich bis dahin einer allgemeinen Aner-
kennung erfreute, in direktem Widerspruch standen. Auf die Neu-
ronenlehre, welche bekanntlich das Nervensystem als einen Komplex
selbständiger morphologischer Einheiten betrachtet, werde ich später
(vgl. S. 149) noch einmal zu sprechen komimen.
Die Richtigkeit der von Haller, Rawitz, Apäthy und Bethe
gemachten Angaben über das Vorkommen centraler Nervennetze wird
von den bedeutendsten Histologen bestritten. So stellt sich in den
Präparaten Ramön y Cajals (71) und Retzius (110) diese centrale
Fasermasse bei den Wirbellosen nicht als ein aus gitterartig verschmol-
zenen Fäden bestehendes Netzwerk, sondern nur als ein Geflecht sich
kreuzender, aber nicht miteinander anastomosierender Fäserchen dar.
Retzius adoptiert übrigens, wie es v. Lenhossek, K. C. Schneider
u. a. getan haben, nicht die von Bethe eingeführte Bezeichnung »Neu-
ropil«, sondern behält den indifferenteren Namen »LEYDiGsche Punkt-
substanz« bei. Bezüglich der Nomenklatur will ich noch erwähnen,
daß auch andre Autoren des Auslandes die ältere Bezeichnung ge-
brauchen, z. B. Havet, Guiart (la substance ponctuee de Leydig);
auch Veratti spricht von einem »reticolo della punctsubstanz «.
Kürzlich hat Menel (89) »Über die Histologie und Histogenese
der sog. Punktsubstanz Leydigs in dem Bauchstrange der Hirudineen <<
einige bemerkenswerte Angaben gemacht; auch Menel hat in der
Punktsubstanz nie ein Netz, sondern nur ein Geflecht der Zellfortsätze
gesehen. Ein feines Netzwerk hat er allerdings in den Nervenstämmen
von Glossifhonia beobachtet, aber nur an Exemplaren, welche in dei
bei den älteren Autoren üblichen W^eise mit Chromsäure oder Chrom-
essigsäure fixiert waren. Menel hält daher die in der Punktsubstanz
bisher gefundenen Netze für Artefakte. Diese Ansicht hat vieles für
sich, wenn man außer den von Menel angeführten Gründen die arte-
fiziellen Strukturen berücksichtigt, mit denen uns Bütsohli (19) und
Fischer (31) bekannt gemacht haben. Ich erinnere zur Kritik dieser
Netze hier nur an die Schaumemulsionen, welche Bütschli durch Ver-
reiben von Gelatine und Olivenöl auf dem Objektträger erhielt, und
an die künstlichen Schaumstrukturen, welche Fischer in seinem Werk:
»Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas« auf Seite 284 ab-
bildet. Es ist nicht zu bestreiten, daß die von einzelnen Histologen
veröffentlichten Abbildungen des von ihnen im Neuropil beobachteten
Netzwerks eine gewisse Übereinstimmung mit den von Bütschli und
Fischer hergestellten artefiziellen Strukturen zeigen.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 9
130 Ernst Born,
In sehr dünnen Schnitten vom Gehirn der PhylUrhoe beobachtet
man, daß auch hier das ganze Neuropil ein sehr feines Netzwerk durch-
zieht, das aus unregelmäßigen Maschen besteht und an dessen Knoten-
punkten sich oft kleine Verdickungen zeigen. Fig. 7 b auf Taf. V stellt
einen Teil dieses feinen Gitter Werkes dar. Letzteres ist aber in der
Figur der Deutlichkeit wegen etwas zu dick und zu bestimmt gezeichnet.
Ich vermutete zuerst, daß es sich bei PhylUrhoe um ein gliöses Stützge-
rüst handelt; die Fibrillen dieses Netzwerkes haben nämlich fast das
gleiche Aussehen wie die die Ganglienzellen umhüllenden Gliafädchen.
Da ich aber diese Beobachtung nur an mit Chromsäure fixierten
Präparaten gemacht habe, halte ich es für ratsamer, es als unentschieden
zu lassen, ob das Netzwerk in der Punktsubstanz der PhylUrhoe eine
präformierte oder nur durch die Konservierung hervorgerufene Struktur
darstellt.
In der Punktsubstanz der Hirudineen finden sich nach Menel
regellos zerstreut winzige Kernchen, deren Herlomft und Bedeutung
er nicht sicher feststellen kann. Auch im Neuropil der PhylUrhoe
liegen unregelmäßig verstreut nur 0,004 mm große Kerne, die von
einem sehr schmalen, häufig unsichtbaren Zellleib umschlossen werden
(Fig. 7 a). Erwähnen will ich noch, daß schon Haller und Rawitz
diese Gebilde beobachtet und als multipolare Ganglienzellen gedeutet
haben, deren Ausläufer das centrale Nervennetz verstärken sollen.
Nach Rawitz ist aber die Bedeutung dieser Zellen für die Netzbildung
nur an Isolationspräparaten zu erkennen, auf Schnittserien erwecken
sie nur den Eindruck apolarer Gebilde. Wie aus der der Abhandlung
von Rawitz beigegebenen Fig. 80, welche einen Schnitt durch das
Visceralganglion von Mya arenaria wiedergibt, hervorgeht, stimmen
diese kleinen Zellen völlig mit den im Neuropil der PhylUrhoe beob-
achteten überein. Während nun aber nach Haller und Rawitz andre
zellige Elemente sich nicht in der centralen Fasermasse der Everte-
braten finden, habe ich bei PhylUrhoe bei zwei quer durch das Cerebro-
pleuralganglion ausgeführten Schnittserien je eine mächtig entwickelte
bipolare Ganglienzelle beobachtet; bei der in Fig. 3 abgebildeten Zelle
ist der Kern 0,024 mm lang und 0,017 mm breit.
Histologie des peripheren Nervensystems.
Die corticale Ganglienzellenschicht des Gehirns ist nur durch
die abgehenden Connective, Commissuren und peripheren Nerven-
stämme unterbrochen. Letztere sind bei PhylUrhoe nach dem von
Waldeyer (140) als morphologisch unvollkommener bezeichneten
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 131
Typus ii;ebaut, d. h. die aus einer Canglienabteilung hervortretenden
Fibrillen werden in ein einzelnes großes Bündel zusammengefaßt, das
von einer gemeinsamen Hülle umgeben wird. Die Nervenscheide der
Wirbellosen zeigt nach Waldeyer dieselben färberischen Eigenschaften
wie die elastische Membran. Soweit mir bekannt ist, hat diese Angabe
niemals eine Nachprüfung erfahren. Phi/lUrhoe ist für eine derartige
Untersuchung wenig geeignet, da die brauchbarsten Färbemethoden
zum Nachweis elastischer Elemente, nämlich die Orceinfärbung nach
Unna und das WEiGERTsche Verfahren mittels Resorzin-Fuchsinlösung
außer dem Neurilemm auch die die Nerven umgebende collagene
Grundsubstanz intensiv tingieren. Das Neurilemm ist bei Phyllirhoe
anscheinend homogen und an den Abgangsstellen der Nerven von den
Ganglienknoten am stärksten; nach der Peripherie wird es allmählich
schmäler, um an den feinen Nerven völlig zu verschwinden (Taf. V,
Fig. 14 u. 15 bei Neu).
In der Nervenscheide findet man in ziemlich großer Menge sehr
schmale Zellen, welche dem Fibrillenbündel dicht anliegen. Diese
Zellen "gleichen in ihrem Aussehen völlig den schon auf S. 110 beschrie-
benen Bindegewebskörperchen der Phyllirhoe; auch in ihnen liegt der
kleine runde Kern meist an dem einen Ende des feingekörnten Zell-
leibes, der oft unregelmäßig gestaltet ist und sich bisweilen in feine
Fibrillen auszieht (Fig. 14 bei B). Diese Bindegewebszellen sind bis-
weilen auch noch dünneren Nerven angelagert, welche keine Nerven-
scheide mehr erkennen lassen; es ist somit die Annahme berechtigt,
daß auch diese Nerven noch eine Hüllmembran haben (Taf. VI, Fig. 1 B).
iVn den feinsten Nervenausläufern dagegen begegneten mir die Binde-
gewebskörperchen nicht mehr. Ferner findet man häufig an der Ober-
fläche der Fibrillenbündel sehr schmale, spindelförmige Zellen mit
wohl entwickeltem, stäbchenförmigem Kern (Taf. V, Fig. 14 d und
Taf. VI, Fig. 1 d). Diese Zellen, die mit ihrer Längsachse stets in der
Richtung des Faserverlaufs liegen, gehören vielleicht nicht mehr der
Nervenscheide, sondern sch^n dem eigentlichen Fibrillenbündel an.
Bei sehr starker Vergrößerung machen sich außerdem an der inneren
Neurilemmfläche der dicken Nerven Zellen bemerkbar, die in ihrer
Gestalt den bei der Beschreibung des Centralnervensystems (S. 126) als
Gliazellen erwähnten Gebilden völlig entsprechen.
Im Gegensatz zu den eben beschriebenen drei Zellarten rufen die
peripheren Ganglienzellen meist eine mehr oder weniger beträchtliche
Verdickung der Nervenfaser hervor. Die peripheren Ganglienzellen
finden sich meist zu mehreren an den Teilungsstellen, aber auch im
9*
132 Ernst Born,
Verlauf der Nervenstämme ihnen seitlich anliegend (Taf. V, Fig. 16 u.
17 bei G; Taf. VI, Fig. 1 bei c-i, c2, c^ und Fig. 5). Sie sind von ver-
schiedener Größe ; die gTÖßten finden sich in den dicken Nervenstämmen ;
je mehr man sich der Peripherie nähert, desto zahlreicher und kleiner
werden sie. Die feinen Hautnerven bilden hin und wieder, namentlich
in der Nähe des Körperrandes, auffallend große, ganglionäre Anschwel-
lungen; letztere stellen wohl sensible Organe dar, da sie sich in der
gleichen Form, nur bedeutend häufiger, in den Tentakeln finden (S. 136).
Die in der Regel völlig runden Kerne der peripheren Ganglienzellen
sind reich an chromatischer Substanz und enthalten oft nur einen
Nucleolus, der häufig von einem hellen Hof umgeben ist. Der fein-
granulierte Zellleib, an dem keine Membran wahrnehmbar ist, entsendet
oft in Präparaten, die mit FLEMMiNGscher Lösung fixiert sind, an-
scheinend keine Fortsätze; dagegen hebt sich in mit Hämatoxylin-
Eosin gefärbten Chromessigsäurepräparaten der dunkelrote Zellleib der
Ganglienzellen mit seinen Ausläufern scharf von dem nur blaßrot tin-
gierten Fibrillenbündel ab. In solchen Präparaten beobachtet man,
namentlich in der Flosse, im Verlaufe der dicken Nerven häufiger bi-
polare und in den Teilungsstellen derselben mitunter gut ausgebildete
multipolare Ganglienzellen. Entgegen der Beobachtung Paneths (96)
bei den Pteropoden und Heteropoden muß ich betonen, daß an den
bipolaren Zellen der PJiylUrhoe das Abtreten eines seitlichen Fortsatzes
nie konstatiert werden konnte. Dagegen sind hier den Nerven hin und
wieder seitlich Zellen angelagert, die ohne Zweifel multipolare Ganglien-
zellen darstellen (Taf. V, Fig. 15 G u. Fig. 17 6^2- Taf . VII, Fig. 5);
ihre feinen Fortsätze gehen häufig, nachdem sie die Muskulatur inner-
viert haben, in dickere Nervenstämme über. In mit FLEMMiNGscher
Lösung fixierten Präparaten findet man oft in dem Zellleib der peri-
pheren Ganglienzellen tief schwarz tingierte Körnchen; auf Taf. V ent-
halten die multipolaren Ganglienzellen in den Fig. 15 u. 17, auf Taf. VI
die Zelle a in Fig. 1 derartige Gebilde. Um ausgewanderte Nucleolen
kann es sich hier nicht handeln, da diese im Cytoplasma lagernden Körn-
chen meist viel schwärzer tingiert sind als die Kernkörperchen ; allem
Anschein nach sind es Fettkörnchen, die nach K. C. Schneider häufig
in Nervenzellen als Peservenährstoffe aufgespeichert werden.
Am Fibrillenbündel findet man außerdem bisweilen körnige Auf-
lagerungen von schollenförmiger oder rundlicher Gestalt; diese granu-
lierten Massen färben sich intensiv mit sauren Anilinen (Taf. V, Fig. 16
bei ^1, j)^, f^).
Einigemal umhüllten eigenartige Zellgruppen die Nerven ; es lagen
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 133
ihnen ziemlich große Kerne in einer reichlichen Menge locker gefügten
Protoplasmas unregelmäßig verstreut seitlich an ; besondere Zellgrenzen
waren meist nicht zu erkennen. Diese Gebilde stellen die später (S. 178)
noch zu erwähnenden Plasmazellen dar, die nach Brock (17) die Nerven-
stämme der Mollusken streckenweise umhüllen können.
Die Nerven zeigen deutlich eine fibrilläre Struktur; doch sind die
einzelnen Fibrillen, die ein relativ starkes Lichtbrechungsvermögen
besitzen, nur auf kurze Strecken zu verfolgen, da sie sich innig mit-
einander verflechten. Die Fibrillen sind alle gleich dick und nie varicös;
nirgends findet sich eine Andeutung, welche auf einen zusammen-
gesetzteren Bau aus Elementarfibrillen, wie ihn Apathy (4, S. 508)
lehrt, schließen ließe. Eine homogene Masse trennt anscheinend die
Fibrillen voneinander. Auf Längsschnitten findet man in dieser inter-
fibrillären Substanz nur sehr kleine, rundliche, bzw. ovale chromatin-
arme Kerne, bisweilen von einer minimalen Menge Protoplasma um-
geben; es ist möglich, daß diese Kerne den Nervenkernen Apäthys
entsprechen (Taf. V, Fig. 6 bei xx). Apathy unterscheidet in den
peripheren Nervenstämmen zwei Arten von Zellen, nämlich Nerven-
zellen, welche er als die Bildungszellen der Neurofibrillen auffaßt und
Ganglienzellen ; letztere produzieren nur » das, was geleitet werden soll «.
BocHENEK (12) hat übrigens bei Anodonta, Hetix und den Tunicaten
vergebens nach Nervenzellen im Sinne Apäthys gesucht. Erwähnens-
wert ist noch, daß bei Phyllirhoe die feinen Ausläufer der Nerven reich-
lich mit stark lichtbrechenden Pünktchen besetzt sind, die sich im
Gegensatz zu den Fibrillen mit Eosin stark färben.
Wie schon H. Schultze hervorgehoben hat, werden die Magen-
Darmnerven der Gastropoden von Ganglienzellen »in erstaunlicher
Fülle « (Taf. VI, Fig. 6) begleitet, von denen viele durch ihre enorme
Größe auffallen (Fig. 7 u. 8). Den Nerven liegen oft mehrere Zellen
hintereinander seitlich an, von denen einige einen feinen Fortsatz ab-
geben (Fig. 9). Auf den Teilungsstellen der Nerven liegen in der Regel
eine sehr große oder mehrere etwas kleinere Zellen; ein Zusammenhang
der Zellen mit dem darunter sich teilenden Nerv läßt sich nicht fest-
stellen (Fig. 7). Nur einmal habe ich an einer Teilungsstelle eine mäch-
tige multipolare Ganglienzelle beobachtet, die in die vier abgehenden
Nervenstämme je einen Fortsatz sendet (Fig. 8). Die sympathischen
Ganglienzellen haben einen sehr großen, scharf begrenzten Kern, der
in der Regel etwas heller erscheint als der schmale, dicht granulierte
Zellleib. Letzterer besitzt eine scharfe Kontur, die vielleicht als eine
31embran zu deuten ist. Die fein gestreiften Nerven sind von einer
134 Ernst Born,
äußerst zarten Hülle umgeben. Von den ganglionären Anschwellungen
gehen feine homogene, Hur mit Körnchen besetzte Fäserchen an die
Muskulatur des Magens ab. Beiläufig bemerke ich, daß letztere aus
einer oberflächlichen Ring- und einer darunter liegenden äußerst feinen
Längsfaserschicht besteht.
Die Sinnesorgane.
Es erscheint mir zweifelhaft, ob bei dem rudimentären Zustand
der lichtempfindlichen Organe bei PhylUrhoe der Gesichtssinn ausge-
bildet ist. Wie die meisten Nudibranchier (57, S. 40), so besitzt auch
PhylUrhoe zwei ungestielte Augen, die der lateralen Fläche des linken
bzw. rechten Cerebralganglions dicht anliegen (Taf . IV, Fig. 3 und
Taf. V, Fig. 6), Während in den beiden Augenwinkeln einige größere
Kerne liegen, wird die laterale Fläche des Auges von einer Schicht
sehr kleiner, dicht aneinander gelagerter Kerne umsäumt. Das Centrum
des Auges wird von einem ovalen homogenen Gebilde, das wohl einer
Linse entspricht, ausgefüllt. Rings um diesen Körper — es ist übrigens
nicht ausgeschlossen, daß diese Stelle nur einen Hohlraum im Auge
darstellt — macht sich eine feinkörnige pigmentierte Masse bemerkbar.
Dem Auge liegt immer ein dünnes Fibrillenbündel an, welches aus der
Cerebropedalcommissur entspringt und zum Fühlernerv zieht.
Wie bei allen pelagischen Mollusken, so sind auch bei PhylUrhoe
die Otocysten wohl entwickelt. Letztere werden bekanntlich neuer-
dings als Gleichgewichtsorgane gedeutet. Die Wand der Otocysten
besteht aus einer dünnen Bindegewebskapsel, der innen eine einschich-
tige Lage flacher, mit langen Cilien versehener Epithelzellen aufliegt;
an der Ansatzstelle des Acusticus, der aus dem Cerebralganglion seinen
Ursprung nimmt, machen sich drei größere bewimperte Zellen bemerkbar.
Nach Lacaze-Duthiees (121, S. 324) werden bei den Prosobranchiern
beide Otocysten durch ein bindegewebiges Ligament, dem Muskelfasern
eingelagert sind, stets verbunden; bei PhylUrhoe habe ich beide Organe
nur von der homogenen Grundsubstanz umgeben gefunden.
Bekanntlich wird in neuerer Zeit vielfach die Ansicht vertreten,
daß den im Wasser lebenden Tieren ein Riech vermögen mangele, viel-
mehr bei ihnen die chemischen Reize nur durch den Geschmack auf-
genommen werden können. Li der Mundhöhle der Mollusken sind
mehrfach papillenartige Vorsprünge als Geschmacksorgane gedeutet
worden, »doch immer ohne physiologische, fast immer ohne histolo-
gische Begründung« (57, S. 258). Hinter der kräftig entwickelten Ra-
dula der PhylUrhoe befinden sich einige zottenförmige Wülste (Taf. IV,
Beiträge zur feineren Anatomie der Pliyllirhoc bucephala. 135
Fig. 7 bei Z); ähnliche Gebilde umsäumen die Übergangsstelle des
Pharynx in den Oesophagus; es fehlt aber jeglicher Grund, diese Zotten
als Geschmacksorgane ansprechen zu müssen; denn sie sind ebenso
wie der übrige Teil der Mundhöhle bedeckt mit einer einschichtigen
Lage flacher Epithelzellen, welche von einer kräftigen Cuticula über-
zogen werden. Um den kleinen Kern der Epithelzellen liegen in reich-
licher Menge braune Körnchen.
Die Tentakel.
Während der Kopf der Opisthobranchier gewöhnlich zwei Paar
Tentakel trägt, von denen die hinteren häufig als Rhinophoren ge-
deutet werden, besitzt Phyllirhoe nur zwei Fühler. Bergh (8) be-
zeichnet dieses eine Fühlerpaar der Phyllirhoiden als Rhinophoren, da
seiner Ansicht nach das vordere Paar diesen Tieren fehlt. Unter den
marinen Gastropoden, welche Geaber (41) auf ihre Empfindlichkeit
gegen Riechstoffe untersucht hat, befindet sich auch Phyllirhoe. Die
Untersuchung führte Graber in der Weise aus, daß die an einem zu-
gespitzten Glasstäbchen haftenden Riechstoffe den im Wasser befind-
lichen Tieren auf 2— 5 mm genähert wurden. »Gegen alle Erwartung
unempfindlich erwäesen sich die drei Nacktschnecken: Gastropteron
Meckelii, Phyllirhoe buce/phalum und Aplysia leporina. Erstere zwei
reagierten nämlich nur ganz wenig (durch Bewegung der Fühler) auf
Rosmarinöl und Asa foetida, und letztere blieb völlig indifferent gegen-
über allen angewandten Reizstoffen« (Graber). Carinaria und
Pterotrachea dagegen zeigten sich gegen diese genannten Riechstoffe
außerordentlich empfindlich. Meine mikroskopischen Untersuchungen
gestatten natürlich keine Entscheidung in der Frage, ob die Tentakel der
Phyllirhoe im Dienste der Geruchswahrnehmung stehen; doch dürfte
die eigenartige histologische Struktur dieser Gebilde die Annahme als
berechtigt erscheinen lassen, daß in ihnen der Tastsinn seinen Haupt-
sitz hat. Spengel (125) hält es übrigens für denkbar, daß das Geruchs-
organ unter den opisthobranchiaten Gastropoden nur auf die Tecti-
branchier beschränkt ist. Die Länge der beiden pfriemenförmigen Ten-
takel der Phyllirhoe beträgt etwa die Hälfte der Körperlänge (Taf. IV,
Fig. 1). An ihrer Basis sind sie von einer Hautduplicatur, der Tentakel-
scheide, umgeben. Entgegen den Angaben Vayssieres (133) können
sich die Fühler der Phyllirhoe nach meinen Beobachtungen durch Re-
traktion sehr verkürzen, wobei sie sich in Ringfalten legen. An der
Kontraktion sind namentlich die in der Längsrichtung der Fühler ver-
laufenden Muskelbündel beteiligt. Während diese Retractoren noch
136 Ernst Born,
relativ stark sind, ist die übrioe Muskulatur nur schwach entwickelt.
Zu äußerst liegen die sehr dünnen Diagonalfasern; an ihren Enden
teilen sich diese schräg von unten nach oben verlaufenden Faserzellen
dichotomisch und stehen mittels ihrer feinen Ausläufer miteinander in
Verbindung. Auf diese Diagonalfasern folgt die noch feinere Ring-
faserschicht, und zu Unterst liegen die schon erwähnten Retractoren.
Die Ausdehnung der Tentakel ist rein passiver Natur, bedingt durch
die Erschlaffung der Retractoren und vermehrtes Zuströmen von
Hämolymphe in den Innenraum der Fühler; auf Schnitten erkennt
man, daß letzterer noch von besonderen Faserzellen durchzogen wird.
Solche Faserzellen, die auch die Leibeshöhle durchqueren, beschreibe
ich später (S. 144) als Parenchymmuskelfasern. In jedem Tentakel sind
die beiden Fühlernerven, die nur eine äußerst feine bindegewebige
Hülle haben, bis zur Spitze zu verfolgen, wo sie mit einer mächtigen
Ganglienzellenanhäufung enden. Die »starken Windungen und Bie-
gungen«, die Bergh diesen Nerven beilegt, habe ich nur bei kontrahier-
ten Tentakeln beobachtet. Sind dagegen die Fühler maximal gestreckt,
so ist der Verlauf der Nerven ein schnurgerader. Die von den Fühler-
nerven abgehenden Seitenzweige haben in ihrem Verlauf, bisweilen auch
schon an ihrer Ursprungsstelle, mächtige Anhäufungen sehr kleiner,
undeuthch begrenzter Zellen (Taf . VI, Fig. 4). Von diesen Anhäufungen
gehen feine Nerven ab, die in ihrem Verlauf ebenfalls derartige Zellen-
anlagerungen zeigen; meist haben sie solche auch an ihrer Abgangsstelle,
wodurch diese ganglionären Verdickungen eine eigenartige Gestalt an-
nehmen. In mit FLEMMiNGscher Lösung fixierten Präparaten finden
sich in großer Zahl die schon früher (S. 132) erwähnten, tief schwarz
tingierten Granula. Die von den Anschwellungen ausgehenden feinen
Zweige, die mit zahlreichen, lichtbrechenden Körnchen besetzt sind,
anastomosieren miteinander; das dadurch entstehende Nervennetz ist
in einer Hälfte der Fühler, anscheinend der oberen, reichlicher ent-
wickelt. Der ventrale Rand der Fühler dagegen ist reich mit serösen
Drüsenzellen besetzt; während Panceri (94) diese Zellen zuerst als
»cellule olfattive« bezeichnete, bringt er sie später (95) zu der Phos-
phorescenz der PhylUrhoe in Beziehung. Mucöse Drüsenzellen sind im
Integument hier nur spärlich vorhanden ; außerdem finden sich in der
Haut der Tentakel auch die Blasen- und die Sternzellen; auf die hier
angeführten Drüsenzellen werde ich in späteren Kapiteln noch aus-
führlicher zu sprechen kommen. In den tieferen Schichten der homo-
genen Grundsubstanz liegen viele Plasmazellen und Leucocyten. Wie
Schnittserien zeigen, sind die Tentakel mit einem einschichtigen Epithel
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 137
bedeckt, in welchem sich nnrecelmäßig verstreut Flimmerzellen von
derselben Beschaffenheit wie die auf den Körperhälften befinden. Zellen
mit steifen Borsten, wie sie Panceri von den Fühlern der Carinaria
beschreibt, habe ich nicht bemerkt, desgleichen nicht die bipolaren
Sinneszellen, welche Guiart (45) neuerdings im Khinophor der Pleuro-
branchier entdeckt hat. Man könnte vielleicht annehmen, daß die
starren Forsätze, welche von den ganglionären Anschwellungen der
Fühlernerven 1 abgehen, Sinneszellen angehören (in Fig. 4 bei a, h, c,
d, e dargestellt). Diese kurzen feinen Fortsätze sind häufig an ihrer
Basis durch einen eingelagerten Kern zwiebeiförmig aufgetrieben,
während ihr entgegengesetztes Ende dicht unter der Haut knopfartig
endet. Solche Gebilde haben dann eine gewisse Ähnlichkeit mit den
von Retzius (109), Guiart (45), Bethe (9) beschriebenen bipolaren
Sinnesnervenzellen; aber ein Charakteristikum dieser Sinneszellen ist
bekanntlich ihre Lage zwischen den Epithelzellen, während die hier
erwähnten Gebilde der Phjllirhoe unter dem Epithel und der Basal-
membran liegen. Daher nehme ich an, daß diese kurzen Fortsätze,
welche die ganglionären Anschwellungen aussenden, nicht die faden-
förmigen Fortsätze von Sinneszelien darstellen, sondern als freie Endi-
gungen sensibler Nervenfasern zu deuten sind.
Ich bemerke noch, daß nach iVMBRONN (2) den Fühlernerven der
PliyUirhoe eine deutlich negative Doppelbrechung in bezug auf die
Längsrichtung zukommt; als den optisch wirksamen Körper sieht er
auf Grund seiner chemisch-physikalischen Untersuchungen das Leci-
thin an.
Die Flimmerzellen,
Nach Retzius und Bethe sind im Epithel der Mollusken bipolare
Rezeptionszellen weit verbreitet. Retzius identifiziert diese Zellen
mit den früher von Flemming (33) als Pinselzellen beschriebenen Ge-
bilden. Bei Phyllirhoe habe ich solche Zellen nicht nur im Tentakel,
sondern auch in dem den übrigen Körper bedeckenden Epithel vermißt ;
dagegen liegen allenthalben auf der Haut der Phyllirhoe unregelmäßig
verstreut, polygonal gestaltete Flimmerzellen (Taf. VI, Fig. 2 u. 3).
Diese Zellen tragen ein Büschel feiner Cilien, welche bei starker Ver-
größerung durch die lichtbrechende Cuticula hindurch bis zum Zellkern
zu verfolgen sind; besondere Basalkörperchen, an denen die Cilien
1 Derartige Fortsätze entsenden ebenfalls, wenn auch nicht so häufig, die
Ganglienanschwellungen der am dorsalen und ventralen Körperrand verlaufenden
Hautnerven.
138 Ernst Born,
fixiert sein sollen, wie es Heidenhain (54) lehrt, habe ich in der Cuticula
nicht bemerkt. Bei ihrem Verlauf durch den Zellleib konvergieren diese
Fibrillen nur wenig; ein scharf ausgeprägter Faserkegel kommt infolge-
dessen in den Flimmerzellen der Phyllirhoe nicht zustande. Diese be-
wimperten Zellen sind nun in seltsamer Weise miteinander verbunden
(Fig. 2). Von zwei oder drei Winkeln ihres polygonalen Zellleibes geht
je eine sehr dünne Fibrille ab, die in geradem Verlauf zu der nächst-
gelegenen Flimmerzelle zieht; kommt nun eine solche Fibrille, die sich
noch dichotomisch teilen kann, auf diesem Wege zu der Öffnung irgend
einer Hautdrüse, so wird das Stoma ringförmig umschlossen und die
Fibrille zieht dann weiter zur nächsten Flimmerzelle; oft streben drei,
selbst vier Fibrillen auf eine Drüsenöffnung zu, wo sie sich anscheinend
miteinander verflechten. Unter diesen Flimmerzellen bilden die Haut-
nerven bisweilen rundliche oder kegelförmige ganglionäre Anlagerungen
(Fig. 3) ; ich habe aber nie ein Eindringen von Neurofibrillen in die
Zellen feststellen können. Da »die Flimmerepithelien Stoffe über
Schleimhautflächen bewegen, auch wohl Schädlichkeiten entfernen,
hat es etwas Einladendes, daß die Arbeit dieser Zellen unter die Herr-
schaft des Nervensystems gestellt ist« (Pflüger, 100). Dagegen
glaubt Verworn (135, S. 59) durch eine Reihe vivisectorischer Ver-
suche festgestellt zu haben, daß die Flimmerbewegung eine automa-
tische Bewegung ist, d. h. »die Impulse für die Tätigkeit der Flimmer-
haare entstehen in der Flimmerzelle selbst«. Es liegen aber, wie auch
Pplüger weiterhin betont, noch keine einwandfreien Beobachtungen
über die Beziehungen der Nerven zu den Flimmerzellen vor. ApÄthy (4)
hat zwar in den Flimmerzellen des Mitteldarmes von Anodonla und
TJnio beobachtet, daß der intracellulär gelegene Faserkegel an der
Basis der Zelle in einen einheitlichen Faden übergeht, der ganz den
Charakter einer dicken Neurofibrille besitzt; er fährt dann aber fort:
»leider konnte ich das Eindringen von extracellulär verfolgten deutlich
als solche erkennbare Neurofibrillen in die Flimmerzellen nicht kon-
statieren«. Die Starrheit des Fibrillenconus der Flimmerepithelien ist
nach Pflüger kein Grund, wie es Engelmann früher getan hat, die
nervöse Natur des Faserkegels zu bezweifeln, denn diese Eigenschaft
könnte durch eine Verhornung der perifibrillären Hülle bedingt sein.
Wie oben erwähnt, finden sich solche steife Fibrillen auch im Plasma
der Flimmerzellen der Phyllirhoe; nur kommt es wegen der geringen
Höhe dieser Zellen nicht zur Ausbildung eines eigentlichen Faserkegels.
Da nun Pflüger neuerdings die Richtigkeit der von Apäthy vertretenen
Ansieht, daß wir es im Fibrillenconus mit dem Innervierungsmodus
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 139
der Flimmerzellen zu tun haben, nicht für au.s^^eschlossen erachtet,
möchte ich besonders auf die Untersuchungen hinweisen, welche Wal-
lengren (142) hinsichtlich der Histogenese des Wimperapparates an
den Kiemenleisten der Najaden angestellt hat. Wallengren hat
nämlich beobachtet, daß die Wimperwurzeln zuerst in den distalen
Teilen der Flimmerzellen zum Vorschein kommen und dann durch
eine nach der Basis zu fortschreitende Differenzierung des inneren Cyto-
plasmas sich weiter entwickeln. Aus diesem Entwicklungsmodus dürfte,
wie auch Wallengren selbst hervorhebt, geschlossen werden können,
daß die Ansicht Apäthys, nach welcher die Wimperwurzeln nervöse
Fibrillen vorstellen, nicht zutrifft.
Die die Flimmerzellen der Phyllirhoe verbindenden Fibrillen unter-
scheiden sich also ebenfalls durch ihre Starrheit, welche sie durch ihren
geraden Verlauf bekunden, wesentlich von der sonstigen Natur der
Neurofibrillen. Die von Haycraft im Epithel der Schildkröte ge-
fundenen starren Fädchen sieht Pflüger aber ebenfalls als Nerven-
fasern an und führt auch hier die Starrheit der Fibrillen auf eine Ver-
hornung zurück. Wenn wir diese Erklärung Pflügers auch für die
in der obersten Hautschicht der Phyllirhoe verlaufenden starren Fibrillen
gelten lassen, so ist es möglich, daß die bei Phyllirhoe die Flimmerzellen
verbindenden feinen Fibrillen nervöser Natur sind. Zumal da, wie
oben erwähnt, diese Flimmerzellen mitunter gangiionären Anschwel-
lungen der Hautnerven aufsitzen. Doch ebenso ist die Annahme be-
rechtigt, daß dieses feine Fibrillensystem nur ein Stützgerüst für die
Haut bildet.
Bethe (9, S. 101) hat für das periphere Nervensystem der Mollusken
ein besonderes Schema konstruiert, welches im wesentlichen aus einem
oberflächlichen und tiefen Nervenplexus dargestellt wird; der letztere
tritt namentlich zur Muskulatur in Beziehungen, während der erstere
in der Hauptsache mit dem Epithel und den Drüsen Verbindungen
eingeht. Wenn die die Flimmerzellen der Phyllirhoe verbindenden
Fibrillen nervöse Primitivfibrillen darstellen, so würde Bethes Schema
für diese Nudibranchier insofern zutreffen, als wir dann auch hier
ein oberflächliches und tiefes Nervennetz unterscheiden können ; letzteres
würden bei Phyllirhoe die später (S. 146) noch zu beschreibenden Grund-
und Endplexus darstellen.
Ob die Flimmerzellen für besondere chemische oder mechanische
Reize empfänglich sind, darüber läßt sich nichts aussagen; vielleicht
aber kommt ihnen die Aufgabe zu, das Secret der zahlreichen Hautdrüsen
140 Ernst Born,
ZU einer gleichmäßigen Schicht über das sonst unbedeckte Integument
zu verteilen.
Meine Ausführungen über die Histologie des Nervensystems möchte
ich mit einer kurzen Bemerkung über die
Regeneration der Nervenfasern
beenden. Zwei Phyllirhoen waren jedenfalls durch einen Feind be-
trächtliche Verletzungen an den Seitenflächen der Schwanzflossen zu-
cfefüst worden. An den vernarbten Stellen laufen die Hautmuskelfasern
wirr durcheinander; die centralen und peripheren Stümpfe der zer-
rissenen Flossennerven haben sich nicht direkt vereinigt, sondern der
beträchtliche Defekt in der Nervenbahn ist dadurch ausgeglichen
worden, daß aus den beiden Rißenden, welche sich meist schlingen-
förmig umbiegen, sich neue Nervenfasern gebildet haben, die sich in
ein feines Nervennetz auflösen und so den histologischen Zusammenhang
zwischen den proximalen und distalen Stümpfen der zerrissenen Nerven
wieder herstellen. Nach der fast allgemein acceptierten Theorie Wal-
lers (1852) besteht die Regeneration lediglich in einem Auswachsen
des proximalen Nervenfaserrestes, während nach Bethe (10) auch der
periphere Stumpf hierbei eine bedeutungsvolle Rolle spielt. Fig. 6 auf
Taf. VII stellt das periphere Ende eines zerrissenen Nerven der Phyl-
lirhoe dar. Das Rißende a hat sich distalwärts umgebogen und ist
bei b mit dem Hauptstamm verwachsen. Während der Fortsatz «
schon an die Muskulatur geht, endet der Ausläufer /i frei mit einer
sehr kleinen knopfartigen Verdickung. Bei / finden sich die letzten
Ausläufer des Nervennetzes, welches die Verbindung des proximalen
Rißendes mit den distalen herstellt. Auffallend ist, daß den zer-
rissenen Nerven bei PhylUrhoe viele ellipsoide Kerne angelagert
sind, welche meist zwei Nucleolen haben und von einer geringen
Menge körnigen Protoplasmas umgeben sind. Allem Anschein
nach haben diese Elemente für den Aufbau des Nervengewebes eine
große Bedeutung. Nach Bethe sind bei den Vertebraten am
Regenerationsprozeß namentlich die ScHWANNschen Zellen beteiligt;
nach seiner Ansicht geschieht die primäre Vereinigung der Stumpf-
enden durch Wucherung des Peri- und Endoneuriums, und erst
später folgen die wachsenden Nervenfasern diesen Bahnen von neu-
ralem Bindegewebe. Ich erwähne noch, daß bei PhylUrhoe kurz vor
den Rißenden sich einigemal wohl ausgebildete bipolare Ganglienzellen
fanden, welche irgendwelche Wachstumserscheinungen nicht erkennen
ließen.
Beiträge zur feineren Anatomie der l'hyllirlu)e l)ueephala. 141
Die Muskulatur.
Wie M. Heiuenhain (55) in seinem Referat über die »Struktur der
contractilen Materie« hervorhebt, ist die Muskulatur der WirbeUosen
histologisch wenig durchgearbeitet; und zwar bestehen nach Fol (34)
speziell hinsichtlich der Struktur der Molluskenniuskulatur die wider-
sprechendsten Angaben. Letztere sind nach Wackwitz (139) darauf
zurückzuführen, daß die Mehrzahl der Forscher der Meinung waren,
man habe es bei allen Mollusken mit gleichgebauten muskulösen Ele-
menten zu tun, und infolgedessen, obwohl sie nur wenig Material zu
ihren Untersuchungen herangezogen hatten, Rückschlüsse auf die ganze
Klasse der Mollusken zogen. Im Gegensatz zu dieser weit verbreiteten
Ansicht schreibt Wackwitz auf Seite 132 seiner Arbeit »Beiträge zur
Histologie der Molluskenmuskulatur«: »Nicht bloß bei Tieren verschie-
deren Ordnung fanden sich total verschieden gebaute Fasern, sondern
sehr nahe verwandte Formen ließen manchmal gar keine Berührungs-
punkte im feineren Bau ihrer Muskelfasern erkennen, ja selbst in
einem Tiere, sogar in einem Organe desselben Tieres fanden sich Muskel-
fasern, die in ihrer Größe, in Ausbildung der contractilen Substanz,
in Lage und Struktur des Kernes nichts miteinander gemein haben.«
Auch bei Phyllirhoe zeichnen sich die einzelnen Schichten der Muskulatur
des Leibes durch größere Abweichungen voneinander aus, desgleichen
haben die später (vgl. S. 163) zu beschreibenden Herzmuskelfasern
ihren besonderen Bau.
Dicht unter der Haut der Phyllirhoe liegen zwei Systeme von Muskel-
fasern; nämlich die Longitudinalfasern, welche vom Kopf bis zum
äußersten Ende der Schwanzflosse ziehen, und die vom oberen nach
dem unteren Körperrande laufenden Dorsoventralf asern ; diese kreuzen
die Längsmuskeln an ihrer Oberfläche meist unter einem annähernd
rechten Winkel. Da in beiden Schichten die Muskelfasern nicht dicht
aneinander liegen, sondern in mehr oder weniger großem Abstand ihren
Verlauf nehmen, findet sich unter der Haut der Phyllirhoe ein aus
rautenförmigen Maschen bestehendes, muskulöses Gitterwerk (Taf. VH,
Fig. 1 u. 2).
Die Longitudinalfasern sind zu Bündeln vereinigt, welche im
mittleren Teil jeder Körperhälfte am stärksten sind und nach dem oberen
und unteren Körperrande zu bedeutend an Umfang abnehmen. Die
in jedem Bündel enthaltenen Fasern werden durch eine nur in spärlicher
Menge vorhandene Zwischensubstanz zusammengehalten. Eine das
ganze Faserbündel umhüllende bindegewebige Scheide, ein Perimysium,
]42 Ernst Born,
läßt sich zwar einwatidfrei nicht nachweisen; den Muskelstämmen liegen
aber in größerer Menge sehr häufig die schon bekannten Bindegewebs-
körperchen (S. 110) an, so daß sie vielleicht doch von einer besonderen
Hüllmembran umgeben sind (Fig. 3). Paneth (96, S. 263) hat bei
den Pteropoden ebenfalls ein Perimysium nicht beobachtet; dagegen
verläuft hier an den Rändern der Muskelbänder bisweilen ein schmaler
Protoplasmasaum mit unregelmäßiger Kontur; ein gleichartig beschaf-
fener homogener Saum begrenzt bisweilen auch die Längsmuskelbündel
der Phyllirhoe (Fig. 2 bei h). Die contractile Substanz setzt sich aus
dicht aneinander liegenden, feinsten Fibrillen zusammen; sie bildet an
den Längsfasern nur eine dünne Rindenschicht, welche, ebenso wie es
P. ScHULTZE (118, S. 521) für die Fibrillen der glatten Muskelzellen der
Wirbeltiere hervorhebt, auch bei Phyllirhoe eine starke Affinität zu
den sauren Anilinen besitzt. Nach Fol zeigen zahlreiche Muskelfasern
der Heteropoden und Pteropoden einen spiraligen Verlauf der Fibrillen;
bei Phyllirhoe sind mir derartig gebaute Faserzellen nie zu Gesicht
gekommen; desgleichen habe ich nicht in der Hautmuskulatur quer-
gestreifte Fasern angetroffen, wie sie bei den Kiel- und Flügelschnecken
namentlich Paneth und Wackwitz beobachtet haben. Die contractile
Rindenschicht schließt eine unregelmäßig gekörnte, reich entwickelte
Marksubstanz ein; letztere tingiert sich mit Eosin und Orange-G- nur
schwach. In der Mitte der Faser liegt, ohne daß diese dadurch in der
Regel eine wesentliche Auftreibung erfährt, der verschieden gestaltete
Kern. Letzterer ist oft lang und stäbchenförmig, häufiger aber auch
etwas breiter und kürzer und an seinen Enden quer abgestutzt; er
enthält nur einen acidophilen Nucleolus, von dem das schwach ent-
wickelte Chromatingerüst auszugehen scheint. Vom Kern aus ver-
jüngt 3ich die Faser allmählich nach ihren Enden zu. Die benachbarten
Längsfaserbündel sind hin und wieder durch kurze, schräg verlaufende
Anastomosen miteinander verbunden; in der Anordnung dieser immer
aus mehreren, nebeneinander liegenden Faserzellen bestehenden Ver-
bindungen macht sich eine große Mannigfaltigkeit bemerkbar (Fig. 3).
Neben diesen kräftig entwickelten Anastomosen sind die stärkeren
Längsfaserbündel durch sehr feine, lange und hintereinander liegende
Faserzellen verbunden. Diese feinen, langen Verbindungsstränge hat
Panceri (95) als motorische Nerven beschrieben, aus denen feinste
Nervenfäserchen — als solche hat er nämlich die Dorsoventralmuskel-
fasern angesehen — hervorgehen sollen. In der Schwanzflosse werden
die Längsbündel durch häufige Teilungen schwächer; schließlich lösen
sie sich in die einzelnen Fasern auf, von denen jede sich zu einem
Beiträge zur feineren Anatomie der I'hyllirlioc bucephala. 143
feinsten Fäserchen auszieht, das häut'i'j, «ich noch mit den Endausläufern
benachbarter Fasern verbindet. Auf Querschnitten (Fig. 4) zeigen
diese Längsbündel der Phyllirhoe denselben Bau, wie ihn Wackwitz
von der Flossenmuskulatur der Carinaria, Pterotrachea u. a. beschrieben
hat; in den meist seitlich zusammengedrückten IMuskelbündeln sind die
quergeschnittenen Fasern von rundlicher Gestalt; an der Peripherie
jeder Faserzelle liegen die nur bei sehr starker Vergrößerung erkenn-
baren Muskelsäulchen, die sich bei der Färbung mit Heidenhains
Eisenalaun-Hämatoxylinlösung als schwarze Punkte von der gelblich
gefärbten Marksubstanz abheben.
Gar keine Ähnlichkeit mit der eben beschriebenen Längsmuskulatur
lassen die Dorsoventralfasern erkennen. Diese bestehen immer nur
aus einer Faserzelle, deren Enden sich oft dichotom teilen. Die da-
dm-ch entstehenden feinen Ausläufer vereinigen sich mit eben solchen
Endästeu andrer, ihnen entgegenziehender Dorsoventralfasern; häufig
senden auch diese Fasern unter einem spitzen Winkel Verbindungsarme
zu ihren unmittelbaren Nachbarn oder zu entfernter liegenden Zellen
{Fig. 1 bei a, b, c und Fig. 2) ; auch mit den Längsfaserbündeln sind
sie hin und wieder durch Anastomosen vereinigt. Es finden sich also
bei Phyllirhoe verzweigte und miteinander kommunizierende Muskel-
zellen; auch Wackwitz hat das Vorkommen derartiger Fasern bei den
Heteropoden und Pteropoden bestätigt, während Paneth diesen zuerst
von Gegenbauk gemachten Befund bestreitet. Was nun die feinere
Struktur dieser Fasern angeht, so sind sie aus feinsten Fibrillen zu-
sammengesetzt. Der kleine runde Kern liegt in der Eegel in der Mitte
der Faser; oft tritt er aber auch von etwas Sarcoplasma umgeben
bruchsackartig hervor. Während Boll früher behauptete, daß der
Kern bei allen Mollusken ausnahmslos axial liege, haben in neuerer
Zeit Knoll (64, S. 665) in dem Fuße von Pleurohranchaea, Fol bei
Bentalium im Schlundkopf und Wackwitz im Oesophagus von Cari-
naria Muskelfasern mit seitlich gelagertem Kern beobachtet. Die
Marksubstanz ist in den Dorsoventralfasern nur spärlich verbanden;
abgesehen von der um den Kern vorhandenen Plasmamenge finden
sich im Verlaufe der Faser zwischen den Fibrillen nur wenige, reihen-
weise angeordnete Markkügelchen. Eine Eigentümlichkeit der Dorso-
ventralfäserchen sind die kleinen flügelartigen Verbreiterungen, die
viele Fasern an ihren Eändern zeigen; von diesen Anhängseln gehen
häufig feine Fibrillen zu den benachbarten Fasern (Fig. 2 a). Nach
M. Heidenhain (S. 139) findet sich an den glatten Muskelzellen der
Wirbellosen stets ein Sarcolemm. Diese Behauptung muß für die
144 Ernst Born,
Mollusken eine gewisse Einschränkung erfahren. Margo, Knoll, Fol
u. a. haben allerdings auch an Molluskenmuskeln ein zartes, aber deut-
liches Sarcolemm beobachtet, dagegen konnten Paneth und Wack-
witz sich nicht von der Existenz einer solchen Hüllraembran über-
zeugen. Auch an den Dorsoventralfasern der Phyllirhoe, die, wie
schon erwähnt, stets nur aus einer Zelle bestehen, ist von einem Sarco-
lemm nichts zu finden; nur ein unregelmäßig begrenzter, homogener
Protoplasmasaum, wie wir ihn schon bei den Längsfaserbündeln kennei>
gelernt haben, umgibt bisweilen diese Muskelzellen. Erwähnen will
ich noch, daß bei der Doppelfärbung mit Hämatoxylin-Eosin die Dorso-
ventralfasern im Gegensatz zu der intensiv rot tingierten Längsmuslm-
latur völlig ungefärbt bleiben.
Die Dorsoventralfasern werden übrigens, namentlich im mittleren
Drittel jeder Körperhälfte, von bedeutend kräftigeren Fasern in der
Richtung von oben und vorn nach hinten und unten gekreuzt. Diese
Fasern, die meist einen etwas geschlängelten Verlauf zeigen, liegen
bisweilen zu zweien nebeneinander; ihr Kern liegt nicht immer an der
dicksten Stelle der Faser (Fig. 7); sonst zeigen aber diese Gebilde die
gleiche Struktur wie die übrigen Dorsoventralfasern.
Ein ganz andres Aussehen haben die Transversal- oder Paren-
chym muskeif asern, welche zuerst von Bergh (7) beobachtet worden
sind; er hat sie aber als bindegewebige Elemente gedeutet. Diese
Fasern sind in den obersten und untersten Körperpartien am zahl-
reichsten vorhanden; die wenigen Fasern, welche die mittlere Körper-
partie durchlaufen, halten die Eingeweide in ihrer Lage (Taf. VIII,
Fig. 1). Diese Fasern sind von runder oder bandartiger Gestalt (Taf .VII,
Fig. 8). In den sehr schmalen Fasern liegt der häufig stäbchenförmige
Kern in dem Markraum der Faser oder ist von etwas Marksubstanz
umgeben dem Fibrillenbündel seitlich angelagert. Die Enden jeder
Faserzelle lösen sich in ein Büschel feinster Fibrillen auf, die an den
Eändern der longitudinalen und dorsoventralen Muskelfasern (Fig. 2
bei X X ) mit einer sehr kleinen protoplasmatischen Anschwellung enden :
auch diese Fibrillenbündel hat Panceri als motorische Nerven an-
gesehen. Häufig vereinigen sich die feinen Ausläufer mit ebensolchen
Endästen benachbarter Parenchymmuskeln. Den transversalen Fasern,
die an ihren Rändern meist einen homogenen Protoplasmasaum zeigen,
liegen in gToßer Menge die schon bei den Längsmuskelfasern erwähnten
kleinen, abgeplatteten Zellen seitlich an. Interessant ist aber die Ver-
bindung dieser Fasern mit eigenartig gestalteten Zellen. Es liegen ihnen
nämlich größere, meist etwas abgeplattete Zellen dicht an, deren Plasma
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 145
einige Vaciioleu und einen bläschenförnngen Kern mit einem verhält-
nismäßig großen Nucleolus einschließt (Fig. 8 bei P). Ähnliche Zellen
sind in Verbindung mit Muskelfasern von Kkoll (S. 673) bei den Crusta-
ceen, ferner von Wackwitz (S. 150) in der Salpenmuskulatur beobachtet
worden; während diese Autoren sich über die Natur der Zellen nicht
äußern, haben Zernecke (143) und Bettendorf (11) derartige Gebilde
bei den Cestoden und Trematoden als Myoblasten gedeutet. Vor
kurzem hat E. Andre (3, S. 75) von einem neuen Genus der Familie
der Phyllirhoiden, welches er dem Entdecker zu Ehren Ctilopsis Picteti
nennt, ebenfalls große, bandartigen Fasern angelagerte Zellen beschrie-
ben und in Fig. 2 auf Taf. 1 seiner Arbeit abgebildet; er vermutet,
daß diese Gebilde, die er, wie er selbst hervorhebt, nur flüchtig unter-
sucht hat, Myoblasten darstellen, und zwar sollen sie bei Ctilopsis in
vier gleich weit voneinander entfernten Längsreihen angeordnet sein.
Ich halte diese Zellen bei Phyllirhoe für identisch mit den Plasmazellen
Brooks und werde später (S. 178) bei der Beschreibung der excretori-
schen Elemente noch einmal auf sie zu sprechen kommen.
Die Innervation der Muskulatur.
Die an die Muskelfasern herantretenden Nerven sind keine rein
motorischen Nervenfasern, insofern sie auch die übrigen Elemente der
Haut innervieren; auch versorgt ein und derselbe Nerv gleichzeitig Longi-
tudinal-, Dorsoventral- und Parenchymmuskulatur. Doch bevor ich in
meinen Angaben über die Innervierung der Muskulatur fortfahre, möchte
ich auf die vor kurzem von F. B. Hofmann (58) veröffentlichten »Histo-
logische Untersuchungen über die Innervation der glatten und der ihr
verwandten Muskulatur der Wirbeltiere und Mollusken« näher eingehen.
Hofmann hat bei den von ihm untersuchten Tieren feststellen
können, daß aus den zur Muskulatur hinziehenden Nervenbündeln
durch Abschwenkungen und Teilungen der in ihnen enthaltenen gröberen
Nervenfasern zunächst ein Nervengeflecht, der Grundplexus, sich
bildet. Letzterer ist vor allem dadurch charakterisiert, daß er von der
Verlaufsrichtung der Muskelzüge unabhängig ist. Von diesem Grund-
plexus gehen einzelne feine Nerven zur Muskulatur, welche ganz dicht
an den Muskelfasern hinziehen und infolgedessen die Anordnung der
Muskulatur sehr genau wedergeben. Die von den früheren Autoren
beschriebenen knöpfchenförmigen Enden dieser Nerven hält Hofmann
für infolge unvollständiger Färbung hervorgerufene Kunstprodukte;
vielmehr lassen sich nach ihm die Nervenfädchen an den Muskelzellen
fortwährend weiter verfolgen, rmd es bilden so mindestens die Teiläste
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 10
146
Ernst Born,
einer jeden einzelnen zur Muskulatur hinziehenden Nervenfaser unter
sich ein wahres Endnetz.
Während nun Hofmann einen kontinuierlichen Zusammenhang
zwischen Grund- und Endplexus nur selten feststellen und
die schleifenförmige Ver-
bindung der Endverzwei-
gungen einer Stammner-
venfaser untereinander in
den meisten Fällen infolge
des kapriziösen Verhaltens
der angewandten Färbe-
methoden nur »nach der
ganzen Konfiguration mit
großer Wahrscheinlichkeit «
erschließen konnte, lassen
sich an Phyllirhoen, die
nur mit FLEMMiNGscher
Lösung fixiert sind, infolge
der durchsichtigen Be-
schaffenheit dieser Tiere
die Innervationsverhält-
nisse an den Hautmuskeln
bis in ihre feinsten Details
einwandfrei feststellen.
Die Teiläste der Haupt-
nervenstämme der Phylli-
rhoe bilden zahlreiche Ana-
stomosen untereinander,
und es kommt so ein aus
unregelmäßigen Maschen
bestehendes Nervennetz
zustande, welches sich
über den ganzen Körper
ausdehnt, besonders aber
in den hinteren Regionen
Textfig. 1.
Ein Teil des von den Hautnerven gebildeten Grundplexus
{F. B. Hopmann). Die Äste a und 6 stimmen mit N^ und
N^ der Fig. 1 auf Taf. VII überein. Es sind nicht alle mit-
einander anastomosierenden Seitenzweige eingezeichnet.
Mü, MüLLERsche Zelle. Der Verlauf der Nerven wnrde bei
öOOfacher Vergrößerung festgestellt. Die Zeichnung dehnte
sieh über etwa 32 Gesichtäfelder aus; sie ist jetzt auf ein Wohl ausgebildet ist (vgl. d.
Textfig.). Dieses Geflecht,
welches in seinem Verlauf durch die Anordnung der Muskulatur nicht
beeinflußt wird, entspricht dem HoFMANNschen Grundplexus. Da nun
bei PhylUrhoe an diesem Plexus sämtliche aus den vier Schlundganglien
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 147
entspringende Nervenstämme beteiligt sind, gelangt man von einem
Knotenpunkt dieses Grundplexus je nach der Richtung des einge-
schlagenen Weges nach dem Cerebropleural- bzw. Pedalganglion. Be-
sonders möchte ich die interessante Beobachtung hervorheben, daß bei
PhijUirhoe am dorsalen und ventralen Rande Nerven von der einen
Kürperseite auf die andre hinüberwechseln; ich habe mich mehrmals
einwandfrei davon überzeugen können, daß auf diese Weise der rechte
und linke Grundplexus miteinander in Verbindung stehen i.
Von den Zweigen des Grundplexus gehen nun die Nerven zur
Muskulatur. Die Längsmuskeln werden von dickeren Nerven gekreuzt,
die mitunter einen kurzen Ast zur Faser senden, der sich hier zu einer
relativ großen, reich gekörnten Anschwellung verbreitern kann. Hervor-
heben möchte ich, daß auch bei Phyllirhoe sich die Innervierung keines-
wegs immer in der Nähe des Kernes findet, und zwar gilt dies nicht
nur für die Longitudinalfasern, sondern auch für die übrigen Muskel-
systeme. Von älteren Autoren, Frankenhäuser, Lustig u. a., war
nämlich behauptet worden, daß die Nerven mit den Kernen der glatten
Muskelfasern in Verbindung treten. Für die Vertebraten ist diese An-
gabe besonders durch die umfangreichen Untersuchungen P. Schultzes
(118, S. 545), für die Wirbellosen durch Apäthy (4, S. 691) widerlegt
worden. An den Längsfasern nun stellen die eben erwähnten Nerven-
hügel, die meist einen Kern enthalten, wirkliche Nervenendigungen
nicht dar; ich habe mich fast immer davon überzeugen können, daß
von der Anschwellung aus noch ein feinkörniger Strang die Muskel-
fasern ent ang zieht. Eigenartig ist die Innervation der transversal
verlaufenden Muskelfasern. Die feinen Ausläufer dieser Zellen endigen
an den Hautnerven in einer Weise, welche vollkommen der schon be-
schriebenen Endigung dieser Muskelzellen an den beiden Muskelsystemen
der Haut gleicht (Fig. 2 xx x). Ebenso auffallend ist die bisweilen zu
beobachtende Innervation, bei der ein Endausläufer einer Parenchym-
faserzelle in der Weise in ein feinstes, ihm entgegenziehendes Nerven-
fäserchen übergeht, daß man nicht mehr erkennen kann, wo der Nerv
aufhört und die muskulöse Faserzelle beginnt (Fig. 2 x ). Letztere iVrt
der Innervierung scheint der von Apathy bei Ascaris und Pontohdella
mitunter beobachteten Innervation zu entsprechen.
1 Ein für diese Beobachtung geeignetes Präparat wird am besten in der
Weise hergestellt, indem man am Anfang der Flosse ein schmales Stück vom
Hautrande abschneidet, unter der Lupe die die beiden Körperseiten verbindenden
Parenchymmuskelfasern durchtrennt und nun auf einem Objektträger die beiden
Randflächen durch leichten, mittels eines feinen Haarpinsels ausgeübten Druck
in eine Ebene zu bringen sucht.
10'=
148 Ernst Born,
Sehr schön ist die Innervierung an den Dorso ventralfasern zu
beobachten, da sie äußerst fein und infolgedessen in ihrer ganzen Tiefe
mit den stärksten ölimmersionssystemen zu durchmustern sind. Die an
diese Muskelzellen herantretenden Nerven kreuzen dieselben an ihrer
Unterfläche, wobei sich der Nerv etwas verbreitert; von dieser Ver-
breiterung aus, die mitunter kleine runde Kerne birgt, entsendet der
Nerv häufig nach den beiden entgegengesetzten Richtungen hin jeder-
seits einen die Muskelfaser entlang laufenden Zweig. Ein solches Fäser-
chen, dessen Verlauf durch die den feineren Nerven eigentümlichen,
lichtbrechenden Körnchen gekennzeichnet ist, läßt sich in der Regel
bis zu einem dieselbe Faserzelle kreuzenden Nerv verfolgen. Häufig
wird ein und dieselbe Dorsoventralfaser von drei bis fünf Nerven ge-
kreuzt, welche sämtlich durch solche die Muskelzelle entlang laufenden
Körnchenreihen verbunden sind und sich alle bis zu demselben Nerven-
stamm zurückverfolgen lassen. Häufig geht die Körnchenreihe auf eine
andre, die Faserzelle kreuzende Dorsoventralfaser über und läßt sich
dann hier bis zu einem andern Nerv verfolgen. Diese Körnchenreihen
bilden also bei PhylUrhoe den Endplexus. In instruktiver Weise
zeigt Fig. 1 auf Taf. VIII diese Innervationsverhältnisse. Erwähnen
will ich nur hier, daß die in dem Bilde mit N^, No und iVg bezeichneten
Nervenf äserchen alle aus demselben Hauptstamm hervorgehen; Ni
und iVg entsprechen übrigens den Fasern a und h der Aveiter oben
stehenden Textfigur. Das weitere Verhalten der Nerven dürfte wohl
aus der der Fig. 1 beigegebenen Erklärung ersichtlich sein. Wenn ich
demnach häufig, namentlich an den Muskelzellen der Flosse, dieses
schlingenförmige Ineinanderlaufen der Nerven direkt habe nachweisen
können, so muß ich doch betonen, daß in vielen Fällen ein freies Aus-
laufen der Körnchenreihen feststeht (Fig. 1 bei x x). Mangold (84),
der dieser Frage auch vor kurzem seine Aufmerksamkeit gewidmet hat,
hebt hervor, daß er an den die quergestreiften Skelettmuskeln der
Arthropoden umspinnenden Nervenfibrillen niemals eine Anastomose
beobachtet hat.
In einer seiner letzten Publikationen ist Pflüger (100) mit Ent-
schiedenheit für den direkten Übergang der nervösen Materie in das
Myoplasma eingetreten. Nach Pflüger aber legt sich die Nerven-
fibrille nicht nur oberflächlich der Muskelzelle an, sondern er ist nament-
lich infolge der von Apathy an Pontohdella gemachten Beobachtungen
der Meinung, daß die Nervenfaser in das Innere der Muskelfasern ein-
dringt und darin endigt. Mangold macht gegen die ApATHYsche
Angabe den m. E. berechtigten Einwand, daß für derartige Beobachtun-
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 141)
gen die Ausführung von Querschnitten unbedingt erforderlich ist,
während Apäthy diese Frage nur an Totalpräparaten studiert hat.
Mangold sieht die Schlußfolgerungen Apäthys allein schon aus dem
Grunde als etwas voreilig an, weil bei der Coldmethode, welcher Apäthy
sich bedient, » oft nicht garantiert werden kann für die wirklich nervöse
Natur eines so minimalen Strukturelementes«. An den Dorso ventral-
fasern der PhylUrhoe sind Muskel- und Nervensubstanz anscheinend
direkt aneinander gelagert. Wie schon auf S. 144 erwähnt wurde, fehlt
den muskulösen Faserzellen das Sarcolemm, aber auch an den an sie
herantretenden Nervenfädchen habe ich mich von dem Vorhandensein
einer besonderen Hüllmembran nicht überzeugen können. An den
die Dorsoventralfasern entlang laufenden Körnchenreihen ist eine
fibrilläre Struktur nicht mehr erkennbar, da diese Muskelzellen selbst
eine feine fibrilläre Längsstreifung haben. Sicher sind aber auch in
diesen Körnchenreihen noch Neurofibrillen enthalten, da die von der
Muskel zelle abtretenden Nervenfädchen nicht homogen, sondern fibril-
lär gebaut sind. Nach dem ganzen Verhalten der Nervenfädchen be-
zweifle ich, daß bei PkyUirJioe Neurofibrillen in die Muskelzelle ein-
dringen; jedoch kann ich mit Sicherheit nichts darüber aussagen. Be-
züglich der Nervmuskelfrage dürfte wohl der Hinweis von Interesse
sein, daß Paneth (96) und Joseph (63) bei den Pteropoden und Hetero-
poden ein intramuskuläres Nervennetz beschreiben.
Die Betheschen Nervennetze.
Die mit der Silberimprägnationsmethode Golgis erzielten Kesultate
der histologischen Forschung hatten Walueyer (141) im Jahre 1891
Veranlassung gegeben, seine Anschauung von dem Aufbau des Nerven-
systems in folgender Weise zu formulieren : »Das Nervensystem besteht
aus zahlreichen untereinander anatomisch wie genetisch nicht zu-
sammenhängenden Nerveneinheiten (Neuronen). Jede Nerven einheit
setzt sich zusamm^en aus drei Stücken: der Nervenzelle, der Nerven-
faser und dem Faserbäumchen (Endbäumchen).« Unter den von den
Gegnern der Neuronenlehre angeführten Argumenten finden sich auch
die BETHEschen Nervennetze, die bekanntlich durch direkte plasma tische
Anastomosen zwischen benachbarten Ganglienzellen entstehen soHen.
Während nach Bethe (9) und Jordan (62) namentlich bei den Mol-
lusken diese Netze weit verbreitet sind, hat F. B. Hofmann in den
peripheren Nerven der von ihm untersuchten Cephalopoden nur zwe;
einwandfreie Ganglienzellen, und zwar unipolare, gefunden. Er be-
streitet daher für die Cephalopoden das Vorkommen von specifischeu
150 Ernst Born,
BETHEschen Nervennetzen. Nach einer Durchsicht der einschlägigen
Literatur kommt Hofmann überdies zu der Ansicht, daß von allen
Angaben nur die von Chun (21) mitgeteilten Beobachtungen an dem
durchsichtigen Tiefseecephalopoden BoUtaena auf das Vorhandensein
von Nervennetzen im Sinne Bethes hinweisen. Doch Hofmann hält
es nicht für ausgeschlossen, daß die von Chun an den Teilungsstellen
der Nerven beobachteten Kerne nicht peripheren Ganglienzellen, sondern
nur den Nervenhüllen angehören i. Ich möchte daran erinnern, daß
1 Seine Ansicht begründet Hofmann auf S. 393 f olgeiidermaßen : »Daß
man diese Kerne an nicht specifisch gefärbten Präparaten mit den Nervenbündeln
in eins verschmolzen sieht, bildet gar keinen Grund zu der Annahme, daß dies
in Wirklichkeit der Fall ist. Man kann ja an solchen Präparaten auch nicht die
einzelnen Nervenfädchen, aus welchen die Nervenbündel zusammengesetzt sind,
voneinander sondern. Das gelingt erst durch eine specifische Nervenfärbung, wie
die vitale Methylenblaufärbung. « In demselben Sinne beurteilt auch ApIthy
die an Osmiumpräparaten gewonnenen Resultate; nach ihm haben die älteren
Autoren nicht die eigentlichen Neurofibrillen, sondern nur die interfibrilläre
Substanz gesehen; die fibrilläre Struktur der Nerven War ihnen also nur »durch
das Negativ der Fibrillen« bekannt. Nach Bethe aber hat Max Schultze in
den peripheren Nervenfasern die Primitivfibrillen durch Osmiumsäure wirklich
dargestellt; ebenso weist OscAB Schultze (120) den hinsichtlich dieser Beobach-
tung seines Vaters von ApXthy gehegten Zweifel energisch zurück. Auch ich
möchte hier nochmals betonen, daß ich mich in meinen Flemming- Präparaten
von der Existenz der Neurofibrillen einwandfrei überzeugen konnte; selbst in
den feinsten Nervenfädchen sind sie bei Gasglühlicht und zweckmäßiger Anwendung
des AßBEschen Beleuchtungsapparates infolge ihrer starken Lichtbrechung noch
deutlich erkennbar. Mit dem Hämatein la, welches nach Apathy eine »speci-
fische« Nervenfärbung ermöglicht, habe ich trotz aller möglichen Kautelen die-
selben Erfahrungen wie Bethe (28, S. 931) gemacht; es färbten sich nur die dicken
Fibrillenbahnen, dagegen nicht die feinen Nervenausläufer; bei Phyllirhoe tin-
gierten sich übrigens die Muskelfasern mit dem Hämatein Ja. Die vitale Methylen-
blau- oder GoLGi-Methode konnte ich nicht anwenden, da mir nur konserviertes
Material zur Verfügung stand. Auch bezweifle ich, daß mir die Anwendung dieser
Methoden irgendwelchen Vorteil gebracht haben \vürde. Denn Gilchbist (37,
S. 179) hat Methylenblau und Goldchlorid bei den kleinen, durchsichtigen Nudi-
branchiern mit völlig negativem Erfolge benutzt. Ferner haben an pelagischen
Mollusken Joseph (63) und Paneth (96) die schon bei zahlreichen andern Unter-
suchungsobjekten gemachte Beobachtung bestätigt, daß bei diesen »electiven«
Nervenfärbungen außer den Nerven auch die Muskulatur und die bindegewebigen
Elemente den Farbstoff annehmen. Auch Hofmann konstatierte diesen Übel-
stand; außerdem führt er auf S. 371 an, daß eine scharfe Differenzierung der
einzelnen Fibrillen in seinen Methylenblaupräparaten nicht vorhanden ist; »es
ist außer den Fibrillen auch die Zwischensubstanz mitgefärbt«. Diese Beobach-
tung Hofmanns steht in einem gewissen Widerspruch zu seiner von mir am An-
fang dieser Fußnote zitierten Angabe. Durch diese kritischen Bemerkungen sollen
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 151
schon früher Waldeyer (140) und Solbrig (124) bei Wirbellosen
keine Ganglienzellen an den Nerventeilungen konstatieren konnten;
desgleichen spricht Grobben auf S. 111 des Lehrbuches der Zoologie
von Claus die Ansicht aus, daß die an den Nerven der Wirbellosen
sich findenden Kerne der bindegewebigen Scheide angehören. In Er-
gänzung der von Bethe und Hofmann gemachten Literaturangaben
führe ich hier noch kurz einige Mitteilungen aus der Literatur über das
Vorkommen von Nervennetzen bei Mollusken an.
In der Haut der Heteropoden und Pteropoden hat Gegenbaur (3(5)
ein reiches Nervennetz beobachtet, dessen Knotenpunkte als kernhaltige
Anschwellungen erscheinen. Namentlich die Abbildung, die er auf
Taf . III bei Fig. 3 von dem Endnetz der Flossennerven von Cymhulia
Peronii gibt, erinnert lebhaft an die BETHEschen Nervennetze. Die
Existenz eines peripheren Nervennetzes bei diesen Tieren ist später
von Paneth (96) bestätigt worden; bei Cymhulia sind die Zellen im
Nervennetz »so willkürlich und wie zufällig angebracht«, daß Paneth
geneigt i.st, sie nicht als nervöse Centren, sondern als Reste von Bildungs-
material anzusehen. Ferner beschreibt Edinger (27) ein in der Haut
der Pterotmchea liegendes Nervennetz; in den Knotenpunkten, sowie
in dem Verlauf der Nerven finden sich auch hier Ganglienzellen meist
bipolarer Natur mit rundem Kern und mehreren Kernkörperchen. In
neuerer Zeit hat List (81) bei den Mytiliden beobachtet, daß die Aus-
läufer der Mantelrandnerven unter dem Epithel ein an Ganglienzellen
reiches Nervennetz bilden.
Nach Eetziüs (110) sind die bei verschiedenen Evertebratenklassen
beschriebenen Netze von verästelten peripheren Nervenzellen »sehr
problematischer, dubiöser Natur«; schon früher, nämlich im Jahre 1904
hat Retzius in der Diskussion, welche dem von Oskar Schultze auf
der Anatomenversammlung in Jena gehaltenen Vortrag über die Ent-
wicklung des peripheren Nervensystems folgte, erwähnt, daß er bei
Wirbeltieren und Wirbellosen nie periphere Netze, sondern nur Ge-
flechte der Fortsätze von Zellen beobachtet hat. Wie auch 0. Schultze
(120) hervorhebt, ist es dringend erforderlich, daß wir durch neue
Arbeiten weitere Aufklärung über die peripheren Nervennetze der
Wirbellosen finden. Da mir die Durchsichtigkeit der Phyllirhoe
natürlich die ungeahnten Fortschritte, die wir seit der Anwendung der Methylen-
blau- und GoLGi-Methode in unsrer Kenntnis des Xervensystems gemacht haben,
nicht im geringsten geschmälert werden, es soll nur die Ansicht Hofmanns zurück-
gewiesen werden, daß zum Studium der Innervation immer die Anwendung einer
der genannten Färbungsmethoden erforderlich ist.
152
Ernst Born,
gestattete, die Nerven in ihrem ganzen Verlauf zu verfolgen, so dürften
wohl auch meine Beobachtungen einiges Interesse beanspruchen können.
Bei den Nervennetzen ist von Bedeutung die Entscheidung der
Frage, ob die Fortsätze der Ganglienzellen »ganz breit ineinander über-
gehen«, wie es Bethe lehrt und in dem Schema zeigt, welches er seiner
in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (30. Jahrg. 1904) ver-
öffentlichten Abhandlung »Der heutige Stand der Neurontheorie«
beigibt. — Zum besseren Verständnis der weiteren Angaben sei auf die
nebenstehende Kopie dieses Schemas hingewiesen. — Würden sich
nämlich solche durch direkte plas-
matische Anastomosen verbundene
Ganglienzellen finden, so würde
dies im Gegensatz zu der vorhin
zitierten Definition des Neurons
stehen. Denn nach der Neuronen -
lehre soll das Nervensystem aus
morphologischen Einheiten, den
Neuronen, zusammengesetzt sein,
welche nur auf dem Wege der
Apposition zueinander in Be-
ziehung treten; ein Übergang per
continuitatem dagegen soll nie-
mals bestehen. Bei einem Ver-
gleiche der in Fig. 1 auf Taf. VI
dargestellten Nervenmasche aus
dem Grundplexus der Phyllirhoe mit dem Schema Bethes könnte
vielleicht die Vermutung berechtigt erscheinen, daß die Zellen c^ und
c2 als zwei miteinander anastomosierende, tripolare Ganglienzellen
aufzufassen sind, und das bei * abgehende Fibrillenbündel, welches
die Muskulatur und die Hautdrüsen innerviert, aus beiden Zellen
seinen Ursprung nimmt, entsprechend den in der Skizze Bethes bei x
zur Muskulatur ziehenden Fasern. Schon früher (S. 132) habe ich
aber erwähnt, daß in Präparaten, die mit FLEMMiNGscher Lösung
fixiert sind — auch die Fig. 1 auf Taf. VI stammt von einem
solchen Präparat — , der Zellleib der peripheren Ganglienzellen meist
nur schwer zu erkennen ist; dagegen hebt sich in den Nerven-
stämmen der Phyllirhoe bei Objekten, die mit Chromessigsäure fixiert
und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt sind, der dunkelrote Zellleib der
Ganglienzellen mit den Ausläufern scharf von dem nur blaßrot fingierten
Fibrillenbündel ab (Taf. V, Fig. 16). Derartige Präparate zeigen
Textfig. 2.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 153
einwandfrei, daß bei PhyUirhoe periphere Ganglienzellen, die durch dicke
Protoplasmabrücken miteinander verbunden sind, wie es Bethe lehrt,
nicht vorkommen. Die Ganglienzellfortsätze verjüngen sich vielmehr
sehr schnell und entziehen sich bald der weiteren Beobachtung, und es
wird wohl durch keine Methode festzustellen sein, ob sie mit den Aus-
läufern andrer Ganglienzellen anastomosieren, zumal da in den zu-
nächst gelegenen Knotenpunkten des Plexus sich dann meist wieder
gar keine Zellen vorfinden (vgl. die Textfigur auf S. 146). Nur einmal,
und zwar bei den in Fig. 5 auf Taf . VI mit a und h bezeichneten Zellen,
halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß sie eine Anastomose mit-
einander eingehen. Ferner habe ich an den den Nerven seitlich an-
gelagerten, multipolaren Ganglienzellen (S. 132) einmal einwandfrei eine
Anastomose feststellen können; aber es handelte sich auch hier, wie
Fig. 5 auf Taf. VII zeigt, nicht um eine breite Protoplasmabrücke,
sondern um eine äußerst feine Verbindung zwischen zwei Ganglien-
zellen. Während bei Bethe die von den Ganglienzellen des Netzes
ausgehenden Fasern je einem Ganglienzellfortsatz entsprechen, findet
man bei Phyllirhoe, daß die von den Teilungswinkeln des Grundplexus
ausgehenden Nervenstämme, vorausgesetzt, daß eine oder mehrere
Ganglienzellen an diesen Punkten eingelagert waren, außer den Fort-
sätzen dieser Zellen auch noch Fibrillen enthalten, welche aus benach-
barten Nerven kommen und an den eingelagerten Zeilen entlang ziehen.
Sehr lehrreich ist für diese Ausführungen die in Fig. 8 auf Taf. VI ab-
gebildete Zelle; allerdings handelt es sich hier um eine Ganglienzelle
aus dem sympathischen Plexus; jedoch darf ich auf diese Zelle hin-
weisen, da die Knotenpunkte des Grundplexus ganz dasselbe Ver-
halten zeigen.
Die Drüsen.
Von den drüsigen Organen der Phyllirhoe will ich zunächst diejenigen
erwähnen, welche schon Vissichelli beschrieben hat, nämlich die
Lippendrüse, die Fußdrüse und die mehrzelligen Hautdrüsen.
Die Lippendrüse.
Bergh hat im Jahre 1870 nur mitgeteilt, daß die Lippen der
Phyllirhoe von Drüsenzelien umsäumt werden. Auch die von Vissi-
chelli über diese Drüsen gemachten Angaben erscheinen mir der
Ergänzung bedürftig. Die Mundöffnung der Phyllirhoe ist rund und
nur an der Oberlippe ein wenig geteilt. Unter dem Epithel, besonders
an den äußeren Lippenwinkeln, liegen einzellige Schleimdrüsen (Taf. IV,
154 Ernst Born,
Fio'. 6,^). Die eigentliche Lippendrüse befindet sich unter dem inneren
Epithel der Unterlippe dicht vor dem Pharynx. Sie setzt sich zu-
sammen aus mehreren Zellgruppen, von denen jede von einer gemein-
samen Membran umgeben ist (Tai. VIII, Fig. 5). Anscheinend hat
aber jede Zelle einen eignen langen Ausführungsgang. Zwischen den
Drüsenzellen lassen sich kleinste Kerne nachweisen, die vielleicht Stütz-
zellen angehören; letztere sind bekanntlich nach Thiele (132) bei den
Mollusken in allen vom Ectoderm sich bildenden Drüsen vorhanden.
Das Plasma der Drüsenzellen ist vacuolisiert oder fein granuliert.
Außer der Struktur unterscheidet sich die Lippendrüse von den übrigen
Munddrüsen durch ihr Verhalten gewissen Farblösungen gegenüber.
Mit Pikrokarmin färbt sich die Lippendrüse schwach gelblich, mit
Indigokarmin-Mucikarmin zart blaugrün und bei Anwendung der
Doppelfärbung mit DELAFiELDschem Hämatoxylin und Eosin etwas
rötlich. Die Drüse hat also niemals die für Mucin charakteristische
Farbenreaktion gezeigt, während dies bei den oben erwähnten Schleim-
zellen stets der Fall gewesen ist. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen,
daß die von mir untersuchten Lippendrüsen ihren Inhalt gerade aus-
geschieden oder erst unreifes Secret enthalten haben. Übrigens hebt
Thiele ebenfalls hervor, daß die Lippendrüse der Prosobranchier, die
er für eine mucöse Drüse ansieht, häufig die für Mucin typische Färbung
nicht zeigt.
Beiläufig bemerke ich, daß die beiden sackförmigen Speicheldrüsen,
die Bergh ebenfalls schon beschrieben hat, ein acidophiles Secret liefern.
Die Fußdrüse.
Nachdem Günther (44) darauf aufmerksam gemacht hatte, daß
der hinter dem Kopf gelegene, eingeschnürte Körperteil der Phyllirhoe
mit besonders entwickelten Drüsenzellen ausgestattet ist, untersuchte
ich diese Stelle auf Schnitten näher. Da nun aber inzwischen
VissiCHELLi diesen Drüsenstreifen eingehend beschrieben und auch
schon als Fußdrüse richtig gedeutet hat, kann ich mich auf wenige
Bemerkungen beschränken. Die von Vissichelli als »tegumento del
piede« bezeichneten Epithelzellen tragen ein Büschel feiner Flimmei-
haare, während die den Boden der Drüse bedeckenden, sehr kleinen
Epithelzellen einen Bürstenbesatz haben, der einer kräftigen, sich
mit Eosin und Pikrinsäure lebhaft färbenden Cuticula aufsitzt. Für
das Studium der zwischen diesen Zellen mündenden Drüsenzellen sind
Längsschnitte am geeignetsten; man findet dann in mit Chromsäure
fixierten und mit Hämalaun-Eosin gefärbten Präparaten neben fein
Beiträge zur feineren Anatomie der I?hyllirlioe bucepliala. 155
granulierten, ungefärbten Zellen solche, deren Inhalt homogen und
blau tingiert ist; an diese Zellen habe ich häufig sehr dünne Nerven-
f äserchen herantreten sehen. Erwähnen will ich noch,- daß Elise
Hanel (49) bei der der Phyllirhoe hucephala verwandten Cephalofnige
trenmtoides (Chun) schon eine Fußdrüse beschrieben hat. Desgleichen
sieht E. Andre (3) bei dem schon oben (S. 145) erwähnten neuen Genus
der Phyllirhoiden, CtiJopsis Picteti, einen am ventralen Körperrande
hinter der Mundöffnung gelegenen Drüsenstreifen als das Rudiment
einer Fußdrüse an.
Die mehrzelligen Hautdrüsen.
Während H. Müllee, und C. Gegenbaur schon 1854 die drüsige
Natur dieser Hautorgane erkannt haben, hat sie in neuerer Zeit Gün-
ther (59) als die befruchteten und schon in der Teilung begriffenen Eier
der Menestra gedeutet. Hinsichtlich der Funktion dieser Drüsen kann
ich VissiCHELLi, der sie für Schleimdrüsen ansieht, nicht beipflichten.
Auffallend ist allerdings, daß diese Drüsen sich intensiv mit Böhmers
und Delafields Hämatoxvlin färben. Behandelt man losgelöste
Hautteile mit Hämalaun-Indigokarmin-Mucikarmin, so beobachtet man
2war oft einen rotgefärbten, also Schleim enthaltenden Zellleib; bei
eingehenderer Beobachtung findet man jedoch, daß dieser Zellleib einer
selbständigen mucösen Drüsenzelle angehört, und daß diese Hautorgane
vielmehr scharf konturierte, grünlich gefärbte Körner ausscheiden; sie
sind daher nicht als Schleim-, sondern als Eiweißdrüsen zu deuten.
Noch schärfer tritt die seröse Natur des Secrets hervor, wenn man
Querschnitte durch diese Körperpartien anfertigt und sie mit Häma-
laun-Eosin färbt (Taf. VIH, Fig. 6 b). Diese Drüsenzellen, von denen
jede ihren eignen Ausführungsgang hat, zeigen nicht alle immer dieselbe
Struktur. Neben kleineren, mit den eosinophilen Körnern beladenen
Zellen, finden sich, etwas tiefer gelegen, größere biasenförmig aufge-
triebene Zellen mit einem sehr großen, chromatinreichen, meist runden
Kern, dessen Nucleolus sich intensiv mit Eosin tingiert. Um den Kern
findet sich eine mehr oder weniger starke Protoplasmaschicht, die sich
halbmondförmig von dem oberen Zellteil abhebt, in welchem sich hin
und wieder die scharf konturierten Körner wahrnehmen lassen. Daß
alle in einer Gruppe vorhandenen Zellen stets von einer gemeinschaft-
lichen Membran umgeben werden, erscheint bisweilen zweifelhaft
(Fig. 6 a). Entgegen der Annahme Vissichellis bemerke ich, daß diese
Drüsen mitunter auch als einzeilige Gebilde vorkommen (Fig. 6 c). Der
an die Hautdrüsen, und zwar immer an ihren oberen Teil, herantretende
156 Ernst Born,
Nerv hat meist eine ganglionäre iVnschwellung. Der Nerv endet hier
nicht, sondern innerviert in seinem weiteren Verlauf die verschieden-
sten Hautdrüsen und die Muskulatur. Die mehrzelligen Hautdrüsen
entwickeln sich anscheinend vom Ectoderm; Stützzellen (Thiele) sind
allerdings nicht in ihnen vorhanden.
Im Anschluß hieran möchte ich sogleich Gebilde erwähnen, die
ich vereinzelt nahe dem Hautrande und in etwas größerer Anzahl
dicht unter den Seitenflächen der Flosse beobachtet habe. Diese
Organe bestehen aus acht bis zehn Zellen und sind in der Regel nur
0,004 mm groß. Der Inhalt der Zellen ist teils gekörnt, teils homogen;
er tingiert sich mit Hämateinlösung, aber auch oft mit Eosin; bei
Behandlung mit FLEMMiNGscher Lösung färbt er sich teilweise tief-
schwarz. Wegen des verschiedenartigen Aussehens der Zellen halte ich
diese Gebilde, welche übrigens mit feinen Nervenfädchen in Ver-
bindung stehen, nicht für Sinnesorgane, sondern für Hautdrüsen.
Paneth hat ähnliche Drüsen auf der Flosse bei Cymbulia und Tiede-
mannia beobachtet und in Fig. 13 und 14 abgebildet. Die neueren
Bearbeiter der Pteropoden und Heteropoden, nämlich Tesch (131)
und Meisenheimer (87), erwähnen diese Organe nicht.
Heath und Spaulding (52) haben vom Flossenrand der Corolla
eigenartige Bildungen als lichtempfindliche Organe beschrieben, die
eine gewisse Ähnlichkeit namentlich mit den zuerst erwähnten mehr-
zelligen Hautdrüsen der PhyUirhoe zeigen. Nach Meisenheimer handelt
es sich aber auch bei Corolla um drüsige Elemente.
Im folgenden werde ich nun die übrigen Hautdrüsen der PhyUirhoe
anführen, welche sämtlich einzellige Gebilde darstellen.
Die mucösen Drüsenzellen,
Es ist bekannt, daß die Nudibranchier wegen des Fehlens einer
Schale reichlich mit schleimbildenden Hautdrüsen ausgestattet sind,
um durch das schlüpfrige Secret die zarten Körperwandungen vor
Beschädigungen durch die im Wasser suspendierten Fremdkörper zu
schützen. Ferner kommt der die Nudibranchier umhüllende Schleim-
mantel ohne Zweifel auch als ein die Bewegung förderndes Agens in
Betracht. »Wie eine ölschicht zwischen Achse und Rad die Reibung
auf ein Minimum reduziert, so wirkt die Schleimhülle der , . . Organis-
men ebenfalls auf die Reibung derselben mit dem berührten Medium.«
(Schröder, 117.) Während mm nach Hecht (53, S. 596) bei den
übrigen Nudibranchiern die Schleimzellen im Epithel gelagert sind,
stellen sich die mucösen Drüsenzellen der PhyUirhoe, welche in gxoßer
Beiträge zur feineren Anatuinie der riiyllirhoö bucephala. 157
Menge über den ganzen Körper verbreitet sind, als subepitheliale Ge-
bilde dar. Ihre Form ist sehr verschieden, meist mehr oder weniger
eiförmig (Taf. VIII, Fig. 7); bisweilen sind sie lang ausgezogen bis zu
einer Länge von 0,08 mm; solche schmale Drüsenzellen sind manchmal
fast rechtwinkelig gebogen. Der Inhalt dieser Zellen läßt ein feines
Netzwerk erkennen und färbt sich mit Hämalaun, Böhmers und Dela-
FiELDs Hämatoxylin und basischen Anilinen; es handelt sich also um
Schleimdiüsen. Sehr gute Resultate erhielt ich mit Mucikarmin;
während die zuerst genannten Farblösungen, ausgenommen Dela-
FiELDs Hämatoxylin, stets die ganze Zelle färben, tingiert sich bei
der Behandlung mit Mucikarmin nur das schon in reifes Secret ver-
wandelte Zellplasma, während die mucinbildende Substanz farblos
bleibt. Bei allen Methoden aber fäibt sich das von List (82, S. 499)
als Filarmasse bezeichnete Netzwerk bedeutend kräftiger als die in
den Maschen des Netzes befindliche homogene Interfilarmasse. Die
* Öffnung der Drüsenzellen, die stets verhältnismäßig groß ist, liegt
nicht immer an der Zellspitze; vielmehr teilt sich bisweilen der distale
Zellteil, und während von den dadurch entstandenen beiden Zipfeln
der eine blind endet, kommuniziert der andre mit der Hautoberfläche
(vgl. Fig, 8). Ich hebe besonders hervor, daß es sich bei dieser Zeich-
nung nicht etwa um zwei aneinander gelagerte Drüsenzellen handelt.
Die Schleimdrüsen der Fhyllirhoe sind zwar oft in eigenartiger Weise
gruppiert; jedoch stellt Fig. 8 eine einzelne Drüsenzelle dar; ich habe
übrigens derartig gestaltete Zellen mehrmals beobachtet und mich nie
von der Existenz eines zweiten Zellkernes überzeugen können. Über
der Drüsenöffnung befindet sich häufig zu einem Ballen oder zu einer
langen Strähne geformtes Secret: auch das ausgetretene Secret ist
nicht völlig homogen, sondern zeigt meist ebenfalls ein feines Maschen-
netz. In den mucösen Drüsenzellen liegt der Kern stets an der Basis;
häufig ist er von einer minimalen Menge homogenen Protoplasmas
umgeben, das sich vom übrigen Zellinhalt halbmondförmig abhebt imd
sich mit Eosin färbt. Von allgemeinem Interesse sind nun diese Drüsen-
zellen wegen ihres Zusammenhanges mit Nerven. Obwohl eine Ab-
hängigkeit des secretorischen Vorganges von einer Nervenerregung
allgemein angenommen wird, liegen über die Endigungsweise secreto-
rischer Nerven nur wenige Mitteilungen vor, die noch dazu nicht all-
gemein acceptiert worden sind. Engelmann (30) sieht die von Ley-
DiG (76 und 80), PflIjoer (99) und Chun (22) beschriebenen Drüsen-
nerven für Bindegewebsfasern an und hält die Speicheldrüsen der
Hummeln (Bonibics) für »ein ausgezeichnetes Objekt, um die auf diesem
158 Ernst Born,
Gebiet der mikroskopischen Anatomie bestehenden Differenzen zu
lösen«. Nach Leydig (78, S. 130) dagegen handelt es sich gerade in
diesem Falle nicht um Nerven, sondern um Bindegewebsfasern. Später
hat noch Smirxow (123) vom Eegenwurm und Smidt (122) von Helix
einen Kontakt der Nervenfibrillen mit Drüsenzellen beschrieben. Ein
Musterobjekt für den Nachweis secretorischer Nerven ist Phyllirhoe.
Die Innervation geschieht in verschiedener Weise. Häufig sitzen die
Schleimzellen mit ihrer Basis stärkeren Fibrillenbündeln wie die Beeren
einer Traube auf (Fig. 7). Es kann aber auch der obere Zellteil mit
den Nerven in Verbindung stehen, odei das Fibrillenbündel zieht über
die Drüsenzelle hinweg, wobei mitunter die von der Innervierung der
Muskulatur (S. 148) her bekannten Körnchenreihen abtreten, welche
die Zellbasis anscheinend korbartig umflechten. Bemerkensv^^ert ist,
daß die Nerven dicht an der Drüsenzelle oft eine auffallend starke
ganglionäre Anschwellung zeigen. Ich habe an den mucösen Drüsen-
zellen nie eine Nervenendigung feststellen können; vielmehr versorgen,
wie schon aus den auf S. 145 und S. 156 gemachten Angaben hervorgeht,
die an die Hautdrüsen der Phyllirhoe herantretenden Nerven auch die
Muskulatur. Daß selbst in den feinsten Nerven noch motorische und
secretorische Fasern miteinander vermischt sind, zeigt in instruktiver
Weise Fig. 1 auf Taf. VII.
Die serösen Drüseuzellen.
Außer den auf S. 155 erwähnten mehrzelligen Eiweißdrüsen finden
sich bei Phyllirhoe unter der Haut des ganzen Körpers, besonders zahl-
reich am ventralen und dorsalen Rande, einzellige Gebilde, welche
ebenfalls ein acidophiles Secret liefern. Diese serösen Drüsenzellen
sind von runder, ovaler oder bohnenförmiger Gestalt (Taf. VIII, Fig. 9
u. 10). Ihre Größe wechselt sehr; die größten von ihnen erreichen einen
Umfang von 0,05 mm. In mit FLEMMiNGscher Flüssigkeit gehärteten
Objekten füllt ein feinkörniger Inhalt diese Zellen völlig aus (Fig. 9),
während bei andern Konservierungsmethoden sich das Zellplasma all-
seitig von der Membran abhebt und zu einem Ballen koaguliert. An
diesen Drüsenzellen kann man sehr gut die einzelnen Secretionsphasen
verfolgen. Das Zellplasma erleidet bis zu seiner Ausstoßung morpho-
logische und chemische Veränderungen, von denen sich die letzteren
durch ihr Verhalten gegen Färbungsmittel charakterisieren. Färbt
man mit Hämatoxylin-Eosin, so findet man neben gleichmäßig rot
gefärbten Zellen solche, bei denen das Plasma über dem meist basal
gelegenen Kern noch eine granulierte Beschaffenheit und blaue Färbung
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoö bucephala. 159
zeigt, während es nach der stets kleinen Zellöffnun"; zu allmählich
homogener wird und sich in demselben Maße mit Eosin stärker
färbt. Es secernieren diese Zellen häufig schon flammendrote Tropfen,
obwohl sich in der Zelle noch unreifes Secret befindet (Fig. 10). Das
Secret färbt sich außerdem mit Eisenhämatoxylin schwarz und mit
Methylgrün metachromatisch, nämlich' lila; die Metachromasie beim
Methylgrün führt P. Mayer (86) auf eine Verunreinigung des Farb-
stoffes mit Methylviolett zurück. Auch diese Drüsen stehen stets mit
Nerven in Verbindung. Panceri (95) hat übrigens diese serösen Drüsen-
zellen der Phyllirhoe als leuchtende periphere Ganglienzellen gedeutet.
Die Art des Vorkommens und der Verteilung der Eiweißdrüsen läßt
nach Rawitz (106, S. 453) die Vermutung als berechtigt erscheinen,
daß sie bei vielen Tieren Giftdrüsen darstellen. Dieselbe Ansicht be-
kundet K. C. Schneider auf S. 32 seines Lehrbuchs der vergleichenden
Histologie. Hecht dagegen glaubt, daß bei den Nudibranchiern
die Schleimzellen ein giftiges Secret liefern, da letzteres dieselben
färberischen Eigenschaften zeigt wie der Inhalt der Nesselzellen. Daß
die Nudibranchier solche giftige Secrete ausscheiden, lehrt die Be-
obachtung CuENOTs. In einem Aquarium befanden sich einige Exem-
plare von Aeolis und Tritonia, welche, sobald sie gereizt wurden, von
einer dicken Schleimschicht umhüllt wurden; kurze Zeit nach der Ab-
sonderung des Schleimes gingen andre in demselben Aquarium be-
findliche Tiere zugrunde (zit. nach v. Fürth, 35, S. 317).
Die MüLLERSchen Zellen.
Im Jahre 1872 hat Panceri beobachtet, daß die Phyllirhoe die
Eigenschaft besitzt, im Dunkeln zu leuchten. Und zwar sollen nach
ihm an der Lichtentwicklung vor allem die rundlichen, scharf kon-
turierten Zellen beteiligt sein, die er nach ihrem Entdecker als Müller-
sche Zellen bezeichnet und als peripherische Ganglienzellen deutet.
Schon Vogt und Yung (138) erwähnen in ihrem Lehrbuche der ver-
gleichenden Anatomie auf S. 817, daß bei Phyllirhoe einzellige Drüsen
eine gelbliche, phosphoreszierende Flüssigkeit absondern. Bald darauf
hat auch Claus (23) angegeben, daß es sich bei den von Panceri be-
schriebenen Zellen, welche der Sitz des Leuchtvermögens sein sollen,
nicht um peripherische Ganglienzellen, sondern um Drüsenzellen handelt.
Nähere Anoaben über den feineren Bau dieser Drüsenzellen machen
jedoch die genannten Autoren nicht. Die MüLLERschen Zellen, von
denen die größten 0,04 mm messen, werden in Flemming- Präparaten
von einem hellen, oft etwas unregelmäßig konturierten Saume umgeben.
100 Ernst Born,
Letzterem liegt häufig eins der bekannten Bindegewebskörperchen an.
Nacli Panceri und Bergh (7, S. 216) ist die Membran der MüLLERschen
Zellen doppelt; doch ich habe mich davon überzeugt, daß die innere
Schicht, welche oft aus rundlichen Ballen besteht, aber nicht querge-
streift ist, wie Bergh beschreibt, nicht eine besondere Zellmembran, son-
dern das ursprüngliche Zellplasma darstellt (Taf. VII, Fig. 1 bei Mü).
Auf Querschnitten erkennt man, daß der fast kugelige Zellleib nur einen
sehr kurzen Ausführungsgang besitzt (Taf. VIII, Fig. 11). Die übrigen
Details sind am besten an mit Chromsäure gehärteten Totoexemplaren zu
erkennen. Man findet dann in den MüLLERschen Zellen einen farblosen
Secretballen, der meist kugelig, bisweilen aber auch unregelmäßig gestaltet
ist; häufig ist er scharf konturiert; eine besondere Membran habe ich
aber entgegen der Behauptung Panceris an diesem Ballen nicht nach-
weisen können. Auf dem Zellboden ruht der große, ovale chromatin-
arme Kern mit mehreren acidophilen Nucleolen. Der Kern ist von
einer kleinen Menge wabig geformten Protoplasmas umgeben. An die
MüLLERschen Zellen, und zwar an ihren oberen Teil, tritt stets ein Nerv,
der häufig eine ringförmige Schleife um die Zelle bildet. Die Behauptung
Panceris, daß der Nerv immer an der Zelle endet, trifft nicht zu. Ich
habe nur in wenigen Fällen den Nerven nicht weiter verfolgen können;
sonst aber läßt sich einwandfrei feststellen, daß der Nerv weiter läuft,
und zwar zu den verschiedensten Elementen der Haut. Diese Drüsen-
zellen liefern ein fettiges Secret, denn ihr Inhalt wird bei der Fixierung
mit FLEMMiNGscher Flüssigkeit schwarz gefärbt. Nach Panceri und
Leydig (77, S. 88) sind an der Phosphorescenz der Tiere vor allem
Fettkörper beteiligt. Eadziszewski (1880) weist darauf hin, daß zu
den Stoffen, die bei ihrer Oxydation Luminescenz erzeugen, Fette,
ätherische öle, Lecithin, Cholesterin u. dgl. gehören. Pütter (102)
hält es aber für angebracht, sich über die chemische Natur des Leucht-
stoffes keine spezielle Vorstellung zu machen. Er spricht nur allge-
mein von »leuchtendem Schleim«. In der Literatur finde ich aber nur
zwei Arbeiten, bei denen auf Grund der angewandten Färbemethoden,
nämlich Delafields Hämatoxylin bzw. Mucikarmin, angenommen
werden kann, daß bei den betreffenden leuchtenden Tieren an der
Luminescenz ein schleimiges Secret beteiligt ist, und zwar die Angaben
von E AWITZ (107) über die Leuchtorgane von Pliolas dactylus mid
die Mitteilungen von Irene Sterzinger (128) Ȇber das Leucht-
vermögen von Arnfhiura squamata«. Nach den Beobachtungen Pan-
ceris und Eimers (29) besitzen auch die Tentakel der PhylUrhoe, denen
die MüLLERschen Zellen fehlen, Leuchtkraft; es müssen demnach außer
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 161
den MüLLERschen Zellen noch andre Elemente an der Lichtentwicklung
beteiligt sein. Vielleicht können die in den Fühlern sich in reich-
licher Menge findenden serösen Drüsenzellen leuchten. Leuchtorgane,
die ein acidophiles Secret liefern, hat z. B. Johann (60) bei Spinax
niger gefunden. Die Angaben Panceris, daß außerdem noch die gan-
glionären Anschwellungen der Tentakelnerven, die Fühlerganglien und
selbst die Schlundganglien, Licht erzeugen, lassen eine Nachprüfung
als erforderlich erscheinen.
Die Randzellen.
Der Körperrand der PliijUirhoe ist umsäumt von cylindrischen
Zellen, die von verschiedener Größe sind. Sie liegen an den mittleren
Randpartien in mehreren Schichten übereinander, wobei sie sich meist
dachziegelartig decken; bisweilen sind sie aber auch unregelmäßig
gruppiert. In dem Photogramm 4 auf Taf. TV tritt dieser Drüsen-
streifen leider nicht scharf genug hervor. Der rundliche Kern liegt
stets an der Zellbasis; er ist meist von einer geringen Menge vacuoli-
sierten Protoplasmas umgeben. Der übrige Zellleib erscheint völlig
homogen und läßt oft nur feine Längsstreifen erkennen, die wohl auf
Falten in der Zellmembran zurückzuführen sind. Der kurze, sich häufig
vom Zellleib scharf abhebende Ausführungsgang mündet in mehr oder
weniger großer Entfernung vom Körperrande. Über die Funktion der
Randzellen kann ich nichts Bestimmtes aussagen. Nach H. Müller und
Gegenbaur sollen sie ein in Tropfen austretendes Secret liefern; es
beruht aber vielleicht die Beobachtung auf einer Verwechslung mit den
serösen Drüsenzellen. H. MIjller und Panceri vergleichen diese cylin-
drischen Zellen mit dem Drüsenstreifen am Rande der Flügel von
Cymhulia, welchen Paneth als ein Schwell- und Stützorgan ansieht.
Die Blasenzellen,
Man findet häufig dicht unter der Haut anscheinend runde, in
Wirklichkeit aber eiförmige Zellen, welche einen Durchmesser von
0,035 mm erreichen können; sie haben einen kleinen Kern, der oft
der sehr dünnen Zellmembran dicht anliegt (Taf. VIII, Fig. 13). Viel-
leicht sind diese Zellen identisch mit den von einzelnen Autoren'als
Flemmings Schleimzellen und LANGERsche Blasenzellen bezeichneten
Gebilden. Bei Phyllirhoe enthalten diese Zellen bisweilen ein feines,
weitmaschiges Netzwerk, das mit sehr kleinen acidophilen Körnchen
besetzt ist. Solche Zellen haben dann eine gewisse Ähnlichkeit mit den
von List bei den Mytiliden beobachteten und von ihm als LANGERsche
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. H
162 Ernst Born,
Blasenzellen bezeichneten Gebilden. Während nun aber diese Zellen
von allen Autoren als völlig geschlossene Elemente beschrieben werden,
stehen sie bei Phyllirhoe mittels einer sehr kleinen Öffnung mit der Haut-
oberfläche in Verbindung. Ich vermute, daß bei Phyllirhoe sich diese
Gebilde aus sehr kleinen Zellen entwickeln, welche in den tieferen Schich-
ten der Leibessubstanz liegen und noch keine Öffnung haben, sonst aber
das gleiche Aussehen wie die eben beschriebenen Elemente zeigen.
Die physiologische Bedeutung der Blasenzellen und der in dem
folgenden Kapitel noch zu beschreibenden Sternzellen ist mir völlig
unklar.
Die Sternzellen.
Diese Bezeichnung habe ich sehr seltsamen, nur 0,005 — 0,015 mm
großen Gebilden gegeben, die sich dicht unter der Basalmembran
häufiger finden (Taf . VIII, Fig. 12); von dem runden oder oval ge-
stalteten Zellleib gehen einzelne feine, sehr lange Fortsätze aus, die
oft nahe ihrem Ursprung Varicositäten zeigen. Die Pseudopodien
teilen sich manchmal dichotomisch, werden in ihrem Verlaufe immer
feiner und entziehen sich so der weiteren Beobachtung. Sehr häufig
sieht man, daß die Zellen mittels eines dünnen Stranges mit der liaut-
oberf lache in Verbindung stehen. Findet sich dieser Strang nicht vor,
so macht sich doch bei hoher Einstellung in der über der Zelle liegenden
Haut eine kleine Öffnung bemerkbar, aus welcher hin und wieder ein
kleiner Tropfen hervorquoll von derselben Beschaffenheit wie die im
Zellleib eingeschlossene Materie. Bei mit FLEMMiNGscher Flüssigkeit
fixierten Präparaten ist das Plasma der kleinen Zellen braun und zeigt
eine homogene Beschaffenheit; die größeren Zellen dagegen sind bei
dieser Fixationsmethode von hellem, feingekörntem Plasma völlig an-
gefüllt. Bei mit Chromsäure gehärteten Objekten bildet den Inhalt
dieser Zellen ein homogener Ballen, der sich mit sauren Anilinen stark
färbt. Der Zellkern befindet sich meist an der Abgangsstelle des feinen,
an die Haut gehenden Ausführungs ganges. Diese Zellen nun haben
eine gewisse Ähnlichkeit mit den von Leuckart (1854), Edinger
(1877), Paneth (1885) und List (1902) von verschiedenen Mollusken
beschriebenen und oft als multipolare Ganglienzellen gedeuteten Ge-
bilden. Auch ich habe diese Zellen bei Phyllirhoe zuerst für Ganglien-
zellen gehalten, zumal da sie fast immer mit Nervenfasern verbunden
waren. Und zwar geht der Nerv entweder an den Zellkörper, wie es
in Fig. 12 der Fall ist, oder ein sehr dünnes Nervenfädchen lehnt sich
auf eine o;rößere Strecke einem Ausläufer der Sternzelle an. Wie schon
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 163
erwähnt, besitzen diese Fortsätze oft varicöse Anschwellungen; solche
Varicositäten werden nun vielfach — vgl. Hertwig, Lehrbuch der
Zoologie, 8. Aufl., S. 80 — als ein Unterscheidungsmerkmal der Nerven
von den Bindegewebsfasern angeführt. Es trifft aber dieses Charakte-
ristikum anscheinend nicht immer zu, denn z. B. bei den Mytiliden hat
List an den langen Protoplasmafortsätzen der Sternzellen ebenfalls
knotige Verdickungen beobachtet, und er hält trotzdem diese Gebilde
nicht für Ganglienzellen sondern nur für einfache Bindegewebszellen.
Auch ich betone nochmals, daß diese interessanten Gebilde bei Ph/Uirhoe
ohne Zweifel secretorische Elemente darstellen.
Das Circulationssystem.
Das Herz der Phyllirhoe ist von H. Müller, Geüenbaur und
Leuckart eingehend beschrieben worden; ihre Beobachtungen haben
dadurch besonderen Wert, weil sie an lebenden Tieren gemacht sind.
Dank der Vervollkommnung unsrer optischen Hilfsmittel habe ich
an fixiertem Material noch einige histologische Details beobachtet, die
ein allgemeines Interesse beanspruchen dürften. Das Herz der Phylli-
rhoe liegt bekanntlich in der Medianebene des Körpers zwischen den
Wurzeln der beiden oberen Leberschläuche. Es besteht aus einem
birnenförmigen, kräftig muskulösen Ventrikel und einem darüber ge-
legenen, dünnwandigen Vorhof. Die Muskelfasern des Ventrikels ziehen
von einem den Ursprung der Aorta einschließenden, kräftigen Sphincter
nach oben. In den beiden oberen Winkeln der Kammer laufen die
Fasern jederseits zusammen und sind hier wiederum durch einen, aber
bedeutend schwächeren Muskelring verbunden; letzterer bildet also
die Atrioventriculargrenze. Nach Knoll (64) ist die Herzmuskulatur
der Gastropoden im Gegensatz zu dem größten Teil der Körpermuskeln
reich an Protoplasma und arm an contractiler Substanz. Diese Angabe
bestätigt sich auch bei Phyllirhoe an den bandartigen Ventrikelfasern ; an
ihnen ist die contractile Rindensubstanz nur als ein äußerst feiner, licht-
brechender Streifen bemerkbar; außerdem durchziehen nur noch einige
sehr dünne Myofibrillen die körnige Marksubstanz der relativ breiten
Fasern (Taf. VIII, Fig. 2 a). Der runde oder längsovale Kern liegt in
der Mitte der Faserzelle; bisweilen aber ragt er auch von Protoplasma
umgeben bruchsackartig hervor. Die Muskelfasern des Vorhofs da-
gegen sind rund, sehr schmal und zeigen deutlich eine fibrilläre Struktur;
körniges Protoplasma findet sich nur in Spuren um den Kern. Die
wenigen im Vorhof sichtbaren Muskelfasern ziehen von der Atrioven-
tricularo-renze in mehr oder weniger geschlängeltem Verlauf nach oben
11*
164 Ernst Born,
und lösen sich in feine Fibrillen auf. die in die Körperhaut übergehen.
Während die Fasern des Vorhofes nur wenige Verbindungen unterein-
ander eingehen, bildet die Ventrikelmuskulatur zahlreiche Anastomosen ;
die einzelnen Äste legen sich dabei nicht etwa nur aneinander, sondern
sie gehen vielmehr substantiell ineinander über, so daß es nicht mög-
lich ist, die Grenzen der einzelnen Faserzellen zu unterscheiden. Diese
Anordnung hat eine gewisse Bedeutung für die sj^äter noch zu er-
örternde Theorie der muskulären Erregungsleitung im Herzen. An der
Herzmuskulatur der Mollusken ist mehrmals, so auch neuerdings von
Spillmann (126), eine Querstreifung beobachtet worden. Auch bei
Phyllirhoe lassen die Ventrikelfasern häufig eine feine, auffallend regel-
mäßige Querstreifung erkennen; doch bei genauerem Zusehen findet
man, daß diese nicht durch eine entsprechende Anordnung der
contractilen Substanz, sondern durch eine Fältelung der die Muskel-
zelle umhüllenden strukturlosen Schicht bedingt wird (Fig. 2 6).
Diese Schicht erscheint in der Regel als ein feiner, homogener
Saum; jedenfalls infolge der Kontraktion der Faserzelle zeigt er die
öfter an ihm beobachtete Querstreifung. Entscheiden kann ich aber
nicht, ob diese Schicht eine besondere, die Faserzelle einschließende
Hüllmembran vorstellt oder noch zur Muskelzelle selbst gehört. Bis-
weilen wölbt sich dieser Saum stärker hervor und zeigt dann eine
feinkörnige Struktur; irgendwelche kernartigen Gebilde habe ich aber
in dieser Schicht nie angetroffen. Das Vorkommen einer besonderen
Hüllmembran wäre deshalb von Interesse, weil vielfach (121 u. 57)
behauptet wird, daß bei den Gastropoden das Blut direkt die Muskel-
fasern im Herzen bespüle. Spillmann aber weist diese Behauptung
entschieden zurück; er hat bei Haliotis beobachtet, daß die Herz-
muskelfasern von Bindegewebe umhüllt sind. Auf einen Irrtum, der
Spillmann bei dieser Beschreibung untergelaufen ist, möchte ich, da
er leicht zu Mißverständnissen führen kann, aufmerksam machen;
Spillmann spricht vielfach von »Myolemmkernen « ; Myolemm ist nun
das Synonym für die gebräuchlichere Bezeichnung Sarcolemm, wor-
unter man bekanntlich das die Muskelfaser umschließende strukturlose
Häutchen versteht. Spillmann aber meint, wie aus seinen ganzen
Ausführungen und aus seiner Fig. 27 hervorgeht, mit der Benennung
» Myolemmkern « den Kern der Muskelfaserzelle selbst und nicht die
Kerne des Bindegewebes.
Das Herz der Phyllirhoe ist von einem dünnhäutigen Pericard
umgeben. Nach Heschelee (57, S. 342) soll bei Phyllirhoe der Vorhof
nicht mehr im Herzbeutel liegen. Diese Angabe trifft nicht vollständig
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoc bucephala. 165
ZU. Vielmehr steigt das Pericardium vom Aortenring als äußeres Blatt
nach oben bis zur halben Höhe der Vorkammer, schlägt sich dann nach
innen um und überzieht nun als inneres Blatt den unteren Teil der
Vorkammer und die Kammer. Im oberen Teil des Vorhofes kommuni-
ziert also der Hohlraum des Herzens direkt mit der Leibeshöhle, Wäh-
rend nach Leuckart in den Seitenwänden der Kammer sich Lücken
finden, und auf diese Weise zwischen dem Herzraum und dem Pericar-
dialsinus eine direkte Kommunikation besteht, ist nach Müller und
Oegenbaur die Höhle des Herzbeutels vollkommen von dem Hohl-
raum des Herzens abgeschlossen, und es kommuniziert vielmehr der
venöse Pericardialsinus »an mehreren Stellen mit der übrigen, gleich-
falls vom venösen Blute gefüllten Leibeshöhle «. Einen solchen direkten
Zusammenhang der Perica^rdhöhlimg mit den Bluträumen des Körpers
hat Gegenbaur auch für die Heteropoden und Pteropoden behauptet;
Meisenfeimer (87) aber tritt auf Grund seiner an den Pteropoden der
Valdivia-Expedition gemachten Studien der schon von Johannes
Müller, Ihering u. a. vertretenen Ansicht bei, daß das Pericard nach
allen Seiten hin gegen die Leibeshöhle geschlossen ist. Erwähnen will
ich noch, daß Rywosch (114) neuerdings bei Pterotrachea eine Kom-
munikation zwischen dem Herzraum und dem vom Herzbeutel gebildeten
Sack festgestellt haben will. Ob bei PhylUrhoe die oben erwähnten
Lücken in den Herzwandungen bzw. im Pericard tatsächlich vorhanden
sind, darüber können nur Beobachtungen an lebenden Tieren sicheien
Aufschluß geben; ebenso lassen sich die Angaben der früheren Autoren
über den Klappenapparat des Herzens nur am lebenden Objekt nach-
prüfen.
Der Herzbeutel stellt übrigens bei PhylUrhoe nicht eine struktur-
lose Membran dar, welche sich nach Ansicht Müllers und Gegen-
BAURs durch Verdichtung der Leibessubstanz bilden soll; vielmehr habe
ich an dem Pericardium in verschieden großen Abständen voneinander
kleine runde Kerne beobachtet, die von einer Spur feinkörnigen Proto-
plasmas umgeben waren; sonst erschien der Herzbeutel aber völlig
homogen. Bei zwei der von mir beobachteten Tiere machten sich auf
der Ventrikelwand dichte Kernanhäufungen bemerkbar, und ich glaubte
zuerst, eine Pericardialdrüse gefunden zu haben, die ja nach Grobben
(43) unter den Opisthobranchiern weit verbreitet ist. Doch bald fand
ich, daß diese Kernanhäufung durch die Systole der Kammer bedingt
war. Es hatte sich eben bei der Kontraktion des Ventrikels auch das
ihm anliegende innere Blatt des Pericards zusammengelegt, und da-
durch waren die Kerne des Pericardiums dichter aneinander gedrängt
166 Ernst Born,
worden; was eben beim diastolischen Herzstillstand, der ja nach Ry-
woscH die Regel ist, nicht zu beobachten ist.
Die Innervation des Herzens.
Hinsichtlich des Ursprunges der Erregungsleitung im Herzen stehen
sich bekanntlich (vgl. Hermann, Lehrbuch der Physiologie. 1905) zwei
Lehren schroff gegenüber,
- Engelmann hat im Jahre 1875 gezeigt, daß an der Kammer eines
Froschherzens, welches in beliebiger Weise in dünne Streifen zer-
schnitten war, ein an irgend einer Stelle angebrachter Reiz alle Teile
zur Kontraktion bringt, falls diese Streifen, wenn auch nur durch
schmale Substanzbrücken, miteinander noch zusammenhängen. Auf
Grund dieses Experimentes haben viele Autoren die Ansicht ausge-
sprochen, daß der Herzmuskel, dessen Fasern bekanntlich netzförmig
untereinander zusammenhängen, die Erregung von Zelle zu Zelle leitet.
Die zum Herzen tretenden Nerven sollen nur regulatorisch auf Frequenz
und Stärke der Pulsationen wirken. Entgegen dieser Annahme der
funktionellen SelbÄtändigkeit des Herzens halten viele Autoren an der
älteren Lehre von dem gangiionären Ursprung der Automatie des
Herzens fest, nachdem sich herausgestellt hat, daß von zerstückelten
Froschherzen nur solche Teile noch kontraktionsfähig sind, welche
Nervenzellen enthalten. Zur Stütze der ENGELMANNschen Lehre von
der muskulären Erregungsleitung im Herzen wird nun vielfach neben
dem nervenlosen embryonalen Herzen der Wirbeltiere das Herz der
Schnecken angeführt.
Wie auch Rywosch vor kurzem hervorhebt, ist es bis jetzt näm-
lich noch keinem Forscher gelungen, irgendwelche Nervenelemente in
den Herzwandungen der Schnecken mit Sicherheit nachzuweisen. Der
Zoologe SoMOFF, der gleichzeitig mit Rywosch im zoologischen Labo-
ratorium zu Villefranche arbeitete, hat auch mit der Methylenblau-
methode keine Nerven im Herzen der Pterotrachea auffinden können.
Knoll (66), der sich in Neapel an Evertebraten mit der Beein-
flussung der Herztätigkeit durch die Temperatur beschäftigt hat, hat
bei Crustaceen, Tunicaten und Pterotracheen mit konstantem nega-
tiven Erfolg nach nervösen Elementen im Herzen gesucht. Er war
von diesem negativen Befund sehr überrascht, weil einige Beobachtungen
ihm den Gedanken nahe gelegt hatten, »daß es sich dabei um Reflexe
auf Herznerven handelt«.
Durch die Beobachtung lebender Pterotracheen hat auch Rywosch
den Eindruck gewonnen, daß die Tätigkeit des Herzens unter dem
Beiträge zur feineren Anatomie der Pliyllirhoe bucephala. 167
Einfluß des Nervensystems steht. Er hat festgestellt, daß die Ex-
stirpation des » ösophaiiealganglions « eine Pnlsverlangsamung hervor-
ruft. Rywosch sieht daher in dem ösophagealganglion das Hemmungs-
centrum für das Herz der Pterotrachea. Die Funktion dieses Ganglions
würde also der des Vaguscentrums bei den Wirkeltieren entsprechen.
Auch für Aplysia hat Straub (130) durch das Experiment den Nach-
weis erbracht, daß im Herzen dieses opisthobranchiaten Gastropoden
ebenfalls die Erregung fortgepflanzt wird. Da sich nun aber Herznerven
nicht finden ließen, so hat nach Straub für Aplysia nur die myogene
Theorie der Erregungsleitung Geltung.
Vor einiger Zeit hat Spillmann die früher von Haller gemachten
Mitteilungen über das Vorkommen von Herznerven bei Haliotis, Turbo,
Trochus und Fissurella an Trochiden nachgeprüft. Die von Haller
beschriebenen Ganglienzellen hat er ebenfalls gefunden. Obwohl Spill-
mann selbst auf die große Ähnlichkeit dieser Gebilde mit den von
Brock als Plasmazellen bezeichneten Bindegewebszellen hinweist, läßt
er doch noch die Frage offen, ob es sich bei diesen bipolaren Zellen um
Bindegewebs- oder Ganglienzellen handelt. Wie ich nun aber im nächsten
Kapitel ausführlicher erörtern werde, sind von Hecht und Cuenot die
Plasmazellen Brocks als excretorische Elemente erkannt worden. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß auch die von Haller und Spillmann im Herzen
einiger Prosobranchier gefundenen bipolaren Zellen an der Excretion
beteiligt sind, denn Haller hat in ihnen das Vorhandensein von bräun-
lichgelben Zelleinschlüssen konstatiert. Bemerken will ich noch, daß
Grobben ähnliche concrementhaltige Zellen im Vorhof des Herzens der
Lamellibranchier angetroffen und darauf hingewiesen hat, daß diese
Zellen von Dogiel (1877) irrtümlicherweise als Nervenzellen gedeutet
wurden. Während nun Haller im Herzen einiger Prosobranchier ein
Nervennetz angetroffen haben will, ist es Spillmann mit keiner der
von ihm angewandten Nervenfärbungsmethoden geglückt, im Herzen
der Trochiden specifisches Nervengewebe zu konstatieren.
Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, wird fast allgemein
angenommen, daß das Herz der Schnecken ohne Nerven sei. Da in-
folge dieses Umstandes das Schneckenherz für die vergleichende Herz-
physiologie von großer Bedeutung geworden ist, dürfte es von allge-
meinem Interesse sein, daß bei PhyUirhoe bucephala sich einwandfrei
eine Innervation des Herzens feststellen läßt.
An isolierten Herzen habe ich gefunden, daß auf der Aorta sich
ein feiner Nerv einigemal teilt. Seine Zweige umspinnen das Gefäß
und dringen am Aortenring, an den feinste Zweige abgegeben werden,
168 Ernst Born,
in die Kammer ein; in letzterer gehen die Nervenfädchen mehrere
schlingenförmige Verbindungen untereinander ein, in deren Knoten-
punkten bisweilen je ein kleiner Kern liegt (Fig. 2 a). Von diesen
Nervenfädchen gehen nun die charakteristischen Körnchenreihen, wie
sie von der Hautmuskulatur her bekannt sind, an die Muskelfasern
des Ventrikels ab. Es war natürlich mein Bestreben, nun auch den
Ursprung dieses Herznerven zu finden. An Totoexemplaren habe ich
mich davon überzeugen können, daß an die Aorta ein feiner Nerv tritt,
der sich bis zum Herzen verfolgen läßt. In letzterem ist aber sein
weiterer Verlauf an intakten Tieren nicht zu erkennen, weil die Dicke
des Objekts ein Studium des in den tieferen Schichten gelegenen Herzens
mit starken Linsen nicht zuläßt. Proximal habe ich den Nerv noch
eine längere Strecke am unteren Magenrand entlang ziehen sehen;
seinen Ursprung habe ich aber an den mir für diese Untersuchungen
zur Verfügung stehenden Tieren, welche mit FLEMMiNGscher Lösung
fixiert waren, wegen der starken braunen Verfärbung des Magens leider
nicht feststellen können. An der Aorta entsendet übrigens dieser Nerv
einen Zweig distalwärts, der aber noch mehr in die Tiefe dringt und
sich so der Beobachtung entzieht. Vielleicht steht dieser Nerv zur
Niere in Beziehung. Wegen des eigenartigen Verlaufes am Magen und'
der Verbindung dieses Nerven mit dem sympathischen Plexus, von
dem ich mich einmal glaube überzeugt zu haben, halte ich es nicht für
ausgeschlossen, daß der Herznerv aus dem Buccalganglion stammt.
Ein solcher Ursprung hätte allerdings etwas Befremdendes; doch ist
zu berücksichtigen, daß die Innervierung der vorderen Aorta durch
die Buccalganglien bekannt ist (57, S. 204).
Wie Rywosch gezeigt hat, wird bei Pterotrachea der Mechanismus
des Herzens vom »ösophagealganglion<( beherrscht. Um Mißverständ-
nisse zu vermeiden, hebe ich hervor, daß Rywosch wohl unter »öso-
phagealganglion « nicht die am Pharynx gelegenen Buccalganglien,
sondern das über dem Oesophagus befindliche Cerebralganglion versteht.
Nach Gegenbaur dagegen, auf dessen Untersuchungen über Ptero-
poden und Heteropoden Rywosch bezüglich der anatomischen Ver-
hältnisse hinweist, soll das Herz der Pterotrachea vom Parietovisceral-
ganglion innerviert werden. Ich benenne übrigens die Ganglienknoten
der Pterotrachea in der Weise, wie sie in Längs Lehrbuch der verglei-
chenden Anatomie auf S. 8 bei der Abbilduncr von Pterotrachea coronata
gedeutet werden.
Bemerken will ich noch, daß nach Pelseneer (97) bei den Opistho-
branchiern Polycera und Goniodoris die Nerven für das Herz und die
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoö bucephala. 169
Niere (<(Ies nerfs reno-cardiaques») aus dem Visceralganglion entspringen.
Auch Meisenheimer (S. 246) hat bei einigen gymnosomen Pteropoden
vom Visceralganglion aus Nerven bis zum Herzen und zur Niere ver-
folgen können. Wie aus meinen obigen Angaben hervorgeht, kann ich
zwar über den Ursprung der Herznerven keine bestimmten Angaben
machen; jedoch erlaube ich mir, nochmals zu betonen, daß über die
nervöse Natur des im Herzen der Phyllirhoe beobachteten Netzwerkes
nicht der geringste Zweifel besteht.
Das periphere Gefäßsystem
weist einen sehr einfachen Bau auf. Die Aorta kreuzt die rechte Seite
des hinteren oberen Leberschlauches, steigt dann an der linken Seite des
Darmes, und zwar meist an der Übergangsstelle des Mitteldarmes in den
Enddarm, weiter nach unten, um sich dann am unteren Rand desselben
in einen vorderen und hinteren Ast zu teilen. Die Aorta anterior läßt
sich bis zum Kopf verfolgen; die Aorta posterior begleitet den Zwitter-
drüsengang ; an der Vereinigungsstelle der beiden Ausführungsgänge der
Gonaden teilt sich das hintere Gefäß in einen oberen und unteren Zweig,
die bis zum Hilus der dorsalen bzw. ventralen Gonade verlaufen. Damit
hat das geschlossene Gefäßsystem sein Ende erreicht, und das Blut wird
nun, jedenfalls durch die Bewegungen des Körpers, durch das Lacunen-
system, von dem Fig. 1 auf Taf. VIII eine Vorstellung geben mag, ge-
drängt. Da keine Venen existieren, muß das Herz sich das Blut wieder
aus der Leibeshöhle aufsaugen. Im Eingeweidesinus entzieht das Blut
dem Darm die Nährstoffe ; den erforderlichen Sauerstoff muß es wegen des
Eehlens besonderer Atmungsorgane beim Durchfließen der feinen Ge-
webslücken des Integuments aus dem umgebenden Wasser aufnehmen.
Für eine solche Absorption ist die Haut der Phyllirhoe besonders geeig-
net, da sie, wie früher (S. 109) bemerkt, zum größten Teil von Epithelien
nicht bedeckt ist. Dieser Sauerstoffverbrauch ist übrigens nach den
Angaben v. Fürths (35, S. 127) bei den Tieren mit gallertig weicher
Konsistenz ein ganz enormer. Berechnet man bei ihnen die respira-
torische Aktivität unter Berücksichtigung des Gehaltes an organischer
Substanz, »so ergibt sich die überraschende Tatsache, daß den zarten
pelagischen Glastieren ein Gaswechsel zukommt, der in seiner Intensität
meist denjenigen des Menschen übertrifft« (v. Fürth).
Was die feinere Struktur der Gefäße anbetrifft, so bestehen die
Arterien aus einer dünnen Membran, in der sich zahlreiche, mehr oder
weniger spindelförmige Zellen bemerkbar machen; der rundliche Kern
lieo-t meist an dem einen Ende dieser kleinen Zellen; an ihren Polen
170 Ernst Born,
entsenden sie feine Fibrillen, welche die Gefäße in den verschiedensten
Richtungen umspinnen. Eine besondere Struktur weist der Anfangsteil
der Aorta, dicht unter dem muskulösen Sphincter auf. Man beob-
achtet hier eine Anhäufung kleiner runder Zellen. Ihr meist wand-
ständiger Kern zeigt bisweilen Einschnürungen ; auch kommen mitunter
zwei Kerne vor. In dem feinkörnigen Protoplasma kann auch eine
Vacuole sichtbar sein, die an mit FLEMMiNGscher Lösung fixierten
Präparaten eine homogene, braungrüne Concretion einschließen kann.
Zu bemerken ist noch, daß die Aorten wand hier durch circulär ver-
laufende Fasern verdickt ist. Es ist möglich, daß die beschriebene
Zellenanhäufung eine Drüse vorstellt; nach Heschelee (S. 315) finden
sich solche Blutdrüsen bei vielen Opisthobranchiern, und zwar gewöhn-
lich am Anfangsteil der Aorta.
Das Blut der PhyllirJioe wird von Müller und Gegenbaur be-
schrieben als »eine farblose Flüssigkeit mit spärlichen zelligen Ele-
menten. Sie sind von verschiedener Größe und messen von 0,003 bis
0,006'". Ihr Kern ist blaß, selten mit einem Nucleolus versehen«. Aus
dieser Angabe ist ersichtlich, daß die Blutzellen der PhylUrhoe kein
Hämocyanin besitzen. Bekanntlich (v. Fürth) rührt nämlich die bei
manchen Mollusken beobachtete blaue Färbung des Blutes von diesem
kupf erhaltigen Eiweißkörper her. Da das Hämocyanin erst den- Blut-
zellen die Fähigkeit gibt, größere Sauerstoffmengen zu absorbieren,
so dürfte den Blutzellen dev PhyllirJioe nur eine phagocytäre Funktion
zukommen, wie sie Simroth (S. 588) auch von den Blutzellen des
farblosen Prosobranchierblutes annimmt. Die von den obigen Autoren
am lebenden Tier gemachte Beobachtung, nämlich das spärliche Vor-
kommen zelliger Elemente in der strömenden Hämolymphe, läßt wohl
die Schlußfolgerung zu, daß die kleinen runden Zellen, welche oft in
Haufen in der Gallerte liegen (S. 110), nicht als Blutzellen anzusprechen
sind; sondern als letztere können von den in der homogenen Grund-
substanz sich findenden Zellen nur diejenigen gedeutet werden, welche
die für die Leucocyten charakteristischen Eigentümlichkeiten zeigen.
In der Gallerte der PhylUrhoe finden sich nämlich, und zwar gar nicht
so sehr selten, kleine Zellen, welche von einem anscheinend homogenen
Saum umgrenzt sind; von letzterem können verschieden gestaltete,
meist lappenförmige Forstätze, Lobopodien, ausgehen. Diese Erschei-
nung ist auf die den Blutzellen zukommende Bewegungsfähigkeit zu-
rückzuführen, welche ja Cuenot zu der Bezeichnung »Amöbocyten«
Veranlassung gegeben hat. Diese Zellen enthalten oft verschieden ge-
staltete Concretionen, die in Flemming- Präparaten teils tief schwarz
Beiträge zur feineren Anatomie der Pliyllirlioö bucephala. 171
gefärbt, teils von glänzender, braungrüner Beschaffenheit sind (Taf. V,
Fig. 4 c). Diese Erscheinung, welche schon W. Flemming (32) bekannt
war, sieht Knoll (65) als das Produkt eines lebhaften assimila-
torischen Stoffwechsels an. Daneben kommt aber den Leucocyten nach
Knoll noch eine excretorische Tätigkeit zu; ich bemerke hierzu, daß
ich bei den verschiedensten Fixierungsmethoden in den Leucocyten
eine bis zwei Vacuolen beobachtet habe.
In dem centralen feingekörnten Plasma der Leucocyten liegt der
meist runde, selten unregelmäßig gestaltete Kern, der einen oder mehrere
Kernkörperchen, wie ich im Gegensatz zu Müller und GeCxEnbaur
angeben muß, beherbergt. Die Kerne sind von verschiedener Größe;
bedeutende Größenunterschiede aber, welche Knoll als charakteristisch
für die Blutkörperchen der Wirbellosen ansieht, weisen sie nicht auf.
Schon Griesbach (42) hat in den Blutzellen der marinen Acephalen
bisweilen zwei Kerne angetroffen, ohne aber einen Anhaltspunkt dafür
zu besitzen, wie dieselben entstanden sind. Auch nach Cattaneo und
CüENOT (zit. nach Griesbach) enthalten die Blutzellen der Mollusken
bisweilen zwei Kerne. Unter den Leucocyten der Phyllirhoe habe ich
nicht nur solche mit zwei Nuclei, sondern selbst mit drei und vier Kernen
beobachtet.
Die Neubildung von Blutkörperchen während des postembryonalen
Lebens ist bei Mollusken noch nicht mit Sicherheit festgestellt (165,
S. 588). Auch Knoll hebt hervor, daß blutbereitende Organe bei den
Wirbellosen überhaupt noch nicht auch nur einigermaßen sicher nach-
gewiesen sind. So wird bei den Mollusken die Pericardialdrüse von
Grobben, Spillmann u. a. als ein namentlich excretorisch tätiges
Organ aufgefaßt, während Wegmann u. a. (zit. nach Spillmann) ihr
für die Blutbildung eine Bedeutung zuschreiben. Knoll fand an den
Blutzellen der verschiedensten wirbellosen Tiere lebhafte amitotische
Kernteilungen, die ihn zu der Annahme veranlaßten, daß die Neu-
bildung der Blutzellen, wenigstens zum Teil, in der Blutflüssigkeit
selbst sich abspielt. Eine mitotische Teilung von Blutzellen aber, wie
sie nach seiner Angabe Apäthy und Eisig bei Wirbellosen beschreiben,
hat er nicht konstatieren können. Bei Phyllirhoe habe ich an den
Lymphzellen und an den Kernen des Pericardiums Figuren beobachtet,
die meines Erachtens auf indirekte Teilung hinweisen; mit Bestimmt-
heit habe ich eine mitotische Kernteilung in dem oben erwäh»ten,
am Anfang der Aorta gelegenen Zellhaufen gefunden ; ich will aber nicht
ohne weiteres auf Grund dieses Befundes diesen Teil der Aortenwand
als Blutbildungsstätte in Anspruch nehmen.
172 Ernst Born,
Die excretorischen Elemente.
E, Hecht (53) und Cuenot (26) haben durch physiologische Injek-
tionen bewiesen, daß bei den Opisthobranchiern außer den Nephridien
gewisse Zellen der Leber und des Bindegewebes, letztere als Plasma-
zellen oder LsYDiGsche Zellen bekannt, die excretorischen Elemente
darstellen.
Das Nephridium.
Während bei den cladohepatischen Nudibranchiern die Niere in
der Regel (53 u. 57) zahlreiche Verästelungen zeigt, bildet das Ne-
phridium der Phyllirhoe einen in der Medianebene des Körpers verlau-
fenden, unverästelten Sack. Am vorderen Ende kommuniziert die
Niere durch einen mit langen Wimpern ausgestatteten Trichter, den
Renopericardialgang, mit dem Herzbeutel, während ungefähr auf der
Grenze des ersten und zweiten Drittels ihres Längsdurchmessers ein
kurzer Harnleiter auf der rechten Körperseite die Verbindung mit dem
umgebenden Medium herstellt (vgl. Taf. IV, Fig. 1).
Die Funktion dieses Schlauches war den ersten Beobachtern der
Phyllirhoe völlig unklar; so wurden diese Gebilde von Eschscholtz
(1825) als ein Respirationsorgan, von Quoy und Gaimard (1833) als
Uterus und von Souleyt (1840) als Kiemen venenstamm gedeutet.
Erst im Jahre 1854 sprachen Müller und Gegenbaur die Vermutung
aus, daß dieses Organ excretorisch tätig sei und vielleicht auch noch
eine direkte Aufnahme von Wasser ins Blut ermögliche, da es sowohl
mit dem Herzbeutel, als auch mit dem umgebenden Wasser kommuni-
ziert. Das bald darauf (1855) erschienene Werk Gegenbaurs über Pte-
ropoden und Heteropoden, in dem der berühmte Verfasser mit aus-
führlichen Argumenten für eine direkte Aufnahme von Wasser ins Blut
mittels des contractilen Nierenschlauches eintritt, haben viele Er-
örterungen über dieses interessante Problem zur Folge gehabt. Der
Auffassung Gegenbaurs trat in späteren Jahren (1883) besonders
JoLiET (61) entgegen. Er beschreibt die Tätigkeit des Nierensackes
bei Phyllirhoe folgendermaßen: der am Anfang der Beobachtung zu-
nächst zusammengefaltete Schlauch beginnt sich allmählich auszu-
dehnen, indem durch das Schlagen der Cilien im Renopericardialgang
Flüssigkeit aus dem Herzbeutel in die Niere gelangt. Während der
ganzen Dauer der Aufblähung bleibt die äußere Öffnung der Niere
geschlossen; sobald die Urinkammer aber vollständig gefüllt ist, öffnet
sich die äußere Öffnung langsam und bleibt einige Sekunden sichtbar.
In dieser kurzen Zeit schrumpft der Sack wieder zusammen und ent-
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllir!u)e bucephala. 173
leert dabei seinen ganzen Inhalt nacli außen. Darauf wiederholt sich
dasselbe Spiel. Die AVanduniion der Niere sind bei Phi/Uirhoe nach
JoLiET viel zu schwach, um durch ihre diastolischen und systolischen
Bewegungen Wasser von außen aufsaugen zu können. Ganz anders
aber liegen nach Joliet die Verhältnisse bei Firola: hier ist der Nieren-
sack von kräftigen Muskelfasern umsponnen, von deren diastolischer
Erschlaffung man a priori annehmen kann, daß sie eine saugende
Wirkung ausübt. An diesem Heteropoden hat denn auch Joliet die
Beobachtung Gegenbaurs bestätigen können, nämlich die Tatsache,
daß fein verteilte Tusche, welche in die Umgebung der äußeren Nieren-
öffnung gebracht wird, bei der Diastole des Sackes zusammen mit dem
Wasser ins Innere des Organs hineinströmt; aber nach fünf bis sechs
Kontraktionen ist die Tusche wieder aus der Niere entfernt, und kein
Körnchen ist in den Pericardialraum gedrungen. Joliet kann infolge-
dessen der Anschauung Gegenbaurs nicht beitreten.
JoLiETs Angaben fanden bald darauf durch Schiemenz (116) in
zwei umfangreichen Arbeiten ihre Bestätigung. Auch Schiemenz
kommt zu dem Schluß, daß für Phyllirhoe, die Heteropoden und Ptero-
poden eine Wasseraufnahme durch Niere und Herzbeutel vollkommen
ausgeschlossen ist. Beide Organe besorgen vielmehr die Ausscheidung
einer Flüssigkeit aus dem Blute.
Vor kurzem hat sich auch Rywosch bei Pterotrachea mit dem-
selben Problem befaßt; seine Experimente gestatten ihm bis jetzt
jedoch noch keine bestimmte Schlußfolgerung; er betont aber, daß ihm
die Beobachtungen Joliets nicht genügen, um die GEGENBAURsche
Auffassung der Wasseraufnahme durch die Niere ins Blut widerlegen
zu können.
Im Anschluß hieran möchte ich noch besonders auf die anscheinend
in Vergessenheit geratenen Studien aufmerksam machen, welche Hecht
an Nudibranchiern angestellt hat. Dieser Autor hat sich u. a. auch
mit der Funktion des Kenopericardialganges befaßt, ohne auf die An-
sichten der älteren Forscher näher einzugehen. Hecht vermutet, daß
der Nierentrichter eine kräftig saugende Wirkung auf den Inhalt des
Herzbeutels ausübt. Er hat bei Eolis beobachtet, daß eine in den
Herzbeutel injizierte Lösung von Methylgrün schon nach Verlauf von
8 Minuten in die Niere befördert war und daß ebenso schnell eine grüne
Flüssigkeit sich aus der Ausflußöffnung in Wolken entleerte. Bei der
bald darauf erfolgten Sektion enthielt der Herzbeutel keine Spur mehr
von der injizierten Flüssigkeit, während der Nierentrichter noch grün
gefärbt war. Diese Beobachtung darf wohl auch deshalb noch
174 Ernst Born,
besonderes Interesse beanspruchen, weil Rywosch bei seiner Kritik des
von JoLiET an Firola angestellten Experimentes die Ansicbt ausspricht,
daß man für den Nierentrichter von vornherein eine Durchlässigkeit
von Farblösungen nicht annehmen könne und daher die von Joliet
gemachte Beobachtung, daß die von außen in die Niere eingedrungene
Auflösung von Tusche nur bis zum Nierentrichter vordringt, nicht die
Annahme ausschließt, daß das von der Urinkammer aufgesogene, von
corpusculären Elementen freie Meerwasser auch noch durch den Reno-
pericardialgang und somit in den Herzbeutel befördert wird. Meines
Erachtens erhält also der JoLiETsche Versuch durch die von Hecht
an Nudibranchiern konstatierte Tatsache, daß die Wimperflammen
des Nierentrichters auch den Durchfluß von Farblösungen gestatten,
eine höhere Beweiskraft für die Annahme, daß sich ein Flüssigkeits-
strom vom Herzbeutel aus nach dem Nierensack, und nicht umgekehrt,
bewegt. Nach Meisenheimer nmß man diesen Lauf schon allein aus
dem Verhalten der an der Kommunikationsstelle zwischen Niere und
Pericard befindlichen Cilien die ja stets nach der Niere zu gerichtet
sind, folgern. Mit v. Ihering nimmt er an, daß das aufgenommene
Wasser nur zur Ausspülung der Niere dient, sonst aber weiter keine
Bedeutung für den Stoffwechsel des Tieres hat.
Da mir nur konserviertes Material zur Verfügvmg stand, muß ich
mich mit der Mitteilung einiger histologischer Befunde begnügen, die
aber vielleicht doch das Verständnis für die Funktion dieses inter-
essanten Organs etwas erleichtern können. Wie schon die älteren
Autoren (Müller, Gegenbaur, Leuckart und Bergh) bemerkt haben,
sind auch bei Phyllirhoe die den Epithelien des Nierentrichters auf-
sitzenden langen Cilien stets nach der Niere zu gerichtet; ich habe sie
oft noch eine ziemliche Strecke in das Lumen des Nierensackes hinein-
ragen sehen, wobei sich das Büschel allmählich konisch verjüngte
(Taf. VIII, Fig. 4ö); diese Gestalt könnte meines Erachtens dieses
Büschel unmöglich annehmen, wenn sich ein Flüssigkeitsstrom von
der Niere nach dem Herzen zu bewegen würde, denn dann würden
wohl ohne Zweifel die feinen Cilien des in die Urinkammer hinein-
ragenden Büschels auseinander geschlagen sein. Mehrmals habe ich
mich auch deutlich davon überzeugen können, daß einzelne lange
Wimperflammen von der im Pericardium gelegenen Öffnung des Nieren-
trichters in den Herzbeutel hineinragen. Ein solches Verhalten des
Nierentrichters ist bis jetzt, wie mir eine Durchsicht der einschlägigen
Literatur zeigt, noch nie beobachtet worden. Auch in der jüngst er-
schienenen Arbeit von Rolle (113) über »Die Renopericardialverbindung
Beiträge zur feineren Anatomie der Pliyllirlioe bucepluvla. 175
bei den Nacktschneckeu « finde ich keine ähnliche Angabe. Diese
Flimmerbüschel haben vielleicht den Zweck, durch ihre Bewegungen
die im Herzbeutel verteilte Flüssigkeit nach der Nierenöffnung zu be-
fördern. Nachträglich erwähne ich noch, daß die Basis des Peri-
cardiums von einigen Parenchyramuskelfasern imifaßt wird; diese
Verbindung mit muskulösen Elementen, die bisher auch noch nicht
konstatiert ist, gestattet wohl dem Herzbeutel schneller und leichter
seinen Inhalt nach der Niere zu befördern. Daß bei Phyllirhoe eine
Flüssigkeit aus dem Pericardium nach der Niere zu sich ergießt, er-
scheint mir nach der Beschreibung, die Joliet von der Tätigkeit der
Niere gibt, als ziemlich sicher.
Was nun die feinere Struktur des eigentlichen Nierensackes der
Phyllirhoe anbetrifft, so haben schon die früheren Beobachter erwähnt,
daß sich seine dünnen Wandungen aus einer äußeren strukturlosen
Membran und an deren Innenschicht sich anlegenden Epithelien zu-
sammensetzt. Letztere werden als ziemlich große, feingranulierte,
kernhaltige Zellen beschrieben. Außer diesen Zellen von gleichmäßig
feinkörniger Beschaffenheit habe ich bei den Nierenepithelien der
Phyllirhoe häufig noch einen zweiten Zelltypus beobachtet, der durch
das Vorhandensein einer Vacuole charakterisiert ist. Solche vacuoli-
sierte Nierenepithelien hat Hecht bei allen Nudibranchiern gefunden;
die bei diesem Typus stark abgeplatteten, polygonalen Epithelien der
Phyllirhoe schließen stets nur eine scharf konturierte Vacuole ein,
welche häufio- fast den tranzen Zellleib einnimmt und dann den bis-
weilen unregelmäßig gestalteten Kern in einen Winkel der Zelle drängt
(Fig. 4 b). Hecht hat in diesen Vacuolen verschiedenartig gestaltete
Concretionen und Kristalle bemerkt, die nach ihm als die Produkte
der Excretion anzusehen sind, denn sie werden von den Zellen zugleich
mit der Vacuole ausgestoßen. Bei Phyllirhoe habe ich die Vacuolen
stets frei von jeglichen Einschlüssen gefunden; es ist nicht ausge-
schlossen, daß solche Concretionen auch die Nierenepithelien lebender
Phyllirhoen enthalten, bei meinem konservierten Material aber durch
die angewandten Fixierungsmittel aufgelöst worden sind. Bei phy-
siologischen Injektionen, zu welchen Hecht mit bestem Erfolge Lö-
sungen von Methylgrün, Säurefuchsin, Indigokarmin und Ammoniak-
karmin benutzte, erschien schon nach wenigen Minuten die betreffende
Farbe in den Vacuolen der Nierenepithelien, und oft waren in weniger
als 48 Stunden alle Epithelien wieder frei von Farbe. Auch die Urin-
kammer der Phyllirhoe scheint eine lebhafte excretorische Tätigkeit
176 Ernst Born,
ZU entfalten, denn bei mehreren Individuen war dieses Organ mit
Vacuolen förmlich übersät.
Wie verschiedene Autoren (Müller, Gegenbaue, Leuckart,
Joliet) bestätigen, kontrahiert sich der Nierensack von Zeit zu Zeit.
Diese Kontraktionen sind wohl bei PliylUrhoe der Ausdruck der Tätig-
keit einiger Parenchymmuskelfasern, welche sich bei ihrem Verlauf
durch die Leibeshöhle an die Urinkammer, namentlich in der Um-
gebung des Harnleiters, anlehnen, ohne aber hier zu enden; ein zartes
Muskelnetz, welches nach Leuckart die Niere umspannt, habe ich
nicht gefunden.
Eywosch ist übrigens der Ansicht, daß bei diesem contractilen
Sack die Diastole die aktive Phase ausmacht. Während er nämlich
an toten Pterotracheen das Herz stets in diastolischer Erweiterung ge-
funden hat, war das Volamen des Nierenschlauches bei verendeten
Tieren viel geringer als es in Diastole ist. An meinen konservierten
Phyllirhoen befindet sich die Urinkammer bei einzelnen anscheinend
in völlig entwickelter Diastole; in der Regel ist aber die Niere in ihrem
vorderen Teil etwas kontrahiert (Taf. IV, Fig. 1); das hinterste Ende
dagegen ist stets sackartig aufgebläht.
W^as die Innervation des Nephridiums anbetrifft, so hat Rywosch
bei Pterotrachea festgestellt, daß durch die Exstirpation des » ösophageal-
ganglions« die Tätigkeit dieses contractilen Schlauches gesteigert wird;
bestimmtere Angaben aber kann er nicht machen. Nach Vissichelli
innerviert bei PhylUrhoe der aus dem pleuralen Abschnitt der dorsalen
Ganglienknoten entspringende Seitennerv die Niere. Da Vissichelli
genauere Angaben nicht macht, und auch in seiner Fig. 1 nur Zweige
dieses Nerven über das blindsackartige Ende der Niere laufen, ver-
mutet wohl Vissichelli, daß diese Äste das Nephridium innervieren.
Ich habe ebenfalls die letzten Ausläufer des Pleuralnerven häufig über
den Blindsack der Urinkammer ziehen sehen; doch ich habe mich nie
davon überzeugen können, daß diese an die Haut tretenden Zweige
auch Nerven an die Niere abgeben. Auch nach meinen Beobachtungen
wird das Nephridium der PhylUrhoe vom Seitennerven innerviert;
aber die Innervation liegt an einer andern Stelle als sie Vissichelli
einzeichnet. Mehrmals habe ich einwandfrei feststellen können, daß
von dem rechten Seitennerven zu dem vordersten Nierenabschnitt ein
feiner Nerv läuft, der auf der Niere ein zierliches Nervengeflecht bildet,
das die Niere am Ursprung des seitlichen Harnleiters allseitig umfaßt.
Von diesem Nervengeflecht, in dem ich einmal eine wohl ausgebildete
bipolare Ganglienzelle bemerkt habe, ziehen feine Fäserchen zu dem,
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 177
wie bei den meisten Nudibranchiern, so auch bei Phyllirhoe dicht unter
der äußeren Nierenöffnung geleuenen After. Beiläufiii bemerke ich
hier, daß ich eine Analdrüse bei Phyllirhoe bucephala nicht gefunden
habe. Hecht hat unter den Nudibranchiern ein drüsiges Organ am
After bei Proctonotus mucroniphorus konstatiert. In der Abbildung, die
Bekgh (7) auf Taf. XXVII, Fig. 1, von dem Analtrichter der Phyllirhoe
atlantica gibt, ist in das Analfeld, ein 2;iemlich großes, ovales Gebilde
eingezeichnet; man könnte annehmen, daß dieses Organ, von dem Bergh
allerdings im Text nichts erwähnt, eine Analdrüse darstellt. Im Analfeld
der Phyllirhoe bucephala habe ich dieses ovale Gebilde nicht bemerkt.
Die Mitteldarmdrüse.
Was den feineren Bau der Leberschläuche, besser Mitteldarmdrüse
genannt, anbetrifft, so habe ich hier zwei verschiedene Zellarten be-
obachtet. Die einzelnen Drüsenläppchen (Taf. VIII, Fig. 1 L) setzen
sich zum größten Teil aus kleinen, keulenförmigen Zellen zusammen.
Während in dem basalen, schmalen Teil dieser Zellen sich der sehr
kleine Kern befindet, machen sich in dem oberen breiteren Teil des
Zellkörpers kleinste Bläschen bemerkbar; letztere können sich zu einer
großen Vacuole vereinigen, die kleine körnige Gebilde oder einen großen,
feinkörnigen Ballen einschließt. Letzterer ist in HEIDENHAIN-Präpa-
laten tief schwarz tingiert; bei Objekten dagegen, die nur mit Flem-
MiNGscher Lösung fixiert sind, zeigt er eine braunschwarze Farbe.
Ferner finden sich in der Mitteldarmdrüse Zellen, welche m.eist mit
breiter Basis der Grenzlamelle aufsitzen und einen relativ großen Kern
besitzen. In dem Plasma dieser Zellen machen sich kleine scharf-
konturierte Vacuolen bemerkbar, die häufig von einem rundlichen,
mit Heidenhains Eisenalaun-Hämatoxylinlösung sich nicht färbenden
Körper ausgefüllt sind. Ähnliche Zellen bedecken in einschichtiger
Lage auch die Ausführungsgänge der Leber. Es sind also auch diese
Abschnitte der Mitteldarmdrüse entgegen der von Bergh (7, S. 223)
aufgestellten Behauptung nicht frei von Leberzellen,
Beiläufig bemerke ich, daß der Mitteldarm ein einschichtiges
Wimperepithel besitzt, das sich im hinteren Teil zu einem kleinen
Wulst erhebt. Dieser Epithel wulst läßt sich durch den ganzen, eben-
falls mit Flimmerepithel ausgestatteten Enddarm verfolgen. Eine
ähnliche Falte im Darm hat Hecht bei Tritonia und Doto und Meisen-
heimer bei allen thecosomen Pteropoden beobachtet. Die Bedeutung
dieses Längswulstes sehe ich mit den genannten Autoren in der durch
ihn hervorgerufenen Vergrößerung der Resorptionsfläche.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 12
178 Ernst Born,
Die Plasmazellen.
Im Jahre 1883 beschrieb Brock (17) unter dem Namen Plasma-
zellen Gebilde, welche er im Bindegewebe verschiedener Mollusken
{Aplysia, Pleurobranchus , Limax u. a.) angetroffen hat. Auch bei
andern Mollusken sind späterhin ähnliche Zellen vielfach beobachtet
worden; so z. B. vermute ich, daß die von Haller (47) als Ganglien-
zellen gedeuteten Gebilde im Peritoneum von Doris gleichbedeutend
den BROCKschen Plasmazellen sind. Auch in dem Bindegewebe, das
das Centralnervensystem der marinen Rhipidoglossen umgibt, hat der-
selbe Autor (48) viele mit Vacuolen durchsetzte Zellen angetroffen;
wie aus den Fig. 28, 29, 30 und 60 der HALLERschen Arbeit ersicht-
lich ist, stimmen diese Zellen hinsichtlich ihrer Struktur völlig mit den
Plasmazellen überein. Übrigens hebt Brock hervor, daß die Plasma-
zellen namentlich in der Umgebung des Centralnervensystems und der
größeren Nervenstämme vorkommen. Unter den Bindesubstanzzellen
aus dem Fuße von Tethys, welche List (83) studiert hat, entspricht
die in Fig. 12 c abgebildete Form ohne Zweifel den von Brock be-
schriebenen Zellen. Desgleichen bin ich der Ansicht, daß, wie schon
friiher (S. 167) erwähnt, die von Haller (46) und von Spillmann im
Bindegewebe des Herzens der Chitonen und Trochiden gefundenen und
von Haller als Ganglienzellen gedeuteten Gebilde Plasmazellen dar-
stellen. Hecht und Cuenot haben nun den Nachweis erbracht, daß
diesen Zellen, die sie auch im Bindegewebe vieler opisthobranchiaten
Gastropoden angetroffen haben, eine excretorische Funktion zukommt.
Injizierten sie eine Lösung von Ammoniakkarmin in die Leibeshöhle
lebender Opisthobranchier, so fanden sie, daß der Farbstoff bald in den
Vacuolen dieser Zellen anzutreffen war; Kern und Plasma der Zellen
blieben aber ungefärbt. In diesen Vacuolen fanden sie auch häufig
gelblich oder grünlich gefärbte Kristalle von verschiedener Gestalt,
auch Fettkügelchen und schwarzes Pigment. Hecht und Cuenot
nehmen an, daß alle diese Zelleinschlüsse die Produkte der normalen
Excretion sind. Wie Cuenot bei Paludina beobachtet hat, vermehrt
sich allmählich die Zahl der mit Concretionen beladenen Vacuolen;
schließlich enthält die Zelle keine tätigen Vacuolen mehr, sie degene-
riert dann und streut ihren Inhalt in den ganzen Körper aus, aus dem
er durch die Phagocyten entfernt wird.
In der homogenen Grundsubstanz der Phyllirhoe finden sich nun
allenthalben, besonders zahlreich in der Umgebung der Eingeweide,
Zellen, welche mit den von Hecht (Fig. 66, 67) bei Elysia viridis und
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 179
von CuENOT bei Paludina (Fiü,. 18) und Pleurobranchus (Fig. 20) be-
obachteten Zellen völlig übereinstimmen (Taf. VIII, Fig. 3 h). Die
Flasmazellen der Phyllirhoe sind durchschnittlich 0,03 mm groß und
in der Regel mehr oder weniger rundlich. Ihr Zellleib schließt meist
mehrere kleinere Vacuolen ein, bisweilen enthält er aber auch nur eine
einzige, sehr große Vacuole, wie es auch Hecht beobachtet hat. Ebenso
kann ich auch mit dem letzteren Autor bestätigen, daß die häufig
spindelförmigen Plasmazellen mittels ihrer zu einem feinen Strang
sich ausziehenden Enden miteinander in Verbindung stehen. Brock
dagegen behauptet, daß die Plasmazellen niemals imter sich zusammen-
hängen. Einmal ging ohne Zweifel der feine Ausläufer einer Plasma-
zelle in eine Nervenfaser über. Eine Innervierung würde ja gegen die
bindegewebige Natur dieser Zellen sprechen und, da ich eine solche
wie eine Innervation aussehende Verbindung nur einmal konstatiert
habe, dürfte es sich um ein zufälliges Lagerungsverhältnis handeln.
Mehrmals habe ich aber, entsprechend der schon erwähnten Beobach-
tungen von Beock und Haller, diese Zellen dem Neurilemm dickerer
Nervenstämme platt angelagert gefunden; von einer Innervation kann
aber hier nicht die Rede sein (vgl. S. 133). Die Plasmazellen der Phylli-
rhoe nehmen mitunter sonderbare Formen an; oft zeigt ihre äußere
Kontur kleine, spitze Vorsprünge. Die Vacuolen dieser Zellen finde
ich fast stets leer, nur einmal habe ich bei einem in Chromsäure ge-
härteten und mit Böhmers Hämatoxylin gefärbten Präparat in ein-
zelnen Vacuolen einen feingekörnten, blaßblau tingierten Inhalt ange-
troffen, und bei zwei weiteren Präparaten, die von mit Sublimatessigsäure
bzw. FLEMMiNGscher Lösung fixierten Tieren herrührten, enthielten in
manchen Plasmazellen die Vacuolen unregelmäßig gestaltete, homogene
Concretionen (Fig. 3 c). Simroth (S. 587) ist der Ansicht, daß die Ex-
cretionszellen im Bindegewebe der Mollusken Hippursäure einschließen.
Hinsichtlich der Struktur des Kernes und des Plasmas stimmen
diese im Bindegewebe der Phyllirhoe frei vorkommenden Zellen völlig
mit den schon bei der Beschreibung der Parenchymmuskulatur auf
S. 145 erwähnten Gebilden überein. Ich vermute, daß alle diese Zellen
auch bei Phyllirhoe excretorisch tätig sind. Mit Sicherheit kann je-
doch diese Frage nur durch Injektionen von geeigneten Farblösungen
am lebenden Tier entschieden werden. Erwähnen will ich noch, daß
Günther (44), wie aus seiner Fig. 26 ersichtlich ist, diese Zellen als
die noch nicht befruchteten Eier der Menestra ansieht.
In der Gallerte der Phyllirhoe finden sich außerdem noch große,
mehr oder weniger eiförmige Zellen, die einen Umfang von 0,08 mm
12*
180 Ernst Born,
erreichen können und vielleicht auch zur Excretion in Beziehmis
stehen (Fig. 3 a). An der Basis dieser Zellen liegt ein mächtig ent-
wickelter, chromatinreicher Kern, der einen großen Nucleolus besitzt.
Das um den Kern gelegene, dicht granulierte Zellplasma hebt sich
halbmondförmig von dem oberen helleren Zellteil ab; je mehr letzterer
an Umfang zunimmt, desto stärker plattet sich der Kern ab. An
Objekten, die in FLEMMiNGscher Lösung fixiert sind, besteht der hellere
Zellteil anscheinend aus einer mächtigen Vacuole, die bei einem Tier
in mehreren Zellen eine große graugrüne Concretion von unregelmäßiger
Gestalt einschließt. Bei mit Chromsäure fixierten Präparaten macht
sich in dem helleren Zellabschnitt ein weitmaschiges Netzwerk bemerk-
bar, das mit acidophilen Körnchen besetzt ist. Ein für die Annahme
ihrer excretorischen Funktion wichtiges Aussehen zeigen diese Gebilde
bei einem Exemplar, das in Chromessigsäure fixiert und mit Häma-
toxylin-Eosin gefärbt ist. Hier hebt sich ein roter körniger Zellab-
schnitt von der blau tingierten, den Kern enthaltenden Zellbasis scharf
ab; besonders interessant ist es nun, daß diese Zellen häufig in ihrem
oberen Teil eine Einschnürung zeigen, die den Eindruck erweckt, als
ob die Zellen gerade im Begriff sind, diese rotgefärbten feinkörnigen
Massen auszustoßen. Bemerkenswert ist noch, daß gerade bei diesem
Tier die Leucocyten rote Konglomerate, bisweilen von beträchtlicher
Größe, einschließen, die auch in ihrer sonstigen Struktur mit dem
eosinophilen Inhalt der beschriebenen Zellen übereinstimmen. Er-
wähnen möchte ich noch, daß der Verlauf der phagocytären Funktion
bei den Mollusken, wie auch Simroth (S. 588) hervorhebt, durchaus
noch nicht genügend verfolgt ist. Man nimmt an (115, S. 75), daß
die Leucocyten die aufgenommenen Excretstoffe entweder an die
Nieren abgeben oder mit ihnen ins Darmlumen oder an die Körper-
oberfläche auswandern.
Am Ende meiner Besprechung der excretorischen Elemente möchte
ich noch daran erinnern, daß Bergh (8) die Vermutung ausspricht, daß
die mehrzelligen Hautdrüsen der PhyllirJioe (vgl. S. 155) Excretionsorgane
sind. Wie aber aus meiner früheren Beschreibung wohl hervorgeht, bietet
uns die Struktur dieser Drüsen keine Anhaltspun|rte, um die Annahme
einer excretorischen Funktion als berechtigt erscheinen zu lassen.
Zum Schluß will ich noch eine interessante Beobachtung erwähnen,
die ich an mehreren Phyllirhoen gemacht habe. Auf der Haut dieser
Tiere habe ich nämlich sehr kleine, mit bloßem. Auge gerade noch
wahrnehmbare Parasiten gefunden, die als Trematoden oder deren
Larven zu deuten sind: und zwar habe ich zwei verschiedene Formen
Beiträge zur feineren Anatomie der Pliylliiiioe bucephala. 181
beobachtet. Die eine, häufiger gesehene Art hat eine cylindrische,
vorn veriüngte Gestalt. Diese Tiere sind von einem durchsichtigen,
strukturlosen Oberhäutchen umgeben, unter dem sich eine feinkörnige
Schicht bemerkbar macht. Am vorderen Ende befindet sich ein vor-
streckbarer Pharynx, mit dem sich das Tier festsaugt (Taf. IV, Fig. 5).
Dem Pharyngealapparat schließt sich ein zwiebeiförmiger Oesophagus
an, der sich nach hinten zu in einen ungeteilten Darm fortsetzt. In
der mittleren Körperregion fällt, von einem hellen Hofe umgeben, ein
ovales Gebilde auf, das sich intensiv mit Hämalaun und Karmin färbt.
Über die Bedeutung dieses relativ großen Organs kann ich nichts aus-
sagen; ich hielt es zuerst für einen Bauchsaugnapf; doch Schnittserien
zeigen daß es nicht mit der x4ußenwelt kommuniziert.
Während sich diese Tiere als reine Ectoparasiten zeigen, habe ich
die andre Trematodenart (Taf. IV, Fig. 4) außer auf der Haut auch in
der homogenen Grundsubstanz angetroffen. Sie ist von etwas breiterer
und mehr abgeplatteter Gestalt und hat einen deutlich ausgebildeten
Hautmuskelschlauch, der aus Längs- und darüber liegenden schwä-
cheren Ringfasern besteht. Ferner besitzen diese Parasiten zwei Saug-
näpfe, von denen der eine am vorderen Körperende, der andre an der
Bauchseite gelegen ist (Taf. VIII, Fig. 14).
Beide Arten haben durchschnittlich eine Größe von 0,25 mm.
Stellen diese Tiere keine Larven, sondern entwickelte Saugwürmer dar,
so würden sie zu den kleinsten bisher gefundenen Trematoden gehören;
denn nach Braun (16, S. 586) ist Distomum claviforme, welches von allen
Saugwürmern wahrscheinlich die geringste Größe aufweist, 0,3 mm
lang. Bemerkenswert ist noch, daß ich alle diese Parasiten außer an
dem aus Neapel erhaltenen Material auch an Phyllirhoen gefunden
habe, welche mir die zoologische Station zu Villefranche gütigst zur
Verfügung stellte.
Es sei mir an dieser Stelle geätattet, Herrn Geheimem Rat, Prof.
Dr. Chun für die mir zuteil gewordene Unterstützung und für das
rege Interesse, mit welchem er meine Arbeiten bis zu ihrer Vollendung
verfolgte, meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Desgleichen danke
ich den Herren Prof. Dr. zur Strassen und Prof. Dr. Woltereck
für die meinem Thema entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Besondere
Umstände zwangen mich leider, das zoologische Institut in Leipzig
nach mehreren Semestern zu verlassen und meine Untersuchungen in
Berlin selbständig zu Ende zu führen. Herrn Prof. Dr. Schmaltz
und Herrn Stadt. Obertierarzt Bongert, Berlin, bin ich zu großem
182 Ernst Born,
Danke verpflichtet für die Liberalität, mit welcher mir die Hilfsmittel
der von ihnen geleiteten Institute zur Verfügung gestellt wurden;
letzterem Herrn schulde ich noch besonderen Dank für die gütige
Anfertigung der auf Taf. IV befindlichen Photograrnme,
Nachtrag,
Die im letzten Heft (Bd. LXXV, Heft 3) des Archivs für mikrosko-
pische Anatomie erschienene Arbeit des Dr. TEOJAN-Prag, betitelt:
» Ein Beitrag zur Histologie von Phyllirhoe bucephala Peron u. Lesueur
mit besonderer Berücksichtigung des Leuchtvermögens dieses Tieres«,
veranlaßt mich, noch einige nachträgliche Bemerkungen zu machen.
Zunächst muß ich meine Verwunderung darüber zimi Ausdruck
bringen, daß Teojan auf meine schon im Jahre 1907 in der Gesellschaft
Naturforschender Freunde zu Berlin gehaltenen Vorträge über Phylli-
rhoe (vgl. S. 106 der vorliegenden Arbeit) nur am Schlüsse seiner xVb-
handlung mit wenigen Worten eingeht, obwohl schon in dem von der
Zoologischen Station zu Neapel herausgegebenen Jahresbericht für 1907
auf meine beiden Mitteilungen hingewiesen wird; Trojan dagegen hat
in Neapel erst im Frühjahr 1909 seine Studien an Phyllirhoe begonnen.
Da ich schon in meinen vorläufigen Mitteilungen gerade die von
Trojan zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemachten Gewebs-
elemente ausführlich beschrieben habe, w"ürde es sich erübrigen, auf
seine Arbeit näher einzugehen, wenn nicht viele seiner Angaben in
schroffem Gegensatz zu dem Ergebnis der von den früheren Autoren
und mir angestellten Beobachtungen ständen. So behauptet Trojan
(S. 502), daß Panceri die Chromatophoren der Phyllirhoe »arg mit den
sogenannten MüLLERschen Zellen vertauscht« hat. Dieser Vorwurf ist,
wie aus meinen auf S. 111 und S. 159 gemachten Ausführungen hervor-
geht, völlig unbegründet ; vielmehr hat sich Trojan einen Beobachtungs-
fehler zuschulden kommen lassen, der um so bedauerlicher ist, als da-
durch die Schlußfolgerungen, zu welchen er auf Grund seiner physiolo-
gischen Untersuchungen der Lichtquellen kommt, zum größten Teile
hinfällig werden.
Panceri hat, wie die in seiner Fig. 3 abgebildete Chromatophorei
zeigt, die wirklichen Pigmentzellen beobachtet; es ist auch seine Angabe
zutreffend, daß diese Gebilde am Kopf, an den Fühlern, an der Schwanz-
flosse und an den Seitenflächen des Körpers fehlen; sie smd nur nahe
1 Von Trojan als Textfigur auf S. 489 wiedergegeben.
Beiträge zur feineren Anatomie der Plnllirhoc bucepliala. 183
dem dorsalen und venti-alen Körperrande zu finden. Als MüLLERsche
Zellen hat Panceri Gebilde bezeichnet, welche zuerst von Heinrich
^lÜLLER im Jahre 1853 mit den Worten beschrieben wurden: »Außer-
dem kommen fast über die ganze Körperoberfläche zerstreut, und an
feinsten Nervenfädchen sitzend, scharf konturierte, rundlichei
Zellen vor, welche neben einem Kern eine gröi3ere oder kleinere gelblich
glänzende Kugel enthalten. « Letztere hat dann später Panceri durch
die Anwendung von Osmiumsäure als einen fettartigen Körper erkannt.
An der Luminescenz der PhylUrhoe sind nun nach Panceri haupt-
sächlich die MtJLLERschen Zellen beteiligt, welche nach seiner Ansicht
besondere gestaltete Ganglienzellen darstellen; außer diesen Gebilden
sollen aber nach Panceri auch noch andre periphere Ganglienzellen
leuchten, welche im Gegensatz zu den kugeligen und doppelt kon-
turierten MüLLERschen Zellen immer einen einfachen Kontur und
häufig eine birnenförmige Gestalt zeigen; ferner haben nach Panceri
diese >>cellule gangiiari ordinarie« einen homogenen, nach Anwendmig
von Reagenzien feingekörnten Inhalt. Wie ich schon auf S. 159 aus-
führlicher erwähnt habe, erkannten spätere Autoren, daß es sich bei
den von Panceri als Ganglienzellen beschriebenen Gebilden um Drüsen-
zellen handelt. Im Jahre 1907 habe ich dann die feineren Details
dieser Drüsenzellen eingehend beschrieben und u. a. mitgeteilt, daß
die MtJLLERschen Zellen einen Fettkörper ausscheiden, während die
übrigen von Panceri beschriebenen Leuchtzellen ein acidophiles Secret
liefern und demnach als Eiweißdrüsenzellen anzusprechen sind. Wäh-
rend letztere Angabe durch Trojan bestätigt wird, stellen dagegen
nach ihm die von Panceri, Bergh und mir unter dem Namen »MtJLLER-
sche Zellen« beschriebenen Gebilde kontrahierte Pigmentzellen dar;
es sollen zu ihnen radiär Muskelfasern hinziehen, wie wir sie von den
Chromatophoren der Cephalopoden her kennen (S. 501); allerdings will
er diese Beobachtung nur an den »Pigmentzellen« (Trojan) des Kopfes
gemacht haben. Von einer Innervation dieser Gebilde erwähnt übrigens
Trojan nichts. Hierzu muß ich bemerken, daß an Totoexemplaren an
keiner einzigen Stelle des Körpers von einer Verbindung der MtJLLER-
schen Zellen mit Muskelfasern auch nur die geringste Andeutung zu
erkennen ist. Dagegen findet man beim Studium ganzer Tiere, welche
mit l%iger Chromsäure fixiert sind, bei starker Vergrößerung über
jeder MüLLERschen Zelle ein«n kleinen Porus in der Haut, und in 5 i_i
dicken Querschnitten läßt die Kommunikation dieser Zellen mit der
1 Von mir durch Sperrdruck 1 ervorgehoben.
184 Ernst Born,
Hautoberfläche sich einwandfrei feststellen (vgl. Fig. 11 auf Taf. VIII);
übrigens zeigt ja deutlich auch Fig. 26 auf Taf. XX der Arbeit Trojans,
wie sich der Inhalt der Zelle nach außen zu schon ein wenig zuspitzt
und sich direkt darüber in der Basalmembran die sehr kleine Öffnung
findet. In Flemming- Präparaten habe ich auch öfter MtJLLERsche
Zellen angetroffen, welche nicht gleichmäßig schwarz tingiert waren,
sondern wie es die Fig. 24 und 25 bei Trojan lehren, zahlreiche schwarze,
unregelmäßig gestaltete Partikelchen in einer graugrünen, feingekörnten
Masse zeigen. Diese Erscheinung habe ich aber nicht weiter erwähnt,
weil ich sie auf eine Wirkung der Reagenzien zurückführe; vielleicht
stellt sie aber auch, wie ich hier noch nachträglich anführen möchte,
die beginnende Fettmetamorphose des Zellplasmas dar. Im übrigen
stimmen aber die von Trojan über seine Chromatophoren gemachten
Angaben mit der schon von Panceri gegebenen Beschreibung der
MüLLERschen Zellen überein. Es stellen diese Gebilde auch nach
Trojan (vgl. S. 500 — 502) »ausgeprägt kugelige Zellen« dar, die am
ganzen Körper, sehr zahlreich an seinen Rändern sich finden; dagegen
kommen sie an den Tentakeln nicht vor; ebenso hat auch Trojan
ihre »intensive Schwärzung durch Osmiumsäure« konstatiert. Da nun
aber, wie schon erwähnt, Trojan diese Gebilde im Zusammenhang mit
Muskelfasern beobachtet haben will, sieht er sie als Chromatophoren
im Kontraktionszustand an und legt die von Panceri eingeführte
Nomenklatur, MÜLLERsche Zellen, den Eiweißdrüsenzellen bei; letztere
hat Panceri im Gegensatz zu den »cellule di Müller« als »cellule
gangliari periferiche dell' ordinaria forma« bezeichnet. Auch Trojan
(S. 486) hat die schon oben angeführte Beobachtung Panceris be-
stätigt, daß der Inhalt dieser Zellen homogen, beziehungsweise sehr
feinkörnig ist; auch zeigen in seinen Abbildungen die Eiweißdrüsen-
zellen stets eine birnenförmige Gestalt. Dagegen kann ich mich nicht
mit der Angabe Trojans einverstanden erklären, daß diese Zellen eine
sehr dicke Membran haben; vielmehr ist der Befund Panceris zu-
treffend, daß diese Gebilde im ausgewachsenen Zustande von einer
dünnen Zellhaut begrenzt sind. In instruktiver Weise lassen dies
Chromsäurepräparate erkennen; an ihnen fallen die MüLLERschen
Zellen durch ihre auffallend dicke, scharf konturierte Membran sofort
dem Beobachter auf, während sich die Kontur der Eiweißdrüsenzellen
meist nur schwach abhebt.
Was nun die physiologischen Untersuchungen Trojans hinsicht-
lich des Leuchtvermögens der PhylUrhoe anbetrifft, so finden wir die
Resultate Panceris im wesentlichen bestätigt. Auch Trojan (S. 479)
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 185
fand, daß »der ganze Körper des Tieres, inbegriffen die Tentakeln,
leuchtet«, . . . »besonders schön leuchten der Kopf, die Konturen
des Körpers und einige Punkte der Seiten«. Leider hat sich aber der
Autor nicht mit den Angaben Panceris (1872, S. 7) befaßt, daß bei
Phyllirhoe auch die Fühlerganglien und selbst die vier über dem Oeso-
phagus liegenden Ganglienknoten Licht erzeugen. Während nun nach
Panceri namentlich die MüLLERschen Zellen und die jetzt als acido-
phile Drüsenzellen erkannten Gebilde an der Lichtentwicldung beteiligt
sind, soll nach Trojan das Secret der mucösen Drüsenzellen (vgl.
S. 156 dieser Arbeit) und der mehrzelligen Hautdrüsen (S. 155) leuchten.
Daß die Schleimzellen die Luminescenz verursachen, erscheint mir sehr
unwahrscheinlich; sie finden sich bei allen Nudibranchiern in reich-
licher Menge und haben wohl ohne Zweifel die Aufgabe, durch ihr
Secret den schalenlosen Körper vor Beschädigungen zu schützen.
Vielmehr halte ich die Ansicht Panceris für zutreffender. Namentlich
rührt wohl das Licht von den MüLLERschen Zellen her; sie kommen
besonders am Kopf und an den Körperrändern vor, an welchen nach
Panceri und Trojan das Licht sehr intensiv ist; ferner stehen Fett-
stoffe, wie ja auch Trojan (S. 506) erwähnt, »schon seit langem in
Verdacht, der Hauptfaktor des Leuchtphänomens zu sein«. In den
Tentakeln, denen die MüLLERschen Zellen fehlen, kommt allem An-
scheine nach das Secret der Eiweißdrüsenzellen zum Aufleuchten. Ich
habe schon früher (1907, S. 116) erwähnt, daß namentlich der ven-
trale Eand der Fühler reich mit diesen Drüsenzellen besetzt ist. Nach-
träglich sei mir noch die Bemerkung gestattet, daß in dem Bild, welches
Panceri 1 von einer im Dunkeln leuchtenden Phyllirhoe hergestellt
hat, die Lichtpunkte in den Tentakeln sich fast ausschließlich an deren
unterem Rand finden.
Nach Trojan (S. 492) sollen die mehrzelligen Hautdrüsen durch
Teilung der vereinzelt vorkommenden Schleimzellen entstehen; dem-
gegenüber muß ich den schon auf S. 155 ausführlich beschriebenen
Befund wiederholen, daß diese mehrzelligen Drüsen ohne Zweifel acido-
phile Secretgranula ausscheiden. Sie können sich also unmöglich aus
den mucösen Drüsenzellen entwickeln. Übrigens erwähnt ja auch
Trojan, daß an den Kernen der vereinzelten Schleimdrüsen niemals
Teilungsstadien zu konstatieren sind. Die Angaben, welche Trojan
auf S. 484 über die Entstehung der mucösen Drüsenzellen macht,
haben mich zu einer Nachprüfung veranlaßt. Obwohl ich, was Trojan
1 Von Trojan aiif Taf. XIX als Fig. 3 wiedergegeben.
186 Ernst Born,
nicht getan zu haben scheint, Tiere aller Größen untersucht habe,
sind mir diese Mitteilungen des Autors unklar geblieben. Daß es sich
ferner bei den auf S. 483 beschriebenen »Zellen mit einem feinkörni"en
Inhalte« immer um in der Regenerationsphase befindliche Schleim-
drüsen handelt, erlaube ich mir zu bezweifeln. Zellen mit einer der-
artigen Struktur habe ich ebenfalls öfter angetroffen; auch hatten sie
sich mit Hämatoxylin intensiv gefärbt; jedoch nahmen diese Gebilde
niemals das Mucikarmin an ; war letzteres der Fall, so zeigte sich schon
das feine Netzwerk. Es ist ja auch eine bekannte Tatsache, daß die
Vorstufen des Drüsenproduktes sich anders fingieren als das reife Secret.
Von den histologischen Ergebnissen Trojans erfordert namenthch
noch die Angabe (S. 504) eine Berichtigung, daß der Phyllirhoe die beiden
relativ großen, an der Unterseite des Pharynx gelegenen Speicheldrüsen
fehlen sollen. Sie waren schon den alten Autoren bekannt und sind
ziemlich eingehend von Bergh (1870, S. 221) beschrieben worden;
ich habe nur auf S. 154 erwähnt, daß die Speicheldrüsen im Gegensatz
zur Lippendrüse ein mit sauren Anilinen sich intensiv färbendes Secret
ausscheiden. Übrigens findet sich die Abbildung eines Längsschnittes
von einer Speicheldrüse auf Taf. IV in Fig. 6 bei Sp.
Zum Schlüsse möchte ich noch den Einwand Trojans (S. 486)
zurückweisen, daß man bei Totoexemplaren »mit stärkeren Objektiven
an das Präparat wegen der Dicke nicht nahe genug herankommt, ein
Auffinden feiner Details daher unmöglich ist«. Bei kleineren Exem-
plaren ist mir dies vielmehr stets geglückt; bei großen Tieren schnitt
ich mit einer feinen Schere die Fühler, die Schwanzflosse und die
ventral und dorsal von den Leberschläuchen gelegenen Körperpartien
ab und konnte diese Teile dann bei Anwendung von Gasglühlicht mit
den stärksten ölimmersionssystemen untersuchen. Hätte Trojan der
Beobachtung ganzer Tiere, beziehungsweise isolierter Teile mehr Inter-
esse entgegengebracht, so hätte er sich leicht davon überzeugen können,
daß an den Schleimzellen der Nerv nie endet, wie er annimmt, viel-
mehr sich stets weiter zu den übrigen Elementen der Haut verfolgen
läßt. Auch hätte er dann bei genauerer Beobachtung sicher die Inner-
vation der MüLLERschen Zellen und der Eiweißdrüsenzellen gefunden,
und vor allem wäre ihm nicht der Irrtum mit untergelaufen, die
MüLLERSchen Zellen als kontrahierte Chromatophoren anzusehen,
während er beim Studium seiner Schnittserien die von mir auf Taf. V
abgebildeten Pigmentzellen überhaupt nicht bemerkt hat.
Berlin, im Juli 1910.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phjllirhoe bucephala. 187
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Erklärung der Abbildungen.
Die Zeichnungen sind mit wenigen Ausnahmen angefertigt mit der apo-
chromatischen Ölimmersionslinse von 2 mm Äquivalentbrennw'eite und den
Kompensationsocularen 4, 6 und 8 von Zeiss. Die Abbildungen entsprechen
demnach einer 500-, 750- bzw. lOOOfachen Vergrößerung.
Tafel IV.
Fig. 1. Phyllirhoe bucephala. In l%iger Chromsäure fixiert. Vergr. 1 : 3-
Ph, Pharynx ; Oe, Oesophagus ; M, Mitteldarm ; E, Enddarm mit dem After bei x ;
Le, die oberen und unteren Leberschläuche; Z, die beiden Zwitterdrüsen; Ge,
die übrigen Geschlechtsorgane mit der gemeinsamen Öffnung bei x x ; G, Gehirn;
H, Herz; N, Nephridium mit der äußeren Öffnung bei x x x ; L, Längsmuskel-
fasern; Dr, die mehrzelligen Hautdrüsen; F, Fußdrüse.
Fig. 2. Eine sich stets im inneren, oberen Teil jedes Cerebralganglions
findende Anhäufung dicht aneinander gedrängter Kerne; letztere gehören sehr
kleinen Ganglienzellen an { = cellules sensorielles, GuLiRT). Nach Heidenhain
gefärbt. Vergr. 1 : 575.
Fig. 3. Querschnitt durch die beiden Cerebropleuralganglien und das rechte
Pedalganglion. A, Auge; a, ein Ganglienzellfortsatz, welcher direkt in einen
peripheren Nervenstamm übergeht, b, Kernhaufen (vgl. Fig. 2); N, Neuropil.
Vergr. 1 : 140.
Fig. 4 u. 5. Auf der Haut der Phyllirhoe lebende Parasiten; allem An-
schein nach handelt es sich um Trematoden. Vergr. 1 : 110.
Fig. 6. Sagittalschnitt durch den Kopf. A, Anhäufung einzelliger Schleim-
drüsen; K, Kiefer; L, Lippendrüse; Sp, Speicheldrüse; V, Vorraum zur Mund-
höhle. Mit Hämalaun-Eosin gefärbt. Vergr. 1 : 35.
Fig. 7. Sagittalschnitt durch den unteren Teil des Pharynx. E, Epithel;
K, Kiefer; R, Radula; Z, Zotten. Vergr. 1 : 75.
Tafel V.
Fig. 1. Eine Gruppe von Pigmentzellen. Bei Zelle a konnte nicht mit
Sicherheit entschieden werden, ob die eingezeichneten Kerne der Pigmentzelle
oder darüber gelagerten Bindegewebszellen angehörten. Mit l%iger Chromsäure
Zeitschrift f. wissenseh. Zoologie. XCVII. Bd. 13
194 Ernst Born,
fixiert und nach Heidenhain gefärbt. Vergr. 1 : 500. Die Zeichnung ist um
ein Drittel verkleinert.
Fig. 2. Mehrere Pigmentzellen haben sich zu einem Syncjrtium vereinigt.
Fixiert mit FtEMMiNGscher Lösung. Vergr. 1 : 500. Die Zeichnung ist um ein
Drittel verkleinert.
Fig. 3. Auffallend dunkel gefärbte Pigmentzelle mit einem hellen, fein
gestrichelten Saum; die Zelle stand mit Pigmentzellen von gleicher Beschaffen-
heit in Verbindung. Fixierung und Vergrößerung wie bei Fig. 2.
Fig. 4. a und 6, Bindegewebszellen; c, ein mit Fremdkörpern beladener
Leucocyt. Fixation nach Flemming. Vergr. 1 : 500.
Fig. 5. Eine Bindegewebszelle. Mit 1% iger Chromsäure fixiert und nach
Heidenhain gefärbt. Vergr. 1 : 500.
Fig. 6. Teil eines Längsschnittes durch das Gehirn. A, Auge; B, Binde-
geweljskörperchen ; Gl, Gliakerne; Cg, Cerebropleuralganglion ; Fg, Pedalganglion;
iV, Neurilemm; iVp/, Neuropil; Ä^i, Fühlernerv, der nahe seinem Ursprung noch
einen an das Integument tretenden Nerv iV^ abgibt. Bei x x liegt im Fühlernerv
ein sehr kleiner Kern, welcher vielleicht mit den Nervenkernen Apäthys ver-
glichen werden kann. Mit Chromsäure fixiert und nach Heidenhain gefärbt.
Vergr. 1 : .500. Die Zeichnung erstreckt sich über zwei Gesichtsfelder.
Fig. 7. o, Neuropil des Cerebropleuralganglions mit einer auffallend großen
bipolaren Zelle und zwei sehr kleinen Kernen, fe, ein Teil der im Neui'opil beob-
achteten Netzstrukturen, Mit l%iger Chromsäure fixiert und nach Heidenhain
gefärbt. Vergr. 1 : 750.
Fig. 8. Eine centrale Ganglienzelle mit den Ausläufern eines gelappten
Kernes. Gl, Gliakerne; N , Neurilemm. Mit l%iger Chromsäure fixiert und mit
verdünntem DELAFiELDschen Hämatoxylin gefärbt. Vergr. 1 : 1000.
Fig. 9. Drei große Ganghenzellen aus dem Cerebropleuralganglion; bei a
ein gelappter Kern. Gl, Gliakerne; H, gliöse Hüllschicht; 'N , Neurilemm. Fixie-
rung nach Flemming und mit Eisenalaunhämatoxylin gefärbt. Vergr. 1 : 75.
Fig. 10. Eine Ganglienzelle mit nierenförmigem Kern; das Chromatin
bildet an der Einkerbung eine dunkle Leiste. Mit l%iger Chromsäure fixiert und
mit Delafields Lösung gefärbt. Vergr. 1 : 750.
Fig. 11. Eine Ganglienzelle mit nierenförmigem Kern, letzterer hat an der
Einbuchtung einen undeutlichen Kontur. Gl, Gliakern; N, Neurilemm. Fixiert
nach Flemming und nach Heidenhain gefärbt. Vergr. 1 : 750.
Fig. 12. Eine centrale Ganghenzelle mit ausgewanderten Nucleolen; bei *
befindet sich ein Kernkörperchen auf der Grenze zwischen Kern und Zellleib ; N ,
Neurilemm. Mit FLEMMiNGscher Lösung fixiert und nach Heidenhain gefärbt.
Vergr. 1 : 750.
Fig. 13. a und h: Zwei Ganglienkerne mit auffallend großen Nucleolen.
Vergr. 1 : 750.
Fig. 14. Teile eines Nerven bald nach seinem Ursprung aus dem Central -
nervensystem. B, Bindegewebskörperchen ; d, bipolare Zelle; 'Neu, Neurilemm.
Vergrößerung 1 : 500. Fixierung nach Flemming.
Fig. 15. Eine Nervenfaser mit seitlich angelagerter multipolarer Ganglien-
zelle; das Fäserchen fc geht anscheinend auch noch von dieser Zelle aus. Neu,
Neurilemm. Vergr. 1 : 500. Fixiert nach Flemming.
Fig. 16. Teil eines Flossennerven von einem mit Chrouiessigsäure fixierten
1 Beiträge zur feineren Anatomie der Phylürhoe bucephala. 195
und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbten Exemplar. G^, -, 3, bipolare Ganglien-
zelle. Bei pl~, 3 finden sich die auf S. 132 erwähnten Pigmentanhäufungen.
Vergr. 1 : 500.
Fig. 17. In dem y^ ist eine große bi})olarc Ganglienzclle G^ eingeschaltet;
der Nervenfaser iV 2 ist eine multipolare Ganglienzclle Ö"- angelagert. Vergr. 1 : 500.
Die Figuren 1, 2, 3, 4, 5, 14, 15, 10 u. 17 wurden an Totoexemplaren
\)z\\, isolierten Hautstücken beobachtet.
Tafel VI.
Fig. 1. Eine Nervenmasche aus dem Grundplexus. Bei « liegt unter dem
Nerven N^ eine große bipolare Ganglienzelle. Die der Faser anliegende Zelle h
ist als multipolare Ganglienzelle zu deuten. Bei c^, c^, c^ sind in die Fibrillen-
bündel Ganglienzellen eingeschaltet, d^, d~, d^, d^ stellen die auf S. 131 erwähnten
bipolaren Zellen dar. B, Bindegewebskörperchen. Die Zeichnung dehnt sich
über mehrere Gesichtsfelder aus. Flemmino- Präparat. Vergr. 1 : 750.
Fig. 2. Die von den Flimmerzellen F^, F'^, F^ und F^ ausgehenden Fi-
brillen umranden die Stomata zweier Hautdrüsen (S^i und St'^). Flächenpräparat
mit l%iger Chromsäure fixiert und nach Heidenhain gefärbt. Vergr. 1 : 500.
Fig. 3. Dieses Bild wurde ebenfalls an einem Totoexemplar beobachtet;
bei der Einstellung zeigte sich zuerst auf dem Integument (/) die Flimmer-
zelle F mit dem intracellulären Faserkegel. Der Wimperzelle liegen seitlich noch
einige Epithelzellen der gewöhnlichen Art an. Unter der Basalmembran bildet
ein feiner Hautnerv N^ eine mächtige ganglionäre Anschwellung G, deren oberes
Ende direkt imter der Flimmerzelle liegt. Ich habe aber nicht die Neurofibrillen
in die Zelle eintreten sehen. Die Anschwellung G, welche übrigens vom Zeichner
etwas zu groß und zu schematisch wiedergegeben ist, entsendet noch einen sehr
feinen Nerv N~ zur Hautmuskulatur. B, Bindegewebskörperchen. Fixierung
nach Flemming. Vergr. 1 : 750.
Fig. 4. Ein Ast des Fühlernerven; a, b, c, d, e sind ohne Zweifel als
sensible Nervenendigungen zu deuten. Die Zeichnung rührt von einem Flächen -
präparat her und setzt sich daher aus verschiedenen optischen Ebenen zusammen,
die mit * gekennzeichneten Stellen sind bei höchster Einstellung sichtbar. Das
Präparat ist mit FLEMMiNGscher Lösung fixiert. Vergr. 1 : 750.
Fig. 5. Ganglienzellen in einem Nerven der Schwanzflosse. Die beiden
bipolaren Zellen a und b anastomosieren vielleicht miteinander, Fixation nach
Flemming. Vergr. 1 : 500.
Fig. 6. Eine Nervenmasche, Vergr.
1 : 300,
Fig. 7. Eine anscheinend apolare Gan-
glienzelle
Fig. 8. Eine multipolare Ganglienzeilc
Fig. 9. Seitlich angelagerte Ganglien-
zellen, deren feine Fortsätze an die Muskulatur
des Magens gehen.
aus dem sympathischen Plexus.
Mit FLEMMiNGscher Lösung fi-
xiert und mit Ausnahme von
Fig. 6 mit 500 f acher Vergröße-
rung gezeichnet.
Tafel VII.
Fig. 1: Die dorsoventralen Muskelfasern D^, D-, D^ liegen auf den nur
schematisch dargestellten Längsmuskelfasern. Die Hautnerven N^, N^ und N^
13*
196 Ernet Born,
kreuzen die Muskelfasern an deren Unterfläche. Die Nerven N^ und N^ sind
bei X durch eine breite Anastomose miteinander verbunden; außerdem stehen
die Hautnerven mittels der auf den dorsoventralen Muskelfasern entlang laufen-
den Körnchenreihen in Verbindung; gut sind letztere zwischen iV^ und N^ auf
D^ und D^ zu verfolgen. Die Körnchenreihe auf D^ endet allem Anscheine nach
bei X X ; kurz davor tritt ein feines Nervenfädchen zu der die Faserzelle D^ inner-
vierenden Körnchenreihe ab. Diese nervösen Körnchenreihen stellen den End-
plexus (F. B. Hoffmann) dar. Mü, MüLLBRsche Zelle; St, Sternzelle; Schi,
Schleimdrüsen zelle. Die Zeichnung dehnt sich über drei nebeinander liegende
Gesichtsfelder aus; sie ist jetzt um ein Drittel verkleinert.
Fig. 2. Hautmuskulatur, L, Längsmuskelf asern ; D, Dorsoventralf asern ;
a, flügelartige Verbreiterung einer Dorsoventralfaser. Bei b ein homogener Saum,
welcher die Längsmuskelbündel bisweilen begrenzt. N, Nerv. Bei x geht der
Ausläufer einer Parenchymmuskelzelle in ein feines Nervenfädchen über. Bei x x
findet sich die Endigung einiger Ausläufer einer Parenchymmuskelzelle an einer
Longitudinal- und Dorsoventralfaser, bei x x x eine solche Endigung an einem
Nerven.
Fig. 3. Zwei miteinander anastomosierende Längsmuskelbündel; bei x
eine angelagerte Bindegewebszelle.
Fig. 4. Drei Querschnitte von Längsrauskelbündeln. Mit l%iger Chrom-
säure fixiert und nach Heidenhain gefärbt. Vergr. 1 : 500.
Fig. 5. Die Zellen a, b und c stellen anscheinend multipolare Ganglien-
zellen dar; die Zellen a und b sind durch eine Anastomose miteinander verbunden.
Um 'ein Drittel verkleinert.
Fig. 6. Das periphere Ende eines zerrissenen Nerven. Vgl. den Text
auf S. 140.
Fig. 7. Ein Stück von einer der auf S. 144 erwähnten Hautmuskelfasern.
Fig. 8. Eine Parenchymmuskelfaser. P, Plasmazelle; B, Bindegewebs-
körperchen. Um Raum zu ersparen ist die Zeichnung bedeutend verkürzt.
Die auf Taf. VII befindlichen Figuren wurden alle mit Ausnahme von Fig. 4
an mit FLEMMiNGscher Lösung fixierten Totoexemplaren beobachtet und bei
öOOfacher Vergrößerung gezeichnet.
Tafel VIII.
Fig. 1. Ein Teil eines Körperquerschnittes. Das die Haut teilweise
bedeckende Epithel ist nicht eingezeichnet. L, Leber; a, Grenzlamelle. Mit
l%iger Chromsäure fixiert und nach Heidenhain gefärbt. Schwache Ver-
größerung.
Fig. 2. a, Zwei miteinander anastomosierende Muskelfasern aus der Herz-
kammer. N, Nerv, b, eine Ventrikelfaser, bei der eine Querstreifung durch die
Fältelung der die Muskelzelle umhüllenden strukturlosen Schicht vorgetäuscht wird.
Fig. 3. a, eine der großen im Gallertgewebe sich findenden Zellen, die
vielleicht zur Excretion in Beziehung stehen. Mit l%iger Chromsäure fixiert
und mit Hämalaun-Eosin gefärbt, b, eine Plasmazelle, c, eine Plasmazelle
nach Heidenhain gefärbt; im Protoplasma und in den Vacuolen finden sich
einige Concretionen. b und c waren mit FLEMMiNGScber Lösung fixiert.
Fig. 4. a, Nierentrichten P, Pericardialsinus. b, Vacuolisierte Nieren-
epithelien.
Beiträge zur feineren Anatomie der Phyllirhoe bucephala. 197
Fig. 5. Sagittalschnitt durcli die Lippendrüse, a, Ausführungsgang einer
Drüsenzelle; b, Bindegewebskörperchen ; c, sehr kleine Kerne, welche vielleicht
Stützzellen angehören; £", Epithel; A', Kiefer; 31, Muskulatur; Phl, längsgeschnit-
tene; Phq, quergeschnittene Muskulatur des Pharynx; SrJil, Schleimdrüsenzellen.
Mit l%iger Chromsäuro fixiert und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. Vergr.
1 : 333.
Fig. 6. a, eine mehrzellige Hautdrüse, b. Schnitt durch eine solche Drüse.
X, zwei Drüsenzellen mit Ausführungsgängen; B, Basalmembran mit Deckepithe-
lien. Mit l%iger Chromsäure fixiert und mit Hämalaun-Eosin gefärbt, c stellt
das nur selten beobachtete einzellige Stadium dieser drüsigen Organe dar; N, Nerv.
Fig. 7. Eine mucöse Drüsenzelle mit dem sehr kleinen Kern bei x . Der
Kern N bildet an der Basis der Drüsenzelle eine kleine ganglionäre Anschwellung.
Fig. 8. Eine Schleimdrüse mit seitlichem Ausführungsgang, x , Drüsen-
kern ; X X , Nervenkern.
Die Figuren 7 und 8 sind mit l%iger Chromsäure fixiert und mit Häm-
alaun-Eosin gefärbt.
Fig. 9 u. 10 stellen seröse Drüsenzellen dar, die mit feinen Nervenfädchen
in Verbindung stehen. Beide Figuren wurden an Totoexemplaren beobachtet,
die mit FLEMMiNGScher Lösung fixiert waren. Fig. 9 ist ungefärbt, Jlg. 10 mit
Hämatoxylin-Eosin tingiert.
Fig. 11. Schnitt durch eine MüLLERsche Zelle. B, Basalmembran.
Fig. 12. Eine Sternzelle. N, Nerv. '
Fig. 13. Eine Blasenzelle.
Fig. 14. Ein Trematode. Dasselbe Exemplar ist schon auf Taf. IV,
Fig. 4, abgebildet. Mit Chromessigsäure fixiert und nach van Gieson gefärbt
Die Fig. 6 a und c, 7, 8, 9, 10, 12 und 13 stammen von einem Toto
exemplar und setzen sich daher aus verschiedenen optischen Ebenen zusammen
Die Öffnungen der Drüsenzellen sind durch einen gestrichelten Kreis dargestellt
Mit Ausnahme der Fig. 1, 3 o, 5, 6 ft, 7, 8 und 14 sind die Präparate mit
FLEMMENGscher Flüssigkeit fixiert und alle, ausgenommen Fig. 1 und 5, bei
öOOfacher Vergrößerung gezeichnet.
I
Beiträge zur Entwicklungsgeschichte und Biologie
der Colymbidae.
Friedrich Theodor Rosenherg
aus Doip.it in Livlar.d.
(Aus dem Zoologischen Institut der Universität Leipzig.)
Mit 13 Figuren im Text und Tafel IX.
Vorliegende Arbeit habe ich im Wintersemester 1907/08 unter der
Leitmig meines hochverehrten Lehrers Prof. Chun im Leipziger Zoolo-
gischen Listitiit begonnen.
Ich wandte mich der Familie der Colymbidae zu, da Aussicht
vorhanden war, dieselbe an der Hand eines umfangreichen Älateriales
studieren zu können und ich außerdem in der mir zugänglichen Literatur
keinen einzigen Hinweis auf diesbezügliche entwicklungsgeschichtliche
Untersuchungen gefunden habe.
Es ist mir eine angenehme Pflicht insbesondere Herrn Dr. J.
THIENEMANN-Rossitten, Herrn Forstmeister ScHLEiNiTZ-Hubertusburg
Anm. Friedrich Theodor Rosenberg starb am 17. Mai 1910. Als Sohn von
Prof. Alexander Rosenberg inDorpat entstammte er einer Gelehrten-Familie,
deren Name unter Biologen und Morphologen mit Recht geschätzt wird. Er
wurde am 31. Juli 1880 in Dorpat geboren und studierte an der dortigen Uni-
versität von 1901 bis 1905 Naturwissenschaften, mit x\usnahme des Jaln-es 1903,
welches er in Florenz und Viareggio verbrachte. Im Sommer 1906 bereiste er
den schwer zugänglichen Daghestan, indem er in diesem Gebiete Sammlungen
für das Botanische Institut seiner Vaterstadt anlegte und seiner früh erwachten
Neigung für ornithologische Beobachtungen nachging. Ende 1906 setzte er in
Leipzig seine zoologischen Studien fort und begann dann die vorliegenden Unter-
suchungen über die »Entwicklungsgeschichte und Biologie der Coh-mbidae <<.
In der Vorahnung, daß ein tückisches Sarkom ihm verhängnisvoll werden könne,
schrieb er kurz vor seinem Tode die vorliegenden Ergebnisse nieder, denen er
einen Abriß über den Primordialschädel der Pinguine und Colymbiden wollte
nachfolgen lassen. Mit ihm ist ein begabter Beobachter und ein ebenso beschei-
dener wie energischer Forschungsreisender von uns geschieden.
C. CmjN.
Zeitsphrift f. wissenRch. Zoologie. XCVII. Bd. 14
200 Friedrich Theodor Rosenberg,
und vielen andern für das Entgegenkommen zu danken, \vek;he3 sie mir
bei der schwierigen Beschaffung des Embryonenmateriales erwiesen
kaben.
Embryonen vom Polartaucher {Urinator arcticus L.) erhielt ich
aus meiner Heimat Livlaud durch die Liebenswürdigkeit unsres balti-
schen Ornithologen Herrn C. von MiDDENDORFF-Hellensom, auf dessen
Besitz dieser prächtige Taucher in einigen Pärchen nistet und als eine
Hauptzierde des dortigen Seengebietes streng geschont wird.
. Was endlich die Embryonen von Uria troile L., der Trottellumme,
anbetrifft, so habe ich sie durch A^ermittelung der Königlichen Biolo-
gischen Anstalt Helgoland käuflich erwerben können. Herrn Direktor
Prof. Heincke und Assistent Dr. Weigold spreche ich auch hier
meinen Dank aus.
Herrn Prof. Ciiun bin ich für das fördernde Interesse, welches er
meiner Arbeit entgegengebracht hat, zu allergrößtem Dank verpflichtet,
ebenso Prof. zur Strassen, Prof. Wolterecp: und Dr. Steche.
Was nun das Material anbetrifft, so wird wohl jedem, der sich mit
Embryologie beschäftigt, die Schwierigkeit bewußt sein, gut konser-
vierte Embryonen mit gewissenhafter Artbestimmung zu erhalten.
Dieses gilt besonders für wild- und zum Teil sehr versteckt lebende
Vögel, zu welchen z. B. der Zwergtaucher {Colijmhus nigricans Scop.)
zu zählen ist.
Zwei Bedingungen sind dazu erforderlich: 1) die Mitarbeit von
Sachkundigen (ein Nichtsachkundiger schickte mir von der Insel Dago
im Baltischen Meere ein vollzähliges, aus zwölf Eiern bestehendes
Gelege der Eiderente [Somateria mollissima L.] in der naiven Meinung
es handle sich um Urinator arcticus L. Letzterer legt nmi leider nur
zwei und dazu stark gefleckte Eier von ganz andrer Form!) in Gegenden,
welche man nicht persönlich aufsuchen kann, und 2) selber möglichst
viel Sammelexkursionen zu unternehmen. Durch Erfüllung dieser
beiden Bedingungen stand mir ein so reiches und schön konserviertes
Material zur Verfügung, daß eine ganze Reihe von Embryonen für
spätere Untersuchungen aufgehoben werden konnte.
Einige Fragen, und zwar insbesondere die Entwicklunu des Primor-
dialcraniums habe ich daher in vorliegender Arbeit noch nicht berück-
sichtigt.
In bezug auf die lateinischen Vogelnamen habe ich mich nach
Reichenow (13) gerichtet. Bei den Colymbidae werde ich die Be-
zeichnung Steißfuß durch den kürzeren Ausdruck Taucher ersetzen.
Beiträge zur Entwicklungsgeschiclitc und Biologie der Colyiiil)id;io. 20 l
Wenn ich nini in erster Linie das Genus Colymhus, und zwar Co-
h/mbus nigricoUi.s' (Brehni) in den Bei'eicli meiner Betrachtungen ge-
zogen habe, so geschah das aus praktischen Gründen. C. nigncollis
ist nämlich der einzige Lappentaucher, welcher in Deutschland, man
kann sagen ausschließlich, in typischen Kolonien nistet, daher ist- das
Embryonenmaterial gerade dieser Art, welche übrigens durchaus nicht
die häufigste ist, noch am ehesten in größerer Anzahl zu beschaffen.
]Mein Material erhielt ich zum Teil aus Rossitten auf der Kurischen
Nehrung, zum Teil aus Frohburg vom Eschefelder Teich.
Letztere Kolonie hatte ich das Vergnügen persönlich aufsuchen
zu können; die Anzahl der dort im Mai 1909 nistenden Schwarzhälse
taxiere ich auf etwa hundert bis hundertzwanzig Paare.
Die Taucher hatten eine Schilfecke des Sees zum Nistplatz gewählt,
und hier stand buchstäblich Nest an Nest.
Da die Gelege zum Teil schon stark bebrütet waren, schoben sich
die alten Taucher zögernd und sichtlich ungehalten erst dann vom
Nest, wenn sie sich dicht vor dem Boot befanden.
Zur Biologie der Taucher w^ill ich noch erwähnen, daß in Esche-
feld die Schwarzhalstaucher in Gesellschaft von Lachmöwen nisteten.
Ein Tauchernest war von den Möwen durch einen Pfahlbau gleich-
sam überdacht worden.
Viele Tauchernester mögen allerdings durch die Bauwut der Möwen
vernichtet worden sein, wie das schon Dr. Thienemann von der Rossit-
tener Kolonie schildert, so daß hier nur eine scheinbare Symbiose
vorliegt. Einen unbestreitbaren Vorteil haben allerdings die Schwarz-
es >~
halse von ihren Nachbarn aus der ersten Etage: die kampflustigen
Möwen halten ihnen jeden befiederten Tierräuber fern. Ich selber
w^ar Zeuge wie zwei Krähen gezwungen wurden das Weite zu suchen.
Als Vergieichsmaterial standen mir außer der erwähnten Art noch
zur Verfügung Embryonen vom Haubentaucher {Colynibus cristatus L.),
vom Rothalstaucher {Colynibus grisegena Bodd.) und vom Zwergtaucher
{Colymhus nigricans Scop.).
Konserviert wurde größtenteils mit Formol, und zwar anfänglich
in Lösungen bis zu 20%, in denen die Objekte einige Tage verblieben,
um dann in die 5%ige Lösung übergeführt zu werden.
Bei ganz jungen Stadien habe ich mit Erfolg Pikrin-Eisessigsublimat
angewandt, und bei einer Anzahl älterer endlich, allmählich verstärkten
Alkohol, Für photographische Aufnahmen eigneten sich die Forniol-
präparate am besten, da die in Alkohol konservierten Embryonen bei
14*
202 Friedrich Theodor Rosenberg,
noch so gewissenhafter Überführung in stärkere Lösungen bisweilen
recht beträchtlich zu schrumpfen beliebten.
Gefärbt wurde in der Regel in toto. Mir sagt diese Methode
sehr zu, erstens wegen der bedeutend leichteren Orientierung gefärbter
Embryonen beim Einbetten und zweitens wegen der verschiedenen
Unzuträglichkeiten der Schnittfärbung, zu welchen ich das plötzliche
Aufschwimmen sämtlicher Schnitte, wenn der Kollodiumüberguß ver-
gessen, sowie die ganze zeitraubende Umständlichkeit dieses Ver-
fahrens zähle.
Von Färbungsmethoden habe ich in erster Linie Hämocalcium
Mayer, welches Suschkin (12) in seiner Tinnunculusarbeit für Knorpel-
und Knochendifferenzierungen empfiehlt, mit gutem Erfolge benutzt.
Die Schnitte ließen sich leicht mikrophotographisch aufnehmen und
lieferten sehr instruktive Übersichtsbilder.
Außerdem benutzte ich noch Boraxkarmin, Hämatoxylin Ehrlich,
Heidenhain usw.
Da mir, wie schon erwähnt, Gelegenheit geboten war, eine gTÖßere
Anzahl von Tauchereiern zu erhalten, so machte ich den Versuch mit
künstlicher Bebrütung, eine kontinuierliche Stadienreihe mit dem kon-
stanten Intervall von 24 Stunden zu erzielen.
Zu diesem Zwecke bestellte ich mir einen Brutapparat von Sar-
TORius in Göttingen, welcher gut funktionierte. Um allzu große äußere
Temperaturschwankungen vom Apparat fernzuhalten, ließ ich ihn in
einen, eigentlich für einen Thermostaten bestimmten, Glaskasten stellen,
dessen Schiebetür bis auf einen Ventilationsspalt geschlossen wurde.
Der Apparat wurde mit Hilfe eines an der Mündung etwas ausgebohrten
Mikrobrenners geheizt, und zwar fing ich mit einer Temperatur von
39° C an, um dieselbe schließlich bis auf 40 1/2° zu erhöhen. Bei der
Gasheizung ist besonderes Gewicht auf die Ventilation zu legen, da
sonst die Verbrennungsgase den Keimen leicht verderblich werden
können (Dr. Blanke, Landwirtschaftliche Geflügelzucht). Das Heizen
mit der Petroleumlampe ist wegen des beständigen Nachfüllens, Blakens
usw. zu umständlich und nicht zu empfehlen, da das eventuelle Aus-
gehen der Lampe die Vernichtung der ganzen Brut zur Folge hat.
Da nun die Tauchereier normalerweise auf einem schwimmenden,
nassen Pflanzenklumpen, welchen ein Unkundiger nie für ein Nest
halten würde, ausgebrütet werden und von dem alten Taucher vor
dem Verlassen des Nestes noch mit Schlamm usw. bedeckt werden,
so versuchte ich, ihnen im Brutapparat dieselben Bedingungen zu
verschaffen, indem ich sie auf nasse Wattebäusche bettete.
Beiträge zur Entwicklungsgcschiolito und Biologie der Colynibidae. 203
Die AVatte wurde tä^iich zweimal, gelegentlich des Kühleus imd
Wendens der Eier, angefeuchtet, und zwar mit lauwarmem Wasser,
mn eine zu starke Abkühlung der Eier und des Apparates zu vermeiden.
Ein Umstand erwies sich leider bei diesen Versuchen als sehr
hinderlich. Es gab nämlich kein Mittel die Eier auf Entwicklungs-
fähigkeit zu prüfen.
Zu diesem Zweck eignet sich der sehr einfache und praktische
Eierprüfer von Sartoriüs wohl für Hühnereier, für die er ja auch
bestimmt ist, nicht aber für die dickschaligen und schmutzfarbenen
Tauchereier, welche sich trotz Blendspiegels und heller Lampe nicht
durchleuchten lassen.
Ich zog es daher vor iiur eine ganz geringe Anzahl von Eiern im
Apparat bebrüten zu lassen, habe daher nicht die erhoffte Anzahl von
Altersbestimmungen machen können, dafür allerdings vom Zwerg-
taucher {Colymhus nigricans Scop.), von dem mir nur ein Gelege von
fünf Eiern zur Verfügung stand, vier wichtige Stadien erhalten.
Biologisch interessant war bei einem künstlich erbrüteten Schwarz-
halstaucher der sofortige Instinkt bei seiner Mutter unterzukriechen;
als solche erschien ihm wohl die auf den Tisch gelegte Hand, unter
welche er sich stets mit großer Schnelligkeit auf der Unterseite liegend
hinschob. Darauf legte er seinen Kopf auf meinen Daumen und blieb
in dieser Stellung zufrieden piepend liegen. Nahm ich die Hand weg,
so begann er sofort auf dem Tisch herum zurudern und einen Unter-
schlupf zu suchen.
Einen merkwürdigen Umstand in bezug ^uf die geographische
Verbreitung der Colymbidae muß ich noch erwähnen.
Colymhus auritus L., der Ohrentaucher, vertritt bekanntlich den
ihm sehr nahe verwandten C. nigricollis im hohen Norden: so brütet
er auf Island, ja selbst auf Grönland (13).
Die südlichsten Nistplätze von C. auritus L. dürften wohl in den
russischen Ostseeprovinzen liegen. Er nistet hier in Livland und
Kurland. Seine vorgeschobensten Nistplätze liegen in Südkurland;
dort habe ich ihn auf einem Karpfenteiche in Rudden als Nistvogel
konstatieren können.
Die benachbarte Kurische Nehrung dagegen beherbergt seinen
schwarzhalsigen Vetter C. nigricoUis als Brutvogel, welcher hier seine nörd-
lichste Verbreitung erreicht. C. auritus ist in Deutschland nur Wintergast
und C. nigricoUis in Südkurland sehr seltener Vorgast; so habe ich in
Rudden im Sommer 1901 ein vereinzeltes Exemplar letzterer Art beob-
achtet und ein zweites, welches vom Libauschen See stammt, befindet
204
Friedrich Theodor Rosenberg,
sich in der Sammlung des Herrn C. v. Middendorff. Beide Schwarz-
halstaucher hatten sich wohl von der nahen Nehruno verflogen.
Was somit die Elbe für die Brutgebiete von Corvus corone L. und
Corvus cornix L. bedeutet, trifft also, und zwar noch krasser, da Ver-
bastardierungen fehlen, für das Gebiet des Niemen an der deutsch-
russischen Grenze in bezug auf die Nistplätze von Colymbus nigricoIUs
und Colymbus auritus zu.
Textfig. 1.
Beim Studium der Entwicklungsgeschichte der Lappentaucher
habe ich das Haupt-
gewicht auf die Ent-
wicklung des Hand-
und Fußskelettes ge-
legt.
Ich werde mir
erlauben, zuerst kurz
auf das Skelet der
vorderen Extremität
des alten Vogels, und
zwar eines Colymbus
cristatus einzugehen
(Textfig. 1).
Die Flügelknochen der Taucher unterscheiden sich von denen
guter Flieger, wie etwa der Kaubvögel, durch die bedeutende Dick-
wandigkeit ihrer Knochen, ihre auf ein Minimum reduzierte Pneuma-
tizität und ihren Fettgehalt, welcher durch die Fischnahrung bedingt
wird. Alle diese drei Umstände tragen dazu bei, das specifische Gewicht
des Colymbus und damit seine Tauchfähigkeit zu erhöhen.
Das Skelet des Flügels besteht aus dem langen, schlanken und
leicht S-förmig gebogenen Humerus, der Ulna, dem Radius, dem Ulnare
und Radiale, einem langgestreckten Metacarpale und einer Phalanx
des L, zwei des IT. und einer des III. Fingers.
Was nun die Embryonalentwicklung der vorderen Extremität an-
betrifft, so sind die ersten deutlichen Knorpelanlagen erst am Ttägigen
Stadium (Textfig. 2) deutlich zu erkennen.
Der abgebildete Längsschnitt (Textfig. 3) durch die vordere Ex-
tremität dieses Embryo läßt folgendes nachweisen: Radius und Ulna,
welche in diesem Stadium noch ungefähr die gleiche Dicke haben,
sowie vier Metacarpalia. Eine deutliche, knorpelige Anlage von Carpal-
knochen ist noch nicht vorhanden.
Beiträge zur Kiilwiekhingsireschichte und iikildgie der Culymbidae. 205
Die vier ^Metacaipalia diveriiieren beträchtlich, und dadurch er-
innert das uanze an eine uespreizte Hand, ein Eindruck, den man
schon bei der Betrachtung der intakten Vorderextremität dieses Sta-
diums uewirnit.
Das Metacarpale IV ist noch klein, aber deutlicli zw erkennen.
Die Länge des Schnittes beträgt 2,3 mm.
Erich Hillel (U) hat bei seinen Untersuchungen in bezug auf
die Vorderextremität von Eudyptes chrijsocome ein embryonal ange-
legtes Metacarpale IV gefunden, welches nach der Abbildung zu urteilen
unter dem Metacarpale III gelegen ist.
JlcuUus
Metcocl MettvcM
Textfig. 2.
Uln^ MetctcLV' MetacM
Textfig. 3.
Hillel sagt: »Außer diesen drei noch im ausgebildeten Zustande
erkennbaren Metacarpalia fand ich am Metacarpale III noch eine
kleine Knorpelanlage, welche nach Lage und Form dem von Rosen-
berg und Parker als Metacarpale IV gedeuteten Knorpel entspricht.
Ich konnte das Stück infolge seiner geringen Dimensionen nur auf
Querschnitten deutlich erkennen. Es stellt im Stadium II einen ellipsen-
förmigen kurzen Knorpel dar, welcher unterhalb des Carpale 2, 4 auf
der Außenfläche des Metacarpale III gelegen ist. In jüngeren Stadien
war es noch selbständig und durch Bindegewebe vom JMetacarpale III
getrennt. Im Stadium IV begann bereits eine Verschmelzung des ba-
salen Teiles mit dem Metacarpale III, welche zunächst nur an der
radialen Seite erfolgte. Im ältesten Stadium waren Metacarpale III
und IV bereits vollkommen verschmolzen; beide bildeten eine einheit-
liche Knorpelmasse. Beim erwachsenen Pinguin ist die Anlage des
Metacarpale IV nicht mehr angedeutet.«
Das Metacarpale IV habe ich bei einer ganzen Reihe von Stadien
206
Friedrich Theodor Rosenberg,
des Cohjmhus nigricoUis gefunden, es scheint somit bei den Tauchern
ganz regelmäßig aufzutreten, während das ebenfalls nur transi torische
Metatarsale V bedeutend seltener nachzuweisen ist, da es nur bei. dem
11 — 12tägigen Stadium auftritt, um dann zu verschwinden. Das
Metacarpale IV dagegen läßt sich schon bei der ersten Knorpeldifferen-
zierung erkennen, also beim etwa Ttägigen Stadium und war am stärk-
sten bei einem etwa lötägigen Embryo
von Colymhus nigricoUis entvi'ickelt
(Textfig. 4).
Das rudimentäi-e ^Metacarpale IV
ist hier auf einer Reihe von acht
Schnitten (Schnittdicke = 10//) zu er-
kennen. Die Länge des Metacarpale
beträgt auf dem abgebildeten Schnitt.
0,145 mm und die Breite 0,06 mm
(Textfig. 5).
Ein Metacarpale V habe ich bei
keinem einzigen Embryo angetroffen, so
daß die Frage, ob die embryonalen
Metacarpalia als I, II, III und IV oder
als II, TU, IV und V zu bezeichnen
sind, noch unentschieden ist.
Ich persönlich neige zu der Ansicht, daß der Ausfall des einen fehlen-
den Metacarpale von der ulnaren Seite erfolgt ist, ein Umstand, für
Textfig. 4.
Meta.i.J Radiale
TtacUiiAS
Metif/^.3
Textfig. 5.
welchen unter anderm die rudimentäre »Daumen <kralle, welche bis-
weilen sogar bei erwachsenen Vögeln gefunden wird, spricht.
Eine rudimentäre Daumenkralle tritt nach Zehnter (9) am zehnten
Beiträtio /.ur Kntwic'klunjvsoroseluohto und liinloifie dvv Colymbidae. 207
Bi'uttage bei ^Lpns mellxi L. (= Cypselus melha Nauru.) auf und »bleibt
iu)cli etwa 3 Wochen im postembryonalen Leben erhalten «.
Das Präparat eines Flügels von einem erwachsenen Steinadler
{Aquila chrijsaetos L.), welcher aus freier AVildbahn stammt, mit einer
Daumenkralle, befindet sich in der osteologischen Privatsammlung
meines Vaters. In der diesbezüglichen Literatur soll ein ähnlicher
Fand erwähnt sein.
Nachdem ich mich von tlem regelmäßigen Auftreten des Meta-
carpale IV bei Cohjmbus nigricollis schon vor etwa einem Jahre über-
zeugt hatte, erfahre ich Ende Januar 1910 durch eine liebenswürdige
briefliche Mitteilung des Herrn P. Dr. Fr. Lindner in Quedlinburg,
daß er bereits 1889/90 im Königsberger Institut bei einigen C. nkjri-
co//?'s-Embryonen ein deutliches Metacarpale IV gefunden, seinen Fund
jedoch wegen Aufgabe des naturwissenschaftlichen Studiums nicht ver-
öffentlicJit hat. Es ist mir eine um so angenehmere Pflicht dieses
Faktum anzuführen, da es sich ja bloß um das ^letacarpale IV und
nicht um das Metacarpale V handelt.
Bei Betrachtung des Skelettes der hinteren Extremität der Colym-
bidae sowohl, als auch der ihnen verwandten Urinatores, fällt vor allen
Dingen das merkwürdige Mißverhältnis der Länge des Femurs und der
Tibia auf. Die Länge des Femurs verhält sich zur Länge der Tibia
wie 1:4. Die Tibia ist durch den bajonettartig vorspringenden Pro-
cessus charakterisiert, welcher bei Unnator arcticus der Länge des
Femurs gleichkommt. Die schwach entwickelte Fibula verschmilzt
distalwärts vollkommen mit der Tibia.
Der Lauf gleicht im unpräparierten frischen Zustand einem Messer,
entsprechend seiner Bestimmung beim Durchschneiden des Wassers
einen möglichst geringen Widerstand zu bieten. Ist der Metatarsus
präparie]-t, so erscheint er etwas plumper, fällt aber immer noch im
Vergleich mit andern Vogelmetatarsen durch seine seitlich stark kom-
primierte, sehr schmale und scharfkantige Diaphyse auf. Auch das
distale Ende des Metatarsus ist deutlich komprimiert, was man leicht
aus der Lage des Gelenkkopfes des zweiten Metatarsale sehen kann
(Textfig. 6).^
Die erste Zehe besteht aus dem Gelcnkkopf des Metatarsale I
und zwei Phalangen, von denen die erste zum distalen Ende zu stark
abgeflacht und die zweite sehr schwach entwickelt ist.
Die zweite Zehe hat drei Phalangen, von denen die beiden ersten
die o'leiche Länue haben.
208
Friedrich Theodor Rosenberg,
Die zweite Phalanx weist eine ähnliche Abplattung wie die erste
Phalanx der eisten Zehe anf. Die Endphalanx ist ganz flach.
Die dritte Zehe hat vier Phalangen. Die zweite und dritte Phalanx
sind gleich lang, die dritte ist gegen die Endphalanx abgeplattet.
Textfig. 6.
Die Endphalanx der dritten Zehe hat eine für die Colymbidae
charakteristische Form, welche sich am ehesten mit einem Trapez
vergleichen ließe. Sie ist dabei vollkommen abgeplattet und weist
nicht einmal am Gelenkende eine merkliche Verdickung auf, auch die
Gelenkpfanne ist so schwach angedeutet, daß man diesen Knochen,
wenn er einem isoliert gezeigt werden sollte, schwerlich für eine Phalanx
ansprechen würde.
Die vierte Zehe endlich hat fünf Phalanaen und überragt an Länge
Beitiägo zur Entwickluiigssrcschichtc und .l^iologie der C'ul.vnihidae. 20!)
die andern. Der Fuß der Lappentaucher erhält durch diesen Umstand
ein eijicntümUches, für das Genus Coljjmhus charakteristisches Gepräge.
Was nun die Embrvonalentwicklunu des Tarsus anbetrifft, so
habe ich an meinen Schnittserien deutlich erkennen kfinnen das Tibiale
und das Fibulare. sowie die zweite Tarsusreihe.
Die zweite Tarsusreihe liegt entweder, bei den jüngeren Stadien,
als noch nicht deutlich differenzierter Knorpel oder aber, bei den
älteren Stadien vom 9. Bruttage an, als geschlossene Knorpelmasse vor,
welche bisw^eilen trennende Konturlinien schwach erkennen läßt.
Ich habe weder ein Centrale noch ein Intermedium gefunden und
möchte mich in bezug auf diese vielgesuchten Knorpel vollkommen
der Meinung Baurs (4) anschließen. Baur sagt: »Ich verstehe nicht,
wie bei den Vögeln auf einmal wieder ein Centrale auftreten soll, welches
schon bei den Crocodilinen, deren Tarsus dem der Vögel nicht gar zu
fern steht, nicht mehr isoliert vorhanden ist. Dasselbe gilt auch für
das Intermedium. Ich halte es darum von vornherein für verfehlt, im
embryonalen Tarsus der Vögel nach einem Intermedium zu suchen. <(
Baur (4) untersuchte hauptsächlich Embryonen vom Huhn, ferner
von der Ente, Amsel, Sperling, auch Taube. Er fand bei allen ein IMeta-
tarsale V, welches Morse (3) bei seiner famosen Druckniethode, auf die
vor Baur auch schon Rosenberg (2) kritisch hingewiesen, natürlich
übersehen hat.
Baur nimmt an, daß das Metatarsale V allgemein bei Vogel-
embryonen vorhanden sein wird.
Diese Hypothese hat in bezug auf vierzehige Vögel gewiß einiges
für sich, ist aber bei drei zehigen oder gar zwei zehigen wohl zum minde-
sten sehr fraglich.
So hat Walter Graul (17) eine große Anzahl der verschiedensten
Stadien von VaneJIus vanellus L. {= V. cristatus) dem, wie alle Chara-
driidae, dreizehigen Kiebitz untersucht, jedoch ein Metatarsale V nicht
gefunden.
Ebenso erging es mir mit einem andern Regenpfeifer, dem Chara-
drius duhius Scop.
Auch meine Untersuchungen an einer Reihe von Embryonen der
ebenfalls dreizehigen Trottellumme Uria troile L., welche ein Meta-
tarsale I nur embryonal aufweist, haben kein Metatarsale V zutage
gefördert.
T. J. Parker (10) hat bei Äpter i/x-Emhvyonen ein ^Metatarsale V
gefunden. "All five digits are present. The hallux is a rounded nodule
of cartilage close alongside the proximal end of the second metatarsal
210
Fiiediich Theudor Rosenberg,
and separated by indifferent tissue from the distale. The second digit
consists of a metatarsal and one phalanx, the third and fourth eacH
of a metatarsal and two phalanges, and the fifth of a short conical
cartilage attached by its proximal end to the fibulare and by its pre-
axial border to the distal."
W. Müller (16) findet bei den Striges ebenfalls ein Metatarsale V,
welches schon Studee, Baur, Rosenberg nnd ZEH^^TER (9) bei andern
Genera beschrieben haben. Er hat
die weiteren Verhältnisse des rudi-
mentären Metatarsale V nicht ver-
folgt.
Ich habe eine große Anzahl
von Taucherembryonen auf ihr Fuß-
skelet hin untersucht und konnte
bei mehreren Exemplaren, welche
etwa 11 Tage bebrütet waren,
ein deutliches Metatarsale V nach-
weisen.
Am ausgeprägtesten war es bei
dem mit AIV bezeichneten Embryo
(Fig. III).
Beim Schneiden kam mir die
völlig plane Lage des rechten Fußes
dieses Objektes sehr zustatten, wel-
ches die beste Serie geliefert hat.
Der mikrophotographisch auf-
genommene Schnitt 3 i?.5 (Textfig.7)
läßt folgendes erkennen:
Tibia, Tibiale, Fibulare und die
zweite Tarsusreihe, welche bereits
eine geschlossene Knorpelmasse darstellt und sich den Metatarsalia
anlegt.
Metatarsale I ist nur schwach angedeutet. Die stark entwickelten,
völlig getrennten Metatarsalia II, III und IV weisen noch keine Spuren
von Verknöcherung auf.
Das Metatarsale V liegt als kleine Knochenspindel unweit des
äußeren proximalen Randes vom Metatarsale IV.
Das Metatarsale V besitzt auf diesem Schnitt eine Länge von
0,11 mm und eine Breite von 0,333 mm.
Auffallend ist das sehr frühzeitige Verschwinden dieses rudimentären
Textfig. 7.
Beiträiie zur Ent\vickluncse:eschichtc und Bioldiiie dcv Colvmbklae. 211
, 2 + Metat. 3 + Metat. 4]. «
da mir aus der Ent-
Knorpels: er tritt nur in dem erwähnten 11 — 12tägigen Stadium auf,
verschwindet dann.
Baur (7a) sagt diesbezüghch folgendes: »In meiner Arbeit: ,der
Tarsus der Vögel und Dinosaurier' hatte ich, wie Rosenberg ange-
geben, daß das embryonal angelegte Metatarsale V im Laufe der Ent-
wicklung atrophiert.
Nach neueren Untersuchungen finde ich, daß dies nicht der Fall ist.
Das Metatarsale V verschwindet nicht, sondern verschmilzt mit der
zweiten Tarsusreihe. Beim Huhn findet dieses zwischen dem 11. und
14. Tag der Bebrütung statt.
Der Tarso-Metatarsus der Vögel besteht daher aus folgenden
Elementen :
[Tarsale i_5 + Metat. 5] + [M
Hierin kann ich Baur nicht beistimmen
Wicklungsgeschichte kein einziger
Fall bekannt ist, wo ein länglicher
Knorpelspindel mit einer andern
Knorpelmasse, zu der er eine senk-
rechte (!) Lage einnimmt, » ver-
schmilzt <*.
Allerdings vereinigt sich, beim
Colymhus nicjricollis wenigsteas, das
proximale Ende Metatarsale V mit
der zweiten Tarsusreihe, damit ist
aber noch nicht gesagt, daß es nun
gleich einer kleinen Luftblase von
der größeren resorbiert wird.
Der Vorgang ist offenbar
folgender: Metatarsale V legt sich
mit dem proximalen Ende der zwei-
ten Tarsusreihe an und atrophiert.
(Textfig. 8.)
Die Abbildungen Fig. VI u. VII,
sowie Textfig. 9 stellen drei Hauben-
taucherembryonen dar, welche ich
ein und demselben Gelege ent-
nommen habe. Wenn man die ein-
zelnen Embryonen miteinander vergleicht, so w^ürde man wohl auf drei
verschiedene Gelege schließen.
Bei Tf 1 (Textfig. 9) sind die Federfluren schon deutlich zu erkennen,
Textfig. 8.
212
Friedrich Theodor Rosenberg,
Textfig. 9.
und auf dem Rücken und Hinterkopf zeigt sich der erste Anfluo; von
Dunen.
Die Vorderextremität ähnelt bereits sehr der des erwachsenen
Vogels, und die Füße weisen die typische Lappenform der Colymbidae auf.
Wir haben somit einen Embryo
vor uns, welcher sich auf den ersten
Blick als Lappentaucher ansprechen
ließe, wenn nicht die Schnabelform
noch einige embryonale Merkmale
trüge, welche bei dem erwachsenen
Vogel vollkommen fehlen.
Sowohl die Spitze des Ober-
schnabels, als auch diejenige des
L'nterschnabels weisen eine eigen-
tümliche gewölbte Verdickung auf,
welche wenig an den spitzen, dünnen
und geraden Schnabel des alten
Tauchers erinnert (Textfig. 10).
Nun sollte man annehmen, daß
zu einem Zeitpunkt, wo der Embryo
im übrigen alle für
sein Genus typischen
Kennzeichen aufweist,
die Schnabelform sich
ebenfalls im Laufe der
nächsten Stadien der
des Altvogels nähert.
Das Gegenteil ist der Fall!
Betrachten v\ir das um einige Tage ältere Stadium TFg. Es ist
ein typisches Dunenjunges vom Cohjmbus mit der charakteristischen
Streifenzeichnung an Kopf und Hals und den nunmehr schon be-
schilderten Lappenfüßen. Nur die Schnabelform ist noch abweichender,
als bei Tf i und erinnert so an die Form des Möwenschnabels, daß ich
mir erlauben werde, dieses Stadium der Schnabelentwicklung, welches
auch beim Colymhus nigricolUs und bei Cohjmhus nigricans, sowie bei
Urinator arcticus auftritt, als iams-Stadium zu bezeichnen.
Es ist erstaunlich, daß ein systematisch so maßgebendes Gebilde,
wie der Schnabel, noch in einem so späten Stadium (etwa 20tägige
Bebrütung) eine dermaßen abweichende Form aufweist.
Bei TFi ist die Entwicklung am meisten fortgeschritten, und ich
Textfig. 10.
Beiträge zur Kiitwicklungsgeschichte und Hiologie der Colymbidae. '2i3
glaube annehmen /.n können, daß er kurz vor dem Ausschlüpfen stand:
das Dunenkleid ist vollständig, der Schnabel weist nicht mehr den
Larus-Typ auf, ist in seinen Linien merklich gerader geworden und
zeigt bereits den vollen t\vickelten Eizahn.
Ich glaube mit der Annahme nicht fehlzugehen, daß dieses Larus-
Stadium der Schnabelentwielduiig. welches uns in der Ontogenie
der Taucher begegnet,
folgenden phylogenetischen
Rückschluß gestattet: »die
jetzt lebenden Colym
bidae stammen von Vor-
fahren ab, welche einen
Schnabel von ausgespro-
chenem Lanis-Typ be-
saßen «.
Die ältesten Stadien
von C. cristatus und C.
nigricoUis lassen sich leicht
unterscheiden. Vergleichen
^vir Tfg {cristatus) und R
(nigncolUs) (Textfig. 11).
Wo fällt sofort durch
ungleich gröbere Streifen-
zeichnung am Kopf imd
besonders am Halse auf,
während bei nigncolUs die
Streifenzeichnung am Kopf viel feiner und zarter ist und auf dem
Halse beinahe ganz verschwindet.
Außerdem weist Colymhus nigricoUis am Schnabel zwei deutliche
Querbinden auf, und zwar an der Schnabel wurzel. Diese Quer-
binde wird nur embryonal angelegt, der Altvogel hat einen einfarbigen
Schnabel. ^;
Das IStägige Stadium Z^ von Colymhus nigricans (Fig. V) läßt
weder eine Streifenzeichnung noch eine Schnabelbinde erkennen. Die
Unterseite ist, wie bei den vorhergenannten, weiß.
Die Schnabelform entspricht dem Zarws-Typ.
Von Urinator arcticus standen mir zwei Exemplare zur Verfügung,
welche, nachdem sie 3 Wochen lang von den beiden alten Polartauchern
bebrütet, dem Ei entnommen und konserviert worden waren.
Das Polartaucherweibchen hatte am 3. und 4. Juni je ein Ei gelegt
Textfig. 11.
214
Friedrich Tlieodor Rosenberg,
und am 5. Juni mit dem Brüten begonnen. Am 25. Juni ließ Herr
VON MiDDENDORFF die Eier durch einen Forstwart ausnehmen, welcher
die ganze Zeit über die Polartaucher beobachtet und das auf dem
festen Ufer des Mörzoka-Sees befindliche Nest bewacht hatte.
Zum Unterschiede von den Colymbidae ist das Nest der Urinatores
stets auf festem Lande gelegen.
Der späte Legetermin (Anfang Juni) ist charakteristisch für die
nordischen Vogelarten, welche merkwürdigerweise mit dem Brut-
gesch.äft auch in südlicheren Gegenden, die sie in vereinzelten Paaren
gewissermaßen als Relicten-
fauna bewohnen, nicht früher
beginnen, als ihre Artgenos-
sen am Eismeer!'
Die Polartaucherembr Jo-
nen unterscheiden sich von
den Lappentaucherembryo-
nen durch die für alle See-
taucher charakteristischen,
geschlossenen Schwimmhäute
und das vollkommen ein-
farbige, dunkelschief ergraue
Dunenkleid. Die Unterseite
ist einen Schatten heller
gefärbt (Textfig. 12).
Der Schnabel weist den
erwähnten Larus - Typ auf,
allerdings noch lange nicht
des C. cristatus oder Z4 des
Textfia;. 12.
in dem Maße, wie beim Stadium W
Colymhus nigricans.
Die Untersuchung des Fußskelettes ergab beim 20tägigen Polar-
taucherembryo folgendes: die zweite' Tarsalreihe ist mit den Meta-
tarsalia beinahe ganz verschmolzen, eine Konturlinie deutet nur noch
die Grenze an.
Die Metatarsalia II, III und IV sind noch nicht ganz verschmolzen,
liegen schon dicht aneinander und lassen sich ebenfalls noch gerade als
einzelne Gebilde ansprechen.
Die Diaphysen der Metatarsalia befinden sich im Stadium der
Verknöcherung.
Textfig. 13 zeigt einen künstlich erbrüteten 2tägigen Colymhus
nigricoUis.
Beiträge zur Entwioklungsgeschiclite und Biologie der Colymbidae. 215
Das Tierchen war schwer zu photographieren, da es sehr beweglich
war. Auf einem mit Äther durchtränkten Wattebausch liegend, kam
es schließlich doch noch auf die Platte. Es war wohl leider die Folge
dieser Narkose, daß es seinen dritten Tag nicht überlebte.
Ich habe diese etwas unscharfe Aufnahme reproduzieren lassen,
da sie die charakteristische gespreizte Fußstellung der auf dem Lande
so unbeholfenen Colymbidae gut wiedergibt.
Ebenso wie dieses kleine Dunen junge auf dem Bauche liegend
mit froschartigen, energischen Stoßbewegungen der Hinterextremitäten
sich verhältnismäßig rasch
vorwärts bewegt, schnellen
sich auf dem festen Lande
auch die alten Taucher
fort, da ihr anatomischer
Bau, welcher ein starkes
Übergewicht- nach vorn
bedingt, sie wohl zu vor-
züglichen Schwimmern und
Tauchern macht, ein auf-
rechtes Stehen oder gar
Gehen jedoch vollkommen
ausschließt.
Es gibt allerdings wohl
kaum eine Vogelgattung,
welche so selten mit dem
festen Lande in Berührung
kommt, wie gerade die
Colymbidae.
Sturmvögel und Möwen weilen ja auch monatelang auf hoher See,
ohne auf dem Lande rasten zu können, zur Brutzeit aber suchen sie
doch öde Küsten oder Felseneilande auf.
Die Colymbidae hingegen kommen nicht einmal dann aufs Land,
da die Begattung auf dem Wasser vor sich geht und sie alle ohne Aus-
nahme schwimmende Nester bauen.
Demnach dürften die Colymbidae von allen andern Vogelgenera
dem beständigen Aufenthalt auf dem Wasser am besten angepaßt sein.
Conclusio.
1) Intermedium und Centrale werden von den Colymbidae em-
bryonal nicht angelegt.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 15
Textfig. 13.
216 Friedricli Theodor Rosenberg,
2) Das transitorische Metacarpale IV tritt bei den Colymbidae
regelmäßig auf und erreicht erst am etwa 15. Bruttage seine größte
Entwicklung.
3) Das transitorische Metatarsale V tritt nur im 11 — r2tägigen
Stadium auf und atrophiert danji.
4) Die jetzt lebenden Colymbidae stammen von Vorfahren ab,
welche einen Schnabel von ausgesprochenem Larus-TÜy]) besaßen.
5) Das Gebiet des Niemen ist als scharfe Grenze zwischen den
Brutgebieten von Colymhns nigricoUis (Brehm) und Colymbus auritus L.
anzusehen.
Leipzig, im Mai 1910.
Literatur.
1. Gegenbaub, Vergleichend-anatomische Bemerkungen über das Fußskelet
der Vögel. Archiv f. Anat. Phys. und wissenschaftl. Medizin. 1883.
2. Rosenberg, Über die Entwicklung des Extremitätenskelettes bei einigen
durch die Reduktion ihrer Gliedmaßen charakteristischen Wirbeltieren.
Diese Zeitschr. Bd. XXIII. 1873.
3. Morse, On the Carpus and Tarsus of birds (Read 29. I. 1872). Annais
Lyc. Nat. Hist. New York. Vol. X. 1874.
4. Baur, Der Tarsus der Vögel und Dinosaurier. Morph. Jahrbuch. 1883.
ö. Alice Johnson, On the Development of the Pelvic Gü'dle and Skeleton
of the Hind Limb in the Chick. 1883. Quart. Journ. Microsc. Sei.
Vol. XXIII.
6. Baur, Dinosaurier und Vögel. Morph. Jahrbuch. Bd. X. 1885.
7. — Zur Vögel-Dinosaurierfrage. Zoolog. Anzeiger. Bd. VIII. 1885.
7a. — Zum Tarsus der Vögel. Zoolog. Anzeiger. Nr. 202. 1895.
8. Th. Studer, Embryonalentwicklung der Vögel. Forschungsreise 8. M. S.
Gazelle. Zoolog. Bd. III. 1889.
9. L. Zehnter, Beiträge zur Entwicklung von Cypselus melba nebst biolog.
Details. Archiv f. Naturgeschichte. Berlin 1890. (Auch als Diss.
Berlin. )
10. T. J. Parker, Observations on the Anatomy and Development of Apteryx.
Phil. Transact. of the Roy. Soc. of London. 1891.
11. R. BuRi, Zur Anatomie des Flügels von Micropus melba. Jenaische Zeit-
schrift. Bd. XXXIII. 1898.
12. P. P. SuscHKiN, Zur Morphologie des Vogelskelettes. 1. Schädel von
Tinnunculus in: Nouv. Mem. Soc. Natural. Moscou. Tome XIV.
Livre 2. 1899.
13. Ant. Reichenow, Die Kennzeichen der Vögel Deutschlands. Neudamm
1902.
Beiträge zur Ent\vicklungsgeschiclit(> iiiul Biologie der Colymbidae. 217
14. Erich Hillel, Über die Vorderextreinität von Eudyptes clirysocome und
deren Entwicklung. Jen. Zeitsclir. Naturw. Bd. XXXVIII. 1904.
15. Paul Grunert, Der Beckengürtel und die lünteren Extremitäten von
Eudyptes chrysoconie. Inaugural-Disscrtation. 1906.
16. W. Müller, Zur Entwicklung der .Striges und deren Wendezehe. Zool.
Anzeiger. Bd. XXXI. 1907.
17. Graul, Zur Entwicklung von Vanellus cristatus. Arch. f. Naturgeschichte.
73. Jahrg. 1907.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel IX.
Fig. I. Colymhus grisegena Bodd.
Fig. II. Colymhus nigricans Scop.
Fig. III. Colymhus nigricollis (Brehm). A IV.
Fig. IV. Colymhus nigricollis (Brehm),
Fig. V. Colymhus nigricans Scop. Z^.
Fig. VT. Colymhus cristatus L. Wi-
Fig. VII. Colymhus cristatus L. TF4.
lö"
Das Facettenauge der Lepidopteren.
Von
Wilhelm Johnas
ans Illuxt (Kurland).
(Aus dem Zoologischen Institut zu Leipzig.)
Mit 3 Figuren im Text und Tafel X— XII.
Inhalt. , .,
Seite
1. Material und Technik 218
2. Einleitung 221
3. Die Cornea 224
4. Von den Kristallkegeln 230
5. Die Retinula 234
6. Pigment und Pigmentwandenmg 243
7. Die Ganglien 251
8. Das Auge von Adela sp. ? 255
Literaturverzeichnis 258
Erklärung der Abbildungen 260
Material und Technik.
Das Material zu vorliegender Arbeit wurde im Laufe der Sommer
1908 und 1909 in der näheren und weiteren Umgebung Leipzigs ge-
sammelt, besonders waren es die Harth sowie die Elsterwiesen zwischen
Zwenkau und Eythra, die mir die mannigfachsten Formen lieferten.
Daneben wurde auf den von Herrn Professor zur Strassen geleiteten
entomologischen Exkursionen eifrig gesammelt, schließlich verdanke
ich einige im Freien schwer zu erlangende Formen der Liebenswürdigkeit
einiger Herren aus dem entomologischen Verein »Fauna«. Einige
wenige Arten erhielt ich von Herrn Dr. med. Beyerle, der sie von
einer Reise nach Südamerika mitgebracht hatte und sie mir liebens-
würdigst überließ. Ich möchte es nicht versäumen, ihm an dieser Stelle
noch meinen herzlichsten Dank dafür auszusprechen. Bemerkens-
wert wäre dabei, daß Herr Dr. Beyerle die gefangenen Schmetterlinge,
darunter eine sehr große Pseudosphinx, in toto in denaturierten Alkohol
Das Facettenauge der T.eindo))teren. 219
uelegt hatte und die darin konservierten Exemplare sich nicht nur
vorzüiilich erhalten hatten, sondern auch das Chitin bei einer derartigen
Konservierungsmethode scheinbar erweicht war, da es beim Schneiden
nicht den geringsten Widerstand leistete. Vom Prinzip ausgehend,
daß nur bei einer genauen Kenntnis der mannigfachsten Formen ein
allgemeines Urteil über die Sehorgane der ganzen Gruppe gebildet
werden könne, war ich bestrebt, die Vertreter der verschiedensten
Familien ins Bereich meiner Untersuchungen zu ziehen, wobei auch
die von allen früheren Forschern ganz mit Unrecht vollkommen ver-
nachlässigten Micros berücksichtigt wurden; wie es sich später zeigen
wird, habe ich gerade an ihnen interessante Befunde feststellen können,
finden wir doch unter ihnen die primitivsten einheimischen Lepido-
pteren. Leider waren mir die typisch australischen Limacodesarten,
in denen Handlirsch die Urschmetterlinge erbhckt, die er direkt von
der Panorpatengruppe ableiten will, nicht zugänglich, obgleich ich mich
an die verschiedensten Händler um Material aus dieser Gruppe gewandt,
konserviertes konnte mir leider keiner beschaffen.
Im ganzen habe ich etwa 60 verschiedene Arten geschnitten,
wobei ich besonders die interessanten Übergangsformen von Tagfaltern
zu den Nachtfaltern, sowie durch ihre Lebensweise besonders auf-
fallende Formen, wie die im grellsten Sonnenschein fliegenden Zygäniden
berücksichtigte.
Ich konservierte das Material, indem ich den frisch gefangenen
Schmetterlingen die Köpfe abtrennte und in ein Gemisch von 30 Teilen
Aqua destillata, 15 Teilen 96°igen Alkohol, sechs Teilen konzentriertem
Formol und drei Teilen Eisessig tat, nur ganz kleine Formen wie Micros
und kleine Geometriden wurden in toto konserviert; andre Konser-
vierungsmittel wie die FLEMMiNGsche Lösung, die KABLsche Lösung,
sowie reines Sublimat und Sublimatalkohol erwiesen sich als nicht
günstig. Das Material wvu'de je nach Größe 12 — 24 Stunden in oben
erwähntem Gemisch gelassen, worauf ich es i/^, — 1 Stunde unter fließen-
dem Wasser wässerte, letzteres hat sich übrigens später als überflüssig
erwiesen, sobald man die fertigen Schnitte vor dem Färben länger
wässerte, worauf es rasch bis zum absoluten Alkohol emporgeführt
wurde (50%, 70% und 96% je 4 Stunden). Im absoluten Alkohol
ließ ich das Material meist 24 Stimden, worauf ich dem Alkohol all-
mählich Benzol zusetzte; nach weiteren 24 Stunden kam es in reines
Benzol. Nachdem ich in einem Schälchen 40°iges Paraffin in Benzol
aufgelöst hatte, brachte ich das Material in dieses Gemisch, in dem
es 2 X 24 Stunden verblieb, um darauf in ein zweites Schälchen über-
220 Wilhelm Jolinas,
führt ZU werden, in dem ,sicli ein Gemisch von 56°igem Paraffin, wiederum
aufgelöst in Benzol, befand. Erst nachdem es weitere 48 Stunden in
diesem Gemisch gestanden hatte, kam es in geschmolzenes 60°iges
Paraffin in den Thermostaten, worauf ich es nach 2 — 3 Stunden ausgoß.
Ein derart langsames Überführen des Materiales durch die verschieden-
grädigen Paraffine, sowie der kurze Aufenthalt in hoher Temperatur
im Thermostaten erwiesen sich fürs Erweichen des starken Chitins
äußerst günstig, da derart behandelte Objekte sich meist ohne große
Schwierigkeiten schneiden ließen, häufig selbst »Bänder« ergaben,
während ich vorher einen jeden Schnitt einzeln auffangen mußte,
häufig sogar gezwungen war sie mit Mastixkollodium zu überziehen,
um ein Herausspringen der Schnitte zu vermeiden. Um einem Weg-
schwimmen der Schnitte vorzubeugen tauchte ich die Tafel mit den
Schnitten, nachdem das Paraffin in Benzol aufgelöst worden war, für
einige Sekunden in ein Gemisch von absolutem Alkohol und Äther
sulfuric, zu gleichen Teilen genommen, dem ich einige Tropfen Photo-
xylin zusetzte; der Objektträger überzog sich mit einer feinen Haut,
die einerseits das Wegschwimmen verhinderte, anderseits das Färben
der Schnitte nicht beeinträchtigte. Nachdem ich die Schnitte wiederum
überführt, entfernte ich, bevor ich sie unters Deckglas brachte, den
Photoxylinüberzug durch Eintauchen in Äther sulfuric. purum. Ge-
färbt wurde meist mit Eisenhämatoxylin nach Heidenhain, eine Fär-
bung, die bei Kernuntersuchungen die denkbar günstigsten Kesultate
lieferte, während ich für Gesamtbilder der Hämalaunfärbung den Vorzug
gab, da sie dem Präparat ein sauberes Gepräge verleiht, sowie auch die
natürhche Färbung des Pigments nicht beeinträchtigt. Ein Nach-
färben des Plasmas mit Kongorot erwies sich als überflüssig und be-
einträchtigte auch vielfach den Gesamteindruck.
Zwecks genauer Untersuchung der Retinulaelemente war es not-
wendig, aus den Präparaten das Pigment zu entfernen, was mir am
besten mit der GRENACHERschen Entpigmentierungsflüssigkeit (70%iger
Alkohol und Glyzerin zu gleichen Teilen, dem 2 — 3% Salpetersäure
zugesetzt war) gelang; bei kleineren Formen schwand das Pigment
meist schon nach 5 — 10 Minuten, während Schnitte größerer Formen
meist 4 — 6 Stunden, einige selbst bis 24 Stunden in der Mischung
bleiben mußten, ehe eine Aufhellung wahrnehmbar war ; im allgemeinen
gewann ich den Eindruck, daß das Pigment der Tagfalter bedeutend
resistenter als dasjenige der Nachtfalter ist. Die Schnitte wurden
sämtlich mit einem JuNGschen Mikrotom in einer Dicke von 5 a her-
gestellt, wenige Übersichtsbilder konnten 10// dick geschnitten werden,
Das Facettenauge der Lepidopteren. 221
während die Schnitte durch die Anuen der kUMiisten JMicros, Tineiden
und Tortriciden nicht dicker als 2 — 3 n sein durften. Die Schnitte
wurden durchweg frontal geführt, da eine derartige Schnittrichtung
sowohl Längsschnitte als auch Querschnitte in jedei' beliebigen Höhe
der Ommatidien ergibt; in wenigen Fällen wiu'de die Schnittrichtung
in die Hauptachse des Auges verlegt, um Sagittalschnitte der Basal-
membran zu erlangen.
Zur Untersuchung diente ein Mikroskop, System Seibert, mit den
Objektiven 2,5 und i/^., homog. Immersion, sowie ein LEITZ-Mikroskop
mit den Objektiven 3 und 7.
Es ist mir eine angenehme Pflicht an dieser Stelle meinen hoch-
verehrten Lehrern meinen herzlichsten Dank auszusprechen für die
mannigfache Anregung und Belehrung, die sie mir haben zuteil werden
lassen; vor allem gebührt er Herrn 'Geheimrat Professor Dr. Chun, der
meine Aufmerksamkeit auf dieses interessante Gebiet lenkte und während
meiner Untersuchungen im Zoologischen Institut der Universität Leip-
zig mir mit Kat und Tat zur Seite stand, sodann den Herren Professoren
ZUR Srassen und Woltereck. In gleicher Weise bin ich zu bestem
Danke Herrn Privatdozenten Dr. med. et phil. 0. Steche verpflichtet,
der mir speziell bei den Untersuchungen, die Innervation der Retinula
betreffend, hilfreich zur Seite gestanden.
Einleitung.
Grundlegend für die Kenntnis der zusammengesetzten Augen der
Arthropoden waren die Untersuchungen des großen Physiologen Jo-
hannes Müller, der auch als erster eine exakte physiologische Erklä-
rung des Sehvorganges im Facettenauge gab. Er war es, der im Jahre
1826 in seinem berühmten Werk »Zur vergleichenden Physiologie des
Gesichtssinnes « die Existenz der Kristallkegel nachwies, die er als »licht-
brechende kegelförmige Kristallkörperchen « beschreibt und deren ge-
naue Kenntnis ihn zur Aufstellung der Theorie vom musivischen Sehen
führte. Er faßte das Facettenauge als einen Komplex von Einzelaugen
auf, deren Übergang »in den zu einem scheinbar zusammengesetzten
Auge gehäuften einzelnen körnigen Augen der Asseln und Polypoden
nicht zu verkennen« ist. Von diesem Prinzip ausgehend, und mit der
Erkenntnis, daß das den Kristallkegel umhüllende Pigment das iso-
lierende Element repräsentiert, fortschreitend, kommt er zum Schluß,
daß lediglich die in die Hauptachse des Kegels einfallenden Licht-
strahlen zu einer Perception innerhalb der rezipierenden Elemente des
Auges gelangen, während alle schief einfallenden Strahlen absorbiert
222 Wilhelm Jolinas,
werden; die geradlinigen Strahlen werden somit an einem Punkt, der
an der Spitze des Kegels gelegen ist, gesammelt, wo sie zu einem Punkt
vereinigt den Reiz des hier endenden Sehnervs auslösen, »auf diese
Weise repräsentiert ein jeder Kegel einen aliquoten Teil des Bildes,
und das Bild wird mosaikartig aus so vielen Teilchen zusammengesetzt
als Kegel vorhanden sind, daher auch die Deutlichkeit des Bildes mit
der Zahl der Kegel zunehmen muß. <(
Diese geistreiche Theorie blieb nicht lange unangefochten, schon
unter seinen nächsten Nachfolgern erstanden ihm Widersacher, so in
Wagner (1835), in Will (1840) und vor allem in Gottsche (1852),
der mit Hilfe des Experiments nachzuweisen suchte, daß eine jede
Facette als Einzelauge wirke und ein vollkommenes umgekehrtes Bild
entwerfe. Selbst Leydig (1855 und 1864), Claparede (1860) und
Max Schultze (1868) fechten die Theorie Müllers noch an, und erst
Grenacher war es vorbehalten geblieben alle Zweifel zu zerstreuen
und der Theorie vom musivischen Sehen, diesem Lieblingskinde des
noch jugendlichen Johannes Müller, zum Siege zu verhelfen. In
seinen 1878 erschienenen »Untersuchungen über die Sehorgane der
Arthropoden« weist er anatomisch die Berechtigung ihres Bestehens
nach, während 1891 die physiologische Seite dieses Problems von Exner
in seinem bekannten Werke »Die Physiologie der facettierten Augen
der Krebse und Insekten« gelöst wird. Seit Erscheinen dieser beiden
Werke beginnt für die Erforschung des Facetten auges eine neue Ära,
denn erst jetzt ist eigentlich die wissenschaftliche Grundlage geschaffen,
auf der fortgearbeitet werden konnte. Wenngleich Patten (1886)
nochmals einen durchaus verfehlten Versuch macht, die Theorie Müllers
und mit ihr die Befunde Grenachers anzufechten, so haben doch alle
folgenden Autoren die Anschauungen dieser beiden Autoritäten voll
und ganz angenommen und, auf ihren Schultern stehend, weiter ge-
arbeitet, so vor allem Chun, der 1896 die Sehorgane der Tiefseeschizo-
poden und Sergestiden in seiner »Atlantis«, Biologische Studien über
pelagische Organismen, einer eingehenden Untersuchung unterzog. Im
selben Jahr begann Hesse seine Studien über »die Organe der Licht-
empfindung bei niederen Tieren« herauszugeben, deren Aufsätze VII
und VIII (1901 und 1902) von den Arthropodenaugen handeln. 1897
hatte schon Zimmer das so seltsame Auge der Ephemeriden untersucht,
während in den letzten Jahren, 1908 und 1909, Kirchhofer die Augen
der pentameren Käfer und Dietrich diejenigen der Dipteren untersuchte.
Im Spätherbst 1907 machte mich mein hochverehrter Lehrer, Herr
Geheimrat Professor. Dr. Chun auf die Facettenaugen der Lepidopteren,
]^as Facettenauge der Lepidopteren.
223
die, obgleich von den meisten früheren Autoren berücksichti<>t, doch
einer eingehenden Revision bedurften, aufmerksam, ein (Jebiet, auf
dessen Bearbeitung ich um so freudiger einging, da Dietrich, der
erst kürzlich seine Arbeit begonnen, bereits eine Reihe interessanter
neuer Tatsachen hatte feststellen können. Leider waren meine Unter-
suchungen nicht so von Erfolg gekrönt, da die Lepidopteren seltsamer-
weise ganz auffallend gleichmäßig gebaute Augen haben; weder die
so interessante Differenzierung in ein Doppelauge, die sich als eine direkte
Folge biologischer Anpassung ergibt, noch seltsame Differenzierungen
im Bau der Ommatidien, wie sie z. B. Dietrich bei Simulium vorfand,
ließen sich nachweisen, vielmehr kehrten die charakteristischen Merkmale
in stereotyper Weise wieder, und zwar in zwei große Gruppen gesondert,
für die Tagfalter und die am Tage fliegenden Formen der Nachtfalter,
als Anpassung an ihre Lebensweise, sowie für die typischen Nachtfalter.
Die Augen sämtlicher Lepidopteren. mit Ausnahme einer einzigen,
später näher zu beschreibeiiden Species, gehören dem euconen Typus
(tRENACHers, d. h. »Augen mit echten Kristallkegeln, wie sie bisher
allen Facettenauoen zugeschrieben wurden« >.-».
an. Die großen, halbkugeligen, lateral vor-
gewölbten Augen bestehen aus einer großen
Anzahl einzelner Ommatidien, deren ein jedes
einen echten Kristallkegel, der von den vier
SEMPERschen Zellen proximal abgesondert
wird, besitzt. Diese Kristallkegel variieren
sehr in Form und Größe, doch findet sich im
allgemeinen die Anschauung Max Schultzes.
daß die Kristallkegel der Tagfalter bedeutend
kleiner und weniger resistent als diejenigen
der Nachtfalter, bestätigt. Distal den Kristall-
kegeln, direkt unter der Cornea, finden sich
vier Kerne, die SEMPERschen Kerne, wie sie
Claparede zu Ehren seines Freundes Semper
benannte, sie sondern bei den Lepidopteren auch
die Kristallkegelhülle ab, auch die Absonderung
der Cornea Avird ihnen zugeschrieben, eine An-
schauung, der ich mich, wie aus folgendem er-
sichtlich sein wird, nicht anschheßen möchte.
Die Kristallkegelhülle geht kontinuierlich in
die Retinula über, und letztere ist es, die die Augen sämtlicher Lepi-
doptei-en in zwei große Gruppen teilen läßt. Vorstehende Abbildung gibt
ii\
Textfig. 1.
Sehematisclie Darstellung des
Facettenauges a, eines Nacht-
selimetterlings; b, eines Tagfal-
ters.
224 Wilhelm Johnas,
ein etwas schematisiertes Bild zweier Einzelommatidien aus dem Auge
eines Tagfalters und eines Nachtfalters. Während die Retinula bei erste-
rem fast in ihrer gesamten Ausdehnung gleichstark ist, weist letztere eine
bedeutende Differenzierung auf, denn nur in ihrem proximalen Drittel,
das das Rhabdom trägt, ist sie stärker, um plötzlich fadenförmig aus-
gezogen zu werden. Dieser fadenförmige Teil erleidet aber nochmals
eine kolbenförmige Anschwellung, in die die Kerne der die Retinula
zusammensetzenden Zellen verlagert sind, sich wiederum fadenförmig
verjüngend geht sie sodann kontinuierlich in die Kristallkegelhülle über.
Die Anzahl der Retinulazellen schwankt zwischen sieben und zehn,
doch fasse ich die Achtzahl, wie sie bereits von Gkenachek und Hesse
für die Hymenopteren, von Kirchhofer für die pentameren Käfer,
von Dietrich für die Dipteren und schließlich gieichzeiti;;- mit mir für
die im Wasser lebenden Hemipteren von Bedau nachgewiesen wurde,
für die ursprüngliche auf, die sich auch ontogenetisch auf dem Wege
dreimaliger äqualer Teilung einer Urzelle sehr wohl erklären ließ.
Die einzelnen Zellen sind stets konzentrisch geordnet, und es findet
eine Rhabdombildung statt, indem die Stiftchensäume verschmelzen
und auf diese Weise den »Sehstab« Leydigs und den »Nervenstab«
Max Schultzes bilden; die Verschmelzung ist eine derart innige, daß
man nur in sehr seltenen Fällen auf Querschnitten noch die Trennungs-
linien wahrnehmen kann.
Dem proximalen Teil der Kristallkegel liegen zwei Zellen an, die
Hauptpigmentzellen, die dasjenige Pigment absondern, das dazu be-
stimmt ist, die Isolierung des dioptrischen Apparates durchzuführen, da-
neben finden sich die Nebenpigmentzellen, oder Pigmentzellen zweiter
Ordnung, bei den Lepidopteren mit einer Ausnahme stets sechs, deren
Pigment sich sternförmig um die einzelnen Ommatidien anordnet; sie
sind spindelförmig und ziehen, an der Cornea beginnend und ihre größte
Ausdehnung um ihre proximal den Kristallkegelspitzen gelegenen
Kerne erlangend, etwa bis zur Hälfte der Retinula. Das Pigment dieser
Haupt- und Nebenpigmentzellen bezeichnen wir als Irispigment im
Gegensatz zum Retinapigment, das oberhalb der Basalmembran die
proximalen Enden der Ommatidien umgibt und distalwärts etwa bis
zu dem Punkt hinzieht, wo das Irispigment aufhört, auf diese Weise
für jedes Ommatidium einen Pigmentmantel bildend.
Die Cornea.
Die gToßen halbkugeligen, lateral vorgewölbten Augen der Lepi-
dopteren werden wie diejenigen aller übrigen Arthropoden nach außen
Das Facettenaugo der Lepidopteren. 225
begrenzt von der Hornliaut oder Cornea. 8ie erscheint zusaninien-
gesetzt ans einer großen Anzahl sich polyediisch aneinander legender
Facetten, die der Anzahl der Onimatidien im znsammengesetzten Auge
entspricht. In den mittleren Partien haben die einzelnen Facetten rein
mechanisch durch gegenseitigen Druck die Gestalt regulärer sechsseitiger
Prismen angenommen, an den Rändern dagegen tritt die Prismen-
struktur nur an denjenigen Seiten auf, an denen sie mit andern Facetten
zusammenstoßen, während sie sonst ki-eisförmig erscheinen.
Die Gestalt der ganzen Cornea vergleicht Leydig sehr treffend mit
derjenigen eines Uhrglases >;von rundlichem oder ovalem Umriß«, dessen
Konvexität sehr verschieden ist; er spricht sie als eine direkte Fort-
setzung des Hautpanzers an und beschreibt als erster im Jahre 1864
ihre Zusammensetzvmg aus Chitinlamellen. Die eigenartig gestreifte
Struktur ihres Längsschnittes war bereits viel früher andern Forschern
aufgefallen, so erwähnt Will 1840 ihres Aufbaues »aus mehreren über-
einander liegenden Hornplättchen « und berichtet, daß Sömmering bei
Lucanus cervus und Strauss-Dürkheim bei Meloloyitha vulgaris fünf
bis sechs Schichten gefunden, doch hatten sie dafür keine Erklärung
gefunden, nach Leydig jedoch wurde diese lamellenförmige Schichtung
zu einem charakteristischen Merkmal der chitinösen Hornhaut. Die
Anzahl der einzelnen Schichten ist sehr variabel, von der Dicke der
Cornea abhängig, doch läßt sich stets eine festere äußere, die sich
unter dem Einfluß künstlicher Färbemittel weniger färbt, und eine
intensiv färbende innere Schicht von geringerer Konsistenz unter-
scheiden, letztere ist es, die in eine Reihe einzelner in der Tinktion
voneinander abweichender Lamellen aufgelöst sein kann, wie es z. B.
Dietrich für Dilophus vulgaris und Kirchhofer für Elater sanguineus
nachgewiesen haben.
In den Augen der Lepidopteren finden wir diese typische Schich-
tung nicht überall gleich deutlich ausgeprägt; da die Cornea der Lepi-
dopteren schon im allgemeinen bei weitem nicht so kräftig entwickelt
ist wie diejenige der Coleopteren, sie ist auch weicher, so kam es, daß
einzelne mit Eisenhämatoxylin nach Heidenhain gefärbte Präparate
überhaupt keine Differenzierung aufwiesen, die Cornea vielmehr durch-
weg gleichmäßig geschwärzt erschien. Bessere Resultate erhielt ich,
als ich Hämalaunfärbung anwandte, wobei bei einer ganzen Reihe von
Arten die Schichtung zu erkennen war; sehr charakteristisch trat sie
auf bei der gemeinen Kleidermotte, Tinea 'pelionella, in deren Cornea
eine dunklere innere und eine fast glashelle äußere Schicht durch eine
intensiv gelbe Zone getrennt werden, wir haben es hier mit einer typisch
226 Wilhelm Johnas,
dreischichtigen Cornea zu tun, deren mittlere Schicht die dem Chitin
eigentümliche gelbliche Färbung aufweist. Weniger deutlich ausgeprägt,
wenngleich noch deutlich erkennbar, ist die Dreischichtigkeit an der
Cornea von Hepialus sylvanus, welche sich nur dadurch von der vorher-
gehenden unterscheidet, daß die gelbliche Schicht nach außen verlagert
ist. Eine ganze Reihe andrer Formen wiesen eine Zweischichtigkeit
auf (vgl. Fig. 1, 5, 8). Die einzelnen Corneafacetten erscheinen mehr
oder weniger plankonvex, der distale Eand ist vorgewölbt, während
der proximale in den meisten Fällen durchaus plan ist, nur bei Rhodo-
cera rhamni zeigte sich eine Abweichung (Fig. 1): die starke Cornea
ist typisch zweischichtig, von denen die äußere, bedeutend stärkere
hellere bikonvex, während die innere, schwächere bikonkav und von
dunkelblauer Tinktion ist. Im allgemeinen gewann ich den Eindruck
während meinen Untersuchungen, daß die Vorwölbung der einzelnen
Corneafacetten bei den eigentlichen Nachtfaltern sowie den Schmetter-
lingen mit einem typischen Dunkelauge bedeutend intensiver aus-
geprägt ist als bei den Tagfaltern.
Die Oberfläche der Cornea ist bei den Lepidopteren glatt, nur
Vanessa urticae, der gemeine kleine Fuchs, weist einzelne Härchen oder
Borsten auf, die stets dort auftreten, wo die Facetten zusammenstoßen,
eine Erscheinung, auf die schon frühere Autoren hingewiesen, die aller-
dings um so merkwürdiger erscheint als seine nächsten Verwandten
nichts derartiges besitzen.
Was die Färbung der Corneafacetten anbetrifft, so kann ich nur
die Beobachtungen Max Schultzes bestätigen, der sehr genaue Unter-
suchungen über die Unterschiede an Tag- und Nachtfaltern angestellt
hat. In frischem ungefärbtem Zustande erscheinen die Corneafacetten
der Heteroceren fast farblos, glashell und »lassen demgemäß alles sie
treffende Licht durch, sofern dasselbe nicht eine Reflexion an ihrer
vorderen Fläche erleidet«, während die Facetten der Rhopaloceren eine
farbige Umrandung aufweisen, wobei meist eine gelbliche oder selbst
intensiv gelbe Färbung vorherrscht; diese Umrandung kann so weit
ausgedehnt sein, daß nur eine kleine kreisförmige central gelegene
Partie frei bleibt, durch die ein Durchtritt der Lichtstrahlen ermöglicht
mrd. In der Abbildung Fig. 3 habe ich eine Partie der ausgebreiteten
Cornea von Chrysofhanus hippothoe dargestellt. Diese intensiv gelbe
Umrandung der Corneafacetten fand sich bei sämtlichen Lycänideu,
sowie einer ganzen Reihe andrer im grellsten Sonnenschein fliegender
Formen wieder, während Van essen eine bräunliche Umrandung und
Hesperiden {Hesperia comma und tltaumas) eine schwärzliche aufweisen.
Das Facettenauge der Lepidopteien. 227
Eine derartige Piumentienuit;" der Cornea bewirkt die Absorbierung
.sämtlicher schräg einfallender Lichtstrahlen ehe sie den Kristallkegel
erreichen, ein Umstand, der für die im intensivsten Sonnenlicht fliegen-
den Formen von entschiedenem Nutzen ist. Die Vermutung wird be-
stätigt, wenn wir sehen, daß die sich an ein Taglcben angepaßt habenden
Species der Nachtfalter auch in dieser Richtung ihr Auge modifiziert
haben. Ich hatte Gelegenheit die Befunde Max Schultzes nachzu-
prüfen und konnte feststellen, daß die Corneafacetten von Macroglossa
steUatarum, unsres gemeinen Taubenschwanzes, der, obgleich zu den
Nachtschmetterlingen gehörend, doch ein vollkommenes Tagtier gewor-
den ist, eine gelbe Umrandung aufweisen, während die Facetten unsrer
allbekannten Blutsti-öpfchen, die wiederum ein ausgeprägtes Tagleben
führen, schwarz umrandet erscheinen; außer Zygaena lonicerae und
carniolica untersuchte ich noch einen Vertreter der nah verwandten,
ausschließlich tropischen Gruppe der Glaucopiden, wobei ich dieselben
Verhältnisse nachweisen konnte. Vielleicht am markantesten ist diese
Erscheinung bei Ino statices, wo die gelbe Umrandung der Cornea-
facetten so typisch » tagfalterartig « ist, daß man ein abgesprengtes Stück
Cornea für dasjenige einer Lycänide zu halten geneigt ist.
Was den Bau der Cornea anbetrifft, habe ich einer auffallenden
Erscheinung Erwähnung zu tun, die, soweit mir bekannt, bisher in der
Literatur nicht berücksichtigt worden ist, ich meine die Ausbildung
eines Processus corneae. Bei einer ganzen Reihe von Tagfaltern können
wir an der Innenseite der Cornea einen Processus erkennen, der sich
proximal bis zu den SEMPERschen Kernen, bzw. der Kristallkegelhülle, in
der sie liegen, fortsetzt, am deutlichsten ausgeprägt sah ich ihn bei
Coenonympha pam'phihis (s. Fig. 8), wo er eine ganz beträchtliche Länge
erreicht; er hat eine fast cylindrische Gestalt und geht kontinuierlich
in die innere,, hier ausnahmsweise hellere Schicht der Cornea über.
Wenngleich nicht in dem Maße ausgebildet, läßt sich ein Processus
corneae bei weiteren Satyriden {Satyrus semele, Efine/phele jurtma)
sowie Lycäniden {Chrysophanus hippothoe und pTilaeas, Lycaena icarus)
nachweisen, und ich glaube nicht irre zu gehen, wenn ich annehme, daß
auch bei Rhodocera rJuimni ein Processus corneae zur Ausbildung ge-
langt (s. Fig. 1), da die Pigmentverhältnisse, wie später noch gezeigt
werden soll, direkt darauf hinweisen.
Wir haben es hier mit einem sehr eigenartigen Gebilde zu tun,
das man im ersten Augenblick als Pseudoconus ansprechen könnte,
wenn nicht der proximal den SEMPERschen Kernen gelegene Kristall-
kegel einen eines besseren belehren würde, doch liegt es nahe diese
228 Wilhelm Johnas,
Augen als Zwischenglieder zwischen dem euconen und pseudoconen
Typus zu bezeichnen, was um so wahrscheinlicher erscheint, wenn wir
in Betracht ziehen, daß Dietkich, sich der Meinung Caerieres an-
schließend, zur Überzeugung kommt, der Pseudoconus sei nichts andres
als eine »zapf enartige Vorwölbung der Cornea«, entsprechend dem Pro-
cessus corneae einer großen Anzahl pentamerer Käfer (Kirchhofer).
Wenn Dietrich in seinem Satz: »das peudocone Auge ist demnach,
wie Carriere schon betont, lediglich eine besondere Stufe der Aus-
bildung des aconen Auges« die Kluft zwischen aconem und pseudo-
conem Auge überbrückt und auch Bedau bei Hemipteren eine derart
hypertrophe, an einen Pseudoconus erinnernde Ausbildung des Pro-
cessus corneae bei Nepa cinerea und Naucoris cimicoides feststellen
konnte, so weist uns Hesse darauf hin, daß auch pseudoconer und
euconer Typus ineinander übergehen, denn er rechnet das Frontauge
von Bibio marci und andern Bibioniden zum euconen Typus, da »die
Reste der Kegelzellen im Pseudoconus proximal zu einem echten Kristall-
kegel umgewandelt sind, dem die zugehörigen distal, an der Grenze
gegen die Secretmasse, anliegen (1908). Was nun bei Dipteren und
Hemipteren der Fall, warum sollte es bei Lepidopteren nicht möglich
sein? In meiner Vermutung bestärkt mich weiter die Ontogenie des
Auges. Alle früheren Autoren waren der Meinung, daß die Cornea
ein x4.usscheidungsprodukt der Kristallzellkerne, der sogenannten Sem-
PERschen Kerne, wie sie Claparede (1860) zu Ehren seines Freundes
Semper bezeichnet, selbst Grenacher (1878) und Carriere (1885)
huldigen noch dieser Ansicht, und letzterer behauptet, daß die Tätig-
keit der Kristallzellen »in erster Linie die aller Hypodermiszellen,
nämlich an der Außenseite die Bildung des Chitinpanzers, der das Auge
ebensowohl wie den übrigen Körper bedeckt, und soweit er zum Auge
gehört, als Cornea bezeichnet wird«. Ein Jahr darauf (1886) gelang
es Patten, im Auge von Decapoden selbständige Corneagenzellen
nachzuweisen, als deren einzige Aufgabe die Bildung der Cornea an-
zusehen ist. Diese Entdeckung blieb nicht vereinzelt, denn Chun fand
(1896) dieselben Corneagenzellen bei einer ganzen Reihe von Tiefsee-
crustaceen (Schizopoden und Sergestiden), und nur ein Jahr darauf
(1897) wies Zimmer sie für die Ephemeriden nach, doch fand er sie
lediglich im sogenannten Turbanauge der Männchen, während sie im
Ventralauge des Männchens und im ganzen weiblichen Auge fehlten.
Hesse (1901) beobachtete im Auge von Periplaneta »vor den Kristall-
zellen zwei freie Bezirke mit darin gelegenen Resten von Kernen«, die
er als degenerierte Corneagenzellen anspricht. Derselbe Forscher fand
Das Facettenauge der Lepidojitercn. 229
bei Lepisma sacharina gleichfalls Coineagenzelleu, doch erschienen ihre
Kerne hier seitlich verlagert, so daß die Kristallzellen in direktem
Kontakt mit der Cornea standen. Die Erscheinung, daß überall wo
Corneagenzellen auftreten die Hauptpigmentzellen nicht nachweisbar
sind, veranlaßten Hesse, Corneagenzellen und Hauptpigmentzellen zu
homologisieren. In dieser Anschauung wurde er noch bestärkt durch
die Untersuchungen Johansens (1893), der die Entwicklung des Imago-
auges von Vanessa urticae eingehend schildert. Er findet, daß in einem
bestimmten Stadium der Entwicklung sich deutlich drei Schichten von
Kernen unterscheiden lassen, deren distale durch eine kernlose Region
von den beiden übrigen getrennt ist. Diese distale Zone, die nur aus
einer Schicht von Kernen besteht, gehört denjenigen Zellen an, »die sich
im Verbände mit den übrigen Zellen der Augenepidermis an der Aus-
scheidung der die Augen überziehenden Puppenhülle beteiligt haben
und deren Funktion im Imagoauge, wie es sich erwarten läßt, wenn
man vom Bau des ausgebildeten Auges ausgeht, darin bestehen müßte,
die Cornealinse und die Kristallkegel zu bilden. Mit andern Worten,
die Kerne müßten nach Clapakede als die »SEMPEKschen <( bezeichnet
werden «. »Aber «, fährt er fort , »anstatt nun auch weiter in ihrer Lage
an der Oberfläche der Augen zu verharren, treten in deutliche Bezie-
hungen zur Oberfläche des Auges Zellen, deren Kerne der mittleren
Kernzone angehören, die aber im Laufe der Entwicklung vollständig
in die distale Zone übergehen, während anderseits die primär in der
distalen Zone gelegenen Kerne hinunterrücken und zu Hauptpigment-
zellen oder Pigmentzellen erster Ordnung werden. « Die Hauptpigment-
zellen sind also entsprechend den Corneagenzellen ursprünglich distal
der Kristallzellen gelegen, und auch Dietrich, der gleichfalls eine Ver-
lagerung der Hauptpigmentzellen distalwärts (bei Syrphus rihesii) fand,
spricht die Vermutung aus, daß sie es sind, die die Cornea absondern.
An meinen Präparaten konnte ich nun nachweisen, daß überall
wo ein Processus corneae bzw. Pseudoconus zur Ausbildung kommt,
eine Verlagerung der Pigmentzellen erster Ordnung statthat; während
die Hauptpigmentzellen meist der proximalen Spitze der Kristallkegel
anliegen, finden sie sich bei allen vorgenannten Formen distal verlagert,
so daß ihre Kerne in gleicher Höhe der distalen Basis der Kristallkegel
liegen. Da weiter der innere Zusammenhang zwschen Cornea und
SEMPERschen Kernen durchaus kein so inniger zu sein scheint, wie es
Leydig annimmt, mir ist es z. B. nie passiert, daß beim Absprengen
der Cornea die SEMPERschen Kerne an ihr haften blieben, glaube ich mit
Eecht die Vermutung auszusprechen, daß Cornea sowie Processus
230 Wilhelm Johnas,
corneae lediglich ein Absonderungsprodukt echter Cor-
neagenzellen ist, die erst sekundär zu Hauptpigmentzellen
werden.
Von den Kristallkegeln.
Als charakteristisches Merkmal der zusammengesetzten Augen der
Arthropoden galten von jeher die proximal der Cornea gelegenen Kristall-
kegel, die »durchsichtigen, kegelförmigen Kristallkörperchen« Müllers,
der sie in seinem 1826 erschienenen Werk »Zur vergleichenden Phy-
siologie des Gesichtssinnes« noch allen Facettenaugen zuschreibt. Ab-
gesehen von seinen eignen Untersuchungen beruft er sich auf seine
Vorgänger Haller, Swammerdam und Herrich -Schäfer, die alle
bereits diese sonderbaren Gebilde zu Gesicht bekommen und beschrieben
haben. * In seinen 1829 erschienenen »Fortgesetzten Untersuchungen
über den Bau der Augen bei Insekten und Crustaceen« ist er allerdings
gezwungen seinen Satz bis zu einem gewissen Grade einzuschränken.
Obgleich Huschke (1827) die Kristallkegel bei Vanessa cardui und
Strauss-Dürkheim bei Melolontha vulgaris ihre Existenz nachgewiesen,
behauptete Treviranus (1827) ihr Auftreten nicht für allgemein gültig,
und auch Müller stimmt dem bei, indem er erklärt: »Ich habe nun-
mehr neuerdings meine Untersuchungen an den Insekten und Krebsen
meiner Kollektion in noch größerem Maße wiederholt, wenn ich auch
einige Beobachtungen gemacht habe, welche sich an die von Trevi-
ranus beobachteten Ausnahmen anschließen, so bin ich doch auch
jetzt noch der Meinung, daß die von mir beschriebene Bildung, näm-
lich die in der Achse durchsichtigen Kristallkörperchen, hinter den
Facetten der Hornhaut den wahren zusammengesetzten Augen der
geflügelten Insekten und vollkommenen Krebse mit wenigen Aus-
nahmen zukommen. « Einen Fortschritt in der Erkenntnis der Kristall-
kegelgebilde bedeuten die Untersuchungen Leydigs (1855), der ihre
segmentale Zusammensetzung erkannte, er sieht auch schon die distal
den Kristallkegeln anliegenden »kernartigen Gebilde«, doch weiß er
ihren Ursprung und ihre Bedeutung noch nicht zu deuten, das blieb
Claparede vorbehalten, der sie als echte Kerne erkennt, die stets in
der Vierzahl auftreten und proximal den Kristallkegel absondern, wie
bereits erwähnt, bezeichnet er sie als »SEMPERSche« Kerne. Diesem
Forscher gelang es auch, in den Kristallkegeln einiger Lepidopteren
Vacuolen nachzuweisen, deren Ursprung er nicht zu deuten vermag,
dieses sei hier nur erwähnt, da ich in folgendem über einen ähnlichen
Befund zu sprechen haben werde. Erst Grenacher (1878) gibt eine
Das Facettenauge der Lepidopteren.
231
genaue Definition der Kristallzellengebilde und unterscheidet an ihnen
die drei verschiedenen Typen von Facettenaugen, den aconen, euconen
und pseudoconen; daß eine scharfe Grenze zwischen ihnen sich nicht
ziehen läßt, sie vielmehr ineinander übergehen, ist bereits im vorher-
gehenden Kapitel erörtert worden.
Was nun die Kristallkegel der Schmetterlinge anbetrifft, sie sind,
da die Schmetterlinge dem euconen Typus Grenachers angehören, bei
allen vorhanden, so weisen sie untereinander doch recht beträchtliche
Abweichungen auf, im allgemeinen aber finden wir das Prinzip ver-
treten, daß die Nachtfalter sich durch größere und resistentere Kristall-
kegel auszeichnen als die Tagfalter, deren Kristallkegel meist klein und
von gallertartiger Konsistenz sind; auch in ihrer Gestalt weichen sie
beträchtlich voneinander ab.
Die Gestalt der Kristallkegel bei den Heteroceren vergleicht Gre-
NACHER sehr treffend mit derjenigen
einer » LängsgTanate der modernen
Artillerie «, nebenstehende x\bbildung
der Kristallkegel verschiedener Lepi-
dopteren wdrd es bestätigen. Gerade
an diesen Kristallkegeln läßt sich
Textfig. 2.
Formen der Kristallkegel aus dem Auge ver-
schiedener Lepidopteren.
ihre Zusammensetzung leicht studie-
ren, es passiert nämlich häufig, daß
die Kegel einreißen, doch geht der
Riß nur durch die Trennungslinien
der einzelnen Segmente, und im
günstigsten Fall sieht man auf dem
Längsschnitt die vier einzelnen
Kegelsegmente nebeneinander liegen.
Noch deutlicher erscheint einem die
Zusammensetzung am Querschnitt, wo der Kristallkegel als Kreis, aus
vier durch deutliche Linien voneinander getrennten Quadranten be-
steht, einem jeden sitzt distal ein großer, meist ovaler Kern auf, der
SEMPERsche, der den eigentlichen Kegel absondert.
Am Kristallkegel der Rhopaloceren liegen die Verhältnisse lange
nicht so klar, ihre Gestalt ist teils typisch spitzkegelförmig oder auch
birnenförmig, doch läßt sich über ihre Form kaum ein endgültiges
Urteil abgeben, da sie infolge ihrer fast dickflüssigen Konsistenz bei
der Konservierung nur zu leicht Schrumpfungen, sowie sonstigen Ver-
zerrungen unterworfen sind. Ihre Zusammensetzung aus vier kon-
gruenten Segmenten läßt sich an mit Hämalaun schwachgefärbten
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XGVII. Bd. 16
232 Wilhelm Jolinas,
Präparaten leicht nachweiseu, bei stärkerer Hämalaun-, sowie
Heidenhain- Färbung tritt nur zu leicht eine intensive Schwärzung ein,
die jegliche subtilere Untersuchung zur Unmöglichkeit macht. Wie
bedeutend die einzelnen Größendifferenzen der Kristallkegel unter-
einander sind, möge wiederum vorstehende Abbildung zeigen, in
der a — c unter 360facher, d — g unter 485facher Vergrößerung mit
Hilfe des Zeichenapparates entworfen ist. Die Kristallkegel scheinen
stets aus einer homogenen Masse zu bestehen, da jedoch die central
gelegenen Partien stärker lichtbrechend wirken als die peripheren,
macht es den Eindruck als ob sie heller wären, eine scharfe Grenze
ließ sich jedoch nie nachweisen.
Sehr eigenartige Bilder boten die Kristallkegel von Rhodocera rhamni
(Fig. 1), sie waren vollkommen vacuolisiert. Trotz den verschiedensten
Konservierungsmethoden traten diese Vacuolen in jedem Präparat auf
und machten bei schwächerer Vergrößerung den Eindruck vollkommener
Regelmäßigkeit. Erst mit Hilfe eines Apochromaten konnte ich fest-
stellen, daß sie im Kristallkegel regellos verstreut lagen; es waren mit-
hin Schrumpfungserscheinungen, die hier zutage traten, ein Umstand,
der allerdings für die eigenartige Konsistenz dieser speziellen Kristall-
kegel spricht. Ich muß daher annehmen, daß jene von Clapaeede be-
schriebenen und abgebildeten Vacuolen im Kristallkegel von Deilephila
ewphorbiae gleichfalls auf derartige Schrumpfungserscheinungen zurück-
zuführen sind, was allerdings um so merkwürdiger erscheint, als die
Kristallkegel sich durch eine bedeutende Konsistenz auszeichnen.
Entsprechend den Abweichungen in Form und Färbung der Cornea-
facetten, finden sich auch an den Kristallkegeln derjenigen Nachtfalter,
welche am Tage fhegen, bedeutende Anklänge an die Krista,llkegel der
Tagfalter, eine ganze Reihe solcher von mir untersuchter Formen wiesen
sogar typische Tagfalterkegel auf, am auffallendsten war es bei den
Zygäniden, von denen lonicerae und carniolica zur Untersuchung kamen ;
beide Formen haben jedenfalls die kleinsten Kristallkegel, die ich über-
haupt bei einem Schmetterling gefunden habe. Den gleichen Befund
ergab die Untersuchung von Ino statices, wo die Kristallkegel gleich-
falls sehr klein, fast die Form eines Apfelkernes aufwiesen, während
andre am Tage fliegende Formen der Nachtfalter, wie Macroglossa
Stellatarum, Plusia gamma, Euclidia my und glyphica Kristallkegel be-
sitzen, die sowohl ihrer Größe als Gestalt nach den Kristallkegeln der
Heteroceren zugezählt werden müssen.
Schon Max Schultze macht in seinen »Untersuchungen über die
zusammengesetzten Augen der Krebse und Insekten« (1868) al^f diesen
Das Facettenauge der Lepidopteren. 233
sonderbaren Umstand aufmerksam, nur will er bei den Rhopaloceren
eine diffus gelbliche Färbuno; der Kristallkegel gesehen haben, die sich
auch bei Macroglossa steUatarum und Plusia gamma wiederfand. Eine
derartige gelbe Pigmentierung der Kristallkegel habe ich nie nach-
weisen können, vielmehr erschienen sie mir stets farblos, als mehr oder
minder stark lichtbrechende Medien, und zwar war die Lichtbrechung
in den Kristallkegeln der Nachtfalter eine viel stärkere, als in den-
jenigen der Tagfalter. Da auch dieser Umstand bei den oben beschrie-
benen Heteroceren, die am Tage fliegen, eintraf, möchte ich feststellen,
daß die Zygäniden und Ino statices sich besser an ein Tagleben an-
gepaßt haben als die übrigen Formen; der Gedanke liegt nahe, daß
erstere von jeher ein Tagleben geführt haben, während letztere sich
erst sekundär dem Tageslicht angepaßt haben, wobei bis jetzt nur
die Cornea eine Umwandlung erfahren hat.
Die Kristallkegel der Lepidopteren sind von einer zarten Hülle
umgeben, die gleichfalls von den SfiMPERSchen Kernen ausgeschieden
wird, in ihrem distalen Teil umschließt sie sie auch; bei einer ganzen
Anzahl am Tage fliegender Formen, bei den meisten Rhopaloceren,
sowie wiederum bei den Zygäniden erfährt sie in ihrem distalen Teil
eine Verdickung, die bisweilen so stark werden kann und sich so intensiv
färbt, daß die SEMPERSchen Kerne dem x4.uge des Beobachters ver-
borgen bleiben können; als besonders auffallend erwies sich diese Er-
scheinung im Auge der Lycäniden {Lycaena icarus, Chrysophanus
hifpothoe und fhlaeas), bei Coenonympha pamphilus, sowie bei Zygaena
lonicerae und Ino statices. Proximal setzt sich die Kristallkegelhülle
kontinuierlich in die Retinula fort ; bereits Max Schultze weist darauf
hin, daß die Kristallkegelhülle bei den Insekten direkt in die » Scheide
des Nervenstabes« übergeht, diese Scheide ist nun nichts andres als
die Schaltzone Hesses, die sich an der Retinula zwischen dem dunkler
plasmatischen Teil und dem aus der Verschmelzung der Stiftchen-
säume entstandenen Rhabdom einschiebt, somit haben wir hier einen
direkten Zusammenhang zwischen den perzipierenden Elementen und
dem dioptrischen Apparat, eine Trennungslinie habe ich auch bei An-
wendung stärkster Vergrößerungen nicht finden können, bei Besprechung
der Retinula werde ich nochmals darauf zurückzukommen haben.
Direkt proximal den Kristallkegeln glaubt Grenacher bei Try-
phaena pronuha einen zweiten lichtbrechenden tropfenförmigen Körper
gesehen zu haben, den er auch abbildet, der, proximal scharf begrenzt,
distal keine scharfe Grenze aufweisend in die Kristallkegelhülle über-
geht; obgleich ich dieselbe Form eingehend untersuchte, konnte ich
16*
234: Wilhelm Johnas,
keinen derartigen Körper nachweisen, fand lediglich eine Erweiterung
der Kristallkegelhülle, wie man sie auch bei andern Eulen und Hespe-
riden findet, wo sie sich aus Gründen, die im folgenden Kapitel näher
erörtert werden sollen, nicht sofort fadenförmig auszieht, sondern
auch noch unterhalb des Kristallkegels ein Stück nur ganz allmählich
sich verjüngend verläuft.
Die Retinula.
Nach Besprechung der Cornea und der Kristallkegel, dieses ledig-
lich dioptrischen Apparates, haben wir uns den lichtperzipierenden
Elementen des Arthropodenauges, der Retinula, zuzuwenden. Proximal
den Kristallkegeln, zwischen diesen und der Basalmembran gelegen,
breitet sie sich aus, auf diese Weise die Leitungsbahnen der Licht-
wahrnehmung zu den Ganglien repräsentierend. Ihre Zusammen-
setzung aus einzelnen Zellelementen war bereits früh den Forschern
bekannt, wohl waren sie sich noch nicht über die Zahl der sie zu-
sammensetzenden Zellen einig, doch besteht diese Streitfrage bis in die
neueste Zeit fort, und erst die Arbeiten der letzten Jahre scheinen in
diese Frage Klarheit zu bringen.
Während die ältesten Autoren die ganze Retinula als Opticusfaser
auffaßten, schuf Leydig als erster den Begiiff eines »Nervenstabes«.
Wohl gerät er noch auf Irrwege, indem er ihn den Stäbchen im Verte-
bratenauge gleichstellen will, doch dieser Irrtum beeinträchtigt sein
Verdienst nicht, war er doch der erste (1855), der die wahre Beschaffen-
heit der perzipier enden Elemente erkannte. Sein direkter Nachfolger,
Claparede (1858), tritt in gewissen Gegensatz zu Leydig, indem er
den inneren Zusammenhang zwischen »Nervenstab« und Kristallzell-
gebilde leugnet, doch billigt er vollkommen die von seinem Vorgänger
eingeführte Nomenklatur. Er schildert den »Nervenstab« von einem
Umhüllungsschlauch umgeben, unter dem er, der Abbildung nach zu
urteilen, die Pigmentscheide versteht; von großer Wichtigkeit ist es,
daß er bestrebt ist, die Anzahl der den »Nervenstab« zusammen-
setzenden Zellen festzustellen, indem er die Zellkerne zählt und für
Deilephila euphorhiae ihre Zahl gleich acht angibt. Max Schultze
(1868) ersetzt den Ausdruck »Nervenstab« durch »Sehstab« und gibt
bereits eine eingehende Schilderung der oft seltsamen Modifikation
dieses wichtigen Gebildes, aber erst Grenacher erkennt die wahre
Beschaffenheit des »Sehstabes«, indem er ihn lediglich als centrales
stark lichtbrechendes Achsengebilde anspricht, das von den es um-
gebenden Zellen ausgeschieden wird, er ist es auch, der für den
Das Facettenauge der Lepidopteren. 235
» Sehstab « mit den ihn umgebenden Zellen die Bezeichnung » Retinula «
einführt. Der Anordnung der die Retinula bildenden Zellen nach
imterscheidet er vier Hauptgruppen, und zwar 1) diejenige, »wo die
Zellen gut voneinander isoliert und eine derselben, die häufig durch
eine stärkere Entwicklung ausgezeichnet ist, in der Mitte steht, die
sechs andern palisadenartig herum«; 2) wo »sämtliche Zellen peripher
um die Achse gelagert und keine derselben durch ihre Entwicklung
eine Ausnahmestellung einnimmt«, in diesem Fall sind die Stäbchen
imi einen Hohlraum angeordnet; 3) schließlich »wo die Stäbchensäume
sämtlicher Zellen der Retinula zu einem axialen einfachen Strang,
dem Rhabdom, verschmelzen, an dem man zuweilen auf Querschnitten
noch Spuren der Trennungslinien nachweisen kann «. Die vierte Gruppe
erscheint mehr oder weniger als eine Modifikation des dritten Falles,
indem es nämlich nur im proximalen Teil der Retinula zu einer Rhabdom-
bildung kommt, die gewöhnlich von einer kolbenförmigen Erweiterung
derselben in dieser Partie begleitet ist, nach Grenacher soll der Über-
gang des Rhabdoms in den Achsenfaden bald plötzlich, bald allmählich
stattfinden. Obgleich eine derartige Einteilung durchaus berechtigt
erscheint, so müssen wir doch entschieden jener Ansicht entgegentreten,
es sei die Retinula nur aus sieben Zellen zusammengesetzt. Bereits
Claparede gibt ihre Zahl auf acht an: »Gleichwohl ist bei Sjohinx
euphorbiae der Ursprung des Nervenstabes aus mehreren Zellen an
einer Ansammlung von Kernen leicht zu erkennen, die etwas oberhalb
von der prismatischen Anschwellung regelmäßig angetroffen werden.
Diese Kerne sind acht an der Zahl, wie man es bei starker Vergrößerung
mit Sicherheit erkennen kann.« Grenacher hat diese Beobachtung
Glapakedes außer acht gelassen, kommt jedoch bei der Untersuchung
des Auges von Macroglossa stellatarum zum Schluß, es seien acht Zellen
vorhanden, obgleich er nur sieben Kerne zählt, die Achtteiligkeit der
Retinula oberhalb der Basalmembran weise jedoch darauf hin. Für
die Hymenopteren {Apis, Vespa) gibt er acht Retinulazellen als typisch
an. Diese Zahl ist es auch, die, wie spätere Untersuchungen ergeben
haben, konstant wiederkehrt. Bereits Hesse spricht die Vermutung
aus, bei jener so seltsamen basalen Zelle bei Dytiscus hätten wir es
mit einer in die Tiefe gesunkenen achten Sehzelle zu tun. Kirchhofer
erbrachte 1908 den Beweis, daß sämthche pentameren Käfer eine aus
acht Sehzellen aufgebaute Retinula besitzen, von denen eine in die
Tiefe sinkt und bei einzelnen Gruppen ein basales Rhabdom, das »Basal-
organ « bilde, während von den übrigen häufig nur sechs an der Rhabdom-
bilduno- beteiligt sind, die siebente aber Zeichen der Rudimentation
236 Wilhelm Johnas,
aufweise. Ein Jahr später wies Dieteich (1909) es für die Dipteren
nach: »die Retinula ist stets als ursprünglich achtteilig zu erkennen«.
Gleichzeitig mit mir untersuchte Bedau die Augen der im Wasser
lebenden Hemipteren und fand bei sämtlichen einheimischen Wasser-
wanzen acht Retinulazellen, die allerdings untereinander starke Ab-
weichungen aufweisen. Schließlich konnte ich im Verlauf meiner eignen
Untersuchungen an den Augen der Lepidopteren feststellen, daß die
Retinula stets aus acht Sehzellen zusammengesetzt ist, von denen
eine Zeichen der Rudimentation tragen kann; als besonders interessant
wäre gleich hier zu erwähnen, daß ich bei einzelnen Formen (Lycäniden,
sowie Botis verticalis und Cidaria bilineata) eine deutlich zehnteilige
Retinula nachweisen konnte, deren zwei überzählige Zellen sich aller-
dings nur im proximalen Drittel der Retinula vorfanden. Darüber
jedoch an andrer Stelle. Die ganze Reihe derartiger Befunde müßte
wohl endgültig mit dem Bann gebrochen haben, der die Retinula nm-
aus sieben Sehzellen zusammengesetzt sein ließ, es dürfte wohl kaum
mehr einem Zweifel unterliegen, daß wir auch in der Retinula sich die
Plastizität widerspiegeln sehen, die das ganze Facettenauge beherrscht.
Die Augen der Lepidopteren gehören ausschließlich der dritten
und vierten Gruppe Grenachers an, haben wir es doch bei allen mit
einem typischen Rhabdom zu tun, das central gelegen die Retinula
durchzieht. Wie schon Grenacher sehr richtig betont, ist auf Quer-
schnitten die Zusammensetzung des Rhabdoms schwer zu erkennen
und man ist lediglich aufs Zählen der die rosettenförmig umgebenden
Zellen angewiesen; überhaupt macht das enge Zusammendrängen der
einzelnen Zellelemente im Lepidopterenauge die größten Schwierigkeiten,
der Vorteil, daß innerhalb der Retinulazellen sich kein intracelluläres
Pigment findet, wird dadurch reichlich aufgehoben ; bei einzelnen Formen
bedarf es der stärksten Vergrößerungen und der angespanntesten Auf-
merksamkeit, um bloß die einzelnen Rosetten auseinander zu halten,
wieviel mehr noch, um die einzelnen Retinulazellen zu erkennen.
Betrachten wir zuerst die Retinula eines Tagialters, so werden wir
finden, daß sie fast in ihrer gesamten Ausdehnung gleichstark ist, nur
in ihrem distalsten Teil zieht sie sich fadenförmig aus, um kontinuierlich
in die Kristallkegelhülle überzugehen. Innerhalb der Retinula läßt
sich auf Längsschnitten leicht das Rhabdom als axialer starker, licht-
brechender Strang erkennen. Das Rhabdom wird umgeben von einer
helleren Zone, der Schaltzone Hesses, der sich der granulierte Teil der
Retinulazelle, in der die Zellkerne liegen, anschließt. Betrachten wir
das Rhabdom unter stärkerer Vergrößerung, so werden wir leicht eine
I
Das Facettenauge der Lepidopteren. 237
Plättchenstruktiir^ wie sie schon die älteren Autoren gesehen und
abgebildet haben, wahrnehmen; sie erscheint zusammengesetzt aus
lamellenförmig übereinander geschichteten Plättchen, die sich durchs
ganze Ehabdom verfolgen lassen.
Der Liebenswürdigkeit des Herrn Professor Held habe ich es zu
verdanken, daß diese subtilen Verhältnisse, die selbst unter Immersion
nm* schattenhaft im Gesichtsfeld erscheinen, für mich greifbare Formen
annahmen. Es sei mir gestattet noch an dieser Stelle Herrn Professor
Held meinen herzlichsten Dank für seine Bemühungen auszusprechen,
nicht nur, daß er mir sein ZEiss-Mikroskop mit einem vorzüglichen
Apochromaten zur Verfügung stellte, auch während meiner Unter-
suchungen hat er mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Da ich
diese Kontrolluntersuchungen jedoch erst nach Abschluß meiner Arbeit
anstellte, konnte ich die neuen Probleme, die das Facettenauge der
Lepidopteren unter einem Apochromaten stellt, nicht mehr berück-
sichtigen und werde mich im folgenden darauf beschränken, ihrer Er-
wähnung zu tun mit dem Hinweis darauf, daß ich meine Untersuchungen
fortsetzen werde, um, wenn möglich, in diese verwickelten Verhältnisse
Klarheit zu bringen.
Mit Hilfe des Apochromaten konnte ich feststellen, daß die Plätt-
chenstruktur des Rhabdoms sich in einen deutlichen Stiftchensaum
auflöst, ich möchte dieses besonders betont wissen, da nach Hesse
kein Beobachter des Arthropodenauges die Stiftchen gesehen hat, weder
KiECHHOFER bei den pentameren Käfern, noch Dietrich bei den
Dipteren, noch auch Bedau bei den Wasserwanzen. Ein jedes Stiftchen
trägt, wie es Hesse auch schon für Periplaneta orientalis beobachtet
und beschrieben, an seinem axialen Ende eine knöpfchenförmige An-
schwellung, die von ihr in die Schaltzone ausstrahlenden Fibrillen konnte
ich nicht beobachten, ebensowenig auf Längsschnitten die die ganze
Retinulazelle durchsetzende Nervenfibrille, die »Retinulaf aser «, wie sie
Dietrich beschreibt; auf Querschnitten dagegen sah ich deutlich inner-
halb des granulierten Teiles der Retinulazellen kreisförmige hellere
Partien, die ich als Querschnitte der Nervenfasern auffassen muß und
auch als solche auf den Abbildungen bezeichnet habe. Wichtiger
jedoch ist der Umstand, daß ich eine Fortsetzung des Rhabdoms in
die Kristallkegelhülle feststellen konnte. Bereits 1835 kam Wagner
zu folgendem Resultat : »Ich habe aber zuerst an Sfliinx atropos gesehen
wie die Nervenröhre oder das Sehnervenfädchen die Spitze des Kristall-
kegels kelchförmig umfaßt und dann als Saum an beiden Seiten des
Kegels bis zu seiner vorderen Fläche und zur Hornhaut fortgeht; der
238 Wilhelm Jolinas,
Nerv bildet also eine wahre Ketina, welche den Kristallkegel scheiden-
artig umgibt.« Leydig vertritt denselben Standpunkt, und Max
ScHULTZE beschreibt sehr eingehend die Verhältnisse innerhalb der
Region, wo die Nervenfasern an den Kristallkegel herantreten. Nach
ihm tritt der >> Sehstab« als knöpf förmiges Gebilde an die Spitze der
Kristallkegelhülle; bei stärkerer Vergrößerung zeige es sich, daß diese
knopfförmige Anschwellung in einer Divergenz der einzelnen Nerven-
fasern, deren er acht zähle, bestehe; die einzelnen Fasern zeigen eine
Querstreifung, ähnlich derjenigen der Muskeif ibrillen. Bei einzelnen
Arten habe er ein Eintreten der Fibrillen in die Kristallkegelscheide
und hier die Spitze des Kristallkegels »schalenartig umfassen«, wahr-
nehmen können. Mit Hilfe des Apochromaten bin ich genau zu den-
selben Resultaten gekommen: die muskelartige Querstreifung, wie
ScHULTZE sie gesehen zu haben glaubt, ist nichts andres als die Stiftchen-
säume, die, nachdem sie in die Kristallkegelhülle eingetreten, ihre Ver-
schmelzung zum Rhabdom aufgeben und als acht Rhabdomere die
Kegelspitze becherartig umschließen, wie es Hesse für Periflaneta
Orientalis abgebildet hat, nur daß sie nicht so weit vordringen, sondern
nur die Spitze des Kegels umfassen. Die knöpfchenförmigen Anschwel-
lungen an ihren axialen Enden ließen sich auch hier nachweisen.
Vom letzten Stiftchen aus sah man einen Strang sich bis zu den Semper-
schen Kernen fortsetzen; über die Natur dieses Stranges gaben die
Präparate keinen Aufschluß, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß es
sich um Zellgrenzen handelt; weitere Untersuchungen werden diese
Frage zu lösen haben, vor allem auch, wie weit eigentlich die Retinula-
zellen reichen, da nach diesem Befunde der fadenförmige Teil unter-
halb des Kristallkegels unmöglich mehr der Kristallkegelhülie ange-
hören kann, wir in ihm vielmehr eine Fortsetzung der Schaltzone
Hesses zu erblicken haben; die Verschmelzung dieser mit der Kristall-
kegelhülle muß distal der Stelle stattfinden, wo die Stiftchensäume
ihren Abschluß erlangen. Man gewinnt fast den Eindruck, daß die alten
Autoren recht hatten, indem sie behaupteten, die Kristallkegelhülle
setze sich als Nervenstabscheide bis zur Basalmembran fort, doch läßt
sich ein definitives Urteil darüber nicht früher fällen, ehe nicht genaue
Nachprüfungen in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht in diesen kom-
plizierten Verhältnissen Klarheit geschaffen haben.
Am deutlichsten fand ich die geschilderten Verhältnisse bei Botis
verticalis (s. Fig. 24) ausgeprägt, nachdem ich sie aber dort sicher erkannt
hatte, konnte ich sie auch bei einer ganzen Anzahl andrer Formen nach-
weisen.
Das Facettenauge der Lepidopteren. 239
An dieser Stelle sei noch eines merkwürdigen Befundes Erwähnung
getan, der sich erst bei den Koiitrolluntci-suclunigen mit Hilfe des
Apochromaten ergab. Der Zusammenschluß der Khabdomere zum
Khabdom erfolgt erst in gewisser Höhe über der Basalmembran, in
ihren proximalsten Teilen bilden die Sehzellen keine Stiftchen aus,
so daß innerhalb der Retinula ein Hohlraum entsteht, in den, wie wir
später sehen werden, Pigment von unterhalb der Basalmembran ein-
tritt. Bei Coenonyni'pJia 'pamphilus fand sich in diesem Hohlraum ein
central gelegener lichtbrechender Körper von zigarrenförmiger Gestalt,
dessen Spitze ins Foramen der Membrana fenestrata
hineinragte, ein axialer Strang schien ihn, vom
distalen Ende ausgehend, mit dem Rhabdom zu
verbinden. Nebenstehende Skizze möge diese selt-
samen Verhältnisse, für die ich fürs erste keine
Erklärung weiß, veranschaulichen.
Was nun die Zusammensetzung der Retinula
anbetrifft, so erscheint sie sowohl für Tagfalter, als
auch für Nachtfalter die gleiche: ums Rhabdom
sind die Retinulazellen rosettenförmig angeordnet,
wobei die Achtzahl die vorherrschende ist; im Textfig. 3.
distalen Drittel, in dem auch meist die Kerne
liegen, erkennt man vielfach nur sieben Zellen, was auch der
Anzahl der Kerne entspricht, proximal vorschreitend sieht man sehr
bald die achte Zelle sich einschieben; die Stelle, an der sie sich ein-
schiebt, läßt sich schwer charakterisieren: bei Dipteren, wie auch
bei Hemipteren sind die Zellen nicht gleichwertig, während bei den
Lepidopteren die Gleichwertigkeit vollkommen ausgebildet ist und es da-
her eine Willkür wäre, eine bestimmte Zelle als erste oder siebente zu be-
zeichnen. Die sich einschiebende achte Zelle zeigt keine Spur von Rudi-
mentation, sie besitzt einen wohlausgebildeten Zellkörper und schiebt
sich als durchaus gleichwertiges Gebilde in den Komplex der sieben
übrigen ein; den zu dieser Zelle gehörenden Kern konnte ich stets in
dem in der Retinula direkt über der Basalmembran liegenden erkemien.
Hesse spricht bereits die Vermutung aus, daß jener oberhalb der
Basalmembran gelegene Kern bei Macroglossa stellatarum der achten
rudimentären Zelle angehöre.
Eine Reduktion der Sehzellen auf sieben fand ich nur bei Satyriden,
wo im distalen Teil sich sechs Zellen zur Rhabdombildung zusammen-
schließen, während eine siebente, deren Kern oberhalb der Basalmembran
gelegen ist, sich einschiebt, bei Satyrus semele fand ich diese Verhältnisse
240 Wilhelm Johnas,
am deutlichsten ausgeprägt (s. Fig. 9). Eine sehr eigenartige Ver-
mehrung der Sehzellen auf zehn fand ich bei sämtlichen von mir
untersuchten Lycäniden {Lycaena icarus, Chrysophanus hippothoe imd
fhlaeas), wie ich es im Querschnitt für Chrysophanus hippothoe (s. Fig. 7)
wiedergegeben habe. Im distalen Teile der Ketinula bilden acht Zellen
das Ehabdom, sowohl auf Längsschnitten als auch auf Querschnitten
lassen sich in dieser Kegion acht Kerne zählen, weiter proximal schieben
sich zwei Zellen ein, mid zwar korrespondierend; wenn wir nämlich
diejenigen Zellen, zwischen denen sich die eine einschiebt, als erste
und zweite bezeichnen, so schiebt sich die andre zwischen der fünften
und sechsten ein, beide ihnen zugehörenden Kerne können wir, wie der
Querschnitt zeigt, oberhalb der Basalmembran erkennen. Die gleiche
Vermehrung der Sehzellen auf zehn konnte ich bei Cidnria hilineata
und bei Botis verticalis nachweisen.
Auch hier im Bau der Retinula finden wir für die meisten Formen
der Nachtfalter, welche am Tage fliegen, dieselben Verhältnisse wie
im Auge der Tagfalter: die Zygäniden und Ino statices weisen wie diese
eine in ihrem ganzen Verlauf gleichstarke Eetinula auf; während bei
Ino statices (s. Fig. 10) die Kerne in der ganzen Ketinula verstreut
liegen, zeigen sie bei den Zygäniden eine ganz eigenartige Anordnung
(s. Fig. 11): an der Grenze des proximalen Drittels liegen, auf Längs-
schnitten deutlich erkennbar, sechs Kerne, während der siebente ins
distale Drittel verlagert ist, der achte findet sich wiederum oberhalb der
Basalmembran.
Ganz anders gebaut erscheint die Ketinula von Macroglossa stella-
tarum (s. Fig. 4), schon Max Schultze wies darauf hin, daß sie dem
Nachtfaltertypus zugezählt werden muß. Wie bei jenen kommt es
nur im proximalen Teil zu einer Khabdombildung innerhalb einer
kolbenförmigen Anschwellung, während sich distalwärts die Ketinula
fadenförmig auszieht, die sieben Kerne liegen im distalen Ende dieser
kolbenförmigen Anschwellung; eine Schaltmembran, die diese als kegel-
förmige Gebilde sich über sie erheben läßt, wie Hesse sie beschreibt,
habe ich nicht nachweisen können; der achte Kern liegt, wie Hesse
es sehr richtig erkannt hat, oberhalb der Basalmembran. Dieselbe Aus-
bildung der Ketinula fand ich bei einer tropischen Pseudosphinx, von
der ich wohl kaum annehmen kann, daß sie beitage fliegt. Ähnlich
gebaut ist die Ketinula der Hesperiden, betrachtet man eine solche
(s. Fig. 12) unter dem Mikroskop, so glaubt man diejenige eines Nacht-
falters vor sich zu haben. Sie ist achtteilig, was man am Querschnitt
(s. Fig. 13) leicht erkennen kann, doch ist sie nur in der proximalen
Das Facettenauge der Lepidopteren. 241
Hälfte stärker ausgebildet, während die distale sicli fadenförmig aus-
zieht, ein Zählen der Kerne ist dadurch sehr erschwert, daß sie in
einem Komplex in knollenförmigen Anschwellungen liegen, die das
distale Ende des verdickten Teiles der Retinula repräsentieren. Unter-
halb dieser Anschwellung sehen \\är hier deutlich eine Schaltmembran
ausgebildet, bis zu der sich das Retinapigment hinaufzieht. Im Bezirk
zwischen der Schaltmembran und der Membrana fenestrata sondern
die Retinulazellen eine chitinöse Scheide ab, die, entsprechend den
Retinulazellen, achtteilig vollkommen rosettenförmig ist und auch im
gefärbten Präparat die gelbliche Färbung des Chitins aufweist. Es
ist dieses der einzige Fall, wo ich eine derartige Scheidenbildung beob-
achtet habe.
In der Ausbildung der Retinula schließen sich den Tagfaltern an
die Hepialiden, von denen ich Hepialus sylvanus (s. Fig. 14) unter-
suchte. Obgleich die Kristallkegel und die Verteilung des Pigments
derjenigen der Nachtfalter entsprechen, weisen sie, wie bereits beschrie-
ben, eine gelbe Umrandung der Corneafacetten auf, eine typische
Eigentümlichkeit der Tagfalter, noch deutlicher aber prägt sich das
im Bau der Retinula aus; sie ist in ihrem ganzen Verlauf gleichstark,
nur an ihrem distalen Ende allmählich kolbenförmig anschwellend,
hier liegen auch die sieben großen Kerne, während der achte oberhalb
der Basalmembran gelegen ist. Den gleichen Bau der Ommatidien
weisen die gleichfalls am Tage fliegenden Noctuen Euclidia my und
glyphica auf. Ähnlich dagegen gebaut erscheint die Retinula von
Tortrix viridana (s. Fig. 15) und einer, leider nicht näher bestimmten,
Tineide (s. Fig. 16).
Für den Bau der Retinula der typischen Nachtfalter möge uns
Tryphaena pronuha, dieses bereits oft untersuchte Objekt, als Muster
dienen. Alle Nachtfalter gehören der vierten Gruppe Gkenachers an,
bei der es nur im proximalen Drittel der Retinula zu einer Rhabdom-
bildung kommt, die stets mit einer kolbenförmigen Anschwellung der-
selben verbunden ist, weiterhin zieht die Retinula sich fadenförmig
aus, erfährt jedoch nochmals eine spindelförmige Anschwellung, in der
die Sehzellkerne liegen, um dann fadenförmig in die Kristallkegelhülle
überzugehen. Hier bei Tryphaena pronuha (s. Fig. 17) erkennen wir
deutlich sieben Kerne in der spindelförmigen Anschwellung, jedoch ein
Querschnitt oberhalb der Basalmembran (s. Fig. 18) belehrt uns, daß
wir es mit acht Sehzellen zu tun haben und daß dieser achte Kern
in jenem zu suchen ist, den Grenacher nicht zu deuten vermag.
Bei allen typischen Nachtfaltern ist die Ausbildung der Retinula
242 Wilhelm Johnas,
die von Tryfhaena pronuha geschilderte, alle von mir untersuchten
Spinner, Eulen und Spanner, mit Ausnahme der oben beschriebenen,
zeigten dieselbe Struktur, es würde sich nicht lohnen alle von mir
geschnittenen und untersuchten Arten namentlich anzuführen, be-
merkenswert 'wäre nur, daß ich bei Cidaria biUneata (s. Fig. 19) und
bei Botis verticalis (s. Fig. 20) eine Vermehrung der Retinulazellen
auf zehn feststellen konnte, wobei jedoch neun Zellen ihre Kerne in
der spindelförmigen Anschwellung tragen, während der zehnte oberhalb
der Basalmembran gelegen ist; daß aber auch die zehnte Retinulazelle
einen wohlentwickelten Zellkörper aufweist, möge Fig. 21 zeigen, die
einen Querschnitt durch die proximale kolbenförmige Verdickung der
Retinula von Botis verticalis wiedergibt.
Ich will das Kapitel von der Retinula nicht schließen ehe ich nicht
noch mit einigen Worten der Ausbildung eines Tapetums Erwähnung
getan. In erster Linie müssen wir bei den Lepidopteren die ins Auge
eintretenden Tracheen als Tapetum auffassen. Das Auge der Lepidopte-
ren ist ebenso wie dasjenige vieler übrigen Insekten stark pneumatisiert ;
gewaltige Tracheenstämme treten ins Gehirn ein, sich hier verzweigend,
vor allem starke Ausläufer nach dem Retinaganglion entsendend. Am
deutlichsten erkennt man sie auf Querschnitten dmxh dieses Ganglion,
wo kreisrunde und ovale Öffnungen mit chitinösen Wänden ihre Quer-
schnitte darstellen. Bisweilen, auf günstig geführten Schnitten, erhält
man ihre Ausläufer im Längsschnitt, wo sie uns als dickwandige Röhren
mit spiraliger Struktur und peripher aufliegenden Kernen erscheinen.
Der Durchtritt durch die Basalmembran erfolgt stets gemeinsam mit
dem ans Ommatidium herantretenden Nervenbündel, dasselbe um-
hüllend; wieviel einzelne Tracheenstämme an jedem Ommatidium ein-
treten und ob ihre Anzahl für die einzelnen Arten konstant ist, konnte
ich nicht feststellen, doch nehme ich an, daß es entsprechend der Zahl
der Nebenpigmentzellen sechs sind, wie es mir sowohl für Vanessa
urticae (s. Fig. 22) wie auch für Rhodocera rhamni (s. Fig. 2) nach-
zuweisen gelang. Wie weit sie sich distalwärts erstrecken, konnte ich
nicht erkennen, doch nehme ich an, da sie in dieser Höhe noch eine
solche Stärke aufweisen, daß sie bis an die Cornea herantreten.
Neben den Tracheen, die als Tapetum wirken, gelang es mir eine
Beobachtung der alten Forscher der Vergessenheit zu entreißen. Schon
Leydig weist darauf hin, daß der »Nervenstab« einen Farbstoff auf-
weise, der in vier Strängen angeordnet ein Tapetum bildet. Max
ScHULTZE beschreibt diese Verhältnisse genauer: »Innerhalb dieser
Scheide (des Sehstabes) sieht man, unmittelbar hinter dem Kristallkegel
Das Facettenauge der Lepidopteren. 243
beginnend, vier karmiiu'ote Fäden verlaufen, deren Farbe nach dem
hinteren Ende des Schstabes zu allmählich verblaßt, worauf sie, etwa
im hinteren Dritteil des letzteren, dem Beobachter überhaupt entschwin-
den.« Seit Max Schultze hat kein Forscher diese Beobachtung be-
stätigt, weder Grenacher, noch auch Hesse tun ihrer Erwähnung.
An jener brasilianischen Zephyrus-Ait, die ich der Liebenswürdigkeit
des Herrn Dr. med. Beyerle verdanke und die ich bei Herstellung der
Präparate nicht entpigmentierte, gelang es mir dieses Tapetum wiederzu-
entdecken (s. Fig. 23). In vier purpurroten Strängen zog es sich, am
Kristallkegel beginnend, proximalwärts, genau wie Schultze es be-
schreibt, weiter verlaufend. Zur Ausbildung gelangen diese das Tape-
tum bildenden vier Pigmentstränge innerhalb der Retinula stets an
der Grenze zweier benachbarten Zellen. Damit waren aber auch die
vier purpurroten Punkte, die ich im Querschnitt der Retinula von
CJmjsophanus hippothoe gefunden (s. Fig. 6) und nicht zu deuten ver-
mochte, erklärt. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß ich die Ursache
dessen, daß kein späterer Forscher es gefunden, darin sehe, daß dieses
Pigment äußerst vergänglich ist, da ich es an keinem derjenigen Präpa-
rate, die ich auch nur für kurze Zeit der Entpigmentierungsflüssigkeit
aussetzte, nachweisen konnte.
Pigment und Pigmentwanderung.
Die Isolierung der einzelnen Ommatidien erfolgt durchs Pigment.
Bereits die ältesten Autoren wiesen darauf hin, daß sich innerhalb
des Facettenauges Farbstoffe finden, die je nachdem, ob sie um die
Kristallkörper oder direkt über der Basalmembran gelagert verschiedene
Tmktion aufwiesen, so beschreibt Müller in seinen »Fortgesetzten
Untersuchungen « das Auge einer Ranatra, das in seiner vorderen Partie
mit gelbbraunem Pigment beldeidet war, während hinten ein dunkles
Pigment auftrat. Bei Lepidopteren beobachtete bereits Treviranus
an Rhodocera rliamni eine gelbe Pigmentierung. Leydig, der sich ein-
gehender mit der Verteilung des Pigments im Arthropodenauge be-
schäftigt und in ihm echte mit Pigment überldeidete Muskelstränge
erblickt, glaubt eine Übereinstimmung seiner Färbung mit derjenigen
des ganzen Körpers zu erkennen: »so ist es schwarz bei vielen Käfern,
graulichgelb bei vorherrschend gelben Schmetterlingen (z. B. Colias
edusa), bei oTaubraunen Heuschrecken, z. B. Acridium coerutescens, ist
es ebenfalls oraubraun.« Die Arbeit Max Schultzes bedeutet auch
in dieser Hinsicht einen Schritt vorwärts; er, der, wie bereits darauf
hin^rewiesen, zuerst auf die Unterschiede im Auge der Tag- und
244 Wilhelm Johnas,
Nachtfalter hingewiesen, stellte fest, daß bei ersteren sich eine viel
intensivere Pigmentierung finde als bei den Nachtfaltern. Eine genaue
Beschreibung der Pigmentzellen und ihrer Anordnung gab aber erst
Grenacher, der sie in Retinapigmentzellen und Irispigmentzellen
erster und zweiter Ordnung, letztere auch als Haupt- und Nebenpigment-
zellen bezeichnend, einteilte.
In den Augen der Lepidopteren ließen sich leicht alle drei Kate-
gorien von Pigmentzellen nachweisen, obgleich, was ihren Bau und
ihre Ausdehnung anbetraf, sich zahlreiche Abweichungen vom normalen
Typus fanden. Im allgemeinen zeigen die Hauptpigmentzellen keine
besonders starke Entwicklung, ihr Pigment erscheint diffus, im Farben-
ton nicht selten von demjenigen der Nebenpigmentzellen abweichend,
ihre Kerne liegen meist der proximalen Basis der Kristallkegel an.
Eine Verlagerung der Hauptpigmentzellkerne distalwärts finden wir,
wie bereits erwähnt, überall da, wo es zur Ausbildung eines Processus
corneae kommt, so bei Coenotiympha famphilus, Chrysophanus hifpo-
thoe und andern, in all diesen Fällen liegen die Kerne etwa in halber
Höhe der Kristallkegel. Auf fallender weise findet sich eine gleiche
Verlagerung bei Macroglossa stellatarum, schon Hesse macht auf ihre
Kleinheit und sonderbare Lage aufmerksam. Wichtiger für die Iso-
lierung der einzelnen Ommatidien sind ohne Zweifel die Nebenpigment-
zellen, die eine spindelförmige Gestalt aufweisen und sich von der
Cornea bis zum proximalen Drittel der Retinula erstreckend den
eigentlichen Isolator darstellen. Sie treten stets in der Sechszahl auf
und sind stets interstitiell angeordnet, d. h. ein jedes Ommatidium
ist von sechs Nebenpigmentzellen umgeben, von denen jede einzelne
drei benachbarten Ommatidien angehört. Hesse war der erste, der auf die
interstitielle Anordnung der Nebenpigmentzellen bei den Arthropoden
aufmerksam machte, er wollte diese Eigentümlichkeit auf alle Gruppen
der Insekten ausdehnen, wobei natürlich die Anzahl der Nebenpigment-
zellen sehr verschieden sein kann, hat doch Dietrich bei Simulium
48 solcher Nebenpigmentzellen nachgewiesen; Bedau ist es jedoch ge-
lungen festzustellen, daß bei Ranatra linearis, Corixa Geoffroii und
Naucoris cimicoides ein jedes Ommatidium einen Kranz von Neben-
pigmentzellen besitzt, wobei ihre Anzahl meist zwölf betrug. Durch
diese interstitielle Stellung der Nebenpigmentzellen kommt es auf
Querschnitten durchs Lepidopterenauge zu sehr reizvollen Bildern; die
einzelnen Pigmentzellen sind stets dreieckig bedingt dm^ch den Druck,
ein jedes Ommatidium erscheint somit von einem sechseckigen Pigment-
stern umgeben (vgl. Abb. 20 a). Die Kerne der Nebenpigmentzellen
Das Facettenauge der Lepidoptcren. 245
variieren sehr in Form und Grtiße, bald kiigcliu-, bald oval oder gar
elliptisch, können sie bei einzelnen Formen, speziell bei Tagfaltern, eine
sehr beträchtiiche Größe erlangen (man vgl. Abb. 6), sie liegen meist
proximaler, in seltenen Fällen in gleicher Höhe mit den Hanptpigment-
zellkernen, bei Tagfaltern ließen sie sich meist an der Stelle nach-
weisen, wo die verdickte Retinula sich fadenförmig auszieht; bei den
Nachtfaltern war ihre Lage verschieden, doch konnte ich nur in einem
Falle, bei Hepialus sylvanus, nachweisen, daß sie distaler als die Haupt-
pigmentzellkerne, etwa in halber Höhe der Kristallkegel gelegen waren;
einen gleichen Befund ergab die Untersuchung der Hesperiden, wo ich
sie wegen ihrer Kleinheit anfänglich überhaupt nicht fand, später jedoch
zwischen den Kristallkegeln gelegen nachweisen konnte (vgl. Abb. 12).
Die Isolierung der einzelnen Ommatidien wäre keine vollkommene,
wemi nicht im proximalen Drittel der Retinula die Funktionen der
Nebenpigmentzellen die Retinapigmentzellen übernehmen würden. Mit
den Kernen der Basalmembran aufsitzend zieht sich ihr Pigment distal-
wärts bis zu dem Punkt, wo die Nebenpigmentzellen aufhören, ihnen
entsprechend treten sie gleichfalls in der Sechszahl auf. Schon Schultze
wies darauf hin, daß das Nachweisen der Retinapigmentzellen mit
großen Schwierigkeiten verbunden sei, da namentlich bei den Tagfaltern
ihre Kerne so klein und unscheinbar wären, daß sie nur zu leicht dem
Auge des Untersuchenden entgehen; diese Behauptung kann ich voll und
ganz bestätigen, bei einer ganzen Reihe von Tagfaltern habe ich trotz
genauester Beobachtung keine Spur von Kernen nachweisen können;
sie müssen vorhanden sein, da das Retinapigment, das ich in den be-
treffenden Abbildungen auch stets eingezeichnet habe, für ihre Existenz
zeugt, doch ließen sie sich nicht erkennen, obgleich ich das Pigment
auf chemischem Wege fast vollkommen entfernt hatte. Deutlich ge-
sehen habe ich sie von Tagfaltern nur bei Rhodocera rhamni (vgl. Abb. 1)
und bei Hesperia comma (vgl. Abb. 12). Ganz im Gegensatz zu den
Kernen der Nebenpigmentzellen, die, wie erwähnt, bei den Nachtfaltern
stets kleiner als bei den Tagfaltern und leichter übersehen werden
können, sind die Kerne der Retinapigmentzellen stets deutlich aus-
geprägt, selbst in unentpigmentiertem Zustande lassen sie sich bei
stärkerer Vergrößerung leicht nachweisen, das läßt sich aber wohl
darauf zurückführen, daß die Pigmentierung im Auge der Nachtfalter
bedeutend weniger intensiv ist als in demjenigen der Tagfalter, vor allem
kommt dieses auf Querschnitten zum Ausdruck, wo wir bei Heteroceren
stets das entsprechende Sternmuster wiederfinden, während bei Tag-
faltern der ganze Grund gleichmäßig getont erscheint (vgl. Abb. 6).
246 Wilhelm Johnas,
Eine sehr eigenartige Ausbildung der Nebenpigmentzellen finden wir
bei Rhodocera rhamni. Die Cornea erscheint gleichsam abgehoben
vom weiteren dioptrischen Apparat, den SEMPEEschen Kernen und dem
Kristallkegel, wodurch eine Verlängerung der Ommatidien bedingt ist; in
diesen auf diese Weise zwischen den Ommatidien entstandenen Zwischen-
raum schieben sich die in der Höhe der SEMPERschen Kerne fadenförmig
verjüngten Nebenpigmentzellen, sich hier zu einem kolbenförmigen Ge-
bilde erweiternd, ein, mit ihrem distalen Ende der Cornea eng anliegend.
Daß mit einer derartigen Ausbildung der Nebenpigmentzellen eine noch
weitere Isolierung der Ommatidien verbunden ist, liegt auf der Hand,
und muß man annehmen, daß zwischen innerer Corneaschicht und
SEMPERschen Kernen ein Processus corneae bzw. Pseudoconus zur
Ausbildung gekommen war, der infolge seiner vielleicht fast flüssigen
Konsistenz im Verlauf der Konservierung zerstört worden ist.
Was die Farbe des Pigments anbetrifft, habe ich meist dunkle
Töne feststellen können, wobei ein Unterschied in der Färbung des Iris-
und Retinapigments sich nicht nachweisen ließ. Die Behauptung
Leydigs, die Färbung des Pigments stimme im allgemeinen mehr oder
weniger mit derjenigen des übrigen Körperinteguments überein, kann
ich, wenigstens was die Lepidopteren anbetrifft, nicht bestätigen, ich
habe zahllose weiße und gelbe Schmetterlinge untersucht, nie jedoch
ein helles Pigment gefunden; die bis auf die beiden kleinen gelben
Flecken am Innenrande der Vorderflügel reinweiße Porthesia similis
weist z. B. ein tief schokoladebraunes Pigment auf, dasjenige von
Pieris napi und hrassicae ist dunkel olivengrün. Während die braunen
oder schwärzlichen Töne vorherrschten, konnte ich doch bei einigen
Arten Abweichungen konstatieren, so zeigte Botis verticalis eine dunkel
karminrote Pigmentfärbung, ein gTelles Purpurrot fand ich gar bei
Tortrix viridana sowie sämtlichen von mir untersuchten Hesperiden,
am schönsten zeigte sich diese prächtige Färbung bei Hesperia comma
(s. Fig. 12).
Trotz seiner eingehenden Untersuchungen über die Unterschiede
im Auge der Tag- und Nachtfalter hat Max Schultze die Unterschiede
in der Pigmentierung nicht genügend gewürdigt, allerdings muß man
in Betracht ziehen, daß erst der Versuch, das Pigment auf chemischem
Wege aus dem Auge zu entfernen eine Vorstellung von der Resistenz
des einen und des andern zu geben vermag. Da ich zwecks eingehender
Untersuchung des Baues der Retinula den größten Teil meiner Prä-
parate entpigmentierte und sie zu diesem Zweck der GRENACHERSchen
Entpigmentierungsflüssigkeit aussetzte, kam ich erst in die Lage
Das FacetteiKUige der I.epidopteren. 247
Vergleiche anstellen zu kiiiiiieji. Das Pigment der meisten Nachtfalter:
Schwärmer, Spinnei- und Eulen schwand meist binnen wenigen Minuten,
ich kam schließlich dazu, solche Formen direkt im Glasschälchen unter
dem Mikroskop zu entpigmentieren, da häufig in der angegebenen Zeit
das Pigment derart geschwunden war, daß sich auch seine Clrenzen nicht
mehr feststellen ließen, ganz anders bei den Tagfaltern und den bereits
oft erwähnten am Tage fliegenden Nachtfaltern, wobei wieder die
Größe des betreffenden Schmetterlings eine Rolle spielte. Einen
Schmetterling von der Größe einer Vanessa mußte icli meist 30 — 45 Mi-
nuten in der Entpigmentierungsflüssigkeit lassen, kleinere Formen, etwa
Lycäniden, waren dementsprechend rascher entpigmentiert. Dasjenige
Pigment, das am längsten der Einwirkung der Salpetersäure widerstand,
fand ich im Auge der Zygänen und Macroglossa stellatarum. Drei volle
Stunden setzte ich Präparate von Zygaena lonicerae der Einwirkung der
Chemikalien ohne jeden Erfolg aus, erst als ich die Mischung verstärkte,
hatte ich nach weiteren 4 Stunden den gewünschten Erfolg zu verzeich-
nen. Es geht daraus hervor, daß das Pigment im Auge der Rhopalo-
ceren und einiger bei Tage fliegender Nachtfalter bedeutend resistenter
als dasjenige der Heteroceren, somit wohl auch dem Durchtritt abirrender
Lichtstrahlen einen bedeutend gTÖßeren Widerstand entgegensetzt. Die
einzelnen Retinulazellen der Lepidopteren weisen im Gegensatz zu den-
jenigen vieler andrer Arthropoden kein Pigment auf, die pigmentierte
und pigmentfreie Zone, wie sie z. B. bei den Wasserwanzen vorhanden
ist, läßt sich allerdings auch hier erkennen, indem wir es mit einem
äußeren, dunkler plasmatischen Teil und einem zwischen ersterem und
Rhabdom gelegenen, heller plasmatischen Teil, der Schaltzone Hesses,
zu tun haben, doch habe ich weder in dem einen noch in dem andern
eine Spur von Pigment wahrnehmen können. Eine intensive Pigmen-
tierung findet sich dagegen unterhalb der Basalmembran, bei stärkerer
Vergrößerung erkennt man es im Retinaganglion um die Nervenscheiden
herum angeordnet; da nun die Sehzellen, wie im vorhergehenden Kapitel
ausgeführt, an der Stelle wo sie der Basalmembran aufsitzen, diver-
gieren, ehe sie sich zur Rhabdombildung zusammenschließen, so er-
scheint es nicht wunderbar, daß das Pigment von unterhalb der Basal-
membran in diesen Hohlraum hineinragt, wie ich es tatsächlich bei
mehreren Formen beobachten konnte; am deutlichsten war diese Er-
scheinung an denjenigen Augen ausgeprägt, wo wir es mit einer Ver-
mehrung der Sehzellen zu tun hatten, so konnte ich z. B. bei Botis
verticalis, wo, wie erinnerlich, zehn Sehzellen vorhanden waren, auf
Längsschnitten einen deutlichen Pigmentzapfen in die Retinula
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 17
248 Wilhelm Johnas,
hineinragen sehen, während auf Querschnitten der ganze Hohlraum
mit Pigment erfüllt zu sein schien.
Einen sehr interessanten Befund, die Verteilung des Pigments
unterhalb der Basalmembran betreffend, ergab die Untersuchung einer
im grellsten Sonnenlicht auf einer Blumenwiese gefangenen und daselbst
abgetöteten CoenonympJia pam'phüus: das ganze Ketinaganglion, das
erste Opticusganghon, das erste Chiasma sowie das zweite Opticus-
ganglion waren intensiv pigmentiert, ja selbst im zweiten Chiasma, das
das zweite Opticusganghon mit dem Centralganglion verbindet, ließen
sich Pigmentkörnchen nachweisen. Einer derart intensiven Pigmen-
tierung unterhalb der Basalmembran entsprach auch die Pigment-
verteilung zwischen den einzelnen Ommatidien. Retina- und Iris-
pigment bildeten ineinander übergehend einen dichten Pigmentmantel,
der die vollkommene Isolierung der einzelnen Ommatidien voneinander
zur Folge hatte. Dieser auffallende Befund veranlaßte mich nähere
Untersuchungen über die Pigmentverschiebung im Schmetterlingsauge
anzustellen. Exnee machte als erster in seiner 1891 erschienenen
>> Physiologie der facettierten Augen von Insekten und Krebsen « aufdie
seltsamen Wanderungserscheinungen des Pigments im Arthropodenauge
aufmerksam, er wies nach, daß wir es mit typischen Dunkelaugen und
typischen Lichtaugen zu tun hätten, die allerdings, falls die charakteristi-
schen Merkmale nicht deutlich genug ausgeprägt wären, durch Pigment-
wanderung ineinander überzugehen vermögen. Die Augen der Lepidopte-
ren verfügen nun über ein derartiges Accommodationsv ermögen. Das
Auge eines in der Sonne fliegenden Tagfalters befindet sich in der oben
beschriebenen Lichtstellung, nur die in die Hauptachse der Kristallkegel,
bzw. des dioptrischen Apparates einfallenden Strahlen gelangen zu
den lichtperzipierenden Elementen und werden, durchaus voneinander
gesondert, von ihnen weiter geleitet. Da, wie eben betont, ein jedes
Ommatidium nur den in seine Hauptachse einfallenden Strahl auf-
nimmt, so können bei einer derartigen Pigmentstellung lediglich Appo-
sitionsbilder im Sinne Exners entstehen, im Auge des Tagfalters, der
im Sonnenscheine fliegt, werden sich somit scharfe, aber lichtschwache
Bilder darstellen, vor allem wird er Bewegungen wahrnehmen können ;
ein jeder Lepidopterologe weiß, daß man sich meist imgestraft einem
sitzenden Schmetterling nähern darf, sobald man darauf achtet, daß
der Schatten ihn nicht trifft, dagegen wird eine an der Sonne vorüber-
ziehende kleine Wolke ihn augenblicklich verscheuchen. Betrachten
wir nun das Pigment eines über Nacht im Dunkeln gehaltenen und
im Dunkeln abgetöteten Tagf alters: es weist keine wesenthchen
Das Facettenauge der Lepidopteren. 249
Veränderungen auf, wohl können wir erkoDiien, daß das Irispigment sich
distalwärts zurückgezogen, doch nicht genügend, um Superpositions-
bilder zustande kommen zu lassen, da das Retinapigment persistiert.
Eine Erklärung dieses auffallenden Problems gibt uns wiederum die
Biologie der Tagfaltei-. Nur bei klarem Wetter, möglichst in den heißen
Mittagsstunden, wo die grellen Sonnenstrahlen am intensivsten sind,
fliegen die Tagfaltei-; ein jedei- Sanmiler weiß aus Erfahrung, daß an
trüben Tagen eine Exkursion erfolglos, es sei denn, daß er aus dem Grase,
oder von Hecken und Zäunen einen dort luheuden Schmetterling auf-
scheucht, der nur wenige Schritte taumelnd dahinflattert. um möglichst
schnell sein Versteck wieder aufzusuchen; selbst eine zeitweilige Ver-
finsterung der Sonne vermag sie verschwinden zu lassen, und der Samm-
ler kann ruhig sein Netz fortpacken, ehe die Sonne nicht wieder zum
Vorschein kommt, wird kein Tagfalter seinen Weg kreuzen. Auf einen
jeden, der mit den Lebensgewohnheiten der Tagialter vertraut ist, macht
es den Eindruck als ob der Tagfalter selbst bei geringer Verdüsterung
des Himmels unsicher wird, die bei weiterer Verdunkelung in einen Zu-
stand vollkommener Hilflosigkeit überzugehen scheint ; ich möchte diese
Erscheinung dem Umstände zuschreiben, daß ihr Sehvermögen mit
zunehmender Dunkelheit schwindet, die für lichtschwäche Appositions-
bilder eingerichteten Augen vermögen sich nicht anzupassen, sie werden
in der Dunkelheit »blind«, ein Eindruck, den man unwillkürlich ge-
winnt, sobald man die Gelegenheit hat nachts einen Tagfalter anzu-
treffen, er läßt sich ohne weiteres mit den Händen ergreifen, läßt man
ihn los, so gleitet er zu Boden, hier mit halbausgebreiteten Flügeln
mit den Beinen nach einem Haltepunkt tastend.
Ganz anders dagegen verhält sich der Nachtfalter am Tage. Das
Absuchen von Zäunen, Dächern, Baumstämmen und andern geschützten
Orten nach Eulen, wo sie tagsüber zu ruhen pflegen, muß mit der
größten Vorsicht verbunden sein; noch eben denke ich daran, wie ich
einst vor vielen Jahren diese Vorsicht lernte. An einem alten Zaune
mit dachförmig angelegten Flügeln, von der Unterlage kaum unter-
scheidbar, hatte ich eine Catocala nwpta erspäht, sie schien fest zu
ruhen, ich legte also das Netz beiseite und wollte sie direkt mit dem
Glase abheben, ich hatte mich aber kaum um einige Meter genähert
als sie plötzlich blitzschnell zur Seite abstrich. Ein andres Mal hatte
ich Gelegenheit eine Catocala fraxini im gi-ellsten Sormenschein um
einen Telephonmast flattern zu sehen, es war ein W^eibchen, das offenbar
seine Eier ablegen wollte. Derartige Beispiele müßten uns schon von
vornherein eine besondere Hochachtung vor dem Sehvermögen der
17*
250 Wilhelm Johnas,
Nachtfalter bei Tage abnötigen, und wir werden nicht irre gehen, wenn
wir die Lösung dieses Rätsels im Bau ihrer Augen suchen. Und in der
Tat, sie besitzen ausgesprochene Superpositionsaugen, die infolge ihrer
Lichtstärke ihnen ein gutes Sehen in der Dunkelheit ermöglichen,
zugleich können sie aber auch diese Superpositionsaugen vermöge der
Pigmentwanderung in Appositionsaugen verwandeln. Das Auge der am
Köder gefangenen Eulen zeigte die typische Stellung des Pigments im
Dunkelauge: das Pigment der Hauptpigmentzellen persistierte, das der
Nebenpigmentzellen war distal verlagert, um die Kerne herum hatte
es sich in dichten Massen angesammelt, das Pigment der Retinapigment-
zellen . hatte sich proximal zur Basalmembran zurückgezogen, hier
wiederum die Kerne dicht umlagernd, auf diese Weise den distalen Teil
der kolbenförmigen Anschwellung, sowie den fadenförmig ausgezogenen
Teil der Retinula freilassend, das Pigment unterhalb der Basalmembran
hatte sich direkt unter der Basalmembran angesammelt, damit wären
aber alle Bedingungen geboten, die ein Zustandekommen von Super-
positionsbildern, wie sie für ein Sehen bei Nacht erforderlich sind,
bedingen. Wie lagen nun die Pigmentverhältnisse eines solchen typi-
schen Dunkelauges bei Tage? Eine Porthesia simüis, die ich bei Tage
fliegend beobachtet hatte, sollte mir darüber Aufschluß erteilen, und
siehe, ich hatte mich nicht geirrt, das Pigment war gewandert, das
Irispigment proximalwärts, das Retinapigment distalwärts, auf diese
Weise einen Pigmentmantel um die einzelnen Ommatidien bildend,
selbst das Retinaganglion, erste Opticusgangiion und Chiasma wiesen
eine dichte Pigmentierung auf, das Superpositionsauge war zum Appo-
sitionsauge geworden. Nun interessierte es mich, festzustellen, wie weit
künstliche Lichtquellen die Pigmentwanderung beeinflussen; ich tötete
eine am elektrischen Licht oefangene Psilura monacha an Ort und
Stelle ab und konnte feststellen, daß das Auge gleichsam ein Mittel-
ding zwischen Superpositions- und Appositionsauge darstellte; das
Irispigment hatte seine Wanderung begonnen, es zog sich schlauch-
förmig etwa bis zum distalen Ende der kolbenförmigen Rhabdomver-
dickung herab, während das Retinapigment in seiner primären Lage
persistierte. Aus diesem Befunde muß man schließen, daß das Iris-
pigment bei wechselnder Beleuchtung reaktionsfähiger ist als das
Retinapigment. Einen weiteren Anhalt für diese Vermutung bot mir
das Auge einer in den Abendstunden bei Sonnenuntergang gefangenen
Hesperia comma, wo das Retinapigment sich in Lichtstellung, das Iris-
pigment dagegen in typischer Dunkelstellung befand (vgl. Abb. 12).
Dieser Fall ist auch insofern interessant, als es der einzige ist, wo ich
Das P"'aoetten;iu<re der l.ojiidopteren. 251
bei einem Tagfalter eine typische Pigmentwanderung beobachtete,
andernfalls wäre ich geneigt, wie bereits im vorhergehenden Kapitel er-
örtert, die Hesperiden dem Bau ihrer Augen nach den Dämmerungs-
formen zuzuzählen.
Die Ganglien.
Die Leitung der mit Hilfe des Auges aufgenommenen Eindrücke
der Außenwelt zum Gehirn erfolgt dm-ch die Ganglien, deren ich, mich
der Anschauung C. Schneiders in seinem »Handbuch der Histologie
der Tiere« anschließend, bis zum Lobus opticus vier unterschieden
wissen möchte, und zwar: das Retinaganglion, das periphere oder
erste Opticusganglion, das zweite Opticusganglion und das dritte
Opticusgangiion oder Centralganglion. Bei dieser Einteilung der
Ganglien weiche ich nicht unbeträchtlich von den Anschauungen
Bergers ab, der sie in eine Reihe einzelner Schichten auflöste, noch
weiter in dieser Zersplitterung geht Radl, der allein am zweiten Opticus-
ganglion von Squilla mantis nicht weniger als achtzehn Schichten nach
ihrem histologischen Bau und ihrer Tinktion bei der Färbung unter-
scheidet. Ich habe in keinem Falle eine derartige Variabilität im
Aufbau der einzelnen Ganglien nachweisen können, und es erscheint
mir kaum berechtigt, eine an sich klar liegende Sache durch eine direkt
sinnverwirrende Nomenklatur zu verquicken, wie es leider hierbei der
Fall gewesen. Die einzelnen Ganglien an sich stellen vollkommen ge-
sonderte Regionen dar, die teilweise durch Nervenkreuzungen, Chias-
mata, miteinander in Verbindung stehen, teilweise durch einfache
Nervenstränge verbunden sind. Von der Basalmembran proximal
vorschreitend, haben wir zuerst zu besprechen
das Retinaganglion.
Es nimmt den ganzen Raum direkt unter der Basalmembran ein
und entspricht der Nervenbündelschicht Radls. In seinem äußeren
Aufbau entspricht es mehr oder weniger der Retinula, stellt gleichsam
eine Rekapitulation derselben dar, da es wie diese aus einer Reihe
parallel verlaufender Nervenstränge besteht, die allerdings vielfach
miteinander anastomosieren, in einzelnen Fällen jedoch vollkommen
o-esondert wie sie aus den einzelnen Ommatidien austreten, ins erste
Opticusganglion, und zwar in die Körnerschicht Radls emtreten. Bei
stärkerer Vergrößerung erkennt man deutlich, daß durchs Foramen
der Membrana fenestrata eine Anzahl Nervenfasern ins Ommatidium
eintreten, ihre Zahl ließ sich leider nicht genau feststellen, doch nehme
252 WUhelm Johnas,
ich an, daß sie zwischen sieben und zehn, entsprechend der Anzahl der
Retinulazellen, schwanken wird, bei Chrysophanus hippothoe konnte
ich z. B. deutlich den Antritt von Nervenfasern auch an die zwei über-
zähligen Zellen erkennen. Einem jeden Ommatidium gehört somit ein
Nervenbündel unterhalb der Basalmembran an. Bei einer Anzahl von
Formen verschmelzen die einzelnen Nervenbündel zu stärkeren Nerven-
stämmen, umgeben sich mit einer der ScHWANNschen Scheide entspre-
chenden Hülle und treten so ins erste Opticusganglion ein. Direkt
unterhalb eines jeden Foramen der Basalmembran nehmen wir bei den
Lepidopteren einen großen chromatinreichen Kern wahr, schon Hesse
macht auf ihn mehrfach aufmerksam und möchte ihn als in die Tiefe
gesunkenen Sehzellkern zur achten rudimentären Retinülazelle ge-
hörend deuten; mir ist es nun gelungen festzustellen, daß die Achtzahl
der Retinulazellen fast eine konstante ist und daß der achte bzw. zehnte
Kern stets oberhalb der Basalmembran, innerhalb eines wohlentwickelten
Zellkörpers gelegen ist (vgl. Fig. 7 u. 18) ; dieser Kern kann daher un-
möglich bei den Lepidopteren einer Sehzelle angehören. Der Liebens-
würdigkeit des Herrn Professor Held hatte ich es wiederum zu danken,
daß es mir gelang, die Natur dieses Kernes festzustellen, es ist ein
Neurilemmkern, der die Nervenscheide, die Hülle, die das Nerven-
bündel umgibt, abgesondert hat.
Außer diesen Kernen erkennen wir in der Region des Retina-
ganglion typisch chromatinarme Ganglienzellkerne, wir finden sie
meist den Nervensträngen peripher aufliegen, daneben Tracheenkerne,
da die großen Tracheenstämme, ehe sie ins Auge eintreten, an dieser
Stelle das Ganglion durchtreten, Blutzellkerne, sowie kleinere, spindel-
förmige, sehr chromatinreiche Kerne, sie gehören schlanken, mit langen,
mehr oder weniger starren Fortsätzen ausgestatteten Zellen an, die
wir als Stützzellen auffassen müssen.
Nachdem ich bereits darauf hingewiesen hatte, daß das Retina-
ganglion die Anordnung der Retinula bis zu einem gewissen Grade
rekapituliert, findet diese Behauptung einen w^eiteren Stützpunkt in
der Tatsache, daß dieses Ganglion bei den Nachtfaltern bedeutende
Abweichungen von dem der Tagfalter aufweist. Max Schultze, der
in so meisterhafter Weise die Unterschiede im Bau der Augen der
Tag- und Nachtfalter beschrieben, hat auffallenderweise die Ganglien
nicht berücksichtigt, und, soweit ich die Literatur überblicke, ist dieser
seltsamen Erscheinung von keinem Autor Erwähnung getan, Verglei-
chen wir das Retinulagangiion von Porihesia similis, wie ich es im
Totalbilde (s. Fig. 26) dargestellt, mit demjenigen von Chrysophanus
Das Farpttenautre der LciiidopteriMi. 253
phlaeas (Fig. 27) oder Coenonynifha pamphihis (Fig. 28), so fällt schon
beim ersten Blick die gewaltige Verlängerung dieses Ganglions beim
Nachtfalter im Verhältnis zu demjenigen der Tagfalter ins Auge;
während es beim Tagfalter nur- sehr geringe Ausdehnung hat, erlangt
es bei Porthesia, wie die mit dem Zeichenapparat entworfene Abbildung
zeigt, fast 2/3 der Länge der Retinula, auf diese Weise eine allgemeine
Verlängerung des Auges hervorrufend. Es ist interessant, daß bei den
von mir untersuchten Formen der Nachtfalter, die sich an ein Tagleben
angepaßt haben, auch diese Anpassungserscheinung sich wiederfindet:
Zijgaena lonicerae und carniolica weisen genau das verkürzte Retina-
gangiion der Rhopaloceren auf, Ino statices besitzt es gleichfalls, während
bei Macroglossa stellatarum und einigen beitage fliegenden Eulen, die
in der Anpassung noch nicht so weit fortgeschritten sind, wohl eine
Verkürzung des Retinaganglions im Verhältnis zu demjenigen der
Nachtfalter bemerkbar, jedoch noch nicht vollkommen, die Anpassung
somit noch nicht abgeschlossen ist.
Die vom Retinaganglion kommenden Nervenstränge treten
direkt ins
periphere oder erste Opticusganglion
ein. Es umfaßt die Körner-, Molekular- und Ganglienzellenschicht
Bergers und hat auf Frontalschnitten die Form einer langgestreckten
Bohne, die in der Richtung dorso ventral verschoben ist; wir müssen es
identifizieren dem pilzhutförmigen Körper Bergers, wie er ihn für das
Auge von Apis meUijica beschreibt. An seiner distalen, konvexen
Seite trägt es die zahlreichen Kerne, doch liegen sie lediglich den peri-
pheren Regionen eingelagert, von hier aus sich dorsal und ventral des
Ganglions zu großen Kernkomplexen anhäufend. Innerhalb des Gan-
glions nehmen wir eine Reihe parallel verlaufender Stränge wahr, wir
können sie als die direkte Fortsetzung der aus dem Retinagangiion
kommenden Nervenstränge verfolgen. Aus der proximalen, konkaven
Seite dieses Ganglions austretend, gehen die Nervenstränge die erste
Kreuzung ein: das erste Chiasma liegt vor uns; ein wirres Geflecht
von Nervenfasern bietet sich unter dem Mikroskop dem Auge dar,
allerdings muß man dieses dahin einschränken, daß man an den mit
Eisenhämatoxylin nach Heidenhain gefärbten Präparaten nur die
intensiv gefärbten Nervenscheiden deutlich wahrnehmen kann, während
die Nervenfasern selbst meist nicht erkennbar sind. Bei genauer Be-
obachtimg sehen wir, daß die aus dem dorsalen Teil des peripheren
Ganglion kommenden Nervenstränge, in dorso ventral er Richtung
254 Wilhelm .Tohna.s,
verlaufend, an die ventralen Partien des zweiten Opticusganglion heran-
treten, während umgekehrt die aus dem ventralen Teil kommenden
Fasern, in ventrodorsaler Kichtung verlaufend, an die dorsalen Partien
des zweiten Opticusganglion herantreten. Es ist interessant, daß nicht
alle Fasern direkt an der Berührungsfläche ins zweite Opticusganglion
eintreten, eine ganze Anzahl verstreicht peripher, auf diese Weise die
distale Konvexität umhüllend.
Das zweite Opticusganglion
weist eine ähnliche Gestalt auf wie das periphere, es ist nierenförmig,
wobei seine Hauptachse in dorsoventraler Richtung wiederum ver-
schoben ist. Es ist stets größer als das periphere, zeigt jedoch dieselbe
Struktur, nur daß sich in seinen distalen Partien bei einer ganzen
Anzahl von Formen keine Kerne nachweisen lassen, die ihm zuge-
hörenden Nervenkerne liegen ihm sämtHch dorsal und ventral an,
wobei zu bemerken ist, daß die aus dem Chiasma kommenden Fasern
vor ihrem Eintritt ins Ganglion sich zwischen den Körper des Ganglions
und die Kerne einschieben (s. Fig. 27). Was die Innenstruktur dieses
Ganglions anbetrifft, lassen sich die eintretenden Nervenstränge nur
in den peripheren Partien nachweisen, während die centralen auch
unter stärkerer Vergrößerung mehr oder weniger homogen erscheinen,
wir haben in ihnen das »innere Marklager« Bekgeks zu erblicken.
Erst bei ihrem Austritt aus der proximalen, konkaven Seite des Gan-
glions können wir die Fasern wieder deutlich erkennen, die hier das
zweite Chiasma bilden. Dieses stellt bis zu einem gewissen Grade eine
Wiederholung des ersten dar, indem die Fasern in dorsoventraler und
ventrodorsaler Richtung verlaufen, Abweichungen finden sich erst beim
Eintritt ins
dritte oder centrale Opticusganglion,
die allerdings bedingt sind durch den eigenartigen Bau dieses Ganglions.
Während es bei andern Insekten keil- oder kegelförmig gebaut ist,
weist es bei den Lepidopteren eine Gestalt auf, die ich als schief herz-
förmig bezeichnen möchte, deren Spitze dem Lobus opticus zuge-
wandt ist; an der distalen Basis erscheint es gespalten, so daß wir
eine größere Ventral- und kleinere Dorsalhälfte erhalten. In diesen
Spalt treten nun die aus dem zweiten Opticusganglion kommenden
Fasern ein, und zwar so, daß die dorsoventral verlaufenden Fasern an
den Dorsalrand der Ventralhälfte, die ventrodorsal verlaufenden Fasern
aber an den Ventralrand der Dorsalhälfte herantreten. Das Ganglion
Das Fapettrnancp Her Lepiflopteren. 255
an sich weist, soweit meine Präparate mir über diese Frage Aufschluß
erteilten, keinerlei Differenzierungen auf, die ihm zugehörenden Kerne
sind wiederum dorsal mid ventral angeordnet.
Wie der weitere Verlauf der Nervenfasern zum Centralhirn, ob
noch eine Nervenkreuzung stattfindet oder ob sie direkt verlaufen,
habe ich leider nicht feststellen können, jedenfalls habe ich an keinem
meiner Präparate ein drittes Chiasma zwischen dem centralen Opticus-
ganglion und dem Lobus opticus wahrgenommen.
Das Auge von Adela sp. ?
Im Juli 1909 erhielt ich in konserviertem Zustande drei Exemplare
eines kleinen, im Connewitzer Holz erbeuteten Microlepidopteron, in-
folge des stark abgeflogenen Zustandes, sowie der Konservierung ließ
sich eine genaue Bestimmung leider nicht erzielen, doch sprach ich die
Art ihrem Flügelgeäder, sowie ihren extrem entwickelten Fühlern nach
für eine Adela an. Als ich die Präparate fertiggestellt hatte, entdeckte
ich zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß ich es mit einem Auge
zu tun hatte, das in jeder Hinsicht von dem mir vertrauten Typus
abwich, so daß ich mich veranlaßt sah, es getrennt von allen andern
Formen an dieser Stelle für sich zu behandeln.
Habe ich schon im früheren darauf hingewiesen, daß bei Aus-
bildung eines stark entwickelten Processus corneae dieser den Anschein
eines Pseudoconus gewinnen könne, so haben wir es bei diesem Auge
mit einem typisch pseudoconen zu tun (s. Fig. 31), denn die Semper-
schen Kerne liegen proximal vom lichtbrechenden Medium, dem Pseudo-
conus, den sie nach der Ansicht Grenachees ausgeschieden. Die ganze
Cornea ist stark gewölbt, die einzelnen Facetten sind gleichfalls stark
gewölbt, konvex-konkav, intensiv gelb umrandet; proximal schließt
sich ihnen der wohlentwickelte Pseudoconus an, der von fast flüssiger
Konsistenz zu sein scheint, da er an den meisten Schnitten zum gTÖßten
Teil bis auf wenige Eeste zerstört war. Darunter gelegen nehmen wir
die Kristallzellen wahr, die an ihrer distalen Grenze die SEMPERschen
Kerne tragen. Der Zellkörper ist im Gegensatz zu den meisten andern
pseudoconen Augen wohl erhalten und weist auf dem Längsschnitt
fast kegelförmige Gestalt auf. Proximal schheßt sich den Kristall-
zellen die Retinula an, sie hat eine kolbenförmige Gestalt und sitzen
ihr die Sehzellkerne, wie es die Abbildung 31 zeigt, peripher auf. Auf
Längsschnitten ist ein dunkler axialer Strang deutlich erkennbar,
zu einer Rhabdombildung scheint es jedoch nicht zu kommen. Die
Querschnitte ergaben, da das Material leider stark maceriert war, nur
256 Wilhelm Johnas,
sehr unklare Bilder, die Anzahl der die Retinula zusammensetzenden
Zellen ließ sich daher auch nicht feststellen. Es gewann den Anschein,
als ob die Rhabdomere kreisförmig um einen Hohlraum angeordnet
wären, dieses Auge müßte somit der zweiten Hauptgruppe Grenachers
zugezählt werden.
Den Kristallzellen eng anliegend, finden wir die großen Kerne der
Hauptpigmentzellen, die mit ihrem Pigment den dioptrischen Apparat
umhüllen, ein wenig distaler erkennen wir die länglichen Kerne der
Nebenpigmentzellen, die sich durch ihre geringe Größe auszeichnen.
Sie treten bei dieser Form im Gegensatz zu allen andern Lepidopteren,
die nie mehr als sechs Nebenpigmentzellen aufweisen, in der Zwölfzahl
auf, wie es sich leicht an den Querschnitten nachweisen läßt, und sind
stets interstitiell angeordnet, d. h. sechs von ihnen gehören drei be-
nachbarten Ommatidien an, während die übrigen sechs nur je zwei
Ommatidien begrenzen. Die Zahl der Retinapigmentzellen konnte ich
leider nicht feststellen, da auch bei starker Vergrößerung ihre Kerne
sich nicht nachweisen ließen und das äußerst diffuse Pigment in dieser
Hinsicht keine Schlüsse ziehen ließ.
Eine weitere Eigenart dieses seltsamen Auges stellt das Retina-
gangiion dar: die aus den einzelnen Ommatidien austretenden Nerven-
bündel gehen keine Anastomosen mit benachbarten ein, sondern ver-
laufen auf direktem Wege zum ersten Opticusganglion, sich deutlich
in ihm fortsetzend, was man an einer Reihe parallel verlaufender Nerven-
stränge innerhalb der homogenen Grundmasse leicht erkennen kaim.
Die diesem Ganglion zugehörenden Kerne liegen dorsal und ventral
angehäuft.
Beim Austritt der Nervenfasern aus diesem Ganglion bilden sie
das erste Chiasma, welches den Eindruck macht als ob sämtliche Nerven-
fasern um einen Winkel von 180° gedreht wären, wodurch natürlich
wiederum ein Antritt der Ventralfasern des ersten Ganglions an die
dorsalen Partien des zweiten GangUons und umgekehrt bedingt ist.
Das zweite Opticusganglion wies wohl infolge des schlechten Erhaltungs-
zustandes keinerlei Differenzierungen auf und konnte ich nur noch
feststellen, daß die Nervenfasern auch hinter diesem zweiten Opticus-
ganglion ein zweites Chiasma bilden. Ihren Antritt ans centrale Opticus-
ganglion konnte ich nicht mehr beobachten, da dieses vollkommen
zerstört war.
Die auffallende Tatsache, daß ein Vertreter einer so wenig Ab-
weichungen im Bau der Augen aufweisenden Gruppe, wie es die Schmet-
Das Facettenauge Her T^epidopteren. 257
terlinge sind, so sehr von allen andern unterschieden ist, ließ sich viel-
leicht auf genetischem Wege erklären.
Das primitivste Auge stellt entschieden das acone, in dem die vier
Kristallzellen an sich den dioptrischen Apparat bilden, dar; die Pa-
läontologie zeigt uns, daß die ersten Insekten, die auf der Erde auf-
traten, Gruppen angehörten, die auch heute noch acone Augen besitzen.
Durch Ausbildung eines Processus corneae gelangen wir zum pseudo-
conen Typus, über den die Entwicklung zum euconen fortschreitet.
Die ersten Schmetterlinge treten im Jura auf und werden von Hand-
LIRSCH den auch heute noch der australischen Fauna angehörenden
Limacodes- Alten zugezählt. Leider waren mir Vertreter dieser Gruppe
nicht zugänglich, doch liegt der Gedanke nahe, daß sie pesudocone
Augen besitzen. Die Adelen aber zugleich mit den Micropterygiden
stellen unsre genetisch ältesten Lepidopteren dar, und ist der Gedanke
nicht von der Hand zu weisen, daß in ihren Augen sich ein uraltes
Übergangsstadium in unsre Tage hinübergerettet hat.
Überblicken wir die im Verlauf der Untersuchungen gewonnenen
Resultate, so müssen wir zum Schluß kommen, daß sie insofern negativ
ausfielen, als eine durch die Lebensweise bedingte Umformung zu
Doppelaugen nicht nachweisbar ist. Die Zahl von über 60 Arten der
verschiedensten Gruppen von Macro- und Microlepidopteren, von Tag-
und Nachtfaltern leistet mir dafür Gewähr, daß die Konstanz im Bau
des Facettenauges durch die ganze Ordnung verbreitet ist.
An positiven Resultaten wäre vor allem zu betonen, daß es mir
gelungen ist, eine Fortsetzung des Rhabdoms, bzw. der Stiftchensäume
in die Kristallkegelhülle und ein becherförmiges Umgreifen der Kristall-
kegelspitze festzustellen. Des weiteren wäre neu, daß die Ausbildung
der Stiftchensäume und die mit ihr verbundene Rhabdombildung erst
in einem gewissen Abstände von der Basalmembran zustande kommt,
wodurch ein Hohlraum innerhalb der Retinula entsteht, in den Pig-
ment von unterhalb der Basalmembran eintreten kann. Daß die
Achtzahl der Retinulazellen sich finden würde, stand nach den vor-
hergegangenen Befunden an andern Arthropodenaugen zu erwarten,
daß aber eine Vermehrung derselben auf zehn vorkäme, dürfte bisher
wohl kaum beobachtet sein. Von Interesse wäre ferner der Umstand,
daß die ein Tagleben führenden Formen von Nachtfaltern ihr Auge der
Lebensweise angepaßt haben, indem sie durch Ausbildung von Pig-
ment innerhalb der Corneafacetten und andre anatomische Eigen-
tümlichkeiten das grelle Tageslicht abzublenden suchen, wobei sich eine
Anzahl Abstufungen in der Anpassung feststellen ließen, deren Gipfel
258 Wilhelm Johnas,
entschieden die Zygäniden und Ino-Avten erreicht, indem sie in ihrem
Auge das Auge eines echten Tagfalters bis ins kleinste Detail kopiert
haben ; bei weitem noch nicht so fortgeschritten in der Anpassung sind
die am Tage fliegenden Noctuiden und Macroglossa stellatarum. Daß
die Hesperiden, diese typischen Tagtiere, im Bau ihrer Augen Anklänge
an die Nachtfalter aufweisen, dürfte zumindest befremden.
Es gelang mir ferner experimentell festzustellen, daß bei Tagfaltern,
sowie bei Zygäniden eine Pigmentwanderung sich nicht nachweisen
lasse, wir finden sie beschränkt auf die Gruppe der Nachtfalter, wobei
ich fand, daß künstliche Lichtquellen nur eine partielle Verschiebung
des Pigments bewirken.
Schließlich wäre noch Erwähnung zu tun der Wiederentdeckung
des bereits von Leydig und Schultze beobachteten, später aber in
Vergessenheit geratenen Tapetums innerhalb der Retinula.
Leipzig, im Januar 1910.
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260 Wilhelm Jolinas,
Erklärung der Abbildungen. j
Abkürzungen:
hm, Basalmembran; Rh, Rhabdoni;
C, Cornea; Rt. Retinula;
Ch, Chiasma; Rtpk, Retinapigmentzellkern;
0.0, Ganglion opticum; Rtg, Retinaganglion;
K.K, Kristalikegel ; Schm, Schaltraembran ;
KKh, Kristallkegelhülle; Schz, Schaltzone;
nf, Nervenfaser; S.K, SEMPEKsche Kerne;
P, Hauptpigment; Szk, Sehzellkern;
PK, Hauptpigmentzellkern; St, Stiftchensaum;
2J, Nebenpigment; t, Tapetum;
'pk, Nebenpigmentzellkern ; tr, Trachee.
fC, Processus corneae;
Tafel X.
Fig. 1. Die Ommatidien aus dem Auge von Rhodocera rhamni im Längs-
schnitt. Leitz. Oc. 1. Obj. 7. Zn.
Fig. 2. Querschnitt durch Ommatidien desselben Auges in der Region
unterhalb des Kristallkegels, die Anordnung der Tracheen zeigend. Sbt. Oc. 1.
Obj. 1/12 hom. Imm. Zn.
Fig. 3. Ein Stück der ausgebreiteten Cornea von Chri/suphanus hippothoe,
die polyedrisclie Anordnung der Facetten zeigend. Sbt. Oc. 3 hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 4. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Macroglossa stellatarum im
Längsschnitt. Sbt. Oc. 1. Obj. 3. Zri.
Fig. 5. Drei Ommatidien aus dem Auge von Chrysophanus hippothoe im
Längsschnitt. Sbt. Oc. 1. Obj. 5. Zn.
Fig. 6 u. 7. Querschnitte durch die Retinula desselben Falters in ver-
schiedener Höhe. Zeiss Oc. 4. Ap. 1/30. Zn.
Fig. 8. Drei Ommatidien aus dem Auge von Coenonympha pamphilus im
Längsschnitt. Leitz. Oc. 1. Obj. 7. Zn.
Fig. 9. Querschnitte durch die Retinula von Satyr us semele in verschie-
dener Höhe, die Einschiebung der siebenten Zelle zeigend. Sbt. Oc. 1 hom. Imm.
1/12. Zn.
Fig. 10. Zwei Ommatidien aus dem Auge von hio statices. Sbt. Oc. 1.
Obj. 5. Zn.
Fig. 11. Drei Ommatidien aus dem Auge von Zygaena lonicerae im Längs-
schnitt. Zeiss. Oc. 4. Obj. C. Zn.
Fig. 12. Drei Ommatidien aus dem Auge von Hesperia comma im Längs-
schnitt. Leitz. Oc. 1. Obj. 7. Zn.
Fig. 13. Querschnitt durch die Ommatidien derselben Art. Zeiss. Oc. 4.
Ap. 1/30. Zn.
Fig. 14. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Hepialns sylvanus im
Längsschnitt. Sbt. Oc 1. hom. Imm. 1/12. Zn.
Das Facettenauge der Le[)idopteren. 261
Tafel XI.
Fig. 15. Zwei Omiuatidien aus dem Auge von Tortrix. viridam im Längs-
schnitt. Sbt. Oc. 1. honi. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 16, Zwei üniniatidien aus dem Auge von Tinea sp. ? im Längsschnitt.
Sbt, Oc. 1. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 17. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Agrofis pronuha var. inuha
im Längsschnitt. Sbt. Oc. 1. Obj. 3. Zn.
Fig. 18. Querschnitt durch ein Ommatidium derselben Art, die Entwick-
lung der achten Zelle zeigend. Sbt. Oc. 5. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 19. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Cidaria hilineata im Längs-
schnitt. Sbt. Oc. 1. Obj. 5. Zn.
Fig. 20. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Botis verticalis im Längs-
schnitt. Sbt. Oc. 3. Obj. 5. Zn.
Fig. 20 a. Querschnitte durch ein Ommatidium derselben Art in der Höhe
a—d. Sbt. Oc. 3. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 21. Querschnitt durch die Retinula derselben Art oberhalb der Basal-
membran, die Entwicklung der zehnten Zelle zeigend. Sbt. Oc. 1. hom. Imm.
1/12. Zn.
Fig. 22. Querschnitte durch die Retinula von Vanessa urticae, die An-
ordnung der Tracheen zeigend. Sbt. Oc. 1. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 23. Zwei Ommatidien aus dem Auge von Zephyrus sp.?, die Aus-
bildung des Tapetums zeigend. Leitz. Oc. 3. Obj. 6. Zn,
Fig. 23a. Querschnitt durch die Retinula derselben Art, die Nervenfasern
zeigend. Sbt. Oc. 1. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 24. Kristallkegel von Botis verticalis, die Fortsetzung des Rhabdoms
in die Kristallkegelhülle zeigend. Sbt. Oc. 3. hom. Imm. 1/12. Zn.
Fig. 25. Frontalschnitt durchs Auge von Lycaena icarus, die Verkürzung
des Retinaganglions zeigend. Leitz. Oc. 3. Obj. 3. Zn.
Fig. 26. Frontalschnitt durchs Auge von PortJiesia similis, die Verlängerung
des Retinaganglions zeigend. Leitz. Oc. 1. Obj. 3. Zn.
Fig. 27. Lage der Ganglien bei Chrysophanus phlaeas. Sbt. Oc. 3. Obj. 2. Zn.
Tafel XII.
Fig. 28. Frontalschnitt durchs Auge von Coenonympha pamphilus. Sbt.
Oc. 3. Obj. 2. Zn.
Fig. 29. Frontalschnitt dm-chs Auge von Zygaena lonicerae. Sbt. Oc. 1.
Obj. 2. Zn.
Fig. 30. Frontalschnitt durchs Auge von Botis verticalis. Leitz. Oc. 1.
Obj. 3. Zn.
Fig. 31. Frontalschnitt durchs Auge \on Adela s.p.'i Leitz. Oc. 1. Obj. 7.
Zur Entwicklung der Vogelextremität\
Von
Felix Sieglbauer
(Leipzig).
(Aus der Anatomischen Anstalt in Leipzig.)
Mit 16 Figuren im Text und Tafel XIII, XIV. .
Die Skeletentwicklung der Vogelextremitäten ist wiederholt Gegen-
stand ausführlicher Untersuchungen gewesen. Nachdem GtEGENbaue
mit der Entdeckung des Intertarsalgelenkes die Bahn gebrochen hatte,
folgten Rosenberg, Parker der ältere und jüngere, dann Nassong w
und Mehnert. Sie untersuchten sowohl die vordere als auch die
hintere Extremität bestimmter Arten, während Norsa und Leighton
nur die Entwicklung des Skelettes der vorderen, Baur und Johnson
der hinteren Extremität zum Gegenstand von Publikationen heran-
zogen.
So verschieden Flügel und Fuß der Vögel infolge der Wirkung
von funktioneller Anpassung geworden sind, so zeigen sie doch in den
ersten Entwicklungsstadien einen gewissen Parallelismus, der wieder
unverkennbar an die Entwicklung der Vorfahrenextremität anschließt.
Die Erwartungen, daß die neuen Untersuchungen Rabls und Se-
wertzoffs über die Skeletentwicklung der Reptilienextremität Licht
auf die der verwandten Vögel werfen könnten, wurde nicht getäuscht,
und ich bin meinem verehrten Lehrer Rabl zu großem Dank ver-
pflichtet, daß ich seit einer Reihe von Jahren seine Untersuchungen
in der Extremitätenfrage miterleben durfte und damit Grundlage und
Anregung auch für dieses Thema gefunden habe.
Wie im allgemeinen in der Extremitätenentwicklung, so findet
sich auch in der der Vögel die in der Entwicklung aller Organismen
in so mannigfacher Form auftretende Erscheinung der Heterochronie
scharf ausgeprägt. Man kann sagen, sie bedinge die ganze Auffassung
1 Die Arbeit diente als Habilitationsschrift.
Zur Hntwicklunfj; der A'ogeloxl iciniläl. 263
iler Bilduiigsgeschichte des. Extremitäteuskelettes, so daß os notwendig
crsclioint. ihre, cinze.liuMi Ersclieinuimsfoi'iiien kni'z zu präzisiercMi.
Rabl hat ziieist darauf hingewiesen, daß bei den Keptihen die
Elemente des vierten Strahles in der Entwicklung der vorderen und
hinteren Extremität vorauseilen. Sewertzofp hat bei Ascalohtes und
Emys das gleiche nachweisen können. Es findet eine Hetcrochronie
zwischen den beiden Rändern der Extremität derart statt, daß der
postaxiale (ulnare, bzw. fibularo) dem präaxialen (radialen, bzw. tibialen)
vorauseilt. Rabl erklärt diese auffällige Tatsache durch die stärkere
Inanspruchnahme, die der postaxiale Extremitätenrand beim Stützen,
sei es auf dem festen Boden oder auf dem Wasser (Schwimmen) erleidet.
Xwch bei den Vögeln findet sich diese Form der Heterochronie zwischen
den beiden Rändern der Extremität, und zwar sowohl an der Hand
als auch am Fuße, trotzdem beim erwachsenen Tier an der vorderen
Extremität der ulnare, an der hinteren der tibiale Rand von größerer
funktioneller Bedeutung ist. Das Fliegen ist ein Schwimmen in der
Luft, wie Rabl mir gegenüber einmal bemerkte. Auch in Strassers
Arbeit über den Vogelflug findet sich der Gedanke. Der ulnare Rand
ist besonders beansprucht in ähnlicher Weise etwa wie bei der Vorder-
flosse einer Thalassochelys. Aber daß in der Entwicklung der hinteren
Extremität des Vogels der f ibulare Rand und die vierte Zehe voraneilen,
trotzdem beim erwachsenen Tier Tibia und dritte Zehe vor allem die
Stützfunktion übernehmen, dafür kann nm- zähe Vererbung von den
Reptilienvorfahren zm- Erklärung herangezogen werden.
Für die Auffassung der Vogelhand ist die Heterochronie des post-
axialen Randes von besonderer Bedeutung. Sie kann, wie ich gieube,
als Argument für die OwENsche Zählweise der Finger dienen. Seit
Gegenbaur und Owen sind die Untersucher in zwei Lager geteilt,
indem die einen, dem ersteren folgend, keinen Verlust eines Fingers
an der radialen Seite annehmen und den ersten Finger der Vogel-
extremität homolog setzen dem Daumen einer pentadactylen Extremität.
Gegenbaur ist auf diesen Gedanken durch seme Untersuchungen an
der Krokodilextremität gekomjnen. Bei den Wasser eciisen sind die
beiden idnaren Finger rudimentär und, da auch sonst ELrokodüe und
Vögel vielfach gemeinsame Züge aufweisen, glaubte Gegenbaur, daß
an der Vcgelhand die beiden ulnaren Finger geschwunden seien. Die
Länge und Schwäche des IIL Metacarpale an der Vogelhand bestärkten
ihn noch in dem Vergleich. Er erwähnt auch, wie Nitzsch bereits
1811 die Krallen am Vogelflügel nur so zu erklären vermag, daß er
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bfl. 18
264 Felix Sieglbauer,
die Flügel von einem Fuß ableitet, der Krallen zum Gehen und Laufen
besaß.
Gegenbaur schlössen sich Rosenberg, Parker, Meckel, Hux-
L,EY, BaER, MlLiNE EDWARDS, JeFFRIES, JaCKSON, ZeNHTNER, NaSSO-
Now an.
Owen zog aus dem Vergleich der vorderen mit der hinteren Ex-
tremität den Schluß, daß der Daumen rudimentär geworden und ge-
schwunden sei, so wie die große Zehe kein Basale und nur ein rudi-
mentäres Metacarpale aufweise. Der fünfte Strahl wird vorn und
hinten rückgebildet, und so nahm Owen die doppelseitige Reduktion
an, die sowohl am prä- als auch am postaxialen Rande zum Verlust
eines Fingers führte. Das ist die Art der Reduktion, wie sie auch
für die oligodactyle Extremität vieler höherer Säugetiere, wirksam ist.
Es schwindet zuerst der Daumen, dann der fünfte, dann der zweite
und endlich der vierte Finger, so daß aus dieser charakteristischen
Verlustreihe beim recenten Pferd z. B. der dritte Finger, also der Mittel-
finger, allein zurückbleibt. Am Fuße ist ganz ähnliches der Fall, nur
verschwindet da beim Vogel zuerst die fünfte Zehe. Beim zweizehigen
afrikanischen Strauß bleiben die dritte und vierte allein übrig von
allen fünf, die ontogenetisch noch auftreten.
Owen haben sich in der Zählweise der Finger, als zweiter, dritter,
vierter Norsa, Leighton, Mehnert, Hurst angeschlossen. Auf die
Auffassung Tschans komme ich später noch zurück.
Die Befiederung des ersten Fingers in Form der Alula, die besondere
Beweglichkeit der beiden Phalangen dieses Fingers und die damit im
Zusammenhang stehende Ausbildung besonderer Muskeln legt zu-
nächst den Gedanken nahe, daß man es mit einem Daumen zu tun
habe. Nm- widerstrebend und allmählich habe ich mich von der Gegen-
BAURschen Anschauung lostrennen können und wurde darin vor allem
andern durch den Vergleich der ersten Entwicklungsstadien bpider
Extremitäten bestimmt, die das Voraneilen eines Fingers und einer
Zehe zeigen, die als vierte aufzufassen sind, wenn man die Entwicklung
der Reptilienextremität zum Vergleich heranzieht.
Trotzdem bleibt in der Entwicklung des Vogelflügels die Ähnlich-
keit mit der Krokodilextremität, die Gegenbaur hervorgehoben hat,
bestehen insofern als die beiden ulnaren Finger stark rudimentär sind.
Der \'ierte Finger verliert während der Ontogenese zwei Phalangen
und eine Krallenanlage, wie die Untersuchungen noch zu zeigen haben
werden, und der fünfte wird vollkommen rückgebildet.
In der Reduktion des ersten radialen Fingers stehen die Vögel
Zur Kiit w ickliiM^f der V(>m'li'.\(renii(iit. 260
uiitei- (ItMi NachktuutiH'n (Ut Hcptilii'ii nicht allein. Die klciiirn Kluim;-
saurier, Rh((niphor}ti/nc/H(s, Ptcrodiicti/lu.s, die sich in ganz aiulier Weise
aus den eidechseuälinlieheii Foiinen zu flatternden oder fliegenden
Formen umgebildet haben, die ganz auffallend an die Fledermäuse
erinnern, zeigen gleichfalls die Kückbildung des Daumens, der wahr-
scheinlich in dem vSpannknochen zu suchen ist, welcher, abgewendet
von den übrigen Fingern dei' Hand, dem Radius parallel stand.
Eine zweite Art der Heterochronie war schon K. E. v. Baer be-
kannt, nämlich die proximodistale Entwicklungsrichtung in dem freien
Teil der Extremität. Mehnert gibt für die Carinaten an, daß beim
Verlaiorpelungsprozeß der Carpus und Tarsus übersprungen werden
und das dritte Metacarpale und Metatarsale zuerst den prochondralen
Charakter verlieren. Bei den Ratiten — Mehnert hat den afrikanischen
Strauß untersucht — soll das Basipodium nicht übersprungen werden.
Die Angaben desselben Autors, daß bei Emys das Metapodium dem
Basipodium in der Verknorpelung voraneilen soll, sind bereits von
Rabl und Sewertzoff dahin korrigiert worden, daß zuerst das Ulnare
und Fibulare verknorpeln und dann das vierte Basale und Metacarpale
bzw. Metatarsale, die in der unmittelbaren Verlängerung der beiden
erstgenannten Knorpel gelegen sind. Und auch für die Carinaten soll
im folgenden gezeigt werden, daß bei der ersten Büdung von hyaliner
Grundsubstanz in proximodistaler Richtung kein Abschnitt der Ex-
tremität übersprungen wird.
Als ich von 5- und Ötägigen Embryonen der Ente die Serien-
schnitte der gleichseitigen Extremitäten desselben Individuums auf
denselben Objektträger auflegte, fiel mir bald auf, wie in der histolo-
gischen Differenzierung die hintere Extremität der vorderen schon
zeitig voraneilt. Nach der Zusammenstellung von Mehnert findet
sich bei allen Wirbeltieren, soweit sie Extremitäten besitzen, ein Vor-
auseilen in der Entwicklung der vorderen Extremität gegen die hintere.
Nm' die Anuren unter den Amphibien und die Ratiten unter den Vögeln
zeigen das Umgekehrte. Besonders schön tritt diese Heterochronie
bei den Ratiten an einem Embryo hervor, den der jüngere Parker
in seiner großen Monographie von einer Afteryx aitstralis abbildet.
Der Embryo entspricht nach den Angaben Parkers in seiner Ent-
wicklung etwa einem 4 Tage alten Huhn. Der vordere Extremitäten-
wulst erstreckt sich über den 17.— 19. Urwirbel, der hintere aber vom
28. — 36. Urwirbel. Sobald sich also die Extremitätenanlagen differen-
ziert haben, zeigen sie den auffallenden Größenunterschied, der für das
erwachsene Tier so charakteristisch ist. Mehnert macht bei dieser
18'
266 Felix SiegUjaiier,
ZiLsanimenstellung keine Angaben über die Caiinaten. Wohl aber
zitiert er an einer andern Stelle den Satz v. Baer aus der Entwick-
lung des Huhnes: >> Bisher ist die Entwicklung beider Extremitäten
einander gleich, mit dem Unterschied jedoch, daß die hintere immer
in der Entwicldung zurückbleibt.« Mit dem »bisher« ist gemeint —
wie sich aus dem Zusammenhange ergibt — ■ der Zeitpunkt, bis zu dem
die Fingerstrahlen sich bilden. Ich habe bei der Hausente nm*, soweit
exakte Messungen möglich sind, die gleiche Größe auch in der ersten
xVnlage der vorderen und hinteren Extremität finden können. Ich
habe direkte Messung und Messungen an genauen Umrißzeichnungen
versucht. Die Urwirbelbreiten sind in den verschiedenen Regionen
des Rumpfes verschieden, sie können als Maß nicht gut verwendet
werden, besonders dann, wenn die Größenunterschiede nicht derart
sind wie bei den Ratiten. Beim Huhn habe ich bei Messungen manch-
mal die vordere, manchmal die hintere um ein ganz geringes größer
gefunden.
Es wäre immerhin möglich, daß abgesehen von der Größe der ersten
Extremitätenanlage bei den Carinaten infolge der mächtigen Entwick-
lung der Schultergürtelmuskuiatur die proximalen Teile der vorderen
Extremität in der Entwicklung voraneilten. Unterarm und vor allem
die Hand der Vögel, selbst solcher Formen wie der Kolibri und Mauer-
segler mit ihren enorm verlängerten Unterarm- und Fingerknochen,
sind mit Rücksicht auf die Zahl ihrer Elemente als rudimentäre Gebilde
anzusehen. Sie sind nur zur Stütze und zum Hebelwerk einer überreichen
Integumentformation geworden. An die Stelle der Phalangen, wie sie
den Fledermausflügel stützen, sind stark vergrößerte Hautpapillen, die
Schwungfedern, getreten, und die ganze korrelative Wachstumsenergie
hat sich gleichsam auf das Corium und die Epidermis konzentriert.
Nun werden rudimentäre Organe im allgemeinen auch rudimentär an-
gelegt, und damit erklärt es sich, wenn die distalen Skeletteile des
Vogelflügels in der Entwicklung zurückbleiben gegen die des ki'äftig
entwickelten Beines i.
1 Es wäre das ein »individualisierter Reduktionsprozeß «, wie ihn SßWEETZoFF
auch bei Seps tridadyla neben einem die ganze Extremität betreffenden Reduk-
tionsprozeß unterscheidet. Sewertzoff findet nämlich anfangs die Extremitäten
von Sefs nur sehr wenig kleiner als die von Ascalobotes, später aber bleiben sie
auffällig zurück. Die vordere Extremität zeigt dann speziell an der Hand ähn-
liche Reproduktionsprozesse wie der Vogelflügel, auf die noch später eingegangen
werden soll. Diese Reduktionsprozesse setzen bei Seps mit viel größerer Inten-
sität als der allgemeine, ein und Sewertzoff schließt daraus: »Dieser Umstand
Zur Kntwirklimi; der VoL'rloxtnMiiität. 267
Nach Angabe dieser divi Können der HottMoclironic, welche die
Extremitätenentwicklunu' bestininien. gehe ich zur Mitteihing der
spezieUeu Befunde über. Vorauszuschicken habe ich nur noch einige
Angaben über das verwendete Material.
Die Untoisuchungen gründen sich vor allem auf Embryonen der
Hausente. Die Wasservögel, speziell die Anatinae vmd Anserinae, nicht
Cygnus. nehmen, wie auch Fürbringer hervorhebt, eine verhältnis-
mäßig tiefe Stellung im System ein, und im Zusammenliang damit steht
es vielleicht, daß, wie Rabl immer wieder betont, die Ente viel klarer
zu embryologischen Untersuchungen als wie das klassische Objekt, das
Haushuhn, ist.
Und gerade dadurch, daß mir mein Vorstand eine geschlossene
Reihe von gut konservierten Entenembryonen ziu- Verfügung stellte,
an welchen ich die mikroskopischen Untersuchungen zuerst begami,
hatte er mir ein Material gegeben, das, wie die Folge lehrte, immer
mehr und mehr sich vor den andern untersuchten Formen bewährte.
Nach der Methode von van Wime und Spalteholz hergestellte Total-
präparate machten mich zuerst beim Huhn auf die frühe Entwicklung
des Ulnare aufmerksam.
Dann habe ich selbst eine ganze Reihe von Hühner- und Enten-
embryonen konserviert und von Herrn Prof. Held und Herrn Dr. Kose
eine Anzahl von Entenextremitäten zur Verfügung gestellt bekommen,
wofür ich ihnen auch an dieser Stelle bestens danke.
Vor allem habe ich aber Herrn Prof. Erik Müller in Stockholm
für das große Entgegenkommen zu danken, mit dem er meine Bitte
um Pinguinmaterial erfüllte. Bereitwilligst sandte er mir eine ganze
Reihe tadellos fixierter Embryonen vom Pygoscelys fafuci, die mir für
die Entwicklung des Skeletsystems der Vogelextremität, vor allem der
vorderen, wertvolle Aufklärung brachten.
Die Angabe des Alters nehme ich bei der großen Variabilität, die
im Brutapparat entwickelte Eier eines domestizierten Vogels zeigen,
nur ganz allgemein nach Tagen vor.
Ich habe überwiegend linke Extremitäten imtersucht und die
meisten Formen horizontal, also von der dorsalen zur volaren, bzw.
plantaren Seite der Extremität in einer Dicke von 12 /< geschnitten.
Mehnert gibt an, die Serien sollen 20—30/« dick sein, um die Knorpel-
centren erkennen zu können. Ich habe daraus keinen besonderen
Vorteil gezogen. Die schönsten Bilder bekam ich mit Durchfärbung
weist auf eine gewisse Selbständigkeit (Individualität) in der phylogenetischen
Entwicklnns: der einzelnen .Skeletelemente hin.
268 Felix .SiegU.auer,
der ganzen, in ZENKERscher Flüssigkeit konservierten Extremitäten
im ÜELAFiELDschen Hämatoxylin, das ich Herrn Dr. Geäper in einer
ganz vorzüglich hergestellten Qualität verdanke. Dadurch war es mir
vor allem möglich, die ersten Bildungen hyaliner Grundsubstanz nach-
zuweisen und so das Ulnare und Fibulare in seinem ersten Auftreten
zu erkennen.
Vordere Extremität.
1. Anas boscJias dorn.
5. und ü. Tag.
An der Extremitätenanlage sind in der äußeren Form Oberarm
einerseits, Unterarm und Hand anderseits durch Ausbildung der gegen-
seitigen Winkelstellung deutlich zu erkennen. Während der kurze
Oberarmstumpf fast frontal steht, ist der distale Teil der Extremität
an der Stelle des künftigen Ellbogengelenkes ventral und zugleich
caudal abgebogen, so daß er der Leibeswand in caudaler Kichtung
anliegt. Die Handplatte ist an der starken Wölbung des präaxialen
Kandes ebenso zu erkennen wie an einer seichten Kerbe, die der ulnare
Rand trägt.
Das Schnittbild (Textfig. 1) zeigt, daß der Humerus bereits ins
Vorknorpelstadium eingetreten ist, während die Anlage des Zeugo-
und Autopodiums zwei Säulen dicht gedrängter Zellen bildet, die proxi-
mal zusammenhängen, distal aber mit abgerundeten Enden frei in der
bindegewebigen Grundmasse der Handplatte enden i. Die beiden
Säulen umfassen zangenartig die Art. interossea, deren Durchschnitte
näher dem radialen Aste der Zeugopodiumanlage gelegen sind. Dabei
ist der radiale Ast dem konvexen präaxialen Rand entsprechend abge-
bogen und etwas kürzer und dicker als der gestreckt verlaufende ulnare
Ast, dessen distales Ende aufgetrieben ist, im Gegensatz zu dem
des radialen. Der Ramus dorsalis der Art. interossea tritt zwischen
den beiden Zeugopocüumanlagen hindurch, um dorsal über das distale
Ende des radialen Astes hinweg einen ulnar gerichteten Bogen zu
bilden, von dem zahlreiche Capillaren in die HocHSTETTERsche Rand-
vene führen.
Im proximalen Teil des ulnaren Astes läßt die quere Parallel-
stellung der Kerne eine kurze prochondrale Anlage der Ulna erkennen,
während im gleichen Stück des radialen Astes eine Radiusanlage nur
1 Bereits Meiinert gibt für Huhn und Strauß das freie Ende der beiden
Zeugopodienäste an. Rabl hat dasselbe bei Triton, Sewertzoff bei Ascalobotes
gefunden.
I
Zur Enlw ickluii'' dci' Vouelexticmiliil.
2«3l)
»-;-f
u
A.i.----
nanz luuleutlic'h sich differenziert liat. Die distalen ab^ierundeten
Enden, die viele Zellteihui^en zeigen. r(>präsentieren die Anlage der
Hand, so daß also in den
beiden Zellsäulen sowohl
Zengo- als Autopodiunian-
lage enthalten sind.
Textfig. 2 zeigt Radius
und Ulnaanlage etwas deut-
licher — ■ der Embryo war
etwas älter als der zuerst
beschriebene — . Vor allem
sind die distalen Enden der
zangenartigen Skeletanlage
nun deutlich aufgetrieben.
Das radiale Ende ist ent-
sprechend dem konvexen
Rand der Extremität abge-
bogen und repräsen-
tiert die Anlage des
zweiten und dritten
Fingers, während das
ulnare Ende weiter
distal vorragt und vor „
allem dem vierten und
auch dem fünften Fin-
ger entspricht. Das
zeigt sehr gut die fol- ( 7>
gende Textfig. 3, die \ J
von einem viel weiter
vorgeschrittenen Sta-
dium stammt. Die
kurzen breiten An-
UmvißzeichmiiiK
zn Textfis?. 1 — 3.
Textfig. 1.
Euto, 6. Tag; linke, vordere Extremität. 35nial vergr.
R.
17. /i
\
\
- ¥
m
Textfig. 3.
Textfig. 2.
lagen von Radius und '^'f; '■ ^^.f "f •^' ^"°^'i^'-^ ^"*'^; '-""f^; ünke vordere ex-
o Extremität. 35mal vergr. tremitat. 35mal vergr.
Ulna sind deutlich ins
prochondrale Stadium eingetreten, die Anlage der ülna ist etwas
breiter. In ihrer distalen Fortsetzung liegt eine breite Zellplatte,
die mit vier stumpfen Höckern endet, von welchen der dritte der am
deutliclisten hervorragende ist. In diese Gewebsplatte ragt als ein
Rest der ihre beiden Anlagen trennenden Spalte ein Zug hellen
Mesenchyms hinein, der die Anlage des Z\vischenknochenraumes im
270 Felix Sieglbauer.
ulnar wärts offenen Winkel fortsetzt. Diese Abscliwenkung der ganzen
Handanlage ist vielleicht das am meisten in die Augen springende in
dem Stadium. Sie zeigt, wie die für die Funktion des Vogelflügels
so wichtige ulnare Abduktion schon in diesen Stadien beginnt, und aus
den weiteren Zeichnungen ist zu entnehmen, wie sie mit der Entwicklung
immer mehr und mehr zunimmt, um beim auslaiechenden Vogel einen
Winkel von etwa 40 — ^60 "^ zu erreichen. Die während der embryonalen
Entwicklimg immer mehr zunehmende ulnare Abduktion im Hand-
gelenk ist von bestimmendem Einfluß auf die Ausbildung der Carpal-
elemente und auch der Finger. Schon Leighton ist darauf aufmerk-
sam geworden und hat die eigentümliche Stellung des Ulnare auf die
mechanische Druckwirkung der ulnaren Abduktion zurückgeführt.
Maximale ulnare Abduktion im Handgelenk ist vor allem für die Kuhe-
stellung des Flügels charakteristisch. Hier ist sie zwangsweise ver-
bunden mit der Beugung im Ellbogengelenk. Henke hat bereits
auf diese für Reptilien und Vögel eigentümlichen kombinierten Be-
wegungen im Hand- und Ellbogengelenk hingewiesen, die zu einer
Längenverschiebung zwischen Radius und Ulna führen. Am Vogel-
flügel ist am pi'oximalen Ende von Radius und Ulna für diese Bewegung
ein Gelenk vorhanden, distal aber nur ein starkes, dehnbares Band.
Neben diesem durch die Funktion vererbten Moment könnte man
vielleicht als Ursache für die ulnare Abduktion die raumbeengende
Eischale anführen, die alle Gelenke zu starker Beugestellung zwingt.
Der zum Ruder umgewandelte Flügel des Pinguin zeigt auch in der
Ruhelage eine nur geringe ulnare Abduktion im Handgelenk. Während
der Entwicklung kommt in gleicher Weise das Moment der ulnaren
Abduktion viel weniger zur Geltung. Das zeigt, daß der zuerst oben
angeführte Grund der Mächtigste für die eigentümliche Stellungsände-
rung in der Handentwicklung ist.
Es kommt, vom 12. und 13. Tage angefangen, zu dieser ulnaren
Abweichung noch eine volar gerichtete geringe Beugung im Hand-
gelenk hinzu, die wohl rein auf die Raumbeengung innerhalb der Schale
zurückzuführen ist.
Der erwähnte Mesenchymkanal teilt die Handanlage in zwei ganz
ungleiche Teile: der radiale ist viel breiter und weniger differenziert,
er enthält vor allem die Anlage des dritten Fingers, des stärksten der
Hand. Durch die ulnare Abduktion setzt sich von diesem Teil der
Handanlage das distale Radiusende etwas schärfer ab; dort entsteht
am 7. Tage ein stumpfer Höcker, der von den Autoren als Anlage
des sich nicht weiter entwickelnden ersten radialen Finaiers uedeutet
Zur KiUw icklunir iler \'(<i;;oIe\tr('mitiit. 271
wird. Der ulnare Teil verschmälert sich /aierst etwas gegen die Ulna-
aiilage — hier tritt später das Ulnare auf — . um dann in zwei stumpfe
Fortsätze zu enden, von welchen der radiale frei als Fingeranlage voi-
ragt. Ans dem Vergleiche mit dem Entwickluugsstadium des Fußes
eines jüngeren Embryos (Textfig. 12). der die freie Entwicklung dei'
vierten Zehe zeigt, schließe ich, daß auch an der Hand die längste
Fingeranlage die vierte ist. Sie liegt nicht in unmittelbarer Verlängerung
der Ulna, weil jetzt schon die ulnare Abduktion störend auf die Tojio-
graphie der sich bildenden Skeletelemente einwirkt.
7. und 8. Tag. (Fig. 1, 2, 3, 4, Taf. XIII.)
An die bisher beschriebenen Bilder schließe ich die Taf. XIII,
Fig. 1 und 2 an, welche zwei nahe aneinander liegende Stadien dar-
stellen. Fig. 1 ist das Schnittbild der linken vorderen Extremität eines
Embryo vom Ende des 6. Tages. Das distale verknorpelte Ende der
Ulna tritt deutlich hervor, und in einigem Abstand davon und ulnar
abgelenkt liegt ein ovaler Knorpelherd, der zunächst die Anlage des
Ulnare enthält und dessen distales Ende, wie die folgende Entwicklung
lehrt, zum Basale 4 und 5 wird. An seiner radialen Seite zieht der
erwähnte mesenchymatische Kanal als eine im stumpfen Winkel ab-
gebogene Fortsetzung des Spatium interosseum des Unterarmes in die
Basipodiumanlage hinein gegen die vierte Fingeranlage. Diese ist die
längste Fingeranlage. Ihr peripheres Ende krümmt sich krücken-
förmig ulnarwärts um. Der fünfte Finger wird durch einen schmalen
Streifen dargestellt, der gegen die Randvene heranreicht. Von den
beiden radialen Fingeranlagen ist die ulnare die stärkere. Sie übertrifft
an Dicke die vierte Anlage. Ganz ähnliche Verhältnisse zeigt die
Fig. 2, die eine Kombination mehrerer aufeinander folgender Schnitte
darstellt. Die Aveitere Entwicklung ist daran zu erkennen, daß im
vierten imd, weniger deutlich, im dritten Finger die prochondrale
Anlage eines Metacarpale zu sehen ist. Ferner sei auf den radial
von der ersten Fingeranlage der Taf. XIII, Fig. 2 und 3, noch auf-
tretenden kleinen Gewebshöcker hingewiesen, der in der Tat an eine
Finneranlaue erinnert und von den Autoren Norsa und Leighton als
Daumenanlage gedeutet wurde. Sie schwindet vollständig schon in
wenig älteren Stadien. Dagegen tritt dann an derselben Stelle der
schon früh durch seine Größe und schärfere Abgrenzung auffallende
Knorpelherd des Radiale auf. Dasselbe kommt gerade durch die
ulnare Abduktion in eine exponierte Lage am radialen Extremitäten-
rand. Später soll noch gezeigt werden, wie seine auffallende Entwicklung
272 Felix Sieglbauer,
mit der Ausbildung von zwei Muskelsehnen zusammenhängt. An der
Außenseite der Ulna findet sich ein keilförmiger Gewebsstreifen, der
dem Ulnare proximal aufsitzt: da tritt später der Knorpelkern des
Pisiforme unabhängig vom Ulnare auf.
Die weitere Differenzierung geht nun sehr rasch vor sich. Vor
allem treten die Teile der Handwurzel wie aus einem Gusse auf.
Zunächst muß noch die äußere Erscheinung der vorderen Extre-
mität aus der angegebenen Brutzeit kurz sldzziert werden. Die Hand-
platte setzt sich durch ihre mit der Radienentwicklung zunehmende
Verbreiterung deutlich von der Unter armanlage ab. An der Vogel-
hand ebenso wie am Fuß treten die Radien zuerst mehr divergent im
Gegensatz zu ihrem späteren parallelen Verlauf auf. Dadurch verschmä-
lert sich im Laufe der Ontogenese sowohl die Hand- wie di6 Fußplatte,
vor allem im Gebiete des Basi- und Metapodiums. Der Fingerentwicklung
entsprechend ist der freie Rand der Handplatte nicht mehr gervmdet
wie anfangs, sondern zeigt drei stumpfe Ecken, die ungefähr den Enden
der drei bleibenden Finger entsprechen. Der ulnarste Finger bewirkt
keinen Vorsprung; er ist an der Vogelhand von allem Anfang an rudi-
mentär. Daher der auffällige Unterschied, wenn man die Handplatte
des Vogels mit der einer ungefähr gleichentwickelten Handplatte etwa
einer Lacerta muralis vergleicht, an der dem fünften Finger entsprechend
ein breiter, durch einen tiefen Einschnitt von den übrigen Fingeranlagen
getrennter Lappen besteht — sowohl an der vorderen als an der hinteren
Extremität. Dieser Lappen ist an der Vogelhand gleichsam wie
abgeschnitten. Der ulnare Rand weist eine leichte Abknickung an
der Grenze zwischen Unterarm und Hand auf. Der noch stumpfe
Winkel von etwa 154- ist die erste äußere Andeutung der ulnaren
Abduktion, die innerlich schon an den ersten Skeletanlagen zu erkennen
war. Auch das Relief der palmaren und vor allem der dorsalen Seite
wird durch die entwickelten Radien modelliert, wie man bei auffallen-
dem Lichte deutlich erkennen kann.
In Beziehung auf die histologische Differenzierung (Taf. XIII,
Fig. 4) setzt sich das distale Ende von Radius und Ulna deutlich gegen
den Carpus und dieser gegen den Metacarpus ab. Die ganze Hand-
wurzel bildet, vom ulnaren und radialen Knorpelkern abgesehen, eine
einheitliche prochondrale Masse, die nur mit Mühe einzelne Teile er-
kennen läßt, was die so verschiedene Deutung bei den einzelnen Autoren
erklärt. Von einer Abspaltung eines Basale vom proximalen Teil des
Metacarpus, wie sie Sewertzopf auf Grund seiner Untersuchungen an
Reptilienextremitäten annimmt, ist nichts zu erkennen.
I
Zur Kntwicklinifj; der N'ogc'lo.xtrLinitiit. 273
lii (liosor noch wenig differenzierten Gewebsplatte der Handwurzel
ist doutlicli zunächst der Knorpelkern des Ulnare zu erkennen, der
distal und nach außen vom unteren Ulnaende lieut. Kr ist annähernd
vierseitig begrenzt und setzt sich in ciiicn proclioudralen Herd fort,
der einerseits den Metacarpus -1 und 5 trägt, anderseits radial in die
prochondrale Anlage des dritten Basale kontinuierlich übergeht. Auch
an Sagittalschnitten grenzt sich diese Zellmasse vom Ulnare deutlich ab ;
sie ist die Anlage des vierten und fünften Basale. Die radiale Seite
des Ulnare wird durch einen dichtereti Zellstreifen von der übrigen
RV
RV.
I
ji--
— -'w.
— u.
t
■^ ' 11 *
Textfig. 4. Textfig. ö.
Kiite, 11. Tag; ünke vordere Extremität, clor- Kiite, 10. Tag; linke vordere Extremität, dor-
sal gelegener Schnitt. 25mal vergr. sal gelegener Schnitt derselben Serie wie Text-
figiir 6. •25mal vergr.
Carpusanlage scharf getrennt. Besonders am 9. und 10. Tage tritt in
ihm eine helle, bei schwacher Vergrößerung sehr deutlich in den mehr
dorsalen Schnitten bemerkbare Stelle auf (Textfig. 4 und 5 mit X be-
zeichnete Stelle). Sie erinnert sehr in ihrer Lage am Ulnare an den
großen Spalt, der sich im Carpus der Krokodile zwischen den beiden
langen proximalen Handwurzelknochen findet und durch welchen der
Ramus dorsalis der Art. interossea auf die dorsale Seite der Hand kommt.
Ich habe an der Stelle kein Gefäß durchtreten sehen, glaube aber, daß
sie dem in der Phylogenese verloren gegangenen Foramen carpi ent-
spricht. Radial von dieser das Ulnare scharf einfassenden Zellplatte
274 • Felix iSieglbauer.
kommt nun der centrale, noch vorknorpelige Teil des Carpus, der mii-
die größten Schwierigkeiten in der Deutung bereitet hat und den icli
nur durch die Befunde beim Pinguin einigermaßen in seine Bestandteile
aufzulösen vermochte. Zwischen Ulna und Metacarpus III ist eine pro-
chondrale Masse eingeschoben, die sich, wie bereits hervorgehoben wurde,
oegen das Ulnare scharf begrenzt und ueiien die noch zu beschreibende
Anlage des Radiale vuid Intermedium etwas dorsal verschoben er-
scheint. Eine an Zellkernen dichtere Stelle trennt die Masse in einen
proximalen Streifen, der bis gegen das rudimentäre Foramen carpi und
das Ulnare reicht und einen distalen breiteren, der mit der Anlage des
vierten und fünften Basale zusammenhängt. Den letzteren halte ich für
die Anlage des zweiten und dritten Basale und das nun zwischen drittem
Basale und Ulna eingeschlossene Stück prochondralen Gewebes für das
Centrale. Norsa bezeichnet diese prochondrale Anlage als Centrale 2,
indem sie vom Hatteria-CsiTpus ausgehend auch im Carpus des Vogels
zwei Centralia sucht. Sie setzt das Centrale 1 randständig in den
eigentümlich scharf begrenzten Knorpelkern, der später noch als Radiale
beschrieben werden soll. Die rudimentäre Hand des Vogels gestattet
nicht auf die so schwierige Frage einzugehen, ob ein oder mehrere
Centralia ursprünglich sind, eine Frage, die aufs engste mit der Ab-
leitung der Extremitäten im allgemeinen von einer Oligo- oder von einer
polydactylen Urform verknüpft ist. Ich möchte hier bezüglich des
als Vergleichsobjekt von Norsa gewählten Hattena-Ca,Y]i\is betonen,
daß Rabl die Vermehrung der Centralia mit der Verbreiterung des
Carpus in Zusammenhang bringt.
Nun gibt Norsa an und bildet es in ihrem Schema auch ab, daß
sich dieses Centrale dorsal über das Basale III bis zum Metacarpale III
hinschiebt. Ich habe eine solche Größe des Centrale nicht erkennen
können, wohl aber ist die Anlage desselben gegen das Intermedioradiale
und Basale III dorsal verschoben, was besonders an Sagittalschnitten
zu sehen ist und sich aus der Wirkung der ulnaren Abduktion ebenso
wie die Verschiebung des Ulnare erklären läßt. Aus dem gleichen
Grunde ist es verständlich, daß das Centrale mit der Ulna scheinbar
in direkte Verbindung kommt, wemi man von dem dichten Gewebs-
streifen absieht, der. das Centrale von der Ulna trennend, eine A^er-
bindung zwischen Intermedium und Ulnare herstellt. Das Intermedium
ist gleichsam durch die Druckwirkung der ulnaren Abduktion breit-
gequetscht worden und hat sich nur zwischen Radius und Ulna erhalten,
während der mit der Verschiebung des Ulnare noch verlängerte Streifen
bindegewebig bleibt und in der weiteren Entwicklung zum Lig. carpi-
Zur KutwicUluiiLr dor Vo^olt^xln-iiiital. 275
internum wird, das für den Mechanismus des Haiidiielenkes einen zwi-
schen Ulna und Carpometacarpus einiicschobenen Meniscus bedeutet.
Dadurch wird der Carpus in proximodistaler Richtung immer schmäler,
vor allem im ulnaren Teil, bis zuletzt, abgesehen von den mit dem
Metacarpus verschmelzenden Basalia, nichts von den typischen Hand-
wurzelknochen übrig bleibt und das anfangs randständige Pisiforme
als Ersatz in die Bildung der Handwmzol eintritt.
Viel deutlicher als der centrale Teil des Carpus ist nun der ladiale
Teil differenziert, indem hier der zweite deutliche Knorpelkern des
Carpus, eine gxoße rundliche Masse hyaliner Grundsubstanz, aufge-
treten ist, die distal vom Radius in dem Gewebshöcker liegt, der in
jungen Stadien als erste radiale Fingeranlage erscheint. Der Knorpel-
kern springt auch jetzt noch mit konvexem Rand stark radial vor
und bleibt dauernd als umschriebener Herd auch in den folgenden Sta-
dien gut begrenzt. An ihn schließt sich ulnar die Anlage des Centrale
vor allem an und prochondrales Gewebe, das sich keilförmig zwischen
das distale Radius- und Ulnaende einschiebt. Ich halte den Knorpel-
kern für das Radiale und das keilförmige Stück für das Intermedium,
das bei den Vögeln ebenso rudimentär wie bei den Lacertilia auftritt i.
Radiale und Intermedium zusammen sind die Grundlage für den
radialen Handwurzelknochen des erwachsenen Flügels. Schon Parüer
hat die Auffassung des radialen Handwurzelknochens der Vögel als
eines Intermedioradiale vertreten und die beiden Bestandteile bei
Ofisthocomus, Fnlco tinunculus und Gallus gesehen. Leighton hat bei
Sterna Wilsoni gleiche Verhältnisse gefunden und sie in gleichem
Sinne gedeutet.
NoESA glaubt in dem deutlich begrenzten Knorpelkern ein Centrale,
sie nennt es Centrale 1, erkennen zu kömien und findet das Radiale
als ein schmales, keilförmiges Stück zwischen diesem Centrale und
dem distalen Radiusende. Das Intermedium setzt sie an die angegebene
Stelle und bezeichnet als Ulnare den schmalen Gewebsstreifen zwischen
Ulna und Centrale, aus welchem später das Lig. carpi internum hervor-
geht. Das eigentliche Ulnare hat sie nicht erkannt, obwohl es auch
beim Huhn vorhanden, allerdings viel schwieriger als bei der Ente
aufzufinden ist.
Es sei noch hervoigehoben , daß auch Gegenbaur, Rosenberg
und Zehntner in dem radialen Handwurzelknochen das Radiale
1 Daß dieses Stück des radialen Knorpels wirklich einem Interniediuui
entspricht, ist vor allem daraus nach Rabl zu erkennen, daß es nicht nur den
Radius, sondern auch die Ulna mit einer ziemlich breiten Fläche berührt.
276 Felix vSieglbaueT',
erblicken. Zehntner meint, daß es mit dem Centrale verl^unden ist,
während das Intermedium mit dem Ulnare zum ulnaren Handwurzel-
knochen verbunden sein soll. Er behält sich selbst für diese Deutung
noch weitere Untersuchungen vor.
Das frühzeitige Auftreten des Knorpelkernes im Radiale und seine
beträchtliche Größe ist vielleicht so zu erklären, daß der radiale Hand-
wurzelknochen, der durch die ulnare Abduktion der Hand viel Raum
zu seiner Entwicklung bekommen
hat, unter der Druckwiikung zweier
i für die Bewegung der Hand wich-
I ^- tiger Muskeln steht. Erstens stellt
I \; , er den Hebelpunkt für die starke
I f^ Sehne des M. extensor metacarpi
• / \ ;' radialis (Hoffmann) dar, des stärk-
■ j-rjTL^ - ^ sten Antagonisten des M. flexor
i ■ I carpiulnaris, des ulnaren Abduc-
K / ^ -i ^^^-
jr-r-^--- ^ -' \ tors des Handgelenkes und Beugers
J *- ' - \ TT " "
I ""'\ des Ellbogengelenkes. Zugleich ver-
bindet sich die antagonistische
radiale Randbewegung des M. ex-
tensor metacarpi radialis, der wohl
einem M. extensor carpi radialis lon-
gus seiner Lage und seinem Ur-
1 y I ^.__i Sprung nach entspricht, mit einer
Spreizwirkung der Handschwin-
Textfio-. 6. S'®^^- ^i^ Sehne gräbt eine breite
Elite, 10. Tag; linke, vordere Extremität; volar Fm"che an der dorsaleil Seite dcS
gelegener schnitt derselben Serie wTextfig. 5. j^^dius und des Radiale. An der
25nial vergr.
volaren Seite und am distalen Rande
des radialen Handwurzelknochens ist eine schmälere, aber auch tiefe
Furche von der Sehne des M. ulnimetacarpalis volaris, eines das distale
Ulnaende volar bedeckenden Muskels, den ich für das Homologon des
M. ulnacarpalis bei den Schildkröten halte. Bei den Schildkröten und
bei den Vögeln liegt der Muskel volar von dem ihn versorgenden N.
interosseus (die meisten Autoren nennen den Nerv N. medianus).
Diese Lage und Innervation läßt das Homologon des M. pronator qua-
dratus der Säugetiere in dem M. ulnacarpalis erkennen.
Bei den Schildkröten setzt er an der volaren Seite aller Basalia
und mit einer starken Sehne an der Basis des ersten Metacarpus an,
bei den Vögeln fehlt der Ansatz an den Basalia, imd die Endsehne geht,
1
Zur l'iiitw irkhmtr dor \'of»(>loxtr(Mnit;it. '211
da der erste Finger fehlt, um das luterniedioradiale distal herum und,
gedeckt von der Sehne des M. extensor metacarpi radialis' auf die
dorsale Seite des dritten Basale, um hier anzusetzen. So kommt die
Sehne des rein volaren Muskels infolge Fehlens des ersten Fingers
zwischen Radius und der Tuberositas nietacarj)i II hindurch auf die
dorsale Seite des Carpus. Der Muskel ist ein Synergist des M. extensor
metacarpi radialis, und auch für seine Sehne ist dei- ladiale Hand-
wurzelknochen Hebelpunkt. Und weiter ist nicht zu übersehen, daß
sich bei vielen Carinaten ein Sesambein, das bei den Eulen z. B. voll-
kommen verknöchert, in die Sehne des M. propatagialis longus ein-
schalten kann, das gleichfalls am Außenrande des radialen Handwurzel-
knochens Lager und Halt findet.
Noch ein Knorpel ist in dieser Zeit entwickelt. Er liegt nach außen
von der ülna, etwas proximal und vollkommen palmai" vom Ulnare,
dasselbe zugleich etwas ulnar überragend. Norsa hat ihn zuerst als
Pisiforme erkannt. Das bedeutet in der Auffassung des Vogelcarpus
einen großen Schritt vorwärts. Gegenbaur hat das Pisiforme nicht
zu den kanonischen Elementen des Carpus gezählt, sondern in die
accessorischen Elemente eingereiht i. Vielfach wird es als ein rudi-
mentärer Strahl, als ein Postminimus im Sinne Baedelebens auf-
gefaßt. Norsa hat im Anschluß an Emery mit allem Nachdruck betont,
daß das Pisiforme in seiner palmaren Lage einen typischen Bestand-
teil der Handwurzel eines dactylopoden Wirbeltieres bilde und daß
aus ihm beim Vogel der ulnare der beiden Handwurzelknochen hervor-
geht. Diese Auffassung ist vollkommen richtig, und das überraschende
Resultat, daß das Pisiforme zu einem so wichtigen Bestandteil der
Handwurzel werden soll, erklärt wohl, warum sich die neueren J^ehr-
bücher der vergleichenden Anatomie so abweisend gegen diese Auf-
fassung verhalten haben. Wenn man die funktionelle Bedeutung ins
Auge faßt, die das Pisiforme im Gelenkmechanismus des Flügels hat,
dann läßt sich auch vom physioloischen Standpunkt aus diese Auf-
fassung des ulnaren Handwurzelknochens stützen.
Die Hauptbewegung im Handgelenk des Vogelflügels ist, abge-
sehen von geringen Drehbewegungen, die ulnare Abduktion und die
1 Wühl aber hält Gegenbaur das Pisiforme für ein sehr altes Carpalelement,
das seine Konservation hauptsächlich der Einlagerung in die Sehne des M. ulnaris
internus verdankt. Fürbringer rechnet das Pisiforme zu den skeletogenen
Sesamkörpern, »Sesamgebilde, welche aus ursprünglich bedeutsamen, weiterhin
aber einem regressiven Prozeß verfallenden Skeletelementen hervorgegangen
sind «.
278 Felix Sieglbauer,
ihr lückläufige Bewegung, die nicht bis zur vollkommenen Aufhebung
dieser Abduktionsstellung möglich ist. Schon früher wurde erwähnt,
daß diese Bewegmigen durch das eigentümliche Schiebegelenk zwischen
Radius und Ulna zwangsweise verbunden sind mit der Beugung und
Streckung des Ellbogengelenkes. Die Muskeln, welche diese ulnare
Abduktion beherrschen, sind der M. flexor carpi ulnaris und sein Anta-
gonist, der M. extensor metacarpi radialis (Hoffmann). Der erstere
setzt, wie überall, wo ein Pisiforme gut ausgebildet ist, an demselben
an. Das Pisiforme articuliert einerseits mit der Ulna, anderseits
durch eine schienenartige i Gelenkverbindung mit dem ulnaren Rande
des Carpometacarpus. Der letztere steckt wie in einer Scheide mit
seinem Außenrande in dem Pisiforme. So wird schon durch die Ge-
lenkverbindung verhindert, daß der Luftdruck, der vermittels der
Schwungfedern wie mit mächtigen Hebeln an dem Handgelenk wirkt,
dasselbe durch Auswärtsdrehen luxiert oder zerreißt. Starke Bänder
sichern weiter das Gelenk, und vom M. flexor carpi ulnaris wird schon
von Prechtl angegeben, daß er vor allem zum Schutze des Hand-
gelenkes zu dienen habe. Er ist in eine derbe Fascie eingehüllt, die
mit dem starken Lig. humeroulnare, eigentlich humeropisiforme, dem
rudimentären sehnigen Teil des M. flex. digit. subl. verschmilzt. An
der Fascie sind die Armschwingen mit ihren Kielen befestigt. Wie
mächtig der Druck der Federkiele der Schwungfedern beim Fluge auf
den als Unterlage dienenden Knochen ist, zeigen die Riefen am Außen-
rande der Ulna, die bei vielen Vögeln stark ausgebildet wie Gelenk-
gTuben für die Federkiele erscheinen. Der M. flex. carpi ulnaris faltet
bei seiner Zusammenziehung durch die ihn bedeckende Fascie die
Schwungfedern des Unterarmes in der Art, daß er die vorderen unter
die hinteren schiebt.
Der Muskelbauch des M. flex. digitorum sublimis ist bei den meisten
Vögeln verloren gegangen oder an seiner Oberfläche in einen sehr
starken Bandzug lungewandelt, der vom ulnaren Epicondylus humeri
zur volaren Fläche des Os pisiforme (Proc. uncinatus) führt, das Lig.
humeroulnare volare der Autoren.
Gadow bemerkt, daß die Elastizität des Bandes allein Hand und
Flügel in Beugestellung zu halten vermag und daß seine bei der ober-
flächlichen Lage leichte Durchschneidung die grausame Flügel Ver-
stümmelung unnötig machen würde, welche für Vögel in der Gefangen-
schaft angewendet wird. Der Muskelbauch selbst ist bei der Ente
1 Die Schiene wird durch einen Fortsatz erzeugt, den das Pisiforme volar-
wärts entsendet und der in der Literatur als Processus uncinatus angeführt wird.
Zur Kntw ickluiiü; der Voarelcxtrcmilät.
27!)
i2;anz uubedeuteiid luul, vollkoiiiiucn bedeckt vom Lijj;. liuiucioiilnare,
an der radialen Seite des M. flex. carpi nlnaris gelegen und zum Teil
mit ihm fest verbunden. Daß das Band nm- einen Teil der Fascie
des M. flex. carpi ulnaris bildet, wurde oben erwähnt. Das Band setzt
an der volaren und radialen Seite des Pisiforme (Proc. uncin.) an und
deckt eine schmale Sehne, die einzige Fingersehne, welche der rudi-
mentäre M. flex. digit. subl. zum dritten Finger entsendet. Sie liegt
N.u
ulnar
Ram. eilt.
- ^^
"^^
Flex.c.u.-
-. /
Pisiforme
. subl. III.-
^ /' ^:^
N.U..
o--':^
volar ^Z';,~r^~^^
Flex. Prof. III. - y "^^v.,.
N.int.-'\
/,-
Metac.III.
-- A.int.d.
Metac. u.
Tuber metac. II.
radial
Textfig, 7.
Ente, 15. Tag; Querschnitt durch den rechten Carpometacarpus in der Höhe des Proc. ixtusc.
Metacarpi III (recte Os. basal 4). Abk.: Flex.c.u., Flexor carpi ulnaris; Ext-c.u., Extensor carpi
ulnaris; Flex.subl.III, dritte Fingersehne des M. Flexor digit. sublimis; Flex.prof.III, dritte
Fingersehne des M. Flexor digit. profundus; Proc., Processus muscularis metacarpi III (reet^
ossis basalis 4).
in ihrem weiteren Verlaufe durch Bandmassen festgehalten in der
Furche an der radialen Seite des Proc. imcinatus oss. pisifor.
Topographisch sei noch angegeben, daß der N. interosseus (Media-
nus der Autoren) unmittelbar radial neben der Fingersehne des M.
flexor digit. sublimis verläuft, was am Querschnitt (Textfig. 7) ebenso
zu sehen ist, wie die Lage der einzigen Fingersehne des M. flex. digit.
profundus, eines starken Unterarmmuskels zum Process. muscularis
metacarpi III. Dieser bei manchen Vögeln, z. B. Gallinacei, Rapta-
tores, stark ausgebildete Höcker gibt den Hebelpunkt für die Sehne
des tiefen Fingerbeugers ab, und hat dieser Ursache wohl auch seine
Entstehung zu verdanken.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 19
280 Felix Sieglbauer,
Für das Pisiforme und seine funktionelle Bedeutunji kommen
noch mächtige Bandmassen an der volaren Seite des Carpus hinzu.
Seine palmare Seite ist zunächst mit dem distalen Radiusende durch
eine Bandmasse verbunden, welche die Beugesehnen überbrückt und
festhält. Ferner strahlen von ihm — und das ist von besonderer
Wichtigkeit drei aponeurotische Bandzüge aus gegen den ulnaren
Rand des dritten Metacarpus. Sie bedecken den M. ulnametacarpalis
dorsalis von der volaren Seite und sind mit den mächtigen Hand-
schwingen fest verwachsen.
Rechnet man noch hinzu, daß das Lig. carpi internum das Pisi-
forme an das Intermedioradiale heftet, so kann man der ganzen Schilde-
rung, wie ich glaube, entnehmen, daß es richtig im Centrum all der auf
das Handgelenk einwirkenden Kräfte steht.
Nach dieser langen Abschweifung, die durch die Bedeutung, welche
das Pisiforme in der Handwurzel der Vögel hat, gerechtfertigt er-
scheinti, kehre ich zur Beschreibung der Taf. XIII, Fig. 4, zurück.
Die vier Metacarpalia sind alle knorpelig. Sie zeigen in ihrer Richtung
noch eine leichte Divergenz in Erinnerung an die Vorfahren von
eidechsenähnlichem Habitus. Das radiale Metacarpale ist sehr kurz,
ebenso die ihm zugehörige Fingeranlage. Im dritten und vierten Finger
ist je eine proximale Phalange entwickelt. Während das skeletogene
Gewebe des dritten Fingers an der Spitze gegen die Randvene scharf
abgegTenzt erscheint, geht die des vierten Fingers dorsal über die
Randvene hinweg kontinuierlich in die Cutisanlage der Haut über.
Gleiches gilt auch für die ganz kurze fünfte Fingeranlage, nm' geht sie
palmar von der Randvene Hochstetters hinweg. Ich habe ähnliches
auch an der vierten Zehe des Fußes gesehen. Die vierte Fingeranlage
erscheint durch diese Randverbindung länger als die dritte, und doch
ist ihr Metacarpale bedeutend schwächer, die proximale Phalange viel
kleiner als am dritten, ein Zeichen des schon jetzt einsetzenden Rudi-
mentärbleibens des vierten Fingers. Das knorpelige fünfte Metatarsale,
das Rosenberg ebenso wie die Basalia an der Vogelhand entdeckte,
stellt einen kleinen Knorpelstab dar, der distal vom Basale 4 und 5
gelegen ist in einiger Entfernung vom vierten Metacarpale. Er liegt
eingebettet in das das Pisiforme umgebende Perichondrium.
1 Bei den Ratiteu ist im Gegensatz zu den Carinaten das Pisiforme klein
oder kann ganz fehlen Avie bei Aptery.v anstralis vind Oweni. Da die Flügel bei den
Ratiten wenig oder gar nicht in Funktion treten, so ist auch damit die Bedeutung
gekennzeichnet, die das Pisiforme im Carinatenflügel besitzt.
Zur Entwiokhiim der X'oiiok'xtr.^mitä'.. 281
9. Tag. Fig. 5, Taf. XIII.
Die unregelmäßig vierseitige Form der Handplatte ist noch er-
halten. In der Ausbildung der Carpalelemente ist insofern der Höhe-
punkt erreicht, als sich von nun an regressive Veränderungen in Form
von Eückbildung und Verschmelzung einzelner Carpalia bemerkbar
machen. Das Ulnare stellt einen ovalen Knoipelkern dar, der sich
gegen das Basale 4 und 5 deutlich abgrenzt und nach außen von dem
distalen Uinaende gelegen ist. Radial trennt ihn ein hellerer Ge-
websstreifen vom Centrale. Zugleich liegt das Ulnare dorsal vom
Pisiforme.
In dieser Lage wurde es von Zehntner bei Cyfselus melba erkannt.
Die Angabe wurde dann von Norsa in Zweifel gezogen, vielleicht weil
Zehntner über den palmar liegenden Knorpelkern des Pisiforme keine
weiteren Angaben machte. Er hält den ulnaren Carpalknochen des
erwachsenen Tieres für ein Intermedioulnare, ähnlich wie Gegenbaur
und Rosenberg. Während aber die beiden letzteren den radialen der
bleibenden Handwurzelknochen als einfaches Radiale auffassen, sucht
Zehntner in ihm noch ein Centrale. Er gibt ausdrücldich an, daß er
in der Deutung der beiden Carpalia sich noch weitere Untersuchungen
vorbehalte.
Norsa hat das eigentliche Ulnare gar nicht gefunden. Sie erwähnt
dessen Zusammenhang mit den Basalia 4 und 5 nicht und hält das
Lig. carpi internum für das Ulnare. In der ganzen Entwicklung ist das
Ulnare nie an der Stelle des faserigen Meniscus des Lig. carpi internum
gelegen, sondern immer ulnar nach außen davon.
Leighton hat bei Sterna Wilsoni zuerst angegeben, daß der Knorpel-
kern im Ulnare am frühesten auftrete. Er hält aber diesen Knorpelkern
zusammen mit dem Pisiforme anfangs für ein einheitliches Stück von
keilförmiger Gestalt, das dann in ein proximales und in ein distales
Stück zerfällt, von denen das erstere das letztere im Wachstum stark
überflügelt. Aus der Beschreibung des Wachstums ist zu erkennen,
daß er die beiden Knorpelkerne des Ulnare und Pisiforme bei Sterna
Wilsoni deutlich gesehen hat. Nur ist seine Deutung insofern un-
richtig, als er in den beiden Knorpeln wie Parker ein Ulnare-Centrale
sieht. Und zwar hat er wohl das Pisiforme für das Centrale gehalten,
denn vom Ulnare gibt er ganz richtig an, daß es durch den Druck
der ulnaren Abduktion kleiner geworden ist.
Bezüglich der übrigen Anlage der Carpalia hat sich gegen das
vorhergehende Stadium nicht viel geändert. Nur das Basale II hat
sich von dem viel breiteren Metacarpale II deutlich gesondert. Im
19*
282 Felix iSieglbauer,
vierten und fünften Basale findet sich ein deutlicher Knorpelkern,
noch nicht im dritten und nicht im zweiten. Von den Metacarpalia
sei nur der zweite hervorgehoben. An der radialen Seite seiner Basis
beginnt nun die Entwicklung des Höckers, an welchem die Sehne des
starken M. extensor metacarpi radialis (Hoffmann) ansetzt. Dadurch
bekommt der Mittelhandknochen die Form, die er schon bei der
Ärchaeopteryx besitzt, bei der die drei Metacarpalia noch beweglich
waren. Der Höcker ist eine funktionelle Anpassung an den Zug des
kräftigsten Antagonisten des M. flexor carpi ulnaris. Der M. extensor
metacarpi radialis bewirkt, das Intermedioradiale als Hebelpunkt be-
nutzend, die Streckung des Flügels und damit das Ausbreiten der
Handschwingen. Ich glaube nicht, daß er, wie manche Untersucher,
z. B. Parker, meinen, ein Präpollex oder nach Norsa ein Pollex-
rudiment darstellt. Die starke Entwicklung des Höckers am kurzen
Metacarpale, z. B. der Raptatores, der Psittaci legt den Gedanken an
ein Fingerrudiment ja nahe. Funktionelle Anpassung, wohl durch
geschlechtliche Zuchtwahl, ist es auch, wenn sich dieser Höcker beim
südamerikanischen Hirtenvogel {Chauna chavaria) zu einem mächtigen
Sporn entwickelt, wie sich ein ähnlicher auch an der palmaren Seite
des distalen Endes des verwachsenen dritten und vierten Metacarpale
findet. Der Sporn muß nicht, wenn er auftritt, immer an derselben
Stelle auftreten wie die Sporengans (Plectropterus) zeigt, bei der das
Intermedioradiale in einen starken nach vorn gerichteten Sporn aus-
gezogen ist.
10. Tag. Taf. XIII, Fig. 6.
Die Handanlage läßt immer deutlicher den werdenden Flügel er-
kennen. Dadurch, daß die distalen Enden von Radius und Ulna, die
anfangs auseinander wichen, sich nähern — mit der Annäherung hängt
die konvexe Krümmung der Ulna zusammen — . verschmälert sich die
Gegend der Handwm'zel.
Durch die Verlängerung der Mittelhandknochen, vor allem des
dritten und vierten, und durch ihre zunehmende Parallelstellung wird
die Handanlage schmal und lang. Ihr Rand zeigt große Veränderungen.
Während ihr radialer Rand früher noch nach außen abbog, geht er
nun in der Fortsetzung des Unterarmrandes glatt fort. An der Spitze
des zweiten Fingers aber schneidet er tief in die Handanlage ein und
läßt, durch eine schmale Schwimmhautanlage mit der übrigen Hand
verbunden, zunächst die letzte Phalange frei hervortreten. Später
wird auch die Grundphalange des zweiten Fingers in diesen radialen
Zur KiUw ic-khincr «lor V(>;jrcl(>\ln niität. 283
klemereii Teil der Handanlage aufgenonuuoii. Indem dann die beiden
Phalanoen oleiclisani in Kompensation zur ulnaren Abduktion gesell
ihre Metacarpalia immer mehr in die radiale Abduktionsstelluni!; ge-
langen. bekommt dieser Finoor eine solche Ausnahmestellung; zur
übrigen Hand, daß man sich nur schwei' von der Vorstellung frei-
machen kann, hier nicht den Daumen einer fünflingerigen Hand vor
sich zu haben. Die Ausbildung und Bedeutung der Alula als Lenk-
fittich, wie ihn Prechtl aufgefaßt hat, hat wohl den beiden Phalangen
ihre Sonderstellung gegeben. Das Metacarpale reiht sich durch seine
Verwachsung den übrigen Metacarpalia ein. Die Spitze des größeren
ulnaren Teües der Handanlage, welche die übrigen drei Finger enthält,
wird von den Endphalangen des dritten Fingers gebildet. Der ulnare
Band der Hand zeigt, wenn wir von der Spitze des Flügels weitergehen,
zunächst eine gut ausgebildete Ecke. Auf den Fig. 6 und 7 der Taf . XIII
mit X bezeichnet. Proximal davon wölbt er einen stumpfen Höcker
vor. In letzterem liegen die rudimentären Phalangen des vierten
Fingers, während die distale Ecke eine rudimentäre Krallenanlage dar-
stellt, an der die Verhornung früher einsetzt als an den Endphalangen
des zweiten und dritten Finoersi.
1 Diese rudimentäre Krallenaiilage am vierten Finger, an dem man noch
während der Ontogenese eine Rückbildung der Phalangen und eine Reduktion
ihrer Zahl von 3 auf 1 nachweisen kann, ist ein wichtiger Beweis dafür, daß
vorhandene Krallen nicht gegen eine Verminderung der Phalangenzahl siirechen.
Es brauchen also die an dem ersten und zweiten Finger des Flügels von Archae-
opteryx und der recenten Vögel vorhandenen Phalangen keineswegs die ursprüng-
liche Zahl zu repräsentieren. Damit fällt weiterhin der etwa aus der Bekrallung
und Phalangenzahl gezogene Schluß, daß der erste und zweite Finger der Vogel-
hand (und auch schon der von Archaeopteryx) dem Daumen und Zeigefinger einer
pentadactylen Hand entsprechen müssen.
Eine sehr wichtige Stütze für diese Ansicht liefert, wie ich glaube, die Skelet-
entwicklung von Seps chalcides {tridactyla) wie sie Sewertzoff in ausgezeichneter
Weise gegeben hat. Die vordere Extremität — • nur auf sie soll hier Rücksicht
genommen werden — trägt drei, oft verschieden große Krallen. An der Hand hat
ein ausgiebiger Reduktionsprozeß stattgefunden, derart, daß der erste und fünfte
Finger vollkommen fehlen — beim Vogel wird der fünfte noch deutlich angelegt —
und die Phalangenzahl nur 0, 2, 3, 3, 0 beträgt, während sie bei den Autosau-
riern gewöhnlich 2. 3, 4, 5, 3 {Ascalobotes und Tarentola 3, 3, 4, 5, 3) ausmacht.
Also trotzdem die Phalangenzahl reduziert ist, haben sich Krallen an den End-
gliedern erhalten. Wie bei den Vögeln tritt auch bei Seps die Reduktion der
Hand in zwei Richtungen auf: 1) distoproximal und 2) von den Rändern her.
Dabei wird die radiale Seite stärker reduziert als die ulnare. Und auch darin
läßt sich eine Parallele zwischen den Vögeln und Sejjs finden, daß der vierte Strahl
284 Eelix Sieglbauer,
K. Paeker. der in ausgezeichneter Weise die Osteologie der Vögel
durchforsclit liat, fand beim Strauß neben den zwei bleibenden Krallen
noch im Bereich des ulnaren Fingers eine dritte rudimentäre Anlage.
Nassonow, der auch den afrikanischen Strauß untersuchte, konnte
diese dritte Krallenanlage nicht finden. Die rudimentäre Kralle am
Entenflügel steht im guten Einklang mit den Befunden Parkers,
und sie erinnert sofort an die Hand der Archaeopteryx, welche drei
wohl ausgebildete Krallen an den frei beweglichen Fingern besaß, mit
welchen sie wohl ähnlich, wie es Göldi von jungen brasilianischen
Schopfhühnern {Ojyisthocomus) angibt, an den Bäumen klettern konnte.
Die drei Krallen, die Beschaffenheit, Form und Größe des zweiten Meta-
carpale widerlegen, wie ich glaube, die Ansicht C. H. Hursts, daß die
drei Finger der Archaeopteryx nicht denen der Vogelhand ent-
sprechen.
Die ulnare Abduktion beträgt am 10. Tage etwa 150', ist also
schon ganz beträchtlich. Ulna und Radius haben sich mit einer peri-
chondralen Knochenhülse umgeben. Die Ulna ist ziemlich stark ulnar
konvex gebogen. Dadurch nähert sich ihr distales Ende dem des
Radius. Die Ausbildung hyaliner Grundsubstanz hat in allen bleibenden
Skeletelementen eingesetzt, und die proximalen Spalten des Hand-
gelenkes sind an dem Hellerwerden des Perichondrium zwischen Inter-
medioradiale und Radius einerseits. Centrale und Ulnare anderseits zu
erkennen. Das Intermedioradiale weist zwei Knorpelkerne auf, von
welchen der radiale viel intensiver gefärbt ist als der ulnare. Der letztere
entspricht dem Intermedium, von dem Mehnert auch bei Struthio
angibt, daß es sehr klein bleibt und zuletzt verknorpelt. Das Ulnare
ist zu einem kleinen runden Zellhaufen zusammengeschrumj^ft, in dem
sich färberisch keine Knorpelgrundsubstanz mehr nachweisen läßt.
Es liegt distal von dem breiter gewordenen distalen Ulnaende und
dorsal vom Pisiforme (Textfig. 5 u. 6). Letzteres stellt einen komma-
förmigen Knorpel dar, der, nach außen und volar vom distalen Ulna-
ende gelegen, sich bis zum vierten Basale nach abwärts erstreckt. Die
Basalia sind zu einer Knorpelschale verbunden, welche in ihre Höhlung
die Basis des dritten Metacarpale aufnimmt. Es zeigt sich zwischen
zuerst auftritt und daß dei' fünfte ,Stiahl .suv.ohl an der Hand als aucli am FuIJe
anfangs viel größer ist und dann in der Entwicklung zurückbleibt.
Alle diese Momente seien nur hervorgehoben, um den .Schlufi zu stützen,
daß an der Vogelhand nur der zweite, dritte und vierte Finger orlialten ge-
blieben sind.
Zur l'Jit\\i(.'klun<^ (Ut \"ov;t'IPx''t'i" '<••'• 285
l)ei(len nie eine Aiuloutuno- einer dJelenkspaltbildnnu. In eigentümlicher
Weise verändert sich das Basale 4 und 5. Es wächst entsprechend der
tlistalen Verschiebung des vierten Metacarpale immer mehr in die
Länge, die Stelle des letzteren einnehmend, und bald wird es zu einem
Knorpelstab, den man bei der ersten Betrachtung selbst füi' das Meta-
carpale halten könnte. Und diese Wachstumsenergie entfaltet das
Basale jioch in andrer Richtung. Dort, wo es an die Basis des vierten
Metacarpale anstößt, entsendet es einen Fortsatz radialwärts, der volar
an der Basis des dritten Metacarpale vorbeiwächst, so daß die Basis
des dritten Metacarpale wie in einem radial offenen Ring von der
ulnaren Seite her eingefaßt erscheint. Über die morphologische Be-
deutung dieses Fortsatzes bin ich mir lange im unklaren geblieben.
K. Parker, der Totalpräparate untersuchte, hat ihn für einen selbstän-
digen Knorpel gehalten und als erstes Basale aufgefaßt. Davon kann
mit Rücksicht auf seine Entwicklung keine Rede sein. Sonst finde ich
niu- noch in der sorgfältigen Arbeit von Zehntner und auch bei
NoRSA den Fortsatz abgebildet, ohne daß auf ihn weiter eingegangen
würde. Anfangs glaubte ich in dem Fortsatz eine in die Vola gerückte
Fingeranlage erkennen zu können. Ich meinte, daß in der Vogelhand
ein mittlerer Finger, etwa der vierte, in die Tiefe gerückt sei durch den
Wachstumsdruck der ulnaren Abduktion. In mancher Beziehung
erinnert das an Tschans Auffassung der Vogelhand. Er zählte die
Finger als 1., 2. und 4. Ich glaube aber, daß der Fortsatz in ähn-
licher Weise zu deuten ist, wie Baur den Processus ascendens des
Tritibiale am Fuße der Vögel gedeutet hat, als eine mechanische Ver-
festigung zwischen den Basalia und den Metacarpalia, vor allem dem
stärksten, dem dritten. Man könnte einwenden, Metacarpalia und
Basalia verwachsen ohnehin zu einem einheitlichen Knochenstück,
einem Carpometacarpale. Es ist daher eine solche Verfestigung nicht
nötig. In der Phylogenese sind aber, wie Archaeopteri/x zeigt, Stadien
durchlaufen worden, in welchen die Metacarpalia noch frei waren.
Eventuell wurde schon in früheren phylogenetischen Stadien dieser
Fortsatz ausgebildet und diente zur Sicherung des dritten Metäcarpus
in seinen Bewegungen. An der erwachsenen Vogelhand zieht in einer
tiefen Furche an der radialen Seite des Fortsatzes die starke Sehne des
M. flex. digitorum profundus zum dritten Finger. Ferner entspringen
von ihm die Muse, interossei, und daher kommt wohl die Bezeichnung
des Fortsatzes als Processus muscularis metacarpi III bei Gadow.
Er bildet den Hebelpunkt für diese einzige Sehne, die der M. flex.
digitorum profundus der Vögel überhaupt besitzt und der als
286 Felix Sieglbauer,
Fingerbeuger kaum in Betracht kommt, sondern zu einem Synergist des
M. extensor metacarpi radialis (Gadow) wird, indem er gerade infolge
des Stützpunktes an dem Höcker des Mittelhandknochens Streckung
des Flügels, also radiale Abduktion im Handgelenk und zugleich Spreizen
der Handschwingen bewnkt. Vor allem werden die großen fünf bis
sechs letzten distalen Handsch^vingen ausgebreitet durch die radiale
Abduktion der Grundphalangen des dritten und vierten Fingers, welche
nur im Sinne seitlicher Randbewegungen, nicht der Beugung und
Streckung, beweglich sind. Textfig. 7 läßt den volaren Fortsatz des
Basale 4 und die Lage der beiden Beugesehnen des dritten Fingers
erkennen. Die Zahl der Phalangen beträgt in diesem Stadium noch
zwei am zweiten, drei am dritten und zwei am vierten Finger. Dabei
ist die zweite am vierten Finger ein kleiner, sehr vergänglicher Knorpel-
kern, von dem aus sich die Fingeranlage noch weiter erstreckt und
nur undeutlich ausgebildet eine Gruppierung der Zellkerne zu einer
dritten Phalangenanlage erkennen läßt.
11. und 12. Tag. Taf. XIII, Fig. G und 7.
In der äußeren Form ist weitere Zunahme der ulnaren Abduktion
auf 126° festzustellen. Die Endphalangen des zweiten und dritten
Fingers umgeben sich mit einer Hornkappe und setzen sich durch eine
leichte Einschnüruno gegen die übrige Fingeranlage ab. Der ulnare
Rand von Unterarm und Hand ist mit Cutispapillen besetzt, die die
Anlage der Federn, vor allem der Hand und Armschwingen, bilden.
Es treten ähnlich wie am Skelet die Differenzierungen an der Haut
ulnar früher auf als radial.
Von der weiteren Entwicldung des Skelettes ist zvmächst hervor-
zuheben, daß sich neben den perichondralen Knochenhülsen an Radius
und Ulna auch solche am Metacarpale III und IV und an der langen
Grundphalange des zweiten Fingers gebildet haben. In dem kurzen,
breiten Metacarpus dieses Fingers tritt von allen langen Knochen der
Hand die Ossifikation zuletzt auf. Es ist das wieder ein Beispiel für
die besonders von Rabl betonte Tatsache, daß die Art der Ossifikation,
d. h. Zeit ihres Auftretens, Zahl der Knochenkerne, Auftreten von
Peri- oder enchondraler Ossifikation, vor allem von der Form und
Größe des Knorpelmodells abhängig ist. das in festen Knochen um-
gewandelt werden soll. Auch vererbte funktionelle Beanspruchung
kann man für die den Lenkfittich tragenden Phalangen des zweiten
Fingers in Anspruch nehmen, um die frühe Verknöcherung in der
Grundphalange zu verstehen, eine Funktion, die ja auch zur Absonderung
Zur l''!!t\\ifklun<j; der Voc;cle\trcinitä(. 287
des Fingers von clor übrigen Hand und zu scinei' eiiiontüinliclien
radialen Abduktionsstellung ueführt hat.
Die Ausbildung des Carpus hat weitere Fortschritte geniacnt, soll
aber, nm Wiederholungen zu vermeiden, im folgenden letzten Stadium,
das zur Untersuchung gelangte, ausführlicher beschrieben werden.
Nur die Endphalangen und die rudimentäre Krallenanlage des vierten
Fingers verlangen einen Hinweis.
In der Fig. 6, Taf . XIII, ist die allseitig abgerundete zweite Knorpel-
phalanx des vierten Fingers zu erkennen und zugleich eine von ihr
sich distal noch fortsetzende undifferenzierte Masse der Fingeranlage.
Mefac.3
Metacä-
radial
ulnat
radial
m W
Textüg. 8. Textfig. 9.
* Ente. 12. Tag; dritter und vierter Finger Ente, 12. Tag; Phalangen des linken
der linken Hand. ISmalvergr. vierten Fingers. Schwarz: Bindegewebi5-
fibrillen. 35mal vergr.
In dem etwas älteren Stadium der Textfig. 8, die nur ein Detailbild
der Endphalangen des dritten und vierten Fingers gibt, krümmt sich
die Anlage der zweiten Phalanx am vierten Finger etwas radial um,
und distal von ihr sind die Kerne bestimmt geordnet, zeigen aber viel-
fach die Erscheinung der Karyolyse. Daraus kann man erkennen,
daß das ganze rudimentäre Gebilde, das wohl als eine dritte Phalanx
gedeutet werden kann, kaum angelegt, bereits wieder im Schwinden
beoTiffen ist. Dasselbe Schicksal trifft aber auch die zweite Phalanx.
288 Felix Sieglbaxier,
Textfig. 9 zeigt die proximale Phalanx des vierten Fingers eines 12 Tage
alten Entenembryos bei stärkerer Vergrößerung. Von der dritten
Phalange ist nichts zu sehen, in der zweiten ist die hyaline Grrundsub-
stanz nicht mehr nachzuweisen, sie ist im Stadium der Rückbilduno;.
Es wurde schon früher hervorgehoben, daß sich in einiger Entfernung
distal von den sich rückbildenden Phalangen des vierten Fingers eine
auch äußerlich als vorspringende Ecke erkennbare, umschriebene Ver-
hornung ausgebildet, die wohl als eine rudimentäre Kralle, wie sie
Parker beim Strauß nachgewiesen hat, aufzufassen ist. Mittels Binde-
gewebsfärbung kann man von dieser verhornten Stelle bis zur Spitze
der zweiten rudimentären Phalange des vierten Fingers einen Zug
zum Teil ziemlich derber Bindegewebsfibrillen nachweisen, die unter
der Verhornung sich reicher ansammeln und dann in der Cutis un-
gefähr dem ulnaren Rand der Hand parallel laufend im Perichondrium
der zweiten Phalanx sich verlieren. Sie erscheinen wie eine Straße,
auf der die Rückbildung der Phalangen allmählich erfolgt ist, und sind
vielleicht als Reste einer Sehne des vierten Fingers aufzufassen.
Auffallend ist, wie zähe die Epidermis in der Phylogenese allmählich
rückgebildete Eigentümlichkeiten wie die Krallenbildung festhält,
trotzdem die eigentliche Fingeranlage nicht bis zur Verhornungsstelle
heranreicht.
15. Tag. Taf. XIII, Fig. 8.
Das letzte älteste Stadium, das zur Untersuchung gelangte, war
bereits reichlich mit fadenförmigen Federanlagen besetzt. Noch immer
sind die Federn des ulnaren Randes, welche die stärksten des Flügels
werden, in der Entwicklung weit voraus, indem sich ihre Anlagen be-
reits tief in die Cutis eingesenkt haben, während am radialen Rand
nur niedrige Papillen sich zeigen. Die ulnare Abduktion beträgt
nun 92", und geht in der weiteren Entwicklung bis auf 60° herunter.
Radius und Ulna weisen eine weite Markhöhle auf. Ihre distalen
Enden sind durch offene Gelenkspalten von den beiden bleibenden
Handwurzelknochen, dem Intermedioradiale und dem Pisiforme ge-
trennt.
Das erstere weist eine proximale und eine distale konkave Gelenk-
fläche einerseits für den Radius und anderseits für den Carpometa-
carpus auf. Die radiale breiteste Fläche ist leicht gehöhlt zur Aufnahme
des bindegewebigen Sesambeines in der Sehne des M. propatagialis
longus, die, zum Teil mit der Sehne des M. extensor metacarpi radialis
(Gadow) verschmelzend, an der Tuberositas metacarpi II ansetzt.
Zur l-'.nlwiikluiifi der N'ugek'xtronütät. 2S*)
Die ulnare Fläche legt sich der Uliia an. sie eutsj)richt cleni kleinen
Interniecliuniteil des ganzen Knochens. Vom distalen Jlande dieser
kleinen Fläche zieht ein bei der Ente recht hi'eiter, manchmal in der
Mitte durchlöcherter faseriger Meni-scus zum Pisiforme. Es ist das Lig.
carpi internum. das den Carpometacarpus von der Ulna trennt und
die Gelenkflächen bilden hilft. Aus der Bildungsgeschichte ist. wie
ich glaube, nachzuweisen, daß es aus dem uhiarcn Teil des Intermedium
hervorgegangen ist. Das Ulnare ist an der dorsalen Seite des Pisiforme
in dessen Perichondrium als eine ganz unbedeutende helle »Stelle viel-
leicht noch zu erkemien und in der Rekonstruktion auch angedeutet.
Das Pisiforme hat sich als ein großer Knorpel in die Handwurzel ein-
gereiht, indem er einerseits mit der Außenfläche des distalen Ulnaendes
articuliert, anderseits mittels seines Proc. uncinatus das vierte Meta-
carpale und dessen Basale umfaßt, das in ihm wie in einer Schiene
fest verankert gleitet.
Ba.salia und Metacarpalia sind zum einheitlichen Carpometacarpus
verwachsen, und zwischen drittem Basale imd dessen Metacarpale ist
noch eine trennende bindegewebige Lücke. Der Knorpelfortsatz des
vierten Basale, der künftige Proc. muscul. metac. III, liegt an der pal-
maren Seite des dritten Metacarpus. Während der dritte und vierte
Metacarpus schon von perichondralen Knochenhülsen umschlossene
Markhöhlen zeigen, ist am zweiten Metacarpus die perichondrale Ossi-
fikation eben angedeutet. Dagegen zeigen sie alle Phalangen schon in
ziemlich reichem Maße. Die Endphalangen des zweiten und dritten
Fingers tragen hohe Hornkappen. Am erwachsenen Flügel ist die
Kralle des zweiten Fingers lang und schmal, die des dritten zwar wesent-
lich kleiner, aber immer nachzuweisen. Am vierten Finger ist von der
Krallenanlage nichts mehr zu erkennen. Es ist vielleicht wert, erwähnt
zu werden, daß der Fuß in diesem Entwicklungsstadium noch keine
Krallenanlage zeigt.
Kurz zusammenfassend hat sich also aus der Entwicklung des
Entenflügels ergeben:
1) daß die vordere Extremität bei der Fingerbildung gegen die
hintere zeitlich zurückbleibt;
2) daß die ulnare Abduktion in den ersten Entwicklungsstadien
eingreift und dauernd ihren Einfluß auf die Bildung der Carpal- und
Metacarpalelemente geltend macht;
3) daß der ulnare Teil der Handanlage, speziell der in dei' Ver-
länyeruno- des Ulnare gelegene \äcrte Finger, in der Entwicklung vor-
auseilt ;
290 Felix Siegibauer,
4) daß das Ulnare während der Entwicklung rückgebildet wird
und damit die bleibenden beiden Handwurzelknochen als Intermedio-
radiale und Pisiforme aufzufassen sind;
e5) daß der einem Daumen entsprechende Finger nicht ausgebildet
wird und der V. geschwunden ist, so daß die Finger als IL, III. und
IV. an der bleibenden Hand zu zählen sind.
Vordere Extremität.
2. Pygoscelys papua.
In den jüngsten Entwicklungsstadien, die mir vom Pinguin zur
Untersuchung vorliegen, unterscheiden sich die Anlagen der Extremi-
täten nicht auffällig von denen eines ungefähr gleich alten Enten-
embryos.
Die Handplatte der vorderen Extremität eines 11 mm langen
Pinguinembryos, Textfig. 10, zeigt wie die eines 6 Tage alten Enten-
embryos den starken konvexen, radia-
/' len Rand und die Kerbe am ulnaren
I Rand an der Stelle des späteren Hand-
I gelenks. Im histologischen Aufbau steht
die untersuchte Extremität zwischen den
Entenstadien, die in den Textfig. 2 u. 3
wiedergegeben sind. Der radiale Ast der
Zeugo- und Autopodiumanlage hat sich
stark verbreitert und damit
dem ulnaren genähert. Zwei
stumpfe breite Höcker deu-
ten die Anlage des zweiten
und dritten Fingers an.
Der ulnare Ast fällt an den
Schnitten besonders durch
"^ V^_^ die deutliche Ulnaanlage
Textfig. 10. • und die in ihrer Port-
io Pwoscrfj/.s, SS = 11 mm; linke vordere Extremität. sctzung PCleoene Haudail-
35mal vergr. , r -,• t •• i
läge auf, die an Lange den
radialen Teil wesentlich übertrifft. In dem distalen Ende der ulnaren
Skeletanlage liegt die vierte Fingeranlage, und daher erklärt sich die be-
trächtliche Länge. Die fünfte Fingeranlage ist erst im folgenden Stadium
(Textfig. 11), die das Spiegelbild der rechten vorderen Extremität eines
12 mm langen Pygoscelys-^mbryos wiedergibt, zu sehen. Radius und
ülna sind bereits kurze plumpe Knorpelstreifen, zwischen welchen der
Zur Kntwifklung «lor X'dgcU'xdcmitat. 291
Ramu.s dorsalis der Artoria intorossea liiinliircli/.iclit. Vier Finger-
anlagen sind deutlich, das Voiaueilen des vierten an Länge ist auf-
fallend. Der vierte Finger bleibt beim Pinguin immer sehr lang. Er
reicht beim erwachsenen Flügel von
Spheniscus bis zur Mitte der zweiten
Phalange des dritten Fingers, wäh-
rend er bei den übrigen Carinaten
im allgemeinen kaum die Mitte
der langen Grundphalange des drit-
ten Fingers noch berührt. Die
Umwandlung des Pinguinflügels zu
einem kräftigen Ruder führt zur ^
Verlängerung von Unterarm und
Hand, wenn auch nicht in so auf-
fallendem Grade wie bei den / -..-Rv.
Trochiliden und Cypselomorphae. ' a
Die Anlage des Ulnare ist bereits
zu erkennen, und an dessen Innen- \
Seite zieht sich wie bei der Ente t ,
der helle Mesench\^nkanal in das
Autopodium hinein und läßt die \ 7
Größe der jetzt schon vorhan- ^v /w
denen ulnaren Abduktion im Hand- m — — .^__^,^
gelenk erkennen. Auch die die Textfig. 11.
Radienanlagen umspinnenden Capil- Pmosceiys, ss = 12 mm ; rechte, vordere Extre-
mität, Spiegelbild. 35mal vergr.
larnetze, die Hochstetter zuerst
beschrieben hat und von welchen Mehxert hervorhebt, daß sie zum
Auffinden von Fingeranlagen im prochondralen Stadium dienen können,
sind deutlich.
Taf. XIV, Fig. 9, zeigt die Pausrekonstruktion des Flügels eines
15 mm langen Embryos. Abgesehen von der Verlängerung der Finger-
anlagen ist die histologische Differenzierung nicht viel weiter als im
vorhergehenden Stadium vorgeschritten, nur die Lage des Ulnare ist
bemerkenswert. Während es im entsprechenden Stadium des Enten-
flügels schon ganz an die Außenseite des distalen Ulnaendes verschoben
ist, Taf. XIII, Fig. 1) Hegt es beim Pinguinflügel noch fast in derselben
Richtung wie die Ulna oder nur wenig nach außen gerückt. Die ulnare
Abduktion erreicht am Pingniinflügel nie die Grade, wie sie die fliegenden
Carinaten aufweisen. Sie beträgt bei Spheniscus ungefähr 125°, und in
dieser Stellung \^^rd die Handplatte auch beim Laufen auf dem Lande
292 Felix Sieglbauer,
steif gehalten, indem der ganze Flügel im Ellbogengelenk ziemlich ge-
streckt und im Schnltergelenk abduziert wie ein Schirm zum Verhüten
des Yorwärtsfallens leicht gespreizt gehalten wird. Schon Watson
ist die auffallende Größe des ulnaren der beiden Handwurzelknochen,
des Pisiforrae. vor allem bei Pi/gosceh/s aufgefallen. Die Größe ist
inn so melir in die Augen springend, als die ganze Unterarmmusku-
latur rudimentär ist un,d fast nui' aus Sehnen besteht. Vielleicht soll
das Pisiforme, abgesehen von der Stütze des ulnaren Flossenrandes
ähnlich dem Pisiforme einer Chelonide, als Widerpart dienen, ver-
mittels dessen sich der Carpometacarpus an das distale Ulnaende
stemmt, so daß eine Vermehrung der ulnaren Abduktion ausgeschlossen
ist und die Hand in eine feste Ruderplatte umgewandelt wird.
Wenn man die Flügelanlage etwa eines 11 Tage alten Enten-
embryos mit dem Pinguinflügel vergleicht, dann fällt die Ähnlichkeit
in Form und Haltung sofort ins Auge, nur der die Alula eines fliegenden
Carinaten tragende Finger, der in diesem Stadium am Entenflügel
schon als Höcker vortritt, fehlt der Pinguinflosse. Man kann sagen,
der Pinguinflügel ist in bezug auf die Winkelstellung im Ellbogen- und
Handgelenk auf früher embryonaler Stufe stehen geblieben.
Gadow meint, daß die Sphenisciden. die in so eigentümlicher
Weise auf die Antarctis beschränkt sind, ähnlich wie die Alken auf die
arktischen Regionen, sich aus fliegenden Formen rückgebildet haben,
indem sie keinen Feinden ausgesetzt waren, vor denen sie sich durch
Entweichen in die Luft schützen mußten. Er hebt besonders die
Ähnlichkeit im Skeletbau des Flügels, von den ersten embryonalen
Stadien angefangen, als beweisend für seine Ansicht hervor. Der Tarso-
metatarsus der Pinguine, der mit seinen großen Gefäßlöchern die Zu-
sammensetzung aus drei Metatarsalien noch deutlich erkennen läßt,
wird seit Geoffroy St. Hilaire als ein primitiver Charakter angeführt.
Die Pinguine sind absolut plantigrad, und damit hängt nach Für-
bringer die Eigentümlichkeit des erwachsenen Laufknochens zusam-
men, der in seiner Ausbildung zurückbleibt und mit dem Wechsel der
Funktion einen embryonalen Charakter bewahrt i. K. Parker, der
ausgezeichnete Kenner der Vogelosteologie, meint, daß die Pinguine
nie Federn besessen haben und hält sie damit für ursprünglichere
Formen. Erik Müller ist in neuester Zeit auf Grund der Entwick-
lungsgeschichte der Gefäße des Pinguinflügels zu der Ansicht gekommen,
1 Er ist der Ansicht, daß Anseres und Impennes gewisse, wenn auch nicht
nahe genealogische Beziehungen zueinander aufweisen und daß die Impennes
nicht die tief.sten Formen sind, sondern »ziemlich oder mäßig« tiefstehen.
Zur l'lnlwRkluiig der Vogelextrcinität. 293
daß Formen, bei welchen sich zwei Subclavien aus dem iirsj)iünglicheii
Plexus arteriosus erhalten, nicht von Formen abstammen können, die
nm- eine Subclavia aus dem embryonalen Gefäßnetz heiiibernehmen.
Das erstere ist bei den Sphenisciden der Fall, das letztere hat H. Rabl
für die Ente festgestellt. Das Gefäßnetz des Piiiouinflügels hat wegen
seines außerordentlichen Reichtums immer die Aufmerksamkeit der
Untersucher auf sich gelenkt. Jedenfalls zeigt das Vorhandensein der
doppelten Axillaris gleichfalls das Stehenbleiben auf embryonalei- Stufe
beim Pinguinflügel an.
Sehr schwer, glaube ich, ist es zu sagen, ob der embryonale Cha-
rakter primär oder sekundär ist, ob die Pinguine also von fliegenden
Formen abstammen odei- noch die Merkmale der gemeinsamen Vor-
fahren ihrer und der übrigen Carinateniamilien an sich tragen.
An der Rekonstruktion der in Rede stehenden vorderen Pinguin-
extremität (Taf. XIV, Fig. 9) sind auch die ^irterien, und zwar der
Ramus dorsalis der Arteria interossea und die HocHSTETTERSche Raad-
vene eingetragen aus dem Grunde, weil der Ramus dorsalis in frühen
Stadien einen ganz andern Verlauf nimmt als beispielsweise am Flügel
der Ente oder Möwe. Sobald er vom Stamm der Arteria interossea ab-
gegangen ist, geht er zwischen Radius und Ulna dem oben erwähnten
Mesenchymkanal entsprechend durch auf die dorsale Seite der Carpus-
anlage, und zwar ziemlich angeschlossen an das Ulnare. Dann gibt er
alle Fingerarterien ab, die mit ihren Capillaren in die Randvenen über-
gehen. Der Ramus volaris der Arteria interossea ist in der Zeichnung
nicht eingetragen, ausgenommen seine Abgangsstelle. Er ist ziemlich
stark und steht auch mit der Randvene in Verbindung.
Bei der Ente und Möwe (Taf. XIII, Fig. 3) verhält sich der Ramus
dorsalis der Arteria interossea insofern anders als er über das distale
Radiusende hinweg zieht, um dann im Bogen ulnarwärts über die
dorsale Seite des Carpus abzubiegen und die Finger bis zur radialen
Seite des vierten zu versorgen. Die Gefäße der ulnaren Seite des vierten
und die des fünften Fingers kommen von der palmaren Seite der Hand-
platte. Die ganz gleiche Gefäßverteilung findet sich am Fuß der Ente,
wie aus den Fig. 14 und 17 der Taf. XIV zu erkennen ist. Dieser Paral-
ielismus in der Gefäßversorgung des fünften Strahles von Hand und
Fuß kann auch vielleicht die Ansichf stützen, daß der letzte ulnare
Finger der embryonalen Vogelhand der fünften Zehe des embryonalen
Vogelfußes entspricht und als fünfter zu zählen ist. Da der unmittelbar
vorhergehende Finger mit Rücksicht auf sein frühes Auftreten, wie
früher auseinandergesetzt wurde, als vierter zu zählen ist — ein
294 Felix Sieglbauer,
Analogieschluß, der sich auf die Reptilienentwicklung stützt — , so ergibt
sich die Zählweise der Finger der erwachsenen Vogelhand als IL, III.
und IV. von selbst.
Es hat der gleiche Reduktionsprozeß an den postaxialen Rändern
der beiden Extremitäten zu den gleichen Veränderungen in der Gefäß-
versorgung der Finger geführt.
In mancher Beziehung erinnert das Verhalten der Arterien an der
Vogelhand an die Gefäßversorgung, wie sie Hochstetter an der Hand
eines erwachsenen Crocodilus niloticus gefunden hat, wo auch die Ar-
teria digitalis ulnaris des vierten Fingers und die beiden Fingerarterien
des fünften vom Ramus volaris der Art. interossea stammen, während
die übrigen Fingerarterien der den Carpus durchbohrende Ramus dor-
salis abgibt. Dabei ist aber diese Form des Abflusses eine sekundäre.
Derselbe Autor fand bei einem Embryo von Croc. madagascariensis
einen Ramus dorsalis der Art. interossea, der alle Fingerarterien abgab,
so daß die Annahme berechtigt erscheint, daß der volare Abfluß se-
kundär sich ausgebildet hat.
Pygoscelys wäre also auch in dem Verhalten der Art. interossea
an Hand und Fuß ursprünglicher, wenn man die einen gewissen Paral-
lellismus in der Entwicklung aufweisenden Krokodile und Vögel mit-
einander vergleicht.
Bei einem 18 mm langen Pygoscelys-^mhvjo (Taf. XIV, Fig. 10)
war die äußere Form der Paddel und auch ihre Skeletentwicklung
wie bei einem 9 Tage alten Embryo der Ente.
Die distalen Enden der verknorpelten Unterarmknochen stehen
etwas voneinander ab, so daß sich das Intermedium als scharfer Keil
zwischen sie eindrängen kann. Auch hier eilt die Verknorpelung im
radialen Teil des Intermedioradiale voraus, und nur daran kann man
einigermaßen, abgesehen von der charakteristischen Lage, das Inter-
medium von Radiale unterscheiden. Studers Abbildung der weit in
der Entwicklung vorgeschrittenen Extremität eines Eudyptes chryso-
come zeigt das Intermedium wohl in der Lage zwischen den distalen
Enden von Radius und Ulna, aber vollkommen getrennt vom Radiale
und in Verbindung mit den verwachsenen Basalia 1 und 2. Bei Py-
goscelys habe ich in keinem Stadium ein derartiges Bild finden können.
Das Ulnare liegt ganz an die Außenseite des distalen breiten Ulnaendes
gerückt, es ist lang gestreckt imd läßt undeutlich einen proximalen
rundlichen Teil des eigentlichen Ulnare und einen distalen, mehr koni-
schen erkennen, der an die Basis des vierten Metacarpale zum Teil
sich anlegt und als ein Carpometacarpale V, wie ich glaube, zu deuten
Zur Eiit\\ie'klung der Vogelextremität. 205
ist. Radial angeschlossen an diesen Knorpel liegt ein auch noch im
folgenden Stadium gut begrenzter Knorpelherd an der unaren Ab-
dachung der giebelförniigen Basis des dritten Metacarpale, der sich
an dem zunächst ziemlich breiten Zwischenraum zwischen dritten und
vierten Finger vorbei bis auf die Basis des vierten Metacarpale hinzieht.
Ich sehe ihn für das Basale 4 an, das bei der Ente mit dem fünften
zu einem Knorpal verschmolzen ist. Basale 3 und 2 bestehen noch aus
undifferenziertem skeletogenen Gewebe, das sich auch zwischen Inter-
niedium und Basale 4 bis zum Ulnare hinzieht, also in einen Raum,
den augenscheinlich das Centrale ausfüllen müßte. Die Verhältnisse
sind im folgenden Stadium etwas deutlicher. Das Pisiforme ist noch
vorknorpelig und Hegt langgestreckt nach außen und volar vom Ulnare,
dasselbe weit proximal gegen die Ulna aufwärts überragend.
Von den di-ei Fingeranlagen ist die vierte die längste, die dritte
etwas kürzer, aber viel stärker. Das zweite Metacarpale ist sehr klein
und trägt an seinem distalen Ende einen unbedeutenden Zellhöcker,
der in den späteren Stadien länger wird, aber nie Phalangen entwickelt
im Zusammenhang mit dem Fehlen des Afterflügels. Dritter und
vierter Finger haben je eine Phalange ausgebildet.
Ein 21 mm langer Embryo zeigt Taf. XIV, Fig. 11, die für die
Sphenisciden eigentümliche Verlängerung von Unterarm- und Hand-
anlage. Die Handplatte läßt äußerlich keine Spur einer ulnaren Ab-
duktion erkennen, trotzdem das Schnittbild sie schon sehr gut aus-
gebildet zeigt. Das Metacarpale des zweiten Fingers bedingt am
radialen Rand der Handplatte einen unbedeutenden Höcker. Dieses
Moment, im Zusammenhang mit der Unterdrückung von Phalangen
läßt schließen, daß hier in phylogenetisch älteren Stadien ein
Finger vorhanden war. Ob er eine Alida getragen hat, ist eine andre
Frage.
Das Intermedioradiale erscheint als ungefähr prismatischer Knorpel,
der mit der einen Längsseite dem distalen Radiusende anliegt, mit der
gegenüberliegenden einen Knorpelstreifen berührt, den ich als die
verwachsenen Basalia 2, 3 und das Centrale auffasse. Mit der radialen
Schmalseite springt der Knorpel stark vor, während er mit der ulnaren
einer entsprechenden Facette der distalen Fläche der Ulna anliegt.
Ulnar vom Intermedium folgt zunächst zwischen Ulna und Centrale
eine größere Zellmasse, die wohl die Grundlage für das Lig. carpi
internum abgibt, wemi ein solches auch den Pinguinen zukommt. Dann
liegt noch angeschmiegt an das distale Ulnaende der im Verhältnis zum
früheren Stadium viel- kleinere rundliche Kern des Ulnare. Nach außen
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 20
296 Felix Sieglbauer,
davon kommt ein großer, im Sclmittbild dreiseitiger Knorpelherd, das
Pisiforme, das sich aufwärts längs der Ulna und abwärts längs des
Carpus zunächst erstreckt.
Von den Basalia ist wieder das vierte und fünfte deutlich. Letzteres
hat noch immer einen konischen Fortsatz gegen die Außenseite der
Basis des vierten Metacarpale, den ich, da kein eigentlicher Knorpel-
kern im fünften Metacarpale auftritt, für ein Rudiment desselben halte.
Zugleich aber hat sich von diesem Carpometacarpale 5 ein stumpfer,
knorpeliger Höcker ventral vom vierten Metacarpale ausgebildet, ähn-
lich dem, der sich sonst bei den Carinaten findet und zum Proc. muscu-
laris des dritten Metacarpus wird. Seine Bedeutung als Hebelpunkt
für die Flexor profundus-Sehne des dritten Fingers wurde bei der
Ente angegeben. Beim erwachsenen Sphenisciis kann ich' am trocke-
nen Skelet den entsprechenden Höcker nicht deutlich ausgeprägt
finden.
An der Basis des zweiten und dritten Metacarpale hat sich eine
Knorpelmasse gebildet, die wohl zunächst einem zweiten und dritten
Basale entspricht. Sie schiebt sich aber, wie das Studer auch für
Eudyptes abbildet, proximal vom vierten und fünften Basale vorbei
bis gegen das Ulnare hin. In diesem Teile des Knorpels steckt, wie
ich glaube, das Centrale. Ich habe bei der Ente das Centrale anfangs
vergebens gesucht und die Angaben von Norsa, daß beim Huhn das
Centrale mit dem dritten Basale verschmilzt, angezweifelt, bis ich
zuletzt beim Pinguin gerade an diesem Stadium zu der im ersten Ab-
schnitt mitgeteilten Ansicht kam.
Bezüglich der Phalangen an den Fingern sei hervorgehoben, daß
der zweite zwei trägt, der dritte nur einen, aber sehr langgestreckten
Knorpelstab, der wohl aus der Verschmelzung von zwei Anlagen hervor-
gegangen ist. Auch in dem folgenden Stadium habe ich diese Phalange
nur einfach und sehr lang gefunden, während Studer für Eudyptes
zwei Phalangen auch am vierten Finger angibt.
Der älteste Embryo hatte eine Länge von 28 mm (Taf . XIV, Fig. 12).
Er zeigte am Schwänze bereits die ersten Federpapillen. Der Oberarm
ist eigentümlich verschmälert und wie zu einem Stiele der großen, aus
Unterarm und Hand bestehenden Ruderplatte umgewandelt. Das
Ellbogengelenk ist leicht gebeugt und dementsprechend die Hand
etwas ulnar abduziert. Der Höcker des zweiten Fingers ist nur noch
undeutlich ausgebildet. An der Spitze des Flügels, also entsprechend
der Endphalange des dritten Fingers, findet sich eine umschriebene
Verhornung, das Rudiment einer in der Phylogenese verloren gegan-
Zur Kntwic'khiim der \'ogelextremität. 207
genen Kralle. Am ulnaren Rand der langen und schmalen Handplatte
bildet der vierte Finger einen kleinen Vorsprung. Das Skelet zeigt
allenthalben an den langen Knochen die ersten Stadien perichondraler
Knochenbildung.
Das Intermedioradiale hat die Form des erwachsenen radialen
Handwurzelknochens angenommen. Das Ulnare ist nicht mehr auf-
zufinden, während das Pisiforme als größter aller Handwurzelknochen
sich zwischen Ulna und den bereits verwachsenden Carpometacarpus
eindrängt. Aus ihm wird der große ulnare der beiden Handwurzel-
knochen. Schon früher wurde als physiologisches Erklärungsmoment
für die so auffallende Größe des Pisiforme der Sphenisciden die Keil-
wirkung erwähnt, mit der sich der Knochen zwischen Ulna und viertem
Metacarpale oder, nach der Verwachsung dem ganzen Carpometacarpus
einschiebt und eine Vermehrung der ulnaren Abduktion verhindern
kann. — ■ Die Basalia und das Centrale sind miteinander verwachsen.
Ebenso ist bereits die Verwachsung mit .dem vierten Metacarpale
komplett. Der palmare Fortsatz des in der Bildung des distalen Car-
pale aufgegangenen fünften Basale ist bis zum dritten Metacarpale
vorgewachsen und bildet hier später den Proc. muscul. metac. HI. Die
dritte Fingeranlage ist die stärkste und längste ; sie trägt an der zweiten
Phalange noch die prochondrale Anlage einer dritten. Die drei Meta-
carpalia sind nahe aneinander gerückt und stehen fast parallel.
Zusammenfassung.
Das Handskelet des P//^osce/?/s-Flügels entwickelt sich im wesent-
lichen so wie bei der Ente, nur erreicht die ulnare Abduktion im Hand-
gelenk bei Pygoscelys nie die hohen Grade wie bei den fliegenden Cari-
naten. Das Ulnare wird rückgebildet, und das große Pisiforme stellt
allein den ulnaren Handwurzelknochen des erwachsenen Flügels dar.
Intermedium und Radiale sind im radialen Handwurzelknochen zu
suchen, während das Centrale mit dem dritten Basale verschmilzt.
Hintere Extremität.
1. Anas boschas dorn.
5. und 6. Tag.
Schon in der Einleitung habe ich hervorgehoben, daß von dem
Moment an, in welchem sich die beiden Extremitätenanlagen zu gliedern
beginnen, die hintere Extremität in der Entwicklung der Zehe der
vorderen voraneilt. In den jüngeren Stadien habe ich bei der Ente
20*
298
Felix Sieglbauer,
nur gleiche Griöße der beiden Anlagen und kein Voraneilen der vorderen
erkennen können. Die Textfig. 12 und 13 stellen teils Schnittbilder,
teils Kekonstruktionen (Fig. 14) linker hinterer Extremitäten dersel-
ben Embryonen dar, von welchen Schnittbilder der linken vorderen
Umrißzeichnung zu
Textfig. 12—14.
Textfig. 12.
Eute, 6. Tag; linke, hintere Extremität. 35mal vergr.
Textfig 13.
Ente, 7. Tag; linke, hintere Extremi-
tät. 35mal vergr.
Textfig. 14.
Ente, V.Tag; linke, hintere Extremi-
tät. 35mal vergr
Zur Entwicklung der Vogclextrcniität. 299
Extremitäten in den Textfiii. 1 — 3 wiedergegeben sind. Ich glaube,
daß der Unterschied auffallend genug ist.
Textfig. 1 und 12 stellen Schnitte der distalen Abschnitte der
linken Extremitäten eines 6 Tage alten Entenembryos dar. Vorn sind
die beiden Aste der Skeletanlage von Unterarm und Hand noch ge-
trennt, es ist keine Fingeranlage zu erkennen. Hinten sind die ur-
sprünglich auch getrennten Äste der Zeugo- und Autopodiumanlage
bereits vereinigt und fünf Zehenanlagen zu erkennen.
Genauer ist folgendes hervorzuheben.
Der aus der Leibeswand frei heraustretende Extremitätenstummel
entspricht der Anlage von Unterschenkel und Fuß. Die Oberschenkel-
anlage steckt im Gegensatz zu der frei vorragenden Oberarmanlage
in der Leibeswand. Sie wird mit der Beckenanlage durch eine etwas
vorspringende ovale Leiste gegen die übrige Leibeswand, besonders
gegen di.e Somitenregion, scharf abgehoben.
Bei Betrachtung der äußeren Form der Extremitätenanlage kann
man Fuß und Unterschenkel schon einigermaßen voneinander ab-
grenzen. Vor allem fällt der konkave postaxiale Rand auf, dessen
tiefste Stelle die Gegend des künftigen Fußgelenkes bezeichnet.
In der histologischen Differenzierung sind die Anlagen von Tibia
und Fibula zunächst durch den auffallenden Dickenunterschied ge-
kennzeichnet. Die schmale Fibulaanlage ist bereits in das prochondrale
Stadium eingetreten, w^ährend in dem etwa doppelt so dicken tibialen
Ast des Zeugopodiums eine Tibiaanlage noch kaum zu erkennen ist.
Aus der Zellmasse der Autopodiumanlage hat sich zunächst in der
direkten Verlängerung der Fibula eine Zehe differenziert; es ist die
vierte. So wie bei den Reptilien nach Rabl tritt auch bei den Vögeln
die vierte Zehe zuerst auf. An ihrer fibularen Seite ist ein deutlicher
Höcker, aus dem die fünfte Zehe hervorgeht. Im Gegensatz zu der
Ausbildung der beiden fibularen Zehen sind die drei, welche dem tibia-
len Teil der Skeletanlage von Unterschenkel und Fuß entsprechen,
nur durch undeutliche Gewebsbuckel repräsentiert, von welchen der
der dritten, später stärksten Zehe noch am deutlichsten hervortritt.
Textfig. 13 zeigt einen Schnitt durch die linke Unterschenkel- und
Fußanlage eines etwas älteren Embryos, dessen vordere linke Extre-
mität durch Textfig. 2 dargestellt wird. Vorn sind die Skeletanlagen
noch getrennt, hinten ist schon die erste Andeutung eines Knorpel-
centrums für das Fibulare zu erkennen. Die Fibulaanlage hat sich
etwas verlängert, die viel breitere Tibiaanlage ist deutlich. Ihr un-
mittelbar an liegen die Querschnitte der Art. interossea. In der
300 Felix Sieglbauer,
fibularen Säule skeletogenen Gewebes haben sich die Zellen distal von
der Fibulaanlage zu einem neuen Knorpelcentrum zusammengeschart,
der Anlage des Fibulare.
In seiner Richtung liegt die vierte Zehenanlage, am Ende etwas
aufgetrieben und fibular abgebogen, in der gleichfalls, aber sehr un-
deutlich, das prochondi'ale Stadium eines Metatarsale zu erkennen ist.
Die Anlage der fünften Zehe ragt von der Tarsusanlage zunächst rein
fibular nach außen, um in der Nähe der fibularen Randvene recht-
winkelig distal wärts umzubiegen und kegelförmig zu enden. Rabl hat
zuerst bei den Sauriern darauf hinoewiesen, daß das hakenförmige
fünfte Metatarsale auch das fünfte Basale enthalte und das große vierte
Basale, das Cuboideum der Autoren, nicht zwei Basalia, das vierte und
fünfte, sondern allein das vierte Basale repräsentiere. Von den Vögeln,
die ich untersucht habe, findet sich deutlich nur bei den Entenembry-
onen diese in ihrer Form sofort an das Tarsometatarsale V der
Saurier erinnernde Anlage der fünften Zehe. Die dritte Zehe über-
wiegt noch nicht an Länge, wohl aber an Breite und Masse bereits die
vierte Zehenanlage, während erste und zweite nur stumpfe Höcker
bilden.
Textfig. 14 stellt eine Pausrekonstruktion der linken hinteren
Extremität dar, die zu demselben Embryo wie die linke vordere Extre-
mität gehört, von der Textfig. 3 einen Schnitt zeigt. Vorn sind die
Fingeranlagen noch undeutlich, nur die vierte prägnant, hinten hat in
der Tibia- und Fibulaanlage bereits die Bildung von hyaliner Grund-
substanz begonnen, ebenso ist der längsovale Kern des Fibulare voll-
kommen deutlich geworden. Die beiden Unterschenkelknochenanlagen
übertreffen etwa um ^/^ an Länge die des Vorderarmes. Das Spatium
interosseum zwischen beiden erstreckt sich am Fibulare ins Autopo-
dium hinein in der Richtung des Zwischenraumes zwischen dritter und
vierter Zehenanlage. Die erste und zweite Zehenanlage bilden stumpfe
Höcker, die dritte ist wesentlich allen andern vorangeeilt und über-
trifft an Stärke die fibular abgebogene vierte. Die Saurierform des
fünften Tarsometatarsus ist noch schärfer gegen das vorhergehende
Stadium geworden. In der vierten Zehenanlage ist das Metatarsale
zu erkennen, während in der dritten noch keine besondere Orientierung
der Zellkerne stattgefunden hat zur Bildung eines Knorpelcentrums für
ein drittes Metatarsale.
Die Muskulatur des Unterschenkels stellt wie am Vorderarm in
diesem Stadium noch eine einheitliche dorsale und ventrale Muskel-
platte dar.
Zur Entwii-klniii; der Voffi'Iextrcniilät. 301
7. und 8. Tag.
Zunächst möchte ich noch auf die Rekonstruktion (Taf. XIV,
Fig. 13) hinweisen, die dem Schnittbild der linken vorderen Extremität
(Taf, XIII, Fig. 1 ) entspricht. Sie zeigt im Tarsus neben der Anlage
des großen Fibulare noch einen Knorpel kern, der sich vom vierten bis
zum zweiten Basale erstreckt und die gemeinsame Anlage der Basalia
des Fußes darstellt. Schon Baue hat darauf hingewiesen, daß die
Basalia aus einer einheitlichen Grundlage hervorgehen. Erst später
läßt sich aus der Intensität, mit der die hyaline Grundsubstanz basische
Anilinfarbstoffe aufnimmt, der Knorpelkern des dritten Basale gegen
das zweite und vierte differenzieren.
Drittes und viertes Metatarsale sind in dem Stadium bereits knor-
pelig.
Das wesentlich ältere Stadium der Fig. 15 zeigt bereits alle Ele-
mente des Vogeltarsus : Das vierkantige, mit abgerundeten Ecken ver-
sehene Fibulare stellt die direkte Verlängerung der Fibula vor, die be-
deutend an Stärke hinter der Tibia zurückbleibt, aber an Länge ihr
noch vollkommen gleichkommt. Distal von dem unteren Tibiaende,
das schon in diesem Stadium eine auffallende Wachstumsenergie fibular-
wärts zeigt, die im weiteren Verlaufe zur vollständigen Verdrängung
des distalen Fibulaendes führt, liegt ein großer, heller, langgestreckter
Kern, der als prochondrale Anlage des Tibiale oder besser mit Rück-
sicht auf die Verhältnisse bei den Sauriern des Tritibiale (Rabl) be-
zeichnet werden kann. Zwischen Fibulare und Tritibiale zieht sich
in unmittelbarer Fortsetzung des Spatium interosseum der Unter-
schenkelknochen ein heller Mesenchymkanal, als Rest der beiden ur-
sprünglich getrennten Tarsusanlagen hinein. Vor dem knorpeligen
zweiten, dritten und vierten Metatarsale liegt langgestreckt das Basale
commune, das besonders dem dritten und vierten Basale entsprechend
Centrierung der Kerne des prochondralen Gewebes erkennen läßt.
Alle fünf Zehen sind klar ausgebildet : Die erste ist nur aus skeleto-
genem Gewebe gebildet und hat noch ihre ursprüngliche Lage am
Tarsus. Die zweite zeigt ein kurzes, knorpeliges Metatarsale. Die
dritte trägt den größten knorpeligen Metatarsus. Die erste Bildung
einer Grundphalange ist zu erkennen. Die vierte Zahenanlage ist dünner
als die dritte, aber länger. Ihr Metatarsale steht an Länge und Breite
zurück hinter dem der dritten Zehe, dagegen ist die Grundphalange
deutlich vorknorpelig angelegt.
Der fünfte Tarsometatarsus, den Rosenberg bei den Vögeln ge-
funden hat, steht auf der Höhe seiner Entwicklung. Mit seinem basalen
302 Felix Sieglbauer,
dickeren Teil ragt er fibular aus dem Tarsus heraus, um rechtwinkelig
umbiegend in einen sich allmählich längs der fibularen Randvene
hinziehenden und sich verschmälernden Gewebsstreifen überzusehen.
Gerade diese Rekonstruktion war es, die mich zuerst auf die Ähnlichkeit
mit dem Tarsometatarsale V der Lacertilia und Chelonia brachte.
Auf die Breite sei noch hingewiesen, welche die Fußanlage der
Ente in diesem Stadium besitzt. Die Zehenanlagen divergieren noch,
die Metatarsalia stehen weit auseinander, die proximale Lage der
großen Zehe, die Ausbildung des fünften Tarsometatarsale tragen dazu
bei, daß die Extremität die Grundform eines fünfzehigen Fußes noch
zeigt.
Schon in den nun zu beschreibenden Stadien vom 8. und 9. Tag
macht sich die auffallende Verschmälerung zunächst der Gegend des
späteren Intertarsalgelenkes bemerkbar (Taf, XIV, Fig. 16 u. 17).
Der frei vorragende Teil der hinteren Extremitätenanlage wächst
zunächst ohne besondere Richtungsänderung — im besonderen
Gegensatz zur vorderen Extremität — • immer längs der Leibeswand
cloakenwärts vor. Schon im vorhergehenden Stadium hat der Rand der
Fußplatte seine gleichmäßige Rundung aufgegeben und zeigt drei
stumpfe Ecken, von welchen die erste die Anlage sowohl der ersten
als auch der zweiten Zehe enthält. Es ist auch hervorzuheben, daß
zu der Zeit, in der die iinlage der großen Zehe noch am Tarsus sitzt,
der tibiale Fußrand eine deutliche Abbiegung tibialwärts entsprechend
der Richtung der ersten Zehenanlage zeigt, so daß dadurch die Breite
der Fußplatte bedingt wird, die in den späteren, nun folgenden Stadien
mit dem Distalwärtswandern der großen Zehe an dem zweiten Meta-
tarsale schwindet. Diese Verschiebung und auch die Verkleinerung der
ersten Zehenanlage und die beträchtliche Rückbildung der fünften
führen zunächst zur deutlichen Absetzung der Tarsusgegend vom Unter-
schenkel. Dann rücken auch zweites, drittes und viertes Metatarsale
mehr aneinander und gelangen allmählich in die eigentümliche Parallel-
stellung, die zum Schlüsse zur Verwachsung der drei Mittelfußknochen
führt.
Trotzdem die Zehenanlagen schon weit vorgeschritten sind, bilden
sie äußerlich nicht mehr als stumpfe Ecken. Das ist, wie Sewertzoff
mit Recht hervorhebt, das Charakteristische an der Amniotenextremität,
daß die Finger- und Zehenanlagen innerhalb der Hand- und Fußplatte
entstehen und erst später vortreten, während unter den Urodelen, an
der Tn^ow-Hand z. B., das gerade Gegenteil stattfindet.
Die weitere Entwickluns; des Skelettes des Fußes ist von Parker
Zur Er.twicUlung der VogcloxtivinitiU. 303
bei der Ente, von Gegenbaur, Rosenberg, Thomson und Baur
übereinstimmend geschildert worden und hat in der jüngsten Zeit durch
Marie Kaufmann-Wolf weitere Bestätiguno erfahren. Ich will nur
zwei Stadien kiuz schildern, um einen gewissen Abschlul.i in der Dar-
stellung herbeizuführen.
Die Tibia überwiegt in ihiem Wachstum immer mehr und mehr
über die Fibula. Vor allem verbreitert sich ihr distales Ende und
rückt an das längsovale Fibulare, während die Fibula proximal zurück-
reicht, und, wie es Taf . XIV, Fig. 17, zeigt, an Länge bereits ein gut
Teil gegen die Tibia zm-ücksteht. Wohl bleibt sie mit dem Fibulare
durch einen dichteren Zellstrang in Verbindung, aber bald hört auch
diese Verbindungsbrücke mit dem Tarsus auf. Nach der Verknorpelung
des zweiten, dritten und vierten Metatarsale tritt zunächst ein Knorpel-
kern im Basale commune und dann im Tritibiale, im ersten und fünften
Metatarsale auf. Kaufmann- Wolf gibt für das Houdan-Huhn folgende
Entwicklungsreihe der Knorpelcentren an: Fibulare fast gleichzeitig
mit drittem und viertem Metatarsale, dann zweites Metatarsale, dann
Basale und dann Tritibiale. Es ist die ganz gleiche Reihenfolge wie bei
der Ente. Bei einem Embryo von 7Vo Tagen sah ich die Anlage des
Basale und Fibulare in kontinuierlichem Zusammenhang, so daß das Fibu-
lare rechtwinkelig in die Basalia IV und V umbog, die vor allem in der
Anlage des Basale commune enthalten sind. Das erinnert an das Ulnare
an der vorderen Extremität, dessen distaler Teil zum Basale IV und V
wird. Allerdings sind anfangs am Fuß beide Anlagen getrennt. Jeden-
falls sind die Anlagen der Basalia immer scharf getrennt von den
Metatarsalia, was auch am Fuß gegen eine Ableitung der ersteren
von den basalen Teilen der letzteren spricht, wie sie Sewertzoff ver-
sucht hat.
Was die Metatarsalia des in Rede stehenden Stadiums vom 8. Tag
anbelangt, so ist die kleine prochondrale Anlage des ersten Metatarsale
bereits bis zur Mitte des zweiten Metatarsale gerückt. Das dritte Meta-
tarsale ist stärker als das zweite und vierte, alle drei haben sich zunächst
mit den basalen Enden genähert. Sie divergieren nicht mehr so wie im
vorhergehenden Stadium. Das fünfte Metatarsale ist zu einem dünnen
Zellstrang längs der fibularen Randvene geworden. In seinem proxi-
malen Ende entwickelt sich ein kleiner Knorpelkern, der in die Reihe
mit dem Basale commune zu stehen kommt. An den drei mittleren
Zehen treten die proximalen Phalangen zuerst auf, und zwar verknorpelt
die der vierten Zehe am frühesten.
Dritte und vierte Zehenanlage zeigen im Gegensatz zur ersten und
304 Felix Sieglbauer,
zweiten eine fibular gerichtete Abbiegung, eine Eigentümlichkeit, die
wohl auch von den Reptilienvorfahren vererbt ist.
Das letzte Stadium vom 10. Tag zeigt in allem Wesentlichen schon
den ausgebildeten Fuß. Der Unterschenkel ist durch die dorsale Ab-
knickung der Fußanlage in dem künftigen Intertarsalgelenk scharf
gegen die Fußplatte abgegi'enzt. Die Winkelstellung im Intertarsal-
gelenk nimmt in der weiteren Entwicklung noch zu. Die Zehenanlagen
springen deutlich vor, so daß die Schwimmhautanlage sich von den
Zehen abgrenzt. Dabei bleibt dauernd der fibulare Rand des Fußes
länger als der tibiale. Das zeigt sich schon in den ersten Entwicklungs-
stadien und hängt mit dem Vorauseilen der vierten Zehe in der Ent-
wicklung zusammen.
Die Tibia (Taf. XIV, Fig. 18) ist nun am distalen Ende so breit
geworden, daß sie nicht nur mit dem Tritibiale, sondern auch mit dem
von der Fibula ab- und distalgedrängten Fibulare articuliert. Tritibiale
und Fibulare bilden eine cylindrische, quergestellte Knorpelmasse, in
der der Kern des Fibulare noch lange deutlich umgrenzt bleibt. Vom
Tritibiale erstreckt sich an der vorderen Tibiafläche, und zwar gegen
den fibularen Rand zu, ein knorpeliger Fortsatz, der von Morse als
Inter medium gedeutet worden ist. Dem erwiderte Baur, daß schon
bei den Reptilien das Intermedium ganz klein, wie bei Lacerta, oder
vollständig im Tibiocentrale aufgegangen ist wie bei den Schildkröten
und Krokodilen, und nun nicht bei den Vögeln wieder selbständig werden
kann. Er faßt den Processus ascendens nur als eine mechanische Ver-
festigung des Tibiotarsus auf. x4hnliches ist, wie früher angegeben
wurde, zwischen dem Metararpus III und dessen Processus muscularis
der Fall, der als langer Knorpelstab vom Basale IV auswächst. Beim
Pinguin will ich auf das Verhalten von Os intermedium und Processus
ascendens zm'ückkommen und bemerke nur, daß ich besonders nach dem
Verhalten des Tritibiale beim Pinguin den fibularen Teil des Tritibiale
für das Intermedium halte. Dasselbe berührt nur das distale Ende
der Tibia und nicht die Fibula, was keine Kontraindikation für diese
Auffassung abgibt, wie Kaufmann- Wolf meint. Das außerordentliche
Wachstum der Tibia, vor allem ihres distalen Endes, durch die Stütz-
funktion des Fußes bedingt, drängt eben das Intermedium von der
Fibula ab. Dagegen liegt der Fortsatz des Intermedium, der Proc. ascen-
dens, der die festigende Brücke zwischen Tibia und Tarsus herstellt,
noch ganz am Außenrande der Tibia, dort, wo ein gut entwickeltes
Intermedium zwischen Tibia und Fibula hineinreichen würde. Der
Proc. ascendens ist also nicht allein das Intermedium, er ist nur das
Zur Entwicklung der Vogclex(ivinität\ 305
äußere Anzeichen, daß in dem Tiitibiale auch ein Intermedium steckt.
Daß der Fortsatz sehr früh selbständig verknorpelt und verknöchert,
hängt wohl mit seiner Bedeutung für die Befestigung des Tibiotarsus
zusammen.
Das Basale commune ist zu einer schmalen Knorpelscheibe ge-
worden, in der man die drei Basalia dadurch unterscheiden kann, daß
das dritte als das am stärksten tingierte Knorpelcentrum erscheint. Am
fibularen Rand dieser Knorpelplatte liegt ein ganz kleines Knorpelchen,
der letzte Rest der ganzen fünften Zehe.
Die Metatarsalia 11, III und IV sind stark in die Länge gewachsen
und liegen parallel dicht nebeneinander. Der dritte bleibt der längste
Die mittleren Phalangen sind an der zweiten bis vierten Zehe knorpelig,
ebenso die Grundphalange der ersten Zehe. Ihre Endphalangen sind
noch alle im Vorknorpelstadium. Am erwachsenen Fuß beträgt die
Zahl der Phalangen von der tibialen zur fibularen Seite 2, 3, 4, 5. Dem-
entsprechend schreitet die vierte Zehe in der Entwicklung der Phalangen
voraus, sie hat bereits vier knorpelige Phalangen. Trotzdem am aus-
gebildeten Fuß die mittlere dritte Zehe die stärkste ist, so eilt doch die
vierte in der Entwicklung voraus, wieder ein von den Reptilien vorfahren
vererbtes Merkmal.
Zusammenfassung.
Das Fußskelet eilt in seiner Entwicklung dem Handskelet voraus.
Zuerst entwickeln sich die Elemente des vierten Strahles, der dauernd
in der Skeletentwicklung seinen Vorsprung bewahrt. Nachdem das
Fibulare aufgetreten ist, bleibt es lange auch nach der Verwachsung
mit dem Tritibiale als selbständiger Knorpelherd bestehen. Das Triti-
biale verknorpelt nach dem Basale commune. Von den Zehenanlagen
ist besonders die fünfte in ihrer an die Saurier erinnernden Form des
Tarsometatarsale hervorzuheben.
2. Pygoscelys.
Wie bei der Ente und Möwe, so eilt auch bei Pygoscelys die hintere
Extremität frühzeitig in der Skeletentwicklung der Zehen der vorderen
voraus. Den Textfig. 10 und 11 der vorderen Extremität von Pygoscelys
entsprechen von der gleichen Seite des gleichen Embryo die Textfig. 15
und 16. Die äußere Form läßt keinen Unterschied gegen die hintere
Extremitätenanlage der Ente erkennen. In der Entwicklung des
skeletogenen Gewebes zeigen die beiden Zeichnungen einerseits das
Vorauseilen des vierten Fingers, anderseits in dem älteren Stadium
306
Felix Sieglbauer,
(Fig. 16) das Auftreten der ersten Knorpelkerne in derselben Reihen-
folge, wie sie für die Ente und das Houdanhuhn angegeben wurden,
Fibulare, viertes und drittes Metarcapale und dann Basale commune.
Fig. 16 ist das Spiegelbild der rechten hinteren Extremität desselben
Embryos.
Bei dem 15 mm langen Embryo (Taf . XIV, Fig. 19) hat der Paddel-
rand seine gleichmäßige Rundung verloren, er weist drei stumpfe Ecken
auf, von welchen die erste besonders
y^ — ^ scharf vorspringt gegen den kurzen
/ "^ tibialen Rand der Unterschenkelanlage.
Zweite und dritte Ecke entsprechen
der dritten und vierten Zehenanlage,
/ die gegen die zweite stark voraneilen.
' Mit der unbedeutenden Anlage der
fünften Zehe ist der fibulare Rand
der Extremitätenanlage fast gleich-
mäßig gerade gestreckt.
Die Skeletentwicklung zeigt eine
verknorpelte Tibia, die
an Breite die schmale,
gleichfalls knorpelige Fi-
bula übertrifft. Im Tar-
sus hat sich in der
unmittelbaren Verlän-
gerung der Fibula das
Fibulare deutlich abge-
grenzt gegen eine distal
folgende, noch prochor-
dale Partie, welche der
Anlage des vierten Ba-
sale entspricht. Auf dieses folgt die knorpelige Anlage des vierten
Metatarsale, welche an Länge die Knorpelanlage des dritten etwas
übertrifft. An der Basis des dritten liegt als Anlage des Basale com-
mune ein Knorpelkern, der in der Folge immer mehr oder weniger
deutlich abgegrenzt bleibt und dem dritten Basale entspricht. Das
Spatium interosseum des Unterschenkels reicht am Fibulare noch ein
Stück in den Tarsus hinein. Die Anlage des Tritibiale ist noch
prochondral. Von den fünf deutlich erkennbaren Zehen ist die vierte
die längste, sie enthält den prochondralen Kern einer Grundphalange,
die dritte ist etwas kürzer, aber stärker, 1 und 2 bilden nur Zinken
/.,
11
r
Pligoscelys, SS^ 11 mm; linke hintere Extremität.
35mal vergr.
Zur KntwickluiiK der Votrclexlveinität.
307
einer gemeinsamen Anlage, in der zweiten ist eben die Anlage eines
Metatarsale zn erkennen. Die fünfte Zehe erscheint gegen die ent-
sprechende Anlage bei der Ente nur als ein stumpfer Höcker, der
aber einen kleinen Knorpelkern enthält als Anlage eines Tarsometa-
tarsale V.
Die Rekonstruktion (Taf. XIV, Fig. 19) zeigt auch neben den
beiden Ästen des N. peroneus die Pygoscelys eigentümliche Insel in
dem Ramus dorsalis der Art. interossea. Zuckerkandl meinte, daß
bei den Vögeln die Art. interos-
sea den Tarsus durchbrechen 1
könnte und mit ihrer Durch-
trittsstelle allmählich proximal
im Zwischenknochenraum bis
^egen die Kniekehle wandere.
Ich habe bei Möwe, Huhn, Ente
und Pinguin, von dem jüngsten
Stadium angefangen, immer den
Durchtritt des Ramus dorsalis
der Art. interossea am distalen
Ende des Zwischenknochenrau-
mes gefunden. Während aber
bei der Ente z. B. die Arteria
über das distale Ende der Tibia
hinweg auf die dorsale Seite des
Tarsus kommt und aus dem
fibular gerichteten Bogen die
Zehenarterien abgibt, und zwar
nur zu den ersten vier Zehen,
teilt sich beim Pinguin die Art.
interossa auf der dorsalen Seite
der Tarsusanlage in zwei un-
gleich starke Äste — der fibu-
lare (Taf. XIV, Fig. 19) ist zu-
nächst der stärkere — , welche, eine Insel bildend, das Fibulare von
der dorsalen Seite her umlo:eisen. Der stärkere Ast der Insel zieht im
Boo-en dorsal von den Basen der Metatarsalia und gibt Seitenäste an
alle Radien ab. Schon bei der vorderen Extremität wurde hervorge-
hoben, daß bei der Ente und Möwe die Arterien der vierten und
fünften Zehe aus dem volaren Gefäßnetz stammen, ganz ähnlich wie
es an der vorderen Extremität der Fall ist. Dort wurde auch das
Textfig. 16.
Pygoscelys, SS ^ 12 mm; rechte, hintere Extremi-
tät, Spiegelbild. 35mal vergr.
308 Felix Sieglbaiier,
gegenteilige Verhalten in der ersten Entwicklung bei Pygoscelys her-
vorgehoben.
Im folgenden untersuchten Stadium (Taf. XIV, Fig. 20) ändert sich
die Insel derart, daß der tibiale Ast stärker wird und am Proc. ascen-
dens des Intermediums vorbeizieht und, wie bei den übrigen untersuch-
ten Carinaten, nur die drei tibialen Fingerarterien abgibt. Ich habe
in dem jüngsten Stadium eines 11 mm langen Pygoscelys-~EimhTyo nur
den fibularen Ast der Insel finden können, so daß der tibiale eine Neu-
bildung ist. Auch da zeigen sich primitive Charaktere am Fuß des
Pinguin, indem die Arteria interossea zuerst einen Verlauf zeigt, wie er
den Eeptilien eigentümlich ist und erst später die allgemeine, bei den
Carinaten vorhandene Beschaffenheit erwirbt.
Das Stadium von 18 mm (Taf. XIV, Fig. 20) zeigt bereits die
Verbreiterung des distalen Tibiaendes. Die Fibula weicht zunächst
noch nicht zurück. Sie bleibt beim Pinguin überhaupt ziemlich gut
entwickelt. Der Tarsus hat seine volle Ausbildung insofern erreicht,
als die proximalen Tarsalknochen, die Gegenbaur bei den Vögeln ent-
deckte, gut ausgebildet sind, das runde knorpelige Fibulare und das
langgestreckte Tritibiale, das ganz deutlich die Zusammensetzung
wenigstens aus einem medialen und lateralen Stück, also einem Tibiale
und Intermedium erkennen läßt. Die Stelle, wo distal von beiden das
Centrale im Tarsus ähnlich wie bei Reptilien zu suchen wäre, ist noch
vorhanden, doch ist ein besonderes Centrum an dem ausgebildeten
Knorpel nicht mehr zu erkennen. Aus dem Intermediumteil des Tri-
tibiale wächst der Proc. ascendens gegen den fibularen Rand der Tibia
aufwärts.
Man kann drei Basalia an der zweiten, dritten und vierten Zehe
unterscheiden. In gleicher Reihe mit ihnen steht am fibularen Fuß-
rand ein viertes, das dem Basale der fünften Zehe entspricht. In der
vierten Zehe sind bereits zwei Phalangen zur Ausbildung gekommen,
während in der dritten die Mittelphalangen noch klein sind und sich
im prochondialen Stadium befinden. An der zweiten Zehe ist nm^ die
Grundphalange entwickelt. Die vierte Zehe ist die längste, womit die
ganze Form der Fußanlage übereinstimmt, indem die Fußplatte einen
langen fibularen Rand besitzt, während der distale, die vier Zehen-
enden verbindend, in stumpfen Ecken abbrechend, gegen den tibialen
Rand allmählich proximal zurückweicht. Die erste Zehe ist kurz und
steht horizontal rein tibial nach außen. Der Fußrand springt in fast
rechtem Winkel gegen den Unterschenkel an der tibialen Seite vor.
Das folgende Stadium, 21 mm (Taf. XIV, Fig. 21), ist gegen das
I
Zur I^ntwickhmy- der N'ogcloxtreinität. 309
oben beschriebene nur dadurch ausgezeichnet, daß viertes und fünftes
Basale verschmolzen sind und einen noch etwas zapfenförmig vor-
springenden Knorpel an der Basis des vierten Metatarsus bilden. Das
erste Metatarsale hat seinen Platz am Tarsus verlassen und ist distal
längs des zweiten gewandert. Dadm'ch kommt es zu einer Verschmäle-
rung der Gegend des Fußgelenkes. Die vierte Zehe besitzt bereits drei
Phalangen und ist länger als die dritte, die nur zwei Knorpelcentren
für Phalangen aufweist.
In dem letzten mir zur Verfügung stehenden Stadium (Taf. XIV,
Fig. 22) beginnen bereits die Verschmelzungsprozesse in der proximalen
und ebenso in der distalen Reihe der Fußwurzelknochen und damit
die erste Andeutung des Intertarsalgelenkes. Fibulare und Tritibiale
sind zu einem längs des breiten distalen Tibiaendes sich erstreckenden
Knorpel geworden. Die Fibula ist zurückgewichen. Der Kern des
Fibulare ist aber noch deutlich begrenzt. Ebenso enthält der Proc.
ascendens" einen gut begrenzten Knorpelkern. Die Basalia II — -V —
ein erstes kommt nicht zur Ausbildung — sind zu einer schmalen kon-
vex-konkaven Platte verschmolzen, die im Bereich des dritten Basale
am mächtigsten ist. Zweites, drittes und viertes Metatarsale stehen
parallel, sind im Verhältnis zu einem entsprechenden Stadium der Ente
kurz und plump, das dritte ist das längste. Der erste Metatarsus ist
sehr lang und eigentümlich plantar vom zweiten Metatarsus etwa in
dessen Mitte geschoben. An allen Zehen ist die typische Phalangen-
zahl erreicht und zwischen der zweiten bis vierten eine schmale Schwimm-
haut ausgebildet. Von Krallenanlagen ist noch nichts zu sehen.
Zusammenfassung.
Das Fußskelet von Pycjoscelys entsteht in derselben Weise wie das
des Entenfußes. Die fünfte Zehe der Ente hat den Eidechsencharakter
noch gewahrt, während bei Pygoscelys ähnlich wie beim Huhn nur ein
stumpfer Höcker in den späteren Stadien zu erkennen ist. Dagegen
ist die erste tibiale Zehe beim Pinguin viel Ivräftiger als bei der Ente
entwickelt und auch nicht so weit mit ihrem Metatarsale distal gerückt.
Die Entwicklung des Skelettes von Vogelhand und -fuß hat neben
den für die Extremitätenentwicklung überhaupt charakteristischen
Heterochronien allenthalben Anklänge an die Skeletentwicklung der
Reptilienextremität gezeigt. Indem an der Vogelhand der erste Finger
wie bei Seps tridactyla nicht mehr zur Ausbildung gelangt, der zweite,
der vierte und vor allem der fünfte rudimentär bleiben, wird der dritte
zur Achse der Ruderflosse, als die man die Federn tragende Hand des
310 Felix Sieglbauer,
Vogels auffassen kann. Das ganze Flügelskelet hat nur die Aufgabe zu
erfüllen, einen gegliederten und zugleich festen Träger für die Schwung-
federn zu bilden. Dadiu'ch wird die Vogelhand rudimentär und ihrer
Vorfahrenhand sehr unähnlich. Viel weniger ist das Fußskelet in der
Phylogenese verändert, wenn auch in der Rückbildung der ersten
Zehe und dem in der Ontogenese vor sich gehenden vollkommenen
Schwund der fünften Zehe und vor allem in der Verlängerung der
Unterschenkel- und Metatarsusknochen und in der Verschmelzung der
letzteren mit dem Tarsale distale zum Laufknochen das Bild des Eep-
tilienfußes sehr verwischt worden ist. Gerade die bedeutende Erhebung
des Rumpfes über den Boden, die bei den Stelzvögeln so exzessiv wird,
zeichnet den Vogel vor dem am Boden lo-iechenden Reptil aus. Diese
Verlängerung der Hebelarme des Beinskelettes ist nicht nur zum Laufen,
sondern für viele Vögel zum Abfluge von höchster Wichtigkeit, wie die
kurzbeinigen Cypselomorphae zeigen, welchen die Fähigkeit, vom
Boden glatt abzufliegen, fehlt.
Leipzig, im Juli 1910.
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Zeitschrift f. wissenach. Zoologie. XCVII. Bd. 21
312
Felix Sieglbauer,
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIII und XIV.
Alle Figuren in der Ansicht von der dorsalen Seite.
Ente.
Linke, vordere Extremität:
Fig. 1.
Embryo
von
6
Tagen.
Schnittbild.
» 2.
»
»
7
»
Kombination aus mehreren Schnitten
» 3.
*
»
7
»
Pausrekonstruktion.
» 4.
»
»
8
»
»
» 5.
»
»
9
»
»
» 6.
»
-v
10
»
»
'> 7-
»
»
12
»
»
* 8.
>>
»
15
/>
»
» 9.
SS Länge des E
» 10.
» '>
> 11.
» >>
> 12.
» »
R, Radius;
U, Ulna;
r + i, Radiale
u. Intermedium;
u, Ulnare;
c. Centrale;
p, Pisiforme;
2, 3, 4, 5 u. b,
Basalia;
Pygoscelys.
Linke vordere Extremität:
'o 15 mm. Pausrt
18 »
21 »
N.r, Nervus radialis;
A.i, Arteria interossea;
E.d, Ramus dorsalis;
E.v, Ramus ventralis;
P.m, Processus musculaids metacarpi
III;
T, Tuberositas metacarpi II.
Linke, hintere Extremität:
Ente.
Embrj'o von 6 Tagen. Pausrekonstruktion.
■•> » 7 » >>
>> » 7 » »
•> » 8 »
» » 10 »
Pygoscelys.
Fig. 19. SS Länge des Embryo 15 mm.
Fig
13.
»
14.
>>
15.
»
16.
»
17.
»
18.
PausrekoDstruktion.
■> 20.
» 21.
18
21
Zur Entwickluug der Vogelextremitftt. 31 3
Fig. 22. SS Länge des Embryo 28 mm Pausrekonstruktion. (Spiegelbild
des rechten Fußes.)
T, Tibia; 2, 3, 4, 5 u. b, Basalia;
F, Fibula; N.p, N. peroneus;
ir, Tritibiale; N.f, N. fibularis;
a, Proc. ascendens des Tritibiale; R.V, Randvene;
/, Fibulare; A.i, Ram. dorsal, d. Art. interossea.
Für die Figuren im Text sind dieselben Abkürzungen gebraucht wie für die
Figuren der Tafeln.
21*
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren
des Rindes.
Von
D. Tretjakoff
(St. Petersburg).
Mit Tafel XV— XVIII.
Nachdem ich im Jahre 1902 meine Untersuchungen über die
Nerven der Rüsselhaut des Ferkels (Zur Frage der Nerven der Haut.
Diese Zeitschr. Bd. LXXI, Hft. 4) veröffentlicht hatte, unternahm
ich die systematische Untersuchung der Nervenendigungen an den
Sinushaaren von verschiedenen mir zugänglichen Tieren, Bald konnte
ich mich überzeugen, daß die Grundformen der Verteilung der Nerven
zwar gleichartig sind, daß jede Tierart doch ihre gut ausgeprägten
Eigentümlichkeiten besitzt, die angesichts der funktionellen Bestimmung
der verschiedenen Nervenendigungen sicher nicht gering zu schätzen
sind. Diese Eigentümlichkeiten treten aber am besten hervor, wenn
man nicht einzelne Endverästelungen der Nerven isoliert und für sich
allein, wie in der letzten Zeit üblich ist, betrachtet, sondern das Nerven-
gewebe in dem Sinushaar als Ganzes mit seinen Beziehungen zu den
übrigen Bestandteilen des Haarbalges und mit allen möglichen Modi-
fikationen in Betracht zieht. Als Beispiel derartiger bedeutungsvoller
Beziehungen kann das Sinushaar des Rindes gelten, da, nach meinen
Untersuchungen, sie unerwartet reich an den verschiedenartigsten
Nervenendigungen sind, besonders diejenigen Haare, die sich an beiden
Seiten des »Filtrum« befinden. Im Vergleich mit dem von mir näher
untersuchten Sinushaar des Schweines stellt das Sinushaar des Rindes
eine in höchster Weise ausgebildete und differenzierte Vorrichtung zu
den Tastempfindungen, die besonders beim Haschen nach Nahrung
funktionieren soll und deshalb wahrscheinlich auch sehr wichtig für
die Psychologie des Tieres sein muß. Der Sache kann man auch
nicht die praktische, landwirtschaftliche und tierärztliche Bedeutung
Die Nervenendigungen an clon Sinushaaron des Rindes. 315
absprechen. Den merkwürdigen, für unsre Auffassung sogar noch wenig
verständhchen Tastsinn im Schnauzenendc des Rindes, mit dessen
Hilfe das Tier ziemHch genau die Arten und Ordnungen der Pflanzen-
welt unterscheiden kann, will ich hier nicht ausführlich behandeln.
Die Beispiele dafür kennt wohl jeder Zootechniker. Ich widmete
meine Aufmerksamkeit dem Sinushaar des Rindes als einem vollkom-
mensten Tastorgan in der Hoffnung, hier das Wesentlichste dieser
Vorrichtung an das Tageslicht zu bringen.
Bei dem ersten Blick auf den Rindskopf könnte man glauben,
daß die Tasthaare hier in den verschiedenen Bedingungen zu der Druck-
richtung stehen. Man sieht nämlich zwei Arten der Haare, kurze und
lange. Die Tasthaare der ersten Art befinden sich auf dem Schnauzen-
ende, das immer mit dem Drüsensecret befeuchtet und mit dem sonst
haarlosen Epithel bedeckt ist. Diese Schnauzenhaare verteilen sich
in drei Gruppen — eine obere, zwei seitliche. Erstere besteht nur aus
den wenigen Sinushaaren, die die unmittelbare Fortsetzung der Gruppe
solcher Haare der behaarten Haut über die Schnauze darstellen.
Jede seitliche Gruppe hat die Form des gleichschenkeligen Dreiecks,
dessen Basis lateral, die Spitze medial gerichtet ist. Manchmal be-
rühren sich die Spitzen, ein andermal bleibt zwischen ihnen eine weite
Strecke. Die Tasthaare sind steif, zugeschärft und gerade nach vorn,
senkrecht zu der Epitheloberfläche gewendet. Wahrscheinlich emp-
fangen sie normal den Druck, der in ihrer Achsenrichtung wirkt. Sie
sind hier wohl eine Avantkolonne, die Spürhaare im engeren Sinne
des Wortes. Ihre Bälge stecken zwischen den Bündeln des dichten
Bindegewebes und den kompakten Drüsenaggregaten. Die binde-
gewebise Platte des Schnauzenendes wird durch die sehnigen Züge
allseitig straff gespannt, und die Spannung wird durch den Turgor
der Drüsen noch mehr erhöht, so daß man sie in ganz passender Weise
mit dem Trommelfell vergleichen kann. Was aber die speziellen
Muskeln der Sinushaare anbelangt, so finde ich nur nicht reichliche
glatte Muskelfasern, die von der oberen Hälfte des Balges zum Stratum
subpapillare ziehen mid höchstens die Spannung des Haarbalges, aber
keine eigentliche Bewegung hervorrufen können (Fig. 1, Taf. XV).
Die Sinushaare der sonst behaarten Stellen der Schnauzenhaut,
der Wangen, der Unterlippe, sind lang und hängen meistens bogen-
förmig nach unten. Manchmal finde ich unter ihnen (besonders an der
unteren Lippe) eine Anzahl von zwei und drei gespalteten Haaren,
dabei erreicht die Spaltung verschiedene Grade. Die Spaltung kann
vielleicht biologische Bedeutung haben, indem die Gräser zwischen
316 D. Tretjakoff,
die Äste des Haares geraten und damit der Druck noch intensiver
werden kann. Soviel ich die gespaltenen Haare untersucht habe, war
es immer keine dichotomische Teilung während der Embryonalentwick-
lung, sondern einfache Spaltung.
Die Bälge der langen Sinushaare stecken in den lockeren Fett-
schichten, zwischen den gestreiften Muskelfasern, die aber keine unmittel-
baren Beziehungen zu den Sinushaaren zeigen. Die Bälge sind durch
überaus feste äußere bindegewebige Scheiden geschützt und oben, in
der subpapillaren Schicht, mit glatten Muskelfasern versehen. Sie
empfangen wohl den Druck, der ungefähr senkrecht zu der Längsachse
des Haares und von den Gräsern bei der Weide streichelnd wirkt.
Man konnte eine verschiedene Art der Nervenverteilung in diesen
und jenen Bälgen zu finden erwarten, in Wirklichkeit aber unter-
scheiden sie sich in dieser Beziehung dm'chaus nicht; was die beson-
dere Veranlassung zu der Annahme berechtigt, daß der Blutsinus des
Haares einen hydrostatischen Apparat bildet, der nach gewissen physi-
kalischen Gesetzen den Druck in jeder Kichtung gleichmäßig in der
Flüssigkeit verbreitet. Deswegen brauchen die percipierenden ner-
vösen Endorgane gar nicht verschiedenartig in den Beziehungen zu
der Stellung des Sinushaares zu sein. Und wenn ich weiter vom Sinus-
haar spreche, so verstehe ich in gleicher Weise beide Arten von den
Sinushaaren. Die Modifikationen der bestim.mten Nervenendigungen
haben aus dem genannten Grunde keine Ursache in der Lage des Sinus-
haares. Einige Besonderheiten dieser und jener Haare verdienen
jedoch nachträglich erwähnt zu sein. Vorläufig sei gesagt, daß die
kurzen Haare größere Mannigfaltigkeit der nervösen Endausbreitung
und überhaupt reichere Nervenversorgung zeigen.
Literaturangaben.
Man hat schon mehrmals versucht die Zusammenfassung verschie-
dener Angaben zu machen, doch finde ich jetzt eine derartige Zu-
sammenfassung ziemlich unentbehrlich, um die Eigentümlichkeit und den
Reichtum an den Nervenendigimgen des Sinushaares des Rindes besser
verstehen zu können. Die wichtigsten Angaben habe ich persönlich
durch Lesen der zugehörigen Schriften nachgeprüft, die wenigen minder-
wertigen Beobachtungen zitiere ich nach den Arbeiten von Bonnet (2)
und KsjUNiN (20).
Gegenbaur (17) und Leydig (26) brachten die ersten zuverlässigen
Angaben über den Gesamtbau des Sinushaares, zu denen folgende
Untersuchungen, außer derjenigen von Dietl (9), eigentlich nichts
i
Die Nervenendigungen an den Sinusliaaron des Rindes. 317
Neues zuzufügen vermochten. Unter den Tieren, die von beiden ersten
berühmten JMeistern untersucht worden sind, befand sich auch das
Rind. Deswegen halte ich es für angemessen, die betreffenden Unter-
suchungen etwas eingehender zu zitieren.
Was die Sinushaare von den sinuslosen unterscheidet, ist, nach den An-
gaben von GEGENBArR (17), die Größe ihrer Bälge, der Bau und die Verhältnisse
der Blutgefäße, der Nerv'enreichtum, die Papille und der Bewegungsapparat.
Doch entspricht die Größe des Balges überhaupt der Größe des Sinushaares selbst.
Das Rind war unter den zur Untersuchung gelangten Tieren vorhanden, aber
die hauptsächlichen Angaben beziehen sich auf die Sinushaare des Kaninchens.
Gegenbaur führt die Äußerungen von Eble (»Lehre von den Haaren«) an, daß
innerhalb des Haarbalges die Gefäßschicht einen sulzartigen, verschieden rot
gefärbten Körper darstellt, der vorwiegend aus unzählbaren feinen Querfäden,
■welche die äußere Wurzelscheide mit der äußeren Balglage verbinden, besteht.
Nach den eignen Beobachtungen von Gegenbaur stellt die bezeichnete Schicht
ein weitmaschiges Netz des wellenförmig verlaufenden Bindegewebes dar. Die
Glashaut war von ihm sehr genau berücksichtigt, ebenso die Wurzelscheiden des
Haares. Die äußere Wurzelscheide wird als eine rötliche sulzige Masse beschrieben.
In der gefäßhaltigen Schicht werden die inneren und äußeren Nervenfasern
nachgewiesen, die zwei Geflechte, das innere und das äußere, bilden. Vom End-
geschick der Nervenfasern wird keine bestimmte Auskunft geliefert. Wegen der
genauen Messungen der Größe der Bälge und Beschreibung der Eigentümlich-
keiten der Haare bleibt die Arbeit immer noch lesenswert.
Gegenbaur berichtet zu knapp über die specifische Bildung des
Sinushaares, die innere Balglamelle, indem er in gleicher Weise die
Sinusbalken und die äußere Wurzelscheide sulzartig nennt. In dieser
Beziehung ist die Darlegung von Leydig besonders wichtig (26).
Leydig betrachtet die innere Lamelle des Balges als eine gut unter-
scheidbare, selbständig differenzierte Schicht, eine sulzartige Schicht in
engerem Sinne des Wortes und betont ihre unmittelbare Beziehung zu
den Endverästelungen der in den Balg eintretenden Nervenfasern. Die
Art der Endigung wird wohl auch von Leydig unbestimmt angegeben.
Beim Hund fand er im Sinus eigentümliche knäuelartige Nerven-
endigungen, die aber von späteren Forschern nicht wiedergesehen
worden sind.
Die folgenden Arbeiten von Gurtl (16) und Leo Vaillant (25) bringen
nichts Neues, wohl aber ODENnis (32), der auch die Sinushaare bei dem Ochsen
untersucht hatte. Besonders wertvoll waren die Angaben, die Odemius über die
Nervenendigungen geliefert hatte. Nach seiner Darstellung verlaufen die mark-
losen Terminalfasern der Nerven in einer homogenen, von rundlichen Kernen
durchsetzten Substanz im konischen Körper und finden ihr Ende in einer läng-
lichrunden, feingranulierten Anschwellung auf der Glashaut. Der Ringwulst ist,
nach der Meinung von Odenius, nervenlos.
318 D. Tretjakoff,
Vom historischen Standpunkt ist es bemerkenswert, daß Odenius die
Nervenendigungen irgendwo außerhalb des konischen Körpers zu suchen sehr
wenig geneigt ist. Die LEYDiGschen Körper von specifischer Natur beim Hund
hält er für keine nervösen Bildungen in erster Linie deshalb, weil sie im Bereich
des cavernösen Gewebes liegen.
BuBKHABDT (7) verlegt die Nervenendigungen in den Ringwulst; sie sollten
sogar mit den Kernen der Ringwulstzellen in Verbindung stehen; Paladino (53)
fand beim Pferde keine Endigungen im Ringwulst oder im konischen Körper;
wo eigentlich die Nerven enden, konnte er nicht feststellen.
Welikys (49) Arbeit war nur russisch veröffentlicht. Die Ergebnisse sind
in manchen Beziehungen, beim Vergleich mit andern Veröffentlichungen jener
Zeit, sehr interessant. In der Disputation zwischen 8chöbl (38) und Stieda
(41) stellt sich Verfasser an die Seite von Stieda und findet an den Haaren der
Fledermäuse keinen Nervenring. In den Sinushaaren von Hund, Katze und
Maus konnte er nur die intraepithelialen Nervenendigungen in der Form von mark-
losen Fädchen iin Epithel der äußeren Scheide feststellen.
JoBERT (18) verfolgte beim Maulwurf und Schwein die Nervenfasern bis
in den konischen Körper, der nach ihm hyalines Aussehen besitzt. Die marklosen
Terminalfasern steigen senkrecht in die Höhe auf und bilden kleine angeschwollene
Verbreitungen (»Kerne«). Es bildet sich noch eine andre Vorrichtung, die er als
einen Nervenring beschreibt, in der Form des diffusen Geflechtes, welches von den
aus den oberflächlichen Schichten der Haut kommenden und unter die Talgdrüsen
sich senkenden Nervenfasern entsteht. Jobeet hat also für das Schwein typisches
Vorhandensein zweier Formationen festgestellt — die Endigungen im konischen
Körper oder Palisade und den Nervenring. Daß diese Formationen beim Schwein
wirklich existieren, beweisen die Ai'beiten der letzten Zeit.
•i-ir Die Untersuchung von Sertoli und Bizzozero bildet (42) den bemerkens-
werten Punkt in der Geschichte der Frage. Beim Pferd und Hund finden die
Verfasser, an der Hand der Vergoldungsmethode, Tastscheiben zwischen den
Cylinderzellen der äußeren Wurzelscheide. Diese Tastscheiben werden von ihnen
in Gestalt von multipolaren Körperchen oder Zellen anerkannt, die untereinander
und mit den Nervenfasern zusammenhängen. Nur hatten sie keine Spur des
Nervenringes und der Endigungen im konischen Körper gefunden und leugnen
ihre Existenz. Da sie die Sinushaare des Pferdes untersuchten, haben sie in
diesem speziellen Fall teilweise recht.
' Jetzt folgen die grundlegenden Arbeiten von Dietl (9), die von
den Bestrebungen, die Eigentümliclikeiten der Sinushaare bei den ver-
scbiedenen Tieren planmäßig vergleichend-anatomisch ernsthaft zu
untersuchen und in dieser Weise die früheren Kontroverse zu mildern,
die Arten der Sinushaare festzustellen, geleitet sind. Abgesehen von
dem Versuch die allgemeine histologische Analyse des Sinushaares zu
geben, zu dem wir noch einmal eingehend zurückkehren müssen,
enthalten die Untersuchungen von Dietl auch die zahlreichen und vor-
sichtigen Angaben über die Nervenverteilung und die Nervenendigungen,
Die Nervenendigungen an ilcn Sinusliaarcn des Rindes. 319
weshalb diese Untersuchungen sicher für die neueren Arbeiten mit der
Hilfe moderner Methoden einen Ausuang bildeten.
Die Verteilung der Nerven wird besonders im zweiten Teil seiner
Arbeit (1872) dargestellt, doch auch die erste Abhandlung vom Jahre
1871 ist sehr wichtig, da darin die Auffassung des Gesamtbaues des
Sinushaares so ausgedrückt wird, wie sie bis in die neueste Zeit ohne
wesentliche Modifikationen sich erhalten hat.
Im Verhalten der stärkeren Nervenbündel, die an den Sinus des
Haares herantreten, unterscheidet Verfasser zwei Möglichkeiten. Bei
einer Keihe von Tieren (z. B. Raub- imd Nagetieren) findet sich ein
deutlich entwickelter Ringsinus und Ringwulst. Die Nervenstämmchen
durchbohren den Haarbalg, verlaufen im cavernösen Gewebe nach
oben und imien, so daß sie sich nach mannigfacher Teilung in die Höhe
des Ringwulstes als einfache Nervenfasern (Primitivfasern) begeben;
dieselben liegen im Gewebe der inneren Haarbalglamelle, umgeben die
äußere Wurzelscheide und liegen sehr nahe der homogenen Glashaut
an. Auch tiefer schon sind einige Fasern der inneren Lamelle zuge-
zogen, um. in derselben ein Anastomosennetz zu bilden. Bei andern
Tieren, z. B. beim Rinde, gibt es keinen Ringsinus und keinen Ring-
wulst. Die Bündel der Nervenfasern teilen sich meist schon ziemlich
tief, um teils in den Balken des cavernösen Gewebes, teils an der inneren
Lamelle des Haarbalges, wo sie auch anastomosieren, teils in cha-
rakteristischer Weise an der inneren Fläche der äußeren Balglamelle
aufzusteigen. Dieselben Fasern benutzen dann regelmäßig einen der
obersten Balken des cavernösen Gewebes, um in demselben wieder
abwärts der inneren Lamelle zuzustreben, so daß sie eine starke
S-förmige Krümmung beschreiben. Übrigens verlaufen die Nerven-
fasern beim Rind überhaupt wenig geschlängelt.
In beiden Kategorien der Nervenverteilung umgeben schließlich
die Nervenfasern im oberen Teile der inneren Haarbalglamelle die
äußere Wurzelscheide rings herum und sind von dem Epithel durch
die homogene Glashaut getrennt. Die Glashaut zeigt hier ein eigen-
tümliches Verhalten; sie erreicht nämlich bei manchen Tieren, vor-
nehmlich beim Rinde und Hund, ungewöhnhche Stärke und Festig-
keit, und zwar in ganz bestimmter Ausdehnung. Dies ist nun der Bezirk,
in dem es sich am besten beobachten läßt, daß die Primitivfasern
(Nervenfasern) sich nach einwärts umbiegen, dabei marklos werden, die
Glashaut durchbohren und den Epitlielzellen der äußeren Wurzelscheide
zustreben. Jede Faser senkt sich zwischen die Epithelzellen ein oder legt
sich in andern Fällen mit einer kleinen oblongen Anschwellung an die
320 D. Tretjakoff,
Grenzzellen an. Ob diese Anschwellung als Terminalgebilde zu be-
trachten sei, läßt der Verfasser dahingestellt.
Wo die Fasern im konischen Körper aufhören, waren sie entweder
wirklich durchgeschnitten oder abgerissen, in andern Fällen hatte sich
diese Einwendung nicht mit triftigen Gründen von der Hand weisen
lassen. Deswegen konnte Dietl die Endigung im konischen Körper
nirgends bestimmt nachweisen.
ScHÖBLs Arbeiten über die Haare der Flugmäuse (1870) und des Igels (1873)
kommen hier wenig in Betracht, diese iVrbeiten enthalten namentlich nach den
Erörterungen von Stieda und Weliky wenig zuverlässige Angaben. Redtel
(35) (1873) scheint die Palisadenendigungen richtig beurteilt zu haben, indem er
beim Rinolophus und Hippocrejns Endknöpfchen im konischen Körper außerhalb
der Glashaut beschrieb; doch bestreitet er gegen Dietl und Sertoli das
Durchtreten der Nerven durch die Glashaut. Die Arbeit von Moisisowics (30)
bringt nur unbestimmte Angaben.
Merkel richtete seine Aufmerksamkeit (2) auf die Sinushaare des .Schweins-
rüssels, bei welchem er die Nerven in der äußersten Zellenlage der äußeren Wurzel-
scheide unter den Talgdrüsen nach Durchbohrung der Glashaut in Tastzellen,
wie schon Sertoli und Bizzozero bewiesen hatten, endigen läßt.
Lowes Untersuchung (28) schließt die Reihe, in welcher die Erfolge voll-
kommenerer technischer Methoden noch wenig zur Geltvmg kommen. Dagegen
bringt die Arbeit von Bonnet (2) an der Hand der sehr geglückten Vergoldungs-
bilder eine Fülle positiver Angaben, wie über die gewöhnlichen Haare, so auch
über die Sinushaare der Katze, der Maus und des Pferdes. Doch hat auch er
wenig die Besonderheiten der Haare der verschiedenen Tiere berücksichtigt, in
der Bestrebung die allgemein gültigen Schemata zu eruieren.
Nach der Darstellung von Bonnet (2) verästeln sich die Nerven-
stämmchen als ein kelchf örmiges Geflecht, aus einer oberflächlichen und
tiefen Lage zusammengesetzt, in der inneren Balglamelle. Die Fasern
des Geflechtes endigen nach Durchbohrung der Glashaut und Verlust
ihrer Markscheide in dem einschichtigen Endknospenmantel, der die
Wurzelscheidenanschwellung überzieht, die Fasern der tiefen Lage
endigen auch in einzelnen zwischen den verzahnten Cylinderzellen zer-
streuten Endknospen im tiefer gelegenen Wurzelscheidenteil. Zum
Haartaschenhalse kommt bei manchen Tieren ein eignes Stämmchen,
bei der Katze und Maus findet sich diese Anordnung zu einem den
Hals umspinneuden Geflecht (Nervenring) entwickelt, wo die Nerven-
fasern auf unbekannte Weise ihr Ende erreichen.
Aus der Zeichnung 10, Taf. XVIII, der Arbeit von Bonnet sieht
man, daß der Verfasser eine sehr vollständige Färbung der Nerven-
endigungen am Sinushaar des Schweinsrüssels erzielt hatte. Man findet
in dieser Zeichnung die intraepithelialen Tastscheiben einerseits und
I
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 321
die Endigungeu, die wir jetzt Palisade nennen, anderseits ganz deut-
lich und naturgetreu abgebildet. Doch war ein böser Dämon der
Wissenschaft sicher dabei, denn Bonnet spricht über die Sache folgendes :
»Nur beim Schwein machten mich Goldpräparate (siehe Fig. 10) einen
Augenblick schwankend. Ich sah dort nändich einzelnen Fasern in der
Nähe des konischen Körpers kleine birnförmige, ebenfalls gefärbte
.Anschwellungen aufsitzen, die jedoch viel größer waren als die von
Odenius beschriebenen. Der Umstand, daß ich sie auch an den besten
Osmiumpräparaten vermißte, mahnte mich jedoch zur Vorsicht, und
ich kann ihnen um so mehr als sie nm- eine flächenhafte Ausbreitung
besitzen und keinerlei weitere Struktur an ihnen nachzuweisen ist,
nur die Rolle von Kunstprodukten zuteilen.« Diese Vorsicht ist mir
überhaupt wenig verständlich, da an den gewöhnlichen, sinuslosen
Haaren die palisadenförmigen Endigmigen von dem Verfasser richtig
aufgefaßt wurden.
Unter den positiven Angaben der Arbeit von Bonnet muß man
besonders auf die Behauptung der Identität der intraepithelialen Tast-
scheiben mit den ähnlichen Gebilden (MERKELschen Tastscheiben) in
den Epithelleisten hinweisen. Doch bleibt der Bau der Gebilde noch
wenig klar, indem Bonnet die Endigung der Nervenfasern im Innern
des hellen Bläschens in der Form einer kolbigen Anschwellung annimmt.
Die Endigungen im konischen Körper, denen Bonnet die nervöse
Natur absprechen wollte, wurden richtig durch Ranvier (34) verstan-
den und beschrieben unter der Bezeichnung »terminaisons en forme
de spatule<<. Dadurch war der Weg und Boden für die bedeutenden
Untersuchungen von Szymonowicz (43) vorbereitet, der die Sinushaare
der weißen Maus, des Schweines und des Maulwurfes untersuchte.
Nach den Angaben von Szymonowicz durchdringt das Bündel
der markhaltigen Fasern immer an einer Seite des Haarbalges die
äußere Wurzelscheide und teilt sich gleichzeitig in zwei bis vier dünnere
Bündel. Das Epineurium des Bündels verschmilzt hierbei mit der
äußeren Schicht des Haarbalges. Zahlreiche dünnere Bündel entstehen
an der inneren Seite des Haarbalges und lagern sich rings um das Haar.
An der birnenförmigen Erweiterung der äußeren Haarwurzelscheide
angelangt, lagern sich einige derselben tiefer imd gelangen an die Glas-
haut am unteren Ende der Scheidenanschwellung. Die Fasern der
tieferen Schicht bilden mit ihren marklosen Endverzweigungen, die
bald an ein Hirschgeweih, bald an einen reich verzweigten Baumast
erinnern, ein förmliches Geflecht,, stellenweise scheinen sie ein Netz(?)
zu bilden. Dieses Geflecht liegt jedenfalls unmittelbar an der Glashaut,
322 D. Tretjakoff,
es dringt keine Faser dieses Geflechtes durch die Glashaut. Am reich-
sten ist das Geflecht bei der Maus entwickelt.
Die mehr nach außen liegenden Nervenfasern verlaufen oberhalb
des oben erwähnten Geflechts und nehmen sodann ihren Weg unter
dem Ringwulste gegen den oberen umfangreicheren Teil der Scheiden-
anschwellung. Sie durchbohren in den verschiedenen Höhen die Glas-
haut und kommen mit den äui3eren Zellen der Scheidenanschwellung
in Berührung, indem sie die Tastscheiben bilden, die über den Tast-
zellen liegen.
Bei der Maus und dem Maulwurf befindet sich schließlich oberhalb
der Scheidenanschwellung im Bindegewebe des konischen Körpers ein
ringförmiges Nervengeflecht aus vielen markhaltigen und marklosen
Fasern. Szymonowicz ist mit Bonnet über den Ursprung dieses
Nervenringes in der Beziehung einverstanden, als er in ihm die Fasern
nur von oben herantreten läßt. Nur beim Maulwurf konnte er einmal
feststellen, daß zum Nervenring von unten ein Bündel gelangte.
Ich habe schon seinerzeit darauf hingewiesen, daß die Endverzwei-
gungen auf der Glashaut bereits auf den Figuren von Bonnet abge-
bildet sind, nur hat sich der Verfasser über ihre Natur keine richtige
Vorstellung gemacht. Szymonowicz ist seinerseits zu der irrtümlichen
Vorstellung in der Deutung dieser Endigungen gekommen. Ich brauche
nur auf die Stelle der Arbeit von Szymonowicz, wo der Verfasser das
Zitat von Ranvier anführt, hinzuweisen: <<Les f ihres nerveuses qui
arrivent au poil au dessous du bourrelet annulaire ne traversent pas
toutes la membrane vitree: on en remarque qui s'arretent a sa surface
externe et qui, s'applatissant contre eile, se terminent par des bourgeous
en forme de spatule.» Hieraus darf geschlossen werden, daß der Ver-
fasser (Szymonowicz) seine Endigungeu außerhalb der Glashaut mit
den Endigungen der Palisaden für identisch gehalten hat.
Obgleich die Arbeit von Richiardi (36) speziell die Sinushaare
des Rindes berücksichtigt, bringt sie im Vergleich mit den Untersuchun-
gen von Szymonowicz keine Angaben, die hier erwähnt zu werden
verdienten.
Wohl aber lieferten eine wertvolle Bereicherung unsrer Kenntnisse
die Untersuchungen von Ostroumoff-Arnstein (1), die mit Hilfe der
EHRLiCHschen Methylenblaumethode ausgeführt wurden.
Ostroumoff teilt in entschiedener Weise die Endigungen der
Nerven der Sinushaare in hypolemmale und epilemmale ein. Die
Fasern ersterer Art bilden Tastscheiben; die meisten Nervenendigungen
sollen aber außerhalb der Glashaut liefen. Nach der Meinung des
Die Xervenondigungen an den Sinushaaron des Rindes. 323
Verfassers muß man die geraden Terminalfasern, welche den Hals der
Haartasclie umgeben, also im konischen Körper liegen, streng von den
l)aumförmigen Endigungen an den Balken des cavernösen Gewebes,
in der Papille und von den Endbäumchen an der Glashaut unter-
scheiden. Über den Nervenring äußert er sich in dem Sinne, daß hier
überhaupt keine Nervenendstelle sei. Die ihm gehörenden Fasern
beteiligen sich an der Bildung verschiedener Nervenendapparate, die
in der oberen Hälfte der Haarscheide gelegen sind. In einigen Fällen
wird der Ring durch ein lockeres ringförmiges Geflecht ersetzt, wo die
Endigungen leichter verfolgt werden können. Zur Untersuchung dienten
die Sinushaare von verschiedenen Tieren.
Kurz und klar dargestellt, sind die Ergebnisse von Ostroumoff-
Arnstein unübertroffen, von den meisten der späteren Forscher wurden
sie vollständig bestätigt. Leider gelang es nicht immer die gleiche
technische Stufe zu erreichen und keine Widersprüche, sondern weitere
detaillierte Entwicklung der Lehre von den Nervenendigungen an den
Sinushaaren zu liefern.
Die chronologisch spätere Arbeit von Botezat (3), der sich haupt-
sächlich der Goldmethode bediente, erklärt die Angaben von Ostroumoff
in manchen Beziehungen für nicht stichhaltig. Botezat untersuchte
die Sinushaare von der grauen Maus, der Hauskatze, dem Hunde, dem
Schwein, dem Kaninchen, dem Hasen, dem Reh, dem Rind und der
Ratte. Als neu betrachtet er folgende Behauptungen. Die Nerven-
fasern aus dem tiefen Geflecht durchdringen die Glashaut, und inner-
halb derselben bilden sie die Tastscheiben; dieselben finden sich sogar
in tieferen, zur Papille hinabreichenden Teilen der Wurzelscheide,
welche keine Anschwellung bilden. Die wahren Endigungen der
sensiblen Tasthaarnerven sind die Terminalfasern, in welche die
Tastscheiben übergehen, und die, in das Innere der Wurzelscheide
hineinragend, zwischen deren Zellen frei endigen. Die blassen Nerven-
fasern des bei manchen Tieren vorkommenden Ringgeflechtes durch-
dringen die Glashaut und bilden freie Endigungen innerhalb derselben.
Demnach ist die äußere Wurzelscheide des Sinushaares bedeutend
nervenreicher, als bisher angenommen wurde, und es breitet sich der
sensorische Terminalapparat der Sinushaare innerhalb der genannten
Glashaut aus.
KsjUNiN (20) äußert sich vielmehr zugunsten der Ostroumoff-
schen Angaben auf Grund der Untersuchungen über die Sinushaare
von Meerschweinchen, Kaninchen, Hasen, Ratten, Mäusen, Hunden,
Katzen, Ziegen und Kälbern. Obgleich das Rind nicht in der Liste
324 D. Tretjakoff,
der untersuchten Tiere angegeben ist, bietet die Arbeit manche wichtige
Beobachtungen prinzipieller Bedeutung und verdient besondere Be-
achtung.
Nach KsjUNiN kann man die Nervenendigungen im bindegewebigen
Haarbalge in drei Untergruppen verteilen: den Nervenring, die Palisa-
denendigungen und die baumförmigen Nervenendigungen in den Balken
des cavernösen Gewebes. Dazu kommen noch die intraepithelialen
Nervenfäden in der äußeren Wurzelscheide. Den Nervenring nennt
der Verfasser, dem Beispiel von Szymonowicz folgend, »ringförmiges
Geflecht«; dasselbe findet er weiter nach unten verbreitet, als früher
angenommen wurde, und nach innen umfassen die Fasern das Haar
dicht fast an der Glashaut.
Die palisadenförmig gestreckten Terminalfasern entspringen nicht-
nur von den Fasern des tieferen Geflechtes, sondern, gleichwie bei
den sinuslosen Haaren, vom oberflächlichen Geflecht der Haut.
Von den Endbäumchen in der inneren Haarbalglamelle hat der
Verfasser recht hübsche Bilder erzielt. Die zu ihrer Bildung dienenden
Nervenfasern entstehen aus den Stämmchen, die in die Haarfollikel
aus dem Stratum subcutaneum hineintreten, und verbreiten sich nach
verschiedenen Höhenrichtungen längs dem Haar. Die Gegend, wo
man die baumförmigen Endigungen findet, erstreckt sich nach oben
bis an die Scheidenanschwellung, nach unten bis an das Gebiet der
Haarpapille.
Das Aussehen der baumförmigen Endigungen hat in der iVrbeit von
KsjUNiN keine detaillierte Beschreibung erfahren, wahrscheinlich aus
dem Grunde, daß diese Bildungen vollkommen jenen des Bindegewebes
ähnlich sind, wie der Verfasser annimmt. Deswegen muß man die
schönen Tafelfiguren ansehen, um über diese Endbäumchen sich genau
orientieren zu können. Auf der Fig. 4, Taf. XXIH, der KsjUNiNschen
Arbeit bemerkt man nämlich, daß die Plättchen an den marklosen
Astchen, die das Endbäumchen zusammenstellen, ungewöhnlich breit,
unregelmäßig gezackt und lappig, fast sternförmig sind. Dabei findet
sich noch eine ganze Masse kleiner Plättchen und rundlicher Verdickun-
gen an den Endästen. Wenn die einzelnen Fädchen bis an die Glas-
haut gelangen, befindet sich ihre größte Anzahl, wie auch aus Fig. 3,
Taf. XXn, ersichtlich ist, im Bindegewebe der inneren Lamelle des
Haarbalges, einige Endbäumchen sind sogar ganz entfernt von der
Glashaut und lieoen am Übero;ano- in die Balken des cavernösen Ge-
webes. Dieselbe Figur, das Sinushaar des Hundes darstellend, gibt
einen «uten Betriff von der Fülle dieser Bildungen. Im Text werden
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 325
aber diese Verhältnisse, die, wie ich unten zeigen will, große ver-
gleichend-anatomische Bedeutung haben, nicht berührt.
Das Vorhandensein der Endbäunichen in den Balken des caver-
nösen Gewebes bejahend, ist Ksjunin geneigt, sie als gleichwertig mit
den Endbäumchen in der inneren Lamelle des Haarbalgfes zu be-
trachten (20).
Über die Tastscheiben stehen die Angaben von Ksjunin im Ein-
klang mit denen andrer Verfasser, nicht aber mit denen von Botezat.
Die Endigungen in der Papille werden auch eingehend beschrieben.
Was die intraepithelialen Endfädchen betrifft, so erinnert Ks.junin an
die früheren Angaben von Arnstein (1876) und Lawdowsky (1887)
über die freien intraepithelialen Nervenendigungen im Gebiete der
Ausführungsgänge der Talgdrüsen. Ksjunin findet die varicösen Fäd-
chen im Gebiete des Kingwulstes in ziemlich beträchtlicher Zahl in der
Tiefe der äußeren Wurzelscheide. Genauere Angaben über diese Art
der Nervenendigungen sind von ihm versprochen worden, doch bisher
noch nicht erschienen.
Darauf folgt meine Arbeit über die Sinushaare des Schweinsrüssels;
bei dieser Untersuchung war ich bestrebt mich besonders jeder Schema-
tisierung zu enthalten und das konkrete Bild der Nervenverteilung im
gegebenen Fall zu liefern. Im allgemeinen konnte ich die Befunde von
OsTROUMOw und Ksjunin bestätigen.
Es folgt dann die Untersuchung von Tello (45), in der die Fibrillär-
struktur der verschiedenartigen Nervenendigungen an den Sinushaaren
vermittels der CAJALschen Silbermethode nachgewiesen worden ist.
übrigens bringt die Arbeit von Tello keine neuen Tätsachen, und es
scheint sogar, daß der Verfasser sich der Literaturangaben nicht voll-
ständig bemächtigt hat.
Nun möchte ich die hauptsächlichen Züge der Sinushaare nach den
angeführten literarischen Veröffentlichungen kurz wiederholen.
Das tatsächliche Material über die Nervenverteilung findet sich
in den Arbeiten von Ranvier, Ostroumow, Ksjunin in vollkommenster
Weise geliefert. Aber in denselben Arbeiten wird die Richtung der
Arbeitsmethoden immer einseitig, man glaubt nämlich, daß die übrigen
geweblichen Bestandteile des Haarbalges vollständig bekannt sind und
daß nur das Nervengewebe Neuentdeckungen liefern kann. Man
versucht gar nicht, außer den Tastscheiben, die intimeren Beziehungen
zwischen den Nervenendigungen und den übrigen geweblichen Bestand-
teilen zu untersuchen, man gibt keine bestimmten Angaben über das
Vorhandensein oder Fehlen der bindegewebigen Hüllen an den palisaden-
326 D. Tretjakoff,
förmigen Endigungen, wenn man von vornherein die merkwürdige
Ähnlichkeit zwischen den geraden löffeiförmigen Endignngen und der
Centralf aser der Endkolben nicht abweisen kann. Die von Dietl vor-
genommene strenge Durchführung der vergleichend-anatomischen Fest-
stellung der Differenzen der Sinushaare bei verschiedenen Tierarten
ging bei späteren Untersuchungen verloren, indem nicht das Sinushaar
jeder Art als funktionell angepaßte Bildung, sondern die typischen
Nervenendigungen das Ziel der Forschung bildeten und den ersten
Platz die Absicht, die Verhältnisse bei den verschiedenen Tieren als einen
einheitlichen Typus darzustellen, eingenommen hat. Nach meiner
Meinung aber ist die Zeit dazu noch lange nicht gekommen.
Eigne Untersuchungen.
Methode.
Die Technik der Methylenblaufärbung scheint an sich sehr einfach
zu sein, besonders in der Anwendung, die von Prof. Dr. A. S. Dogiel
in der ausgezeichneten Weise im hiesigen Laboratorium ausgearbeitet
wurde. Sie fordert aber vom Forscher die Bereitwilligkeit, immer die
besseren Bedingungen für jedes neue Objekt zu suchen, die Bereit-
willigkeit, die wohl durch keine schriftlichen Katschläge, häufig sogar
nicht durch Beispiele übermittelt werden kann. Darin liegt, nach meinen
Beobachtungen bei der Teilnahme in der pädagogischen Arbeit in hiesi-
gem Laboratorium, der Schwerpunkt der Methode. Für jedes Objekt
muß man selbständig die passende Art der Präparation und Tinktion,
die Stärke der Methylenblaulösung, den Grad der Befeuchtung aus-
suchen. Deswegen kann man zuverlässige Katschläge nur in dem Fall
geben, wenn das Objekt schon einmal mit Hilfe der Methylenblau-
färbung mit Erfolg untersucht worden ist, nicht aber, selbst für ein
ähnliches Objekt, das noch untersucht werden soll. Deswegen mußte
ich die Methode, die mir bei der Untersuchung der Sinushaare des
Schweinsrüssels gute Ergebnisse lieferte, für die Sinushaare des Kindes
nicht unwesentlich modifizieren.
Die Kinderschnauze gelangte in meine Hände 3—4 Stunden nach
dem Tode des Tieres, da der Schlachthof in Petersburg sehr weit von
der Universität ist und die Verkehrsmittel bis zur letzten Zeit sehr
erbärmlich waren. Das schadete aber der Färbung, nach den Kontroll-
versuchen, in keiner Weise.
Für die Färbung benutzte ich die Vio— Vs Lösungen von Me-
thylenblau »rectificatum nach Ehrlich« in physiologischer Kochsalz-
lösung, ohne Sorge dafür zu tragen, ob die Lösung frisch oder warm
Die Xervencndigungen an den Sinusliaarcn des Rindes. 327
sei. Die Fäibung führte ich ausschheßhch auf einem sauberen Objekt-
träger aus, indem ich mit einem scharfen Rasiermesser aus freier Hand
die Schnitte gemacht, dieselben auf einen trockenen Objektträger in sehr
großer Quantität eingelegt und mit einem Tropfen der Methylenblau-
lösung von oben her befeuchtet hatte. Die Schnitte brauchen gar nicht
sehr dünn, aber auch nicht dicker als 2 mm zu sein. Wenn der Sinus
des Haares mit dem Blut prall angefüllt war, entfernte ich das Blut
mit einem Stückchen Löschpapier, das mit Kochsalzlösung befeuchtet
war, oder wusch den Schnitt zuerst in Kochsalzlösung und legte ihn
dann auf den Objektträger. In der Petrischale wurden die Objekt-
träger mit den Schnitten in einem Thermostat bei einer Temperatur
von 36 — 37 ° C gehalten. Die Färbung der Nervenendigungen trat
schon nach 10 — 15 Minuten ein, aber ich wartete noch 1 — 2 Stunden, so
daß die Färbung den höchsten Grad ihrer Intensität erreichen konnte,
und dann .fixierte ich die Schnitte in einer Molybdänammoniumlösung
(7 — 10%). Die weitere Bearbeitung erfolgte in der gewöhnlichen,
mehrmals beschriebenen Weise.
Das Schneiden mit dfem Rasiermasser gelingt am leichtesten bei
den kurzen Sinushaaren der Rinderschnauze, da sie in der derben
bindegewebigen Schicht stecken. Bei den Bälgen der langen Haare,
die von der w^eichen Muskelmasse umgeben sind, hilft das Rasiermesser
wenig, hier ist es vorteilhafter, die Bälge mit der feinsten Schere zu
öffnen, das Blut in der oben beschriebenen Weise zu entfernen und
den Balg, ohne ihn weiter zu schneiden, auf dem Objektträger mit der
Methylenblaulösung von oben her zu befeuchten.
Die dicken Schnitte sind in der Beziehung vorteilhaft, als sie
ohne häufigere Befeuchtung lange nicht vertrocknen, die Farblösung
absorbieren und eine reinere Färbung liefern als die dünnen, sind aber
zum Einschließen sehr unbequem und müssen längere Zeit im Alcohol
absol. liegen, was nicht immer für das brillante Aussehen des Präpa-
rates günstig ist. Deswegen schneide ich mit einem besonders scharfen
Rasiermesser die dünne gefärbte Schicht von den dicken Schnitten,
und schließe nur diesen sekundären Schnitt in Dammaralack ein.
In gleicher Weise benutzte ich Silber- und Goldfärbung, die erste
Methode in der ÜAjALschen Modifikation für die Darstellung der Neuro-
fibrillen, die andre nach Löavit und Ruffini, dabei nicht nur um die
Methylenblaufärbung zu kontrollieren, sondern auch in speziellen
Fällen die Lage der Endigungen an den dünnen Schnitten näher zu
bestimmen. Natürlicherweise zeigen diese Methoden, angesichts der
Ergebnisse der Methylenblautechnik, nur untergeordnete Bedeutung.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 22
328 D- Tretjakoff,
Die GoLGi-Methode gab mir in diesem Fall gar keine brauchbaren
Bilder.
Über die Art der Bearbeitung der übrigen geweblichen Be-
standteile des Sinushaares, insofern es für die Verfolgung der Nerven-
endigungen zweckmäßig ist, wird weiter berichtet werden. Was die
Osmiumsäurefärbung betrifft, so wandte ich sie an, wie in reiner Form,
so auch nach der Methylenblaufärbung, indem ich zu der Lösung
von Ammonium molybdaenicum 5 — 10 Tropfen (auf 100 ccm) l%iger
Osmiumsäurelösung hinzufügte.
Ergebuisse.
Ich w^erde mich nicht lange bei den gut bekannten Unterschieden
im Gesamtbau des Sinushaares des Rindes aufhalten. Nach den An-
gaben von vielen Forschern zeichnet sich das Sinushaar des Rindes
durch das gleichmäßige cavernöse Gewebe, das Fehlen des Ringwulstes
und des Ringsinus aus. Man findet also bei ihm die äußere und die
innere Lamelle des Haarbalges, die miteinander durch die bindegewebi-
gen Balken verbunden sind, und die epithelialen Bestandteile der Haar-
wurzel. Die Talgdrüsen sind gut entwickelt, die äußere Wurzelscheide
zeigt eine scharf ausgeprägte Verdickung, die mit der ebenfalls ver-
dickten Glashaut bedeckt ist. Allen diesen Angaben kann ich nur
zustimmen.
1. Nervenstämmchen und Schaltapi)arate.
Während man überhaupt an den Sinushaaren zwei Gebiete, wo die
Nervenstämmchen in den Sinusbalg eintreten, unterscheidet, muß man
meiner Meinung nach am Sinushaar des Rindes drei solche Gebiete
annehmen. Das untere Gebiet liegt etwa oberhalb der Papille, das
mittlere auf der Höhe der Wurzelscheidenanschwellung und das obere
unter den Talgdrüsen. Das mittlere ist also specifisch für das Sinus-
haar des Rindes. Die Mehrzahl der Stämmchen in Gestalt der dicken
Bündel gehören dem unteren Gebiet, und zwar dringen hier die dicken
Bündel an mehreren Stellen (2 — 5) rings um das Haar in den Sinus ein.
Nur der kleinere Teil der Fasern begibt sich gleich nach dem Eintritt
nach oben; die übrigen laufen in einer zu der Längsachse des Haares
senkrechten Ebene, die ich konventionell die horizontale Ebene nennen
will, rings um das Haar, indem sie teilweise auf der inneren Fläche
der äußeren Balglamelle, teilweise im cavernösen Gewebe und in der
inneren Balglamelle liegen. Demgemäß verteilen sich die Nerven-
stämmchen sehr gleichmäßig in diesem unteren ringförmigen Geflecht
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 329
der markhaltigen Nerven und bie>i;en sich von ihm aus nach oben,
die innere und die täußere Schicht der aufsteigenden Nervenstämmchen
bildend.
Man sieht aber in diesem ringförmigen Geflecht (Fig. 1, 27, Taf. XV)
nur selten gerade zum Ziel verlaufende Fasern. Die meisten biegen
sich und verflechten sich untereinander, bilden Knickungen, rück-
laufende Schlingen und Verflechtungen. Ich möchte sogar sagen,
daß die Fasern direkt zum Ziele zu verlaufen zögern und fast alle
die maximale Beteiligung an der Zusammensetzung des unteren ring-
förmigen Geflechtes entwickeln. Dieses Bestreben, das größte Quan-
tum der Nervensubstanz zur Bildung des Geflechtes zu verwenden,
äußert sich noch in andrer, recht merkwürdiger Weise, die bisher von
keinem Forscher bemerkt wurde.
Noch an der Stelle des Durchtrittes durch die äußere Balglamelle
findet man einzelne Fasern in eigentümlicher Weise geknickt und
geschlängelt, die km'ze Stecke wellen- oder zickzackartig verlaufend.
Dazu gesellt sich noch gröbere Biegung und Verflechtung der betreffen-
den Fasern. Noch öfters trifft man (Fig. 1, Taf. XV) solche Bildungen
an den Stämmchen der unteren Kingplexus an der inneren Fläche
der äußeren Balglamelle oder schon im Sinus. Das Aussehen der
Bildungen ist sehr variabel.
Manchmal sieht man die Erscheinung nur auf den isoliert ver-
laufenden Nervenfasern (Fig. 8, Taf. XVI) in der iVrt, daß der Achsen-
cy linder innerhalb der Markscheide sich wellenförmig zu biegen be-
ginnt, und an den Knickungen und Zickzacken Anschwellungen, Ab-
plattungen und Dornen erscheinen. Die Anschwellungen und Dornen,
mögen sie maximale Größe erreichen, sind immer von der Markscheide
umgeben. Der Durchmesser der plättchenförmigen Anschwellungen
kann die Dicke des sie erzeugenden Achsencylinders um vier- bis fünf-
mal übertreffen. In andern Fällen trifft man statt der Plättchenbildung
und Dornen massive Verdickungen unregelmäßiger Gestalt, die Form
der Plättchen ist jedoch auch sehr mannigfaltig. Sehr häufig sind
sogar die hinaufsteigenden Fasern an entsprechenden Stellen bogen-
oder schlingenförmig gekrümmt. Man trifft auch, aber nicht regel-
mäßig, in den betreffenden Bildungen die Teilung der Fasern; die
Teiläste sind im Vergleich mit der ursprünglichen Faser fast immer
dünner. Da aber sehr häufig die wellenförmige Biegung des Achsen-
cylinders entsteht, wobei sich Plättchen und Dornen bilden, ohne jeden
Zusammenhang mit der Teilung der Nervenfaser, betrachte ich die
entsprechenden Stellen des Achsencylinders als die selbständigen
22*
330 D. Tretjakoff,
Bildungen, die ich als die Schaltapparate (Fig. 1, Taf. XV; Fig. 2 — 9,
Taf. XVI) bezeichne. Ich unterscheide unter den Schaltapparaten die
einfache, komplizierte und kombinierte Form.
Oben war die Rede von der einfachen Form des Schaltapparates,
die also die wellen- oder zickzackf örmige Verbiegung des Achsencylinders,
der dabei seine Markscheide bewahrt, darstellt. Die Markscheide paßt
sich an die Veränderungen der Form des Achsencylinders vollkommen an.
Die komplizierten Formen der Schaltapparate zeichnen sich da-
durch aus, daß keine isolierten Fasern, sondern ein Teil oder sämtliche
Fasern des Stämmchens gleichzeitig (Fig. 2, Taf. XVI) und in derselben
Stelle die oben geschilderten Biegungen und Knickungen erfahren. Man
bekommt dann auf den ersten Blick den Eindruck, als ob an diesem
Punkt die echte Nervenendigung vorliege, aber das ist nicht der Fall.
Jede Faser zieht nach der Bildung des Schaltapparates weiter hin
und findet in verschiedener Weise ihre Endigung in den oberen Teilen
des Haares. Man begegnet dann wieder derselben Art der Plättchen
und Dornenbildung, die ich bei den isolierten Fasern angegeben hatte,
doch sind diese Verbreiterungen und Knickungen des Achsencylinders
viel weiter ausgeprägt und bieten manchmal sehr auffallende und ver-
wickelte Bilder. Es gelingt in einigen Fällen, ungeachtet der ausge-
zeichneten Färbung, nicht die einzelnen Fasern mit allen ihren Biegungen
genau durch den ganzen Komplex zu verfolgen. Nach der Apparat-
bildung tritt aus dem Schaltapparat die gleiche, oder auch eine größere
Zahl der Fasern, niemals aber eine mindere. Die Fasern teilen sich
in den verschiedenen Stellen des Schaltapparates, die Aste werden
oft mit ähnlichen Verbreiterungen versehen oder sind ganz glatt und
dünn, um nachher die normale Größe zu gewinnen.
Der ganze Apparat wird konstant mit einem dichten Netz von Capil-
larschlingen umflochten, also muß man annehmen, daß dieses Capillar-
netz unmittelbare Beziehung zu dem Schaltapparat hat. Der Inhalt
der Gefäße, wie die Wand derselben, färbt sich intensiv blau und macht
das Gesamtbild der Schaltapparate manchmal noch rätselhafter;
man fühlt sich nicht jedesmal imstande, über jedes blaue Pünktchen
eine bestimmte Entscheidung zu gewinnen. Da die Verbreiterungen des
Achsencylinders sich häufig sehr diffus färben, hilft sogar in diesen
Fällen das Immersionssystem wenig. Beim Zeichnen hütete ich mich
natürlich vor der Wiedergabe eines solch verwickelten Bildes und wählte
die Fälle, wo die Nervenfasern von den übrigen Bestandteilen des
Schaltapparates sich gut unterscheiden ließen. Im allgemeinen konnte
ich bei den sonderbarsten Bildungen eine ziemlich genaue Auffassung
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 331
gewinnen und mich überzeugen, daß der Hauptsache nach die Schalt-
appaiate so zusammengesetzt sind, wie ich sie in den einfacheren Formen
gesehen hatte. Von einem Endapparat kann auch hier in keiner Weise
die Rede sein.
Merkwürdig sind auch in diesem Fall die Verhältnisse der Mark-
scheide, die bei allen Biegungen und Knickungen des Achsencylinders
bewahrt bleibt und niemals unterbrochen wird. Diese Ergebnisse
erzielte ich bei der Färbung der frischen Schnitte mit Osmiumsäure;
man bekommt dabei dieselben wellenförmig verlaufenden Nervenfasern,
nur schwarz gefärbt. Aber die RANViERschen Schnürringe sind im
Bereich des Schaltapparates nur da vorhanden, wo die Teilung der
Faser vorkommt, sonst nicht; sie finden sich wohl vor und nach der
Apparatbildung, vorher treten sie meistens näher an den Apparat selbst,
als nach der Apparatbildung, wo der erste Schnürring nur da auftritt,
wo der Achsencylinder seine normale Größe und glattes Aussehen
gewinnt.
Ich sah die Schaltapparate auf den Schnitten, die nach der Cajal-
schen Silbermethode angefertigt waren, hatte aber dabei, wegen der
Feinheit der Schnitte, keine Gelegenheit den ganzen Apparat in der
Fläche des Schnittes zu bekommen. Es erhalten sich nur kurze Ab-
schnitte der gewundenen Fasern, die es aber bestätigen, daß die Ver-
breiterungen und Knickungen in erster Linie den Achsencylinder be-
treffen und durch das Auseinandertreten der Neurofibrillen und die
Anhäufung der iuterfibrillären Substanz bedingt sind. Damit wird
der Verdacht widerlegt, daß die Schaltapparate Kunstprodukte, viel-
leicht mit dem Rasiermesser verzerrte Achsencylinder seien. Bei der
Methylenblaufärbung muß man diese Voraussetzung nicht außer acht
lassen, sogar in den Fällen, wenn die Schaltapparate in der Tiefe des
Schnittes, ohne Berührung mit der Oberfläche sich färben, da der Druck
von dem Rasiermesser, wie ich oft gesehen hatte, sicherlich auch in der
Tiefe des Schnittes die Verunstaltung und das Zerreißen der Nerven-
fasern hervorbringt. Der Verdacht schien mir früher sehr gerecht-
fertigt, da die Schaltapparate überhaupt im derben Bindegewebe liegen.
Seitdem ich die Bildungen mit der CAjALschen Methode gefunden hatte,
kann keine Rede von dem Artefakt sein, und an der Hand der Methylen-
blaupräparate gelingt es immer, das positive Zeugnis zu gewinnen,
daß die Schaltapparate keine durch Druck verunstaltete Achsencylinder
sind. Dafür spricht schon ihr Auftreten nur in den Grenzen eines
Segments z^vischen zwei benachbarten Schnünmgen und die konstante
Beziehuno' der komplizierten Formen zu den Blutcapillaren.
332 D- Tretjakoff,
Die Verbreitungen des Achsencylinders in den Schaltapparaten
sind also als aktive Vergrößerung der Nervensubstanz zu betrachten,
deswegen verdienen sie eine genauere morphologische Analyse. Sie
können übrigens miteinander anastomosieren in solcher Weise, daß
sie innerhalb der Markscheide durchlöchert scheinen. Die einfachste
Form der Durchlöcherung tritt manchmal an einzelnen Fasern auf,
indem der Achsencylinder sich spaltet; die beiden Teiläste verdicken
sich beträchtlich, und bald darauf verschmelzen sie wieder zu einer
Faser; gewöhnlich geschieht die Spaltung und Vereinigung dicht vor
der KANViERschen Unterbrechung. Ähnliche Spaltungen und Durch-
löcherungen der plättchenförmigen Verbreiterungen findet man an den
Fasern der komplizierten Schaltapparate, aber niemals konnte ich
sehen, daß die Ästchen einer Faser in die Bahn andrer Fasern übergehen.
Das äußere Aussehen des komplizierten Schaltapparates ist so
verschiedenartig, daß niemals zwei solche ganz ähnliche Bildungen zu
finden sind, doch nur was die Art des Zusammenfindens der veränderten
Nervenfasern betrifft. Die Veränderung selbst geschieht wie bei isolier-
ten Fasern der einfachsten Schaltapparate, so auch bei einzelnen Fasern
der komplizierten Formen immer der Hauptsache nach in derselben
Weise.
Die einzelnen Fasern des Apparates können Bogen und Schlingen
bilden, dabei sind die Einzelapparate des Stämmchens in derselben
Höhe und in dichte Massen zusammengedrängt, oder sie weichen
auseinander und treten in verschiedenen Höhen auf. Die höchste
Entwicldung der plättchenförmigen Verbreiterungen findet man in den
zusammengedrängten Formen der Schaltapparate. Die Fasern, die in
den komplizierten Apparaten verlaufen und dabei ganz normal bleiben,
zeichnen sich meistens durch ihre Zartheit aus; es sind immer die
dünnsten Fasern des Stämmchens, oft nur die Äste der mit den Appa-
raten versehenen dickeren Fasern.
Die Schaltapparate, mögen sie einfach oder kompliziert sein,
zeichnen sich noch durch besonders mächtig entwickelte, die Nerven-
fasern begleitende bindegewebige Hüllen aus, was schon an den
Methylenblaupräparaten zu bemerken ist. Dadurch kommt es, daß
die Bildung nicht einfach in dem lockeren Bindegewebe liegt, sondern
mit einer scharf kontmierten Kapsel umgeben zu sein scheint. Die
eigentliche Kapsel fehlt ihm wohl, und die entsprechende Umhüllung
stellt nichts weiter als die endoneurale Scheide dar.
Jetzt muß man die Grenzen des Gebietes, wo die Schaltapparate
vorkommen, die dem unteren ringförmigen Geflecht gehören, genauer
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 333
bestimmen. Sie sind immer nur innerhalb des Balges zu finden, außer-
halb desselben fehlen sie vollständig, ungeachtet der verschiedenartigen
Biegungen der heranlcommenden Nervenfasern in den Stämmchen, die
das tiefe Geflecht der Haut zusammenstellen. Sehr selten finde ich die
Schaltapparate in dem Gang, diu-ch welchen die Nervenstämmchen die
äußere Balglage durchsetzen, in den meisten Fällen beginnt ihre Bildung
erst nach dem Eintreten in das Gewebe des cavernösen Raumes, beson-
ders unmittelbar auf der inneren Fläche der äußeren Balglage, wo das
straffe, scleraähnliche Bindegewebe durch lockeres und an elastischen
Fasern reiches Bindegewebe ersetzt wird. Diese Schicht scheint den
Balken des Sinus in vielen Beziehungen, ihrem Bau nach, sehr ähnlich
zu sein.
Die größeren und kompliziertesten Schaltapparate sah ich am
meisten unterhalb des unteren ringförmigen (Fig. 1, 4, Taf. XV) Ge-
flechtes; die zu ihrer Bildung bestimmten Fasern steigen bogenförmig
hinab und nach den Veränderungen in dem Schaltapparat verlaufen sie
wieder nach oben, um sich zu den Bündeln des ringförmigen Geflechtes
zu gesellen. In den horizontal verlaufenden Stämmchen des unteren
Xervenringes trifft man die Schaltapparate niemals, darin besteht ihre
sehr konstante topographische Besonderheit. Sie erscheinen aber sehr
oft, doch meistens in einfacheren Formen, an den Stämmchen, die ober-
halb des Ringes und senkrecht zu ihm hinaufsteigen, und zwar wie
unmittelbar in der inneren Balglage, so auch in dickeren Balken des
cavernösen Gewebes oder an der inneren Fläche der äußeren Balglage.
Manchmal sind sie an den Nervenfasern, die in die äußere Balglage
allseitig geschlossen hinaufsteigen, entwickelt. Solche Nervenfasern
in der Zahl von 2 — 5 durchbohren (Fig. 1, 6, Taf. XV) die bindegewebige
Masse der äußeren Balglage noch vor dem Eintritt des dicken Stämm-
chens in dieselbe Balglage, oder sie entspringen und durchbohren die
Balglage schon innerhalb des Eintrittsganges und verlaufen innerhalb
des dichten Bindegewebes in einem schief aufsteigenden engen Kanal, der
mitunter auch die Arterienästchen und Blutcapillaren enthalten kann.
Die Nervenfasern sind hier gewöhnlich mit Schaltapparaten von
einfacheren Formen versehen. Das Endgeschick der Nervenfasern kann
verschieden sein : manchmal endigen die Fasern mit den Endbäumchen
in der äußeren Balgiage selber (Fig. 1, 7, Fig. Taf. XV).
Man darf also im Gebiet des unteren Nervenringes zwei topo-
graphisch verschiedene Gruppen der Schaltapparate unterscheiden:
1) unterhalb des Nervem^inges, 2) oberhalb des Nervenringes. Letzte
Gruppe hat wieder zwei Untergruppen: a. die Schaltapparate der
334 D. Tretjakoff,
äußeren 'Balglage (Fig. 1, Taf. XV), b. dieselben im cavernösen Gewebe,
also auch an der inneren Fläche der äußeren Balgiage und in der inneren
Balglage.
Solch eine bestimmte topographische Gruppierung und das Fehlen
der Schaltapparate an den Bündeln des unteren Nervenringes spricht
immer für ihre ganz bestimmte funktionelle Bedeutung.
Im unteren Gebiet (unterhalb des Nervenringes) fand ich noch
andre Formen der Schaltapparate, die auf den ersten Blick eher
heterogene Bildungen darzustellen scheinen, nur nach der Bekannt-
schaft mit den kombinierten Schaltapparaten der mittleren und oberen
Regionen des Nerveneintrittes kann man sie zu den kombinierten
Formen zählen. Es ist nämlich die Kombination des Schaltapparates
mit den Endkolben. Sie haben aber eine ganz andre Lagerurig, als die
kombinierten Formen andrer Gebiete, denn sie liegen vollkommen im
cavernösen Gewebe. Das Beispiel stellt die Fig. 6, Taf. XVI dar.
Man sieht hier die markhaltige Faser, die unterhalb des unteren
Nervem-inges horizontal verläuft; sie teilt sich, und ein Teilast setzt
sich fort, um an einer Stelle den Schaltapparat zu bilden, dann kehrt
sie wieder zum Nervenring. Andre Äste teilen sich wiederholt in
die End Verzweigungen, die sich in eigentümlicher Weise untereinander
verflechten und rückwärts verlaufen, um in den Endkolben, die um
die markhaltige Faser herum liegen, zu endigen. Es entsteht ein
dichter Komplex von markhaltigen Nervenfasern und drei End-
kolben, der ein sehr eigentümliches Bild darstellt. Aber der andre
Teilast ist damit nicht erschöpft; er verliert die Markscheide und
verläuft in Gestalt des feinen varicösen Fädchens parallel der mark-
haltigen Faser, die mit dem Schaltapparat versehen ist. Die Art der
Endigung des marklosen Ästchens konnte nicht festgestellt werden, da
das Ästchen in den unteren Nervenring hineintritt und sich zwischen
andern Fasern verliert.
Da in andern Fällen die Kombination von Schaltapparaten und
Endkolben sehr gewöhnlich ist, wie ich gleich unten beschreiben werde,
nur zeigen die genannten Bildungen engere topographische Beziehungen,
glaube ich die Kombination der Fig. 6 als einheitlichen Apparat auf-
fassen zu dürfen, besonders in der Beziehung, daß der Schaltapparat
und der Kolbenkomplex von derselben Nervenfaser entspringen und
mit derselben Art von Bindegewebe, also mit gleichen topographischen
Bedingungen umgeben sind. Deswegen betrachte ich diese Form des
Schaltapparates als die kombinierte Form desselben.
Das mittlere Gebiet des Eintrittes der Nervenstämmchen in die
Die Nervenendigungen an den SiniiHliaaren des Rindes. 33o
äußere Balglage stellt die Eigentümlichkeit des Sinushaares des Rindes
vor, die bisher von niemandem in genügender Weise beschrieben wurde.
Es ist aber ein sehr konstantes Verhalten. Vor dem Eintritt in den
Balg trennen sich von den Stämmchen der Nervenfasern die feinen
Bündel. Dieselben enthalten anfangs nicht mehr als zwei bis fünf
Fasern, die aber unterwegs sich teilen und in vermehrter Zahl in
der äußeren Balglage an der Höhe der Wurzelscheidenanschwellung
sich umbiegen. Hier treten sie in einen Gang, der sonst mit lockerem
Bindegewebe und mit Blutgefäßen angefüllt wird und horizontal oder
schief ab- oder aufsteigend die äußere Balglage durchbohrt. Da die
Balken des Sinus an der betreffenden Höhe sehr spärlich sind, müssen
die Fasern im Sinus meistens erst an der inneren Fläche der äußeren
Balglage absteigen, dann treten sie auf irgendwelchen Balken über
und ziehen in der aufsteigenden Richtung in die innere Lamelle des
Haarbalges zum Hals der Haartasche (Fig. 1, Taf. XV).
In den Gängen der äußeren Balglage kommen an den Nerven-
fasern die Schaltapparate (Fig. 1, 8, Taf. XV) am häufigsten vor.
Dabei muß man auch hier die allmählichen Stufen der Zusammensetzung
unterscheiden. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die einfachsten
Schaltapparate des Mittelgebietes den komplizierten Formen des unteren
Gebietes entsprechen. Eine Anzahl der durchtretenden Fasern zeigen
die Biegungen und Plättchenbildung an den Achsencyhndern, die ihrer
Gesamtheit nach wieder den Eindruck vollständiger Struktur dar-
stellen und durch die konstante topographische Beziehung zu der äußeren
Balglage ihre specifische funktionelle Bedeutung vermuten lassen. Die
Entwicklung des Schaltapparates beginnt aber niemals außerhalb der
äußeren Balglage, sondern immer innerhalb derselben, und kann sich
eventuell ins cavernöse Gewebe des Sinus fortsetzen. Die Nerven-
fasern erhalten dabei ihre parallele Lagerung oder verflechten sich
untereinander, bilden die rückläufigen Schlingen, bleiben ungeteilt oder
teilen sich und werden nach der Bildung des Schaltapparates dünn;
sie nehmen die normale Größe wieder nur in den Balken des Sinus-
gewebes an.
Zwei Abarten lassen sich unter den Schaltapparaten des mittleren
Gebietes unterscheiden.
In den Schaltapparaten einer Art (Fig. 7, Taf. XIV) prävaliert die
Ausbildung von Verdickungen und Plättchen, die das wesentlichste
Merkmal des Apparates darstellen. Ihre Ausbildung können wir also als
die Umgestaltung des Achsency linders, um die Vergrößerung der Ober-
fläche der Nervensubstanz zu erreichen, auffassen. Die Fasern dieser
336 D. Tretjakoff,
Art verlaufen ziemlicli einfach, oline die großen Biegungen und Verflech-
tungen auf ihrem Wege zu machen. Diese Art der Schaltapparate nähert
sich am deutlichsten den Formen, die Avir im unteren Gebiet gesehen
hatten, obgleich die Umbildung des Achsencylinders niemals in dem Grade
ausgesprochen ist, wie es im unteren Gebiet vorkommt. Die Nerven-
fasern der Schaltapparate werden oft von den ganz unveränderten
Fasern begleitet. Manchmal sind die Fasern dicht aneinander gedrängt,
in andern Fällen weichen sie stark voneinander in einem oder dem
andern Punkt des Schaltapparates ab, es gibt also in dieser Beziehung
keine Eegelmäßigkeit, der Schaltapparat bewahrt aber seine Einheit-
lichkeit, da die Fasern in demselben Gange in der äußeren Balglage
bleiben.
In den Schaltapparaten andrer Arten (Fig. 2, Taf. XVI), die im
unteren Gebiet recht selten in komplizierten Formen hervortritt,
wird der Achsencylinder wenig oder gar nicht verdickt, legt sich aber
in eine Unmasse scharfer Biegungen imd Knickungen, dabei sind ge-
wöhnlich alle Fasern des Bündels daran beteiligt. Die Nervenfasern in
diesen Schaltapparaten verflechten sich eng miteinander, oft ein ganz
unentwirrbares Bild darstellend. Sie verflechten sich auch mit den
Blutcapillaren und sind von spärlichen bindegewebigen Bestandteilen
umgeben. Der wellenförmige Verlauf des Achsencylinders macht dabei
keinen Eindruck des einfachen Zusammenziehens der Nervenfasern,
da der Durchmesser des Achsencylinders keinesfalls gleichmäßig ist
rmd keine glatten Grenzen besitzt; manchmal läuft die Spitze des
Winkels in einen Dorn oder wird leicht erweitert, an andern Stellen
verdünnt sich der Achsencylinder plötzlich zwischen zwei verdickten
Stellen und so weiter, immerhin aber äußert sich hier die Vermehrung
der nervösen Substanz durch die Verlängerung des Achsencylinders
sehr deuthch (Fig. 2, Taf. XVI), und es gibt keine Schwierigkeit, die
Art der Schaltapparate von der erstgenannten zu unterscheiden. Man
wird wohl zugeben, daß im Vorhandensein dieser zwei Arten der Schalt-
apparate die Vergrößerung der Oberfläche und der Masse der Nerven-
substanz als das Prinzip des Baues des Apparates besonders hervor-
tritt, und nun, wie immer, erkennt man, daß die Natm- ihre Zwecke auf
verschiedenen Wegen erreichen kann. Die Bildung der Verbreiterungen
imd das Zusammenfalten des Achsencylinders ermöglichen in gleichem
Grade das größere Quantum von Nervensubstanz im bestimmten
Kaum zu entwickeln. Die Ähnlichkeit im Bau mit gewissen elektro-
technischen Apparaten ist wohl sehr auffallend, wenn sie auch nur
äußerlich sein masr.
Die Xervenendigungen an den Sinushaaron des Rindes. 337
Weitere Stufen der Ausbildung des Schaltapparates stellen die
kombinierten Formen (Fig. 3, Taf. XVI) derselben vor, die im mitt-
leren Gebiet sich finden. Sie sind ebenfalls in die äußere Balglage
eingeschlossen und bestehen aus dem eigentlichen Schaltapparat in
Verbindung mit echten Endbäumchen. Die Grundlage wird immer
durch die marlchaltigen Nervenfasern mit dem umgebildeten, geknickten
Achsencylinder dargestellt, der in der oben geschilderten Weise die
Gesamtmenge der nervösen Substanz vermehrt; diese Nervenfasern
verflechten sich untereinander und bilden den komplizierten Schalt-
apparat. Dazu gesellen sich noch die feinen marklosen Astchen, die
von den Schnürringen derselben Fasern entspringen, in dem lockeren
Bindegewebe zwischen den Faserscheiden verlaufen und sich verteilen,
an der Peripherie der ganzen Bildung sich verästeln und in die
feinen Astchen, die mit den kleinen Knötchen besetzt sind und die
traubenförmigen Endbäumchen bilden, zerfallen. Wenn im Apparat
nicht veränderte markhaltige Fasern vorkommen, entspringen die
marklosen Ästchen, die zu der Bildung der Endbäumchen beitragen,
auch von diesen unveränderten Fasern. Mitunter kann die ganze
Faser sich bei der Endbäumchenbildung erschöpfen, findet also ihr Ende
im Schaltapparat. In einigen Fällen beginnt die Abgabe der marklosen
Ästchen noch weit außerhalb der äußeren Balglage, die marklosen
Ästchen verlaufen dann im Bündel der marklosen Fasern nach oben
bis zum Schaltapparat und endigen in ihm. Aus dem Schaltapparat
treten die marklosen Äste in das cavernöse Gewebe nur sehr selten aus.
Die unveränderten markhaltigen Teile des Schaltapparates zeigen
übrigens von ihrer Seite verwickelte Bogen und Schlingen so, daß der
ganze Apparat ein Konvolut von markhaltigen Fasern darstellt, das
von Endbäumchen durchsetzt und umgeben wird.
Die kombinierte Form des Schaltapparates nimmt wohl einen
größeren Raum ein und wird immer reich mit Blutcapillaren ver-
sorgt. Die Umgestaltungen des Achsencylinders zeigen keine große
Ausdehnung, sind aber immer sehr deutlich und bestehen wie aus
Faltungen, so auch aus plättchenförmigen Verbreiterungen. Nach
der Bildung des Apparates setzen die Nervenfasern ungestört ihren Weg
fort, biegen sich in die innere Balglage um, steigen bis zur Anschwellung
der Wurzelscheide und nehmen da an der Bildung verschiedenartigster
unzweifelhafter Nervenendigungen, insbesondere der palisadenförmigen
Endplatten teil.
Die Gesamtform der Art des kombinierten Schaltapparates unter-
scheidet sich von der folgenden Art nur durch das Fehlen von
338 D. Tretjakoff,
Endkolben, deswegen gebe ich keine Abbildung der eben beschriebenen
Kombination. Sie zeigt aber in der Beziehung die wichtige Bildung, daß
an derselben Stelle in den gleichen äußeren Bedingungen der Schaltappa-
rat und die unstreitigen Nervenendigungen sich finden; man bekommt
also an der Hand des kombinierten Schaltapparates die Vorstellung,
als ob der Schaltapparat nicht nur in noch nicht bekannten funktio-
nellen Beziehungen zu der Nervenleitung stehe, sondern auch zu der
Perzeption, was die folgende Art der kombinierten Schaltapparate
noch wahrscheinlicher macht.
Es ist also im mittleren Gebiet noch eine andre Form des kom-
binierten Schaltapparates vorhanden. Sie stellt die Kombination von
dem komplizierten Schaltapparat im engeren Sinne des Wortes vor, den
Endbäumchen und der kapsulierten Nervenendigung, die unter dem
Namen des Endkolben längst bekannt ist.
In sehr schöner Ausbildung zeigt eine ähnliche Kombination drei-
facher morphologischer Bedeutung die Fig. 3, Taf . XVI, mit deren Hilfe
ich die gegenseitigen Beziehungen der hierzu gehörigen Elemente zu
schildern versuchen werde.
Zu der äußeren Mündung des Ganges in der äußeren Balglage
tritt das Bündel (Nu) von markhaltigen Fasern, die ziemlich paral-
lel und dicht nebeneinander verlaufen. Neben der Mündung, noch
außerhalb des straffen Bindegewebes der äußeren Balglage, teilen sich
die Fasern, bleiben dabei markhaltig, trennen sich gruppenweise von-
einander ab und zeigen auf den ersten Blick ganz mmützliche und
ziellose Umbiegungen und Schlingungen. Eine von den Fasern tritt
darauf in den inneren Raum des Endkolben, verliert vorher die Mark-
scheide imd setzt sich in Gestalt eines nackten Achsencylinders, der
anfangs sogar etwas verjüngt scheint; dann aber wird er wieder breit,
verläuft bis zur Kappe des Körperchens und endigt mit der Terminal-
verbreitung. An der Oberfläche ist die nackte Partie des Achsencylin-
ders nicht glatt, sondern zeigt kurze zackige Dörnchen. Der Kolben
besteht sonst aus mehreren, dicht aneinander liegenden Kapseln, die
aus acidophilen Fasern gewoben werden; sie hat also dasselbe Aus-
sehen, was ich im Schweinsrüssel gefunden hatte, nur konnte ich nicht
die Fasern zweiter Art im Raum des Kolbens auffinden. Ahnliche
Kolben wurden auch in der Haut der Rinderschnauze von Cybulskij (8)
seinerzeit vorgefunden, sie sind also hier das morphologische Element,
das mit der Feinheit der Tastempfindungen in unmittelbarer Beziehung
steht. Im Schaltapparat schmiegt sich der Endkolben dicht an den
übrigen Komplex und bietet damit den Eindruck, als ob er einen
Die Nervenendigungen an den Sinusliaaren des Rindes. 339
integrierenden Bestandteil des kombinierten Schaltapparates darstellt.
In andern Fällen trifft man mehr als einen Endkolben, oder er ist nicht,
wie in der Fig. 3, an der Oberfläche des Komplexes, sondern ganz inner-
halb desselben gelegen. Natürlich muß man sich dabei hüten, die abge-
schnittene Nervenfaser für den Achsencylinder des Kolben anzunehmen.
Die übrigen markhaltigen Fasern teilen sich wiederholt in mark-
haltige Aste, mid in dem verwickelten Geflecht ihrer Zweige erfolgt
an den km-zen Strecken die Faltenbildung oder Plättchen- und An-
schwellungentwicklung, die jedenfalls mit der Markscheide bedeckt
bleiben. Um Wiederholungen zu vermeiden, möchte ich nur sagen,
daß die Umgestaltung des Achsencylinders dieselbe kolossale Ver-
schiedenartigkeit zeigt, wie überhaupt in den früher beschriebenen
Schaltapparaten. Einige Fasern durchziehen den Apparat ohne um-
gebildet zu sein.
Was die Nervenfasern mit der Schaltumbildung betrifft, so ver-
läuft ein Teil derselben ganz ungestört in das cavernöse Gewebe; die
Fasern werden nur feiner, um im cavernösen Gewebe wieder die normale
Stärke zu gewinnen. Andre Fasern im Schaltapparat geben feine
Astchen ab, die im Gange der äußeren Balglage unter den endoneuralen
Scheiden sich verteilen und mit zarten Endbäumchen versehen sind.
In der Entstehungsweise der Endbäumchen und ihrer Verbreitung
w^iederholen sich die Verhältnisse der vorigen Art der kombinierten
Schaltapparate und ebenso, wie damals, treten die Endbäumchen
niemals aus dem Gebiet des Schaltapparates; seine morphologische
Einheitlichkeit wird von dieser Seite niemals gestört. Deswegen halte
ich für sicher, daß die Endbäumchen in den kombinierten Schalt-
apparaten ebenso wie Endkolben den integrierenden Bestandteil des
Apparates darstellen. Die höchste Art der Kombination zeigt nach
dem Geschilderten die Verflechtung der markhaltigen Nervenfasern
und der Endkolben, die mit den Endbäumchen durchsetzt und um-
flochten wird.
Das obere Gebiet, wo noch die Nervenstämmchen in die äußere
Balglage eintreten können, liegt unterhalb der Talgdrüsen, wo die
äußere Balglage ihre Selbständigkeit gegen die subpapilläre Schicht
der Cutis noch gut bewahrt. Die Nervenstämmchen kommen dahin
schon nicht vom tiefen Geflecht des Stratum subcutaneum, sondern
aus dem subpapillären Geflecht und sind wohl dünn und spärlich; sie
steigen aus dem subpapillären Geflecht hinab, dringen in die äußere
Balgiage hinein in ungefähr horizontaler Richtung und senken sich
steil in das . Gebiet der Scheidenanschwellung, indem sie selten durch
34:0 D. Tretjakoff,
den konischen Körper, sondern gewöhnlich erst auf der inneren Fläche
der äußeren Balglage ihren Weg nehmen, um nachher in die Balken
des Sinusraumes hineinzudringen. Es muß dann noch bemerkt werden,
daß das obere Gebiet des Eintrittes der Nervenstämmchen nicht immer
und nicht auf jedem Haar zu finden ist. Wenn aber an der betreffenden
Stelle das Bündel der markhaltigen Fasern verläuft, wird es meistens
mit dem Schaltapparat versehen, und zwar in der kombinierten Form.
Zu demselben Gebiet möchte ich noch andre Nervenfasern zu-
zählen, die (Fig. 1, 10, Taf. XV) zwischen der äußeren Balglage und
den Talgdrüsen aus dem subpapillären Geflecht in den konischen Körper
hineintreten oder aus dem letzteren Körper sich nach oben begeben.
Sie verlaufen auch in den Dellen zwischen den einzelnen Talgdrüsen
und gehen durch die Verbindungsstelle der äußeren Balglage und des
subpapillären Bindegewebes, oder sie durchbohren die äußere Balglage
unmittelbar unter den Talgdrüsen. Es sind hier markhaltige und
marklose Fasern vorhanden, und die markhaltigen können wieder dick
oder fein sein. Dicke Fasern treten in geringer Zahl auf und sind die
Fasern, die nach unten absteigen und auf der Wurzelanschwellung
sich wieder scharf nach oben umbiegen und in die Palisadenplättchen
oder die intraepithelialen Endigungen sich fortsetzen. Feinere Fasern
entspringen von dem unteren Nervenring; sie vereinigen sich zu Bündeln,
die am Halse der Wurzelscheide unter den Talgdrüsen sich rings um
das Haar umbiegen und hier eine Art des (unvollständigen) ring-
förmigen Geflechtes, also des oberen Nervenringes darstellen.
Es gibt also an dem Sinushaar des Rindes ein oberes ringförmiges
Geflecht (Fig. 1, 9, Taf. XV), das aber in keiner Weise mit dem Nerven-
ring, z. B. des Schweinshaares, zu vergleichen ist. Erstens liegt beim
Eind das Geflecht im konischen Körper, zweitens besteht es aus mark-
haltigen Fasern, deren terminale Äste hier nicht vorkommen. Sie
begeben sich nämlich in das Gebiet über den Talgdrüsen, wo die mark-
losen Terminaläste um die Haarscheide ein Geflecht bilden. Die Unter-
schiede von dem Nervenring bei andern Tieren muß man deshalb
konsequent durchführen. Der von mir gefundene Nervenring im
oberen Gebiet des Sinushaares des Rindes dient ausschließlich für die
gleichmäßige Verteilung der Nervenbündel des oberen Teiles des Haares
und wm^de kaum von jemandem bei anderen Tieren gesehen.
Am Sinushaar des Rindes entspringen vom oberen Nervenring die
Stämmchen der markhaltigen Fasern, die sich nach oben zwischen den
Talgdrüsen begeben, und, wie ich schon gesagt hatte, in dem obersten
Gebiet des Haarbalges das Geflecht bilden. Ihr Endschioksal konnte
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 341
ich aber nicht vollständig verfolgen, da sie sich oberhalb der Talg-
drüsen mit den andern, subpapillären Fasern verflechten.
Auf wenigen gut gelungenen Präparaten sieht man im Bestand
der Bündel auch die Fasern für die Talgdrüsen, also wahrscheinlich
von sympathischer Natur. Für die endgültige Bestimmung hatte
ich zu wenig Material erhalten, und ebensowenig kann ich genaue An-
gaben über die reichlichen, in diesem Gebiet vorkommenden marklosen
Fasern liefern. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehören die marklosen
Fasern den Blutcapillaren an, ich suchte nämlich ihre näheren Bezie-
hungen zu den vorhandenen Palisadenplättchen zu eruieren, kam
aber zu negativen Ergebnissen.
Damit schließe ich die Beschreibung der Nervenstämmchen, die
in den Balg des Sinushaares des Rindes hineintreten und erlaube mir
noch eine kurze Wiederholung der beobachteten Tatsachen.
Das Sinushaar des Rindes unterscheidet sich scharf von den Sinus-
haaren der übrigen, bisher untersuchten Sinushaare im Vorhandensein
zahlreicher Eintrittsstellen für die sensiblen Nervenfasern. Die be-
deutende Zahl der eintretenden Nervenfasern, die überwiegend mark-
haltig sind, verteilt sich im Bindegewebe des Balges in solcher Weise,
daß man das Bindegewebe des Balges mit einer viel größeren Menge von
Nervensubstanz angefüllt findet, als es eigentlich nach den laufenden
Vorstellungen über die Bedeutung der Nervenendigungen, und zwar
mit Rücksicht auf die reichste Entwicklung der Nervenendigungen
im Sinushaar des Rindes zu erwarten ist. Dabei sind die markhaltigen
Nervenfasern in solcher Weise geordnet und umgebildet, daß sie wahr-
scheinlich neben ihren Nervenendigungen zu dem Druck und der
Druckperzeption in direkten Beziehungen stehen, und das äußert sich
in dem Erscheinen der Schaltapparate, die eigenthch nach dem Prinzip
der Nervenendigungen gebaut sind, also dieselbe Vergrößerung der
Masse und der Oberfläche des Achsencylinders nur innerhalb der
Markscheide darstellen. Nach den Besonderheiten der Struktur unter-
scheide ich einfache, komplizierte und kombinierte Formen der Schalt-
apparate.
Der einfache Schaltapparat stellt die Umbildung des Achsen-
cylinders einer Faser, der komphzierte mehr als einer, und die kom-
binierte Form besteht aus dem komplizierten oder einfachen Schalt-
apparat in Verbindung mit den Endkolben und den Endbäumchen.
Man darf wohl einwenden, daß der Schaltapparat, die lokale Ver-
änderung des Achsencylinders durch die Notwendigkeit, die äußere
Baldage und die Balken des cavernösen Gewebes zu durchdringen,
342 D. Tretjakoff,
hervorgerufen wird, also in irgendwelcher Beziehung zu den specifischen
topographischen Bedingungen steht. Daß dies hier aber nicht der
Fall ist, beweisen die Schaltapparate, die wir konventionell als verirrt
bezeichnen können, die nämlich in der äußeren Balglage liegen, aber
deren Nervenfasern die Balglage nicht durchbohren. Ich will diese Fälle
gleich besprechen, um die Schaltapparate endgültig zu charakteri-
sieren.
Man findet nämlich feine Bündel der markhaltigen Fasern, die
vom unteren ringförmigen Geflecht nach oben ziehen und dabei
auf der langen Strecke der inneren Fläche der äußeren Balglage an-
liegen und in die innere Balglamelle irgendwo in der Höhe der Wurzel-
scheidenanschwellung übergehen. Unterwegs biegt das Bündel in die
äußere Balglage um und bildet in ihr einen komplizierten Schaltapparat,
welcher also in einer Aushöhlung der äußeren Balglage in dem lockeren
Bindegewebe hegt. Nach der Bildung des Schaltapparates gehen die
Fasern wieder aus der äußeren Balglage auf ihre innere Fläche und
verlauf^i ungestört weiter. Hier ist wohl die Ausbildung des Schalt-
apparates durch keine topographischen Verhältnisse erzwungen; das
Eindringen der Nervenfasern von innen her in die äußere Balglage
scheint die aktive Einrichtung zu sein, um die gegebenen mechanischen
Verhältnisse, die in der äußeren Balglage beim Druck oder in andern
Beziehungen vorhanden sind, auszunutzen.
Dasselbe sieht man mitunter an den Stämmchen, die auf der
äußeren Oberfläche der äußeren Balglage verlaufen, besonders im
obersten Gebiet, in der Höhe der Talgdrüsen. Hier biegt also das Nerven-
bündelchen von außen her in die äußere Balglage, träot dabei den
Schaltapparat, der auch kombiniert werden kann, dann geht es wieder
aus der Balglage und setzt ungestört seinen Weg bis zum subpapillären
Plexus fort. In diesem Fall muß man natürlich ebensowenig von der
Verirrung des Nervenbündels, wie im vorigen Fall sprechen, sondern
immer nur die aktive Entwicklung sehen, deren nähere Bedeutung
jedenfalls noch sehr rätselhaft ist, aber als Beziehung zur Perzeption
der Druckempfindungen doch am wahrscheinlichsten zu sein scheint.
Ich besitze noch ein Präparat, wo der Schaltapparat an dem Nerven-
bündel, das nicht in den Balg eindringt, in noch auffallenderer Weise
entwickelt ist. Das Bündel steigt hier nicht nach oben, sondern ver-
läuft horizontal außerhalb des Balges, einen Bestandteil des Haut-
plexus darstellend. An dem Balg angekommen, dringt das Bündel
tangential durch die äußere Balglage an einer Stelle und geht ohne die
Richtung zu wechseln an andre Stelle, und genau an dem Punkt, wo
Die Ne^^•t'ncndigungen an den Sinushaaren des Rindes. 343
das Bündel die innere Fläche der äußeren Balglage berührt, liefert es
den einfachen Schaltapparat.
Da wir aber den Schaltapparat und die Endkolben an derselben
Faser finden können, betrachte ich ihre Teilnahme in der Perzeption
der Druck- und Tastempfindungen als gleichwertig, besonders nachdem
ich in den baumförmigen Endigungen des Sinushaares die markhaltigen
Fasern als wesentlichen Bestandteil der Endigung feststellen konnte.
Innere Balglamelle und ihre baumförmigen Endigungen.
Das Gebiet, wo die baumförmigen Nervenendigungen am Sinus-
haare des Rindes vorkommen, umfaßt die untere Hälfte der inneren
Balglamelle und die äußere Balglage. Ich werde zunächst nur die
Endigungen in der inneren Balglamelle beschreiben, da die baum-
förmigen End Verzweigungen der äußeren Balglage erst dann richtig
aufgefaßt werden können, wenn wir die Reihe der Varianten derselben
Endigungen in der inneren Balglamelle verfolgen.
Vor allem ist es notwendig, das Gewebe der inneren Balglamelle
näher zu bestimmen. Seine sehr auffallenden und von den gewöhnlichen
Bindegewebsarten abweichenden Merkmale sind schon von älteren
Autoren wahrgenommen worden. Leydig (im Jahre 1859) nennt
die innere Balglamelle sulzige Schicht. Eingehender behandelte ihren
Bau DiETL (9) in seinen Abhandlungen, in welchen er nicht nur die
schematischen strukturellen Verhältnisse betrachtet, sondern streng
auf dem vergleichend -histologischen Boden bleibt und jede Tier-
gruppe für sich in Betracht zieht. Jedenfalls hat der Verfasser
die Aufmerksamkeit hauptsächlich dem Sinuskissen (Ringwulst,
schildförmiger Körper) gewidmet und die gewebliche Differenzierung
vorzugsweise in dieser Bildung, die jedenfalls nicht bei allen Tieren
.sich findet, genauer verfolgt. Er weist aber darauf hin, daß im
Sinuskissen der Bau der inneren Lamelle in hauptsächlichen Zügen sich
wiederholt.
Nach den Angaben von Dietl entsteht die innere Balglamelle
an der Kuppe des Sinus und legt sich an die Glashaut an, begleitet die-
selbe wie eine accessorische Scheide, schlägt sich um den Bulbus des
Haares und biegt sich nachher wieder in die äußere Lamelle des Balges
um. Während bei den Fleischfressern und Nagern die innere Lamelle
in dem obersten venösen Ringsinus zu einem Sinuskissen anschwillt,
fehlt beim Rinde der Ringsinus vollständig, aber die verschiedenen
Übergangsstufen wurden von Dietl gefunden. Beim Pferd nämlich
zeigt die voluminöse innere Lamelle des Haarbalges eine leichte
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 23
344 I>- Tretjakoff,
Anschwellung, die in größerer Ausdehnung laufend die Andeutung eines
gewissermaßen sehr breit aufsitzenden Ringwulstes darstellt.
In der inneren Lamelle wie im Sinuskissen (das ich Sichelkissen
zu nennen vorschlage, Anat. Anz. Bd. XXXVII, S. 272) hat Dietl
die eigentümhche homogene Bindesubstanz festgestellt. Zu ihren Be-
standteilen zählt er die homogene Grundlage, die strahligen Zellen, die
collagenen und elastischen Fasern.
Wenn die Angaben von Dietl für seine Zeit sehr exakt erscheinen,
sind sie wohl von technischer Seite wenig befriedigend. Es brachten
erst die späteren Untersuchungen von Ksjunin (21) und Feitz (15)
manche wichtige Angaben über die elastischen Fasern, mit Hilfe der
specifischen Färbungsmethoden. Letztere Verfasser zeigten, daß im
Sinusbalge die elastischen Fasern nur in den Sinusbalken und un-
mittelbar an der Glashaut liegen. In der inneren Balglamelle liegen
also nur sehr spärliche elastische Fasern. Dieselben haben also keine
große Teilnahme an dem Bau der irmeren Balglamelle.
In den rein neurologischen Untersuchungen und in den Lehr-
büchern hat die innere Balglamelle keine große Beachtung gefunden,
man begnügte sich mit den Angaben von Odenius und Dietl. Szymono-
wicz (43) hält sie für einfach schleimiges Bindegewebe, ohne auf die
Frage einzugehen, ob Bindegewebe von der Art des embryonalen Binde-
gewebes vorliegt.
Ich habe die Beobachtungen andrer Forscher nachgeprüft und
nachgewiesen, daß die innere Balglage wie auch das Sichelkissen (Ring-
wulst) aus einem besonderen basophilen Gallertgewebe gebildet wird.
Näheres darüber siehe Anat. Anz. Bd. XXXVII Nr. 10 u. 11.
Speziell für die Eigenschaften der bindegewebigen Bestandteile
des Sinusbalges vom Rind möchte ich manches hervorheben, da die
Sinushaare des Rindes in dieser Beziehung am wenigsten untersucht
worden sind. Außerdem bildet das Gallertgewebe der inneren Balg-
lamelle die Gnmdlage für die Nervenendigungen verschiedenster Arten
und verdient deswegen eingehendste Behandlung.
Um die Struktur der inneren Balglage richtig zu erhalten, emp-
fehle ich die säurehaltigen Fixierungsmittel auszuschließen und mög-
lichst neutrale Reagenzien zu benutzen. Dann überzeugt man sich,
daß die innere Balglamelle außerhalb der Glashaut hauptsächlich aus
der homogen aussehenden basophilen Substanz besteht, was schon bei
der einfachen Hämatoxylin-Pikrofuchsinfärbung sehr deutlich hervor-
tritt. Während diese Grund- oder Kittsubstanz bei andern Tieren ge-
wisse leichte Faserung zeigt, sieht sie beim Rind homogen aus. In der
Die Nervenendigungen an den Simishaaren des Rindes. 345
basophilen Substanz liegen Zellen mit einem System der feinsten, leicht
varicösen Fortsätze, die die Zellen untereinander verbinden. Die
basophile Kittsubstanz wird weiter durch collagene (acidophile) und
elastische Fasern durchsetzt, die teils isoliert, teils in Bündeln bis zur
Glashaut verlaufen.
Den früheren Angaben von Bonnet (2) über den Bau der Glas-
haut kann ich im großen und ganzen zustimmen, möchte aber hinzu-
fügen, daß die Glashaut des Sinushaares keine selbständige Bildung ist,
sondern von den feinsten Verzweigungen der acidophilen Fasern der
inneren Balglamelle zusammengesetzt wird. Die Enden der acidophi-
len Fasern wenden sich schließlich zu der Glashaut und werden in
außerordentlicher Weise fein zerspalten, wobei sie eine Schicht kurzer
Fibrillen bilden, die eng aneinander liegen und dadurch die Glashaut,
die immer stark acidophil ist, darstellen.
Diese Struktur der Glashaut tritt, nach meinen Beobachtungen,
am deutlichsten bei der Anwendunge der Methode von Bielschovsky
hervor, und zwar tritt dabei die fibrilläre Schichtung sowohl in der
unteren, porösen Hälfte der Glashaut und in der oberen kompakten
Hälfte, die die Wurzelscheidenanschwellung umhüllt, zutage. Bei der
letzteren Partie der Glashaut konnte ich die unmittelbaren Be-
ziehungen zu den dicken Bündeln der acidophilen Fasern der inneren
Balglamelle feststellen. Die obere Hälfte der Glashaut stellt, nach
meiner Auffassung, die feste Manschette dar, die an ihrem unteren
Rande (Fig. 1 F, Taf. XV) mit Faserbündeln verbunden wird, die
aus den untersten Sinusbalken in die innerste Balglamelle übergehen.
Die Anordnung der Fasern erinnert vollständig an die Befestigung
des Mastbaumes durch Kabel, aber nicht auf dem Schiff, sondern
auf dem Festlande. Wahrscheinlich haben hier im Sinushaar mecha-
nische Bedingungen ihren Ausdruck gefunden, und das Haar mit seinen
epithelialen Scheiden wird durch die Glashautmanschette gründlich
befestigt.
Nun komme ich wieder zu der homogenen Kittsubstanz. Mit dem
Auftreten der dicken Bündel acidophiler Fasern wird die Kittsubstanz
in einzelne Stücke verteilt, die in der Form selbständiger Kissen
in dem Sinusraum hervorragen. Die basophile Substanz fehlt niemals,
auch zwischen den dicht gedrängten Fasern der Bündel; sie klebt
die Fasern fest zusammen, stellt also echte Kittsubstanz dar. Sie
begleitet die collagenen Fasern bis in die Sinusbalken, wo sie manch-
mal eine sehr deutliche Deckschicht, die die Fasern vom Endothel
trennt, bildet.
23*
346 ^- Tretjakoff,
Sie tritt auch noch mit ihren basophilen Eigenschaften in den imier-
sten lockeren Faserfilz der äußeren Balglage und verliert ihre Baso-
philie erst zwischen den Bündeln des straffen Bindegewebes der letzteren
Bal(^lao-e. In den Kissen der inneren Balglamelle bietet die basophile
Substanz ihre Eigenschaften in der reinsten Form dar. Spärliche
elastische Fasern durchsetzen sie nach allen Eichtungen, doch bleibt
ihre Anzahl gering im Vergleich mit dem Netz der feinsten, deutlich
varicösen, Zellfortsätze, die in der basophilen Substanz nach allen Seiten
verlaufen und die Zellen miteinander verbinden.
Die basophile Kittsubstanz erscheint in der inneren Balglamelle
immer da, wo die Nervenendigungen am deutlichsten entwickelt sind,
also in der unteren Hälfte der inneren Balglage und in dem. konischen
Körper. Dieses Zusammenfinden ist wohl von vornherein eine sehr
wichtige Tatsache und nicht ohne Bedeutung für die Frage von dem
Zusammenhang zwischen den nervösen Endorganen und dem Binde-
gewebe.
Ich möchte aber gleich angeben, daß die Bälge an der nassen
Schnauze des Rindes die basophile Substanz in größter Masse in
ihrer inneren Balglamelle enthalten; dagegen sind die Sinushaare
der Wangen und der unteren Lippe manchmal mit der basophilen
Substanz ganz dürftig versehen; nur im konischen Körper zeigen alle
Sinushaare des Rindes gleiche Entwicklung der basophilen Substanz,
der konische Körper aber beherbergt in sich die paHsadenförmigen
Endigungen, die bei allen Sinushaaren des Rindes gleich entwickelt
sind. So viel über das Bindegewebe, welches die baumförmigen Endi-
gungen unterstützt. Was die Endigungen selbst anbelangt, so erlaube
ich mir einige vorläufige Bemerkungen über diesen Gegenstand zu
bringen.
In seiner Zusammenstellung (37) der bisherigen Kenntnisse über
die Nervenendigungen in der Haut der Säugetiere — <<Les dispositifs
anatomiques de la sensibilite cutanee» — bringt Rüffini folgende
Bemerkung im Absatz «Variabilite des formes» : Non seulement
l'analyse moderne nous a fait connaitre, comme nous l'avons dit, une
notable quantite de formes nouvelles, mais encore eile a apporte une
contribution tres remarquable ä l'etude des varietes des formes elles-
memes. Nous ne voulons pas parier ici des connaissances, peu nom-
breuses mais extremement interessantes, que nous possedons sur la
variabilite des formes dans la phylogenese; mais nous devons nous
borner ä etudier la variabilite ä laquelle peut etre sujette une forme,
dans chacune des especes animales chez lesquelles eile a ete etudiee.
I
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 347
Nous devons aussi aj outer que cette partie de nos connaissances est
poiir ainsi dire ä peine commeucoe: les observateurs s'etant jusqu'ä
j)resent, iiaturellcment, occupes de rechercher les formes plutöt que
leurs Varietes (p. 422, 4).«
In der inneren Balglamelle habe ich eine so regelmäßige und folge-
richtige Keihe der Variationen der baumf örmigen Endigungen gefunden,
als es von niemandem bisher bei andern Tieren beobachtet wurde.
Daher halte ich es für zweckmäßig dieser Seite der Frage mehr
Aufmerksamkeit zuzuwenden, als es überhaupt bis zur letzten Zeit
üblich war. Dabei ist es wohl eine ganz subjektive Sache, welche Form
als die ursprüngliche zu betrachten ist. Da aber unter den verschie-
denen Formen recht häufig die Endigung, die in allerlei bindegewebigen
Bildungen vorhanden ist, sich findet, möchte ich diese Form als die
Grundform annehmen, von der die Variationen nach zwei Richtungen
sich herausbilden können. Dabei ergibt sich das Variationsvermögen
der genannten Bildungen.
Es wurde in der letzten Zeit von fachmännischer Seite die Ver-
mutung ausgesprochen, daß der wesentliche Unterschied zwischen den
Arten der Nervenendigungen weder in ihrer Form noch in ihrem Bau
noch in den Beziehungen zu den sie unterstützenden Geweben, sondern
ausschließlich in der Gesamtheit der Neurofibrillen, die einen Bestand-
teil aller Netze in den Endigungen einer sensiblen Zelle darstellen, und
in der Gesamtheit der perifibrillären Substanz zu suchen ist.
Dieser Meinung nach ist die Form und die Zusammensetzung der
Nervenendigungen als etwas Minderwertiges zu betrachten und muß
das Ziel weiterer Forschungen darauf gerichtet sein, in erster Linie
die Verhältnisse der Neurofibrillen und des Neuroplasmas zu unter-
suchen. Wie man vermuten kann, konnte diese Theorie aus dem
Grunde erscheinen, daß die Nervenendigungen aller möglichen Formen
immer noch die Verbreitung des Achsencylinders darstellen. Jedoch
haben wir das Recht, die Natur für keine Formenverschwenderin
zu halten und jede Lebensform, möge sie unserm kurzsichtigen Auge
ungemein willkürlich erscheinen, wächst unter dem eisenharten Gesetz
der Notwendigkeit. Deshalb halte ich die Behauptung der neben-
sächlichen Bedeutung der Form der Nervenendigungen für sehr ver-
früht und schließe mich den Bemühungen von Ruffini und Dogiel
und andern an, die Form der Endigungen als eine morphologische
Tatsache ersten Ranges aufzufassen.
Was soll dann die Mannigfaltigkeit der Formen der Nervenendigun-
gen bedeuten? Nach meiner Meinung nichts weiter,* als daß wir vom
348 r>- Tretjaküff,
Wesen der Nervenerregung und des Nervenstromes vorläufig keine
Ahnung haben. Was wir uns als einheitliche Erscheinung der Nerven-
erregung vorstellen, ist vielleicht der verwickeltste Vorgang, und der
Bau der Nervenendigungen ist nur die morphologische Äußerung der
vielseitigen physiologischen Arbeit. Ich bin überzeugt, daß das Stu-
dium der Formen der Nervenendigungen die notwendige Vorstufe zu
weiterer Erforschung im Wesen der Nervenerregung und des Nerven-
stromes geben wird.
Man darf wohl hoffen, daß bei dieser Arbeit die alte Sünde der
physiologischen Forschung nicht wiederholt werden wird und die
rätselhafteste der Lebenserscheinungen, der Nervenstrom, nicht nur
»physiologisch«, sondern morphologisch - physiologisch aufgefaßt wer-
den wird.
Von dem Standpunkt aus gewinnt an Interesse und an Wichtigkeit
nicht nur die Beschreibung der typischen Formen der Nervenendigungen,
sondern in hohem Maße auch die Darstellung der Varianten. Das
Sinushaar des Rindes bietet in dieser Beziehung die bequemste Ge-
legenheit.
Die Ergebnisse, die ich jetzt zu beschreiben habe, sind auf
Untersuchungen begründet, zu deren technischer Seite ich außer den
allgemeinen technischen Angaben noch manche Winke hinzufügen
muß.
Die ursprüngliche ÜAjALsche Methode mit dem Einlegen des
frischen Objekts direkt in die Silberlösung gab mir bessere Resultate,
als die vorherige Fixation im Alkohol- Ammoniak. Was die Vergoldung
anbelangt, benutzte ich neben der prachtvollen Färbung mit Methylen-
blau auch jene altbewährte Methode, da ungeachtet der vollständigen
Färbung mit dem Methylenblau einzelner Endigungsformen, immer
ein Raum für die Vermutung blieb, daß die Färbung sehr wiilkür-
lich war und keine Vorstellung von der Menge der baumförmigen
Endverzweigungen in der gesamten inneren Balglage lieferte. Die
Vergoldung brachte mir auch andre Vorteile, da ich die halboffenen
vergoldeten Bälge in Celloidin eingebettet in dünne Schnitte zer-
legen konnte. Deswegen war die genaue Orientierung über die
Lage und die Beziehungen zu andern. Geweben viel leichter, als an den
Methylenblaupräparaten. Doch muß ich gestehen, daß die Ergebnisse
der Vergoldung, besonders was die marklosen Verzweigungen anbetrifft,
nicht immer mit denen der Methylenblaubilder übereinstimmen. Es
ist wahrscheinlich, daß die Vorbehandlung mit der Säure auf das Proto-
plasma anders als molybdänsaures Ammonium wirkt und gewisse
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 349
strukturelle Veränderungen in den Endigungen hervorbringt. Jeden-
falls bleibt, wenn man den Bau der Verzweigungen selber, nicht aber
nebensächliche Einzelheiten verfolgen muß, die Methylenblaufärbung
die herrschende und leitende. Die nachherige Färbung mit Alaunkarmin
bringt die Beziehungen zwischen den blaugefärbten Endverzweigungen
und den Bestandteilen hell zutage.
Ich habe keine Unterschiede in den Bedingungen der Methylenblau-
färbung für die verschiedenen Formen der baumförmigen Endigungen
bemerkt. Wenn die verschiedensten Formen in dem Haarbalg zusam-
men vorhanden sind, färben sie sich gleichzeitig und in demselben
Grade der Intensivität.
A. Typische baumförmige Endigung. Ich finde sie in der
inneren Balglamelle immer durch eine markhaltige Nervenfaser nach
dem vielfach beschriebenen Typus gebildet. Doch möchte ich einige
Besonderheiten hervorheben. Sie finden sich konstant in der inne-
ren Balglamelle oberhalb des unteren Nervenringes. Sie kommen aber
nicht in der oberen Hälfte des Balges und selten in dem Gebiet miter-
halb des unteren Nervenringes vor. Die Fasern, die für ihre Bildung
bestimmt sind, kommen direkt aus dem Nervenring, oder sie laufen in
den aufsteigenden Bündeln nach oben hin, um dann umzukehren und
zu dem betreffenden Gebiet abzusteigen (Fig. 1, 17, 18, Taf. XV).
Nach der Bildung des letzten RANViERschen Schnürringes fängt
die Verästelung der marklos gewordenen Nervenfaser sogleich an, oder
sie läuft eine Strecke nackt und ungeteilt. Im zweiten Fall sieht man
immer an der nackten und ungeteilten Partie des Achsencylinders die
neuroplasmatischen Höckerchen und Hervorragungen (Fig. 10 Nn,
Taf. XVII), die manchmal dorn- oder sogar schlingenartig erscheinen
können. Sie sind ähnlichen Hervorragungen an dem Achsencylinder in
den typischen Vater- PACiNischen Körperchen dem Aussehen nach völlig
homolog. An meinen Präparaten zeichnen sich die Hervorragungen
durch die starke Färbung mit dem Methylenblau aus.
Schließlich teilt sich die Nervenfaser in eine größere oder geringere
Menge sich wiederholt teilender, aber selten anastomosierender Astchen,
die in den verschiedenen Flächen und in den verschiedensten Richtungen
verlaufen. Die ganze Endverzweigung stellt also keine abgeflachte
Bildung dar, sondern ein Körperchen von drei Dimensionen. An den
Teilungsknoten und an den Astchen, besonders an den Enden derselben
sitzen die vieleckigen Plättchen, die wieder an den Ecken mit den
sekundären und tertiären gestielten Plättchen und den mannig-
faltigen Dörnchen besetzt werden. Es entstehen in solcher Weise die
350 D. Tretjakoff,
zierlichsten sternförmigen Verbreiterungen, die selten in den Zeichnungen
andrer Forscher zu treffen sind; am passendsten konnte man sie mit
Blättchen vergleichen, da die ganze Verzweigung lebhaft an den Ahorn-
oder Kastanienbaumast erinnert (Fig. 10, Taf. XVII).
Sehr auffallend sind die beschriebenen Endverzweigungen, wenn
die Zahl der Endäste sehr gering, die Größe der Blättchen aber normal
bleibt. In dieser Form nähert sich die Endverzweigung den End-
platten der Palisade an der Wurzelscheidenanschwellung.
Die Endverzweigungen und ihre Blättchen liegen in der Kitt-
substanz des basophilen Gallertgewebes, aber bieten keine besonderen
Beziehungen zu den Zellen des Gewebes. In gleicher Weise gibt es
keine besondere Hülle um die End Verzweigung. Die Fortsetzung der
perineuralen Scheide, die in den feinen Bündeln der Nervenfasern voll-
kommen mit den acidophiien Fasern der inneren Balglamelle ver-
schmilzt, ist an den einzelnen Nervenfasern im Gallertgewebe nicht
vorhanden.
Die Endfäden verlaufen nach allen oder nur in zwei Kichtungen,
oder sind besenförmig einseitig gesammelt; sie biegen und verflechten
sich untereinander. Dabei behalten sie keinenfalls die gleichmäßige
Dicke, verdicken oder verfeinern sich plötzlich oder allmählich.
Die End- und Knotenblättchen bilden den wesentlichsten und cha-
rakteristischen Bestandteil der Endigung. An den Methylenblau-
präparaten sieht man aber ihren fibrillären Bau sehr selten, es treten
meistens die neuroplasmatischen Microsomen auf, die besonders scharf
tingiert erscheinen und dadurch die fibrilläre Struktur maskieren.
Doch von den andern plättchentragenden Endverzweigungen der
Nerven im Balge der Sinushaare unterscheiden sich die Blättchen
dadurch, daß die Microsomen in ihnen sehr gleichmäßig gelagert sind
und die Blättchen sich immer sehr gleichmäßig färben. Man findet
in ihnen keine randständige Verteilung der Microsomen, wie z. B. an
der Centralf aser der Endkolben. Wenn die Anastomosen der Ver-
zweigungen sich bilden, geschieht das immer an den Blättchen: in
manchen Fällen sind dieselben durchlöchert, bzw. ihre sekundären
Randdörnchen und Hervorragungen anastomosieren untereinander.
Die Plättchenendigung stellt also nach dem oben Gesagten die
Endverzweigung in der inneren Balglamelle vor, die durch die mark-
haltigen Fasern gebildet wird, aus marklosen Endästen besteht und
mit den End- und Knotenblättchen besetzt ist.
B. Typische baumförmige Endigung, Spindelendigung.
Sie bildet die zusammengesetzte Form der typischen baumförmigen
r
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 351
Eiid Verzweigung. An der Bildung dieser Form nehmen mehrere
Nervenfasern teil, dabei wird auch eine gewisse Modifikation im Aus-
sehen der Endäste bemerkbar (Fig. 11, Taf. XVII; Fig. 1, 18, Taf. XV).
Endverzweigungen dieser Art in gut entwickelter Form sind den
RuFFiNischen Körperchen bzw. Endverzweigungen ähnlich; Ruffini
hält jedoch die Lagerung seiner Körperchen im dichten Bindegewebe,
das dazu noch an elastischen Fasern reich ist, füi' sehr charakteristisch.
Die spindelförmigen Endigungen liegen immer in dem basophilen
Bindegewebe, deshalb möchte ich sie vorläufig nicht als RuFFiNische
Körperchen bezeichnen.
Die spindelförmigen Nervenendigungen finden sich hier im Gebiete
zwischen dem unteren Nervenring und der Wurzelscheidenanschwellung
und gehören zu den gewöhnlichsten Endigungen im Sinushaar des
Rindes. Die an diesen Endverzweigungen beteiligten Nervenfasern ge-
hören gewöhnlich den aufsteigenden Nervenstämmchen an, von welchen
sich die Bündel aus drei und mehr Nervenfasern ohne perineurale
Hülle in horizontale Lage sich umbiegen, die Markscheide verlieren
und in die Endverzweigung übergehen. Die Fasern teilen sich hart
an der Endverzweigung in die Menge der sich wiederholt teilenden
Endäste, die sich untereinander verflechten, anastomosieren und in
ihrer Gesamtheit den mehr oder minder spindelförmigen Komplex der
marklosen Verzweigungen darstellen. Aber die bei A. so gut differen-
zierten Blättchen fehlen hier vollständig, und an ihrer Stelle werden
die Endäste mit spindeligen Verbreiterungen und Anschwellungen
versehen, wohl auch an den Knotenpunkten und Enden, die kleine
und einfach umrandete Plättchen tragen; die Verbreiterungen und
Plättchen haben dabei einen sehr deutlich ausgebildeten fibrillären Bau,
der durch keine Microsomen maskiert wird. Im großen und ganzen
sieht diese Form der Endigung im Vergleich mit der Blättchenendigung
immer dichter aus.
Die Bezeichnung Spindelendigung hat also doppelten Grund : wegen
der Spindelform der ganzen Bildung und wegen des Vorhandenseins
der spindeligen Anschwellungen,
Daß die spindelförmigen Endverzweigungen keine bindegewebige
Kapsel besitzen, ist hier leicht zu beweisen wegen der Entwicklung
des basophilen Gewebes. Es lassen sich keine intimeren Beziehungen
der Nervenverzweigungen zu den Zellen des Bindegewebes oder zu
den andern Bestandteilen der inneren Balglamelle finden, und in
gleicher Weise spielt die Verteilung der elastischen Fasern dabei keine
Rolle.
352 D. Tretjakoff,
Die kompliziertesten Formen der Spindelendigungen sind zu
gleicher Zeit am meisten typisch für diese Art der baumförmigen End-
verzweigungen. Man findet nämlich in manchen Fällen, daß ganze
Bündel von aufsteigenden Fasern zur Bildung der Spindelendigungen
verwendet werden, dadurch entsteht dann eine Gruppe von zwei und
mehr (Fig. 11, Taf. XVII) einzelnen Spindelendigungen, die nicht
weniger als die Hälfte des Umfanges der inneren Balglamelle ein-
nehmen können. Aus der aufsteigenden Lage gehen die Fasern in die
horizontale über, und das geschieht für alle zugehörigen Endigungen
an derselben Stelle so, daß die Fasern zu den distalen Spindelendi-
gungen in horizontaler Richtung eine mehr oder minder weite
Strecke verlaufen, die Haarscheide umfassend. Die einzelnen Spindel-
endigungen können dabei alle gleich groß oder von verschiedener Große
sein, die distalen nleistens kleiner als die proximalen. Die Art der
Nerventeilung und der Geflechtbildung bleibt dieselbe wie bei ein-
facheren Formen, es bildet sich die dichte Menge der unregelmäßig ver-
dickten oder verjüngten marklosen Aste, die auf ihrem Laufe sich
mehrfach teilen und untereinander anastomosieren. Ob die Anasto-
mosen nur dem System derselben Faser gehören, oder Verzweigungen
verschiedener Fasern durch Anastomosen miteinander verbunden
werden, ist schwer zu verfolgen; die letzte Möglichkeit bleibt wohl
sehr wahrscheinlich. Nur die Enden der Verzweigungen laufen manch-
mal mehr oder minder selbständig, von dem übrigen Komplex
sich trennend, meistens wird die Endigung streng und scharf um-
grenzt.
Die besondere bindegewebige Hülle fehlt auch hier, und zwischen
den Endfäden des Geflechtes liegen nur die bindegewebigen Zellen;
dieselben zeigen aber keine Besonderheiten in der Lagerung und in
den Beziehungen zu den Nervenästchen, die basophile Kittsubstanz
behält vollkommen ihre Eigenschaften. Man trifft manchmal unter
den sich verflechtenden Astchen auch die langen marklosen nicht
geteilten Äste, die gerade von der Stelle des letzten Schnürringes bis
zu irgendwelchem Ende des Komplexes verlaufen und erst da ihrer-
seits sich teilen. Manchmal laufen solche oder überhaupt dickere sich
teilende Aste am Rande der Bildung, und die letztere wird durch die-
selben scharf umrahmt, im andern Fall strahlen die Enden der Aste mit
den Blättchen besetzt von der Peripherie des Komplexes aus.
Die Spindelendigungen dieser oder jener Form hatte ich besonders
mit Hilfe der Goldmethoden studiert. x4n den dünnen Schnitten
bewahren sie ihre hauptsächlichen Züge, wenn man auch natürlich ihr
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 353
Gesamtaussehen nur an der Hand der Serienschnitte rekonstruieren
konnte. Die Goldpräparate zeigen speziell die Verhältnisse zwischen
den spindelförmigen Endigungen und den Blutgefäßen.
Ich finde die spindelförmigen Endigungen, wie überhaupt die baum-
förmigen Endigungen, immer von dem Capillarnetz der inneren Balglage
umsponnen, und wird hier das Netz der Blutcapillaren nicht dichter,
als überhaupt in der inneren Balglage so, daß ich keine Notwendigkeit
sehe, hier spezielle Netze für die Nervenendigungen zu unterscheiden.
In die Spindelendigung selbst tritt aber kein Blutgefäß hinein.
Die Goldpräparate bringen bestimmtere Angaben über die Topo-
graphie der spindelförmigen Endigungen und ihre verhältnismäßige
Quantität. Sie stellen an einigen Haaren eine fast ununterbrochene
Schicht zwischen dem unteren Nerv^enring und dem Gebiet der
Wurzelscheidenanschwellung dar. In der Dicke der inneren Balgla-
melle liegt nur eine spindelförmige Endverzweigung, der Länge aber
von unten nach oben hin manchmal zwei bis drei Reihen von Endi-
gungen, die unteren sind dabei die größeren. Die Endzweige gelangen
selten bis zur Glashaut, meistens liegen die Endigungen mehr oder
minder entfernt von der letzteren.
Wenn nach dem Durchsehen der Gold- und Methylenblaupräparate
immer noch ein Zweifel bleibt, ob echte Anastomosen von einzelnen
Fädchen vorkommen, wird das klar gemacht durch Präparate, die
nach dem Verfahren von Ramon y Cajal angefertigt worden sind. Man
bekommt dabei natürlich nur einen dünnen Ausschnitt aus der ganzen
Menge der Verästelung, an dem man sich leicht überzeugen kann, daß
die Anastomosen das Geflecht der Endverzweigungen in echte Netz-
bildung verwandeln. Was die Plättchen und spindelförmigen Anschwel-
lungen der Fasern anbelangt, tragen sie immer dichte Netzchen von
Neurofibrillen, die auch von einer Menge der Perifibrillarsubstanz be-
gleitet werden.
In der angegebenen Form der komplizierten spindelförmigen
Endigung spricht sich ihr Unterschied von der Blättchenendigung am
schärfsten aus, obgleich beide Modifikationen untereinander durch
Übergangsstufen verbunden sind. Konventionell möchte ich beide
Formen als Grundformen bezeichnen. Genau in derselben topogra-
phischen Lage dieselben geweblichen Beziehungen zeigend, also ohne
Zusammenhang mit den äußeren Bedingungen, finden sich in der
inneren Balglamelle die Nervenendigungen, die man nur als die Modi-
fikationen der genannten Grundformen auffassen kann. Die Umbil-
dung des Baues der Grundformen geschieht nach zwei Richtungen.
354 D. Tretjakoff,
Eine Riclitung schlägt die
C. diffuse Nervenendigung, die ich lieber Körnchenendiffunc^
nennen werde (Fig. 12, Taf. XVII), ein. An ihrer Bildung können
eine oder mehrere markhaltige Nervenfasern teilnehmen, die ihre Mark-
scheiden meistens an der gleichen Stelle verlieren; die marklosen End-
verzweigungen verbreiten sich genau in derselben Weise, wie in den
Grundformen und sind manchmal mit spindelförmigen Anschwellungen
versehen (Fig. 12, Taf. XVII), tragen aber niemals die Knoten oder
Endplättchen oder Blättchen, sondern sind höchstens mit kleinen Verr
dickungen besetzt und spalten sich in feinste Nervenfädchen, die
wieder mit den feinsten Körnchen oder Varicositäten versehen sind.
Die Spaltung in die Endfädchen erreicht den höchsten möglichen Grad,
man verliert sogar die kurzen Verbindungsfädchen zwischen den
dickeren Verzweigungen und Körnchen aus dem Auge, da sie so winzig
sind, daß sie sich bei der Spiritusbehandlung entfärben. Manchmal
liegen die Körnchen sehr gleichmäßig zerstreut, höchstens Trauben
an den Enden der dickeren Verzweigungen bildend; in andern Fällen
sammeln sie sich gruppenweise, so daß man den Eindruck bekommt,
daß sie in Körnchen aufgelöste Blättchen der Form A darstellen.
Diese Beobachtung erweckte in mir den Verdacht, daß die Körnchen
von den Blättchen der Form A durch postmortale Zerfallserscheinungen
entstehen. Die nachherige Untersuchung ließ aber keinen Zweifel
darüber, daß hier eine ganz normale Modifikation der baumförmigen
Nervenendigung vorliegt, die man an den Präparaten gleichzeitig mit
den übrigen Arten der genannten Endigungen zu sehen Gelegen-
heit hat.
Die Körnchenbildung mag ihr Maximum erreichen, wenn sie schon
von der Stelle des letzteren Schnürringes beginnt, wenn also die
dicken marklosen Äste vollständig fehlen und mit ihnen die spindel-
förmigen Anschwellungen ; die ganze Endigung stellt dann einen Haufen
kleiner bis auch kleinster rundlicher Körnchen dar, der dem Bündel
der marklos gewordenen Nervenfasern anliegt. Dabei geschieht es
niemals, daß die Verzweigungen einer von den Fasern des Bündels von
dem System der Verzweigungen andrer Fasern durch irgendwelche Be-
sonderheiten sich unterscheiden, immer sieht die ganze Bildung ein-
heitlich aus. Deswegen verdient diese Form als die höchste Stufe der
Variation in dieser Richtung betrachtet zu werden. Ungeachtet der
scharfen Abgrenzung von dem Bindegewebe fehlt der Endigung jegliche
Kapsel vollständig, und das sie tragende basophile Gallertgewebe
verliert seine typischen Eigenschaften in keiner Weise. In einigen
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 355
Fällen konnte ich jedoch feststellen, daß die Körnchenendigungen an
solchen Stellen entwickelt wurden, wo die acidophilen Fasern am
dichtesten waren, aber es war nicht die Regel.
Was die Beziehuno;en zu den Bindegewebszellen oder zu den Blut-
capillaren anbetrifft, so gilt hier alles, was darüber schon oben gesagt
wurde.
Wenn die Körnchenendigung auf den ersten Blick als eine sehr
differente Form der baumförmigen Endigung erscheinen mag, so wird
sie doch immer durch die Zwischenstufen mit den Grundformen ver-
bunden und kann von ihnen als ihre Modifikation abgeleitet werden.
Doch die äußere Umgrenzung der Körnchenendigung nimmt selten die
spindelige Form an, sie bewahrt meistens der Fläche nach gleichen
Durchmesser nach allen Richtungen. Sie stellen keine großen Kom-
plexe zusammen und treten auf dem Haar gleichzeitig mit den Grund-
formen, aber immer in geringerer Zahl auf.
Die Körnchenendigung stellt also die baumförmige Endigung vor,
die aus den marklosen Verzweigungen der markhaltigen Fasern und
den feinsten Endfädchen, die mit den feinsten Körnchen versehen
werden, besteht.
Eine andre Richtung in der Modifikation, die ich Knäuel-
endigungen nennen will, schlagen die End Verzweigungen ein. Hier
sind auch die Formen zu unterscheiden, die von einer oder von
mehreren Fasern gebildet werden, deshalb stellen sie eine den For-
men A und B parallele Reihe dar. Die typische Form hat ein sehr
auffallendes Aussehen, sie stellt nämlich einen dichten Knäuel von
markhaltigen Fasern dar, der nur mit spärlichen marklosen Endästchen
versehen wird. Um aber die Zusammensetzung der Knäuelendigung
richtig zu verstehen, wird geraten mit den Übergangsformen anzu-
fangen. Für eine solche Form halte ich
D. die Präterminalendigung, mit welchem Namen ich die
Formen der baumförmigen Endverzweigungen bezeichnen möchte, die
sich dadurch von den andern unterscheiden lassen, daß die Abgabe der
marklosen varicösen Ästchen nicht ausschließlich an der marklosen
Terminalpartie vorkommt, sondern die marklosen Endverzweigungen
entspringen schon von den vorletzten Schnürringen. Von andern
Forschern wurde die Form der Endigungen mehrmals beschrieben,
immer aber der Fläche nach verbreitet. Im Sinushaar des Rindes
finde ich diese Form der Endigungen knäuelartig entwickelt, und unter
andern Varianten der baumförmigen Nervenendigungen hat sie voll-
kommen bestimmte Merkmale (Fig. 13, Taf. XVII).
356 D. Tretjakoff,
Die präterminalen Endäste bilden also keine selbständigen Bäum-
chen, verflechten sich aber eng mit den Terminalästen in das einheit-
liche Geflecht, indem die markhaltig bleibenden Segmente der Nerven-
fasern sich mannigfaltig umbiegen. Dementsprechend stellen die
markhaltigen Segmente nicht nur die Vorrichtung, um die marklosen
Endäste zu verteilen, sie sind vielmehr als der integrierende Teil der
ganzen End Verzweigung aufzufassen. Das Einschließen der markhaltigen
Segmente verleiht der Art der Endigung immer das charakteristische
Aussehen, demzufolge sie niemals mit den vorherigen Arten verwechselt
werden können. Die Bezeichnung »die Präterminalendigung« wird
durch die überwiegende Teilnahme der präterminalen Endverzweigungen
berechtigt.
Die präterminale Endigung in der einfachen Form entsteht von
einer einzigen Faser. Die zusammengesetzte Präterminalendigung
zeichnet sich durch die Teilnahme mehrerer markhaltiger Nervenfasern
aus. An den Methylenblaupräparaten ist man dabei nicht immer in
der Lage zu entscheiden, ob an jener oder dieser Partie der Nerven-
faser innerhalb der Endverzweigung die Markscheide verloren ge-
gangen ist oder nicht. Doch auch in solchen Fällen bewahrt die
Präterminalendigung ihr merkwürdiges Aussehen, da innerhalb der
Endverzweigungen die langen Strecken ohne sekundäre Verzweigung
verlaufen. Mit dieser Reserve möchte ich die folgende Beschreibung
geben.
Die markhaltigen Fasern, die für die Bildung des zusammenge-
setzten Präterminalapparates dienen, verlieren ihre Markscheide nicht
gleichzeitig, und während ein Teil der Fasern schon marklos erscheint,
erhält der andre Teil seine Markscheide in verschiedener Ausdehnung,
schlängelt sich in den Grenzen der Endverzweigung und wird an seinen
EANviERschen Schnürringen mit den marklosen varicösen Verzwei-
gungen, also sekundären Enclbäumchen versehen. Es kann auch vor-
kommen, daß die sekundären Endbäumchen nur in sehr geringer Zahl
entstehen, dann umflechten die markhaltigen Fasern die ganze Endi-
gung einfach. Oft aber bekommt die marklos gewordene Faser, die
für eine Terminalfaser gehalten werden konnte, nach ihrem Verlauf
wieder die Markscheide, die bald wieder verschwindet. Dadurch ent-
steht die große Mannigfaltigkeit der Präterminalendigungen.
Was die marklosen Ästchen anbetrifft, so zeigen sie fast immer
die spindelförmigen Anschwellungen wie bei Form B, und werden mit
feinen varicösen Verzweigungen versehen. Die größeren Plättchen
bilden sich selten aus.
Die Xervenencligun<:jcn an ilon Sinushaaren des Rindes. 357
Alle Formen der Präterminalendigungen entbehren der binde-
gewebigen Kapsel und liegen meistens in den oberflächlichsten Schichten
der inneren Balglamelle, die Kissen von Gallertgewebe ausfüllend.
Ebenso wie die Spindelendigungen können sie eine beträchtliche Größe
erreichen, bilden aber selten die mehrfachen Formen wie die Spindel-
endigungen der Fig. 11.
Ich habe schon früher (s. Nervenstämmchen) gesagt, daß die
markhaltigen Fasern im Haarbalge selten direkt zu ihrem Ziele ver-
laufen, sondern verschiedenartige, scheinbar ganz unnötige Schlingen-
bildungen darstellen. Dieselbe Erscheinung läßt sich bis zu den Nerven-
endigungen verfolgen, deswegen ist es manchmal recht schwierig zu
bestimmen, ob irgendwelche Verflechtung der markhaltigen Nerven-
fasern der Nervenendigung gehört oder selbständige Bedeutung besitzt.
Zum Beispiel trifft man Fälle, wo das Konvolut der markhaltigen
Segmente und die terminale marklose Endverzweigung voneinander
unabhängig und an verschiedenen Stellen desselben Nervenbündels
vorkommen. Die markhaltigen Fasern biegen sich dabei schlingen-
artig und bilden einen kleinen markhaltigen Knäuel, dann laufen sie
unverändert weiter, und nach zwei bis drei weiteren Schnürringen
bilden sie die Spindelendigung oder lösen sich in die Körnchenendigung
auf. In dieser Beziehimg muß wohl an die kombinierten Formen der
Schaltapparate erinnert werden, wo die Kolben an einer Stelle der
markhaltigen Faser erscheinen, der Schaltapparat an einer andern, und
die Nervenfaser noch am dritten Platz irgendwelche Endigung bildet.
Deswegen gehören die schlingenartigen Umbiegungen, ungeachtet ihrer
unabhängigen Herausbildung, vielleicht dem System der Vorrichtun-
gen der Nervenfasern an, die wir als Nervenendigungen annehmen,
und die letztgenannte Form mit getrenntem markhaltigen Knäuel und
markloser terminaler Verzweigung gehört demzufolge als Übergangs-
form zur echten
E. Knäuel endigung. Die Knäuelendigung stellt die auf-
fallendste Art der baumförmigen Endigungen dar, die bisher von nie-
mandem bemerkt worden ist (Fig. 14, 15, 16, Taf. XVII).
An ihrer Bildung sind wieder eine oder auch mehrere Nerven-
fasern beteiligt, die alle markhaltig sind. Bei dem höchsten Grade
der Differenzierung nimmt die Endigung das ganze Stämmchen in
Anspruch. Das Vorhandensein der Markscheide an dem Knäuel kann
man leicht an den osmierten Präparaten feststellen, für das geübte
Auge lassen die Methylenblaupräparate keinen Zweifel darüber.
358 D- Tretjakoff,
Betracliten wir erstens die einfache Form, die von einer einzigen
markhaltigen Faser abstammt (Fig. 14). Die ihr gehörige Faser zeichnet
sich immer durch ihre beträchtliche Dicke aus. An der Endigung an-
gelangt, beginnt die Faser schlingenartige Umbiegungen zu beschreiben,
die sich zu einem dichten Knäuel verflechten, wo die Verfolgung des
Verlaufes der Faser in hohem Maße dadurch erschwert wird, daß an
den E-ANViERschen Schnürringen die Teilung in die markhaltigen
Ästchen vorkommt, die Astchen aber ihrerseits wieder in dem Knäuel
sich verflechten. Schließlich verlieren die Endverzweigungen die
Markscheide und lösen sich in die sehr spärlich vorhandenen varicösen
Ästchen, die die traubenförmigen Endbäumchen bilden, auf. Dabei
bleibt die Menge der Endbäumchen auffallend gering im Vergleich mit
den markhaltigen Bestandteilen des Nervenknäuels. Die Endbäum-
chen treten gewöhnlich nur an einem Ende des Knäuels auf und
werden immer weniger intensiv als die markhaltigen Schlingen gefärbt,
weshalb der Knäuel im Gegensatz zu den Endbäumchen immer sehr
scharf hervortritt.
Die gesonderte bindegewebige Hülle fehlt auch diesen Endigungen,
die gewöhnlich in der oberflächlichsten Schicht der inneren Balgiamelle
liegen. Sie treten im Balge des Sinushaares des Rindes immer in Ge-
sellschaft mit den Endigungen andrer Arten, gewöhnlich aber nicht
einzeln, sondern in Verbindung mit den komplizierteren Formen der
Knäuelendigungen auf.
Die höchste Ausbildung gewinnt die Knäuelform bei der Abstam-
mung von vielen Nervenfasern, dabei bildet jede Faser keinen Knäuel
für sich, sondern sie verflechten sich untereinander zu dem gleich-
artigen Knoten aus den markhaltigen Verzweigungen der daran be-
teiligten Nervenfaser. Es bewährt sich als Gesetzmäßigkeit, die den
übrigen oben beschriebenen baumförmigen Endapparaten eigen ist;
der Knäuel stellt die einheitliche Masse der markhaltigen sich ver-
flechtenden Verästelungen mehrerer Nervenfasern, das zusammen-
hängende Ganze dar.
Die Fig. 16, Taf. XVII, gibt die häufigste Form dieser Knäuel-
endigungen wieder. Um den vorhandenen Raum am produktivsten
auszunutzen, biegen die Fasern des ankommenden Stämmchens nach
beiden Seiten hin, laufen von einem Ende der Endigung bis zum andern,
teilen sich dabei unterwegs in die ebenfalls markhaltigen Äste, die
wieder in dem Raum des Knäuels sich verflechten, so, daß ein kolossal
verwickeltes Geflecht von markhaltigen Ästen entsteht, das im all-
gemeinen scharf von dem umgebenden Bindegewebe abgegrenzt wird.
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 359
Hier und da werden die markhaltigen Segmente feiner oder dicker,
oder entstehen in sehr geringer Zahl marklose Astchen, die mit den
traubenförmigen Endbäumchen versehen werden. Die Endbäumchen
verschwinden aber fast vor dem kolossal entwickelten markhaltigen
Knäuel. Die Fig. 16 gibt auch die sehr häufig auftretende Form der
Knäuelendigung wieder, die sich dadurch in sehr bestimmter Weise aus-
zeichnet, daß die Fasern des Bündels sich fächerartig nach beiden
Seiten verteilen. Die Schlingen der markhaltigen Fasern liegen wohl
nicht in einer Fläche, die Knäuelendigung nimmt manchmal die
Hälfte der Dicke der inneren Balglamelle ein, doch wird die ganze
Bildung einigermaßen flächenartig (also in der cylindrischen Fläche)
verbreitet. Die einzelnen Schlingen laufen wiederholt von einem Ende
des Knäuels bis zum andern. Die varicösen marklosen Endästchen,
die die Endbäumchen tragen, sind selten in den Knäuel selbst ein-
geschlossen, sie erscheinen irgendwo an der Peripherie des Knäuels,
häufig nur an einem Ende.
Die Knäuelendigungen liegen immer in dem Kissen des basophilen
Gallertgewebes. Wie in dem Schema der Fig. 1, 19, Taf. XV ange-
geben worden ist, haben die Knäuelendigungen manchmal eine sehr
reiche Entwicklung, so daß längs des Haares nicht weniger als drei
solche Endigungen den Platz im Gebiete zwischen der Scheiden-
anschwellung und dem Nervenring finden, aber niemals sind sie aus-
schließlich allein entwickelt. Häufig fand ich sie in Begleitung von
spindelförmigen Endigungen, und wenn sie vorhanden sind, kommen
sie selten einzeln, sondern meistens in der Mehrzahl vor. Die eigentüm-
liche Lagerung übereinander und an einer Seite, wie es die Fig. 1 zeigt,
wurde nicht rekonstruiert, sondern entsprechend der Wirklichkeit nach
einem Präparat gezeichnet. Am häufigsten trifft man sie aber in der
Nähe des unteren Nervenringes, doch immer oberhalb desselben.
Die erwähnte Reihe von den baumförmigen Endverzweigungen
bereichert meiner Meinung nach in hohem Grade unsre Kenntnisse
über die Arten der Endigungen in den Balglamellen des Sinushaares.
Bis in die letzte Zeit galten diese Endigungen als Endigungen an der
Glashaut. Das scheint mir im Zusammenhang mit den von andern
Autoren angewandten Methoden (Schnitte nach Vergoldung) zu stehen.
Nach den von mir beobachteten Formen ist es ersichtlich, daß die
Endverzweigungen keine direkte Beziehung zu der Glashaut zeigen.
Ich möchte ausdrücklich eine andre Seite der Erscheinung betonen:
es treten nämlich die beschriebenen Formen in ganz gleichen äuße-
ren Bedingungen auf, eine beliebige Form vermag die Stelle einer
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 24
360 D- Tretjakoff,
andern ohne merklichen äußeren Zwang dazu einnehmen. Jede Form
wird mit andern durch Zwischenformen verbunden, und doch prägen
sich in dieser ununterbrochenen Reihe von Formen die typischen Züge
einzelner Stufen scharf genug aus. Was jedenfalls am auffallend-
sten erscheint, ist die kolossale Teilnahme seitens der markhaltigen
Fasern bei der Endverzweigung, die samt den Schaltapparaten die
Gelegenheit bietet, die geläufigen Vorstellungen vom Verhalten der
Nervenfasern zu der Aufnahme der äußeren Reize wesentlich zu modi-
fizieren. Es ist wahrscheinlich, daß die knäuelartige Anordnung der
markhaltigen Fasern keinen rein baukünstlerischen Sinn hat, im Ver-
gleich mit der Gesamtmasse der marklosen Blättchen und Spindel-
endigungen möchte man den markhaltigen Knäuel bild an gen ähnliche
perceptorische Bedeutung wie den marklosen zuschreiben. Man muß
dabei die altbekannte Erscheinung der Sensibilität der markhaltigen
Nervenstämmchen zu den mechanischen und elektrischen Reizen in
Erinnerung bringen. Von diesem Standpunkt aus erldärt sich auch
die Bedeutung der Schaltapparate, als perceptorische Vorrichtung sui
generis, was sich übrigens in ihrer Kombination mit den sensiblen
Endverzweigungen und Endapparaten äußert. Daß hier aber keine
Ausnahme, sondern eine direkte Anschließung an die vorhandenoi
Beziehungen vorliegt, glaube ich nach den Angaben über den Bau der
MEissNERschen Körperchen zu schließen. Dazu benutze ich die
neueste Beschreibung von Prof. A. S. Dogiel (13)
In den Papillen mit typischen MEissNERschen Körperchen ver-
laufen viele von den dicken markhaltigen Fasern zu diesen, wobei an
jedes Körperchen je nach dessen Größe entweder eine, häufiger
jedoch mehrere, zwei bis drei, viel', fünf und mehr Fasern herantreten.
In günstigen Fällen läßt es sich bisweilen erkennen, daß zwei bis drei
dieser Fasern aus der Teilung einer Stammfaser hervorgegangen sind. . .
Gewöhnlich treten die Fasern entweder an den unteren Pol des Körper-
chens oder seitwärts nahe dem Pol, oder aber in dem oberen Abschnitt
desselben (an das obere Drittel) heran. . . . Nicht selten verliert die
an das Körperchen von unten oder seitwärts herantretende Faser nicht
ihre Markscheide, sondern teilt sich in zwei Fasern, von welchen die
eine sich an der Oberfläche des Körperchens windet und nach Verlauf
einer gewissen Strecke von neuem in zwei bis drei Fasern teilt, oder
aber die ganze Faser windet sich vor dem Eintritt in das Körperchen
an der Oberfläche desselben, wobei sie sich bisweilen teilt und darauf
erst nach »einer oder zwei Windungen« die Scheide verliert und in
den Hohlraum eindringt (S. 68). Hier sieht man wieder das Dasein
Die Nervenendigungen an ilcn Sinushaaren des Rindes. 361
markhaltiger Segmente in der Endverzweigung. Die Ähnlichkeit mit
den von mir beobachteten Tatsachen wird noch deutlicher hervor-
treten, wenn wir die Ansichten von Dogiel über die Struktur der Unter-
lage des MEissNERschen Körperchens, speziell über den von ihm
vermuteten >> Hohlraum« des Körperchens durch die Angaben von
RuFFiNi verbessern. Ruffini (37) zeigt nämlich, daß das MEissNERsche
Körperchen eigentlich keinen Binnenraum im wahren Sinne des Wortes
besitzt, sondern von Bindegewebe zusammengesetzt wird. Dann
haben wir wohl keine Veranlassung die markhaltigen Segmente streng
von den marklosen zu trennen, da diese und jene in gleicher Weise in
der bindegewebigen Unterlage des Körperchens sich finden, also zu
demselben Endkomplex gehören. Prinzipiell bewährt sich hier die
Eigentümlichkeit der Knäuelendigungen, erreicht aber nicht im minde-
sten die kolossale, Entwicklung, die ich in den letzteren Nerven-
endigungen feststellen konnte. Auch sonst findet sich, wenn wir die
Zeichnungen von Dogiel (11) genauer studieren, in den MEissNER-
schen Körperchen immer die Neigung bald- mehr blättchenförmige
(Fig. 17), bald spindelförmige (Fig. 15, 20) Verbreiterungen zu zeigen,
oder es treten sogar meinen Körnchenendigungen nicht unähnliche
Formen hervor (Fig. 22) ; doch schreibt der Verfasser die mit kleinen
Varicositäten besetzten Astchen den Fasern der zweiten Axt zu, die in
demselben Körperchen endigen. Es wäre möglich, daß diese Fasern der
zweiten Art den dicken markhaltigen Fasern ganz homolog sind, also
nicht den Fasern der zweiten Art in den echten kapsulierten Nerven-
endapparaten entsprechen. Dann wird das MEissNERsche Körperchen,
in welchem die Fasern mit großen und kleinen, körnchenförmigen Ver-
dickimgen sich befinden, eine gut mögliche Kombination der Spindel
und Körnchenendigung darstellen, also in die Reihe der baumförmigen
Endigungen passen.
Die eingekapselten Apparate der inneren Balglamelle.
A. Die Endkolben (Krause, Ruffini, 37). Die Endkolben
der typischen Art, also mit einem marklosen centralen Nervenfaden
im inneren Kolbenraum, sind in geringer Zahl außer in den kom-
binierten Schaltapparaten in der inneren Balglamelle vorhanden (Fig. 1,
14, Taf. XV). Ihr Verbreitungsgebiet ist größer als das der End-
bäumchen. Sie finden sich unter- und oberhalb des unteren Nerven-
ringes, treten auch an der Scheidenanschwellung auf und sind manch-
mal im konischen Körper, sogar dicht unter den Talgdrüsenlappen
eingeschlossen. Ihr Bau ist immer gleich, sie besitzen eine geringe Zahl
24*
362 D- Tretjakoff,
eng aneinander liegender konzentrischer Kapseln, einen engen Binnen-
raum und die marklos gewordene Nervenfaser, die in Gestalt des
centralen Fadens bis zum entgegengesetzten Pol des Kolbens reicht
und da mit der Anschwellung, manchmal aber zugespitzt sich erschöpft.
Mit der Kuppe sind die Endkolben, wenn sie unabhängig von den
Schaltapparaten vorkommen, nach oben oder nach unten gerichtet
und sind mit ihrer längsten Achse immer der Längsachse des Haares
parallel.
In letzter Zeit hatte man die Endkolben mit den modifizierten
Vater- PACiNischen Körperchen identifiziert, mit der Vermutung, daß
der Centralfaden der ersteren nur das unvollständig gefärbte Bild der
Endigung darstellen sollte, die wahre Endigung aber ebenso verwickelt
sei, wie in den GoLGi-MAZZONischen Körperchen. Deshalb widmete
ich den Endkolben besondere Aufmerksamkeit und habe viel Mühe
angewendet, um die vorausgesetzte >> vollständige « Färbung zu erhalten,
— aber umsonst. Das Bild bleibt ganz gleich auf Methylenblaupräpa-
raten und nach dem Verfahren von Ramön y Cajal, das nach meiner
Erfahrung die verflechtenden Endzweige in den GoLGi-MAZZONischen
Körperchen sonst ganz gut färbt. Deswegen halte ich hier die Mög-
lichkeit einer unvollständigen Färbung für ganz ausgeschlossen, und
m dieser Beziehung schließe ich mich Ruffini an, daß die Endkolben
mit einem centralen Endfaden unbedingt von den GoLGi-MAzzoNischen
Körperchen oder von sogenannten modifizierten Vater- PACiNischen
Körperchen zu trennen sind. Übrigens halte ich die Bezeichnung »modi-
fizierte Vater- PACiNischen Körperchen« nicht für glücklich gewählt,
da sie typische Vater- PACiNische Körperchen als eine Ausgangsform
präjudiziert, was jedenfalls noch von niemandem bewiesen wurde.
Was den Bau der Kapsel anbetrifft, so wird sie von feinen acido-
philen Fasern zusammengesetzt, wie es schon oben berichtet wurde. Die
dazu gehörigen Zellen finden sich nicht zwischen je zwei benach-
barten Kapseln, sondern sind meistens an der Peripherie des Kolbens
angehäuft und immer in sehr geringer Zahl vorhanden.
Es sind aber in der inneren Lamelle sehr selten eingekapselte
Endapparate zu finden, die mehr den Körperchen von Golgi-Mazzoni,
und zwar deren einfachsten Formen ähneln. Im Sinusbalge des
Rindes haben sie meistens ovale bis wurstförmige Gestalt, und sind
immer sehr klein. Die marklos gewordene Nervenfaser, die in den
inneren Hohlraum hineintritt, spaltet sich in zwei oder mehr Aste,
die sich untereinander verflechten, und jede hat ein freies Ende,
wo sie manchmal leicht verbreitert (Fig. 1, 15, Taf. XV) werden. Dabei
Die Nervenendigungen an den yinushaaren des Rindes. 363
liegen die Endäste im gemeinsamen Hohlraum, erinnern also sehr an
das vonDoGiEL abgebildete GoLGi-MAZzoNische Körperchen (Taf.XVI,
Fig. 4 h) in der Haut des Menschen, weshalb ich hier keine entsprechende
Abbildung gebe. Zu der Bildung eines verwickeiteren Geflechtes kommt
es nicht, manchmal ist auch die Kapsel sehr mangelhaft entwickelt,
indem sie nur, der Kuppe des Körperchens entsprechend, wo die an-
geschwollenen Enden der Äste endigen, eine deutlich lamellöse An-
ordnung zeigt ; näher aber zur Teilungsstelle der Hauptfaser verschmilzt
sie vollständig mit den umgebenden acidophilen Fasern des Binde-
gewebes. Die Kolben liegen meistens in tieferen Schichten der inneren
Balglamelle, also zwischen den dicht gedrängten Bündeln der acido-
philen Fasern; man trifft sie aber gelegentlich im Gallertgewebe, wo
sie durch die Acidophilie ihrer Kapseln recht scharf von der baso-
philen Kittsubstanz sich unterscheiden.
B. Körperchen mit plättchenförmigen Endverbreite-
rungen. Im Sinusbalge des Rindes finde ich solche Körperchen immer
scharf von dem umgebenden Bindegewebe abgegrenzt. Mit dem be-
stimmten, schon beschriebenen Endapparat sie zu identifizieren, ist
sehr schwer, zudem treten sie sehr selten auf und haben kleine Dimen-
sionen (Fig. 21, Taf. XVIII).
Die Körperchen mit plättchenförmigen Endverbreiterungen sind
von Prof. A. S. Dogiel aus dem Stratum reticulare corii der Finger-
kuppe des Menschen beschrieben worden, sonst von niemandem, A.
S. Dogiel (11) meint, daß diese Körperchen nur im Fall einer aus-
gezeichneten Färbung der in ihnen endigenden Nerven deutlich hervor-
treten und bemerkbar sind, weshalb sie auf Präparaten verhältnismäßig
nicht häufig zum Vorschein kommen. Sie haben nach seiner Beobach-
tung gewöhnlich die Gestalt eines mehr oder weniger engen Cylinders
und sind nicht selten in geringerem oder stärkerem Maße gebogen;
ihr Längsdurchmesser beträgt 0,062 — 0,080 mm, der Querdurchmesser
0,018 — 0,022 mm. Jedes Körperchen ist von einer dünnen bindegewe-
bigen, aber nicht geschichteten Hülle umgeben, die einen Hohlraum
umfaßt.
An dem unteren Pol jedes Körperchens tritt eine sehr dicke, mark-
haltige Nervenfaser auf. In geringer Entfernung vom Pol des Körper-
chens verliert die Faser ihre Markscheide, der breit abgeplattete Achsen-
cylinder dringt in den Hohlraum ein, woselbst er alsbald einen oder
zwei abgeplattete Äste abgibt, alsdann sich wellenförmig windend
zum blinden Ende des Kolbens hinzieht und sich abermals in Äste
teilt. Die Äste winden sich im Hohlraum des Körperchens und
364 D. Trejtakoff,
zerfallen schließlich in sekundäre Astchen. Jedes Astchen endigt alsdann
nach Verlauf einer gewissen Strecke im Hohlraum des Körperchens
mit einem besonderen Plättchen. Die Bänder der Plättchen sind mit
Dornen besetzt, stellenweise ausgeschnitten. Einige der Dornen sind
dermaßen verlängert, daß sie sich in feine, sich nicht selten teilende
Fädchen ausziehen, mittels welcher die benachbarten Plättchen sich
untereinander verbinden. In der Mehrzahl der Fälle ist die Fläche
des Plättchens nach oben gerichtet.
Im Hohlraum zwischen den Plättchen vermutet Verfasser unge-
färbt gebliebene ebensolche Plättchen, da die Abwesenheit der Zellen
im Hohlraum von ihm ganz bestimmt festgestellt wurde.
Äußerlich bieten die Körperchen in der inneren Balglamelle des
Sinushaares des Rindes viel ähnliches mit den von Dogiel beschrie-
benen, aber bei eingehender Untersuchung fand ich manche Verschieden-
heiten, über deren Bedeutung ich vorläufig nur sehr vorsichtig Ant-
wort geben möchte.
Die Körperchen am Sinushaar messen nur 0,04 mm, wenn wir
den längsten Durchmesser in Rücksicht nehmen; sie sind rundlich.
Ich habe volles Recht von einer Hülle des Körperchens zu sprechen,
da dieselbe ganz deutlich wie auf Methylenblaupräparaten, so auch
nach dem Verfahren von Cajal hervortritt, aber nicht in der Form
einer Schicht, wie es Dogiel in seinem Fall bemerkt hatte, sondern
wie ein System von konzentrischen Lamellen ebenso fein und dicht
gedrängt, wie in den Endkolben. Von der Anwesenheit irgendwelchen
Hohlraumes konnte ich mich nicht überzeugen; im Gegenteil, auf
den Präparaten nach Cajals Methode, sieht man die konzentrische
Schichtung deutlich nur an der Peripherie des Körperchens, während
die Mitte desselben, mit den nervösen Endverzweigungen angefüllt,
keine Schichtung aufweist, sondern aus einer dichten, scheinbar struk-
turlosen Masse besteht, die dunkelgelb gefärbt ist. Dieselbe centrale
Masse färbt sich mitunter leicht mit Methylenblau, jedenfalls so wenig
intensiv, daß die nervösen Verästelungen immer sehr scharf hervor-
treten. Jene Masse für ein Gerinnsel irgendwelcher Flüssigkeit in dem
vorhandenen Raum zu halten habe ich keine Veranlassung, da die Masse
allmählich in die geschichtete oberflächliche Laoe übergeht und kein
körniges Aussehen zeigt. Es ist vielleicht am geeignetsten sie für die
u/ngewandelte Partie der Hülle selber zu halten, aber die Umwand-
lung näher zu bestimmen, hatte ich bisher noch keine Möglichkeit.
Die geschichtete Lage der Hülle entspricht der Kapsel des End-
kolbens auch in der Beziehuno;, daß die Zellen hier sehr selten und nur
Die Nervenendigungen an den Sinushaarcn des Rindes. 365
überfiäclilicli vorhanden sind; in der centralen Masse gibt es keine
Zellen mehr.
An das Körperchen treten meistens zwei Nervenfasern, seltener
eine; sie sind markhaltig, verlieren aber die Markscheide nicht^weit
vom Körperchen. Sie treten manchmal an den oberen Pol des Körper-
chens, so daß letzteres wie eine Beere auf der Nervenfaser hängt; wenn
zwei Fasern vorkommen, scheinen sie keine Aste derselben Faser zu
sein, bewahren aber ihre Selbständigkeit, solange es möglich ist, sie zu
verfolgen.
Die marklos gewordenen Fasern verjüngen sich und dringen in
das Gewebe des Körperchens ein und verästeln sich; dann verflechten
sich die Aste schlingenförmig miteinander und füllen den ganzen Um-
fang des Körperchens mit Verzweigungen, die mit plättchenförmigen
Verdickungen versehen sind. An den Enden der Astchen bilden sich,
soviel es zu sehen möglich war, wieder die terminalen Verbreiterungen.
Im Gewirr der Verzweigungen, die dicht aneinander liegen, ist es recht
schwer zu entscheiden, ob die Ästchen und Plättchen beider Fasern
miteinander in Verbindung treten. Meistenteils stehen die Plättchen
in dem Körperchen senkrecht zu der Längsachse des Körperchens, also
parallel der Oberfläche der Schnauze, man trifft übrigens auch jede
mögliche Kichtuns;.
Entsprechende Körperchen mit plättchenförmigen Verbreiterun-
gen finden sich immer oberhalb des unteren Nervenringes, sie erreichen
aber niemals die Höhe der Wurzelscheidenanschwellung. Ihre Zahl
ist sehr gering, man trifft nicht mehr als ein solches Körperchen
auf dem Längsschnitt des Balges. In sehr auffallender Weise lagern
sie manchmal mit dem Endkolben zusammen an derselben Stelle, so
daß Körperchen und Kolben sich mit ihren Flächen berühren und
dabei mit ihren Längsachsen ziemlich parallel gerichtet sind. In diesem
Fall äußert sich die Ähnlichkeit der geschichteten Lage des Körperchens
und der Kapseln des Kolbens vorzüglich, dabei bietet sich die Gelegen-
heit zu bemerken, daß die centrale Masse des Körperchens ganz anders
aussieht, als der innere Raum des Endkolbens.
Wenn die Körperchen mit plättchenförmigen Endigungen in der
Haut der Fingerkuppe des Menschen wirklich einen Hohlraum besitzen,
dazu noch ihre Hülle ungeschichtet ist, so muß ich die von mir aufgefun-
denen Körperchen mit sehr ähnlichen Nervenendverzweigungen immer-
hin für eine selbständige und neue Form der Nervenendapparate halten,
die für das Sinushaar des Rindes specif isch ist. Ihre Lage in der inneren
Balglamelle und die Beziehungen zu dem basophilen Bindegewebe
366 D. Tretjakoff,
wiederholen das, was über die Endkolben gesagt wurde. Wegen ihrer
Seltenheit konnte ich ihre Hülle mit andern Methoden nicht untersuchen.
Die eingekapselten Körperchen mit den plättchenförmigen Ver-
breiterungen bilden sich also in der inneren Balglamelle des Sinus-
haares des Rindes aus zwei Bestandteilen — einer Hülle und einer
nervösen Endverzweigung. Die Hülle besteht aus einer nicht näher
bestimmten Masse, die nach außen in das System der konzentrischen
Lamellen nach der Art der Endkolben übergeht; die nervöse End-
verzweigung besteht aus einem Geflecht der marklosen Ästchen, die
plättchenförmige Verbreiterungen tragen.
Ich möchte hier noch von den Endkolben erwähnen, die in den
Schaltapparaten eingeschlossen sind und von den Endkolben, die über-
haupt in den Nervenstämmchen innerhalb des Balges vorkommen
und keine Enden, sondern nur Collaterale der Fasern darstellen, um
zu zeigen, daß im großen und ganzen die Menge der eingekapselten
Körperchen oder Apparate im Sinushaar des Rindes sehr beträchtlich
ist. Ich muß dabei hinzufügen, daß überhaupt bisher das Vorhanden-
sein der eingekapselten Apparate im Balge des Sinushaares von nie-
mandem bemerkt worden ist, und in dieser Beziehung bietet das Sinus-
haar des Rindes neue Data für die Charakteristik der Sinushaare als
Tastapparate. Dieses Vorhandensein von eingekapselten Apparaten
steht wohl in keiner Beziehung zu dem massenhaften Vorkommen
derselben in der Schnauze unter den Cutispapillen, da sie beim Schwein
auch unter den Cutispapillen in großer Zahl vorhanden sind; in den
Bälgen der Sinushaare des Schweines hatte ich sie niemals getroffen,
über die Kombinationen der Endkolben mit den Endigungen an den
Balken des cavernösen Gewebes siehe unten.
Die palisadenförmigen Endigungen sensibler Endplatten.
Nach meinen Beobachtungen stellen die geraden Nervenfaser-
endigungen am Hals der äußeren Wurzelscheide keinen so einheitlichen
Zaun bzw. Palisade, wie es von den Sinushaaren andrer Tiere be-
kannt ist, dar. Ranviers Beschreibung und Bezeichnung (34) der
geraden Faserenden in der Palisade als »terminaisons en forme de
spatule« gibt die Besonderheiten dieser Bildungen beim Rind nicht
wieder, weshalb ich es für angemessen halte, hier eine detaillierte
Beschreibung davon zu liefern, wobei ich sie lieber als sensible End-
platten bezeichnen möchte.
Wie schon früher in meiner Mitteilung gesagt wurde, haben die
geraden Fasern, die die sensiblen Endplatten im Gebiete des Halses
\
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 3G7
lind der Auschwellmig der äußeren Wurzelscheide bilden, beim Rind
den Ursprung aus den aufsteigenden Bündeln, die vom unteren Nerven-
ring entstehen, oder aus den Fasern, die unterhalb der Talgdrüsen in
die obere Hälfte des Balges hineintreten, oder aus den Fasern des
mittleren Gebietes. Die Bildung der sensiblen Endplatten beginnt
schon unterhalb der Wurzelscheidenanschwellung, was ich übrigens
auch beim Schwein bemerkt hatte. Beim Rind finde ich hier die ein-
fachsten Formen der sensiblen Platten, die sich jedoch von den Blätt-
chen der baumförmigen Endigung immer gut unterscheiden lassen.
Die reichste und höchste Ausbildung zeigen die sensiblen End-
platten an der Grenze zwischen der Wurzelscheidenanschwellung und
dem Hals der Haarscheide, aber sie sind auch höher zu finden, in den
Grenzen des konischen Körpers bis zur Talgdrüse. Ich möchte sie des-
halb als specifische Endigungen des konischen Körpers betrachten, da
sie erst hier in der Form erscheinen, die eine ziemlich große Variations-
breite zeigen. Um diese Variationen in geeigneter Weise zu beurteilen,
muß man die betreffenden literarischen Angaben anführen.
Ranvier hat sie als » terminaisons en spatule« bezeichnet und
war damit fertig. Nach ihm hat Ostroumow-Arnstein (1) diese Art
der Endigungen unter dem Namen der geraden Terminalfasern be-
schrieben. Dieselben umgeben nach seiner Beschreibung den Hals der
Haartasche und endigen abgeflacht, ungefähr in einem Niveau, löffei-
förmig oder keulenförmig. Sie sind nach der Meinung des Verfassers
den freien Nervenendigungen der sinuslosen Haare homolog. Weitere
Arbeiten berücksichtigten wenig diese Endigungen, wahrscheinlich
deshalb, weil sie bei den meisten Tieren sehr einförmig aussehen. Beim
Rind ist das nicht der Fall.
Die Variabilität spricht sich schon in den einfachsten Formen,
die unterhalb der Wurzelscheidenanschwellung auftreten, aus. Gewöhn-
lich verliert die aufsteigende marldialtige Faser, die der Glashaut nahe
liegt, ihre Markscheide und schwillt i^leichsam in die ovale oder zungen-
förmige Platte an, die sich der Glashaut eng anschmiegt. Die Platten
sind hier ganzrandig, einfach, ihre Breite überragt den Durchmesser
des Achsencylinders, auf dem sie sich herausbilden, nicht mehr als
zehnmal. Ähnliche Platten treten keinesfalls gruppenweise auf, sondern
immer einzeln, auf verschiedenen Höhen, meistens an den Stellen, wo
die baumförmigen Endigungen fehlen.
An der AYurzelscheidenanschwellung finden sich solche einfache
Formen nur selten. Ihre Stelle nehmen Endplatten von komplizier-
terer Gestalt ein.
368 D- Tretjakoff,
Sternförmige Endplatten (Fig. 18, Taf . XVII) und alle Übergangs-
stadien zu ihnen von den ganzrandigen rundlichen Endplatten bilden
sich terminal oder präterminal, im letzteren Fall aber immer so, daß
die Platte unmittelbar auf der nicht verästelten Faser sitzt. Die auf-
fallendste Form sieht man auf der Fig. 18, Taf. XVII, wo die termi-
nale Endplatte mit feinsten Fortsätzen versehen ist; diese Fortsätze
haben teilweise die Gestalt von spitzigen Dornen, teilweise sind sie
fadenförmig, lang und geknickt, einige verästeln oder verbreitern sich,
sekundäre Astchen oder Plättchen bildend.
Die geraden markhaltigen Fasern, die sternförmige Platten tragen,
verlieren ihre Markscheide noch unterhalb der Wurzelscheidenanschwel-
lung und verlaufen weiter als nackte Achsency linder. Doch sind auch
Ausnahmen möglich, manchmal erhält sich die Markscheide dicht bis
zu der Endplatte.
Hängende Endplatten (Fig. 20, Taf. XVII) kommen dadurch zu-
stande, daß die marklose Partie der Faser sich knickt und nach unten
umbiegt, immer unter scharfem Winkel. Die hängende Endplatte
ist gewöhnlich ausgezogen und nicht selten ebenfalls, wie sternförmige
Platten, mit feinen Fortsätzen versehen. Auf der Fig. 20 ist der Fall
gezeichnet, wo die meisten Fortsätze knopfförmig an ihrem Ende ver-
dickt sind. Dabei sei auf Ungleichheit der markhaltigen Segmente die
Aufmerksamkeit gerichtet.
Endlamellen (Fig. 28, Taf. XVII) stellen die langen und maxi-
mal abgeplatteten Endplatten vor, die sich wieder auf dem langen
feinen marklosen Endstück der Faser bilden. Sie haben sehr selten
einen glatten Rand, meistens sind sie gezackt, ausgeschnitten usw.
Auf den Methylenblaupräparaten sieht man in ihnen selten die fibrilläre
Struktur, da sie mit intensiv färbbaren Microsomen angefüllt werden.
Die Dicke der Lamellen ist nicht überall gleich, meistens sind sie in
der Mittellinie verdickt, färben hier sich also dunkler als an den
Rändern.
Keulenförmige Endigungen der geraden Terminalfasern sind
allseitig verdickt, deshalb paßt für sie die Bezeichnung »die End-
platte << nur schlechtweg. Sie sind (Fig. 19, Taf . XVII) auch mannig-
faltig gestaltet, indem sie sich umbiegen oder im Verlaufe des mark-
losen Endstückes der geraden Faser mit Schaltverdickungen oder
Schaltplatten versehen sein können. Sie ähneln manchmal ganz auf-
fallend den Endigungen an den typischen Endkolben, aber bei aller
Mühe konnte ich an ihnen die lamellösen Kapseln nicht feststellen.
Manchmal sind ihre Konturen ganz glatt, in andern Fällen sind
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 3G9
sie mit feinsten Dörnchen und Höckerchen versehen, wenn auch
diese Unebenheiten lange nicht die Größe der beschriebenen Rand-
fädchen der Endplatten erreichen. Die keulenförmigen Endigungen
zeigen in der Endverdickung keine fibrilläre Struktur- nach der Behand-
lung mit Methylenblau, werden aber dicht von sich stark färbenden
Körnchen angefüllt. Wenn man die beschriebenen Formen der End-
platten und Endkeulen nach dem Verfahren von Cajal untersucht,
so bekommt man keine Ahnung von den Randdornen und Randfädchen,
wie es auch aus der Arbeit von Tello (45) ersichtlich ist. Soweit ich
die Angaben von Tello nachgeprüft habe, finde ich nach der Behand-
lung des frischen Objekts mit Silber, oder nach der Vorbehandlung
mit ammoniakalischem Alkohol, den fibrillären Bau immer gut aus-
geprägt; die Fibrillen bilden das Bündel, welches nur entsprechend
den gröberen Biegungen der Endplatte sich knickt, aber keine frei-
endigenden Fibrillen oder Fibrillennetzchen, die in die Randfädchen
eintreten könnten, abgibt. Ich halte die Randfädchen und Randdornen
für rein neuroplasmatische Bildungen, die also keine Neurofibrillen in
sich enthalten, wenn auch ihre Dicke derjenigen einer feinsten Fibrille
entsprechen kann. Da diese Erscheinung von mir gewissenhaft nach-
geprüft wurde und mit der Beschreibung von Tello im guten Einklang
steht, halte ich dies Verhältnis für sehr wichtig, da es zeigt, daß die
Oberflächenvergrößerung, die sicher in unmittelbarer Beziehung zu der
Perception der Reize sich gestaltet, hier ohne Beteiligung von Neuro-
fibrillen vorkommt.
Ein andres Merkmal ist allen oben genannten Formen der End-
platten gemeinsam, das ist nämlich die Anhäufung der stark färb-
baren Microsomen. Da die Erforschung der fibrillären Struktur in
letzter Zeit allein herrschend war, wurden die neuroplasmatischen
Bestandteile nur wenig berücksichtigt; deswegen sind nur zufällige
Angaben über die Gesamtstruktur der Nervenendigungen, aber keine
systematischen Untersuchungen gemacht. Dazu, kommt noch, daß
die prachtvollen Bilder der Nervenendigungen, die die Methylenblau-
methode liefert, meistens nur topographisch-anatomisch, aber nicht
cytologisch verwertet werden; man versucht nämlich selten, die fei-
nere Struktur der nervösen Endausbreitungen mit unsern übrigen
Kenntnissen von plasmatischen Strukturen in Verbindung zu bringen.
Wenn man aber bei vitaler Färbung diese oder jene nervöse Bildung
vom ersten Moment des Auftretens der Färbung verfolgt, bekommt man
die feste Überzeugung, daß die Methylenblaumethode ein volleres Bild
der Bestandteile der nervösen Endausbreitung als jede andre Methode
370 "D- Tretjakoff,
wiedergibt. Ich will zwar in keiner Weise die Wichtigkeit der Fest-
stellung des fibrillären Baues der Nervenendigungen unterschätzen,
möchte aber vor der Einseitigkeit künftiger Untersuchungen warnen,
wenn man die Neurofibrillen nur allein für einen der Untersuchung
werten Bestandteil der nervösen Ausbreitung hält.
Ich fand die färbbaren (also basophilen) Microsomen im Neuro-
plasma der sensiblen Endplatten und in den centralen Fasern der
Endkolben, desgleichen auch in den Blättchen der baumförmigen
Endigungen immer, wenn die Blättchen oder Plättchen eine beträcht-
lichere Größe erreichten. Aus diesem Grunde kann ich, die Bedingungen
ihres Vorkommens verallgemeinernd, sagen, daß die basophilen Micro-
somen sich konstant in der nervösen Endausbreitung befinden, wo das
Neuroplasma größere Anhäufungen zeigt; sie sind da meistens so
kolossal entwickelt, daß der fibrilläre Bau von ihnen vollständig
maskiert wird. Ich kann noch hinzufügen, daß man auf Silber-
präparaten, besonders nach der unmittelbaren Behandlung des frischen
Gewebes mit Silber (erste Methode von Cajal), die Endplatten und
die Centralfaser in den Endkolben auch mit dunklen Körnchen an-
gefüllt findet, so daß die fibrilläre Struktur von ihnen maskiert wird,
wenn sie auch unten in der Nervenfaser selber recht deutlich zu sehen
war. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die genannten Microsomen einen
konstanten Bestandteil der Endigungen bilden, welche aus breiteren
neuroplasmareichen Plättchen oder Anschwellungen bestehen.
Beim Mangel diesbezüglicher Beobachtungen in der Literatur
können die oben stehenden Erörterungen höchstens nur für die Auf-
gaben künftiger Zeit gelten. Ich möchte jedoch gleich bemerken,
daß in den Zeichnungen von Prof. Dogiel, die, soviel ich weiß, höchst
naturgetreu sind, die stark färbbaren Körnchen immer da in den
Endigungen in der Hand der Fingerkuppe des Menschen (11) zu
treffen sind, wo die Endigung mit breiteren Endplatten versehen ist.
So bewahrt das Vorhandensein der Körnchen ein besonders charakte-
ristisches Aussehen dem eingekapselten Körperchen mit blattförmigen
Nervenendigungen (Fig. 11, 12, Taf. VI). Sie werden auch vom Ver-
fasser in den Verbreiterungen des zusammengesetzten MEissNERschen
Körperchens (Fig. 17, Taf. VII) abgebildet.
Ich kehre zu den Formen der Endplatten zurück und werde die
sich verzweigenden Endplatten als den Ausgangspunkt weiterer Vari-
anten in Betracht ziehen; dabei verstehe ich unter den sich ver-
zweigenden Endplatten die Teilung der schon ausgebildeten, erweiterten
Endplatten, keine Verzweigung der feinen marklosen Faserstücke, der
Die Nervenendigungen an den Siniishaaren des Rindes. 371
die Endplatte aufsitzt. Letzterer Fall kommt auch vor, <2;ibt aber wenig
charakteristische Bilder, die den oben angegebenen Formen sich an-
schließen. Wenn aber die eigentliche Endplatte sich teilt, entstehen
Endigungen, die von niemandem bisher beschrieben oder gesehen
wurden. Das Vorkommen solcher geteilter Endplatten, ein Beispiel
davon gibt die Fig. 29, Taf . XVIII, ist auf das Gebiet der Wurzel-
scheidenanschwellung beschränkt, oben im konischen Körper habe ich
sie nicht bemerkt. Außer der Teilung bieten solche Endplatten alle
Merkmale, die ich oben geschildert habe.
Sie können auch ein eigentümlicheres Aussehen erreichen, wie es
die Fig. 24, Taf. XVIII, zeigt. Die nach dem Verlust der Markscheide
dünn gewordene Nervenfaser verbreitert sich bandartig und nimmt
deutlich fibrilläre Struktur an, da die in ihr eingeschlossenen Neuro-
fibrillen auseinander weichen und weiter parallel verlaufen. Die band-
artige Faser teilt sich in drei Äste an zwei Stellen ihres Verlaufes; zwei
obere Aste endigen in Gestalt von knäuelförmigen Anschwellungen,
die prall mit stark färbbaren Microsomen gefüllt werden, weswegen
ihre Neurofibrillen der weiteren Verfolgung sich entziehen. Der
untere Ast biegt sich nach unten, liefert kleine Nebenäste und bewahrt
die fibrilläre Strichelung auf längerer Strecke, sogar noch in der prä-
terminalen Anschwellung, nicht aber in dem intensiv gefärbten Ende.
Die ganze Endigung ähnelt sehr der Endigung im Endkolben, hat aber
keine Hülle, gehört also zu den übrigen Formen der Endplatten.
Es finden sich noch an der Wurzelscheidenanschwellung ver-
zweigte Endplatten, die bei andrer topographischer Lage entschieden
den gewöhnlichen 2,ut bekannten, nach den zahlreichen Unter-
suchungen, baumförniigen Endigungen zugezählt werden sollten. Hier
am Sinushaar des Rindes, an der Hand der von mir beobachteten
Übergangsformen, dürfen sie nur als maximal verzweigte sensible
Endplatten, die palisadenförmige Endigungen andrer Forscher, be-
trachtet werden (Fig. 25, Taf. XVIII).
Die markhaltige Faser, die mit der maximal verzweigten End-
platte endigt, gehört dem System der aufsteigenden geraden Fasern
an, erhält aber gewöhnlich ihre Markscheide im größeren Grade als
in vorigen Fällen. An der Wurzelscheidenanschwellung angekommen,
verliert die Faser ihre Markscheide und gleich darauf verzweigt sie
sich in eine beschränkte Anzahl von feinen, sich vorwiegend senkrecht
verbreitenden Ästen, die mit kleinen Anschwellungen und Plättchen
besetzt sind. So bildet sich eine Endverzweigung, die sehr der baum-
förmigen Endigung an den Balken des cavernösen Gewebes im
372 r>- Tretjakoff,
Simisraiim ähnlich ist (siehe unten). Der Unterschied äußert sich haupt-
sächHch in der gleichen Richtung der Endzweige und in der Tendenz,
auf den Enden der aufsteigenden Aste größere Endverbreitungen zu
bilden.
Alle die beschriebenen Formen der sensiblen Endplatten treten
auch über der Wurzelscheidenanschwellung im Gewebe des konischen
Körpers auf, und teilweise entwickeln sie sich hier in neue Varianten,
teilweise wiederholen sie die Formen, die wir an der Wurzelscheiden-
anschwellung gesehen hatten (Fig. 1, 23, Taf. XVII). In dieser Be-
ziehung zeigen die Haare weitgehende Differenzen, die keine Regel-
mäßigkeit bieten. In gleichem Grade bilden die Endplatten im koni-
schen Körper keine ununterbrochene Palisade, sondern stehen hier
und da, in nicht großer Zahl, in der Reihe der Endplatten an der
Wurzelscheidenanschwellung. Die einzelnen Endplatten reichen bis
an die Talgdrüsenkörper und endigen dicht unterhalb derselben, immer
in dem basophilen Bindegewebe bleibend, andre liegen auf verschie-
denen Höhen im Raum, zwischen den Talgdrüsen und der Haar-
scheidenanschwellung, manchmal, wie auf der Fig. 29, Taf. XVIII,
eine ununterbrochene Längsreihe bildend.
Ich muß noch die Verschiedenheiten des Abstandes vom Haar,
die die Endplatten im konischen Körper aufweisen, erwähnen. Während
in der mehr oder weniger vollständigen Palisade an der Wurzelscheiden-
anschwellung alle Endplatten ungefähr im gleichen Abstand von der
Glashaut bzw. von der Wurzelscheide selber oder der Haarachse stehen,
ist das im konischen Körper nicht der Fall, die meisten behalten ihren
Abstand von der Achse des Haares, andre nähern sich ihr, oder öfters
noch neigen sie sich weiter nach außen, so daß sie in der äußersten
Schicht des konischen Körpers liegen.
Selten aber kommen sie nach innen von den Talgdrüsen zu liegen;
wenn die Endplatten unmittelbar unter den Talgdrüsen zu sehen sind,
liegen sie meistens unter dem untersten Pol der Drüse oder ein wenig
nach außen von ihm.
Die Endplatten im konischen Körper kombinieren sich manchmal
miteinander, verwickelte Gruppen zusammenstellend. Ein Beispiel
von solchen verwickelten Gruppen liefert die Fig. 26, Taf. XVIII, wo
die Endigungen in eigentümlicher Weise sich verflechten und an
den Enden Plättchen oder keulenförmige Anschwellungen tragen.
Einige Fasern der Gruppe endigen mit den aufsteigenden marklosen
Terminalfasern, andre verlaufen nach dem Verlust der Markscheide
erst nach oben und biesen sich darauf nach unten, um mit ihren
Die Xervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 373
verbreiterten oder angeschwollenen Enden ungefähr in einer Höhe mit
ersteren zu endigen. Dabei sind die Fasern in ihrer marklosen Partie
mit Knickungen versehen, die den Knickungen an dem Achsen-
cylinder in den Schaltapparaten nicht unähnlich sind. Man findet
mitunter in den genannten Gruppen, daß die Endplatte nur den Zweig
der Faser darstellt, die letztere aber verläuft weiter nach oben zu dem
subpapillären Geflecht, wo ihr Schicksal nicht bestimmt werden konnte.
Es fehlt auch hier nicht an den verschiedenartig verzweigten
Formen der Endplatten. Eine derartige Form wird auf der Fig. 17,
Taf. XVIII, abgebildet. Die markhaltige Faser verliert hier ihre Mark-
scheide schon oberhalb der Wurzelscheidenanschwellung und teilt sich
sogleich in den ab- und aufsteigenden Ast. Der absteigende Ast teilt
sich wieder in zwei keulenförmige Endäste, die ungefähr in der Höhe
der Wurzelscheidenanschwellung liegen und also der Palisade zugehören.
Der aufsteigende Ast reicht bis an die Talgdrüsen, unterhalb welcher
er sich in keulenförmige Endäste teilt, die einen Knäuel bilden, indem
sie sich schlingenartig umbiegen und verflechten.
In andern Fällen tritt die plattenförmige End Verbreiterung deut-
lich auch in den verzweigten Fasern hervor (Fig. 27, Taf. XVIII). Die
betreffenden Nervenfasern verlieren gewöhnlich ihre Markscheide erst
hoch im konischen Körper, die marklosen Fasern, die nicht gleichmäßig
dick sind, teilen sich, und ihre Endverzweigungen tragen Platten,
die zusammen eine wohl abgegrenzte Gruppe bilden. In dem auf der
Fig. 27 abgebildeten Fall gesellt sich zu der Verzweigung mit den
Endplatten noch eine einzige Platte von der zweiten Faser, die An-
sehnlichkeit der Gruppe vergrößernd.
Schließlich muß man noch Fasern berücksichtigen, die mit den
andern nach oben von der Wurzelscheidenanschwellung aufsteigen,
sich dann im konischen Körper umbiegen (Fig. 29, Taf. XVIII) und
sich wieder nach unten begeben, wo sie in der Palisade mit einer End-
platte endigen.
Nach dem oben Gesagten wird es klar, daß die Bezeichnung »sen-
sible Endplatte << sehr wenig die Formen dazu gehöriger Endigungen
umfaßt und höchstens nur ihrem typischen Aussehen entsprechen kann.
Wenn wir die fein verästelte Form (Fig. 25, Taf. XVIII) als eine Über-
gangsstufe zu den Endbäumchen betrachten wollen, dann reiht sich
die ganze Menge von den Varianten der Endplatten den baumförmigen
Endigungen an und vergrößert dadurch bis zur Unendlichkeit das
Variationsvermögen der letzteren. Nach meiner Meinung aber bedeutet
diese Mannigfaltigkeit nicht im mindesten die Wertlosigkeit der
374 D- Tretjakoff,
Gestaltung der einzelnen Formen, sondern entspricht nur den höchst
verwickelten Prozessen der Perception der Eeize.
In den Beziehungen zum Bindegewebe verhalten sich alle Formen
der Endplatten gleich. Sie entbehren jeder gesonderten Hülle und
liegen unmittelbar im Bindegewebe, und zwar im ausgesprochen baso-
philen Bindegewebe, in der basophilen Kittsubstanz. Von dieser
Seite stehen sie den baumförmigen Endigungen sehr nahe. Besonders
deutlich äußern sich die Beziehungen des Bindegewebes zu den End-
platten im konischen Körper, da in demselben die basophile Kitt-
substanz sehr reichlich entwickelt wird und in reiner Form hervortritt.
Wie die Sinuskissen unterhalb der Wurzelscheidenanschwellung, ent-
hält der konische Körper nur spärliche bindegewebige acidophile
und fast keine elastischen Fasern. An der Wurzelscheidenanschwellung
sieht man auch die dünne Schicht der basophilen Kittsubstanz gerade
an der Glashaut, also genau zwischen den Endplatten der Palisade,
die dichtere Lage acidophiler Fasern aber verläuft nach außen von
der basophilen Schicht und strahlt hauptsächhch an der äußeren Ober-
fläche des konischen Körpers aus.
Nach allen berücksichtigten Merkmalen stellen die sensiblen End-
platten, die wir in der inneren Balglamelle der Sinushaare finden, die
nervösen Endverbreitungen dar, die von den gewöhnlichen in allen
möglichen bindegewebigen Bildungen sich durch die strengere Kon-
zentration des Neuroplasmas unterscheiden, der Hauptsache nach
dürfen sie aber nur als die Vorrichtungen betrachtet werden, um die
percipierende Fläche der Nervenendigung zu vergrößern. So schreitet
die Natur durch verschiedene Wege zu demselben Ziel.
Die sensiblen Endplatten verdienen jedenfalls ihren Namen mehr
als die motorischen Endplatten. Sie sind aber nicht ausschließ-
lich an den Haaren zu finden. Dogiel beobachtete plattenförmige
Endigungen in der Hornhaut (10) zwischen den Bündeln der binde-
gewebigen Fasern. Da die Lehre von der »Bedeutung« der verschie-
denen Formen der sensiblen Endigungen subjektiv ausgearbeitet wird,
müssen wir jede morphologische Kleinigkeit als ungemein wichtig
betrachten, wenn sie nur regelmäßig und konstant sich wiederfindet.
In dieser Beziehung gibt die konstante, der Längsachse des Haares
parallele Lagerung der Endplatten an den Sinushaaren und an
den sinuslosen Haaren sicher Gelegenheit die Lösung der Frage zu
bringen, was für ein Zusammenhang zwischen der Druckrichtung und
der Lage der percipierenden Endausbreitungen vorhanden ist. Die
auffallende Eichtung der Endplatten am Sinushaare steht wieder nicht
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 375
isoliert da, in den Sehnen der Augenmuskeln beschrieb nämlich Prof.
A. S. DoGiEL Endverzweigungen, deren Äste das Ende der Muskel-
faser in der Form der Palisade umgeben. Hier, in der Sehne, wie am
Haare, legen sich die Endverbreiterungen längs des Gebildes, die ihnen
die Druckreizung liefert. Diese Regelmäßigkeit scheint mir überhaupt
sehr wichtig und verdient weiterer Forschung.
Da der konische Körper am Sinushaar des Rindes als die Stelle
der Nervenendigungen erscheint, will ich gleich die eigentümliche Ge-
staltung der Wurzelscheiden, die sie im konischen Körper darbieten
und in der Literatur keiner Beachtung genießen, erwähnen.
Die äußere Wurzelscheide im konischen Körper unterhalb der Talg-
drüsen wird mit einem Fortsatz versehen, der auf den Längsschnitten
wie eine rudimentäre Talgdrüse aussieht. Die eingehendere Unter-
suchung belehrte mich, daß hier die äußere Wurzelscheide einen schirm-
artigen Vorsprung bildet, der aber keinem vollen Kreise, wohl aber
drei Vierteln desselben und weniger entspricht. Dieser Vorsprung
(Fig. 1 Seh, Taf. XV) besteht aus Zellen, die von den übrigen Zel-
len der äußeren Wurzelscheide durch nichts sich unterscheiden. Es
kann auch keine Rede von supplementären Talgdrüsen sein, höch-
stens ist es eine supplementäre Vergrößerung der Oberfläche, die
die Druckoscillationen dem umgebenden Bindegewebe und den in
ihm befindlichen Nervenendigungen zu übergeben bestimmt ist. Zudem
können wir solche Übergabe von Oscillationen des äußeren Druckes
auch den straffen Talgdrüsen nicht absprechen, sonst wird die Be-
strebung der Nervenendigungen im konischen Körper, sich an die
Talgdrüsen anzuschließen, unverständlich. Unterhalb der Wurzel-
scheidenanschwellung hat die innere Wurzelscheide kein gewöhnliches
Aussehen. Sie hebt sich hier vom Haarschaft ab und legt sich in
circuläre Falten, die manchmal sehr tief in die Dicke der gesamten
Wurzelscheide eingreifen. Da die innere Wurzelscheide hier vollständig
keratinisiert wird, läßt ihre Faltung vermuten, daß sie an dieser Stelle
stark federt, und daß dadurch das Haar ungemein empfindlich (im
physikalischen Sinne) für Druck erscheint. Sehr beachtenswert dabei
ist, daß die feder artige Faltung der inneren Scheide genau der Wurzel-
scheidenanschwellung entspricht, also der Stelle mit dem höchst ent-
wickelten Perceptionsapparat.
Etwas ähnliches wurde bisher an keinem Sinushaar beobachtet,
was selbstverständlich zugunsten meiner schon früher gemachten Auf-
stellung spricht, daß das Sinushaar des Rindes die differenzierteste Bil-
dung dieser Art ist. Doch will ich nun in der vorliegenden Mitteilung
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 25
376 D- Tretjakoff,
die letztgenannten Vorrichtungen keiner weiteren Analyse unterwerfen,
da ich ähnliche Vorrichtungen, vielleicht in mehr rudimentärer Form,
bei andern Tieren bald zu finden hoffe. Ihre etwaigen Beziehungen
zu der receptorischen Funktion des Sinushaares können überhaupt
nur durch vergleichende Untersuchung festgestellt werden, da meine
Voraussetzungen sicherlich nur »bloße Vermutungen« sind.
Da die betreffenden Bildungen sehr konstant erscheinen, müssen
wir jedenfalls die Arbeitshypothese über ihre mögliche Bedeutung
schon jetzt schaffen.
Die Nervenendigung in der äußeren "Wurzelscheide.
Meine Beobachtungen über die Nervenendigungen in der äußeren
Wurzelscheide des Sinushaares des Rindes schließen sich eng an die
Tatsachen an, die ich in meiner Arbeit über die Sinushaare des Schweines
mitgeteilt habe und die ich hier kurz rekapitulieren möchte, da ich
damals manche Kontroverse von andern Verfassern versöhnen konnte.
In der äußeren Wurzelscheide des Haares des Schweines haben
die Tastscheiben das Aussehen von sternförmigen, in tangentialer
Richtung ausgezogenen Plättchen, welche mit ihrer konkaven Fläche
schräg zum Haar und nach unten gerichtet sind. Jede Scheibe bedeckt
eine ellipsoidische schwach körnige Zelle, wobei der Zellkern in der
Seitenansicht als ein dünner, in der Mitte eingeschnürter Streifen er-
scheint. Die zur Bildung der Tastscheiben bestimmten Nervenfasern
durchbohren die Glashaut nur an einer Stelle und verzv/eigen sich im
Epithel. Manchmal bilden sich die Tastscheiben an dem Seitenast der
Faser, die weiter längs der Oberfläche der Wurzelscheidenanschwellung
nach oben zieht und die Endplatte, die der Palisade gehört, liefert.
Die intraepithelialen Nerven von Ksjunin oder die intraepithelialen
Netzchen um die Tastkörperchen in der äußeren Wurzelscheide zu
färben gelang mir nicht. Wohl aber fand ich intraepitheliale Nerven-
endigungen in der Form feiner varicöser Fädchen in der äußeren Wurzel-
scheide oberhalb der Talgdrüsen, wo ich auch die MERKELschen Körper-
chen feststellen konnte. Tello (45) hat in den Tastscheiben an den
Sinushaaren Netze von Neurofibrillen gefärbt.
Im Vergleich mit dem Schwein finde ich beim Rind manche Be-
sonderheiten, die MERKELschen Körperchen im Gebiet oberhalb der
Wurzelscheidenanschwellung kommen hier nicht mehr vor. Die Tast-
scheiben liegen wieder schief, aber nicht immer oberhalb der Tastzelle,
manchmal, wie es auch nach dem Verfahren von Cajal leicht bemerkbar
ist, befindet sich die Tastscheibe imterhalb der Zelle.
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 377
Die Nervenfasern, die im Epithel mit Tastscheiben (Fig. 1, 25,
Taf. XV) versehen sind, erscheinen auch beim Rind sehr oft nur als
Seitenzweige der markhaltigen aufsteigenden Fasern, die weiter nach
oben die sensiblen Endplatten an der Wurzelscheidenanschwellung und
im konischen Körper bilden, wie es schon von Ostroumow-Arnstein
beim Schwein gefunden und von mir bestätigt wurde. Das spricht
also für die gleiche funktionelle Bedeutung der sensiblen Endplatten
im konischen Körper oder im allgemeinen in der inneren Balglamelle
und der Tastscheiben, was eigentlich nicht unerwartet ist, da nach
dem Bau die Tastscheiben nichts andres darstellen, als die baumförmiae
Endverzweigung mit plättchenförmigen Verbreiterungen, die aber nicht
im Bindegewebe, sondern im Epithel liegt. Wenn bei den baumförmi-
gen Endigungen im Bindegewebe kein Grund vorhanden ist, um eine
intimere Verbindung der plättchenförmigen Verbreiterung mit der
Tastzelle anzunehmen, glaube ich, daß auch für die Tastscheiben keine
ähnhche Verbindung zulässig ist.
In dieser Beziehung steht die Beobachtung von Dogiel und
WiLLANEN (14), der zufolge in den GRANDRYschen Körperchen die
Fädchen der Tastscheibe in die Tastzelle eindringen sollen, ziemlich
isoliert, obwohl sie angesichts der gesteigerten Kontinuitätslehre hoch-
modern klingt. In den MERKELschen Körperchen konnte Dogiel
derartige Fädchen auch wahrnehmen (11), wenn auch nicht so deut-
lich infolge, wie er sagt, der geringen Größe der Zellen. In einer
späteren Arbeit spricht Dogiel die Vermutung aus, daß die von ihm
und WiLLANEN (14) abgebildeten intracellulären Fädchen vielleicht
einfach die Reihen der mit Methylenblau färbbaren Körnchen darstellen,
da nach dem Verfahren von Ramon y Cajal keine solchen nervösen
Fädchen sichtbar sind (12).
Van der Velde (51) bemüht sich aber wieder die intracelluläre
Endigung der einzelnen Neurofibrillen der Tastscheibe zu beweisen.
Nach seiner Meinung lassen schon die Abbildungen von Geberg und
ScYMONOWicz einen Raum für solche Voraussetzung. Auf eignen
Präparaten, die nach der BiELSCHOWSKYschen Methode hergestellt
wurden, konnte er sehen, daß, obgleich die Tastscheibe einen deut-
lichen Randring zeigte, die Ästchen von ihm, wie es scheint, hier in
das Protoplasma der Zellen gehen, um in demselben wieder Netze zu
bilden. Verfasser empfiehlt jedoch bei der Entscheidung der Frage die
allergrößte Vorsichtigkeit, da die Silberimprägnation keine absolut
elective Methode ist.
Da ich bei der schärfsten Färbung keine solchen Fädchen gesehen
25*
378 D. Tretjakoff,
hatte, halte ich ihr Vorhandensein der Revision wert. In gleicher Weise
finde ich keine Veranlassung die MERKELschen Körperchen und die
Körperchen von Grandry für Bildungen gleicher Abstammung vom
Epithel oder Bindegewebe, wie es von andern zu beweisen versucht
worden ist, zu betrachten. In letzter Zeit glaubt Frl. N. Nowik (31)
die Zugehörigkeit der Tastzellen zu den Epithelzellen dadurch beweisen
zu können, daß, nach ihren Untersuchungen, die in den Bestand der
Tastzellen eingehenden Fibrillen sich mit denselben Farbstoffen tin-
gieren lassen, wie die Fibrillen der Epithelzellen in der Haut, miteinander
durch Intercellularbrücken verbunden werden und den Tastscheiben
nur anliegen. Aber sind denn die bindegewebigen Zellen nicht mit-
einander verbunden? oder zeigen sie keine Fibrillen, die später aus-
gesprochen acidophil sind? oder wie kann das Anliegen der Tastscheibe
zugunsten der epithelialen Natur der Zelle sprechen?
Die Nervenendigung betrachte ich in dem MERKELschen und
GRANDRYschen, so wie auch in jedem andern Apparat als primär, die
Zellen, die Hüllen für sekundär, wie es auch phylogenetisch sich nach-
weisen läßt. Deswegen sehe ich kein Hindernis, daß die Tastzellen,
die der Nervenendigung sicher nur die angepaßte mechanische Vor-
richtung, wie aus der Arbeit von Nowik klar zu schließen ist, liefern,
sich in einem Fall aus den Epithelzellen, im andern aus den Binde-
gewebszellen differenzieren können.
Die mit den Endplatten im Bindegewebe verbundenen Nerven-
fasern, die zur Bildung der Tastscheiben im Sinushaar des Rindes
bestimmt sind, ausschließend, bemerkt man an den übrigen Fasern
manche Erscheinungen, die bisher von niemandem beschrieben sind.
Die Fasern verlieren die Markscheide dicht vor dem Eintritt in die
Glashaut, dabei zeigt sich sehr oft an dem markhaltigen Ende des
Achsencylinders eine Anhäufung von Neuroplasma, so daß die Faser vor
dem letzten Schnürring unter der Markscheide manchmal wie ein
Schaltapparat aussieht, ohne aber das verwickelte Bild des letzteren
zu erreichen. Diese angeschwollene Partie des Achsencylinders zeigt
dabei immer Biegungen so, daß man (Fig. 1, Taf. XV) sie im Ge-
wirr der aufsteigenden Fasern und der Endplatten an der Wurzel-
scheidenanschwellung immer noch gut unterscheiden kann. Andre
Fasern zeigen keine solche Anschwellung, sie teilen sich aber gleich
nach dem Verlust der Markscheide, meistens noch außerhalb oder inner-
halb der Glashaut, in verschiedenartig verbreiterte marklose Aste,
die sich mannigfaltig biegen und knicken und erst darauf in das Epi-
thel eintreten. Hier sind Gruppen von Tastscheiben, die derselben
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 379
Faser angehören, meistens sehr deutlich von Gruppen andrer Fasern
abgetrennt (Fig. 1, 25, Taf. XV), in andern Fällen lagern sich die
Tastscheiben sehr gleichmäßig in der äußeren Wurzelscheide.
Die Beziehungen der Tastscheiben zu den Tastzellen beim Rind
untersuchend, mußte ich der Meinung von Ostroumow-Arnstein recht
geben, daß die Tastzellen nicht immer typisch differenziert werden;
die Tastscheiben liegen oft Zellen an, die sich von den übrigen
Epithelzellen der Reihe durch nichts unterscheiden. Dies spricht auch
zugunsten meiner Auffassung, daß die Gruppe der Tastscheiben der
baumförmigen Endigung entspricht. Wenn wir die Form der Tast-
scheiben genauer untersuchen, finden wir die verschiedensten Grade
ihrer Ausbildung von dem rundlichen Knöpf chen, das nur einen kleinen
Teil der Zellenoberfläche bedeckt, bis zu den stattlichen rundlichen
Menisken, die in der Form eines Kelches die Hälfte der Zelle umgeben.
Die Behauptung von Dogtel (11), daß von den Tastscheiben keine
sekundären intraepithelialen Nervenfädchen entspringen, kann ich
gegen Botezat (3) nur bestätigen, da ich schon in der Arbeit über die
Nervenendigungen der Schnauze des Schweines (47) die früheren dies-
bezüglichen Angaben von Szymonowicz als richtig anerkannt hatte;
SzYMONOWicz aber hat keine freien Endigungen an den Rändern der
Scheiben gesehen (43).
Ein eigentümliches Verhalten zeigen die Tastscheiben im unteren
Gebiet der Wurzelscheidenanschwellung, was ich übrigens bisher nur
beim Rind beobachten konnte. Hier liegen die Tastscheiben nicht
schief, sondern parallel der Oberfläche der Scheide, sie sind an den
Längsschnitten von der Fläche zu sehen, und diese Tastscheiben er-
scheinen in einer Form, die sie scharf von den oben erwähnten
unterscheidet (Fig. 1, 26, Taf. XV; Fig. 22, Taf. XVIII). Sie stellen
hier sternförmige Platten mit spitzen dreieckigen Forsätzen vor,
die voneina^der durch tiefe Einschnitte getrennt werden; dabei ver-
schmelzen die Platten zu längeren zackigen Lamellen, wodurch das
typische Bild der Gruppe der Tastscheiben verloren geht und eine
Endigung entsteht, die der blättchenförmigen Endigung in der inneren
Balglamelle (Form A) nicht unähnlich ist. Die Zwischenfäden, die
den Zusammenhang der Scheiben bewirken, stellen hier nicht mehr
feine glatte Fäserchen vor, wie bei typischen MERKELschen Körperchen,
sondern verdicken sich hier und da in der Form von Körnchen oder
Spindeln. Natürlich zeigen die genannten Scheiben keine strengen
Beziehungen zu Zellen, wenn auch einige von ihnen den typischen
Tastzellen anliegen.
380 !>• Tretjakoff,
Eine entsprechende Umbildung geschieht nicht nur in den Grenzen
der Endverzweigung einer Faser mit allen Tastscheiben. Ich beobachtete
sehr oft, daß in irgendwelcher Gruppe der Tastscheiben dieselben Fasern
der oberen Scheiben die normale Lagerung und Gestalt besitzen, dabei
aber die unteren Scheiben schon im bezeichneten Sinne verändert werden.
Manche Äste derartiger Verzweigungen verlieren vollständig die Gestalt
der Scheiben und bilden sich in einfache varicöse oder mit kleinen
Plättchen und Verdickungen versehene Fädchen aus.
Auch diese Form der Tastscheiben beweist, nach meiner Meinung,
nähere genetische Beziehungen zwischen den Tastscheiben und den
baumförmigen Endigungen im Bindegewebe. Die Tastscheiben möchte
ich als eine baumförmige Endigung betrachten, deren blättchenförmige
Verbreiterungen in den Tastzellen, die von epithelialer Herkunft sind,
mechanisch besonders günstige Vorrichtungen für die Perception der
Reize gefunden hatten. Die Tastzellen stellen aber keinen unent-
behrlichen Teil der scheibenförmigen Endigung dar, und wo die Druck-
oscillationen durch andre Vorrichtungen zu den Tastscheiben gelangen,
können die Tastzellen auch nicht zur Ausbildung gelangen.
Eine andre Beobachtung bezieht sich auf die intraepithelialen
Nervenfädchen in der äußeren Wurzelscheide, diejenigen Fädchen, die ich
beim Schwein nicht zu färben vermag. Sie entstehen aber beim Rind
ganz anders, als es von Ksjunin (20) auf seinen Objekten (Hund) ge-
funden wurde. Beim Rind entspringen die feinen marlchaltigen Nerven-
fasern von dem oberen Nervenring und steigen wieder bündelweise
nach unten ab, um im Gebiete der Wurzelscheidenanschwellung nach
dem Verlust der Markscheide die Glashaut zu durchbohren und im
Epithel in eine Menge varicöser und feiner Endäste zu zerfallen. Es
kommen auch einzelne absteigende Fasern vor, und schließlich stei-
gen auch vom unteren Nervenring im Bestände der hinaufziehenden
Stämmchen feinere markhaltige Nervenfasern, die an die Wurzel-
scheidenanschwellung gleichfalls durch die Glashaut in das Epithel ein-
treten. Alle drei Arten der feineren markhaltigen Fasern teilen sich
vor dem Eintritt in die Glashaut in mehrere Äste, und diese erst verlieren
die Markscheide und durchbohren die Glashaut. Die Feinheit ist das
allgemeine Merkmal der genannten Fasern. Im Epithel der Wurzel-
scheidenanschwellung teilen sich die marklosen Äste wieder und bilden
die feinsten varicösen Endfäden, die erstens in der Schicht der äußer-
sten Zellen die MERKELschen Tastkörperchen eng mit ihren Seitenäst-
chen umflechten, dann tiefer nach innen bis in die innere Wurzelscheide
verlaufen; in letztere treten sie aber nicht ein und endigen an ihrer
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindc.=!. 381
Grenze frei. Die Umflechtung der Tastscheiben samt den Tastzellen
scheint keine dm-eh Verlauf im Stratum cylindricum gezwungene zu
sein, da die MERKELschen Körperchen dichter mit feinsten Äst-
chen bedeckt sind, als die übrigen Zellen. Wahrscheinlich handelt es
sich um die Netze, die aber lieber als Geflechte zu bezeichnen sind,
die von Dogiel und Willanen (14) an den GEANDRYschen Körper-
chen beobachtet, weiter von mir (47), Botezat (3) und Dogiel (U)
an den MERKELschen Körperchen in den Epithelleisten festgestellt
wurden. Im Schweinsrüssel beobachtete ich, daß die varicösen Fäd-
chen das MERKELsche Körperchen mit einem feinen Netzwerk um-
flechten, darauf auf benachbarte Körperchen sich fortsetzen, sie gleich-
falls mit einem ähnlichen Netz bedecken usw. Die Varicositäten,
mit denen diese Fädchen besetzt erscheinen, sind im allgemeinen größer
als die Varicositäten der intraepithelialen Endigungen gewöhnlicher
Alt. Die die genannten Netze bildenden Nervenfädchen stammen
von einer markhaltigen Nervenfaser her. Die einzelnen Gruppen der
Körperchen werden entweder von einer einzelnen markhaltigen Nerven-
faser mit Netzen versorgt oder von mehreren.
Da ich hauptsächlich Flächenschnitte studierte, konnte ich nicht
das weitere Schicksal der Nervenfaser, die das System der Netze
liefert, genauer verfolgen. Dogiel (11) sah die Netzchen an den Tast-
körperchen in der Haut der Fingerkuppe des Menschen, wo sie nach
seiner Beschreibung wie ein Korb das Körperchen umgeben. Nach
der Abbildung zu schließen, schicken die Netzchen keine freien intra-
epithelialen Fädchen aus.
Man darf also annehmen, daß in der Wurzelscheidenanschwellung
des Sinushaares vom Kind die neue Eigenschaft der oberflächlichen
Netzchen bzw. Geflechte der MERKELschen Körperchen sich offenbart.
Die Netzchen gehören hier nach dem oben Gesagten den intraepithe-
lialen Nervenfäden gewöhnlicher Art an, gehören also demselben System
des somatischen Gefühles, wie die gewöhnlichen intraepithelialen
Nerven. Danach wird vielleicht darauf hinzuweisen sein, daß die
in der letzten Zeit von manchen Verfassern, zuerst von Timofeeff,
angegebenen Nervenfasern »zweiter Art« sicher nicht zu den sym-
pathischen zuzuzählen sind. Was die intraepithelialen Endfädchen in
der Wurzelscheide des Sinushaares des Rindes anbelangt, so zeigen sie
alle Merkmale der >>Fasern zweiter Art«; sie entspringen nämlich von
den feineren markhaltigen Fasern und bilden um die MERKELschen
Körperchen die Netze.
Die intraepithelialen Fäden unterhalb der Wurzelscheiden-
382 D- Tretjakoff,
anschwellung konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen, sie färben sich
aber manchmal im Halse der Wurzelscheide und überhaupt in dem
oberen über den Talgdrüsen gelegenen Teil der Wurzelscheide. Die
Quelle bilden wieder die feinen markhaltigen Nervenfasern, die dem
oberen Nervenring gehören, der also hauptsächlich zur Verteilung der
intraepithelialen Nervenfasern bestimmt ist. Ich möchte aber hier
wieder das von mir schon früher Gesagte wiederholen, nämlich, daß
das Schicksal einiger Fasern des oberen Ringes von mir nicht verfolgt
wurde und daß von ihm vielleicht die sympathischen Fasern zu den
Talgdrüsen gehen.
Jedenfalls zeigt hinsichtlich der intraepithelialen Nerven das
Sinushaar des Rindes weitere Differenzierung und reichere Formen-
entfaltung, als es bisher bei andern Tieren beobachtet wurde. Wenn
wir aber die Menge der Nervensubstanz, die zur Bildung der intra-
epithelialen Nerven mit der kolossalen Verschwendung derselben Sub-
stanz in den Schaltapparaten und im Bindegewebe der im Sinus
liegenden Endverzweigungen und Endplatten vergleichen, bekommen
die intraepithelialen Nerven nur eine bescheidene Stelle und erscheinen
eher als Rudiment vom Gesamtbau des Sinushaares bei andern Tieren.
Die Vergrößerung des Tastgefühls, die wir in den Sinushaaren des
Rindes vermuten dürfen, fordert in erster Linie die Entwicklung der
Endverzweigungen im Bindegewebe, was im allgemeinen auch sonst
in den Hautgebilden, wie zum Beispiel in der Fingerkuppe des Menschen,
sich äußert. Was aber die Funktion jeder Variante der Endigungen be-
trifft, können nur künftige vergleichende Untersuchungen beweisen,
unter der Bedingung, die Beziehungen der Endigungen zum Gesamt-
bau des Gebietes nicht aus dem Auge zu lassen.
Die Nervenendigungen an den Sinusbalken und in der
äuEeren Balglamelle.
In der äußeren Balglamelle hat man bisher keine Endigungen
beobachtet. Über die Endigungen an den Sinusbalken machte erst
OsTßOUMOW-ARNSTEiN Mitteilung (1). Leider berichtet der Verfasser
nicht, von welchem Tier er die betreffenden Endigungen abgebildet
hat. Nach meiner Meinung war es das Sinushaar der Katze. Von
den Endigungen selber wird jedenfalls nicht viel berichtet, nur gesagt,
daß sie immer in die Länge ausgezogen werden. Ich meinerseits war
imstande das Vorhandensein von solchen Endigungen an den Balken
des Sinus des Sinushaares beim Schwein festzustellen. Ich behauptete
damals, daß die Nervenendigungen auf den Balken des Venensinus
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 383
sich durchaus nicht von den typischen Endigungen im derben Binde-
gewebe unterscheiden. Dabei war an die Angaben von Iwanoff (19),
die aber ziemlich schematisch dargestellt sind, gedacht. Beim Schwein
bestehen die in der Frage stehenden Endigungen aus einer geringen
Zahl eng aneinander gelagerter, mit Plättchen besetzter Fäden. Aber
ich fand keine so massenhafte Entwicklimg dieser Form der Nerven-
endigungen, wie es nach den xYngaben von Ostroumow-Arnstein bei
der Katze zu erwarten wäre.
Beim Rind treten an den Balken des Sinus selten Endver-
zweigungen auf, die auf den ersten Blick zu den Endbäumchen ge-
hören. Man findet auf dem Längsschnitt nicht mehr als eine solche
Endigung im ganzen Sinuslängsschnitt (Fig. 1, 20, Taf. XV). Von den
baumförmigen Endigungen in der inneren Balglamelle unterscheiden
sich die Endverzweigungen auf den Balken des Sinus (Fig. 5, Taf. XVI)
durch regelmäßig abgerundete Plättchen, die niemals die Größe
der Plättchen der ersten erreichen. Die ganze Verzweigung an dem
Balken erreicht nicht die Dichtigkeit, die wir bei den spindelförmigen
Endigungen in der inneren Balglamelle sehen können. Die Äste der
Verzweigungen verlaufen in allen möglichen Richtungen, sind aber
in keiner Weise den längsverlaufenden bindegewebigen Fasern an-
gepaßt, wenn auch die ganze Endigung wirklich der Form des Balkens
entsprechend etwas ausgedehnt wird. Die Äste sind wohl marklos,
glatt, sehr selten steilen weise spindelförmig angeschwollen. Sie werden
mit kui'zen sekundären Ästchen versehen, die gewöhnlich in der Form
rundlicher Verdickung oder Platte endigen; solche Platten sind übri-
gens auch in den Verlauf der Äste eingeschaltet.
Die zu ihrer Bildung bestimmte markhaltige Nervenfaser kommt
aus dem unteren Nervenring durch die innere Balglamelle. Es kommen
auch Fälle vor, daß eine Nervenfaser in der inneren Balglamelle
in dem Endkolben endigt, während ein andrer Endast von ihr in
den Balken eindringt und hier in der beschriebenen Weise die baum-
förmige Endverzweigung liefert. Die Fig. 5, Taf. XVI, stellt eigentlich
einen solchen Fall vor, aber der Ast zu der inneren Lamelle wurde
wegen Mangel an Raum fortgelassen. Er endigt mit den centralen
Endfasern in den zwei Endkolben, die mit ihren Kuppen nach unten
gerichtet sind. Das Auftreten der Endigungen von ganz heterogenen
Formen in den End Verzweigungen derselben Nervenfasern, wie die
eingekapselten und nicht eingekapselten Endigungen, ist schon von
mehreren Beobachtern beschrieben worden (siehe darüber Ruffini 37).
Soll aber daraus geschlossen werden, daß die Form der Endigung etwas
384 D. Tretjakoff,
Minderwertiges sei? Ich glaube, der bezeichnete Fall weist höch-
stens nur auf die gleiche Bahn, nicht aber auf gleiche Art der Per-
ception der Eeize, da es wohl eine wenig begründete Hypothese ist,
wenn man annimmt, daß jede Nervenfaser nur eine Art von Reizen
leiten soll.
Nach den topographischen Beziehungen können wir, angesichts
der massenhaften Verbreitung der Endkolben in den Stellen mit
dem äußerst feinen Tastgefühl, den Endkolben die unmittelbare Teil-
nahme an der Perception der mechanischen Reize nicht absprechen.
Ob aber in den Balken des Sinus dieses feine Tastgefühl entsteht, ist
zweifelhaft, sonst müßten alle Balken mit ähnlichen Endigungen ver-
sehen werden, was aber nicht der Fall ist. Indirekt, durch die Blut-
flüssigkeit, können wohl auch sie an der gesamten percipierenden
Tätigkeit des Sinushaares teilnehmen, wie wir es von dem folgenden
Vertreter der baumförmigen Endigungen, in der äußeren Balglage,
erwarten dürfen.
Über die Nervenendigungen in der äußeren Balglamelle des Sinus-
haares sind keine Angaben vorhanden. Ich finde aber die äußere
Lamelle des Balges des Sinushaares vom Rind außerordentlich reich
innerviert.
Die Art der Nervenendigungen in der äußeren Balglamelle bietet
wieder etwas verschiedenes von den übrigen, im Balge Hegenden Nerven-
endigungen. Als ein sehr konstantes Merkmal der Endigungen der
äußeren Balglage bemerke ich ihre sehr bestimmte äußere Umgrenzung.
Unabhängig von der Menge der Endäste bildet die Endigung, von der
äußeren Oberfläche der äußeren Balglamelle betrachtet, eine kreisförmige
oder ellipsoidische Figur; dabei lagern sich die Endverzweigungen
streng in den Grenzen der entsprechenden Figur (Fig. 23, Taf. XVIII).
In dem Querschnitt der Lamelle wird eine solche Regelmäßigkeit an
der äußeren oder inneren Grenze bemerkbar (Fig. 1, Taf. XV), aber
die Endigung wird immer vollständig in die Lamelle eingeschlossen,
kein Ast kommt aus dem dichten Bindegewebe an die äußere oder
innere Fläche der Lamelle. Die Endigung nimmt aber nicht die ganze
Dicke der Lamelle in Anspruch, sie liegt meistens näher an der äußeren
Fläche derselben. Ich suchte nach Abänderungen im Bestände oder
der Zusammensetzung der äußeren Balglamelle an den Stellen der
Endigungen, aber umsonst, sie ist überall gleichartig gebaut. Man
hat schon lange ihren Bau mit dem der Sclera verglichen, nach
meinen Kontrolluntersuchungen paßt dieser Vergleich im großen und
ganzen. Sie wird also durch dicht aneinander liegende, in ver-
Die Nervenendigungen an den Öinushaaren des Rindes. 385
schiedenen Richtungen sich miteinander verflechtende Bündel der
acidophilen Fasern mit spärlichen elastischen Fasern gebildet. Die
basophile Kittsubstanz fehlt hier, man sieht auch eigentlich keine be-
merkbaren Spuren von irgendwelcher Kittsubstanz. Der Verlauf der Aste
in der Nervenendigimg entspricht aber in keiner Weise den Richtungen
der bindegewebigen Fasern, erstere gehorchen nur eignen Gesetzen.
Da die äußere Balglamelle jedenfalls sehr dicht und fest ist, muß man
auch in den nervösen Endverzweigungen die Festigkeit des protoplas-
matischen Gerüstes, soviel es vielleicht in den Neurofibrillen sich vor-
stellt (Lenhossek, 1910), wie zum Beispiel in den wandernden Leuco-
cyten, voraussetzen.
Die äußere Lamelle ist gefäßlos, ausschließlich der Stellen, wo
die Arterien oder Nervenstämmchen in sie eintreten. Es ist deswegen
sehr merkwürdig, daß die Nervenendigungen in der äußeren Balg-
lamelle immer in der Nähe der Eintrittsstellen der Nervenstämmchen,
besonders der mit den Schaltapparaten versehenen, gelegen sind ; eigne
Blutgefäße fehlen ihnen aber vollständig.
Die strahligen, bindegewebigen Zellen der äußeren Balglamelle
sind sehr gleichmäßig zwischen den Faserbündeln zerstreut, sie zeigen
auch keine Änderung dieser gleichmäßigen Lagerung an den Stellen
der Nervenendigung. Die letzte steht also in keiner Abhängigkeit
von den geweblichen Bestandteilen der Balglamelle; anders steht die
Sache mit den räumlichen Verhältnissen, die Endigung wird abgeflacht,
entsprechend der Krümmung der Balglamelle und der Fläche nach
geometrisch streng abgegrenzt. Man bekommt den Eindruck, als ob
die Endigung die vom Haar durch die Blutflüssigkeit im Sinusraum
herkommende Welle belauscht.
Die Entstehung der Endigung geschieht in folgender Weise. Im
einfachsten Fall, der z. B. auf der Fig. 23, Taf. XVIII, abgebildet wird:
tritt die dicke markhaltige Nervenfaser in die äußere Balgiage ein,
verliert die Markscheide oder nicht und beginnt sich zu teilen. Zuerst
bilden sich wenige dickere Aste, die aber wieder Markscheide be-
kommen können, nach verschiedenen, meistens entgegengesetzten Rich-
tungen verlaufen und in mehrere sekundäre Aste zerfallen, die ihrer-
seits teils marklos werden, teils ihre Markscheide ununterbrochen bis
zur Endverzweigung oder nur stellenweise behalten. Es entsteht also
ein Knäuel von markhaltigen und marklosen Ästen, der schon die
Form der ganzen Endigung bestimmt. Die markhaltigen und mark-
losen Äste können von einem Pol der Endigung zum andern verlaufen.
Schließlich verlieren alle Äste ihre Markscheide und zerfallen in die
386 D. Tretjakoff,
büschelförmigen varicösen Endästchen, die die Endbäumchen bilden,
deren Bestandteile meistens an der Peripherie bzw. am Kande der
der Fläche nach abgeplatteten Endigung verlaufen, deren Grenze
von ihnen nicht überschritten wird. Die Endbäumchen sind aber
keinenfalls reich entwickelt zu nennen, im Vergleich mit der Menge
der Stammäste scheinen sie sogar spärlich vorhanden zu sein und
färben sich dabei wenig intensiv, so daß der Knäuel besonders scharf
zur Ansicht hervortritt. Ähnliche Verhältnisse bemerkte ich bei den
präterminalen und Knäuelendigungen in der inneren Balglamelle.
Ich möchte aber nicht die Endigungen in der äußeren Balglamelle
mit den präterminalen oder mit den Knäuelendigungen zu einem
Haufen zusammenwerfen, da die komplizierteren Formen der ersteren
wieder ihre Besonderheiten nicht nur in der Gesamtform, sondern
auch im Aussehen der Verzweigungen zeigen.
Kompliziertere Formen entstehen bei der Teilnahme mehrerer
Nervenfasern an der Bildung der Endigung. In diesem Fall ist wieder
bemerkenswerte Harmonie unter den daran beteiligten Fasern zu sehen,
da die Endäste verschiedener Fasern vollkommen einheitliche Endigungs-
formen hervorbringen. Die Teilung in markhaltige und marklose Aste
geschieht wie im vorhergehenden Fall, die Äste verteilen sich wieder in
dem streng umgrenzten Raum so, daß die ganze Endigung eine, der
Fläche der äußeren Balglage nach, abgeplattete rundliche Bildung
darstellt. In gleicher Weise spalten sich endlich die Äste in die mark-
losen, feinen varicösen Endästchen, die aber sehr spärlich, fein und
verstreut an der Peripherie der Bildung sind. Die Größe der ganzen
Bildvmg übertrifft manchmal drei- bis viermal die Größe der vorher-
gehenden Form, erreicht also bis 1,2 mm.
Neu sind in dieser Form der Endigung die Bildungen mid
Knickungen des markhaltigen Achsencylinders, die sehr den Schalt-
apparaten ähnlich sind. Sie entwickeln sich aber nicht an den langen
Strecken, wenn auch einzelne plättchenförmige Verbreiterungen an den
Knickungsstellen jedenfalls sehr ausgesprochen werden. Besonders
merkwürdig und sehr wichtig scheint zu sein, daß an den stärkeren
marklosen Ästen genau die gleichen Knickungen und die plättchen-
förmigen Verbreiterungen sich ausbilden, die aber nicht als die ter-
minalen Bildungen betrachtet werden können, da der betreffende mark-
lose Ast weiter zieht und schließlich sich in die erwähnten varicösen
Endfädchen verzweigt.
Wollen wir diese Form näher analysieren. Hier nämlich werden
die Schaltapparate in eine unzweifelhafte Nervenendigung eingeschlossen,
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 387
stellen also deu integrierenden Teil des Perceptionsapparates vor.
Hier auch entwickeln sich ähnliche neuroplasmatische Umbildungen,
wie wir am x4.chsencylinder des Schaltapparates bemerken, an den
marklosen Asten, stellen also den ebenfalls integrierenden Teil der
Endverzweigung vor. Daneben findet sich noch die Entwicklung
von varicösen Astchen, die in demselben Raum liegen. Alle drei
Strukturerscheinungen stellen zusammen die Endverzweigung dar und
müssen deswegen als die Bestandteile von gleicher perceptorischer Be-
deutung betrachtet werden, da wir keine Veranlassung haben, den
verschiedenen Asten derselben Endigung verschiedene Funktionen
zuzuschreiben. Die Schaltapparate bieten also hier in gleicher Weise,
wie die varicösen Endäste, die notwendige Vergrößerung der Ober-
fläche der nervösen Substanz. Daraus läßt sich schließen, daß den
Schaltapparaten die perceptorische Bedeutung nicht abgesprochen
werden kann, was ich schon früher, bei selbständig vorkommenden
Schaltapparaten vorausgesetzt hatte.
Bei dieser Voraussetzung wird es verständlich, daß die Endigungen
in der äußeren Balglage mit den typisch entwickelten Schaltapparaten
kombiniert werden können, und solche Fälle gehören sogar nicht zu
den seltenen am Sinushaare des Rindes. Sie sind (Fig. 1, 7, Taf. XV)
noch in der Beziehung der Erwähnung wert, als sie präparatorisch am
bequemsten die Gelegenheit bieten, die unterbrochene Weiterverbreitung
der Nervenfaser nach der Bildung des Schaltapparates bis zu der End-
verzweigung zu verfolgen; die Endverzweigungen sind dabei nicht sehr
von dem Schaltapparat entfernt, meistens sogar beginnt gleich nach
dem Schaltapparat die Teilung in Äste der Endverzweigung.
Die Kombination der Endverzweigung und des Schaltapparates
entsteht gewöhnlich an den Bündeln, die von dem Nervenstämmchen,
welches im unteren Gebiet in den Haarbalg eintritt, nach oben ziehen,
dabei aber in der äußeren Balglamelle liegen bleiben und natürlich hier
auch die Endverzweigung eingehen. Das betreffende Bündel entspringt
dem Stämmchen vor dem Eintritt desselben in die äußere Balglamelle
oder schon im Kanal der letzteren ; niemals aber habe ich sehen können,
daß die Nervenfasern aus dem Sinus in die äußere Balglage der Bildung
der End Verzweigung wegen eintreten.
Sonst bekommen die Endverzweigungen in der äußeren Balglage
ihre markhaltigen Nervenfasern in sehr verschiedener Weise. Die
Endigungen im unteren Gebiet des Balges entstehen von den Nerven-
fasern des unteren Nervenringes, indem dieselben erst aus dem Nerven-
rinw in den Eintrittsgang des großen Stämmchens hineingehen und
388 D- Tretjakoff,
hier sich in die äußere Balglamelle absteigend umbiegen. Oberhalb
des Eintrittsganges des großen Nervenstämmchens bekommen die
Endigungen ihre Nervenfasern direkt vom Stämmchen, dieselben trennen
sich vom Stämmchen vor ihrem Eintritt in die äußere Balglage und
begeben sich nach ihrem Ziel außerhalb der Balglage, aber auf ihrer
äußeren Fläxhe. Der Verlauf der Nervenfasern, die erst in der äußeren
Balglage den Schaltapparat liefern und dann die Endverzweigung ein-
gehen, wurde schon vorher beschrieben.
Die Endigungen in der äußeren Balglamelle zeichnen sich also
nach dem oben Gesagten durch das Fehlen jeglicher Hülle aus, durch
die strenge Umgrenzung der Fläche der Lamelle nach und durch die
Teilnahm^e an der Bildung der Endigung bzw. des Geflechtes der mark-
losen varicösen Ästchen einer größeren Menge der markhaltigen Ver-
zweigungen, die dazu noch die mannigfaltigen Knäuelformen darbieten,
weiter die Umbildungen eingehen, die den Schaltapparaten ähnlich
sind und endlich mit den selbständigen Schaltapparaten verbunden
werden. An der Hand dieser Merkmale zeigen sie eine von den übrigen
Endigungen des Balges des Sinushaares des Rindes deutlich unter-
scheidbare Form.
Zusammenfassung.
Die Schaltapparate und die markhaltigen Knäuelbildungen in den
Endverzweigungen der sensiblen Nerven im Balge des Sinushaares
vom Rind sind ohne Zweifel die wichtigsten Ergebnisse vorliegender
Untersuchung. Demzufolge halte ich für angemessen, die Reihe der
diesbezüglichen Tatsachen unabhängig von ihrer systematischen Be-
schreibung hier noch einmal zusammenzustellen.
In den Endbäumchen, die sich in der äußeren wie in der inneren
Balglamelle finden, tritt die scharf bestimmte Teilnahme der mark-
haltigen Segmente an der Bildung der Endverzweigungen hervor. Da
wir vorläufig keine andre Veranlassung dazu finden können, als die-
jenige, daß die Beteiligung der markhaltigen Segmente die für die
äußeren Reize empfindliche Oberfläche und die Menge der nervösen
Substanz vergrößern soll, müssen wir notwendigerweise dem mark-
haltigen Segment die unmittelbare Beziehung zu der Aufnahme oder
Verstärkung der Leitung der Reize zuschreiben. Im Sinushaar des
Rindes erkennen wir die ununterbrochene Reihe der Endigungen, die
zeigt, wie allmählich die markhaltige Strecke der Nervenfaser zu der
Bildung der Nervenendigung herangezogen wird. Während in den
Endigungen der äußeren Balglage oder in der Präterminalendigung
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 389
nur spärliche markhaltige Schlingen bemerkt werden, verdrängt in den
Knäuelendigungen der marldialtige Teil der Endigung den marklosen
bis auf spärliche Reste.
Wir haben sicher kein Recht, die letzteren Endigungen minder
leistungsfähig als die gewöhnlichen baumförmigen Endigungen zu be-
trachten, also müssen wir in den markhaltigen Segmenten dieselbe
Tätigkeit als in den von ihnen verdrängten marklosen Verzweigungen
vermuten. Man bekommt den Eindruck, als ob die Tätigkeit der
Endigung eine zweifache sei, eine Seite gehört der marklosen Strecke,
die andre der marlchaltigen. Wenn bei dem höchst entwickelten Tast-
sinn der marklose Teil bis zum Minimum verdrängt werden kann, liegt
es nahe, ihm überhaupt keine ausschließliche Bedeutung für die Auf-
nahme der Reize zuzuschreiben; diese Bedeutmig kommt aber den
markhaltigen Segmenten zu, sonst bleibt ihr Auftreten gleichzeitig mit
der Entfaltung des Tastsinnes unverständlich. Man darf sich vor-
stellen, daß den gewöhnlichen marklosen Endverzweigungen eine sen-
sorische gleichzeitig mit der nutritorischen Funktion zukommt ; bei der
Vergrößerung des Tastgefühls geht die sensorische Funktion haupt-
sächlich zu den markhaltigen Schlingen über, während von den
marklosen nur so viel bleibt, wie für die nutritorische Tätigkeit not-
wendig ist.
Also ist es in hohem Maße wahrscheinlich, daß den markhaltigen
Segmenten die sensorische Funktion par excellence gehören muß. Ein
regelrechter Syllogismus läßt uns den Schluß ziehen, daß den Schalt-
apparaten dieselbe Tätigkeit gehört. Warum könnten sie nicht den
Druck oder die Berührung fühlen, wenn zu demselben Zweck in
derselben Lage, in der äußeren Balglamelle die unzweifelhaften sen-
siblen Endverzweigungen vorhanden sind. Der Druck aber gelangt
sicher bis zu der äußeren Balglamelle, sei es von der Seite des Coriums,
sei es von dem Haar durch die Blutflüssigkeit des venösen Sinus.
Eine andre Reihe morphologischer Tatsachen, die ich an den End-
verzweigungen der Nerven des Sinushaares beobachtete, führt zu dem-
selben Gedanken. In den baumförmigen Endigungen begegnen wir
außer typischen, für den gegebenen Fall kleinkörnigen Verzweigungen
auch größeren Anschwellungen und Plättchen, die an den marklosen
Ästchen entstehen. Genau dieselben Anschwellungen und Plättchen
sind an den markhaltigen Achsencylindern vorhanden, in den Endbäum-
chen der äußeren Balglamelle sogar an demselben Faden, dessen mark-
loser Teil die Plättchen und darauf einige varicöse Ästchen besitzt.
Mit diesen Anschwellungen und Plättchen wird wieder die
39Ö ü. Tretjakoff,
Vorstellung von der Vergrößerung der Oberfläche verbunden, also die
Einrichtung, die der Vergrößerung der sensiblen Tätigkeit parallel
steht und auf die Beteiligung der Schaltapparate in der gesamten
percipierenden Tätigkeit des Sinushaares hinweist. Da aber in den
markhaltigen Segmenten nur eine Seite des Prozesses der Empfindung
sich ausspricht, wird die andre durch die Kolbenendigungen oder End-
bäumchen mit den feinkörnigen marklosen Astchen ausgefüllt. So
entstehen die kombinierten Formen der Schaltapparate. Ich empfehle
also wiederholt die Perception als keine einheitliche, sondern als eine
vielseitige Tätigkeit des Nerven zu betrachten.
Von diesem Standpunkt aus ist es möglich, die literarischen
Data im Suchen nach ähnlichen Verrichtungen nicht umsonst durch-
zumustern. Sie sind wirklich vorhanden. Henle, Kölliker, Golgi,
Kanvier, SfAxMeni, Sala usw. haben über die typischen Vater-
PACiNischen Körperchen berichtet, daß sie manchmal reihenweise an
derselben Nervenfaser mehrere Körperchen hängen gefunden hätten,
dabei durchbohrt die Nervenfaser alle Körperchen der Reihe nach
und endigt nur im letzteren in gewöhnlicher Weise. Leider sind die
Angaben über das Vorhandensein der Markscheide bei der Durch-
bohrung der Körperchen nicht bestimmt. In der Mehrzahl der Fälle
wurden solche Körperchen in dem Gekröse der Katze festgestellt.
Sfameni (40) fand ein solches Verhalten in den Körperchen der Affen-
haut. Eine Nervenfaser auf der Zeichnung von Sfameni zieht ohne
Veränderung des Achsencylinders durch zwei Körperchen, um im dritten
mit der Endanschwellung sich zu erschöpfen. Beim Menschen hatte
derselbe Verfasser vier Körperchen in derselben Weise zusammenge-
funden. RuFFiNi (37) hat es bestätigt, indem er die ans Terminale
anschließenden Körperchen Schaltkörperchen nannte. Man darf aber,
nach meiner Meinung, die Schaltkörperchen nicht als zwecklos betrach-
ten. Aus den neuesten Untersuchungen von Prof. Dogiel (13) über
die Kapseln der Endapparate folgt, daß hier durch die günstigsten Be-
dingungen und die kunstvolle Struktur die Einwirkung des Druckes
auf irgend einen Punkt des Körperchens nach dem Gesetz von Paskal
rasch mit gleicher Intensivität weitergegeben wird und daher gleich-
mäßig auf den Nervenapparat wirkt. Damit wird die frühere, W.
Krause gehörende Annahme, daß die VATER-PAcmischen Körper-
ehen für die Perception des Druckes bestimmt sind, gerechtfertigt.
In den Schaltkörperchen ist das System von Kapseln vorhanden,
und damit werden alle von Dogiel erörterten Bedingungen für Druck-
empfindungen gegeben, weshalb der Achsencylinder in ihnen als ebenso
Die Nervenendigungen an den Siniishaaren des Rindes. 391
empfindungsfähig anzunehmen ist, wie in dem letzten Körperchen der
Reihe. Das Empfindungsvermögen steht also nicht im ausschließ-
lichen Zusammenhang mit den Endigungen der Nervenfaser.
So häufen sich die Tatsachen zugunsten meiner Auffassung der
Schaltapparate als Perceptionsapparate. Jedenfalls zeichnet Sfameni
(40) am Achsencylinder in den PACiNischen Schaltkörperchen keine
Deformationen, doch den Untersuchungen von Dogiel zufolge wird
das vielleicht durch die mangelhafte Färbung hervorgerufen.
ScHKLUTKOwsKY (39) (auch ScHLUTKOWSKY in dem Jahresbericht
f. Anat. von Schwalbe genannt, Ref. Schmidt) hat in dem Vorhof der
Nase des Pferdes und des Rindes Apparate gefunden, die den Schalt-
apparaten vielleicht sehr nahe stehen. Leider wurden die Ergebnisse
vom Verfasser etwas verworren beschrieben, deshalb erschien die Arbeit
nicht in deutscher Sprache.
Einige Stellen möchte ich aber hier aus dem Russischen übersetzen.
In den Cutisschichten bildet die markhaltige Faser, die dem Bündel
von solchen Fasern angehört, die marklose Endanschwellung. Nun
nimmt aber sonderbarerweise der Verfasser an, daß diese Anschwel-
lung nur aus der Markscheide besteht und der Achsencylinder noch
früher aufhört. Wenn wir aber der in der russischen Arbeit vorhan-
denen Zeichnung folgen, werden wir nur eine marklose Endanschwellung
ungefähr wie in den Endkolben finden.
Andre Nervenfasern desselben Bündels umgrenzen nach den An-
gaben von ScHKLUTKOWSKY neben der Anschwellung einen bestimmten
spindelförmigen Raum, in dem sich die Verzweigungen der übrigen
Nervenfasern befinden. Nach der Bildung des Geflechtes in dem ge-
gebenen Raum gehen die Fasern um die Endanschwellung der ersten
Faser, soviel an der Zeichnung bemerkbar ist, und sammeln sich
wieder zu einigen Fasern, um ihren Weg ungestört weiter fortzusetzen.
Die Verästelungen sind marklos und spindelförmig verbreitert.
Da die Beschreibung des Verfassers in keiner Weise dem Tat-
bestand, der sich in seinen Zeichnungen widerspiegelt, entspricht, halte
ich dies Gebiet einer neueren Untersuchung wert. Aus dem Gesagten
folgt aber, daß hier wahrscheinlich der ausgebildete Schaltapparat in
der Kombination mit dem Endkolben vorliegt.
Es kommt aber noch ein andres Gebiet in Betracht, über wel-
ches wir jetzt die sichersten Kenntnisse aus den Untersuchungen von
A. S. Dogiel besitzen. Ich meine das der Spinalganglien, wo der
Knäuel der markhaltigen Faser schon längt bekannt ist. Dies Gebiet
beweist am deutlichsten, daß wir in den Schaltapparaten über keine
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVIL Bd. 26
392 D- Tretjakoff,
einzeln dastehende Erscheinung verfügen, sondern daß wir in den Fort-
sätzen der Spinalganglienzellen sehr ähnliche Deformationen des Achsen-
cylinders zu sehen vermögen, die Prof. Dogiel Gelegenheit gaben,
nicht weniger als elf Typen von Zellen zu unterscheiden.
Es muß zunächst auf das häufige Vorhandensein von Endigungen
in der Form von Endplatten in den Spinalgangiien eingegangen werden,
die wieder eine Reihe von Umbildungen bis zu den baumf örmigen
Endigungen zeigen. Dogiel hatte nämlich die Endplatten als die
Endigungen der Collateralen des Nervenfortsatzes beschrieben. Diese
Endplatten sind gewöhnlich vieleckig und von unregelmäßiger Gestalt.
Einige Plättchen sind sehr klein, andre wiederum beträchtlich groß
und dick. Von den Ecken vieler Endplättchen entspringen kurze und
feine Ästchen und Fäden, welche in der Nähe des Plättchens sich ver-
breitern oder an Dicke zunehmen und neue sekundäre, manchmal
darauf tertiäre Plättchen oder kleine Anschw^ellungen bilden, so daß
Endapparate entstehen, die fast vollkommen denen analog sind, nach
der Meinung von Dogiel, welche in verschiedenen Organen (Haut usw.)
unter der Bezeichnung der baumförmigen Endigungen beobachtet
worden sind.
Sämtliche Endplatten, mit Ausnahme der größten, sind voi\ keiner
Kapsel umgeben und liegen unmittelbar den bindegewebigen Fasern
an. Bisweilen verläuft jedoch ein Teilästchen eines der Seitenäste
des Hauptfortsatzes geschlängelt eine verschieden lange Strecke, worauf
es sich rasch in eine dicke Faser umwandelt, welche in einer großen
oder unregelmäßig gestalteten Anschwellung endigt. Letztere ist sehr
häufig leicht komprimiert, und in ihr sind, wenn sie mit Methylenblau
intensiv blau gefärbt wird, die »stark tingierten Körnchen« sichtbar.
Alle diese Merkmale, die von Dogiel in den Spinalganglien von
Säugetieren beobachtet worden sind, wiederholen sich fast buchstäb-
lich in den Endigungen am Sinushaar des Rindes. Man braucht nur
die Fig. 74 B der DoGiELschen Untersuchung anzusehen, die nach
der Figm-enerklärung eine markhaltige Faser, welche in der binde-
gewebigen Hülle des Ganglions endigt, darstellt, um dieselbe Art der
verzweigten Endplatte zu sehen, die ich im konischen Körper unterhalb
der Talgdrüsen gefunden habe (Fig. 27, Taf. XVIII). Noch wichtiger
sind die multipolaren Zellen des Ganglions, deren dendritenähnliche
(nach der Bezeichnung von Dogiel, Seite 95) Fortsätze mit End-
platten im Bindegewebe des Ganglion endigen. Hier sieht man ganz
ähnhche Endplatten, wie an der Wurzelscheidenanschwellung des
Sinushaares des Rindes. Endplatten, die eher Endanschwellungen
Die Nervenendigungen an den Sinusluiarcii des Rindes. 393
genannt werden müßten (Fig. 24, Taf . XVIII), finden ihre Homologa in
den Ganglien in Anschwellungen der Fortsätze der Zellen, die von
Cajal und andern für Wachstumskeulen gehalten sind, von Dogiel
aber als reife Endiouni2;en betrachtet werden.
Ich möchte hier aber eine Bemerkung machen. Die Endan-
schwellungen in den Ganglien und im Sinusbalge sind wohl keine
Wachstumskeulen, aber jedenfalls die am wenigsten veränderten Wachs-
tumskeulen, die zu reifen Endigungen geworden sind. Sie stellen in
dieser Beziehung ein der embryonalen Form des Endes der wachsen-
den Nervenfaser am nächsten stehendes Gebilde dar und wenn wir von
der Phylogenie der Nervenendigungen zu sprechen die Möglichkeit hätten,
müßten wir die Endplatten und Endanschwellungen als primitivste
Formen aller Nervenendverzweigungen ansehen.
Es darf uns nicht wundern, daß im Spinalganglion dieselben Ein-
richtungen sich finden, wie in den Endverzweigungen des Sinusbaiges,
um die percipierende Menge der Nervensubstanz und ihre Oberfläche
zu vergrößern. Die Umwindung der Collateralen um die Nervenfort-
sätze, die Knäuelbildung (Glomerulus) an den markhaltigen Segmenten
des Nervenfortsatzes stellen die charakteristischen Züge der Spinal-
ganglienzellen dar. Freilich geschieht hier noch eine weitere Umbil-
dung, die Spaltung des Nervenfortsatzes und die Wiedervereinigung
der Aste, als eine höhere Stufe der Massen und Oberflächenvergröße-
rung. Typus VI, Varietät c der Spinalganglienzellen zeigt aber, daß
in dieser Spaltung kein grundsätzlicher Unterschied vorliegt, da an
den Teilungsstellen der Aste des Schaltnetzes dreieckige oder unregel-
mäßig eckige Verbreiterungen oder Anschwellungen liegen. Dieselbe
Neigung, Schalterweiterungen zu bilden, erzeugt die Schaltapparate
im Balge des Sinushaares. Hier bietet sich also wieder die fast voll-
kommene Homologie in der Struktur der nervösen Gebilde, die viel-
leicht von sehr großer Bedeutung für die neurologische Forschung
sein wird.
Die Reihe der Variationen unter den baumförmigen Endigungen
in der Richtung von den typischen Formen der Blättchen oder Spindel-
endigungen bis zu den Körnchenendigungen wirft, nach meiner Meinung,
ein Licht auf die in der letzten Zeit von vielen Verfassern beschriebenen
Nerven der zweiten Art an den verschiedenen, besonders eingekapselten
sensiblen End Verzweigungen.
Nach den Angaben von Ruffini und Dogiel endigen in den
MEissNEKschen Körperchen außer den Endverästelungen des iVchsen-
cylinders der dicken markhaltigen Fasern noch die Fasern andrer Art.
26*
394 D. Tretjakoff,
RuFFiNi (37) bezeichnete diese zweite Endigung als Apparat von
TiMOFEEFF (Cuppia reticulare). Dieser Apparat setzt sich aus dem
zweiten Netz zusammen, welches aus feinen marklosen Fädchen be-
steht und sich mit den spiralförmig gewundenen Asten der Grund-
endigung verbindet.
DoGiEL (11) stellte das Vorhandensein zweier selbständiger, sich
voneinander unterscheidender Nervenapparate in dem MEissNERschen
Körperchen fest. Das Netz von Nervenfädchen findet sich, nach
seinen Beobachtungen, nicht nur an der Peripherie, sondern auch im
Innern des Körperchens. Es umgibt die verhältnismäßig dickere
Spirale Verzweigung der Grundendigung, die von der dicken mark-
haltigen Faser entspringt. Das feine Netz entsteht aber, von dün-
nen markhaltigen Fasern, die ihre Markscheide in der Mehrzahl
der Fälle in einer beträchtlichen Entfernung von den Papillen verlieren
und, in verschiedene dicke, varicöse, also mit kleinen Körnchen ver-
sehene Fasern zerfallen; diese treten in die Papillen entweder in Bün-
deln vereinigt oder einzeln ein, wobei einige von ihnen in den Papillen
endigen, andre in die MEissNERschen Körperchen eintreten. Von dem
Netz des Körperchens entspringen die Fädchen, die aus dem Körperchen
vom oberen Pol aus austreten und in das Epithel ziehen.
Wenn ich das Netz mit der Körnchenendigung im Balg des
Sinushaares vergleiche, sind sie durch die feinkörnigen Ästchen einander
durchaus ähnlich. Es liegt also auf der Hand anzunehmen, daß im
MEissNERschen Körperchen, ungeachtet seiner Hülle, die Kombination
der spindelförmigen und körnchenförmigen Endigung vorliegt, der
Formen also, die im Balge des Sinushaares getrennt, aber dabei kon-
stant erscheinen.
Von demselben Standpunkt aus wird es möglich auch in ein-
gekapselten Endigungen ähnliche Verhältnisse zu finden. Die von
TiMOFEEFF, DoGiEL, Sala, Sokoloff und mir entdeckten Netze im
mneren Kolben eingekapselter Körperchen entsprechen vielleicht auch
der Körnchenendigung. Dafür sprechen die neueren Beobachtungen
von Prof. A. S. Dogiel (11), denen zufolge die Verzweigungen der
feineren Faser in den Vater- PACiNischen Körperchen nicht an der
Peripherie des Innenkolbens liegen bleiben, sondern tiefer in den
Hohlraum desselben eindringen und zwischen den Ästen der Grund-
endigung verlaufen.
Ich halte dafür, daß Prof. A. S. Dogiel (11) das Richtige getroffen
hat, wenn er die sympathische Natur des Netzes verneint. Es stellt,
nach den Verhältnissen beim Sinushaar zu schließen, eine somatische
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 395
Endigung in der Form von Körnchenendigung vor, also kann die ein-
gekapselte Endigung ebenfalls die Kombination von zwei somatisch-
sensiblen Endigungen darstellen. Der Umstand, daß die betreffende
feinkörnige Endigung von feinen Nervenfasern entspringt, beweist in
diesem Fall soviel als nichts, da die intraepithelialen Nervenendigungen
in der Wurzelscheidenanschwellung und im Epithel der Schnauze des
Rindes (siehe Anhang) ebenfalls von feinen markhaltigen Fasern ent-
springen, sie sind aber von den meisten Verfassern als unzweifelhaft
somato-sensible Endioungen betrachtet worden.
In dieser Beziehung sind die letzten Beobachtungen von Szymo-
Nowicz über die Nervenendigungen an den Haaren des Menschen (44)
geradezu beweisend. Verfasser hat hier das ringförmige >>circuläre <<
Geflecht an den marklosen Ästen festgestellt und dabei bemerkt, daß
an der Zusammensetzung dieses Geflechtes Nervenfasern von zweierlei
Herkunft sich beteiligen, die einen rühren von dicken markhaltigen
Fasern her und zeichnen sich durch die Stärke ihrer Verästelungen
aus, die andern sind sehr fein, mit zahlreichen kleinen Varicositäten
versehen und entstammen den Fasern, die schon früh ihre Mark-
scheide verloren hatten.
Die Endäste zweiter Art sind so dünn, daß sie an den Präparaten
häufig Unterbrechungen zeigen und manchmal so reichlich und zart
sind, daß es fast unmöglich ist sie in der Zeichnung wiederzugeben.
Es ist möglich, sagt Szymonowicz, daß die letzteren Fasern den bei
andern Aiten von Nervenendigungen beschriebenen entsprechen, näm-
lich von TiMOFEEFF Und DoGiEL in den Endkolben, von Dogiel in den
MEissNERschen Körperchen usw. »Die Natur und Herkunft dieser
Fasern bin ich, ebenso wie die genannten Autoren, in jenen Endigungen
nicht imstande, mit voller Sicherheit zu bestimmen« (S. 633).
Da das circuläre Geflecht an den sinuslosen Haaren außer den
Endplatten die einzige Art der Endigung in dem Bindegewebe um das
Haar darstellt, können wir es bis zu einem gewissen Grad als eine baum-
f örmige Endigung des sinuslosen Haares betrachten und mit der gesam-
ten Menge der baumförmigen Endigungen am Sinushaar vergleichen.
Anhang.
Die Nervenendigungen im Epithel und im Corium der Schnauze.
Die Nerven Verteilung und die Nervenendigungen an den haarlosen
Stellen der Schnauze des Eindes sind von I. B. Cybulsky (8) in dieser
Zeitschrift beschrieben worden.
396 D. Tretjakoff,
Verfasser brauchte eine Goldmethode, die in manchen Beziehuno^en
von den üblichen Goldmethoden abweicht. Er untersuchte die Epithel-
nerven wie auch die Nerven im Corium.
Nach seinen Beobachtungen werden von den Nerven des Coriums
an einigen Stellen in der Unterpapillarschicht plexusartige Verflechtun-
gen gebildet. Die Balken des Plexus werden von dicken Nerven-
bündeln zusammengesetzt. An manchen Orten treten starke Stämme
aus der Tiefe hervor, teilen sich in drei bis vier dünnere und diese
gehen nicht in das Geflecht, sondern jeder begibt sich zur Papille.
Die Nerven, die zu Bündeln vereinigt sind oder auch solche, die
allein in der dicken Scheide liegen, zeigen spindelförmige Anschwellungen,
die in regelmäßigen Abständen sich wiederholen und durch ganz dünne,
kaum markhaltige Stellen geteilt sind, aber es sind nicht alle Nerven,
die diese Ungleichheiten in der Dicke zeigen.
Das Corium ist sehr reich an Endkolben, die eine aus zwei bis drei
Blättern bestehende Kapsel besitzen. Der eintretende Nerv verläuft
in der Mitte des Innenkolbens, als dunkler, manchmal abgeplatteter
Streifen von verschiedener Breite, der zugespitzt oder auch oft mit
einer kolbigen, nicht ganz regelmäßig konturierten Anschwellung
endigt.
Verfasser unterscheidet dreierlei Arten der Kolben. Die kleinsten
liegen oft gruppenweise, die größten entsprechen den von Krause in
der Palpebra tertia vom Schwein beschriebenen, sind lang und schmal,
die dritte Art ist am häufigsten zu sehen und unterscheidet sich durch
ihre schöne Birnenform mit ziemlich langem Stiel. Die kleinsten
Kolben legen sich sehr nahe den Nervenbündeln an, so daß sie sogar
in den Scheiden dieser eingeschlossen sind. Es kommen auch zu-
sammengesetzte Formen vor.
In der Schnauze sind die Endkolben augenscheinlich viel zahl-
reicher als in der Oberlippe. Es scheint auch, daß die den äußeren
Furchen entsprechenden Stellen nur wenige Kolben haben. Besonders
reichlich kommen die Kolben an den Ausführungsgängen der Drüsen
vor, wo man sie gruppenweise und vereinzelt trifft; sie nähern sich
mehr oder weniger dicht dem Epithel des Ganges.
Die Nerven der Papillen treten meistens in dieselbe vereinzelt ein,
sind gewöhnlich markhaltig in dem Fuß der Papille und zeigen die
früher erwähnten Ungleichheiten in der Dicke deutlicher ausgesprochen.
Einige treten bald ins Epithel, andre verlaufen bis zu der Papillen-
spitze fort, um dort nach dem Verlust der Markscheide ins Epithel
einzutreten. Manchmal verfolgt man einen Nerv vom Fuß der Papille
Die Nervenendigungen an den Sinusliaaren des Rindes. 397
bis hoch hinauf als eine sehr feine, sicher marklose Faser, und dann
schwillt plötzlich diese Faser zu einer beträchtlichen Dicke an. Nun
behauptet der Verfasser, daß er sogar den Übergang eines markhaltigen
Nerven ins Epithel gesehen hatte.
Unter den intraepithelialen Verzweigungen, die gewöhnliche Ver-
hältnisse zeigen, bemerkte der Verfasser eine Art der Verzweigung, die
bestimmt an solchen Nerven vorkommt, die tief im Epithelzapfen
dünn sind, und die erst hinaufsteigend sich stark verdicken und dann
Zweige abgeben, die in eine ungeheure Zahl von Ästen sich teilen.
Nun behauptet der Verfasser, daß die Stellen des Epithels, die
den Fm'chen der Oberfläche entsprechen, ganz der Nerven entbehren,
und die Lippe viel reicher an Epithelnerven als die Schnauze ist.
In keinem Zusammenhang mit den Nervenendigungen im Epithel
vermutet der Verfasser die von ihm an Goldpräparaten entdeckten
Körperchen oder verästelten Zellen, die aber weder in ihrer Form noch
in der Eichtung ihrer Fortsätze, noch in andern Eigenschaften mit den
LANGERHANSschen Körperchen übereinstimmen. Aber diejenigen von
ihnen, die den Spitzen der Papillen an bestimmten Stellen aufliegen,
sind doch den LANGERHANSschen Zellen ähnlich und werden mit der
marklosen Nervenfaser verbunden. Doch spricht sich der Verfasser
über diesen Zusammenhang der Körperchen mit den Nerven jedenfalls
nicht rückhaltlos aus.
Andre bis in die letzte Zeit wenig aufgeklärte Arten der Zellen hat
Cybulsky in der Schicht über den Papillenspitzen gefunden. Die
Spitzen von vielen Papillen sind von eigentümlichen Zellen überlagert,
deren hervortretendste Eigenschaft darin besteht, daß sie in Gold-
chlorid sich intensiv färben. Die Zellen lagern sich so aneinander,
daß sie eine Säule bilden, die in ihrer Richtung die Richtung der Papille
einhält. Diese Säulen haben in den unteren Schichten oft zwei bis
vier Zellen in einer Höhe, nach oben verjüngen sie sich und bestehen
aus einer, höchstens zwei Zellen. Oft besteht die Säule nur aus einer
Reihe dicht aneinander gelagerter Zellen. Die Säulen reichen gewöhn-
lich bis zur Hornschicht, oft auch in diese hinein, bisweilen sogar bis
zur freien Oberfläche. Manchmal stemmt sich die Säule an die untere
Fläche der Hornschicht und hebt diese spitzig hervor, so daß die Epithel-
zellen der Hornschicht dachziegelförmig über die Zellen der Säule
hinablaufen. Aber auch sonst ist oft die Oberfläche des Epithels an
der der Säule entsprechenden Stelle mehr oder weniger erhaben.
Liegen die Zellen weit voneinander, so sind sie rund oder oval;
lagern sie sich dicht aufeinander, so werden sie abgeplattet. Die
398 D- Tretjakoff,
Zellen sind durchweg kleiner als die der nebenliegenden Epithelien
und besitzen im Verhältnis zum Körper einen großen Kern; nicht fern
von der äußeren Fläche der Hornschicht liegen manchmal Zellen mit
zwei Kernen.
Von den Epithelzellen unterscheiden sich diese Zellen dadurch,
daß sie nicht so wie die ersteren in dieser Höhe abgeplattet und in
die Breite ausgezogen sind. Sie haben auch einen größeren Kern
und kleineren Körper.
Nun zeigen die Zellen dieser Art die unmittelbare Beziehung zu den
Nerven und zu den verästelten Körperchen. Die zwischen den Zellen
liegenden Nerven und Fortsätze entlassen bisweilen in regelmäßigen
Abständen Fortsätze, die im Bogenverlauf zu den höher als ihr Ur-
sprung liegenden Zellen sich begeben. Oft legt sich der Nerv der
Zelle fest an, folgt der Kontur derselben eine Strecke weit und ver-
schmilzt dann mit ihr. Manchmal nähert sich ein Nerv, der schon
tief aus der Papille herausgetreten ist, der Säule und gibt nur Aste ab,
die auf dieselbe Weise sich zu den Zellen verhalten. Das häufigste
Vorkommnis ist aber das, daß sich mehr oder weniger dicke schwarze
Fasern, die aus den Papillen heraustreten und von denen man nicht
angeben kann, ob sie Nerven oder Fortsätze von den Körperchen sind,
daß diese Fasern mit einer länglichen leichten Anschwellung so an den
Zellen der Säule endigen, daß die Konturen des Kernes von der Zelle
und diese Anschwellung sehr nahe nebeneinander liegen. Verfasser
nimmt an, daß die Zelle innig mit dem Nerv verbunden ist. Sie sind
auch mit den Fortsätzen der verzweigten Körperchen ebenso innig
verbunden. Die Säulen sind an der Schnauze am reichlichsten ent-
wickelt, an der Lippe sind sie nicht so hoch und vielleicht entsprechend
den Furchen besonders entwickelt. Es können auch individuelle
Schwankungen in der Größe der Säulen vorkommen.
Die Beobachtungen von Cybulsky gewinnen jetzt wieder an Inter-
esse, nachdem Lobenhoffer (27) etwas ähnliches über die Zellensäule
oberhalb der Papillen beim Schaf gefunden hatte.
Die Reihen der LoBENHOFFERschen Zellen erstrecken sich von den
Papillenspitzen bis in die Hornschicht und unterscheiden sich durch
bestimmte färberische Eigenschaften von den gewöhnlichen Epithel-
zellen. Sie sind auch dicker als ihre Nachbarn, ihre Ränder erscheinen
öfters wie eingezackt. Die periphere Schicht der Zelle färbt sich blau
mit Wasserblau, um den Kern aber entsteht ein heller, perinucleärer
Hof, der häufig gelbbräunliche Pigmentkörnchen führt. Mit den
Nervenfasern haben die Reihenzellen nichts zu tun, letztere liegen an
Die Nervenendigungen an den Sinnshaaren des Rindes. 399
der Spitze von Papillen, während Nervenfasern zwischen den Papillen
in das Epithel eintreten. Beim Schaf sind die Zellen nur zu einer oder
zwei Platten an<2;eordnet.
Ähnliche Zellen fehlen dem Schwein, Hund, Katze, Kaninchen,
Meerschweinchen, Ratte, Affe, Igel, Mensch, Delphin. Beim Pferd sind
sie vorhanden, sind aber achromatisch und liegen in den Wellentälern.
Ungeachtet der Beobachtungen von Lobenhoffer, enthält die
Arbeit von Cybulsky manches, was mir nach den Befunden an den
Sinushaaren, einer Prüfung zu unterwerfen würdig erschien, so z. B.
die Unregelmäßigkeiten in der Dicke und in der Verteilung der Mark-
scheidensegmente. Von der andern Seite suchte ich die von mir fest-
gestellten Tatsachen über die Epithelnerven beim Schwein auch beim
Rind genauer zu untersuchen. Da ich aber keine Gelegenheit hatte,
die vitale Injektion mit Methylenblaulösung zu unternehmen, be-
trachte ich die betreffenden Angaben noch nicht für erschöpfend
und veröffentliche dieses hier nur als Anhang zu meinen Ergebnissen
über die Nerven der Sinushaare. Die Beschreibung vom Geflecht des
Coriums, die sich in der Arbeit von Cybulsky findet, kann ich im
großen und ganzen unterstützen, möchte aber einige Züge mehr in den
vorderen Plan ziehen und in manchen Beziehungen erweitern.
Die Verteilung der Nervenbündel, die sich nach der Bildung des
Geflechtes zum Epithel bzw. in die Papillen begeben, entspricht nach
meiner Beobachtuno; streng der äußeren Felderung in solcher Weise,
daß die Nervenbündel unter der Epithelschicht, die dem äußeren Feld
entspricht, dichter als unter den Furchen aneinander gedrängt sind,
so daß auf dem Querschnitt durch die Haut unter dem Feld die fächer-
förmige Anordnung der Nervenbündel entsteht. Zu den Papillen
unterhalb der Furchen begeben sich die Fasern selten direkt aus dem
Geflecht, sondern ziehen meistens von den nächsten Stämmchen, die
den Papillen des Feldes gehören, die horizontalen dicht unterhalb der
Epithelleisten verlaufenden Fasern. Man bekommt daher den Eindruck,
als ob die Furchenpapillen spärlich innerviert werden, und in Wirklichkeit
vermag ich nur außerordentlich selten die intraepithelialen Nerven im
Furchengebiet zu färben; sie bleiben ungefärbt, wenn die benachbarten
unmittelbar an sie anschließenden Feldergebiete einen dichten blauen
Wald darstellen. Doch sind hier Nerven nur ungefärbt geblieben,
sie fehlen aber nicht, wenn auch hier in die Papillen nur eine sehr
beschränkte Anzahl von Nervenbündeln eindringt. Die Felder sind
also reicher an Nerven. Dasselbe ist richtig in bezug auf die Ver-
teiluno- von Endkolben; sie sind unter den Epithelleisten massenhaft
400 D. Tretjakoff,
angehäuft, besonders, wie es Cybülsky ganz richtig angegeben hat,
in der Nähe der Ausführungsgänge der Drüsen, während sie unter den
Furchenpapillen vollständig fehlten. Dasselbe finde ich in betreff der
Erscheinung der MERKELschen Tastkörperchen in den Epithelleisten,
sie sind überall in den Felderleisten entwickelt, in den Furchenleisten
fehlen sie.
Es gliedert sich also, nach meiner Meinung, die Haut der Rinder-
schnauze in die nervenreichen und ner venarmen Stellen, und diese
sind sehr leicht von außen zu bestimmen. Die Furchen bezeichnen
die nervenarmen und die Felder die nervenreichen Stellen, damit wird
der physiologischen Forschung eine sehr günstige morphologische Grund-
lage gegeben.
Die Methylenblaupräparate bieten hier keine überzeugenden Bilder
von regelmäßig verdickten Fasern, oder von ungleichmäßiger Verteilung
der Markscheidensegmente, und nur selten konnte ich die von Cybülsky
beschriebenen, bald verjüngten, bald verbreiterten Nervenfasern im
Corium sehen. Ich bemerkte aber eine andre sehr eigentümliche
Eigenschaft, nämlich die, daß schon im Coriumgeflecht sich recht
deutlich zwei Arten von Nervenfasern unterscheiden lassen. Die
meisten sind im Vergleich mit den markhaltigen Fasern im Haarbalg
außerordentlich dünn, wenn sie auch mit einer Markscheide versehen
sind. Diese Fasern endigen ausschließlich in der Form der intraepi-
thelialen End Verzweigungen.
Dickere Fasern bilden die Endkolbenendigungen oder die Tast-
scheiben an den MERKELschen Körperchen. Ich werde zuerst über die
Endkolben sprechen.
Cybülsky hat jedenfalls recht, wenn er über den Reichtum des
Coriums an Endkolben spricht. Ich glaube jedoch, daß die volle
Vorstellung davon nur an der Hand der Methylenblaupräparate zu
gewinnen ist. Ich finde auf nicht zu dicken Schnitten in der Mitte
des Feldergebietes eine fast ununterbrochene Lage der Endkolben, die
voneinander durch unbeträchtliche Mengen des Bindegewebes getrennt
werden. Die Schilderung des Kapselbaues, die Cybülsky gibt, finde
ich nicht ganz richtig.
Bei der Färbung nach dem Verfahren von Unna mit Wasserblau-
Orcein-Eosin-Gemisch läßt sich die Kapsel des Endkolbens von dem
umgebenden Gewebe gut unterscheiden. Sie ist blau, die Fasern des
Corium eosinrot. Dieses Verhalten zeigt sich nach meinen Unter-
suchungen auch bei einfacher Wasserblau-Eosinfärbung, es ist nur
sehr schwierig die entsprechende Mischung richtig herzustellen.
Die Nervenendigungen an den Sinushauren des Rindes. 401
Auf gut gelungenen Präparaten sehe ich, daß jedes Nervenbündel
in eine blaue perineurale Scheide eingeschlossen ist, und diese Scheide
geht auf die einzelnen Fasern über, die mit Endkolben enden, indem
sie in die äußere, stärker färbbare Schicht der Kapsel sich fortsetzt.
Die ScHWANNsche Scheide geht mit dem letzten RANViERschen Schnür-
ringe verloren.
Den Innenraum des Kolbens darf man nicht als eng bezeichnen,
er färbt sich, wie die in ihm verlaufenden Endfäden des Nerven, blau,
so wie das ganze System der Kapseln, die zahlreich und dicht aneinan-
der gelegen sind. Mit Hilfe der Wasserblaufärbung tritt der fibrilläre
Bau der Scheide hervor, sie wird vorwiegend aus quer verlaufenden
Fibrillen zusammengesetzt, nicht so wie es Dogiel an den typischen
Vater- PACiNischen Körperchen nachgewiesen hat (13). In den Kapseln
der Endkolben fehlen die Fensterchen, die sich bei Vater- PACiNischen
Körperchen finden, und die Längsfaserung ist sehr undeutlich. Die
Zellen liegen zwischen den Kapseln in ziemlich reichlicher Zahl.
Es hat eigentlich keinen Zweck diese Endkolben der Größe oder
der Form nach zu klassifizieren, denn in diesen Beziehungen waltet
volle Unregelmäßigkeit. Zu bemerken ist jedoch, daß die Endkolben
zu den typischen Gebilden dieser Art gehören, nicht aber zu den modi-
fizierten Vater- PACiNischen Körperchen, die Nervenendigung in ihnen
bildet niemals die Gestalt eines komplizierten Geflechtes, höchstens teilt
sich die Endfaser in wenige gleich dicke Aste. Sehr häufig aber ent-
stehen mehrere Endkolben an den Verzweigungen derselben Faser.
Was aber das häufige Vorhandensein der Endkolben in der Nähe
der Ausführungsgänge der Drüsen anbelangt, so konnte ich hier wirk-
lich verblüffende Bilder sehen, indem der Ausführungsgang ganz in
eine Palisade von Endkolben eingeschlossen erscheint; diese reichen
auf seiner Wand tiefer nach unten als sonst in der Schicht unterhalb der
Papillen.
Im allgemeinen sind die Formen der centralen Endfäden innerhalb
der Kolben dieselben, wie ich in den Endkolben des Sinushaares be-
schrieben habe, aber hier im Corium trifft man größtenteils gebogene
und ofeknickte Endkolben in der unmittelbaren Berührung mit dem
Epithel oder etwas tiefer.
Von den gewöhnlichen birn- mid wm'stförmigen Endkolben unter-
scheiden sich am meisten die lang ausgezogenen, die in die Papille
rasten ; die centrale Nervenendigung hat in ihnen nicht die Form des
verdickten Bandes, sondern eher die eines fein varicösen Astes mit
402 D. Tretjakoff,
sekundären Astchen. Der Endkolben hat dabei keine geradlinige Ge-
stalt, sondern biegt sich imbeträchtlich.
Ungeachtet der vollendetsten Eärbung der centralen Endfaser,
gelang es mir niemals, die Nerven der zweiten Art, wie ich es im Schweins-
rüssel bekommen hatte, zu färben; keine Spur von solchen Nerven
konnte ich in den Endkolben des Kindes wahrnehmen.
Bei der Färbung nach dem Verfahren von Kamon y Cajal be-
kommt man dasselbe Bild von den einfachen oder schwach verästel-
ten Centralendigungen wie auf Methylenblaupräparaten. Aus dem
Grunde schließe ich mich dem Vorschlage von Ruffini (37) an und
habe keine Veranlassung die Endkolben vom Rinde wie diejenigen
von der Katze mit der Benennung modifizierter Vater- PACiNischen
Kürperchen zu bezeichnen. Es finden sich aber beim E,ind, wenn
auch sehr selten, Endapparate, die vielleicht vollkommen zu den
GoLGi-MAzzoNischen Körperchen zugezählt werden können (Fiir. 30,
Taf. XVIII).
Sie bestehen aus einer dünnen Hülle, deren Schichtung sehr un-
deutlich ist, und einer nervösen Endverzweigung im Körperchen. Die
nervöse Endverzweigung hat keine Ähnhchkeit mit der centralen Faser
des Endkolbens. Sie entspringt nicht einer dickeren Faser aus dem
Geflecht, sondern von den Bündeln, die schon unterhalb der Epithel-
leisten zu den Papillen verlaufen ; während die Faser die Markscheide ver-
liert und in die feine Faser sich umwandelt, dringt sie in den Hohlraum
des Körperchens, teilt sich in mehrere Äste, die sich wieder teilen und,
sich miteinander verflechtend, kleine Plättchen tragen. Auf diese
Weise entsteht ein kleines Körperchen, vier- bis dreimal kleiner als der
typische Endkolben. Ich wählte für die Zeichnung (Fig. 30, Taf. XVIII)
die reichste Endverzweigung der Art, sonst trifft man einfachere
Formen, die aber durch rundliche Gestalt, durch den Ursprung von
feinen markhaltigen Fasern und die Teilung in feine Ästchen deutlich
unterscheidbar sind.
Leider treten sie sehr selten auf, und deshalb konnte ich ihre Hülle
nur an den Methylenblaupräparaten berücksichtigen. Sie könnten
vielleicht mit den Körperchen mit blättchenförmigen Verbreiterungen,
die ich im Balge des Sinushaares gefunden hatte, homolog sein, doch
erreichen ihre Plättchen die Größe und die Glattrandigkeit der letzteren
lange nicht. Der Form der Endverzweigung nach nähern sie sich eher
den GoLGi-MAzzoNischen Körperchen.
Im Schweinsrüssel unter dem Epithel auf der Basalmembran breitet
sich ein Netz markloser Fäden aus, welches von Ranvier (34) »termi-
Die Xcrvenendigungen an den Sinushaarcu des Rindes. 403
naisons hederif ormes « benannt würden ist. Ich habe <i;efnnden, daß (47)
auf den untersten Flächen der Epithelleisten sich ein Geflecht von
varicösen Fäden, die aus der Teilung markhaltiger Fasern herstammen,
verbreitet. Dieses Geflecht mit seinen engen Maschen bedeckt die
untere Fläche der Leisten, wobei es fast gar nicht auf die Papillen
übergeht. Zu den Tastscheiben, die schon im Epithel selber liegen,
hat das Grenzgeflecht keine Beziehung.
Hier beim Rind konnte ich keine Spur von solchem Geflecht sehen.
In seltenen Fällen kommen die kleinen Endbäumchen an der Grenze
zum Epithel zu liegen, sie sind aber immer zu klein und dicht, um
sie mit dem obengenannten Grenzgeflecht vergleichen zu dürfen.
Aus den Untersuchungen von A. S. Dogiel über die Haut des Fingers
des Menschen (11) geht mit Sicherheit hervor, daß hier auch ein allge-
meines Grenzgeflecht fehlt und anstatt dessen nur einzelne baum-
förmige Endverzweigungen der markhaltigen Fasern vorhanden sind
(Fig. 42, Taf. XI von Dogiels Arbeit).
Cybulsky hatte die MERKELschen Körperchen in den Epithel-
leisten nicht bemerkt, sie wurden aber hier von andern Untersuchern
festgestellt (8), aber niemals speziell berücksichtigt. Ich richtete
meine Aufmerksamkeit zuerst auf den Bau der den Tastmenisken
anliegenden MERKELschen Zellen. Beim Rind sind sie ebenso ellip-
soidisch, immer hell gefärbt, wie beim Schwein, aber die eigentüm-
liche platte Form des Kernes, die ich beim Schwein feststellen konnte,
tritt hier nicht immer deutlich auf, sehr oft ist der Kern im Quer-
schnitt streng Icceisförmig, nicht biskuitförmig wie dort.
Die MERKELschen Zellen sind in einer fast ununterbrochenen
mehrreihigen Schicht an der unteren Fläche der Epithelleisten gelagert.
Die ihnen gehörigen Tastscheiben bilden aber distincte Gruppen, ent-
sprechend der Entstehung von Fasern, die ihre Markscheide unter-
halb der Leisten verlieren und in das Epithel eintreten. Hier bilden
sie in mehrmals beschriebener Weise die Gruppen der Tastscheiben,
die von unten den MERKELschen Zellen anliegen, miteinander durch
dünne Verbindungsfäden verbunden werden und keine Ausläufer, die
in das Epithel fortlaufen können, mehr entsenden.
Es wurde schon oben gesagt, daß in der Schnauze vom Rind die
Tastkörperchen nur in den Leisten, die dem Felde entsprechen, vor-
kommen, dabei sind sie mehr in der Mitte des Feldes angehäuft. Sie
sind ebenso regelmäßig in den behaarten, d. h. nur Sinushaare tragenden
Teilen der Schnauze verteilt, wo sie nur in den Leisten, die den Haar-
balg unmittelbar umgeben, fehlen.
404 D. Tretjakoff,
Durch die vorstehenden Sinushaare wird die Schnauze des Rindes
vor der groben Berührung mit den Gegenständen geschützt, und die
Endigungen im Corium sind höchstens dazu bestimmt, das zarte Kitzeln
der weichen Teile der Gräser zu empfinden. Aber die MERKELschen Zellen
und die Endkolben sind auch hier nicht überall verstreut, sondern
drängen sich zu den Stellen, die am meisten nach außen hervorstehen
und deswegen am häufigsten in Berührung mit den Gräsern kommen.
Wahrscheinlich empfinden die genannten Endigungen in erster Linie
die feinsten Oscillationen, die von außen durch die Epithelschicht
sich verbreiten. Wenn sie mit dem Empfinden des starken Eindruckes
zu tun hätten, wäre keine Veranlassung zu der von mir beobachteten
Gruppierung der Endigungen. Die Tastscheiben scheinen besonders
dazu geeignet, die leichtesten Erschütterungen der Oberfläche zu
percipieren. Die Endkolben könnten schon stärkere Eindrücke emp-
finden, die nicht nur im Epithel, sondern auch tiefer im Binde-
gewebe Verschiebungen der Bestandteile verursachen. Das scheint
damit noch gerechtfertigt zu werden, daß in den Stellen mit den Sinus-
haaren die Endkolben seltener als an ganz haarlosen Stellen vor-
kommen.
Es bleiben schließlich die fadenförmigen, intraepithelialen Endi-
gungen. Sie entspringen den Fasern des Geflechtes, die durch die
feineren Achsencylinder sich auszeichnen; sie zeigen meistens, nach der
Behandlung mit Methylenblau und der Fixierung im Gemisch von
Ammonium molybdaenicum und Osmiumsäure (einige Tropfen) die-
jenigen Verjüngungen und Verbreiterungen der Markscheide, die
Cybulsky an den Fasern des Coriums beobachtet hatte.
Es ist wahr, daß einige Fasern bis zum obersten Teil der Papille
markhaltig bleiben, daß aber die marldialtigen Fasern in das Epithel
eindringen sollen, konnte ich nicht bemerken. Stets geht die Mark-
scheide vor dem Eindringen in das Epithel verloren, sei es am Fuß
der Papille oder irgendwo höher. Die Fasern, die in dem unteren
Gebiet der Papille in das Epithel eindringen, verlieren ihre Markscheide
sogar noch im Geflecht und ziehen wie die varicösen Fäden zu den
Epithelleisten.
Nun zeigen die in die untere Kante der Epithelleisten eintretenden
Fasern ähnliche Beziehungen zu den MERKELschen Körperchen, wie
es in der Wurzelscheide des Sinushaares von mir entdeckt worden ist.
Sie begeben sich erstens zu den MERKELschen Körperchen und um-
flechten dieselben mit ihren seitlichen Verzweigungen so, daß jedes
Körperchen von dem kleinen Geflecht von allen Seiten bedeckt wird.
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 405
Dabei entsprechen die umflechtenden Fasern nicht den Gruppen der
Tastscheiben. Dieselbe Faser versorgt mit Geflechten die Körper-
chen mit Tastscheiben, die den zwei verschiedenen Gruppen ge-
hören usw.
Es entsteht in der Schicht der MERKELschen Körperchen das
ebenso ausgedehnte intercelluläre Geflecht von feinen varicösen Nerven-
fädchen, das dem von mir, Botezat und Dogiel beschriebenen peri-
cellulären Geflecht in den MERKELschen Körperchen von andern
Tieren und dem Menschen homolog sein soll. Aber hier im Epithel,
ebenso wie in der Wurzelscheide des Sinushaares des Rindes sind
die das Geflecht erzeugenden Fäden in der Schicht der Körperchen nicht
erschöpft; ich konnte jedesmal von dem Geflecht einzelne Fädchen
entstehen sehen, die höher in das Epithel ziehen und in ihm nach
der Art gewöhnlicher intraepithelialer Nerven enden. Was die letzt-
genannten Nerven betrifft, so verhalten sie sich genau so, wie es von
mir im Schweinsrüssel beobachtet wurde, ihre Endverzweigungen er-
reichen die Hornschicht und unterliegen hier einer normalen Degene-
ration.
Die Zellscäulen oberhalb der Papillen sind nach meinen Unter-
suchungen von Cybulsky ganz passend beschrieben worden, sie zeigen
auch die vom Verfasser angegebene Verteilung und Variation. Ich
finde solche Zellen leicht auch auf den Methylenblaupräparaten und
auf solchen, die nach dem Verfahren von Ramon y Cajal bearbeitet
worden sind.
Zwischen den Zellen verbreiten sich die varicösen marklosen End-
äste der Fasern, die bis zur Kuppe der Papille verlaufen und dabei
ihre dünne Markscheide bewahren. Sie sind aber ebenso wie die übrigen
intraepithelialen Nerven bei meinem Objekt mit feinstem Achsen-
cylinder versehen, und die Segmente der Markscheide sind außerordent-
lich kurz. Ihre Verästelungen zwischen den Zellen der Säulen unter-
scheiden sich wenig von den gewöhnlichen Verästelungen. Während
beim Schwein die auf der Kuppe der Papille ins Epithel dringenden
Fasern immer ein ansehnliches Bündel zusammenstellen und in Gestalt
eines reichen Bündels von marklosen, mit einer Menge von Verdickungen
und Verbreiterungen versehenen Aste endigen, scheinen beim Rind
vereinfachte Verhältnisse vorzuliegen, da bis zur Kuppe der Papille
nur wenige Fasern ziehen und kein dichtes Geflecht im Epithel vor-
kommt. Jedenfalls werden die Zellen der Säulen von den nervösen
Endzweigen ebenso allseitig umflochten, wie überhaupt die Zellen der
MALPiGHischen Schicht der Epithelleisten. Das Rind stellt in dieser
406 D. Tretjakoff,
Beziehung im Vergleich mit dem Schwein rudimentäre Verhältnisse
dar, und die Nerverendigung erster und zweiter Art, die ich beim
Schwein im Epithel festzustellen vermochte, können hier nur topo-
graphisch unterschieden werden. Jedenfalls halte ich die Meinung
von LoBENHOFFEE, daß die von ihm beobachteten Zellen beim Schaf
ohne Beziehungen zu den Nerven sind, für nicht bewiesen und über-
haupt die ganze Frage der weiteren Untersuchung wert.
Die verästelten Körperchen von Cybulsky sind aber ganz ent-
schieden die LANGEKHANSschen Zellen, die sich leicht mit Methylen-
blau färben; auf meinen Präparaten nehmen sie sehr häufig die-
jenigen Gestalten an, die Cybulsky irreleiteten und ihm Gelegenheit zu
ihrer ausführlicheren Darstellung gaben.
Besondere Aufmerksamkeit widmete ich der Frage, ob die Nerven-
endigungen im Epithel in inniger Verbindung mit den Zellen stehen,
wie es einmal von Botezat angegeben wurde (5, 6). Botezat hat näm-
lich angenommen, daß sämtliche in das Epithel eindringende Nerven-
fäden in die Epithelzellen eintreten, sich in denselben teilen, nicht selten
den Zellkern erreichen und intracellulär mit knopfförmigen Verdickun-
gen endigen. Aber nach einer gründlichen Durchmusterung meiner
Präparate kann ich mich entschieden der Stimme meines hochverehrten
Lehrers anschließen. In seiner Arbeit über die Nerven der Haut des
Menschen (11) sagt Prof. Dr. A. S. Dogiel folgendes: »Ich habe
vielfach die Nervenendigungen im Epithel der Hornhaut, der Schleim-
häute und der Haut studiert, wobei ich niemals, trotz einer voll-
kommen gelungenen Färbung der Nerven und trotz Anwendung starker
Immersionssysteme in ausreichender Deutlichkeit habe wahrnehmen
können, daß die Nervenfädchen in die* Epithelzellen eindringen — stets
waren sie zwischen den Zellen angeordnet und umflochten die Ober-
fläche derselben. Dasselbe muß ich auch jetzt für die Nervenendigungen
in der Haut des Menschen wiederholen. Obgleich ich die Möglichkeit
des Vorhandenseins derartiger intracellulärer Nervenendigungen nicht
vollkommen in Abrede stellen kann, so bin ich dennoch der Ansicht,
daß man vorläufig sich den Beobachtungen gegenüber, welche zu-
gunsten einer derartigen Nervenendigungsweise sprechen, kritisch zu
verhalten hat.«
Ich möchte aber die Sache noch weiterführen. Wenn die intra-
cellulären Verästelungen wirklich die Endigungen der intraepithelialen
Nerven darstellen, müssen sie in den engen Grenzen der intercellulären
Räume verlaufen, ihre Dicke und die Größe ihrer Verdickungen darf
also nicht diese Grenzen überschreiten. Die Ergebnisse der Messungen
Die Nervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes. 407
der intercellulären Räume, die ich vorgenommen hatte, stimmen ziem-
lich gut mit der von Dogiel vertretenen Anschauung, nur in der Nähe
der körnigen Schicht bemerkt man größere Anschwellungen, die also
in den erweiterten intercellulären Räumen liegen. Man muß aber
die feinsten moosartigen Verästelunj^en der Nerven in der Malpighi-
sehen Schicht berücksichtigen, wie ich sie im Schweinsrüssel gefunden
hatte und auch in der Schnauze des Rindes wieder sehen konnte
(47, S. 628, Fig. 2 u. 3, Taf. XXI).
Die feinsten Verästelungen bilden sich an den Nerven, die durch
die gesamte MALPiGHische Schicht verlaufen und beim Schwein die
Endigungen oberhalb der Kuppen bilden. Beim Durchlauf in den
Epithelleisten werden solche Fasern mit feinsten varicösen Fädchen
bedeckt und sehen deswegen moosartig aus. Die Größe der Fädchen
scheint ganz besonders dazu geeignet zu sein, um in den Räumen
zwischen den intracellulären Brücken sich zu verbreiten. Vom Stand-
punkt der Vergrößerung der Berührungsoberfläche, die wir in allen
Nervenendigungen treffen, wird solche Ausnutzung der intercellulären
Räume verständlich, wenn auch in gewissen Fällen, wie in den Merkel-
schen Körperchen und im EiMEEschen Organ des Maulwurfes eine Ver-
größerung der zwischenzelligen Räume angenommen werden muß.
Man findet also an den intraepithelialen Nerven Merkmale, die
darauf deuten, daß sie ausschließlich intercellulär endigen, deswegen
brauchen wir nicht die Möglichkeit von intracellulären Endigungen
zu bewahren, um so mehr, als in solchen Behauptungen immer die
Bestrebung des antineuronistischen Kreuzzuges gegen die Kontaktlehre
offen oder verborgen sich äußert. Botezat ist in dieser Beziehung
jedenfalls folgerecht. In einer späteren Arbeit (6) bemüht er sich,
die intracelluläre Lage der Knöpfchen und Körnchen der intraepithelialen
Zellen zu beweisen. Er sagt nämlich : »Eingedenk der wichtigen Streit-
frage habe ich es nicht unterlassen, derartige Stellen in verschiedener
Weise zu betrachten. So habe ich dieselben mit Winkels Apochrom.
homog. Immers. 2 mm und den Kompens.-Ocularen 1, 3, 5, 6, dann mit
demselben Objektiv und den ZEissschen Kompens.-Ocularer> 12, 18,
sowie mit der ZEissschen Apochrom. homog. Immers. 2 mm und den
Ocularen 6, 8, 12, 18 bei günstigem Tageslicht beobachtet und stand
immer unter dem Eindruck, daß die betreffenden Knöpfchen intra-
cellulär liegen << (S. 59).
Nach der Angabe vom Verfasser ist das Knöpfchen am deut-
lichsten zu sehen, wenn bei derselben Einstellung auch die gerippte
Membran und der zugehörige Kern deutlich unterscheidbar waren.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 27
408 ü. Tretjakoff,
Aus der Tatsache, daß der Zellkern, Knöpfclien und Membran in dem-
selben Niveau am deutlichsten zum Vorschein kommen, geht aber wohl
unbedingt hervor, daß das Knöpfchen im Protoplasma der Zelle ge-
legen sein muß!
Es ist sicher leichter in einem guten Laboratoriumshaushalt die
notwendigen optischen Mittel herbeizuschaffen, als die feinsten Schnitte
aus dem mit Methylenblau gefärbten Objekt zuzubereiten. Wenn
uns BoTEZAT auf solchen Schnitten die intracelluläre Lage des
Knopfes zeigen möchte, wäre das überzeugend, die Schlüsse aber aus
den Beobachtungen an dicken Schnitten beweisen überhaupt in dieser
Frage wenig. Das Knöpfchen kann auch tief in die Zellmembran ein-
gedrückt werden, ohne im Protoplasma der Zelle zu liegen; zudem
ist der Begriff des »am deutlichsten unterscheidbaren« sehr subjektiv,
und der Stift des Zeichners ist wohl dem Verstand desselben allzu
gehorsam.
Die entsprechende Arbeit von Botezat enthält unter anderm
noch die Beschreibung von vielen Arten intraepithelialer Nerven,
die Verfasser in der Hundeschnauze unterscheiden will. Verfasser
glaubt in der Mannigfaltigkeit des Aussehens der intraepithelialen Ner-
ven die anatomischen Grundlagen für die verschiedenen Gefühlsquali-
täten der Haut zu finden. Die einzelnen Arten sind in ihrem Verlauf,
in der Beschaffenheit, in der Art der Endigung und der Verzweigungen
voneinander so verschieden, daß man nicht weniger als sieben Typen
unterscheiden kann. Verfasser liefert folgende Beschreibung dieser
Typen:
1) Dendriten (?) mittlerer Dicke mit intracellulären Endknöpfen;
2) dünne Dendriten mit intracellulären Knöpfchen;
3) breite intercelluläre Dendriten;
4) Horizontalfasern mit intercellulären Büscheldendriten;
5) pericelluläre Fibrillennetze :
6) Schleifenverästelung ;
7) dicke Achsenfasern mit lateralen Fibrillennetzen.
Einige von diesen Typen glaubt Verfasser bei andern Tieren fest-
gestellt zu haben. Er nimmt deswegen an, daß sich im Epithel bei
weitem mehr Arten von Nervenendigungen vorfinden, als bisher be-
kannt war, und daß die bisher unter dem Namen der freien oder ein-
fachen Intraepithelialnerven bekannten Endapparate sich in mehrere
voneinander durch charakteristische Merkmale kennzeichnende Formen
werden auflösen lassen. Und damit im Zusammenhang wird es wohl
möglich werden, für die unter dem Namen des Allgemeingefühls ver-
Die Ncrvenoiuli^iingm an den Simislianren des Rindes. 409
einigten verschiedenen Gefühlsqüalitäten, deren Sitz in die oberfläch-
lichen Hautteile verlegt werden muß, die zugehörigen Gefühlsapparate
festzustellen.
So schließt sich Botezat der Reihe andrer Forscher an, die iii
den Formen der Nervenendigung ihre Spezifität den Reizen gegenüber
erschließen wollen. Leontowitsch (29), Lefebure (23) suchten aus
der Voraussetzung wichtige Mahnungen zu bekommen; Lefebure im
allgemeinen theoretischen Sinne, Leontowitsch in den engen Grenzen
der Endapparate der menschlichen Haut. Demgegenüber finden wir
schon bei Wundt (50) keine große Wertlegung auf solche Voraussetzung
und sogar die Vermutung, daß die Endapparate und Endverzweigungen
überhaupt wenig specifisch wirken; sie übergeben nur die Reize
bestimmten centripetalen Fasern. Die tatsächlichen Befunde von
DoGiEL, RuFFiNi Und mir geben aber keine Rechtfertigung der Speci-
fizität, wenigstens im strengen Sinne, für die Formen der Nervenendigun-
gen. Wir haben doch verschiedene Formen der Endigungen, die von
derselben Faser entspringen. Wir finden für die Druckempfindung
im Balge des Sinushaares eine verblüffende Mannigfaltigkeit der Formen
vor. Wie soll man in diesen Fällen die Specifizität bestimmen. Ich
glaube, daß unsre subjektiven Empfindungen wie Kälte, Nässe usw.
-Empfindungen überhaupt keine primären Elemente der entsprechen-
den nervösen Tätigkeit darstellen, und nach der bloßen alltäglichen
Empfindung der Kälte die ihr specifische Nervenendigung zu suchen
ist als einer der gröbsten Anthropomorphismen der modernen Physio-
logie zu bezeichnen. Man muß erstens diese Empfindung als die
Wirkung gewisser elementarer physikalischer Kräfte auslösen, in erster
Linie der Molecularkräf te , und dann nach einem Parallelismus mit
dem Bau der Nervenendigungen zu spüren.
Zum Beispiel wird sich bei der Erwärmung der Hornschicht unsrer
Haut ihr Umfang nach dem physikalischen Gesetz vergrößern, was mit
einem Druck auf die MALPiGHische Schicht in Zusammenhang gebracht
wird. Bei der nassen Haut quillt die Hornschicht, es muß also die Druck-
wirkung wieder erscheinen. Warum aber diese Druckwirkungen speci-
fisch empfunden werden, hängt vielleicht gar nicht mit der Form der
Endigung zusammen, sondern von ganz andern Eigenschaften des
Nervengewebes oder sogar vom centralen Nervensystem ab. Wie ich
oben ausführlich darlegte, hängt die Form der Nervenendigung eher
mit dem Nervenreiz und der Leitung, nicht aber mit der Specifizität
der Reize zusammen.
Wenn wir uns aber zu dem tatsächlichen Bestand der Beobachtungen
27*
410 D- Tretjakoff,
von BoTEZAT wenden, so finden wir hier nichts, was eben seine An-
schauung unterstützen könnte. Es handelt sich nicht um streng
voneinander strukturell und topographisch unterschiedene Nerven-
arten, sondern um Variationen einer und derselben Form. Ohne den
Text zu lesen, findet das vorurteilslose Auge in den Textfiguren
keine weitgehenden Unterschiede, die wir bei den Endigungen im Binde-
gewebe zu sehen gewöhnt sind, überall treten die einförmigen varicösen
Verästelungen auf, die sich so oder anders im Epithel verteilen; wenn
wir nach dem oben Gesagten die intracelluläre Endigung einiger Fasern
in Abrede zu stellen ein volles Recht haben, müssen wir die Frage
stellen, was eigentlich von der vom Verfasser gelieferten Diagnose
bleibt, außer dem Unterschied zwischen dicken und dünnen Fasern?
Nur der siebente Typus, den der Verfasser mit der von mir in
der Rüsselscheibe des Schweines vorgefundenen intraepithelialen
Endigung »zweiter Art« für homolog hält, besitzt wirklich ein vom
gewöhnlichen deutlich unterscheidbares Aussehen.
Wenn aber eine ähnliche Klassifikation der Endigungen die voraus-
gesetzte physiologische Specifizität derselben nicht beweisen kann,
bewahrt die Untersuchung von Botezat in andern Beziehungen ihre
Wichtigkeit, da sie einen Versuch macht, die Mannigfaltigkeit der intra-
epithelialen Nerven jedenfalls als bedeutungsvolle Erscheinung ernst ins
Auge zu fassen und dieses ziemlich stiefmütterlich behandelte Gebiet
der Neurologie zu vollendeter Darstellung zu bringen.
St. Petersburg, im November 1910.
Literaturverzeichnis.
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I")ic N'orveiieiidip;ungen an Avn Siiiushaairii dew I^intU-s. 413
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XV.
Fig. 1. Gesanitbikl der Endigungen und des Wrlautes der Nerven am
Sinushaar des Rindes. Die verschiedenartigen Endiguiigen und die Einzelheiten
im Verlaufe der Nerven wurden nach Methylcnblauju-äparaten bei Vergröße-
rung von 75mal gezeichnet, nur ihre Zusammenstellung in einem Bild ist sche-
matisch. Die äußere Balglamelle ist längs halbiert gedacht, die Wurzelscheide
ist von der Seite zu sehen. Teile des Haarbalges: A, äußere Balglamelle; Ar,
Arterie; B, Sinusbalken; G, Glashaut; F, bindegewebige Fasern, die in die dich-
teste Partie der Glashaut einstrahlen; H, Haar; /, innere Balglamelle; K, konischer
Körper; Ki, Sinuskissen; P. Papille; S, Sinusraum; ScÄ, schirmförmige Verbrei-
terung der äußeren Wurzelscheide im konischen Körper; y, Talgdrüse ; F.Vene;
W, Anschwellung der äußeren Wurzelscheide. Nervöse Gebilde: 1, in den Balg
eintretende Nervenbündel; 2, unteres ringförmiges Geflecht; .5. einfacher Schalt-
apparat unterhalb des ringförmigen Geflechtes an der (abgeschnitten gedachten)
inneren Fläche der äußeren Wurzelscheide; 4, komplizierter Schaltapparat in
derselben Lage; 5, Schaltapparat auf dem längs der inneren Fläche der äußeren
Balglamelle aufsteigenden Bündel; 6, Schaltapparat in der äußeren Balglamelle;
7, Schaltapparat in Verbindung mit der baumförmigen Endigung in der äußeren
Balglamelle; S, Schaltapparat des mittleren Gebietes des Haarbalges; 9, oberes
ringförmiges Geflecht — oberer Nervenring; 10, Fasern, die nach außen von
den Talgdrüsen in das subpapilläre Bindegewebe nach oben verlaufen; 11, End-
verzweigung in der äußeren Balglage unterhalb des unteren ringförmigen Ge-
flechtes; 12, dieselbe Endigung in dem mittleren Gebiet des Haarbalges; 13, die-
selbe Endigung im oberen Gebiet der äußeren Balglamelle; 14, Endkolben mit
einem centralen Endfaden; 15, Endkolben mit verzweigtem Endfaden (Golgi-
MAZZOi^isches Körperchen): 16, eingekapselte Endverzweigung mit den plätt-
chenförmigen Verbreiterun gen; 17, baumförmige Endigung, präterminale Endigung;
18, dieselbe Endigung, Spindelendigung; 19, dieselbe Endigung, Knäuelform;
20, Endigung auf dem Sinusbalken; 21, sensible Endplatte unterhalb der Wurzel-
scheidenanschwellung; 22, sensible Endplatte an der Wurzelscheidenanschwel-
lung; 23, sensible Endplatte im konischen Körper; 24, verzweigte Endplatte, die
dem Boden der Talgdrüse anliegt; 25, Tastscheibe in der oberen Hälfte der Wurzel-
scheidenanschv/ellung; 26, Tastscheibe in der unteren Hälfte der Wurzelscheiden-
anschwellung; 27, unteres ringförmiges Geflecht oder unterer Nervenring. Ver-
größerung 75mal.
Tatel XVI.
Fig. 2. (Tai XV, Fig. l, S.) Schaltapparat aus dem mittleren Gebiet des
Haarbalges. Drei markhaltige Fasern bilden, ohne ihre Markscheide zu verlieren,
den Schaltapparat und teilen sich in demselben oder gleich darauf, so daß aus
dem Apparat sechs markhaltige Fasern abgehen. Der Schaltapparat liegt in
schräg aufsteigender Richtung in einem Gange der äußeren Balglamelle. Nn, die
außerhalb der äußeren Balglamelle von unten ziehenden markhaltigen Nerven-
fasern ; V, Schaltapparat, der hier mehr durch Knickungen des Achsencylinders,
414 D- Tretjakoff,
als durch Verbreiterungen desselben gebildet wird; No, die aus dem Schalt-
apparat austretenden markhaltigen Nervenfasern, die bis in die innere Balg-
lamelle sich fortsetzen. Vergr. 400mal.
Fig. 3. Kombinierter Schaltapparat aus dem mittleren Gebiet des Haar-
balges, er liegt in fast horizontalem Gang der äußeren Balglamelle. B, End-
bäumchen im lockeren Bindegewebe des Ganges; K, Endkolben, bzw. Endfaden
desselben; Nu, markhaltige Fasern, die von außen her in die äußere Balglage
hineintreten; No, markhaltige Fasern, die aus dem Schaltapparat heraustreten
und durch die Sinusbalken in die innere Balglamelle ziehen; F. Verbreiterungen
am Achsencylinder der markhaltigen Faser. Vergr. 400mal.
Fig. 4. (Fig. 1,5.) Schaltapparat auf den längs der inneren Fläche der
äußeren Balglamelle aufsteigenden markhaltigen Nervenfasern. l)ie Zeichnung
sollte eigentlich senkrecht stehen, aus Mangel an Raum liegt sie horizontal.
Nti, markhaltige Fasern, die aus dem unteren Nervenring nach oben ziehen;
No, die aus dem Schaltapparat austretenden Nervenfasern; V. Verbreiterungen
am Achsencylinder der markhaltigen Faser im Schaltapparat. Vergr. 400mal.
Fig. 5. (Fig. 1, 20.) Endbäumchen am Sinvisbalken. N, markhaltige
Nervenfaser, ein markloser Ast derselben bildet das Endbäumchen, ein andrer
ebenso markloser Ast E zieht in die innere Balglamelle, um die Endfäden den
zwei Endkolben zu liefern, dieser zweite Ast ist aber wegen Mangels an Raum in
der Zeichnung abgeschnitten. Vergr. 40Ümal.
Fig. 6. Schaltapparat und Endkolben an derselben Nervenfaser. Nu, aus
dem unteren Nervenring entspringende Nervenfaser, die sich teilt. E, End-
kolben bzw. Endfäden derselben; F, Schaltapparat; F, feiner markloser Ast.
Vergr. 600mal.
Fig. 7. (Fig. 1, 4.) Schaltapparat aus dem Gebiet unterhalb des unteren
ringförmigen Geflechtes. Nu, markhaltige Nervenfasern, die vom unteren Nerven-
ring zum Schaltapparat hinabsteigen; No, aus dem Schaltapparat austretende
markhaltige Nervenfasern ; V, Verbreiterungen am Achsencylinder der Fasern im
Schaltapparat. Vergr. 400mal.
Fig. 8. (Fig. 1, 6.) Schaltapparat an den Fasern, die vom unteren Nerven-
ring in der äußeren Balglamelle hinaufsteigen. Nu, aufsteigende Fasern; No,
aus dem Schaltapparat ausgehende Fasern ; V, Verbreiterungen am Achsencylinder
der markhaltigen Fasern im Schaltapparat. Vergr. 600mal.
Fig. 9. (Fig. 1, 3.) Einfacher Schaltapparat aus dem Gebiet unterhalb
des unteren Nervenringes. No, aus dem Schaltapparat austretende Faser, die
sich wieder zum unteren Nervenring begibt. Vergr. 400mal. ^
Tafel XVII.
Fig. 10. Blättchenförmige Endverzweigung aus dem Sinuskissen der inneren
Balglamelle. N71, marklos gewordene Strecke der Nervenfaser. Vergr. 400mal.
Fig. 11. (Fig. 1, 18.) Spindelendigung, die komplizierte Form. Die Endi-
gungen liegen ebenfalls in den Sinuskissen der inneren Balglage. Vergr. 400mal.
Fig. 12. Körnchenendigung aus dem Sinuskissen der inneren Balglage.
Vergr. 400mal.
Fig. 13. Präterminale Endigung aus dem Sinuskissen der inneren Balglage,
Vergr. 400mal.
Fig. 14 und 15. Knäuelendigungen, die eigentlich vom gemeinsamen Stamm-
Die NervenendigungCMi an den Siniisliaarcn des Rindes. 41^")
rlien ebenso wie die präterminale Endigung entspringen, mußten aber horizontal
gelagert werden, da sonst der Raum in der Tafel fehlte. E, winzige Endbäum-
chen. Vergr. 4Ü0maI.
Fig. 16. (Fig. 1, 19.) Komplizierte Knäuelendigung, fast ausschließlich
aus markhaltigen Schlingen bestehende Form. Sie liegt in dem Sinuskissen
der inneren Balglamelle. Die Gesamtform und die Art der Verteilung der Schlingen
entspricht ziemlich genau der Spindelendigung der Fig. 11 mit dem Unteiscliied,
daß dort die marklosen Verzweigungen dominieren. E, marklose Endverzwei-
gungen, die die Endbäumc)\en bilden. Vergr. 400mal.
Tafel XVIII.
Fig. 17. (Fig. 1, 24.) Verzweigte sensible Endplatte aus dem konischen
Körper. A, Verzweigungen unterhalb der Talgdrüsen; B, Verzweigungen im
unteren Teil des konischen Körpers, näher zu der Wnrzelscheidenanschwellung.
Alle Verzweigungen sind, marklos. \'ergr. 400mal.
Fig. 18. Sternförmige Endplattcn in der inneren Balglamelle an der \\'urzel-
scheidenanschwellung. V, marklose Fortsetzungen der aufsteigenden niaiklialtigen
Fasern. P, Endplatte. Vergr. 400mal.
Fig. 19. Zusammengesetzte Endplatte aus dem konischen Körpei'. Vergr.
400mal.
Fig. 20. Hängende Endplatte aus dem konischen Körper. Vergr. 400mal.
Fig. 21. (Fig. 1, 16.) Eingekapselte Endverzweigung mit den plättchen-
förmigen Verdickungen am Geflecht der Endzweige von zwei Nervenfasern. K,
Kapsel; N, markhaltige Strecke der Nervenfasern. Vergr. 600mal.
Fig. 22. (Fig. 1, 26.) Sternförmige Tastscheiben aus der unteren Hälfte
der Wurzelscheidenanschwellung. P, sensible Endplatte außerhalb des Epithels
und der Glashaut, also in der inneren Balglamelle. T, Tastscheiben unter dem
Stratum cylindricum der äußeren Wurzelscheide; U, Umbiegung und Durcli-
trittsstelle des marklosen Astes in die Glashaut. Vergr. 400mal.
Fig. 23. (Fig. 1, 12.) Endverzweigung in der äußeren Balglamelle, von
der Fläche gesehen. B, marklose Endästchen; V, Verbreiterungen am Achsen-
cylinder der markhaltigen Aste. Vergr. 400mal.
Fig. 24. Verzweigte sensible Endplatte an der Wurzelscheidcnanschwellung.
N, marklose Fortsetzung der aufsteigenden markhaltigen Faser. Vergr. 400nial.
Fig. 25. Verzweigte Endplatten in der Form von feinen senkrechten Ästen.
Die Wurzelscheidenanschwellung. Vergr. 400mal.
Fig. 26. Geflecht von Endplatten im konischen Körper gelegen. V, zick-
zackförmige, wie in den Schaltapparaten, Strecke des Achsencylinders der mark-
haltigen Äste. 0, Ast, der sich nacli oben in die subpapilläre Schicht begibt.
Vergr. 400mal.
Fig. 27. Zwei verzweigte Endplatten, die dem Boden der Talgdrüsen an-
liegen. Vergr. 400mal.
Fig. 28. Lamellöse Endplatten an der Wurzelscheidenanschwellung. Vergr.
400mal.
Fig. 29. Reihe von Endplatten, die im konischen Körper von der Wurzel-
scheidenanschwellung bis zu den Talgdrüsen reicht. A, Endplatten, die im koni-
schen Körper liegen; B, Endplatten an der Wurzelscheidenanschwellung; die-
selben sind dichotomisch verästelt. Vergr. 400mal.
416 D. Tretjakoff,, Die Xervenendigungen an den Sinushaaren des Rindes.
Fig. 30. Querschnitt der Haut der nicht behaarten Stelle der Schnauze
des Rindes. E, Epithelleiste; K, eingekapseltes Körperchen; N, Nervenfasern
unterhalb der Epithelleisten; P, intraepitheliales Geflecht um die MERKELschen
Körperchen; S, vom Geflecht entspringende intraepitheliale Nervenf ädchen ,
die wie die gewöhnlichen intraepithelialen Nerven zwischen den Zellen der Mal-
PiGHischen Schicht verlaufen. Vergr. 600mal.
Sämtliche Zeichnungen auf den Tafeln XV — XVIII sind Präparaten ent-
nommen, die mit Methylenblau intra vitam gefärbt worden sind. Sie stellen
ausschließlich die Nervengebilde in der Schnauze des Rindes dar.
!
Das Facettenauge der Wasserwanzen.
Von
Zahnarzt Kurt Bedau
aus Magdeburg.
(Aus dem Zoologischen Institut der Universität Leipzig.)
Mit 5 Figuren im Text und Tafel XIX— XX.
Inhalt.
Seite
Material und Technik 418
I. Morphologischer Teil 420
A. Der Bau des Facettenauges der Wasserwanzen 420
1. Notonecta glauca 420
2. Banatra linearis 428
3. Hydrometra 'palustris 431
4. Nepa cinerea' 434
5. Naucoris cimicoides 436
6. Corixa Geoffroyi 438
B. Die Innervation der Retinula und die Ganglien 440
II. Physiologisch-biologischer Teil: Die Funktion der im morphologischen
Teile beschriebenen Facettenaugen und ihre biologische Bedeutung . . 446
Hauptergebnisse 453
Literaturverzeichnis 454
Erklärung der Abbildungen 455
Die vorliegende Arbeit wurde im zoologischen Institut der Uni-
versität Leipzig angefertigt. Es sei mir gestattet, meinem hochver-
ehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Professor Dr. C. Chun, auf dessen
Anregung und unter dessen Leitung diese Arbeit entstand, meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen für die Liebenswürdigkeit, mit der
er mir bei meinen Untersuchungen ratend und helfend zur Seite ge-
standen hat. In gleicher Weise bin ich zu bestem Danke verpflichtet
den Herren Professoren 0. zur Strassen und R. Woltereck und
dem Herrn Privatdozenten Dr. med. et phil. 0. Steche.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 28
418 Kurt Bedau,
Material und Technik.
Das Material habe ich in der näheren und weiteren Urnsebung
von Leipzig in der Hauptsache im Sommer 1908 gesammelt. Noto-
necta glauca, Hydrometra 'palustris, Nepa cinerea, Naucoris cimicoides
und Corixa Geoffroyi ließen sich mühelos beschaffen; Ranatra linearis
zu finden, bot Schwierigkeiten. Schließlich gelang es mir aber doch,
vier Exemplare der gesuchten Art in der Nähe von Grimma zu fangen.
Zum Konservieren meines Materiales habe ich vier verschiedene
Flüssigkeiten angewandt: 70% igen i\_lkohol, Chromosmiumessig-
säure, ein Gemisch von Pikrinsäure, gesättigt in kochendem destil-
liertem Wasser, und von Sublimat, ebenfalls in gesättigter Lösung
zu gleichen Teilen, wie es Rabl angegeben hat, und endlich ein Ge-
misch von 15 Teilen 96%igem Alkohol, 30 Teilen destilliertem Wasser,
6 Teilen konzentrierten Formols und 2 Teilen Eisessigs. Mit dem
zuletzt angeführten Konservierungsmittel habe ich die besten Resultate
erreicht. Alkohol härtete die Objekte, Chromosmiumessigsäure färbte
sie auffallend dunkel, zuweilen fast schwarz, und die von Rabl ange-
gebene Konservierungsflüssigkeit war für feine histologische Studien
nicht sonderlich geeignet.
Ehe ich die gefangenen Tiere in die Konservierungsflüssigkeit
legte, habe ich — um ein schnelleres Eindringen des konservieren-
den Mittels in das Objekt zu ermöglichen — in das Chitin des Thorax
und Abdomens mit einer Nadel eingestochen. In der Konservierungs-
flüssigkeit habe ich die Präparate 6 — 12 Stunden liegen lassen.
Das harte Chitin bot dem Messer des Mikrotoms einen außerordent-
lich großen Widerstand. Herrn Zahnarzt F. Carls in Leipzig habe
ich es zu danken, daß ich die hieraus resultierenden technischen Schwie-
rigkeiten nach einigem Experimentieren leicht überwand. Es ist mir
eine angenehme Pflicht, meinem lieben Kollegen Carls auch an dieser
Stelle meinen herzlichsten Dank auszusprechen für den mir gegebenen
Rat. Da das Chitinschneiden von jeher bei der Anfertigung mikrosko-
pischer Präparate Schwierigkeiten bereitet hat, sei es mir gestattet,
die von Carls angegebene, im zoologischen Institut der Universität
Rostock bereits mit Erfolg angewandte, aber bislang noch nicht ver-
öffentlichte und von mir nur wenig modifizierte Methode eingehend
zu besprechen: Aus der Konservierungsflüssigkeit bringt man die
Objekte in 70%igen Alkohol, wäscht sie in diesem gut aus und läßt
sie in ihm 6 Stunden liegen. Vom 70%igen Alkohol führt man die
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 419
Präparate über in Seifenspiritus, wie er in jeder Apotheke zu kaufen
ist. In Seifenspiritus habe ich meine Objekte 24 — 48 Stunden auf-
bewahrt. Seifenspiritus hat die Wirkunii; von Eau de Javelle und
Eau de Labarraque, er erweicht das Chitin. Im Gegensatz zu den beiden
andern Chitin erweichenden Flüssigkeiten hat er den großen Vorzug,
die Gewebe nicht anzugreifen. Zellplasma, Zellkerne, Tracheen, Nerven,
kurz, alles bleibt wohl erhalten mit Ausnahme des Fettgewebes, das
bei der Behandlung mit Seifenspiritus nach meiner Erfahrung leidet.
Wenn ich meine Objekte je nach der Härte und Stärke des Chitins
24 — 48 Stunden in Seifenspiritus liegen ließ, so ergibt sich hieraus von
selbst, daß Präparate mit schwächerem Chitin ungleich kürzere Zeit
in der genannten Flüssigkeit aufzubewahren sind.
Vom Seifenspiritus führte ich die Objekte über in 70%igen Alkohol.
In diesem präparierte ich den Kopf des Tieres vom Thorax ab, nach-
dem ich zuvor unter der binoculären Lupe den Genitalapparat des
betreffenden Tieres freigelegt und mit Sicherheit das Geschlecht des
Tieres bestimmt hatte. Im 70%igen Alkohol ließ ich das Präparat
6 Stunden liegen, dann brachte ich es in 96%igen und hierauf in
100%igen. Im 96%igen wie im absoluten Alkohol bewahrte ich das
Objekt 6 Stunden auf. Dann kam es in ein Gemisch von 100%igem
Alkohol und Cedernholzöl zu gleichen Teilen und danach in reines
Cedernholzöl. In jeder dieser Flüssigkeiten ließ ich das Präparat
24 Stunden liegen. Benzol und Xylol habe ich beim Überführen der
Objekte nie verwandt, da sie in diesen Flüssigkeiten härten. Vom reinen
Cedernholzöl brachte ich die Präparate in Cedernholzöl + 40grädiges
Paraffin und hierauf in Cedernholzöl + 58grädiges Paraffin, jedesmal
auf 24 Stunden. Schließlich führte ich das Präparat über in reines
geschmolzenes 60grädiges Paraffin und ließ es 3 — 4 Stunden im Ther-
mostaten stehen. In dieser relativ kurzen Zeit drang das Paraffin in
die sorgfältig vorbereiteten Objekte vollkommen ein und verhütete —
was eintritt, wenn man die Präparate längere Zeit in flüssigem
60srädio;em Paraffin läßt — das Hartwerden derselben. Die so behau-
delten Objekte boten dem Messer des Mikrotoms minimalen Wider-
stand, und es ließen sich leicht 5 und 3 /< starke Schnitte anfertigen.
Ein Überziehen derselben mit Mastixkollodium vor dem Auffangen
war nicht erforderlich. Meistens schnitten sich sogar »Bänder«.
Zum Färben meiner Präparate habe ich angewandt Eisenfärbung
nach Heihendain und Hämalaun, bzw. Hämalaun mit einer Nach-
färbung mit Eosin. Die Eisenfärbung nach Hetdenhain ist für Kern-
färbung vortrefflich, zeigte aber bei meinen Objekten zwei große
28*
420 Kurt Bedau,
Nachteile. Einerseits schwärzte es die Präparate intensiv, anderseits ver-
änderte es die Farbe des Pigments. Die Hämalaunfärbung bewährte
sich — auch was die Kerne anbetrifft ! — ganz vorzüglich. Eine Nach-
färbung mit Eosin wandte ich nur an, wenn es mir darauf ankam,
Plasmastrukturen in ihren Details zu untersuchen.
Zum Entpigmentieren benutzte ich zwei Flüssigkeiten: 150,00 Aqu.
dest., Acidi muriatici, Acidi nitrici aa 3,0, ein Gemisch, wie es Rosen-
stadt 1896 angegeben hat, und ein Gemisch von 2 Teilen 96%igen
Alkohol und 1 Teil Glyzerin mit geringerem oder stärkerem Zusatz
von Salpetersäure. Die erstgenannte Entpigmentierungsflüssigkeit
wandte ich an, wenn das Pigment nicht sehr resistent war — so z. B.
bei Tieren, die kurze Zeit nach der Häutung gefangen waren, und durch-
weg bei Hydrometra palustris — oder wenn es nur zum Teil zerstört
werden sollte. In all den andern Fällen benutzte ich die an zweiter
Stelle angeführte Entpigmentierungsflüssigkeit.
I. Morphologischer Teil.
A. Der Bau des Facettenauges der im Wasser lebenden Hemipteren.
1. Notonecta glauca.
Von fundamentaler Bedeutung für die Kenntnis der Facetten-
augen der Arthropoden und Crustaceen sind in morphologischer
Hinsicht die im Jahre 1879 erschienenen »Untersuchungen über das
Sehorgan der Arthropoden, insbesondere der Spinnen, Insekten und
Crustaceen ^< Grenachehs und in physiologischer Beziehung die 1891
erschienene »Physiologie der facettierten Augen von Krebsen und
Insekten« Exners. Grenacher miterscheidet folgende drei Gruppen
von Facettenaugen: 1) »Acone Augen, d. h. solche, in welchen Kristall-
kegel nicht nachzuweisen sind, sondern diese zeitlebens durch typische
Zellen vertreten werden«; 2) »Pseudocone Augen, d. h. solche, bei
welchen zwar ein besonderes kegelförmiges und lichtdurchlassendes
Medium vorhanden ist, das aber nicht mit den typischen Kristall-
kegeln morphologisch in die gleiche Linie gestellt werden kann. « 3) » ,Eu-
cone Augen', mit echten Kristallkegeln, wie sie bisher allen Facetten-
augen zugeschrieben wurden.«
Zu den aconen Augen gehören die der Hemipteren. Von den
Wasserwanzen hat Grenacher Notonecta glauca, Nepa und Ranatra
untersucht, von den Landwanzen Pyrrhocoris, einige Pentatomiden
und Lygaeus. Nur von Notonecta glauca gibt Grenacher eine ein-
gehende Beschreibung, da er bei all den andern von ihm untersuchten
Das Facettenaugo der Wa«ser\\aii/,oii. 421
Hemipteren ihren Augenbau mit dem von Notonecta qlauca >>bis auf
untergeordnete Differenzen in Größe usw.« so übereinstimmend ge-
funden hat, daß er sich einer eingehenden Berichterstattung über sie
für enthoben hält.
Aus doppeltem Grunde begann ich meine Facettenaugenstudien
an Notonecta glauca. Erstens ließ sich das Material ohne jede Mühe
beschaffen — denn in welchem Teiche bei uns ist die Notonecta nicht
zu finden? — und zweitens — und das war der Hauptgrund! — hatte
ich ja an den GKENACHERschen Untersuchungen die denkbar beste
Handhabe, mich in mein Thema einzuarbeiten. Wenn ich auch in der
Hauptsache die Anschauungen Grenachers teile, kann ich doch nicht
umhin, in einzelnen Punkten von ihnen abzuweichen, wie ich das an
der Hand meiner Untersuchungen zeigen werde.
Betrachtet man die Cornea von Notonecta glauca bei schwacher
Vergrößerung (siehe Fig. 1), so sieht sie plankonvex aus; bei starker
Vergrößerung zeigt sich jedoch, daß die äußere Begrenzungslinie der
Cornea nicht vollkommen plan ist, vielmehr setzt sich diese scheinbar
gerade Linie auf dem Längsschnitt durch das Auge aus so vielen kon-
vexen Abschnitten zusammen, als eben Onmiatidien angeschnitten sind
(s. Fig. 2). Die innere Begrenzungslinie ist stark konvex. Die Cornea-
linsen, die am Rande des Auges gelegen sind, sind an ihrer Außenseite
rmid, an ihrer Innenseite eckig, d. h. nur dort, wo sie an die Facetten
der benachbarten Ommatidien anstoßen. Alle andern Facetten sind
regelmäßig sechseckig. Ursprünglich sind also die Corneafacetten
rund gewesen, aber durch den gegenseitigen Druck, den sie aufeinander
ausüben, vnrd die polygonale Form der Facetten hervorgerufen.
Die Cornea ist aus zarten, einzelnen chitinösen Lamellen aufgebaut
und läßt deutlich zwei Schichten unterscheiden, verschieden in Dicke
und Tinktions vermögen. Die innere ist die dunklere und ungefähr noch
einmal so dick als die äußere, die hellere. Der Tinktion entsprechend
ist also die äußere Schicht, was die Konsistenz anbetrifft, die härtere.
Der inneren, stark konvexen Begrenzungslinie der Cornea liegen
die vier Kristallzellen eng an. Die Tätigkeit dieser Zellen — sie sind
ja Hypodermiszellen — besteht in erster Linie darin, an der Außen-
seite die Cornea zu bilden. Cornea und Kristallzellen zusammen
repräsentieren den dioptrischen Apparat des Facettenauges.
Die vier Kristallzellen, für welchen Zellkomplex Carriere den
Ausdruck Vitrella eingeführt hat, sind eng aneinander gelegen und
bilden einen Kegel. Die Basis dieses Zellkegels sitzt der konvexen
Innenseite der Cornea auf und die Spitze ist der Retinula zugewandt.
422
Kurt Bedau,
Die wabenförmige Struktur der Kristallzellen läßt sich an Präparaten,
die mit Hämalaun-Eosin gefärbt sind, am besten erkennen. Mitten
in das helle Plasma der Kristallzellen eingebettet liegen die vier Zell-
kerne. Diese sind kugelig, führen reichlich Chromatin und sind homolog
den SEMPERschen Kernen im euconen Auge.
Die vier Kristallzellen sind becherförmig von einer Pigmenthülle
(s. Textfig. 1) umgeben, die von den beiden Hauptpigmentzellen ge-
bildet wird. Diese Hauptpigmentzellen
sind nach Hesse mit den Corneagenzellen
im Auge der Crustaceen zu homologisieren.
Die Kerne der Hauptpigmentzellen liegen
der Vitrellaspitze eng an, haben beträcht-
liche Größe und repräsentieren auf dem
Querschnitt ungefähr die Form einer Bohne
(s. Fig. 3). Das Pigment der Hauptpig-
mentzellen ist intensiv braun gefärbt, und
die einzelnen, sehr großen, kugeligen Pig-
mentkörner sind in regulären Querreihen
angeordnet.
Zwischen den einzelnen Vitrellen liegen
die distalen Teile der spindelförmfgen
Nebenpigmentzellen. Die eine Spitze der
Spindel liegt direkt unter der inneren Be-
grenzungslinie der Cornea, die andre unge-
fähr an der Stelle, an der das erste, das distalste Drittel derKetinula sein
Ende erreicht hat. Die Kerne der Nebenpigmentzellen sind oval, stark
mit Chromatin ausgestattet, und liegen in derselben Höhe wie die Kerne
der Kristallzellen, die weniger reich an chromatischer Substanz sind.
Die Lage der Kerne der Vitrella, der Haupt- und Nebenpigmentzellen
veranschaulicht uns am besten ein Querschnitt durch das Auge, der
mit seinem, einem Tapetenmuster vergleichbaren Bilde einen außer-
ordentHch reizvollen Anblick darbietet (s. Fig. 3). An diesem Quer-
schnitt erkennt man auch deutlich, daß die Nebenpigmentzellen inter-
stitiell sind. Jedes Ommatidium wird von 18 Nebenpigmentzellen
umgeben, von denen aber zwölf je zwei benachbarten Ommatidien
angehören und die übrigen sechs je drei benachbarte Ommatidien be-
grenzen.
Dem dioptrischen Apparate, der sich aus der lamellös aufgebauten,
chitinösen und deutlich zwei Schichten zeigenden Cornea und der plas-
matischen Vitrella mit ihrer becherförmigen Pigmenthülle zusammen-
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Textfig. I.
Pigmeuthülle der Vitrella von Noto-
nccta glauca. S. III, 1. 1/12 Immers.
Das Fiicettenauge der Wasserwanzen. 423
setzt, grenzen die percipierenden Elemente eng an: die Ommen, die in
ihrer Gesamtheit die Retinula ausmachen, die »Nervenbündelschicht«
und das erste (periphere), zweite und dritte (centrale) Opticusganglion.
Jedes Omnia besteht aus acht Sehzellen. Grenacher hat bei
Notonecta glauca deren nur sieben nachzuweisen vermocht. Von Arthro-
podenfacettenaugen mit acht Sehzellen in jedem Omma waren ihm
nur die der Hymenopteren und Cicaden bekannt. Auf das Vorhanden-
sein von acht Sehzellkernen macht Claparede in seiner >> Morphologie
der zusammengesetzten iVugen bei den Arthropoden« im Jahre 1859
zum erstenmal in der Literatur aufmerksam: >> Gleichwohl ist bei
Sphinx euphorbiae der Ursprung des Nervenstabes aus mehreren Zellen
an einer Ansammlung von Kernen zu erkennen, die etwas oberhalb
von der prismatischen Anschwellung regelmäßig angetroffen werden.
Diese Kerne sind acht an der Zahl, wie man es bei starker Vergrößerung
mit Sicherheit erkennen kann.« Die Ansicht, daß die Achtzahl der
Sehzellen in jedem Omma die ursprüngliche ist und daß die Siebenzahl
— wie sie Grenacher und Carriere mit nur wenigen Ausnahmen
angeben — durch Rudimentärwerden der achten Zelle, durch Reduk-
tion, zustande kommt, bricht sich mehr und mehr Bahn. Nachdem
es Hesse gelungen ist, bei einer ganzen Reihe von Arthropoden die
Achtzahl der Sehzellen in jedem Omma mit Sicherheit festzustellen,
kommt er schließlich zu dem Satze, daß »weiteres Suchen noch mehr
Anhaltspvmkte dafür bringt, daß die Achtzahl der Sehzellen die ur-
sprüngliche ist, die Siebenzahl auf Reduktion beruht «. (Untersuchungen
über die Organe der Lichtempfindung bei niederen Tieren. VIL Von
den Arthropodenaugen. 1901.) Daß Hesse die Verhältnisse richtig
beurteilt, geht zunächst aus den 7 Jahre später erscheinenden »Unter-
suchungen über die Augen pentamerer Käfer« Kirchhoffers hervor,
der zu dem Resultate kommt : »Die Retinula besteht aus acht Sehzellen. «
Nur ein Jahr später erscheinen: »Die Facettenaugen der Dipteren«
Dietrichs und bestätigen die Behauptung Hesses und Kirchhoffers
vollauf. Durch meine Untersuchungen an Notonecta glauca — wie an
den andern von mir untersuchten im Wasser lebenden Wanzen, was
später noch auszuführen sein wird — dürften die Angaben Hesses,
Kirchhoffers und Dietrichs eine weitere Stütze finden. Zu der
gleichen Zeit, als ich diese Untersuchungen im Zoologischen Institut
der Universität anstellte, studierte W. Johnas ebendaselbst den Bau
der Facettenaugen der Lepidopteren. Auch Johnas erkennt die Acht-
zahl der Retinulazellen im allgemeinen an, vermag jedoch in drei Fällen
die interessante Tatsache nachzuweisen, daß Ommen mit sogar zehn
424
Kurt Bedau,
Sehzellen vorkommen, nämlich bei Lycaena icarus, Chrysophanus
hippothoe imd Botis verticalis.
Geenacher hat bei Notonecta glauca sieben Sehzellen in jedem
Omma nachgewiesen, von denen sechs im Kreise um die siebente stehen.
In der Tat sind sechs Sehzellen ungefähr kreisförmig angeordnet. Der
Kreis ist jedoch nicht ganz geschlossen. In der Mitte dieses an einer
Stelle offenen Kranzes der sechs Sehzellen stehen zwei weitere, die von
unten her, von der Basalmembran aus, sich in die oberen einschieben.
Die Basalmembran oder Membrana fenestrata, die aus der Basal-
membran der embryonalen Hypodermiszellen
hervorgegangen ist, liegt der Cornea genau
konzentrisch, grenzt die Retinula gegen den
Ganglienapparat ab und ist für den Durchtritt ^
Textfig. 2. Textfig. 3.
Querschnitt diireh die Unimatidien von Notonecta glauca in Querschnitt durch ein Omniati-
Höhe « von Fig. 2, S. I, 1/12 Immers.
dium von Notonecta glauca in Höhe
a, b und c von Fig. 2. L. III, 7.
der Nerven, die vom Ganglion kommen und in die Ommatidien gehen,
mit feinen Löchern, Foramina membranae fenestratae, versehen.
Die sechs oberen Sehzellen sind morphologisch nicht gleichwertig.
Die größten sind die »Torzellen«, d. h. die Zellen, die an den Enden
des offenen Kranzes stehen. Die nächst größten sind die Nachbar-
zellen und die kleinsten demzufolge die den »Torzellen« gegenüber-
stehenden (Textfig. 2). Auch die sich von unten her einschiebenden
Zellen sind nicht gleichwertig (vgl. Textfig. 3). Das Rhabdomer der
siebenten Zelle reicht distal fast bis zum Beginn der Retinula; der
l)a«< FacfltiMUiugc ilcr Was.-^i'rwanzon. 425
pigmentierte Teil der Zelle ist nicht so iiut entwickelt. Die achte Zelle
trägt noch stärkere Zeichen der Rudimentation. Sie ist auffallend
klein. Immerhin lassen sich auch an ihr noch deutlich die zwei für die
Sehzellen des aconen Facettenauges typischen Teile unterscheiden:
der pigmentierte und pigmentfreie Teil oder der Rhabdomerträger
und das Rhabdomer selbst.
Im pigmentierten Teil jeder Sehzelle liegt der Zellkern. Die Seh-
zellkerne haben ovale Form, sind relativ groß, führen reichlich Chro-
matin und lassen sich auf Quer- imd Längsschnitten leicht nachweisen,
sofern die Präparate für diesen Zweck genügend entpigmentiert sind
(s. Fig. 2). Noch besser sichtbar sind die Kerne im »Dunkelauge«,
um den Ausdruck Exners zu gebrauchen. Das Dunkelauge, dessen
Mitte der Retinula frei von jedem Pigment ist — von »Dunkel- und
Lichtauge << wird später noch eingehend gesprochen werden — , zeigt die
acht Sehzellkerne in aller Deutlichkeit. Sechs dieser Kerne liegen der
Cornea zu und zwei — und das sind die Kerne der Zellen, die sich von
der Membrana fenestrata aus in den oberen Kranz der andern Seh-
zellen einschieben — der Basalmembran zu.
Grenacher hat also die allerdings Zeichen der Rudimentation
tragende achte Sehzelle übersehen. Desgleichen hat er nicht beobachtet,
daß die Ommen im dorsalen Teil des Auges anders angeordnet sind
als im ventralen. Im dorsalen Teil liegt das »Tor« proximal-dorsal
und im ventralen Teil proximal-ventral, also gerade entgegengesetzt,
so daß wir es mit zwei spiegelbildlich gleichen Hälften zu tun haben.
Eine der eben besprochenen ähnliche asymmetrische Anordnung der
Sehzellen jedes Ommas im dorsalen und ventralen Teil des Auges hat
zuerst Dietrich beschrieben. Als er in seiner Arbeit auf die bei
den Dipteren »konstante asymmetrische« Anordnung der Sehzellen
jedes Ommas — ich habe sie nur bei Notonecta glauca konstatieren
können — zu sprechen kommt, gibt er seiner Verwunderung dar-
über Ausdruck, daß das von ihm zuerst erwähnte Faktum noch nicht
eher in der Literatur betont worden sei. Ich kann Dietrich in dieser
Beziehung nur beistimmen, denn auch bei Notonecta glauca ist es wie
bei den Dipteren, »ein Moment, das sich beim Studium der Retinula
geradezu aufdrängt«. Der asymmetrischen Anordnung der Ommen
im ventralen und dorsalen Teil des Auges möchte ich eine Bedeutung
in physiologischer Hinsicht nicht beimessen. Auch ich sehe — wie
Dietrich — diese asymmetrische Anordnung an als das zufällige
Resultat organogenetischer Prozesse.
Weist die asymmetrische Anordnung der Ommen im dorsalen und
426 Kurt Bedau,
ventralen Teil des Auges schon auf eine Differenzierung des Notonecta-
Auges in ein Doppelauge hin, so sind hierfür noch drei weitere Belege
anzuführen, die sich aus einem Längsschnitt durch das Auge (s. Fig. 1)
sozusagen ablesen lassen, bislang aber in der Literatur nicht konstatiert
worden sind, selbst von Gren acher nicht. Im dorsalen Teil des Auges
zeigt das Pigment der Nebenpigmentzellen eine typisch braune Farbe,
im ventralen eine intensiv purpurrote. Eine scharfe Grenze zwischen
den beiden Teilen zu ziehen, ist nicht möglich, im Gegenteil, das braune
Pigment geht ganz allmählich in das purpurrote über. Das Pigment
der Zellen, die mit ihren Kernen der Membrana fenestrata direkt auf-
sitzen, ist im dorsalen Teil des Auges viel spärlicher vorhanden als
im ventralen. Aber auch hier lassen sich die beiden voneinander ver-
schiedenen Bezirke nicht abgrenzen. Drittens endlich stehen die Omma-
tidien im dorsalen Teil des Auges viel weiter auseinander als im ventralen.
Der ventrale Teil des Notonecta- Auges ist also anders differenziert als
der dorsale, und zwar im männlichen wie im weiblichen Geschlecht.
Wie bei Notonecta glauca, so habe ich auch bei keiner andern Wasser-
wanze irgend einen — auch nicht den kleinsten — Unterschied finden
können zwischen dem Auge des Männchens und dem des Weibchens.
Die Frage, weshalb hat der dorsale Teil des Notonecta- Anges seine Cha-
raktere gewahrt und weshalb ist der ventrale Teil differenziert, soll mit
allen ihren Nebenfragen im physiologisch-biologischen Teil dieser Arbeit
ihre Antwort finden.
Ln Längsschnitt betrachtet, repräsentiert das Notonecta-Omma, die
Form einer Keule. Die kolbenförmige Verdickung des Ommas liegt
der Spitze des Kristallzellengebildes eng an. Proximal verjüngt sich
das Omma, läuft aber nicht etwa direkt spitz zu, sondern sitzt in
immerhin noch ziemlich breitem Umfange der Basalmembran auf.
Die Ommen sind der ganzen Länge nach stark pigmentiert. Be-
sonders intensiv ist die Pigmentanhäufung nahe der Vitrella und
nahe der Membrana fenestrata. Der mittlere Teil der Retinula ist
nicht so stark pigmentiert. Dieses Faktum findet leicht seine Er-
klärung. Die sechs oberen Sehzellen sind an ihrem distalen Ende am
stärksten, folglich muß auch hier die Pigmentanhäufung beträchtlich«
sein. In die oberen sechs Sehzellen schieben sich von unten her, von
der Basalmembran aus, die beiden andern Sehzellen ein. Diese sind
in ihrem proximalen Teil am besten entwickelt, demzufolge direkt
oberhalb der Membrana fenestrata eine starke Pigmentanhäufung. Das
intracelluläre Pigment der Sehzellen ist feinkörnig. Das^ Pigment der
Nebenpigmentzellen und der Zellen, die mit ihren Kernen der Basal-
Das Facettenauge tler Wasserwanzen. 427
membran eng aufliegen, ist grobkörniger als das intracelluläre Retinula-
pigment, aber auch noch feinköinig im Verhältnis zu dem Pigment
der Hauptpigmentzellen.
Außer dem Pigment habe ich iniieilialb der Retinula noch eine
außerordentlich große Zahl von unregelmäßig geformten, bald größeren,
bald kleineren Körpern nachweisen können. Diese Körper färben sich
mit Eisenfärbung nach Heidenhain intensiv schwarz und sind in
hohem Grade lichtbrechend. Allem Anschein nach handelt es sich —
dieser Ansicht ist auch Grenacher — um Fettansammlungen.
Die Neben- und Retinapigmentzellen, bilden regelrechte Scheiden
um die einzelnen Ommatidien, so daß jedes Omma nur von dem ihm
zugehörigen Kristallzellengebilde Licht empfangen kann und das
Zustandekommen eines Appositionsbildes gesichert ist. Ob im aconen
Auge der Wasserwanzen unter Umständen auch Superpositionsbilder
entstehen können, darüber soll im letzten Kapitel dieser Arbeit ge-
sprochen werden.
Zwischen den Pigmentscheiden der einzelnen Ommatidien ist im
proximalen Teil der Retinula — im distalen und zwischen den Vitrellen
nicht — eine größere Zahl von Tracheen nachweisbar. Diese Tracheen
entstammen den Tracheenästen, die sich in dem Raum zwischen der
Membrana fenestrata und der Ganglienzellkernschicht des peripheren
oder ersten Opticusganglion, in der sogenannten » Nervenbündelschicht «,
in großer Zahl und reicher Verzweigung ausbreiten. Die Tracheen
müssen, um zwischen die einzelnen Ommatidien zu gelangen, durch
die Basalmembran in das Auge im engeren Sinne distal eintreten.
Mir ist es jedoch nicht möglich gewesen, eine solche Durch trittsstelle
einer Trachee durch die Membrana fenestrata in die Retinula nach-
weisen zu können. »Ihr (der Tracheen) Durchtritt durch die Membran <<,
so führt Dietrich aus, »ist nur an wenigen Stellen zu beobachten, und
dabei zeigt sich, daß sie unmittelbar danach ihrer Chitinspirale ver-
lustig gehen und daß nur eine äußerst dünne Lamelle wie ein Hand-
el o
Schuhfinger vorwärts geschoben wird. « Während sich unterhalb der
Basalmembran an den Tracheen stets die drei für sie typischen
Bestandteile unterscheiden lassen, Hülle, Kern und Chitinspirale, sind
an den Tracheen innerhalb der Retinula — wie bei den Dipteren —
Chitinspiralen nicht zu beobachten. Wenn auch die zwischen den
einzelnen Ommatidien gelegenen Tracheen nicht regelmäßig angeordnet
sind — für viele Arthropoden ist das Gegenteil bekannt — , so möchte
ich doch der Ansicht Grenachers nicht beipflichten, der auf eine
Besprechung der Tracheen iimerhalb des Auges nicht eingeht, weil
428 Kurt Bedau,
»sie mit dem Sehorgan als solchem direkt nichts zu tun haben und
ihr Vorkommen und Verhalten äußerst wechselnd ist<<. Da die Tra-
cheen in mehr als einem Punkte für das Auge von Bedeutung sein
können, werde ich auf das unregelmäßige und relativ spärliche Vor-
kommen von Tracheen im Auge von Notoneda — wie auch der andern
noch zu beschreibenden Hemipteren — im physiologisch-biologischen
Teile dieser Arbeit ausführlich zurückkommen.
2. Ranatra linearis.
Bei der Beschreibung des Auges von Notonecta ghuca sagte ich
schon, daß Grenacher außer der eben genannten Wasserwanze auch
noch Ranatra und Nepa untersucht hat, aber den Bau dieser drei
Augen bis auf »untergeordnete Differenzen in Größe usw.<< so über-
einstimmend gefunden hat, daß er nur das Auge von Notonecta glauca
eingehend schildert. Da ich bei meinen Untersuchungen dieser drei
Augen zu dem Ergebnis gelangte, daß sie durchaus nicht nur in unter-
geordneten Merkmalen sich unterscheiden, möchte ich zunächst das
Auge von Ranatra linearis eingehend beschreiben.
Betrachten wir das eben genannte Auge auf einem Längsschnitt,
so fällt uns zunächst die fast kugelige Form dieses Auges auf (s. Fig. 4).
Die beiden Kugelhälften sind streng voneinander zu scheiden. Der
dorsale Teil des Auges ist bei weitem größer als der ventrale. Im
dorsalen Teil sind die Ommatidien dicht aneinander gedrängt, während
sie im ventralen Teil relativ weit auseinander stehen. Das Pigment
der Nebenpigmentzellen im dorsalen Teil zeigt eine typisch gelbe Farbe,
im ventralen ist es purpurrot.
Das Pigment der Zellen, die das Ketinapigment führen, ist im
dorsalen Auge in viel reicherem Maße vorhanden als im ventralen.
Während sich bei Notonecta glauca der dorsale Teil des Auges vom
ventralen nicht streng abgrenzen läßt, kann man im Auge von Ranatra
linearis eine scharfe Scheide zwischen Dorsal- und Ventralteil ziehen.
Das Auge von Ranatra ist ein typisches Doppelauge. Das Dorsalauge
ist bei weitem mehr differenziert als das Ventralauge, also gerade
entgegengesetzt den Verhältnissen im Notonecta- Auge, in dem der ven-
trale Teil besser differenziert ist als der dorsale. Eine Erklärung für
dies eben beschriebene und so seltsam klingende Faktum werde ich
im physiologisch-biologischen Teil meiner Arbeit geben.
Ein zweites Moment, das sich jedem, der sich überhaupt je mit
dem Studium des Facettenauges beschäftigt hat, geradezu aufdrängen
muß, ist das Verhalten der Pigmentzellen, die direkt oberhalb der Basal-
Das Facettenauge der Wassei\\;iiizcMi. 429
membran liegen. Während sie im Auge von Notonecta der ganzen
Länge des Auges der Membrana fenestrata mit ihren Kernen aufliegen,
ist dies bei Ranatra nicht der Fall. Die Retinapigmentzellen sitzen
der Basalmembran dorsal und ventral nur ein Stück auf, dann aber
weichen sie in einer gegen die Membran offenen Kurve aus (s. Fig. 4).
Der höchste distale Punkt dieser Kurve liegt genau auf der idealen
Scheide zwischen dem Dorsal- und Ventralauge. Audi für dieses
Faktum werde ich im physiologisch-biologischen Teil meiner Abhand-
lung eine Erklärung geben.
Ist das Auge von Ranatra linearis in toto betrachtet in seinem
Bau durchaus verschieden von dem von Notonecta glauca, so sehen
wir auch bei der Untersuchung der einzelnen das Auge zusammen-
setzenden Teile, daß verschiedene von ihnen anders geformt und anders
angeordnet sind als bei Notonecta glauca.
Die Cornea von Ranatra (s. Textfig. 4) ist außerordentlich stark
entwickelt und läßt deutlich zwei Schichten unterscheiden. Die äußere,
heller gefärbte ist winzig im Verhältnis zu der innern, auffallend stark
entwickelten, dunkleren. Die Cornea ist plankonvex und läßt den
Chitinlamellenaufbau deutlich erkennen.
Die vier Kristallzellen und die beiden sie umgebenden Haupt-
pigmentzellen sind genau so gebaut und angeordnet wie bei Notonecta.
Anders die Nebenpigmentzellen. Ihre Form ist zwar die der Notonecta-
Nebenpigmentzellen, Spindelform; aber ihre Anordnung ist eine andre.
Während bei Notonecta 18 Nebenpigmentzellen um jedes Ommatidium
stehen, von denen zwölf zu je zwei benachbarten Ommatidien ange-
hören, während die übrigen sechs je drei benachbarte Ommatidien
begrenzen, hat bei Ranatra linearis jedes Ommatidium seinen eignen
Kranz von Nebenpigmentzellen. Um jedes Ommatidium sind zwölf
Nebenpigmentzellen in Kreisform angeordnet (s. Fig. 5). Daß ein
Ommatidium seinen eignen Kranz von Nebenpigmentzellen hat, ist
ein in der Literatur — soweit ich sie überblicke — bislang noch nicht
erwähntes Faktum. Noch im Jahre 1901 sagt Hesse in seinen »Unter
suchungen über die Organe der Lichtempfindung bei niederen Tieren«:
»Die Nebenpigmentzellen sind in ihrer Zahl wechselnd; ich möchte
betonen, daß man sie den einzelnen Ommen nicht zurechnen kann,
sie sind indifferente Zellen, die zAvischen den Ommen stehen, aber
nicht etwa so, daß jedes Omma seinen eignen Kranz von Pigmentzellen
hätte.« Wie bei Ranatra linearis^ so habe ich noch bei zwei andern
Wasserwanzen, Nefa cinerea und Corixa Geoffroyi — was später noch
geschildert werden wird — deutlich für jedes Ommatidium einen eignen
430
Kurt Bedau,
Kranz von Nebenpigmentzellen nachweisen können. Der Satz Hesses
von den interstitiellen Nebenpigmentzellen der Ommatidien läßt sich
nach den eben geschilderten — beziehungsweise bei Neya und Corixa
noch zu beschreibenden — Fakten nicht mehr in seiner ganzen Trag-
weite aufrecht erhalten.
Die Kerne der Nebenpigmentzellen liegen auffallend tief, in der
Höhe, in der die noch zu schildernden, von der Basalmembran her-
kommenden beiden Sehzellen distal
j A
enden. Jedes Ranatra -Omina, hat
die Form einer Keule und setzt
sich aus acht Sehzellen zusammen.
An jeder dieser Sehzellen können
wir die beiden für sie typischen
Teile unterscheiden, den pigmentier-
ten und den pigmentfreien. Sechs
Sehzellen sind in Kreisform ange-
ordnet und liegen distal, während
sich die beiden andern Sehzellen von
der Basalmembran aus in den Kreis
der oberen sechs Zellen einschieben,
also proximal gelegen sind. Die
sechs distalen Sehzellen sind mor-
phologisch gleichwertig; von den
beiden proximalen gilt das gleiche.
Sind die letzteren auch nicht so
mächtig entwickelt als die ersteren,
so tragen sie doch durchaus keine
Zeichen der Rudimentation. Die
Rhabdomere der proximalen Zellen
sind genau so gut entwickelt als
ihre pigmentierten Teile, während
wir doch an der siebenten Sehzelle
von Notonecta glauca haben konsta-
tieren können, daß hier das Rhab-
domer ungleich besser ausgebildet ist als der pigmentierte Teil der
Zelle.
Die Existenz der acht Sehzellen in jedem Omma läßt sich auf
Quer- und Längsschnitten (s. Fig. 5 u. Textfig. 4) in aller Deutlichkeit
nachweisen. Auf Längsschnitten sehen wir an Präparaten, deren Pig-
ment durch ein chemisches Reagens nur mäßig zerstört ist, starke
bm.
Textfig. 4.
Zwei Einzelommatidien aus dem Auge von Ra
natra linearis. S. III, 5.
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 431
Pigmentansammlungen im kolbenförmigen, distalen Ende des Onunas
und im proximalen Ende, also oberhalb der Membrana fenestrata.
Außerdem aber können wir noch, schon bei schwacher Vergrößerung,
beobachten, wie sich, aus der basal gelegenen Pigmentanhäufung kom-
mend, in der Mitte des Ommas zwei Pigmentstränge in das distale Pig-
ment einschieben. Das sind die pigmentierten Teile der an der Basal-
membran beginnenden beiden proximalen Sehzellen. Die eben er-
wähnten zwei Pigmentstränge sind schon bei so schwacher Vergrößerung
wahrnehmbar, daß sie in das Übersichtsbild (s. Fig. 4) des Auges mit
eingezeichnet werden müssen, wenn es überhaupt Anspruch auf Ge-
nauigkeit und Richtigkeit erheben will.
An stark entpigmentierten Längsschnitten (s. Textfig. 4 h) sind die
acht Kerne der Sehzellen in jedem Onima deutlich nachweisbar. Der
Lage der Sehzellen entsprechend liegen sechs ihrer Kerne distal und
zwei proximal. Die Kerne der distalen Sehzellen liegen ungefähr in
der Mitte des Ommas, die der proximalen — wie schon gesagt — ein
wenig proximal hiervon.
Auch auf Querschnitten läßt sich die Anordnung der Sehzellen
recht gut erkennen (s. Fig. 5). Hier sehen wir, daß die beiden proxi-
malen Sehzellen sich in den Kranz der distalen Zellen sozusagen ein-
pressen. Es darf uns daher nicht wundernehmen, daß die zwei von
der Basalmembran herkommenden Zellen auf Querschnitten die Form
eines regulären Sechsecks zeigen. Daß die beiden proximalen Sehzellen
zusammen Sechseckform annehmen, erklärt sich auf rein mechanischem
Wege, genau wie das Faktum, daß nur die Cornealinsen polygonale
Form zeigen, die an benachbarte anstoßen. (Die am Rande der Cornea
gelegenen Linsen sind bekanntlich an ihrer Außenseite rund.)
Die sechs distalen Sehzellen stehen kreisförmig, so daß jede der
Zellen einen Kreissektor mit abgerundeter Spitze bildet. Es kann
also die Form der zwei sich einschiebenden proximalen Zellen — wenn
wir die hier obwaltenden Druckverhältnisse bedenken — keine andre
als Sechseckform sein.
3. Hydrometra 'palustris.
Wie das Auge von Ranatra linearis, so ist auch das von Hydrometra
palustris ein typisches Doppelauge, das beiden Geschlechtern, Männchen
und Weibchen, in gleicher Weise zukommt.
Wiewohl das Ventralauge kleiner ist als das Dorsalauge, ist es
doch das besser differenzierte. In ihm stehen die Ommatidien dicht
aneinander gedrängt, im Dorsalauge stehen sie in relativ weiten
432 Kurt Bedau,
Abständen voneinander entfernt. Während bei Ranatra die Nebenpig-
mentzellen im Dorsalauge gelbes und im Ventralauge rotes Pigment
aufweisen, sind die Nebenpigmentzellen im Hydrometra- Auge dorsal
und ventral mit Pigment gleicher, brauner Tinktion ausgestattet. Auch
die Quantität des Pigmentes ist in den Nebenpigmentzellen bei Hydro-
metra dorsal und ventral die gleiche, anders in den Retinapigmentzellen.
Diese Zellen sind im ventralen Auge viel reicher mit Pigment versehen
als im dorsalen. Die Farbe des Pigmentes der Retinapigmentzellen
ist dorsal und ventral gleich, braun.
Das zweite Moment, das bei dem Studium des Ranatra- AMge^
auffällt, ist das seltsame Verhalten der Pigmentzellen oberhalb der
Membrana fenestrata, die dorsal und ventral nur ein Stück der Basal-
membran aufsitzen, ihr aber dann in einem zu offenen Bogen aus-
weichen, dessen höchster distaler Punkt genau auf der idealen Scheide
zwischen dem Dorsal- und Ventralauge liegt. Das Abrücken der Pig-
mentzellen von der Basalmembran finden wir bei Hydrometra zum
Extrem ausgebildet. Keine einzige der Pigmentzellen, die im Notonecta-
Auge der Membrana fenestrata direkt aufsitzen und im Ranatra-Auge
wenigstens zum Teil, liegt im Hydrometra- Auge mit ihrem Kern der
Basalmembran auf. In einem zu ihr offenen Bogen weichen sie ihr aus.
Im Ranatra-Auge hat dieser Bogen ungefähr die Form einer Parabel,
im Hydrometra- Auge, weist er — an dem einen Ende der Membran be-
ginnend und an dem andern aufhörend — einen aufsteigenden und einen
absteigenden Ast auf, zwischen welchen beiden die Kurve ein Stück
fast parallel der Basalmembran verläuft. Ihren höchsten distalen Punkt
erreicht die Kurve in dem Augenblick, in dem sie, von der Ventralseite
des Auges kommend, dorsal umbiegt und so den ersten Knick des Bogens
beschreibt (s. Fig. 6). Dieser höchste distale Punkt der Kurve hegt
wie bei Ranatra so auch bei Hydrometra genau auf der idealen Scheide
zwischen dem Ventral- und Dorsalauge. Von dem eben erwähnten
Knick an läuft die Kurve ein gut Stück der Basalmembran fast parallel,
um dann schließlich, im lateral-dorsalen Teil des Auges einen zweiten
Knick ausführend, wieder der Membrana fenestrata zuzustreben.
Während bei den bisher beschriebenen Wasserwanzen und später
noch zu schildernden die Ommatidien im dorsalen und ventralen Teil
des Auges dieselbe Länge besitzen, sind die ventral stehenden Omma-
tidien im Dorsalauge von Hydrometra ungleich länger als all die andern
(s. Fig. 6). Fig. 7 a gibt ein Ommatidium aus dem ventralen Teil
des Dorsalauges wieder, Fig. 7 h ein nicht im genannten Teil stehendes.
Aus den beiden Abbildungen ist ersichthch, daß ein Ommatidium
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 433
einschließlich der zugehörigen Corneafacette, das nicht im ventralen
Teil des Dorsalaiiges steht, genau so groß ist als das Omma eines
Facettcngliedes, das eben in besagter Region des Auges liegt. Be-
denkt man ferner, daß die Vitrella eines Ommatidiums aus dem ven-
tralen Teil des Dorsalauges beinahe dreimal so lang ist als das Kristall-
zelleugebilde eines andern, nicht in diesem Bezirk des Auges gelegenen
Facettengiiedes, so resultiert hieraus, daß ein Ommatidium aus dem
ventralen Teil des Dorsalauges um ein Beträchtliches länger ist als
ein solches, das nicht im besagten Teile steht.
Dadurch, daß die ventral stehenden Ommatidien des Dorsalauges,
also die central gelegenen des Gesamtauges, bedeutend länger sind als
ihre Nachbarommatidien, macht das Auge von Hydrometra palustris,
auf dem Längsschnitt in toto betrachtet, den Eindruck der Dreiteilig-
keit: Ventral- und Dorsalauge, letzteres aus dorsaler und ventraler
Region bestehend. Das Faktum, daß die central gelegenen Omma-
tidien im Facettenauge eine Verlängerung erfahren können, wobei
es sich nicht nur um eine Differenzierung zum Doppelauge zu handeln
braucht, hat bereits Dietrich bei Laphria flava nachgewiesen.
Dadurch, daß sich die ventral stehenden Ommatidien im Dorsal-
auge so außerordentlich langgestreckt haben, hat ein Teil der Kristall-
zellkerne seine ursprüngliche Lage aufgeben müssen. Während sonst
die Kerne der Vitrella in einer Ebene liegen, sind zwei Kerne der Kristall-
zellen im ventralen Teil des Dorsalauges tiefer, d. h. mehr distal als
die beiden andern gelegen. Dies in die Tieferücken der zwei Zellkerne
erklärt sich also auf rein mechanischem Wege. Die Ommatidien haben
sich in der Längsrichtung kräftig entwickelt, und bei dieser Entwicklung
ist eben ein Teil, die Hälfte der Vitrellakerne in der Längsrichtung
verlagert und in die Tiefe gerückt.
Die Differenzierung zu einem Doppelauge, das seltsame Verhalten
der Retinapigmentzellen und die beträchtliche Länge der ventral-
stehenden Ommatidien des Dorsalauges, das alles sind Momente, die
uns sofort auffallen müssen, zumal das an letzter Stelle angeführte.
Denn gerade durch dieses Moment erhält das acone Hydrometra- Auge
ein außerordentlich schlankes Aussehen. Wir werden, wenn wir das
Auge von Hydrometra in toto auf einem gut geführten Längsschnitt
betrachten, unwillkürlich an das eucone Auge erinnert mit seinen —
im Verhältnis zu den Vitrellen — schlanken Kristallkegeln und seinen
schlanken Ommen. Studieren wir den anatomischen Bau des Hydro-
metra-Auges näher, so werden wir bei der Betrachtung der Neben-
pigmentzellen von neuem an das eucone Auge denken. Bei Hydrometra
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 29
434 Kurt Bedau,
sind um jedes Ommatidium sechs Nebenpigmentzellen in Form eines
sechszackigen Sternes gruppiert, so daß je eine Zelle drei Omma-
tidien angehört. Es ist dies dasselbe Bild, wie es so typisch und durch-
gehend bei sämtlichen Lepidopteren, den Tag- und den JS'achtschmetter-
lingen, auftritt. Die Kerne der spindelförmigen Nebenpigmentzellen
hegen in der Höhe der Vitrellakerne (s. Fig. 8).
Wie bei Notonecta glauca und Ranatra linearis, so setzt sich
auch bei Hydrometra palustris jedes Omma aus acht Sehzellen zusammen,
von denen sechs distal und zwei proximal gelegen sind. Die sechs
distalen Zellen sind — wie bei Ranatra — in Kreisform angeordnet
und morphologisch gleichwertig (s. Fig. 9). In diesen Kreis der sechs
distalen Sehzellen schieben sich von der Basalmembran aus die beiden
morphologisch gleichwertigen proximalen Zellen ein. An ihnen sind
die nicht pigmentierten Teile weit besser entwickelt als die pigmentierten.
Während die letzteren nur halbe Ommalänge besitzen, lassen sich die
Rhabdomere der beiden proximalen Zellen distal fast bis zum distalen
Retinulaende verfolgen. Daß Querschnitte in Höhe des distalen Re-
tinulaendes einen weiten freien Raum zwischen den sechs distalen Seh-
zellen und den Rhabdomeren der beiden proximalen Zellen erkennen
lassen (s. Fig. 9), ist offenbar auf Schrumpfungserscheinungen der Ge-
webe zurückzuführen. Aller Wahrscheinlichkeit nach liegen die zwei
proximalen Zellen den sechs distalen eng an.
Auf Längsschnitten (s. Fig. 7) sind von der Cornea aus gerechnet
sechs Sehzellkerne im ersten und zwei weitere im dritten Viertel der
Retinula gelegen. In den proximalen wie in den distalen Hydrometra-
Sehzellen sind demzufolge die Kerne im distalen Teil der Zelle gelegen.
4. Nepa cinerea.
Das iVe^^a-Auge ist das dritte — die beiden andern sind die von
Notonecta und Ranatra — von Gkenacher untersuchte Wasserwanzen-
facettenauge. Da ich das iVe^^a-Auge in mehr als einem Punkt durch-
aus verschieden von dem Notonecta- und Äona^ra-Auge gebaut gefunden
habe, will ich es, sofern wesentliche morphologische Abweichungen
den andern beiden Augen gegenüber bestehen, eingehend besprechen.
So typisch wie bei Ranatra linearis und Hydrometra palustris ist
die Differenzierung des Auges ins Doppelauge bei N&pa cinera nicht
(s. Fig. 10). Immerhin läßt es sich sehr wohl nachweisen, daß der
dorsale Teil des Nepa-Auges besser differenziert ist als der ventrale.
Das Dorsalauge von Nepa macht beinahe drei Viertel des gesamten
Auges aus. Die Ommatidien stehen im dorsalen Teil des Auges viel
Das Facettenaupe der Wasserwanzen. 435
enger aneinander als im ventralen, und auch die optische Isolierung
der einzelnen Facettenglieder, bewerksteüigt durch das Pigment der
Neben- und Retinapigmcntzellen, ist dorsal besser als ventral. Die
Pigmentzellen des gesamten iVe^a- Auges führen braunes Pigment.
Im Dorsalauge sind die Neben- und Retinapigmentzellen viel stärker
mit Pigmentkörnchen ausgestattet als im Ventralauge, und so läßt
sich eine genaue Grenze zwischen Dorsal- und Ventralteil des Auges
ziehen im Gegensatz zu Notonecta. Im Auge dieses Tieres geht — wie
früher gezeigt — das rote Pigment der Nebenpigmentzellen des Ventral-
auges ganz allmählich über in das braune des Dorsalauges, und die
intensive Pigmentierung der ventralen Retinapigmentzellen nimmt
dorsal ganz allmählich ab. Anderseits läßt sich die ideale Scheide
zwischen Dorsal- und Ventralauge bei Nej)a cinerea nicht auch noch
dadurch markieren, daß etwa die Retinapigmentzellen, wie bei Ranatra
und Hydrometra, der Membrana f enestrata in einem zu ihr offenen Bogen
dorsal und ventral ausweichen, und daß dann der höchste distale Punkt
der erwähnten Kurve gerade auf die Dorsal- und Ventralauge trennende
Linie zu liegen kommt. Wie bei Notonecta, so liegen auch bei Nepa
die Retinapigmentzellen der Basalmembran in ihrer vollen Ausdehnung,
ventral und dorsal, mit ihren kugeligen Kernen auf (s. Fig. 10).
Ein zweites morphologisches Moment, das das gesamte Auge von
N&pa betrifft und physiologisch sicher von großer Bedeutung ist, ist
die außerordentlich kräftige Entwicklung der Cornea und die damit
verbundene auffallende Verkleinerung des Kristallzellengebildes. Wie
bei all den andern Wasserwanzen, so haben wir auch bei Nepa an
der Cornea zwei Schichten zu unterscheiden, eine äußere, hellere und
eine innere, dunklere. Die Cornea von Nepa ist nach außen leicht
konvex gewölbt über jedem Facettengliede, nach innen außerordentlich
konvex, so daß sich die Cornea zapfenförmig in das Kristallzellengebilde
eines jeden Ommatidiums einschiebt. Wir haben, analog den Befunden
Kirchhoffers bei pentameren Käfern, eine mit Fortsätzen, Processus
corneae, versehene Cornea vor uns (s. Fig. 11). Dadurch, daß sich in
das Kristallzellengebilde eines jeden Ommatidiums ein Processus cor-
neae einschiebt und komprimierend auf das Plasma der Vitrella wirken
muß, bekommen die Kristallzellgebilde ein plumpes Aussehen. Auf
Längsschnitten hat es zuweilen den Anschein, als füllten die Kerne der
Kristallzellen beinahe den ganzen Raum der Vitrella aus. Das plumpe
Aussehen der Kristallzellengebilde wird noch unterstützt durch die auf-
fallend mächtige Entwicklung der Hauptpigmentzellen, deren Pigment-
körnchen wie bei den andern Wasserwanzen kugelig und in regulären
29*
436 Kurt Bedau,
Querreihen angeordnet sind. Schon im Verhältnis zur Notonecta-
Vitrella ist das Kristallzellengebilde von Nepa plump gebaut zu nennen,
in wieviel höherem Maße im Verhältnis zu der so grazil geformten
Vitrella von Hydrometra. Während wir bei Betrachtung eines Längs-
schnittes durch das Hydrofnetra-Auge mit seinen schlanken Vitrellen
und seinen schlanken Ommen an das eucone Auge erinnert werden,
haben wir es in dem Auge von Nepa mit dem gerade entgegengesetzten
Extrem zu tun. Das Nepa-Auge ist kein typisch acones, es repräsen-
tiert vielmehr eine Übergangsform vom aconen zum pseudoconen Auge.
Wie bei Ranatra linearis, so hat auch bei Nepa cinerea jedes Fa-
cettenglied seinen eignen Kranz von Nebenpigmentzellen (s. Fig. 12).
Um jedes Ommatidium sind zwölf Nebenpigmentzellen kreisförmig
angeordnet. Die Kerne dieser Nebenpigmentzellen sind oval und
liegen in Höhe der Hauptpigmentzellkerne, zuweilen ein wenig tiefer,
in Höhe des distalen Eetinulaendes.
Wie bei den andern vorher beschriebenen Wasserwanzen besteht
auch bei Nepa jedes Orama aus acht Sehzellen, sechs distal und zwei
proximal gelegenen. Die sechs distalen Sehzellen bilden einen Kreis,
in dem sich die beiden proximalen von der Basalmembran aus einschie-
ben. Von den distalen Sehzellen sind zwei Paar morphologisch gleich-
wertig. Diese beiden Paare stehen sich gegenüber; zwischen ihnen
liegen die ungleich größeren, beiden andern Sehzellen. Die letzteren
sind ungefähr doppelt so groß als die ersteren (s. Fig. 12). Die ovalen
Kerne der sechs distalen Sehzellen liegen an der Stelle, an der die
proximale Hälfte des Ommas ihren Anfang nimmt. Wiewohl die beiden
proximalen Sehzellen ungefähr nur ein Drittel so groß sind als die
distalen, lassen sich an ihnen doch sehr wohl die für jede Sehzelle des
aconen Auges typischen zwei Teile unterscheiden, der pigmentierte
und der pigmentfreie. Die beiden proximalen Sehzellen sind morpho-
logisch gleichwertig. Ihre Kerne, die gleich denen der andern Sehzellen
ovale Form haben, liegen am distalen Ende der Zellen.
5. Naucoris cimicoides.
Während das Auge von Notonecta auf dem Längsschnitt fast lang-
gestreckt erscheint, das Auge von Hydrometra und Nepa eine mehr
oder minder stark gewundene Kurve beschreibt und das Auge von
Ranatra beinahe kugelig ist, gleicht das Auge von Naucoris cimicoides
auf dem Längsschnitt einer flachen Schale. Die Ommatidien in ihrer
Gesamtheit sitzen der inneren Begrenzungslinie der Cornea fast eben
auf (s. Fig. 13).
Das Facettenauge der Wassor\Minz,cn. 437
Wie bei den früher beschriebenen Wasserwanzen, so ist auch bei
Naucoris eine Differenzierung ins Doppelauge deutlich nachweisbar.
Was den Grad der Differenzierung anbetrifft, so möchte ich Naucoris
mit Notonecta auf die gleiche Stufe stellen. Während bei Notonecta
und Hi/drometra der ventrale Teil des Auges der differenziertere ist,
ist es bei Naucoris, in Übereinstimmung mit Ranatra und Nepa, der
dorsale. In ihm stehen die Ommatidien enger zusammen als im ven-
tralen. Auch die optische Isolierung der einzelnen Facettenglieder
ist im dorsalen Auge besser als im ventralen. Während das Pigment
der Neben- und Retinapigmentzellen im dorsalen Teil des Auges purpur-
rot ist, hat es im ventralen Teil eine typisch braune Farbe. Jedoch
läßt sich — genau den Verhältnissen bei Notonecta entsprechend —
eine scharfe Grenze zwischen dem purpurroten und braunen Pigment
nicht ziehen. Das rote Pigment geht ganz kontinuierlich über in das
braune. Auch was die Quantität der einzelnen Pigmentkörnchen in
den Zellen anbetrifft, sind die Neben- und Retinapigmentzellen des
dorsalen Augenteils denen des ventralen nicht gleich. Die Pigment-
zellen im Dorsalauge enthalten bei weitem mehr Pigmentkörnchen als
die im Ventralauge.
Bei der Betrachtung des A'^a^^com-Längsschnittes drängt sich uns
noch ein zweites Moment sofort auf. Bei den bisher beschriebenen
Wasserwanzen haben wir die Basalmembran der Cornea stets konzen-
trisch — oder wenigstens fast konzentrisch — laufend gesehen, bei
Naucoris ist dies nicht der ^all. Sie beschreibt einen, wenn auch
minimalen, der Cornea zu offenen Bogen. Dieser ist mit seiner ge-
ringen Krümmung natürlich nicht entfernt etwa mit der Kurve zu
vergleichen, in der z. B. bei Ranatra ein Teil der Retinapigmentzellen
der Membrana fenestrata ausweichen. Die Krümmung der Basal-
membran von Naucoris ist klein, immerhin aber so groß, daß die Omma-
tidien, die den mittleren Partien der Membrana fenestrata aufsitzen,
deutlich länger erscheinen als ihre Nachbarommatidien. Der am
meisten proximal gelegene Punkt der Basalmembran liegt im dorsalen
Teil des Auges, ein wenig dorsal von der Mediane des Gesamtaüges.
Bei dem Studium des einzelnen Facettengliedes aus dem Naucoris-
Auge erkennt man, daß dieses in seinem morphologischen Aufbau dem
von Nepa cinerea außerordentlich nahe steht. Haben wir schon in Ne^M
den Repräsentanten einer Übergangsform vom aconen zum pseudoconen
Auge gesehen, so haben wir im iVawcom- Auge das Extrem vor uns. Das
Naucoris- Xvige, ist eine Übergangsform vom aconen zum pseudoconen
Auge, wie wir sie uns typischer kaum vorstellen können (s. Fig. 14).
438 Kurt Bedau,
Die Cornea ist geradezu gewaltig entwickelt. Von ihrem distalsten
bis zu ihrem proximalsten Punkte gemessen ist sie genau ein halbmal
so lang wie das ihr zugehörige Omma mit der Vitrella. Wie bei den
vorher geschilderten Corneae, so lassen sich auch bei der Cornea von
Naucoris deutlich zwei Schichten unterscheiden. Die äußere, hellere
ist winzig im Verhältnis zu der inneren, dunkleren, die einen wohl-
entwickelten Fortsatz, Processus corneae, in jedes einzelne, von einer
mächtigen, von den beiden Hauptpigmentzellen gebildeten, Pigment-
hülle umgebene Kristallzellengebilde entsendet.
Erhält das Naucons-Aug,e schon durch seine gewaltig entwickelte
Cornea und seine relativ kleinen, von außerordentlich starken Pigment-
hüllen umgebenen Vitrellen ein plumpes Aussehen, so wird dieses noch
erhöht durch die auffallend kurz und breit gebauten Ommen. Das
Naucoris-Om.m2i verjüngt sich proximal nur um weniges; es ist an seinem
proximalen Ende fast so breit wie an seinem distalen.
Wie bei den andern Wasserwanzen, so setzt sich auch bei Naucoris
jedes Omma aus acht Sehzellen zusammen. Von diesen sind sechs
distal und zwei proximal gelegen. Die sechs distalen Sehzellen sind
in Kreisform angeordnet und morphologisch gleichwertig. In diesen
geschlossenen Kranz der sechs distalen Sehzellen, schieben sich von
der Basalmembran aus die gleich großen beiden proximalen Sehzellen
ein. Die letzteren sind relativ klein ; ihre Länge beträgt nur den dritten
Teil der Ommalänge (s. Fig. 14). Trotzdem lassen sich an ihnen sehr
wohl pigmentierter und pigmentfreier Teil in gleich guter Entwicklung
nachweisen.
Wie bei Ranatra und Nepa, so hat auch bei Naucoris jedes Omma-
tidium seinen eignen Kranz von Nebenpigmentzellen. Um jedes Omma-
tidium sind 18 Nebenpigmentzellen in Kreisform angeordnet (s. Fig.l5).
Die Kerne dieser Zellen liegen in Höhe der Kristallzellenkerne.
6. Corixa Geoffroyi.
Wenn ich nicht zuerst Notonecta glauca eingehend untersucht und
demzufolge von ihr Zeichnungen angefertigt hätte, die auch für die
andern Wasserwanzen — cum grano salis — Geltung haben, so würde
ich die Beschreibung des Auges von Corixa Geoffroyi, die nunmehr den
Schluß des ersten Kapitels des morphologischen Teiles dieser Arbeit
bildet, an die Spitze desselben gestellt haben. Denn das Auge von
Corixa ist der Typus des aconen Auges, ohne die geringste Differen-
zierung ins Doppelauge aufzuweisen.
Während das Auge von Notonecta, Nepa und Naucoris in ihrem
Bas Facettenauge der Wasserwanzen. 439
anatomischen Bau die Tendenz erkennen lassen, sich in ein Ventral-
und Dorsalauge zu differenzieren, und Ranatra und Hydrometra typische
Doppelaugen besitzen, ist bei Corixa im männlichen wie im weiblichen
Geschlecht der dorsale Teil des Auges genau so gebaut wie der ven-
trale. In beiden Teilen stehen die einzelnen Facettenglieder in gleich
großen Abständen voneinander entfernt (s. Fig. 16). Das Pigment
der Neben- und Retinapigmentzellen — die letzteren liegen mit ihren
rundlichen Kernen der Basalmembran in ihrer vollen Ausdehnung
auf — ist im dorsalen und ventralen Teil des Auges gleicher Tinktion:
prächtig purpurrot. Auch die Quantität der Pigmentkörnchen in
den einzelnen Zellen ist dorsal und ventral durchaus die gleiche. So
steht also das Auge von Corixa Geoffroyi als Typ des aconen Auges
ohne jede Differenzierung zu einem Doppelauge zu sämtlichen andern
vorher beschriebenen Wasserwanzenaugen im Gegensatz.
Wenn ich auf den dioptrischen Apparat von Corixa Geoffroyi,
der, abgesehen von untergeordneten Größedifferenzen, dem der andern
Wasserwanzen durchaus gleich gebaut ist, mit wenigen Worten ein-
gehe, so geschieht es lediglich darum, um am Schlüsse des ersten Ka-
pitels des morphologischen Teiles dieser Arbeit das zu rekapitulieren,
was wir vom dioptrischen Apparat des aconen Auges wissen : die Cornea
ist aus einzelnen Chitinlamellen aufgebaut und läßt deutlich zwei
Schichten erkennen, eine dünne, helle und eine dicke, dunkle. Der
Tinktion entsprechend ist die äußere Schicht — was die Konsistenz
anbetrifft — die widerstandsfähigere. Der Cornea liegen proximal
die Vitrellen mit ihren — den SEMPERschen Kernen im euconen Auge
homologen — Kernen eng an. Die einzelnen Kristallzellengebilde
sind von einer Pigmenthülle umgeben, die von den beiden Haupt-
pigmentzellen gebildet wird, die mit den Corneagenzellen der Crusta-
ceen zu homologisieren sind. Die Kerne der Hauptpigmentzellen
liegen lateral der Spitze des Kegels, den das Plasma der vier Ki-istall-
zellen bildet. Die Zahl und Anordnung der Nebenpigmentzellen ist
bei Corixa genau so wne bei Notonecta. Um jedes Facettenglied stehen
18 Nebenpigmentzellen, von denen zwölf je zwei benachbarten Omma-
tidien angehören und die übrigen sechs je drei benachbarte Omma-
tidien begrenzen. Die Kerne der Nebenpigmentzellen sind länglich
und nur um weniges tiefer gelegen als die Kerne der Kriställzellen.
Zwar ist die Zahl der Sehzellen in jedem Omma bei Corixa genau
die gleiche wie bei den andern Wasserwanzen, aber ihre Anordnung
ist eine andre. Während im Omma von Notonecta und den andern
beschriebenen Hemipteren sechs Zellen distal und zwei proximal liegen,
44:0 Kurt Bedau,
sind bei Corixa vier distal und vier proximal angeordnet (s. Fig. 17).
Die vier distalen Sehzellen sind besser entwickelt als die vier proxi-
malen ; sie sind länger und auch dicker. Die vier distalen Zellen bilden
einen offenen Kranz, an dessen Enden die größten Zellen stehen. Wie
bei Notonecta, so sind auch bei Corixa die Nachbarzellen der beiden
»Torzellen« die zweitgrößten. Den offenen Kranz der vier distalen
Zellen schließen die in ihn von der Membrana fenestrata aus eindrin-
genden vier proximalen Zellen. Auch diese sind morphologisch nicht
gleichwertig. Während zwei von ihnen ungefähr drei Viertel Länge
des Gesamtommas besitzen und dicker sind, sind die beiden andern
ein wenig kürzer und dünner. Die Kerne der vier distalen Sehzellen
liegen am Ende des distalen Drittels des Ommas, die der vier proximalen
am Ende des proximalen Drittels (s. Fig. 18).
B. Die Innervation der Retinula und die Ganglien.
Im Jahre 1869 hat Max Schultze in seiner Arbeit Ȇber die
Nervenendigung in der Netzhaut des Auges bei Menschen und Tieren«
eine treffende Definition für den Vorgang des Sehens im weitesten
Sinne unter Ausschluß der psychischen Parallelvorgänge gegeben:
»Sehen ist die Umwandlung derjenigen Bewegung, auf welcher das Licht
beruht, in eine andre Bewegung, die wir Nervleitung nennen.« Das
Sehen im tierischen Organismus bewerkstelligen die für diesen Zweck
eigens angelegten und typischen Sehzellen. »Allen Sehorganen, die
wir mit Sicherheit als solche kennen, ist ein Bestandteil gemeinsam:
das sind die recipierenden Sinneszellen, die Sehzellen. Die Sehzellen
sind stets primäre Sinneszellen, d. h. jede Zelle steht in ununterbro-
chenem Zusammenhange mit einer Nervenfaser, die ein Fortsatz dieser
Zellen ist.« (Hesse 1908.) Abgesehen von dem Farbensehen — ein
Kapitel, über das die Akten durchaus noch nicht geschlossen sind —
haben wir Hell-, Dunkel-, Eichtungs-, Bewegungs-, Entfernungs- und
Form- oder Bildsehen zu imterscheiden. Im Facettenauge können —
je nach der Lage des Pigments — Appositions- und Superpositions-
bilder entstehen. Welche Art von Bild aber auch im Facettenauge
zustande kommen mag, so steht doch das eine fest, es wird stets von
primären Sinneszellen, von den Sehzellen recipiert. Bei sämtlichen
Wasserwanzen ließen sich — wie aus dem ersten Kapitel des morpho-
logischen Teiles dieser Arbeit ersichtlich ist — in jedem Omma acht
Sehzellen nachweisen. Diese Achtzahl der Sehzellen ist ja auch ent-
wicklungsmechanisch leicht begreiflich. Durch dreimalige Zweiteilung
der Urzelle sind in jedem Omma acht Zellen entstanden, ein Faktum,
Das Faceltciiaugo der Wasserwanzen. 441
auf das in der neueren Literatur vielfach hingewiesen worden ist (Hesse,
KiKCHHOFFER, Dietrich). An jeder dieser Sehzellen sind bei dem
aconen Auge der im Wasser lebenden Wanzen stets zwei Teile streng
voneinander zu unterscheiden: der pigmentierte und der pigmentfreie
Teil. Der letztere repräsentiert auf Längs- und Querschnitten eine
durch aUvS homogene Masse und führt nach Ray Lankester auch die
Benennung Rhabdomer. Verschmelzen die Rhabdomere eines Omma
zu einem einheitlichen Gebilde, so spricht man von dem Zustandekommen
eines Rhabdoms. Die acht Rhabdomere und die acht pigmentierten
Teile der Sehzellen zusammen machen das Omma Grenachers aus.
Sie repräsentieren den »Nervenstab « Leydigs und den >>Sehstab<< Max
Schultzes. Die Onimen sind die percipierenden Elemente im Fa-
cettenauge und sind streng vom dioptrischen Apparat, der Cornea und
den Vitrellen, zu unterscheiden.
Nach Hesse sind die Rhabdomere »nichts andres als Stiftchen-
säume, deren Stiftchen oft zu einem einheitlichen Stab von nahezu
cuticularer Konsistenz verbacken sind<<. Unter den Stiftchen versteht
Hesse besonders differenzierte Fibrillenenden. Dietrich konstatiert
in seiner Arbeit über »Die Facettenaugen der Dipteren« die Existenz
von »Ganglien«- und »Retinulaf asern «. Er kommt schließlich zu dem
Satze: »durch die Befunde gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, daß
bei den Dipteren nicht, wie bisher allgemein für die Insekten ange-
nommen wurde, ein imd dieselbe Nervenfaser von der Retinulazelle
direkt nach dem Gehirn verläuft, sondern daß die Reizleitung vom
Ommatidium aus zunächst nur bis zum äußeren Opticusganglion
erfolgt, daß dort eine gesetzmäßige Umordnung der Fasern einer Retinula
stattfindet und daß von da aus andre Fasern die Nervleitung nach
dem Gehirn übernehmen.« Soweit es die von mir angewandten ein-
fachen Methoden gestatteten, habe ich mich bemüht, zu ergründen,
in welcher Beziehung Rhabdomer, Stiftchensaum, Ganglien- und Re-
tinulaf aser zueinander stehen. Leider mußte ich jedoch sehr bald ein-
sehen, daß meine L^ntersuchungen, die Innervation der Retinula be-
treffend, nicht von Erfolg begleitet sein sollten. Selbst bei Benutzung
von Kompensationsocular 18, 1/16 ölimmersation und Apochromaten
(System Zeiss, Jena) ist es mir nicht gelungen, die durch die Foramina
der Membrana fenestrata in die Ommatidien eintretenden Nervenfasern
innerhalb der Retinula nachweisen zu können, nicht einmal an Präpa-
raten, die nur 2 n dick und fast vollkommen entpigmentiert waren,
ohne daß sie dabei etwa wesentlich geschrumpft oder gar maceriert
gewesen wären. Ich habe weder die Retinulaf aser Dietrichs, noch die
442 Kurt Bedau,
Stiftchensäiime Hesses sehen können. Nur das eine habe ich mit
Sicherheit konstatieren können, daß in jedes Omma der Zahl der Seh-
zellen entsprechend acht Nervenfasern eintreten. Direkt unterhalb
der Membrana fenestrata kann man diese acht Nervenfasern innerhalb
der sie gemeinsam umgebenden Hülle deutlich getrennt liegen sehen.
Als ich die Präparate von Hydrometra 'palustris auf die Innervation
der Retinula hin prüfte, fiel mir innerhalb einer jeden der sechs distalen
Sehzellen ein Gebilde auf, das — soweit ich die Literatur überblicke —
bislang noch nicht beschrieben worden ist. Dieses Gebilde liegt central
im plasmatischen Teil der Sehzellen und hat auf dem Querschnitt die
Form eines Stäbchens mit knopfartiger Anschwellung. Auf dem
Längsschnitt erscheint es als heller Streifen, der am distalen Ende
einer jeden der sechs distalen Retinulazellen beginnt und sich bis zur
Basalmembran hermiter deutlich verfolgen läßt. Auf dem Querschnitt
(s. Fig. 9) sehen wir der knopfartigen Anschwellung des Stäbchens
central im pigmentierten Teil einer jeden der sechs distalen Sehzellen
ein Gebilde gegenüber liegen von der Form, wie sie sie Fig. 9 ver-
anschaulicht. Eine Verbindung des Stäbchens mit dem Gebilde im
pigmentierten Teil der Sehzelle habe ich nicht nachweisen können,
anderseits habe ich ebensowenig eine scharfe Grenze ziehen können
zwischen den beiden eben beschriebenen Gebilden. Der zwischen
ihnen liegende Bezirk bietet ein durchaus verschwommenes Bild dar.
Das Stäbchen mit der knopfartigen Anschwellung im plasmatischen
Teil einer jeden der sechs distalen HydrometraSehzeWen ist von hohem
Lichtbrechungskoeffizienten und hat vielleicht die Bestimmung —
wie auch Herr Professor Held, der mir einen trefflichen ZEiss-Apo-
chromaten zur Verfügung stellte, es nicht für ausgeschlossen hält — licht-
sammelnd zu wirken. Ich gedenke, noch in der nächsten Zeit dies-
bezügliche Untersuchungen anstellen zu können und behalte mir dem-
zufolge eine weitere Veröffentlichung hierüber vor.
Am Schlüsse des ersten Teiles von dem Kapitel, das von der Inner-
vation der Retinula und den Ganglien handelt, sei es mir noch ge-
stattet, auf ein Moment einzugehen, das nur indirekt in diesen Ab-
schnitt meiner Abhandlung gehört. Als ich an einem Notonecta-Viä,-
parat, das zweimal 24 Stunden in der von Grenachee angegebenen
Entpigmentier ungsflüssigkeit gelegen hatte, den Bau der Vitrella stu-
dierte, wurde ich lebhaft an die im Jahre 1886 veröffentlichten "Eyes
of Molluscs and Arthropods" Pattens erinnert. Schon 10 Jahre nach
dem Erscheinen dieser Arbeit bezeichnet sie Chun in seiner »At-
lantis« als »Blendfeuerwerk«. Hesse kommt 1901 zu dem Schluß,
Das Faoettenauge der Wasepiwanzen.
443
daß Patten gut daran getan hätte, wenn er »mit weniger Aufwand
überlegenen Triumphierens sein bescheidenes Ergebnis — er wies
nämlich als erster Cornea genzellen bei Decapoden nach — in ein be-
bescheidenes Gewand gekleidet hätte«. Wenn ich trotzdem noch ein-
mal auf die PATTENsche Arbeit zurückkomme, so tue ich es, lediglich
um zu zeigen, was Patten vielleicht als Nervenfibrillen im dioptrischen
Apparat Grenachers angesprochen hat. Betrachtet man eine Vitrella,
deren Pigmenthülle mit Hilfe eines chemischen Keagens zerstört worden
ist, die aber trotzdem in ihrer Plasmastruktur — abgesehen von mini-
malen Schrumpfungen — nicht verletzt
ist, so sieht man auf dem Längsschnitt
die Plasmagrenzen der vier Kristallzellen
intensiv gefärbt längs verlaiifend. Außer-
dem beobachtet man noch Linien, die die
schon erwähnten kreuzen (s. Textfig. 5).
Bei meinen Hämalaunpräparaten sind sie
tiefblau gefärbt und können so bei ober-
flächlicher Betrachtung den Eindruck von
Nervenfibrillen vortäuschen. Offenbar hat
Patten theoretischen Vorstellungen zu-
liebe diese Konturen und sich kreuzende
Linien als Nerven fibrillen gedeutet, so
daß er in dem Kapitel "Vision in the
Textfig. 5.
Vitrella von yotonecta glauca im Längs-
schnitt, die Plismastruktur der Kri-
CompOUnd Eye" zu dem Satze kommt: stallzellen zeigend. S. III, 1/12 Immers.
"A series of cross nerve-fibrillae can be
traced in the crystalline cone or in the place, where the cone should
be, when it is absent, exactly similiar to those nerve endings in the
rods, or percipient Clements, of all other animals."
Eine dünne, chitinöse, für den Durchtritt von Nerven und Tra-
cheen durchlöcherte Membran, die aus der Basalmembran der em-
bryonalen Hypodermiszellen hervorgegangen ist, grenzt als Boden das
Auge gegen das Gehirn zu ab. Von dieser Membrana fenestrata aus
ziehen, der Anzahl der Ommatidien entsprechend, aus denen sich das
Auge zusammensetzt, Nervenbündel zum Centralhirn. Die Partie
von der Basalmembran bis zur Ganglienzellkernschicht des peripheren
oder ersten Opticusganglion ausschließlich möchte ich mit dem Namen
»Nervenbündelschicht« belegen. Dadurch bekunde ich schon äußer-
lich, daß ich den besagten subocularen Raum als der Retina, dem
Facettenauge im engeren Sinne, zugehörig betrachte und ihn nicht —
im Gegensatz zu Haller z. B. — als einen Teil des peripheren Ganglions
444 Kurt Beclau,
betrachte. Die »Nervenbündelschicht« als einen Teil der Retina selbst
anzusehen, halte ich mich für durchaus berechtigt, in Übereinstimmung
mit Beegee, Claus, Loven, Radl und Dieteich. Bei den Wasser-
wanzen sind die den Ganglienapparat aufbauenden Elemente »durch-
aus nicht so subtiler Struktur und schließen sich durchaus nicht zu
so einer verwirrenden Menge gleichartiger Elemente von geringsten
Dimensionen zusammen, daß ihre gegenseitigen Beziehungen schwer
festzustellen wären« (wie bei den Dipteren), so daß wir sehr gut unter-
scheiden können, wie weit die Retina reicht und wo das eigentliche
Opticusganglion beginnt. Wiewohl ich die Ansicht Beegees teile,
daß die »Nervenbündelschicht« dem Facettenauge im engeren Sinne
zuzurechnen ist, werde ich es vermeiden, doch die alte Nomenklatur
(Sehstab-, Nervenbündel-, Körner-, Molecular- und Ganglienzellen-
schicht) beizubehalten. Sie ist meiner Ansicht nach viel zu kompliziert
und nur dazu angetan, eine an sich klar liegende Tatsache zu ver-
wirren. Ich habe im Laufe meiner Untersuchungen die Überzeugung
gewonnen, daß viele der früheren Autoren die Ganglien für viel kom-
plizierter gebaut halten, als sie es in Wirklichkeit sind. So kann ich
es mir beispielsweise nicht erklären, wie Rädl an einem einzigen Gan-
ghon (am zweiten Opticusganglion von AescJina grandis) nicht weniger
als 18 Schichten, verschieden in Dicke und Tinktion erkennen kann.
Die »Nervenbündelschicht« erstreckt sich von der Basalmembran bis
zur Gangiienzellkernschicht des peripheren Ganglions. Innerhalb dieses
Bezirkes sehen wir der Anzahl der das gesamte Auge aufbauenden
Ommatidien entsprechend Nervenbündel aus den Foramina der
Membrana fenestrata austreten und radiär angeordnet auf direktem
Wege, also ohne jede Kreuzung, zum peripheren Ganglion ziehen.
Konzentrisch laufende Nervenfasern habe ich innerhalb der Nerven-
bündelschicht nicht nachweisen können. (Für einige andre Arthropoden-
augen ist es bekannt.) Die von der Retinula kommenden Nerven-
bündel gehen teils völlig getrennt voneinander, teils Anastomosen
imtereinander bildend, zu größeren Bündeln vereinigt, zum ersten
Opticusganglion. Die Nervenbündel sind von einer deutlich wahrnehm-
baren Hülle umgeben (s. Fig. 19). Während die Kerne der Zellen, die
diese Hülle bilden, langgestreckt sind, haben die Kerne der Nervenfasern
selbst rundliche, fast kugelige Form. Zwischen den Nervenbündeln
innerhalb der »Nervenbündelschicht« können wir eine große Zahl von
Tracheen nachweisen. An allen diesen Tracheen sind die drei für sie
typischen Teile zu unterscheiden: die Matrix, der Kern und die Chitin-
spirale. Außer den Tracheen finden wir in der »Nervenbündelschicht«
Das Facetten ;iuü;(' dci- Wasserwan/on. 445
noch eine Menge von Blut- und Stützzellen vor. Die Stützzellen be-
sitzen einen kleinen Körper und kurze Fortsätze, die sich nicht ver-
ästeln, dünn und starr sind, oder schwach gewunden verlaufen. Die
Kerne der Stützzellen sind im Verhältnis zum Zellkörper auffallend
groß, haben ovale Form und führen außerordentlich viel Chromatin.
Die in der »XervenbündeLschiclit << in reicher Zahl vorhandenen Blut-
zellen sind Avohl entwickelt, und ihre Kerne sind bald von einem hellen
und bald von einem dunklen Plasmahof umgeben. Die Kerne, die
im dunklen Plasma eingebettet sind, sind chromatinarm, die andern
chromatinreich, ein Faktum, für das ich eine Erklärung nicht zu geben
vermag.
Die von der »Nervenbündelschicht << proximal gelegenen drei
Opticusganglien sind von einer Membran umgeben (s. Fig. 20). Diese
ist kräftig entwickelt, bindegewebigen Charakters und weist in ihrem
Innern kleine, vorzüglich längliche, zuweilen auch rundliche Zellkerne
auf. Diese eben charakterisierte Membran liegt dem Ganglienapparat
nicht eng an, und so darf es uns nicht wundernehmen, daß der proxi-
male Teil der »Nervenbündelschicht« von ihr durchzogen wird.
Im Gegensatz zu den Vertebratenganglien, deren Zellkerne stets
central gelegen sind, sind im Arthropodenganglion die Zellkerne stets
peripher angeordnet. Auf geeigneten Schnitten (s. Fig. 20) sehen wir,
daß die Ganglienzellkerne des zweiten Ganglions am kleinsten und am
dichtesten angeordnet sind. Die Kerne des peripheren und centralen
Ganglions sind ungefähr zwei- bis dreimal so groß als die des zweiten
Ganglions und liegen viel weiter auseinander als die letzteren. Die
Ganglienzellkerne eines jeden Ganglions sind nicht durchgehend gleich
groß und sind in verschiedenen Ebenen gelegen.
Bei sämtHchen von mir untersuchten Wasserwanzen hat das
periphere Ganglion Nierenform; das zweite Ganglion hat die Gestalt
eines Kegels und das centrale Ganglion ist bohnenförmig. Die kon-
vexe Seite des ersten Ganglions ist der Membrana fenestrata zuge-
wandt, die konkave dem zweiten Ganghon. Dieses hat, wie schon ge-
sagt, die Form eines Kegels. Die Basis des Kegels liegt der konkaven
Seite des peripheren Ganglions zu, die Spitze ist proximal gerichtet.
Nachdem die aus den Ommatidien kommenden Nervenbündel
zusammen mit Tracheen, Stütz- und Blutzellen die »Nervenbündel-
schicht« gebildet haben, durchsetzen sie die Ganglienzellkernschicht
des peripheren Ganglions — innerhalb derer ebenso wie innerhalb der
Zellkernschichten der beiden andern OpticusgangHon vereinzelt Blut-
zellen nachzusweisen sind — , den ganzen Komplex der Zellkerne in
446 Kurt Bedau,
eine Anzahl Einzelkomplexe teilend, das Ganglion selbst. Im peri-
pheren Ganglion sind die einzelnen Nervenbündeln voneinander ge-
trennt. Ehe die Nerven vom ersten Ganglion in das zweite eintreten,
kommt es zu einer Nervenkreuzung, zu einem Chiasma nervorum
opticorum (s. Fig. 20). Die aus dem ventralen Teil des ersten Gan-
glions kommenden Nervenfasern laufen dorsal, treten also in den
dorsal gelegenen Teil des zweiten Ganglions ein. Und umgekehrt ziehen
die Nervenfasern aus dem dorsalen Teil des ersten Ganglions ventral,
gehen demzufolge zu dem ventralen Teil des zweiten Ganglions. Wenn
ich soeben von einem ventralen und einem dorsalen Teil des Ganglions
gesprochen habe, so darf deshalb nicht angenommen werden, daß diese
beiden Teile morphologisch voneinander in irgend einer Weise getrennt
sind. Dorsaler und ventraler Teil des Ganglions ist in diesem Falle
eine von mir willkürlich, lediglich der besseren Verständigung wegen,
angenommene Bezeichnung. Die Differenzierung des Facettenauges
ins Doppelauge greift bei den im Wasser lebenden Hemipteren nicht
über in die Ganglien, wie dies bei einer ganzen Reihe doppeläugiger
Dipteren, z. B. bei Bibiouiden und Simuliiden, nachgewiesen worden ist.
Innerhalb des zweiten Opticusganglions, das die aus dem ersten
Ganglion kommenden Nervenfasern allem Anschein nach unverändert
durchsetzen, lassen sich die einzelnen Nervenbündel nur auf solchen
Längsschnitten getrennt verlaufend sicher nachweisen, die mit Hilfe
irgend eines chemischen Reagens ein wenig maceriert sind. Ehe die
Nerven vom zweiten Ganglion in das dritte oder centrale eintreten,
kommt es wiederum zu einem Chiasma. Dadurch, daß die Nerven
vom Übertritt aus dem ersten Ganglion in das zweite und dann wieder
vom zweiten in das dritte einem Chiasma unterworfen sind, erhalten
sie im centralen Ganglion wieder ihre primäre Lage, d. h. die Lage,
die sie innerhalb der Ommatidien, der Nervenbündelschicht und des
peripheren Ganglions haben.
Bevor die Nerven vom dritten Opticusganglion in das Centralhirn
eintreten, kommt es zu einer dritten Nervenkreuzung. Im Centralhirn
endlich lösen sich die Nervenafsern fibrillär auf.
II. Physiologisch-biologischer Teil: Die Funktion der im morphologischen
Teile beschriebenen Facettenaugen und ihre biologische Bedeutung.
Das Auge von Corixa Geoffroyi ist das einzige von mir unter-
suchte und beschriebene Wasserwanzenauge, das in seinem Bau keine
Differenzierungen ins Doppelauge erkennen läßt. Bei Corixa stehen
die Ommatidien im dorsalen wie im ventralen Teile des Auges in gleich
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 447
weiten Abständen voneinander entfernt. Das Pigment der Neben-
nnd Retinapigmentzellen ist im dorsalen Teil des Auges in Farbe und
Quantität dem im ventralen Teil durchaus gleich. Anders liegen die
Verhältnisse bei den andern Wasserwanzen. Notonecta glauca, Nepa
cinerea und Naucoris cimicoides weisen Differenzierungen zu einem
Doppelauge auf, Ranatra linearis und Hydrometra palustris besitzen
typische Doppelaugen, an denen in aller Deutlichkeit das Dorsalauge
zu unterscheiden ist von dem Ventralauge. Da Corixa eine Lebens-
weise führt, die von der der andern Wasserwanzen nicht abweicht,
können wir die Tatsache, daß das Auge von Corixa — im Gegensatz
zu den andern Wasserwanzenfacettenaugen ■ — keine Differenzierungen
zu einem Doppelauge aufweist, biologisch nicht erklären. Ebenso-
wenig ist eine genetische Erklärung dieses Verhaltens möglich, da die
früher allgemein verbreitete Anschauung Börners, daß die Corixiden
die ältesten Vertreter der Hemipteren darstellen, neuerdings von
Handlirsch umgestoßen worden ist. »Diese Familie (die Corixiden)
als Unterordnung allen andern Hemipteren zusammen gegenüberzu-
stellen und noch dazu als tiefer stehende Gruppe, wie es Börner durch
Errichtung der Unterordnung Sandaliorrhyncha tut, halte ich für
einen systematischen Mißgriff sondergleichen. Aber das kommt davon,
wenn man von- vorgefaßten Meinungen ausgeht und nur ein einzelnes
Merkmal, wie die Mundteile berücksichtigt.« (A. Handlirsch, 1906.)
Da allen Wasserwanzen — bis auf Corixa, die in den folgenden
Ausführungen außer acht zu lassen ist, da sie keine Doppelaugen be-
sitzt — Doppelaugen beiden Geschlechtern in gleicher Weise zukommen
im Gegensatze z. B. zu den Ephemeriden und einem großen Teil der
Dipteren, bei denen nur die Männchen Doppelaugen besitzen, kommt
das Auftreten von Doppelaugen bei den im Wasser lebenden Hemi-
pteren als Sexualcharakter nicht in Betracht. Der Trieb der Arterhal-
tung spiegelt sich im feineren Bau des Wasserwanzenauges nicht wieder,
wohl aber das andre Grundprinzip alles organischen Lebens: der Trieb
der Selbsterhaltung. Das Auftreten von Doppelaugen bei den Wasser-
wanzen ist biologisch leicht erklärlich. Sämtliche Wasserwanzen sind
typische Raubtiere: sie ernähren sich ausschließlich von kleineren
Mitbewohnern ihres Aufenthaltsortes. Der Schnabel, der sich aus dem
zu Stechborsten umgewandelten Ober- und Unterkiefer und einer von der
Unterlippe gebildeten Rinne, der sogenannten Schnabelscheide, die
von der kurzen Oberlippe an ihrem Anfang gedeckt wird, zusammen-
setzt, und das erste, beziehungsweise die beiden ersten Beinpaare re-
präsentieren die Waffen der Wasserwanzen. Mit den Beinen ergreifen
448 Kurt Bedau,
sie ihre Opfer, mit dem Schnabel stechen sie ihre Beute an und saugen
sie aus. Während bei Ne'pa und Ranatra nur das erste Beinpaar zum
Ergreifen der Beute ausgebildet ist, sind es bei Notonecta die beiden
vorderen. Bei Naucoris lassen sich an den Vorderbeiden die gebogenen
Schienen in der Art eines Taschenmessers gegen die verbreiterten und
verflachten, filzigen Schenkel einschlagen und bilden so das Fangwerk-
zeug dieses räuberischen Tieres. Neben ihrem Schnabel und ihrem
ßaubbeinpaar — beziehungsweise ihren zwei Raubbeinpaaren — haben
die räuberisch lebenden Wasserwanzen im differenzierten Auge eine
gewissermaßen dritte und nicht zu unterschätzende Waffe.
Bei Notonecta und Hydromeira ist das Ventralauge differenzierter
als das Dorsalauge; von Ranatra, Nepa und Naucoris gilt das gerade
Entgegengesetzte. Gibt uns nun die Biologie nicht die treffendste
Antwort auf die Frage: weshalb ist bei Notonecta und Hydrometra
das Ventralauge das differenziertere und bei den andern Wasserwanzen
das Dorsalauge? Das differenzierte Auge soll dem Tiere dazu dienen,
die Beute möglichst detailliert zu sehen. Erblicken nun Notonecta
und Hydrometra die Beute tatsächlich mit dem differenzierten, ventral
gelegenen Auge, erblicken tatsächlich die andern Wasserwanzen mit
dem differenzierten, dorsal gelegenen Auge ihr Opfer? Notonecta ist
die einzige aller Wanzenformen, die sich auf dem Rücken schwimmend
fortbewegt, und Hydrometra ist die einzige aller Wanzenformen, die
auf dem Wasser lebt. Infolgedessen muß bei Notonecta und Hydro-
metra das differenzierte Auge gerade entgegengesetzte Lage haben wie
bei den andern Wanzenformen; es muß ventral gelegen sein. Die
Differenzierung des Wasserwanzenauges in ein Doppelauge steht mit
der Lebensweise der Tiere in engstem Zusammenhang.
Aus den Untersuchungen Dietrichs wissen wir, daß das Retina-
pigment bei Dipteren im differenzierten Auge — sei es ein Doppelauge
sexualen Charakters, sei es ein Doppelauge, das beiden Geschlechtern
zukommt — spärlicher auftritt, als im nichtdifferenzierten. Das
Retinapigment hat mit dem Pigment der Nebenpigmentzelleu zusam-
men die Bestimmung, die einzelnen Ommatidien optisch zu isolieren
und ein möglichst scharfes Bild im Auge zu erzielen. Das Pigment
kann in seiner isolierenden Funktion ersetzt werden durch Tracheen.
Dies scheint bei Syneches z. B. der Fall zu sein, denn bei diesem Tiere
sind die Tracheen in einer geradezu gewaltigen Zahl vorhanden. Anders
liegen die Verhältnisse bei Dilo'phus und Bicellaria, bei denen trotz
des Pigmentmangels Tracheen kaum nachzuweisen sind. Dietrich
kommt daher zu dem Schlüsse, daß bei den Dipteren sich im Auge
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 449
zwei Prinzipien widersprechen: »Die Vervollkommnung der Sehschärfe
durch den dioptrischen Apparat und die teilweise Aufhebung dieses Vor-
teils durch Begünstigung der Bildung von Zerstreuungskreisen inner-
halb der Retina. << Bei sämtlichen von mir untersuchten Wasserwanzen
ist das Retinapigment im differenzierten Auge — liege es nun ventral
oder dorsal — in viel reicherem Maße vorhanden als im nicht differen-
zierten oder »Normalauge«, wie es Dietrich nennt. Im differenzierten
Auge ist die optische Isolierung, obgleich nur durch verschwindend
wenige Tracheen unterstützt, eine vollkommenere als im nicht diffe-
renzierten. Im differenzierten Auge der Wasserwanzen ist ein Abirren
der Lichtstrahlen und die Bildung von Zerstreuungskreisen durch die
mächtige Entwicklung der Retinapigmentzellen zur Unmöglichkeit
gemacht.
Noch ein zweites Moment zeigt uns, daß im Auge der Wasserwanzen
die Tendenz vorhanden ist, die einzelnen Ommatidien optisch zu iso-
lieren. Betrachten Avir das Auge von Ranatra linearis und Hydrometra
'palustris auf dem Längsschnitt, so sehen wir, daß die Retinapigment-
zellen zum Teil, beziehungsweise insgesamt, der Basalmembran in einem
ihr offenen Bogen ausweichen, dessen höchster distaler Punkt genau
auf der idealen Scheide zwischen dem Ventral- und Dorsalauge liegt.
Wenn die Retinapigmentzellen nicht die eben beschriebene Kurve
ausführen würden, würden die mittleren Teile der Ommen, die dorsal
und ventral von der idealen Scheide zwischen den beiden Teilen des
Doppelauges stehen, nur umrahmt von den feinen, fadenförmigen
Enden der Neben- und Retinapigmentzellen. Dadurch wäre aller
Wahrscheinlichkeit nach die Möglichkeit gegeben, daß ein Lichtstrahl,
der unter einem bestimmten Winkel in ein ventral von der idealen
Scheide des Doppelauges stehendes Ommatidium einfällt, durch Re-
flexion in ein dorsal von der besagten Scheide stehendes Ommatidium
gelangen könnte. Und umgekehrt könnte ein Lichtstrahl aus dem
Dorsalauge in das Ventralauge gelangen. Hierdurch würde natürlich
das vom Auge percipierte Bild in seiner Schärfe erheblich beeinträchtigt
sein. Dies wird dadurch verhindert, daß die Retinapigmentzellen
dorsal und ventral von der idealen Scheide des Doppelauges der Mem-
brana f enestrata ausweichen und mit den Nebenpigmentzellen zusammen
die Ommatidien des betreffenden Bezirkes treffHch optisch isolieren,
so daß es eben zur Bildung von Zerstreuungskreisen nicht kommen kann.
Im Auge der Lepidopteren und Dipteren z. B. finden wir zwischen
den einzelnen Ommatidien liegend eine große Zahl von Tracheen.
Bei einzelnen Tierformen sind die Tracheen regelmäßig angeordnet
Zeitsclirift f. wiäsensch. Zoologie. XCVII. Btl. 30
450 Kirrt Bedau,
um die einzelnen Ommatidien — wie bei Oxycera und Pieris ra'pae —
und durchsetzen das Auge in seiner ganzen Ausdehnung. Diese Augen
sind durch die Tracheen sozusagen pneumatisiert. Im Gegensatz
hierzu stehen die Augen sämtlicher Wasserwanzen. Wiewohl sich
unterhalb der Membrana fenestrata Tracheenäste in großer Zahl und
reicher Verzweigung ausbreiten, können wir zwischen den Ommatidien
nur wenige und durchaus irregulär angeordnete Tracheen nachweisen.
Die Frage, weshalb die Facettenaugen der im Wasser lebenden He-
mipteren im Gegensatz zu denen der Dipteren und Lepidopteren mit
nur wenigen Tracheen ausgestattet sind, können wir leicht unter Be-
rücksichtigung der Funktion der Tracheen innerhalb des Auges be-
antworten. Für das Auftreten von Tracheen innerhalb des Auges
können drei Momente bestimmend sein. Zunächst können sie dazu
dienen, ähnlich wie das Pigment, die einzelnen Ommatidien optisch
voneinander zu isolieren. Dies Moment kommt für die Wasserwanzen
nicht in Betracht. Einerseits sind die Tracheen in viel zu geringer
Zahl imd viel zu unregelmäßiger Anordnung im Wasser wanzenauge
vorhanden, als daß sie durch ihr Zwischentreten zwischen die einzelnen
Ommatidien diese wirklich optisch voneinander isolieren könnten,
anderseits wird die Isolierung durch die kräftig entwickelten Neben-
und Retinapigmentzellen hinreichend bewerkstelligt. Weiterhin können
die Tracheen dazu bestimmt sein, das Auge, insbesondere die licht-
einlassende Oberfläche, zu vergrößern, ohne daß dadurch das Gewicht
der Tieres vergrößert und sein Schwerpunkt wesentlich verändert wird.
Da ich zwischen den Vitrellen Tracheen nie habe nachweisen können,
kommt auch dieses zweite Moment hier nicht in Betracht. Endlich
können die Tracheen im Auge, wie im übrigen Körper, den respira-
torischen Gasaustausch vermitteln. Und, dieses dritte physiologische
Moment betrachtend, werden unsre Gedanken gelenkt auf die — Bio-
logie. Können im Auge der im Wasser lebenden Hemipteren — nach-
dem die beiden ersten angeführten Momente die Existenz von Tracheen
wesentlicher Funktion nicht haben erklären können — überhaupt
Tracheen vorkommen, denen funktionell eine essentielle Bedeutung
beizumessen ist? Bei sämtlichen im Wasser lebenden Tierformen ist
der Stoffwechsel ein nicht so reger als bei den Landformen. Man
muß nur einmal beobachten, in welchen Zeitabständen z. B. eine Ra-
natra, die für gewöhnlich auf dem schlammigen Boden der Gewässer
sitzt, sich an die Oberfläche des Wassers begibt, um zu atmen. Das
geschieht ungefähr alle 5 — 10 Minuten einmal, ein Zeichen eines tat-
sächlich reichlich reduzierten Stoffwechsels. Kann es uns da wunder-
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 451
nehmen, daß bei dem so minimalen Austausch der durch den Stoff-
wechsel erzeugten Gase eine nur winzig kleine Zahl von Tracheen im
Auge der Wasserwanzen nachzuweisen ist? Dem eben Ausgeführten
kann man noch das Faktum entgegenhalten, daß die Wasserwanzen
nicht an das Wasser gebunden sind, daß sie es verlassen können. In
der Tat unternehmen z. B. die Naucoriden sehr gern nächtliche Aus-
flüge. Aber sollten dieses Faktums wegen die Augen des Tieres dem
Leben auf dem Lande mehr angepaßt sein als dem im Wasser? Das
eigentliche Heim der Wasserwanzen ist — wie das der Name schon
sagt — das Wasser, und dem Leben in diesem Medium haben sich
auch demzufolge die Augen dieser Tiere angepaßt.
Das Moment, daß die Wasserwanzen nicht an das Wasser ge-
bunden sind, daß sie nachts Ausflüge zu unternehmen imstande sind,
spiegelt sich in der Morphologie, beziehungsweise Physiologie des Auges
dieser Tiere wieder. Exner hat in seiner »Physiologie der facettierten
Augen von Krebsen und Insekten« die Lehre von der Pigmentwande-
rimg im Facettenauge begründet. Da das Pigment in einem Auge, das
gewisse Zeit der Dunkelheit ausgesetzt gewesen und auch in der Dunkel-
heit abgetötet worden ist, zum Teil eine andre Lage einnimmt als in
einem Auge, das gewisse Zeit dem Sonnenlicht exponiert und auch
im Sonnenlicht abgetötet worden ist, so unterscheidet Exner ein
»Dunkel«- und ein »Lichtauge«. Im Dunkelauge entstehen die Super-
positionsbilder, im Lichtauge die Appositionsbilder nach der im Jahre
1826 von Johannes Müller aufgestellten und jetzt fast allgemein
anerkannten Theorie vom musivischen Sehen: »Die Gesamterregung
entsteht durch Nebeneinanderreihen der zahlreichen, in den verschie-
denen Ocellen entstehenden einheitlichen Einzelerregungen, wie sich
ein Mosaikbild aus einzelnen einfarbigen Steinchen zusammensetzt.«
Zuerst hat Exner das Faktum, daß das Pigment im Dunkelauge
zum Teil anders gelegen ist als im Lichtauge bei Lamfyris konstatieren
können, dann hat er noch an einer großen Reihe andrer Tiere die Pig-
mentwanderung im Facettenauge experimentell nachzuweisen ver-
mocht. In der neuesten Zeit findet Exners Lehre von der Pigment-
wanderung ihre Bestätigung in Kirchhoffers »Untersuchungen über
die pentameren Käfer«, der bei Geotrupes und Melolontha im wesent-
lichen zu Ergebnissen kommt wie Exner bei Cantharis fusca, Dyticus
inarginalis und Hydrophilus piceus. Auch ich kann durch die Unter-
suchungen, die ich an Notonecta glauca und Corixa Geofjroyi in bezug
auf die Pigmentwanderung im Auge dieser Tiere angestellt habe, nur
die Resultate Exners bestätigen.
30*
452 Kurt Bedau,
Das eine Exemplar ist 3 Stunden direkt dem Sonnenlicht aus-
gesetzt gewesen und aucli im Sonnenlicht mit derselben Konser-
vierungsflüssigkeit (Formol, Alkohol, Eisessig, destilliertem Wasser) ab-
getötet worden als das andre, das 3 Stunden der Dunkelheit exponiert
gewesen und auch in der Dunkelheit getötet worden ist. Fig. 21 a
stellt ein Ommatidium von Notonecta glauca aus dem Lichtauge,
Fig. 21 b ein solches aus dem Dunkelauge dar.
Im Lichtauge ist die Eetinula der ganzen Länge nach stark pig-
mentiert. Das Pigment der Nebenpigmentzellen erstreckt sich vom
inneren Rande der zweischichtigen Cornea bis ungefähr zu der Stelle,
wo das erste Drittel des Ommas sein Ende erreicht. Das Retina-
pigment reicht distal genau bis zu dem Punkte, wo das Pigment der
Nebenpigmentzellen proximal aufhört. Das Pigment der Haupt-
pigmentzellen umhüllt becherförmig das Kristallzellengebilde und ist
in regelmäßigen Querreihen angeordnet. So die Lage des Iris-, Retina-
und Retinulapigmentes im Lichtauge. Anders im Dunkelauge. Nur
das Pigment der Hauptpigmentzellen ist im Dunkelauge genau so
angeordnet wie im Lichtauge. Das Pigment der Nebenpigmentzellen
sammelt sich in der distalen Hälfte der Zellen an, wo die Kerne dieser
Zellen gelegen sind. Die proximale Hälfte der Nebenpigmentzellen
ist frei von Pigment. Ähnlich das Verhalten des Retinapigments.
Die Hälfte der Retinapigmentzellen, die der Basalmembran aufliegt
und den Zellkern enthält, ist intensiv pigmentiert, die andere Hälfte,
die distale, weist kein Pigment auf. Das Retinulapigment konzentriert
sich au zwei Punkten, am kolbenförmig verdickten distalen Ende der
Retinula und an der Basis, dem proximalen Ende der Retinula, so daß
die acht Sehzellkerne auf dem Längsschnitt deutlich sichtbar sind.
(Bei einem nicht oder nur gering entpigmentierten Präparate sind im
Lichtauge die Sehzellkerne nicht zu sehen.) Schließlich wäre noch
von dem Pigment zu sprechen, das wir in den Nervenbündeln antreffen.
Im Lichtauge sind diese Nervenbündel von der Membrana fenestrata
an bis zur Ganglienzellkernschicht des peripheren Opticusganglions
hin pigmentiert. Im Dunkelauge sammelt sich das Pigment in den
Nervenbündeln direkt unterhalb der Basalmembran an, wandert also
in distaler Richtung. Dadurch, daß das Pigment der Nebenpigment-
zellen distal und das Retinapigment sich proximal verschiebt, ent-
steht im centralen Teil der Retinula zwischen den einzelnen Ommen
ein pigmentfreier Raum und gestattet so — das intracelluläre Pigment
der Ommatidien hat sich ja distal und proximal angesammelt, den
medianen Teil des Ommas freilassend — das Zustandekommen eines
Das Facettenauge der Wasserwanzen. 453
lichtstarken Superpositionsbildes, während doch sonst dadurch, daß
das zwischen den Onmiatidien gelegene Pigment regelrechte Scheiden
um die einzelnen Ommatidien bildet und so lichtsondernd wirkt, nur
Appositionsbilder zustande kommen können.
Die eben gegebene Schilderung von der Pigmentwanderung im
Notonecta- Aime — für Corixa habe ich genau dieselben Verhältnisse
experimentell nachweisen können — ist ein Beispiel dafür, daß dap
Auge der Wasserwanzen, je nachdem es der Dunkelheit oder dem
Lichte exponiert ist, Superpositions- beziehungsweise Appositionsbilder
aufzunehmen vermag. Am Tage werden von den Augen der Wasser-
wanzen vorzüglich Appositionsbilder percipiert, in der Nacht Super-
positionsbilder. So sehen wir, daß auch das biologische Moment, daß
die im Wasser lebenden Hemipteren nachts die Gewässer verlassen
und ausfliegen, sich in der Morphologie und Physiologie des Auges
dieser Tiere widerspiegelt.
Hauptergebnisse .
1) In jedem Omma sind acht Sehzellen nachweisbar, von denen —
abgesehen von Corixa Geoffroyi, wo vier distal und vier proximal
liegen — sechs distal und zwei proximal angeordnet sind.
2) Die Augen sämtlicher Wasserwanzen — nur die von Corixa
Geoffroi/i nicht — weisen im männlichen wie im weiblichen Geschlecht
Differenzierungen ins Doppelauge auf.
3) Am ausgeprägtesten sind diese Differenzierungen bei Ranatra
linearis und Hydrometra palustris.
4) Bei Ranatra linearis, Neya cinerea und Naucoris cimicoides hat
jedes Ommatidium seinen eignen Kranz von Nebenpigmentzellen.
5) Die Augen von Nepa cinerea und Naucoris cimicoides sind nicht
tvpisch acon. Sie repräsentieren Übergangsformen vom aconen zum
pseudoconen Auge.
6) Bei Ranatra linearis und Hydrometra palustris weichen die Ke-
tinapigmentzellen der Basalmembran in einem ihr offenen Bogen aus.
Der am weitesten distal gelegene Punkt dieser Kurve liegt genau auf
der idealen Scheide zwischen Dorsal- und Ventralauge.
7) In der Morphologie und Physiologie der Augen spiegelt sich
die Biologie ihrer Träger in evidenter Weise wider. Notonecta glauca
schwimmt auf dem Rücken, Hydrometra palustris bewegt sich auf dem
Wasser fort. Bei den eben genannten beiden Hemipteren ist der ven-
trale Teil des Auges besser differenziert als der dorsale. Bei Ranatra
linearis, Nepa cinerea und Naucoris cimicoides, die auf dem Bauche
454 Kurt Bedau,
schwimmend sich fortbewegen, ist der dorsale Teil des Auges besser
differenziert als der ventrale.
8) Für Notonecta glauca und Corixa Geofjroyi ist experimentell
nachgewiesen worden, daß Pigmentverschiebungen bei Belichtung
und Verdunkelung eintreten.
Leipzig, Weihnachten 1909.
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Erklärung der Abbildungen.
Abkürzungen:
hm, Basalmembran;
hz, Blutzelle;
c, Cornea;
G.I, Erstes oder peripheres Opticus-
ganglion ;
G.II, Zweites Opticusganglion ;
O.III, Drittes oder centrales Opticus-
ganglion ;
gzic, Ganglienzellkern ;
Ä-, Kristallzellengebilde;
kk, Kristallzellkern ;
h lichtsammelnder Körper?;
mg, Muskelgewebe;
nh, Nervenbündelschicht;
nf, Xervfaser;
P, Hauptpigmentzelle;
f, Nebenpigmentzelle ;
pt, pigmentierter Teil der iSehzelle:
Pzk, Hauptpigmentzellkern ;
fzk, Nebenpigmentzellkern ;
rh, Rhabdomer;
rj), Retinapigment;
r'pzk, Retinapigmentzellkern ;
stz, Stützzelle;
szk, Sehzellkern;
tr, Trachee;
trk, Tracheenkern.
Tafel XIX und XX.
Die Abbildungen wxirden teils mit einem Seibert-, teils mit einem Leitz-
Miki'oskop unter Zuhilfenahme des AsBEschen Zeichenapparates angefertigt.
Fig. 1. Totalbild des Auges von Notonecta glauca. S. III, 2.
Fig. 2. Drei Einzelommatidien aus dem Auge derselben Art im Längs-
schnitt. L. III, 7.
Fig. 3. Querschnitt durch die Vitrella derselben Art. S. I. 1/12 Imm.
Fig. 4. Totalbild des Auges von Ranatra linearis. S. I, 5.
Fig. 5. Querschnitt durch die Ommatidien derselben Art in Höhe des
distalen Retinulaendes, die Anordnung der Nebenpigmentzellen veranschau-
Uchend. S. L 1/12 Imm.
45G Kurt Bedau, Das Facettenauge der Wasserwanzen.
Fig. 6. Totalbild des Auges von Hydrometra palustris, L. III, 3.
Fig. law. h. Zwei Einzelommatidien derselben Art im Längsschnitt, a, aüiS
dem ventral gelegenen Teile des Dorsalauges und h, aus dem Ventralauge. S. I,
1/12 Imm.
Fig. 8. Querschnitt durch die Vitrella derselben Art in Höhe der Neben-
pigmentzellkerne. S. I, 1/12 Imm.
Fig. 9. Querschnitt durch die Ommatidien derselben Art in Höhe des
distalen Retinulaendes. S. III, 1/12 Imm.
Fig. 10. Totalbild des Auges von Nepa cinerea. S. I, 2.
Fig. 11. Zwei Einzelommatidien aus dem Auge derselben Art im Längs-
schnitt. S. I, 5.
Fig. 12. Querschnitt durch die Ommatidien derselben Art in vei'schiedener
Höhe. S. I, 1/12 Imm.
Fig. 13. Totalbild des Auges von Naucoris cimicoides. L. I, 3.
Fig. 14. Zwei Einzelommatidien derselben Art im Längsschnitt. S. III,
1/12 Imm.
Fig. 15. Querschnitt durch die Vitrella derselben Art, die Anordnung der
Nebenpigmentzellen zeigend. S. III, 1/12 Imm.
Fig. 16. Totalbild des Auges von Corixa Geoffroyi. S. III, 2.
Fig. 17. Querschnitt durch den mittleren Teil der Ommatidien derselben
Alt, das Sich-Einschieben der proximalen Sehzellen veranschaulichend. S. I,
1/12 Imm.
Fig. 18. Zwei Einzelommatidien derselben Art im Längsschnitt. S. 1, 5.
Fig. 19. Partie aus der Nervenbündelschicht von Notonecta glauca. S. I, 5.
Fig. 20. Längsschnitt durch den Ganglienapparat von Notonecta glauca.
S. I, 5.
Fig. 21 a u. b. Zwei Ommatidien von Notonecta qlauca auf dem Längs-
schnitt, a, in Licht-, b, in Dunkelstellung. L. III, 7.
Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung und der
Häutungsdrüsen bei Bombyx mori.
Von
E. Verson.
Mit Tafel XXI und XXII.
Die Exuvialdrüsen der Insekten sind in letzter Zeit wiederholt
Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen gewesen. Aber abgesehen
von der ihnen unbedingt zuerkannten Primärwirkung: durch periodi-
sche Abhebung der älteren erhärteten Cuticularbildungen ein sonst
unüberwindliches Hemmnis progressiver Gewebsevolution zu beseitigen,
sind die Ansichten über Herkunft, Entstehungsweise, Struktur und
Funktionsweise derselben noch ziemlich weit von einer befriedigenden
Übereinstimmung entfernt. Und da es mir vergönnt war, zuerst —
1889 — , und zwar speziell für Bombyx mori die genannten Drüsen
anzeigen und beschreiben zu dürfen i, — mag es nicht ungerechtfertigt
erscheinen, daß ich den seitdem mehrfach geäußerten Divergenzen
gegenüber, endlich Stellung zu nehmen gedenke.
Zunächst die allgemeinen Charaktere der zu besprechenden
Gebilde.
Ich habe die Exuvialdrüsen von Bombyx mori als beutelartige
Organe bezeichnet, welche mit einem rundlichen, oder ovalen, oder
mehr abgeplatteten Bauche in die freie Leibeshöhle sich einsenken,
und mit einem hohlen Halse das Hypoderm bis zur basalen Grenze
seiner Cuticula durchsetzen. Die Entfaltung der verdickten Partie
nach verschiedenen Kichtungen hängt wesentlich von der nächsten
Umgebung ab, welche durch Stränge, Muskelfasern, Tracheen und
1 E. Verson, Hautdrüsensysteni bei Bombyciden. Zoolog. Anzeiger
1889. S. 118. — E. Verson, Di una serie di nuovi organi secretori scoperti nel
filugello. Ricerche anatomiche della R. Stazione Bacol. Specimentale V. Pa-
dova 1890. Con 4 tavole.
458 E. Verson,
dergleichen die anwachsende Drüsenmasse aufhält, um sie nach einer
andern Seite zu verschieben. So kommt es nicht selten vor, daß der
verschmälerte Teil vom Drüsenkörper sogar winkelig abgeht. Aber
während der ersten Larvenperioden herrscht doch im allgemeinen eine
rundliche Gestalt vor; und nur zuletzt ergeben sich — durch ungleich-
mäßiges Wachstum — scharfe Einbuchtungen, welche sich zu langen,
zuweilen noch verästigten Lappen strecken können.
Bis zur Verpuppung finden sich die Exuvialdrüsen in der ständigen
Zahl von 15 Paaren vor. Es gibt deren zwei Paare für jeden Brust-
ring; ein Paar für je einen der sieben ersten Bauchringe, während
der achte Bauchring wieder zwei Paare aufweist. Daher unterscheide
ich je zwei obere pro-, meso-, metathoracale Drüsen, und ebenso viele
untere. Die ersteren münden, zwischen Hypoderma und Guticula,
an einer Stelle, welche etwas nach vorn und oben vom Stigma oder
von dessen mutmaßlicher Lage zu suchen ist ; die letzteren richten ihren
Ausführungsgang gegen die äußere Basalfläche der betreffenden Brust-
beine. Am ersten bis siebenten Bauchsegment sind die Exuvialdrüsen
ganz ähnlich orientiert Avie die analogen Dorsalgebilde der Brustringe;
und nicht anders verhält sich das eine der zwei Drüsenpaare, welche
dem achten Bauchsegment eigen sind: während das andre in gleicher
Höhe mit dem letzten, dem neunten Stigma, aber etwas hinter dem-
selben verrückt erscheint.
Ich habe auch gefunden, daß bei der Verpuppung nur die zwei
letzten Drüsenpaare vollständiger Involution anheimfallen und —
ohne Beste zu hinterlassen — sofort verschwinden, während alle übrigen
sich noch längere Zeit an ihrem ursprünglichen Platze behaupten i.
Aber dieser meiner Angabe ist nicht Rechnung getragen worden.
Plotnikow behauptet in der Tat, daß die Exuvialdrüsen ausschheßlich
dem Larvenleben zukommen, und leugnet demgemäß, daß die bei der
Puppenhäutung entstehende Exuvialflüssigkeit unsern Drüsen ent-
stamme^. Auch Philiptschenko nimmt die Abwesenheit von Exuvial-
drüsen in der Puppe als bewiesen an^ ; und Deegenek nimmt aus der
angeführten »Tatsache: daß bei der Puppe die Exuvialdrüsen nicht
mehr entwickelt sind« — Anlaß, zu folgern, »daß auch in geringfügigen
1 E. Vebson, Ricerche Anatomiche della Stazione Bacologica di Padova.
V. p. 5.
2 W. PLOTiiiKOW, Über die Häutung und über einige Elemente der Haut
bei den Insekten. Diese Zeitsehr. Bd. LXXVI. 1904.
3 Jtjb. Philiptschenko, Anatomische Studien über Collembola. Diese
Zeitsehr. Bd. LXXXV. 1907.
Beitrag zur iiähcriMi Kiuiitnis der Htäulung usw. 459
Organisationseigentümlichkeiten die Puppe der Imago näher steht als
die Larve«!.
Dieser Verallgemeinerung muß ich mich nun entschieden wider-
setzen. Ist es mir nicht gelungen in der fertigen Puppe von Bomhyx
mori auch nur Spuren von den vier Exuvialdrüsen wiederzufinden,
welche dem achten Bauchsegment der Larve angehörten, so bleiben doch
immerhin andre ,26 noch in unversehrtem Zustand, wie Fig. 24 und
25 zeigen; und es ist gar kein Zweifel — nach meiner Ansicht — , daß
bei der Verwandlung der Puppe in den Schmetterling die vorhandene
Exuvialflüssigkeit ebenfalls jenen Drüsen, und nur jenen Drüsen ent-
stammt, welche dieselbe bei den Larvalhäutungen bereiten. Freilich,
die Modifikationen, denen das Integument bei Larvenhäutung einer-
seits, und anderseits bei Puppenhäutung entgegengeht, sind mitein-
ander gar nicht zu vergleichen. Denn die eigentliche Häutung der
Larve besteht wesentlich in einer ziemlich raschen Abhebung der
gespannten Cuticula vom Hypoderm, welches unterdessen nur die
Zahl seiner Elemente, nicht den Bau und die Natur derselben ge-
ändert hat: sogar die Größe derselben bewahrt in allen Larvenperioden
annähernd gleiche Mittelwerte. Bei der Puppe dagegen verläuft der
Prozeß weit eingreifender. Statt sich gleich zu bleiben, verwandeln
sich hier die Elemente des Hypoderms — bei der zunächst erfolgenden
Teilung — in zwei Gruppen, von welchen die eine zur Herstellung
einer dünnen, sehr zarten Integumentalmembran dient, während in
der andern große bläschenartige Zellen verbleiben, mit einem Fort-
satze, der das eigentliche Hypoderm nach außen durchbricht und sich
jenseits desselben allmählich zu einer jener zahllosen Schuppen ent-
faltet, aus welchen das neue Kleid der Imago bestehen wird^.
Der ganze Vorgang nimmt aber geraume Zeit in Anspruch.
Die ersten Schüppchen welche, noch unansehnlich, mit ihrer freien
Spitze das verjüngte Hypoderm durchsetzen, um sich unter der Puppen-
hülle (Cuticula) nach und nach breitzumachen, erscheinen schon 8 und
mehr Tage bevor der Schmetterling ausschlüpfen soll. Daraus ergibt
sich unmittelbar die Annahme, daß zu dieser Zeit auch die Loslösung
und die Abhebung der Puppenhülle in Gang gekommen sein muß; und
da die einzige Veranlassung dazu in der Exuvialflüssigkeit zu suchen
ist, so darf ohne weiteres gefolgert werden, daß in der Puppenperiode
die Tätigkeit der Exuvialdrüsen nicht — wie bei der Larve — erst
1 P. Deegeneb, Die Metamorphose der Insekten. Leipzig n. Berlin.
Teubner 1909.
2 Vebson, e QuAJAT, II Filugello e l'Arte Sericola. p. 276. Padova 1896.
460 E. Verson,
kurz vor jeder Häutung angeht, um sofort nach derselben aufzuhören.
Man findet in der Tat schon bei der jungen Puppe eine dünne Schicht
Exuvialflüssigkeit zwischen Cuticularhülle und Hypoderm angesammelt.
Damit, d. h. mit der Lubrifikation der abzuwerfenden Puppenhülle,
haben die Exuvialdrüsen aber auch ihre letzte Aufgabe erfüllt; und
darf es nicht befremden, daß nach vollbrachtem Tagewerk sie den
Platz in raschem Schwunde räumen.
Daß die Exuvialflüssigkeit übrigens eine andre Quelle als die hier
behandelten Drüsen haben möge, davon kann wahrlich keine Rede
sein. Zwar hat Tichomirow die Vermutung ausgesprochen!, daß die
unter der Cuticula angesammelte Flüssigkeit von den MALPiC4Hischen
Gefäßen abzuleiten sei, indem dieselbe zwischen das Epithel des Hinter-
darmes und dessen Chitinintima eindringen und auf diesem Wege auch
unter die äußere Integumentalcuticula gelangen dürfte. Die Hypo-
these ist nicht neu. Schon im Jahre 1872 hatte A. Vasco die Vor-
stellung wahrscheinlich zu machen gesucht, daß die Darmsäfte bei der
Seidenraupe unter die abgehobene und gefaltete Intima des hinteren
Intestinaltractus leicht gelangen, und von hier aus zwischen alte und
neue Dermalcuticula vordringen könnten^. Die spekulative Betrach-
tung widersteht aber nicht dem Prüfstein des Experimentes. Nimmt
man — zur leichteren Übersicht — eine größere Raupe, welche zum
sogenannten Schlafe sich anschickt (also 10 — 20 Stunden — je nach
der Temperatur — vor der eigentlichen Häutung), und umschlingt
deren Hinterende mit einem mehrfachen fest zugezogenen Faden, so
sollte die gelungene Unterbindung jeder Kommunikation zwischen
Darmlumen und intercuticularem Raum des Integumentes sicher vor-
beugen. Und doch kann man sich leicht überzeugen, daß — trotz
der vorausgeschickten Unterbindung — Exuvialflüssigkeit sich in nor-
maler Menge unter der Haut ansammelt; und nur das Vorhandensein
einer straffen Schlinge die Abstreifung der isolierten Exuvie zu ver-
hindern vermag!
Außerdem dürfte noch eine sehr einfache Betrachtung geeignet
sein, ähnliche Auslegungen endgültig zu widerlegen. Bekanntlich ist
während der Puppenperiode von Bombyx mori die Secretion von Darm-
säften fast gänzlich sistiert; und beginnt während derselben, vom
Vorderdarm aus, die Entwicklung des früher nicht vorhandenen Saug-
magens, der, kurz vor dem Ausschlüpfen der Imago, mit einer klaren,
1 A. Tichomirow, Praktischer Seitenbau. Moskau 1895 (russisch).
2 A. Vasco, Nuove considerazioni sul processo delle mute. Accad. di
Agricolt, Torino 1872,
Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung usw. 461
ungefärbten, stark alkalischen Flüssigkeit sich füllt i. Diese Flüssig-
keit dient dem fertigen Insekt teilweise zur Durchweichung des noch
geschlossenen Kokons dort, wo die Mundöffnung demselben gerade
gegenübersteht ; zum übrigen Teile befreit sie den Mitteldarm von den
Überresten des abgestoßenen larvalen Epithels, welches unterdessen
zu einer rötlichen, harzartigen Masse zusammengebacken ist. Die
rotbraune Emulsion, welche im Ventrikel aus der Mischung von un-
gefärbter Flüssigkeit mit farbigem Rückstande hervorgeht, gelangt
so in den Hinterdarm (Cöcalblase), um schließlich mit den ersten
Dejektionen des Schmetterlings nach außen befördert zu werden^.
Aber offenbar dringt auch keine Spur davon zwischen Puppenhülle
und Imaginalintegument ; denn in solchem Falle müßte auch das
Schuppenkleid des vollkommenen Insekts damit besudelt erscheinen,
was tatsächlich nie wahrgenommen wird.
Die Größe der Exuvialdrüsen variiert beim Seidenspinner je nach
ihrer Ubikation, nach dem Alter, das sie erreicht haben, nach dem
Zustand der Ruhe oder der Tätigkeit, in dem sie sich befinden.
Am kleinsten ergeben sich bei jungen Raupen die unteren Thoracal-
drüsen, während alle übrigen, vom Prothorax an bis zum achten Bauch-
segment, in regelmäßiger Progression an Volumen zunehmen. So
fand ich an einem und demselben Thiere (vom Ende des dritten Larven-
alters) die Dimensionen der einzelnen Segmentalorgane wie folgt:
untere Prothoracaldrüse , . . . 0,1 X 0,1 mm
Exuvialdrüse des 3. Bauchsegments 0,075 X 0,18 >>
» » 4. » 0,087 X 0,2 »
» » 5. » 0,10 X 0,21 »
» » 6. » 0,175 X 0,237 »
» » 8. » 0,375 X 0,4 »
Wie aus diesen Zahlen schon zum Teil ersichtlich, sind die unteren
Thoracaldrüsen mehr in die Breite gezogen. Die oberen strecken sich
lappig in längliche Form; runden sich aber ab, indem sie gleichzeitig
an Gesamtgröße zunehmen, je mehr sie caudalwärts zu liegen kommen.
Deshalb kann ich auch die Behauptung Plotnikows für Boynhyx ynori
nicht unterschreiben, derzufolge die Exuvialdrüsen des dritten Thora-
cal- und des ersten Abdominalsegments am größten sein sollen, um
1 E. Vekson, Zur Entwicklung des Verdauungskanals bei Bomhyx mori.
Diese Zeitschrift. Bd. LXXXII. S. 563.
2 E. Verson, Chemisch-analytische Untersuchungen an lebenden Raupen,
Puppen und Schmetterlingen. Zoolog. Anzeiger. Bd. XIII. Nr. 346.
462 E. Verson,
von hier aus sich allmählich nach vorn und nach hinten zu verkleinern.
Daoegen muß hervorgehoben werden, daß, nach der vierten Häu-
tung, die Tätigkeit der Exuvialdrüsen in den vorderen Somiten sehr
auffallend zu steigen beginnt; und daß diese nachträgliche Intensifi-
kation allerdings so bedeutend werden kann, daß die früher erwähnten
Größenunterschiede zwischen vorderen und hinteren Drüsen dann in
wenigen Tagen meist vollständig ausgeglichen werden.
Was das Wachstum anlangt, dessen die Drüsen fähig sind, habe
ich gleich anfangs angegeben, daß dieselben im reifen Embryo kaum
0,02 X 0,03 mm maßen, während bei voller Entwicklung sie einen
größten Durchmesser von 3 mm und darüber erreichen können.
Und man muß zugeben, daß sie in den aktiven Phasen um das
Mehrfache des initialen Volumens anschwellen, um darauf noch rapider
zu einem unförmlichen Klümpchen zusammenzuschrumpfen.
Aber das Merkwürdigste an ihrem Verhalten liegt doch darin, daß,
wie in den folgenden Seiten besser dargelegt werden soll, ihr Ausfüh-
rungsgang nie an der äußeren Oberfläche des Integumentes frei mündet :
insofern eine kontinuierliche Cuticularschicht dessen Öffnung ausnahms-
los überbrückt. Daher kann ich mich auch mit den Angaben späterer
Forscher nicht befreunden, welche einerseits zugeben »einen ver-
stopften Ausführungsgang vor sich zu haben« (Plotnikow,
I.e., p. 350); anderseits jedoch glauben lassen, daß »die Mündung
des Ausführungsganges nach der Häutung entweder ge-
öffnet bleibe, oder aber sie werde durch eine besondere
braune, sehr harte Substanz verstopft, welche offenbar
ein Drüsensecret sei: so daß bei deren Entfernung die
weichen Wände des Ausführungsganges zusammenfallen
und Verschluß herstellen« (ebenda S. 352). Ich werde später
zeigen, daß in den Lücken des Drüsengewebes selbst, bei der mikrosko-
pischen Prüfung nicht selten die Gegenwart von festen, leicht färbbaren
Contentis ins Auge fällt, welche sehr wohl mit Gerinnseln des eiweiß-
haltigen Secretionsproduktes durch die angewandten Fixationsmittel
identifiziert werden dürften. Und so kann es wohl vorkommen, daß
in manchen Präparaten eine ähnliche Substanz auch den Mündungs-
kanal mehr oder weniger auszufüllen scheint. Aber ich könnte nicht
zugeben, daß die »weichen« Cuticularwände des Ausführungsganges
bei der Häutung zusammenfallen und dadurch das Ausfließen des
Secretes nach außen verhindern. Diese sogenannten weichen Cuti-
cularwände besitzen regelmäßig aufeinander folgende Verdickungsringe,
welche — durch Runzelung der eintrocknenden, noch frischen Aus-
Beitrap 7,ur näheren Kenntnis der Häutung xisw. 463
schwitzung bedingt — ebenso wie die Chitinspiralen bei den Tracheen
einer Quetschung der Röhren bestimmt vorbeugen. Eine wirkhche
Verstopfung des Kanals erfolgt nur dadurch, daß die Hypodermzellen
der Mündungslippen an ihrem freien Rande chitinogene Substanz in
genügender Menge ausscheiden, um an dieser verengten Stelle das
ganze Lumen auszufüllen, \md darauf zu einem festen Pfropfen zu
erhärten.
Eine letzte Betrachtung allgemeinen Charakters soll nicht unter-
lassen bleiben, bevor ich zu den ersten Anfängen und zur Struktur
der eigentlichen Drüsen übergehe.
Es ist wohl selbstverständlich — und bedarf es keines weiteren
Beweises, daß — nach Lage und Verteilungsweise — die Exuvialdrüsen
so eingerichtet sein müssen, daß sie am besten ihrer Bestimmung
entsprechen, den Häutungsprozeß zu erleichtern und zu vereinfachen.
Nmi weiß man, daß die Exuvialflüssigkeit an alle Stellen der Körper-
oberfläche gelangen muß, damit die bezweckte Abtrennung der Cuticula
vom Hypoderm nicht unvollständig bleibe; daß nach gelungener Ab-
hebung der abgetragenen Cuticula die entblößten Zellen des Hypo-
derms sich beeilen eine neue chitinogene Secretion zu veranlassen,
welche eine verjüngte, der Matrix anhaftende Cuticula schafft; daß
genau an der kreisförmigen Grenzlinie zwischen Kopf und erstem Leibes-
ringe die bezüglichen Cuticulae auseinander reißen, so daß einerseits
die alte Kopfmaske von selber abfällt, anderseits die schlauchartige
Exuvie nach vorn mit einer offenen Mündung endet, in welche die
erweiterte Kopfblase der wiedererwachten Larve sich sogleich einkeilt.
Aber niemand hat noch daran gedacht, zu fragen, warum bei jedem
angehenden Schlafe die häutungsbedürftigen Larven eine scheinbar
so mmatürliche Stellung annehmen, indem sie — nach Anheftung der
Bauchfüße an die nächste Umgebung durch feine Seidenfäden — den
Thorax in die Höhe recken, den Kopf leicht nach unten rotieren, und
in dieser Haltung unbeweglich verharren bis zum Augenblicke, wo die
Trennung der starren Kopfmaske vom nachgiebigen Cuticularschlauche
eine vollendete Tatsache geworden ist.
Daß mm dieser gewaltsame Riß wirklich, und immer an derselben
Stelle stattfindet, — das dürfte wohl mit der eignen Lage in sehr enger
Beziehung stehen, welche die Exuvialdrüsen einnehmen.
Käme die schlafende Raupe auf horizontalem Lager einfach ge-
streckt zu liegen, so läßt sich annehmen, daß der mehr oder weniger
abgehobene Cuticularschlauch in seiner ganzen Ausdehnung von der
darin angesammelten Exuvialflüssigkeit benetzt und durchdrungen
464 " E. Verson,
sein würde. Auch bei aufgerichtetem Thorax wird sich am ganzen
Abdomen der Raupe eine ausgiebige Durchweichung geltend machen,
weil das ausfließende Secret aller Drüsen — welch auch immer ihre
Lage sei — dem Gesetz der Schwere folgend, allmählich von oben
nach unten sinkt. Nicht ebenso ausgedehnt wird aber die Lubrifikation
des Thoracalschlauches erfolgen. Denn obgleich der größte Teil des-
selben von den Secrettropfen sehr leicht erreicht wird, welche aus den
Mündungen der zwölf hier verfügbaren Drüsen herunterrieseln, so ist
eine Durchfeuchtung der Cuticula an ihrem obersten Saume — d. h.
an der Grenze zwischem erstem Brustring und Kopfmaske — ganz un-
denkbar. An dieser Stelle trocknet daher die Cuticula in einer ring-
förmigen Zone vollständig aus, verliert ihre Zähigkeit, und gibt ein
Punctum minoris resistentiae ab, welches der verjüngten Raupe die
Möglichkeit gewährt, sich von einem Hemmnis zu befreien, das mit
ihrer weiteren Entwicklung ganz unvereinbar ist.
Und vom Kopfe selbst wird die Vorbereitung zum entscheidenden
Riß ausgelöst.
Wie bei allen angehenden Häutungen die Elemente des Hypo-
derms überall in lebhafte Teilung geraten, ebenso vermehren sich
gleichzeitig die Zellen, durch welche die Schädelhöhle begrenzt wird.
Dabei erfährt natürlich die ganze Kopfblase eine bedeutende Erweite-
rung ihrer Oberfläche. Nachdem aber dieselbe vor dem Widerstände
der äußeren starren Chitinkapsel nicht zur Geltung kommen kann, legt
sie sich zunächst faltig ein; und weil die innere Spannung trotzdem
nicht nachläßt, so schnellt endlich die schwellende Kopfblase aus der
alten Nische heraus und zieht sich innerhalb des Exuvialsackes des
ersten Brustringes zurück, dessen größere Kapazität ihr eine bequeme
Zuflucht gestattet. Die somit erfolgte Versetzung der erweiterten
Kopfblase wird auch äußerlich an einem grauen Fleck erkennbar,
welcher hinter dem Scheitel der verlassenen Kopfkapsel durchscheint
und ein Vorzeichen imminenter Häutung bedeutet.
Unterdessen hat sich also der Körper der Raupe von jeder orga-
nischen Verbindung mit dem umhüllenden Exuvialsacke losgemacht.
Nach Räumung der alten, starren Chitinkapsel von selten der zelligen
Kopfblase ist aber die Larve nun bemüßigt, ihre Gesamtheit in
eben denselben Cuticularschlauch einzuzwängen, welcher noch kurz
vorher nur die Leibesringe, ohne den Kopf, zu beherbergen hatte.
Brust- und Bauchringe, teilweise auch durch die vorausgegangene
Emission reichlichen Exuvialsaftes erschlafft, passen sich dem unver-
meidlichen Platzmangel an, indem sie eine leichte S-artige Krümmung
Beitrag /ur nälioion Kenntnis der Häutung usw. 465
innerhalb des nun ausgeweiteten Schlauches erleiden. Dabei steift
sich wieder die weiche Körpermasse; die verjüngte Kopfblase drängt
hebelartig gegen den vorspringenden oberen Rand der geräumten und
nun leerstehenden Chitinkapsel, welche noch mehr nach unten rotiert
und dabei den dorsalen Anteil des anhängenden Exuvialsackes in die
Länge zerrt. Die betreffende Cuticula, durch die erigierte Haltung der
schlafenden Raupe aus dem Bereiche der Exuvialdrüsen gerückt, ist
jedoch ausgetrocknet und hat ihre Widerstandsfähigkeit vollständig
eingebüßt: kein Wunder daher, wenn sie längs der circulären Ver-
bindungslinie zwischen Kopf und Prothorax auseinander reißt, wobei
die Maske abfällt und an ihrer Stelle eine runde öffnvmg hinterläßt!
Letztere wird aber sogleich durch den verjüngten Kopf der erwachten
Larve ausgefüllt, welcher, mit einem einzigen Rucke vorgetrieben, eine
vorzeitige Dispersion der lubrifizierenden Flüssigkeit verhütet.
Durch wurmartige Kontraktionen des Leibes schiebt nun die
Larve ihren Kopf vollends aus der vorderen Öffnung des Exuvial-
sackes; dem Kopfe folgt das erste Beinpaar unmittelbar nach, und
strebt den nächsten Widerstand zu erfassen, dem es begegnet; schließ-
lich wird der ganze Körper allmählich aus dem abgetragenen Futteral
nachgezogen, welches, durch Seidenfäden am Lager festgeheftet, auch
einem anhaltenden Zuge nicht folgen kann.
Zum besseren Verständnis der etwas sonderbaren Verhältnisse,
welche ich im folgenden über Anlage und Entwicklung der Exuvial-
drüsen bei Bomhyx mori berichten muß, mag mir gestattet sein, zu-
nächst eine kurze Beschreibung dieser Organe vorauszuschicken, wie
sie einer mittleren Altersperiode der Larve angehören und dem Zu-
stand voller Tätigkeit entsprechen. Ich verweise den Leser speziell
auf Fig. 17, welche das getreue Bild eines Schnittes durch eine untere
Prothoracaldrüse wiedergibt.
Der Körper der Drüse zeigt in seinem Innern einen weiten Hohl-
raum von unregelmäßig zackiger Begrenzung der teilweise, besonders
wandständig, von einer körnigen, stark lichtbrechenden und leicht
färbbaren Substanz eingenommen wird; rings um den Hohlraum er-
streckt sich eine breite Rinde von anscheinend schaumiger Struktur,
in welcher kleinere oder größere Vacuolen sich eng aneinander reihen.
Ein konischer Ansatz — zuweilen aus einer einzigen, häufiger aber
aus zwei oder selbst drei zusammengefügten Riesenzellen bestehend —
reicht bis an die Oberfläche des Hypoderms und umfaßt einen kurzen
Ausführungsgang, der im angeführten Bilde nach innen zu blind endigt,
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 31
466 E. Verson,
nach außen offen mündet. Dabei besitzt der Ausführungsgang selbst
einen dünnen, chitinösen Überzug mit circulären oder spirahgen Ver-
stärkungen, der in die Cuticula des Integumentes ctn immittelbar über-
geht. Wie leicht zu ersehen, stellt ctn eine neue Cuticularemission
von Seiten des Hypoderms vor, während die alte schon abgehobene
Cuticula — der Einfachheit halber in der Zeichnung weggelassen —
ohne Unterbrechung über die offene Mündung des Ausführungsganges
wegstreicht.
Im wesentlichen muß man also an der in Fig. 17 abgebildeten
Exuvialdrüse folgende typische Bestandteile unterscheiden: einen
eigenthch secernierenden Drüsenkörper — im betrachteten Falle voll-
ständig vacuolisiert ; einen Hohlraum mit partiellem körnigen, stark
lichtbrechenden Inhalt; einen Ausführungsgang mit intercuticularer
Mündung; eine, zuweilen zwei, oder sogar drei riesige Deckzellen,
welche besagten Gang umgeben und begrenzen. Aus Fig. 15 geht
noch deutlicher hervor, wie unter der schon abgelösten, aber noch nicht
abgestreiften Exuvie et die Hypodermzellen if eine neue chitinogene
Ausschwitzung ctn schon nach außen befördert haben ; und wie letztere,
bei ihrer rasch zunehmenden Dicke, sehr bald die noch klaffende Mün-
dung der Drüse vollkommen verstopft haben wird.
Diese allgemeinen Merkmale vorausgeschickt, will ich ganz kurz
die wichtigsten Entwicklungsphasen darstellen, wie dieselben sich mir
— bei Durchsuchung von Präparaten in steigendem Lebensalter —
ausnahmslos gezeigt haben.
Die ersten erkennbaren Anlagen reichen noch in die embryonale
Periode zurück; und schon 3 oder 4 Tage vor ihrem Ausschlüpfen
aus dem Ei, weist die fast fertige Larve — an jenen bestimmten Stellen,
welche dem Sitze einer angehenden Drüse entsprechen — eine außer-
ordentlich gewachsene, modifizierte Hypodermzelle auf, welche ihren
abgerundeten Leib in die Körperhöhle versenkt und mit einem langen
konischen Hals bis zur Dermalcuticula vordringt (Fig. 1).
Im frisch ausgekrochenen Räupchen scheinen die besprochenen
birnförmigen Zellen — besonders in den vorderen Somiten — an Größe
keine besonderen Fortschritte gemacht zu haben. Hier erreichen sie
höchstens eine Breite von 0,015 mm auf eine Länge von 0,025 mm,
während in den hinteren Bauchsegmenten äußerste Durchmesser von
0,027 auf 0,04 mm bei derselben nicht selten angetroffen werden. Die
Aufmerksamkeit des Beobachters wird aber sogleich von den aus-
giebigen Veränderungen in Anspruch genommen, welche die einzelnen
Bestandteile der Zelle unterdessen erlitten haben (Fig. 2). Der konische
Beitrag zur nälieren Kenntnis der Häutung uhvv. 467
Fortsatz, der mit dem Hypoderm zusammenhängt, hat sich länger
gestreckt und ist allmähhch hohl geworden, wie es aus geeigneten
Schnitten hervorgeht, welche ein rundliches Lumen an Ort und Stelle
erkennen lassen {cn); die zwei oder drei nächstliegenden Hypoderm-
zellen (c), zwischen welche der Fortsatz fest eingezwängt verläuft, sind
— vielleicht durch den ausgestandenen Druckreiz — weit über die
Größe der Nachbar- und Schwesterzellen gewachsen; das Protoplasma
stellt eme feinkörnige breite Kindensubstanz um den Kern, welcher
unregelmäßige, wenn auch noch blasige Form angenommen hat und
dabei eine gewisse Menge klumpigen Chromatins — meist wandständig
— in sich einschließt.
Ist die erste Altersperiode der Larve so weit vorgeschritten, daß
ihre Freßlust schon bedeutend nachläßt, so beginnen unsre Drüsen-
zellen zusehends dicker und gespannter zu werden, wobei die von
Anfang schon erkennbaren Größenunterschiede derselben, zwischen
vorderen und hinteren Segmenten, noch viel schärfer hervortreten.
Es wäre aber ein Irrtum, wollte man die ganze Volumenzunahme auf
Rechnung eines bleibenden substantiellen Wachstums des Zellkörpers
setzen. Denn ein Blick ins Mikroskop genügt, um uns sofort aufzu-
klären, daß die plötzliche Anschwellung des Protoplasmas wesentlich
auf rundliche Vacuolen zurückzuführen ist, welche, zuerst vereinzelt,
gleich darauf immer zahlreicher auftreten, bis die ganze Rindensubstanz
das Aussehen einer rein schaumigen Struktur darbietet (Fig. 3, 4, 5, 6).
Diese kleinen, mit Flüssigkeit erfüllten Lücken sind in einer und
derselben Drüse meist alle von ziemlich gleicher Größe, können aber
in zwei verschiedenen Drüsen einer und derselben Raupe auch um
den mehrfachen Durchmesser voneinander abweichen; und es scheint im
ganzen die Regel vorzuwalten, daß sie mit den Dimensionen des zu-
gehörigen Organs eng zusammenhängen: so zwar, daß die Thoracal-
drüsen, welche in der Larvenperiode am kleinsten zu sein pflegen,
auch nur einen feinschaumigen Bau zur Ansicht bringen; während
sich die viel voluminöseren Drüsen der hinteren Bauchsegmente ohne
Ausnahme grobschaumig erweisen. Ich habe auch in meiner ersten
Mitteilung über Hautdrüsen (1. c. 1890) schon hervorgehoben, daß
im Innern der Vacuolen nicht selten — und gegebenenfalles nicht
bloß in einzelnen, sondern meist in der großen Mehrzahl deselben
— ein festes, leicht mit Karmin färbbares, unregelmäßig geformtes
Körperchen gefunden wird (Fig. 4, 5). Ich kann jedoch PlotnikowI
nicht beipflichten, der dieselben im Jahre 1904 als Chromatinkörnchen
1 Diese Zeitschr. Bd. LXXVI.
31*
468 E. Verson,
beschreibt, die \ oni Kern sich abtrennen und Ausgangspunkt einer
Vacuole werden sollen. Ich glaube eher, daß es sich dabei einfach um
Rückstände von Drüsensecret handelt, welche durch Fixation und
Härtung der Präparate im Innern der Vacuolen lokahsiert wurden. Und
will ich die Bemerkung nicht unterlassen, daß die zuerst auftretenden
noch spärlichen Vacuolen meistens am äußersten Rande des DrüseD-
körpers angetroffen werden; während bei vorgeschrittener Vacuoli-
sierung die Lücken im Gegenteil am Rande der Centralhöhlung — des
Kernes — dichter beieinander stehen (Fig. 5, 6).
Wie dem aber auch sein mag, wer — bei dieser Phase angelangt —
die mikroskopische Beobachtung auch nur für einen Tag unterbrechen
wollte um sie darauf am frisch gehäuteten Räupchen wieder aufzu-
nehmen, der müßte wahrlich seine Not haben in Fig. 7, 8, 9, 10
jene selben Gebilde zu erkennen, welche noch wenige Stunden vorher
von unzähligen prallgefüUten Vacuolen strotzten! Wir werden sehen,
daß bei den nächstfolgenden Häutungen die hier erst angedeuteten
Veränderungen noch bei weitem ausgeprägter in Erscheinung treten.
Nichtsdestoweniger fällt aber schon gegenwärtig der plötzliche un-
erwartete Schwund aller Vacuolen aus der Substanz des Drüsenkörpers
auf; die Umwandlung des centralen Spaltraumes (Kern) zu einer ge-
waltsam erweiterten Höhlung, wie aus der Verteilung des darin noch
vorhandenen Chromatins und der auseinander gezerrten Lininstränge
gefolgert werden darf; die unregelmäßigen, wie zerrissenen Wände der
Centralhöhle selbst.
Kaum ist die erste Häutung vorüber, bleibt also nicht bloß jede
weitere Volumzunahme der Exuvialdrüsen für den Augenblick sistiert;
sondern, im Gegenteil, dieselben erfahren eine sehr bedeutende Ver-
kleinerung, infolge des raschen Schwundes, dem die Vacuolen selbst
unterliegen, und geben für einige Zeit kein andres Lebenszeichen von
sich. Dieser scheinbare Ruhezustand ist aber von sehr kurzer Dauer.
Schon wenige Tage darauf zeigen sich wieder in der Rindensubstanz
vereinzelte Vacuolen imd werden von Moment zu Moment zahlreicher;
die Rindensubstanz selbst schwillt mächtig an und beengt mit vor-
fallenden Buckeln den centralen Kernraum; an ihrem konvexen Rande
bringen solche Vorfälle im optischen Durchschnitt einen streifigen
Saum zur Ansicht, der, viel weniger ausgesprochen, auch an der Peri-
pherie des Organs sich bemerkbar macht, ohne jedoch dessen allge-
meine Umrisse sichtHch zu beeinflussen (Fig. 11, 12). Die Vermutung,
die sich dabei dem aufmerksamen Beobachter aufdrängt, es möge die
vergängliche Streifung von der ebenso temporären Vacuolisierung des
Beitrag v.nv näheren Kenntnis der Häutung uhw. 469
Cvtoplasiuas nicht iinabhiingig sein, dürfte auch wirklich der Begrün-
dung niclit entbehren. Abgesehen von dem optischen Verhalten, welches
zwischen Sanmstreifen und Vacuolenwänden nicht wesentlich abweicht,
können die Plasmabuckel, welche gegen den Kernraum sich erheben,
offenbar nur in dem Sinne gedeutet werden, daß hier eine negative
Oberflächenspannung zur Geltung kommt. Der durch dieselbe ausge-
übten Anziehung können die schon entstandenen Vacuolen sich nicht
entziehen und bewegen sich in dichten Massen gegen den freien Kern-
rand, wo sie, aufs engste zusammengepfercht, nur gegen die Oberfläche
desselben offenen Spielraum finden und demgemäß sich so in die Länge
strecken, daß die einzelnen verzerrten Bläschen sich wie Palisaden
aneinander reihen und den Eindruck eines streifigen Saumes erzeugen.
Nach überstandener zweiter Häutung sind unsre Drüsen wieder in
einen Zustand äußerster Erschöpfung zurückverfallen, die noch dazu
mit schw^erer traumatischer Beschädigung kompliziert erscheint (Fig. 13),
wie die jetzt günstigeren Größen Verhältnisse leicht festzustellen er-
lauben. Ihr Volumen ergibt sich mehrfach reduziert, im Vergleich zu
dem unmittelbar vor der Häutung erreichten ; die Vacuolen sind spurlos
verschwunden, die Rindensubstanz gibt Zeichen einer krampfhaften
Retraktion, und begrenzt mit zerfetzten Rändern den Kernraum, der
noch gewisse Mengen Chromatin und strangartig ausgezogene Linin-
substanz in sich birgt (Fig. 9, 10, 12, 13).
Nach diesem Befunde sollte man eigentlich den Schluß nicht für
ungerechtfertigt halten, daß so tief verkümmerte Organe ihre Funk-
tionsfähigkeit vollständig eingebüßt haben und endgültiger Involution
entgegengehen. Und doch genügen vollauf 2 oder 3 weitere Tage, um
das ganze Bild wie mit einem Schlage zu ändern, und das scheinbar
unaufhaltsame Siechtum in das Licht einer wahrlich fabelhaften Neu-
erw eckung zu versetzen. Denn nun sehen wir, wie — gewissermaßen
unter unser n Augen — Risse und Schrammen vernarben, wie hängende
Fetzen sich abrunden und anheilen, wie die Rindensubstanz allmählich
turgesziert und schwielige Beulen treibt, welche den Kernraum von
allen Seiten beengen (Fig. 14). Dabei treten spärliche Vacuolen auf,
zuerst an der Peripherie des Drüsenkörpers; dieselben werden darauf
immer zahlreicher, immer dichter gedrängt; und schließlich wird auch
der streifige Saum an den Plasmabuckeln sichtbar, welche dem centralen
Kernraume zugekehrt stehen.
Ist einmal die dritte Häutung vorüber, so sind auch die Vacuolen
unserm Auge entschwunden, ist das noch eben secernierende Proto-
plasma eingeschrumpft, verhärtet, von rissigen Defekten nur am Rande
470 E. Verson,
des Kernraumes noch unterbrochen: und so wechselt — bei jedem
neu angehenden Larvenalter — spannende Turgescenz mit einfallendem
Collapsus periodisch ab, ohne daß ein proportionales Massenwachstum
der eigentlichen Drüsensubstanz deshalb angenommen zu werden
brauchte. Denn die Extreme, zu welchen die angeführten regelmäßigen
Übergänge führen, sind vorwiegend auf Kechnung der Secretions-
produkte zu setzen, welche mit typischer Rekurrenz sich ansammeln,
um dann sogleich nach außen befördert zu werden.
Jedenfalls will ich aber nochmals hervorheben, daß diese alter-
nierenden Ebbe- und Flutperioden, welche die Häutungsdrüsen durch-
machen, in den hinteren Abdominalsegmenten vorzeitiger und aus-
geprägter auftreten, im Vergleich zu den vorderen, dem Kopfe näheren
Segmenten. Hier findet man nach jeder Larvenhäutung die Verkleine-
rung und die unverkennbare mechanische Beschädigung der entleerten
Exuvialdrüsen viel weniger weit gediehen. Mag es nun Folge der
größeren Schonung sein, welche anfänglich denselben zuteil gew^orden,
mag es von andern noch unbekannten Ursachen abhängen, — Tatsache
ist es jedoch, daß, von der vierten Häutung an, die Drüsen der vorde-
ren Somiten (wie schon vorhin erwähnt) umgekehrt viel schneller und
intensiver zu wachsen beginnen als jene der hinteren Somiten: und
daß somit in wenigen Tagen jene Größenunterschiede ganz ausgeglichen
erscheinen, welche vorher zugunsten der abdominalen Segmente ein-
getreten waren.
Gleichzeitig werden die streifsaumigen Buckel, welche das Cyto-
plasma in seiner tätigen Phase nach innen treibt, so zahlreich und dicht
gedrängt, daß der Kernraum mäanderartig sich dazwischen durch-
winden muß, bis es schließlich zu einem lappigen Zerfall des ganzen
Drüsenkörpers kommt (Fig. 20, 21, 23). Und diese gelappte Form ist
es, welche während der Puppenperiode allgemein vorherrscht (Fig. 22,
23, 24, 25).
Es ist allerdings richtig, daß die Exuvialdrüsen noch vor dem
Ausschlüpfen des fertigen Schmetterlings einer Involution an-
heimfallen, welche sie dann zu raschem Schwunde bringt. Aber es
darf andernteils nicht vergessen werden, daß in dieser Evolutionsphase
auch ihre Secretionstätigkeit entsprechend verfrüht beginnt. Deshalb
bedeutet ihr Untergang keinesfalls Abwesenheit von Exuvialflüssigkeit,
insofern letztere sehr zeitig in Form eines farblosen Ergusses zwischen
Puppenhülle und Imaginalintegument sich ergießt, und die Drüsen
überdauert, von welchen sie erzeugt worden war.
Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung usw. 471
Der vorausgegangenen Darstellung ist es leicht zu entnehmen, daß
ich die gewöhnlichen Häutungs- oder Exuvialdrüsen, wie sie nachträg-
lich von verschiedenen Autoren benannt worden sind, im wesentlichen
als einzellige Gebilde ansehe, welchen Deck- oder Schutzelemente in
beliebiger Anzahl sich anschließen können ; daß, meiner Meinung nach,
der Kern der eigentlichen Drüsenzelle die Secretion erregt und sie ge-
wissermaßen als Behälter in sich aufnimmt, vielleicht noch weiter be-
arbeitet; daß im Ruhezustand zwischen Kern und Ausführungsgang
keine präformierte Kommunikation besteht, wohl aber eine solche ge-
waltsam sich ausbildet, sobald die Secretion ihre höchste Intensität
erreicht hat.
Daß man nach dem Vorgange Philipschenkos aus dem Vorhanden-
sein einer einzigen oder mehrerer Zellen in einer und derselben Drüse
Anlaß nehmen sollte, verschiedene Kategorien aufzustellen, darf wohl
als überflüssige Komplikation bezeichnet werden, nachdem in allen
bisher bekannt gewordenen Fällen die secernierende Zelle in der Ein-
zahl vorkommt und die Deckzellen — bei Bombyx mori wenigstens —
ganz unregelmäßig in variabler Anzahl von 1 bis 3 angetroffen werden.
Sollte es sich dagegen bestätigen, daß die von Philipschenko
unter dem Hypoderm von Collembolen gefundenen, mehr oder weniger
reichlich vacuolisierten Zellen wirklich Exuvialdrüsen vorstellen, so
wäre es meiner Ansicht nach eher angezeigt, solche Gebilde ganz all-
gemein in zwei Gruppen einzuteilen, je nachdem sie mit Ausführungs-
gang versehen sind, oder desselben entbehren. Man wolle aber nicht
zu beachten unterlassen, daß die bloße Vacuolisierung eines Cyto-
plasmas keinesfalls als ausschließliche Attribution der Exuvialdrüsen
anzusehen ist.
Ähnliche Erscheinungen, nämlich das Auftreten von Vacuolen im
Cytoplasma bei gleichzeitiger Volumenverkleinerung des Kernes mit
darauf folgender Exsudation eines am Mikroskop leicht erkennbaren
Secretes, habe ich schon vor langer Zeit bei einzelligen Drüsen soge-
nannter innerer Secretion von Bomhyx mori nachgewiesen und be-
schrieben (s. Fig. 29, 30, 31, 32)i.
Beim Übergange vom Puppen- zum Imaginalstadium erfahren auch
die Integumentalzellen eine tiefe A^eränderung, indem durch einen ähn-
lichen Vacuolisierungsprozeß die basale Partie derselben durchbrochen
und netzartig zerfasert wird, während ihr Kern gleichzeitig der freien
Oberfläche sich nähert und hier jene merkwürdige Fraktionierung
1 E. Vebson und E. BissoN, Cellule Glandulari Ipostigmaticlie nel Bom-
hyx mori. R. Stazione Bacologica di Padova. 1891.
472 E. Verson,
eingeht, welche einesteils zur Abspaltung eines neuen, sehr dünnen
Hypoderms, andernteils zur Bildung der eigentlichen Schuppenzellen
führt.
Dagegen will ich gern zugeben, daß gerade in der Vacuolisierung
von secernierendem Protoplasma die erste Veranlassung vorliegen
dürfte, ein andres Organ von Bomhyx ynori, über dessen Finalität kein
Naturforscher bisher befriedigenden Aufschluß zu verschaffen ver-
mochte, unter die echten Exuvialdrüsen einzureihen. Es handelt sich
nämlich um die sogenannten De FiLippischen Anhangdrüsen des
Sericteriums, welche im Jahre 1854 zum erstenmal eine sehr kurze
und unzulängliche Beschreibvmg gefunden habend.
Helm 2 unternahm es darauf, im Jahre 1876, viele irrtümliche
.Angaben über die Spinndrüsen der Lepidopteren überhaupt zu be-
richtigen; und hat das unleugbare Verdienst, durch seine Untersuchungen
festgestellt zu haben, daß jenseits der von Cornalia und Maestri
abgebildeten Ausführungsgänge erst die rechten Drüsenlappen folgen,
»welche zumeist von birnförmiger Gestalt, nach den ver-
schiedensten Seiten gerichtet sind«. Aber die wahre Bedeutung
dieser Drüsenlappen, welche durch ein feines, im Innern verlaufendes
Kanälchen mit einer blasenförmigen Erweiterung der Tunica intima
am Ende des eigentlichen Ausführungsganges in Verbindung stehen
sollten, konnte Helm nicht erfassen. >>In situ« — so liest man in der
zitierten Abhandlung — »liegen die einzelnen Drüsenlappen
so dicht an- und aufeinander, daß die Vereinigungsstelle
ihrer Ausführungsgänge nicht gesehen werden kann.« In
Wirklichkeit finde ich aber bei näherer Besichtigung, daß die soge-
nannten Lappen ein Bündel riesiger secernierender Zellen vorstellen,
welche periodisch durch Vacuolisierung ihres Protoplasmas in tätigen
Zustand übertreten; die vermeintlichen Kanälchen entlarven sich als
große verästigte Kerne mit Chromatin und Lininsubstanz ; die Intima
des gemeinsamen Ausführungsganges erscheint in ihrem ganzen Ver-
laufe durch spiralige Verdickungen erstarrt, welche nur an der blasigen
1 De FiLiPPi, Memorie della Soc. clelle Scienze zoologiche e biologiche di
Torino. 1854. In seinen Frammenti Anatomici, Fisiologici e Patologici sul baco
da seta (Pavia 1856) gibt Angeld IVIaestri an, besagte Anhangdrüsen noch früher
in einem Wachsniodell dargestellt zu haben, welches im Februar 1853 in Mailand
öffentlich ausgestellt wurde. Aus den begleitenden Abbildungen geht es übrigens
zur Genüge hervor, daß, wie von Helm schon vermutet worden, sowohl Cobnalia
als Maestri nur die Ausführungsgänge gesehen hatten.
- F. E. Helm, Über die Spinndrüsen der Lejüdopteren. Diese Zeitschr.
Bd. XXVI.
I
Beitrag zur nahcnvii Kenntnis der Häutung usw, 473
Erweiterunü, des blinden Grundes fehlen, wo die secernierenden Zellen
mit den letzten Ausläufern ihres verästigten Kernes ansetzen (s. Fig. 26,
27,28)1.
Freilich ist es bis zum heutigen Tage nicht gelungen, festzustellen,
welches aktive Prinzip diese flüssige Secretion eigentlich enthalte; und
konnten a priori Vermutungen nicht ausgeschlossen werden, welche
in ihr eine Quelle fettiger Substanz zum oberflächlichen Schutze des
Seidenfadens (Firnis!) oder zur Lubrifikation der eigentlichen Faden-
presse suchten.
Bedenkt man aber, daß in den Anhan'gdrüsen des Sericteriums die
secernierenden Zellen denselben Habitus zur Schau tragen wie jene der
Exuvialdrüsen ; daß die Funktionaltätigkeit der ersteren sowohl wie der
letzteren mit den Häutungsperioden zusammenfällt; daß bei verschie-
denen Insektenlarven (Chrysomeliden, Tenthrediniden) Plotnikow die
Gegenwart von Exuvialdrüsen auch im Kopfe nachgewiesen hat, wo
sie bei Lepidopteren sonst gänzlich fehlen; daß Helm schließlich an
der im Innern des Kokons von den Raupen abgestreiften Haut — der
Unterlippe anhängend — den vorderen chitinigen Teil der Spinndrüsen
und somit die Häutung derselben ganz richtig nachgewiesen hat, so
kann man sich der Überzeugung wahrhch nicht erwehren, daß die
rätselhaften Anhangdrüsen von De Filippi und Maestri eben nichts
andres als Exuvialdrüsen vorstellen müssen, denen die Bestimmung
zufällt, die Ablösung der so abgelegenen Cuticularbildungen der Faden-
presse zu ermöglichen und zu erleichtern.
In der Tat wäre es nicht recht einzusehen, wie, ohne solch unver-
hoffte Hilfe, die Larve es zustande bringen sollte, sich dieses mäch
tigen, tief eingestülptencuticularen Überzuges zu entledigen. Und was-
die Konfigurationsabweichungen von den übrigen bisher bekannt
1 Verson e Qfajat, II filugello e l'Arte Sericola. Trattato teorico-
pratico. Padova 1896, p. 151- »II canale escretore delle ghiandole De Filippi
va contrassegnato da ispessimenti cuticolari che rendono la imagine di tili ravvolti
a circolo od a spirale; e termina da ultimo a fondo apparentemente cieco. Le
cellule ghiandolari ond 'esso e cinto rassomigliano dapprincipio all' epitejio della
porzione anteriore del seritterio; ma poi acquistano un' aspetto sui generis per
numerosi ed ampi vacuoli che ne scavano e ne bucherano 11 citoplasma, riducen-
dolo in sottili frangie distese fra la tunica propria e la intima. Presso e intorno
alla terminazione cieca del canale escretore, le medesime cellule raggiungono
iufine un enorme allungamento irregolare, da simulare un mazzo di lobi varia-
mente grandi che ne uscissero fuori. Ma ciascuno di essi lobi in veritä non e
altro che uua sola cellula, munita di nucleo allungato e racemoso, di protoplasma
riccamente vacuolizzato «.
474 E. Verson,
gewordenen Exuvialdrüsen betrifft, wäre die Anhangdrüse des Sericte-
riums (Fig. 26) eben nur als eine zusammengesetzte Bildung aufzufassen,
in welcher sowohl secernierende als einfach deckende oder leitende
Zellen — sämtlich Derivate des Hypoderms — in ansehnlicher Mehr-
zahl zu einer gemeinsamen, zu einer verstärkten Wirkung sich ver-
einigt haben. —
Wie dem übrigens auch sein mag, komme ich noch zu einer kurzen
Besprechung des Kernes der Secretzelle, welche — meiner Ansicht nach
— am Absonderungsprozesse selbst nicht nur als direkter Erreger des-
selben beteiligt ist, sondern auch als Sammelort der produzierten
Flüssigkeit betrachtet werden muß. »Nach Versons Meinung« —
so drückt sich Plotnikow in seiner zitierten Arbeit aus — .»fließt
der Inhalt der Vacuolen in die Centralhöhlung der Drüse« . . .
und »soll sich die Centralhöhle an der Stelle des ursprüng-
lichen Kernes bilden. Sowohl die erste als die zweite Mei-
nung sind aber nicht richtig. Die Secretzelle hat immer
den Kern.« Diesem Ausspruch gegenüber kann ich meine Verwun-
derung nicht unterdrücken; und bleibt mir nur die Annahme übrig,
Herr Plotnikow habe von meiner ausführlichen Arbeit nur durch
unzulängliche Auszüge oder Berichte Kenntnis genommen. Wo hätte
ich je behauptet, daß die Secretzelle keinen Kern besitzt? . . . Ich
habe vielmehr dieselbe Schritt für Schritt in allen ihren Evolutionen
verfolgt, — vom ersten embryonalen Anfang an, wo ihre Ableitung von
einer modifizierten Hypodermalzelle zweifellos einleuchten muß (und
dies noch im Jahre 1889, während der Nachweis der Entstehung der
Drüsen aus dem Hautepithel durch Nassonow^ jedenfalls nur dem
Jahre 1903 angehören kann); ich habe gezeigt wie der Kern derselben
allmählich die rundlich blasige Form verläßt, um sich im Cytoplasma
reichlich zu verästigen; wie bei beginnender Vacuolisierung des Proto-
plasmas die ersten Lücken in der Corticalzone auftreten und sich von
hier aus gegen das Centrum rasch bewegen; wie diese centripetale
Strömung der Vacuolen die Bildung streifiger Säume verursache;
wie bei steigender Turgescenz des Protoplasmas der verästigte Kern
zunächst durch aufsteigende Protuberanzen allseitig bedrängt wird ; wie
1 H. Nassonow, Zur Morphologie der VERSONschen und STEiNschen
Drüsen der Insekten. Warschau 1903. Durch die Zuvorkommenheit Herrn
Nassonows selbst bin ich zwar im Besitze dieser sicherlich sehr interessanten
Arbeit. Bei der Schwierigkeit, mir eine verläßliche Übersetzung der russisch
verfaßten Schrift zu verschaffen, muß ich aber leider dem Vergnügen entsagen,
mich mit deren Inhalt näher zu beschäftigen.
Beitrag zur iialiercn Kenntnis der Häutung usw. 475
schließlich — nach vollendeter Entleerung des Secretes — der Kern
für kurze Zeit das Aussehen einer erweiterten, schlaffwandigen und
unregelmäßigen Centralhöhlung behalte, in welcher ich aber die
Anwesenheit reichlichen Chromatins und auseinander gezerrter Linin-
stränge nicht bloß angegeben, sondern auch bildlich dargestellt hatte i
(Fig. 9, 10, 12, 13, 14): ist da ein ernstlicher Zweifel noch zulässig, ob
ich die Existenz des Kernes in der secernierenden Zelle anerkenne
oder leugne? . . .
Für mich ist also, wie für jedermann, der Kern integrierender
Bestandteil der Secretzelle. In bestimmten biologischen Phasen er-
weitert sich aber derselbe infolge Aufnahme von flüssigem Vacuolen-
inhalt und gibt sich gewissermaßen zum Nebendienst eines Reservoirs
her, der im nächsten Augenblick — bei erreichtem Zwecke — natür-
lich unterbrochen bleibt. Soweit meine Kenntnisse reichen, liegt nicht
ein einziger streng nachgewiesener Tatbestand vor, der mit einer ähn-
lichen Intervention von seiten des Zellkernes in offenem Widerspruch
sich befände. Und für diejenigen, denen meine Argumente nicht hin-
reichend beweiskräftig erscheinen sollten, ziehe ich das Beispiel der
Drüsenzellen interner Secretion heran, in denen — wie von mir auch
im Zool. Anzeiger Nr. 328, schon gezeigt wurde — der Kern bestimmte
Produkte periodisch absondert, die das Protoplasma durchsetzen, um
es temporär mit einem deutlichen kontinuierlichen Hof körniger Substanz
zu umhüllen (Fig. 29, 30, 31, 32); berufe ich mich auf die gleichzeitigen
Befunde von Gilson (La Cellule, Tome VI, p. 152), welcher für die Spinn-
drüsen von Bombyx mori Infarcte von Fibroin im Innern der Zellkerne
selbst beschreibt^.
Einen präformierten Weg, der dauernde Verbindung zwischen Kern
und Ausführungsgang vorstellen könnte, gibt es freilich nicht. Während
der aufsteigenden Tätigkeitsphase der Drüse finde ich den Ausführungs-
gang stets blind endigend, indem die Intima desselben zu einer blasen-
artigen Abrundung dort verschmilzt (Fig. 17). Hat die Vacuolisierung
des Zellenkörpers ihren höchsten Grad erreicht, so begegnet man nicht
selten Bildern, welche — wie Fig. 15 und 16 — einer bevorstehenden
Dehiscenz zwischen schaumigem Gewebe und Ausführungsgang das Wort
reden. Von entscheidender Bedeutung sind aber für mich Serienschnitte
1 Emil Holmgren — Hudens och de Kortelartade Hudorganens Morfologi,
Stockholm — hat im Jahre 1895 denselben Befund hervorgehoben.
2 »Cette presence donne plus d'interet encore ä une question qui depuis
longtemps se pose aux cytologistes : la question du role du noyau dans la cellule
et en particulier dans les phenomenes chimiques de la vie. »
476 E. Verson,
von eben entleerten Drüsen aus Larven, deren Exuvie noch an Ort
und Stelle sitzt, also noch nicht abgestreift wurde. Hier konnte ich
mehrmals die Zeichen eines direkt erfolgten Durchbruches des Kernes
nach dem Ausführungsgange beobachten, indem eine klaffende Spalte
mit meist unebenen rissigen Wänden eine vergängliche Kommimikation
zwischen beiden noch unterhält (Fig. 7, 10). Man muß aber annehmen,
daß dieselbe unverzüglich wieder unterbrochen bleibt, sobald der Ab-
sonderungsprozeß zu Ende ist; und im Einklänge mit der allgemeinen
Vernarbung der eben noch zerfetzten Kernwand, auch der Grund des
Ausführungsganges durch erneuerte Cuticularausschwitzung verklebt
wird. —
Wir haben bisher auch nicht die entfernteste Ahnung wo und wie
die ersten Ursachen zu suchen seien, welche in den organisierten Ele-
menten der metabolischen Insekten eine ganze Keihe von verjüngenden
morphologischen und biologischen Veränderungen — als Vorspiel ge-
wissermaßen zur eigentlichen definitiven Metamorphose — hervor-
rufen. Einzelne Erscheinungen sind aber jedenfalls bekannt, welche
mit Beginn und Ende jener Veränderungen aufs engste verbunden
sind; und es dürfte nicht überflüssig sein an dieser Stelle des grund-
verschiedenen Aussehens besonders zu gedenken, welches die Mal-
PiGHischen Gefäße annehmen, je nachdem eine Häutung herannaht
oder eben überstanden ist. Im letzteren Falle findet man dieselben
schmal, durchscheinend, glatt konturiert; je weiter dagegen eine be-
gonnene neue Larvenperiode vorschreitet und die successive Häutung
sich allmählich vorbereitet, — um so breiter, knotiger und kreidiger
erweisen sich die Renalgefäße infolge rasch steigender Absonderungs-
intensität, welche immer reichlicher kristallinische und kristalloide
Produkte in das Lumen ihres Kanales entleert. Ich habe schon vor
vielen Jahren gezeigt, daß in den ersten Larvenperioden die Renal-
gefäße ausschließlich Oxalsäuren Kalk in Form von rechteckigen Täfel-
chen mit abgestumpften Winkeln produzieren, welche durch Dehiscenz
von Vacuolen aus dem Cytoplasma der drüsigen Tubuli frei werden;
während in der letzten, fünften Larvenperiode, neben dem Oxalsäuren
Kalk auch braune Sphärokristalle von reiner Harnsäure auftreten, denen
während der Puppenperiode sich harnsaures Ammoniak substituiert i.
1 Diese Aufeinanderfolge verschiedener Ersatzprodukte findet leiclite Er-
klärung, wenn man bedenkt, daß die Harnsäure, welche nur während der sog.
Freßperiode der Raupen sich bemerkbar maclit, im Vergleich zur Oxal-
säure eine niedrigere Oxydationsstufe darstellt und somit einem ungünstigeren
Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung usw. 477
Zuletzt, d. h. bei schon angehendem Häutungsschlafe, wird die Pro-
duktion der Renalgefäße dermaßen gesteigert, daß sie im Vergleiche
zur Excretion bei weitem überwiegt und das Lumen der Kanäle zu seinem
größten Teil vom kristallinischen Secret vollkommen obstruiert
erscheint.
Eine längere Unterbrechung der üblichen Funktionen ist dann
ganz unvermeidlich.
Aber in demselben Moment als die MALPiGHischen Gefäße durch
ein mechanisches Hindernis gezwungen werden ihre Tätigkeit einzu-
stellen, — in demselben Moment beginnen die Exuvialdrüsen die eben
noch in vollem Ruhezustande sich befanden, in lebhafte Erregung
zu geraten.
Ein solches Zusammentreffen von Unterdrückung jeder Tätigkeit
in einem bestimmten Organ und Wiederaufnahme derselben von Seiten
eines andern benachbarten wäre an und für sich ganz gewiß nicht
hinreichend, um die Annahme gegenseitiger funktioneller Beziehungen
zu rechtfertigen. Zieht man jedoch den Umstand heran, daß frisch
gehäutete Raupen bei sorgfältiger Bepinselung ihres Integumentes
zahllose Täfelchen von oxalsaurem Kalk nebst spärlichen Harnsäure-
kristallen abgeben, wie sie sich ganz ähnlich in den Renalgefäßen vor-
finden; imd erwägt man ferner, daß beim Eintrocknen auf einem Ol-
jektträger die Exuvialflüssigkeit selbst Kristallbildungen in gleicher
Form und Größe hinterläßt, — so muß zugegeben werden, daß die
Vermutung einer solchen Reziprozität schon viel zulässiger geworden
ist. Und die Schlußfolgerung dürfte nicht mehr gewagt erscheinen,
daß den Exuvialdrüsen nicht bloß die Aufgabe zufällt, abgetragene
Cuticularbildungen abzuheben ui;id zu elimiminieren ; sondern man
müsse denselben auch eine vicariierende Bedeutung zu den Renal-
gefäßen anerkennen, für jene kurzen Arbeitspausen, deren letztere
periodisch bedürfen, um sich einer allmählich angehäuften und mit
der Ökonomie des Organismus unvereinbarenden Last gründlich zu
entledigen.
Padua, den 25. August 1910; R. Stazione Bacologica Sperimentale.
Respirationsquotienten entspricht. Puppe und Imago, welche bei Bomhyx mori
keine Nahrung von außen melir aufnehmen und an ihren eignen Geweben zeh-
ren, entleeren aus ihren Renalgefäßen nur harnsaures Ammoniak.
478 E. Verson,
Erklärung der Abbildungen.
Allgemeine Bezeichnungen:
c, Deckzellen am Ausführungskanälchen d.e, Ausführungsgang der de Filippi-
der Exuvialdrüsen : sehen Drüsen;
c.ef, Zerfaserte Epithelzellen des Aus- D.F, Anhangdrüsen des Sericteriums ;
führungsganges de Filippis; cjli. Rudimentäre Drüsenzelle;
cn, Ausführungskanälchen der Exuvial- ip, Hypoderma;
drüsen; ms, Muskelfasern;
CS, Secernierendes Cytoplasma; nc. Kern der secernierenden Exuvial-
ct, Cuticula; zelle.
ein, Cuticula neuer Bildung;
Von den folgenden Figuren sind viele meiner ersten Mitteilung über »Nuovi
organi escretori scoperti nel filugello« aus dem Jahre 1890 entlehnt.
Tafel XXI.
Fig. 1. Eine Häutungsdrüse {gh) aus neugeborenem Räupchen, mit ver-
schmälertem Halse bis an die Oberfläche des Hypoderms reichend. Geneigter
Flachschnitt. Hartnack VIII, 3.
Fig. 2. Obere Mesothoracaldrüse am 3. Tage der ersten Larvenperiode.
Der Ausführungskanal cn ist vom Messer schief getroffen und erscheint durch
zwei Deckzellen c beschützt. Der Kern nc beginnt seine blasige Form einzu-
büßen. Haktnack VIII, 3.
Fig. 3. Häutungsdrüse des vierten Bauchsegments, kurz vor dem ersten
Larvenschlafe. Das Protoplasma der secernirenden Zelle ist stark angeschwollen
von zahlreichen Vacuolen, deren viele je ein winziges Körnchen einschließen.
Hartnack VIII, 3.
Fig. 4. Häutungsdrüse des siebenten Bauchsegments, vom gleichen Alter
wie Fig. 3. Der Kern nc ist durch vorspringende Buckel des Cytoplasmas ein-
geengt, das viel größere Vacuolen mit voluminösem fixen Inhalt aufweist. Hart-
nack VIII, 3.
Fig. 5. An einem andern Schnitte derselben Drüse (Fig. 4) ist ersichtlich,
daß der körnige Rückstand im Innern der Vacuolen stellenweise auch ganz fehlen
kann. Hartnack VIII, 3.
Flg. 6. Schiefer Längsschnitt durch die untere Häutungsdrüse des achten
Bauchsegments einer Raupe, die zum ersten Schlafe sich anschickt. Der Aus-
führungsgang ist außer der Schnittebene geblieben. Hartnack VIII, 3.
Fig. 7. Obere Mesothoracaldrüse, aus einem Räupchen, welches die erste
Häutung eben überstanden hat. Das Protoplasma der secernierenden Zellen-
drüse hat alle Vacuolen verloren, und ist rings um den noch erweiterten Kern
zusammengeschrumpft. Letzterer scheint mit dem nur partiell getroffenen Aus-
führungsgang zu kommunizieren. Hartnack VIII, 3.
Fig. 8. Häutungsdrüse des ersten Bauchringes aus einer Larve gleichen
Alters wie in Fig. 7. Die Risse und Fetzen der Kernwände nc sind hier noch
Beitrag zur näheren KeniitniH der Häutung usw. 479
tiefer markiert; der Ausführungsgang cn verläuft zwischen zwei Deckzellen c
eingegraben. Hartnack VIII, 3.
Fig. 9. Untere Drüse des achten Baucliringcs, kurz nach der ersten Häutung.
Der Drüsenkörper enthält noch einzelne Vacuolen, die im Begriffe stehen sich
centralwärts zu öffnen. Der dilatierte Kern nc ist von zahlreichen Lininsträngen
durchzogen, welche mit reichlichem Chromatin wie inkrustiert ersclieincn. Der
Ausführungsgang wurde vom Schnitte nicht getroffen. Hartnack VIII, 3.
Fig. 10. Obere Drüse des achten Bauchsegments, aus derselben Raupe
wie in Fig. 9. Der unregelmäßig verzogene und verrissene Kern enthält auch
hier viele Lininstränge und kommuniziert offen mit dem Ausführungsgang.
Sehr beachtenswert ist der glattrandige Durchschnitt des zwischen Deckzellen
verlaufenden Kanalabschnittes, im Vergleich zur Fortsetzung desselben, die sich
innerhalb des secernierenden Cytoplasmas Bahn bricht. Hartnack VIII, 3.
Fig. 11. Häutungsdrüse des siebenten Bauchringes aus einer Larve, die
dem zweiten Schlafe sich nähert. Das secernierende Cytoplasma, von Vacuolen
strotzend, treibt gegen den Kernraum Buckel und Beulen vor, welche von einem
streifigen Saume gekrönt erscheinen. Der Ausführungskanal cn ist schief-, fast
quergeschnitten. Hartnack VIII, 3,
Fig. 12. Obere Drüse des achten Bauchsegments vor dem zweiten Larven-
schlafe. Das secernierende Cytoplasma wie in Fig. 11; dank dem im Kerne sich
ansammelnden Fluidum werden aber die Protuberanzen zurückgedrängt, bfs
die gezerrten Lininstränge In wieder zutage treten. Der ausführende Teil der
Drüse liegt außerhalb der Schnittebene. Hartnack VIII, 3,
Fig. 13. Untere Mesothoracaldrüse, unmittelbar nach der zweiten Häutung.
Das Cytoplasma vacuolenfrei, ganz eingeschrumpft. Der Kernraum nc, von zer-
fetzten Wänden begrenzt, erscheint dilatiert und von Lininfäden reichlich durch-
setzt. Der Ausführungsgang cn ist von zwei Deckzellen umschlossen. Hart-
nack VIII, 3.
Fig. 14. Exuvialdrüse des siebenten Bauchringes, 3 Tage nach der zweiten
Larvenhäutung. Das Cji;oplasma der secernierenden Zelle enthält noch keine
Vacuolen, zeigt sich aber überall vernarbt und turgeszierend. Der Ausführungr-
gang cn schließt mit blindem Grunde ab. Hartnack VIII, 3.
Fig. 15. Proximaler Abschnitt einer unteren Prothoracaldrüse bei be-
ginnendem dritten Larvenschlafe. Der von drei Deckzellen zusammengefügte
Ausführungsgang mündet frei zwischen der alten abgehobenen Cuticula et und
der neuen ctn, welche das Hypoderm an seiner entblößten Oberfläche wieder
ausgeschwitzt hat. Vom Kernraum nc aus, scheint eine Kommunikation nach
dem blinden Grunde des Ausführungsganges schon angebahnt. Hartnack VIII, 3.
Fig. 16. Offene Mündung mit entstehenden chitinogenen Verschlußlippen,
einer unteren mesothoracalen Drüse aus dem dritten Larvalschlafe. Der Aus-
führungsgang ist von zwei Deckzellen begleitet. Hartnack VIII, 3.
Fig. 17. Gesamtansicht einer unteren Prothoracaldrüse, in gleicher Ent-
wicklungsphase wie Fig. 15 und 16. Der noch blinde Ausführungsgang besitzt nur
eine einzige Deckzelle. Hartnack VIII, 3.
Fig. 18 u. 19. Verschiedene Durchschnitte von Ausführungsgängen. In
Fig. 19 scheint eine seitliche Kommunikation mit dem Kernraum sich ausgebildet
zu haben. Hartnack VIII, 3.
Fig. 20. Secernierender Körper einer oberen mesothoracalen Drüse, aus
480 E. Verson, Beitrag zur näheren Kenntnis der Häutung usw.
einer Larve, die sich zum vierten Schlafe vorbereitet. Die Rindensubstanz (Cyto-
pUxsma) CS ist dicht vacuoHsiert; der Kernraum nc durch zahlreiche Buckel und
Beulen beengt, welche allseits von den Plasmawänden sich erheben und deutlich
streifsaumig erscheinen. Haktnack VIII, 3,
Fig. 21. Exuvialdrüse des siebenten Bauchringes, kurz vor dem vierten
Larvalschlafe. Durch den gleichzeitigen Vorfall zahlloser vacuolisierter Protu-
beranzen, welche der Rindensubstanz entsteigen, ist der Kernraum in eine reiche
Verzweigung sinuöser, mäanderartig sich durchwindender enger Gänge verwandelt
worden. Habtnack IV, 3.
Fig. 22. Untere pi'othoracale Drüse aus einer Larve, welche eben ihre vierte
Exuvie abgestoßen hat. Das lappig ausgewachsene Organ hat eine enorme
Volumreduktion erfahren, enthält aber dennoch eine gewisse Anzahl von Vacuolen
in ihrer Rindensubstanz, während der Kern ganz ästig zerfallen ist. Hartisiack
IV, 3.
Fig. 23. Obere prothoracale Drüse, mit vacuolisiertem Cytoplasma und
verästigtem Kerne, aus einer Puppe, die im Begriff steht ihre letzte Larvalexuvie
abzuwerfen. Hartnack IV, 3.
Fig. 24. Obere prothoracale Drüse, mit vacuolenfreiem geschrumpften
Cytoplasma und reich befiedertem Kern aus einer jungen Puppe. Der Aus-
führungsgang cn ist durch den Schnitt schief getroffen worden. Hartnack
IV, 3.
Fig. 25. Exuvialdrüse des sechsten Bauchringes aus einer älteren Puppe.
Das secernierende Cytoplasma geht allmählich ein. aber einzelne Vacuolen per-
sistieren noch längs den Seitenwänden des nach Art einer Blattrippe gestreckten
Kernes. Hartnack IV, 3.
Tafel XXII.
Fig. 26. Fadenpresse mit Anhangdrüsen D.F, welche das Secretionsi^rodukt
großer secernierender Zellen es durch bilaterale Ausführungsgänge d.e ins Seric-
terium entleeren. Das Präparat gehört einer Raujic an, welche 3 Tage vorher
die vierte Häutung überstanden hatte, und erscheinen demnach die secernieren-
den Zellen noch vacuolenfrei. Hartnack IV, 3.
Fig. 27. Ein kvxrzer Tractus Ausführungsgang der Anhangdrüsen aus einer
spinnenden Rau])c, stärker vergrößert. Die Epithelzellen des Ductus d.e. zerfasern
zu einem dünnen Netzwerke, welches mit der Intima in vollem Zusammenhange
bleibt. Habtnack XIII, 3.
Fig. 28. Secernierende Zellen der Anhangdrüsen aus einer spinnenden
Raupe, im vacuolisierten Zustande. Hartnack VIII, 3.
Fig. 29 — 32. Hypostigmatische Drüsenzellen in verschiedenen Phasen ihrer
Secretemission. Hartnack VIII, 3.
Histologische Studien über Insekten.
I. Das Herz der Aeschnalarven.
Von
Alexius Zawarzin.
(Aus dem anatomiscli-histologischen Laborutoriuin der Universität
St. Petersburg; Vorstand Prof. Dr. A. S. Dogiel.)
Mit il Figuren im Text und Tafel XXIII, XXIV.
Ungeachtet Jessen, daß jährlich Hunderte, sogar Tausende von
Arbeiten aus dem Gebiete der Entomologie erscheinen, ist der Orga-
nismus der Insekten dennoch noch lange nicht genügend studiert.
In dieser Hinsicht ist besonders das Nervensystem hervorzuheben,
über dessen feineren Bau sowie über das gegenseitige Verhalten seiner
Elemente so gut wie nichts bekannt ist. Sämtliche neuere neurolo-
gische Untersuchungsmethoden sind für das Studium des Nerven-
systems der Insekten fast nicht angewandt worden. Alles was bisher
über dasselbe bekannt ist, verdanken wir fast ausschließlich Unter-
suchungen, die vermittels der gewöhnlichen Untersuchungsmethoden
ausgeführt worden sind.
Ich habe mir daher die Aufgabe gestellt das Nervensystem der
Insekten, soweit es möglich ist, vermittels der neuen Methoden zu
studieren. Vorliegende Arbeit ist der Anfang dieser Untersuchungen.
Auswahl des Materials und Untersuchungsmethoden.
Eine der Bedingungen für den Erfolg einer jeden histologischen
Arbeit ist die günstige Auswahl des Materials; besonders wichtig ist
dieses für die neueren neurologischen Methoden, da bei weitem nicht
alle Tiere, selbst nahe verwandte, in dieser Beziehung gleich gute
Resultate ergeben. Diese Auswahl ist besonders schwierig für die
Methode der vitalen Färbung der Nerven mit Methylenblau, welche
ich vorwiegend angewandt habe, und welche von sämtlichen neuen
Untersuchungsverfahren die besten Resultate ergibt, da das Material
folgenden Anforderungen genügen muß.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 32
4:(*(2 Alexins Zawaizin.
Zunächst muß es womö<ilich während der ganzen Zeit der Arbeit
und außerdem in großer Zahl von Exemplaren vorhanden sein, da
die Methode launisch ist und die Präparate häufig mißlingen; zweitens
muß das Insekt sich in Methylenblau leicht färben; drittens muß das
Tier genügend groß und gleichzeitig durchsichtig sein, damit die Prä-
paration desselben keine Schwierigkeiten bereite und damit das Pig-
ment der Untersuchung desselben in toto nicht hinderlich sei; eine
derartige Untersuchung ist jedoch für das Studium der Nervenverteilung
im Körper des Insektes durchaus erforderlich.
Es ist durchaus nicht leicht ein Insekt zu finden, welches allen
diesen Anforderungen genügt, infolgedessen blieb meine Wahl bei den
Larven von Wasserjungfern stehen, welche sämtlichen oben angeführten
Bedingungen durchaus genügen.
Ein Vorwurf kann mir nur in der Hinsicht gemacht werden, daß
ich für eine Untersuchung allgemeinen Cliarakters als Ausgangsobjekt
eine Larve und nicht eine Imago gewählt habe. Bei den Wasserjungfern
ist jedoch die Larvenperiode äußerst lang und übertrifft beträchtlich
die Lebensdauer der Imago. Bei derartigen Insekten können die Larven
als selbständige Einheiten angesehen werden, die ihre eigne, dem Leben
angepaßte und sich wenig verändernde Organisation haben. Die an
diesen Larven angestellten Beobachtungen können daher auf jedes
beliebige Insekt übertragen werden, wenn nur die Besonderheiten dessen
Organisation in Berücksichtigung gezogen werden. Die angeführten
Betrachtungen veranlaßten mich in meiner Auswahl bei den Wasser-
jungfern stehen zu bleiben, wobei ich die grtißte derselben {Aeschmt)
wählte.
Durch Untersuchungen der Imago und andrer Insekten: Peri-
plamta americano, Stilopyga orientalis, (rnjUus domesticus, kontrollierte
ich dazwischen meine Beobachtungen.
Die Methoden, welche ich angewandt habe, sind folgende: für
die Untersuchung der Nerven das Verfahren tler vitalen Methjden-
blaufärbung mit nachfolgeuder Fixierung der Präparate in molybdän-
saurem Ammonium. Für die Klarstellung einiger Einzelheiten des Baues
des Herzens bediente ich mich desselben Verfahrens, außerdem jedoch
des gewöhnlichen zoologischen Verfahrens vermittels Schnitte und
nachfolgender Färbung derselben mit Hämatoxylin und Eosin oder
Orange, mit Safranin und Lichtgrün, mit Eisenhämatoxylin nach
Heidenhain und Bordeaux K. Für die Untersuchung der phago-
cytären und Secretionsorgane wandte ich die Tusch- und Karmininjek-
tion sowie des ammoniakali sehen Karmins an.
Histdlogisi'lu' StJulicMi üIkt Insekten. I. iHl^
A. Anatomie und Histologie des Herzens der Aeschnalarve.
Im Beginn meiner Arbeit über die Nerven des Herzens der Aeschnu-
Larve stieß icli auf die »Scliwioriukeit, daß ich in der Liteiatiii-^ keine
vollständige und richtige Beschreibmig dieses Organs fand und daher*
gezwungen war, die einzelnen Literaturangaben durch eigne Beobach-
tungen zu vervollkonrmnerr, um ein richtiges Bild des Organs zu geben,
dessen Nervensystem ich untersucht habe.
A natomic.
In den Hand- und Lehrbüchern der Eirtomologie (Kolbe,
Packard, Henneguv, Berlese) wird das Herz der Insekten als eiir
Abschnitt des Rückengefäßes beschrieben, welches im Abdomen gelegen
imd in eine größere oder geringere Anzahl von Kammern geteilt ist;
die Kammern sind voneinairder dirrch Klappen geschieden. Jede
Kammer hat zwei, desgleichen mit Klappen versehene, Mündungen,
vermittels derer die Herzhöhle mit denr Pericardialraum kommuniziert.
Letzterer ist von dem allgemeinen Körperhohlraum durch ein Septum
abgeschieden, in welchem mehr- oder weniger segmental die Flügel-
mrrskeln angeordnet sind.
Sämtliche Lehr- und Handbücher berücksichtigen keinerlei Ab-
weichungen von einem derartigen Bautypus des Herzens und weisen
nur auf eine Inkonstanz im Bau dieses Organs hin, wobei hauptsäch-
lich das Herz von Corethra und Chironomus in Betracht gezogen wird.
AVird nun speziell der Bau des Herzens der Wasserjungfern in Be-
tracht gezogen, so werden in der Literatur über diese Frage dermaßen
geringe Angaben gefimden, daß in denr von G. Jacobson imd W.
Btanki bearbeiteten Harrdbuch von Tümpel statt der Beschreibung des
Herzens der Wasser] ungfern eiire allgemeine Beschreibung des Herzens
der Insekten angeführt wird. Die ersten Hinweise auf die Besonder-
heiten des Baues des Herzens der Wasserjungfern gibt Burmeister,
welcher den vollständigen Mangel der Flügelmuskeln bei ihnen vermerkt.
OuFOUR stellt die Abwesenheit von Ostieir im Herz der Aeschna-haLTve fest.
In der neuesten Literatui' finden sich Hinweise auf die Anatomie
des Herzens der Aeschna-hsivve bei Vosseler und bei Bergh, welche
zwei Paar Flügelmuskeln in den hinteien Segmenten beschreiben.
1 Hinsichtlich der Literatur muß ich jedocii vermerken, daß ich nicht für
die Vollständigkeit der von mir gefundenen Angaben einstehe, da einzelne Be-
funde, die in verschiedenen, sich nicht direkt auf mein Thema beziehenden Mit-
teilungen zerstreut sind, mir leicht entgangen sein können.
32*
484 Alexius Zawarzin,
E i <^ 11 e B e () b a c li t u n g e n .
Das Herz der Aeschna-hawe beginnt im vorletzten (neunten) Ab-
dominalsegment, in der Falte, welche durch das Aufliegen der Haut-
decken dieses Segmentes auf diejenigen des zehnten (letzten) Abdomi-
nalsegmentes gebildet wird.
Indem sich das Herz sofort stark ausweitet, bildet es die erste
(vom Ende) größte Kammer, welche der Länge nach das ganze neunte
Segment einnimmt. Diese Kammer hat zwei, mit Klappen versehene
Mündungen, auf welche (in der Kichtung von hinten nach vorn) der
Anfangsteil der Klappe, welche die hintere Kammer von der folgenden
trennt, folgt. Im Anfangsteil dieser Kanmier, ist dorsal ein Auswuchs
vorhanden, welcher in die Falte zwischen dem achten und neunten Seg-
ment eindringt und hier fest angeheftet ist. Die Mündungen der zweiten
(7) Kammer sind desgleichen vor der Klappe gelegen, welche diese
Kammer von der dritten (6) trennt und ungefähr auf der Grenze zwischen
dem siebenten und achten Segment angeordnet ist. Die zweite (7)
Kammer entspricht ihrer Größe und ihrer Lagerung nach vollkommen
der ersten. Im siebenten Segment liegt fernerhin die dritte (6) Kammer,
welche in ihrem Anfangsteil vermittels eines gleichen Auswuchses wie
die zweite befestigt ist. Entsprechend jedem Segment sind im Herzen
weiter noch sieben Kammern, jedoch ohne Ostien, vorhanden. — In
diesem Teil unterscheidet sich das Herz beträchtlich von dem hinteren
Abschnitt.
Sämtliche Kammern des vorderen Abschnittes sind voneinander
durch einfache, taschenförmige Klappen getrennt; vor einer jeden Klappe
(in der Richtung des Blutstromes) liegen mehr auf der dorsalen Wand
des Herzens, dort, wo die Ostien liegen müßten, je zwei eigenartige
Gebilde, die ich vorschlage als Ostiumorgane zu bezeichnen, da sie
ihrer Lagerung nach den Ostien vollkommen entsprechen (Textfig. 1, oo).
Ein Paar derartiger Organe liegt außerdem noch, wie sonderbar
es auch scheint, in der Wand der Aorta im zweiten Thoraxsegment;
sie entsprechen sowohl ihrem Bau als auch ihrer Lagerung nach durch-
aus den Ostiumorganen im Herzen.
Der Stützapparat des Herzens (Septa und Flügelmuskeln) weisen
desgleichen eine Reihe von Besonderheiten auf und weichen stark von
demjenigen Typus ab, welcher z. B. bei den Orthoptera vorliegt.
Der gesamte Stützapparat kann wie das Herz in zwei Abschnitte
geschieden werden, einen hinteren, welcher die beiden hinteren Kam-
mern des Herzens befestigt und einen vorderen, der in der Längs-
Histolotiisflio Sliulien über Insekten. I. 4H5
i'iclitunii lies übrigen lloi/.ab.schnittes ani-eordnet ist. \)vv hintere
Abschnitt wird liauptsäclilich von den Flüoelmuskeln gebildet, von
denen zwei Paare vorhanden sind: das eine ist im notuiten Segment,
entsprechend der letzten Herzlvamraer <2,ele<2;en, das andre im achten
entsprechend der vorletzten Kannnei'.
Ani Herzen gehen die Fliigelmuskeln in .sogenanntes elastisches
Gewebe über, dessen Fasern sich nntereinander verflechten, miteinander
anastomosieren und gleichsam einen netzförmigen Beutel bilden, das
Pericard, in welchem die beiden hinteren Kammern des Herzens liegen.
— Längs der ventralen Mittellinie verwachsen die Fasern dieses Peri-
cards mit dem Herzen und gehen in dessen Wand übei': eine derartige
Oo.
MW .,
Textfig. 1.
Plachschnitt durch das Herz der Acschna-IjaT\e. Sublimat mit Essigsäure. Färbuntr nmh
Heidexhaix. Vergr. 125. Kl, Klappe zwischen den Kammern; Oo, Ostiumorgan.
Verwachsung erfolgt auch am vorderen Ende des achten Segmentes,
wo das Pericard endigt. Vom Pericard gehen Faserbündel ab, welche
das Herz noch mehr befestigen; zwei derartige Bündel verlaufen nach
hinten und befestigen sich am Ende des zehnten Segmentes — sie stellen
die Ligamenta posteriora dar (Taf. XXIV, Fig. 6 Igp). Zwei andre
Bündel sind am vorderen Ende des achten Segmentes gelegen; diese
könnten als Ligamenta anteriora bezeichnet werden (Taf. XXIV,
Fig. 6 Iga). Ein Septuni im engeren Sinne ist im hinteren Herzabschnitt
fast gar nicht entwickelt.
Im Zwischenraum zwischen der Herzwand und dem >>Pericardium«
ordnen sich zwischen den Fasern des letzteren die Pericardzellen sowie
gegenüber den Ostien zwei Paar lymphoider Organe, welche bereits
von Metalnikoff beschrieben worden sind, an.
Der vordere Abschnitt des Stützapparates ist durch ein schwach
entwickeltes Septuni mit wenigen Muskelfasern vertreten, die mehr
oder weniger senkrecht zum Herzen verlaufen und nicht weit von
486 AJexius Zawarzin,
demselben in sogenannte elastische Fasern übergehen, welche ihrer-
seits sich in die Herzwand einflechten. Diese Fasern können, wie
es mir scheint, als reduzierte Fliiuelmuskeln angesehen werden, mit
denen sie ihren Beziehungen zum Herzen nach in vielem übereinstimmen.
Der Stützapparat des Herzens der Aeschna-harve ist somit normal
nur im hinteren Ende entwickelt; das vordere Ende ist stark reduziert
und stellt eine Reihe interessanter Besonderheiten dar.
Histologie des Herzens (\ev ^Leschna-havve.
Literatiirangaben. Die ersten Angaben über die Histologie des
Herzens der Insekten finden sich bei Leydig (Larve von Corethra); es
folgendarauf die .Arbeiten von Weissmann. J. Dogiel und einer Reihe
andrer Forscher.
Die wertvollsten Angaben, welche bis jetzt ihre Bedeutung bei-
1)ehalteii hallen, enthält jedoch die Arbeit von Graber. welcher an
einer Reihe von Objekten fast aus sämtlichen Ordnungen der Insekten
den histologischen Bau des Herzens studiert hat.
Nach Graber besteht die Herzwand aus diei Häuten: Intima,
Muscularis und Adventitia. Die Intima eiithält keine Kerne und gleicht
einer Cuticula; die sich an diese anschließende Muscularis wird von
ringförmigen, quergestreiften Muskelfasern — Zellen gebildet. Die
Adventitia besteht aus Bindegewebe, welches an die Membrana fene-
strata der Wirbeltiere erinnert und zahlreirhe Kerne enthält.
Im Septum sind dreierlei Arten von Bindegewebe enthalten:
streifiges Bindegewebe, elastisches Fasernetz und reticuläres Binde-
gewebe. Das erstere Gewebe hat die gn'ißte Bedeutung für den Auf-
bau des Septums.
Die Flügelmuskeln bestehen aus echten (juergestreiften, von einem
Sarcolemm bekleideten Muskelfasern, welche nicht weit vom Herzen in
»elastische« Sehnen übergehen, die ihrerseits dem elastischen Fasernetz
den Ursprung geben.
Vosseler (1891) ist mit den Beobachtungen von Graber in einer
Reihe von Fragen nicht einverstanden. Zunächst findet er, daß die
Intima ebenso gebaut ist wie die Adventitia und daß beide Häute
zahlreiche, longitudinale, glatte Muskelfasern erhalten. Ferner hält
er das ganze elastische Fasernetz von Graber für glatte Muskelfasern.
Schließlich hält er sowohl die Muskeln des Herzens als auch die Flügel-
muskeln für atypische quergestreifte Fasern, die leicht ihre Quer-
streif unii- einbüßen können.
Histologische Sltulieii iil)iM- liisektiMi. I. 4^7
Pantkl (liKH») berülut in seiner Monouiaphie iil)er ilie Larve von
Thrixion halidauanutti ilesgleiclien auch den Bau de« Hei'zeiis dieser
Larve. Dieses zeichnet sich dadurch aus, daß es wie hei sämthchen
kkMuen Larven (Levdig. Doctkl — Corethm: Jawokowskv. Popowici
Baznüzanu — ('Iurono)iiui!i. Ephenieriden), eine äußerst mangelhaft
entwickelte, der Intinia gleichende, Adventitia hat. Nur die Muscularis
ist entwickelt, welche große, von Protoplasma umgebene Kerne und
eine Reihe von ringförmigen (typisch quergestreiften) Myofibrillen-
bündeln zwischen ihnen enthält.
Bergh (1902) hat im allgemeinen die Beobachtungen von (Irabek
bestätigt; infolge der Bearbeitiuig der Präparate mit Silber ist es ihm
jedoch außerdem gelungen im Herzen eine Reihe sogenannter Nähte
oder Grenzlinien darzustellen, die sich folgendermaßen anordnen: zwei
mediane Längsnähte teilen das Herz in zwei Hälften; eine Reihe von
queren (ringförmigen) Nähten, die von ersteren abgehen, teilen das
Herz in eine Reihe von Abschnitten, welche Bergh für Muskeleinheiten
hält. — Im Zusammenhang damit sieht er die Intima als ein Sarco-
lemmgebilde an. Eine Reihe von embryologischen ]3efunden bestätigt
die angeführten Beobachtungen von Bergh.
Durch die Arbeiten von Bütschli, Weissmann. Viallanes. Cho-
LODKOWSKY, Heymons Und einer Reihe andrer Forscher ist es fest-
gestellt, daß das Herz in zwei Zellplatten angelegt wird, die zu beiden
Seiten der Medianlinie angeordnet sind. Die Zellen dieser Platten
oder Cardioblasten (Myoblasten) bilden das Herzrohr (die Muskelschicht
desselben). Diese auf dem Querschnitt halbmondförmigen Cardioblasten
wachsen mit ihren Enden aus (Jaworowsky), berühren sich hierbei in
den Medianlinien und bilden auf diese Weise ringförmige oder richtiger
halbringförmiue Muskeln dei- Muscularis. — Die Abschnitte, deren
Grenzen bereits Viallanes zu färben gelungen war und die besonders
deutlich Bergh eihalten hat, hält letzterer für Muskelzellen, welche aus
diesen Cardioblasten hervorgegangen sind.
Eigne Beobachtungen. Das Herz der Larven von Wasser-
jungfern hat wie dasjenige sämtlicher großer Insekten eine gut ent-
wickelte Adventitia, Muscularis und Intima.
Die Adventitia besteht, wie es bereits Graber gezeigt hat, aus
einem besonderen, faserigen Bindegewebe, welches seinem Aussehen
nach an gefensterte Membranen erinnert. Außer den Fibrillenbündeln
dieses Gewebes sind in der Adventitia stets aus dem Septum und aus
dem » Pericardium« in dasselbe eintretende soaenannte »elastische
488 Alexius Zawarzin,
Fasern «1 vorhanden (Textfiu. 2 e/). Diese Fasern sind zweierlei Art:
die einen verzweigen sich fast gar nicht und erstrecken sich im Herzen
in der Längsrichtiuig desselben (Textfig. 3 lef) ; die andern sind stark
verzweigt, anastomosieren miteinander und ordnen sich in der Quer-
richtung an (Textfig. 3). Beiderlei Faserarten sind besonders zahlreich
in den hinteren Herzkammern vorhanden; nach vorn hin nimmt ihre
Menae allmählich ab.
Textfig. 2.
Querschnitt diu'ch die Herzwaiid der Larve von Aeschna sp.? Vitale Metliylenblaufärbung, fixiert
mit niolybdänsaurem Ammonium, Alaunkarmin. Vergr. 1100. /«?, Intima; Gw, Xalitquerleiste;
-l/.fW, Muscularis: Gm. (irenzmembran zwisciien Muscularis und Adventitia {adv.); EF, »elastische
Faser ♦.
Außer den Fasern sind in der Adventitia noch spindelförmige Zellen
in der Längsrichtung des Herzens angeordnet, welche bereits von
Graber und Bergh beschrieben worden sind. Außerdem werden in
der Adventitia konstant noch Leucocyten angetroffen.
Auf Schnitten ist die Adventitia von der Muscularis durch eine
scharfe Linie geschieden. Hier liegt meiner Meinung nach eine feinste
Membran vor, welche jedoch bereits der Muskelschicht angehört. In
der Adventitia sind keinerlei glatte Muskeln vorhanden; Vosseler
hält für dieselben, wie es mir scheint, »elastische Fasern«.
Die Muskelschicht des Herzens ist sehr eigenartig aufgebaut; sie
besteht aus einer Reihe komplizierter Muskelzellen, die teilweise zu
Syncytien verschmelzen .
Auf Methylenblaupräparaten. die etwas überfärbt sind, treten sehr
scharf grellblaue Linien hervor; sie stellen die Grenzlinien dar, welche
Bergh gelungen war mit Silber zu imprägnieren.
Auf derartigen Präparaten können zwei Längsnähte erkannt werden
(Textfig. 4 Ln), die sich längs der ventralen und dorsalen Seite des
1 Diese Fasern können nicht als elastische in dem Sinne bezeichnet werden,
wie es in der Histologie der Wirbeltiere angenommen ist, da sie offenbar (vgl.
unten) einen vollkommen andern chemischen Bestand aufweisen. Ich lasse diese
Bezeichnung, da diese Fasern ihrer Bedeutung und ihren physikalischen Eigen-
schaften nach den elastischen Fasern der Wirbeltiere entsprechen.
Histologische Studien über Insekten. 1.
489
Herzens in Form von Zickzacklinien erstrecken. Diese Nähte teilen
das Herz in eine rechte und linke Hälfte.
Ler.
Lef.
£^£
Textfig. 3.
Herz einer ^escÄ»o-Larve. Methylenblau. Totalpräparat. Vergr. 260. Kiu Bündel »elastischer "
Fasern, die aus dem Septum ins Herz eindringen. Lef. Faseni, die weiter in Längsfasern übergehen.
In der Querrichtung wird das Herz von Eingnähten durchzogen
(Textfig. 4 Qn), die von einer Längsnaht zur andern verlaufen. Jede
490 Alexius ZaMarzin.
Quernaht erstreckt sich nur auf einer Herzhälfte. Die Queruähte sind
niemals einander gegenüber angeord-
net, sondern alternieren mehr oder
weniger.
X
^**''**^ Sämtliche Nähte, sowohl die Längs-
I als auch die Quernähte, teilen das
\ y Herz in zwei Reihen mehr oder weni-
Y*-'"r*-"--'^ ger regelmäßiger sechseckiger Bezirke.
I In dieser Hinsicht bestätigen meine
I Beobachtungen somit v'ollkommen die
/ ■■
»^ ./ Beobachtungen von Bergh. Infolge
"^ der Anwendung einer gröberen Methode
\ ,>- (Versilberung) ist es jedoch Bergh
'""'-•'^^y''^ nicht gelungen, die Struktuj- dieser
§ Nähte zu beobachten. Dank einer
%^ / feineren Methode (Methylenblau) habe
ich hier einige interessante Details
wahrnehmen können. Wird das Herz
\ dermaßen in Methylenblau gefärbt,
I ,,,,.».—*' daß in iiini die Nähte scharf hervor-
ß""" treten, dai'auf in Paraffin eingebettet
?' inicl in Schnitte zerlegt, so ist voll-
kommen deutlich zu erkennen, daß
V,,.„. ""'^ ^ die Nälite sich in die Tiefe nui" von
; der Intima der Autoren bis zur Mem-
;' brau, welche die Muscularis von der
/ ^ Adventitia trennt, erstrecken (Text-
/ / gn. fig. 2 Gn). Hierbei offenbart es sich,
") — ~.m^^^ daß die Nähte nicht durchgängig sind,
' sondeiii von einer Reihe von drei-
eckigen Querleisten gebildet werden,
t welche mit ihrer Basis an die Intima
X 5 angrenzen und in dieselbe übergehen,
\ ; \^ ; .
f "^w \ ^i^it ihrem Gipfel jedoch an die Mem-
I ''^-,>.-..^.„^,^ ", P^ brau zwischen Muscularis und Adven-
; ^ titia stoßen. Bisweilen sind einzelne
'Ln-:" derartige Querleisten nicht in der
Textfig. 4, Naht, sondern abseits derselben an-
He,v duor A,-sckna-Lavye. Meti^ylenbhu,. oßOrduet (tt, Textfig. 5). Auf TeXtfig. 5,
Qn. (jiu-niiiiite. Welche einen Flachschnitt durch eine
/
Hist()liit;iscln- Studien üUw Insekten. 1.
V.)\
in ^lethyleiiblaii getai'hte Hei/Avaucl ilarstellt. tix-tni diese N'eihältnisse
besonders deutlich hervor.
Über die Form dov Querleisten gibt Fig. 11 auf Taf. XXiV eine
Vorstelluuii. welche eine in Methylenblau gefärbte Naht bei einer sehr
starken Vergi-ößerung darstellt, in beiden Fällen treten die Querleisten
besonders scharf hervor, da sie allein intensiv lilau uefäil)t sind, während
-Jnt
Msk.
■ ad f.
Textfig. 5.
Klachscliiütt durch die Herzwand einer Larve von Aechna sp.? Vitale l'ärlnmg in Metliylenblaii
luid Alaimlcarmin. Vergr. 1100. Qn, N^alit von Querleisten gebildet; a, eine einzelne Querleiste,
die außerhalb der Xaht gelegen ist. Int, Intima; MhI\ Muscularis; mli\ Adventitia.
die übrigen Teile (mit Ausnahme der sogenannten elastischen Fasern)
ungefärbt erscheinen. An den Verlaufsstellen der Naht sind keine
Muskelbündel vorhanden; durch die Querleistenreihen werden somit
im Herzen die einzelnen Muskeleinheiten abgegrenzt; was auch Bergh
annahm und was ich folglich bestätigen kann.
Von den Nähten einerseits, anderseits von der Intima und der
Grenzmembran werden im Herzen die von den Abschnitten der eigent-
lichen Muscularis der Autoren (mit Ausnahme von Bergh) eingenom-
menen Bezirke bestimmt.
Die Muscularis der Autoren setzt sich aus folgenden Elementen
zusammen: zunächst werden in ihr Myofibrillenbündel unterschieden,
4*)2 Alexius Zawarzin.
die hiiisichtlicli des Herzens in der (jueiriohtung (ringförmig) angeordnet
sind. Diese Bündel weisen stets eine typische Querstreifung auf,
mit der Besonderheit, daß die Linie Z fast nie wahrnehmbar ist,
was seine Erklärung in der geringen Größe der Elemente findet (Text-
fig. 6 Fh). Die Behauptungen von Vosseler, der daran zweifelt,
können nur durch eine ungenügende Fixierung der Präparate erklärt
werden .
Textfig. 6.
Flacliscliiiitt (lureli das Herz einer Larve von Aeschna sp. auf der Hölie der Miiseularis. Sublimat
und Essigsäure. Färbung nach Heidenhaix mit Hämatoxylin und Bordeaux ß. Vergr. llüO.
Fb. Myofibrillenbündel ; Sj). Sareoplasnia : ^fl,■, Kerne.
Zwischen den Fibrillen})üi]delii ist Protoplama (Fig. 6 Sp) vor-
handen, welches, wie weiter unten ersichtlich sein wird, vollkommen
dem Sareoplasnia der cjuergestreiften Muskelzellen des Skelettes ent-
spricht; in dem Sarcoplasma sind vollkommen unabhängig von den
Fibrillenbündeln Kerne gelegen. Eine derartige Ansicht über den Bau
der Muscularis entspricht vollkommen den Befunden von Bergh,
Pantel und Ja-vvorow.sky. Da jedoch in der Muscularis der Autoren
nicht alle den Muskelzellen zukommenden Elemente vorhanden sind,
es fehlt nämlich das Sarcolemma, so entsteht unwillkürlich die Frage
ob nicht die Intima, die (Irenzmembran zwischen Adventitia und
Muscularis und die Querleisten der Nähte, Abkömmhnge dieses sind.
Eine derartige, teilweise von Bergh ausgesprochene Hypothese, wird.
Histolocisi'lu" Studit'ii üIhm' Inscklcn. I.
4^)3
ady.
Msk.
Lct.--
meiner Ansicht naeli. vollkoinnien diii'ch tlie enil)n i)l<),ui.sclicn nnd
histogenetischen Befunde von J.wvo-
ROWSKV und andr(M' KorscluM- (vul. oben)
bestätigt.
In Berücksichtigung dei' oben an-
geführten Befunde über den Bau des
Herzens der Insekten (darunter auch
der Wasserjungfern) ist hinsichtlich
desselben nur eine Vorstellung möglich :
das eigentliche Herz entwickelt sich
ausschließlich aus Cardioblasten und
besteht nur aus Muskelzellen, deren
Sarcolemma die Rolle sowohl enier inne-
ren (Intima) als auch teilweise einer
äußeren Haut derselben ausübt. In
dieser reinen Form findet sich das Herz
nur bei verhältnismäßig wenigen Insek-
ten {Corethra, Chironomus, Larven eini-
ger Fliegen u. dgl.). Bei den größeren
Insekten ist das ausschließlich musku-
löse Herz von einer bindegewebigen
Adventitia umgeben, welche ihren Ur-
sprung aus dem Stützapparat nimmt.
Es ist daher notwendig, die von den
Wirbeltieren entnommene Terminologie
Grabers in dem Sinne abzuändern,
daß die Intima als eine selbständige
Haut vollkommen ausgeschlossen imd
nur eine Adventitia und eine IVIuscularis
unterschieden werden. — - Diese Ände-
rung wird sowohl durch embryologische
(hauptsächlich Jaworowsky), als auch
durch histologische Untersuchungen der
letzten Zeit (Bergh, Pantel) gerecht-
fertigt.
Ostiumorgane. An den Stellen
der Ostien, in der Wand des vorderen
Herzabschnittes der Äeschna-ljSiTve lie-
gen, worauf oben hingewiesen worden ist,
besondere Gebilde, die ich Ostiumori»ane
Qiier.scliiütt
Textlig. 7.
durch ein üstiiiniorgaii.
Hermaxxs Flüssigkeit; Safraniii, Licht-
grün. Vergr. 750. adv, Adventitia; Msk,
Muscularis; Lct, Leueoeyten; RIkg, reti-
culäres Gewebe; Rs, Ringschicht von
Kernen, lirli, Karyokinese in Leueo-
eyten.
4'.)4: Alexius Zawarzin.
beiiaiint habe. An diesen Stellen sind in der Muskelhant des Herzens
Öffnungen 1 vorhanden, welche durch ein besonderes, aus dem Gewebe der
Adventitia entstehendes reticuläres Gewebe erfüllt sind (Textfig. 7 Rtkg).
Das Bindegewebe der Adventitia spaltet sich an deii Stellen der Ostium-
organe in eine große Anzahl feinere]' ]5ündel. welche sich teilweise mit-
einander verflechten, teilweise miteinander verschmelzen und das Netz
dieses >>reticulären« Gewebes bilden. Jn seinen Maschen liegen zahl-
reiche Zellelemente (Leucocyten). Auf Schnitten durch ein Ostiumorgan
(Fig. 7) ist an der Peripherie dieses Organs, an den Stellen, wo das
leticuläre Gewebe an die Muskelschicht grenzt, eine große Anhäufung
\'on Kernen sichtbar (Fig. 7 Ks), während die Zellen selber (das Proto-
plasma) nicht wahrnehmbar ist, weil dasselbe nur einen schmalen
Saum lun den Kern bildet; diese Zellen erinnern lebhaft an die Lympho-
cyten der Wirbeltiere. Im centralen Teil des Ostiumoigans, in den
Maschen des reticulären Gewebes, liegen zahlreiche Leucocyten (Lct).
An der Grenze zwischen der Randzone und dem centralen Teil werden
beständig karyokinetische Figuren beobachtet.
Hinsichtlich der morphologischen und besonders der physiologischen.
Bedeutung dieser Organe kann ich nur Annahmen anführen, für deren
Bestätigung oder Berichtigung es zahlreicherer Beobachtungen bedarf,
als ich sie ausführen konnte. In den beiden hinteren Kammern des
Herzens der Aeschnd-Lavve sind echte Ostien vorhanden, es fehlen
jedoch Ostiumorgane ; dafür finden sich jedoch entsprechend den Ostien
zwei Paar phagocytäre Organe (Metalnikoff), die aus einem reticulären
Gerüst, das von Leucocyten erfüllt ist. bestehen. Diese Organe liegen
an den Stellen des intensivsten Blutstromes und sondern verschiedene
feste ins Blut eingeführte Substanzen (Tusche, Karmin, Sepia u. dgl.) aus.
In den Kammern des vorderen Herzabschnittes der Aeschna-Ij&rve sind
weder Ostien noch phagocytäre Organe, dafür jedoch Ostiumorgane
vorhanden, die ihrem Bau und ihrer Lagerung nach den phagocytären
Organen der hinteren Segmente entsprechen. Es kann somit ange-
nommen werden, daß erstere ebensolche phagocytäre oder besser lym-
phoide, jedoch in die Ostien eingewachsene, Organe sind.
Ich habe Tusch- und Karmininjektionen ausgeführt; während die
])hagocytären Organe der hinteren Segmente von diesen Substanzen
dicht angefüllt waren, war in den Ostiumorganen nur eine dermaßen
unbedeutende Menge derselben vorhanden, daß es bisweilen schwer fiel
sie auf Schnitten wahrzunehmen. Injektionen ergaben somit ein mehr
1 Das Vorhandensein von Öffnungen bestätigt noch nielir meine Annalinie,
daß diese Organe sicli aus Ostien entwickelt liaben.
Histolouisc-Iu' StiidiiMi iil)er Insekten. I.
495
oder weniger neu;atives Resultat, welches jedoch, wie jedes negative
Resultat, nocli nichts beweist. Aul (Innul dieses Resultates kann
Flgm
Textfig. 8.
Übergangsstelle eines Flügelmuskels (es ist nur ein Teil desselben abgebildet) in das sog. elastische
Xetz. Äeschnti-ljAXve. Totalpräparat. Vitale Methylenblaufärbiing. Vergr. 525. Flgm, Fasern
eines Flügelmuskels; Es, elastisches Sehnengewebe von Graber. lifn, elastisches Fasernetz von
Geabek.
dennoch folgende Annahme gemacht werden. Wird zugegeben, daß
bei der Larve von Aeschna die phagocytäre Tätigkeit nur in den
41) (3
xYlexius Zawarzin,
VIII
VII
Lef
Textfig 9.
Ligamentum anterior. Larve von Äeschna sp.? Vitale Me
thylenblaufärbung. Vergr. 220. ff, Herz; VIII und VII, das soocnanilte
entsprechende aclite und siebente Segement; Lga, Ligamen "
tum ant.; Lef, »elastische« Längsfasern der Adventilia.
Organen der hinteren
Kammern beibehalten
worden ist, während die
Ostiumorgane blutbil-
dende Organe darstellen,
so wird hiermit mehr
oder weniger der Bau
dieser sowie die negati-
ven Resultate der Injek-
tionen erklärt.
Stützapparat. Der
hintere Abschnitt dessel-
ben wird durch die
Flügelmuskeln und das
mit ihnen verbundene
>> elastische Pericardium <<
(elastisches Fasernetz von
C4raber) vorgestellt. Die
Flügelmuskeln bestehen
aus typischen querge-
streiften Fasern; Vosse-
LEE, der dieselben nicht
für typisch quergestreift
erklärt, ist auch in diesem
Falle nicht im Recht.
Die Fasern der Flügel-
muskeln beginnen von
den Hautdecken und
gehen am Herzen nicht
in das Netz von glatten
Muskelfasern über, wie
VossELER behauptet, son-
dern, wie es seinerzeit
vollkommen richtig Gra-
ber beschrieben hat, zu-
nächst in die sogenannten
elastischen Sehnen, die,
sich verzweigend, das
elastische
Fasernetz ergeben. Auf
Histologische Studien über Insekten. I. 497
Methylenblaupräparaten treten diese Beziehungen besonders deutlich
hervor, da die >>elastischen << Fasern hierbei eine intensiv blaue Farbe
annehmen, während die Muskeln ungefärbt bleiben (Fig. 8). Die Enden
der Muskelfasern sind an der Übergangsstelle abgerundet, und lagern
sich in entsprechende Vertiefungen der Sehnenenden. Die letzteren
erscheinen gleichsam ausgefasert und umfassen die Enden der Muskel-
zellen (Textfig. 8). Im allgemeinen liegen hier dieselben Verhältnisse
vor wie in den Chitinsehnen der Skeletmuskeln. Die Sehnen verzweigen
sich weiterhin (Textfig. 8), anastomosieren mit ihren Fortsätzen und
bilden das Netz des Pericardiums (Efn). Die Fasern dieses Netzes
flechten sich in der Mittellinie in das Gewebe der Adventitia ein, wobei
sie da ein Längs- und Quernetz bilden (Textfig. 9). Diese Fasern stellen
die oben beschriebenen »elastischen Fasern« der Adventitia vor. Nach
hinten geht das Pericardiumnetz in die Ligamenta posteriora (Taf . XXIV,
Fig. 6), am Ende der zweiten Kammer in die Ligamenta anteriora über
(Taf. XXIV, Fig. 6 und Textfig. 9 Lga) ; die Fasern dieser Ligamenta
verschmelzen direkt mit der Chitindecke.
Der vordere Abschnitt des Stützapparates wird hauptsächlich von
dem Septum und den in ihm gelagerten wenigen Muskelzellen, die am
Herzen in Sehnen übergehen, gebildet.
Über den Bau des Septums kann ich nichts aussagen. Die Muskeln
und Sehnen desselben, die sich verzweigen und in das Gewebe der
Adventitia einflechten, haben denselben Bau wie die entsprechenden
Gebilde des hinteren Abschnittes.
Zum Schluß möchte ich noch einiges über den Charakter des soge-
nannten »elastischen« Apparates des Herzens (Sehnen und Netz) aus-
sagen, der bereits lange die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich zieht.
Er wird bald für elastisches (Graber), bald für Muskelgewebe gehalten.
Dieses Gewebe ist jedoch im Organismus der Insekten weit verbreitet
und wird in fast allen Organen angetroffen; überall färbt es sich aus-
gezeichnet mit Methylenblau, ist hinsichtlich der Einwirkung von Säuren
und Alkalien konstant und steht entweder mit den Tracheen oder mit
andern Chitingebilden im engsten Zusammenhang.
Das Mitgeteilte, besonders jedoch der Übergang der Fasern des
Lig. anterius unmittelbar in 'die Chitindecke, die auffallende Ähnlich-
keit der Sehnen der Flügelmuskeln mit den Chitinsehnen der Skelet-
muskeln und viele andre Tatsachen veranlassen mich, mich der Ansicht
von N. A. Cholodkovsky (1886) anzuschließen, daß dieses Gewebe ein
Chitingewebe ist und seinen Ursprung von den Tracheen nimmt. Dieses
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 33
498 Alexius 2awarzin,
ist natürlich zunächst nur eine Annahme, die jedoch, wie mir scheint,
durch die angeführten Tatsachen genügend begründet ist.
B. Das Nervensystem des Herzens der Larven von
Aeschna sp.
Literaturangaben. Hinsichtlich der Nerven des Herzens selber
ist bisher fast nichts bekannt. Angaben habe ich nur bei Graber ge-
funden, welcher auf Präparaten, die mit Gold behandelt worden
waren, sich auf dem Herzen verzweigende Nervenfasern gesehen hat.
Hinsichtlich der Herkunft der Herznerven ist durch die Arbeiten von
Brandt, Pawlowa, Sinety und vieler andrer Forscher festgestellt,
daß das Herz von dem ersten Ganglienpaar im Mundmagensystem
innerviert wird, welches somit als Herzganglien bezeichnet werden
kann. Auf diese wenigen Befunde beschränken sich im wesentlichen
unsre Kenntnisse über die Innervation des Insektenherzens.
Eigne Beobachtungen. Meine Beobachtungen über das Nerven-
system des Rückengefäßes der Aeschna-Laive beschränken sich nur auf
das Gebiet des Herzens und seines Stützapparates. Die Aorta und
deren Kopfabschnitt in dem Teil derselben, wo sie mit dem Mund-
magennervensystem in Zusammenhang steht, habe ich infolge rein
technischer Schwierigkeiten nicht untersuchen können. Für die Me-
thylenblaufärbung ist nämlich eine rasche Präparation erforderlich, die
daher zu grob ist, um den Brust- und Kopfteil des Rückengefäßes ge-
nügend sorgfältig abzuscheiden. Im eigentUchen Herzen verteilen sich
die Nerven folgendermaßen: seitwärts erstrecken sich am Herzen zwei
Nervenstämmchen, die aus einer verhältnismäßig geringen Anzahl
(etwa 10) markloser Nervenfasern bestehen; diese weisen auf ihrem
Gesamtverlauf große, mehr oder weniger spindelförmige Varicositäten
auf (Fig. 1, 3, 4, 9, 10 auf Taf. XXIII und XXIV hn), in denen häufig
das Fibrillennetz ausgezeichnet hervortritt. Diese zwei Nerven, welche
als Herznerven bezeichnet werden können, entspringen wahrscheinlich
aus den HerzgangHen des Mundmagennervensystems; sie erstrecken
sich längs des gesamten Rückengefäßes bis zu den hinteren Kammern,
wo sie den Flügelmuskeln dicke Äste abgeben und allmählich gegen
die Ligamenta posteriora hin verschwinden.
Im Gebiet des Herzens treten in die Herznerven aus den moto-
rischen Nerven (Mn), welche die intersegmentalen Muskeln innervieren
und aus den Ganglien der Bauchkette entspringen, feinste Nerven ein,
welche aus drei bis vier marklosen Fäserchen bestehen (Fig. 5, Taf. XXIII
Mn). Beim Eintritt in den Herznerven verzweigen sich letztere T-förmig
Histologische Studien über Insekten. I. 499
(Fig. 9, Taf. XXIV), wobei an der Teilungssteile eine dreieckige varicöse
Verdickung entstellt.
Diese Seitennerven treten in die Herznerven mehr oder weniger
segniental und paarweise ein. Diesen segmentalen Eintritt habe ich
freilich bei der Jeschna-ltsuve nicht sicher feststellen können, wahr-
scheinlich infolge ihrer Feinheit und unrei2;elmäßio;en Färbung. Auf
meinen Präparaten treten diese Nerven bald paarweise, bald alter-
nierend, bald in jedem Segment, bald nicht in jedem ein. Kurz,
es wird ein derartiges Bild erhalten, daß in Berücksichtigung der
Methode, mehr oder weniger bestimmt von einer segmentalen und paar-
weisen Anordnung der Seitennerven gesprochen werden kann. — Außer-
dem konnte ich bei andern von mir untersuchten Insekten (Cordulia
aenea, Periplaneta americana, Gryllus domesticus) unzweifelhaft die
paarweise und segmentale Anordnung der Seitennerven feststellen.
Der Charakter dieser Seitennerven wird durch ihre Herkunft aus moto-
rischen Nerven sowie aus ihren Endigungen bestimmt.
Bisweilen, wenngleich verhältnismäßig sehr selten, geben die
Nervenfasern der seitlichen Nerven unweit von ihrer Eintrittsstelle in
den Herznerven End Verzweigungen für die Herzmuskeln ab. Die Seiten-
nerven müssen somit für motorische Nerven gehalten werden. Dieses
entspricht auch vollkommen den von der Innervation des Herzens bei
Crustaceen und Xiphosura bekannten Tatsachen (Carlson, vgl. unten).
Die soeben beschriebenen Verhältnisse sind sowohl auf dem Schema
(Fig. 6, Taf. XXIV), auf welchem hn den Herznerven, mhn die Seiten-
nerven und Mn den motorischen Nerv darstellt, sowie auf den Fig. 5,
der Taf. XXIII und Fig. 9 der Taf. XXIV (die Bezeichnungen sind
dieselben wie auf dem Schema) gut sichtbar; auf der Fig. 9 sind mit a
motorische End Verzweigungen auf den Herzmuskeln bezeichnet.
Bei der Beschreibung der Nervenendverzweigung, auf die ich nun
übergehe, werde ich dieselbe Ordnung einhalten, wie bei der Beschrei-
bung der Anatomie und Histologie des Herzens, d. h. ich werde zu-
nächst eine Schilderung der Endigungen im Herzen und darauf im
Stützapparat geben.
Herz. Motorische Endigungen. Auf dem Herzen fallen zu-
nächst zahlreiche motorische Endverzweigungen auf. Auf ihre moto-
rische Funktion weist erstens ihre Herkunft aus den Seitennerven
(vgl. oben) hin und zweitens ihr morphologischer Charakter: besonders
gestaltete (rosenkranzförmige) Varicositäten, der Charakter ihrer Ver-
zweigungen (vgl. unten), und schließlich ihre Lagerung, da sie stets
unterhalb der Adventitia direkt auf den Muskeln liegen.
33*
500 Alexius Zawarzin,
Sämtliche motorische Endverzweigungen können in drei Arten
geteilt werden. Eine derartige Teilung ist freilich eine recht künstliche,
jedoch für eine Beschreibung durchaus erforderlich.
Endigungen erster Art (Fig. 10, Taf. XXIV). Von einer Faser
des Herznerven (/m) entspringt T-förmig ein Seitenästchen , welches
sofort stark varicös wird; diese Varicositäten unterscheiden sich scharf
von den Varicositäten der Fasern des Herznerven, die letzteren sind
stets spindelförmig, wobei die Faser unter allmählicher Verdickung in
die Varicosität übergeht. Auf den Endverzweigungen ist die Faser
selber äußerst fein, besteht nur aus einigen Fibrillen, wähernd die
Varicositäten im Vergleich zu ihr sehr groß, rundlich und von der
Faser scharf abgegrenzt sind. Ein derartiges Endästchen erinnert
seinem Aussehen nach lebhaft an einen Rosenkranz. Derartige rosen-
kranzförmige Varicositäten sind auf sämtlichen Endverzweigungen auf
den Muskeln vorhanden. In den Endigungen der ersten Art beginnt
somit die rosenkranzförmige Faser unmittelbar vom Herznerven ; indem
sie sich teilt, bildet sie eine kleine Endverzweigung (Fig. 10, Taf. XXIV).
Derartige Endigungen erster Art sind längs dem ganzen Herznerven
zerstreut, wobei ihre Zahl größer ist als diejenige der andern. Diese
kurzen End Verzweigungen umfassen natürlich nur diejenigen Herz-
gebiete, welche in unmittelbarer Nachbarschaft mit den Herznerven
gelegen sind (vgl. Schema Fig. 6, Taf. XXIV Mne /).
Endigungen zweiter Art (Fig. 8, Faf. XXIV und Fig. 6, Taf.
XXIVilfwe2). Diese Endigungen sind hauptsächlich, man könnte
sogar sagen, ausschließlich in den hinteren Herzkammern verbreitet.
Sie stellen sich folgendermaßen dar: von der Faser des Herznerven
entspringt ein äußerst feiner Seitenast, der stets schräg verläuft
und der Varicositäten entbehrt (Fig. 8 a). Diese Faser ist dermaßen
fein, daß sie bei mittleren Vergrößerungen kaum zu erkennen ist. In
einer gewissen Entfernung vom Herzen verdickt sich diese Faser be-
deutend, teilt sich in zwei oder drei rosenkranzförmige Endfäserchen,
die sich in der Längsrichtung des Herzens ausbreiten. Von diesen
Fäserchen entspringen stets ebenso kurze und varicöse Ästchen. —
Die Endigungen der zweiten Art bestehen somit aus langen, varicöseu
Endfasern; diese geben varicöse Verzweigungen ab, welche den allge-
meinen gestreckten Verlauf der Faser nicht alterieren. Mit dem Herz-
nerven verbindet sich eine derartige Endigung vermittels einer äußerst
feinen varicösen Faser.
Endigungen dritter Art (Fig. 6, Taf. XXIY Mne S, Fig. 3,
Taf. XXIII Alne 3). Diese Endigungen werden ausschheßlich in den
Histologische Studien über Insekten. I. 501
Kammern angetroffen, in denen Ostiumorgane vorhanden sind. Sie
ähneln sehr den Endigungen zweiter Art und unterscheiden sich von
denselben nur in wenigem. Sie entspringen desgleichen als feinste,
nicht varicöse Fädchen von den Fasern des Herznerven; in einiger
Entfernung vom Herzen nehmen sie an Dicke zu, werden varicös,
verzweigen sich hierselbst und bilden Endigungen. Der Charakter
dieser Verzweigungen ist jedoch ein andrer als derjenige der Verzwei-
gungen zweiter Art: die Endästchen sind nicht wie dort in die Länge
gestreckt; in ihrer Anordnung wiegen zwei Richtungen vor: eine der
Längsachse des Herzens parallele und eine zu dieser senkrechte (Fig. 3,
Taf. XXIII). Mit ihren Verzweigungen umfassen sie desgleichen, wie
die Endigungen der zweiten Art, fast ein ganzes Herzsegment. Von dem
letzteren Typus unterscheiden sie sich noch durch eine wichtige Be-
sonderheit. Eins der varicösen Endästchen des dritten Typus verzweigt
sich verhältnismäßig weniger als die andern und begibt sich zum Ostium-
organ (Fig. 3, Taf. XXIII na), wo es in das ostiale Nervengeflecht,
(vgl. unten) eingeht.
Endigungen in den Zwischenkammerklappen. Die Endi-
gungen in den Zwischenkammerklappen sind wahrscheinlich desgleichen
von motorischem Charakter (Fig. 4, Taf. XXIII; Fig. 6, Taf . XXIV
Klne). Diese Endigungen färben sich verhältnismäßig schwer; das
Herz legt sich außerdem unter das Deckglas nur zufällig so, daß die
Klappen gut sichtbar sind, infolgedessen habe ich diese Endigungen
auch nur selten beobachten können. Sie haben vieles mit den Endi-
gungen der zweiten und dritten Art gemein. Sie entspringen ebenso
von den Fasern der Herznerven als feine, nicht varicöse Astchen,
welche an der Klappe rosenkranzförmig, varicös werden und sich
verzweigen; ihre Aste bilden ein knäuelförmiges Geflecht, von welchem,
sowie auch von der varicösen Faser selber, nach verschiedenen Seiten
lange, varicöse Ästchen abgehen (Fig. 4, Taf. XXIII). Die varicösen
Astchen dieser Endigungen sind etwas dicker als diejenigen der Ver-
zweigungen des ersten, zweiten und dritten Typus; im allgemeinen ist
ihr Charakter jedoch derselbe.
In sämtHchen Endigungen halte ich für den Anfang der Verzwei-
gungen die Stelle, wo die rosenkranzförmigen Varicositäten beginnen.
Irgendwelche andre Grenzen können hier, wie mir scheint, nicht fest-
gestellt werden, da dafür jegliches Kriterium fehlt. In sämtlichen
Endverzweigungen fällt ihr allgemeiner diffuser Charakter auf, der be-
sonders deutlich in den Endigungen der zweiten und dritten Art aus-
geprägt ist. Hier fehlen jegliche lokalisierte Gebiete, wie z. B. die
502 Alexius Zawarzin,
DoYERSchen Hügel, in denen die Endigungen zusammengfaßt wären.
Hier sind sie im Gegenteil im ganzen Herzen zerstreut und bedecken
dasselbe mit einem diffusen Netze. Dieser Charakter der Endigungen
muß, wie mir scheint, in Zusammenhang gesetzt werden mit dem
Bau der Muscularis des Herzens. Letztere weist desgleichen keine
scharf begrenzte Muskelzellen auf. Die ganze Muscularis erscheint
gleichsam als ein unvollständiges Syncytium, in welchem sich nur
Spuren der Zellgrenzen in Form von Nähten erhalten haben. Der
diffuse Charakter der Nervenendigungen harmoniert außerdem mit den
Bewegungen, die das Herz ausführt. Die Pulsation des Herzens bei
Insekten kann am besten mit der Darmperistaltik verglichen werden,
d.h. mit einer Bewegung, die sich aus einer großen Zahl von. Einzel-
bewegungen zusammensetzt, die nur dann eine Bedeutung haben, wenn
eine Summierung derselben erfolgt.
Schließlich muß ich noch einiges hinsichtlich der Einteiluns der
Endigungen in Arten vermerken : diese Teilung ist zunächst eine morpho-
logische; ich bin weit entfernt derselben irgendwelche physiologische
Bedeutung zuzusprechen. Bei der Schilderung dieser Endigungen sind
natürlich Irrtümer, die von der Methode abhängen, möglich. Nicht
immer kann sicher behauptet werden, daß die ganze Endigung gefärbt
ist, infolgedessen muß auch ihre Klassifizierung mit diesem Vorbehalt
verstanden werden. Das Herz der Insekten stellt außerdem ein äußerst
schwieriges Untersuch ungsobjekt dar, an dem nur verhältnismäßig
schwer gute Resultate erzielt werden. Jedenfalls kann, wie mir scheint,
der allgemeine Charakter der Endigungen, ihre nicht lokalisierte An-
ordnung auch mit diesem Vorbehalt angenommen werden, da die Fär-
bung auf meinen Präparaten eine genügend vollständige war, wie es
z. B. die Fig. 3 auf Taf. XXIII zeigt, auf welcher die Nerven fast im
ganzen Herzsegment gefärbt sind.
Endverzweigungen in den Ostiumorganen (Fig. 1 und 3,
Taf. XXIII; Fig. 6, Taf. XXIV oonp). Ich gehe nun zur Beschreibung
der Nervengeflechte über, welche auf den Ostiumorganen gelegen sind
und welche vor allen andern meine Aufmerksamkeit auf meinen ersten
Präparaten vom Herzen der ^esc/ma-Larve auf sich gezogen haben.
Sie sind nur auf den Ostiumorganen angeordnet und fehlen folglich
in den hinteren Herzkammern. Sie entspringen wie sämtliche End-
verzweigungen des Herzens aus den Herznerven.
Gegenüber dem Ostiumorgan entspringen von zwei verschiedenen
Fasern (Fig. 1, Taf. XXIII) des Herznerven feine Seitenästchen {nb
und nc; Fig. 1 und Fig. 2, Taf. XXIII). Von einer dritten Faser des
HiBtologische Studien über Insekten. I. 503
Herznerven entspringt mehr oder weniger weit vom Ostiumorgan ein
drittes derartiges Astchen {na) und tritt an das Ostiumorgan heran.
Eins der zwei ersten Ästchen (nb) ist gewöhnhch dicker als die
andern, weist einige spindelförmige Varicositäten auf und gibt noch
vor dem Ostiumorgan einen oder zwei feinste Nervenfäden ab, welche
mit ihr zusammen in das Ostiumorgan eintreten. Das ursprüngliche Äst-
chen verdickt sich fast immer stark am Ostiumorgan und verwandelt
sich in eine bandförmige Faser, die sich in eine große Anzahl varicöser
Endfäden verzweigt, welche teilweise miteinander anastomosieren, teil-
weise sich miteinander verflechten und sich auf dem ganzen Ostium-
organ ausbreiten. Der zweite (von den ersten zwei) Seitenast (ne) ist
sehr fein, varicös, verzweigt sich nach dem Eintritt in das Ostiumorgan ;
seine Endfäden breiten sich auf dem Organ aus und verflechten sich
mit den Verzweigungen des ersten Seitenastes. Der dritte Seitenast
{na, Fig. 1 und 3, Taf . XXIII) weist einen vollkommen andern Charakter
auf; er stellt die Faser dar, welche in das Ostiumorgan aus den moto-
rischen Verzweigungen des dritten Typus eintritt (vgl. oben und Fig. 3,
Taf. XXIII).
Dieses Ästchen {na) gibt noch vor dem Ostiumorgan zahlreiche
(wie sie selber) varicöse Zweige ab, falls ihr Anfang weit entfernt von
dem Organ ist (Fig. 3, Taf. XXIII) und natürlich weniger zahlreiche,
wenn sie in der Nähe desselben entspringt (Fig. 1, Taf. XXIII). Nach
dem Eintritt in das Ostiumorgan verzweigt sich dieses Ästchen seiner-
seits in eine große Anzahl Endfäden, die sich mit den Endfäden der
ersten zwei Seitenästchen {nb und nc) verflechten. An dem Ostium-
geflecht beteiligen sich somit mindestens drei Nervenästchen, die von
drei verschiedenen Fasern der Herznerven entspringen. Einer dieser
Ästchen ist wahrscheinlich motorisch. — Wie ist nun der Bau des Ostium-
geflechtes selber? Wie verhalten sich in ihm die Endfäden der ver-
schiedenen Nervenästchen zueinander? Eine absolut bestimmte Ant-
wort ist natürlich schwer auf diese Fragen zu geben; es kann jedoch
recht sicher festgestellt werden, daß, wenn auch Anastomosen und Ver-
schmelzungen beobachtet werden, so nur zwischen Fäden einerlei Her-
kunft, obgleich es natürlich schwer fällt, ein derartig kompliziertes
Geflecht wie in den Ostiumorganen zu entwirren.
Das Ostiumgeflecht liegt, worauf ich bereits oben hingewiesen habe,
stets seitwärts vom Herznerven. Auf einem Präparat habe ich einmal ein
originelles Geflecht, welches dem Herznerven angehörte, beobachtet.
Dieses spaltete sich in der Nähe des Ostiumorgans in zwei vollkommen
gleich dünne Äste, welche das Organ umkreisten, dabei Seitenäste an
504 Alexius Zawarzin,
dessen Geflecht abgaben und sich abermals zu einem gemeinsamen
Stamm vereinigten.
Es ist natürlich recht schwer irgend etwas über die Bedeutung
dieser Nervenapparate ohne sichere Kenntnis der Centren, aus denen
sie entspringen, auszusagen. Von den drei Fasern, welche dieses Geflecht
bilden, kenne ich nur den wahrscheinhch motorischen, Charakter der
einen, hinsichtlich der beiden andern kann ich nur die Vermutung aus-
sprechen, daß sie aus den Herzganglien des Mundmagennervensystems
ihren Ursprung nehmen. Das Ostiumgeflecht hat jedenfalls für die
Herztätigkeit eine größere Bedeutung als bloß die Innervation des
Ostiumorgans. In der nächsten Zeit hoffe ich den Bau der Herz-
ganglien feststellen zu können, sowie im Herzen andrer Insekten Nerven-
apparate zu finden, welche den Ostiumgeflechten der AescJipa-IjSiive
entsprechen, dann wird es vielleicht möglich sein die Funktion dieser
Apparate zu bestimmen.
Die Nerven des Stützapparates. Sowohl im Septum als in
den Flügelmuskeln verzweigen sich und endigen zahlreiche, wahr-
scheinlich motorische Nerven.
Die Nerven des Septums. Dieselben entspringen von den
motorischen Nerven, die ins Herz eintreten {mJin, Fig. 5, Taf. XXIII
und Fig. 6, Taf. XXIV) sowie von den motorischen Nerven (Mn) der
intersegmentalen Muskeln.
Von den Seitennerven (mJm) des Herzens sondert sich ein äußerst
feines, nicht varicöses Ästchen (Sptn) ab, das sich bald verzweigt, dabei
rosenkranzförmig varicös wird und eine große in die Länge ausge-
zogene End Verzweigung bildet. Von der Gestalt dieser Endigung gibt
Fig. 2 der Taf. XXIII und Fig. 6 der Taf. XXIV Sptne, eine Vor-
stellung. Dem Aussehen nach gleicht sie den Endigungen zweiter und
dritter Art im Herzen. Andre Nerven habe ich im Septum nicht offen-
baren können. Für das Studium der Nerven stellt das Septum über-
haupt ein schwieriges Objekt dar.
Nerven der Flügelmuskeln (Fig. 6 und 7, Tai. XXIY Fgmti 1
und Fgmn 2). Bei der Annäherung an das erste Paar von Flügelmuskeln
geben die Herznerven jedem Muskel zwei Nervenstämmchen, ein
vorderes {Fgmn 1) und ein hinteres {Fgmn 2) ab. Das erste Stämmchen
ist bedeutend dünner als das zweite, welches den Hauptnerven des
Flügelmuskels darstellt. Dasselbe erstreckt sich längs des letzteren
und verschwindet, allmählich feiner werdend, in der Richtimg zu
einem proximalen, spitzen Ende. Auf dem Gesamtverlauf dieses Nerven
entspringen von ihm Endästchen, die sich auf dem Flügelmuskel in
Histologische Studien über Insekten. I. 505
varicöse Endfäden spalten. — Der vordere Nerv gibt desgleichen auf
seinem Verlaufe varicöse Endfäden ab und verschmilzt in der distalen
Hälfte des Flügelmuskels mit dem Hauptnerven.
Das zweite Paar Flügelmuskeln weist dieselben Verhältnisse mit
dem Unterschied auf, daß für die Bildung der hinteren Nerven der-
selben der Herznerv fast in toto umbiegt und auf den Muskel übergeht,
während nach hinten zu den Ligamenta posteriora nur einige feine
Fäserchen ziehen, die außerdem auf dem Herzen rasch schwinden, ohne
auf die Bänder überzugehen. Die Flügelmuskeln werden somit stets
von zwei Nerven, die aus dem Herznerven entspringen, innerviert.
Irgendwelche Abweichung von dieser Regel habe ich auf meinen Prä-
paraten kein Mal beobachten können.
Indem ich alles hinsichtlich des Nervensystems des Herzens der
Äeschna-Ls^iye Mitgeteilte resümiere, muß ich zunächst hervorheben,
daß dasselbe ausschließlich von peripherischen Nervenfasern und deren
Endverzweigungen dargestellt wird. Niemals habe ich auf dem Herzen
oder in den ihm benachbarten Körperabschnitten irgendwelche Nerven-
zellen oder Ganglien gefunden. Da ich eine verhältnismäßig große
Zahl (mehr als 100 Exemplare) von Larven untersucht habe, und da
die Nervenfärbung in der Mehrzahl der Fälle mehr oder weniger voll-
ständig war, so ist es für mich mehr als wahrscheinlich, daß im Gebiete
des Herzens keine Nervenzellen vorhanden sind. Die Nerven, welche
sich im Herzen mid im Stützapparat ausbreiten, entspringen einerseits
aus paarigen Ganglien (Herzganglien) des Mundmagennervensystems,
anderseits aus den Ganglien der Bauchganglienkette. — Die aus den
Bauchganglien entspringenden Nerven sind höchstwahrscheinlich mo-
torisch; sie dringen segmental und paarweise in den Herznerven ein,
der seinerseits aus den Herzganglien entsteht. Auf dem Herzen und
dem Stützapparat geben diese Nerven eine Reihe von Endverzweigungen
ab, die ihren morphologischen Kennzeichen nach bequem in zwei Kate-
gorien geteilt werden können.
a. Endigungen, wahrscheinlich motorischer Natur, sind auf der
Herzwand in den metameren Klappen, auf dem Septum und auf den
Flügelmuskeln angeordnet. Charakteristisch für diese End Verzwei-
gungen ist eine besondere rosenkranzförmige Varicosität ihrer Endfäden,
_^owie das Fehlen von Anastomosen zwischen letzteren.
b. Endgeflechte auf den Ostiumorganen. An der Bildung dieser
Geflechte beteiligen sich mindestens drei Fasern, von denen eine wahr-
506 Alexius Zawarzin,
scheinlich motorisch ist. Die Zahl dieser Geflechte ist ebenso groß
wie die Zahl der Ostiumorgane.
Irgendwelche Aussagen über die Bedeutung dieser Geflechte zu
machen, wenn nur die Tatsachen bestimmt sind, die ich hier nieder-
gelegt habe, ist jedenfalls verfrüht. Mir scheint es jedenfalls, daß sie
nicht nur die Ostiumorgane versorgen, sondern auch noch eine andre
Bedeutung für die Tätigkeit des Herzens haben.
Schlußbetrachtungen.
In der vergleichenden Anatomie und Physiologie des Herzens
finden wir leider nicht genügendes Material für weitgehende Schlüsse.
Über die Herznerven der Würmer ist nur einiges von deij Anne-
liden {Ärenicola, Carlson) bekannt. Das Nervensystem des Herzens
dieser Tiere setzt sich aus zwei Abschnitten zusammen : aus Nervenzellen
und deren Fortsätzen, welche diffus im Herzen zerstreut sind und aus
Nervenfasern, die sich im Herzen verzweigen und aller Wahrschein-
lichkeit nach aus den Bauchganglien entspringen. Bei den Crustaceen
liegen dieselben Verhältnisse vor (Carlson).
Von allen Wirbellosen ist bei den Xiphosura (Limulus) und den
Arachniden (Scorpio) die Innervation des Herzens am besten studiert:
Im Herzen fehlen bereits die Nervenzellen, dafür ist oberhalb des Herzens
ein Herzganglion vorhanden, aus welchem Nerven aufs Herz über-
gehen; außerdem wird das Herz noch vom Bauchmark aus innerviert
(Carlson).
Bei den Insekten übernimmt die Rolle der Herzgangiien das erste
Paar der Mundmagenganglien; in der Herzwand sind keine Nerven-
zellen vorhanden; außerdem wird das Herz von den Bauchganglien
aus innerviert.
Bei den Echinodermen und Tunicaten ist hinsichtlich der Inner-
vation des Blutgefäßsystems nichts bekannt.
Bei den Mollusken liegen bereits verwickeitere Verhältnisse vor
(Carlson): als Regel kann jedoch angesehen werden, daß außer den
Nerven, die aus dem Centralnervensystem (größtenteils aus den Visceral-
ganglien) stammen, im Herzen noch eigne Ganglien vorhanden sind.
Wir besitzen somit ein mehr oder weniger allgemeines Bild von
der Innervation des Herzens bei sämtlichen Wirbeilosen. Überall ist
die doppelte Herkunft der Nerven charakteristisch. Einerseits ent-
springen sie von Ganglien des Centralnervensystems, anderseits von
eigentlichen Herznervenzellen, welche auf den niederen Entwicklungs-
stufen diffus im Herzen zerstreut sind (Anneliden, Crustaceen), auf
Histologische »Studien über Insekten. I. 507
höheren Stufen sich in Herzganglien lokaUsieren {Limulus, Scorpio,
Insekten, Molhisken). Die aus den Ganghen des Centralnervensystems
abgehenden Nerven sind wahrscheinlich motorisch; die Nerven der
Herzganglien haben wahrscheinlich einen regulatorischen Charakter.
Hinsichtlich der Endigungen der Nerven im Herzen sind außer
meinen oben geschilderten Befunden, so viel mir bekannt, keine weiteren
vorhanden, infolgedessen auch kein Vergleich möglich ist.
Die freilich äußerst wenigen physiologischen Untersuchungen
(Brandt, J. Dogiel, Plateaux, Carlson), die hauptsächlich an Cru-
staceen und Xiphosuren ausgeführt worden sind, bestätigen im allge-
meinen die hier geschilderten morphologischen Tatsachen, gestatten
jedoch, da sie bei Insekten gering an Zahl und nur bruchstückweise
ausgeführt sind, keinerlei allgemeine Schlüsse. Eine ausgezeichnete Über-
sicht der physiologischen Untersuchungen der Tätigkeit und Innervation
des Herzens bei Wirbellosen hat im vorigen Jahre Carlson gegeben;
auf diese verweise ich alle, die sich für diese Frage interessieren.
Am Schlüsse meiner Mitteilung muß ich bemerken, daß eine Keihe
von Fragen, die unmittelbar mit der Innervation des Herzens zu-
sammenhängen, unaufgeklärt geblieben ist ; ich habe mich entschlossen,
meine Befunde zu veröffentlichen in der Hoffnung, daß es mir in der
nächsten Zeit gelingen wird, meine Resultate über eine Untersuchung
des Baues des Mundmagen- und Centralnervensystems zu berichten,
mit welcher ich zurzeit beschäftigt bin.
Zum Schluß halte ich es für meine Pflicht Herrn Prof. Dr. A. S.
Dogiel, meinem hochverehrten Lehrer, meinen aufrichtigen Dank für
seinen Beistand und seine Ratschläge, die mir im Verlaufe meiner
Arbeit in hohem Maße zuteil geworden sind, auszusprechen.
St. Petersburg, Juli 1910.
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Erklärung der Abbildungen.
Bezeichnungen:
Fgm 1, Flügelmuskel des ersten Paares ; mnc2, Motorische Endigung II. Art;
Fgm2, Flügelmuskel des zweiten Paares mneS, Motorische Endigung III. Art;
Fgmn, Nerv des Flügelmuskels; na, Motorischer Nerv im Ostiumge-
Fgmnl, erster Nerv des Flügelmuskels ; flecht;
i^(/mn2, zweiter Nerv des Flügelmuskels; nb. nc. Zwei andre Nerven des Ostium-
Fk, Fettkörper; geflechtes;
H, Herz; 0, Ostium;
hn, Herznerv; 00, Ostiumorgan;
Kl, Klappe; OOnp, Ostiumnervengef lecht ;
Klne, Nervenendigung in der Klappe; Sptn, Nerv des Septums;
Iga, Ligamentum anterius; Sptne, Nervenendigungen im Septum;
Igp, Ligamentum posterius; tr, Trachea;
M, Skeletmuskeln ; 4, 5, 6, 7, 8, die entsprechende 4., 5.,' 6.,
Mn, Motorischer Nerv eines Skelet- 7., 8. Herzkammer;
muskels; V, VI, VII, VIII, IX, X, die ent-
mhn, Motorischer Seitennerv des Her- sprechenden 5., 6., 7., 8., 9., 10.
zens; Segmente.
mnel. Motorische Endigung I. Art;
Als Objekt für sämtliche Präparate, deren Zeichnungen auf Taf. XXIII
und XXIV wiedergegeben sind, diente die Larve von Aeschna sp. ?
Tafel XXIII.
Fig. 1. Geflecht auf den Ostiumorganen. Vergr. 525. Methylenblau.
Molybdänsaures Ammonium. Auspräpariertes Herz.
Fig. 2. Endigungen im Septum. Vergr. 220. Methylenblau. Molybdän-
saures Ammonium. Das Präparat ist aus der ganzen dorsalen Hälfte des Ab-
domens angefertigt. Die Nerven sind etwas dicker gezeichnet als sie sich bei
der Vergrößerung darstellen.
Fig. 3. Motorische Endigung III. Art und deren Beziehungen zum Ostium-
geflecht. Vergr. 220. Methylenblau. Auspräpariertes Herz.
510 Alexius 2a warzin, Histologische Studien über Insekten. I.
Fig. 4. Motorische Nervenendigung in einer Klappe. Methylenblau. Aus-
präpariertes Herz. Vergr. 525.
Fig. 5. Der Eintritt des motorischen Nerven in den Herznerven und dessen
Beziehungen zum Septumnerv. Vergr. 125. Methylenblau. Präparat der ganzen
dorsalen Hälfte des Abdomen.
Tafel XXIV.
Fig. 6. Schema der Nervenverteilung im Herzen und im Stützapparat.
Fig. 7. Motorische Endigungen in einem Flügelmuskel. Vergr. 90. Me-
thylenblau. Das Präparat ist aus der dorsalen Wand des Abdomens angefertigt.
Fig. 8. Motorische Nervenendigung II. Art. Vergr. 125. Methylenblau.
Auspräpariertes Herz. Die Nerven sind etwas dicker gezeichnet, als sie sich
bei der Vergrößerung darstellen.
Fig. 9. Eintrittsstelle des motorischen Nerven in den Herznerven. Vergr.
735. Methylenblau. Auspräpariertes Herz.
Fig. 10. Motorische Endigung I. Art. Vergr. 300. Methylenblau. Aus-
präpariertes Herz.
Fig. 11. Quernaht des Herzens. Totalpräparat. Methylenblau. Vergr.
1500.
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen aus der
Gruppe der Galatheiden.
Von
Kurt Marcus.
(Aus dem zoologischen Institut der Universität München.)
Mit 18 Figuren im Text und Tafel XXV, XXVI.
Einleitung.
In seinem Brachyurenwerk aus den »Ergebnissen der Deutschen
Tiefseeexpedition<< (04) behandelte Doflein als erster die Geruchsorgane
einer Gruppe von Decapoden im Zusammenhang, nachdem dies vorher
nur bei niederen Crustaceen ausgeführt worden war, und über Podoph-
thalmen nur wenige Einzeluntersuchungen vorlagen.
Einige Fragen, die Dofleins Untersuchungen noch offen ließen,
und unsre mangelnden Kenntnisse über die Geruchsorgane der ge-
samten Macruren und Anomuren, ließen es wünschenswert erscheinen,
an einer Gruppe dieser Crustaceen das Geruchsorgan zu untersuchen.
Als solche wählte ich, da mir davon genügend Material zur Verfügung
gestellt werden konnte, die Familie der Galatheiden. War es mir auch
leider nicht möglich, eine sehr große Anzahl von Arten zu untersuchen,
so hoffe ich doch, über die verschiedenen Bautypen von Geruchsorganen
einen allgemeinen Überblick erhalten zu haben. Anschließend an
diese anatomischen und histologischen Untersuchungen habe ich ver-
sucht, mir Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen der ge-
ringeren oder größeren Kompliziertheit dieses Sinnesorgans und der
gesamten Lebensweise der untersuchten Formen zu bilden.
Für die Anregung zu dieser Arbeit und die ständige Hilfe und
viele wertvolle Ratschläge bin ich Herrn Prof. Doflein zu großem
Danke verpfhchtet. Ferner ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn
Dr. Julius ScHAXEL-Villefranche meinen Dank dafür abzustatten, daß
er mich mit vorzüglich fixiertem Material für die histologischen Unter-
suchungen versorgte.
512 Kurt Marcus,
Historisches.
1883 konnte Kraepelin in einer ausgezeiclineten kritisch-histo-
rischen Abhandlung die vielumstrittene Frage über die »blassen Kolben
und Haare an den inneren Antennen « der Crustaceen dahin entscheiden,
daß sie dem Geruch dienten. Damals kannte man jedoch nur den
feineren Bau des Geruchsorgans bei den leichter zu untersuchenden
niederen Krebsen und den Edriophthalmen, worauf erst in den neunziger
Jahren sich unsre Kenntnis allmählich auf die Podophthalmen aus-
dehnte. So untersuchte May (87) Carcinus maenas, Palaemon squilla
und Mysis flexuosa. Vom Eath (91, 92, 94) machte uns hauptsächlich
mit den Verhältnissen beim Flußkrebs genau bekannt. Auf die Unter-
suchungen von Milne-Edwards und Bouvier (94), die rein morpho-
logisch-systematischer Natur waren, habe ich an andrer Stelle noch
einzugehen. Nagel (96) untersuchte eine Anzahl von Crustaceen
experimentell-physiologisch, berücksichtigte aber die höheren Krebse
nur wenig. Eine Arbeit, die mit den Mitteln der modernen Technik
ausgeführt wurde, ist die von Kotte (02) über Plesionika , deren Geruchs-
organ eine interessante Variante zu dem von mir untersuchten der
Galatheiden darstellt. Endlich ist das DoFLEiNsche Werk (04) von
größter Wichtigkeit für vorhegende Arbeit, da meine Untersuchungen
ihr ständig parallel laufen und ich vielerorts Gelegenheit haben werde,
auf sie zu verweisen.
Material und iVlethoden.
Das sehr wertvolle Material zu meinen Untersuchungen stammt
zum größten Teil von der Deutschen Tiefseeexpedition, zum Teil auch
von der Japanreise Prof. Dofleins. Einzelne Tiere wurden der Samm-
lung des Münchener Museums entnommen.
Die Objekte waren sämtlich in starkem Alkohol fixiert worden,
welcher die Lagerung der Gewebe und deren Natur vorzüglich erhalten
hatte. Ich untersuchte und zeichnete zuerst die Antenne als Ganzes;
dann wurde mit Boraxkarmin gefärbt, in Nelkenöl aufgehellt und von
dem so erhaltenen Präparat sofort eine Skizze entworfen. Danach
wurde die Antenne geschnitten. In allen neueren Arbeiten klagen
die Autoren über die Schwierigkeiten, die ihnen das Chitin beim
Schneiden bereitet habe. Ein vorzügliches Mittel zum Erweichen
desselben ist die schon von Doflein bei seinen Untersuchungen an-
gewandte PERENYische Flüssigkeit, die sich auch bei mir ausgezeichnet
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw. 5 ] 3
bewährte. Eine Einwirkungsdauer von 2 — 3 Stunden genügte, um
selbst Schnitte von 5 it möglich zu machen. Dabei zeigten die Gewebe
nie auch nur die geringste Veränderung.
Für die feineren histologischen Untersuchungen konnte ich leider
kein Galatheidenmaterial verwenden, da das vorhandene für solche
Zwecke in seiner Erhaltung nicht genügte. Einige Exemplare waren
zwar auf der Valdivia-Expedition eigens für solche Untersuchungen in
Sublimat fixiert worden, doch erwiesen sie sich leider als nicht brauchbar,
standen sogar zum Teil hinter dem Alkoholmaterial zurück.
Durch den Vergleich der cellulären Elemente von besonders gut
erhaltenen Galatheidenexemplaren mit einigen Brachyuren, kam ich —
auch gestützt aiff die Untersuchungen Dofleins an Krabben — zu
der Überzeugung, daß der histologische Aufbau der Geruchsorgane bei
allen Decapoden im wesentlichen übereinstimmend sei. Infolgedessen
verwandte ich zvmi Studium der feineren Einzelheiten des Geruchs-
apparates zwei Krabben: Stenorhynchus phalangium und Inaclms
scorpio aus der Gruppe der Oxyrhynchen. Diese erhielt ich durch die
Güte des Herrn Dr. Schaxel, der sie zum Teil in starker FLEMMiNGscher
Flüssigkeit, zum Teil in Subhmat + 5%igem Eisessig fixiert hatte.
Die aus dem Sublimat-Eisessig stammenden Exemplare wurden der
Vergoldung nach Apäthy unterworfen und mit DELAFiELDschem
Hämatoxylin nachgefärbt. So unsichere Kesultate die Vergoldung
bekanntermaßen liefert, war der Erfolg doch zum Teil recht befrie-
digend. Die in Flemming fixierten Exemplare wurden mit Heiden-
HAiNschem Hämatoxylin nachgefärbt.
Der Bau der Geruchsorgane und seine Haupttypen.
Bevor ich an eine Schilderung des Baues der Galatheiden-Geruchs-
organe gehe, muß ich mich gegen einen Vorwurf verwahren, den man
mir vielleicht machen könnte. Es ist in neuerer Zeit verschiedentlich
darauf hingewiesen worden [vom Rath (94), Nagel (96), Kotte (02)],
daß ein Vorgang analog dem Riechen der Landtiere bei Wassertieren
unmöglich sei; hier könne das Organ, das man früher als Geruchsorgan
bezeichnet habe, nur analog dem Geschmacksorgan der Landtiere
wirken. Konsequenterweise wenden daher diese Autoren nur den
Namen Geschmacksorgan an. Nur vom Rath stellt den Gebrauch dieses
oder jenes Namens in das Belieben des Autors. Daß ich trotzdem vom
Riechen spreche, hat seine Ursache darin, daß es sich um ein für be-
sondere Zwecke differenziertes >>chemoreceptorisches<< Sinnesorgan
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 34
514
Kurt Marcus,
handelt. Da außerdem nach Kesultaten von Experimenten Nagels (96)
an den Mundgliedmaßen und in der Mundhöhle besondere Schmeck-
organe vorhanden sein müssen, muß man einen Unterschied zwischen
dem in den inneren Antennen untergebrachten »Fernschmeckapparat«
und diesem »Nahschmeckapparat« machen. So folge ich dem Beispiel
DoFLEiNs und spreche von Geruchsorganen, mit dem Vorbehalt, daß
sie analog Geschmacksorganen wirken.
Die wesentlichen Bestandteile des Geruchsorgans sind die Riech-
haare, die Terminalnerven, die Riechspindeln und der Geruchsnerv
(s. Taf. XXV, Fig. 1). Die innere
Antenne, die diesen ganzen Appa-
rat beherbergt, besteht -^ wenig-
stens bei den Galatheiden — aus
drei Gliedern, an deren Ende zwei
Geißeln sitzen (s. Textfig. 1). Die
längere Außengeißel trägt auf ihrer
Innenseite die Riechhaare; von
diesen führen die Terminalnerven
zu den Riechspindeln, Ansamm-
lungen von Sinneszellen. Die Spin-
deln können zu einer größeren
Masse zusammengelagert sein, die
DoFLEiN Lobus osphradicus ge-
nannt hat. Aus den Spindeln
sammeln sich die einzelnen Nerven-
fäden und vereinigen sich zum
Geruchsnerv, der durch die An-
tenne zum Centralorgan zieht.
DoFLEiN (04) unterscheidet
nach Lage und Anordnung der
Riechspindeln drei Typen von
Geruchsorganen.
» Bei dem ersten Typus sind die Riechspindeln in einfachen Reihen
angeordnet, ähnhch dem schon von vom Rath geschilderten Verhalten
beim Flußkrebs. Jede Riechpapille sitzt unmittelbar unter dem Riech-
haar, zu welchem sie gehört. Die aus den Papillen (proximal) aus-
tretenden Nervenfäden vereinigen sich zu einem kräftigen Nerven-
strang, dem jeder einzelne Bestandteil unmittelbar hinter der zuge-
hörigen Papille zufließt.«
Beim zweiten Typus befinden sich die Geruchsspindeln zum
Textfig. 1.
Innere Antenne von Uroptychtis nitidus
über Geruchsorfmnp hei clecapoden Krebsen usw. 515
größten Teil nicht mehr in der Aiißengeißel, sondern sind in das dritte
Stielglied gerückt, wo sie den Lobus osphradicus bilden.
Beim dritten Typus endlich »liegen sämtliche Riechspindeln in
dem dritten Stielglied der Antenne«. »Die einzelnen Riechspindeln
sind so dicht zusammengedrängt, daß man meist ibre Grenzen nicht
mehr erkennt«, und der Lobus »eine mehr oder weniger einbeitliche
Masse bildet«.
Bei den von mir untersuchten Formen der Galatheiden fehlt der
erste und einfachste Typus ganz, dagegen kommen der zweite und dritte
etwa in gleicher Anzahl vor. Dabei ist jedoch allein die Größe der
Außengeißel maßgebend. Bei einer gleichen Anzahl von Riechspindeln
würde in einer Antenne mit großer Außengeißel der Typus II, mit
kleiner Außengeißel der Typus III entstehen.
Um die Schilderung des Baues der Geruchsorgane übersichtlich
zu gestalten, habe ich sie in drei Gruppen geteilt, die sowohl in den
morphologischen und anatomischen Verhältnissen, als auch speziell
in der Ausgestaltung des Schutzapparates vom Einfacheren zum Kom-
plizierteren aufsteigen. Ich habe sie nach den typischen Vertretern
genannt: 1) der Uroptychus-Tyipus, 2) der Munida-Ty\)\\s, 3) der Petro-
listhes-Tji^ns.
Ich beginne mit der Schilderung des einfachsten von diesen dreien,
des Uroptychus-Typus,-
i. Der Uroptychustypus.
a. Der äußere Habitus.
Die innere Antenne der hierher gehörenden Formen ist sehr schlank
gebaut. Das erste und das zweite Glied ist klein; jenes ist nur selten
mit kleinen Stacheln versehen. Dagegen ist das dritte Glied bedeutend
länger. Die Geißeln zeigen eine wechselnde Zahl von Gliedern, welche
bei der Außengeißel mit Ausnahme der letzten, mit je zwei Reihen
von Riechhaaren versehen sind, während die Innengeißel nur verein-
zelte Tasthaare trägt. Auch die Spitzen der Geißeln laufen in oft sehr
lange Tastborsten aus. Irgendwelche besondere Furchungen oder
Skulpturen des Chitins sind meist nicht vorhanden.
b. Die anatomischen Verhältnisse.
Wie früher schon erwähnt, wird die mehr oder weniger starke
Ausbildung eines Lobus osphradicus bedingt durch die Raumverhält-
nisse innerhalb der Antenne. Abgesehen von den zum Geruchsapparat
gehörenden Nerven usw., sind in der Antenne noch von wesentlicher
34*
516 Kurt Marcus,
Bedeutung die sie bewegenden Muskeln und die »Statocyste. Diese
]iimmt den größten Teil des Eaumes im Basalglied ein, das außerdem
noch von Muskeln erfüllt ist. Es läßt sich eine große Gleichförmigkeit
in der Anordnung der Muskeln in der Antennula sämtKcher Galatheiden
beobachten (s. z. B. Taf. XXV, Fig. 3, 5, 11). Im Basalglied sind zwei
Muskelzüge vorhanden, die einerseits an der Wandung dieses Gliedes,
anderseits am proximalen Ende des zweiten Gliedes ansetzen, und so
dieses beugen und strecken können. Im zweiten Glied liegt ein meist
ziemlich starker Muskel, der das dritte Glied an einer Art Chitinstift,
den dieses in das Lumen des zweiten Gliedes bineinsendet, bewegt,
bzw. heranzieht. Die Streckung des dritten Gliedes scheint durch ein
elastisches Band zu geschehen, welches sich in vielen Fällen findet,
aber doch nicht immer feststellen läßt; manchmal ist es auch durch
einen schwachen Muskel ersetzt. Endlich findet sich im dritten Glied
noch ein ziemlich starker Muskel, der mit seinem peripheren Ende
an der Innenseite der Außengeißel ansetzt Selten findet sich ein ent-
sprechendes Muskelchen zur Bewegung der Innengeißel (s. Taf. XXV,
Fig. 7). Auffallend ist — wie auch Kotte (02) betont — , daß sich inner-
halb der Geißeln nicht die geringste Spur von Muskelfasern nachweisen
läßt.
Der Geruchsnerv tritt, manchmal noch mit dem Statocystennerv
vereinigt, in das Basalglied der inneren Antenne ein (s. Taf. XXV,
Fig. 5, 7, 10), durchzieht dieses und das zweite Glied in einem Bündel
von gleichförmiger Dicke, von Neurilemmzellen eingehüllt. Auf allen
Präparaten erkennt man die Neurilemmzellen an ihren stark färbbaren
und sehr in die Länge gestreckten Kernen, die mit keinen andern vor-
kommenden Kernformen verwechselt werden können.
Erst im dritten Glied beginnt das Nervenbündel sich aufzuspalten,
und zwar wird zuerst ein Nervenast — ein Tastnerv — für die Innen-
geißel abgegeben. Dann spaltet sich der Rest, der eigentliche Riech-
nerv, völlig auf und tritt in einzelnen Fäden in den Lobus osphradicus
ein (s. Taf. XXV, Fig. 1). Dieser besteht aus der Gesamtzahl der
Riechspindeln, und zwar führt jeder einzelne Nervenfaden zu einer
Spindel. Diese Ansammlung nervöser Bestandteile wurde von früheren
Beobachtern als Ganglion gedeutet, da man sich über die Struktur
der einzelnen Teile nicht im klaren war. Vom Rath (94) gebührt das
Verdienst, darauf hingewiesen zu haben, daß sämtliche in den Spindeln
enthaltenen Zellen nur Sinneszellen mit einem proximalen und einem
distalen Nervenfortsatz sind. Jeder Nervenfaden, der in eine Spindel
eintritt, verästelt sich in die Nervenfibrillen, von denen jede in eine
über Gcruchaoigane bei clccapudcn Krebsen usw. 517
Sinneszelle eintritt und sie an dem distalen Pol wieder verläßt. Die
J^'asern vereinigen sich wieder zu den Terminalnerven, die getrennt
voneinander verlaufen und bis zu ihrem Eintritt in das zugehörige
Riechhaar mit Neurilemmzellen bekleidet sind, worauf der nackte
Terminalstrang das Haar bis zu seiner Spitze durchzieht.
KoTTE (02) beschreibt für Plesionika diese Verhältnisse zum Teil
anders. Dort soll der Terminalnerv nicht von einer bindegewebigen
Hülle umschlossen sein, vielmehr soll an dieser Stelle jede Nerven-
faser noch eine zweite eingeschaltete Zelle tragen. Demnach passiert
jede Nervenfaser zwei Zellen: eine mehr peripher gelegene »Sinnes-
zelle« und eine mehr central gelegene »Ganglienzellen. Vom Rath (94)
fand auf den Terminalnerven, »wenn die Gruppen der Sinneszellen in
größerer Zahl nebeneinander liegen und eine Strecke weit von der
Hypodermis und den Sinneshaaren entfernt sind, längliche, dunkel
tingierte Kerne, welche langgestreckten Hypodermiszellen angehören.
Diese letzteren Zellen haben einige Autoren zu der unrichtigen Auf-
fassung von zwei hintereinander liegenden Gruppen von Ganglienzellen
verführt; in Wirklichkeit findet man stets nur eine Gruppe von Sinnes-
zellen, und die zwischen dieser Gruppe und dem Sinneshaar gelegenen
Zellen sind nichts andres als gewöhnliche Hypodermiszellen (Stütz-
zellen) <<.
KoTTE scheint, obgleich er diese wichtige Arbeit vom Raths im
Literaturverzeichnis anführt, diese Bemerkung übersehen zu haben,
jedenfalls versäumt er, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Vergleicht
man die Abbildung 2 vom Raths mit der Figur 31 Kottes, so wird einem
wohl kein Zweifel über die Identität von Kottes Sinnes- bzw. Ganglien-
zellen mit vom Raths Hypodermis- bzw. Sinneszellen bleiben. Das
allein würde aber nicht zugunsten der Ansicht vom Raths sprechen.
Die Kerne der » Sinneszellen << Kottes sind bei meinen Objekten
von ganz andrer Gestalt, als er sie zeichnet ; sie sind sehr lang gestreckt,
stark färbbar und unterscheiden sich in keiner Weise von den Kernen
der Neurilemmbekleidung andrer Nerven. Dagegen haben meine
»Sinneszellen« absolut das Aussehen von Kottes »Ganglienzellen«.
Wenn nach seiner Ansicht in den Verlauf jeder Nervenfaser je eine
Sinneszelle und eine Ganglienzelle eingeschaltet sein sollen, so müßte
sich bei einer Zählimg genau die gleiche Zahl beider Kernarten fest-
stellen lassen. Leider hat Kotte an seinem Objekt diese Probe nicht
gemacht. Bei meinen Präparaten fand ich, besonders bei kurzen
Terminalnerven, stets eine bedeutend größere Zahl von Sinneszellen
gegenüber den Neurilemmzellen.
518
Kurt Marcus,
Es läßt sich endlich noch ein andrer Clrund gegen die Behauptung
KoTTEs ins Feld führen. Nach unsrer bisherigen Kenntnis des Nerven-
systems der Crustaceen enthält jede Nervenfaser nur eine Zelle: ent-
weder liegt sie peripher an oder in der Nähe der Körperoberfläche
und entsendet einen sensiblen Fortsatz zum Centralorgan, wo er sich
verästelt, oder sie liegt als Ganglienzelle im Centralnervensystem und
entsendet einen motorischen Fortsatz an die Muskeln. Eine Ausnahme
machen nur die Sehnerven, die das Ganglion opticum zu passieren
haben. In jedem Fall hat man bisher immer nur eine Zelle im Nerven-
verlauf beobachtet, so daß die Angabe Kottes ein völliges Unikum
darstellen würde, was sie sehr unwahrscheinlich erscheinen läßt.
DoFLEiN weist, wie mir scheint mit großem Eecht, auf die Analogie
zwischen Geruchsorgan und Auge bei den Crustaceen hin. Er hebt
hervor, daß der Lobus osphradicus der Gesamtretina des Auges nicht
etwa dem Ganglion opticum entspreche. Die Frage, ob im Gehirn
»dem Geruchsorgan eine komplizierte Bildung entspricht« läßt Doflein
offen. Ich habe versucht, mir an Stenorhynchus darüber ein Urteil zu
bilden. Wie nicht anders zu erwarten war, hat dessen Gehirn große
Ähnlichkeit mit dem von Bethe (95, 97, 98) so vorzüglich unter-
suchten Centralnervensystem von Carcinus maenas. Da ich hier nur
einen Auszug aus den
BETHEschen Arbeiten
geben könnte, verweise
ich auf die Originale.
Ich will nur ganz kurz
auf das Geruchscentrum
eingehen und auf einen
Unterschied zwischen
Bethes und meinen Be-
funden hinweisen. Nach
Bethe besteht der An-
tennarius primus (wie er
das von der ersten An-
tenne kommende Ner-
venbündel nennt) zum größten Teil aus den von der Statocyste kommen-
den Nervenfasern, und nur ein kleiner Teil stammt von den peripheren
Sinnesorganen der Antennula (s. Textfig. 2). Bei Stenorhynchus pha-
langium fand ich die Verhältnisse gerade umgekehrt. Die Hauptmasse
des Antennarius primus wird von den Geruchsnerven gebildet, während
der Statocystennerv stets erst nach langem Suchen zu finden ist.
I
Textfig. 2.
Schema des Gehirns von Carcinus maems (nach BETHE). Riech
nerven punktiert, Statocystennerven ausgezogen.
über Geruchsorgaue bei decapoden Krebsen usw.
519
Tegume/itaiius
Textfig. 3.
Schema des Gehirns von Stenorhynchus phalangium. Xervenver-
lauf schematisch. Riechnerven punktiert, Statocysitennerveii
ausgezogen.
Dadurch findet auch eine Änderung der Centren im Gehirn statt.
Nach Bethe sollen die von der Statocyste kommenden Fasern in
den Globulus und das Neuropihnu antennarii primi laterale gehen,
während die Geruchsnerven zum Neuropilum antennarii primi
mediale ziehen. Ich sah dagegen die vom Geruchsorgan kommenden
Nervenfasern in den Globulus, sowie einige auch in das Neuropilum
antennarii primi mediale
eintreten, während der
Rest, der Statocysten-
nerv, zum Neuropilum
antennarii primi laterale
geht (s. Textfig. 3).
Es ist nicht nötig,
aus diesen abweichenden
Befunden einen Wider-
spruch zu Bethes Dar-
stellung zu konstruieren.
Carcinus maenas ist be-
kanntlich ein Tier, wel-
ches an der Ebbe- und
Flutgrenze lebt und starken Strömungen und lebhaftem Wellenschlag
ausgesetzt ist. Es ist klar, daß für ein Tier mit solcher Lebensweise
eine sehr gut ausgebildete Statocyste von ganz andrer Bedeutung ist,
als für Stenorhynchus fhaUmgium, der trag und wenig beweglich in ge-
ringen Tiefen auf den Algen des Meeresbodens lebt, wo ihm die Wellen-
bewegung nicht viel anhaben kann. Daß einem stärker ausgebildeten
Sinnesorgan ein starker Nerv und ein größeres Centrum im Gehirn ent-
spricht, braucht nicht weiter wunder zu nehmen. Immerhin ist es von
großem Interesse, feststellen zu können, daß der Globulus in seiner Be-
ziehung zum peripheren Nervensystem, selbst innerhalb der gleichen
Unterordnung der Brachyuren, einen völligen Wechsel durchmacht,
indem er in dem einen Fall (Carcinus) den Nerven der Statocyste, in
dem andern Fall {Stenorhynchus) den Geruchsnerven als Centrum dient.
Die Riechhaare sind schon so oft geschildert worden, daß ich mich
hier ganz kurz fassen kann. Es sind zartwandige Chitinschläuche, die,
wohl um leichter beweglich zu sein, in ihrem distalen Teil gegliedert
sind. Irgendwelche Versteifungseinrichtungen, wie sie vielfach sonst im
proximalen Teil der Riechhaare vorkommen, konnte ich bei den Gala-
theiden nie beobachten. Ein spezielles Augenmerk habe ich der seit
jeher strittigen Frage zugewandt, ob die Riechhaare an ihrem Ende
520 Kurt Marcus,
geöffnet oder geschlossen sind. Eine Reihe von Autoren (z. B. Leydig,
RouGEMONT, Kraepelin) sprechen sich für eine Öffnung, andre (wie
Claus, Nagel, Kotte, Doflein) dagegen aus, während dritte (wie
z. B. VOM Rath) beides für möglich halten. Ich fand bei sämtlichen
von mir untersuchten Formen die Haare immer geschlossen, und ich
schließe mich der Ansicht von Claus an, der meint, daß eine Öff-
nung der Haare immer auf eine nachträgliche Beschädigung zurück-
zuführen sei.
Über den Inhalt der Haare gehen die Angaben weit auseinander.
Nur in der Schilderung des Nerven verlauf es innerhalb des Haares
stimmen die neueren Autoren ziemlich überein. Der von der Riech-
spindel kommende Terminalnerv verliert beim Eintritt in das Haar
seine Neurilemmbekleidung. In kurzer Entfernung vom proximalen
Haarende beobachtete ich, wie auch Doflein bei seinen Brachyuren,
im Nerven »eine Stelle, wo die Fasern aufgelockert sind und sich
durcheinanderflechten«. Ebensowenig wie diesem Autor, ist es mir
möglich gewesen, mir irgend eine Vorstellung über die Bedeutung
dieser Verflechtung zu machen. Danach zieht der Terminalstrang,
allmählich schwächer werdend, bis zur Spitze des Haares.
Außer dem Nerven beschreiben einige Autoren noch andre Gebilde
als Inhalt des Haares. So fand Kotte (02) »zahlreiche, kleine,
längliche, dunkel tingierte Kerne«, die »der Matrix des Haares ange-
hören«. Außer ihm hat jedoch kein Autor diese Kerne gesehen, und
es ist wenig wahrscheinlich, daß sein Untersuchungsobjekt, Plesionika,
in dieser Hinsicht so bedeutend von allen übrigen Decapoden abweichen
sollte. Es wäre ein solches Verhalten nach den Angaben von Hensen
(63) und May (87) über den Haarwechsel bei Crustaceen ganz unmöglich.
Nach diesen zwei Autoren liegt vor der Häutung das neue Haar schon
ganz fertig, nur doppelt eingestülpt wie ein Handschuhfinger, im Innern
der Antenne, umgeben von den Haarbildungszellen (Hensen, Abbil-
dung 43 ^). Wird nun dies neue Haar bei der Häutung zu seiner
vollen Länge ausgezogen, so löst es sich von den Bildungszellen ab, die
im Innern der Antenne liegen bleiben. Demnach wäre auch die An-
gabe von Claus (79) unhaltbar, nach welcher Ausläufer von Matrix-
zellen in das Haar eintreten sollen.
Beobachtete ich also nie Matrixzellen im Haar, so habe ich doch
außer den Nervenfasern ab und zu einen Kern der Neurilemmzellen im
proximalen Teil eines Haares gefunden. Da ich dies nur auf Schnitten
beobachtete, könnten möghcherweise die Kerne durch die Schneide
des Messers in das Haar hineingedrückt worden sein; anderseits wäre
über (icruchsorgane bei decapoclen Krebsen usw. 521
es auch nicht weiter verwunderhch, wenn sich die Neurilemmbekleidung
der Nerven noch ein Stück weit in das Haar hinein fortsetzte.
Der Zwischenraum zwischen den Nervenfasern und der Chitin-
wandunt»; des Haares ist durch eine bei konserviciten Exemplaren
fein granulierte Masse ausgefüllt, die nach May (87) beim lebenden Tier
flüssig sein und erst bei der Fixierung gerinnen soll.
Beschreibung des Baues einiger zum Uroptycluistypus geliöriger
Formen.
Uroptychus nitidus A, Milne-Edwards.
(Textfig. 1, Taf. XXV, Fig. 2.)
Die Antenne ist sehr schlank gebaut, und speziell die Außengeißel
ist sehr schlank und lang. Sie besteht aus 16 Gliedern, von denen
das zweite bis zwölfte je zwei Reihen von Riechhaaren tragen, die
letzten vier nur Tasthaare. Basalglied unbehaart. Im ganzen 60 Riech-
haare mit 1,5 mm Durchschnittslänge bei 16 /.t Dicke. Letztes Geißel-
glied in lange Tastborste auslaufend, jedes Glied auf Außenseite mit
kurzem Tasthärchen. Innengeißel lang und schlank, aus fünf ge-
streckten Gliedern bestehend, mit wenigen kurzen Tasthaaren.
Da Außengeißel im Verhältnis zu den Antennalgliedern relativ
groß, in ihr Platz für viele Riechspindeln; daher kleiner Lobus osphra-
dicus im dritten Glied. Nerven verlauf wie in der Typenschilderung
beschrieben. Im dritten Glied Spaltung des Nerven: ein Teil für Innen-
geißel, der andre tritt, sich aufsplitternd, in den Lobus ein. Terminal-
nerven sehr kurz.
Uroptychus gracilimanus Henderson.
(Textfig. 4; Taf. XXV, Fig. 3.)
Antenne kurz, Außengeißel lang, bestehend aus 21 Gliedern.
Basalglied haarlos, 2. — 10. Glied mit je zwei, 10. — 15. mit je einer
Reihe von Riechhaaren, 16. — 21. mit wenigen Tastborsten. Zahl der
Riechhaare etwa 100. Länge im Verhältnis zur Größe des Tieres
sehr groß: 2 mm; durchschnittliche Dicke 19 f.i. Innengeißel ebenfalls
sehr schlank, bestehend aus sechs langgestreckten Gliedern mit je
einer kurzen Tastborste.
Lobus osphradicus sehr groß, fast das ganze dritte Glied ein-
nehmend, doch — wie auch die Spindeln — stark von Bindegewebe
durchsetzt. Terminalnerven sehr lang, den ganzen Raum der Außen-
geißel einnehmend,
522
Kurt Marcus,
Ptychogaster investigatoris Alcock.
(Textfig. 5; Taf. XXV, Fig. 4.)
Antennalglieder sehr schlank, das dritte sehr iu die Länge ge-
streckt. Basalglied mit zwei kurzen Stacheln. Außengeißel relativ
plump mit 16 Gliedern. Basalglied haarlos, 2. — 11. mit je zwei, 12.
V.
^
>a-t
Textfig. 4.
Innere Antenne von Uroptyehus gracilimanus.
Textfig. 5.
Antenne von Ptychogaster investigatoris.
bis 16. mit je einer Reihe von Riechhaaren. Gesamtzahl der Haare
etwa 100, Länge 1 mm, Dicke 10 /<. Innengeißel aus vier langen
Gliedern bestehend, mit kurzen Tastborsten. Einzelne Tasthaare auf
der ganzen Antenne verteilt.
Ziemlich viele Spindeln in der Außengeißel, daher Lobus ziemlich
klein. Nerv für die Innengeißel in der Mitte des dritten Gliedes vom
Hauptnerven abzweigend. Terminalnerven sehr kurz.
II. Der Munidatypus.
In der Schilderung dieses und des Petrolisthes-Typns kann ich
mich wesentlich kürzer fassen, da der gesamte nervöse Apparat
demjenigen des Uroptyehus -Typus sehr ähnelt. Eine Komplikation
tritt hier infolge des durch die Lebensweise bedingten höheren
Schutzbedürfnisses des Geruchsorgans ein. Dieses äußert sich sowohl
in der äußeren Gestalt der Antennula, also auch in ihrem inneren
Aufbau.
über Geruchsorgauc bei decupotlen Krebsen usw.
523
k<^.
a. Der äußere Habitus.
Der Munida-Typiis der inneren Antenne unterscheidet sich sofort
vom Uroptychus-Typiis durch die mächtige Ausbildung des Basal-
gliedes. Es ist sehr dick und breit, und stets mit mächtigen Stacheln,
meist zwei an der Zahl, versehen, zwischen die das dritte Glied mit
seinen Geißeln — wenigstens bei den der Gattung Munida nahestehen-
den Formen — eingeklappt werden kann (s. Textfig. 6 — 8). Stets
findet man auf dem Basalglied
auch kleinere oder größere
Gruppen von mehr oder min-
der langen Tasthaaren. Das
zweite Glied ist cylindrisch,
das dritte gegen das distale
Ende hin keulig verdickt. Bei
der Außengeißel sind die proxi-
malen Glieder von relativ
großem Durchmesser und flach,
umgekehrt ist es bei den dista-
len Gliedern, die mehr Stäbchen-
form besitzen. Die Riechhaare
stehen nur auf den scheiben-
förmigen Gliedern, während die
Endglieder meist nur einzelne
Tasthaare tragen. Die Innen-
geißel ist gegenüber der Außen-
geißel kurz und dünn, und spär-
lich mit kurzen Tasthaaren be-
setzt.
Im Vergleich mit dem
Uroptychus-Typns fällt auf, daß
auf dem dritten Antennalglied, rings um die Außengeißel herum, ein
Kranz starrer Borsten steht. Nach Dofleins Vorgang nenne ich diese
Borsten in ihrer Gesamtheit Stachelkörbchen, obgleich dieser Name
nach später noch zu gebenden Ausführungen eigentlich nicht genau ist.
b. Das anatomische Verhalten.
Im ganzen sind die anatomischen Verhältnisse ähnlich wie beim
Uroptychus-Typns. Doch sind alle im Basalglied gelegenen Teile be-
deutend mächtiger entwickelt. So nimmt die Statocyste und die starken,
Textfig. 6.
Antenne von Munida subrugosa cS-
524 Kurt Marcus,
zur Bewegung des zweiten Gliedes dienenden Muskeln den größten
Teil des vergrößerten Basalgliedes ein (s. Taf. XXV, Fig. 5, 10). Auch
die übrigen Muskeln sind wesentlich stärker entwickelt, was mit der
größeren Massigkeit der ganzen Antenne zusammenhängt. Bemerkens-
wert ist eine Chitinplatte, die häufig in das Innere des zweiten Gliedes
vorspringt und meistens dem das dritte Glied bewegenden Muskel als
Ansatzstelle dient.
Der Verlauf des Nerven hat ebenfalls eine gewisse Ähnlichkeit
mit dem von UroftycJius. Meist tritt er gemeinschaftlich mit dem
Statocystennerv in die Antenne ein, durchzieht dann das erste und
zweite Glied, um sich im dritten Glied in drei Aste aufzuspalten : einer
zieht zur Innengeißel, der zweite und mächtigste ist der eigentliche
Geruchsnerv und geht zum Lobus osphradicus, während der dritte
das Stachelkörbchen innerviert. Die histologischen Verhältnisse im
Lobus osphradicus und in den Terminalsträngen, sowie der Bau der
Riechhaare sind selbstverständlich denen bei Uro'ptychus völlig gleich.
Neu tritt hier das Stachelkörbchen hinzu. Doflein (04) gibt für seine
ßrachyuren an, daß deren Borsten solid seien und zum mechanischen
Schutz der Außengeißel und der Riechhaare dienen sollten. Dem-
gegenüber hatten schon Milne-Edwaeds und Bouvier (94) behauptet,
daß bei den Galatheiden diese Borsten hohl seien und von einem Nerven
durchzogen würden. Diese Angaben kann ich durchaus bestätigen.
Der an der Basis des dritten Gliedes abzweigende, für das Stachel-
körbchen bestimmte Nerv fasert sich gegen das Ende des Gliedes hin
aus; jede Fibrille zeigt in ihrem Verlauf eine Sinneszelle und tritt dann
in das zugehörige Tasthaar ein, um es in einem Kanal bis fast zu seiner
Spitze zu durchziehen. Die Haare haben eine enorm dicke Wandung
und zeigen einen central gelegenen, sehr engen Kanal, der eben für die
Nervenfaser ausreicht. Besonders auf Schnitten kann man sich leicht
über das Vorhandensein dieses Kanals täuschen. Oft zeigt sich statt
der einen Sinneszelle unterhalb des Haares eine ganze Gruppe, so daß
man manchmal von richtigen accessorischen Tastspindeln sprechen
kann (s. z. B. Taf. XXV, Fig. 5, 10). In solchem Falle sind in dem
Tasthaarkanal eine der Zahl der in den Spindeln enthaltenen Sinnes-
zellen entsprechende Zahl von Nervenfasern vorhanden. Es ist wohl
klar, daß dieser Vermehrung der Sinneszellen für ein Haar eine Ver-
feinerung der Tastempfindung parallel geht. Diese Tasthaare des
Stachelkörbchens zeigen auch insofern noch etwas Besonderes vor den
übrigen Tasthaaren der inneren Antenne, als sie zweizeilig gefiedert
sind. Ob diese Fiederhärchen dazu dienen, die Tasthaare gegenseitig
über Geruclisorgane bei decapoden Krebspii visw. 525
ZU stützen und so den ganzen Stachelkorb fester und gitterartiger zu
machen, oder aber, ob sie die Haare auch gegen die feinsten Berührungen
möglichst empfindlich machen sollen, lasse ich dahingestellt. Wahr-
scheinlich dienen sie gleichzeitig beiden Zwecken.
Wie ich oben schon sagte, ist es eigentlich ungenau, von einem
»Stachel <<körbchen zu sprechen, da diese Stacheln typische Tastborsten
sind. Ich behalte jedoch den Namen bei, weil er einmal gegeben wurde
und sich kaum ein andrer, passenderer finden läßt.
Über die Bedeutung des Stachelkörbchens gehen die Ansichten weit
auseinander. Während Henderson (88) ihm eine Sinnesfunktion zu-
schreibt, die die Blindheit bei Tiefseeformen ausgleichen soll, gehen
Milne-Edwards und Bouvier (94) etwas weiter, da auch bei gut
sehenden Formen {Munida, PetroUsthes, Galathea usw.) dies Stachel-
körbchen vorhanden ist. Im Grundgedanken stimmen sie mit Hen-
derson überein, denn auch sie betrachten die Stachelkörbchen als
«organes sensoriels accessoires vraisemblablement propres ä explorer
le milieu retire oü ils vivent». Milne-Edwards und Bouvier glauben
also, daß an den inneren Antennen ein besonders differenziertes Sinnes-
organ besteht, das auf aus der Ferne kommende Reize reagieren soll.
Da dies Organ bei den Tiefseegalatheiden entstanden sein soll, muß es
sich einerseits bei diesen vererbt haben, anderseits soll es nach diesen
zwei Autoren — ebenfalls durch Vererbung — auf die Flachwasser-
formen übergegangen sein. Nach ihrer Hypothese muß man also eine
doppelte Wanderung der Galatheiden annehmen: zuerst eine Ein-
wanderung aus der Flachsee in die Tiefsee, wo das «organe sensoriel
accessoire» erworben wurde, später eine teilweise Rückwanderung ins
Flach Wasser, wobei dieses accessorische Sinnesorgan erhalten blieb.
Häufig müssen dann später noch die «soies antennulaires » rudimentär
geworden sein (durch sekundäre Veränderung der Lebensweise?); so
findet man nach Milne-Edwards und Bouvier innerhalb der Gattung
Galathea Formen, die dieses Sinnesorgan besitzen, und andre, die es ent-
behren.
Aus der Darstellung der beiden genannten Autoren geht nicht klar
hervor, ob die Sinnesfunktion den Haaren des Stachelkörbchens oder
denen der Außengeißel zukommt. Da sie die Antenne nur morpho-
logisch untersuchten, ist es auch kaum anzunehmen, daß sie einen
Unterschied zwischen Riech- und Tasthaaren hätten wahrnehmen
können. Sie scheinen aber doch den Sitz dieses Sinnesorgans in die
Borsten des Stachelkörbchens zu verlegen, wenn sie sagen, daß << presque
toujours ornees de barbules laterales, ces soies antennulaires forment
526
Kurt Marciis,
par leur ensemble autour des deux fouets antennulaires une sorte de
capuchon ä claire- voie >>. Daß dieses Organ eine Kappe bilden soll,
bestärkt mich noch in der Auffassung, daß es sich bei dem Stachel-
körbchen nicht um ein besonderes Sinnesorgan, sondern rein um einen
Schutzapparat mit Tastfunktion handelt, der je nach der Lebensweise
entstanden ist, sobald sich — bei Schlammbewohnern usw. — ein
Bedürfnis dafür zeigte.
Im übrigen befinden sich Milne-Edwards und Bouvier im Irr-
tum, wenn sie nur den Galatheiden den Besitz eines solchen Stachel-
körbchens zuschreiben, da inzwischen Doflein es auch vielfach bei
Brachyuren gefunden hat.
Beschreibung des Baues einig-er zum Muuidatypus gehöriger Formen.
Munida suhrugosa White.
(Textfig. 6 u. 7; Tai XXV, Fig. 5 u. 6.)
Männchen und Weibchen lagen zur Untersuchung vor. In der
äußeren Form ähnlich, zeichnet sich bei annähernd gleicher Größe
der untersuchten Tiere die männliche
Antenne gegenüber der weiblichen
durch eine geringe Vergrößerung aus.
Basalglied mächtig ausgebildet, von
rechteckigem Querschnitt (auf den Ab-
bildungen Schmalseite dem Beschauer
zugekehrt). An seinem distalen Ende
Eintiefung als Gelenkpfanne für das
zweite Glied. Auf einer Seite kleiner
Stachel auf Pfannenrand, etwas tiefer
ein zweiter dünner. Auf gleicher Seite
Chitinplatte, distal in einen kurzen
Stachel auslaufend. Auf der andern
Seite der Gelenkpfanne mächtiger
Stachel, speziell beim Männchen sehr
stark ausgebildet. Auf seiner Innenseite
Zacken, durch Höckerchen allmählich
zu glatter Schneide übergehend. Beim
Weibchen Zacken nur sehr schwach her-
vortretend. Höckerchen mit Tasthaaren versehen, ebenso Gelenk-
pfannenrand, die übrigen Stacheln usw. (s. Textfig. 6 u. 7). Zweites
Antennalglied langgestreckt und walzenförmig. Das dritte Glied keulen-
förmig, beim Weibchen plumper als jbeim Männchen. Am Ende ovale Platte,
Textfig. 7.
Antenne von Munida subrugosa £.
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen (ift\\-.
auf welcher Geißeln und Stachelkörbchen stehen. Außengeißel proximal
mit einem sehr großen Glied beginnend, folgende Glieder flach und
scheibenförmig, gegen das Ende langgestreckte, schmale Glieder. Zahl bei
Männchen und Weibchen 19. Basalglied haarlos, 2. — 14. Glied mit Kiech-
haaren von annähernd gleicher Länge. Zahl in beiden Geschlechtern
etwa 100, Dicke 17,5 /<; Länge bei Männchen 1,2 mm, bei Weibchen
0,9 mm. Innengeißel kurz, fünf mit Tasthaaren versehene GHeder.
Um die Innengeißel herum auf Endplattenrand wenige kurze
Borsten, vielleicht als Analogon zum Stachelkörbchen der Außen-
geißel aufzufassen. Dieses auf dem Endplattenrand in etwas über
Halbkreis stehend. Borstenzahl etwa 35. Tasthaare sind kurz, daher
nur ungenügender Schutz; Länge nur 1 mm, Dicke 17 — 18 /.i.
Außengeißel ziemlich groß, so daß Platz für einige Spindeln.
Größerer Teil ziemlich kompakten Lobus bildend. Hauptnerv an
Basis des dritten Gliedes Nerven für Innengeißel abgebend, in der Mitte
dagegen Ast zur Inner-
vierung des Stachel-
körbchens. Jeder zu
der Borste ziehende
Nervenfaden mit kleiner
accessorischer Tastspin-
del aus wenigen Sinnes-
zellen.
|/\
l^ %
l
a
Cervitnunida frin- \}!M \/'
cejis Benedict.
(Textfig, 8; Taf. XXV,
Fig. 7.)
Äußerlich gewisse
Ähnlich keit mit Antenne
von Munida subrugosa,
doch Stachelbildungen
am Basalglied noch be-
deutend mächtiger ent-
wickelt. Der große Sta-
chel von Munida auch
hier mächtig entwickelt,
doch glatt und kegelförmig. Der auf der andern Seite der Gelenkpfanne
gelegene Stachel ähnlich wie bei Munida; der mehr proximale mächtig
ausgewachsen. Zwei kolossale Stachelbildungen, zwischen die drittes
S^
Textfig. 8.
Alltenne von Cervimunida princeps.
528
Kurt Marcus,
Glied mit Geißeln einklappt. Zweites Glied gerade und rund, drittes
proximal schwach gebogen, distal keulig verdickt, so daß ovale End-
platte entsteht. Außengeißel Ähnlichkeit mit der von Munida auf-
weisend. Basalglied mit wenigen Riechhaaren. Ganze Geißel mit
24 Gliedern, letzte acht mit Tast-, alle übrigen mit Riechhaaren. Länge
der Riechhaare durchschnittlich 1,5 mm, Zahl etwa 300, Dicke 24 ii.
Innengeißel relativ lang, aus neun Gliedern bestehend, von denen
erstes und letztes vergrößert; auf allen vereinzelte Tasthaare. Stachel-
korb sehr gut ausgebildet, bestehend aus 25 Haaren von 2,25 mm
Länge und 40 // Dicke.
Bemerkenswert sind zwei kleine Muskeln, einer als Strecker des
dritten Gliedes, einer zur Bewegung der Innengeißel. Nerventeilung
im proximalen Teil des dritten Gliedes. In Außengeißel Platz für
sehr viele Riechspindeln, daher nur sehr kleiner Lobus osphradicus.
Jeder Nerv für eine Stachelkörbchenborste mit nur einer Sinneszelle.
Galathea australiensis Haswcll.
(Textfig. 9; Taf. XXVI. Fig. 1.)
Innere Antenne ganz symmetrisch gebaut, da auf Gelenkpfannen-
rand jederseits ein langer Stachel, zwischen die das dritte Glied ein-
■s geklappt werden kann. Basal- und zweites
Glied schwach mit Tasthaaren besetzt.
Drittes Glied kurz und distal keulig ver-
dickt. Außengeißel zeigt Sonderung in
zwei Abschnitte: sieben kurze, flache
Glieder mit Riechhaaren (abgesehen vom
Basalglied), und sechs langgestreckte,
dünne Glieder mit je einem Tasthaar auf
der Innenseite. Riechhaare auf den
Gliedern in zwei Reihen. Zahl etwa 85
bei 0,95 mm durchschnittlicher Länge und
14 /i Dicke. Differenzen in der Länge der
Riechhaare nur sehr gering. Innengeißel
mit vier ganz dünnen, langen Gliedern.
Stachelkorb wohl entwickelt, Borstenzahl
20 bei 0,95 mm Länge und 16 /« Dicke.
Eine Anzahl Spindeln im proximalen Teil der Außengeißel lagernd,
der Rest einen umfangreichen Lobus osphradicus bildend, den größten
Teil des dritten Antennalgliedes einnehmend. Auch hier Dreiteilung
des Nerven. Zweig für die Innengeißel nur sehr schwach ; auch nervöser
Textfig. 9.
Antenne von Galathea australiensis.
über Geruclisorgane bei decapoden Krol).sen usw.
529
Apparat des Stachelkörbchens schwach entwickelt, da jede Nervenfaser
nur eine Sinneszelle zu passieren hat. ■
Munidofsis {Galathodes) regia.
(Textfig. 10; Taf. XXV. Fig. 10.)
Die von mir untersuchten Arten der Gattung Munidopsis haben
imtereinander im Bau der inneren Antennen eine gewisse Ähnlichkeit,
und unterscheiden sich in mancher Hinsicht von den übrigen, im Bau
mit Munida. übereinstimmenden Formen. Auch hier mächtige Stachel-
bildungen auf dem Basalglied, jedoch sämtlich, auf der gleichen Seite
der Gelenkpfanne. Der innere Stachel
stark entwickelt, der äußere dünner
und säbelartig gekrümmt. Auch der
innere Abschluß der Gelenkpfanne zu
stumpfer Spitze ausgezogen. Sämt-
liche Glieder schwach mit Tasthaaren
besetzt. Das dritte Glied lang, von
regelmäßigem Umriß, sich gegen das
distale Ende allmählich verdickend.
Außengeißel lang. Sonderung in zwei
Abschnitte wie bei Galathea australien-
sis, doch nicht mit gleicher Deutlich-
keit. Die 15 proximalen Glieder sehr
flach und scheibenförmig, alle mit
Ausnahme des vergrößerten Basalglie-
des, in zwei Reihen angeordnete Riech-
haare tragend. Die letzten sieben Glieder langgestreckt und dünn, mit
in Gruppen angeordneten Tasthaaren versehen. Die zwei Formen von
Ghedern der Außengeißel durch allmähliche Übergänge miteinander
verbunden. Riechhaarlänge nicht unbedeutend schwankend, im Durch-
schnitt 1,2 mm bei 17,5 t.i Dicke; ihre Zahl: 180 — 190. Innengeißel be-
stehend aus vier Gliedern mit einigen kurzen Tastborsten. Stachel-
körbchen nicht ganz einen Halbkreis bildend, Haare besonders in der
Mitte sehr lang. Durchschnittslänge etwa 1,3 mm bei 15 a Dicke,
Borstenzahl etwa 35.
Riechspindeln zu kleinem Teil in den Basalgliedern der Außen-
geißel, Hauptmasse einen Lobus osphradicus bildend, der in zwei Lappen
gespalten. Dies Verhalten, sonst bei Galatheiden nicht beobachtet,
von DoFLEiN (04) vielfach für Brachyuren beschrieben. Antennalnerv
in drei Teile spaltend : einer für Stachelkörbchen, dessen Nervenstränge
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 35
Textfig. 10.
Antenne von Munidopsis regia.
530
Kurt Marcus,
^S^
f
vor dem Eintritt in ihr Haar relativ große accessorische Tastspindeln
tragen; mittlerer Teil für einen Lappen des Lobus, dritter Ast für andern
Lappen und Innengeißel.
Munidofsis (Galathodes) tridentata Esmarch.
(Textfig. 11; Taf. XXVI, Fig. 2.)
[Die untersuchten Exemplare stammen aus dem Indischen Ozean
und weichen in Kleinigkeiten von der atlantischen Form ab.]
Basalglied der Antenne relativ klein im Verhältnis zu den End-
gliedern. Auch hier zwei Stacheln in ähnlicher Ausbildung wie bei
Munidopsis regia, doch fehlt der ausgezogene Gelenkpfannenrand.
^ Zweites Glied gebogen, drittes gerade,
plump und keulig zulaufend. Auf
allen Gliedern mehr oder minder
starker Tasthaarbesatz. Auch hier
Sonderung der Außengeißel in zwei
Abschnitte: acht proximale scheiben-
förmige Glieder mit Riechhaaren und
sieben stäbchenförmige Glieder mit
Tasthaaren. Zahl der Riechhaare
etwa 125 bei 0,8 mm Länge und 10 /t
Durchmesser. Innengeißel aus vier
kurzen Gliedern mit wenigen Tast-
haaren bestehend. Zahl der Borsten
im Stachelkörbchen 30, bei 0,8 mm
Durchschnittslänge und 16 ,« Durch-
messer.
Die Riechspindeln bilden einen
großen Lobus, der den größten Teil
des dritten Gliedes einnimmt. Eine
kompakte Masse bildend, zeigt er proximal einen anschließenden Fort-
satz von Spindeln. Gleiche Dreiteilung des Nerven, wie schon öfter
beschrieben. Nerv für die Innengeißel sehr schwach, stark dagegen
der für den Stachelkorb, dessen einzelne Nervenstränge accessorische
Spindeln zu passieren haben.
Munidopsis (Galathodes) stylirostris Wood-Mason.
(Textfig. 12 u. 13; Taf. XXV, Fig. 8 u. 9.)
Stachelbildungen am Basalglied in beiden Geschlechtern bedeutend
schwächer als bei Munidopsis regia, obwohl in gleicher Lagerung auf
^
Textfig. 11.
Antenne von Munidopsis tridentata.
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw.
531
Gelenkpfannenrand. Das dritte Glied plump und stark keulig ange-
scli wollen. Nur Gelenkpfannenrand stark mit Tasthaareüi besetzt.
Die Antenne des Männchens im ganzen der des Weibchens um ein
geringes an Größe überlegen. Bei diesem nicht so scharf wie beim
Männchen Sonderung der Außengeißel in zwei Abschnitte: neun
-^^|c:^äto
Textfig. 12. Textfig. 13.
Antenne von Munidopsis siylvrostris Q. Endglied mit Geißeln der Antenne von
Munidopsis stüirostris (5
flache Glieder mit Riechhaaren in unregelmäßiger Anordnung, und acht
stäbchenförmige, zum Teil sehr lange Glieder. Beim Männchen sind
die entsprechenden Zahlen 10 und 9. Beim Weibchen alle Riechhaare
etwa von gleicher Länge, beim Männchen dieselbe bis zum sechsten
Glied zu-, dann sehr rasch abnehmend. Zahl der Riechhaare beim Männ-
chen etwa 130, Weibchen etwa 115, ihre Länge 0,95 bzw. 1 mm, die
Dicke bei beiden 16 //. Innengeißel aus vier kurzen Gliedern mit
spärlichen Tasthaaren bestehend. Stachelkörbchen gut ausgebildet,
Borstenzahl in beiden Geschlechtern gleich, etwa 30, die Durchschnitts-
länge 1,8 mm, die Dicke beim Männchen etwas größer als beim Weib-
chen, dort 19 /<, hier 17,5 /<.
Der Lobus erscheint sehr kompakt; die Außengeißel enthält nur
Terminalnerven. Auch hier die bekannte Dreiteilung des Nerven. Die
Nervenstränge des Stachelkörbchens mit accessorischen Tastspindeln
versehen.
35*
532
Kurt Marcus,
III. Der Petrolisthestypus.
a. Der Habitus.
Das Basalglied der inneren xVntenne hat hier eine ganz enorme
Größe, so daß das zweite und dritte Glied mit den Geißeln als bloße An-
hängsel erscheinen (siehe Textfig. 14). Von seiner Breitseite betrachet,
ist das erste Glied etwa rechteckig, wäh-
rend es von der Schmalseite gar nicht A^WJeTNi^ \\\
sonderlich groß aussieht. Es trägt nur \\^^^'\\i\'
kleine Zacken und wenige Tasthaare. Auf
Textfig. 14.
Innere Antenne von PetroHsthes Lamarcki
/, Furche für die Endglieder.
Textfig. 15.
Antenne von Petrolütlies Lamarcki.
der Außenseite ist häufig eine Furche zu erkennen, in die die beiden
äußeren Glieder mit den Geißeln geborgen werden können (s. Textfig. 14 /).
Interessant ist bei diesen Formen die Gestaltung
des dritten Gliedes mit den Geißeln (s. Textfig. 15). Es
ist kurz, dick und läuft keulenförmig zu; auch die
Außengeißel ist häufig sehr plump. Die Riechhaare
zeigen die gewöhnliche Anordnung, und auch ein
Stachelkörbchen ist wie bei der Munida ähnlichen For-
men vorhanden ; nur zeigt dieser manchmal die Beson-
derheit, daß er nicht einheitlich, sondern in mehrere
Portionen geteilt ist, die durch borstenlose Stellen
voneinander getrennt sind (s. Textfig. 15).
Das Basalglied der Innengeißel ist häufig bedeu-
tend vergrößert und verdickt, und trägt auf der der
Außengeißel zugewandten Seite zwei oder mehr Längs-
reihen von Haaren (s. Textfig. 16). Diese bilden zu
beiden Seiten der Außengeißel und der Riechhaare
Textfig. 16.
Endplatte des dritten
Gliedes der Antenne
von PetroHsthes sp. a,
Ausatzstelle d. Außen-
seißel ; b, Basalglied der
Innengeißel mit den
Tastborsten (z. T. nur
ihre Insertion ange-
deutet).
über Geruclisoi'gane l)ei dcca|)(Kieii Krebsen usw. 533
eine Art schützendes Gitter (s. Textfit;-. 15, 17). Oft hat dann anch
diese Innengeißel ein Stachelkörbchen, das sogar mit dem der Außen-
geißel verschmelzen kann, so daß dann das dritte Antennalglied einen
vollen Kreis von Haaren trägt.
b. Die anatomischen Verhältnisse.
Trotz seiner relativen Größe wird auch hier das Basalglied der
Antenne im wesentlichen von der Statocyste und den Muskeln aus-
gefüllt. Der Lobus osphradicus ist meist groß und nimmt oft den
größten Teil des dritten Gliedes ein. Manchmal, wenn sie sehr plump
ist, bietet jedoch auch die Außen geißel Platz genug, um einen Teil
der Spindeln aufzunehmen. Auch bei Petrolisthes findet sich die schon
vom Munida-Typwfi her bekannte Dreiteilung des Nerven im basalen
Teil des dritten Gliedes. Der von der Teilungsstelle zur Innengeißel
ziehende Nerv ist meist ziemlich stark, da er außer den oft sehr zahl-
reichen Haaren auf dem Basalglied der Innengeißel auch noch den
Stachelkorb derselben zu versorgen hat. Jeder Nervenstrang trägt
vor seinem Eintritt in das Haar (und zwar gilt das sowohl für die
Haare des Stachelkörbchens, als auch für die auf dem Basalglied der
Geißel) eine kleinere oder größere accessorische Spindel von Sinnes-
zellen (s. Taf. XXV, Fig. 11). Der mittlere, stärkste Nervenast inner-
viert, wie auch sonst, den Lobus osphradicus, und der dritte Ast
wiederum das Stachelkörbchen der Außengeißel, dessen Nervenstränge
auch hier je eine accessorische Spindel zu passieren haben. In ihrem
Bau gleichen die Borsten der Stachelkörbchen und die Haare auf dem
Basalglied der Innengeißel einander völlig, so daß an ihrer Tastfunktion
nicht zu zweifeln ist. Hervorzuheben ist, daß sämtliche Tastborsten,
im Gegensatz zu denen des Munida-Typus, ohne Fiederhärchen sind.
Beschreibung des Baues einiger zum Petrolisthestypus
gehöriger Formen.
Petrolisthes Lamarcki Leach.
(Textfig. 15; Taf. XXVI, Fig. 3.)
Basalglied der Antenne sehr mächtig entwickelt (s. Textfig. 14),
hat ovalen Querschnitt und zeigt eine Reihe von Vertiefungen, Rippen
und Linien im Chitin. Wichtig ist nur eine Vertiefung zur Aufnahme
der Endglieder der Antenne. Auf dem distalen Kamm des ersten Gliedes
Höckerchen und Zacken, doch für den Schutz des Geruchsapparates
ohne Bedeutung. Von der Schmalseite erscheint das Basalglied
klein. Das dritte Glied kurz und stark keulig zulaufend. Die
534 Kurt Marcus,
14 Glieder der Außengeißel einen allmählichen Übergang von flach-
scheibenförmiger Gestalt zu Stäbchenform. Zweites bis zehntes
Glied mit Riechhaaren, deren Zahl 80 — 90 bei durchschnittlich
0,75 mm Länge und 12 — 13 u Dicke. Bei Innengeißel Basalglied enorm
verdickt und verlängert, außerdem noch fünf kleine Glieder. Basal-
glied mit Tasthaaren, anscheinend in sechs Längsreihen angeordnet.
Die Haare von drei Reihen schließen die Außengeißel auf der einen,
die der übrigen drei auf der andern Seite ein (hierzu auch der Grundriß
für Petrolisthes sp. in Textfig. 16). Die Zahl dieser Haare etwa 40 bei
0,8 mm Länge und 8 /t Dicke. Die kleinen Glieder der Lmengeißel
mit wenigen kurzen Tasthärchen. Um die Außengeißel Stachelkörb-
chen, in drei Teile geteilt (s. Textfig. 15). Borstenzahl etwa 40 — 45,
bei 0,8 mm Länge und 5 i^i Dicke. Ebenso Stachelkörbchen um Innen-
geißel mit etwa 60 außerordentlich dünnen (2 ^tt), im Durchschnitt
0,5 mm langen Haaren. Sämtliche Tasthaare ungefiedert.
Lobus osphradicus sehr groß, fast den ganzen Raum des dritten
Gliedes ausfüllend. Bei der Dreiteilung ein Ast, accessorische Spindeln
bildend, zum Stachelkörbchen der Außengeißel, der mittlere zum
Lobus, der dritte, relativ stark, zum Stachelkörbchen der Innengeißel
und zu den Haaren auf dem Basalglied derselben; für beide werden
accessorische Tastspindeln gebildet.
Petrolisthes sp.
(Textfig. 17; Tal. XXV, Fig. 11.)
Die Antenne dieser noch unbestimmten Form hat gewisse Ähn-
lichkeit mit der von Petrolisthes Lamarcki, so in der Form des Basal-
giiedes usw. Außengeißel außerordentlich dick und plump, mit 18
scheibenförmigen Gliedern, von denen die letzten sechs ohne Riechhaare.
Diese auf den Gliedern in unregelmäßigen Gruppen angeordnet. Riech-
haarzahl etwa 175, Länge fast 1 mm, Dicke 12 /<. Basalglied der Innen-
geißel ebenfalls stark vergrößert, zeigt zehn Reihen von Tasthaaren
(s. Textfig. 16). Ihre Zahl etwa 80, Länge 1,5 mm, Dicke 8//. Außer-
dem noch sechs kurze Glieder zur Innengeißel gehörend. Stachel-
körbchen der Außengeißel in mehreren Reihen angeordnet, Zahl der
Borsten etwa 50, bei 0,9 mm Länge und 8 /i Dicke. Sehr nahe an ihn
das Stachelkörbchen der Innengeißel anschließend, dessen Haare be-
deutend kürzer, 0,2 mm Länge bei 8 u Dicke; ihre Zahl etwa 30. Bei
einzelnen Exemplaren Verschmelzung beider Stachelkörbchen zu vollem
Haarkranz.
Wegen Größe und Plumpheit der Außengeißel in ihr Platz für
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw.
535
viele Spindeln, der Rest einen ziemlich ansehnlichen Lobus osphradicus
bildend. Der nervöse Apparat mit dem von Petrolisthes Lamarcki
übereinstimmend, um die Spindeln der Tasthaare auf dem Basalglied
der Innengeißel einen eignen kleinen Lobus bildend, der noch ein Stück
in das dritte Glied der Antenne hinein ragt.
Petrolisthes sp.
(Textfig. 18; Taf. XXVI, Fig. 4.)
Eine noch unbestimmte Form. Basalglied der Antenne mit mehr
rechteckigem Durchschnitt, am distalen Ende mit einem kurzen Stachel
versehen. Außerdem eine runde, muldenförmige Vertiefung auffallend.
Zweites und drittes Glied ziemlich kurz, Außengeißel lang und schlank,
bestehend aus 15 Gliedern, von
denen das zweite bis elfte mit
Riechhaaren versehen. Ihre Zahl ist
etwa 160 bei einer Durchschnitts-
länge von 0,75 mm und 8 // Dicke.
Innengeißel mit fünf Gliedern, von
denen das Basalglied bedeutend
:^f
Textfig. 17.
Antenne von Petrolisthes sp.
Textfig. 18.
Antenne von Petrolisthes sp.
in die Länge gestreckt und mit zwei Längsreihen von langen Tast-
haaren versehen. Ihre Zahl 22 bei 8 /t Dicke und 0,65 mm Länge.
Die Stachelkörbchen sehr schwach entwickelt, nur um die Außengeißel
16 Haare von 0,4 mm Länge und 6,5 fi Dicke, um die Innengeißel nur
ein paar ganz kurze Härchen.
Riechspindeln zum kleinsten Teil in Außengeißel, der Rest einen
großen, fast das ganze dritte Glied einnehmenden Lobus osphradicus
bildend. Wegen schlechter Konservierung ist nicht zu entscheiden,
536 Kurt Marcus,
ob die Stachelkorbnerven accessorische Spindehi tragen. Doch ist
dies sicher für die Haare auf dem Basalghed der Innengeißel, also auch
für jene wahrscheinlich.
Wechselbeziehungen zwischen der anatomischen Beschaffenheil
des Geruchsorgans und der Lebensweise.
Überblickt man die in den vorhergehenden Kapiteln niederge-
legten anatomischen Befunde über den Bau des Geruchsorgans, so
läßt sich ohne Schwierigkeit eine Keihe verfolgen, die mit den sich
an Uroftychus anschließenden Formen beginnt und über die Munida-
ähnlichen Galatheiden und die Arten der Gattung Munidopsis zu den
Petrolisthes- Arten führt.
Nach dem, was man bisher über Sinnesorgane weiß, geht mit der
Höherentwicklung eines solchen eine anatomische Differenzierung Hand
in Hand. Da uns leider erst sehr wenige experimentelle Untersuchungen
über das Geruchsvermögen vorliegen, erscheint es gerechtfertigt, auf
Grund anatomischer und histologischer Befunde sich ein Urteil über
die Höhe in der Entwicklung eines Geruchsorgans zu bilden. Man
darf dabei jedoch nicht aus dem Auge lassen, daß das nur ein Not-
behelf ist, so lange uns nicht genaue physiologische Experimente über
das Geruchsvermögen aufgeklärt haben. Die Schlüsse, die man aus den
Befunden über die Organisationshöhe des Geruchsorgans ziehen kann,
erlauben es uns, die untersuchten Formen in eine Reihe einzuordnen.
Ferner liefern uns unsre Kenntnisse über die Biologie dieser Formen,
so spärlich sie bis jetzt auch leider noch sind, Material zur Aufstellung
einer zweiten Reihe. Ein Vergleich dieser zwei Reihen untereinander
wird uns zu gewissen Schlüssen über das Geruchsvermögen berechtigen.
Zur Verwertung anatomischer Befunde zur Beurteilung des Ge-
ruchsorgans, wie es in der ersten Reihe geschehen soll, bedarf es der
Klarheit über die Art und Weise der Geruchsperception. Dazu muß
ich an das anknüpfen, was ich über die Geruchshaare gesagt habe.
Ich betonte ausdrücklich, daß die Riechhaare an ihrem Ende geschlossen
sind, so daß keine direkte Berührung der riechenden Substanz mit den
Nervenenden möglich ist. Auch läßt sich nicht nachweisen, daß die
Nervenendigungen des Terminalstranges an das Chitin heran, oder
durch dasselbe hindurchtreten. Es bleibt also nichts übrig, als mit
KoTTE (02) anzunehmen, daß eine Diffusion der riechenden Substanz
durch die Chitinlamelle hindurch ins Innere des Haares hinein statt-
findet, wo dann die Reizung der Nervenenden erfolgt.
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw. 537
Gilt es nunmehr zu untersuchen, welcher Faktor für eine Er-
höhung des Geruchsvermögens von Bedeutung ist, so hat ein Versuch
große Wichtigkeit, den Nagel (94) mit Asellus aquaticus und Asellus
cavaticus vornahm. Dieser blinde Höhlenbewohner erwies sich bei
einer großen Anzahl von mit verschiedenen Substanzen vorgenommenen
Versuchen als bedeutend besser riechend als die gewöhnliche Wasser-
assel. Bei der näheren Untersuchung der Geruchsorgane dieser Tiere
stellte sich heraus, daß die an den inneren Antennen sich befindenden
Riechschläuche von Asellus cavaticAis bedeutend größer waren als bei
Asellus aquaticus. Es geht daraus hervor, daß mit der höheren Aus-
bildung des Geruchsorgans eine Vergrößerung der percipierenden
Oberfläche Hand in Hand geht. Leider hat Nagel nicht die genaueren
anatomischen Verhältnisse der inneren Antenne beider Arten unter-
sucht, und mir war es leider nicht möglich, eine Nachprüfung vor-
zunehmen. Trotzdem lassen Nagels Befunde einige Schlüsse zu. Der
Satz, daß die Größe der percipierenden Oberfläche für das Geruchs-
vermögen von ausschlaggebender Bedeutung ist, läßt sich wohl mit
vollem Recht auch auf die von mir untersuchten Galatheiden übertragen.
Es wird deshalb von Wichtigkeit sein, die gesamte percipierende Ober-
fläche des Geruchsorgans bei den einzelnen Formen zu ermitteln.
Dazu muß man die Zahl der Riechhaare und ihre Dimensionen berück-
sichtigen. Ich betrachte jedes Haar als Cylinder, und berechne die
Gesamtoberfläche nach der Formel:
7t • d -l ■ z,
wo d der Durchmesser, l die Durchschnittslänge der Haare und z ihre
Zahl ist.
Ferner ist sicher, daß die Größe des Tieres von gewissem Einfluß
auf die Ausbildung des Geruchsorgans ist. Ein größeres Tier wird
eine größere percipierende Oberfläche haben als ein kleineres. Wie
aber diese verschiedene Größe in Rechnung zu setzen ist, ist außer-
ordentlich schwer abzuschätzen. Ich setze die ganze Masse des Tieres
in Rechnung und erhalte dann als Geruchsquotient die gesamte per-
cipierende Geruchsoberfläche dividiert durch die Größe des Tieres. Auf
diese Weise sind die in beigegebener Tabelle (S. 538) enthaltenen W^erte
für den Geruchsquotienten entstanden. Ich muß ausdrücklich hervor-
heben, daß dieselben sehr ungenau sein müssen und nur annähernd
ein richtiges Bild geben können, da sow^ohl die Berechnung der Haar-
oberfläche aus den einzelnen Faktoren, als auch die Feststellung der
538
Kurt Marcus,
Art
Riechhaar-
länge
Riechhaar-
dicke
Riechhaar-
zahl
Gesamt-
oberfläche
der
Riechhaare
Gewicht
in g
Geruchs-
ctuotient
Uroptychus nitidus .
Uroptychus gracili-
inanus
Ptychogaster investi-
gatoris
Galathea australien-
sis
1,5 mm
2 mm
1 mm
0,95 mm
16 ,a
19 ^i
10 ,u
14 ^
60
100
100
85
4,52
11,94
3,14
1,67
1,25
0,385
0,30
0,23
3,58
21,25
10,53
7,27
Mtmida subrugosa (5
Munida subrugosaQ
Cervimunida prin-
ceps
1.2 mm
0,9 mm
1,5 mm
17,5,M
17,5 ,w
24 ^
100
100
300
6,60
4,95
33,93
9,05
7,15
58,5
0,73
0,69
0,58
Munidopsis regia .
Munidopsis triden-
tata
Munidopsis styliros-
tris (5
Munidopsis styliros-
trisQ
1,2 mm
0,8 mm
0,95 mm
1 mm
17,5,M
10 /LI
16 /i
16 fi
185
125
130
115
13,29
4,02
7,04
6,95
4,55
0,75
1,25
2,20
2,95
5,56
5,56
3,28
PetrolisthesLamarcki
Petrolisthes sp. . . .
Petrolisthes sp. . . .
0,75 mm
1 mm
0,75 mm
12,5/u
12 /u
8 fi
85
175
160
2,61
6,59
2,17
1,77
2.92
0,71
1,48
2,26
3,04
Größe — durch Wägung der Spiritusexemplare in Luft — unvermeid-
lichen Fehlern unterworfen ist.
Percipierende Oberfläche und Größe des Tieres sind aber nicht
die einzigen Faktoren, die von Einfluß auf die Ausbildung des Geruchs-
organs sind; selbstverständlich spielt auch die Zahl der Nervenendi-
gungen in einem Haar eine große Rolle. Denn je mehr Nervenendi-
gungen vorhanden sind, um so feiner ist der Geruch. Eine Voraus-
setzung ist dabei aber unumgänglich notwendig, die der gleichen Qualität
sämtlicher im Haar endigender Nervenfasern. Ohne dieselbe wäre
dieser Teil der Untersuchung völlig zwecklos. Die Zahl derselben muß
nach dem, was im allgemeinen Teil darüber gesagt wurde, genau mit
der Zahl der in einer Eiechspindel enthaltenen Sinneszellen überein-
stimmen, so daß man diese nur zu zählen braucht. Leider ist das mit
großen Schwierigkeiten verbunden, da häufig die Spindeln im Lobus
so eng aneinander gedrängt liegen, daß die Grenzen zwischen ihnen
unerkennbar sind. x4nderseits liegt jede Spindel auch in einer größeren
Anzahl von Schnitten, in denen sie schwierig zu identifizieren ist, J^s
über Geruclisorgcane bei dccapüden Krebsen usw. 539
ist mir deshalb auch nur in relativ wenigen Fällen möglich gewesen,
die Zahl der Nervenendigungen festzustellen.
Ich greife nur wenige Formen heraus. 1) Uroptychus gracilimanus
ist ein Tier, welches nach an andrer Stelle zu gebenden Ausführungen
aller Wahrscheinlichkeit nach gut riecht; seine Riechhaare sind von
sehr großen Dimensionen: 2 mm lang, 19/^ dick. Dabei beträgt die
Zahl der Spindelzellen etwa 350. 2) Ptychogaster investigatoris riecht
wahrscheinlich ebenfalls sehr gut; die Riechhaare sind klein: 1 mm
lang, 10 ti dick. Die Zahl der Sinneszellen ist etwa 250. 3) Munida
subrugosa riecht schlecht; ihre Riechhaare sind 1,2 mm lang und 17,5 fi
dick, also relativ groß; die Zahl der Sinneszellen ist etwa 275. 4) Pe-
troUsthes Lamarcki riecht relativ schlecht; die Riechhaardimensionen
sind gering: Länge 0,75 mm, Dicke 13 ii; die Zahl der Sinneszellen
ist etwa 200. Man findet also die meisten Nervenendigungen für ein
Haar bei gut riechenden Tieren mit großen Haaren {Uroptychus gracili-
manus); eine mittlere Zahl einerseits bei gut riechenden Tieren mit
kleinen Haaren {Ptychogaster investigatoris) und anderseits bei schlecht-
riechenden Tieren mit großen Haaren {Munida subrugosa) ; endlich eine
geringe Zahl bei schlechtriechenden Tieren mit kleinen Haaren {Petro-
listhes Lamarcki). Bei zwei Tieren mit gleichem Geruchsvermögen
muß das eine mit längeren, dickeren Riechhaaren in denselben mehr
Nervenendigungen haben, als das andre mit Riechhaaren von kleineren
Dimensionen. Haben anderseits zwei Tiere gleichgroße Riechhaare,
so muß das besser riechende in ihnen mehr Nervenenden besitzen als
ein schlechtriechendes. Es zieht also eine Vergrößerung der Geruchs-
oberfläche mit Notwendigkeit eine Vermehrung der Nervenenden nach
sich, soweit nach den Befunden ein Urteil darüber überhaupt möglich
ist. Da beide Faktoren stets gleichzeitig und im gleichen Sinne das
Geruchsvermögen beeinflussen, genügt es für die Betrachtung der Orga-
nisationshöhe desselben nur einen heranzuziehen, wozu ich die perci-
pierende Oberfläche gewählt habe, da die Zahlen für sie genauer und
vollständiger sind.
Nach der Tabelle lassen sich leicht vier Gruppen trennen: die erste
mit dem größten Geruchsquotienten umfaßt die sich an Uroptychus
anschließenden Formen und Galathea australiensis, die man eigentlich
in der Gruppe der Munida-ähnlichen Formen erwarten sollte. Die
dritte hat einen mittleren Geruchsquotienten; sie umfaßt die Arten
der Gattung Munidopsis. Bei der vierten ist er schon recht klein:
der Gattung Petrolisthes. Am kleinsten ist er bei der an zweite Stelle
gestellten Munida und Cervimunida,
540 Kurt Marcus,
Ehe ich auf dies Ergebnis Aveiter eingehen kann, muß ich mich
noch der zweiten Keihe zuwenden, in der versucht werden soll, aus
biologischen Befunden einen Rückschluß auf die Höhe der Ausbildung
des Geruchsorgans zu machen.
Die erste Gruppe umfaßt Uroptychus gracilimanus, Uroptychus
nitidus, Ptychogaster investigatoris und Galathea australiensis . Abge-
sehen von dieser Form, zeichnet sich die Gruppe in ihrem Bau vor
allem durch die enorme Entwicklung der Scheren aus, gegen die die
Masse des Körpers ganz zurücktritt. Sie leben kletternd auf Gorgo-
niden- und Pennatulidenrasen und wohl auch auf andern sessilen Tier-
formen am Grunde des Meeres. Das Vorkommen dieser Galatheiden-
gruppe der Tiefe nach schwankt zwischen 300 und 800 m, also Tiefen,
in die das Tageslicht nur mehr unvollkommen eindringt. Bekanntlich
stößt man bei allen Tieren im Meer mit zunehmender Tiefe einerseits
auf solche, die, um aus den geringen noch vorhandenen Lichtmengen
Nutzen zu ziehen, ihre Augen excessiv vergrößern; andre lassen sie
dagegen in gleicher Tiefe verkümmern. Bei den Uroptychus-¥orm.en
erblicken wir den Beginn des Rudimentärwerdens. Die Augen sind
wahrscheinlich nicht in dem Maße funktionsfähig, wie ein normales
Crustaceenauge, da meist Pigmentmangel vorliegt. Das Auge hat nicht
die bekannte samtschwarze Farbe, sondern zeigt ein lichtes Braun
oder Gelb. Es sind sogenannte Dämmerungsaugen.
Da das Auge nicht leisten kann, was ein normales Auge zu leisten
vermag, muß man eine höhere Ausbildung der übrigen Sinnesorgane
erwarten. Die lebhafte Bewegung dieser Tiere in einer Umgebung, zu
der das Wasser freien Zutritt hat, wird speziell die höhere Ausbildung
des Geruchsorgans begünstigen. Daß es sich um sehr gut ange-
paßte Formen handelt, geht daraus hervor, daß sie meist in großen
Mengen gefangen werden.
Eine Ausnahmestellung nimmt Galathea australiensis ein. Die
Gattung Galathea gleicht in ihrem Habitus sehr den nachher zu be-
sprechenden Munida-ähnlichen Formen, und ihre Arten führen sämt-
lich die gleiche Lebensweise, unter Steinen, auf Spongien usw., oder
auch im Schlamm eingewühlt. Von den genauer bekannten Formen
macht einzig und allein Galathea australiensis eine Ausnahme, indem
sie in ihrer Lebensweise fast genau mit Uroptychus übereinstimmt.
Infolgedessen mußte in diesem Falle auch das Geruchsorgan sich dieser
veränderten Lebensweise anpassen.
Die Gattungen Munida und Cervimunida, die die zweite Gruppe
bilden, haben einen plumpen Körper, aber gut entwickelte Scheren.
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw. 541
Sie leben auf felsigem Boden, unter Steinen usw. Ihr Vorkommen
reicht von der Küste bis in Tiefen von ein paar hundert Metern. Die
Augen von Munida suhrugosa aus 10 m Tiefe sind normal, diejenigen
von Cervimunida pri7iceps aus 200 m dagegen bedeutend vergrößert.
Das gleiche weiß man von einer Reihe andrer hierher gehöriger Formen.
So zeigt nach einer mündlichen Mitteilung Herrn Prof. Dofleins die
mit vergrößerten Augen versehene Muyiida hamjfica ein außerordent-
lich feines Lichtreaktionsvermögen. Das weist darauf hin, daß diese
Tiere zur Orientierung im wesentlichen den Gesichtssinn benutzen.
Man muß demnach ein nicht sehr stark entwickeltes Geruchsorgan
erwarten. Daß es trotzdem von relativ hoher Bedeutung für das Tier
sein muß, geht daraus hervor, daß es durch das Stachelkörbchen und
die Stacheln am BasalgHed. der Antenne geschützt ist. Es ist klar,
daß bei solchen Formen, die unter Steinen leben und auf dem felsigen
Meeresgrunde herumkriechen, die Gefahr, daß die überaus zarten
Riechhaare verletzt werden, ungleich größer ist, als bei den üroftychus-
artigen Formen. So hat hier das Schutzbedürfnis dahin gewirkt, daß
ein Schutzapparat entstanden ist.
Kommen wir nunmehr zu der dritten Gruppe, den Arten der
Gattung Munidopsis, so finden wir plumpe Körper mit relativ schwa-
chen Beinen und Scheren, verglichen mit denen von TJroptychus. Die
Tiere führen ein fast sessiles Leben, im Schlamm eingewühlt. Da auch
sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach von dem sogenannten organischen
Regen nähren, d. h. Resten von in höheren »Wasserschichten abge-
storbenen Lebewesen, kann man sie in ihrer Ernährungsbiologie ent-
fernt mit festgewachsenen Tieren vergleichen. Die von mir unter-
suchten Vertreter der Gattung Munidopsis stammen aus 600 bis
1840 m Tiefe. Sie zeigen völlig pigmentlose Augen, die zum Teil sogar
rudimentär sind, woraus man wohl den Schluß auf totale Blindheit
oder wenigstens sehr geringes Lichtwahrnehmungsvermögen ziehen
darf. Sollte man einerseits bei einer blinden Form ein höheres Ge-
ruchsvermögen zu finden erwarten, als z. B. bei den Uroptychus-FoTmen,
so kann man anderseits nicht verkennen, daß die träge Lebensweise
der Verbesserung des Geruchsorgans entgegenarbeitet. Man darf also
nicht darauf rechnen, ein besonders hoch entwickeltes Geruchsorgan
zu finden. Eine große Rolle wird dagegen der Geruch bei diesen blinden
Formen im. Geschlechtsleben spielen, denn er allein läßt die Geschlechter
sich finden. So wird man eine Differenz im Geruchsvermögen zwischen
Männchen und Weibchen erwarten dürfen, während das bei gut sehen-
den Formen, wie Munida nicht der Fall zu sein braucht.
542 Kurt Marcus,
Was endlich die letzte Gruppe der zur Gattung Petrolisthes gehörigen
Arten anbetrifft, so zeigen sie in ihrem Habitus bedeutende Abwei-
chungen von den übrigen Galatheiden, und nähern sich viel mehr den
Brachyuren. Der Körper ist breit und flach, der Schwanz ist vSchwach
entwickelt und wird unter dem Kumpf eingeschlagen getragen. Da
diese Krebse nahe der Oberfläche leben, haben ihre Augen normale
Ausbildung. Infolgedessen wird man auch ein mittleres Geruchsver-
mögen erwarten können. Die Tiere kommen meist in Riffgegenden
vor, wo sie manchmal sich im Kalksand und unter den von der Bran-
dung abgebrochenen Korallenstücken einwühlen, manchmal auch in
den Löchern der Korallenfelsen leben. Bei solcher Lebensweise, und
da sie außerdem noch häufig starkem Wellenschlag ausgesetzt sind,
ist die Gefahr der Verletzung der Riechhaare außerordentlich groß;
daher ist es zu erklären, daß die Schutzhaare eine so enorm starke
Entwicklung aufweisen, wie im speziellen Teil geschildert wurde.
Überblickt man die zwei Reihen, deren eine die aus den anato-
mischen Befunden auf das Geruchsorgan gezogenen Schlüsse enthält,
während wir bei der andern von der Biologie ausgingen, so findet man
Zug für Zug eine große Übereinstimmung.
Bei den Uroptychus-ähnlichen Formen ist im allgemeinen der Ge-
ruchsquotient sehr hoch, was mit der guten Ausbildung des Geruchs-
organs nach der Lebensweise dieser Formen übereinstimmt. In
beiden Reihen mußte Galathea australiensis zu dieser Gruppe gestellt
werden. .
Bei der zweiten Gruppe — Munida und Cervimunida umfassend
— zeigt der kleine Geruchsquotient tatsächlich die geringe Höhe in
der Organisation des Geruchsorgans an, wie sie nach den biologischen
Befunden zu erwarten war.
Auch in der dritten Gruppe ist die Übereinstimmung eine vor-
zügliche. Als Ersatz für den Verlust des Auges zeigt das Geruchs-
organ eine relativ hohe Stufe der Ausbildung, doch wäre sie noch höher,
wenn nicht die träge Lebensweise dem entgegenwirkte. Der Geruchs-
quotient läßt einen deutlichen Unterschied im Geruchsvermögen zwi-
schen Männchen und Weibchen erkennen, was z. B. bei Munida sub-
rugosa nicht der Fall ist.
Auch die letzte Gruppe der Petrolisthes- Arten zeigt tatsächlich
nach Angabe des Geruchsquotienten die nach den biologischen Be-
funden zu fordernde mittlere Ausbildung.
Diese vorzügliche Übereinstimmung zwischen den biologischen
Verhältnissen und den aus den anatomischen und histologischen
über Geruchsorgane bei decapoden Krebsen usw. 543
Befunden gezogenen Schlüssen, rechtfertigen diese und geben ihnen
einen hohen Grad von WahrscheinUchkeit.
Zum Schhiß fasse ich kurz die Ergebnisse meiner Untersuchung
zusammen :
Kann ein in der Tiefsee lebendes Tier die ihm zu Gebote stehende
geringe Lichtmenge nicht ausnutzen, und degeneriert das Auge infolge-
dessen, so tritt als Ersatz dafür das Geruchsorgan ein und erfährt dann
eine um so höhere Ausbildung.
Es läßt sich jedoch nachweisen, daß auch bei nicht ständig im
Dunkeln lebenden Formen besondere Lebensgewohnheiten ebenfalls
eine erhöhte Ausbildung des Geruchsorgans bedingen können.
Ln Falle besondere biologische Bedingungen eine große mecha-
nische Gefährdung des Geruchsorgans veranlassen, wird ein mehr oder
minder komplizierter Schutzapparat ausgebildet.
Nach Abschluß vorliegender Arbeit wurde ich durch eine Mitteilung
Kapterews (Biol. Centralblatt 1910, Bd. XXX, Nr. 7) auf eine Arbeit
von A. ViRE, La faune souterraine de France, Paris 1900, aufmerksam
gemacht. Leider war mir das Buch nicht zugänglich, so daß ich auf die
knappe Angabe Kapterews angewiesen bin. Vire hat Asellus aqua-
ticus 15 Monate lang im Dunkeln gehalten und fand, daß nach Ab-
lauf dieser Zeit die Riechkolben etwa dreimal länger geworden waren.
Es ist mir diese Angabe eine willkommene Bestätigung meiner Auf-
fassung, daß eine Verbesserung des Geruchsorgans mit einer Ver-
größerung der percipierenden Oberfläche Hand in Hand geht. Außer-
dem ist hierdurch der experimentelle Beweis dafür geliefert, daß bei
Aufhören der Funktion des Auges das Geruchsorgan an seine Stelle
tritt und eine um so höhere Ausbildung erfährt.
München, im September 1910.
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— (94), Über Nervenendigungen der Hautsinnesorgane der Arthropoden usw.
Ber. d. naturf. Ges. Freiburg i./Br. Bd. IX. Hft. 2.
Erklärung der Abbildungen.
Sämtliche Figuren sind bei schwacher Vergrößerung mit dem Zeichen-
apparat entworfen. Die Farben sind schematisch.
Gemeinsame Bezeichnungen:
h, Riechhaar; tn, Terminalnerv;
ts, Terminalstrang; n. Kern einer Neurilemmzelle;
über Geruchsorgane bei deca|)üden Krebsen usw. 545
s. Riechspindeln; rus, Muskeln;
l. Lobus osphradicus; st, Statocyste;
rn, Riechnerv; t, Tastspindel;
7rt, MatrixzcUe; sk, Stachelkörbchen.
ch, Chitin;
Tafel XXV.
Fig. 1. Schnitt durch die innere Antenne von Stenorhynclius phalangiuw
(das Bindegewebe ist fortgelassen).
Fig. 2. Totalpräparat der Antenne von Uroptychus nitidus,
Fig. 3. Ebenso von Uwpfychiis gracilimanus.
Fig. 4. Ebenso von Ptychogaster investigatoris.
Fig. 5. Ebenso von Munida subrugosa d.
Fig. 6. Ebenso von Munida subrugosa Q.
Fig. 7. Ebenso von Cervimunida princeps.
Fig. 8. Ebenso von Munidopsis stylirostris Q.
Fig. 9. Ebenso von Munidopsis stylirostris d.
Fig. 10. Ebenso von Munidopsis regia.
Fig. 11. Ebenso von Petrolisthes sp.
Tafel XXVI.
Fig. 1. Totalpräparat der inneren Antenne von Galathea australiensii.
Fig. 2. Ebenso von Munidopsis tridentata.
Fig. 3. Ebenso von Petrolisthes Lamarcki.
Fig. 4. Ebenso von Petrolisthes sp.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 36
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung.
Von
Iwan Sokolow
(St. Petersburg).
(Aus dem Zootomischen Laboratorium der Universität St. Petersburg.)
Mit Tafel XXVII— XXIX.
Während meines Aufenthaltes an der Neapler Stazione zoologica
im Herbst 1909 beschäftigte ich mich mit der mikroskopischen Fauna
des sogenannten AriipMoxus-^a,ndes und stieß zufäUig auf einen inter-
essanten chätopoden Wurm, welcher sich bei genauerer Bestimmung
als eine neue Art von der Gattung Ctenodrüus Clap. erwies.
Diese Gattung wurde zunächst von Claparede (63) aufgestellt
und ist seitdem Gegenstand einer ganzen Reihe von Untersuchungen
geworden. Ich werde nur die wichtigsten erwähnen.
An erster Stelle sei die Arbeit v. Kennels genannt, welcher 1882
die Art Ctenodrüus fardalis (= serratus 0. Schm.) einer eingehenden
Untersuchung unterzog, und dem wir die einzigen, bis jetzt gemachten,
Beobachtungen über deren Teilung verdanken. Sodann kommt für
uns der Aufsatz von Graf Max Zeppelin (83) über eine andre Art, Ct.
{Zep'pelinia Vaillant) monostylos Zepp. in Betracht; er behandelt aus-
führlich die Anatomie und die eigenartigen Teilungserscheinungen der
neuen Art. Schließlich unterzog 1903 Egon Galvagni die v. Kennel-
sche Art Ct. fardalis und den von Scharfe 1887. entdeckten Ct. par-
vulus Scharf f einem genaueren histologischen Studium.
Auf andre kleinere Arbeiten werde ich hier nicht weiter eingehen,
sondern verweise auf den letztgenannten Aufsatz Galvagnis, bei dem
man eine Zusammenstellung der ganzen Literatur des Gegenstandes
findet.
Monticelli (93) hat das Verdienst, die sehr verwickelte Nomen-
klatur — da fast jeder Autor einen besonderen Namen für die be-
schriebene Form einführte — geklärt und die Synonymie festgestellt
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 547
zu haben. Hierbei ergab sich, daß sämtliche Beschreibungen sich auf
nur drei verschiedene Arten beziehen. Diese sind:
1) Ct. serratus 0. Schm.,
2) Ct. 'parvulus Schärft" und
3) Ct. (Zeppelinia) monostylos Zepp.
Zu diesen drei oder, richtiger gesagt, vier Arten, wenn man die
von MoNTiCELLi in einer andern Arbeit kurz erwähnte Z. dentata mit-
rechnen willi, möchte ich nun noch eine neue hinzufügen, die ich, aus
später zu ersehenden Gründen, >>branchiatus « zu benennen vorschlage.
Ich fand sie, wie gesagt, im Oktober im Äm'phioxus-^ande. Die
erste Sandprobe, von der ich nicht genau sagen kann, woher sie stammte,
enthielt eine große Menge von Ct. branchiatus in verschiedenen Ent-
wicklungsstadien nebst einer viel geringeren Anzahl von Ct. serratus.
Die folgenden Sandproben von »Cenito« und »San Pietro e due Fratti«
entbehrten der Ctenodrilen vollständig. Erst kurz vor meiner Abreise
fand ich sie wieder, diesmal im Amphioxus-^&nde von »Donna Anna«,
fast ebenso massenhaft.
Da die Objekte ziemlich winzig sind (nicht über 4 mm), so pflegte
ich mit einer Pipette eine gewisse Portion des feinen Sandes, womöglich
noch mit kleinen Pflanzenbruchstückchen, unter die liupe zu bringen,
wo die Tierchen sich durch ungeschickte kriechende Bewegungen kennt-
lich machten. Dann wurden sie mit einer Nadel vorsichtig vom Objekt-
träger abgenommen und in einem Uhrgläschen isoliert.
Es wurden zu gleicher Zeit folgende Formen gefunden:
1) Formen mit einer großen Anzahl Segmente, ohne jegliche
Körperanhänge und ohne Augen; oft mit Gonaden oder Embryonen
im Körper. Sehr oft befinden sie sich im Beginn der Autotomie. Solche
Individuen werden wir kurz als Form A bezeichnen.
2) Formen mit großer Segmentzahl, mit besonderen Wimperreifen
und mit langen paarigen Anhängen an fast jedem Segment, sowie mit
Augen. Teilungserscheinungen sind nicht nachzuweisen. Form B.
3) L^bergangsformen zwischen A und B, ohne Wimpern, oder auch
ohne Augen und mit teilweise verloren gegangenen, also in sehr ver-
schiedener Anzahl vorhandenen Anhängen.
1 MoNTiCELLi schreibt folgendes: » Questo Ctenodrihde appartiene al genere
Zeppelinia, . . . ma da questo differisce essenzialmente per grandezza, numero
di segmenti ed altre caratteristiche anatomi che, nonche per la forma delle setole.
Sieche esso representa una nuova specie che dalla dentatura delle setole chiamo
Zeppelinia dentata. « (» Adelotacta zoologica «. Mitt. Zool. St. Neapel. Bd. XII.
1895. S. 451.)
36*
548 Iwan Sokolow,
4) Formen mit wenigen Segmenten, zuweilen mit einem oder zwei
Anhängen. Sie sind als Produkte der Teilung anzusehen, bei denen
am vorderen oder am hinteren Ende die entsprechenden Körperteile
sich in Regeneration befinden.
5) Übergangsformen zwischen ersten und vierten, je nachdem'die
ganze sich teilende Kette in die einzelnen Zooide zerfallen ist, oder
nur zum Teil.
Ich werde nun zur Darstellung der einzelnen Hauptformen über-
gehen und nachher ihre Beziehung zueinander aufzuklären versuchen.
Form A.
Bei der mikroskopischen Betrachtung (Fig. 1) erscheint die Form A
in der Gestalt eines Wurmes, an dem man den Kopf mit dem mächtigen
Schlundkopfe von dem geringelten Körper deutlich unterscheiden kann.
Der Körperteil, in dem der dickere Magendarm zu liegen kommt, ist
etwas angeschwollen. Das Tier ist durchsichtig und hat eine schmutzig
grün-gelbliche Färbung. Der Magendarm ist auffallend orange gefärbt,
jedoch nicht so tief, wie bei Ct. serratus. Noch schärfer tritt das »rätsel-
hafte Organ«, der Herzkörper, hervor, wegen seiner grellen, meistens
scharlachroten Farbe. Hinter dem Schlundkopf schimmern zwei ovale
bräunliche Gebilde durch die Haut: das sind die beiden Nephridien.
Die Zahl der Segmente beläuft sich gewöhnlich auf 25 — 30; oft kann
sie aber kleiner sein (ob bei den durch Teilung entstandenen Indivi-
duen?). Die Länge der Tiere beträgt niemals mehr wie 4 mm und
ist ziemlich schwankend. Der Durchmesser des Körpers ist etwa
0,15 mm.
Der von unten betrachtete Kopf erscheint an der Stelle, wo die
breite Öffnung des sogenannten Atriums liegt, am meisten erweitert.
Weiter nach vorn erstreckt sich der dreieckige Kopf läppen (Prosto-
mium), in dem das Kopfganglion durchschimmert. An der ventralen
Fläche des Kopflappens befindet sich eine tiefe, flimmernde Rinne.
Augen und sonstige Sinnesorgane fehlen gänzlich, ausgenommen die
zwei Riechgruben zu beiden Seiten des Kopfes.
Integument. Der Körper ist von einer feinen Cuticula über-
zogen, welche an Schnitten doppelt konturiert erscheint.
Die Epidermis besteht aus platten Zellen, welche ein einschichtiges
Epithelium bilden. Am Kopflappen verdickt sich das Epithel stark
und wird mehrschichtig. Ähnliche Verdickungen sehen wir an den
Stellen der Segmente, wo die Bauchganglien liegen. Besondere »epi-
theliale Verdickungen der Haut an der basalen Fläche der Kopfhöhle,
über eine neue Ctenodrihisarl und ilue Vermehrung. 549
welche als Wülste oder Zapfen in das Cölom des Kopflappens vor-
springen«, wie es Galvagni bei Ct. serratus und Ct. parvulus beschreibt,
habe ich bei Ct. branchiatus nicht gefunden.
An lebenden Exemplaren wird man zuweilen auf die ziemlich
"auffallende Punktierung der Haut aufmerksam, welche von kleinen
Pigmentzellen herrührt. Das Pigment hat eine fuchsrote bis dunkel-
braune, ja fast schwarze Farbe und scheint wenigstens in Alkohol
unlöslich zu sein. Auf Fig. 2 sieht man die unregelmäßigen Anhäu-
fungen von Pigment in der Epidermis. Ich muß hervorheben, daß
diese Pigmentierung nur in wenigen Fällen gefunden wurde (vgl. das
ständige Vorkommen des schwarzen Pigmentes bei Ct. parvulus nach
Galvagni). öfters fand ich Exemplare, bei denen der Kopf läppen
allein deutlich pigmentiert war. Andre Individuen waren dagegen
vollkommen farblos.
Die sogenannten » öldrüsenzellen « (Galvagnis) scheinen auch nicht
immer vorzukommen, oder sind jedenfalls sehr schwer zu finden. Viel
zahlreicher sind sie bei der Form B, von der weiter unten die Rede
sein wird, vorhanden. Intra vitam haben sie eine gelbgrüne oder grün-
lich-braune Farbe und sind hauptsächlich am vorderen und am hinteren
Körperende und auch auf den Spitzen der Anhänge (bei der Form B)
angeordnet. Sie färben sich schwach mit Eisenhämatoxylin nach
Heidenhain. Im Kopflappen zeigen sie eine längliche Gestalt, an
den übrigen Körperstellen nähern sie sich in ihrer Form den sogenannten
»Ballonzellen« (Fig. 3 u. 67 ODZ).
Ähnliches fand Zeppelin bei Ct. monostylos (vgl. S. 617). Er
unterscheidet »gelbe Pigmentkörnchen«, welche der eigentlichen Pig-
mentierung entsprechen, und >> dimkelgrüne, größere Pigmentflecke«,
welche zweifellos den öldrüsenzellen Galvagnis gleich gesetzt werden
müssen.
Noch seltener findet man die sogenannten >> Klebdrüsenzellen «
(Galvagnis), und zwar immer in geringer Anzahl. Sie sind ziemlich
groß und erstrecken sich durch die ganze Dicke der Epidermis. Ihr
Inhalt besteht aus zahlreichen Körnchen, die sich mit Eisenhämatoxylin
grau färben (Fig. 4).
Was die Cilienbekleidung angeht, so fehlt sie bei Form A
gänzlich, abgesehen von der Flimmerrinne des Kopflappens. Dieselbe
zieht sich fast von der äußersten Spitze des Kopflappens ventralwärts
und nach hinten, immer breiter werdend, bis sie an die Mundöffnung
herantritt und weiter in den flimmernden Vorderdarm übergeht. Bei
Ct. serratus fandeii dagegen v, Kennel und Galvagni Flimmern noch
550 Iwan Sokolow,
an der Unterseite des ersten und dem Anfang des zweiten Segmentes,
was auch mit meinen Beobachtungen an derselben Form übereinstimmt.
Dasselbe beschreibt Zeppelin bei Ct. monostylos.
Die Borsten sind lang (bis 0,26 mm), gerade, proximal dicker,
distalwärts sich allmählich verjüngend (Fig. 6). Sie sind sehr elastisch,
was man daraus ersieht, daß sie, an ein Hindernis stoßend, sich leicht
biegen können. Gegen das Hinterende des Wurmes zu werden sie immer
kürzer und feiner.
Bei Ct. tnonostylos hat Zeppelin Borsten von zweie7:lei Art be-
schrieben: die einen mit angeschwollenem äußeren Ende, während die
andern sich gegen dasselbe gleichmäßig verdünnen. Wenn diese
letzteren auch etwas gekrümmt erscheinen, so ist ihre i^hnlichkeit
mit den Borsten von Ct. branchiatus nicht zu verkennen. Dagegen
haben die gezähnelten Borsten des Ct. serratus mit ihnen nichts ge-
meinschaftliches.
Die Borsten sind zu Bündeln vereinigt, von denen vier in je einem
Segment liegen: zwei dorsale und zwei ventrale. Der Abstand zwi-
schen einem Dorsal- und einem Ventralbündel jeder Seite ist kleiner,
als der Abstand zwischen den rechten und linken Bündeln (Fig. 10).
Der Kopf entbehrt der Borsten. Im ersten Rumpfsegment (eigent-
lich im zweiten, wie wir später sehen werden) und in fast allen folgenden
treten regelmäßig die vier Borstenbündel auf; nur den drei bis vier
letzten Segmenten fehlen sie.
Jedes Borstenbündel enthält gewöhnlich zwei lange Borsten, zu-
weilen drei (besonders gilt das für die ersten Segmente), oder nur eine
(in den hinteren Segmenten). Zu ihnen gesellen sich eine oder zwei
kurze, deren Aufgabe es zweifelsohne ist, die abgenutzten alten mit
der Zeit zu ersetzen.
Die Borsten sitzen mit ihren basalen Enden in besonderen Borsten-
follikeln, die nahezu cylindrisch erscheinen. Mit dem einen Ende tritt
der Borstenfollikel an die Körperwand und läßt hier die Borsten nach
außen frei hervortreten. Der übrige Teil ragt in die Körperhöhle
hinein. An das freie Ende jedes Borstenfollikels sind Muskelzüge an-
geheftet, und zwar so, daß sie radial gegen die Körperwand ausstrahlen,
an die sie sich befestigen (Fig. 10 u. 13 MZ). Dadurch ist jedes Borsten-
bündel in seiner Lage mehr oder weniger fixiert und kann nach ver-
schiedenen Richtungen bewegt werden, je nachdem, welcher Muskel
sich kontrahiert.
Zwischen dem dorsalen und ventralen Borstenfolhkel jeder Seite
existiert auch eine Verbindung. Diese wird durch ein ähnliches Muskel-
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 551
band hergestellt, das ihre inneren Enden vereinigt (Fig. 10 Mh). Wenn
das Band erschlafft ist, bleiben die Borsten einander mehr oder weniger
parallel; wenn der Muskel sich kontrahiert, so rücken die inneren
Enden der Follikel in verschiedenem Grad gegeneinander. So wirken
die Borstenbündel jeder Seite gewissermaßen wie ein System.
Ahnliche Verhältnisse fand Zeppelin bei Ct. monostylos, wo in
jedem Segment jederseits zwei Borstensäckchen »durch einen feinen
Muskelzug miteinander verbunden zu sein scheinen (S. 619) <<.
Die Borstenfollikel sind lang und nicht überall gleich breit, sondern
erweitern sich etwas gegen ihr freies Ende. Im Querschnitt sind sie
oval (Fig. 15). Die Borsten liegen nicht axial, sondern haben sich
einer Seite genähert; im übrigen Teil liegt die Hauptmasse der Zellen
mit ihren großen Kernen. Letztere sind in wenigen Längsreihen ange-
ordnet, parallel zu den Borsten (Fig. 13). Jeder der Muskelzüge, welche
die Follikel bewegen, ist mit einem Kern, der seiner Oberfläche auf-
liegt, versehen. Die äußersten Muskeln erstrecken sich bis zu den
Dissepimenten. Zuweilen verzweigt sich ein Muskelzug kurz vor der
Insertionsstelle in mehrere dünnere Fäden, die sich einzeln an die
Körperwand befestigen. Ein innigerer Zusammenhang zwischen den
Borstenmuskeln und der Körpermuskulatur, etwa so, daß man die
ersteren als einfache Abzweigungen der letzteren entstanden denken
könnte, wie das gewissermaßen Zeppelin (>>mit der Längsfaserschicht
zusammenhängender Muskelapparat«) meint, scheint nicht zu bestehen.
Erstens unterscheiden sich die gröberen und mit je einem großen Kern
versehenen Borstenmuskelfasern histologisch von den zarten Körper-
muskelfasern, bei denen die Kerne noch nicht nachgewiesen sind ; zwei-
tens entstehen sie bei der Ontogenese unabhängig voneinander. Auch
bilden die Muskeln über dem Follikel kein sogenanntes Muskelgitter,
wie das Zeppelin bei Ct. monostylos abbildet.
Muskulatur. Die Körpermuskulatur ist schwach ausgebildet
und daher schwer zu untersuchen. Nur an Schnitten, welche tangential
zur Körperwand geführt wurden, konnte man sie mehr oder weniger
gut verfolgen.
Zunächst fallen die gröberen Längsmuskeln in die Augen, welche
bei allen Ctenodrilen aufgefunden wurden. Sie verlaufen in langen
parallelen Zügen längs durch den Körper. Weniger auffallend sind
die sehr feinen Ringmuskeln, welche in senkrechter Richtung zu den
Längsmuskeln und nach innen von denselben hinziehen (Fig. 7). An
Längsschnitten, die mit Safranin oder Eosin (auch Eisenhämatoxylin
nach Heidenhain) gefärbt waren, konnte man die Ringmuskelfasern
552 Iwan iSokolow,
quer durchschnitten beobachten. Sie lagen als eine Reihe feiner Punkte
zwischen der Membrana basilaris des Hautepithels und der Längs-
muskelschicht.
Die Ringmuskelfasern sind von den früheren Autoren, wahrschein-
lich ihrer Zartheit wegen, übersehen und erst von Galvagni in Über-
einstimmung mit meinen Befunden beschrieben worden.
Über die feinere Struktur der Körpermuskeln vermag ich nichts
zu sagen. Kerne wurden von mir, ebenso wie von den früheren For-
schern, nicht beobachtet.
Wegen der schwachen Muskulatur sind die Ctenodrilen keiner
lebhafteren Bewegung fähig, was übrigens bei ihrer ruhigen Lebens-
weise zwischen modernden Pflanzenresten des Amphioxus-^a.ndes keine
Nachteile hat. Sie besitzen die Fähigkeit, sich verschiedenartig zu
krümmen, was hauptsächlich durch die Kontraktion der Längsmuskeln
an den entsprechenden Seiten bewirkt wird. Wenn man die Tiere
auf den Objektträger mit wenig Wasser überträgt, so strecken sie die
einzelnen Segmente recht erheblich, wobei wahrscheinlich die feinen
Ringmuskeln eine Rolle spielen (vgl. Fig. 1, wo ein Exemplar mit zum
größten Teil ausgestreckten Segmenten abgebildet ist).
Die Verdauungs Organe sind im wesentlichen ebenso wie bei
Ct. serratus (Galvagni) gebaut.
Der Verdauungstractus beginnt mit einem sogenannten Atrium,
in dem der Schlundkopf und die beiden Falten, die dorsale und die
ventrale, sich befinden.
Der massive Schlundkopf hat eine ähnliche Form wie bei andern
Ctenodrilen. Seine Grundmasse ist homogen und färbt sich nicht.
Sie wird von Muskelfasern durchzogen, welche in verschiedenen Rich-
tungen einander durchkreuzen, wobei aber die Richtung senkrecht zum
Epithel vorherrscht. Unmittelbar unter dem Epithel ordnen sich die
Muskelzüge derart, daß man in Längsschnitten ein regelmäßiges Band
von Säulen, die in gleichen Abständen voneinander angeordnet sind,
bekommt (Fig. 9 MZ). Weitere histologische Details im Bau der
Muskulatur stimmen vollkommen mit Galvagnis Angaben für Ct.
serratus überein.
Gebilde, welche den » ependymatischen Fasern << Galvagnis ent-
sprechen könnten, fand ich jedoch nicht, obgleich ich die Färbung mit
Eisenhämatoxylin nach Heidenhain anwandte. Wohl aber entdeckte
ich sonderbare dicke und, ich möchte sagen, stäbchenähnliche Gebilde,
welche ungefähr parallel den eben besprochenen Muskelsäulen den
Schlundkopf durchzogen, also senkrecht zum Schlundkopf epithel
über eine neue Ctonodiilusart uiul ihre Vennelirung. 553
ferichtet waren (F'w. 8, 9 u. 12 sf). Sie sind lichtbrechend und färben
sich mit Eisenhämatoxylin intensiv schwarz (Fig. 8), mit Safranin tief
rot nnd in gewissen Fällen mit Boraxkarmin (nur in überfärbten Prä-
paraten). Eosin färbt sie gar nicht.
Die Natur dieser Stäbchen blieb mir unbekannt. Vielleiclit sind
es besondere schlauchartige Drüsen. Dagegen spricht aber das voll-
kommene Fehlen eines Ausführungsganges, der doch das Epithel durch-
brechen müßte; ich fand aber diese Gebilde nur ausschließlich im
muskulösen Teile des Schlundkopfes. Richtiger wäre es, sie als eigen-
artige Stützelemente anzusehen, welche dem Schlundkopf, da er ein
Bewegungsorgan sein soll, größere Festigkeit geben.
Das Epithel, welches den Schlundkopf überzieht, bildet in seinem
weiteren Verlauf, mehrmals umbiegend, zwei Falten: eine untere und
eine obere. Die obere ist sehr massiv und dient zum Schließen der
Mundöffnung, was dadurch erreicht wird, daß sie sich fest an den Kopf-
lappen, besser gesagt, an die Flimmerrinne, andrückt (Fig. HOF).
Die untere Falte, welche zwischen dem Schlundkopf und der
oberen Falte liegt, spielt eine Rolle beim Ausstrecken des Schlund-
kopfes, indem sie dies in weit größerem Maße gestattet, als es ohne
ihre Anwesenheit möglich wäre (Fig. 14 UF).
Wenn wir das Schlundkopfepithel in einer andern Richtung ver-
folgen, nämlich nach unten und ventralwärts, so bemerken wir da,
wo der Schlundkopf zu der Körperwand hinzutritt, noch eine kleine
Falte, die aber nach innen vorspringt (Fig. 14 uf). Sie dient als In-
sertionsstelle für eine Reihe von Muskeln (MZ), unter andern für das
Ende des Protractors. Obgleich sie auch früher beobachtet wurde,
wie es z. B. aus den Zeichnungen Galvagnis (Fig. 4 u. 36) zu ersehen
ist, hat man doch ihre Funktion nicht besonders hervorgehoben.
Sowohl das Schlundkopfepithel, als auch das der unteren und
der oberen Falte, bis zu der Stelle der letzteren, wo sie die eigentliche
Mundöffnung bildet, also diejenigen Teile des Vorderdarmes, welche
die Wandung des Atriums vorstellen, sind wimperlos (Fig. 12).
Der Muskelapparat, welcher das ganze System bewegt, ist in Kürze
folgender. Der Schlundkopf liegt auf einem massiven Muskel (Pro-
tractor). Von ihm gehen zwei Schenkel ab, die sich an den Oesophagus
befestigen (die beiden Retractoren). An der dritten, untersten Falte
sind außer dem Protractor zahlreiche fadenförmige Muskeln befestigt
(Fig. 14 MZ), welche mit ihrem andern Ende an der Stelle inserieren,
wo das erste Dissepiment mit der Körperwand verschmilzt, also gerade
vor den beiden Nephridien. Außerdem treten zahlreiche ähnliche
554 Iwan Sokolow,
Muskeln an die beiden Seiten des Schlimdkopfes an verschiedenen
Stellen heran. Sie sorgen wahrscheinlich dafür, daß die Streckung des
Schlundkopfes regelmäßig vor sich geht, daß nicht etwa irgendwelche
Verschiebungen 2;ur Seite eintreten können.
Wie weit ein Ct. branchiatus seinen Schlundkopf hervortreten
lassen kann, läßt sich auf Grund meiner Untersuchungen nicht bestimmt
sagen. Wahrscheinlich geht die Streckung nicht allzu weit. Aber in
einem Falle gelangte ich zur Untersuchmig eines Exemplares, bei
welchem, wahrscheinlich künstlich, der ganze Schlundkopf aus dem
Atrium hervorgetreten und stark kontrahiert war. Die beiden Falten
waren nicht mehr zu erkennen : sie bildeten einen weit hervorgewölbten
Bogen. Hierbei gewahrte man deutlich die feinen Lateralmuskeln.
Wie gesagt, zieht sich ventral am Kopflappen eine Flimmerrinne,
immer breiter werdend, nach hinten und geht allmählich in den Oeso-
phagus über. Derselbe beschreibt in seinem Verlauf einen Bogen,
indem er zunächst gegen den Rücken hin aufsteigt ; hinter dem Schlund-
kopf macht er eine Biegung und senkt sich etwas ventralwärts, um
weiterhin in der Körperachse zu verlaufen. Der Oesophagus erstreckt
sich bis zum fünften oder sechsten Segment (bei Ct. monostylos bis
zum fünften bis neunten), wo er mit dem Mitteldarm verschmilzt.
Der Mitteldarm differenziert sich in zwei Teile : einen vorderen, den
sogenannten Magendarm, und einen hinteren, das Intestinum. Der
Magendarm ist am lebenden Ct. branchiatus orange gefärbt — ein ge-
meinsames Merkmal aller Ctenodrilen — was daher rührt, daß die
Darmzellen mit feinen orangefarbenen Körnchen angefüllt sind. Ob
dieselben ein besonderes Pigment darstellen, oder ob sie irgendwelche
Beziehung zur verdauenden Tätigkeit der Zellen haben, läßt sich
zurzeit nicht bestimmt sagen. Diese Färbung kommt jedoch nicht
allen Individuen zu. Zuweilen findet man solche, deren Magendarm
ganz ungefärbt erscheint.
Nachdem der Magendarrn etwa zehn oder auch mehr Segmente —
die Zahl ist sehr variabel — durchzogen hat, wird er enger und geht in
das Intestinum über. Letzteres verläuft, etwas geschlängelt, bis fast
zum Hinterende des Körpers, wo es in den kurzen Enddarm mündet.
Die Grenze mit dem letzteren ist nicht deutlich. Aber, wie wir nachher
im embryologischen Teil des Aufsatzes sehen werden, ist nur der kurze
Endteil des Darmkanals ectodermaler Herkimft und nicht das ganze
Intestinum, wie es von den früheren Forschern angenommen wurde
(vgl. bes. V. Kennel).
Per Enddarm schließt hinten mit der Analöffnung ab. Diese letztere
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 555
liegt nicht terminal, sondern ist etwas dorsal wärts verschoben, so daß
nnter ihr ein ovaler Lappen gebildet wird (Fig. 11 u. b2 ÄnL). Der
Lappen ist oft pigmentiert bzw. mit gefärbten öldrüsenzellen versehen
(was insbesondere für die Form B gilt).
Der ganze Verdanungskanal ist mit Wimpern ausgekleidet, deren
lebhafte Bewegmig an lebenden Ctenodrilen sehr gut zu beobachten war.
Außen ist der Darmtractus mit einer Splanchnopleura bedeckt,
welche sich in eine äußerst zarte innere Längs- und eine ebensolche
äußere Ringmuskelschicht gliedert (dasselbe bei Galvagni).
Das Blutgefäßsystem ist geschlossen. Es besteht seinem Haupt-
plaue nach aus einem dorsalen und einem ventralen Gefäß, welche
vorn durch einen Gefäßring verbunden sind. Außerdem finden wir
in jedem Segment eine ähnliche Verbindung zwischen den beiden
Hauptstämmen.
Meine Untersuchungen des Blutgefäßsystems stellte ich einerseits am
lebenden Material an, was dadurch ermöglicht ist, daß die Blutflüssigkeit
zuweilen genügend gelb gefärbt war, um den Verlauf der Blutgefäße
zu verfolgen; anderseits machte ich Rekonstruktionen an Schnittserien.
Bei beiden Methoden aber war es sehr schwer, ein klares Bild von dem
Verlaufe derjenigen Blutgefäße zu erhalten, welche ein enges Lumen
hatten und zudem noch in verschiedenartigen Krümmungen verliefen.
Das Rückengefäß beginnt in der Kopf höhle, unmittelbar hinter
dem vorspringenden Kopf ganglion ; dann verläuft es über dem Ver-
dauungskanal bis an das Hinterende des Körpers. Sein Lumen ist
über der Krümmung des Oesophagus sehr schmal; weiter nach hinten
erweitert es sich und erreicht seinen größten Durchmesser da, wo die
hintere Hälfte des Herzkörpers in ihm liegt. In dem hinteren Körper-
abschnitt geht es oft, aber durchaus nicht immer, in einen geräumigen
Darmsinus über. In diesem Fall umspült die Blutflüssigkeit das Darm-
epithel unmittelbar.
An der Grenze zwischen dem fünften und sechsten Segment zweigt
sich gewöhnlich von diesem Gefäß ein dorsaler Ast ab, welcher stark
contractu ist und die vordere, größere Hälfte des Herzkörpers in sich
birgt. Er zieht sich nach vorn bis zum ersten Dissepiment (Fig. 14
RVD) und spaltet sich hier in zwei Äste, welche, ventralwärts rechts
und links herablaufend, in das Bauchgefäß münden und so den vor-
deren Gefäßring bilden (Fig. 14 GRi). Dieser Ring ist immer von
dicken Blutgefäßen gebildet und daher leicht zu beobachten. Besonders
gut zu sehen ist die untere Gabelung des Bauchgefäßes, welche gerade
vor den beiden Nephridien liegt.
556 Iwan iSükolüw,
Vom vorderen Gefäßring entspringen zwei zarte Gefäße, das eine
rechts, das andre links. Diese beiden lateralen Gefäße (LG) umfassen
den Schlmidkopf und den Vorderdarm und verlaufen nach vorn bis
fast an das Kopfganglion, wo sie sich mit dem Anfangsteil des Rücken-
gefäßes vereinigen und somit die Blutbahn schließen.
Parallel dem Rückengefäß verläuft ventral das Bauchgefäß, welches
etwas dünner ist und sich der Körperwand näher anlegt. Es verläuft
von dem eben besprochenen Gefäßringe bis an das hintere Körperende.
In jedem Segment sind Rücken- und Bauchgefäß durch je einen
Ring miteinander verbunden, wie es auch bei Ct. serratus der Fall ist.
Nur sind bei Ct. branchiatus diese Ringe äußerst zart und wurden
von mir selten deutlich beobachtet.
Das Blutgefäßsystcm von Ct. serratus scheint einfacher gebaut zu
sein; w^enigstens ist aus der sehr undeutlichen Beschreibung Gal-
VAGNis (S. 69) zu ersehen, daß dieser Art ein dorsaler Ast des Rücken-
gefäßes und die zarten Lateralgefäße fehlen.
Die Gefäße sind mit einer schwach gelben Flüssigkeit angefüllt.
Ihre Färbung ist von verschiedener Intensität: zuweilen ist sie tief
genug, um, wie gesagt, den Gefäßverlauf an lebenden Individuen ver-
folgen zu können; zuweilen ist das Blut jedoch vollkommen farblos.
Irgendwelche Blutkörperchen oder sonstige Gebilde konnte ich in dem
Blut nicht wahrnehmen.
Der Bau der Gefäße ist ein einfacher (vgl. Bergh, 1900). Es ist
eine sehr dünne Gefäßwand vorhanden, deren Struktur daher nicht
näher zu erkennen war. An ihrer Außenseite findet man Zellen mit
ziemlich großen Kernen, welche nach außen vorgewölbt sind, also nicht
in das Gefäßlumen hineinragen. Wahrscheinlich sind das Peritoneal-
zellen, welche ja alle Organe, die in der Cölomhöhle gelegen sind, über-
ziehen (Fig. 21 Per). Ein Endothel (Vasothel), welches Galvagni bei
Ct. serratus im Bauchgefäß fand, muß ich bei meiner Art entschieden
verneinen.
Der Herzkörper liegt gewöhnlich in zwei Segmenten, nämlich
im vierten und fünften, bzw. im fünften und sechsten, oder erstreckt
sich durch drei Segmente: das vierte bis sechste (Fig. 1 HzK). Er
hat die Gestalt eines langen wurstförmigen Gebildes mit stielrundem
und überall gleich breitem Querschnitt und abgerundeten Enden. Er
ist sehr selten gerade, sondern meist schlangenartig gewunden und
gebogen. Zuweilen wird er von dem Dissepiment in zwei Teile zerlegt
(Fig. 22 Ds). In einem Fall war er sogar in vier isolierte, ungleich
große Teile zerfallen.
über eine neue Ctenotlrilusait und ihre Vcrniohrung. 557
Mit seiner vorderen Hälfte liegt der Herzkörper im dorsalen Ast
des Rückengefäßes; die hintere Hälfte befindet sich schon im Haupt-
stamni desselben. In diesem Teile legt sich der Herzkörper dicht
an die Darmwand an, weil auch das Rückengefäß unmittelbar über dem
Darm verläuft (Fig. 18). Wahrscheinlich hat letzterer Umstand v. Ken-
NEL eine Verwachsung des Herzkörpers mit dem Magendarm vorge-
täuscht.
Das Organ ist außen von einer zarten Membran überzogen. Im
Innern findet man beim lebenden Ct. branchiatus zahlreiche runde
Kügelchen von verschiedener Größe, welche meist hübsch scharlach-
rot sind, weshalb das Organ sehr auffällt (Fig. 22). Bei einigen Indivi-
duen geht die Farbe ins Bräunliche oder Hellrosa über. Bei ziemlich
vielen Individuen waren die Körnchen dagegen olivengrün gefärbt.
Sehr selten ist der Herzkörper farblos.
Für den Herzkörper des Ct. serratus geben Galvagni und v. Ken-
NEL eine gelbliche, Zeppelin für Ct. monostylos eine schwärzliche
Farbe an.
Beim Zerdrücken des Tieres treten die Körnchen isoliert durch
die zerrissene Wand des Herzkörpers hervor. An Schnitten gewahrt
man, daß der Herzkörper aus einer kompakten Zellmasse besteht, in
der man die kleinen Zellkerne, die sich intensiv färben, unterscheidet
(Fig. 17 HzkN). Die pigmentierten Körnchen erweisen ,sich als Zell-
einschlüsse. Bei Behandlung mit verschiedenen Reagenzien (welche
es gerade sind, läßt sich schwer sagen) werden sie zerstört und an ihren
Stellen bleiben vacuolenähnliche Räume verschiedener Größe zurück
(Fig. 17 Jcr). Ähnliche Verhältnisse existieren wahrscheinlich auch
bei Ct. monostylos, denn Zeppelin beschreibt den Herzkörper nicht als
solid, sondern als von »verschiedenen Hohlräumen durchzogen«.
Bei sehr jungen Tieren ist der Herzkörper anders gebaut. Hier
erkennt man recht scharfe Zellgrenzen. Die Zellkerne sind größer und
mit deutlichem Chromatinnetz versehen. In diesen Fällen fand ich
weder irgendwelche Einschlüsse, noch leere Räume im Zellplasma
(Fig. 18 u. 19).
Über die Natur der Körnchen vermag ich nichts Bestimmtes zu
sagen, glaube jedoch, daß Guido Schneiders Meinung (99) der Wahr-
heit am nächsten kommt. Er schreibt (S. 511): »Es will mir nämlich
scheinen, daß die grünlichgelben, die eisenhaltigen und andern Körn-
chen in den Herzkörperzellen nichts andres als aufgespeicherte Reserve-
nahrung sind, ebenso wie die fetthaltigen Körnchen, die sich durch
Osmiumsäure schwarz färben, und daß alle diese Körnchen, ebenso
558 Iwan iSükolow,
wie in den Cliloragogenzellen, direkt von dem Protoplasma gebildet
werden aus flüssigen Substanzen, die aus dem Blute bezogen werden.
Das Aussehen und gegenseitige Verhältnis der Körnchen bei verschie-
denen Individuen ist nämlich ungleich, was aus verschiedenen Er-
nährungszuständen erklärt werden kann. Auch die Farbe des Herz-
körpers wechselt bei derselben Art.«
Nephridien. Wie bei den andern Ctenodnlus- Alten, findet man
auch hier ein Paar Nephridien, und zwar ventral und unmittelbar hinter
dem ersten Dissepiment, wie gewöhnlich (Fig. 14 Nf). An lebenden
Tieren sind sie durch schwach grünlichbraune Färbung kenntlich.
Sie stellen kleine Säckchen mit kurzem Ausführungsgang dar. Ihre
Wände erscheinen ziemlich dick, besonders im Vergleich zu den dünnen
Wänden der Nephridien von Ct. serratus. Die Zellen, welche die Ne-
phridien bilden, sind mit deutlichen Kernen versehen, ihre Grenzen
aber vollkommen verwischt. Gewöhnlich sieht man in ihnen kleine
Excretkörnchen, welche die braune Färbung bedingen (Fig. 16).
Das Nephrostom ist mit Wimpern versehen, deren Bewegung
nach dem Innern des Säckchens ich mehrmals beobachtet habe. Das
Nephrostom führt in einen Kanal, der sich im Nephridium verschieden-
artig krümmt und daher an Schnitten immer an mehreren Stellen ge-
troffen wird (Fig. 16 Nfk). Die Kanalwände sind von einem festeren
Gewebe, welches durch intensivere Färbung hervortritt, umgeben.
Den Nephroporus glaube ich in einem Falle gesehen zu haben.
Überhaupt sind die Einzelheiten im Bau der Nephridien wegen der
Feinheit und Zartheit der Organe sehr schwer zu untersuchen. Immer-
hin bleibt der allgemeine Bauplan derselbe, wie bei andern Arten.
Segmentierung und Cölom. Bei Tieren, die sich nicht ge-
teilt haben, beträgt die Zahl der Segmente etwa 25 — 30, zuweilen auch
mehr (bis 36). Sie nähert sich also der Segmentenzahl von Ct. mono-
stylos (20 — 25) und ist ungefähr doppelt so groß, als diejenige der beiden
andern Arten. Am breitesten und größten sind die Segmente, welche den
Magendarm einschheßen. Gegen das Hinterende werden sie schmäler
und kürzer; dementsprechend nehmen auch die Borsten an Zahl und
Größe ab, bis sie schließlich in den letzten drei bis vier Segmenten,
die sozusagen verkümmert bleiben, vollständig fehlen.
Der Kopf besteht aus zwei Segmenten, welche innig miteinander
verschmolzen sind: dem eigentlichen Kopfsegment und dem ersten
Rumpfsegment. Im Kopfsegment unterscheidet man deutKch den
prostomialen und den metastomialen (im Sinne Hatscheks) Teil. Im
Abschnitt über die Embryologie werden wir sehen, daß die Segmen-
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 559
tierung des Kopfes in der Ontogenie deutlich zutage tritt, da die Seg-
mente durch ein Dissepiment, welches nachher gänzlich schwindet,
voneinander getrennt erscheinen.
Bei erwachsenen Individuen ist die Kopfsegmentierung noch teil-
weise nachweisbar, trotz des Schwindens des Dissepiments. Erstens
finden wir einen schroffen Übergang vom mehrschichtigen Hautepithel
des Kopflappens in das einschichtige der Dorsalseite des Kopfes, welche
Stelle, meiner Ansicht nach, gerade auf die Grenze zwischen den beiden
Segmenten hindeutet. Sodann kommen dem Kopfe zwei Ganglien
zu. Über das eine, welches im Kopflappen liegt und das obere Schlund-
ganglion vorstellt, kann kein Zweifel sein, daß es dem Kopfsegment
angehört. Das andre Ganglion befindet sich auf der ventralen Seite
immittelbar vor dem ersten erhalten bleibenden Dissepiment. Gerade
diese ventrale Lage, die Entstehung und der ähnliche Bau (es besteht
eigentlich aus zwei Paaren von Ganglien) mit den übrigen Ganglien
der Bauchnervenkette, veranlassen uns es als das erste Ganglion (-Paar)
der Bauchnervenkette anzusehen und somit zum ersten Rumpfseg-
ment zu rechnen.
Dasjenige Segment, in welchem nun die beiden Nephridien liegen,
wäre dann das zweite Rumpfsegment. Derselben Meinung ist auch
Galvagni (vgl. S. 67, wo man auch eine Kritik der Ansichten andrer
Autoren über die Kopf segmentierung der Ctenodrilen findet).
Die Cölomhöhle ist mit Peritonealzellen ausgekleidet. Diese
Zellen überziehen die Dissepimente und alle Organe, welche in der
Cölomhöhle liegen.
Von irgendwelchen Cölomkörperchen, welche bei allen andern
Ctenodrilen so zahlreich vorkommen, konnte ich bei Ct. branchiatus
keine Spur finden. Nur für den einen Fall bin ich nicht ganz sicher,
wo ich beim Zerdrücken eines Individuums runde Zellen aus dem
Körper hervortreten sah, welche eine große Älmlichkeit mit den Cölom-
körperchen hatten.
Das Cölom des Kopflappens wird von zahlreichen Muskelfasern
in verschiedenen Richtungen durchzogen, ganz wie bei andern Cteno-
drilen. Diese Stränge sind mit deutlichen Kernen versehen (Fig. 20
u. 6QMZ).
Das Nervensystem. Der Bau des Nervensystems ist bei Ct.
branchiatus in manchen Beziehungen ein andrer, als bei den bisher
beschriebenen Arten, obgleich es im allgemeinen nach demselben
Schema entwickelt ist.
Wir finden ein unpaares oberes Schlundganglion, welches im
560 Iwan Sokolow,
Längsschnitt ungefähr oval (Fig. 14 u. 66 KG), im Querschnitt läng-
lich-halbmondförmig erscheint (Fig. 20 K G) und zu beiden Seiten längs
der Kopf wand je eine Commissur bis zum ersten Bauchganglion schräg
nach unten entsendet. Das Cerebralganglion liegt nicht, wie bei andern
Ctenodrilen vollständig in der Hypodermis, sondern ist mit derselben
nur dorsal vereinigt, so, daß seine ganze Masse frei in die Kopf lappen-
höhle hineinragt. Deshalb schimmert es bei lebenden Exemplaren
sehr deutlich durch die Haut des Kopflappens durch (Fig. 14).
Das erste Bauchganglion liegt unmittelbar vor dem ersten Disse-
piment und fast völlig in der Hypodermis. Caudalwärts finden wir
in jedem Segment, und zwar immer in dem hinteren Teil, je ein Bauch-
ganglion. Die Bauchgangiien sind eigentlich jedes aus einem Knoten-
paar hervorgegangen, denn erstens findet sich in ihrer Medianebene
stets eine Einschnürung, zweitens ist jedes Ganglion mit dem vorher-
gehenden und dem nachfolgenden immer durch zwei Commissuren
verbunden. Diese Commissuren können oft sehr weit voneinander
abstehen (Fig. 10 u. 60 N S). Somit haben wir es hier mit einem soge-
nannten Strickleiternervensystem zu tun.
Auch das Nervensystem von Ct. serratus scheint nach demselben
Plan gebaut zu sein. Die »ependyma tischen Fasern« Galvagnis,
welche den Nervenstrang auf Querschnitten in zwei bzw. drei Teile
zerlegten, stellen meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich Grenzen
zwischen den Commissuren dar. Außerdem habe ich an meinen Präpa-
raten von Ct. serratus deutlich die beiden Längscommissuren, zwischen
denen jedoch nur ein sehr kleiner Zwischenraum blieb, beobachtet.
Auch Zeppelin beschreibt derartiges bei Ct. moyiostylos : >> auf einigen
sehr dünnen Schnitten schien es mir, als ob das Bauchmark aus zwei
Strängen zusammengeschmolzen wäre, in der Mitte war eine feine
Membran sichtbar« (S. 631).
Wenn im vorigen die Rede von Ganglien war, so sind es doch nur
Verdickungen des doppelten Bauchnervenstranges, in denen aber
keinerlei weitere Differenzierungen vorkommen. Das ganze Nerven-
system besteht aus einer >>f ibrillären Punktsubstanz <<, wie sie Galvagni
zutreffend charakterisiert hat. Ependymatische Fasern aber, welche
er beschreibt, konnte ich nicht einmal bei der Färbung mit Eisen-
hämatoxylin nach Heidenhain auffinden.
Was den Ganglienbelag betrifft, den v, Kennel (S. 381) und Zep-
pelin (S. 631) erwähnen, so vermochte ich ihn ebenfalls nicht nach-
zuweisen. Zellen, welche das Nervensystem unmittelbar umgeben,
unterscheiden sich durch nichts von den gewöhnlichen Hypodermiszellen.
über eine neue Ctenodrihisavt und ihre Vermehrung. 5()1
Sinnesorgane. Sehr charakteristisch ist für die Form Ä, im
Gegensatz zu B, das vollkommene Fehlen der Augen, wie das bei allen
Ctenodrilus-Arten die Regel ist.
Auf jeder Seite des Kopflappeus findet sich eine Vertiefung, welche
im Grunde mit Cilien besetzt ist. Das sind die sogenannten Riech -
gruben. Sie liegen sehr nahe bei der Stelle, wo die beiden Schlund-
commissuren sich vom Cerebralganglion abzweigen. Sie stellen ziemlich
tiefe Einsenkungen im Kopfepithel dar (Fig. 24). Dem Boden der
Vertiefung sitzen lange Wimpern auf, welche aber die Höhe der Wand
nicht übertreffen. Von dem Boden ziehen sich durch das Epithel be-
sondere Stränge, welche an Präparaten dunlder tingiert, aber im all-
gemeinen sehr undeutlich erscheinen (Fig. 24 n). Sie treten wahrschein-
lich an das Kopfganglion heran und sind als Nerven im Dienste dieser
Sinnesorgane zu deuten.
Gonaden. Den früheren Forschern gelang es nicht irgendwelche
Andeutungen von Geschlechtsorganen zu finden.
Dies erklärt sich dadurch, daß die Gonaden keine ständigen Organe
der Ctenodriliden sind, sondern höchstwahrscheinlich nur in einer
bestimmten Lebensperiode und in einer bestimmten Jahreszeit auf-
treten. Außerdem war über die Hälfte der Beobachtungen an Tieren
gemacht, welche unter künstlichen Bedingungen lebten und dabei die
Autotomie der geschlechtlichen Vermehrung bevorzugten. Nur Monti-
CELLi glückte es 1907, bei Ct. serratus nicht nur geschlechtsreif e Indi-
viduen, sondern auch die embryonale Entwicklung zu beobachten.
Leider gab er in seiner vorläufigen Mitteilung eine zu kurze Beschrei-
bung, als daß man sich von der Sache ein klares Bild machen könnte.
Er fand nämlich gleichzeitig: 1) dicke, schwangere (grossi) und
kurze, angeschwollene Individuen, die mit Larven auf verschiedenen
Entwicklungsstadien völlig angefüllt waren.
2) etwas kleinere, die in reger Autotomie begriffen waren.
3) kleine Individuen und junge (giovani).
4) solche, welche ähnlich 1) und verschieden von 2) waren, aber
ohne Larven. Diese waren geschlechtliche Individuen mit ziemlich
großen Gonaden und den Anfangsstadien der Eibildung (sessuati).
Sowohl 4) als auch 1) waren auf ihrem ganzen Körper bewimpert,
was bis jetzt weder bei Ct. serratus noch bei den andern Arten konsta-
tiert war. Bei 2) und 3) fehlte das Wimperkleid. Monticelli meint,
daß dieser Umstand wahrscheinlich in Beziehung zur Sexualität steht.
Vergleicht man nun das Gesagte mit meinen Befunden an Ct.
hranchiatus, so muß ich zunächst jegliches Wimperkleid bei dem
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 37
562 Iwan Sokolow,
letzteren vollkommen leugnen. Bei Ct. hrancliiatus fehlt sogar, wie wir
schon gesehen haben, das Wimperfeld an der ventralen Fläche des
ersten und des zweiten Segmentes, was für andre Ctenodrilen von den
Autoren übereinstimmend beschrieben wird (v. Kennel, Zeppelin,
Galvagni). Unsre Art verliert beim Übergang in die Form A, die
allein sexuell sein kann, sogar die Wimperreife, welche sie als Form B,
besitzt.
Außerdem sagt Monticelli nichts Näheres von den Gonaden,
weder von ihrer Beschaffenheit, noch von ihrer Lage im Körper. Ob
sich ihr Bau demjenigen von Ct. hranchiatus als ähnlich erweisen wird,
dürfte man erst aus der ausführlicheren Beschreibung von Monticelli
schließen können.
Zunächst werde ich die Tiere mit männlichen Gonaden und die
mit weiblichen gesondert betrachten, da ich auch nur eingeschlecht-
liche Individuen fand. Da jedoch Monticelli Ct. serratus als einen
protandrischen Hermaphroditen beschreibt, bei dem die männlichen
Geschlechtsprodukte sich zuerst entwickeln, so ist dasselbe auch für
unsre Form höchst wahrscheinlich, obgleich mir die nötigen Beobach-
tungen vollkommen fehlen.
Bei Ct. hranchiatus haben die Gonaden den möglichst einfachen
Bau. Wir finden hier weder differenzierte Geschlechtsdrüsen, noch
Geschlechtswege, geschweige Copulationsorgane. Es sind einzelne
Zellen im Peritoneum, welche durch Heranwachsen und entsprechende
Teilungen die Geschlechtsprodukte liefern, die dann frei im Cölom
Hegen.
Hierbei ist eine Regel zu beobachten. Nicht ein jedes Segment
kann Gonaden bilden, sondern man findet eine strenge Lokalisation,
indem das siebente Rumpfsegment vorwiegend zur Bildung der Sexual-
produkte bestimmt ist. Natürlich kommen auch hier gewisse Schwan-
kungen vor. So fand ich z. B. verschiedene Stadien der Spermatogenese
auch in den angrenzenden Segmenten, also im sechsten und im achten.
Die weibliche Gonade kann zuweilen auch ihre Lage ändern und im
achten Segment (oder bei größerer Ausdehnung gleichzeitig im siebenten
und achten) auftreten. Im allgemeinen aber bleibt doch das siebente
Segment der Hauptherd für die Bildung der Geschlechtsprodukte.
Irgendwelche Veränderungen am Körper derjenigen Individuen,
welche Gonaden in sich bargen, ließen sich nicht nachweisen. Doch
standen solche Formen (A) gewöhnlich auf dem Höhepunkt ihrer Ent-
wicklung, zeigten nämlich die maximale Länge und die volle Segmenten-
zahl. (Vom Fehlen der Bewiraperung war vorher die Rede.) Die
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 563
Umkehrung des Falles ist aber niclit immer richtig: man kann typische,
wohl entwickelte Individuen der Form A finden, bei welchen keine
Spur von Gonaden zu erkennen ist.
Männliche Gonaden und Spermatogenese. Die Zahl der
männlichen Tiere, die ich fand, blieb hinter der weiblichen sehr
zurück: auf 50 Weibchen kamen nur etwa sechs bis sieben Männchen.
Wenn wir zwar viele Organismen kennen, bei welchen die Zahl der
Weibchen diejenige der Männchen weit übertrifft, so ist es doch nicht
unwahrscheinlich, daß Ct. hranchiatus ebenso wie Ct. serratus (Monti-
CELLi) protandrisch-hermaphroditisch ist und daß zur Zeit meiner
Beobachtung (Oktober) die Bildung der männlichen Geschlechtspro-
dukte schon beinahe aufgehört hatte. Für letztere Annahme spricht
auch der Umstand, daß es ganz unbegreiflich bleibt, wie die Befruch-
tung bei vollkommenem Fehlen der Geschlechtswege anders zustande
kommen könnte, als durch Zusammentreffen der Geschlechtsprodukte
eines und desselben Individuums.
Da man in einem männlichen Ct. hranchiatus gleichzeitig fast alle
Stadien der Spermatogenese vorfindet, so konnte ich letztere in ihren
Hauptzügen verfolgen.
Im Peritonealepithel findet man größere (6 u) Zellen von ovaler
Gestalt, mit einem großen Kern. Sie können an verschiedenen Stellen
der Somatopleura entstehen: dorsal, lateral, vorwiegend aber ventral.
Auch am ventralen Teil der beiden Dissepimente, welche das siebente
Segment begrenzen, wurden sie von mir aufgefunden (Fig. 27 S). Diese
Zellen sind Spermatoblasten. Durch Teilung bilden sie eine kleine
Gruppe von Zellen, die sich jedoch nicht gänzlich voneinander trennen,
sondern in der Mitte vereinigt bleiben (Fig. 28). Man bekommt somit
eine Spermatogemme, deren periphere Zellen Spermatogonien und der
centrale Teil ein Cytophor darstellt. Die Bildung des Cytophors wurde
bei manchen Anneliden {Lumbricus, Branchiohdella, CliteUio, Enchy-
traeoides u. a.), Turbellarien, einigen Mollusken u. a. beobachtet und
steht in Einklang mit dem, was auch bei Ct. hranchiatus vor sich geht
(vgl. u. a. Jensen, Calkins, Voigt, Roule).
Die Spermatogonien, welche einen unregelmäßigen, meist einen
länglichen Kern, der sich sehr intensiv färbt, besitzen (Fig. 28 u. 29),
teilen sich weiter und werden schließlich zu Spermatocyten (Fig. 31).
Unterdessen hat sich das Cytophor beträchtlich vergrößert, und die
ganze Spermatogemme mißt ungefähr 20 ii im Durchschnitt. Durch
weitere Vermehrung der Spermatocyten erreicht sie bis über 30«. Es
kann zuweilen auch vorkommen, daß die Spermatogemme sich teilt
37*
564 Iwan Sokolow,
und in mehrere selbständige zerfällt. Eine solche Zweiteilung sieht
man auf der Fig. 30.
Die Spermatocyten sind ursprünglich oval imd verhältnismäßig
reich an Protoplasma, sowie mit einem großen Kern versehen. Mit
der weiteren Vermehrung werden sie immer protoplasmaärmer; ihr
Kern wird nach und nach immer länglicher, worauf sie anfangen sich
vom Cytophor allmählich abzuschnüren. Die Protoplasmaschicht um den
Kern wird äußerst dünn, und die Spermatocyten sind im Umwandlungs-
prozeß in die Spermatozoen begriffen. Mit ihrem proximalen Ende
bleiben sie an die Oberfläche des Cytophors befestigt, der nunmehr
eine vollkommen runde Gestalt angenommen und eine dünne Membran
erhalten hat. Das distale Ende der Spermatocyten zieht sich in eine
Spitze aus (Fig. 32), welche immer dünner imd länger wird (Fig. 33
VI. 34), je mehr sich der ganze Körper verdünnt.
Schließlich wird der letztere fadenförmig und zum Spermatozoon.
Die Spermatozoen bleiben noch einige Zeit mit dem Cytophor ver-
bunden, indem sie in der Art einer dichten Quaste an einem Teil des
Cytophors haften (Fig. 35). Dann fallen sie ab und bewegen sich frei
in der Leibeshöhle. Das Cytophor degeneriert hierauf wahrscheinlich.
Ich möchte noch zufügen, daß das Cytophor mit Kernsubstanz ver-
sehen zu sein scheint, da ich in mehreren Fällen mit Safranin dunkel
(andre Färbungen konnte ich wegen Materialmangel nicht vornehmen)
gefärbte Massen in ihm deutlich gesehen habe (Fig. 36).
Lebende Spermatozoen habe ich nicht beobachtet, so daß ich
weder ihre Größenverhältnisse noch ihre Gestalt genau beschreiben
kann. Soweit es mir aber gelang, an Schnitten Messungen vorzunehmen,
taxiere ich die Länge eines Samenfadens auf ungefähr 40 //. Das Köpf-
chen ist von dem Schwanzfaden nicht scharf geschieden, sondern
bildet nur eine Verdickung am vorderen Ende (Fig. 37).
Weibliche Gonaden. Es gelang mir nicht die Ovogenese ebenso
ausführlich zu verfolgen, wie die Spermatogenese.
Es muß eine ganze Anzahl von Ovoblasten entstehen, welche bei
ihrer fortgesetzten Teilung zahlreiche Oogonien bilden. Als solche
fasse ich Zellen auf, die mit einem größeren Kern versehen sind, und
mit einem langen Fortsatz am Peritoneum befestigt bleiben (Fig. 23 Og).
Ihre Verteilung ist eine derartige, daß sie hauptsächlich den ventralen
Teil des Cöloms erfüllen und mehr oder weniger symmetrisch um das
Bauchgefäß gelagert sind. Sie nehmen zuweilen die ganze Cölom-
höhle des siebenten Segmentes ein und sind oft nachzuweisen, wenn
schon der Embryo sich zu entwickeln begonnen hat.
über eiue neue Cteuodrilusart und ihre Vermehrung. 565
Wie die Ovogenese weiter verläuft, vermag ich nicht zu sagen. Wie
das auch sein mag, ich fand neben den Oogonien sehr große Zellen,
welche sich als Eier ergaben. Letztere haben eine unregelmäßige,
meist ovale oder etwas eckige Gestalt. Ihre Kerne sind oval, sehr groß,
bis 14 u lang und 11 // breit, und mit einem deutlichen Chromatinnetz
versehen. Außerdem ist immer ein homogener und sich stark färbendei
Nucleolus, von etwa 4 u Durchmesser, anwesend (Fig. 25). Das Plasma
erscheint fein granuliert.
Die Zahl der Eier in einem Individuum ist verschieden; zuweilen
beläuft sie sich auf nur 3 — 4, zuweilen bis auf etwa 20. Niemals aber
treten sie so massenhaft auf, wie das Monticelli bei Ct. senatus be-
schreibt.
Individuen, welche einen Embryo enthalten, zeigen daneben ge-
wöhnlich auch unbefruchtete Eier (Fig. 60 u. 62 £'Z). Anderseits
scheinen Fälle vorzukommen, wo nur eine einzige Eizelle gebildet
wird, was wir daraus schließen müssen, daß man zuweilen sehr junge
Embryonen in der Körperhöhle findet, an deren Wänden keine Spur
von weiteren Eizellen zu sehen ist.
Sehr charakteristisch erscheint, daß die Eier, wie erwähnt, in
unmittelbarer Nähe des Bauchgefäßes gelagert sind, und zwar so, daß
sie dasselbe meist allseitig umfassen (Fig. 26).
Form B.
Im allgemeinen bietet diese Form fast dieselben anatomischen
Verhältnisse, wie die Form A dar. Doch läßt sie sich durch nach-
folgende Eigentümlichkeiten sofort von den übrigen Formen unter-
scheiden.
1) besitzt sie ein Paar Augen;
2) finden sich an ihren Rumpf Segmenten besondere lange Anhänge,
zu zwei auf den meisten Segmenten;
3) trägt jedes Segment auf seinem vorderen Rande einen Kranz
langer Wimpern.
Ein andrer, weniger mchtiger Unterschied besteht darin, daß die
Borsten bei B im allgemeinen kürzer, auch etwas gröber und schwach
S-förmig gekrümmt sind.
Noch möchte ich hinzufügen, daß die öldrüsenzellen bei B häufiger
zu beobachten sind als bei A. Sie haben eine hübsche grüne oder
braune Farbe, liegen zerstreut über den ganzen Körper und • bilden
reichere Anhäufungen an den Kiemenanhängen, dem Anallappen und
am äußersten Ende des Kopflappens.
566 Iwan Sokolow,
Wenn ich noch bemerke, daß der Körper der Form B etwas kürzer
und schlanker ist als der von A, so sind alle ihre Unterschiede erwähnt,
und es bleibt mir im nächsten, um Wiederholimgen zu vermeiden, nur
nötig, auf die obengenannten drei Hauptpunkte etwas näher einzugehen.
Die Augen, deren Fehlen bei unsrer Form A und bei allen andern
Ctenodrilen, wie ich es schon hervorhob, eine feste Regel ist, treten
bei der Form B als konstantes Merkmal auf.
Sie liegen in Form von ziemlich großen (12 /t), etwas ovalen
schwarzen Flecken zu beiden Seiten des Kopflappens, und zwar fast auf
demselben Querschnitt mit dem Kopfganglion (Fig. 14 Au). Jedes
Auge besteht aus einer Anhäufung von dunkelbraunen oder schwarzen
Pigmentkügelchen, die beim Zerdrücken leicht auseinander gehen.
Weitere histologische Details blieben mir unklar. Wahrscheinlich
stehen die Augen durch besondere Nerven mit dem Cerebralganglion
in Verbindung.
Hier möchte ich noch erwähnen, daß die beiden Riechgruben
auch der Form B zukommen.
Wimperkränze. Die Wimpern sind in einen ziemlich breiten
Streifen angeordnet, welcher den Vorderrand jedes Körpersegmentes
in der Art eines Gürtels umzingelt. Der Gürtel ist eigentlich nicht
vollständig, da er am Rücken unterbrochen ist.
Die Wimpern sind ziemlich dick und lang (Fig. 50) imd in steter,
jedoch nicht sehr rascher Bewegung. Bei einem gesunden Tier sind
sie gewöhnlich nach vorn gerichtet, dabei S-förmig gebogen (Fig. 52)
und schlagen nach hinten. Bei absterbenden Individuen hört die Be-
wegung allmählich auf, und die Wimpern sind erschlafft nach hinten
gerichtet (Fig. 49).
An Schnitten sieht man, daß die Epithelzellen, welche die Wimpern
tragen, stark verändert sind im Vergleich mit den übrigen Hypodermis-
zellen. Sie sind viel größer, höher und mit einem entsprechend großen,
meist ellipsoiden Kern, in dem man einen Nucleolus sieht, versehen
(Fig. 51). Das Chromatinnetz des Kernes bildet wenige, aber große
Maschen. Zwischen den basalen Teilen der Wimpern-tragenden Zellen
findet man große Vacuolen. Letztere sieht man bei absterbenden
Tieren in Form von hellen Bläschen zu beiden Seiten jedes Segmentes
(Fig. 49 Vac).
Diese Vacuolen erinnern lebhaft an ähnliche Gebilde der Wimper-
kränze der TrocJwphora-Laxven (vgl. Hatschek, 78) und sind wahr-
scheinlich auch mit einer Nährflüssigkeit erfüllt, die für die Wimpern
gewissermaßen einen Energievorrat darstellen.
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 507
Beim Vergleich der Arbeit Haeckers über >> Pelagische Polychäten-
larven« (96) fiel mir sofort eine große Ähnlichkeit im histologischen
Bau der Kerne der Wiraperzellen von Ct. branchiatus mit solchem der
Wimperzellen mancher pelagischen Polychätenlarven aufi.
Überhaupt ist eine Ähnlichkeit der Wimperkränze von Ct. bran-
chiatus mit denen mancher Annelidenlarven nicht zu verkennen. Wie
wir wissen, existiert eine ganze Reihe polytrocher AnneHdenlarven,
bei denen die Anordnung der AVimperreife ungefähr dieselbe ist wie
in unserm Fall. Anderseits kennt man auch Formen, so Ophryotrocha
piierilis (Clp. u. Metschn.), Dinophilus usw., welche dauernd Wimper-
reife besitzen. Solche Formen werden von manchen Forschern, u. a.
von A. Lang (03) als neotenische angesehen, d. h. als solche, die trotz
der Geschlechtsreife in vielen Beziehungen die larvalen Charaktere er-
halten haben. Dies alles veranlaßt uns, auch die Wimperreife des Ct.
branchiatus als von larvaler Natur anzusehen, zumal sie schon ver-
hältnismäßig frühzeitig am Embryo auftreten und außerdem beim
Übergang in die Form A rückgebildet werden.
Die Kiemen anhänge (Fig. 38 KA) sind besondere lange Gebilde,
welche gegen das distale Ende etwas kolbenartig erweitert sind und
mit dem dünneren proximalen sich an die Körperwand befestigen.
An einem Segment sitzt immer ein Paar.
Ihre Anzahl variiert je nach dem Alter des Tieres, indem bei
jüngeren Individuen die Anhänge der hinteren Segmente erst in Bildung
begriffen sind, bei den älteren, wiederum, allmählich vom Körper ab-
zufallen beginnen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen vermehrt sich
aber die Zahl der Kiemenanhänge bis auf 15 — 21 Paar.
Die Kiemenanhänge sitzen subdorsal zu beiden Seiten jedes
Segmentes, vom dritten oder vierten Rumpfsegment angefangen. Dem
zweiten Rumpfsegment und den hinteren fehlen sie immer. Die An-
heftungsstelle liegt in der hinteren Hälfte der Segmente.
Die Größe der Kiemenanhänge ist, je nach der Lage in verschie-
denen Segmenten, verschieden. Die größten von ihnen tragen die
vordersten Segmente (am längsten ist jedoch nicht das erste Paar,
1 Ich erlaube mir, die Stelle zu zitieren: »Die Kerne dieser Elemente zeigen
im großen Ganzen den oben geschilderten Vollkernhabitus, sie sind von beträcht-
licher Größe und regelmäßiger kugeliger oder ellipsoidischer Form, der Kernsaft
ist schwach tingierbar, der in Einzahl vorhandene Kernkörper ist von runder
Gestalt, dunkel färbbar und »vacuolen «-haltig und zeigt so das Aussehen eines
Hauptnucleolus «, die chromatische Substanz endlich ist häufig auf einige wenige
lange, den Hauptnucleolus einschließende Fadenzüge verteilt (S. 128)«.
568 Iwan Sokolow,
sondern das dritte oder vierte). Je weiter nach hinten, desto kürzer
werden sie. Ein mittelgroßer Kiemenanhang mißt gewöhnlich nicht
ganz 1 mm; doch beobachtete ich einmal einen, der im gestreckten
Zustande 1,3 mm lang war (ein Drittel der maximalen Länge eines
Ct. branchiatus, Fig. 74),
Jeder Anhang ist ein Auswuchs der Körperwand, worüber ich
weiter genauer sprechen werde. Seine Oberfläche besteht aus hohen
cylindrischen Epithelialzellen, die mit Cuticula bedeckt sind. Die
Zellen sind auch an lebenden Tieren deutlich erkennbar und zeigen
in Flächenansicht ein Mosaikbild (Fig. 41). Zwischen ihnen sind kleinere
Zellen eingeschaltet, nämlich öldrüsenzellen. Unter der Basalmembran
sind Längsmuskelfasern gelagert, welche sehr fein sind, wie alle Muskel-
fasern des Tieres, und daher nicht immer gut erkennbar. Gewöhnlich
beobachtet man sie gut an teils zerquetschten oder halbabgerissenen
(Fig. 48 MZ) Kiemenanhängen. Die Anzahl der Längsmuskelfasern
ist nicht groß. In einem Fall zählte ich deren vier. An Querschnitten
sieht man gewöhnlich nur zwei (Fig. 43 MZ).
Diesen Muskeln verdanken die Kiemenanhänge das Vermögen,
gewisse Bewegungen auszuführen. Sie können sich nach verschiedenen
Seiten biegen (Fig. 40, wobei an der Oberfläche Falten entstehen), sich
bis zu einem gewissen Grade zusammenrollen, leicht zucken, sich schwach
strecken und verkürzen usw. Während der Bewegungen des Tieres
werden sie nach hinten zurückgebogen und legen sich an die Körper-
wand, um der Bewegung kein Hindernis zu bieten.
Im Innern des Kiemenanhanges findet sich ein Hohlraum (Fig. 43
u. 46 Cöl), dessen Wand mit Zellen belegt ist. Letztere stellen eigent-
lich nichts andres dar, als Peritonealzellen, welche in den Kiemenanhang
eingewandert sind (Fig. 46 Per).
Am distalen Ende jedes Kiemenanhanges, und zwar nur an einer
Seite (dorsal?) findet man eine Anhäufung von öldrüsenzellen, welche
eine lebhafte grasgrüne, zuweilen auch bräunliche Farbe aufweisen
und ziemlich lichtbrechend sind (Fig. 39 ODZ). Hier befinden sich
auch Pigmentzellen, welche übrigens auf dem ganzen Kiemenanhang
zerstreut sind.
An derselben Seite, jedoch weiter basal wärts, befindet sich eine
Zone besonderer Gebilde, welche sofort durch ihr starkes Lichtbrechungs-
vermögen auffallen. Sie sind in der Zahl von 25 — 40 auf einem ovalen
Räume zerstreut. Ihre Gestalt ist verschieden, meist länghch oder
birnförmig. Sie stellen besonders modifizierte Drüsen dar, deren äußere
Enden, besser gesagt, ihr Secret oft weit nach außen hervorragt
über eine neue Ctenodrilusari und ihre Vermehrung. 569
(Fig. 39 KD). Das Innere besteht, an lebenden Tieren untersucht,
aus einer Anzahl einzelner Teilchen von unregelmäßiger Form und
verschiedener Größe. Auch an Schnitten sieht man die unregelmäßigen
und eckigen Umrisse der einzelnen Partikelchen (Fig. 43 KD). Borax-
karmin tingiert letztere ziemlich gut, am besten eignet sich dazu jedoch
reines Eosin, das die Zwischenräume zwischen den einzelnen Körnchen
besonders deutlich färbt (Fig. 44 KD).
An der gegenüberliegenden Seite des Kiemenanhanges sind sehr
feine Wimpern zu sehen, die aber nur auf den distalen Teil beschränkt
sind (Fig. 39 w).
Sehr lange war ich im Zweifel, welche Funktion man den Kiemen-
anhängen zuschreiben dürfte. Ursprünglich wollte ich ihnen die re-
spiratorische Funktion völlig absprechen, da ich an lebenden Tieren
niemals Blutgefäße in ihnen fand. Schließlich aber mußte ich mich
doch entscheiden, sie als Kiemen zu betrachten. Als ich meine sämt-
lichen Präparate sorgfältig durchsah, bemerkte ich an vielen Quer-
schnitten durch die Kiemenanhänge zwei, deutlich mit einer Membran
abgegrenzte runde Räume, welche nicht anders, als als durchschnittene
Kiemengefäße zu deuten sind. Der Raum zwischen den Gefäßen war
von Peritonealzellen ausgefüllt (Fig. 45). Da die Blutgefäße bei Ct.
branchiatus überhaupt sehr zart sind, ist es nicht wunderzunehmen,
daß ich sie nicht sofort gefunden habe. Ihr Fehlen in vielen Kiemen-
anhängen ist dadurch zu erklären, daß sie bei der vollkommenen Ab-
schnürung der Kiemenanhänge von der Körperhöhle, worauf ich noch
zu sprechen komme, wahrscheinlich degenerieren.
Somit erweisen sich die Anhänge des Ct. branchiatus als echte Kie-
men, die zwei Gefäße, ein zuführendes und ein abführendes besitzen
und so an den Bau der Kiemen mancher Anneliden erinnern. Leider
konnte ich wegen der Feinheit der Blutgefäße weder ihren ganzen
Verlauf in der Kieme, noch ihre Abzweigung von den Hauptblutbahnen
verfolgen. Übrigens besteht eine Verbindung mit den letzteren nicht
lange, denn mit der Zeit wird die Kommunikation der Höhle der
Kiemenanhänge mit dem Cölom vollkommen aufgehoben, indem die
Anhänge sich vom Körper abschnüren.
Entwicklung der Kiemenanhänge. Wenn man die ganze
Reihe der Kiemenanhänge an einem beliebigen Tier verfolgt, so kann
man an ihm, wenn man successive, von hinten anfangend, von einem
Segment zu dem vorhergehenden schreitet, fast alle Entwicklungs-
stadien der Kiemenanhänge beobachten. An einem der hintersten
Segmente, gewöhnlich im sechsten, achten bis zehnten von hinten,
570 Iwan Sokolow,
bemerkt man hinten und dorsal jederseits eine kleine Wucherung der
Körperwand. Im nächstfolgenden findet man an der entsprechenden
Stelle schon einen Zapfen; im dritten wird der Zapfen länger usw.,
bis schließlich schon ■ wahre Anhänge, die fortgesetzt an Länge zu-
nehmen, auftreten. Wenn man durch einen solchen Zapfen einen Längs-
schnitt legt, so erscheint das Körperepithel an dieser Stelle nach außen
ausgestülpt (Fig. 46 Ef). Der Peritonealüberzug folgt ihm und kleidet
die so sich bildende Höhle des jungen Anhanges aus. Hierbei werden
jedenfalls auch die Kiemenmuskeln und die Kiemengefäße angelegt
(was übrigens wegen der Zartheit des Objekts meinen Beobachtungen
entgangen ist). Der Umstand, daß die hintere Wand eines jungen
Kiemenhananges an einigen meiner Präparate eine unmittelbare Fort-
setzung des Dissepiments zu sein schien, d. h. sich mit demselben in
einer Querfläche befand, veranlaßt mich anzunehmen, daß die Kiemen-
gefäße Abzweigungen der segmental, und zwar in den Dissepimenten
gelegenen Gefäßringe sein dürften.
Beim weiteren Wachstum des Anhanges wird die Verbindungs-
stelle seiner Höhle mit dem Cölom allmählich eingeengt und schließ-
lich vollkommen geschlossen. Hierbei werden wahrscheinlich auch
die Kiemengefäße vom Hauptblutgefäßsystem abgetrennt. Es ist zu
vermuten, daß die Wände der beiden Kiemengefäße nach dieser Tren-
nung allmählich resorbiert werden und so ein freier Raum entsteht,
weshalb ich zunächst die Kiemennatur der Anhänge verneinen wollte.
Der Kiemenanhang ist jetzt nur noch oberflächlich an die Hypo-
dermis befestigt. Die Anheftungsstelle ist zunächst eine Vertiefung
in der Oberfläche des Segmentes. Diese kleine Vertiefung verschwindet
bald, so daß an ihrer Stelle sogar ein kleiner Höcker sich bildet (Fig. 47).
Dementsprechend wird die Verbindung des Kiemenanhanges mit dem
Körper immer lockerer. Ganz zuletzt reißt das Epithel des Anhanges
von dem des Körpers ab, und man sieht, daß nur die wenigen Längs-
muskeln noch die Verbindung unterhalten (Fig. 48 MZ). Aber sehr
bald reißen auch diese durch, und der Kiemenanhang fällt vom Körper
ab. Was mit ihm weiter geschieht, blieb unbekannt.
Vergleicht man die Kiemenanhänge des Ct. hranchiatus mit dem
Tentakel des Ct. monostylos, so kann man folgende gemeinsame Punkte
hervorheben :
1) Beide liegen subdorsal.
2) Beide besitzen eine gewisse Contractilität, die aber dem Ten-
takel des Ct. monostylos in höherem Maße zukommt.
3) Beide entstehen als Auswüchse der Körperwand,
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 571
4) Vorkommen von >>gelben und grünen Pigmentflecken << bei Ct,
monostyhs, welche doch den Pigment- mid den Oldrüsenzellen des
Ct. branchiatus entsprechen.
5) Ähnliche Drüsenzellen mit lichtbrechendem Inhalt, wie wir sie
für Ct. branchiatus beschrieben haben, hat wahrscheinlich auch Zep-
pelin an dem Tentakel seiner Art beobachtet. Er fand nämlich »in
der Haut des Tentakels einzelne, eigentümliche, größere Zellen, welche
stärker lichtbrechend sind, als die andern Hypodermiszellen« (S. 628).
Über ihre Bedeutung vermochte Zeppelin nichts Bestimmtes zu sagen
und »hielt sie ursprünglich für Nervenzellen« (!), hat aber »bei Be-
handlung mit Osmiumsäure keine Nervenelemente in denselben ent-
decken können.«
6) Die Anwesenheit der Blutgefäße, mit dem Unterschiede, daß
wir bei Ct. monostylos nur ein Gefäß, in unserm Fall aber zwei vor-
finden. Gegen die »sehr dicke, aus großen Zellen bestehende Wan-
dung«, durch welche sich das Tentakelgefäß des Ct. monostylos nach
Zeppelin auszeichnen soll, kann ich nur das einwenden, daß die ge-
nannten Zellen wahrscheinlich Peritonealzellen sind und sich nur eng
um das Gefäß gelagert haben in der Weise, daß sie eine Wand des
letzteren leicht vortäuschen könnten.
7) Wenn den Kiemenanhängen des Ct. branchiatus eine Flimmer-
rinne auch fehlt, so haben sie anstatt dieser doch ein distales Flimmer-
feld, das auch mit »sehr feinen« Wimpern besetzt ist.
Somit sehen wir, daß in vielen Beziehungen zwischen den Gebilden
beider Art große Ähnlichkeit besteht. Aber die Lage des Tentakels am
Kopf Segment, sein spätes Auftreten, und zwar in Ein- oder Zweizahl
und noch manche minderwertige Unterschiede (Regenerationsfähigkeit
des Tentakels usw.) erlauben die Homologie nicht ohne weiteres durch-
zuführen.
Auch die physiologische Rolle scheint eine verschiedene zu sein.
Während die Kiemenanhänge wohl sicher als respiratorische Organe
funktionieren, ist dasselbe beim Tentakel des Ct. monostylos nach
Zeppelin »nicht anzunehmen«.
Bei der Form B fand ich nie Geschlechtsorgane. Auch glaube ich
nicht, daß sie sich zu teilen vermag. Die Teilungserscheinungen be-
ginnen bei ihr erst dann, wenn sie schon im Umwandlungsprozeß be-
griffen ist.
572 Iwaii Sokolow,
Übergangsformen.
Wie ich am Anfang bemerkte, fand ich zusammen mit den beiden
Formen A und B auch solche Individuen, welche ihrer Organisation
nach zwischen A und B gestellt werden müssen. So kamen solche
vor, bei denen die Augen und die Wimperreife vollkommen fehlten,
also Verhältnisse, welche sie der Form A nähern, bestanden, die Kiemen-
anhänge dagegen fast in Vollzahl vorhanden waren. Andre wiederum
zeigten außerdem eine mehr oder weniger weit gehende Verminderung
der Kiemenanhänge; endlich wurden auch solche beobachtet, die nur
einen einzigen rechten oder linken Kiemenanhang an irgend einem
Segment, meist am fünften oder sechsten, trugen.
Diese Beobachtungen zeigen uns, daß Ct. branchiatus einer Um-
wandlung fähig ist. Diese besteht darin, daß die Form B sich in A
umgestaltet, was mir durch das Auffinden einer successiven Reihe von
Übergangsformen festzustellen gelang. Zunächst verliert B die Wimper-
kränze (Fig. 38), dann die Augen und schließlich auch die Kiemen-
anhänge. Der Kiemenverlust geht nur allmählich vor sich, indem die
vorderen Kiemen, als die stärksten, längere Zeit mit dem Körper in
Verbindung bleiben.
Inzwischen können diese Übergangsformen einem Autotomieprozeß
unterliegen und in kleinere, aus wenigen Segmenten bestehende Indi-
viduen zerfallen. Sogar bei letzteren findet man nicht selten noch
vereinzelte Kiemenanhänge, welche aber schon sehr lose an dem Körper
befestigt sind (Fig. 74).
Welche Umstände den Übergang der höher organisierten Form B
in die niedriger organisierte Form A bedingen, läßt sich schwer be-
stimmt sagen. Jedenfalls haben wir es hier nicht mit einem Einfluß
des umgebenden Mediums zu tun, denn beide Formen, A und B, wurden
von mir unter gleichen Lebensbedingungen, zu derselben Zeit und in
ungefähr gleichem Zahlenverhältnis gefunden. Meiner Ansicht nach
muß die eben besprochene Verwandlimg irgend eine Beziehung zu der
auftretenden Sexualität haben und erinnert somit an solche Erschei-
nungen, welche unter dem Namen der Epitokie bekannt sind. Darauf
kommen wir noch weiter zu sprechen.
Parasiten. Mehr als die Hälfte unsrer Ctenodrilen war mit einer
monocystiden Gregarine infiziert. Schon an lebenden Exemplaren
sind diese Gregarinen in Form ovaler flacher Gebilde, die in der Mitte
mit einem hellen runden Fleck versehen sind, zu beobachten. Sie
über eine neue Ctenodrihisarl und ilup \'e]uiehrung. 573
zeichnen sich durch ihre Größe aus (bis über 50 // Länge und 20 fi
Breite) und sind mit einem großen Kern und einem Nucleolus ver-
sehen. Sie finden sich in den Zellen des Darmepithels, sind also intra-
celluläre Parasiten. Da sie die Größe der Darmzellen weit übertreffen,
so sind die letzteren stark aufgebläht; ihr Protoplasma umgibt nur
in Form eines dünnen Saumes die Gregarine, und der abgeflachte Kern
ist ganz an die Oberfläche gedrängt. In einem Ctenodrüus kann man
bis 20 und mehr Parasiten finden.
Embryonale Entwicklung.
Die geschlechtliche Vermehrung der Ctenodi'ilen ist, wie wir wissen,
den Beobachtungen früherer Forscher gänzlich entgangen. Nur Monti-
CELLi gab 1907 in seiner vorläufigen Mitteilung eine kurze Beschreibung
der Entwicklung von Ct. serratus. Die Hauptresultate seiner Beob-
achtungen lassen sich folgendermaßen resümieren.
Zu einer bestimmten Jahreszeit (Sommer, August) verwandelt sich
Ct. serratus in eine geschlechtliche Form und bekommt Wimpern (ob
dieselben den ganzen Körper, und zwar gleichmäßig, bedecken, oder in
Zonen angeordnet sind, davon spricht der Autor nichts). Die Art ist
proterandrisch-hermaphrodi tisch. Die Befruchtung erfolgt in der
Leibeshöhle, wo die Eier sich rasch entwickeln und zu Larven werden,
welche eine charakteristische Bildungs weise der Gastrula, eine eigen-
artige Form und ein Wimperkleid haben sollen. Näheres wird nicht
darüber berichtet. Die Larven verwandeln sich rasch in junge (giovanis-
simi) Ctenodrilen, die ebenfalls mit Wimpern versehen sind. Nachdem
sie sich gänzlich entwickelt und Borsten bekommen haben, fangen sie
an, einzeln aus einer bestimmten, aber dennoch variierenden Stelle
des Körpers auszuschlüpfen, indem sie die Leibeswand durchbrechen,
wobei letztere rasch durchreißt. Die jungen Larven verlieren sehr bald
ihr Wimperkleid und nehmen die charakteristische Gestalt und Farbe
der ungeschlechtlichen Form an. Nachdem sie erwachsen sind, teilen
sie sich durch Autotomie.
Es glückte mir im Oktober 1909 die geschlechtliche Vermehrung
der neuen Ctenodrüus- Alt zu entdecken und manche interessante Ent-
wicklungsmomente zu beobachten. Leider blieben meine embryologischen
Beobachtungen sehr lückenhaft, da ich Neapel verlassen mußte, ehe
ich genügend embryologisches Material sammeln konnte. Von mehreren
hundert Exemplaren, die ich untersuchte, enthielten nur etwa 50 Em-
bryonen. Die größte Zahl der Embryonen war schon in der Entwick-
lung weit vorgeschritten und besaß daher geringeres Interesse. Über
574 Iwan Sokolow,
die ersten Anfänge der Entwicklung blieb ich gänzlich im unklaren.
Trotzdem will ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen auseinander-
setzen, weil sie, wie ich glaube, ein gewisses Interesse bieten.
Blastula und die drei Embryonalschichten. Mesodermanlage.
Über die Befruchtung und die ersten Furchungserscheinungen
vermag ich gar nichts zu berichten, da mir das entsprechende Material
leider vollkommen fehlte.
Das früheste Entwicklungsstadiura, das ich fand, war eine höchst
eigentümliche Blastula, wenn ich sie überhaupt so nennen darf, bei der
aber schon manche Differenzierungen eingetreten waren. Diese Bla-
stula war verhältnismäßig dünnwandig und von ungefähr ovoider
Form (Länge 78, Breite 63 fx). Im Innern befand sich ein geräumiges
Blastocöl. Mit demjenigen Ende, an dem später der Blastopor liegt
und das zum Vorderende des Tieres wird, war die Blastula an die Go-
nade, d. h. an jenes Häufchen von Eizellen befestigt, welches, wie wir
bereits wissen, um das ventrale Blutgefäß des siebenten Rumpfseg-
mentes gelegen ist (Fig. 53). Die Befestigung geschah derart, daß die
Zellschicht, welche die Wand der Blastula bildete, keine vollständige
Blase darstellte, sondern an der Befestigungsstelle unterbrochen war.
Hier bestand also, sozusagen, eine Öffnung in der Blastula, mit der
sie jedoch fest an den Eizellenkomplex geheftet war. Die Zellen,
welche die Blastulawand bildeten, waren alle von gleicher Beschaffen-
heit und bildeten eine Art Plattenepithel, welches das Ectoderm re-
präsentierte. Die Entodermzellen waren nur spärlich entwickelt, und
zwar nur an einer bestimmten Stelle am Rand der Blastulaöffnung,
indem sie mit den Eizellen scheinbar in Verbindung standen. Diese
Entodermzellen (Ent), welche viel größer als die Ectodermzellen und
außerdem stark vacuolisiert waren, kann man auf der Fig. 54 sehen,
welche einen mehr tangentialen Längsschnitt durch die Blastula dar-
stellt (man stelle sich vor, daß er über dem Längsschnitt, der auf Fig. 53
abgebildet ist, gelegen ist). Da die Entodermzellen bei allen Embryonen,
auch auf weit vorgeschrittenen Stadien, immer mit Vacuolen versehen
waren, möchte ich annehmen, daß letztere einen ernährenden Stoff
enthalten, der für den Aufbau des Embryos verwendet wird.
Was an dem in Rede stehenden Blastulastadium besonders auf-
fällt, ist die sehr frühe Mesodermanlage. Es sind aller Wahrschein-
lichkeit nach zwei Urmesodermzellen, welche das gesamte Mesoderm
liefern, wie es ja so häufig vorkommt. Die Mesodermanlage zeigt sich
hier schon in Form zweier ziemlich entwickelter Streifen, die doch
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 575
wohl nur aus zwei Urmesodermzellen entstanden sein können (Fig. 53
u. 54:Mes).
Das sonderbare Vorkommen der Mesodermstreifen auf einem so
frühen Stadium schien mir lange Zeit im Widerspruch mit dessen
Auffassung als Blastula. Aber die überall einschichtige Wand, die
große innere Höhle und die noch sehr geringe Entfaltung der Ento-
dermzellen, wobei von einer eigentlichen Gastrulation noch gar keine
Rede sein kann, veranlassen mich, dieses Stadium doch als eine, wenn
auch sehr eigentümliche Blastula zu deuten. Wegen der Mesoderm-
streifen besitzt der Embryo schon auf dieser Entwicklungsstufe eine
bilaterale Symmetrie. Man kann auch die rechte und linke Seite unter-
scheiden, weil die Entodermzellen nur an einer Stelle, am Rande der
Blastulaöffnung, und zwar dorsal in der Sagittalebene angesammelt sind.
Die Verbindung des jungen Embryos mit der Gonade und mittels
dieser auch mit dem Blutgefäßsystem hat wahrscheinlich den Sinn,
daß dem sich entwickelnden Embryo dadurch Nahrungsstoffe geliefert
werden. Ob wir es hier aber mit einer eigentlichen Placentarbildung
zu tun haben, läßt sich nicht bestimmt sagen, da ich nur wenige solche
Fälle untersuchen konnte. Jedenfalls ist eine derartige Verbindung
des Embryo mit den Eizellen, soweit es mir bekannt ist, ein einzig
dastehender Fall bei den Würmern. Eine große Bedeutung für die
Ernährung der Embryonen scheint aber diese Erscheinung nicht zu
haben, weil die Verbindung schon auf den jüngsten Stadien aufhören
kann. Außerdem findet man neben den eben beschriebenen Fällen
auch solche, wo die Embryonen sich frei in der Leibeshöhle, d. h. ohne
jegliche Kommunikation mit den Eizellen entwickeln.
Fig. 55 stellt eine solch freie Blastula dar. Sie war auch ovoid,
bestand aus geringerer Zahl von Zellen und hatte folgende Größen-
verhältnisse: Länge 67, Breite 37 f.i. Die Größe blieb hier geringer
als im vorhergehenden Falle, obgleich fast gleich weit vorgeschrittene
Stadien vorlagen. Den größeren Teil der Blastulawand bildeten auch
hier etwas abgeplattete Ectodermzellen. Das Vorderende, mit dem
die früher beschriebene Blastula an die Gonade befestigt ist, wird von
wenigen, aber sehr großen und stark vacuolarisierten Entodermzellen
gebildet. Die beiden Mesodermstreifen sind an der Rückenseite gegen-
einander gerückt ; in der Fig. 55 Mes ist das Mesoderm längs durch-
schnitten. Diese Blastula hatte gleichfalls eine bilateral-symmetrische
Form, wobei die gewölbte Rücken- und die flache Bauchseite deutlich
zu unterscheiden waren.
Die verschiedenen Größenverhältnisse zweier offenbar gleich
576 Iwan Sokolow,
alter Stadien lassen sich wahrscheinlicli dadurch erklären, daß im
ersten Falle der Embryo, dank seiner » Placenta «, mehr Nahrvmgsstoff e
bekommen hat, als der frei entwickelte. Außerdem muß ich schon
jetzt hervorheben, daß bei der Entwicklung des Ct. hranchiatus die
Größenverhältnisse der Embryonen und auch die Aufeinanderfolge
einzelner Entwicklungsmomente recht erheblichen Schwankungen unter-
liegen, was wir in der Folge noch öfters finden werden. Man erhält
den Eindruck, daß die Tiere noch keine fest bestimmte Entwicklungs-
bahn erlangt haben. Vielleicht findet dieser Umstand in der ver-
einfachten Organisation der Ctenodrilen seine Erklärung.
Weshalb finden wir aber die analogen Stadien in einem Falle frei,
im andern befestigt? Wahrscheinlich hängt dies mit der Menge der
Eizellen in der Gonade zusammen. Wie wir sahen, stehen die Eizellen
miteinander in inniger Verbindung. Wenn sich nun ein befruchtetes
Ei zu teilen beginnt, bleibt diese Verbindung mit seinen unbefruchteten
Nachbarn eine mehr oder weniger lange Zeit bestehen. Wenn aber in der
Gonade nur ein einziges Ei enthalten ist, so findet es bei seiner weiteren
Entwicklung kein Substrat, woran es haften kann, und muß sich frei
in der Leibeshöhle entwickeln. Damit stimmen auch meine Beobach-
tungen überein. Bei Tieren, deren jüngste Embryonen frei in der
Leibeshöhle lagen, fand ich keine Andeutungen von Eizellen mehr.
Außerdem waren, wie gesagt, die betreffenden Embryonen viel kleiner.
Gastrulation. Schließung des Blastoporus.
Der nächste Entwicklungsschritt, über den ich mehr oder weniger
Klarheit gewonnen habe, ist die Gastrulation. Da sie bei den freien
Embryonen einfacher verläuft, werde ich mit diesen beginnen. Die
wenigen großen und stark vacuolisierten Entodermzellen, die am
Vorderende der Blastula liegen, beginnen sich stark zu vermehren.
Lidem ihre Zahl zunimmt, dringt der ganze Zellkomplex in das Blasto-
cöl ein (Fig. 57). Die innersten Zellen lösen sich oft ab und gelangen
bis zum hinteren Ende des Blastocöls. Es liegt auf der Hand, daß wir
es hier mit einem typischen Immigrationsprozeß zu tim haben. Die
Vermehrung der Zellen geht so weit, bis das ganze Blastocöl ausgefüllt ist.
Jetzt schließt sich der Blastoporus. Als solchen muß man ja die
Stelle des Embryos deuten, wo die Entodermzellen noch entblößt sind.
Die Ectodermzellen, welche diese Stelle von allen Seiten umgeben,
wachsen gegeneinander (Fig. 57) und überdecken schließlich die Ento-
dermzellen vollkommen.
Wenn der Embryo in Verbindung mit der Gonade steht, verläuft
über eine neue Ctenodrilusart und ilu'c Vernichrung. 577
der Prozeß etwas anders. Hier ersetzt der Eizellenkomplex sozusagen
die Anhäufung der Entodermzellen am oralen Pole. Demnach ist
die Blastula nicht geschlossen, sondern sitzt mit ihrer Öffnung den
Eizellen auf. Diese Öffnung muß bei der Gastrulation morphologisch
dem Blastoporus entsprechen.
Die Entodermzellen, welche ursprünglich nur an einer Stelle, am
Rande der Öffnung lagen und so unmittelbar in Berührung mit den
Eizellen standen, vermehren sich auch hier rege und erfüllen, wie im
vorhergehenden Fall, das ganze Blastocöl. Die so entstandene Immi-
grationsgastrula besitzt noch eine breite Öffnung (Blastoporus) am
vorderen Ende, mit der sie noch einige Zeit an die Eizellen befestigt
bleibt. Das Entoderm steht somit auch mit den letzteren in Zusammen-
hang (Fig. 62 x). Auf Fig. 62 habe ich einen Querschnitt durch zwei
solcher Embryonen, die sich im gleichen Gastrulastadium befanden
und die eben geschilderten Verhältnisse klar zeigen, abgebildet.
Hierauf wachsen die Ränder des weiten Blastoporus gegeneinander,
wobei sich der Embryo von der Gonade loslöst. Der Zeitpunkt der
Ablösung scheint großen Schwankungen zu unterliegen. Ich möchte
hier lairz bei einem Fall verweilen, wo ich noch eine Verbindung
mit der Gonade bei einem Embryo fand, der schon eine gut entwickelte
Darmhöhle, ein segmentiertes Cölom und Augenpigment gebildet hat.
Fig. 60 zeigt einen Sagittalschnitt durch den vorderen Teil eines solchen
Embryos. Man kann deutlich sehen, wie die Ectodermzellen in un-
mittelbarem Zusammenhang mit den Eizellen stehen; diese Verbindung
jedoch findet sich hier nur oben {Ect.o); der untere Rand der ur-
sprünglichen Blastulaöffnung (Ect.u) ist schon abgelöst. Letzterer
Rand wächst jetzt dem oberen entgegen, und der Embryo verändert
dabei die Richtung seiner Längsachse im Körper der Mutter. Bei BIP
ist noch eine Öffnung vorhanden. Sie muß trotz des sehr alten Sta-
diums dem Blastoporus (! ) homologisiert werden.
- Nach der Blastoporschließung hat der Embryo im allgemeinen
eine längliche Gestalt und besteht aus einer äußeren Wand, dem Ecto-
derm und einer inneren Zellmasse, dem Entoderm, in der keine Spur
von Höhle wahrzunehmen ist; zwischen beiden liegt das Mesoderm in
Form von zwei Streifen, die in der Dorsallinie zusammenhängen. Ein
Querschnitt durch ein solches Stadium ist auf der Fig. 59 abgebildet.
Weitere Differenzierung bis zur Bildung des Cöloms.
Eine weitere Differenzierung zeigt sich zunächst darin, daß bei
dem zuletzt geschilderten Stadium das Ectoderm am vorderen Ende
Zeitschrift f. wiasensch. Zoologie. XCVII. Bd. 38
57$ Iwan Sokolow,
mehrschichtig wird, wodurch die sogenannte Scheitelplatte entsteht.
Im tieferen Teil der letzteren tritt bald das erste Anzeichen des Cerebral-
ganglions in Form eines halbmondförmigen Fleckes auf, der noch ganz
im Ectoderm liegt und schon aus einer »fibrillären Punktsubstanz«
(Galvagni) besteht. An der Bauchfläche verdickt sich das Ectoderm
gleichfalls und wird mehrschichtig (Bauchplatte). Die Bauchgangiien,
welche auf dieselbe Weise entstehen, werden erst viel später angelegt.
Da das Cerebralganglion und die Bauchnerv enkette unabhängig von-
einander entstehen, treten sie erst später durch die beiden Schlund-
commissuren miteinander in Verbindung.
Mit der Anlage des Cerebralganglions tritt auch die Augenbildung
auf. Man kann schon auf sehr jungen Entwicklungsstadien zu beiden
Seiten des Vorderendes kleine Anhäufungen von dunkelbraunen bis
schwarzen Pigmentkörnchen wahrnehmen.
Ungefähr um die Zeit der Cölombildung, meist aber noch vor der-
selben, beginnt das Ectoderm an der ventralen Seite des Vorderendes
sich einzustülpen. Auf diese Weise wird der Vorderdarm mit der
Mundöffnung angelegt. Die Einstülpung erhebt sich zunächst gegen
die Dorsalseite, folglich unter rechtem Winkel zur Längsachse des
Körpers (Fig. 63 M).
Zuweilen kann die Vorderdarmbildung sehr spät auftreten. Auf
Fig. 60 ist das Vorderende eines Embryos abgebildet, der noch keine
Spur der Einstülpung besitzt, obgleich der Mitteldarm und das Cölom
in ihrer Entwicklung weit fortgeschritten sind.
Inzwischen wachsen die beiden Mesodermstreifen auch ventral
gegeneinander, so daß sie schließlich auch ventral verwachsen. So
entsteht eine ununterbrochene Mesodermschicht zwischen Ecto- und
Entoderm.
Im Zwischenraum zwischen der Vorderdarmeinstülpung und der
Scheitelplatte bildet das Mesoderm einen dorsalen Auswuchs, der für
den Kopf bestimmt ist und den Peritonealüberzug der Kopflappen-
höhle erzeugt. Anfangs muß dieser Auswuchs die Gestalt einer ein-
schichtigen Platte haben, welche nachher zweischichtig wird, wie wir
es auf Fig. 63 KMes sehen können.
Ventral und hinter der Vorderdarmeinsenkung bemerkt man
eine Mesodermverdickung (Fig. 63 Schk), die bald näher zur Mittel-
achse des Körpers rückt und sich dem Vorderdarm hinten in Form
von einer Platte anlegt. Dies ist die Anlage des Schluudkopfes
(Fig. 65 Schk).
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 579
Noch vor der Bildung des Cöloms sondert sich im vorderen Rücken-
teil des Embryos vom Mesoderm ein besonderer Zellkomplex ab. Diese
Zellen sieht man deutlich auf Fig. 63 HzK. Sie liegen dem Entoderm
dicht an und bleiben auch später mit ihm, wenngleich nur mit ihrem
hinteren Teil, in Berührung. Dagegen trennen sie sich vom Mesoderm
vollständig ab. Dieser Zellkomplex ist nichts andres als der Anfang
des Herzkörpers. Dies Gebilde ist sogar schon auf den Stadien histo-
logisch zu unterscheiden, wo es sich vom Mesoderm noch nicht ab-
gelöst hat. Seine Zellen besitzen nämlich größere Kerne, und ihre
Grenzen treten sehr deutlich hervor.
Auch im Entoderm treten gewisse Veränderungen auf. Seine Zellen
sind ursprünglich ohne eine bestimmte Ordnung als eine kompakte
Masse zusammengefügt. Mit der Zeit fangen sie an, sich in ein ein-
schichtiges Epithelium, sozusagen, um die Längsachse des Körpers
zu ordnen. Dabei wird wahrscheinlich eine große Zahl der Entoderm-
zellen resorbiert. Erst viel später entsteht in dieser massiven Zellmasse
ein Spaltraum, die zukünftige Darmhöhle. Auch diese Differenzierung
kann zu recht verschiedener Zeit auftreten: manchmal schon ziemlich
früh (Fig. 60), manchmal verhältnismäßig spät, wie aus der Fig. 66
zu ersehen ist. Die Spaltung, welche die Bildung der Darmhöhle be-
wirkt, beginnt nicht vom vorderen Ende des Embryos, sondern beginnt
zuerst etwa in der Mitte des Entoderms und schreitet von hier zunächst
gegen den Vorderdarm und viel später nach hinten bis zum Enddarm
fort.
Bildung des Cöloms.
Wenn ich die einzelnen Phasen der Entwicklung schildere, so soll
das nicht etwa bedeuten, daß der Entwicklungsprozeß streng in der
Aufeinanderfolge verlaufe, wie ich sie darstelle. Wie ich schon mehr-
mals hervorhob, finden wir auf jeden Schritt und Tritt zahlreiche
zeitliche Abweichungen im Auftreten und der Aufeinanderfolge ver-
schiedener Differenzierungen. Ebenso steht es mit der Cölombildung.
Wenn wir einerseits auf dem Stadium, welches die Fig. 63 darstellt,
noch keine Andeutungen der Leibeshöhlenbildung finden können, sehen
wir anderseits bei dem Embryo der Fig. 58, dessen Blastoporus nicht
einmal geschlossen ist, schon eine weit fortgeschrittene Cöloment-
wicklung.
Die Cölombildung wird zunächst dadurch eingeleitet, daß das
Mesoderm, welches in der Art einer einschichtigen Zelllage das Ento-
derm vöUig umfaßte, zweischichtig wird. Die äußere Schicht stellt
38*
580 Iwan Sokolow,
die zukünftige Somatopleura, die innere die Splanchnopleura dar.
Beide weichen im Verlauf der Entwicklung auseinander zur Bildung
der Cölomhöhle. Die Cölomausbildung geht segmental vor sich, d. h.
es bildet sich keine gemeinsame Höhle, sondern in jedem Segment
tritt gesondert eine paarige, rechte und linke Cölomhöhle auf, die
durch die Längsmesenterien von Anfang an voneinander getrennt sind.
Die aufeinander folgenden Cölomabschnitte werden durch Dissepimente
geschieden (Fig. 58).
Die Entwicklung der einzelnen Somite erfolgt nicht gleichzeitig.
Zuerst bilden sich die mittleren aus, und zwar diejenigen, welche weiter
vorn liegen. Von da aus schreitet die Cölomausbildung nach vorn und
nach hinten fort.
Das Cöloni des Kopflappens entsteht folgendermaßen. Wir sahen
schon oben, daß sich zwischen das Stomodäum und die Scheitelplatte
eine Mesodermplatte eingeschoben hat. Sie ist ein dorsaler Auswuchs
des vorderen Somitenpaares. Ob diese Mesodermplatte selbst paarig
ist, konnte ich nicht entscheiden. Auf Fig. 63 ist ein Längsschnitt
durch sie abgebildet, der zeigt, daß die Platte sich schon gespalten hat,
ebenso wie die Körpersomite. Durch Auseinanderweichen der beiden
Wände entsteht die Höhle des Kopflappens, die also mit einem echten
Peritoneum ausgekleidet und folglich ein Cölomanteil ist.
Unsre Beobachtung steht im Einklang mit den Resultaten, zu
denen Ed. Meyer (Ol) nach seinen Untersuchungen über die Anneliden
gekommen ist. Bei ihm heißt es also: »Bei den Anneliden besitzt der
Kopf läppen keine eignen Mesodermsegmente, sondern erhält seine peri-
toneale Auskleidung durch Ausdehnung der Wandungen des ersten
postoralen, also Rumpfsomitenpaares nach vorn<< (S. 522).
Das Problem, wie eigentlich der Kopf von Ctenodrilus aufgebaut
ist, besitzt großes Interesse. Galvagni hält (S. 67) es für wahrschein-
lich, »daß bei Ctenodrilus das erste nach hinten abgegrenzte Segment
als Peristomium oder Mundsegment zu bezeichnen ist, d. h. dem Meta-
stomium nebst erstem Rumpf segment entspricht« (im Sinne Hat-
scHEKs). Ich kann diese Meinung nur bestätigen. Meiner Ansicht
nach spricht für diese Annahme zunächst die Lage des ersten Bauch-
ganglienpaares vor dem ersten definitiven, den Kopf abgrenzenden
Dissepiment. Dieses erste Gangiienpaar entwickelt sich aus einer ein-
heitlichen Anlage mit den andern Bauchganghen und gehört somit
dem ersten Rumpfsegment an (vgl. S. 20 ff). Anderseits fand ich an
meinem allerdings sehr spärlichen embryologischen Material auf ge-
wissen Entwicklungsstadien ein Dissepiment im Kopf, welches viel-
über eiue neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 581
leicht gerade die Grenze zwischen dem eigentlichen, aus Pro- und
Metastomium bestehenden und mit einem Cerebralganglion versehenen
Kopfsegment und dem ersten Rumpfsegment andeutet. Diese Ver-
hältnisse werden deutlicher bei der Betrachtung der Fig. 64, 65 u. 66
(KDs). Fig. 65 ist ein Sagittalschnitt durch einen Embryo, der sich
gekrümmt hat, und zwar so, daß hier die Insertionsstelle des Ento-
derms an den sich bildenden Vorderdarm nicht getroffen ist. Um so
deutlicher aber treten die Dissepimente hervor. Dsi ist das defini-
tive Dissepiment zwischen Kopf und Rumpf; KDs dagegen das eben
erwähnte Kopf dissepiment. Man muß bei der Beurteilung dennoch
sehr vorsichtig sein, denn neben dem erwähnten Dissepiment fand ich
bei Embryonen noch gewisse Mesodermzüge im Kopfcölom, welche
eigentlich die .Vnlage der Kopflappenmuskelzüge sind, sich aber
histologisch sehr wenig vom Bau der dünnen Dissepimente unter-
schieden (vgl. Fig. Q6MZ; ein breiterer Zug bei y stellt vielleicht die
Anlage der Kopf gef äße vor?). Bei der weiteren Entwicklung ver-
schwindet das Dissepiment KDs im Kopfe gänzlich.
Das erste, hinter dem ersten Bauchgangiienpaar gelegene Disse-
piment (Dsi) bleibt sowohl bei Embryonen, als auch bei erwachsenen
Individuen dauernd erhalten und ist im Vergleich mit dem von Ct.
serratus und farvulus kein halbes, sondern ein ganzes. Es durchzieht
gewöhnlich den Körper nicht ganz quer, sondern verläuft in seinem
dorsalen Teile etwas schräg nach hinten.
Ich hebe hervor, daß in dem Embryo noch vor dem Durchbruch
des Afters, der allerdings spät auftritt, alle 20 — 25 Segmente, oder
auch mehr, schon angelegt sind. Wie wir sehen werden, ist diese Tat-
sache wichtig für die richtige Deutung des sogenannten Enddarmes.
Weitere Differenzierung nach der Bildung des Cöloms.
Schon auf den jüngeren Entwicklungsstadien fanden wir, daß
das Ectoderm, außer am Kopf, auch an der Ventralfläche des Embryos
mehrschichtig wurde (Bauchplatte). Jetzt beobachtet man, daß unter
der Anheftungsstelle jedes Dissepiments und etwas vor denselben sich
die Bauchganglien allmählich differenzieren. Indem sie durch Com-
missuren verbunden werden, bilden sie die Bauchnervenkette. Vorn
tritt letztere durch die Schlundcommissuren mit dem Cerebralganglion
in Verbindung.
Der Kopflappen wächst unterdessen ziemhch stark nach vom
und bekommt allmählich sein definitives Aussehen. Das Cerebral-
ganglion verliert seine ursprüngliche, an die Verhältnisse der andern
582 Iwan öokolow,
Ctenodrilus- Arten erinnernde, vollkommen (basi)epitheliale Lage und
senkt sich in die Kopflappenhöhle.
Die Augen, die schon viel früher angedeutet waren, erscheinen
nun als zwei schwarze Flecken zu beiden Seiten des Kopfes (Fig. 64 Au).
Die ursprünglich im Körperinnern nur angedeutete Segmentierung
(Fig. 69) wird jetzt auch äußerlich kenntlich: 1) bekommt der Körper
ringförmige Einschnürungen, welche genau den Anheftungsstellen der
Dissepimente entsprechen; 2) beginnt die Bildung der Kiemenanhänge,
welche auf die, bereits auf S. 570 geschilderte Weise vor sich geht;
3) erscheinen am Vorderrande der ventralen Hälfte jedes Segmentes
quere Streifen ursprünglich zarter Wimpern, die jedoch allmählich
länger und dicker werden. Natürlich erleidet das Epithelium, welches
sie trägt, die entsprechende Umdifferenzierung (Fig. 66 WR).
Nicht alle Segmente erlangen gleichzeitig dieselbe Ausbildung.
Ungefähr im fünften bis achten Segment verläuft der Entwicklungs-
prozeß am raschesten und verzögert sich in der Richtung nach vorn bzw.
nach hinten um so mehr, je weiter das betreffende Segment von dieser
Stelle entfernt ist. Deswegen befinden sich auch bei erwachsenen
Tieren die längsten Kiemenanhänge, wie wir es schon wissen, nicht an
den vordersten Segmenten, sondern etwas weiter nach hinten.
In bezug auf die Wimperreife möchte ich noch hinzufügen, daß es
dieselben Wimperreife sind, welche wir bei der Form B antrafen. Die
Larven von Ct. serratus sollen nach Monticelli ein Wimperkleid be-
sitzen. Ob dabei die Wimpern in Gürtel angeordnet erscheinen, wissen
wir nicht. Jedenfalls besteht aber ein Unterschied darin, daß die jüng-
sten Individuen (giovanissimi) von Ct. serratus ziemlich schnell nach
dem Verlassen der Leibeshöhle ihre Cilien verlieren und in eine wimper-
lose ungeschlechtliche Form übergehen, bei Ct. branchiatus dagegen
gerade die ungeschlechtliche Form B mit Wimpern versehen bleibt.
Die ectodermale Einsenkung am Kopfende, der Anfang des Vorder-
darmes, wächst ziemlich stark in die Länge, indem sie fast unter einem
rechten Winkel eine Biegung nach hinten macht. Jetzt kann man
an der Anlage zwei Abschnitte unterscheiden : einen vertikalen Schenkel,
von der äußeren Öffnung bis zur Umbiegung, und einen horizontalen,
von da bis zur Insertion an den Mitteldarm (Fig. 66). Da der weiter
wachsende horizontale Abschnitt Raum brauchte, wurde der Mittel-
darm um ein Paar Segmente nach hinten geschoben und hat bei dieser
Gelegenheit vielleicht seine ersten Windungen erhalten. Aus dem
horizontalen Schenkel entsteht der Oesophagus, dessen Epithel bald
zu wimpern anfängt.
über eine neue Ctenodiiiusart und ihre Vermehrung. 583
Der vertikale Abschnitt bildet den ganzen Mvmdapparat. Auf
Fig. 66 sehen wir bei z eine tiefe Einsenkung. Der Teil des Ectoderms,
welcher ventral von derselben liegt, wird zum Epithel des Schlund-
kopfes. Aus der dorsalen Hälfte entstehen die beiden Falten : die untere
und die obere, welch letztere durch die besondere Anordnung der Kerne
bei OF schon angedeutet ist.
Zu derselben Zeit nähert sich der Aushöhlungsprozeß im Entoderm,
d. h. die Bildung der Darmhöhle, in der Richtung nach vorn seinem
Ende, so daß schließlich eine volle Kommunikation zwischen dem
Oesophagus und dem Mitteldarm eintritt. (Auf Fig. 66 ist diese Ver-
bindung noch nicht erfolgt.)
Der Schlundkopf differenziert sich aus einem Teile derjenigen
Mesodermverdickung, die wir hinter der Vorderdarmeinstülpung finden.
Auf Fig. 66 erscheint diese Mesodermverdickung schon oval, ist aber
noch recht klein und ein Komplex von gleichartigen Zellen. Ihre
Differenzierung tritt viel später ein {Sclik). Nicht alle Zellen der er-
wähnten Mesodermverdickung beteiligen sich am Aufbau des Schlund-
kopfes, vielmehr dient ein großer Teil von ihnen zur Bildung des
Muskelapparates des Schlundkopfes (Fig. 66 SchM).
Der Zellenhaufen, welcher schon auf sehr jungen Stadien die An-
lage des Herzkörpers bildete, sondert sich vom Mesoderm ab und
senkt sich in das Körperinnere (Fig. 66 HzK). Hinten steht der Herz-
körper, auch bei erwachsenen Ctenodrilen, mit dem Mitteldarm in
Berührung. Die Cölomtaschen, welche sich ungefähr gleichzeitig ent-
wickeln, umwachsen den Herzkörper von beiden Seiten derart, daß sie
um ihn einen freien Raum offen lassen. Letzterer stellt das Rücken-
gefäß, oder präziser gesagt, dessen Dorsalast vor (Fig. 66 RVD). Die
histologische Beschaffenheit der Herzkörperzellen hat sich gar nicht
geändert, und die Deutlichkeit der Zellgrenzen blieb erhalten. Erst
gegen das Ende der ganzen Entwicklung muß der Herzkörper seine
definitive Beschaffenheit bekommen. Die scharlachroten oder grünen
Körncheneinschlüsse treten erst bei der erwachsenen Form B auf.
Als das Wichtigste erscheint, daß es gelungen ist, die Entstehung
des Herzkörpers aus dem Mesoderm bestimmt nachzuweisen. Dies ist
insofern von Interesse, als bis jetzt sehr verschiedene Ansichten hier-
über geäußert wurden, ohne immer das Richtige zu treffen. Ich werde
nicht näher auf die geäußerten Meinungen eingehen, will aber erwähnen,
daß direkte Beweise für die Herzkörperbildung bis jetzt so gut wie
gänzlich fehlten. Es gelang eigentlich nur Picton (98) (abgesehen
von einer älteren Angabe von Salensky [83]), den mesodermalen
584 Iwan Sokolow,
Ursprung des Herzkörpers zu beobachten. Picton schreibt darüber
folgendes: "From the first it shows signs of pigmentation. Even in
the hving state a cavity can be recognized in it, whilst sections show
that part at least of this cavity opens directly into the coelom on
the ventral side of ' the heart just anterior to its origin. In other
words, the heart-body is an in-pushing of the heartwall. It shows
no connection whatsoever with the hypoblast. Later the open con-
nection with the coelom appears to be narrowed, and finally obliterated"
(S. 293; beobachtet an Polymnia nebulosa).
Wie man sieht, unterscheidet sich hier der Vorgang von unserm
Fall darin, daß der massive Herzkörper von Ct. branchiatus sich zu-
nächst vom Mesoderm abtrennt und erst dann von den Cölomtaschen,
die um ihn das Rückengefäß bilden, umwachsen wird. Bei Polymnia
nebulosa aber tritt sekundär eine Einstülpung der Gefäßwand ein.
Wie das auch sein mag, beide Fälle haben das gemeinsam, daß sie die
mesodermale Natur des Herzkörpers feststellen.
Die Ansichten Horsts (85) und Beddards (95), welche den Herz-
körper als einen Divertikel des Darmes entstehen lassen, sind unhaltbar,
denn der Herzkörper steht mit dem Mitteldarm nur in Berührung, hat
aber genetisch mit ihm gar nichts zu tun.
Die Entstehung des Blutgefäßsystems war schwer zu verfolgen.
Nach der Blastoporschließung war im Embryo keine Spur von einer
primären Leibeshöhle nachzuweisen: das Mesoderm legte sich eng an
das Entoderm an. Erst, nachdem die Cölomhöhle entstanden ist,
kann man auch von der Bildung der Blutgefäße reden. Die beiden
Cölomtaschen eines Segmentes stehen dorsal und ventral von dem
Darm miteinander in Berührung. Nun fangen sie an, allmählich aus-
einander zu weichen, indem z^vischen ihnen freie Räume auftreten. Da
sich derselbe Prozeß in allen Segmenten abspielt, kommen schließlich
in der Längsrichtung des Körpers zwei langgestreckte Räume zustande,
der eine dorsal, der andre ventral vom Darm, das Rücken- und das
Bauchgefäß (Fig. 61 FF und Fig. 66 VV, RVD). Der breite Darm-
sinus, der übrigens nicht immer vorkommt, entsteht dadurch, daß die
Splanchnopleura sich von dem Darm abhebt und so ein freier Raum
um das Darmentoderm sich bildet.
Die Nephridien werden verhältnismäßig spät angelegt. Im
zweiten Rumpfsegment sieht man anfangs an der ventralen Wand
der Somatopleura zwei Knötchen, die aus wenigen Zellen bestehen.
Zunächst läßt sich in diesem Komplex kein Lumen nachweisen
über eine neue Cteuüdrilusart und ihre Vermehrung. 585
(Fig. 70 a). Nur erst bei fast vollkommen erwachsenen Individuen
bildet sich im Innern ein feiner Kanal (Fig. 70&, NfK).
Die Borstenfollikel entstehen durch Einsenkung des Ectoderms
an vier Stellen jedes Segmentes. Es bilden sich tiefe Taschen mit
eng aneinander stoßenden parallelen Wandungen, aus deren Grunde
die Borsten hervorwachsen. Was die Muskeln, welche die Borsten-
follikel bewegen, angeht, so bilden sie sich aus besonderen Peritoneal-
zellen. Einzelne solche Zellen treten etwas hervor, gruppieren sich um
das sich bildende Borstensäckchen und erfahren eine Umbildung. Ihr
Körper wird spindelförmig und zieht sich hierauf nach beiden Kich-
tungen in die Länge aus; es entstehen so vollkommene Muskelfasern,
die sich an den Borstenfollikel befestigen. Der Kern bleibt ungefähr
in der Mitte auf je einem. Muskelzuge außen liegen.
Bildung des Enddarmes.
Wir sind nun bei einem Entwicklungsstadiuni angelangt, auf dem
alle Organe angelegt sind und ihr definitives Aussehen mehr oder weniger
angenommen haben. Doch fehlt der Enddarm mit der Analöffnung
noch völlig.
In Fig. 71 habe ich das Hinterende eines älteren Embryos abgebildet.
Man sieht, wie nahe das Entoderm dem Ectoderm liegt ; sie stehen aber
noch in keiner Verbindung. Im Ectoderm hat sich schon, etwas dorsal,
eine schwache Einsenkung gebildet, das erste Anzeichen des Enddarmes ;
die Einsenkung gibt schon ziemlich genau die Lage des zukünftigen
Anus an.
Auf Fig. 67 sieht man, daß eine Kommunikation zwischen dem End-
und dem Mitteldarm schon besteht. Der Enddarm liegt hier in dem
letzten und in der hinteren Hälfte des vorletzten Segmentes. Da zu
dieser Zeit schon fast die volle Segmentenzahl vorhanden ist, so muß
man annehmen, daß beim weiteren Wachstum des Tieres der eigent-
liche ectodermale Enddarm nur in die allerletzten Segmente zu liegen
kommt. Genau anzugeben, wo bei einem erwachsenen Tier die Grenze
zwischen End- und Mitteldarm verläuft, ist wegen der ziemlich gleich-
artigen histologischen Beschaffenheit ihrer Zellen unmöglich.
Die Bildung des Enddarmes kann in einigen Fällen auch früher
eintreten, aber in den meisten von mir beobachteten Fällen bildete
sich der Enddarm in der Regel sehr spät aus.
Nach der Bildung des Enddarmes ist der Entwicklungsprozeß
vollendet und der Embryo bereit, die Mutter zu verlassen.
586 Iwan Sokolow,
Entsprechend der Lagerung der Gonaden im siebenten Rumpf-
segment, findet man auch die Embryonen in demselben. Sehr selten
liegen sie im sechsten oder im achten Segment. Diese Regel gilt aber
nur für die jungen Embryonen, die noch verhältnismäßig klein sind.
Mit zunehmender Körperlänge finden sie zuwenig Platz in ihrem
ursprünglichen Brutraum. Sie durchbrechen daher das dahinterliegende
Dissepiment, was übrigens bei der Zartheit der letzteren nicht schwer
fällt. Jetzt nimmt der Embryo zwei Segmente ein. Beim weiteren
Wachstum wiederholt sich dasselbe an dem nächstfolgenden Disse-
piment, wodurch der Brutraum weiter vergrößert wird; zuweilen kann
er noch weiter vordringen. Auf diese Weise durchzieht ein Embryo
vor dem Ausschlüpfen mehrere Segmente, gewöhnlich drei oder vier,
oder noch mehr.
Das Muttertier ist in solchen Fällen an der entsprechenden Stelle
merklich angeschwollen. Im Innern sieht man, daß der Embryo den
Magendarm bis zu einem gewissen Grade zusammenpreßt.
Was die Anzahl der Embryonen in einem trächtigen Tier betrifft,
so findet man in der Regel nur einen einzigen. In drei oder vier Fällen
beobachtete ich zwei (Fig. 62), niemals aber mehr. Einmal fand ich
einen Embryo, der zwei Segmente durchzog und an der Stelle des Disse-
pimentes, von demselben in der Mitte stark eingeschnürt, erschien. Es
ist nicht unmöglich, daß die Embryonen sich schon zuweilen in der
Mutter teilen können.
Bei Ct. senatus bildet sich nach Monticelli eine große Zahl von
Larven, welche den Mutterkörper gänzlich erfüllen und ihn später
einzeln verlassen.
Die Orientierung der Jungen in der Leibeshöhle der Mutter
ist die, daß sie mit ihrem Kopfende meist nach dem der Mutter schauen.
Oft aber liegen sie auch gerade umgekehrt. Das ist nicht erstaunlich,
da die älteren Embryonen sich im Brutraum rege bewegen, sich um-
drehen und hin und her wandern können.
Ausschlüpfen. Da die Ctenodrilen keine Geschlechtsöffnung
besitzen, so bleibt den Jungen nur die Möglichkeit durch Zerreißen
der Körperwand der Mutter auszutreten. Die so entstehende ventrale
Öffnung liegt an dem vorderen oder hinteren — je nach der Orien-
tierung des Embryos — Ende des Brutraumes, und zwar unmittelbar
hinter bzw. vor dem entsprechenden Dissepiment.
Die zarte Körperwand der Mutter gibt dem starken Druck des
großen Embryos nach, es entsteht ein Riß, durch den zunächst das
Kopfende, dann der ganze Körper in kurzer Zeit herausbefördert wird
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 587
(Fig. 77). Die Kiemenanhänge, welche zu dieser Zeit schon recht groß
sind, legen sich an den Körper, um beim Herausschlüpfen kein Hindernis
zu bieten. Die Öffnung zieht sich nachher wieder zusammen.
Einmal fand ich einen Ct. branchiatus, bei dem der riesige Embryo,
welcher 32 (!) Segmente und über 20 Paar Kiemen hatte, also eine gut
entwickelte Form B vorstellte, zwei Öffnungen durchbrochen hatte
und aus der einen sein Vorder- aus der andern sein Hinterende heraus-
streckte; der dazwischen liegende Teil des Mutterkörpers war drei
Segmente lang (Fig. 78).
Das Alter, in welchem die Embryonen den Mutterschoß verlassen,
scheint nicht fest bestimmt zu sein. Wenn wir einerseits einen so hoch
entwickelten Ct. branchiatus, wie das eben angeführte Beispiel zeigte,
herausschlüpfen sahen, so fand ich anderseits auch schon freilebend
ziemlich wenig ausgebildete Individuen, bei denen sogar die Kiemen-
anhänge nur schwach entwckelt waren (Fig. 68). Es ist wahrschein-
lich, daß auch verschiedene äußere Umstände, wie z. B. mechanische
Reize, ein zarter Druck u. a. m., dazu beitragen, um die frühzeitige
Geburt hervorzurufen.
Über das Schicksal der Mutter vermag ich nichts zu sagen. Wahr-
scheinlich geht sie unter Degeneration zugrunde. Es scheint aber die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß bei dem intensiven Autotomie-
vermögen aller Ctenodrilen, die unversehrt gebliebenen Mutterteile
sich abtrennen und zu neuen Individuen regenerieren.
Teilungsvorgänge.
Da die Untersuchung der Teilungsvorgänge nicht das Hauptziel
meiner Arbeit war, so achtete ich weniger auf das Sammeln entspre-
chenden Materials. Dies ist insofern zu bedauern, als sich bei ge-
nauerer Untersuchung herausstellte, daß die Teilungsvorgänge bei
unsrer neuen Species verschieden von denen der übrigen verlaufen.
Ich kann aber nicht umhin, das Wenige, was mir zu beobachten ge-
lungen ist, hier mitzuteilen.
v Wie wir uns erinnern, treten nach v. Kennel bei Ct. serratus in
jedem Segment — die drei (nach unsrer Auffassung vier) vordersten
ausgeschlossen — Knospungszonen auf. Jede Knospungszone wird
durch eine Teilungsebene so zerlegt, daß vor der letzteren die Anlage
des Hinterendes des da vorliegenden, hinter ihr eine solche des Vorder-
endes des dahinterliegenden Sprößlings zu liegen kommt. Wenn die
Neubildung schon ziemlich weit fortgeschritten ist, zerfällt die ganze
Kette in einzelne segmentgroße (in Wirklichkeit bestehen sie aus Teilen
588 Iwan 8okoluw,
zweier Segmente) Stücke, die nachher zu ganzen Individuen regene-
rieren.
Bei Ct. monostylos teilt sich der Körper ungefähr in der Mitte in
zwei Stücke, welche erst nach der Trennvmg die entsprechenden
Enden regenerieren.
Ct. hranchiatus nimmt nun in bezug auf seine Teilungsvorgänge
gewissermaßen eine mittlere Stellung zwischen den beiden genannten
Arten ein.
Bei Individuen der typischen Form Ä oder solchen, bei denen nur
wenige Kiemenanhänge nachgeblieben (die Augen und Wimperkränze
dagegen gänzlich verschwunden) sind, machen sich zunächst am Körper
mehrere Einschnürungen kenntlich. Sie teilen den Wurm in mehrere
Abschnitte, welche gewöhnlich aus ungleichen Zahlen von Segmenten
bestehen (vgl. Fig. 75). Die geringste Segmentenzahl im vorderen,
also mit dem Kopfe versehenen Abschnitt scheint 6 (oder 7) zu sein
(Fig. 76) ; in den mittleren beträgt sie drei bis sechs (Fig. 74) ; auf den
hinteren Abschnitt kommen mehr Segmente (5 — 13), da dieselben
noch zu jung, also nicht immer teilungsfähig sind.
Die Teilungsebene, in welcher je eine Einschnürung erfolgt, fällt
nicht mit der Ebene der Dissepimente zusammen, sondern liegt unmittel-
bar hinter derselben (Fig. 79). Dasselbe gilt auch für die andern Cteno-
drilen.
Noch vor der gänzlichen Abschnürung einzelner Zooide bemerkt
man zu beiden Seiten der Teilungsebene eine starke Vermehrung der
Epidermis- und der Peritonealzellen. An Totalpräparaten sind diese
Stellen, welche ja später das Vorderende mit allen seinen Organen,
sowie das Hinterende entstehen lassen, dadurch kenntHch, daß sie sich
viel intensiver färben (Fig. 74).
Der ganze Vorgang erinnert an den bei Ct. monostylos, wo man
auch »noch während des Zusammenhanges beider Tiere an der Stelle,
wo die Teilung erfolgen wird, eine Zellwucherung << bemerkt, v. Kennel
spricht ebenfalls von einer starken Vermehrung der Epidermis- und
der Mesodermelemente in der Knospungszone.
Nun können sich die entstehenden Sprößlinge schon ohne weitere
Differenzierung trennen und dann die fehlenden Teile regenerieren,
wie es auch gewöhnlich geschieht (Fig. 74 u. 76). Eine Modifikation
besteht aber darin, daß bei manchen Ct. hranchiatus, noch während
sie im Zusammenhange mit der ganzen Kette stehen, die Anlage des
Vorderdarmes beginnt. Letzteres wird dadurch eingeleitet, daß an
dem Segmente, welches unmittelbar auf die Teilungsebene folgt, sich
über eine neue Cltenorlrilusaii und ihre Vermolnung. 589
eine Wucheruiij;' der Epidermiszellen nach außen, und zwar an seiner
ventralen Seite, kenntlich macht. Bald nachher beginnen die Epi-
dermiszellen an der Spitze des so entstandenen Höckers ungefähr unter
einem rechten Winkel zur Körperlängsachse sich nach innen einzustülpen
(Fig. 79 VDM). So entsteht der Vorderdarm, der erst viel später mit
dem Mitteldarm in Verbindung tritt.
Gleichzeitig mit der Einstülpung des Vorderdarmes schreitet auch
die Vermehrung der Peritonealzellen fort, die insgesamt die Beschaffen-
heit der undifferenzierten Mesodermzellen erhalten. Aus ihnen entsteht
der Schlundkopf und andre Organe, aber erst nach der Trennung der
einzelnen Sprößlinge.
Wenn die Neubildung so weit vorgerückt ist, fallen die einzelnen
Sprößlinge auseinander. Der Zerfall der ganzen Kette findet meist
nicht gleichzeitig statt, denn die Einschnürungen sind nicht überall
gleich weit fortgeschritten. Daher findet man oft mehrere Sprößlinge
verschieden kombiniert zusammen, z. B. zwei vordere, oder zwei bis
drei hintere, oder mittlere (Fig. 73) usw. Zuletzt trennen sich auch
diese voneinander. Man vergleiche hierzu die Teilungsprozesse mit
denen von Ct. monostylos. Hier kann ein Tier auch in mehrere Teil-
stücke zerfallen; nur geschieht das aber allmählich nacheinander.
Zunächst teilt sich ein Ct. monostijlos in der Regel in zwei Teile, und
erst dann besinnen die beiden Hälften weitere Teilstücke abzuschnüren.
Letztere können sogar aus einem einzigen Segment bestehen, welches
schließlich zu einem ganzen Tiere regeneriert. Bei Ct. hranchiatus um-
fassen nach meinen Beobachtungen die kleinsten Teilstücke nicht
weniger als drei Segmente.
Die weiteren Regenerationsprozesse gelang es mir nicht zu ver-
folgen. Es sei hier nur auf einige Verhältnisse und zugleich Unterschiede
im Vergleich mit Ct. serratus, bei dem ja allein die Organbildung einiger-
maßen verfolgt wurde, hingewiesen.
Der Vorderdarm bildet sich, wie oben beschrieben, durch Einstül-
pung der Epidermis an der ventralen Wand, d. h. es wiederholt sich
hier derselbe Vorgang wie bei der Ontogenese. Ganz anders verhält
sich dagegen Ct. serratus. Bei ihm entsteht hinter ieder Teilungsebene
zwar auch eine Vorwölbung der Epidermis, aber nur auf der dorsalen
Seite; daher ist sie nicht derjenigen von Ct. hranchiatus homolog. Sie
entspricht dem Teil, aus welchem später der Kopflappen wird. Der
Schlund dagegen bildet sich ganz anders, indem er sich »paarig jeder-
seits<< anlegt. Diese verschiedene Bildung des Vorderdarmes bei zwei
ziemlich nahe verwandten Arten muß als ein wichtiger Unterschied
590 Iwan SokolüW,
hervorgehoben werden. Mit der Stelle, welche ihrer Lage nach un-
gefähr der Vorderdarmeinstülpung des Ct. branchiatus entspricht,
hängen die knospenden Zooide des Ct. serratus zusammen. Vielleicht
ist serade dieser Umstand die Ursache, daß der Vorderdarm sich hier
paarig anlegen muß.
Der Schlundkopf mit seinem Muskelapparat bildet sich ebenso
wie bei der Ontogenese, aus denjenigen Peritonealzellen, welche hinter
der Vorderdarmeinstülpung sich so reichlich vermehrten (Fig. 79 Sch.K).
Das Cerebralganglion tritt vorn und dorsal in der Epidermis auf.
Ob es aus einer paarigen Anlage entsteht, wie es v. Kennel für Ct.
serratus behauptet, konnte ich nicht entscheiden.
Der Enddarm entsteht als eine kurze Einstülpung der Epidermis
am hinteren Ende des abgelösten Zooids (Fig. 72 EdD).
Wie die übrigen Organe bei der Teilung angelegt werden, konnte
ich nicht verfolgen. Besonders bedauere ich dies in betreff des Herz-
körpers, über dessen Bildung auch v. Kennel nichts Sicheres mitzu-
teilen vermochte 1.
Es wäre von großem Interesse, noch eine Frage, nämlich wie die
weitere Segmentbildung der jungen Individuen vor sich geht, zu ent-
scheiden, aber auch hier reichte mein Material nicht aus, um darüber
etwas Genaueres zu sagen.
Wie gering unsre Beobachtungen auch sein mögen, so lassen sie
doch schließen, daß die Regeneration einzelner Organe der knospenden
Tiere im großen und ganzen nach demselben Plan erfolgt, wie ihre
Entstehung bei der Ontogenese.
Ich möchte zum Schluß noch darauf aufmerksam machen, daß
die Teilungserscheinungen des Ct. hrmichiatus der Theorie der Konstanz
der Keimblätter in keiner Weise widersprechen.
Wie wir sahen, besteht das vordere Zooid immer aus mindestens
fünf bis sechs Segmenten. Dies hat den Sinn, daß bei der Teilung
dieses vordere Zooid immer ein, wenn auch ganz kleines Stück Magen-
darm erhält, welches nachher bei der Regeneration des ganzen Mittel-
darmes das entodermale Material liefert.
Was die andern Teilstücke betrifft, so bekommen auch sie (auch
1 Die Organe, welche durch die Teil'ungsebene, sozusagen zerschnitten werden,
l)ilden sich nachher durch weiteres Wachstum aus. v. Kennel sagt darüber:
»Offenbar zeigen alle diejenigen Organe, die bei der später erfolgenden Teilung
zerreißen müssen, von Anfang an keine Vermehrung ihrer Elemente, sondern eine
Dehnung der vorhandenen, während dias Material für das neu zu bildende in
voller Vermehrung begriffen ist« (S. 40 5).
über eine neue Ctenndrilusart und ihre Vcnnohning. 591
das letzte, weil es aus zahlreichen Segmenten besteht) alle drei Keini-
schichten.
Nicht so instruktiv dagegen ist der Fall bei Ct. serratus, wo v. Ken-
NEL behauptet, daß »das hinterste und selbst das vorletzte Zooid sich
zu vollständigen Individuen ausbilden, ohne eigentliches echtes Ento-
derm zu besitzen«. Ich stelle mir aber die Sache anders vor. Wenn
wir uns an die embryonale Entwicklmig des Ct. branchiatus erinnern,
so entsteht bei ihm der Enddarm als eine kurze Einstülpung des Ecto-
derms, die nachher mit dem Mitteldarm in Verbindung tritt. Da aber
diese Vereinigung verhältnismäßig spät geschieht, wo schon ungefähr
die volle Segmentenanzahl beim Embryo sich angelegt hat, so ist
anzunehmen, daß der Enddarm beim weiteren Wachstum des Tieres
nicht weiter in den Körper vordringt. Genau anzugeben, wo beim
erwachsenen Tier die Grenze zwischen den Enddarm- und den Mittel-
darmzellen liegt, ist wegen der nahezu gleichen histologischen Struktur
ihrer Zellen nicht möglich.
Ich meine, daß auch bei Ct. serratus als eigentlicher, d. h. ecto-
dermaler Enddarm, nur ein kurzes Endstück des Verdauungskanals
zu deuten ist. Denn erstens, denke ich, wird es erlaubt sein, einen
Analogieschluß aus der Entwicklung des Enddarmes des Ct. bran-
chiatus zu ziehen, zweitens finden wir selbst bei v. Kennel gewisse
Andeutungen hiervon. Wenn er einerseits »beim Übergang des Darmes
in den Enddarm eine ziemlich starke Knickung des ersteren« beschreibt
(S. 376), sagt er an einer andern Stelle: »während die braunen Zellen
des Darmes sich gegen die farblosen des Schlundes scharf absetzen,
ist eine derartige Grenze nach dem Enddarm zu nicht zu konstatieren,
hier verlieren die Zellen allmählich ihre braunen Körnchen und gehen
in die hellen über, und je nach der Größe des Tieres erstrecken sie sich
mehr oder weniger weit in den Enddarm hinein, bzw. entwickeln sie
sich aus letzteren« (S. 383).
Der Umstand, daß solche Zellen mit braunen Körnchen, die ja
sicher eine Beziehung zur Verdauung haben und die doch ein speci-
fisches Merkmal des Mitteldarmes sind, von v. Kennel in dem »End-
darm« gefunden wurden, spricht meiner Ansicht nach dafür, daß ein
großer Teil dieses sogenannten »Enddarmes« entodermalen Ursprunges
sein dürfte.
Wenn dies aber der Fall ist, so stellen sich auch die Kegenerations-
erscheinungen bei Ct. serratus nicht als so kompliziert heraus, wie es
V. Kennel zu erklären versucht hat. Denn wenn nur der kurze End-
teil des Darmtractus den ectodermalen Enddarm bildet, so wird wohl
592 Iwan Sokolow.
bei der Teilung" auch das hinterste Zooid einen Teil des Mitteldarmes
erhalten, und die Annahme einer Umwandlung des Enddarm- in das
Mitteldarmepithel fiele dann gänzlich fort.
Systematisches.
Am Ende unsrer Untersuchung wäre es von Interesse, die bis jetzt
noch ziemlich schwankende systematische Stellung der Ctenodriliden
näher zu begründen.
Über diese Frage werden sehr verschiedene Ansichten geäußert.
Kennel und Zeppelin stellten die Ctenodrihden als Kollektivtypus
an den Ausgang der Oligochäten und Polychäten. Andre, wie Monti-
celli, reihten sie den Archianneliden, andre den Oligochäten (Cla-
parede [63], Vaillant [90], Vejdovsky [84]) und schließlich auch
den Polychäten (Caullery u. Mesnil [97, 98] und Galvagni) an.
Ich werde hier nur auf die wichtigsten Punkte näher eingehen.
Wenn die Ctenodrilen im ganzen in ihrer Organisation nicht viel
Gemeinsames mit den Archianneliden — abgesehen von dem ganz in
der Epidermis liegenden Nervensystem und andern wenigen Über-
einstimmungen — haben, so ist doch die Ähnlichkeit der Wimper-
ringe des Ct. hranchiatus mit solchen der Archianneliden sehr auffallend.
Da man aber derartige Wimperreife auch bei Dinophüus und bei der
von Clap AREDE Und Metschnikoff 1869 entdeckten Polychätenart
Ophryotrocha puerilis vorfindet, so ist ims ihre Bedeutung nicht ohne
weiteres einleuchtend.
Anderseits findet man gewisse Anhaltspunkte, welche die Cteno-
drilen in nähere Beziehung zu den Oligochäten zu bringen scheinen.
Dafür zeugen z. B. : die Art und Weise der Befestigung der Borsten-
follikel durch Muskelbänder an die Körperwand, das Vorkommen des
Herzkörpers u. e. a., besonders aber die Teilungserscheinungen (vgl.
mit den Teilungsvorgängen bei Nais [M. Schultze, Leuckart, Per-
rier u. a.], bei Chaetogaster [M. de Bock, 98] und andern Oligochäten.
Ich will hier nicht näher auf diese Erscheinungen eingehen).
Es sind wenige Fälle bekannt, wo Oligochäten mit zahlreichen
Körperanhängen gefunden wurden, wie z. B. Alma nilotica (Grube, 55),
Chaetobranchus (Bourne, 90) und Branchiura Sowerbyi (Beddard, 92).
Diese Körperanhänge erwiesen sich in allen Fällen als echte Kiemen,
da sie mit Blutgefäßen versorgt waren. Wenn man sie aber mit den
Kiemen des Ct. hranchiatus vergleicht, so erweisen sich, trotz manchen
Übereinstimmungen, doch wichtige Unterschiede, die eine Homologi-
sierung der in Rede stehenden Organe nicht ermöglichen. Wenn man
über eine neue Ctenodriliisart und ihre Vermehrung. 093
von der schlecht beschriebenen Alma nilotica absieht, sind die Kiemen
von Branchiura Sou-erhyi, obgleich zu zwei in jedem Segment, dorsal
und ventral in der Körpermittellinie angebracht; bei Chaetobranchus
findet man wiederum Borsten, die, von dorsalen Bündeln stammend,
gänzlich in den Kiemenanhängen gelegen sind.
Der komplizierte Bau der Geschlechtsorgane der Oligochäten steht
auch nicht mit den einfachen Gonaden des Ct. hranchiatus im Ein-
klang.
Diese und noch zahlreiche andre, hier nicht weiter zu erwähnende,
Unterschiede machen uns klar, daß von einer Anreihung der Cteno-
driliden an die Oligochäten nicht die Rede sein kann.
Es bleibt uns noch eine Möglichkeit, nämlich, die Verwandtschafts-
verhältnisse der Ctenodriliden mit den Polychäten zu diskutieren.
Und wir werden sehen, daß die Parallele in diesem Falle sich viel leichter
ziehen läßt, wie in beiden vorhergehenden. Ich habe zunächst die
Arbeit von Caullery und Mesnil (98) im Auge, wo eine ganze Reihe
von Punkten angeführt wird, welche die Ctenodriliden mit den Cirra-
tuliden und speziell mit dem Vertreter dieser Polychätenfamilie, Dode-
caceria concharum haben. Wenn man einigen von ihnen auch keine
allzu große Bedeutung zuschreiben kann, wie u. a. der Gestalt der
Borsten, die doch überhaupt, auch bei nahe verwandten Formen, sehr
variabel ist (verschiedene Ctenodrilus- Alten zeugen ja selbst dafür)
und daher nicht als fester Vergieichspmikt dienen kann, so hat man
gegen die andern durchaus nichts einzuwenden. Ich werde kurz die-
jenigen Punkte aufzählen, auf welche die genannten Forscher hin-
gewiesen haben.
1) Das Prostomium besitzt hier wie dort keine Anhänge und ist
mit Riechgruben versehen.
2) Dem ersten metastomialen Segment fehlen in beiden Fällen
die Borsten.
3) Der Bau des Blutgefäßsystems ist, sogar in seinen Einzelheiten,
fast vollkommen derselbe: «L'intestin est sauf dans la region oeso-
phagienne, entoure par un sinus sanguin qui, anterieurement, se continue
avec le vaisseau dorsal. Celui-ci est contractile. II est assez sinueux,
II renferme un corps cardiaque, forme par une bände cellulaire massive,
dans laquelle s'accumule graduellement un pigment concretionne, inso-
luble dans les reactifs ordinaires. Un vaisseau ventral court tout le
long du Corps dans l'epaisseur du mesentere. Dans chaque segment
des branches du vaisseau dorsal ou du sinus sanguin vont se ramifier
ä la peau — bei Ct. hranchiatus verzweigen sie sich nicht — puis
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 39
594 Iwan Sokolow,
reviennent au vaisseau ventral. Les branchies regoivent du sang du
vaisseau dorsal. — (Das ist bei Ct. branchiatus noch nicht aufgeklärt.) —
EUes renferment un vaisseau afferent et un efferent, relies par des
anses transverses; les palpes renferment un vaisseau aveugle» (S. 69).
4) Das Nervensystem zeigt sehr viele Analogien.
5) Die Lage und der Bau des vorderen Paares der Excretions-
organe ist bei den beiden Formen vollkommen derselbe. Wenn die
Annahme der erwähnten Forscher, daß vielleicht bei der geschlecht-
lichen Form von Ctenodrilus sich in mittleren und hinteren Segmenten
des Körpers noch Nephridien finden werden, sich auch nicht bestätigt
hat, so kann man sich doch das Fehlen der entsprechenden Segmental-
organe bei Ctenodrilus als eine vollkommene Reduktion aller Segmental-
organe der Dodecaceria mit Ausnahme des ersten Paares erklären.
Wahrscheinlich hat gerade die Viviparität, bei der die Rolle der Seg-
mentalorgane, als Leitungswege für die Geschlechtsprodukte, wie es
bei Cirratuliden die Regel ist, bei der Geburt von so riesigen Jungen
keinen Sinn mehr hatte, das vollkommene Schwinden der Segmental -
Organe verursacht.
6) Caullery und Mesnil fanden eine vollkommene Homologie
des Tentakels von Ct. monostylos mit den Palpen der Dodecaceria:
<<I1 a la meme structure (il renferme un seul vaisseau sanguin et mie
gouttiere ciliee) et la meme position (il est place lateralement sur le
premier segment metastomial) qu'un palpe de Dodecaceria ou Hetero-
cirrus >>. Er erscheint sehr spät (wie die Palpen der Dodecaceria) ; außer-
dem tritt zuweilen noch ein andrer, symmetrisch gelegener, d. h. paariger
Tentakel auf.
Meine Beobachtungen, nun, an Ct. branchiatus haben nicht nur
die Ansicht Caullery und Mesnils vollständig bestätigt, sondern
auch noch einige wichtige Tatsachen, welche für eine noch nähere
Verwandtschaft der Ctenodriliden mit den Cirratuliden sprechen, er-
geben.
An erster Stelle möchte ich der Kiemenanhänge des Ct. branchiatus
gedenken, die ja natürlich homolog den Kiemen der Cirratuliden sind
(vaisseau afferent, vaisseau efferent). Wenn Caullery und Mesnil
noch Bedenken trugen, die Ctenodriliden an die Familie der Cirratu-
liden ohne weiteres anzureihen, indem sie sagten: <<on pourrait songer
ä faire de Ctenodrilus le type d'une famille distincte, qui ne se se-
parerait des Cirratuliens que par l'absence de branchies», so ist ihr
Zweifel durch meine Beobachtungen, wie ich glaube, zerstreut. Übri-
gens hatten sie ganz Recht, als sie noch zufügten: <<mais ce ne serait
i
über eine neue Ctenodrilusart luid ihre Vermehrung. 595
qu'uu caractere negatif, et d'aiileurs sans grande nettete; car chez les
Cirratuliens on rencontre tous les degres de reduction de l'appareil
branchial {Hecaterobranchus n'a q'une paire de branchies).>> Ct.hran-
rliiatus erweist sich somit als ein typisches Mitglied dieser Familie,
denn er macht sogar während seiner Ontogenese die «reduction de
l'appareil branchial» durch.
Caullery und Mesnil haben bei Dodecaceria concharum einen
stark ausgeprägten Polymorphismus gefunden und drei Formen be-
schrieben, von denen die eine sedentär und atok, die andre freilebend
und epitok, die dritte sedentär und auch epitok war. Außerdem
führen sie in ihrer Arbeit eine ganze Reihe von Beispielen der Epitokie
bei den Polychäten an. Meiner Ansicht nach könnte diese Reihe
noch insofern verlängert werden, als man ihr noch den Fall bei Ct.
hranchiatus und serratus hinzufügen könnte.
Ehlers (68), welcher zuerst den Begriff der »Epitokie« eingeführt
hat, verstand darunter eine besondere Erscheinung bei manchen Tier-
formen, speziell bei den Polychäten, welche darin besteht, daß die
Organismen zu der Zeit der Geschlechtsreife eine gewisse Veränderung
in ihrer Gestalt und ihrem Bau erleiden. Er bezeichnete nun »diejenige
Form, welche die . . . Veränderungen trägt, als 'epitoke Form'
(l/r/roxog — der Geburt nahe) . . . , die nicht umgestaltete dagegen
als 'atoke Form' {aroyiog — unfruchtbar)«. Demnach muß Ct. hran-
chiatus einen neuen Fall der Epitokie darstellen. Die Form B, bei der
niemals Geschlechtsorgane aufgefunden wurden, muß nun als die
atoke bezeichnet werden. Wenn sie sich aber der geschlechtlichen
Periode nähert, erleidet sie gewisse Umgestaltungen, wie den Verlust
der Wimperringe, der Augen und der Kiemenanhänge und verwandelt
sich in die epitoke Form A.
Eine Epitokie dürfte es auch bei Ct. serratus geben, denn Monti-
CELLi (07) beschreibt Formen mit Wimperbekleidung und solche ohne
Wimpern. Bei den ersteren waren immer entweder Gonaden oder
auch Larven im Körper vorhanden, bei letzteren aber nie. Jene könnte
man wohl als epitoke, diese als atoke Formen bezeichnen.
Die letzte Ähnlichkeit besteht darin, daß die Cirratuliden ebenso
wie die Ctenodriliden vivipar sind. Diesem Umstände, da er eine
so seltene Erscheinung bei den Anneliden vorstellt, ist ein besonderes
Gewicht beizulegen. Auch hier wenden wir uns zu den beiden fran-
zösischen Forschern. Nachdem sie die wenigen Fälle der Viviparität
bei den Polychäten aufgezählt haben, schreiben sie: «des lors, il est
interessant de noter que le petit nombre des cas connus sont repartis
39*
596 Iwan Sokolow, .
dans des familles, oü se presente l'epitoquie ou la schizogenese ; nous
sommes portes ä croire d'ailleurs, que chez les Syllidiens et les Cirratu-
liens en particulier, si l'attention des zoologistes se porte de ce cote,
on trouvera ime certaine generalite a la viviparite >>. Diese Vermutung
hat sich mit dem Auffinden der Viviparität bei Ct. hranchiatus und
Ct. serratus, bestätigt. Zugleich ist die Erscheinung der Viviparität
bei den Ctenodrilen, gerade dank ihrer Seltenheit, einer der besten
Beweise für ihre nahe Verwandtschaft mit den Cirratuliden, unge-
achtet dessen, daß die Entwicklung in beiden Fällen nicht ganz gleich
verläuft!.
Unser ganzer Vergleich der Ctenodriliden mit den Cirratuliden
hat nun ergeben, daß diese Formen in vielen Beziehungen einander
sehr nahe stehen. Daraus läßt sich nur ein logischer Schluß in betreff
der systematischen Stellung der Ctenodrilen ziehen, daß sie nämlich
nichts andres, als regressiv umgestaltete Repräsentanten der Familie
der Cirratuliden darstellen.
Es erübrigt nur noch die Stellung des Ct. hranchiatus innerhalb
der Gruppe der Ctenodriliden selbst zu ermitteln. Wie wir wissen,
hat MoNTiCELLi 1893 die drei (vier) bis jetzt beobachteten Ctenodrilus-
Arten in zwei Gruppen gesondert:
a. Am Kopfsegment ein Tentakel, Borsten von zweierlei Art und
in Gruppen zusammengestellt, nicht gekämmt.
Gen. Zeppelinia Vaillant {= Monostylos Vejd.).
1. Z . monostylos (= Ct. moyiostylos Zepp. = Monostylos tenta-
culifer Vejd.).
(2. Z. dentata Mont.)
b. Ohne Tentakel, nur Borsten von einer Art.
Gen. Ctevwdrilus Clap. {= Parthenope O.Schm.).
3. Ct. serratus 0. Schm.
4. Ct. parvulus Scharff .
Als einen wichtigen Unterschied zwischen beiden Gruppen müßte
man noch die verschiedene Art und Weise der Teilung bei Zeppelinia
und Ctenodrilus hinzufügen, was übrigens schon von Caullery und
Mesnil hervorgehoben wurde.
Zu welcher der beiden Gruppen muß nun unsre neue Art gestellt
werden? Vielleicht muß man für sie eine neue Gattung aufstellen?
1 Bei Dodecaceria concharum ist die Larve von einer zarten Hülle umgeben,
hat viel Ähnlichkeit mit der typischen Trochophora und verläßt die Mutter in
einem noch jungen Stadium,
über eine neue Ctenudi-ilusart und ihre Vermehrung. 597
Wenn wir zunächst auf ihre Organisation näher eingehen, so finden
wir, daß sie mehr ÄhnUchkeit mit ZeppeUnia, als mit Ctenodrilus
aufweist.
Erstens erinnert ihre äußere Form mehr an die schlanke Gestalt
von ZeppeUnia als an den gröberen Körperbau von Ctenodrilus, imd
ihre Größenverhältnisse stimmen mehr oder weniger überein. (Die
maximale Länge von Ct. hranchiatus ist 4 mm, von ZeppeUnia in der
Regel auch 3 — 4 mm, bei Ct. serratus beträgt sie aber 6 — 7, mitunter
sogar 8 — 9 mm.)
Sodann steht Ct. hranchiatus in bezug auf die Borstenform der
ZeppeUna viel näher. Obgleich die Borsten der letzteren von zweierlei
Art sind, so sind sie doch im ganzen einfach, lang und nicht gezähnelt,
also wie bei unsrer Form.
Ein noch wichtigerer Anhaltspunkt besteht darin, daß die Seg-
mentzahl bei Ct. hranchiatus fast dieselbe wie bei ZeppeUna ist.
Dort besteht der Körper aus rund 25 — 30 Segmenten, hier aus 20 — 25.
Interessant ist noch, zu notieren, daß das Maximum der Segment-
zahl, das ich beobachtete, 36 betrug und auch Zeppelin an größten
Exemplaren seiner Art fast ebensoviel, nämlich 35, zählen konnte.
Dagegen besitzt Ct. serratus nur 12 — 14 Segmente.
Schließlich will ich noch von den Teilungsprozessen sprechen.
Obgleich die Teilungsvorgänge des Ct. hranchiatus, wie aus dem früher
Gesagten zu ersehen ist, eine mittlere Stellung zwischen denen des
Ctenodrilus und denen der ZeppeUnia einnehmen, stehen sie doch in
manchen Beziehungen denen der letzteren näher. Bei Ct. serratus
regeneriert zunächst jedes Segment das vordere und hintere Ende des
Sprößlings, und erst hierauf tritt der Zerfall der Kette in einzelne In-
dividuen ein. Bei ZeppeUnia und Ct. hranchiatus werden die neuen
Individuen meist von mehreren mütterhchen Segmenten gebildet.
Ferner beginnt die Neubildung des vorderen und des hinteren Endes
bei ZeppeUnia stets, bei Ct. hranchiatus meist nach der Lostrennung
der Sprößlinge. (Man muß natürlich mit Verallgemeinerungen sehr
vorsichtig sein, da meine Beobachtungen sich nur auf ein sehr spärliches
Material stützen.)
Nach dem Gesagten glaube ich, daß die beschriebene neue Form
in näherer Beziehung zu der Gattung ZeppeUnia steht, als zu Cteno-
drilus und daher richtiger als ZeppeUnia hranchiata zu bezeichnen ist.
Ob es angezeigt wäre für sie ein neues Genus wegen ihres Besitzes
von Kiemen, Augen und der Wimperreifen in einer gewissen Lebens-
periode zu errichten, lasse ich einstweilen unentscheiden, da wir ja
598 Iwan Sokolow,
die Entwicklung der Z, monostylos und, wie ich wohl sagen darf, auch
der beiden Otenodrilus- Avten gar nicht kennen. Vielleicht macht Z.
monostylos während ihres Lebenscyclus auch ein kiementragendes
Stadium B durch. Wenn man aber nur die Form A berücksichtigt,
so erscheint es sicher, daß sie sich eigentlich in keiner prinzipiellen
Beziehung von dem echten Zeppelinia-Ty^us unterscheidet.
Zeppelinia Vaillant. Segmentzahl größer als 20. Am Körper,
wenigstens in einer gewissen Lebensperiode, Kiemenanhänge oder
Tentakel vorhanden. Neubildung des Vorder- und Hinterendes der
durch Teilung entstandenen Zooide gewöhnlich erst nach dem Zerfall
der ganzen Kette.
Z. branchiata n. sp. 25 — 30 Segmente. Borsten lang fadenförmig,
zu zwei bis drei in je einem Bündel. Herzkörper intensiv scharlachrot
oder olivengrün gefärbt. Oberes Schlundganglion in die Kopflappen-
höhle stark vorspringend. Die atoke Form besitzt zwei Augen, einen
Wimperkranz an allen Rumpf Segmenten, sowie Kiemenpaare an vielen.
Damit diese Arbeit abschließend, möchte ich bei dieser Gelegen-
heit meinen innigen Dank der Verwaltung der Zoologischen Station
zu Neapel, sowie Herrn Prof. W. T. Schewiakoff, in dessen Labora-
torium der Stoff größtenteils verarbeitet wurde, aussprechen. Zu
ganz besonderem Dank aber fühle ich mich Herrn Prof. 0. Bütschli
verpflichtet, der die Liebenswürdigkeit hatte meine Arbeit durchzusehen.
St. Petersburg, im September 1910.
Verzeichnis der benutzten Literatur,
92. Fb. E. Beddard, A new branchiate Oligochaete (Branchiura Sowerbyi).
Q. J. M. Sc. Vol. XXXIII.
95. — A monograph of the order Oligochaeta. Oxford.
00. R. iS. Bergh, Beiträge zur vergl. Histologie. II. Über den Bau der Gefäße
bei den Anneliden. Anat. Hefte, 1. Abt. Bd. XIV. 2. Hft., und Bd. XV.
3. Hft. (45. u. 49. Hft.).
98. M.VX VON Bock, Über die Knospung von Chaetogaster diaphanus Gruith.
Jena. Z. Naturw. Bd. XXXI.
90. — Le Corps cardiaque et les amibocytes des Oligochaetes limicoles. Rev.
suisse Zool. Tom. VIII.
90. A. G. BouRNE, On Chaetobranchus a New Genus of Oligochaetous Chaeto»
poda. Q. J. M. Sc. Vol, XXXI.
über eine ueuo Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 599
95. N. G. Calkins, Tho spermatogenesis of Lumbricus. Juurn. Morph. Vol. XI.
97. Caullery et Mesnil, Sur hx position systematique du genrc Ctenodrilus
Clap. ses affinites avec les Cirratuliens. C. R. Ac. Sc. Paris. CXXV.
(p. 542—544).
98. — Les formes epitoques et l'evolution des Cirratuliens. Annales de l'Uni«
versite de Lyon, Faso. XXXIX.
63. Edouard Claparäde, Beobachtungen über Anatomie und Entwicklungs-
geschichte wirbelloser Tiere an der Küste der Nomandie.
68. Ernst Ehlers, Die Borstenwürmer. 1864 — 68. Leipzig. (S. 453).
05. H. Freüdweiler, Studien über das Gefäßsystem niederer Oligochäten.
Jena. Z. Naturw. Bd. XL.
03. Egon Galvagni, Histologie des Genus Ctenodrilus Clap. Arb. Zool. Inst.
Wien. Bd. XV.
96. V. Haecker, Pelagische Polychätenlarven. Zur Kenntnis des Neapler
Frühjalu-s- Auftriebs. Diese Zeitschr. Bd. LXII.
78. Berthold Hatschek, Studien über Entwicklungsgeschichte der Anneliden.
Ein Beitrag zur Morphologie der Bilaterien. Arb. Zool. Inst. Wien. Bd. I.
93. — System der Anneliden, ein vorläufiger Bericht. Lotos. XIII.
85. R. Horst, Über ein rätselhaftes Organ bei den Chlorämiden. Zool. Anz.
Bd. VIII.
83. O. S. Jensen, Recherches sur la Spermatogenese. Arch. de Biol. Vol. IV.
82. J. V. Kennel, Über Ctenodrilus pardalis Clap. Ein Beitrag zur Kenntnis
der Anatomie und Knospung der Anneliden. Arb. zool. Inst. Würz-
burg. Bd. V.
03. A. Lang, Beiträge zu einer Trophocöltheorie. Jena. Z. Naturw. Bd. XXXVIII.
Ol. Eduard Meyer, Studien über den Körperbau der Anneliden. Mitt. Zool.
Station. Neapel. Bd. XIV.
92. Fr. Sav. Monticelli, Notizia preliminare intorno ad alcuni inquilini degli
Holoturioidea del golfo di Napoli. Monitore Zoologico Italiano. HL
Nr. 12.
93. — Sullo Ctenodrilus serratus O. Schm. Boll. Soc. Nap. VII.
07. — Sessualita e gestazione nello Ctenodrilus serratus 0. Schm. (Communi-
cazione preliminare). Atti Congr. Natur. Italiani (Milano).
98. L. J. Picton, On the Heart-body and coelomic fluid of certain Polychaeta.
Q. J. M. Sc. Vol. XLI.
89. Dan. Rosa, II Ctenodrilus pardalis Clap. a Rapallo. Boll. Musei Zoolog.
Anat. Comp. Torino. Vol. IV.
89. L. Roule, Etudes sur le developpement des Annelides. Ann. Sc. Nat.
Tom. VII.
83. W. Salensky, Etüde sur le developpement des Annelides. Arch. Biol.
Tom. IV.
87. RoB. ScHARFF, On Ctenodrilus parvulus n. sp. Q. J. M. Sc. Vol. XXVII.
57. Oskar Schmidt, Zur Kenntnis der Turbellaria rhabdocoela und einiger
andrer Würmer des Mittelmeeres. Sitzber. d. k. Akad. Wiss. Wien.
99. Guido Schneider, Über Phagocytose und Excretion bei den Anneliden.
Diese Zeitschr. Bd. LXVI.
90. Väillänt, Histoire naturelle des Annelides marins et d'eau douce. T. III,
Part. 2. Collection des Suite« ä Buffon.
600
Iwan Sokolow,
84. Fr. Vejdovsky, System und Morphologie der Oligochäten. Prag.
85. W. Voigt, Über Ei- und Samenbildung bei Branchiobdella. Arb. Zool.
Inst. Würzburg. Bd. VII.
83. äIax Graf Zeppelin, Über den Bau und die Teilungsvorgänge in Cteno-
drilus monostylüs n. sp. Diese Zeitschr. Bd. XXXIX.
Erklärung der Abbildungen,
Die Abbildungen wurden teils mit einem ÄBBEschen Zeichenapparat von
C. Zeiss, teils auf Grund der in Neapel nach dem Leben entworfenen Skizzen
gezeichnet.
Allgemein gültige Bezeichnungen:
Au, Auge;
BF, Borstenfollikel;
Cöl, Cölom;
Cut, Cuticula;
Ds, Dissepiment;
Ect, Ectoderm;
EdD, Enddarm;
Eni, Entoderm;
Ep, Epidermis;
EZ, Eizelle;
Hzk, Herzkörper;
KCöl, Kopf cölom;
KD, Drüsen an den Kiemen;
KDs, Kopfdissepiment ;
KO, Kopf ganglion ;
KPl, Seheitel platte;
MD, Mitteldarm;
Mes, Mesoderm;
MZ, Muskelzug;
Nf, Nephridium;
N S, Nervenstrang;
ODZ, üldrüsenzelle;
Oes, Oesophagus;
OF, obere Falte des Schlundkopfes;
Per, Peritoneum;
RVD, Rückenast des Dorsalgefäßes;
Schk, Schlundkopf;
UT, untere Falte des Schlundkopfes;
VDm, Vorderdarm;
VD, Dorsalgefäß;
VV, Ventralgefäß;
WR, Wimperring.
Tafel XXVII.
Fig. 1. Gtenodrilus branchiatus. Form A. 71/1.
Fig. 2. Querschnitt durch die Epidermis. Pigment (ungefärbt). 940/1.
Fig. 3. Dasselbe. Drei Öldrüsenzellen (erwachsener Embryo). 940/1.
Fig. 4. Dasselbe. Klebdrüsenzelle. 940/1.
Fig. 5. Zwei Borsten von der Form B. 600/1.
Fig. 6. Zwei Borsten und eine Ersatzborste von der Form A. 600/1.
Fig. 7. Tangentialer Schnitt durch die Hautmuskelschicht. Im, Längs-
muskeln; rm, Ringmuskeln. Safranin. 940/1.
Fig. 8. Teil eines Längsschnittes durch den Schlundkopf, pr, Protractor; sf,
Stützgebilde. Eisenhämatoxylin nach Heidenhain. 940/1.
Fig. 9. Dasselbe; Safranin. 940/1.
Fig. 10. Querschnitt durch den vorderen Teil des Körpers. Mb, Muskel-
verbindung zwischen je zwei Borstenfollikeln. 390/1.
Fig. 11. Optischer Längsschnitt durch das Hinterende. An, Anus; AnL,
Anallappen. 142/1.
über eine neue Ctenodrilusart und ihre Vermehrung. 601
Fig. 12. Querschnitt durch den Kopf im Bereich des Schlundkopfes ( SchK).
öf, Stützgebilde desselben. 390/1.
Fig. 13. Schnitt durch ein Borstenfollikel {BF) mit seinen Muskelzügen
(MZ). 530/1.
Fig. 14. Vorderende der Form B; zeigt die Verteilung des Blutgefäße.
VD, Vas dorsale; VV, Vas ventrale; RVD, Rückenast des Dorsalgefäßes; LG,
Lateralgefäße; GBi, vorderer dicker Gefäßring; GB^, der zweite Gefäßring;
MB, Retractor des Schlundkopf es; vf, dritte unterste Falte. Halbschematisch.
390/1.
Fig. 15. Querschnitt durch ein Borstenfollikel. B, Borsten; BFK, Kerne
der Follikelzellen. 940/1.
Fig. 16. Längsschnitt durch ein Nephridium. NfK, Nephridialkanal ;
NfN, Kerne der Nephridialzellen. 530/1.
Fig. 17. Teil eines Längsschnittes durch den Herzkörper. HzkN, Kern
der Herzkörperzellen; kr, freie Räume nach dem Auflösen der Körnchenein-
schlüsse (Form A). 940/1.
Fig. 18. Querschnitt durch das Vas dorsale eines erwachsenen Embryos.
Hzk, Herzkörper. 940/1.
Fig. 19. Teil eines Schnittes durch den Herzkörper einer Übergangsform.
940/1.
Fig. 20. Querschnitt durch den Kopflappen. KG, Kopfganglion ; FIB,
Flimmerrinne; 3IZ, Muskelzüge in der Kopflappenhöhle. 530/1.
Fig. 21. Längsschnitt durch das Ventralgefäß. 940/1.
Fig. 22. Totalbild des Herzkörpers. Nach dem Leben. 300/1.
Fig. 23. Teil eines Querschnittes diirch das siebente Segment. Og, Oogo-
nien; EZ, Eizellen. 940/1.
Fig. 24. Schnitt durch die Riechgrube, n, Nerven derselben. 940/1.
Fig. 25. Ei. 940/1.
Fig. 26. Querschnitt durch das Ventralgefäß mit den um dasselbe ge-
lagerten Eizellen. 530/1.
Tafel XXVIII.
Fig. 27. Schnitt durch den unteren Teil des siebenten Dissepiments. s, Sper-
matoblast. 940/1.
Fig. 28. Kleine Spermatogemme mit sechs Spermatogonien. 940/1.
Fig. 29. Größere Spermatogemme. Cyt, Cytophor. 940/1.
Fig. 30. Spermatogemme in Teilung. 940/1.
Fig. 31. Spermatocytengruppe am Cytophor {Cyt). 940/1.
Fig. 32 — 34. Umwandlung der Spermatocyten in Spermatozoide. 940/1.
Fig. 35. Gruppe von Samenfäden am Cytophor. 940/1.
Fig. 36. Cytophor. Safranin. 940/1.
Fig. 37. Zwei Spermatozoide (kombiniert nach Schnitten). 940/1.
Fig. 38. Ctenodrilus branchiahis. Form B. KA, Kiemenanhänge. 71/1.
Nach dem Leben.
Fig. 39. Distales Ende eines Kiemenanhanges. KD, Drüsen; w, Wimper-
feld. 600/1. Nach dem Leben.
Fig. 40. Mittlerer Teil eines Kiemenanhanges. /, Falten. 60/1. Nach dem
Leben.
602 Iwan iSokolow,
Fig. 41. Stück der Oberfläche desselben. Nach dem Leben. 600/1.
Fig. 42. Stück der Drüsenregion eines Kiemenanhanges. Nach dem Leben.
600/1.
Fig. 43. Querschnitt durch die Drüsenregion des Kiemenanhanges. 31 Z,
Muskeln. 940/1.
Fig. 44. Längsschnitt durch dieselbe. Eosin. 940/1.
Fig. 45. Querschnitt durch den mittleren Teil des Kiemenanhanges. VBr,
Kiemengefäße. 940/1.
Fig. 46. Längsschnitt durch einen sehr jungen Kiemenanhang. 940/1.
Fig. 47. Anheftung eines Kiemenanhanges kurz vor dem Abfallen. Nach
dem Leben. 600/1.
Fig. 48. Dasselbe (ein späteres Stadium). Befestigung durch Muskeln (31 Z).
Nach dem Leben. 600/1.
Fig. 49. Di'ei Wimperreife eines absterbenden Ct. branchintvs yon der Seite.
Vac, Vacuolen. Nach dem Leben. 300/1.
Fig. 50. Seitliche Ansicht eines Wimperreifes. Nach dem Leben. 600/1.
Fig. 51. Längsschnitt durch die Wand eines Segmentes. WR, Wimperreif;
Vac, Vacuolen; WZN, Kerne der Wimperzellen. 530/1.
Fig. 52. Hinterende der Form B. An, Anus; AnL, Anallappen. Halb-
schematisch. 300/1.
Fig. 53. Lateraler Längsschnitt durch eine festsitzende Blastula. BIC,
Blaetocöl; EZ, Eizellen; 3Ies, Mesodermstreifen. 800/1.
Fig. 54. Dasselbe. Schnitt etwas höher geführt. Ent, Entodermzellen.
800/1.
Fig. 55. Sagittaler Längsschnitt durch eine freie Blastula. 800/1.
Fig. 56. Das siebente Rumpfsegment mit einem Embryo (E) auf dem
Stadium, welches auf Fig. 55 dargestellt ist. 142/1.
Fig. 57. Sagittaler Längsschnitt durch das Vorderende einer Gastrula.
BIP, Blastoporus. 800/1.
Fig. 58. Schnitt durch das Hinterende desselben Embryos. Bildung der
Cölomsäcke. 800/1.
Fig. 59. Querschnitt durch einen Embryo vor der Cölombildung. 800/1.
Fig. 60. Sagittaler Längsschnitt durch einen Embryo, um die Befestigungs-
stelle zu zeigen. Edo, oberer, Ectii, unterer Rand der ursprünglichen Blastula;
EZ, Eizellen; BIP, Blastoporus (?); 31 D, Mitteldarm; N 8, die beiden Com-
missuren des Nervensystems der Mutter (hier quer getroffen); VV, Ventral-
gefäß. 800/1.
Fig. 61. Querschnitt durch denselben Embryo, welcher gebogen im Brut-
raume lag. VV, Ventralgefäß. 600/1.
Tafel XXIX.
Fig. 62. Querschnitt durch das siebente Segment. EZ, Gonade mit zwei
daran befestigten Embryonen, die auch quer getroffen sind; bei x Zusammenhang
zwischen Eizellen und Entoderm. 450/1.
Fig. 63. Sagittaler Längsschnitt durch einen Embryo, an dem schon die
Vorderdarmeinstülpung (31) zu sehen ist. K3Ies, Kopf mesoderm ; Hzk, Anlage
des Herzkörpers; Schh, Anlage des Schlundkopfes. 450/1.
t^ber eine neue Ctcnodrilu.sart und ihre Vennehriuig. (503
Fig. 64. Lateraler Längsschnitt durch einen alteren Enibr\ u. ües, Vorder-
darni. 450/L
Fig. 65. Sagittaler Längsschnitt durch einen ähnlichen Embryo (etwas schief
getroffen). KDs, Kopfdissepinient; *SV7(^% Anlage des ychlundkopfes. 450/L
Fig. 6(1. Sagittaler Längsschnitt durch einen erwachsenen Embryo. Ent-
wicklung fast sämtlicher Organe; Anlage der Falten {OF u. UF), der Bauchnerven-
kette (.V/S), der Schlundkopfmuskulatur {SchM); bei y Anlage der Kopfgefäße (?).
450/L
Fig. 67. Sagittaler Längsschnitt durch das Hinterende eines Embryos kurz
vor der Verbindung des End- mit dem Mitteldarm. 530/L
Fig. 68. Früh herausgeschlüpfte junge Form B. Nach dem Leben. 71/L
Fig. 69. Optischer lateraler Längsschnitt durch einen nicht zu jungen Em-
bryo. Nach dem Leben. 300/ L
Fig. 70. Bildung des Nephridiums: a, ohne, v, mit Nephridialkanal. 940 /L
< Fig. 71. Anfang der Enddarmeinstülpmig {EdD). Sagittaler Längsschnitt.
450/1.
Fig. 72. Entstehung des Enddarmes bei der Regeneration nach der er-
folgten Teilung. 450/1.
Fig. 73. Mittelstück der nach der Teilung zerfallenen Kette, aus zwei
Zooiden bestehend, v. Vorder-, h, Hinterende in Regeneration; v^, Regeneration
des Vorderendes vor der Teilung (vgl. Fig. 79). 91/1. Nach einem Totalpräparat.
Fig. 74. Zooid, aus der Mitte der Kette entstanden, mit einem sehr langen
Kiemenanhang. 91/1. Nach einem Totalpräparat.
Fig. 75. Form A in Teilung begriffen. Ci — c^, vier Einschnürungen. 91/1.
Nach einem Totalpräparat.
Fig. 76. Das vorderste losgelöste Zooid. 91/1. Nach einem Totalpräparat.
Fig. 77. Herausschlüpfen der Form B aus der Form A. Umgekehrte
Orientierung des Embryos. Br, Brutraum. Nach einer Skizze. 71/1.
Fig. 78. Dasselbe. Der Embryo hat die Wände des Brutraumes {Br)
vorn und hinten durchbohrt. Nach einer Skizze. 71/1.
Fig. 79. Sagittaler Längsschnitt durch das Vorderende eines Zooids, welcher
noch vor der Abtrennung in Regeneration begriffen ist. VDM, Vorderdarmein-
stülpung; Schk, Anlage des Schlundkopfes. Die Teilungsebene (te) liegt hinter
dem Dissepiment {Ds). 390/1.
Fig. 80. Schiefer Querschnitt durch das Vorderende eines in Regeneration
begriffenen Zooids. 450/1.
Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten,
nebst Bemerkungen über deren System.
\ on
G. Seuii
(Hnsch.
Mit S Figuren im Text und Tafel XXX, XXXI.
Obwohl die Flagellaten zu einem Grenzgebiet uehören. an dessen
Erforschung nicht nur Zoologen und Botaniker, sondern auch Medi-
ziner arbeiten, giljt es noch viele ungenügend bekannte Formen und
manche Fragen allgemeiner Natur, die noch der Beantwortung harren.
Bei der Bearbeitung der Flagellaten für Engler und Prantls
»Natürliche Pflanzenfamilien« (Senn, 1900) hatte ich die beste
Gelegenheit, die Lücken in unsern Kenntnissen festzustellen; ich be-
mühte mich auch, die Kenntnis einzelner Formen zu vertiefen ruid
in die Verwandtschaftsbeziehungen der Flagellaten zu andern Organis-
mengruppen und der einzelnen Gruppen innerhalb der Ordnimg selbst
mehr Klarheit zu bringen. Meine Beobachtungen mu(3ten in den
»Natürlichen Pflanzenfamilien« der ganzen Darstellung entsprechend
so knapp behandelt werden, daß manche Details nicht erwähnt
werden konnten. Ich wartete aber mit der Publikation dieser Detail-
untersuchungen, bis ich auch einige prinzipielle Fragen, deren Be-
antwortung in meiner umfassenden Flagellatenarbeit noch nicht mög-
lich war, unter neuen Gesichtspunkten erörtern konnte. Ich ergriff
auch nach dem Erscheinen dieser Arbeit jede Gelegenheit, bei der
ich auf ungenügeTid bekannte Formen stieß, um die Lücken in unsern
Kenntnissen auszufüllen.
Von meinen Beobachtungen sind diejenigen über Heteronema
Klehsii Senn, Tropidoscyphus cyclostomus Senn und Notosolenus apo-
camptus Stokes schon in der genannten Flagellatenarbeit verwertet
worden. Im folgenden gebe ich die ausführliche Beschreibung und
genaue Abbildung dieser Organismen.
Zeitschrift f. «issensch. Zixilogie. Xt'VII. Bd. 40
G0() ^- Senn-
Die Untei'suchunyen an Oxyrrhis. über die ich in der botanischen
Sektion der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft kurz be-
richtet habe (Senn. 1909, S. 85 ff.), sowie diejenigen an Nephroselmis
und Helcomastix wurden dagegen erst nach Abschluß meiner Bearbeitung
der Flagellaten angestellt. Da sie verschiedene damals noch offene
.systematische Fragen beantworten und auf den systematischen Wert
einiger Merkmale neues Licht werfen, sehe ich mich veranlaßt, am
Schluß dieser Arbeit die Systematik der Flagellaten einer kurzen
Besprechung zu unterziehen, unter besonderer- Berücksichtigung der
Änderungen, welche in den letzten Jahren am System der Flagellaten
vorgenommen worden sind.
1. Oxyrrhis marina Duj.
(Taf. XXX. Fig. 1-24.)
Oxyrrhis marina Duj. ist schon wiederholt beschrieben und ab-
gebildet worden, was bei ihrer auffallenden Gestalt und noch auf-
fallenderen, ungemein raschen Bewegung nicht zu verwundern ist.
Gerade die letztgenannte Eigenschaft hat aber offenbar die richtige
Erkenntnis vom Bau dieses Organismus sehr erschwert. Darauf ist
es wenigstens zum Teil zurückzuführen, daß die Beschreibungen recht
bedeutende Verschiedenheiten zeigen, und daß dieses marine Flagellat
bald als Oxyrrhis Duj., bald als Glyphidium Fresen. bezeichnet wurde.
Aus den Angaben über Größe, Zellgestalt und Vorkommen zu schließen,
hat aber allen Forschern derselbe Organismus vorgelegen, der jetzt
allgemein mit dem älteren, von Dujardin (1841. S. 346) stammenden
Namen Oxyrrhis belegt wird.
Die Angaben über die Begeißelung könnten allerdings zu der
Auffassung führen, daß es zwei in der Gestalt ähnliche, in der Be-
geißelung aber vollständig verschiedene Organismen gebe, die dann
nicht nur verschiedene Species derselben Gattimg, sondern V^ertreter
verschiedener Gattungen wären. Ich konnte es deshalb bei der Be-
arbeitung der Flagellaten für Engler und Prantls Natürliche
Pflanzenfamilien nicht wagen (Senn, 1900, S. 136 u. 186), die von
Dujardin (1841, S. 346 f.) und Gourret et Roeser (1886. S. 522 ff.)
beschriebene, vier -bis sechsgeißelige Form (Textfig. 2) mit der von
Fresenius (1865, S. 83 f.), Cohn (1866, S. 295f.), Kent (1880—81,
S. 426ff.), Blochmann (1884, S. 47ff.), Schaudinn (1896, S. 129)
und Keysselitz (1908, S. 334 ff.) (Textfig. 3 u. 4) beschriebenen zwei-
geißeligen ohne weiteres zu identifizieren. Ais ich aber den Organismus
Oxyrrliis. Xcplirnsolinis und oinieo Kuflagollatoii iisw. (i07
lebend zu beobachten GeJeüenheit hatte, wurde es mir wie Kent (1880,
8. 427) sofort klar, daß die vermeintliche Mehrgeißeligkeit auf einer
Täuschung beruhe, welche duich die rasche Bewegunu und die kom-
plizierte LageruuLi der zwei alltMii voihandenen Geißeln verursacht
worden war. Die schon von (}orRKp:T et Roeser (188G, 8. 523) er-
wogene, aber als ausgeschlossen bezeichnete Möglichkeit, daß im Mittel-
meer eine vielgeißelige, in den iK'irdlichen Meeren dagegen eine zwei-
geißelige Form vorkomme, wird durch die Tatsache widerlegt, daß die
von mir untersuchte zweigeißelige Form aus dem Mittelmeer stammt.
1. Größe der Zelle.
Die Länge der Oxyrr/us-ZeWe bestimmte ich zu 22,5 — 32 /^ was
mit den Angaben von Fresenius (25 — 33«), Cohn (25 a), Bloch-
MANN (25 — 32//) und Keysselitz (lü — 34/0 gut übereinstimmt.
DujARDiN gibt allerdings die Länge zu 50 /< an, abei- wenn man sie
aus der Vergrößerung seiner Figuren berechnet, so kommt man nur
auf 36,5 //, eine Größe, die auch Fresenius (37 //) ab und zu be-
obachtet hat. GouRRET et Roeser teilen weder über die Größe der
Zellen noch über die Vergrößerung ihrer Figuren irgend etwas mit.
so daß jegliche Anhaltspunkte fehlen.
Auch die Breite von 18,5 ii der von mir untersuchten Zellen deckt
.sich mit den nur durch Fresenius gemachten Angaben (15 — 20 /<).
Aus diesen Größenangaben geht somit so viel mit
Sicherheit hervor, daß alle Forscher einen gleich großen
Organismus untersucht haben.
2. Orientierung des Körpers, Vorder- und Hinterende.
Die Untersuchung dei- gewöhnlich sehr rasch und unstet hin und
herschwämmenden Zellen ist nur möglich, wenn sie ihre Bewe<'uno ein-
stellen. Dies tritt ziemlich bald ein, wenn die Zellen in der für die
Beobachtung mit starken Vergrößerungen nötigen Lichtintensität
(Querlicht mit Schusterkugel) gehalten werden. Die Individuen bleiben
unter diesen Umständen längere Zeit ruhig liegen und führen mit ihren
Geißeln nur sehr schwache Bewegungen aus. Ab und zu schwimmen
sie wieder umher, kommen aber bald wieder zur Ruhe. Li solchen
Ruhepausen ist es nun möglich, die Zellen zu betrachten.
Die allgemeine Gestalt der Zelle wurde durch Dujaedix
(1841, 8. 346 f.) als länglich eiförmig bezeichnet. Nach diesem Forscher
ist das Vorderende schief abgestutzt und läuft in eine Spitze aus, während
das Hinterende abgerundet ist. Somit bezeichnet Dujardin, und
40*
()0S (;. Senn.
nach ihm auch Cohn (1866, S. 295). Kent (1880, 8. 426), Bütschli
(1884. S. 845), GouRRET et Roeser (1886, S. 542) und Keysselitz
(1908, S. 334) das ausgerandete Ende als das Vorderende, während
Fresenius (1865, S. 83) und Bütschli (1885, S. 559) das beim Schwim-
men vorangehende konvexe Ende Vorderende nennen. Die von Du-
JARDIN gewählte Bezeichnungsweise war es auch, welche Fresenius
(1865, S. 83f.) verhinderte, sein »Glyphidium« mit Oxijrrhis zu identi-
fizieren. Es erhebt sich also schon hier die Frage, ob die beiden For-
men identisch seien oder nicht. Weder Du.jardin noch Gourret et
Roeser machen über die Schwimmbewegung nähere Angaben. Es
ist deshalb wahrscheinlich, daß sie wie Bütschli (1884, S. 845) und
Keysselitz (1908, S. 336) ihre Bezeichnungsweise in Analogie mit den
übrigen Flagellaten gewählt haben. Diese tragen bekanntlich ihre
Geißeln meist an dem beim Schwimmen vorangehenden Ende, welches
z\;dem in vielen Fällen ausgerandet ist.
Kent (1880. S. 426 ff.) dagegen, der die Schwimmbewegung genau
beschrieben hat. erblickt in der Orientierung der Zelle während des
Schwimmens keinen Grund, das nachgeschleppte, mit der Mundstelle
versehene Ende als Hinterende zu bezeichnen; tue man dies doch mit
Recht weder beim Hummer noch beim Tintenfisch. Wenn man aller-
dings mit Kent von vornherein annimmt, daß Oxyrrhis zu den Flagel-
laten im engeren Sinne uehöre. so hat er ohne Zweifel recht. Aus dem-
selben Grunde sind auch Kents (1880, S. 247) Ancyrotnonas, Klebs"
(1892, S. 305) Phyllomonas und Massarts (1900, S. 133) Clautriavia,
sowie meine Helcomastix (vgl. S. 648) wie die übrigen Flagellaten
zu orientieren, obwohl in diesen Gattungen die Geißeln nachgeschleppt
werden. Bei Oxyrrhis liegt aber die Sache anders. Zur Zeit aller-
dings, als Kent seinen Manual of Infusoria herausgab (1880—81),
waren die einzelnen Gruppen von Flagellaten im weiteren Sinne
noch nicht so gut bekannt, daß man sie scharf voneinander hätte ab-
grenzen können. Nichts hinderte deshalb, die Oxyrrhis, so wie sie
damals bekannt war, zu den Flagellaten im engeren Sinne, zu den
Euflagellaten, neben Chüomonas zu stellen. Da aber auf Grund
der seither von den Flagellaten und ihren Verwandten gewonnenen
Kenntnisse Bedenken über die Zugehörigkeit von Oxyrrhis zu den
Euflagellaten aufgestiegen sind, darf die Terminologie nicht ohne
weiteres in Analogie mit derjenigen der Euflagellaten gewählt
werden.
Ich bezeichne deshalb, vorläufig ohne theoretische Voraus-
setzung, das nicht ausgerandete, beim Schwimmen vor-
Oxvirliis, No|)l\i(i.solniis uiid einige Eutlagellateii usw. (iOi)
ausgehende Ende als das vordere, das nachgeschleppte,
schief ausgerandete dagegen als das hintere.
Da sich die Ausrandung des Hinterendes in zwei die Geißeln
tragenden EinsenkungeTi fortsetzt, in deren einer die festen Nahrungs-
stoffe aufgenommen werden, ist die Orientierung der Zelle auch in
den beiden Richtungen senkrecht zur Längsachse gegeben. Die durch
lue Mundstelle ausoezeichnete Seite bezeichne ich deshalb als Bauch-
Textfig. 1.
I'liotoiiiiniliii'ii nach dem (;ipsab'j:uß des Wachsmodells von Oxyrrhis •nuirina. Vcrgr. lnüd.
ir, Ventralseitp; b, Uorsalseite; t; linke Flanke; d, rechte Flanke.
oder Ventralseite (Taf. XXX, Fig. 1, Textfig. 1«) (Vorderseite bei
Keysselitz, 1908, S. 334), die gegenüberliegende als Rücken- oder
Dorsalseite (Taf. XXX, Fig. 2, Textfig. 16) (Hinterseite bei Keysse-
litz), wodurch gleichzeitig auch die rechte (Taf. XXX, Fig. 4; Text-
fig. k/) und die linke Flanke (Taf. XXX, Fig. 3; Textfig. Ic) der
Zelle bestimmt sind. Die von Bütschli (1885, S. 559) gewählte Orien-
tierung, w^onach die die schief verlaufende Querfurche enthaltende
Seite als die linke, unsre rechte Flanke somit als Dorsalseite bezeichnet
wird, scheint eines tieferen Grundes zu entbehren.
3. Gestalt der Zelle.
Die Zellgestalt muß an lebenden Zellen studiert werden, da
sie sich beim Fixieren meist mehr oder weniger verändert. So konsta-
tierte ich nach der Anwendung von Osmiumsäuredämpfen eine ge-
linde Abrundung der Konturen, wodurch die im Leben stark hervor-
tretenden charakteristischen Ecken und Kanten zu einem guten Teil
verwischt werden (Taf. XXX, Fig. 5). Bessere Dienste leistete eine
schwache, mit Meerwasser gemischte Jod - Jodkalinmlösunii. Bei
(510
G. iSenn.
ihrer Anwendung behielten die Zellen ihre Gestalt wenigstens in der
vorderen Partie bei, dagegen traten im hinteren Teil der Ventralseite
häufig Ausstülpungen hervor, welche Nahrungsvacuolen glichen, am
lebenden Objekt aber nicht beobachtet wurden.
Durch eine Mischung von 1 Teil starker FLEMMiNGscher Lösung
mit 15 Teilen Meerwasser oder durch 0.25%iges Platiuchlorid
in Meer Wasser wurden die Zellen gut und fast ohne Gestaltsverän-
derung fixiert. Trotzdem beziehen sich alle meine Angaben, insofern
nichts andres bemerkt ist, auf lebende Zellen, die während ihrer Ruhe-
pausen (vgl. S. 607) unter Anwendung von Olimmersion beobachtet
und gezeichnet wurden.
Die stark asymmetrische Gestalt der Zelle bringt es mit sich, daß
der Organismus je nach seiner Orientierung dem Beobachter sehr ver-
schiedene Bilder zeigt. Es ist deshalb nicht so leicht, die von ver-
schiedenen Seiten aufgenommenen Skizzen lediglich in Gedanken zu
einem körperlichen Gebilde zu kombinieren. Um deshalb meine zahl-
reichen, mit dem Zeichnungsapparat angefertigten Abbildungen zum
körperlichen Zellgebilde zusammenzustellen und sie dadurch auch unter-
einander auf ihre Richtigkeit zu prüfen, fertigte ich mir aus Wachs
ein Modell der Zelle an. Durch dieses wurden meine Skizzen in ihren
gegenseitigen Beziehungen ohne weiteres klar (Textfig. 1).
Die die vier Zellseiten
darstellenden Fig. 1 — 4 der
Taf. XXX machen eine
detaillierte Beschreibung
jeder einzelnen Seite über-
flüssiti.
Von diesen wurde nur die
Ventralseite (Taf. XXX,
Fig. 1) durch alle früheren
Beobachter beschrieben. St)
finden wir sie bei DtTjABDiN
(1841, Taf. V, Fig. 4, meine
Textfig. 2 a). wo die rechte
Zellflanke nach der oberen,
das Vorderende nach der rech-
ten Kante der Tafel gerichtet
ist. Bei Fresenius (1865) stel-
len die Fig. 5 und 7 die Ven-
tralseite dar, ebenso beide Abbildungen von Cohn (1866, Taf. XV, Fig. 36 u. 37,
meine Textfig. 3 d). Bei Kent (1880—81) ist sie auf Taf. XXIV in Fig. 54
(meine Textfig. 3 e), bei Blochmanx (1884), der überhaupt nur diese Seite
Textfig. 2.
Oxyrrhis mariiM Du], a, nach DTJJAKDIN (1841, Taf. V,
Fig. 4). Ventralseite. 320nial vergr. & u. c nach GouK-
RET et ROESER (1886, Taf. XXXIV, Fig. 12 und 13).
b, Ventral.seite und linke Flanke (Fig. 13). c, Borsal-
seite ? (Fig. 12).
Ownliis, Xcpliiosclinis uiul einige Euflagellaten usw.
Oll
abbildet, in Fig. 14 — 17 (meine Textfig. 4 a — c), bei Keysselitz (1908) auf
Taf. XIX, Fig. 21 (meine Textfig. 4 d) wiedergegeben.
Abbildungen der linken Zellflanke (Taf. XXX, Fig. 3) kann man in Fig. 6
vim Kbesexius (Textfig. '3 n). in den Fig. 57 und 59 von Kent (Textfig. .'i /), in
Oxyrrhis matina Duj. a — c nach FnESENlPS 1865. a (Fig. 6), linke Flanke; b (Fig. 9), Uorsal-
seite; c (Fig. 10), reclite Flanke einer Zelle in Querteilung; d, nach COHX (1866, Taf. XV, Fig. 36).
Ventralseite bei M mit »flimmernder Schlinge im Mund« (Flimmergeißel), 250 mal vergr.; e — f, nach
KKNT (1881, Taf. XXIV); e (Fig. 54), Ventralseite, 800 mal vergr.; / (Fig. 59), leere Zellhaut,
Ventralselte und linke Flanke.
Fig. 13 (meine Textfig. 2 6), vielleicht auch in Fig. 11 und 12 (Textfig. 2 c) von
GouRRET et Roesek (1886, Taf. XXXIV) erkennen, ebenso in Fig. 20 auf Taf. XIX
von Keysselitz (1908) (Textfig. 4 e). Der Verlauf der sich über die linke Flanke
hinziehenden Kante ist in den meisten dieser Figuren richtig dargestellt.
C
Textfig. 4.
Oxyrrhis marina Duj. a—c nach Blochjianx (1884, Taf. II, Fig. 15—17). Ventralseite, a (Fig. 15),
Andeutung des lapppnartigen Vorsprunges; b (Fig. 16), Ausstoßung eines Excretballens aus dem
Hintereude; c (Fig. 17), Querteilung; d—e nach Keysselitz (1908, Taf. XIX, Fig. 20, 21); d, Ven-
tralseite, Längsfurche nicht eingezeichnet (Fig. 21); e, linke Flanke mit lappenartigem Vorsprung
links unten (Fig. 20).
Die Dorsal Seite \\-urde dagegen nur durch Fresenius (Fig. 8 und 9,
erstere mit Einzeichnung der Ventralseite, letztere Textfig. 3 h) und durch Kent
(1880, Fig. 55 und 56) abgebildet. Der Verlauf der annähernd quer verlaufenden
Kante ist aber an diesen Figuren nicht zu sehen.
ni2 G. Senn,
JJie r e c li t e Z e 1 1 i 1 a n k e endlich erkennen wir nur in Fig. 10 von
Fresenius (1865), in welcher ein in Teilung begriffenes Exemplar dargestellt ist
(Textfig. 3 (•). Fresenius ist also der einzige unter den früheren Beobachtern,
der alle vier Seitenansichten der Oxi/rrhis-Ze\le abgebildet hat.
Da wir .somit in sämtliclien, unter sich so verschiedenen Oxyrrhis-
Abbildungen der früheren Forscher Darstellungen von verschiedenen
Zellseiten desselben Organismus erkennen können, ergibt sich der
wichtige Schluß, daß, wenn sich die Abweichungen in der
(4eißelzahl ebenfalls aufklären lassen, allen Forschern
derselbe Organismus vorgelegen hat.
Aus den vier Zellansichten ergibt sich folgende körperliche
Gestalt der Oxyrrhis -ZeWe.
Ihr größerer vorderer Teil ist kurz cylindrisch mit spitz-eiför-
migei' Abrundung am Vorderende. Die Cylinderoberfläche geht aber
luir auf der rechten Zellflanke direkt in die kegelförmige Spitze des
Zellhinterendes über. Über Ventralseite, linke Flanke und Dorsal-
seite zieht sich nämlich eine nach dem Hinterende abfallende Kante
(Keysselitz" [1908, S. 334] Höcker) hin. Diese verläuft auf der Ventral-
seite von der rechten Flanke bis in die halbe Zellänge schräg nach vorn,
biegt dann etwa um 70 nach rückwärts um. und zieht sich nach noch-
maliger sanfterer Biegung an der flrenze vom dritten zum vierten hin-
teren Körperviertel quer über die bnke Flanke und über die halbe
Dorsalseite hin. Der hinter dieser (zuweilen etwas überhängenden)
Kante liegende Teil der Zelle ist gegenüber dem vorderen be-
deutend schmächtiger und erscheint wie abgetragen. Cohn (1866,
S. 295) und nach ihm Kent (1880, S. 427) vergleichen deshalb die
vordere Zellpartie mit einem Helm, der übei- die hintere übergestülpt
ist. Der Helmrand würde durch die querverlaufende Kante gebildet.
In den nach hinten geöffneten Winkel, welchen diese Kante auf
der Ventralseite bildet, springt eine im Umriß birnförmige Partie
der vorderen, höher liegenden Zelloberfläche über den hinteren abge-
tragenen Teil vor. Ihre schmale Basis steht an der rechten Kante
der ventralen Einbuchtung mit der vorderen Zellpartie in Verbindung.
Das ganze Gebilde erstreckt sich schräg links rückwäi'ts. etwa bis zum
letzten Viertel der Zelllänge, und geht dort mit ziemlich scharfer Kante
in die tiefer liegende Oberfläche des Zellhinterendes über. Dieser
8 — 10 n lange und an seiner breitesten Stelle 3 — 4 ti breite Vorsprung
ist auf fast allen früheren Abbildungen angedeutet (so bei Dujardin,
1841. Taf. V. Fig. 4; Fresenius, 1865, Fig. 5, 7u. 8; Cohn, 1866,
Fig. 36 u. 37; Kent, 1880—81, Fig. 54 u. 58). Er ist aber fast immer
Oxvnhis. Nt'plirosclini.s iin<l ciiiijxc iMitlajU'llattMi utiw.
(>I3
wie eine V^acuole oder wie ein Inlialtsbestaiidteil gezeichnet. Als ober-
flächlich liegenden Vorsprunii; haben ihn ei'st Blochmann (1884. S. 47)
und Keysselitz (1908, S. 335) beschrieben.
Durch dieses Gebilde, das man als läppen artigen, birnför-
mioeu Vorsprunii bezeichnen kann, luid dessen rechter Rand mit
der Längsachse der Zelle parallel läuft, wird der vertiefte, einspringende
Winkel der Ventralseite in zwei Fiirchen zerlegt, wovon die eine,
rechte, nach hinten und nach der rechten Zellflanke geöffnet ist: die
Längsfurche, die linke sich dagegen schräg links rückwärts und
dann (pier über die linke Flanke nach der Dorsalseite hinüberzieht,
wobei sie einen zuerst steilen, dann immer flacher werdenden
halben Schraubenumgang beschreibt; sie ist als Quer furche zu be-
zeichnen.
Bekommt man durch Zufall die Zelle von vorn oder von hinten
zu sehen, so zeigt es sich, daß sie cylindrisch, höchstens auf der Ventral-
und Dorsalseite etwas abgeplattet ist (so auch Cohn. 1866. S. "295 und
Keysselitz. 1908, S. 334).
Die halb um die Zelle sich hinziehende Kante und Furche, sowie
dei- lappenartige Vorsprung und das schief zugespitzte Hinterende
verleihen der Zelle, wenigstens in ihrer hinteren Partie, ein scharf-
kantig eckiges Aussehen, wie dies besonders in
den Abbildungen von Dujardin, Fresenius, Cohn,
Kent und Keysselitz deutlich zum Ausdruck
kommt.
Eine >> Ausrandung« des Hinterendes, wie
sie von den meisten Forschern angegeben wird, und
wie sie am Vorderende der eigentlichen Fla gel -
laten durch die trichterartige Einsenkung der
JMundstelle gebildet wird, ist bei Oxi/rrhis nicht
vorhanden. Eine solche wird nur bei oberfläch-
licher Betrachtung durch die scharfe Kante und
die plötzliche Verjüngung des Zellhinterendes voi-
getäuscht.
Ebensowenig besitzt Oxyrrhis einen Schlund,
wie er bei den Cryptomonadinen vorkommt,
zu denen Oxyrrhis früher allgemein gestellt wurde.
Dieser Schlund, mit dem übrigens die Crypto-
monadinen nur gelöste Stoffe aufzunehmen
vermögen, ist nur am vorderen Zellende geöffnet, sonst aber ringsum
geschlossen (Textfig. 5). Die mit diesem Schlund in Beziehung gebrachte
Textfig. ö.
Chilomonas Paramaecium
Ehrenb. Hinter d. Geißel-
insertion der Schlund,
dahinter der bläsclien-
förmige Kern. Verpröße-
ruuti 1500.
614
(J. iSenn,
Furche von Oxyrrhis ist dagegen in ihrer ganzen Länge offen und
birgt eine Miindstelle, die feste Nahrung aufnimmt.
Die Abweichung der Oxyrrhis vom Zellbau der Cryptomona-
dinen besteht aber außer dem Fehlen eines geschlossenen Schlundes
im Vorhandensein einer zweiten, von der ersten durch den lappenartigen
Vorsprung getrennten Furche, die bisher allgemein übersehen worden ist.
Zwei offene Furchen, die mehr oder weniger senkrecht zu-
einander verlaufen, kommen bei den Euflagellaten nirgends vor,
wohl aber ganz allgemein bei den Peridineen, deren Zellen außerdem
beim Schwimmen gleich orientiert sind, wie diejenigen von Oxyrrhis.
Man ist deshalb schon auf Grund dieser Tatsachen genötigt, Oxyrrhis
von denFlagellaten zu entfernen und zu den Peridineen zu stellen,
und zwar nicht etwa als eine Zwischenform, als die sie Bütschli (1885,
S. 559) auffaßte, sondern als typische, allerdings hochdifferenzierte
Gattung. Ihre äußere Ähnlichkeit mit den ebenfalls relativ hoch
differenzierten Cryptomonadinen beruht gerade auf ihrer hohen,
jedoch ganz anders gerichteten Differenzierung. Oxyrrhis und die
Cryptomonadinen sind Endglieder durchaus verschiedener Ent-
wicklungsreihen und kommen als solche bei dem Suchen nach den
(tatsächlich vorhandenen) Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Fla-
oellaten und Peridineen nicht in Betracht.
Textfig. 6.
Heinidinium nasutwm Stein, a, Ventralseite (naoli Klebs, 1883, Tat. II, Fig. 27?*); b, JJor-
salseite (ebenda, Fig. 27a); c, Zelle in Querteilung. Statt der Flimmergeißel ist der frühe-
ren irrtümlichen Auffassung entsprechend ein Wimperkranz gezeichnet (nach STEIN, 1883,
Taf. II, Fig. 26).
Durch die Zugehörigkeit der Oxyrrhis zu den Peridineen wird
nun auch die Natur des läppen artigen Vor Sprunges aufgeklärt.
Vergleicht man nämlich die Ventralseite von Oxyrrhis mit derjenigen
von Hemddinium nasutum (Textfig. 6 a), welches wie Oxyrrhis auch
eine nur halb um die Zelle herumlaufende Querfuche besitzt, so ergibt
Oxyrrhis. Xepluust'lmis und rinige EuflagollattMi usw. (515
sich ohne weiteres, daß der lappenartiye Vorspruug nichts andres
ist. als die hinter der Querfurche und links neben der Längsfurche
lieirende (also hintere linke) Partie der Ventralseite, welche sich stark
verkürzt und dadurch die Querfurche nach hinten geöffnet hat. Außer-
dem sind die Doi'salseiten beider Organismen fast identisch (vgl.
Taf. XXX, Fig. 2 und Textfig. (i6). Die Gestalt der Ox;yrr/w6--Zelle
läßt sich somit ohne weiteres aus dem Bau])lan der Peridineen —
speziell der Honidinium-ZeWe — ableiten, nicht jedoch aus irgend einer
bei den Euflagellaten vorkommenden Zellgesta.lt.
Oxyrrhis marina stimmt somit in der Orientierung und
speziellen Gestalt der Zelle (Vorhandensein von zwei offenen
Furchen) mit dem den Peridineen eignen Bauplan voll-
kommen überein, zeigt aber zu den Zellformen der Eufla-
gellaten keinerlei Beziehungen.
4. Geißeln.
Die Begeißelung von Oxyrrhis wurde bisher in der widerspre-
chendsten Weise beschrieben. Duj ardin (1841, S. 346f.) und Gourret
et RoESER (1886, S. 523) gaben mehrere Geißeln an (Textfig. 2) —
und zwar bezeichnenderweise in unbestimmter Zahl (Gourret et
RoESER, 1886, S. 524, sagen 5 — 6) — , während alle übrigen Forscher
nur deren zwei konstatiert haben. Die Beobachtung von Oxyrrhis
im lebenden Zustande läßt aber solche abweichende Angaben ver-
.ständlich erscheinen.
Geißellage bei ruhenden Zellen. Wie man sich an Indivi-
duen, die in ihrer Schwimmbewegung plötzlich innehalten und eine
Zeitlang ruhig liegen bleiben, leicht überzeugen kann, besitzt Oxyrrhis
nur zwei Geißeln. Blochmann (1884, S. 47) und Keysselitz (1908,
S. 335) geben richtig an. daß diese zu beiden Seiten der Basis des
lappenartigen Vorsprunges inseriert und bei der ruhenden Zelle in
der linken Furche gelagert sind (Taf. XXX, Fig. 1 u. 11).
Diejenige Geißel, welche im Grunde der Längsfurche auf
der rechten Seite des lappenartigen Vorsprunges inseriert ist, legt
sich zuerst dessen rechtem Rande an, biegt dann um seinen hinteren
Rand nach vorn um und folgt ihm bis in den Grund der Querfurche.
Daselbst wendet sie sich nach hinten, und steht, in verschiedener Weise
gebogen, mit einem kurzen Stück an der rechten Zellflanke vom Körper
ab, wie dies Blochmann (1884, Fig. 15 u. 17) andeutet und Keysselitz
(1908, S. 336) richtig beschreibt. Kent (1880, S. 428) bezeichnet sie
als obere Geißel.
OK) <^ü. Senn.
Die im Grunde der Querfurche auf der linken »Seite des lappen-
artigen Vorsprunges inserierte Geißel liegt mit ihrem proximalen Teil
in dieser Furche. Da, wo diese nach der linken Zellflanke umbiegt,
ist die Geii3el in Form einer niederen Schraube mit etwa drei Um-
gängen aufgerollt. Sie ist deutlich kürzer als die andre und übertrifft
die Zelllänge nur wenig (nach Keysselitz. 1908, S. 335, ist sie IV5
körperlang). Es ist dieselbe Geißel welche Kent (1880, Taf. XXIV,
Fig. 56) und Blochmann (1884, Fig. 15 u. 17) in ihren Figuren in
Form einer geringelten Linie angedeutet haben, und welche Kent
(1880. 8.428) »untere Geißel« nennt. Nach diesem Forscher soll sie
bei der ruhenden Zelle mit ihrem distalen Ende auf der Unterlage
befestigt sein; ich habe jedoch nie etwas beobachtet, was auf eine
solche Verankerung schließen ließe.
Geißellage bei schwimmenden Zellen. Die Geißeln während
des Schwimmens in Funktion zu beobachten, ist weaen der großen
Schnelligkeit ihrer Bewegungen mit Schwierigkeiten verbunden. Das
einzige, was man dabei feststellen kann, ist die Tatsache, daß die eine
Geißel nachgeschleppt wird, wobei das vom Hinterende abstehende
Geißelstück mindestens so lang als die ganze Zelle ist. Ihre Gesamt-
länge beträgt somit, wie auch Keysselitz (1908. S. 335) angibt, un-
gefähr li/gi^^l diejenige der ganzen Zelle. Von der zweiten Geißel
ist, wie Kent (1880, S. 428) richtig angibt, nichts zu sehen; sie wird
also nicht, wie Keysselitz (1908. S. 336) angibt, in der Schwimm-
richtung nach hinten gestreckt.
Die Details der Lage und Bewegung dei' Geißeln können erst be-
obachtet werden, wenn die Zellen aus irgend einem Grunde langsamer
schwimmen. Man kann dies durch Erniedrigung der Temperatur
(z. B. von 22 auf etwa 15"" C) hervorrufen.
Die Anwendung von 20/oQigeni Kokain in Meerwasser, die behufs Beob-
achtung der Geißeln von Aigenschwärmern empfohlen wird, war bei Oxyrrhis
nicht iwaktisch. Die Zellen schwammen anfangs mit der ursprünglichen Ge-
schwindigkeit weiter, lüelten dann aber plötzlich an. rundeten sich ab und gingen
zugrunde.
Die Schleppgeißel ist nun bis zu ihrer Basis leicht zu erkennen.
Sie entspringt im Grunde der Längsfurche und ist in ihrer ganzen
Länge nach hinten gestreckt (Taf. XXX, Fig. 9). Wohl infoige der
Rotation der Zelle führt sie mit ihrer Mitte schwache kreisförmige
Schwingungen aus, während sie an ihrem proximalen und dem distalen
Ende sozusagen keine Ausschläge erkennen läßt. Kommt sie all-
mählich zur Ruhe, so erkennt man an ihr scheinbar wellenförmige,
()x\ irlii>, N'f|)linisi-|mis imd ciiiim- Kiifla»ri>ll;itt-n usw. 617
in Wirklichkeit sohiaul)iü, verlaiifeiido Bevve<:;ungen, die man leicht
bis zu ihrer Insertioni^stelle verfolgen kann. Es ist somit die in der
Ruhe um den Geißelhöcker her umgelegte und mit ihrer Mitte in der
Querfurche liegende Geißel, welche als Schleppgeißel funktioniert,
und nicht die während doi- Ruhe spiralig aufgerollte, wie Kent (1880,
S. 428) angibt.
Diese in der Querfurche entspringende, während der Ruhe spiralig
aufgerollte Geißel ist au der in Bewegung befindlichen Zelle erst zu
erkennen, wenn diese ihre Lage nicht mehr verändert. Man kann
dann in der Querfurche ein Flimmern bemerken, das schon Cohn
(1866, S. 295) aufgefallen ist. und das er in Form einer »im Munde«
— eben in der Querfurche — liegenden Schlinge abgebildet hat (Text-
fig. 3d). Allmählich wird nun dieses Flimmern schwächer, und dann
sieht man, daß es durch die Bewegungen einer Geißel hervorgerufen
ist, die im Grunde der Querfurche, an der linken Seite des Geißel-
höckers, und zwar an dessen Basis entspringt (Taf. XXX, Fig. 9).
Die proximale Partie der Geißel hebt sich etwas vom Körper ab und
schnellt dann wie eine Peitsche wieder in die Tiefe der Furche hinein,
wodurch eine WellenbeweiJunü entsteht, die sich von der Basis ^Jic^en
die Spitze der Geißel fortpflanzt und eine Drehung der Zelle gegen ihre
rechte Flanke hin zur Folge hat. Auch Keysselitz (1908, S. 336) hat
an der kürzeren Geißel »sehr rasche Schlängelungen« bemerkt.
Diese Flimmergeißel legt sich um die linke Flanke der Zelle
herum und verläuft vermutlich bis ans Ende der Querfurche. Ob ihr
freies Ende ebenfalls das Wasser schlägt, oder, wie es zuweilen den
Anschein hatte, neben der ausgestreckten Geißel nachgeschleppt wird,
oder gar um sie herumgeschlungen ist. konnte ich nicht sichei' fest-
stellen.
Die Bewejiuu*ien dieser Flimmerueißel machen nun auch die An-
gäbe DujARDiNs (1841, S. 346) und Gourret et Roesers (1886, S. 524)
verständlich, w'elche der Oxyrrhis mehrere, zwei lange imd drei bis
vier kurze, Geißeln zugeschrieben haben. Ist es doch schon bei der
Ruhelage der Geißeln und bei Anwendung homogener Immersion
wegen der Durchsichtigkeit aller Zellorgane nicht leicht, die Geißeln
von den Kanten der Zelle zu unterscheiden und ihren Verlauf genau
festzustellen. Wenn sich dann die Zelle noch dreht, und infolge ihrer
asymmetrischen Gestalt dem Beobachter jeden Augenblick ein andres
Aussehen zeigt, so ist ein Irrtum sehr leicht möglich. Es schien auch
mir bisweilen - — nachdem ich längst festgestellt hatte, daß Oxyrrhis
nur zwei Geißeln habe — als ob wenigstens noch eine dritte, kürzere
018 O. 8enn,
vorhanden sei. Diese Täuschung wurde aber jeweilen durch die Be-
wegungen und scharfen Biegungen der Flimmergeißel hervorgerufen.
So hat also auch Oxyrrhis als einzelner Organismus — wie ihre Ver-
wandten, die Dinoflagelleten. in ihrer Gesamtheit — durch ihre
Flimmergeißel eine größere, und zwar bezeichnenderweise unbe-
stimmte Zahl von Geißeln vorgetäuscht.
Sehr oft kann man beobachten, daß die Zellen ihre Geißeln mit
einem Ruck abwerfen, was schon Cohn (1866, S. 295) und Keysselitz
(1908, S. 335) beobachtet haben. In allen von mir beobachteten
Fällen starben die Zellen bald nachhei- ab. An den Geißeln selbst
waren, wie dies ja auch sonst wiederholt beobachtet worden ist. bald
nach ihrer Abstoßung öfters noch ruckweise Bewegungen zu sehen.
Nach den Angaben von Keysselitz (1908, S. 335) sind die Geißeln
etwas abgeplattet und bestehen aus einem gleichmäßig starken, stumpf
endenden Achsenstrang und einer plasmatischen Hülle, die jedoch
nicht bis unmittelbar an das Ende der Geißel reicht, sondern eine
kleine Strecke vor demselben aufhört. Der Achsenstrang wird nach
diesem Autor in seiner letzten Strecke frei; auch soll er nicht in der
Achse, sondern im Rande der Geißel liegen. Vom Vorhandensein eines
inneren Stranges habe ich mich ebenfalls überzeugen können; ob er
aber axial oder seitlich lag, vermag ich nicht anzugeben^. Dagegen
habe ich wie Keysselitz bei gefärbten Zellen an der Basis jeder Geißel
ein Basal körn beobachtet, dessen direkte Verbindung mit der
Geißel allerdings nicht immer deutlich zu sehen war (Taf . XXX, Fig. 11).
Aus der Insertion der Geißeln zu beiden Seiten des
lappenartigen Vorsprunges, besonders aber aus ihrer Lage-
rung in zwei getrennten Fui-chen der Zelle, sowie aus der
Flimmerbewegung der in der Querfurche befindlichen geht
unzweifelhaft hervor, daß sich Oxi/rrhis von allen andern
Euflagellaten — sowohl von den Cryptomonadinen als auch
von den Bodonadaceen, zu denen sie bisher gestellt wurde — weit
entfernt, dagegen mit den Peridineen übereiiistimmt,
deren Geißeln von der ruhenden Zelle bisweilen in gleicher Weise ein-
gezogen und bewegungslos in die Furchen gelagert werden (Bütschli,
1884, S. 960).
1 Ein Kunstprodukt liegt in dieser Geißelstruktur offenbar nicht vor. da
die Zellen samt ihren Geißeln rasch getötet worden waren. Es kann also keine
Quellung eingetreten sein, wie A. Fischer (1894, S. 192 ff.) eine solche bei ge-
schädigten Geißeln von Euglena beobachtet hat.
Oxynhis. Nej>lu(iM'liiiis iiiid einige iMitlagelluteii usw. ()I9
5. Zellumhüllung iPeriplast und Gallerte).
Die Zelle von Oxi/rrliis wiid (liireli eine deutliclie. hei starker
Verurößerunu dopi)elt koiituriert erscheinende Haut unischh)s.sen,
welche die Reaktionen der plasmatischen Körper zeigt. Mit Chlor-
zinkjod wird sie wie mit Jod- Jodkalium gelbbraun; sie besteht also
sicher nicht aus Cell u lose.
Damit stimmt auch der weitere Befund, daß das Plasma durch
Plasmolyse (z. B. mit 5,5% oder 7,5% NaCl in Aq. dest., was einem
Zusatz von 'l^^ bzw. 4% NaCl zum Meerwasser entspricht) nicht von
ihr uetrennt werden kann.
Ebensowenifi tritt Plasmolyse ein. wenn man das Meerwasser
durch allmähliche Yei'dunstunu sich konzentrieren läßt. Wurden z. B.
Zellen in hängenden Tropfen über einem mit Meerwasser getränkten
Papprahmen beobachtet, so zeigten sich nach einiger Zeit an der Zell-
hülle mehrere Längsstreifen, die vom vorderen Körperende bogen-
förmig nach hinten verliefen (Taf. XXX. Fig. 8). Die genaue Beobach-
tung ergab, daß es sich um Einknickungen des Periplasten
handelte, die durch den Wasserentzug verursacht worden waren. Die
Zellen sahen dabei merkwürdig schmächtig aus; besonders das spitze
Hinterende war auffallend dünn geworden. Dabei waren auch die
gegenseitigen Lagerungsverhältnisse der Zellpartien verändert, so daß
z. B. der lappenartige Vorsprung fast gegenüber der linken Flanke lag.
Wurde nun der hängende Tropfen über einen mit Süßwasser getränkten
Papprahmen gebracht, so kehrte die normale Zellgestalt wieder zurück
(Taf. XXX, Fig. 7). Während des ganzen Versuches behielten die
Zellen unter sonst günstigen Verhältnissen ihre Beweglichkeit bei.
Auf die abnorme Homogeneität und Durchsichtigkeit der Zellen während
des Wasserentzuges werde ich im folgenden Abschnitt zu sprechen
kommen.
Die Zellumhüllung ist somit als Periplast zu bezeichnen, der,
wie die gerade verlaufenden Einknickungen zeigen, eine gewisse Festig-
keit besitzt. Eine differente, vom Plasma ausgeschiedene Membran,
bzw. ein Panzer, ist aber nicht vorhanden.
Nun gibt allerdings Kent (1880, S. 428) an, daß er zuweilen leere
Periplasten des Vorderendes gefunden habe. Daran, daß diese zu
Oxyrrhis gehören, ist nicht zu zweifeln, da seine Abbildungen (Taf. XXIV,
Fig. .58 u. 59) dieser Hüllen die Eigentümlichkeiten dei- Gestalt von
Oxyrrhis viel besser wiedergeben, als seine Zeichnungen der intakten
Zelle (Textfig. 3/). In meinem Material habe ich übrigens ähnliche
620 ('• yenn.
Gebilde lieiuiiden; da sie aber deformiert waren, konnte ihre Zuge-
hörigkeit zu Oxyrrhis nicht einwandfrei festgestellt werden.
Es erhebt sich nun die Frage, wie diese leeren Periplasten ent-
standen sind. Jedenfalls nicht beim Absterben der Zellen, denn dabei
lösen sich diese samt dem Periplasten auf, wie dies auch Kent (1880,
S. 428) angibt; er vergleicht den Vorgang treffend mit einem Ab-
schmelzen. Nun berichtet aber Bütschli (1885, S. 559 Anm.), daß
einige in seinem Aquarium aufgetretene Exemplare eine Umhüllung
iiiemlich sicher wahrnehmen ließen.
Man kann sicli die Sache vielleicht so erklären, daß die leeren Periplasten
bei Häutungen der lebenden Zellen entstehen. Ob diese an gewöhnlichen vegetati-
ven Zellen vorkommen oder nur an jungen, eben aus der Teilung hervorgegangenen
Individuen, wie z. B. bei manchen D e s m i d i a c e e n , kann ich nicht sagen.
Bei den Peridineen kommen solche Häutungen zwar sehr oft vor (Klebs,
1883, .S. 740, 744; Pouchet, 1885, iS. 42 f. usw.), doch werden dort jeweilen richtige,
durch Plasmolyse isolierbare Zellhüllen erneuert. Immerhin wäre es denkbar,
daß etwas ähnliches auch bei der wenigstens vorn mit einem relativ festen Peri-
jilast vei'selienen Oxyrrhis stattfindet.
Durch GouRRET et Koeser (1886, 8. 524) wurde festgestellt, daß
der Periplast iii der hinteren Zellpartie fehlt oder doch viel weniger
fest ist als vorn. Wohl deshalb verändert das hintere Ende seine
Gestalt viel leichter als das vordere. So rundet es sich z. B. bei Indi-
viduen, die im hängenden Tropfen Osmiumsäuredämpfen ausgesetzt
werden, so ab, daß der lappenartige Vorsprung deplaciert wird und
kaum mehr erkennbar ist (so auch Kent, 1880, S. 428). Dabei be-
wahrt aber das Vorderende wenigstens anfänglich seine ursprüngliche
Gestalt (Taf. XXX, Fig. 5).
Bei Behandlung der Zellen mit schwacher Jod-Jodkaliumlösung
in Meerwasser wölben sich aus der Querfurche mehrere Vacuolen vor,
während das Hinterende sonst nicht deformiert wird. Sehr schön trat
diese Vacuolenbildung bei Zusatz von 0,5% Tannin in Meerwasser
bzw. 3,48% NaCl, auf. Zu Beginn der Wirkung lagen die Zellen wie
fixiert auf dem Obj ektträger : erst nach 2 — 5 Minuten traten dann die
Vacuolen heivor. In einzelnen Fällen vergrößerten sie sich nur bis zu
einem gewissen Grade (Taf. XXX, Fig. 13 u. 15), bisweilen nahmen
.sie rasch an Größe zu und kamen schließlich zum Platzen.
An solchen Blasen waren gewöhnlich zwei bis drei mutzen- oder
bogenförmige, verschieden große Gebilde von offenbar festerer Kon-
sistenz zu sehen, welche der zarten Blasenhaut aufsaßen (Taf. XXX,
Fig. 13). Die Länge des einen bestimmte ich zu 8 u, was mit der
Länge des lappenartigen Vorsprunges übereinstimmt. Dieser gleicht
Ox5Trhis, Nephroselinis und einige Euflagellaten usw. 621
auch tatsächlich in seiner Konsistenz viel eher dem Vorder- als dem
Hinterende der Zelle. Was die ein bis zwei andern bogenförmigen
Gebilde sind, von denen das eine 4,5 ,« maß, kann ich nicht mit Sicher-
heit angeben. Es scheint, daß auch sie lokale Verdickungen des auf
der Ventralseite des Hinterendes sehr zarten Periplasten sind, Organe,
welche möglicherweise die Stellen geringster Konsistenz, also Cyto-
stom und Cytopyge, wenigstens einseitig begrenzen.
Es war nämlich zuweilen eine seichte Rinne zu sehen, die sich
vom Hinterende bis in die Querfurche hinein zog. Die Rinne ist
wahrscheinlich als die Stelle geringster Festigkeit aufzufassen, aus
welcher auch die beschriebenen Vacuolen austreten. Meine Beobach-
tungen über die Nahrungsaufnahme haben allerdings ergeben, daß
wenigstens die kleineren Nahrungskörper in der Nähe der Geißelinser-
tion zwischen dem lappenartigen Vorsprung und dem Rand der Quer-
furche aufgenommen werden. Da ich aber auch eine Oxijrrhis gesehen
habe, die in ihrem Innern eine Navicula enthielt, welche vom vorderen
bis zum hinteren Zellende reichte, muß ich wie Kent (1880, S. 427)
schließen, daß die Mundöffnung elastisch ist und wahrscheinlich längs
der erwähnten Rinne bis ans Hinterende verlängert werden kann.
In diesem Falle vereinigt sie sich wohl mit der Cytopyge, die,
wie auch Blochmann (1884, S. 48) angibt, stets an der Spitze des
Hinterendes liegt. Ich habe daselbst nicht nur die Ausstoßung von
Nahrungsresten und das nachherige Schließen der Cytopyge in der
von Blochmann beschriebenen Weise beobachtet (Textfig. 4 b), sondern
auch an Individuen, die sozusagen auf dem Kopfe standen, eine ziem-
lich deutlich umschriebene Stelle von der Gestalt eines Hufeisens ge-
sehen, dessen Öffnung gegen die in der Querfurche gelegene Mundöffnung
gerichtet war (Taf. XXX, Fig. 12). An fixierten Individuen ragte
diese Stelle zuweilen löffelartig über die Fläche des Hinterendes heraus.
Demnach wären Cytostom und Cytopyge wohl lokalisiert, aber
durch einen Streifen so zarter Plasmahaut verbunden, daß die Mund-
öffnung bis zur Cytopyge erweitert werden kann.
Nach meinen Beobachtungen ist der Periplast an lebenden In-
dividuen glatt, was auch Kent (1880, S. 427) und Gourret et Roeser
(1886, S. 524) angeben. Duj ardin (1841, S. 347) beschreibt ihn aller-
dings als raiih bzw. warzig. Er ließ sich aber offenbar durch die im
Plasma enthaltenen Körnchen zu dieser Auffassung verleiten; macht
doch auch Fresenius (1865, S. 84) darauf aufmerksam, daß die oft
in Längsreihen angeordneten Kügelchen des Zellinhaltes die Oberfläche
streifig erscheinen lassen.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 41
622 G. Senn,
All Zellen aber, welche durch Osmiumsäure fixiert worden waren,
konnte ich wiederholt eine Punktierung und Strichelung des Peri-
plasten feststellen (Taf. XXX, Fig. 5 u. 6). Möglicherweise sind diese
Punkte und kurzen Doppelstriche Trichocysten-artige Gebilde,
welche infolge der Wirkung schädlicher Einflüsse zarte Fäden aus-
stoßen.
Schon Kunstler (1888, S. 139) hat nämlich beobachtet, daß die
Zellen von Oxyrrhis marina nach Fixierung mit konzentrierter Osmium-
säurelösung und nachheriger Behandlung mit >)noir Collin<< (das mit
Chromsäure angesäuert und dem etwas Glyzerin zugefügt war) mit
einer mehr oder weniger dichten Hülle von unregelmäßigen Fäden
bedeckt sind, die nach allen Richtungen ausstrahlen. Ich' kann diese
Beobachtung durchaus bestätigen. Besonders schön waren die feinen
Fäden (die viel zarter sind als die Geißeln) bei Behandlung der Zellen
mit 0,5%iger Gerbsäure in Meerwasser, bzw. isotonischer Kochsalz-
lösung (3,48%) zu sehen (Taf. XXX, Fig. 15). Sie erscheinen zuweilen
an ihrem distalen Ende etwas verdickt und können so lang werden
wie die Zelle selbst; als maximale Länge habe ich 31 /t festgestellt.
Ließ ich Chlor zinkj od in verdünnter Lösung auf lebende Zellen
wirken, so erfolgte eine viel schwächere Fadenbildung (Taf. XXX,
Fig. 14), offenbar, weil die Zelle zu rasch getötet worden war. In
diesem Falle schien es, als ob das Hinterende keine Fäden trage. Diese
Tatsache hängt möglicherweise damit zusammen, daß in der hinteren
Körperhälfte auch keine Strichelung der Membran vorhanden ist.
Dadurch gewänne die Deutung dieser Striche als Trichocysten
sehr an Wahrscheinlichkeit. Leider versäumte ich, die chemischen
Keaktionen dieser Fäden festzustellen. Immerhin spricht die Tatsache,
daß sie von Hämatoxylin nicht gefärbt werden, gegen ihre plasmatische
Natur. Sie bestehen offenbar aus Gallerte, was mit Kunstlers Auf-
fassung (1888, S. 139), nach der es Produkte von Trichocysten sind,
gut stimmen würde.
Da bei Fixierung mit Platinchlorid oder FLEMMiNGscher Lösung
die Gallertausscheidung unterbleibt, muß gescklossen werden, daß die
freischwimmende Zelle keine Gallerthülle trägt, sondern daß diese erst
infolge eines äußeren Reizes ausgeschieden wird, und zwar in um so
reichlicherem Maße, je langsamer der Organismus zugrunde geht.
Durch äußere Reize verursachte Gallertausscheidungen kom-
men in verschiedenen Gruppen der Flagellaten und ihrer Verwandten
vor. So hat sie Klebs (1883, S. 274f.) für Euglena velata und san-
guinea beschrieben. Hier werden zarte, radial gerichtete Gallertfäden
Oxynliis, Kepliro-selnüs uiul einige Eiitlagelluten usw. (523
oder -Stäbchen ausgeschieden, die bald zu einem unregelmäßigen Netz-
werk verquellen. Bei Gymiwdinmm, juscum dagegen bleiben die radial
gerichteten Stäbchen erhalten; die Gallerthülle dieser Peridinee
stimmt deshalb mit ihren regelmäßig radialstrahligen Stäbchen (Klebs
1883, Taf. II, Fig. 26) mit der bei Oxyrrkis durch Chlorzinkjod hervor-
gerufenen völlig überein.
Die langen, durch Gerbsäurebehandlung erzeugten Fäden hat
Schutt (1899, S. 618ff.) genau in derselben Ausbildung für Ceratium
furca und Podolampas hipes und neuerdings Krause (1910, S. 182) an
Ceratium hirundinella beschrieben und abgebildet. Sie traten ebenfalls
infolge einer Schädigung der Zellen auf. Schutt (S. 621) vermutet
allerdings, diese Fäden seien plasmatisch er Natur und ihre Substanz
sei derjenigen der Geißeln ähnlich. Doch haben auch Schutt und
Krause die Reaktionen dieser Substanz nicht festgestellt. Ihre hyaline
Beschaffenheit scheint mir viel eher für ihre Gallert- als ihre Plasma-
natur zu sprechen. Somit schließt sich Oxyrrhis auch durch ihre Fähig-
keit, auf äußere Reizung mit intensiver Ausscheidung zarter Fäden zu
reagieren, eng an andre, sowohl marine als auch im Süßwasser lebende
Peridineen an. Die ähnliche, wenn auch nicht mit gleicher Inten-
sität erfolgende Gallertausscheidung mehrerer Euglenen hat für die
Verwandtschaftsbeziehungen von Oxyrrhis keine Bedeutung, da diese
mit den Eugleni^ien sonst nichts gemein hat.
In bezug auf den Perlplasten unterscheidet sich Oxyrrhis allerdings
nicht von den Flagellaten, schließt sich darin aber auch an Peri-
dineen, z. B. an Gymnodinium an, dessen Periplast ebenfalls keine
Cellulosereaktion gibt. Die verschiedene Konsistenz des Periplasten
in den verschiedenen Körperpartien spricht dagegen durchaus für die
Zugehörigkeit von Oxyrrhis zu den Peridineen, da nach Schutt
(1899, S. 625f.) bei Podolampas hipes aus der Geißelspalte große Pseudo-
podien austreten und wieder eingezogen werden, und auch bei fixierten
Ceratien häufig ein Plasmapfropf aus der Geißelspalte austritt —
alles Verhältnisse, welche an die auf der Ventralseite von Oxyrrhis
erfolgende Ausstülpung von blasigen Vacuolen erinnern.
Somit weist auch die Ausbildung des Periplasten von
Oxyrrhis klar auf ihre Zugehörigkeit zu den Peridineen, und
zwar, da eine Panzerung fehlt, zu den Gymnodiniaceen.
6. Plasma und Vacuolen.
Das Protoplasma kleidet in ziemlich dickem Wandbeleg den
Periplasten aus und umschließt den von zahlreichen stärkeren oder
41*
624 G. Senn,
schwächeren Plasmasträngen durchzogenen Zellsaftraum (Taf. XXX,
Fig. 21).
Normalerweise erscheint das Plasma körnig (Taf. XXX, Fig. 7).
Wird aber der Zelle durch allmähliche Verdunstung des Meerwassers
oder durch Zusatz konzentrierter Salzlösungen Wasser entzogen, so
wird das Plasma, bald nachdem am Periplast die S. 619 erwähnten
Einknickungen aufgetreten sind, vollständig homogen und mit Aus-
nahme der von den Nahrungsballen eingenommenen Stellen durch-
sichtig; auch der vorher deutlich sichtbare Zellkern scheint verschwun-
den zu sein (Taf. XXX, Fig. 8). Dieses Verschwinden der farblosen
körnigen Inhaltsbestandteile infolge starken Wasserentzuges beruht
offenbar darauf, daß alle Wasser enthaltenden Käume (Vacuolen) ver-
schwunden sind, so daß nun die Plasmabestandteile samt dem Kern
lückenlos zusammenschließen. Da sie alle annähernd denselben Bre-
chungsindex haben (Senn, 1908, S. 369), durchsetzt das Licht die
Zelle geradlinig, so daß sie homogen erscheint. Wenn man nun den
hängenden Tropfen von dem mit Meerwasser getränkten Papprahmen
auf einen mit Süßwasser getränkten überträgt, so nehmen die Vacuolen
infolge der Verdünnung des Mediums Wasser auf. Das die Zelle durch-
setzende Licht erfährt nun wieder an den unebenen Grenzflächen von
Plasma und Zellsaft mehrfache unregelmäßige Brechungen, so daß
alle in den Saftraum vorragenden Körnchen, sowie der Kern sichtbar
werden.
Die farblosen Körnchen und Tröpfchen bestehen teilweise aus
Fett, da sie durch Äther und Alkohol gelöst und durch Osmiumsäure
gebräunt werden (Blochmann, 1884, S. 47). Vielleicht sind auch die
Körner, welche nach Fixierung der Zelle mit Platinchlorid und nach-
heriger Behandlung mit gerbsaurem Vesuvin dunkelbraun bis schwarz
gefärbt wurden, nichts andres als Fetttröpfchen. Ich beobachtete
solche nur in der vorderen Körperhälfte, in der Nähe des Zellkernes.
Außer diesen farblosen, körnigen Plasmabestandteilen und dem
Kern finden sich, in größere oder kleinere Vacuolen eingebettet, meist
zahlreiche Nahrungsballen, die, wenn noch nicht stark angegriffen,
ihre Natur und Herkunft deutlich erkennen lassen. So hat Cohn
(1866, S. 295) Reste von Spirulina versicolor darin beobachtet, Fre-
senius (1865, S. 84) ebenfalls Spirulinen und in selteneren Fällen
chlorophyllhaltige Reste. Keysselitz (1908, S. 339, Fig. 16—19)
endlich fand darin ganjze Knäuel von Algenfäden (wohl Spirogyra,
Textfig. 7). Meine Exemplare nährten sich außer von Bakterien auch
von grünen, stärkehaltigen Organismen und besonders von Diato-
Oxyrrhis. Nephrosclniis und einige Euflagellaten usw. 625
meen (Pinnularia). Daß einmal eine Navicula verschluckt wurde,
die fast ebenso lang war wie die Oxyrrhis-ZeWe selbst, habe ich S. 621
erwähnt. In diesem Fall reichte natürlich die Nahrungsvacuole von
einem Zellende zum andern. Gewöhnlich liegen aber die kleineren
Nahrungskörper nur in der hinteren Körperhälfte, was schon Cohn
(1866, S. 295) angibt. Infolgedessen erhält bei der Querteilung der
Zelle das aus der vorderen Hälfte der Mutterzelle hervorgegangene
Exemplar keine, das andre dagegen alle Nahrungsballen.
Offenbar nach vollendeter Verdauung werden die Ballen in das
Hinterende befördert und aus dessen Spitze spontan ausgestoßen, wie
dies Blochmann (1884, S. 48, Fig. 16) beschrieben und abgebildet hat
(Textfig. 4&). In einem fixierten und gefärbten Individuum schien sogar
eine aus Plasma bestehende röhrenförmige Differenzierung vorhanden
zu sein, welche vielleicht die Nahrungsreste aus der Mitte der Zelle
zu der Cytopyge dirigiert.
Daß Oxyrrhis einen Saftraum besitzt, wurde schon festgestellt.
Von einer regelmäßigen Gestalt der Vacuolen mit einem nach der
Geißelinsertion führenden Kanal — also einer Anordnung und Organi-
sation, welche die Anwendung von Schutts Ausdruck »Pusule«
rechtfertigen würde — war aber nichts zu sehen.
Ebensowenig konnte ich in irgend einer Zellpartie Pulsationen
konstatieren; ich stimme darin mit Blochmann (1884, S. 48) überein,
der an den zuweilen zahlreichen Vacuolen trotz langer Beobachtung
keine Veränderimgen entdecken konnte. Cohn (1866, S. 295), Kent
(1880, S. 427 f.) und Gourket et Roeser (1886, S. 524) dagegen sprechen
von einer — nach unsrer Orientierung — im Hinterende befindlichen
contractilen Vacuole, deren Bewegungen nach Kent allerdings
nicht sehr kräftig sein sollen. Da bisher bei keinem marinen Flagellat
oder einem verwandten Organismus Vacuolenpulsationen beobachtet
worden sind, ist es sehr wahrscheinlich, daß die Angaben dieser drei
Forscher auf Irrtum beruhen.
Da Oxyrrhis in der Verteilung ihres Protoplasmas und seiner
Vacuolen von dem allgemeinen Bauplan der Zelle pflanzlicher Pro-
tisten nicht abweicht, können daraus naturgemäß keine Schlüsse über
ihre speziellen Verwandtschaftsbeziehungen gezogen werden.
7. Kern und Kernteilung.
Über Kernstruktur und Kernteilung von Oxyrrhis liegen außer
GouRRET et Roesers (1886, S. 524) bloßer Erwähnung eines Kernes
genauere Angaben von Blochmann (1884, S, 47) und besonders von
626 G. Senn,
ScHAUDiNN (1896, S. 129) und Keysselitz (1908, S. 336f.) vor, welch
letzterer auch die von Schaudinn hinterlassenen Präparate ver-
wertet hat.
Da meine Resultate mit denjenigen dieser Forscher im allgemeinen
übereinstimmen, werde ich kleinere Differenzen im Anschluß an die
Darstellung meiner Befunde erwähnen.
Vor allem fällt die bedeutende CTröße des ellipsoidischen, etwas
vor der Zellmitte liegenden Kernes auf; mißt er doch in der Ruhe
9 — 11// Länge (seltener bis 15//) und 6 — 7,5 /< Breite. Er ist also
ungefähr 1/3, seltener sogar 1/2 so lang als die ganze Zelle! Seine
Läjigsachse liegt zu derjenigen der Zelle parallel oder etwas schief
(Taf. XXX, Fig. 5, 7, 14, 15, 18 u. 19).
Zum Studium seiner feineren Struktur habe ich die Zellen mit
0,25 oder 0,5% Platinchlorid in Meerwasser oder mit Flemmings Chrom-
Osmium-Essigsäure fixiert, die mit 10 — 15 Teilen Meerwasser oder
isotonischer (3,4%) NaCl-Lösung verdünnt worden war (Swingle,
1897, S. 299). Schon ohne Färbung war mit homogener Immersion
an den Kernen, die schon von Blochmann (1884, S. 48) beobachtete
netzförmige, bzw. körnig-fädige Struktur zu erkennen, die durch
schwache Hämatoxylinlösung (nach Delafield oder Heidenhain)
noch bedeutend klarer wurde. Es lassen sich dann im Kern relativ
große Körner unterscheiden, die zuweilen etwas unregelmäßig ange-
ordnet sind, meist aber in bogigen Reihen verlaufen, welche von andern
senkrecht oder etwas schief zu ihnen verlaufenden Reihen gekreuzt
werden (Taf. XXX, Fig. 18 u. 19). Schaudinn (1896, S. 129) und
Keysselitz (1908, S. 336) sprechen deshalb von einer Alveolarstruktur.
Obwohl ich nicht feststellen konnte, ob die Körner nur in einer Rich-
tung der Kernoberfläche, also zu rosenkranzartigen Fäden, oder in
allen Richtungen des Raumes verbunden sind, glaube ich, daß die
Bezeichnung Alveolarstruktur hier durchaus gerechtfertigt ist. Denn
die Körner lassen sich bei jeder Einstellung des Kernes beobachten,
woraus hervorgeht, daß die ganze das Karyosom umgebende Masse
des Kernes gleich gebaut ist, mit Ausnahme der Kernmembran, die,
wie auch Keysselitz (1908, S. 336) angibt, die alveoläre Partie in
Form einer doppelt konturierten, weniger leicht färbbaren Haut um-
gibt (Taf. XXX, Fig. 18).
Im Innern des Kernes ist stets ein im Leben stärker lichtbrechender,
an gefärbten Präparaten dunkler erscheinender kugeliger Binnenkörper,
ein Karyosom, zu sehen, das Schaudinn (1896, S. 129) noch mit
dem älteren, jetzt in andeim Sinne verwendeten Namen Nucleolo-
Oxyrrhis, Nephroseliuis iiiui einige Euflagellaten usw. 627
Centrosom bezeichnet. Es liegt häufig etwas exzentrisch. In einem
Falle beobachtete ich in einem ruhenden Kern auch deren zwei; mög-
licherweise war aber das eine davon nur ein Nucleolus (Jollos, 1910,
S. 194).
Keysselitz (1908, S. 336) gibt ferner an, daß innerhalb des Karyo-
soms ein stärker färbbares Korn, ein Centriol, enthalten sei. In der
Tat habe auch ich ein solches, zwar nicht in allen, aber doch in zahl-
reichen Fällen gesehen. Sehr oft konnte ich bei genauerer Beobachtung
feststellen, daß der dunkle Fleck nicht ein kugeliger Inhaltskörper,
sondern der Kreuzungspunkt von drei oder vier Spalten oder Furchen
sei, welche die weniger dunkel gefärbte Partie des Karyosoms durch-
ziehen (Taf. XXX, Fig. 17). Besonders deutlich waren diese stern-
artigen Gebilde in den nach Heidenhain gefärbten Präparaten zu sehen,
weniger klar oder gar nicht an den mit DsLAFiELDschem Hämatoxylin
behandelten. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß die sternförmi-
gen Gebilde auf eine Quellung des Karyosoms zurückzuführen sind.
Auf Grund dieses Baues bezeichnet nun Keysselitz (1908, S. 336)
den Oxyrrhis-Kevn als »bläschenförmig«. Dieser Ausdruck wird allge-
mein für die Kerne der Flagellaten (im engeren Sinne) mit Aus-
nahme der höheren Formen (Eugleninen, vielleicht auch der Chloro-
monadinen) gebraucht. Bei jenen sucht man aber zwischen Kern-
membran und Karyosom, in der sogenannten Kernsaftzone, vergeblich
nach Chromatin bzw. stärker färbbaren Körnern. Die Kernsaftzone
tritt daher in gefärbten Präparaten oft so wenig hervor, daß Awerin-
ZEW (1907, S. 837) für Chilomonas einen kleinen kugeligen Kern angab,
der aber, wie Prowazek (1907, S. 380) richtig bemerkte, nur das
Karyosom des viel größeren bläschenförmigen Kernes ist, dessen Kern-
saftzone Awerinzew übersehen hat. Bei dem Kern von Oxyrrhis wäre
ein solches Versehen nicht möglich. Es besteht somit zwischen dem
Oxyrrhis-Kexn und dem bläschenförmigen der niederen Flagellaten ein
so wesentlicher Unterschied, daß die Anwendung derselben Bezeich-
nung nicht am Platze ist. Der Kern von Oxyrrhis hat aber auch, ent-
gegen ScHAUDiNNS (1896, S. 129) Angaben, nicht dieselbe Struktur
wie derjenige der Eugleninen^ indem dort, wie ich in Übereinstim-
mung mit Keuten (1895, S. 219) festgestellt habe (Senn, 1900,
Fig. 64 Dl), das Chromatin in Form von radialstrahligen Fäden an-
geordnet ist (Taf. XXXI, Fig. 38). Dagegen weist schon Bütschli
(1885, S. 558) darauf hin, daß sich der Kernbau von Oxyrrhis dem-
jenigen der Peridineen anschließe. Wie wir sehen werden, trifft
dies auch in bezug auf seine Teilungsweise durchaus zu.
628 G. Senn,
Um die schon durch BlocThmann (1884, S. 49) in großen Zügen
beobachtete, durch Schaudinn (1896, S. 129) und besonders durch
Keysselitz (1908, S. 337, Taf. XIX, Fig. 4—15) genau beschriebene
Kernteilung zu sehen, habe ich 1 — 2 Tage alte Heuinfuskulturen
(Lauterborns 1895, S. 177 Erfahrungen an Ceratium entsprechend)
nachts 10.30 und 1.30 Uhr fixiert.
Die erste Vorbereitung zur Teilung besteht in einer Viertelsdrehung
des Kernes, der zufolge seine Längsachse zu derjenigen der Zelle
senkrecht zu stehen kommt (Taf. XXX, Fig. 20). Auch Keysselitz
(1908, Fig. 4) bildet einen solchen quergestellten Kern ab, in dem
sich das erste Stadium der Karyosomteilung erkennen läßt. Auf die
Querstellung des ganzen Kernes weist er zwar nicht ausdrücklich hin
und bildet auch in Fig. 2 und 11 scheinbar ruhende Kerne ab, die
quergestellt sind. Obwohl an solchen Stadien meines Materials zu-
weilen noch keine Streckung des Karyosoms zu sehen war, muß ich
die Querstellung des Kernes doch als erste Vorbereitung für seine
Teilung auffassen, da sich an ihm schon eine deutliche Anordnung
des Chromatins in parallelen Reihen erkennen läßt, die senkrecht zur
Längsachse des Kernes, also in der Richtung der Längsachse der Zeile
verlaufen. Auf diesen parallelen Verlauf der Chromatinelemente hat
bereits Schaudinn (1896, S. 129), allerdings erst für das spätere Sta-
dium, hingewiesen, während Keysselitz (1908) nichts von demselben
erwähnt und ihn auch in seinen Figuren nicht hervorhebt.
Im nächsten von mir beobachteten Stadium war außer der paral-
lelen Anordnung des Chromatins eine in derselben Richtung erfolgte
Streckung des Karyosoms zu erkennen (Taf. XXX, Fig. 21). Letzteres
ließ allerdings vom Centriol, das sich nach Keysselitz (1908, S. 387)
zuerst teilt, nichts erkennen ; es war in der Mitte etwas dicker als an den
Enden und zeigte also noch keinerlei Andeutungen einer Einschnürung.
Die folgenden Stadien, in welchen eine solche nach den überein-
stimmenden Angaben Schaudinns (1896, S. 129) und Keysselitz'
(Taf. XIX, Fig. 5 — 7) erfolgt, habe ich zwar nicht gesehen, zweifle
aber nicht an der Richtigkeit dieser Beobachtungen.
Im nächsten Stadium, das ich sah, waren die Chromatinfäden in
der Mitte quer, also senkrecht zur Längsachse der Zelle, durchgeschnürt,
so daß nun zwei nierenförmige, dicht hintereinander liegende Tochter-
kerne vorhanden waren, welche noch von der Membran des Mutter-
kernes umschlossen wurden. Bemerkenswert war bei dieser Zelle, daß
das Karyosom, wie dies auch Keysselitz in einem Fall beobachtet hat,
Oxyrrhis, Nephrosclniis und einige Euflagellaten usw. 629
noch nicht geteilt wai', sondern noch zwischen den beiden Tochter-
kernen lag (Taf. XXX, Fig. 22).
Diese runden sich allmählich ab, immer noch durch die schlauch-
artigen Reste der Kernmembran verbunden (Taf. XXX, Fig. 23). In
diesen Stadien liegen die Karyosome stets in den einander zugekehrten
Polen der Kerne, woraus ich mit Keysselitz (1908, S. 338) schließe,
daß das Karyosom stets durch Teilung entsteht und nie frisch gebildet
wird. Da es sich aber, wie auch dieser Forscher angibt, zuweilen erst
nach der Teihmg des Chromatins teilt, kann ich ihm die ihm duich
Keysselitz (1908, S. 337 f.) zugesprochene Funktion als Teilungsorgan
des Kernes nicht zuerkennen.
Beim Beginn der Abrundung der Tochterkerne verschwindet die
parallele Anordnung der Chromatinelemente, und gleichzeitig entfernen
sich die Karyosome voneinander, wahrscheinlich infolge einer Drehung
der beiden Tochterkerne in entgegengesetzter Richtung (Keysselitz,
1908, S. 337) (Taf. XXX, Fig. 24).
Mit allen diesen Befunden über die Kernteilung von Oxijrrhis
lassen sich auch die allerdings nur summarischen Angaben Blochmanns
leicht in Einklang bringen. Seine Vermutung, die Kernteilung ver-
laufe indirekt, ist wohl dahin zu modifizieren, daß sie ein Zwischen-
ding zwischen der direkten Teilung oder gewöhnlichen Durchschnürung
und der komplizierten indirekten Teilung ist, wie sie bei den höheren
Organismen verbreitet ist (vgl. Oltmanns, 1904, S. 48).
Sehen wir uns nun unter den Protisten nach einem ähnlichen
Teilungsvorgang des Kernes um, so springt die Übereinstimmung mit
der durch Lauterborn (1895) untersuchten Kernteilung von Cemtium
MrundineUa sofort in die Augen, worauf auch Schaudinn (1896, S. 129)
hinweist. Das Karyosom ist zwar bei dieser Peridinee nicht so deut-
lich wie bei Oxyrrhis, doch hat Jollos (1910, S. 193) neuerdings nach-
gewiesen, daß es sich in derselben Weise teilt wie bei Oxyrrhis und
Gymnodinium. Überhaupt geht aus den Untersuchungen dieses For-
schers klar hervor, daß die Kernteilung von Oxyrrhis mit derjenigen
der Peridineen völlig übereinstimmt.
Somit weisen die Kernverhältnisse von Oxyrrhis, was auch Jollos
(1910, S, 202) betont, ebenfalls auf ihre nahe Verwandtschaft mit den
Peridineen hin, die sich ja durch dife bedeutende Größe und be-
sondere Struktur des Kernes von den übrigen Protisten, nicht zum
mindesten von den Euflagellaten, scharf unterscheiden. Oxyrrhis
ist deshalb auch auf Grund ihrer Kernverhältnisse von den
Flagejlaten zu entfernen und zu den Peridineen zu stellen.
630 G. Senn,
8. Zellteilung.
Bald nachdem die Kernteilung vollendet ist und jede Zellhälfte
einen Tochterkern enthält, erfolgt die Teilung der Zelle. Dabei streckt
sich die Mutterzelle etwas und lagert — bald früher, bald später —
zwischen den beiden Kernen eine Plasmaschicht ein, welche die Proto-
plasten der beiden Tochterzellen voneinander trennt (Taf . XXX, Fig. 24).
Die Zellteilung macht sich nun auch bald in der äußeren Gestalt der
Zelle bemerkbar, indem rings um die Mitte der Mutterzelle eine Furche
auftritt, welche immer tiefer wird und schließlich die fast zu normaler
Gestalt und Länge herangewachsenen Tochterzellen voneinander trennt
(Taf. XXX, Fig. 16). Diese Durchschnürung habe ich einmal an
einem Individuum im Zeitraum von etwa 2 Stunden von Anfang bis
Ende beobachten können; die Zellen schwammen dabei stets herum,
allerdings etwas schwerfälliger als die Einzelindividuen.
Solche Zellteilungsstadien sind von mehreren früheren Beobachtern
beschrieben mid teilweise auch abgebildet worden, so von Fresenius
(1865, S. 84, Fig. 10; meine Textfig. 3 c), Cohn (1866, S. 296), Kent
(1880, S. 428, Taf. XXIV, Fig. 57) und Blochmann (1884, S. 48,
Fig. 17—20).
Bei dieser Teilung erhält die hintere Tochterzelle die hintere Hälfte
der Mutterzelle samt allen Nahrungsvacuolen. Über das Verhalten der
Geißeln kam ich ebensowenig ins klare wie Keysselitz (1908, S. 339).
Nach diesem Autor scheint zuerst eine Verdoppelung der Geißeln und
dann ein Hinaufrücken des einen Paares nach dem vorderen Indivi-
duum zu erfolgen. Tatsächlich haben alle Individuen, an denen man
etwas von der Teilung erkennen kann, bereits zwei Geißelpaare. Ob
die Furchen und der birnförmige Vorsprung geteilt werden oder auf
das eine Individuum übergehen, konnte ich nicht feststellen. Die
geringe Länge der birnförmigen Vorsprünge beider Tochterindividuen
scheint eher auf eine Teilung dieser Körperpartie hinzuweisen.
Ich kann also die von allen früheren Forschern gemachte Angabe
bestätigen, wonach Oxyrrhis sich durch Querteilung vermehrt. Und
zwar ist es eine ursprüngliche Querteilung und entsteht nicht etwa,
wie bei einigen Chlamydomonaden, durch nachträgliche Umlage-
rungen aus ursprünglicher Längsteilung; liegt doch schon die Teilungs-
ebene des Kernes senkrecht zur Längsachse der Zelle. Immerhin
deutet vielleicht gerade seine vor der Teilung erfolgende Drehung um
90° darauf hin, daß auch bei seinen Vorfahren ursprünglich eine
Längsteilung vorhanden gewesen ist.
Oxyrrliis, Nepliroseliuis und einige Euflagellaten usw. 631
Somit unterscheidet sich Oxyrrhis auch durch ihre Vermehrungs-
weise prinzipiell von den Flagellaten im engeren Sinne, bei denen,
mit nur zwei, übrigens keineswegs einwandfreien Ausnahmen i {Uro-
glcnopsis americana (Moore) Lemmermann und Stylococcus lacustris
Chodat; siehe S. 659 dieser Arbeit) die Teilungsebene von Zelle und
Kern mit der Längsachse der Zelle parallel verläuft. Seitdem dies
Klebs (1883, S. 359) festgestellt hatte, bildete Oxyrrhis im System
der Flagellaten einen Fremdkörper, der nun auf Grund meiner Be-
funde definitiv ausgeschieden werden muß. Denn wie die Kernteilung,
so weist auch die Zellteilung von Oxyrrhis zu den Peridineen, bei
welchen neben Längsteilung {ExuviaeUa, Ämphidinium und Dino-
physiden) und schiefer Teilung (Ceratium) auch Querteilung vorkommt,
und zwar bei Polykrikos und Hemidinium. Diese beiden Gattungen
sind allerdings in bezug auf ihre Kernteilung noch nicht untersucht
worden. Das von Stein (1883 III 2, Taf. II, Fig. 26; meine Textfig. 6 c)
abgebildete Zellteilungsstadium von Hemidinium unterscheidet sich
aber von den bei Längs- und Schiefteilung vorkommenden so vollständig,
daß wir auch für die Richtung der Teilungsebene des Kernes einen
durchgreifenden Unterschied von den andern Formen annehmen
müssen, ebenso wie bei Polykrikos, dessen Zellteilungsstadium dem-
jenigen von Hemidinium durchaus ähnlich ist.
Somit schließt sich Oxyrrhis auch auf Grund ihrer Zell-
teilung an Peridineen, und zwar an die sich ebenfalls durch
echte Querteilung auszeichnende Gattung Hemidinium an.
9. Bewegung.
Während Dujardin und Gourret et Roeser über die Schwimm-
bewegung von Oxyrrhis keine Angaben machen, berichten Fresenius
(1865, S.84), Kent (1880, S. 428), Blochmann (1884, S. 48) und
BüTSCHLi (1884, S. 846, 852) übereinstimmend und richtig, daß beim
Schwimmen das abgerundete apicale Zellende vorwärts gerichtet sei.
Nur CoHN (1866, S. 295) läßt irrtümlicherweise das Hinterende vor-
ausgehen. Auch darüber sind die vier genannten Forscher einig, daß
wenigstens eine Geißel während des Schwimmens nach hinten gerichtet
sei und hier undulierende oder peitschenförmige Bewegungen ausführe,
welche die Zelle vorwärts treiben.
1 Die Angabe von Keysselitz (1908, S. 339), daß sich Codosiga durch
Querteilung vermehre, beruht auf einem Irrtum (vgl. Cläeks Abbildungen der
Zellteilung in Senn, 1900, Ö. 123, Fig. 81).
632 G. Senn,
Über die Tätigkeit der zweiten Geißel herrscht aber völhge Un-
sicherheit. Fresenius erwähnt sie bei der Beschreibung der Schwimm-
bewegung überhaupt nicht, Kent (1880, S. 428) glaubt, sie sei noch
vollständiger als bei der ruhenden Zelle in der Furche aufgerollt —
also funktionslos — , während Bütschli (1884, S. 852) und Keysselitz
(1908, S. 336) beide Geißeln nach hinten gerichtet sein lassen.
Wie ich schon auf S. 616 angab, wird die eine Geißel, und zwar
die in der Längsfurche liegende, nachgeschleppt, während die in der
Querfurche verlaufende wellenförmig-flimmernde Bewegungen ausführt,
welche wegen ihrer außerordentlichen Schnelligkeit den früheren Be-
obachtern mit Ausnahmen von Cohn und Keysselitz entgangen sind.
Durch die von der Flimmergeißel ausgehenden Stöße wird die
Basis der Geißel nach der vorderen Partie der rechten Zellflanke ge-
trieben. Es resultiert daraus eine Botation, welche, wenn wir die Zelle
von vorn betrachten, im Sinne des Uhrzeigers verläuft. Dabei er-
leichtert offenbar die tiefe, nach links rückwärts, also in gleichem
Sinne verlaufende Furche die Rotation und bedingt die Steilheit der
Schraubengänge, während die Rotationsachse, die vom vorderen zum
hinteren Zellende verläuft, durch die Schleppgeißel nach hinten ver-
längert und dadurch stabilisiert wird.
Wie ich schon hervorgehoben habe, führt die Schleppgeißel
mit der Mitte ihres vom Körper frei abstehenden Teiles kreisende, von
der Seite gesehen pendelnde Bewegungen aus, während Basis und
Spitze relativ ruhig liegen blieben. Außer der Festlegung der Rota-
tionsachse hat die Schleppgeißel auch die Steuerung zu besorgen
(so auch Keysselitz, 1908, S. 336). Wenn nämlich die Zelle eine
Wendung vollzieht, so zieht sich eine der Wendung entsprechende
Biegung über die ganze Schleppgeißel nach deren distalem Ende hin.
Dieses behält also die ursprüngliche Richtung bei, wenn das proximale
Ende und die Zelle selbst bereits die neue Richtung eingeschlagen haben.
Bei solchen Wendungen tritt häufig auch eine Änderung der
Rotationsrichtung ein, indem sich nun die Zelle statt rechts-,
linksherum dreht. Dieser Wechsel kann allerdings auch beim Gerade-
ausschwimmen beobachtet werden. Wie diese Bewegung zustande
kommt, vermag ich nicht zu sagen; doch wird sie offenbar durch eine
Änderung in der Bewegung der Flimmergeißel verursacht, welche nun
die Zelle in der Richtung der rechten, etwas schief nach links vorwärts
verlaufenden Längsfurche bewegt. Diese linksläufige Rotation dauert
gewöhnlich nicht lange, indem die normale Rechtsdrehung meist bald
zurückkehrt.
Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten usw. 633
Wie schon Fresenius (1865, S. 84) angibt, kommt aber außer
der Rotationsbewegung nach rechts oder links auch eine schau-
kelnde Bewegung nach rechts und links vor, wobei die Zelle jedes-
mal nur eine halbe Drehung um die Längsachse nach der einen Seite
ausführt. Wie diese Bewegung erzeugt wird, konnte ich nicht fest-
stellen.
Bei allen diesen mit völliger oder teilweiser Rotation verbundenen
Bewegungen ist die im Profil ausgerandet erscheinende Partie der
linken Körperflanke abwechselnd rechts und links sichtbar, woraus
die für Oxyrrhis so charakteristische, scheinbar unruhig wackelnde
Rotationsbewegung resultiert.
Zuweilen sieht man die Zellen auch ohne Rotation daherschwimmen,
wobei die Schleppgeißel peitschenförmige Bewegungen ausführt. Kent
(1880, S. 428) glaubt zwar, daß dies die normale Schwimmbewegung
von Oxyrrhis sei ; doch ist das, wie sich aus dem Vorhergehenden ergibt,
nicht der Fall. Aus dem Fehlen der Rotation muß geschlossen werden,
daß hierbei die Flimmergeißel, offenbar wie während der Ruhe der
Zelle, in der Querfurche aufgerollt bleibt (so auch Kent). Wir werden
dieser Bewegungsart bei der Besprechung der Nahrungsaufnahme
wieder begegnen.
W^enn wir die bei Oxyrrhis beobachteten Schwimmbewegungen
mit den für die Peridineen, z. B. bei Bütschli (1884, S. 961 f.) be-
schriebenen vergleichen, so ergibt sich, daß Delages Angabe (1896,
S. 336), Oxyrrhis bewege sich nach Art der Peridineen, in jeder
Beziehung richtig ist. Auch dort ist die Schleppgeißel während des
Schwimmens entweder ruhig ausgestreckt, bzw. in ihrer Mitte in
schwach pendelnder Bewegung, und überläßt der Flimmergeißel die
Fortbewegung der Zelle, oder aber sie treibt die Zelle, offenbar wenn
die Flimmergeißel ruht, durch peitschende Bewegungen vorwärts. Die
auf Gleichartigkeit der Zellform und der Geißelfunktion
beruhende Übereinstimmung in der Schwimmbewegung ist
ein weiterer Grund dafür, Oxyrrhis zu den Peridineen zu
stellen und von den Euflagellaten zu entfernen, da bei
diesen Flimmergeißeln nicht vorkommen.
10. Nahrungsaufnahme.
Über die Nahrungsaufnahme von Oxyrrhis liegen keine genauen
Angaben vor. Darin sind zwar die früheren Forscher einig, daß dieser
Organismus fähig ist, feste Nahrungskörper aufzunehmen. Kent
(1880, S. 428) berichtet auch, daß ihm Fütterung mit Karmin gelungen
634 G. Senn,
sei, während Blochmann (1884, S. 48) bei diesen Versiiclien nur negative
Resultate erhielt. Über den eigentlichen Vorgang der Nahrungsauf-
nahme fehlte aber noch jegliche Angabe.
Kent (1880, S. 428) berichtet zwar, die Aufnahme fester Nahrung
erfolge während der Ruhe der Zellen; dabei soll die vibrierende Be-
wegung seiner »primären« Geißel, also der Flimmergeißel, die Nahrungs-
körperchen in die Nähe der Zelle bringen, während die schlingenartigen
Windungen der basalen Partie der Schleppgeißel offenbar helfen, die
Nahrungskörper in die Mundhöhle hineinzustoßen. Obwohl ich an
ruhenden Individuen die Schleppgeißel wiederholt aus der Querfurche
stoßweise ein- und austreten sah, konnte ich dabei doch nie eine Auf-
nahme fester Nahrung konstatieren, und doch habe ich natürlich weit
mehr rvihende als sich bewegende Zellen beobachtet.
In beiden Fällen jedoch, in welchen ich die Nahrungsaufnahme
sah, schwamm die Zelle ohne zu rotieren — also während die Flimmer-
geißel ruhte — sehr rasch in immer kleinerem Kreise um den Nahrungs-
körper herum, wobei sie diesem die Ventralseite zuwandte und die
linke Flanke nach oben kehrte. Dadurch geriet der Nahrungskörper
selbst in rasche Rotation und wurde wie ein Kreisel an Ort und Stelle
festgebannt. Sobald ihn die Zelle berührte, hielt sie ihn fest. Auf
welche Weise sie dies erreichte, ob etwa durch die Ausstülpung einer
zarten Nahrungsvacuole, konnte ich nicht feststellen. Sobald der
Fang gelungen war, schwamm die Zelle wieder unter Rotation davon,
wobei ein Teil der Beute aus der Mundstelle hervorragte. Das eine
Mal war es eine Bakterien-Zooglöa von imgefähr dem halben Volum
der Oxyrrhis-TieWe, das andre Mal eine kleine
Pinnularia. Als diese von der Oxyrrhis erfaßt
worden war, lag sie quer zu deren Längsachse;
während des Schwimmens wurde sie aber um
90*^ gedreht, so daß sie die Richtung der Längs-
achse annahm. Trotzdem ragte das eine Ende
der Diatomee noch einige Zeit neben dem
lappenförmigen Vorsprung hinten aus der Zelle
heraus, bis es zuletzt ebenfalls ins Innere ge-
Oxyrrhismarina, na.ch K^YSSE- ,
LITZ (1908, Taf. XIX, Fig. 16). ^Og^n WUrdC.
Ventralseite, Aufnahme einer
Alge, wahrscheinlich Spirogyra- Diese Fähigkeit zum Einziehen der Nahrungs-
faden, körper kommt bei der von Keysselitz (1908, S. 339,
Taf. XIX, Fig. 16—18) dargestellten Aufknäuelung
von Algenfäden in frappanter Weise zur Geltung. Leider hat dieser Forscher
den Vorgang selbst nicht gesehen, doch wird die Aufnahme wohl in der Weise
Textfig. 7.
OxjTrhis, Nephroseliuis und einige Euflagellatcn usw. 635
erfolgt sein, daß der Algenfaden an einem Ende erfaßt und dann sozusagen liin-
cingeliaspclt wurde. Bei dem in seiner Fig. 16 abgebildeten Exemplar schaut das
Fadenende noch heraus (Textfig. 7).
Ein solches Umkreisen fester Nahrung ist meines Wissens noch nicht
beobachtet worden. Bei den Fiagellaten wie bei den Ciliaten
wird die Beute durch die Bewegungen der Geißeln bzw. Cilien zur
Muudstelle herangestrudelt, und bei den Peridineen ist die Auf-
nahme fester Nahrung erst an Amöbenzuständen (Schilling, 1891,
S. 203), nicht jedoch an freischwimmenden Individuen beobachtet
worden. Deswegen kann jedoch die Zugehörigkeit von Oxyrrhis zu
den Peridineen keineswegs in Zweifel gezogen werden; die Zahl der
genau bekannten tierisch sich ernährenden Peridineen ist vielmehr
durch meine Befunde an Oxyrrhis vermehrt und ein neuer Modus des
Ergreifens fester Nahrung festgestellt worden.
11. Lebensweise.
Wie ihr Speciesname sagt, lebt Oxyrrhis marina im Meere, doch
kann sie mit dem Meerwasser leicht auch ins Binnenland trans-
portiert und daselbst kultiviert werden. Mit Ausnahme von Kent,
GouRRET et RoESER uud wohl auch Schaudinn haben denn auch alle
Forscher den Organismus in großer Entfernung vom Meere beobachtet,
so z. B. DujARüiN (1841, S. 347) in Paris, und zwar während zweier
Jahre in einer Kultur von Ulva lactuca, Fresenius (1865, S. 81) im
Seewasseraquarium des Frankfurter zoologischen Gartens, Cohn (1866,
S. 253) in einem marinen Zimmeraquarium in Breslau, und Bloch-
mann (1884, S. 47) im Seewasseraquarium des zoologischen Instituts
Heidelberg. Ich selbst traf den Organismus in Basel in einer Kultur
von Bryopsis an, welche ich mir zu physiologischer Untersuchung aus
Neapel hatte kommen lassen.
Kent (1880, S. 427) dagegen beobachtete Oxyrrhis auf der Insel
Jersey im frischen Meerwasser, allerdings auch in lange stehenden
Heuinfurdonen. Gourret et Roesers Material (1886, S. 443) stammte
aus dem alten Hafen von Marseille, der zu jener Zeit die Abwässer
der Stadt aufnahm und infolge seines schmalen Ausganges sehr schmutzi-
ges und mehr oder weniger faules Wasser enthielt, in dem höhere Tiere
nicht zu leben vermochten, in dem es aber von Mikroorganismen wim-
melte. Wohl deshalb haben die beiden französischen Forscher Oxyrrhis
nur einmal und auch da nur in wenigen Exemplaren gefunden (vgl.
1886, S. 457). Oxyrrhis macht somit an die Reinheit des Meerwassers
gewisse Ansprüche, indem sie in faulem Wasser nicht gedeiht; sie ist
6S6 G- Senn,
aber wenigstens bei nicht zu warmem Wetter in Rohkultur leicht
erhältlich.
Um eine für die morphologische Untersuchung und besonders für
die Fixierung und Färbung genügende Menge von Zellen zu erhalten,
stellte ich die Kulturen ins Grewächshaus (20 — 25° C) ; in der Tat erfolgte
eine rasche Vermehrung, die aber nur etwa einen Tag anhielt. Durch
Fleischzugabe, die Blochmann (1884, S. 48) anwandte, geriet die
Kultur bald in einen schlechten Zustand, ohne daß sich Oxyrrhis
vorher rasch vermehrt hätte. Zu sehr guten Resultaten führte dagegen
der von Kent angewandte Zusatz von Heu. Brachte ich solches,
nachdem es in angefeuchtetem Zustande sterilisiert worden war, in die
Kulturen, so wimmelten diese bei günstiger Temperatur (20 — 25 ° C)
am zweiten und dritten Tag förmlich von Oxyrrhis-ZeWen, unter denen
auch Teilungsstadien nicht selten waren. Ob diese günstige Wirkung
des Heues auf einer raschen Vermehrung der für Oxyrrhis vorteil-
haften Nährorganismen beruht, oder ob die aus dem Heu heraus-
diffundierenden Stoffe Oxyrrhis besonders zusagen, kann ich nicht
entscheiden. Jedenfalls scheint auch einfe rein saprophytische Er-
nährung zu genügen, da die Zellen der Heuinfusionen an Nahrungs-
ballen arm waren. In diesen Kulturen traten erst später Ciliaten auf,
welche ihrerseits die Oxyrrhis wieder verdrängten.
In alten Kulturen, welche keine frei schwimmenden Oxyrrhis-
Zellen mehr enthielten, durch Auffrischung des Wassers eine neue Entwick-
lung hervorzurufen, gelang mir nicht. Unter den in einem 3 — 41iterigen
Kulturgefäß herrschenden Bedingungen scheinen somit keine Dauer-
stadien gebildet zu werden; ob solche im freien Meere entstehen, ist
wahrscheinlich, doch fehlen hierfür noch jegliche Anhaltspunkte.
Wie bereits Cohn (1866, S. 295) angibt, lebt Oxyrrhis stets in der
Nähe der Wasseroberfläche. Ob sie durch den höheren Sauerstoff-
gehalt oder durch die Anwesenheit ihrer Nährorganismen hierher ge-
lockt wird, kann ich nicht sagen.
Oxyrrhis ist somit ein Organismus, der an die Qualität
des Meerwassers keine großen Anforderungen stellt und
sich deshalb bei relativ hoher Temperatur (20 — 25 °C) und
Zugabe von Heu leicht kultivieren läßt. Faulendes^ bak-
terien- und ciliatenreiches Wasser sagt ihm jedoch nicht zu.
12. Systematisches.
Oxyrrhis marina Duj. wurde bis 1909 ganz allgemein zu den Fla-
gellaten im engeren Sinne gerechnet, und zwar ohne daß bis dahin
Oxyrrhis. Nephrose! mis niid einige Eut'lagellateii usw. (»37
iruendwelclie Zweifel an dieser ihrer systematischen Stellung geäußert
worden wären. Und doch unterscheidet sie sich durch ihre typische
Querteilung wesentlich von allen andern Flagellaten.
Denn während bei Oxi/rrhis die Querteilung der Zelle schon in
der Richtung der Kernteilung zum Ausdruck kommt und daher über
jeden Zweifel erhaben ist, beruht die für die Euflagellaten Uroglenopsis
americana (Calk.) Lemmerm. luid Stylococcus Chodat, beschriebene
Querteilung offenbar auf fehlerhafter oder unvollständiger Beobachtung
(vgl. S. 659).
Aber selbst wenn man die Querteilung von Oxyrrhis als eine
die Regel bestätigende ^Ausnahme hinnehmen wollte, wie man dies
bisher allgemein getan hat, so sind die Schwierigkeiten, welche sich
einer befriedigenden Einordnung dieser Form in das System der Flagel-
laten entgegenstellen, keineswegs gehoben.
Die von Dujardin (1841, S. 126) der Oxyrrhis angewiesene Stel-
lung unter seinen Thecomonadiens, welche Eugleninen, Chla-
mydomonadinen und Cryptomonadinen enthalten, kommt für
uns nicht mehr in Betracht; immerhin ist es bemerkenswert, daß auch
Cryptomonas hierher gezählt wird, welcher — bzw. ihrer farblosen
Verwandten Chilotnonas — Oxyrrhis durch Kent (1880, S. 426),
BüTSCHLi (1884, S. 844f.) und Goueret et Roeser (1886, S. 448) an
die Seite gestellt wurde.
Aber die genaue Kenntnis von Chilomonas und den Crypto-
monadinen überhaupt hat Delage schon 1896 (S. 336) verhindert,
Oxyrrhis bei den Cryptomonadinen zu lassen. Von der Querteilung
abgesehen, unterscheidet sie sich nämlich von diesen durch die offene
Furche (die Cryptomonadinen haben einen ringsum geschlosse-
nen Schlund) und den Besitz einer Schleppgeißel. Delage hat sie
deshalb zu den Heteromastiginen und ich (Senn, 1900, S. 134, 136)
dementsprechend zu meinen Bodonaceen neben Phyllomitus und
Colponema gestellt, unter denen die letztgenannte Gattung auch in
der Zellform einige Ähnlichkeit mit Oxyrrhis aufweist.
Durch die eingehende Untersuchung dieses Organismus, welche
das Vorhandensein einer Längs- und einer Querfurche, einer
Flimmergeißel, sowie einer durchaus abweichenden Kern-
struktur gezeigt hat, ist aber auch die Einreihung von Oxyrrhis
unter die Bodonaceen unhaltbar geworden. Alle systematisch über-
haupt in Betracht kommenden Eigenschaften weisen diese Gattung
zu den Peridineen, und zwar zu den Gymnodiniaceen, in nächste
Nähe von Hemidinium. Mit letzterem wurde sie ja schon durch
Zeitschrift f. wisaenacb. Zoologie. XCVII. Bd. 42
638 G. Senn,
BüTSCHLi (1884, S. 559, Fig. 1 u. 2) eingehend verglichen. Da auch
die Kernstruktur von Oxyrrhis auf Verwandtschaft mit den Peri-
dineen hinweise, ist er der Ansicht, »daß sich auch in den sonstigen
Bau Verhältnissen dieser Form Beziehungen zu den Cilioflagellaten
erkennen lassen, welche die Oxyrrhis noch bestimmter als eine zwi-
schen den Cryptomonaden und Cilioflagellaten vermittelnde
Form aufzufassen gestatten«. Weil diesem Forscher auf Grund von
Blochmanns Untersuchungen das Vorhandensein einer Längsfurche
nicht bekannt war, mußte er Oxyrrhis zu den Cryptomonaden
stellen, unter dem Hinweis, daß ihre Ähnlichkeit mit Hemidinium die
Ableitung der Dinoflagellaten aus den Cryptomonadinen mög-
lich erscheinen lasse.
Durch die Kesultate meiner Untersuchungen über Gestalt und
Organisation der Zelle sah ich mich genötigt, Oxyrrhis in meiner vor-
läufigen Mitteilung (Senn, 1909, S. 86) als typische Peridinee zu
bezeichnen, was neuerdings auch Jollos (1910, S. 202), wohl unab-
hängig von mir tut, allerdings nur auf Grund der Übereinstimmung
im Kernbau.
In der Keihe: Chilomonas, Oxyrrhis, Hemidinium, Peridinee n
ist somit der trennende Strich nicht rechts, sondern links von Oxyrrhis
zu ziehen; und zwar ist diese Trennung der Oxyrrhis von Chilomonas
und den Cryptomonadinen eine absolute, also viel schärfere, als
die von Bütschli zwischen Oxyrrhis und Hemidinium vollzogene.
Die Berechtigung dieser Trennung ergibt sich aus einer Zusammen-
stellung der systematisch wichtigsten Merkmale ohne weiteres:
Oxyrrhis Cryptomonadinen
Zell g estalt offene, rückwärts gerich- ein vorwärts gerichteter,
tete Quer- und Längs- rings umschlossener, nur
furche. vorn geöffneter Schlund.
Begeißelung Flimmer- und Schleppgeißel, zwei gleich fungierende,
vorwärts gerichtete Gei-
ßeln.
Kern fädig-körnig, alveolär. bläschenförmig.
Zellteilung Querteilung. Längsteilung.
Schwimm- Mundstellung nach hinten Schlundöffnung nach vorn
bewegung gerichtet. gerichtet.
Ernährung tierisch und wohl auch sapro- und holophytisch,
saprophy tisch. nie tierisch.
Die Cryptomonadinen haben also mit Oxyrrhis lediglich eine
Oxyrrhis, Nophroseliiüs und einige Euflagellaten usw. (53'.)
entfernte äußere Ahnliclikeit. Dasselbe gilt für alle andern Eiifla-
gellaten, speziell auch für die Gattung Cyathomonas, die Jollos
(1910, S. 202) auf Grund der Kernstruktur mit den in ihrer Natur
noch fraglichen Schwärmern von Gi/mnodmium fucorum in verwandt-
schaftliche Beziehungen bringt. Bau und Entwicklung von Oxyrrhis
beweisen, daß sie eine Peridinee ist, und zwar eine weitere Diffe-
renzierungsform des ebenfalls durch Querteilung ausgezeichneten He-
midinimn, dessen Querfurche bei Oxyrrhis bedeutend erweitert und
dessen Hinterende demzufolge auf den lappenartigen Vorsprung redu-
ziert worden ist. In morphologischer Beziehung repräsentiert somit
Oxyrrhis das dem Ämphidinium entgegengesetzte Extrem der Zell-
gestalt; bei letzterem ist die vor der Querfurche gelegene Zellpartie
sehr klein, die dahinter gelegene dagegen sehr groß. Es ist jedoch
nicht möglich, diese Gattung mit Oxyrrhis und Hemidinium in direkten
genetischen Zusammenhang zu bringen, da sie sich nach Pouchet
(1885, S. 54) wie Exuviaella durch Längsteilung vermehrt.
Angesichts dieser Unterschiede ist es auch nicht mehr möglich,
BüTSCHLis (1885, S. 559) Ausführungen über die Ableitung der
Peridineen von Oxyrrhis zu folgen. Diese Gattung ist als etwaige
Übergangsform von den Flagellaten zu den Peridineen viel zu
hoch differenziert. Der lappenartige Vorsprung ist nur als stark redu-
zierte, linke hintere Ventralpartie von Hemidinium verständlich, nicht
jedoch als erster Beginn einer Teilung der ursprünglich einheitlichen,
flagellatenhaften Mundstelle in die Längs- und Querfurche der Peri-
dineen.
Man wird die Wm'zel der Peridineen viel eher bei den Proro-
centricae zu suchen haben, wie dies auch Oltmanns (1904, S. 40f.)
tut, da speziell Exuviaella durch ihre Längsteilung und den Besitz von
nur zwei Chromatophoren deutliche Anklänge an die Cryptomo na-
dinen zeigt. Immerhin können diese Organismen höchstens als Ab-
kömmlinge derselben Stammform betrachtet werden, da die zwischen
ihnen bestehenden Unterschiede zu groß imd beide Formen schon viel
zu sehr differenziert sind, als daß man die einen von den andern ab-
leiten könnte. Nicht nur fehlt bei Exuviaella das für die Crypto-
mo nadinen charakteristische Schlundorgan, sondern diese Organismen
unter,scheiden sich voneinander auch durch die Bewegungsweise der
Geißeln, sowie durch die Kernstruktur, also durch die beiden
durchgreifenden Unterschiede zwischen Flagellaten und Peri-
dineen.
Außer der durch Dujardin (1841, S. 34G) aufgestellten Species
42*
640 G. Senn,
Oxyrrhis marina ist keine andre bekannt geworden. Neuerdings
wurden zwar zwei Formen zu der Gattung Oxyrrhis gezählt, die aber
mit dieser Gattung, so wie wir sie jetzt kennen, nichts zu tun haben.
Das gilt in erster Linie für die von Scherffel (1900, S. 3) be-
schriebene Oxyrrhis phaeocysticola Scherffel, die ein ausgerandetes
Vorderende mit plastisch beweglichem Rüssel besitzt; dieser geht im
Gegensatz zu Oxyrrhis marina beim Schwimmen voraus. Während
der Autor über die Funktion der beiden gleich langen Geißeln und
über die Zellteilung keine Angaben macht, bildet er den Kern als kleines
kugeliges Körperchen ab, das etwa einem Protomastiginen-Kern
oder dessen Karyosom ähnlich sieht. Auch die leichte Trennung von
Plasma und Periplast bei der Osmiumfixierung ist ein Merkmal, das der
Oxyrrhis marina nicht zukommt. Die positiven Angaben Scherffels
genügen übrigens, um eine Streichung seiner Oxyrrhis phaeocysticola
aus der Gattung Oxyrrhis Duj. zu veranlassen. Wo sie in Wirklich-
keit hingehört, ist bei dem Mangel einer Angabe über die Geißel-
funktion schwer zu sagen. Vielleicht gehört sie zu den Amphimona-
daceen, bei welchen beide Geißeln gleich lang und beim Schwimmen
vorwärts gerichtet sind. Wenn jedoch die eine nachgeschleppt wird,
so würde nichts hindern, Scherffels Oxyrrhis 'phaeocysticola bei den
Bodonaceen, und zwar in der Gattung Phyllomitus Stein unterzu-
bringen. Bis aber die Geißelverhältnisse aufgeklärt sind, muß sie zu
den Formen incertae sedis gestellt werden.
Die von Poche (1903, S. 344) zu Oxyrrhis gestellte Form 0. para-
sitica Poche hat mit der DujARDiNschen 0. marina allerdings mehr
gemeinsame Züge. Sie ist etwas nierenförmig gebogen und besitzt
an ihrer konkaven Seite eine tief eingesenkte Mundtasche, an der je-
doch kein lappenförmiger Vorsprung vorhanden ist. Je nach ihrer
Stellung ist ihre Gestalt sehr verschieden, eine Eigentümlichkeit, die
wir ja auch für Oxyrrhis marina festgestellt haben. Die Geißeln zeigen
verschiedene Länge: die Schleppgeißel ist etwa körperlang, die gegen
das Vorderende peitschende, stets in Bewegung befindliche Flimmer-
geißel dagegen 1^/4 mal so lang als die Zelle. Wie bei Oxyrrhis marina
geht das von der Mundstelle abgekehrte Zellende beim Schwimmen
voraus. Diese Angaben deuten wenigstens darauf hin, daß Poche
eine Peridinee vorgelegen hat. Immerhin läßt die Beschreibmig der
Kernstruktur eher auf einen bläschenförmigen Protomastiginen-
Kern, als auf einen alveolären Peridineen-Kern schließen. Da ferner
weder der für Oxyrrhis charakteristische lappenartige Vorsprung vor-
handen ist, noch zwei distinkte Furchen angegeben werden, kann die
Ox5'rrhi8, Nephroseluiis und einige Euflagellaten usw. 641
von Poche beschriebene Art ebenfalls nicht zu Oxyrrhis gestellt werden.
Je nach dem Ergebnis neuer Untersuchungen über die Kernstruktur
wird man die PocHEsche Art bei den Peridineen oder bei den Fla-
gellaten einreihen müssen.
Die Gatt u n g Oxyrrh is 1) u j . umfaßt somit i m m e r n och
nur eine einzige Species, 0. fiiarina Duj.
Zusammenfassung.
Oxyrrhis warina Duj. Zelle länglich eiförmig, auf ihrer Ventralseite
mit zwei etwa in der Zellmitte beginnenden, nach dem (beim Schwim-
men) hinteren Zellende gerichteten Furchen. Die schmälere davon,
die Längs für che, ist gerade rückwärts und ein wenig nach der
rechten Zellflanke gerichtet. Die andre, breitere, die Querfurche,
zieht sich zuerst schräg nach der linken Zellflanke, biegt auf dieser
scharf um, verläuft nun fast quer zur Körperachse und endigt auf der
Dorsalseite. Längs- und Querfurche durch einen an der Basis schmalen,
von der vorderen, weiteren Körperpartie gegen das engere Hinterende
vorspringenden birnförmigen Lappen getrennt; dieser stellt die
reduzierte linke hintere Ventralpartie der Peridineen-, speziell der
Hemidinium-ZeWe dar.
Das beim Sch%vimmen vorn gelegene Ende der Zelle stumpf ab-
gerundet, das Hinterende spitz, etwas nach der linken Zellflanke ge-
neigt. Diese erscheint infolge des Verlaufs der Querfurche wie aus-
gerandet; die rechte Flanke dagegen verbindet in einheitlich kon-
vexem Bogen Hinter- und Vorderende. Zelle dorsiventral schwach
abgeplattet.
Länge der Zelle meist 22 — 32 n; seltener nur 10 oder bis 37 ^t.
Zellbreite 15— 20jK.
Zelle von einem nicht plasmolysierbaren Periplast umhüllt, der
in der vorderen Zellhälfte, sowie im lappenartigen Vorsprung fester ist,
als in der hinteren ventralen Partie. Im Grunde der Querfurche die
Mundstelle, das Cytostom, das sich unter Umständen bedeutend
erweitern kann. Cytopyge ebenfalls auf der Ventralseite, zunächst
dem Hinterende.
Unter dem Einfluß schädlicher Agenzien scheidet die Zelle zarte
Fäden, wohl gallertiger Natur aus, welche die Länge der Zelle er-
reichen köimen.
Zu beiden Seiten des birnförmigen Vorsprunges sind die zwei
Geißeln inseriert; im Grunde der Längsfurche die etwa 11/2^*^
körperlange Schleppgeißel, die sich an der ruhenden Zelle rings
642 G. Senn,
um den lappenartigen Vorsprung herumschlingt, im Grunde der Quer-
furche sich nach hinten wendet und nur wenig über das Hinterende
der Zelle hinausragt. Die im Grunde der Querfurche inserierte Flim-
mergeißel wird, wenn die Zelle ruht, nach hinten gestreckt und auf
der linken Zellflanke spiralig aufgerollt; nur etwa IV^mal körperlang.
Ihre raschen Wellenbewegungen haben Dujardin und Goureet et
RoESEB das Vorhandensein von drei bis vier kurzen Nebengeißeln
vorgetäuscht.
Plasma einen geschlossenen Wandbeleg und zahlreiche, das Zell-
innere durchsetzende Stränge bildend, darin Fetttröpfchen und mehr
oder weniger große Nahrungsvacuolen. Zellsaftraum ohne Diffe-
renzierung; pulsatile Vacuolen fehlen.
Zellkern relativ groß, meist ellipsoidisch, gewöhnlich etwas vor
der Zellmitte gelegen, seine Längsachse zu derjenigen der Zelle un-
gefähr parallel. In fixiertem und gefärbtem Zustand zeigt er eine
deutliche Membran und eine häufig regelmäßig alveoläre Struktur
des Chromatins. Meist etwas exzentrisch das Karyosom, in dessen
Innerm gewöhnlich ein Centriol.
Bei der Teilung Längsachse des Kernes senkrecht zu derjenigen
der Zelle gerichtet.. Chromatin demente parallel zur Längsachse der
Zelle in Reihen angeordnet. Das Karyosom streckt sich meist gleich-
zeitig, zuweilen aber erst nach dem Kern, in der gleichen Richtung
und teilt sich dann wie die Chromatinfäden in der zur Zellachse senk-
rechten Richtung. Die Tochterkerne rücken allmählich auseinander.
Bildung einer zur Zellachse ebenfalls senkrecht gerichteten Plasma-
lamelle, welche die beiden Tochterzellen voneinander trennt. Während
der Teilung schwimmt die Zelle mit zwei Geißelpaaren herum.
Oxyrrhis zeigt drei Arten der Bewegung. 1) Meist gleichmäßige
Rotation, wobei die Flimmergeißel in der Querfurche so rasche
wellenförmige Bewegungen ausführt, daß sie unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen unsichtbar ist, während die Schleppgeißel fast unbeweglich
nach hinten gestreckt wird und die Steuerung der Zelle besorgt. 2) Die
Schleppgeißel schlägt sehr lebhaft, während die Flimmergeißel ent-
weder untätig ist oder ebenso unregelmäßig schlägt wie die andre:
stoßweise Bewegung ohne Rotation. 3) Wackelnde Bewegung,
wobei die Schleppgeißel ruhig nach hinten gestreckt wird.
Ernährung von Oxyrrhis tierisch, durch Aufnahme von lebenden
Algen und Bakterien, sehr wahrscheinlich aber auch saprophy tisch.
Aufnahme der Nahrungskörper im beweglichen Zustand, wobei sich
die Zelle, ohne selbst zu rotieren, im Kreis um die Beute dreht. So-
Oxyrrhis, Nephroselinis und einige Euflagellaten usw. 643
bald sie diese mit der Mimdstelle berührt hat, schwimmt sie unter
Rotation davon und zieht den Nahrungskörper ins Innere. Unver-
daute Speisereste aus der Cytopyge ausgestoßen.
Oxi/rrhis lebt in Meer was s er, das organische Stoffe enthält,
aber weder faul, noch an Ciliaten reich sein darf. Bei etwa 20^ C und
Zusatz von sterilisiertem Heu entwickelt sie sich sehr rasch.
Dauerstadien unbekannt.
Auf Grmid:
1) der Zellgestalt (Quer- und Längsfurche, lappenartiger Vor-
sprung),
2) der Insertion und Bewegung der Geißeln (Fimmergeißel) und
die dadurch bedingte Bewegung der Zelle,
3) der Struktur und Teilungsweise des Zellkernes,
4) der Querteilung der Zelle und
5) der Fähigkeit, bei schädlichen Einflüssen lange Fäden aus-
zuscheiden, muß Oxyrrhis niarina von den Flagellaten im engeren
Sinne entfernt und zu den Peridineen, und zwar speziell zu den
Gymnodiniaceen gestellt werden, unter denen sie sich als höhere
Differenzierungsstufe zunächst an Hemidinium anschließt.
Die von Scherffel und Poche als Species von Oxyrrhis beschriebe-
nen Formen sind aus der Gattung Oxyrrhis zu entfernen. Die Gattung
Oxyrrhis Duj. enthält deshalb nur eine einzige Species: 0. marina Duj.
2. Nephroselmis olivacea Stein.
(Taf. XXXI, Fig. 25—27.)
In seiner Beschreibung der Geißel- und Schwimmbewegung der
Flagellaten (im weiteren Sinne) erwähnt Delage (1896, S. 306) Oxyrrhis
und Nephroselmis als die einzigen Formen, deren Geißeln beim Schwim-
men nicht vorangehen 1. Wie es sich in dieser Beziehung mit Oxyrrhis
verhält, haben wir im vorhergehenden gesehen. Im Anschluß hieran
seien die in dieser Richtung angestellten, allerdings nicht vollständigen
Beobachtungen an Nephroselmis olivacea Stein mitgeteilt, einer Gat-
tung, die seit ihrer Entdeckung durch Stein (1878, Taf. XIX, Fig. 32
bis 37) nur noch einmal, aber ebenfalls nicht eingehend, durch Klebs
(1892, S. 420) untersucht worden ist.
Steins Angaben über den Zellbau, die ja nur in seinen Abbil-
1 Diese Aufzählung ist allerdings nicht vollständig, indem schon solche
Formen beschrieben wurden, so von Kent (1880, S. 247) Ancyromonas, von
ELlebs (1892, S. 305) Phyllomonas, sowie von Massabt (1900, S. 133), allerdings
bedeutend später, Clautriavia,
644 G. Senn,
düngen zum Ausdruck kommen, kann ich im allgemeinen bestätigen.
Zwar waren meine Zellen bei einem größten Durchmesser von 13 ^^
ziemlich viel kleiner als die von Stein beobachteten, welche, wie die
Berechnung aus der Figurenvergrößerung ergibt, in der gleichen Rich-
tung 18 — 20 /i maßen. Sei es nun, daß diese Vergrößerungsangabe
nicht ganz genau ist, oder daß Stein größere Exemplare untersucht hat,
jedenfalls habe ich keinen Grund, an der Identität unsres Materials zu
zweifeln.
Auch die von mir beobachteten Exemplare zeigten eine deutlich
bohnen- oder nierenförmige Gestalt (Taf. XXXI, Fig. 25 u. 26), wenn
auch die bei der Geißelinsertion befindliche Einsenkung nicht immer
so tief war, wie sie Stein abbildet. Dagegen habe ich die starke
seitliche Abplattung der Zelle ebenfalls konstatieren können.
Wie auch Klees (1892, S. 420) bemerkt, ist die Zelle von einer
deutlichen, wie mir schien, nicht metabolischen Membran umgeben,
die aber mit Chlorzinkjod keine Cellulosereaktion gibt.
Außer dem Plasma enthält jede Zelle ein großes, schalen-, nicht
bandförmiges (wie Blochmann, 1895, S. 60 angibt) Chromatophor,
das die ganze der Geißelinsertion gegenüberliegende Partie einnimmt
und mit Ausnahme der nächsten Umgebung der Geißelinsertion die
Zellhaut in relativ dicker Schicht auskleidet. Seine Farbe ist zwar
nicht rein grün, sondern, wie der Speciesname sagt, oiiven- oder bräun-
lichgrün, eine Nuance, wie sie bei Cryptomonas häufig vorkommt.
Braun, wie Blochmann (1895, S. 60) »olivacea« übersetzt, ist das
Chromatophor aber nicht. In seiner Mitte liegt ein großes Pyrenoid,
dessen Stärkehülle in meinen Exemplaren oft weit in den Zellsaftraum
hineinragte (Taf. XXXI, Fig. 25).
An einem Exemplar konnte ich am Rande des Chromatophors
einen roten Fleck beobachten (Taf. XXXI, Fig. 27), wie solche auch
Stein (1878, Taf. XIX) in seinen Fig. 32, 36 und 37, allerdings in der
Zweizahl, durch dunkle Punkte anzudeuten scheint. Ob dies ein
wirklicher Augenfleck ist, oder ein gewöhnliches rotes öltröpfchen,
wie solche z. B. bei Haematococcus in großer Menge vorkommen, kann
ich nicht sagen. Für letztere Möglichkeit spricht der Umstand, daß
ich den roten Fleck nicht an allen Individuen sah, und daß ich bei
Nephroselmis keine Phototaxis feststellen konnte.
Im Raum zwischen Geißelinsertion und Pyrenoid liegt ein bläschen-
förmiger Kern, den schon Stein (Fig. 32) abgebildet hat. Die von ihm
ebenfalls eingezeichnete contractile Vacuole (Fig. 32) habe ich jedoch,
vielleicht wegen der großen Beweglichkeit der Zellen, nicht gesehen.
OxjTrhis, Nephroseluüs luul einige Euflagellaten usw. 645
Aus dieser Darstellung des Zellbaues ergibt sich — worauf schon
Klebs (1892, S. 420) hinwies — ohne weiteres, daß wir in Ne^hro-
sehnis eine Angehörige der Volvocales vor uns haben. Demgemäß
muß nun die Zelle auch orientiert werden. Wie bei einer Polyblepharis
oder Chlamydomonas verläuft die Symmetrie- oder Längsachse von der
Geißelinsertion (Apicalende) durch den Zellkern nach dem Pyrenoid
(Antapicalende). Im Gegensatz zu Chlamydomonas ist aber diese
Achse kürzer als der senkrecht dazu verlaufende Zelldurchmesser.
Die Bewegung der Zelle erfolgt, wie schon aus Steins Zeich-
nungen und den Angaben von Klebs (1892, S. 420) hervorgeht, nicht
in der Kichtung der Symmetrieachse, sondern in der Kichtung der
Breitenachse, bzw. des größten Zelldurchmessers. So abweichend von
allem Bekannten dies auch ist, so wird es durch die Stellung und Tätig-
keit der Geißeln ohne weiteres erklärt. Diese werden nämlich beim
Schwimmen in der Abplattungsebene der Zelle senkrecht zu ihrer
Symmetrieebene ausgestreckt, und «war die kürzere nach vorn, während
die längere als Schleppgeißel nach hinten gerichtet ist (Taf. XXXI,
Fig. 26). Die pendelnden Bewegungen der vorderen Geißel sind es
offenbar auch, welche beim ruhigen Schwimmen bzw. Kriechen die
Zelle vorwärts treiben.
Beim Kriechen liegt das apicale Ende stets dem Substrat an,
während das antapicale Ende sich abwechselnd nach rechts und nach
links neigt, wodurch eine gleichmäßig wackelnde Kriechbewegung
zustande kommt (Taf. XXXI, Fig. 26).
Zuweilen sieht man aber auch die Zellen auf der flachen Seite,
also horizontal liegend (so auch bei Stein) und mit beiden Geißeln
schlagend, hüpfende, vom Substrat unabhängige Bewegungen aus-
führen (Taf. XXXI, Fig. 25). Sie beschreiben dann meistens bogen-
oder kreisförmige Bahnen und gleichen in ihrer Bewegung auffallend
den farblosen Bodonen, deren Geißelinsertion ja ebenfalls hinter dem
vorderen Zellende liegt.
Endlich soll Nephroselmis nach Stein (1878, Taf. XIX, Figuren-
erklärung), offenbar aber seltener, auch unter Rotation um ihre Längs-
achse frei umherschwimmen.
Daß die Vermehrung in einer Zweiteilung besteht, bei wel-
cher die Teilungsebene von der Geißelbasis nach dem antapicalen Ende,
und zwar senkrecht zu den abgeflachten Zellseiten verläuft, habe ich
in Übereinstimmung mit Stein ebenfalls beobachtet, allerdings nur
an vorbereitenden Stadien, in denen erst das Chromatophor geteilt
war (Taf. XXXI, Fig. 27). Stein bezeichnet den Vorgang als Querteilung,
646 G. Senn,
was aber auf Grund der morphologischen Verhältnisse (vgl. S. 645)
nicht gerechtfertigt ist, da ja bei der Zellteilung die Bewegungsrichtung
nicht in Betracht kommt. Dementsprechend gibt auch Bütschli
(1884, S. 833) für Nephroselmis Längsteilung an.
Auf Grund dieser Ergebnisse muß nun die systematische Stellung
von Nefhroselmis einer erneuten Prüfung unterzogen werden.
Stein (1878, S. X) stellte sie neben Cryptomonas und Chilomonas
zu den Cryptomonadinen. Mit einigen Vertretern dieser Familie
hat sie die mattgrüne Färbung des Chromatophors, mit allen aber
die Fähigkeit der Stärkebildung gemein. Im Zellbau weicht sie aber
durchaus von ihnen ab; besitzt sie doch nur ein Chromatophor (statt
zweien) mit Pyrenoid, und keine schlundartige Höhlung. '
Diese Unterschiede haben offenbar Bütschli (1884, S. 833) ver-
anlaßt, Nephroselmis von den Cryptomonadinen zu entfernen und
zu den Chrysomonadinen zu stellen, obwohl er sich der nicht un-
wesentlichen Abweichungen von diesen Organismen bewußt war. Die
wichtigste Abweichung, welche die Placierung unter den Chryso-
monadinen unmöglich macht, nämlich die Stärkebildung, war aller-
dings Bütschli nicht bekannt.
Die Stärkebildung, Gestalt und Farbe des Chromatophors,
sowie der übrige Zellbau weisen Nephroselmis mit Sicherheit zu den
Volvocales, zu denen sie übrigens schon durch Klebs (1892, S. 420,
vgl. S. 645) gestellt wurde. Darin sind ihm Delage (1906, S. 364),
ich selbst (Senn, 1900, S. 187) und Wille (1909, S. 18) gefolgt, während
Blochmann (1895, S. 59), wie Bütschli, ebenfalls unter Vorbehalt,
diese Form bei den Chrysomonadinen läßt.
Unter den Volvocales ist Nephroselmis offenbar neben Chlamy-
domonas aus zweigeißeligen, isomastiginen Polyblepharidaceen ent-
standen, von denen wir heutzutage allerdings, wenn Chlamydomonas
mikroplankton Reinke nicht zu ihnen gehören sollte, nur vielgeißelige
Formen kennen. Wie Chlamydomonas besitzt Nephroselmis eine feste
Haut, hat aber wie deren ursprüngliche Formen die Längsteilung bei-
behalten. Ob sie dagegen auch eine geschlechtliche Fortpflanzung
besitzt, ist noch nicht bekannt.
Durch ihre Gestalt und besonders durch ihre Begeißelung und
Bewegung vertritt sie aber unter den Volvocales einen besonderen
Typus, nämlich dieHeteromastigini, wie dieser ja auch in allen Ver-
wandtschaftsgruppen der Flagellaten im engeren Sinne — mit Aus-
nahme der Distomatinen und Cryptomonadinen — vorkommt
und zur Bildung besonderer Familien (Bodonaceen^ Ochromonar
Oxyrrhis, Nephroselniis uiui einige Euflagellaten usw. ()47
daceen, Heteronemeen und Anisonemcen) geführt hat. Die
völlige Symmetrie im Zellbau beweist, daß sich Nephroselniis aus
symmetrischen, also isomastiginen, mit zwei gleichen Geißeln ver-
sehenen Vorfahren entwickelt hat. Offenbar infolge der abweichenden
und zum Vorwärtsschwimmen ungeeigneten Gestalt der Zelle wurden
die beiden Geißeln zu verschiedenen Zwecken verwendet. Für eine
solche selmndäre Differenzierung der Geißeln spricht auch deren ge-
ringer Längenunterschied. Daraus folgt, daß eine isomastigine Form
zu einer heteromastiginen werden kann.
Man könnte nun daran denken, für Nephroselmis, als eine hetero-
mastigine Form, eine besondere, den Polyblepharideen, Chlaniy-
domonadaceen und Phacotaceen gleichwertige Familie zu grün-
den. Dies würde gerade auch durch die Tatsache gerechtfertigt, daß
Nephroselmis von vielen Systematikern zu keiner der genannten Fa-
milien und darum überhaupt nicht zu den Volvocales gestellt wurde.
Da wir aber soeben festgestellt haben, daß sich Nephroselmis, abgesehen
von der Heteromastigie, im Zellbau von einer isomastiginen Stamm-
form nicht weit entfernt hat, kann man von der Bildung einer be-
sonderen Familie absehen und Nephroselmis, wie Wille (1909, S. 18),
neben Chhmydomonas stellen.
Zusammenfassung.
Nephroselmis olivacea Stein erweist sich durch ihren symmetrischen
Zellbau und die Ausbildung des muldenförmigen, allerdings matt-
grünen Chloroplasten, der ein Pyrenoid enthält und Stärke bildet, als
typische Volvocinee. Unter diesen nimmt sie aber durch ihre Fähig-
keit zu kriechend-wackelnder oder Bodo-artig hüpfender Bewegung,
welche mit der besonderen Zellgestalt und der Ungleichheit der Geißeln
(vorgestreckte Geißel und Schleppgeißel) zusammenhängt, eine be-
sondere Stellung ein. Immerhin bildet sie nicht etwa eine von farb-
losen, asymmetrisch gebauten Bodonaceen abzuleitende Parallellinie
der isomastiginen Volvocineen, sondern ist von solchen abzuleiten —
mid zwar entweder aus Chlamydomonas- oder zweigeißeligen Poly-
blepharideen- artigen Formen. Puncto Ausbildimg der Zellhaut
steht sie auf derselben Stufe wie Chlamydomonas, an deren weniger hoch
differenzierte, sich ebenfalls noch durch Längsteilung vermehrende
Arten sie sich anschließt. Eine sexuelle Fortpflanzung wurde bei
ihr noch nicht festgestellt. Da sie sich nur durch Begeißelung und
Bewegungsweise von den Volvocaceen unterscheidet, kann sie zu
diesen neben Chlamydomonas gestellt werden,
648 G. Senn,
3. Helcomastix globosa Senn.
(Taf. XXXI. Fig. 28.)
Im Auftrieb des Golfes von Neapel fand ich im März 1900 ein
farbloses Flagellat, das mir dadurch auffiel, daß es bei der Bewegung
seine beiden Geißeln nachschleppte, ähnlich wie dies bei Phyllomonas,
Ancijromonas (Senn, 1900, S. 119f.) und Clautriavia (Massart, 1900,
S. 133) der Fall ist. Während aber diese drei Gattungen nur eine
Geißel besitzen, hat Helcomastix deren zwei. Obwohl ich den Organis-
mus nicht so eingehend untersuchen konnte, wie es wünschenswert
gewesen wäre, will ich meine Beobachtungen mitteilen, da sie trotz
ihrer Lücken manches Interessante bieten.
Die Zelle von Helcom,nstix ist völlig farblos, kugelig; ihr Durch-
messer beträgt etwa 8 /*.
Der Periplast ist so zart, daß er von den peripher gelegenen
Körnchen des Plasmas oft nach außen vorgewölbt wird und seine
Oberfläche infolgedessen höckerig erscheint (Taf. XXXI, Fig. 28). Das
Plasma ist hyalin und enthält kleine Tröpfchen, die wohl aus festem
öl bestehen. Daneben zeichnen sich einige eckige Körper durch ihre
starke Lichtbrechung aus; wahrscheinlich sind es Nahrungsbestand-
teile.
Etwas vor dem Centrum der Zelle liegt der etwa 2,5 i^i große bläschen-
förmige Kern. Eine contractile Vacuole ist nicht vorhanden.
Die beiden Geißeln entspringen nebeneinander auf der Ventral-
seite der Zelle. Sie sind ungleich lang; die längere mißt 20,5 ^it, übertrifft
somit den Zelldurchmesser 21/2 — 3 mal; die kürzere ist 8 ji/ lang, wie
die Zelle selbst. Bei der Vorwärtsbewegung, welche in einem lang-
samen gleichmäßigen Kriechen auf festem Substrate besteht, werden
beide Geißeln nachgeschleppt. Die längere liegt, wie diejenige von
Cercobodo und Anisonema, dem Substrat in der Art einer Schleppgeißel
an und besorgt als solche die Steuerung der Zelle. Über die Tätigkeit
der kurzen Geißel kam ich nicht ganz ins klare. Sie wird ebenfalls
nach hinten gestreckt, doch bemerkte ich an ihr keine Pendelbewegung
wie bei der kurzen Geißel der Heteronemeen.
Es erhebt sich nun die Frage, auf welche Weise diese beiden während
des Kriechens völlig passiv erscheinenden Geißeln die Zelle vorwärts
treiben. Da von einer Amöboidbewegung der Zelle auch nichts zu
sehen war, müssen doch die Geißeln als Locomotionsorgane dienen.
Es wäre nun denkbar, daß hier Peitschengeißeln vorliegen, deren dicke
proximale Partie ruhig bleibt, während die zarte, gewöhnlich nicht
Oxjnrrhis, Nephroselniis und oinigo Kul'lagellaten usw. 649
sichtbare distale Partie hin- und herpeitscht. Ob dies wirklich der
Fall ist, oder ob hier eine andre, bisher nicht beachtete Art der Be-
weguno; vorliegt, konnte ich nicht feststellen. Ebensowenig konnte
ich Zellteilung und Nahrungsaufnahme beobachten. Ungünstige
Witterung hatte Materialmangel verursacht, so daß ein Abschluß der
Untersuchungen leider nicht möglich war.
Systematik. Kernstruktur und Beschaffenheit des Periplasts
beweisen, daß der beschriebene Organismus eine Protomastigine
ist, doch bleibt seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie dieser
großen Gruppe zweifelhaft. Wenn man der Tatsache, daß auch die
kurze Geißel nachgeschleppt wird, keine allzu große systematische
Bedeutung beimessen will, da ja auch Phyllomonas und Ancyromonas
zu den Oicomonadaceae gerechnet werden, so läßt sich Helcomastix
bei den Bodonaceen unterbringen, vorausgesetzt, daß die Nahrungs-
aufnahme wie bei dieser Familie durch Vorwölben eines Plasmaschnabels
erfolgt. Je nach dem Resultat weiterer Forschungen wird daher
Helcomastix bei den Bodonaceen oder in einer neu zu gründenden
Familie der Protomastiginen untergebracht werden müssen.
Zusammenfassung.
Hehonuistix globosa Senn nov. gen. nov. spec, kugelig, 8 /< groß.
Periplast sehr zart, daher oft höckerig vorgewölbt. Kern bläschen-
förmig, contractile Vacuole fehlt. Zwei Geißeln entspringen neben-
einander auf der Ventralseite der Zelle. Bei der Kriechbewegung beide
Geißeln rückwärts gerichtet, ohne deutliche Bewegung. Lange Geißel
20,5 u lang, besorgt die Steuerung, kurze Geißel 8 /< lang. Helcomastix
gehört zu den Protomastiginen, entweder in eine besondere, neue
Familie derselben oder zu den Bodonaceen.
Marin, Auftrieb der Bucht von Neapel.
4. Heteronema Klebsii Senn.
(Taf. XXXI, Fig. 29—31.)
Dieses Flagellat fand sich (Sommer 1899) im Schlamm eines kleineren
Torfmoortümpels bei »Torfhaus << im Harz. Die Individuenzahl war
allerdings nicht groß, doch genügte sie, um Gestalt und Organisation
der Zelle eingehend untersuchen zu lassen. Schon in meiner Systematik
der Flagellaten (Senn, 1900, S. 182f.) habe ich von ihr zwei Skizzen
publiziert (Fig. 133 ^). Hier möchte ich die detaillierte Beschreibung
folgen lassen.
Wenn die Zelle ruhig sich selbst überlassen ist, erinnert ihre
650 G. Senn,
Gestalt im allgemeinen an diejenige von Heteronema acus; während
aber die Zelle dieser Species walzenförmig abgerundet ist, lassen sich bei
H. Klebsii deutlich drei Seiten erkennen, welche durch ziemlich scharfe
Kanten voneinander getrennt sind. Die Zelle hat somit die Gestalt eines
Prismas, das sich beidendig allmählich verjüngt und nach rechts (in
mathematischem Sinne) tordiert ist. Jede Prismenseite macht nur un-
gefähr einen halben Schraubenumgang (Taf. XXXI, Fig. 30).
Diese normale Gestalt wird aber sofort aufgegeben, wenn die Zelle
in irgendwelcher Weise gestört wird. Sie zeigt dann sehr starke Meta-
bolie, deren Extrem in der Annahme einer kurz kreiseiförmigen Ge-
stalt besteht, wobei Vorder- und Hinterende als dünne Stummel aus
einer tellerartig verbreiterten Mittelpartie hervorragen (Taf. XXXI,
Fig. 29).
Da sich auf der beim Kriechen dem Substrate zugekehrten Seite
der Zelle die Mund stelle befindet, ist die Orientierung der Zelle ge-
geben. Die die Mundstelle tragende Seite muß als Ventralseite be-
zeichnet werden; ihr liegt die Rückenkante gegenüber.
Die Zelle ist 52 — 58 /^i lang und in der Mitte 13 ii breit.
Der deutlich doppelt konturiert erscheinende Periplast ist
ähnlich wie derjenige mancher Euglenen und Peranemeen spiralig
gestreift, und zwar parallel zur Torsionsrichtung der Zelle, von links
nach rechts. In verdünnter Methylgrün-Essigsäure färbt er sich leicht;
in 50%iger Essigsäure verquillt er dagegen, während der Kern erhalten
bleibt.
Das feinkörnige Protoplasma liegt dem Periplasten in dichter
Schicht an und sendet strangartige Fortsätze ins Zellinnere. Es schließt
neben Resten fester Nahrung auch Paramylon körne r ein, die zu-
weiler^ länglich ringförmige Gestalt haben.
Der etwa in der Zellmitte liegende Zellkern ist ein ovaler Körper,
dessen lange Achse 12 /t mißt. Er enthält ein centrales Karyosom,
von welchem das nach dem Euglena-Tjpus strahlig angeordnete Chro-
matin ausgeht (Taf. XXXI, Fig. 30).
Besonders eingehend habe ich das Vorderende der Zelle unter-
sucht. Es hat allerdings einen sehr komplizierten Bau, der aber dank
den relativ großen Dimensionen der Zelle der Beobachtung zugänglich
war (Taf. XXXI, Fig. 31).
Das Vacuolensystem ist nach dem Euglena-Tyi^vis gebaut.
Eine ziemlich tief im Körper liegende contractile Vacuole ergießt ihre
Flüssigkeit in regelmäßigen Pulsationen in eine längliche nicht pul-
sierende Sammelvacuole, die nach vorn in einen engen Kanal ausläuft.
OxjTrhis, Nephrosclniis und einige Eutlagellaten usw. 651
Dieser endigt aber nicht, wie für die Euglenen angegeben wiitl, im
Mundtrichter, sondern zu äußerst am Vorderende des Körpers, und
zwar dorsal neben der nacli vorn gerichteten Geißel.
Die Mundöffnung erscheint als längliche Spalte, die in der Mitte
etwas verengt ist. Aus dieser Öffnung treten die beiden Geißeln
heraus. Die vordere, scheinbar in einem Kanal eingebettet, kann im
Körper fast bis zu der bogenförmig verlaufenden Linie bzw. Fläche
verfolgt werden, welche den Schlundapparat nach vorn abschließt
(Taf. XXXI, Fig. 31). Diese vordere Geißel ist beim Vorwärtskriechen
der Zelle in der Bewegungsrichtung ausgestreckt und führt nur mit
dem vorderen, sich allmählich zuspitzenden Ende schlängelnde Be-
wegungen aus. Ihre Länge übertrifft diejenige des Zellleibes; sie be-
trägt 60—70 //.
Die hintere, nur 30 — 40 a lange Geißel ist im Gegensatz zur vor-
deren in ihrer ganzen Länge gleich dick. Sie tritt in einem Bogen
am Hinterende der Mundöffnung aus, scheint aber in der Nähe der
vorderen Geißel zu entspringen. Da sie während des Kriechens der
Zelle kräftig hin und herpendelt, nimmt sie offenbar an der Vorwärts-
bewegung der Zelle regen Anteil und kann deshalb nicht als bloße
Schlepp- oder Steuergeißel bezeichnet werden. Ich muß übrigens da-
hingestellt sein lassen, ob diese Geißeln, wie die von A. Fischer (1894,
S. 230) beschriebenen, noch feinere, erst nach einer Beizung sichtbare
Anhängsel tragen. Immerhin scheint wenigstens die vordere, wie
diejenige von Bodo, zum Typus der Peitschengeißeln zu gehören.
In einigen Fällen bemerkte ich an fixierten Individuen innerhalb
der schon erwähnten, unter der Geißelbasis bogig verlaufenden Linie,
ein Gebilde, das einem zarten Staborgan, wie es bei Peranema vor-
kommt, auffallend ähnlich sah. Der umgebogene Stab schien in den
vor ihm liegenden hellen Raum, der wohl den Schlimd vorstellt, hinein-
zupassen, so daß er sich darin wie ein Pumpenkolben im Stiefel bewegen
und die Nahrungsbestandteile in den Schlund hineinsaugen konnte
(Taf. XXXI, Fig. 31). Obwohl ich dieses Staborgan nicht bei allen
Individuen sah, ist es doch wahrscheinlich, daß es bei allen vorhanden
war. Da auch Stein (1878, Taf. XXIII, Fig. 2) bei seiner Zygoselmis
nebidosa, die zweifellos zu Heteronema gehört, ein schwach entwickeltes
Staborgan abgebildet hat, ist es sehr wohl möglich, daß mehrere, ja
vielleicht alle Species der Gattung Heteronema ein allerdings nur wenig
ausgebildetes Staborgan besitzen.
Die Bewegung der Zelle besteht gewöhnlich in einem lang-
samen Davongleiten auf fester Unterlage, wobei die Mundstelle samt
652 G. Senn,
Geißeln dem Substrat anliegt. Über die Tätigkeit der Geißeln habe
ich vorhin schon berichtet. Die Zelle selbst steht dabei in der für die
Heteronemeen charakteristischen Weise schief zur Bewegungsrich-
tung, und zwar schräg nach links rück- und aufwärts, wenn sich die
Zelle vom Beobachter fortbewegt. Ob Heteronema Klebsii auch des
freien Schwimmens fähig ist, kann ich nicht angeben.
Über Nahrungsaufnahme, Vermehrung, Dauerstadium usw. haben
meine Untersuchungen zu keinem Resultate geführt.
Zusammenfassung.
Heteronema Klebsii Senn. Zelle 52 — 58 /t lang, in der Mitte 13 /<
dick, dreiseitig prismatisch, beidendig zugespitzt, nach rechts tordiert,
stark metabolisch.
Periplast in der Torsionsrichtung der Zelle gestreift. Zellkern mit
centralem Karyosom und radial angeordneten Chromatinfäden {Euglena-
Typus!) Sammelvacuole im Vorderende, dahinter pulsierende Vacuole.
Vordere Geißel 60 — 70 // lang, proximaler Teil bei der Kriechbewegung
gerade vorgestreckt ; das allmählich zugespitzte Ende führt schlängelnde
Bewegungen aus. Hintere Geißel 30 — 40 /t lang, überall gleich dick,
pendelt beim Kriechen lebhaft hin und her; Zelle dabei zur Bewegungs-
richtung schief nach links rück- und aufwärts gerichtet.
Hinter der Mundstelle schwach entwickeltes Staborgan.
Torfmoortümpel im Harz.
5. Tropidoscyphus cyclostomus Senn.
(Taf. XXXI, Fig. 32—35.)
Im Tümpel eines Porphyrsteinbruches südlich des Petersberges
bei Halle a. S. fand ich im Sommer 1899 unter vielen andern ein-
zelligen Algen und Flagellaten eine zierliche Form, die dem von Stein
(1878, Taf. XXIV, Fig. 1 — 5) abgebildeten und als Tropidoscyphus
octocostatus bezeichneten Organismus sehr ähnlich war. Die neue
Form gehört offenbar in dieselbe Gattung, obgleich das Vorderende
der Zelle bei der STEiNschen Species anders ausgebildet ist als bei
meiner Form, die ich Tr. cyclostomus nenne.
Die Zelle dieser Species zeigt deutlich dorsiventralen Bau. Die
Ventralseite, welche die Mundöffnung mit den beiden Geißeln ent-
hält, wird von einer scharfen Kante begrenzt. Diese umgibt die am
Vorderende flache Ventralseite in Form eines Halbkreises, der als
wulstige Lippe nach der Dorsalseite zurückgeschlagen ist (Taf. XXXI,
Fig. 32, 33, 35). Dann verläuft die Kante in einem zuerst nach oben,
Oxyrrhis, Nephroselmis und einige P^uflagellaten usw. 653
(laun nach unten geöffneten Bogen zum Hinterende, wo sie sich mit
der gegenüberliegenden ebenfalls in einem Bogen vereinigt (Taf. XXXI,
Fig. 33). Während die Ventralseite in ihrer vorderen Partie flach
oder sogar etwas konkav ist, erhebt sie sich in ihrem zweitvorderen
Drittel zu einem Kiel, welcher sich zu Beginn des hinteren Körper-
drittels in zwei Rippen teilt, die in flachem Bogen nach hinten ver-
laufen und sich dort in einer Rundung vereinigen (Taf. XXXI, Fig. 33).
Die zwischen diesen beiden Rippen befindliche erhabene Partie der
Ventralseite ist oben schwach ausgehöhlt. Der hintere Teil der Ventral-
seite, welcher diese Erhebung umgibt, ist dagegen stark konkav und
geht erst im vorderen Drittel in die schwach konkave einheitliche
Fläche des Vorderendes über.
Die der Ventralseite gegenüberliegende Dorsalseite ist in ihrem
vorderen Teil auch leicht konkav und wird ebenfalls von zwei scharfen
Rippen begrenzt (Taf. XXXI, Fig. 32). Diese entspringen unter dem
wulstartig zurückgebogenen Vorderende der Bauchseite, entfernen sich
zunächst voneinander, laufen nach einer ersten Biegung miteinander
parallel, um nach nochmaliger Biegung im hinteren Körperdrittel zu
einer einzigen scharfen Kante zu verschmelzen, die bis zum spitzen
Hinterende der Zelle verläuft (Taf. XXXI, Fig. 32, 34).
Die beiden zwischen Dorsal- und Ventralseite gelegenen Seiten
der Zelle werden durch je eine Mittelrippe halbiert, welche ebenfalls
unter dem Wulst des Vorderendes entspringt, der Kante der Ventral-
seite ungefähr parallel läuft und in der Spitze des Hinterendes aus-
läuft (Taf. XXXI, Fig. 32—35). Die beiden ober- und unterhalb
dieser seitlichen Rippe gelegenen Partien der Zellflanken sind ebenfalls
stark konkav; sie werden auf der Zellhinterseite durch die Kante von-
einander getrennt, welche sich von der Dorsalseite über die Spitze des
Hinterendes nach der die Ventralseite begrenzenden Kante hinüber-
zieht (Taf. XXXI, Fig. 34).
Somit besitzt Tropidoscyphus cyclostomus, wie Tr. octocostatus,
beiderseits vier, also auch acht Rippen, zwischen welchen die Ober-
fläche der Zelle so stark eingesenkt ist, daß die Zelle von hinten be-
trachtet wie aus drei durch scharfe Rippen getrennten schmalen Stock-
werken zusammengesetzt erscheint (Taf. XXXI, Fig. 34).
Im Gegensatz zu den Vertretern der verwandten Gattung Hetero-
nema ist Tropidoscyphus cyclostomus nur schwach metabolisch. Seine
Gestaltsveränderungen beschränken sich auf ein Zusammenneigen oder
Auseinandertreten der starren Rippen, so daß diese oft dicht neben-
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 43
654 G. Senn,
einander zu liegen kommen, was die Erkennung der eigentlichen
Zellgestalt recht erschwert (Taf. XXXI, Fig. 35).
Am Periplast, der stets doppelt konturiert erscheint, konnte
keine feinere Struktur, auch keine Streif ung festgestellt werden. In
konzentrierter Essigsäure verquoll er rasch bis zur Unkenntlichkeit.
Die Größe des Organismus war bei den von mir untersuchten
Individuen ziemlich konstant. Die Länge betrug etwa 16, die Höhe 14,
die Breite 10/<.
Das Plasma war in der vorderen Körperhälfte meist hyalin, in
der hinteren dagegen konnte ich häufig gelbbraune Körper, wohl Reste
verschluckter Chrysomonadinen, beobachten, was auch Stein (1878,
Taf. XXIV) für seine Species angibt.
Der kugelige Zellkern liegt ventral und mißt etwa 4 /< im Durch-
messer. Im Centrum enthält er ein kugeliges Karyosom, von dem nach
der Peripherie hin dicke Chromatinfäden ausstrahlen (Taf. XXXI,
Fig. 35) ; der Kern ist somit nach dem Euglena-Typus gebaut.
Das Vacuolensystem besteht aus einer dorsal gelegenen Sammel-
vacuole, die mit engem Ausfuhrgang am Vorderende mündet, und aus
1 — 2 ziemlich großen pulsierenden Vacuolen, die ihren Inhalt in die
Sammelvacuole entleeren (Taf. XXXI, Fig. 35).
Ein Staborgan konnte ich nicht feststellen. Es ist jedoch nicht
ausgeschlossen, daß ein solches vorhanden ist, aber von den zahlreichen,
am Vorderende zusammenlaufenden Rippen des Körpers verdeckt wird.
Die Geißeln sind wie diejenigen von Heteroncma Klehsii aus-
gebildet; sie scheinen beide in der Mundstelle zu entspringen, welche
hinter dem wulstartigen Vorderende der Ventralseite liegt. Die vor-
dere Geißel ist etwas länger als die Zelle; sie wird beim Kriechen mit
Ausnahme des zugespitzten, schlängelnden Endes starr vorwärts ge-
streckt (Taf. XXXI, Fig. 32, 33). Nahe hinter ihr entspringt die
kürzere, nur etwa 2/3 körperlange Geißel, die überall gleich dick und
am äußeren Ende kurz abgerundet ist. Sie wird bei der Bewegung ge-
wöhnlich nach hinten gerichtet und pendelt in der unterhalb der rechten
ventralen Rippe gelegenen Furche hin und her. Beim Absterben zeigt
sie an ihrem Ende die typische Plasmakugel, welche nach A. Fischer
(1894, Taf. IX, Fig. 3, 7, 8) durch Einrollung und Verquellung des
Fadens entsteht. Die Spärlichkeit des Materials erlaubte keine Fixie-
rung und Färbung der Zellen; doch vermute ich, daß die hintere der
Geißeln eine Flimmergeißel, die vordere eine Peitschengeißel ist.
Die Bewegung besteht in einem ruhigen Gleiten auf festem
Substrat, wobei die Geißeln diesem anliegen und sich in der soeben
Oxyrrhis, Nephroselniis und einige Euflagellaten usw. 655
iieschilderten Weise verhalten. Dabei ist die Längsachse der Zelle
7Air Bewegiingsrichtung schief nach rechts gerichtet; auch die ihre
Ventral- und Dorsalseite verbindende Achse neigt nach rechts und
bildet mit der Vertikalen einen Winkel von etwa 20°. In dieser
Schiefstellung der Zellachsen stimmt Tropidoscyphus cyclostomus mit
den übrigen Gattungen der Heteronemeen völlig überein.
Aus unbekannten Ursachen tritt zuweilen an Stelle des langsamen
Kriechens eine heftig wackelnde Bewegung, wobei die hintere Geißel
oft nach vorn geschlagen wird, wie dies Stein (1878, Taf. XXIV, Fig. 1
und 2) auch bei seiner Species Tr. octocostatus abbildet.
Das Vorhandensein von braungefärbten Nahrungsresten im Innern
des Plasmas beweist, daß sich Tropidoscyphus tierisch ernähren kann;
die Aufnahme fester Nahrung habe ich allerdings nie beobachtet.
Anderseits kann dieser Organismus auch saprophytisch leben, da ver-
schiedene isolierte Individuen in Decocten der am natürlichen Stand-
orte des Flagellats gewachsenen Pflanzen mehrere Tage aushielten,
allerdings ohne sich zu teilen. Ich kann deshalb auch über die Ver-
mehrungsweise dieses Organismus keinen Aufschluß geben.
Obwohl Tropidoscyphus prinzipiell gleich gebaut ist wie Hetero-
nema, wird die Aufrechterhaltung jener Gattung durch die eigentüm-
liche Gestalt der Zelle, das Fehlen einer Streifung des Periplasten und den
fast völligen Mangel einer Metabolie gerechtfertigt. Da die von Stein
(1878, Taf. XXIV, Fig. 1 u. 2) abgebildete Art ein spitzes Vorderende
besitzt und, nach seiner Vergrößerungsangabe (650 mal) zu schließen,
57 /< lang ist, ist sie offenbar von der meinigen specifisch verschieden.
Immerhin wäre ein Irrtum in Steins Vergrößerungsangabe nicht aus-
geschlossen, da sein Entosifhon sulcatum laut Angabe auch nur 650mal
vergrößert sein soll, tatsächlich aber 1200mal vergrößert ist. Wenn
aber auch seine TropidosGyphus- Avt doppelt so stark, also 1200mal
vergrößert wäre, so würde sie die von mir untersuchte Species immer
noch an Größe fast um das Doppelte übertreffen.
Zusammenfassung.
Tropidoscyphus cyclostomus Senn, 16 ^it lang, 14 /< hoch, 10 ^tt breit,
dorsi ventral gebaut, jederseits mit vier starken, von vorn nach hinten
verlaufenden Rippen, von denen sich die beiden oberen Paare im spitzen
Hinterende, die beiden unteren paarweise in je einem Bogen hinten
vereinigen. Vorderende der Ventralseite als wulstige Lippe nach der
Dorsalseite zurückgebogen. Schwach metabolisch.
Periplast zwischen den Rippen glatt.
43*
656 G. Senn,
Kern ventral gelegen, nach dem Euglena-Typns gebaut. Vacuolen-
system dorsal gelegen, Sammelvacuole , dahinter 1 — 2 pulsierende
Vacuolen.
Vordere Geißel etwas mehr als körperlang, beim Kriechen vor-
gestreckt, nur mit dem zugespitzten Ende schlängelnde Bewegungen
ausführend. Hintere Geißel 2/3 körperlang, überall gleich dick, pendelt
lebhaft hin und her. Zelle beim Kriechen schief nach rechts gestellt.
Ernährimg tierisch und saprophytisch.
Tümpel eines Porphyrsteinbruches beim Petersberge, nördlich
von Halle a. S.
6. Notosolenus apocamptus Stokes.
(Taf. XXXI, Fig., 36, 37.)
In demselben Steinbruchtümpel des Petersberges nördlich von
Halle a. S. fand sich ein Flagellat, das ich als Petalomonas inflexa Klebs
glaubte bestimmen zu müssen. Besonders bestärkte mich hierin auch
die Bemerkung von Klebs (1892, S. 379 u. 382), daß bei seiner Sub-
species obliqua die Achse des Körpers zur Kichtung der Geißel und der
Vorwärtsbewegung schief stehe, was auch bei meiner Form der Fall
war. Außerdem befand sich in der einen Zellseite der Kern, in der
andern das Vacuolensystem, die Länge von 10,5 jft stimmte ebenfalls,
auch zeigte der platt zusammengedrückte Körper eine sanfte Krüm-
mung, so daß die Bauchfläche konvex, die Rückenfläche konkav war.
Als jedoch die Form am Deckgläschen kriechend ihre Bauchseite
nach oben kehrte, konnte ich deutlich eine zweite Geißel erkennen,
die, hinter der nach vorn gerichteten entspringend, wie diese nach
hinten gerichtet war und in der Art der hinteren Heteronema-Geißel
hin- und herpendelte (Taf. XXXI, Fig. 36). Da sie jedoch nur etwa
halb so lang ist als der Körper, kann man sie in der Dorsalansicht der
Zelle kaum sehen, wird sie doch vom Körper fast völlig verdeckt
(Taf. XXXI, Fig. 37). Während die vordere Geißel in ihrem proximalen
Teil starr ausgestreckt war und nur mit ihrem spitz zulaufenden Vorder-
ende schlängelnde Bewegungen ausführte, war die hintere Geißel cylin-
drisch, am Ende kurz abgerundet und zeigte eine schwache, pendelnde
Bewegung,
Der Periplast erschien zart und nach der Art von Petalomonas
ohne erkennbare Streifung.
Über den Bau des Kernes kam ich zu keinem sicheren Schluß;
er schien bläschenförmig zu sein, was allerdings bei einer mit Hetero-
nema und Twpidoscyphus nahe verwandten Form etwas auffallend
Oxyrrhis, Nephroselmis luul einige Euflagellaten usw. 657
wäre. Dagegen besteht das Vacuolensystem, wie allgemein in
dieser Gruppe, aus einer unveränderlichen Sammelvacuole, deren enger
Ausfuhrkanal in der Mundstelle zu enden scheint. In diese Sammel-
vacuole entleert sich eine hinter ihr liegende pulsierende Vacuole.
Alle angeführten Eigenschaften der von mir untersuchten Form
beweisen, daß es dasselbe Flagellat war, das Stokes (1888, S. 109 f.)
als Notosolenus apocamptus beschrieben hat. Dieses Genus steht
Heteronema sehr nahe, unterscheidet sich aber von dieser Gattung
durch den Mangel an Metabolie und einer Streif ung des Periplasten;
von einem Staborgan ist ebenfalls nichts zu sehen. Da auch die Zell-
gestalt mit ihrer stark dorsi ventralen Abplattung so sehr von der-
jenigen aller Heteronem.aSipecieB abweicht, ist man berechtigt, die von
Stokes aufgestellte Gattung Notosolenus aufrecht zu erhalten.
Eine andre Frage ist es, ob Petalomonas abscissa Duj. und P.
mjlexa ß obliqua Klebs wirklich nur eine Geißel haben. Die zur Geißel-
richtung schiefe Stellung der Zelle wäre dann höchst auffallend und
nicht ohne weiteres erklärlich. Bei der Kleinheit der Objekte und der
Lage der hinteren Geißel wäre es denkbar, daß diese übersehen worden
wäre. In diesem Falle müßte die Gattung Notosolenus um die schief
zur Bewegungsrichtung gestellten Peto^omo was- Species bereichert werden.
Zusammenfassung.
Notosolenus apocamptus Stokes 10,5 (x lang, dorsiventral stark
abgeplattet, schwach gewölbt, Dorsalseite konkav, Ventralseite konvex,
Zelle vorn zugespitzt, hinten abgerundet, mit fast geraden, parallelen
Seiten, nicht metabolisch.
Periplast glatt.
Kern in der linken Zellseite, erscheint bläschenförmig. Vacuolen-
system in der rechten Zellseite, mit Sammelvacuole, dahinter pul-
sierende Vacuole.
Vordere Geißel fast zweimal körperlang, beim Kriechen gerade
vorgestreckt, nur mit dem allmählich verjüngten distalen Ende
schlängelnd.
Hintere Geißel überall gleich dick, pendelt bei der Kriechbewegung
in ihrer ganzen Länge hin und her; Zelle dabei schief nach rechts gestellt.
Ernährung wahrscheinlich tierisch und saprophy tisch.
Tümpel eines Porphyrsteinbruches beim Petersberg, nördlich von
Halle a. S.
Möglicherweise ist Petalomonas injlexa ß obliqua Klebs damit iden-
tisch, und gehört P. abscissa Duj. ebenfalls zur Gattung Notosolenus.
658 G. Senn,
7. Die Systematik der Flagellaten.
Da die an Oxyrrhis, Nephroselmis und Helcomastix ausgeführten
Beobachtungen neue Anhaltspunkte über den systematischen Wert
verschiedener Organe des Flagellatenkörpers geliefert haben, ist es
nötig, das System der Flagellaten, wenigstens in großen Zügen,
zu revidieren.
I. Abgrenzung der Euflagellaten von andern Protistenordnungen.
Während noch Duj ardin (1841) alle geißeltragenden Protisten,
Volvocineen und Peridineen inbegriffen, in seiner dritten Ordnung
vereinigte, schied Bütschli (1884, S. 877) die Choanoflagellaten
(S. Kent) und Dinoflagellaten oder Peridineen als besondere
Gruppen aus, ließ aber die Volvocineen bei den Euflagellaten.
Klebs (1883, S. 338ff.) entfernte dann auch diese als typisch pflanz-
liche Gruppe und definierte die Euflagellaten als geißeltragende
Protisten, die sich durch Längsteilung fortpflanzen, wo-
durch sie sich von den Peridineen und Volvocineen unterscheiden.
Es hat sich allerdings in der Folge gezeigt, daß auch bei diesen Gruppen
Längsteilung vorkommt, doch stets bei den auch sonst nicht hoch
differenzierten Formen, weshalb man ihre Längsteilung als alte, von
flagellatenartigen Vorfahren ererbte Eigentümlichkeit auffassen muß.
Etwas bedenklicher war dagegen die Tatsache, daß auch unter
den Euflagellaten Formen bekannt waren, die sich durch Querteilung
fortpflanzen. Als solche Formen galten Oxyrrhis marina Duj., Uro-
glenopsis americana (Calk.) Lemm. und Stylococcus aureus Chodat.
Während man, wie wir bald sehen werden, an der Querteilung der
beiden zuletzt genannten Formen zweifeln konnte, war dies bei Oxyrrhis
völlig ausgeschlossen. Immerhin mußte es auffallen, daß dieser Orga-
nismus nicht nur wegen seiner Teilungsweise, sondern auch wegen
seiner Zellgestalt und Bewegung der Eingliederung unter die Euflagel-
laten Schwierigkeiten bereitete; so war die Vermutung berechtigt, daß
Oxyrrhis überhaupt nicht zu den Euflagellaten gehöre. Diese Ver-
mutung hat sich denn auch durch meine genaue Untersuchung als
richtig erwiesen, da es sich herausgestellt hat, daß Oxyrrhis auf Grund
ihrer asymmetrischen Zellgestalt, des Besitzes einer Längs- und einer
Querfurche, einer Schlepp- und einer Flimmergeißel, sowie wegen ihrer
Kernstruktur und Teilungsweise zu den Peridineen gehört, unter
denen sie neben Hemidinium ihren natürlichen Platz findet. Dadurch ist
die Ordnung der Euflagellaten ihrer abweichendsten Form entledigt.
Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten usw. 659
Die beiden andern Organismen, für welche Querteilung angegeben
wurde, passen im Gegensatz zu Oxyrrhis auf Grund aller übrigen Eigen-
schaften so gut zu den Euflagellaten, speziell zu den Chrysomona-
dinen, daß an ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe nicht gezweifelt
werden kann. Hier ließen aber die Angaben über die Querteilung
dem Zweifel Raum, ob nicht vielleicht Ungenauigkeit oder Unvoll-
ständigkeit der Beobachtung im Spiele gewesen sei.
Jedenfalls beruht die Angabe G. T. Moores (1897, S. 108 f.), nach
der sich Uroglenopsis americana (Calk.) Lemmerm. durch Querteilung
vermehrt, auf einem Beobachtunsfsfehler. Die auffallende Viertels-
drehung, welche die Individuen, deren Längsachse in der kugeligen
Kolonie radial gerichtet ist, vor ihrer Teilung ausführen und durch
welche sie ihre Längsachse parallel zur Koloniequerfläche orientieren
sollen, ist offenbar darauf zurückzuführen, daß sich die Zelle in ihrer
normalen, radialen Lage der Länge nach teilt, wobei die Vorderenden
der beiden Tochterzellen auseinander weichen. Dadurch erscheint die
Zelle bei Scheitelansicht natürlich länger als vorher und trägt scheinbar
an jedem Ende ein Geißelpaar. Die von Mooee auf Taf. X, Fig. 3,
abgebildete Zelle befände sich demnach nicht im ersten, sondern in
einem relativ weit fortgeschrittenen Stadium der Längsteilung. Darauf,
daß tatsächlich eine Längsteilung senkrecht zur Kolonieoberfläche
vorliegt, deutet auch Moores Bemerkung (S. 109 oben), daß das ein-
geschnürte Verbindungsstück der beiden Tochterzellen vor ihrer völligen
Trennung stets am tiefsten, nach dem Innern der Kolonie
zu liege. Auch die Angabe einer nach der Teilung erfolgenden Rück-
drehung der Tochterindividuen in die radiale Lage ist offenbar eben-
falls durch die ausschließliche Beobachtung der Zellen in Scheitelansicht
verursacht. Ich würde es nicht wagen, Moores Darstellung in Zweifel
zu ziehen, wenn nicht ähnliche Angaben für andre Flagellaten von
zahlreichen früheren Beobachtern nachgewiesenermaßen auf Irrtum
beruhten.
Bei Stylococcus, für den Chodat (1898, S. 474) ebenfalls Quer-
teilung angegeben hat, liegt die Sache anders. Hier erfolgt die Teilung
zweifellos senkrecht zur Längsachse des die Zelle umschließenden, ge-
stielten Gehäuses (Textfig. 8,3). Es ist aber auffallend, daß in Chodats
Abbildungen (Fig. 15 c — /, meine Textfig. 8, 3 u. 4) der Teilungsstadien
der geißelartige Faden des Vorderendes stets fehlt. Wenn die Teilung
der Flagellaten in ruhendem Zustand — nach Abrundung der Zelle
und Verlust der Geißeln — erfolgt, ist es nur in den seltensten Fällen
möglich, an den bereits geteilten Zellen (Textfig. 8, 3) die ursprüngliche
660
G. Senn,
Teilungsrichtung festzustellen. Nun hat aber Chodat, aus seinen
Abbildungen zu schließen, die Beobachtung erst an einer geißellosen
Zelle begonnen; er konnte deshalb nicht feststellen, ob die Teilungsr
ebene zur Längsachse der Zelle — die Achse des Gehäuses kommt
natürlich nicht in Betracht — ursprünglich senkrecht stand, oder ob sich
nicht etwa schon die Mutterzelle vor oder nach erfolgter Kernteilung
gedreht hatte, so daß die Teilungsebene erst sekundär zur Längsachse
der Zelle quer zu liegen kam. Dieser Vor-
gang wurde ja bei den mit einer Membran
umgebenen Zellen der Chlamydomonaden
wiederholt beobachtet. Somit kann auch die
für Stylococcus beschriebene Querteilung nicht
als einwandfreie Tatsache betrachtet werden.
Da von den zwei Fällen, in welchen für
Angehörige der Euflagellaten Querteilung
angegeben worden ist, der eine offenbar auf
einem Fehler, der andre wahrscheinlich auf
einer Unvollständigkeit in der Beobachtung
beruht, gilt der von Klebs (1883, S. 359)
aufgestellte Satz ausnahmslos, daß
sich alle Flagellaten im engeren Sinne,
die Euflagellaten, durch Längsteilung
vermehren.
Für die Abgrenzung der Euflagellaten von
andern verwandten Gruppen, sowie für die
systematische Stellung von Oxyrrhis, haben
sich auch Bau und Teilungsweise des Zell-
kernes als wichtig erwiesen. So hat schon
BüTSCHLi (1885, S. 558) hervorgehoben, daß
die Kernstruktur von Oxyrrhis mit derjenigen
der Peridineen übereinstimme. Ich (Senn,
1909, S. 87) habe dann konstatiert, daß die Kernteilung ähnlich
wie bei Ceratium verläuft und daß Oxyrrhis aus diesem wie aus
andern Gründen zu den Peridineen gehört. Endlich haben
JoLLOs (1900, S. 202) sowie Haetmann und Chagas (1910, S. 118f.)
auf Grund der Vergleichung der von Jollos an den Kernen von Gym-
nodinium und Ceratium gewonnenen Resultate mit Keysselitz' An-
gaben über die Kernteilung von Oxyrrhis diese zu den Peridineen
gestellt, offenbar ohne von meiner schon im November 1909 erschiene-
nen vorläufigen Mitteilung Kenntnis gehabt zu haben,
Textfig. 8.
Stylococcus aureus Chodat. 1
u. 2, verschiedene Zellformeu ;
3, Zellteilung; 4, Vorbereitung
zum Austritt eiuer Tocliter-
zelle. Vergr. ? Nach Chodat
(1898, S. 474).
Oxyrrhis, Nephrosclmis und einige Euflagellaten usw. 661
Die Untersuchungen über die Kernverhältnisse haben aber nicht
nur die Ausscheidung der Oxijrrhis aus den Euflagellaten zur Folge
gehabt, sondern auch die Einreihung der Trichonymphiden in diese
Unterordnung. Obwohl noch nicht gesagt werden kann, an welche
andre Ordnung oder Familie der Euflagellaten diese Parasiten ange-
gliedert werden müssen — in Betracht kommen die Pantostoma-
tinen und Trichomonas — , so steht jetzt wenigstens so viel fest, daß
sie Euflagellaten sind (vgl. Janicki, 1910), die offenbar infolge
ihrer parasitischen Lebensweise manche eigentümliche Differenzierungen
erfahren haben, wie solche auch bei andern parasitischen Flagellaten
vorkommen (Achsenstab bei Lophomonas und Trichotnonas).
Die Struktur und Teilungsweise des Zellkernes ist so-
mit für die Abgrenzung der Euflagellaten gegen andre
Protistenordnungen sehr wertvoll.
II. Die systematische Gliederung der Euflagellaten.
Die Kernverhältnisse sind in letzter Zeit mit Recht auch für die
Abgrenzung der verschiedenen Verwandtschaftsgruppen innerhalb der
Euflagellaten herangezogen worden (vgl. Prowazek, 1903, S. 196;
Hartmann, 1907, S. 153; Hartmann und Chagas, 1910, S. 65). Meine
Beobachtungen über die Kerne von Heteronema Klehsii und Trofi-
doscyphus cyclostomus scheinen dafür zu sprechen, daß z. B. für eine
Anzahl von Eugleninen in der Tat ein gleichartig ausgebildeter Kern
mit radialstrahligem Chromatin (Taf . XXXI, Fig. 38) charakteristisch sei.
Bei der von Steuer (1904, S. 128) untersuchten Eutreptia Lanowi ist
die Kernsaftzone, bzw. der Außenkern, ebenfalls reich an Chromatin;
aus Steuers Abbildung (Fig. 2) scheint allerdings hervorzugehen, daß
der Außenkern keine radialstrahlige, sondern alveoläre Struktur besitze,
wie sie auch Hartmann und Chagas (1910, S. 99) für Peranema tricho-
fhorum angeben. Nach Prowazek (1903, S. 326) hat aber das eben-
falls zu den Eugleninen gehörende Entosiphon einen bläschenförmigen
Kern, wie wahrscheinlich auch Notosolenus (vgl. S. 656). Man ist deshalb
noch im Zweifel, ob die jetzt bei den Eugleninen untergebrachten
Formen mit verschiedener Kernstruktur verschiedenen Entwicklungs-
reihen angehören, oder ob die innerhalb dieser Unterabteilung vor-
kommenden Unterschiede in der Kernstruktur durch allmähliche Über-
gänge miteinander verbunden sind.
Jedenfalls darf man den systematischen Wert der Kernverhältnisse
auch nicht zu hoch anschlagen und deshalb den Wert aller übrigen
Eigentümlichkeiten der Zelle unterschätzen, wie dies nach meiner
662 G. Senn,
Ansicht Doflein, sowie Hartmann und Chagas (1910) tun. Denn
die Berechtigung der von Doflein (1909, S. 342) vertretenen Auf-
fassung, daß man vor genauer Kenntnis der Kernstruktur und der
Fortpflanzungsweise nicht daran denken könne, ein definitives System
der Flagellaten aufzustellen, wird durch die Arbeit von Hartmann
und Chagas (1910) etwas zweifelhaft. Der in dieser enthaltene, auf
der Kernstuktur beruhende Entwurf eines Flagellatensystems deckt
sich nämlich, abgesehen von einigen sogleich zu erwähnenden Aus-
nahmen, mit dem durch mich (Senn, 1900) auf Grund des allge-
meinen Zellbaues aufgestellten System vollständig. Das ge-
nauere Studium der Kernverhältnisse hat also wenigstens
bis jetzt keine wesentliche Änderung des Flagellaten-
systems nötig gemacht.
Es könnte allerdings den Anschein haben, als ob durch die Zu-
sammenfassung der flagellaten Blutparasiten ^ zu der neuen Unter-
ordnung der Binucleaten (Hartmann, 1907) das System der Flagel-
laten eine wesentliche Veränderung erfahren habe. Das ist aber nicht
der Fall. Hartmann und Jollos (1910, S. 101) geben nämlich selbst
zu, daß die zu dieser Unterordnung gerechneten Gattungen biphyle-
tischen Ursprung haben (ein- und zweigeißelige Gattungen). Wenn nun
der Blepharoblast tatsächlich einen zweiten Kern repräsentiert, so ist
diese Zweikernigkeit gleichzeitig an verschiedenen Ästen des Flagel-
latenstammbaumes, offenbar infolge der Lebensweise in dem dick-
flüssigen Medium des Blutes, als Konvergenzerscheinung entstanden.
In einem phylogenetischen System darf aber diese biologische
Gruppe nicht in einer systematischen Einheit untergebracht werden.
Man müßte vielmehr zwei Unterordnungen gründen, die eine für die
eingeißeligen, die andre für die zweigeißeligen Formen. Da man jedoch
die eingeißeligen Trypanosomaceae ohne Schwierigkeit an die Oico-
monadaceen und die zweigeißeligen Trypanoplasmaceae an die
Bodonaceen anschließen kann, ist die Aufstellung von zwei neuen
Unterordnungen nicht gerechtfertigt. Es ist richtiger, die beiden
Gruppen von Blutparasiten als besondere Familien in die Unter-
ordnung der Protomas tiginen einzugliedern.
Daß Hartmann und Chagas (1910) auf der einen Seite für die
zweikernigen flagellaten Blutparasiten eine neue Unterordnung bilden,
1 Daß die bisher zu den »Sporozoen gerechneten Blutparasiten, z. B.
auch Plasmodium, mit den Trypanosomen tatsächhch verwandt sind,
scheint mir möghch zu sein, doch erlaube ich mir darüber kein definitives
Urteil, •
Oxyrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten usw. 663
dagegen die mit zwei Kernen, zwei Mundstellen und paarig ange-
ordneten Geißeln ausgerüsteten Distomatinen zu den im allgemeinen
einkernigen und asymmetrischen Protomastiginen zählen, scheint
mir nicht konsequent zu sein. Die von mir vorgenommene Abtrennung
der Distomatinen als besonderer Unterordnung ist um so mehr
gerechtfertigt, als sich diese zweifellos monophyletischen Formen auch
in ihren Stoffwechselprodukten (Vorhandensein von Glykogen) von
den übrigen Protomastiginen unterscheiden.
Wenn also auch den Kernverhältnissen bei der sysie-
matischen Gliederung der Euflagellaten große Bedeutung
zukommt, so darf darüber der übrige Zellbau doch nicht
vernachlässigt werden, will man nicht Gefahr laufen, auf
einer neuen Grundlage ein neues, aber, weil nur auf einem
einzigen Merkmal fußend, wiederum künstliches System
aufzubauen.
Aus meinen Untersuchungen ergibt sich ferner, daß auch der Art
der Begeißelung großer systematischer Wert zukommt, erweist sich
doch Oxyrrhis nicht nur durch ihre Kernstruktur, sondern ebenso klar
durch den Besitz einer Schlepp- und einer Flimmergeißel als typische
Peridinee.
Von systematisch-phylogenetischem Interesse sind auch die bei
Nephroselmis festgestellten Beziehungen zwischen Zellbau und Be-
geißelung. Die ausgesprochene Symmetrie der Zelle und der geringe
Längenunterschied der Geißeln beweisen, daß Nephroselmis aus einer
symmetrischen, mit zwei gleichen Geißeln ausgerüsteten Chlamydo-
monas-avtigen Stammform entstanden ist. Dieser Fall zeigt, daß ein
Übergang von der Iso- zur Heteromastigie möglich ist, daß aber dieser
Übergang keineswegs auch eine Änderung in den Symmetrieverhält-
nissen der Zelle, also z. B. die Entstehung einer Bodo-artigen Form,
zur Folge haben muß. Bei der Gruppierung der Flagellaten in Unter-
ordnungen darf deshalb nicht die Begeißelung entscheiden, wie dies
in den älteren Systemen, teilweise auch in demjenigen Bütschlis
(1884) der Fall war, sondern der allgemeine Bau der Zelle (Vacuolen-
system, Kernstruktur, Nahrungsaufnahme, Periplast).
Wenn man somit aus den bei Nephroselmis konstatierten Tat-
sachen einerseits den Schluß ziehen muß, daß die Symmetrieverhält-
nisse der Zelle zäher festgehalten werden als die Art der Begeißelung,
so erscheint anderseits die Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen, daß
die asymmetrischen heteromastiginen Flagellaten von symmetrischen
isomastitiinen Formen abstammen, Ob sich diese durch Reduktion aus
664 G. Senn,
vielgeißeligen Formen entwickelt haben oder durch frühzeitige Ver-
doppehmg einer Geißel aus eingeißeligen Formen entstanden sind (wie
Hartmann und Jollos, 1910, S. 99 für Herpetomonas annehmen), wage
ich nicht zu entscheiden.
Ebenso müssen neue Untersuchungen zeigen, ob für diejenigen
Formen, welche, wie Ancyromonas, Clautriavia und Helcomastix, nur
Schleppgeißeln besitzen, je nach Zahl und Ausbildung der Geißeln
neue Familien gegründet werden müssen, oder ob diese Formen wie
bisher in den bestehenden Familien untergebracht werden können.
Obwohl somit eine Änderung in der Art der Begeißelung im Laufe
der phylogenetischen Entwicklung erfolgt ist (vgl. Hartmann und
Chagas, 1910, S. 98), muß der Begeißelung systematischer Wert zu-
geschrieben werden, und zwar ein größerer, als dem Vorhandensein oder
Fehlen eines Panzers oder Gehäuses. Denn die Tatsache, daß die
eine der bei der Teilimg bepanzerter Arten entstandenen Zellen das
Gehäuse der Mutterzelle als normal begeißeltes, aber nacktes
Individuum verläßt, beweist, daß die Gehäusebiidung etwas sekmidär
Erworbenes, und zwar später Erworbenes ist, als die Art der Begeiße-
lung. Jedenfalls ist auch die Gehäuse-, wie die Koloniebildung in
viel höherem Maße von äußeren Einflüssen abhängig als die Be-
geißelung. Der scherzweise Vergleich, welchen Oltmanns (1904, S. 6)
zwischen meiner Gliederung der Chrysomonadinen und Linnes
Staubfadensystem zieht, enthält deshalb keinen ernsteren Kern, weil
die Zahl der Staubgefäße im Gegensatz zu derjenigen der Geißeln sehr
variabel ist. Ich muß deshalb an dem in meiner Flagellatenbearbei-
tung (Senn, 1900) durchgeführten Prinzip festhalten, nach welchem
in einer Flagellatenfamilie nur gleichartig begeißelte, dagegen nackte
und bepanzerte, sowie einzeln und in Kolonien lebende Gattungen
vereinigt werden können.
Demzufolge sind die durch Lohmann (1902, S. 89ff.) untersuchten
Coccolithophoriden (mit Kalkpanzern versehene Chrysomona-
dinen) wohl als biologisch, nicht jedoch als phylogenetisch einheit-
liche Gruppe zu betrachten. Sie müssen deshalb, obwohl es viel ein-
facher wäre, sie, wie das Lohmann getan hat, zu der KLEBSschen
Unterfamilie derLoricata zu stellen, als ein- und zweigeißelige Formen
auf die Chromulinaceen und Hymenomonadaceen verteilt
werden.
Daß den von Hartmann unter dem Namen Binucleata zusam-
mengefaßten flagellaten Blutparasiteu- aus demselben Grunde biphy-
letischer Ursprung zuzuschreiben ist, und daß ihre Zusammenfassung
Oxyrrhis, Nephroselrais und einige Euflagellaten usw. 665
ZU einer systematischen Einheit deshalb unzulässig ist, wurde auf
S. 662 schon dargelegt.
III. Die neueren Flagellatensysteme.
Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich, daß die in den letzten
10 Jahren erschienenen zahlreichen Arbeiten über Flagellaten keinerlei
wesentliche Veränderungen an dem von mir im Jahre 1900 aufgestellten
Systeme notwendig machen. Abgesehen von neuen Gattungen und
Arten, die in den bisherigen Familien untergebracht werden können,
sind, wie wir gesehen haben, die eingeißeligen und die heteromastiginen
flagellaten Blutparasiten als besondere Familien an die Oicomona-
daceen und Bodonaceen anzuschließen. Wohl als besondere Ord-
nung ist die Gruppe der Trichonymphiden zu betrachten, deren
Organisation in letzter Zeit durch Grassi und seine Schüler (vgl. Janicki,
1910) festgestellt worden ist.
In der Hauptsache bleibt aber meine Flagellateneinteilung be-
stehen, die übrigens eine Weiterentwicklung des von Klees (1892)
konstruierten Systems darstellt.
Letzteres erfreute sich mit Recht allgemeiner Annahme, wird aber
fast immer als BLOCHMANNsches System bezeichnet (Hartmann, 1907,
S. 156; DoFLEiN, 1909, S. 342; Hartmann und Chagas, 1910, S. 115).
Diese Bezeichnung ist jedoch nicht gerechtfertigt, da Blochmann
(1895) im Vorwort zur zweiten Auflage seiner »Mikroskopischen Tier-
welt des Süßwassers« ausdrücklich bemerkt, daß er in der Systematik
der Flagellaten Klees (1892) gefolgt sei.
Ebensowenig Berechtigung hat Dofleins (1909, S. 342) Äußerung,
daß mein System die Verwandtschaftsverhältnisse der Flagellaten mit
pflanzlicher Ernährung besser ausdrücke, während das Bloch-
MANNsche (d. h. das KLEESsche) die echt tierischen Flagellaten besser
gruppiere.
Demgegenüber muß ich feststellen, daß durch die von mir vor-
genommene Anordnung der allgemeine Zellbau gerade der tierisch
sich ernährenden Formen (der Protomonadina und Polymastigina
nach Klebs) viel besser zur Geltung kommt, daß also meine Gruppie-
rung eine natürlichere ist als im KLEESschen System.
Die Abgrenzung der Pantostomatinen (ohne differente Mund-
stelle) von den Protomastiginen hat sich auch auf Grund der Kern-
untersuchungen von Goldschmidt (1907, S. 83 — 168) als gerechtfertigt
herausgestellt, was auch Hartmann und Chagas (1910, S. 114) zugeben.
Daß eine Trennung der ein- und zweigeißeligen Protomastiginen
666 G. Senn,
von den drei- und viergeii3eligen Trimastiginen und Tetramitinen,
sowie eine Vereinigung dieser beiden Familien mit den Distomatinen
unnatürlich war, brauche ich, nachdem auch Hartmann und Chagas
(1910, S. 115) diese Familien auf Grund der Kernstruktur mit den
Protomastiginen vereinigt haben, hier nicht nochmals zu begründen.
Daß man die sich in ihrem Zellbau von allen andern Euflagellaten
unterscheidenden Distomatinen den Protomastiginen koordiniert
(Senn, 1900, S. 110), scheint mir richtiger, als sie ihnen zu subordi-
nieren; sie jedoch allen übrigen Protomastiginenfamilien gegenüber-
zustellen, wie das Hartmann und Chagas tun, ist kaum gerechtfertigt.
Übrigens ist das zum Teil Geschmackssache.
Zu der durch Hartmann und Chagas (1910, S. 117) vorgenommenen
Streichung der Phalansteriaceen und Bicosoeceen muß ich be-
merken, daß bei diesen beiden koloniebildenden Familien die Sache
anders liegt, als bei den Spongomonaden. Die genannten Familien
habe ich nicht wegen ihrer Koloniebildung von den Craspedomona-
daceae, bzw. Bodonaceae oder Oicomonadaceae getrennt, son-
dern wegen der Abweichungen im Bau des Vorderendes.
Daß die Phalansteriaceae mit den Craspedomonadaceae
nahe verwandt sind, ist klar; ich habe dies dadurch ausgedrückt, daß
ich sie unmittelbar auf jene Familie folgen ließ. Wenn man sie trotz
der Abweichung in der Gestalt des Kragens mit den Craspedomo-
nadaceae vereinigt, wird das System allerdings vereinfacht; prinzi-
pielle Bedeutung hat das aber nicht.
Die Bicosoecaceae wegen der gleichartigen Begeißelung ein-
fach zu den Bodonaceae zu stellen, geht jedoch — vorläufig wenig-
stens — nicht an, da bei den Bodonaceae zwar Rüssel und Schnäbel,
jedoch keine Kragenbildungen vorkommen, wie sie für die Bicosoe-
caceae beschrieben worden sind. Hartmann und Chagas' Angabe
(1910, S. 117), daß Prowazek (1903, S. 199) diese Familie für Bodo-
naceen halte, ist übrigens nicht richtig; im Gegenteil bezeichnet sie
dieser Forscher als nahe Verwandte der Monadaceen^ während er
für die Bodonaceen eine »ganz eigenartige Insertionsweise der Geißel«
beschreibt, die zu einer schärferen Trennung dieser Familie von den
Protomastiginen berechtigen würde. Nach unsern jetzigen Kennt-
nissen der Bicosoecaceae ist somit ihre Vereinigung mit den Bodo-
naceae nicht zulässig.
Bei den pflanzlich sich ernährenden Flagellaten habe ich die
Chrysomonadinen und Cryptomonadinen, die Klees (1892,
S. 394) unter dem Namen der Chromomonadinen zusammengefaßt
Oxyrrhis, Nephroselniis und einige Euflagellaten usw. 667
hatte, als voneinander unabhängige Unterordnungen behandelt. In
der Tat weichen die Cryptomonadinen im Zellbau (Schlundapparat),
sowie in ihren Stoffwechselprodukten (Stärke) von den Chrysomo-
nadinen so sehr ab, daß die bei beiden in gleicher Weise vorhandene
Ausbildung des Vacuolensystems — die sich übrigens auch bei den
Protomastiginen findet — eine Einordnung in dieselbe Unterord-
nung nicht rechtfertigt.
Meine von der KLEBSschen abweichende, auf der Begeißelung
beruhende Einteilung der Chrysomonadinen und Eugleninen
habe ich schon auf S. 664 besprochen; eine nochmalige Begründung
ist deshalb überflüssig.
Wenn Hartmann und Chagas (1910, S. 114) einige der von mir
systematisch verwendeten Merkmale für die Abgrenzung von Ver-
wandtschaftsgruppen als >>unzureichend « bezeichnen, gleichwohl aber
auf Grund der neuen Untersuchungen über die Kernstruktur meine
Einteilung beibehalten, so beweist das nur die Richtigkeit der von mir
angewandten Einteilungsprinzipien. Deshalb brauche ich mein System
keineswegs zugunsten des von diesen beiden Autoren aufgestellten
preiszugeben, sondern kann ihre Arbeit vielmehr als wichtige Stütze
für die Natürlichkeit und Berechtigung meines Systems betrachten.
Trotzdem bin ich weit davon entfernt, dieses System in allen Teilen
als definitiv zu betrachten. Dazu sind die Lücken in unsern Kennt-
nissen noch zu groß. Immerhin ist das kein Grund, wie Doflein
(1909, S. 342) bei dem seinerzeit vorzüglichen, nun aber veralteten
System von Klebs (1892) zu verharren.
Zusammenfassvmg.
1) Unter den Euflagellaten sind keine Formen mit einwand-
freier Querteilung bekannt; es herrscht allgemein die Längst eilung.
2) Die Struktur und Teilungsweise des Zellkernes ist
für die Abgrenzung der Euflagellaten von andern Protisten -
Ordnungen sehr wertvoll. Sie kann auch zur systematischen Gliede-
rung der Euflagellaten verwendet werden, doch ist dabei stets auch
der allgemeine Zellbau zu berücksichtigen.
3) Die Art der Begeißelung ändert leichter als die allgemeinen
Symmetrieverhältnisse der Zelle. Diese haben also höheren
systematischen Wert als die Begeißelung. Letztere dagegen ist kon-
stanter als die Gehäuse- und Koloniebildung und kann daher
zur Abgrenzung der einzelnen Flagellatenfamilien benutzt werden,
668 G. Senn,
während nackte und gehäusebildende Gattungen in derselben Familie
vereinigt werden können.
4) Das bisher meist als das BLOCHMANNsche (1895) bezeichnete
Flagellatensystem ist von Klebs (1892) aufgestellt worden. Dieses
wurde durch mich (1900) weiter ausgebaut, wodurch die natürlichen
Verwandtschaftsbeziehungen noch besser zum Ausdruck kamen. Die
seither erfolgte eingehende Untersuchung der Flagellaten hat die
Richtigkeit meines Systems erwiesen. Abgesehen von der notwendig
gewordenen Angliederung einer neuen Unterordnung (Trichonym-
phiden) und zweier neuer Familien (Trypanosomaceae und Try-
panoplasmaceae) bleibt die von mir vorgenommene systematische
Gliederung unverändert.
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Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXX.
Fig. 1- — 24. Oxyrrhis inarina Duj.
Die Schleppgeißel ist rot, die Flimmergeißel grün gezeichnet. Wo nichts
besonders bemerkt ist, sind die Figuren nach lebenden Zellen hergestellt und
sind die Objekte lOOOmal vergrößert.
Fig. 1. Ventralseite einer ruhenden Zelle mit Längsfurche (links) und
Querfurche (rechts), dazwischen der lappenartige, birnförmige Vorsprung.
Fig. 2. Dorsalseite mit dem Ende der Querfurche (links).
Oxyrrhis, Nephrüselmis und einige Euflagellaten usw. 671
Fig. 3. Linke Flanke mit lappenartigeni Vorspruug (links) und Querf'urelie.
Fig. 4. Rechte Flanke mit dorn Ende der Queit'urche (links), mit i^ängs-
turche und lappenartigem Vdrsprnng (rechts).
Fig. 5. Rechte Flanke einer mit Osmiumsäuredämpfen getöteten Zelle;
Hinterende deformiert, vorn Zellkern, hinten Nahrungsvacuole. Periplast fein
punktiert bzw. zart gestreift.
Fig. 6. Dorsalseite eines mit 1 %iger Osmiumsäurelösung fixierten Exem-
plars. Perijilast mit deutlicher Streif ung: Trichocysten ?
Fig. 7 u. 8. Ventralseite und linke Flanke derselben Zelle. Vergr. 1350.
Fig. 7. Aus normalem Meerwasser mit körnigem Inhalt.
Fig. 8. Aus konzentriertem Meerwasser. Infolge des Wasserentzugs ist der
Zcllsaftraum verschwunden, der Inhalt erscheint homogen durchsichtig, der
Periplast ist in der Längsrichtung eingeknickt (rechts) und deshalb die Zelle
bedeutend schmäler.
Fig. 9. Ventralseite einer zur Ruhe kommenden Zelle. Schleppgeißel aus-
gestreckt, Flimmergeißel in allmählich sich verlangsamender Wellenbewegung.
Fig. 10. Rechte Flanke und Ventralseite einer ruhenden Zelle.
Fig. 11. Lappenartiger Vorsprung mit der Geißelinsertion. Basalkorn der
Flimmergeißel schien nicht in direkter Verbindung mit der Geißel zu sein. Fixie-
rung mit Chromosmiumessigsänre, Färbung mit Delafields Hämatoxylin.
Fig. 12. Rechte Flanke, stark verkürzt von hinten gesehen; links: Ende
der Querfurche, rechts: Längsfurche und lappenartiger Vorsprung; im Hinterende
C\i:opyge. Vergr. 1350.
Fig. 13. Zelle mit großer, aus der Ventralseite heraustretender Blase nach
Behandlung mit 0,05%igem Tannin in Meerwasser. Die der Vacuole rechts unten
aufsitzende Kappe ist vermutlich der birnförmige Vorsprung, die kleinere obere
vielleicht die Begrenzung der IMundstelle.
Fig. 14. Zelle nach Behandlung mit verdünnter Chlorzinkjodlösung und
gerbsaurem Vesuvin. Unsicher, ob die radialstrahlige Hülle am Hinterende auch
vorhanden war.
Fig. 15. Dorsalseite einer Zelle nach Behandlung mit gerbsaurem Vesuvin.
Ventralseite mit Vacuole; Periplast mit dicker Hülle aus zarten, am Ende leicht
verdickten Fäden.
Fig. 16. Ventralseite einer in Querteilung begriffenen Zelle.
Fig. 17. Karyosome nach Fixierung mit Platinchlorid imd Färl^ung mit
Hämatoxylin nach Heidenhain. Vergr. etwa 2000.
Fig. 18—24. Zellen nach Fixierung mit Chromosmium-Essig-
säure und Färbung mit verdünntem DELAFiELDschen Hämatoxylin.
Fig. 18. Dorsalseite; ruhender Kern mit Karyosom und Kernmembran.
Fig. 19. Rechte Flanke; ruhender Kern, zwei Karyosome, das eine vielleicht
ein Nucleolus.
Fig. 20. Rechte Flanke; Kern quergestellt. Chromatin parallel zur Zell-
achse orientiert, Karyosom noch kugelig.
Fig. 21. Linke Flanke; Kern quergestellt, Chromatin parallel zur Zell-
achse orientiert, Karyosom in derselben Richtung gestreckt.
Fig. 22. Ventralseite. Chromatin geteilt, Karyosom noch nicht. Tochter-
kerne durch die Mutterkern membran verbunden.
Fig. 23. Dorsalseite. Kern völlig geteilt. Karyosome hinter farbloser
44*
672 G. Senn, Oxjrrrhis, Nephroselmis und einige Euflagellaten usw.
CalottP einander zugekehrt. Tochterkerne durch Reste der Muttermembran ver-
bunden. Chromatin 7au- Zellachse noch parallel orientiert. Dem hinteren Kern
scheint das Basalkorn einer Geißel an/Ailiegen. Zellteilung hat noch nicht be-
gonnen.
Fig. 24. Dorsalseite. Kernteilung vollendet. Chromatin wieder alveolär.
Verbindung der Tochterkerne noch deutlich. Beginn der Querwandbildung.
Vergr. etwa 1400.
Tafel XXXr.
Fig. 25 — 27. Kephroselmis olivacea Stein.
Fig. 25. Abgeflachte Seite der Zelle. Hinter der Geißelinsertion der bläs-
chenförmige Kern. Das bei der Bewegung vorangehende Ende dem oberen Tafel-
rand zugekehrt. Geißeln wie bei hüpfender Bewegung ohne Rotation ausge-
streckt. Vergr. 1000.
Fig. 26. Ein Individuum in Dorsalansicht während seiner wackelnd-krie-
chenden Bewegung. Vergr. 1000.
Fig. 27. Individuum mit längsgeteiltem Chromatophor, die linke Hälfte
mit rotem Augenfleck. Geißeln im Tode verschlungen. Vergr. 1500.
Fig. 28. Helcomastix globosa Senn. Ventralseite der Zelle. Beide Geißeln
nachgeschleppt; vor der Geißelinsertion der bläschenförmige Kern; rechts einige
Nahrungskörper. Vergr. 1500.
Fig. 29 — 31. Heteronema Klebsii Senn.
Fig. 29. Metabolische Kontraktion der Zelle zur Kreiselgestalt. Vergr. 750.
Fig. 30. Ventralseite der ausgestreckten Zelle mit Kern und Schlund-
apparat. Vergr. 1000.
Fig. 31. Vorderende von der linken Seite gesehen. Links Mundöffnung;
in der Mitte Schlundhöhlung mit Staborgan, davor die Insertion der vorderen
Geißel; rechts Sammelvacuole mit Ausführgang, dahinter pulsierende Vacuole.
Vergr. 2000.
Fig. 32 — 35. Tropidoscyphus cydostoinus Senn. Vergr. 2000.
Fig. 32. Linke Zellseite, etwas von oben gesehen, Dorsalseite sichtbar.
Fig. 33. Linke Zellseite, etwas von unten gesehen, Ventralseite sichtbar.
Tig. 34. Zelle von hinten gesehen.
Fig. 35. Zelle mit dem ventral gelegenen Kern und dem Vacuolensystem :
Sammelvacuole und zwei pulsierende Vacuolen. In der hinteren Zellhälfte
Nahrungsreste.
Fig. 36 u. 37. Notosolenus apocamptus Stokes. Vergr. 2000.
Fig. 36. Konvexe Ventralseite
_. „_ ^^ , -^ , . , mit Kern und Vacuolensystem.
±ig. 37. Konkave Dorsalseite
Fig. 38. Euglena viridis Ehrenb. Vergr. 1000. Fixierte und mit Häma-
toxylin gefärbte Zelle. Kern mit radialstrahligem Chromatin.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.).
Von
Gustaf Gering
ans Ha'lf a. S.
Mit 1 Figur im Text und Tafel XXXII.
I. Einleitung.
Unter den Nemertinen, um deren systematische Stellung mancher-
lei Kontroversen entstanden, finden wir nur wenige Formen, die starke
Abweichungen vom Typus zeigen. Außer den wunderbaren Tiefsee-
bewohnern, über die wir durch das Material der deutschen Tiefsee-
expedition jüngst wertvolle Aufschlüsse erlangt haben, sind nur zwei
Gattungen zu nennen, in denen starke Habitusänderungen aufgetre-
ten sind, in der Gattung Cephalothrix die Art C. galatMae'^ und in der
Gattung Malacobdella alle drei bekannten Arten : M. grossa, M. jafonica
und M. auriculae. Während die parasitische Cephalothrix galatheae den
Besitz »fingerförmiger Greif- oder Haftorgane« [44] 2 noch mit der
pelagisch lebenden Tiefseeform Nectonemertes mirabilis teilt, steht
Malacobdella mit ihrem terminalen Saugnapf unter den weit über
400 Arten zählenden Nemertinen einzig da.
Durch einen längeren Studienaufenthalt in Kiel wurde mir die
günstige Gelegenheit zuteil, mich mit der auch in der östlichen Ostsee
heimischen Malacobdella grossa (Müll.) eingehender zu beschäftigen.
Die Untersuchungen zu der vorliegenden Arbeit wurden im Kgl.
zoologischen Institut zu Kiel ausgeführt. Es wurde mir hier in liebens-
1 Die Angaben Diecks [44] über diese seit ihrer Entdeckung durch Diek
nicht wieder aufgefundene Art bedürfen dringend einer Nachprüfung und Er-
gänzung, zumal hier systematische, anatomische, embryologische und biologische
Fragen zu klären sind.
2 Die in eckigen Klammern stehenden Zahlen verweisen auf das Literatur ^
Verzeichnis am Schluß dieser Arbeit.
674 Gustaf Gering,
würdigster Weise die Benutzung mehrerer Aquarien, Dreggen und
andrer Fanggeräte gestattet. Hierfür spreche ich meinem hochver-
ehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Beandt, meinen tiefgefühlten Dank
aus. Gleichfalls schulde ich ihm Dank für die Beschaffung eines großen
Teiles meines Untersuchungsmaterials und die leihweise Überlassung
einschlägiger Literatur. Auch den Herren Professor Dr. Lohmann
und Professor Dr. Reibisch habe ich zu danken für freundliche
Ratschläge und stete Förderung bei der Ausführung meiner Unter-
suchungen.
II. Historischer Rückblick.
Malacobdella grossa (Müll.) wurde zuerst von 0 F. Müller [1]
1776 entdeckt und als Hirudinee in seinen späteren Arbeiten [2 — 6]
genauer beschrieben. Seit dieser Zeit finden wir Malacobdella jahr-
zehntelang immer wieder in der Literatur als Egel aufgeführt, zum
Teil nach den Angaben Müllers, zum Teil nach eignen Beobachtungen
der betreffenden Autoren^. Blainville [11] diskutierte als erster die
systematische Stellung dieses Tieres, ebenso beschäftigten sich Blan-
CHARD [13 — 16, 18, 19], Dalyell [22], van Beneden and Hesse [23, 24]
mit dieser Frage. Erst Semper [27] gelang 1876 — also genau 100 Jahre
nach der Entdeckung — der Nachweis, daß Malacobdella eine Nemertine
sei. Trotzdem haben uns auch schon vor dieser Zeit einige Arbeiten
wertvolle Aufschlüsse über die Anatomie von Malacobdella gebracht.
In diesem Sinne sind zu nennen die Arbeiten von Blanchard [13 — 16,
18,19], der eine in vielen Punkten richtige Beschreibung des Nerven-
systems 2, der Blutgefäße und der Geschlechtsorgane gibt, und die-
jenigen von VAN Beneden und Hesse [23, 24]. Nach diesen Forschern
haben sich nur noch Hoffmann [28] und v. Kennel [29] eingehend
mit Malacobdella beschäftigt. Erstercr zog auch die Ontogenie in den
Kreis seiner Untersuchungen, letzterer machte sehr eingehende ana-
tomisch-histologische Studien und konnte auf Grund dieser manche
Angaben Hoffmanns berichtigen und wesentlich ergänzen,
1 Da ich nirgends ein vollständiges Literaturverzeichnis über Malacobdella
grossa fand, habe ich mich bemüht, alle einschlägigen Arbeiten zusammenzubringen
und nach Möglichkeit selbst einzusehen. Alle zu meiner Kenntnis gekommenen
Arbeiten finden sich in meinem Literaturverzeichnis chronologisch zusammen-
gestellt.
2 Eine hinsichtlich des Nervensystems in verschiedenen Punkten falsche
Abbildung Bläncuards — schon iSempeb, [27], Hoffmann [28] und v. Kennel [29]
haben darauf hingewiesen — druckt sonderbarerweise Joubin [34] als Beispiel
für das Nervensystem der Nemertinen in der »Faune fran9aisc^< wieder ab.
Beiträge zur Kenntnis von MalacDlxlella grossa (Müll.). 675
III. Biologie,
a. Herkunft des Materials.
Die Malacobdellen, die ich zu meinen Untersuchungen benutzte,
stammen ausschließlich aus Cijprina islandica L. Da ich mich ur-
sprünglich nur mit der Entwicklungsgeschichte von Malacobdella grossa
beschäftigen wollte, lag mir daran, dieses Tier stets in genügender
Menge zu erhalten. Da aber v. Kennel [29] im Kieler Hafen nur
in Cyprina, niemals in Mya arenaria L. unsre Nermertine fand, hielt
ich mich nur an den ersteren Lamellibranchier. Ein großer Teil der
von mir untersuchten Cyprinen wurde durch die liebenswürdige Ver-
mittlung des Herrn Geheimrat Brandt vom Forschungsdampfer
»Poseidon« während der Ostseefahrten auf verschiedenen Stationen
für mich gefangen. Das übrige Material dreggte ich selber in der Kieler
Außenföhrde.
Das Poseidon-Material stammte von folgenden Stationen:
Stat. 0 II (November 1908) 54°30' n. Br. 10°2' ö. L. : 53 Cyprinen,
Stat. 0 V (Febr. u. Mai 1909) 55°9' n. Br. 9%T ö. L. : 16 Cyprinen,
Stat. 0 2 (Mai 1909) 54^53' n. Br. 10°10' ö. L. : 102 Cyprinen,
Stat. 0 IX (November 1909) 54^18' u. Br. Wb'd' ö. L. : 4 Cyprinen.
b. Häufigkeit des Vorkommens.
Diese Cyprinen wurden also sämtlich wie das von mir gefischte
Material in der westlichen Ostsee gefangen. Ich kann daher alle
von mir untersuchten Muscheln benutzen, um die Häufigkeit des Vor-
kommens von Malacobdella grossa in Gyprina islandica für dieses Gebiet
festzustellen.
Da große Cyprinen wesentlich häufiger unsre Nemertine beher-
bergen als kleine — die Gründe hierfür hat bereits v. Kennel [29]
ausführlich dargetan — ■, habe ich die Cyprinen nach der Größe in drei
Gruppen geteilt. Die erste umfaßt Muscheln von über 5,5 cm Durch-
messer, die zweite solche von 3,5 — 5,5, die dritte solche von 2 — 3,5 cm
Durchmesser. Cyprinen, die einen Durchmesser von 2 cm noch nicht
erreicht hatten, gab ich stets ungeöffnet ihrem Elemente zurück.
Unter Zugrundelegung dieser Einteilung ergeben sich folgende Werte :
von 158 großen Cyprinen waren von Malacobdella bewohnt 113 = 71,5%
» 68 mittleren » » » » » 47 = 69 %
•> 150 kleinen » » > » » 48 = 32 %.
Demnach sind durchschnittlich ungefähr 55% aller Cyprinen der
westlichen Ostsee mit Malacobdella behaftet.
676 Gustaf Gering.
Beschränke ich mich aber auf die aus der Kieler Föhrde erhaltenen
Cyprinen, so finde ich von 201 Cyprinen 95 von Malacobdella bewohnt,
also 47%. Aus den Zahlen, die v. Kennel gibt, berechne ich, daß
zur Zeit seiner Untersuchungen 58% der Cyprinen Malacobdellen ent-
hielten. Danach scheint Molacohdella grossa im Verlauf der verflossenen
32 Jahre in der Kieler Föhrde seltener geworden zu sein; diese Nemertine
gehört aber auch dann noch zu den häufigen Formen des Gebietes.
Nach RiCHES [33] scheinen an der englischen Küste andre Ver-
hältnisse zu herrschen. Er schreibt "In only one case have I exa-
mined onc of these molluscs {Cyprina islandica) without finding a
specimen". RiCHES hat aber vielleicht nur große Cyprinen untersucht.
Wie ich schon oben kurz erwähnte, habe ich zuweilen auch Cyprinen
gefunden, die mehr als einen » Commensalen << beherbergten. Viermal
enthielt eine Muschel jederseits eine junge Nemertine, einmal enthielt
eine Muschel eine erwachsene und eine ganz junge, einmal fanden sich
auf der einen Seite zwei ganz kleine, auf der andern Seite eine große
Nemertine, und einmal entdeckte ich in einer großen Cyprina sogar
vier junge AVürmer, und zwar an dem einen Mantellappen einen, an
dem andern zwei und den vierten am Fuße des Wirtes i. Es ist mir
ebensowenig wie v. Kennel ein Fall vorgekommen, wo mehr als eine
ausgewachsene Malacohdella dieselbe Muschel bewohnte 2. An ähn-
liche Befunde wie die meinigen knüpft v. Kennel die Vermutung,
daß, wenn mehrere Würmer sich in einer Muschel festgesetzt haben,
schließlich der stärkste die andern vernichtet und so der alleinige In-
haber des Hauses wird.
c. Benutzung des Rüssels.
Daß diese Vermutung v. Kennels richtig ist, kann ich durch ein
von mir angestelltes Experiment beweisen. Es handelt sich gleich-
1 Ich habe weit häufiger Cyprinen mit mehr als einem Wurm gefunden
als V. Kennel. Dieser beobachtete bei etwa 550 Muscheln sieben Fälle = 1,3%,
ich bei 376 Muscheln sieben Fälle = 1,9%. Im Gegensatz hierzu steht die Angabe
von RiCHES [33] "in no case has more than one been found in a single Cyprina'".
2 Blanchard [19] schreibt allerdings, daß sich mitunter zwei oder drei
Malacobdellen in einer Muschel {Mya truncata) finden, und bald darauf in der-
selben Arbeit, daß er die Malacobdellen immer geschlechtsreif gefunden habe.
Nach dem bisher Bekannten halte ich es für sehr unwahrscheinlich, daß Blan-
chard mehr als ein geschlechts reifes Tier in einer Muschel beobach-
tete. Die Bildung der Geschlechtsprodukte findet bei dieser Nemertine ja
schon sehr früh statt, Blanchard hatte also wohl stets solche Tiere vor sich,
bei denen er allerdings Geschlechtsprodukte erkennen konnte; diese waren aber
noch nicht reif.
Beiträge zur Keuutiiiti von Mvilacobdella grossa (Müll.). 677
zeitig lim einen Vorgang, den bisher noch niemand gesehen zu haben
scheint, nämlich den Gebrauch des stilettlosen Nemertinenrüssels als
Waffe. Schreibt doch Bürger [37] noch vor wenigen Jahren über
den »unbewaffneten« Eüssel: »"Wahrscheinlich wird auch der Rüssel
der Proto-, IMeso- und Heteronemertinen zum Angriff gebraucht und
der Stilettapparat durch die Masse von Rhabditen- und Nesselzellen
ersetzt«. Malacohdella ist allerdings eine Metanemertine, aber eine
von den wenigen, die des Stilettapparates entbehren.
Ich berichtete eben, daß ich einmal vier junge Malacobdellen in
einer Cyprinu beisammen fand. Zwei von ihnen maßen unausgestreckt
6 mm, eine 3 mm und die vierte 1,5 mm. Diese vier Tiere setzte ich
in ein mit Seewasser gefülltes kleineres Glasgefäß und beobachtete
nun folgendes: jedesmal, wenn beim lebhaften Umherwandern (die
Lebhaftigkeit der Bewegungen nimmt bei Malacohdella mit zunehmen-
dem Alter stark ab) ein Tier mit der Vorderseite des Kopfes auf das
angeheftete Hinterende eines andern Tieres traf, schnellte es seinen
Rüssel hervor, diesen in die Haut des Gegners scheinbar einbohrend.
Der Angreifer hatte nämlich Mühe, seinen Rüssel wieder loszubekommen,
so fest hafteten dessen Papillen an der Haut des angegriffenen Tieres.
Dieses ließ sofort die Glaswand, an der es sich festgesaugt hatte, los
und wand sich unter lebhaften Zuckungen hin und her, deutlich Schmerz-
empfindungen zeigend. Dies glaube ich daraus schließen zu dürfen,
daß sich diese Bewegungen durchaus von denen unterschieden,
die Malacohdella ausführt, wenn man sie (etwa mit einer Pinzette)
am festhaftenden Hinterende kräftig berührt. Auch wird ein so be-
unruhigtes Tier niemals seine Saugscheibe lösen. Nach kurzer Zeit
schien die Wirkung eines derartigen Angriffes aber überstanden zu
sein, und bei Gelegenheit wurde aus dem Angegriffenen ein Angreifer.
Ich ließ deshalb die vier Tiere über Nacht zusammen. Am andern
Morgen waren alle tot. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die
Würmer an den Folgen der gegenseitigen Attacken mit dem, giftiges
Drüsensecret absondernden Rüssel eingegangen sind, da ich die Mala-
cobdellen stets tagelang in Seewasser lebend halten konnte, ältere Tiere,
namentlich Weibchen, mitunter sogar 8 — 14 Tage^. Riches [33] be-
richtet sogar, daß er eine Malacohdella in einem Glasgefäß über drei
Monate lebend gehalten hat.
1 Innerhalb der lebenden Cyprinen konnte ich die Malacobdellen im Aqua-
rium über ein halbes Jahr lang am Leben erhalten, auch wenn das Wasser lange
Zeit hindurch nicht erneuert wurde.
678 Gustaf Gering,
Rhynchocölomkörper.
Da es sich hier am ungezwungensten einfügt, möchte ich noch
ein Wort über den Inhalt der Rüssel scheide sagen, v. Kennel [29]
gibt an, daß das Rhynchocölom eine Flüssigkeit enthalte und fährt
fort, >>ob in dieser Flüssigkeit zellige Elemente vorkommen, weiß ich
nicht, ich habe dergleichen nie mit Sicherheit erkennen können <<.
Bürger [35] gibt jedoch schon an: >>Das Rhynchocölom führt freie
Zellkörper. << Auch ich fand sie stets, und zwar besonders zahlreich im
hinteren Ende der Rüsselscheide. Sie stellen unregelmäßig elliptische
Scheiben dar, deren größter Durchmesser 5,3 — 8,7 u beträgt. Ihr
Kern hat einen Durchmesser von 2,5 — 3,5 /.i. Sein Chromatin ist aber
nicht, wie es Bürger [37] für Carinella polymorfha angibt, auf die
Peripherie beschränkt, sondern überall im Innern verteilt.
Blutkörper.
Auch die von v. Kennel vergebens gesuchten Blutkörperchen
gelang es mir an besonders günstigen Präparaten aufzufinden. Sie
haben die Form runder, in der Mitte verdickter Scheiben von 7 — 8,7 /t
Durchmesser. Ihr mehr oder weniger peripher gelegener Kern ist kugelig
oder ellipsoidisch und hat einen Durchmesser von 3,5 u. Das Chromatin
durchzieht in einem feinen Netzwerk, in dem zahlreiche Brocken ein-
gelagert sind, den ganzen Kern. Nicht selten fand ich im Plasma
ein bis vier dunkle Körner von ungefähr 0,87 u Durchmesser, die sich
mit Hämatein blau gefärbt hatten wie das Chromatin des Kernes.
Es ist auffallend, daß Rhynchocölom- und Blutkörper bei Malacobdella
ungefähr die gleiche Größe haben, während sonst bei den Nemertinen
die letzteren >>im Vergleich zu den Rhynchocölomkörpern klein zu
nennen sind« [37].
d. Anheftungsstelle von Malacobdella in Cyprina.
Was die Stelle anbetrifft, an der sich Malacobdella in Cyprina
festsaugt, kann ich die Angaben v. Kennels im allgemeinen bestätigen.
In der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle wurde die Nemertine zwi-
schen Mantel und äußerem Kiemenblatt, an ersterem haftend, ge-
funden, in ganz seltenen Ausnahmen zwischen innerem Kiemenblatt
und Eingeweidesack, an letzteren angeheftet. Zwischen den Kiemen-
blättern fand ich sehr selten Malacobdellen und dann waren es stets
ganz junge Tiere.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grosaa (Müll.). 679
IV. Das erwachsene Tier.
In den meisten Beschreibungen von Malacobdella grossa, auch
wenn sie noch so dürftig sind, treten uns Angaben über die Größe des
Tieres entgegen. Die sich in der Literatur findenden Zahlen sind aber
mit einer gewissen Vorsicht aufzunehmen. In den allermeisten Fällen
hat den Autoren nur eine geringe Zahl oder gar nur ein Exemplar
vorgelegen, und häufig wurden die Messungen an konservierten Tieren
vorgenommen. So gewonnene Zahlen sind natürlich für die Bestim-
mung der Größe der Species nicht maßgebend, zumal gerade die Nemer-
tinen im fixierten Zustande häufig stark veränderte Formen zeigen.
Von einem einzigen Fundort stammendes Material kann aber, auch
wenn es reichlich ist, nicht unter allen Umständen als Grundlage für
Speciesdiagnosen genügen, da örtliche Einflüsse der verschiedensten
Art sich geltend machen können. Gerade bei Malacobdella grossa war
es nun wohl nicht ganz glücklich, daß Bürger im »Tierreich« [38] die
Größenangaben zitiert, die v. Kennel ausdrücklich als nur auf Mala-
cobdella grossa aus dem Kieler Hafen bezüglich angibt. Denn im
Kieler Hafen und der westlichen Ostsee überhaupt ist bekanntlich
der Salzgehalt bedeutend geringer als in Atlantik und Nordsee. Trotz-
dem erhielt ich — unter andern sogar aus der Gegend von Warne-
münde, wo der Salzgehalt nur ganz selten über 20 pro Mille steigt —
Exemplare, welche die von v. Kennel beobachteten nicht unwesent-
lich an Größe übertrafen. In Atlantik und Nordsee wird Malacobdella
aber noch größer, wie die Angaben v. Kennels [29], Verrills [26]
und Hesses [24]i zeigen. Die im »Tierreich« gegebenen Zahlen sind
also wohl zu niedrig gegriffen, Malacobdellen von 30 — 40 mm Länge
und 15 — 20 mm Breite (kontrahiert gemessen) gehören vielmehr durch-
aus nicht zu den Seltenheiten.
V. Entwicklung und Form der Geschlechtsprodukte,
a. Die weiblichen Geschlechtsprodukte.
Bürger [35 u. 37] unterscheidet zwei Typen der Entwicklung der
weiblichen Geschlechtsprodukte bei den Nemertinen und teilt dem-
entsprechend die Nemertinen in zwei Gruppen ein. Bei der einen
1 JoTJBiN [34] befindet sich in einem Irrtum, wenn er angibt, Hesse habe
eine 10 cm lange Malacobdella beschrieben. Dieser Autor gibt vielmehr aus-
drücklich an, daß sein Tier 5 cm lang und 2 cm breit war. Joubin hat vielleicht
geglaubt, das von Hesse gegebene vergrößerte Habitusbild stelle das Tier in
natürlicher Größe dar.
680 Gustaf Gering,
Gruppe, für die Bükger Carinella als Beispiel wählt, »entwickeln sich
die Geschlechtssäcke erst mit den Geschlechtsprodukten, sie sind aber
niemals vor ihnen da«. . . . >>Bei der zweiten Entwicklungsweise«, die
Bürger an Drepanophorus schildert, »sind die Geschlechtssäcke das
Primäre. «
Bei Carinella entstehen nach Bürger [37] die Geschlechtsprodukte
aus Zellen des völlig soliden Körperparenchyms am Grunde der radialen
Muskelzüge und stellen hier Häufchen von Kernen dar, die ein Hof
feinkörnigen Plasmas umgibt. Im Laufe des Wachstums dieser Zellen,
das anfänglich hauptsächlich an Kern und Kernkörperchen wahr-
nehmbar ist, bildet sich um den Zellhaufen eine feine Membran. Aus
einem Teil der Zellen, besonders aus den nach außen gelegenen, bildet
sich ein Plattenepithel als Wandbelag der Gonade, die in der Tiefe
gelegenen Zellen wachsen mächtig heran und werden zu Eiern, die
zunächst mit der Gonaden wand in Verbindung bleiben, dann immer
mehr ihre definitive Form erhalten und sich schließlich, einander gegen-
seitig bedrängend, abplatten. Der Zellsack dehnt sich durch einen
schmalen Gang nach außen hin aus, und dieser feine Kanal gewinnt
schließlich mit Hilfe einer entgegenkommenden Hautepitheleinstül-
pung eine Kommunikation mit der Außenwelt.
Nach dieser, hier in extenso gegebenen Schilderung fährt Bürger
unmittelbar fort: »Die geschilderte Bildungsweise der weiblichen Ge-
schlechtsprodukte vollzieht sich ebenso z. B. bei Malacobdella, was früher
V. Kennel anschaulich geschildert und wovon ich mich auch selbst
überzeugt habe. Bei Malacobdella tritt bald ein Lumen im jungen
Ovarium auf, dessen Epithel zurückgebliebene Eichen bilden, und in
das die heranwachsenden als langgestielte Birnen hineinragen.« Trotz
der Hinzufügung dieses letzten Satzes ist das nicht ganz richtig. Bür-
ger hat vorher die bei Carinella vorliegenden Verhältnisse schon so
eingehend geschildert, daß sie nicht mehr in dieser Weise verallgemeinert
und wenigstens für Malacobdella nicht als gültig hingestellt werden
können. Dies zeigt schon die Darstellung, die v. Kennel [29] von
der Entwicklung der weiblichen Geschlechtsprodukte bei Malacobdella
gibti. Ich muß es mir aus Raummangel versagen, hier auf v. Kennels
Schilderung der Ovogenese bei Malacobdella einzugehen, da ich den
ganzen Passus dieses Forschers wörtlich zitieren müßte.
Im allgemeinen kann ich die Befunde v. Kennels bestätigen, wo
1 Auf die wenigen ungenauen Angaben ' Hoffmanns [28] und seine ganz
falsche Vorstellungen erweckende Fig. 17 brauche ich nicht einzugehen, da sie
schon durch v. Kesnels Untersuchungen berichtigt und überholt sind.
Beiträge zur Kenntnis von Mallacobdella grossa (Müll.). 681
ich auf Grund meiner Untersuchungen zu andern Ergebnissen ge-
kommen bin, werde ich dies in der weiter unten folgenden zusammen-
hängenden Darlegung meiner Beobachtungen ausdrücklich erwähnen.
Bevor ich aber hierzu übergehe, muß ich noch auf die Ovogenese bei
einigen andern Nemertinen eingehen, da in den dabei in Betracht kom-
menden Arbeiten auch auf die Ernährung der Eizelle eingegangen wird.
Es handelt sich hier um folgende Arten:
1) Prostoma^ {Stichostemma) graecense (Böhmig), ''
2) Prostoma {Stichostemma) eühardi (Montg.),
3) Prostoma { Stichostemma) {asensoriatum [Montg.]!)^,
4) Geonemertes chalicofhora Graff,
5) Geonemertes agricola (Will.-Suhm),
6) Prosorhochmus (Monopora) viviparus (Ulj.),
7) Cerebratulus lacteus (Leidy).
Von diesen Arten sind 1, 2, 3 und 5 hermaphroditisch, die andern
getrennten Geschlechts, 5 und 6 sind vivipar.
Bei Prostoma graecense verläuft die Ovogenese nach Böhmig [40]
(ich fasse die Befunde dieses Forschers ganz kurz zusammen) in fol-
gender Weise: In der jungen Gonade lassen sich außer Spermatogonien
Ovogonien und Dotterzellen unterscheiden. Die Ovogonien sind groß,
plasmareich und haben einen großen Nucleus mit oft maulbeerförmigem
Nucleolus, die Dotterzellen sind größer als die Keimlagerzellen (die
dorsal auf den Seitenstämmen liegen) und haben eine unregelmäßige
Gestalt und ein stärker färbbares Cytoplasma. Die Dotterzellen liefern
auch das Gonadenepithel. Das Cytoplasma der jungen Ovogonie ist
sehr feinkörnig und mäßig stark tingierbar. Mit dem Wachstum der
Zelle wächst auch der Nucleolus. Er zerteilt sich dann in zwei oder
mehr Stücke. Die Teilprodukte bleiben meist vorläufig durch Fäden
eng untereinander verbunden. Schließlich ist eine große Zahl kugeliger
Körper in ein oder zwei Haufen vorhanden. Diese Körper trennen
sich dann, wandern nach der Kernperipherie, bilden hier eine einfache
Schicht unter der Kernmembran und vergrößern sich, meist durch
Quellung. In größeren Ovogonien ist das Cytoplasma grobkörniger
und stärker tingierbar. Früher oder später tritt die Dotterbildung
ein. Das Plasma der Ovogonie ist dann fein vacuolisiert. In und an
diesen Vacuolen liegen etwas größere, aber noch recht feine Körnchen,
1 Ich folge der Nomenklatur Bürgers im »Tierreich« [38] und füge nur
in dieser Aufzähhing den von dem betr. Autor benutzten Namen in Klam-
mern bei.
2 Der Autor, Child, schreibt "probably S. asensoriatnm Montg."
682 Gustaf Gering,
aus denen die 2,56 — 3,2 /.i großen Dotterkörner (Dotterschollen) sich
bilden. Diese sind später so zahlreich, daß nur noch dünne Stränge
der plasmatischen Substanz und an der Peripherie eine schmale dotter-
freie Zone übrig bleiben. Außerdem liefern die Dotterzellen Dotter-
substanz. Sie sind in jeder Ovocyte in großer Zahl vorhanden, sind
mit Nucleus und Nucleolus ausgestattet, gruppieren sich allmählich
um die Ovogonie und wachsen bis zu einer Größe von 6,4//. Das
Cytoplasma der Dotterzellen wird immer grobkörniger, intensiver färb-
bar, und Deutoplasmakörner treten in ihm ebenso auf wie in den Ovo-
gonien. Sind die Dotterzellen mit Dotter angefüllt, so wird der Kern
resorbiert, Dotterzellen und Ovogonie treten miteinander in Berührung,
die Randpartien verschmelzen, und schließlich werden die .Dotterzellen
ganz in die Ovogonie aufgenommen. Am Ende der Entwicklung ist
in jeder Gonade nur eine, mit Dotterhaut versehene Eizelle vorhanden.
Über die Ovogenese bei Prostoma eilhardi bringt Montgomery jun.
[52] nur folgendes: Das Chromatin des Kernes der jungen Eizelle ist
anfangs central angehäuft und wandert dann an die Kernperipherie.
Dort stellt es Kugeln dar, die später zu größeren verschmelzen. In
diesem Stadium tritt die Dotterbildung ein. Im Plasma um den Eikern
herum treten zuerst wenige rundliche karminophile Ballen auf, diese
vermehren sich und schließen den Eikern zuletzt ganz ein. In diesem
Stadium ist das Ei bereits vom Keimepithel losgelöst und der Kern
beträchtlich angewachsen. Dann tritt innere und äußere Eimembran
(Dottermembran und C'horion) auf, und das inzwischen ausgewachsene
Ei zeigt (nach Montgomerys Fig. 41 auf Taf. IX) innerhalb seiner
Hüllen ein gleichmäßiges körniges Deutoplasma und in diesem das
Keimbläschen, an dessen Peripherie spärlich größere Chromatin-
kugeln liegen.
Ganz anders verläuft die Ovogenese nach Child [41] bei der von
ihm beobachteten Prostorna, die er für Prostoma asensoriatum hält.
Nach den Angaben dieses Autors ist man sogar geneigt, diese Nemer-
tine eher zu denjenigen zu rechnen, bei denen die Eibildung nach
dem Typus Drejoanophorus verläuft. Hier soll nämlich die Gonade
aus einem Follikel bestehen, dessen Wand das Keimlager bildet, von
welchem aus die meist nur in Einzahl sich bildende Eizelle in das Lumen
der Gonade sich vorwölbt. Dotterkugeln entstehen sowohl innerhalb
der Oocyte als auch im Protoplasma um den Eistiel herum. Der größte
Teil des Keimplasmas geht scheinbar in die Oocyte über. Das wach-
sende Ei umgibt sich mit einer Membran und reißt erst sehr spät von
seinem Stiel ab.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.). 683
Über die folgende Art, Geonemertes chalicophora , kann ich mich
kurz fassen. Bei Böhmig [40] finde ich folgende Angaben über die
Eibildung: Die Bildung der Ovarien geht von Zellanhäufungen im
Parenchym dorsal von den Seitenstämmen aus. Die größeren dieser
Zellen stellen junge Ovogonien dar, haben »ein scharf ausgeprägtes,
intensiv tingierbares Kerngerüst und ein ansehnliches Kernkörperchen <<.
Die kleineren Zellen behalten ihren mesenchymatösen Charakter. In
den Ovogonien wachsen die Kerne und die Kernkörperchen rasch.
Einige Ovogonien und eine größere Zahl indifferenter (mesenchyma-
töser) Zellen löst sich vom Keimlager ab, worauf die letzteren zum Teil
zur Bildung der Gonadenhülle verwandt werden, zum Teil sich in
Dotterzellen umwandeln. Nur eine Ovogonie gelangt zur vollen Aus-
bildung, die übrigen werden von ihr resorbiert. Die Veränderungen
im Kern sind im wesentlichen dieselben wie die von Böhmig für Pro-
stofna graecense beschriebenen (vgl. oben). Die Bildung der Dotter-
substanz im Cytoplasma der Ovocyten, sowie die Veränderungen,
welche sich an den Dotterzellen abspielen, sind die gleichen wie bei
Prostoma graecense. Die Bildung einer Dottermembran oder eines
Chorions wurde von Böhmig nicht beobachtet.
Auch bei Geonemertes agricola nimmt nach Coe [43] die Gonade
ihren Ursprung aus einem unmittelbar über den Seitenstämmen im
Parenchym gelegenen Zellhaufen. Diese Zellen sind zunächst alle
einander gleich, bald aber lassen sich drei Arten unterscheiden, Eizellen,
Dotterzellen und Follikelzellen. Letztere bilden das abgeplattete Follikel- ^
epithel. Die Dotterzellen sind vermutlich Abortiveier, füllen sich mit
Dotterkörnern und werden scheinbar ganz (also auch Kern und Cyto-
plasma) von dem einzigen Ei absorbiert, das schließlich nach Rück-
bildung der andern, anfänglich angelegten Eizellen übrig bleibt. End-
lich reißt der Eistiel ab und das Ei liegt frei im Ovar, umhüllt mit
einer feinen Membran von Follikelzellen und angefüllt mit Dotter-
kugeln verschiedener Größe (höchstens 0,013 mm im Durchmesser).
Ich habe jetzt nur noch auf zwei Nemertinen einzugehen, von denen
die eine, Prosorhochmus viviparus, wie alle vorigen zur Ordnung der
Metanemertinen gehört. Diese ProsorJiochmus- Art wurde von Sa-
LENSKY [53] unter dem Namen Monopora vivipara eingehend be-
schrieben. Die Angaben des genannten Autors über diese Nemertine
sind, kurz zusammengefaßt, folgende: Oben auf den Seitenstämmen
tritt eine kleine Zellanhäufung von zunächst drei, dann mehr Zellen
auf. Bald lassen sich hier zwei Arten von Zellen unterscheiden. Die
eine Art bleibt klein und bildet in Zukunft ein hohes einschichtiges
684 Gustaf Gering,
Cylinderepithel der Gonade, die andre Art wächst stark, ihr Kern
wird bläschenförmig und Nucleolen treten in diesem auf; dies sind
junge Eizellen. Die am Grunde des bauchigen Teiles der später flaschen-
förmigen Gonade liegende Eizelle wächst am raschesten und wird
schließlich die einzige definitive Eizelle der Gonade, die übrigen wachsen
nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt, wölben auch wohl, zwischen
den Epithelzellen liegend, dieses etwas vor, degenerieren dann aber,
sind also Abortiveier. Mit zunehmendem Wachstum des Ovars wächst
der sich bildende Ausführgang dem Körperepithel zu, es tritt eine
Spalte im Ovar auf, die sich zu einem Lumen entwickelt, und der Aus-
führgang erstreckt sich weiter, wahrscheinlich durch die Flüssigkeit,
die sich dort ansammelt. Die große Eizelle bleibt zunächst der Wand
der Gonade, die hier ein niedriges Epithel besitzt, ganz angeschmiegt.
Das Protoplasma der Eizelle ist feinkörnig, der bläschenförmige Kern
mit Nucleoplasma und Nucleolus ausgestattet. Später löst sich die
Eizelle ab; sie ist (nach Salenskys Figuren) anfänglich unregelmäßig
kugelig, aber keinesfalls birnf örmig, und im Keimbläschen liegen mehrere,
aber nicht sehr zahlreiche Nucleolen der Peripherie genähert.
Cerebratulus lacfeus, die letzte Nemertine, auf deren Ovogenese ich
einen kurzen Blick werfen muß, steht nicht nur im System weit von
den bisher behandelten entfernt, es verläuft bei dieser Art die Aus-
bildung der weiblichen Geschlechtsprodukte auch durchaus nicht nach
dem Typus Carinella, sondern nach dem Typus Drepa7io'pliorus. Wenn
ich trotzdem auf diese Heteronemertine eingehe, so geschieht es des-
halb, weil CoE [42] hinsichtlich der Ovogenese dieser Form Verhält-
nisse beschreibt, die, wie sich erweisen wird, eine auffallende Ähnlich-
keit zeigen mit einigen meiner an Malacobdella grossa gemachten Be-
obachtungen.
Die Eier entstehen bei Cerebratulus lacteus an der Wand des primär
vorhandenen Geschlechtssackes und bilden bald gestielte Birnen, die
sich schließlich von ihrer Unterlage, der Bindegewebshülle der Gonade,
loslösen. "Interspersed among the ova and scattered through the jelly
which fills the central cavity are small spherical highly pigmented
bodies, granulär in structure. These are probably the same as those
described by Hubrecht i for Drepanophorus and Cerebratulus margi-
1 Ich habe in der betreffenden Arbeit Hubrechts [Report Challenger
Zool., Vol. XIX] vergebens nach einer diesbezüglichen Angabe gesucht. Cerebra-
tulus marginatus befand sich überhaupt nicht unter dem Challenger-Material. Auch
in verschiedenen andern Arbeiten Hubrechts konnte ich nichts finden, worauf
sich die Angabe Coes beziehen könnte.
\
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.). 685
natus, and like tlieni they disappear gradually as the ova ripen. Hence
they must contribute to the development of the egg, and undoubtedly
furnish the yolk material. There are also other cellsi, slightly smaller
and lighter in colour, but staining more deeply, which are scattered
all through the central cavity. From these comes the gelatine which
fills all the space not occupied by eggs."
Ich komme jetzt zur Ovogenese bei Malacobdella grossa und werde
zunächst den allgemeinen Verlauf dieses Prozesses in großen Zügen
darlegen, mich in einem zweiten Abschnitt mit dem Verhalten der
Nucleolen und der chromatischen Substanz in den sich bildenden Eiern
und in einem dritten mit der speziellen Ausbildung der Eier und ihrer
Ernährung zu beschäftigen haben.
Die Geschlechtsprodukte nehmen bei ' Malacobdella wie bei allen
Nemertinen, bei denen nicht primär Geschlechtssäcke auftreten, ihren
direkten Ursprung aus Bindegewebselementen. Es ist aber bemerkens-
wert, daß bei der vorliegenden Form durchaus keine Beziehung besteht
zwischen den Geschlechtsprodukten und den Lateralnerven. Es tritt
bei Malacobdella kein den Seitenstämmen aufgelagertes Keimlager auf,
wie bei Prostoma, Geonemertes und Prosorhochmus (vgl. S. 679 — 681).
V. Kennel faßt die Geschlechtsprodukte von Malacobdella als »Tei-
lungsprodukte großer protoplasmareicher Parenchymzellen « auf und
glaubt dies dadurch beweisen zu können, daß diese mit der Bildung
der Gonadenanlagen an Zahl abnehmen und sich besonders zahlreich
im hinteren Ende des Körpers der jungen Tiere finden, wo später
massenhaft Geschlechtsprodukte entstehen. Ich habe diese »proto-
plasmareichen Zellen« allerdings in der von v. Kennel beschriebenen
Form und Lage auch gefunden, glaube aber auf Grund meiner an
vielen Hunderten von Querschnitten durch junge Malacobdellen an-
gestellten Untersuchungen einen direkten genetischen Zusammen-
hang zwischen diesen Zellen und den Geschlechtsprodukten in Abrede
stellen zu müssen. Meine Gründe hierfür sind folgende. Ich habe
niemals Übergangsstadien zwischen derartigen Parenchymzellen und
den Zellkomplexen, die sich deutlich als zukünftige Gonaden repräsen-
tieren, gefunden^, die Zellen der jungen Gonadenanlagen sind stets
protoplasmaarm, wo sie neben den »protoplasmareichen Zellen«, auf-
treten, unterscheiden sie sich scharf von diesen, besonders aber der
1 CoE nennt sie" glycerine cells".
2 Auch V. Kennel scheint dieses sicherste Beweisstück für seine Annahme
zu fehlen, da er es sonst doch nicht unterlassen haben würde, ausdrücklich darauf
hinzuweisen.
Zeitschrift f. wi-:sensch. Zoologie. XCVII. Bd. 45
686 C4ustav Gering,
Reichtum des Hinterendes der jungen Malacohdella an derartigen
»protoplasmareichen Zellen« scheint mir nicht in der geschehenen
Weise gedeutet werden zu dürfen. Dieser Körperteil trägt bei jugend-
lichen Tieren durchaus einen embryonalen Charakter, entsprechend dem
Verlaufe der Entwicklung des Tieres und dem Umstände, daß zur
definitiven Ausbildung hier noch das stärkste Wachstum nötig ist.
Trotzdem setzt auch im Hinterende die Bildung von Geschlechtspro-
dukten schon sehr früh ein, unabhängig von den »protoplasmareichen
Zellen« des Parenchyms.
Die ersten Anzeichen dieses Vorganges machen sich dadurch
geltend, daß man im Parenchym^ hier und dort ein Häufchen von
zunächst wenigen, bald aber schon zahlreichen Kernen trifft, deren
Chromatin und Nucleolus peripher gelagert ist. Es tritt an diesen
Stellen eine starke Zellvermehrung ein, und nicht selten hat man den
Eindruck, als ob die Vermehrung der Kerne rascher vor sich ginge
als die der Zellen, so dicht und zahlreich liegen erstere, und Zellgrenzen
sind zwischen ihnen nicht immer zu unterscheiden. Nur selten be-
merkt man um den einen oder andern dieser Kerne eine Anhäufung
dunkler tingierten Plasmas, einen solchen Plasmamantel, wie ihn
V. Kennel in seiner Fig. 1, Taf. XVIII zeichnet und wie er von Büe-
GER [37] für Carinella als ein »Hof von feinkörnigem Plasma« beschrie-
ben wird, habe ich nie beobachtet. Bemerkenswert ist auch, daß
V. Kennel schon in seiner Fig. 2 derselben Tafel nur die Kerne zeichnet,
aber weder Protoplasma noch Zellgrenzen. Letztere sind aber stets
zu sehen, wenn sich auch nicht immer für jeden Kern eine Zelle nach-
weisen läßt. Anfänglich unterscheiden sich diese Kerne in keiner Weise
von denen des umliegenden Bindegewebes, bald aber macht sich eine
deutliche Differenzierung bemerkbar, indem die peripher gelagerten
Kerne des Zellhäufchens — die Wände seiner Zellen rufen das Bild
einer unregelmäßig polyedrischen Felderung hervor — stärker wachsen.
Es macht sich dies einmal dadurch bemerkbar, daß sie bald einen
Durchmesser von 5,2 u erreicht haben, während die central gelegenen
Kerne wie alle übrigen Bindegewebszellkerne nur etwa 3,5 /« messen,
außerdem sind aber auch die Chromatinbrocken in den peripheren
Kernen größer geworden (allerdings nicht im Verhältnis zum Wachstum
des Kernes, so daß diese bei schwacher Vergrößerung jetzt heller er-
scheinen als die kleinen Kerne) und der Nucleolus hat einen Durch-
messer von 1 — 1,4// erreicht. Alle Kerne des Zellhäufchens sind mehr
1 Alle Parenchymzellen besitzen bei Malacobdella einen Nucleolus.
Beiträgo zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.). 687
oder weniger kugelig und zeigen nie eine so gestreckte Form, wie sie
bei den Bindegewebszellkernen nicht selten zur Beobachtung gelangt.
Sehr früh werden diese Zellhäufchen von dem umliegenden Binde-
gewebe auch äußerlich schärfer getrennt; die Bindegewebsfasern ord-
nen sich allmählich bogenförmig um das Häufchen an, und es entsteht
im weiteren Verlauf der Entwicklung eine immer dickere Bindegewebs-
hülle, die später durch Muskelfasern wesentlich verstärkt wird. Sch(m
bedeutend zeitiger, als es nach v. Kennels Schilderung den Anschein
hat, tritt in der jungen Gonade ein Lumen auf. indem die in der Mitte
gelagerten Zellen auseinander weichen.
In einem älteren Stadium läßt sich an der Gonade deutlich ein
dorsales und ventrales Ende unterscheiden, ersteres ist verjüngt, letzteres
bauchig erweitert. Es kommt aber weder jetzt noch später zur Aus-
bildung eines Ausführganges, vielmehr hat die junge Gonade stets die
Gestalt eines schlanken Eies. Die größeren Kerne liegen jetzt am
ventralen Ende und sind bedeutend zahlreicher geworden, hier ent-
stehen also zuerst Eier. Allmählich schreitet die Bildung von Eiern
dorsal wärts fort, so daß man nicht selten in einer Gonade eine hübsche
Serie von Entwicklungsstadien beobachten kann. Ein >>Nachschub
neuer Zellen an Stelle der zu Eiern umgewandelten« ventralwärts,wie
v. Kennel vermutet, scheint mir nicht stattzufinden. Mit zunehmen-
dem Wachstum des Tieres werden die Gonaden immer zahlreicher,
man findet in einem Schnitt immer mehr nebeneinander, später sogar
zwei bis drei untereinander, und ein Querschnitt durch das hintere
Körperdrittel einer geschlechtsreifen weiblichen MalacohdeUa gewährt
schließlich folgendes Bild. Die
größte Entfernung der dorsalen von
der ventralen Körperfläche beträgt
nicht viel mehr als ein Drittel der
Entfernung der beiden Seitenrän-
der voneinander. Innerhalb von , , . . ^.. . ... ,
Querschnitt aus dem letzten Korperdnttel von
Cutis und Muskelschichten lassen Malacobdella Q . Es sind nur Dann, Rüssel,
sich drei annähernd gleich große Seitennerven und die Lumina der Ovarien ein-
- ' _ getragen. 5 x .
Bezirke unterscheiden. Der mitt-
lere ist der Bezirk des Darmes. Dieser ist von den Ovarien ganz
zusammengedrängt und infolgedessen so stark gewunden, daß er
in einem Schnitt zwei- bis dreimal getroffen werden kann. Die
seitlichen Bezirke sind die der Ovarien. Sie sind so zahlreich ge-
worden (ich zählte zuweilen in einem Schnitt über 30 Ovarien
links und rechts zvisammen) und liegen so dicht gedrängt, daß zwischen
45*
688 Gustaf Gering,
ihnen nur noch die zugehörigen Bindegewebs- und Muskelfibrillen Platz
haben, die nur eine dünne Wand zwischen den Säcken bilden. Das
eigentliche Körperparenchym ist auf eine nicht allzu dicke Schicht auf
der Ventralseite des Tieres beschränkt. Die Form der Ovarien ist eine
sehr mannigfache, häufig sind sie unregelmäßig bohnen- oder eiförmig,
wobei das schlanke Ende bald dorsal- bald ventralwärts gerichtet ist.
Gegen die dorsale Körperwand hin zeigen sie eine breite, etwas ge-
wölbte Fläche und nur selten eine schärfere Spitze. Von einem Aus-
führgang kann auf keinen Fall die Rede sein, vielmehr reißt an der
Stelle, wo der Geschlechtssack schließlich am stärksten der Körperwand
genähert ist, die dann nur noch ganz dünne Gewebsschicht durch und
läßt die reifen Eier nach außen gelangen. Der Durchbruch findet stets
erst unmittelbar vor der Ablage der Eier statt, eine )> entgegenkommende
Hautepitheleinstülpung«, wie sie Bükger [37] für CarineUa beschreibt
und- wie sie nach diesem Autor bei allen Nemertinen von diesem Typus
(auch bei Malacobdella) eintreten soll, tritt hier nicht auf.
Was die chromatische Substanz und den Nacleolus der jungen
Ovocyten anbetrifft, so wurde schon oben bemerkt, daß die erste Ver-
änderung in einem Wachsen der Chromatinbrocken und des Nucleolusi
besteht. Dieser bleibt aber bald im Wachstum zurück, wenn er auch
bei Kernen von 8,7 f^i Durchmesser schon eine Größe von 1,7 /< erreichen
kann. Schon in Kernen von 5 — 6 ,*/ Durchmesser trifft man oft zwei
Nucleolen an. Ihre Lage zueinander ist sehr wechselnd, häufig aber
liegen sie weit voneinander entfernt. Ob sie durch Teilung des ursprüng-
lichen entstanden sind, kann ich nicht sagen; jedenfalls habe ich nie-
mals einen derartigen Prozeß beobachtet. Die Vermutung v. Kennels,
daß das Auftreten zweier Nucleolen auf eine bevorstehende Zellteilung
hinweise, kann ich nicht teilen. Die weitere Entwicklung des Keim-
bläschens spricht dagegen, und auch die von Montgomery jun. [60] ^
an andern Nemertinen diesbezüglich gemachten Beobachtungen stützen
meine Auffassung. Mit dem zunehmenden Wachstum der Kerne geht
nämlich eine Vermehrung der Nucleolen einher, während das Chromatin
wie vorher in dem chromatischen Netzwerk in Brocken suspendiert
1 Bei Malacobdella nehmen die Nucleolen bei den verschiedensten Doppel-
färbungen stets den Kernfarbstoff an, was die Annahme eines extranucleären
Ursprunges, wie ihn Montgomery jun. [60] und andre allgemein für die Nucleolen
annehmen, erschwert.
2 Als dieser Aufsatz in meine Hände kam, war die vorliegende Arbeit zum
größten Teil schon abgeschlossen. Ich konnte daher in den folgenden Ausfüh-
rungen nur an geeigneten Stellen nachträglich noch kurz darauf Bezug nehmen.
BiMti-äiZr /MV Kennt iiis \ mi Malacululclla «jrossa (Müll.). (')S<)
ist. In Kernen vt)n lU — 11 n JJurchnics.ser kann man schon vier bis
sieben Nucleolen beobachten, in solchen von Ki // Durchmesser schon
20 und mehr. Ihre Gi'öße sdiwankt zwischen (t.(S und 1,7 u, wobei
aUe Größen in dem »gleichen Kern vertreten sein können. Im \'er-
laufe dieses Prozesses verschwinden alhnäldich an dem Chromatin-
lierüst die größeren Brocken, bis schließlich den yanzeii Kern nur ein
feines Netzwerk durchzieht, in dem die zahlreichen, mit Hämatein
stark dunkelblau tingierten, homogenen kugeligen Nucleolen überall
verteilt liegen. Zeitweilig rücken die Nucleolen im Verlauf der Ent-
wicklung des Eies wohl mehr an die Peripherie des Kernes, doch ist
dies in früheren Stadien keineswegs eine reüelmäßise Erscheinuno'.
Häufiger beobachtet man, daß ein Teil der Nucleolen zu einem, seltener
zwei größeren Haufen zusammengedrängt liegt. Montgomery jun. [()()]
fand auch derartige Nucleolenanhäufungen im Keimbläschen des Eies
von Amphiponis glutinosus. Niemals aber sah ich die Komponenten
dieser Haufen durch Chromatinfäden verbunden, wie es Böhmig [40]
für Prostoma und Geoneniertes beschreibt. Nicht allzu selten trifft man
allerdings auch Kerne an, die bereits einen Durchmesser voii 10 n und
mehr erreicht haben, ohne daß es zur Nucleolenvermehrung gekommen
wäre. In solchen Fällen sind das Chromatingerüst und die darin ver-
streuten Chromatin brocken entsprechend kräftiger geworden. Da in
den größeren Eikernen stets die typischen Nucleolen angetroffen werden,
darf man wohl annehmen, daß hier die Nucleolenvermehrung nur ver-
zögert ist, um dann desto rascher vor sich zu gehen.
Wenn die Eier schon eine beträchtliche Größe erlangt, ja zuweilen
selbst dann noch, wenn sie sich vom Gonadenepithel bereits losgelöst
haben, sieht man die Nucleolen in großen Mengen durch den ganzen
Kern verstreut. Dann tritt aber, zuweilen vielleicht auch schon
früher, eine Verminderung der Nucleolenzahl ein; kleinere verschmel-
zen zu zweien oder dreien zu einem größeren, wahrscheinlich hat
auch eine Auflösung einiger Nucleolen statt. Letzteres glaube ich dar-
aus schließen zu dürfen, daß ich bisweilen in einzelnen Nucleolen Va-
cuolen beobachtete, die manchmal schon so groß geworden waren, daß
die gänzliche Auflösung dieses Nucleolus nahe bevorzustehen schien.
Vereinigung und Auflösung von Nucleolen beschreibt auch Mont-
GOMERY jun. [52] für Prostoma und später [60] noch für verschiedene
andre Nemertinen. Mit der Verminderung der Zahl der Nucleolen,
die aber nicht so weit geht wie bei Prostoma eilhardi, geht ihre Ver-
lagerung an die Peripherie des Kernes einher, so daß man in zur Ablage
reifen Eiern nur eine beschränkte Zahl von Nucleolen findet, die sämtlich
690 Gustaf Gering,
an der Peripherie des Keimbläschens liegen. Dies scheint überhaupt
ein bei Nemertineneiern recht häufig auftretendes Bild zu sein, es wird
nämlich außer für Prostoma eilhardi noch für Geonemertes chalicophora
[40], Prostoma ( Tetrastemm^) vermiculus [49], P. catenulatum [60], Dre-
'panophorus spectahilis [49], Amphiporus glutinosus [60], Prosorhochmus
viviparus [53] und Zygonemertes virescens [60] beschrieben. Das Keim-
bläschen ist kugelig oder mehr eiförmig und zeigt niemals Fortsätze,
die auf eine amöboide Bewegung schließen lassen, wie dies für ver-
schiedene Nemertinen angegeben wird [60]. Im Verlaufe meiner
Untersuchungen habe ich mich davon überzeugt, daß die Entwicklung
und das Verhalten der Nucleolen im Malacobdellenei andre sind, als
sie von Böhmig [40] für Prostoma graecense so ausführlich beschrieben
wurden, und daß Malacohdella auch mit keiner der von Montgomery
jun. [60] untersuchten Nemertinen in diesem Punkt übereinstimmt.
Um die bei Malacobdella vorliegenden Verhältnisse im einzelnen kennen
zu lernen, bedürfte es aber noch spezieller eingehender Studien, die ich
aus Mangel an Zeit leider noch nicht ausführen konnte.
Es sei noch erwähnt, daß ich zuweilen im Kern ziemlich weit aus-
gebildeter Eier feine Fäden fand, die in größeren oder kleineren Ab-
ständen mit dunklen Körnchen besetzt sind. Diese Körnchen sind
bedeutend kleiner als die Nucleolen und auch wegen ihrer Form nicht
mit diesen zu identifizieren. Stellenweise beobachtete ich eine An-
häufung solcher Körnchen, ob sie aber die Folge einer Aufknäuelung
des Fadens ist, konnte ich nicht deutlich erkennen. Diese Fäden zeigen
eine große Ähnlichkeit mit den Gebilden, die Böhmig [40] für Pro-
stoma graecense erwähnt und in seiner Fig. 42 abbildet. Dieser Autor
bemerkt darüber, daß sie »möglicherweise Anlagen von Chromosomen«
darstellen. Ob diese Vermutung berechtigt ist, wage ich nicht zu ent-
scheiden; die definitive Ausbildung der Chromosomen findet bei Mala-
cohdella auf jeden Fall erst in den abgelegten Eiern statt. Aber auch
Montgomery jun. [60] beschreibt derartige >>Chromatinfäden<< für das
Ovarialei von Prostoma catenulatum und das von Prostoma eilhardi.
Ich komme nunmehr zur Ausbildung der Eier im speziellen und
zur Dotterbildung. Dazu muß ich zu einem sehr frühen Stadium
zurückkehren. Ich hatte oben dargetan (S. 687), wie in der jungen
Gonade ein Lumen auftritt und am ventralen Ende des Geschlechts-
sackes die Zellkerne rascher wachsen. Durch das Auftreten mehrerer
Nucleolen und das allmähliche Verschwinden der Chromatinbrocken
erhalten die Kerne bald ein bläschenförmiges Aussehen und doku-
mentieren sich schon jetzt als junge Keimbläschen. Mit dem Größer-
Beiträge zur Kenntnis vim Malacohdella grossa (Müll.)- 691
werden des Kernes wächst natürlich auch der Zellleib, aber wesentlich
langsamer, so daß die jungen Eizellen in diesem Stadium einen un-
verhältnismäßig großen Kern haben, der zuweilen den basalen Teil
der Zelle fast ganz von dem übrigen Teil tiennt. Sie sitzen mit breiter
Basis der Bindegewebshülle der Gonade auf und wölben sich anfangs
mehr halbkugelig oder pai'aboloidisch oder in Form einer Granate
vor (Fig. 1). Schon in einem sehr frühen Stadium — der Kern ist
zuweilen kaum größer als die Bindegewebskerne — setzt eine Ab-
lagerung von ganz kleinen Dotterkörnern in der jungen Eizelle ein, und
zwar stets am peripheren, der Basis abgewandten Ende^. Hier sammelt
sich der Nahrungsdotter oberhalb des Kernes bald in solcher Menge
an, daß die mit Hämatein dunkelblau gefärbte Deutoplasmamasse das
Cytoplasma vollständig verdeckt. Ein gleiches berichtet Munson [61]
vom Ei von Limulus und MontC40MERY jun. [60] vom Ei von Zygo-
nemertes. In diesem Stadium und auch noch etwas später ist die Eizelle
von den nicht zu Eiern sich umbildenden Gonadenzellen eingeschlossen,
bald aber streckt sie sich, wird birnförmig und ragt frei in das Lumen
des Geschlechtssackes vor.
'■*'- An den Zellen der Gonade, die nicht zu Ovocyten werden, macht
sich etwas bemerkbar, das es verbietet, sie als indifferente oder als
Gonadenepithelzellen schlechtweg zu bezeichnen. Es kommt in diesen
Zellen nämlich gleichfalls zur Bildung von Deutoplasma. Dieser Dotter
scheint aber andrer Natur zu sein, als der eben für die Eizellen erwähnte.
Man sieht nämlich in den Gonadenzellen kugelige Dotterballen. Sic
sind anfangs nur klein, wachsen aber rasch heran, hauptsächlich schein-
bar in der Nachbarschaft junger Eier, und erreichen nicht selten einen
Durchmesser von 25/<, bisweilen sogar von 38 /< (Fig. 2). Sie setzen
sich aus feinen, unmeßbar kleinen Körnchen zusammen und zeigen
früh bläschenförmige Einlagerungen (Fig. 2, 3, 6). Diese Bläschen, die
sich mit Eosin gleichmäßig blaß rosa färben und homogen sind, treten
entweder in großer Menge auf und sind dann ganz klein, oder man
findet eine geringe Anzahl etwas größerer im Ballen verstreut, in andern
Fällen wieder nur eins oder wenige, die dann einen großen Teil der
Dotterkugel ausfüllen können, so daß zuweilen nur ein schmaler Rand
für die Dotterkörnchen übrig bleibt. In letzterem Falle pflegen die
Bläschen an einer Seite hart an der Peripherie des Ballens zu liegen.
1 Solche große Dotterballen, wie sie Montgomeby jun. [60] für Amphi-
porus glutinosus, Prostoma catenulatum und einige andre Nemertinen beschreibt,
treten innerhalb des Malacobdelleneies nicht auf. Woher die Dotterkörnchen
ihien Ursprung nehmen, vermag ich ebensowenig anzugeben wie Montgomery jun.
692 Gustaf Gering,
(Ganz ebenso strukturierte Dotterballen fand Montgomery jun. [60]
in den Eiern von Prostoma catenulatum, Amphiporus glutinosus und
Polydora.) Diese Dotterballen werden meist in enormer Menge pro-
duziert, liegen oft Zu mehreren von verschiedener Größe in einer Zelle
und können hier zu gröi3eren verschmelzen. Sie zeigen stets eine kugelige
Form, die nur durch die Zellwände bisweilen beeinträchtigt wird, und
drängen, falls sie sehr groß werden, den Kern dicht an die Wand der
Zelle.
Mit den Dotterballen ist aber der Inhalt dieser Gonadenzellen
meist noch nicht erschöpft. Man findet vielmehr häufig noch andre
CJebilde, die unbeeinflußt durch die angewandten Tinktionsmittel
(vgl. S. 694) stets bernsteinfarbig sind. Eine einzige Zelle kann einen
oder mehrere derartige Körper enthalten (Fig. 2, 4 — 7). Sie sind meist
unregelmäßig kugelig, doch kommen zuweilen auch andre Formen
vor, und sind aus stark lichtbrechenden Körnern verschiedener Größe
und Form zusammengesetzt. Daß diese Gebilde Kunstprodukte seien,
ist schon deshalb ausgeschlossen, weil ich sie in den verschiedenst
fixierten und gefärbten Präparaten regelmäßig beobachtete luid nur
in den Gonaden in solcher Menge auftreten sah. Ahnliche Körper scheint
auch Montgomery jun. [52] bei Prostoma eilhardi beobachtet zu haben.
Leider schreibt er darüber nur: >>ln den Gonaden kommen auf allen
diesen Stadien häufig körnige, unfärbbare, gelbliche Einschlüsse vor,
die auch im Körperparenchym, Gehirn, Rhynchocöloni und den Blut-
gefäßen zu finden sind; sie sollen in einem späteren Kapitel behandelt
werden«^. Diese kurze Notiz enthält nichts, was einer Identifizierung
der von Montgomery jun. und mir beobachteten Gebilde im Wege
stände. Anders verhält es sich mit den "glycerine cells", die Coe [42]
beschreibt. Diese sind nämlich stark färbbar, meine bernsteinfarbigen
Einschlüsse aber nicht, außerdem liegen erstere (nach Coes Fig. 65)
frei im Lumen des Ovars, letztere unzweifelhaft innerhalb der Zellen.
Über den Ursprung und die Schicksale dieser Zelleinschlüsse (es sind
nicht Zoochlorellen) vermag ich keine bestimmten Angaben zu machen,
eine Funktion wie die "glycerine cells" haben sie zweifellos nicht, da
ich niemals etwas beobachtete, das auf das Vorhandensein einer das
Lumen der Gonade ausfüllenden Flüssigkeit^, wie sie Salensky [53]
1 Ich habe in der zitierten Arbeit und verschiedenen andern desselben Autors
vergebHch nach weiteren Angaben über diese Gebilde gesucht und fand auch
keine diesbezügliche Abbildiing.
- Nach Bürger [35] soll eine solche Flüssigkeit allgciuein den Xenierlincn
xukonuuen.
Beiträge zur Kfimtnis von Malacobdella grossa (Müll.). 693
für Prosorhochmus beschreibt, oder Gelatine, wie sie Coe für Cerebra-
tulus angibt, schließen ließe.
Kehre ich nun zu den Eizellen zurück, so muß ich oleich bemerken,
daß ihre weitere Entwicklung ,sich jetzt nicht mehr trennen läßt von
den .soeben beschriebenen Gonadenzellen, denn diese treten zu den
Eizellen in eine Beziehung, die es nötig macht, sie als Nährzelleu zu
bezeichnen. Haben nämlich die Eier den sie umgebenden Zellbelag
durchbrochen und ragen sie dann als gestielte Birnen frei in das Lumen
des Ovars, so bemerkt man, wie sich die der Stielbasis benachbarten
Zellen strecken, schlank werden und sich am »Stiel des Eies in die Höhe
ziehen (Fig. 4 — 7). Ihr Kern rückt dabei meist in den oberen Teil der
Zelle. Die dem Eistiel anliegenden Zellwände werden dann aufgelöst,
und der Inhalt der Nährzellen fließt in das Ei über (Fig. 5—8). In
seltenen Fällen scheinen direkt Dotterkugeln in den Stiel des Eies
einzudringen, in der Regel aber lösen sie sich auf, und die so entstehende
feinkörnige Deutoplasmamasse wird dem Ei zugeführt. Der Zeitpunkt
der Aufnahme dieses Dotters ist für die einzelnen Eier verschieden
und hängt von der Ausbildung und Lage der Nährzellen ab. Während
dieses ganzen Vorganges macht sich die verschiedene chemische Be-
schaffenheit des innerhalb der Eizelle gebildeten Dotters und des von
den Nährzellen stammenden in augenfälliger Weise bemerkbar imd
ist auch in späteren Stadien, wenn das Ei schon am Ende seines AVachs-
tums ist, ja bisweilen noch an losgelösten Eiern sichtbar. Es lassen
sich nämlich an einer größeren Eibirne drei Bezirke unterscheiden,
die sich vor allem durch ihr Verhalten zu verschiedenen Farbstoffen
scharf gegeneinander absetzen. Der erste Bezirk ist der des von der
Eizelle produzierten Dotters. Er bildet eine Kappe von verschiedener
Mächtigkeit am bauchigen Teil der Birne und kann sich zuweilen als
ein düimer Mantel noch ein Stück nach dem Stiel zu hinabziehen. Der
zweite Bezirk ist der des von den Nährzellen gelieferten Dotters. Dieser
Bezirk umgibt das Keimbläschen, dessen Kontur wiederholend, sich
also in den ersten Bezirk nach oben vorwölbend, und füllt nach unten
zu einen großen Teil des Eistieles aus. Nur der centrale Teil des Stieles
bleibt frei und eine sich daran anschließende Zone, die am besten als
ein Trichter bezeichnet werden kann, auf dessen oberer weiter Öffnung
das Keimbläschen aufsitzt. Dieser Trichter und das centrale Rohr des
Stieles bilden den dritten Bezirk (Fig. 8 — 11). Auf diesen dritten Be-
zirk komme ich weiter unten zu sprechen. Eidotter und Nährzellen-
dotter unterscheiden sich, wie eben bemerkt, in verschiedener Hinsicht.
Ihr Verhalten zu Farbstoffen zeigt am besten die folgende Tabelle:
694
Gustaf Gering,
Angewandte Färbung
Farbe des Eidotters
Farbe des Nährzellendotters
Hämatein-Eosin
blau\'iolett
blaurot
Hämatein-Fuchsin säure
blau
rotviolett
Alaunkarmin-Eosin
blaßkirschrot
orange
Boraxkarmin - Pikrinsäure
kräftig rosa
blaß orange
Hämatein-Boraxkarmin
blauviolett
rotviolett
Hämatein- Pikrinsäure
violett
dunkelgelb bis urangeviolett
Hämatein-Pikrinsäure-Fuclisinsäure
violett
hellrotviolett
Bleu de Lyon-Boraxkarmin
karminrot
blau grau
Diese Zusammenstelhmo; zeigt deutlich, daß der Eidotter vor-
nehmlich durch Kernfarbstoffe imbibiert wird, während der Nähr-
zellendotter Plasmafarbstoffe bevorzugt i. Ein weiterer Unterschied
ist der, daß der aus den Nährzellen stammende Dotter etwas feiner
gekörnelt ist und meist, wie die Dotterballen, aus denen er hervorgeht,
zahlreiche Bläschen von verschiedener Größe enthält. Bisweilen sieht
man noch im Stiel eines Eies eine der großen Blasen, wie sie oben für
die Dotterballen beschrieben wurden (Fig. 4). Ob die bernsteinfarbigen
Einschlüsse gleichfalls dem Ei als Nahrungsbestandteile zugeführt
werden, vermag ich nicht mit Sicherheit anzugeben. Ich habe in den
Eiern niemals etwas gefunden, das diesen Gebilden ähnlich sähe. Nach
der ganzen Art, wie sich der Prozeß der Aufnahme des Nährzellen-
dotters abspielt, ist aber wohl anzunehmen, daß die bernsteinfarbigen
Einschlüsse — vermutlich in aufgelöstem Zustande — gleichfalls ins
Ei gelangen. Das gleiche glaube ich für die Kerne der Nährzellen
annehmen zu müssen, denn zuweilen haben sie eine gestreckte und
etwas unregelmäßige Form angenommen und scheinen auch wohl ein-
mal etwas gequollen zu sein (Fig. 7). Besonders aber scheint mir der
Umstand dafür zu sprechen, daß man später an dem aus den ausge-
sogenen Nährzellen (wenn ich mich so ausdrücken darf) zusammen-
gesetzten Stiel keine Kerne mehr wahrnehmen kann 2. Wenn nämlich
aller Dotter aus den Nährzellen in das Ei aufgenommen ist, tritt ge-
wissermaßen ein Kollabieren ihrer äußeren Zellwände ein; man kann
diesen Vorgang wohl am besten mit dem Zuziehen eines an der Öffnung
init Zugschnüren versehenen Beutels vergleichen, das Ei stellt dann
also einen solchen an der Mündung eingezogenen Beutel dar, dessen
1 Daß V. Kennel diese Verschiedenheit im Dotter der Eibirnen nicht be-
obachtet hat, erklärt sich wohl daraus, daß er keine Doppelfärbungen angewandt
zu haben scheint.
3 Bei Geonemertes agricola soll nach Coe [4.3] gleichfalls auch der Kern der
Dotterzellen aller Wahrscheinlichkeit nach ins Ei aufgenommen werden.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.)- 695
Falten die äußeren Wände der Nährzellen sind. Hat das Ei solcher-
weise seine definitive Größe erlangt, so reißt der Stiel an der dünnsten
Stelle durch und das Ei liegt frei im Lumen des Ovars.
Ich muß jetzt noch auf den oben erwähnten dritten Bezirk in der
Eibirne eingehen. Wenn, wie eben geschildert, den Eistiel ein dichter
Mantel von Nährzellen umgibt, die fortschreitend ihren Inhalt an das
Ei abgeben und selber zum Aufbau des Stieles verwandt werden, bleibt
stets der ursprüngliche Eistiel zwar nicht als ein festwandiger Schlauch,
wohl aber als ein Rohr erhalten (Fig. 7 — 11). Dieser Teil des Eies hebt
sich dadurch von dem zweiten Bezirk ab, daß sein Inhalt in der Regel
aus etwas gröberen Körnern besteht, die viel lockerer und in unregel-
mäßig gestalteten Haufen gelagert sind. Außerdem unterscheiden sich
diese Körner durch ihr Verhalten zu Farbstoffen von dem sie um-
schließenden Rohr von Nährzellendotter. Während letzterer nämlich
z. B. bei Hämatein-Eoainfärbung blaurot erscheint, haben die Körner
des dritten Bezirkes einen mehr bläulichen Ton angenommen, der
aber nicht so ausgesprochen blauviolett ist, wie der des Eidotters.
Nicht allzu selten sind die Körnchen dieses dritten Bezirkes strecken-
weise in Reihen angeordnet, und zuweilen kann man diese Reihen bis
zu der parenchymatösen Gonadenumhüllung verfolgen. Aus allem
diesen glaube ich sf^hließen zu dürfen, daß das Ei auch von hier aus
Nahrungsbestandteile empfängt. Dieser Annahme scheint mir auch
die auffällige Lage des Keimbläschens in der jungen Eibirne günstig
zu sein. Das Keimbläschen liegt nämlich für gewöhnlich nicht in dem
weitesten Teil der Birne, wie man vermuten sollte, sondern an der
Stelle, wo der Birnenkörper in den Stiel übergeht. Von hier aus kann
offenbar das Keimbläschen am besten die Aufnahme von Dotter be-
herrschen und Nahrungsteile heranziehen i. Ich möchte es nicht ver-
säumen noch auf seltsame Gebilde hinzuweisen, die ich mir allerdings
nicht recht zu erklären vermag. Ich fand sie am häufigsten, wenn
auch natürlich nicht regelmäßig, im dritten Bezirk unterhalb des
Keimbläschens (Fig. 8), zuweilen auch an andrer Stelle im peripheren
Dotter, auch bei schon losgelösten Eiern. Diese Gebilde stellen kleine
Bläschen von verschiedener Größe dar. Ihr Inhalt, der bisweilen
nicht das ganze Bläschen ausfüllt, was ich für ein Fixierungsprodukt
halte, ist entweder gekörnelt oder mehr homogen und dann zuweilen
nur schwach tingiert. In ersterem Falle machen sie mehr den Eindruck
von Dottersubstanz von besonderer chemischer Beschaffenheit, im
1 Eine gleiche Erscheinung tritt ntich Korschelt [59] bei Cölenteraten
und nach Ü. und R. Hektwic; [58] bei Actinien auf.
696 Gustaf Gering,
letzteren ist man geneigt, den Inhalt als gallertig oder flüssig anzu-
sehen. Stets aber findet man Stadien, die eine allmähliche Auflösung
dieser Gebilde in den Dotter erkennen lassen (Fig. 8).
Sind die Eier durch Zerreißen des Stieles frei geworden, zuweilen
allerdings auch schon vorher, so verdickt sich die Zellwand des Eies^
zu einer immer stärker werdenden Membran (Fig. 11). Dieser Prozeß
schreitet vom bauchigen Teil nach dem Stiel zu fort, und hier bleibt
schließlich eine runde Stelle frei, die Micropyle. Selbstverständlich
rundet sich das anfangs an einer Seite zugespitzte Ei im Verlaufe dieses
Vorganges mehr und mehr ab, bis das ablagereife Ei eine gleichmäßige
Kugelform hat.
Eine überaus willkommene Stütze und Parallele für meine Be-
obachtungen über die Aufnahme von Dotter durch die Nährzellen und
von andrer Einahrung durch den Stiel fand ich kurz vor dem Abschluß
meiner Untersuchungen in einer Arbeit von Stauffacher [G3], der die
Eibildung bei Cyclas Cornea studierte. Seine Bilder zeigen, natürlich
mutatis mutandis, die gleiche Art der Eiernährung. Auch bei Cyclas
strecken sich Nährzellen am Stiel des Eies in die Höhe und geben
ihren Inhalt an das Ei ab, auch bei Cyclas tritt unterhalb des Keim-
bläschens, das gleichfalls in früheren Stadien an der Mündung des
Stieles liegt 2, eine »fädige« Struktur auf. Auch die Eimembran- und
Micro pylenbildung zeigt auffallende Älmlichkeit mit den Verhältnissen,
wie ich sie bei Malacobdella fand. Allerdings sollen bei Cyclas die Kerne
der Nährzellen nicht mit in das Ei gelangen, und die Membranbildung
beginnt schon, sobald das Ei die Gonadenepithelzellen durchbrochen
hat und nur mit einem geringen Teil seiner Oberfläche frei ins Lumen
der Gonade vorragt. Bemerken möchte ich noch, daß nach Stauf-
FACHERs Abbildungen die Verhältnisse bei Cyclas viel klarer und
deutlicher sind, während bei Malacobdella die Untersuchungen durch
die Masse der gleichzeitig gebildeten Geschlechtsprodukte, durch
den Zellreichtum der Gonaden, durch das massenhafte Auftreten von
Dotterballen und andres bedeutend erschwert sind, so daß mir Stauf-
FACHERs Abbildungen fast wie Schemata erschienen.
Vergleiche ich die Dotterbildung, wie ich sie oben für Malacobdella
beschrieben habe, mit der Bildung des Dotters, wie sie bei andern Nemer-
tinen nach den Untersuchungen von Böhmig [40], Child [41], Coe [42, 43]
1 V. Kennel bezeichnet die Eibirnen irrtümlicherweise als völlig mem-
branlos.
2 Ein gleiches berichtet C. B. Wilson [54] für das Ovarialei von Cere-
bratulus lacteus.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella groaaa (Müll.). 697
und MoNTGOMERY juii. [52 und 60] vor sich geht, so läßt sich folgendes
sagen : Bei Prostoma graecense, Geonemertes chalicophora und G. agricola
wird außer in der Eizelle noch von besonderen Dotterzellen Deutoplasnia
gebildet 1. Diesen Dotterzellen wären die Nährzellen von Malacobdella
wohl funktionell, aber keinesfalls morphologisch gleich zu setzen; letztere
werden ja gleichfalls auch zur Bildung des Gonadenepithels verwandt.
In letzterem Punkte besteht aber der große Unterschied, daß bei den
erstgenannten Nemertinen schon früh ein Teil der indifferenten Zellen
zu flachen Epithelzellen wird und damit für irgend eine weitere Ver-
wendung nicht mehr in Betracht kommt, während bei Malacobdella
alle Zellen, soweit sie nicht zu Eizellen werden, Dotter produzieren,
und erst wenn die Eibildung sistiert, bilden die nicht als Nährzellen
verbrauchten Zellen ein flaches Epithel an der Innenwand der Gonade.
Bei andern Nemertinen muß die Eizelle allen Dotter selbst produzieren,
und sie tut dies, indem sie entweder zunächst Dotterballen von ver-
schiedener, zum Teil recht beträchtlicher Größe bildet, die dann in die
definitiven Dotterkörnchen zerfallen (dies hat statt bei Prostoma eil-
Jiardi, Arnfhiforus glutinosus, Prostoma, catenulatum. und Lineas ruber),
oder es treten gleich die Dotterkörnchen auf {Prostoma elegans und
Zygonemertes virescens). Bei Prostoma asensoriatum werden innerhalb
des Eies Dotterkugeln gebildet und außerdem noch im Protoplasma
um den Stiel herum. Wahrscheinlich liegen die Verhältnisse hier ähn-
lich wie bei P. graecense und P. eilhardi, doch läßt sich dies aus dem
kurzen Aufsatz Childs nicht entnehmen. Bei Cerebratulus lacteus
schließlich sollen Dotterballen, deren Struktur den von mir bei Mala-
cobdella gefundenen auffallend ähnelt, im Lumen der Gonade verstreut
liegen und mit zvmehmendem Wachstum der Eier schwinden. Über
die Herkunft dieser Dotterballen sagt Coe leider nichts, man darf
aber wohl annehmen, daß sie Produkte der Gonadenepithelzellen sind.
Die Beobachtung, daß die Zahl der Dotterballen im gleichen Verhältnis
abnimmt wie die Eier reifen, läßt sich bei Malacobdella nicht so leicht
machen, da hier die Bildung und das Heranwachsen von Eiern sich
auf eine sehr lange Zeitspanne erstreckt. Trifft man aber einmal ein
Ovarium, in dessen Lumen nur reife Eier liegen und an dessen Wand
keine mehr in Bildung sind, so bemerkt man, daß hier die Gonaden-
zellen keinen Dotter mehr produzieren, sondern sich als ein flaches.
1 Daß Dotter außerhalb des Eies gebildet und diesem dann zugeführt wird,
ist ja eine häufig beobachtete Erscheinung; ich erinnere nur an die Verhältnisse,
wie sie bei Insekten vorliegen. Auch für Lijnulus glaubt Munson [61] einen
extraovalen Ursprung eines Teiles des Dotters annehmen zu müssen.
698 Gustaf Gering,
einschichtiges Epithel der Gonadenwand angelegt haben, wie es v. Ken-
NEL in seiner Fig. 4 auf Taf . XVIII richtig zeichnet.
Das befruchtungsfähige, abgelegte Ei von Malacohdella grossa hat,
wenn es einige Zeit im Wasser gelegen hat, meist die sehr regelmäßige
Form einer Kugel von 400 — 500 u Durchmesser. Diese Kugel setzt sich
zusammen aus einer ungefähr 1,7 // dicken äußeren Membran, der
Eihaut, aus einer von ihr aus nach innen folgenden Schicht von etwa
80 fi Mächtigkeit, die sich als eine eiweißhaltige Flüssigkeit repräsentiert,
diese wird nach innen begrenzt von der Dotterhaut, einem dünnen Ge-
bilde von etwa 0,8 /< Mächtigkeit, das sich nur zu gewissen Zeiten von
der in ihm liegenden Dotterkugel ein wenig abhebt, welch letztere, eine
Kugel von etwa 320 /v Durchmesser, stets mehr oder weniger peripher
das kugelige Keimbläschen von etwa 65 u Durchmesser birgt. In
der Eihaut ist bei günstiger Beleuchtung stets eine runde, ziemlich
große Öffnung von 42 — 57 // Durchmesser wahrnehmbar, die Micropyle,
deren Vorhandensein Hoffmann [28] sonderbarerweise in Abrede stellt
(Fig. 13). Besonders deutlich trat diese Öffnung bei Eiern hervor,
die schon mit Sperma tozoen gemischt waren und einige Zeit im Wasser
gelegen hatten. Es hatten sich dann nämlich die Spermatozoon be-
sonders zahlreich am Rande der Micropyle angesammelt und bildeten
solchermaßen einen Ring dunkler Körnchen, der die helle Öffnung
besonders stark hervortreten ließ (Fig. 12). Die Ränder der Micropyle
sind weder verdickt, wie es Stauffacher [63] für Cyclas beschreibt,
noch röhrenförmig nach außen ausgezogen und etwas umgebogen, wie
es Lebedinsky [49] bei dem Ei einer einzigen der von ihm untersuchten
Metanemertinen beobachtete. Leider gibt dieser Autor den Namen
der betreffenden Nemertine nicht an.
b. Die männlichen Gesehlechtsprodukte.
Über die Entwicklung der männlichen Geschlechtsprodukte vermag
ich leider keine auch nur annähernd dem heutigen Standpunkt unsrer
Kenntnis von der Spermatogenese gerecht werdende Darstellung zu
geben. Es reichten dazu weder meine für andre Zwecke hergestellten
Präparate noch die mir zu Gebote stehenden optischen Hilfsmittel aus.
Ich mußte mich deshalb darauf beschränken, die Angaben v. Kennels
auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Ich gewann hierbei den Eindruck, daß die Spermatogenese etwas
anders verläuft, als sie der genannte Autor schildert. Die erste Um-
wandlung macht sich an den Kernen der jungen Gonade in der Weise
geltend, daß die im Chromatinnetz suspendierten Chromatinbrocken
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.). 699
an Masse stark zunehmen und geradezu eine Konzentration der chro-
matischen Substanz in diesen Brocken stattfindet. Die Zelle scheint
dann in eine der Zahl der Chromatinbrocken entsprechende Anzahl
Teile zu zerfallen, wobei jeder Teil von einem Plasmahof umgeben ist.
Diese Teilungsprodukte zerfallen dann rasch noch einmal in entsprechend
kleinere Stücke, die nicht viel Plasma mehr erkennen lassen, und diese
Stücke wandeln sich dann in die Spermatozoen um. Ein Stadium,
wie es v. Kennel in Fig. 9 b abbildet i, habe ich nie beobachtet. Das
entsprechende Stadium zeichnet sich vielmehr durch große, dunkel
tingierte Chromatinbrocken aus, die durch breite Plasmastreifen von-
einander getrennt sind. Die kugelige Form des ganzen Gebildes tritt
hauptsächlich durch die Lagerung der Chromatinbrocken hervor, die
meist nach außen zu mehr abgerundet, nach dem Mittelpunkt der
Kugel zu mehr zugespitzt sind. Die Zahl der in einer solchen Kugel
enthaltenen Chromatinstücke ist sehr verschieden, ob dies aber von
irgendwelcher Bedeutung für den ganzen Entwicklungsprozeß ist, ver-
mag ich nicht anzugeben. Das ausgebildete Spermatozoon ist weder
von V. Kennel noch von Hoffmann [28] richtig dargestellt, und auch
die aus ihren Abbildungen gewonnenen Maße stimmen nicht genau.
Erst Ketzius [38a] gelang es, eine richtige, von vorzüglichen Abbil-
dungen begleitete Beschreibung der Spermatozoen von Malacobdella
zu geben. Nach seinen in 4500facher Vergrößerung dargestellten
Bildern ist das ganze Spermatozoon 60 /< lang, der Kopf allein 7,7 ,« bei
einer mittleren Breite von 0,67 f^i. Der Kopf ist demnach sehr schlank,
fast cylindrisch und mit einem »kurz tutenförmigen Perfora torium <<
versehen. Das hintere Drittel oder etwas mehr ist mit einer » dünnen,
feinkörnigen Hülle« bekleidet, die Ketzius mit den bei Polychäten, Mol-
lusken, Echinodermen und auch einigen Nemertinen von ihm gefun-
denen Körnergruppen (»Nebenkernorgan«) homologisiert. Der Schwanz
hat ein >> deutlich abgesetztes Endstück von etwa der halben Länge des
Kopfes«. Am Ansatz des Schwanzes einen Centralkörper nachzuweisen
gelang mir nicht, und auch Eetzius konnte trotz Anwendung sehr
starker Vergrößerungen seine Existenz nicht mit Sicherheit feststellen.
Vi. Embryologie.
a. Besprechung der Literatur.
Bei den Nemertinen treten bekanntlich drei Typen der Entwick-
lung auf, die durch das Pilidium, die durch die Desorsche Larve und
1 V. Kennel hatte das betreffende Präparat durch Macerierung mit Essig-
säure erhalten!
700 Gustav Gering,
endlich die direkte Entwicklung. Um über die systematische Stellung
der Nemertinen Klarheit zu schaffen, sind diese drei Typen von den
verschiedensten Forschern untersucht worden, denen es meist auf die
Hauptzüge, die Entwicklung der Keimblätter — vor allem des Meso-
derms — und der Organe ankam. Da ich in dieser Abhandlung die
Entwicklung des Eies von Malacohdella nur bis zur Bildung der ersten
Furche darstellen will, kann ich die Mehrzahl der über die Embryologie
der Nemertinen vorliegenden Arbeiten unberücksichtigt lassen oder
brauche sie nur dort anzuziehen, wo von den Beobachtungen am lebenden
Material die Rede ist. Eine eingehende, auf Schnittserien gestützte
Beschreibung der Reifungs- und Befruchtungsvorgänge imd der ersten
Furchungsstadien des Nemertineneies geben nur wenige Autoren, und
von diesen kommen natürlich nur die in Betracht, die ovipare Arten
untersuchten. Es sind dies Coe [42] {Cerebratulus marginatus, C. leidyi,
Micrura caeca), Kostanecki [46] [Cerebratulus marginatus), Lebe-
DiNSKY [47, 48, 49] {Prostoma vermiculus, Drefanophorus spectahilis),
C. B. Wilson [54] {Cerebratulus lacteus). Es muß aber bemerkt werden,
daß die Arbeiten der beiden letztgenannten Autoren die in Rede stehen-
den Vorgänge nur in großen Zügen darlegen, so daß ich in bezug auf
Einzelheiten ganz auf die Arbeiten von Coe und Kostanecki an-
gewiesen bin. Die Ergebnisse dieser beiden Forscher hier darzulegen,
muß ich mir versagen, da ich dabei zu sehr ins Detail gehen müßte.
Ich werde deshalb am Schlüsse meiner Darlegungen einen kurzen Ver-
gleich zwischen dem Ei von Cerebratulus imd dem von Malacobdella
ziehen.
b. Die Zeit der Geschlechtsreife.
Über die Zeit der Geschlechtsreife von Malacobdella grossa finde
ich nur bei Hotfmann [28] die Angabe, daß seine Nordseeexemplare
»von November (vielleicht noch früher) bis März<< geschlechtsreif waren,
und bei Riches [33] die Notiz » in the autumn many ripe f emales were
found, which subsequently laid unfertilized eggs«. (Sonderbarerweise
fügt Riches hinzu »but no ripe males have been seen«.) Wenn mein
Material auch nicht aus der Nord-, sondern aus der Ostsee stammt,
so glaube ich doch, Hoffmanns Behauptung anzweifeln zu müssen.
Nach der Tabelle, die Bürger [37] gibt, fällt die Geschlechtsreife der
Nemertinen in der Nordsee und im Kanal mit wenigen Ausnahmen in die
Monate März — Oktober, in seltenen Fällen beginnt sie schon im Januar,
und nur Micrura fasciolata (Ehrbg.) ist nach McIntosh und Riches
von Oktober — Dezember oeschlechtsreif. Wäre also die Angabe
Beiträge zur Komitnis vdii MalacohdoUa grossa (Müll.). 701
Hoffmanns richtig, so wüvde MalacobdeUa eine Sonderstellung einnehmen.
Dies ist aber unwahrscheinlich, da diese Nemertine kein Parasit ist,
wie es neuerdings noch wieder von Joubin [34, 36] behauptet wird,
sondern als »Commensale« von Cyfrina (schon v. Kennel [29] hat
dies richtig erkannt) dem Wechsel der Jahreszeiten ebenso wie jedes
freilebende Tier unterworfen ist. Abgesehen von diesen mehr theo-
retischen Betrachtungen führen mich aber auch meine eignen Beob-
achtungen zu der Überzeugung, daß die Angabe Hoffmanns nicht zu
Recht besteht.
Allerdings gelang es mir nur einmal, die Ablage der Geschlechts-
produkte genau in der Weise, wie sie in der freien Natur vor sich geht, zu
beobachten. Ich hatte gerade frisches Cyprinenmaterial erhalten und
setzte einige recht große Muscheln in ein besonderes Aquarium. Am
folgenden Tage fand ich auf dem Boden des Glashafens eine große
Menge von Malacobdelleneiern, die bereits befruchtet waren und sich
in den ersten Furchungsstadien befanden. Die Geschlechtsprodukte
waren also von den männlichen und weiblichen Nemertinen, welche
die verschiedenen Muscheln beherbergten, abgelegt und mit dem Wasser-
strom ins Freie gelangt. Dies fand im August statt. Nun habe ich
allerdings ausgebildete Eier und Spermatozoen in erwachsenen Mala-
cobdellen zu jeder Jahreszeit gefimden^. Die Geschlechtsprodukte
werden aber freiwillig durchaus nicht zu jeder Jahreszeit abgelegt.
Nach meinen sich über 2 Jahre erstreckenden Beobachtungen an
Ostsee-Malacobdellen scheint dies vielmehr hauptsächlich in den Monaten
Juli — September stattzufinden und vor allem in den Wintermonaten
und denen des zeitigen Frühjahrs (also mindestens Dezember — März)
eine Pause einzutreten. Die oben zitierte Beobachtung von Riches
stimmt hiermit überein.
c. Die Eiablage.
Die Art der Eiablage schildert Hoffmann [28] wie folgt: »Die
geschlechtsreifen Eier werden entweder einzeln oder in Häufchen ab-
gesetzt, im letzteren Falle gewöhnlich durch eine zähe Schleimmasse,
das Produkt der einzelligen Drüsen der Haut, lose aneinander ver-
bunden. « Nach meinen Beobachtungen spielt sich dieser Vorgang etwas
anders ab. Wenn eine MalacobdeUa zur Eiablage schreitet, so wird
1 Es erklärt .sich dies daraus, daß, wie schon oben (vgl. S. 687) erwähnt,
zunächst am ventralen Ende der Ovarien sich Eier bilden und heranwachsen
und dieser Vorgang dann an den Wänden der Ovarien von unten nach oben fort-
schreitet.
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 46
702 Gustaf Gering,
niemals der Inhalt sämtlicher Ovarien entleert. Das verbietet sich
schon daher, weil einmal allgemein — wie schon v. Kennel [29] richtig
erkannt hat — in den am weitesten nach vorn gelegenen Ovarien die
Eier stets weniger weit in der Entwicklung vorgeschritten sind als in
den hinteren und außerdem sich überall zwischen Ovarien mit reiferen
Eiern neue Ovarien bilden (vgl. S. 687). In dieser Hinsicht unter-
scheidet sich Malacobdella wesentlich von manchen andern Nemertinen,
wie z. B. Lineus ruber, wo, wie ich es auch selbst beobachtete, das
>>Gelege«, wenn ich es so bezeichnen darf, eine wurstförmige Gallert-
raasse darstellt, in der in gleichmäßigen Abständen paarweise Eier-
klumpen, jeder der Inhalt eines Ovars, eingelagert sind: Hier tritt
also ein Zeitpunkt ein, wo alle Eier fertig ausgebildet smd, um dann
gleichzeitig abgesetzt zu werden. Bei Malacobdella aber werden selbst
die voll ausgebildeten Eier meist nicht auf einmal abgelegt, sondern
haufenweise in Zwischenräumen von Stunden bis zu Tagen. Es kommen
bei diesem Vorgange die Eier allerdings aus den sich dann bildenden
Öffnungen der Ovarien wohl stets einzeln heraus, daß sie aber »einzeln
abgesetzt« würden, habe ich nie beobachtet. Da die Öffnung sehr eng
ist, müssen sich die Eier, um sie passieren zu können, in die Länge
strecken, wie es schon v. Kennel [29] sah. Ein gleiches berichtet
u. a. Child [41] für Prostoma asensoriatum und Smallwood [62] für
Montagua und Doris. Waren die Ovarien mit einer größeren Anzahl
reifer Eier gefüllt, was meist der Fall ist, so platteten sich diese gegen-
einander mehr oder weniger ab. Solche Eier zeigen dann auch noch
nach dem Austritt aus dem Ovar eine polygonale Form, die aber recht
bald in die einer Kugel übergeht. Dies hat nach C. B. Wilson [54]
auch bei Cerebratulus lacteus und sicherlich auch noch bei vielen andern
Nemertinen statt.
Zuweilen beobachtet man an frisch abgelegten Eiern von Mala-
cobdella, daß der Dotter i an der vor der Micropyle liegenden Stelle
in eine schärfere oder stumpfere Spitze ausgezogen ist, die aber all-
mählich verschwindet. Es ist dies noch ein Überbleibsel des Stieles,
an dem das Ei im Ovarium befestigt war. Diese Reminiscenz an die
Bildungsweise ist aber keinesfalls eine häufige Erscheinung und geht
nie so weit, daß die äußere Hülle des abgelegten Eies noch in einen
Stiel ausgezogen ist, wie es nach C. B. Wilson [54] und E. B. Wilson [55]
beim Ei von Cerebratulus lacteus stets der Fall ist und hier bei ent-
1 Ich gebrauche hier und in den folgenden Ausführungen der Bequemhch-
keit wegen das eigenthch unrichtige Wort »Dotter« zur Bezeichnung der Plasma-
kugel des Eies im Gegen.^atz zu den Eihüllen.
Boiträii'.' y.m Kcniiliiis \(,ii MalacilMlclIa s^rossa (Müll.). 703
wicklung'smechanischen Experiinenten ziu' Oiieiitiei-imii des Eies vor-
trefflifh vorwandt weiden kann. Stets werden die Eier mit einer
schleimigen Masse umhüllt. Ob diese ausschließlich das Produkt der
Cutisdrüsen ist, oder ob ihr eine Flüssigkeit beigemengt ist, die sich
etwa in den Ovarien befindet (vgl. S. 692 Anm.), vermag ich nicht sicher
zu entscheiden, doch schien es mir zuweilen bei der Beobachtung der
Eiablage, als ob zugleich mit den Eiern aus den Ovarien eine schleimige
Masse austrete. Meistens ist der einhüllende Schleim nicht sehr dicht
und hält die Eier nur locker zusammen, so daß eine tierince Bewegung
des Wassers genügt, um die Eier zu zerstreuen. Das gleiche ist nach
C. B. Wilson [54] bei den Eiern von Cerebratulus lacteus und nach
McIntosh [51] bei denen von Amphiporus lactifloreus der Fall. Zu-
weilen jedoch, besonders wenn nur aus wenigen Ovarien Eier entleert
werden, hält die Schleimhülle die Eier fester zusammen, und wenn
das Tier bei der Ablage ruhig saß und auch nachher nicht umherkroch,
behielt der Eierklumpen seine natürliche abgerundete Form. Zweimal
gelang es mir, einen solchen Eiklumpen zu erhalten und ihn vorsichtig
mit einem Löffel in Formollösung zu übertragen. In dem scheinbar
fadenziehenden, zähflüssigen Schleim bemerkt man zahlreiche bräunlich-
gelbe Körnchen, deren Ursprung und Konsistenz ich leider zu unter-
suchen versäumte. Ich kann daher nicht entscheiden, ob sie mit den
oben (S. 692) beschriebenen »bernsteinfarbigen Einschlüssen« der Go-
nadenzellen etwa zu identifizieren sind, halte es aber nicht für wahr-
scheinlich.
d. Zuchtversuche.
Bevor ich zur Darlegung der Reifungs- und Befruchtungserschei-
nungen am Ei von Malacohdella grossa schreite, sei es mir gestattet,
einige Worte über meine Zuchtversuche voranzuschicken. Ursprüng-
lich war es meine Absicht, die zum Teil offensichtlich unrichtigen
Angaben Hoffmanns [28] über die Ontogenie von Malacohdella nach-
zuprüfen und zu berichtigen und eine dem heutigen Standpunkt unsrer
Kenntnis von der Embryologie der Nemertinen entsprechende Dar-
stellung der Entwicklung von Malacohdella zu geben. Ich versuchte
zu diesem Zwecke Malacohdella zu züchten, da bei den jüngsten von
mir in Cyprina gefundenen Tieren die Embryonalentwicklung bereits
abgeschlossen war. Nach Möglichkeit benutzte ich zur Zucht natürlich
abgelegtes Eiermaterial. Schritt ich nämlich zu dem schon von Hoff-
mann und andern angewandten Mittel, ein Weibchen zu verletzen,
um Eier zu erhalten, so wurden durch die heftigen Muskelkontraktionen
46*
704 Gustaf Gering,-
allerdings Eier in geringer Zahl ausgepreßt, diese waren aber meist
nicht entwicklungsfähig, was sich schon darin kundgab, daß sie sich
auch bei längerem Verweilen im Wasser nicht abrundeten, was reife
Eier stets tun. Nicht selten konnte ich Weibchen, die bereits längere
Zeit innerhalb der Gyprina im Aquarium gelebt hatten, dadurch zur
freiwilligen Eiablage veranlassen, daß ich sie in frisches Seewasser und
ans Licht brachte. Oft schritten auch in Glasschalen aufbewahrte
Malacobdellen während der Nacht zur Eiablage. Befruchtungsfähige
Spermatozoen wurden stets von erwachsenen Männchen in reichlichen
Mengen abgesetzt, im Notfalle regte ich die Absonderung dadurch an,
daß ich das Tier mit einem Instrumente leicht strich. War die Be-
fruchtung erfolgt, so begann fast stets die Furchung in regulärer Weise.
Meistens stellten sich aber schon in verhältnismäßig frühen Furchungs-
stadien, Unregelmäßigkeiten ein, die dann stets eine Sistierung des
Furchungsprozesses und ein Absterben der Eier zur Folge hatten. Ich
stellte die verschiedensten Experimente an, um meinen Zuchtversuchen
zum Erfolge zu verhelfen. Ich ging zu größeren Glasschalen über,
brachte die Eier in große, tiefe Glashäfen, übertrug sie ins Aquarium,
wo sie auf Mud, ihrer Matrix, lagen, benutzte stärker salziges Wasser
vom Meeresboden, wandte filtriertes und unfiltriertes Seewasser an und
probierte es mit einer vorsichtigen Durchlüftung des Gefäßes; trotz
alledem waren die Ergebnisse so selten die gewünschten, daß ich nach
zweijährigem Bemühen noch nicht genügend Material besaß, um damit
das gesteckte Ziel erreichen zu können. Ich habe deshalb alle Prä-
parate mit älteren Entwicklungsstadien für später zurückgelegt und
will hier nur die Reifungs- und Befruchtungserscheinungen und die
Bildung der beiden ersten Blastomeren schildern.
Über Parasiten in Eiern.
Es mag noch erwähnt werden, daß eine Zeitlang meine Zuchten
durch holotriche Ciliaten zerstört wurden. Bei genauerer Untersuchung
ergab sich, daß eine Anzahl der soeben abgelegten Eier eine große Menge
dieser Infusorien enthielt, die den Dotter zum großen Teil oder ganz
verzehrt hatten, dann die Eihäute durchbohrten und noch nicht infizierte
Eier anfielen. Da sich in erst soeben abgelegten Eiern die Parasiten
bereits fanden, müssen diese schon im Ovarium der Malacobdella ge-
haust haben. Ich konnte drei Formen solcher Infusorien unterscheiden,
die ich aber nicht näher zu bestimmen vermochte.
Beiträge zur Kenntnis von .Maiacolxiella «rrussu (iMüll ). JO;")
e, Lebendbeobachtungen.
Oben (S. 698) habe ich tleii Bati des abgelegten lebenden Mala-
cobdelleneies beschrieben. Die dort aufgefülirten Teile sind aber nicht
alle oder nicht zu jeder Zeit sichtbar. Die Dottcrhaiit ist nur dann
zu sehen, wcmi sie sich, was zeitweise geschieht, vom Dotter abhebt,
das Keimbläschen aber kann man nur dadurch deutlich zur Anschauung
bringen, daß man das Ei einem gelinden Druck aussetzt, denn sonst
ist der Dotter so undurchsichtig, daß man nur bei starker Durch-
leuchtung die Kontur des Keimbläschens und eventuell die im Leben
hell öltröpfchenähnlichen Nucleolen undeutlich erkennen kann. Die
ersten Veränderungen am abgelegten Ei machen sich schon sehr bald
nach dem Austritt aus dem Ovar bemerkbar, und zwar imabhängig
davon, ob das Ei befruchtet ist oder nicht. Die gleiche Erscheinung,
nämlich der Beginn der Reifung vor dem Eindringen des befruchtenden
Spermatozoons, w^urde auch für die Eier andrer Nemertinen beschrieben ;
Hoffmann [45] erwähnt dies für Prostoma varicolor, Lebedinsky [49]
für P. vermiculus, Coe [42] für Cerebmtulus leidyi, E. B. Wilson [55]
für C. Jacteus. Die gleiche Beobachtung hat man ja auch an den Eiern
mancher andrer Tiere gemacht. Was am lebenden Ei von Malacohdella
von diesem Vorgang sichtbar ist, ist folgendes: Das zunächst an be-
liebiger Stelle etwas exzentrisch gelegene Keimbläschen entzieht sich,
scheinbar sich auflösend, immer mehr dem Auge, wobei es mehr und
mehr nach der Seite des Eies rückt, die der Micropyle entgegengesetzt
liegt. Schließlich ist selbst bei stärkster Durchleuchtung von dem
Keimbläschen nichts mehr zu sehen, bei teilweiser Abbiendung bemerkt
man aber an der Seite des Eies, wohin der helle Hof des Keimbläschens
wanderte, unter der Dotterhaut eine schmale helle Zone, deren Kon-
turen nicht konstant sind. Ist inzwischen die Befruchtung eingetreten,
so macht sich nach einiger Zeit an der hellen Stelle des Dotters eine
dellenförmige Einbuchtung bemerkbar. Aus dieser wölbt sich dann
das Plasma ein wenig vor, und es kommt hier schließlich zur Abschnürung
des ersten Richtungskörperchens.
Der Befruchtungsvorgang spielt sich in der Weise ab, daß das
Spermatozoon durch die Micropyle eindringt und sich durch kräftig
schlängelnde Bewegungen mitsamt seinem Schwänze in den Dotter ein-
bohrt. Wahrscheinlich wird sofort nach dem Eindringen des Sperma-
tozoons die Micropyle durch ein feines Häutchen geschlossen, was ich
allerdings nicht zu beobachten vermochte. Haben die Eier bereits
längere Zeit im Wasser gelegen, so scheint ihre Lebenskraft geschwächt
706 Gustaf Gering,
ZU sein, eine Erscheinung, die ja auch 0. und R. Hertwig und andre
an den Eiern von Echinodermen und andern Tieren festgestellt haben.
Es dringen dann zahlreiche Spermatozoen in das Ei ein, und es kommt
zu dem für den Embryologen so störenden Fall der Polyspermie. An
der gleichen Stelle wie der erste wird einige Zeit darauf der zweite
Richtungskörper gebildet, der dem ersten an Gestalt und Größe sehr
ähnlich ist. Beide sind hell, durchscheinend, enthalten eine Anzahl
stark lichtbrechender Tröpfchen und sind im Durchmesser 15 — 20 /.t
groß. Es kommt bei ihnen niemals zur Ausbildung amöboider Fort-
sätze, der sogenannten >>Filartätigkeit «, wie sie Andrews [39] und
Ch. B. Wilson [54] für die Richtungskörper von Cerehratulus lacteus
beschreiben. In der Regel bleiben die beiden Richtungskörperchen im
Verlaufe der weiteren Entwicklung des Eies nebeneinander liegen. Eine
Teilung eines der beiden oder gar beider Richtungskörper habe ich nicht
beobachtet. Im Verlaufe der Richtungskörperbildung hat sich das
Eiplasma kontrahiert, so daß die Dotterhaut jetzt abgehoben und be-
sonders bei den innerhalb von ihr liegenden Richtungskörperchen gut
sichtbar ist. Wie aus obigem hervorgeht, zeigt das Ei von MaJacobdella
eine ausgesprochene Bipolarität, die zwar nicht in der Verteilung von
Cyto- und Deutoplasma begründet ist, aber durch die Lage der Micro-
pyle und später der Richtungskörperchen sich kund gibt. Es ist inter-
essant, daß Ch. B. Wilson [54] ein gleiches für das auch mit einer
Micropyle ausgestattete Ei von Cerehratulus lacteus angibt, was von E. B.
Wilson [55] bestätigt wird.
Sind die Richtungskörperchen abgeschnürt, so tritt eine Pause ein,
während welcher man keine Veränderungen am Ei wahrnehmen kann.
Dann beginnt das Ei sich in die Länge zu strecken und die Form eines
kurzen gedrungenen Rotationsellipsoids anzunehmen. Hierauf tritt
bald an der einen, bald an der andern Längsseite eine seichte Einbuch-
tung auf, die bald wieder verschwindet, schließlich kommt es aber
zu einer regelrechten Einschnürung, die schnell zur vollständigen Durch-
schnürung des Eies, also zur Bildung der beiden ersten gleich großen
Blastomeren führt. Ich habe es in der obigen Darlegung vermieden,
bestimmte Zeitangaben zu machen, innerhalb welcher sich die einzelnen
Phasen der Entwicklung abspielen. Ich überzeugte mich nämlich im
Verlaufe meiner Untersuchungen davon, daß dieser Prozeß bald schneller,
bald langsamer abläuft. Er ist ja von mancherlei inneren und äußeren
Faktoren (von letzteren erwähne ich nur Temperatur und Druck der
Luft, Temperatur und Salzgehalt des Wassers) abhängig, es lag aber
nicht in meiner Absicht, nach dieser Richtung hin experimentelle
Beiträge zur Kenntnis von Malacolnli-lla ijrossa (Müll.). 707
Studien zu machen. Erwähnen muß ich aber, daß die Entwicklung
gewöhnlich schneller verläuft, als es nach Hoffmann [28] geschehen
soll, daß z. B. das Zweizellstadium oft schon nach 3 Stunden erreicht
ist, während es Hoffmann erst nach 4 Stunden vollendet sein läßt.
Trotzdem werde ich unten bei der Besprechung der Befunde an Schnitt-
serien bei jedem Stadium hinzufügen, nach wieviel Minuten nach der
Befruchtuno es im allgemeinen erreicht wurde.
f. Untersuchungsmethoden.
Die zur Herstellung von Schnittserien bestimmten Eier wurden
gleich und dann innerhalb der ersten Minuten nach der Ablage und
darauf in Intervallen von 5 oder 10 Minuten fixiert, und zwar sowohl
unbefruchtete wie befruchtete Eier. Zum Fixieren wurden benutzt:
Sublimat- Alkohol (nach Apäthy, Mikrotechnik S. 111), Sublimat-Eis-
essig, Pikrinessigsäure nach Boveri, Pikrinschwefelsäure nach Klei-
nenberg, Chrom-Osmium-Essigsäure nach Fol, Chromessigsäure nach
Flemming. Meistens beschränkte ich mich jedoch auf die vier erst-
genannten Flüssigkeiten und fixierte tunlichst jedes Stadium mit allen
vier Reagenzien. Die fixierten und in iVlkohol gehärteten Eier wurden
in einem kleinen Färbetrichter mit Boraxkarmin in toto gefärbt, da
sie sonst beim Einbetten nicht zu sehen waren. Die Färbetrichter
stellte ich mir in der Weise her, daß ich den Mündungsteil eines Reagenz-
glases abschnitt und an der ausgebogenen Seite mit Zwirn ein Stück
Müllergaze vorband. In diesem Trichterchen wurde auch ausgewaschen,
darauf die Müllergaze abgenommen und die darauf liegenden Eier vor-
sichtig abgehoben. Eingebettet wurde in Uhrschälehen in Paraffin
von steigendem Schmelzpunkt, das weichere Paraffin mit erwärmter
Pipette abgesogen und härteres auf gleichem Wege zugesetzt. Ich
fand diese Methode recht praktisch, da die Eier so nur allmählich in
härteres Paraffin kämmen und außerdem in dem gleichen Uhrglas ver-
bleiben konnten.
Vor der Färbung der Schnittserien, die 7,5, 5 und 4 /< dick an-
gefertigt wurden, zog ich das Boraxkarmin mit angesäuertem Alkohol
aus. Zur Schnittfärbung probierte ich die mannigfachsten Farblösungen.
Die besten Resultate lieferten Hämatein-Eosin, HEiDENHAiNsches Eisen-
alaunhämatoxylin und Hämatein- Pikrinsäure.
g. JDie Reifeteilangen.
Ich hatte oben (S. 698) den Bau des fertig ausgebildeten (lebenden)
Eies von Malacohdella, nachdem ich seine Entstehung dargelegt,
708 Gustaf Gering,
beschrieben. Ich knüpfe dort wieder an, zunächst den Bau des eben
abgelegten Eies, wie es sich in Schnitten präsentiert, rekapitulierend.
Das eigentliche Ei ist von zwei Hüllen umgeben: die äußere, dickere
ist die Eihaut, die innere, dünne die Dotterhaut. Der Raum zwischen
beiden, der im Leben von einer wässerigen Flüssigkeit ausgefüllt war,
erscheint, falls die Eihäute nicht dicht aneinander gepi'eßt sind, oft
leer, doch kann man zuweilen (es hängt dies wohl von der Fixierung
ab) stellenweise eine Ansammlung einer mit Eosin blaßrosa gefärbten
homogenen Masse beobachten, die ich als ein Gerinnungsprodukt der —
nach den Reaktionen zu urteilen — wahrscheinlich eiweißhaltigen
Flüssigkeit auffasse. Häufig sieht man auch feine Fäden sich zwischen
l)eiden Eihäuten ausspannen. Innerhalb der Eihäute liegt dann das
eigentliche Ei. Sein Cytoplasnia stellt ein überaus feines, sehr gleich-
mäßices Netzwerk ^ dar, in dessen Maschen die Dotterkugeln liegen.
Etwas exzentrisch sieht man das von einer kräftigen Membran um-
hüllte Keimbläschen. Das Chromatin durchzieht in einem feinen Netz-
werk, das dicht mit kleinen Körnchen besetzt ist, das ganze Keim-
bläschen, an dessen Peripherie die kugeligen, stark tingierten Nucleolen
sich angesammelt haben, wie es oben (vgl. S. 689 u.) beschrieben wurde.
Schon in Eiern, die innerhalb der ersten Minuten nach der Ablage
fixiert wurden (aber keinesfalls schon in solchen, die das Ovarium noch
nicht verlassen haben), findet man zwei kleine Strahlenfiguren. Diese
Sterne liegen mit ihrem Centrum hart an der Membran des Keim-
bläschens und besitzen zunächst nur von dieser aus in den »Dotter«
ziehende Strahlen. Das Centrum der Strahlung bildet eine feines Cen-
triol^. Ein Centrosom ist in diesem Stadium noch nicht bemerkbar.
Die jüngsten von mir beobachteten Sterne waren durch einen Winkel
von etwa 20° voneinander getrennt. Man muß aber wohl annehmen,
daß sie einem Centriol, das sich dann teilte, ihren Ursprung verdanken.
Frühere Stadien entgehen wahrscheinlich deshalb dem Auge des Be-
obachters, weil ein Centriol ohne Strahlung sich von den übrigen Be-
standteilen des Eies nicht unterscheiden läßt. Sehr bald macht sich
an der Stelle, wo die Sterne der Keimbläschenmembran anliegen, eine
1 Wenn ich hier von »Netzwerk« und weiter unten von '>Fäden<« der Spin-
deln usw. rede, so gebe ich damit an, wie die betreffenden Gebilde bei etwa
5)00facher Vergrößerung aussehen, ohne etwa beluiupten zu wollen, daß es sich
hier um wirkliche Fäden usw. handle.
2 Ich schließe mich in der Anwendung der Begriffe »Centrosom« und »Cen-
triol« der Ternüuologie Bovebis an (vgl. O. Hertwk;, Allgem. Biologie, 111. Aufl.
S. 51).
Beiträge von Kenntnis 7,ur Malacobdella grossa (Müll.). 709
Einbuchtung oder Einkerbung- von verschiedenster Form bemerkbar
(etwa 10 Minuten nach Befruchtung), und in diese Vertiefung ziehen nun
auch Strahlen der Sterne hinein, gewissermaßen auf die Kernmembran
drückend. Während die Sterne noch nahe beieinander liegen, kommt
es mit ihrem zimehnienden Wachstum bald zu einer Durchkreuzung ihrer
Strahlen, keinesfalls aber schon zur Bildung einer Spindel. Schließlich
sind die Sterne so mächtig geworden, daß ihre Strahlen sogar die Peri-
pherie des Eies erreichen können. Schon bedeutend frühoi- löst sich
die Membran des Keimbläschens an den Stellen, die von den Sternen
berührt werden, auf, und die übrige, vorher glatte Membran — nunmehr
ihres Haltes beraubt — wird etwas wellig und faltig. Indem die Strahlen
der Sterne jetzt in das Keimbläschen selbst eindringen (etwa 20 Minuten
nach Befruchtung), setzen sie sich mit dessen chromatischem Netzweik
in Verbindung, so daß die extranucleären Teile allmählich in die Cliro-
matinfäden des Kernes übergehen. Während aber die Strahlen aulk'r-
halb des Keimbläschens einen schnurgeraden Verlauf nehmen, ist dies
innerhalb desselben nicht mehr der Fall. Wohl ordnen sich die dem
Stern zunächst liegenden Fäden des Chromatinnetzes so an, daß sie die
geradlinige Fortsetzung der Sternstrahlen bilden, in den inneren Partien
des Keimbläschens verliert sich aber diese radiäre Anordnung rasch.
Mit zunehmendem Wachstum der Sterne tritt immer deutlicher eine
stetig wachsende helle Zone um das Centriol auf, die sich durch ilue
Färbung deutlich von den umgebenden Partien des Eies, also vor allem
von der Strahlenfigur, abhebt. Es kommt also zur Ausbildung eines
Centrosoms, von dem die Strahlen ihren Ausgang nehmen. AVas ge-
schieht nun mit den Nucleolen, die der Keimbläschenmembran dicht
anlagen?
Über das Schicksal und die Natur der Nucleolen sind die Meinungen
noch sehr geteilt. Eine Anzahl Forscher sieht z. B. in ihnen Gebilde,
in denen chromatische Substanz als Eeservematerial angehäuft ist, so
Böhmig [40], Lebedinsky [49] und viele andre i. Demgegenüber ver-
tritt MoNTGOMERY [60] die Ansicht, daß die Nucleolen extranucleären
Ursprunges wären und in Eiern in inniger Beziehung zur Dotterbildung
ständen. Sie sollen nämlich die Bildung und Ansammlung der Dotter-
kugeln hervorrufen, dann, wenn diese ihre Tätigkeit abgeschlossen ist,
an der Kernperipherie sich auflösen und in gelöstem Zustand aus dem
Kern wieder austreten. Bei meiner oben (vgl. S. 688 ff.) gegebenen
Darstellung des Entstehens und Verhaltens der Nucleolen im sich ent-
wickelnden Malacobdellenei habe ich bereits darauf hingewiesen, daß
J^ Vgl. hierüber BijWiG [40], S. 552 ff.
710 Gustaf Gering,
die Verhältnisse hier anders liegen als bei den von Montgomeky unter-
suchten Nemertinen, habe mich aber an jener Stelle eines Urteils über
die Natur dieser Gebilde enthalten, da man ein solches nur fällen kann,
wenn man diese Nucleolen von ihrem Auftreten bis zum Verschwinden
verfolgt hat. Montgomery hat, wie mir scheint, nur Ovarialeier unter-
sucht. Ich aber habe das Schicksal der Nucleolen in den abgelegten
Eiern weiter verfolgt und bin auf Grund meiner Untersuchungen zu
der Überzeugung gekommen, daß die Nucleolen zu den Chromosomen
in inniger Beziehung stehen. Dank ihrer Lage dicht unter der Membran
des Keimbläschens müssen sie bei Auflösung derselben früh mit den
Strahlen der beiden oben beschriebenen Sterne in Berührung kommen.
Sie tun dies in geradezu auffallender Weise, indem sie sich an den Stellen,
wo die Sterne in das Keimbläschen eindringen, besonders zahlreich an-
sammeln. Doch nicht genug hiermit. Verfolgt man die Ausbildung
der Sterne und der sich entwickelnden ersten Richtungsspindel weiter,
so bemerkt man, daß mit dem allmählichen Auftreten der Chromosomen
ein Schwinden der Nucleolen Hand in Hand geht. Zuweilen hat es
den Anschein, als ob aus einem Nucleolus unter Gestaltsveränderungen
direkt ein Chromosom entstünde. Eine derartige Annahme ist aber
meines Erachtens nicht berechtigt, schon die bedeutend größere Zahl
der Nucleolen als der Chromosomen steht dem im Wege. Daß aber
die Substanz der Nucleolen zum Aufbau der Chromosomen zum großen
Teil verwandt wird, steht für mich nach den an einer großen Zahl von
Präparaten angestellten Untersuchungen außer allem Zweifel. Ab und
zu beobachtet man noch einen oder zwei Nucleolen, wenn die Chromo-
somen bereits ausgebildet sind. Solche nicht verbrauchte Nucleolen
persistieren aber nicht lange und sind, wenn das Ei sich zur Ausstoßung
des ersten Polkörperchens anschickt, nicht mehr zu finden, haben sich
also aufgelöst.
Die sich solcherweise bildenden Chromosomen stellen zuweilen
typische Tetraden dar, meistens sind sie aber etwas längliche, nicht
sehr regelmäßige Körner von verschiedener Gestalt. Da schon die
Nucleolen im Bereich der stetig wachsenden Strahlen lagen, tun es
natürlich auch die Chromosomen, die zu den Fäden in direkte Beziehung
zu treten scheinen. Sie kommen dann an die Stelle zu liegen, wo die
Strahlen der beiden Sterne sich überkreuzen, werden von diesen Strahlen
dann allmählich in die Region zwischen beiden Sternen gezogen und es
kommt jetzt zur Ausbildung einer regulären Spindel, deren Elemente
-rein intranucleären Ursprunges sind (etwa 30 Minuten nach Befruchtung).
Im Laufe dieses Prozesses ist allmählich das ganze Keimbläschen auf-
Beiträge zur Kenntnis vdu Malaoohdella grussa (Müll.)- 7J1
gelöst, und der von ihm zuvor eingenommene Raum wird von den
Polstrahlungen und der Spindel eingenommen.
Die nicht zum Aufbau der Spindel verwandten Elemente des Keim-
bläschens bilden jetzt nicht mehr ein Netzwerk, sondern sind in kleine
Körnchen zerfallen, die durch ihre Affinität zu Kernfarbstoffen sich
deutlich von dem übrigen Plasma der Eizelle abheben. Die Zahl der
Chromosomen beträgt 16. Die Spindel hat zunächst eine ganz beliebige
Lage im Ei, hat mitsamt den Polstrahlungen eine Ausdehnung von
etwa zwei Drittel Eidurchmesser und rückt nun allmählich innerhalb
des körnigen Hofes und mit diesem mit ihrer Breitseite der Peripherie
des Eies zu. Je näher die erste Richtungsspindel der Eioberfläche
kommt, um so kleiner wird sie ; die Strahlen nehmen sichtlich an Länge
ab und auch die Spindel erleidet eine geringe Verkürzung und Verbrei-
terung. Ihre Länge beträgt jetzt 15 — 20//, ihre Breite kaum mehr
als 10«.
Hat die Richtungsspindel die Peripherie des Eies erreicht, so dreht
sie sich allmählich um 90° und stellt sich in einen Eiradius ein (etwa
45 Minuten nach Befruchtung). Jetzt nimmt die ganze Figur nur noch
etwa ein Drittel des Eidurchmessers ein, wobei zu bemerken ist, daß
die dem Eicentrum zugewandte Strahlung bedeutend mächtiger ist
als die periphere, da diese, je näher sie der Eioberfläche kam, unter
Verkürzung ihrer Strahlen immer kleiner und kleiner wurde. In diesem
Stadium ist die Richtungsspindel immer noch von dem körnigen Keim-
bläschenplasma umgeben. Die inzwischen in einer Aquatorialplatte
angeordneten Chromosomen haben eine Gestaltsveränderung erfahren,
sie sind nämlich schlanker geworden und stellen nun aus einer Anzahl
ungleichmäßiger Körnchen zusammengesetzte, zum Teil gebogene Stäb-
chen von 1,7 — 2,2 j« Länge dar. Jetzt spalten sich die Chronaosomen
der Länge nach und die Teilungsprodukte werden auf zwei Tochter-
platten verteilt. An der Stelle, wo die Richtungsspindel die Eiober-
fläche berührt, macht sich eine dellenförmige Einbuchtung derselben
bemerkbar. In dieser Vertiefung kommt es dann rasch zu einer halb-
kugeligen Vorwölbung des Plasmas, in sie rückt die äußere Tochterplatte
hinein, und der erste Polkörper, in dem man deutlich 16 Chromosomen
unterscheiden kann, wird abgeschnürt (etwa 60 Minuten nach Be-
fruchtung).
Die im Ei verbleibenden Chromosomen werden jetzt etwas kom-
pakter. Das Centriol des inneren Poles der ersten Richtungsspindel
hat sich schon während der Ausstoßung des ersten Polkörperchens
geteilt, jetzt rücken die Tochtercentriolen auseinander, es entstehen
712 Gustaf Uering.
zwei getrennte Strahlungen und zwischen ihnen eine Centralspindel,
in welche die inzwischen wieder etwas wachsenden Chromosomen zu
liegen kommen. Rasch stellt sich dann die so gebildete zweite Rich-
tungsspindel in einen Eiradius ein, und es kommt an der gleichen Stelle
zur Ausstoßung des zweiten Polkörperchens, der auf diese Weise unter
oder unmittelbar neben den ersten zu liegen kommt (etwa 120 Minuten
nach Befruchtung). Die auch jetzt noch vorhandene Einbuchtung der
Eioberfläche, in der die Polkörperchen liegen, gleicht sich dann all-
mählich aus.
Die nach der Ausstoßung der beiden Polkörperchen im Ei ver-
bleibenden 16 Chromosomen schwellen nun zu ebensoviel Bläschen
an, die zu mehreren größeren Bläschen verschmelzen, welch' letztere
dann durch Vereinigung schließlich den definitiven bläschenförmigen
weiblichen Vorkern bilden. Während dieses Prozesses rückt die noch
vorhandene innere Polstrahlung der zweiten Richtungsspintlel mit dem
sich bildenden weiblichen Vorkern der Mitte des Eies zu, wobei die
Strahlung allmählich einem immer deutlicher zutage tretenden Zerfall
anheimfällt. Gleichzeitig verschwindet auch langsam das körnige
Plasma, in dem die Richtungsspindeln lagen (etwa 180 Minuten nach
Befruchtung).
h. Die Befruchtung.
Während die erste Richtungsspindel gebildet wurde, ist das Sperma-
tozoon in das Ei eingedrungen. Welche Beziehungen zwischen diesem
Vorgange und der Polkörperbildung bestehen, geht schon aus dem oben
(vgl. S. 705) Gesagten hervor. Eingeleitet wird die Bildung der ersten
Richtungsspindel nämlich ohne vorhergehende Befruchtung, zur Aus-
stoßung der Polkörper schreitet das Ei aber nur und erst dann, wenn
ein Spermatozoon eingedrungen ist. Auch bei Nematoden, besonders bei
Ascaris, und bei Tardigraden bestehen dieselben Beziehungen zwischen
beiden Vorgängen, wie die Untersuchungen von Bütschli, Ziegler
und V. Erlanger ergeben haben [56]. Das eingedrungene Sperma-
tozoon bleibt zunächst an der Stelle i, wo es eingedrungen ist, liegen
und erleidet nur geringe Veränderungen. Der Schwanz verschwindet
und der Kopf quillt etwas auf, so daß er jetzt ein dickeres, aber immerhin
noch längliches Gebilde darstellt. Eine Strahlung ist in diesem Stadium
noch nicht wahrnehmbar.
Steht das Ei kurz vor der Ausstoßung des ersten Polkörperchens,
1 Die Stelle des Eindringens des Spermatozoons in das eigentliche Ei ist
scheinbar nicht abhängig von der Lage der Micropyle.
Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella gro88a (Müll.). 713
SO machen sich auch am Spermatozoon rasch fortschreitende Um-
bildmigen bemerkbar. Der immer noch gleichmäßig dunkel gefärbte
Körper rundet sich noch mehr ab und zerfällt dann in eine große Zahl
kleiner Körnchen. Aus diesen entsteht dann durch teilweise Auflösung,
Aufnahme von flüssiger Substanz aus dem Ei und Bildung einer Mem-
bran ein kleiner, bläschenförmiger männlicher Vorkern, in dem eine
Anzahl Chromatinbröckchen zu sehen sind. Nicht lange bevor dieser
Prozeß abgeschlossen ist, tritt neben dem Spermakern eine kleine
Strahlung auf, in deren Mitte man bei ihrem weiteren Wachstum ein
Centriol und darum ein kräftiges Centrosom unterscheiden kann. Wäh-
rend der bläschenförmige männliche Vorkern anfangs meist noch an
der Eiperipherie liegen bleibt, rückt gewöhnlich die Strahlung schon
gegen die Eimitte vor. Im Verlaufe dieser Wanderung, an der sich
aber der männliche Vorkern auch sofort beteiligen kann, teilt sich das
Centriol und das Centrosom wird länglich oval. Zwischen den Cen-
triolen kommt es dann zur Bildung einer Centralspindel. Der anfänglich
etwa 5 u große männliche Vorkern wächst währenddes, zuweilen amö-
boide Fortsätze zeigend, und hat bald einen Durchmesser von 8 — 9 ii,
schließlich von 15 u erreicht.
Haben Strahlungen und männlicher Vorkern entweder zusammen
oder nacheinander die Mitte des Eies erreicht, so treffen sie hier mit
dem weiblichen Vorkern zusammen (etwa 180 Minuten nach Befruch-
tung). Hierbei gerät die Spindel zwischen beide Kerne, da die Centriolen
sich links und rechts in die Berührungsebene einstellen. In dem weib-
lichen Vorkern sind inzwischen, ebenso wie in dem männlichen, einige
Nucleolen aufgetreten, außerdem ist in beiden Vorkernen ein chroma-
tisches Netzwerk bemerkbar. Hier kann das Auftreten von Nucleolen
doch keinesfalls mit Dotterbildung in Zusammenhang gebracht werden,
zumal sie während der Bildung der ersten Furchungsspindel wieder
verschwinden. Will man also die Auffassung Montgomeeys [60] (vgl.
S. 709) von der Natur der Nucleolen zu Recht bestehen lassen, so muß
man schon annehmen, daß es Nucleolen von sehr verschiedener Art,
Zusammensetzung und Bestimmung gibt. Diese Auffassung vertritt
auch Böhmig [40]. Daß aber in den Eiern sämtlicher von Montgomery
untersuchten Nemertinen (vgl. S. 690) die Nucleolen so ganz andrer
Natur sein sollten als die im Malacobdellenei, will mich unwahrscheinlich
dünken. Ich hoffe noch einmal Gelegenheit zu haben, andre Nemertinen
daraufhin untersuchen zu können.
Die Strahlen der Spermasterne haben im Verlaufe der Wanderung
zur Eimitte eine gewaltige Ausdehnung erfahren und reichen schließlich
714 Gustaf Gering,
bis zur Eiperipherie. Dann aber fallen sie einer schnell zunehmenden
Auflösung anheim. Die zunächst geradlinig verlaufenden Strahlen
werden wellig und zerfallen in einzelne Stücke, die dann in dem Proto-
plasma des Eies verschwinden. Dieser Zerfall setzt ein, sobald die
Vorkerne nahe aneinander gerückt sind und führt rasch zu einem
vollständigen Verschwinden der ganzen Sterne. Die Vorkerne flachen
sich an der einander zugekehrten Seite ab und verschmelzen schließlich
unter Bildung mannigfacher amöboider Ausläufer (etwa 210 Minuten
nach Befruchtung). Vor der Fusion ist es oft schwer, die beiden ganz
gleich gebauten Vorkerne zu unterscheiden, nur die Lage der Pol-
körperchen läßt bei günstiger Schnittführung erkennen, welches der
weibliche Vorkern ist.
i. Die weitere Entwicklung bis zur Bildung der ersten Furche.
Ist die Verschmelzung der beiden Vorkerne erfolgt, so treten an
gegenüberliegenden Stellen des nunmehrigen, bläschenförmigen Fur-
chungskernes neue, anfangs kleine Sterne auf, und zwar dort, wo vorher
die Spermasterne lagen. Es gelang mir nicht festzustellen, ob die
Centriolen der neuen Sterne mit denen der alten identisch sind, ich
kann daher auch nicht entscheiden, ob die beiden Centriolen der
ersten Furchungsspindel vom Spermatozoon in das Ei eingeführt sind,
oder ob vielleicht das eine Centriol von der Eizelle stammt. Unter
dem Einfluß der rasch wachsenden Strahlungen löst sich die Kern-
membran auf und es differenzieren sich 16 brockenförmige Chromo-
somen. Unter fortschreitender Auflösung des Kernes entsteht dann
in ganz ähnlicher Weise, wie es bei der Polkörperbildung beschrieben
wurde, eine Centralspindel, in deren Mitte sich die Chromosomen in
einer Aquatorialplatte anordnen. Diese teilt sich dann und die Tochter-
platten rücken auseinander. Die Sterne haben inzwischen eine recht
große Ausdehnung erreicht und können sogar die Eiperipherie berühren.
In der Ebene der Aquatorialplatte stoßen sie im Umkreis um die Central-
spindel winkelig aufeinander. Aus den je 16 Tochterchromosomen
bilden sich ebenso viele kleine Bläschen, diese verschmelzen allmählich
miteinander und es entstehen so die Kerne der ersten beiden Blasto-
meren. Während dieser Verschmelzung haben sich die Centriolen ge-
teilt, rücken auseinander und stellen sich an die Enden der sich bildenden
länglichen Tochterkerne, so die zweite Furchung schon vorbereitend.
Währenddessen zerfallen allmählich die Strahlen der Sterne der ersten
Furchungsspindel. Die Furchung selbst geht in der Weise vonstatten,
daß zunächst peripher eine Einkerbung der Eioberfläche eintritt, von
Reilräge zur Kenntnis von M.ilaoohdelljv j^rossa (Müll.). 715
dieser aus schiebt sich dann scheiidjai' eine Scheidewand nach der Mitte
zu vor, bis die iin_ut"öiniiue Einschnüruno; die Centralspindel ei'i'eicht
hat. und schließUch wird auch diese durchschnüit (etwa 240 Minuten
nach Befruchtunu). Hierbei kann es zur ßikluiiii eines Zwischen-
körpers kommen. Reoehuäßii;' scheint er mir jedoch nicht aufzutreten.
Bei der Polkörperbildung habe ich niemals einen Zwischenkörper beob-
achtet, es ist aber möglich, daß auch dort ein solcher sich bilden kann.
k. Vergleich zwischen dem Ei von Malacobdella und dem von
Cerebratulus.
Vergleiche ich die hier beschriebenen ersten Entwicklungsvorgänge
im Ei von MalacohdeJIa mit denen, die im Ei von Cerebratulus von
CoE [42] und Kostanecki [46] beobachtet sind, so fällt auf den ersten
Blick eine große Übereinstimmung auf. Wenn man von gewissen
Einzelheiten absieht, können die von den genannten Forschern ge-
gebenen Abbildungen auch für das Ei von Malacobdella gelten. Be-
sonders KoSTANECKis treffliche Bilder weisen oft eine geradezu frappante
Ähnlichkeit mit denen, die meine Präparate bieten, auf. Die Haupt-
unterschiede sind die, daß es bei Malacobdella einmal nie zur Teilung
eines Polkörperchens kommt, was bei Cerebratulus sehr häufig eintritt,
und zweitens, daß die Chromosomen bei Malacobdella nur selten die
Form von Tetraden haben, was bei Cerebratulus in der ersten Richtungs-
spindel die Regel zu sein scheint. Durch die Tatsache, daß das Ei
von Cerebratulus einen einzigen großen Nucleolus besitzt, das von
Malacobdella aber eine große Zahl kleiner Nucleolen aufweist, kommt
es zu weiteren Verschiedenheiten, die sich z. B. in der Art der Entstehung
der Chromosomen kund tun.
Bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Eiern, die innerhalb
der ersten Stunde nach der Mischung mit Sperma fixiert waren, beob-
achtete ich eine auffallende Erscheinung. Es trat hier ein immer weiter
fortschreitender Zerfall des Keimbläschens ein. Zunächst teilte es sich
in wenige große, zum Teil etwas gelappte Stücke, die gewöhnlich ab-
gerundete Konturen angenommen hatten. In diesen ließen sich noch
Reste der Chromatinbrocken nachweisen. In späteren Stadien waren
dann die größeren in eine Anzahl kleinerer, mehr oder weniger kugeliger
Stücke zerfallen, und dieser Prozeß ging so weit, daß schließlich das
ganze Ei mit einer großen Zahl (in einem Schnitte 30 — 40 Stück)
kleiner kugeliger Gebilde erfüllt war. Diese zeigten eine körnige Struktur
und auffallende Affinität zu Kernfarbstoffen, wodurch sie sich von dem
Protoplasma des Eies deutlich abhoben, falls sie nicht gar von einem
716 Gustaf Gering,
hellen Hofe umgeben waren. Von Chromatinbrocken war jetzt nichts
mehr zu sehen, ebensowenig von Nucleolen. Anfänglich glaubte ich
es hier mit etwas ähnlichem zu tun zu haben, wie es Goldschmidt [57]
für Polystomum integerrimum beschreibt und als Caryomeritenbildung
bezeichnet. Da aber alle diese Eier einer Zucht entstammten und ich
in den vielen Tausenden von Eiern, die ich auf Schnitten untersuchte,
niemals wieder etwas derartiges beobachtete, glaube ich annehmen zu
dürfen, daß es sich hier um eine abnorme Erscheinung handelt, die
eine Entwicklung der Eier wohl verhindert haben würde. Leider besitze
ich keine älteren Stadien aus dieser einen Zucht.
Kiel, im Juh 1910.
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Textfig. 9. Taf. XXXIX, Fig. 23. ,
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Außerdem Nr. 34, 35, 36, 37.
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Jen. Zeitschr. f. Xaturw. Bd. XXVIII. 1894. S. 196—246. Taf. XI
bis XV.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XXXn.
Die Zeichnungen sind nach mit warmer konzentrierter Sublimatlösung
fixierten Schnittpräparaten von 5 n Dicke mit Hilfe des AsBEschen Zeichen-
apparates hergestellt unter Benutzung der homogenen Immersion 1/12 mm.
Apert. 1, 3 und der Oculare 1, 3 und 4. Fig. 9 ist mit Objektiv C, Ocular 4 gezeichnet.
47*
720 Gustaf Gering, Beiträge zur Kenntnis von Malacobdella grossa (Müll.).
Gebraucht wurde ein ZEisssches Mikroskop. Über die angewandten Färbungen
vergleiche S. 694. Da die Zeichenfläche nicht in der Höhe des Objekttisches lag,
ist für jede Figur die berechnete Vergrößerung angegeben.
Fig. 1. Junge Eier mit primärem Dotter, noch eingeschlossen vom Gonaden-
epithel. 620 X .
Fig. 2. Gonadenepithelzellen mit großen Dotterballen, x, ein unter der
Bildebene liegendes junges Ei. 1120 x.
Fig. 3. Gonadenepithelzellen mit zahlreichen bernsteinfarbigen Einschlüssen
und Dotterkugeln. 1350 x .
Fig. 4. Ein älteres Ei. Man sieht die langgestreckten Nährzellen und die
durch Schattierung hervorgehobene Farbdifferenz zwischen primärem und Nähr-
zellendotter. 620 x .
Fig. 5. Unterer Teil eines noch weiter entwickelten Eies^ Zahlreiche
Nährzellen strecken sich am Stiel in die Höhe. 620 x .
Fig. 6. Stielbasis eines älteren Eies. In den Nährzellen bernsteinfarbige
Einschlüsse und Dotterkugeln. Ein Teil der Nährzellen ist bereits zum Aufbau
des Stieles verbraucht. 1120 x.
Fig. 7. Unterer Teil eines Eies. Die Kerne der Nährzellen in Auflösung
begriffen. 1120 x.
Fig. 8. Unterer Teil eines noch weiter entwickelten Eies. Im inneren Teil
des Stieles in Auflösung begriffene Gebilde (wahrscheinlich Dottersubstanz be-
sonderer Beschaffenheit). Einige nicht direkt in der Bildebene liegende Kerne
wurden blaß eingezeichnet. 1120 x.
Fig. 9. Eibirne, in der die drei Bezirke die typische Ausbildung zeigen.
Die Farbdifferenzen wurden durch verschiedene Schattierung wiedergegeben. 300 x .
Fig. 10. Unterer Teil eines Eies. Im Stiel ist der dritte Bezirk als röhren-
förmiger Teil gut erkennbar. 620 x .
Fig. 11. Untere Hälfte eines eben abgelösten Eies. Um die Farbdifferenz
zu zeigen, wurde der zweite Bezirk, der ebenso gekörnelt ist wie der dritte, flächen -
haft angelegt. Man sieht die Eimembranbildung. 1120 x. Fig. IIa. Das ganze
Ei. 140 X .
Fig. 12. Abgelegtes und befruchtetes Ei. Fixiert durch langsame Über-
führung aus Seewasser in Sublimateisessig, worauf das Ei durch langsam zuge-
setzten Alkohol gehärtet wurde. Die Micropyle tritt durch zahlreiche dort an-
haftende Spermatozoen deutlich hervor.
Fig. 13. Frisches, soeben abgelegtes, unbefruchtetes Ei. Man sieht die
große Micropyle.
w
Beiträge zur Kenntnis der Biologie und Anatomie der
Tardigraden (Macrobiotus macronyx Duj.).
Von
J. Henneke.
(Aus dem zoologischen Institut in Marburg.)
Mit 20 Figuren im Text und Tafel XXXIIT.
Dem Studium der Tardigraden wandte ich mich zu in der Absicht,
die Entwicklimgsgeschichte dieser in vieler Hinsicht so interessanten
Tiergruppe zu verfolgen. Jedoch erwiesen sich die technischen Schwie-
rigkeiten in der Behandlung der recht kleinen Eier als so groß, daß
ich einstweilen diese Arbeit zurückstellen mußte, hoffe aber, dieselbe
in nicht allzu langer Zeit der vorliegenden folgen lassen zu können.
Zu der nachfolgenden Untersuchung veranlaßte mich der Umstand,
daß wir über den anatomischen und histologischen Bau der männlichen
Tiere der Tardigraden noch so gut wie gar nicht orientiert sind. Wesent-
lich unterstützt in meinen Bemühungen wurde ich dadurch, daß ich
in meinem Material, das ich zum Zwecke des Studiums der Entwick-
lungsgeschichte gesammelt hatte, eine große Menge von Männchen
der Species Macrobiotus macronyx Duj. auffand. Meine Untersuchungen
erstrecken sich aber nicht allein auf die männlichen Tiere, sondern es
wurden auch die weiblichen derselben Species zum Vergleich heran-
gezogen, so daß also diese Arbeit gewissermaßen eine Ergänzung zu
der erst kürzlich aus dem hiesigen Institut hervorgegangenen Arbeit
von Basse (1905) >>Über den Bau der Tardigraden« bildet.
Material.
Zu den Untersuchungen wurde die im Süßwasser lebende Art Macro-
biotus macronyx verwandt. Das Material, bei dessen Aufsuchung mir
Herr Professor Dr. Lauterborn mit Rat und Tat zur Seite stand, und
dem ich für seine liebenswürdige Hilfe an dieser Stelle nochmals meinen
722 J. Henneke,
verbindlichsten Dank ausspreche, stammt aus einem Graben mit stehen-
dem Wasser, der sich zwischen Mundenheim und Maudach (bei Lud-
wigshafen am Rhein) hinzieht. Hier fand ich, wie das v. Erlanger
schon beschreibt, die Tiere unter Diatomeen und Oscillarien an der
Oberfläche des Wassers in den Monaten März bis Mai in ganz unge-
heuren Mengen. Ich schöpfte den Schlamm mit einem Netz und
goß ihn zu Hause in Schalen. Die Tiere sammelten sich dann an der
Lichtseite des Gefäßes und konnten zu Tausenden gefangen werden.
Methodik.
Die Tiere wurden lebend und konserviert studiert. Als Konser-
vierungsflüssigkeit wurde heiße ZENKERsche Lösung, heißer Sublimat-
alkohol und HERMANNsche Lösung verwandt. Letztere erwies sich
als unentbehrlich für das Studium der cytologischen Verhältnisse des
Hodens, während die ersten beiden sich besser eigneten zum Studium
der übrigen anatomischen Verhältnisse in Schnitten und Totalpräpa-
raten. Gefärbt wurde nach Heidenhain und mit Hämatoxylin-Eosin.
Die Totalpräparate wurden mit Hämatoxylin oder besser mit Borax-
karmin gefärbt und in Nelkenöl untersucht, worin sie sich sehr gut
hielten. Der besseren Orientierung wegen wurden die Tiere nach der
HoFFMANNschen Nelkenölkollodiummethode eingebettet. Bevor sie
in Nelkenöl gebracht wurden, mußte die Chitinhaut an einer Stelle
geöffnet werden und die Tiere dann nach der Senkmethode aus absoluten^
Alkohol überführt werden. Die Dicke der Schnitte betrug 2 f^i.
Ich möchte nicht versäumen, an dieser Stelle meinem hochver-
ehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Korschelt, für das jederzeit meiner
Arbeit entgegengebrachte Interesse meinen verbindlichsten Dank aus-
zusprechen. Auch Herrn Prof. Dr. Meisenheimer und Herrn Dr.
Tönniges möchte ich hier noch einmal für ihre Unterstützung, be-
sonders bei Überwindung der nicht unerheblichen technischen Schwierig-
keiten, danken.
Biologisches.
Im Gegensatz zu den landlebenden Formen kommen bei den
wasserlebenden Männchen ebenso häufig vor wie Weibchen, wenigstens
in den Monaten Februar bis Mai. Ja, es schien mir sogar, als wenn
sie in den ersten warmen, regenlosen Tagen des Frühlings, also etwa
Anfang März in der Überzahl da wären. Jedoch scheint dies Verhältnis
sich im Laufe des Jahres zu ändern, da nach den übereinstimmenden
Mitteilungen von Rywosch u. a. die Männchen in den späteren Monaten
Beiträge zur Kenntnis der Biologie und Anatomie der Tardigraden usw. 723
des Jahres ganz verschwinden sollen, während die Weibchen doch ent-
wicklungsfähige Eier legen. Ich vermute daher, daß hier ein ähnlicher
Wechsel von parthenogenetischen und befruchtungsbedürftigen Gene-
rationen vorliegt, wie er für Rotatorien, Aphiden u. a. Tiere beschrieben
ist. Doch wäre das noch näher zu untersuchen.
]\Ian kann bei einiger Übung die beiden Geschlechter schon bei
oberflächlicher Betrachtung voneinander unterscheiden. Ich kann
mich hier der Beschreibung v. Erlangeks vollkommen anschließen:
»Die Männchen, schreibt er, sind durchschnittlich um die Hälfte kleiner
als die Weibchen, beweglicher, viel durchsichtiger und farblos, während
die Weibchen durch die im Ovar enthaltenen Eier eine gelbe bis braune
Färbung aufweisen, welche vom Eidotter herrührt.« Ein ganz un-
zweifelhaftes Erkennungsmerkmal dafür, ob man es mit einem Männ-
chen oder Weibchen zu tun hat, bietet sich außer in dem Inhalt der
Gonaden in einem von Rywosch entdeckten »eigentümlichen Häk-
chen an dem vorderen Fußstummel; neben den drei normalen findet
sich hier ein kleineres, welches stärker als
die andern gekrümmt ist und an seiner
konvexen Seite einen kleinen Vorsprung
besitzt« (Textfig. 1). Dieses kleine Häk- exd'
chen erweist sich als außerordentlich zweck-
mäßig bei dem Begattungsvorgang, öfters
fischte ich mit der Pipette Weibchen
heraus, an denen ein bis mehrere Mann- Textfig. 1.
chen fest angeklammert waren. Ich beob- Erste Extremität eines männlichen
1 1 1 o • • Individuums von Macrobiotus niacro-
achtete diese genauer und sah, daß em, ja nyx.
mitunter vier Männchen an einem Weibchen
saßen oder auf demselben herumkrochen, indem sie sich mit den Häk-
chen an der Chitinhaut des Weibchens festhakten. Das Weibchen zog
sich bald zusammen und löste sich auf diese Weise von der alten
Chitinhaut. In dieser arbeitete es mit Zähnen und Füßen heftig
herum, bis es ihm gelungen war, die alte Hülle zu durchbohren.
Es wird dieser Vorgang der Häutung schon in ganz ähnlicher Weise
von andern Autoren, z. B. Kaufmann, Richters u. a. beschrieben.
Die alte Hülle wird jetzt bis zwischen die beiden hintersten Extremi-
täten abgestreift; hier bleibt sie hängen, so daß also die Cloake noch
in sie hineinmündet. Die Männchen versuchen nun mit den Zähnen
die hinten hängende Haut anzubohren, was einige Zeit in Anspruch
nimmt. Ist ihnen das gelungen, so legen sie sich quer über die
Hülle, ihre Cloake über dem gebohrten Loch, klammern sich an der
724 J. Henneke,
Haut fest und entleeren den Samen in die abgestreifte Hülle des
Weibchens.
Von einem Copulationsglied, wie es Greeff angibt, ist nichts
vorhanden. Was er als solches anspricht, möchte ich nach seiner
Zeichnung für die Chitinauskleidung der Cloake halten. Da er niemals
eine Begattung gesehen hat, ist seine Deutung dieses von ihm ange-
gebenen Fortsatzes wohl auch lediglich nur eine Vermutung.
Ist der Samenerguß erfolgt, so sieht man Spermatozoen in großer
Menge in der Hülle herumwimmeln. Auch Kaufmann hat eine ähnliche
lebhafte Bewegung in der alten Chitinhaut bei der Eiablage beobachtet
und schreibt darüber: »Mit dem Ei trat zugleich eine Menge von Ele-
mentarkörnchen hervor, die sich in dem von der alten Hülle einge-
schlossenen Eaum verbreiteten und so lebhafte Bewegungen ausführten,
daß der Gedanke an Spermatozoidengewimmel sehr nahe lag. Es war
aber eine mit Spermatozoiden zu vergleichende Form an diesen Körper-
chen nicht zu erkennen. << Er nimmt dann weiter an, daß die Befruchtung
schon im Ovar stattfindet. Mir gelang es, auf Schnitten direkt Sper-
matozoen in der alten Hülle, die auf die vorhin beschriebene Weise
dorthineingelangt waren, nachzuweisen. Von diesen rührte jedenfalls
auch die lebhafte Bewegung her, denn von »Elementarkörnchen« war
nichts zu sehen. Die Spermatozoen dringen bisweilen in die Cloake
ein und waren im Enddarm festzustellen.
In demselben Moment, wo die Ejaculation erfolgt ist, fängt auch
das Weibchen an seine Eier abzulegen, und zwar entledigt es sich der-
selben ziemlich schnell (bis zu 15 Eier in 5 Minuten); die Eier zwängen
sich durch Oviduct und Cloake, indem sie ihre Form den Ausführgängen
anpassen. Die Abbildung, die Kaufmann von dem Vorgang gibt, ist
im großen und ganzen richtig. Jedoch läßt er die Weibchen mit der
Ablage der Eier schon beginnen, während sie noch ganz in ihrer alten
Hülle darinstecken, was wohl auch bisweilen vorkommen mag.
v. Erlanger stellt den Begattungsprozeß etwas anders dar. Er
gibt an, daß das Männchen sein Sperma an der Afteröffnung der ab-
gestreiften Chitinhaut ausstößt, und daß dasselbe durch die Bewegungen
des Weibchens gewissermaßen in dieselbe hineingepumpt wird. Ich
halte diese Beschreibung nicht für richtig; denn ich habe den Vorgang
nicht dreimal wie er, sondern viel öfter sich abspielen sehen und immer
in der von mir angegebenen Weise. Auch konnte ich ihn willkürlich
herbeiführen, indem ich Weibchen mit reifen Eiern absonderte, bis sie
ihre Hülle abgestreift hatten, und dann Männchen dazusetzte.
Die Hülle mit den Eiern schleifen die Weibchen im allgemeinen
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 725
bis zum Ausschlüpfen der Jungen mit sich herum. Doch scheinen sie
bisweilen ganz aus der Hülle herauszuschlüpfen und die Eiersäcke sich
selbst zu überlassen, da v. Erlanger angibt, daß er in einem Jahre die
Weibchen mit den Eiersäcken im Zusammenhang, im andern getrennt
voneinander gefunden habe. Auch Kaufmann spricht von einem voll-
ständigen Herausschlüpfen der Weibchen aus ihrer alten Haut.
Anatomisches.
Integument.
Der ganze Körper der Tardigraden ist von einer Chitinhülle um-
geben, die von den unter ihr liegenden Matrixzellen ausgeschieden wird.
Am vorderen Ende, etwas ventral, liegt die runde Mundöffnung, die
von mehreren chitinigen Papillen umstellt wird. Am hinteren Ende
liegt der spaltförmige After, in den eine Strecke weit das Chitin hinein-
ragt. Die Chitinhülle ist glatt, weist also keine Ringelung und Fort-
sätze auf, wie man sie bei landlebenden Formen vielfach findet. An
den Enden der acht Extremitäten sitzen je vier Krallen, zu Paaren
angeordnet, von denen das eine Paar länger, aber dünner ist als das
andre. Die Doppelkrallen stehen etwas schräg zur Längsachse des
Tieres, und zwar so, daß bei den ersten drei Extremitäten die kürzeren
weiter nach außen stehen als die längeren, bei der letzten Extremität
umgekehrt. Die Krallen sind gebogen, und zwar zeigen die der drei
vorderen Extremitätenpaare mit ihrer konkaven Seite nach hinten,
die des vierten Paares nach vorn.
Beim Weibchen sind die Krallen des vorderen Fußstummels bis
auf den erwähnten Unterschied in der Größe einander gleich, während
beim Männchen die hinteren nach innen stehenden Krallen des ersten
Extremitäten paares die oben beschriebenen Eigentümlichkeiten zeigen
(Textfig. 1).
Einen Porus in der Chitinhaut, wie ihn Basse bei landlebenden
Formen zwischen den Krallen gefunden hat, konnte ich nicht fest-
stellen. Die Hypodermiszellen der Chitincuticula sind sehr flach, ver-
hältnismäßig groß, mit kleinem chromatinarmen Nucleus, der einen
kleinen Nucleolus einschließt. Die regelmäßige Anordnung der Zellen
auf der Dorsalseite, wie sie von vielen Autoren für die Landarten an-
gegeben wird, und welche darin zum Ausdruck kommt, daß rechts
und links von der Medianlinie die Zellen in je zwei Längsreihen stehen,
tritt nicht deutlich hervor. Pigment in den Hypodermiszellen, wie
es für die landlebenden Formen fast regelmäßig angegeben wird, findet
sich gar nicht. An verschiedenen Stellen finden sich, wie auch bei andern
726
J. Henneke,
Arten, Verdickungen der Hypodermis. Zwei derselben finden sich dorsal
und ventral von der Mundöffnung (Textfig. 2) ; Zellgrenzen konnte ich
ebensowenig wie Basse in ihnen finden; ein Lumen war nicht zu kon-
statieren. Wahrscheinlich dient diese Anschwellung, wie schon Basse
u. a. vermuten, der stärkeren Chitinproduktion in der Gegend des
Mundes.
Ferner liegt an den Enden der Fußstummel je eine Verdickung
der Hypodermis, über deren Bedeutung die Ansichten der Autoren
auseinander gehen. Die Verdickungen sind halbkugelförmig und be-
stehen aus radiär gestellten keilförmigen Zellen, die in der Mitte einen
Hohlraum umschließen (Textfig. 3). Basse hält diese mit v.' Erlanger
kr~\
Textfig. 2.
Medianschnitt durch Mundhölüe und
Mundröhre.
Textfig. 3.
Extremität eines sich häutenden
Weibchens.
für Extremitätendrüsen, besonders weil er einen Porus in der Chitin-
haut unter dem Lumen der Hypodermisverdickung gefunden hat und
vor demselben öfters ein Pfröpfchen von ausgetretenem Secret be-
obachtete. Dagegen sind Plate und Lance der Ansicht, daß diese
Zellanhäufung eine Ursache der stärkeren Chitinproduktion an den
Extremitäten bei den Häutungen ist. Ich fand, daß bei Tieren, die
sich eben von ihrer alten Chitinhaut zurückgezogen hatten, aber noch
in ihr darinlagen, die Basalplatte der neuen Krallen den Wänden des
Hohlraumes der sogenannten Extremitätendrüsen dicht angelagert war
und daß die neuen Krallen in ihr Lumen hineinragten (Textfig. 3).
Die Basalplatte mit den Krallen wird dann anscheinend ausgestülpt.
Es scheint daher nicht unwahrscheinlich, mit Plate und Lance anzu-
nehmen, daß die Basalplatte und die Krallen von den sogenannten
Extremitätendrüsen ausgeschieden sind und, da die Krallen innen hohl
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 727
sind, so wäre es nicht immöglicli, daß sie von einem Zellfortsatz aus,
der in sie hineinragte und später zurückgezogen wird, gebildet werden,
doch gelang es mir nicht einen solchen nachzuweisen.
Die Organe der Nahrungsaufnahme und Verdauung.
Was die Organe der Nahrungsaufnahme und Verdauung anbetrifft,
so kann ich im großen und ganzen bis auf einige unbedeutende Ab-
weichungen die BASSEschen Ausführungen bestätigen. Die Mund-
öffnung ist rund, von Chitinpapillen umstellt und liegt auf der ventralen
Textfig. 4.
Frontalschnitt durch das vordere Körpereude (kombiniert i.
Seite. Die Mundhöhle besteht nach früheren Autoren aus nach hinten
enger werdenden Chitinringen. Diese sind bei Macrohiotus macronyx
nicht vorhanden, sondern wir finden eine einheitliche, überall gleich-
weite Mundhöhle, an die sich sehr scharf abgesetzt die Mundröhre an-
schließt (Textfig. 2 u. 4). Dieselbe ist in ihrem vorderen Abschnitt in
dorso ventraler Richtung etwas aufgetrieben, wie das der Medianschnitt
728 J. Henneke,
(Textfig. 2) und der Querschnitt (Textfig. 5 b), der durch diese Gegend
geführt ist, sehr deuthch erkennen lassen. An der höchsten und tiefsten
Stelle dieser Auftreibung ist das Chitin der Mundröhre etwas verdickt;
eine stärkere Verdickung findet sich weiter nach hinten dort, wo die
Auftreibung sich allmählich verliert (Textfig. 2 und Querschnitt Text-
fig. 5 h). Der ganze vordere Abschnitt der Mundröhre wird umfaßt
von einem kleinen chitinigen Becher, dessen Boden von der Mundröhre
durchbohrt wird und hier an ihr befestigt ist. Dorsal und ventral liegt
seine Wand direkt der Mundröhre auf. Lateral befindet sich zwischen
ihr und der Mundröhre ein Zwischenraum, in dem Gebilde liegen, auf
die wir gleich noch zu sprechen kommen (Text-
mr—jK ^^^- ^' ^ ™^ Querschnitt Textfig. 5 a). Der Mund-
^-^sL J©-^ apparat kann über die Körperoberfläche vorge-
^^ ^ .streckt und wieder eingezogen werden. Textfig. 4
zeigt ihn im eingezogenen Zustand. Die cylin-
drische, chitinige Mundröhre zieht in schwachem
Bogen nach hinten und ragt noch ein Stück in
den Scblundkopf hinein, sich hier allmählich
Textfig. 5. trichterförmig verengernd. In dieselbe hinein ragen
Zwei Querschnitte durch y^j-^ uuten scitwärts die beiden etwas gebogenen
die Mundröhre, a, gleich ... . ^
hinter der Mundhöhle, Zähne. Dicse siud ihrer chemischen Natur nach
b, hinter dem aufgetne- y^[q]^i ^us Chitin zusammengesetzt, da sie sich gegen
benen Teil der Mund- ^^ , .» -r> tt ?• -i i -,
röhre. Farbstoffe, z. B. Hämatoxylin, durchaus anders ver-
halten wie das übrige Chitin des Tieres. Vielleicht
bestehen sie aus einer organischen Grundmasse, in die Kalksalze ab-
gelagert sind, wie das Doyere für das vordere Ende der Zähne vieler
Macrobioten angibt (Textfig. 4).
Eine Chitinleiste, welche Basse als Führungsleiste bezeichnet hat,
und auf der die Zähne hingleiten sollen, war bei Macrohiotus macronyx
nicht vorhanden. Statt dieser fand sich ein andrer Gleitapparat.
Rechts und links vom vorderen Ende der Mundröhre sind an diese kleine
Röhrchen angesetzt (Textfig. 5). Mit ihrem vordersten Ende reichen
dieselben bis an den Boden der Mundhöhle. Auf dem Frontalschnitt
(Textfig. 4) sind sie nicht bis vorn hin dargestellt, um die Einmündung
der Speicheldrüse einzeichnen zu können; aber auf dem Querschnitt
(Textfig. 5 a), der direkt hinter der Mundhöhle geführt zu denken ist,
sind sie im Durchschnitt rechts und links von der Mundröhre deutlich
zu sehen. Der Querschnitt der Röhrchen ist hinten rund, vorn platt.
Vorn liegen die Röhrchen in dem vorhin erwähnten Zwischenraum
zwischen der Mundröhre und der Wand des kleinen, chitinigen Bechers,
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 729
sich an dieser befestigend (Textfig. 5 a). Mit der Mundröhre stehen
die Röhrchen jederseits durch eine Öffnung in Verbindung. In den
Röhrchen gleiten die Zähne (Textfig. 5 b) und kommen durch die
Öffnungen in die Mundröhre (Textfig. 4).
Jeder Zahn sitzt mit einem Gelenkkopf in einer Gabel des sogenann-
ten Zahnträgers. Derselbe stellt eine S-förmig gekrümmte Chitinspange
dar, welche mit dem einen Ende an der Mundröhre befestigt ist, deren
Wand an der Befestigungsstelle etwas verdickt ist (Textfig. 4). »Durch
zwei Muskeln, welche dorsal und ventral über bzw. unter der Mundröhre
hinziehen, werden die beiden Gelenke miteinander verbunden (Textfig. 4
u. 6). Außerdem setzen sich an die
Enden der Zahnträger noch drei
Muskelstränge jederseits an, von denen
die beiden ersten zum Schlundkopf
ziehen und sich an dessen Peripherie
dicht übereinander ansetzen, der dritte iexttig, b.
, _, -, Muiidröhre mit Zahnträgern und deren
zum vordersten Ende der Mundrohre << Muskeln im Querschnitt.
(Textfig. 4). Von diesem konnte ich
nachweisen, daß er an jeder Seite paarig vorhanden ist, also aus
einem dorsalen und ventralen Muskelstrang besteht, zwischen denen
der Zahn liegt. Der dorsale inseriert an dem dorsalen Ast der Gabel
des Zahnträgers, der ventrale an dem ventralen. Vorn setzen sie an
der Mundröhre an, und zwar der dorsale Strang oberhalb, der ven-
trale unterhalb der Eintrittsstelle der Zähne in dieselbe zwischen den
beiden vorhin erwähnten chitinigen Verdickungen (Textfig. 2, 4 und
Querschnitt Textfig. 5 &). Zwischen Schlundkopf, Zahnträger und
Mundröhre liegen ober- und unterhalb der Mundröhre zwischen den
nach vorn ziehenden Muskeln, nicht zwischen Zähnen und Mundröhre
Matrixzellen, welche die chitinigen Teile des Zahn- und Mundapparates
liefern (Textfig. 4).
Der Schlundkopf hat die Form eines EUipsoids. >>Er besteht aus
radiär angeordneten Muskelbündeln und ist durch drei radiäre Spalten
von der Mitte bis zur Peripherie in drei Segmente zerlegt. << Eine derart
regelmäßige Anordnung der Muskelbündel, wie sie Basse angibt, nämlich,
daß in jedem Segment zwei seitliche Bündel sich an die gleich zu erwähnen-
den Chitinstäbe, ein mittleres sich an den mittelsten vorspringenden Teil
des Segments anheften, besteht bei Macrobiotus marconyx nicht. Die
Fibrillen ziehen von der Peripherie des Schlundkopfes zur Mitte (Text-
fig. 4 u. 7) und erweitern durch ihre Verkürzung das Lumen desselben;
auf diese Weise ist derselbe imstande, eine saujrende Wirkuno auszuüben.
730
J. Henneke,
Textfig. 7.
Querschnitt durch Schlundkopf und Speicliel-
Q, drüsen. g
Im Schlundkopf finden sich Chitineinlagerungeu, welche jedoch
nicht wie bei andern Arten der Gattung Macrohiotus ziemhch dicke
Leisten darstellen, sondern nur dünne und nur nach geeigneten Färbe-
methoden genau festzustellende
Stäbchen sind. Es sind drei
Doppellängsreihen von Stäbchen
vorhanden. Jede Doppellängsreihe
besteht aus zwei hintereinander
gelegenen Paaren, jedes Paar aus
zwei Stäbchen, die einander gegen-
Über in benachbarten . Segmenten
des Schlundkopfes liegen (Text-
fig. 4 u. 7). Ich möchte auf die
Form und Zahl der Chitineinlage-
rungen vom systematischen Stand-
' punkt ein besonderes Gewicht
legen. Man hatte bisher immer mit Plate und
Greeff angenommen, daß es nur einen Süß-
wasser-Macrobiotus, den 31. inacronyx, gäbe.
Ich war nun sehr erstaunt, als ich kürzlich
einen Macrohiotus im Süßwasser fand, der zwar
auf den ersten Blick dem M. macronyx sehr
ähnlich sah, sich von demselben aber außer in
einigen weniger in die Augen fallenden Merk-
malen, besonders durch Form und Zahl der
Chitineinlagerungen unterschied. Es fanden
sich bei ihm in jeder Längsreihe drei ziemlich
dicke Leistchen. In einer mir in liebenswürdiger
Weise zur Verfügung gestellten, eben im Druck
befindlichen Arbeit von Professor Richters
fand ich diese Angabe voll bestätigt. Ich möchte
den von mir gesehenen Macrohiotus mit dem
von ihm dort beschriebenen Macrohiotus la-
custris identifizieren.
An den Schlundkopf schließt sich der
Schlund an, der sehr eng ist und aus verhältnis-
mäßig niedrigen Zellen besteht (Textfig. 8).
In das Mundrohr münden vorn beiderseits die beiden Speichel-
drüsen. Sie schmiegen sich dem Schlundkopf dicht an; jedoch be-
decken sie ihn dorsal nicht ganz, wie Basse dieses von ihnen angibt. Das
Textfig. 8.
Frcntalschnitt durch den
Schlund und vorderen Teil
, des Magens.
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 731
Lumen der Drüsen ist nicht so weit wie bei andern Species, sondern
nur spaltf örmifj ; Secretballen in demselben habe ich niemals konsta-
tieren können. Die Zellen sind sehr deutlich abgegrenzt und zeigen in
ihrem Innern Vacuolen (Textfig. 4 u. 7), in denen wahrscheinlich Secrete
enthalten sind. Form und Anordnung der Zellen, die von der bei
Macrobiotus hufelandi etwas abweichen, sind am besten aus Textfig. 4
und 7 ersichtlich.
An den Schlund schließt sich ein ziemlich weiter Sack, der Magen,
an (Textfig. 8). Nach Basse erfolgt der Übergang zum Magen >> durch
eine Anzahl sehr regelmäßig angeordneter Zellen, die nach vorn mehr,
die hinteren weniger halbmondförmig gekrümmt sind und nach und
nach in die kubischen großen Magenzellen übergehen«. Ich habe
dieses Verhalten bei M. macronyx nicht konstatieren können. Der
Übergang war ein allmählicher, ohne die halbmondförmig gekrümmten
Zellen. Die Zellen des Schlundes bleiben bei der Färbung heller als
die Magenzellen. Wie Basse sehr richtig bemerkt, hängt die Höhe
der Magenzellen von Alter und Ernährungszustand des Individuums
ab. Namentlich bei ganz jungen Tieren sind die Zellen ungewöhnlich
hoch, so daß sie fast das ganze Lumen ausfüllen. In ihnen bemerkt
man ebenfalls besonders bei jungen Tieren, doch auch öfters bei aus-
gewachsenen kleine Tröpfchen, die sich nach Osmiumsäurebehandlung
intensiv schwärzen und demzufolge wohl Fett oder fettähnliche Sub-
stanzen sind. Im allgemeinen sind bei erwachsenen Tieren die Magen-
zellen mit einer gelbbraunen Masse von Nah-
rungssubstanz erfüllt, so daß das Protoplasma
oft ganz zur Seite gedrängt ist und nur einen
dünnen Wandbeleg bildet oder die Masse netz-
artig durchzieht. Die Einlagerung derartiger
Massen in die Magenzellen beginnt gewöhnlich
erst im zweiten Drittel des Magens und reicht bis
kurz vor die Einmündung der in den Enddarm Textfie 9
mündenden Drüsen. Kristalle, wie bei M. hufe- Querschnitt durcii den Ma-jen.
landi, sind in den Magenzellen nicht vorhanden.
Die Angabe von Lance, daß die Zellen bei M. macronyx an der
Innenseite Cilien tragen, hat schon Basse als unrichtig nachgewiesen.
Die Kerne sind ziemlich groß und besitzen außer einem Nucleolus
zahlreiche, meist randständige Chromatinkörner.
Auf der Außenseite des Darmes läuft eine Muscularis, und zwar
besteht dieselbe bei M. macronyx nur aus sieben Muskelsträngen, wäh-
rend Basse für landlebende Formen acht bis zehn angibt (Textfig. 9).
732
J. Henneke,
Die Zellen des Enddarmes sind kleiner wie die Magenzellen und
enthalten keine Nahrungssubstanzen. Ein Stück vor der Ausmündung
des Enddarmes durch den After inserieren an seiner dorsalen Fläche
ve
Textfig. 10.
Sagittalschnitt durch den Enddarm mit dorsaler Drüse und den Oviduct.
kurz hintereinander zwei Muskeln (Textfig. 10), welche nach dem
Rücken des Tieres ziehen und vielleicht durch ihre Kontraktion das
öffnen des Afters zu bewirken haben,
gleichzeitig aber wohl auch als Auf-
hängebänder für den Enddarm fun-
gieren. Sie werden bereits von
Plate angegeben, während Basse
nichts von ihnen erwähnt.
Rechts und links und dorsal
mündet in den Enddarm dicht
hinter dem Magen je eine Drüse,
die ganz gleichartigen Bau zeigen
und sich auch in dem Aussehen ihrer
Secrete nicht voneinander unter-
scheiden (Textfig. 10, 11, 13, 14).
Früher sah man die Drüsen rechts
und links vom Enddarm, die bei
den meisten Macrobioten zwei weit
nach vorn reichende Schläuche dar-
stellen, als Hoden an, während die
dorsal gelegene, welche im allgemeinen ein kleines Säckchen repräsentiert,
als Samenblase angesprochen wurde. Plate deckte zunächst diesen
Textfig. 11.
Krontalschnitt durch den hinteren Abschnitt
des Magens und den Enddarm mit den seit-
lichen Drüsen (weibliches Tier).
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 733
Irrtum auf, indem er erkannte, daß die Tardigraden getrenntgeschlecht-
lich seien, imd sprach die beiden seitlichen Drüsen als Excretionsorgane
an, entsprechend den MALPiGHischen Gefäßen der Milben. Die Be-
deutung der dorsalen »Anhangsdrüse des Geschlechtsapparates« läßt
er dahingestellt. In der Deutung der seitlichen Drüsen als Excretions-
organe herrscht jetzt ziemliche Übereinstimmung. Die dorsale An-
hangsdrüse, die übrigens, nebenbei bemerkt, nicht, wie frühere Autoren
annahmen, in den Genitalapparat, sondern, wie Basse richtig erkannt
hat, in den Enddarm mündet, hat verschiedene Deutungen erfahren.
Greeff hält sie für eine Samenblase, Lance für eine >> germigene «,
Basse spricht sie als Rectaldrüse an, »ein Organ, welches wir ja bei
sehr vielen Arthropoden wiederfinden«. Ich bin der Ansicht, daß alle
drei Drüsen morphologisch und physiologisch gleichwertig sind, und
zwar auf Grund ihres übereinstimmenden Baues bei M. macronyx.
Jede der Drüsen besteht aus drei, die Ecken eines Dreiecks ein-
nehmenden Zellen, die, von oben gesehen, wie drei nebeneinander liegende
Kugeln aussehen — bei den seitlichen Drüsen sind es nicht ganz Kugeln
(Textfig. 13 u. 14) — , nach unten laufen sie kegelförmig aus und um-
schließen ein kleines Lumen, das mit einem sehr engen Ausführgang
in den Darm mündet. Alle ihre Zellen sind gleichartig gebaut und
zeigen die Beschaffenheit secernierender Zellen. Sie sind relativ groß,
die Kerne sind ebenfalls groß und zeigen oft Fortsätze (Textfig. 10
u. 11). In den Zellen konnte ich ebenso wie in dem Lumen Excrete
nachweisen. Ich glaube, daß der Unterschied im Bau der dorsalen
und lateralen Drüsen bei den übrigen Macrobioten nicht unschwer aus
den Verhältnissen bei 31. macronyx zu erklären ist. Die Drüsen nahmen
bei den landlebenden Formen aus irgend einem Grunde an Größe zu;
den lateralen war hierzu Raum gegeben, während die dorsale durch den
Geschlechtsapparat daran verhindert war und deshalb ihren ursprüng-
lichen Bau bewahrte.
Blut.
Das Blut stellt eine wasserklare Flüssigkeit dar, in der die soge-
nannten Blutkörperchen herumschwimmen. Sie sind nicht so zahlreich
wie bei den landlebenden Macrobioten und stellen Zellen mit Kern und
Nucleolus dar. Trotz eifriger Bemühungen habe ich über Entstehung
und Vermehrung nichts Sicheres feststellen können. In dem Plasma der
Blutkörperchen liegen bei gut genährten und immer bei jungen Tieren
kleine Körnchen und Tröpfchen, die sich hinsichtlich ihrer Färbung
ähnlich verhalten, wie die vorhin erwähnten Einschlüsse in den
Zeitsdirift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 48
734 J- Henneke,
Magenzellen. Basse schreibt darüber: »Der Reichtum der Blutkörper-
chen an Körnchen sowie auch die Farbe der Körnchen geht Hand in
Hand mit der Ernährung, d. h. mit dem
Reichtum und der Farbe der Nahrungskörn-
chen in den Magenzellen. Läßt man ein Tier,
welches mit reich granulierten Blutkörper-
chen vollgepfropft ist, hungern, so nimmt
die Granulation ab, die Blutkörperchen
verlieren an Volumen und ebenso werden
die Magenzellen flacher. << Diese Beobach-
iexttig. 1 . tungen kann ich voll bestätigen und möchte
Blutkörperchen mit und ohne • i i i i i » • t -r»
Reservestoffen. mich daher auch der Ansicht von rLATE,
Richters, Basse u. a. anschließen, daß wir
es in den erwähnten »Blutzellen << mit Reservestoff trägern zu tun haben
(Textfig. 12).
Geschlechtsorgane .
Wie Plate feststellte, sind die Tardigraden getrennten Geschlechts.
Nach Lance besteht der Geschlechtsapparat aus «une sort de long
sac dorsal et une glande. La glande represente pour nous le germi-
gene ou l'ovaire et le grand sac un uterus». Diese Ansicht wurde be-
reits von Basse widerlegt. Die Geschlechtsorgane liegen dorsal über
dem Magen wie ein Sack, reichen im prall gefüllten Zustand vorn bis
fast an den Schlundkopf und sind in der Höhe des zweiten Beinpaares
mit zwei Aufhängebändern am Rücken befestigt. Von einer Gabelung
dieser Ligamente, die Doyere angibt, ist bei der von mir untersuchten
Art nichts vorhanden. Die Wand der Sexualorgane wird von einer
dünnen Haut gebildet, die aus sehr flachen Zellen besteht. Dieselben
springen an den Stellen, an denen die Kerne liegen, nach innen vor.
Basse glaubt feststellen zu können, daß die Form des Sackes nicht
den früheren Abbildungen entspricht. Er ist nach seiner Ansicht
vorn in zwei Zipfel ausgezogen. Diese hält er gewissermaßen für ver-
gleichbar den Endkammern im Ovar der Insekten. Ich konnte die
Zipfel auch feststellen, jedoch nur bei wenig gefüllten Geschlechts-
drüsen, während sie bei stark gefüllten nicht vorhanden waren. Sie
haben wohl keine Bedeutung und werden nur durch den Zug der Auf-
hängebänder hervorgerufen.
Nach hinten verjüngt sich das Ovar nicht einfach in den Oviduct,
wie alle früheren Autoren annahmen, sondern, wie Basse richtig er-
kannt hat, besitzt der Sack »nach hinten zwei symmetrische Zipfel,
nhb
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 735
die rechts und links von dem Kanal der Rectaldrüse liegen«. Von
diesen läßt er den linken blind endigen, während er den rechten zum
Oviduct ausgebildet sein läßt. In diesen Verhält-
nissen ließ sich bei M. macronyx ein Unterschied
zwischen Männchen und Weibchen feststellen, der
bisher den Forschern entgangen ist. Es ergab sich,
daß bei den Weibchen bald der rechte, bald der
linke blind endigte, während der andre zum Oviduct
ausgebildet war (Textfig. 10 u. 11); dagegen mün-
deten beim Männchen immer beide Zipfel dicht
nebeneinander in den Enddarm (Textfig. 13 u. 14).
Die Einmündungssteile der Ausführgänge in das
Rectum liegt weder dorsal, wie frühere Autoren an-
geben, noch seitlich, wie Basse schreibt, wenig-
stens nicht bei M. macronyx (Textfig. 10). Die Aus-
führgänge ziehen zwischen den lateralen und der
dorsalen Drüse hin, beschreiben um den Enddarm
einen Bogen und münden ventral in denselben kurz
vor dem After (Textfig. 13 u. 14).
Schon Lance wurde durch das Vorhandensein
der beiden Aufhängebänder zu der Annahme ver-
anlaßt, daß die Keimdrüse sich phylogenetisch
durch teilweise Aneinanderlagerung von zwei «tubes,
dont la paroi mediane se serait resorbee», gebildet
habe.
do
Textfig. 13.
Ansicht eines Hodens
und der unter ihm liegen-
den Teile von der Dor-
salseite des Tieres. Die
verdeckten Teile sind
punktiert gezeichnet
(sehematisch).
Textfig. 14.
Seitenansicht des Hinterendes eines männlichen Tieres (schematisch).
Dieselbe Ansicht vertritt Basse, indem er sich ebenfalls das Ovar
aus zwei symmetrischen Teilen entstanden denkt, die in der Mitte
verschmolzen und deren einer Ausführgang sich zurückbildete. Durch
48*
736 J. Henneke,
den Vergleich des Verhaltens der Ausmündungskanäle von Männchen
und Weibchen bei M. macronyx kann es wohl kaum noch zweifelhaft
sein, daß wir mit Eecht den blind endigenden Zipfel der Keimdrüse
beim Weibchen als reduzierten Ausführgang auffassen dürfen. Die
Tatsache, daß bei den einzelnen weiblichen Individuen bald der rechte,
bald der linke Oviduct reduziert ist, macht es sogar im höchsten Grade
wahrscheinlich, daß die Eeduktion nicht schon in der Phylogenese
erfolgt ist, sondern ontogenetisch erfolgt, indem zunächst, wie beim
Männchen, auch beim Weibchen zwei Ausführgänge vorhanden sind.
Fragt man nach dem Grunde der Rückbildung des einen Ausführ-
ganges beim Weibchen, so ist derselbe meiner Ansicht nach in^er Größe
der auszuführenden Geschlechtsprodukte zu suchen. Denn nehmen
wir an, das Weibchen besäße zwei wohl ausgebildete Oviducte, dann
wäre die Möglichkeit vorhanden, daß durch jeden gleichzeitig ein Ei
nach außen träte. Bei der im Verhältnis zum Tier gewaltigen Größe
des Eies würde wahrscheinlich ein derartiger Vorgang eine Zerreißung
der Ausführgänge herbeiführen, die den Tod des Tieres zur Folge
haben würde. Diese Gefahr wurde durch Rückbildung des einen
Ausführganges vermieden. Bei den männlichen Individuen bestand
infolge der geringen Schwierigkeit bei der Ausführung der Geschlechts-
produkte eine derartige Gefahr nicht, und deshalb blieb der ursprüng-
liche Zustand bestehen.
Wie schon erwähnt, lassen Lance und Basse die Geschlechtsorgane
phylogenetisch durch Verschmelzung zweier paariger Gebilde entstehen.
Die Gründe, die von ihnen für diese Anschauung ins Feld geführt
werden, die Paarigkeit der Aufhängebänder und Ausmündungsgänge,
sind für sich, wie ich glaube, nicht imstande die Ansicht zu stützen.
Denn wie sollte ein dorsal über dem Darm liegender Sack anders
aufgehängt sein als mit zwei Bändern, wie sollte er anders ausmünden
als mit zwei Kanälen, wo eine unpaare dorsale Ausmündung durch die
dorsale Anhangsdrüse verhindert wird! Die beiden vorderen Zipfel
der Keimdrüse können aber nicht für eine ursprüngliche Paarigkeit
derselben sprechen, da sie, wie oben schon erwähnt wurde, lediglich
Produkte der Zugwirkung der Aufhänoebänder bei entleerter Keim-
drüse sind. In der inneren Anatomie der Geschlechtsorgane spricht
nichts für eine Entstehung derselben aus paariger Anlage, wie wir bei
Besprechung der Histogenese des Hodens sehen werden, und so dürfen
wir nur von der Entwicklungsgeschichte oder der vergleichenden Ana-
tomie eine Aufklärung in dieser Frage erwarten. Ich betone übrigens
ausdrücklich, daß eine ursprüngliche Paarigkeit der Sexualorgane durch-
ij
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigradcn usw. 737
aus möglich ist, nur scheinen mir die bisher bekannten Tatsachen nicht
hinreichend, um eine derartige Auffassung auch nur wahrscheinlich zu
machen. "*
Hoden.
Was den histologischen Bau des Hodens und seiner Elemente be-
trifft, so haben wir über denselben nur höchst dürftige, über die Genese
der Spermatozoen überhaupt keine Mitteilungen. Nach Plate ist das
Sperma bei manchen Individuen derartig verteilt, daß die Köpfe und
die zugehörigen Schwänze zu besonderen Gruppen angeordnet sind,
bei andern durchkreuzten sich die Spermatozoen wirr; ferner beob-
achtete er »kleine rundliche Gebilde << im Hoden, die er für Sperma-
mutterzellen hielt. Lance gibt an, daß aus der dorsalen Drüse in-
differente Zellen in die Geschlechtsdrüse eintreten, von diesen sollen
sich einige auf Kosten andrer zu Spermatozoen entwickeln. Es hängt
diese Ansicht mit seiner Auffassung der dorsalen Drüse als Keimdrüse
und der Geschlechtsdrüse als eine Art Samenblase zusammen. Er
schreibt dann weiter von den Spermatozoen. «Ils sont accoles en boule,
les tetes au centre et les queus ä peripherica
Nach Basse liegen die Samenfäden in Bündeln dicht aneinander
im Hoden. Nach meinen Beobachtungen an M. macronyx kann ich
keine dieser drei Angaben bestätigen.
Doch bevor ich auf die Darstellung der Entstehung und Lagerung
der Hodenelemente eingehe, will ich eine Beschreibung der Spermato-
genese vorauf schicken und beginne zu dem Zweck mit einer Beschrei-
bung des fertigen Spermatozoons.
Die Spermatozoen sind diejenigen Elemente des Tardigraden-
körpers, welche noch am wenigsten bekannt sind. Zuerst beschreibt
sie DoYERE, danach Greeff und Plate bei Landformen; nach allen
dreien stellen dieselben einen spindelförmigen Körper dar, der vorn
und hinten einen protoplasmatischen, fadenförmigen Anhang besitzt.
Lance stellt sie als rundliche Gebilde dar, die mit einem langen Flagel-
lum versehen sind und am Kopf oft einen kleinen Auswuchs tragen,
den er in Parallele stellt mit dem vorderen fadenförmigen Anhang der
früheren Autoren. Basse schreibt: »Jedes Spermatozoon hat Spitzen-
stück, Kopf, Mittelstück und einen langen fadenförmigen Schwanz.
Die zweite Geißel besteht nicht.« Da er jedoch nur sehr wenige männ-
liche Tiere zu Gesicht bekommen hat, auch keine Abbildung des Sper-
matozoons gibt, so braucht auf diese Mitteilung wohl kein so großes
Gewicht gelegt zu werden. Die einzige Möglichkeit, die verschiedenen
738 J. Henneke,
Angaben mit meinen Beobachtungen an M. macronyx in Einklang zu
bringen, erblicke ich darin, anzunehmen, daß die Landformen andre
Spermatozoen haben wie M. macronyx. Da die Männchen der Land-
formen zu dieser Jahreszeit nur schwer zu haben sind, so ist es mir
leider nicht möglich, durch die Beobachtung diese Sache zu klären.
Doch hoffe ich im Frühjahr, wo nach den Angaben von Rywosch
die Männchen auch bei den landlebenden Species häufiger sind, auch
über diese Spermatozoen die Beobachtungen nachholen zu können.
Bei M. macronyx sind die Spermatozoen, wie schon v. Eklanger
angibt, fadenförmige Gebilde und nach dem Flagellatentypus gebaut,
d. h. sie besitzen einen Kopf und einen geißeiförmigen Schwanzanhang.
Ihre Länge beträgt 80 — 90/<. Ihre Dicke ist sehr unbeträchtlich. Der
Kopf besteht nur aus chromatischer Substanz. Er ist spiralig ge-
wunden. Die Windungen, sieben bis acht an der Zahl, werden nach
hinten zu etwas weiter. Nach vorn zu wird der Kopf schmäler und
läuft in ein kleines Spitzchen aus, das immer nach einer Seite gestellt
ist und vielleicht ein Spitzenstück darstellt. Die Länge des Kopfes
beträgt 11 — 12 f^i (Fig. 20). Doch habe ich auch einmal ein Spermato-
zoon gefunden, dessen Kopf eine Länge von 16 /t besaß (Fig. 21). Es
stellte dies jedenfalls eine sogenannte Riesenform dar, wie sie ja für
viele Tiere beschrieben sind. Zwischen Kopf und Schwanz sah ich
bisweilen ein kleines Korn liegen. Man wird hierbei möglicherweise
an das Mittelstück denken. Immerhin aber ist das zweifelhaft (Fig. 21).
Der Schwanz stellt einen äußerst dünnen Faden dar, der eine
Länge von 70 — 80 f.i besitzt. Am Ende sah ich denselben oft in ein
Büschel von Fäden aufgespalten; doch möchte ich dies Verhalten nicht
als normal ansehen, da es bei vielen fehlte, vielmehr als eine Macerations-
erscheinung betrachten, hervorgerufen durch die physiologische Koch-
salzlösung, in der die Tiere zerzupft wurden (Fig. 22). Es würde sich
also der Schwanzfaden aus einer ganzen Reihe von Fibrillen zusammen-
setzen, wie das Ballowitz für eine große Anzahl von Spermatozoen
erwiesen hat. Bekanntlich hält er diese Erscheinung für die Voraus-
setzung der Contractilität aller contractilen Substanzen.
Über die Herkunft der Keimzellen sichere Angaben zu machen,
ist schwer. Bei ganz jungen Tieren, bei denen noch keine Geschlechts-
unterschiede festzustellen waren, war die Keimdrüse bereits mit deut-
lich abgegrenzten zelligen Elementen erfüllt (Textfig. 17). Ob nun
alle späteren Zellgenerationen von diesen abstammen, erscheint mir
einigermaßen zweifelhaft. Wahrscheinlich treten später noch vom
»Wandepithel <( der Keimdrüse her Zellen ins Innere und werden zu
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 739
Keimzellen. Fast in jedem Hoden, und zwar dicht an der Wand des-
selben fand ich nämlich Zellengruppen (Textfig. 15 und Fig. 23 spc),
deren Plasma sich mit HEiDENHAiNschem Hämatoxylin besonders
dunkel färbte. Diese Zellen erweckten den Anschein, als wenn sie zum
Teil direkt noch zur Hodenwand in Beziehung ständen, zum Teil aber
aus dem Zell verband derselben herausgetreten wären. Man würde
sie dann wohl als Keimzellen und die betreffende Stelle der Hoden-
wand als Keimepithel ansprechen dürfen. Es gelang mir, derartige
Keimpunkte an den verschiedensten Stellen der Hodenwand festzu-
stellen, und zwar in einem Hoden oft an mehreren, so daß demnach
keine besondere Stelle als Keimbezirk prädestiniert zu sein scheint
und derselbe nicht etwa in den vorher besprochenen Zipfeln der Keim-
drüse liegt, wie Basse schreibt, ein Verhalten, welches gewisse Ana-
logien zu den Keimdrüsen der Insekten bieten würde. Übrigens konnte
ich eine Entstehung von Keimzellen in den angeblichen Zipfeln auch
beim Ovar nicht feststellen, für welches die BASSEsche Angabe eigent-
lich gilt. Doch komme ich darauf noch etwas ausführlicher zurück.
Die Spermatogonien stellen sich dar als relativ kleine Zellen, deren
Kerne eine deutliche Kernmembran besitzen und einen großen, starK:
färbbaren Nucleolus enthalten (Textfig. 16 spg). Sie sind meist in
lebhafter Teilung begriffen und wachsen allmählich zu den großen
Spermatocyten erster Ordnung heran (Fig. 23 s^^c). Spermatogonien
und Spermatocyten sind in dem Hoden sofort durch ihre von den
Spermatiden differente Färbbarkeit zu erkennen. Ihr Plasma färbt
sich nämlich mit HEiDENHAiNschem Hämatoxylin viel dunkler als
das der Spermatiden. Voneinander unterscheiden sie sich nur durch
ihre verschiedene Größe.
Haben die Spermatocyten eine gewisse Größe erreicht, so voll-
ziehen sich die Keifungsteilungen. Dieselben sind von den Teilungen
der Spermatogonien sehr gut zu unterscheiden durch die verschiedene
Größe der sich teilenden Zellen und durch die verschiedene Größe der
Chromosomen. Diese sind größer bei den Reifungsteilungen als bei
den Teilungen der Spermatogonien. Centrosomen ließen sich nach-
weisen. Eine genaue Verfolgung des Reifungsprozesses war wegen
der Kleinheit der Elemente leider nicht möglich. Was die Anzahl der
Chromosomen betrifft, so spielt bei ihr sicherlich die Zahl fünf eine
Rolle, die auch bei der Reifung der Eier (Textfig. 20) auftritt. Doch
ließ sich nicht zeigen, ob dies die reduzierte oder die volle Zahl der
Chromosomen ist. Die beiden Reifungsteilungen folgen jedenfalls sehr
schnell aufeinander, da sie nur sehr selten anzutreffen sind. Meist
740 J- Henneke,
fehlen sie in den Entwicklungsreihen, die wir später kennen lernen
werden, zwischen dem Stadium der Spermatocyte und den jüngsten
Stadien der Spermatide ganz.
Als Produkt der Keifungsteilungen stellt sich uns eine Zelle dar
mit großem Kern und deutlicher Kernmembran. Das Chromatin ist
in größeren Brocken im Kern verteilt und verrät noch mehr oder
minder deutlich durch seine Verteilung seine Herkunft von mehreren
Chromosomen. Ich bezeichne dieses Stadium als Stadium 1 der Sperma-
tide (Fig. 1).
Die Brocken verschwinden auf dem nächsten Stadium und lösen
sich in kleine Körnchen auf. Auf diesem Stadium habe ich auch an
der Zellwand einen kleinen Faden entspringen sehen, der anscheinend
mit einem kleinen Korn begann. Möglicherweise ist dieses Korn das
Centrosoma oder Mittelstück (Fig. 2). Auf späteren Stadien wollte
es mir nicht gelingen, ein solches festzustellen, woran wahrscheinlich
die Kleinheit der Objekte die Schuld trägt. — Die Größe der Zellen
auf diesem Stadium beträgt etwa 3 — 3,5 it.
Allmählich findet jetzt eine Zusammenballung des Chromatins
statt, indem zunächst ein größeres Chromatinklümpchen im Kern auf-
tritt, an das sich das übrige Chromatin, wenn ich so sagen darf, an-
kristallisiert. Den Beginn dieses Prozesses zeigt Fig. 2. Das End-
resultat desselben ist eine Zelle, deren Chromatin zu einem Klumpen
zusammengeflossen ist (Fig. 3). — Um den Chromatinklumpen liegt
auf diesem Stadium ein heller Hof.
Eine Kernmembran ist nicht mehr nachweisbar. Sei es, daß die-
selbe sich dem Chromatin dicht angelegt, sei es, daß sie sich aufgelöst
hat. Im ersten Fall würden wir vielleicht berechtigt sein, den hellen
Hof um das Chromatin auf ausgepreßten Kernsaft zurückzuführen,
im zweiten Falle vielleicht auf einen Rest von Kernsaft oder auch
möglicherweise auf Stoffwechselvorgänge im Chromatin. Auf einem
derartigen Stadium konnte ich an Strichpräparaten einen relativ langen
(10 ^i) Schwanzfaden nachweisen. Auf den Abbildungen wurde der
Schwanzfaden nicht dargestellt, weil er auf den Schnittpräparaten
nur äußerst selten in Verbindung mit der zugehörigen Zelle beobachtet
wurde.
Es folgt nunmehr ein Stadium, auf dem der kugelige Chromatin-
klumpen einen kleinen Fortsatz erhalten hat, und nun das Aussehen
eines Kommas besitzt. Er liegt mit seiner dickeren Basis noch mitten
in der Zelle, wird nach der Spitze schmäler und reicht mit derselben
bis an die Zellmembran (Fig. 4). Nach der einen Seite ist das Gebilde
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 741
etwas gekrümmt. Der helle Hof um das Chromatin besteht weiter. Der-
selbe nimmt an Breite auf den folgenden Stadien allmählich ab, ver-
schwindet aber erst, wenn der Kopf vollkommen ausgebildet ist. Jetzt
streckt sich die chromatische Substanz etwas, erhält einen neuen kleinen
Fortsatz an der Spitze, der aber diesmal mit einer Konkavität nach
der andern Seite wie der erste zeigt (Fig. 5). Basis und Spitze sind
auch weiterhin durch einen Unterschied in der Dicke voneinander zu
unterscheiden. Die Krümmungen, die auf Schnitten in einer Ebene
zu liegen scheinen, sind wahrscheinlich der Ausdruck einer spiraligen
Drehung des Chromatins. Doch war dies nicht mit Sicherheit fest-
zustellen.
Allmählich treten jetzt mehr Windungen auf. Wir sehen auf
dem nächsten Stadium schon drei (Fig. 6). Auf dem folgenden (Fig. 7)
hat der Chromatinkörper an Dicke abgenommen und sich noch etwas
gestreckt. Er beginnt mit einem Knopf, der noch fast mitten in der
Zelle liegt. Darauf setzt sich der gewundene Chromatinfaden, dessen
Windungen sich auf sechs vermehrt haben. Dieselben sind natur-
gemäß, weil sie ungefähr auf dieselbe Strecke zusammengedrängt sind
wie die vorigen drei, viel enger.
Hieran reiht sich ein Stadium, auf dem die Streckung des Chroma-
tinfadens noch weitere Fortschritte gemacht hat, so daß er auch mit
seiner Basis fast bis an die Zellmembran reicht (Fig. 8 u. 9). Die Zahl
der Windungen hat sich weiter vermehrt und war nicht mehr genau
festzustellen. Jedenfalls war sie größer als beim ausgebildeten Sperma-
tozoon. Auch die Zelle selbst hat sich etwas in die Länge gestreckt.
Das nächste Stadium bietet keine großen Besonderheiten gegen-
über dem vorhergehenden (Fig. 9). Der chromatische Faden erstreckt
sich durch die ganze Zelle, die birnförmig geworden ist. Die Anzahl
der Windungen hat sich noch um einige vermehrt. Dieselben besitzen
eine sehr geringe Höhe.
Auf dem folgenden Entwicklungsstadium hat sich die Zelle und
mit ihr die chromatische Substanz bedeutend gestreckt (Fig. 10). Die
Länge der Zelle beträgt 5 — 7 fi. Die Zahl der Windungen ließ sich
auch hier nicht genau feststellen, da dieselben sehr flach geworden
sind. Jedenfalls war sie aber kleiner als auf dem vorherigen Stadium.
Die Höhe der Windungen hat ganz bedeutend zugenommen. Ob nun
die Abnahme in der Zahl und die Zunahme in der Höhe der Windungen
allein durch die Längenzunahme der Zelle und der chromatischen
Substanz bedingt ist, oder ob noch andre Ursachen dabei mitwirken,
vermag ich nicht zu sagen. Der helle Hof um den Chromatinteil ist
742 J. Henneke,
hier noch deutlich nachweisbar sowohl an Längs- wie auch an Quer-
schnitten.
Das folgende Stadium unterscheidet sich von dem vorhergehenden
durch weitere Längsstreckung der Zelle und des Chromatins, vor allem
aber dadurch, daß der helle Hof um den Chromatinteil verschwunden
ist. Auch auf Querschnitten ist keine Spur mehr von ihm zu sehen
(Fig. 11 u. 12).
Was nun die Entstehung der spiraligen Drehung des Kopfes be-
trifft, so scheinen eingehendere Untersuchungen darüber nicht zu
existieren. Die Angaben, die wir besitzen, weichen aber wesentlich
von den Verhältnissen bei M. macronyx ab. So läßt Tönniges bei
Lithobius forficatus die spiralige Drehung erst nach vollkommener
Ausbildung des Kopfes von hinten nach vorn fortschreitend entstehen,
ebenso Hermann bei Scyllium catulus, während Meves bei den faden-
förmigen Spermatozoen von Paludina vivipara die ersten Schrauben-
windungen in der vorderen Hälfte des fertig ausgebildeten Kopfes
auftreten läßt, von wo sie nach dem Mittelstück zu fortschreiten.
Gerade diese Verhältnisse waren jedoch bei meinen Objekten so klar,
und es konnten die einzelnen Stadien recht lückenlos miteinander ver-
bunden werden, daß es nicht zweifelhaft sein kann, daß die spiralige
Drehung des Kopfes sich schon während seiner Entwicklung allmählich
ausbildet.
Kopf und Schwanz sind jetzt vollkommen fertig. Um den Kopf
liegt nur noch ein Plasmamantel. Ob ein Teil des Plasmas zum Aufbau
des Schwanzes verwandt wird, konnte ich nicht feststellen. Sollte es
aber der Fall sein, so kann das nur ein ganz kleiner Teil sein; die Haupt-
masse geht in folgender Weise zugrunde. In dem Plasma, das auf dem
vorhergehenden Stadium noch ganz homogen war (Fig. 13), treten
kleine, sich mit HEiDENHAiNschem Hämatoxylin schwarz färbende
Körnchen auf. Diese werden allmählich größer, vielleicht durch Zu-
ammenfließen, so daß man schließlich neben den kleinen Kömchen
einige große, sich intensiv schwarz färbende Tropfen findet (Fig. 14
u. 15). Der chromatische Faden oder Kopf des Spermatozoons wird
jetzt randständig, indem alles Protoplasma an eine Seite rückt (Fig. 16).
Die Körnchen sind alle zu zwei sich schwarz färbenden Tropfen zu-
sammengeflossen. Das Protoplasma ist also wieder homogen. Außer-
dem liegt im Protoplasma noch ein sich gelblich färbender Körper,
über dessen Bedeutung und Entstehung ich nichts auszusagen vermag,
wahrscheinlich ist er auch ein Produkt des allgemeinen Degenerations-
prozesses. Die zwei schwarzen Tropfen treten bald zu einem zusammen.
Beiträge zur Kenntnis der Biologie ii. Anatomie der Tardigraden usw. 743
Das Stadium Textfig. 16 besteht also aus einem geraden randstän-
digen Chromatinfaden, daran sitzt eine homogene Protoplasmamasse,
in derselben liegt ein größerer nach Heidenhain sich schwarz und
ein kleinerer sich gelblich färbender Tropfen.
Jetzt beginnt sich der Kopf nach der Seite einzukrümmen, wo
an ihm die Plasmamasse sitzt (Fig. 17). Die Einkrümmung schreitet
bald so weit fort, daß der Kopf des Spermatozoons fast einen Kreis
bildet. In demselben liegt das Protoplasma (Fig. 18). Man kann
diese Verhältnisse ganz deutlich an Quer- und Längsschnitten durch
dies Stadium verfolgen. Auf Längsschnitten stellt dann der Kopf
einen gebogenen, nur schwach spiralig gedrehten Faden dar, an dessen
konkaver Seite die homogene Cytoplasmamasse mit schwarzem und
gelblichem Tropfen liegt. Auf Querschnitten ist die Spermatide fast
elliptisch. An der einen Seite der großen Achse sieht man ein kleines
Korn, den Querschnitt des Kopfes, an der andern liegt die große, sich
schwarz färbende Kugel, dazwischen homogenes Cytoplasma, oder
man sieht auch an beiden Enden der großen Achse Querschnitte des
Kopfes und dazwischen den schwarzen Körper (Textfig. 15). Das
Cytoplasma löst sich jetzt oben oder unten vom Kopfe los und trennt
sich schließlich ganz von ihm (Fig. 19). Der Kopf streckt sich wieder,
und in ganz reifen Hoden findet man nur ganz gerade Köpfe. Ganz
genau dieselben Resultate über das Abwerfen des Cytoplasmas erzielte
ich bei Untersuchung von Strichpräparaten, die mit DELAFiELDschem
Hämatoxylin gefärbt waren.
Worauf die Einkrümmung zurückzuführen ist, vermag ich nicht
zu sagen. Vielleicht auf ein Zusammenziehen des Cytoplasmas in der
Längsrichtung, vielleicht aber auch auf eine sich abwechselnd ein-
krümmende und wieder streckende Bewegung des Kopfes, die auf
das Bestreben desselben, sich von der Cytoplasmamasse aktiv zu be-
freien, zurückzuführen ist, wie das z. B. Bösenberg bei Arachnoiden-
spermien beobachtet hat. Doch Beweise habe ich für diese Anschau-
ung nicht.
Während man früher annahm, daß das bei der Bildung des Sperma-
tozoons nicht verbrauchte Cytoplasma durch Zerfließen von demselben
verschwindet, mehren sich in neuerer Zeit die Beobachtungen, welche
einen Modus der Abstoßung des Cytoplasmas wahrscheinlich machen,
wie er soeben von M. macronyx beschrieben wurde. So sprechen Wey-
GANDT bei Plagiostoma Girardi, Depdolla bei Lumbricus, Struckmann
bei Strongylus, Meves bei Paludina von einer Abstoßung der Cyto-
plasmasubstanz. Ausführlich berichtet Meves beim Meerschweinchen
744 J- Henneke,
über diesen Vorgang. Der Prozeß stimmt im großen und ganzen mit
dem von M. macronyx angegebenen überein. Im Cytoplasma treten
auch hier Körnchen auf, die schließlich zu einem Klumpen zusammen-
fließen. Die schließliche Abstoßung des Cytoplasmas erfolgt allerdings
nicht unter Einkrümmung des Kopfes. Überhaupt scheint in der
Literatur nichts angegeben zu sein, was sich mit einer derartigen
Einkrümmung vergleichen ließe, wenn wir nicht hier die Beobachtungen
von BöSENBERG bei Arachnoidenspermien heranziehen wollen, nach
denen dieselben in zusammengerolltem Zustand im Hoden verharren
und sich erst wieder aufrollen, wenn sie in das weibliche Tier kommen.
Hinsichtlich der Körnchen schreibt Meves, daß sie nach starker
Osmierung; verschwinden. Dagegen habe ich dieselben immer be-
sonders schön auf Präparaten gefunden, die mit Osmiumgemischen
konserviert waren. Über die chemische Beschaffenheit der Körnchen
vermag ich nichts zu sagen, v. Ebner, der ganz ähnliche Gebilde bei
der Katte beschreibt, unterscheidet zwei Arten, die einen hält er für
Fetttropfen, die andern bezeichnet er kurz als tingierbare Körnchen
und läßt ihre chemische Zusammensetzung offen.
Was das weitere Schicksal der abgestoßenen Cytoplasmamassen
betrifft, so schreiben ihr die meisten eine Rolle bei der Ernährung der
fertigen Spermatozoen zu, sei es, daß sie in ihre chemischen Bestand-
teile zerfallen und in diesem Zustand wieder assimiliert werden, sei es,
daß sie sich zu einem Cytophor ausbilden. Was den ersten Fall betrifft,
so könnte man ihn in zwei Unterabteilungen zerlegen, indem einige
Autoren von einem Zerfall der Protoplasmabalien zwecks Wiederver-
wertung derselben innerhalb des Hodenlumens sprechen, andre eine
intracelluläre Verdauung derselben angeben. In dieser Hinsicht sind
die Angaben wichtig, die v. Ebener von der Ptatte macht. Er be-
schreibt, wie die tingierbaren Körnchen, die ursprünglich in einer
Schicht, der Detritusschicht v. Lenhosseks, angeordnet sind, all-
mählich in die SERTOLischen Zellen des Hodens eintreten und hier
nach und nach verschwinden. Ebenso hält Meves einen derartigen
Vorgang nach seinen Untersuchungen am Meerschweinchen für durch-
aus wahrscheinlich. Auch ich konnte bei M. nmcronyx einige Be-
obachtungen machen, welche gewisse Analogien zu dem Verhalten
bei Ratte und Meerschweinchen bieten. Die schwarzen Cytoplasma-
ballen lagen in geeigneten Hoden in großer Menge im Lumen desselben
(Textfig. 15). Es fiel mir nun auf, daß sich in solchen Hoden in den
Zellen der Hodenwand ähnlich sich färbende Cytoplasmakugeln vor-
fanden, und zwar meist mehrere in einer Zelle, die Zerfallserscheinungen
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatomie der Tardigraden usw. 745
zeigten. Doch kam ich erst darauf diese mit den Cytoplasmaballen
im Lumen des Hodens in Beziehung zu setzen, als ich öfter beobachtete,
daß Hodenwandzellen, die eine Einlagerung von solchen schwarzen
Ballen besaßen, an ihrer dem Hodenlumen zugekehrten Seite von ganz
gleichen Kugeln umlagert
wn^irden, die sich auf abge-
stoßene Protoplasmabal-
len zurückführen ließen
und gewissermaßen auf
die Zelle zuzuwandern
schienen (Textfig. 15 c).
Ich bin nun geneigt, anzu-
nehmen, daß diese Cyto-
plasmaballen in die Zellen
der Hodenwand aivfge-
nommen werden . wie,
konnte ich nicht feststel-
len, und hier zwecks wei-
terer Nutzbarmachung
verdaut werden. Ich
stütze mich in dieser
Ansicht auf die ganz
ähnlichen Angaben von
V. Ebner und Meves.
Ich komme jetzt hier
auf die oben verschobene
Besprechung der Lage-
rung der Elemente im
Hoden zurück. Wenn
man einen Schnitt durch
einen Hoden betrachtet
(Textfig. 15 und Fig. 23),
so gewinnt man zunächst
den Eindruck, daß die
Elemente desselben ziem-
lich ungeordnet durch-
einander Hetzen. Nur findet man auf gleichen Stadien befindliche
Elemente zu kleinen Häufchen zusammengeordnet. Bei Betrach-
tung von Schnittserien und bei Berücksichtigung der einzelnen Sta-
dien ändert sich dieser erste Eindruck jedoch. Es zeigt sich nämlich
sjit.1.2 — ~
Sagittalschnitt durch einen in der Entwicklung schon ziem-
lich weit vorgeschrittenen Hoden. Nat. Länge 0,17 mm.
746
J. Henneke,
dann, daß man in jedem Hoden mehrere bald mehr, bald weniger
vollständige Entvväcklungsreihen verfolgen kann. Jede Entwicklungs-
reihe oder Suite bildet meist eine krumme, oft vielfach ineinander ver-
schlungene Linie, so daß sie meist schwer festzustellen ist. Auf späteren
Entwicklungsstadien des Hodens werden diese Reihen meist derartig
verwischt, daß sie überhaupt
nicht mehr festzustellen sind.
Beim fertig ausgebildeten Ho-
den verschwinden sie ganz
(Textfig. 16). Derselbe zeigt
neben den fertigen Spermato-
zoen nur noch einige Grup-
pen von Spermatogonien und
Spermatocyten, die sich viel-
fach im Degenerationszustand
befinden.
Die einzelnen Suiten der
weniger entwickelten Hoden
sind in ihren Stadien bald mehr,
bald minder vollständig. So
findet man Reihen, die eine
ganze Entwicklungsserie des
Spermatozoons von der Sperma-
togonie bis fast zum fertigen
Spermatozoon repräsentieren,
meist aber solche, bei denen
ein oder mehrere Zwischen-
stadien ganz fehlen. Es ist
klar, daß wir in diesen Reihen
eine bequeme Handhabe be-
sitzen, um, wo andre Mittel
versagen, durch Vergleich mit
Sagittalschnitt durch einen reifen Hoden. Xat. Länge ^^^^ aufeinander folgenden Zell-
0,25 mm. ^
Stadien der Reihe zu ent-
scheiden, welcher Platz einer bestimmten Zelle in der Entwicklung
zukommt.
Die Reihen weisen immer auf die schon vorher erwähnten Keim-
punkte hin, die ihre Lage an der Wand des Hodens haben. In jedem
Hoden gibt es immer mehrere derartige Keimbezirke. Zweifelhaft
bleibt es noch, ob die Hodenelemente nur von diesen Keimbezirken
spff.a.sjic.-
Beiträge zur Kenntnis der Biologie und Anatomie der Tardigradcn usw. 747
ihre Herkunft herleiten, oder ob vielleicht von der ganzen Innenfläche
des Hodens Zellen in das Hodenlumen treten und die Keimpunkte nur
die letzten Überreste dieses Auswanderungsprozesses sind. Dieses
würde an jüngeren Hoden festzustellen sein. Immerhin erscheint mir
das erstere wahrscheinlicher, da die Entwicklungsreihen immer auf
diese Keimpunkte hinweisen und dadurch gewissermaßen dokumen-
tieren, daß sie von dorther ihre Entstehung genommen haben und
daß von dort ihre Elemente herstammen. Auf keinen Fall dürfen wir
die Hodenelemente aus den beiden angeblichen Zipfeln der Keimdrüse
herleiten. Dagegen spricht schon der Umstand, daß wir im Hoden
meist mehr als zwei Entwicklungsreihen antreffen, vor allem aber die
Tatsache, daß die Keimbezirke nicht nur vorn im Hoden liegen, sondern
daß regelmäßig sich auch am Hinterende und in der Mitte ein bis
mehrere Keimpunkte finden.
So ließen sich in dem Hoden der Fig. 23 vier Keimbezirke fest-
stellen, einer vorn, einer hinten, einer in der Mitte dorsal und einer
ventral. Diesen entsprechen vier Entwicklungsreihen, die in der Mitte
zusammentreffen. Auf dem einen Schnitt sind diese Verhältnisse
einigermaßen zu erkennen. So haben wir im hinteren Keimbezirk
Spermatogonien und Spermatocyten {spg und spc). Die Zellen zeigen
durch Form und Lagerung, daß sie in Auswanderung begriffen sind.
An sie schließen sich an Spermatiden Stadium 3 {spt.3). Stadium 1
und 2 waren auf vorhergehenden Schnitten festzustellen, Reifungs-
teilungen fehlten. Daran reiht sich Stadium 9 {spt.9) der Spermatide;
auch zwischen diesen waren die Zwischenstadien nachweisbar.
Vorn liegt auch ein Keimcentrum, das jedoch auf diesem Schnitt
nicht getroffen ist. Auf dieses folgt Spermatide 1 dann 3, 4, 5, 6, 11;
auch hier waren die fehlenden Stadien auf vorhergehenden und
nachfolgenden Schnitten feststellbar. Das dorsale und ventrale
Keimcentrum, das auf dem Schnitt gleichfalls nicht getroffen ist,
dokumentiert sich auf demselben ventral durch eine Gruppe von
Zellen, Spermatide Stadium 1 , dorsal durch eine solche von Spermatiden
Stadium 2.
Ähnliches zeigt in dieser Beziehung Textfig. 15. Wir haben hir zwei
Keimbezirke, einen vorn, der durch die dunklen Zellen (spc) reprä-
sentiert wird, einen hinten ventral, der allerdings auf diesem Schnitt
nicht getroffen ist. Wir sehen sich aber daran reihen die jüngsten
Stadien der Spermatiden {spt. 1, 2, 3). Im übrigen ist der Hoden
schon so weit vergeschritten, daß wir fast nur noch die letzten Stadien
der Spermatide teils längs, teils quer getroffen in ihm finden.
748
J. Henneke,
Ovarium.
An Tieren, die so klein waren, daß ich annehmen möchte, sie
wären eben erst aus der Eihülle geschlüpft, war die Keimdrüse von
ziemlich gleichartigen Zellen erfüllt (Textfig. 17). Dieselben waren in
den angeblichen Zipfeln des Ovars absolut nicht kleiner wie an den
Ausführgängen, woraus man eventuell auf eine Entstehung des Zell-
materials in den Zipfeln hätte schließen können, wie das Basse tut.
Über ihre Herkunft vermag ich jedoch nichts zu sagen, da sich meine
Studien nicht auf jüngere Stadien erstreckten.
Daher kann ich auch nicht entscheiden, ob
wir vielleicht zwischen propagato^'ischen und
somatischen Zellen zu unterscheiden haben.
Vermuten möchte ich jedoch auf Grund des
absolut gleichartigen Aussehens der Zellen, wie
auch auf Grund ihrer späteren Entwicklung,
daß dies nicht der Fall ist, sondern daß sich
aus einem vollkommen gleichartigen Keim-
material sowohl die Eizellen als auch die spä-
ter noch zu erwähnenden Nährzellen entwickeln.
Es liegt ja dies insofern nahe, als Nährzellen ja
meist abortive Eizellen sind. Übrigens ließ sich
eine Entscheidung, ob die vorhin erwähnte
Keimdrüse (Textfig. 17) ein Ovar oder einen
Hoden geben würde, nicht treffen. Dieselbe
ist von einem deutlich sichtbaren Plattenepi-
thel bekleidet. In ihr finden sich Zellen, welche
voneinander getrennt und abgerundet sind. Der
Kern der Keimzellen ist ungewöhnlich groß
und enthält in einem Chromatinnetz aufgehängt einen Nucleolus. Das
Protoplasma umgibt in verhältnismäßig dünner Schicht den Kern und
besitzt noch keine Dottereinschlüsse.
Weiter sehen wir, wie sämtliche Zellen des jetzt deutlich als solches
gekennzeichneten Ovars Dottereinschlüsse zeigen, die kleine Körnchen
und Schollen darstellen und sich mit HEiDENHAiNschem Hämatoyxlin
lebhaft tingieren (Textfig. 18); ihr Aussehen und ihre Färbung gleicht
ganz und gar den Einschlüssen in Blut -und Magenzellen, die oben
schon erwähnt wurden, so daß, wie ich glauben möchte, über die Natur
dieser Stoffe als Eeservestoffe ein Zweifel wohl nicht mehr bestehen
kann. Die Zellen haben an Volumen sanz bedeutend zugenommen
Textfig. 17.
Sagittalschnitt durch eine ganz
junge Keimdrüse.
Beiträge zur Kenntnis der Biologie n. Anatomie der Tardigraden usw. 749
und weisen einen großen, mit Membran abgeureiizten Kern auf, der
einen Nucleolus einschließt. Einige Zellen zeichnen sich vor andern
jetzt bereits durch ihre Größe aus und geben sich dadurch als werdende
Eizellen zu erkennen.
Die in dieser Weise zuerst sich als solclie darstellenden Oocyten
nehmen jetzt an Größe immer mehr zu
(Textfig. 19); aber auch die Nährzellen
wachsen noch ziemlich beträchthch. Die
Dottereinlagerung vnvd noch sowohl bei
den Oocyten, wie auch bei den Nährzellen
vermehrt. Die Nährzellen liegen ganz un-
regelmäßig im Ovar verteilt meist so, daß
sie die Oocyte an drei Seiten umgeben,
welche mit der vierten an die Hodenwand
stößt. Oft liegen die Oocyten in zwei
Längsreihen hintereinander. Eine ab-
w^echselnde Anordnung in Eifach und
Nährfach, wie sie Basse bei landlebenden Species angibt, kommt wohl
bisweilen vor, ist aber durchaus nicht die Regel. Wenn daher Basse
den Vergleich mit einem Insektenovar zieht, kann ich dies für M. ma-
Textfig. 18.
stück eines Längsschnittes durch ein
junges Ovarium.
dz.
Textfig. 19.
Teil eines Längsschnittes durch ein Ovarium.
cronyx nicht. Ich will hier bemerken, daß in der Textfig. 19 die Nähr-
und Eizellen oft eckige Konturen zeigen und daß zwischen den Ele-
menten oft Zwischenräume sich befinden; dies Verhalten ist wohl auf
Schrumpfung, hervorgerufen durch die Konservierung, zurückzuführen,
da es bei andern Präparaten und beim lebenden Tier nicht festzu-
stellen war. Es waren dort die Elemente im allgemeinen rund, höch-
stens durch gegenseitigen Druck etwas abgeplattet,
Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. XCVII. Bd. 49
ä
750 J- Henneke,
Die Größenziuiahnie der Oocyteii wird jetzt relativ eine ganz
enorme. Der Kern stellt ein großes, bei der Färbung hell bleibendes
Bläschen dar mit schwachem chromatischen Netz und großem Nucleolus.
Wie die Größenzunahme der Oocyten erfolgt und welches die Rolle
der Nährzellen dabei ist, ist schwer zu sagen. Tatsache ist, daß die
Zahl der Nährzellen im reifen Ovar verhältnismäßig geringer ist als
im unreifen. Einen ausgesprochenen Zerfall von Zellen habe ich frei-
lich nie mit Sicherheit konstatieren können. Aber man wird wohl
nicht darum herumkommen, einen solchen anzunehmen, wenn man
eben bedenkt, daß die Zahl der Zellen eine geringere geworden ist.
Ferner beobachtet man im reifen Ovar, daß die Nährzelleü an Größe
abgenommen haben, und daß ihnen die
Dottereinschlüsse vollständig verloren ge-
gangen sind, jedenfalls indem sie dieselben
.*:'^r*^*'V'*4;iV;A';;Vv':-/ in irgend einer Weise an die Eizellen abge-
"%.^- - ß^0'^ c®^^^ haben.
l^f^-:^S^^':^''^v'i'j D^'^ Wachstum der Oocyte ist jetzt im
wesentlichen beendet, die weiteren Verände-
rungen betreffen nur noch den Kern. Man
Textfig. 20. sieht, daß der Nucleolus in Brocken zerfällt
Schnitt durch eine befruchtungs- -i t,t or i, i, • j ^ t^- tt
f M • 17- ,1 r>- T- 1, und schließlich ganz verschwindet. Die Kern-
fahige Eizelle. Die Kernmembran •-
ist aufgelöst, im Kern liegen fünf membi'an löst sich auf. Dotterkörner, die im
ChromoBome, das Plasma ist mit p^-^toplasma sehr reichlich enthalten sind,
Dotterschollen überladen. ^ '
finden sich gar nicht in der vorher vom
Kern eingenommenen Partie, lagern sich aber der Oberfläche derselben
besonders reichlich auf (Textfig. 20). In dieser Kernpartie zeigen sich
in der Nähe des Randes derselben gelegen stark färbbare Körner, die
ich als Chromosome ansprechen möchte, wozu ich mich um so mehr
für berechtigt halte, als die Körner immer in der Zahl fünf vorhanden
wären. Es scheinen hiermit die Reifungsteilungen eingeleitet; dieselben
finden erst nach der Ablage des Eies ihren Abschluß. Wie die Chromo-
somen sich bilden, imd ob wir es in der Zahl fünf mit der reduzierten
oder vollen Anzahl von Chroniosomen zu tun haben, vermag nur eine
Untersuchung der Reifungserscheinungen des Eies zu entscheiden.
Marburg, im September 1910.
Beiträge zur Kenntnis der Biologie u. Anatumie der Tardigraden usw. 751
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Erklärung der Abbildungen.
Verzeichnis der Abkürzungen:
ö, After; m, Muskeln;
ahb, Aufhängebänder des Hodens; 7na, Magen;
h, Bauchganglien; mb, der chitinige Becher unter der
c, Hoden wandzelle mit Einlagerung von Mundhöhle ;
abgestoßenen Protoplasmakugeln; mh, Mundhöhle;
ch, Chromosom; mr, Mundröhre;
chst, Chitinstäbchen; ms, Muscularis des Magens;
dd, dorsale Anhangsdrüse des Darmes; nz, Nährzellen;
do, dorsal; ov, Oviduct;
ds, seitliche Anhangsdrüsen d. Darmes ; r, Röhrchen, in denen die Zähne gleiten;
du, Ausführgang des Hodens; seh, Schlund;
ed, Enddarm; sk, Schlundkopf;
eiz, Eizelle; sp, Speicheldrüse;
exd, sog. Extremitätendi'üse ; spc, Spermatocyte;
h, Hoden; spg, Spermatogonie ;
hi, hinten ; spt.1,2. . ., Spermatide, Stadium 1,2...;
/iv, Hypodermisverdickung an d. Mund- ve, ventral;
Öffnung; vo, vorn;
kh, Keimbezirk; z, Zahn;
kr, Krallen; zt, Zahnträger.
Tafel XXXIII.
Fig. 1 — 19. Entwicklung der Spermatide zum Spermatozoon. Stadium 1
bis 19.
Fig. 20. Spermatozoon.
Fig. 21. Spermatozoon. Ende des Schwanzfadens in Fibrillen aufgelöst.
Fig. 22. Spermatozoon, Kopf, Riesenform.
Fig. 23. Sagittalschnitt durch einen jüngeren Hoden. Nat. Länge 0,14 mm.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. XCVII.
Taf. I.
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Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
Zeitschrift f. iciss. Zool. Bd. XCVII.
Taf. III.
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Zeitschrift f wiss. Zoologie. Bd. XCVII.
Taf. IV.
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Zeitschrift f. iciss. Zoologie. Bd. XCVII.
Taf. VI.
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Born u. Heibig gez.
Zeitschrift f. iviss. Zoologie. Bd. XCVII.
Taf. VII.
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Born u. Heibig gez
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Zeitschrift f. uiss. Zoolo(jic. Bd. XCVII.
Taf. VIII.
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Fig. 1.
Fig. 13.
Fig. 3.
Born u. Heibig gez.
Verlas von WüheW &W..„„ ,„ ^^.^^.^^
Fig. U.
Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XCVII.
Taf. IX.
Fig. 5
Fig. 4
Fig. 7
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Taf.X.
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Taf.XI.
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Taf.Xn.
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Taf.Xm.
Verlag v. WilhehnEngelmarm inleipzig . ifthJturtviiArwikEXeipzig
Zeüschrift /:mss. Zoologie Bd.XCm.
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Verlag Wfflhetoi^ l*i«>nn-j,Ieipag.
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Zcilschrift fAsi^s. Zoolfif/ie Bd.XCVE
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Zeitschrift fuiss. Zoologie Bd. XCVIf.
Taf:m.
Verlag v-WiBielm Engelmann mieif.zig
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Zeiischnft fviss.Zuoloffie Bd.XCVE
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ZeilscTirifl /.' niss. Zoologie Bd. XCl-JT.
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Zeitschrift /.' niss. Zoologie Bd. XC\'I1.
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Zeitschrift /.' iits.v. Zoolocjic Bd.XCVU.
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ZviLschvift /:mss. Zoologie Bd. XC\71.
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Verlag vWilhehnErLgelmaim irleipzig. M.Aiistvi.Af™fejap^3
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Taf. XXVII.
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Zälschrifl f.ims. Zoologk. Bd. XCVl
Taf.XWn.
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Zeitschrift fiviss. Zoologie. Bd. XCW.
Taf. XXfX.
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Zeitschrift f. Miss. Zoologie Bd. XCVJI.
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