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Full text of "Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie"

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Zeitschrift 

für 

WISSENSCHAFTLICHE  ZOOLOGIE 

begründet 

von 

Carl  Theodor  v.  Siebold  und  Albert  v.  Kölliker 

herausgegeben  von 

Ernst  Ehlers 

Professor  an  der  Universität  zu  Göttingen 


Siebenundneunzigster  Band 


Mit  95  Figuren  im  Text  und  33  Tafeln 


LEIPZIG 

Verlag  von  Wilhelm   Engelmann 
1911 


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Inhalt  des  siebenuiidneunzigsten  Bandes 


Erstes  Heft 

Ausgegeben  den  20.  Dezember  1910 

Seite 

Josef  Seh  äff  er,  Über  den  feineren  Bau  und  die  Entwicklung  des  Knorpel- 
gewebes und  über  verwandte  Formen  der  Stützsubstanz.  III.  Teil. 
(Mit  Tafel  I  und  II) 1 

Walther  Kolmer,  Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren.     (Mit 

Tafel  III) 91 

Ernst  Born,   Beiträge    zur  feineren  Anatomie   der   Pbyliirhoe   bucephala. 

(Mit  2  Figuren  im  Text  und  Tafel  IV— VIII) 105 


Zweites  Heft 
Ausgegeben  den  14.  Februar  1911 

Friedrich  Theodor  Rosenberg,    Beiträge   zur  Entwicklungsgeschichte 

und  Biologie  der  Colyrabidae.  (Mit  13  Figuren  im  Text  und  Tafel  IX)  199 
Wilhelm  Johnas,  Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.     (Mit  3  Figuren 

im  Text  nnd  Tafel  X— XII) 218 

Felix  Sieglbauer,  Zur  Entwicklung  der  Vogelextremität.    (Mit  16  Figuren 

im  Text  und  Tafel  XIII  und  XIV) 262 

D.  Tretjakoff,   Die  Nervenendigungen   an  den  Sinushaaren  des  Rindes. 

(Mit  Tafel  XV— XVIII) 314 


IV 

Drittes  Heft 

Ausgegeben  den  7.  März  19J1 

Seite 

Kurt  Bedau,    Das  Facettenauge   der  Wasserwanzen.     (Mit  5   Figuren  im 

Text  und  Tafel  XIX  und  XX) 417 

E.  Verson,  Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  und  der  Häutungs- 

driiseu  bei  Borabyx  mori.     (Mit  Tafel  XXI  und  XXII, 457 

Alexius  Zawarzin,   Histologische   Studien   über  Insekten.     I.   Das   Herz 

der  Aeschnalarven.  (Mit  9  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXI II  und  XXIV)  481 
Kurt  Marcus,  Über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  aus  der  Gruppe 

der  Galatheiden.  (Mit  18  Figuren  im  Text  und  1  afel  XXV  und  XXVI)  511 
Iwan  Sokolow,  Über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.    (Mit 

Tafel  XXVII-XXIX; 546 


Viertes  Heft 
Ausgegeben  den  i.  April  1911 

G.  Senn,  Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten,  nebst  Bemer- 
kungen über  deren  System.  (Mit  8  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXX 
und  XXXI) 605 

Gustaf  Gering,  Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.). 

(Mit  1  Figur  im  Text  und  Tafel  XXXII) 673 

J.  Henneke.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  und  Anatomie  der  Tardi- 
graden  (Macrobiotus  maeronyx  Duj).  (Mit  20  Figuren  im  Text  und 
Tafel  XXXIII) 721 


über  den  feineren  Bau  und  die  Entwicklung  des  Knorpel- 
gewebes und  über  verwandte  Formen  der  Stützsubstanz. 

III.  TeiP. 

Mit  Unterstützung  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien  aus  dem  Legate  Wedl 


Josef  Schaffer 

in  Wien. 


Mit  Tafel  I  und  II. 


Inhalt. 

Die  Chorda  dorsalis  und  das  chordoide  blasige  Stütz- 
gewebe bei  Wirbellosen  und  Wirbeltieren.  Mechanisch 
funktionelle  Bedeutung  der  Chorda;  ihre  Beziehung  zum  Knorpelgewebe. 

A.  Diffuses  chordoides  Stützgewebe,  a.  Die  zellig-blasige 
Bindesubstanz  der  Mollusken;  Kalk-  und  Glykogengehalt,  Geschicht- 
liches, b.  Das  zellig-blasige  Stützgewebe  der  Decapoden  und  von  Sijnin- 
culus.  c.  Das  blasige  Gewebe  des  Tunicatenmantels.  d.  Das  perimenin- 
geale  Füllgewebe  bei  Ammocoetes  und  Petromyzon.  e.  Das  blasige 
Gewebe  bei  Myxine  in  der  Nachbarschaft  des  Auges  usw.  f.  Das 
chorioideale  Gewebe  von  Petromyzon  marinus.  g.  Die  endoneuralen 
Zellblasen,  h.  Das  Gewebe  des  Sinuskissens  in  den  Tasthaaren,  i.  Das 
Gewebe   im   Sinus   rhomboidalis  der  Vögel,     k.    Das   Fettgewebe. 

B.  Kompaktes  chordoides  Stützgewebe.  —  Das  Chorda- 
gewebe beim  erwachsenen  Säugetier.  —  Das  Stützgewebe  in  den  Tentakeln 
der  Hydroidpolypen  und  in  den  soliden  Tentakeln,  den  Schirmspangen 
und  im  Schümrand  der  Medusen,  —  Der  sogenannte  ^TwpAioxMs-Knorpel. 


Die  vorangegangenen  Untersuchungen  an    zwei  Hauptvertretern 
aus  der  Gruppe  jener  Knorpel,  welche  Kölliker  als  »Knorpel  ohne 

1  Das  Manuskript  der  vorliegenden  Arbeit  war  größtenteils  schon  am 
Anfange  des  Jahres  1907  fertig  gestellt.  Schwierigkeiten  bei  der  Beschaffung 
des  mannigfaltigen  Materials,  sowie  die  sich  als  notwendig  ergebende  selbständige 
Bearbeitung  des  Epiglottisskelettes,  haben  die  Vollendung  bis  heute  verzögert. 
Dadurch  sind  mannigfache  Einfügungen  und  Nachträge  nötig  geworden. 
Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  1 


2  Josef  Schaffer, 

Grundsubstanz«  bezeichnete  und  den  Knorpeln  mit  Grundsubstanz 
prinzipiell  gegenüberstellte,  haben  einerseits  ergeben,  daß  auch  das 
Knorpelgewebe  der  Petromyzonteni  und  Myxinoiden^  ein  Grund- 
substanzgewebe ist,  d.  h.  zwischen  den  Zellen  eine  zusammenhängende, 
unter  unmittelbarem  Einfluß  der  letzteren  entstandene  und  stehende 
Intercellularsubstanz  besitzt,  anderseits  bei  sfenauer  Verfolgung  der 
ersten  und  späteren  Entstehung  dieser  Grundsubstanz,  besonders  beim 
harten  (gelben)  Myxinoidenknorpel  gezeigt,  daß  die  Bildungsvorgänge 
dieser  Grundsubstanz  und  die  damit  Hand  in  Hand  gehende  territoriale 
Gliederung  des  Knorpels  ganz  dieselben  sind,  wie  bei  den  grundsub- 
stanzreichen   Knorpeln  höherer   Tiere. 

Bei  der  geringen  Menge  der  Grundsubstanz  und  den  scharf  aus- 
geprägten physikalisch-chemischen  Unterschieden  ihrer  einzelnen  Lagen, 
tritt  im  harten  Knorpel  der  genannten  niederen  Tiergruppen  die 
territoriale  Gliederung  nur  viel  schärfer  hervor  und  kann  daher  leichter 
verstanden  und  gedeutet  werden. 

In  diesem  III.  und  im  IV.  Teil  sollen  die  übrigen  Gewebe,  welche 
KöLLiKER  noch  zu  den  »Knorpeln  ohne  Grundsubstanz«  rechnete, 
untersucht  werden.  Dabei  wird  sich  zeigen,  daß  ein  Teil  von  ihnen 
dem  Knorpelgewebe  überhaupt  nicht  zugerechnet  werden  kann,  während 
der  andre  Teil,  ebenso  wie  die  Knorpel  der  Petromyzonten  und  My- 
xinoiden  echte  Grundsubstanzgewebe  darstellt,  welche  nur  durch  die 
Spärlichkeit  ihrer  Grund-  oder  Intercellularsubstanz  ausgezeichnet  sind. 

Bekanntlich  hat  Kölliker  bereits  in  der  ersten  Auflage  seiner 
Gewebelehre  (1852,  S.  44)  an  erster  Stelle  zu  den  »Knorpeln  ohne 
Grundsubstanz«  (Knorpelzellenparenchym)  die  Chorda  dorsalis  der 
Embryonen  und  mancher  ausgewachsener  Fische  gerechnet;  ferner 
viele  fötale  Knorpel,  die  Knorpel  der  Kiemenplättchen  der  Fische 
zum  Teil  und  die  des  äußeren  Ohres  mancher  Säugetiere.  Dieselbe 
Einteilung  findet  sich  noch  in  der  letzten  Auflage  der  Gewebelehre 
(1889,  I.  Bd.  S.  111);  nur  bezeichnet  er  jetzt  den  »Knorpel  ohne  Grund- 
substanz« auch  als  Zellenknorpel  und  rechnet  nunmehr  noch  dazu 
den  Knorpel  der  Achillessehne  des  Frosches  und  die  Knorpel  der  Ge- 
ryonien,  Anneliden,  Cephalophoren  und  von  Limulus. 

3.  Die  Chorda  dorsalis  und  das  chordoide  blasige  Stützgewebe. 

Die  Chorda  dorsalis.  —  Es  liegt  mir  fern,  hier  eine  eingehende 
Darstellung  vom  feineren  Bau  der  Chorda  geben  zu  wollen;  es  genügt, 

1  Diese  Zeitschrift  Bd.  LXX.  1901.  S.  109—170. 

2  Ebendort,  Bd.  LXXX.  1905.  S.  155—258. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  uaw.  III.         3 

in  dieser  Hinsicht  auf  die  gründlichen,  neueren  Untersuchungen  von 
V.  Ebner  und  Studnu^ika  zu  verweisen,  in  denen  auch  die  ältere 
Literatur  genügend  berücksichtigt  erscheint. 

Hier  soll  nur  die  Stellung  der  Chorda  zum  Knorpelgewebe  und  zu 
verwandten  Formen  der  Stützsubstanz  kritisch-geschichtlich  erörtert 
und  der  Versuch  gemacht  werden,  die  histologische  Verschiedenheit 
zwischen  Chorda-  und  Knorpelgewebe  auf  funktionelle  Unterschiede 
zwischen  beiden  zurückzuführen  oder  wenigstens  die  erstere  teilweise 
durch  die  letzteren  verständlicher  zu  machen. 

Die  Auffassung  der  Chorda  als  eines  knorpeligen  Gebildes  — 
DuGES^  bezeichnete  sie  geradezu  als  cartilage  rachidien,  Quekett^ 
als  nucleated  cartilage  —  beruhte  ursprünglich  sicher  nur  auf  deren 
physikalischen  Eigenschaften:  ihrem  hyalinen  Aussehen  im  frischen 
Zustande,  ihrer  Biegmigselastizität  und  relativen  Festigkeit,  welche 
sie  befähigen,  ein  stützendes  Achsengebilde  darzustellen. 

Als  dann  die  zellige  Zusammensetzung  der  Chorda  von  Joh.  Müller  ^ 
und  Th.  Schwann*  entdeckt  wurde  und  letzterer  auf  ihre  gToße  Ähn- 
lichkeit mit  gewissen  Knorpeln  (Kiemenknorpel  von  Fischen  und 
Amphibienlarven)  hinwies  (1.  c.  S.  21),  schien  die  Knorpelnatur  der 
Chorda  auch  histologisch  begründet;  man  sprach,  wie  Henle^  sich 
an  einer  Stelle  ausdrückt,  vom  Knorpel  der  Chorda  dorsalis  als  einem 
Aggregat  von  großen  Zellen  mit  geringen  Mengen  von  Intercellular- 
substanz. 

Zur  Bezeichnung  der  Auffassung  jener  Zeit  sei  noch  angeführt,  daß 
Henle^  an  andrer  Stelle  die  Zellen  eines  von  Haeckel'^  beim  Fluß- 
krebs beschriebenen  großblasigen  Gewebes  zum  Knorpelgewebe  stellte, 
»insbesondere  bestimmt«  durch  »ihre  Ähnlichkeit  mit  dem  Gewebe 
der  Chorda   dorsalis«;   und  daß   F.   E.   Schulze ^   das  eigentümliche 


1  Recherches  sur  l'osteologie  et  la  myologie  des  Batraciens  etc.  Mem. 
Inst,  de  France.  T.  VI.  1835. 

2  Lectures  on  histology.     London  1852.  p.  118. 

3  Vgl.  Anatomie  der  Myxinoiden.  Abhandlgn.  Kgl.  Akad.  Wiss.  Berlin 
(1834),  1836.  S.  138. 

*  Mikroskopische  Untersuchungen  usw.  Berlin  1839.  S.  8.  Hier  beruft 
sich  Schwann  in  betreff  der  Entdeckung  der  zelligen  Struktur  der  Chorda  auf 
eine  kleine  Mitteüung  in  der  Med.  Zeitung  1837  (VI.  Jahrg.  S.  169),  in  der  je- 
doch der  Chorda  mit  keinem  Worte  Erwähnung  getan  wird. 

5  Jahresber.  über  die  Fortschr.  der  Anat.  u.  Phys.  1857.  S.  83. 

6  I.  c.    S.  87. 

7  Müllers  Arch.  1857. 

8  Diese  Zeitschr.  Bd.  XII.  1863.  S.  181. 

1* 


4  Josef  Schaffer, 

Mantelgewebe  gewisser  Ascidien,  dessen  Grundsubstanz  er  (wie  wir 
heute  wissen,  irrtümlich)  für  ein  Produkt  der  in  sie  eingeschlossenen 
blasigen  Zellen  hielt,  für  ein  der  Chorda  dorsalis  ähnliches  Gewebe 
erklärte.  Anderseits  muß  aber  auch  betont  werden,  daß  sowohl  Jon. 
Müller,  als  auch  Schwann  das  Gewebe  der  Chorda  vom  Knorpel 
getrennt  haben,  besonders  ausdrücklich  und  wiederholt ^  ersterer,  in- 
dem er  nicht  nur  auf  die  »anatomische«,  sondern  bereits  auch  auf  die 
chemische  Verschiedenheit  hinwies.  »Diese  Gallerte  (d.  h.  Chorda) 
hat  vielmehr  eine  Textur,  wie  sie  bei  keinem  einzigen  der  vielen  von 
mir  untersuchten  Knorpel  der  Tiere  vorkommt;  es  ist  eine  durchsich- 
tige, in  ebenfalls  durchsichtigen,  dicht  aneinander  stoßenden  Zellen,  die 
den  Pflanzenzellen  analog  sind,  enthaltene  Materie«. 

Schwann  hat  ganz  zutreffend  jede  Chordazelle  für  sich  von  einer 
besonderen  Haut  umschlossen  beschrieben  (1.  c."  S.  12),  an  andrer  Stelle 
(S.  109)  das  Getrenntbleiben  der  Zellwände  betont;  er  hat  auch  bereits 
die  Isolierbarkeit  der  Zellen  (wie  ich  aus  seiner  Darstellung  auf  S.  15 
schließen  muß)  und  ihre  auffallende  Größe,  im  Vergleich  zu  den  Knorpel- 
zellen hervorgehoben.  Da  man  aber  auch  die  dünnen  Grundsubstanz- 
scheidewände in  den  oben  genannten  Knorpeln  als  »Membranen«  oder 
Zellhüllen  auffaßte,  anderseits  auch  wieder  die  Membranen  der  Chorda- 
zellen als  »Intercellularsubstanz«  bezeichnete,  konnte  sich  die  Er- 
kenntnis vom  wesentlichen  Unterschiede  zwischen  dem  Chorda-  und 
Knorpelgewebe  noch  nicht  Bahn  brechen,  obwohl  auch  Valentin^ 
und  Valenciennes^  sich  entschieden  gegen  die  Knorpelnatur  der 
Chorda  ausgesprochen  hatten.  Letzterer  vermißte  beim  Vergleiche 
der  Chorda  mit  dem  Knorpelgewebe  der  Selachier  eigentliche  Knorpel- 
zellen in  der  Chorda.  »Ich  kann  sie  daher  jetzt  nicht  als  einen  Knorpel 
auffassen,  trotz  ihres  äußeren  Ansehens.«  Dagegen  betonte  Valen- 
ciENNES,  daß  die  Knorpel  der  Mollusken  in  ihrem  Bau  mit  der  Chorda 
übereinstimmen. 

Leydig,  welcher  noch  in  seinem  Lehrbuch  der  Histologie  (1857, 
Fig.  17)  eine  Partie  aus  der  Chordagallerte  von  Polypterus  als  )^ Zellen- 
knorpel« abbildet,  hat  dann*  ebenfalls  die  Ähnlichkeit  des  Chorda- 
gewebes mit  dem  von  ihm  als  »zellig-blasigem«  bezeichneten  Gewebe 
bei  Wirbellosen  (Weichtieren,  Arthropoden,  Würmern)  hervorgehoben 


1  POGGENDORFFS  Annalen  Bd.  XXXVIII.  1836.  S.  337. 

2  Handbuch  der  Entwicklungsgesch.  d.  Menschen.    BerHn  1835.  S.  157. 

3  Recherches  sur  la  structure  et  la  nature  du  tissu  elementaire  des  carti- 
lages.     C.  R.  Acad.  Sc.  Paris.     T.  XIX.     1844. 

4  Vom  Bau  des  tierischen  Körpers.     Tübingen  1864.  ' 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.         5 

und  ist  geneigt  die  Chorda  der  Wirbeltiere  hierher  zu  rechnen  (S.  34), 
obwohl  er  sie  auch  wieder  unter  dem  »Zellenknorpel«  anführt  (S.  53). 
Bestimmter  spricht  er  sich  später i  aus,  indem  er  sagt:  »Die  Chorda 
dorsalis,  welche  man  früher  zum  KnorpeK  rechnete,  stellte  ich  schon 
vor  langer  Zeit  zu  jener  Form  des  Bindegewebes,  welches  ich  als  ,  zellig- 
blasiges'  bezeichnet  hatte.« 

Dieser  Auffassung  hatte  sich  unterdessen  auch  Gegenbaur^  an- 
geschlossen, obwohl  er  sich  selbst  noch  später  (vgl.  Grundriß  der  ver- 
gleichenden Anatomie,  1874,  S.  22  u.  f.)  von  der  irrigen  Vorstellung, 
daß  die  Zellmembranen  in  der  Chorda  den  benachbarten  Zellen  ge- 
meinsam seien,  nicht  frei  machen  konnte.  Früher  hatte  er  ebenfalls 
die  Chorda  zum  Knorpelgewebe  gestellt,  was  daraus  hervorgeht,  daß 
er  wiederholt  3  die  Membranen  der  Chordazellen  als  » Intercellular- 
substanz«  bezeichnet  hat.  An  einer  Stelle  (3,  A,  Fig.  1,  Taf.  IV)  läßt 
er  die  von  einer  zarten  Membran  begrenzten  Chordazellen  (im  Schwanz- 
wirbelkörper eines  reifen  Embryo  von  Lacerta  agilis)  von  reichlicher 
Intercellularsubstanz  umgeben  sein;  hier  handelt  es  sich  offenbar  um 
die  Verwechslung  von  endochordalem  Knorpel  mit  Chordagewebe. 

An  einer  andern  Stolle  —  als  er  die  Intercellularsubstanz  im 
Sesamknoten  der  Achillessehne  vom  Frosch  nachwies*  —  bemerkt  er 
ausdrücklich  über  dieses  Gewebe:  »Daraus  geht  aufs  sicherste  hervor, 
daß  man  es  mit  einer  eigentümlichen  Modifikation  von  Knorpel  zu 
tun  hat,  einer  Form,  bei  der  es  nicht  zur  Bildung  einer  reichlichen 
Intercellularsubstanz  kommt,  so  daß  das  Gewebe  .  .  .  Ähnlichkeit 
mit  dem  der  Chorda  dorsalis  besitzt. « 

Eine  vollkommen  klare  Darstellung  des  wesentlichen  Unterschiedes 
zwischen  Chorda-  und  Knorpelgewebe  hat  dann  Langerhans  ^  ge- 
geben. Indem  er  zunächst  betont,  daß  die  Zellen  der  Chorda  (von 
Ammocoetes)  durch  Salpetersäure,  wie  durch  MüLLERsche  Flüssigkeit 
isoliert  werden  können  und  daß  zwischen  ihnen  keine  Zwischensub- 
stanz vorhanden  ist,  fährt  er  fort:  »Der  Anschein  einer  solchen  wird 
vielmehr  nur  durch  die  aneinander  stoßenden  Membranen  der  Zellen 


1  Zelle  und  Gewebe.     Bonn  1885.     S.  50. 

-  Über  das  Skeletgewebe  der  Cyclostomen.  Jenaische  Zeitschr.  Bd.  V. 
1870.     S.  52. 

3  Z.  B.  A.  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbelsäule 
bei  Amphibien  und  Reptilien.  —  Leipzig  1862.  S.  60.  —  B.  Über  die  Entwick- 
lung der  Wirbelsäule  des  Lepidosteus  usw.  Jenaische  Zeitschr.  Bd.  III.  1867. 
S.  361.     S.  376,  Anm.  1. 

*  Über  einige  Formelemente  im  Bindegewebe.     Ebendort,  S.  309. 

5  Untersuchungen  über  Petromyzon  Planeri.     Freiburg  i.  Br.  1873.  S.  37. 


6  Josef  Schaffer, 

hervorgebracht.  Es  scheint  mir  somit  notwendig,  die  scharfe  Trennung, 
welche  Johannes  Müllee  aus  so  wichtigen  Gründen  zwischen  dem 
Gewebe  des  Knorpels  und  der  Chorda  vornahm,  wieder  einzuführen, 
und  nicht  die  Chorda  ä  conto  einer  in  der  Tat  nicht  existierenden 
Zwischensubstanz  weiter  zu  einem  Gewebe  zu  stellen,  von  dem 
sie  sich  scharf  genug  sondern  läßt.  Denn  wenn  auch  die  Zwischen- 
substanz des  Knorpels  ähnlich  den  Zellmembranen  durch  die  Tätig- 
keit der  Zellen  entsteht,  so  existiert  doch  im  fertigen  Knorpel  überall 
zwischen  den  Zellen  und  eventuell  ihren  Hüllen  eine  differente  Gewebs- 
lage,  von  welcher  in  der  Chorda  des  Neunauges  auch  keine  Andeutung 
vorhanden  ist. « 

v.  MiHALKOVicsi  wurde  durch  eine  Reihe  von  Gründen,  haupt- 
sächlich entwicklungsgeschichtlicher,  aber  auch  histologischer  Natur 
bewogen,  in  der  Chorda  ein  epitheliales  Gebilde  zu  vermuten.  »Auf 
jeden  Fall  steht  das  Gewebe  der  Chorda  dem  Epithelgewebe  näher 
als  dem  Knorpel,  dem  es  bisher  zugereiht  wurde. «  Als  Gründe  führt 
er  an :  die  scharfe  Trennung  der  Chorda  von  den  Gebilden  des  mittleren 
Keimblattes,  die  sich  auch  später  immer  erhält;  die  glashelle  Scheide, 
wie  man  sie  überall  an  der  Grenze  zwischen  Bindegewebe  und  Epithel 
antrifft;  der  gänzliche  Mangel  einer  Zwischensubstanz  zwischen  den 
Zellen  der  Wirbelsaite;  die  eigentümlichen  Formumwandlungen  ihrer 
Zellen  (Verhornung)  und  die  Vacuolisierung  des  Zellinhaltes,  eine 
degenerative   Erscheinung,   die   meist   nur    bei    Epithelien   vorkommt. 

Sehr  entschieden  hat  auch  Eanvier^  die  Knorpelnatur  des  Chorda- 
gewebes in  Abrede  gestellt  auf  Grund  einer  zutreffenden  Schilderung 
vom  feineren  Bau  desselben;  auch  hat  Ranvier  wieder  darauf  hin- 
gewiesen, daß  es  leicht  sei,  die  Zellen  der  Chorda  bei  jungen  Fischen 
und  Froschlarven  nach  24stündiger  Maceration  in  Jodserum  oder 
Dritte] alkohol  als  dünnwandige  Bläschen  zu  isolieren. 

Als  Neumann  3  die  eigentümliche  Jodreaktion  der  Knorpel-  und 
Chordazellen  entdeckte,  glaubte  er  diese  Tatsache  zugunsten  der  von 
Ranvier  bestrittenen  Zugehörigkeit  der  Chorda  zum  Knorpelgewebe 
ins  Feld  führen  zu  sollen.  Wenu  Neumann  zur  Begründung  dessen 
sagt :  »Wenigstens  hätte  Ranvier,  wenn  er  die  Jodreaktion  der  Chorda- 
zellen erkannt  hätte,  darin  mit  demselben  Rechte  einen  Beweis  für 
ihre  Knorpelnatur  erbhcken  müssen,  mit  welchem  er  das  Nichteintreten 


1  Wirbelsaite  und  Hirnanhang.     Arch.  mikx.  Anat,    Bd.  XI.    1874.    S.  391. 

2  Traite  technique  d'Histologie.    Paris  1875.    p.  271. 

3  Die    Jodreaktion    der    Knorpel-    und    Chordazellen.    Arch.    mikr.    Anat. 
Bd.  XIV.  1877.  S.  57. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.         7 

der  Jodreaktion  an  den  Zellen  des  sogenannten  Achillesknorpels  der 
Frösche  als  Argument  gegen  die  wirklich  knorpelige  Beschaffenheit 
desselben  benützt«,  so  scheint  mir  dies  insofern  nicht  zutreffend,  als 
die  Chorda  ihren  hohen  Glykogengehalt  (13%  des  Trockenrückstandes 
nach  KosselI)  mit  andern  embryonalen  Geweben  teilt,  wogegen  der 
geringe  Glykogengehalt  echter  Knorpelzellen,  welchem  sie  die  Jod- 
reaktion verdanken,  wohl  ein  auffälliger  Unterschied  von  den  die  Re- 
aktion nicht  gebenden  •  Zellen  im  Sesamknoten  der  Achillessehne  vom 
Frosch  ist. 

Erwähnt  sei  hier  auch,  daß  Kossel  (1.  c.)  das  Gewebe  der  Chorda 
viel  wasserreicher  (etwa  96%),  als  das  des  umgebenden  Knorpels  bei 
demselben  Tier  (Stör)  findet  (81,5  %)  und  an  den  bereits  von  Sten- 
BERG^  erbrachten  Nachweis  vom  Fehlen  des  Chondromucoids  (Chon- 
drins)  und  Collagens  (Glutins)  im  Chordagewebe  erinnert. 

In  seiner  Entwicklungsgeschichte  (2.  Auflage  1879,  S.  402)  gibt 
KÖLLiKER  einerseits  zu,  daß  Gründe  vorhanden  seien,  die  Chorda  nicht 
zum  Knorpelgewebe  zu  rechnen,  doch  überwiegen  ihm  jene,  nach 
welchen  er  sie  zum  zelligen  Knorpel  rechnet.  Als  solche  führt  er  an: 
hauptsächlich  den  Umstand,  daß  die  Chordazellen  nach  seinen  und 
andrer  Erfahrung  bei  vielen  Tieren  sich  in  echten  hyalinen  Knorpel 
umwandeln  können  und  daß  manche  unzweifelhafte  Knorpel  im  Bau 
der  Chorda  sehr  ähnlich  sehen. 

Renaut^  hat  dann  auch  die  Ähnlichkeit  der  Chorda  mit  epithe- 
lialen Bildungen  hervorgehoben;  sie  besitzt  nach  ihm  kein  einziges 
charakteristisches  Merkmal  des  Knorpelgewebes.  Wohl  aber  hat  er 
ihre  physikalische  und  strukturelle  Ähnlichkeit  mit  einer  Reihe  andrer 
Stützsubstanzen,  die  allerdings  sehr  heterogener  Natur  sind  und  die 
er  unter  der  Bezeichnung  des  tissu  fibro-hyalin  zusammenfaßt,  betont. 
Hierzu  gehören:  die  hyalinen  Knötchen  und  Zellen  an  der  Innenseite 
des  Perineuriums  bei  Pferd  und  Esel,  der  Sesamknoten  der  Achilles- 
sehne vom  Frosch,  das  innere  Skelet  gewisser  Mollusken  {HelixY,  das 
arachnoidale  Hüllgewebe  der  Cyclostomen,  jenes  um  die  Retina  von 
Petromyzon  marinus  und  Chamäleon,  um  das  Ganglion  nervi  acustici, 
die  blasenförmigen  Zellen  in  den  Tasthaaren  der  Säugetiere  (Ratte, 


1  Gewebelehre  von  Schieffeedeckek  und  Kossel.     1.  Abt.  1891.  S.  349. 

2  G.  Retzius,  Einige  Beiträge  zur  Histologie  und  Histochemie  der  Chorda. 
Arch.  Anat.  Phys.    Anat.  Abt.  1881.  S.  89. 

3  Traite  d'HistoIogie  pratique.    T.  I.    Paris  1893.  p.  336.    (Vorrede  datiert 
von  1888). 

4  C.  R.  de  l'Acad.  Sc.  Paris.    T.  XC.  1880.  p.  711. 


8  Josef  Schaffer, 

Meerschweinchen),  wahrscheinlich  das  Gewebe  über  dem  Sinus  rhom- 
boidalis  der  Vögel  i. 

0.  Hektwig^  hat  die  Chordazellen  mit  vacuolisierten  Zellen  ge- 
wisser Wirbellosen  (in  den  Tentakeln  mancher  Cölenteraten,  gewissen 
Körperanhängen  von  Anneliden)  zusammengestellt  und  zuerst  ausdrück- 
lich betont,  daß  es  der  Turgor  in  diesen  Zellblasen  ist,  welcher  sie  zur 
stützenden  Funktion  befähigt.  »Indem  die  zahlreichen  turgeszenten, 
kleinen  Chordazellen  nach  außen  durch  eine  feste  elastische  Scheide 
zu  einem  Organ  verbimden  und  gegen  die  Umgebung  abgegrenzt  sind, 
werden  ihre  einzelnen  Turgorkräfte  sich  summieren  und  durch  inneren 
Druck  die  gemeinsame  Scheide  in  Spannung  erhalten. « 

Auch  Fol  3  hat  die  Ähnlichkeit  der  Chordazellen  mit  gewissen 
Stützzellen  in  den  soliden  Tentakeln  mancher  Cölenteraten  und 
Eöhrenwürmer  betont  (1.  c.  S.  224)  und  das  Chordagewebe  mit  einer 
Reihe  von  Stützgeweben  bei  Wirbellosen  (dem  Zungenknorpel  von 
Dentalium  und  Gastropoden,  Schirmrand  der  Trachymedusen),  aber 
auch  dem  Knorpelgewebe  der  Petromyzonten  als  Kapselgewebe 
zusammengefaßt,  das  er  als  niedersten  Typus  der  Bindesubstanzen 
bezeichnet. 

Rauber*  trennt  das  Chordagewebe  wegen  der  Verschiedenheit 
seines  Ursprunges  und  der  chemischen  Beschaffenheit  vom  Knorpel- 
gewebe und  faßt  es  als  eine  besondere  Gruppe  des  Epithelgewebes  auf. 

Bergh^  bezeichnet  das  Gewebe  der  Chorda,  sowie  das  Gewebe 
des  Achsenstranges  in  den  Tentakeln  der  Hydroidpolypen,  welche 
wegen  des  Mangels  an  Intercellularsubstanz  nicht  zu  den  bindege- 
webigen Substanzen  gerechnet  werden  können,  als  epitheliale  Stützgewebe. 

Ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Erkenntnis  des  geweblichen 
Aufbaues  der  Chorda  dorsalis  und  ihrer  histologischen  Stellung  wurde 
durch   die    eingehenden  Untersuchungen   v.    Ebners ^   angebahnt;   er 


1  Arch.  de  physiol.  1881.  p.  161  et  p.  845. 

2  Die  Zelle  und  die  Gewebe.     Jena  1893.     S.  127. 

3  Lehrbuch  der  vergl.  mikr.  Anatomie.     Leipzig  1896  (vollendet  1892). 
*  Lehrbuch  der  Anatomie.     LeijDzig  1892.     S.  101. 

5  "Vorlesungen  über  die  Zelle  und  die  einfachen  Gewebe.  Wiesbaden  1894.  S.95, 
•^  Über  den  Bau  der  Chorda  dorsalis  des  Amphioxus  lanceolatus.  Sitzber. 
kais.  Akad.  Wiss  Wien.  Bd.  CIV.  Okt.  1895.  S.  199.  —  Über  die  Wirbel  der 
Knochenfische  und  die  Chorda  dorsalis  der  Fische  und  Amphibien.  Ebendort, 
Bd.  CV.  Mai  1896.  S.  123.  —  Die  Chorda  dorsalis  der  niederen  Fische  und  die 
Entwicklung  des  fibrillären  Bindegewebes.  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXII.  1896. 
S.  469.  (Hier  findet  man  auch  das  Verzeichnis  der  übrigen  auf  die  Chorda  be- 
züglichen Arbeiten.) 


über  deu  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.         9 

wies  nicht  nur  zuerst  einwandfrei  nach,  daß  die  indifferenten  Bildungs- 
zellen der  Chorda  (das  sogenannte  Chordaepithel)  leimgebendes  Gewebe 
bilden  und  sich  in  echte  Knorpelzellen  umwandeln  können,  sondern 
auch,  daß  aus  denselben  unter  Umständen  Zelltypen  hervorgehen, 
welche  an  die  in  geschichteten  Pflasterepithelien  und  Horngewebe  vor- 
kommenden Bildungen  erinnern. 

Somit  »\\nrd  man  die  Frage,  ob  die  Chorda  ein  Bindesubstanz- 
oder ein  Epithelgewebe  ist,  weder  bejahen,  noch  verneinen  können«, 
sondern  muß  ihr  eine  selbständige,  vermittelnde  Stellung  zwischen 
beiden  Gruppen  zuweisen,  v.  Ebner  wendet  sich  auch  wiederholt 
gegen  die  Auffassung  des  typischen,  blasigen  Chordagewebes  als 
Parenchym-  oder  Zellenknorpel  und  führt  als  microchemischen  Unter- 
schied des  Chordagewebes  vom  Hyalinknorpel  noch  an,  daß  Phenol, 
Eugenol,  Salizylaldehyd  usw.  die  Doppelbrechung  des  Hyalinknorpels 
nach  vorausgehender  Entwässerung  in  Alkohol  in  eine  entgegengesetzte 
umwandle,  während  dies  bei  der  Chorda  nicht  der  Fall  ist. 

StudnickaI  hat  dann  das  Chordagewebe  bei  zahlreichen  Ver- 
tretern der  niederen  Wirbeltierklassen,  besonders  einer  großen  Anzahl 
von  Knochenfischen,  untersucht  und  ist  zu  dem  Schlüsse  gekommen, 
daß  das  Chordagewebe  mit  dem  Knorpelgewebe  überhaupt  nichts 
Gemeinschaftliches  hat.  Näher  geht  er  auf  die  Frage  in  einer  weiteren 
Arbeit 2  ein,  in  welcher  ein  umfangreiches  Kapitel  sich  mit  dem  Chorda- 
gewebe und  seinem  Verhältnis  zum  Knorpelgewebe  befaßt.  Die  Schluß- 
folgerungen, zu  denen  er  hier  kommt,  decken  sich  teilweise  vollkommen 
mit  meiner  Anschauung,  weshalb  dieselben  hier  angeführt  sein  sollen : 
»Zur  Charakteristik  eines  Knorpels  gehört  in  erster  Reihe  eine  Grund- 
oder .  .  .  Intercellularsubstanz,  die,  wenn  sie  auch  manchmal  in  ganz 
dünnen  Schichten  vorhanden  ist,  doch  immer  auf  eine  ganz  deutliche 
Weise  die  einzelnen  Zellen  voneinander  trennt.  Ein  »Knorpel  ohne 
Grundsubstanz«,  dessen  Existenz  früher  vielfach  angenommen  wurde, 
kommt  überhaupt  nicht  vor.  Nun  findet  man  im  Chordagewebe  in 
der  Tat  keine  Substanz,  die  in  voller  Bedeutung  des  Wortes  als  ,inter- 
cellular'  bezeichnet  werden  könnte.  Im  Gegenteil  sind  die  einzelnen 
Zellen  desselben  voneinander  durch  Lücken  getrennt,  und  darin  besteht 
eben  der  wesentlichste  Unterschied  zwischen  den  beiden  Gewebsarten. « 

Anderseits  kann  ich  mit  Studnicka  nicht  übereinstimmen,  wenn 


1  Über  das   Gewebe  der  Chorda  dorsalis   und  den   sogenannten   Chorda- 
knorpel.    Sitzb.  kgl.  böhm.  Ges.   Wiss.   1897.   S.  47. 

2  Histologische   und   histogenetische   Untersuchungen    über  das   Knorpel-, 
Vorknorpel-    und   Chordagewebe.     Anat.  Hefte.  Bd  XXI.  1903.  S.  400  u.  f. 


10  Josef  Schaff  er, 

€r  die  Chorda  aus  der  Keihe  der  Stützsubstanzen  streichen  und  zu 
dem  Epithelgewebe  stellen  wiRi.  Das  Chordagewebe  ist  eine  primitive, 
aber  typische  Stützsubstanz,  deren  Verwandtschaft  mit  dem  Knorpel- 
gewebe unverkennbar  ist.  Studniöka  weist  selbst  darauf  hin,  daß 
die  Chordazellen,  besonders  bei  gewissen  Teleostiern,  eine  Reihe  von 
Eigentümlichkeiten  aufweisen,  welche  »wieder  nirgend  anderswo,  als 
im  Knorpelgewebe  ihre  Analogien  finden  können  «^  und  hat  auch  selbst 
eine  ausführliche  Darstellung  der  merkwürdigen  Substitutionsfähigkeit 
des  Chordagewebes  durch  Knorpelgewebe  gegeben. 

Wir  begegnen  dieser  Substitutionsfähigkeit  als  einer  charakteristi- 
schen Eigentümlichkeit  in  der  ganzen  Reihe  der  Stützsubstanzen, 
was  schon  Reicheet^  erkannt  und  Ranviek*  betont  hat,  indem  er 
z.  B.  auf  die  Sclera  als  ein  Organ  hinweist,  welches  bei  verschiedenen 
Tieren  fibrös,  knorpelig  oder  knöchern  sein  kann.  Wenn  er  dabei 
von  einer  »Transformation«  des  einen  Gewebes  in  das  andre  spricht, 
so  scheint  mir  dieser  Ausdruck,  welcher  an  die  Vorstellung  einer  Meta- 
plasie im  älteren  Sinne  des  Wortes  erinnert,  nicht  glücklich  gewählt. 
Wie  heute  wohl  allgemein  angenommen  wird^,  ist  diese  Substitutions- 
möglichkeit einzig  auf  die  Fähigkeit  der  indifferenten  Bildungszellen 
der  Bindesubstanzen  zurückzuführen,  unter  geänderten  (mechanischen 
oder  funktionellen)  Bedingungen  Gewebe  von  verschiedener  Art  zu 
bilden.  So  zeigt  sich  auch  die  Verwandtschaft  zwischen  Chorda-  und 
Knorpelgewebe  vornehmlich  darin,  daß  —  nach  den  übereinstimmenden 
Angaben  von  v.  Ebner,  Klaatsch^  und  Studnicka  —  die  indiffe- 
renten Chordazellen  (das  Chordaepithel)  die  blastische  Potenz  besitzen, 
gelegentlich  auch  echtes  Knorpelgewebe  zu  erzeugen.  Diese  histo- 
blastische  Verwandtschaft,  sowie  die  funktionelle  Ähnlichkeit  vor- 
ausgesetzt, läßt  sich  der  durchgreifende  Unterschied  im  feineren  Bau 
des  Chorda-  und  Knorpelgewebes  durch  eine  genauere  Betrachtung 
ihrer  mechanischen  Aufgaben  dem  Verständnis  näher  bringen.  Wie 
sich  besonders  an  den  grundsubstanzarmen  Knorpeln  der  Cyclostomen, 
welche  noch  die  meiste  Ähnlichkeit  mit  dem  Chordagewebe  besitzen. 


1  Anat.  Hefte,  1.  c.  S.  400. 

2  Ebendort,  S.  403. 

3  Bemerkungen  zur  vergl.  Naturforschung  usw.  Dorpat,  H.  Gläseb,  1845. 
*  Les  elements  et  le  tissu  du  Systeme  conjonctif.  Journ.  de  Micrgr.  T.  XIII. 

1889.   p.  10. 

^  Über  die  neueste,  abweichende  Anschauung  von  Fb.  Krauss  siehe 
weiter  unten. 

ß  Über  die  Chorda  und  die  Chordascheiden  der  Amphibien.  Verhandl. 
Anat.  Ges.  11.  Vers.  Gent  1897.    S.  82. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgevvebes  usw.  III.       11 

nachweisen  ließ^,  zeigt  die  Grundsubstanz  derselben  ein  architektonisches 
Gefüge,  welches  den  Knorpeln  ihre  Druck-  und  Biegungsfestigkeit, 
aber  auch  eine  gewisse  Biegungselastizität  verleiht. 

Diese  mechanischen  Eigenschaften  werden  beim  Knorpel  dadurch 
erreicht,  daß  die  strebefeste,  aber  doch  elastische  Grund-  oder  Inter- 
cellularsubstanz  ein  zusammenhängendes  Fachwerk  oder  Alveolen- 
wandsystem  bildet,  das  z.  B.  in  einem  cylindrischen  Knorpelstab  (der 
sich  am  besten  zum  Vergleiche  mit  der  Chorda  eignet)  oberflächlich  eine 
verdickte  Rinde  bildet,  von  der  radiär  in  sagittalen,  wie  übereinander 
liegenden  horizontalen  Ebenen  stützende  Lamellen  auf  axiale  Balken- 
systeme zu  laufen  (vgl.  die  Fig.  10  u.  12,  Taf .  VII,  diese  Zeitschr.  Bd.  LXX). 

Das  mechanisch-funktionelle  Element  ist  demnach  im 
Knorpel  die  Intercellularsubstanz. 

Immerhin  dürfte  die  Turgescenz  der  verhältnismäßig  großen 
Zellen  zur  Erhöhung  der  Biegungs-  und  Druckfestigkeit  der  dünn- 
wandigen Systeme  nicht  unwesentlich  beitragen,  wie  dies  Schäfer  ^ 
für  die  ähnlich  gebauten  Knorpel  der  Froschlarven  nachgewiesen  hat. 
Jedoch  wird  beim  Knorpel  einerseits  durch  Herabsetzung  oder  Auf- 
hebung des  Turgordruckes  (wie  sie  z.  B.  durch  Schrumpfung  der  Zellen 
bei  der  Fixierung  eintritt)  niemals  auch  die  Druck-  und  Biegungs- 
festigkeit aufgehoben,  und  anderseits  erreicht  die  Biegungselastizität 
auch  beim  dünnsten  Knorpelstab  niemals  einen  solchen  Grad,  daß 
er  parallel  zu  sich  selbst  umgebogen  werden  könnte,  da  dies  die  un- 
verschieblichen, radiär  zu  seiner  Oberfläche  gestellten  Grundsubstanz- 
wände verhindern. 

Anders  bei  der  Chorda  dorsalis.  Fol^  sieht  die  Funktion  seines 
»Kapselgewebes«,  dem  er  auch  die  Chorda  zurechnet  (s.  o.)  in  der 
elastischen  Resistenzkraft  der  Verdickungsschichten  seiner  Zellmem- 
branen. Dies  trifft  für  einzelne  Formen  des  Chordagewebes  wohl  zu; 
für  jenes  mit  dünnen  Zellmembranen  (Cyclostomen,  Froschlarven  u.  a.) 
spielt  jedoch,  wie  Schäfer*  gezeigt  hat  und  der  hohe  Wassergehalt 
der  Chordagallerte  (vgl.  oben  die  Angabe  Kossels)  beweist,  der  Turgor- 
druck  der  Zellen  und  die  diesen  wesentlich  erhöhende  Chordascheide, 
in  deren  Widerstand  der  Grund  für  die  von  v.  Ebnere  nachgewiesene 

1  Diese  Zeitschr.  Bd,  LXI.  1896.  S.  628  und  Bd.  LXX.  1901.  S.  128  u.  f. 

2  Beiträge  zur  Analyse  des  tierischen  Wachstums  usw.  Arch.  f.  Entwick- 
lungsmech.  Bd.  XIV.  1902.  S.  381. 

3  Lehrbuch  der  vergl.  mikr.  Anat.    Leipzig  1896.  S.  338. 

4  I.  c. 

^  Über  den  feineren  Bau  der  Chorda  dorsahs  der  Cyclostomen.  Sitzb. 
Kais.  Akad.  Wiss.  Wien.  Bd.  CIV.  Jann.  1895.  S.  9. 


12  Josef  Schaffer, 

positive  Spannung  der  Chordagallerte  gesehen  werden  muß,  die  Haupt- 
rolle. Mit  Kecht  hat  v.  Mack  solche  Gewebe  geradezu  als  »Turgor- 
gewebe  <<  bezeichnet,  worüber  auf  Abschnitt  C.  verwiesen  sei.  Wird  dieser 
Turgordruck  hier  herabgesetzt  oder  aufgehoben,  so  falten  sich  die 
Zellmembranen  und  ihre  elastische  Resistenzkraft  ist  verloren. 

In  der  Chorda  ist  eben  das  mechanisch-funktionelle 
Element  die  Zelle;  eine  Intercellular-  oder  Grundsubstanz  ist  zwi- 
schen den  blasigen  Zellen  nicht  nachweisbar.  An  Schnitten  hat  es 
allerdings  oft  den  Anschein,  als  ob  die  blasigen  Chordazellen  durch 
einfache  Scheidewände  getrennt  würden;  »nur  selten  sieht  man  in  den 
Zwickeln,  wo  mehrere  Zellen  aneinander  stoßen,  Andeutungen  von 
Mittellamellen  und  von  Intercellularräumen «  sagt  v.  Ebner  i,  der 
sich  durch  diese  Bilder  verleiten  ließ,  die  Membranen  als  für  je  zwei 
Nachbarzellen  gemeinsam  anzunehmen.  Ganz  denselben  Eindruck 
machen  aber  auch  Schnitte  durch  geschichtete  Pflasterepithelien  mit 
blasigen  Zellen,  imd  man  würde  auch  hier  nach  dem  Aussehen  der 
Schnittpräparate  allein  nie  an  eine  Isolierbarkeit  der  Zellen  denken, 
die  hier  ja  so  leicht  und  allgemein  bekannt  ist.  Aber  auch  die  Chorda- 
zellen von  Ammocoetes  lassen  sich,  wie  verschiedene  Autoren  angegeben 
haben,  leicht  als  ringsum  geschlossene  Blasen  isolieren,  ohne  daß  zwi- 
schen ihnen  etwa  ein  verbindender  Kitt  sichtbar  würde.  In  Fig.  1 
habe  ich  solche  Zellen  aus  der  in  V2%ige  Osmiumsäure  eingelegten  und 
dann  zerzupften  Schwanzchorda  abgebildet.  Sie  zeigen  die  von  G. 
Retzius^  beschriebene  Faserung  ihrer  Membranen  und  an  ihren  der 
Chordaachse  zugewendeten  Enden  deutliche  Druckfacetten;  auch  konnte 
ich  mich  durch  Rollen  der  Zellen  unter  dem  Deckglas  davon  über- 
zeugen, daß  sie  ringsum  geschlossen  waren.  Zerzupft  man  in  ähnlicher 
Weise  einen  chordaähnlichen  Knorpel,  so  kann  man  nur  Teile  des 
Fachwerks  und  nackte  Zellen  isolieren. 

Diese  blasigen,  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Zellen  werden  nun  durch 
die  Chordascheiden  fest  aneinander  gepreßt,  und  ihre  Verbindung 
untereinander  wird  durch  die  Rippen  in  den  Zellwänden  oder  durch 
eigne  Intercellularbrücken  (v.  Ebner,  Studnicka)  hergestellt.  So 
entsteht  ebenfalls  ein  einigermaßen  druckfester,  aber  in  viel  höherem 
Grade  biegungselastischer  Cylinder,  in  dem  die  Zellen,  etwa  ähnlich 
wie  in  einem  geschichteten  Epithel  auf  dehnbarer  Unterlage,  noch 
eine  gewisse  Beweglichkeit,  d.  h.  Verschiebbarkeit  besitzen,  so  daß 
sie  bei  starken  Biegungen  nach  den  Stellen  geringeren  Druckes  aus- 

1  Über  den  Bau  der  Chorda  dorsalis  des  Amphioxics  lanceolatus,  1.  c.  S.  207. 

2  1.  c. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       13 

■weichen  können.  Zu  dieser  Vorstellung  gelangte  ich  durch  die  Be- 
obachtung von  Ammocüten,  die,  in  wenig  Wasser  gebracht,  mit  dem 
Schwänze  schlagen;  da  kann  man  sehen,  daß  diese  Biegungen  in  so 
spitzen  Winkeln  erfolgen  können,  daß  der  seitlich  umgeschlagene 
Schwanz  mit  seiner  ganzen  Innenfläche  der  hinteren  Körperseite  an- 
liegt,   was   mit   einem    knorpeliegen  Achsengebilde  nie  möglich  wäre. 

Es  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  Gleitfähigkcit  der 
Zellblasen  in  der  Chordagallerte  geradezu  als  funktioneller  Reiz  zu 
ihrer  Erhaltung  nötig  ist^.  Denn  in  allen  Fällen,  wo  die  stützende 
Funktion  der  Chorda  hauptsächlich  auf  die-  irgendwie  (durch  Ver- 
knorpelung,  Einlagerung  von  Knochen)  versteifte  Chordascheide  über- 
geht, verschwindet  die  gegenseitige  Unabhängigkeit  der  Zellblasen, 
d.  h.  ihre  Wände  verwachsen  (was  schon  Schwann  von  den  Chorda- 
resten bei  Knochenfischen  erwähnt;  vgl.  auch  A.  Albrecht 2)  und 
werden  durchbrochen,  wie  bei  gewissen  Selachiern  und  Knochen- 
fischen (vgl.  Studnicka,  Sitzb.  böhm.  Ges.  Wiss.  1897,  S.  51). 

Die  Chorda  kann  also  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ähnlich  wie. 
Knorpel  funktionieren;  verfolgt  man  jedoch  diese  Funktion  in  ihre 
Einzelheiten,  so  wird  man  sie  in  mehrfacher  Richtung  wesentlich  ver- 
schieden von  der  des  Knorpelgewebes  finden,  welche  potenzielle  Ver- 
.schiedenheit  durch   die  hervorgehobene  strukturelle  verständlich  wird. 

Man  kann  daher  das  Chordagewebe  weder  vom  histologischen, 
noch  chemischen,  noch  mechanisch-funktionellen  Standpunkte  als 
eine  Art  Knorpelgewebe  bezeichnen. 

Neuestens  hat  nun  Fr.  Krauss^  versucht,  das  Chordagewebe 
geradezu  als  Larvalknorpel,  also  wieder  als  Knorpelgewebe  im 
Sinne  Köllikers  hinzustellen.  Dies  muß  um  so  mehr  überraschen 
als  Krauss  in  klarer  Weise  die  besondere  mechanische  Funktion  des 
Chordagewebes  erläutert.  Für  seine  Auffassung  sind  ihm  jedoch  im 
wesentlichen  zwei  Dinge  maßgebend:  einmal  die  als  Tatsache  hin- 
gestellte Umwandlungsfähigkeit  auch  der  wohlaussebildeten,  vacuoli- 
sierten  Chordazellen  in  Knorpelzellen  und  dann  die  Annahme  einer 
»minimalen   und   nicht  notwendigerweise   nachweisbaren   Menge    von 


1  Auch  L.  F.  Henneguy,  (Histogenese  de  la  corda  dorsale.  C.  R.  Soc. 
Biol.  Paris,  T.  LXIII.  1907.  p.  510)  nimmt  eine  Verschiebung  der  Chorda- 
zellen  innerhalb  der  Chorda  an. 

2  Zur  Entwicklungsgeschichte  des  Achsenskelettes  der  Teleostier.  Diss. 
Straßburg  1902. 

3  über  die  Genese  des  Chordaknorpels  der  Urodelen  und  die  Natur  des 
Chordagewebes.     Arch.  mikr.  Anat.    Bd.  LXXIII.  1908.  S.  69. 


14  Josef  Schaff  er, 

verbindender  Kittsubstanz«  zwischen  den  verschmolzenen  Membranen 
der  Chordazellen. 

Daß  dieser  letzteren  Annahme,  die  in  Anlehnung  an  die  alte  Vor- 
stellung von  Gegenbaur  auch  heute  noch  von  M.  FürbringerI  fest- 
gehalten wird,  während  Studnicka^  eine  Intercellular-  oder  Kittsub- 
stanz nirgends  findet,  für  die  Auffassung  des  Chordagewebes  als  eines 
Knorpelgewebes  keine  Bedeutung  zukommen  kann,  beweist  die  Isolier- 
barkeit der  Chordazellen.  Was  aber  die  Umwandlung  voll  ausgebildeter 
blasiger  Chordazellen  in  Knorpelzellen  anlangt,  so  muß  ich  auf  diesen 
Punkt  etwas  näher  eingehen. 

Krauss  schildert  diese  Umwandlung  so,  daß  an  den  blasigen 
Chordazellen  eine  Verdickung  der  Zellmembran,  sowie  Bildung  von 
Tropfen  und  Netzen  im  Innern  der  Zellen  auftritt.  Diese  Tröpfchen 
sitzen  zunächst  an  den  festeren  Partien  des  Endoplasm?s  oder  der 
Vacuolenwand  und  verbreiten  sich  von  dort  Fäden  und  Netze  bildend; 
auch  zu  größeren  Tropfen  oder  zu  verschiedenen  zackigen  oder  tropf- 
steinartigen Gebilden  können  die  Tröpfchen  konfluieren.  Durch  diese 
Konfluenz  und  Verdichtung  verfallen  größere  Gewebspartien  der  Ver- 
knorpelung.  Die  Tröpfchen  und  Fäden  färben  sich  mit  Hämatoxylin, 
Bismarckbraun,  Kresylviolett  ebenso  wie  » Chondromucoid  «,  zu  welcher 
Behauptung  Krauss  bemerkt,  daß  er  keine  Rücksicht  darauf  nehme, 
»  daß  das  Chondromucoid  sich  mit  dem  Mucin  färberisch  gleich  verhält «  ^. 

Die  geschilderten  Veränderungen  treten  nach  Krauss  zuerst  im 
Vertebralteil  der  Chorda  auf,  und  zwar  fallen  sie  zusammen  mit  der 
ersten  Anlage  des  perichordalen  Knochens. 

Ahnliche  Vorgänge  nun,  wie  sie  hier  Krauss  an  den  angeblich 
verknorpelnden  Chordazellen  beschreibt,  habe  ich  an  Zellen  des  harten 
Knorpels  von  Myxine  beobachtet*.  Hier  steht  das  Auftreten  von 
basophilen  Tropfen  und  Netzen,  die  zu  größeren  Massen  konfluieren 
können,  aber  zweifellos  in  Zusammenhang  mit  regressiven  Prozessen 
an  den  Zellen,  die  schließlich  zur  Umwandlung  dieser  Zellen  in  Grund- 
substanz führen. 

Der   Umstand,    daß   die   von   Krauss   geschilderten   angeblichen 

1  Gegenbaubs  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  8.  Aufl.  I.  Bd. 
1909.  S.  436. 

2  Zu  der  »Erwiderung«  von  Friedrich  Krauss  usw.  Anatom.  Anz. 
Bd.  XXXIV.  1909.  S.  582. 

3  Die  Annahme  halte  ich  für  ungerechtfertigt.  Drüsenmucin  läßt  sich 
färberisch  von  dem  Stoffe,  welcher  der  Knorpelgrundsubstanz  ihre  charakteri- 
stische Basophilie  verleiht,  wohl  differenzieren. 

4  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXX.  1905.  S.  190  u.  f. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  P^ntwickl.  d.   Knorpelgewebes  usw.  III.        15 

Verknorpelungsvorgänge  an  den  Chordazellen  des  Axotlotl  gerade  dort 
beginnen,  wo  die  Chorda  später  zugrunde  geht,  d.  h.  mit  der  ersten 
Anlage  des  perichordalen  Knochens  zeitlich  zusammenfallen,  legt  den 
Gedanken  nahe,  daß  es  sich  auch  hier  um  die  Einleitung  von  Rück- 
bildungsvorgängen an  den  blasigen  Chordazellen  handelt;  an  deren 
Umwandlung  in  Knorpelzellen  zu  denken,  fällt  schon  —  neben  andern 
Gründen  —  deshalb  schwer,  weil  die  weit  differenzierte  Chordazelle 
die  Knorpelzelle  um  ein  Vielfaches  an  Volumen  übertrifft.  Auch  läßt 
uns  die  Schilderung  von  Krauss  über  das  Schicksal  der  festen  Mem- 
bran der  Chordazellen  bei  der  Metaplasie  dieser  letzteren  in  membran- 
lose,  protoplasmatische  Knorpelzellen  vollkommen   im  unklaren. 

Ich  habe  nun  die  Vorgänge  bei  der  Verknorpelung  der  Chorda 
teils  beim  Axolotl,  teils  beim  Salamander,  der  nach  Krauss  im  wesent- 
lichen gleiche  Verhältnisse  zeigt,  nachgeprüft i,  konnte  aber  zu  einer 
Bestätigung  der  Auffassung  von  Krauss  nicht  kommen. 

Wie  ich  an  andrer  Stelle  gezeigt  habe,  werden  bei  der  normalen 
Knorpelbildung  oft  fremde  Bestandteile  in  das  Knorpelgewebe  einge- 
schlossen; dann  aber  assimiliert,  indem  sie  als  solche  zu  existieren 
aufhören  und  ihr  Material  zum  Aufbau  der  Knorpelgrundsubstanz 
verwendet  wird. 

Dasselbe  ist  der  Fall  dort,  wo  durch  die  Knorpelbildung  vom  Chorda- 
epithel aus,  die  ja  auch  Krauss  für  die  Entstehung  der  peripheren 
Partien  des  Chordaknorpels  verantwortlich  macht,  blasiges  Chorda- 
gewebe eingeschlossen  wird.  Die  Assimilation  und  Resorption  dieser 
eingeschlossenen  Chordazellen  ließ  sich  beim  Salamander  wie  Axolotl 
mit  wünschenswerter  Deutlichkeit  verfolgen. 

Bei  einer  44  mm  langen  Larve  von  Salamandra  sehe  ich  die  Knorpel- 
bildung im  cranialen  Abschnitt  der  Chorda  nur  von  der  Peripherie 
ausgehen,  so  zwar,  daß  die  blasigen  Chordazellen  in  dorsoventraler 
Richtung  zu  einem  ganz  flachen  Septum  zusammengedrückt  erscheinen, 
das  die  verknorpelte  Chorda  der  ganzen  Breite  nach  durchsetzt. 

Diese  Chordareste  sind  in  ihren  kleinsten  Teilen  durch  eine  starke 
Rotfärbung  mit  Eosin  in  der  mit  Hämalaun  bläulich  gefärbten  Knorpel- 
grundsubstanz zu  sehen,  ähnlich  wie  dies  die  Fig.  10,  Taf.  V  von 
Krauss  zeigt. 

In  der  aus  flach  gedrückten  Chordablasen  bestehenden  Platte  sieht 
man  auch  einzelne  pykno tische  Kerne.    An  verschiedenen  Stellen  sind 


1  Ich  konnte  dies  an  den  Serien  von  Salamandra  maculosa  meines  geehrten 
Kollegen  und  Freundes  Professor  D.  H.  Rabl  tun,  die  teils  mit  Cochenille-Häm- 
alaun- Eosin,  teils  mit  Delafields   Hämatoxylingemisch-Eosin  gefärbt  waren. 


16  Josef  Schaff  er, 

einzelne  Teile  von  der  Platte  losgesprengt  und  liegen  in  den  interterri- 
torialen Zwickeln  des  Knorpels,  wo  sie  eingeschmolzen  und  assimiliert 
werden,  ganz  ähnlich,  wie  andre  fremdartige  Einschlüsse,  z.  B.  elastische 
Fasern  oder  die  Chordascheide  zwischen  peri-  und  endochordalem 
Knorpel  usw.  (vgl.  den  ersten  Teil  dieser  Untersuchungen  S.  159  u.  f.). 

Bei  einem  vollständig  metamorphosierten  Tiere  fand  ich  abwech- 
selnd starke  Ausbildung  des  peri-  und  endochordalen  Knorpels.  Ersterer 
engt  die  Chorda  konzentrisch  ein  und  bringt  sie  zum  Schwund.  Die 
lebhaft  rot  gefärbte  Chordascheide  zeigt  immer  deutlich  die  Grenze 
der  Chorda  an;  allerdings  kann  diese  Scheide  stellenweise  durch  den 
vordringenden  Knorpel  zersprengt  werden,  was  schon  H.  Kabl  be- 
merkt hati.  Das  ist  aber  nur  dort  der  Fall,  wo  der  perichordale  Knorpel 
auf  endochordalen  übergreift  und  die  Scheide  zwischen  beide  einge- 
schlossen wird  und  deren  assimilatorischer  Tätigkeit  verfällt. 

An  den  Stellen  rein  perichordaler  Knorpelbildung  zeigt  nun  das 
Chordagewebe  jene  Veränderungen,  die  Krauss  als  Vorläufer  der 
Verknorpelung  beschrieben  hat,  die  ich  aber  als  ganz  charakteristische 
Rückbildungserscheinungen  auffassen  muß.  Die  peripheren  großen, 
blasigen  Zellen  besitzen  Netzwerke,  die  sich  mit  Delafields  Häma- 
toxylingemisch  färben  und  mit  ebenfalls  stark  blau  gefärbten  Tröpf- 
chen besetzt  sein  können.  Die  centralen  Zellen  erscheinen  zusammen- 
gedrückt, so  daß  sich  ihre  Membranen  zu  sträng-  und  plattenartigen 
Zügen  aneinander  gepreßt  zeigen,  welche  oft  zwischen  die  peripheren 
Zellen  mit  blau  gefärbten  Wandbelägen  hinemreichen  und  so  dicke 
Wände  mit  einer  roten  Zwischenlamelle  vortäuschen  oder  mannigfache 
Zwickelbildungen  (man  vgl.  die  Fig.  25  und  45  bei  Krauss)  darstellen 
köimen. 

Dort  wo  in  der  eingeengten  Chorda  die  blasigen  Zellen  sämtlich 
zusammengedrückt  sind,  können  die  peripheren  protoplasmatischen 
abgerundete  Formen,  ähnlich  den  Knorpelzellen  annehmen,  natürlich 
auch  Knorpelgrundsubstanz  zwischen  sich  erzeugen,  die  aber  durch 
die  umgebende  Chordascheide  stets  als  endochordale  gekennzeichnet  ist. 

Auch  an  den  Stellen,  wo  sich  die  peri-  mit  endochordaler  Knorpel- 
bildung kombiniert,  kommt  es  zur  Zusammenpressung  der  centralen 
Chordazellen  durch  die  unmittelbar  unter  der  Scheide,  aus  den  proto- 
plasmatischen, membranlosen  »Epithelzellen«  entstehenden  Knorpel- 
zellen. Diese  wieder  stark  mit  Eosin  färbbaren  Zellstränge  werden 
zersprengt,    man    sieht    sie    in    der    interterritorialen    Grundsubst£Miz 


1  Verhdlgn.  anat.  Ges.  11.  Vers.  Gent  1897.  S.  88,  Anm.  1. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.    III.       17 

zwischen  den  Knorpelzellen  eingeschmolzen  werden.  Daneben  sind  auch 
karyolytische  Erscheinungen  an  den  Kernen  der  Chordazellen  sichtbar, 
so  daß  an  der  Einschmelzung  der  blasigen  Chordazellen  nicht  gezweifelt 
werden  kann.  Dieser  endochordale  Knorpel  kann  allein  die  noch 
prall  gespannte  Chordascheide  ausfüllen,  auf  der  dann  unmittelbar 
die  dünne  Knochenrinde  aufsitzt,  Oder  es  ist  reichlich  perichordaler 
Knorpel  entwickelt;  dann  wird  die  Chordascheide  vielfach  zersprengt 
und  aufgelöst,  so  daß  beide  Knorpel  verschmelzen. 

Eine  mögliche  Täuschung  in  Hinsicht  auf  die  Beziehungen  zwischen 
blasigen  Chorda-  und  Knorpelzellen  möchte  ich  nicht  unerwähnt  lassen. 
Dort,  wo  der  perichordale  Knorpel  ausläuft,  besteht  er  aus  einer  ein- 
zigen Lage  auffallend  großer  Zellen  mit  äußerst  dünnen,  blaugefärbten 
Scheidewänden,  die  bei  der  starken  Retraktion  der  Zellen  den  Ein- 
druck großer  Zellblasen  machen,  ähnlich  den  Chordazellen.  Da  die 
Chordascheide  an  solchen  Stellen  oft  der  Fläche  nach  angeschnitten 
ist,  kann  sie  der  Beobachtung  entgehen,  und  dann  entsteht  der  täu- 
schende Eindruck,  als  ob  die  blasigen  Chordazellen  mit  ihren  blau 
gefärbten  Wandbelägen  direkt  in  die  echten  Knorpelzellen  mit  den 
anscheinenden  blaugefärbten  Kapseln  übergingen.  Wo  aber  die  Chorda- 
scheide rein  quer  getroffen  ist,  überzeugt  man  sich  leicht,  daß  die 
perichordalen  Knorpelzellen  nichts  zu  tun  haben  mit  den  blasigen 
Chordazellen  und  umgekehrt. 

Die  Untersuchung  der  Axolotllaiven  führte  im  wesentlichen  zu 
denselben  Ergebnissen.  Ich  untersuchte  die  vordere  Brust-  und  die 
Schädelchorda  an  Schnittserien  einer  27,5  mm  und  einer  45  mm  langen 
Larve.  Die  Tiere  waren  in  Pikrinsublimat  fixiert  und  wurden  zu 
polychrom  gefärbten  Celloidinserien  von  10 — 12  i^i  Schnittdicke  ver- 
arbeitet. Als  auffallend  muß  ich  erwähnen,  daß  an  diesen  Objekten 
von  der  Bildung  basophiler  Tropfen  und  Netze  in  den  Chordazellen 
so  gut  wie  nichts  zu  sehen  war. 

Bei  der  jüngeren  Larve  fand  sich  endochordaler  Knorpel  nur  an 
einer  beschränkten  Stelle,  cranial  vom  ersten  Wirbel  und  in  geringerer 
Entwicklung  im  zugespitzten  Ende  der  Schädelchorda. 

An  ersterer  Stelle  dringt  der  Knorpel  von  der  Peripherie  kon- 
zentrisch gegen  die  Chordaachse  vor,  so  daß  die  letztere  die  Gestalt 
eines  sanduhrartig  eingeschnürten  Teiles  besitzt.  Am  Längsschnitt 
stellt  der  Knorpel  zwei  gegenüberliegende  Kissen  dar,  ganz  ähnlich 
wie  es  Krauss  in  seiner  Fig.  7,  Schneider i  in  Fig.  603  (von  einer 


1  Lehrbuch  der  vergl.  Histologie.    Jena  1902. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd. 


18  Josef  Schaff  er, 

Salamanderlarve)  darstellt.  Wo  der  Knorpel  der  hier  noch  deutlicli 
sichtbaren  Faserscheide  aufsitzt,  fehlt  (das  platte  Chordaepithel,  das 
sonst  überall  gut  zu  sehen  ist;  es  hat  sich  in  Chondroblasten,  bzw.  in 
die  Knorpelzellen  umgewandelt.  Der  vorwachsende  Knorpel  drängt 
das  blasige  Chordagewebe  vor  sich  her;  dadurch  werden  die  großen 
Zellblasen  teilweise  zusammengepreßt  zu  flachen,  am  Durchschnitt 
fadenartigen  Formen  von  oft  beträchtlicher  Länge  oder  mehreckiger 
Gestalt,  die  leicht  an  ihrer  starken  Färbbarkeit  mit  Eosin  erkenntlich 
sind  und  oft  noch  pyknotische  Kerne  einschließen;  teilweise  werden 
die  Zellblasen  zersprengt,  einzelne  solche  Zellen  losgetrennt  und  von 
der  ausgeschiedenen  basophilen  Grundsubstanz  umflossen,  in  diese 
als  leicht  kenntliche  Fremdkörper  eingeschlossen,  um  schließlich  der 
Auflösung,  Assimilation,  zu  verfallen. 

Noch  viel  entschiedener  war  die  ausschließlich  vom  indifferenten 
Chordaepithel  ausgehende  endochordale  Knorpelbildung  bei  der  älteren 
Larve  festzustellen.  Die  Verknorpelung  der  Schädelchorda  war  hier 
fortgeschritten,  so  daß  letztere  im  Basilarteil  des  Schädels,  vor  dem 
ersten  Wirbel  zusammenhängend  verknorpelt  erscheint,  bis  auf 
einen  axialen  Chordarest  aus  strangartig  zusammengepreßten  Blasen. 
Am  Querschnitt  stellt  dieser  eine  bald  vieleckige,  oder  sternförmige, 
bald  mehr  abgerundete  oder  ganz  unregelmäßige,  strahlige  Figur, 
deren  Schenkel  oft  vier  bis  fünf  Knorpelzellen  entlang  laufen,  dar, 
die  stets  durch  ihre  lebhafte  Rotfärbung  mit  Eosin  in  der  basophilen 
Knorpelgrundsubstanz  scharf  hervortritt.  Krauss  hat  dieses  Gebilde, 
das  gegen  das  zugespitzte  Schädelende  der  Chorda  immer  mehr 
schwindet,  endlich  ganz  fehlt,  als  »Chordastrang«  bezeichnet  (Fig.  10); 
von  einem  solchen  kann  aber  bei  Urodelen  keine  Rede  sein.  Es  handelt 
sich  vielmehr  um  die  Reste  der  ganzen  Chorda,  welche  durch  kon- 
zentrische Einengung  in  die  Mitte  gedrängt  wurden.  Dabei  wieder- 
holt sich  stets  derselbe  Vorgang:  teilweise  werden  die  komprimierten 
Chordazellblasen  auch  zersprengt  und  gelangen  zwischen  die  Knor})el- 
zellhöfe,  diese  wie  eine  oxyphile  Interterritorialsubstanz  trennend. 
Solche  zersprengte  und  in  Auflösung  begriffene  Reste  finden  sich  dann 
in  der  Umgebung  des  axialen  Restes,  aber  auch  weiter  gegen  die 
Peripherie  zu,  mitten  im  Knorpel  als  eosinophile  Fäserchen,  Körnchen, 
ganze  Zellreste  mit  pyknotischen  Kernen,  nackte  solche  Kerne  in  der 
basophilen  Grundsubstanz,  die  dadurch  stellenweise  ein  eigentümliches 
fleckiges,  durchaus  nicht  hyalines  Aussehen  bekommt. 

Außer   diesem   verknorpelten    cranialen    Chordaende    fanden   sich 
aber  in  diesem  Stadium  an  allen  Wirbelanlagen  dort,  wo  der  Mitte 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       19 

des  zukünftigen  Wirbelkörpv^rs  entsprechend  die  Knochenkruste  un- 
mittelbar der  Chordascheide  aufsitzt,  in  geringer  Ausdehnung,  meist 
am  ventralen  Umfang  der  Chorda,  endochordale  Knorpelbildungen  im 
allerersten  Anfange.  Sie  treten  ausschließlich  in  Form  flacher  Plaques 
auf,  die  durch  Umwandlung  des  Chordaepithels  in  Knorpelzellen  ent- 
stehen. Sie  sitzen  daher  unmittelbar  der  Chordafaserscheide  auf  und 
drängen  das  blasige  Chordagewebe  vor  sich  her. 

Diese  Kompression  der  Blasenzellen  hat  die  Degeneration  der 
letzteren  zur  Folge,  der  die  von  Krauss  geschilderten  Bildungen  baso- 
philer Tropfen  und  Netze  vorausgehen  können;  daß  dies  aber  nicht 
stets  der  Fall  sein  muß,  zeigen  die  geschilderten  Degenerationsvor- 
gänge bei  den  von  mir  untersuchten  Axoiotllarven. 

Es  handelt  sich  hier  um  ganz  analoge  Vorgänge,  wie  ich  sie  beim 
Untergang  von  Knorpelzellen  bei  Myxine  geschildert  habe,  wo  auch 
bald  die  Bildung  chondromucoider  Tropfen  und  Netze  zur  Einschmelzung 
und  Assimilation  ganzer  Zellen  und  Zellgruppen  führt,  bald  einfache 
Kompression  und  Auflösung  der  Zellen  beobachtet  wird. 

Dieselben  Verhältnisse,  wie  bei  der  45  mm  langen  Axolotllarve 
fand  ich  bei  einer  46  mm  langen  Larve  von  Salamandra  atra,  nur  ent- 
sprechend weiter  fortgeschritten.  Die  wirbelsegmentalen  Anlagen  des 
endochordalen  Knorpels  hatten  sich  in  der  Mitte  der  Wirbelkörper 
zu  kurzen  Knorpelcylindern  entwickelt,  in  deren  Achse  noch  die  kom- 
primierten Reste  der  blasigen  Zellen  sichtbar  sind,  ganz  analog  wie 
im  cranialen  Teil  der  Chorda.  Jene  Teile  der  Wirbel,  in  denen  peri- 
chordaler  Knorpel  entwickelt  ist,  zeigen  die  unversehrten  blasigen 
Zellen  und  Chordaepithel  an  der  Oberfläche. 

Ich  kann  also  die  Berechtigung  des  Grundes,  aus  welchem  Krauss 
die  Chorda  als  Larvalknorpel  bezeichnet  hat,  nicht  anerkennen,  da 
eine  einfache,  chemisch-strukturelle  Metaplasie  ihrer  voll  ausgebildeten, 
mechanisch  funktionierenden  Zellen  in  Knorpelzellen  nicht  nachge- 
wiesen werden  kann. 

Vielmehr  erscheint  auch  bei  der  Verknorpelung  der  Chorda  (analog 
wie  bei  der  Knorpelbildung  im  Fettgewebe  [Neurapophysenbildung 
bei  Petromyzon^ ,  Epiglottis  der  Katze 2],  der  Knochenbildung  auf 
knorpeliger  Grundlage,  der  Umwandlung  des  fötalen  Oesophagus- 
epithels  in  das  definitive^),  das  Prinzip  gewahrt,  daß  es  nur  die  in- 
differenten Bildungszellen  sind,   welche  in  einem  Muttergewebe  von 

1  Vgl.  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  L.  1897.  S.  181. 

2  Vgl.  Anat.  Hefte  Bd.  XXXIII.  1907.  S.  457. 

3  Vgl.  ViRCHOws  Arch.  Bd.  CLXXVII.  1904.  S.  181, 

2* 


20  Josef  Schaffer, 

determiniertem  Charakter  eine  physiologisch  und  mcchanisch-funktionell 
von  den  Elementen  des  Muttergewebes  verschiedene  Zellart  erzeugen 
können.  Wie  aus  einer  voll  entwickelten  Fettzelle  keine  Knorpelzelle, 
aus  einer  typischen  Knorpelzelle  keine  Knochenzelle,  aus  einer  flimmern- 
den Cylinderzelle  keine  Plattenzelle  werden  kann,  so  kann  aus  einer 
blasigen  Chordazelle  keine  Knorpelzelle  werden. 

Echte  Metaplasie  ist  eben  außerordentlich  selten  und  dürfte  über- 
haupt nur  bei  wenig  weit  differenzierten  Elementen  oder  solchen  von 
sehr  ähnlicher  Funktion  vorkommen.  Die  meisten  Fälle,  die  man  als 
Metaplasie  bezeichnet  hat,  erweisen  sich  als  ein  cellulärer  Umbau^, 
indem  die  einen  Elemente  zugrunde  gehen  (durch  Ausstoßung,  Auf- 
lösung, Einschmelzung)  und  durch  nachrückende  von  anderem  Cha- 
rakter ersetzt  werden. 

Wenn  daher  Studnicka^  in  der  von  Keauss  gegebenen  Darstel- 
lung von  der  Entstehung  des  Chordaknorpeis  aus  blasigen  Chorda- 
zellen eine  Stütze  seiner  eigenen  Theorie  —  nämlich,  daß  die  Knorpel- 
grundsubstanz aus  verschmelzenden  Exoplasmen  entsteht  —  begrüßt, 
so  muß  ich  diese  Stütze  als  hinfällig  erklären.  Wohl  aber  stimme  ich^ 
mit  Studnicka  vollständig  überein,  wenn  er  den  chondioiden  Charakter 
des  Chordagewebes  und  damit  die  Berechtigung,  die  Chorda  als  Larval- 
knorpel  zu  bezeichnen,  in  Abrede  stellt.  Das  Gewebe  der  Chorda  dor- 
salis  stellt  vielmehr  ein  blasiges  (vesiculöses)  Stützgewebe  von  primi- 
tiverer Form  dar  und  kann  als  phylogenetischer  Vorläufer  des  Knorpel- 
gewebes, beziehungsweise  des  chondroiden  Gewebes  aufgefaßt  werden. 

Dafür  spricht  der  Umstand,  daß  die  Chorda  als  zusammenhän- 
gendes, funktionierendes  Organ  nur  den  niedersten  Wirbeltieren  zu- 
kommt und  daß  nach  demselben  funktionellen  Prinzip,  wie  die  Chorda, 
gebaute  Stützsubstanzen  hauptsächlich  bei  Wirbellosen  vorgefunden 
werden. 

Man  kann  alle  diese  Stützsubstanzen  unter  dem  gemeinschaftlichen 
Namen  des  blasigen  (vesiculösen)  Stützgewebes  von  chordoidem  Typus 
zusammenfassen.  In  etwas  mundgerechterer  Abkürzung  werde  ich 
im  folgenden  vom  chordoideii,   blasigen  Stützgewebe  sprechen. 

Als  wesentliche  Merkmale  für  die   Einreihung  in  diese  Gruppe 


1  Hierher  gehören  in  erster  Linie  der  Umbau  des  knorpeligen  Skelettes  in 
das  knöcherne  und  jener  des  fötalen  Oesophagusepithels  mit  seinen  flimmernden 
Cylinderzellen  in  das  fertige  geschichtete  Plattenepithel. 

2  Die  Natur  des  Chordagewebes.     Anat.  Anz.  Bd.  XXXIV.  1909.  S.  88. 

3  Siehe  meine  vorl.  Mitteilung:  Über  das  vesiculöse  Stützgewebe.  Anat. 
Anz.  Bd.  XXIIII.  1903.  S.  467. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       21 

der  Stützsubstanzen  muß  man  betrachten:  1)  Die  blasige  oder  kugelige 
Form  der  Zellen,  welche  hauptsächlich  durch  einen  hohen  Turgordruck 
der  in  den  Zellen  eingeschlossenen  Flüssigkeit  bedingt  ist.  2)  Eine 
membran-  oder  kapselartige  Oberflächendifferenzierung  an  den  Zellen, 
welche  um  so  widerstandsfähiger  gegen  äußeren  Druck  sein  muß, 
je  mehr  der  Turgordruck  in  der  Zelle  abnimmt.  3)  Unabhängigkeit 
der  Zellen  voneinander,  so  daß  sie  auch  dort,  wo  sie  dicht  aneinander 
gelagert  oder  gepreßt  erscheinen,  isolierbar  bleiben,  ohne  daß  zwischen 
ihnen  eine  von  den  Zellen  selbst  erzeugte  Intercellularsubstanz  übrig 
bliebe. 

Die  mechanisch-funktionellen  Elemente  dieses  Gewebes,  d.  h.  die 
blasigen  Zellen,  können  entweder  verstreut  in  einem  fremdartigen 
Gewebe,  dem  sie  als  Stütze  dienen,  erscheinen;  diese,  von  Renaut  nicht 
unpassend  als  »verstreute  Chordagallerte«  bezeichnete  Form  ist  die 
primitivste  und  kann  gleichsam  als  phylogenetischer  Vorläufer  der 
Chorda  angesehen  werden  —  diffuses,  chordoides  Stützgewebe. 

Oder  sie  können,  wie  in  der  Chorda,  durch  dichte  Aneinander- 
lagerung  und  Differenzierung  einer  festeren  Umhüllung  (Scheide)  eigene 
Skeletstücke  bilden  —  kompaktes,  chordoides  Stützgewebe. 
Sucht  man  nun  Beispiele  für  diese  zwei  Gruppen  des  chordoiden  Stütz- 
gewebes beizubringen,  so  ergeben  sich  zwei  Schwierigkeiten:  die  erste 
liegt  darin,  daß  verschiedene  Autoren,  wie  im  vorhergehenden  gezeigt 
wurde,  das  Gewebe  der  Chorda  mit  verschiedenen  Gewebeformen  zu 
verschieden  benannten  Gewebegruppen  vereinigt  haben,  die  nicht 
immer  der  hier  schärfer  gefaßten  Einteilung  entsprechen;  es  mußten 
also  alle  diese  Gewebe  so  weit  als  möglich  von  den  hier  entwickelten 
Gesichtspunkten  aus  neuerdings  untersucht  werden;  die  zweite  liegt 
in  dem  Unzureichenden  der  Einteilung  selbst.  Die  einzelnen  Formen 
der  Stützsubstanzen  sind,  sobald  man  sie  vergieichend-histologisch 
betrachtet,  durch  fließende,  oft  kaum  merkbare  oder  festzuhaltende 
Übergän^ge  verbunden,  so  daß  jede  Einteilung  nur  auf  gewisse  aus- 
gesprochene Typen  begründet  werden  kann. 

Wenn  ich  im  folgenden  in  ausgedehnterem  Maße  auch  die  Wirbel- 
losen in  den  Kreis  der  Betrachtungen  ziehe,  so  möge  dies  nicht  als  ein 
»Spiel  mit  Analogien«  aufgefaßt  werden,  sondern  als  das  Bestreben, 
auf  breitester,  vergleichend  histologischer  Basis  zu  zeigen,  daß  Geweben 
verschiedener  genetischer  Herkunft  und  chemischer  Beschaffenheit 
durch  die  gleiche  oder  ähnliche  Funktion,  die  gleiche  oder  ähnliche, 
dieser  Funktion  am  besten  entsprechende  Form  aufgeprägt  wird,  mit 


22  Josef  Schaffer, 

andern  Worten,  daß  bei  phylogenetisch,  weit  getrennten  Formen  die 
ähnliche  Funktion  ähnliche  Gewebe  züchtet. 

Daß  eine  möglichst  umfassende  Besprechung  der  verschiedenen 
Stützgewebe  im  Tierreich  nicht  überflüssig  ist,  geht  auch  aus  den 
jüngsten  spekulativen  Betrachtungen  über  die  Phylogenese  des  Knorpel- 
gewebes von  LuboschI  hervor.  Diese  zeigen  deutlich,  daß  die  Kenntnis 
von  dem  großen  Formenreichtum  dieser  Stützsubstanzen,  welche  von 
sehr  primitiven  Formen  bei  Wirbellosen  (die  aber  teilweise  auch  bei 
höheren  Tieren  angetroffen  werden)  durch  eine  Unzahl  von  Über- 
gangsformen zu  knorpelartig  funktionierenden  und  endlich  auch  knor- 
pelartig gebauten  Geweben  heraufführen,  noch  wenig  verbreitet  ist. 
Und  doch  kann  sich  die  Gewebelehre  erst  dann  über  den  Rahmen  einer 
lediglich  deskriptiven  Wissenschaft  erheben  und  kann  sie  die  Bezie- 
hungen der  einzelnen  Gewebeformen  zueinander  erst  dann  ermitteln, 
wenn  sie  diese  Gewebeformen  kennt. 

Einen  weiteren  Gewinn  dieser  Untersuchungen  verschiedenartiger, 
oft  sehr  knorpelähnlicher  Stützsubstanzen  der  Wirbellosen  mittels 
moderner  Färbmethoden,  liegt  meiner  Meinung  nach  auch  darin,  daß 
sie  uns  Anhaltspunkte  liefern  für  die  Beurteilung  des  specifischen 
Wertes  unsrer  Knorpelfärbungen. 

Ein  großes  Gewicht  habe  ich  bei  den  nachfolgenden  Darstellungen 
auf  gewissenhafte  Literaturstudien  gelegt;  von  jeder  der  zahlreichen 
Einzelfragen  versuchte  ich  ein  übersichtliches  historisches  Bild  zu  geben. 
Dabei  kam  es  mir  weniger  auf  Vollständigkeit  —  die  bei  dem  kaum 
zu  überblickenden  Reichtum  der  zoologischen  Literatur  wohl  nicht  zu 
erreichen  ist  — ,  als  auf  die  Verläßlichkeit  der  Literaturangaben  an. 
Diese  kann  aber  nur  durch  das  unmittelbare  Studium  der  Originalar- 
beiten gewährleistet  werden. 

A.  Diffuses,  chordoides  Stützgewebe.  —  Als  Typus  kann 
hier  a.  die  eigentümliche,  sogenannte  zellig -blasige  Bindesubstanz 
der  Mollusken,  insbesondere  einer  Reihe  von  Gastropoden  gelten. 
Diese  scheint  am  besten  geeignet,  dem  weichen  Körper  dieser  Tiere, 
welcher  durch  seine  fließenden  Bewegungen  ausgezeichnet  ist,  die 
nötige  Widerstandskraft  und  Elastizität  zu  verleihen. 

Ich  habe  diese  Gewebeelemente  hauptsächlich  im  Mantel,  dann 
auch  im  Fuß  von  Limnaea  stagnalis,  Palndina  vivipara,  Planorbis 
corneus,  Helix  pomatia  untersucht. 

1  Die   embryonale   Entwicklung   des   Knorpelgewebes   und   ihre   stammes- 
geschichtliche Bedeutung.     Biolog.  Centralbl.  Bd.  XXIX.  1909.  S.  738. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.    III.      23 

Bei  Limnaea  bestellt  das  Mantelgewebe  fast  ausschließlich  aus 
sich  durchflechtenden  Faserbündeln  und  in  die  Maschenräume  ein- 
gelagerten, großen,  blasigen  Zellen.  Diese  sind  am  frischen  Objekt 
glasartig  durchscheinend  und  etwas  weniger  stark  lichtbrechend  als 
Fettzellen.  Bei  stundenlanger  Behandlung  mit  ^/2%iger  Osmium- 
säure nehmen  die  Zellen  keine  Färbung  an.  Versucht  man  ein  solches 
fixiertes  Stückchen  mit  Nadeln  zu  zerzupfen,  so  fühlt  es  sich  fast 
knorpelartig  an,  und  es  gelingt  nur  schwer,  aber  zweifellos,  einzelne 
Zellen  zu  isolieren.  Diese  isolierten  Zellen  zeigen  ein  verschiedenes 
Aussehen.  Die  überwiegende  Mehrzahl  besitzt  eine  glänzende,  glatte, 
kapselartige  Umhüllung  (Fig.  2  M).  Einzelne  erscheinen  ganz  blaß 
und  zeigen  am  Rande  eine  Art  ganz  unregelmäßig  unterbrochenen 
oder  erhaltenen  kapselartigen  Saumes.  Die  Mehrzahl  der  Zellen  ist 
nämlich  mit  dem  faserigen  Zwischengewebe  so  fest  verbunden,  daß 
ihre  Membran  beim  Isolieren  teilweise  mit  letzterem  im  Zusammenhang 
bleibt.  Sie  zerreißt  daher  manchmal  beim  Zerzupfen  und  erscheint 
dann  im  Profil  wie  eine  stark  glänzende  Faser  (Fig.  2  M').  Die  Form 
der  Zellblasen  ist  rund  oder  ovoid,  ihre  Durchmesser  betragen  25 — 65  jn. 

Viele  lassen  leicht  einen  kugeligen  Kern  mit  Kernkörperchen 
erkennen  (Fig.  2  a,  K). 

Färbt  man  ein  in  Osmiumsäure  fixiertes  Stückchen  des  Mantel- 
gewebes mit  Cochenillealaun,  so  nimmt  der  Zellinhalt  eine  leichte 
Färbung  an,  fällt  beim  Zerzupfen  vielfach  aus  den  zerrissenen  Blasen 
heraus  und  stellt  sich  als  homogene,  oft  zerbrochene  Masse  mit  un- 
scharfem, wie   abgebröckeltem  Rande  dar. 

Selten  umschließt  diese  Masse  einen  Kern.  Auch  nach  Behand- 
lung mit  Drittelalkohol  gelingt  es,  einzelne  Zellen  vollständig  zu  iso- 
lieren. Färbt  man  solche  Objekte  mit  Hämalaun-Eosin,  dann  treten 
die  Membranen  besonders  scharf  hervor.  Während  ihre  Außenfläche 
vollkommen  glatt  ist,  erscheint  die  innere  wie  mit  feinsten  Körnchen 
bestäubt;  auch  kurze,  fadenförmige  Verbindungen  zwischen  den  Körn- 
chen werden  sichtbar.  Es  handelt  sich  um  einen  dünnen  Protoplasma- 
belag (Fig.  2,  h),  der  an  einer  Stelle  auch  meist  den  Kern  einschließt. 
Färbt  man  nur  mit  Kongorot,  dann  tritt  dieser  Protoplasmabelag 
allein  hervor,  während  die  Membran  farblos  bleibt. 

Nach  dem  Gesagten  entspricht  also  dieses  Gewebe  vollkommen 
der  oben  gegebenen  Definition  des  chordoiden  Stützgewebes:  isolier- 
bare Blasen,  welche  in  vivo  mit  einer  Flüssigkeit  prall  gefüllt  sind. 
Diese  Flüssigkeit  wird  durch  Osmiumsäure  zur  Gerinnung  gebracht; 
eine  Membran  mit  dünnstem  Protoplasmaüberzug,  der  an  einer  Stelle 


24  Josef  Schaffer, 

den  Kern  einschließt,  umhüllt  diese  Flüssigkeit.  Wo  diese  Zellen 
dicht  aneinander  grenzen,  gewinnt  das  Gewebe  ein  sehr  chordaähn- 
liches Aussehen. 

Dies  zeigt  z.  B.  Fig.  3,  welche  eine  Stelle  aus  dem  Mantelgewebe 
von  Paludina  vivi'para  darstellt.  Allerdings  sind  die  wesentlichen  Unter- 
schiede vom  kompakten  Chordagewebe  bei  näherer  Untersuchung  sofort 
in  die  Augen  springend. 

Zunächst  sind  die  Kerne  der  Zellen  nur  selten  wandständig,  wie  bei 
Limnaea  und  besonders  deutlich  bei  Helix  'pomatia,  sondern  liegen 
mitten  in  der  Blase  oder  gegen  deren  Wand  verschoben,  stets  von 
einem  Häufchen  körnigen  Protoplasmas  umgeben;  dieses  kann  dem 
Kern  auch  mehr  einseitig  angelagert  erscheinen  (Fig.  4  P)  und  enthält 
stets,  wenigstens  im  Mantelgewebe,  auch  einige  Pigmentkörnchen. 
Von  diesem  Protoplasmarest  ziehen  zarte  Fäden  (F)  an  die  Blasenwand, 
beziehungsweise  an  ihren  äußerst  feinen  Protoplasmabelag,  so  daß 
der  Kern  mit  dem  Protoplasmarest  wie  aufgehangen  erscheint.  Der 
Kern  ist  in  der  Regel  kugelig,  mit  deutlicher  Kernmembran  und  zeigt- 
meist  ein  Kernkörperchen,   nebst  wenigen  Chromatinkörnchen. 

Der  sonstige  Inhalt  der  Zellblase  erscheint  im  frischen  Zustande 
und  an  Schnitten  aus  Formalinmaterial  vollkommen  farblos,  glasartig 
durchsichtig. 

Die  Membranen  sind  von  äußerster  Dünnheit  und  zeigen  keine 
weitere  Struktur.  An  vielen  Stellen  grenzen  sie  direkt  aneinander, 
ohne  daß  ein  andres  Gewebe  zwischen  sie  eindringen  würde.  Hier 
nehmen  die  Zellblasen  durch  gegenseitigen  Druck  auch  meist  eine 
polyedrische  Gestalt  an;  dies  ist  am  ausgesprochensten  zwischen  den 
Muskelfasern  der  Fall.  Mit  Prikrofuchsin  färben  sich  die  Membranen 
lebhaft  rot  und  lassen  sich  so  scharf  von  den  gelbgefärbten  Muskel- 
fasern sondern.  Von  Stelle  zu  Stelle  fällt  zwischen  den  polyedrischen 
Zellen,  häufiger  im  Mantelgewebe,  seltener  zwischen  den  Muskeln  eine  ab- 
gerundete Zellblase  mit  stark  hervortretender  Membran  auf  (Fig.  3  KZ), 
die  einen  sehr  verschiedenartigen  Inhalt  umschließen  kann. 

Ich  bemerke  ausdrücklich,  daß  sich  dies,  besonders  die  verhältnis- 
mäßige Spärlichkeit  dieser  abgerundeten  Zellblasen,  auf  Tiere  bezieht, 
die  im  Juli  getötet  und  an  einfach  in  Formalin  fixierten  und  in  Celloidin 
eingebetteten  Schnitten  untersucht  worden  waren.  Bei  einigen  dieser 
abgerundeten  Zellblasen  schließt  sich  dicht  an  die  Oberflächenmembran 
eine  dicke,  mit  Delafields  Hämatoxylingemisch,  aber  auch  mit  Häm- 
alaun  sich  bläulich  färbende,  deutlich  radiär  gestreifte  Rindenzone  an, 
welche  mit  scharfem,  der  Oberfläche  parallelem  Kontur  eine  Höhle 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       25 

umschließt.  Diese  kann  wie  leer  erscheinen  (Fig.  6  b)  oder  ein  kern- 
artiges Gebilde  (d)  enthalten  oder  endlich  von  einer  ebenfalls  bläulich 
gefärbten  homogenen  Masse  mit  oder  ohne  Kern  erfüllt  werden. 

In  andern  Fällen  wird  der  Inhalt  der  Membran  von  einer  blau 
gefärbten,  bis  zum  Centrum  radiär  gestreiften  Masse  gebildet  (Fig.  6  /). 

Weiter  kann  zur  radiären  eine  mehr  oder  minder  scharfe  kon- 
zentrische Streifung  hinzukommen  oder  letztere  allein  wahrnehmbar 
sein  (Fig.  6  e).  Endlich  kann  die  Membran  einen  geschrumpften,  wie 
gefaltet  oder  zerknittert  aussehenden,  stark  blau  gefärbten  Inhalts- 
körper mit  Kern  umschließen  (Fig.  4  /). 

Zerzupft  man  ein  Stückchen  des  in  Formalin  fixierten  Gewebes, 
wobei  man  beim  Ansetzen  der  Nadeln  unter  der  Lupe  deutlich  einen 
elastischen  Widerstand  spürt,  so  gelingt  es  leicht,  einzelne  abgerundete 
Zellen  mit  ziemlich  dicker  Kapsel  vollkommen  zu  isolieren;  diese 
besitzen  meist  einen  glänzenden  Inhaltskörper. 

Als  ich  nun  im  Herbst  (Mitte  November)  meine  Untersuchungen 
wieder  aufnahm,  war  ich  sehr  überrascht,  bei  Paludina  ganz  andre 
Verhältnisse  zu  finden,  als  sie  oben  bei  der  gleichzeitig  gefangenen 
Lymnaea  und  bei  der  ^om.m.eT-Paludina  beschrieben  worden  sind. 

Bei  der  Untersuchung  des  frischen  Mantelgewebes  sieht  man  zu- 
nächst fast  nur  dichtgedrängte,  stark  lichtbrechende,  rundliche  Gebilde, 
die  wie  Fettzellen  aussehen,  sich  aber  auch  bei  24stündigem  Liegen 
in  l%iger  Osmiumsäure  nicht  bräunen,  geschweige  denn  schwärzen. 
Diese  Gebilde  lassen  sich  beim  Zerzupfen  leicht  isolieren;  sie  besitzen 
nicht  immer  rein  kugelige  Formen,  sondern  manchmal  auch  etwas 
längliche  mit  leicht  abgerundeten  Ecken.  Sie  sind  deutlich  doppelt- 
brechend, und  zwar  zeigen  die  rein  kugeligen  ein  zierliches,  vollkommen 
regelmäßiges  negatives  Kreuz,  umgekehrt  wie  ein  Stärkekorn.  Diese 
Doppelbrechung  wird  durch  Osmiumsäure  nicht  verändert.  Mit  Jod- 
tinktur zeigen  wohl  die  Muskeln  deutliche  Braunfärbung,  nicht  aber 
die  Kugeln.  Zerdrückt  man  letztere  im  frischen  Zustande,  wozu  ein 
ziemlich  starker  Druck  auf  das  Deckglas  nötig  ist,  so  zerspringen  sie 
wie  Glas  unter  Bildung  scharfer  Kanten  und  Spitzen.  Salpetersäure, 
Essigsäure,  sowie  alle  andern  Säuren  lösen  die  Gebilde  unter  lebhafter 
Gasentwicklung ;  ebenso  verdünnte  Schwefelsäure  unter  Bildung  deut- 
licher Gipskristalldrusen.  Auch  in  5%iger  Alaunlösung  bedeckt  sich 
ein  frisch  eingebrachtes  Stückchen  des  Mantelgewebes  bald  mit  Gas- 
bläschen. 

In  allen  diesen  Fällen  wird  an  Stelle  des  stark  glänzenden  Körpers 
eine  ziemlich  derbe,   doppelt   konturierte   Membran  sichtbar,   w^elche 


26  Josef  Schaffer, 

die  Form  des  ursprünglichen  Körpers  wiedergibt,  aber  keine  Spur  von 
Doppelbrechung  mehr  zeigt.  Es  kann  also  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, daß  es  sich  hier  um  einen  eigentümlichen  Kalkgehalt  der  blasigen 
Zellen,  d.  h.  um  die  den  Zoologen  lange  bekannten  Kalkzellen  im 
Bindegewebe  der  Mollusken  handelt. 

Schon  LeydigI  war  es  bekannt,  daß  sich  in  den  Bindesubstanz- 
zellen » sehr  gewöhnlich  Kalk  abgelagert «  findet,  » und  zwar  kann  der 
abgeschiedene  Kalkkörper  die  ganze  Zelle  so  ausfüllen,  daß  die  Zellen- 
membran erst  erkannt  wird,  wenn  nach  Anwendung  von  Säuren  der 
Kalk  gelöst  ist «.  Auch  der  fettartige  Glanz  dieser  Gebilde  war  Leydig 
schon  aufgefallen.  Bei  der  Beschreibung  der  Kalkkörper  im  äußeren 
Neurilemm  ^  hebt  er  auch  schon  nachdrücklich  ihren  geschichteten  und 
strahligen  Bau  hervor  und  betont,  daß  sie  nicht  rein  aus  Kalk  bestehen, 
sondern  eine  organische  Grundlage  besitzen,  die  schon  das  schalig- 
streifige  Aussehen  an  sich  haben  kann,  ohne  den  Glanz  des  Kalkes 
zu  besitzen.  An  überwinterten  Tieren  fand  Leydig  weder  im  Neuri- 
lemm noch  sonst  im  Bindegewebe  andrer  Organe  Kalk. 

An  andrer  Stelle  ^  spricht  er  von  einem  » kalkführenden  Zellennetz 
oder  einer  »Kalkdrüse«  zwischen  der  Hautmuskulatur  und  vergleicht 
sie  dem  Fettkörper  der  Arthropoden.  Für  einen  Teil  dieser  »Kalk- 
drüsen« gibt  Leydig  an,  daß  es  sich  einfach  um  kalkerfüllte  Binde- 
substanzzellen handle. 

Gelegentliche  Bemerkungen  über  die  Kalkzellen  finden  sich  später 
bei  vielen  Autoren,  wie  aus  dem  folgenden  geschichtlichen  Überblick 
ersehen  werden  mag.  Eingehender  haben  sich  aber  die  Forscher  nur 
mit  jenen  Kalkzellen  beschäftigt,  welche  als  wesentliche  Bestandteile 
bestimmter  Organe  von  besonderem  Interesse  sind.  So  z.  B.  Clapa- 
EEDE*  mit  den  Kalkkörpern  in  der  von  ihm  so  benannten  Concrementen- 
drüse,   Barfueth^  mit  den  Kalkzellen  der  Leber. 

In  diesen  beiden  Fällen  handelt  es  sich  aber  größtenteils  nicht 
um  kohlensauren  Kalk,  wie  in  den  bindegewebigen  Kalkzellen;  nur 
in  der  Concrementendrüse  scheint  nach  der  Beschreibung  Claparedes 
ein  Teil  der  Kalkkörper  aus  solchem  zu  bestehen,  während  die  Haupt- 

1  Über  Paludina  vivipara.      Diese  Zeitschr.   Bd.  II.   1850.   S.  151. 

2  Zur  Anatomie  und  Physiologie  der  Lungenschnecken.     Arch.  mikr.  Anat. 
Bd.  I.  1865.  S.  51. 

3  Hautdecke  und  Schale  der  Gastropoden.    Arch.  für  Naturgesch.  Jhrg.  42. 
Bd.  I.  1876.  S.  233. 

*  Beitrag  zur  Anatomie   des    Cydostoma  elegans.     Müllers  Archiv  1858, 
S.  22  u.  f. 

ß  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  XXII.  1883.  S.  482  u.  f. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       27 

masse  nach  GaknaultsI  Schilderung  Harnsäure  enthält.  Die  Größe 
dieser  Kalkkörper  (13 — 100  /.i  Durchmesser),  sowie  ihr  feinerer  Bau 
(konzentrische  Schichtung,  organische  Grundlage)  zeigen  viel  Über- 
einstimmung mit  den  bindegewebigen  Kalkzellen,  so  daß  man  ver- 
sucht wäre,  diese  ganze  rätselhafte  »Drüse«  nur  für  blasiges  Stütz- 
gewebe mit  Kalkkörpern  zwischen  den  Organen  zu  halten,  wenn  nicht 
Garnaults  und  Simroths^  Angaben  dagegen  sprächen.  Übrigens 
hat  schon  ersterer  die  ganze  Bildung  für  eine  mesodermale  erklärt 
und  sie  mit  dem  Bindegewebe  um  den  Darm  bei  Bithynia  verglichen, 
in  dem  die  LEYDiGschen  Zellen  mit  kohlensaurem  Kalk  erfüllt  sind. 
Auch  hat  schon  Gartenauer^  bei  Paludina  und  den  einheimischen 
Pulmonaten  gerade  an  allen  Stellen  des  Darmes  Kalkzellen  in  erstaun- 
licher Masse  gefunden,  »oft  so  zahlreich,  daß  sie  alle  andern  Bildungen 
in  den  Hintergrund  drängen  und  nur  noch  Pigment  zwischen  sich 
durchtreten  lassen  «. 

Als  »Kalkzellen«  hat  Joyeux-Laffuie*  im  engeren  Sinne  bei 
Oncidium  große,  unregelmäßig  ovoide  Zellen  beschrieben,  »welche  in 
ihrem  Innern  eine  große  Menge  von  Concretionen  enthalten.  Diese 
füllen  jede  Zelle  vollkommen  aus.  Sie  sind  meist  rundlich,  stark  licht- 
brechend, lösen  sich  in  Essigsäure,  Salzsäure  usw.  unter  Kohlensäure- 
entwicklung. Setzt  man  nach  Behandlung  mit  Ammoniak  im  Über- 
schuß Oxalsäure  zu,  so  entstehen  bald  die  bekannten  Briefkuvert- 
formen des  Oxalsäuren  Kalkes.  Diese  Zellen  findet  man  überall,  wo 
sich   Zellgewebe  findet. 

Bei  Paludina  stellen  die  Kalkzellen,  wie  erwähnt,  durchweg 
einheitliche  Körper  dar. 

Als  besonders  bemerkenswert  hebe  ich  noch  hervor,  daß  Clapa- 
REDE  ^  an  konserviertem  Material  den  Kalk  vermißte,  Joyeux-Laffuie 
angibt,  daß  Owens  Konservierungsf lüssigkeit  *^  die  Concretionen  all- 
mählich löst,  so  daß  nur  die  Zellhülle  bleibt,  endlich  Garnault  be- 
merkt, daß  die  Kalkkörner  in  den  LEYDiGschen  Zellen  um  die  Gefäße 
ihre  starke  Lichtbrechung  beim  Aufenthalt  in  Wasser  verlieren. 


1  Recherches    anatomiques  et  histologiques  sur  le   Cyclostoma  elegans.  — 
Actes  Soc.  linn.  Bordeaux.  1887. 

2  Bronns   Kl.  u.  0.    III.  Bd.  Mollusca    1899.  S.  577. 

3  Über  den  Darmkanal  einiger  einheimischen  Gastropoden.    Dissert.  Straß- 
burg 1875. 

*  Organisation    et  developpenient  de  TOncidie.     Arch.  zool.  exper.  et  gen. 
T.  X.  1882.  p.  260. 

5  Müllers    Arch.  1858.  S.  25. 

•^  Eine  beiläufig  8%ige  Kochsalzlösung,  die  fast  5%  Alaun  enthält. 


28  Josef  Schaffer, 

Dies  veranlaßt  mich,  hier  etwas  näher  auf  die  eigentümlichen 
Lösungsverhältnisse  dieser  Kalkzellen  einzugehen,  die  ich  vornehmlich 
bei  Paludina  vivi'para  beobachtet  habe  und  die  mir  nach  mehr  als 
einer  Eichtung  von  Interesse  scheinen.  Während  kleine  Stückchen 
des  Mantelgewebes  frisch  in  l%iger  Osmiumsäure  fixiert  und  dann 
in  Glyzerinwasser  zerzupft  den  Kalkkörper  an  der  Mehrzahl  der  Zellen 
auch  nach  Monaten  unverändert  erkennen  lassen  (nur  einzelne  Zellen 
zeigen  eigentümliche,  gleich  zu  besprechende  Lösungserscheinungen), 
hatten  die  Kalkzellen,  welche  man  dem  längere  Zeit  —  einige  Stunden 
—  in  ^/^YoigQ^  Kochsalzlösung  gelegenen  vorderen  Körperteil  der 
Schnecke  entnommen  und  erst  dann  in  die  Osmiumsäure  gebracht 
hatte,  ihren  Glanz  verloren  und  erschienen  sämtlich  wie  leere  Blasen. 

Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  man  den  frisch  mit  dem  Deckel  heraus- 
gerissenen, vorderen  Körperteil  in  33%igem  Alkohol  über  Nacht  liegen 
läßt  und  dann  das  Mantelgewebe  untersucht. 

An  den  frisch  mit  Jodtinktur  behandelten  und  dann  in  Glyzerin- 
wasser übertragenen  Stückchen,  zeigten  die  Kalkzellen  vielfach  Lösungs- 
erscheinungen, indem  der  Kalkkörper  vom  Rande  her  einschmolz  und 
die  Membran  sichtbar  wurde  (Fig.  5  M).  Freiliegende  Kalkzellen  er- 
schienen nach  24  Stunden  vollkommen  kalkfrei.  Frisch  in  reines 
Glyzerinwasser  gebracht,  zeigen  die  Zellen  nach  längerem  Liegen  eine 
feine,  von  zwei  bis  drei  stärkeren  Kreisen  unterbrochene  konzentrische 
Schichtung  und  ebenfalls  Lösung  der  Oberflächenschichten,  so  daß 
zwischen  diesen  und  der  Membran  ein  schmaler  oder  breiterer  Spalt 
sichtbar  wird. 

Sehr  eigentümlich  erscheinen  die  in  Osmiumsäure  fixierten  Kugeln ; 
sie  zeigen  in  Glyzerinwasser  an  ihrer  Oberfläche  eine  feinwabige  Zeich- 
nung (Fig  6  a,  0),  bei  Einstellung  auf  das  Profil  der  Membran  eine 
deutlich  radiäre  Streif ung  der  Oberfläche  (Fig.  6  a,  R).  Entnimmt  man 
das  Mantelgewebe  dem  vorderen,  in  Osmiumsäure  fixierten  Körperteil 
der  Schnecke,  der  mehrere  Tage  in  destilliertem  Wasser  gelegen  hatte, 
so  zeigt  sich  der  Kalk  in  sämtlichen  Blasen  gelöst. 

Bettet  man  den  in  Osmiumsäure  fixierten  Kopfteil  in  Celloidin  ein, 
so  findet  man  an  den  Schnitten  im  Mantelgewebe  noch  eine  große 
Anzahl  kalkhaltiger  Blasen,  neben  solchen,  die  nur  mehr  kleinere 
oder  größere  glänzende  Kügelchen  enthalten  und  endlich  ganz  kalk- 
freien. 

Zwischen  den  Muskeln  sind  die  Kalkzellen  in  geringer  Zahl  vor- 
handen, fallen  aber  durch  ihre  runde  Form  zwischen  den  durch  gegen- 
seitige  Abflachung  ausgesprochen   polyedrischen,   ungemein   zartwan- 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  111.       29 

diszen  und  farblosen  Zellblasen  um  so  mehr  auf.  Färbt  man  einen 
solchen  Schnitt  mit  Hcämalaun,  so  genügen  5 — 7  Minuten,  um  den 
Kalk  in  sämtlichen  Blasen  zu  lösen.  An  größeren  Stückchen  des 
Mantelgewebes,  die  lange  in  70%igem  Alkohol  gelegen  haben,  erscheinen 
die  Kalkzellen  fast  alle  schwarz  im  durchfallenden  Lichte;  die  Ursache 
sind  wieder  mannigfache  Lösungserscheinungen,  welche  alle  einen 
strahligen  und  konzentrisch  geschichteten  Bau  aufdecken.  Schließt 
man  ein  solches  Stückchen  von  Mantelgewebe  in  Glyzerinwasser  ein, 
so  erscheint  nach  einigen  Tagen  der  Kalk  vollkommen  gelöst,  an  Stelle 
der  dunklen  Kugeln  sieht  man  helle  Blasen. 

Überblickt  man  diese  Angaben,  so  können  zwei  Tatsachen  nicht 
übersehen  werden:  einmal  die  auffallend  leichte  Löslichkeit  dieser 
Kalkkörper  —  sie  legt  die  Vermutung  nahe,  daß  man  es  hier  mit  einem 
wasserhaltigen  Calciumkarbonat  zu  tun  hat  (vgl.  Bütschli^)  —  und 
zweitens  der  merkwürdige  Unterschied  im  Verhalten  der  Kalkkörper, 
je  nachdem  man  sie  möglichst  für  sich  allein,  in  kleinen  Stückchen, 
z.  B.  des  Mantelgewebes  behandelt  oder  größeren,  vorbehandelten 
Stücken  des  Schneckenkörpers  entnimmt. 

Die  wiederholte  Beobachtung,  daß  die  Kalkkörper  gelöst  waren, 
wenn  man  das  Mantelgewebe  dem  ganzen,  vorderen  Schneckenkörper 
entnahm^,  der  stundenlang  in  einer  neutralen  Flüssigkeit  (^/4%iger 
Kochsalzlösung,  Alkohol)  gelegen  hatte,  konnte  nur  so  gedeutet  werden, 
daß  irgend  eine  Säure  aus  dem  Schneckenkörper  selbst  die  Lösung  ver- 
ursacht hatte.  Ich  untersuchte  daher  zunächst  die  Reaktion  des  Alko- 
hols, in  dem.  die  Schnecken  gelegen  hatten,  mit  der  empfindlichen 
Phenolphthaleinprobe  und  fand  sie  in  der  Tat  deutlich  sauer,  während 
sie  vorher  neutral  gewesen  war.  Die  Säure  konnte  demnach  nur  aus 
dem  Körperstücke  der  Paludina  vivipara  stammen.  Nun  ist  es  be- 
kannt, daß  es  eine  Reihe  von  Säure  produzierenden  Schnecken  gibt, 
und  ebenso  bekannt  ist  es,  daß  die  Kalkkörper  im  Bindegewebe  bei 
toten  Tieren  durch  Diffusion  der  Säure  gelöst  werden  können. 

Dies  zeigt  die  klassische  Beobachtuno;  von  De  Luca  und  Panceri  ^ : 


1  Untersuchungen  über  organische  Kalkgebilde  nebst  Bemerkungen  über 
organische  Kieselgebilde  usw.  Abhandig.  Kgl.  Ges.  Wiss.  Göttingen,  math.-phys. 
Kl.  N.-F.     Bd.  VI.    Berlin  1908. 

2  Diese  Entnahme  geschah  in  der  Regel  so,  daß  ich  den  Rand  des  Deckels 
mit  einer  starken  Pinzette  faßte  und  mit  kräftigem  Zuge  den  anhaftenden  Fuß 
und  vorderen  Körperteil  aus  dem  Gehäuse  herausriß. 

3  Recherches  sur  la  salive  et  sur  les  organes  salivaires  de  Dolium  galea. 
C.  R.  Acad.  Sc.  Paris.  T.  LXV.  1867.  p.  577  u.  p.  712.  —  Ann.  sc.  nat.  Zool. 
eer.  5.  Bd.  VIII.  1867.  p.  82. 


30  Josef  Schaffer, 

wenn  diese  Autoren  die  säurebereitenden  Speicheldrüsen  von  Dolium 
am  eben  getöteten  Tiere  anschnitten,  so  konnten  sie  ein  Aufschäumen 
beobachten,  indem  die  Säure  die  im  Bindegewebe  verstreuten  Kalk- 
körperchen  unter  Kohlensäureentwicklung  löste.  Wurde  die  Drüse 
erst  einige  Zeit  nach  dem  Tode  angeschnitten,  so  trat  keine  Gasent- 
wicklung auf.  Die  Säure  war  schon  früher  durch  Diffusion  in  das 
Bindegewebe  gelangt  und  hatte  die  Kalkkörperchen  gelöst. 

Die  Säure  könnte  aber  auch  einen  andern  Ursprung  haben,  und 
da  wäre  zunächst  daran  zu  erinnern,  daß  Barfurth^  bei  Helix  u.  a. 
das  Lebersecret  sauer  fand,  während  N.  Schulz  ^  in  der  Haut  von 
Pleurobrancfiaea  Meckelii,  einer  nackten  Meerschnecke,  zahlreiche  Säure- 
drüschen  erwähnt. 

Diese  zwei  Säurequellen  kommen  aber  bei  Paludina  für  unsre 
Frage  sicher  nicht  in  Betracht.  Der  mit  dem  Deckel  und  Fuß  aus 
der  Schale  herausgerissene  Körperteil  dieser  Schnecke  enthält  nichts 
von  der  Leber,  wohl  aber  die  Speicheldrüsen.  (Er  entspricht  etwa 
den  Organen,  welche  Speyer  ^  in  Fig.  26,  Taf .  I,  abgebildet  hat.) 

Anderseits  kann  man  Hautdrüsen,  die  Säure  bereiten,  bei  einer 
Gehäuseschnecke  wohl  kaum  annehmen.  So  käme  man  also  auf  diesem 
Wege  zu  der  Annahme,  daß  es  die  Speicheldrüsen  sein  könnten,  welche 
bei  Paludina  (und  wahrscheinlich  auch  bei  andern  Süßwasserschnecken) 
eine  Säure  produzieren. 

Dies  näher  zu  untersuchen  liegt  außerhalb  meiner  Aufgabe*;  es 
wäre  dies  aber  um  so  interessanter,  als  Paludina  eine  pflanzenfressende 
Schnecke  ist  und  N.  Schulz,  einer  der  letzten  Bearbeiter  dieser  Frage, 


1  Über  den  Bau  und  die  Tätigkeit  der  Gasteropodenleber.     Arch.    niikr. 
Anat.  Bd.  XXII.  1883.  S.  517. 

2  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Anatomie  und  Physiologie  einiger  Säure - 
Schnecken  des  Golfes  von  Neapel.    Zeitschr.  allg.  Physiol.  Bd.  V.   1905.  S.  210. 

3  Zootoniie  der  Paludina  vivipara.     Kassel  1855. 

4  Es  scheinen  da  ziemlich  vermckelte  Verhältnisse  vorzuliegen.  Für  Helix 
will  BoNABDi  (Suir  azione  dei  succhi  digestivi  di  alcuni  gasteropocü  terrestri  suU' 
amido  e  sui  saccarosi.  Boll.  scient.  1884.  Nr.  2)  eine  saccharifizierende  Wirkung 
des  Secretes  nachgewiesen  haben.  R.  Monti  [Le  ghiandole  salivari  dei  Gastero- 
podi  terrestri  nei  diversi  periocU  funzionali.  Mem.  Ist.  Lomb.  Sc.  Milane.  V.  XVIII. 
(1896—1900),  1899.  p.  115  und  Rendiconti  Ist.  Lomb.  (2)  V.  XXXII.  p.  534] 
und  A.  Lange  (Über  den  Bau  und  die  Funktion  der  Speicheldrüsen  bei  den 
Gastropoden.  Diss.  Rostock,  Wiesbaden  1902.  S.  52)  betonen  übereinstimmend 
die  stark  alkalische  Reaktion  des  Secretes.  Sollte  sich  eine  solche  auch  für  das 
Speicheldrüsensecret  von  Paludina  nachweisen  lassen,  dann  wäre  noch  die  Mög- 
lichkeit offen,  daß  das  (nach  R.  Monti)  zweifellos  saure  Magensecret  eine  Rolle 
bei  der  Lösung  der  Kalkkörper  spielt. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwicki.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       31 

ZU  der  Auffassung  als  der  wahrscheinlichsten  gekommen  ist,  »daß 
die  Bedeutung  der  abgesonderten  Säure  in  einer  specifischen  Gift- 
wirkung auf  die  Organismen  zu  sehen  ist,  die  die  Nahrung  der  betref- 
fenden Säureschnecken  bilden«. 

Man  könnte  sich  aber  auch  vorstellen,  daß  die  Säure  bei  verschie- 
denen Tieren  eine  verschiedene  Aufgabe  oder  Bedeutung  hat.  Bei  den 
Gehäuse  tragenden  Schnecken  müssen  die  Kalkkörper  wohl  mit  dem 
Aufbau  des  Gehäuses  in  Zusammenhang  gebracht  werden.  Wie  ich 
gezeigt  habe,  findet  im  Herbste,  also  vor  dem  Überwintern,  eine  reich- 
liche Aufspeicherung  von  Kalk  in  Form  der  Kalkkörper  im  Binde- 
gewebe von  Paludina  statt.  Möglicherweise  spielt  auch  hier  weniger 
die  Jahreszeit  (Biedermann i),  als  die  Temperatur  eine  Rolle  (Bütschli, 
1.  c).  Nach  der  zitierten  Beobachtung  Leydigs  soll  sich  nach  dem 
Überwintern  kein  Kalk  mehr  finden  2.  Man  könnte  sich  also  recht 
gut  vorstellen,  daß  die  Säure  hier  die  Aufgabe  hätte,  das  ohnedies 
so  leicht  lösliche  Kalkmaterial  in  eine  transportfähige  und  für  den 
Gehäuseaufbau  geeignete  Form  zu  überführen,  eine  Vorstellung,  wie 
sie   ähnlich   schon   von   Barfurth   ausgesprochen   worden   ist^. 

Bei  Planorbis  ist  das  blasige  Stützgewebe  nicht  so  reichlich  ent- 
wickelt, der  Mantel  ist  vorwiegend  muskulös;  Kalkzellen  finden  sich 
zahlreicher  an  der  Basis  um  die  Hautdrüsen  und  zwischen  den  Muskel- 
fasern in  den  tieferen  Teilen.  Sie  erreichen  Durchmesser  bis  über  50 ,« 
und  zeigen  an  Stelle  eines  sphäritischen  Inhaltskörpers  meist  einen 
dicht-  und  grobkörnigen  Inhalt.  Bei  Vorbehandlung  mit  Osmium- 
säure löst  sich  der  Kalk  schon  bei  längerem  Liegen  der  Schnitte  in 
70%igem  Alkohol,  und  in  den  Zellen  bleibt  eine  grobkörnige,  von  der 
Blasen  wand  zurückgezogene  Masse  zurück.  Viele  der  Zellen  erscheinen 
wie  leer,  nur  mit  einer  dicken  Membran  umhüllt.    Diese  färbt  sich  an 


1  Über  den  Zustand  des  Kalkes  im  Crustaceenpanzer.  Biol.  Centralbl. 
Bd.  XXI.  1901.  S.  343. 

2  Leydig  hat  offenbar  im  Freien  überwinterte  Tiere  untersucht.  Bei 
Tieren,  die  ich  über  Winter  im  Aquarium  hielt  und  fütterte,  war  die  Kalkmasse, 
d.  h.  die  Zahl  der  Kalkzellen,  anscheinend  nicht  verringert. 

3  Nach  Barfueth  soll  der  aufgespeicherte  Kalk  teils  im  Winter  zur  Bildung 
des  Winterdeckels,  teils  zur  Reparation  der  Schale  oder  Festigung  der  Haut  oder 
zum  Ersatz  des  kalkhaltigen  Hautschleimes  dienen.  Neben  dieser  supponierten 
Bedeutung  des  sauren  Secrets  wäre  natürlich  eine  andre  Verwendung  der  Säure 
nicht  ausgeschlossen.  So  besitzt  nach  Hescheler  (Längs  Lehrbuch  der  vergl. 
Anat.  der  wirbellosen  Tiere.  2.  Aufl.  1.  Liefg.  1900.  S.  294)  Natica  eine  Säure 
absondernde  Drüse,  deren  Secret  beim  Anbohren  der  Muschelschalen  zur  Auf- 
lösung des  kohlensauren  Kalkes  dient. 


32  Josef  Schaffer, 

Formalinpräparaten  metachromatisch  mit  wässerigem  Thionin,  stark 
mit  Delafields  Gemisch  und  auch  mit  alkoholischem  Thionin,  aber 
wenig  alkoholecht.  Im  übrigen  zeigen  die  Kalkzellen  dieselben  Ver- 
hältnisse wie  bei  Paludina. 

Auch  bei  Helix  pomatia  erreichen  die  blasigen  Zellen  nicht  die 
hohe  Entwicklung,  wie  bei  Paludina,  doch  finden  sie  sich  reichlich 
besonders  zwischen  den  Muskeln.  Sie  zeigen  deutlich  wandständige 
Kerne,  so  daß  man  oft  Siegelringformen  sehen  kann.  Auch  tritt  an 
Präparaten  aus  MüLLERscher  Flüssigkeit  der  Wandbelag  von  Proto- 
plasma an  der  Innenfläche  der  Blasen  deutlich  hervor. 

An  im  Frühling  (April)  gefangenen  Tieren  finde  ich  die  blasigen 
Zellen  erfüllt  von  Glykogen,  dagegen  vermisse  ich  Kalk  noch  fast  ganz. 

Zum  Schlüsse  dieser  Besprechung  des  diffusen  chordoiden  Stütz- 
gewebes der  Gastropoden,  sei  besonders  darauf  hingewiesen,  daß 
die  blasigen  Zellen  außer  ihrer  mechanischen  Stützfunktion  noch  eine 
andre  Bedeutung  besitzen,  indem  sie  auch  noch  verschiedene  Stoff- 
wechselprodukte in  sich  aufspeichern  können.  Diese  Erscheinung  ist 
deshalb  von  Interesse,  weil  sie  auch  beim  chordoiden  und  chondroiden, 
blasigen  Stützgewebe  und  selbst  beim  Knorpelgewebe  der  Säugetiere 
wiederkehrt. 

Geschichtliches  zum  blasigen,   chordoiden  Stützgewebe 
der  Mollusken. 

Bekanntlich  hat  Leydig^  zuerst  gezeigt,  daß  im  Körper  von  Paludina, 
Arion,  Helix  »überall  da,  wo  bei  höheren  Tieren  das  Bindegewebe  sich  findet, 
helle,  große  Zellen   mit  einem  kleinen  wandständigen  Kern  vorkommen. 

Langer 2  hat  solche  »gerundete  helle  Blasen  von  verschiedener  Größe,  die 
durch  nachträglichen  Zusatz  von  verdünnter  Salpetersäure  ihre  Konturen  bei- 
behalten «,  dann  auch  bei  Acephalen  beschrieben,  sie  aber  nicht  als  Zellen  er- 
kannt. »Zellenkerne  haben  sie  keine,  und  da  sie  stellenweise  auch  miteinander 
verschmelzen,  so  können  sie  kaum  für  Zellen  gehalten  werden.  Ich  muß  gestehen, 
daß   mir  diese   Gebilde  rätselhaft  geblieben   sind. « 

Nach  Sempera  besteht  das  »großmaschige«  Bindegewebe  (neben  dem  er 
noch  ein  »homogenes«,  mit  vielen  freien  Kernen  unterscheidet)  »aus  den  von 
Leydig  zuerst  bei  Paludina  näher  beschriebenen  Bindesubstanzzellen«.  Bei 
Lymnaeus   stagnalis    unterscheidet    er   dreierlei,    voneinander   sehr    abweichende 

1  Über  Paludina  vivipara.  Diese  Zeitschr.  Bd.  II.  1850.  Nach  einer 
Anmerkung  von  Cuenot  (Arch.  Biol.  T.  XII.  1892.  p.  683)  soll  Leuckart  diese 
Zellen  schon  vor  Leydig  erkannt  haben. 

2  Das  Gefäßsystem  der  Teichmuschel.  Denkschr.  kais.  Akad.  Wiss.  Wien. 
Bd.  XII.  1856.  S.  60. 

3  Beiträge  zur  Anatomie  und  Physiologie  der  Pulmonaten.  Diese  Zeit- 
schr ift.    Bd.  VIII.  1856.  S  342  u.  361  u.  f. 


über  den  feineren  Bau  ii.  die  Entwickl.  d.  Knorpclgewebes  usw.    111.      33 

Formen  von  solchen:  auffallend  große  und  vollkommen  durchsichtige  mit  ziem- 
lich großem,  rundem  Kern  mit  körnigem  Inhalt  und  ein  bis  zwei  Kern  körperchen, 
»  um  welchen  sich  .  .  .  eine  geringe  Zone  feinkörniger  Substanz  lagert.  Der  übrige 
Inhalt  dieser  Zellen  ist  vollkommen  glashell  und  homogen,  und  nie  tritt  in  ihnen 
Kalk,  Pigment  oder  Fett  auf«.  Dies  sind  die  oben  von  mir  beschriebenen,  blasigen 
Stützzellen,  wie  auch  Sempers  Fig.  3  a  deutlich  zeigt.  Über  die  Bedeutung 
dieser  Zellen  blieb  er  sich  » völlig  im  unklaren «,  so  daß  er  sogar  an  eine  para- 
sitische Natur  dachte. 

Als  zweite  Form  beschreibt  er  »sechs-  bis  achtmal  so  kleine  rundliche  Zellen, 
welche  alle  ohne  Ausnahme  von  einer  Menge  kleiner,  runder,  ziemlich  scharf 
konturierter  Bläschen  ganz  angefüllt  sind  «,  die  er  für  Fett  hielt.  Die  dritte  Form 
ist  durch  ihren  Gehalt  an  kohlensaurem  Kalk  ausgezeichnet,  »  welcher  sie  oft  gänz- 
lich ausfüllt.  Doch  findet  man  bisweilen  auch  solche,  an  denen  die  Zellmembran 
und  der  durch  den  Kalk  an  diese  gedrängte  Kern  deutlich  zu  sehen  sind.  .  .  . 
Der  Kalk  tritt  immer  in  Form  von  ziemlich  großen,  rundlichen  oder  ovalen,  un- 
kristallinischen Concretionen  auf. «  Diese  zwei  Formen,  deren  Größe  in  Wirk- 
lichkeit von  der  der  ersten  nicht  so  sehr  abweicht,  wie  Semper  angibt,  sind 
nichts  andres,  als  blasige  Stützzellen  mit  Kalkkugeln,  und  ich  halte  besonders 
die  vermeintlichen  Fettkugelzellen  nur  für  Lösungs-  oder  Entwicklungsformen 
solcher  Kalkzellen. 

Schon  frühzeitig  hat  sich  in  der  Beurteilung  des  in  Rede  stehenden  Gewebes 
eine  große  Schwierigkeit  bemerkbar  gemacht,  die  bis  heute  noch  nicht  über- 
wunden ist,  weil  sie  in  der  Natur  des  Gewebes  liegt:  nämlich  die  Frage,  ob  man 
es  mit  geschlossenen  Zellblasen  zu  tun  hat,  deren  flüssiger  Inhalt  den  Kern  meistens 
ganz  an  die  Wand  drückt  oder  ob  die  oft  dicht  aneinander  gelagerten  Membranen 
dieser  Zellblasen  im  optischen  oder  wirklichen  Durchschnitte  nicht  eher  als  faser- 
förmige  Fortsätze  verästelter,  anastomosierender  Zellen  aufzufassen  wären,  deren 
Körper  —  nach  der  ersten  Auffassung  den  Zwickeln  entsprechen  würden,  welche 
durch  das  Aneinandergrenzen  von  drei  bis  vier  Zellblasen  entstehen  und  in  deren 
Nachbarschaft  auch  gewöhnlich  ein  Kern  gelegen  erscheint.  So  hat  z.  B.  Goette  i 
das  Chordagewebe  in  letzterem  Sinne  gedeutet.  Auch  von  Leydig^  wurde  vor- 
übergehend, trotz  seiner  ersten  Angabe,  eine  Reihe  hierher  gehöriger  Gewebe 
bei  Mollusken,  Tunicaten,  beim  Kjebs,  im  Sinus  rhomboidalis  der  Vögel  so  auf- 
gefaßt und  dem  Gallertgewebe  zugerechnet,  indem  er  den  Inhalt  der  Zellen  für 
Intercellularsubstanz  genommen    hat. 

Die  Frage  ist  in  manchen  Fällen,  wie  z.  B.  bei  der  Chorda,  leicht  durch  die 
Isolation  der  Zellblasen  zu  lösen;  in  andern  Fällen,  besonders  wenn  eine  Ver- 
schmelzung der  benachbarten  Zellwände  vorliegt,  bietet  die  Entscheidung  große 
Schwierigkeiten . 

Claparede^  hat  die  Zellen  der  sogenannten  Bindesubstanz  bei  Cyclostoma 
elegans  als  »schöne,  farblose,  durchsichtige  Zellen  beschrieben,  deren  großer  Kern 
meist  ohne  Essigsäurezusatz  sichtbar  ist.  Sie  sehen  wie  Fettzellen  aus  und  er- 
reichen  bis   zu   78  u   im   Durchmesser.     Sie   finden    sich   um  das   Gehörorgan, 


1  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  XV.  1878.  S.  316. 

2  Lehrbuch  d.  Histol.  1857.  S.  24,  Fig.  9. 

3  Beitrag    zur    Anatomie   des    Cyclostoma    elegans.     Müllers   Arch.  1858. 
S.  1—34. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  3 


34  Josef  Schaffer, 

zwischen  den  Windungen  des  Darmkanals  am  Magen,  um  den  Eierstock,  zwischen 
den  Leberlappen.  Um  die  Gefäße  ist  ihr  Inhalt  aus  kleinen,  lichtbrechenden, 
bei  durchfallendem  Lichte  schwärzlich,  bei  auffallendem  aber  weißlich  erschei- 
nenden Körnchen  gebildet. 

LeydigI  hat  später  dieses  Gewebe  als  zellig-blasiges  bezeichnet; 
es  soll  eine  große  Rolle  bei  Weichtieren,  Arthropoden  und  Würmern  spielen  .  .  . 
aus  dem  Körper  der  W^irbeltiere  könnte  das  Gewebe  der  Chorda  dorsalis  hierher 
gestellt  werden.  Bei  andrer  Gelegenheit  hat  Leydig-  betont,  daß  dieses  Ge- 
webe die  Rolle  des  Knorpels  vertreten  kann. 

Flemming^  hat  das  Gewebe  bei  Anodonta  und  Mytilus  untersucht  und 
gezeigt,  daß  die  großen,  gerundeten  Elemente,  die  im  Mantel,  Fuß  und  Mittel- 
körper massenhaft  vorkommen,  die  sogenannten  LANGERschen  Blasen,  nicht 
die  Blutbahnen  selbst  sind,  wie  Langer  vermutet  hat,  sondern  Zellen  von  rund- 
licher Form  und  mit  eigentümlicher  erweichter  Substanz;  Flemming  nannte  sie 
deshalb  »Schleimzellen«.  Gartenauer  (1875,  1.  c.)  hat  die  dünnen,  aneinander 
liegenden  Hüllen  der  blasigen  Zellen  (am  optischen  Durchschnitt)  für  verzweigte 
Bindegewebszellen  gehalten  (vgl.  seine  Fig.  VII),  ähnlich  wie  Goette  bei  der 
Chorda. 

Der  Auffassung  Flemmikgs  trat  Kollmann*  entgegen;  er  bezeichnet  die 
Bindesubstanz  der  Acephalen  als  Gallertgewebe  (wie  man  ja  auch  von  der  Chorda- 
gallerte spricht)  und  hat  die  hellen  Blasen  in  demselben  wie  Langer  als  Lacunen 
aufgefaßt.  Sie  messen  50 — 60  ^,  sind  bald  rund,  bald  oval  und  wurden  schon 
oft  als  Schleimzellen  gedeutet.  »Man  hat  Leydig  entschieden  Unrecht  getan, 
als  man  ihm  die  Entdeckung  jener  angeblichen  Kugeln,  die  in  Wirklichkeit  Ge- 
webelücken sind,  zugeschrieben  hat. «  Kollmann  übersieht  dabei  die  erste 
Angabe  Leydigs  und  verweist  nur  auf  Fig.  55  in  dessen  Lehrbuch  der  Histologie 
(1857),  wo  die  sich  überschneidenden  Blasen  ganz  richtig  dargestellt  sind,  in  der 
Beschreibung  allerdings  nur  von  großmaschigem  Gallertgewebe  gesprochen  wird 
(1.  c.  S.  102). 

Nach  FlemmingsS  fortgesetzten  Beobachtungen  fällt  an  dem  frischen 
Mantelgewebe  auf,  daß  es  zum  größten  Teil  aus  eigentümlichen  blassen  Blasen 
zusammengesetzt  erscheint.  Er  bezeichnet  sie  zunächst  als  LANGERsche  Blasen 
und  weist  ihre  Zellnatur  unzweifelhaft  nach.  Im  Verlaufe  seiner  Darstellung 
nennt  er  sie  wieder  »Schleimzellen«,  »lediglich  um  einen  bequemen  Namen  zu 
haben«.  Sie  messen  im  Mantelrand  von  Mytilus  40 — 100^,  der  Kern  6 — 9//. 
»Ob  die  Schleimzellen  noch  zarte,  membranartige  Umhüllungs-  oder  Rinden- 
schichten besitzen  oder  nicht,  kann  ich  auch  jetzt  nicht  sicher  entscheiden«,  doch 
bemerkt  er,  daß  sich  am  frischen  Präparate  der  Inhalt  nicht  in  die  benachbarten 
Blasen  hineindrücken  läßt. 


1  Vom  Bau  des  tierischen  Körpers.     Tübingen  1864.  S.  29  u.  34. 

2  Zelle  und  Gewebe.     Bonn  1885.     S.  54. 

3  Über  Bindesubstanzen  und  Gefäß wandung  bei  Mollusken.  Hab. -Schrift. 
Rostock  1871. 

*  Die  Bindesubstanz  der  Acephalen.  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  XIII.  1877. 
S.  558—603. 

s  Über  Bindesubstanz  und  Gefäßwandung  im  Schwellgewebe  der  Muscheln. 
Ebendort,  S.  818. 


f 


über  den  feineren  Bau  u.  die  P^ntwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       35 

RenautI  hat  dann  aIvS  erster  dieses  Gewebe  von  Helix  mit  einer  Reilje 
andrer  elastischer  und  widerstandsfähiger  .Stützgewebe  bei  Wirbeltieren  in  Ana- 
logie gebracht  und  ausdrücklich  auf  die  mechanische  Bedeutung  dieses  Tissu 
fibreux  hyalin,  wie  er  es  nennt,  bei  den  Pulmonaten  hingewiesen'-. 

Eine  sehr  eingehende  Untersuchung  der  Bindesubstanz  bei  den  Mollusken 
verdanken  wir  Brock 3;  sie  ist  aber  ohne  die  wesentliche  Erkenntnis  der  histo- 
logischen und  mechanischen  Bedeutung  dieses  zellig- blasigen  Gewebes  durch- 
geführt. Dies  geht  vor  allem  daraus  hervor,  daß  Brock  einen  Vergleich  desselben 
mit  den  embrj'onalen  Bindesubstanzen  der  Vertebraten  für  zulässig  hält  und 
glaubt,  daß  sich  die  fibrilläre  Bindesubstanz,  die  er  zuerst  bei  den  Mollusken 
näher  untersucht  hat,  ungezwungen  als  eine  weitere  Entwicklung  der  zellig- 
blasigen  Bindesubstanz  auffassen  läßt.  In  Wirklichkeit  müssen  wir  aber  diese 
letztere  als  eine  durch  besondere  funktionelle  Beanspruchung  aus  embryonalen 
oder  indifferenten  Zellen  hervorgegangene,  hoch  spezialisierte  Gewebeform 
betrachten. 

Brock  ging  bei  seinen  Untersuchungen  von  den  Aplysien*  aus,  bei  denen 
er  die,  nach  seiner  Meinung,  den  blasigen  Zellen  (Schleimzellen,  Flemming)  homo- 
logen Gebilde  von  protoplasmatischer  Natur  und  oft  durch  gegenseitige  Ab- 
flachung polyedrischer  Form  fand.  Er  nannte  diese  Zellen  »in  Ermangelung 
eines  besseren  Namens  Plasmazellen,  weil  sie  mit  den  von  Waldeyer 
so  genannten  Elementen  des  Vertebratenbindegewebes  in  bezug  auf  äußeres 
Aussehen  und  den  Ort  ihres  Vorkommens  eine  gewisse  Ähnlichkeit  aufzuweisen 
haben«.  Das  Protoplasma  dieser  Zellen  wird  im  Leben  von  rötlich-grauen  Con- 
cretionen  von  punktförmiger  Feinheit  bis  zu  4  ,a  Durchmesser  erfüllt.  Diese  letz- 
teren färben  sich  außerordentlich  intensiv  mit  Hämatoxylin  und  bestehen  aus 
Kalk,  der  an  ein  organisches  Substrat  gebunden  ist,  weshalb  Joyeux-Laffuie^ 
für  diese  Zellen  den  Namen  Kalkzellen  vorgeschlagen  hat.  In  diesen  Plasmazellen 
soll  es  auch  zum  Auftreten  von  Vacuolen  unter  gleichzeitiger  Verdrängung  des 
granulären  Inhaltes  kommen. 

Wir  könnten  in  diesen  Gebilden  dann  gleichsam  ein  ontogenetisches  Vor- 
stadium der  blasigen  Stützzellen  erblicken. 

Brock  bezeichnet  aber  auch  die  blasigen  Stützzellen  bei  Pulmonaten  und 


1  Sur  les  cellules  godronnees  etc.     C.  R.  Acad.  Sc.  T.  XC.  1880.  p.  713. 

2  Systeme  hyalin  de  soutenement  etc.     Arch.  physiol.   1881.  p.  857. 

3  Untersuchungen  über  die  interstitielle  Bindesubstanz  der  Mollusken. 
Diese  Zeitschr.  Bd.  XXXIX.  1883.  S.  1—64. 

*  Aplysia  ist  sin  sehr  ungünstiges  Objekt  für  die  Untersuchung  der  blasigen 
Zellen.  Bei  der  großen  Zartheit  der  Gewebe  ist  es  schwer  zu  entscheiden,  ob 
sie  blasige  Stützzellen  besitzen  oder  nicht.  Wenn  sie  welche  besitzen  — -  und  das 
scheint  mir  nach  meinem  fixierten,  von  Neapel  bezogenen  Material,  sehr  wahr- 
scheinlich — ,  so  sind  sie  sehr  groß  und  so  dünnwandig,  daß  sie  kaum  als  ringsum 
geschlossene  Blasen  zu  erkennen  und  wohl  auch  kaum  zu  isolieren  sind.  — 
Blochmann  (diese  Zeitschr.  Bd.  XXXVIII.  1883.  S.  412)  bezeichnet  das  Binde- 
gewebe von  Aplysia  als  »eigentümlich  maschiges«.  Nach  seinen  Zeichnungen 
könnte  es  aber  ebensogut  aus  großen  dünnwandigen  Blasen  bestehen. 

5  Organisation  et  developpement  de  l'Oncidie.  Arch.  Zool.  exper.  et  gen. 
T.  X.  1882.  p.  260. 

3* 


36  Josef  Schaffer, 

Prosobranchiern,  bei  denen  sie  so  massenhaft  auftreten,  daß  »sie  über  weite 
Strecken  epithelartig  dicht  aneinander  gelagert,  alle  übrigen  Bestandteile  der 
Bindesubstanz  vollkommen  verdecken«  als  Plasmazellen.  Betrachtet  man  (bei 
Helix,  Limax,  Arion)  ein  Stückchen  der  Bindesubstanz  im  frischen  Zustande, 
»so  sieht  man  in  der  Regel  nichts  weiter,  als  Lagen  von  dicht  gedrängten  großen, 
runden  oder  ovalen  Zellen,  welche  durch  ihren  starken  Glanz  sehr  an  das  Fett- 
gewebe der  Vertebraten  erinnern«.  Dies  ist  schon  Clapakedei  aufgefallen  (vgl. 
oben  S.  33),  neben  dem  Brock  eine  ganze  Reilie  älterer  Autoren  anführt,  welche 
diese  Zellen  gesehen  haben  2.  Er  selbst  gibt  eine  ganz  zutreffende  Schilderung 
dieser  Zellen,  bestätigt  auch  das  regelmäßige  Vorkommen  und  die  Lage  der  Kerne 
in  den  LAMGEBschen  Blasen  und  unterscheidet  mit  Sempeb  drei  Arten:  die  mit 
fettartig  glänzendem,  homogenem  Inhalt  (der  aber  kein  Fett  ist)  und  mit  strah- 
ligem Protoplasmahof  um  den  Kern ;  dieser  Hof  enthält  »feine,  dunkle  Körnchen 
von  unbestimmter  chemischer  Natur«,  offenbar  die  oben  von  mir  erwähnten 
Pigmentkörnchen.  Die  zweite  Art  dieser  Zellen  ist  durch  matt  fett-  oder  wachs- 
glänzende Körnchen  charakterisiert,  welche  in  dem  durchsichtigen  Protoplasma 
wie  Tropfen  zu  schwimmen  scheinen.  Sie  sind  in  Alkohol  unlöslich  und  färben 
sich  tief  in  Hämotoxylinlösung,  weshalb  sie  Bbock  nicht,  wie  Sempeb,  für  Fett 
hält,  sondern  als  Körnchenzellen  bezeichnet.  Als  dritte  Art  bezeichnet  er  jene 
»  Plasmazellen «,  welche  kohlensauren  Kalk  enthalten.  Er  unterscheidet  solche, 
die  ihn  in  staub-  oder  pulverförmiger  Verteilung  und  solche,  die  ihn  in  Gestalt 
kugeliger   oder    »polygonaler«   Körperchen   einschließen. 

Flemming^  vertritt  nochmals  gegen  Kollmann  und  Gbiesbach  mit  vollem 
Nachdruck  seine  Auffassung  von  der  Zellennatur  der  LANGEBschen  Blasen,  in- 
dem er  hauptsächlich  auf  den  Nachweis  des  Kernes  in  jeder  Blase  und  auf  den 
Umstand  Gewicht  legt,  daß  bei  Injektionen  der  Gefäßbahnen,  die  Masse  dort, 
wo  LANGERsche  Blasen  sind,  nicht  in  den  Raum  dieser  Blasen  eindringt. 

Babfurth*  sagt  von  Arion:  '^Die  großen  hellen  Zellen  .  .  .  haben  einen 
verhältnismäßig  kleinen  wandständigen  Kern  (Leydig)  und  enthalten  zuweilen 
größere  blasse  oder  gelbliche  Kügelchen. «  » Die  großen  Bindesubstanzzellen 
nehmen  durch  längere  Einwirkung  von  Osmiumsäure  einen  eigentümlichen, 
bläulichgrauen  Farbenton  an. «  Babfurth  beschäftigt  sich  auch  mit  den  Kalk- 
zellen im  Bindegewebe;  er  beschreibt  in  der  Adventitia  der  Leberarterien  bei 
Arion  helle  Bindesubstanzzellen,  welche  glänzende  Kugeln  von  kohlensaurem 
Kalk  enthalten,  die  bei  Säurezusatz  aufbrausen.  Bei  Helix.  Limax  usw.  ent- 
halten die  Gefäße  keinen  Kalk,  wohl  aber  ist  der  wulstige  Mantelrand  der  Heli- 
cinen  besonders  reich  an  Kalkdrüsen,  d.  h.  Kalkzellen.  Wenn  die  Zellen  ihren 
Kalk  abgeben,  so  findet  man  an  Stelle  der  Kalkkugeln  eine  Protoplasmalücke, 
die  die  Form  einer  Hohlkugel  hat,  aber  nicht  leer  oder  lufthaltig,  sondern  mit  der 
Zellflüssigkeit  erfüllt  ist.  Diese  Hohlkugeln  besitzen  aber  besonders  in  dickeren 
Schichten  noch  einen  gewissen  Glanz. 


1  Cyclostomatis  elegantis  anatome.     Diss.  Berolini  1857.  p.  13. 

2  1.  c.  S.  39,  Anm.  2. 

3  Bemerkungen   hinsichtlich   der  Blutbahnen   und   der  Bindesubstanz   bei 
Najaden  und  Mytiliden.     Diese  Zeitschr.  Bd.  XXXIX.  1883.  S.  137. 

4  1.  c.  S.  479,  482. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       37 

BoNABDii  bildet  das  blasige  Stützgewebe  zwischen  den  Muskelfasern  ab 
(Fig.  IIa);  er  bezeichnet  es  als  eine  gallertartige  Substanz,  welche  durch  netz- 
artige Stränge  in  zahlreiche  mehr  oder  minder  regelmäßige  polygonale  Felder 
geteilt  wird.  Irrtümlich  meint  Bonardi,  daß  Semper  (s.  o.)  diese  Felder  für 
Knorpelzellen  gehalten  hat  und  führt  gegen  diese  Deutung  an,  daß  er  nicht  in 
jedeiu  Feld  einen  Kern  findet,  aucii  nicht  jeder  Umriß  deutlich  ist  und  daß  sich 
die  Felder  besonders  mit  Jodtinktur  nur  leicht  und  gleichmäßig  färben.  Wie 
ich  erwähnte,  enthalten  die  Zellen  zweifellos  Glykogen,  was  aber  mit  einer  Knorpel- 
natur nichts  zu  tun  hat.  Bonardi  bildet  auch,  vereinzelte  elliptische,  scharf 
begrenzte  Zellen  zwischen  den  polyedrischen  ab,  die  nichts  andres,  als  entkalkte 
Kalkzellen  sind. 

Frenzel^  hat  versucht,  die  Existenz  der  Kalkzellen  Barfürths  in  der 
Leber  in  Abrede  zu  stellen  und  eine  Reihe  von  Reaktionen  der  vermeintlichen 
Kalkzellen  angegeben  (Aufquellen  und  Matt  werden  vor  der  Auflösung  in  ver- 
dünnten Säuren,  Schwärzung  beim  Erhitzen  und  deutliches  Hervortreten  einer 
konzentrischen  Schichtung,  intensiv  braunschwarze  Färbung  mit  Jodtinktur), 
aus  denen  hervorgeht,  daß  Frenzel  offenbar  glykogen-  und  kalkhaltige 
Zellen  verwechselt  hat,  ohne  zu  wissen,  daß  Glykogen  zu  gewissen  Zeiten  ein 
regelmäßiges  Vorkommen  bei  den  Schnecken  bildet. 

Barfürths  widerlegte  die  Einwürfe  Frenzels  und  betonte  nochmals,  daß 
sich  neben  dem  kohlensauren  Kalk  in  den  großen  »Kalkdrüsen«  auch  glänzende 
Kügelchen  von  phospliorsaurem  Kalk  im  Mantel  der  Sommertiere  finden.  Später* 
wies  er  auch  nach,  daß  es  gerade  die  blasigen  (LEYDiGschen)  Zellen  der  Binde- 
substanz sind,  in  denen  sich  das  Glykogen  zuerst  aufspeichert. 

Ohne  Kenntnis  von  dieser  Mitteilung  Barfurths  hat  dann  Blundstone-'' 
den  Glykogengehalt  der  blasigen  Zellen  (der  Ausdruck  »vesicular  cells«  soll  von 
Lankaster  stammen)  nachgewiesen  und  Angaben  über  das  feinere  Verhalten 
dieser  Zellen  gemacht.  Dabei  entging  ihm  allerdings  die  Tatsache,  daß  dieselben 
Zellen  zu  andern  Zeiten  Kalk  enthalten  können;  er  betont  ausdrücklich,  daß  ihr 
stark  glänzender  Inhalt  nicht  doppeltbrechend  ist. 

Betreffs  der  Auffassung  der  Natur  dieser  blasigen  Zellen,  schloß  er  sich 
Flemming  an;  sie  seien  identisch  mit  den  Plasmazellen  von  Brock  u.  a.,  den 
LANGERschen  Blasen  vieler  Autoren  und  äquivalent  mit  vielen  der  Lacunen 
von  Kollmann,  Griesbach  usw. 

Bei  Helix  finden  sie  sich  an  der  Grenze  der  großen  lacunären  Räume  und 
in  den  »Mesenterien«.  Speziell  begleiten  sie  bei  allen  untersuchten  Mollusken 
die  Arterien,  weshalb  diese  so  glänzend  weiß  hervortreten. 


1  Contribuzione   all'    istologia  del   sistema  digerente    dell'    Helix   pomatia. 
Atti  R.  Accad.  Sc.  Torino.  Vol.  XIX.  1883. 

2  Über  die  sogenannten  Kalkzellen  der  Gasteropodenleber.     Biol.  Centralbl. 
III.  Bd.    1883/84.  S.  323. 

3  Der  phosphorsaure  Kalk  der  Gasteropodenleber.   Biol.  Centralbl.    Bd.  III. 

1884.  S.  435. 

*  Das  Glykogen  in  der  Gasteropodenleber.    Zool.  Anz.  10.  Dez.  1883.  S.  652. 

5  On  the  occurrence   of  Glycogen  as  a   constituent  of  the  vesicular  cells 

of  the  connective  tissue  of  Molluscs.      Proc.   R.  Soc.  London.    Vol.  XXXVIII. 

1885.  p.  442. 


38  Josef  Schaffer, 

SchülekI  hat  bei  Anodonta  die  »Schleimzellen«  in  Gestalt  heller,  rund- 
licher oder  länglicher  Blasen,  sowohl  in  Kochsalzlösung  als  in  33%iger  Kalilauge 
isoliert.  »Dieselben  sind  von  einer  zarten  Membran  begrenzt  und  enthalten 
einen  hellen  schleimigen  Inhalt,  in  dem  etwas  exzentrisch  oder  wandständig 
ein  scharf  konturierter  Kern  mit  Kernkörperchen  liegt,  von  dem  aus  körnige 
Fäden  in  radiärer  Richtung  und  auch  netzförmig  ausgehen. « 

Nach  Thiele  2  zeichnen  sich  diese  LANGERschen  Blasen  oder,  wie  Flemming 
will,  »Schleimzellen«  durch  bedeutende  Größe,  kugelrunden,  wandständigen  Kern, 
der  von  wenig  Protoplasma  umgeben  ist  und  im  übrigen  wasserhellen  Inhalt  aus «. 

List3  bildet  isolierte  »Plasmazellen  der  Autoren«  von  Tethys  ab.  »Sie  er- 
reichen oft  einen  Durchmesser  von  46  u  und  haben  gewöhnlich  kugelige  oder 
mehr  ellipsoidähnliche  Form.  Sie  sind  von  einer  deutlichen  Membran  umgeben, 
die  wohl  nur  als  eine  besondere  Differenzierung  der  Zellsubstanz  selbst  aufzu- 
fassen ist. « 

Dbost*  hat  dann  bei  Cardium  die  FLEMMiNGschen  »Schleimzellen«  an 
zuerst  in  verdünnter  Osmiumsäure  erhärteten  und  dann  in  Kaliumbichromat 
übertragenen  Objekten  als  sicher  umgrenzte,  rundliche  Ballen  isoliert  und  ihre 
Identität  mit  den  LANGERschen  Blasen  und  damit  die  Zellennatur  der  letzteren 
nachgewiesen. 

Renaut^  hat  eine  gute  Beschreibung  des  Gewebes  bei  Helix  gegeben:  Die 
blasigen  Zellen  werden  von  einer  glasartig  durchsichtigen  Masse  gebildet,  die  sich 
mit  Osmiumsäure  kaum  rauchgrau  färbt.  An  ihrer  Peripherie  folgt  eine  schmale 
Zone  von  Protoplasma,  welches  einen  flachen,  bläschenförmigen  Kern  einschließt. 
Außer  dem  Kern  ist  ein  Häufchen  protoplasmatischer  Körnchen  vorhanden, 
die  sich  mit  Eosin  färben.  Endlich  wird  das  Ganze  von  einem  kapselartigen  Exo- 
ptasma  umschlossen.  Wo  sich  diese  Zellen  berühren,  bilden  sie  hyaline  Streifen, 
welche  die  Rolle  eines  Knorpels  spielen  und  nach  Art  der  Chorda,  mit  der  sie 
verglichen  werden  können.  Widerstand  leisten.  Es  findet  sich  im  ganzen  Körper 
zerstreut,  in  allen  bindegewebigen  Scheidewänden  der  Eingeweide  bildet  es  von 
Stelle  zu  Stelle  Streifen  oder  Knötchen. 

Rawitz^  macht  nur  gelegentlich  kurze  Bemerkungen  über  die  »Schleimzellen  « 
oder  »Bindesubstanzzellen  von  Flemming«. 

Cttenot'^  hat  eine  sehr  eigentümliche  Auffassung  von  der  physiologischen 


1  Über  die  Beziehungen  der  cavernösen  Räume  im  Bindegewebe  der  Ano- 
donta zu  dem  Blutgefäßsystem.      Arch.   mikr.   Anat.   Bd.  XXV.    1885.   S.  84. 

2  Die  Mundlappen  der  Lamellibranchiaten.  Diese  Zeitschr.  Bd.  XLIV. 
1886.  S.  261. 

3  2ur  Kenntnis  der  Drüsen  im  Fuße  von  Tethys  fimbriata.  Ebenda,  Bd.  XLV. 

18  87.    S.  311. 

4  Über  das  Nervensystem  und  die  Sinnesepithelien  der  Herzmuschel  (Car- 
dium edule  L.)  nebst  einigen  Mitteilungen  über  den  histologischen  Bau  ihres  Man- 
tels usw.    Morph.  Jahrb.  Bd.  XII.  1887. 

5  Traite  d'Histologie  prat.     T.  I.    1893   (1888).    p.  336  u.  f. 

6  Der  Mantelrand  der  Acephalen.  Jenaische  Zeitschr.  Bd.  XXII,  XXIV, 
XXVII.      1888—1892. 

"  Etudes  physiologiques  sur  les  Gasteropodes  pulmones.  Arch.  Biol. 
T.  XII.  189  2.  p.  683. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       39 

Bedeutung  der  LEYDiGschen  Zellen  bei  Pulmonaten  zu  vertreten  gesucht,  indem 
er  ihnen  einerseits  phagocj'täre  Tätigkeit,  anderseits  eine  excretorische  Bedeutung 
zuschrieb.  Er  schildert  die  Zellen  als  große  Blasen,  deren  größter  Durchmesser 
bis  zu  80  //  erreicht,  die  eine  helle  Flüssigkeit  einschließen,  manchmal  erfüllt  von 
kleinen  Vacuolen,  manclimal  von  starkem  Lichtbrechungsvermögen  (Glykogen). 
Sie  sollen  sauer  reagieren  und  imstande  sein,  Ammoniakkarmin  und  Lackmus 
zu  resorbieren.  Die  Kalkzellen  sollen  nichts  mit  diesen  Gebilden  zu  tun  haben, 
weshalb   er  sie  vollkommen   trennt. 

LoiSEL^  hält  die  blasigen  Zellen  zwischen  den  Muskeln  für  vollkommen 
übereinstimmend  mit  denen  in  den  Radulastützen ;  auch  läßt  er  sie  aus  einem 
syncytialen  Vorstadium  entstehen,  wie  diese.  Im  fertigen  Zustand  enthalten 
sie  neben  sehr  wenig  Protoplasma  eine  durchscheinende  Flüssigkeit  schleimiger 
oder  eiweißartiger  Natur.  Loisel  charakterisiert  diese  Zellen  als  echte  Stütz- 
zellen, indem  er  sagt,  daß  sie  sich  stets  dort  finden,  wo  ein  Muskel  einen  festen 
Ansatzpunkt  braucht  oder  selbst  als  Stützorgan   wirken   muß. 

Ch.\tin2  verwahrt  sich  dagegen,  daß  die  Bindegewebselemente  der  Gastro- 
poden lediglich  durch  »abgerundete  Zellen,  welche  ein  durchscheinendes  Plasma 
und  sehr  wenig  Protoplasma  einschließen «,  vertreten  seien.  Diese  durchsichtigen 
Blasen  sind  sogar  die  seltenste  Form;  man  trifft  sie  vor  allem  im  Gewebe  um 
die  Zunge  der  Pulmonaten. 

Hier  identifiziert  Chatin  offenbar,  ähnlich  wie  dies  Leydig,  Renaut  und 
Loisel  zu  tun  scheinen,  das  blasige  Stützgewebe  in  den  Radulastützen  mit  der 
zellig-blasigen    Bindesubstanz. 

Nach  Leon  3  scheinen  bei  Dentalium  die  blasigen  Stützzellen  ebenfalls  nur 
wenig  entwickelt  und  vereinzelt  vorzukommen;  »das  Plasma  ist  fein  granuliert 
und  färbt  sich  mit  Hämatoxylin-Eosin  tiefrot,  die  kreisrunden  (meist  mehrfachen) 
Kerne  sind  groß,  mittelständig.  .  .  .  Dies  sind  die  Zellen,  welche  Rawitz  mit 
den  FLEMMiNGschen  Zellen  identifiziert  hat«. 

Im  Mantel  von  Paludina  vivipara  findet  Chätin*,  entgegen  seiner  oben 
wiedergegebenen  Behauptung,  die  blasigen  Zellen  am  weitesten  verbreitet.  Sie 
sollen  jedoch  durch  ihre  Größe  und  einige  Einzelheiten  im  feineren  Bau  ver- 
schieden sein  von  den  LEYDiGschen  Zellen,  LANGERschen  Blasen  und  Plasma- 
zellen.    Von  den  Kalkzellen  ist  keine  Rede. 

In  sehr  eingehender  Weise  hat  sich  mit  den  blasigen  Zellen,  besonders  ihrem 
Glykogengehalt,  CreightonS  beschäftigt.  Er  gibt  auch  eine  historische  Über- 
sicht über  diese  Zellen,  die  er  mit  Brock  »Plasmazellen«  nennt;  nicht  so  sehr, 
weil  sie  protoplasmareich  sind  —  sie  erscheinen  im  Lackpräparat  als  große,  helle 


1  I.  c.  S.  37  u.  f. 

2  Contributions  ä  l'etude  de  la  cellule  conjonctive  chez  les  Mollusques 
Gasteropodes.    0.  R.  Acad.  Sc.   Paris.    T.  CXIX.    1894.  p.  922. 

3  Zur  Histologie  des  DentoZmm-Mantels.  Jen.  Zeitschr.  Bd.  XXIX.  1895. 
S.  413. 

4  Evolution  et  structure  des  elements  conjonctifs  chez  la  Paludine.  C.  R. 
Acad.  Sc.  Paris.  T.  CXXVI.  1898.  p.  659. 

6  Microscopic  researches  on  Glycogen.  P.  II.  Glycogen  of  snails  and 
siugs  in  morphological  and  physiological  correspondence  with  the  Lymph  System 
of  Vertebrates.     London,  A.  and  C.  Black,  1899. 


40  Josef  Schaffer, 

Blasen  — ,  als  um  sie  von  den  gewöhnlichen  Bindegevvebszellen  als  ganz  verschie- 
dene, natürliche  Zellgruppe  zu  unterscheiden.  » Dabei  ist  es  irrelevant,  was  der 
Autor  des  Namens  (Waldeyeb)  damit  gemeint  hat. « 

Unter  den  Mollusken  sind  hauptsächlich  die  Pulmonaten  reich  an  Glykogen, 
weniger  die  andern  Gastropoden.  So  ist  es  bei  Patella  nirgends  sehr  hervor- 
tretend, außer  in  dem  p\Tamidenförmigen  Knorpelpaar  unter  der  Zungenscheide, 
in  dem  es  gerade  so  wie  im  Säugetierknorpel  vorkommt.  Bei  Buccinum  sind 
die  großen  Plasmazellen  voll  Glj-kogen  leicht  nachweisbar  in  der  Nierengegend, 
im  dicken  Mantelrand  und  um  die  Schläuche  der  Verdauungsdrüse. 

Limnaeus  und  Planorbis  sollen  sehr  verschieden  sein  in  Hinsicht  auf  das 
System  ihrer  Plasmazellen  und  ihren  Kohlehydratgehalt  .  .  .  Der  gewöhnliche 
Typus  ihrer  Plasmazellen  ist  ein  dickwandiges  Bläschen,  rund  oder  oval,  welches 
eine  Substanz  enthält,  die  sich  mit  Jod  nicht  färbt,  sondern  mattweiß  bleibt 
und  kaum  mit  Karmin  sich  färbt.  An  andrer  Stelle  (S.  16)  rechnet  er  auch  Pa- 
ludina  hierher.  Diese  Zellen  sind  stets  isolierte  Elemente  und  bilden  kein  Paren- 
chym  oder  Gewebe.  Mit  ihnen  finden  sich  auch  gewöhnliche  Glykogenzellen 
und  solche  mit   »Kalkbläschen«. 

Offenbar  hat  hier  Creightox  auch  Kalkzellen  und  Glykogenzellen  nicht 
scharf  auseinander  gehalten. 

Cuenoti  beschäftigt  sich  nunmehr  eingehender  mit  den  LsYDiGschen  Zellen, 
deren  Vorkommen  er  bei  allen  Gruppen  der  Mollusken  untersucht.  Er  wider- 
ruft seine  Angabe  einer  phagocytären  Tätigkeit  dieser  Zellen  und  betont  ganz 
einseitig  ihre  excretorische  Bedeutung  für  den  Stoffwechsel.  Bei  den  Opistho- 
branchiern  beschreibt  er  sie  als  große  oder  unregelmäßige  Zellen,  welche  in 
enormer  Anzahl  im  Bindegewebe  verstreut,  isoliert  sind  oder  aneinander  schließend 
mehr  oder  minder  mächtige  Massen  bilden.  Man  findet  sie  fast  überall,  zwischen 
den  Eingeweiden,  in  den  Mesenterien,  in  der  Haut.  Sie  schließen  braune  oder 
schwärzliche  Körnchen  und  Vacuolen  in  wechselnder  Zahl  ein.  Nach  Injektionen 
von  Karmin  oder  Lackmus  findet  man  diese  Substanzen  ausschließlich  in  diesen 
Zellen,  entweder  an  die  Granula  gebunden  oder  in  den  Vacuolen  aufgelöst. 

CuENOT  macht  auch  auf  den  außerordentlichen  Reichtum  des  Bindegewebes 
an  Kalkkarbonat  bei  den  Wasserpulmonaten  aufmerksam,  hält  aber  die  großen, 
stark  lichtbrechenden  Kalkconcretionen  meistenteils  für  »un  depot  inutilisable «. 

MojfTi  RiNA^  erwähnt  einen  Strang  von  enorm  großen,  blasenförmigen 
Bindegewebszellen,  mit  dicker  Membran,  die  sich  mit  Osmiumsäure  nicht  schwärzen, 
welcher  die  Speicheldrüse  mit  dem  Magen  verbindet.  Etwas  eingehender  beschreibt 
sie  die  LEYDiGschen  Zellen  später  3;  sie  enthalten  manchmal  stark  lichtbrechende, 
ölartige  Kugeln.  Der  Kern  ist  selten  in  der  Mitte  gelegen,  meist  an  der  Peri- 
pherie in  einer  Protoplasmaanhäufung,  welche  in  den  offenbar  flüssigen  Inhalt 
vorspringt. 

Nach  SiMKOTH*  haben  die  LEYDiGschen  Zellen,  LANGEEschen  Blasen,  die 


1  L'excretion  chez  les  mollusques.     Arch.  de  Biol.     T.  XVI.  1899. 

2  1.    C. 

^  Sulla  fina  struttura  dello  stomaco  dei  Gasteropodi  terrestri.  Rendiconti 
Ist.  Lomb.  Sc.  miano  (2).  Vol.  XXXII.   1899.  p.  1086. 

*  Mollusca  (Weichtiere)  in  Bronns  Klassen  und  Ordnungen.  Bd.  III.  Leipzig 
1899.    S.  229. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       41 

er  als  Bindegewebszellen  mit  mehr  oder  weniger  derber  Membran  und  wenig 
Protoplasma  um  den  Kern  bezeichnet,  Ähnlichkeit  mit  den  Chordazellen  oder 
auch  mit  denen  der  Pflanzen.  »Sie  bilden  ein  weit  verbreitetes  Füllmaterial 
im  Mantel,  Fuß,  um  die  Gefäße  usw«. 

Xach  PekelharixgI  besteht  das  Bindegewebe  der  Auster  fast  ganz  aus 
benachbarten  Gruppen  blasiger  Zellen  von  30 — 50  u  Durchmesser,  mit  rundem, 
vorwiegend  an  der  Zollwand  gelegenem  Kern.  Diese  großen  Blasenzellen  gehen 
aus  kleinen,  körnigen  Vorstufen  hervor  und  enthalten  neben  Fetttröpfchen  ver- 
schiedener Größe,  meist  am  Rande  auch  Glykogen  in  so  reichlicher  Menge,  daß 
Pekelharing  den  Namen  »Glykogenzellen«  für  diese  blasigen  Gebilde 
vorschlägt.  An  andrer  Stelle ^  bildet  er  isolierte  solche  Zellen  von  einer  jungen 
Auster  ab. 

Die  letzte  Arbeit,  die  sich  mit  dem  Bindegewebe  der  Gastropoden  beschäftigt, 
die  von  Enriques  3,  enthält  nichts  über  die  zellig-blasige  Stützsubstanz.  Das 
Bindegewebe  von  Paludina  soll  durch  die  Anwesenheit  zahlreicher  Leucoyten, 
von  denen  viele  Pigment  enthalten,  ausgezeichnet  sein.  Außerhalb  der  Leuco- 
cyten  soll  sich  keine  Spur  von  Pigment  im  Bindegewebe  finden;  eine  Angabe, 
die  ich  nicht  bestätigen  kann.  1^ 

Nach  der  Schilderung  und  Auffassung  einiger  Autoren  soll  sich 
ein  ähnliches,  zellig-blasiges  Stützgewebe,  b,  auch  bei  De- 
capoden  (Flußkrebs)  finden.  Wenn  ich  dieses  Gewebe  ebenfalls  hier 
bespreche,  so  geschieht  es  unter  der  ausdrücklichen  Betonung,  daß 
es  mir  nicht  gelungen  ist,  seinen  Aufbau  aus  isolierbaren  Blasen  nach- 
zuweisen. Dies  kann  aber  seinen  Grund  in  der  überaus  großen  Zart- 
heit der  Blasen  Wandungen  haben;  vielleicht  auch  in  dem  ganz  be- 
sonderen Verhältnis,  daß  dieses  Stützgewebe  meistens  durch  den  starren, 
verkalkten  Panzer,  wenn  auch  nicht  ganz  außer  Funktion  gesetzt, 
so  doch  mechanisch  entlastet  wird,  während  es  zur  Zeit  der  Häutung 
von  wesentlicher  Bedeutung  sein  muß.  Es  ist  daher  nicht  ausgeschlossen, 
daß  es  sich  hier  in  der  Tat  um  einheitliche  Scheidewände  zwischen  den 
Blasen  handelt,  wodurch  die  Stützfestigkeit  des  Gewebes  zweifellos 
erhöht  würde.  Dies  müßte  angenommen  werden,  wenn  die  Isolation 
der  Blasen  in  keiner  Weise  gelänge.  Dann  wäre  das  Gewebe  als  eine 
sehr  primitive  Form  des  blasigen  Stützgewebes  von  chondroidem 
Typus  zu  betrachten. 

Es  ist  aber  sicher  ein  echtes  Turgorgewebe,  dessen  zarten  Wan- 
dungen eine  stützende  Funktion  sicher  nur  durch  den  intracellulären 


1  Le  tissu   conjonctif   chez   I'huitre.     Petrus  Camper.    I.  T.    2.  L.  1901. 
S.  228—237. 

2  Voordrachten  over  Weefselleer.    Haarlem  1905.  Fig.  49. 

3  Studi  sui  leucociti  ed  il  connettivo  dei  Gasteropodi.    Arch.  ital.  Anat. 
Embr.    Vol.  IV.  1905.  p.  153. 


42  Josef  Schaffe!', 

Druck  zukommen  kann.  Deshalb  und  weil  es  m  seiner  ganzen  An- 
ordnung mehr  dem  blasigen  Stützgewebe  bei  den  Schnecken  vergleich- 
bar ist,  soll  es  hier  besprochen  werden. 

LeydiqI  erwähnt  in  der  weichen  Haut  unter  dem  Panzer  des  Fhißki'ebses 
ein  großes  Maschengewebe,  »dessen  Gerüst  in  den  Knotenpunkten  schöne  große 
Kerne  besitzt  und  in  den  Hohlräumen  eine  Gallerte  einschließt«.  Die  »Gallert- 
räume« sind  0,024 — 0,04'"  (52 — 87  a)  groß.  Dasselbe  Gewebe  findet  sich  auch 
um  die  Nerven  und  sonst  als  interstitielles  Gew-ebe. 

Leydig  hat  dieses  Gewebe  irrtümlich  zum  Gallertgewebe  gerechnet,  indem 
er  den  Inhalt  blasiger  Zellen  für  Intercellulärsubstanz,  die  optischen  Durch- 
schnitte der  aneinander  stoßenden  Zellmembranen  für  ästige  Zellkörper  hielt. 
Dieselbe  Auffassung  hatte  Leydig  zunächst  auch  vom  Gewebe  des  Tunicaten- 
mantels  und  dem  Bindegewebe  bei  Mollusken,  z.  B.  Anodonta  (vgl.  Fig.  55  in 
seinem  Lehrbuch  der  Histologie).  Doch  kamen  ihm  selbst  frühzeitig  Zweifel 
an  der  Richtigkeit  dieser  Annahme-,  und  \\\e  wir  im  vorigen  Kapitel  gesehen 
haben,  hat  Leydig  diese  Gewebe  später  ganz  richtig  der  zellig-blasigen  Binde- 
substanz zugerechnet. 

Auch  Haeckel^  hatte  die  erste  Darstellung  Leydigs  bezweifelt  und  die 
Frage  aufgeworfen,  ob  es  sich  beim  Krebse  nicht  um  ein  »Zellgewebe«  handle, 
d.  h.  ob  das  Gewebe  nicht  aus  geschlossenen  Blasen  bestünde.  Diese  Vermutung 
wurde  durch  eine  eingehende  Untersuchung  des  Gewebes  bestätigt.  Haeckel 
bezeichnet  dieses  Gewebe  als  »Zellgewebe«  und  findet  es  in  unverkennbarer  Be- 
ziehung zu  den  Blutgefäßen,  sowie  dort,  » wo  ein  besonders  lebhafter  Stoffwechsel 
stattfindet,  namentlich  rings  um  den  ganzen  Darmkanal,  unter  der  dünnen  Cutis- 
schicht  usw.  angehäuft«.  Er  möchte  daher  diesem  Gewebe  eine  viel  höhere,  als 
eine  rein  physikalische,  namentlich  chemische  Bedeutung  zusprechen,  da  es 
nirgends  »als  Konstituens  physikalischer  Apparate  auftritt «. 

Diese  Darstellung  Haeckels,  sowie  die  histologische  Beschreibung  charak- 
terisieren das  Gewebe  auf  das  beste  als  diffuses  chordoides  Stützgewebe.  Seine 
Anordnung  um  lebenswichtige  Organe  (Nervensystem,  Darm,  Blutgefäße)  ge- 
währt diesen  Schutz  und  Stütze;  diese  Funktion  muß  besonders  an  der  ober- 
flächlichen Lage  dieses  Gewebes  unter  dem  Panzer  zur  Zeit  der  Häutung  hervor- 
treten. Diese  ausgesprochen  physikalische  Funktion  schließt  natürlich  eine 
besondere  Bedeutung  dieses  Gewebes  für  den  Stoffwechsel  nicht  aus,  wie  wir  ja 
auch  die  blasigen  Stützzellen  bei  den  Mollusken  zeitweilig  mit  wichtigen  Stoff- 
wechselprodukten (Glykogen,  Kalk)  erfüllt  sehen. 

Nach  Haeckel  sind  die  Zellen  durch  besondere  Größe  ausgezeichnet,  indem 
sie  Durchmesser  von  40 — 80  //  erreichen.  Ihre  Form  ist  im  allgemeinen  kugelig 
oder  rundlich.  Das  Gewebe  gleicht  manchen  Pflanzengeweben  oder  der  Chorda 
mancher  Fische.  Die  Zellmembran  ist  vollkommen  homogen  und  durchsichtig, 
schwach  glänzend,   und  zwar  meist  sehr  dünn,   aber  doch   sehr  fest,   zähe   und 


1  Zum  feineren  Bau  der  Arthropoden.     Müllers  Arch.  1855.  S.  378  u.  f., 
S.  389.     Lehrbuch  1857.  S.  24,  S.  114. 

2  Lehrbuch  d.  Histologie.     S.  25. 

3  De  telis  quibusdam  astaci  fluviatilis.     Diss.  inaug.  Berol.  —  Über  die 
Gewebe  des  Flußkrebses.     Müllers  Arch.  1857.  S.  469. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       43 

elastisch.  Der  reicliliclie  Inhalt,  bald  mehr  dünnflüssig,  bald  mehr  gallertig,  ist 
auch  vollkommen  durchsichtig  und  enthält  außer  dem  Kern  keine  geformten  Be- 
standteile. 

»Nur  selten  umgibt  ein  kleiner  Haufen  zarter,  körniger  Substanz  .  .  .  den 
Kern  wie  ein  Wölkchen. «  Häufig  aber  enthält  die  Zelle,  besonders  bei  jungen 
Tieren  einen  Fetttropfen,  der  bald  sehr  klein,  bald  so  groß  sein  kann,  daß  er  die 
ganze  Zelle  ausfüllt.  Der  Kern  ist  immer  genau  wandständig.  »Glyzerin  und 
Chromsäure  entziehen  den  Zellen  das  Wasser  sehr  heftig  und  »bewirken  ein 
rasches  Zusammenfallen,  so  daß  der  Kern  allein  in  der  entleerten  Zelle  zurück 
bleibt,  deren  kollabierte  Membran  in  viele  Falten  und  Runzeln  sich  legt.  Mit 
Hilfe  der  Chromsäure  gelingt  es  überdies  die  einzelnen  Zellen  zu  isolieren,  was 
im  frischen   Gewebe  fast  nicht  möglich  ist«. 

Henlei  stellte  diese  Zellen  zum  Knorpelgewebe;  »insbesondere  bestimmt 
mich  dazu  ihre  Ähnlichkeit  mit  dem  Gewebe  der  Chorda  dorsalis«. 

Braun 2  bildet  in  Fig.  1  und  34  das  »großzellige  Bindegewebe«,  allerdings 
schematisch,  ab,  als  aus  großen,  isolierten  Blasen  bestehend,  ohne  sich  näher 
über  dessen  feineren  Bau  auszulassen.  Ähnlich  später  Vitzou^,  der  zuerst  auf 
den  großen  Glj^kogengehalt  dieser  Zellblasen  zur  Zeit  der  Häutung  aufmerksam 
gemacht  hat. 

Krieger*  hat  die  Bedeutung  des  Gewebes  als  Stütz-  und  Hüllgewebe  her- 
vorgehoben. Es  dient  zur  Fixierung  des  Nervensystems  innerhalb  der  Leibes - 
höhle,  wie  es  auch  alle  andern  Organe  innerhalb  der  letzteren  umkleidet 5.  Be- 
sonders reiciilich  ist  es  am  Gehirn  und  am  unteren  Schlundganglion  ausgebildet. 
Dies  ist  deshalb  von  besonderem  Interesse,  weil  wir  etwas  ähnliches  bei  Petro- 
myzonten  finden  werden. 

Nach  Kirch  6  ist  die  Bindesubstanz  bei  den  Krebsen  am  weitesten  in  Form 
von  großen  hyalinen  Zellen  verbreitet.  Diese  besitzen  einen  meist  exzentrisch 
gelegenen  Korn  und  spärliches  Protoplasma,  das  teils  um  den  Kern  gelagert  ist, 
teils  in  feinen  Bälkchen  den  Zellleib  unregelmäßig  durchzieht.  Die  Zellen  er- 
scheinen auf  den  ersten  Blick  lückenhaft;  durch  Jodfärbung  kann  man  sich  jedoch 
überzeugen,  daß  die  scheinbaren  Lücken  mit  einer  homogenen  Masse  erfüllt  sind, 
die  sich  vorzugsweise  als  Träger  des  Glykogens  erweist.  Das  sind  den  Leydig- 
schen  Bindesubstanzzellen,  den  Plasmazellen  Brooks,  wie  sie  bei  den  Mollusken 
gefunden  werden,  entsprechende  Zellen.  Sie  finden  sich  hauptsächlich  unter 
dem  Panzer,  in  der  Darmwand  und  als  Füllung  zwischen  den  Muskeln. 

Zur  Zeit  der  Häutung  bildet  diese  großzellige  Bindesubstanz  ein  wahres 
Glykogenreservoir. 


1  Jahresbericht  für  1857.    S.  87. 

2  Über  die  histologischen  Vorgänge  bei  der  Häutung  von  Astacus  fluviatilis. 
Arbeiten  zool.  zootom.  Inst.  Würzburg.    Bd.  II.  1 875. 

3  Recherches  sur  la  structure  et  la  formation  du  teguments  chez  les  Crusta- 
cees  decapodes.     Paris  1882. 

*  Über  das  Centralnervensystem  d.  Flußkrebses.  Diese Zeitschr.  Bd.  XXXIII. 
1888.  S.  542. 

5  Dieser  Darstellung  hat  sich  Gerstaecker  (Bronns  Kl.  u.  Ordn.  Bd.  V. 
Abt.  2.  1901.  S.  918)  angeschlossen. 

^  Das  Glykogen  in  den  Geweben  des  Flußkrebses.     Diss.  Bonn  1886. 


44  Josef  Schaffer, 

HalpebnI  bildet  in  Fig.  11  einen  Durchschnitt  durch  das  großblasige  Stütz- 
gewebe ab,  nach  dem  man  den  Eindruck  bekommt,  daß  es  sich  um  eine  Art  ge- 
kammerter  Blasenzellen  handelt,  mit  sehr  dünnen,  aneinander  liegenden  Mem- 
branen. 

Ich  habe  dieses  Gewebe  beim  Flußkrebs  unter  dem  Hautpauzer, 
um  die  Nervenstränge  und  Ganglien,  wo  es  sich  in  größerer  Menge 
rein  gewinnen  läßt,  und  bei  einem  in  Häutung  befindlichen  Hummer  ^ 
untersucht.  Es  bietet  in  der  Tat  einen  sehr  chordaähnlichen  Anblick 
(Fig.  7),  indem  auffallend  große  Blasen  unmittelbar  aneinander  gedrängt 
erscheinen  und  so  nur  durch  äußerst  dünne  Scheidewände  getrennt 
werden. 

Die  im  frischen  Zustande  prall  gefüllten  Blasen  sind  ungemein 
empfindlich;  selbst  nach  Härtung  in  Formalin  bringt  sie  die  Behand- 
lung mit  einer  stärkeren  Alaunlösung  (Färbung  mit  Hämalaun)  so 
zm-  Schrumpfung,  daß  man  nur  ein  zerknittertes  Häutchenwerk  vor 
sich  hat,  in  welchem  man  unmöglich  Zellgrenzen  von  Falten  unter- 
scheiden kann.  Die  Blasen  erreichen,  im  gehärteten  Zustande,  Durch- 
messer von  50 — 65  fi  und  besitzen  so  dünne  Wandungen,  daß  diese  im 
.ungefärbten  Zustande  von  der  Fläche  gesehen  kaum  wahrzunehmen 
sind.  Zerzupft  man  aber  ein  vorher  mit  Hämalaun  durchgefärbtes 
Stückchen  dieses  Gewebes  oder  untersucht  man  es  an  dünnen  gefärbten 
Durchschnitten,  so  treten  die  Wandungen  scharf  und  dunkel  gefärbt 
als  ringsum  geschlossene  Linien  hervor. 

Von  der  Fläche  betrachtet,  zeigt  eine  solche  gefärbte  Blasenwand 
ein  unregelmäßig  grobnetziges  oder  w^abiges  Aussehen  (Fig.  7,  M);  im 
optischen  oder  wirklichen  Durchschnitt  erscheint  die  Scheidewand 
zwischen  zwei  benachbarten  Blasen  wie  einheitlich ;  es  gelingt  nie,  mit 
Sicherheit  einen  trennenden  Spalt  oder  eine  Mittellamelle  wahrzu- 
nehmen. Wohl  aber  machen  die  Scheidewände  am  senkrechten  Durch- 
schnitt den  Eindruck,  als  wären  sie  stellenweise  von  ungleich  großen 
Poren  durchsetzt;  dann  erscheinen  sie  wieder  beiderseits  mit  feinsten 
Spitzen  oder  Höckerchen  besetzt,  durchaus  nicht  glatt,  wie  man  es 
etwa  an  Durchschnitten  durch  die  Chordagallerte  zu  sehen  gewohnt  ist. 
Was  sich  mit  Hämalaun  dunkel  färbt,  sind  nämlich  nicht  die  Mem- 
branen, sondern  ein   feiner  netzförmiger  Protoplasmabelag  an  ihnen. 


1  Das  Hüll-  und  Stützgewebe  des  Bauchmarks  bei  Astacus  fluviatilis. 
Arbeiten  zool.  Inst.  Univ.  Wien.    T.  XIV.  1903.  S.  423. 

2  Für  dieses  letztere,  in  Formalin  konservierte  Material,  bin  ich  dem  Vor- 
stande der  biologischen  Versuchsanstalt  im  Prater,  Herrn  Dozenten  Dr.  Hans 
Przibram  zu  Dank  verpflichtet. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Ent\AickI.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       45 

Um  den  auffallend  großen  (16 — 22  tt),  runden  oder  ovalen,  stets 
wandständigen  Kern  ist  dieses  Protoplasma  reichlicher  angehäuft. 
Einzelne  zarte  Protoplasmafäden  scheinen  auch  das  Innere  der  Blasen 
zu  durchspannen.  Im  übrigen  findet  man  im  Innern  der  Zellblasen 
große  und  kleine  stark  glänzende  Tropfen  einer  homogenen  Substanz, 
die  sich  an  Formalinmaterial  stark  mit  Hämalaun  färben,  bei  Nach- 
färbung mit  Eosin  sich  aber  oxyphil  erweisen. 

Bei  dem  in  Häutung  begriffenen  Hummer  war  an  ihrer  Stelle  in 
jeder  Blase  ein  ovaler  bis  runder,  ziemlich  stark  glänzender,  fast  homo- 
gener Körper  vorhanden,  der  weder  doppeltbrechend  erschien,  noch 
sich  besonders  stark  mit  Jodjodkalium  färbte;  bei  der  Färbung  nach 
Mallory  nehmen  diese  Körper  eine  lebhafte  Orangefärbung  an.  Offen- 
bar handelt  es  sich  um  eine  Trägersubstanz  von  Glykogen;  ob  sie  aber 
nicht  auch  gelegentlich  leicht  lösliche  Kalkverbindungen  enthalten 
kann,  war  an  meinem  in  Formalin  gelegenen  Material  nicht  zu  ent- 
scheiden. Die  Analogie  mit  den  Verhältnissen  bei  Mollusken  läßt  dies 
nicht  unmöglich  erscheinen,  doch  könnten  darüber  nur  Untersuchungen 
an  frischem  Material  Aufschluß  geben.  Für  die  Verkalkung  des  weichen 
Panzers  könnte  ein  solcher  Kalkgehalt  von  Bedeutung  sein. 

Wenn  nun  auch  dieses  Gewebe  dort,  wo  es  reichlicher  angesammelt 
ist,  durch  den  unmittelbaren  Aneinanderschluß  seiner  großen  Blasen 
geeignet  ist,  den  Eindruck  eines  kompakten  chordoiden  Stützgewebes 
zu  machen,  so  verlieren  sich  die  Blasen  doch  auch  ohne  festere  Begren- 
zung zwischen  den  Muskeln,  finden  sich  auch  sonst  durch  den  ganzen 
Körper  verstreut,  so  daß  das  Gewebe  vollkommen  dem  oben  entwickelten 
Begriffe  des  diffusen,   chordoiden  Stützgewebes  entspricht. 

Ein  sehr  ähnliches  Gewebe,  wie  bei  Decapoden,  findet  sich  nach 
der  Schilderung  von  v.  Mack^  auch  um  das  Nervensystem  von  Sipun- 
culus  nudus  und  wahrscheinlich  noch  bei  andern  Wirbellosen  an  ver- 
schiedenen Stellen. 

V.  Mack  bezeichnet  das  Gewebe,  welches  den  Bauchstrang  von 
Sipunculus  umhüllt  »wie  so  manches  großzellige  oder  vesiculäre  Ge- 
webe im  Tierreich  (Tentakelachse  mancher  Cölenteraten,  Tentakel- 
stützen der  Spirographis,  Kiemenstützen  der  Sahella,  Chorda  der 
Vertebraten  usf.)  und  auch  im  Pflanzenreich«,  als  ein  Turgorgewebe, 
ein  Stützgewebe  /.az  iioyj^v.     Denn   auf   dem  Turgor  der  Hohlräume 


1  Das  Centralnervensystem  von  Sipunculus  nudus  L.  (Bauchstrang).  Mit 
besonderer  Berücksichtigung  des  Stützgewebes.  Arbeiten  zool.  Inst.  Univ.  Wien. 
Bd.  XIII.  1900/02.  S.  237. 


46  Josef  Schaffer, 

(Zellvaciiolen)  beruht  in  erster  Linie  die  Kigidität,  die  Widerstands- 
kraft dieser  Stützgewebe  gegen  Biegung  und  Druck«. 

Eine  Zerlegung  dieses  Gewebes  in  seine  Elemente  (durch  Mace- 
ration  mit  Müllers  Flüssigkeit  oder  Salpetersäure)  gelang  auch  v.  Mack 
nicht  oder  nur  sehr  unvollkommen.  Er  bezeichnet  das  Gewebe,  von 
dem  er  eine  sehr  eingehende  Schilderung  gibt,  auch  als  zelliges  Gallert- 
gewebe und  sagt,  daß  ihm  unbestreitbar  eine  große  Ähnlichkeit  mit 
einem  Knorpel  zugestanden  werden  muß  (auch  TeuscherI  hat  es  als 
»Knorpelgewebe  (?) «  bezeichnet),  und  zwar  ist  es  die  Abart  oder  die 
Vorstufe  eines  Knorpels,  wie  er  bei  Ammocoetes  als  Füllgewebe  zwischen 
Rückenmark  und  Chorda ^  zuerst  von  Renaut,  später  im  Skelet  von 
Myxme  und  Petromyzon  (Kiemenbogen)  als  Schleimknorpel  beschrieben 
wurde,   an  den  diese  Bindesubstanz   erinnert«. 

So  wenig  zutreffend  dieser  Vergleich  in  Hinsicht  auf  den  Schleim- 
knorpel auch  ist,  so  hat  v.  Mack  doch  schon  die  Verwandtschaft  dieses 
Gewebes  mit  dem  blasigen  Stützgewebe  und  seine  Vergleichbarkeit 
mit  Knorpelgewebe  in  funktioneller  Beziehung  erkannt ;  eine  ■  richtige 
Vorstellung  vom  prinzipiellen  Unterschiede  dieser  beiden  Stützgewebe 
hat  er  jedoch  nicht  besessen,  wie  aus  der  Bemerkung  hervorgeht,  daß 
in  diesem  Gewebe  die  »Grundsubstanz«  auf  ein  schwaches  Fachwerk 
zwischen  den  Zellen  reduziert  ist. 

c.  Das  blasige  Gewebe  des  Tunicatenmantels.  —  Dieses 
Gewebe,  welches  anscheinend  vom  diffusen  chordoiden  Stützgewebe 
ganz  verschieden  ist,  muß  hier  berücksichtigt  werden,  da  es 
wiederholt  mit  dem  Gewebe  der  Chorda  und  ähnlichen  Textiu-en 
verglichen  worden  ist.  Denkt  man  sich  übrigens  im  Mantel  einer 
Schnecke  das  gesamte  Zwischengewebe  zwischen  den  blasigen  Stütz- 
zellen zu  einer  homogenen,  von  Gefäßkanälen  durchzogenen  Masse 
erstarrt,  dann  hat  man  vom  rein  morphologischen  Standpunkt  aus 
eine  Vorstellung  vom  blasigen  Gewebe  des  Tunicatenmantels.  Der 
prinzipielle  Unterschied  liegt  aber  darin,  daß  jener  im  wesentlichen 
eine  Oberhautbildung  darstellt,  bei  welcher  die  Blasen  offenbar  nichts 
andres  bezwecken,  als  Ersparung  an  Material  und  Verminderung  des 
specifischen  Gewichtes,  ohne  Verminderung  der  Stütz-  oder  Druck- 
festigkeit des,  einem  äußeren  Skelet  vergleichbaren  Mantels. 

Bekanntlich  besitzt  der  Mantel  bei  gewissen  Tunicaten  eine  knor- 
pelige Konsistenz  —  »sac  cartilagineux  externe  (Savigny),  enveloppe 

1  Jenaische  Zeitschr.  f.  Naturw.    Bd.  VIII.  1878. 

2  Es  befindet  sich  dorsal  von  der  Chorda;  siehe  Abschn.  d. 


über  den  feineren  Ban  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.        47 

cartilagineuse  (Löwig  et  Kölliker^)  —  und  enthält  große  blasen- 
förmige  Räume,  welche  oft  so  dicht  gedrängt  sind,  daß  sie  nur  eine 
verhältnismäßig   spärliche   Zwischensubstanz   übrig  lassen   (Fig.  8). 

Dieses  Aussehen  hat  schon  Leydig^  veranlaßt,  die  Zurechnung 
dieses  Gewebes  zum  Knorpelgewebe  für  nicht  ungerechtfertigt  zu 
erklären.  Schon  lange  vorher  hat  R.  Wagner,  der  diese  blasigen 
Elemente  des  Ascidienmantels  zuerst  gesehen  hat,  sie  als  Knorpel- 
zellen gedeutet.  Desgleichen  haben  später  Löwig  und  Kölliker 
einerseits  auf  die  Ähnlichkeit  dieser  Elemente  mit  Chordazellen  hin- 
gewiesen (S.  200),  anderseits  die  auffallende  Ähnlichkeit  der  Zell- 
nester im  Mantel  von  Cijnthia  mit  knorpelähnlichen  Elementen  hervor- 
gehoben; allerdings  betonen  die  Verfasser,  daß  diese  Ähnlichkeit  nur 
eine  äußerliche,  auf  der  abgerundeten  Form  und  endogenen  Vermeh- 
rungsweise der  Zellen  beruhende  sei. 

F.  E.  Schulze  3,  welcher  die  wandständigen  Kerne  der  Blasen- 
zellen nachgewiesen  hat,  betonte  die  Ähnlichkeit  dieser  großen,  hohlen 
Elemente  mit  den  Zellen  der  Chorda  dorsalis;  diese  letztere  hielt  er 
aber  damals  entschieden  für  ein  knorpelartiges  Gebilde,  wie  daraus 
hervorgeht,  daß  er  die  homogene  hyaline  Cellulosemasse  zwischen  den 
Zellblasen  als  ein  Produkt  dieser  letzteren  betrachtet.  »Durch  all- 
mähliche Umwandlung  der  äußeren  Protoplasmarinde  der  ursprünglich 
wandungslos  zu  denkenden  embryonalen  Zellen  in  homogene  hyaline 
Cellulosemasse  und  ein  Verschmelzen  dieser  so  gebildeten  Rinden 
miteinander  entsteht  ein  der  Chorda  dorsalis  ähnliches  Gewebe. « 

Auch  BoLL*  hat  dieses  Gewebe  für  dasselbe  gehalten,  wie  es  im 
» Zungenknorpel <(  mancher  Mollusken,  z.  B.  von  Pterotrachea  vor- 
kommt. 

In  der  Tat  scheint  dieses  Gewebe  auf  den  ersten  Blick  viel  eher 
chondroiden  Charakter  (siehe  Abschnitt  4)  zu  besitzen,  wenngleich  die 
Zellen  als  Blasen  mit  wandständigen  Kernen  dem  chordoiden  ent- 
sprechen. Aber  die  Grundsubstanz  zwischen  diesen  Zellen  (Fig.  8  G) 
ist  eine  einheitliche  Masse  und  bedingt  offenbar  die  knorpelartige 
Festigkeit  des  ganzen  Gewebes.     Man  wird  um  so  mehr  geneigt  sein 


1  De   la   composition    et   de   la   structure    des    enveloppes    des    Tuniciers. 
Ann.  sc.  nat.  (3)    T.  V.  1846.  p.  193—239. 

2  Lehrbuch    der    Histologie.    1857.    S.  34    und    Vom    Bau    des    tierischen 
Körpers.    Tübingen  1864. 

3  Über  die  Struktur  des  Tunicatenmantels  und  sein  Verhalten  im  polari- 
sierten Lichte.     Diese  Zeitschr.  Bd.  XII.  1863.  S.  175. 

*  Arch.  mikr,  Anat.     Supplement.    1869. 


48  Josef  Schaffe!', 

das  Gewebe  zum  chondroiden  zu  rechnen,  wenn  man  erfährt,  daß  diese 
Grundsubstanz  neben  der  Cellulose  auch   Chondrin   enthalten  soll. 

Diesen  Nachweis  wollten  nämlich  HilgerI  und  Schäfer  ^  erbracht 
haben;  ihre  Angaben  scheinen  jedoch  keine  Bestätigung  gefunden  zu 
haben,  indem  Schmiedeberg  ^  bei  Brachiopoden,  bei  denen  Hilger 
ebenfalls  Chondrin  gefunden  zu  haben  glaubte,  nachwies,  daß  es  sich 
um  Chitin  handle  und  v.  FtJRTH'*^  nach  Besprechung  der  Untersuchungen 
von  Schäfer  sagt:  »So  interessant  und  ansprechend  bei  den  Tunicaten 
der  Nachweis  eines  Analogon  des  Wirbeltierknorpels  wäre,  so  wenig 
genügen  die  vorliegenden  Daten,  um  einen  solchen  Schluß  zu  recht- 
fertigen. « 

Der  Tunicatenmantel  besteht,  wie  wir  heute  wissen,  aus  einem 
der  Cellulose  verwandtem  Körper,  dem  Tunicin,  über  dessen  chemisches 
Verhalten  man  A.  Reichard  ^  vergleiche. 

Hier  sei  bemerkt,  daß  auch  eine  oberflächliche  histologische  Unter- 
suchung des  Gewebes  eine  gewisse  Knorpelähnlichkeit  vortäuschen 
kann.  So  färben  sich  z.  B.  Schnitte  durch  den  Mantel  von  Phallusia 
mcwimillata  nicht  nur  mit  Delafields  Gemisch,  sondern  in  stark 
verdünnten  wässerigen  Lösungen  von  Safranin  oder  Thionin  ebenso 
metachromatisch,  wie  echtes  Knorpelgewebe.  Dieses  Verhalten  ist 
von  Interesse,  da  man  bisher  diese  Färbung  als  charakteristisch  für  das 
Knorpelgewebe  betrachtet  hat.  Doch  sei  hier  daran  erinnert,  daß  eine 
Reihe  andrer  Stoffe,  z.  B.  Schleim,  Amyloid,  kalkhaltige  Substanzen, 
sich  ebenfalls  metachromatisch  färben.  Weiter  kann  man  in  der  hya- 
linen Grundsubstanz  zwischen  den  großen  Zellblasen,  ganz  ähnlich, 
wie  unter  Umständen  in  der  Knorpelgrundsubstanz,  Pseudofasern 
sehen,  besonders  an  Schnitten  aus  absolutem  Alkohol.  Diese  Fasern 
können  ganz,  wie  im  Hyalinknorpel,  von  verschiedener  Dicke,  auch 
verästelt  sein,  sich  stärker  färben  als  die  Grundsubstanz,  und  besonders 
wenn  sie  sehr  dünn  sind  und  scharf  hervortreten,  berechtigte  Zweifel 
über  ihre  Natur  hervorrufen.     Wie  im  Knorpel  sind  sie  meist  inter- 


1  Über  die   chemische   Zusammensetzung  der   Schalen   und   einige  Weich- 
teile  lebender   Brachiopoden.     Journ.  prakt.  Chemie.    Bd.  CIL   1867.  S.  418. 

2  Über  das  Vorkommen  chondrigener  Substanz  in  den  Tunicaten.    Ann. 
aiemie  u.  Pharm.    Bd.  CLX.  1871.  S.  330. 

3  Über   die   chemische   Zusammensetzung   der   Wohnröhren   von    Omiphis 
tubicola.     Mitt.   zool.   Stat.   Neapel.    Bd.  III.  1882.  S.  391. 

4  Vergleichende  ehem.  Physiologie  der  nied.  Tiere.    Jena,  G.  Fischek,  1903. 
S.  470. 

•''   Über  Cuticular-  und    Gerüstsubstanzen  bei  wirbellosen  Tieren.     (Heidel- 
berg.)      Ohne  Jahreszahl  und  Erscheinungsort. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  111.       49 

cellular  ausgespannt  und  hören  an  den  Rändern  der  Zelllücken  wie 
abgeschnitten  auf.  Wie  im  Knorpel  verschwinden  sie  aber  auch,  wenn 
man  den  Schnitt  in  Wasser  überträgt,  der  beste  Beweis  für  ihre  Be- 
deutung als  Stauchungslinien  (Fig.  8  /).  Weiter  finden  sich  zwischen 
den  großen  Zellblasen  kleine,  kernhaltige  Protoplasmakörper  (Z)  in 
der  Grundsubstanz,  ähnlich,  wie  sie  als  Reste  verkümmernder  Zellen 
in  massigen  Hyalinknorpeln  gesehen  werden.  Im  Tunicatenmantel 
dürften  sie  wohl  die  Bedeutung  nicht  blasig  gewordener  Mesoderm- 
zellen  besitzen.  Dieses  ganze  Verhalten  ist  in  der  Tat  recht  knorpel- 
ähnlich. Wendet  man  aber  empfindlichere,  d.  h.  mehr  specifische 
Färbungen  an,  so  versagen  diese  am  Gewebe  des  Tunicatenmantels 
vollkommen.  So  färbt  es  sich  nicht  in  gesättigter,  alkoholischer  Thionin- 
lösung,  in  saurer  Toluidinblaulösung  (H,  LundvallI)  imd  in  eben- 
solcher Methylenblaulösung  (F.  C.  Hansen  2). 

Wenn  somit  sowohl  die  macro-  wie  die  microchemische  Beschaffen- 
heit heute  keinen  Schluß  auf  einen  knorpeligen  Charakter  dieses  Gewebes 
zuläßt,  so  wird  die  richtige  Beurteilung  seiner  histologischen  Stellung 
erst  möglich,  wenn  man  seine  Entwicklung  in  Betracht  zieht. 

Schon  0.  Hektwig^  hat  entgegen  der  Deutung  F.  E.  Schulzes  den 
Nachweis  erbracht,  daß  die  Grundsubstanz  des  Cellulosemantels  eine 
Cuticularbildung  der  Epidermis  ist,  in  welche  erst  sekundär  Zellen 
einwandern;  diese  Zellen  hat  0.  Hertwig  allerdings  irrtümlich  für 
Epidermiszellen  gehalten.  Doch  hat  er  eine  zutreffende  Schilderung 
von  der  Entwicklung  der  Hohlzellen  gegeben  und  den  Vorgang  als 
»flüssige  Zellinfiltration«  bezeichnet.  Besonders  hervorgehoben  sei, 
daß  0.  Hertwig  bereits  als  Analoga  das  blasige  Bindegewebe  der 
Arthropoden  und  Mollusken,  die  Chordazellen  und  auch  die  Fettzellen 
der  Wirbeltiere  anführt;  »alle  diese  Zellen  sind  Gebilde,  die  wir  uns 
durch  Ansammlung  einer  flüssigen  Substanz  in  dem  Protoplasma  ein- 
facher Bindegewebszellen  entstanden  denken  müssen«. 

Gegen  diese  Deutung  des  Mantels  als  wirklicher  Bindesubstanz 
hat  sich  sehr  entschieden  C.  Sempera  gewendet.  Der  Ascidienmantel 
ist  nach  seiner  Meinung  einfach  als  eine  eigentümliche  Form  der  ge- 
schichteten Epidermis  zu  betrachten. 


1  Anat.  Anz.  Bd.  XXV.  1904.  S.  219. 

2  Anat.  Hefte  Bd.  XXVII.  1905.  S.  600. 

3  Untersuchungen  über  den  Bau  und  die  Entwickelung  des  Cellulosemantels 
der  Tunicaten.     Jen.  Zeitschr.  f.  Naturw.    Bd.  VII.  1873.  S.  59. 

*  Über  die  Entstehung  der  geschichteten  Celluloseepidermis  der  Ascidien. 
Arbeiten  zool.   zootom.   Inst.   Würzburg.    Bd.  II.    1875.    S  21. 

Zeitschrift  f.  wissen8:h.  Zoologie.    XOVII.  Bd.  4 


50  Josef  Schaffer, 

Vollkommen  klargestellt  ist  die  Entwicklung  des  Tunicatenniantels 
erst  durch  die  neueren  Untersuchungen  von  KowalevskyI,  Salensky  2, 
Seeliger 3  u.  a.  worden.  Nach  diesen  ist  die  cellulosehaltige  Grund- 
substanz als  ein,  von  den  Ectodermzellen  geliefertes  Fremdgewebe 
anzusehen,  in  welches  die  mesenchymatischen,  späteren  Blasenzellen 
erst  einwandern.  Seeliger  hat  die  Auswanderung  der  Mesoderm- 
zellen  am  Lebenden  beobachtet  und  die  Umbildung  zur  sogenannten 
Hohlzelle  beschrieben.  Das  Protoplasma  erscheint  zuletzt  auf  eine 
dünne  Rindenschicht  beschränkt,  die  nur  an  der  Stelle,  an  welcher 
der  Kern  liegt,  etwas  verdickt  ist,  so  daß  dieser  in  sie  eingebettet  ruht. 
Diese  Blasenzellen  entbehren  somit  allerdings  in  der  Regel  einer  resi- 
stenteren  Oberflächenmembran,  wie  schon  F.  E.  Schulze  gegen 
H.  Schacht*  gezeigt  hat.  Sie  dürften  daher  z.  B.  aus  denj  Mantel  von 
Phallusia  kaum  isolierbar  sein,  was  ich  wegen  Mangel  an  frischem 
Material  nicht  untersuchen  kann.  Doch  bin  ich  nicht  imstande,  an  den 
Schnitten  des  gut  fixierten  Mantels  dieses  Tieres  an  jeder  Zellblase 
eine  zusammenhängende  Protoplasmaumhüllung  überhaupt  nach- 
zuweisen, womit  ich  nur  eine  alte  Angabe  0.  Hertwigs  bestätige. 
Delage  und  Herouard^  lassen  die  Blasen  sogar  durch  eine  Degene- 
ration der  enthaltenen  Zellen  entstehen. 

Der  Mangel  einer  eignen  Membran  wird  aber  durch  den  beson- 
deren Charakter  des  Zwischengewebes,  welches  selbst  genügende  Festig- 
keit besitzt,  verständlich.  Es  liegt  hier  eine  ähnliche  Erscheinung 
vor,  wie  wir  sie  schon  beim  kompakten  chordoiden  Stützgewebe  der 
Chorda  kennen  gelernt  haben,  bei  der  auch  in  dem  Moment,  als  eine 
selbst  stützfähige  Umhüllung  zur  Entwicklung  gelangt  und  somit  die 
Zellblasen  funktionslos  werden,  die  Wände  dieser  letzteren  schwinden 
können.  Daß  unter  Umständen  der  blasige  Charakter  dieser  Zellen 
deutlich  hervortritt,  geht  aus  der  Angabe  Hertwigs  hervor,  daß  bei 
Phallusia  cristata  zwischen  Mantel  und  Muskelschlauch  in  einer  flüssigen 
Intercellularsubstanz  freischwimmende  Blasenzellen  »bestehend  aus 
einer  zarten  Membran  mit  Flüssigkeit  im  Innern,  einem  wandständigen 

1  Einige  Beiträge  zur  Bildung  des  Mantels  der  Ascidien.  Mem.  Acad. 
St.  Petersbourg.  S.  VII.  T.  XXXVII.  1892. 

2  Beiträge  zur  Embryonalentwicklung  der  Pyrosomen.  Zool.  Jahrb.  Abt. 
f.  Anat.    Bd.  IV.   1891.  S.  424  u.  Bd.  V.  1892.  S.  1. 

3  Einige  Beobachtungen  über  die  Bildung  des  äußeren  Mantels  der  Tuni- 
caten.     Diese  Zeitschr.  Bd.  LVI.  1893.  S.  488. 

*  Mikroskopisch  -  chemische  Untersuchung  des  Mantels  einiger  Ascidien. 
Müllers  Arch.  1851.  S.  176. 

5  Traite  de  Zool.  concr.    T.  VIII.  Paris  1898.  S.  295. 


I 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entvvickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  Ili.       51 

Kern  mit  Protoplasma«  gefunden  werden.  Im  übrigen  dürfte  der  Tur- 
gordruck  in  den  Zellblasen  dort,  wo  sie  nur  durch  dünne  Scheide- 
wände von  Zwischensubstanz  getrennt  sind  (Fig.  8  S),  eine  nicht  un- 
wichtige mechanische  Rolle  für  die  Versteifung  des  Gewebes  spielen, 
das  demnach  in  den  wesentlichen  Punkten  der  oben  aufgestellten 
Definition  des  chordoiden  Stützgewebes  entspricht,  wenn  es  auch  einen 
ganz  besonderen,  mit  den  in  a.  und  b.  besprochenen  nicht  auf  eine 
Stufe  zu  stellenden  Typus  eines  solchen  vorstellt. 

Bei  den  Wirbeltieren  müssen  wir  als  typischen  Vertreter  des  dif- 
fusen chordoiden  Stützgewebes  d.  das  perimeningeale  (arachnoi- 
dale)  Füllgewebe  bei  Ammocoetes  und  Petromyzon  betrachten, 
obwohl  es  stellenweise  einem  kompakten,  chordoiden  Stützgewebe 
nicht  unähnlich  sieht. 

Es  ist  zwischen  Pia  (Fig.  9  P)  und  Dura  (D)  eingeschlossen  und 
stellt  eigentlich  eine  Aufblätterung  beider  dar^,  in  der  aber  die  blasigen 
Elemente,  wenigstens  im  Bereiche  des  Rückenmarks,  verstreut  er- 
scheinen in  einem  andern  Gewebe  (Fig.  9  g).  Wie  Renaut^  bereits 
zutreffend  bemerkt  hat,  ist  die  Aufgabe  dieser  elastischen  und  un- 
zusammendrückbaren  Masse  hauptsächlich  im  Schutze  des  Rücken- 
markes gegen  die  energischen  Kontraktionen  der  anliegenden  Musku- 
latur zu  sehen.  Im  Bereiche  des  abgeplatteten  Rückenmarkes  sind 
die  blasigen  Zellen  verstreut  in  einem  reichlichen,  schleimhaltigen 
Grundgewebe  (Fig.  9  g),  welches  der  Hauptsache  nach  aus  fibrillären 
Platten  und  Häutchen  mit  ihnen  anliegenden,  ästigen  Bindegewebs- 
zellen :;  und  verästelten  Bindegewebsbündelchen  b  besteht.  An  median 
durchschnittenen,  in  Alkohol  oder  MüLLERscher  Flüssigkeit  gehärteten 
Ammocöten  kann  man  dieses  Gewebe  als  zusammenhängende  Gallert- 
säule aus  dem  Rückenmarkskanal  herausheben.  Zerzupft  man  ein 
solches  in  Müllers  Flüssigkeit  erhärtetes  Gewebe,  so  fallen  die  bla- 
sigen Zellen  leicht  heraus  und  können  isoliert  untersucht  werden.  Sie 
besitzen  kugelige,  noch  öfter  aber  ovoide  Gestalt  und  im  ersten  Falle 
eine  Größe  von  10 — 44/<,  im  letzteren  kann  der  lange  Durchmesser 
zwischen  21 — 68,«,  der  kurze  zwischen  17  und  58  u  schwanken.  Der 
Kern  in  den  größeren  Zellen  mißt  etwa  10/<. 

Umhüllt  werden  die  Zellen  (Fig.  10)  von  einer  ziemlich  dicken, 


1  Eine  getrennte  Arachnoidea  fehlt  den  Fischen;  vgl.  darüber  Sagemehl 
(Beiträge  zur  vergl.  Anatomie  der  Fische.  II.  Einige  Bemerkungen  über  die 
Gehirnhäute  der  Knochenfische.  Morph.  Jahrb.  Bd.  IX.  1884.  S.  457)  und  Sterzi 
{weiter  unten). 

2  Traite  d'Histol  1.  c.  p.  338. 

4* 


52  Josef  Schaff  er, 

glänzenden,  doppeltkonturierten  Kapsel  {M),  welche  eine  beträchtliclie 
elastische  Widerstandskraft  besitzen  muß,  da  sie  dem  Drucke,  welcher 
durch  die  Schrumpfung  bei  der  Fixierung  des  Gewebes  zur  Wirkung 
kommt,  zu  widerstehen  vermag.  Das  Protoplasma  der  Zelle  ist  durch 
große,  vacuoläre  Räume  auf  ein  centrales,  unregelmäßiges  Klümpchen 
verdrängt,  welches  den  ovalen  Kern  K  und  manchmal  noch  ein  sphären- 
ähnliches Gebilde  einschließt.  Von  dieser  mittleren  Protoplasmamasse 
ziehen  einzelne,  zarte  Protoplasmastränge  (P)  in  radiärer  Richtung  an 
die  Innenfläche  der  Kapsel,  um  sich  hier  mit  einem  dünnen  Proto- 
plasmabelag {R)  zu  vereinigen.  Die  Netzstränge  dieses  Protoplasma- 
körpers umschließen  stets  einige  kleinere  oder  größere  Fetttröpfchen  (F). 
Dagegen  besteht  der  Inhalt  der  großen  vacuolären  Räume  aus  einer 
Substanz,  die  an  Alkoholmaterial  kleinere  und  größere  glänzende 
Tropfen  darstellt,  die  sich  mit  Jod-Jodkalium  lebhaft  braun  färben 
und  in  Wasser  lösen. 

Auffällig  ist,  daß  sich  die  Membranen  der  blasigen  Zellen  an 
Schnitten  aus  Pikrinsublimat  oder  an  Isolationspräparaten  aus  Müller- 
scher  Flüssigkeit  deuthch  blau  mit  Delafields  Hämatoxylingemisch 
färben.  In  verdünntem  Safranin  oder  Thionin  zeigen  sie  keine  meta- 
chromatische   Färbung. 

Gegen  das  verlängerte  Mark  hin  nehmen  diese  blasigen  Zellen 
so  an  Zahl  zu,  daß  sie  sich  gegenseitig  polyedrisch  abflachen  (Fig.  11) 
und  nur  dünne,  von  den  Membranen  gebildete  Scheidewände  zwischen 
sich  erkennen  lassen,  also  ein  sehr  chordaähnliches  Aussehen  darbieten. 
Dorsal  vom  vierten  Ventrikel  sind  auch  Pigmentzellen  nur  spär- 
lich zwischen  den  blasigen  Zellen;  auf  Strecken  fehlen  sie  vollständig. 
Dies  ist  auch  der  Fall  innerhalb  der  Gehörkapsel,  wo  dieses 
Gewebe  an  der  unteren  Fläche  den  Träger  der  Sinnesepi- 
thelien  bildet  und  die  dünnen  Zell  wände  unter  gegenseitiger  Ab- 
flachung  sich  dicht  aneinander  legen 

Die  Zellen  bleiben  aber  voneinander  unabhängig,  als  ringsum 
geschlossene  Blasen  isolierbar. 

Noch  weiter  gegen  das  Gehirn  zu  ändert  sich  aber  der  Charakter 
des  Gewebes;  während  es  bisher  vollkommen  gefäßlos  war,  treten  nun 
allmählich  immer  reichlicher  Gefäße  zwischen  den  blasigen  Zellen  auf 
und  außerdem  auch  verästelte  Pigmentzellen.  Auch  nimmt  der  Fett- 
gehalt der  Zellen  zu,  doch  bleiben  die  Fetttröpfchen  in  ihnen  stets 
getrennt.  Vergleicht  man  damit  gewöhnliche  Fettzellen  der  Umgebung, 
so'  erscheinen  diese  an  Objekten  aus  MüLLERscher  Flüssigkeit  grau 
von  feinkörnigen,  gleichmäßig  oder  in   Form  von  Kristalldrusen  die 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.        53 

Zellen  erfüllenden  Fettniassen.  Auch  sind  die  Membranen  der  Fett- 
zellen im  Gegensatz  zu  denen  der  blasigen  Stützzellen  um  das  Gehirn 
vielfach  gefaltet  und  verbogen. 

Mit  Hinsicht  auf  die  bemerkenswerte  Substitutionsfähigkeit  der 
Bindesubstanzformen  untereinander  sei  hier  noch  daran  erinnert,  daß 
bei  Myxine  sich  an  Stelle  der  blasigen  Stützzellen  im  arachnoidalen 
Füllgewebe  anscheinend  gewöhnliche  Fettzellen  finden  i. 

Ebenso  finde  ich  beim  Karpfen  in  dem  Gallertgewebe,  welches 
das  Rückenmark  umschließt,  Fettzellen  eingeschlossen;  außerdem  aber 
noch  zahlreiche  Körnerzellen  von  der  Größe  und  dem  Aussehen  eosino- 
philer Leucocyten. 

Beim  Aal  ruht  das  Rückenmark  im  Wirbelkanal  auf  einem  Kissen 
auf,  das  fast  ausschließlich  aus  dicht  aneinander  gedrängten  Fettzellen 
besteht. 

Nach  den  Angaben  von  Sagemehl  2  besitzen  alle  Knochenganoi- 
den,  sowie  die  größte  Mehrzahl  der  Knochenfische  um  das  Central- 
nervensystem  ein  zartes  Schleimgewebe  mit  reichlichen,  großen, 
kugeligen  Fettzellen. 

Mechanisch  wird  dieses  Fettgewebe  wohl  ganz  ähnlich  zu 
funktionieren  vermögen,  wie  das  eigentümliche  Stützgewebe  der 
Petromyzonten. 

JoH.  Müllers  erwähnt  bereits  diese  mittlere  Hülle  des  Gehirns  als  ziemlich 
lockere  Schicht,  welche  nicht  in  die  Vertiefungen  eingeht.  Später  haben  Stännius^^ 
und  sehr  ausführlich  Reissner^  die  Hülle  des  Rückenmarks  beschrieben;  Lan- 
GERHANS^  hat  diese  Angaben  bestätigt  und  erweitert.  Nach  ihm  enthält  das 
weiche,  aber  solide,  arachnoide  Gewebe  in  einer  hellen,  homogenen  Intercellular- 
substanz  kleine  verästelte  Bindegewebskörper  und  große  ovoide,  zum  Teil  mit 
Fett  gefüllte  Zellen.  Die  Zwischensubstanz  wird  »radiär  durchzogen  von  breiten, 
oft  geschlängelten,  elastischen  Fasern,  welche  dem  weichen  Gewebe  einen  ziem- 
lich hohen  Grad  von  Starrheit  verleihen,  so  daß  dasselbe  auch  nach  Entfernung 
des  Rückenmarkes  nicht  kollabiert«. 

GoETTE^  erwähnt  desselben  einfach  als  eines  zelligen,  mit  elastischen  Fasern 
durchsetzten  Gewebes  zwischen  Pia  und  Dura. 


1  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  L.  1897.  S.  183. 

2  1.  c. 

3  Vergl.  Anatomie  der  Myxinoiden.    Abhdlgn.  Kgl.  Akad.  Wiss.  Berlin  1838. 
S.  171. 

4  Handbuch  der  Anat.  der  Wirbeltiere.  II.  Aufl.  Berlin  1854.  S.  126,  Anm.  2. 

5  Beitrag  zur  Kenntnis  vom  Bau  des  Rückenmarks.   Müllers  Arch.  1860. 
^  Untersuchungen  über  Petromyzon  Planeri.    Freiburg  i.  Br.  1873. 

''  Beiträge  zur  vergl.  Morphologie  des  Skeletsystems  der  Wirbeltiere.    Arch. 
mikr.  Anat.    Bd.  XV.  1878.  S.  319. 


54  Josef  Schaff  er, 

RexautI  hat  zuerst  die  funktionelle  Wichtigkeit  dieser  druck-  und  biegungs- 
elastischen Masse  betont  und  auch  einige  Irrtümer  in  der  Beschreibung  i'ichtig 
gestellt.  So  erkannte  er  die  bindegewebige  Grundlage  dieses  Ge\\'ebes  als  eine 
Aufblätterung  von  Dura  und  Pia  und  stellt  das  Vorkommen  von  elastischen 
Fasern  in  Abrede.  Die  blasigen  Zellen  sind  an  ihrer  Oberfläche  von  einem  doppelt 
konturierten  Exoplasma  bedeckt.  Das  Protoplasma  ist  glasartig  durchsichtig 
und  enthält  stets  einige  Körnchengruppen  oder  -häufen  und  kleine  Fetttröpfchen. 
Beim  ausgewachsenen  Tier  (P.  marinus)  enthalten  sie  zahlreiche  Fetttropfen. 

Ahlbobn2  gibt  eine  Abbildung  von  einem  Isolationspräparat  diese  Gewebes 
(Taf.  XIII,  Fig.  53)  und  beschreibt  eine  klare,  wässerige  Grundsubstanz,  die  von 
multipolaren  Schleimzellen  durchzogen  wird,  die  untereinander  ein  Netzwerk 
bilden  .  .  .  Die  großen,  ovoiden  Zellen  liegen  zerstreut  und  lose  in  dem  Geflecht 
der  elastischen  Fasern  und  des  Schleimzellennetzes.  Sie  besitzen  eine  Membran 
und  einen  stark  vacuolisierten  Inhalt,  so  daß  der  granulierte  Kern  an  Protoplasma- 
fäden aufgehängt  erscheint.  In  den  Vacuolen  sind  in  einer  homogenen,  wässerigen 
Flüssigkeit  kleinere  und  größere,  gelbe  Fetttröpfchen  suspendiert.  Beim  Über- 
gang des  Rückenmarks  in  die  Medulla  erfährt  das  Hüllgewebe  mehrfache  Ver- 
änderungen. Die  ovoiden  Zellen  nehmen  rasch  an  Zahl  zu  und  liegen  in  der  Um- 
gebung des  Gehirnes  so  eng  nebeneinander,  daß  sie  durch  den  gegenseitigen  Druck 
wie  Zellen  eines  losen  Pflanzenmarkes  polyedrisch  abgeplattet  erscheinen.  Die 
elastischen  Fasern  und  Schleimzellen  sind  dabei  fast  ganz  verschwunden,  und  statt 
dessen  treten  jetzt  nach  vorn  fortschreitend  große,  weit  verästelte,  spinnen- 
förmige  Pigmentzellen  auf. 

Eine  höchst  eigentümliche  Auffassung  dieses  Gewebes  hat  Gaskell  ^  zu 
vertreten  gesucht.  Er  spricht  ihm,  besonders  um  das  Gehirn,  einen  drüsenartigen 
Charakter  zu  und  erklärt  es  für  die  degenerierten  Reste  einer  Kopfleber.  Mit 
Unrecht  wirft  er  Sagemehl  vor,  daß  dieser  das  Gewebe  als  eine  besondere  Art 
von  Fettgewebe  betrachtet  habe,  da  Sagemehl  nur  von  Knochenfischen  spricht 
und  Petromyzon  mit  keinem  Wort  erwähnt.  Gaskell  stellt  die  geringste  Ähn- 
lichkeit mit  einem  Fettgewebe  vollkommen  in  Abrede,  beschreibt  den  Zellinhalt 
genau  und  betont,  daß  er  sich  mit  Osmiumsäure  nicht  färbt.  »Nur  kleine  Fett- 
kügelchen  da  und  dort,  das  ist  alles ;  der  Kern  liegt  im  Centrum. « 

C.  Vogt*  hat  das  Gewebe  einfach  als  Fettgewebe,  helle  Blasenzellen,  die 
Fett  enthalten,  erklärt. 

RenautS  hat  später  seine  ausführliche  Beschreibung  des  Gewebes  durch 
gute  Abbildungen  vervollständigt.  Hier  betont  er  auch  die  polyedrische  Form 
der  Zellen  um  das  Gehirn  und  daß  dieses  Gewebe  unmöglich  mit  Fettgewebe 
verwechselt  werden  kann. 

Studnicka^  hat  dieses  Gewebe  bei  Petromyzon  und  Myxine  zuerst  irrtüm- 


1  Systeme  hyalin  etc.   Arch.  physiol.  1881.   p.  845. 

-  Untersuchungen  über  das  Gehirn  der  Petromyzonten.  Diese  Zeitschr. 
Bd.  XXXIX.  1883. 

3  On  the  origin  of  Vertebrates  from  a  Crustacean-like  Ancestor.  Quart. 
Journ.  Micr.  Sc.    Vol.  XXXI.  1890.  p.  379. 

*  Vogt  u.    Yung,  Lehrbuch.  II.  Bd.    S.  423. 

5  Traite  d'Histol.  prat.    T.  I.    Paris,    p.  338. 

6  Arch.  mikr.  Anat.    Bd.  XLVIII.  1897.  S.  629.  Anm.  1. 


über  den  feineren  Bau  und  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.     ,5.5 

licli  mit  dem  epaxialen  Stützgewebe  zum   »eigentlichen  Fettgewebe«  gerechnet, 
trotzdem  er  die  Zellen  desselben  ausdrücklich  als  fettfrei  erklärte. 

Ich  selbst  habe  dann  eine  eingehende  Beschreibung  dieses  Gewebes  gegeben  i 
und  es  auf  Grund  seines  Schleimgehaltes  mit  dem  Schleimknorpel  von  Ammo- 
coetes  verglichen.  Wenn  ich  damals  als  Unterschied  angeführt  habe,  daß  es  nicht 
so  dicht  gefügt  erscheint  und  daß  viele  seiner  Zellen  eine  Umwandlung  in  blasige, 
knorpelzellenähnliche  Gebilde  erfahren  haben,  so  muß  ich  heute  betonen,  daß 
diese  Zellen  im  arachnoidalen  Füllgewebe  nur  den  Charakter  von  blasigen 
Stützzellen  beanspruchen  können  und  dieses  Xxewebe  insofern  vom  Schleim- 
knorpel wesentlich  verschieden  ist,  als  es  niemals  in  echten  Knorpel  umge- 
wandelt wird. 

Sterzi^  hat  auf  Grund  einer  umfangreichen  vergleichenden  Untersuchung 
die  Auskleidung  des  Rückenmarkskanals  bei  Petromyzon  fluv.,  die  Dura  der 
Autoren,  als  Endorachide,  die  unmittelbare  Umhüllung  des  Rückenmarkes  als 
primitive  Meninx  (Sagemehls  primäre  Gefäßhaut)  bezeichnet,  während  er  das 
eigentümliche  Gewebe  zwischen  beiden  perimeningeales  Gewebe  be- 
nennt. Es  besteht  aus  sternförmigen,  anastomosierenden  Zellen,  in  deren  Ma- 
schen große,  ovale  oder  elliptische  gelegen  sind.  Diese  dürfen  nicht  für  Fett- 
zellen gehalten  werden;  sie  ähneln  sehr  dem  tessuto  connettivo  vescicolare,  das 
nach  FiCALBi3  die  ursprüngliche  Form  des  Bindegewebes  darstellen  soll.  (Diese 
Anschauung  ist  viel  älter  und  rührt  von  Köllikeb,  Gegenbatjb,  Brock  u.  a. 
her.)  Sterzi  läßt  auch  stärkere  elastische  Fasern  das  perimeningeale  Gewebe 
durchsetzen.  Schneider'*^  bezeichnet  die  blasigen  Zellen  als  Fettzellen  und 
findet  bei  Eisenhämatoxylin-Färbung  in  ihnen  geAvundene,  von  Desmochondren 
besetzte  Fäden.  Ebenso  deutet  Nemiloff-^  die  Zellen  bei  Ammocoetes,  während 
Kolmerö  das  Gewebe  als  »ganz  eigentümliches  Schleimgewebe«  bezeichnet. 
Sehr  eingehend  hat  sich  dann  Sterzi'  in  seiner  Monographie  mit  dem  peri- 
meningealen  Gew-ebe  der  Cyclostomen  befaßt  und  auch  eine  ausführliche  Ge- 
schichte^  des  Gewebes  gegeben. 

Er  betont  den  bemerkenswerten  Grad  von  Elastizität  der  blasigen  Zellen, 
die  im  frischen  Zustand  einen  großen  Druck  ertragen,  ohne  zu  zerreißen.  Bei  der 
eingehenden  Schilderung  des   feineren  Baues  der  blasigen  Zellen  werden  so\^'ohI 


1  Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  L.  1897.  S.  181  u.  f. 

~  Ricerche  intorno  all'  anatomia  comparata  ed  all'  ontogenesi  delle  meningi 
e  considerazioni  suUa  filogenesi.  Atti  R.  Ist.  Veneto  sc.  lett.  ed  arti,  A.  1900/01. 
T.  LX.  Par.  2.  p.  1101. 

3  Zoologia  generale.    Firenze.    1895.    p.  231. 

*  Lehrbuch  der  vergl.  Histologie  der  Tiere.    Jena  1902.  S.  757. 

5  Zur  Frage  über  den  Bau  der  Fettzellen  bei  Acipenser  ruthenus.  Anat. 
Anz.    Bd.  XXVIII.  1906.  S.  515. 

6  Zur  Kenntnis  des  Rückenmarks  von  Ammocoetes.  Anat.  Hefte.  Bd.  XXIX. 
1905.  S.  174. 

"  II  sistema  nervoso  centrale  dei  Vertebrati.  V.  I.  Ciclostomi.  Padova 
1907.  p.  196—237. 

8  In  dieser  führt  Sterei  auch  Gegenbaur  an,  welcher  das  Gewebe  als  »ske- 
letogenes«  bezeichnet  haben  soll.  Das  ist  ein  Irrtum,  indem  Gegenbaur  nur 
vom  epaxialen  Gewebe  spricht. 


56  Josef  Schaffer, 

die  Unterschiede  bei  den  verschiedenen  Species,  als  die  in  den  verschiedenen  Ab- 
schnitten des  Geliirns  und  Rückenmarks  berücksichtigt. 

Eigentümlicherweise  bezeichnet  Sterzi  die  ästigen  Bindegewebszellen 
zwischen  den  blasigen  als  Stützzellen  (cellule  di  sostegno).  Bei  Petromyzon  Pla- 
"neri  bilden  die  blasigen  Zellen  nahezu  allein  das  ganze  perimeningeale  Gewebe 
um  das  Gehirn ;  mit  Kalilauge  lassen  sich  die  frischen  Zellblasen  isolieren.  Sie 
sind  hauptsächlich  durch  den  Gehalt  an  zahlreichen  Nebenkernen  und  Vacuolen, 
die  mit  einer  gelatinösen  Substanz  (daß  es  sich  um  Glykogen  handelt,  hat  Sterzi 
nicht  erkannt)  erfüllt  sind,  ausgezeichnet.  Im  Bereich  des  Schädels  sollen  sie 
niemals  Fett  enthalten,  während  sie  um  das  Rückenmark  reich  daran  sind.  (Dem 
kann  ich,  für  Ammocoetes  wenigstens,  nicht  zustimmen,  da  ich  bei  ihm  die  Zellen 
um  das  Gehirn  sogar  fettreicher  fand.)  Die  Fasern  zwischen  den  blasigen  Zellen 
beschreibt  Sterzi  nun  auch  als  Fibrillenbündel,  die  an  ihren  Enden  sich  pinsel- 
artig auflösen.  Er  glaubt  einen  Überzug  dieser  Bündel  mit  einem  feinsten  elasti- 
schen Häutchen  ausschließen  zu  können,  weil  sie  bei  Essigsäurezusatz  gleich- 
mäßig, ohne  die  charakteristischen  ringförmigen  Einschnürungen  qviellen.  Sterzi 
macht  auf  die  Unähnlichkeit  zwischen  diesen  Zellen  der  Cyclostomen  und  den 
mit  ihnen  von  Renaut  zusammengestellten  im  Sesamknoten  der  Achillessehne 
vom  Frosch  aufmerksam;  dagegen  sollen  sie  eine  große  Ähnlichkeit  mit  jenen 
Zellen  zeigen,   welche  im  Fuß  von  Helix  die  Nervenstränge  begleiten. 

Weiter  reiht  sich  hier  e.  jenes  Gewebe  an,  welches  ich  im  zweiten 
Teil  dieser  Untersuchungen i  bei  Myxine  »in  der  Nachbarschaft 
des  Auges,  bzw.  zwischen  diesem  und  der  Nasenkapsel,  an  der  cau- 
dalen,  lateralen  und  ventralen  Fläche  der  Ohrkapsel  und  unter  der 
Haut  längs  der  unteren,  lateralen  Ränder  der  Schnauze«  beschrieben 
habe. 

Die  blasigen,  glasartig  durchsichtigen  Zellen,  welche  hier  iu  den 
Lücken  einer  schleimhaltigeii,  faserigen  G-rundsubstanz  liegen,  besitzen 
ein  sehr  dünnes  Exoplasma  und  erscheinen  im  gehärteten  Zustande 
meist  faltig,  zerknittert  oder  durch  Scheidewände  gekammert  (vgl. 
Fig.  46  1.  c). 

Solche  Zellen  hat  Renaut ^  auch  als  hyaline  Zellen  bezeichnet 
und  sie  als  typisch  für  eine  Reihe  von  Stützsubstanzen  erklärt,  die 
er,  wie  schon  oben  angedeutet,  unter  der  Bezeichnung  des  tissu  fibro- 
hyalin  zusammengefaßt  hat.  »Dieses  eigentümliche  Gewebe,  welches 
weder  gewöhnliches,  geformtes  Bindegewebe,  noch  Fettgewebe,  noch 
Knorpelgewebe  ist,  zeigt  mit  diesen  eine  Reihe  von  Analogien.« 

Eine  genauere  Analyse  der  von  Renaut  hier  zusammengefaßten 
Gewebebildungen    ergibt   jedoch,    daß   es   sich   um   sehr   verschiedene 


1  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXX.   1905.  S.  252  u.  f. 

2  Systeme    hyalin    de    soutenement    etc.     Arch.  de  physiol.   1881.    p.  845 
bis  860.  —  Traite  d'Histol.  prat.     T.  I.  Paris  1893  (1888).  p.  336. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       57 

Formen  handelt,  die  teils  dem  chordoiden,  teils  dem  chondroiden 
Stützgewebe  zugerechnet,  teils  ganz  ausgeschieden  werden  müssen. 

So  rechnet  er  hierher  das  blasige  Stützgewebe  der  Schnecken  — 
ohne  einen  Unterschied  zwischen  dem  in  den  Radulastützen  und  dem 
im  übrigen  Körper  zu  machen  —  und  das  arachnoidale  Füllgewebe 
der  Petromyzonten,  die  oben  bereits  besprochen  wurden.  Dann  das 
Gewebe  im  Sesamknoten  der  Achillessehne  vom  Frosch;  dieses  soll 
als  besonderer,  vom  chordoiden  gänzlich  verschiedener  Typus  später 
besprochen  werden.  Weiter  f.  das  Gewebe  um  die  Retina  des 
Petromyzon  marinus  und  Chamäleon. 

Zur  Anordnung  des  ersteren  bemerkt  Renaut^:  Es  bildet  bei 
den  Cyclostomen  einen  stützenden  Becher  für  die  Retina  zwischen 
Choriocapi  llaris  und  Sclera.  Sein  verdickter  Boden  wird  vom  Opticus 
durchbohrt,  sein  freier  Rand  reicht  bis  gegen  die  Ora.  Zunächst  muß 
ich  betonen,  daß  sich  dieses  merkwürdige  Gewebe  nur  bei  Petromyzon 
■marinus  findet;  bei  P.  Planen  und  bei  großen  Exemplaren  von  P. 
fluviatilis  fand  ich  keine  Spur  davon. 

Es  besteht  aus  verhältnismäßig  großen,  rundlichen  oder  ovalen 
Zellen,  welche  zum  Teil  so  dicht  aneinander  grenzen,  daß  sie  sich  be- 
rühren, zum  Teil  nur  verästelte  Pigmentzellen,  spärliche  Bindegewebs- 
bündelchen  und  Blutgefäße  zwischen  sich  fassen  (Fig.  12). 

Bei  einem  durchschnittlichen  Durchmesser  von  50 — 60  fi  können 
ovale  Formen  110  x  TO  u  erreichen. 

Die  Zellen  besitzen  eine  ausgesprochene  membranartige  Ober- 
flächenbegrenzung und  im  Innern  einen  großen,  runden  Kern;  meist 
jedoch  zwei  bis  drei  und  mehr  (Fig.  13  b  K),  dann  kleinere  und  häuf- 
chenartig gruppierte  Kerne,  die  nicht  selten  Zeichen  von  Amitose 
zeigen. 

Vom  Kern  zieht  zur  Oberfläche  ein  ziemlich  dichtes,  an  Alkohol- 
material derb-  oder  starrfädiges  Gerüstwerk,  dessen  Lücken  von  fett- 
artig glänzenden,  kugeligen  oder  durch  Zusammenfließen  von  Kugeln 
entstandenen,  homogenen  Inhaltskörpern  erfüllt  werden.  Diese  lösen 
sich  nicht  in  Alkohol,  färben  sich  mit  schwacher  Jodlösung  stark  braun 
und  zeigen  auch  im  übrigen  das  Verhalten  von  Glykogen.  An  den 
mit  Hämalaun-Eosin  gefärbten  Celloidinschnitten  findet  man  in  vielen 
Zellen  mit  Eosin  rot  gefärbte,  formähnliche  Kugeln  und  Tropfen, 
offenbar  Trägersubstanz  des  gelösten  Glykogens  (Fig.  13). 

So  gleicht  dieses  Gewebe  am  ehesten  dem  arachnoidalen  Füllgewebe 


1  Traite  d'Histologie  prat.    T.  I.  1.  c.    p.  343,  Anm.  1. 


58  Josef  Scbaffer, 

im  Bereiche  des  Gehirns,  von  dem  es  nur  durch  den  reicheren 
Glvkogengehalt  und  die  Größe  seiner  Zellen   unterschieden  erscheint. 

Beim  Chamäleon  soll  nach  Renaut  (1.  c.)  das  Gewebe  auf  einen 
hyalinen  Ring  reduziert  erscheinen,  welcher  den  N.  opticus  bei  seinem 
Dm'chtritt  durch  die  Sclera  umgibt.  Auch  hier  soll  die  Grundlage 
eine  Aufblätterung  der  Nervenscheide  und  der  Sclera  sein,  und  die 
Faserbündel  sollen  sich  von  vorn  nach  hinten  in  die  hyaline  Masse 
fächerförmig  ausbreiten. 

Bei  dem  von  mir  untersuchten  Exemplare,  dessen  hintere  Bulbus- 
hälfte  ich  in  eine  Serie  zerlegte,  fand  ich  keine  Spur  von  einem  ähnlichen 
Gewebe;  wohl  aber  erscheint  die  innere  Hälfte  der  Sclera  verknorpelt, 
indem  die  Faserzüge  einfach  von  einer  chondromucoiden  Kittsubstanz 
durchtränkt  erscheinen,  während  die  Zellen  ohne  Kapseibildung  ihre 
abgeplattete  und  teilweise  verästelte  Form  beibehalten.  So  bietet  diese 
dünne  Knorpellamelle  das  Aussehen  einer  oberflächlichen  perichondralen 
Schicht  eines  typischen  Hyalinknorpels  dar.  Dieser  Knorpel  ist  auch 
schon  von  Chatin i  beschrieben  worden. 

Weiter  rechnet  Renaut ^  hierher  g.  die  blasigen  Zellen  an  der 
Oberfläche  des  Endoneuriums  gewisser  Nervenstämme; 
es  sind  dies  eigentümliche  Zellen  von  der  Größe  der  im  Sesamknoten 
der  Achillessehne  vom  Frosch,  mit  glasartig  durchsichtigem  Proto- 
plasma, das  ein  Aussehen  darbietet  wie  Schaumblasen,  die  halskrausen- 
artig um  den  polymorphen  Kern  angeordnet  sind.  Renaut  hat  sie 
daher  als  cellules  godronnees,  Falten-  oder  Krausenzellen  bezeichnet. 
Sie  finden  sich  vereinzelt,  oft  in  großer  Zahl,  oder  durch  eine  lamelläre 
Hülle  zu  knötchen-  bis  strangförmigen  Gruppen  vereinigt  zwischen 
die  imieren  Lamellen  des  Perineuriums  gewisser  Nerven  (Facialis, 
Medianus)  von  Pferd  und  Esel  eingelagert,  gegen  die  Oberfläche  des 
Nervenbündels  vorspringend.  Renaut  hält  dies  für  eine  Vorrichtung, 
welche  die  Nerven  beim  Durchtritt  durch  größere  Muskelmassen  vor 
Druck  schützen  soll.  Diese  Gebilde  sind  später  auch  bei  andern 
Tieren  und  beim  Menschen  beschrieben   und  von  Fr.  Schultze^  als 


1  Formes  de  passage  dans  le  tissu  cartilagineux.  C.  R.  Acad.  Sc.  Paris 
1897.    T.  CXXV.  p.  738. 

2  Sur  les  cellules  godronnees  et  le  sj-steme  de  soutenement  intravaginal  des 
nerfs  des  Solipedes.  C.  R.  Acad.  Sc.  Paris.  T.  XC.  1880.  p.  711.  —  Recherches 
&ur  quelques  points  particuliers  de  Fhistologie  des  nerfs.  —  Arcli.  de  physiol. 
1881.  p.  161.  —  Traite  d'Histologie  prat.    T.  I.   1893.  p.  347  u.  f. 

3  Über  circumskripte  Bindegewebshyperplasien  oder  Bindegewebsspindeln 
(Nodules  hyalins  von  Renaut)  in  den  peripheren  Nerven  des  Menschen.  VrR- 
CHOws  Arch.    Bd.  CXXIX.  1892.  S.  172. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgcwebes  usw.  III.       ,59 

RENAUTSche  Körperchen  bezeichnet  worden;  vielfach  hat  man  sie 
für  den  Ausdruck  pathologischer  Veränderungen  gehalten  (endoneu- 
rale  Wucherungen,  Langhans i),  worüber  das  zusammenfassende  Re- 
ferat von  Fr.  Pick  2  einzusehen  ist.  Aus  diesem  geht  auch  hervor, 
daß  es  sich  nicht  um  besondere  pathologische  Gebilde  handelt;  doch 
hält  Pick  auch  ihre  Bedeutung  als  eines  einfachen  Schutzapparates 
gegen  Druck  und  mechanische  Schädigung  für  unwahrscheinlich. 

Ich  habe  verschiedene  Nerven  des  Pferdes  auf  diese  Gebilde  hin 
untersucht,  unter  anderm  ein  12  mm  langes  Stück  des  N.  facialis  an 
einer  Querschnittsserie,  nachdem  ich  mit  der  von  Renaut  empfohlenen 
Präparationsmethode  (Spaltung  der  Perineuralschneide  und  Entfernung 
der  Nervenfasern)  kein  Glück  gehabt  hatte. 

Ich  fand  nun  an  vielen  Querschnitten  von  Primitivbündeln  an  der 
Innenfläche  der  Perineuralscheide,  wo  sich  deren  Lamellen  in  das 
Endoneurium  auflösen,  zwischen  die  auseinander  weichenden  Lamellen 
oder  Fäserchen  einzelne  blasige  Zellen  von  der  ganz  charakteristischen 
Form,  wie  sie  zuerst  Renaut  beschrieben  hat,  eingelagert:  rundliche 
oder  längliche  Zellen,  letztere  bis  zu  34  u  lang  und  20  11  breit,  mit  ein 
bis  zwei  Kernen  und  an  Stelle  eines  Protoplasmakörpers  eine  struktur- 
lose, glasartig  durchsichtige  und  chromophobe  Membran.  Diese 
umschließt  aber  fast  nie  einen  einheitlichen  Hohlraum,  sondern  grenzt 
durch  tiefe  Einziehungen  gegen  den  Kern  oder  mehrfache  Scheide- 
wandbildungen  blasenförmige   Kammern   ab    (Fig.  15). 

Gute  Abbildungen  dieser  Zellen  hat  außer  Renaut  auch  Kopp^ 
gegeben;  sehr  zutreffend  scheint  mir  die  Bezeichnung  der  Zellen  als 
»gekammerter  Blasenzellen«  von  Langhans  zu  sein. 

Wegen  der  Durchsichtigkeit  dieser  Gebilde,  welche  an  die  von 
Endothelschüppchen  erinnert  und  ihrer  mangelnden  Färbbarkeit  —  am 
besten  färben  sie  sich  noch  mit  Hämalaun  und  Kongorot  —  können 
sie  leicht  übersehen  werden.  Stellenweise  findet  man  mehrere  solcher 
Zellen  durch  häutchenartige  Scheidewände  oder  durchziehende  Bündel- 
chen getrennt  zu  knötchenförmigen  Gruppen  angeordnet;  sie  stellen 
dann  die  von  Renaut  beschriebenen  hyalinen  Knötchen  dar,  welche 
die  Nervenfasern  nach  innen  drängen.  An  diesen  Stellen  finde  ich 
in  der  Regfei  eine  Lage  stärkerer  läno;s  verlauf  ender  Bindegewebsbündel 


1  ViRCHOws  Arch.    Bd.  CXXVIII.  1892.  S.  318. 

2  Über  die  RENAUTschen  Körperchen  (endoneurale  Wucherungen,  Lang- 
hans). Zusammenfassendes  Referat.  Centralbl.  allg.  Path.  path.  Anat.  Bd.  XII. 
1901.  S.  212. 

3  VmcHOws  Arch.  Bd.  CXXVIII.  1892.  Taf.  IX. 


60  rJosef  Schaffer, 

zwischen  Knötclien  und  Nervenfaserbündel  eingeschoben.  Dieses  Ge- 
webe gleicht  am  meisten  jenem,  welches  ich  bei  Myxine  in  der  Nach- 
barschaft des  Auges  beschrieben  habe  (siehe  oben  Abschnitt  e).  Wie 
ich  schon  dort  hervorgehoben  habe,  sind  die  gekammerten  Blasen- 
zellen von  denen  des  typischen  chordoiden  Gewebes  durch  den  Mangel 
der  prall  gespannten,  funktionellen  Gestalt  unterschieden,  doch  können 
sie  immerhin  als  Übergangsformen  hierher  gerechnet  werden.  Daß 
sie  ein  normales  Vorkommen  bilden,  kann  kaum  bezweifelt  werden, 
wenn  es  auch  nicht  ausgeschlossen  ist,  daß  Druck  ihre  Entwicklung 
befördert.  Wenigstens  stimmen  die  Angaben  der  verschiedensten  Be- 
obachter darin  überein,  daß  sich  diese  Zellen  am  häufigsten  an  Stellen 
finden,  wo  die  Nerven  besonderem  Druck  ausgesetzt  sind:  beim  Durch- 
tritt durch  größere  Muskelmassen,  Kenaut;  an  der  Streckseite  des 
Ellbogengelenks  im  N.  ulnaris,  Kopp;  an  der  Umschlagsstelle  des 
N.  cutan.  fem.  ext.  über  die  Spina  ossis  ilei,  NavratzkiI;  ich  selbst 
finde  diese  Zellen  in  den  Nerven  der  Volarseite  der  Finger  und  denen 
der  Planta  pedis  von  einem  Hingerichteten.  Bei  diesem  bilden  sie 
deutlich  knötchenförmige  Gruppen  (Fig.  14)  dicht  unterhalb  des  Peri- 
neuriums, P,  zwischen  diesem  und  den  Nervenfasern,  N.  Die  blasigen 
Zellen  B,  welche  in  diesem  Falle  durch  die  schwache  Färbbarkeit  ihres 
homogenen  Inhalts  mit  Eosin  ausgezeichnet  sind,  liegen  vereinzelt 
oder  zu  Gruppen  bis  zu  vier  und  mehr,  um  welche  zarte  Häutchen 
konzentrisch  angeordnet  erscheinen  (L),  so  daß  das  ganze  Gebilde 
auf  den  ersten  Anblick  einem  Lamellenkörperchen  ähnlich  sieht.  In 
der  Tat  scheint  Dogiel^  echte,  RENAUTsche  Knötchen  in  einem  N. 
alveolaris  des  Pferdes  (Fig.  78)  für  »modifizierte  VATER-PACiNische 
Körperchen«  gehalten  zu  haben.  Diese  Topographie  der  blasigen 
endoneuralen  Zellen  würde  am  ehesten  für  die  alte  Annahme  Kenauts 
sprechen,  daß  es  sich  um  eine  Einrichtung  zur  Verminderung  des  me- 
chanischen Druckes  handelt;  damit  wäre  dieses  eigentümliche  Gewebe 
funktionell  den  früher  besprochenen  Formen  anzureihen. 

Nach  Renauts  Angabe ^  sollen  ferner  hierher  gehören  h.  die 
blasenförmigen  Zellen  in  den  Tasthaaren  der  Säugetiere 
(Ratte  und  Meerschweinchen),  weiter  jene,  welche  die  Umhüllung 
der  Tastkörperchen  im  Entenschnabel  bilden. 

Was  die  letzteren  anbelangt,  so  wird  ihre  Umhüllung,  so  weit 


1  Deutsche  Zeitschr.  f.  Nervenheilk.    Bd.  XVII.  1900.  S.  99. 

2  Der  Bau  der  Spinalganglien  des  Menschen  und  der  Säugetiere.     Jena, 
G.  Fischer,  1908. 

3  Arch.  de  physiol.  1881.  p.  856. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       61 

ich  sehe,  ausschließlich  von  den  bekannten  konzentrischen  Lamellen 
gebildet,  deren  äußere  ziemlich  kernreich  sind^.  An  Osmimnpräpa- 
raten  sehe  ich  allerdings  oft  eine  eigentümliche,  wellenförmige  Faltung 
der  äußersten,  sonst  ebenfalls  enge  aneinander  liegenden  Lamellen. 
Indem  sich  diese  Ausbuchtungen  mit  einer  gewissen  Regelmäßigkeit 
in  der  Weise  wiederholen,  daß  den  Auswärtsbuchtungen  der  einen 
Lamelle  Einwärtsbiegungen  der  benachbarten  gegenüberstehen,  kann 
am  Durchschnitt  der  Eindruck  einer  Reihe  blasiger  Räume  entstehen, 
an  deren  Wandung  häufig  ein  Kern  anliegt.  Möglicherweise  hat  Re- 
NAUT  derartige  Durchschnittsbilder  für  blasige   Zellen  gehalten. 

Was  das  Gewebe  in  den  Tasthaaren  betrifft,  so  habe  ich 
nach  der  sehr  allgemein  gehaltenen  ersten  Angabe  Renauts  zuerst 
geglaubt,  es  handle  sich  um  das  eigentümliche  Alveolenwerk  zwischen 
den  beiden  Haarbalgschichten,  welches  an  Durchschnitten  eine  ge- 
wisse Ähnlichkeit  mit  einem  blasigen  Stützgewebe  hat,  aber  nur  ein 
bindegewebiges  Balkenwerk  mit  unregelmäßigen,  manchmal  auch 
rundlichen  Lücken,   ohne  blasige  Zellen  darstellt 2. 

Im  zweiten  Teil  seines  Lehrbuches  ^  gibt  Renaut  aber  an,  daß 
es  sich  um  den  eigentümlichen  Wulst  an  der  Basis  des  Ringsinus  handelt. 
(Ringwulst  von  Leydig  und  Odenius,  1.  c.)  Dieser  soll  bei  der 
Ratte  aus  blasigen,  hyalinen  Zellen  bestehen,  zwischen  denen  zarte 
Bindegewebsbündel  fächerförmig  durchziehen.  Dieses  Gewebe  soll 
nur  an  in  l%iger  Osmiumsäure  fixierten  Präparaten  richtig  erkannt 
werden.  Ich  habe  diesen  »Ringwulst«  bei  der  weißen  Ratte  genauer 
untersucht;  er  besteht  in  der  Tat  aus  einem  höchst  eigentümlichen 
Gewebe,  dessen  Bedeutung  ebenfalls  in  seiner  Druckelastizität  zu 
liegen  scheint,  dessen  Bau  jedoch  abweicht  von  dem  des  typischen 
blasigen  Stützgewebes.  Bevor  ich  auf  die  Ergebnisse  meiner  eignen 
Untersuchungen  eingehe,  sei  kurz  der  bereits  vorliegenden  Anschau- 
ungen über  den  feineren  Bau  dieses  Gewebes  gedacht. 

Nach  Odeniu«  (1.  c.)  besteht  der  halbmondförmige  Wulst  aus  einem  fast 
homogenen  Bindegewebe  mit  zahlreichen,  im  Innern  kleinen  und  von  den  Kernen, 
sowie  elastischen  Fasern,  die  in  der  Richtung  vom  Stiele  nach  der  Peripherie, 
besonders  nach  dem  unteren  Ende  zu  ziehen.  »Gefäße  habe  ich  hier  nicht  ge- 
funden. « 


1  Man  vgl.  darüber  Dogiels  eingehende  Schilderung  (diese  Zeitschrift 
Bd.  LXVI.   1899.   S.  364u.  f.),  welche  von  blasigen  Zellen  kein  Wort  erwähnt. 

2  Dieses  Gewebe  wurde  zuerst  von  Leydig  (Arch.  Anat.  Physiol.  1859. 
S.  716),  dann  von  Odenius  (Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  II,  1866.  S.  451)  genau  be- 
schrieben. 

3  Paris  1897.  S.  330. 


62  Josef  Schaffer, 

BürkartI  gibt  eine  ziemlich  eingehende  Schilderung  der  mikroskopischen 
Struktur  des  Ringwulstes  nach  Osmiumpräparaten.  Die  stärkeren,  radienförmig 
den  Körper  des  letzteren  durchsetzenden  Bindegewebsbündel  sollen  sich  durch 
viele  einander  kreuzende  Queranastomosen  zu  einem  feinen  Maschenwerk  ver- 
einigen, in  dessen  enge  aneinander  liegenden  Maschen  Zellen  eingebettet  sind  von 
polygonaler  Gestalt  und  vergänglicher  Natur.  »Es  war  mir  nicht  möglich,  an 
diesen  Zellen  eine  Membran  unzweifelhaft  nachzuweisen,  doch  grenzen  sich  diesel- 
ben so  scharf  gegeneinander  ab,  daß  man  die  Gegenwart  einer  selbständigen  Um- 
hüllung wohl  vermuten  darf.  —  Sie  haben  einen  verhältnismäßig  großen,  meist 
runden  oder  auch  eckigen  dunkelgefärbten  Kern,  welcher  sich  bei  Karminbe- 
handlung rötet. «  Die  Bindegewebsfibrillen  sind  im  frischen  Zustand  wenig  deut- 
lich zu  sehen.  Die  äußere  Grenze  des  Ringwulstes  wird  von  einer  Membrana 
propria  mit  länglichen  Kernen  gebildet. 

DiETL"  hat  sich  ebenfalls,  zunächst  ohne  Kenntnis  der  vorstehend  be- 
sprochenen Arbeiten,  eingehender  mit  dem  »schildförmigen  Zellkörper«,  wie  er 
damals  den  Ringwulst  nannte,  beschäftigt.  »Was  seine  histologische  Struktur 
anbelangt,  so  besteht  er  in  seiner  Grundlage  aus  einem  faserigen  Gewebe,  das  ihn 
von  seinem  Insertionsrande  an  der  inneren  Sinuswand  gegen  den  unteren  freien 
Rand  und  gegen  seine  Oberfläche  hin  durchzieht  und  hier  die  erwähnten  Flügel 
formiert.  Dieses  Gewebe  ist  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  von  schönen,  teils 
runden,  teils  polygonalen,  deutliche  Kerne  enthaltenden  Zellen  durchsetzt«;  diese 
sollen  besonders  an  Chromsäurepräparaten  in  Glyzerin  deutlich  zur  Anschauung 
kommen. 

Die  Abbildung,  die  er  von  der  Katze  gibt,  zeigt  dicht  gedrängte  und  scharf 
begrenzte  blasige  Zellen  in  fünf-  bis  sechsfacher  Reihe,  durch  die  ein  einziges 
Bindegewebsbündelchen  zieht. 

In  einer  späteren  Untersuchung ^  hat  Dietl  gezeigt,  daß  Form  und  feinerer 
Bau  des  »Ringwiilstes «  so  charakteristisch  sind,  daß  man  oft  die  Tierspecies  an 
ihm  erkennen  kann.  Dietl  gibt  eine  Reihe  von  Abbildungen,  die  besser  als  seine 
gar  zu  kurze  Beschreibung  den  geweblichen  Aufbau  des  Wulstes  kennzeichnen, 
und  auf  die  sich  die  folgenden  Bemerkungen  beziehen.  Als  Grundlage  des  Wulstes 
nimmt  er  fibrilläres  Bindegewebe  und  elastische  Fasern  an;  letzteres  halte  ich 
für  einen  Irrtum,  bedingt  durch  die  Fixierung  in  Osmiumsäure,  wie  ich  noch 
zeigen  werde. 

Bei  der  braunen  Ratte  sind  zahlreiche  blasse  Kerne  so  zwischen  den  feinen 
Fasern  angeordnet,  daß  sie  zu  langen,  hellen,  spindelförmigen  Zellen  zu  gehören 
scheinen.  Das  Gewebe  erinnert  so  einigermaßen  an  das  von  mir*  beschriebene 
um  die  lateralen  Schlundkiemenknorpel  bei  Myxine. 

Bei  Arvicola  nehmen  diese  Zellen  eine  breitere,  ovale  Form  mit  zugespitzten 


1  Über  Nervenendigungen  in  den  Tasthaaren  der  Säugetiere.  Vorl.  Mitt. 
Centralbl.   med.   Wiss.    Bd.  VIII.   1870.  S.  514. 

~  Untersuchungen  über  Tasthaare.  I.  Der  anatomische  Bau  der  Tasthaare. 
Sitzb.  Kais.  Akad.  Wiss.  Wien.  Bd.  LXIV.  1.  Abt.  1871. 

3  Untersuchungen  über  Tasthaare.  III.  Beiträge  zur  vergleichenden  Ana- 
tomie derselben.  Sitzber.  Kais.  Akad.  Wiss.  Wien.  Bd.  LXVIII.  1873.  III.  Abt. 
S.  213. 

^  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXX.  1905.  S.  253. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       63 

Enden  an,  so  daß  dieses  Gewebe  am  ehesten  der  Auffassung  von  Renaut  ent- 
sprechen würde. 

RänvierI  hat  das  Gewebe  des  Ringwiilstes  als  .Schleimgewebe  bezeichnet. 

Bonnet-  bestätigt  die  Angaben  Dietls  und  erwähnt  kurz,  »daß  sich  der 
Ringwulst  aus  Bindegewebe,  Stern-  oder  Rundzellen  und  Kernen  aufbaut,  ein 
Bau,  der  mit  der  inneren  Balglage  mehr  oder  weniger  konform,  berechtigt,  ihn 
als  eine  partielle  Verdickung  derselben  aufzufassen«. 

Nach  SzYMONOWicz^  besteht  der  Ringwoilst  aus  »schleimigem  Bindege- 
webe, in  dem  sich  zwischen  den  Bindegewebsfasern,  welche  von  der  inneren  Wand 
des  Blutisnus  ausgehen,  viele  große  stern-  oder  spindelförmige  Zellen  mit  großen 
runden  Kernen  befinden*. 

KsjUNiN*  gibt  eine  kurze  historische  Übersicht  über  den  Ringwulst  und 
stellt  fest,  »daß  der  schildförmige  Körper  in  Wirklichkeit  nur  aus  collagenen 
Gewebe-  und  Zellelementen  besteht,  elastische  Fasern  in  seinem  Innern  jedoch 
nicht  anzutreffen  sind«,  mit  Ausnahme  einzelner  Fäserchen  in  den  äußersten 
Abschnitten  und  im  Stiel.  Er  findet  diesen  fast  vollständigen  Mangel  bei  dem 
sonstigen  Reichtum  des  inneren  Haarbalgblattes  an  elastischen  Fasern  geradezu 
auffallend.  »In  den  dicht  sich  verflechtenden  Bündelchen  collagener  Fasern  des 
schildförmigen  Körpers  liegen  bald  mehr  oder  weniger  runde,  bald  sternförmige 
Bindegewebszellen  mit  einem  gut  sich  färbenden  Kern  in  ihrem  Körper.  Die 
Fortsätze  der  sternförmigen  Zellen  sind  zuweilen  sehr  lange  und  anastomosieren 
miteinander. «  Auch  bräunliche  bis  schwarze  Pigmentkörner  konnte  Ksjunin 
öfters  im  Ringwulst  beobachten. 

Im  Gegensatz  zu  Ksjttnin  betont  Fritz  neuestens^  das  Vorkommen  ela- 
stischer Fasern  im  Sinuskissen  bei  der  Katze;  sie  sollen  von  der  Längsfaserschicht 
in  radiärer  Richtung  in  das  Kissen  abgehen  und  sich  da  verzweigen.  Auch  un- 
regelmäßig verlaufende  Fasern  scheinen  daneben  vorzukommen.  Weiter  geht 
Fritz  auf  den  Bau  des  Sinuskissens  nicht  ein.  Doch  zeichnet  er  in  der  schema- 
tisch ausgeführten  Fig.  1  rundlich  begrenzte,  mit  einem  Kern  in  der  Mitte  ver- 
sehene Gebilde  im  Sinuskissen. 

Meine  eignen  Untersuchungen  an  den  Spürhaaren  der  weißen 
Ratte  ergaben,  daß  es  sich  im  Gewebe  des  »Ringwulstes«  oder  »Sinus- 
kissens« (Martin^)  um  ein  gefäßloses  Gewebe  handelt,  wie  dies  schon 


1  Traite  technique  d'HistoIogie.    Paris  1875.  p.  913. 

2  Studien  über  die  Innervation  der  Haarbälge  der  Haustiere.  Morph. 
Jahrb.  Bd.  IV.  1878.  S.  357. 

3  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Nervenendigungen  in  Hautgebilden.  Arch. 
mikr.   Anat.   Bd.  XLV.  1895.  S.  643. 

*  Über  das  elastische  Gewebe  des  Haarbalgs  der  Sinushaare  nebst  Be- 
merkungen über  die  Blutgefäße  der  Haarpapille.  Ebendort,  Bd.  LVII.  1900. 
S.  143. 

5  Über  einen  Sinnesapparat  am  Unterarm  der  Katze  nebst  Bemerkungen 
über  den  Bau  des  Sinusbalges.     Diese  Zeitschr.  Bd.  XCII.  1909.  S.  299. 

^  Beitrag  zur  Entwicklung  der  Sinushaare  unsrer  Haussäugetiere.  Deutsche 
Zeitschr.   Tiermed.     Bd.  X.    1884.   S.  112. 


64  Josef  Schaffer, 

Odenius  und  Schöbl^  betont  haben.  Es  besteht  aus  ziemlich  dicht 
gedrängten  kugeligen  Kernen  von  7 — 8  /<  Durchmesser,  die  an  Osmium- 
präparaten (Fig.  16  K)  vollkommen  homogen,  stark  glänzend  erscheinen. 
Zwischen  diesen  Kernen  ziehen  auffallend  starre,  ebenfalls  stark  glän- 
zende und  ziemlich  dicke  Fäserchen  im  allgemeinen  vom  Stiel  des 
Ringwulstes  radiär  gegen  seine  Peripherie,  wobei  sie  fächerförmig 
ausstrahlen  müssen.  Am  Osmiumpräparat  machen  diese  Fäserchen 
entschieden  nicht  den  Eindruck  von  leimgebenden,  sondern  eher  von 
elastischen,  doch  sind  wirkliche  Verästelungen  an  ihnen  nicht  fest- 
zustellen. 

An  Alkoholmaterial  erscheinen  die  Fasern  als  blasse,  streifige 
Bündelchen.  Sie  färben  sich  mit  keiner  der  Methoden,  mit  denen 
man  sonst  elastische  Fasern  nachweist  (Unna-Tänzee,  Weigert, 
KuczYNSKi  u.  a.),  dagegen  lebhaft  rot  mit  Pikrofuchsin,  blau  nach 
Mallory;  sie  sind  deutlich  positiv  doppelbrechend  und  quellen  in 
Essigsäure  sofort  zu  einer  glasartig  durchsichtigen  Masse  auf,  in  der 
nur  mehr  die  Kerne  der  Zellen  erkenntlich  sind. 

Es  handelt  sich  also  um  dünnste  Bündelchen  collagener  Fibrillen, 
die  dm'ch  die  eigentümliche  Wirkung  der  Osmiumsäure  in  starre, 
glänzende  Fasern  umgewandelt  werden. 

Diese  Fasern  grenzen  um  die  Kerne  schmale  helle  Zonen  ab,  die 
im  günstigsten  Falle  14 — 16  fi  im  Durchmesser  erreichen  und  welche  von 
einem  durchsichtigen  Zellkörper  eingenommen  werden,  in  dem  höchstens 
da  und  dort  spärliche  glänzende  Körnchen  gesehen  werden  können. 
An  der  Peripherie  des  Ringwulstes  sind  diese  Zonen  um  die  Kerne  natur- 
gemäß am  breitesten,  und  hier  (Fig.  16  Z)  entsteht  der  Eindruck,  als 
würden  die  Kerne  blasigen  Zellen  angehören,  deren  Oberfläche  zum 
Teil  von  glänzenden  Säumen  begrenzt  wird.  Diese  Säume  sind  in  der 
Tat  Fibrillenmäntel,  welche  radiär  gestellte  kegel-  oder  säulenförmige 
Zellgruppen  abgrenzen,  etwa  ähnlich  wie  die  Lebercapillaren  einen 
sogenannten  Leberzellbalken.  Durch  seitlichen  Faseraustausch  werden 
die  Zellen  manchmal  auch  quer  zur  Bündelrichtung  begrenzt;  doch 
ist  dies  durchaus  nicht  bei  jeder  Zelle  der  Fall.  Vielmehr  hängen  in 
radiärer  Richtung  viele  »Zellen«  ohne  deutliche  Abgrenzung  zusammen. 

Im  ganzen  entsteht  allerdings  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
ein  Bild,  das  einigermaßen  an  die  blasigen  Zellen  im  Sesamknoten  der 
Achillessehne  vom  Frosch   erinnert.     In  Wirklichkeit  sind  aber  solche 


1  Über  die  Nervenendigung  an  den  Tasthaaren  der  Säugetiere,  sowie  über 
die  feinere  Struktur  derselben.  Sitzber.  Kgh  böhm.  Ges.  Wiss.  Prag.  April  1872 
und   Arch.    mikr.    Anat.    Bd.  IX.    1873.  S.  197. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       65 

Zellen  in  keiner  Weise  zu  isolieren.  Was  man  bei  Isolationsversuchen 
erhält,  sind  Kerne  mit  anhaftenden  zerrissenen  Resten  des  homogenen 
Plasmakörpers,   niemals   eine  Zelle   mit   scharf  begrenzter  Oberfläche. 

Die  Zelloberflächen  scheinen  kontinuierlich  mit  den  Fasern  zu- 
sammenzuhängen; diese  ziehen  in  einem  Syncytium  in  einer  gewissen 
Entfernung  von  den  Zellkernen  durch  und  begrenzen  so  Territorien, 
die  je  einer  Zelle  oder  einem  mehrkernigen  Symplasma  entsprechen.  Nie- 
mals sah  ich  bei  der  Ratte  eine  verästelte  Zelle;  die  Zellen  machen 
mit  ihren  durchsichtigen,  chromophoben  Körpern  vielmehr  den  Ein- 
druck von  Blasen,  doch  entspricht  ihr  Verhalten  nicht  dem  eines  typi- 
schen blasigen  Stützgewebes  noch  dem  eines  Schleimgewebes,  als  das 
es  wiederholt  bezeichnet  wurde.  Ein  solches  findet  man  aber  in  aus- 
gezeichneter Weise  unterhalb  des  Ringwulstes  gegen  die  Haarzwiebel 
hin,  wie  schon  Dietl^  beschrieben  hat.  Die  gallertartige  Grundsub- 
stanz dieses  »sulzigen  Körpers«  färbt  sich  auch  mit  Schleimfärbemitteln, 
was  am  Ringwulst  nie  der  Fall  ist.  Das  Gewebe  des  letzteren  bildet 
also  eine  Stützsubstanz  eigner  Art,  die  aber  nicht  ohne  Analogien  ist. 
Ähnliche  Verhältnisse  zeigen  z.  B.  die  Barteln  von  Äcipenser  und 
stellenweise  das  dorsale  elastische  Längsband  vom  Aal. 

Erstere  stellen  ungemein  biegungselastische  Gebilde  dar,  deren 
Gewebe  von  Pollard^  mit  zweifellos  chondroiden  Formen  dem  »Vor- 
knorpel« zugerechnet  wurde.  In  Wirklichkeit  bestehen  sie  aus  mem- 
bran-  oder  kapsellosen  Zellen,  welche  von  dichten  Mänteln  elastischer 
Fasernetze  abgegrenzt  werden. 

Ebenso  verhält  sich  nach  der  Schilderung  von  Studnicka^  das 
elastische  Längsband  vom  Aal,  dessen  Gewebe  ebenfalls  eine  große 
Ähnlichkeit  mit   »Vorknorpel«  besitzen  soll. 

Ich  finde  jedoch  die  Abgrenzung  der  Zellen  nur  durch  die  elasti- 
schen Längsfasernetze  bewirkt;  zwischen  diese  durch  hängen  die  Zellen, 
soweit  man  bei  der  Kleinheit  dieser  Gebilde  beurteilen  kann,  zusammen, 
ohne  eigne  Wände  zu  besitzen. 

Ich  komme  auf  diese  Gewebeformen  bei  der  Besprechung  des 
chondroiden  Gewebes  zurück.  Nebenbei  möchte  ich  hier  nur  be- 
merken, daß  ich  bei  der  Untersuchung  eines  etwa  5  mm  langen  Stückes 
des  Ligam.  dors.  sup.  vom  erwachsenen  Aal  keine  Spur  von  »blasigen« 
Zellen  zwischen  den  elastischen  Fasern  gefunden  habe. 


1  1873  I.  c.  S.  9  (S.  A.) 

~  The  oral   cirri   of   Siluroids  and  the  origin  of  the  head  in  vertebrates. 
Zool.  Jahrb.  1895.    Abt.  f.  Ontogenie.  Bd.  VIII.  S.  373. 
3  Anat.  Hefte.    XXI.  Bd.   1903.  S.  395. 
Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  5 


66  Josef  Schaffer, 

Als  letzte,  von  Renaut  i  mit  Wahrscheinlichkeit  hierher  gerechnete 
Gewebeform  wäre  endlich  das  von  M.  Duval^  beschriebene  i.  Gewebe 
im  sogenannten  Sinus  rhomboidalis  der  Vögel  zu  erwähnen. 
Nach  der  Schilderung,  welche  Duval  gegeben  hat,  mußte  Renaut, 
ohne  das  Gewebe  selbst  untersucht  zu  haben,  eine  hierher  gehörige 
Form  vermuten. 

Duval  läßt  es  gebildet  sein  aus  großen  polyedrischen  Zellen  mit  durch- 
scheinendem Inhalt,  deutlicher  Membran,  einem  exzentrisch  nahe  der  Wand 
gelegenen  Kern,  der  von  etwas  körniger  Substanz  umgeben  wird.  Sie  messen 
30 — 60  fx.  Durch  Überschneidung  der  unter-  und  übereinander  liegenden  Zell- 
wände entsteht  der  Anschein  eines  Netzwerkes.  Die  Kerne  liegen  aber  keines- 
wegs in  den  Knotenpunkten  desselben,  sondern  innerhalb  der  Zellen.  Ein  Schnitt 
durch  dieses  Gewebe,  welches  Duval  auch  als  blasiges  bezeichnet,  soll  voll- 
kommen einem  durch  das  Gewebe  der  Chorda  dorsalis  gleichen. 

Die  durch  gegenseitigen  Druck  polyedrischen  Zellen  nehmen  wieder  die 
Form  runder  Bläschen  an,  wenn  man  sie  isoliert. 

Über  den  gliösen  Charakter  dieses  Gewebes  war  sich  Duval  vollkommen 
klar,  indem  er  ausdrücklich  betont,  daß  es  sich  ebenso  aus  Elementen  des  Me- 
dullarrohres  entwickelt,  wie  die  Ganglien-  und  Ependymzellen. 

Schon  lange  vor  Renaut  hat  Leydig^  »die  weiche  Substanz,  welche  bei  Vögeln 
den  Sinus  rhomboidalis  des  Rückenmarks  ausfüllt «,  mit  den  Geweben  zusammen- 
gestellt, welche  er  später  bei  Mollusken  und  Decapoden  als  zellig-blasige  Binde- 
substanz  beschrieben  hat.  Allerdings  rechnete  er  diese  damals  noch  dem  Gallert- 
gewebe zu,  d.  h.  er  hielt  den  Inhalt  blasiger  Zellen  für  Intercellularsubstanz  und 
die  optischen  Durchschnitte  aneinander  stoßender  Zellmembranen  für  ästige  Zell- 
körper. Besonders  die  Gallertmasse  im  Sinus  rhomboidalis  schildert  er*  zu- 
sammengesetzt aus  » Zellen  von  eigentümlich  klarem  Aussehen «,  die  mit  ihren 
Ausläufern  ein  Maschenwerk  bilden,  »innerhalb  dessen  eine  helle  homogene  Sub- 
stanz, die  sich  in  Essigsäure  nicht  trübt,  eingelagert  ist«.  Aber  schon  frühzeitig 
äußerte  Leydig  Zweifel  über  die  Richtigkeit  dieser  Darstellung^,  und  später 
hat  er,  wie  erwähnt,  wenigstens  das  Gewebe  der  Mollusken  und  Decapoden  als 
aus  blasigen  Zellen  zusammengesetzt  erklärt. 

Stieda^  bezeichnet  Leydig  als  den  ersten  Autor,  welcher  das  Füllgewebe 
des  Sinus  rhomboidalis  richtig  aufgefaßt  hat;  er  selbst  beschreibt  dieses  gallertige 
Gewebe  auch  als  ein  Netz  von  Zellen,  welche  durch  Ausläufer  miteinander  ana- 

1  Systeme  hyalin  de  soutenement  des  centres  nerveux  etc.  Arch.  de  phy- 
siol.  1881.  p.  856. 

2  Recherches  sur  le  sinus  rhomboidal  des  oiseaux,  sur  son  developpement 
et  sur  la  nevroglie  periependymaire.     Journ.  de  l'Anat.  1877.  p.  1. 

3  Lehrbuch  d.  Histologie.    Frankfurt  a.  M.  1857.  S.  24. 

*  Kleinere  Mitteilungen  zur  tierischen  Gewebelehre.  Müllers  Arch.  1854. 
S.  334. 

5  Lehrbuch  1.  c.  S.  25. 

^  Studien  über  das  centrale  Nervensystem  der  Vögel  und  Säugetiere. 
Diese  Zeitschr.  Bd.  XIX.   1869.  S.  8. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       67 

stomosieren.  Es  »färbt  sich  gewöhnlich  in  Karmin  äußerst  intensiv,  indem  die 
in  den  Maschen  des  Netzwerkes  befindliche  und  durch  die  Einwirkung  der  Chrom- 
säure geronnene  Flüssigkeit  das  Karmin  lebhaft  aufnimmt«. 

Wie  DuvAL  hat  auch  der  erste  Untersucher  dieses  Gewebes,  RemarI,  in 
ihm  nur  Kugeln,  ähnlich  den  Fettkugeln  (nur  lösen  sie  sich  nicht  in  Äther),  kern- 
haltige Körper  und  Capillaren  gefunden.  Auch  Stilling^  erklärte  die  Füllungs- 
masse des  Sinus  rhomboidalis  als  aus  rundlichen  und  polyedrischen  Zellen 
zusammengesetzt.  Toldt^  hat  das  C4ewebe  zum  gallertartigen  Bindegewebe 
gerechnet. 

Lachi*  hat  das  Gewebe  sowohl  an  Isolationspräparaten  (aus  Drittelalkohol) 
als  an  Schnitten  untersucht.  Die  isolierten  Elemente  erwiesen  sich  »hauptsäch- 
lich als  Kerne,  von  denen  zahlreiche  Fortsätze  in  allen  Richtungen  ausstrahlten. 
Um  den  Kern  konnte  ich  keine  Protoplasmaschicht  erkennen,  d.  h.  die  Fortsätze 
gehen  direkt  vom  Kern  aus«.  Diese  Fortsätze  sind  zahlreich  und  haben  die  Ge- 
stalt feinster  Fäden  und  nicht  von  Membranen,  wie  Duval  glaubt;  sie  stehen 
mit  den  Xachbarzellen  in  Verbindung,  so  daß  es  nicht  leicht  ist,  isolierte  Elemente 
zu  sehen,  sondern  meist  nur  Gruppen  von  solchen. 

Wesentlich  für  den  Nachweis,  daß  es  sich  nicht  um  geschlossene  Blasen, 
sondern,  wie  Lächi  glaubt,  um  ästige  Zellen  mit  flüssigkeitserfüllten  Maschen- 
räumen handelt,  ist  die  Beobachtung  des  Autors,  daß  diese  Flüssigkeit  beim 
Anstechen  sich  vollkommen  entleert. 

Der  Beschreibung  Lachis  entspricht  auch  seine  Fig.  8  von  isolierten  Zellen, 
welche  aber,  wie  die  übrige  Darstellung  des  Gewebes  an  Durchschnitten,  als  sehr 
sehematisch   bezeichnet   werden   muß. 

In  jüngerer  Zeit  hat  sich  Köllikeb^  mit  diesem  Gewebe  beschäftigt  und 
es  einfach  als  eine  Varietät  des  gewöhnlichen  Gliagewebes  erklärt,  »das  durch 
die  Weite  seiner  Maschen  und  den  mehr  flüssigen  Inhalt  derselben,  der  unstreitig 
wesentlich  Eiweiß  ist,  sich  charakterisiert«.  In  der  Anmerkung  sagt  er  aller- 
dings, daß  er  bei  der  Untersuchung  des  frischen  Gewebes  neben  sternförmigen 
Zellen  Gebilde  sah,  die  den  von  Duväl  abgebildeten  kernhaltigen  Zellen  glichen 
»und  wird  möglicherweise  eine  weitere  Untersuchung  ergeben,  daß  der  betref- 
fende Gliawulst  zweierlei  Elemente  enthält,  die  beide  von  Ependymzellen  ab- 
stammen «. 

Diese  weitere  Untersuchung  liegt  nunmehr  vor,  wie  ich  nach  Niederschrift 
des  Vorstehenden  finde.  Imhof^  hat  das  Gewebe  im  Lumbaiwulst,  wie  er  den 
Gliawulst  (Köllikeb)  im  Sinus  rhomboidalis  nennt,  sorgfältig  an  Schnitten  mittels 
moderner  Färbemethoden,  sowie  der  schwarzen  Silbermethode  untersucht.     Er 


1  Observationes  anatomicae  et  microsc.  de  syst,  nervosi  structura.     Berol. 
1838.  p.  18. 

2  Neue  Untersuchungen  über  den  Bau  des  Rückenmarks.     Kassel  1859. 

3  Lehrbuch  der  Gewebelehre.    3.  Aufl.    1888.    S.  127. 

*  Alcune  particolaritä    anatomiche   del  rigonfiamento    sacrale  nel   midollo 
degli  uccelli.     Atti  Soc.  toscana  sc.  nat.  Mem.    Vol.  X.  Pisa  1889.  p.  268. 

^  Über  die  oberflächlichen  Nervenkerne  im  Marke  der  Vögel  und  Reptilien. 
Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXII.  1902.  S.  156. 

ß  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte  des  Lumbaimarkes  bei  den  Vögeln. 
Arch.  mikr.  Anat.  Bd.  LXV.  1905.  S.  526. 

5* 


68  Josef  Schaffer, 

schildert  das  Gewebe  als  ein  allgemeines  protoplasmatisches  Reticulum,  dessen 
Elemente  in  syncytialer  Verbindung  sind  und  dessen  einzelne  Protoplasmabalken 
durch  unverzweigte,  freiendigende  Gliafasern  verstärkt  und  versteift  werden. 
Die  scheinbaren  Blasen  sind  intercelluläre  Lymphräume  von  polygonaler  bis 
rundlicher  Querschnittsgestalt  und  20 — QO  u  Durchmesser.  »Sie  sind  im  un- 
verletzten Zustande  prall  mit  Lymphe  gefüllt,  deren  beim  Fixieren  und  Härten 
coagulierende  Eiweißverbindungen  stets  als  trübe,  diffus  gefärbte  Massen  zu 
finden  sind  und  die  zuweilen  dann  als  Zellprotoplasma  gedeutet  werden. «  Die 
scheinbaren  Blasenwände  sind  radiäre  protoplasmatische  Fortsätze  eigentümlicher 
Gliazellen,  die  mit  den  Fortsätzen  benachbarter  Zellen  stets  in  stumpfwinkelige 
Verbindung  treten.  »Diese  Fortsätze  können  dann  und  wann  die  Gestalt  eigent- 
licher Protoplasmabänder  und  Membranen  annehmen,  die,  wenn  sie  schräg  ge- 
schnitten sind,  leicht  Blasenwände  vortäuschen «. 

Ich  habe  die  Angaben  der  verschiedenen  Autoren  beim  Huhn, 
der  Taube  und  dem  Sperling  nachgeprüft  und  bin  im  wesentlichen 
zu  demselben  Ergebnis  wie  die  neueren  *  Untersucher  gekommen, 
daß  es  sich  hier  nicht  um  ein  blasiges  Stützgewebe  handelt.  Dagegen 
spricht  schon  die  geringe  Konsistenz  des  zerfließlichen  Gewebes. 

Was  jedoch  das  feinere  Verhalten  seiner  Elemente  betrifft,  glaube 
ich  auf  Grund  meiner  Beobachtungen  eine  Auffassung  vertreten  zu 
müssen,  welche  die  Angaben  Duvals  wenigstens  teilweise  verständ- 
lich macht,  was  ja  nicht  der  Fall  wäre,  wenn  es  sich  im  Lumbal wulst 
schlechtweg  um  ästige  Gliazellen  handeln  würde. 

Untersucht  man  das  Gewebe  z.  B.  bei  einem  Taubenfötus  am  Ende 
der  Bebrütimg  an  Isolationspräparaten,  die  vorher  stark  mit  Hämalaun 
und  Eosin  oder  Kongorot  gefärbt  wurden,  so  gelingt  es  leicht  zahl- 
reiche Elemente  von  rundlicher  oder  polyedrischer  Gestalt  zu  be- 
obachten. Sie  bestehen  aus  einem  Kern  (Fig.  17  a),  von  dem  aus 
nach  verschiedenen  Richtungen,  meist  in  einer  kugelmantelartig 
gekrümmten  Ebene,  Fortsätze  ausgehen,  die  aber  untereinander  durch 
ein  zartes  Häutchen  von  netzförmiger  Struktur  verbunden  sind. 

Dieses  Häutchen  ist  von  der  Fläche  gesehen  sehr  blaß,  und  in 
ihm  liegen,  wie  aufgesetzte  Rippen,  die  stärker  färbbaren  Zellfortsätze 
und  der  nach  innen  vorspringende  Kern.  Im  optischen  Durchschnitt 
gesehen,  erscheint  das  Häutchen  wie  ein  Saum,  der  ein  blasiges  Gebilde 
begrenzt  und  in  den  glänzende,  stark  färbbare  Fasern  oder  solche 
Punkte  eingelagert  erscheinen,  je  nachdem  ein  Zellfortsatz  im  optischen 
Längs-  oder  Querschnitt  gesehen  wird  (Fig.  17  c,  d).  Diese  Mem- 
branen traten  an  Schnitten  durch  den  Lumbal  wulst  eines  18  Tage 
alten  Hühnerembryo  bei  der  Untersuchung  in  Wasser  sehr  deutlich 
hervor  und  verliehen  dem  Gewebe  in  der  Tat  ein  blasiges  Aussehen, 


L'ber  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       69 

^o  daß  die  Schilderuni!;  Duvals  begreiflich  erscheint.  Dieses  blasige 
Aussehen  verschwand  sofort  bei  Aufhellung  der  mit  Hämalaun-Eosin 
gefärbten  Schnitte,  wobei  die  Membranen  keine  Farbe  annehmen  und 
im  Lack  unsichtbar  werden.  Nunmehr  entsprach  das  Gewebe  der 
Schilderung  Lachis. 

Schließlich  wäre  hier  auch  noch  in  gewissem  Sinne  k.  das  Fett- 
gCAvebe  anzureihen. 

Niemand  wird  die  mechanische  Bedeutung  dieses  als  eines  Stütz- 
gewebes leugnen  wollen.  Es  vermag  durch  die  Elastizität  und  Un- 
zusammendrückbarkeit  seiner  mit  Flüssigkeit  prall  gefüllten,  von 
einer  Membran  umschlossenen,  blasigen  Zellen  an  vielen  Stellen  des 
Tierkörpers  eine  ähnliche  mechanische  Rolle  zu  spielen  wie  typisches, 
blasiges  Stützgewebe.  Um  nur  zwei  Beispiele  anzuführen,  so  sehen 
wir  die  Kiemenregion  von  Myxine,  welche  des  Schutzes  durch  ela- 
stische Knorpelspangen  bis  auf  unansehnliche  Reste  vollständig  ent- 
behrt, ausschließlich  durch  dichtgedrängte,  große  und  mit  derben 
Membranen  ausgestattete  Fettzellen  vor  Kompression  geschützt  i. 
Anderseits  konnte  ich  zeigen  2,  daß  bei  Bradypus  der  plantare,  terminale 
Sesamknoten,  der  bei  verschiedenen  Tieren  bald  aus  Knochen,  bald 
aus  Knorpel  oder  blasigem  Stützgewebe  besteht,  durch  eine  Fettmasse 
ersetzt  ist,  die  augenscheinlich  einen  großen  Druck  zu  ertragen  be- 
stimmt ist. 

Diese  Auffassung  des  Fettgewebes,  welche  ihm  neben  seiner  wesent- 
lichen Bedeutung  für  den  Stoffwechsel  auch  eine  nicht  minder  wichtige 
Funktion  als  Stützgewebe  zuspricht,  ist  nichts  Neues,  aber,  wie  mir 
scheint,  bisher  zuwenig  gewürdigt.  Daß  die  erstere  Bedeutung  des 
Fettgewebes  nicht  die  einzige  sein  kann,  scheint  mir  schon  daraus 
hervorzugehen,  daß  an  gewissen  Stellen  das  Fettgewebe  auch  beim 
Hungertode  seine  prallgefüllten  Blasenzellen  bewahrt. 

Bereits  Kölliker^  und  Leydig*  haben  die  Zellen  des  Fettgewebes  mit 
den  blasigen  Zellen  der  Mollusken,  Kruster  u.  a.  zusammengestellt  und  die  me- 
chanische Leistung  derselben  betont. 

HaeckelS  hebt  besonders  hervor,  daß  auch  der  Fettkörper  der  Insekten 
zum  Teil  zu  jenem  Bindegewebe  gehört,  »welches  vorwiegend  aus  großen,  hellen 
Bindesubstanzzellen  besteht«;  weiter  betont  er,  daß  ein  Zusammenhang  zwischen 

1  Vgl.  meine  Mitt.  im  Anat.  Anz.    Bd.  XXVIII.  1906.  S.  68. 

2  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXXIII.  1905.  S.  277. 

3  Icones  histologicae  oder  Atlas  der  vergl.  Gewebelehre.  Leipzig  1864/65. 
2.  Abt.   1.  Hft.  S.  97. 

*  Lehrbuch  der  Histologie.     Frankfurt  1857.    S.  25. 

5  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.    Jahrg.  1857.  S.  504  u.  510. 


70  Josef  Schaffer, 

dem  Fett-  und  Zellgewebe  (wie  er  das  zellig-blasige  nennt)  beim  Krebse  nicht 
zu  verkennen  ist.  Die  größten  Formen  des  ersteren,  wo  ein  großer  Fetttropfen 
die  ganze  Zelle  erfüllt,  sind  von  denen  des  letzteren,  wo  oft  dasselbe  der  Fall  ist, 
nicht  zu  unterscheiden. 

Sehr  nachdrücklich  hat  Fol^  die  stützende  Funktion  des  Fettgewebes 
betont,  indem  er  dieses  zu  den  Zellgeweben  rechnet,  »welche  wegen  ihrer  Kon- 
sistenz und  Gestalt  die  Rolle  eines  Skeletes  übernehmen«.  Bei  Cetaceen  erhebt 
es  sich  zu  einer  beständigen  Schutzvorrichtung  gegen  Kälte  und  äußere  Läsionen. 

Auch  ScHiEFFERDECKEB^  hebt  als  eine  der  Funktionen  des  Fettgewebes 
die  hervor,  »als  Schutzpolster  gegen  Druck  und  Stoß«  zu  dienen 

Die  Verwandtschaft  des  Fettgewebes  mit  typischem  Stützgewebe 
geht  auch  daraus  hervor,  daß  1)  sowohl  blasige  Stützzellen  s.str.,  als 
Knorpelzellen  so  viel  Fett  aufspeichern  können,  daß  das  ganze  Ge- 
webe einem  Fettgewebe  sehr  ähnlich  wird  (blasiges  Stützgewebe  bei 
Vögeln,  Ohrknorpel  und  andre  Knorpel  kleiner  Nager  und  Fleder- 
mäuse); 2)  das  Fettgewebe  an  manchen  Stellen  typisches  Stützgewebe 
ersetzen  kann;  so  z.  B.  geht  das  periaxiale  Stützgewebe  bei  Cyclo- 
stomen  gegen  den  Kopf  zu  allmählich  in  Fettgewebe  über  und  ebenso 
das  arachnoidale  Füllgewebe  wenigstens  in  eine  fettreichere  Modi- 
fikation. 

Anderseits  sehen  wir  auch  echte  Knorpel  durch  Fettgewebe  ersetzt 
werden. 

Ob  die  von  Gegenbaur^  gemachte  Angabe,  daß  bei  der  Entwick- 
lung der  Wirbelsäule  von  Urodelen  im  vorderen  Abschnitt  der  Wirbel- 
körper eine  Umwandlung  der  Knorpelzellen  in  Fettzellen  stattfindet, 
hierher  gehört,  habe  ich  nicht  untersucht. 

Dagegen  ist  es  bekannt,  daß  bei  manchen  Tieren  der  Knorpel  der 
Epiglottis  bis  auf  kleinste  Reste  durch  Fettgewebe  ersetzt  sein  kann. 

Über  die  Bedeutung  dieser  Substitution  sei  auf  meine  Unter- 
suchung* verwiesen.  Aus  ihr  sei  nochmals  besonders  hervorgehoben, 
daß  das  substituierende  Fettgewebe  der  Epiglottis  aus  derselben  embryo- 
nalen Anlage  hervorgeht  wie  andre,  höher  stehende  Stützsubstanzen 
(blasiges  Stützgewebe,  Knorpel)  und  daß  alle  diese  Formen  bei  ein- 
zelnen Tieren  (z.  B.  Hund)  auch  im  räumlichen  Übergange  neben- 
einander an  der  Zusammensetzung  des  Epiglottisskeletes  teilnehmen. 


1  Lehrbuch  der  vergl.  mikr.  Anat.    Leipzig  1896.  S.  31 L 

~  ScHiEFFERDECKEB  und  KossEL,  Gewebelehre.    Braunschweig  1891.  S.  282. 

3  Untersuchungen  zur  vergl.  Anatomie  der  Wirbelsäule  bei  Amphibien  und 
Reptilien.     Leipzig  1862.  S.  17  u.  20. 

*  Zur  Histologie,  Histogenese  und  phylogenetischen  Bedeutung  der  Epi- 
glottis.    Anat.  Hefte.    Bd.  XXXIII.  1907.  S.  457. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       71 

Spricht  dieser  Umstand  deutlich  für  die  Verwandtschaft  aller 
dieser,  im  feineren  Bau  so  verschiedenen  Stützgewebe,  so  beweist  die 
Substitution  des  Epiglottisskeletes  durch  Fettgewebe,  daß  letzteres 
imstande  ist,  die  für  die  Epiglottis  wesentliche  Funktion  elastischer 
Versteifung  zu  leisten,  wodurch  seine  Zurechnung  zum  blasigen  Stütz- 
gewebe vom  mechanisch-funktionellen  Standpunkt  aus  gerechtfertigt 
erscheint. 

Damit  wäre  auch  die  bis  heute  etwas  unklare  Stellung  des  Fett- 
gewebes im  histologischen  System  befriedigend  erklärt.  Es  vermittelt 
die  Verbindung  zwischen  den  reinen  Füll-  und  Hüllgeweben,  d.  h. 
jenen  Bindesubstanzformen,  welche  hauptsächlich  zur  Umhüllung 
von  Organen  und  Ausfüllung  von  Spalträumen  zwischen  solchen,  be- 
ziehungsweise ihnen  und  den  Elementen  höherer  Gewebe  (Drüsen- 
läppchen, Muskel-,  Nervenfasern)  dienen  und  den  eigentlichen  Stütz- 
geweben und  stellt  eine  Abart  des  primitivsten,  bei  Wirbellosen  noch 
weitverbreiteten  dieser  Gewebe,  nämlich  des  diffusen,  blasigen  Stütz- 
gewebes, vom  chordoiden  Typus  dar. 

B.    Kompaktes  chordoides  Stützgewebe. 

Die  isolierbaren  Zellblasen  grenzen  mit  ihren  Membranen  un- 
mittelbar aneinander  und  werden  durch  eine  derbe,  aber  —  in  der 
reinen  Form  —  selbst  nicht  stützfähige  Umhüllung  zu  einem  wohl- 
abgegrenzten Skeletgebilde  zusammengehalten. 

Als  Typus  dieses  Gewebes  hat  die  Chorda  dorsalis  der  Neunaugen 
und  Myxinoiden,  von  Chimaera  und  den  Ganoiden,  von  gewissen 
Knochenfischen  {Sytignathus,  Lophius^),  von  den  meisten  Amphibien- 
larven und  endlich  die  embryonale  Chorda  der  höheren  Wirbeltiere 
zu  gelten. 

Jedoch  auch  beim  Säugetier  nach  der  Geburt  hat  das  Chorda- 
gewebe seine  mechanische  Rolle  nicht  ausgespielt,  indem  es  stellen- 
weise seine  Zusammensetzung  aus  blasigen,  durch  Turgordruck  ge- 
spannten, isolierbaren  Zellen  und  damit  seine  Funktionsfähigkeit 
bewahrt^. 

Dies  ist  der  Fall  bei  den  kleinsten  Säugetieren,  vornehmlich  bei 
den  langschwänzigen  Nagern  und  Insectivoren  in  den  distalen  Teilen 
der  Schwanz  Wirbelsäule.  Bei  diesen  Tieren  kommt  es  nicht  zur  Ent- 
wicklung einer  eigentlichen   Zwischenwirbelbandscheibe.     Der  Raum 

1  Vgl.  Studnicka,  Sitzb.  böhm.  Ges.  Wiss.  1897. 

2  Vgl.  meine  inzwischen  erschienene  vorl.  Mitt. :  »Die  Rückensaite  der 
Säugetiere  nach  der  Geburt.     Wien.  akad.  Anz.  Nr.  XVIII.   1910  <'. 


72  Josef  Schaff  er, 

zwischen  überknorpelten  Wirbelenden  und  den  Zwischenwirbeibändern 
wird  ausschließlich  von  einem  Chordasegment  ausgefüllt.  In  den 
distalen  Partien  der  Schwanzwirbelsäule  besteht  diese  elastische  Füll- 
masse aus  großen,  mit  ihren  Membranen  dicht  aneinander  gepreßten, 
gespannten,  an  Glykogen  reichen  Blasenzellen,  also  aus  typischem 
Chordagewebe  (Fig.  18).  Die  Unzusammendrückbarkeit  und  Elastizität 
dieser  Chordasegmente  ist  offenbar  von  wesentlicher,  mechanischer  Be- 
deutung für  die  Elastizität  und  Gleichgewichtslage  (Streckung)  des 
Schwanzes,  welcher  andrer  elastischer  Einrichtungen  entbehrt. 

Weiter  gegen  die  Wurzel  der  Schwanzwirbelsäule  und  im  Bereiche 
des  Kumpfes  erleidet  dieses  Chordagewebe  Veränderungen,  welche 
hauptsächlich  in  einer  reichen  Schleimabsonderung  zwischen  die  blasigen 
Zellen  und  eine  dadurch  bedingte  Zerlegung  des  kompakten  Chorda- 
segmentes in  Stränge  und  Zellgruppen  besteht,  innerhalb  welcher  aber 
der  blasige  Charakter  der  Zellen  teilweise  erhalten  bleibt. 

Bei  fortschreitender  Rückbildung  können  die  durch  schleimhaltige, 
netzförmig  anastomosierende  intercelluläre  Kanäle  und  Lacunen  zer- 
sprengten, ebenfalls  netzförmig  angeordneten  Chordazellen  zusammen- 
gepreßt werden  und  ihren  Turgor  verlieren.  Sie  bilden  dann  ein  ent- 
fernt an  das  epitheliale  Gewebe  der  Schmelzpulpa  erinnerndes  Netz- 
und  Strangwerk,  welches  aber  nicht  aus  verästelten  Epithelzellen 
besteht,  sondern  aus  zusammengefallenen,  langgestreckten  Zellblasen, 
die  sich  sträng-  und  netzartig  aneinander  fügen. 

Noch  weiter  gehen  die  Veränderungen  bei  jenen  Tieren,  bei  denen 
es  zur  Entwicklung  von  Zwischenwirbelbandscheiben  kommt. 

Beim  Menschen  z.  B.,  bei  dem  wir  noch  nach  der  Geburt  ein  scharf 
abgegrenztes  intervertebrales  Chordasegment  finden,  welches  teilweise 
aus  schönen  blasigen,  teilweise  aus  zu  Strängen  verdrückten  Chorda- 
zellen besteht,  findet  eine  Durchwachsung  dieses  Chordagewebes  von 
selten  des  umgebenden,  überaus  weichen  Faserknorpels  statt.  Dabei 
werden  die  Chordazellen  entweder  durch  einen  Verschleimungsvorgang 
gänzlich  aufgelöst  oder  sie  bleiben  in  kleinen  Gruppen  als  bläschen- 
förmige Zellen  bestehen,  oder  sie  kapseln  sich  ab.  Dabei  sondern  sie, 
oft  in  vielzelligen  Gruppen  zusammengedrängt,  eine  dicke,  geschichtete, 
gemeinsame  Hülle  ab,  w^elche  von  den  Autoren  als  Knorpelkapsel  be- 
zeichnet worden  ist,  über  die  hinaus  jedoch  die  Zellen  keine  assimila- 
torische Wirkung  auszuüben  vermögen.  So  entsteht  das  eigentümliche 
Mischgewebe  des  Nucleus  pulposus. 

Kann  man  also  hier  nicht  mehr  von  einem  in  mechanischem  Sinne 
funktionsfähigen  Chordagewebe  sprechen,  so  ist  ein  solches  zweifellos 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.      73 

in  den  langen  Schwänzen  der  Mäuse  und  Ratten,  vielleicht  auch  einiger 
Spitzmäuse  vorhanden. 

Die  Chorda  dorsalis  von  Amphioxus,  welche  nach  Fol^  ebenfalls 
hierher  zu  rechnen  wäre,  zeigt  einen  so  abweichenden  Bau,  daß  sie 
weder  der  von  Fol  selbst  gegebenen  Definition  seines  » Kapselgewebes  «, 
noch  der  oben  aufgestellten  des  chordoiden  Stützgewebes  entspricht 
und  als  ein  Gewebe  sui  generis  betrachtet  werden  muß. 

Dasselbe  scheint  von  der  sogenannten  Chorda,  dem  Achsenorgan 
im  Euderschwanz  der  Appendicularien  (Copelaten),  zu  gelten;  denn 
es  bildet  einen  homogenen  elastischen  Stab,  der  an  seiner  Oberfläche 
von  kernhaltigen  Zellen  (Chordascheide)  bedeckt  erscheint  und  nach 
KüPFFER  2  fest,  elastisch,  der  Knorpelgrundsubstanz  sehr  ähnlich  sein 
soll.  Eine  Zusammensetzung  der  Chorda  aus  polyedrisch  aneinander 
schheßenden  gleichartigen  Zellen,  wie  sie  Kowalewsky^  abgebildet 
hat,  beruht  nach  Kupffer  auf  schematischer  Darstellung. 

Bei  manchen  Ascidien  (Clavelina)  erscheint  aber  die  Chorda  nach 
der  Darstellung  Seeligers*  durch  kernhaltige,  scheibenförmige  Zeli- 
körper  quer  septiert,  was  wohl  wie  eine  Aneinanderpressung  groß- 
blasiger Zellen  gedeutet  werden  könnte.  Man  vergleiche  auch  die 
neueste  Mitteilung  von  Martini  5,  welcher  die  ganze  Chorda  als  eine 
syncytiale   Bildving  auffaßt. 

Das  »Kapselgewebe«  von  Fol,  welches  »aus  Zellen  mit  derben, 
kapselartigen  Membranen«  bestehen  soll,  »welche  miteinander  ver- 
kittet eine  elastische  und  dennoch  steife  Masse  bilden«,  deckt  sich 
zum  Teil  mit  meinem  chordoiden  Stützgewebe,  umschließt  aber  ander- 
seits auch  chondroide  Formen  und  echtes  Knorpelgewebe.  Fol  rechnet 
hierher  —  außer  der  Chorda  von  Amphioxus  —  das  Gewebe  am  Schirm- 
rande und  in  den  soliden  Tentakeln  der  Trachymedusen,  sowie  in  den 
Kopfarmen  mancher  festsitzender  Borstenwürmer,  in  den  Stützorganen 
des  Kauapparates  bei  Dentalium  und  den  gastropoden  Mollusken,  die 
embryonale  Chorda  der  höheren  Wirbeltiere  und  das  Skelet  der  Petro- 
myzonten. 

Von  allen  diesen  angeführten  Geweben  ist  aber  hierher  nur  noch 


1  Lehrbuch  1.  c.  S.  224  u.  338. 

2  Zur  Ent^väckhing  der  einfachen  Ascidien.     Arch.  mikr.  Anat.    Bd.  VIII. 
1872.  S.  358. 

3  Weitere   Studien   über  die  Entwicklung  der  einfachen  Ascidien.     Arch. 
mikr.  Anat.    Bd.  VII.   1871. 

4  Bronns  Kl.   u.   Ord.   III.  Bd.     Supplement,   Leipzig   1904.   S.  824. 

5  Studien  über  die  Konstanz  histologischer  Elemente.     I.   Oikopleura  longi- 
cauda.    Diese  Zeitschr.  Bd.  XCII.  1909.  S.  592. 


74  Josef  Schaff  er, 

ZU  rechnen  das  Stützgewebe  in  den  Tentakeln  der  Hydroid- 
polypen  und  jenes  im  Sctiirmrand,  in  den  Schirmspangen 
und  soliden  Tentakeln  der  Medusen. 

Für  die  Tentakel  der  genannten  Cölenteraten  bestellt  kein  Zweifel, 
daß  sie  aus  isolierbaren,  blasigen,  mit  festeren  Membranen  versehenen, 
ähnlich  den  Chordazellen  aus  dem  Entoderm  stammenden  Zellen  be- 
stehen, die  von  einer  Scheide  (dem  Stützlamellenschlauch)  zusammen- 
gehalten werden.     Weniger  klar  sind  die  Angaben  über  den  Bau  des 

O  <D  <T> 

Schirmrandes  gewisser  Medusen  (Geryonien),  welcher  einerseits  als 
knorpelig  beschrieben,  anderseits  aber  wieder  mit  dem  chordoiden 
Gewebe  der  Tentakelachsen  verglichen  wird. 

GegenbaurI  bildet  das  Angelorgan  einer  Bhizophysa  ab,  dessen  Körper 
aus  großen,  polyedrischen  Zellblasen,  »gewissen  Pflanzengeweben  .nicht  unähn- 
lich besteht«.  Später^  beschreibt  er  bei  Lizzia  in  den  Randtentake'n  polyedrische 
helle  Zellen,  die  weiterhin  in  einfacher  Reihe  übereinander  liegend  die  ganze  Dicke 
des  Tentakels  einnehmen.  »Die  Zellmembranen  bilden  übereinanderliegende 
Scheidewände  mit  wandständigem  Kern. «  Ebenso  gereihte  Zellblasen  bildet 
er  aus  den  starren  Tentakeln  einer    Qeryonia  (Cunina)  ab. 

Nach  Kölliker3  enthalten  die  Tentakel  der  (von  ihm  untersuchten) 
Hydroidpolypen  und  alle  soliden  Tentakel  von  Medusen  eine  aus  schönen  Zell- 
reihen gebildete  Achse,  welche  er  zur  »  einfachen  zelligen  Bindesubstanz  «  rechnet. 
»Die  Zellen  stehen  in  einer,  zwei  oder  mehr  Reihen,  haben  deutliche  Membranen, 
ein  den  Kern  einschließendes  Protoplasma,  von  welchem  meist  sternförmig  Fäden 
nach  verschiedenen  Gegenden  der  Zellwand  ausstrahlen  imd  neben  demselben 
noch  eine  helle  Flüssigkeit  als  Inhalt. «  Köllikeb  betrachtet  sie  als  elastische 
Stützbildungen  und  leitet  sie  bereits  vom  inneren  Epithel  des  Leibes  ab. 

An  andrer  Stelle*  betont  Kölliker  bereits,  daß  die  Zellen  der  »einfachen 
zelligen  Bindesubstanz «,  die  er  als  »rund  oder  dem  Runden  sich  nähernd «  be- 
zeichnet und  die  daher  dem  entsprechen,  was  ich  hier  als  »blasige  Zellen«  be- 
spreche, teils  als  Stützsubstanz  dienen  und  dann  eine  wässerige  Zellflüssigkeit 
und  festere  Membran  besitzen,  wie  z.  B.  die  Achsenzellen  der  Tentakel  der  Hydro- 
zoen,  die  Zellen  des  Zellenknorpels;  teils  als  Ausfüllungsmasse  verwertet  werden 
und  dann  zartere  Wandungen  und  ebenfalls  flüssigen  oder  mehr  protoplasmatischen 
Inhalt  besitzen.  Hierher  rechnet  er  die  blasigen  Zellen  der  Mollusken  und  Kruster 
und  die  Zellen  des  Fettgewebes.  (Betrachtet  man  aber  die  mechanische  Be- 
deutung dieser  Ausfüllungsmasse  näher,  so  kommt  es  schließlich  doch  auch  auf 
eine  stützende  Funktion  hinaus.) 

1  Beiträge  zur  näheren  Kenntnis  der  Schwimmpolypen  (Siphonophoren). 
Diese  Zeitschr.    Bd.  V.    1854.   Fig.  8,   Taf.  XVIII. 

2  Versuch  eines  Systems  der  Medusen  usw.  Ebendort,  Bd.  VIII.  1857. 
S.  227. 

3  Kurzer  Bericht  über  einige  .  .  .  vergleichend  anatomische  Untersuchungen. 
Würzburger  naturw.  Zeitschr.  Bd.  V.   1864.  S.  236. 

*  Icones  histologicae  oder  Atlas  der  vergl.  Gewebelehre.  Leipzig  1864/65. 
2.  Abt.   1.  Hft.    Die  Bindesubstanz  der  Cölenteraten. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.      75 

KöLLiKER  befaßt  sich  hier  selir  eingehend  niit  der  »zelligen  Bindesubstanz« 
der  Cölentcraten  und  bezeichnet  für  sie  als  charakteristisch,  daß  sie  einzig  und 
allein  aus  zelligen  Elementen  mit  Ausschluß  jeder  Zwischensubstanz  besteht. 
»Diese  Zellen  haben  immer  und  ohne  Ausnahme  deutliche  und  festere  Mem- 
branen. Die  Zellen  sind  allerdings  nur  durch  einfache  Konturen  abgegrenzt, 
dabei  aber  so  scharf  und  deutlieh  gezeichnet,  daß  man  unwillkürlich  an  Knorpel- 
zellen erinnert  wird. «  »Die  Zellen  sind  druckfest  und  werden  auch  von  kausti- 
schen Alkalien  und  schwächeren  Säuren  in  der  Kälte  so  wenig  angegriffen,  daß 
man  sie  damit  frei  darstellen  kann. « 

Diese  letztere  Angabe,  verbunden  mit  der  weiteren,  daß  die  Tentakelachsen 
mancher  Medusen,  z.  B.  Aequorea,  eine  bedeutende  Ähnlichkeit  mit  der  Chorda 
dorsalis  der  höheren  Tiere  erreichen,  läßt  wieder  deutlich  den  schon  wiederholt 
betonten  Widerspruch  erkennen,  in  welchen  Kölliker  bei  Beurteilung  des  Chorda- 
gewebes und  des  »Zellenknorpels«  geraten  mußte,  da  er  beide  Gewebe  als  solche 
ohne  Zwischen-  oder  Grundsubstanz  aufgefaßt  hat. 

Einer  ähnlichen  Unklarheit  begegnen  wir  in  der  Schilderung,  welche  gleich- 
zeitig HaeckelI  vom  Stützgewebe  der  Medusen,  das  er  als  M  e  d  u  s  e  n  k  n  o  r  - 
p  e  1  bezeichnet,  gegeben  hat. 

Er  beschreibt  diesen  »Knorpel «  bei  verschiedenen  Medusen  an  verschiedenen 
Stellen  und  unterscheidet  danach  einen  Ring-,  Spangen-  und  Tentakelknori^el. 
Bei  Glossocodon  {Liriope.)  bildet  ein  dünner  cylindrischer  oder  halbcylindrischer 
Knorpelring  den  untersten  Teil  des  Schirmrandes.  Er  gibt  dem  Mantelrand 
vermöge  seiner  mit  großer  Elastizität  verbundenen  Festigkeit  seine  bestimmte 
und  bleibende  Kreisform.  Er  besteht  aus  dicht  gedrängten  Reihen  kleiner  Knorpel- 
zellen, welche  durch  ziemlich  reichliche  Intercellularsubstanz  getrennt  sind. 

Bei  Carmarina  gehen  von  dem  Knorpelring  noch  mehrere  kurze,  haken- 
förmig gebogene  Ausläufer  in  Form  sehr  schmaler  Knorpelstreifen  (Mantelspangen) 
aus,   die  nur  aus  einer  einzigen   Reihe  von   Knorpelzellen   bestehen. 

Die  interradiären  Tentakel  bestehen  aus  sehr  großen,  wasserklaren  Zellen, 
die  nach  der  Abbildung  (Fig.  40)  ganz  chordoiden  Stützzellen  entsprechen;  dafür 
spricht  auch  die  weitere  Angabe,  daß  in  den  starren  Tentakeln  der  Aginiden, 
die  ebenfalls  aus  einer  Reihe  sehr  großer  Zellen  gebildet  werden,  die  Knorpel- 
kapseln der  einzelnen  Zellen  bisweilen  voneinander  isoliert  werden  können.  Dem- 
gegenüber macht  der  »Ringknorpel«  nach  der  Beschreibung  und  Abbildimg  von 
Haeckel  (Fig.  41  u.  70)  mit  den  breiten  Zügen  von  homogener  Intercellular- 
substanz —  »in  der  Mitte  zwischen  je  drei  Zellen  ist  sie  oft  breiter,  als  der  Quer- 
durchmesser der  Zellen  selbst«  —  und  den  protoplasmatischen  membranlosen 
Zellen  allerdings  eineii  sehr  knorpelähnlichen  Eindruck,  trotzdem  die  Intercellular- 
substanz nichts  enthält,  was  den  Knorjselkapseln  der  höheren  Tiere  entspricht 
und  auf  eine  schichtenweise  Ablagerung  deutete. 

Kölliker  2  bemerkt  auf  Grund  dieser  Darstellung  Haeckels,  daß  es  sich 
in  der  Tat  um  einen  echten  Knorpel  mit  Grundsubstanz  handelt,  der  von  dem- 
jenigen höherer  Tiere  nicht  verschieden  zu  sein  scheint.  Er  fügt  aber  an  der- 
selben Stelle  (S.  107)  hinzu:   »Es  kann  übrigens  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß 


1  Die  Familie  der  Rüsselquallen  (Geryonida).    Jen.  Zeitschr.   Bd.  II.    1866. 
S.  103,  307—316. 

2  Icones  histolog.  1.  c.  S.  106. 


76  Josef  Schaff  er, 

der  Geryonien-Knorpel  histologisch  unmittelbar  an  die  einfache  zellige  Binde- 
substanz der  Hydrozoen  sich  anreiht  und  daß  zwischen  beiden  nur  der  geringe 
Unterschied  besteht,  der  an  andern  Orten  zwischen  älterem  und  jüngerem  Knorpel 
sich  findet. « 

Es  ist  auffallend,  daß  diese  gewiß  höchst  bemerkenswerten  Angaben  Haeckels 
eigentlich  keine  Bestätigung  gefunden  haben.  GegenbatjrI  bezeichnet  den 
»Ringknorpel«  der  Geryoniden  als  ähnlich  zusammengesetzt,  wie  die  Tentakel- 
achsen der  Hydriformen  und  Medusen,  und  Kölliker  rechnete  ihn  später 2, 
wie  erwähnt,  zum  »Knorpel  ohne  Grundsubstanz«.  Eine  eingehende  Schilderung 
des  Stützgewebes  der  Polypoidenarme  hat  dann  F.  E.  Schulze  3  bei  Cordylo'phora 
lacustris  gegeben.  Der  handschuhfingerförmige  Stützlamellenschlauch  wird  von 
einem  soliden,  aus  großen,  vollsaftigen  Zellen  bestehenden  Achsenstrang  voll- 
ständig ausgefüllt.  An  allen  diesen  Zellen  unterscheidet  man  »deutlich  eine 
derbe  Membran,  welche  sich  sowohl  gegen  die  benachbarten  Teile,  als  auch  nach 
innen  zu  scharf  abgrenzt.  Durch  den  zum  großen  Teil  von  wasserheller  Zell- 
flüssigkeit erfüllten  Binnenraum  zieht  sich  ein  verästeltes  Netiz  von  Proto- 
plasmafäden, welches  von  einer  den  Kern  umhüllenden  centralen  Ansammlung 
ausgehend  an  der  Peripherie  mit  einer  primordialschlauchähnlichen,  dünnen 
Grenzlage  sich  verbindet.  Der  helle,  rundliche  Kern  zeigt  ein  sehr  großes,  stark 
lichtbrechendes  kugeliges  Kernkörperchen  .  .  .  Besonders  hervorheben  ^\dll  ich 
endlich  noch,  daß  es  mit  Hilfe  der  oben  angegebenen  Maceriermethoden  —  Vor- 
fixierung in  0,2%iger  Osmiumsäure  kurze  Zeit  (2 — 3  Min.),  nachträgliche Maceration 
mit  Müllers  Flüssigkeit,  Jodserum  oder  V2%iger  Kochsalzlösung  • —  außer- 
ordentlich leicht  gelingt  die  einzelnen  Zellen  sowohl  voneinander,  als  auch  von 
der  Umgebung  zu  trennen  und  so  vollständig  zu  isolieren,  daß  sie  in  dem  Stütz- 
lamellenschlauch hin-  und  herflottieren. « 

Ähnlich  schildert  F.  E.  Schulze*  den  Bau  der  Tentakel  von  Syncoryne 
Sarsii,  wobei  er  die  blasigen  Stützzellen  direkt  als  »  den  Chorda  dorsalis-Elementen 
ähnliche  Zellen«  bezeichnet  und  von   Tiarella  singularis^. 

Hamann  ^  bezeichnet  das  Gewebe  in  der  Tentakelachse  als  e  n  d  o  d  e  r  m  a  - 
les  Bindegewebe.  Er  schildert  den  feineren  Bau  der  Zellen  übereinstim- 
mend mit  F.  E.  Schulze.  Bei  den  Tubularien,  bei  welchen  das  Gewebe  am 
mächtigsten  entwickelt  auftritt,  liegt  der  Kern  der  Zellwandung  an;  diese 
besitzt  eine  blasige,  kugelige  Form.  Sonst  liegen  die  Zellen  »in  der  Tentakel- 
achse, wie  die  Geldstücke  in  einer  Geldrolle  oder  die  Zellen  im  Chordagewebe.  — 
Auch  bei  den  Tentakelachsen  der  jungen  Actinulae  ist  dies  der  Fall.  Beim 
erwachsenen  Tier  hingegen  liegen  dieselben  regellos  angeordnet,  wde  sie  auch 
im    Ringwulst    vorkommen«.      Hamann     bildet     auch     vollkommen     isolierte, 


1  Grundriß  der  vergl.  Anat.  Leipzig  1874.  S.  105. 

2  Handbuch  der  Gewebelehre.    6.  Aufl.  I.  Bd.    1889.    S.  114. 

3  Über  den   Bau  und  die   Entwicklung  von    Cordylophora  lacustris  Allm. 
Leipzig  1871. 

*  Über  den  Bau  von   Syncoryne  Sarsii  Loven  usw.    Leipzig  1873. 

5  Tiarella  singiilaris,  ein  neuer  Hydroidi^olyp.    Diese  Zeitschr.  Bd.  XXVII. 
1876.  S.  402. 

6  Der    Organismus    der   Hj^droidpolypen.     Jen.    Zeitschr.    Bd.  XV.    1882, 
S.  480  u.  f. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       77 

»chordaähnliclie«  Zellen  aus  der  Tentakelachse  einer  Pennaria  Cav.  ab  (Fig.  12, 
Taf.  XXlll). 

Eine  abweichende  Schilderung  gibt  JickeliI,  indem  er  zwischen  den  blasigen 
Zellen  der  Tentakelachsen  trennende  Lamellen  beschreibt,  welche  die  Stütz- 
lamelle  zwischen  die  Achsenzellen  hineinsenden  soll.  Wenn  sich  diese  Angabe, 
welche  in  Analogie  stände  mit  einer  im  nächsten  Abschnitt  zu  besprechenden 
Airffassung,  die  Klaatsch  vom  Bau  der  Amphioxus-Chorda,  entwickelt  hat,  be- 
wahrheiten würde,  dann  könnte  das  Gewebe  der  Tentakelachsen  bei  den  Hydroid- 
polypen  nicht  dem  koii.ipakten,  sondern  müßte  als  besondere  Form  dem  diffusen, 
chordoiden  Stützgewebe  zugerechnet  werden. 

Vogt  und  Yuxg'^  vergleichen  die  Stützzellen  in  den  Tentakelachsen  und 
Mantelspangen   mancher  Craspedoten   mit  Knorpelzellen. 

C.  Rael3  faßt  das  Tentakelgewebe  der  Hydroidpolypen  ähnlich  auf  wie 
das  Chordagewebe;  »nur  daß  hier  in  jeder  Zelle  eine  größere  Anzahl  von  Vacuolen 
entsteht  und  das  Protoplasma  zwischen  den  Vacuolen  als  zierliches  Plastinnetz 
zurückbleibt«.  Wie  oben  gezeigt  wurde,  kommen  diese  Verhältnisse  gelegentlich 
auch  im  Chordagewebe  vor,  so  z.  B.  in  der  Schwanzchorda  der  Ratte  und  nach 
Studnicka'I^  in  der  Chorda  mancher  Teleostier,  deren  Zellen  er  mit  den  sogenannten 
Knorpelzellen  gewisser  Cölenteraten,  Campanularia,  Limnocodium  (Entoderm- 
zellen  der  Tentakel),  weiter  den  Zellen  der  knorpeligen  Achse  der  Tentakel  von 
Spirographis  vergleicht.  Allerdings  muß  dazu  bemerkt  werden,  daß  es  sich  hier 
nicht  um  die  typische,  auf  der  vollen  Höhe  ihrer  mechanischen  Funktion  stehende 
Chordazelle  handelt.  Auch  Bergh^  stellt  das  Tentakelgewebe  mit  dem  der  Chorda 
als  epitJieliale  Stützgewebe  zusammen  und  bemerkt,  daß  sie  nicht 
ohne  weiteres  zu  den  bindegewebigen  Substanzen  gezählt  werden  können,  wegen 
des    Mangels  an  Intercellularsubstanz. 

ChUiS'ö  schließt  sich  in  der  Auffassung  des  Gewebes  bei  den  Hydroidpolypen, 
das  er  als  e  n  t  o  d  e  r  m  a  1  e  s  S  t  ü  t  z  g  e  w  e  b  e  bezeichnet,  hauptsächlich 
F.  E.  Schulze  und  Hamann  an.  Auch  er  betont  die  auffallende  Ähnlichkeit 
der  Achsenzellen,  besonders  in  den  mehrzelligen  basalen  Polstern  von  Tubularia 
mit  dem  Chordagewebe  der  Vertebraten.  »Unter  den  Medusen  lassen  sich  ähn- 
liche Verhältnisse   wie  bei  den   Hydroiden  nachweisen. « 

Ich  selbst  habe  das  chordoide  Stützgewebe  von  Tuhidaria  und 
Carmarina  hastata,  leider  nur  an  konserviertem  Material,  untersuchen 
können. 

Betreffs  der  allgemeinen  Anordnung  der  großen,  blasigen  Zellen 
im  basalen  Polster  von   Tubularia  kann  ich  auf  die  Textfiguren  von 


1  Der  Bau  der  Hydroidpolypen.     Morph.  Jahrb.  Bd.  VIII.  1883.  S.  390. 

^  Lehrbuch  der  prakt.  vergl.  Anatomie.  Braunschweig  1885/88.  Bd.  I. 
S.  163. 

3  Prinzipien  der  Histologie.  Anat.  Anz.  Verhandl.  Anat.  Ges.  IIL  Vers. 
Berlin  1889.  S.  48. 

i  Anat.  Hefte.  Bd.  XXI.  1903.  S.  450. 

^  Vorlesungen  über  die  Zelle  usw.     Wiesbaden  1894.    S.  95. 

6  Bronns  Kl.   u.    Ord.     Coelenterata.     IL  Bd.    2.  Abt.    1897.     S.  316. 


78  Josef  Schaff  er, 

GoDLEWSKi  jun.i  verweisen.  Die  äußerst  dünnen  Membranen  dieser 
Zellen  liegen  so  dicht  aneinander,  daß  sie  an  Schnitten,  ganz  ähnlich 
wie  im  blasigen  Gewebe  des  Krebses,  mit  dem  sie  die  meiste  Ähnlichkeit 
besitzen,  als  einfache  Scheidewände  erscheinen  (Fig.  19  AI).  Von  einer 
Mittellamelle  zwischen  den  blasigen  Zellen  im  Sinne  Jickelis  konnte 
ich  nichts  sehen.  Das  Vorhandensein  einer  solchen  ist  um  so  unwahr- 
scheinlicher, als  es  an  Material  aus  Müllers  Flüssigkeit  gelingt,  durch 
Streichen  der  Tentakel  mit  einer  flach  aufgelegten  Nadel  den  zelligen 
Inhalt  auszustreuen,  ähnlich  wie  dies  Schwann  von  der  Chordagallerte 
beschreibt.  Man  erhält  dann  oft  ganze  Zellgruppen  im  Zusammen- 
hang, während  die  Scheide  als  glattwandiger  leerer  Schlauch  zurück- 
bleibt. Allseitig  geschlossene  Zellblasen  zu  isolieren,  gelang  mir  auf 
diese  Weise  nicht,  obwohl  diese  Isolierbarkeit  nach  der  Angabe  der 
Autoren  außer  Zweifel  steht. 

Das  basale  Polster  mit  seinen  großen  Zellen  wird  von  den  kleineren 
Zellen  der  aufsitzenden  Tentakel  ringsum  durch  eine  dünne  Lamelle 
getrennt.  Die  kleinen  Kerne  der  blasigen  Zellen  sind  wandständig 
und  liegen  in  einer  stärkeren  Protoplasmaumhüllung,  die  als  dünnster 
Belag  die  Membran  der  Zellen  bedeckt,  ganz  ähnlich  wie  dies  beim 
Krebs  beschrieben  wurde. 

Die  der  Chordascheide  entsprechende  Umhüllung  der  blasigen 
Zellen  zeigt  eine  feine  Längsstreifung  und  ist,  entsprechend  dieser, 
positiv  einachsig  doppeltbrechend.  Bei  Zusatz  von  altem  Nelkenöl 
kehrt  sich  diese  Doppelbrechung  um,  wird  aber  nach  Entfernung  des 
Nelkenöls  mit  Alkohol  wieder  hergestellt. 

Diese  Tentakel  besitzen  einen  hohen  Grad  von  Elastizität;  biegt 
man  sie  mit  Nadeln  unter  der  Lupe  zusammen,  so  schnellen  sie  nach 
Entfernung  der  Nadeln  sofort  wieder  in  ihre  ursprüngliche  Lage  zurück. 
Die  starren  Tentakel  von  Carmarina  besitzen  eine  auffallend  dicke, 
anscheinend  homogene  Scheide,  ähnlich  etwa  wie  die  im  nächsten 
Abschnitt  zu  besprechenden  Mundeirren  von  Amyhioxus.  Sehr  auffällig 
ist  die  starke  Basophilie  dieser  Scheide;  sie  färbt  sich  stark  mit  Dela- 
FiELDs  Hämatoxylingemisch,  aber  auch  mit  Hämalaun  und  meta- 
chromatisch in  maximal  verdünntem  Thionin  oder  Safranin.  Sie 
besteht  aus  zwei  ungleich  dicken  Lagen:  einer  dünneren,  inneren,  die 
aus  feinsten  circulär  angeordneten  Fäserchen  besteht  und  stärker 
basophil  ist  als  die  dickere,  äußere,  längsstreifige  Lage,  an  welcher 
unmittelbar  die  Muskeln  inserieren. 

1  Zur    Kenntnis    der    Regenerationsvorgänge    bei    Tubularia    mesembryan- 
themum.     Arch.  Entwicklungsmech.    Bd.  XVIII.  1904. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       79 

Die  feinfaserige  Struktur  dieser  Scheide  ist  wahrscheinlich  durch 
eine  basophile  Kittsubstanz  maskiert  und  nur  an  Zerzupfungspräpa- 
raten  nachweisbar.  An  Schnitten  erscheint  sie  glasartig  durchsichtig, 
aber  ziemlich  stark  doppelt  lichtbrechend,  und  zwar  positiv,  entspre- 
chend der  Faserung.  Auch  diese  Doppelbrechung  läßt  sich  durch  Zusatz 
von  Phenolen  umkehren. 

Diese  Scheide  muß  in  Verbindung  mit  den  großen,  blasigen  Zellen, 
welche  sie  umschließt,  den  Tentakeln  den  hohen  Grad  von  Elastizität 
und  Festigkeit,  der  sie  auszeichnet,  verleihen.  Die  dünnen  Scheide- 
wände der  fest  aneinander  gepreßten  Zellen  erscheinen  am  Schnitt 
wieder  wie  einfache  Membranen,  über  welche  man  im  Profil  die  Kerne 
vorragen  sieht.  Diese  Kerne  sind  oft  in  der  Mehrzahl,  manchmal  in 
Gruppen  von  fünf  bis  sechs,  vorhanden,  die  wie  durch  Sprossung  ent- 
standen aussehen. 

Sie  liegen  in  einem  zarten,  großlöcherigen  Protoplasmanetz,  das 
größtenteils  den  Zellmembranen  anliegt,  in  feinen  Fäden  aber  auch  den 
von  Flüssigkeit  erfüllten  Raum  der  Zellen  durchspannt.  An  Schnitten 
aus  Müllers  Flüssigkeit  heben  sich  die  Membranen  vielfach  als  zu- 
sammenhängende Häutchen  von  der  Scheide  ab.  Eine  zweifellose 
Isolation  der  Zellblasen  ist  mir  an  meinem  konservierten  Material 
nicht  gelungen;  doch  muß  ich  eine  solche  mittels  entsprechender 
Methoden,  z.  B.  denen,  welche  F.  E.  Schulze  bei  den  Hydroidpolypen 
angewendet  hat,  voraussetzen. 

Der  elastische  Reifen  des  Schirmrandes  zeigt  nun  ganz  denselben 
Bau  wie  diese  Tentakel,  nur  daß  ihm  die  äußere  Lage  der  basophilen 
Faserscheide  fehlt,  an  deren  Stelle  sich  die  zarte  Gallerte  des  Schirmes 
selbst  findet. 

Wo  ein  starrer  Tentakel  von  diesem  Randreifen  entspringt,  gehen 
die  blasigen  Zellen  des  Reifens,  sowie  deren  stark  basophile  Scheide 
unmittelbar  in  und  auf  den  Tentakel  über;  nur  tritt  sofort  auch  die 
äußere  Schicht  der  Scheide  zur  inneren  hinzu. 

An  Schrägschnitten  durch  den  Randreifen  zeigt  er  stärker  gefärbte, 
bandartige  Längsstreifen,  die  teilweise  untereinander  unter  spitzen 
Winkeln  anastomosieren,  die  aber  mehr  den  Eindruck  einer  Pseudo- 
struktur infolge   der   zweifellos  vorhandenen  Schrumpfung  machen. 

Ein  »Medusenknorpel«  im  Sinne  Haeckels  ist  demnach 
nicht  vorhanden;  nirgends  konnte  ich  eine  stärker  entwickelte 
Intercellularsubstanz  mit  in  ihr  eingeschlossenen,  nackten,  proto- 
plasmatischen Kernen  finden.  Das  Skelet  von  Cmmarina  wird  viel- 
mehr   ausschließlich    von    einem    typischen    chordoiden    Stützgewebe 


80  Josef  Schaffer, 

gebildet,  das  zum  Aufbau  chordaäbnlicher,  wohl  abgegrenzter  Skelet- 
stücke  —  Scliirmreifen,  Maiitelspangen  und  Tentakel  —  verwendet 
erscheint. 

Hierher  gehört  endlich  noch  jenes  Gewebe  von  Am'phioxus,  welches 
von  manchen  Autoren  als  Knorpel,  insbesondere  von  KlaatschI  als 
^w^j/woxtts  -  Knorpel  bezeichnet  worden  ist,  wenn  auch  die  Zellen 
dieses  Gewebes  den  funktionellen  Charakter  gespannter  Blasen  kaum 
mehr  erkennen  lassen. 

Es  hat  zwar  schon  Eathke^  die  Grundlage  des  Tentakelapparates 
als  »Mundknorpel«  bezeichnet  und  Jon.  Müller  ^  sie  geradezu  mit 
den  Knorpelfäden  in  den  Kiemenblättern  der  Fische  verglichen;  trotz- 
dem sind  die  verschiedensten  Anschauungen  über  das,  was  man  bei 
dmphioxus  als  »  Knorpel «  zu  betrachten  habe,  geäußert  worden.  Ohne 
mich  auf  eine  erschöpfende  geschichtliche  Darstellung  der  Frage  ein- 
zulassen, erwähne  ich,  daß  Kathke  und  Jon.  Müller  auch  die  Kiemen- 
stäbe als  knorpelig  bezeichnen.  Ray  Lankester*  hat  jenes  galler- 
tige, von  Fasern  und  zelligen  Röhren  durchzogene  Gewebe,  das  sich 
in  der  Haut  besonders  mächtig  entwickelt,  im  Bereiche  der  Peri- 
branchialfalten  findet  und  sich  mit  Hämatoxylin  färbt,  für  eine  Art 
Knorpel  gehalten. 

Klaatsch  ^  wiederum  bezeichnet  die  Inhaltsmasse  der  ■  Mund- 
tentakel als  einen  zelligen  Knorpel,  der  direkt  mit  dem  Cyclostomen- 
knorpel  zu  vergleichen  sei  und  hebt  zuerst  die  ganz  intensive  Färb- 
barkeit  der  Hülle  oder  »Achsenscheide«  mit  Hämatoxylin  hervor. 
Nicht  ganz  in  Übereinstimmung  mit  dieser  Deutung  scheint  es  mir 
zu  stehen,  wenn  Klaatsch  gleichzeitig  die  auffallende  Ähnlichkeit 
des  Gewebes  mit  dem  der  Chorda  von  Ämphioxus  betont,  eine  Ähnlich- 
keit, die  bereits  Quatrefages*^,  Stieda",  Rolph^   und  Schneider  ^ 

1  Über  den  Bau  und  die  Entwicklung  des  Tentakelapparates  des  Am- 
'phioxus.    Verhd.  Anat.   Ges.   12.  Vers.  Kiel  1898. 

2  Bemerkungen  über  den  Bau  des  Amphioxus  lanceolatus.  Königsberg  1841. 

3  Über  den  Bau  und  die  Lebenserscheinungen  des  Branchiostoma  lubri- 
cum  usw.    Abhdl.  K.  Akad.  Wiss.  Berlin  1842.    1844. 

*  Contributions  to  the  knowledge  of  Amphioxus  lanceolatus.  Quart.  Journ. 
Micr.  Sc.  Vol.  XXIX,  1889. 

5  1.  c. 

G  Ann.  Sc.  Natur.  Ser.  III.   (Zool.)    Vol.  IV.   1845. 

■^  Mein,  de  l'Acad.  imper.  des  sc.  de  St.  Petersbourg.  VII.  Ser.  T.  XIX. 
1873.  Nr.  VII.  p.  27. 

8  Morph.  Jahrb.  Bd.  II.  1876.  S.  101  u.  f. 

ä  Beiträge  zur  vergl.  Anatomie  und  Entwicklungsgesch.  der  Wirbeltiere. 
Berlin,  Reimer,  1879.  S.  10. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       81 

hervorgehoben  haben  und  die  nach  der  Schilderung,  welche  Klaatsch 
vom  Cirrengewebe  gibt,  noch  größer  wäre,  als  sie  in  der  Tat  ist.  Er 
beschreibt  es  (bei  jungen  Stadien)  nämlich  als  » einfache  Zellsäulen, 
deren  Elemente  durch  genau  zur  Längsachse  gestellte  zarte  Septen 
geschieden  sind  ....  Die  Zellsepten  gehen  außen  in  eine  der  ganzen 
Zellsäule  gemeinsame,  aus  gleicher  Substanz  gebildete  Hülle  über.  .  . 
Beim  erwachsenen  Tier  erscheinen  die  Zellen  bedeutend  in  die  Länge 
gewachsen,  die  Septen  vielfach  geknickt,  gleichsam  zerknittert  und 
der  Zelliiihalt  durch   einen  Vacuolisierungsprozeß  aufgehellt.« 

Wie  ich  zeigen  werde,  gibt  es  zwischen  den  Zellen  des  Tentakel- 
gewebes solche  Septen,  die  etwa  den  dünnen,  homogenen  Chordaplatten 
des  Tieres  (v.  EbnerI)  entsprechen  würden,  nicht;  aber  Klaatsch  war 
in  keinem  Falle  berechtigt,  dieses  Gewebe  als  Knorpel  zu  bezeichnen, 
da  einerseits  die  Ähnlichkeit  mit  dem  »Zellknorpel  der  Cyclostomen« 
nicht  vorhanden  ist,  anderseits  die  »nahen  genetischen  Beziehungen 
von  Knorpel-  und  Chordagewebe«  nicht  genügen,  um  ein  chorda- 
ähnliches  Gewebe   als   »Knorpel«  hinzustellen. 

Joseph  2  hat  sich  sowohl  gegen  die  Auffassung  von  Ray  Lan- 
KESTER  als  gegen  die  von  Klaatsch  gewendet.  Gegen  ersteren  be- 
merkt er,  daß  die  von  ihm  für  Knorpel  gehaltene  Substanz  durch  ihre 
Konsistenz  vom  Knorpel  grundverschieden  ist  und  auch  nach  ihrer 
Verteilung  im  Körper  keinerlei  Beziehungen  zu  demselben  zeigt. 
Klaatsch  gegenüber  betont  er,  daß  der  Bau  des  Tentakelinhaltes  mit 
seinen  großen  Vacuolen  nicht  die  Bezeichnung  Knorpel  rechtfertige; 
vielmehr  erinnere  derselbe  an  die  merkwürdigen  Stützvorrichtungen 
bei  vielen  Wirbellosen,  z.  B.  an  die  soliden,  aus  einer  Zellreihe  be- 
stehenden Tentakelachsen  der  Hydroidpolypen. 

Dagegen  schildert  Joseph  in  dem  von  ihm  beschriebenen  Halb- 
cylinder  der  Mundtentakel,  in  den  Kiemenstäben  und  Velumzacken 
ein  zellenloses,  fibrilläres  Gewebe,  welches  durch  eine  intensive  Färb- 
barkeit  mit  Pikrinsäure  ausgezeichnet  ist;  dieses  Gewebe  faßt  er  als 
zellenloses  Vorstadium  des  zelligen  Knorpels  der  Cranioten  auf.  Wenn 
man  nun  auch  mit  Joseph  in  dem  zellenlosen  Zustande  dieses  »Am- 
'phioxus-ls.novjieh «  ein  » phylogenetisches  Stadium «  erblicken  wollte, 
so  muß  doch  betont  werden,  daß  auch  bei  den  niedersten  Wirbel- 
tieren,  den  Petrom3^zonten,   kein  Knorpelgewebe   vorkommt,   welches 


I   Über  den  Bau  der  Chorda  dorsalis  des  Amphioxus  lanceolatus.     Sitzb.  K. 
Akad.  Wiss.  Wien.    Bd.  CIV.  Abt.  III.  Okt.  1895. 

-  Beiträge   zur   Histologie   des  Amphioxus.     Arbeit.   Zool.   Inst,   zu  Wien. 
T.  XII.  Hft.  2.    1.  Febr.  1900. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  6 


82  Josef  Schaffer, 

ursprünglich  oxyphil  und  fibrillär  gebaut  wäre;  denn  selbst  der  soge- 
nannte harte  Knorpel  der  Cyclostomen  besitzt  nur  oxyphile  Höfe,  welche 
aus  einem  zunächst  basophilen  Vorstadium  entstehen.  Ausschließlich 
deshalb  jedoch,  weil  die  Kiemenbogen  als  Homologa  der  Kiemenstäbe 
des  Amphioxus  bei  höheren  Tieren  tatsächlich  aus  echtem  Knorpel 
bestehen,  auch  das  Gewebe  dieser  Kiemenstäbe  so  zu  bezeichnen, 
widerspricht  den  histologischen  Erfahrungen,  welche  uns  lehren,  daß 
für  die  Natur  eines  Gewebes  nicht  seine  organologische  Verwendung, 
sondern  nur  seine  Funktion  maßgebend  ist.  Als  Beweis  dafür  sei  auf 
eine  ganze  Reihe  von  Organen  hingewiesen,  welche  bei  verschiedenen 
Tieren  aus  den  verschiedensten  Bindesubstanzen  (fibrösem  Gewebe, 
blasigem   Stützgewebe,    Knorpel,    Knochen)   aufgebaut    sein   können  i. 

Ich  halte  die  von  Joseph  zusammengefaßten  zellenlosen  Gewebe 
nur  für  besondere  Verdichtungen  des  fibrillären  Bindegewebes,  eine 
Anschauung,  die  für  die  Kiemenstäbe  von  Rolph  ^  schon  bestimmt 
ausgesprochen  wurde. 

Van  Wijhe  ^  scheint  das  Skelet  der  Velartentakel  und  Kiemen- 
stäbe für  elastische  Substanz  zu  halten  und  gibt  an,  daß  es  mit  »Wei- 
GERTs  Kresof uchsin «  die  charakteristische  Blauschwarzfärbung  jener 
gäbe.  Auch  bestätigt  er  die  auffallende  Pikrophilie  und  fügt  in  der 
Anmerkung  (S.  26,  Anm.  2)  hinzu,  daß  das  Gewebe  mit  Knorpel  auch 
Anilinfarben  gegenüber  keine  Ähnlichkeit  zeige.  Dagegen  entwickelt 
Van  Wijhe  über  das,  was  beim  Amphioxus  als  Korpel  anzusehen  ist, 
eine  ganz  eigne  Auffassung:  der  einzige  Knorpel,  welchen  Amphioxus 
besitzt,  ist  im  Skelet  der  Girren  vorhanden,  dessen  Struktur  mit  seinen 
geldrollenähnlich  angeordneten  platten  Zellen,  die  von  einer  dicken, 
glashellen  Hülle  umgeben  sind,  an  diejenige  der  knorpeligen  Visceral- 
bogen  von  Teleostierlarven  erinnert.  Während  jedoch  Klaatsch  das 
Hauptgewicht  auf  den  zelligen  Inhalt  gelegt  hat,  ist  es  bei  Van  Wijhe 
die  glashelle  Hülle  im  Cirrenskelet,  die  aus  hyaliner  Knorpelsubstanz 
besteht;  er  findet  die  Ähnlichkeit  mit  dem  Chordagewebe  unwesentlich. 
»Ich  finde  nämlich  bei  in  Formol  fixierten  Tieren  —  andre  habe  ich 
in  dieser  Hinsicht  nicht  untersucht  — ,  daß  die  glashelle  Hülle  des 
Cirrenskeletes,  nicht  die  Chorda  oder  deren  Scheide,  auf  mit  Bismarck- 
braun  ganz  kurze  Zeit  gefärbten  Schnitten  tiefbraun  wird.    Mit  Alaun- 


1  Man  vgl.  hierzu  meine  Mitteilung :  »Anatomisch-histolog.  Untersuchungen 
über  den  Bau  der  Zehen  usw.    Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXXIII.  1905.  S.  268. 

2  1.  c.  S.  125. 

3  Beiträge  zur  Anatomie  der  Kopfregion  des  Amphioxus  lanceolatus.    Petrus 
Camper.    1.  Jahrg.  1901. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       83 

hämatoxylin  wird  sie  tiefblau,  und  mit  Safranin  zeigt  sie  die  für  Knorpel 
charakteristische  Orangefärbung. «  Auch  mit  Methylenblau  färbt  sich 
die  Knorpelhülle,  während  das  wabige  innere  Zellengerüst  farblos 
bleibt.  »Die  Struktur  des  Knorpels  ist  also  eigentümlich,  indem  die 
Zellen  in  der  Achse  des  Skeletstabes  nicht  ringsum  eine  Knorpelkapsel 
abscheiden,  sondern  nur  eine  gemeinschaftliche,  äußere  kernlose  Knor- 
pelhülle liefern. « 

Wie  Joseph,  würde  also  auch  Van  Wijhe  ein  zellenloses  Gewebe 
als  )>Äniphioxus-Knov])e\«  hinstellen;  nur  wäre  die  Knorpelnatur  dieses 
Gewebes  durch  seine  Basophilie  noch  wahrscheinlicher  gemacht.  Die 
Natur  dieser  Basophilie  müßte  allerdings  erst  genauer  untersucht 
Averden;  nach  A.  Schneider ^  verhält  sich  die  Gallertsubstanz  gegen 
Karmin  und  Säuren  ganz  wie  die  glashelle  Hülle  der  Girren,  und  nach 
Joseph  ^  färbt  sich  auch  das  Gallertgewebe  mit  Hämatoxylin  ähnlich 
wie  Knorpelgrundsubstanz. 

Aber  selbst,  wenn  die  Basophilie  der  Tentakelscheide  mit  jener 
von  Knorpel  vollkommen  übereinstimmen  sollte  —  was  in  der  Tat, 
wie  gezeigt  werden  soll,  der  Fall  ist  — ,  könnte  ich  mich  der  Auffassung 
Van  Wijhes  nicht  anschließen,  weil  es  mir  nicht  zulässig  erscheint, 
bei  der  Beurteilung  des  histologischen  Charakters  dieses  Gewebes, 
die  Matrixzellen  desselben,  welche  wir  in  der  centralen  Zellsäule  zu 
sehen  haben,  außer  acht  zu  lassen. 

Amfhioxus  besitzt  eben,  wie  schon  Stieda  (1.  c.)  und  dann 
M.  Jaquet^  ausdrücklich  betonen,  kein  echtes  Knorpelgewebe,  sondern, 
nach  meiner  Anschauung,  ein  chordoides  Stützgewebe,  welches  aller- 
dings zweckmäßig  modifiziert  erscheint,  um  die  Funktionen  eines 
Knorpelgewebes    auszuüben. 

Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  daß  bei  Amphioxus  das  eigen- 
tümliche Gewebe,  welches  dem  Tentakelapparat  zur  Stütze  dient, 
dem  Knorpelgewebe  der  höheren  Tiere  homolog  ist.  Der  feinere  Bau 
dieses  Gewebes,  welcher  im  allgemeinen  aus  den  vorstehend  angeführten 
Schilderungen  erhellt,  rechtfertigt  jedoch  nur  sehr  oberflächlich  einen 
Vergleich  mit  Knorpel  (Rathke,  Joh.  Müllre,  Klaatsch,  Van  Wijhe), 
sondern  läßt  sich  ungezwungen  auf  die  Verhältnisse  des  chordoiden 
Stützgewebes  zurückführen. 


1  1.  c. 

2  1.  c.  S.  111.    Daß  auch  schon  A.  Schneider  diese  Angabe  gemacht  haben 
soll,  wie  Joseph  sagt,  kann  ich  nicht  finden. 

3  Vogt  u.    Yung,  Lehrbuch  der  prakt.  vergl.  Anatomie,   II.  Bd.    1889/94. 
S.  335. 

6* 


84  Josef  Schaff  er, 

Allerdings  sind  die  Zellen  in  der  Achse  der  Skeletstücke  mehr  oder 
minder  stark  zusammengedrückt,  so  daß  letztere  im  Profil  gesehen 
ein  geldrollenartiges  oder  querstreifiges  Ansehen  darbieten,  wie  es  ja 
auch  die  Chorda  z.  B.  bei  Ammocoetes  oder  Froschlarven  im  äußersten 
Schwanzende  zeigt;  das  betrifft  aber  hauptsächhch  nur  die  (dünneren) 
Girren. 

In  den  größten  Gliedern  des  Cirrenträgers  zeigen  die  Zellen  ein 
unregelmäßig  blasiges  Aussehen,  ähnlich,  wie  es  Joseph  i  in  seiner 
Fig.  15  wiedergegeben  hat;  nur  finde  ich  die  Zellwände  viel  starrer 
und  glänzender,  als  es  dort  dargestellt  erscheint.  Der  Durchschnitt 
eines  solchen  Sketetstückes  (Fig.  20)  erinnert  dann  viel  mehr  an  eine 
typische  Chorda,  als  an  die  des  Amphioxus  selbst.  Der  ganze  zellige 
Inhalt  zeigt  sich  an  Schnitten  durch  fixierte  Objekte  manchmal  von 
der  umhüllenden  Scheide  auf  größere  Strecken  losgelöst;  auch  gelingt 
es  an  in  Mülleks  Flüssigkeit,  70%igen  Alkohol,  aber  auch  in  Sublimat 
fixierten  Cirren  leicht  den  zelligen  Inhalt  als  zusammenhängende  Säule 
aus  der  Hülle  zu  isolieren,  so  daß  ein  kontinuierlicher  Zusammenhang 
besonderer  intercellularer  Septen  mit  der  Scheide  (Klaatsch)  sehr 
unwahrscheinlich  ist. 

An  Schnitten  kann  jedoch  dieser  Eindruck  leicht  durch  die  eigen- 
tümliche Form  der  Zellen  entstehen;  diese  kann  aber  nur  an  isolierten 
Zellen  richtig  beurteilt  werden.  Die  Isolation  gelingt  ähnlich  wie  bei 
der  Chorda  an  Objekten  aus  MüLLERscher  Flüssigkeit. 

An  solchen  isolierten  Zellen  (Fig.  21)  sieht  man,  daß  es  sich  größten- 
teils um  hornige  Plättchen  mit  aufgesetzten  Hippen  und  Flügeln  handelt, 
welche  letzteren  im  optischen  Durchschnitt  wie  glänzende  Fasern 
oder  Streifen  erscheinen.  Die  größeren  dieser  Zellen  (im  Cirren  träger) 
zeigen  kleinere  und  größere,  aber  ganz  unregelmäßige,  blasige  Auf- 
treibungen, welche  in  flügeiförmige,  mit  Rippen  besetzte  und  aus- 
gefransten Rändern  versehene  Platten  übergehen.  Ich  kann  mich 
daher  nicht  der  Ansicht  von  Joseph  anschließen,  daß  die  Wände  der 
Zellen  auch  im  erwachsenen  Zustande  noch  protoplasmatisch  sind. 
Daß  RoLPH  in  den  Zellwänden  faserige  Differenzierungen  beschrieben 
hat,  wie  Joseph  2  angibt,  habe  ich  nicht  finden  können  (er  spricht 
nur  von  einer  zarten  Querstreifung  am  Querschnitte);  doch  würden 
sie  als  der  Ausdruck  der  aufgesetzten  Rippen  und  Flügel  ihre  Erklärung 
finden.     Rippen  und  Flügel   stehen  der  Hauptsache   nach   senkrecht 

1  Einige  anatomische  und  histologische  Notizen  über  Am'phioxus.    Arbeit, 
zool.  Inst.  Wien.    T.  XIII.  Hft.  2.  1901. 

2  1.  c.  >S.  20. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       85 

zur  Längsachse  der  Skeletstücke  und  verleihen  diesen  in  der  Total- 
ansicht oder  an  Längsschnitten  das  querstreifige  Ansehen. 

Die  Zellen  haben  hier  also  größtenteils  ihre  funktionelle  Bedeutung 
verloren,  weil  diese  auf  die  umhüllende  Scheide  übergegangen  ist. 
Etwas  ähnliches  sehen  wir  bei  der  Chorda  der  höheren  Selachier,  bei 
denen  die  Zellmembranen  verschmelzen  und  durchbrochen  werden; 
ich  verweise  hierzu  auf  das  S.  13  Gesagte. 

Die  Hülle  oder  Scheide,  welche  die  Zellen  in  den  Mundeirren  bei 
Amfhioxus  umschließt,  erreicht  im  Verhältnis  zur  geringen  Dicke  der 
Skeletstücke  eine  auffallende  Mächtigkeit,  welche  sie  in  Verbindung 
mit  ihrer  Konsistenz  befähigt,  die  stützende  Funktion  zu  übernehmen. 

Wie  man  an  Isolationspräparaten  und  Querschnitten  der  mäch- 
tigsten Basalglieder  sehen  kann,  besteht  diese  Hülle  aus  zwei  Lagen: 
einer  dicken,  inneren  (Fig.  20  ßÄ)  und  einer  dünnen,  äußeren^  {OS). 

An  den  Girren  ist  umgekehrt  die  letztere  stärker  entwickelt  und 
die  innere  gegen  das  sich  verjüngende  Ende  hin  kaum  wahrnehmbar, 
wenn  sie  nicht  mit  einem  basischen  Farbstoff  gefärbt  wurde.  Die 
innere  Lage  erscheint  an  in  Lack  eingeschlossenen  Präparaten  homogen 
(»elastische  Scheide«  A.  Schneider  »giashelle  Hülle«  Van  Wijhe) 
und  färbt  sich  auffallend  stark  mit  Hämatoxylin  (Klaatsch,  Joseph), 
Toluidinblau  (Joseph),  Bismarckbraun ,  Methylenblau,  metachroma- 
tisch mit  Safranin  (van  Wijhe),  ebenso  mit  Thionin  aus  maximal 
verdünnter  Lösung;  sie  färbt  sich  aber  auch,  was  ich  besonders  be- 
tonen möchte,  mit  Hämalaun.  Dieses  Verhalten  spricht,  wie  ich  an 
andrer  Stelle  2  ausgeführt  habe,  sehr  dafür,  daß  die  Scheide  eine  chon- 
dromucoide  Kittsubstanz  enthält.  Diese  Annahme  wird  noch  wahr- 
scheinlicher gemacht  dadurch,  daß  sich  die  Scheide  auch  mit  allen 
empfindlichsten  Knorpelfärbungen,  über  die  wir  heute  verfügen,  stark 
und  electiv  färbt,  so  mit  dem  sauren  Toluidinblau  nach  Lundvall, 
mit  dem  sauren  Methylenblau  nach  Hansen  und  mit  stark  alkoholischer, 
salzsaurer  Lösung  von  Thionin  (Thionin  0,25,  96%  Alkohol  100,  Salz- 
säure 1). 

Trotz  dieser  vollkommenen  und  ganz  auffallenden  färberisclien 
Übereinstimmung  der  Scheide  mit  typischem  Hyalinknorpel,  möchte 
ich  es  dahingestellt  sein  lassen,  ob  der  Gehalt  an  Chondroitinschwefel- 
säure  diese  charakteristische  BasophiUe  der  Scheide  bedingt.  Dies 
müßte  die  chemische  Untersuchung  lehren,  die  mir  nicht  unmöglich 
scheint.     Offenbar  bedingt  aber  diese  basophile  Kittsubstanz,  wie  das 

1  Vgl.  A.  Schneider  1.  c.  Taf.  XIV,  Fig.  6. 

2  Anat.  Anz.  Bd.  XXIII.  1903.  S.  527  u.  f. 


36  Josef  Schaffer, 

Chondromucoid  im  Knorpel,  eine  Versteifung  der  Scheide  und  ist  wohl 
auch  der  Grund  dafür,  daß,  wie  schon  A.  Schneider  gezeigt  hat,  letztere 
ffegen  Essigsäure,  selbst  beim  Kochen  widerstandsfähig  ist.  Wie  man 
sich  an  Isolationspräparaten  aus  Müllers  Flüssigkeit  und  Alkohol, 
nach  Joseph  an  mittels  Cochenillealaun  oder  Boraxkarmin  gefärbten 
Schnitten  überzeugen  kann,  zeigt  diese  Scheide  eine  deutlich  circuläre 
Faserung,  was  schon  Rolph  angibt.  Umgekehrt  ist  die  äußere  Lage 
deutlich  längsgefasert,  oxyphil  und  an  den  dicken  Basalgliedern,  die 
sie  ununterbrochen,  die  Zwischenräume  zwischen  ihnen  überbrückend, 
verbindet,  von  einer  Keihe  kleiner  Kerne  belegt.  Sie  muß  also  als  von 
außen  aufgelagert  betrachtet  werden,  während  die  innere,  basophile 
Schicht  als  Produkt  der  chordoiden  Zellen  aufzufassen  ist. 

Die  längsfaserige  Außenschicht  besitzt  an  den  Basalgliedern  nur 
eine  geringe  Entwicklung,  ist  aber  in  Gestalt  einer  dünnen  Membran 
auch  zwischen  den  Basen  der  Cirren  ausgespannt,    so  daß  sie  diese 
etwa  wie  eine  Schwimmhaut  die  Zehen  verbindet  i.     An   den  freien 
Cirren  erreicht  die  Längsfaserschicht  eine  beträchtliche  Mächtigkeit, 
so  daß  sie  gegen  das  Ende  zu  die  innere,  circuläre  bedeutend  an  Dicke 
übertrifft.     Besonders  auffallend  ist  dieses  Verhalten,  wenn  man  den 
Tentakelapparat   mit   dem    polarisierenden   Mikroskop   untersucht,   da 
hierbei  an  den  freien  Cirren  die  Längsfaserschicht  aliein  wirksam  zu 
sein  scheint.     Sie  zeigt  eine   stark  positive  Doppelbrechung  mit  der 
optischen  Achse  in  der  Längsrichtung  der  Cirren  gelegen,  während  der 
zellige  Inhalt  bei  dieser  Stellung  negativ  wirkt;    die  innere  circuläre 
Lage  kommt  optisch  gar  nicht   zum  Ausdruck.     Orientiert  man  also 
einen   Cirrenstab    zwischen    gekreuzten   Nikols    über   einer   Gipsplatte 
Rot  /.  0.    parallel   zur   Additionsrichtung,   so    erscheinen   die   beiden 
Oberflächenstreifen    der    Scheide   intensiv   blau,    der    Inhalt    gelblich. 
Nach  diesen  Bildern  könnte  man  glauben,  daß  der  Cirrus  eine  andre 
Scheide   als   die  längsfaserige   überhaupt  nicht  besitzt.     Bringt  man 
jedoch  den  Cirrenträger  in  dieselbe  Stellung,   so   folgt  auf  die  ober- 
flächliche blaue   Schicht   eine,   diese   an   Breite   übertreffende  optisch 
nahezu  neutrale,   also  in  allen  Azimuthen  die  Farbe  des  Gipsgrundes 


1  Belage  und  Herouard  (Traite  de  Zool.  concr.  T.  VIII,  1898.  p.  85) 
erwähnen  diese  Einrichtung  kurz  als  » palmature «.  Van  Wijhe  (1.  c.  S.  22)  be- 
zeichnet die  Membran  als  »Fascie,  die  den  inneren  und  äußeren  Lippenmuskel 
trennt«  und  bildet  sie  wiederholt  am  Querschnitte  (Fig.  4  u.  8),  sowie  von  der 
Fläche  in  Fig.  7  ab.  Mechanisch  muß  man  dieser  Einrichtung  eine  große  Be- 
deutung für  das  Tier  zusprechen,  da  sie  die  Wirkung  des  Cirren apparates  zu  der 
einer  kräftigen  Flosse  gestaltet. 


über  den  feineren  Bau  ii.  d.  Entwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       87 

zeigende;  das  ist  die  innere  circuläre  Schicht.  Diese  ist  in  Wirklichkeit 
nicht  optisch  neutral ;  ihre  geringe,  in  Radien  senkrecht  zur  Oberfläche 
des  Cylinders  positive  Doppelbrechung  kann  infolge  der  circulären 
Anordnung  der  Fibrillen  nicht  zur  Geltung  kommen. 

Behandelt  man  einen  Cirrus  mit  Salizylaldehyd,  dann  erscheint 
die  positive  Doppelbrechung  in  der  äußeren  Scheide  umgekehrt,  während 
die  des  zelligen  Inhaltes  unverändert  bleibt;  es  herrscht  hier  demnach 
ganz  dasselbe  Verhalten,  wie  es  v.  Ebner  für  die  Chordascheide  und 
ihren   Inhalt  nachgewiesen  hat. 

Kurz  zusammengefaßt  haben  wir  im  Tentakelapparat  von  Am- 
'phioxus  ein  chordoides  Stützgewebe  vor  uns,  bei  dem  die  Scheide,  welche 
durch  eine,  wahrscheinlich  chondromucoide  Kittsubstanz  versteift  er- 
scheint, die  stützende  Funktion  übernommen  hat,  während  die  Zellen 
ihre  funktionelle  Gestalt  größtenteils  eingebüßt  haben,  aber  noch 
isolierbar  geblieben  sind. 


Zum  Schlüsse  sei  mir  noch  die  Bemerkung  gestattet,  daß  ich  weit 
davon  entfernt  bin,  zu  glauben,  eine  erschöpfende  Darstellung  des 
blasigen  Stützgewebes  von  chordoidem  Typus  gegeben  zu  haben. 
Hier  galt  es  nur  nachzuweisen,  daß  die  Chorda  dorsalis  weder  dem 
Knorpel-  noch  dem  Epithelgewebe  zugerechnet  werden  kann,  sondern 
der  typische  Repräsentant  einer  weit  verbreiteten  und  formenreichen 
Gewebegruppe  ist,  deren  ausgesprochen  mechanische  Bedeutung  und 
Rolle  auf  der  Verwendung  von  großen,  blasigen  Zellen  mit  wider- 
standsfähigen, durch  Turgordruck  gespannten  Membranen  beruht. 

Sicher  ist  vielen  Zoologen  das  Vorkommen  von  blasigen  Zellen 
ähnlicher  Form  und  Bedeutung  an  manchen  Stellen  bei  andern  Wirbel- 
losen bekannt.  So  sind  vielleicht  die  sogenannten  »Blasenzellen«  im 
Parenchym  der  Trematoden  hierher  zu  rechnen,  von  denen  Schwarze  i 
und  Walter 2  übereinstimmend  annehmen,  daß  die  Turgescenz  der 
blasenförmigen  Zellen  wesentlich  ist  zur  Erhaltung  der  Spannung  der 
Haut. 

Von  besonderem  Interesse  scheint  mir  der  Hinweis  von  Chun  ^ 
zu  sein,  daß  auch  das  Ectoderm  ähnliche,  nur  durch  ihre  enorme  Größe 


1  Die  postembrjonale  Entwicklung  der  Trematoden.  Diese  Zeitschr. 
Bd.  XLIII.   1885/86.  S.  59. 

~  Untersuchungen  über  den  Bau  der  Trematoden.  Ebendort,  Bd.  LVI. 
1893.  S.  204. 

3  Zur  Morphologie  der  Siphonophoren.  Zool.  Anz.  Bd.  X.  1887.  S.  529 
und  Bronns  Kl.  und  0.  1.  c.    S.  307  u.  f. 


88  Josef  Schaffer, 

auffallende  blasige  Stützzellen  bilden  kann.  So  z.  B.  bei  einigen  Physo- 
phoren,  wo  sie  im  Umkreis  des  Lufttrichters  ein  elastisches  Polster 
bilden.  »Auf  den  Nesselköpfen  der  Chalicophoriden  und  vieler  Physo- 
phoriden  treten  gleichfalls  Ectodermzellen  von  ungewöhnlichen  Dimen- 
sionen auf,  welche  die  Rolle  von  Stützzellen  spielen. « 

Wir  sehen  also,  daß  alle  drei  Keimblätter  Elemente  liefern,  welche 
sich  zu  der  gleichen,  gegenseitig  bedingten,  Funktion  und  Form  diffe- 
renzieren können;  mit  andern  Worten:  Die  Funktion  eines  Gewebes  — 
und  was  hier  von  der  mechanischen  gezeigt  wurde,  gilt  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  von  der  physiologischen  Funktion  im  allgemeinen — 
ist  nicht  unbedingt  gebunden  an  die  histogenetische  Abstammung. 
Diese  Bemerkung  scheint  mir  bei  der  heute  noch  immer  herrschenden 
Ansicht  von  der  unbedingten  Spezifität  der  Keimblätter  nicht  über- 
flüssig zu  sein. 

Wien,  im  Mai  1910. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  I. 

Fig.  1.  Durch  Zerzupfen  mit  Nadeln  isolierte  Zellen  der  in  ^/2%iger  Über- 
osmiumsäure  gehärteten  Chorda  dorsalis  von  Ammocoetes.  K,  Kern  einer  Zelle. 
Vergr.  500. 

Fig.  2.  Isolierte  blasige  Stützzellen  aus  dem  Mantelgewebe  von  Limnaea 
stagnalis.  a.  aus  ^/2%igeY  Osmiumsäure,  ungefärbt  in  Glyzerin- Wasser,  b.  aus 
MüLLERscher  Flüssigkeit  mit  Hämalaun-Kongorot  gefärbt.  M,  Membran ;  31',  Riß- 
rand dieser;  K,  vvandständiger  Kern  mit  dem  umgebenden  Protoplasma.  Vergr.  500. 

Fig.  3.  Schnitt  durch  blasiges  Stützgewebe  aus  dem  Mantel  einer  Paludina 
vivipara  (Juli).  Formalin,  Delafields  Hämatoxylingemisch-Eosin.  BZ,  chor- 
doide,  blasige  Stützzellen;  KZ,  Kalkzellen;  Z,  Zwischengewebe  mit  Pigment. 
Vergr.  110. 

Fig.  4.  Zwei  blasige  Stützzellen  und  eine  Kalkzelle  (KZ)  desselben  Ob- 
jekts bei  500 f acher  Vergr.  31,  Membran  der  chordoiden,  blasigen  Stützzellen; 
K,  Kern;  P,  centrales  Protoplasmaklümpchen  mit  Pigmentkörnchen,  von  dem 
Protoplasmafäden  zur  Membran  gehen;  31',  Membran  der  Kalkzelle;  K,  Kern 
dieser,  umhüllt  von  einer  Anzahl  konzentrischer,  verknitterter,  stark  blau  gefärbter, 
häutchenartiger  Bildungen  J. 

Fig.  5.  Blasiges  Stützgewebe  aus  dem  Mantel  einer  im  November  ge- 
fangenen Paludina,  fast  ausschließlich  aus  Kalkzellen  bestehend.  Zupf präparat  aus 
l%iger  Osmiumsäure  in  Glyzerin-Wasser.  Die  Kalkzellen  zeigen  leichte  Lösungs- 
erscheinungen ihres  Inhaltes,  so  daß  die  Membran  31  deutlich  sichtbar  wird. 
Der  Kalkkern  K  zeigt  vielfach  eine  grubige  Oberfläche,  K',  oder  ein  radiär  und 
konzentrisch  gestreiftes  Aussehen,  K".     Vergr.  110. 


über  den  feineren  Bau  u.  die  Eiitwickl.  d.  Knorpelgewebes  usw.  III.       89 

Fig.  6.  Kalkzellen  aus  dem  Mantelgewebe  von  Paludina  vivipara  bei  500- 
f acher  Vergr.  a — c,  frisch  nach  Behandlung  mit  l%iger  Osmiumsäiire  in  Glyzerin- 
Wasser  untersucht;  d — /,  aus  Celloidinschnitten  des  in  Formalin  fixierten  Ge- 
webes mit  Delafields  Hämotaxylingemisch-Eosin  gefärbt,  a,  beginnende  Lösung 
der  Kalkraasse ;  die  Mitte  O  ist  bei  hoher,  der  radiär  gestreifte  Rand  bei  mittlerer 
Einstellung  gezeichnet;  M.  Zellmembran;  b,  scheinbar  leere  Membran,  innerhalb 
welcher  aber  noch  schattenhaft  eine  Rindenzone  R  sichtbar  ist;  c,  leere  Mem- 
bran mit  stark  glänzendem  Inhaltskörper  J;  d,  stark  blau  gefärbte  und  radiär 
gestreifte  Rindenzone;  in  der  centralen  Höhle  ein  schwächer  blau  gefärbter  Rest; 
e,  deutliche  konzentrische  Schichtung  und  schwache  radiäre  Streif ung;  /,  radiäre 
Streifung  und  Zerklüftung  bis  auf  einen  centralen  Kern  K. 

Fig.  7.  Blasiges  Stützgewebe  vom  Flußkrebs.  Formalin,  Hämalaun; 
Paraffinschnitt.  M,  Zellmembran  von  der  Fläche;  K,  Kern;  T,  Trägersubstanz. 
Vergr.  365. 

Fig.  8.  Aus  einem  Durchschnitt  durch  den  Mantel  einer  Ascidia  mammil- 
laris.  Pikrinsublimat.  Hämalaun.  B,  leere  Zellblasen  verschiedener  Größe; 
Z,  protoplasmatische  Zellen;  G,  Grundsubstanz;  S,  dünne  Scheidewand  zwischen 
zwei  Blasen;  bei   S'  gefaltet;  l,  Stauchungslinien.     Vergr.   150. 

Fig.  9.  Querschnitt  durch  einen  Teil  der  seitlichen  Hälfte  des  arachnoi- 
dalen  (perimeningealen)  Füllgewebes  eines  19  cm  langen  Ammocoetes.  Pikrin- 
sublimat, Van  Giesons  Färbung.  D,  dorsale,  äiißere,  der  Dura  vergleichbare 
Faserschicht;  P,  der  oberflächlichen  Gliahülle  unmittelbar  anliegende,  der  Pia 
entsprechende  Faserschicht,  g,  schleimhaltige  Grundsubstanz  mit  bindegewebigen 
Häutchen;  b,  collagenen  Bündelchen,  z,  ästigen  Bindegewebszellen,  BZ,  großen 
Blasenzellen.     Vergr.  500. 

Fig.  10.  Eine  durch  Zerzupfen  mit  Nadeln  isolierte  blasige  Zelle  aus  dem 
arachnoidalen  Füllgewebe  eines  in  MÜLLEBscher  Flüssigkeit  gehärteten  Ammo- 
coetes. M,  doppeltkonturierte  Membran;  R,  Rindenschicht  des  Protoplasmas; 
P,  Protoplasmastränge,  welche  den  Kern  K  und  das  ihn  umgebende  Protoplasma 
mit  der  Rindenschicht  verbinden;  F,  Fetttropfen.     Vergr.  557. 

Fig.  11.  Eine  Partie  des  arachnoidalen  Füllgewebes  von  der  Decke  des 
vierten  Ventrikels  eines  19  cm  langen  Ammocoetes.  Querschnitt.  Pikrinsubl. 
VAN  GiEsoNs  Färbung.    Vergr.  500. 

Fig.  12.  Blasiges  Stützgewebe  der  Chorioidea  von  Petromyzon  marinus. 
g,  die  äußere  Grenze  gegen  den  Blutraum  zwischen  Chorioidea  und  Sclera;  BZ, 
blasige  Zellen;  P,  Pigmentzellen  zwischen  diesen;  B,  Bindegewebsbündelchen. 
Vergr.  110. 

Fig.  13.  Zwei  einzelne  Zellen  dieses  Gewebes  mit  verschiedenen  Formen 
von  Glykogenresten.  a,  mit  homogener,  wie  zersprungener,  die  ganze  Zelle  aus- 
füllender Masse;  b,  mit  zahlreichen  Kügelchen.     Ä",  Kern.     Vergr.  500. 

Tafel  II. 

Fig.  14.  Ein  RENAUTsches  Knötchen  aus  einem  Ast  des  N.  plantaris 
vom  Hingerichteten.  Zenkebs  Fl.,  Delafields  Häm.-Eosin.  P,  Perineurium; 
N,  Nervenfasern;  B,  blasige  Zellen;  L,  konzentrische  Lamellen  um  diese.  Vergr.  110. 

Fig.  15.  Gekammerte  Blasenzellen  aus  dem  oberflächlichen  Endoneurium 
des  N.  facialis  vom  Pferd.     Müllees  Flüss. 

Fig.  16.     Gewebe    des    Sinuskissens    eines    Tasthaares   der   weißen    Ratte. 


90  Josef  Schaffer,  Über  d.  feineren  Bau  u.  d.  Entw.  d.  Knorpelgewebes  nsw.  III. 

Aus  einem  Querschnitt  des  in  ^/2%iger  Osmiumsäure  fixierten  Haares.  Binde- 
gewebsfärbung  nach  Mallory.  K,  Kern;  Z,  durchsichtiger  Zellkörper;  F,  Binde- 
gewebsfaserbündel ;  M,  Grenzmembran  gegen  den  Ringsinus;  B,  rote  Blutkörper- 
chen dieses  Sinus.     Vergr.  500. 

Fig.  17.  Isolierte  Zellen  aus  dem  lumbalen  Gliawulst;  a  und  h  eines  fast 
reifen  Taubenembryo,  Pikrinsublimat ;  c  und  d  von  der  erwachsenen  Taube,  i/2%ige 
Osmiumsäure  durch  24  Stunden.  Beide  nach  Färbung  mit  Hämalaun-Eosin  in 
Glyzerin-Wasser  zerzupft.     Vergr.  500. 

Fig.  18.  Eine  Partie  aus  dem  intervertebralen  Chordasegment  (dem  achten 
von  der  Schwanzspitze  an  gerechnet)  einer  1  Jahr  alten  weißen  Maus.  Zenkers 
Fl.,  Delafields  Häm.-Eosin.  M,  Zellmembran;  K,  wandständiger  Kern;  P, 
Protoplasmastränge  zwischen  den  extrahierten  Glykogentropfen.     Vergr.  500. 

Fig.  19.  Blasiges  Stützgewebe  aus  dem  massigen,  basalen  Tentakelträger 
von  Tubuluria  mesembryanthemum.  Sublimat,  Hämalaun-Eosin.  31,  Zellmem- 
branen; K,  wandständiger  Kern;  P,  Protoplasma  (Plastin)-Stränge.    Vergr.  365. 

Fig.  20.  Aus  einem  sagittalen  Längsschnitt  durch  einen  Skeletstab  des 
Cirrenträgers  von  Amphioxus  (4,5  cm  langes  Exemplar,  Neapel).  Pikrinsublimat, 
Hämalaun-Eosin.  ZE,  geschlossene  Enden  der  blasigen  Zellen;  K,  Kerne  der 
Zellen;  BS,   basophile;    OS,   oxyphile   Scheide.      Vergr.  720. 

Fig.  21.  Drei  isolierte  Zellen  aus  einem  Skeletstabe  des  Cirrenträgers  von 
Amphioxus  nach  Härtung  in  Müllers  Flüssigkeit.  Färbung  mit  Eosin,  Unter- 
suchung in  Glyzerin-Wasser.  Bei  I  vollständig  isolierte  blasige  Zelle  mit  Druck- 
facetten; bei  //  zwei  noch  leicht  zusammenhängende  Zellen.  E,  ausgefranstes 
Ende;  K,  Kern.     Vergr.  720. 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren. 

Von 

Walther  Kolmer. 

(Aus  dem  Institut  für  Anatomie  und  Physiologie  der  Hochschule 
für  Bodenkultur  in  Wien.) 


Mit  Tafel  III. 

Vor  etwa  Jahresfrist  machte  ich  die  merkwürdige  Beobachtung, 
daß  das  Auge  von  Pteropus  medius  in  seinem  Bau  sich  in  auffallender 
Weise  von  den  Augen  der  andern  Säuger,  ja  aller  Wirbeltiere  über- 
haupt, unterscheidet,  und  habe  in  einer  kurzen  Notiz  die  Physiologen 
auf  diese  Tatsache  aufmerksam  gemacht.  Seither  habe  ich  mich  nach 
Kräften  bemüht,  zu  erfahren,  ob  überhaupt  irgend  ein  andres  Auge 
einen  ähnlichen  Bau  zeige.  Es  scheint  sich  aber  herauszustellen,  daß 
dies  nicht  der  Fall  ist,  und  daß  also  das  Auge  der  Macrochiropteren 
einen  ganz  besonderen  und  alleinstehenden  Typus  darstellt.  Dieses  und 
die  Gelegenheit,  einen  Pteropus  neuerdings  längere  Zeit  zu  beobachten 
und  seine  Augen  nach  bester  Konservierung  zu  untersuchen,  recht- 
fertigen es  wohl,  dieses  Auge  genauer  zu  schildern. 

Das  Tier,  welches  ich  beobachtete,  war  ein  offenbar  ausgewachsenes 
männliches  Exemplar  von  Pteropus  medius.  Das  Tier  wurde  etwa 
2  Monate  im  Zimmer  gehalten  und  war  vollkommen  zahm,  fraß  Apfel 
aus  der  Hand  und  war  gewohnt,  seinen  Käfig  manchmal  zu  verlassen 
und  selbst  wieder  die  Stange,  an  der  es  darin  hing,  aufzusuchen.  In 
seinem  Verhalten  war  eigentlich  von  Lichtscheu  keine  Rede,  wenn 
ihm  auch  direktes  Sonnenlicht  oder  eine  nahegehaltene  elektrische 
Lampe  unangenehm  schien.  (Übrigens  zeigen  auch  viele  Microchiro- 
pteren  dieses  Verhalten,  so  sah  ich  täglich  die  Fledermäuse  [Vesperugo 
pipistrellus]  in  Neapel  bei  hellstem  Sonnenschein  kurz  nach  Mittag 
fliegen  und  auch  oft  mit  vielen  Wolframlampen  versehene  Kronleuchter 
umkreisen.) 


92  Walt  her  Kolmer, 

Das   Tier   scliien   sehr   gut   bei    normaler   Zimmerbeleuchtung   zu 

sehen. 

Es  folgte  bei  Annäherung  des  Beobachters  oder  eines  Gegenstandes 
mit  Aufmerksamkeit  seinen  Bewegungen.  Es  kletterte,  wie  dies  ja 
bekannt  ist,  sehr  geschickt  herum  und  orientierte  sich  offenbar  auch 
bei  hellem  Licht  gut  mit  den  Augen.  In  unbequeme  Lage  gebracht, 
faßte  es  rasch  in  der  Nähe  befindliche  Gegenstände,  und  auf  den  Boden 
gelegt,  kroch  es  direkt  auf  Stuhlbeine,  Kastentüren  usw.  zu,  um  sofort 
an  diesen  emporzuklettern. 

Die  Pupille  war  dabei  stets  stecknadelgroß,  auch  bei  der  schwäch- 
sten Beleuchtung,  bei  der  sie  sichtbar  war,  kaum  merklich  größer.  Eine 
accommodative  Veränderung  war  daran  nicht  nachzuweisen. 

Da  es  von  Interesse  war,  zu  wissen,  ob  die  eigentümliche  Netzhaut 
im  Spiegelbilde  Besonderheiten  zeigen  würde,  hatte  Herr  Frivatdozent 
Dr.  Sachs  die  Liebenswürdigkeit,  das  Tier  zu  untersuchen.  Es  zeigte 
sich  nach  seiner  Aussage  ein  grauschwarzer,  chagrinierter,  keinerlei 
Differenzierung  bietender  Augenhintergrund,  in  dem  keine  Gefäße  zu 
sehen,  nur  die  Papilla  Nervi  optici  deutlich  zu  erkennen  war.  Das 
Tier  schien  emmetrop  zu  sein.  Die  A  tropin  Wirkung  war  eine  recht 
starke  und  hielt  trotz  der  geringen  Dosis  (1  Tropfen  1  :  1000)  an  beiden 
Augen  mehrere  Tage,  an  dem  atropinisierten  über  8  Tage  an.  Dabei 
war  das  Tier  etwas  lichtscheu. 

Behufs  Konservierung  wurde  das  Tier  mit  Äther  narkotisiert; 
der  eine  Bulbus  wurde  exstirpiert,  mit  Osmiumdämpfen,  dann  mit 
2%iger  Osmiumsäure  behandelt,  schließlich  in  4%iges  Formalin 
gebracht.  Teile  dieses  Bulbus  wurden  mit  Wasserstoffsuperox^^d 
depigmentiert.  Das  Tier  wurde  dann  von  der  Aorta  aus  mit  körper- 
warmer KiNGERscher  Lösung  durchspült,  und  nachdem  aus  dem  rechten 
Herzen  die  Lösung  farblos  auslief,  mit  Kaliumbichromat-Formol-Eis- 
essig  injiziert,  einer  Lösung,  die  nach  meiner  Erfahrung  bei  gleichzeitiger 
guter  Erhaltung  der  topographischen  Verhältnisse  am  raschesten  gleich- 
mäßig alle  Gewebe  durchdringt  und  bei  Anwendung  der  Beizfärbungen 
die  Differenzierung  feinerer  Zellstrukturen  mehr  ermöglicht  als  alle  an- 
dern mir  bekannten  Fixierungsmethoden.  Der  so  fixierte  zweite  Bulbus 
wurde  nach  4  Wochen  aus  der  Fixierungsflüssigkeit  genommen,  1  Tag 
in  5%ige  Lithiumsulfatlösung  gelegt,  um  Quellungen  des  Bindegewebes 
zu  vermeiden,  dann  in  fließendem  Wasser  ausgewaschen  und  nach 
vorsichtiger  Härtung  in  steigendem  Alkohol  in  Celloidin  eingebettet. 
Es  wurden  Schnitte  durch  den  ganzen  Bulbus  von  20  //  Dicke  her- 
gestellt, die  den  Cornealscheitel   und  den  Opticuseintritt  trafen.     5  f^i 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrocliiropteren.  93 

dicke  Radiürschnitte  durch  Peripherie  und  Centrum  der  Augenhäute 
dienten  zur  Ermittehnig  des  feineren  Baues  und  Serienschnitte  in 
tangentialer  Richtung,  in  gleicher  Dicke  durch  den  Augenfundus 
zum  Studium  von  Flächenschnitten  durch  die  Retina.  Zur  Färbung 
diente  das  Molybdänhäniatoxylin  nach  Helds  Angabe  nach  voraus- 
gegangener Beize  in  Eisenalaunlösung,  zur  Nachfärbung  Erythrosin. 

Der  Bulbus  von  Pteropus  ist  verhältnismäßig  sehr  groß,  wenn 
wir  ihn  mit  den  Bulbis  vergleichen,  welche  die  Microchiropteren  be- 
sitzen. Die  von  mir  untersuchten  Bulbi  zweier  Tiere  maßen  12  und 
13  mm  im  äquatorialen  Durchmesser  und  11  bzw.  10,4  mm  vom 
Cornealscheitel  bis  zum  hinteren  Augenpol,  während  bei  Vesperugo 
noctula  diese  Größen  um  1,7  mm  schwanken,  also  etwa  sieben-  bis 
achtmal  kleiner  sind.  Dabei  verhalten  sich  die  Nacken-Steißlängen 
der  beiden  Tiere  wie  7,5  :  23,  die  Spannweite  der  Flügel  wie  18  :  50, 
so  daß  also  der  Pteropus  etwa  dreimal  so  groß  wie   Vesperugo  ist. 

Das  Gewicht  der  Tiere  verhielt  sich  wie  30  g  zu  470  g. 

Das  Gewicht  der  Gehirne  betrug  0,35  bzw.  6,1  g. 

Die  Form  des  Bulbus  kommt  der  Kugelform  sehr  nahe,  da  die 
Krümmung  der  Hornhaut  nur  wenig  die  des  hinteren  Bulbusabschnittes 
übertrifft.  Der  Cornealabschnitt  nimmt  bei  Pteropus  etwa  115°  der 
Bulbusoberfläche  ein,  bei  den  Microchiropteren  ist  das  Verhältnis  ein 
ähnliches. 

Die  Sclera  zeigt  die  größte  Dicke  in  der  Gegend  des  Irisansatzes, 
sie  wird  gegen  den  Äquator  des  Auges  etwas  dünner,  in  der  Gegend 
des  Opticus  ist  sie  wieder  etwas  stärker  entwickelt.  Gegenüber  der 
Sclera  der  Microchiropteren  ist  sie  {Vesperugo  etwa  40  ;«)  mit  360 /t 
sehr  dick  zu  nennen.  Ihre  Zusammensetzung  aus  dicken  Bindegewebs- 
bündeln,  die  sich  regelmäßig  durchweben,  ist  besonders  auf  Flach- 
schnitten durch  den  Bulbus  sehr  leicht  zu  erkennen. 

Pigmentzellen  finden  sich  nur  vereinzelt  in  den  innersten  Schichten. 

Die  Chorioidea  ist  neben  der  Retina  das  merkwürdigste  Gewebe 
am  Auge  der  Macrochiropteren,  und  es  ist  ihre  eigentümliche  Ent- 
wicklung, welche  den  ganz  abnormen  Bau  dieses  Auges  bedingt,  so 
daß  sich  dies  von  allen  übrigen  Wirbeltieraugen  unterscheidet.  Es 
lassen  sich  in  ihr  leicht  drei  Schichten  abgrenzen:  die  der  Sclera  an- 
liegende Schicht,  die,  wie  bei  allen  andern  Säugern,  die  großen  venösen 
Gefäße  enthält,  eine  eigentümliche  specifische  Schicht  der  Kegel- 
bildungen und  eine  die  letzteren  oberflächlich  überziehende  Schicht, 
die  Choriocapillaris. 

Die  Stromazellen  der  Chorioidea  sind  in  der  zu  äußerst  oelegenen 


94  Walther  Kolmer, 

Schicht,  der  Lamina  fusca,  unregelmäßig  gestaltete,  epitheloide  Ele- 
mente, dicht  erfüllt  von  gelbbraunen  Pigmentkörnchen,  in  den  ähnlich 
gestalteten,  aber  etwas  mehr  länglichen  Zellen  zwischen  den  Blut- 
gefäßen finden  sich  auch  einzelne  größere,  dunkler  gefärbte  Pigment- 
schollen. Die  Gefäße  selbst  werden  von  Pigmentzellen  begleitet,  die 
durch  die  starke  Pigmententwicklung  besonders  dunkel  erscheinen. 
In  ihnen  ist  der  Kern  durch  das  Pigment  so  verdeckt,  daß  man  ihn 
erst  nach  Depigmentierung  zu  Gesicht  bekommt.  Die  Kerne  sind 
chromatinarm.  Auf  die  äußere  Lage  der  Chorioidea  finden  sich  nun  die 
Kegel  aufgesetzt.  Ähnliche  Bildungen  vermissen  wir  bei  allen  Wirbel- 
tieren, auch  bei  den  Microchiropteren,  so  weit  sie  bisher  vintersucht  sind. 

Die  Kegel  sind  im  Querschnitt  kreisrund  und  bauen  sich  aus  Stroma- 
zellen  auf,  unter  denen  man  zwei  Arten  unterscheiden  kann,  die  sich 
durch  Färbbarkeit  der  Kerne  und  den  Pigmentreichtum  unterscheiden. 
Das  Pigment  ist  in  den  Kegeln  so  dicht  entwickelt,  daß  man  die  Zell- 
anordnung erst  nach  Depigmentierung  übersehen  kann.  Man  findet 
die  Zellen  ungefähr  konzentrisch  um  ein  centrales  Gefäß  angeordnet. 
Dieses,  eine  präcapillare  Arterie,  geht  aus  größeren  Arterien,  Ästen 
der  Ciliares  posteriores  der  äußeren  Schicht  hervor  und  verläuft  in 
streng  radialer  Richtung  zur  Bulbusoberfläche. 

Bei  teilweiser  Depigmentierung  sieht  man,  daß  die  dem  Gefäß 
anliegenden  und  die  unmittelbar  auf  der  Oberfläche  der  Kegel  ge- 
legenen Zellen  am  dichtesten  pigmentiert  sind. 

Die  Basen  der  Kegel  stehen  dicht  nebeneinander,  dort,  wo  sie 
auf  der  äußeren  Lage  der  Chorioidea  aufsitzen,  berühren  sie  sich;  an 
der  Basis  verbundene  Doppelkegel  kommen  vereinzelt  vor.  Man  er- 
kennt dieses  Verhalten  am  besten  auf  Flachschnitten  durch  den  Bulbus. 
Die  Höhe  der  Kegel  beträgt  100  u  und  ist  fast  im  ganzen  Augenfundus 
ziemlich  konstant,  nur  gegen  die  Ora  serrata  hin  nehmen  die  Kegel 
langsam  an  Höhe  ab,  um  daselbst  ganz  zu  verschwinden. 

Die  centralen  Gefäße  der  Kegel  gehen  an  deren  Spitze  in  eine 
lange  schmale  Capillarschlinge  über,  die  aus  dem  Kegel  herausragt 
und  weit  in  die  Schichten  der  Retina  eindringt.  Die  Capillarschlinge 
bildet  eine  Spitze,  das  rückläufige  Gefäß  geht  in  die  Capillaren  der 
Choriocapillaris  über,  die  ihrerseits  mit  den  Venen  in  Verbindung  stehen. 

Die  Arterien  der  Chorioidea  verzweigen  sich  in  der  über  den  Venen 
unter  den  Basen  der  Kegel  gelegenen  Schicht,  dabei  scheinen  Ana- 
stomosen  vorzukommen. 

Die  Venen,  weite,  anastomosierende  Gefäße,  zeigen  das  gewöhn- 
liche Aussehen.    Die  geometrische  Form  der  Kegel  ist  eine  auffallend 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrüchiropteren.  95 

regelmäßige,  die  Neigung  der  Kegelfläche  eine  recht  gleichförmige, 
so  daß  man  vielleicht  daraus  auf  eine  physiologische  Bedeutung  der 
Oberfläche  schließen  kann.  Die  Richtung  der  Kegelachse  ist  offenbar 
eine  derartige,  daß  dieser  bei  der  normalen  Richtung  des  einfallenden 
Lichtes  keinen  Schatten  werfen  kann.  Gegen  den  Rand  der  Retina 
zu  weichen  die  Kegel  etwas  von  der  streng  radiären  Stellung  ab,  viel- 
leicht hängt  dies  damit  zusammen,  daß  hier  die  Lichtstrahlen,  die  den 
Randteil  der  Linie  passieren,  in  anderer  Richtung  einfallen. 

Auch  dürfte  das  Pigment  in  seiner  so  ungewöhnlich  dichten  An- 
ordnung auf  den  Kegeln  imstande  sein,  in  besonders  vollkommener 
Weise  das  Licht  zu  absorbieren  und  Reflexion  zu  verhindern.  Damit 
hängt  auch  wohl  die  Pigmentarmut  des  retinalen  Pigmentepithels 
zusammen. 

Die  Retina  wird  durch  das  eben  angeführte  Verhalten  der  Cho- 
rioidea  in  weitestem  Grade  verändert,  ihre  äußere  Oberfläche  erscheint 
nicht  glatt,  sondern  bei  markoskopischer  Betrachtung  von  zahlreichen 
Vertiefungen  einoebuchtet,  ihr  Querschnitt  auf  dem  Radiärschnitt 
nicht  als  breites  Band,  sondern  gezackt.  Die  Zacken  werden  durch 
die  äußeren  Schichten  der  Retina  gebildet,  während  die  inneren 
Schichten,  die  Schicht  der  Opticusfasern  und  die  Ganglienzellenschicht, 
einen  ebenen  Verlauf  zeigen. 

Man  erkennt  bei  Betrachtung  von  Schnittserien,  die  in  radialer 
Richtung  durch  den  Bulbus  geführt  sind,  daß  die  in  die  Retina  ein- 
gelagerten Chorioidealkegel  in  dieser  ein  vollkommen  mit  der  Ober- 
fläche der  Kegel  kongruierendes  Rehef  erzeugen.  Noch  deutlicher 
tritt  dies  in  Schnittserien  hervor,  die  tangential  die  Wand  des  Auges 
treffen.  Das  heißt,  die  Oberfläche  der  Retina  erscheint,  wenn  man 
sie  von  der  Chorioidea  trennt,  von  konischen  Gruben  durchlöchert. 
Zwischen  diesen  Gruben  sind  Kämme  vorhanden,  auf  welchen  dort, 
wo  die  Basen  mehrerer  Kegel  zusammenstoßen,  wieder  kleinste  Kegel 
aufgestzt  sind.  Allen  diesen  Niveauunterschieden  folgen  die  äußeren 
Retinaschichten,  speziell  die  Schicht  der  Sehepithelien. 

Während  in  allen  andern  Retinen  das  Prinzip  festgehalten  erscheint, 
daß  alle  perzipierenden  Elemente  mosaikförmig  in  der  Projektions- 
fläche fast  mit  mathematischer  Exaktheit  angeordnet  sind,  wird  dieses 
Prinzip,  das  sonst  ausnahmslos  in  allen  Wirbeltierretinen  und  auch 
bei  den  meisten  Wirbellosen  vertreten  ist,  hier  durchbrochen. 

Es  finden  sich  im  wesentlichen  dieselben  Schichten  in  der  Retina, 
die  wir  bei  Microchiropteren  zu  finden  gewohnt  sind,  aber  durch  die 
eigentümliche     Konfiguration     erscheinen     die     Elemente     teilweise 


96  Walther  Kolmer, 

verlaoert,  so  daß  der  Radiärschnitt  der  Retina  ein  äußerst  charakte- 
ristisches Bild  bietet. 

Das  Pigment  epithel  macht  alle  Niveauunterschiede  der  cho- 
rioidealen  Zapfen  mit,  die  es  überkleidet.  Die  ziemlich  flachen,  4 — 5  u 
dicken  Zellen  desselben  lassen  nur  schwer  die  fransenförmigen  Fort- 
sätze erkennen.  Das  Protoplasma  entbehrt  zumeist  des  Pigments, 
nur  ganz  vereinzelt  finden  sich  hier  und  da  einige  Pigmentnadeln, 
häufig  dagegen  Vacuolen  und  Aleuronidkörner.  Von  den  secretartigen 
Körnern  zwischen  den  Stäbchenaußengliedern,  die  vom  Pigment- 
epithel ausgehen,  sah  ich  beim  Pteropus  häufig  Andeutungen.  Die 
Kerne  sind  infolge  des  Pigmentmangels  deutlich  zu  sehen,  etwa  5  /t 
lang.  Die  Capillaren  der  Choriocapillaris  liegen  an  dem  Epithel  außer- 
ordentlich dicht  an,  so  daß  man  fast  den  täuschenden  Eindruck  be- 
kommt, als  ob  die  Wandung  teilweise  von  den  Epitheizellen  selbst 
gebildet  würde.  Dort,  wo  die  centrale  Capillarschlinge  .des  Kegels 
am  tiefsten  eingesenkt  ist,  überzieht  sie  das  Pigmentepithel  in  Form 
eines  äußerst  zarten  endothelartigen  Häutchens,  welches  der  Limitans 
externa  der  Netzhaut  an  den  tiefsten  Stellen  direkt  anliegt. 

Die  Sehelemente  stehen  auf  ganz  verschiedenen  Höhen  des 
retinalen  Reliefs.  Man  gewinnt  zuerst  den  Eindruck,  daß  Längenver- 
schiedenheiten zwischen  ihnen  vorhanden  seien,  aber  diese  sind  jeden- 
falls minimal,  so  daß  die  auf  der  Höhe  der  Faltungen  stehenden  Ele- 
mente und  die  in  der  Tiefe  der  Einsenkungen  in  den  Gruben  befind- 
lichen Stäbchen  ungefähr  gleiche  Länge  haben.  Die  äußeren  Enden 
bilden  also  eine  Treppe.  Die  Längsrichtung  der  Stäbchen  ist  trotz 
ihrer  veränderten  Stellung  genau  radiär  orientiert,  wie  bei  allen  andern 
Wirbeltieraugen.  Auf  diese  Weise  ist  eine  Vermehrung  der  Sehelemente 
durch  die  Faltenbildung  der  Retinaoberfläche,  die  man  vielleicht  erwarten 
würde,  nicht  gegeben,  wohl  aber  stehen  die  Elemente  etwas  weniger  dicht 
gedrängt.  Die  Länge  der  Stäbchen  beträgt  51  ii,  davon  entfallen  30  h  auf 
das  Außenglied,  21  u  auf  das  Lmenglied.  Das  Außengiied  ist  wie  bei 
andern  Fledermäusen  gebaut,  zart,  etwa  1  u  breit,  am  äußeren  Ende 
zeigt  es  eine  abgerundete  Kuppe.  Das  Lmenglied  ist  nur  wenig  breiter. 
Während  das  Außenglied  im  allgemeinen  streng  radiäre  Richtung 
besitzt,  steht  das  Innengiied  besonders  bei  den  in  der  Tiefe  der  Ein- 
senkungen gelegenen  Elementen  etwas  geneigt.  Man  findet  in  den 
Zwischenräumen  zwischen  den  Innengliedern  einzelne  Elemente,  die  im 
Lmern  ein  feines  Fädchen  erkennen  lassen,  vielleicht  handelt  es  sich 
um  modifizierte  Zapfen,  die  allerdings  ganz  besonders  klein  wären  und 
in  deren  Innengiied  ein  Lmenfaden  verläuft;  auf  Horizontalschnitten 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren.  97 

konnte    ich    solche    Elemente    nicht    nachweisen.      Die    Limitans 
externa    der  Netzhaut    ist    an    den    Basen    der    Stäbchen    deutlich 
zu  erkennen.     Sie  präsentiert  sich  als  feiner  deutlicher  Saum  im  Ra- 
diärschnitt,  auf  dem  Tangentialschnitt  als  polygonale  Felderung.    Man 
kann  an  günstigen  Stellen  innerhalb  der  Felderung  Körnchen  sehen, 
die   wohl  den  Diplosomen  der  Stützfaserzellen  entsprechen.     Daß  die 
Limitans  aus  den  MüLLERschen  Stützfasern  in  ihrem  oberen  Teil  ge- 
bildet wird,  das  läßt  sich  ja  an  andern  Retinen  nur  schwer  und  meist 
nur  unter  Anwendung  der  Chromsilberimprägnationsmethoden  zeigen. 
Bei  Pteropus  ist  das  aber  besonders   leicht  zu  sehen.     Dort,  wo  die 
Capillarschlingen  der  Chorioidea  umbiegen,  findet  man  die  Lage  der 
Stäbchen  und  Zapfen  unterbrochen  und  die  Limitans  liegt  frei,  sie 
erscheint  durch  die  Schicht  der  äußeren  Körner  hindurch  gestülpt,  und 
hier  erkennt  man  ganz  deutlich  ihre  Beziehung  zu  den  Stützelementen 
der  Netzhaut,  die  Spitze  der  Capillarschlinge  von  dem  dünnen  Über- 
zug der  sehr  verdünnten  Pigmentepithelzellen  umgeben,  liegt  hier  der 
Limitans  dicht  an.     Man  sieht,  daß   diese  sich  direkt  in  gabelartige, 
auffallende  Verbreiterungen  der  Stützfasern  fortsetzt.    Die  Schicht  der 
äußeren  Körner  erscheint  durch  die  Verlagerung  der  Schichten  auf  dem 
Radiärschnitt  auch  als  gezacktes  Band  von  sehr  wechselnder  Dicke.  An 
ihr  erkennt  man  gleichfalls  Unterbrechungen,  allerdings  nur  dort,  wo 
der  Schnitt  eine  Capillarschlinge  der  choiioidealen  Kegel   genau  der 
Länge  nach   getroffen  hat.     Sonst  merkt  man  nur,   daß   die  Körner 
auf   den   höchsten   Teilen   der  Retinaleisten   in   12 — 14f acher   Schicht 
angeordnet  sind,   während  gegen  die  Vertiefungen  hin  die  Zahl   der 
Schichten  abnimmt.    Dort,  wo  die  Schicht  der  Stäbchen  unterbrochen 
erscheint,   begleiten  nur  wenige   (zwei  bis  drei)  Reihen  von    äußeren 
Körnern  die  Capillare  in  die  Tiefe,  um  dann  ganz  aufzuhören.     Wie 
man  es  auch  auf  dem  Tangentialschnitt  sieht,  sind  diese  Körner  dann 
durch   die   äußere   plexiforme   Schicht   und   die   innere   Körnerschicht 
hinein   vorgetrieben.     Die   Körner   zeigen   zweierlei   Formen,   weitaus 
die  Mehrzahl   derselben   zeigt   einen   minimalen,   kaum  abgrenzbaren 
Protoplasmaleib,  der  Kern  ist  rundlich,  5 — 6  ii  dick  und  enthält  eine 
sehr  auffallende,  gewundene  Chromatinmasse,  in  der  Form  wie  man 
sie   typisch   bei   einzelnen   polynucleären   Leucocyten   sieht.      In   der 
obersten  Lage  der  äußeren  Körner  sieht  man   zuweilen,   speziell  auf 
den  Kuppen  der  Kämme  der  Retina,  hellere  größere  Kerne  mit  etwas 
Protoplasma  umgeben.    Da  die  Zapfen  fehlen  und  eine  große  Überzahl 
von  Körnern  vorhanden  ist,  so  könnte  es  sich  um  überzählige  Schalt- 
elemente handeln.    Es  muß  als  besonders  auffällig  bezeichnet  werden, 

Zeitschrift  f.  wissenseh.  Z  jologie.  XCVII.  Bd.  7 


98  Walther  Koliner, 

daß  die  äußeren  Körner  im  Radiärschnitt  in  Reihen  angeordnet  er- 
scheinen, die  seitlich  durch  die  zarten,  aber  sehr  deutlichen  gerade 
gestreckten  Züge   der  MüLLERSchen  Stützfasern   begrenzt  werden. 

Die  äußere  plexiforme  Schicht  ist  durch  die  Einstülpung 
der  äußeren  Körnerschicht  entsprechend  unterbrochen  und  in  lauter 
einzelne  Territorien  geteilt.  Die  innere  Körnerschicht  zeigt  dieselbe 
Veränderung.  Auch  hier  sind  die  Elemente  in  einzelnen  Gruppen,  auf 
dem  Radiärschnitt  kleine  Hügel  bildend,  angeordnet,  zwischen  diese 
Ansammlungen  hindurch  reichen  die  Züge  von  äußeren  Körnern,  die 
die  Kegel  begleiten,  bis  in  die  innere  plexiforme  Schicht  hinein. 

Bei  den  Microchiropteren  findet  man  in  den  centralen  Netzhaut- 
partien in  der  äußeren  plexiformen  Schicht  vereinzelte  Zellen  mit 
horizontaler  Ausbreitung,  entsprechende  Zellen  konnte  ich  bei  Pteropus 
nicht  konstatieren. 

Die  Zellen  der  inneren  Körnerschicht  sind  bedeutend  größer 
als  die  der  äußeren,  auch  an  ihnen  ist  es  nicht  leicht  den  Protoplasma- 
körper deutlich  abzugrenzen,  derselbe  ist  in  horizontaler  Richtung 
entwickelt.  Der  Kern  dagegen  liegt  meist  mit  seiner  größeren  Achse 
in  radiärer  Richtung.  Die  Kerne  sind  etwa  7  /t  groß  und  ziemlich 
chromatinarm. 

Unter  die  Zellen  der  inneren  Körnerschicht  vermengt  findet  sich 
eine  zweite  Zellart,  die  durch  ihre  ovalen  Zellkerne  und  die  diesen 
anhaftenden,  meist  dreieckig  verbreiterten  Plasmateile  mit  flügei- 
förmigen Anhängen  auffällt,  es  sind  die  kerntragenden  Teile  der  Mül- 
LERschen  Stützzellen.  Sie  liegen  zumeist  in  den  unteren  Lagen  dieser 
Schicht. 

Die  innere  plexiforme  Schicht,  die  Schicht  der  Opticusganglien- 
zellen  und  die  Schicht  der  Opticusfasern,  sind  wie  bei  andern  Wirbel- 
tieren angeordnet.  Die  Opticusfasern  sind  zu  kleinen  Bündeln  vereinigt, 
die  zmschen  den  MÜLLERschen  Stützfasern  durchziehen.  Diese  zeigen 
sich  so  gestellt,  daß  immer  gegenüber  der  Einsenkung  eines  chorioi- 
dealen  Kegels  die  Stützelemente  am  dichtesten  stehen.  Es  erscheint 
durch  gabelförmige  Verbreiterung  der  Stützfaserenden,  dort  wo  sie  in 
die  Limitans  übergehen,  die  Spitze  der  Capillare  gestützt.  Diese  mittleren 
Stützfasern  sind  dann  besonders  dick  und  färbbar.  Diese  eigentümliche 
Anordnung  der  Stützfasern  läßt  sich  auch  im  Horizontalschnitt  nach- 
weisen, in  dem  die  Querschnitte  der  Stützfasern  schon  in  der  inneren 
plexiformen  Schicht  kleine  Kreise  bilden,  die  ins  Auge  fallen.  Die 
Ganglienzellschicht  scheint  von  der  Anordnung  nicht  berührt  zu  sein. 
Regionäre  Verschiedenheiten  in  der  Retina  finden  sich  nicht  ausgeprägt, 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren.  99 

weder  das  Spiegelbild  noch  das  Bild  des  eröffneten  Bulbusfundus, 
noch  die  Verhältnisse  an  Radiärschnitten  weisen  auf  das  Bestehen  einer 
Area  centralis,  einer  Macula  oder  Fovea  hin.  Der  geschilderte  Typus 
der  Retina  besteht  fast  bis  zur  Ora  serrata.  Hier  sind  die  Kegel  der 
Chorioidea  seltener  und  stehen  in  Zwischenräumen.  Infolgedessen  ist 
auch  die  Retina  zwischen  ihnen  in  ihren  Schichten  eben.  An  der 
Ora  serrata  gehen  die  Schichten  ziemlich  unvermittelt  in  das  retinale 
Epithel  des  Ciliarkörpers  über.  Erwähnenswert  ist,  daß  in  der  Geg6nd 
der  Ora  serrata  das  Pigmentepithel  ziemlich  viel  Pigment  in  Form  der 
charakteristischen  Pigmentnadeln  führt,  sogar  auf  dem  dünnen  Überzug 
der  eingesenkten  Capillaren  ist  es  deutlich  zu  sehen.  Die  Dicke  der 
Opticusfaserschicht  nimmt  gegen  die  Peripherie  rasch  ab. 

Die  Cornea  zeigt  eine  ziemlich  starke  Wölbung.  Sie  nimmt  von 
der  ganzen  Oberfläche  des  Bulbus  etwa  den  dritten  Teil  ein,  ihre  Dicke 
beträgt  am  Scheitel  etwa  376  in,  das  Epithel  hat  eine  Dicke  von  56  /<, 
so  daß  dasselbe  15%  der  Cornealdicke  ausmacht.  Gegen  den  Corneal- 
rand  zu  ist  die  Dicke  eine  größere,  bis  480,«.  Die  Cornea  übertrifft 
damit  die  Sclera  an  Dicke,  ähnlich  wie  dies  auch  von  der  Cornea  bei 
den  Microchiropteren  bekannt  ist. 

Das  Epithel  zeigt,  abgesehen  von  der  basalen  Keimschicht  der 
cylinderförmigen  Zellen,  noch  sechs  Lagen  von  platten  Epithelien, 
davon  sind  die  zwei  obersten  verhornt. 

Das  Stroma  der  Cornea  wird  aus  etwa  30  Schichten  von  Lamellen 
gebildet,  mit  deutlich  ausgebildeten  interlamellären  Hohlräumen.  Eine 
Elastica  anterior  ist  nicht  deutlich  zu  erkennen.  Die  DESCEMETsche 
Membran  ist  kräftig  entwickelt. 

Die  Iris  ist  sehr  stark  pigmentiert.  Die  Pigmentierung  betrifft 
gleichmäßig  alle  Schichten.  Der  Sphincter  pupillae  am  freien  Rande 
ist  deutlich  zu  sehen,  auch  gehen  von  ihm  in  radiärer  Richtung  ver- 
einzelte Fasern  ab,  von  dem  Vorhandensein  eines  besonderen  Diktator 
konnte  ich  mich  nicht  recht  überzeugen.  Das  retinale  Blatt  der  Iris 
und  des  Ciliarkörpers  ist  nur  wenig  stärker  pigmentiert  als  das  Stroma. 

Im  Iriswinkel  finden  wir  das  Ligamentum  pectinatum  durch  ein- 
zelne derbe  Faserzüge  repräsentiert,  unter  diesen  liegen  offenbar  Lymph- 
gefäße mit  sehr  zarten  Wandungen. 

Auch  der  Canalis  Schlemmii  ist  vorhanden. 

Die  Form  der  Pupille  ist  rund  und  bleibt  dies  auch  bei  der  Ein- 
wirkung von  Atropin. 

Der  Ciliarkörper  ist  nur  aus  Bindegewebszellen  und  Pigment- 
zellen zusammengesetzt;  glatte  Muskeln  sind  so  wenig  vorhanden,  daß 

IT* 


JQO  Walther  Kolmer, 

man  von  einem  Ciliarmuskel  eigentlich  gar  nicht  reden  kann,  was 
wohl  auf  ein  Fehlen  der  Accommodation  hindeutet.  An  der  Ansatz- 
stelle des  Ciliarkörpers  finden  sich  zahlreiche  Lamellen  von  pigment- 
haltigem Bindegewebe  in  die  Sclera  verflochten. 

Die  Linse  ist  für  die  Dimensionen  des  Bulbus  ziemlich  groß. 

Sie  nähert  sich  in  ihrer  Form  einer  Kugel,  indem  ihr  axialer  Durch- 
messer 6,160,  ihr  äquatorialer  7,000  /<  beträgt.  Die  hintere  Fläche  ist 
stärker  gewölbt  als  die  vordere.  Die  Linsenkapsel  ist  am  vorderen 
Pol  24 /<  dick,  am  Äquator  Tu,  am  hinteren  Pol  3  u.  Die  centralen 
Linsenfasern  sind  etwa  12  /<  dick,  an  der  Oberfläche  gezähnt,  im 
Querschnitt  polyedrisch,  gegen  die  Peripherie  werden  sie  dünner  bis 
2  1^1.  Von  einem  Ringwulst  oder  sonstigen  auffallenden  Anordnungen 
der  Linsenfasern  ist  nichts  zu  sehen.  Das  ganze  Bild  der  Linse  ähnelt 
dem  von  Tieren,  welche  keine  Accommodation  besitzen,  was  mit  dem 
Fehlen  des  Ciliarmuskels  übereinstimmt.  Der  vordere  und  der  hintere 
Linsenstern  sind,  ohne  sich  zu  entsprechen,  vierstrahlig.  Die  Ansatz- 
stelle der  Zonulaf  asern  ist  ein  gleichmäßig  breites  Band.  Die  Zonula- 
fasern  ziehen  über  die  Ciliarfortsätze  hinweg  und  inserieren  an  und 
zwischen  ihnen  bis  zur  Ora  serrata  hin. 

Die  Entfernung  des  vorderen  Linsenpols  von  der  vorderen  Corneal- 
f  lache  beträgt  1800  /.i,  von  der  hinteren  Cornealf lache  1400  /<. 

Der  Opticus  zeigt  Avenig  charakteristische  Eigenheiten.  Sein  Durch- 
messer beträgt  900  i^i.  Die  Fasern,  die  ihn  zusammensetzen,  besitzen 
meist  eine  sehr  zarte  Markscheide.  Die  Glia  ist  durch  zahlreiche 
Spinnenzellen  und  deutliche  Gliaf asern  vertreten.  Das  Bindegewebe 
ist  mäßig  entwickelt,  einzelne  gröbere  Balken  dringen  in  den  Nerven 
ein,  aber  ohne  ihn  in  eigentliche  Bündel  zu  zerlegen.  Pial-  und  Dural- 
scheide  sind  zart  entwickelt. 

Eine  eigentliche  wohlentwickelte  Arteria  centralis  fehlt,  doch  sind 
arterielle  und  venöse  zarte  Gefäße  im  Opticus  und  in  der  nächsten 
Umgebung  der  Opticuseintrittsstelle  vorhanden,  auch  Reste  der  Arteria 
hyaloidea  finden  sich  in  der  deutlich  ausgebildeten  Excavation  des 
Opticuskopfes. 

Versucht  man  aus  dem  Befunde  an  Zellelementen  allein  (Unter- 
suchungen an  Methylenblaupräparaten  oder  Chromsilberimprägnationen 
erlaubte  leider  das  beschränkte  Material  nicht),  sich  über  die  Quer- 
leitungsverhältnisse  in  der  Netzhaut  eine  Vorstellung  zu  bilden, 
so  kommt  nach  der  herrschenden  Annahme  in  Betracht,  daß  wir  auf 
einem  Quadratmillimeter  etwa  300  000  Stäbchen  finden,  daß  aber 
sicher  im  gleichen  Bezirk  viel  mehr   äußere  Körner  vorhanden  sind. 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren.  101 

Die.  Ganglienzeil  Schicht  dagegen  zeigt  auf  dem  gleichen  Flächen- 
raiim  schätzungsweise  nur  700  Ganglienzellen.  Alan  muß  diese  Zahlen 
auf  den  Horizontalschnitten  dort,  wo  die  Schnittrichtung  möglichst 
genau  getroffen  ist,  zu  bestimmen  suchen,  das  Verfahren  kann  aber  bei 
den  Lagerungsverhältnissen  in  dieser  Retina  nur  ein  recht  ungenaues 
sein.  Man  müßte  also  annehmen,  daß  mit  einem  Element  der  Gan- 
glienzellenschicht etwa  400  Stäbchen  in  Zusammenhang  stehen  müßten. 
Eine  irgendwie  maßgebende  Zählung  der  Opticusfasern  ist  mir  nicht 
möglich  gewesen.  In  der  äußeren  Körnerschicht  wird  man  wohl  über- 
zählige Elemente  als  Schaltzellen  annehmen  müssen. 

Über  die  Hilfsapparate  des  Auges  wäre  zu  bemerken,  daß  der  Lid- 
spalt mittlere  Weite  zeigt.  Die  Lidränder  decken  bei  Zimmerbe- 
leuchtung eben  den  Irisrand.  Auffallende  Veränderungen  der  Weite 
der  Lidspalte  bei  wechselnder  Beleuchtungsintensität  konnten  nicht 
beobachtet  werden. 

Die  Nickhaut  ist  recht  stark  entwickelt,  sie  enthält  im  freien 
Anteil  einen  Netzknorpel,  an  ihrem  Ansatz  die  gut  entwickelte  Nick- 
hautdrüse, der  Ausführungsgang  der  letzteren  durchbohrt  eine  starke 
Ansammlung  von  lymphoiden  Elementen,  offenbar  Lymphfollikel  mit 
verstreuten  Keimcentren. 

Die  Tränendrüse  ist  gut  entwickelt,  auch  die  andern  Schutzappa- 
rate des  Bulbus,  das  Lid  mit  seinen  Drüsen,  zeigt  eine  gute  Ausbildung. 
An  den  Augenmuskeln  ist  mir  nichts  Besonderes  aufgefallen,  ein  Re- 
tractor  bulbi  fehlt. 

Wir  haben  es,  wie  aus  dem  Vorstehenden  hervorgeht,  beim  Auge 
des  Pteropus  mit  Einrichtungen  in  der  Chorioidea  und  Retina  zu  tun, 
welche  unter  den  bisher  untersuchten  Wirbeltieraugen  kein  Analogon 
haben.  Es  ist  schwer,  sich  darüber  eine  Vorstellung  zu  machen,  wie 
wir  uns  das  Zustandekommen  solcher  Abweichungen  im  Bau  eines 
Sinnesorgans  erklären  sollen,  das  bei  den  nächsten  Verwandten  der 
Macrochiropteren,  den  Microchiropteren,  von  diesen  Eigentümlichkeiten 
keine  Spur  zeigt.  Vielleicht  könnte  man  das  ursächliche  Moment,  das  zur 
Ausbildung  der  chorioidalen  Kegel  geführt  hat,  in  der  Entwicklung  der  Ge- 
fäße erblicken.  Wir  sind  gewohnt,  bei  Augen  jener  Größenklasse,  wie  sie 
der  Pteropus  besitzt,  bei  den  Säugern  die  Retina  zumeist  mit  Gefäßen 
versehen  zu  finden.  Das  Microchiropterenauge  besitzt  keine  Netzhaut- 
gefäße, und  man  könnte  sich  denken,  daß,  wenn  dieser  Augentypus 
sich  vergrößert,  für  eine  bessere  Ernährung  der  immer  umfangreicheren 
Netzhaut,  speziell  der  inneren  Schichten,  schließlich  die  Choriocapillaris- 
gefäße  nicht  mehr  ausreichen  und  ein  innigeres  Verhältnis  zwischen 


102  Walther  Kolmer, 

Netzhaut  und  Chorioideacapillaren  zur  Ausbildung  von  Gefäßschlingen 
und  diese  sekundär  zur  Entstehung  der  Kegel  Anlaß  gegeben  habe. 
Allerdings  ist  es  nicht  ohne  weiteres  einzusehen,  wieso  sich  nicht  aus 
den  vorhandenen  Gefäßen  des  Opticuskopfes  ein  retinaler  Blutkreis- 
lauf ausbildete,  sondern  eine  Blutgefäßversorgung  unter  Vorstülpung 
beider  epithelialen  Blätter  der  Netzhaut  sich  entwickelte.  Die  eigen- 
tümliche Blutversorgung  nimmt  auch  deshalb  eine  Ausnahmestellung 
ein,  weil  wir  sonst  in  der  Retina,  ja  vielleicht  fast  in  allen  Sinnesorganen, 
mit  Ausnahme  der  Riechschleimhaut  mancher  Tiere  und  des  Jakob- 
soNschen  Organs  mancher  Reptilien,  beobachten,  daß  die  eigentliche 
Schicht  der  Sinneszellen  von  dem  nahen  Kontakt  mit  Blutgefäßen 
durch  deren  Lagerung  bewahrt  ist,  um,  wie  angenommen  wird,  die 
Sinneszellen  vor  plötzlichen  mechanischen,  vielleicht  auch  chemischen 
Beeinflussungen,  die  von  den  Capillaren  ausgehen  könnten,  unabhängig 
zu  machen.  Auch  dieses  Prinzip  scheint  hier  durchbrochen,  da  hier 
wirklich  nur  durch  ein  verschwindend  dünnes  Endothel  getrennt  die 
Capillarwände  den  Stäbchen  anliegen. 

Andre  teleologische  Erklärungsweisen  machen  einige  Schwierig- 
keiten. Bei  Beurteilung  von  Verhältnissen  in  einer  Wirbeltierretina 
ist  die  dem  Menschen  allein  zugängliche  subjektive  Erfahrung  immer 
mitbestimmend.  Wir  sind  gewohnt,  beim  Menschen  und  bei  den 
andern  Wirbeltieren  die  Elemente,  die  allein  das  Licht  perzipieren 
sollen,  peinlich  genau  in  der  Projektionsebene  als  Mosaik  angeordnet 
zu  sehen.  Wir  wissen  aus  den  Erfahrungen  der  menschlichen  Pathologie, 
daß  die  geringste  Verlagerung  der  Sehelemente  aus  dieser  Projektions- 
fläche heraus,  das  Zustandekommen  der  Bilder  stört.  Im  Pteropus-Ange 
aber  stehen  die  Basen  und  die  freien  Enden  der  Netzhautstäbchen  in 
bis  um  100  /t  verschiedenen  Höhen.  Da  nun  bei  Verkleinerung  der 
Brennweite  die  Tiefenschärfe  abnimmt,  so  muß  sich  eine  Verlagerung 
in  dem  kleineren  Auge  des  Pteropus  noch  mehr  fühlbar  machen  als 
beim  Menschen,  das  heißt,  es  müßten  bei  wechselnder  Einstellung 
immer  nur  besondere,  in  einer  Querschnittshöhe  der  Kegel  stehende 
Sehelemente  im  Bereiche  eines  scharfen  Bildes  stehen,  nicht  aber 
gleichzeitig  die  höher  oder  tieferstehenden.  Von  der  dabei  in  Betracht 
kommenden  Höhendifferenz,  kann  man  allerdings  vielleicht  die  Höhe 
des  Außengliedes  der  Stäbchen  abziehen,  wenn  man  annimmt,  daß  es 
gleichgültig  ist,  welche  Höhe  des  Außen gliedcylinders  das  Bild  trifft. 
Dazu  kommt  noch,  daß  die  Netzhaut  in  ihren  äußeren  Schichten  vor 
allem  in  der  Sehepithelschicht  auch  Unterbrechungen  zeigt,  welche 
Löcher  den  Capillarschlingen  entsprechen. 


Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiropteren.  103 

Nur  wenn  man  annimmt,  daß  der  dioptrische  Apparat  des  Auges 
größere  Tiefenschärfe  besitzt,  wäre  ein  gleichzeitiges  Perzipieren  des 
Bildes  in  verschiedenen  Höhen  der  Netzhaut  denkbar.  In  dieser  An- 
nahme könnten  uns  vielleicht  die  Verhältnisse  bestärken,  welche  wir 
im  dioptrischen  Apparat  finden.  Form  und  Bau  der  Linse,  sowie  das  fast 
vollständige  Fehlen  der  Accommodationsmuskeln  deuten  wohl  darauf 
hin,  daß  dem  Auge  die  Accommodation  wahrscheinlich  fehlt.  Es  wirkt 
also  wie  eine  kurze  kleine  Momentcamera  mit  feststehender  Linse, 
bei  der  alle  Gegenstände  von  einem  gewissen  Abstand  an  scharf  auf 
der  Projektionsfläche  abgebildet  werden.  Ein  scharfes  Sehen  nahe 
gelegener  Gegenstände  ist  aber  bei  diesem  Auge   schwer  vorstellbar. 

Tast-  und  insbesondere  Geruchssinn  sind  gewiß  vorzüglich  ent- 
wickelt, das  Labyrinth  fand  ich  dem  der  Microchiropteren  sehr  ähn- 
lich. Es  wäre  auch  zu  erörtern,  ob  nicht  bei  Wegfall  einer  Accommo- 
dation die  verschiedene  Entfernung  der  Sehelemente  dem  Tier,  das 
wohl  nur  monoculär  sieht,  das  Schätzen  der  Tiefendimension  und 
Entfernung  vielleicht  bei  bewegten  Objekten  ermöglicht.  Es  werden 
die  Tiere  gewöhnlich  als  Baumfruchtfresser  in  einen  gewissen  Gegen- 
satz zu  den  insektenfressenden  Microchiropteren  gebracht,  bei  denen 
eine  solche  Einrichtung,  die  vielleicht  den  Fang  von  fliegenden  Insekten 
erleichtern  könnte,  in  diesem  Sinne  erklärlich  wäre.  Es  gibt  Angaben, 
daß  die  Pteropi  imstande  seien,  im  Fluge  Fische  von  der  Oberfläche 
von  Teichen  während  der  Dämmerung  wegzufangen.  Eine  solche 
Jagdweise  hat  wohl  genaues  Abschätzen  der  Entfernung,  ein  gutes 
Tiefensehen  zur  Voraussetzung.  Vielleicht  könnte  man  für  eine  solche 
funktionelle  Bedeutung  der  Pigmentkegel  den  Umstand  geltend  machen, 
daß  die  Oberfläche  der  Kegel  so  regelmäßig  gestaltet  und  die  Flächen- 
neigTing  derselben  so  gleichförmig  ist,  da  ja  gewöhnlich  die  Ausbildung 
geometrisch  regelmäßiger  Strukturen  histologischer  Gebilde  auf  deren 
funktionelle  Bedeutung  hinweist.  Bei  der  Schwierigkeit  der  Material- 
beschaffung und  der  Ausführung  von  Experimenten  mit  den  fliegenden 
Hunden  muß  es  entschuldigt  werden,  wenn  diese  Untersuchung  lücken- 
haft ist.  Vielleicht  ist  es  mir  selbst  oder  einem  andern  Untersucher 
einmal  möglich,  die  Besonderheiten  des  Pterofus- Auge&  in  physio- 
logischer, vielleicht  auch  in  ent\säcklungsgeschichtlicher  Hinsicht  auf- 
zuklären. 

Großes  Interesse  würde  natürlich  auch  eine  vergleichende  Unter- 
suchung der  verschiedenen  Augen  von  Macrochiropteren  und  Microchiro- 
pteren der  Tropen  bieten.  Es  könnte  dabei  wohl  das  x4uge  Aufschlüsse 
über  Verwandtschaftsverhältnisse  geben.    Durch  die  Liebenswürdigkeit 


104       Walther  Kolmer,   Zur  Kenntnis  des  Auges  der  Macrochiroptefen. 

Herrn  Professor  Grossers  wurde  ich  in  die  Lage  versetzt,  auch  ein 
Auge  der  afrikanischen  Art  Cynomjcteris  zu  untersuchen.  Es  finden 
sich  bei  dieser  Art  dieselben  Verhältnisse  in  der  Chorioidea  wie  bei 
Pterofus.  Die  Kegel  zeigen  etwas  kleinere  Dimensionen,  und  das 
Pigmentepithel  ist  pigmenthaltig. 

Wien,  im  Juni  1910. 


Literatur. 

Kolmer,  Centralblatt  für  Physiologie.     XXIII.     Nr.  6. 
Held,  Die  Entwicklung  des  Nervengewebes.     Leipzig,  Barth  1909.     S.  12. 
Pütter,  Organologie  des  Auges.     Graefe-Saemisch,  Handbuch  der  Augenheil- 
kunde.    2.  Auflage. 
Bbehm,  Tierleben. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  III. 

Alle  Figuren  sind  mit  Hilfe  der  Projektionseinrichtung  direkt  entworfen. 

Fig.  1.  Auge  von  Pterojms  medius  in  natürlicher  Größe  nach  Entfernung 
der  Augenmuskeln. 

Fig.  2.  Asialer  Durchschnitt  durch  das  Auge,  um  das  Verhältnis  der  ein- 
zelnen Teile  zu  zeigen.     5mal  vergrößert. 

Fig.  3.  Ein  Quadrant  des  am  Äquator  eröffneten  Bulbus,  die  leichte  Wel- 
lung der  Innenfläche  der  Retina  zeigend.     7mal  vergrößert. 

Fig.  4.  Genau  radiärer  Schnitt  durch  die  Chorioidea  und  Retina  aus  der 
Gegend  des  Augenfundus.     48mal  vergrößert. 

Fig.  5.  Pigmentkegel  der  Chorioidea  mit  centralem  Gefäß,  der  Chorio- 
capillaris  und  dem  Pigmentepithel.     Zeiss.  Apochromat  2  mm  1,40,  Oc.  6. 

Fig.  6.  Partie  der  Retina  zwischen  zwei  Gefäßeinsenkungen.  Verlagerung 
der  äußeren  Retinaschichten.  Anordnung  der  Stützfasern.  Zeiss,  Apochromat 
3  mm  1,40,  Oc.  6. 

Fig.  7.  Partie  aus  einem  Tangentialschnitt  durch  Chorioidea  und  Retina. 
Querschnitte  der  chorioidealen  Kegel  der  centralen  Capillaren  und  des  Retina- 
mosaiks.    Zeiss,  Apochromat  16  mm,  Oc.  6. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala. 

(Aus  dem  Zoologischen  Institut  der  Universität  Leipzig.) 
Von 

Ernst  Born, 

approb.  Tierarzt. 
Mit  2  Figuren  im  Text  und  Tafel  IV— VIII. 


Die  durchsichtigen  pelagischen  Mollusken  des  Mittelmeeres  haben 
schon  früh  die  Aufmerksamkeit  der  Naturforscher  auf  sich  gelenkt. 
Die  bedeutendsten  Vertreter  der  vergleichenden  Anatomie,  Gegenbaur, 
KöLLiKER,  Leuckart,  Heinrich  Und  Johannes  Müller,  haben  uns 
aus  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  Reihe  wertvoller  Arbeiten 
über  diese  interessanten  Tiere  hinterlassen.  In  den  folgenden  De- 
zennien sind  diese  »Normalobjekte  anatomischer  Forschung  <(,  wie  sie 
Ranke  (104)  bezeichnet,  wenig  gewürdigt  worden;  über  den  feineren 
Bau  ihrer  Haut,  die  wegen  ihrer  durchsichtigen  Beschaffenheit  ein 
geeignetes  Untersuchungsobjekt  ist,  finden  sich  nur  in  den  von  Paneth 
im  Jahre  1885  veröffentlichten  »Beiträgen  zur  Histologie  der  Pteropoden 
und  Heteropoden«  ausführlichere  Angaben.  Unsere  Kenntnis  der 
Anatomie  dieser  eigenartigen  Gastropoden  ist  dm'ch  die  umfangreichen 
Beobachtungen,  welche  wir  in  neuerer  Zeit  Meisenheimer  (87)  und 
Tesch  (131)  verdanken,  bedeutend  erweitert  worden;  doch  die  feineren 
Strukturverhältnisse  des  Integuments  finden  auch  bei  diesen  Autoren 
nur  wenig  Berücksichtigimg.  Eins  der  zierlichsten  Geschöpfe  in  der 
pelagischen  Fauna  des  Mittelmeeres  ist  die  nur  1 — 3  cm  große  Phylli- 
rhoe bucephala'^,  mit  deren  feinerer  Anatomie  ich  mich  auf  den  gütigen 


1  Die  Schreibweise  des  Namens  ist  bei  den  einzelnen  Autoren  eine  sehr 
verschiedene.  Müller  und  Gegenbaur  (1854),  ferner  Ludwig  (1883)  in  der 
Synopsis  der  Tierkunde,  auch  Hescheler  in  Längs  Lehrbuch  der  vergleichenden 
Anatomie  der  wirbellosen  Tiere  schreiben:  »Phyllirhoe  bucephalum «,  wohl  mit 
Rücksicht  auf  das  Neutrum:  ro  cpvVkov.  Ich  behalte  die  schon  von  Eschscholtz 
(1825)  und  später  auch  von  v.  Marxens  (1888)  in  der  Enzj^klopädie  der  Natur- 
wissenschaften gewählte  Schreibweise  bei,  weil  die  Endigung  des  Substantivums 
(-oe),  welche  für  das  Adjektiv  maßgebend  ist,  femininen  Charakter  trägt. 


106  Ernst  Born, 

Rat  von  Prof.  Chun  schon  vor  längerer  Zeit  im  zoologischen  Institut 
der  Universität  Leipzig  befaßt  habe.  Wegen  der  glasartigen  Durch- 
sichtigkeit ihrer  Haut  und  der  im  Gegensatz  zu  den  Heteropoden  und 
Pteropoden  nur  schwach  entwickelten  Muskulatur  ist  Phyllirhoe  ein 
besonders  günstiges  Objekt  zum  Studium  der  Innervation;  an  mittel- 
großen Totoexemplaren,  die  nur  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert 
und  in  Glyzerin  aufgehellt  sind,  lassen  sich  die  Nerven  von  den  Schlund- 
ganglien bis  zu  ihren  feinsten  Ausläufern  verfolgen;  man  braucht  nur 
die  Objektive  am  Revolver  des  Mikroskops  zu  wechseln.  Die  vor- 
liegenden Untersuchungen  waren  schon  im  wesentlichen  abg'eschlossen, 
als  VissiCHELLi  seine  » Contribuzioni  allo  studio  della  Phyllirhoe  buce- 
fhalaa.  veröffentlichte;  diese  Arbeit  veranlaßte  mich,  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Gesellschaft  naturforschender  Freunde  zu  Berlin  (Jahr- 
gang 1907,  Nr.  4  und  10)  über  meine  an  demselben  nudibranchiaten 
Gastropoden  gemachten  Beobachtungen  eine  vorläufige  Mitteilung  zu 
publizieren. 

Material  und  Methode. 

Das  zu  den  Untersuchungen  erforderliche  Material  erhielt  ich  von 
der  zoologischen  Station  zu  Neapel.  Phyllirhoe  wird  dort,  wie  mir 
mitgeteilt  wird,  in  den  Monaten  Dezember  bis  April  gefangen;  doch 
tritt  sie  so  unregelmäßig  auf,  daß  auch  während  dieser  Zeit  von  der 
Station  oft  kein  Material  zu  erhalten  ist.  In  Villefranche  wird  Phylli- 
rhoe, wie  Herr  Dr.  Davidoff  mich  gütigst  benachrichtigt,  ebenfalls 
nur  selten  und  auch  dort  in  manchen  Jahren  überhaupt  nicht  be- 
obachtet. Das  Material  erhielt  ich  in  70%igem  Alkohol,  nachdem  es 
in  verschiedener  Weise  fixiert  war. 

Zum  Studium  der  peripheren  Nerven  eigneten  sich  besonders,  wie 
schon  erwähnt,  Objekte,  die  ich  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  in  vor- 
trefflicher Weise  fixiert  erhielt;  und  zwar  war  folgende  Mischung  in 
Anwendung  gekommen : 

Chromsäure  1% 25  ccm 


Essigsäure  2% 5   » 

Osmiumsäure       1% 10   » 

Wasser  60   » 


Für  die  Untersuchung  der  Drüsen  erwiesen  sich  namentlich  Exem- 
plare geeignet,  die  mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  waren;  befriedigende 
Resultate  lieferten  auch  Tiere,  bei  denen  zum  Fixieren  Chromessigsäure 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  107 

verwendet  war.  Dagegen  kann  ich  die  Siiblimatgemische  als  Fixier- 
mittel für  PJn/Uirhoc  nicht  empfehlen;  brauchbare  Präparate  erhält 
man  bisweilen  noch  nach  Anwendung  von  Sublimatessigsäure;  da- 
gegen zeigten  die  mit  Sublimatalkohol  fixierten  Tiere  eine  so  weiche 
Konsistenz,  daß  eine  weitere  Behandlung  der  Objekte  unmöglich  war; 
letzteres  Fixiergemisch  ist  übrigens  nur  auf  meinen  besonderen  Wunsch 
gebraucht  worden. 

Um  die  Natur  der  zahlreichen  Hautdrüsen  festzustellen,  wandte 
ich  entsprechende  Farblösungen  an:  Mucikarmin,  häufig  in  Verbindung 
mit  Hämalami  und  Indigokarmin;  ferner  Böhmers  und  Delafields 
Hämatoxylin,  als  Kontrastfarbstoff  wurden  hierbei  Eosin  und  Orange  G- 
benutzt.  Nach  mehreren  Versuchen  erwies  sich  die  Ausführung  dieser 
Doppelfärbung  am  zweckmäßigsten  in  der  von  Rawitz  (108,  S.  69) 
angegebenen  AVeise,  welche  ich  etwas  modifiziert  habe.  Die  mittels 
einer  feinen  Schere  abgetrennten  Hautteile  kamen  zunächst  nicht  in 
die  von  Rawitz  empfohlene  konzentrierte,  sondern  nur  in  eine  l%ige 
wässerige  Eosinlösung.  Der  von  Rawitz  empfohlene  24 stündige  Aufent- 
halt in  der  Farblösung  war  nur  bei  Präparaten  erforderlich,  die  mit 
FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert  waren;  bei  Chromsäurepräparaten  ge- 
nügten einige  Stmiden,  und  mit  Chromessigsäure  fixierte  Objekte 
waren  schon  nach  wenigen  Minuten  mit  den  sauren  Teerfarbstoffen 
überfärbt.  Die  Schnitte  wurden  dann  sorgfältig  mit  destilliertem 
Wasser  ausgewaschen;  doch  habe  ich  es  bei  der  Färbung  mit  Eosin 
als  zweckmäßig  empfunden,  aus  den  Schnitten  nach  dem  Aus- 
waschen mit  Wasser  das  überschüssige  Eosin  sofort  mit  70%igem 
Alkohol  zu  extrahieren,  w^eil  andernfalls  durch  die  anschließende  Fär- 
bung mit  Hämateintonerde  keine  gute  Kernfärbung  zu  erzielen  ist. 
Zur  Tinktion  der  Drüsen  wurden  außerdem  noch  Methylenblau  und 
Methylgrün  in  der  von  Böhm  und  Oppel  (15)  mitgeteilten  Weise 
benutzt. 

Zum  Studium  nervöser  Elemente  wurden  auch  Apathys  Häma- 
tein  la  und  Heidenhains  Eisenalaunhämatoxylinfärbung,  zur  Unter- 
scheidung des  Bindegewebes  von  der  Muskulatur  die  von  Hansen  und 
VAN  GiESON  angegebenen  Färbungen  mittels  Säurefuchsin  und  Pikrin- 
säure ausgeführt;  auch  Pikrokarmin  leistete  mir  zu  letzterem  Zweck 
gute  Dienste,  wenn  die  Präparate  vorher  eine  viertel  bis  eine  halbe 
Stunde  mit  Wasser  behandelt  waren,  das  eine  Spur  Eissgsäure  (auf 
10  ccm  Wasser  ein  Tropfen  2%iger  Essigsäure)  enthielt.  Dieses  Ver- 
fahren hat  von  den  von  Hansen  und  van  Gieson  angeführten  Methoden 
den  Vorzug,  daß  bei  ihnen  keine  besondere  Kernfärbung  erforderlicli 


108  Emst  Born. 

ist.  Zum  Nachweis  elastischer  Elemente  bediente  ich  mich  der 
Orzeinfärbung  nach  Unna  und  des  WEiGERTschen  Verfahrens  mittels 
Eesorzin-Fuchsinlösung. 

Als  Einschlußmittel  ist  für  diese  ohne  Paraffineinbettung  herge- 
stellten Schnitte  Kanadabalsam  zu  vermeiden,  weil  er  die  Präparate 
zu  stark  aufhellt  und  daher  die  feineren  Strukturen  der  in  der  gallertigen 
Substanz  liegenden  Elemente  nicht  scharf  genug  hervortreten.  Am 
empfehlenswertesten  ist  zum  Studium  der  histologischen  Details  der 
Haut  der  Einschluß  in  Glyzerin.  Leider  zieht  dieses  Medium  aber 
viele  Farben  ziemlich  schnell  aus;  über  die  Haltbarkeit  der  Hämatein- 
färbungen  in  Glyzerin  liegen,  wie  auch  P.  Mayer  in  der  Enzyklopädie 
der  mikroskopischen  Technik  (28,  S.  512)  betont,  eingehende  Unter- 
suchungen noch  nicht  vor;  es  dürfte  daher  die  Mitteilung  meiner  Er- 
fahrungen in  dieser  Beziehung  von  einigem  Interesse  sein.  Vor  allem 
ist  es  erforderlich,  daß  man  sich  nicht  des  in  den  Apotheken  käuflichen 
Glyzerins  bedient,  da  dieses  fast  immer  noch  Spuren  von  Säure  enthält; 
vielmehr  ist  zum  Einschließen  völlig  säurefreies  Glyzerin  (von  Grübler, 
Leipzig,  bezogen)  und  ferner  eine  Umrandung  der  Deckgiäschen  not- 
wendig. In  derart  aufbewahrten  Objektträgern  war  die  Farbe  nach 
Monaten  noch  nicht  verblaßt;  nur  hatten  in  fast  allen  Präparaten  die 
blauen  Farbennuancen  einen  grauen  Ton  angenommen.  Sehr  wider- 
standsfähig zeigten  sich  die  Hämateintinktionen  nach  Apathy  und 
Delafield.  Ferner  kommt  es  nach  meinen  Beobachtungen  bei 
Phyllirhoe  wesentlich  auf  die  Art  der  angewandten  Fixierung  an;  in 
Präparaten,  die  in  Sublimatessigsäure  fixiert  und  in  Hämalaun  gefärbt 
waren,  sind  jetzt  nach  2  Jahren  die  Kerne  noch  intensiv  blau  ge- 
färbt. Sehr  schnell  bleichen  bekanntlich  in  Glyzerin  die  Anilinfarben 
aus;  nur  in  Objekten,  zu  deren  Fixierung  Chromessigsäure  benutzt  war, 
hielt  sich  die  Eosinfärbung  monatelang  im  Glyzerin.  Sehr  gut  werden 
die  Teerfarben,  wie  auch  Lee  (69,  S.  72)  bemerkt,  durch  den  Einschluß 
in  dünnflüssigem  Cedernöl  konserviert. 

Besondere  Vorteile  bot  mir  bei  PhylUrJioe  das  Paraffinum  liquidum 
als  Medium  zum  Aufbewahren  der  Präparate;  das  Paraffinöl  extrahiert 
nämlich  weder  Hämatein-  noch  Anilinfarben.  Nach  Monaten  noch 
zeigen  letztere  ihre  ursprünglichen  Nuancen;  nur  Säurefuchsin  verblich 
mit  der  Zeit.  Außerdem  besitzt  das  Paraffinöl  in  seinem  geringen 
Brechungsindex  einen  für  meine  Untersuchungen  wesentlichen  Vorzug; 
es  hellt  die  Präparate  nicht  stärker  auf  als  Glyzerin.  Da  nun  zwischen 
Harz  und  Stransky  in  der  Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Mikroskopie 
(Bd.  XX,   1903)  sich  ein  Prioritätsstreit  hinsichtlich  der  Einführung 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  109 

des  Paraffinöls  als  Einbettimgsmittel  entwickelt  hat,  erlaube  ich  mir 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  Altmann  schon  im  Jahre  1890 
(1,  S.  34)  in  seinen  »Elementarorganismen«  das  Paraffinum  liquidum  als 
Einschlußmittel  empfiehlt.  Wie  beim  Glyzerin,  so  umrandete  ich  auch 
nach  Einschluß  in  Paraffinöl  das  mittels  Wachsfüßchen  am  Objekt- 
träger haftende  Deckgläschen  mit  der  Kkönig sehen  Masse.  Harz  hat 
seine  in  Paraffinöl  eingeschlossenen  Präparate  mit  Glyzeringelatine 
umrahmt,  während  Stransky  (129)  von  einer  Fixierung  der  Deck- 
gläschen nichts  angibt.  Auch  in  den  .nicht  umrahmten  Präparaten 
hielten  sich  die  Tinktionen  lange;  dies  ist  wohl  auf  den  Umstand  zu- 
rückzuführen, daß  das  Paraffinöl  im  Gegensatz  zum  Glyzerin  nicht 
hygroskopisch  ist.  Da  aber  die  Wachsfüßchen  durch  das  flüssige 
Paraffin  leicht  aufgelöst  werden,  und  dann  das  Deckgläschen  jeglichen 
Halt  verliert,  ist  eine  Umrandung  erforderlich.  Von  der  von  Harz 
empfohlenen  Glyzeringelatine  habe  ich  aber  Abstand  nehmen  müssen, 
weil  sie  zu  leicht  unter  das  Deckglas  dringt. 

Bei  den  nach  Einschmelzung  in  Paraffin  mit  dem  Mikrotom  ge- 
wonnenen Schnitten  war  ein  Einschluß  in  flüssige  Medien  nicht  er- 
forderlich, da  bei  ihnen  das  starke  Aufhellungsvermögen  des  Kanada- 
balsams nicht  störend  wirkte. 

Die  Haut. 

Das  die  äußere  Haut  bedeckende  Epithel  ist  wie  bei  allen  Mollusken 
einschichtig  und  läßt  zwei  Hauptformen  erkennen,  die  durch  das  Vor- 
handensein oder  Fehlen  von  Wimpern  bedingt  werden.  Während  das 
Epithel  am  ventralen  und  dorsalen  Körperrand  von  fast  kubischer 
Gestalt  ist,  plattet  es  sich  auf  den  anstoßenden  Seitenflächen  stark  ab. 
Auf  den  mittleren  Hautpartien  sind  die  Epithelzellen  spärlich  vor- 
handen; nur  an  den  Mündungen  der  verschiedenen  Hautdrüsen  sind 
sie  in  etwas  größerer  Menge  anzutreffen.  Bei  Färbung  mit  Hämalaun- 
Eosin  sind  die  Kerne  in  den  Epithelien  meist  blau,  in  vielen  aber  auch 
rot  gefärbt.  Die  blau  tingierten  Kerne,  die  meist  von  ovaler  Gestalt 
sind,  haben  eine  deutlich  ausgeprägte  chromatische  Substanz.  Die 
rot  gefärbten  Kerne  sind  meist  kleiner  als  die  blauen,  dichter  granuliert 
und  fast  stets  von  unregelmäßiger  Form.  Daher  ist  wohl  die  Annahme 
berechtigt,  daß  die  roten  Nuclei  degenerierten  Epithelien  angehören. 
Am  Rüssel  wird  das  Epithel  schmäler  und  höher;  seine  größte 
Höhe  erreicht  es  an  den  Übergangsstellen  der  Lippen  zum  Vorraum 
zur  Mundhöhle  (Taf.  IV,  Fig.  6),  bis  hierher  sind  auch  in  dem 
Epithelsaume  die  Flimmerzellen  vorhanden,  die  hier  entsprechend  den 


110  Ernst  Born, 

Übrigen  Epithelzellen  ebenfalls  ihre  Form  geändert  haben;  auch  sie 
sind  am  Kopfe  sehr  schmal  und  von  cylindrischer  Gestalt.  Der 
Kern  dieser  Fiimmerzellen  liegt  in  der  Mitte  des  Zellleibes,  während 
er  bei  den  übrigen  Deckepithelien  des  Rüssels  an  der  Zellbasis  zu 
finden  ist. 

Die  Flimmerzellen  werde  ich  später  unter  den  Sinnesorganen  ein- 
gehender besprechen. 

Das  Epithel  sitzt  einer  strukturlosen  Basalmembran  auf,  die  sich 
auf  nach  der  Methode  von  I^ansen  oder  mit  Pikrokarmin  gefärbten 
Schnitten  als  eine  zarte  rote  Linie  von  dem  etwas  gelblich  tingierten 
Epithel  abhebt.  Die  strukturlosen  Membranen  der  Mollusken  sind  nach 
Kollmann  (67,  S.  593)  entweder  durch  Zellenausscheidung  hervor- 
gegangen oder  durch  Verdichtung  der  strukturlosen  Grundsubstanz 
entstanden.  In  der  Basalmembran  der  PhylUrlioe  habe  ich  keine  be- 
sonderen Kerne  angetroffen,  und  sie  ist  demnach  nur  als  die  äußere 
verdichtete  Schicht  der  gallertigen  Grundsubstanz  des  Körpers  auf- 
zufassen. Letztere  wird  allgemein  als  Intercellularsubstanz  gedeutet; 
und  zwar  wird  sie  bei  den  Heteropoden  nach  der  schon  von  Gegen- 
BAUR  (36)  vertretenen  Ansicht,  welcher  sich  später  Paneth  (96,  S.  254) 
und  neuerdings  Tesch  (131,  S.  62)  angeschlossen  haben,  von  stern- 
förmigen, reich  verästelten  Zellen  ausgeschieden.  Nach  Leuckart  da- 
gegen haben  die  Bindesubstanzzellen  der  pelagischen  Mollusken  das 
Aussehen  von  » Eiterkörperchen «,  wie  er  sie  auch  bei  Phyllirhoe  be- 
obachtete. In  der  homogenen  Grundsubstanz  der  Phyllirhoe  finden 
sich  in  großer  Menge  Zellen,  deren  kleiner  Kern  am  Rande  des  fein- 
granulierten Körpers  liegt  (Taf.  V,  Fig.  4  a).  Diese  Zellen  sind  von 
einem  schmalen  homogenen  Protoplasmasaum  umgeben,  der  oft  einzelne, 
sehr  feine  und  kurze  Fortsätze  aussendet.  Sie  liegen  häufig  auch  den 
Muskelfasern  und  den  inneren  Organen  seitlich  an.  Ferner  findet  man 
unter  der  Basalmembran  der  Phyllirhoe,  oft  in  Haufen  zusammenliegend, 
kleine  Zellen  mit  einer  breiten,  homogenen  Protoplasmaschicht;  letztere 
stimmen  völlig  mit  den  von  Leuckart  und  Boll  beobachteten  Zellen 
überein  (Fig.  4  b).  Der  periphere  Protoplasmasaum  dieser  Zellen 
kann  sich  aber  bei  Phyllirhoe  an  dem  einen  oder  auch  an  beiden  Zell- 
polen zu  einem  langen  Fortsatz  ausziehen,  der  die  verschiedensten 
Formen  annehmen  kann  (Fig.  5).  Alle  diese  Zellen  sind  bei  Phyllirhoe 
ohne  Zweifel  als  die  Bildungszellen  der  homogenen  Grundsubstanz 
aufzufassen,  und  ich  vermute,  daß  es  sich  bei  ihnen  nicht  um  ver- 
schiedene Zellarten  handelt,  sondern  daß  sie  auf  einen  und  denselben, 
nämlich   auf    den    zuerst    erwähnten    Zelltypus    zurückzuführen    sind 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  111 

(Fio.  4ö).  Die  große  Umwandlungsfähigkcit  der  Bindegewebszelle  der 
Mollusken  ist  ja  am  besten  in  den  Angaben  Chatins  (20)  über  Palu- 
dina  gekennzeichnet;  Chatin  leitet  alle  die  verschiedenen  Zellen  des 
Bindegewebes:  die  bläschenförmigen,  die  multipolaren,  die  Plasma- 
zellen, die  LANGERschen  Blasen,  von  einem  Typus  ab. 

Sternförmige  Zellen,  wie  sie  von  Gegenbaur,  Paneth,  Brock 
und  andern  bei  den  verschiedensten  Gastropoden  als  die  eigentlichen 
Bindegewebszellen  beschrieben  worden  sind,  habe  ich  in  der  hyalinen 
Intercellularsubstanz  der  PhjlUrhoe  auch  beobachtet;  eine  genauere 
Beschreibung  dieser  Zellen  findet  sich  in  dem  den  Hautdrüsen  ge- 
widmeten Kapitel  (vgl.  S.  162),  da  sie  ohne  Zweifel  bei  Phyllirhoe 
secretorische  Elemente  darstellen. 

Erwähnen  will  ich  noch,  daß  die  Bindegewebskörperchen  der 
Phyllirhoe  von  Günther  (44)  als  die  Spermatozoen  der  an  ihr  schma- 
rotzenden Meduse  Menestra  angesehen  worden  sind. 

In  die  collagene  Grundsubstanz  sind  außer  ihren  eigentlichen 
Bildungszellen  noch  andre  freie  Zellarten,  ferner  das  Nervensystem, 
die  Muskulatur  und  die  Hautdrüsen  eingelagert.  Von  den  freien  Zellen 
sind  die  Pigmentzellen  die  interessantesten. 

Die  Pigmentzellen.  * 

An  dem  oberen  und  unteren  Körperrande  machen  sich  nach  H.  Mül- 
ler und  Gegenbaur  (92)  beim  lebenden  Tier  gelbe  Punkte  bemerkbar, 
die  von  ihnen  mit  den  Chromatophoren  der  Tintenfische  verglichen 
werden.  Über  die  beobachteten  zwei  Modifikationen  dieser  Zellen 
geben  die  genannten  Autoren  folgende  Angaben:  »Man  findet  einmal 
große,  sehr  platte,  wenig  intensiv  gefärbte  Zellen,  die  in  einzelne  spitze 
Zacken  ausgeben.  •  Andernfalls  sind  die  Zellen  klein,  nach  allen  Di- 
mensionen von  ziemlich  gleichem  Durchmesser,  bei  durchfallendem 
Lichte  sehr  dunkel  und  deutlich  von  einer  Anzahl  strahlig  gestellter 
Fortsätze  umgeben. «  Diese  Beschreibung  kann  ich  in  folgender  Weise 
ergänzen. 

Nahe  dem  Körperrande  der  Phyllirhoe  findet  man  mitunter  Gebilde, 
an  denen  mehrere,  2  bis  etwa  20  Kerne  sichtbar  sind;  ohne  Zweifel 
sind  aber  in  den  tieferen  Schichten,  die  nicht  der  Beobachtung  zu- 
gänglich sind,  noch  mehr  Kerne  enthalten.  In  diesen  Syncytien  sind 
die  Grenzen  der  einzelnen  Zellen  häufig  durch  einen  fibrillären,  licht- 
brechenden Kontur  gekennzeichnet  (Taf.  V,  Fig.  2).  Diese  Zellver- 
bände haben  meist  nur  wenige  und  sehr  kurze  Ausläufer,     Die  Zellen 


112  Ernst  Born, 

können  sich  nun  voneinander  entfernen;  es  stellen  dann  zunächst 
noch  deutlich  sichtbare  protoplasmatische  Stränge  die  Verbindung 
zwischen  ihnen  her  (Fig.  1);  je  größer  die  Entfernung  zwischen  den 
einzelnen  Pigmentzellen  wird,  desto  feiner  werden  die  verbindenden 
Stränge,  und  schließlich  werden  die  Ausläufer  so  fein,  daß  die  Ver- 
bindung sich  nur  noch  an  einzelnen  Pseudopodien  nachweisen  läßt; 
bisweilen  haben  sich  einzelne  Zellen  so  weit  entfernt,  daß  ein  Zusammen- 
hang mit  der  dicht  am  Körperrande  gelegenen  Pigmentzellenreihe 
mittels  der  äußerst  feinen  Ausläufer  nicht  mehr  zu  konstatieren  ist. 
Solche  isoliert  erscheinenden  Zellen  haben  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit 
einem  Khizopoden;  sie  sind  stark  abgeplattet,  relativ  groß  und  haben 
einen  central  gelegenen,  bläschenförmigen  Kern;  ihr  äußerer  Kontur, 
der  mitunter  fast  kreisförmig  ist,  entsendet  zahlreiche,  feine  homogene 
Ausläufer,  die  nur  bei  Färbung  mit  Heidenhains  Eisenhämatoxylin 
eingelagerte  schwarze  Körnchen  erkennen  lassen.  In  diesen  expan- 
dierten Zellen  sind  die  Kerne  in  der  Regel  etwas  größer  als  in  den 
kontrahierten  mehrzelligen  Gebilden ;  die  in  letzteren  enthaltenen  Zellen 
sind  auch  von  bedeutend  kleinerem  Umfang  und  haben  dichter  granu- 
liertes Pigment* 

Die  durch  die  feinen  Ausläufer  verbundenen  Pigmentzellen  zeigen 
oft  ganz  sonderbare  Formen ;  häufig  sind  sie  lang  ausgezogen  und  liegen 
in  einer  Reihe  dicht  nebeneinander.  Diese  Zellen  weisen  keine  Pseudo- 
podien mehr  auf,  nur  von  den  beiden  Polen  jeder  Zelle  gehen  wenige 
oder  sogar  nur  je  ein  fibrillärer  Strang  zu  der  benachbarten  Zelle.  Der 
Körper  solcher  Zellen  ist  dann  meist  von  einer  lichtbrechenden  Fibrille 
umgrenzt;  außerdem  liegt  ihm  oft  bei  Präparaten,  die  mit  Flemming- 
scher  Lösung  fixiert  sind,  noch  ein  schmaler,  heller,  feingestrichelter 
Saum  auf  (Fig.  3).  Ich  habe  bisweilen  sich  über  eine  größere 
Strecke  hin  ausdehnende  Chromatophorenfelder  beobachtet,  welche 
aus  etwa  40  miteinander  verbundenen  Zellen  bestanden.  In  diesen 
Zellen  lag  der  Kern  häufig  nicht  in  der  Mitte,  sondern  nahe  dem  einen 
Zellpole,  und  zwar  regellos  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Ende  der 
Zelle.  Das  Pigment  ist  meist  im  Centrum  der  Zelle  in  größerer  Menge 
vorhanden;  bisweilen  ist  es  aber  auch  an  die  Peripherie  gedrängt  und 
der  mittlere  Teil  des  Zellkörpers  erscheint  homogen. 

Viel  Zeit  und  Mühe  habe  ich  darauf  verwandt,  um  einen  eventuellen 
Zusammenhang  mit  Nervenfasern  feststellen  zu  können,  wie  er  von 
den  Chromatophoren  der  Tintenfische  bekannt  ist.  Sehr  oft  habe  ich 
Nerven  über  die  Pigmentzellen  hin  wegziehen  sehen;  einmal  hat  sogar 
der  Nerv  gerade  über  einer  solchen  Zelle  eine  ganglionäre  Anschwellung 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  113 

gehabt;  doch  ich  bezweifle,  daß  die  Pigmentzellen  von  diesen  Nerven 
tatsächlich  innerviert  werden.  Desgleichen  ist  es  mir  nicht  geglückt, 
einwandfreie  Verbindungen  mit  Muskelfasern  festzustellen.  Müt.ler 
und  Gegenbaur  haben  übrigens  an  den  Pigmentzellen  der  Phyllirhoe 
eine  selbständige  Bewegung  nicht  beobachtet,  sondern  nur  bemerkt, 
»daß  die  Zellen  an  der  Formveränderung  des  Tieres  überhaupt  Anteil 
nehmen  «. 

Bezüglich  des  biologischen  Wertes  dieser  Zellen  weise  ich  darauf 
hin,  daß  E.  Hecht  (53)  in  seiner  Monographie  über  die  Nudibranchier 
dreierlei  Färbungen  bei  diesen  l'ieren  unterscheidet.  Einmal  indifferente 
Farben,  sie  haben  keine  wesentliche  Bedeutung;  ferner  Schutzfärbungen 
(coloration  homochromique),  die  aber  selten  beobachtet  werden,  und 
schließlich  Warnfarben  (couleurs  premonitrices) ;  letztere  zeigen  einen 
auffallenden  Farbenton;  sie  sind  fast  immer  rot,  orange  und  nament- 
lich gelb.  In  der  Anordnung  dieser  Färbungen  macht  sich  eine 
gewisse  Regelmäßigkeit  bei  den  Nudibranchiern  bemerkbar;  meist  ziert 
die  Farbe  die  Spitzen  der  Papillen;  auch  an  den  Seiten  des  Körpers 
findet  man  lebhaft  gefärbte,  unregelmäßig  gestaltete  Flecken ;  besondere 
Pigmentzellen  aber  sind  von  Hecht  nicht  beobachtet  worden.  Alle 
Arten  mit  Warnfarben  sind  äußerst  flink  und  besitzen  in  ihren  Nessel- 
zellen kräftige  Verteidigungsmittel.  Wie  Hecht  weiterhin  erwähnt, 
ist  Wallace  der  Ansicht,  daß  bei  den  Äolidiern  die  durch  die  Warn- 
farben angelockten  Feinde  mittels  der  Nesselorgane  zurückgetrieben 
werden  und  infolgedessen  in  Zukunft  die  Angriffe  nicht  wiederholen. 
Hecht  kann  diese  Theorie  nicht  annehmen,  da  es  ihm  zweifelhaft 
erscheint,  daß  den  niederen  Tieren  die  Gaben  der  Erinnerung  und 
Vernunft  in  so  hohem  Maße  zuzusprechen  sind.  Übrigens  hat  auch 
später  noch  Cockerell  (25)  die  farbigen  Pigmente  in  der  Haut  der 
Chromodoris  als  "warning  coloration"  gedeutet.  Hierzu  muß  aber 
bemerkt  werden,  daß  die  Nesselzellen  nicht  von  den  Äolidiern  erzeugt 
werden,  wie  man  lange  Zeit  annahm  und  selbst  noch  in  der  letzten, 
von  Grobben  bearbeiteten  Auflage  des  Lehrbuchs  der  Zoologie  von 
Claus  auf  S.  597  zu  lesen  ist;  vielmehr  entstammen  die  Nesselzellen 
der  Äolidier  den  Hydroiden,  von  welchen  sich  diese  Tiere  ernähren. 
Durch  Beobachtungen  jedoch  glaubt  man  sich  davon  überzeugt  zu 
haben  (zit.  nach  Spengel,  Die  Nesselkapseln  der  Äolidier.  Naturw. 
Wochenschrift,  Bd.  XIX,  1904),  daß  die  Äolidier  die  mit  der  Nahrung 
aufgenommenen  Nesselkapseln  als  Verteidigungswaffen  gebrauchen;  die 
bunten  Farben  ihrer  Papillen  sind  daher  nach  Spengel  u.  a.  als  un- 
verkennbare  Trutzfarben   zu   erklären.     Ob   auch   bei  Phyllirhoe   die 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  8 


114  Ernst  Born, 

Pigmentzellen  die  Rolle  von  Warnzeichen  spielen,  wage  ich  nicht 
zu  entscheiden.  Es  ist  möglich,  daß  die  eine  oder  andre  Art  der 
am  Körperrande,  wo  auch  die  Chromatophoren  namentlich  ihren  Sitz 
haben,  sich  findenden  Drüsenzellen  als  Verteidigungsorgane  zu  deuten 
sind;  aber  ich  kann  nicht  die  von  Bergh  (7,  S.  216)  gemachte  Angabe 
bestätigen,  daß  in  der  Haut  der  Phyllirhoe  zahlreiche  Nesselkapseln  sich 
finden. 

Das  Nervensystem. 

Das  centrale  Nervensystem  ist  schon  von  Vissichelli  (137)  ein- 
gehend beschrieben  worden,  so  daß  ich  mich  auf  wenige  Angaben  über 
dasselbe  beschränken  kann. 

Das  Centralnervensystem  der  Phyllirhoe  hat  die  für  die  Nudi- 
branchier  charakteristische  Lage  hinter  dem  Pharynx;  die  vier  über 
dem  Oesophagus  liegenden  Ganglienknoten  haben  eine  verschiedene 
Deutung  erfahren.  Vissichelli  bezeichnet  die  oberen  Centren  als 
cerebropleurale,  aber  auch  als  cerobroviscerale  Ganglien,  da  nach  seinen 
Angaben  der  aus  dem  hinteren  Abschnitt  der  dorsalen  Ganglien  hervor- 
gehende Nerv  Zweige  an  die  oberen  Leberschläuche,  das  Herz  und 
die  Niere  abgibt.  Ich  bezweifle  übrigens,  daß  dieser  Nerv  die  Mittel- 
darmdrüse innerviert;  seine  Äste  ziehen  zwar  über  letztere  hinweg, 
ohne  sich  aber  irgendwie  auf  diesem  Organ  zu  verästeln;  ich  habe  da- 
gegen einigemal  feine  Zweige  aus  dem  sympathischen  Plexus  an  die 
Leberschläuche  abtreten  sehen.  Ferner  halte  ich  es  für  ausgeschlossen, 
daß  der  Seitennerv,  so  will  ich  diesen  Zweig  entsprechend  der  von 
Vissichelli  eingeführten  Nomenklatur  nennen,  das  Herz  innerviert. 
Dagegen  tritt  dieser  Nervenstamm  zur  Niere  tatsächlich  in  Beziehung, 
jedoch  in  einer  andern  Weise  als  Vissichelli  annimmt.  Über  die  Inner- 
vation des  Herzens  und  des  Nephridiums  werde  ich  später  ausführlichere 
Angaben  machen.  Der  Seitennerv  gibt  nun  aber  auch  im  weiteren 
Verlaufe,  wie  ja  auch  Vissichelli  bekannt  ist,  Zweige  an  das  Inte- 
gument  ab;  er  ist  also  kein  reiner  Eingeweidenerv;  demnach  müssen 
noch  andre  Gehirnabschnitte  in  den  dorsalen  Ganglien  enthalten  sein. 
Nach  Vissichelli  haben  sich  letztere  durch  Verschmelzung  der  Cerebral- 
und  Pleuralganglien  gebildet,  und  zwar  entspringt  der  Seitennerv  aus 
dem  hinteren,  dem  pleuralen  Abschnitt.  Dieses  Verhalten  ist  aber  in- 
sofern bemerkenswert,  als  Guiart  (45,  S.  89)  in  seiner  umfangreichen 
Arbeit  über  die  Opisthobranchier,  die  von  Vissichelli  nicht  berück- 
sichtigt wird,  behauptet,  daß  auch  bei  diesen  Gastropoden  die  Pleural- 
ganglien keine  Nerven  mehr  abgeben.    Auch  Pelseneer  (97)  hält  die 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  iler   Pli\  Uirhoe  bucephala.  115 

von  ihm  bei  Acera,  Aplijsia  und  Apltjsidla  beobachteten  Pleurainerven 
für  Neubildungen.  Für  die  Prosobranchier  hatte  schon  vorher  Spen- 
OEL  (125,  S.  34)  angegeben,  daß  bei  ihnen  die  Pleuralganglien  stets  nur 
die  Visceralcomraissur  und  niemals  peripherische  Nerven  abgeben. 
Falls  bei  den  Opisthobranchiern  die  Pleuralganglien  Nerven  an  das 
Tntegument  senden,  so  stammen  diese  nach  Guiart  stets  aus  den  mit 
ihnen  verschmolzenen  »ganglions  palleaux«.  Bei  Guiart  sind  näm- 
lich nicht,  wie  sonst  üblich,  die  Bezeichnungen  Pleural-  und  Pallial- 
ganglien  synonym,  vielmehr  besteht  nach  ihm  die  Visceralcommissur, 
sein  »centre  palleo- visceral «,  von  vorn  nach  hinten  aus  folgenden 
Ganglien:  aus  zwei  Pleuralganglien,  welche  niemals  Nerven  abgeben; 
ihnen  folgen  zwei  Pallialgangiien,  welche  das  Integument  der  vorderen 
Körperregion  innervieren;  letzteren  Centren  schließen  sich  dann  noch 
drei  Visceralganglien  an.  Bei  Phyllirhoe  enthalten  demnach  die  oberen, 
die  Cerebropleuralgangiien,  auch  noch  die  »ganglions  palleaux«  im 
Sinne  Guiarts  und  wohl  außerdem  noch  Teile  der  Visceralganglien, 
da  der  Seitennerv  auch  die  Urinkammer  innerviert.  Daß  bei  Nudi- 
branchiern  Cerebral-,  Pleural-  und  Visceralganglien  miteinander  ver- 
schmelzen können,  lehrt  die  Beobachtung  Guiarts  (S.  125)  bei  Archi- 
doris  tiiberculata  und  Idalia  racemosa.  Letztere  Angabe  ist  insofern 
bemerkenswert,  als  durch  sie  die  von  Pelseneer  (98)  aufgestellte 
Behauptung  widerlegt  wird,  daß  sich  die  Pleural-  und  Visceralganglien 
nie  miteinander  vereinigen. 

Die  unteren  Ganglien  bezeichnet  Vissichelli  nur  als  pedale, 
während  sie  von  Ihering  (59)  als  visceropedale  in  Anspruch  genommen 
werden,  da  aus  ihnen  auch  die  Nerven  für  den  Geschlechtsapparat 
stammen.  Nun  bemerkt  ja  allerdings  Pelseneer  (97),  daß  bei  den  Mol- 
lusken die  Innervation  des  Penis  immer  durch  das  Pedalganglion  erfolgt ; 
auch  Guiart  bestätigt  diese  Innervierung  des  Penis  für  die  Opistho- 
branchier;  aber  bei  allen  diesen  Angaben  finden  wir,  daß  neben  dem 
pedalen  Penisnerv  noch  ein  Nerv  aus  dem  Visceralganglion  die  Genital- 
organe innerviert.  Wie  aus  den  Angaben  Pelseneers  ersichtlich  ist, 
kann  bei  einigen  Opisthobranchiern  {Pleurobranchius,  Polycera,  Gonio- 
doris,  Elysia)  der  aus  dem  rechten  Pedalganglion  hervorgehende  Penis- 
nerv in  demselben  Umfange  accessorische  Ganglien  bilden,  wie  wir 
sie  bei  Phyllirhoe  an  dem  aus  dem  rechten  unteren  Ganglion  an  den 
Geschlechtsapparat  tretenden  Nerven  beobachten;  aber  auch  bei  diesen 
opisthobranchiaten  Gastropoden  innerviert  der  Penisnerv  nur  die  Rute, 
während  den  übrigen  Teil  des  Fortpflanzungsapparates  ein  besonderer^ 
aus    dem    Visceralganglion    stammender    Genitalnerv    versorgt.      Bei 

8* 


11 G  Ernst  Born, 

PhyllirJioe  nun  übernimmt  der  rechte  pedale  Ganglienknoten  die 
Innervation  des  gesamten  Geschlechtsapparates,  ein  Innervationsgebiet 
also,  das  allgemein  zum  Visceralganglion  gerechnet  wird.  Die  Be- 
stimmung der  Lage  des  Visceralganglions  bei  Phyllirhoe  verursacht 
demnach  Schwierigkeiten;  einen  besseren  Aufschluß  würde  uns  wohl 
ein   Studium   an   Embryonen   geben. 

Es  ist  übrigens  zweifelhaft,  ob  wir  aus  den  Bezeichnungen,  welche 
die  einzelnen  Ganglien  bei  den  Mollusken  führen,  immer  direkte  Schluß- 
folgerungen auf  das  Innervationsgebiet  ziehen  können.  Kawitz  (105, 
S.  448)  hat  schon  für  die  Acephalen  angegeben,  daß  ein  weitgehender 
Faseraustausch  zwischen  den  verschiedenen  Ganglien  stattfindet;  diese 
Angaben  haben  durch  List  (81,  S.  212)  ihre  Bestätigung  gefunden. 
Da  bei  den  Muscheln  die  einzelnen  Ganglien  keine  eigentlichen  getrennten 
Centren  darstellen,  so  sind  sie  nach  List  »nichts  als  Namen,  die  sich  auf 
frühere  vergleichend  anatomische  Untersuchungen  stützen  und  nur  mit 
Rücksicht  auf  die  vergleichende  Betrachtung  mit  den  übrigen  Mollusken- 
gruppen berechtigt  sind.  Auf  jeden  Fall  darf  man  bei  den  Muscheln 
keinen  Lokalisationsbegriff  damit  verbinden«  (List).  Auch  bei  Phyl- 
lirhoe sind  die  Ganglien  nicht  voneinander  völlig  getrennt  (Taf.  IV, 
Fig.  3);  ob  aber  die  vom  Gehirn  abtretenden  Nervenstämme  Axone 
verschiedener  Ganglien  enthalten,  kann  ich  nicht  mit  Sicherheit  sagen. 
Über  die  physiologische  Bedeutung  der  einzelnen  Ganglienknoten  gibt 
uns  wohl  am  besten  das  Experiment  Aufschluß.  Steiner  (127,  S.  93) 
hat  an  Pterotrachea  und  Octopus  festgestellt,  daß  nach  Abtragung 
des  Pedalganglions  jede  Locomotion  aufhört;  es  ist  also  zweifellos 
das  allgemeine  Bewegungscentrum;  mit  demselben  Erfolg  hat 
Mendelsohn  (88)  die  Pedalganglien  bei  Carinaria  und  Pterotrachea 
zerstört. 

Der  Ursprung  der  drei  Schlundcommissuren  bei  Phyllirhoe 
ist  von  Vissichelli  richtig  angegeben  worden;  und  zwar  deutet  er 
dieselben  als  subcerebrale,  pedale  und  parapedale  Coramissuren.  Nach 
Vissichelli  fehlt  also  der  Phyllirhoe  die  Visceralcommissur,  während 
nach  Pelseneek  die  Subcerebralcommissur  nicht  vorhanden  ist;  das 
Fehlen  des  letzteren  Schlundringes  wäre  insofern  auffallend,  als  nach 
den  eignen  Angaben  Pelseneers  (97,  S.  68),  bei  den  Nudibranchiern 
von  allen  Schlundringen  die  Subcerebralbralcommissur  am  häufigsten 
beobachtet  wird. 

Die  Innervation  der  Zwitterdrüsen  ist  von  allen  bisheri- 
gen Beobachtern  falsch  beschrieben  worden;  während  nach  v.  Ihering 
der  von  ihm  als  Genitalnerv  bezeichnete   hintere  Pedalnerv  die  bei 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirlioü  bucephala.  117 

Phyllirhoc  bucephala  stets  paarigen  Gonaden  versorgt,  zieht  nach 
VissiCHELLi  der  fortlaufende  Stamm  des  Genitalnerven  am  Magen 
entlang  und  tritt  dann  in  die  Keimdrüsen  ein.  Ich  kann  beiden  Autoren 
nicht  beipflichten.  Vielmehr  bildet  nach  meinen  Beobachtungen  der 
Genitalnerv  am  Receptaculum  seminisi  ein  durchschnittlich  nur  0,06mm 
großes  Ganglion,  von  dem  ein  feiner  Nerv  zum  Zwittergang  geht.  Dieser 
Nerv,  der  mehrere  äußerst  kleine  accessorische  Ganglien  durchläuft, 
teilt  sich  an  der  Vereinigung  der  Ausführungsgänge  der  dorsalen  und 
ventralen  Gonade  in  zwei  feinere  Stämmchen,  die  sich  bis  zu  den 
Zwitterdrüsen  verfolgen  lassen. 

Das  sympathische  Nervensystem  wird  bei  den  Gastropo- 
den durch  die  Buccalganglien  dargestellt.  Letztere  liegen  bei  PhyUirhoe 
an  der  ventralen  Fläche  des  Oesophagus,  und  zwar  meist  dicht  hinter  dem 
Pharynx.  Sie  befinden  sich  also  bei  PhyUirhoe  vor  den  Schlundringen, 
während  sonst  bei  den  übrigen  Opisthobranchiern  nach  Guiart  die 
I^age  der  Buccalganglien  hinter  dem  Central nervensystem  die  ge- 
Avöhnliche  ist.  Während  die  centralen  Ganglienknoten  bei  PhyUirhoe 
symmetrisch  zur  Medianebene  des  Körpers  liegen,  sind  die  Buccal- 
ganglien meist  etwas  nach  links  verlagert.  Zweimal  lagen  sie  der 
inneren  Fläche  der  linken  Speicheldrüse  dicht  an.  Die  Buccalganglien 
stehen  jederseits  durch  das  Cerebrobuccalconnectiv  mit  dem  gleich- 
seitigen Cerebralganglion  in  Verbindung.  Die  Angabe  Guiarts  (S.  90), 
daß  dieses  Connectiv  aus  dem  Cerebral-  und  Pedalganglion  entspringt, 
finde  ich  nirgends  bestätigt.  Auch  für  PhyUirhoe  ist  ein  doppelter 
Ursprung  des  Cerebrobuccalconnectivs  ausgeschlossen.  Wie  Vissi- 
€HELLi  schon  angibt,  bilden  die  beiden  aus  dem  hinteren  Rand  der 
Buccalganglien  entspringenden  Nerven  auf  dem  Magen  ein  Geflecht. 
Letzteres  ist  aber  nach  meinen  Beobachtungen  auf  dem  hinteren  Teil 
des  Magens  am  stärksten  entwickelt;  der  Mitteldarm  wird  hier  von 
den  Nerven  umflochten;  auch  war  das  Geflecht  auf  der  linken  Magen- 
seite stärker  ausgebildet  als  rechts.  Von  diesem  Plexus  treten  auch 
Nerven  zu  den  Leberschläuchen  und  dem  Enddarm  ab.  Bemerken 
möchte  ich  noch,  daß  diese  aus  dem  hinteren  Rand  der  Buccalganglien 
stammenden  Nerven  bald  nach  ihrem  Ursprung  jederseits  häufig  einen 
feinen  Zweig  nach  vorn  senden,  der  auf  dem  Oesophagus  erst  kurz  vor 


1  Während  nach  Bergh  (8)  den  Phyllirhoiden  eine  Samenblase  fehlt,  wird 
in  Längs  Lehrbuch  der  vergleichenden  Anatomie  in  Fig.  343  der  Blindsack  des 
Eileiters  als  »Receptaculum  seminis«  gedeutet.  Durch  Schnittserien  habe  ich 
mich  davon  überzeugt,  daß  das  von  Bebgh  als  Ampulle  des  Zwitterganges  be- 
zeichnete Gebilde  einen  Samenbehälter  darstellt. 


118  Ernst  Born, 

dem  Pharynx  mit  einem  sehr  kleinen  Ganglion  endet.  Diese  äußerst 
kleinen  Ganglienzellenkonglomerate  müssen  wir  als  » gastrocsopha- 
geale  «  Ganglien  ansehen,  die  ja  nach  Pelseneer  (97,  S.  64),  für  die 
Niidibranchier  charakteristisch  sind;  ihre  Lage  weicht  aber  bei  Phylli- 
rlioe  insofern  ab,  als  diese  Ganglien  sonst,  ausgenommen  bei  den  Ely- 
soideen,  in  unmittelbarer  Nähe  der  Buccalganglien  liegen. 

Was  nun  das  periphere  Nervensystem  anbetrifft,  so  hat  Vissi- 
CHELLi  nur  die  Hauptstämme  beschrieben;  mit  dem  Verlauf  der  feineren 
Nebenäste  hat  er  sich  nicht  befaßt;  ich  werde  auf  das  Verhalten  der 
letzteren  aus  praktischen  Gründen  erst  bei  den  Ausführungen  über 
die  Innervation  der  Muskulatur  (S.  145)  näher  eingehen. 

Histologie  des  centralen  Nervensystems. 

Auf  Schnittserien  erkennt  man,  daß  bei  Phyllirhoe  die  centralen 
Ganglienzellen  von  verschiedener  Größe  sind.  In  den  Cerebropleural- 
ganglien  sind  sehr  große,  mittelgroße  und  sehr  kleine  Ganglienzellen 
zu  unterscheiden;  in  den  Pedalganglien  dagegen  sind  nur  Zellen  von 
mittlerer.  Größe;  sehr  große  Zellen  finden  sich  hier  nur  an  den  Ab- 
gangsstellen der  Schlundringe.  An  den  großen  Ganglienzellen  kann 
man  deutlich  beobachten,  daß  es  sich  um  unipolare  Zellen  handelt. 
Der  Zellfortsatz,  der  oft  eine  fibrilläre  Längszeichnung  zeigt,  scheint 
sich  in  der  centralen  Fasermasse,  dem  Neuropil,  meist  aufzusplittern; 
nur  einmal  trat  ein  Zellfortsatz  direkt  in  einen  abgehenden  Nerven- 
stamm über  (Taf.  IV,  Fig.  3  bei  a).  Schon  Buchholtz  (18)  erwähnt, 
daß  in  den  Ganglienzellen  der  Mollusken  die  Größe  des  Kernes  in  einem 
ganz  bestimmten  Verhältnis  zu  derjenigen  des  Zellkörpers  steht.  Auch 
in  den  Ganglien  der  Phyllirhoe  findet  man  in  den  sehr  großen  Zellen, 
deren  birnenförmiger  Körper  ungefähr  einen  Durchmesser  von  0,07  mm 
hat,  die  größten  Kerne.  Die  Behauptung  H.  Schultzes  (119,  S.  74) 
dagegen,  daß  die  Größe  des  Kernkörperchens  im  gleichen  Verhältnis  zur 
Größe  des  Kernes  steht,  trifft  für  Phyllirhoe  nicht  zu  (Taf.  V,  Fig.  11, 
12  u.  13).  Desgleichen  finde  ich  bei  Phyllirhoe  nicht  die  Angabe 
Bethes  (9,  S.  26)  bestätigt,  daß  der  Ganglienzellkern  bei  Mollusken 
fast  immer  nur  einen  großen  Nucleolus,  selten  aber  mehrere  Kern- 
körperchen  zeigt;  vielmehr  weisen  hier  die  großen  Kerne  meist  viele 
Nucleolen  auf,  die  allerdings  häufig  nur  wenig  größer,  als  die  größten 
Chromatenkörnchen  sind  (z.  B.  in  Fig.  10).  Jedoch  unterscheiden  sich 
die  Kernkörperchen  von  letzteren  stets  durch  ihre  Eigenschaft  bei 
Anwendung  der  Doppelfärbung  mit  Hämatoxylin-Eosin  den  Anilin- 
farbstoff anzunehmen,  während  das  Chromatin  sich  mit  dem  Häma- 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  11*J 

toxylin  färbt.  Die  größeren  Nucleolen  sind  häufig  von  einem  schmalen, 
lichten  Hof  umgeben  (Fig.  12) i.  Während  die  Nuclei  der  kleineren 
Ganglienzellen  bei  PhylUrhoe  stets  rund  sind,  zeigen  die  großen  Gan- 
glienzellen häufig  einen  längsovalen  Kern;  so  habe  ich  unter  diesen 
Kernen  häufiger  solche  angetroffen,  die  0,04  mm  lang,  dagegen  nur 
halb  so  breit  waren.  In  den  großen  Ganglienzellen  beobachtet  man 
hin  und  wieder  Kerne  mit  einer  unregelmäßigen  und  undeutlichen 
Kontur.  Die  Angaben  über  das  Vorkommen  unregelmäßig  gestalteter 
Kerne  in  den  Ganglienzellen  der  Mollusken  sind  nur  äußerst  spärlich; 
da  diese  Mitteilungen  in  der  Literatur  verstreut  sich  finden,  ist  es 
wohl  angebracht,  sie  hier  einmal  in  chronologischer  Folge  anzuführen. 
Die  ersten  Notizen  über  das  Auftreten  polymorpher  Kerne  in  den 
Ganglienzellen  der  Mollusken  finden  sich  in  der  schon  oben  zitierten 
Arbeit  von  Buchholtz  auf  S.  240;  der  genannte  Autor  schreibt  dort: 
»Man  trifft  nämlich  unter  den  Kernen  von  größerem  Umfang  nicht 
gerade  selten  derartige  an,  welche  statt  der  gewöhnlichen  kugelrunden 
Form  eine  stark  nierenförmige  Gestalt  besitzen,  indem  sie  in  der  Mitte 
mehr  oder  weniger  tief  eingeschnürt  erscheinen. «  Die  seiner  Abhand- 
lung beigegebene  Fig.  6  stellt  eine  große  Gangiienzelle  von  Planorhis 
dar,  deren  Kern  eine  tiefe  Einbuchtung  zeigt.  Buchholtz  beobachtete 
diese  Kernformen  sehr  häufig  an  völlig  unversehrt  erhaltenen  Zellen, 
und  zwar  nicht  allein  nach  Chromsäureanwendung,  sondern  selbst  an 


1  Wie  Pflücke  (101,  S.  535)  angibt,  hat  Th.  Eimer  »in  den  verschiedensten 
Zellen  der  verschiedensten  Tiere«  um  die  Nucleolen  einen  hellen  Hof  beobachtet. 
Pflücke  hat  diesen  von  Eimer  als  Hyaloid  bezeichneten  Hof,  welcher  nach  An- 
sicht seines  Entdeckers  eine  allgemeine  Eigenschaft  des  Zellkernes  darstellen  soll, 
häufig  in  den  centralen  Xervenzellen  der  Muscheln  angetroffen.  Bei  der  Unter- 
suchung des  Nervensystems,  aber  auch  der  andern  Gewebe  der  Phyllirhoe  be- 
merkte ich  öfter  ebenfalls  eine  die  Nucleolen  umgebende  helle  Zone.  Bestätigen 
kann  ich  auch  den  Befund  der  genannten  Autoren,  daß  durch  diesen  hellen  Hof 
feinste  Fädchen  in  radiärer  Richtung  zum  Nucleolus  ziehen.  Ich  pflichte  Pflücke 
bei,  wenn  er  dieses  radiäre  Easersystem  als  einen  Teil  des  vom  Nucleolus  aus- 
gehenden Kerngerüstes  ansieht.  Nach  Fischer  (31,  S.  243)  stellt  der  die  Nu- 
cleolen umgebende  Hof  nicht  ein  besonderes  Gebilde  dar,  sondern  er  soll  bei  Diffe- 
renzierungsfärbungen, z.  B.  bei  der  Eisenhämatoxylinmethode  nach  Heidenhain, 
durch  stärkere  und  längere  Wirkung  der  entfärbenden  Lösungen  hervorgerufen 
werden.  Fischer  spricht  daher  von  einer  »Spiegelfärbung  der  Nucleolen«.  Ob 
dieser  Ansicht  Fischers  eine  allgemeine  Gültigkeit  zukommt,  erlaube  ich  mir 
zu  bezweifeln,  denn  ich  habe  bei  Phyllirhoe  einen  die  Nucleolen  umgebenden 
hellen  Hof  auch  sehr  häufig  bei  Exemplaren  beobachtet,  die  nur  mit  Flemming- 
scher  Lösung  fixiert  und  in  keiner  Weise  gefärbt  waren  (z.  B.  in  Zelle  G^  in 
Fig.  17  auf  Taf.  V). 


120  Ernst  Born, 

Zellen,  die  durch  einfache  Maceration  isoliert  waren;  er  hält  daher 
diese   Kernstrukturen   nicht   für   Kunstprodukte. 

Auch  Hans  Schültze  (119,  S.  72)  hat  in  den  centralen  Ganglien- 
zellen der  Gastropoden  wiederholt  die  von  Buchholtz  beschriebene 
Nierenform  des  Kernes  beobachtet;  er  läßt  es  aber  unentschieden,  ob 
diese  Form  nicht  etwa  durch  eine  Einwirkung  der  beim  Isolieren  der 
Ganglienzellen  gebrauchten  Zupfnadel  verursacht  ist. 

Von  allgemeinerem  Interesse  sind  nun  diese  unregelmäßig  ge- 
stalteten Kerne  der  Ganglienzellen  seit  der  Auslegung,  die  ihnen  in 
der  Arbeit  von  Rohde  (112)  über  ;>  Ganglienzellkern  und  Neuroglia« 
zuteil  geworden  ist.  Rohde  sieht  nämlich  diese  Kernstrukturen,  ent- 
gegen der  sonst  allgemein  acceptierten  Lehre,  daß  eine  postembryonale 
Vermehrung  der  Ganglienzellen  nicht  eintritt,- als  Teilungsperioden  an; 
und  zwar  glaubt  er  nach  seinen  Studien  an  Helix  und  den  Riesenganglien- 
zellen der  marinen  Opisthobranchier  nicht  weniger  als  vier  Arten  ihrer 
Vermehrung  gefunden  zu  haben. 

Bald  darauf  beobachtete  McClure  (24,  S.  51)  in  einigen  Ganglien- 
zellen von  Helix  nierenförmige  Kerne;  besonders  interessant  ist  der 
Befund,  welchen  auch  seine  Fig.  21  und  22  wiedergeben,  daß  nämlich 
das  Zellplasma  in  der  Einbuchtung  am  Kern  oder  etwas  davon  ent- 
fernt eine  scheibenförmige  Struktur  zeigt;  die  feingranulierte  Scheibe 
sieht  McClure  als  Sphäre  und  die  zwei  bis  drei  in  ihrem  Centrum  ge- 
legenen Granula,  welche  sich  mit  Eisenalaunhämatoxylin  intensiv  tin- 
gieren,  als  Centrosomen  an.  Ganz  analoge  Erscheinungen  hatte  übrigens 
einige  Zeit  zuvor  v.  Lenhossek  (70)  in  den  Spinalganglienzellen  des 
Frosches  bemerkt  und  damit  zuerst  Centrosom  und  Sphäre  in  Nerven- 
zellen beobachtet.  McClure  hat  unter  den  Ganglienzellen  von  Helix 
mitunter  auch  solche  mit  zwei  Kernen  angetroffen;  er  schließt  sich 
daher  der  von  Rohde  vertretenen  Lehre  an,  daß  den  Ganglienzellen 
auch  im  späteren  Leben  noch  eine  Teilungsfähigkeit  zukommt.  Auf 
die  Angaben  Rohdes  und  Mc  Clures  werde  ich  unten  noch  etwas 
ausführlicher  eingehen. 

In  jüngster  Zeit  hat  Merton  (90)  in  Schnittserien  durch  die  centrale 
Ganglienmasse  von  TetJiys  zuweilen  Ganglienzellen  gefunden,  bei 
welchen  sich  das  Kerngerüst  innerhalb  der  Kernmembran  einseitig 
verlagert  hatte;  in  andern  Zellen  war  der  Kern  mit  breiten,  lappenartigen 
Fortsätzen  in  das  Cytoplasma  eingedrungen.  Merton  sieht  aber  diese 
Kernstrukturen  nicht  als  Teilungsfiguren  an,  sondern  nach  ihm  sind 
derartige  Kernbilder  auf  die  Wirkung  der  angewandten  Fixiermittel 
zurückzuführen. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  121 

In  den  Arbeiten  von  Vignal  (136),  Halder  (48),  Rawitz  (105), 
Pflücke  (101),  und  List  (81),  in  weichen  sich  ausführliche  Angaben 
über  die  feinere  Anatomie  der  Ganglien  bei  Mollusken  finden,  wird  das 
Vorkommen  unregelmäßig  konturierter  Kerne  in  Ganglienzellen  nicht 
erwähnt. 

In  den  großen  centralen  Ganglienzellen  der  Phyllirhoe  findet  man, 
wie  schon  oben  erwähnt,  mitunter  Kerne  mit  einer  oder  mehreren 
Einkerbungen;  am  häufigsten  sind  die  Kerne,  welche  nur  eine  Ein- 
buchtung zeigen  und  deren  Gestalt  dadurch  der  Form  einer  Niere  nicht 
unähnlich  ist.  In  diesen  nierenförmigen  Kernen  der  Phyllirhoe  bildet 
das  Chromatin  in  den  eingeschnürten  Stellen  häufig  eine  durch  die 
angewandten  Kernfarbstoffe  dunkel  tingierte  Leiste,  während  das  übrige 
Kerngerüst  nur  wenig  chromatische  Substanz  trägt  (Fig.  10).  In  dem 
in  der  Kerndelle  gelegenen  Zellplasma  habe  ich  die  von  Lenhossek 
in  den  Spinalganglienzellen  des  Frosches  und  von  McClure  in  den 
Ganglienzellen  von  Helix  beobachtete  Sphäre  mit  den  Centrosomen 
nie  vorgefunden,  obwohl  die  Präparate  nach  Heidenhain  gefärbt 
waren  und  die  betreffenden  Zellen  mit  den  stärksten  ölimmersions- 
svstemen  in  der  Schnittserie  verfolgt  wurden.  Ebenso  kann  ich  den 
beiden  Autoren  nicht  darin  beipflichten,  daß  diese  nierenförmigen 
Kerne  eine  exzentrische  Lage  aufweisen,  vielmehr  nehmen  sie  in  den 
Ganglienzellen  der  Phyllirhoe,  wie  die  regelmäßig  geformten  Kerne, 
stets  die  Mitte  der  Zelle  ein.  Nach  McClure  findet  sich  die  Einker- 
bung stets  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Kernes,  und  nie  soll  sie  nach 
dem  Ursprung  des  Gangiienzellfortsatzes  gerichtet  sein.  Bei  Phijlli- 
rhoe  dagegen  zeigt  der  Kern  die  napfartige  Vertiefung  häufig  an  der 
Stelle,  welche  dem  Zellfortsatz  zugekehrt  ist;  die  in  Fig.  8  abgebildete 
Ganglienzelle  ist  schräg  geschnitten  und  daher  der  von  ihr  abgehende 
Stammfortsatz  nicht  getroffen;  wie  aber  aus  den  folgenden  Schnitten 
ersichtlich  ist,  entsendet  die  Zelle  ihren  Fortsatz  an  dem,  z.  B. 
in  Fig.  11  schon  etwas  hervorgewölbten,  der  Kerndelle  gegenüber- 
liegenden Teil  des  ZelUeibes.  Bei  Phyllirhoe  befinden  sich  außer  den 
Kernen  mit  einer  Einbuchtung  hin  und  wieder  auch  Nuclei,  deren 
Kontur  mehrere  Einkerbungen  zeigt;  ein  solcher  gelappter  Kern  ist  in 
Fig.  9  bei  a  dargestelt.  Nach  Rohde  sollen  sich  nun  von  derartigen 
Kernen  einzelne  Teile  abschnüren  und  zur  Bildung  neuer  Zellen  führen. 
Wie  ich  schon  erwähnt  habe,  hat  auch  McClure  bei  Helix  zweikernige 
Ganglienzellen  beobachtet;  nach  Rawitz  kommen  bei  den  Acephalen 
sogar  Ganglienzellen  mit  drei  Kernen  vor;  sonst  finde  ich  in  der  ein- 
schlägio-en  Literatur  derartige  Angaben  nicht;  von  einzelnen  Autoren, 


122  Ernst  Born, 

z.  B.  von  Haller,  wird  das  Vorkommen  von  mehrkernigen  Ganglien- 
zellen bei  Mollusken  entschieden  bestritten.  Bei  Phyllirhoe  habe  ich 
einigemal  unter  den  großen  Ganglienzellen  solche  angetroffen,  Avelche 
zwei  voneinander  getrennte  Chromatinanhäufungen  enthielten  (Fig.  8) ; 
verfolgte  ich  aber  die  betreffende  Zelle  in  der  Serie,  so  konnte  einwand- 
frei festgestellt  Averden,  daß  es  sich  nicht  um  eine  mehrkernige  Ganglien- 
zelle handelte,  sondern  vielmehr  diese  gesonderten  Chromatinanhäu- 
fungen nur  die  Ausläufer  eines  tief  eingekerbten  Kernes  darstellten. 
Bestätigen  kann  ich  die  Angabe  Rohdes,  daß  die  polymorphen  Kerne, 
welche  nach  seiner  Auffassung  zum  Zerfall  des  Kernes  in  mehrere 
Bruchstücke  führen  sollen,  ein  sehr  dichtes  und  sich  ungemein  stark 
färbendes  Kerngerüst  haben;  in  Fig.  9  hat  der  gelappte  Kern  a  sich 
intensiv  schwarz  mit  Eisenhämatoxylin  fingiert,  während  in  den  Kernen 
der  benachbarten  Zellen  das  Chromatin  nur  einen  grauschwarzen  Ton 
zeigt.  Auch  habe  ich  dieselbe  Beobachtung  gemacht,  wie  sie  die  Fig.  5  a 
der  Arbeit  Rohdes  zeigt,  daß  nämlich  die  Ganglienzellenkerne  feine 
Fortsätze  entsenden ;  der  linksgelegene  Chromatinhauf en  in  Fig.  8  zeigt 
z.  B.  dieses  Verhalten.  Diese  Forsätze  sind  übrigens  nicht  zu  ver- 
wechseln mit  den  starken,  schon  von  Solbrig  (124)  im  Jahre  1872 
beobachteten  Kernfortsätzen,  welche  in  periphere  Nervenfasern  über- 
gehen sollen.  Kernfortsätze  im  Sinne  Solbrigs  besehreiben  auch  Hans 
ScHULTZE  und  Haller,  während  von  den  übrigen  Forschern  ihre  Exi- 
stenz bezweifelt  wird.  Beipflichten  kann  ich  ferner  der  Bemerkung 
Rohdes,  daß  es  an  solchen  Kernen  schwer  fällt  anzugeben,  >)wo  der 
Kern  aufhört  und  das  Zellprotoplasma  anfängt;  ein  derartig  allmäh- 
licher Übergang  des  Kerngerüstes  in  das  Spongioplasma  des  Zellleibes 
findet  hier  statt;  es  macht  den  Eindruck,  als  wenn  Kern  und  Zellkörper 
dasselbe  Gerüst  hätten «.  Dieselbe  Beobachtung  ist  an  den  in  Fig.  8 
und  11  abgebildeten  Ganglienzellen  der  PhyUirhoe  zu  machen.  Im 
Anschluß  hieran  will  ich  noch  die  Ansicht  Pflückes  anführen,  daß 
die  Kernmembran  der  Ganglienzellen  der  Wirbellosen  als  ein  Ver- 
schmelzungsprodukt von  Kern-  und  Plasmabestandteilen  auf zxifassen  ist. 
Pflücke  erachtet  es  infolgedessen  für  möglich,  daß  das  Kerngerüst 
in  das  Gerüst  des  Zellleibes  ohne  scharfe  Grenze  übergehen  kann. 

Nach  der  Beobachtung  Rohdes  an  den  Riesenganglienzellen  von 
Boris  wird  die  Entstehung  von  Tochterzellen  stets  durch  das  Aus- 
wandern der  massenhaft  im  Kern  auftretenden  Nucleolen  in  den  Zellleib 
eingeleitet.  Auch  bei  PhyllirJioe  sind  mir  Ganglienzellen  zu  Gesicht 
gekommen,  deren  Zellleib  ohne  Zweifel  ausgewanderte  Nucleolen  be- 
herbergt.   Fig.  12  zeigt  eine  solche  Zelle,  die  nach  Heidenhain  gefärbt 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirlioe  bucephala.  123 

ist;  die  zahlreichen  im  Kern  enthaltenen  Nncleolen  sind  tief  schwarz 
tingiert;  von  derselben  Farbe  ist  auch  ein  bei  *  auf  der  Grenze  zwischen 
Kern  und  Zellleib  liegendes  Kernkörperchen,  während  einige  nucleolus- 
artige  Bildungen,  welche  mitten  im  Cytoplasma  lagern,  einen  grau- 
schw^arzen  Farbenton  zeigen.  Nach  K.  C.  Schneider  (115,  S.  113) 
wird  ein  solcher  Nucleolenaustritt  an  Zellen  mit  regem  Stoffwechsel, 
namentlich  an  Eizellen  und  Nervenzellen  beobachtet;  er  vermutet,  daß 
das  in  den  Nucleolen  enthaltene  Nuclein  einen  Reizstoff  darstellt, 
durch  welchen  die  Zelle  zum  Eintritt  in  die  Funktionsphase  angeregt 
wird.  Schneider  erwähnt  auch,  daß  mit  dem  Austritt  der  Nucleolen 
eine  unregelmäßige  Begrenzung  des  Kernes  verbunden  ist. 

Wie  schon  mehrfach  erwähnt,  sieht  Rohde  alle  diese  Kernbilder 
als  Teilungsperioden  an ;  ich  kann  die  ähnlichen,  in  den  vorhergehenden 
Zeilen  beschriebenen  Kernformen  der  Phyllirhoe  nicht  in  diesem  Sinne 
deuten;  nach  meiner  Beobachtung  stellen  sie  vielmehr  funktionelle 
Strukturen  dar.  Doch  bevor  ich  noch  weitere  Angaben  zur  Begrün- 
dung meiner  Ansicht  mache,  möchte  ich  besonders  hinweisen  auf 
KoRSCHELTs  »Beiträge  zur  Morphologie  und  Physiologie  des  Zellkernes  « 
(68),  welche  der  Aufmerksamkeit  Rohdes  entgangen  sind.  Korschelt 
kommt  nach  seinen  Beobachtungen  an  den  Eizellen  und  den  secer- 
nierenden  Zellen  der  Insekten  zu  dem  Resultat,  daß  der  Kern  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  verschiedenartige  Beziehungen  zum  Zellplasma  hat. 
Der  Kern  kann  nach  Korschelt  anfangs  gegen  das  Zellplasma  ab- 
gesetzt erscheinen,  später  aber  schwindet  diese  scharfe  Grenze  und  es 
findet  ein  stetiger  Übergang  zwischen  Kern-  und  Zellsubstanz  statt. 
Dieses  verschiedene  Verhalten  des  Kernes  hängt  mit  den  Verrichtungen 
der  Zelle  zusammen,  an  denen  sich  der  Kern  lebhaft  beteiligt.  Um  die 
Einwirkung  auf  das  Zellplasma  zu  verstärken,  entsendet  der  Kern 
Fortsätze,  wodurch  seine  Berührungsfläche  mit  dem  Cytoplasma  ver- 
größert wird.  Diese  Ausführungen  Korschelts  erleichtern  das  Ver- 
ständnis  für  das  soeben  beschriebene  verschiedene  Aussehen  des  Kernes 
in  den  Ganglienzellen  der  Phyllirhoe;  erwähnen  will  ich  noch,  daß  das 
Keimbläschen  aus  dem  Ovarium  von  Dytiscus,  welches  er  in  Fig.  21 
abbildet,  dieselbe  nierenförmige  Gestalt  zeigt,  wie  der  in  meiner  Fig.  11 
dargestellte  Kern  der  Gangiienzelle  der  Phyllirhoe.  ''    - 

Völlig  gesichert  wird  aber  die  Diagnose,  daß  diese  verschieden- 
artig gestalteten  Kerne  verschiedene  Funktionszustände  darstellen, 
durch  folgenden  interessanten  Befund.  Findet  man  in  einem  cen- 
tralen Ganglienknoten  der  Phyllirhoe  einen  unregelmäßig  konturierten 
Kern,    so    trifft    man    in    dem    gleichnamigen    Ganglion    der    andern 


J24  Ernst  Born. 

Körperseite  an  derselben  Stelle  einen  ebenso  geformten  Nucleus  an. 
Die  in  Fig.  9  abgebildeten  drei  großen  Kerne  liegen  am  unteren 
Rande  des  rechten  Cerebropleuralganglions,  in  dem  links  gelegenen 
gleichnamigen  Ganglion  finden  sich  ebenfalls  am  centralen  Rande  drei 
ebenso  gestaltete  und  gefärbte  Kerne.  Ich  besitze  mehrere  Schnitte, 
die  in  instruktiver  Weise  diese  Symmetrie  zeigen.  Apäthy  (4)  hat 
schon  im  Jahre  1896  an  den  Bauchganglien  der  Hirudineen  beobachtet, 
daß  die  Ganglienzellen  vollkommen  symmetrisch  angeordnet  sind;  er 
hat  auch  schon  damals  bemerkt,  daß  dieser  Symmetrie  der  Lage  auch 
eine  Symmetrie  der  Fixier-  und  Tingierbarkeit  entspricht.  Insbesondere 
hat  Apathy  gezeigt,  daß  die  Methylenblautinktion  vollkommen  sym- 
metrisch ausfällt;  wenn  eine  Ganglienzelle  auf  der  rechten  Seite  die 
Färbung  angenommen  hat,  so  ist  auch  die  entsprechende  Ganglienzelle 
der  linken  Seite  mit  derselben  Intensität  tingiert.  Apathy  hat  schon 
darauf  hingewiesen,  daß  diese  Erscheinungen  auf  eine  Symmetrie  der 
Funktion  hindeuten.  Dieselben  Angaben  hat  der  Autor  (6)  vor  kurzem 
in  einer  Streitschrift  gegen  Goldschmidt  wiederholt.  In  dem  Bericht 
über  seinen  auf  der  17.  Jahresversammlung  der  Deutschen  Zoologischen 
Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag  führt  Goldschmidt  (38)  an,  daß  es  im 
Nervensystem  von  Ascaris  eine  Symmetrie  der  Lage  und  der  Funktion 
gibt.  »Wie  alle  lebhaft  funktionierenden  Gewebszellen  zeigen  auch  die 
Ganglienzellen  einen  Chromidialapparat.  Dieser  zeigt  sich  in  den  ver- 
schiedenen Funktionszuständen  der  Zelle  in  verschiedener  Form  aus- 
gebildet, und  da  kann  man  sicher  sein,  die  beiden  symmetrischen 
Zellen  stets  im  gleichen  Zustand  des  Baues  des  Chromidialapparates 
vorzufinden.«  (Goldschmidt.)  Als  Chromidialapparat  bezeichnet 
Goldschmidt  (40)  Fäden,  welche  sich  im  Cytoplasma  aller  aktiv  tätigen 
Gewebszellen  in  der  Nähe  des  Kernes  befinden  und  mit  Kernfarbstoffen 
sich  intensiv  tingieren.  Solche  Chromidialstränge  habe  ich  zwar  in 
den  Zellen  der  Phyllirhoe,  auch  in  ihren  Ganglienzellen,  nicht  beobachtet, 
aber  auf  Grund  des  oben  näher  angeführten  Verhaltens  der  polymorphen 
Kerne  halte  ich  mich  zu  der  Annahme  berechtigt,  daß  auch  bei 
Phyllirhoe  die  symmetrischen  Ganglienzellen  sich  auch  in  dem  gleichen 
physiologischen  Zustand  befinden;  auch  wird  durch  meine  Beobach- 
tungen der  Einwand  Mertons  (vgl.  oben  S.  120)  widerlegt,  daß  die 
unregelmäßige  Gestalt  der  Kerne  durch  die  angewandten  Reagenzien 
verursacht  ist.  Erwähnen  will  ich  noch,  daß  bei  Phyllirhoe  häufig 
auch  die  völlig  runden  Kerne  bei  der  Färbung  nach  Heidenhatn  oder 
mit  verdünntem  DELAFiELDschen  Hämatoxylin  sich  in  derselben  Weise 
tingiert  haben,  wie  die  entsprechenden  Kerne  der  andern  Körperseite. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  125 

Eine  Symmetrie  der  Färbung  hat  bei  Mollusken  schon  Gilchrist  (37) 
im  Jahre  1897  beobachtet;  als  Gilchrist  die  Buccalganglien  der  Aflysia 
mittels  Methylenblau  tingierte,  fiel  es  ihm  auf,  daß  die  korrespondieren- 
den Ganglienzellen  sich  stets  zu  derselben  Zeit  färbten. 

Als  mir  zum  erstenmal  der  in  Fig.  2  auf  Taf.  IV  abgebildete  Kern- 
haufen zu  Gesicht  kam,  glaubte  ich  eine  durch  Fragmentierung  im 
Sinne  Rohdes  erfolgte  Kernvermehrung  vor  mir  zu  haben.  Doch  bald 
überzeugte  ich  mich,  daß  der  obere  innere  Winkel  jedes  Cerebralgan- 
glions  stets  von  einem  Paket  sehr  kleiner,  dicht  aneinander  gedrängter 
Kerne  gebildet  wird  (Taf.  IV,  Fig.  3  bei  h).  Es  stellt  also  dieser  Kern- 
haufen nicht  das  Produkt  einer  Ganglienzellteilung,  sondern  eine  ganz 
besondere  Form  von  Ganglienzellen  dar,  welche  Guiart  (45)  als  »  cellules 
sensorielles  «  beschrieben  hat.  Guiart  unterscheidet  nämlich  zwei  ver- 
schiedene Typen  von  Ganglienzellen;  einmal  die  bekannten  »cellules 
ganglionnaires «,  welche  in  allen  Ganglien  vorhanden  sind,  und  ferner 
die  »cellules  sensorielles«,  welche  sich  in  den  Cerebralganglien  und  in 
den  Anschwellungen  der  Sinnesnerven  finden.  Im  Anschluß  hieran 
bemerke  ich,  daß  in  den  Tentakelganglien  der  PhyUirJwe  fast  ausschließ- 
lich nur  sehr  kleine  Zellen  vorkommen. 

Als  einen  weiteren  Einwand  gegen  die  von  Rohde  und  McClure 
aufgestellte  Behauptung  der  Teilungsfähigkeit  der  Ganglienzellen 
möchte  ich  von  den  Studien  Apäthys  und  Goldschmtdts  noch  das 
Resultat  hier  anführen,  daß  man  bei  Hirudineen  und  Ascaris  stets 
nahezu  dieselbe  Anzahl  von  Zellen  in  den  Ganglienknoten  zählt,  einerlei 
ob  man  ein  ganz  junges  oder  ein  vollkommen  erwachsenes  Tier  unter- 
sucht. Wie  auch  Apäthy  betont,  ist  demnach  eine  postembryonale 
Vermehrung   der   Ganglienzellen   ausgeschlossen. 

Schon  Hans  Schultze  war  es  bekannt,  daß  die  centralen  Ganglien- 
zellen der  Gastropoden  in  den  Maschen  eines  bindegewebigen  Fach- 
werks liegen.  Während  nun  aber  nach  Schultze  diese  Scheidewände 
von  der  neurilemmatischen  Hülle  der  Ganglien  ausgehen,  lassen  bei 
Phyllirhoe  Gehirnschnitte,  bei  denen  die  Bindegewebsfärbung  nach 
Hansen  ausgeführt  ist,  erkennen,  daß  das  schmale,  homogene  Neu- 
rilemm als  ein  roter  Streifen  sich  scharf  von  der  Ganglienzellenschicht 
abhebt;  letzteres  entsendet  also  bei  Phyllirhoe  keine  Septen  in  die 
Rindenzone  der  Ganglienzellen.  Vielmehr  zeigt  bei  diesem  nudibran- 
chiaten  Gastropoden  das  die  Ganglienzellen  umhüllende  Fachwerk  an- 
scheinend ein  ähnliches  Verhalten,  wie  es  List  (81)  neuerdings  an 
diesem  Gewebselement  bei  den  Mytiliden  beobachtet  hat.  Bei  diesen 
Tieren  werden  nämlich  die  GansHenknoten  von  einer  ziemlich  dicken, 


126  Ernst  Born, 

meist  homogenen  Hülle  eingefaßt,  deren  Innenfläche  eine  zarte  eosino- 
phile Schicht  aufliegt;  letztere  enthält  viele  kleine  Kerne,  die  sich 
intensiv  mit  Kernfarbstoffen  tingieren;  ähnliche  Kerne  finden  sich 
zwischen  den  Ganglienzellen,  welche  mit  den  peripher  gelegenen  zu- 
sammen ein  reiches  Netz  von  Fasern  liefern,  in  dessen  Maschen  sich 
die  Ganglienzellen  befinden.  Bei  Phyllirhoe  liegen  nun  der  inneren 
Wand  des  Neurilemms  häufig  stark  abgeplattete,  sehr  kleine  Kerne 
an,  an  denen  ein  eigentlicher  Zellkörper  nicht  nachgewiesen  werden 
kann;  bei  der  Tinktion  nach  Heidenhain  oder  mit  Hämatoxylin  färben 
sie  sich  wegen  ihres  reichen  Chromatingehaltes  sehr  dunkel  und  lassen 
dann  eine  besondere  Struktur  nicht  mehr  erkennen.  In  den  Fig.  6, 
8  und  11  auf  Taf.  V  sind  diese  Gebilde  unter  der  Bezeichnung  Gl 
dargestellt.  Von  den  Kernen  gehen  lichtbrechende,  eosinophile  Fibrillen 
aus,  welche  die  Ganglienzellen  allseitig  umspinnen;  eine  eigentliche 
Membran  besitzen  aber  letztere  nichts. 

Dieses  die  centralen  Ganglienzellen  der  Wirbellosen  umgebende 
Stützgewebe  ist  nun  vielfach  mit  der  Neuroglia  der  Vertebraten  ver- 
glichen worden.  Ein  derartiger  Vergleich  ist  wohl  zuerst  von  Vignal 
(136,  S.  137)  angestellt  worden;  er  hat  in  den  Ganglien  vieler  Mollusken 
zwischen  den  Ganglienzellen  besondere  Bindegewebszellen  mit  langen 
Fortsätzen  gefunden,  welche  er  mit  den  Neurogliazellen  der  Säugetiere 
vergleicht.  In  den  Ganglien  von  Aphjsia,  Hei  ix,  Pleurobranchus,  Tethys 
und  Doris  fand  auch  Rohde  (111)  das  von  ihm  ebenfalls  als  Neuroglia 
bezeichnete  Stützgewebe  reich  entwickelt.  Dagegen  haben  Rawitz 
(105)  bei  den  Acephalen  und  Veratti  (134)  bei  Limaeiden  keine 
Neuroglia  angetroffen;  auch  Guiart  (45)  erwähnt  bei  seinen  Angaben 
über  die  feinere  Struktur  der  Ganglienknoten  der  Opisthobranchier 
nichts  von  einem  die  Ganglienzellen  einfassenden  Stützgewebe. 

Besondere  Aufmerksamkeit  hat  vor  kurzer  Zeit  Bocheneck  (13) 
diesem  Gewebselement  geschenkt.  Nach  seinen  Beobachtungen  an 
Anodonta  unterscheidet  er  drei  Arten  von  Gliazellen:  einmal  äußere 
Gliazellen,  welche  der  äußeren  Fläche  der  gelatinösen  Hülle  der  Gan- 
glien aufliegen.  In  Parenthese  erwähne  ich  hier,  daß  man  auch  bei 
Phyllirhoe  an  der  Außenseite  des  Neurilemms  (Taf.  V,  Fig.  6  B)  hin 


1  Die  Angabe  H,  Schultzes,  daß  der  centralen  Ganglienzelle  der  Mollusken 
eine  besondere  Zellmembran  zukommt,  ist  schon  von  Apäthy,  Rawitz,  List  u.  a. 
entschieden  zurückgewiesen  worden.  Es  sei  hiermit  auf  eine  wenig  bekannte 
Arbeit  Ramon  y  Cajals  (103)  hingewiesen,  in  welcher  für  die  Ganglienzellen 
von  Helix  außer  einer  gliösen  Hüllschicht  noch  die  Existenz  einer  besonderen 
Zellmembran  behauptet  wird. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  127 

und  wieder  kleinere  Zellen  antrifft ;  letztere  stellen  aber  bei  Phyllirhoe 
keine  besonderen  Gliazellen,  sondern  nur  die  bekannten  Bindegewebs- 
körperchen  dar.  Mit  den  Fortsätzen  der  äußeren  Gliazellen  sollen 
nun  nach  Bocheneck  die  inneren  Gliazellen  in  Verbindung  stehen, 
die  zwischen  den  Ganglienzellen  liegen.  Die  inneren  Gliazellen  ana- 
stomosieren  außerdem  noch  mit  der  dritten  Art  von  Gliazellen,  welche 
in  der  centralen  Fasermasse  der  Ganglien  liegen.  Letztere  Gebilde 
vergleicht  auch  Havet  (51)  mit  den  Neurogliazellen  der  Vertebraten, 
während  andre  Autoren  sie  für  Ganglienzellen  halten.  Da  diese  Zellen 
sich  auch  in  der  Mitte  der  Ganglien  der  Phyllirhoe  finden,  komme  ich 
auf  sie  noch  einmal  zu  sprechen. 

Wie  Bochenek  übrigens  hervorhebt,  lassen  sich  die  Gliaelemente 
allein  durch  die  Form  ihres  Kernes  von  den  Nervenzellen  unterscheiden ; 
letztere  haben  nach  Ansicht  dieses  Forschers  nämlich  stets  einen  völlig 
runden  Kern,  während  die  Kerne  der  Neurogliazellen  immer  oval  und 
außerdem  auch  kleiner  sind.  Diese  Behauptung  Bochenecks  trifft  für 
Phyllirhoe  nur  teilweise  zu;  wie  aus  meiner  obigen  Beschreibung  des 
Ganglienzellkernes  ersichtlich  ist,  finden  sich  in  den  großen  Ganglien- 
zellen häufig  längsovale  Kerne.  Ein  sicheres  Kriterium  ist  aber,  wie 
auch  Haller  angibt,  die  auffallend  minimale  Größe  der  meist  oblongen 
Gliakerne;  letztere  sind  auch  bei  Phyllirhoe  stets  kleiner,  wie  die  Kerne 
selbst  der  kleinsten  Ganglienzellen.  Derartig  runde  und  große  Glia- 
kerne, wie  sie  in  Fig.  9  bei  Gl  zu  finden  sind,  habe  ich  sehr  selten  bei 
Phyllirhoe'  beobachtet.  Auch  pflichte  ich  Haller  bei,  wenn  er  den 
reichen  Chromatingehalt  der  Gliakerne  als  Unterscheidungsmerkmale 
angibt.  Nach  K.  C.  Schneider  (115,  S.  401)  ist  bei  Evertebraten  zur 
Darstellung  der  Gliazellen,  deren  eigentlicher  Körper  sich  auch  bei 
Helix  (ebenda,  S.  565)  nur  durch  den  Kern  markiert,  die  Eisenhäma- 
toxyliimiethode  unbedingt  erforderlich;  bei  diesem  Tinktionsverfahren 
sollen  die  langen  Fasern,  welche  die  Gliazellen  entsenden,  sich  intensiv 
schwärzen,  während  die  nervösen  Teile  nur  einen  lichten  grauen  Ton 
annehmen.  Bei  Phyllirhoe  habe  ich  einige  der  von  den  Gangiienknoten 
angefertigten  Schnittserien  nach  Heidenhain  gefärbt  und  in  verschieden 
starkem  Grade  differenziert,  ohne  den  von  Schneider  angegebenen 
Farbeneffekt  erzielt  zu  haben 

Nach  den  Beobachtungen  verschiedener  Forscher  soll  die  GliahüUe 
zu  der  von  ihr  eingeschlossenen  Ganglienzelle  in  Beziehungen  stehen. 
So  hat  Kohde,  wie  schon  erwähnt,  namentlich  an  Gastropoden,  ferner 
Nansen  (93)  bei  Crustaceen,  Apathy  (4)  bei  Hirudo  und  Goldschmidt 
(39)  bei  Ascaris  ein  Eindringen  der  Neurogliafasern  in  das  Protoplasma 


128  Ernst  Born, 

der  Ganglienzellen  beobachtet.  Da  dieses  Verhalten  der  Gliafasern  bei 
den  verschiedensten  Evertebraten  beobachtet  ist,  vermutet  Gold- 
schmidt, daß  die  Gliahülle  mit  ihren  Fortsätzen  ein  konstantes,  für  die 
Funktion  der  Ganglienzellen  wesentliches  Element  darstellt.  Auch  für 
Phyllirhoe  halte  ich  es  nach  meinen  Beobachtungen  nicht  für  aus- 
geschlossen, dai3  die  die  Ganglienzellen  umspinnenden  Gliafibrillen  in 
das  Cytoplasma  eindringen;  jedoch  handelt  es  sich  hier  um  Fäserchen 
von  der  subtilsten  Art,  so  daß  bei  der  Beurteilung  der  Strukturen 
die  größte  Vorsicht  geboten  ist. 

Wie  bei  allen  Evertebraten,  so  umgeben  auch  bei  Phyllirhoe  die 
Ganglienzellen  wie  eine  Mantelschicht  die  centrale  Fasermasse  (Taf .  IV, 
Fig.  3).  Über  den  Aufbau  der  letzteren  gehen  die  Meinungen  sehr  aus- 
einander. Schon  im  Jahre  1864  hat  F.  Leydig  (75)  angegeben,  daß 
die  Punktsubstanz  —  so  bezeichnet  er  diesen  Bestandteil  des  centralen 
Nervensystems  —  von  »netz-  oder  geflechtartig  gestricktem  Charakter  « 
sei.  Später  stellten  dann  Haller  an  Rhipidoglossen  und  Rawitz  bei 
Acephalen  eingehendere  Studien  der  centralen  Gehirnsubstanz  an.  Beide 
Autoren  kamen  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  centrale  Fasermasse  sich 
aus  einem  Netzwerk  feinster  Fäserchen  zusammensetzt.  Während  nun 
aber  nach  der  Auffassung  Leydigs  (79,  S.  173)  dieses  Netz  aus  Spongio- 
plasma  besteht,  also  ein  bindegewebiges  Gerüstsystem  darstellen  soll, 
handelt  es  sich  nach  den  Beobachtungen  Hallees  und  Rawitz  um 
ein  nervöses  Fibrillensystem,  dessen  Ursprung  die  Ausläufer  der  Gan- 
glienzellen sind.  Die  Fortsätze  der  Ganglienzellen  sollen  sich  nämlich 
in  feinste  Fibrillen  teilen  und  mit  den  gleichen  Teilprodukten  der  Fort- 
sätze benachbarter  Zellen  sich  verbinden.  Rawitz  gibt  übrigens  der 
LEYDiGschen  Punktsubstanz  die  schon  von  Dietl  (1876)  vorgeschlagene 
Bezeichnung  »i' Marksubstanz «,  da  sie  bei  den  Acephalen  einen  dem 
Myelin  der  Vertebraten  ähnlichen  Stoff  enthält. 

Von  allgemeinerem  Interesse  wurden  diese  centralen  Nervennetze, 
als  Apathy  (5)  mittels  besonderer  Färbemethoden  an  meisterhaft  aus- 
geführten Präparaten  in  der  centralen  Fasermasse  des  Bauchstranges 
der  Hirudineen  ein  feines  Gitterwerk  nachwies  und  auf  das  bestimmteste 
behauptete,  daß  in  den  Knotenpunkten  des  diffusen  Elementargitteis, 
so  benennt  er  dieses  Gebilde,  die  Neurofibrillen  sich  nicht  nur  kreuzen 
sondern  substantiell  miteinander  verschmelzen.  Bald  darauf  gab  auch 
Bethe  (9,  S.  44)  an,  daß  die  Fortsätze  der  centralen  Ganglienzellen  bei 
den  Wirbellosen  sich  in  feinste  Fibrillen  aufsplittern  und  in  der  Mitte 
diss  Ganglienknotens,  welche  er  als  Neuropil  bezeichnet,  wirkliche  Anasto- 
mosen miteinander   eingehen.     Diese  Mitteilungen  über  Verbindungen 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  129 

centraler  Ganglienzellen  mußten  berechtigtes  Aufsehen  erregen,  da 
sie  ja  zur  Neuronenlehre,  die  sich  bis  dahin  einer  allgemeinen  Aner- 
kennung erfreute,  in  direktem  Widerspruch  standen.  Auf  die  Neu- 
ronenlehre, welche  bekanntlich  das  Nervensystem  als  einen  Komplex 
selbständiger  morphologischer  Einheiten  betrachtet,  werde  ich  später 
(vgl.  S.  149)  noch  einmal  zu  sprechen  komimen. 

Die  Richtigkeit  der  von  Haller,  Rawitz,  Apäthy  und  Bethe 
gemachten  Angaben  über  das  Vorkommen  centraler  Nervennetze  wird 
von  den  bedeutendsten  Histologen  bestritten.  So  stellt  sich  in  den 
Präparaten  Ramön  y  Cajals  (71)  und  Retzius  (110)  diese  centrale 
Fasermasse  bei  den  Wirbellosen  nicht  als  ein  aus  gitterartig  verschmol- 
zenen Fäden  bestehendes  Netzwerk,  sondern  nur  als  ein  Geflecht  sich 
kreuzender,  aber  nicht  miteinander  anastomosierender  Fäserchen  dar. 
Retzius  adoptiert  übrigens,  wie  es  v.  Lenhossek,  K.  C.  Schneider 
u.  a.  getan  haben,  nicht  die  von  Bethe  eingeführte  Bezeichnung  »Neu- 
ropil«,  sondern  behält  den  indifferenteren  Namen  »LEYDiGsche  Punkt- 
substanz« bei.  Bezüglich  der  Nomenklatur  will  ich  noch  erwähnen, 
daß  auch  andre  Autoren  des  Auslandes  die  ältere  Bezeichnung  ge- 
brauchen, z.  B.  Havet,  Guiart  (la  substance  ponctuee  de  Leydig); 
auch  Veratti  spricht  von  einem   »reticolo  della  punctsubstanz «. 

Kürzlich  hat  Menel  (89)  »Über  die  Histologie  und  Histogenese 
der  sog.  Punktsubstanz  Leydigs  in  dem  Bauchstrange  der  Hirudineen  << 
einige  bemerkenswerte  Angaben  gemacht;  auch  Menel  hat  in  der 
Punktsubstanz  nie  ein  Netz,  sondern  nur  ein  Geflecht  der  Zellfortsätze 
gesehen.  Ein  feines  Netzwerk  hat  er  allerdings  in  den  Nervenstämmen 
von  Glossifhonia  beobachtet,  aber  nur  an  Exemplaren,  welche  in  dei 
bei  den  älteren  Autoren  üblichen  W^eise  mit  Chromsäure  oder  Chrom- 
essigsäure fixiert  waren.  Menel  hält  daher  die  in  der  Punktsubstanz 
bisher  gefundenen  Netze  für  Artefakte.  Diese  Ansicht  hat  vieles  für 
sich,  wenn  man  außer  den  von  Menel  angeführten  Gründen  die  arte- 
fiziellen  Strukturen  berücksichtigt,  mit  denen  uns  Bütsohli  (19)  und 
Fischer  (31)  bekannt  gemacht  haben.  Ich  erinnere  zur  Kritik  dieser 
Netze  hier  nur  an  die  Schaumemulsionen,  welche  Bütschli  durch  Ver- 
reiben von  Gelatine  und  Olivenöl  auf  dem  Objektträger  erhielt,  und 
an  die  künstlichen  Schaumstrukturen,  welche  Fischer  in  seinem  Werk: 
»Fixierung,  Färbung  und  Bau  des  Protoplasmas«  auf  Seite  284  ab- 
bildet. Es  ist  nicht  zu  bestreiten,  daß  die  von  einzelnen  Histologen 
veröffentlichten  Abbildungen  des  von  ihnen  im  Neuropil  beobachteten 
Netzwerks  eine  gewisse  Übereinstimmung  mit  den  von  Bütschli  und 
Fischer  hergestellten  artefiziellen  Strukturen  zeigen. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  9 


130  Ernst  Born, 

In  sehr  dünnen  Schnitten  vom  Gehirn  der  PhylUrhoe  beobachtet 
man,  daß  auch  hier  das  ganze  Neuropil  ein  sehr  feines  Netzwerk  durch- 
zieht, das  aus  unregelmäßigen  Maschen  besteht  und  an  dessen  Knoten- 
punkten sich  oft  kleine  Verdickungen  zeigen.  Fig.  7  b  auf  Taf.  V  stellt 
einen  Teil  dieses  feinen  Gitter  Werkes  dar.  Letzteres  ist  aber  in  der 
Figur  der  Deutlichkeit  wegen  etwas  zu  dick  und  zu  bestimmt  gezeichnet. 
Ich  vermutete  zuerst,  daß  es  sich  bei  PhylUrhoe  um  ein  gliöses  Stützge- 
rüst handelt;  die  Fibrillen  dieses  Netzwerkes  haben  nämlich  fast  das 
gleiche  Aussehen  wie  die  die  Ganglienzellen  umhüllenden  Gliafädchen. 
Da  ich  aber  diese  Beobachtung  nur  an  mit  Chromsäure  fixierten 
Präparaten  gemacht  habe,  halte  ich  es  für  ratsamer,  es  als  unentschieden 
zu  lassen,  ob  das  Netzwerk  in  der  Punktsubstanz  der  PhylUrhoe  eine 
präformierte  oder  nur  durch  die  Konservierung  hervorgerufene  Struktur 
darstellt. 

In  der  Punktsubstanz  der  Hirudineen  finden  sich  nach  Menel 
regellos  zerstreut  winzige  Kernchen,  deren  Herlomft  und  Bedeutung 
er  nicht  sicher  feststellen  kann.  Auch  im  Neuropil  der  PhylUrhoe 
liegen  unregelmäßig  verstreut  nur  0,004  mm  große  Kerne,  die  von 
einem  sehr  schmalen,  häufig  unsichtbaren  Zellleib  umschlossen  werden 
(Fig.  7  a).  Erwähnen  will  ich  noch,  daß  schon  Haller  und  Rawitz 
diese  Gebilde  beobachtet  und  als  multipolare  Ganglienzellen  gedeutet 
haben,  deren  Ausläufer  das  centrale  Nervennetz  verstärken  sollen. 
Nach  Rawitz  ist  aber  die  Bedeutung  dieser  Zellen  für  die  Netzbildung 
nur  an  Isolationspräparaten  zu  erkennen,  auf  Schnittserien  erwecken 
sie  nur  den  Eindruck  apolarer  Gebilde.  Wie  aus  der  der  Abhandlung 
von  Rawitz  beigegebenen  Fig.  80,  welche  einen  Schnitt  durch  das 
Visceralganglion  von  Mya  arenaria  wiedergibt,  hervorgeht,  stimmen 
diese  kleinen  Zellen  völlig  mit  den  im  Neuropil  der  PhylUrhoe  beob- 
achteten überein.  Während  nun  aber  nach  Haller  und  Rawitz  andre 
zellige  Elemente  sich  nicht  in  der  centralen  Fasermasse  der  Everte- 
braten  finden,  habe  ich  bei  PhylUrhoe  bei  zwei  quer  durch  das  Cerebro- 
pleuralganglion  ausgeführten  Schnittserien  je  eine  mächtig  entwickelte 
bipolare  Ganglienzelle  beobachtet;  bei  der  in  Fig.  3  abgebildeten  Zelle 
ist  der  Kern  0,024  mm  lang  und  0,017  mm  breit. 

Histologie  des  peripheren  Nervensystems. 

Die  corticale  Ganglienzellenschicht  des  Gehirns  ist  nur  durch 
die  abgehenden  Connective,  Commissuren  und  peripheren  Nerven- 
stämme unterbrochen.  Letztere  sind  bei  PhylUrhoe  nach  dem  von 
Waldeyer    (140)    als    morphologisch    unvollkommener    bezeichneten 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  131 

Typus  ii;ebaut,  d.  h.  die  aus  einer  Canglienabteilung  hervortretenden 
Fibrillen  werden  in  ein  einzelnes  großes  Bündel  zusammengefaßt,  das 
von  einer  gemeinsamen  Hülle  umgeben  wird.  Die  Nervenscheide  der 
Wirbellosen  zeigt  nach  Waldeyer  dieselben  färberischen  Eigenschaften 
wie  die  elastische  Membran.  Soweit  mir  bekannt  ist,  hat  diese  Angabe 
niemals  eine  Nachprüfung  erfahren.  Phi/lUrhoe  ist  für  eine  derartige 
Untersuchung  wenig  geeignet,  da  die  brauchbarsten  Färbemethoden 
zum  Nachweis  elastischer  Elemente,  nämlich  die  Orceinfärbung  nach 
Unna  und  das  WEiGERTsche  Verfahren  mittels  Resorzin-Fuchsinlösung 
außer  dem  Neurilemm  auch  die  die  Nerven  umgebende  collagene 
Grundsubstanz  intensiv  tingieren.  Das  Neurilemm  ist  bei  Phyllirhoe 
anscheinend  homogen  und  an  den  Abgangsstellen  der  Nerven  von  den 
Ganglienknoten  am  stärksten;  nach  der  Peripherie  wird  es  allmählich 
schmäler,  um  an  den  feinen  Nerven  völlig  zu  verschwinden  (Taf.  V, 
Fig.  14  u.  15  bei  Neu). 

In  der  Nervenscheide  findet  man  in  ziemlich  großer  Menge  sehr 
schmale  Zellen,  welche  dem  Fibrillenbündel  dicht  anliegen.  Diese 
Zellen  "gleichen  in  ihrem  Aussehen  völlig  den  schon  auf  S.  110  beschrie- 
benen Bindegewebskörperchen  der  Phyllirhoe;  auch  in  ihnen  liegt  der 
kleine  runde  Kern  meist  an  dem  einen  Ende  des  feingekörnten  Zell- 
leibes, der  oft  unregelmäßig  gestaltet  ist  und  sich  bisweilen  in  feine 
Fibrillen  auszieht  (Fig.  14  bei  B).  Diese  Bindegewebszellen  sind  bis- 
weilen auch  noch  dünneren  Nerven  angelagert,  welche  keine  Nerven- 
scheide mehr  erkennen  lassen;  es  ist  somit  die  Annahme  berechtigt, 
daß  auch  diese  Nerven  noch  eine  Hüllmembran  haben  (Taf.  VI,  Fig.  1  B). 
iVn  den  feinsten  Nervenausläufern  dagegen  begegneten  mir  die  Binde- 
gewebskörperchen nicht  mehr.  Ferner  findet  man  häufig  an  der  Ober- 
fläche der  Fibrillenbündel  sehr  schmale,  spindelförmige  Zellen  mit 
wohl  entwickeltem,  stäbchenförmigem  Kern  (Taf.  V,  Fig.  14  d  und 
Taf.  VI,  Fig.  1  d).  Diese  Zellen,  die  mit  ihrer  Längsachse  stets  in  der 
Richtung  des  Faserverlaufs  liegen,  gehören  vielleicht  nicht  mehr  der 
Nervenscheide,  sondern  sch^n  dem  eigentlichen  Fibrillenbündel  an. 
Bei  sehr  starker  Vergrößerung  machen  sich  außerdem  an  der  inneren 
Neurilemmfläche  der  dicken  Nerven  Zellen  bemerkbar,  die  in  ihrer 
Gestalt  den  bei  der  Beschreibung  des  Centralnervensystems  (S.  126)  als 
Gliazellen  erwähnten  Gebilden  völlig  entsprechen. 

Im  Gegensatz  zu  den  eben  beschriebenen  drei  Zellarten  rufen  die 
peripheren  Ganglienzellen  meist  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche 
Verdickung  der  Nervenfaser  hervor.  Die  peripheren  Ganglienzellen 
finden  sich  meist  zu  mehreren  an  den  Teilungsstellen,  aber  auch  im 

9* 


132  Ernst  Born, 

Verlauf  der  Nervenstämme  ihnen  seitlich  anliegend  (Taf.  V,  Fig.  16  u. 
17  bei  G;  Taf.  VI,  Fig.  1  bei  c-i,  c2,  c^  und  Fig.  5).  Sie  sind  von  ver- 
schiedener Größe ;  die  gTÖßten  finden  sich  in  den  dicken  Nervenstämmen ; 
je  mehr  man  sich  der  Peripherie  nähert,  desto  zahlreicher  und  kleiner 
werden  sie.  Die  feinen  Hautnerven  bilden  hin  und  wieder,  namentlich 
in  der  Nähe  des  Körperrandes,  auffallend  große,  ganglionäre  Anschwel- 
lungen; letztere  stellen  wohl  sensible  Organe  dar,  da  sie  sich  in  der 
gleichen  Form,  nur  bedeutend  häufiger,  in  den  Tentakeln  finden  (S.  136). 
Die  in  der  Regel  völlig  runden  Kerne  der  peripheren  Ganglienzellen 
sind  reich  an  chromatischer  Substanz  und  enthalten  oft  nur  einen 
Nucleolus,  der  häufig  von  einem  hellen  Hof  umgeben  ist.  Der  fein- 
granulierte Zellleib,  an  dem  keine  Membran  wahrnehmbar  ist,  entsendet 
oft  in  Präparaten,  die  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert  sind,  an- 
scheinend keine  Fortsätze;  dagegen  hebt  sich  in  mit  Hämatoxylin- 
Eosin  gefärbten  Chromessigsäurepräparaten  der  dunkelrote  Zellleib  der 
Ganglienzellen  mit  seinen  Ausläufern  scharf  von  dem  nur  blaßrot  tin- 
gierten  Fibrillenbündel  ab.  In  solchen  Präparaten  beobachtet  man, 
namentlich  in  der  Flosse,  im  Verlaufe  der  dicken  Nerven  häufiger  bi- 
polare und  in  den  Teilungsstellen  derselben  mitunter  gut  ausgebildete 
multipolare  Ganglienzellen.  Entgegen  der  Beobachtung  Paneths  (96) 
bei  den  Pteropoden  und  Heteropoden  muß  ich  betonen,  daß  an  den 
bipolaren  Zellen  der  PJiylUrhoe  das  Abtreten  eines  seitlichen  Fortsatzes 
nie  konstatiert  werden  konnte.  Dagegen  sind  hier  den  Nerven  hin  und 
wieder  seitlich  Zellen  angelagert,  die  ohne  Zweifel  multipolare  Ganglien- 
zellen darstellen  (Taf.  V,  Fig.  15  G  u.  Fig.  17  6^2-  Taf .  VII,  Fig.  5); 
ihre  feinen  Fortsätze  gehen  häufig,  nachdem  sie  die  Muskulatur  inner- 
viert haben,  in  dickere  Nervenstämme  über.  In  mit  FLEMMiNGscher 
Lösung  fixierten  Präparaten  findet  man  oft  in  dem  Zellleib  der  peri- 
pheren Ganglienzellen  tief  schwarz  tingierte  Körnchen;  auf  Taf.  V  ent- 
halten die  multipolaren  Ganglienzellen  in  den  Fig.  15  u.  17,  auf  Taf.  VI 
die  Zelle  a  in  Fig.  1  derartige  Gebilde.  Um  ausgewanderte  Nucleolen 
kann  es  sich  hier  nicht  handeln,  da  diese  im  Cytoplasma  lagernden  Körn- 
chen meist  viel  schwärzer  tingiert  sind  als  die  Kernkörperchen ;  allem 
Anschein  nach  sind  es  Fettkörnchen,  die  nach  K.  C.  Schneider  häufig 
in  Nervenzellen  als  Peservenährstoffe  aufgespeichert  werden. 

Am  Fibrillenbündel  findet  man  außerdem  bisweilen  körnige  Auf- 
lagerungen von  schollenförmiger  oder  rundlicher  Gestalt;  diese  granu- 
lierten Massen  färben  sich  intensiv  mit  sauren  Anilinen  (Taf.  V,  Fig.  16 
bei  ^1,  j)^,  f^). 

Einigemal  umhüllten  eigenartige  Zellgruppen  die  Nerven ;  es  lagen 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  133 

ihnen  ziemlich  große  Kerne  in  einer  reichlichen  Menge  locker  gefügten 
Protoplasmas  unregelmäßig  verstreut  seitlich  an ;  besondere  Zellgrenzen 
waren  meist  nicht  zu  erkennen.  Diese  Gebilde  stellen  die  später  (S.  178) 
noch  zu  erwähnenden  Plasmazellen  dar,  die  nach  Brock  (17)  die  Nerven- 
stämme der  Mollusken  streckenweise  umhüllen  können. 

Die  Nerven  zeigen  deutlich  eine  fibrilläre  Struktur;  doch  sind  die 
einzelnen  Fibrillen,  die  ein  relativ  starkes  Lichtbrechungsvermögen 
besitzen,  nur  auf  kurze  Strecken  zu  verfolgen,  da  sie  sich  innig  mit- 
einander verflechten.  Die  Fibrillen  sind  alle  gleich  dick  und  nie  varicös; 
nirgends  findet  sich  eine  Andeutung,  welche  auf  einen  zusammen- 
gesetzteren Bau  aus  Elementarfibrillen,  wie  ihn  Apathy  (4,  S.  508) 
lehrt,  schließen  ließe.  Eine  homogene  Masse  trennt  anscheinend  die 
Fibrillen  voneinander.  Auf  Längsschnitten  findet  man  in  dieser  inter- 
fibrillären  Substanz  nur  sehr  kleine,  rundliche,  bzw.  ovale  chromatin- 
arme  Kerne,  bisweilen  von  einer  minimalen  Menge  Protoplasma  um- 
geben; es  ist  möglich,  daß  diese  Kerne  den  Nervenkernen  Apäthys 
entsprechen  (Taf.  V,  Fig.  6  bei  xx).  Apathy  unterscheidet  in  den 
peripheren  Nervenstämmen  zwei  Arten  von  Zellen,  nämlich  Nerven- 
zellen, welche  er  als  die  Bildungszellen  der  Neurofibrillen  auffaßt  und 
Ganglienzellen ;  letztere  produzieren  nur  »  das,  was  geleitet  werden  soll «. 
BocHENEK  (12)  hat  übrigens  bei  Anodonta,  Hetix  und  den  Tunicaten 
vergebens  nach  Nervenzellen  im  Sinne  Apäthys  gesucht.  Erwähnens- 
wert  ist  noch,  daß  bei  Phyllirhoe  die  feinen  Ausläufer  der  Nerven  reich- 
lich mit  stark  lichtbrechenden  Pünktchen  besetzt  sind,  die  sich  im 
Gegensatz  zu  den  Fibrillen  mit  Eosin  stark  färben. 

Wie  schon  H.  Schultze  hervorgehoben  hat,  werden  die  Magen- 
Darmnerven  der  Gastropoden  von  Ganglienzellen  »in  erstaunlicher 
Fülle «  (Taf.  VI,  Fig.  6)  begleitet,  von  denen  viele  durch  ihre  enorme 
Größe  auffallen  (Fig.  7  u.  8).  Den  Nerven  liegen  oft  mehrere  Zellen 
hintereinander  seitlich  an,  von  denen  einige  einen  feinen  Fortsatz  ab- 
geben (Fig.  9).  Auf  den  Teilungsstellen  der  Nerven  liegen  in  der  Regel 
eine  sehr  große  oder  mehrere  etwas  kleinere  Zellen;  ein  Zusammenhang 
der  Zellen  mit  dem  darunter  sich  teilenden  Nerv  läßt  sich  nicht  fest- 
stellen (Fig.  7).  Nur  einmal  habe  ich  an  einer  Teilungsstelle  eine  mäch- 
tige multipolare  Ganglienzelle  beobachtet,  die  in  die  vier  abgehenden 
Nervenstämme  je  einen  Fortsatz  sendet  (Fig.  8).  Die  sympathischen 
Ganglienzellen  haben  einen  sehr  großen,  scharf  begrenzten  Kern,  der 
in  der  Regel  etwas  heller  erscheint  als  der  schmale,  dicht  granulierte 
Zellleib.  Letzterer  besitzt  eine  scharfe  Kontur,  die  vielleicht  als  eine 
31embran  zu  deuten  ist.     Die  fein  gestreiften  Nerven  sind  von  einer 


134  Ernst  Born, 

äußerst  zarten  Hülle  umgeben.  Von  den  ganglionären  Anschwellungen 
gehen  feine  homogene,  Hur  mit  Körnchen  besetzte  Fäserchen  an  die 
Muskulatur  des  Magens  ab.  Beiläufig  bemerke  ich,  daß  letztere  aus 
einer  oberflächlichen  Ring-  und  einer  darunter  liegenden  äußerst  feinen 
Längsfaserschicht  besteht. 

Die  Sinnesorgane. 

Es  erscheint  mir  zweifelhaft,  ob  bei  dem  rudimentären  Zustand 
der  lichtempfindlichen  Organe  bei  PhylUrhoe  der  Gesichtssinn  ausge- 
bildet ist.  Wie  die  meisten  Nudibranchier  (57,  S.  40),  so  besitzt  auch 
PhylUrhoe  zwei  ungestielte  Augen,  die  der  lateralen  Fläche  des  linken 
bzw.  rechten  Cerebralganglions  dicht  anliegen  (Taf .  IV,  Fig.  3  und 
Taf.  V,  Fig.  6),  Während  in  den  beiden  Augenwinkeln  einige  größere 
Kerne  liegen,  wird  die  laterale  Fläche  des  Auges  von  einer  Schicht 
sehr  kleiner,  dicht  aneinander  gelagerter  Kerne  umsäumt.  Das  Centrum 
des  Auges  wird  von  einem  ovalen  homogenen  Gebilde,  das  wohl  einer 
Linse  entspricht,  ausgefüllt.  Rings  um  diesen  Körper  —  es  ist  übrigens 
nicht  ausgeschlossen,  daß  diese  Stelle  nur  einen  Hohlraum  im  Auge 
darstellt  —  macht  sich  eine  feinkörnige  pigmentierte  Masse  bemerkbar. 
Dem  Auge  liegt  immer  ein  dünnes  Fibrillenbündel  an,  welches  aus  der 
Cerebropedalcommissur  entspringt  und  zum  Fühlernerv  zieht. 

Wie  bei  allen  pelagischen  Mollusken,  so  sind  auch  bei  PhylUrhoe 
die  Otocysten  wohl  entwickelt.  Letztere  werden  bekanntlich  neuer- 
dings als  Gleichgewichtsorgane  gedeutet.  Die  Wand  der  Otocysten 
besteht  aus  einer  dünnen  Bindegewebskapsel,  der  innen  eine  einschich- 
tige Lage  flacher,  mit  langen  Cilien  versehener  Epithelzellen  aufliegt; 
an  der  Ansatzstelle  des  Acusticus,  der  aus  dem  Cerebralganglion  seinen 
Ursprung  nimmt,  machen  sich  drei  größere  bewimperte  Zellen  bemerkbar. 
Nach  Lacaze-Duthiees  (121,  S.  324)  werden  bei  den  Prosobranchiern 
beide  Otocysten  durch  ein  bindegewebiges  Ligament,  dem  Muskelfasern 
eingelagert  sind,  stets  verbunden;  bei  PhylUrhoe  habe  ich  beide  Organe 
nur  von  der  homogenen  Grundsubstanz  umgeben  gefunden. 

Bekanntlich  wird  in  neuerer  Zeit  vielfach  die  Ansicht  vertreten, 
daß  den  im  Wasser  lebenden  Tieren  ein  Riech  vermögen  mangele,  viel- 
mehr bei  ihnen  die  chemischen  Reize  nur  durch  den  Geschmack  auf- 
genommen werden  können.  Li  der  Mundhöhle  der  Mollusken  sind 
mehrfach  papillenartige  Vorsprünge  als  Geschmacksorgane  gedeutet 
worden,  »doch  immer  ohne  physiologische,  fast  immer  ohne  histolo- 
gische Begründung«  (57,  S.  258).  Hinter  der  kräftig  entwickelten  Ra- 
dula  der  PhylUrhoe  befinden  sich  einige  zottenförmige  Wülste  (Taf.  IV, 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Pliyllirhoc  bucephala.  135 

Fig.  7  bei  Z);  ähnliche  Gebilde  umsäumen  die  Übergangsstelle  des 
Pharynx  in  den  Oesophagus;  es  fehlt  aber  jeglicher  Grund,  diese  Zotten 
als  Geschmacksorgane  ansprechen  zu  müssen;  denn  sie  sind  ebenso 
wie  der  übrige  Teil  der  Mundhöhle  bedeckt  mit  einer  einschichtigen 
Lage  flacher  Epithelzellen,  welche  von  einer  kräftigen  Cuticula  über- 
zogen werden.  Um  den  kleinen  Kern  der  Epithelzellen  liegen  in  reich- 
licher Menge  braune  Körnchen. 

Die  Tentakel. 
Während  der  Kopf  der  Opisthobranchier  gewöhnlich  zwei  Paar 
Tentakel  trägt,  von  denen  die  hinteren  häufig  als  Rhinophoren  ge- 
deutet werden,  besitzt  Phyllirhoe  nur  zwei  Fühler.  Bergh  (8)  be- 
zeichnet dieses  eine  Fühlerpaar  der  Phyllirhoiden  als  Rhinophoren,  da 
seiner  Ansicht  nach  das  vordere  Paar  diesen  Tieren  fehlt.  Unter  den 
marinen  Gastropoden,  welche  Geaber  (41)  auf  ihre  Empfindlichkeit 
gegen  Riechstoffe  untersucht  hat,  befindet  sich  auch  Phyllirhoe.  Die 
Untersuchung  führte  Graber  in  der  Weise  aus,  daß  die  an  einem  zu- 
gespitzten Glasstäbchen  haftenden  Riechstoffe  den  im  Wasser  befind- 
lichen Tieren  auf  2— 5  mm  genähert  wurden.  »Gegen  alle  Erwartung 
unempfindlich  erwäesen  sich  die  drei  Nacktschnecken:  Gastropteron 
Meckelii,  Phyllirhoe  buce/phalum  und  Aplysia  leporina.  Erstere  zwei 
reagierten  nämlich  nur  ganz  wenig  (durch  Bewegung  der  Fühler)  auf 
Rosmarinöl  und  Asa  foetida,  und  letztere  blieb  völlig  indifferent  gegen- 
über allen  angewandten  Reizstoffen«  (Graber).  Carinaria  und 
Pterotrachea  dagegen  zeigten  sich  gegen  diese  genannten  Riechstoffe 
außerordentlich  empfindlich.  Meine  mikroskopischen  Untersuchungen 
gestatten  natürlich  keine  Entscheidung  in  der  Frage,  ob  die  Tentakel  der 
Phyllirhoe  im  Dienste  der  Geruchswahrnehmung  stehen;  doch  dürfte 
die  eigenartige  histologische  Struktur  dieser  Gebilde  die  Annahme  als 
berechtigt  erscheinen  lassen,  daß  in  ihnen  der  Tastsinn  seinen  Haupt- 
sitz hat.  Spengel  (125)  hält  es  übrigens  für  denkbar,  daß  das  Geruchs- 
organ unter  den  opisthobranchiaten  Gastropoden  nur  auf  die  Tecti- 
branchier  beschränkt  ist.  Die  Länge  der  beiden  pfriemenförmigen  Ten- 
takel der  Phyllirhoe  beträgt  etwa  die  Hälfte  der  Körperlänge  (Taf.  IV, 
Fig.  1).  An  ihrer  Basis  sind  sie  von  einer  Hautduplicatur,  der  Tentakel- 
scheide, umgeben.  Entgegen  den  Angaben  Vayssieres  (133)  können 
sich  die  Fühler  der  Phyllirhoe  nach  meinen  Beobachtungen  durch  Re- 
traktion sehr  verkürzen,  wobei  sie  sich  in  Ringfalten  legen.  An  der 
Kontraktion  sind  namentlich  die  in  der  Längsrichtung  der  Fühler  ver- 
laufenden Muskelbündel   beteiligt.     Während  diese  Retractoren  noch 


136  Ernst  Born, 

relativ  stark  sind,  ist  die  übrioe  Muskulatur  nur  schwach  entwickelt. 
Zu  äußerst  liegen  die  sehr  dünnen  Diagonalfasern;  an  ihren  Enden 
teilen  sich  diese  schräg  von  unten  nach  oben  verlaufenden  Faserzellen 
dichotomisch  und  stehen  mittels  ihrer  feinen  Ausläufer  miteinander  in 
Verbindung.  Auf  diese  Diagonalfasern  folgt  die  noch  feinere  Ring- 
faserschicht, und  zu  Unterst  liegen  die  schon  erwähnten  Retractoren. 
Die  Ausdehnung  der  Tentakel  ist  rein  passiver  Natur,  bedingt  durch 
die  Erschlaffung  der  Retractoren  und  vermehrtes  Zuströmen  von 
Hämolymphe  in  den  Innenraum  der  Fühler;  auf  Schnitten  erkennt 
man,  daß  letzterer  noch  von  besonderen  Faserzellen  durchzogen  wird. 
Solche  Faserzellen,  die  auch  die  Leibeshöhle  durchqueren,  beschreibe 
ich  später  (S.  144)  als  Parenchymmuskelfasern.  In  jedem  Tentakel  sind 
die  beiden  Fühlernerven,  die  nur  eine  äußerst  feine  bindegewebige 
Hülle  haben,  bis  zur  Spitze  zu  verfolgen,  wo  sie  mit  einer  mächtigen 
Ganglienzellenanhäufung  enden.  Die  »starken  Windungen  und  Bie- 
gungen«, die  Bergh  diesen  Nerven  beilegt,  habe  ich  nur  bei  kontrahier- 
ten Tentakeln  beobachtet.  Sind  dagegen  die  Fühler  maximal  gestreckt, 
so  ist  der  Verlauf  der  Nerven  ein  schnurgerader.  Die  von  den  Fühler- 
nerven abgehenden  Seitenzweige  haben  in  ihrem  Verlauf,  bisweilen  auch 
schon  an  ihrer  Ursprungsstelle,  mächtige  Anhäufungen  sehr  kleiner, 
undeuthch  begrenzter  Zellen  (Taf .  VI,  Fig.  4).  Von  diesen  Anhäufungen 
gehen  feine  Nerven  ab,  die  in  ihrem  Verlauf  ebenfalls  derartige  Zellen- 
anlagerungen zeigen;  meist  haben  sie  solche  auch  an  ihrer  Abgangsstelle, 
wodurch  diese  ganglionären  Verdickungen  eine  eigenartige  Gestalt  an- 
nehmen. In  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixierten  Präparaten  finden 
sich  in  großer  Zahl  die  schon  früher  (S.  132)  erwähnten,  tief  schwarz 
tingierten  Granula.  Die  von  den  Anschwellungen  ausgehenden  feinen 
Zweige,  die  mit  zahlreichen,  lichtbrechenden  Körnchen  besetzt  sind, 
anastomosieren  miteinander;  das  dadurch  entstehende  Nervennetz  ist 
in  einer  Hälfte  der  Fühler,  anscheinend  der  oberen,  reichlicher  ent- 
wickelt. Der  ventrale  Rand  der  Fühler  dagegen  ist  reich  mit  serösen 
Drüsenzellen  besetzt;  während  Panceri  (94)  diese  Zellen  zuerst  als 
»cellule  olfattive«  bezeichnete,  bringt  er  sie  später  (95)  zu  der  Phos- 
phorescenz  der  PhylUrhoe  in  Beziehung.  Mucöse  Drüsenzellen  sind  im 
Integument  hier  nur  spärlich  vorhanden ;  außerdem  finden  sich  in  der 
Haut  der  Tentakel  auch  die  Blasen-  und  die  Sternzellen;  auf  die  hier 
angeführten  Drüsenzellen  werde  ich  in  späteren  Kapiteln  noch  aus- 
führlicher zu  sprechen  kommen.  In  den  tieferen  Schichten  der  homo- 
genen Grundsubstanz  liegen  viele  Plasmazellen  und  Leucocyten.  Wie 
Schnittserien  zeigen,  sind  die  Tentakel  mit  einem  einschichtigen  Epithel 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  137 

bedeckt,  in  welchem  sich  nnrecelmäßig  verstreut  Flimmerzellen  von 
derselben  Beschaffenheit  wie  die  auf  den  Körperhälften  befinden.  Zellen 
mit  steifen  Borsten,  wie  sie  Panceri  von  den  Fühlern  der  Carinaria 
beschreibt,  habe  ich  nicht  bemerkt,  desgleichen  nicht  die  bipolaren 
Sinneszellen,  welche  Guiart  (45)  neuerdings  im  Khinophor  der  Pleuro- 
branchier  entdeckt  hat.  Man  könnte  vielleicht  annehmen,  daß  die 
starren  Forsätze,  welche  von  den  ganglionären  Anschwellungen  der 
Fühlernerven  1  abgehen,  Sinneszellen  angehören  (in  Fig.  4  bei  a,  h,  c, 
d,  e  dargestellt).  Diese  kurzen  feinen  Fortsätze  sind  häufig  an  ihrer 
Basis  durch  einen  eingelagerten  Kern  zwiebeiförmig  aufgetrieben, 
während  ihr  entgegengesetztes  Ende  dicht  unter  der  Haut  knopfartig 
endet.  Solche  Gebilde  haben  dann  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den 
von  Retzius  (109),  Guiart  (45),  Bethe  (9)  beschriebenen  bipolaren 
Sinnesnervenzellen;  aber  ein  Charakteristikum  dieser  Sinneszellen  ist 
bekanntlich  ihre  Lage  zwischen  den  Epithelzellen,  während  die  hier 
erwähnten  Gebilde  der  Phjllirhoe  unter  dem  Epithel  und  der  Basal- 
membran liegen.  Daher  nehme  ich  an,  daß  diese  kurzen  Fortsätze, 
welche  die  ganglionären  Anschwellungen  aussenden,  nicht  die  faden- 
förmigen Fortsätze  von  Sinneszelien  darstellen,  sondern  als  freie  Endi- 
gungen sensibler  Nervenfasern  zu  deuten  sind. 

Ich  bemerke  noch,  daß  nach  iVMBRONN  (2)  den  Fühlernerven  der 
PliyUirhoe  eine  deutlich  negative  Doppelbrechung  in  bezug  auf  die 
Längsrichtung  zukommt;  als  den  optisch  wirksamen  Körper  sieht  er 
auf  Grund  seiner  chemisch-physikalischen  Untersuchungen  das  Leci- 
thin an. 

Die  Flimmerzellen, 
Nach  Retzius  und  Bethe  sind  im  Epithel  der  Mollusken  bipolare 
Rezeptionszellen  weit  verbreitet.  Retzius  identifiziert  diese  Zellen 
mit  den  früher  von  Flemming  (33)  als  Pinselzellen  beschriebenen  Ge- 
bilden. Bei  Phyllirhoe  habe  ich  solche  Zellen  nicht  nur  im  Tentakel, 
sondern  auch  in  dem  den  übrigen  Körper  bedeckenden  Epithel  vermißt ; 
dagegen  liegen  allenthalben  auf  der  Haut  der  Phyllirhoe  unregelmäßig 
verstreut,  polygonal  gestaltete  Flimmerzellen  (Taf.  VI,  Fig.  2  u.  3). 
Diese  Zellen  tragen  ein  Büschel  feiner  Cilien,  welche  bei  starker  Ver- 
größerung durch  die  lichtbrechende  Cuticula  hindurch  bis  zum  Zellkern 
zu  verfolgen  sind;    besondere  Basalkörperchen,   an  denen  die  Cilien 


1  Derartige  Fortsätze  entsenden  ebenfalls,  wenn  auch  nicht  so  häufig,  die 
Ganglienanschwellungen  der  am  dorsalen  und  ventralen  Körperrand  verlaufenden 
Hautnerven. 


138  Ernst  Born, 

fixiert  sein  sollen,  wie  es  Heidenhain  (54)  lehrt,  habe  ich  in  der  Cuticula 
nicht  bemerkt.  Bei  ihrem  Verlauf  durch  den  Zellleib  konvergieren  diese 
Fibrillen  nur  wenig;  ein  scharf  ausgeprägter  Faserkegel  kommt  infolge- 
dessen in  den  Flimmerzellen  der  Phyllirhoe  nicht  zustande.  Diese  be- 
wimperten Zellen  sind  nun  in  seltsamer  Weise  miteinander  verbunden 
(Fig.  2).  Von  zwei  oder  drei  Winkeln  ihres  polygonalen  Zellleibes  geht 
je  eine  sehr  dünne  Fibrille  ab,  die  in  geradem  Verlauf  zu  der  nächst- 
gelegenen Flimmerzelle  zieht;  kommt  nun  eine  solche  Fibrille,  die  sich 
noch  dichotomisch  teilen  kann,  auf  diesem  Wege  zu  der  Öffnung  irgend 
einer  Hautdrüse,  so  wird  das  Stoma  ringförmig  umschlossen  und  die 
Fibrille  zieht  dann  weiter  zur  nächsten  Flimmerzelle;  oft  streben  drei, 
selbst  vier  Fibrillen  auf  eine  Drüsenöffnung  zu,  wo  sie  sich  anscheinend 
miteinander  verflechten.  Unter  diesen  Flimmerzellen  bilden  die  Haut- 
nerven bisweilen  rundliche  oder  kegelförmige  ganglionäre  Anlagerungen 
(Fig.  3) ;  ich  habe  aber  nie  ein  Eindringen  von  Neurofibrillen  in  die 
Zellen  feststellen  können.  Da  »die  Flimmerepithelien  Stoffe  über 
Schleimhautflächen  bewegen,  auch  wohl  Schädlichkeiten  entfernen, 
hat  es  etwas  Einladendes,  daß  die  Arbeit  dieser  Zellen  unter  die  Herr- 
schaft des  Nervensystems  gestellt  ist«  (Pflüger,  100).  Dagegen 
glaubt  Verworn  (135,  S.  59)  durch  eine  Reihe  vivisectorischer  Ver- 
suche festgestellt  zu  haben,  daß  die  Flimmerbewegung  eine  automa- 
tische Bewegung  ist,  d.  h.  »die  Impulse  für  die  Tätigkeit  der  Flimmer- 
haare entstehen  in  der  Flimmerzelle  selbst«.  Es  liegen  aber,  wie  auch 
Pplüger  weiterhin  betont,  noch  keine  einwandfreien  Beobachtungen 
über  die  Beziehungen  der  Nerven  zu  den  Flimmerzellen  vor.  ApÄthy  (4) 
hat  zwar  in  den  Flimmerzellen  des  Mitteldarmes  von  Anodonla  und 
TJnio  beobachtet,  daß  der  intracellulär  gelegene  Faserkegel  an  der 
Basis  der  Zelle  in  einen  einheitlichen  Faden  übergeht,  der  ganz  den 
Charakter  einer  dicken  Neurofibrille  besitzt;  er  fährt  dann  aber  fort: 
»leider  konnte  ich  das  Eindringen  von  extracellulär  verfolgten  deutlich 
als  solche  erkennbare  Neurofibrillen  in  die  Flimmerzellen  nicht  kon- 
statieren«. Die  Starrheit  des  Fibrillenconus  der  Flimmerepithelien  ist 
nach  Pflüger  kein  Grund,  wie  es  Engelmann  früher  getan  hat,  die 
nervöse  Natur  des  Faserkegels  zu  bezweifeln,  denn  diese  Eigenschaft 
könnte  durch  eine  Verhornung  der  perifibrillären  Hülle  bedingt  sein. 
Wie  oben  erwähnt,  finden  sich  solche  steife  Fibrillen  auch  im  Plasma 
der  Flimmerzellen  der  Phyllirhoe;  nur  kommt  es  wegen  der  geringen 
Höhe  dieser  Zellen  nicht  zur  Ausbildung  eines  eigentlichen  Faserkegels. 
Da  nun  Pflüger  neuerdings  die  Richtigkeit  der  von  Apäthy  vertretenen 
Ansieht,  daß  wir  es  im  Fibrillenconus  mit  dem  Innervierungsmodus 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  139 

der  Flimmerzellen  zu  tun  haben,  nicht  für  au.s^^eschlossen  erachtet, 
möchte  ich  besonders  auf  die  Untersuchungen  hinweisen,  welche  Wal- 
lengren (142)  hinsichtlich  der  Histogenese  des  Wimperapparates  an 
den  Kiemenleisten  der  Najaden  angestellt  hat.  Wallengren  hat 
nämlich  beobachtet,  daß  die  Wimperwurzeln  zuerst  in  den  distalen 
Teilen  der  Flimmerzellen  zum  Vorschein  kommen  und  dann  durch 
eine  nach  der  Basis  zu  fortschreitende  Differenzierung  des  inneren  Cyto- 
plasmas  sich  weiter  entwickeln.  Aus  diesem  Entwicklungsmodus  dürfte, 
wie  auch  Wallengren  selbst  hervorhebt,  geschlossen  werden  können, 
daß  die  Ansicht  Apäthys,  nach  welcher  die  Wimperwurzeln  nervöse 
Fibrillen  vorstellen,  nicht  zutrifft. 

Die  die  Flimmerzellen  der  Phyllirhoe  verbindenden  Fibrillen  unter- 
scheiden sich  also  ebenfalls  durch  ihre  Starrheit,  welche  sie  durch  ihren 
geraden  Verlauf  bekunden,  wesentlich  von  der  sonstigen  Natur  der 
Neurofibrillen.  Die  von  Haycraft  im  Epithel  der  Schildkröte  ge- 
fundenen starren  Fädchen  sieht  Pflüger  aber  ebenfalls  als  Nerven- 
fasern an  und  führt  auch  hier  die  Starrheit  der  Fibrillen  auf  eine  Ver- 
hornung zurück.  Wenn  wir  diese  Erklärung  Pflügers  auch  für  die 
in  der  obersten  Hautschicht  der  Phyllirhoe  verlaufenden  starren  Fibrillen 
gelten  lassen,  so  ist  es  möglich,  daß  die  bei  Phyllirhoe  die  Flimmerzellen 
verbindenden  feinen  Fibrillen  nervöser  Natur  sind.  Zumal  da,  wie 
oben  erwähnt,  diese  Flimmerzellen  mitunter  gangiionären  Anschwel- 
lungen der  Hautnerven  aufsitzen.  Doch  ebenso  ist  die  Annahme  be- 
rechtigt,  daß  dieses  feine  Fibrillensystem  nur  ein  Stützgerüst  für  die 
Haut  bildet. 

Bethe  (9,  S.  101)  hat  für  das  periphere  Nervensystem  der  Mollusken 
ein  besonderes  Schema  konstruiert,  welches  im  wesentlichen  aus  einem 
oberflächlichen  und  tiefen  Nervenplexus  dargestellt  wird;  der  letztere 
tritt  namentlich  zur  Muskulatur  in  Beziehungen,  während  der  erstere 
in  der  Hauptsache  mit  dem  Epithel  und  den  Drüsen  Verbindungen 
eingeht.  Wenn  die  die  Flimmerzellen  der  Phyllirhoe  verbindenden 
Fibrillen  nervöse  Primitivfibrillen  darstellen,  so  würde  Bethes  Schema 
für  diese  Nudibranchier  insofern  zutreffen,  als  wir  dann  auch  hier 
ein  oberflächliches  und  tiefes  Nervennetz  unterscheiden  können ;  letzteres 
würden  bei  Phyllirhoe  die  später  (S.  146)  noch  zu  beschreibenden  Grund- 
und  Endplexus  darstellen. 

Ob  die  Flimmerzellen  für  besondere  chemische  oder  mechanische 
Reize  empfänglich  sind,  darüber  läßt  sich  nichts  aussagen;  vielleicht 
aber  kommt  ihnen  die  Aufgabe  zu,  das  Secret  der  zahlreichen  Hautdrüsen 


140  Ernst  Born, 

ZU  einer  gleichmäßigen  Schicht  über  das  sonst  unbedeckte  Integument 
zu  verteilen. 

Meine  Ausführungen  über  die  Histologie  des  Nervensystems  möchte 
ich  mit  einer  kurzen  Bemerkung  über  die 

Regeneration  der  Nervenfasern 

beenden.  Zwei  Phyllirhoen  waren  jedenfalls  durch  einen  Feind  be- 
trächtliche Verletzungen  an  den  Seitenflächen  der  Schwanzflossen  zu- 
cfefüst  worden.  An  den  vernarbten  Stellen  laufen  die  Hautmuskelfasern 
wirr  durcheinander;  die  centralen  und  peripheren  Stümpfe  der  zer- 
rissenen Flossennerven  haben  sich  nicht  direkt  vereinigt,  sondern  der 
beträchtliche  Defekt  in  der  Nervenbahn  ist  dadurch  ausgeglichen 
worden,  daß  aus  den  beiden  Rißenden,  welche  sich  meist  schlingen- 
förmig  umbiegen,  sich  neue  Nervenfasern  gebildet  haben,  die  sich  in 
ein  feines  Nervennetz  auflösen  und  so  den  histologischen  Zusammenhang 
zwischen  den  proximalen  und  distalen  Stümpfen  der  zerrissenen  Nerven 
wieder  herstellen.  Nach  der  fast  allgemein  acceptierten  Theorie  Wal- 
lers (1852)  besteht  die  Regeneration  lediglich  in  einem  Auswachsen 
des  proximalen  Nervenfaserrestes,  während  nach  Bethe  (10)  auch  der 
periphere  Stumpf  hierbei  eine  bedeutungsvolle  Rolle  spielt.  Fig.  6  auf 
Taf.  VII  stellt  das  periphere  Ende  eines  zerrissenen  Nerven  der  Phyl- 
lirhoe  dar.  Das  Rißende  a  hat  sich  distalwärts  umgebogen  und  ist 
bei  b  mit  dem  Hauptstamm  verwachsen.  Während  der  Fortsatz  « 
schon  an  die  Muskulatur  geht,  endet  der  Ausläufer  /i  frei  mit  einer 
sehr  kleinen  knopfartigen  Verdickung.  Bei  /  finden  sich  die  letzten 
Ausläufer  des  Nervennetzes,  welches  die  Verbindung  des  proximalen 
Rißendes  mit  den  distalen  herstellt.  Auffallend  ist,  daß  den  zer- 
rissenen Nerven  bei  PhylUrhoe  viele  ellipsoide  Kerne  angelagert 
sind,  welche  meist  zwei  Nucleolen  haben  und  von  einer  geringen 
Menge  körnigen  Protoplasmas  umgeben  sind.  Allem  Anschein 
nach  haben  diese  Elemente  für  den  Aufbau  des  Nervengewebes  eine 
große  Bedeutung.  Nach  Bethe  sind  bei  den  Vertebraten  am 
Regenerationsprozeß  namentlich  die  ScHWANNschen  Zellen  beteiligt; 
nach  seiner  Ansicht  geschieht  die  primäre  Vereinigung  der  Stumpf- 
enden durch  Wucherung  des  Peri-  und  Endoneuriums,  und  erst 
später  folgen  die  wachsenden  Nervenfasern  diesen  Bahnen  von  neu- 
ralem Bindegewebe.  Ich  erwähne  noch,  daß  bei  PhylUrhoe  kurz  vor 
den  Rißenden  sich  einigemal  wohl  ausgebildete  bipolare  Ganglienzellen 
fanden,  welche  irgendwelche  Wachstumserscheinungen  nicht  erkennen 
ließen. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der   l'hyllirlu)e  l)ueephala.  141 

Die  Muskulatur. 

Wie  M.  Heiuenhain  (55)  in  seinem  Referat  über  die  »Struktur  der 
contractilen  Materie«  hervorhebt,  ist  die  Muskulatur  der  WirbeUosen 
histologisch  wenig  durchgearbeitet;  und  zwar  bestehen  nach  Fol  (34) 
speziell  hinsichtlich  der  Struktur  der  Molluskenniuskulatur  die  wider- 
sprechendsten Angaben.  Letztere  sind  nach  Wackwitz  (139)  darauf 
zurückzuführen,  daß  die  Mehrzahl  der  Forscher  der  Meinung  waren, 
man  habe  es  bei  allen  Mollusken  mit  gleichgebauten  muskulösen  Ele- 
menten zu  tun,  und  infolgedessen,  obwohl  sie  nur  wenig  Material  zu 
ihren  Untersuchungen  herangezogen  hatten,  Rückschlüsse  auf  die  ganze 
Klasse  der  Mollusken  zogen.  Im  Gegensatz  zu  dieser  weit  verbreiteten 
Ansicht  schreibt  Wackwitz  auf  Seite  132  seiner  Arbeit  »Beiträge  zur 
Histologie  der  Molluskenmuskulatur«:  »Nicht  bloß  bei  Tieren  verschie- 
deren  Ordnung  fanden  sich  total  verschieden  gebaute  Fasern,  sondern 
sehr  nahe  verwandte  Formen  ließen  manchmal  gar  keine  Berührungs- 
punkte im  feineren  Bau  ihrer  Muskelfasern  erkennen,  ja  selbst  in 
einem  Tiere,  sogar  in  einem  Organe  desselben  Tieres  fanden  sich  Muskel- 
fasern, die  in  ihrer  Größe,  in  Ausbildung  der  contractilen  Substanz, 
in  Lage  und  Struktur  des  Kernes  nichts  miteinander  gemein  haben.« 
Auch  bei  Phyllirhoe  zeichnen  sich  die  einzelnen  Schichten  der  Muskulatur 
des  Leibes  durch  größere  Abweichungen  voneinander  aus,  desgleichen 
haben  die  später  (vgl.  S.  163)  zu  beschreibenden  Herzmuskelfasern 
ihren  besonderen  Bau. 

Dicht  unter  der  Haut  der  Phyllirhoe  liegen  zwei  Systeme  von  Muskel- 
fasern; nämlich  die  Longitudinalfasern,  welche  vom  Kopf  bis  zum 
äußersten  Ende  der  Schwanzflosse  ziehen,  und  die  vom  oberen  nach 
dem  unteren  Körperrande  laufenden  Dorsoventralf asern ;  diese  kreuzen 
die  Längsmuskeln  an  ihrer  Oberfläche  meist  unter  einem  annähernd 
rechten  Winkel.  Da  in  beiden  Schichten  die  Muskelfasern  nicht  dicht 
aneinander  liegen,  sondern  in  mehr  oder  weniger  großem  Abstand  ihren 
Verlauf  nehmen,  findet  sich  unter  der  Haut  der  Phyllirhoe  ein  aus 
rautenförmigen  Maschen  bestehendes,  muskulöses  Gitterwerk  (Taf.  VH, 
Fig.  1  u.  2). 

Die  Longitudinalfasern  sind  zu  Bündeln  vereinigt,  welche  im 
mittleren  Teil  jeder  Körperhälfte  am  stärksten  sind  und  nach  dem  oberen 
und  unteren  Körperrande  zu  bedeutend  an  Umfang  abnehmen.  Die 
in  jedem  Bündel  enthaltenen  Fasern  werden  durch  eine  nur  in  spärlicher 
Menge  vorhandene  Zwischensubstanz  zusammengehalten.  Eine  das 
ganze  Faserbündel  umhüllende  bindegewebige  Scheide,  ein  Perimysium, 


]42  Ernst  Born, 

läßt  sich  zwar  einwatidfrei  nicht  nachweisen;  den  Muskelstämmen  liegen 
aber  in  größerer  Menge  sehr  häufig  die  schon  bekannten  Bindegewebs- 
körperchen  (S.  110)  an,  so  daß  sie  vielleicht  doch  von  einer  besonderen 
Hüllmembran  umgeben  sind  (Fig.  3).  Paneth  (96,  S.  263)  hat  bei 
den  Pteropoden  ebenfalls  ein  Perimysium  nicht  beobachtet;  dagegen 
verläuft  hier  an  den  Rändern  der  Muskelbänder  bisweilen  ein  schmaler 
Protoplasmasaum  mit  unregelmäßiger  Kontur;  ein  gleichartig  beschaf- 
fener homogener  Saum  begrenzt  bisweilen  auch  die  Längsmuskelbündel 
der  Phyllirhoe  (Fig.  2  bei  h).  Die  contractile  Substanz  setzt  sich  aus 
dicht  aneinander  liegenden,  feinsten  Fibrillen  zusammen;  sie  bildet  an 
den  Längsfasern  nur  eine  dünne  Rindenschicht,  welche,  ebenso  wie  es 
P.  ScHULTZE  (118,  S.  521)  für  die  Fibrillen  der  glatten  Muskelzellen  der 
Wirbeltiere  hervorhebt,  auch  bei  Phyllirhoe  eine  starke  Affinität  zu 
den  sauren  Anilinen  besitzt.  Nach  Fol  zeigen  zahlreiche  Muskelfasern 
der  Heteropoden  und  Pteropoden  einen  spiraligen  Verlauf  der  Fibrillen; 
bei  Phyllirhoe  sind  mir  derartig  gebaute  Faserzellen  nie  zu  Gesicht 
gekommen;  desgleichen  habe  ich  nicht  in  der  Hautmuskulatur  quer- 
gestreifte Fasern  angetroffen,  wie  sie  bei  den  Kiel-  und  Flügelschnecken 
namentlich  Paneth  und  Wackwitz  beobachtet  haben.  Die  contractile 
Rindenschicht  schließt  eine  unregelmäßig  gekörnte,  reich  entwickelte 
Marksubstanz  ein;  letztere  tingiert  sich  mit  Eosin  und  Orange-G-  nur 
schwach.  In  der  Mitte  der  Faser  liegt,  ohne  daß  diese  dadurch  in  der 
Regel  eine  wesentliche  Auftreibung  erfährt,  der  verschieden  gestaltete 
Kern.  Letzterer  ist  oft  lang  und  stäbchenförmig,  häufiger  aber  auch 
etwas  breiter  und  kürzer  und  an  seinen  Enden  quer  abgestutzt;  er 
enthält  nur  einen  acidophilen  Nucleolus,  von  dem  das  schwach  ent- 
wickelte Chromatingerüst  auszugehen  scheint.  Vom  Kern  aus  ver- 
jüngt 3ich  die  Faser  allmählich  nach  ihren  Enden  zu.  Die  benachbarten 
Längsfaserbündel  sind  hin  und  wieder  durch  kurze,  schräg  verlaufende 
Anastomosen  miteinander  verbunden;  in  der  Anordnung  dieser  immer 
aus  mehreren,  nebeneinander  liegenden  Faserzellen  bestehenden  Ver- 
bindungen macht  sich  eine  große  Mannigfaltigkeit  bemerkbar  (Fig.  3). 
Neben  diesen  kräftig  entwickelten  Anastomosen  sind  die  stärkeren 
Längsfaserbündel  durch  sehr  feine,  lange  und  hintereinander  liegende 
Faserzellen  verbunden.  Diese  feinen,  langen  Verbindungsstränge  hat 
Panceri  (95)  als  motorische  Nerven  beschrieben,  aus  denen  feinste 
Nervenfäserchen  —  als  solche  hat  er  nämlich  die  Dorsoventralmuskel- 
fasern  angesehen  —  hervorgehen  sollen.  In  der  Schwanzflosse  werden 
die  Längsbündel  durch  häufige  Teilungen  schwächer;  schließlich  lösen 
sie  sich  in  die  einzelnen  Fasern  auf,  von  denen  jede  sich  zu  einem 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der   I'hyllirlioc  bucephala.  143 

feinsten  Fäserchen  auszieht,  das  häut'i'j,  «ich  noch  mit  den  Endausläufern 
benachbarter  Fasern  verbindet.  Auf  Querschnitten  (Fig.  4)  zeigen 
diese  Längsbündel  der  Phyllirhoe  denselben  Bau,  wie  ihn  Wackwitz 
von  der  Flossenmuskulatur  der  Carinaria,  Pterotrachea  u.  a.  beschrieben 
hat;  in  den  meist  seitlich  zusammengedrückten  IMuskelbündeln  sind  die 
quergeschnittenen  Fasern  von  rundlicher  Gestalt;  an  der  Peripherie 
jeder  Faserzelle  liegen  die  nur  bei  sehr  starker  Vergrößerung  erkenn- 
baren Muskelsäulchen,  die  sich  bei  der  Färbung  mit  Heidenhains 
Eisenalaun-Hämatoxylinlösung  als  schwarze  Punkte  von  der  gelblich 
gefärbten  Marksubstanz  abheben. 

Gar  keine  Ähnlichkeit  mit  der  eben  beschriebenen  Längsmuskulatur 
lassen  die  Dorsoventralfasern  erkennen.  Diese  bestehen  immer  nur 
aus  einer  Faserzelle,  deren  Enden  sich  oft  dichotom  teilen.  Die  da- 
dm-ch  entstehenden  feinen  Ausläufer  vereinigen  sich  mit  eben  solchen 
Endästeu  andrer,  ihnen  entgegenziehender  Dorsoventralfasern;  häufig 
senden  auch  diese  Fasern  unter  einem  spitzen  Winkel  Verbindungsarme 
zu  ihren  unmittelbaren  Nachbarn  oder  zu  entfernter  liegenden  Zellen 
{Fig.  1  bei  a,  b,  c  und  Fig.  2) ;  auch  mit  den  Längsfaserbündeln  sind 
sie  hin  und  wieder  durch  Anastomosen  vereinigt.  Es  finden  sich  also 
bei  Phyllirhoe  verzweigte  und  miteinander  kommunizierende  Muskel- 
zellen; auch  Wackwitz  hat  das  Vorkommen  derartiger  Fasern  bei  den 
Heteropoden  und  Pteropoden  bestätigt,  während  Paneth  diesen  zuerst 
von  Gegenbauk  gemachten  Befund  bestreitet.  Was  nun  die  feinere 
Struktur  dieser  Fasern  angeht,  so  sind  sie  aus  feinsten  Fibrillen  zu- 
sammengesetzt. Der  kleine  runde  Kern  liegt  in  der  Eegel  in  der  Mitte 
der  Faser;  oft  tritt  er  aber  auch  von  etwas  Sarcoplasma  umgeben 
bruchsackartig  hervor.  Während  Boll  früher  behauptete,  daß  der 
Kern  bei  allen  Mollusken  ausnahmslos  axial  liege,  haben  in  neuerer 
Zeit  Knoll  (64,  S.  665)  in  dem  Fuße  von  Pleurohranchaea,  Fol  bei 
Bentalium  im  Schlundkopf  und  Wackwitz  im  Oesophagus  von  Cari- 
naria Muskelfasern  mit  seitlich  gelagertem  Kern  beobachtet.  Die 
Marksubstanz  ist  in  den  Dorsoventralfasern  nur  spärlich  verbanden; 
abgesehen  von  der  um  den  Kern  vorhandenen  Plasmamenge  finden 
sich  im  Verlaufe  der  Faser  zwischen  den  Fibrillen  nur  wenige,  reihen- 
weise angeordnete  Markkügelchen.  Eine  Eigentümlichkeit  der  Dorso- 
ventralfäserchen  sind  die  kleinen  flügelartigen  Verbreiterungen,  die 
viele  Fasern  an  ihren  Eändern  zeigen;  von  diesen  Anhängseln  gehen 
häufig  feine  Fibrillen  zu  den  benachbarten  Fasern  (Fig.  2  a).  Nach 
M.  Heidenhain  (S.  139)  findet  sich  an  den  glatten  Muskelzellen  der 
Wirbellosen  stets   ein   Sarcolemm.     Diese  Behauptung   muß   für  die 


144  Ernst  Born, 

Mollusken  eine  gewisse  Einschränkung  erfahren.  Margo,  Knoll,  Fol 
u.  a.  haben  allerdings  auch  an  Molluskenmuskeln  ein  zartes,  aber  deut- 
liches Sarcolemm  beobachtet,  dagegen  konnten  Paneth  und  Wack- 
witz sich  nicht  von  der  Existenz  einer  solchen  Hüllraembran  über- 
zeugen. Auch  an  den  Dorsoventralfasern  der  Phyllirhoe,  die,  wie 
schon  erwähnt,  stets  nur  aus  einer  Zelle  bestehen,  ist  von  einem  Sarco- 
lemm nichts  zu  finden;  nur  ein  unregelmäßig  begrenzter,  homogener 
Protoplasmasaum,  wie  wir  ihn  schon  bei  den  Längsfaserbündeln  kennei> 
gelernt  haben,  umgibt  bisweilen  diese  Muskelzellen.  Erwähnen  will 
ich  noch,  daß  bei  der  Doppelfärbung  mit  Hämatoxylin-Eosin  die  Dorso- 
ventralfasern im  Gegensatz  zu  der  intensiv  rot  tingierten  Längsmuslm- 
latur  völlig  ungefärbt  bleiben. 

Die  Dorsoventralfasern  werden  übrigens,  namentlich  im  mittleren 
Drittel  jeder  Körperhälfte,  von  bedeutend  kräftigeren  Fasern  in  der 
Richtung  von  oben  und  vorn  nach  hinten  und  unten  gekreuzt.  Diese 
Fasern,  die  meist  einen  etwas  geschlängelten  Verlauf  zeigen,  liegen 
bisweilen  zu  zweien  nebeneinander;  ihr  Kern  liegt  nicht  immer  an  der 
dicksten  Stelle  der  Faser  (Fig.  7);  sonst  zeigen  aber  diese  Gebilde  die 
gleiche  Struktur  wie  die  übrigen  Dorsoventralfasern. 

Ein  ganz  andres  Aussehen  haben  die  Transversal-  oder  Paren- 
chym muskeif  asern,  welche  zuerst  von  Bergh  (7)  beobachtet  worden 
sind;  er  hat  sie  aber  als  bindegewebige  Elemente  gedeutet.  Diese 
Fasern  sind  in  den  obersten  und  untersten  Körperpartien  am  zahl- 
reichsten vorhanden;  die  wenigen  Fasern,  welche  die  mittlere  Körper- 
partie durchlaufen,  halten  die  Eingeweide  in  ihrer  Lage  (Taf.  VIII, 
Fig.  1).  Diese  Fasern  sind  von  runder  oder  bandartiger  Gestalt  (Taf  .VII, 
Fig.  8).  In  den  sehr  schmalen  Fasern  liegt  der  häufig  stäbchenförmige 
Kern  in  dem  Markraum  der  Faser  oder  ist  von  etwas  Marksubstanz 
umgeben  dem  Fibrillenbündel  seitlich  angelagert.  Die  Enden  jeder 
Faserzelle  lösen  sich  in  ein  Büschel  feinster  Fibrillen  auf,  die  an  den 
Eändern  der  longitudinalen  und  dorsoventralen  Muskelfasern  (Fig.  2 
bei  X  X )  mit  einer  sehr  kleinen  protoplasmatischen  Anschwellung  enden : 
auch  diese  Fibrillenbündel  hat  Panceri  als  motorische  Nerven  an- 
gesehen. Häufig  vereinigen  sich  die  feinen  Ausläufer  mit  ebensolchen 
Endästen  benachbarter  Parenchymmuskeln.  Den  transversalen  Fasern, 
die  an  ihren  Rändern  meist  einen  homogenen  Protoplasmasaum  zeigen, 
liegen  in  gToßer  Menge  die  schon  bei  den  Längsmuskelfasern  erwähnten 
kleinen,  abgeplatteten  Zellen  seitlich  an.  Interessant  ist  aber  die  Ver- 
bindung dieser  Fasern  mit  eigenartig  gestalteten  Zellen.  Es  liegen  ihnen 
nämlich  größere,  meist  etwas  abgeplattete  Zellen  dicht  an,  deren  Plasma 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  145 

einige  Vaciioleu  und  einen  bläschenförnngen  Kern  mit  einem  verhält- 
nismäßig großen  Nucleolus  einschließt  (Fig.  8  bei  P).  Ähnliche  Zellen 
sind  in  Verbindung  mit  Muskelfasern  von  Kkoll  (S.  673)  bei  den  Crusta- 
ceen,  ferner  von  Wackwitz  (S.  150)  in  der  Salpenmuskulatur  beobachtet 
worden;  während  diese  Autoren  sich  über  die  Natur  der  Zellen  nicht 
äußern,  haben  Zernecke  (143)  und  Bettendorf  (11)  derartige  Gebilde 
bei  den  Cestoden  und  Trematoden  als  Myoblasten  gedeutet.  Vor 
kurzem  hat  E.  Andre  (3,  S.  75)  von  einem  neuen  Genus  der  Familie 
der  Phyllirhoiden,  welches  er  dem  Entdecker  zu  Ehren  Ctilopsis  Picteti 
nennt,  ebenfalls  große,  bandartigen  Fasern  angelagerte  Zellen  beschrie- 
ben und  in  Fig.  2  auf  Taf.  1  seiner  Arbeit  abgebildet;  er  vermutet, 
daß  diese  Gebilde,  die  er,  wie  er  selbst  hervorhebt,  nur  flüchtig  unter- 
sucht hat,  Myoblasten  darstellen,  und  zwar  sollen  sie  bei  Ctilopsis  in 
vier  gleich  weit  voneinander  entfernten  Längsreihen  angeordnet  sein. 
Ich  halte  diese  Zellen  bei  Phyllirhoe  für  identisch  mit  den  Plasmazellen 
Brooks  und  werde  später  (S.  178)  bei  der  Beschreibung  der  excretori- 
schen  Elemente  noch  einmal  auf  sie  zu  sprechen  kommen. 

Die  Innervation  der  Muskulatur. 

Die  an  die  Muskelfasern  herantretenden  Nerven  sind  keine  rein 
motorischen  Nervenfasern,  insofern  sie  auch  die  übrigen  Elemente  der 
Haut  innervieren;  auch  versorgt  ein  und  derselbe  Nerv  gleichzeitig  Longi- 
tudinal-,  Dorsoventral-  und  Parenchymmuskulatur.  Doch  bevor  ich  in 
meinen  Angaben  über  die  Innervierung  der  Muskulatur  fortfahre,  möchte 
ich  auf  die  vor  kurzem  von  F.  B.  Hofmann  (58)  veröffentlichten  »Histo- 
logische Untersuchungen  über  die  Innervation  der  glatten  und  der  ihr 
verwandten  Muskulatur  der  Wirbeltiere  und  Mollusken«  näher  eingehen. 

Hofmann  hat  bei  den  von  ihm  untersuchten  Tieren  feststellen 
können,  daß  aus  den  zur  Muskulatur  hinziehenden  Nervenbündeln 
durch  Abschwenkungen  und  Teilungen  der  in  ihnen  enthaltenen  gröberen 
Nervenfasern  zunächst  ein  Nervengeflecht,  der  Grundplexus,  sich 
bildet.  Letzterer  ist  vor  allem  dadurch  charakterisiert,  daß  er  von  der 
Verlaufsrichtung  der  Muskelzüge  unabhängig  ist.  Von  diesem  Grund- 
plexus gehen  einzelne  feine  Nerven  zur  Muskulatur,  welche  ganz  dicht 
an  den  Muskelfasern  hinziehen  und  infolgedessen  die  Anordnung  der 
Muskulatur  sehr  genau  wedergeben.  Die  von  den  früheren  Autoren 
beschriebenen  knöpfchenförmigen  Enden  dieser  Nerven  hält  Hofmann 
für  infolge  unvollständiger  Färbung  hervorgerufene  Kunstprodukte; 
vielmehr  lassen  sich  nach  ihm  die  Nervenfädchen  an  den  Muskelzellen 
fortwährend  weiter  verfolgen,  rmd  es  bilden  so  mindestens  die  Teiläste 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  10 


146 


Ernst  Born, 


einer  jeden  einzelnen  zur  Muskulatur  hinziehenden  Nervenfaser  unter 

sich  ein  wahres  Endnetz. 

Während  nun  Hofmann   einen   kontinuierlichen  Zusammenhang 

zwischen     Grund-     und     Endplexus     nur     selten     feststellen     und 

die  schleifenförmige  Ver- 
bindung der  Endverzwei- 
gungen einer  Stammner- 
venfaser untereinander  in 
den  meisten  Fällen  infolge 
des  kapriziösen  Verhaltens 
der  angewandten  Färbe- 
methoden nur  »nach  der 
ganzen  Konfiguration  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit « 
erschließen  konnte,  lassen 
sich  an  Phyllirhoen,  die 
nur  mit  FLEMMiNGscher 
Lösung  fixiert  sind,  infolge 
der  durchsichtigen  Be- 
schaffenheit dieser  Tiere 
die  Innervationsverhält- 
nisse  an  den  Hautmuskeln 
bis  in  ihre  feinsten  Details 
einwandfrei  feststellen. 

Die  Teiläste  der  Haupt- 
nervenstämme  der  Phylli- 
rhoe  bilden  zahlreiche  Ana- 
stomosen untereinander, 
und  es  kommt  so  ein  aus 
unregelmäßigen  Maschen 
bestehendes  Nervennetz 
zustande,  welches  sich 
über  den  ganzen  Körper 
ausdehnt,  besonders  aber 
in  den  hinteren  Regionen 


Textfig.  1. 

Ein  Teil  des  von  den  Hautnerven  gebildeten  Grundplexus 
{F.  B.  Hopmann).  Die  Äste  a  und  6  stimmen  mit  N^  und 
N^  der  Fig.  1  auf  Taf.  VII  überein.  Es  sind  nicht  alle  mit- 
einander anastomosierenden  Seitenzweige  eingezeichnet. 
Mü,  MüLLERsche  Zelle.  Der  Verlauf  der  Nerven  wnrde  bei 
öOOfacher  Vergrößerung  festgestellt.  Die  Zeichnung  dehnte 
sieh  über  etwa  32  Gesichtäfelder  aus;  sie  ist  jetzt  auf  ein     Wohl  ausgebildet  ist  (vgl.  d. 

Textfig.).  Dieses  Geflecht, 
welches  in  seinem  Verlauf  durch  die  Anordnung  der  Muskulatur  nicht 
beeinflußt  wird,  entspricht  dem  HoFMANNschen  Grundplexus.  Da  nun 
bei  PhylUrhoe  an  diesem  Plexus  sämtliche  aus  den  vier  Schlundganglien 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  147 

entspringende  Nervenstämme  beteiligt  sind,  gelangt  man  von  einem 
Knotenpunkt  dieses  Grundplexus  je  nach  der  Richtung  des  einge- 
schlagenen Weges  nach  dem  Cerebropleural-  bzw.  Pedalganglion.  Be- 
sonders möchte  ich  die  interessante  Beobachtung  hervorheben,  daß  bei 
PhijUirhoe  am  dorsalen  und  ventralen  Rande  Nerven  von  der  einen 
Kürperseite  auf  die  andre  hinüberwechseln;  ich  habe  mich  mehrmals 
einwandfrei  davon  überzeugen  können,  daß  auf  diese  Weise  der  rechte 
und  linke  Grundplexus  miteinander  in  Verbindung  stehen i. 

Von  den  Zweigen  des  Grundplexus  gehen  nun  die  Nerven  zur 
Muskulatur.  Die  Längsmuskeln  werden  von  dickeren  Nerven  gekreuzt, 
die  mitunter  einen  kurzen  Ast  zur  Faser  senden,  der  sich  hier  zu  einer 
relativ  großen,  reich  gekörnten  Anschwellung  verbreitern  kann.  Hervor- 
heben möchte  ich,  daß  auch  bei  Phyllirhoe  sich  die  Innervierung  keines- 
wegs immer  in  der  Nähe  des  Kernes  findet,  und  zwar  gilt  dies  nicht 
nur  für  die  Longitudinalfasern,  sondern  auch  für  die  übrigen  Muskel- 
systeme. Von  älteren  Autoren,  Frankenhäuser,  Lustig  u.  a.,  war 
nämlich  behauptet  worden,  daß  die  Nerven  mit  den  Kernen  der  glatten 
Muskelfasern  in  Verbindung  treten.  Für  die  Vertebraten  ist  diese  An- 
gabe besonders  durch  die  umfangreichen  Untersuchungen  P.  Schultzes 
(118,  S.  545),  für  die  Wirbellosen  durch  Apäthy  (4,  S.  691)  widerlegt 
worden.  An  den  Längsfasern  nun  stellen  die  eben  erwähnten  Nerven- 
hügel, die  meist  einen  Kern  enthalten,  wirkliche  Nervenendigungen 
nicht  dar;  ich  habe  mich  fast  immer  davon  überzeugen  können,  daß 
von  der  Anschwellung  aus  noch  ein  feinkörniger  Strang  die  Muskel- 
fasern ent  ang  zieht.  Eigenartig  ist  die  Innervation  der  transversal 
verlaufenden  Muskelfasern.  Die  feinen  Ausläufer  dieser  Zellen  endigen 
an  den  Hautnerven  in  einer  Weise,  welche  vollkommen  der  schon  be- 
schriebenen Endigung  dieser  Muskelzellen  an  den  beiden  Muskelsystemen 
der  Haut  gleicht  (Fig.  2  xx  x).  Ebenso  auffallend  ist  die  bisweilen  zu 
beobachtende  Innervation,  bei  der  ein  Endausläufer  einer  Parenchym- 
faserzelle  in  der  Weise  in  ein  feinstes,  ihm  entgegenziehendes  Nerven- 
fäserchen  übergeht,  daß  man  nicht  mehr  erkennen  kann,  wo  der  Nerv 
aufhört  und  die  muskulöse  Faserzelle  beginnt  (Fig.  2  x  ).  Letztere  iVrt 
der  Innervierung  scheint  der  von  Apathy  bei  Ascaris  und  Pontohdella 
mitunter  beobachteten  Innervation  zu  entsprechen. 

1  Ein  für  diese  Beobachtung  geeignetes  Präparat  wird  am  besten  in  der 
Weise  hergestellt,  indem  man  am  Anfang  der  Flosse  ein  schmales  Stück  vom 
Hautrande  abschneidet,  unter  der  Lupe  die  die  beiden  Körperseiten  verbindenden 
Parenchymmuskelfasern  durchtrennt  und  nun  auf  einem  Objektträger  die  beiden 
Randflächen  durch  leichten,  mittels  eines  feinen  Haarpinsels  ausgeübten  Druck 
in  eine  Ebene  zu  bringen  sucht. 

10'= 


148  Ernst  Born, 

Sehr  schön  ist  die  Innervierung  an  den  Dorso ventralfasern  zu 
beobachten,  da  sie  äußerst  fein  und  infolgedessen  in  ihrer  ganzen  Tiefe 
mit  den  stärksten  ölimmersionssystemen  zu  durchmustern  sind.  Die  an 
diese  Muskelzellen  herantretenden  Nerven  kreuzen  dieselben  an  ihrer 
Unterfläche,  wobei  sich  der  Nerv  etwas  verbreitert;  von  dieser  Ver- 
breiterung aus,  die  mitunter  kleine  runde  Kerne  birgt,  entsendet  der 
Nerv  häufig  nach  den  beiden  entgegengesetzten  Richtungen  hin  jeder- 
seits  einen  die  Muskelfaser  entlang  laufenden  Zweig.  Ein  solches  Fäser- 
chen,  dessen  Verlauf  durch  die  den  feineren  Nerven  eigentümlichen, 
lichtbrechenden  Körnchen  gekennzeichnet  ist,  läßt  sich  in  der  Regel 
bis  zu  einem  dieselbe  Faserzelle  kreuzenden  Nerv  verfolgen.  Häufig 
wird  ein  und  dieselbe  Dorsoventralfaser  von  drei  bis  fünf  Nerven  ge- 
kreuzt, welche  sämtlich  durch  solche  die  Muskelzelle  entlang  laufenden 
Körnchenreihen  verbunden  sind  und  sich  alle  bis  zu  demselben  Nerven- 
stamm zurückverfolgen  lassen.  Häufig  geht  die  Körnchenreihe  auf  eine 
andre,  die  Faserzelle  kreuzende  Dorsoventralfaser  über  und  läßt  sich 
dann  hier  bis  zu  einem  andern  Nerv  verfolgen.  Diese  Körnchenreihen 
bilden  also  bei  PhylUrhoe  den  Endplexus.  In  instruktiver  Weise 
zeigt  Fig.  1  auf  Taf.  VIII  diese  Innervationsverhältnisse.  Erwähnen 
will  ich  nur  hier,  daß  die  in  dem  Bilde  mit  N^,  No  und  iVg  bezeichneten 
Nervenf äserchen  alle  aus  demselben  Hauptstamm  hervorgehen;  Ni 
und  iVg  entsprechen  übrigens  den  Fasern  a  und  h  der  Aveiter  oben 
stehenden  Textfigur.  Das  weitere  Verhalten  der  Nerven  dürfte  wohl 
aus  der  der  Fig.  1  beigegebenen  Erklärung  ersichtlich  sein.  Wenn  ich 
demnach  häufig,  namentlich  an  den  Muskelzellen  der  Flosse,  dieses 
schlingenförmige  Ineinanderlaufen  der  Nerven  direkt  habe  nachweisen 
können,  so  muß  ich  doch  betonen,  daß  in  vielen  Fällen  ein  freies  Aus- 
laufen der  Körnchenreihen  feststeht  (Fig.  1  bei  x  x).  Mangold  (84), 
der  dieser  Frage  auch  vor  kurzem  seine  Aufmerksamkeit  gewidmet  hat, 
hebt  hervor,  daß  er  an  den  die  quergestreiften  Skelettmuskeln  der 
Arthropoden  umspinnenden  Nervenfibrillen  niemals  eine  Anastomose 
beobachtet  hat. 

In  einer  seiner  letzten  Publikationen  ist  Pflüger  (100)  mit  Ent- 
schiedenheit für  den  direkten  Übergang  der  nervösen  Materie  in  das 
Myoplasma  eingetreten.  Nach  Pflüger  aber  legt  sich  die  Nerven- 
fibrille nicht  nur  oberflächlich  der  Muskelzelle  an,  sondern  er  ist  nament- 
lich infolge  der  von  Apathy  an  Pontohdella  gemachten  Beobachtungen 
der  Meinung,  daß  die  Nervenfaser  in  das  Innere  der  Muskelfasern  ein- 
dringt und  darin  endigt.  Mangold  macht  gegen  die  ApATHYsche 
Angabe  den  m.  E.  berechtigten  Einwand,  daß  für  derartige  Beobachtun- 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  141) 

gen  die  Ausführung  von  Querschnitten  unbedingt  erforderlich  ist, 
während  Apäthy  diese  Frage  nur  an  Totalpräparaten  studiert  hat. 
Mangold  sieht  die  Schlußfolgerungen  Apäthys  allein  schon  aus  dem 
Grunde  als  etwas  voreilig  an,  weil  bei  der  Coldmethode,  welcher  Apäthy 
sich  bedient,  »  oft  nicht  garantiert  werden  kann  für  die  wirklich  nervöse 
Natur  eines  so  minimalen  Strukturelementes«.  An  den  Dorso ventral- 
fasern der  PhylUrhoe  sind  Muskel-  und  Nervensubstanz  anscheinend 
direkt  aneinander  gelagert.  Wie  schon  auf  S.  144  erwähnt  wurde,  fehlt 
den  muskulösen  Faserzellen  das  Sarcolemm,  aber  auch  an  den  an  sie 
herantretenden  Nervenfädchen  habe  ich  mich  von  dem  Vorhandensein 
einer  besonderen  Hüllmembran  nicht  überzeugen  können.  An  den 
die  Dorsoventralfasern  entlang  laufenden  Körnchenreihen  ist  eine 
fibrilläre  Struktur  nicht  mehr  erkennbar,  da  diese  Muskelzellen  selbst 
eine  feine  fibrilläre  Längsstreifung  haben.  Sicher  sind  aber  auch  in 
diesen  Körnchenreihen  noch  Neurofibrillen  enthalten,  da  die  von  der 
Muskel zelle  abtretenden  Nervenfädchen  nicht  homogen,  sondern  fibril- 
lär  gebaut  sind.  Nach  dem  ganzen  Verhalten  der  Nervenfädchen  be- 
zweifle ich,  daß  bei  PkyUirJioe  Neurofibrillen  in  die  Muskelzelle  ein- 
dringen; jedoch  kann  ich  mit  Sicherheit  nichts  darüber  aussagen.  Be- 
züglich der  Nervmuskelfrage  dürfte  wohl  der  Hinweis  von  Interesse 
sein,  daß  Paneth  (96)  und  Joseph  (63)  bei  den  Pteropoden  und  Hetero- 
poden  ein  intramuskuläres  Nervennetz  beschreiben. 

Die  Betheschen  Nervennetze. 

Die  mit  der  Silberimprägnationsmethode  Golgis  erzielten  Kesultate 
der  histologischen  Forschung  hatten  Walueyer  (141)  im  Jahre  1891 
Veranlassung  gegeben,  seine  Anschauung  von  dem  Aufbau  des  Nerven- 
systems in  folgender  Weise  zu  formulieren :  »Das  Nervensystem  besteht 
aus  zahlreichen  untereinander  anatomisch  wie  genetisch  nicht  zu- 
sammenhängenden Nerveneinheiten  (Neuronen).  Jede  Nerven einheit 
setzt  sich  zusamm^en  aus  drei  Stücken:  der  Nervenzelle,  der  Nerven- 
faser und  dem  Faserbäumchen  (Endbäumchen).«  Unter  den  von  den 
Gegnern  der  Neuronenlehre  angeführten  Argumenten  finden  sich  auch 
die  BETHEschen  Nervennetze,  die  bekanntlich  durch  direkte  plasma tische 
Anastomosen  zwischen  benachbarten  Ganglienzellen  entstehen  soHen. 
Während  nach  Bethe  (9)  und  Jordan  (62)  namentlich  bei  den  Mol- 
lusken diese  Netze  weit  verbreitet  sind,  hat  F.  B.  Hofmann  in  den 
peripheren  Nerven  der  von  ihm  untersuchten  Cephalopoden  nur  zwe; 
einwandfreie  Ganglienzellen,  und  zwar  unipolare,  gefunden.  Er  be- 
streitet daher  für  die  Cephalopoden  das  Vorkommen  von  specifischeu 


150  Ernst  Born, 

BETHEschen  Nervennetzen.  Nach  einer  Durchsicht  der  einschlägigen 
Literatur  kommt  Hofmann  überdies  zu  der  Ansicht,  daß  von  allen 
Angaben  nur  die  von  Chun  (21)  mitgeteilten  Beobachtungen  an  dem 
durchsichtigen  Tiefseecephalopoden  BoUtaena  auf  das  Vorhandensein 
von  Nervennetzen  im  Sinne  Bethes  hinweisen.  Doch  Hofmann  hält 
es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  die  von  Chun  an  den  Teilungsstellen 
der  Nerven  beobachteten  Kerne  nicht  peripheren  Ganglienzellen,  sondern 
nur  den  Nervenhüllen  angehören  i.     Ich  möchte  daran  erinnern,  daß 


1  Seine  Ansicht  begründet  Hofmann  auf  S.  393  f olgeiidermaßen :  »Daß 
man  diese  Kerne  an  nicht  specifisch  gefärbten  Präparaten  mit  den  Nervenbündeln 
in  eins  verschmolzen  sieht,  bildet  gar  keinen  Grund  zu  der  Annahme,  daß  dies 
in  Wirklichkeit  der  Fall  ist.  Man  kann  ja  an  solchen  Präparaten  auch  nicht  die 
einzelnen  Nervenfädchen,  aus  welchen  die  Nervenbündel  zusammengesetzt  sind, 
voneinander  sondern.  Das  gelingt  erst  durch  eine  specifische  Nervenfärbung,  wie 
die  vitale  Methylenblaufärbung. «  In  demselben  Sinne  beurteilt  auch  ApIthy 
die  an  Osmiumpräparaten  gewonnenen  Resultate;  nach  ihm  haben  die  älteren 
Autoren  nicht  die  eigentlichen  Neurofibrillen,  sondern  nur  die  interfibrilläre 
Substanz  gesehen;  die  fibrilläre  Struktur  der  Nerven  War  ihnen  also  nur  »durch 
das  Negativ  der  Fibrillen«  bekannt.  Nach  Bethe  aber  hat  Max  Schultze  in 
den  peripheren  Nervenfasern  die  Primitivfibrillen  durch  Osmiumsäure  wirklich 
dargestellt;  ebenso  weist  OscAB  Schultze  (120)  den  hinsichtlich  dieser  Beobach- 
tung seines  Vaters  von  ApXthy  gehegten  Zweifel  energisch  zurück.  Auch  ich 
möchte  hier  nochmals  betonen,  daß  ich  mich  in  meinen  Flemming- Präparaten 
von  der  Existenz  der  Neurofibrillen  einwandfrei  überzeugen  konnte;  selbst  in 
den  feinsten  Nervenfädchen  sind  sie  bei  Gasglühlicht  und  zweckmäßiger  Anwendung 
des  AßBEschen  Beleuchtungsapparates  infolge  ihrer  starken  Lichtbrechung  noch 
deutlich  erkennbar.  Mit  dem  Hämatein  la,  welches  nach  Apathy  eine  »speci- 
fische« Nervenfärbung  ermöglicht,  habe  ich  trotz  aller  möglichen  Kautelen  die- 
selben Erfahrungen  wie  Bethe  (28,  S.  931)  gemacht;  es  färbten  sich  nur  die  dicken 
Fibrillenbahnen,  dagegen  nicht  die  feinen  Nervenausläufer;  bei  Phyllirhoe  tin- 
gierten  sich  übrigens  die  Muskelfasern  mit  dem  Hämatein  Ja.  Die  vitale  Methylen- 
blau- oder  GoLGi-Methode  konnte  ich  nicht  anwenden,  da  mir  nur  konserviertes 
Material  zur  Verfügung  stand.  Auch  bezweifle  ich,  daß  mir  die  Anwendung  dieser 
Methoden  irgendwelchen  Vorteil  gebracht  haben  \vürde.  Denn  Gilchbist  (37, 
S.  179)  hat  Methylenblau  und  Goldchlorid  bei  den  kleinen,  durchsichtigen  Nudi- 
branchiern  mit  völlig  negativem  Erfolge  benutzt.  Ferner  haben  an  pelagischen 
Mollusken  Joseph  (63)  und  Paneth  (96)  die  schon  bei  zahlreichen  andern  Unter- 
suchungsobjekten gemachte  Beobachtung  bestätigt,  daß  bei  diesen  »electiven« 
Nervenfärbungen  außer  den  Nerven  auch  die  Muskulatur  und  die  bindegewebigen 
Elemente  den  Farbstoff  annehmen.  Auch  Hofmann  konstatierte  diesen  Übel- 
stand; außerdem  führt  er  auf  S.  371  an,  daß  eine  scharfe  Differenzierung  der 
einzelnen  Fibrillen  in  seinen  Methylenblaupräparaten  nicht  vorhanden  ist;  »es 
ist  außer  den  Fibrillen  auch  die  Zwischensubstanz  mitgefärbt«.  Diese  Beobach- 
tung Hofmanns  steht  in  einem  gewissen  Widerspruch  zu  seiner  von  mir  am  An- 
fang dieser  Fußnote  zitierten  Angabe.    Durch  diese  kritischen  Bemerkungen  sollen 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  151 

schon  früher  Waldeyer  (140)  und  Solbrig  (124)  bei  Wirbellosen 
keine  Ganglienzellen  an  den  Nerventeilungen  konstatieren  konnten; 
desgleichen  spricht  Grobben  auf  S.  111  des  Lehrbuches  der  Zoologie 
von  Claus  die  Ansicht  aus,  daß  die  an  den  Nerven  der  Wirbellosen 
sich  findenden  Kerne  der  bindegewebigen  Scheide  angehören.  In  Er- 
gänzung der  von  Bethe  und  Hofmann  gemachten  Literaturangaben 
führe  ich  hier  noch  kurz  einige  Mitteilungen  aus  der  Literatur  über  das 
Vorkommen  von  Nervennetzen  bei  Mollusken  an. 

In  der  Haut  der  Heteropoden  und  Pteropoden  hat  Gegenbaur  (3(5) 
ein  reiches  Nervennetz  beobachtet,  dessen  Knotenpunkte  als  kernhaltige 
Anschwellungen  erscheinen.  Namentlich  die  Abbildung,  die  er  auf 
Taf .  III  bei  Fig.  3  von  dem  Endnetz  der  Flossennerven  von  Cymhulia 
Peronii  gibt,  erinnert  lebhaft  an  die  BETHEschen  Nervennetze.  Die 
Existenz  eines  peripheren  Nervennetzes  bei  diesen  Tieren  ist  später 
von  Paneth  (96)  bestätigt  worden;  bei  Cymhulia  sind  die  Zellen  im 
Nervennetz  »so  willkürlich  und  wie  zufällig  angebracht«,  daß  Paneth 
geneigt  i.st,  sie  nicht  als  nervöse  Centren,  sondern  als  Reste  von  Bildungs- 
material anzusehen.  Ferner  beschreibt  Edinger  (27)  ein  in  der  Haut 
der  Pterotmchea  liegendes  Nervennetz;  in  den  Knotenpunkten,  sowie 
in  dem  Verlauf  der  Nerven  finden  sich  auch  hier  Ganglienzellen  meist 
bipolarer  Natur  mit  rundem  Kern  und  mehreren  Kernkörperchen.  In 
neuerer  Zeit  hat  List  (81)  bei  den  Mytiliden  beobachtet,  daß  die  Aus- 
läufer der  Mantelrandnerven  unter  dem  Epithel  ein  an  Ganglienzellen 
reiches  Nervennetz  bilden. 

Nach  Eetziüs  (110)  sind  die  bei  verschiedenen  Evertebratenklassen 
beschriebenen  Netze  von  verästelten  peripheren  Nervenzellen  »sehr 
problematischer,  dubiöser  Natur«;  schon  früher,  nämlich  im  Jahre  1904 
hat  Retzius  in  der  Diskussion,  welche  dem  von  Oskar  Schultze  auf 
der  Anatomenversammlung  in  Jena  gehaltenen  Vortrag  über  die  Ent- 
wicklung des  peripheren  Nervensystems  folgte,  erwähnt,  daß  er  bei 
Wirbeltieren  und  Wirbellosen  nie  periphere  Netze,  sondern  nur  Ge- 
flechte der  Fortsätze  von  Zellen  beobachtet  hat.  Wie  auch  0.  Schultze 
(120)  hervorhebt,  ist  es  dringend  erforderlich,  daß  wir  durch  neue 
Arbeiten  weitere  Aufklärung  über  die  peripheren  Nervennetze  der 
Wirbellosen   finden.      Da    mir    die    Durchsichtigkeit    der   Phyllirhoe 


natürlich  die  ungeahnten  Fortschritte,  die  wir  seit  der  Anwendung  der  Methylen- 
blau- und  GoLGi-Methode  in  unsrer  Kenntnis  des  Xervensystems  gemacht  haben, 
nicht  im  geringsten  geschmälert  werden,  es  soll  nur  die  Ansicht  Hofmanns  zurück- 
gewiesen werden,  daß  zum  Studium  der  Innervation  immer  die  Anwendung  einer 
der  genannten  Färbungsmethoden  erforderlich  ist. 


152 


Ernst  Born, 


gestattete,  die  Nerven  in  ihrem  ganzen  Verlauf  zu  verfolgen,  so  dürften 
wohl  auch  meine  Beobachtungen  einiges  Interesse  beanspruchen  können. 
Bei  den  Nervennetzen  ist  von  Bedeutung  die  Entscheidung  der 
Frage,  ob  die  Fortsätze  der  Ganglienzellen  »ganz  breit  ineinander  über- 
gehen«, wie  es  Bethe  lehrt  und  in  dem  Schema  zeigt,  welches  er  seiner 
in  der  Deutschen  Medizinischen  Wochenschrift  (30.  Jahrg.  1904)  ver- 
öffentlichten Abhandlung  »Der  heutige  Stand  der  Neurontheorie« 
beigibt.  —  Zum  besseren  Verständnis  der  weiteren  Angaben  sei  auf  die 
nebenstehende   Kopie   dieses   Schemas   hingewiesen.   —  Würden   sich 

nämlich  solche  durch  direkte  plas- 
matische Anastomosen  verbundene 
Ganglienzellen  finden,  so  würde 
dies  im  Gegensatz  zu  der  vorhin 
zitierten  Definition  des  Neurons 
stehen.  Denn  nach  der  Neuronen - 
lehre  soll  das  Nervensystem  aus 
morphologischen  Einheiten,  den 
Neuronen,  zusammengesetzt  sein, 
welche  nur  auf  dem  Wege  der 
Apposition  zueinander  in  Be- 
ziehung treten;  ein  Übergang  per 
continuitatem  dagegen  soll  nie- 
mals bestehen.  Bei  einem  Ver- 
gleiche der  in  Fig.  1  auf  Taf.  VI 
dargestellten  Nervenmasche  aus 
dem  Grundplexus  der  Phyllirhoe  mit  dem  Schema  Bethes  könnte 
vielleicht  die  Vermutung  berechtigt  erscheinen,  daß  die  Zellen  c^  und 
c2  als  zwei  miteinander  anastomosierende,  tripolare  Ganglienzellen 
aufzufassen  sind,  und  das  bei  *  abgehende  Fibrillenbündel,  welches 
die  Muskulatur  und  die  Hautdrüsen  innerviert,  aus  beiden  Zellen 
seinen  Ursprung  nimmt,  entsprechend  den  in  der  Skizze  Bethes  bei  x 
zur  Muskulatur  ziehenden  Fasern.  Schon  früher  (S.  132)  habe  ich 
aber  erwähnt,  daß  in  Präparaten,  die  mit  FLEMMiNGscher  Lösung 
fixiert  sind  —  auch  die  Fig.  1  auf  Taf.  VI  stammt  von  einem 
solchen  Präparat  — ,  der  Zellleib  der  peripheren  Ganglienzellen  meist 
nur  schwer  zu  erkennen  ist;  dagegen  hebt  sich  in  den  Nerven- 
stämmen der  Phyllirhoe  bei  Objekten,  die  mit  Chromessigsäure  fixiert 
und  mit  Hämatoxylin-Eosin  gefärbt  sind,  der  dunkelrote  Zellleib  der 
Ganglienzellen  mit  den  Ausläufern  scharf  von  dem  nur  blaßrot  fingierten 
Fibrillenbündel    ab    (Taf.  V,    Fig.  16).      Derartige    Präparate    zeigen 


Textfig.  2. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  153 

einwandfrei,  daß  bei  PhyUirhoe  periphere  Ganglienzellen,  die  durch  dicke 
Protoplasmabrücken  miteinander  verbunden  sind,  wie  es  Bethe  lehrt, 
nicht  vorkommen.  Die  Ganglienzellfortsätze  verjüngen  sich  vielmehr 
sehr  schnell  und  entziehen  sich  bald  der  weiteren  Beobachtung,  und  es 
wird  wohl  durch  keine  Methode  festzustellen  sein,  ob  sie  mit  den  Aus- 
läufern andrer  Ganglienzellen  anastomosieren,  zumal  da  in  den  zu- 
nächst gelegenen  Knotenpunkten  des  Plexus  sich  dann  meist  wieder 
gar  keine  Zellen  vorfinden  (vgl.  die  Textfigur  auf  S.  146).  Nur  einmal, 
und  zwar  bei  den  in  Fig.  5  auf  Taf .  VI  mit  a  und  h  bezeichneten  Zellen, 
halte  ich  es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  sie  eine  Anastomose  mit- 
einander eingehen.  Ferner  habe  ich  an  den  den  Nerven  seitlich  an- 
gelagerten, multipolaren  Ganglienzellen  (S.  132)  einmal  einwandfrei  eine 
Anastomose  feststellen  können;  aber  es  handelte  sich  auch  hier,  wie 
Fig.  5  auf  Taf.  VII  zeigt,  nicht  um  eine  breite  Protoplasmabrücke, 
sondern  um  eine  äußerst  feine  Verbindung  zwischen  zwei  Ganglien- 
zellen. Während  bei  Bethe  die  von  den  Ganglienzellen  des  Netzes 
ausgehenden  Fasern  je  einem  Ganglienzellfortsatz  entsprechen,  findet 
man  bei  Phyllirhoe,  daß  die  von  den  Teilungswinkeln  des  Grundplexus 
ausgehenden  Nervenstämme,  vorausgesetzt,  daß  eine  oder  mehrere 
Ganglienzellen  an  diesen  Punkten  eingelagert  waren,  außer  den  Fort- 
sätzen dieser  Zellen  auch  noch  Fibrillen  enthalten,  welche  aus  benach- 
barten Nerven  kommen  und  an  den  eingelagerten  Zeilen  entlang  ziehen. 
Sehr  lehrreich  ist  für  diese  Ausführungen  die  in  Fig.  8  auf  Taf.  VI  ab- 
gebildete Zelle;  allerdings  handelt  es  sich  hier  um  eine  Ganglienzelle 
aus  dem  sympathischen  Plexus;  jedoch  darf  ich  auf  diese  Zelle  hin- 
weisen, da  die  Knotenpunkte  des  Grundplexus  ganz  dasselbe  Ver- 
halten zeigen. 

Die  Drüsen. 

Von  den  drüsigen  Organen  der  Phyllirhoe  will  ich  zunächst  diejenigen 
erwähnen,  welche  schon  Vissichelli  beschrieben  hat,  nämlich  die 
Lippendrüse,  die  Fußdrüse  und  die  mehrzelligen  Hautdrüsen. 

Die  Lippendrüse. 
Bergh  hat  im  Jahre  1870  nur  mitgeteilt,  daß  die  Lippen  der 
Phyllirhoe  von  Drüsenzelien  umsäumt  werden.  Auch  die  von  Vissi- 
chelli über  diese  Drüsen  gemachten  Angaben  erscheinen  mir  der 
Ergänzung  bedürftig.  Die  Mundöffnung  der  Phyllirhoe  ist  rund  und 
nur  an  der  Oberlippe  ein  wenig  geteilt.  Unter  dem  Epithel,  besonders 
an  den  äußeren  Lippenwinkeln,  liegen  einzellige  Schleimdrüsen  (Taf.  IV, 


154  Ernst  Born, 

Fio'.  6,^).  Die  eigentliche  Lippendrüse  befindet  sich  unter  dem  inneren 
Epithel  der  Unterlippe  dicht  vor  dem  Pharynx.  Sie  setzt  sich  zu- 
sammen aus  mehreren  Zellgruppen,  von  denen  jede  von  einer  gemein- 
samen Membran  umgeben  ist  (Tai.  VIII,  Fig.  5).  Anscheinend  hat 
aber  jede  Zelle  einen  eignen  langen  Ausführungsgang.  Zwischen  den 
Drüsenzellen  lassen  sich  kleinste  Kerne  nachweisen,  die  vielleicht  Stütz- 
zellen angehören;  letztere  sind  bekanntlich  nach  Thiele  (132)  bei  den 
Mollusken  in  allen  vom  Ectoderm  sich  bildenden  Drüsen  vorhanden. 
Das  Plasma  der  Drüsenzellen  ist  vacuolisiert  oder  fein  granuliert. 
Außer  der  Struktur  unterscheidet  sich  die  Lippendrüse  von  den  übrigen 
Munddrüsen  durch  ihr  Verhalten  gewissen  Farblösungen  gegenüber. 
Mit  Pikrokarmin  färbt  sich  die  Lippendrüse  schwach  gelblich,  mit 
Indigokarmin-Mucikarmin  zart  blaugrün  und  bei  Anwendung  der 
Doppelfärbung  mit  DELAFiELDschem  Hämatoxylin  und  Eosin  etwas 
rötlich.  Die  Drüse  hat  also  niemals  die  für  Mucin  charakteristische 
Farbenreaktion  gezeigt,  während  dies  bei  den  oben  erwähnten  Schleim- 
zellen stets  der  Fall  gewesen  ist.  Es  ist  allerdings  nicht  ausgeschlossen, 
daß  die  von  mir  untersuchten  Lippendrüsen  ihren  Inhalt  gerade  aus- 
geschieden oder  erst  unreifes  Secret  enthalten  haben.  Übrigens  hebt 
Thiele  ebenfalls  hervor,  daß  die  Lippendrüse  der  Prosobranchier,  die 
er  für  eine  mucöse  Drüse  ansieht,  häufig  die  für  Mucin  typische  Färbung 
nicht  zeigt. 

Beiläufig  bemerke  ich,  daß  die  beiden  sackförmigen  Speicheldrüsen, 
die  Bergh  ebenfalls  schon  beschrieben  hat,  ein  acidophiles  Secret  liefern. 

Die  Fußdrüse. 
Nachdem  Günther  (44)  darauf  aufmerksam  gemacht  hatte,  daß 
der  hinter  dem  Kopf  gelegene,  eingeschnürte  Körperteil  der  Phyllirhoe 
mit  besonders  entwickelten  Drüsenzellen  ausgestattet  ist,  untersuchte 
ich  diese  Stelle  auf  Schnitten  näher.  Da  nun  aber  inzwischen 
VissiCHELLi  diesen  Drüsenstreifen  eingehend  beschrieben  und  auch 
schon  als  Fußdrüse  richtig  gedeutet  hat,  kann  ich  mich  auf  wenige 
Bemerkungen  beschränken.  Die  von  Vissichelli  als  »tegumento  del 
piede«  bezeichneten  Epithelzellen  tragen  ein  Büschel  feiner  Flimmei- 
haare,  während  die  den  Boden  der  Drüse  bedeckenden,  sehr  kleinen 
Epithelzellen  einen  Bürstenbesatz  haben,  der  einer  kräftigen,  sich 
mit  Eosin  und  Pikrinsäure  lebhaft  färbenden  Cuticula  aufsitzt.  Für 
das  Studium  der  zwischen  diesen  Zellen  mündenden  Drüsenzellen  sind 
Längsschnitte  am  geeignetsten;  man  findet  dann  in  mit  Chromsäure 
fixierten  und  mit  Hämalaun-Eosin   gefärbten  Präparaten  neben   fein 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  I?hyllirlioe  bucepliala.  155 

granulierten,  ungefärbten  Zellen  solche,  deren  Inhalt  homogen  und 
blau  tingiert  ist;  an  diese  Zellen  habe  ich  häufig  sehr  dünne  Nerven- 
f äserchen  herantreten  sehen.  Erwähnen  will  ich  noch,-  daß  Elise 
Hanel  (49)  bei  der  der  Phyllirhoe  hucephala  verwandten  Cephalofnige 
trenmtoides  (Chun)  schon  eine  Fußdrüse  beschrieben  hat.  Desgleichen 
sieht  E.  Andre  (3)  bei  dem  schon  oben  (S.  145)  erwähnten  neuen  Genus 
der  Phyllirhoiden,  CtiJopsis  Picteti,  einen  am  ventralen  Körperrande 
hinter  der  Mundöffnung  gelegenen  Drüsenstreifen  als  das  Rudiment 
einer  Fußdrüse  an. 

Die  mehrzelligen  Hautdrüsen. 
Während  H.  Müllee,  und  C.  Gegenbaur  schon  1854  die  drüsige 
Natur  dieser  Hautorgane  erkannt  haben,  hat  sie  in  neuerer  Zeit  Gün- 
ther (59)  als  die  befruchteten  und  schon  in  der  Teilung  begriffenen  Eier 
der  Menestra  gedeutet.  Hinsichtlich  der  Funktion  dieser  Drüsen  kann 
ich  VissiCHELLi,  der  sie  für  Schleimdrüsen  ansieht,  nicht  beipflichten. 
Auffallend  ist  allerdings,  daß  diese  Drüsen  sich  intensiv  mit  Böhmers 
und  Delafields  Hämatoxvlin  färben.  Behandelt  man  losgelöste 
Hautteile  mit  Hämalaun-Indigokarmin-Mucikarmin,  so  beobachtet  man 
2war  oft  einen  rotgefärbten,  also  Schleim  enthaltenden  Zellleib;  bei 
eingehenderer  Beobachtung  findet  man  jedoch,  daß  dieser  Zellleib  einer 
selbständigen  mucösen  Drüsenzelle  angehört,  und  daß  diese  Hautorgane 
vielmehr  scharf  konturierte,  grünlich  gefärbte  Körner  ausscheiden;  sie 
sind  daher  nicht  als  Schleim-,  sondern  als  Eiweißdrüsen  zu  deuten. 
Noch  schärfer  tritt  die  seröse  Natur  des  Secrets  hervor,  wenn  man 
Querschnitte  durch  diese  Körperpartien  anfertigt  und  sie  mit  Häma- 
laun-Eosin  färbt  (Taf.  VIH,  Fig.  6  b).  Diese  Drüsenzellen,  von  denen 
jede  ihren  eignen  Ausführungsgang  hat,  zeigen  nicht  alle  immer  dieselbe 
Struktur.  Neben  kleineren,  mit  den  eosinophilen  Körnern  beladenen 
Zellen,  finden  sich,  etwas  tiefer  gelegen,  größere  biasenförmig  aufge- 
triebene Zellen  mit  einem  sehr  großen,  chromatinreichen,  meist  runden 
Kern,  dessen  Nucleolus  sich  intensiv  mit  Eosin  tingiert.  Um  den  Kern 
findet  sich  eine  mehr  oder  weniger  starke  Protoplasmaschicht,  die  sich 
halbmondförmig  von  dem  oberen  Zellteil  abhebt,  in  welchem  sich  hin 
und  wieder  die  scharf  konturierten  Körner  wahrnehmen  lassen.  Daß 
alle  in  einer  Gruppe  vorhandenen  Zellen  stets  von  einer  gemeinschaft- 
lichen Membran  umgeben  werden,  erscheint  bisweilen  zweifelhaft 
(Fig.  6  a).  Entgegen  der  Annahme  Vissichellis  bemerke  ich,  daß  diese 
Drüsen  mitunter  auch  als  einzeilige  Gebilde  vorkommen  (Fig.  6  c).  Der 
an  die  Hautdrüsen,  und  zwar  immer  an  ihren  oberen  Teil,  herantretende 


156  Ernst  Born, 

Nerv  hat  meist  eine  ganglionäre  iVnschwellung.  Der  Nerv  endet  hier 
nicht,  sondern  innerviert  in  seinem  weiteren  Verlauf  die  verschieden- 
sten Hautdrüsen  und  die  Muskulatur.  Die  mehrzelligen  Hautdrüsen 
entwickeln  sich  anscheinend  vom  Ectoderm;  Stützzellen  (Thiele)  sind 
allerdings  nicht  in  ihnen  vorhanden. 

Im  Anschluß  hieran  möchte  ich  sogleich  Gebilde  erwähnen,  die 
ich  vereinzelt  nahe  dem  Hautrande  und  in  etwas  größerer  Anzahl 
dicht  unter  den  Seitenflächen  der  Flosse  beobachtet  habe.  Diese 
Organe  bestehen  aus  acht  bis  zehn  Zellen  und  sind  in  der  Regel  nur 
0,004  mm  groß.  Der  Inhalt  der  Zellen  ist  teils  gekörnt,  teils  homogen; 
er  tingiert  sich  mit  Hämateinlösung,  aber  auch  oft  mit  Eosin;  bei 
Behandlung  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  färbt  er  sich  teilweise  tief- 
schwarz. Wegen  des  verschiedenartigen  Aussehens  der  Zellen  halte  ich 
diese  Gebilde,  welche  übrigens  mit  feinen  Nervenfädchen  in  Ver- 
bindung stehen,  nicht  für  Sinnesorgane,  sondern  für  Hautdrüsen. 
Paneth  hat  ähnliche  Drüsen  auf  der  Flosse  bei  Cymbulia  und  Tiede- 
mannia  beobachtet  und  in  Fig.  13  und  14  abgebildet.  Die  neueren 
Bearbeiter  der  Pteropoden  und  Heteropoden,  nämlich  Tesch  (131) 
und  Meisenheimer  (87),  erwähnen  diese  Organe  nicht. 

Heath  und  Spaulding  (52)  haben  vom  Flossenrand  der  Corolla 
eigenartige  Bildungen  als  lichtempfindliche  Organe  beschrieben,  die 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  namentlich  mit  den  zuerst  erwähnten  mehr- 
zelligen Hautdrüsen  der  PhyUirhoe  zeigen.  Nach  Meisenheimer  handelt 
es  sich  aber  auch  bei  Corolla  um  drüsige  Elemente. 

Im  folgenden  werde  ich  nun  die  übrigen  Hautdrüsen  der  PhyUirhoe 
anführen,  welche  sämtlich  einzellige  Gebilde  darstellen. 

Die  mucösen  Drüsenzellen, 
Es  ist  bekannt,  daß  die  Nudibranchier  wegen  des  Fehlens  einer 
Schale  reichlich  mit  schleimbildenden  Hautdrüsen  ausgestattet  sind, 
um  durch  das  schlüpfrige  Secret  die  zarten  Körperwandungen  vor 
Beschädigungen  durch  die  im  Wasser  suspendierten  Fremdkörper  zu 
schützen.  Ferner  kommt  der  die  Nudibranchier  umhüllende  Schleim- 
mantel ohne  Zweifel  auch  als  ein  die  Bewegung  förderndes  Agens  in 
Betracht.  »Wie  eine  ölschicht  zwischen  Achse  und  Rad  die  Reibung 
auf  ein  Minimum  reduziert,  so  wirkt  die  Schleimhülle  der  ,  .  .  Organis- 
men ebenfalls  auf  die  Reibung  derselben  mit  dem  berührten  Medium.« 
(Schröder,  117.)  Während  mm  nach  Hecht  (53,  S.  596)  bei  den 
übrigen  Nudibranchiern  die  Schleimzellen  im  Epithel  gelagert  sind, 
stellen  sich  die  mucösen  Drüsenzellen  der  PhyUirhoe,  welche  in  gxoßer 


Beiträge  zur  feineren  Anatuinie  der  riiyllirhoö  bucephala.  157 

Menge  über  den  ganzen  Körper  verbreitet  sind,  als  subepitheliale  Ge- 
bilde dar.  Ihre  Form  ist  sehr  verschieden,  meist  mehr  oder  weniger 
eiförmig  (Taf.  VIII,  Fig.  7);  bisweilen  sind  sie  lang  ausgezogen  bis  zu 
einer  Länge  von  0,08  mm;  solche  schmale  Drüsenzellen  sind  manchmal 
fast  rechtwinkelig  gebogen.  Der  Inhalt  dieser  Zellen  läßt  ein  feines 
Netzwerk  erkennen  und  färbt  sich  mit  Hämalaun,  Böhmers  und  Dela- 
FiELDs  Hämatoxylin  und  basischen  Anilinen;  es  handelt  sich  also  um 
Schleimdiüsen.  Sehr  gute  Resultate  erhielt  ich  mit  Mucikarmin; 
während  die  zuerst  genannten  Farblösungen,  ausgenommen  Dela- 
FiELDs  Hämatoxylin,  stets  die  ganze  Zelle  färben,  tingiert  sich  bei 
der  Behandlung  mit  Mucikarmin  nur  das  schon  in  reifes  Secret  ver- 
wandelte Zellplasma,  während  die  mucinbildende  Substanz  farblos 
bleibt.  Bei  allen  Methoden  aber  fäibt  sich  das  von  List  (82,  S.  499) 
als  Filarmasse  bezeichnete  Netzwerk  bedeutend  kräftiger  als  die  in 
den  Maschen  des  Netzes  befindliche  homogene  Interfilarmasse.  Die 
*  Öffnung  der  Drüsenzellen,  die  stets  verhältnismäßig  groß  ist,  liegt 
nicht  immer  an  der  Zellspitze;  vielmehr  teilt  sich  bisweilen  der  distale 
Zellteil,  und  während  von  den  dadurch  entstandenen  beiden  Zipfeln 
der  eine  blind  endet,  kommuniziert  der  andre  mit  der  Hautoberfläche 
(vgl.  Fig,  8).  Ich  hebe  besonders  hervor,  daß  es  sich  bei  dieser  Zeich- 
nung nicht  etwa  um  zwei  aneinander  gelagerte  Drüsenzellen  handelt. 
Die  Schleimdrüsen  der  Fhyllirhoe  sind  zwar  oft  in  eigenartiger  Weise 
gruppiert;  jedoch  stellt  Fig.  8  eine  einzelne  Drüsenzelle  dar;  ich  habe 
übrigens  derartig  gestaltete  Zellen  mehrmals  beobachtet  und  mich  nie 
von  der  Existenz  eines  zweiten  Zellkernes  überzeugen  können.  Über 
der  Drüsenöffnung  befindet  sich  häufig  zu  einem  Ballen  oder  zu  einer 
langen  Strähne  geformtes  Secret:  auch  das  ausgetretene  Secret  ist 
nicht  völlig  homogen,  sondern  zeigt  meist  ebenfalls  ein  feines  Maschen- 
netz. In  den  mucösen  Drüsenzellen  liegt  der  Kern  stets  an  der  Basis; 
häufig  ist  er  von  einer  minimalen  Menge  homogenen  Protoplasmas 
umgeben,  das  sich  vom  übrigen  Zellinhalt  halbmondförmig  abhebt  imd 
sich  mit  Eosin  färbt.  Von  allgemeinem  Interesse  sind  nun  diese  Drüsen- 
zellen wegen  ihres  Zusammenhanges  mit  Nerven.  Obwohl  eine  Ab- 
hängigkeit des  secretorischen  Vorganges  von  einer  Nervenerregung 
allgemein  angenommen  wird,  liegen  über  die  Endigungsweise  secreto- 
rischer  Nerven  nur  wenige  Mitteilungen  vor,  die  noch  dazu  nicht  all- 
gemein acceptiert  worden  sind.  Engelmann  (30)  sieht  die  von  Ley- 
DiG  (76  und  80),  PflIjoer  (99)  und  Chun  (22)  beschriebenen  Drüsen- 
nerven für  Bindegewebsfasern  an  und  hält  die  Speicheldrüsen  der 
Hummeln  (Bonibics)  für  »ein  ausgezeichnetes  Objekt,  um  die  auf  diesem 


158  Ernst  Born, 

Gebiet  der  mikroskopischen  Anatomie  bestehenden  Differenzen  zu 
lösen«.  Nach  Leydig  (78,  S.  130)  dagegen  handelt  es  sich  gerade  in 
diesem  Falle  nicht  um  Nerven,  sondern  um  Bindegewebsfasern.  Später 
hat  noch  Smirxow  (123)  vom  Eegenwurm  und  Smidt  (122)  von  Helix 
einen  Kontakt  der  Nervenfibrillen  mit  Drüsenzellen  beschrieben.  Ein 
Musterobjekt  für  den  Nachweis  secretorischer  Nerven  ist  Phyllirhoe. 
Die  Innervation  geschieht  in  verschiedener  Weise.  Häufig  sitzen  die 
Schleimzellen  mit  ihrer  Basis  stärkeren  Fibrillenbündeln  wie  die  Beeren 
einer  Traube  auf  (Fig.  7).  Es  kann  aber  auch  der  obere  Zellteil  mit 
den  Nerven  in  Verbindung  stehen,  odei  das  Fibrillenbündel  zieht  über 
die  Drüsenzelle  hinweg,  wobei  mitunter  die  von  der  Innervierung  der 
Muskulatur  (S.  148)  her  bekannten  Körnchenreihen  abtreten,  welche 
die  Zellbasis  anscheinend  korbartig  umflechten.  Bemerkensv^^ert  ist, 
daß  die  Nerven  dicht  an  der  Drüsenzelle  oft  eine  auffallend  starke 
ganglionäre  Anschwellung  zeigen.  Ich  habe  an  den  mucösen  Drüsen- 
zellen nie  eine  Nervenendigung  feststellen  können;  vielmehr  versorgen, 
wie  schon  aus  den  auf  S.  145  und  S.  156  gemachten  Angaben  hervorgeht, 
die  an  die  Hautdrüsen  der  Phyllirhoe  herantretenden  Nerven  auch  die 
Muskulatur.  Daß  selbst  in  den  feinsten  Nerven  noch  motorische  und 
secretorische  Fasern  miteinander  vermischt  sind,  zeigt  in  instruktiver 
Weise  Fig.  1  auf  Taf.  VII. 

Die  serösen  Drüseuzellen. 
Außer  den  auf  S.  155  erwähnten  mehrzelligen  Eiweißdrüsen  finden 
sich  bei  Phyllirhoe  unter  der  Haut  des  ganzen  Körpers,  besonders  zahl- 
reich am  ventralen  und  dorsalen  Rande,  einzellige  Gebilde,  welche 
ebenfalls  ein  acidophiles  Secret  liefern.  Diese  serösen  Drüsenzellen 
sind  von  runder,  ovaler  oder  bohnenförmiger  Gestalt  (Taf.  VIII,  Fig.  9 
u.  10).  Ihre  Größe  wechselt  sehr;  die  größten  von  ihnen  erreichen  einen 
Umfang  von  0,05  mm.  In  mit  FLEMMiNGscher  Flüssigkeit  gehärteten 
Objekten  füllt  ein  feinkörniger  Inhalt  diese  Zellen  völlig  aus  (Fig.  9), 
während  bei  andern  Konservierungsmethoden  sich  das  Zellplasma  all- 
seitig von  der  Membran  abhebt  und  zu  einem  Ballen  koaguliert.  An 
diesen  Drüsenzellen  kann  man  sehr  gut  die  einzelnen  Secretionsphasen 
verfolgen.  Das  Zellplasma  erleidet  bis  zu  seiner  Ausstoßung  morpho- 
logische und  chemische  Veränderungen,  von  denen  sich  die  letzteren 
durch  ihr  Verhalten  gegen  Färbungsmittel  charakterisieren.  Färbt 
man  mit  Hämatoxylin-Eosin,  so  findet  man  neben  gleichmäßig  rot 
gefärbten  Zellen  solche,  bei  denen  das  Plasma  über  dem  meist  basal 
gelegenen  Kern  noch  eine  granulierte  Beschaffenheit  und  blaue  Färbung 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoö  bucephala.  159 

zeigt,  während  es  nach  der  stets  kleinen  Zellöffnun";  zu  allmählich 
homogener  wird  und  sich  in  demselben  Maße  mit  Eosin  stärker 
färbt.  Es  secernieren  diese  Zellen  häufig  schon  flammendrote  Tropfen, 
obwohl  sich  in  der  Zelle  noch  unreifes  Secret  befindet  (Fig.  10).  Das 
Secret  färbt  sich  außerdem  mit  Eisenhämatoxylin  schwarz  und  mit 
Methylgrün  metachromatisch,  nämlich'  lila;  die  Metachromasie  beim 
Methylgrün  führt  P.  Mayer  (86)  auf  eine  Verunreinigung  des  Farb- 
stoffes mit  Methylviolett  zurück.  Auch  diese  Drüsen  stehen  stets  mit 
Nerven  in  Verbindung.  Panceri  (95)  hat  übrigens  diese  serösen  Drüsen- 
zellen der  Phyllirhoe  als  leuchtende  periphere  Ganglienzellen  gedeutet. 
Die  Art  des  Vorkommens  und  der  Verteilung  der  Eiweißdrüsen  läßt 
nach  Rawitz  (106,  S.  453)  die  Vermutung  als  berechtigt  erscheinen, 
daß  sie  bei  vielen  Tieren  Giftdrüsen  darstellen.  Dieselbe  Ansicht  be- 
kundet K.  C.  Schneider  auf  S.  32  seines  Lehrbuchs  der  vergleichenden 
Histologie.  Hecht  dagegen  glaubt,  daß  bei  den  Nudibranchiern 
die  Schleimzellen  ein  giftiges  Secret  liefern,  da  letzteres  dieselben 
färberischen  Eigenschaften  zeigt  wie  der  Inhalt  der  Nesselzellen.  Daß 
die  Nudibranchier  solche  giftige  Secrete  ausscheiden,  lehrt  die  Be- 
obachtung CuENOTs.  In  einem  Aquarium  befanden  sich  einige  Exem- 
plare von  Aeolis  und  Tritonia,  welche,  sobald  sie  gereizt  wurden,  von 
einer  dicken  Schleimschicht  umhüllt  wurden;  kurze  Zeit  nach  der  Ab- 
sonderung des  Schleimes  gingen  andre  in  demselben  Aquarium  be- 
findliche Tiere  zugrunde  (zit.  nach  v.  Fürth,  35,  S.  317). 

Die  MüLLERSchen  Zellen. 
Im  Jahre  1872  hat  Panceri  beobachtet,  daß  die  Phyllirhoe  die 
Eigenschaft  besitzt,  im  Dunkeln  zu  leuchten.  Und  zwar  sollen  nach 
ihm  an  der  Lichtentwicklung  vor  allem  die  rundlichen,  scharf  kon- 
turierten  Zellen  beteiligt  sein,  die  er  nach  ihrem  Entdecker  als  Müller- 
sche  Zellen  bezeichnet  und  als  peripherische  Ganglienzellen  deutet. 
Schon  Vogt  und  Yung  (138)  erwähnen  in  ihrem  Lehrbuche  der  ver- 
gleichenden Anatomie  auf  S.  817,  daß  bei  Phyllirhoe  einzellige  Drüsen 
eine  gelbliche,  phosphoreszierende  Flüssigkeit  absondern.  Bald  darauf 
hat  auch  Claus  (23)  angegeben,  daß  es  sich  bei  den  von  Panceri  be- 
schriebenen Zellen,  welche  der  Sitz  des  Leuchtvermögens  sein  sollen, 
nicht  um  peripherische  Ganglienzellen,  sondern  um  Drüsenzellen  handelt. 
Nähere  Anoaben  über  den  feineren  Bau  dieser  Drüsenzellen  machen 
jedoch  die  genannten  Autoren  nicht.  Die  MüLLERschen  Zellen,  von 
denen  die  größten  0,04  mm  messen,  werden  in  Flemming- Präparaten 
von  einem  hellen,  oft  etwas  unregelmäßig  konturierten  Saume  umgeben. 


100  Ernst  Born, 

Letzterem  liegt  häufig  eins  der  bekannten  Bindegewebskörperchen  an. 
Nacli  Panceri  und  Bergh  (7,  S.  216)  ist  die  Membran  der  MüLLERschen 
Zellen  doppelt;  doch  ich  habe  mich  davon  überzeugt,  daß  die  innere 
Schicht,  welche  oft  aus  rundlichen  Ballen  besteht,  aber  nicht  querge- 
streift ist,  wie  Bergh  beschreibt,  nicht  eine  besondere  Zellmembran,  son- 
dern das  ursprüngliche  Zellplasma  darstellt  (Taf.  VII,  Fig.  1  bei  Mü). 
Auf  Querschnitten  erkennt  man,  daß  der  fast  kugelige  Zellleib  nur  einen 
sehr  kurzen  Ausführungsgang  besitzt  (Taf.  VIII,  Fig.  11).  Die  übrigen 
Details  sind  am  besten  an  mit  Chromsäure  gehärteten  Totoexemplaren  zu 
erkennen.  Man  findet  dann  in  den  MüLLERschen  Zellen  einen  farblosen 
Secretballen,  der  meist  kugelig,  bisweilen  aber  auch  unregelmäßig  gestaltet 
ist;  häufig  ist  er  scharf  konturiert;  eine  besondere  Membran  habe  ich 
aber  entgegen  der  Behauptung  Panceris  an  diesem  Ballen  nicht  nach- 
weisen können.  Auf  dem  Zellboden  ruht  der  große,  ovale  chromatin- 
arme  Kern  mit  mehreren  acidophilen  Nucleolen.  Der  Kern  ist  von 
einer  kleinen  Menge  wabig  geformten  Protoplasmas  umgeben.  An  die 
MüLLERschen  Zellen,  und  zwar  an  ihren  oberen  Teil,  tritt  stets  ein  Nerv, 
der  häufig  eine  ringförmige  Schleife  um  die  Zelle  bildet.  Die  Behauptung 
Panceris,  daß  der  Nerv  immer  an  der  Zelle  endet,  trifft  nicht  zu.  Ich 
habe  nur  in  wenigen  Fällen  den  Nerven  nicht  weiter  verfolgen  können; 
sonst  aber  läßt  sich  einwandfrei  feststellen,  daß  der  Nerv  weiter  läuft, 
und  zwar  zu  den  verschiedensten  Elementen  der  Haut.  Diese  Drüsen- 
zellen liefern  ein  fettiges  Secret,  denn  ihr  Inhalt  wird  bei  der  Fixierung 
mit  FLEMMiNGscher  Flüssigkeit  schwarz  gefärbt.  Nach  Panceri  und 
Leydig  (77,  S.  88)  sind  an  der  Phosphorescenz  der  Tiere  vor  allem 
Fettkörper  beteiligt.  Eadziszewski  (1880)  weist  darauf  hin,  daß  zu 
den  Stoffen,  die  bei  ihrer  Oxydation  Luminescenz  erzeugen,  Fette, 
ätherische  öle,  Lecithin,  Cholesterin  u.  dgl.  gehören.  Pütter  (102) 
hält  es  aber  für  angebracht,  sich  über  die  chemische  Natur  des  Leucht- 
stoffes keine  spezielle  Vorstellung  zu  machen.  Er  spricht  nur  allge- 
mein von  »leuchtendem  Schleim«.  In  der  Literatur  finde  ich  aber  nur 
zwei  Arbeiten,  bei  denen  auf  Grund  der  angewandten  Färbemethoden, 
nämlich  Delafields  Hämatoxylin  bzw.  Mucikarmin,  angenommen 
werden  kann,  daß  bei  den  betreffenden  leuchtenden  Tieren  an  der 
Luminescenz  ein  schleimiges  Secret  beteiligt  ist,  und  zwar  die  Angaben 
von  E AWITZ  (107)  über  die  Leuchtorgane  von  Pliolas  dactylus  mid 
die  Mitteilungen  von  Irene  Sterzinger  (128)  Ȇber  das  Leucht- 
vermögen von  Arnfhiura  squamata«.  Nach  den  Beobachtungen  Pan- 
ceris und  Eimers  (29)  besitzen  auch  die  Tentakel  der  PhylUrhoe,  denen 
die  MüLLERschen  Zellen  fehlen,  Leuchtkraft;  es  müssen  demnach  außer 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  161 

den  MüLLERschen  Zellen  noch  andre  Elemente  an  der  Lichtentwicklung 
beteiligt  sein.  Vielleicht  können  die  in  den  Fühlern  sich  in  reich- 
licher Menge  findenden  serösen  Drüsenzellen  leuchten.  Leuchtorgane, 
die  ein  acidophiles  Secret  liefern,  hat  z.  B.  Johann  (60)  bei  Spinax 
niger  gefunden.  Die  Angaben  Panceris,  daß  außerdem  noch  die  gan- 
glionären  Anschwellungen  der  Tentakelnerven,  die  Fühlerganglien  und 
selbst  die  Schlundganglien,  Licht  erzeugen,  lassen  eine  Nachprüfung 
als  erforderlich  erscheinen. 

Die  Randzellen. 
Der  Körperrand  der  PliijUirhoe  ist  umsäumt  von  cylindrischen 
Zellen,  die  von  verschiedener  Größe  sind.  Sie  liegen  an  den  mittleren 
Randpartien  in  mehreren  Schichten  übereinander,  wobei  sie  sich  meist 
dachziegelartig  decken;  bisweilen  sind  sie  aber  auch  unregelmäßig 
gruppiert.  In  dem  Photogramm  4  auf  Taf.  TV  tritt  dieser  Drüsen- 
streifen leider  nicht  scharf  genug  hervor.  Der  rundliche  Kern  liegt 
stets  an  der  Zellbasis;  er  ist  meist  von  einer  geringen  Menge  vacuoli- 
sierten  Protoplasmas  umgeben.  Der  übrige  Zellleib  erscheint  völlig 
homogen  und  läßt  oft  nur  feine  Längsstreifen  erkennen,  die  wohl  auf 
Falten  in  der  Zellmembran  zurückzuführen  sind.  Der  kurze,  sich  häufig 
vom  Zellleib  scharf  abhebende  Ausführungsgang  mündet  in  mehr  oder 
weniger  großer  Entfernung  vom  Körperrande.  Über  die  Funktion  der 
Randzellen  kann  ich  nichts  Bestimmtes  aussagen.  Nach  H.  Müller  und 
Gegenbaur  sollen  sie  ein  in  Tropfen  austretendes  Secret  liefern;  es 
beruht  aber  vielleicht  die  Beobachtung  auf  einer  Verwechslung  mit  den 
serösen  Drüsenzellen.  H.  MIjller  und  Panceri  vergleichen  diese  cylin- 
drischen Zellen  mit  dem  Drüsenstreifen  am  Rande  der  Flügel  von 
Cymhulia,  welchen  Paneth  als  ein  Schwell-  und  Stützorgan  ansieht. 

Die  Blasenzellen, 
Man  findet  häufig  dicht  unter  der  Haut  anscheinend  runde,  in 
Wirklichkeit  aber  eiförmige  Zellen,  welche  einen  Durchmesser  von 
0,035  mm  erreichen  können;  sie  haben  einen  kleinen  Kern,  der  oft 
der  sehr  dünnen  Zellmembran  dicht  anliegt  (Taf.  VIII,  Fig.  13).  Viel- 
leicht sind  diese  Zellen  identisch  mit  den  von  einzelnen  Autoren'als 
Flemmings  Schleimzellen  und  LANGERsche  Blasenzellen  bezeichneten 
Gebilden.  Bei  Phyllirhoe  enthalten  diese  Zellen  bisweilen  ein  feines, 
weitmaschiges  Netzwerk,  das  mit  sehr  kleinen  acidophilen  Körnchen 
besetzt  ist.  Solche  Zellen  haben  dann  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den 
von  List  bei  den  Mytiliden  beobachteten  und  von  ihm  als  LANGERsche 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  H 


162  Ernst  Born, 

Blasenzellen  bezeichneten  Gebilden.  Während  nun  aber  diese  Zellen 
von  allen  Autoren  als  völlig  geschlossene  Elemente  beschrieben  werden, 
stehen  sie  bei  Phyllirhoe  mittels  einer  sehr  kleinen  Öffnung  mit  der  Haut- 
oberfläche in  Verbindung.  Ich  vermute,  daß  bei  Phyllirhoe  sich  diese 
Gebilde  aus  sehr  kleinen  Zellen  entwickeln,  welche  in  den  tieferen  Schich- 
ten der  Leibessubstanz  liegen  und  noch  keine  Öffnung  haben,  sonst  aber 
das  gleiche  Aussehen  wie  die  eben  beschriebenen  Elemente  zeigen. 

Die  physiologische  Bedeutung  der  Blasenzellen  und  der  in  dem 
folgenden  Kapitel  noch  zu  beschreibenden  Sternzellen  ist  mir  völlig 
unklar. 

Die  Sternzellen. 
Diese  Bezeichnung  habe  ich  sehr  seltsamen,  nur  0,005 — 0,015  mm 
großen  Gebilden  gegeben,  die  sich  dicht  unter  der  Basalmembran 
häufiger  finden  (Taf .  VIII,  Fig.  12);  von  dem  runden  oder  oval  ge- 
stalteten Zellleib  gehen  einzelne  feine,  sehr  lange  Fortsätze  aus,  die 
oft  nahe  ihrem  Ursprung  Varicositäten  zeigen.  Die  Pseudopodien 
teilen  sich  manchmal  dichotomisch,  werden  in  ihrem  Verlaufe  immer 
feiner  und  entziehen  sich  so  der  weiteren  Beobachtung.  Sehr  häufig 
sieht  man,  daß  die  Zellen  mittels  eines  dünnen  Stranges  mit  der  liaut- 
oberf lache  in  Verbindung  stehen.  Findet  sich  dieser  Strang  nicht  vor, 
so  macht  sich  doch  bei  hoher  Einstellung  in  der  über  der  Zelle  liegenden 
Haut  eine  kleine  Öffnung  bemerkbar,  aus  welcher  hin  und  wieder  ein 
kleiner  Tropfen  hervorquoll  von  derselben  Beschaffenheit  wie  die  im 
Zellleib  eingeschlossene  Materie.  Bei  mit  FLEMMiNGscher  Flüssigkeit 
fixierten  Präparaten  ist  das  Plasma  der  kleinen  Zellen  braun  und  zeigt 
eine  homogene  Beschaffenheit;  die  größeren  Zellen  dagegen  sind  bei 
dieser  Fixationsmethode  von  hellem,  feingekörntem  Plasma  völlig  an- 
gefüllt. Bei  mit  Chromsäure  gehärteten  Objekten  bildet  den  Inhalt 
dieser  Zellen  ein  homogener  Ballen,  der  sich  mit  sauren  Anilinen  stark 
färbt.  Der  Zellkern  befindet  sich  meist  an  der  Abgangsstelle  des  feinen, 
an  die  Haut  gehenden  Ausführungs ganges.  Diese  Zellen  nun  haben 
eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den  von  Leuckart  (1854),  Edinger 
(1877),  Paneth  (1885)  und  List  (1902)  von  verschiedenen  Mollusken 
beschriebenen  und  oft  als  multipolare  Ganglienzellen  gedeuteten  Ge- 
bilden. Auch  ich  habe  diese  Zellen  bei  Phyllirhoe  zuerst  für  Ganglien- 
zellen gehalten,  zumal  da  sie  fast  immer  mit  Nervenfasern  verbunden 
waren.  Und  zwar  geht  der  Nerv  entweder  an  den  Zellkörper,  wie  es 
in  Fig.  12  der  Fall  ist,  oder  ein  sehr  dünnes  Nervenfädchen  lehnt  sich 
auf  eine  o;rößere  Strecke  einem  Ausläufer  der  Sternzelle  an.    Wie  schon 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  163 

erwähnt,  besitzen  diese  Fortsätze  oft  varicöse  Anschwellungen;  solche 
Varicositäten  werden  nun  vielfach  —  vgl.  Hertwig,  Lehrbuch  der 
Zoologie,  8.  Aufl.,  S.  80  —  als  ein  Unterscheidungsmerkmal  der  Nerven 
von  den  Bindegewebsfasern  angeführt.  Es  trifft  aber  dieses  Charakte- 
ristikum anscheinend  nicht  immer  zu,  denn  z.  B.  bei  den  Mytiliden  hat 
List  an  den  langen  Protoplasmafortsätzen  der  Sternzellen  ebenfalls 
knotige  Verdickungen  beobachtet,  und  er  hält  trotzdem  diese  Gebilde 
nicht  für  Ganglienzellen  sondern  nur  für  einfache  Bindegewebszellen. 
Auch  ich  betone  nochmals,  daß  diese  interessanten  Gebilde  bei  Ph/Uirhoe 
ohne   Zweifel   secretorische   Elemente   darstellen. 

Das  Circulationssystem. 

Das  Herz  der  Phyllirhoe  ist  von  H.  Müller,  Geüenbaur  und 
Leuckart  eingehend  beschrieben  worden;  ihre  Beobachtungen  haben 
dadurch  besonderen  Wert,  weil  sie  an  lebenden  Tieren  gemacht  sind. 
Dank  der  Vervollkommnung  unsrer  optischen  Hilfsmittel  habe  ich 
an  fixiertem  Material  noch  einige  histologische  Details  beobachtet,  die 
ein  allgemeines  Interesse  beanspruchen  dürften.  Das  Herz  der  Phylli- 
rhoe liegt  bekanntlich  in  der  Medianebene  des  Körpers  zwischen  den 
Wurzeln  der  beiden  oberen  Leberschläuche.  Es  besteht  aus  einem 
birnenförmigen,  kräftig  muskulösen  Ventrikel  und  einem  darüber  ge- 
legenen, dünnwandigen  Vorhof.  Die  Muskelfasern  des  Ventrikels  ziehen 
von  einem  den  Ursprung  der  Aorta  einschließenden,  kräftigen  Sphincter 
nach  oben.  In  den  beiden  oberen  Winkeln  der  Kammer  laufen  die 
Fasern  jederseits  zusammen  und  sind  hier  wiederum  durch  einen,  aber 
bedeutend  schwächeren  Muskelring  verbunden;  letzterer  bildet  also 
die  Atrioventriculargrenze.  Nach  Knoll  (64)  ist  die  Herzmuskulatur 
der  Gastropoden  im  Gegensatz  zu  dem  größten  Teil  der  Körpermuskeln 
reich  an  Protoplasma  und  arm  an  contractiler  Substanz.  Diese  Angabe 
bestätigt  sich  auch  bei  Phyllirhoe  an  den  bandartigen  Ventrikelfasern ;  an 
ihnen  ist  die  contractile  Rindensubstanz  nur  als  ein  äußerst  feiner,  licht- 
brechender Streifen  bemerkbar;  außerdem  durchziehen  nur  noch  einige 
sehr  dünne  Myofibrillen  die  körnige  Marksubstanz  der  relativ  breiten 
Fasern  (Taf.  VIII,  Fig.  2  a).  Der  runde  oder  längsovale  Kern  liegt  in 
der  Mitte  der  Faserzelle;  bisweilen  aber  ragt  er  auch  von  Protoplasma 
umgeben  bruchsackartig  hervor.  Die  Muskelfasern  des  Vorhofs  da- 
gegen sind  rund,  sehr  schmal  und  zeigen  deutlich  eine  fibrilläre  Struktur; 
körniges  Protoplasma  findet  sich  nur  in  Spuren  um  den  Kern.  Die 
wenigen  im  Vorhof  sichtbaren  Muskelfasern  ziehen  von  der  Atrioven- 
tricularo-renze  in  mehr  oder  weniger  geschlängeltem  Verlauf  nach  oben 

11* 


164  Ernst  Born, 

und  lösen  sich  in  feine  Fibrillen  auf.  die  in  die  Körperhaut  übergehen. 
Während  die  Fasern  des  Vorhofes  nur  wenige  Verbindungen  unterein- 
ander eingehen,  bildet  die  Ventrikelmuskulatur  zahlreiche  Anastomosen ; 
die  einzelnen  Äste  legen  sich  dabei  nicht  etwa  nur  aneinander,  sondern 
sie  gehen  vielmehr  substantiell  ineinander  über,  so  daß  es  nicht  mög- 
lich ist,  die  Grenzen  der  einzelnen  Faserzellen  zu  unterscheiden.  Diese 
Anordnung  hat  eine  gewisse  Bedeutung  für  die  sj^äter  noch  zu  er- 
örternde Theorie  der  muskulären  Erregungsleitung  im  Herzen.  An  der 
Herzmuskulatur  der  Mollusken  ist  mehrmals,  so  auch  neuerdings  von 
Spillmann  (126),  eine  Querstreifung  beobachtet  worden.  Auch  bei 
Phyllirhoe  lassen  die  Ventrikelfasern  häufig  eine  feine,  auffallend  regel- 
mäßige Querstreifung  erkennen;  doch  bei  genauerem  Zusehen  findet 
man,  daß  diese  nicht  durch  eine  entsprechende  Anordnung  der 
contractilen  Substanz,  sondern  durch  eine  Fältelung  der  die  Muskel- 
zelle umhüllenden  strukturlosen  Schicht  bedingt  wird  (Fig.  2  6). 
Diese  Schicht  erscheint  in  der  Regel  als  ein  feiner,  homogener 
Saum;  jedenfalls  infolge  der  Kontraktion  der  Faserzelle  zeigt  er  die 
öfter  an  ihm  beobachtete  Querstreifung.  Entscheiden  kann  ich  aber 
nicht,  ob  diese  Schicht  eine  besondere,  die  Faserzelle  einschließende 
Hüllmembran  vorstellt  oder  noch  zur  Muskelzelle  selbst  gehört.  Bis- 
weilen wölbt  sich  dieser  Saum  stärker  hervor  und  zeigt  dann  eine 
feinkörnige  Struktur;  irgendwelche  kernartigen  Gebilde  habe  ich  aber 
in  dieser  Schicht  nie  angetroffen.  Das  Vorkommen  einer  besonderen 
Hüllmembran  wäre  deshalb  von  Interesse,  weil  vielfach  (121  u.  57) 
behauptet  wird,  daß  bei  den  Gastropoden  das  Blut  direkt  die  Muskel- 
fasern im  Herzen  bespüle.  Spillmann  aber  weist  diese  Behauptung 
entschieden  zurück;  er  hat  bei  Haliotis  beobachtet,  daß  die  Herz- 
muskelfasern von  Bindegewebe  umhüllt  sind.  Auf  einen  Irrtum,  der 
Spillmann  bei  dieser  Beschreibung  untergelaufen  ist,  möchte  ich,  da 
er  leicht  zu  Mißverständnissen  führen  kann,  aufmerksam  machen; 
Spillmann  spricht  vielfach  von  »Myolemmkernen « ;  Myolemm  ist  nun 
das  Synonym  für  die  gebräuchlichere  Bezeichnung  Sarcolemm,  wor- 
unter man  bekanntlich  das  die  Muskelfaser  umschließende  strukturlose 
Häutchen  versteht.  Spillmann  aber  meint,  wie  aus  seinen  ganzen 
Ausführungen  und  aus  seiner  Fig.  27  hervorgeht,  mit  der  Benennung 
» Myolemmkern «  den  Kern  der  Muskelfaserzelle  selbst  und  nicht  die 
Kerne  des  Bindegewebes. 

Das  Herz  der  Phyllirhoe  ist  von  einem  dünnhäutigen  Pericard 
umgeben.  Nach  Heschelee  (57,  S.  342)  soll  bei  Phyllirhoe  der  Vorhof 
nicht  mehr  im  Herzbeutel  liegen.    Diese  Angabe  trifft  nicht  vollständig 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoc  bucephala.  165 

ZU.    Vielmehr  steigt  das  Pericardium  vom  Aortenring  als  äußeres  Blatt 
nach  oben  bis  zur  halben  Höhe  der  Vorkammer,  schlägt  sich  dann  nach 
innen  um  und  überzieht  nun  als  inneres  Blatt  den  unteren  Teil  der 
Vorkammer  und  die  Kammer.    Im  oberen  Teil  des  Vorhofes  kommuni- 
ziert also  der  Hohlraum  des  Herzens  direkt  mit  der  Leibeshöhle,   Wäh- 
rend nach  Leuckart  in  den  Seitenwänden  der  Kammer  sich  Lücken 
finden,  und  auf  diese  Weise  zwischen  dem  Herzraum  und  dem  Pericar- 
dialsinus  eine  direkte  Kommunikation  besteht,  ist  nach  Müller  und 
Oegenbaur  die  Höhle  des  Herzbeutels  vollkommen  von  dem  Hohl- 
raum des  Herzens  abgeschlossen,  und  es  kommuniziert  vielmehr  der 
venöse  Pericardialsinus  »an  mehreren  Stellen  mit  der  übrigen,  gleich- 
falls vom  venösen  Blute  gefüllten  Leibeshöhle  «.    Einen  solchen  direkten 
Zusammenhang  der  Perica^rdhöhlimg  mit  den  Bluträumen  des  Körpers 
hat  Gegenbaur  auch  für  die  Heteropoden  und  Pteropoden  behauptet; 
Meisenfeimer  (87)  aber  tritt  auf  Grund  seiner  an  den  Pteropoden  der 
Valdivia-Expedition    gemachten    Studien    der    schon    von    Johannes 
Müller,  Ihering  u.  a.  vertretenen  Ansicht  bei,  daß  das  Pericard  nach 
allen  Seiten  hin  gegen  die  Leibeshöhle  geschlossen  ist.    Erwähnen  will 
ich  noch,  daß  Rywosch  (114)  neuerdings  bei  Pterotrachea  eine  Kom- 
munikation zwischen  dem  Herzraum  und  dem  vom  Herzbeutel  gebildeten 
Sack  festgestellt  haben  will.     Ob  bei  PhylUrhoe  die  oben  erwähnten 
Lücken  in  den  Herzwandungen  bzw.  im  Pericard  tatsächlich  vorhanden 
sind,  darüber  können  nur  Beobachtungen  an  lebenden  Tieren  sicheien 
Aufschluß  geben;  ebenso  lassen  sich  die  Angaben  der  früheren  Autoren 
über  den  Klappenapparat  des  Herzens  nur  am  lebenden  Objekt  nach- 
prüfen. 

Der  Herzbeutel  stellt  übrigens  bei  PhylUrhoe  nicht  eine  struktur- 
lose Membran  dar,  welche  sich  nach  Ansicht  Müllers  und  Gegen- 
BAURs  durch  Verdichtung  der  Leibessubstanz  bilden  soll;  vielmehr  habe 
ich  an  dem  Pericardium  in  verschieden  großen  Abständen  voneinander 
kleine  runde  Kerne  beobachtet,  die  von  einer  Spur  feinkörnigen  Proto- 
plasmas umgeben  waren;  sonst  erschien  der  Herzbeutel  aber  völlig 
homogen.  Bei  zwei  der  von  mir  beobachteten  Tiere  machten  sich  auf 
der  Ventrikelwand  dichte  Kernanhäufungen  bemerkbar,  und  ich  glaubte 
zuerst,  eine  Pericardialdrüse  gefunden  zu  haben,  die  ja  nach  Grobben 
(43)  unter  den  Opisthobranchiern  weit  verbreitet  ist.  Doch  bald  fand 
ich,  daß  diese  Kernanhäufung  durch  die  Systole  der  Kammer  bedingt 
war.  Es  hatte  sich  eben  bei  der  Kontraktion  des  Ventrikels  auch  das 
ihm  anliegende  innere  Blatt  des  Pericards  zusammengelegt,  und  da- 
durch waren  die  Kerne  des  Pericardiums  dichter  aneinander  gedrängt 


166  Ernst  Born, 

worden;  was  eben  beim  diastolischen  Herzstillstand,  der  ja  nach  Ry- 
woscH  die  Regel  ist,  nicht  zu  beobachten  ist. 

Die  Innervation   des  Herzens. 

Hinsichtlich  des  Ursprunges  der  Erregungsleitung  im  Herzen  stehen 
sich  bekanntlich  (vgl.  Hermann,  Lehrbuch  der  Physiologie.  1905)  zwei 
Lehren  schroff  gegenüber, 

-  Engelmann  hat  im  Jahre  1875  gezeigt,  daß  an  der  Kammer  eines 
Froschherzens,  welches  in  beliebiger  Weise  in  dünne  Streifen  zer- 
schnitten war,  ein  an  irgend  einer  Stelle  angebrachter  Reiz  alle  Teile 
zur  Kontraktion  bringt,  falls  diese  Streifen,  wenn  auch  nur  durch 
schmale  Substanzbrücken,  miteinander  noch  zusammenhängen.  Auf 
Grund  dieses  Experimentes  haben  viele  Autoren  die  Ansicht  ausge- 
sprochen, daß  der  Herzmuskel,  dessen  Fasern  bekanntlich  netzförmig 
untereinander  zusammenhängen,  die  Erregung  von  Zelle  zu  Zelle  leitet. 
Die  zum  Herzen  tretenden  Nerven  sollen  nur  regulatorisch  auf  Frequenz 
und  Stärke  der  Pulsationen  wirken.  Entgegen  dieser  Annahme  der 
funktionellen  SelbÄtändigkeit  des  Herzens  halten  viele  Autoren  an  der 
älteren  Lehre  von  dem  gangiionären  Ursprung  der  Automatie  des 
Herzens  fest,  nachdem  sich  herausgestellt  hat,  daß  von  zerstückelten 
Froschherzen  nur  solche  Teile  noch  kontraktionsfähig  sind,  welche 
Nervenzellen  enthalten.  Zur  Stütze  der  ENGELMANNschen  Lehre  von 
der  muskulären  Erregungsleitung  im  Herzen  wird  nun  vielfach  neben 
dem  nervenlosen  embryonalen  Herzen  der  Wirbeltiere  das  Herz  der 
Schnecken  angeführt. 

Wie  auch  Rywosch  vor  kurzem  hervorhebt,  ist  es  bis  jetzt  näm- 
lich noch  keinem  Forscher  gelungen,  irgendwelche  Nervenelemente  in 
den  Herzwandungen  der  Schnecken  mit  Sicherheit  nachzuweisen.  Der 
Zoologe  SoMOFF,  der  gleichzeitig  mit  Rywosch  im  zoologischen  Labo- 
ratorium zu  Villefranche  arbeitete,  hat  auch  mit  der  Methylenblau- 
methode keine  Nerven  im  Herzen  der  Pterotrachea  auffinden  können. 

Knoll  (66),  der  sich  in  Neapel  an  Evertebraten  mit  der  Beein- 
flussung der  Herztätigkeit  durch  die  Temperatur  beschäftigt  hat,  hat 
bei  Crustaceen,  Tunicaten  und  Pterotracheen  mit  konstantem  nega- 
tiven Erfolg  nach  nervösen  Elementen  im  Herzen  gesucht.  Er  war 
von  diesem  negativen  Befund  sehr  überrascht,  weil  einige  Beobachtungen 
ihm  den  Gedanken  nahe  gelegt  hatten,  »daß  es  sich  dabei  um  Reflexe 
auf  Herznerven  handelt«. 

Durch  die  Beobachtung  lebender  Pterotracheen  hat  auch  Rywosch 
den   Eindruck  gewonnen,   daß  die  Tätigkeit  des  Herzens  unter  dem 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Pliyllirhoe  bucephala.  167 

Einfluß  des  Nervensystems  steht.  Er  hat  festgestellt,  daß  die  Ex- 
stirpation  des  »  ösophaiiealganglions «  eine  Pnlsverlangsamung  hervor- 
ruft. Rywosch  sieht  daher  in  dem  ösophagealganglion  das  Hemmungs- 
centrum für  das  Herz  der  Pterotrachea.  Die  Funktion  dieses  Ganglions 
würde  also  der  des  Vaguscentrums  bei  den  Wirkeltieren  entsprechen. 

Auch  für  Aplysia  hat  Straub  (130)  durch  das  Experiment  den  Nach- 
weis erbracht,  daß  im  Herzen  dieses  opisthobranchiaten  Gastropoden 
ebenfalls  die  Erregung  fortgepflanzt  wird.  Da  sich  nun  aber  Herznerven 
nicht  finden  ließen,  so  hat  nach  Straub  für  Aplysia  nur  die  myogene 
Theorie  der  Erregungsleitung  Geltung. 

Vor  einiger  Zeit  hat  Spillmann  die  früher  von  Haller  gemachten 
Mitteilungen  über  das  Vorkommen  von  Herznerven  bei  Haliotis,  Turbo, 
Trochus  und  Fissurella  an  Trochiden  nachgeprüft.  Die  von  Haller 
beschriebenen  Ganglienzellen  hat  er  ebenfalls  gefunden.  Obwohl  Spill- 
mann selbst  auf  die  große  Ähnlichkeit  dieser  Gebilde  mit  den  von 
Brock  als  Plasmazellen  bezeichneten  Bindegewebszellen  hinweist,  läßt 
er  doch  noch  die  Frage  offen,  ob  es  sich  bei  diesen  bipolaren  Zellen  um 
Bindegewebs-  oder  Ganglienzellen  handelt.  Wie  ich  nun  aber  im  nächsten 
Kapitel  ausführlicher  erörtern  werde,  sind  von  Hecht  und  Cuenot  die 
Plasmazellen  Brocks  als  excretorische  Elemente  erkannt  worden.  Es  ist 
nicht  ausgeschlossen,  daß  auch  die  von  Haller  und  Spillmann  im  Herzen 
einiger  Prosobranchier  gefundenen  bipolaren  Zellen  an  der  Excretion 
beteiligt  sind,  denn  Haller  hat  in  ihnen  das  Vorhandensein  von  bräun- 
lichgelben Zelleinschlüssen  konstatiert.  Bemerken  will  ich  noch,  daß 
Grobben  ähnliche  concrementhaltige  Zellen  im  Vorhof  des  Herzens  der 
Lamellibranchier  angetroffen  und  darauf  hingewiesen  hat,  daß  diese 
Zellen  von  Dogiel  (1877)  irrtümlicherweise  als  Nervenzellen  gedeutet 
wurden.  Während  nun  Haller  im  Herzen  einiger  Prosobranchier  ein 
Nervennetz  angetroffen  haben  will,  ist  es  Spillmann  mit  keiner  der 
von  ihm  angewandten  Nervenfärbungsmethoden  geglückt,  im  Herzen 
der  Trochiden  specifisches  Nervengewebe  zu  konstatieren. 

Wie  aus  den  obigen  Ausführungen  hervorgeht,  wird  fast  allgemein 
angenommen,  daß  das  Herz  der  Schnecken  ohne  Nerven  sei.  Da  in- 
folge dieses  Umstandes  das  Schneckenherz  für  die  vergleichende  Herz- 
physiologie von  großer  Bedeutung  geworden  ist,  dürfte  es  von  allge- 
meinem Interesse  sein,  daß  bei  PhyUirhoe  bucephala  sich  einwandfrei 
eine  Innervation  des  Herzens  feststellen  läßt. 

An  isolierten  Herzen  habe  ich  gefunden,  daß  auf  der  Aorta  sich 
ein  feiner  Nerv  einigemal  teilt.  Seine  Zweige  umspinnen  das  Gefäß 
und  dringen  am  Aortenring,  an  den  feinste  Zweige  abgegeben  werden, 


168  Ernst  Born, 

in  die  Kammer  ein;  in  letzterer  gehen  die  Nervenfädchen  mehrere 
schlingenförmige  Verbindungen  untereinander  ein,  in  deren  Knoten- 
punkten bisweilen  je  ein  kleiner  Kern  liegt  (Fig.  2  a).  Von  diesen 
Nervenfädchen  gehen  nun  die  charakteristischen  Körnchenreihen,  wie 
sie  von  der  Hautmuskulatur  her  bekannt  sind,  an  die  Muskelfasern 
des  Ventrikels  ab.  Es  war  natürlich  mein  Bestreben,  nun  auch  den 
Ursprung  dieses  Herznerven  zu  finden.  An  Totoexemplaren  habe  ich 
mich  davon  überzeugen  können,  daß  an  die  Aorta  ein  feiner  Nerv  tritt, 
der  sich  bis  zum  Herzen  verfolgen  läßt.  In  letzterem  ist  aber  sein 
weiterer  Verlauf  an  intakten  Tieren  nicht  zu  erkennen,  weil  die  Dicke 
des  Objekts  ein  Studium  des  in  den  tieferen  Schichten  gelegenen  Herzens 
mit  starken  Linsen  nicht  zuläßt.  Proximal  habe  ich  den  Nerv  noch 
eine  längere  Strecke  am  unteren  Magenrand  entlang  ziehen  sehen; 
seinen  Ursprung  habe  ich  aber  an  den  mir  für  diese  Untersuchungen 
zur  Verfügung  stehenden  Tieren,  welche  mit  FLEMMiNGscher  Lösung 
fixiert  waren,  wegen  der  starken  braunen  Verfärbung  des  Magens  leider 
nicht  feststellen  können.  An  der  Aorta  entsendet  übrigens  dieser  Nerv 
einen  Zweig  distalwärts,  der  aber  noch  mehr  in  die  Tiefe  dringt  und 
sich  so  der  Beobachtung  entzieht.  Vielleicht  steht  dieser  Nerv  zur 
Niere  in  Beziehung.  Wegen  des  eigenartigen  Verlaufes  am  Magen  und' 
der  Verbindung  dieses  Nerven  mit  dem  sympathischen  Plexus,  von 
dem  ich  mich  einmal  glaube  überzeugt  zu  haben,  halte  ich  es  nicht  für 
ausgeschlossen,  daß  der  Herznerv  aus  dem  Buccalganglion  stammt. 
Ein  solcher  Ursprung  hätte  allerdings  etwas  Befremdendes;  doch  ist 
zu  berücksichtigen,  daß  die  Innervierung  der  vorderen  Aorta  durch 
die  Buccalganglien  bekannt  ist  (57,  S.  204). 

Wie  Rywosch  gezeigt  hat,  wird  bei  Pterotrachea  der  Mechanismus 
des  Herzens  vom  »ösophagealganglion<(  beherrscht.  Um  Mißverständ- 
nisse zu  vermeiden,  hebe  ich  hervor,  daß  Rywosch  wohl  unter  »öso- 
phagealganglion «  nicht  die  am  Pharynx  gelegenen  Buccalganglien, 
sondern  das  über  dem  Oesophagus  befindliche  Cerebralganglion  versteht. 
Nach  Gegenbaur  dagegen,  auf  dessen  Untersuchungen  über  Ptero- 
poden  und  Heteropoden  Rywosch  bezüglich  der  anatomischen  Ver- 
hältnisse hinweist,  soll  das  Herz  der  Pterotrachea  vom  Parietovisceral- 
ganglion  innerviert  werden.  Ich  benenne  übrigens  die  Ganglienknoten 
der  Pterotrachea  in  der  Weise,  wie  sie  in  Längs  Lehrbuch  der  verglei- 
chenden Anatomie  auf  S.  8  bei  der  Abbilduncr  von  Pterotrachea  coronata 
gedeutet  werden. 

Bemerken  will  ich  noch,  daß  nach  Pelseneer  (97)  bei  den  Opistho- 
branchiern  Polycera  und   Goniodoris  die  Nerven  für  das  Herz  und  die 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoö  bucephala.  169 

Niere  (<(Ies  nerfs  reno-cardiaques»)  aus  dem  Visceralganglion  entspringen. 
Auch  Meisenheimer  (S.  246)  hat  bei  einigen  gymnosomen  Pteropoden 
vom  Visceralganglion  aus  Nerven  bis  zum  Herzen  und  zur  Niere  ver- 
folgen können.  Wie  aus  meinen  obigen  Angaben  hervorgeht,  kann  ich 
zwar  über  den  Ursprung  der  Herznerven  keine  bestimmten  Angaben 
machen;  jedoch  erlaube  ich  mir,  nochmals  zu  betonen,  daß  über  die 
nervöse  Natur  des  im  Herzen  der  Phyllirhoe  beobachteten  Netzwerkes 
nicht  der  geringste  Zweifel  besteht. 

Das  periphere  Gefäßsystem 
weist  einen  sehr  einfachen  Bau  auf.  Die  Aorta  kreuzt  die  rechte  Seite 
des  hinteren  oberen  Leberschlauches,  steigt  dann  an  der  linken  Seite  des 
Darmes,  und  zwar  meist  an  der  Übergangsstelle  des  Mitteldarmes  in  den 
Enddarm,  weiter  nach  unten,  um  sich  dann  am  unteren  Rand  desselben 
in  einen  vorderen  und  hinteren  Ast  zu  teilen.  Die  Aorta  anterior  läßt 
sich  bis  zum  Kopf  verfolgen;  die  Aorta  posterior  begleitet  den  Zwitter- 
drüsengang ;  an  der  Vereinigungsstelle  der  beiden  Ausführungsgänge  der 
Gonaden  teilt  sich  das  hintere  Gefäß  in  einen  oberen  und  unteren  Zweig, 
die  bis  zum  Hilus  der  dorsalen  bzw.  ventralen  Gonade  verlaufen.  Damit 
hat  das  geschlossene  Gefäßsystem  sein  Ende  erreicht,  und  das  Blut  wird 
nun,  jedenfalls  durch  die  Bewegungen  des  Körpers,  durch  das  Lacunen- 
system,  von  dem  Fig.  1  auf  Taf.  VIII  eine  Vorstellung  geben  mag,  ge- 
drängt. Da  keine  Venen  existieren,  muß  das  Herz  sich  das  Blut  wieder 
aus  der  Leibeshöhle  aufsaugen.  Im  Eingeweidesinus  entzieht  das  Blut 
dem  Darm  die  Nährstoffe ;  den  erforderlichen  Sauerstoff  muß  es  wegen  des 
Eehlens  besonderer  Atmungsorgane  beim  Durchfließen  der  feinen  Ge- 
webslücken  des  Integuments  aus  dem  umgebenden  Wasser  aufnehmen. 
Für  eine  solche  Absorption  ist  die  Haut  der  Phyllirhoe  besonders  geeig- 
net, da  sie,  wie  früher  (S.  109)  bemerkt,  zum  größten  Teil  von  Epithelien 
nicht  bedeckt  ist.  Dieser  Sauerstoffverbrauch  ist  übrigens  nach  den 
Angaben  v.  Fürths  (35,  S.  127)  bei  den  Tieren  mit  gallertig  weicher 
Konsistenz  ein  ganz  enormer.  Berechnet  man  bei  ihnen  die  respira- 
torische Aktivität  unter  Berücksichtigung  des  Gehaltes  an  organischer 
Substanz,  »so  ergibt  sich  die  überraschende  Tatsache,  daß  den  zarten 
pelagischen  Glastieren  ein  Gaswechsel  zukommt,  der  in  seiner  Intensität 
meist  denjenigen  des  Menschen  übertrifft«  (v.  Fürth). 

Was  die  feinere  Struktur  der  Gefäße  anbetrifft,  so  bestehen  die 
Arterien  aus  einer  dünnen  Membran,  in  der  sich  zahlreiche,  mehr  oder 
weniger  spindelförmige  Zellen  bemerkbar  machen;  der  rundliche  Kern 
lieo-t  meist  an  dem  einen  Ende  dieser  kleinen  Zellen;  an  ihren  Polen 


170  Ernst  Born, 

entsenden  sie  feine  Fibrillen,  welche  die  Gefäße  in  den  verschiedensten 
Richtungen  umspinnen.  Eine  besondere  Struktur  weist  der  Anfangsteil 
der  Aorta,  dicht  unter  dem  muskulösen  Sphincter  auf.  Man  beob- 
achtet hier  eine  Anhäufung  kleiner  runder  Zellen.  Ihr  meist  wand- 
ständiger Kern  zeigt  bisweilen  Einschnürungen ;  auch  kommen  mitunter 
zwei  Kerne  vor.  In  dem  feinkörnigen  Protoplasma  kann  auch  eine 
Vacuole  sichtbar  sein,  die  an  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixierten 
Präparaten  eine  homogene,  braungrüne  Concretion  einschließen  kann. 
Zu  bemerken  ist  noch,  daß  die  Aorten  wand  hier  durch  circulär  ver- 
laufende Fasern  verdickt  ist.  Es  ist  möglich,  daß  die  beschriebene 
Zellenanhäufung  eine  Drüse  vorstellt;  nach  Heschelee  (S.  315)  finden 
sich  solche  Blutdrüsen  bei  vielen  Opisthobranchiern,  und  zwar  gewöhn- 
lich am  Anfangsteil  der  Aorta. 

Das  Blut  der  PhyllirJioe  wird  von  Müller  und  Gegenbaur  be- 
schrieben als  »eine  farblose  Flüssigkeit  mit  spärlichen  zelligen  Ele- 
menten. Sie  sind  von  verschiedener  Größe  und  messen  von  0,003  bis 
0,006'".  Ihr  Kern  ist  blaß,  selten  mit  einem  Nucleolus  versehen«.  Aus 
dieser  Angabe  ist  ersichtlich,  daß  die  Blutzellen  der  PhylUrhoe  kein 
Hämocyanin  besitzen.  Bekanntlich  (v.  Fürth)  rührt  nämlich  die  bei 
manchen  Mollusken  beobachtete  blaue  Färbung  des  Blutes  von  diesem 
kupf erhaltigen  Eiweißkörper  her.  Da  das  Hämocyanin  erst  den- Blut- 
zellen die  Fähigkeit  gibt,  größere  Sauerstoffmengen  zu  absorbieren, 
so  dürfte  den  Blutzellen  dev  PhyllirJioe  nur  eine  phagocytäre  Funktion 
zukommen,  wie  sie  Simroth  (S.  588)  auch  von  den  Blutzellen  des 
farblosen  Prosobranchierblutes  annimmt.  Die  von  den  obigen  Autoren 
am  lebenden  Tier  gemachte  Beobachtung,  nämlich  das  spärliche  Vor- 
kommen zelliger  Elemente  in  der  strömenden  Hämolymphe,  läßt  wohl 
die  Schlußfolgerung  zu,  daß  die  kleinen  runden  Zellen,  welche  oft  in 
Haufen  in  der  Gallerte  liegen  (S.  110),  nicht  als  Blutzellen  anzusprechen 
sind;  sondern  als  letztere  können  von  den  in  der  homogenen  Grund- 
substanz sich  findenden  Zellen  nur  diejenigen  gedeutet  werden,  welche 
die  für  die  Leucocyten  charakteristischen  Eigentümlichkeiten  zeigen. 
In  der  Gallerte  der  PhylUrhoe  finden  sich  nämlich,  und  zwar  gar  nicht 
so  sehr  selten,  kleine  Zellen,  welche  von  einem  anscheinend  homogenen 
Saum  umgrenzt  sind;  von  letzterem  können  verschieden  gestaltete, 
meist  lappenförmige  Forstätze,  Lobopodien,  ausgehen.  Diese  Erschei- 
nung ist  auf  die  den  Blutzellen  zukommende  Bewegungsfähigkeit  zu- 
rückzuführen, welche  ja  Cuenot  zu  der  Bezeichnung  »Amöbocyten« 
Veranlassung  gegeben  hat.  Diese  Zellen  enthalten  oft  verschieden  ge- 
staltete Concretionen,    die   in  Flemming- Präparaten    teils  tief  schwarz 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Pliyllirlioö  bucephala.  171 

gefärbt,  teils  von  glänzender,  braungrüner  Beschaffenheit  sind  (Taf.  V, 
Fig.  4  c).  Diese  Erscheinung,  welche  schon  W.  Flemming  (32)  bekannt 
war,  sieht  Knoll  (65)  als  das  Produkt  eines  lebhaften  assimila- 
torischen Stoffwechsels  an.  Daneben  kommt  aber  den  Leucocyten  nach 
Knoll  noch  eine  excretorische  Tätigkeit  zu;  ich  bemerke  hierzu,  daß 
ich  bei  den  verschiedensten  Fixierungsmethoden  in  den  Leucocyten 
eine  bis  zwei  Vacuolen  beobachtet  habe. 

In  dem  centralen  feingekörnten  Plasma  der  Leucocyten  liegt  der 
meist  runde,  selten  unregelmäßig  gestaltete  Kern,  der  einen  oder  mehrere 
Kernkörperchen,  wie  ich  im  Gegensatz  zu  Müller  und  GeCxEnbaur 
angeben  muß,  beherbergt.  Die  Kerne  sind  von  verschiedener  Größe; 
bedeutende  Größenunterschiede  aber,  welche  Knoll  als  charakteristisch 
für  die  Blutkörperchen  der  Wirbellosen  ansieht,  weisen  sie  nicht  auf. 
Schon  Griesbach  (42)  hat  in  den  Blutzellen  der  marinen  Acephalen 
bisweilen  zwei  Kerne  angetroffen,  ohne  aber  einen  Anhaltspunkt  dafür 
zu  besitzen,  wie  dieselben  entstanden  sind.  Auch  nach  Cattaneo  und 
CüENOT  (zit.  nach  Griesbach)  enthalten  die  Blutzellen  der  Mollusken 
bisweilen  zwei  Kerne.  Unter  den  Leucocyten  der  Phyllirhoe  habe  ich 
nicht  nur  solche  mit  zwei  Nuclei,  sondern  selbst  mit  drei  und  vier  Kernen 
beobachtet. 

Die  Neubildung  von  Blutkörperchen  während  des  postembryonalen 
Lebens  ist  bei  Mollusken  noch  nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  (165, 
S.  588).  Auch  Knoll  hebt  hervor,  daß  blutbereitende  Organe  bei  den 
Wirbellosen  überhaupt  noch  nicht  auch  nur  einigermaßen  sicher  nach- 
gewiesen sind.  So  wird  bei  den  Mollusken  die  Pericardialdrüse  von 
Grobben,  Spillmann  u.  a.  als  ein  namentlich  excretorisch  tätiges 
Organ  aufgefaßt,  während  Wegmann  u.  a.  (zit.  nach  Spillmann)  ihr 
für  die  Blutbildung  eine  Bedeutung  zuschreiben.  Knoll  fand  an  den 
Blutzellen  der  verschiedensten  wirbellosen  Tiere  lebhafte  amitotische 
Kernteilungen,  die  ihn  zu  der  Annahme  veranlaßten,  daß  die  Neu- 
bildung der  Blutzellen,  wenigstens  zum  Teil,  in  der  Blutflüssigkeit 
selbst  sich  abspielt.  Eine  mitotische  Teilung  von  Blutzellen  aber,  wie 
sie  nach  seiner  Angabe  Apäthy  und  Eisig  bei  Wirbellosen  beschreiben, 
hat  er  nicht  konstatieren  können.  Bei  Phyllirhoe  habe  ich  an  den 
Lymphzellen  und  an  den  Kernen  des  Pericardiums  Figuren  beobachtet, 
die  meines  Erachtens  auf  indirekte  Teilung  hinweisen;  mit  Bestimmt- 
heit habe  ich  eine  mitotische  Kernteilung  in  dem  oben  erwäh»ten, 
am  Anfang  der  Aorta  gelegenen  Zellhaufen  gefunden ;  ich  will  aber  nicht 
ohne  weiteres  auf  Grund  dieses  Befundes  diesen  Teil  der  Aortenwand 
als  Blutbildungsstätte  in  Anspruch  nehmen. 


172  Ernst  Born, 

Die  excretorischen  Elemente. 

E,  Hecht  (53)  und  Cuenot  (26)  haben  durch  physiologische  Injek- 
tionen bewiesen,  daß  bei  den  Opisthobranchiern  außer  den  Nephridien 
gewisse  Zellen  der  Leber  und  des  Bindegewebes,  letztere  als  Plasma- 
zellen oder  LsYDiGsche  Zellen  bekannt,  die  excretorischen  Elemente 
darstellen. 

Das  Nephridium. 

Während  bei  den  cladohepatischen  Nudibranchiern  die  Niere  in 
der  Regel  (53  u.  57)  zahlreiche  Verästelungen  zeigt,  bildet  das  Ne- 
phridium  der  Phyllirhoe  einen  in  der  Medianebene  des  Körpers  verlau- 
fenden, unverästelten  Sack.  Am  vorderen  Ende  kommuniziert  die 
Niere  durch  einen  mit  langen  Wimpern  ausgestatteten  Trichter,  den 
Renopericardialgang,  mit  dem  Herzbeutel,  während  ungefähr  auf  der 
Grenze  des  ersten  und  zweiten  Drittels  ihres  Längsdurchmessers  ein 
kurzer  Harnleiter  auf  der  rechten  Körperseite  die  Verbindung  mit  dem 
umgebenden  Medium  herstellt  (vgl.  Taf.  IV,  Fig.  1). 

Die  Funktion  dieses  Schlauches  war  den  ersten  Beobachtern  der 
Phyllirhoe  völlig  unklar;  so  wurden  diese  Gebilde  von  Eschscholtz 
(1825)  als  ein  Respirationsorgan,  von  Quoy  und  Gaimard  (1833)  als 
Uterus  und  von  Souleyt  (1840)  als  Kiemen venenstamm  gedeutet. 
Erst  im  Jahre  1854  sprachen  Müller  und  Gegenbaur  die  Vermutung 
aus,  daß  dieses  Organ  excretorisch  tätig  sei  und  vielleicht  auch  noch 
eine  direkte  Aufnahme  von  Wasser  ins  Blut  ermögliche,  da  es  sowohl 
mit  dem  Herzbeutel,  als  auch  mit  dem  umgebenden  Wasser  kommuni- 
ziert. Das  bald  darauf  (1855)  erschienene  Werk  Gegenbaurs  über  Pte- 
ropoden  und  Heteropoden,  in  dem  der  berühmte  Verfasser  mit  aus- 
führlichen Argumenten  für  eine  direkte  Aufnahme  von  Wasser  ins  Blut 
mittels  des  contractilen  Nierenschlauches  eintritt,  haben  viele  Er- 
örterungen über  dieses  interessante  Problem  zur  Folge  gehabt.  Der 
Auffassung  Gegenbaurs  trat  in  späteren  Jahren  (1883)  besonders 
JoLiET  (61)  entgegen.  Er  beschreibt  die  Tätigkeit  des  Nierensackes 
bei  Phyllirhoe  folgendermaßen:  der  am  Anfang  der  Beobachtung  zu- 
nächst zusammengefaltete  Schlauch  beginnt  sich  allmählich  auszu- 
dehnen, indem  durch  das  Schlagen  der  Cilien  im  Renopericardialgang 
Flüssigkeit  aus  dem  Herzbeutel  in  die  Niere  gelangt.  Während  der 
ganzen  Dauer  der  Aufblähung  bleibt  die  äußere  Öffnung  der  Niere 
geschlossen;  sobald  die  Urinkammer  aber  vollständig  gefüllt  ist,  öffnet 
sich  die  äußere  Öffnung  langsam  und  bleibt  einige  Sekunden  sichtbar. 
In  dieser  kurzen  Zeit  schrumpft  der  Sack  wieder  zusammen  und  ent- 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllir!u)e  bucephala.  173 

leert  dabei  seinen  ganzen  Inhalt  nacli  außen.  Darauf  wiederholt  sich 
dasselbe  Spiel.  Die  AVanduniion  der  Niere  sind  bei  Phi/Uirhoe  nach 
JoLiET  viel  zu  schwach,  um  durch  ihre  diastolischen  und  systolischen 
Bewegungen  Wasser  von  außen  aufsaugen  zu  können.  Ganz  anders 
aber  liegen  nach  Joliet  die  Verhältnisse  bei  Firola:  hier  ist  der  Nieren- 
sack von  kräftigen  Muskelfasern  umsponnen,  von  deren  diastolischer 
Erschlaffung  man  a  priori  annehmen  kann,  daß  sie  eine  saugende 
Wirkung  ausübt.  An  diesem  Heteropoden  hat  denn  auch  Joliet  die 
Beobachtung  Gegenbaurs  bestätigen  können,  nämlich  die  Tatsache, 
daß  fein  verteilte  Tusche,  welche  in  die  Umgebung  der  äußeren  Nieren- 
öffnung gebracht  wird,  bei  der  Diastole  des  Sackes  zusammen  mit  dem 
Wasser  ins  Innere  des  Organs  hineinströmt;  aber  nach  fünf  bis  sechs 
Kontraktionen  ist  die  Tusche  wieder  aus  der  Niere  entfernt,  und  kein 
Körnchen  ist  in  den  Pericardialraum  gedrungen.  Joliet  kann  infolge- 
dessen der  Anschauung  Gegenbaurs  nicht  beitreten. 

JoLiETs  Angaben  fanden  bald  darauf  durch  Schiemenz  (116)  in 
zwei  umfangreichen  Arbeiten  ihre  Bestätigung.  Auch  Schiemenz 
kommt  zu  dem  Schluß,  daß  für  Phyllirhoe,  die  Heteropoden  und  Ptero- 
poden  eine  Wasseraufnahme  durch  Niere  und  Herzbeutel  vollkommen 
ausgeschlossen  ist.  Beide  Organe  besorgen  vielmehr  die  Ausscheidung 
einer  Flüssigkeit  aus  dem  Blute. 

Vor  kurzem  hat  sich  auch  Rywosch  bei  Pterotrachea  mit  dem- 
selben Problem  befaßt;  seine  Experimente  gestatten  ihm  bis  jetzt 
jedoch  noch  keine  bestimmte  Schlußfolgerung;  er  betont  aber,  daß  ihm 
die  Beobachtungen  Joliets  nicht  genügen,  um  die  GEGENBAURsche 
Auffassung  der  Wasseraufnahme  durch  die  Niere  ins  Blut  widerlegen 
zu  können. 

Im  Anschluß  hieran  möchte  ich  noch  besonders  auf  die  anscheinend 
in  Vergessenheit  geratenen  Studien  aufmerksam  machen,  welche  Hecht 
an  Nudibranchiern  angestellt  hat.  Dieser  Autor  hat  sich  u.  a.  auch 
mit  der  Funktion  des  Kenopericardialganges  befaßt,  ohne  auf  die  An- 
sichten der  älteren  Forscher  näher  einzugehen.  Hecht  vermutet,  daß 
der  Nierentrichter  eine  kräftig  saugende  Wirkung  auf  den  Inhalt  des 
Herzbeutels  ausübt.  Er  hat  bei  Eolis  beobachtet,  daß  eine  in  den 
Herzbeutel  injizierte  Lösung  von  Methylgrün  schon  nach  Verlauf  von 
8  Minuten  in  die  Niere  befördert  war  und  daß  ebenso  schnell  eine  grüne 
Flüssigkeit  sich  aus  der  Ausflußöffnung  in  Wolken  entleerte.  Bei  der 
bald  darauf  erfolgten  Sektion  enthielt  der  Herzbeutel  keine  Spur  mehr 
von  der  injizierten  Flüssigkeit,  während  der  Nierentrichter  noch  grün 
gefärbt    war.     Diese    Beobachtung    darf    wohl    auch    deshalb    noch 


174  Ernst  Born, 

besonderes  Interesse  beanspruchen,  weil  Rywosch  bei  seiner  Kritik  des 
von  JoLiET  an  Firola  angestellten  Experimentes  die  Ansicbt  ausspricht, 
daß  man  für  den  Nierentrichter  von  vornherein  eine  Durchlässigkeit 
von  Farblösungen  nicht  annehmen  könne  und  daher  die  von  Joliet 
gemachte  Beobachtung,  daß  die  von  außen  in  die  Niere  eingedrungene 
Auflösung  von  Tusche  nur  bis  zum  Nierentrichter  vordringt,  nicht  die 
Annahme  ausschließt,  daß  das  von  der  Urinkammer  aufgesogene,  von 
corpusculären  Elementen  freie  Meerwasser  auch  noch  durch  den  Reno- 
pericardialgang  und  somit  in  den  Herzbeutel  befördert  wird.  Meines 
Erachtens  erhält  also  der  JoLiETsche  Versuch  durch  die  von  Hecht 
an  Nudibranchiern  konstatierte  Tatsache,  daß  die  Wimperflammen 
des  Nierentrichters  auch  den  Durchfluß  von  Farblösungen  gestatten, 
eine  höhere  Beweiskraft  für  die  Annahme,  daß  sich  ein  Flüssigkeits- 
strom vom  Herzbeutel  aus  nach  dem  Nierensack,  und  nicht  umgekehrt, 
bewegt.  Nach  Meisenheimer  nmß  man  diesen  Lauf  schon  allein  aus 
dem  Verhalten  der  an  der  Kommunikationsstelle  zwischen  Niere  und 
Pericard  befindlichen  Cilien  die  ja  stets  nach  der  Niere  zu  gerichtet 
sind,  folgern.  Mit  v.  Ihering  nimmt  er  an,  daß  das  aufgenommene 
Wasser  nur  zur  Ausspülung  der  Niere  dient,  sonst  aber  weiter  keine 
Bedeutung  für  den  Stoffwechsel  des  Tieres  hat. 

Da  mir  nur  konserviertes  Material  zur  Verfügvmg  stand,  muß  ich 
mich  mit  der  Mitteilung  einiger  histologischer  Befunde  begnügen,  die 
aber  vielleicht  doch  das  Verständnis  für  die  Funktion  dieses  inter- 
essanten Organs  etwas  erleichtern  können.  Wie  schon  die  älteren 
Autoren  (Müller,  Gegenbaur,  Leuckart  und  Bergh)  bemerkt  haben, 
sind  auch  bei  Phyllirhoe  die  den  Epithelien  des  Nierentrichters  auf- 
sitzenden langen  Cilien  stets  nach  der  Niere  zu  gerichtet;  ich  habe  sie 
oft  noch  eine  ziemliche  Strecke  in  das  Lumen  des  Nierensackes  hinein- 
ragen sehen,  wobei  sich  das  Büschel  allmählich  konisch  verjüngte 
(Taf.  VIII,  Fig.  4ö);  diese  Gestalt  könnte  meines  Erachtens  dieses 
Büschel  unmöglich  annehmen,  wenn  sich  ein  Flüssigkeitsstrom  von 
der  Niere  nach  dem  Herzen  zu  bewegen  würde,  denn  dann  würden 
wohl  ohne  Zweifel  die  feinen  Cilien  des  in  die  Urinkammer  hinein- 
ragenden Büschels  auseinander  geschlagen  sein.  Mehrmals  habe  ich 
mich  auch  deutlich  davon  überzeugen  können,  daß  einzelne  lange 
Wimperflammen  von  der  im  Pericardium  gelegenen  Öffnung  des  Nieren- 
trichters in  den  Herzbeutel  hineinragen.  Ein  solches  Verhalten  des 
Nierentrichters  ist  bis  jetzt,  wie  mir  eine  Durchsicht  der  einschlägigen 
Literatur  zeigt,  noch  nie  beobachtet  worden.  Auch  in  der  jüngst  er- 
schienenen Arbeit  von  Rolle  (113)  über  »Die  Renopericardialverbindung 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Pliyllirlioe  bucepluvla.  175 

bei  den  Nacktschneckeu «  finde  ich  keine  ähnliche  Angabe.  Diese 
Flimmerbüschel  haben  vielleicht  den  Zweck,  durch  ihre  Bewegungen 
die  im  Herzbeutel  verteilte  Flüssigkeit  nach  der  Nierenöffnung  zu  be- 
fördern. Nachträglich  erwähne  ich  noch,  daß  die  Basis  des  Peri- 
cardiums  von  einigen  Parenchyramuskelfasern  imifaßt  wird;  diese 
Verbindung  mit  muskulösen  Elementen,  die  bisher  auch  noch  nicht 
konstatiert  ist,  gestattet  wohl  dem  Herzbeutel  schneller  und  leichter 
seinen  Inhalt  nach  der  Niere  zu  befördern.  Daß  bei  Phyllirhoe  eine 
Flüssigkeit  aus  dem  Pericardium  nach  der  Niere  zu  sich  ergießt,  er- 
scheint mir  nach  der  Beschreibung,  die  Joliet  von  der  Tätigkeit  der 
Niere  gibt,  als  ziemlich  sicher. 

Was  nun  die  feinere  Struktur  des  eigentlichen  Nierensackes  der 
Phyllirhoe  anbetrifft,  so  haben  schon  die  früheren  Beobachter  erwähnt, 
daß   sich   seine   dünnen  Wandungen   aus  einer   äußeren   strukturlosen 
Membran  und  an  deren  Innenschicht  sich  anlegenden  Epithelien  zu- 
sammensetzt.     Letztere    werden    als    ziemlich    große,    feingranulierte, 
kernhaltige  Zellen  beschrieben.     Außer  diesen  Zellen  von  gleichmäßig 
feinkörniger  Beschaffenheit    habe    ich  bei   den    Nierenepithelien    der 
Phyllirhoe  häufig  noch  einen  zweiten  Zelltypus  beobachtet,  der  durch 
das  Vorhandensein  einer  Vacuole  charakterisiert  ist.     Solche  vacuoli- 
sierte  Nierenepithelien  hat  Hecht  bei  allen  Nudibranchiern  gefunden; 
die  bei  diesem  Typus  stark  abgeplatteten,  polygonalen  Epithelien  der 
Phyllirhoe   schließen   stets   nur   eine   scharf   konturierte   Vacuole   ein, 
welche  häufio-  fast  den  tranzen  Zellleib  einnimmt  und  dann  den  bis- 
weilen  unregelmäßig  gestalteten  Kern  in  einen  Winkel  der  Zelle  drängt 
(Fig.  4  b).     Hecht  hat  in  diesen  Vacuolen  verschiedenartig  gestaltete 
Concretionen  und  Kristalle  bemerkt,  die  nach  ihm  als  die  Produkte 
der  Excretion  anzusehen  sind,  denn  sie  werden  von  den  Zellen  zugleich 
mit  der  Vacuole  ausgestoßen.     Bei  Phyllirhoe  habe  ich  die  Vacuolen 
stets   frei    von   jeglichen  Einschlüssen    gefunden;   es  ist   nicht   ausge- 
schlossen, daß  solche  Concretionen  auch  die  Nierenepithelien  lebender 
Phyllirhoen  enthalten,  bei  meinem  konservierten  Material  aber  durch 
die  angewandten  Fixierungsmittel  aufgelöst  worden  sind.     Bei  phy- 
siologischen Injektionen,  zu  welchen  Hecht  mit  bestem  Erfolge  Lö- 
sungen von  Methylgrün,  Säurefuchsin,  Indigokarmin  und  Ammoniak- 
karmin benutzte,  erschien  schon  nach  wenigen  Minuten  die  betreffende 
Farbe  in  den  Vacuolen  der  Nierenepithelien,  und  oft  waren  in  weniger 
als  48  Stunden  alle  Epithelien  wieder  frei  von  Farbe.    Auch  die  Urin- 
kammer der  Phyllirhoe  scheint  eine  lebhafte  excretorische  Tätigkeit 


176  Ernst  Born, 

ZU  entfalten,  denn  bei  mehreren  Individuen  war  dieses  Organ  mit 
Vacuolen  förmlich  übersät. 

Wie  verschiedene  Autoren  (Müller,  Gegenbaue,  Leuckart, 
Joliet)  bestätigen,  kontrahiert  sich  der  Nierensack  von  Zeit  zu  Zeit. 
Diese  Kontraktionen  sind  wohl  bei  PliylUrhoe  der  Ausdruck  der  Tätig- 
keit einiger  Parenchymmuskelfasern,  welche  sich  bei  ihrem  Verlauf 
durch  die  Leibeshöhle  an  die  Urinkammer,  namentlich  in  der  Um- 
gebung des  Harnleiters,  anlehnen,  ohne  aber  hier  zu  enden;  ein  zartes 
Muskelnetz,  welches  nach  Leuckart  die  Niere  umspannt,  habe  ich 
nicht  gefunden. 

Eywosch  ist  übrigens  der  Ansicht,  daß  bei  diesem  contractilen 
Sack  die  Diastole  die  aktive  Phase  ausmacht.  Während  er  nämlich 
an  toten  Pterotracheen  das  Herz  stets  in  diastolischer  Erweiterung  ge- 
funden hat,  war  das  Volamen  des  Nierenschlauches  bei  verendeten 
Tieren  viel  geringer  als  es  in  Diastole  ist.  An  meinen  konservierten 
Phyllirhoen  befindet  sich  die  Urinkammer  bei  einzelnen  anscheinend 
in  völlig  entwickelter  Diastole;  in  der  Regel  ist  aber  die  Niere  in  ihrem 
vorderen  Teil  etwas  kontrahiert  (Taf.  IV,  Fig.  1);  das  hinterste  Ende 
dagegen  ist  stets  sackartig  aufgebläht. 

W^as  die  Innervation  des  Nephridiums  anbetrifft,  so  hat  Rywosch 
bei  Pterotrachea  festgestellt,  daß  durch  die  Exstirpation  des  »  ösophageal- 
ganglions«  die  Tätigkeit  dieses  contractilen  Schlauches  gesteigert  wird; 
bestimmtere  Angaben  aber  kann  er  nicht  machen.  Nach  Vissichelli 
innerviert  bei  PhylUrhoe  der  aus  dem  pleuralen  Abschnitt  der  dorsalen 
Ganglienknoten  entspringende  Seitennerv  die  Niere.  Da  Vissichelli 
genauere  Angaben  nicht  macht,  und  auch  in  seiner  Fig.  1  nur  Zweige 
dieses  Nerven  über  das  blindsackartige  Ende  der  Niere  laufen,  ver- 
mutet wohl  Vissichelli,  daß  diese  Äste  das  Nephridium  innervieren. 
Ich  habe  ebenfalls  die  letzten  Ausläufer  des  Pleuralnerven  häufig  über 
den  Blindsack  der  Urinkammer  ziehen  sehen;  doch  ich  habe  mich  nie 
davon  überzeugen  können,  daß  diese  an  die  Haut  tretenden  Zweige 
auch  Nerven  an  die  Niere  abgeben.  Auch  nach  meinen  Beobachtungen 
wird  das  Nephridium  der  PhylUrhoe  vom  Seitennerven  innerviert; 
aber  die  Innervation  liegt  an  einer  andern  Stelle  als  sie  Vissichelli 
einzeichnet.  Mehrmals  habe  ich  einwandfrei  feststellen  können,  daß 
von  dem  rechten  Seitennerven  zu  dem  vordersten  Nierenabschnitt  ein 
feiner  Nerv  läuft,  der  auf  der  Niere  ein  zierliches  Nervengeflecht  bildet, 
das  die  Niere  am  Ursprung  des  seitlichen  Harnleiters  allseitig  umfaßt. 
Von  diesem  Nervengeflecht,  in  dem  ich  einmal  eine  wohl  ausgebildete 
bipolare  Ganglienzelle  bemerkt  habe,  ziehen  feine  Fäserchen  zu  dem, 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  177 

wie  bei  den  meisten  Nudibranchiern,  so  auch  bei  Phyllirhoe  dicht  unter 
der  äußeren  Nierenöffnung  geleuenen  After.  Beiläufiii  bemerke  ich 
hier,  daß  ich  eine  Analdrüse  bei  Phyllirhoe  bucephala  nicht  gefunden 
habe.  Hecht  hat  unter  den  Nudibranchiern  ein  drüsiges  Organ  am 
After  bei  Proctonotus  mucroniphorus  konstatiert.  In  der  Abbildung,  die 
Bekgh  (7)  auf  Taf.  XXVII,  Fig.  1,  von  dem  Analtrichter  der  Phyllirhoe 
atlantica  gibt,  ist  in  das  Analfeld,  ein  2;iemlich  großes,  ovales  Gebilde 
eingezeichnet;  man  könnte  annehmen,  daß  dieses  Organ,  von  dem  Bergh 
allerdings  im  Text  nichts  erwähnt,  eine  Analdrüse  darstellt.  Im  Analfeld 
der  Phyllirhoe  bucephala  habe  ich  dieses  ovale  Gebilde  nicht  bemerkt. 

Die  Mitteldarmdrüse. 

Was  den  feineren  Bau  der  Leberschläuche,  besser  Mitteldarmdrüse 
genannt,  anbetrifft,  so  habe  ich  hier  zwei  verschiedene  Zellarten  be- 
obachtet. Die  einzelnen  Drüsenläppchen  (Taf.  VIII,  Fig.  1  L)  setzen 
sich  zum  größten  Teil  aus  kleinen,  keulenförmigen  Zellen  zusammen. 
Während  in  dem  basalen,  schmalen  Teil  dieser  Zellen  sich  der  sehr 
kleine  Kern  befindet,  machen  sich  in  dem  oberen  breiteren  Teil  des 
Zellkörpers  kleinste  Bläschen  bemerkbar;  letztere  können  sich  zu  einer 
großen  Vacuole  vereinigen,  die  kleine  körnige  Gebilde  oder  einen  großen, 
feinkörnigen  Ballen  einschließt.  Letzterer  ist  in  HEIDENHAIN-Präpa- 
laten  tief  schwarz  tingiert;  bei  Objekten  dagegen,  die  nur  mit  Flem- 
MiNGscher  Lösung  fixiert  sind,  zeigt  er  eine  braunschwarze  Farbe. 
Ferner  finden  sich  in  der  Mitteldarmdrüse  Zellen,  welche  m.eist  mit 
breiter  Basis  der  Grenzlamelle  aufsitzen  und  einen  relativ  großen  Kern 
besitzen.  In  dem  Plasma  dieser  Zellen  machen  sich  kleine  scharf- 
konturierte  Vacuolen  bemerkbar,  die  häufig  von  einem  rundlichen, 
mit  Heidenhains  Eisenalaun-Hämatoxylinlösung  sich  nicht  färbenden 
Körper  ausgefüllt  sind.  Ähnliche  Zellen  bedecken  in  einschichtiger 
Lage  auch  die  Ausführungsgänge  der  Leber.  Es  sind  also  auch  diese 
Abschnitte  der  Mitteldarmdrüse  entgegen  der  von  Bergh  (7,  S.  223) 
aufgestellten  Behauptung  nicht  frei  von  Leberzellen, 

Beiläufig  bemerke  ich,  daß  der  Mitteldarm  ein  einschichtiges 
Wimperepithel  besitzt,  das  sich  im  hinteren  Teil  zu  einem  kleinen 
Wulst  erhebt.  Dieser  Epithel wulst  läßt  sich  durch  den  ganzen,  eben- 
falls mit  Flimmerepithel  ausgestatteten  Enddarm  verfolgen.  Eine 
ähnliche  Falte  im  Darm  hat  Hecht  bei  Tritonia  und  Doto  und  Meisen- 
heimer  bei  allen  thecosomen  Pteropoden  beobachtet.  Die  Bedeutung 
dieses  Längswulstes  sehe  ich  mit  den  genannten  Autoren  in  der  durch 
ihn  hervorgerufenen  Vergrößerung  der  Resorptionsfläche. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  12 


178  Ernst  Born, 

Die  Plasmazellen. 

Im  Jahre  1883  beschrieb  Brock  (17)  unter  dem  Namen  Plasma- 
zellen Gebilde,  welche  er  im  Bindegewebe  verschiedener  Mollusken 
{Aplysia,  Pleurobranchus ,  Limax  u.  a.)  angetroffen  hat.  Auch  bei 
andern  Mollusken  sind  späterhin  ähnliche  Zellen  vielfach  beobachtet 
worden;  so  z.  B.  vermute  ich,  daß  die  von  Haller  (47)  als  Ganglien- 
zellen gedeuteten  Gebilde  im  Peritoneum  von  Doris  gleichbedeutend 
den  BROCKschen  Plasmazellen  sind.  Auch  in  dem  Bindegewebe,  das 
das  Centralnervensystem  der  marinen  Rhipidoglossen  umgibt,  hat  der- 
selbe Autor  (48)  viele  mit  Vacuolen  durchsetzte  Zellen  angetroffen; 
wie  aus  den  Fig.  28,  29,  30  und  60  der  HALLERschen  Arbeit  ersicht- 
lich ist,  stimmen  diese  Zellen  hinsichtlich  ihrer  Struktur  völlig  mit  den 
Plasmazellen  überein.  Übrigens  hebt  Brock  hervor,  daß  die  Plasma- 
zellen namentlich  in  der  Umgebung  des  Centralnervensystems  und  der 
größeren  Nervenstämme  vorkommen.  Unter  den  Bindesubstanzzellen 
aus  dem  Fuße  von  Tethys,  welche  List  (83)  studiert  hat,  entspricht 
die  in  Fig.  12  c  abgebildete  Form  ohne  Zweifel  den  von  Brock  be- 
schriebenen Zellen.  Desgleichen  bin  ich  der  Ansicht,  daß,  wie  schon 
friiher  (S.  167)  erwähnt,  die  von  Haller  (46)  und  von  Spillmann  im 
Bindegewebe  des  Herzens  der  Chitonen  und  Trochiden  gefundenen  und 
von  Haller  als  Ganglienzellen  gedeuteten  Gebilde  Plasmazellen  dar- 
stellen. Hecht  und  Cuenot  haben  nun  den  Nachweis  erbracht,  daß 
diesen  Zellen,  die  sie  auch  im  Bindegewebe  vieler  opisthobranchiaten 
Gastropoden  angetroffen  haben,  eine  excretorische  Funktion  zukommt. 
Injizierten  sie  eine  Lösung  von  Ammoniakkarmin  in  die  Leibeshöhle 
lebender  Opisthobranchier,  so  fanden  sie,  daß  der  Farbstoff  bald  in  den 
Vacuolen  dieser  Zellen  anzutreffen  war;  Kern  und  Plasma  der  Zellen 
blieben  aber  ungefärbt.  In  diesen  Vacuolen  fanden  sie  auch  häufig 
gelblich  oder  grünlich  gefärbte  Kristalle  von  verschiedener  Gestalt, 
auch  Fettkügelchen  und  schwarzes  Pigment.  Hecht  und  Cuenot 
nehmen  an,  daß  alle  diese  Zelleinschlüsse  die  Produkte  der  normalen 
Excretion  sind.  Wie  Cuenot  bei  Paludina  beobachtet  hat,  vermehrt 
sich  allmählich  die  Zahl  der  mit  Concretionen  beladenen  Vacuolen; 
schließlich  enthält  die  Zelle  keine  tätigen  Vacuolen  mehr,  sie  degene- 
riert dann  und  streut  ihren  Inhalt  in  den  ganzen  Körper  aus,  aus  dem 
er  durch  die  Phagocyten  entfernt  wird. 

In  der  homogenen  Grundsubstanz  der  Phyllirhoe  finden  sich  nun 
allenthalben,  besonders  zahlreich  in  der  Umgebung  der  Eingeweide, 
Zellen,  welche  mit  den  von  Hecht  (Fig.  66,  67)  bei  Elysia  viridis  und 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  179 

von  CuENOT  bei  Paludina  (Fiü,.  18)  und  Pleurobranchus  (Fig.  20)  be- 
obachteten Zellen  völlig  übereinstimmen  (Taf.  VIII,  Fig.  3  h).  Die 
Flasmazellen  der  Phyllirhoe  sind  durchschnittlich  0,03  mm  groß  und 
in  der  Regel  mehr  oder  weniger  rundlich.  Ihr  Zellleib  schließt  meist 
mehrere  kleinere  Vacuolen  ein,  bisweilen  enthält  er  aber  auch  nur  eine 
einzige,  sehr  große  Vacuole,  wie  es  auch  Hecht  beobachtet  hat.  Ebenso 
kann  ich  auch  mit  dem  letzteren  Autor  bestätigen,  daß  die  häufig 
spindelförmigen  Plasmazellen  mittels  ihrer  zu  einem  feinen  Strang 
sich  ausziehenden  Enden  miteinander  in  Verbindung  stehen.  Brock 
dagegen  behauptet,  daß  die  Plasmazellen  niemals  imter  sich  zusammen- 
hängen. Einmal  ging  ohne  Zweifel  der  feine  Ausläufer  einer  Plasma- 
zelle in  eine  Nervenfaser  über.  Eine  Innervierung  würde  ja  gegen  die 
bindegewebige  Natur  dieser  Zellen  sprechen  und,  da  ich  eine  solche 
wie  eine  Innervation  aussehende  Verbindung  nur  einmal  konstatiert 
habe,  dürfte  es  sich  um  ein  zufälliges  Lagerungsverhältnis  handeln. 
Mehrmals  habe  ich  aber,  entsprechend  der  schon  erwähnten  Beobach- 
tungen von  Beock  und  Haller,  diese  Zellen  dem  Neurilemm  dickerer 
Nervenstämme  platt  angelagert  gefunden;  von  einer  Innervation  kann 
aber  hier  nicht  die  Rede  sein  (vgl.  S.  133).  Die  Plasmazellen  der  Phylli- 
rhoe nehmen  mitunter  sonderbare  Formen  an;  oft  zeigt  ihre  äußere 
Kontur  kleine,  spitze  Vorsprünge.  Die  Vacuolen  dieser  Zellen  finde 
ich  fast  stets  leer,  nur  einmal  habe  ich  bei  einem  in  Chromsäure  ge- 
härteten und  mit  Böhmers  Hämatoxylin  gefärbten  Präparat  in  ein- 
zelnen Vacuolen  einen  feingekörnten,  blaßblau  tingierten  Inhalt  ange- 
troffen, und  bei  zwei  weiteren  Präparaten,  die  von  mit  Sublimatessigsäure 
bzw.  FLEMMiNGscher  Lösung  fixierten  Tieren  herrührten,  enthielten  in 
manchen  Plasmazellen  die  Vacuolen  unregelmäßig  gestaltete,  homogene 
Concretionen  (Fig.  3  c).  Simroth  (S.  587)  ist  der  Ansicht,  daß  die  Ex- 
cretionszellen  im  Bindegewebe  der  Mollusken  Hippursäure  einschließen. 

Hinsichtlich  der  Struktur  des  Kernes  und  des  Plasmas  stimmen 
diese  im  Bindegewebe  der  Phyllirhoe  frei  vorkommenden  Zellen  völlig 
mit  den  schon  bei  der  Beschreibung  der  Parenchymmuskulatur  auf 
S.  145  erwähnten  Gebilden  überein.  Ich  vermute,  daß  alle  diese  Zellen 
auch  bei  Phyllirhoe  excretorisch  tätig  sind.  Mit  Sicherheit  kann  je- 
doch diese  Frage  nur  durch  Injektionen  von  geeigneten  Farblösungen 
am  lebenden  Tier  entschieden  werden.  Erwähnen  will  ich  noch,  daß 
Günther  (44),  wie  aus  seiner  Fig.  26  ersichtlich  ist,  diese  Zellen  als 
die  noch  nicht  befruchteten  Eier  der  Menestra  ansieht. 

In  der  Gallerte  der  Phyllirhoe  finden  sich  außerdem  noch  große, 
mehr  oder  weniger  eiförmige  Zellen,  die  einen  Umfang  von  0,08  mm 

12* 


180  Ernst  Born, 

erreichen  können  und  vielleicht  auch  zur  Excretion  in  Beziehmis 
stehen  (Fig.  3  a).  An  der  Basis  dieser  Zellen  liegt  ein  mächtig  ent- 
wickelter, chromatinreicher  Kern,  der  einen  großen  Nucleolus  besitzt. 
Das  um  den  Kern  gelegene,  dicht  granulierte  Zellplasma  hebt  sich 
halbmondförmig  von  dem  oberen  helleren  Zellteil  ab;  je  mehr  letzterer 
an  Umfang  zunimmt,  desto  stärker  plattet  sich  der  Kern  ab.  An 
Objekten,  die  in  FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert  sind,  besteht  der  hellere 
Zellteil  anscheinend  aus  einer  mächtigen  Vacuole,  die  bei  einem  Tier 
in  mehreren  Zellen  eine  große  graugrüne  Concretion  von  unregelmäßiger 
Gestalt  einschließt.  Bei  mit  Chromsäure  fixierten  Präparaten  macht 
sich  in  dem  helleren  Zellabschnitt  ein  weitmaschiges  Netzwerk  bemerk- 
bar, das  mit  acidophilen  Körnchen  besetzt  ist.  Ein  für  die  Annahme 
ihrer  excretorischen  Funktion  wichtiges  Aussehen  zeigen  diese  Gebilde 
bei  einem  Exemplar,  das  in  Chromessigsäure  fixiert  und  mit  Häma- 
toxylin-Eosin  gefärbt  ist.  Hier  hebt  sich  ein  roter  körniger  Zellab- 
schnitt von  der  blau  tingierten,  den  Kern  enthaltenden  Zellbasis  scharf 
ab;  besonders  interessant  ist  es  nun,  daß  diese  Zellen  häufig  in  ihrem 
oberen  Teil  eine  Einschnürung  zeigen,  die  den  Eindruck  erweckt,  als 
ob  die  Zellen  gerade  im  Begriff  sind,  diese  rotgefärbten  feinkörnigen 
Massen  auszustoßen.  Bemerkenswert  ist  noch,  daß  gerade  bei  diesem 
Tier  die  Leucocyten  rote  Konglomerate,  bisweilen  von  beträchtlicher 
Größe,  einschließen,  die  auch  in  ihrer  sonstigen  Struktur  mit  dem 
eosinophilen  Inhalt  der  beschriebenen  Zellen  übereinstimmen.  Er- 
wähnen möchte  ich  noch,  daß  der  Verlauf  der  phagocytären  Funktion 
bei  den  Mollusken,  wie  auch  Simroth  (S.  588)  hervorhebt,  durchaus 
noch  nicht  genügend  verfolgt  ist.  Man  nimmt  an  (115,  S.  75),  daß 
die  Leucocyten  die  aufgenommenen  Excretstoffe  entweder  an  die 
Nieren  abgeben  oder  mit  ihnen  ins  Darmlumen  oder  an  die  Körper- 
oberfläche auswandern. 

Am  Ende  meiner  Besprechung  der  excretorischen  Elemente  möchte 
ich  noch  daran  erinnern,  daß  Bergh  (8)  die  Vermutung  ausspricht,  daß 
die  mehrzelligen  Hautdrüsen  der  PhyllirJioe  (vgl.  S.  155)  Excretionsorgane 
sind.  Wie  aber  aus  meiner  früheren  Beschreibung  wohl  hervorgeht,  bietet 
uns  die  Struktur  dieser  Drüsen  keine  Anhaltspun|rte,  um  die  Annahme 
einer  excretorischen  Funktion  als  berechtigt  erscheinen  zu  lassen. 

Zum  Schluß  will  ich  noch  eine  interessante  Beobachtung  erwähnen, 
die  ich  an  mehreren  Phyllirhoen  gemacht  habe.  Auf  der  Haut  dieser 
Tiere  habe  ich  nämlich  sehr  kleine,  mit  bloßem.  Auge  gerade  noch 
wahrnehmbare  Parasiten  gefunden,  die  als  Trematoden  oder  deren 
Larven  zu  deuten  sind:  und  zwar  habe  ich  zwei  verschiedene  Formen 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Pliylliiiioe  bucephala.  181 

beobachtet.  Die  eine,  häufiger  gesehene  Art  hat  eine  cylindrische, 
vorn  veriüngte  Gestalt.  Diese  Tiere  sind  von  einem  durchsichtigen, 
strukturlosen  Oberhäutchen  umgeben,  unter  dem  sich  eine  feinkörnige 
Schicht  bemerkbar  macht.  Am  vorderen  Ende  befindet  sich  ein  vor- 
streckbarer Pharynx,  mit  dem  sich  das  Tier  festsaugt  (Taf.  IV,  Fig.  5). 
Dem  Pharyngealapparat  schließt  sich  ein  zwiebeiförmiger  Oesophagus 
an,  der  sich  nach  hinten  zu  in  einen  ungeteilten  Darm  fortsetzt.  In 
der  mittleren  Körperregion  fällt,  von  einem  hellen  Hofe  umgeben,  ein 
ovales  Gebilde  auf,  das  sich  intensiv  mit  Hämalaun  und  Karmin  färbt. 
Über  die  Bedeutung  dieses  relativ  großen  Organs  kann  ich  nichts  aus- 
sagen; ich  hielt  es  zuerst  für  einen  Bauchsaugnapf;  doch  Schnittserien 
zeigen   daß  es  nicht  mit  der  x4ußenwelt  kommuniziert. 

Während  sich  diese  Tiere  als  reine  Ectoparasiten  zeigen,  habe  ich 
die  andre  Trematodenart  (Taf.  IV,  Fig.  4)  außer  auf  der  Haut  auch  in 
der  homogenen  Grundsubstanz  angetroffen.  Sie  ist  von  etwas  breiterer 
und  mehr  abgeplatteter  Gestalt  und  hat  einen  deutlich  ausgebildeten 
Hautmuskelschlauch,  der  aus  Längs-  und  darüber  liegenden  schwä- 
cheren Ringfasern  besteht.  Ferner  besitzen  diese  Parasiten  zwei  Saug- 
näpfe, von  denen  der  eine  am  vorderen  Körperende,  der  andre  an  der 
Bauchseite  gelegen  ist  (Taf.  VIII,  Fig.  14). 

Beide  Arten  haben  durchschnittlich  eine  Größe  von  0,25  mm. 
Stellen  diese  Tiere  keine  Larven,  sondern  entwickelte  Saugwürmer  dar, 
so  würden  sie  zu  den  kleinsten  bisher  gefundenen  Trematoden  gehören; 
denn  nach  Braun  (16,  S.  586)  ist  Distomum  claviforme,  welches  von  allen 
Saugwürmern  wahrscheinlich  die  geringste  Größe  aufweist,  0,3  mm 
lang.  Bemerkenswert  ist  noch,  daß  ich  alle  diese  Parasiten  außer  an 
dem  aus  Neapel  erhaltenen  Material  auch  an  Phyllirhoen  gefunden 
habe,  welche  mir  die  zoologische  Station  zu  Villefranche  gütigst  zur 
Verfügung  stellte. 

Es  sei  mir  an  dieser  Stelle  geätattet,  Herrn  Geheimem  Rat,  Prof. 
Dr.  Chun  für  die  mir  zuteil  gewordene  Unterstützung  und  für  das 
rege  Interesse,  mit  welchem  er  meine  Arbeiten  bis  zu  ihrer  Vollendung 
verfolgte,  meinen  aufrichtigen  Dank  auszusprechen.  Desgleichen  danke 
ich  den  Herren  Prof.  Dr.  zur  Strassen  und  Prof.  Dr.  Woltereck 
für  die  meinem  Thema  entgegengebrachte  Aufmerksamkeit.  Besondere 
Umstände  zwangen  mich  leider,  das  zoologische  Institut  in  Leipzig 
nach  mehreren  Semestern  zu  verlassen  und  meine  Untersuchungen  in 
Berlin  selbständig  zu  Ende  zu  führen.  Herrn  Prof.  Dr.  Schmaltz 
und  Herrn  Stadt.  Obertierarzt  Bongert,  Berlin,  bin   ich  zu  großem 


182  Ernst  Born, 

Danke  verpflichtet  für  die  Liberalität,  mit  welcher  mir  die  Hilfsmittel 
der  von  ihnen  geleiteten  Institute  zur  Verfügung  gestellt  wurden; 
letzterem  Herrn  schulde  ich  noch  besonderen  Dank  für  die  gütige 
Anfertigung  der  auf  Taf.  IV  befindlichen  Photograrnme, 


Nachtrag, 

Die  im  letzten  Heft  (Bd.  LXXV,  Heft  3)  des  Archivs  für  mikrosko- 
pische Anatomie  erschienene  Arbeit  des  Dr.  TEOJAN-Prag,  betitelt: 
»  Ein  Beitrag  zur  Histologie  von  Phyllirhoe  bucephala  Peron  u.  Lesueur 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Leuchtvermögens  dieses  Tieres«, 
veranlaßt  mich,  noch  einige  nachträgliche  Bemerkungen  zu  machen. 

Zunächst  muß  ich  meine  Verwunderung  darüber  zimi  Ausdruck 
bringen,  daß  Teojan  auf  meine  schon  im  Jahre  1907  in  der  Gesellschaft 
Naturforschender  Freunde  zu  Berlin  gehaltenen  Vorträge  über  Phylli- 
rhoe (vgl.  S.  106  der  vorliegenden  Arbeit)  nur  am  Schlüsse  seiner  xVb- 
handlung  mit  wenigen  Worten  eingeht,  obwohl  schon  in  dem  von  der 
Zoologischen  Station  zu  Neapel  herausgegebenen  Jahresbericht  für  1907 
auf  meine  beiden  Mitteilungen  hingewiesen  wird;  Trojan  dagegen  hat 
in  Neapel  erst  im  Frühjahr  1909  seine  Studien  an  Phyllirhoe  begonnen. 

Da  ich  schon  in  meinen  vorläufigen  Mitteilungen  gerade  die  von 
Trojan  zum  Gegenstand  seiner  Untersuchungen  gemachten  Gewebs- 
elemente  ausführlich  beschrieben  habe,  w"ürde  es  sich  erübrigen,  auf 
seine  Arbeit  näher  einzugehen,  wenn  nicht  viele  seiner  Angaben  in 
schroffem  Gegensatz  zu  dem  Ergebnis  der  von  den  früheren  Autoren 
und  mir  angestellten  Beobachtungen  ständen.  So  behauptet  Trojan 
(S.  502),  daß  Panceri  die  Chromatophoren  der  Phyllirhoe  »arg  mit  den 
sogenannten  MüLLERschen  Zellen  vertauscht«  hat.  Dieser  Vorwurf  ist, 
wie  aus  meinen  auf  S.  111  und  S.  159  gemachten  Ausführungen  hervor- 
geht, völlig  unbegründet ;  vielmehr  hat  sich  Trojan  einen  Beobachtungs- 
fehler zuschulden  kommen  lassen,  der  um  so  bedauerlicher  ist,  als  da- 
durch die  Schlußfolgerungen,  zu  welchen  er  auf  Grund  seiner  physiolo- 
gischen Untersuchungen  der  Lichtquellen  kommt,  zum  größten  Teile 
hinfällig  werden. 

Panceri  hat,  wie  die  in  seiner  Fig.  3  abgebildete  Chromatophorei 
zeigt,  die  wirklichen  Pigmentzellen  beobachtet;  es  ist  auch  seine  Angabe 
zutreffend,  daß  diese  Gebilde  am  Kopf,  an  den  Fühlern,  an  der  Schwanz- 
flosse und  an  den  Seitenflächen  des  Körpers  fehlen;  sie  smd  nur  nahe 

1  Von  Trojan  als  Textfigur  auf  S.  489  wiedergegeben. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Plnllirhoc  bucepliala.  183 

dem  dorsalen  und  venti-alen  Körperrande  zu  finden.  Als  MüLLERsche 
Zellen  hat  Panceri  Gebilde  bezeichnet,  welche  zuerst  von  Heinrich 
^lÜLLER  im  Jahre  1853  mit  den  Worten  beschrieben  wurden:  »Außer- 
dem kommen  fast  über  die  ganze  Körperoberfläche  zerstreut,  und  an 
feinsten  Nervenfädchen  sitzend,  scharf  konturierte,  rundlichei 
Zellen  vor,  welche  neben  einem  Kern  eine  gröi3ere  oder  kleinere  gelblich 
glänzende  Kugel  enthalten. «  Letztere  hat  dann  später  Panceri  durch 
die  Anwendung  von  Osmiumsäure  als  einen  fettartigen  Körper  erkannt. 
An  der  Luminescenz  der  PhylUrhoe  sind  nun  nach  Panceri  haupt- 
sächlich die  MtJLLERschen  Zellen  beteiligt,  welche  nach  seiner  Ansicht 
besondere  gestaltete  Ganglienzellen  darstellen;  außer  diesen  Gebilden 
sollen  aber  nach  Panceri  auch  noch  andre  periphere  Ganglienzellen 
leuchten,  welche  im  Gegensatz  zu  den  kugeligen  und  doppelt  kon- 
turierten  MüLLERschen  Zellen  immer  einen  einfachen  Kontur  und 
häufig  eine  birnenförmige  Gestalt  zeigen;  ferner  haben  nach  Panceri 
diese  >>cellule  gangiiari  ordinarie«  einen  homogenen,  nach  Anwendmig 
von  Reagenzien  feingekörnten  Inhalt.  Wie  ich  schon  auf  S.  159  aus- 
führlicher erwähnt  habe,  erkannten  spätere  Autoren,  daß  es  sich  bei 
den  von  Panceri  als  Ganglienzellen  beschriebenen  Gebilden  um  Drüsen- 
zellen handelt.  Im  Jahre  1907  habe  ich  dann  die  feineren  Details 
dieser  Drüsenzellen  eingehend  beschrieben  und  u.  a.  mitgeteilt,  daß 
die  MtJLLERschen  Zellen  einen  Fettkörper  ausscheiden,  während  die 
übrigen  von  Panceri  beschriebenen  Leuchtzellen  ein  acidophiles  Secret 
liefern  und  demnach  als  Eiweißdrüsenzellen  anzusprechen  sind.  Wäh- 
rend letztere  Angabe  durch  Trojan  bestätigt  wird,  stellen  dagegen 
nach  ihm  die  von  Panceri,  Bergh  und  mir  unter  dem  Namen  »MtJLLER- 
sche  Zellen«  beschriebenen  Gebilde  kontrahierte  Pigmentzellen  dar; 
es  sollen  zu  ihnen  radiär  Muskelfasern  hinziehen,  wie  wir  sie  von  den 
Chromatophoren  der  Cephalopoden  her  kennen  (S.  501);  allerdings  will 
er  diese  Beobachtung  nur  an  den  »Pigmentzellen«  (Trojan)  des  Kopfes 
gemacht  haben.  Von  einer  Innervation  dieser  Gebilde  erwähnt  übrigens 
Trojan  nichts.  Hierzu  muß  ich  bemerken,  daß  an  Totoexemplaren  an 
keiner  einzigen  Stelle  des  Körpers  von  einer  Verbindung  der  MtJLLER- 
schen Zellen  mit  Muskelfasern  auch  nur  die  geringste  Andeutung  zu 
erkennen  ist.  Dagegen  findet  man  beim  Studium  ganzer  Tiere,  welche 
mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  sind,  bei  starker  Vergrößerung  über 
jeder  MüLLERschen  Zelle  ein«n  kleinen  Porus  in  der  Haut,  und  in  5  i_i 
dicken  Querschnitten  läßt  die  Kommunikation  dieser  Zellen  mit  der 


1  Von  mir  durch  Sperrdruck  1  ervorgehoben. 


184  Ernst  Born, 

Hautoberfläche  sich  einwandfrei  feststellen  (vgl.  Fig.  11  auf  Taf.  VIII); 
übrigens  zeigt  ja  deutlich  auch  Fig.  26  auf  Taf.  XX  der  Arbeit  Trojans, 
wie  sich  der  Inhalt  der  Zelle  nach  außen  zu  schon  ein  wenig  zuspitzt 
und  sich  direkt  darüber  in  der  Basalmembran  die  sehr  kleine  Öffnung 
findet.  In  Flemming- Präparaten  habe  ich  auch  öfter  MtJLLERsche 
Zellen  angetroffen,  welche  nicht  gleichmäßig  schwarz  tingiert  waren, 
sondern  wie  es  die  Fig.  24  und  25  bei  Trojan  lehren,  zahlreiche  schwarze, 
unregelmäßig  gestaltete  Partikelchen  in  einer  graugrünen,  feingekörnten 
Masse  zeigen.  Diese  Erscheinung  habe  ich  aber  nicht  weiter  erwähnt, 
weil  ich  sie  auf  eine  Wirkung  der  Reagenzien  zurückführe;  vielleicht 
stellt  sie  aber  auch,  wie  ich  hier  noch  nachträglich  anführen  möchte, 
die  beginnende  Fettmetamorphose  des  Zellplasmas  dar.  Im  übrigen 
stimmen  aber  die  von  Trojan  über  seine  Chromatophoren  gemachten 
Angaben  mit  der  schon  von  Panceri  gegebenen  Beschreibung  der 
MüLLERschen  Zellen  überein.  Es  stellen  diese  Gebilde  auch  nach 
Trojan  (vgl.  S.  500 — 502)  »ausgeprägt  kugelige  Zellen«  dar,  die  am 
ganzen  Körper,  sehr  zahlreich  an  seinen  Rändern  sich  finden;  dagegen 
kommen  sie  an  den  Tentakeln  nicht  vor;  ebenso  hat  auch  Trojan 
ihre  »intensive  Schwärzung  durch  Osmiumsäure«  konstatiert.  Da  nun 
aber,  wie  schon  erwähnt,  Trojan  diese  Gebilde  im  Zusammenhang  mit 
Muskelfasern  beobachtet  haben  will,  sieht  er  sie  als  Chromatophoren 
im  Kontraktionszustand  an  und  legt  die  von  Panceri  eingeführte 
Nomenklatur,  MÜLLERsche  Zellen,  den  Eiweißdrüsenzellen  bei;  letztere 
hat  Panceri  im  Gegensatz  zu  den  »cellule  di  Müller«  als  »cellule 
gangliari  periferiche  dell'  ordinaria  forma«  bezeichnet.  Auch  Trojan 
(S.  486)  hat  die  schon  oben  angeführte  Beobachtung  Panceris  be- 
stätigt, daß  der  Inhalt  dieser  Zellen  homogen,  beziehungsweise  sehr 
feinkörnig  ist;  auch  zeigen  in  seinen  Abbildungen  die  Eiweißdrüsen- 
zellen stets  eine  birnenförmige  Gestalt.  Dagegen  kann  ich  mich  nicht 
mit  der  Angabe  Trojans  einverstanden  erklären,  daß  diese  Zellen  eine 
sehr  dicke  Membran  haben;  vielmehr  ist  der  Befund  Panceris  zu- 
treffend, daß  diese  Gebilde  im  ausgewachsenen  Zustande  von  einer 
dünnen  Zellhaut  begrenzt  sind.  In  instruktiver  Weise  lassen  dies 
Chromsäurepräparate  erkennen;  an  ihnen  fallen  die  MüLLERschen 
Zellen  durch  ihre  auffallend  dicke,  scharf  konturierte  Membran  sofort 
dem  Beobachter  auf,  während  sich  die  Kontur  der  Eiweißdrüsenzellen 
meist  nur  schwach  abhebt. 

Was  nun  die  physiologischen  Untersuchungen  Trojans  hinsicht- 
lich des  Leuchtvermögens  der  PhylUrhoe  anbetrifft,  so  finden  wir  die 
Resultate  Panceris  im  wesentlichen  bestätigt.    Auch  Trojan  (S.  479) 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  185 

fand,  daß  »der  ganze  Körper  des  Tieres,  inbegriffen  die  Tentakeln, 
leuchtet«,  .  .  .  »besonders  schön  leuchten  der  Kopf,  die  Konturen 
des  Körpers  und  einige  Punkte  der  Seiten«.  Leider  hat  sich  aber  der 
Autor  nicht  mit  den  Angaben  Panceris  (1872,  S.  7)  befaßt,  daß  bei 
Phyllirhoe  auch  die  Fühlerganglien  und  selbst  die  vier  über  dem  Oeso- 
phagus liegenden  Ganglienknoten  Licht  erzeugen.  Während  nun  nach 
Panceri  namentlich  die  MüLLERschen  Zellen  und  die  jetzt  als  acido- 
phile  Drüsenzellen  erkannten  Gebilde  an  der  Lichtentwicldung  beteiligt 
sind,  soll  nach  Trojan  das  Secret  der  mucösen  Drüsenzellen  (vgl. 
S.  156  dieser  Arbeit)  und  der  mehrzelligen  Hautdrüsen  (S.  155)  leuchten. 
Daß  die  Schleimzellen  die  Luminescenz  verursachen,  erscheint  mir  sehr 
unwahrscheinlich;  sie  finden  sich  bei  allen  Nudibranchiern  in  reich- 
licher Menge  und  haben  wohl  ohne  Zweifel  die  Aufgabe,  durch  ihr 
Secret  den  schalenlosen  Körper  vor  Beschädigungen  zu  schützen. 
Vielmehr  halte  ich  die  Ansicht  Panceris  für  zutreffender.  Namentlich 
rührt  wohl  das  Licht  von  den  MüLLERschen  Zellen  her;  sie  kommen 
besonders  am  Kopf  und  an  den  Körperrändern  vor,  an  welchen  nach 
Panceri  und  Trojan  das  Licht  sehr  intensiv  ist;  ferner  stehen  Fett- 
stoffe, wie  ja  auch  Trojan  (S.  506)  erwähnt,  »schon  seit  langem  in 
Verdacht,  der  Hauptfaktor  des  Leuchtphänomens  zu  sein«.  In  den 
Tentakeln,  denen  die  MüLLERschen  Zellen  fehlen,  kommt  allem  An- 
scheine nach  das  Secret  der  Eiweißdrüsenzellen  zum  Aufleuchten.  Ich 
habe  schon  früher  (1907,  S.  116)  erwähnt,  daß  namentlich  der  ven- 
trale Eand  der  Fühler  reich  mit  diesen  Drüsenzellen  besetzt  ist.  Nach- 
träglich sei  mir  noch  die  Bemerkung  gestattet,  daß  in  dem  Bild,  welches 
Panceri  1  von  einer  im  Dunkeln  leuchtenden  Phyllirhoe  hergestellt 
hat,  die  Lichtpunkte  in  den  Tentakeln  sich  fast  ausschließlich  an  deren 
unterem  Rand  finden. 

Nach  Trojan  (S.  492)  sollen  die  mehrzelligen  Hautdrüsen  durch 
Teilung  der  vereinzelt  vorkommenden  Schleimzellen  entstehen;  dem- 
gegenüber muß  ich  den  schon  auf  S.  155  ausführlich  beschriebenen 
Befund  wiederholen,  daß  diese  mehrzelligen  Drüsen  ohne  Zweifel  acido- 
phile  Secretgranula  ausscheiden.  Sie  können  sich  also  unmöglich  aus 
den  mucösen  Drüsenzellen  entwickeln.  Übrigens  erwähnt  ja  auch 
Trojan,  daß  an  den  Kernen  der  vereinzelten  Schleimdrüsen  niemals 
Teilungsstadien  zu  konstatieren  sind.  Die  Angaben,  welche  Trojan 
auf  S.  484  über  die  Entstehung  der  mucösen  Drüsenzellen  macht, 
haben  mich  zu  einer  Nachprüfung  veranlaßt.    Obwohl  ich,  was  Trojan 


1  Von  Trojan  aiif  Taf.  XIX  als  Fig.  3  wiedergegeben. 


186  Ernst  Born, 

nicht  getan  zu  haben  scheint,  Tiere  aller  Größen  untersucht  habe, 
sind  mir  diese  Mitteilungen  des  Autors  unklar  geblieben.  Daß  es  sich 
ferner  bei  den  auf  S.  483  beschriebenen  »Zellen  mit  einem  feinkörni"en 
Inhalte«  immer  um  in  der  Regenerationsphase  befindliche  Schleim- 
drüsen handelt,  erlaube  ich  mir  zu  bezweifeln.  Zellen  mit  einer  der- 
artigen Struktur  habe  ich  ebenfalls  öfter  angetroffen;  auch  hatten  sie 
sich  mit  Hämatoxylin  intensiv  gefärbt;  jedoch  nahmen  diese  Gebilde 
niemals  das  Mucikarmin  an ;  war  letzteres  der  Fall,  so  zeigte  sich  schon 
das  feine  Netzwerk.  Es  ist  ja  auch  eine  bekannte  Tatsache,  daß  die 
Vorstufen  des  Drüsenproduktes  sich  anders  fingieren  als  das  reife  Secret. 

Von  den  histologischen  Ergebnissen  Trojans  erfordert  namenthch 
noch  die  Angabe  (S.  504)  eine  Berichtigung,  daß  der  Phyllirhoe  die  beiden 
relativ  großen,  an  der  Unterseite  des  Pharynx  gelegenen  Speicheldrüsen 
fehlen  sollen.  Sie  waren  schon  den  alten  Autoren  bekannt  und  sind 
ziemlich  eingehend  von  Bergh  (1870,  S.  221)  beschrieben  worden; 
ich  habe  nur  auf  S.  154  erwähnt,  daß  die  Speicheldrüsen  im  Gegensatz 
zur  Lippendrüse  ein  mit  sauren  Anilinen  sich  intensiv  färbendes  Secret 
ausscheiden.  Übrigens  findet  sich  die  Abbildung  eines  Längsschnittes 
von  einer  Speicheldrüse  auf  Taf.  IV  in  Fig.  6  bei  Sp. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  den  Einwand  Trojans  (S.  486) 
zurückweisen,  daß  man  bei  Totoexemplaren  »mit  stärkeren  Objektiven 
an  das  Präparat  wegen  der  Dicke  nicht  nahe  genug  herankommt,  ein 
Auffinden  feiner  Details  daher  unmöglich  ist«.  Bei  kleineren  Exem- 
plaren ist  mir  dies  vielmehr  stets  geglückt;  bei  großen  Tieren  schnitt 
ich  mit  einer  feinen  Schere  die  Fühler,  die  Schwanzflosse  und  die 
ventral  und  dorsal  von  den  Leberschläuchen  gelegenen  Körperpartien 
ab  und  konnte  diese  Teile  dann  bei  Anwendung  von  Gasglühlicht  mit 
den  stärksten  ölimmersionssystemen  untersuchen.  Hätte  Trojan  der 
Beobachtung  ganzer  Tiere,  beziehungsweise  isolierter  Teile  mehr  Inter- 
esse entgegengebracht,  so  hätte  er  sich  leicht  davon  überzeugen  können, 
daß  an  den  Schleimzellen  der  Nerv  nie  endet,  wie  er  annimmt,  viel- 
mehr sich  stets  weiter  zu  den  übrigen  Elementen  der  Haut  verfolgen 
läßt.  Auch  hätte  er  dann  bei  genauerer  Beobachtung  sicher  die  Inner- 
vation der  MüLLERschen  Zellen  und  der  Eiweißdrüsenzellen  gefunden, 
und  vor  allem  wäre  ihm  nicht  der  Irrtum  mit  untergelaufen,  die 
MüLLERSchen  Zellen  als  kontrahierte  Chromatophoren  anzusehen, 
während  er  beim  Studium  seiner  Schnittserien  die  von  mir  auf  Taf.  V 
abgebildeten  Pigmentzellen  überhaupt  nicht  bemerkt  hat. 

Berlin,  im  Juli  1910. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phjllirhoe  bucephala.  187 


Literaturverzeichnis. 

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Math.-phys.  Klasse.     Bd.  XLII.     1890. 

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4.  Apathy,  Das  leitende  Element  des  Nervensystems  und  seine  topographi- 

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Bd.  XII.     1896. 
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6.  —  Meine   angebliche  Darstellung   des  Ascaris-Nervensystems.     Zool.  Anz. 

Bd.  XXXII.     1907. 

7.  R.  Bergh,  Sj'stem    der    nudibranchiaten    Gastropoden    in:     C.  Semper, 

Reisen  im  Archipel  der  Philippinen  1870  und  1892. 

8.  —  Die  cladohepatischen  Nudibranchien.     Zool.  Jahrbücher.    Abt.  f.  Syste- 

matik.    V.  Bd.     1890. 

9.  A.  Bethe,  Allgemeine    Anatomie    und    Physiologie    des    Nervensystems. 

Leipzig  1903. 

10.  —  Neue  Versuche  über  die  Regeneration  der  Nervenfasern.      Pflügers 

Archiv  f.  Physiologie.     Bd.  CXVI.     1907. 

11.  H.  Bettendorf,  Über    Muskulatur    und    Sinneszellen    der    Trematoden. 

Inaug.  Diss.     Rostock  1897. 

12.  A.  Bochenek,  L'anatomie  fine  de  la  cellule   nerveuse  de  Helix  pomatia. 

Compt.  rend.  d.  l'association   des   Anatomistes.     3.  Sess.     Lyon  1901. 

13.  —  Recherches  sur  le  Systeme  nei-veux  des  invertebres.     Anzeiger  d.  Akad. 

d.  Wiss.  in  Krakau.     VII.     1905. 

14.  BoLL,  Beiträge  zur  vergleichenden  Histologie  des  Molluskentypus.     Arch. 

f.  mikr.  Anatomie.     Bd.  V.     (Supplement.) 

15.  A.  Böhm  u.  O.  Oppel,  Taschenbuch  der  mikroskopischen  Technik.  5.  Aufl. 

16.  Braun,  Trematodes  in:  Bronns  Klassen  und  Ordnungen  des  Tierreichs. 

Bd.  IV. 

17.  Brock,  Untersuchungen  über  die  interstitiellen  Bindesubstanzen  der  Mol- 

lusken.    Diese  Zeitschr.     Bd.  XXXIX.     1883. 

18.  BucHHOLTZ,  Studien  über  den  histologischen  Bau  des  Centralnei-vensystems 

der  Süßwassermollusken.     Archiv  f.  Anatomie  v.   Reichert  und  Dtr 
Bois.     Jahrg.  1863. 

19.  O.  BÜTSCHLi,  Untersuchungen  über  mikroskop.  Schäume  und  das  Proto- 

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20.  J.  Chatin,  Evolution  et  structure  des  elements  conjonctifs  chez  la  Palu- 

dine.    Compt.  rend.  de  l'acad.  des  sciences.    Paris.     T.  CXXVI.     1898. 

21.  C.  Chün,  Über  die  Natur  und  die  Entwicklung  der  Chromatophoren  bei 

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188  Ernst  Born, 

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23.  Clatts,  Lehrbuch  der  Zoologie.     6.  Aufl.     1897. 

24.  Ch,  f.  W.  Mc  Clube,  The   finer   structure   of   the   nerve   cells   of  Inverte- 

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tomie.    Bd.  XI.     1898. 

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1901. 

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27.  L.  Edinger,  Die  Endigung  der  Hautnerven  bei   Pterotrachea.     Arch.   f. 

mikr.  Anatomie.     Bd.  XIV. 

28.  Ehrlich,  Krause,  Mosse  u.  Rosin,  Enzyklopädie  der  mikroskop.  Technik. 

29.  Th.  Eimer,   Bemerkungen   über  die  Leuchtorgane  von  Lampjrris  splendi- 

dula.     Arch.  f.  mikr.  Anatomie.     Bd.  VIII.     1872. 

30.  Th.  W.  Engelmann,  Über  Drüsennerven.     Archiv  für  Physiologie.     Bd. 

XXIV.     1881. 

31.  A.  Fischer,  Fixierung,  Färbung  und  Bau  des  Protoplasmas.     Jena  1899. 

32.  W.  Flemming,  Über  die  Blutzellen  der  Acephalen  und  Bemerkungen  über 

deren  Blutbahn.     Archiv  f.  mikr.  Anatomie.     Bd.  XV.     1878. 

33.  —  Die  haaretragenden  Sinneszellen  in  der  Oberhaut  der  Mollusken.    Archiv 

f.  mikroskop.  Anat.     Bd.  V. 

34.  H.  Fol,  Sur  la  structure  des  muscles  des  Mollusques.    Compt.  rend.  T.  GVL 

35.  0.  v.  Fürth,  Vergleichende    chemische    Phj^siologie    der    niederen    Tiere. 

Jena  1903. 

36.  Gegenbaitr,  Untersuchungen  über  Pteropoden  und  Heteropoden.     1855. 

37.  Gilchrist,  Notes  on  the  minute  structure  of  the  nervovis  sj'stem  of  mollusca. 

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38.  Goldschmidt,  Einiges  vom  feineren  Bau  des  Nervensystems.  Verhandlungen 

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1907. 

39.  —  Über  die   sog.    radiärgestreiften   Ganglienzellen    von   Ascaris.     Biolog. 

Centralblatt.     Bd.  XXIV.     1904. 

40.  —  Der  Chromidialapparat  lebhaft  funktionierender  Gewebszellen.     Biolog. 

Centralblatt.     Bd.  XXIV.     1904  und  Zoolog.   Jahrb.    Abtlg.   f.   Ana- 
tomie.    Bd.  XXI.     1905. 

41.  Gräber,  Über  die   Empfindlichkeit   einiger   Meertiere   gegen   Riechstoffe. 

Biolog.  Centralblatt.     Bd.  VIII.     1888. 

42.  H.  Griesbach,  Beiträge  zur  Histologie  des  Blutes.     Arch.  f.  mikr.  Ana- 

tomie.    Bd.  XXXVII.     1891. 

43.  C.  Grobben,  Die  Pericardialdrüse  der  Lamellibranchiaten.     Arbeiten  aus 

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45.  J.  GuiART,  Contribution  ä  l'etude  des  Gasteropodes  opistobranches.    Mem, 

Soc.  Zoolog.  France.     T.  XIV.     1901. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucepliala.  189 

46.  Haller,  Die   Organisation   der  Chitonen   der  Adria.     Arbeiten   aus  dem 

zoologisclien  Institut  der  Univ.  Wien.     Bd.  IV.     1882. 

47.  —  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Nerven  im  Peritoneum  von  Doris  tuberculata. 

Arbeiten  aus  dem  zoolog.  Inst.  d.  Univ.  Wien.     Bd.  V.     1884. 

48.  —  Untersuchungen     über    marine     Rlüpidoglossen.       Morpholog.     Jahrb. 

Bd.  XI.     1886. 

49.  Elise  Hanel.  Cephalopyge  trematoides   (Chun).     Zoolog.   Jahrb.   'Abtlg. 

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50.  0.  Hakz,  Paraffinöl    als    Ersatz    für   Kanadabalsam    zu    mikroskopischen 

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51.  Havet,  Xote  preliminaire  sur  le  Systeme  nerveux  des  Limax  (methode  de 

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52.  Heath  and  Spaulding,  The  Anatomy  of  a  Pteropod,  Corolla  (Cymbuli- 

opsis)    spectabihs  Dali.     Zoolog.    Jahrb.      Abtlg.    f.    Anat.     Bd.  XX. 
1904. 

53.  E.  Hecht,  Contribution    a    l'etude    des    Nudibranches.     Mem.  de  la  soc. 

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54.  M.  Heidenhain,  Beiträge  zur  Aufklärung  des  wahren  Wesens  der  faser- 

förmigen  Differenzierungen.     Anatom.  Anz.     XVI.  Bd.     1899. 

55.  —  Struktur  der  contractilen  Materie.     Ergebnisse  der  Anatomie  und  Ent- 

wicklungsgeschichte.    X.  Bd.     1900. 

56.  Hermann,  Lehrbuch  der  Physiologie.     12.  Aufl.    1900. 

57.  Hescheler  in  A.  Lang,   Lehrbuch     der     vergleichenden     Anatomie     der 

wirbellosen  Tiere.  f- 

58.  F.  B.  Hofmann,  Histologische  Untersuchungen  über  die  Innervation  der 

glatten  und  der  ihr  verwandten  Muskulatur  der  Wirbeltiere  u.  Mollus- 
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59.  H.  v.  Iheking,   Vergleichende  Anatomie  des  Nervensystems  und   Phylo- 

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60.  L.  Johann,  Über    eigentümliche    epitheliale    Gebilde    (Leuchtorgane)    bei 

Spinax  niger.     Diese  Zeitschr.     Bd.  XLVI.     1899.  ^ 

61.  JoLiET,  Sur   les  fonctions   du  sac   renal   chez  les  Heteropodes.     Comptes 

rendus.     T.  XLVII.     1889. 

62.  H.  Jordan,  Die  Leistungen  des  Centralnervensystems  bei  den  Schnecken. 

Biologisches  Centralblatt.     Bd.  XXVI.     1906. 

63.  M.  Joseph,  Die  vitale  Methylenblau-Nervenfärbungsmethode  bei  Hetero- 

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64.  Ph.  Knoll,  Über    protoplasmaarme   und    protoplasmareiche    Muskulatur. 

Denkschrift  d.  k.  Akademie  d.  W.  zu  Wien.   Math.-nat.  Kl.    LVIII.  Bd. 
1891. 

65.  —  Über  die  Blutkörperchen    bei  wirbellosen    Tieren.     Sitzungsber.  d.  k. 

Akademie    der   Wiss.    zu    Wien.    Math.-Naturw.    Klasse.      Abtlg.  III. 
Bd.  CIL     1893. 

66.  —  Über   die   Herztätigkeit   bei   einigen    Evertebraten   und   deren   Beein- 

flussung durch  d.  Temperatur.    Sitzungsber.  d.  k.  Akademie  der  Wiss. 
zu  Wien.     Math.-Naturw.  Klasse.     Abtgl.  III.     Bd.  CIL     1893. 

67.  Kollmann,  Die    Bindesubstanz    der    Acephalen.      Arch.    f.    mikr.    Anat. 

Bd.  XIII.     1877. 


190  Ernst  Born, 

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Zoolog.  Jahrb.     Abtlg.  f.  Anatomie.     Bd.  IV.     1891. 

69.  Lee  u.  Mayer,  Grundzüge  der  mikroskopischen  Technik.    2.  u.  3.  Auflage. 

70.  V.  Lenhossek,    Centrosom    und   Sphäre   in   den    Spinalganglienzellen   des 

Frosches.     Arch.  f.  mikr.  Anatomie.     Bd.  XLVI.     1895. 

71.  —  Ramon  y  Cajals   neue  Fibrillenmethode.     Centralblatt.     Bd.  XXIII. 

1904. 

72.  R.  Leuckart,  Über  den  Bau  und  die  systematische  Stellung  des  Genus 

Phyllirhoe.     Archiv  f.  Naturgeschichte.     Jahrg.  17.     1851. 

73.  —  Nachträgliche  Bemerkungen  über  den  Bau  von  Phyllirhoe.     Archiv  f. 

Naturg.     Jahrg.  19.     1853. 

74.  —  Heteropoden.     Zoolog.  Untersuchungen.     1854. 

75.  Leydig,  Bau  des  tierischen  Körpers.     1864. 

76.  —  Die  Hautdecke  und  Schale  der  Gastropoden.     Archiv  für  Naturgesch. 

Bd.  XLII.  •  1876. 

77.  —  Die  augenähnlichen   Organe  der  Fische.     Bonn  1881. 

78.  —  Untersuchungen  zur  Anatomie  und  Histologie  der  Tiere.     Bonn  1883. 

79.  —  Zelle  und  Gewebe.     Bonn  1885. 

80.  —  Bemerkungen  über  die  Farben  der  Hautdecken  und  Nerven  der  Drüsen 

bei  Insekten.     Archiv  f.  mikr.  Anatomie.     Bd.  XII. 

81.  List,  Die  Mytiliden  des  Golfes  von  Neapel.     Fauna  und  Flora  des  Golfes 

von  Neapel.     27.  Monogr.     1902. 

82.  —  Über  den  Bau,   die  Secretion  und  den  Untergang  von  Drüsenzellen. 

Biolog.  Centralblatt.     Bd.  V.     1885. 

83.  —  Zur  Kenntnis  der  Drüsen  im  Fuße  von  Tethys  fimbriata.  Diese  Zeitschr. 

Bd.  XLV.     1887. 

84.  E.  Mangold,  Untersuchungen    über   die  Endigungen  der  Nerven    in    den 

quergestreiften  Muskeln  der  Ai'thropoden.     Zeitschr.   f.   allgem.    Phy- 
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Akad.  d.  Wiss.  zu  Wien;  mathem.-naturw.  Klasse.     XXXIX.  Bd.    7. 
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system  von  Tethys  leporina.     Diese  Zeitschr.     Bd.  LXXXVIII.     1907. 

91.  H.  Müller,  Bau  der  Phylhrhoe.     Diese  Zeitschr.     Bd.  IV.     1853. 

92.  —  u.  C.  Gegexbaur,    Über     Phyllirhoe     bucephalum.       Diese    Zeitschr. 

Bd.  V.     18,54. 

93.  F.  Nansen,  Die  Nervenelemente,  ihre  Struktur  und  Verbindung  im  Cen- 

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Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoi'  hucephala.  191 

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95.  —  Intorno  alle  luce  che  emana  dalle  cellule  nervöse  dclIa  Phyllirhoe  buce- 

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1872. 

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Archiv  f.  mikrosk.  Anatomie.     Bd.  XXIV. 

97.  P.  Pelseneer,  Recherches    sur   divers    Opistobranches.      Mem.    cour.    et 

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1894. 

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de  la  soc.  zool.  de  France.     T.  III.     1888. 

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100.  —  Über  den  elementaren  Bau  des  Nervensystems.     Archiv  f.  Physiologie. 

Bd.  CXII.     1906. 

101.  M.  Pflücke.  Zur  Kenntnis  des  feineren  Baues  der  Nervenzellen  bei  Wirbel- 

losen.    Diese  Zeitschr.     Bd.  LX.     1895. 

102.  A.  PÜTTEB,   Leuchtende  Organismen.     Zeitschr.    für    allgem.    Physiologie. 

Bd.  V. 

103.  S.  Ramon  y  Cajäl,  Die  Struktm-  des  nervösen  Protoplasma.    Monatsschr. 

f.  Psychiatrie  u.  Neurologie.     Bd.  I.     1897. 

104.  J.  Ranke,  Das  akustische  Organ  im  Ohre  der  Pterotrachea.     Archiv  f. 

mikr.  Anatomie.     Bd.  XII.     1876. 

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f.  Naturw.     Bd.  XX.     1887. 

106.  —  Der  Mantelrand  der  Acephalen.    Teil  II.   Jenaische  Zeitschr.  f.  Naturw. 

Bd.  XXIV.     1890. 

107.  —  Der  Mantelrand  der  Acephalen.     Teil  III.     Ibid.     Bd.  XXVII.     1892. 

108.  —  Leitfaden   für  histologische   Untersuchungen.     2.  Aufl 

109.  Retzius,  Das  sensible  Nervensystem  der  Mollusken.     Biologische  Unter- 

suchungen.    Bd.  IV.     1892. 

110.  —  Punktsubstanz,  nervöses  Grau  und  Neuronenlehre.     Biologische  Unter- 

suchungen.   N.  F.     Bd.  XII.     1905. 

111.  Rohde,  Ganglienzelle,  Achsencylinder,  Punktsubstanz  und  Neuroglia.    Arch. 

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112.  —  Ganglienzellkern  und  Neuroglia.     Archiv  für  mikr.  Anat.     Bd.  XLVII. 

1896. 

113.  G.  Rolle,  Die  Renopericardialverbindung  bei  den  Nacktschnecken.     Je- 

naische Zeitschr.  f.  Naturw.     Bd.  XLIII.     1907. 

114.  Rywosch,    Zur   Physiologie  des   Herzens   und  des   Excretionsorgans   der 

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115.  K.  C.  ScHiSTEiDER,  Lehrbuch  der  vergl.   Histologie  der  Tiere.      1902 

116.  ScHiEMENZ,  Über  die  Wasseraufnahme  bei  Lamellibranchiaten.     Mittig.  d. 

zoolog.  Station  zu  Neapel.     Bd.  V  u.  VII. 

117.  Schröder,  Über  den  Schleim  und  seine  biologische  Bedeutung.     Biolog. 

Centralblatt.     Bd.  XXIII.     1903. 


192  Ernst  Born, 

118.  P.  Schultz,  Die  glatte  Muskulatur  der  Wirbeltiere.     Arch.   f.   Anat.   u. 

Phys.     Physiol.  Abtlg.     1895. 

119.  Hans  Schultze,  Fibrilläre  Struktur  des  Achsencylinders  bei  Wirbellosen. 

Archiv  f.  mikr.  Anat.     Bd.  XVI. 

120.  Oskar  Schultze,  Beiträge  zur  Histogenese  des  Nervensystems.     Archiv 

f.  mikr.  Anat.     Bd.  LXVI.     1905. 

121.  SiMROTH  in:  Bronns   Klassen   und    Ordnungen    des   Tierreichs.     III.  Bd. 

Mollusca.     3.  Klasse,  Gastropoda. 

122.  vSmidt,  Die  intraepithealen  freien  Nervenendigungen  bei  Helix  und  ihre 

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1902. 

123.  Smirnow,  Über    freie    Nervenendigungen    im    Epithel    des    Regenwurms. 

Anatom.  Anz.     Bd.  IX. 

124.  SoLBRiG,  über  die  feinere  Struktur  der  Nervenelemente  bei  den  Gastero- 

poden.     Leipzig  1872. 

125.  Spengel,  Das  Geruchsorgan  und  das  Nervensj^stem  der  Mollusken.     Diese 

Zeitschr.     Bd.  XXXV.     1881. 

126.  J.  Spillmann,  Zur  Anatomie  und  Histologie  des  Herzens  und  der  Haupt - 

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Bd.  XL.     1905. 

127.  Steiner,  Die  Funktionen  des  Centralnervensystems  und  ihre  Phylogenese. 

3.  Abtlg.    Die  wirbellosen  Tiere.     Braunschweig  1898. 

128.  Irene  Sterzinger,  Über  das  Leuchtvermögen  von  Araphiura  squamata. 

Diese  Zeitschr.     Bd.  LXXXVIII.     1907. 

129.  Stransky,  Zur   Konservierung   von   Faserfärbungen.      Neurolog.    Central- 

blatt.     Bd.  XX.     1910. 

130.  W.  Straub,  Zur    Physiologie   des   Aplysienherzens.      Ai'chiv  für   die   ges. 

Physiologie.     Bd.  LXXXVI.     1901. 

131.  F.  Tesch,  Die  Heteropoden.     Siboga-Expedition.     51.  Monogr.     1906. 

132.  Thiele,  Beiträge    zur   Kenntnis    der   Mollusken.      III.  Über   Hautdrüsen 

und   ihre  Derivate.      Diese  Zeitschr.     Bd.  LXII.     1897. 

133.  A.  Vayssiere,  Recherches  zoologiques  et  anatomiques  sur  les  Mollusques 

opistobranches  du  golf  de  Marseille.    Annales  du  musee  de  Marseille. 
T.  VI.     1901.     Section  de  Zoologie. 

134.  E.  Veratti,    Ricerche  sul  sistema  nervoso  dei  Limas  in:  Memorie  dell' 

instituto  Lombardo.     Gl.  d.  sc.  mat.  e  nat.     Vol.  XVIII.     1900. 

135.  Verworn,  Allgemeine  Physiologie.     Jena  1897. 

136.  ViGNAL,  Recherches   histologiques    sur   les    centres    nerveux    de    quelques 

invertebres.     Archives  de  Zoologie  experimentale.     IL  Serie.    1.    1883. 

137.  VissiCHELLi,  Contribuzioni  allo  studio  della  Phylliroe  bucephala.     Mittig. 

d.  zoolog.  Station  zu  Neapel.     Bd.  XVIII.     1907. 

138.  C.  Vogt  u.  E.  Jung,  Lehrbuch  der  praktischen  vergleichenden  Anatomie. 

Braunschweig  1888. 

139.  J.  Wackwitz,  Beiträge  zur  Histologie  der  Molluskenmuskulatur,  speziell 

der  Heteropoden  und  Pteropoden.     Zoolog.  Beiträge  von  Schneider. 
Bd.  III.     1892. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  193 

140.  Waldeybr,  Untersuchungen    über   den    Ursprung    und    den    Verlauf    des 

Achsency linders  bei  Wirbellosen  und  Wirbeltieren,  sowie  über  dessen 
Endverhalten  in  der  quergestreiften  Muskelfaser.  Zeitschr.  f.  rationelle 
Medizin.     3.  Reihe.     Bd.  XX.     1863. 

141.  —  Über  einige  neuere  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Anatomie  des 

Centralnervensystems.     Deutsche  med.  Wochenschr.    Bd.  XVII.     1891. 

142.  Wallengren,  Zur  Kenntnis  der  Flimmerzellen.     Zeitschr.  f.  allgera.  Phy- 

siologie.    Bd.  V.     1905. 

143.  Zernecke,  Untersuchungen  über  den  feineren  Bau  der  Cestoden.     Zoolog. 

Jahrb.     Bd.  IX.     1896. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Die  Zeichnungen  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  angefertigt  mit  der  apo- 
chromatischen  Ölimmersionslinse  von  2  mm  Äquivalentbrennw'eite  und  den 
Kompensationsocularen  4,  6  und  8  von  Zeiss.  Die  Abbildungen  entsprechen 
demnach  einer  500-,  750-  bzw.  lOOOfachen  Vergrößerung. 

Tafel  IV. 

Fig.  1.  Phyllirhoe  bucephala.  In  l%iger  Chromsäure  fixiert.  Vergr.  1  :  3- 
Ph,  Pharynx ;  Oe,  Oesophagus ;  M,  Mitteldarm ;  E,  Enddarm  mit  dem  After  bei  x  ; 
Le,  die  oberen  und  unteren  Leberschläuche;  Z,  die  beiden  Zwitterdrüsen;  Ge, 
die  übrigen  Geschlechtsorgane  mit  der  gemeinsamen  Öffnung  bei  x  x  ;  G,  Gehirn; 
H,  Herz;  N,  Nephridium  mit  der  äußeren  Öffnung  bei  x  x  x  ;  L,  Längsmuskel- 
fasern; Dr,  die  mehrzelligen  Hautdrüsen;  F,  Fußdrüse. 

Fig.  2.  Eine  sich  stets  im  inneren,  oberen  Teil  jedes  Cerebralganglions 
findende  Anhäufung  dicht  aneinander  gedrängter  Kerne;  letztere  gehören  sehr 
kleinen  Ganglienzellen  an  { =  cellules  sensorielles,  GuLiRT).  Nach  Heidenhain 
gefärbt.     Vergr.  1  :  575. 

Fig.  3.  Querschnitt  durch  die  beiden  Cerebropleuralganglien  und  das  rechte 
Pedalganglion.  A,  Auge;  a,  ein  Ganglienzellfortsatz,  welcher  direkt  in  einen 
peripheren  Nervenstamm  übergeht,  b,  Kernhaufen  (vgl.  Fig.  2);  N,  Neuropil. 
Vergr.  1  :  140. 

Fig.  4  u.  5.  Auf  der  Haut  der  Phyllirhoe  lebende  Parasiten;  allem  An- 
schein nach  handelt  es  sich  um  Trematoden.     Vergr.  1  :  110. 

Fig.  6.  Sagittalschnitt  durch  den  Kopf.  A,  Anhäufung  einzelliger  Schleim- 
drüsen; K,  Kiefer;  L,  Lippendrüse;  Sp,  Speicheldrüse;  V,  Vorraum  zur  Mund- 
höhle.    Mit  Hämalaun-Eosin  gefärbt.     Vergr.  1  :  35. 

Fig.  7.  Sagittalschnitt  durch  den  unteren  Teil  des  Pharynx.  E,  Epithel; 
K,  Kiefer;  R,  Radula;  Z,  Zotten.     Vergr.  1  :  75. 

Tafel  V. 

Fig.  1.     Eine  Gruppe  von  Pigmentzellen.     Bei  Zelle  a  konnte  nicht  mit 
Sicherheit  entschieden  werden,  ob  die  eingezeichneten  Kerne  der  Pigmentzelle 
oder  darüber  gelagerten  Bindegewebszellen  angehörten.    Mit  l%iger  Chromsäure 
Zeitschrift  f.  wissenseh.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  13 


194  Ernst  Born, 

fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt.  Vergr.  1  :  500.  Die  Zeichnung  ist  um 
ein  Drittel  verkleinert. 

Fig.  2.  Mehrere  Pigmentzellen  haben  sich  zu  einem  Syncjrtium  vereinigt. 
Fixiert  mit  FtEMMiNGscher  Lösung.  Vergr.  1  :  500.  Die  Zeichnung  ist  um  ein 
Drittel  verkleinert. 

Fig.  3.  Auffallend  dunkel  gefärbte  Pigmentzelle  mit  einem  hellen,  fein 
gestrichelten  Saum;  die  Zelle  stand  mit  Pigmentzellen  von  gleicher  Beschaffen- 
heit in  Verbindung.     Fixierung  und  Vergrößerung  wie  bei  Fig.  2. 

Fig.  4.  a  und  6,  Bindegewebszellen;  c,  ein  mit  Fremdkörpern  beladener 
Leucocyt.     Fixation  nach  Flemming.     Vergr.  1  :  500. 

Fig.  5.  Eine  Bindegewebszelle.  Mit  1%  iger  Chromsäure  fixiert  und  nach 
Heidenhain  gefärbt.     Vergr.  1  :  500. 

Fig.  6.  Teil  eines  Längsschnittes  durch  das  Gehirn.  A,  Auge;  B,  Binde- 
geweljskörperchen ;  Gl,  Gliakerne;  Cg,  Cerebropleuralganglion ;  Fg,  Pedalganglion; 
iV,  Neurilemm;  iVp/,  Neuropil;  Ä^i,  Fühlernerv,  der  nahe  seinem  Ursprung  noch 
einen  an  das  Integument  tretenden  Nerv  iV^  abgibt.  Bei  x  x  liegt  im  Fühlernerv 
ein  sehr  kleiner  Kern,  welcher  vielleicht  mit  den  Nervenkernen  Apäthys  ver- 
glichen werden  kann.  Mit  Chromsäure  fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt. 
Vergr.   1  :  .500.     Die  Zeichnung  erstreckt  sich  über  zwei  Gesichtsfelder. 

Fig.  7.  o,  Neuropil  des  Cerebropleuralganglions  mit  einer  auffallend  großen 
bipolaren  Zelle  und  zwei  sehr  kleinen  Kernen,  fe,  ein  Teil  der  im  Neui'opil  beob- 
achteten Netzstrukturen,  Mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und  nach  Heidenhain 
gefärbt.     Vergr.  1  :  750. 

Fig.  8.  Eine  centrale  Ganglienzelle  mit  den  Ausläufern  eines  gelappten 
Kernes.  Gl,  Gliakerne;  N ,  Neurilemm.  Mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und  mit 
verdünntem  DELAFiELDschen  Hämatoxylin  gefärbt.     Vergr.  1  :  1000. 

Fig.  9.  Drei  große  Ganghenzellen  aus  dem  Cerebropleuralganglion;  bei  a 
ein  gelappter  Kern.  Gl,  Gliakerne;  H,  gliöse  Hüllschicht;  'N ,  Neurilemm.  Fixie- 
rung nach  Flemming  und  mit  Eisenalaunhämatoxylin    gefärbt.     Vergr.   1  :  75. 

Fig.  10.  Eine  Ganglienzelle  mit  nierenförmigem  Kern;  das  Chromatin 
bildet  an  der  Einkerbung  eine  dunkle  Leiste.  Mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und 
mit  Delafields  Lösung  gefärbt.     Vergr.  1  :  750. 

Fig.  11.  Eine  Ganglienzelle  mit  nierenförmigem  Kern,  letzterer  hat  an  der 
Einbuchtung  einen  undeutlichen  Kontur.  Gl,  Gliakern;  N,  Neurilemm.  Fixiert 
nach  Flemming  und  nach  Heidenhain  gefärbt.     Vergr.  1  :  750. 

Fig.  12.  Eine  centrale  Ganghenzelle  mit  ausgewanderten  Nucleolen;  bei  * 
befindet  sich  ein  Kernkörperchen  auf  der  Grenze  zwischen  Kern  und  Zellleib ;  N , 
Neurilemm.  Mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt. 
Vergr.  1  :  750. 

Fig.  13.  a  und  h:  Zwei  Ganglienkerne  mit  auffallend  großen  Nucleolen. 
Vergr.  1  :  750. 

Fig.  14.  Teile  eines  Nerven  bald  nach  seinem  Ursprung  aus  dem  Central - 
nervensystem.  B,  Bindegewebskörperchen ;  d,  bipolare  Zelle;  'Neu,  Neurilemm. 
Vergrößerung  1  :  500.     Fixierung  nach  Flemming. 

Fig.  15.  Eine  Nervenfaser  mit  seitlich  angelagerter  multipolarer  Ganglien- 
zelle; das  Fäserchen  fc  geht  anscheinend  auch  noch  von  dieser  Zelle  aus.  Neu, 
Neurilemm.     Vergr.  1  :  500.     Fixiert  nach  Flemming. 

Fig.  16.     Teil  eines  Flossennerven  von  einem  mit  Chrouiessigsäure  fixierten 


1  Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phylürhoe  bucephala.  195 

und  mit  Hämatoxylin-Eosin  gefärbten  Exemplar.  G^,  -,  3,  bipolare  Ganglien- 
zelle. Bei  pl~,  3  finden  sich  die  auf  S.  132  erwähnten  Pigmentanhäufungen. 
Vergr.  1  :  500. 

Fig.  17.  In  dem  y^  ist  eine  große  bi})olarc  Ganglienzclle  G^  eingeschaltet; 
der  Nervenfaser  iV 2  ist  eine  multipolare  Ganglienzclle  Ö"-  angelagert.  Vergr.  1  :  500. 

Die  Figuren  1,  2,  3,  4,  5,  14,  15,  10  u.  17  wurden  an  Totoexemplaren 
\)z\\,  isolierten  Hautstücken  beobachtet. 

Tafel  VI. 

Fig.  1.  Eine  Nervenmasche  aus  dem  Grundplexus.  Bei  «  liegt  unter  dem 
Nerven  N^  eine  große  bipolare  Ganglienzelle.  Die  der  Faser  anliegende  Zelle  h 
ist  als  multipolare  Ganglienzelle  zu  deuten.  Bei  c^,  c^,  c^  sind  in  die  Fibrillen- 
bündel  Ganglienzellen  eingeschaltet,  d^,  d~,  d^,  d^  stellen  die  auf  S.  131  erwähnten 
bipolaren  Zellen  dar.  B,  Bindegewebskörperchen.  Die  Zeichnung  dehnt  sich 
über  mehrere  Gesichtsfelder  aus.     Flemmino- Präparat.    Vergr.  1  :  750. 

Fig.  2.  Die  von  den  Flimmerzellen  F^,  F'^,  F^  und  F^  ausgehenden  Fi- 
brillen umranden  die  Stomata  zweier  Hautdrüsen  (S^i  und  St'^).  Flächenpräparat 
mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt.    Vergr.  1  :  500. 

Fig.  3.  Dieses  Bild  wurde  ebenfalls  an  einem  Totoexemplar  beobachtet; 
bei  der  Einstellung  zeigte  sich  zuerst  auf  dem  Integument  (/)  die  Flimmer- 
zelle F  mit  dem  intracellulären  Faserkegel.  Der  Wimperzelle  liegen  seitlich  noch 
einige  Epithelzellen  der  gewöhnlichen  Art  an.  Unter  der  Basalmembran  bildet 
ein  feiner  Hautnerv  N^  eine  mächtige  ganglionäre  Anschwellung  G,  deren  oberes 
Ende  direkt  imter  der  Flimmerzelle  liegt.  Ich  habe  aber  nicht  die  Neurofibrillen 
in  die  Zelle  eintreten  sehen.  Die  Anschwellung  G,  welche  übrigens  vom  Zeichner 
etwas  zu  groß  und  zu  schematisch  wiedergegeben  ist,  entsendet  noch  einen  sehr 
feinen  Nerv  N~  zur  Hautmuskulatur.  B,  Bindegewebskörperchen.  Fixierung 
nach  Flemming.     Vergr.  1  :  750. 

Fig.  4.  Ein  Ast  des  Fühlernerven;  a,  b,  c,  d,  e  sind  ohne  Zweifel  als 
sensible  Nervenendigungen  zu  deuten.  Die  Zeichnung  rührt  von  einem  Flächen - 
präparat  her  und  setzt  sich  daher  aus  verschiedenen  optischen  Ebenen  zusammen, 
die  mit  *  gekennzeichneten  Stellen  sind  bei  höchster  Einstellung  sichtbar.  Das 
Präparat  ist  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixiert.     Vergr.  1  :  750. 

Fig.  5.  Ganglienzellen  in  einem  Nerven  der  Schwanzflosse.  Die  beiden 
bipolaren  Zellen  a  und  b  anastomosieren  vielleicht  miteinander,  Fixation  nach 
Flemming.     Vergr.  1  :  500. 

Fig.  6.  Eine  Nervenmasche,  Vergr. 
1  :  300, 

Fig.  7.  Eine  anscheinend  apolare  Gan- 
glienzelle 

Fig.  8.     Eine  multipolare   Ganglienzeilc 

Fig.  9.  Seitlich  angelagerte  Ganglien- 
zellen, deren  feine  Fortsätze  an  die  Muskulatur 
des  Magens  gehen. 


aus  dem  sympathischen  Plexus. 
Mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fi- 
xiert und  mit  Ausnahme  von 
Fig.  6  mit  500  f acher  Vergröße- 
rung gezeichnet. 


Tafel  VII. 

Fig.  1:     Die  dorsoventralen  Muskelfasern  D^,  D-,  D^  liegen  auf  den  nur 
schematisch  dargestellten  Längsmuskelfasern.    Die  Hautnerven  N^,  N^  und  N^ 

13* 


196  Ernet  Born, 

kreuzen  die  Muskelfasern  an  deren  Unterfläche.  Die  Nerven  N^  und  N^  sind 
bei  X  durch  eine  breite  Anastomose  miteinander  verbunden;  außerdem  stehen 
die  Hautnerven  mittels  der  auf  den  dorsoventralen  Muskelfasern  entlang  laufen- 
den Körnchenreihen  in  Verbindung;  gut  sind  letztere  zwischen  iV^  und  N^  auf 
D^  und  D^  zu  verfolgen.  Die  Körnchenreihe  auf  D^  endet  allem  Anscheine  nach 
bei  X  X  ;  kurz  davor  tritt  ein  feines  Nervenfädchen  zu  der  die  Faserzelle  D^  inner- 
vierenden Körnchenreihe  ab.  Diese  nervösen  Körnchenreihen  stellen  den  End- 
plexus  (F.  B.  Hoffmann)  dar.  Mü,  MüLLBRsche  Zelle;  St,  Sternzelle;  Schi, 
Schleimdrüsen zelle.  Die  Zeichnung  dehnt  sich  über  drei  nebeinander  liegende 
Gesichtsfelder  aus;  sie  ist  jetzt  um  ein  Drittel  verkleinert. 

Fig.  2.  Hautmuskulatur,  L,  Längsmuskelf asern ;  D,  Dorsoventralf asern ; 
a,  flügelartige  Verbreiterung  einer  Dorsoventralfaser.  Bei  b  ein  homogener  Saum, 
welcher  die  Längsmuskelbündel  bisweilen  begrenzt.  N,  Nerv.  Bei  x  geht  der 
Ausläufer  einer  Parenchymmuskelzelle  in  ein  feines  Nervenfädchen  über.  Bei  x  x 
findet  sich  die  Endigung  einiger  Ausläufer  einer  Parenchymmuskelzelle  an  einer 
Longitudinal-  und  Dorsoventralfaser,  bei  x  x  x  eine  solche  Endigung  an  einem 
Nerven. 

Fig.  3.  Zwei  miteinander  anastomosierende  Längsmuskelbündel;  bei  x 
eine  angelagerte  Bindegewebszelle. 

Fig.  4.  Drei  Querschnitte  von  Längsrauskelbündeln.  Mit  l%iger  Chrom- 
säure fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt.     Vergr.  1  :  500. 

Fig.  5.  Die  Zellen  a,  b  und  c  stellen  anscheinend  multipolare  Ganglien- 
zellen dar;  die  Zellen  a  und  b  sind  durch  eine  Anastomose  miteinander  verbunden. 
Um 'ein  Drittel  verkleinert. 

Fig.  6.  Das  periphere  Ende  eines  zerrissenen  Nerven.  Vgl.  den  Text 
auf  S.  140. 

Fig.  7.     Ein  Stück  von  einer  der  auf  S.  144  erwähnten  Hautmuskelfasern. 

Fig.  8.  Eine  Parenchymmuskelfaser.  P,  Plasmazelle;  B,  Bindegewebs- 
körperchen.     Um  Raum  zu  ersparen  ist  die  Zeichnung  bedeutend  verkürzt. 

Die  auf  Taf.  VII  befindlichen  Figuren  wurden  alle  mit  Ausnahme  von  Fig.  4 
an  mit  FLEMMiNGscher  Lösung  fixierten  Totoexemplaren  beobachtet  und  bei 
öOOfacher  Vergrößerung  gezeichnet. 

Tafel  VIII. 

Fig.  1.  Ein  Teil  eines  Körperquerschnittes.  Das  die  Haut  teilweise 
bedeckende  Epithel  ist  nicht  eingezeichnet.  L,  Leber;  a,  Grenzlamelle.  Mit 
l%iger  Chromsäure  fixiert  und  nach  Heidenhain  gefärbt.  Schwache  Ver- 
größerung. 

Fig.  2.  a,  Zwei  miteinander  anastomosierende  Muskelfasern  aus  der  Herz- 
kammer. N,  Nerv,  b,  eine  Ventrikelfaser,  bei  der  eine  Querstreifung  durch  die 
Fältelung  der  die  Muskelzelle  umhüllenden  strukturlosen  Schicht  vorgetäuscht  wird. 

Fig.  3.  a,  eine  der  großen  im  Gallertgewebe  sich  findenden  Zellen,  die 
vielleicht  zur  Excretion  in  Beziehung  stehen.  Mit  l%iger  Chromsäure  fixiert 
und  mit  Hämalaun-Eosin  gefärbt,  b,  eine  Plasmazelle,  c,  eine  Plasmazelle 
nach  Heidenhain  gefärbt;  im  Protoplasma  und  in  den  Vacuolen  finden  sich 
einige  Concretionen.     b  und  c  waren  mit  FLEMMiNGScber  Lösung  fixiert. 

Fig.  4.  a,  Nierentrichten  P,  Pericardialsinus.  b,  Vacuolisierte  Nieren- 
epithelien. 


Beiträge  zur  feineren  Anatomie  der  Phyllirhoe  bucephala.  197 

Fig.  5.  Sagittalschnitt  durcli  die  Lippendrüse,  a,  Ausführungsgang  einer 
Drüsenzelle;  b,  Bindegewebskörperchen ;  c,  sehr  kleine  Kerne,  welche  vielleicht 
Stützzellen  angehören;  £",  Epithel;  A',  Kiefer;  31,  Muskulatur;  Phl,  längsgeschnit- 
tene; Phq,  quergeschnittene  Muskulatur  des  Pharynx;  SrJil,  Schleimdrüsenzellen. 
Mit  l%iger  Chromsäuro  fixiert  und  mit  Hämatoxylin-Eosin  gefärbt.  Vergr. 
1  :  333. 

Fig.  6.  a,  eine  mehrzellige  Hautdrüse,  b.  Schnitt  durch  eine  solche  Drüse. 
X,  zwei  Drüsenzellen  mit  Ausführungsgängen;  B,  Basalmembran  mit  Deckepithe- 
lien.  Mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und  mit  Hämalaun-Eosin  gefärbt,  c  stellt 
das  nur  selten  beobachtete  einzellige  Stadium  dieser  drüsigen  Organe  dar;  N,  Nerv. 

Fig.  7.  Eine  mucöse  Drüsenzelle  mit  dem  sehr  kleinen  Kern  bei  x .  Der 
Kern  N  bildet  an  der  Basis  der  Drüsenzelle  eine  kleine  ganglionäre  Anschwellung. 

Fig.  8.  Eine  Schleimdrüse  mit  seitlichem  Ausführungsgang,  x ,  Drüsen- 
kern ;    X  X  ,  Nervenkern. 

Die  Figuren  7  und  8  sind  mit  l%iger  Chromsäure  fixiert  und  mit  Häm- 
alaun-Eosin gefärbt. 

Fig.  9  u.  10  stellen  seröse  Drüsenzellen  dar,  die  mit  feinen  Nervenfädchen 
in  Verbindung  stehen.  Beide  Figuren  wurden  an  Totoexemplaren  beobachtet, 
die  mit  FLEMMiNGScher  Lösung  fixiert  waren.  Fig.  9  ist  ungefärbt,  Jlg.  10  mit 
Hämatoxylin-Eosin  tingiert. 

Fig.  11.     Schnitt  durch  eine  MüLLERsche  Zelle.     B,  Basalmembran. 

Fig.  12.     Eine  Sternzelle.     N,  Nerv.  ' 

Fig.  13.     Eine  Blasenzelle. 

Fig.  14.  Ein  Trematode.  Dasselbe  Exemplar  ist  schon  auf  Taf.  IV, 
Fig.  4,  abgebildet.     Mit  Chromessigsäure  fixiert  und  nach  van  Gieson  gefärbt 

Die  Fig.  6  a  und  c,  7,  8,  9,  10,  12  und  13  stammen  von  einem  Toto 
exemplar  und  setzen  sich  daher  aus  verschiedenen  optischen  Ebenen  zusammen 
Die  Öffnungen  der  Drüsenzellen  sind  durch  einen  gestrichelten  Kreis  dargestellt 

Mit  Ausnahme  der  Fig.  1,  3  o,  5,  6  ft,  7,  8  und  14  sind  die  Präparate  mit 
FLEMMENGscher  Flüssigkeit  fixiert  und  alle,  ausgenommen  Fig.  1  und  5,  bei 
öOOfacher  Vergrößerung  gezeichnet. 


I 


Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  und  Biologie 
der  Colymbidae. 

Friedrich  Theodor  Rosenherg 

aus  Doip.it  in  Livlar.d. 
(Aus  dem  Zoologischen  Institut  der  Universität  Leipzig.) 

Mit  13  Figuren  im  Text  und  Tafel  IX. 

Vorliegende  Arbeit  habe  ich  im  Wintersemester  1907/08  unter  der 
Leitmig  meines  hochverehrten  Lehrers  Prof.  Chun  im  Leipziger  Zoolo- 
gischen Listitiit  begonnen. 

Ich  wandte  mich  der  Familie  der  Colymbidae  zu,  da  Aussicht 
vorhanden  war,  dieselbe  an  der  Hand  eines  umfangreichen  Älateriales 
studieren  zu  können  und  ich  außerdem  in  der  mir  zugänglichen  Literatur 
keinen  einzigen  Hinweis  auf  diesbezügliche  entwicklungsgeschichtliche 
Untersuchungen  gefunden  habe. 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht  insbesondere  Herrn  Dr.  J. 
THIENEMANN-Rossitten,  Herrn  Forstmeister  ScHLEiNiTZ-Hubertusburg 

Anm.  Friedrich  Theodor  Rosenberg  starb  am  17.  Mai  1910.  Als  Sohn  von 
Prof.  Alexander  Rosenberg  inDorpat  entstammte  er  einer  Gelehrten-Familie, 
deren  Name  unter  Biologen  und  Morphologen  mit  Recht  geschätzt  wird.  Er 
wurde  am  31.  Juli  1880  in  Dorpat  geboren  und  studierte  an  der  dortigen  Uni- 
versität von  1901  bis  1905  Naturwissenschaften,  mit  x\usnahme  des  Jaln-es  1903, 
welches  er  in  Florenz  und  Viareggio  verbrachte.  Im  Sommer  1906  bereiste  er 
den  schwer  zugänglichen  Daghestan,  indem  er  in  diesem  Gebiete  Sammlungen 
für  das  Botanische  Institut  seiner  Vaterstadt  anlegte  und  seiner  früh  erwachten 
Neigung  für  ornithologische  Beobachtungen  nachging.  Ende  1906  setzte  er  in 
Leipzig  seine  zoologischen  Studien  fort  und  begann  dann  die  vorliegenden  Unter- 
suchungen über  die  »Entwicklungsgeschichte  und  Biologie  der  Coh-mbidae  <<. 
In  der  Vorahnung,  daß  ein  tückisches  Sarkom  ihm  verhängnisvoll  werden  könne, 
schrieb  er  kurz  vor  seinem  Tode  die  vorliegenden  Ergebnisse  nieder,  denen  er 
einen  Abriß  über  den  Primordialschädel  der  Pinguine  und  Colymbiden  wollte 
nachfolgen  lassen.  Mit  ihm  ist  ein  begabter  Beobachter  und  ein  ebenso  beschei- 
dener wie  energischer  Forschungsreisender  von  uns  geschieden. 

C.  CmjN. 

Zeitsphrift  f.  wissenRch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  14 


200  Friedrich  Theodor  Rosenberg, 

und  vielen  andern  für  das  Entgegenkommen  zu  danken,  \vek;he3  sie  mir 
bei  der  schwierigen  Beschaffung  des  Embryonenmateriales  erwiesen 
kaben. 

Embryonen  vom  Polartaucher  {Urinator  arcticus  L.)  erhielt  ich 
aus  meiner  Heimat  Livlaud  durch  die  Liebenswürdigkeit  unsres  balti- 
schen Ornithologen  Herrn  C.  von  MiDDENDORFF-Hellensom,  auf  dessen 
Besitz  dieser  prächtige  Taucher  in  einigen  Pärchen  nistet  und  als  eine 
Hauptzierde  des   dortigen  Seengebietes  streng  geschont  wird. 

.  Was  endlich  die  Embryonen  von  Uria  troile  L.,  der  Trottellumme, 
anbetrifft,  so  habe  ich  sie  durch  A^ermittelung  der  Königlichen  Biolo- 
gischen Anstalt  Helgoland  käuflich  erwerben  können.  Herrn  Direktor 
Prof.  Heincke  und  Assistent  Dr.  Weigold  spreche  ich  auch  hier 
meinen  Dank  aus. 

Herrn  Prof.  Ciiun  bin  ich  für  das  fördernde  Interesse,  welches  er 
meiner  Arbeit  entgegengebracht  hat,  zu  allergrößtem  Dank  verpflichtet, 
ebenso  Prof.  zur  Strassen,  Prof.  Wolterecp:  und  Dr.  Steche. 


Was  nun  das  Material  anbetrifft,  so  wird  wohl  jedem,  der  sich  mit 
Embryologie  beschäftigt,  die  Schwierigkeit  bewußt  sein,  gut  konser- 
vierte Embryonen  mit  gewissenhafter  Artbestimmung  zu  erhalten. 
Dieses  gilt  besonders  für  wild-  und  zum  Teil  sehr  versteckt  lebende 
Vögel,  zu  welchen  z.  B.  der  Zwergtaucher  {Colijmhus  nigricans  Scop.) 
zu  zählen  ist. 

Zwei  Bedingungen  sind  dazu  erforderlich:  1)  die  Mitarbeit  von 
Sachkundigen  (ein  Nichtsachkundiger  schickte  mir  von  der  Insel  Dago 
im  Baltischen  Meere  ein  vollzähliges,  aus  zwölf  Eiern  bestehendes 
Gelege  der  Eiderente  [Somateria  mollissima  L.]  in  der  naiven  Meinung 
es  handle  sich  um  Urinator  arcticus  L.  Letzterer  legt  nmi  leider  nur 
zwei  und  dazu  stark  gefleckte  Eier  von  ganz  andrer  Form!)  in  Gegenden, 
welche  man  nicht  persönlich  aufsuchen  kann,  und  2)  selber  möglichst 
viel  Sammelexkursionen  zu  unternehmen.  Durch  Erfüllung  dieser 
beiden  Bedingungen  stand  mir  ein  so  reiches  und  schön  konserviertes 
Material  zur  Verfügung,  daß  eine  ganze  Reihe  von  Embryonen  für 
spätere  Untersuchungen  aufgehoben  werden  konnte. 

Einige  Fragen,  und  zwar  insbesondere  die  Entwicklunu  des  Primor- 
dialcraniums  habe  ich  daher  in  vorliegender  Arbeit  noch  nicht  berück- 
sichtigt. 

In  bezug  auf  die  lateinischen  Vogelnamen  habe  ich  mich  nach 
Reichenow  (13)  gerichtet.  Bei  den  Colymbidae  werde  ich  die  Be- 
zeichnung Steißfuß  durch  den  kürzeren  Ausdruck  Taucher  ersetzen. 


Beiträge  zur  Entwicklungsgeschiclitc  und   Biologie  der  Colyiiil)id;io.      20  l 

Wenn  ich  nini  in  erster  Linie  das  Genus  Colymhus,  und  zwar  Co- 
h/mbus  nigricoUi.s'  (Brehni)  in  den  Bei'eicli  meiner  Betrachtungen  ge- 
zogen habe,  so  geschah  das  aus  praktischen  Gründen.  C.  nigncollis 
ist  nämlich  der  einzige  Lappentaucher,  welcher  in  Deutschland,  man 
kann  sagen  ausschließlich,  in  typischen  Kolonien  nistet,  daher  ist-  das 
Embryonenmaterial  gerade  dieser  Art,  welche  übrigens  durchaus  nicht 
die  häufigste  ist,  noch  am  ehesten  in  größerer  Anzahl  zu  beschaffen. 

]Mein  Material  erhielt  ich  zum  Teil  aus  Rossitten  auf  der  Kurischen 
Nehrung,   zum  Teil  aus  Frohburg  vom  Eschefelder  Teich. 

Letztere  Kolonie  hatte  ich  das  Vergnügen  persönlich  aufsuchen 
zu  können;  die  Anzahl  der  dort  im  Mai  1909  nistenden  Schwarzhälse 
taxiere  ich  auf  etwa  hundert  bis  hundertzwanzig  Paare. 

Die  Taucher  hatten  eine  Schilfecke  des  Sees  zum  Nistplatz  gewählt, 
und  hier  stand  buchstäblich  Nest  an  Nest. 

Da  die  Gelege  zum  Teil  schon  stark  bebrütet  waren,  schoben  sich 
die  alten  Taucher  zögernd  und  sichtlich  ungehalten  erst  dann  vom 
Nest,  wenn  sie  sich  dicht  vor  dem  Boot  befanden. 

Zur  Biologie  der  Taucher  w^ill  ich  noch  erwähnen,  daß  in  Esche- 
feld die  Schwarzhalstaucher  in  Gesellschaft  von  Lachmöwen  nisteten. 

Ein  Tauchernest  war  von  den  Möwen  durch  einen  Pfahlbau  gleich- 
sam überdacht  worden. 

Viele  Tauchernester  mögen  allerdings  durch  die  Bauwut  der  Möwen 

vernichtet  worden  sein,  wie  das  schon  Dr.  Thienemann  von  der  Rossit- 

tener  Kolonie   schildert,   so   daß  hier  nur  eine  scheinbare   Symbiose 

vorliegt.    Einen  unbestreitbaren  Vorteil  haben  allerdings  die  Schwarz- 
es >~ 

halse  von  ihren  Nachbarn  aus  der  ersten  Etage:  die  kampflustigen 
Möwen  halten  ihnen  jeden  befiederten  Tierräuber  fern.  Ich  selber 
w^ar  Zeuge  wie  zwei  Krähen  gezwungen  wurden  das  Weite  zu  suchen. 

Als  Vergieichsmaterial  standen  mir  außer  der  erwähnten  Art  noch 
zur  Verfügung  Embryonen  vom  Haubentaucher  {Colynibus  cristatus  L.), 
vom  Rothalstaucher  {Colynibus  grisegena  Bodd.)  und  vom  Zwergtaucher 
{Colymhus  nigricans  Scop.). 

Konserviert  wurde  größtenteils  mit  Formol,  und  zwar  anfänglich 
in  Lösungen  bis  zu  20%,  in  denen  die  Objekte  einige  Tage  verblieben, 
um  dann  in  die  5%ige  Lösung  übergeführt  zu  werden. 

Bei  ganz  jungen  Stadien  habe  ich  mit  Erfolg  Pikrin-Eisessigsublimat 
angewandt,  und  bei  einer  Anzahl  älterer  endlich,  allmählich  verstärkten 
Alkohol,  Für  photographische  Aufnahmen  eigneten  sich  die  Forniol- 
präparate  am  besten,  da  die  in  Alkohol  konservierten  Embryonen  bei 

14* 


202  Friedrich  Theodor  Rosenberg, 

noch  so  gewissenhafter  Überführung  in  stärkere  Lösungen  bisweilen 
recht  beträchtlich  zu  schrumpfen  beliebten. 

Gefärbt  wurde  in  der  Regel  in  toto.  Mir  sagt  diese  Methode 
sehr  zu,  erstens  wegen  der  bedeutend  leichteren  Orientierung  gefärbter 
Embryonen  beim  Einbetten  und  zweitens  wegen  der  verschiedenen 
Unzuträglichkeiten  der  Schnittfärbung,  zu  welchen  ich  das  plötzliche 
Aufschwimmen  sämtlicher  Schnitte,  wenn  der  Kollodiumüberguß  ver- 
gessen, sowie  die  ganze  zeitraubende  Umständlichkeit  dieses  Ver- 
fahrens zähle. 

Von  Färbungsmethoden  habe  ich  in  erster  Linie  Hämocalcium 
Mayer,  welches  Suschkin  (12)  in  seiner  Tinnunculusarbeit  für  Knorpel- 
und  Knochendifferenzierungen  empfiehlt,  mit  gutem  Erfolge  benutzt. 
Die  Schnitte  ließen  sich  leicht  mikrophotographisch  aufnehmen  und 
lieferten  sehr  instruktive  Übersichtsbilder. 

Außerdem  benutzte  ich  noch  Boraxkarmin,  Hämatoxylin  Ehrlich, 
Heidenhain  usw. 

Da  mir,  wie  schon  erwähnt,  Gelegenheit  geboten  war,  eine  gTÖßere 
Anzahl  von  Tauchereiern  zu  erhalten,  so  machte  ich  den  Versuch  mit 
künstlicher  Bebrütung,  eine  kontinuierliche  Stadienreihe  mit  dem  kon- 
stanten Intervall  von  24  Stunden  zu  erzielen. 

Zu  diesem  Zwecke  bestellte  ich  mir  einen  Brutapparat  von  Sar- 
TORius  in  Göttingen,  welcher  gut  funktionierte.  Um  allzu  große  äußere 
Temperaturschwankungen  vom  Apparat  fernzuhalten,  ließ  ich  ihn  in 
einen,  eigentlich  für  einen  Thermostaten  bestimmten,  Glaskasten  stellen, 
dessen  Schiebetür  bis  auf  einen  Ventilationsspalt  geschlossen  wurde. 
Der  Apparat  wurde  mit  Hilfe  eines  an  der  Mündung  etwas  ausgebohrten 
Mikrobrenners  geheizt,  und  zwar  fing  ich  mit  einer  Temperatur  von 
39°  C  an,  um  dieselbe  schließlich  bis  auf  40 1/2°  zu  erhöhen.  Bei  der 
Gasheizung  ist  besonderes  Gewicht  auf  die  Ventilation  zu  legen,  da 
sonst  die  Verbrennungsgase  den  Keimen  leicht  verderblich  werden 
können  (Dr.  Blanke,  Landwirtschaftliche  Geflügelzucht).  Das  Heizen 
mit  der  Petroleumlampe  ist  wegen  des  beständigen  Nachfüllens,  Blakens 
usw.  zu  umständlich  und  nicht  zu  empfehlen,  da  das  eventuelle  Aus- 
gehen der  Lampe  die  Vernichtung  der  ganzen  Brut  zur  Folge  hat. 

Da  nun  die  Tauchereier  normalerweise  auf  einem  schwimmenden, 
nassen  Pflanzenklumpen,  welchen  ein  Unkundiger  nie  für  ein  Nest 
halten  würde,  ausgebrütet  werden  und  von  dem  alten  Taucher  vor 
dem  Verlassen  des  Nestes  noch  mit  Schlamm  usw.  bedeckt  werden, 
so  versuchte  ich,  ihnen  im  Brutapparat  dieselben  Bedingungen  zu 
verschaffen,  indem  ich  sie  auf  nasse  Wattebäusche  bettete. 


Beiträge  zur  Entwicklungsgcschiolito  und   Biologie  der  Colynibidae.      203 

Die  AVatte  wurde  tä^iich  zweimal,  gelegentlich  des  Kühleus  imd 
Wendens  der  Eier,  angefeuchtet,  und  zwar  mit  lauwarmem  Wasser, 
mn  eine  zu  starke  Abkühlung  der  Eier  und  des  Apparates  zu  vermeiden. 

Ein  Umstand  erwies  sich  leider  bei  diesen  Versuchen  als  sehr 
hinderlich.  Es  gab  nämlich  kein  Mittel  die  Eier  auf  Entwicklungs- 
fähigkeit zu  prüfen. 

Zu  diesem  Zweck  eignet  sich  der  sehr  einfache  und  praktische 
Eierprüfer  von  Sartoriüs  wohl  für  Hühnereier,  für  die  er  ja  auch 
bestimmt  ist,  nicht  aber  für  die  dickschaligen  und  schmutzfarbenen 
Tauchereier,  welche  sich  trotz  Blendspiegels  und  heller  Lampe  nicht 
durchleuchten  lassen. 

Ich  zog  es  daher  vor  iiur  eine  ganz  geringe  Anzahl  von  Eiern  im 
Apparat  bebrüten  zu  lassen,  habe  daher  nicht  die  erhoffte  Anzahl  von 
Altersbestimmungen  machen  können,  dafür  allerdings  vom  Zwerg- 
taucher {Colymhus  nigricans  Scop.),  von  dem  mir  nur  ein  Gelege  von 
fünf  Eiern  zur  Verfügung  stand,  vier  wichtige  Stadien  erhalten. 

Biologisch  interessant  war  bei  einem  künstlich  erbrüteten  Schwarz- 
halstaucher der  sofortige  Instinkt  bei  seiner  Mutter  unterzukriechen; 
als  solche  erschien  ihm  wohl  die  auf  den  Tisch  gelegte  Hand,  unter 
welche  er  sich  stets  mit  großer  Schnelligkeit  auf  der  Unterseite  liegend 
hinschob.  Darauf  legte  er  seinen  Kopf  auf  meinen  Daumen  und  blieb 
in  dieser  Stellung  zufrieden  piepend  liegen.  Nahm  ich  die  Hand  weg, 
so  begann  er  sofort  auf  dem  Tisch  herum zurudern  und  einen  Unter- 
schlupf zu  suchen. 

Einen  merkwürdigen  Umstand  in  bezug  ^uf  die  geographische 
Verbreitung  der  Colymbidae  muß  ich  noch  erwähnen. 

Colymhus  auritus  L.,  der  Ohrentaucher,  vertritt  bekanntlich  den 
ihm  sehr  nahe  verwandten  C.  nigricollis  im  hohen  Norden:  so  brütet 
er  auf  Island,  ja  selbst  auf  Grönland  (13). 

Die  südlichsten  Nistplätze  von  C.  auritus  L.  dürften  wohl  in  den 
russischen  Ostseeprovinzen  liegen.  Er  nistet  hier  in  Livland  und 
Kurland.  Seine  vorgeschobensten  Nistplätze  liegen  in  Südkurland; 
dort  habe  ich  ihn  auf  einem  Karpfenteiche  in  Rudden  als  Nistvogel 
konstatieren  können. 

Die  benachbarte  Kurische  Nehrung  dagegen  beherbergt  seinen 
schwarzhalsigen  Vetter  C.  nigricoUis  als  Brutvogel,  welcher  hier  seine  nörd- 
lichste Verbreitung  erreicht.  C.  auritus  ist  in  Deutschland  nur  Wintergast 
und  C.  nigricoUis  in  Südkurland  sehr  seltener  Vorgast;  so  habe  ich  in 
Rudden  im  Sommer  1901  ein  vereinzeltes  Exemplar  letzterer  Art  beob- 
achtet und  ein  zweites,  welches  vom  Libauschen  See  stammt,  befindet 


204 


Friedrich  Theodor  Rosenberg, 


sich  in  der  Sammlung  des  Herrn  C.  v.  Middendorff.     Beide  Schwarz- 
halstaucher  hatten  sich  wohl  von  der  nahen  Nehruno  verflogen. 

Was  somit  die  Elbe  für  die  Brutgebiete  von  Corvus  corone  L.  und 
Corvus  cornix  L.  bedeutet,  trifft  also,  und  zwar  noch  krasser,  da  Ver- 
bastardierungen  fehlen,  für  das  Gebiet  des  Niemen  an  der  deutsch- 
russischen Grenze  in  bezug  auf  die  Nistplätze  von  Colymbus  nigricoIUs 
und  Colymbus  auritus  zu. 


Textfig.  1. 


Beim    Studium    der    Entwicklungsgeschichte    der    Lappentaucher 

habe  ich  das  Haupt- 
gewicht auf  die  Ent- 
wicklung des  Hand- 
und  Fußskelettes  ge- 
legt. 

Ich  werde  mir 
erlauben,  zuerst  kurz 
auf  das  Skelet  der 
vorderen  Extremität 
des  alten  Vogels,  und 
zwar  eines  Colymbus 
cristatus  einzugehen 
(Textfig.  1). 
Die  Flügelknochen  der  Taucher  unterscheiden  sich  von  denen 
guter  Flieger,  wie  etwa  der  Kaubvögel,  durch  die  bedeutende  Dick- 
wandigkeit ihrer  Knochen,  ihre  auf  ein  Minimum  reduzierte  Pneuma- 
tizität  und  ihren  Fettgehalt,  welcher  durch  die  Fischnahrung  bedingt 
wird.  Alle  diese  drei  Umstände  tragen  dazu  bei,  das  specifische  Gewicht 
des   Colymbus  und  damit  seine  Tauchfähigkeit  zu  erhöhen. 

Das  Skelet  des  Flügels  besteht  aus  dem  langen,  schlanken  und 
leicht  S-förmig  gebogenen  Humerus,  der  Ulna,  dem  Radius,  dem  Ulnare 
und  Radiale,  einem  langgestreckten  Metacarpale  und  einer  Phalanx 
des  L,  zwei  des  IT.  und  einer  des  III.  Fingers. 

Was  nun  die  Embryonalentwicklung  der  vorderen  Extremität  an- 
betrifft, so  sind  die  ersten  deutlichen  Knorpelanlagen  erst  am  Ttägigen 
Stadium  (Textfig.  2)  deutlich  zu  erkennen. 

Der  abgebildete  Längsschnitt  (Textfig.  3)  durch  die  vordere  Ex- 
tremität dieses  Embryo  läßt  folgendes  nachweisen:  Radius  und  Ulna, 
welche  in  diesem  Stadium  noch  ungefähr  die  gleiche  Dicke  haben, 
sowie  vier  Metacarpalia.  Eine  deutliche,  knorpelige  Anlage  von  Carpal- 
knochen  ist  noch  nicht  vorhanden. 


Beiträge  zur  Kiilwiekhingsireschichte  und  iikildgie  der  Culymbidae.      205 


Die  vier  ^Metacaipalia  diveriiieren  beträchtlich,  und  dadurch  er- 
innert das  uanze  an  eine  uespreizte  Hand,  ein  Eindruck,  den  man 
schon  bei  der  Betrachtung  der  intakten  Vorderextremität  dieses  Sta- 
diums uewirnit. 

Das  Metacarpale  IV  ist  noch  klein,  aber  deutlicli   zw  erkennen. 

Die  Länge  des  Schnittes  beträgt  2,3  mm. 

Erich  Hillel  (U)  hat  bei  seinen  Untersuchungen  in  bezug  auf 
die  Vorderextremität  von  Eudyptes  chrijsocome  ein  embryonal  ange- 
legtes Metacarpale  IV  gefunden,  welches  nach  der  Abbildung  zu  urteilen 
unter  dem  Metacarpale  III  gelegen  ist. 


JlcuUus 


Metcocl  MettvcM 


Textfig.  2. 


Uln^  MetctcLV'  MetacM 

Textfig.  3. 


Hillel  sagt:  »Außer  diesen  drei  noch  im  ausgebildeten  Zustande 
erkennbaren  Metacarpalia  fand  ich  am  Metacarpale  III  noch  eine 
kleine  Knorpelanlage,  welche  nach  Lage  und  Form  dem  von  Rosen- 
berg und  Parker  als  Metacarpale  IV  gedeuteten  Knorpel  entspricht. 
Ich  konnte  das  Stück  infolge  seiner  geringen  Dimensionen  nur  auf 
Querschnitten  deutlich  erkennen.  Es  stellt  im  Stadium  II  einen  ellipsen- 
förmigen kurzen  Knorpel  dar,  welcher  unterhalb  des  Carpale  2,  4  auf 
der  Außenfläche  des  Metacarpale  III  gelegen  ist.  In  jüngeren  Stadien 
war  es  noch  selbständig  und  durch  Bindegewebe  vom  JMetacarpale  III 
getrennt.  Im  Stadium  IV  begann  bereits  eine  Verschmelzung  des  ba- 
salen Teiles  mit  dem  Metacarpale  III,  welche  zunächst  nur  an  der 
radialen  Seite  erfolgte.  Im  ältesten  Stadium  waren  Metacarpale  III 
und  IV  bereits  vollkommen  verschmolzen;  beide  bildeten  eine  einheit- 
liche Knorpelmasse.  Beim  erwachsenen  Pinguin  ist  die  Anlage  des 
Metacarpale  IV  nicht  mehr  angedeutet.« 

Das  Metacarpale  IV  habe  ich  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Stadien 


206 


Friedrich  Theodor  Rosenberg, 


des  Cohjmhus  nigricoUis  gefunden,  es  scheint  somit  bei  den  Tauchern 
ganz  regelmäßig  aufzutreten,  während  das  ebenfalls  nur  transi torische 
Metatarsale  V  bedeutend  seltener  nachzuweisen  ist,  da  es  nur  bei. dem 
11 — 12tägigen  Stadium  auftritt,  um  dann  zu  verschwinden.  Das 
Metacarpale  IV  dagegen  läßt  sich  schon  bei  der  ersten  Knorpeldifferen- 
zierung erkennen,  also  beim  etwa  Ttägigen  Stadium  und  war  am  stärk- 
sten bei  einem  etwa  lötägigen  Embryo 
von  Colymhus  nigricoUis  entvi'ickelt 
(Textfig.  4). 

Das  rudimentäi-e  ^Metacarpale  IV 
ist  hier  auf  einer  Reihe  von  acht 
Schnitten  (Schnittdicke  =  10//)  zu  er- 
kennen. Die  Länge  des  Metacarpale 
beträgt  auf  dem  abgebildeten  Schnitt. 
0,145  mm  und  die  Breite  0,06  mm 
(Textfig.  5). 

Ein  Metacarpale  V  habe  ich  bei 
keinem  einzigen  Embryo  angetroffen,  so 
daß  die  Frage,  ob  die  embryonalen 
Metacarpalia  als  I,  II,  III  und  IV  oder 
als  II,  TU,  IV  und  V  zu  bezeichnen 
sind,  noch  unentschieden  ist. 
Ich  persönlich  neige  zu  der  Ansicht,  daß  der  Ausfall  des  einen  fehlen- 
den Metacarpale  von  der  ulnaren  Seite  erfolgt  ist,  ein  Umstand,  für 


Textfig.  4. 


Meta.i.J       Radiale 


TtacUiiAS 


Metif/^.3 


Textfig.  5. 


welchen  unter  anderm  die  rudimentäre    »Daumen <kralle,  welche  bis- 
weilen sogar  bei  erwachsenen  Vögeln  gefunden  wird,  spricht. 

Eine  rudimentäre  Daumenkralle  tritt  nach  Zehnter  (9)  am  zehnten 


Beiträtio  /.ur   Kntwic'klunjvsoroseluohto  und    liinloifie  dvv  Colymbidae.      207 

Bi'uttage  bei  ^Lpns  mellxi  L.  (=  Cypselus  melha  Nauru.)  auf  und  »bleibt 
iu)cli  etwa  3  Wochen  im  postembryonalen  Leben  erhalten «. 

Das  Präparat  eines  Flügels  von  einem  erwachsenen  Steinadler 
{Aquila  chrijsaetos  L.),  welcher  aus  freier  AVildbahn  stammt,  mit  einer 
Daumenkralle,  befindet  sich  in  der  osteologischen  Privatsammlung 
meines  Vaters.  In  der  diesbezüglichen  Literatur  soll  ein  ähnlicher 
Fand  erwähnt  sein. 

Nachdem  ich  mich  von  tlem  regelmäßigen  Auftreten  des  Meta- 
carpale  IV  bei  Cohjmbus  nigricollis  schon  vor  etwa  einem  Jahre  über- 
zeugt hatte,  erfahre  ich  Ende  Januar  1910  durch  eine  liebenswürdige 
briefliche  Mitteilung  des  Herrn  P.  Dr.  Fr.  Lindner  in  Quedlinburg, 
daß  er  bereits  1889/90  im  Königsberger  Institut  bei  einigen  C.  nkjri- 
co//?'s-Embryonen  ein  deutliches  Metacarpale  IV  gefunden,  seinen  Fund 
jedoch  wegen  Aufgabe  des  naturwissenschaftlichen  Studiums  nicht  ver- 
öffentlicJit  hat.  Es  ist  mir  eine  um  so  angenehmere  Pflicht  dieses 
Faktum  anzuführen,  da  es  sich  ja  bloß  um  das  ^letacarpale  IV  und 
nicht  um  das  Metacarpale  V  handelt. 

Bei  Betrachtung  des  Skelettes  der  hinteren  Extremität  der  Colym- 
bidae  sowohl,  als  auch  der  ihnen  verwandten  Urinatores,  fällt  vor  allen 
Dingen  das  merkwürdige  Mißverhältnis  der  Länge  des  Femurs  und  der 
Tibia  auf.  Die  Länge  des  Femurs  verhält  sich  zur  Länge  der  Tibia 
wie  1:4.  Die  Tibia  ist  durch  den  bajonettartig  vorspringenden  Pro- 
cessus charakterisiert,  welcher  bei  Unnator  arcticus  der  Länge  des 
Femurs  gleichkommt.  Die  schwach  entwickelte  Fibula  verschmilzt 
distalwärts  vollkommen  mit  der  Tibia. 

Der  Lauf  gleicht  im  unpräparierten  frischen  Zustand  einem  Messer, 
entsprechend  seiner  Bestimmung  beim  Durchschneiden  des  Wassers 
einen  möglichst  geringen  Widerstand  zu  bieten.  Ist  der  Metatarsus 
präparie]-t,  so  erscheint  er  etwas  plumper,  fällt  aber  immer  noch  im 
Vergleich  mit  andern  Vogelmetatarsen  durch  seine  seitlich  stark  kom- 
primierte, sehr  schmale  und  scharfkantige  Diaphyse  auf.  Auch  das 
distale  Ende  des  Metatarsus  ist  deutlich  komprimiert,  was  man  leicht 
aus  der  Lage  des  Gelenkkopfes  des  zweiten  Metatarsale  sehen  kann 
(Textfig.  6).^ 

Die  erste  Zehe  besteht  aus  dem  Gelcnkkopf  des  Metatarsale  I 
und  zwei  Phalangen,  von  denen  die  erste  zum  distalen  Ende  zu  stark 
abgeflacht  und  die  zweite  sehr  schwach  entwickelt  ist. 

Die  zweite  Zehe  hat  drei  Phalangen,  von  denen  die  beiden  ersten 
die   o'leiche   Länue   haben. 


208 


Friedrich  Theodor  Rosenberg, 


Die  zweite  Phalanx  weist  eine  ähnliche  Abplattung  wie  die  erste 
Phalanx  der  eisten  Zehe  anf.     Die  Endphalanx  ist  ganz  flach. 

Die  dritte  Zehe  hat  vier  Phalangen.  Die  zweite  und  dritte  Phalanx 
sind  gleich  lang,  die  dritte  ist  gegen  die  Endphalanx  abgeplattet. 


Textfig.  6. 

Die  Endphalanx  der  dritten  Zehe  hat  eine  für  die  Colymbidae 
charakteristische  Form,  welche  sich  am  ehesten  mit  einem  Trapez 
vergleichen  ließe.  Sie  ist  dabei  vollkommen  abgeplattet  und  weist 
nicht  einmal  am  Gelenkende  eine  merkliche  Verdickung  auf,  auch  die 
Gelenkpfanne  ist  so  schwach  angedeutet,  daß  man  diesen  Knochen, 
wenn  er  einem  isoliert  gezeigt  werden  sollte,  schwerlich  für  eine  Phalanx 
ansprechen  würde. 

Die  vierte  Zehe  endlich  hat  fünf  Phalanaen  und  überragt  an  Länge 


Beitiägo  zur  Entwickluiigssrcschichtc  und  .l^iologie  der  C'ul.vnihidae.      20!) 

die  andern.  Der  Fuß  der  Lappentaucher  erhält  durch  diesen  Umstand 
ein  eijicntümUches,  für  das  Genus  Coljjmhus  charakteristisches  Gepräge. 

Was  nun  die  Embrvonalentwicklunu  des  Tarsus  anbetrifft,  so 
habe  ich  an  meinen  Schnittserien  deutlich  erkennen  kfinnen  das  Tibiale 
und  das  Fibulare.  sowie  die  zweite  Tarsusreihe. 

Die  zweite  Tarsusreihe  liegt  entweder,  bei  den  jüngeren  Stadien, 
als  noch  nicht  deutlich  differenzierter  Knorpel  oder  aber,  bei  den 
älteren  Stadien  vom  9.  Bruttage  an,  als  geschlossene  Knorpelmasse  vor, 
welche  bisw^eilen  trennende  Konturlinien  schwach  erkennen  läßt. 

Ich  habe  weder  ein  Centrale  noch  ein  Intermedium  gefunden  und 
möchte  mich  in  bezug  auf  diese  vielgesuchten  Knorpel  vollkommen 
der  Meinung  Baurs  (4)  anschließen.  Baur  sagt:  »Ich  verstehe  nicht, 
wie  bei  den  Vögeln  auf  einmal  wieder  ein  Centrale  auftreten  soll,  welches 
schon  bei  den  Crocodilinen,  deren  Tarsus  dem  der  Vögel  nicht  gar  zu 
fern  steht,  nicht  mehr  isoliert  vorhanden  ist.  Dasselbe  gilt  auch  für 
das  Intermedium.  Ich  halte  es  darum  von  vornherein  für  verfehlt,  im 
embryonalen  Tarsus  der  Vögel  nach  einem  Intermedium  zu  suchen.  <( 

Baur  (4)  untersuchte  hauptsächlich  Embryonen  vom  Huhn,  ferner 
von  der  Ente,  Amsel,  Sperling,  auch  Taube.  Er  fand  bei  allen  ein  IMeta- 
tarsale  V,  welches  Morse  (3)  bei  seiner  famosen  Druckniethode,  auf  die 
vor  Baur  auch  schon  Rosenberg  (2)  kritisch  hingewiesen,  natürlich 
übersehen  hat. 

Baur  nimmt  an,  daß  das  Metatarsale  V  allgemein  bei  Vogel- 
embryonen vorhanden  sein  wird. 

Diese  Hypothese  hat  in  bezug  auf  vierzehige  Vögel  gewiß  einiges 
für  sich,  ist  aber  bei  drei  zehigen  oder  gar  zwei  zehigen  wohl  zum  minde- 
sten sehr  fraglich. 

So  hat  Walter  Graul  (17)  eine  große  Anzahl  der  verschiedensten 
Stadien  von  VaneJIus  vanellus  L.  {=  V.  cristatus)  dem,  wie  alle  Chara- 
driidae,  dreizehigen  Kiebitz  untersucht,  jedoch  ein  Metatarsale  V  nicht 
gefunden. 

Ebenso  erging  es  mir  mit  einem  andern  Regenpfeifer,  dem  Chara- 
drius  duhius  Scop. 

Auch  meine  Untersuchungen  an  einer  Reihe  von  Embryonen  der 
ebenfalls  dreizehigen  Trottellumme  Uria  troile  L.,  welche  ein  Meta- 
tarsale I  nur  embryonal  aufweist,  haben  kein  Metatarsale  V  zutage 
gefördert. 

T.  J.  Parker  (10)  hat  bei  Äpter i/x-Emhvyonen  ein  ^Metatarsale  V 
gefunden.  "All  five  digits  are  present.  The  hallux  is  a  rounded  nodule 
of  cartilage  close  alongside  the  proximal  end  of  the  second  metatarsal 


210 


Fiiediich  Theudor  Rosenberg, 


and  separated  by  indifferent  tissue  from  the  distale.  The  second  digit 
consists  of  a  metatarsal  and  one  phalanx,  the  third  and  fourth  eacH 
of  a  metatarsal  and  two  phalanges,  and  the  fifth  of  a  short  conical 
cartilage  attached  by  its  proximal  end  to  the  fibulare  and  by  its  pre- 
axial  border  to  the  distal." 

W.  Müller  (16)  findet  bei  den  Striges  ebenfalls  ein  Metatarsale  V, 
welches  schon  Studee,  Baur,  Rosenberg  nnd  ZEH^^TER  (9)  bei  andern 

Genera  beschrieben  haben.  Er  hat 
die  weiteren  Verhältnisse  des  rudi- 
mentären Metatarsale  V  nicht  ver- 
folgt. 

Ich  habe  eine  große  Anzahl 
von  Taucherembryonen  auf  ihr  Fuß- 
skelet  hin  untersucht  und  konnte 
bei  mehreren  Exemplaren,  welche 
etwa  11  Tage  bebrütet  waren, 
ein  deutliches  Metatarsale  V  nach- 
weisen. 

Am  ausgeprägtesten  war  es  bei 
dem  mit  AIV  bezeichneten  Embryo 
(Fig.  III). 

Beim  Schneiden  kam  mir  die 
völlig  plane  Lage  des  rechten  Fußes 
dieses  Objektes  sehr  zustatten,  wel- 
ches die  beste  Serie  geliefert  hat. 

Der  mikrophotographisch  auf- 
genommene Schnitt  3  i?.5  (Textfig.7) 
läßt  folgendes  erkennen: 

Tibia,  Tibiale,  Fibulare  und  die 
zweite  Tarsusreihe,   welche  bereits 
eine  geschlossene   Knorpelmasse  darstellt  und  sich  den  Metatarsalia 
anlegt. 

Metatarsale  I  ist  nur  schwach  angedeutet.  Die  stark  entwickelten, 
völlig  getrennten  Metatarsalia  II,  III  und  IV  weisen  noch  keine  Spuren 
von  Verknöcherung  auf. 

Das  Metatarsale  V  liegt  als  kleine  Knochenspindel  unweit  des 
äußeren  proximalen  Randes  vom  Metatarsale  IV. 

Das  Metatarsale  V  besitzt  auf  diesem  Schnitt  eine  Länge  von 
0,11  mm  und  eine  Breite  von  0,333  mm. 

Auffallend  ist  das  sehr  frühzeitige  Verschwinden  dieses  rudimentären 


Textfig.  7. 


Beiträiie  zur  Ent\vickluncse:eschichtc  und  Bioldiiie  dcv  Colvmbklae.      211 


,  2  +  Metat.  3  +  Metat.  4]. « 

da    mir  aus  der  Ent- 


Knorpels: er  tritt  nur  in  dem  erwähnten  11 — 12tägigen  Stadium  auf, 
verschwindet  dann. 

Baur  (7a)  sagt  diesbezüghch  folgendes:  »In  meiner  Arbeit:  ,der 
Tarsus  der  Vögel  und  Dinosaurier'  hatte  ich,  wie  Rosenberg  ange- 
geben, daß  das  embryonal  angelegte  Metatarsale  V  im  Laufe  der  Ent- 
wicklung atrophiert. 

Nach  neueren  Untersuchungen  finde  ich,  daß  dies  nicht  der  Fall  ist. 
Das  Metatarsale  V  verschwindet  nicht,  sondern  verschmilzt  mit  der 
zweiten  Tarsusreihe.  Beim  Huhn  findet  dieses  zwischen  dem  11.  und 
14.  Tag  der  Bebrütung  statt. 

Der  Tarso-Metatarsus  der  Vögel  besteht  daher  aus  folgenden 
Elementen : 

[Tarsale  i_5  +  Metat.  5]  +  [M 

Hierin  kann  ich  Baur  nicht  beistimmen 
Wicklungsgeschichte  kein  einziger 
Fall  bekannt  ist,  wo  ein  länglicher 
Knorpelspindel  mit  einer  andern 
Knorpelmasse,  zu  der  er  eine  senk- 
rechte (!)  Lage  einnimmt,  » ver- 
schmilzt <*. 

Allerdings  vereinigt  sich,  beim 
Colymhus  nicjricollis  wenigsteas,  das 
proximale  Ende  Metatarsale  V  mit 
der  zweiten  Tarsusreihe,  damit  ist 
aber  noch  nicht  gesagt,  daß  es  nun 
gleich  einer  kleinen  Luftblase  von 
der  größeren  resorbiert  wird. 

Der  Vorgang  ist  offenbar 
folgender:  Metatarsale  V  legt  sich 
mit  dem  proximalen  Ende  der  zwei- 
ten Tarsusreihe  an  und  atrophiert. 
(Textfig.  8.) 

Die  Abbildungen  Fig.  VI  u.  VII, 
sowie  Textfig.  9  stellen  drei  Hauben- 
taucherembryonen dar,  welche  ich 
ein  und  demselben  Gelege  ent- 
nommen habe.  Wenn  man  die  ein- 
zelnen Embryonen  miteinander  vergleicht,  so  w^ürde  man  wohl  auf  drei 
verschiedene  Gelege  schließen. 

Bei  Tf  1  (Textfig.  9)  sind  die  Federfluren  schon  deutlich  zu  erkennen, 


Textfig.  8. 


212 


Friedrich  Theodor  Rosenberg, 


Textfig.  9. 


und  auf  dem  Rücken  und  Hinterkopf  zeigt  sich  der  erste  Anfluo;  von 
Dunen. 

Die  Vorderextremität  ähnelt  bereits  sehr  der  des  erwachsenen 
Vogels,  und  die  Füße  weisen  die  typische  Lappenform  der  Colymbidae  auf. 

Wir  haben  somit  einen  Embryo 
vor  uns,  welcher  sich  auf  den  ersten 
Blick  als  Lappentaucher  ansprechen 
ließe,  wenn  nicht  die  Schnabelform 
noch  einige  embryonale  Merkmale 
trüge,  welche  bei  dem  erwachsenen 
Vogel  vollkommen  fehlen. 

Sowohl  die  Spitze  des  Ober- 
schnabels, als  auch  diejenige  des 
L'nterschnabels  weisen  eine  eigen- 
tümliche gewölbte  Verdickung  auf, 
welche  wenig  an  den  spitzen,  dünnen 
und  geraden  Schnabel  des  alten 
Tauchers  erinnert  (Textfig.  10). 

Nun  sollte  man  annehmen,  daß 
zu  einem  Zeitpunkt,  wo  der  Embryo 
im  übrigen  alle  für 
sein  Genus  typischen 
Kennzeichen  aufweist, 
die  Schnabelform  sich 
ebenfalls  im  Laufe  der 
nächsten  Stadien  der 
des  Altvogels  nähert. 
Das  Gegenteil  ist  der  Fall! 

Betrachten  v\ir  das  um  einige  Tage  ältere  Stadium  TFg.  Es  ist 
ein  typisches  Dunenjunges  vom  Cohjmbus  mit  der  charakteristischen 
Streifenzeichnung  an  Kopf  und  Hals  und  den  nunmehr  schon  be- 
schilderten Lappenfüßen.  Nur  die  Schnabelform  ist  noch  abweichender, 
als  bei  Tf  i  und  erinnert  so  an  die  Form  des  Möwenschnabels,  daß  ich 
mir  erlauben  werde,  dieses  Stadium  der  Schnabelentwicklung,  welches 
auch  beim  Colymhus  nigricolUs  und  bei  Cohjmhus  nigricans,  sowie  bei 
Urinator  arcticus  auftritt,  als  iams-Stadium  zu  bezeichnen. 

Es  ist  erstaunlich,  daß  ein  systematisch  so  maßgebendes  Gebilde, 
wie  der  Schnabel,  noch  in  einem  so  späten  Stadium  (etwa  20tägige 
Bebrütung)  eine  dermaßen  abweichende  Form  aufweist. 

Bei  TFi  ist  die  Entwicklung  am  meisten  fortgeschritten,  und  ich 


Textfig.  10. 


Beiträge  zur   Kiitwicklungsgeschichte  und   Hiologie  der  Colymbidae.      '2i3 


glaube  annehmen  /.n  können,  daß  er  kurz  vor  dem  Ausschlüpfen  stand: 
das  Dunenkleid  ist  vollständig,  der  Schnabel  weist  nicht  mehr  den 
Larus-Typ  auf,  ist  in  seinen  Linien  merklich  gerader  geworden  und 
zeigt  bereits  den  vollen t\vickelten  Eizahn. 

Ich  glaube  mit  der  Annahme  nicht  fehlzugehen,  daß  dieses  Larus- 
Stadium  der  Schnabelentwielduiig.  welches  uns  in  der  Ontogenie 
der  Taucher  begegnet, 
folgenden  phylogenetischen 
Rückschluß  gestattet:  »die 
jetzt  lebenden  Colym 
bidae  stammen  von  Vor- 
fahren ab,  welche  einen 
Schnabel  von  ausgespro- 
chenem Lanis-Typ  be- 
saßen «. 

Die  ältesten  Stadien 
von  C.  cristatus  und  C. 
nigricoUis  lassen  sich  leicht 
unterscheiden.  Vergleichen 
^vir  Tfg  {cristatus)  und  R 
(nigncolUs)  (Textfig.  11). 

Wo  fällt  sofort  durch 
ungleich  gröbere  Streifen- 
zeichnung am  Kopf  imd 
besonders  am  Halse  auf, 
während  bei  nigncolUs  die 

Streifenzeichnung  am  Kopf  viel  feiner  und  zarter  ist  und  auf  dem 
Halse  beinahe  ganz  verschwindet. 

Außerdem  weist  Colymhus  nigricoUis  am  Schnabel  zwei  deutliche 
Querbinden  auf,  und  zwar  an  der  Schnabel wurzel.  Diese  Quer- 
binde wird  nur  embryonal  angelegt,  der  Altvogel  hat  einen  einfarbigen 
Schnabel.  ^; 

Das  IStägige  Stadium  Z^  von  Colymhus  nigricans  (Fig.  V)  läßt 
weder  eine  Streifenzeichnung  noch  eine  Schnabelbinde  erkennen.  Die 
Unterseite  ist,  wie  bei  den  vorhergenannten,  weiß. 

Die  Schnabelform  entspricht  dem  Zarws-Typ. 

Von  Urinator  arcticus  standen  mir  zwei  Exemplare  zur  Verfügung, 
welche,  nachdem  sie  3  Wochen  lang  von  den  beiden  alten  Polartauchern 
bebrütet,  dem  Ei  entnommen  und  konserviert  worden  waren. 

Das  Polartaucherweibchen  hatte  am  3.  und  4.  Juni  je  ein  Ei  gelegt 


Textfig.  11. 


214 


Friedrich  Tlieodor  Rosenberg, 


und  am  5.  Juni  mit  dem  Brüten  begonnen.  Am  25.  Juni  ließ  Herr 
VON  MiDDENDORFF  die  Eier  durch  einen  Forstwart  ausnehmen,  welcher 
die  ganze  Zeit  über  die  Polartaucher  beobachtet  und  das  auf  dem 
festen  Ufer  des  Mörzoka-Sees  befindliche  Nest  bewacht  hatte. 

Zum  Unterschiede  von  den  Colymbidae  ist  das  Nest  der  Urinatores 
stets  auf  festem  Lande  gelegen. 

Der  späte  Legetermin  (Anfang  Juni)  ist  charakteristisch  für  die 
nordischen  Vogelarten,  welche  merkwürdigerweise  mit  dem  Brut- 
gesch.äft  auch  in  südlicheren  Gegenden,  die  sie  in  vereinzelten  Paaren 

gewissermaßen  als  Relicten- 
fauna  bewohnen,  nicht  früher 
beginnen,  als  ihre  Artgenos- 
sen am  Eismeer!' 

Die  Polartaucherembr Jo- 
nen unterscheiden  sich  von 
den  Lappentaucherembryo- 
nen durch  die  für  alle  See- 
taucher charakteristischen, 
geschlossenen  Schwimmhäute 
und  das  vollkommen  ein- 
farbige, dunkelschief  ergraue 
Dunenkleid.  Die  Unterseite 
ist  einen  Schatten  heller 
gefärbt  (Textfig.  12). 

Der  Schnabel  weist  den 
erwähnten  Larus  -  Typ  auf, 
allerdings  noch  lange  nicht 
des  C.  cristatus   oder  Z4  des 


Textfia;.  12. 


in   dem  Maße,  wie   beim  Stadium  W 
Colymhus  nigricans. 

Die  Untersuchung  des  Fußskelettes  ergab  beim  20tägigen  Polar- 
taucherembryo folgendes:  die  zweite'  Tarsalreihe  ist  mit  den  Meta- 
tarsalia  beinahe  ganz  verschmolzen,  eine  Konturlinie  deutet  nur  noch 
die  Grenze  an. 

Die  Metatarsalia  II,  III  und  IV  sind  noch  nicht  ganz  verschmolzen, 
liegen  schon  dicht  aneinander  und  lassen  sich  ebenfalls  noch  gerade  als 
einzelne  Gebilde  ansprechen. 

Die  Diaphysen  der  Metatarsalia  befinden  sich  im  Stadium  der 
Verknöcherung. 

Textfig.  13  zeigt  einen  künstlich  erbrüteten  2tägigen  Colymhus 
nigricoUis. 


Beiträge  zur  Entwioklungsgeschiclite  und  Biologie  der  Colymbidae.      215 


Das  Tierchen  war  schwer  zu  photographieren,  da  es  sehr  beweglich 
war.  Auf  einem  mit  Äther  durchtränkten  Wattebausch  liegend,  kam 
es  schließlich  doch  noch  auf  die  Platte.  Es  war  wohl  leider  die  Folge 
dieser  Narkose,  daß  es  seinen  dritten  Tag  nicht  überlebte. 

Ich  habe  diese  etwas  unscharfe  Aufnahme  reproduzieren  lassen, 
da  sie  die  charakteristische  gespreizte  Fußstellung  der  auf  dem  Lande 
so  unbeholfenen  Colymbidae  gut  wiedergibt. 

Ebenso  wie  dieses  kleine  Dunen  junge  auf  dem  Bauche  liegend 
mit  froschartigen,  energischen  Stoßbewegungen  der  Hinterextremitäten 
sich  verhältnismäßig  rasch 
vorwärts  bewegt,  schnellen 
sich  auf  dem  festen  Lande 
auch  die  alten  Taucher 
fort,  da  ihr  anatomischer 
Bau,  welcher  ein  starkes 
Übergewicht-  nach  vorn 
bedingt,  sie  wohl  zu  vor- 
züglichen Schwimmern  und 
Tauchern  macht,  ein  auf- 
rechtes Stehen  oder  gar 
Gehen  jedoch  vollkommen 
ausschließt. 

Es  gibt  allerdings  wohl 
kaum  eine  Vogelgattung, 
welche  so  selten  mit  dem 
festen  Lande  in  Berührung 
kommt,  wie  gerade  die 
Colymbidae. 

Sturmvögel  und  Möwen  weilen  ja  auch  monatelang  auf  hoher  See, 
ohne  auf  dem  Lande  rasten  zu  können,  zur  Brutzeit  aber  suchen  sie 
doch  öde  Küsten  oder  Felseneilande  auf. 

Die  Colymbidae  hingegen  kommen  nicht  einmal  dann  aufs  Land, 
da  die  Begattung  auf  dem  Wasser  vor  sich  geht  und  sie  alle  ohne  Aus- 
nahme schwimmende  Nester  bauen. 

Demnach  dürften  die  Colymbidae  von  allen  andern  Vogelgenera 
dem  beständigen  Aufenthalt  auf  dem  Wasser  am  besten  angepaßt  sein. 

Conclusio. 

1)  Intermedium  und  Centrale  werden  von  den  Colymbidae  em- 
bryonal nicht  angelegt. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  15 


Textfig.   13. 


216  Friedricli  Theodor  Rosenberg, 

2)  Das  transitorische  Metacarpale  IV  tritt  bei  den  Colymbidae 
regelmäßig  auf  und  erreicht  erst  am  etwa  15.  Bruttage  seine  größte 
Entwicklung. 

3)  Das  transitorische  Metatarsale  V  tritt  nur  im  11 — r2tägigen 
Stadium  auf  und  atrophiert  danji. 

4)  Die  jetzt  lebenden  Colymbidae  stammen  von  Vorfahren  ab, 
welche  einen  Schnabel  von  ausgesprochenem  Larus-TÜy])  besaßen. 

5)  Das  Gebiet  des  Niemen  ist  als  scharfe  Grenze  zwischen  den 
Brutgebieten  von  Colymhns  nigricoUis  (Brehm)  und  Colymbus  auritus  L. 
anzusehen. 

Leipzig,  im  Mai  1910. 


Literatur. 

1.  Gegenbaub,   Vergleichend-anatomische    Bemerkungen    über  das  Fußskelet 

der  Vögel.     Archiv  f.  Anat.  Phys.  und  wissenschaftl.  Medizin.     1883. 

2.  Rosenberg,  Über  die  Entwicklung  des  Extremitätenskelettes  bei  einigen 

durch  die  Reduktion  ihrer  Gliedmaßen  charakteristischen  Wirbeltieren. 
Diese  Zeitschr.     Bd.  XXIII.     1873. 

3.  Morse,  On  the  Carpus  and  Tarsus    of  birds  (Read  29.  I.  1872).     Annais 

Lyc.  Nat.  Hist.     New  York.     Vol.  X.     1874. 

4.  Baur,    Der  Tarsus  der  Vögel  und  Dinosaurier.     Morph.  Jahrbuch.     1883. 
ö.     Alice  Johnson,    On  the  Development  of  the  Pelvic  Gü'dle  and  Skeleton 

of  the  Hind  Limb  in   the  Chick.      1883.     Quart.  Journ.  Microsc.  Sei. 
Vol.  XXIII. 

6.  Baur,    Dinosaurier  und  Vögel.     Morph.  Jahrbuch.     Bd.  X.     1885. 

7.  —  Zur  Vögel-Dinosaurierfrage.     Zoolog.   Anzeiger.     Bd.  VIII.     1885. 
7a.  —  Zum  Tarsus  der  Vögel.     Zoolog.  Anzeiger.     Nr.  202.     1895. 

8.  Th.  Studer,  Embryonalentwicklung  der  Vögel.     Forschungsreise  8.  M.  S. 

Gazelle.     Zoolog.     Bd.  III.     1889. 

9.  L.  Zehnter,  Beiträge  zur  Entwicklung  von  Cypselus  melba  nebst  biolog. 

Details.      Archiv  f.    Naturgeschichte.      Berlin  1890.      (Auch    als   Diss. 
Berlin. ) 

10.  T.  J.  Parker,    Observations  on  the  Anatomy  and  Development  of  Apteryx. 

Phil.  Transact.  of  the  Roy.  Soc.  of  London.     1891. 

11.  R.  BuRi,    Zur  Anatomie  des  Flügels  von  Micropus  melba.     Jenaische  Zeit- 

schrift.    Bd.  XXXIII.     1898. 

12.  P.  P.  SuscHKiN,     Zur    Morphologie    des    Vogelskelettes.      1.  Schädel    von 

Tinnunculus   in:    Nouv.   Mem.    Soc.    Natural.      Moscou.     Tome  XIV. 
Livre  2.     1899. 

13.  Ant.  Reichenow,    Die  Kennzeichen    der  Vögel  Deutschlands.     Neudamm 

1902. 


Beiträge  zur  Ent\vicklungsgeschiclit(>  iiiul  Biologie  der  Colymbidae.      217 

14.  Erich  Hillel,    Über  die  Vorderextreinität  von  Eudyptes  clirysocome  und 

deren  Entwicklung.     Jen.    Zeitsclir.    Naturw.      Bd.  XXXVIII.      1904. 

15.  Paul  Grunert,    Der    Beckengürtel    und    die    lünteren    Extremitäten    von 

Eudyptes  chrysoconie.     Inaugural-Disscrtation.     1906. 

16.  W.  Müller,    Zur  Entwicklung  der  .Striges    und  deren  Wendezehe.     Zool. 

Anzeiger.     Bd.  XXXI.     1907. 

17.  Graul,    Zur  Entwicklung  von  Vanellus  cristatus.    Arch.  f.  Naturgeschichte. 

73.  Jahrg.     1907. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  IX. 

Fig.  I.  Colymhus  grisegena  Bodd. 

Fig.  II.  Colymhus  nigricans  Scop. 

Fig.  III.  Colymhus  nigricollis  (Brehm).     A  IV. 

Fig.  IV.  Colymhus  nigricollis  (Brehm), 

Fig.  V.  Colymhus  nigricans  Scop.     Z^. 

Fig.  VT.  Colymhus  cristatus  L.     Wi- 

Fig.  VII.  Colymhus  cristatus  L.     TF4. 


lö" 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren. 

Von 

Wilhelm  Johnas 

ans  Illuxt   (Kurland). 
(Aus  dem  Zoologischen  Institut  zu  Leipzig.) 

Mit  3  Figuren  im  Text  und  Tafel  X— XII. 


Inhalt.  ,  ., 

Seite 

1.  Material  und  Technik 218 

2.  Einleitung 221 

3.  Die  Cornea 224 

4.  Von  den  Kristallkegeln 230 

5.  Die  Retinula 234 

6.  Pigment  und  Pigmentwandenmg 243 

7.  Die  Ganglien 251 

8.  Das  Auge  von  Adela  sp.  ? 255 

Literaturverzeichnis 258 

Erklärung  der  Abbildungen 260 


Material  und  Technik. 

Das  Material  zu  vorliegender  Arbeit  wurde  im  Laufe  der  Sommer 
1908  und  1909  in  der  näheren  und  weiteren  Umgebung  Leipzigs  ge- 
sammelt, besonders  waren  es  die  Harth  sowie  die  Elsterwiesen  zwischen 
Zwenkau  und  Eythra,  die  mir  die  mannigfachsten  Formen  lieferten. 
Daneben  wurde  auf  den  von  Herrn  Professor  zur  Strassen  geleiteten 
entomologischen  Exkursionen  eifrig  gesammelt,  schließlich  verdanke 
ich  einige  im  Freien  schwer  zu  erlangende  Formen  der  Liebenswürdigkeit 
einiger  Herren  aus  dem  entomologischen  Verein  »Fauna«.  Einige 
wenige  Arten  erhielt  ich  von  Herrn  Dr.  med.  Beyerle,  der  sie  von 
einer  Reise  nach  Südamerika  mitgebracht  hatte  und  sie  mir  liebens- 
würdigst überließ.  Ich  möchte  es  nicht  versäumen,  ihm  an  dieser  Stelle 
noch  meinen  herzlichsten  Dank  dafür  auszusprechen.  Bemerkens- 
wert wäre  dabei,  daß  Herr  Dr.  Beyerle  die  gefangenen  Schmetterlinge, 
darunter  eine  sehr  große  Pseudosphinx,  in  toto  in  denaturierten  Alkohol 


Das  Facettenauge  der  T.eindo))teren.  219 

uelegt  hatte  und  die  darin  konservierten  Exemplare  sich  nicht  nur 
vorzüiilich  erhalten  hatten,  sondern  auch  das  Chitin  bei  einer  derartigen 
Konservierungsmethode  scheinbar  erweicht  war,  da  es  beim  Schneiden 
nicht  den  geringsten  Widerstand  leistete.  Vom  Prinzip  ausgehend, 
daß  nur  bei  einer  genauen  Kenntnis  der  mannigfachsten  Formen  ein 
allgemeines  Urteil  über  die  Sehorgane  der  ganzen  Gruppe  gebildet 
werden  könne,  war  ich  bestrebt,  die  Vertreter  der  verschiedensten 
Familien  ins  Bereich  meiner  Untersuchungen  zu  ziehen,  wobei  auch 
die  von  allen  früheren  Forschern  ganz  mit  Unrecht  vollkommen  ver- 
nachlässigten Micros  berücksichtigt  wurden;  wie  es  sich  später  zeigen 
wird,  habe  ich  gerade  an  ihnen  interessante  Befunde  feststellen  können, 
finden  wir  doch  unter  ihnen  die  primitivsten  einheimischen  Lepido- 
pteren.  Leider  waren  mir  die  typisch  australischen  Limacodesarten, 
in  denen  Handlirsch  die  Urschmetterlinge  erbhckt,  die  er  direkt  von 
der  Panorpatengruppe  ableiten  will,  nicht  zugänglich,  obgleich  ich  mich 
an  die  verschiedensten  Händler  um  Material  aus  dieser  Gruppe  gewandt, 
konserviertes  konnte  mir  leider  keiner  beschaffen. 

Im  ganzen  habe  ich  etwa  60  verschiedene  Arten  geschnitten, 
wobei  ich  besonders  die  interessanten  Übergangsformen  von  Tagfaltern 
zu  den  Nachtfaltern,  sowie  durch  ihre  Lebensweise  besonders  auf- 
fallende Formen,  wie  die  im  grellsten  Sonnenschein  fliegenden  Zygäniden 
berücksichtigte. 

Ich  konservierte  das  Material,  indem  ich  den  frisch  gefangenen 
Schmetterlingen  die  Köpfe  abtrennte  und  in  ein  Gemisch  von  30  Teilen 
Aqua  destillata,  15  Teilen  96°igen  Alkohol,  sechs  Teilen  konzentriertem 
Formol  und  drei  Teilen  Eisessig  tat,  nur  ganz  kleine  Formen  wie  Micros 
und  kleine  Geometriden  wurden  in  toto  konserviert;  andre  Konser- 
vierungsmittel wie  die  FLEMMiNGsche  Lösung,  die  KABLsche  Lösung, 
sowie  reines  Sublimat  und  Sublimatalkohol  erwiesen  sich  als  nicht 
günstig.  Das  Material  wvu'de  je  nach  Größe  12 — 24  Stunden  in  oben 
erwähntem  Gemisch  gelassen,  worauf  ich  es  i/^, — 1  Stunde  unter  fließen- 
dem Wasser  wässerte,  letzteres  hat  sich  übrigens  später  als  überflüssig 
erwiesen,  sobald  man  die  fertigen  Schnitte  vor  dem  Färben  länger 
wässerte,  worauf  es  rasch  bis  zum  absoluten  Alkohol  emporgeführt 
wurde  (50%,  70%  und  96%  je  4  Stunden).  Im  absoluten  Alkohol 
ließ  ich  das  Material  meist  24  Stimden,  worauf  ich  dem  Alkohol  all- 
mählich Benzol  zusetzte;  nach  weiteren  24  Stunden  kam  es  in  reines 
Benzol.  Nachdem  ich  in  einem  Schälchen  40°iges  Paraffin  in  Benzol 
aufgelöst  hatte,  brachte  ich  das  Material  in  dieses  Gemisch,  in  dem 
es  2  X  24  Stunden  verblieb,  um  darauf  in  ein  zweites  Schälchen  über- 


220  Wilhelm  Jolinas, 

führt  ZU  werden,  in  dem  ,sicli  ein  Gemisch  von  56°igem  Paraffin,  wiederum 
aufgelöst  in  Benzol,  befand.  Erst  nachdem  es  weitere  48  Stunden  in 
diesem  Gemisch  gestanden  hatte,  kam  es  in  geschmolzenes  60°iges 
Paraffin  in  den  Thermostaten,  worauf  ich  es  nach  2 — 3  Stunden  ausgoß. 
Ein  derart  langsames  Überführen  des  Materiales  durch  die  verschieden- 
grädigen  Paraffine,  sowie  der  kurze  Aufenthalt  in  hoher  Temperatur 
im  Thermostaten  erwiesen  sich  fürs  Erweichen  des  starken  Chitins 
äußerst  günstig,  da  derart  behandelte  Objekte  sich  meist  ohne  große 
Schwierigkeiten  schneiden  ließen,  häufig  selbst  »Bänder«  ergaben, 
während  ich  vorher  einen  jeden  Schnitt  einzeln  auffangen  mußte, 
häufig  sogar  gezwungen  war  sie  mit  Mastixkollodium  zu  überziehen, 
um  ein  Herausspringen  der  Schnitte  zu  vermeiden.  Um  einem  Weg- 
schwimmen der  Schnitte  vorzubeugen  tauchte  ich  die  Tafel  mit  den 
Schnitten,  nachdem  das  Paraffin  in  Benzol  aufgelöst  worden  war,  für 
einige  Sekunden  in  ein  Gemisch  von  absolutem  Alkohol  und  Äther 
sulfuric,  zu  gleichen  Teilen  genommen,  dem  ich  einige  Tropfen  Photo- 
xylin  zusetzte;  der  Objektträger  überzog  sich  mit  einer  feinen  Haut, 
die  einerseits  das  Wegschwimmen  verhinderte,  anderseits  das  Färben 
der  Schnitte  nicht  beeinträchtigte.  Nachdem  ich  die  Schnitte  wiederum 
überführt,  entfernte  ich,  bevor  ich  sie  unters  Deckglas  brachte,  den 
Photoxylinüberzug  durch  Eintauchen  in  Äther  sulfuric.  purum.  Ge- 
färbt wurde  meist  mit  Eisenhämatoxylin  nach  Heidenhain,  eine  Fär- 
bung, die  bei  Kernuntersuchungen  die  denkbar  günstigsten  Kesultate 
lieferte,  während  ich  für  Gesamtbilder  der  Hämalaunfärbung  den  Vorzug 
gab,  da  sie  dem  Präparat  ein  sauberes  Gepräge  verleiht,  sowie  auch  die 
natürhche  Färbung  des  Pigments  nicht  beeinträchtigt.  Ein  Nach- 
färben des  Plasmas  mit  Kongorot  erwies  sich  als  überflüssig  und  be- 
einträchtigte auch  vielfach  den  Gesamteindruck. 

Zwecks  genauer  Untersuchung  der  Retinulaelemente  war  es  not- 
wendig, aus  den  Präparaten  das  Pigment  zu  entfernen,  was  mir  am 
besten  mit  der  GRENACHERschen  Entpigmentierungsflüssigkeit  (70%iger 
Alkohol  und  Glyzerin  zu  gleichen  Teilen,  dem  2 — 3%  Salpetersäure 
zugesetzt  war)  gelang;  bei  kleineren  Formen  schwand  das  Pigment 
meist  schon  nach  5 — 10  Minuten,  während  Schnitte  größerer  Formen 
meist  4 — 6  Stunden,  einige  selbst  bis  24  Stunden  in  der  Mischung 
bleiben  mußten,  ehe  eine  Aufhellung  wahrnehmbar  war ;  im  allgemeinen 
gewann  ich  den  Eindruck,  daß  das  Pigment  der  Tagfalter  bedeutend 
resistenter  als  dasjenige  der  Nachtfalter  ist.  Die  Schnitte  wurden 
sämtlich  mit  einem  JuNGschen  Mikrotom  in  einer  Dicke  von  5  a  her- 
gestellt, wenige  Übersichtsbilder  konnten  10//  dick  geschnitten  werden, 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  221 

während  die  Schnitte  durch  die  Anuen  der  kUMiisten  JMicros,  Tineiden 
und  Tortriciden  nicht  dicker  als  2 — 3  n  sein  durften.  Die  Schnitte 
wurden  durchweg  frontal  geführt,  da  eine  derartige  Schnittrichtung 
sowohl  Längsschnitte  als  auch  Querschnitte  in  jedei'  beliebigen  Höhe 
der  Ommatidien  ergibt;  in  wenigen  Fällen  wiu'de  die  Schnittrichtung 
in  die  Hauptachse  des  Auges  verlegt,  um  Sagittalschnitte  der  Basal- 
membran zu  erlangen. 

Zur  Untersuchung  diente  ein  Mikroskop,  System  Seibert,  mit  den 
Objektiven  2,5  und  i/^.,  homog.  Immersion,  sowie  ein  LEITZ-Mikroskop 
mit    den  Objektiven  3  und  7. 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pflicht  an  dieser  Stelle  meinen  hoch- 
verehrten Lehrern  meinen  herzlichsten  Dank  auszusprechen  für  die 
mannigfache  Anregung  und  Belehrung,  die  sie  mir  haben  zuteil  werden 
lassen;  vor  allem  gebührt  er  Herrn  'Geheimrat  Professor  Dr.  Chun,  der 
meine  Aufmerksamkeit  auf  dieses  interessante  Gebiet  lenkte  und  während 
meiner  Untersuchungen  im  Zoologischen  Institut  der  Universität  Leip- 
zig mir  mit  Kat  und  Tat  zur  Seite  stand,  sodann  den  Herren  Professoren 
ZUR  Srassen  und  Woltereck.  In  gleicher  Weise  bin  ich  zu  bestem 
Danke  Herrn  Privatdozenten  Dr.  med.  et  phil.  0.  Steche  verpflichtet, 
der  mir  speziell  bei  den  Untersuchungen,  die  Innervation  der  Retinula 
betreffend,  hilfreich  zur  Seite  gestanden. 

Einleitung. 

Grundlegend  für  die  Kenntnis  der  zusammengesetzten  Augen  der 
Arthropoden  waren  die  Untersuchungen  des  großen  Physiologen  Jo- 
hannes Müller,  der  auch  als  erster  eine  exakte  physiologische  Erklä- 
rung des  Sehvorganges  im  Facettenauge  gab.  Er  war  es,  der  im  Jahre 
1826  in  seinem  berühmten  Werk  »Zur  vergleichenden  Physiologie  des 
Gesichtssinnes  «  die  Existenz  der  Kristallkegel  nachwies,  die  er  als  »licht- 
brechende kegelförmige  Kristallkörperchen «  beschreibt  und  deren  ge- 
naue Kenntnis  ihn  zur  Aufstellung  der  Theorie  vom  musivischen  Sehen 
führte.  Er  faßte  das  Facettenauge  als  einen  Komplex  von  Einzelaugen 
auf,  deren  Übergang  »in  den  zu  einem  scheinbar  zusammengesetzten 
Auge  gehäuften  einzelnen  körnigen  Augen  der  Asseln  und  Polypoden 
nicht  zu  verkennen«  ist.  Von  diesem  Prinzip  ausgehend,  und  mit  der 
Erkenntnis,  daß  das  den  Kristallkegel  umhüllende  Pigment  das  iso- 
lierende Element  repräsentiert,  fortschreitend,  kommt  er  zum  Schluß, 
daß  lediglich  die  in  die  Hauptachse  des  Kegels  einfallenden  Licht- 
strahlen zu  einer  Perception  innerhalb  der  rezipierenden  Elemente  des 
Auges  gelangen,  während  alle  schief  einfallenden  Strahlen  absorbiert 


222  Wilhelm  Jolinas, 

werden;  die  geradlinigen  Strahlen  werden  somit  an  einem  Punkt,  der 
an  der  Spitze  des  Kegels  gelegen  ist,  gesammelt,  wo  sie  zu  einem  Punkt 
vereinigt  den  Reiz  des  hier  endenden  Sehnervs  auslösen,  »auf  diese 
Weise  repräsentiert  ein  jeder  Kegel  einen  aliquoten  Teil  des  Bildes, 
und  das  Bild  wird  mosaikartig  aus  so  vielen  Teilchen  zusammengesetzt 
als  Kegel  vorhanden  sind,  daher  auch  die  Deutlichkeit  des  Bildes  mit 
der  Zahl  der  Kegel  zunehmen  muß.  <( 

Diese  geistreiche  Theorie  blieb  nicht  lange  unangefochten,  schon 
unter  seinen  nächsten  Nachfolgern  erstanden  ihm  Widersacher,  so  in 
Wagner  (1835),  in  Will  (1840)  und  vor  allem  in  Gottsche  (1852), 
der  mit  Hilfe  des  Experiments  nachzuweisen  suchte,  daß  eine  jede 
Facette  als  Einzelauge  wirke  und  ein  vollkommenes  umgekehrtes  Bild 
entwerfe.  Selbst  Leydig  (1855  und  1864),  Claparede  (1860)  und 
Max  Schultze  (1868)  fechten  die  Theorie  Müllers  noch  an,  und  erst 
Grenacher  war  es  vorbehalten  geblieben  alle  Zweifel  zu  zerstreuen 
und  der  Theorie  vom  musivischen  Sehen,  diesem  Lieblingskinde  des 
noch  jugendlichen  Johannes  Müller,  zum  Siege  zu  verhelfen.  In 
seinen  1878  erschienenen  »Untersuchungen  über  die  Sehorgane  der 
Arthropoden«  weist  er  anatomisch  die  Berechtigung  ihres  Bestehens 
nach,  während  1891  die  physiologische  Seite  dieses  Problems  von  Exner 
in  seinem  bekannten  Werke  »Die  Physiologie  der  facettierten  Augen 
der  Krebse  und  Insekten«  gelöst  wird.  Seit  Erscheinen  dieser  beiden 
Werke  beginnt  für  die  Erforschung  des  Facetten auges  eine  neue  Ära, 
denn  erst  jetzt  ist  eigentlich  die  wissenschaftliche  Grundlage  geschaffen, 
auf  der  fortgearbeitet  werden  konnte.  Wenngleich  Patten  (1886) 
nochmals  einen  durchaus  verfehlten  Versuch  macht,  die  Theorie  Müllers 
und  mit  ihr  die  Befunde  Grenachers  anzufechten,  so  haben  doch  alle 
folgenden  Autoren  die  Anschauungen  dieser  beiden  Autoritäten  voll 
und  ganz  angenommen  und,  auf  ihren  Schultern  stehend,  weiter  ge- 
arbeitet, so  vor  allem  Chun,  der  1896  die  Sehorgane  der  Tiefseeschizo- 
poden  und  Sergestiden  in  seiner  »Atlantis«,  Biologische  Studien  über 
pelagische  Organismen,  einer  eingehenden  Untersuchung  unterzog.  Im 
selben  Jahr  begann  Hesse  seine  Studien  über  »die  Organe  der  Licht- 
empfindung bei  niederen  Tieren«  herauszugeben,  deren  Aufsätze  VII 
und  VIII  (1901  und  1902)  von  den  Arthropodenaugen  handeln.  1897 
hatte  schon  Zimmer  das  so  seltsame  Auge  der  Ephemeriden  untersucht, 
während  in  den  letzten  Jahren,  1908  und  1909,  Kirchhofer  die  Augen 
der  pentameren Käfer  und  Dietrich  diejenigen  der  Dipteren  untersuchte. 

Im  Spätherbst  1907  machte  mich  mein  hochverehrter  Lehrer,  Herr 
Geheimrat  Professor. Dr.  Chun  auf  die  Facettenaugen  der  Lepidopteren, 


]^as  Facettenauge  der  Lepidopteren. 


223 


die,  obgleich  von  den  meisten  früheren  Autoren  berücksichti<>t,  doch 
einer  eingehenden  Revision  bedurften,  aufmerksam,  ein  (Jebiet,  auf 
dessen  Bearbeitung  ich  um  so  freudiger  einging,  da  Dietrich,  der 
erst  kürzlich  seine  Arbeit  begonnen,  bereits  eine  Reihe  interessanter 
neuer  Tatsachen  hatte  feststellen  können.  Leider  waren  meine  Unter- 
suchungen nicht  so  von  Erfolg  gekrönt,  da  die  Lepidopteren  seltsamer- 
weise ganz  auffallend  gleichmäßig  gebaute  Augen  haben;  weder  die 
so  interessante  Differenzierung  in  ein  Doppelauge,  die  sich  als  eine  direkte 
Folge  biologischer  Anpassung  ergibt,  noch  seltsame  Differenzierungen 
im  Bau  der  Ommatidien,  wie  sie  z.  B.  Dietrich  bei  Simulium  vorfand, 
ließen  sich  nachweisen,  vielmehr  kehrten  die  charakteristischen  Merkmale 
in  stereotyper  Weise  wieder,  und  zwar  in  zwei  große  Gruppen  gesondert, 
für  die  Tagfalter  und  die  am  Tage  fliegenden  Formen  der  Nachtfalter, 
als  Anpassung  an  ihre  Lebensweise,  sowie  für  die  typischen  Nachtfalter. 
Die  Augen  sämtlicher  Lepidopteren.  mit  Ausnahme  einer  einzigen, 
später  näher  zu  beschreibeiiden  Species,  gehören  dem  euconen  Typus 
(tRENACHers,  d.  h.  »Augen  mit  echten  Kristallkegeln,  wie  sie  bisher 
allen  Facettenauoen  zugeschrieben  wurden«  >.-». 
an.  Die  großen,  halbkugeligen,  lateral  vor- 
gewölbten Augen  bestehen  aus  einer  großen 
Anzahl  einzelner  Ommatidien,  deren  ein  jedes 
einen  echten  Kristallkegel,  der  von  den  vier 
SEMPERschen  Zellen  proximal  abgesondert 
wird,  besitzt.  Diese  Kristallkegel  variieren 
sehr  in  Form  und  Größe,  doch  findet  sich  im 
allgemeinen  die  Anschauung  Max  Schultzes. 
daß  die  Kristallkegel  der  Tagfalter  bedeutend 
kleiner  und  weniger  resistent  als  diejenigen 
der  Nachtfalter,  bestätigt.  Distal  den  Kristall- 
kegeln, direkt  unter  der  Cornea,  finden  sich 
vier  Kerne,  die  SEMPERschen  Kerne,  wie  sie 
Claparede  zu  Ehren  seines  Freundes  Semper 
benannte,  sie  sondern  bei  den  Lepidopteren  auch 
die  Kristallkegelhülle  ab,  auch  die  Absonderung 
der  Cornea  Avird  ihnen  zugeschrieben,  eine  An- 
schauung, der  ich  mich,  wie  aus  folgendem  er- 
sichtlich sein  wird,  nicht  anschheßen  möchte. 
Die  Kristallkegelhülle  geht  kontinuierlich  in 
die  Retinula  über,  und  letztere  ist  es,  die  die  Augen  sämtlicher  Lepi- 
doptei-en  in  zwei  große  Gruppen  teilen  läßt.    Vorstehende  Abbildung  gibt 


ii\ 


Textfig.  1. 
Sehematisclie     Darstellung      des 
Facettenauges     a,  eines  Nacht- 
selimetterlings;   b,  eines  Tagfal- 
ters. 


224  Wilhelm  Johnas, 

ein  etwas  schematisiertes  Bild  zweier  Einzelommatidien  aus  dem  Auge 
eines  Tagfalters  und  eines  Nachtfalters.  Während  die  Retinula  bei  erste- 
rem  fast  in  ihrer  gesamten  Ausdehnung  gleichstark  ist,  weist  letztere  eine 
bedeutende  Differenzierung  auf,  denn  nur  in  ihrem  proximalen  Drittel, 
das  das  Rhabdom  trägt,  ist  sie  stärker,  um  plötzlich  fadenförmig  aus- 
gezogen zu  werden.  Dieser  fadenförmige  Teil  erleidet  aber  nochmals 
eine  kolbenförmige  Anschwellung,  in  die  die  Kerne  der  die  Retinula 
zusammensetzenden  Zellen  verlagert  sind,  sich  wiederum  fadenförmig 
verjüngend  geht  sie  sodann  kontinuierlich  in  die  Kristallkegelhülle  über. 
Die  Anzahl  der  Retinulazellen  schwankt  zwischen  sieben  und  zehn, 
doch  fasse  ich  die  Achtzahl,  wie  sie  bereits  von  Gkenachek  und  Hesse 
für  die  Hymenopteren,  von  Kirchhofer  für  die  pentameren  Käfer, 
von  Dietrich  für  die  Dipteren  und  schließlich  gieichzeiti;;-  mit  mir  für 
die  im  Wasser  lebenden  Hemipteren  von  Bedau  nachgewiesen  wurde, 
für  die  ursprüngliche  auf,  die  sich  auch  ontogenetisch  auf  dem  Wege 
dreimaliger  äqualer  Teilung  einer  Urzelle  sehr  wohl  erklären  ließ. 

Die  einzelnen  Zellen  sind  stets  konzentrisch  geordnet,  und  es  findet 
eine  Rhabdombildung  statt,  indem  die  Stiftchensäume  verschmelzen 
und  auf  diese  Weise  den  »Sehstab«  Leydigs  und  den  »Nervenstab« 
Max  Schultzes  bilden;  die  Verschmelzung  ist  eine  derart  innige,  daß 
man  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  auf  Querschnitten  noch  die  Trennungs- 
linien wahrnehmen  kann. 

Dem  proximalen  Teil  der  Kristallkegel  liegen  zwei  Zellen  an,  die 
Hauptpigmentzellen,  die  dasjenige  Pigment  absondern,  das  dazu  be- 
stimmt ist,  die  Isolierung  des  dioptrischen  Apparates  durchzuführen,  da- 
neben finden  sich  die  Nebenpigmentzellen,  oder  Pigmentzellen  zweiter 
Ordnung,  bei  den  Lepidopteren  mit  einer  Ausnahme  stets  sechs,  deren 
Pigment  sich  sternförmig  um  die  einzelnen  Ommatidien  anordnet;  sie 
sind  spindelförmig  und  ziehen,  an  der  Cornea  beginnend  und  ihre  größte 
Ausdehnung  um  ihre  proximal  den  Kristallkegelspitzen  gelegenen 
Kerne  erlangend,  etwa  bis  zur  Hälfte  der  Retinula.  Das  Pigment  dieser 
Haupt-  und  Nebenpigmentzellen  bezeichnen  wir  als  Irispigment  im 
Gegensatz  zum  Retinapigment,  das  oberhalb  der  Basalmembran  die 
proximalen  Enden  der  Ommatidien  umgibt  und  distalwärts  etwa  bis 
zu  dem  Punkt  hinzieht,  wo  das  Irispigment  aufhört,  auf  diese  Weise 
für  jedes  Ommatidium  einen  Pigmentmantel  bildend. 

Die  Cornea. 

Die  gToßen  halbkugeligen,  lateral  vorgewölbten  Augen  der  Lepi- 
dopteren werden  wie  diejenigen  aller  übrigen  Arthropoden  nach  außen 


Das  Facettenaugo  der  Lepidopteren.  225 

begrenzt  von  der  Hornliaut  oder  Cornea.  8ie  erscheint  zusaninien- 
gesetzt  ans  einer  großen  Anzahl  sich  polyediisch  aneinander  legender 
Facetten,  die  der  Anzahl  der  Onimatidien  im  znsammengesetzten  Auge 
entspricht.  In  den  mittleren  Partien  haben  die  einzelnen  Facetten  rein 
mechanisch  durch  gegenseitigen  Druck  die  Gestalt  regulärer  sechsseitiger 
Prismen  angenommen,  an  den  Rändern  dagegen  tritt  die  Prismen- 
struktur nur  an  denjenigen  Seiten  auf,  an  denen  sie  mit  andern  Facetten 
zusammenstoßen,  während  sie  sonst  ki-eisförmig  erscheinen. 

Die  Gestalt  der  ganzen  Cornea  vergleicht  Leydig  sehr  treffend  mit 
derjenigen  eines  Uhrglases  >;von  rundlichem  oder  ovalem  Umriß«,  dessen 
Konvexität  sehr  verschieden  ist;  er  spricht  sie  als  eine  direkte  Fort- 
setzung des  Hautpanzers  an  und  beschreibt  als  erster  im  Jahre  1864 
ihre  Zusammensetzvmg  aus  Chitinlamellen.  Die  eigenartig  gestreifte 
Struktur  ihres  Längsschnittes  war  bereits  viel  früher  andern  Forschern 
aufgefallen,  so  erwähnt  Will  1840  ihres  Aufbaues  »aus  mehreren  über- 
einander liegenden  Hornplättchen «  und  berichtet,  daß  Sömmering  bei 
Lucanus  cervus  und  Strauss-Dürkheim  bei  Meloloyitha  vulgaris  fünf 
bis  sechs  Schichten  gefunden,  doch  hatten  sie  dafür  keine  Erklärung 
gefunden,  nach  Leydig  jedoch  wurde  diese  lamellenförmige  Schichtung 
zu  einem  charakteristischen  Merkmal  der  chitinösen  Hornhaut.  Die 
Anzahl  der  einzelnen  Schichten  ist  sehr  variabel,  von  der  Dicke  der 
Cornea  abhängig,  doch  läßt  sich  stets  eine  festere  äußere,  die  sich 
unter  dem  Einfluß  künstlicher  Färbemittel  weniger  färbt,  und  eine 
intensiv  färbende  innere  Schicht  von  geringerer  Konsistenz  unter- 
scheiden, letztere  ist  es,  die  in  eine  Reihe  einzelner  in  der  Tinktion 
voneinander  abweichender  Lamellen  aufgelöst  sein  kann,  wie  es  z.  B. 
Dietrich  für  Dilophus  vulgaris  und  Kirchhofer  für  Elater  sanguineus 
nachgewiesen  haben. 

In  den  Augen  der  Lepidopteren  finden  wir  diese  typische  Schich- 
tung nicht  überall  gleich  deutlich  ausgeprägt;  da  die  Cornea  der  Lepi- 
dopteren schon  im  allgemeinen  bei  weitem  nicht  so  kräftig  entwickelt 
ist  wie  diejenige  der  Coleopteren,  sie  ist  auch  weicher,  so  kam  es,  daß 
einzelne  mit  Eisenhämatoxylin  nach  Heidenhain  gefärbte  Präparate 
überhaupt  keine  Differenzierung  aufwiesen,  die  Cornea  vielmehr  durch- 
weg gleichmäßig  geschwärzt  erschien.  Bessere  Resultate  erhielt  ich, 
als  ich  Hämalaunfärbung  anwandte,  wobei  bei  einer  ganzen  Reihe  von 
Arten  die  Schichtung  zu  erkennen  war;  sehr  charakteristisch  trat  sie 
auf  bei  der  gemeinen  Kleidermotte,  Tinea  'pelionella,  in  deren  Cornea 
eine  dunklere  innere  und  eine  fast  glashelle  äußere  Schicht  durch  eine 
intensiv  gelbe  Zone  getrennt  werden,  wir  haben  es  hier  mit  einer  typisch 


226  Wilhelm  Johnas, 

dreischichtigen  Cornea  zu  tun,  deren  mittlere  Schicht  die  dem  Chitin 
eigentümliche  gelbliche  Färbung  aufweist.  Weniger  deutlich  ausgeprägt, 
wenngleich  noch  deutlich  erkennbar,  ist  die  Dreischichtigkeit  an  der 
Cornea  von  Hepialus  sylvanus,  welche  sich  nur  dadurch  von  der  vorher- 
gehenden unterscheidet,  daß  die  gelbliche  Schicht  nach  außen  verlagert 
ist.  Eine  ganze  Reihe  andrer  Formen  wiesen  eine  Zweischichtigkeit 
auf  (vgl.  Fig.  1,  5,  8).  Die  einzelnen  Corneafacetten  erscheinen  mehr 
oder  weniger  plankonvex,  der  distale  Eand  ist  vorgewölbt,  während 
der  proximale  in  den  meisten  Fällen  durchaus  plan  ist,  nur  bei  Rhodo- 
cera  rhamni  zeigte  sich  eine  Abweichung  (Fig.  1):  die  starke  Cornea 
ist  typisch  zweischichtig,  von  denen  die  äußere,  bedeutend  stärkere 
hellere  bikonvex,  während  die  innere,  schwächere  bikonkav  und  von 
dunkelblauer  Tinktion  ist.  Im  allgemeinen  gewann  ich  den  Eindruck 
während  meinen  Untersuchungen,  daß  die  Vorwölbung  der  einzelnen 
Corneafacetten  bei  den  eigentlichen  Nachtfaltern  sowie  den  Schmetter- 
lingen mit  einem  typischen  Dunkelauge  bedeutend  intensiver  aus- 
geprägt ist  als  bei  den  Tagfaltern. 

Die  Oberfläche  der  Cornea  ist  bei  den  Lepidopteren  glatt,  nur 
Vanessa  urticae,  der  gemeine  kleine  Fuchs,  weist  einzelne  Härchen  oder 
Borsten  auf,  die  stets  dort  auftreten,  wo  die  Facetten  zusammenstoßen, 
eine  Erscheinung,  auf  die  schon  frühere  Autoren  hingewiesen,  die  aller- 
dings um  so  merkwürdiger  erscheint  als  seine  nächsten  Verwandten 
nichts  derartiges  besitzen. 

Was  die  Färbung  der  Corneafacetten  anbetrifft,  so  kann  ich  nur 
die  Beobachtungen  Max  Schultzes  bestätigen,  der  sehr  genaue  Unter- 
suchungen über  die  Unterschiede  an  Tag-  und  Nachtfaltern  angestellt 
hat.  In  frischem  ungefärbtem  Zustande  erscheinen  die  Corneafacetten 
der  Heteroceren  fast  farblos,  glashell  und  »lassen  demgemäß  alles  sie 
treffende  Licht  durch,  sofern  dasselbe  nicht  eine  Reflexion  an  ihrer 
vorderen  Fläche  erleidet«,  während  die  Facetten  der  Rhopaloceren  eine 
farbige  Umrandung  aufweisen,  wobei  meist  eine  gelbliche  oder  selbst 
intensiv  gelbe  Färbung  vorherrscht;  diese  Umrandung  kann  so  weit 
ausgedehnt  sein,  daß  nur  eine  kleine  kreisförmige  central  gelegene 
Partie  frei  bleibt,  durch  die  ein  Durchtritt  der  Lichtstrahlen  ermöglicht 
mrd.  In  der  Abbildung  Fig.  3  habe  ich  eine  Partie  der  ausgebreiteten 
Cornea  von  Chrysofhanus  hippothoe  dargestellt.  Diese  intensiv  gelbe 
Umrandung  der  Corneafacetten  fand  sich  bei  sämtlichen  Lycänideu, 
sowie  einer  ganzen  Reihe  andrer  im  grellsten  Sonnenschein  fliegender 
Formen  wieder,  während  Van  essen  eine  bräunliche  Umrandung  und 
Hesperiden  {Hesperia  comma  und  tltaumas)  eine  schwärzliche  aufweisen. 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteien.  227 

Eine  derartige  Piumentienuit;"  der  Cornea  bewirkt  die  Absorbierung 
.sämtlicher  schräg  einfallender  Lichtstrahlen  ehe  sie  den  Kristallkegel 
erreichen,  ein  Umstand,  der  für  die  im  intensivsten  Sonnenlicht  fliegen- 
den Formen  von  entschiedenem  Nutzen  ist.  Die  Vermutung  wird  be- 
stätigt, wenn  wir  sehen,  daß  die  sich  an  ein  Taglcben  angepaßt  habenden 
Species  der  Nachtfalter  auch  in  dieser  Richtung  ihr  Auge  modifiziert 
haben.  Ich  hatte  Gelegenheit  die  Befunde  Max  Schultzes  nachzu- 
prüfen und  konnte  feststellen,  daß  die  Corneafacetten  von  Macroglossa 
steUatarum,  unsres  gemeinen  Taubenschwanzes,  der,  obgleich  zu  den 
Nachtschmetterlingen  gehörend,  doch  ein  vollkommenes  Tagtier  gewor- 
den ist,  eine  gelbe  Umrandung  aufweisen,  während  die  Facetten  unsrer 
allbekannten  Blutsti-öpfchen,  die  wiederum  ein  ausgeprägtes  Tagleben 
führen,  schwarz  umrandet  erscheinen;  außer  Zygaena  lonicerae  und 
carniolica  untersuchte  ich  noch  einen  Vertreter  der  nah  verwandten, 
ausschließlich  tropischen  Gruppe  der  Glaucopiden,  wobei  ich  dieselben 
Verhältnisse  nachweisen  konnte.  Vielleicht  am  markantesten  ist  diese 
Erscheinung  bei  Ino  statices,  wo  die  gelbe  Umrandung  der  Cornea- 
facetten so  typisch  » tagfalterartig  «  ist,  daß  man  ein  abgesprengtes  Stück 
Cornea  für  dasjenige  einer  Lycänide  zu  halten  geneigt  ist. 

Was  den  Bau  der  Cornea  anbetrifft,  habe  ich  einer  auffallenden 
Erscheinung  Erwähnung  zu  tun,  die,  soweit  mir  bekannt,  bisher  in  der 
Literatur  nicht  berücksichtigt  worden  ist,  ich  meine  die  Ausbildung 
eines  Processus  corneae.  Bei  einer  ganzen  Reihe  von  Tagfaltern  können 
wir  an  der  Innenseite  der  Cornea  einen  Processus  erkennen,  der  sich 
proximal  bis  zu  den  SEMPERschen  Kernen,  bzw.  der  Kristallkegelhülle,  in 
der  sie  liegen,  fortsetzt,  am  deutlichsten  ausgeprägt  sah  ich  ihn  bei 
Coenonympha  pam'phihis  (s.  Fig.  8),  wo  er  eine  ganz  beträchtliche  Länge 
erreicht;  er  hat  eine  fast  cylindrische  Gestalt  und  geht  kontinuierlich 
in  die  innere,,  hier  ausnahmsweise  hellere  Schicht  der  Cornea  über. 
Wenngleich  nicht  in  dem  Maße  ausgebildet,  läßt  sich  ein  Processus 
corneae  bei  weiteren  Satyriden  {Satyrus  semele,  Efine/phele  jurtma) 
sowie  Lycäniden  {Chrysophanus  hippothoe  und  pTilaeas,  Lycaena  icarus) 
nachweisen,  und  ich  glaube  nicht  irre  zu  gehen,  wenn  ich  annehme,  daß 
auch  bei  Rhodocera  rJuimni  ein  Processus  corneae  zur  Ausbildung  ge- 
langt (s.  Fig.  1),  da  die  Pigmentverhältnisse,  wie  später  noch  gezeigt 
werden  soll,  direkt  darauf  hinweisen. 

Wir  haben  es  hier  mit  einem  sehr  eigenartigen  Gebilde  zu  tun, 
das  man  im  ersten  Augenblick  als  Pseudoconus  ansprechen  könnte, 
wenn  nicht  der  proximal  den  SEMPERschen  Kernen  gelegene  Kristall- 
kegel einen  eines  besseren  belehren  würde,  doch  liegt  es  nahe  diese 


228  Wilhelm  Johnas, 

Augen  als  Zwischenglieder  zwischen  dem  euconen  und  pseudoconen 
Typus  zu  bezeichnen,  was  um  so  wahrscheinlicher  erscheint,  wenn  wir 
in  Betracht  ziehen,  daß  Dietkich,  sich  der  Meinung  Caerieres  an- 
schließend, zur  Überzeugung  kommt,  der  Pseudoconus  sei  nichts  andres 
als  eine  »zapf enartige  Vorwölbung  der  Cornea«,  entsprechend  dem  Pro- 
cessus corneae  einer  großen  Anzahl  pentamerer  Käfer  (Kirchhofer). 
Wenn  Dietrich  in  seinem  Satz:  »das  peudocone  Auge  ist  demnach, 
wie  Carriere  schon  betont,  lediglich  eine  besondere  Stufe  der  Aus- 
bildung des  aconen  Auges«  die  Kluft  zwischen  aconem  und  pseudo- 
conem  Auge  überbrückt  und  auch  Bedau  bei  Hemipteren  eine  derart 
hypertrophe,  an  einen  Pseudoconus  erinnernde  Ausbildung  des  Pro- 
cessus corneae  bei  Nepa  cinerea  und  Naucoris  cimicoides  feststellen 
konnte,  so  weist  uns  Hesse  darauf  hin,  daß  auch  pseudoconer  und 
euconer  Typus  ineinander  übergehen,  denn  er  rechnet  das  Frontauge 
von  Bibio  marci  und  andern  Bibioniden  zum  euconen  Typus,  da  »die 
Reste  der  Kegelzellen  im  Pseudoconus  proximal  zu  einem  echten  Kristall- 
kegel umgewandelt  sind,  dem  die  zugehörigen  distal,  an  der  Grenze 
gegen  die  Secretmasse,  anliegen  (1908).  Was  nun  bei  Dipteren  und 
Hemipteren  der  Fall,  warum  sollte  es  bei  Lepidopteren  nicht  möglich 
sein?  In  meiner  Vermutung  bestärkt  mich  weiter  die  Ontogenie  des 
Auges.  Alle  früheren  Autoren  waren  der  Meinung,  daß  die  Cornea 
ein  x4.usscheidungsprodukt  der  Kristallzellkerne,  der  sogenannten  Sem- 
PERschen  Kerne,  wie  sie  Claparede  (1860)  zu  Ehren  seines  Freundes 
Semper  bezeichnet,  selbst  Grenacher  (1878)  und  Carriere  (1885) 
huldigen  noch  dieser  Ansicht,  und  letzterer  behauptet,  daß  die  Tätig- 
keit der  Kristallzellen  »in  erster  Linie  die  aller  Hypodermiszellen, 
nämlich  an  der  Außenseite  die  Bildung  des  Chitinpanzers,  der  das  Auge 
ebensowohl  wie  den  übrigen  Körper  bedeckt,  und  soweit  er  zum  Auge 
gehört,  als  Cornea  bezeichnet  wird«.  Ein  Jahr  darauf  (1886)  gelang 
es  Patten,  im  Auge  von  Decapoden  selbständige  Corneagenzellen 
nachzuweisen,  als  deren  einzige  Aufgabe  die  Bildung  der  Cornea  an- 
zusehen ist.    Diese  Entdeckung  blieb  nicht  vereinzelt,  denn  Chun  fand 

(1896)  dieselben  Corneagenzellen  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Tiefsee- 
crustaceen  (Schizopoden  und  Sergestiden),  und  nur  ein  Jahr  darauf 

(1897)  wies  Zimmer  sie  für  die  Ephemeriden  nach,  doch  fand  er  sie 
lediglich  im  sogenannten  Turbanauge  der  Männchen,  während  sie  im 
Ventralauge  des  Männchens  und  im  ganzen  weiblichen  Auge  fehlten. 
Hesse  (1901)  beobachtete  im  Auge  von  Periplaneta  »vor  den  Kristall- 
zellen zwei  freie  Bezirke  mit  darin  gelegenen  Resten  von  Kernen«,  die 
er  als  degenerierte  Corneagenzellen  anspricht.     Derselbe  Forscher  fand 


Das  Facettenauge  der  Lepidojitercn.  229 

bei  Lepisma  sacharina  gleichfalls  Coineagenzelleu,  doch  erschienen  ihre 
Kerne  hier  seitlich  verlagert,  so  daß  die  Kristallzellen  in  direktem 
Kontakt  mit  der  Cornea  standen.  Die  Erscheinung,  daß  überall  wo 
Corneagenzellen  auftreten  die  Hauptpigmentzellen  nicht  nachweisbar 
sind,  veranlaßten  Hesse,  Corneagenzellen  und  Hauptpigmentzellen  zu 
homologisieren.  In  dieser  Anschauung  wurde  er  noch  bestärkt  durch 
die  Untersuchungen  Johansens  (1893),  der  die  Entwicklung  des  Imago- 
auges  von  Vanessa  urticae  eingehend  schildert.  Er  findet,  daß  in  einem 
bestimmten  Stadium  der  Entwicklung  sich  deutlich  drei  Schichten  von 
Kernen  unterscheiden  lassen,  deren  distale  durch  eine  kernlose  Region 
von  den  beiden  übrigen  getrennt  ist.  Diese  distale  Zone,  die  nur  aus 
einer  Schicht  von  Kernen  besteht,  gehört  denjenigen  Zellen  an,  »die  sich 
im  Verbände  mit  den  übrigen  Zellen  der  Augenepidermis  an  der  Aus- 
scheidung der  die  Augen  überziehenden  Puppenhülle  beteiligt  haben 
und  deren  Funktion  im  Imagoauge,  wie  es  sich  erwarten  läßt,  wenn 
man  vom  Bau  des  ausgebildeten  Auges  ausgeht,  darin  bestehen  müßte, 
die  Cornealinse  und  die  Kristallkegel  zu  bilden.  Mit  andern  Worten, 
die  Kerne  müßten  nach  Clapakede  als  die  »SEMPEKschen  <(  bezeichnet 
werden  «.  »Aber  «,  fährt  er  fort  ,  »anstatt  nun  auch  weiter  in  ihrer  Lage 
an  der  Oberfläche  der  Augen  zu  verharren,  treten  in  deutliche  Bezie- 
hungen zur  Oberfläche  des  Auges  Zellen,  deren  Kerne  der  mittleren 
Kernzone  angehören,  die  aber  im  Laufe  der  Entwicklung  vollständig 
in  die  distale  Zone  übergehen,  während  anderseits  die  primär  in  der 
distalen  Zone  gelegenen  Kerne  hinunterrücken  und  zu  Hauptpigment- 
zellen oder  Pigmentzellen  erster  Ordnung  werden. «  Die  Hauptpigment- 
zellen sind  also  entsprechend  den  Corneagenzellen  ursprünglich  distal 
der  Kristallzellen  gelegen,  und  auch  Dietrich,  der  gleichfalls  eine  Ver- 
lagerung der  Hauptpigmentzellen  distalwärts  (bei  Syrphus  rihesii)  fand, 
spricht  die  Vermutung  aus,  daß  sie  es  sind,  die  die  Cornea  absondern. 
An  meinen  Präparaten  konnte  ich  nun  nachweisen,  daß  überall 
wo  ein  Processus  corneae  bzw.  Pseudoconus  zur  Ausbildung  kommt, 
eine  Verlagerung  der  Pigmentzellen  erster  Ordnung  statthat;  während 
die  Hauptpigmentzellen  meist  der  proximalen  Spitze  der  Kristallkegel 
anliegen,  finden  sie  sich  bei  allen  vorgenannten  Formen  distal  verlagert, 
so  daß  ihre  Kerne  in  gleicher  Höhe  der  distalen  Basis  der  Kristallkegel 
liegen.  Da  weiter  der  innere  Zusammenhang  zwschen  Cornea  und 
SEMPERschen  Kernen  durchaus  kein  so  inniger  zu  sein  scheint,  wie  es 
Leydig  annimmt,  mir  ist  es  z.  B.  nie  passiert,  daß  beim  Absprengen 
der  Cornea  die  SEMPERschen  Kerne  an  ihr  haften  blieben,  glaube  ich  mit 
Eecht  die  Vermutung  auszusprechen,  daß  Cornea  sowie  Processus 


230  Wilhelm  Johnas, 

corneae  lediglich  ein  Absonderungsprodukt  echter  Cor- 
neagenzellen  ist,  die  erst  sekundär  zu  Hauptpigmentzellen 
werden. 

Von  den  Kristallkegeln. 

Als  charakteristisches  Merkmal  der  zusammengesetzten  Augen  der 
Arthropoden  galten  von  jeher  die  proximal  der  Cornea  gelegenen  Kristall- 
kegel, die  »durchsichtigen,  kegelförmigen  Kristallkörperchen«  Müllers, 
der  sie  in  seinem  1826  erschienenen  Werk  »Zur  vergleichenden  Phy- 
siologie des  Gesichtssinnes«  noch  allen  Facettenaugen  zuschreibt.  Ab- 
gesehen von  seinen  eignen  Untersuchungen  beruft  er  sich  auf  seine 
Vorgänger  Haller,  Swammerdam  und  Herrich -Schäfer,  die  alle 
bereits  diese  sonderbaren  Gebilde  zu  Gesicht  bekommen  und  beschrieben 
haben.  *  In  seinen  1829  erschienenen  »Fortgesetzten  Untersuchungen 
über  den  Bau  der  Augen  bei  Insekten  und  Crustaceen«  ist  er  allerdings 
gezwungen  seinen  Satz  bis  zu  einem  gewissen  Grade  einzuschränken. 
Obgleich  Huschke  (1827)  die  Kristallkegel  bei  Vanessa  cardui  und 
Strauss-Dürkheim  bei  Melolontha  vulgaris  ihre  Existenz  nachgewiesen, 
behauptete  Treviranus  (1827)  ihr  Auftreten  nicht  für  allgemein  gültig, 
und  auch  Müller  stimmt  dem  bei,  indem  er  erklärt:  »Ich  habe  nun- 
mehr neuerdings  meine  Untersuchungen  an  den  Insekten  und  Krebsen 
meiner  Kollektion  in  noch  größerem  Maße  wiederholt,  wenn  ich  auch 
einige  Beobachtungen  gemacht  habe,  welche  sich  an  die  von  Trevi- 
ranus beobachteten  Ausnahmen  anschließen,  so  bin  ich  doch  auch 
jetzt  noch  der  Meinung,  daß  die  von  mir  beschriebene  Bildung,  näm- 
lich die  in  der  Achse  durchsichtigen  Kristallkörperchen,  hinter  den 
Facetten  der  Hornhaut  den  wahren  zusammengesetzten  Augen  der 
geflügelten  Insekten  und  vollkommenen  Krebse  mit  wenigen  Aus- 
nahmen zukommen. «  Einen  Fortschritt  in  der  Erkenntnis  der  Kristall- 
kegelgebilde bedeuten  die  Untersuchungen  Leydigs  (1855),  der  ihre 
segmentale  Zusammensetzung  erkannte,  er  sieht  auch  schon  die  distal 
den  Kristallkegeln  anliegenden  »kernartigen  Gebilde«,  doch  weiß  er 
ihren  Ursprung  und  ihre  Bedeutung  noch  nicht  zu  deuten,  das  blieb 
Claparede  vorbehalten,  der  sie  als  echte  Kerne  erkennt,  die  stets  in 
der  Vierzahl  auftreten  und  proximal  den  Kristallkegel  absondern,  wie 
bereits  erwähnt,  bezeichnet  er  sie  als  »SEMPERSche«  Kerne.  Diesem 
Forscher  gelang  es  auch,  in  den  Kristallkegeln  einiger  Lepidopteren 
Vacuolen  nachzuweisen,  deren  Ursprung  er  nicht  zu  deuten  vermag, 
dieses  sei  hier  nur  erwähnt,  da  ich  in  folgendem  über  einen  ähnlichen 
Befund  zu  sprechen  haben  werde.     Erst  Grenacher  (1878)  gibt  eine 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren. 


231 


genaue  Definition  der  Kristallzellengebilde  und  unterscheidet  an  ihnen 
die  drei  verschiedenen  Typen  von  Facettenaugen,  den  aconen,  euconen 
und  pseudoconen;  daß  eine  scharfe  Grenze  zwischen  ihnen  sich  nicht 
ziehen  läßt,  sie  vielmehr  ineinander  übergehen,  ist  bereits  im  vorher- 
gehenden Kapitel  erörtert  worden. 

Was  nun  die  Kristallkegel  der  Schmetterlinge  anbetrifft,  sie  sind, 
da  die  Schmetterlinge  dem  euconen  Typus  Grenachers  angehören,  bei 
allen  vorhanden,  so  weisen  sie  untereinander  doch  recht  beträchtliche 
Abweichungen  auf,  im  allgemeinen  aber  finden  wir  das  Prinzip  ver- 
treten, daß  die  Nachtfalter  sich  durch  größere  und  resistentere  Kristall- 
kegel auszeichnen  als  die  Tagfalter,  deren  Kristallkegel  meist  klein  und 
von  gallertartiger  Konsistenz  sind;  auch  in  ihrer  Gestalt  weichen  sie 
beträchtlich  voneinander  ab. 

Die  Gestalt  der  Kristallkegel  bei  den  Heteroceren  vergleicht  Gre- 
NACHER  sehr  treffend  mit  derjenigen 
einer  » LängsgTanate  der  modernen 
Artillerie  «,  nebenstehende  x\bbildung 
der  Kristallkegel  verschiedener  Lepi- 
dopteren wdrd  es  bestätigen.  Gerade 
an    diesen   Kristallkegeln   läßt    sich 


Textfig.  2. 
Formen  der  Kristallkegel  aus  dem  Auge  ver- 
schiedener Lepidopteren. 


ihre  Zusammensetzung  leicht  studie- 
ren, es  passiert  nämlich  häufig,  daß 
die  Kegel  einreißen,  doch  geht  der 
Riß  nur  durch  die  Trennungslinien 
der  einzelnen  Segmente,  und  im 
günstigsten  Fall  sieht  man  auf  dem 
Längsschnitt  die  vier  einzelnen 
Kegelsegmente  nebeneinander  liegen. 
Noch  deutlicher  erscheint  einem  die 
Zusammensetzung  am  Querschnitt,  wo  der  Kristallkegel  als  Kreis,  aus 
vier  durch  deutliche  Linien  voneinander  getrennten  Quadranten  be- 
steht, einem  jeden  sitzt  distal  ein  großer,  meist  ovaler  Kern  auf,  der 
SEMPERsche,  der  den  eigentlichen  Kegel  absondert. 

Am  Kristallkegel  der  Rhopaloceren  liegen  die  Verhältnisse  lange 
nicht  so  klar,  ihre  Gestalt  ist  teils  typisch  spitzkegelförmig  oder  auch 
birnenförmig,  doch  läßt  sich  über  ihre  Form  kaum  ein  endgültiges 
Urteil  abgeben,  da  sie  infolge  ihrer  fast  dickflüssigen  Konsistenz  bei 
der  Konservierung  nur  zu  leicht  Schrumpfungen,  sowie  sonstigen  Ver- 
zerrungen unterworfen  sind.  Ihre  Zusammensetzung  aus  vier  kon- 
gruenten Segmenten  läßt   sich  an   mit   Hämalaun   schwachgefärbten 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XGVII.  Bd.  16 


232  Wilhelm  Jolinas, 

Präparaten  leicht  nachweiseu,  bei  stärkerer  Hämalaun-,  sowie 
Heidenhain- Färbung  tritt  nur  zu  leicht  eine  intensive  Schwärzung  ein, 
die  jegliche  subtilere  Untersuchung  zur  Unmöglichkeit  macht.  Wie 
bedeutend  die  einzelnen  Größendifferenzen  der  Kristallkegel  unter- 
einander sind,  möge  wiederum  vorstehende  Abbildung  zeigen,  in 
der  a — c  unter  360facher,  d — g  unter  485facher  Vergrößerung  mit 
Hilfe  des  Zeichenapparates  entworfen  ist.  Die  Kristallkegel  scheinen 
stets  aus  einer  homogenen  Masse  zu  bestehen,  da  jedoch  die  central 
gelegenen  Partien  stärker  lichtbrechend  wirken  als  die  peripheren, 
macht  es  den  Eindruck  als  ob  sie  heller  wären,  eine  scharfe  Grenze 
ließ  sich  jedoch  nie  nachweisen. 

Sehr  eigenartige  Bilder  boten  die  Kristallkegel  von  Rhodocera  rhamni 
(Fig.  1),  sie  waren  vollkommen  vacuolisiert.  Trotz  den  verschiedensten 
Konservierungsmethoden  traten  diese  Vacuolen  in  jedem  Präparat  auf 
und  machten  bei  schwächerer  Vergrößerung  den  Eindruck  vollkommener 
Regelmäßigkeit.  Erst  mit  Hilfe  eines  Apochromaten  konnte  ich  fest- 
stellen, daß  sie  im  Kristallkegel  regellos  verstreut  lagen;  es  waren  mit- 
hin Schrumpfungserscheinungen,  die  hier  zutage  traten,  ein  Umstand, 
der  allerdings  für  die  eigenartige  Konsistenz  dieser  speziellen  Kristall- 
kegel spricht.  Ich  muß  daher  annehmen,  daß  jene  von  Clapaeede  be- 
schriebenen und  abgebildeten  Vacuolen  im  Kristallkegel  von  Deilephila 
ewphorbiae  gleichfalls  auf  derartige  Schrumpfungserscheinungen  zurück- 
zuführen sind,  was  allerdings  um  so  merkwürdiger  erscheint,  als  die 
Kristallkegel  sich  durch  eine  bedeutende  Konsistenz  auszeichnen. 

Entsprechend  den  Abweichungen  in  Form  und  Färbung  der  Cornea- 
facetten,  finden  sich  auch  an  den  Kristallkegeln  derjenigen  Nachtfalter, 
welche  am  Tage  fhegen,  bedeutende  Anklänge  an  die  Krista,llkegel  der 
Tagfalter,  eine  ganze  Reihe  solcher  von  mir  untersuchter  Formen  wiesen 
sogar  typische  Tagfalterkegel  auf,  am  auffallendsten  war  es  bei  den 
Zygäniden,  von  denen  lonicerae  und  carniolica  zur  Untersuchung  kamen ; 
beide  Formen  haben  jedenfalls  die  kleinsten  Kristallkegel,  die  ich  über- 
haupt bei  einem  Schmetterling  gefunden  habe.  Den  gleichen  Befund 
ergab  die  Untersuchung  von  Ino  statices,  wo  die  Kristallkegel  gleich- 
falls sehr  klein,  fast  die  Form  eines  Apfelkernes  aufwiesen,  während 
andre  am  Tage  fliegende  Formen  der  Nachtfalter,  wie  Macroglossa 
Stellatarum,  Plusia  gamma,  Euclidia  my  und  glyphica  Kristallkegel  be- 
sitzen, die  sowohl  ihrer  Größe  als  Gestalt  nach  den  Kristallkegeln  der 
Heteroceren  zugezählt  werden  müssen. 

Schon  Max  Schultze  macht  in  seinen  »Untersuchungen  über  die 
zusammengesetzten  Augen  der  Krebse  und  Insekten«  (1868)  al^f  diesen 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  233 

sonderbaren  Umstand  aufmerksam,  nur  will  er  bei  den  Rhopaloceren 
eine  diffus  gelbliche  Färbuno;  der  Kristallkegel  gesehen  haben,  die  sich 
auch  bei  Macroglossa  steUatarum  und  Plusia  gamma  wiederfand.  Eine 
derartige  gelbe  Pigmentierung  der  Kristallkegel  habe  ich  nie  nach- 
weisen können,  vielmehr  erschienen  sie  mir  stets  farblos,  als  mehr  oder 
minder  stark  lichtbrechende  Medien,  und  zwar  war  die  Lichtbrechung 
in  den  Kristallkegeln  der  Nachtfalter  eine  viel  stärkere,  als  in  den- 
jenigen der  Tagfalter.  Da  auch  dieser  Umstand  bei  den  oben  beschrie- 
benen Heteroceren,  die  am  Tage  fliegen,  eintraf,  möchte  ich  feststellen, 
daß  die  Zygäniden  und  Ino  statices  sich  besser  an  ein  Tagleben  an- 
gepaßt haben  als  die  übrigen  Formen;  der  Gedanke  liegt  nahe,  daß 
erstere  von  jeher  ein  Tagleben  geführt  haben,  während  letztere  sich 
erst  sekundär  dem  Tageslicht  angepaßt  haben,  wobei  bis  jetzt  nur 
die  Cornea  eine  Umwandlung  erfahren  hat. 

Die  Kristallkegel  der  Lepidopteren  sind  von  einer  zarten  Hülle 
umgeben,  die  gleichfalls  von  den  SfiMPERSchen  Kernen  ausgeschieden 
wird,  in  ihrem  distalen  Teil  umschließt  sie  sie  auch;  bei  einer  ganzen 
Anzahl  am  Tage  fliegender  Formen,  bei  den  meisten  Rhopaloceren, 
sowie  wiederum  bei  den  Zygäniden  erfährt  sie  in  ihrem  distalen  Teil 
eine  Verdickung,  die  bisweilen  so  stark  werden  kann  und  sich  so  intensiv 
färbt,  daß  die  SEMPERSchen  Kerne  dem  x4.uge  des  Beobachters  ver- 
borgen bleiben  können;  als  besonders  auffallend  erwies  sich  diese  Er- 
scheinung im  Auge  der  Lycäniden  {Lycaena  icarus,  Chrysophanus 
hifpothoe  und  fhlaeas),  bei  Coenonympha  pamphilus,  sowie  bei  Zygaena 
lonicerae  und  Ino  statices.  Proximal  setzt  sich  die  Kristallkegelhülle 
kontinuierlich  in  die  Retinula  fort ;  bereits  Max  Schultze  weist  darauf 
hin,  daß  die  Kristallkegelhülle  bei  den  Insekten  direkt  in  die  »  Scheide 
des  Nervenstabes«  übergeht,  diese  Scheide  ist  nun  nichts  andres  als 
die  Schaltzone  Hesses,  die  sich  an  der  Retinula  zwischen  dem  dunkler 
plasmatischen  Teil  und  dem  aus  der  Verschmelzung  der  Stiftchen- 
säume  entstandenen  Rhabdom  einschiebt,  somit  haben  wir  hier  einen 
direkten  Zusammenhang  zwischen  den  perzipierenden  Elementen  und 
dem  dioptrischen  Apparat,  eine  Trennungslinie  habe  ich  auch  bei  An- 
wendung stärkster  Vergrößerungen  nicht  finden  können,  bei  Besprechung 
der  Retinula  werde  ich  nochmals  darauf  zurückzukommen  haben. 

Direkt  proximal  den  Kristallkegeln  glaubt  Grenacher  bei  Try- 
phaena  pronuha  einen  zweiten  lichtbrechenden  tropfenförmigen  Körper 
gesehen  zu  haben,  den  er  auch  abbildet,  der,  proximal  scharf  begrenzt, 
distal  keine  scharfe  Grenze  aufweisend  in  die  Kristallkegelhülle  über- 
geht; obgleich  ich  dieselbe  Form  eingehend  untersuchte,  konnte  ich 

16* 


234:  Wilhelm  Johnas, 

keinen  derartigen  Körper  nachweisen,  fand  lediglich  eine  Erweiterung 
der  Kristallkegelhülle,  wie  man  sie  auch  bei  andern  Eulen  und  Hespe- 
riden  findet,  wo  sie  sich  aus  Gründen,  die  im  folgenden  Kapitel  näher 
erörtert  werden  sollen,  nicht  sofort  fadenförmig  auszieht,  sondern 
auch  noch  unterhalb  des  Kristallkegels  ein  Stück  nur  ganz  allmählich 
sich  verjüngend  verläuft. 

Die  Retinula. 

Nach  Besprechung  der  Cornea  und  der  Kristallkegel,  dieses  ledig- 
lich dioptrischen  Apparates,  haben  wir  uns  den  lichtperzipierenden 
Elementen  des  Arthropodenauges,  der  Retinula,  zuzuwenden.  Proximal 
den  Kristallkegeln,  zwischen  diesen  und  der  Basalmembran  gelegen, 
breitet  sie  sich  aus,  auf  diese  Weise  die  Leitungsbahnen  der  Licht- 
wahrnehmung zu  den  Ganglien  repräsentierend.  Ihre  Zusammen- 
setzung aus  einzelnen  Zellelementen  war  bereits  früh  den  Forschern 
bekannt,  wohl  waren  sie  sich  noch  nicht  über  die  Zahl  der  sie  zu- 
sammensetzenden Zellen  einig,  doch  besteht  diese  Streitfrage  bis  in  die 
neueste  Zeit  fort,  und  erst  die  Arbeiten  der  letzten  Jahre  scheinen  in 
diese  Frage  Klarheit  zu  bringen. 

Während  die  ältesten  Autoren  die  ganze  Retinula  als  Opticusfaser 
auffaßten,  schuf  Leydig  als  erster  den  Begiiff  eines  »Nervenstabes«. 
Wohl  gerät  er  noch  auf  Irrwege,  indem  er  ihn  den  Stäbchen  im  Verte- 
bratenauge  gleichstellen  will,  doch  dieser  Irrtum  beeinträchtigt  sein 
Verdienst  nicht,  war  er  doch  der  erste  (1855),  der  die  wahre  Beschaffen- 
heit der  perzipier enden  Elemente  erkannte.  Sein  direkter  Nachfolger, 
Claparede  (1858),  tritt  in  gewissen  Gegensatz  zu  Leydig,  indem  er 
den  inneren  Zusammenhang  zwischen  »Nervenstab«  und  Kristallzell- 
gebilde leugnet,  doch  billigt  er  vollkommen  die  von  seinem  Vorgänger 
eingeführte  Nomenklatur.  Er  schildert  den  »Nervenstab«  von  einem 
Umhüllungsschlauch  umgeben,  unter  dem  er,  der  Abbildung  nach  zu 
urteilen,  die  Pigmentscheide  versteht;  von  großer  Wichtigkeit  ist  es, 
daß  er  bestrebt  ist,  die  Anzahl  der  den  »Nervenstab«  zusammen- 
setzenden Zellen  festzustellen,  indem  er  die  Zellkerne  zählt  und  für 
Deilephila  euphorhiae  ihre  Zahl  gleich  acht  angibt.  Max  Schultze 
(1868)  ersetzt  den  Ausdruck  »Nervenstab«  durch  »Sehstab«  und  gibt 
bereits  eine  eingehende  Schilderung  der  oft  seltsamen  Modifikation 
dieses  wichtigen  Gebildes,  aber  erst  Grenacher  erkennt  die  wahre 
Beschaffenheit  des  »Sehstabes«,  indem  er  ihn  lediglich  als  centrales 
stark  lichtbrechendes  Achsengebilde  anspricht,  das  von  den  es  um- 
gebenden   Zellen    ausgeschieden    wird,    er   ist   es   auch,    der   für    den 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  235 

»  Sehstab  «  mit  den  ihn  umgebenden  Zellen  die  Bezeichnung  » Retinula  « 
einführt.  Der  Anordnung  der  die  Retinula  bildenden  Zellen  nach 
imterscheidet  er  vier  Hauptgruppen,  und  zwar  1)  diejenige,  »wo  die 
Zellen  gut  voneinander  isoliert  und  eine  derselben,  die  häufig  durch 
eine  stärkere  Entwicklung  ausgezeichnet  ist,  in  der  Mitte  steht,  die 
sechs  andern  palisadenartig  herum«;  2)  wo  »sämtliche  Zellen  peripher 
um  die  Achse  gelagert  und  keine  derselben  durch  ihre  Entwicklung 
eine  Ausnahmestellung  einnimmt«,  in  diesem  Fall  sind  die  Stäbchen 
imi  einen  Hohlraum  angeordnet;  3)  schließlich  »wo  die  Stäbchensäume 
sämtlicher  Zellen  der  Retinula  zu  einem  axialen  einfachen  Strang, 
dem  Rhabdom,  verschmelzen,  an  dem  man  zuweilen  auf  Querschnitten 
noch  Spuren  der  Trennungslinien  nachweisen  kann  «.  Die  vierte  Gruppe 
erscheint  mehr  oder  weniger  als  eine  Modifikation  des  dritten  Falles, 
indem  es  nämlich  nur  im  proximalen  Teil  der  Retinula  zu  einer  Rhabdom- 
bildung  kommt,  die  gewöhnlich  von  einer  kolbenförmigen  Erweiterung 
derselben  in  dieser  Partie  begleitet  ist,  nach  Grenacher  soll  der  Über- 
gang des  Rhabdoms  in  den  Achsenfaden  bald  plötzlich,  bald  allmählich 
stattfinden.  Obgleich  eine  derartige  Einteilung  durchaus  berechtigt 
erscheint,  so  müssen  wir  doch  entschieden  jener  Ansicht  entgegentreten, 
es  sei  die  Retinula  nur  aus  sieben  Zellen  zusammengesetzt.  Bereits 
Claparede  gibt  ihre  Zahl  auf  acht  an:  »Gleichwohl  ist  bei  Sjohinx 
euphorbiae  der  Ursprung  des  Nervenstabes  aus  mehreren  Zellen  an 
einer  Ansammlung  von  Kernen  leicht  zu  erkennen,  die  etwas  oberhalb 
von  der  prismatischen  Anschwellung  regelmäßig  angetroffen  werden. 
Diese  Kerne  sind  acht  an  der  Zahl,  wie  man  es  bei  starker  Vergrößerung 
mit  Sicherheit  erkennen  kann.«  Grenacher  hat  diese  Beobachtung 
Glapakedes  außer  acht  gelassen,  kommt  jedoch  bei  der  Untersuchung 
des  Auges  von  Macroglossa  stellatarum  zum  Schluß,  es  seien  acht  Zellen 
vorhanden,  obgleich  er  nur  sieben  Kerne  zählt,  die  Achtteiligkeit  der 
Retinula  oberhalb  der  Basalmembran  weise  jedoch  darauf  hin.  Für 
die  Hymenopteren  {Apis,  Vespa)  gibt  er  acht  Retinulazellen  als  typisch 
an.  Diese  Zahl  ist  es  auch,  die,  wie  spätere  Untersuchungen  ergeben 
haben,  konstant  wiederkehrt.  Bereits  Hesse  spricht  die  Vermutung 
aus,  bei  jener  so  seltsamen  basalen  Zelle  bei  Dytiscus  hätten  wir  es 
mit  einer  in  die  Tiefe  gesunkenen  achten  Sehzelle  zu  tun.  Kirchhofer 
erbrachte  1908  den  Beweis,  daß  sämthche  pentameren  Käfer  eine  aus 
acht  Sehzellen  aufgebaute  Retinula  besitzen,  von  denen  eine  in  die 
Tiefe  sinkt  und  bei  einzelnen  Gruppen  ein  basales  Rhabdom,  das  »Basal- 
organ  «  bilde,  während  von  den  übrigen  häufig  nur  sechs  an  der  Rhabdom- 
bilduno-  beteiligt  sind,  die  siebente  aber  Zeichen  der  Rudimentation 


236  Wilhelm  Johnas, 

aufweise.  Ein  Jahr  später  wies  Dieteich  (1909)  es  für  die  Dipteren 
nach:  »die  Retinula  ist  stets  als  ursprünglich  achtteilig  zu  erkennen«. 
Gleichzeitig  mit  mir  untersuchte  Bedau  die  Augen  der  im  Wasser 
lebenden  Hemipteren  und  fand  bei  sämtlichen  einheimischen  Wasser- 
wanzen acht  Retinulazellen,  die  allerdings  untereinander  starke  Ab- 
weichungen aufweisen.  Schließlich  konnte  ich  im  Verlauf  meiner  eignen 
Untersuchungen  an  den  Augen  der  Lepidopteren  feststellen,  daß  die 
Retinula  stets  aus  acht  Sehzellen  zusammengesetzt  ist,  von  denen 
eine  Zeichen  der  Rudimentation  tragen  kann;  als  besonders  interessant 
wäre  gleich  hier  zu  erwähnen,  daß  ich  bei  einzelnen  Formen  (Lycäniden, 
sowie  Botis  verticalis  und  Cidaria  bilineata)  eine  deutlich  zehnteilige 
Retinula  nachweisen  konnte,  deren  zwei  überzählige  Zellen  sich  aller- 
dings nur  im  proximalen  Drittel  der  Retinula  vorfanden.  Darüber 
jedoch  an  andrer  Stelle.  Die  ganze  Reihe  derartiger  Befunde  müßte 
wohl  endgültig  mit  dem  Bann  gebrochen  haben,  der  die  Retinula  nm- 
aus  sieben  Sehzellen  zusammengesetzt  sein  ließ,  es  dürfte  wohl  kaum 
mehr  einem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir  auch  in  der  Retinula  sich  die 
Plastizität  widerspiegeln  sehen,  die  das  ganze  Facettenauge  beherrscht. 

Die  Augen  der  Lepidopteren  gehören  ausschließlich  der  dritten 
und  vierten  Gruppe  Grenachers  an,  haben  wir  es  doch  bei  allen  mit 
einem  typischen  Rhabdom  zu  tun,  das  central  gelegen  die  Retinula 
durchzieht.  Wie  schon  Grenacher  sehr  richtig  betont,  ist  auf  Quer- 
schnitten die  Zusammensetzung  des  Rhabdoms  schwer  zu  erkennen 
und  man  ist  lediglich  aufs  Zählen  der  die  rosettenförmig  umgebenden 
Zellen  angewiesen;  überhaupt  macht  das  enge  Zusammendrängen  der 
einzelnen  Zellelemente  im  Lepidopterenauge  die  größten  Schwierigkeiten, 
der  Vorteil,  daß  innerhalb  der  Retinulazellen  sich  kein  intracelluläres 
Pigment  findet,  wird  dadurch  reichlich  aufgehoben ;  bei  einzelnen  Formen 
bedarf  es  der  stärksten  Vergrößerungen  und  der  angespanntesten  Auf- 
merksamkeit, um  bloß  die  einzelnen  Rosetten  auseinander  zu  halten, 
wieviel  mehr  noch,  um  die  einzelnen  Retinulazellen  zu  erkennen. 

Betrachten  wir  zuerst  die  Retinula  eines  Tagialters,  so  werden  wir 
finden,  daß  sie  fast  in  ihrer  gesamten  Ausdehnung  gleichstark  ist,  nur 
in  ihrem  distalsten  Teil  zieht  sie  sich  fadenförmig  aus,  um  kontinuierlich 
in  die  Kristallkegelhülle  überzugehen.  Innerhalb  der  Retinula  läßt 
sich  auf  Längsschnitten  leicht  das  Rhabdom  als  axialer  starker,  licht- 
brechender Strang  erkennen.  Das  Rhabdom  wird  umgeben  von  einer 
helleren  Zone,  der  Schaltzone  Hesses,  der  sich  der  granulierte  Teil  der 
Retinulazelle,  in  der  die  Zellkerne  liegen,  anschließt.  Betrachten  wir 
das  Rhabdom  unter  stärkerer  Vergrößerung,  so  werden  wir  leicht  eine 


I 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  237 

Plättchenstruktiir^  wie  sie  schon  die  älteren  Autoren  gesehen  und 
abgebildet  haben,  wahrnehmen;  sie  erscheint  zusammengesetzt  aus 
lamellenförmig  übereinander  geschichteten  Plättchen,  die  sich  durchs 
ganze  Ehabdom  verfolgen  lassen. 

Der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Professor  Held  habe  ich  es  zu 
verdanken,  daß  diese  subtilen  Verhältnisse,  die  selbst  unter  Immersion 
nm*  schattenhaft  im  Gesichtsfeld  erscheinen,  für  mich  greifbare  Formen 
annahmen.  Es  sei  mir  gestattet  noch  an  dieser  Stelle  Herrn  Professor 
Held  meinen  herzlichsten  Dank  für  seine  Bemühungen  auszusprechen, 
nicht  nur,  daß  er  mir  sein  ZEiss-Mikroskop  mit  einem  vorzüglichen 
Apochromaten  zur  Verfügung  stellte,  auch  während  meiner  Unter- 
suchungen hat  er  mir  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  gestanden.  Da  ich 
diese  Kontrolluntersuchungen  jedoch  erst  nach  Abschluß  meiner  Arbeit 
anstellte,  konnte  ich  die  neuen  Probleme,  die  das  Facettenauge  der 
Lepidopteren  unter  einem  Apochromaten  stellt,  nicht  mehr  berück- 
sichtigen und  werde  mich  im  folgenden  darauf  beschränken,  ihrer  Er- 
wähnung zu  tun  mit  dem  Hinweis  darauf,  daß  ich  meine  Untersuchungen 
fortsetzen  werde,  um,  wenn  möglich,  in  diese  verwickelten  Verhältnisse 
Klarheit  zu  bringen. 

Mit  Hilfe  des  Apochromaten  konnte  ich  feststellen,  daß  die  Plätt- 
chenstruktur des  Rhabdoms  sich  in  einen  deutlichen  Stiftchensaum 
auflöst,  ich  möchte  dieses  besonders  betont  wissen,  da  nach  Hesse 
kein  Beobachter  des  Arthropodenauges  die  Stiftchen  gesehen  hat,  weder 
KiECHHOFER  bei  den  pentameren  Käfern,  noch  Dietrich  bei  den 
Dipteren,  noch  auch  Bedau  bei  den  Wasserwanzen.  Ein  jedes  Stiftchen 
trägt,  wie  es  Hesse  auch  schon  für  Periplaneta  orientalis  beobachtet 
und  beschrieben,  an  seinem  axialen  Ende  eine  knöpfchenförmige  An- 
schwellung, die  von  ihr  in  die  Schaltzone  ausstrahlenden  Fibrillen  konnte 
ich  nicht  beobachten,  ebensowenig  auf  Längsschnitten  die  die  ganze 
Retinulazelle  durchsetzende  Nervenfibrille,  die  »Retinulaf aser «,  wie  sie 
Dietrich  beschreibt;  auf  Querschnitten  dagegen  sah  ich  deutlich  inner- 
halb des  granulierten  Teiles  der  Retinulazellen  kreisförmige  hellere 
Partien,  die  ich  als  Querschnitte  der  Nervenfasern  auffassen  muß  und 
auch  als  solche  auf  den  Abbildungen  bezeichnet  habe.  Wichtiger 
jedoch  ist  der  Umstand,  daß  ich  eine  Fortsetzung  des  Rhabdoms  in 
die  Kristallkegelhülle  feststellen  konnte.  Bereits  1835  kam  Wagner 
zu  folgendem  Resultat :  »Ich  habe  aber  zuerst  an  Sfliinx  atropos  gesehen 
wie  die  Nervenröhre  oder  das  Sehnervenfädchen  die  Spitze  des  Kristall- 
kegels kelchförmig  umfaßt  und  dann  als  Saum  an  beiden  Seiten  des 
Kegels  bis  zu  seiner  vorderen  Fläche  und  zur  Hornhaut  fortgeht;  der 


238  Wilhelm  Jolinas, 

Nerv  bildet  also  eine  wahre  Ketina,  welche  den  Kristallkegel  scheiden- 
artig umgibt.«  Leydig  vertritt  denselben  Standpunkt,  und  Max 
ScHULTZE  beschreibt  sehr  eingehend  die  Verhältnisse  innerhalb  der 
Region,  wo  die  Nervenfasern  an  den  Kristallkegel  herantreten.  Nach 
ihm  tritt  der  >>  Sehstab«  als  knöpf  förmiges  Gebilde  an  die  Spitze  der 
Kristallkegelhülle;  bei  stärkerer  Vergrößerung  zeige  es  sich,  daß  diese 
knopfförmige  Anschwellung  in  einer  Divergenz  der  einzelnen  Nerven- 
fasern, deren  er  acht  zähle,  bestehe;  die  einzelnen  Fasern  zeigen  eine 
Querstreifung,  ähnlich  derjenigen  der  Muskeif ibrillen.  Bei  einzelnen 
Arten  habe  er  ein  Eintreten  der  Fibrillen  in  die  Kristallkegelscheide 
und  hier  die  Spitze  des  Kristallkegels  »schalenartig  umfassen«,  wahr- 
nehmen können.  Mit  Hilfe  des  Apochromaten  bin  ich  genau  zu  den- 
selben Resultaten  gekommen:  die  muskelartige  Querstreifung,  wie 
ScHULTZE  sie  gesehen  zu  haben  glaubt,  ist  nichts  andres  als  die  Stiftchen- 
säume, die,  nachdem  sie  in  die  Kristallkegelhülle  eingetreten,  ihre  Ver- 
schmelzung zum  Rhabdom  aufgeben  und  als  acht  Rhabdomere  die 
Kegelspitze  becherartig  umschließen,  wie  es  Hesse  für  Periflaneta 
Orientalis  abgebildet  hat,  nur  daß  sie  nicht  so  weit  vordringen,  sondern 
nur  die  Spitze  des  Kegels  umfassen.  Die  knöpfchenförmigen  Anschwel- 
lungen an  ihren  axialen  Enden  ließen  sich  auch  hier  nachweisen. 
Vom  letzten  Stiftchen  aus  sah  man  einen  Strang  sich  bis  zu  den  Semper- 
schen  Kernen  fortsetzen;  über  die  Natur  dieses  Stranges  gaben  die 
Präparate  keinen  Aufschluß,  doch  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  daß  es 
sich  um  Zellgrenzen  handelt;  weitere  Untersuchungen  werden  diese 
Frage  zu  lösen  haben,  vor  allem  auch,  wie  weit  eigentlich  die  Retinula- 
zellen  reichen,  da  nach  diesem  Befunde  der  fadenförmige  Teil  unter- 
halb des  Kristallkegels  unmöglich  mehr  der  Kristallkegelhülie  ange- 
hören kann,  wir  in  ihm  vielmehr  eine  Fortsetzung  der  Schaltzone 
Hesses  zu  erblicken  haben;  die  Verschmelzung  dieser  mit  der  Kristall- 
kegelhülle muß  distal  der  Stelle  stattfinden,  wo  die  Stiftchensäume 
ihren  Abschluß  erlangen.  Man  gewinnt  fast  den  Eindruck,  daß  die  alten 
Autoren  recht  hatten,  indem  sie  behaupteten,  die  Kristallkegelhülle 
setze  sich  als  Nervenstabscheide  bis  zur  Basalmembran  fort,  doch  läßt 
sich  ein  definitives  Urteil  darüber  nicht  früher  fällen,  ehe  nicht  genaue 
Nachprüfungen  in  entwicklungsgeschichtlicher  Hinsicht  in  diesen  kom- 
plizierten Verhältnissen  Klarheit  geschaffen  haben. 

Am  deutlichsten  fand  ich  die  geschilderten  Verhältnisse  bei  Botis 
verticalis  (s.  Fig.  24)  ausgeprägt,  nachdem  ich  sie  aber  dort  sicher  erkannt 
hatte,  konnte  ich  sie  auch  bei  einer  ganzen  Anzahl  andrer  Formen  nach- 
weisen. 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  239 

An  dieser  Stelle  sei  noch  eines  merkwürdigen  Befundes  Erwähnung 
getan,  der  sich  erst  bei  den  Koiitrolluntci-suclunigen  mit  Hilfe  des 
Apochromaten  ergab.  Der  Zusammenschluß  der  Khabdomere  zum 
Khabdom  erfolgt  erst  in  gewisser  Höhe  über  der  Basalmembran,  in 
ihren  proximalsten  Teilen  bilden  die  Sehzellen  keine  Stiftchen  aus, 
so  daß  innerhalb  der  Retinula  ein  Hohlraum  entsteht,  in  den,  wie  wir 
später  sehen  werden,  Pigment  von  unterhalb  der  Basalmembran  ein- 
tritt. Bei  Coenonyni'pJia  'pamphilus  fand  sich  in  diesem  Hohlraum  ein 
central  gelegener  lichtbrechender  Körper  von  zigarrenförmiger  Gestalt, 
dessen  Spitze  ins  Foramen  der  Membrana  fenestrata 
hineinragte,  ein  axialer  Strang  schien  ihn,  vom 
distalen  Ende  ausgehend,  mit  dem  Rhabdom  zu 
verbinden.  Nebenstehende  Skizze  möge  diese  selt- 
samen Verhältnisse,  für  die  ich  fürs  erste  keine 
Erklärung  weiß,  veranschaulichen. 

Was  nun  die  Zusammensetzung  der  Retinula 
anbetrifft,  so  erscheint  sie  sowohl  für  Tagfalter,  als 
auch  für  Nachtfalter  die  gleiche:  ums  Rhabdom 
sind  die  Retinulazellen  rosettenförmig  angeordnet, 
wobei    die    Achtzahl    die    vorherrschende    ist;    im  Textfig.  3. 

distalen  Drittel,  in  dem  auch  meist  die  Kerne 
liegen,  erkennt  man  vielfach  nur  sieben  Zellen,  was  auch  der 
Anzahl  der  Kerne  entspricht,  proximal  vorschreitend  sieht  man  sehr 
bald  die  achte  Zelle  sich  einschieben;  die  Stelle,  an  der  sie  sich  ein- 
schiebt, läßt  sich  schwer  charakterisieren:  bei  Dipteren,  wie  auch 
bei  Hemipteren  sind  die  Zellen  nicht  gleichwertig,  während  bei  den 
Lepidopteren  die  Gleichwertigkeit  vollkommen  ausgebildet  ist  und  es  da- 
her eine  Willkür  wäre,  eine  bestimmte  Zelle  als  erste  oder  siebente  zu  be- 
zeichnen. Die  sich  einschiebende  achte  Zelle  zeigt  keine  Spur  von  Rudi- 
mentation,  sie  besitzt  einen  wohlausgebildeten  Zellkörper  und  schiebt 
sich  als  durchaus  gleichwertiges  Gebilde  in  den  Komplex  der  sieben 
übrigen  ein;  den  zu  dieser  Zelle  gehörenden  Kern  konnte  ich  stets  in 
dem  in  der  Retinula  direkt  über  der  Basalmembran  liegenden  erkemien. 
Hesse  spricht  bereits  die  Vermutung  aus,  daß  jener  oberhalb  der 
Basalmembran  gelegene  Kern  bei  Macroglossa  stellatarum  der  achten 
rudimentären  Zelle  angehöre. 

Eine  Reduktion  der  Sehzellen  auf  sieben  fand  ich  nur  bei  Satyriden, 
wo  im  distalen  Teil  sich  sechs  Zellen  zur  Rhabdombildung  zusammen- 
schließen, während  eine  siebente,  deren  Kern  oberhalb  der  Basalmembran 
gelegen  ist,  sich  einschiebt,  bei  Satyrus  semele  fand  ich  diese  Verhältnisse 


240  Wilhelm  Johnas, 

am  deutlichsten  ausgeprägt  (s.  Fig.  9).  Eine  sehr  eigenartige  Ver- 
mehrung der  Sehzellen  auf  zehn  fand  ich  bei  sämtlichen  von  mir 
untersuchten  Lycäniden  {Lycaena  icarus,  Chrysophanus  hippothoe  imd 
fhlaeas),  wie  ich  es  im  Querschnitt  für  Chrysophanus  hippothoe  (s.  Fig.  7) 
wiedergegeben  habe.  Im  distalen  Teile  der  Ketinula  bilden  acht  Zellen 
das  Ehabdom,  sowohl  auf  Längsschnitten  als  auch  auf  Querschnitten 
lassen  sich  in  dieser  Kegion  acht  Kerne  zählen,  weiter  proximal  schieben 
sich  zwei  Zellen  ein,  mid  zwar  korrespondierend;  wenn  wir  nämlich 
diejenigen  Zellen,  zwischen  denen  sich  die  eine  einschiebt,  als  erste 
und  zweite  bezeichnen,  so  schiebt  sich  die  andre  zwischen  der  fünften 
und  sechsten  ein,  beide  ihnen  zugehörenden  Kerne  können  wir,  wie  der 
Querschnitt  zeigt,  oberhalb  der  Basalmembran  erkennen.  Die  gleiche 
Vermehrung  der  Sehzellen  auf  zehn  konnte  ich  bei  Cidnria  hilineata 
und  bei  Botis  verticalis  nachweisen. 

Auch  hier  im  Bau  der  Retinula  finden  wir  für  die  meisten  Formen 
der  Nachtfalter,  welche  am  Tage  fliegen,  dieselben  Verhältnisse  wie 
im  Auge  der  Tagfalter:  die  Zygäniden  und  Ino  statices  weisen  wie  diese 
eine  in  ihrem  ganzen  Verlauf  gleichstarke  Eetinula  auf;  während  bei 
Ino  statices  (s.  Fig.  10)  die  Kerne  in  der  ganzen  Ketinula  verstreut 
liegen,  zeigen  sie  bei  den  Zygäniden  eine  ganz  eigenartige  Anordnung 
(s.  Fig.  11):  an  der  Grenze  des  proximalen  Drittels  liegen,  auf  Längs- 
schnitten deutlich  erkennbar,  sechs  Kerne,  während  der  siebente  ins 
distale  Drittel  verlagert  ist,  der  achte  findet  sich  wiederum  oberhalb  der 
Basalmembran. 

Ganz  anders  gebaut  erscheint  die  Ketinula  von  Macroglossa  stella- 
tarum  (s.  Fig.  4),  schon  Max  Schultze  wies  darauf  hin,  daß  sie  dem 
Nachtfaltertypus  zugezählt  werden  muß.  Wie  bei  jenen  kommt  es 
nur  im  proximalen  Teil  zu  einer  Khabdombildung  innerhalb  einer 
kolbenförmigen  Anschwellung,  während  sich  distalwärts  die  Ketinula 
fadenförmig  auszieht,  die  sieben  Kerne  liegen  im  distalen  Ende  dieser 
kolbenförmigen  Anschwellung;  eine  Schaltmembran,  die  diese  als  kegel- 
förmige Gebilde  sich  über  sie  erheben  läßt,  wie  Hesse  sie  beschreibt, 
habe  ich  nicht  nachweisen  können;  der  achte  Kern  liegt,  wie  Hesse 
es  sehr  richtig  erkannt  hat,  oberhalb  der  Basalmembran.  Dieselbe  Aus- 
bildung der  Ketinula  fand  ich  bei  einer  tropischen  Pseudosphinx,  von 
der  ich  wohl  kaum  annehmen  kann,  daß  sie  beitage  fliegt.  Ähnlich 
gebaut  ist  die  Ketinula  der  Hesperiden,  betrachtet  man  eine  solche 
(s.  Fig.  12)  unter  dem  Mikroskop,  so  glaubt  man  diejenige  eines  Nacht- 
falters vor  sich  zu  haben.  Sie  ist  achtteilig,  was  man  am  Querschnitt 
(s.  Fig.  13)  leicht  erkennen  kann,  doch  ist  sie  nur  in  der  proximalen 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  241 

Hälfte  stärker  ausgebildet,  während  die  distale  sicli  fadenförmig  aus- 
zieht, ein  Zählen  der  Kerne  ist  dadurch  sehr  erschwert,  daß  sie  in 
einem  Komplex  in  knollenförmigen  Anschwellungen  liegen,  die  das 
distale  Ende  des  verdickten  Teiles  der  Retinula  repräsentieren.  Unter- 
halb dieser  Anschwellung  sehen  \\är  hier  deutlich  eine  Schaltmembran 
ausgebildet,  bis  zu  der  sich  das  Retinapigment  hinaufzieht.  Im  Bezirk 
zwischen  der  Schaltmembran  und  der  Membrana  fenestrata  sondern 
die  Retinulazellen  eine  chitinöse  Scheide  ab,  die,  entsprechend  den 
Retinulazellen,  achtteilig  vollkommen  rosettenförmig  ist  und  auch  im 
gefärbten  Präparat  die  gelbliche  Färbung  des  Chitins  aufweist.  Es 
ist  dieses  der  einzige  Fall,  wo  ich  eine  derartige  Scheidenbildung  beob- 
achtet habe. 

In  der  Ausbildung  der  Retinula  schließen  sich  den  Tagfaltern  an 
die  Hepialiden,  von  denen  ich  Hepialus  sylvanus  (s.  Fig.  14)  unter- 
suchte. Obgleich  die  Kristallkegel  und  die  Verteilung  des  Pigments 
derjenigen  der  Nachtfalter  entsprechen,  weisen  sie,  wie  bereits  beschrie- 
ben, eine  gelbe  Umrandung  der  Corneafacetten  auf,  eine  typische 
Eigentümlichkeit  der  Tagfalter,  noch  deutlicher  aber  prägt  sich  das 
im  Bau  der  Retinula  aus;  sie  ist  in  ihrem  ganzen  Verlauf  gleichstark, 
nur  an  ihrem  distalen  Ende  allmählich  kolbenförmig  anschwellend, 
hier  liegen  auch  die  sieben  großen  Kerne,  während  der  achte  oberhalb 
der  Basalmembran  gelegen  ist.  Den  gleichen  Bau  der  Ommatidien 
weisen  die  gleichfalls  am  Tage  fliegenden  Noctuen  Euclidia  my  und 
glyphica  auf.  Ähnlich  dagegen  gebaut  erscheint  die  Retinula  von 
Tortrix  viridana  (s.  Fig.  15)  und  einer,  leider  nicht  näher  bestimmten, 
Tineide  (s.  Fig.  16). 

Für  den  Bau  der  Retinula  der  typischen  Nachtfalter  möge  uns 
Tryphaena  pronuha,  dieses  bereits  oft  untersuchte  Objekt,  als  Muster 
dienen.  Alle  Nachtfalter  gehören  der  vierten  Gruppe  Gkenachers  an, 
bei  der  es  nur  im  proximalen  Drittel  der  Retinula  zu  einer  Rhabdom- 
bildung  kommt,  die  stets  mit  einer  kolbenförmigen  Anschwellung  der- 
selben verbunden  ist,  weiterhin  zieht  die  Retinula  sich  fadenförmig 
aus,  erfährt  jedoch  nochmals  eine  spindelförmige  Anschwellung,  in  der 
die  Sehzellkerne  liegen,  um  dann  fadenförmig  in  die  Kristallkegelhülle 
überzugehen.  Hier  bei  Tryphaena  pronuha  (s.  Fig.  17)  erkennen  wir 
deutlich  sieben  Kerne  in  der  spindelförmigen  Anschwellung,  jedoch  ein 
Querschnitt  oberhalb  der  Basalmembran  (s.  Fig.  18)  belehrt  uns,  daß 
wir  es  mit  acht  Sehzellen  zu  tun  haben  und  daß  dieser  achte  Kern 
in  jenem  zu  suchen  ist,  den  Grenacher  nicht  zu  deuten  vermag. 

Bei  allen  typischen  Nachtfaltern  ist  die  Ausbildung  der  Retinula 


242  Wilhelm  Johnas, 

die  von  Tryfhaena  pronuha  geschilderte,  alle  von  mir  untersuchten 
Spinner,  Eulen  und  Spanner,  mit  Ausnahme  der  oben  beschriebenen, 
zeigten  dieselbe  Struktur,  es  würde  sich  nicht  lohnen  alle  von  mir 
geschnittenen  und  untersuchten  Arten  namentlich  anzuführen,  be- 
merkenswert 'wäre  nur,  daß  ich  bei  Cidaria  biUneata  (s.  Fig.  19)  und 
bei  Botis  verticalis  (s.  Fig.  20)  eine  Vermehrung  der  Retinulazellen 
auf  zehn  feststellen  konnte,  wobei  jedoch  neun  Zellen  ihre  Kerne  in 
der  spindelförmigen  Anschwellung  tragen,  während  der  zehnte  oberhalb 
der  Basalmembran  gelegen  ist;  daß  aber  auch  die  zehnte  Retinulazelle 
einen  wohlentwickelten  Zellkörper  aufweist,  möge  Fig.  21  zeigen,  die 
einen  Querschnitt  durch  die  proximale  kolbenförmige  Verdickung  der 
Retinula  von  Botis  verticalis  wiedergibt. 

Ich  will  das  Kapitel  von  der  Retinula  nicht  schließen  ehe  ich  nicht 
noch  mit  einigen  Worten  der  Ausbildung  eines  Tapetums  Erwähnung 
getan.  In  erster  Linie  müssen  wir  bei  den  Lepidopteren  die  ins  Auge 
eintretenden  Tracheen  als  Tapetum  auffassen.  Das  Auge  der  Lepidopte- 
ren ist  ebenso  wie  dasjenige  vieler  übrigen  Insekten  stark  pneumatisiert ; 
gewaltige  Tracheenstämme  treten  ins  Gehirn  ein,  sich  hier  verzweigend, 
vor  allem  starke  Ausläufer  nach  dem  Retinaganglion  entsendend.  Am 
deutlichsten  erkennt  man  sie  auf  Querschnitten  dmxh  dieses  Ganglion, 
wo  kreisrunde  und  ovale  Öffnungen  mit  chitinösen  Wänden  ihre  Quer- 
schnitte darstellen.  Bisweilen,  auf  günstig  geführten  Schnitten,  erhält 
man  ihre  Ausläufer  im  Längsschnitt,  wo  sie  uns  als  dickwandige  Röhren 
mit  spiraliger  Struktur  und  peripher  aufliegenden  Kernen  erscheinen. 
Der  Durchtritt  durch  die  Basalmembran  erfolgt  stets  gemeinsam  mit 
dem  ans  Ommatidium  herantretenden  Nervenbündel,  dasselbe  um- 
hüllend; wieviel  einzelne  Tracheenstämme  an  jedem  Ommatidium  ein- 
treten und  ob  ihre  Anzahl  für  die  einzelnen  Arten  konstant  ist,  konnte 
ich  nicht  feststellen,  doch  nehme  ich  an,  daß  es  entsprechend  der  Zahl 
der  Nebenpigmentzellen  sechs  sind,  wie  es  mir  sowohl  für  Vanessa 
urticae  (s.  Fig.  22)  wie  auch  für  Rhodocera  rhamni  (s.  Fig.  2)  nach- 
zuweisen gelang.  Wie  weit  sie  sich  distalwärts  erstrecken,  konnte  ich 
nicht  erkennen,  doch  nehme  ich  an,  da  sie  in  dieser  Höhe  noch  eine 
solche  Stärke  aufweisen,  daß  sie  bis  an  die  Cornea  herantreten. 

Neben  den  Tracheen,  die  als  Tapetum  wirken,  gelang  es  mir  eine 
Beobachtung  der  alten  Forscher  der  Vergessenheit  zu  entreißen.  Schon 
Leydig  weist  darauf  hin,  daß  der  »Nervenstab«  einen  Farbstoff  auf- 
weise, der  in  vier  Strängen  angeordnet  ein  Tapetum  bildet.  Max 
ScHULTZE  beschreibt  diese  Verhältnisse  genauer:  »Innerhalb  dieser 
Scheide  (des  Sehstabes)  sieht  man,  unmittelbar  hinter  dem  Kristallkegel 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  243 

beginnend,  vier  karmiiu'ote  Fäden  verlaufen,  deren  Farbe  nach  dem 
hinteren  Ende  des  Schstabes  zu  allmählich  verblaßt,  worauf  sie,  etwa 
im  hinteren  Dritteil  des  letzteren,  dem  Beobachter  überhaupt  entschwin- 
den.« Seit  Max  Schultze  hat  kein  Forscher  diese  Beobachtung  be- 
stätigt, weder  Grenacher,  noch  auch  Hesse  tun  ihrer  Erwähnung. 
An  jener  brasilianischen  Zephyrus-Ait,  die  ich  der  Liebenswürdigkeit 
des  Herrn  Dr.  med.  Beyerle  verdanke  und  die  ich  bei  Herstellung  der 
Präparate  nicht  entpigmentierte,  gelang  es  mir  dieses  Tapetum  wiederzu- 
entdecken  (s.  Fig.  23).  In  vier  purpurroten  Strängen  zog  es  sich,  am 
Kristallkegel  beginnend,  proximalwärts,  genau  wie  Schultze  es  be- 
schreibt, weiter  verlaufend.  Zur  Ausbildung  gelangen  diese  das  Tape- 
tum bildenden  vier  Pigmentstränge  innerhalb  der  Retinula  stets  an 
der  Grenze  zweier  benachbarten  Zellen.  Damit  waren  aber  auch  die 
vier  purpurroten  Punkte,  die  ich  im  Querschnitt  der  Retinula  von 
CJmjsophanus  hippothoe  gefunden  (s.  Fig.  6)  und  nicht  zu  deuten  ver- 
mochte, erklärt.  Ich  möchte  nur  noch  hinzufügen,  daß  ich  die  Ursache 
dessen,  daß  kein  späterer  Forscher  es  gefunden,  darin  sehe,  daß  dieses 
Pigment  äußerst  vergänglich  ist,  da  ich  es  an  keinem  derjenigen  Präpa- 
rate, die  ich  auch  nur  für  kurze  Zeit  der  Entpigmentierungsflüssigkeit 
aussetzte,  nachweisen  konnte. 

Pigment  und  Pigmentwanderung. 

Die  Isolierung  der  einzelnen  Ommatidien  erfolgt  durchs  Pigment. 
Bereits  die  ältesten  Autoren  wiesen  darauf  hin,  daß  sich  innerhalb 
des  Facettenauges  Farbstoffe  finden,  die  je  nachdem,  ob  sie  um  die 
Kristallkörper  oder  direkt  über  der  Basalmembran  gelagert  verschiedene 
Tmktion  aufwiesen,  so  beschreibt  Müller  in  seinen  »Fortgesetzten 
Untersuchungen  «  das  Auge  einer  Ranatra,  das  in  seiner  vorderen  Partie 
mit  gelbbraunem  Pigment  beldeidet  war,  während  hinten  ein  dunkles 
Pigment  auftrat.  Bei  Lepidopteren  beobachtete  bereits  Treviranus 
an  Rhodocera  rliamni  eine  gelbe  Pigmentierung.  Leydig,  der  sich  ein- 
gehender mit  der  Verteilung  des  Pigments  im  Arthropodenauge  be- 
schäftigt und  in  ihm  echte  mit  Pigment  überldeidete  Muskelstränge 
erblickt,  glaubt  eine  Übereinstimmung  seiner  Färbung  mit  derjenigen 
des  ganzen  Körpers  zu  erkennen:  »so  ist  es  schwarz  bei  vielen  Käfern, 
graulichgelb  bei  vorherrschend  gelben  Schmetterlingen  (z.  B.  Colias 
edusa),  bei  oTaubraunen  Heuschrecken,  z.  B.  Acridium  coerutescens,  ist 
es  ebenfalls  oraubraun.«  Die  Arbeit  Max  Schultzes  bedeutet  auch 
in  dieser  Hinsicht  einen  Schritt  vorwärts;  er,  der,  wie  bereits  darauf 
hin^rewiesen,    zuerst    auf    die  Unterschiede   im    Auge    der   Tag-   und 


244  Wilhelm  Johnas, 

Nachtfalter  hingewiesen,  stellte  fest,  daß  bei  ersteren  sich  eine  viel 
intensivere  Pigmentierung  finde  als  bei  den  Nachtfaltern.  Eine  genaue 
Beschreibung  der  Pigmentzellen  und  ihrer  Anordnung  gab  aber  erst 
Grenacher,  der  sie  in  Retinapigmentzellen  und  Irispigmentzellen 
erster  und  zweiter  Ordnung,  letztere  auch  als  Haupt-  und  Nebenpigment- 
zellen  bezeichnend,  einteilte. 

In  den  Augen  der  Lepidopteren  ließen  sich  leicht  alle  drei  Kate- 
gorien von  Pigmentzellen  nachweisen,  obgleich,  was  ihren  Bau  und 
ihre  Ausdehnung  anbetraf,  sich  zahlreiche  Abweichungen  vom  normalen 
Typus  fanden.  Im  allgemeinen  zeigen  die  Hauptpigmentzellen  keine 
besonders  starke  Entwicklung,  ihr  Pigment  erscheint  diffus,  im  Farben- 
ton nicht  selten  von  demjenigen  der  Nebenpigmentzellen  abweichend, 
ihre  Kerne  liegen  meist  der  proximalen  Basis  der  Kristallkegel  an. 
Eine  Verlagerung  der  Hauptpigmentzellkerne  distalwärts  finden  wir, 
wie  bereits  erwähnt,  überall  da,  wo  es  zur  Ausbildung  eines  Processus 
corneae  kommt,  so  bei  Coenotiympha  famphilus,  Chrysophanus  hifpo- 
thoe  und  andern,  in  all  diesen  Fällen  liegen  die  Kerne  etwa  in  halber 
Höhe  der  Kristallkegel.  Auf  fallender  weise  findet  sich  eine  gleiche 
Verlagerung  bei  Macroglossa  stellatarum,  schon  Hesse  macht  auf  ihre 
Kleinheit  und  sonderbare  Lage  aufmerksam.  Wichtiger  für  die  Iso- 
lierung der  einzelnen  Ommatidien  sind  ohne  Zweifel  die  Nebenpigment- 
zellen, die  eine  spindelförmige  Gestalt  aufweisen  und  sich  von  der 
Cornea  bis  zum  proximalen  Drittel  der  Retinula  erstreckend  den 
eigentlichen  Isolator  darstellen.  Sie  treten  stets  in  der  Sechszahl  auf 
und  sind  stets  interstitiell  angeordnet,  d.  h.  ein  jedes  Ommatidium 
ist  von  sechs  Nebenpigmentzellen  umgeben,  von  denen  jede  einzelne 
drei  benachbarten  Ommatidien  angehört.  Hesse  war  der  erste,  der  auf  die 
interstitielle  Anordnung  der  Nebenpigmentzellen  bei  den  Arthropoden 
aufmerksam  machte,  er  wollte  diese  Eigentümlichkeit  auf  alle  Gruppen 
der  Insekten  ausdehnen,  wobei  natürlich  die  Anzahl  der  Nebenpigment- 
zellen sehr  verschieden  sein  kann,  hat  doch  Dietrich  bei  Simulium 
48  solcher  Nebenpigmentzellen  nachgewiesen;  Bedau  ist  es  jedoch  ge- 
lungen festzustellen,  daß  bei  Ranatra  linearis,  Corixa  Geoffroii  und 
Naucoris  cimicoides  ein  jedes  Ommatidium  einen  Kranz  von  Neben- 
pigmentzellen besitzt,  wobei  ihre  Anzahl  meist  zwölf  betrug.  Durch 
diese  interstitielle  Stellung  der  Nebenpigmentzellen  kommt  es  auf 
Querschnitten  durchs  Lepidopterenauge  zu  sehr  reizvollen  Bildern;  die 
einzelnen  Pigmentzellen  sind  stets  dreieckig  bedingt  dm^ch  den  Druck, 
ein  jedes  Ommatidium  erscheint  somit  von  einem  sechseckigen  Pigment- 
stern umgeben  (vgl.  Abb.  20  a).     Die  Kerne  der  Nebenpigmentzellen 


Das  Facettenauge  der  Lepidoptcren.  245 

variieren  sehr  in  Form  und  Grtiße,  bald  kiigcliu-,  bald  oval  oder  gar 
elliptisch,  können  sie  bei  einzelnen  Formen,  speziell  bei  Tagfaltern,  eine 
sehr  beträchtiiche  Größe  erlangen  (man  vgl.  Abb.  6),  sie  liegen  meist 
proximaler,  in  seltenen  Fällen  in  gleicher  Höhe  mit  den  Hanptpigment- 
zellkernen,  bei  Tagfaltern  ließen  sie  sich  meist  an  der  Stelle  nach- 
weisen, wo  die  verdickte  Retinula  sich  fadenförmig  auszieht;  bei  den 
Nachtfaltern  war  ihre  Lage  verschieden,  doch  konnte  ich  nur  in  einem 
Falle,  bei  Hepialus  sylvanus,  nachweisen,  daß  sie  distaler  als  die  Haupt- 
pigmentzellkerne, etwa  in  halber  Höhe  der  Kristallkegel  gelegen  waren; 
einen  gleichen  Befund  ergab  die  Untersuchung  der  Hesperiden,  wo  ich 
sie  wegen  ihrer  Kleinheit  anfänglich  überhaupt  nicht  fand,  später  jedoch 
zwischen  den  Kristallkegeln  gelegen  nachweisen  konnte  (vgl.  Abb.  12). 
Die  Isolierung  der  einzelnen  Ommatidien  wäre  keine  vollkommene, 
wemi  nicht  im  proximalen  Drittel  der  Retinula  die  Funktionen  der 
Nebenpigmentzellen  die  Retinapigmentzellen  übernehmen  würden.  Mit 
den  Kernen  der  Basalmembran  aufsitzend  zieht  sich  ihr  Pigment  distal- 
wärts  bis  zu  dem  Punkt,  wo  die  Nebenpigmentzellen  aufhören,  ihnen 
entsprechend  treten  sie  gleichfalls  in  der  Sechszahl  auf.  Schon  Schultze 
wies  darauf  hin,  daß  das  Nachweisen  der  Retinapigmentzellen  mit 
großen  Schwierigkeiten  verbunden  sei,  da  namentlich  bei  den  Tagfaltern 
ihre  Kerne  so  klein  und  unscheinbar  wären,  daß  sie  nur  zu  leicht  dem 
Auge  des  Untersuchenden  entgehen;  diese  Behauptung  kann  ich  voll  und 
ganz  bestätigen,  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Tagfaltern  habe  ich  trotz 
genauester  Beobachtung  keine  Spur  von  Kernen  nachweisen  können; 
sie  müssen  vorhanden  sein,  da  das  Retinapigment,  das  ich  in  den  be- 
treffenden Abbildungen  auch  stets  eingezeichnet  habe,  für  ihre  Existenz 
zeugt,  doch  ließen  sie  sich  nicht  erkennen,  obgleich  ich  das  Pigment 
auf  chemischem  Wege  fast  vollkommen  entfernt  hatte.  Deutlich  ge- 
sehen habe  ich  sie  von  Tagfaltern  nur  bei  Rhodocera  rhamni  (vgl.  Abb.  1) 
und  bei  Hesperia  comma  (vgl.  Abb.  12).  Ganz  im  Gegensatz  zu  den 
Kernen  der  Nebenpigmentzellen,  die,  wie  erwähnt,  bei  den  Nachtfaltern 
stets  kleiner  als  bei  den  Tagfaltern  und  leichter  übersehen  werden 
können,  sind  die  Kerne  der  Retinapigmentzellen  stets  deutlich  aus- 
geprägt, selbst  in  unentpigmentiertem  Zustande  lassen  sie  sich  bei 
stärkerer  Vergrößerung  leicht  nachweisen,  das  läßt  sich  aber  wohl 
darauf  zurückführen,  daß  die  Pigmentierung  im  Auge  der  Nachtfalter 
bedeutend  weniger  intensiv  ist  als  in  demjenigen  der  Tagfalter,  vor  allem 
kommt  dieses  auf  Querschnitten  zum  Ausdruck,  wo  wir  bei  Heteroceren 
stets  das  entsprechende  Sternmuster  wiederfinden,  während  bei  Tag- 
faltern der  ganze  Grund  gleichmäßig  getont  erscheint  (vgl.  Abb.  6). 


246  Wilhelm  Johnas, 

Eine  sehr  eigenartige  Ausbildung  der  Nebenpigmentzellen  finden  wir 
bei  Rhodocera  rhamni.  Die  Cornea  erscheint  gleichsam  abgehoben 
vom  weiteren  dioptrischen  Apparat,  den  SEMPEEschen  Kernen  und  dem 
Kristallkegel,  wodurch  eine  Verlängerung  der  Ommatidien  bedingt  ist;  in 
diesen  auf  diese  Weise  zwischen  den  Ommatidien  entstandenen  Zwischen- 
raum schieben  sich  die  in  der  Höhe  der  SEMPERschen  Kerne  fadenförmig 
verjüngten  Nebenpigmentzellen,  sich  hier  zu  einem  kolbenförmigen  Ge- 
bilde erweiternd,  ein,  mit  ihrem  distalen  Ende  der  Cornea  eng  anliegend. 
Daß  mit  einer  derartigen  Ausbildung  der  Nebenpigmentzellen  eine  noch 
weitere  Isolierung  der  Ommatidien  verbunden  ist,  liegt  auf  der  Hand, 
und  muß  man  annehmen,  daß  zwischen  innerer  Corneaschicht  und 
SEMPERschen  Kernen  ein  Processus  corneae  bzw.  Pseudoconus  zur 
Ausbildung  gekommen  war,  der  infolge  seiner  vielleicht  fast  flüssigen 
Konsistenz  im  Verlauf  der  Konservierung  zerstört  worden  ist. 

Was  die  Farbe  des  Pigments  anbetrifft,  habe  ich  meist  dunkle 
Töne  feststellen  können,  wobei  ein  Unterschied  in  der  Färbung  des  Iris- 
und  Retinapigments  sich  nicht  nachweisen  ließ.  Die  Behauptung 
Leydigs,  die  Färbung  des  Pigments  stimme  im  allgemeinen  mehr  oder 
weniger  mit  derjenigen  des  übrigen  Körperinteguments  überein,  kann 
ich,  wenigstens  was  die  Lepidopteren  anbetrifft,  nicht  bestätigen,  ich 
habe  zahllose  weiße  und  gelbe  Schmetterlinge  untersucht,  nie  jedoch 
ein  helles  Pigment  gefunden;  die  bis  auf  die  beiden  kleinen  gelben 
Flecken  am  Innenrande  der  Vorderflügel  reinweiße  Porthesia  similis 
weist  z.  B.  ein  tief  schokoladebraunes  Pigment  auf,  dasjenige  von 
Pieris  napi  und  hrassicae  ist  dunkel  olivengrün.  Während  die  braunen 
oder  schwärzlichen  Töne  vorherrschten,  konnte  ich  doch  bei  einigen 
Arten  Abweichungen  konstatieren,  so  zeigte  Botis  verticalis  eine  dunkel 
karminrote  Pigmentfärbung,  ein  gTelles  Purpurrot  fand  ich  gar  bei 
Tortrix  viridana  sowie  sämtlichen  von  mir  untersuchten  Hesperiden, 
am  schönsten  zeigte  sich  diese  prächtige  Färbung  bei  Hesperia  comma 
(s.  Fig.  12). 

Trotz  seiner  eingehenden  Untersuchungen  über  die  Unterschiede 
im  Auge  der  Tag-  und  Nachtfalter  hat  Max  Schultze  die  Unterschiede 
in  der  Pigmentierung  nicht  genügend  gewürdigt,  allerdings  muß  man 
in  Betracht  ziehen,  daß  erst  der  Versuch,  das  Pigment  auf  chemischem 
Wege  aus  dem  Auge  zu  entfernen  eine  Vorstellung  von  der  Resistenz 
des  einen  und  des  andern  zu  geben  vermag.  Da  ich  zwecks  eingehender 
Untersuchung  des  Baues  der  Retinula  den  größten  Teil  meiner  Prä- 
parate entpigmentierte  und  sie  zu  diesem  Zweck  der  GRENACHERSchen 
Entpigmentierungsflüssigkeit    aussetzte,    kam    ich    erst    in    die    Lage 


Das  FacetteiKUige  der  I.epidopteren.  247 

Vergleiche  anstellen  zu  kiiiiiieji.  Das  Pigment  der  meisten  Nachtfalter: 
Schwärmer,  Spinnei-  und  Eulen  schwand  meist  binnen  wenigen  Minuten, 
ich  kam  schließlich  dazu,  solche  Formen  direkt  im  Glasschälchen  unter 
dem  Mikroskop  zu  entpigmentieren,  da  häufig  in  der  angegebenen  Zeit 
das  Pigment  derart  geschwunden  war,  daß  sich  auch  seine  Clrenzen  nicht 
mehr  feststellen  ließen,  ganz  anders  bei  den  Tagfaltern  und  den  bereits 
oft  erwähnten  am  Tage  fliegenden  Nachtfaltern,  wobei  wieder  die 
Größe  des  betreffenden  Schmetterlings  eine  Rolle  spielte.  Einen 
Schmetterling  von  der  Größe  einer  Vanessa  mußte  icli  meist  30 — 45  Mi- 
nuten in  der  Entpigmentierungsflüssigkeit  lassen,  kleinere  Formen,  etwa 
Lycäniden,  waren  dementsprechend  rascher  entpigmentiert.  Dasjenige 
Pigment,  das  am  längsten  der  Einwirkung  der  Salpetersäure  widerstand, 
fand  ich  im  Auge  der  Zygänen  und  Macroglossa  stellatarum.  Drei  volle 
Stunden  setzte  ich  Präparate  von  Zygaena  lonicerae  der  Einwirkung  der 
Chemikalien  ohne  jeden  Erfolg  aus,  erst  als  ich  die  Mischung  verstärkte, 
hatte  ich  nach  weiteren  4  Stunden  den  gewünschten  Erfolg  zu  verzeich- 
nen. Es  geht  daraus  hervor,  daß  das  Pigment  im  Auge  der  Rhopalo- 
ceren  und  einiger  bei  Tage  fliegender  Nachtfalter  bedeutend  resistenter 
als  dasjenige  der  Heteroceren,  somit  wohl  auch  dem  Durchtritt  abirrender 
Lichtstrahlen  einen  bedeutend  gTÖßeren  Widerstand  entgegensetzt.  Die 
einzelnen  Retinulazellen  der  Lepidopteren  weisen  im  Gegensatz  zu  den- 
jenigen vieler  andrer  Arthropoden  kein  Pigment  auf,  die  pigmentierte 
und  pigmentfreie  Zone,  wie  sie  z.  B.  bei  den  Wasserwanzen  vorhanden 
ist,  läßt  sich  allerdings  auch  hier  erkennen,  indem  wir  es  mit  einem 
äußeren,  dunkler  plasmatischen  Teil  und  einem  zwischen  ersterem  und 
Rhabdom  gelegenen,  heller  plasmatischen  Teil,  der  Schaltzone  Hesses, 
zu  tun  haben,  doch  habe  ich  weder  in  dem  einen  noch  in  dem  andern 
eine  Spur  von  Pigment  wahrnehmen  können.  Eine  intensive  Pigmen- 
tierung findet  sich  dagegen  unterhalb  der  Basalmembran,  bei  stärkerer 
Vergrößerung  erkennt  man  es  im  Retinaganglion  um  die  Nervenscheiden 
herum  angeordnet;  da  nun  die  Sehzellen,  wie  im  vorhergehenden  Kapitel 
ausgeführt,  an  der  Stelle  wo  sie  der  Basalmembran  aufsitzen,  diver- 
gieren, ehe  sie  sich  zur  Rhabdombildung  zusammenschließen,  so  er- 
scheint es  nicht  wunderbar,  daß  das  Pigment  von  unterhalb  der  Basal- 
membran in  diesen  Hohlraum  hineinragt,  wie  ich  es  tatsächlich  bei 
mehreren  Formen  beobachten  konnte;  am  deutlichsten  war  diese  Er- 
scheinung an  denjenigen  Augen  ausgeprägt,  wo  wir  es  mit  einer  Ver- 
mehrung der  Sehzellen  zu  tun  hatten,  so  konnte  ich  z.  B.  bei  Botis 
verticalis,  wo,  wie  erinnerlich,  zehn  Sehzellen  vorhanden  waren,  auf 
Längsschnitten     einen    deutlichen    Pigmentzapfen    in    die    Retinula 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  17 


248  Wilhelm  Johnas, 

hineinragen   sehen,  während  auf  Querschnitten   der  ganze  Hohlraum 
mit  Pigment  erfüllt  zu  sein  schien. 

Einen  sehr  interessanten  Befund,  die  Verteilung  des  Pigments 
unterhalb  der  Basalmembran  betreffend,  ergab  die  Untersuchung  einer 
im  grellsten  Sonnenlicht  auf  einer  Blumenwiese  gefangenen  und  daselbst 
abgetöteten  CoenonympJia  pam'phüus:  das  ganze  Ketinaganglion,  das 
erste  Opticusganghon,  das  erste  Chiasma  sowie  das  zweite  Opticus- 
ganglion  waren  intensiv  pigmentiert,  ja  selbst  im  zweiten  Chiasma,  das 
das  zweite  Opticusganghon  mit  dem  Centralganglion  verbindet,  ließen 
sich  Pigmentkörnchen  nachweisen.  Einer  derart  intensiven  Pigmen- 
tierung unterhalb  der  Basalmembran  entsprach  auch  die  Pigment- 
verteilung zwischen  den  einzelnen  Ommatidien.  Retina-  und  Iris- 
pigment bildeten  ineinander  übergehend  einen  dichten  Pigmentmantel, 
der  die  vollkommene  Isolierung  der  einzelnen  Ommatidien  voneinander 
zur  Folge  hatte.  Dieser  auffallende  Befund  veranlaßte  mich  nähere 
Untersuchungen  über  die  Pigmentverschiebung  im  Schmetterlingsauge 
anzustellen.  Exnee  machte  als  erster  in  seiner  1891  erschienenen 
>>  Physiologie  der  facettierten  Augen  von  Insekten  und  Krebsen «  aufdie 
seltsamen  Wanderungserscheinungen  des  Pigments  im  Arthropodenauge 
aufmerksam,  er  wies  nach,  daß  wir  es  mit  typischen  Dunkelaugen  und 
typischen  Lichtaugen  zu  tun  hätten,  die  allerdings,  falls  die  charakteristi- 
schen Merkmale  nicht  deutlich  genug  ausgeprägt  wären,  durch  Pigment- 
wanderung ineinander  überzugehen  vermögen.  Die  Augen  der  Lepidopte- 
ren  verfügen  nun  über  ein  derartiges  Accommodationsv ermögen.  Das 
Auge  eines  in  der  Sonne  fliegenden  Tagfalters  befindet  sich  in  der  oben 
beschriebenen  Lichtstellung,  nur  die  in  die  Hauptachse  der  Kristallkegel, 
bzw.  des  dioptrischen  Apparates  einfallenden  Strahlen  gelangen  zu 
den  lichtperzipierenden  Elementen  und  werden,  durchaus  voneinander 
gesondert,  von  ihnen  weiter  geleitet.  Da,  wie  eben  betont,  ein  jedes 
Ommatidium  nur  den  in  seine  Hauptachse  einfallenden  Strahl  auf- 
nimmt, so  können  bei  einer  derartigen  Pigmentstellung  lediglich  Appo- 
sitionsbilder im  Sinne  Exners  entstehen,  im  Auge  des  Tagfalters,  der 
im  Sonnenscheine  fliegt,  werden  sich  somit  scharfe,  aber  lichtschwache 
Bilder  darstellen,  vor  allem  wird  er  Bewegungen  wahrnehmen  können ; 
ein  jeder  Lepidopterologe  weiß,  daß  man  sich  meist  imgestraft  einem 
sitzenden  Schmetterling  nähern  darf,  sobald  man  darauf  achtet,  daß 
der  Schatten  ihn  nicht  trifft,  dagegen  wird  eine  an  der  Sonne  vorüber- 
ziehende kleine  Wolke  ihn  augenblicklich  verscheuchen.  Betrachten 
wir  nun  das  Pigment  eines  über  Nacht  im  Dunkeln  gehaltenen  und 
im    Dunkeln    abgetöteten    Tagf alters:    es    weist    keine    wesenthchen 


Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  249 

Veränderungen  auf,  wohl  können  wir  erkoDiien,  daß  das  Irispigment  sich 
distalwärts  zurückgezogen,  doch  nicht  genügend,  um  Superpositions- 
bilder zustande  kommen  zu  lassen,  da  das  Retinapigment  persistiert. 
Eine  Erklärung  dieses  auffallenden  Problems  gibt  uns  wiederum  die 
Biologie  der  Tagfaltei-.  Nur  bei  klarem  Wetter,  möglichst  in  den  heißen 
Mittagsstunden,  wo  die  grellen  Sonnenstrahlen  am  intensivsten  sind, 
fliegen  die  Tagfaltei-;  ein  jedei-  Sanmiler  weiß  aus  Erfahrung,  daß  an 
trüben  Tagen  eine  Exkursion  erfolglos,  es  sei  denn,  daß  er  aus  dem  Grase, 
oder  von  Hecken  und  Zäunen  einen  dort  luheuden  Schmetterling  auf- 
scheucht, der  nur  wenige  Schritte  taumelnd  dahinflattert.  um  möglichst 
schnell  sein  Versteck  wieder  aufzusuchen;  selbst  eine  zeitweilige  Ver- 
finsterung der  Sonne  vermag  sie  verschwinden  zu  lassen,  und  der  Samm- 
ler kann  ruhig  sein  Netz  fortpacken,  ehe  die  Sonne  nicht  wieder  zum 
Vorschein  kommt,  wird  kein  Tagfalter  seinen  Weg  kreuzen.  Auf  einen 
jeden,  der  mit  den  Lebensgewohnheiten  der  Tagialter  vertraut  ist,  macht 
es  den  Eindruck  als  ob  der  Tagfalter  selbst  bei  geringer  Verdüsterung 
des  Himmels  unsicher  wird,  die  bei  weiterer  Verdunkelung  in  einen  Zu- 
stand vollkommener  Hilflosigkeit  überzugehen  scheint ;  ich  möchte  diese 
Erscheinung  dem  Umstände  zuschreiben,  daß  ihr  Sehvermögen  mit 
zunehmender  Dunkelheit  schwindet,  die  für  lichtschwäche  Appositions- 
bilder eingerichteten  Augen  vermögen  sich  nicht  anzupassen,  sie  werden 
in  der  Dunkelheit  »blind«,  ein  Eindruck,  den  man  unwillkürlich  ge- 
winnt, sobald  man  die  Gelegenheit  hat  nachts  einen  Tagfalter  anzu- 
treffen, er  läßt  sich  ohne  weiteres  mit  den  Händen  ergreifen,  läßt  man 
ihn  los,  so  gleitet  er  zu  Boden,  hier  mit  halbausgebreiteten  Flügeln 
mit  den  Beinen  nach  einem  Haltepunkt  tastend. 

Ganz  anders  dagegen  verhält  sich  der  Nachtfalter  am  Tage.  Das 
Absuchen  von  Zäunen,  Dächern,  Baumstämmen  und  andern  geschützten 
Orten  nach  Eulen,  wo  sie  tagsüber  zu  ruhen  pflegen,  muß  mit  der 
größten  Vorsicht  verbunden  sein;  noch  eben  denke  ich  daran,  wie  ich 
einst  vor  vielen  Jahren  diese  Vorsicht  lernte.  An  einem  alten  Zaune 
mit  dachförmig  angelegten  Flügeln,  von  der  Unterlage  kaum  unter- 
scheidbar, hatte  ich  eine  Catocala  nwpta  erspäht,  sie  schien  fest  zu 
ruhen,  ich  legte  also  das  Netz  beiseite  und  wollte  sie  direkt  mit  dem 
Glase  abheben,  ich  hatte  mich  aber  kaum  um  einige  Meter  genähert 
als  sie  plötzlich  blitzschnell  zur  Seite  abstrich.  Ein  andres  Mal  hatte 
ich  Gelegenheit  eine  Catocala  fraxini  im  gi-ellsten  Sormenschein  um 
einen  Telephonmast  flattern  zu  sehen,  es  war  ein  W^eibchen,  das  offenbar 
seine  Eier  ablegen  wollte.  Derartige  Beispiele  müßten  uns  schon  von 
vornherein  eine   besondere  Hochachtung   vor  dem  Sehvermögen  der 

17* 


250  Wilhelm  Johnas, 

Nachtfalter  bei  Tage  abnötigen,  und  wir  werden  nicht  irre  gehen,  wenn 
wir  die  Lösung  dieses  Rätsels  im  Bau  ihrer  Augen  suchen.  Und  in  der 
Tat,  sie  besitzen  ausgesprochene  Superpositionsaugen,  die  infolge  ihrer 
Lichtstärke  ihnen  ein  gutes  Sehen  in  der  Dunkelheit  ermöglichen, 
zugleich  können  sie  aber  auch  diese  Superpositionsaugen  vermöge  der 
Pigmentwanderung  in  Appositionsaugen  verwandeln.  Das  Auge  der  am 
Köder  gefangenen  Eulen  zeigte  die  typische  Stellung  des  Pigments  im 
Dunkelauge:  das  Pigment  der  Hauptpigmentzellen  persistierte,  das  der 
Nebenpigmentzellen  war  distal  verlagert,  um  die  Kerne  herum  hatte 
es  sich  in  dichten  Massen  angesammelt,  das  Pigment  der  Retinapigment- 
zellen .  hatte  sich  proximal  zur  Basalmembran  zurückgezogen,  hier 
wiederum  die  Kerne  dicht  umlagernd,  auf  diese  Weise  den  distalen  Teil 
der  kolbenförmigen  Anschwellung,  sowie  den  fadenförmig  ausgezogenen 
Teil  der  Retinula  freilassend,  das  Pigment  unterhalb  der  Basalmembran 
hatte  sich  direkt  unter  der  Basalmembran  angesammelt,  damit  wären 
aber  alle  Bedingungen  geboten,  die  ein  Zustandekommen  von  Super- 
positionsbildern, wie  sie  für  ein  Sehen  bei  Nacht  erforderlich  sind, 
bedingen.  Wie  lagen  nun  die  Pigmentverhältnisse  eines  solchen  typi- 
schen Dunkelauges  bei  Tage?  Eine  Porthesia  simüis,  die  ich  bei  Tage 
fliegend  beobachtet  hatte,  sollte  mir  darüber  Aufschluß  erteilen,  und 
siehe,  ich  hatte  mich  nicht  geirrt,  das  Pigment  war  gewandert,  das 
Irispigment  proximalwärts,  das  Retinapigment  distalwärts,  auf  diese 
Weise  einen  Pigmentmantel  um  die  einzelnen  Ommatidien  bildend, 
selbst  das  Retinaganglion,  erste  Opticusgangiion  und  Chiasma  wiesen 
eine  dichte  Pigmentierung  auf,  das  Superpositionsauge  war  zum  Appo- 
sitionsauge geworden.  Nun  interessierte  es  mich,  festzustellen,  wie  weit 
künstliche  Lichtquellen  die  Pigmentwanderung  beeinflussen;  ich  tötete 
eine  am  elektrischen  Licht  oefangene  Psilura  monacha  an  Ort  und 
Stelle  ab  und  konnte  feststellen,  daß  das  Auge  gleichsam  ein  Mittel- 
ding zwischen  Superpositions-  und  Appositionsauge  darstellte;  das 
Irispigment  hatte  seine  Wanderung  begonnen,  es  zog  sich  schlauch- 
förmig etwa  bis  zum  distalen  Ende  der  kolbenförmigen  Rhabdomver- 
dickung  herab,  während  das  Retinapigment  in  seiner  primären  Lage 
persistierte.  Aus  diesem  Befunde  muß  man  schließen,  daß  das  Iris- 
pigment bei  wechselnder  Beleuchtung  reaktionsfähiger  ist  als  das 
Retinapigment.  Einen  weiteren  Anhalt  für  diese  Vermutung  bot  mir 
das  Auge  einer  in  den  Abendstunden  bei  Sonnenuntergang  gefangenen 
Hesperia  comma,  wo  das  Retinapigment  sich  in  Lichtstellung,  das  Iris- 
pigment dagegen  in  typischer  Dunkelstellung  befand  (vgl.  Abb.  12). 
Dieser  Fall  ist  auch  insofern  interessant,  als  es  der  einzige  ist,  wo  ich 


Das   P"'aoetten;iu<re  der   l.ojiidopteren.  251 

bei  einem  Tagfalter  eine  typische  Pigmentwanderung  beobachtete, 
andernfalls  wäre  ich  geneigt,  wie  bereits  im  vorhergehenden  Kapitel  er- 
örtert, die  Hesperiden  dem  Bau  ihrer  Augen  nach  den  Dämmerungs- 
formen zuzuzählen. 

Die  Ganglien. 

Die  Leitung  der  mit  Hilfe  des  Auges  aufgenommenen  Eindrücke 
der  Außenwelt  zum  Gehirn  erfolgt  dm-ch  die  Ganglien,  deren  ich,  mich 
der  Anschauung  C.  Schneiders  in  seinem  »Handbuch  der  Histologie 
der  Tiere«  anschließend,  bis  zum  Lobus  opticus  vier  unterschieden 
wissen  möchte,  und  zwar:  das  Retinaganglion,  das  periphere  oder 
erste  Opticusganglion,  das  zweite  Opticusganglion  und  das  dritte 
Opticusgangiion  oder  Centralganglion.  Bei  dieser  Einteilung  der 
Ganglien  weiche  ich  nicht  unbeträchtlich  von  den  Anschauungen 
Bergers  ab,  der  sie  in  eine  Reihe  einzelner  Schichten  auflöste,  noch 
weiter  in  dieser  Zersplitterung  geht  Radl,  der  allein  am  zweiten  Opticus- 
ganglion von  Squilla  mantis  nicht  weniger  als  achtzehn  Schichten  nach 
ihrem  histologischen  Bau  und  ihrer  Tinktion  bei  der  Färbung  unter- 
scheidet. Ich  habe  in  keinem  Falle  eine  derartige  Variabilität  im 
Aufbau  der  einzelnen  Ganglien  nachweisen  können,  und  es  erscheint 
mir  kaum  berechtigt,  eine  an  sich  klar  liegende  Sache  durch  eine  direkt 
sinnverwirrende  Nomenklatur  zu  verquicken,  wie  es  leider  hierbei  der 
Fall  gewesen.  Die  einzelnen  Ganglien  an  sich  stellen  vollkommen  ge- 
sonderte Regionen  dar,  die  teilweise  durch  Nervenkreuzungen,  Chias- 
mata,  miteinander  in  Verbindung  stehen,  teilweise  durch  einfache 
Nervenstränge  verbunden  sind.  Von  der  Basalmembran  proximal 
vorschreitend,  haben  wir  zuerst  zu  besprechen 

das  Retinaganglion. 
Es  nimmt  den  ganzen  Raum  direkt  unter  der  Basalmembran  ein 
und  entspricht  der  Nervenbündelschicht  Radls.  In  seinem  äußeren 
Aufbau  entspricht  es  mehr  oder  weniger  der  Retinula,  stellt  gleichsam 
eine  Rekapitulation  derselben  dar,  da  es  wie  diese  aus  einer  Reihe 
parallel  verlaufender  Nervenstränge  besteht,  die  allerdings  vielfach 
miteinander  anastomosieren,  in  einzelnen  Fällen  jedoch  vollkommen 
o-esondert  wie  sie  aus  den  einzelnen  Ommatidien  austreten,  ins  erste 
Opticusganglion,  und  zwar  in  die  Körnerschicht  Radls  emtreten.  Bei 
stärkerer  Vergrößerung  erkennt  man  deutlich,  daß  durchs  Foramen 
der  Membrana  fenestrata  eine  Anzahl  Nervenfasern  ins  Ommatidium 
eintreten,  ihre  Zahl  ließ  sich  leider  nicht  genau  feststellen,  doch  nehme 


252  WUhelm  Johnas, 

ich  an,  daß  sie  zwischen  sieben  und  zehn,  entsprechend  der  Anzahl  der 
Retinulazellen,  schwanken  wird,  bei  Chrysophanus  hippothoe  konnte 
ich  z.  B.  deutlich  den  Antritt  von  Nervenfasern  auch  an  die  zwei  über- 
zähligen Zellen  erkennen.  Einem  jeden  Ommatidium  gehört  somit  ein 
Nervenbündel  unterhalb  der  Basalmembran  an.  Bei  einer  Anzahl  von 
Formen  verschmelzen  die  einzelnen  Nervenbündel  zu  stärkeren  Nerven- 
stämmen, umgeben  sich  mit  einer  der  ScHWANNschen  Scheide  entspre- 
chenden Hülle  und  treten  so  ins  erste  Opticusganglion  ein.  Direkt 
unterhalb  eines  jeden  Foramen  der  Basalmembran  nehmen  wir  bei  den 
Lepidopteren  einen  großen  chromatinreichen  Kern  wahr,  schon  Hesse 
macht  auf  ihn  mehrfach  aufmerksam  und  möchte  ihn  als  in  die  Tiefe 
gesunkenen  Sehzellkern  zur  achten  rudimentären  Retinülazelle  ge- 
hörend deuten;  mir  ist  es  nun  gelungen  festzustellen,  daß  die  Achtzahl 
der  Retinulazellen  fast  eine  konstante  ist  und  daß  der  achte  bzw.  zehnte 
Kern  stets  oberhalb  der  Basalmembran,  innerhalb  eines  wohlentwickelten 
Zellkörpers  gelegen  ist  (vgl.  Fig.  7  u.  18) ;  dieser  Kern  kann  daher  un- 
möglich bei  den  Lepidopteren  einer  Sehzelle  angehören.  Der  Liebens- 
würdigkeit des  Herrn  Professor  Held  hatte  ich  es  wiederum  zu  danken, 
daß  es  mir  gelang,  die  Natur  dieses  Kernes  festzustellen,  es  ist  ein 
Neurilemmkern,  der  die  Nervenscheide,  die  Hülle,  die  das  Nerven- 
bündel umgibt,  abgesondert  hat. 

Außer  diesen  Kernen  erkennen  wir  in  der  Region  des  Retina- 
ganglion typisch  chromatinarme  Ganglienzellkerne,  wir  finden  sie 
meist  den  Nervensträngen  peripher  aufliegen,  daneben  Tracheenkerne, 
da  die  großen  Tracheenstämme,  ehe  sie  ins  Auge  eintreten,  an  dieser 
Stelle  das  Ganglion  durchtreten,  Blutzellkerne,  sowie  kleinere,  spindel- 
förmige, sehr  chromatinreiche  Kerne,  sie  gehören  schlanken,  mit  langen, 
mehr  oder  weniger  starren  Fortsätzen  ausgestatteten  Zellen  an,  die 
wir  als  Stützzellen  auffassen  müssen. 

Nachdem  ich  bereits  darauf  hingewiesen  hatte,  daß  das  Retina- 
ganglion die  Anordnung  der  Retinula  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
rekapituliert,  findet  diese  Behauptung  einen  w^eiteren  Stützpunkt  in 
der  Tatsache,  daß  dieses  Ganglion  bei  den  Nachtfaltern  bedeutende 
Abweichungen  von  dem  der  Tagfalter  aufweist.  Max  Schultze,  der 
in  so  meisterhafter  Weise  die  Unterschiede  im  Bau  der  Augen  der 
Tag-  und  Nachtfalter  beschrieben,  hat  auffallenderweise  die  Ganglien 
nicht  berücksichtigt,  und,  soweit  ich  die  Literatur  überblicke,  ist  dieser 
seltsamen  Erscheinung  von  keinem  Autor  Erwähnung  getan,  Verglei- 
chen wir  das  Retinulagangiion  von  Porihesia  similis,  wie  ich  es  im 
Totalbilde  (s.  Fig.  26)  dargestellt,  mit   demjenigen  von   Chrysophanus 


Das   Farpttenautre  der  LciiidopteriMi.  253 

phlaeas  (Fig.  27)  oder  Coenonynifha  pamphihis  (Fig.  28),  so  fällt  schon 
beim  ersten  Blick  die  gewaltige  Verlängerung  dieses  Ganglions  beim 
Nachtfalter  im  Verhältnis  zu  demjenigen  der  Tagfalter  ins  Auge; 
während  es  beim  Tagfalter  nur-  sehr  geringe  Ausdehnung  hat,  erlangt 
es  bei  Porthesia,  wie  die  mit  dem  Zeichenapparat  entworfene  Abbildung 
zeigt,  fast  2/3  der  Länge  der  Retinula,  auf  diese  Weise  eine  allgemeine 
Verlängerung  des  Auges  hervorrufend.  Es  ist  interessant,  daß  bei  den 
von  mir  untersuchten  Formen  der  Nachtfalter,  die  sich  an  ein  Tagleben 
angepaßt  haben,  auch  diese  Anpassungserscheinung  sich  wiederfindet: 
Zijgaena  lonicerae  und  carniolica  weisen  genau  das  verkürzte  Retina- 
gangiion  der  Rhopaloceren  auf,  Ino  statices  besitzt  es  gleichfalls,  während 
bei  Macroglossa  stellatarum  und  einigen  beitage  fliegenden  Eulen,  die 
in  der  Anpassung  noch  nicht  so  weit  fortgeschritten  sind,  wohl  eine 
Verkürzung  des  Retinaganglions  im  Verhältnis  zu  demjenigen  der 
Nachtfalter  bemerkbar,  jedoch  noch  nicht  vollkommen,  die  Anpassung 
somit  noch  nicht  abgeschlossen  ist. 

Die     vom     Retinaganglion     kommenden     Nervenstränge     treten 
direkt  ins 

periphere  oder  erste  Opticusganglion 
ein.  Es  umfaßt  die  Körner-,  Molekular-  und  Ganglienzellenschicht 
Bergers  und  hat  auf  Frontalschnitten  die  Form  einer  langgestreckten 
Bohne,  die  in  der  Richtung  dorso ventral  verschoben  ist;  wir  müssen  es 
identifizieren  dem  pilzhutförmigen  Körper  Bergers,  wie  er  ihn  für  das 
Auge  von  Apis  meUijica  beschreibt.  An  seiner  distalen,  konvexen 
Seite  trägt  es  die  zahlreichen  Kerne,  doch  liegen  sie  lediglich  den  peri- 
pheren Regionen  eingelagert,  von  hier  aus  sich  dorsal  und  ventral  des 
Ganglions  zu  großen  Kernkomplexen  anhäufend.  Innerhalb  des  Gan- 
glions nehmen  wir  eine  Reihe  parallel  verlaufender  Stränge  wahr,  wir 
können  sie  als  die  direkte  Fortsetzung  der  aus  dem  Retinagangiion 
kommenden  Nervenstränge  verfolgen.  Aus  der  proximalen,  konkaven 
Seite  dieses  Ganglions  austretend,  gehen  die  Nervenstränge  die  erste 
Kreuzung  ein:  das  erste  Chiasma  liegt  vor  uns;  ein  wirres  Geflecht 
von  Nervenfasern  bietet  sich  unter  dem  Mikroskop  dem  Auge  dar, 
allerdings  muß  man  dieses  dahin  einschränken,  daß  man  an  den  mit 
Eisenhämatoxylin  nach  Heidenhain  gefärbten  Präparaten  nur  die 
intensiv  gefärbten  Nervenscheiden  deutlich  wahrnehmen  kann,  während 
die  Nervenfasern  selbst  meist  nicht  erkennbar  sind.  Bei  genauer  Be- 
obachtimg sehen  wir,  daß  die  aus  dem  dorsalen  Teil  des  peripheren 
Ganglion     kommenden    Nervenstränge,    in    dorso  ventral  er    Richtung 


254  Wilhelm  .Tohna.s, 

verlaufend,  an  die  ventralen  Partien  des  zweiten  Opticusganglion  heran- 
treten, während  umgekehrt  die  aus  dem  ventralen  Teil  kommenden 
Fasern,  in  ventrodorsaler  Kichtung  verlaufend,  an  die  dorsalen  Partien 
des  zweiten  Opticusganglion  herantreten.  Es  ist  interessant,  daß  nicht 
alle  Fasern  direkt  an  der  Berührungsfläche  ins  zweite  Opticusganglion 
eintreten,  eine  ganze  Anzahl  verstreicht  peripher,  auf  diese  Weise  die 
distale  Konvexität  umhüllend. 

Das  zweite  Opticusganglion 
weist  eine  ähnliche  Gestalt  auf  wie  das  periphere,  es  ist  nierenförmig, 
wobei  seine  Hauptachse  in  dorsoventraler  Richtung  wiederum  ver- 
schoben ist.  Es  ist  stets  größer  als  das  periphere,  zeigt  jedoch  dieselbe 
Struktur,  nur  daß  sich  in  seinen  distalen  Partien  bei  einer  ganzen 
Anzahl  von  Formen  keine  Kerne  nachweisen  lassen,  die  ihm  zuge- 
hörenden Nervenkerne  liegen  ihm  sämtHch  dorsal  und  ventral  an, 
wobei  zu  bemerken  ist,  daß  die  aus  dem  Chiasma  kommenden  Fasern 
vor  ihrem  Eintritt  ins  Ganglion  sich  zwischen  den  Körper  des  Ganglions 
und  die  Kerne  einschieben  (s.  Fig.  27).  Was  die  Innenstruktur  dieses 
Ganglions  anbetrifft,  lassen  sich  die  eintretenden  Nervenstränge  nur 
in  den  peripheren  Partien  nachweisen,  während  die  centralen  auch 
unter  stärkerer  Vergrößerung  mehr  oder  weniger  homogen  erscheinen, 
wir  haben  in  ihnen  das  »innere  Marklager«  Bekgeks  zu  erblicken. 
Erst  bei  ihrem  Austritt  aus  der  proximalen,  konkaven  Seite  des  Gan- 
glions können  wir  die  Fasern  wieder  deutlich  erkennen,  die  hier  das 
zweite  Chiasma  bilden.  Dieses  stellt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine 
Wiederholung  des  ersten  dar,  indem  die  Fasern  in  dorsoventraler  und 
ventrodorsaler  Richtung  verlaufen,  Abweichungen  finden  sich  erst  beim 
Eintritt  ins 

dritte  oder  centrale  Opticusganglion, 
die  allerdings  bedingt  sind  durch  den  eigenartigen  Bau  dieses  Ganglions. 
Während  es  bei  andern  Insekten  keil-  oder  kegelförmig  gebaut  ist, 
weist  es  bei  den  Lepidopteren  eine  Gestalt  auf,  die  ich  als  schief  herz- 
förmig bezeichnen  möchte,  deren  Spitze  dem  Lobus  opticus  zuge- 
wandt ist;  an  der  distalen  Basis  erscheint  es  gespalten,  so  daß  wir 
eine  größere  Ventral-  und  kleinere  Dorsalhälfte  erhalten.  In  diesen 
Spalt  treten  nun  die  aus  dem  zweiten  Opticusganglion  kommenden 
Fasern  ein,  und  zwar  so,  daß  die  dorsoventral  verlaufenden  Fasern  an 
den  Dorsalrand  der  Ventralhälfte,  die  ventrodorsal  verlaufenden  Fasern 
aber  an  den  Ventralrand  der  Dorsalhälfte  herantreten.    Das  Ganglion 


Das  Fapettrnancp  Her  Lepiflopteren.  255 

an  sich  weist,  soweit  meine  Präparate  mir  über  diese  Frage  Aufschluß 
erteilten,  keinerlei  Differenzierungen  auf,  die  ihm  zugehörenden  Kerne 
sind  wiederum  dorsal  mid  ventral  angeordnet. 

Wie  der  weitere  Verlauf  der  Nervenfasern  zum  Centralhirn,  ob 
noch  eine  Nervenkreuzung  stattfindet  oder  ob  sie  direkt  verlaufen, 
habe  ich  leider  nicht  feststellen  können,  jedenfalls  habe  ich  an  keinem 
meiner  Präparate  ein  drittes  Chiasma  zwischen  dem  centralen  Opticus- 
ganglion  und  dem  Lobus  opticus  wahrgenommen. 

Das  Auge  von  Adela  sp.  ? 

Im  Juli  1909  erhielt  ich  in  konserviertem  Zustande  drei  Exemplare 
eines  kleinen,  im  Connewitzer  Holz  erbeuteten  Microlepidopteron,  in- 
folge des  stark  abgeflogenen  Zustandes,  sowie  der  Konservierung  ließ 
sich  eine  genaue  Bestimmung  leider  nicht  erzielen,  doch  sprach  ich  die 
Art  ihrem  Flügelgeäder,  sowie  ihren  extrem  entwickelten  Fühlern  nach 
für  eine  Adela  an.  Als  ich  die  Präparate  fertiggestellt  hatte,  entdeckte 
ich  zu  meiner  nicht  geringen  Verwunderung,  daß  ich  es  mit  einem  Auge 
zu  tun  hatte,  das  in  jeder  Hinsicht  von  dem  mir  vertrauten  Typus 
abwich,  so  daß  ich  mich  veranlaßt  sah,  es  getrennt  von  allen  andern 
Formen  an  dieser  Stelle  für  sich  zu  behandeln. 

Habe  ich  schon  im  früheren  darauf  hingewiesen,  daß  bei  Aus- 
bildung eines  stark  entwickelten  Processus  corneae  dieser  den  Anschein 
eines  Pseudoconus  gewinnen  könne,  so  haben  wir  es  bei  diesem  Auge 
mit  einem  typisch  pseudoconen  zu  tun  (s.  Fig.  31),  denn  die  Semper- 
schen  Kerne  liegen  proximal  vom  lichtbrechenden  Medium,  dem  Pseudo- 
conus, den  sie  nach  der  Ansicht  Grenachees  ausgeschieden.  Die  ganze 
Cornea  ist  stark  gewölbt,  die  einzelnen  Facetten  sind  gleichfalls  stark 
gewölbt,  konvex-konkav,  intensiv  gelb  umrandet;  proximal  schließt 
sich  ihnen  der  wohlentwickelte  Pseudoconus  an,  der  von  fast  flüssiger 
Konsistenz  zu  sein  scheint,  da  er  an  den  meisten  Schnitten  zum  gTÖßten 
Teil  bis  auf  wenige  Eeste  zerstört  war.  Darunter  gelegen  nehmen  wir 
die  Kristallzellen  wahr,  die  an  ihrer  distalen  Grenze  die  SEMPERschen 
Kerne  tragen.  Der  Zellkörper  ist  im  Gegensatz  zu  den  meisten  andern 
pseudoconen  Augen  wohl  erhalten  und  weist  auf  dem  Längsschnitt 
fast  kegelförmige  Gestalt  auf.  Proximal  schheßt  sich  den  Kristall- 
zellen die  Retinula  an,  sie  hat  eine  kolbenförmige  Gestalt  und  sitzen 
ihr  die  Sehzellkerne,  wie  es  die  Abbildung  31  zeigt,  peripher  auf.  Auf 
Längsschnitten  ist  ein  dunkler  axialer  Strang  deutlich  erkennbar, 
zu  einer  Rhabdombildung  scheint  es  jedoch  nicht  zu  kommen.  Die 
Querschnitte  ergaben,  da  das  Material  leider  stark  maceriert  war,  nur 


256  Wilhelm  Johnas, 

sehr  unklare  Bilder,  die  Anzahl  der  die  Retinula  zusammensetzenden 
Zellen  ließ  sich  daher  auch  nicht  feststellen.  Es  gewann  den  Anschein, 
als  ob  die  Rhabdomere  kreisförmig  um  einen  Hohlraum  angeordnet 
wären,  dieses  Auge  müßte  somit  der  zweiten  Hauptgruppe  Grenachers 
zugezählt  werden. 

Den  Kristallzellen  eng  anliegend,  finden  wir  die  großen  Kerne  der 
Hauptpigmentzellen,  die  mit  ihrem  Pigment  den  dioptrischen  Apparat 
umhüllen,  ein  wenig  distaler  erkennen  wir  die  länglichen  Kerne  der 
Nebenpigmentzellen,  die  sich  durch  ihre  geringe  Größe  auszeichnen. 
Sie  treten  bei  dieser  Form  im  Gegensatz  zu  allen  andern  Lepidopteren, 
die  nie  mehr  als  sechs  Nebenpigmentzellen  aufweisen,  in  der  Zwölfzahl 
auf,  wie  es  sich  leicht  an  den  Querschnitten  nachweisen  läßt,  und  sind 
stets  interstitiell  angeordnet,  d.  h.  sechs  von  ihnen  gehören  drei  be- 
nachbarten Ommatidien  an,  während  die  übrigen  sechs  nur  je  zwei 
Ommatidien  begrenzen.  Die  Zahl  der  Retinapigmentzellen  konnte  ich 
leider  nicht  feststellen,  da  auch  bei  starker  Vergrößerung  ihre  Kerne 
sich  nicht  nachweisen  ließen  und  das  äußerst  diffuse  Pigment  in  dieser 
Hinsicht  keine  Schlüsse  ziehen  ließ. 

Eine  weitere  Eigenart  dieses  seltsamen  Auges  stellt  das  Retina- 
gangiion  dar:  die  aus  den  einzelnen  Ommatidien  austretenden  Nerven- 
bündel gehen  keine  Anastomosen  mit  benachbarten  ein,  sondern  ver- 
laufen auf  direktem  Wege  zum  ersten  Opticusganglion,  sich  deutlich 
in  ihm  fortsetzend,  was  man  an  einer  Reihe  parallel  verlaufender  Nerven- 
stränge innerhalb  der  homogenen  Grundmasse  leicht  erkennen  kaim. 
Die  diesem  Ganglion  zugehörenden  Kerne  liegen  dorsal  und  ventral 
angehäuft. 

Beim  Austritt  der  Nervenfasern  aus  diesem  Ganglion  bilden  sie 
das  erste  Chiasma,  welches  den  Eindruck  macht  als  ob  sämtliche  Nerven- 
fasern um  einen  Winkel  von  180°  gedreht  wären,  wodurch  natürlich 
wiederum  ein  Antritt  der  Ventralfasern  des  ersten  Ganglions  an  die 
dorsalen  Partien  des  zweiten  GangUons  und  umgekehrt  bedingt  ist. 
Das  zweite  Opticusganglion  wies  wohl  infolge  des  schlechten  Erhaltungs- 
zustandes keinerlei  Differenzierungen  auf  und  konnte  ich  nur  noch 
feststellen,  daß  die  Nervenfasern  auch  hinter  diesem  zweiten  Opticus- 
ganglion ein  zweites  Chiasma  bilden.  Ihren  Antritt  ans  centrale  Opticus- 
ganglion konnte  ich  nicht  mehr  beobachten,  da  dieses  vollkommen 
zerstört  war. 

Die  auffallende  Tatsache,  daß  ein  Vertreter  einer  so  wenig  Ab- 
weichungen im  Bau  der  Augen  aufweisenden  Gruppe,  wie  es  die  Schmet- 


Das  Facettenauge  Her  T^epidopteren.  257 

terlinge  sind,  so  sehr  von  allen  andern  unterschieden  ist,  ließ  sich  viel- 
leicht auf  genetischem  Wege  erklären. 

Das  primitivste  Auge  stellt  entschieden  das  acone,  in  dem  die  vier 
Kristallzellen  an  sich  den  dioptrischen  Apparat  bilden,  dar;  die  Pa- 
läontologie zeigt  uns,  daß  die  ersten  Insekten,  die  auf  der  Erde  auf- 
traten, Gruppen  angehörten,  die  auch  heute  noch  acone  Augen  besitzen. 
Durch  Ausbildung  eines  Processus  corneae  gelangen  wir  zum  pseudo- 
conen  Typus,  über  den  die  Entwicklung  zum  euconen  fortschreitet. 
Die  ersten  Schmetterlinge  treten  im  Jura  auf  und  werden  von  Hand- 
LIRSCH  den  auch  heute  noch  der  australischen  Fauna  angehörenden 
Limacodes- Alten  zugezählt.  Leider  waren  mir  Vertreter  dieser  Gruppe 
nicht  zugänglich,  doch  liegt  der  Gedanke  nahe,  daß  sie  pesudocone 
Augen  besitzen.  Die  Adelen  aber  zugleich  mit  den  Micropterygiden 
stellen  unsre  genetisch  ältesten  Lepidopteren  dar,  und  ist  der  Gedanke 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  in  ihren  Augen  sich  ein  uraltes 
Übergangsstadium  in  unsre  Tage  hinübergerettet  hat. 

Überblicken  wir  die  im  Verlauf  der  Untersuchungen  gewonnenen 
Resultate,  so  müssen  wir  zum  Schluß  kommen,  daß  sie  insofern  negativ 
ausfielen,  als  eine  durch  die  Lebensweise  bedingte  Umformung  zu 
Doppelaugen  nicht  nachweisbar  ist.  Die  Zahl  von  über  60  Arten  der 
verschiedensten  Gruppen  von  Macro-  und  Microlepidopteren,  von  Tag- 
und  Nachtfaltern  leistet  mir  dafür  Gewähr,  daß  die  Konstanz  im  Bau 
des  Facettenauges  durch  die  ganze  Ordnung  verbreitet  ist. 

An  positiven  Resultaten  wäre  vor  allem  zu  betonen,  daß  es  mir 
gelungen  ist,  eine  Fortsetzung  des  Rhabdoms,  bzw.  der  Stiftchensäume 
in  die  Kristallkegelhülle  und  ein  becherförmiges  Umgreifen  der  Kristall- 
kegelspitze festzustellen.  Des  weiteren  wäre  neu,  daß  die  Ausbildung 
der  Stiftchensäume  und  die  mit  ihr  verbundene  Rhabdombildung  erst 
in  einem  gewissen  Abstände  von  der  Basalmembran  zustande  kommt, 
wodurch  ein  Hohlraum  innerhalb  der  Retinula  entsteht,  in  den  Pig- 
ment von  unterhalb  der  Basalmembran  eintreten  kann.  Daß  die 
Achtzahl  der  Retinulazellen  sich  finden  würde,  stand  nach  den  vor- 
hergegangenen Befunden  an  andern  Arthropodenaugen  zu  erwarten, 
daß  aber  eine  Vermehrung  derselben  auf  zehn  vorkäme,  dürfte  bisher 
wohl  kaum  beobachtet  sein.  Von  Interesse  wäre  ferner  der  Umstand, 
daß  die  ein  Tagleben  führenden  Formen  von  Nachtfaltern  ihr  Auge  der 
Lebensweise  angepaßt  haben,  indem  sie  durch  Ausbildung  von  Pig- 
ment innerhalb  der  Corneafacetten  und  andre  anatomische  Eigen- 
tümlichkeiten das  grelle  Tageslicht  abzublenden  suchen,  wobei  sich  eine 
Anzahl  Abstufungen  in  der  Anpassung  feststellen  ließen,  deren  Gipfel 


258  Wilhelm  Johnas, 

entschieden  die  Zygäniden  und  Ino-Avten  erreicht,  indem  sie  in  ihrem 
Auge  das  Auge  eines  echten  Tagfalters  bis  ins  kleinste  Detail  kopiert 
haben ;  bei  weitem  noch  nicht  so  fortgeschritten  in  der  Anpassung  sind 
die  am  Tage  fliegenden  Noctuiden  und  Macroglossa  stellatarum.  Daß 
die  Hesperiden,  diese  typischen  Tagtiere,  im  Bau  ihrer  Augen  Anklänge 
an  die  Nachtfalter  aufweisen,  dürfte  zumindest  befremden. 

Es  gelang  mir  ferner  experimentell  festzustellen,  daß  bei  Tagfaltern, 
sowie  bei  Zygäniden  eine  Pigmentwanderung  sich  nicht  nachweisen 
lasse,  wir  finden  sie  beschränkt  auf  die  Gruppe  der  Nachtfalter,  wobei 
ich  fand,  daß  künstliche  Lichtquellen  nur  eine  partielle  Verschiebung 
des  Pigments  bewirken. 

Schließlich  wäre  noch  Erwähnung  zu  tun  der  Wiederentdeckung 
des  bereits  von  Leydig  und  Schultze  beobachteten,  später  aber  in 
Vergessenheit   geratenen  Tapetums  innerhalb  der  Retinula. 

Leipzig,  im  Januar  1910. 


Literaturverzeichnis. 

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bei  Arthropoden.     In:    Arbeiten   a.    d.   Zool.   Inst,    der  Univ.    Wien. 
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Das  Facetteiiaiific  dci'   Lepitlopteren.  259 

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20.  —  Tafeln  zur  vergleichenden  Anatomie.     Ibid.  1864. 

21.  —  Zum  feineren  Bau  der  Arthropoden.    In:  Müllers  Archiv  für  Anatomie 

und  Physiologie.     Jahrg.  1855.     S.  376—480. 

22.  J.  Mülleb,    Zur  vergleichenden   Physiologie  des  Gesichtssinnes  des  Men- 

schen und  der  Tiere.     Leipzig  1826. 

23.  —  Fortgesetzte  anatomische  Untersuchungen  über  den  Bau  der  Augen  bei 

den  Insekten  und  den   Crustaceen.     In:    Meckels   Archiv  für  Ana- 
tomie u.  Physiologie.     Jahrg.  1829.     S.  38 — 65. 

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Neapel.     Bd.  VI.     1886.     S.  542— 756. 

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29.  —  Über  specifische  Strukturen  nervöser  Centralorgane.     Ibid.  Bd.  LXXII, 

1902.     S.  31—99. 

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Zeitschr.     Bd.  XXX.     Suppl.  1878. 

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pellier 1813. 

32.  Max  Schultze,    Untersuchungen   über  die  zusammengesetzten  Augen  der 

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33.  Teeviranus,    Beiträge  zur  Lehre  von  den  Gesichtswerkzeugen   und  dem 

Sehen  des  Menschen  und  der  Tiere.     Bremen  1827. 

34.  R.  Wagneb,    Einige  Bemerkungen  über  den  Bau  der  zusammengesetzten 

Augen  der   Insekten.     In:    Wiegmanns   Archiv   für   Naturgeschichte. 
1.  Jahrg.    Bd.  L    1835.     S.  372— 373. 

35.  Will,    Beiträge  zur  Anatomie  der  zusammengesetzten   Augen   mit   facet- 

tierter Hornhaut.     Leipzig  1840. 

36.  C.  Zevimee,    Die   Facettenaugen    der   Ephemeriden.      In:     Diese    Zeitschr. 

Bd.  LXIII.     1897.     S.  236—263. 


260  Wilhelm  Jolinas, 


Erklärung  der  Abbildungen.  j 


Abkürzungen: 

hm,  Basalmembran;  Rh,  Rhabdoni; 

C,  Cornea;  Rt.  Retinula; 

Ch,  Chiasma;  Rtpk,  Retinapigmentzellkern; 

0.0,  Ganglion  opticum;  Rtg,  Retinaganglion; 

K.K,  Kristalikegel ;  Schm,  Schaltraembran ; 

KKh,  Kristallkegelhülle;  Schz,  Schaltzone; 

nf,  Nervenfaser;  S.K,  SEMPEKsche  Kerne; 

P,  Hauptpigment;  Szk,  Sehzellkern; 

PK,  Hauptpigmentzellkern;  St,  Stiftchensaum; 

2J,  Nebenpigment;  t,  Tapetum; 

'pk,  Nebenpigmentzellkern ;  tr,  Trachee. 

fC,  Processus  corneae; 

Tafel  X. 

Fig.  1.  Die  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Rhodocera  rhamni  im  Längs- 
schnitt.    Leitz.     Oc.  1.     Obj.  7.     Zn. 

Fig.  2.  Querschnitt  durch  Ommatidien  desselben  Auges  in  der  Region 
unterhalb  des  Kristallkegels,  die  Anordnung  der  Tracheen  zeigend.  Sbt.  Oc.  1. 
Obj.  1/12  hom.  Imm.  Zn. 

Fig.  3.  Ein  Stück  der  ausgebreiteten  Cornea  von  Chri/suphanus  hippothoe, 
die  polyedrisclie  Anordnung  der  Facetten  zeigend.    Sbt.  Oc.  3  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  4.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Macroglossa  stellatarum  im 
Längsschnitt.    Sbt.  Oc.  1.  Obj.  3.  Zri. 

Fig.  5.  Drei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Chrysophanus  hippothoe  im 
Längsschnitt.     Sbt.  Oc.  1.  Obj.  5.  Zn. 

Fig.  6  u.  7.  Querschnitte  durch  die  Retinula  desselben  Falters  in  ver- 
schiedener Höhe.     Zeiss  Oc.  4.  Ap.  1/30.  Zn. 

Fig.  8.  Drei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Coenonympha  pamphilus  im 
Längsschnitt.     Leitz.  Oc.  1.  Obj.  7.  Zn. 

Fig.  9.  Querschnitte  durch  die  Retinula  von  Satyr  us  semele  in  verschie- 
dener Höhe,  die  Einschiebung  der  siebenten  Zelle  zeigend.  Sbt.  Oc.  1  hom.  Imm. 
1/12.  Zn. 

Fig.  10.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  hio  statices.  Sbt.  Oc.  1. 
Obj.  5.  Zn. 

Fig.  11.  Drei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Zygaena  lonicerae  im  Längs- 
schnitt.    Zeiss.  Oc.  4.  Obj.  C.  Zn. 

Fig.  12.  Drei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Hesperia  comma  im  Längs- 
schnitt.    Leitz.  Oc.  1.  Obj.  7.  Zn. 

Fig.  13.  Querschnitt  durch  die  Ommatidien  derselben  Art.  Zeiss.  Oc.  4. 
Ap.  1/30.  Zn. 

Fig.  14.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Hepialns  sylvanus  im 
Längsschnitt.     Sbt.  Oc  1.  hom.  Imm.  1/12.    Zn. 


Das  Facettenauge  der  Le[)idopteren.  261 

Tafel  XI. 

Fig.  15.  Zwei  Omiuatidien  aus  dem  Auge  von  Tortrix.  viridam  im  Längs- 
schnitt.    Sbt.  Oc.  1.  honi.  Imm.  1/12.    Zn. 

Fig.  16,  Zwei  üniniatidien  aus  dem  Auge  von  Tinea  sp.  ?  im  Längsschnitt. 
Sbt,  Oc.  1.  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  17.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Agrofis  pronuha  var.  inuha 
im   Längsschnitt.     Sbt.  Oc.  1.  Obj.  3.  Zn. 

Fig.  18.  Querschnitt  durch  ein  Ommatidium  derselben  Art,  die  Entwick- 
lung der  achten  Zelle  zeigend.     Sbt.  Oc.  5.  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  19.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Cidaria  hilineata  im  Längs- 
schnitt.    Sbt.  Oc.  1.  Obj.  5.  Zn. 

Fig.  20.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Botis  verticalis  im  Längs- 
schnitt.    Sbt.  Oc.  3.  Obj.  5.  Zn. 

Fig.  20  a.  Querschnitte  durch  ein  Ommatidium  derselben  Art  in  der  Höhe 
a—d.     Sbt.  Oc.  3.  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  21.  Querschnitt  durch  die  Retinula  derselben  Art  oberhalb  der  Basal- 
membran, die  Entwicklung  der  zehnten  Zelle  zeigend.  Sbt.  Oc.  1.  hom.  Imm. 
1/12.  Zn. 

Fig.  22.  Querschnitte  durch  die  Retinula  von  Vanessa  urticae,  die  An- 
ordnung der  Tracheen  zeigend.     Sbt.  Oc.  1.  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  23.  Zwei  Ommatidien  aus  dem  Auge  von  Zephyrus  sp.?,  die  Aus- 
bildung des  Tapetums  zeigend.     Leitz.  Oc.  3.  Obj.  6.  Zn, 

Fig.  23a.  Querschnitt  durch  die  Retinula  derselben  Art,  die  Nervenfasern 
zeigend.     Sbt.  Oc.  1.    hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  24.  Kristallkegel  von  Botis  verticalis,  die  Fortsetzung  des  Rhabdoms 
in  die  Kristallkegelhülle  zeigend.     Sbt.  Oc.  3.  hom.  Imm.  1/12.  Zn. 

Fig.  25.  Frontalschnitt  durchs  Auge  von  Lycaena  icarus,  die  Verkürzung 
des  Retinaganglions  zeigend.     Leitz.  Oc.  3.  Obj.  3.  Zn. 

Fig.  26.  Frontalschnitt  durchs  Auge  von  PortJiesia  similis,  die  Verlängerung 
des  Retinaganglions  zeigend.     Leitz.    Oc.  1.  Obj.  3.  Zn. 

Fig.  27.     Lage  der  Ganglien  bei  Chrysophanus  phlaeas.  Sbt.  Oc.  3.  Obj.  2.  Zn. 

Tafel  XII. 

Fig.  28.  Frontalschnitt  durchs  Auge  von  Coenonympha  pamphilus.  Sbt. 
Oc.  3.  Obj.  2.  Zn. 

Fig.  29.  Frontalschnitt  dm-chs  Auge  von  Zygaena  lonicerae.  Sbt.  Oc.  1. 
Obj.  2.  Zn. 

Fig.  30.  Frontalschnitt  durchs  Auge  von  Botis  verticalis.  Leitz.  Oc.  1. 
Obj.  3.  Zn. 

Fig.  31.     Frontalschnitt  durchs  Auge  \on  Adela  s.p.'i    Leitz.  Oc.  1.  Obj.  7. 


Zur  Entwicklung  der  Vogelextremität\ 

Von 

Felix  Sieglbauer 

(Leipzig). 
(Aus  der  Anatomischen  Anstalt  in  Leipzig.) 

Mit  16  Figuren  im  Text  und  Tafel  XIII,  XIV.     . 


Die  Skeletentwicklung  der  Vogelextremitäten  ist  wiederholt  Gegen- 
stand ausführlicher  Untersuchungen  gewesen.  Nachdem  GtEGENbaue 
mit  der  Entdeckung  des  Intertarsalgelenkes  die  Bahn  gebrochen  hatte, 
folgten  Rosenberg,  Parker  der  ältere  und  jüngere,  dann  Nassong w 
und  Mehnert.  Sie  untersuchten  sowohl  die  vordere  als  auch  die 
hintere  Extremität  bestimmter  Arten,  während  Norsa  und  Leighton 
nur  die  Entwicklung  des  Skelettes  der  vorderen,  Baur  und  Johnson 
der  hinteren  Extremität  zum  Gegenstand  von  Publikationen  heran- 
zogen. 

So  verschieden  Flügel  und  Fuß  der  Vögel  infolge  der  Wirkung 
von  funktioneller  Anpassung  geworden  sind,  so  zeigen  sie  doch  in  den 
ersten  Entwicklungsstadien  einen  gewissen  Parallelismus,  der  wieder 
unverkennbar  an  die  Entwicklung  der  Vorfahrenextremität  anschließt. 

Die  Erwartungen,  daß  die  neuen  Untersuchungen  Rabls  und  Se- 
wertzoffs  über  die  Skeletentwicklung  der  Reptilienextremität  Licht 
auf  die  der  verwandten  Vögel  werfen  könnten,  wurde  nicht  getäuscht, 
und  ich  bin  meinem  verehrten  Lehrer  Rabl  zu  großem  Dank  ver- 
pflichtet, daß  ich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  seine  Untersuchungen 
in  der  Extremitätenfrage  miterleben  durfte  und  damit  Grundlage  und 
Anregung  auch  für  dieses  Thema  gefunden  habe. 

Wie  im  allgemeinen  in  der  Extremitätenentwicklung,  so  findet 
sich  auch  in  der  der  Vögel  die  in  der  Entwicklung  aller  Organismen 
in  so  mannigfacher  Form  auftretende  Erscheinung  der  Heterochronie 
scharf  ausgeprägt.    Man  kann  sagen,  sie  bedinge  die  ganze  Auffassung 


1  Die  Arbeit  diente  als  Habilitationsschrift. 


Zur   Hntwicklunfj;  der  A'ogeloxl  iciniläl.  263 

iler  Bilduiigsgeschichte  des.  Extremitäteuskelettes,  so  daß  os  notwendig 
crsclioint.  ihre,  cinze.liuMi  Ersclieinuimsfoi'iiien  kni'z  zu  präzisiercMi. 

Rabl  hat  ziieist  darauf  hingewiesen,  daß  bei  den  Keptihen  die 
Elemente  des  vierten  Strahles  in  der  Entwicklung  der  vorderen  und 
hinteren  Extremität  vorauseilen.  Sewertzofp  hat  bei  Ascalohtes  und 
Emys  das  gleiche  nachweisen  können.  Es  findet  eine  Hetcrochronie 
zwischen  den  beiden  Rändern  der  Extremität  derart  statt,  daß  der 
postaxiale  (ulnare,  bzw.  fibularo)  dem  präaxialen  (radialen,  bzw.  tibialen) 
vorauseilt.  Rabl  erklärt  diese  auffällige  Tatsache  durch  die  stärkere 
Inanspruchnahme,  die  der  postaxiale  Extremitätenrand  beim  Stützen, 
sei  es  auf  dem  festen  Boden  oder  auf  dem  Wasser  (Schwimmen)  erleidet. 
Xwch  bei  den  Vögeln  findet  sich  diese  Form  der  Heterochronie  zwischen 
den  beiden  Rändern  der  Extremität,  und  zwar  sowohl  an  der  Hand 
als  auch  am  Fuße,  trotzdem  beim  erwachsenen  Tier  an  der  vorderen 
Extremität  der  ulnare,  an  der  hinteren  der  tibiale  Rand  von  größerer 
funktioneller  Bedeutung  ist.  Das  Fliegen  ist  ein  Schwimmen  in  der 
Luft,  wie  Rabl  mir  gegenüber  einmal  bemerkte.  Auch  in  Strassers 
Arbeit  über  den  Vogelflug  findet  sich  der  Gedanke.  Der  ulnare  Rand 
ist  besonders  beansprucht  in  ähnlicher  Weise  etwa  wie  bei  der  Vorder- 
flosse einer  Thalassochelys.  Aber  daß  in  der  Entwicklung  der  hinteren 
Extremität  des  Vogels  der  f ibulare  Rand  und  die  vierte  Zehe  voraneilen, 
trotzdem  beim  erwachsenen  Tier  Tibia  und  dritte  Zehe  vor  allem  die 
Stützfunktion  übernehmen,  dafür  kann  nm-  zähe  Vererbung  von  den 
Reptilienvorfahren  zm-   Erklärung    herangezogen  werden. 

Für  die  Auffassung  der  Vogelhand  ist  die  Heterochronie  des  post- 
axialen  Randes  von  besonderer  Bedeutung.  Sie  kann,  wie  ich  gieube, 
als  Argument  für  die  OwENsche  Zählweise  der  Finger  dienen.  Seit 
Gegenbaur  und  Owen  sind  die  Untersucher  in  zwei  Lager  geteilt, 
indem  die  einen,  dem  ersteren  folgend,  keinen  Verlust  eines  Fingers 
an  der  radialen  Seite  annehmen  und  den  ersten  Finger  der  Vogel- 
extremität  homolog  setzen  dem  Daumen  einer  pentadactylen  Extremität. 
Gegenbaur  ist  auf  diesen  Gedanken  durch  seme  Untersuchungen  an 
der  Krokodilextremität  gekomjnen.  Bei  den  Wasser eciisen  sind  die 
beiden  idnaren  Finger  rudimentär  und,  da  auch  sonst  ELrokodüe  und 
Vögel  vielfach  gemeinsame  Züge  aufweisen,  glaubte  Gegenbaur,  daß 
an  der  Vcgelhand  die  beiden  ulnaren  Finger  geschwunden  seien.  Die 
Länge  und  Schwäche  des  IIL  Metacarpale  an  der  Vogelhand  bestärkten 
ihn  noch  in  dem  Vergleich.  Er  erwähnt  auch,  wie  Nitzsch  bereits 
1811  die  Krallen  am  Vogelflügel  nur  so  zu  erklären  vermag,  daß  er 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bfl.  18 


264  Felix  Sieglbauer, 

die  Flügel  von  einem  Fuß  ableitet,  der  Krallen  zum  Gehen  und  Laufen 
besaß. 

Gegenbaur  schlössen  sich  Rosenberg,  Parker,  Meckel,  Hux- 

L,EY,    BaER,    MlLiNE    EDWARDS,    JeFFRIES,    JaCKSON,  ZeNHTNER,  NaSSO- 

Now  an. 

Owen  zog  aus  dem  Vergleich  der  vorderen  mit  der  hinteren  Ex- 
tremität den  Schluß,  daß  der  Daumen  rudimentär  geworden  und  ge- 
schwunden sei,  so  wie  die  große  Zehe  kein  Basale  und  nur  ein  rudi- 
mentäres Metacarpale  aufweise.  Der  fünfte  Strahl  wird  vorn  und 
hinten  rückgebildet,  und  so  nahm  Owen  die  doppelseitige  Reduktion 
an,  die  sowohl  am  prä-  als  auch  am  postaxialen  Rande  zum  Verlust 
eines  Fingers  führte.  Das  ist  die  Art  der  Reduktion,  wie  sie  auch 
für  die  oligodactyle  Extremität  vieler  höherer  Säugetiere,  wirksam  ist. 
Es  schwindet  zuerst  der  Daumen,  dann  der  fünfte,  dann  der  zweite 
und  endlich  der  vierte  Finger,  so  daß  aus  dieser  charakteristischen 
Verlustreihe  beim  recenten  Pferd  z.  B.  der  dritte  Finger,  also  der  Mittel- 
finger, allein  zurückbleibt.  Am  Fuße  ist  ganz  ähnliches  der  Fall,  nur 
verschwindet  da  beim  Vogel  zuerst  die  fünfte  Zehe.  Beim  zweizehigen 
afrikanischen  Strauß  bleiben  die  dritte  und  vierte  allein  übrig  von 
allen  fünf,  die  ontogenetisch  noch  auftreten. 

Owen  haben  sich  in  der  Zählweise  der  Finger,  als  zweiter,  dritter, 
vierter  Norsa,  Leighton,  Mehnert,  Hurst  angeschlossen.  Auf  die 
Auffassung  Tschans  komme  ich  später  noch  zurück. 

Die  Befiederung  des  ersten  Fingers  in  Form  der  Alula,  die  besondere 
Beweglichkeit  der  beiden  Phalangen  dieses  Fingers  und  die  damit  im 
Zusammenhang  stehende  Ausbildung  besonderer  Muskeln  legt  zu- 
nächst den  Gedanken  nahe,  daß  man  es  mit  einem  Daumen  zu  tun 
habe.  Nm-  widerstrebend  und  allmählich  habe  ich  mich  von  der  Gegen- 
BAURschen  Anschauung  lostrennen  können  und  wurde  darin  vor  allem 
andern  durch  den  Vergleich  der  ersten  Entwicklungsstadien  bpider 
Extremitäten  bestimmt,  die  das  Voraneilen  eines  Fingers  und  einer 
Zehe  zeigen,  die  als  vierte  aufzufassen  sind,  wenn  man  die  Entwicklung 
der  Reptilienextremität  zum  Vergleich  heranzieht. 

Trotzdem  bleibt  in  der  Entwicklung  des  Vogelflügels  die  Ähnlich- 
keit mit  der  Krokodilextremität,  die  Gegenbaur  hervorgehoben  hat, 
bestehen  insofern  als  die  beiden  ulnaren  Finger  stark  rudimentär  sind. 
Der  \'ierte  Finger  verliert  während  der  Ontogenese  zwei  Phalangen 
und  eine  Krallenanlage,  wie  die  Untersuchungen  noch  zu  zeigen  haben 
werden,  und  der  fünfte  wird  vollkommen  rückgebildet. 

In  der  Reduktion  des  ersten  radialen  Fingers  stehen  die  Vögel 


Zur   Kiit  w  ickliiM^f  der   V(>m'li'.\(renii(iit.  260 

uiitei-  (ItMi  NachktuutiH'n  (Ut  Hcptilii'ii  nicht  allein.  Die  klciiirn  Kluim;- 
saurier,  Rh((niphor}ti/nc/H(s,  Ptcrodiicti/lu.s,  die  sich  in  ganz  aiulier  Weise 
aus  den  eidechseuälinlieheii  Foiinen  zu  flatternden  oder  fliegenden 
Formen  umgebildet  haben,  die  ganz  auffallend  an  die  Fledermäuse 
erinnern,  zeigen  gleichfalls  die  Kückbildung  des  Daumens,  der  wahr- 
scheinlich in  dem  vSpannknochen  zu  suchen  ist,  welcher,  abgewendet 
von  den  übrigen  Fingern  dei'  Hand,   dem  Radius  parallel  stand. 

Eine  zweite  Art  der  Heterochronie  war  schon  K.  E.  v.  Baer  be- 
kannt, nämlich  die  proximodistale  Entwicklungsrichtung  in  dem  freien 
Teil  der  Extremität.  Mehnert  gibt  für  die  Carinaten  an,  daß  beim 
Verlaiorpelungsprozeß  der  Carpus  und  Tarsus  übersprungen  werden 
und  das  dritte  Metacarpale  und  Metatarsale  zuerst  den  prochondralen 
Charakter  verlieren.  Bei  den  Ratiten  —  Mehnert  hat  den  afrikanischen 
Strauß  untersucht  —  soll  das  Basipodium  nicht  übersprungen  werden. 
Die  Angaben  desselben  Autors,  daß  bei  Emys  das  Metapodium  dem 
Basipodium  in  der  Verknorpelung  voraneilen  soll,  sind  bereits  von 
Rabl  und  Sewertzoff  dahin  korrigiert  worden,  daß  zuerst  das  Ulnare 
und  Fibulare  verknorpeln  und  dann  das  vierte  Basale  und  Metacarpale 
bzw.  Metatarsale,  die  in  der  unmittelbaren  Verlängerung  der  beiden 
erstgenannten  Knorpel  gelegen  sind.  Und  auch  für  die  Carinaten  soll 
im  folgenden  gezeigt  werden,  daß  bei  der  ersten  Büdung  von  hyaliner 
Grundsubstanz  in  proximodistaler  Richtung  kein  Abschnitt  der  Ex- 
tremität übersprungen  wird. 

Als  ich  von  5-  und  Ötägigen  Embryonen  der  Ente  die  Serien- 
schnitte der  gleichseitigen  Extremitäten  desselben  Individuums  auf 
denselben  Objektträger  auflegte,  fiel  mir  bald  auf,  wie  in  der  histolo- 
gischen Differenzierung  die  hintere  Extremität  der  vorderen  schon 
zeitig  voraneilt.  Nach  der  Zusammenstellung  von  Mehnert  findet 
sich  bei  allen  Wirbeltieren,  soweit  sie  Extremitäten  besitzen,  ein  Vor- 
auseilen in  der  Entwicklung  der  vorderen  Extremität  gegen  die  hintere. 
Nm'  die  Anuren  unter  den  Amphibien  und  die  Ratiten  unter  den  Vögeln 
zeigen  das  Umgekehrte.  Besonders  schön  tritt  diese  Heterochronie 
bei  den  Ratiten  an  einem  Embryo  hervor,  den  der  jüngere  Parker 
in  seiner  großen  Monographie  von  einer  Afteryx  aitstralis  abbildet. 
Der  Embryo  entspricht  nach  den  Angaben  Parkers  in  seiner  Ent- 
wicklung etwa  einem  4  Tage  alten  Huhn.  Der  vordere  Extremitäten- 
wulst erstreckt  sich  über  den  17.— 19.  Urwirbel,  der  hintere  aber  vom 
28. — 36.  Urwirbel.  Sobald  sich  also  die  Extremitätenanlagen  differen- 
ziert haben,  zeigen  sie  den  auffallenden  Größenunterschied,  der  für  das 
erwachsene  Tier  so  charakteristisch  ist.     Mehnert  macht  bei  dieser 

18' 


266  Felix  SiegUjaiier, 

ZiLsanimenstellung  keine  Angaben  über  die  Caiinaten.  Wohl  aber 
zitiert  er  an  einer  andern  Stelle  den  Satz  v.  Baer  aus  der  Entwick- 
lung des  Huhnes:  >> Bisher  ist  die  Entwicklung  beider  Extremitäten 
einander  gleich,  mit  dem  Unterschied  jedoch,  daß  die  hintere  immer 
in  der  Entwicldung  zurückbleibt.«  Mit  dem  »bisher«  ist  gemeint  — 
wie  sich  aus  dem  Zusammenhange  ergibt  — ■  der  Zeitpunkt,  bis  zu  dem 
die  Fingerstrahlen  sich  bilden.  Ich  habe  bei  der  Hausente  nm*,  soweit 
exakte  Messungen  möglich  sind,  die  gleiche  Größe  auch  in  der  ersten 
xVnlage  der  vorderen  und  hinteren  Extremität  finden  können.  Ich 
habe  direkte  Messung  und  Messungen  an  genauen  Umrißzeichnungen 
versucht.  Die  Urwirbelbreiten  sind  in  den  verschiedenen  Regionen 
des  Rumpfes  verschieden,  sie  können  als  Maß  nicht  gut  verwendet 
werden,  besonders  dann,  wenn  die  Größenunterschiede  nicht  derart 
sind  wie  bei  den  Ratiten.  Beim  Huhn  habe  ich  bei  Messungen  manch- 
mal die  vordere,  manchmal  die  hintere  um  ein  ganz  geringes  größer 
gefunden. 

Es  wäre  immerhin  möglich,  daß  abgesehen  von  der  Größe  der  ersten 
Extremitätenanlage  bei  den  Carinaten  infolge  der  mächtigen  Entwick- 
lung der  Schultergürtelmuskuiatur  die  proximalen  Teile  der  vorderen 
Extremität  in  der  Entwicklung  voraneilten.  Unterarm  und  vor  allem 
die  Hand  der  Vögel,  selbst  solcher  Formen  wie  der  Kolibri  und  Mauer- 
segler mit  ihren  enorm  verlängerten  Unterarm-  und  Fingerknochen, 
sind  mit  Rücksicht  auf  die  Zahl  ihrer  Elemente  als  rudimentäre  Gebilde 
anzusehen.  Sie  sind  nur  zur  Stütze  und  zum  Hebelwerk  einer  überreichen 
Integumentformation  geworden.  An  die  Stelle  der  Phalangen,  wie  sie 
den  Fledermausflügel  stützen,  sind  stark  vergrößerte  Hautpapillen,  die 
Schwungfedern,  getreten,  und  die  ganze  korrelative  Wachstumsenergie 
hat  sich  gleichsam  auf  das  Corium  und  die  Epidermis  konzentriert. 
Nun  werden  rudimentäre  Organe  im  allgemeinen  auch  rudimentär  an- 
gelegt, und  damit  erklärt  es  sich,  wenn  die  distalen  Skeletteile  des 
Vogelflügels  in  der  Entwicklung  zurückbleiben  gegen  die  des  ki'äftig 
entwickelten  Beines i. 


1  Es  wäre  das  ein  »individualisierter  Reduktionsprozeß «,  wie  ihn  SßWEETZoFF 
auch  bei  Seps  tridadyla  neben  einem  die  ganze  Extremität  betreffenden  Reduk- 
tionsprozeß unterscheidet.  Sewertzoff  findet  nämlich  anfangs  die  Extremitäten 
von  Sefs  nur  sehr  wenig  kleiner  als  die  von  Ascalobotes,  später  aber  bleiben  sie 
auffällig  zurück.  Die  vordere  Extremität  zeigt  dann  speziell  an  der  Hand  ähn- 
liche Reproduktionsprozesse  wie  der  Vogelflügel,  auf  die  noch  später  eingegangen 
werden  soll.  Diese  Reduktionsprozesse  setzen  bei  Seps  mit  viel  größerer  Inten- 
sität als  der  allgemeine,  ein  und  Sewertzoff  schließt  daraus:   »Dieser  Umstand 


Zur   Kntwirklimi;  der  VoL'rloxtnMiiität.  267 

Nach  Angabe  dieser  divi  Können  der  HottMoclironic,  welche  die 
Extremitätenentwicklunu'  bestininien.  gehe  ich  zur  Mitteihing  der 
spezieUeu  Befunde  über.  Vorauszuschicken  habe  ich  nur  noch  einige 
Angaben  über  das  verwendete  Material. 

Die  Untoisuchungen  gründen  sich  vor  allem  auf  Embryonen  der 
Hausente.  Die  Wasservögel,  speziell  die  Anatinae  vmd  Anserinae,  nicht 
Cygnus.  nehmen,  wie  auch  Fürbringer  hervorhebt,  eine  verhältnis- 
mäßig tiefe  Stellung  im  System  ein,  und  im  Zusammenliang  damit  steht 
es  vielleicht,  daß,  wie  Rabl  immer  wieder  betont,  die  Ente  viel  klarer 
zu  embryologischen  Untersuchungen  als  wie  das  klassische  Objekt,  das 
Haushuhn,   ist. 

Und  gerade  dadurch,  daß  mir  mein  Vorstand  eine  geschlossene 
Reihe  von  gut  konservierten  Entenembryonen  ziu-  Verfügung  stellte, 
an  welchen  ich  die  mikroskopischen  Untersuchungen  zuerst  begami, 
hatte  er  mir  ein  Material  gegeben,  das,  wie  die  Folge  lehrte,  immer 
mehr  und  mehr  sich  vor  den  andern  untersuchten  Formen  bewährte. 
Nach  der  Methode  von  van  Wime  und  Spalteholz  hergestellte  Total- 
präparate machten  mich  zuerst  beim  Huhn  auf  die  frühe  Entwicklung 
des  Ulnare  aufmerksam. 

Dann  habe  ich  selbst  eine  ganze  Reihe  von  Hühner-  und  Enten- 
embryonen konserviert  und  von  Herrn  Prof.  Held  und  Herrn  Dr.  Kose 
eine  Anzahl  von  Entenextremitäten  zur  Verfügung  gestellt  bekommen, 
wofür  ich  ihnen  auch  an  dieser  Stelle  bestens  danke. 

Vor  allem  habe  ich  aber  Herrn  Prof.  Erik  Müller  in  Stockholm 
für  das  große  Entgegenkommen  zu  danken,  mit  dem  er  meine  Bitte 
um  Pinguinmaterial  erfüllte.  Bereitwilligst  sandte  er  mir  eine  ganze 
Reihe  tadellos  fixierter  Embryonen  vom  Pygoscelys  fafuci,  die  mir  für 
die  Entwicklung  des  Skeletsystems  der  Vogelextremität,  vor  allem  der 
vorderen,  wertvolle  Aufklärung  brachten. 

Die  Angabe  des  Alters  nehme  ich  bei  der  großen  Variabilität,  die 
im  Brutapparat  entwickelte  Eier  eines  domestizierten  Vogels  zeigen, 
nur  ganz  allgemein  nach  Tagen  vor. 

Ich  habe  überwiegend  linke  Extremitäten  imtersucht  und  die 
meisten  Formen  horizontal,  also  von  der  dorsalen  zur  volaren,  bzw. 
plantaren  Seite  der  Extremität  in  einer  Dicke  von  12  /<  geschnitten. 
Mehnert  gibt  an,  die  Serien  sollen  20—30/«  dick  sein,  um  die  Knorpel- 
centren erkennen  zu  können.  Ich  habe  daraus  keinen  besonderen 
Vorteil  gezogen.     Die  schönsten  Bilder  bekam  ich  mit  Durchfärbung 

weist  auf  eine  gewisse  Selbständigkeit  (Individualität)  in  der  phylogenetischen 
Entwicklnns:  der  einzelnen  .Skeletelemente  hin. 


268  Felix  .SiegU.auer, 

der  ganzen,  in  ZENKERscher  Flüssigkeit  konservierten  Extremitäten 
im  ÜELAFiELDschen  Hämatoxylin,  das  ich  Herrn  Dr.  Geäper  in  einer 
ganz  vorzüglich  hergestellten  Qualität  verdanke.  Dadurch  war  es  mir 
vor  allem  möglich,  die  ersten  Bildungen  hyaliner  Grundsubstanz  nach- 
zuweisen und  so  das  Ulnare  und  Fibulare  in  seinem  ersten  Auftreten 
zu  erkennen. 

Vordere  Extremität. 

1.  Anas  boscJias  dorn. 

5.  und  ü.  Tag. 

An  der  Extremitätenanlage  sind  in  der  äußeren  Form  Oberarm 
einerseits,  Unterarm  und  Hand  anderseits  durch  Ausbildung  der  gegen- 
seitigen Winkelstellung  deutlich  zu  erkennen.  Während  der  kurze 
Oberarmstumpf  fast  frontal  steht,  ist  der  distale  Teil  der  Extremität 
an  der  Stelle  des  künftigen  Ellbogengelenkes  ventral  und  zugleich 
caudal  abgebogen,  so  daß  er  der  Leibeswand  in  caudaler  Kichtung 
anliegt.  Die  Handplatte  ist  an  der  starken  Wölbung  des  präaxialen 
Kandes  ebenso  zu  erkennen  wie  an  einer  seichten  Kerbe,  die  der  ulnare 
Rand  trägt. 

Das  Schnittbild  (Textfig.  1)  zeigt,  daß  der  Humerus  bereits  ins 
Vorknorpelstadium  eingetreten  ist,  während  die  Anlage  des  Zeugo- 
und  Autopodiums  zwei  Säulen  dicht  gedrängter  Zellen  bildet,  die  proxi- 
mal zusammenhängen,  distal  aber  mit  abgerundeten  Enden  frei  in  der 
bindegewebigen  Grundmasse  der  Handplatte  enden  i.  Die  beiden 
Säulen  umfassen  zangenartig  die  Art.  interossea,  deren  Durchschnitte 
näher  dem  radialen  Aste  der  Zeugopodiumanlage  gelegen  sind.  Dabei 
ist  der  radiale  Ast  dem  konvexen  präaxialen  Rand  entsprechend  abge- 
bogen und  etwas  kürzer  und  dicker  als  der  gestreckt  verlaufende  ulnare 
Ast,  dessen  distales  Ende  aufgetrieben  ist,  im  Gegensatz  zu  dem 
des  radialen.  Der  Ramus  dorsalis  der  Art.  interossea  tritt  zwischen 
den  beiden  Zeugopocüumanlagen  hindurch,  um  dorsal  über  das  distale 
Ende  des  radialen  Astes  hinweg  einen  ulnar  gerichteten  Bogen  zu 
bilden,  von  dem  zahlreiche  Capillaren  in  die  HocHSTETTERsche  Rand- 
vene  führen. 

Im  proximalen  Teil  des  ulnaren  Astes  läßt  die  quere  Parallel- 
stellung der  Kerne  eine  kurze  prochondrale  Anlage  der  Ulna  erkennen, 
während  im  gleichen  Stück  des  radialen  Astes  eine  Radiusanlage  nur 

1  Bereits  Meiinert  gibt  für  Huhn  und  Strauß  das  freie  Ende  der  beiden 
Zeugopodienäste  an.  Rabl  hat  dasselbe  bei  Triton,  Sewertzoff  bei  Ascalobotes 
gefunden. 


I 


Zur  Enlw  ickluii''  dci'  Vouelexticmiliil. 


2«3l) 


»-;-f 


u 


A.i.---- 


nanz    luuleutlic'h    sich    differenziert   liat.      Die   distalen    ab^ierundeten 
Enden,   die  viele  Zellteihui^en   zeigen.   r(>präsentieren   die  Anlage  der 
Hand,    so   daß   also   in   den 
beiden     Zellsäulen      sowohl 
Zengo-    als    Autopodiunian- 
lage  enthalten  sind. 

Textfig.  2  zeigt  Radius 
und  Ulnaanlage  etwas  deut- 
licher — ■  der    Embryo    war 
etwas   älter    als    der    zuerst 
beschriebene  — .     Vor  allem 
sind  die  distalen  Enden  der 
zangenartigen     Skeletanlage 
nun    deutlich    aufgetrieben. 
Das  radiale    Ende   ist   ent- 
sprechend    dem     konvexen 
Rand  der  Extremität  abge- 
bogen   und    repräsen- 
tiert   die    Anlage    des 
zweiten     und    dritten 
Fingers,  während   das 
ulnare     Ende     weiter 
distal  vorragt  und  vor      „ 
allem  dem  vierten  und 
auch  dem  fünften  Fin- 
ger   entspricht.      Das 
zeigt  sehr  gut  die  fol-       (  7> 
gende  Textfig.  3,    die       \   J 
von  einem  viel  weiter 
vorgeschrittenen    Sta- 
dium    stammt.       Die 
kurzen     breiten     An- 


UmvißzeichmiiiK 
zn  Textfis?.  1 — 3. 


Textfig.  1. 

Euto,  6.  Tag;  linke,  vordere  Extremität.   35nial  vergr. 


R. 


17.      /i 


\ 


\ 


-  ¥ 


m 


Textfig.  3. 


Textfig.  2. 
lagen  von  Radius  und   '^'f;  '■  ^^.f  "f  •^'  ^"°^'i^'-^   ^"*'^;  '-""f^;  ünke  vordere  ex- 

o  Extremität.    35mal  vergr.  tremitat.    35mal  vergr. 

Ulna  sind  deutlich  ins 

prochondrale  Stadium  eingetreten,  die  Anlage  der  ülna  ist  etwas 
breiter.  In  ihrer  distalen  Fortsetzung  liegt  eine  breite  Zellplatte, 
die  mit  vier  stumpfen  Höckern  endet,  von  welchen  der  dritte  der  am 
deutliclisten  hervorragende  ist.  In  diese  Gewebsplatte  ragt  als  ein 
Rest  der  ihre  beiden  Anlagen  trennenden  Spalte  ein  Zug  hellen 
Mesenchyms  hinein,   der   die  Anlage   des  Z\vischenknochenraumes  im 


270  Felix  Sieglbauer. 

ulnar wärts  offenen  Winkel  fortsetzt.  Diese  Abscliwenkung  der  ganzen 
Handanlage  ist  vielleicht  das  am  meisten  in  die  Augen  springende  in 
dem  Stadium.  Sie  zeigt,  wie  die  für  die  Funktion  des  Vogelflügels 
so  wichtige  ulnare  Abduktion  schon  in  diesen  Stadien  beginnt,  und  aus 
den  weiteren  Zeichnungen  ist  zu  entnehmen,  wie  sie  mit  der  Entwicklung 
immer  mehr  und  mehr  zunimmt,  um  beim  auslaiechenden  Vogel  einen 
Winkel  von  etwa  40 — ^60  "^  zu  erreichen.  Die  während  der  embryonalen 
Entwicklimg  immer  mehr  zunehmende  ulnare  Abduktion  im  Hand- 
gelenk ist  von  bestimmendem  Einfluß  auf  die  Ausbildung  der  Carpal- 
elemente  und  auch  der  Finger.  Schon  Leighton  ist  darauf  aufmerk- 
sam geworden  und  hat  die  eigentümliche  Stellung  des  Ulnare  auf  die 
mechanische  Druckwirkung  der  ulnaren  Abduktion  zurückgeführt. 
Maximale  ulnare  Abduktion  im  Handgelenk  ist  vor  allem  für  die  Kuhe- 
stellung  des  Flügels  charakteristisch.  Hier  ist  sie  zwangsweise  ver- 
bunden mit  der  Beugung  im  Ellbogengelenk.  Henke  hat  bereits 
auf  diese  für  Reptilien  und  Vögel  eigentümlichen  kombinierten  Be- 
wegungen im  Hand-  und  Ellbogengelenk  hingewiesen,  die  zu  einer 
Längenverschiebung  zwischen  Radius  und  Ulna  führen.  Am  Vogel- 
flügel ist  am  pi'oximalen  Ende  von  Radius  und  Ulna  für  diese  Bewegung 
ein  Gelenk  vorhanden,  distal  aber  nur  ein  starkes,  dehnbares  Band. 
Neben  diesem  durch  die  Funktion  vererbten  Moment  könnte  man 
vielleicht  als  Ursache  für  die  ulnare  Abduktion  die  raumbeengende 
Eischale  anführen,  die  alle  Gelenke  zu  starker  Beugestellung  zwingt. 
Der  zum  Ruder  umgewandelte  Flügel  des  Pinguin  zeigt  auch  in  der 
Ruhelage  eine  nur  geringe  ulnare  Abduktion  im  Handgelenk.  Während 
der  Entwicklung  kommt  in  gleicher  Weise  das  Moment  der  ulnaren 
Abduktion  viel  weniger  zur  Geltung.  Das  zeigt,  daß  der  zuerst  oben 
angeführte  Grund  der  Mächtigste  für  die  eigentümliche  Stellungsände- 
rung in  der  Handentwicklung  ist. 

Es  kommt,  vom  12.  und  13.  Tage  angefangen,  zu  dieser  ulnaren 
Abweichung  noch  eine  volar  gerichtete  geringe  Beugung  im  Hand- 
gelenk hinzu,  die  wohl  rein  auf  die  Raumbeengung  innerhalb  der  Schale 
zurückzuführen  ist. 

Der  erwähnte  Mesenchymkanal  teilt  die  Handanlage  in  zwei  ganz 
ungleiche  Teile:  der  radiale  ist  viel  breiter  und  weniger  differenziert, 
er  enthält  vor  allem  die  Anlage  des  dritten  Fingers,  des  stärksten  der 
Hand.  Durch  die  ulnare  Abduktion  setzt  sich  von  diesem  Teil  der 
Handanlage  das  distale  Radiusende  etwas  schärfer  ab;  dort  entsteht 
am  7.  Tage  ein  stumpfer  Höcker,  der  von  den  Autoren  als  Anlage 
des  sich  nicht  weiter  entwickelnden  ersten  radialen  Finaiers  uedeutet 


Zur    KiUw  icklunir  iler  \'(<i;;oIe\tr('mitiit.  271 

wird.  Der  ulnare  Teil  verschmälert  sich  /aierst  etwas  gegen  die  Ulna- 
aiilage  —  hier  tritt  später  das  Ulnare  auf  — .  um  dann  in  zwei  stumpfe 
Fortsätze  zu  enden,  von  welchen  der  radiale  frei  als  Fingeranlage  voi- 
ragt.  Ans  dem  Vergleiche  mit  dem  Entwickluugsstadium  des  Fußes 
eines  jüngeren  Embryos  (Textfig.  12).  der  die  freie  Entwicklung  dei' 
vierten  Zehe  zeigt,  schließe  ich,  daß  auch  an  der  Hand  die  längste 
Fingeranlage  die  vierte  ist.  Sie  liegt  nicht  in  unmittelbarer  Verlängerung 
der  Ulna,  weil  jetzt  schon  die  ulnare  Abduktion  störend  auf  die  Tojio- 
graphie  der   sich   bildenden  Skeletelemente  einwirkt. 

7.  und  8.  Tag.     (Fig.  1,  2,  3,  4,  Taf.  XIII.) 

An  die  bisher  beschriebenen  Bilder  schließe  ich  die  Taf.  XIII, 
Fig.  1  und  2  an,  welche  zwei  nahe  aneinander  liegende  Stadien  dar- 
stellen. Fig.  1  ist  das  Schnittbild  der  linken  vorderen  Extremität  eines 
Embryo  vom  Ende  des  6.  Tages.  Das  distale  verknorpelte  Ende  der 
Ulna  tritt  deutlich  hervor,  und  in  einigem  Abstand  davon  und  ulnar 
abgelenkt  liegt  ein  ovaler  Knorpelherd,  der  zunächst  die  Anlage  des 
Ulnare  enthält  und  dessen  distales  Ende,  wie  die  folgende  Entwicklung 
lehrt,  zum  Basale  4  und  5  wird.  An  seiner  radialen  Seite  zieht  der 
erwähnte  mesenchymatische  Kanal  als  eine  im  stumpfen  Winkel  ab- 
gebogene Fortsetzung  des  Spatium  interosseum  des  Unterarmes  in  die 
Basipodiumanlage  hinein  gegen  die  vierte  Fingeranlage.  Diese  ist  die 
längste  Fingeranlage.  Ihr  peripheres  Ende  krümmt  sich  krücken- 
förmig  ulnarwärts  um.  Der  fünfte  Finger  wird  durch  einen  schmalen 
Streifen  dargestellt,  der  gegen  die  Randvene  heranreicht.  Von  den 
beiden  radialen  Fingeranlagen  ist  die  ulnare  die  stärkere.  Sie  übertrifft 
an  Dicke  die  vierte  Anlage.  Ganz  ähnliche  Verhältnisse  zeigt  die 
Fig.  2,  die  eine  Kombination  mehrerer  aufeinander  folgender  Schnitte 
darstellt.  Die  Aveitere  Entwicklung  ist  daran  zu  erkennen,  daß  im 
vierten  imd,  weniger  deutlich,  im  dritten  Finger  die  prochondrale 
Anlage  eines  Metacarpale  zu  sehen  ist.  Ferner  sei  auf  den  radial 
von  der  ersten  Fingeranlage  der  Taf.  XIII,  Fig.  2  und  3,  noch  auf- 
tretenden kleinen  Gewebshöcker  hingewiesen,  der  in  der  Tat  an  eine 
Finneranlaue  erinnert  und  von  den  Autoren  Norsa  und  Leighton  als 
Daumenanlage  gedeutet  wurde.  Sie  schwindet  vollständig  schon  in 
wenig  älteren  Stadien.  Dagegen  tritt  dann  an  derselben  Stelle  der 
schon  früh  durch  seine  Größe  und  schärfere  Abgrenzung  auffallende 
Knorpelherd  des  Radiale  auf.  Dasselbe  kommt  gerade  durch  die 
ulnare  Abduktion  in  eine  exponierte  Lage  am  radialen  Extremitäten- 
rand. Später  soll  noch  gezeigt  werden,  wie  seine  auffallende  Entwicklung 


272  Felix  Sieglbauer, 

mit  der  Ausbildung  von  zwei  Muskelsehnen  zusammenhängt.  An  der 
Außenseite  der  Ulna  findet  sich  ein  keilförmiger  Gewebsstreifen,  der 
dem  Ulnare  proximal  aufsitzt:  da  tritt  später  der  Knorpelkern  des 
Pisiforme  unabhängig  vom  Ulnare  auf. 

Die  weitere  Differenzierung  geht  nun  sehr  rasch  vor  sich.  Vor 
allem  treten  die  Teile  der  Handwurzel  wie  aus  einem  Gusse  auf. 

Zunächst  muß  noch  die  äußere  Erscheinung  der  vorderen  Extre- 
mität aus  der  angegebenen  Brutzeit  kurz  sldzziert  werden.  Die  Hand- 
platte setzt  sich  durch  ihre  mit  der  Radienentwicklung  zunehmende 
Verbreiterung  deutlich  von  der  Unter armanlage  ab.  An  der  Vogel- 
hand ebenso  wie  am  Fuß  treten  die  Radien  zuerst  mehr  divergent  im 
Gegensatz  zu  ihrem  späteren  parallelen  Verlauf  auf.  Dadurch  verschmä- 
lert sich  im  Laufe  der  Ontogenese  sowohl  die  Hand-  wie  di6  Fußplatte, 
vor  allem  im  Gebiete  des  Basi-  und  Metapodiums.  Der  Fingerentwicklung 
entsprechend  ist  der  freie  Rand  der  Handplatte  nicht  mehr  gervmdet 
wie  anfangs,  sondern  zeigt  drei  stumpfe  Ecken,  die  ungefähr  den  Enden 
der  drei  bleibenden  Finger  entsprechen.  Der  ulnarste  Finger  bewirkt 
keinen  Vorsprung;  er  ist  an  der  Vogelhand  von  allem  Anfang  an  rudi- 
mentär. Daher  der  auffällige  Unterschied,  wenn  man  die  Handplatte 
des  Vogels  mit  der  einer  ungefähr  gleichentwickelten  Handplatte  etwa 
einer  Lacerta  muralis  vergleicht,  an  der  dem  fünften  Finger  entsprechend 
ein  breiter,  durch  einen  tiefen  Einschnitt  von  den  übrigen  Fingeranlagen 
getrennter  Lappen  besteht  —  sowohl  an  der  vorderen  als  an  der  hinteren 
Extremität.  Dieser  Lappen  ist  an  der  Vogelhand  gleichsam  wie 
abgeschnitten.  Der  ulnare  Rand  weist  eine  leichte  Abknickung  an 
der  Grenze  zwischen  Unterarm  und  Hand  auf.  Der  noch  stumpfe 
Winkel  von  etwa  154-  ist  die  erste  äußere  Andeutung  der  ulnaren 
Abduktion,  die  innerlich  schon  an  den  ersten  Skeletanlagen  zu  erkennen 
war.  Auch  das  Relief  der  palmaren  und  vor  allem  der  dorsalen  Seite 
wird  durch  die  entwickelten  Radien  modelliert,  wie  man  bei  auffallen- 
dem Lichte  deutlich  erkennen  kann. 

In  Beziehung  auf  die  histologische  Differenzierung  (Taf.  XIII, 
Fig.  4)  setzt  sich  das  distale  Ende  von  Radius  und  Ulna  deutlich  gegen 
den  Carpus  und  dieser  gegen  den  Metacarpus  ab.  Die  ganze  Hand- 
wurzel bildet,  vom  ulnaren  und  radialen  Knorpelkern  abgesehen,  eine 
einheitliche  prochondrale  Masse,  die  nur  mit  Mühe  einzelne  Teile  er- 
kennen läßt,  was  die  so  verschiedene  Deutung  bei  den  einzelnen  Autoren 
erklärt.  Von  einer  Abspaltung  eines  Basale  vom  proximalen  Teil  des 
Metacarpus,  wie  sie  Sewertzopf  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  an 
Reptilienextremitäten  annimmt,  ist  nichts  zu  erkennen. 


I 


Zur   Kntwicklinifj;  der  N'ogc'lo.xtrLinitiit.  273 

lii  (liosor  noch  wenig  differenzierten  Gewebsplatte  der  Handwurzel 
ist  doutlicli  zunächst  der  Knorpelkern  des  Ulnare  zu  erkennen,  der 
distal  und  nach  außen  vom  unteren  Ulnaende  lieut.  Kr  ist  annähernd 
vierseitig  begrenzt  und  setzt  sich  in  ciiicn  proclioudralen  Herd  fort, 
der  einerseits  den  Metacarpus  -1  und  5  trägt,  anderseits  radial  in  die 
prochondrale  Anlage  des  dritten  Basale  kontinuierlich  übergeht.  Auch 
an  Sagittalschnitten  grenzt  sich  diese  Zellmasse  vom  Ulnare  deutlich  ab ; 
sie  ist  die  Anlage  des  vierten  und  fünften  Basale.  Die  radiale  Seite 
des  Ulnare  wird  durch  einen   dichtereti   Zellstreifen   von   der  übrigen 


RV 


RV. 


I 

ji-- 


— -'w. 


—  u. 

t 


■^  '        11        * 


Textfig.  4.  Textfig.  ö. 

Kiite,   11.  Tag;   ünke  vordere  Extremität,  clor-      Kiite,   10.  Tag;  linke  vordere  Extremität,  dor- 
sal gelegener  Schnitt.     25mal  vergr.  sal  gelegener  Schnitt  derselben  Serie  wie  Text- 

figiir  6.    •25mal  vergr. 

Carpusanlage  scharf  getrennt.  Besonders  am  9.  und  10.  Tage  tritt  in 
ihm  eine  helle,  bei  schwacher  Vergrößerung  sehr  deutlich  in  den  mehr 
dorsalen  Schnitten  bemerkbare  Stelle  auf  (Textfig.  4  und  5  mit  X  be- 
zeichnete Stelle).  Sie  erinnert  sehr  in  ihrer  Lage  am  Ulnare  an  den 
großen  Spalt,  der  sich  im  Carpus  der  Krokodile  zwischen  den  beiden 
langen  proximalen  Handwurzelknochen  findet  und  durch  welchen  der 
Ramus  dorsalis  der  Art.  interossea  auf  die  dorsale  Seite  der  Hand  kommt. 
Ich  habe  an  der  Stelle  kein  Gefäß  durchtreten  sehen,  glaube  aber,  daß 
sie  dem  in  der  Phylogenese  verloren  gegangenen  Foramen  carpi  ent- 
spricht.    Radial  von  dieser  das  Ulnare  scharf  einfassenden  Zellplatte 


274  •  Felix  iSieglbauer. 

kommt  nun  der  centrale,  noch  vorknorpelige  Teil  des  Carpus,  der  mii- 
die  größten  Schwierigkeiten  in  der  Deutung  bereitet  hat  und  den  icli 
nur  durch  die  Befunde  beim  Pinguin  einigermaßen  in  seine  Bestandteile 
aufzulösen  vermochte.  Zwischen  Ulna  und  Metacarpus  III  ist  eine  pro- 
chondrale  Masse  eingeschoben,  die  sich,  wie  bereits  hervorgehoben  wurde, 
oegen  das  Ulnare  scharf  begrenzt  und  ueiien  die  noch  zu  beschreibende 
Anlage  des  Radiale  vuid  Intermedium  etwas  dorsal  verschoben  er- 
scheint. Eine  an  Zellkernen  dichtere  Stelle  trennt  die  Masse  in  einen 
proximalen  Streifen,  der  bis  gegen  das  rudimentäre  Foramen  carpi  und 
das  Ulnare  reicht  und  einen  distalen  breiteren,  der  mit  der  Anlage  des 
vierten  und  fünften  Basale  zusammenhängt.  Den  letzteren  halte  ich  für 
die  Anlage  des  zweiten  und  dritten  Basale  und  das  nun  zwischen  drittem 
Basale  und  Ulna  eingeschlossene  Stück  prochondralen  Gewebes  für  das 
Centrale.  Norsa  bezeichnet  diese  prochondrale  Anlage  als  Centrale  2, 
indem  sie  vom  Hatteria-CsiTpus  ausgehend  auch  im  Carpus  des  Vogels 
zwei  Centralia  sucht.  Sie  setzt  das  Centrale  1  randständig  in  den 
eigentümlich  scharf  begrenzten  Knorpelkern,  der  später  noch  als  Radiale 
beschrieben  werden  soll.  Die  rudimentäre  Hand  des  Vogels  gestattet 
nicht  auf  die  so  schwierige  Frage  einzugehen,  ob  ein  oder  mehrere 
Centralia  ursprünglich  sind,  eine  Frage,  die  aufs  engste  mit  der  Ab- 
leitung der  Extremitäten  im  allgemeinen  von  einer  Oligo-  oder  von  einer 
polydactylen  Urform  verknüpft  ist.  Ich  möchte  hier  bezüglich  des 
als  Vergleichsobjekt  von  Norsa  gewählten  Hattena-Ca,Y]i\is  betonen, 
daß  Rabl  die  Vermehrung  der  Centralia  mit  der  Verbreiterung  des 
Carpus  in  Zusammenhang  bringt. 

Nun  gibt  Norsa  an  und  bildet  es  in  ihrem  Schema  auch  ab,  daß 
sich  dieses  Centrale  dorsal  über  das  Basale  III  bis  zum  Metacarpale  III 
hinschiebt.  Ich  habe  eine  solche  Größe  des  Centrale  nicht  erkennen 
können,  wohl  aber  ist  die  Anlage  desselben  gegen  das  Intermedioradiale 
und  Basale  III  dorsal  verschoben,  was  besonders  an  Sagittalschnitten 
zu  sehen  ist  und  sich  aus  der  Wirkung  der  ulnaren  Abduktion  ebenso 
wie  die  Verschiebung  des  Ulnare  erklären  läßt.  Aus  dem  gleichen 
Grunde  ist  es  verständlich,  daß  das  Centrale  mit  der  Ulna  scheinbar 
in  direkte  Verbindung  kommt,  wemi  man  von  dem  dichten  Gewebs- 
streifen  absieht,  der.  das  Centrale  von  der  Ulna  trennend,  eine  A^er- 
bindung  zwischen  Intermedium  und  Ulnare  herstellt.  Das  Intermedium 
ist  gleichsam  durch  die  Druckwirkung  der  ulnaren  Abduktion  breit- 
gequetscht worden  und  hat  sich  nur  zwischen  Radius  und  Ulna  erhalten, 
während  der  mit  der  Verschiebung  des  Ulnare  noch  verlängerte  Streifen 
bindegewebig  bleibt  und  in  der  weiteren  Entwicklung  zum  Lig.  carpi- 


Zur   KutwicUluiiLr  dor  Vo^olt^xln-iiiital.  275 

internum  wird,  das  für  den  Mechanismus  des  Haiidiielenkes  einen  zwi- 
schen Ulna  und  Carpometacarpus  einiicschobenen  Meniscus  bedeutet. 
Dadurch  wird  der  Carpus  in  proximodistaler  Richtung  immer  schmäler, 
vor  allem  im  ulnaren  Teil,  bis  zuletzt,  abgesehen  von  den  mit  dem 
Metacarpus  verschmelzenden  Basalia,  nichts  von  den  typischen  Hand- 
wurzelknochen übrig  bleibt  und  das  anfangs  randständige  Pisiforme 
als  Ersatz  in  die  Bildung  der  Handwmzol  eintritt. 

Viel  deutlicher  als  der  centrale  Teil  des  Carpus  ist  nun  der  ladiale 
Teil  differenziert,  indem  hier  der  zweite  deutliche  Knorpelkern  des 
Carpus,  eine  gxoße  rundliche  Masse  hyaliner  Grundsubstanz,  aufge- 
treten ist,  die  distal  vom  Radius  in  dem  Gewebshöcker  liegt,  der  in 
jungen  Stadien  als  erste  radiale  Fingeranlage  erscheint.  Der  Knorpel- 
kern springt  auch  jetzt  noch  mit  konvexem  Rand  stark  radial  vor 
und  bleibt  dauernd  als  umschriebener  Herd  auch  in  den  folgenden  Sta- 
dien gut  begrenzt.  An  ihn  schließt  sich  ulnar  die  Anlage  des  Centrale 
vor  allem  an  und  prochondrales  Gewebe,  das  sich  keilförmig  zwischen 
das  distale  Radius-  und  Ulnaende  einschiebt.  Ich  halte  den  Knorpel- 
kern für  das  Radiale  und  das  keilförmige  Stück  für  das  Intermedium, 
das  bei  den  Vögeln  ebenso  rudimentär  wie  bei  den  Lacertilia  auftritt  i. 
Radiale  und  Intermedium  zusammen  sind  die  Grundlage  für  den 
radialen  Handwurzelknochen  des  erwachsenen  Flügels.  Schon  Parüer 
hat  die  Auffassung  des  radialen  Handwurzelknochens  der  Vögel  als 
eines  Intermedioradiale  vertreten  und  die  beiden  Bestandteile  bei 
Ofisthocomus,  Fnlco  tinunculus  und  Gallus  gesehen.  Leighton  hat  bei 
Sterna  Wilsoni  gleiche  Verhältnisse  gefunden  und  sie  in  gleichem 
Sinne  gedeutet. 

NoESA  glaubt  in  dem  deutlich  begrenzten  Knorpelkern  ein  Centrale, 
sie  nennt  es  Centrale  1,  erkennen  zu  kömien  und  findet  das  Radiale 
als  ein  schmales,  keilförmiges  Stück  zwischen  diesem  Centrale  und 
dem  distalen  Radiusende.  Das  Intermedium  setzt  sie  an  die  angegebene 
Stelle  und  bezeichnet  als  Ulnare  den  schmalen  Gewebsstreifen  zwischen 
Ulna  und  Centrale,  aus  welchem  später  das  Lig.  carpi  internum  hervor- 
geht. Das  eigentliche  Ulnare  hat  sie  nicht  erkannt,  obwohl  es  auch 
beim  Huhn  vorhanden,  allerdings  viel  schwieriger  als  bei  der  Ente 
aufzufinden  ist. 

Es  sei  noch  hervoigehoben ,  daß  auch  Gegenbaur,  Rosenberg 
und    Zehntner    in    dem    radialen   Handwurzelknochen    das  Radiale 

1  Daß  dieses  Stück  des  radialen  Knorpels  wirklich  einem  Interniediuui 
entspricht,  ist  vor  allem  daraus  nach  Rabl  zu  erkennen,  daß  es  nicht  nur  den 
Radius,  sondern  auch  die  Ulna  mit  einer  ziemlich  breiten  Fläche  berührt. 


276  Felix  vSieglbaueT', 

erblicken.  Zehntner  meint,  daß  es  mit  dem  Centrale  verl^unden  ist, 
während  das  Intermedium  mit  dem  Ulnare  zum  ulnaren  Handwurzel- 
knochen  verbunden  sein  soll.  Er  behält  sich  selbst  für  diese  Deutung 
noch  weitere  Untersuchungen  vor. 

Das  frühzeitige  Auftreten  des  Knorpelkernes  im  Radiale  und  seine 
beträchtliche  Größe  ist  vielleicht  so  zu  erklären,  daß  der  radiale  Hand- 
wurzelknochen, der  durch  die  ulnare  Abduktion  der  Hand  viel  Raum 

zu   seiner  Entwicklung   bekommen 

hat,  unter  der  Druckwiikung  zweier 

i  für  die  Bewegung  der  Hand  wich- 

I  ^-  tiger  Muskeln  steht.    Erstens  stellt 

I  \;  ,  er  den  Hebelpunkt   für  die  starke 

I  f^  Sehne    des   M.  extensor    metacarpi 

•  /       \  ;'  radialis  (Hoffmann)  dar,  des  stärk- 

■  j-rjTL^  -  ^  sten    Antagonisten    des    M.    flexor 

i      ■  I  carpiulnaris,    des    ulnaren    Abduc- 

K  /  ^  -i  ^^^- 

jr-r-^---  ^ -'    \  tors  des  Handgelenkes  und  Beugers 

J  *- '  -  \      TT  "  " 

I  ""'\  des  Ellbogengelenkes.  Zugleich  ver- 

bindet sich  die  antagonistische 
radiale  Randbewegung  des  M.  ex- 
tensor metacarpi  radialis,  der  wohl 
einem  M.  extensor  carpi  radialis  lon- 
gus  seiner  Lage  und  seinem  Ur- 
1  y  I  ^.__i         Sprung   nach   entspricht,   mit  einer 

Spreizwirkung      der     Handschwin- 
Textfio-.  6.  S'®^^-     ^i^   Sehne  gräbt  eine  breite 

Elite,  10.  Tag;  linke,  vordere  Extremität;  volar     Fm"che    an    der    dorsaleil    Seite    dcS 
gelegener  schnitt  derselben  Serie  wTextfig.  5.     j^^dius    und    des    Radiale.      An   der 
25nial  vergr. 

volaren  Seite  und  am  distalen  Rande 
des  radialen  Handwurzelknochens  ist  eine  schmälere,  aber  auch  tiefe 
Furche  von  der  Sehne  des  M.  ulnimetacarpalis  volaris,  eines  das  distale 
Ulnaende  volar  bedeckenden  Muskels,  den  ich  für  das  Homologon  des 
M.  ulnacarpalis  bei  den  Schildkröten  halte.  Bei  den  Schildkröten  und 
bei  den  Vögeln  liegt  der  Muskel  volar  von  dem  ihn  versorgenden  N. 
interosseus  (die  meisten  Autoren  nennen  den  Nerv  N.  medianus). 
Diese  Lage  und  Innervation  läßt  das  Homologon  des  M.  pronator  qua- 
dratus  der  Säugetiere  in  dem  M.  ulnacarpalis  erkennen. 

Bei  den  Schildkröten  setzt  er  an  der  volaren  Seite  aller  Basalia 
und  mit  einer  starken  Sehne  an  der  Basis  des  ersten  Metacarpus  an, 
bei  den  Vögeln  fehlt  der  Ansatz  an  den  Basalia,  imd  die  Endsehne  geht, 


1 


Zur   l'iiitw  irkhmtr  dor  \'of»(>loxtr(Mnit;it.  '211 

da  der  erste  Finger  fehlt,  um  das  luterniedioradiale  distal  herum  und, 
gedeckt  von  der  Sehne  des  M.  extensor  metacarpi  radialis'  auf  die 
dorsale  Seite  des  dritten  Basale,  um  hier  anzusetzen.  So  kommt  die 
Sehne  des  rein  volaren  Muskels  infolge  Fehlens  des  ersten  Fingers 
zwischen  Radius  und  der  Tuberositas  nietacarj)i  II  hindurch  auf  die 
dorsale  Seite  des  Carpus.  Der  Muskel  ist  ein  Synergist  des  M.  extensor 
metacarpi  radialis,  und  auch  für  seine  Sehne  ist  dei-  ladiale  Hand- 
wurzelknochen Hebelpunkt.  Und  weiter  ist  nicht  zu  übersehen,  daß 
sich  bei  vielen  Carinaten  ein  Sesambein,  das  bei  den  Eulen  z.  B.  voll- 
kommen verknöchert,  in  die  Sehne  des  M.  propatagialis  longus  ein- 
schalten kann,  das  gleichfalls  am  Außenrande  des  radialen  Handwurzel- 
knochens Lager  und  Halt  findet. 

Noch  ein  Knorpel  ist  in  dieser  Zeit  entwickelt.  Er  liegt  nach  außen 
von  der  ülna,  etwas  proximal  und  vollkommen  palmai"  vom  Ulnare, 
dasselbe  zugleich  etwas  ulnar  überragend.  Norsa  hat  ihn  zuerst  als 
Pisiforme  erkannt.  Das  bedeutet  in  der  Auffassung  des  Vogelcarpus 
einen  großen  Schritt  vorwärts.  Gegenbaur  hat  das  Pisiforme  nicht 
zu  den  kanonischen  Elementen  des  Carpus  gezählt,  sondern  in  die 
accessorischen  Elemente  eingereiht i.  Vielfach  wird  es  als  ein  rudi- 
mentärer Strahl,  als  ein  Postminimus  im  Sinne  Baedelebens  auf- 
gefaßt. Norsa  hat  im  Anschluß  an  Emery  mit  allem  Nachdruck  betont, 
daß  das  Pisiforme  in  seiner  palmaren  Lage  einen  typischen  Bestand- 
teil der  Handwurzel  eines  dactylopoden  Wirbeltieres  bilde  und  daß 
aus  ihm  beim  Vogel  der  ulnare  der  beiden  Handwurzelknochen  hervor- 
geht. Diese  Auffassung  ist  vollkommen  richtig,  und  das  überraschende 
Resultat,  daß  das  Pisiforme  zu  einem  so  wichtigen  Bestandteil  der 
Handwurzel  werden  soll,  erklärt  wohl,  warum  sich  die  neueren  J^ehr- 
bücher  der  vergleichenden  Anatomie  so  abweisend  gegen  diese  Auf- 
fassung verhalten  haben.  Wenn  man  die  funktionelle  Bedeutung  ins 
Auge  faßt,  die  das  Pisiforme  im  Gelenkmechanismus  des  Flügels  hat, 
dann  läßt  sich  auch  vom  physioloischen  Standpunkt  aus  diese  Auf- 
fassung des  ulnaren  Handwurzelknochens  stützen. 

Die  Hauptbewegung  im  Handgelenk  des  Vogelflügels  ist,  abge- 
sehen von  geringen  Drehbewegungen,  die  ulnare  Abduktion  und  die 

1  Wühl  aber  hält  Gegenbaur  das  Pisiforme  für  ein  sehr  altes  Carpalelement, 
das  seine  Konservation  hauptsächlich  der  Einlagerung  in  die  Sehne  des  M.  ulnaris 
internus  verdankt.  Fürbringer  rechnet  das  Pisiforme  zu  den  skeletogenen 
Sesamkörpern,  »Sesamgebilde,  welche  aus  ursprünglich  bedeutsamen,  weiterhin 
aber  einem  regressiven  Prozeß  verfallenden  Skeletelementen  hervorgegangen 
sind «. 


278  Felix  Sieglbauer, 

ihr  lückläufige  Bewegung,  die  nicht  bis  zur  vollkommenen  Aufhebung 
dieser  Abduktionsstellung  möglich  ist.  Schon  früher  wurde  erwähnt, 
daß  diese  Bewegmigen  durch  das  eigentümliche  Schiebegelenk  zwischen 
Radius  und  Ulna  zwangsweise  verbunden  sind  mit  der  Beugung  und 
Streckung  des  Ellbogengelenkes.  Die  Muskeln,  welche  diese  ulnare 
Abduktion  beherrschen,  sind  der  M.  flexor  carpi  ulnaris  und  sein  Anta- 
gonist, der  M.  extensor  metacarpi  radialis  (Hoffmann).  Der  erstere 
setzt,  wie  überall,  wo  ein  Pisiforme  gut  ausgebildet  ist,  an  demselben 
an.  Das  Pisiforme  articuliert  einerseits  mit  der  Ulna,  anderseits 
durch  eine  schienenartige  i  Gelenkverbindung  mit  dem  ulnaren  Rande 
des  Carpometacarpus.  Der  letztere  steckt  wie  in  einer  Scheide  mit 
seinem  Außenrande  in  dem  Pisiforme.  So  wird  schon  durch  die  Ge- 
lenkverbindung verhindert,  daß  der  Luftdruck,  der  vermittels  der 
Schwungfedern  wie  mit  mächtigen  Hebeln  an  dem  Handgelenk  wirkt, 
dasselbe  durch  Auswärtsdrehen  luxiert  oder  zerreißt.  Starke  Bänder 
sichern  weiter  das  Gelenk,  und  vom  M.  flexor  carpi  ulnaris  wird  schon 
von  Prechtl  angegeben,  daß  er  vor  allem  zum  Schutze  des  Hand- 
gelenkes zu  dienen  habe.  Er  ist  in  eine  derbe  Fascie  eingehüllt,  die 
mit  dem  starken  Lig.  humeroulnare,  eigentlich  humeropisiforme,  dem 
rudimentären  sehnigen  Teil  des  M.  flex.  digit.  subl.  verschmilzt.  An 
der  Fascie  sind  die  Armschwingen  mit  ihren  Kielen  befestigt.  Wie 
mächtig  der  Druck  der  Federkiele  der  Schwungfedern  beim  Fluge  auf 
den  als  Unterlage  dienenden  Knochen  ist,  zeigen  die  Riefen  am  Außen- 
rande der  Ulna,  die  bei  vielen  Vögeln  stark  ausgebildet  wie  Gelenk- 
gTuben  für  die  Federkiele  erscheinen.  Der  M.  flex.  carpi  ulnaris  faltet 
bei  seiner  Zusammenziehung  durch  die  ihn  bedeckende  Fascie  die 
Schwungfedern  des  Unterarmes  in  der  Art,  daß  er  die  vorderen  unter 
die  hinteren  schiebt. 

Der  Muskelbauch  des  M.  flex.  digitorum  sublimis  ist  bei  den  meisten 
Vögeln  verloren  gegangen  oder  an  seiner  Oberfläche  in  einen  sehr 
starken  Bandzug  lungewandelt,  der  vom  ulnaren  Epicondylus  humeri 
zur  volaren  Fläche  des  Os  pisiforme  (Proc.  uncinatus)  führt,  das  Lig. 
humeroulnare  volare  der  Autoren. 

Gadow  bemerkt,  daß  die  Elastizität  des  Bandes  allein  Hand  und 
Flügel  in  Beugestellung  zu  halten  vermag  und  daß  seine  bei  der  ober- 
flächlichen Lage  leichte  Durchschneidung  die  grausame  Flügel  Ver- 
stümmelung unnötig  machen  würde,  welche  für  Vögel  in  der  Gefangen- 
schaft angewendet  wird.     Der  Muskelbauch  selbst  ist  bei  der  Ente 

1  Die  Schiene  wird  durch  einen  Fortsatz  erzeugt,  den  das  Pisiforme  volar- 
wärts  entsendet  und  der  in  der  Literatur  als  Processus  uncinatus  angeführt  wird. 


Zur  Kntw  ickluiiü;  der  Voarelcxtrcmilät. 


27!) 


i2;anz  uubedeuteiid  luul,  vollkoiiiiucn  bedeckt  vom  Lijj;.  liuiucioiilnare, 
an  der  radialen  Seite  des  M.  flex.  carpi  nlnaris  gelegen  und  zum  Teil 
mit  ihm  fest  verbunden.  Daß  das  Band  nm-  einen  Teil  der  Fascie 
des  M.  flex.  carpi  ulnaris  bildet,  wurde  oben  erwähnt.  Das  Band  setzt 
an  der  volaren  und  radialen  Seite  des  Pisiforme  (Proc.  uncin.)  an  und 
deckt  eine  schmale  Sehne,  die  einzige  Fingersehne,  welche  der  rudi- 
mentäre M.  flex.  digit.  subl.  zum  dritten  Finger  entsendet.     Sie  liegt 


N.u 


ulnar 


Ram.  eilt. 

-  ^^ 

"^^ 

Flex.c.u.- 

-.    / 

Pisiforme 

.  subl.  III.- 

^  /'    ^:^ 

N.U.. 

o--':^ 

volar      ^Z';,~r^~^^ 
Flex.  Prof.  III.  -  y  "^^v.,. 


N.int.-'\ 


/,- 


Metac.III. 

--  A.int.d. 


Metac.  u. 
Tuber  metac.  II. 


radial 

Textfig,  7. 
Ente,  15.  Tag;    Querschnitt    durch    den  rechten   Carpometacarpus  in  der  Höhe  des  Proc.  ixtusc. 
Metacarpi  III  (recte  Os.  basal  4).    Abk.:  Flex.c.u.,  Flexor  carpi  ulnaris;  Ext-c.u.,  Extensor  carpi 
ulnaris;    Flex.subl.III,   dritte  Fingersehne   des  M.  Flexor   digit.  sublimis;    Flex.prof.III,   dritte 
Fingersehne  des  M.   Flexor  digit.  profundus;  Proc.,  Processus  muscularis  metacarpi  III   (reet^ 

ossis  basalis  4). 


in  ihrem  weiteren  Verlaufe   durch   Bandmassen  festgehalten    in   der 
Furche  an  der  radialen  Seite  des  Proc.  imcinatus  oss.  pisifor. 

Topographisch  sei  noch  angegeben,  daß  der  N.  interosseus  (Media- 
nus der  Autoren)  unmittelbar  radial  neben  der  Fingersehne  des  M. 
flexor  digit.  sublimis  verläuft,  was  am  Querschnitt  (Textfig.  7)  ebenso 
zu  sehen  ist,  wie  die  Lage  der  einzigen  Fingersehne  des  M.  flex.  digit. 
profundus,  eines  starken  Unterarmmuskels  zum  Process.  muscularis 
metacarpi  III.  Dieser  bei  manchen  Vögeln,  z.  B.  Gallinacei,  Rapta- 
tores,  stark  ausgebildete  Höcker  gibt  den  Hebelpunkt  für  die  Sehne 
des  tiefen  Fingerbeugers  ab,  und  hat  dieser  Ursache  wohl  auch  seine 
Entstehung  zu  verdanken. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  19 


280  Felix  Sieglbauer, 

Für  das  Pisiforme  und  seine  funktionelle  Bedeutunji  kommen 
noch  mächtige  Bandmassen  an  der  volaren  Seite  des  Carpus  hinzu. 
Seine  palmare  Seite  ist  zunächst  mit  dem  distalen  Radiusende  durch 
eine  Bandmasse  verbunden,  welche  die  Beugesehnen  überbrückt  und 
festhält.  Ferner  strahlen  von  ihm  —  und  das  ist  von  besonderer 
Wichtigkeit  drei  aponeurotische  Bandzüge  aus  gegen  den  ulnaren 
Rand  des  dritten  Metacarpus.  Sie  bedecken  den  M.  ulnametacarpalis 
dorsalis  von  der  volaren  Seite  und  sind  mit  den  mächtigen  Hand- 
schwingen fest  verwachsen. 

Rechnet  man  noch  hinzu,  daß  das  Lig.  carpi  internum  das  Pisi- 
forme an  das  Intermedioradiale  heftet,  so  kann  man  der  ganzen  Schilde- 
rung, wie  ich  glaube,  entnehmen,  daß  es  richtig  im  Centrum  all  der  auf 
das  Handgelenk  einwirkenden  Kräfte  steht. 

Nach  dieser  langen  Abschweifung,  die  durch  die  Bedeutung,  welche 
das  Pisiforme  in  der  Handwurzel  der  Vögel  hat,  gerechtfertigt  er- 
scheinti,  kehre  ich  zur  Beschreibung  der  Taf.  XIII,  Fig.  4,  zurück. 
Die  vier  Metacarpalia  sind  alle  knorpelig.  Sie  zeigen  in  ihrer  Richtung 
noch  eine  leichte  Divergenz  in  Erinnerung  an  die  Vorfahren  von 
eidechsenähnlichem  Habitus.  Das  radiale  Metacarpale  ist  sehr  kurz, 
ebenso  die  ihm  zugehörige  Fingeranlage.  Im  dritten  und  vierten  Finger 
ist  je  eine  proximale  Phalange  entwickelt.  Während  das  skeletogene 
Gewebe  des  dritten  Fingers  an  der  Spitze  gegen  die  Randvene  scharf 
abgegTenzt  erscheint,  geht  die  des  vierten  Fingers  dorsal  über  die 
Randvene  hinweg  kontinuierlich  in  die  Cutisanlage  der  Haut  über. 
Gleiches  gilt  auch  für  die  ganz  kurze  fünfte  Fingeranlage,  nm'  geht  sie 
palmar  von  der  Randvene  Hochstetters  hinweg.  Ich  habe  ähnliches 
auch  an  der  vierten  Zehe  des  Fußes  gesehen.  Die  vierte  Fingeranlage 
erscheint  durch  diese  Randverbindung  länger  als  die  dritte,  und  doch 
ist  ihr  Metacarpale  bedeutend  schwächer,  die  proximale  Phalange  viel 
kleiner  als  am  dritten,  ein  Zeichen  des  schon  jetzt  einsetzenden  Rudi- 
mentärbleibens des  vierten  Fingers.  Das  knorpelige  fünfte  Metatarsale, 
das  Rosenberg  ebenso  wie  die  Basalia  an  der  Vogelhand  entdeckte, 
stellt  einen  kleinen  Knorpelstab  dar,  der  distal  vom  Basale  4  und  5 
gelegen  ist  in  einiger  Entfernung  vom  vierten  Metacarpale.  Er  liegt 
eingebettet  in  das  das  Pisiforme  umgebende  Perichondrium. 


1  Bei  den  Ratiteu  ist  im  Gegensatz  zu  den  Carinaten  das  Pisiforme  klein 
oder  kann  ganz  fehlen  Avie  bei  Aptery.v  anstralis  vind  Oweni.  Da  die  Flügel  bei  den 
Ratiten  wenig  oder  gar  nicht  in  Funktion  treten,  so  ist  auch  damit  die  Bedeutung 
gekennzeichnet,  die  das  Pisiforme  im  Carinatenflügel  besitzt. 


Zur  Entwiokhiim  der  X'oiiok'xtr.^mitä'..  281 

9.  Tag.     Fig.  5,  Taf.  XIII. 

Die  unregelmäßig  vierseitige  Form  der  Handplatte  ist  noch  er- 
halten. In  der  Ausbildung  der  Carpalelemente  ist  insofern  der  Höhe- 
punkt erreicht,  als  sich  von  nun  an  regressive  Veränderungen  in  Form 
von  Eückbildung  und  Verschmelzung  einzelner  Carpalia  bemerkbar 
machen.  Das  Ulnare  stellt  einen  ovalen  Knoipelkern  dar,  der  sich 
gegen  das  Basale  4  und  5  deutlich  abgrenzt  und  nach  außen  von  dem 
distalen  Uinaende  gelegen  ist.  Radial  trennt  ihn  ein  hellerer  Ge- 
websstreifen  vom  Centrale.  Zugleich  liegt  das  Ulnare  dorsal  vom 
Pisiforme. 

In  dieser  Lage  wurde  es  von  Zehntner  bei  Cyfselus  melba  erkannt. 
Die  Angabe  wurde  dann  von  Norsa  in  Zweifel  gezogen,  vielleicht  weil 
Zehntner  über  den  palmar  liegenden  Knorpelkern  des  Pisiforme  keine 
weiteren  Angaben  machte.  Er  hält  den  ulnaren  Carpalknochen  des 
erwachsenen  Tieres  für  ein  Intermedioulnare,  ähnlich  wie  Gegenbaur 
und  Rosenberg.  Während  aber  die  beiden  letzteren  den  radialen  der 
bleibenden  Handwurzelknochen  als  einfaches  Radiale  auffassen,  sucht 
Zehntner  in  ihm  noch  ein  Centrale.  Er  gibt  ausdrücldich  an,  daß  er 
in  der  Deutung  der  beiden  Carpalia  sich  noch  weitere  Untersuchungen 
vorbehalte. 

Norsa  hat  das  eigentliche  Ulnare  gar  nicht  gefunden.  Sie  erwähnt 
dessen  Zusammenhang  mit  den  Basalia  4  und  5  nicht  und  hält  das 
Lig.  carpi  internum  für  das  Ulnare.  In  der  ganzen  Entwicklung  ist  das 
Ulnare  nie  an  der  Stelle  des  faserigen  Meniscus  des  Lig.  carpi  internum 
gelegen,  sondern  immer  ulnar  nach  außen  davon. 

Leighton  hat  bei  Sterna  Wilsoni  zuerst  angegeben,  daß  der  Knorpel- 
kern im  Ulnare  am  frühesten  auftrete.  Er  hält  aber  diesen  Knorpelkern 
zusammen  mit  dem  Pisiforme  anfangs  für  ein  einheitliches  Stück  von 
keilförmiger  Gestalt,  das  dann  in  ein  proximales  und  in  ein  distales 
Stück  zerfällt,  von  denen  das  erstere  das  letztere  im  Wachstum  stark 
überflügelt.  Aus  der  Beschreibung  des  Wachstums  ist  zu  erkennen, 
daß  er  die  beiden  Knorpelkerne  des  Ulnare  und  Pisiforme  bei  Sterna 
Wilsoni  deutlich  gesehen  hat.  Nur  ist  seine  Deutung  insofern  un- 
richtig, als  er  in  den  beiden  Knorpeln  wie  Parker  ein  Ulnare-Centrale 
sieht.  Und  zwar  hat  er  wohl  das  Pisiforme  für  das  Centrale  gehalten, 
denn  vom  Ulnare  gibt  er  ganz  richtig  an,  daß  es  durch  den  Druck 
der  ulnaren  Abduktion  kleiner  geworden  ist. 

Bezüglich  der  übrigen  Anlage  der  Carpalia  hat  sich  gegen  das 
vorhergehende  Stadium  nicht  viel  geändert.  Nur  das  Basale  II  hat 
sich  von  dem  viel  breiteren  Metacarpale  II  deutlich  gesondert.     Im 

19* 


282  Felix  iSieglbauer, 

vierten  und  fünften  Basale  findet  sich  ein  deutlicher  Knorpelkern, 
noch  nicht  im  dritten  und  nicht  im  zweiten.  Von  den  Metacarpalia 
sei  nur  der  zweite  hervorgehoben.  An  der  radialen  Seite  seiner  Basis 
beginnt  nun  die  Entwicklung  des  Höckers,  an  welchem  die  Sehne  des 
starken  M.  extensor  metacarpi  radialis  (Hoffmann)  ansetzt.  Dadurch 
bekommt  der  Mittelhandknochen  die  Form,  die  er  schon  bei  der 
Ärchaeopteryx  besitzt,  bei  der  die  drei  Metacarpalia  noch  beweglich 
waren.  Der  Höcker  ist  eine  funktionelle  Anpassung  an  den  Zug  des 
kräftigsten  Antagonisten  des  M.  flexor  carpi  ulnaris.  Der  M.  extensor 
metacarpi  radialis  bewirkt,  das  Intermedioradiale  als  Hebelpunkt  be- 
nutzend, die  Streckung  des  Flügels  und  damit  das  Ausbreiten  der 
Handschwingen.  Ich  glaube  nicht,  daß  er,  wie  manche  Untersucher, 
z.  B.  Parker,  meinen,  ein  Präpollex  oder  nach  Norsa  ein  Pollex- 
rudiment  darstellt.  Die  starke  Entwicklung  des  Höckers  am  kurzen 
Metacarpale,  z.  B.  der  Raptatores,  der  Psittaci  legt  den  Gedanken  an 
ein  Fingerrudiment  ja  nahe.  Funktionelle  Anpassung,  wohl  durch 
geschlechtliche  Zuchtwahl,  ist  es  auch,  wenn  sich  dieser  Höcker  beim 
südamerikanischen  Hirtenvogel  {Chauna  chavaria)  zu  einem  mächtigen 
Sporn  entwickelt,  wie  sich  ein  ähnlicher  auch  an  der  palmaren  Seite 
des  distalen  Endes  des  verwachsenen  dritten  und  vierten  Metacarpale 
findet.  Der  Sporn  muß  nicht,  wenn  er  auftritt,  immer  an  derselben 
Stelle  auftreten  wie  die  Sporengans  (Plectropterus)  zeigt,  bei  der  das 
Intermedioradiale  in  einen  starken  nach  vorn  gerichteten  Sporn  aus- 
gezogen ist. 

10.  Tag.     Taf.  XIII,  Fig.  6. 

Die  Handanlage  läßt  immer  deutlicher  den  werdenden  Flügel  er- 
kennen. Dadurch,  daß  die  distalen  Enden  von  Radius  und  Ulna,  die 
anfangs  auseinander  wichen,  sich  nähern  —  mit  der  Annäherung  hängt 
die  konvexe  Krümmung  der  Ulna  zusammen  — .  verschmälert  sich  die 
Gegend  der  Handwm'zel. 

Durch  die  Verlängerung  der  Mittelhandknochen,  vor  allem  des 
dritten  und  vierten,  und  durch  ihre  zunehmende  Parallelstellung  wird 
die  Handanlage  schmal  und  lang.  Ihr  Rand  zeigt  große  Veränderungen. 
Während  ihr  radialer  Rand  früher  noch  nach  außen  abbog,  geht  er 
nun  in  der  Fortsetzung  des  Unterarmrandes  glatt  fort.  An  der  Spitze 
des  zweiten  Fingers  aber  schneidet  er  tief  in  die  Handanlage  ein  und 
läßt,  durch  eine  schmale  Schwimmhautanlage  mit  der  übrigen  Hand 
verbunden,  zunächst  die  letzte  Phalange  frei  hervortreten.  Später 
wird  auch  die  Grundphalange  des  zweiten  Fingers  in  diesen  radialen 


Zur  KiUw  ic-khincr  «lor  V(>;jrcl(>\ln  niität.  283 

klemereii  Teil  der  Handanlage  aufgenonuuoii.  Indem  dann  die  beiden 
Phalanoen  oleiclisani  in  Kompensation  zur  ulnaren  Abduktion  gesell 
ihre  Metacarpalia  immer  mehr  in  die  radiale  Abduktionsstelluni!;  ge- 
langen.  bekommt  dieser  Finoor  eine  solche  Ausnahmestellung;  zur 
übrigen  Hand,  daß  man  sich  nur  schwei'  von  der  Vorstellung  frei- 
machen kann,  hier  nicht  den  Daumen  einer  fünflingerigen  Hand  vor 
sich  zu  haben.  Die  Ausbildung  und  Bedeutung  der  Alula  als  Lenk- 
fittich, wie  ihn  Prechtl  aufgefaßt  hat,  hat  wohl  den  beiden  Phalangen 
ihre  Sonderstellung  gegeben.  Das  Metacarpale  reiht  sich  durch  seine 
Verwachsung  den  übrigen  Metacarpalia  ein.  Die  Spitze  des  größeren 
ulnaren  Teües  der  Handanlage,  welche  die  übrigen  drei  Finger  enthält, 
wird  von  den  Endphalangen  des  dritten  Fingers  gebildet.  Der  ulnare 
Band  der  Hand  zeigt,  wenn  wir  von  der  Spitze  des  Flügels  weitergehen, 
zunächst  eine  gut  ausgebildete  Ecke.  Auf  den  Fig.  6  und  7  der  Taf .  XIII 
mit  X  bezeichnet.  Proximal  davon  wölbt  er  einen  stumpfen  Höcker 
vor.  In  letzterem  liegen  die  rudimentären  Phalangen  des  vierten 
Fingers,  während  die  distale  Ecke  eine  rudimentäre  Krallenanlage  dar- 
stellt, an  der  die  Verhornung  früher  einsetzt  als  an  den  Endphalangen 
des  zweiten  und  dritten  Finoersi. 


1  Diese  rudimentäre  Krallenaiilage  am  vierten  Finger,  an  dem  man  noch 
während  der  Ontogenese  eine  Rückbildung  der  Phalangen  und  eine  Reduktion 
ihrer  Zahl  von  3  auf  1  nachweisen  kann,  ist  ein  wichtiger  Beweis  dafür,  daß 
vorhandene  Krallen  nicht  gegen  eine  Verminderung  der  Phalangenzahl  siirechen. 
Es  brauchen  also  die  an  dem  ersten  und  zweiten  Finger  des  Flügels  von  Archae- 
opteryx  und  der  recenten  Vögel  vorhandenen  Phalangen  keineswegs  die  ursprüng- 
liche Zahl  zu  repräsentieren.  Damit  fällt  weiterhin  der  etwa  aus  der  Bekrallung 
und  Phalangenzahl  gezogene  Schluß,  daß  der  erste  und  zweite  Finger  der  Vogel- 
hand (und  auch  schon  der  von  Archaeopteryx)  dem  Daumen  und  Zeigefinger  einer 
pentadactylen  Hand  entsprechen  müssen. 

Eine  sehr  wichtige  Stütze  für  diese  Ansicht  liefert,  wie  ich  glaube,  die  Skelet- 
entwicklung  von  Seps  chalcides  {tridactyla)  wie  sie  Sewertzoff  in  ausgezeichneter 
Weise  gegeben  hat.  Die  vordere  Extremität  — •  nur  auf  sie  soll  hier  Rücksicht 
genommen  werden  —  trägt  drei,  oft  verschieden  große  Krallen.  An  der  Hand  hat 
ein  ausgiebiger  Reduktionsprozeß  stattgefunden,  derart,  daß  der  erste  und  fünfte 
Finger  vollkommen  fehlen  —  beim  Vogel  wird  der  fünfte  noch  deutlich  angelegt  — 
und  die  Phalangenzahl  nur  0,  2,  3,  3,  0  beträgt,  während  sie  bei  den  Autosau- 
riern gewöhnlich  2.  3,  4,  5,  3  {Ascalobotes  und  Tarentola  3,  3,  4,  5,  3)  ausmacht. 
Also  trotzdem  die  Phalangenzahl  reduziert  ist,  haben  sich  Krallen  an  den  End- 
gliedern erhalten.  Wie  bei  den  Vögeln  tritt  auch  bei  Seps  die  Reduktion  der 
Hand  in  zwei  Richtungen  auf:  1)  distoproximal  und  2)  von  den  Rändern  her. 
Dabei  wird  die  radiale  Seite  stärker  reduziert  als  die  ulnare.  Und  auch  darin 
läßt  sich  eine  Parallele  zwischen  den  Vögeln  und  Sejjs  finden,  daß  der  vierte  Strahl 


284  Eelix  Sieglbauer, 

K.  Paeker.  der  in  ausgezeichneter  Weise  die  Osteologie  der  Vögel 
durchforsclit  liat,  fand  beim  Strauß  neben  den  zwei  bleibenden  Krallen 
noch  im  Bereich  des  ulnaren  Fingers  eine  dritte  rudimentäre  Anlage. 
Nassonow,  der  auch  den  afrikanischen  Strauß  untersuchte,  konnte 
diese  dritte  Krallenanlage  nicht  finden.  Die  rudimentäre  Kralle  am 
Entenflügel  steht  im  guten  Einklang  mit  den  Befunden  Parkers, 
und  sie  erinnert  sofort  an  die  Hand  der  Archaeopteryx,  welche  drei 
wohl  ausgebildete  Krallen  an  den  frei  beweglichen  Fingern  besaß,  mit 
welchen  sie  wohl  ähnlich,  wie  es  Göldi  von  jungen  brasilianischen 
Schopfhühnern  {Ojyisthocomus)  angibt,  an  den  Bäumen  klettern  konnte. 
Die  drei  Krallen,  die  Beschaffenheit,  Form  und  Größe  des  zweiten  Meta- 
carpale  widerlegen,  wie  ich  glaube,  die  Ansicht  C.  H.  Hursts,  daß  die 
drei  Finger  der  Archaeopteryx  nicht  denen  der  Vogelhand  ent- 
sprechen. 

Die  ulnare  Abduktion  beträgt  am  10.  Tage  etwa  150',  ist  also 
schon  ganz  beträchtlich.  Ulna  und  Radius  haben  sich  mit  einer  peri- 
chondralen  Knochenhülse  umgeben.  Die  Ulna  ist  ziemlich  stark  ulnar 
konvex  gebogen.  Dadurch  nähert  sich  ihr  distales  Ende  dem  des 
Radius.  Die  Ausbildung  hyaliner  Grundsubstanz  hat  in  allen  bleibenden 
Skeletelementen  eingesetzt,  und  die  proximalen  Spalten  des  Hand- 
gelenkes sind  an  dem  Hellerwerden  des  Perichondrium  zwischen  Inter- 
medioradiale  und  Radius  einerseits.  Centrale  und  Ulnare  anderseits  zu 
erkennen.  Das  Intermedioradiale  weist  zwei  Knorpelkerne  auf,  von 
welchen  der  radiale  viel  intensiver  gefärbt  ist  als  der  ulnare.  Der  letztere 
entspricht  dem  Intermedium,  von  dem  Mehnert  auch  bei  Struthio 
angibt,  daß  es  sehr  klein  bleibt  und  zuletzt  verknorpelt.  Das  Ulnare 
ist  zu  einem  kleinen  runden  Zellhaufen  zusammengeschrumj^ft,  in  dem 
sich  färberisch  keine  Knorpelgrundsubstanz  mehr  nachweisen  läßt. 
Es  liegt  distal  von  dem  breiter  gewordenen  distalen  Ulnaende  und 
dorsal  vom  Pisiforme  (Textfig.  5  u.  6).  Letzteres  stellt  einen  komma- 
förmigen  Knorpel  dar,  der,  nach  außen  und  volar  vom  distalen  Ulna- 
ende gelegen,  sich  bis  zum  vierten  Basale  nach  abwärts  erstreckt.  Die 
Basalia  sind  zu  einer  Knorpelschale  verbunden,  welche  in  ihre  Höhlung 
die  Basis  des  dritten  Metacarpale  aufnimmt.     Es  zeigt  sich  zwischen 


zuerst  auftritt  und  daß  dei'  fünfte  ,Stiahl  .suv.ohl  an  der  Hand  als  aucli  am  FuIJe 
anfangs  viel  größer  ist  und  dann  in  der  Entwicklung  zurückbleibt. 

Alle  diese  Momente  seien  nur  hervorgehoben,  um  den  .Schlufi  zu  stützen, 
daß  an  der  Vogelhand  nur  der  zweite,  dritte  und  vierte  Finger  orlialten  ge- 
blieben sind. 


Zur   l'Jit\\i(.'klun<^  (Ut  \"ov;t'IPx''t'i" '<••'•  285 

l)ei(len  nie  eine  Aiuloutuno-  einer  dJelenkspaltbildnnu.  In  eigentümlicher 
Weise  verändert  sich  das  Basale  4  und  5.  Es  wächst  entsprechend  der 
tlistalen  Verschiebung  des  vierten  Metacarpale  immer  mehr  in  die 
Länge,  die  Stelle  des  letzteren  einnehmend,  und  bald  wird  es  zu  einem 
Knorpelstab,  den  man  bei  der  ersten  Betrachtung  selbst  füi'  das  Meta- 
carpale halten  könnte.  Und  diese  Wachstumsenergie  entfaltet  das 
Basale  jioch  in  andrer  Richtung.  Dort,  wo  es  an  die  Basis  des  vierten 
Metacarpale  anstößt,  entsendet  es  einen  Fortsatz  radialwärts,  der  volar 
an  der  Basis  des  dritten  Metacarpale  vorbeiwächst,  so  daß  die  Basis 
des  dritten  Metacarpale  wie  in  einem  radial  offenen  Ring  von  der 
ulnaren  Seite  her  eingefaßt  erscheint.  Über  die  morphologische  Be- 
deutung dieses  Fortsatzes  bin  ich  mir  lange  im  unklaren  geblieben. 
K.  Parker,  der  Totalpräparate  untersuchte,  hat  ihn  für  einen  selbstän- 
digen Knorpel  gehalten  und  als  erstes  Basale  aufgefaßt.  Davon  kann 
mit  Rücksicht  auf  seine  Entwicklung  keine  Rede  sein.  Sonst  finde  ich 
niu-  noch  in  der  sorgfältigen  Arbeit  von  Zehntner  und  auch  bei 
NoRSA  den  Fortsatz  abgebildet,  ohne  daß  auf  ihn  weiter  eingegangen 
würde.  Anfangs  glaubte  ich  in  dem  Fortsatz  eine  in  die  Vola  gerückte 
Fingeranlage  erkennen  zu  können.  Ich  meinte,  daß  in  der  Vogelhand 
ein  mittlerer  Finger,  etwa  der  vierte,  in  die  Tiefe  gerückt  sei  durch  den 
Wachstumsdruck  der  ulnaren  Abduktion.  In  mancher  Beziehung 
erinnert  das  an  Tschans  Auffassung  der  Vogelhand.  Er  zählte  die 
Finger  als  1.,  2.  und  4.  Ich  glaube  aber,  daß  der  Fortsatz  in  ähn- 
licher Weise  zu  deuten  ist,  wie  Baur  den  Processus  ascendens  des 
Tritibiale  am  Fuße  der  Vögel  gedeutet  hat,  als  eine  mechanische  Ver- 
festigung zwischen  den  Basalia  und  den  Metacarpalia,  vor  allem  dem 
stärksten,  dem  dritten.  Man  könnte  einwenden,  Metacarpalia  und 
Basalia  verwachsen  ohnehin  zu  einem  einheitlichen  Knochenstück, 
einem  Carpometacarpale.  Es  ist  daher  eine  solche  Verfestigung  nicht 
nötig.  In  der  Phylogenese  sind  aber,  wie  Archaeopteri/x  zeigt,  Stadien 
durchlaufen  worden,  in  welchen  die  Metacarpalia  noch  frei  waren. 
Eventuell  wurde  schon  in  früheren  phylogenetischen  Stadien  dieser 
Fortsatz  ausgebildet  und  diente  zur  Sicherung  des  dritten  Metäcarpus 
in  seinen  Bewegungen.  An  der  erwachsenen  Vogelhand  zieht  in  einer 
tiefen  Furche  an  der  radialen  Seite  des  Fortsatzes  die  starke  Sehne  des 
M.  flex.  digitorum  profundus  zum  dritten  Finger.  Ferner  entspringen 
von  ihm  die  Muse,  interossei,  und  daher  kommt  wohl  die  Bezeichnung 
des  Fortsatzes  als  Processus  muscularis  metacarpi  III  bei  Gadow. 
Er  bildet  den  Hebelpunkt  für  diese  einzige  Sehne,  die  der  M.  flex. 
digitorum    profundus    der     Vögel     überhaupt    besitzt    und    der     als 


286  Felix  Sieglbauer, 

Fingerbeuger  kaum  in  Betracht  kommt,  sondern  zu  einem  Synergist  des 
M.  extensor  metacarpi  radialis  (Gadow)  wird,  indem  er  gerade  infolge 
des  Stützpunktes  an  dem  Höcker  des  Mittelhandknochens  Streckung 
des  Flügels,  also  radiale  Abduktion  im  Handgelenk  und  zugleich  Spreizen 
der  Handschwingen  bewnkt.  Vor  allem  werden  die  großen  fünf  bis 
sechs  letzten  distalen  Handsch^vingen  ausgebreitet  durch  die  radiale 
Abduktion  der  Grundphalangen  des  dritten  und  vierten  Fingers,  welche 
nur  im  Sinne  seitlicher  Randbewegungen,  nicht  der  Beugung  und 
Streckung,  beweglich  sind.  Textfig.  7  läßt  den  volaren  Fortsatz  des 
Basale  4  und  die  Lage  der  beiden  Beugesehnen  des  dritten  Fingers 
erkennen.  Die  Zahl  der  Phalangen  beträgt  in  diesem  Stadium  noch 
zwei  am  zweiten,  drei  am  dritten  und  zwei  am  vierten  Finger.  Dabei 
ist  die  zweite  am  vierten  Finger  ein  kleiner,  sehr  vergänglicher  Knorpel- 
kern, von  dem  aus  sich  die  Fingeranlage  noch  weiter  erstreckt  und 
nur  undeutlich  ausgebildet  eine  Gruppierung  der  Zellkerne  zu  einer 
dritten  Phalangenanlage  erkennen  läßt. 

11.  und  12.  Tag.     Taf.  XIII,  Fig.  G  und  7. 

In  der  äußeren  Form  ist  weitere  Zunahme  der  ulnaren  Abduktion 
auf  126°  festzustellen.  Die  Endphalangen  des  zweiten  und  dritten 
Fingers  umgeben  sich  mit  einer  Hornkappe  und  setzen  sich  durch  eine 
leichte  Einschnüruno  gegen  die  übrige  Fingeranlage  ab.  Der  ulnare 
Rand  von  Unterarm  und  Hand  ist  mit  Cutispapillen  besetzt,  die  die 
Anlage  der  Federn,  vor  allem  der  Hand  und  Armschwingen,  bilden. 
Es  treten  ähnlich  wie  am  Skelet  die  Differenzierungen  an  der  Haut 
ulnar  früher  auf  als  radial. 

Von  der  weiteren  Entwicldung  des  Skelettes  ist  zvmächst  hervor- 
zuheben, daß  sich  neben  den  perichondralen  Knochenhülsen  an  Radius 
und  Ulna  auch  solche  am  Metacarpale  III  und  IV  und  an  der  langen 
Grundphalange  des  zweiten  Fingers  gebildet  haben.  In  dem  kurzen, 
breiten  Metacarpus  dieses  Fingers  tritt  von  allen  langen  Knochen  der 
Hand  die  Ossifikation  zuletzt  auf.  Es  ist  das  wieder  ein  Beispiel  für 
die  besonders  von  Rabl  betonte  Tatsache,  daß  die  Art  der  Ossifikation, 
d.  h.  Zeit  ihres  Auftretens,  Zahl  der  Knochenkerne,  Auftreten  von 
Peri-  oder  enchondraler  Ossifikation,  vor  allem  von  der  Form  und 
Größe  des  Knorpelmodells  abhängig  ist.  das  in  festen  Knochen  um- 
gewandelt werden  soll.  Auch  vererbte  funktionelle  Beanspruchung 
kann  man  für  die  den  Lenkfittich  tragenden  Phalangen  des  zweiten 
Fingers  in  Anspruch  nehmen,  um  die  frühe  Verknöcherung  in  der 
Grundphalange  zu  verstehen,  eine  Funktion,  die  ja  auch  zur  Absonderung 


Zur   l''!!t\\ifklun<j;  der  Voc;cle\trcinitä(.  287 

des  Fingers  von  clor  übrigen  Hand  und  zu  scinei'  eiiiontüinliclien 
radialen  Abduktionsstellung  ueführt  hat. 

Die  Ausbildung  des  Carpus  hat  weitere  Fortschritte  geniacnt,  soll 
aber,  nm  Wiederholungen  zu  vermeiden,  im  folgenden  letzten  Stadium, 
das  zur  Untersuchung  gelangte,  ausführlicher  beschrieben  werden. 
Nur  die  Endphalangen  und  die  rudimentäre  Krallenanlage  des  vierten 
Fingers  verlangen  einen  Hinweis. 

In  der  Fig.  6,  Taf .  XIII,  ist  die  allseitig  abgerundete  zweite  Knorpel- 
phalanx des  vierten  Fingers  zu  erkennen  und  zugleich  eine  von  ihr 
sich  distal  noch  fortsetzende  undifferenzierte  Masse  der  Fingeranlage. 


Mefac.3 


Metacä- 


radial 


ulnat 


radial 


m  W 

Textüg.  8.  Textfig.  9. 

*      Ente.  12.  Tag;  dritter  und  vierter  Finger  Ente,  12.  Tag;   Phalangen    des  linken 

der  linken  Hand.     ISmalvergr.  vierten  Fingers.  Schwarz:  Bindegewebi5- 

fibrillen.     35mal  vergr. 

In  dem  etwas  älteren  Stadium  der  Textfig.  8,  die  nur  ein  Detailbild 
der  Endphalangen  des  dritten  und  vierten  Fingers  gibt,  krümmt  sich 
die  Anlage  der  zweiten  Phalanx  am  vierten  Finger  etwas  radial  um, 
und  distal  von  ihr  sind  die  Kerne  bestimmt  geordnet,  zeigen  aber  viel- 
fach die  Erscheinung  der  Karyolyse.  Daraus  kann  man  erkennen, 
daß  das  ganze  rudimentäre  Gebilde,  das  wohl  als  eine  dritte  Phalanx 
gedeutet  werden  kann,  kaum  angelegt,  bereits  wieder  im  Schwinden 
beoTiffen  ist.    Dasselbe  Schicksal  trifft  aber  auch  die  zweite  Phalanx. 


288  Felix  Sieglbaxier, 

Textfig.  9  zeigt  die  proximale  Phalanx  des  vierten  Fingers  eines  12  Tage 
alten  Entenembryos  bei  stärkerer  Vergrößerung.  Von  der  dritten 
Phalange  ist  nichts  zu  sehen,  in  der  zweiten  ist  die  hyaline  Grrundsub- 
stanz  nicht  mehr  nachzuweisen,  sie  ist  im  Stadium  der  Rückbilduno;. 
Es  wurde  schon  früher  hervorgehoben,  daß  sich  in  einiger  Entfernung 
distal  von  den  sich  rückbildenden  Phalangen  des  vierten  Fingers  eine 
auch  äußerlich  als  vorspringende  Ecke  erkennbare,  umschriebene  Ver- 
hornung ausgebildet,  die  wohl  als  eine  rudimentäre  Kralle,  wie  sie 
Parker  beim  Strauß  nachgewiesen  hat,  aufzufassen  ist.  Mittels  Binde- 
gewebsfärbung  kann  man  von  dieser  verhornten  Stelle  bis  zur  Spitze 
der  zweiten  rudimentären  Phalange  des  vierten  Fingers  einen  Zug 
zum  Teil  ziemlich  derber  Bindegewebsfibrillen  nachweisen,  die  unter 
der  Verhornung  sich  reicher  ansammeln  und  dann  in  der  Cutis  un- 
gefähr dem  ulnaren  Rand  der  Hand  parallel  laufend  im  Perichondrium 
der  zweiten  Phalanx  sich  verlieren.  Sie  erscheinen  wie  eine  Straße, 
auf  der  die  Rückbildung  der  Phalangen  allmählich  erfolgt  ist,  und  sind 
vielleicht  als  Reste  einer  Sehne  des  vierten  Fingers  aufzufassen. 
Auffallend  ist,  wie  zähe  die  Epidermis  in  der  Phylogenese  allmählich 
rückgebildete  Eigentümlichkeiten  wie  die  Krallenbildung  festhält, 
trotzdem  die  eigentliche  Fingeranlage  nicht  bis  zur  Verhornungsstelle 
heranreicht. 

15.  Tag.     Taf.  XIII,  Fig.  8. 

Das  letzte  älteste  Stadium,  das  zur  Untersuchung  gelangte,  war 
bereits  reichlich  mit  fadenförmigen  Federanlagen  besetzt.  Noch  immer 
sind  die  Federn  des  ulnaren  Randes,  welche  die  stärksten  des  Flügels 
werden,  in  der  Entwicklung  weit  voraus,  indem  sich  ihre  Anlagen  be- 
reits tief  in  die  Cutis  eingesenkt  haben,  während  am  radialen  Rand 
nur  niedrige  Papillen  sich  zeigen.  Die  ulnare  Abduktion  beträgt 
nun  92",  und  geht  in  der  weiteren  Entwicklung  bis  auf  60°  herunter. 
Radius  und  Ulna  weisen  eine  weite  Markhöhle  auf.  Ihre  distalen 
Enden  sind  durch  offene  Gelenkspalten  von  den  beiden  bleibenden 
Handwurzelknochen,  dem  Intermedioradiale  und  dem  Pisiforme  ge- 
trennt. 

Das  erstere  weist  eine  proximale  und  eine  distale  konkave  Gelenk- 
fläche einerseits  für  den  Radius  und  anderseits  für  den  Carpometa- 
carpus  auf.  Die  radiale  breiteste  Fläche  ist  leicht  gehöhlt  zur  Aufnahme 
des  bindegewebigen  Sesambeines  in  der  Sehne  des  M.  propatagialis 
longus,  die,  zum  Teil  mit  der  Sehne  des  M.  extensor  metacarpi  radialis 
(Gadow)    verschmelzend,    an    der  Tuberositas    metacarpi   II    ansetzt. 


Zur   l-'.nlwiikluiifi  der  N'ugek'xtronütät.  2S*) 

Die  ulnare  Fläche  legt  sich  der  Uliia  an.  sie  eutsj)richt  cleni  kleinen 
Interniecliuniteil  des  ganzen  Knochens.  Vom  distalen  Jlande  dieser 
kleinen  Fläche  zieht  ein  bei  der  Ente  recht  hi'eiter,  manchmal  in  der 
Mitte  durchlöcherter  faseriger  Meni-scus  zum  Pisiforme.  Es  ist  das  Lig. 
carpi  internum.  das  den  Carpometacarpus  von  der  Ulna  trennt  und 
die  Gelenkflächen  bilden  hilft.  Aus  der  Bildungsgeschichte  ist.  wie 
ich  glaube,  nachzuweisen,  daß  es  aus  dem  uhiarcn  Teil  des  Intermedium 
hervorgegangen  ist.  Das  Ulnare  ist  an  der  dorsalen  Seite  des  Pisiforme 
in  dessen  Perichondrium  als  eine  ganz  unbedeutende  helle  »Stelle  viel- 
leicht noch  zu  erkemien  und  in  der  Rekonstruktion  auch  angedeutet. 
Das  Pisiforme  hat  sich  als  ein  großer  Knorpel  in  die  Handwurzel  ein- 
gereiht, indem  er  einerseits  mit  der  Außenfläche  des  distalen  Ulnaendes 
articuliert,  anderseits  mittels  seines  Proc.  uncinatus  das  vierte  Meta- 
carpale  und  dessen  Basale  umfaßt,  das  in  ihm  wie  in  einer  Schiene 
fest  verankert  gleitet. 

Ba.salia  und  Metacarpalia  sind  zum  einheitlichen  Carpometacarpus 
verwachsen,  und  zwischen  drittem  Basale  imd  dessen  Metacarpale  ist 
noch  eine  trennende  bindegewebige  Lücke.  Der  Knorpelfortsatz  des 
vierten  Basale,  der  künftige  Proc.  muscul.  metac.  III,  liegt  an  der  pal- 
maren Seite  des  dritten  Metacarpus.  Während  der  dritte  und  vierte 
Metacarpus  schon  von  perichondralen  Knochenhülsen  umschlossene 
Markhöhlen  zeigen,  ist  am  zweiten  Metacarpus  die  perichondrale  Ossi- 
fikation eben  angedeutet.  Dagegen  zeigen  sie  alle  Phalangen  schon  in 
ziemlich  reichem  Maße.  Die  Endphalangen  des  zweiten  und  dritten 
Fingers  tragen  hohe  Hornkappen.  Am  erwachsenen  Flügel  ist  die 
Kralle  des  zweiten  Fingers  lang  und  schmal,  die  des  dritten  zwar  wesent- 
lich kleiner,  aber  immer  nachzuweisen.  Am  vierten  Finger  ist  von  der 
Krallenanlage  nichts  mehr  zu  erkennen.  Es  ist  vielleicht  wert,  erwähnt 
zu  werden,  daß  der  Fuß  in  diesem  Entwicklungsstadium  noch  keine 
Krallenanlage  zeigt. 

Kurz  zusammenfassend  hat  sich  also  aus  der  Entwicklung  des 
Entenflügels  ergeben: 

1)  daß  die  vordere  Extremität  bei  der  Fingerbildung  gegen  die 
hintere  zeitlich  zurückbleibt; 

2)  daß  die  ulnare  Abduktion  in  den  ersten  Entwicklungsstadien 
eingreift  und  dauernd  ihren  Einfluß  auf  die  Bildung  der  Carpal-  und 
Metacarpalelemente  geltend  macht; 

3)  daß  der  ulnare  Teil  der  Handanlage,  speziell  der  in  dei'  Ver- 
länyeruno-  des  Ulnare  gelegene  \äcrte  Finger,  in  der  Entwicklung  vor- 
auseilt ; 


290  Felix  Siegibauer, 

4)  daß  das  Ulnare  während  der  Entwicklung  rückgebildet  wird 
und  damit  die  bleibenden  beiden  Handwurzelknochen  als  Intermedio- 
radiale  und  Pisiforme  aufzufassen  sind; 

e5)  daß  der  einem  Daumen  entsprechende  Finger  nicht  ausgebildet 
wird  und  der  V.  geschwunden  ist,  so  daß  die  Finger  als  IL,  III.  und 
IV.  an  der  bleibenden  Hand  zu  zählen  sind. 

Vordere  Extremität. 

2.  Pygoscelys  papua. 
In  den  jüngsten  Entwicklungsstadien,  die  mir  vom  Pinguin  zur 
Untersuchung  vorliegen,  unterscheiden  sich  die  Anlagen  der  Extremi- 
täten  nicht   auffällig  von  denen  eines   ungefähr  gleich   alten  Enten- 
embryos. 

Die    Handplatte    der    vorderen    Extremität    eines    11  mm   langen 
Pinguinembryos,  Textfig.  10,  zeigt  wie  die  eines  6  Tage  alten  Enten- 
embryos   den    starken    konvexen,   radia- 
/'  len  Rand    und    die   Kerbe    am    ulnaren 

I  Rand  an  der  Stelle  des  späteren  Hand- 

I  gelenks.     Im  histologischen  Aufbau  steht 

die  untersuchte  Extremität  zwischen  den 
Entenstadien,  die  in  den  Textfig.  2  u.  3 
wiedergegeben  sind.     Der  radiale  Ast  der 
Zeugo-   und   Autopodiumanlage  hat   sich 
stark  verbreitert  und  damit 
dem  ulnaren  genähert.  Zwei 
stumpfe  breite  Höcker  deu- 
ten die  Anlage  des  zweiten 
und    dritten    Fingers    an. 
Der  ulnare  Ast  fällt  an  den 
Schnitten  besonders  durch 
"^  V^_^        die    deutliche     Ulnaanlage 

Textfig.  10.  •  und     die    in     ihrer    Port- 

io   Pwoscrfj/.s,   SS  =  11  mm;  linke  vordere  Extremität.  sctzung    PCleoene    Haudail- 

35mal  vergr.  ,  r      -,•  t  ••  i 

läge  auf,  die  an  Lange  den 
radialen  Teil  wesentlich  übertrifft.  In  dem  distalen  Ende  der  ulnaren 
Skeletanlage  liegt  die  vierte  Fingeranlage,  und  daher  erklärt  sich  die  be- 
trächtliche Länge.  Die  fünfte  Fingeranlage  ist  erst  im  folgenden  Stadium 
(Textfig.  11),  die  das  Spiegelbild  der  rechten  vorderen  Extremität  eines 
12  mm  langen  Pygoscelys-^mbryos  wiedergibt,  zu  sehen.  Radius  und 
ülna  sind  bereits  kurze  plumpe  Knorpelstreifen,  zwischen  welchen  der 


Zur   Kntwifklung  «lor  X'dgcU'xdcmitat.  291 

Ramu.s   dorsalis   der   Artoria    intorossea    liiinliircli/.iclit.      Vier   Finger- 
anlagen sind  deutlich,  das  Voiaueilen  des  vierten  an    Länge  ist  auf- 
fallend.    Der  vierte  Finger  bleibt  beim  Pinguin  immer  sehr  lang.     Er 
reicht  beim  erwachsenen  Flügel  von 
Spheniscus  bis  zur  Mitte  der  zweiten 
Phalange  des  dritten  Fingers,  wäh- 
rend er  bei  den  übrigen  Carinaten 
im    allgemeinen    kaum    die    Mitte 
der  langen  Grundphalange  des  drit- 
ten   Fingers    noch    berührt.      Die 
Umwandlung  des  Pinguinflügels  zu 

einem    kräftigen    Ruder   führt    zur  ^ 

Verlängerung    von    Unterarm    und 
Hand,  wenn  auch  nicht  in  so  auf- 
fallendem    Grade     wie      bei     den        /  -..-Rv. 
Trochiliden    und    Cypselomorphae.        '                                a 
Die  Anlage  des  Ulnare  ist  bereits 
zu  erkennen,  und  an  dessen  Innen-         \ 

Seite   zieht   sich  wie   bei   der  Ente        t  , 

der  helle  Mesench\^nkanal    in    das 

Autopodium   hinein    und   läßt    die  \  7 

Größe     der    jetzt     schon    vorhan-  ^v  /w 

denen  ulnaren  Abduktion  im  Hand-  m      — — .^__^,^ 

gelenk    erkennen.      Auch    die    die  Textfig.  11. 

Radienanlagen  umspinnenden  Capil-  Pmosceiys,  ss  =  12  mm ;  rechte,  vordere  Extre- 

mität,  Spiegelbild.     35mal  vergr. 

larnetze,    die  Hochstetter   zuerst 

beschrieben  hat  und  von  welchen  Mehxert  hervorhebt,  daß  sie  zum 
Auffinden  von  Fingeranlagen  im  prochondralen  Stadium  dienen  können, 
sind  deutlich. 

Taf.  XIV,  Fig.  9,  zeigt  die  Pausrekonstruktion  des  Flügels  eines 
15  mm  langen  Embryos.  Abgesehen  von  der  Verlängerung  der  Finger- 
anlagen ist  die  histologische  Differenzierung  nicht  viel  weiter  als  im 
vorhergehenden  Stadium  vorgeschritten,  nur  die  Lage  des  Ulnare  ist 
bemerkenswert.  Während  es  im  entsprechenden  Stadium  des  Enten- 
flügels schon  ganz  an  die  Außenseite  des  distalen  Ulnaendes  verschoben 
ist,  Taf.  XIII,  Fig.  1)  Hegt  es  beim  Pinguinflügel  noch  fast  in  derselben 
Richtung  wie  die  Ulna  oder  nur  wenig  nach  außen  gerückt.  Die  ulnare 
Abduktion  erreicht  am  Pingniinflügel  nie  die  Grade,  wie  sie  die  fliegenden 
Carinaten  aufweisen.  Sie  beträgt  bei  Spheniscus  ungefähr  125°,  und  in 
dieser  Stellung  \^^rd  die  Handplatte  auch  beim  Laufen  auf  dem  Lande 


292  Felix  Sieglbauer, 

steif  gehalten,  indem  der  ganze  Flügel  im  Ellbogengelenk  ziemlich  ge- 
streckt und  im  Schnltergelenk  abduziert  wie  ein  Schirm  zum  Verhüten 
des  Yorwärtsfallens  leicht  gespreizt  gehalten  wird.  Schon  Watson 
ist  die  auffallende  Größe  des  ulnaren  der  beiden  Handwurzelknochen, 
des  Pisiforrae.  vor  allem  bei  Pi/gosceh/s  aufgefallen.  Die  Größe  ist 
inn  so  melir  in  die  Augen  springend,  als  die  ganze  Unterarmmusku- 
latur rudimentär  ist  un,d  fast  nui'  aus  Sehnen  besteht.  Vielleicht  soll 
das  Pisiforme,  abgesehen  von  der  Stütze  des  ulnaren  Flossenrandes 
ähnlich  dem  Pisiforme  einer  Chelonide,  als  Widerpart  dienen,  ver- 
mittels dessen  sich  der  Carpometacarpus  an  das  distale  Ulnaende 
stemmt,  so  daß  eine  Vermehrung  der  ulnaren  Abduktion  ausgeschlossen 
ist  und  die  Hand  in  eine  feste  Ruderplatte  umgewandelt  wird. 

Wenn  man  die  Flügelanlage  etwa  eines  11  Tage  alten  Enten- 
embryos mit  dem  Pinguinflügel  vergleicht,  dann  fällt  die  Ähnlichkeit 
in  Form  und  Haltung  sofort  ins  Auge,  nur  der  die  Alula  eines  fliegenden 
Carinaten  tragende  Finger,  der  in  diesem  Stadium  am  Entenflügel 
schon  als  Höcker  vortritt,  fehlt  der  Pinguinflosse.  Man  kann  sagen, 
der  Pinguinflügel  ist  in  bezug  auf  die  Winkelstellung  im  Ellbogen-  und 
Handgelenk  auf  früher  embryonaler  Stufe  stehen  geblieben. 

Gadow  meint,  daß  die  Sphenisciden.  die  in  so  eigentümlicher 
Weise  auf  die  Antarctis  beschränkt  sind,  ähnlich  wie  die  Alken  auf  die 
arktischen  Regionen,  sich  aus  fliegenden  Formen  rückgebildet  haben, 
indem  sie  keinen  Feinden  ausgesetzt  waren,  vor  denen  sie  sich  durch 
Entweichen  in  die  Luft  schützen  mußten.  Er  hebt  besonders  die 
Ähnlichkeit  im  Skeletbau  des  Flügels,  von  den  ersten  embryonalen 
Stadien  angefangen,  als  beweisend  für  seine  Ansicht  hervor.  Der  Tarso- 
metatarsus  der  Pinguine,  der  mit  seinen  großen  Gefäßlöchern  die  Zu- 
sammensetzung aus  drei  Metatarsalien  noch  deutlich  erkennen  läßt, 
wird  seit  Geoffroy  St.  Hilaire  als  ein  primitiver  Charakter  angeführt. 
Die  Pinguine  sind  absolut  plantigrad,  und  damit  hängt  nach  Für- 
bringer  die  Eigentümlichkeit  des  erwachsenen  Laufknochens  zusam- 
men, der  in  seiner  Ausbildung  zurückbleibt  und  mit  dem  Wechsel  der 
Funktion  einen  embryonalen  Charakter  bewahrt i.  K.  Parker,  der 
ausgezeichnete  Kenner  der  Vogelosteologie,  meint,  daß  die  Pinguine 
nie  Federn  besessen  haben  und  hält  sie  damit  für  ursprünglichere 
Formen.  Erik  Müller  ist  in  neuester  Zeit  auf  Grund  der  Entwick- 
lungsgeschichte der  Gefäße  des  Pinguinflügels  zu  der  Ansicht  gekommen, 


1  Er  ist  der  Ansicht,  daß  Anseres  und  Impennes  gewisse,  wenn  auch  nicht 
nahe  genealogische  Beziehungen  zueinander  aufweisen  und  daß  die  Impennes 
nicht  die  tief.sten  Formen  sind,  sondern    »ziemlich  oder  mäßig«  tiefstehen. 


Zur   l'lnlwRkluiig  der  Vogelextrcinität.  293 

daß  Formen,  bei  welchen  sich  zwei  Subclavien  aus  dem  iirsj)iünglicheii 
Plexus  arteriosus  erhalten,  nicht  von  Formen  abstammen  können,  die 
nm-  eine  Subclavia  aus  dem  embryonalen  Gefäßnetz  heiiibernehmen. 
Das  erstere  ist  bei  den  Sphenisciden  der  Fall,  das  letztere  hat  H.  Rabl 
für  die  Ente  festgestellt.  Das  Gefäßnetz  des  Piiiouinflügels  hat  wegen 
seines  außerordentlichen  Reichtums  immer  die  Aufmerksamkeit  der 
Untersucher  auf  sich  gelenkt.  Jedenfalls  zeigt  das  Vorhandensein  der 
doppelten  Axillaris  gleichfalls  das  Stehenbleiben  auf  embryonalei-  Stufe 
beim  Pinguinflügel  an. 

Sehr  schwer,  glaube  ich,  ist  es  zu  sagen,  ob  der  embryonale  Cha- 
rakter primär  oder  sekundär  ist,  ob  die  Pinguine  also  von  fliegenden 
Formen  abstammen  odei-  noch  die  Merkmale  der  gemeinsamen  Vor- 
fahren ihrer  und  der   übrigen  Carinateniamilien  an  sich  tragen. 

An  der  Rekonstruktion  der  in  Rede  stehenden  vorderen  Pinguin- 
extremität  (Taf.  XIV,  Fig.  9)  sind  auch  die  ^irterien,  und  zwar  der 
Ramus  dorsalis  der  Arteria  interossea  und  die  HocHSTETTERSche  Raad- 
vene  eingetragen  aus  dem  Grunde,  weil  der  Ramus  dorsalis  in  frühen 
Stadien  einen  ganz  andern  Verlauf  nimmt  als  beispielsweise  am  Flügel 
der  Ente  oder  Möwe.  Sobald  er  vom  Stamm  der  Arteria  interossea  ab- 
gegangen ist,  geht  er  zwischen  Radius  und  Ulna  dem  oben  erwähnten 
Mesenchymkanal  entsprechend  durch  auf  die  dorsale  Seite  der  Carpus- 
anlage,  und  zwar  ziemlich  angeschlossen  an  das  Ulnare.  Dann  gibt  er 
alle  Fingerarterien  ab,  die  mit  ihren  Capillaren  in  die  Randvenen  über- 
gehen. Der  Ramus  volaris  der  Arteria  interossea  ist  in  der  Zeichnung 
nicht  eingetragen,  ausgenommen  seine  Abgangsstelle.  Er  ist  ziemlich 
stark  und  steht  auch  mit  der  Randvene  in  Verbindung. 

Bei  der  Ente  und  Möwe  (Taf.  XIII,  Fig.  3)  verhält  sich  der  Ramus 
dorsalis  der  Arteria  interossea  insofern  anders  als  er  über  das  distale 
Radiusende  hinweg  zieht,  um  dann  im  Bogen  ulnarwärts  über  die 
dorsale  Seite  des  Carpus  abzubiegen  und  die  Finger  bis  zur  radialen 
Seite  des  vierten  zu  versorgen.  Die  Gefäße  der  ulnaren  Seite  des  vierten 
und  die  des  fünften  Fingers  kommen  von  der  palmaren  Seite  der  Hand- 
platte. Die  ganz  gleiche  Gefäßverteilung  findet  sich  am  Fuß  der  Ente, 
wie  aus  den  Fig.  14  und  17  der  Taf.  XIV  zu  erkennen  ist.  Dieser  Paral- 
ielismus  in  der  Gefäßversorgung  des  fünften  Strahles  von  Hand  und 
Fuß  kann  auch  vielleicht  die  Ansichf  stützen,  daß  der  letzte  ulnare 
Finger  der  embryonalen  Vogelhand  der  fünften  Zehe  des  embryonalen 
Vogelfußes  entspricht  und  als  fünfter  zu  zählen  ist.  Da  der  unmittelbar 
vorhergehende  Finger  mit  Rücksicht  auf  sein  frühes  Auftreten,  wie 
früher    auseinandergesetzt    wurde,    als    vierter    zu   zählen    ist  —  ein 


294  Felix  Sieglbauer, 

Analogieschluß,  der  sich  auf  die  Reptilienentwicklung  stützt  — ,  so  ergibt 
sich  die  Zählweise  der  Finger  der  erwachsenen  Vogelhand  als  IL,  III. 
und  IV.  von  selbst. 

Es  hat  der  gleiche  Reduktionsprozeß  an  den  postaxialen  Rändern 
der  beiden  Extremitäten  zu  den  gleichen  Veränderungen  in  der  Gefäß- 
versorgung der  Finger  geführt. 

In  mancher  Beziehung  erinnert  das  Verhalten  der  Arterien  an  der 
Vogelhand  an  die  Gefäßversorgung,  wie  sie  Hochstetter  an  der  Hand 
eines  erwachsenen  Crocodilus  niloticus  gefunden  hat,  wo  auch  die  Ar- 
teria digitalis  ulnaris  des  vierten  Fingers  und  die  beiden  Fingerarterien 
des  fünften  vom  Ramus  volaris  der  Art.  interossea  stammen,  während 
die  übrigen  Fingerarterien  der  den  Carpus  durchbohrende  Ramus  dor- 
salis  abgibt.  Dabei  ist  aber  diese  Form  des  Abflusses  eine  sekundäre. 
Derselbe  Autor  fand  bei  einem  Embryo  von  Croc.  madagascariensis 
einen  Ramus  dorsalis  der  Art.  interossea,  der  alle  Fingerarterien  abgab, 
so  daß  die  Annahme  berechtigt  erscheint,  daß  der  volare  Abfluß  se- 
kundär sich  ausgebildet  hat. 

Pygoscelys  wäre  also  auch  in  dem  Verhalten  der  Art.  interossea 
an  Hand  und  Fuß  ursprünglicher,  wenn  man  die  einen  gewissen  Paral- 
lellismus  in  der  Entwicklung  aufweisenden  Krokodile  und  Vögel  mit- 
einander vergleicht. 

Bei  einem  18  mm  langen  Pygoscelys-^mhvjo  (Taf.  XIV,  Fig.  10) 
war  die  äußere  Form  der  Paddel  und  auch  ihre  Skeletentwicklung 
wie  bei  einem  9  Tage  alten  Embryo  der  Ente. 

Die  distalen  Enden  der  verknorpelten  Unterarmknochen  stehen 
etwas  voneinander  ab,  so  daß  sich  das  Intermedium  als  scharfer  Keil 
zwischen  sie  eindrängen  kann.  Auch  hier  eilt  die  Verknorpelung  im 
radialen  Teil  des  Intermedioradiale  voraus,  und  nur  daran  kann  man 
einigermaßen,  abgesehen  von  der  charakteristischen  Lage,  das  Inter- 
medium von  Radiale  unterscheiden.  Studers  Abbildung  der  weit  in 
der  Entwicklung  vorgeschrittenen  Extremität  eines  Eudyptes  chryso- 
come  zeigt  das  Intermedium  wohl  in  der  Lage  zwischen  den  distalen 
Enden  von  Radius  und  Ulna,  aber  vollkommen  getrennt  vom  Radiale 
und  in  Verbindung  mit  den  verwachsenen  Basalia  1  und  2.  Bei  Py- 
goscelys habe  ich  in  keinem  Stadium  ein  derartiges  Bild  finden  können. 
Das  Ulnare  liegt  ganz  an  die  Außenseite  des  distalen  breiten  Ulnaendes 
gerückt,  es  ist  lang  gestreckt  imd  läßt  undeutlich  einen  proximalen 
rundlichen  Teil  des  eigentlichen  Ulnare  und  einen  distalen,  mehr  koni- 
schen erkennen,  der  an  die  Basis  des  vierten  Metacarpale  zum  Teil 
sich  anlegt  und  als  ein  Carpometacarpale  V,  wie  ich  glaube,  zu  deuten 


Zur  Eiit\\ie'klung  der  Vogelextremität.  205 

ist.  Radial  angeschlossen  an  diesen  Knorpel  liegt  ein  auch  noch  im 
folgenden  Stadium  gut  begrenzter  Knorpelherd  an  der  unaren  Ab- 
dachung der  giebelförniigen  Basis  des  dritten  Metacarpale,  der  sich 
an  dem  zunächst  ziemlich  breiten  Zwischenraum  zwischen  dritten  und 
vierten  Finger  vorbei  bis  auf  die  Basis  des  vierten  Metacarpale  hinzieht. 
Ich  sehe  ihn  für  das  Basale  4  an,  das  bei  der  Ente  mit  dem  fünften 
zu  einem  Knorpal  verschmolzen  ist.  Basale  3  und  2  bestehen  noch  aus 
undifferenziertem  skeletogenen  Gewebe,  das  sich  auch  zwischen  Inter- 
niedium  und  Basale  4  bis  zum  Ulnare  hinzieht,  also  in  einen  Raum, 
den  augenscheinlich  das  Centrale  ausfüllen  müßte.  Die  Verhältnisse 
sind  im  folgenden  Stadium  etwas  deutlicher.  Das  Pisiforme  ist  noch 
vorknorpelig  und  Hegt  langgestreckt  nach  außen  und  volar  vom  Ulnare, 
dasselbe  weit  proximal  gegen  die  Ulna  aufwärts  überragend. 

Von  den  di-ei  Fingeranlagen  ist  die  vierte  die  längste,  die  dritte 
etwas  kürzer,  aber  viel  stärker.  Das  zweite  Metacarpale  ist  sehr  klein 
und  trägt  an  seinem  distalen  Ende  einen  unbedeutenden  Zellhöcker, 
der  in  den  späteren  Stadien  länger  wird,  aber  nie  Phalangen  entwickelt 
im  Zusammenhang  mit  dem  Fehlen  des  Afterflügels.  Dritter  und 
vierter  Finger  haben  je  eine  Phalange  ausgebildet. 

Ein  21  mm  langer  Embryo  zeigt  Taf.  XIV,  Fig.  11,  die  für  die 
Sphenisciden  eigentümliche  Verlängerung  von  Unterarm-  und  Hand- 
anlage. Die  Handplatte  läßt  äußerlich  keine  Spur  einer  ulnaren  Ab- 
duktion  erkennen,  trotzdem  das  Schnittbild  sie  schon  sehr  gut  aus- 
gebildet zeigt.  Das  Metacarpale  des  zweiten  Fingers  bedingt  am 
radialen  Rand  der  Handplatte  einen  unbedeutenden  Höcker.  Dieses 
Moment,  im  Zusammenhang  mit  der  Unterdrückung  von  Phalangen 
läßt  schließen,  daß  hier  in  phylogenetisch  älteren  Stadien  ein 
Finger  vorhanden  war.  Ob  er  eine  Alida  getragen  hat,  ist  eine  andre 
Frage. 

Das  Intermedioradiale  erscheint  als  ungefähr  prismatischer  Knorpel, 
der  mit  der  einen  Längsseite  dem  distalen  Radiusende  anliegt,  mit  der 
gegenüberliegenden  einen  Knorpelstreifen  berührt,  den  ich  als  die 
verwachsenen  Basalia  2,  3  und  das  Centrale  auffasse.  Mit  der  radialen 
Schmalseite  springt  der  Knorpel  stark  vor,  während  er  mit  der  ulnaren 
einer  entsprechenden  Facette  der  distalen  Fläche  der  Ulna  anliegt. 
Ulnar  vom  Intermedium  folgt  zunächst  zwischen  Ulna  und  Centrale 
eine  größere  Zellmasse,  die  wohl  die  Grundlage  für  das  Lig.  carpi 
internum  abgibt,  wemi  ein  solches  auch  den  Pinguinen  zukommt.  Dann 
liegt  noch  angeschmiegt  an  das  distale  Ulnaende  der  im  Verhältnis  zum 
früheren  Stadium  viel-  kleinere  rundliche  Kern  des  Ulnare.    Nach  außen 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  20 


296  Felix  Sieglbauer, 

davon  kommt  ein  großer,  im  Sclmittbild  dreiseitiger  Knorpelherd,  das 
Pisiforme,  das  sich  aufwärts  längs  der  Ulna  und  abwärts  längs  des 
Carpus  zunächst  erstreckt. 

Von  den  Basalia  ist  wieder  das  vierte  und  fünfte  deutlich.  Letzteres 
hat  noch  immer  einen  konischen  Fortsatz  gegen  die  Außenseite  der 
Basis  des  vierten  Metacarpale,  den  ich,  da  kein  eigentlicher  Knorpel- 
kern im  fünften  Metacarpale  auftritt,  für  ein  Rudiment  desselben  halte. 
Zugleich  aber  hat  sich  von  diesem  Carpometacarpale  5  ein  stumpfer, 
knorpeliger  Höcker  ventral  vom  vierten  Metacarpale  ausgebildet,  ähn- 
lich dem,  der  sich  sonst  bei  den  Carinaten  findet  und  zum  Proc.  muscu- 
laris  des  dritten  Metacarpus  wird.  Seine  Bedeutung  als  Hebelpunkt 
für  die  Flexor  profundus-Sehne  des  dritten  Fingers  wurde  bei  der 
Ente  angegeben.  Beim  erwachsenen  Sphenisciis  kann  ich' am  trocke- 
nen Skelet  den  entsprechenden  Höcker  nicht  deutlich  ausgeprägt 
finden. 

An  der  Basis  des  zweiten  und  dritten  Metacarpale  hat  sich  eine 
Knorpelmasse  gebildet,  die  wohl  zunächst  einem  zweiten  und  dritten 
Basale  entspricht.  Sie  schiebt  sich  aber,  wie  das  Studer  auch  für 
Eudyptes  abbildet,  proximal  vom  vierten  und  fünften  Basale  vorbei 
bis  gegen  das  Ulnare  hin.  In  diesem  Teile  des  Knorpels  steckt,  wie 
ich  glaube,  das  Centrale.  Ich  habe  bei  der  Ente  das  Centrale  anfangs 
vergebens  gesucht  und  die  Angaben  von  Norsa,  daß  beim  Huhn  das 
Centrale  mit  dem  dritten  Basale  verschmilzt,  angezweifelt,  bis  ich 
zuletzt  beim  Pinguin  gerade  an  diesem  Stadium  zu  der  im  ersten  Ab- 
schnitt mitgeteilten  Ansicht  kam. 

Bezüglich  der  Phalangen  an  den  Fingern  sei  hervorgehoben,  daß 
der  zweite  zwei  trägt,  der  dritte  nur  einen,  aber  sehr  langgestreckten 
Knorpelstab,  der  wohl  aus  der  Verschmelzung  von  zwei  Anlagen  hervor- 
gegangen ist.  Auch  in  dem  folgenden  Stadium  habe  ich  diese  Phalange 
nur  einfach  und  sehr  lang  gefunden,  während  Studer  für  Eudyptes 
zwei  Phalangen  auch  am  vierten  Finger  angibt. 

Der  älteste  Embryo  hatte  eine  Länge  von  28  mm  (Taf .  XIV,  Fig.  12). 
Er  zeigte  am  Schwänze  bereits  die  ersten  Federpapillen.  Der  Oberarm 
ist  eigentümlich  verschmälert  und  wie  zu  einem  Stiele  der  großen,  aus 
Unterarm  und  Hand  bestehenden  Ruderplatte  umgewandelt.  Das 
Ellbogengelenk  ist  leicht  gebeugt  und  dementsprechend  die  Hand 
etwas  ulnar  abduziert.  Der  Höcker  des  zweiten  Fingers  ist  nur  noch 
undeutlich  ausgebildet.  An  der  Spitze  des  Flügels,  also  entsprechend 
der  Endphalange  des  dritten  Fingers,  findet  sich  eine  umschriebene 
Verhornung,  das  Rudiment  einer  in  der  Phylogenese  verloren  gegan- 


Zur  Kntwic'khiim  der  \'ogelextremität.  207 

genen  Kralle.  Am  ulnaren  Rand  der  langen  und  schmalen  Handplatte 
bildet  der  vierte  Finger  einen  kleinen  Vorsprung.  Das  Skelet  zeigt 
allenthalben  an  den  langen  Knochen  die  ersten  Stadien  perichondraler 
Knochenbildung. 

Das  Intermedioradiale  hat  die  Form  des  erwachsenen  radialen 
Handwurzelknochens  angenommen.  Das  Ulnare  ist  nicht  mehr  auf- 
zufinden, während  das  Pisiforme  als  größter  aller  Handwurzelknochen 
sich  zwischen  Ulna  und  den  bereits  verwachsenden  Carpometacarpus 
eindrängt.  Aus  ihm  wird  der  große  ulnare  der  beiden  Handwurzel- 
knochen.  Schon  früher  wurde  als  physiologisches  Erklärungsmoment 
für  die  so  auffallende  Größe  des  Pisiforme  der  Sphenisciden  die  Keil- 
wirkung erwähnt,  mit  der  sich  der  Knochen  zwischen  Ulna  und  viertem 
Metacarpale  oder,  nach  der  Verwachsung  dem  ganzen  Carpometacarpus 
einschiebt  und  eine  Vermehrung  der  ulnaren  Abduktion  verhindern 
kann.  — ■  Die  Basalia  und  das  Centrale  sind  miteinander  verwachsen. 
Ebenso  ist  bereits  die  Verwachsung  mit  .dem  vierten  Metacarpale 
komplett.  Der  palmare  Fortsatz  des  in  der  Bildung  des  distalen  Car- 
pale  aufgegangenen  fünften  Basale  ist  bis  zum  dritten  Metacarpale 
vorgewachsen  und  bildet  hier  später  den  Proc.  muscul.  metac.  HI.  Die 
dritte  Fingeranlage  ist  die  stärkste  und  längste ;  sie  trägt  an  der  zweiten 
Phalange  noch  die  prochondrale  Anlage  einer  dritten.  Die  drei  Meta- 
carpalia  sind  nahe  aneinander  gerückt  und  stehen  fast  parallel. 

Zusammenfassung. 
Das  Handskelet  des  P//^osce/?/s-Flügels  entwickelt  sich  im  wesent- 
lichen so  wie  bei  der  Ente,  nur  erreicht  die  ulnare  Abduktion  im  Hand- 
gelenk bei  Pygoscelys  nie  die  hohen  Grade  wie  bei  den  fliegenden  Cari- 
naten.  Das  Ulnare  wird  rückgebildet,  und  das  große  Pisiforme  stellt 
allein  den  ulnaren  Handwurzelknochen  des  erwachsenen  Flügels  dar. 
Intermedium  und  Radiale  sind  im  radialen  Handwurzelknochen  zu 
suchen,  während  das  Centrale  mit  dem  dritten  Basale  verschmilzt. 

Hintere  Extremität. 

1.  Anas  boschas  dorn. 
5.  und  6.  Tag. 

Schon  in  der  Einleitung  habe  ich  hervorgehoben,  daß  von  dem 
Moment  an,  in  welchem  sich  die  beiden  Extremitätenanlagen  zu  gliedern 
beginnen,  die  hintere  Extremität  in  der  Entwicklung  der  Zehe  der 
vorderen  voraneilt.     In  den  jüngeren  Stadien  habe   ich  bei  der  Ente 

20* 


298 


Felix  Sieglbauer, 


nur  gleiche  Griöße  der  beiden  Anlagen  und  kein  Voraneilen  der  vorderen 
erkennen  können.  Die  Textfig.  12  und  13  stellen  teils  Schnittbilder, 
teils  Kekonstruktionen  (Fig.  14)  linker  hinterer  Extremitäten  dersel- 
ben Embryonen   dar,  von  welchen  Schnittbilder  der  linken  vorderen 


Umrißzeichnung  zu 
Textfig.  12—14. 


Textfig.  12. 
Eute,  6.  Tag;  linke,  hintere  Extremität.   35mal  vergr. 


Textfig    13. 


Ente,  7.  Tag;  linke,  hintere  Extremi- 
tät.   35mal  vergr. 


Textfig.  14. 
Ente,  V.Tag;  linke,  hintere  Extremi- 
tät.  35mal  vergr 


Zur  Entwicklung  der  Vogclextrcniität.  299 

Extremitäten  in  den  Textfiii.  1 — 3  wiedergegeben   sind.      Ich  glaube, 
daß  der  Unterschied  auffallend  genug  ist. 

Textfig.  1  und  12  stellen  Schnitte  der  distalen  Abschnitte  der 
linken  Extremitäten  eines  6  Tage  alten  Entenembryos  dar.  Vorn  sind 
die  beiden  Aste  der  Skeletanlage  von  Unterarm  und  Hand  noch  ge- 
trennt, es  ist  keine  Fingeranlage  zu  erkennen.  Hinten  sind  die  ur- 
sprünglich auch  getrennten  Äste  der  Zeugo-  und  Autopodiumanlage 
bereits  vereinigt  und  fünf  Zehenanlagen  zu  erkennen. 

Genauer  ist  folgendes  hervorzuheben. 

Der  aus  der  Leibeswand  frei  heraustretende  Extremitätenstummel 
entspricht  der  Anlage  von  Unterschenkel  und  Fuß.  Die  Oberschenkel- 
anlage steckt  im  Gegensatz  zu  der  frei  vorragenden  Oberarmanlage 
in  der  Leibeswand.  Sie  wird  mit  der  Beckenanlage  durch  eine  etwas 
vorspringende  ovale  Leiste  gegen  die  übrige  Leibeswand,  besonders 
gegen  di.e  Somitenregion,  scharf  abgehoben. 

Bei  Betrachtung  der  äußeren  Form  der  Extremitätenanlage  kann 
man  Fuß  und  Unterschenkel  schon  einigermaßen  voneinander  ab- 
grenzen. Vor  allem  fällt  der  konkave  postaxiale  Rand  auf,  dessen 
tiefste  Stelle  die  Gegend  des  künftigen  Fußgelenkes  bezeichnet. 

In  der  histologischen  Differenzierung  sind  die  Anlagen  von  Tibia 
und  Fibula  zunächst  durch  den  auffallenden  Dickenunterschied  ge- 
kennzeichnet. Die  schmale  Fibulaanlage  ist  bereits  in  das  prochondrale 
Stadium  eingetreten,  w^ährend  in  dem  etwa  doppelt  so  dicken  tibialen 
Ast  des  Zeugopodiums  eine  Tibiaanlage  noch  kaum  zu  erkennen  ist. 
Aus  der  Zellmasse  der  Autopodiumanlage  hat  sich  zunächst  in  der 
direkten  Verlängerung  der  Fibula  eine  Zehe  differenziert;  es  ist  die 
vierte.  So  wie  bei  den  Reptilien  nach  Rabl  tritt  auch  bei  den  Vögeln 
die  vierte  Zehe  zuerst  auf.  An  ihrer  fibularen  Seite  ist  ein  deutlicher 
Höcker,  aus  dem  die  fünfte  Zehe  hervorgeht.  Im  Gegensatz  zu  der 
Ausbildung  der  beiden  fibularen  Zehen  sind  die  drei,  welche  dem  tibia- 
len Teil  der  Skeletanlage  von  Unterschenkel  und  Fuß  entsprechen, 
nur  durch  undeutliche  Gewebsbuckel  repräsentiert,  von  welchen  der 
der  dritten,   später  stärksten  Zehe  noch  am  deutlichsten  hervortritt. 

Textfig.  13  zeigt  einen  Schnitt  durch  die  linke  Unterschenkel-  und 
Fußanlage  eines  etwas  älteren  Embryos,  dessen  vordere  linke  Extre- 
mität durch  Textfig.  2  dargestellt  wird.  Vorn  sind  die  Skeletanlagen 
noch  getrennt,  hinten  ist  schon  die  erste  Andeutung  eines  Knorpel- 
centrums für  das  Fibulare  zu  erkennen.  Die  Fibulaanlage  hat  sich 
etwas  verlängert,  die  viel  breitere  Tibiaanlage  ist  deutlich.  Ihr  un- 
mittelbar   an   liegen    die    Querschnitte    der    Art.    interossea.     In    der 


300  Felix  Sieglbauer, 

fibularen  Säule  skeletogenen  Gewebes  haben  sich  die  Zellen  distal  von 
der  Fibulaanlage  zu  einem  neuen  Knorpelcentrum  zusammengeschart, 
der  Anlage  des  Fibulare. 

In  seiner  Richtung  liegt  die  vierte  Zehenanlage,  am  Ende  etwas 
aufgetrieben  und  fibular  abgebogen,  in  der  gleichfalls,  aber  sehr  un- 
deutlich, das  prochondi'ale  Stadium  eines  Metatarsale  zu  erkennen  ist. 
Die  Anlage  der  fünften  Zehe  ragt  von  der  Tarsusanlage  zunächst  rein 
fibular  nach  außen,  um  in  der  Nähe  der  fibularen  Randvene  recht- 
winkelig distal wärts  umzubiegen  und  kegelförmig  zu  enden.  Rabl  hat 
zuerst  bei  den  Sauriern  darauf  hinoewiesen,  daß  das  hakenförmige 
fünfte  Metatarsale  auch  das  fünfte  Basale  enthalte  und  das  große  vierte 
Basale,  das  Cuboideum  der  Autoren,  nicht  zwei  Basalia,  das  vierte  und 
fünfte,  sondern  allein  das  vierte  Basale  repräsentiere.  Von  den  Vögeln, 
die  ich  untersucht  habe,  findet  sich  deutlich  nur  bei  den  Entenembry- 
onen diese  in  ihrer  Form  sofort  an  das  Tarsometatarsale  V  der 
Saurier  erinnernde  Anlage  der  fünften  Zehe.  Die  dritte  Zehe  über- 
wiegt noch  nicht  an  Länge,  wohl  aber  an  Breite  und  Masse  bereits  die 
vierte  Zehenanlage,  während  erste  und  zweite  nur  stumpfe  Höcker 
bilden. 

Textfig.  14  stellt  eine  Pausrekonstruktion  der  linken  hinteren 
Extremität  dar,  die  zu  demselben  Embryo  wie  die  linke  vordere  Extre- 
mität gehört,  von  der  Textfig.  3  einen  Schnitt  zeigt.  Vorn  sind  die 
Fingeranlagen  noch  undeutlich,  nur  die  vierte  prägnant,  hinten  hat  in 
der  Tibia-  und  Fibulaanlage  bereits  die  Bildung  von  hyaliner  Grund- 
substanz begonnen,  ebenso  ist  der  längsovale  Kern  des  Fibulare  voll- 
kommen deutlich  geworden.  Die  beiden  Unterschenkelknochenanlagen 
übertreffen  etwa  um  ^/^  an  Länge  die  des  Vorderarmes.  Das  Spatium 
interosseum  zwischen  beiden  erstreckt  sich  am  Fibulare  ins  Autopo- 
dium hinein  in  der  Richtung  des  Zwischenraumes  zwischen  dritter  und 
vierter  Zehenanlage.  Die  erste  und  zweite  Zehenanlage  bilden  stumpfe 
Höcker,  die  dritte  ist  wesentlich  allen  andern  vorangeeilt  und  über- 
trifft an  Stärke  die  fibular  abgebogene  vierte.  Die  Saurierform  des 
fünften  Tarsometatarsus  ist  noch  schärfer  gegen  das  vorhergehende 
Stadium  geworden.  In  der  vierten  Zehenanlage  ist  das  Metatarsale 
zu  erkennen,  während  in  der  dritten  noch  keine  besondere  Orientierung 
der  Zellkerne  stattgefunden  hat  zur  Bildung  eines  Knorpelcentrums  für 
ein  drittes  Metatarsale. 

Die  Muskulatur  des  Unterschenkels  stellt  wie  am  Vorderarm  in 
diesem  Stadium  noch  eine  einheitliche  dorsale  und  ventrale  Muskel- 
platte dar. 


Zur  Entwii-klniii;  der  Voffi'Iextrcniilät.  301 

7.  und  8.  Tag. 

Zunächst  möchte  ich  noch  auf  die  Rekonstruktion  (Taf.  XIV, 
Fig.  13)  hinweisen,  die  dem  Schnittbild  der  linken  vorderen  Extremität 
(Taf,  XIII,  Fig.  1 )  entspricht.  Sie  zeigt  im  Tarsus  neben  der  Anlage 
des  großen  Fibulare  noch  einen  Knorpel  kern,  der  sich  vom  vierten  bis 
zum  zweiten  Basale  erstreckt  und  die  gemeinsame  Anlage  der  Basalia 
des  Fußes  darstellt.  Schon  Baue  hat  darauf  hingewiesen,  daß  die 
Basalia  aus  einer  einheitlichen  Grundlage  hervorgehen.  Erst  später 
läßt  sich  aus  der  Intensität,  mit  der  die  hyaline  Grundsubstanz  basische 
Anilinfarbstoffe  aufnimmt,  der  Knorpelkern  des  dritten  Basale  gegen 
das  zweite  und  vierte  differenzieren. 

Drittes  und  viertes  Metatarsale  sind  in  dem  Stadium  bereits  knor- 
pelig. 

Das  wesentlich  ältere  Stadium  der  Fig.  15  zeigt  bereits  alle  Ele- 
mente des  Vogeltarsus :  Das  vierkantige,  mit  abgerundeten  Ecken  ver- 
sehene Fibulare  stellt  die  direkte  Verlängerung  der  Fibula  vor,  die  be- 
deutend an  Stärke  hinter  der  Tibia  zurückbleibt,  aber  an  Länge  ihr 
noch  vollkommen  gleichkommt.  Distal  von  dem  unteren  Tibiaende, 
das  schon  in  diesem  Stadium  eine  auffallende  Wachstumsenergie  fibular- 
wärts  zeigt,  die  im  weiteren  Verlaufe  zur  vollständigen  Verdrängung 
des  distalen  Fibulaendes  führt,  liegt  ein  großer,  heller,  langgestreckter 
Kern,  der  als  prochondrale  Anlage  des  Tibiale  oder  besser  mit  Rück- 
sicht auf  die  Verhältnisse  bei  den  Sauriern  des  Tritibiale  (Rabl)  be- 
zeichnet werden  kann.  Zwischen  Fibulare  und  Tritibiale  zieht  sich 
in  unmittelbarer  Fortsetzung  des  Spatium  interosseum  der  Unter- 
schenkelknochen ein  heller  Mesenchymkanal,  als  Rest  der  beiden  ur- 
sprünglich getrennten  Tarsusanlagen  hinein.  Vor  dem  knorpeligen 
zweiten,  dritten  und  vierten  Metatarsale  liegt  langgestreckt  das  Basale 
commune,  das  besonders  dem  dritten  und  vierten  Basale  entsprechend 
Centrierung  der  Kerne  des  prochondralen  Gewebes  erkennen  läßt. 

Alle  fünf  Zehen  sind  klar  ausgebildet :  Die  erste  ist  nur  aus  skeleto- 
genem  Gewebe  gebildet  und  hat  noch  ihre  ursprüngliche  Lage  am 
Tarsus.  Die  zweite  zeigt  ein  kurzes,  knorpeliges  Metatarsale.  Die 
dritte  trägt  den  größten  knorpeligen  Metatarsus.  Die  erste  Bildung 
einer  Grundphalange  ist  zu  erkennen.  Die  vierte  Zahenanlage  ist  dünner 
als  die  dritte,  aber  länger.  Ihr  Metatarsale  steht  an  Länge  und  Breite 
zurück  hinter  dem  der  dritten  Zehe,  dagegen  ist  die  Grundphalange 
deutlich  vorknorpelig  angelegt. 

Der  fünfte  Tarsometatarsus,  den  Rosenberg  bei  den  Vögeln  ge- 
funden hat,  steht  auf  der  Höhe  seiner  Entwicklung.    Mit  seinem  basalen 


302  Felix  Sieglbauer, 

dickeren  Teil  ragt  er  fibular  aus  dem  Tarsus  heraus,  um  rechtwinkelig 
umbiegend  in  einen  sich  allmählich  längs  der  fibularen  Randvene 
hinziehenden  und  sich  verschmälernden  Gewebsstreifen  überzusehen. 
Gerade  diese  Rekonstruktion  war  es,  die  mich  zuerst  auf  die  Ähnlichkeit 
mit  dem  Tarsometatarsale  V  der  Lacertilia  und  Chelonia  brachte. 

Auf  die  Breite  sei  noch  hingewiesen,  welche  die  Fußanlage  der 
Ente  in  diesem  Stadium  besitzt.  Die  Zehenanlagen  divergieren  noch, 
die  Metatarsalia  stehen  weit  auseinander,  die  proximale  Lage  der 
großen  Zehe,  die  Ausbildung  des  fünften  Tarsometatarsale  tragen  dazu 
bei,  daß  die  Extremität  die  Grundform  eines  fünfzehigen  Fußes  noch 
zeigt. 

Schon  in  den  nun  zu  beschreibenden  Stadien  vom  8.  und  9.  Tag 
macht  sich  die  auffallende  Verschmälerung  zunächst  der  Gegend  des 
späteren  Intertarsalgelenkes  bemerkbar  (Taf,  XIV,   Fig.  16  u.   17). 

Der  frei  vorragende  Teil  der  hinteren  Extremitätenanlage  wächst 
zunächst  ohne  besondere  Richtungsänderung  —  im  besonderen 
Gegensatz  zur  vorderen  Extremität  — •  immer  längs  der  Leibeswand 
cloakenwärts  vor.  Schon  im  vorhergehenden  Stadium  hat  der  Rand  der 
Fußplatte  seine  gleichmäßige  Rundung  aufgegeben  und  zeigt  drei 
stumpfe  Ecken,  von  welchen  die  erste  die  Anlage  sowohl  der  ersten 
als  auch  der  zweiten  Zehe  enthält.  Es  ist  auch  hervorzuheben,  daß 
zu  der  Zeit,  in  der  die  iinlage  der  großen  Zehe  noch  am  Tarsus  sitzt, 
der  tibiale  Fußrand  eine  deutliche  Abbiegung  tibialwärts  entsprechend 
der  Richtung  der  ersten  Zehenanlage  zeigt,  so  daß  dadurch  die  Breite 
der  Fußplatte  bedingt  wird,  die  in  den  späteren,  nun  folgenden  Stadien 
mit  dem  Distalwärtswandern  der  großen  Zehe  an  dem  zweiten  Meta- 
tarsale  schwindet.  Diese  Verschiebung  und  auch  die  Verkleinerung  der 
ersten  Zehenanlage  und  die  beträchtliche  Rückbildung  der  fünften 
führen  zunächst  zur  deutlichen  Absetzung  der  Tarsusgegend  vom  Unter- 
schenkel. Dann  rücken  auch  zweites,  drittes  und  viertes  Metatarsale 
mehr  aneinander  und  gelangen  allmählich  in  die  eigentümliche  Parallel- 
stellung, die  zum  Schlüsse  zur  Verwachsung  der  drei  Mittelfußknochen 
führt. 

Trotzdem  die  Zehenanlagen  schon  weit  vorgeschritten  sind,  bilden 
sie  äußerlich  nicht  mehr  als  stumpfe  Ecken.  Das  ist,  wie  Sewertzoff 
mit  Recht  hervorhebt,  das  Charakteristische  an  der  Amniotenextremität, 
daß  die  Finger-  und  Zehenanlagen  innerhalb  der  Hand-  und  Fußplatte 
entstehen  und  erst  später  vortreten,  während  unter  den  Urodelen,  an 
der  Tn^ow-Hand  z.  B.,  das  gerade  Gegenteil  stattfindet. 

Die  weitere  Entwickluns;  des  Skelettes  des  Fußes  ist  von  Parker 


Zur  Er.twicUlung  der  VogcloxtivinitiU.  303 

bei  der  Ente,  von  Gegenbaur,  Rosenberg,  Thomson  und  Baur 
übereinstimmend  geschildert  worden  und  hat  in  der  jüngsten  Zeit  durch 
Marie  Kaufmann-Wolf  weitere  Bestätiguno  erfahren.  Ich  will  nur 
zwei  Stadien  kiuz  schildern,  um  einen  gewissen  Abschlul.i  in  der  Dar- 
stellung herbeizuführen. 

Die  Tibia  überwiegt  in  ihiem  Wachstum  immer  mehr  und  mehr 
über  die  Fibula.  Vor  allem  verbreitert  sich  ihr  distales  Ende  und 
rückt  an  das  längsovale  Fibulare,  während  die  Fibula  proximal  zurück- 
reicht, und,  wie  es  Taf .  XIV,  Fig.  17,  zeigt,  an  Länge  bereits  ein  gut 
Teil  gegen  die  Tibia  zm-ücksteht.  Wohl  bleibt  sie  mit  dem  Fibulare 
durch  einen  dichteren  Zellstrang  in  Verbindung,  aber  bald  hört  auch 
diese  Verbindungsbrücke  mit  dem  Tarsus  auf.  Nach  der  Verknorpelung 
des  zweiten,  dritten  und  vierten  Metatarsale  tritt  zunächst  ein  Knorpel- 
kern im  Basale  commune  und  dann  im  Tritibiale,  im  ersten  und  fünften 
Metatarsale  auf.  Kaufmann- Wolf  gibt  für  das  Houdan-Huhn  folgende 
Entwicklungsreihe  der  Knorpelcentren  an:  Fibulare  fast  gleichzeitig 
mit  drittem  und  viertem  Metatarsale,  dann  zweites  Metatarsale,  dann 
Basale  und  dann  Tritibiale.  Es  ist  die  ganz  gleiche  Reihenfolge  wie  bei 
der  Ente.  Bei  einem  Embryo  von  7Vo  Tagen  sah  ich  die  Anlage  des 
Basale  und  Fibulare  in  kontinuierlichem  Zusammenhang,  so  daß  das  Fibu- 
lare rechtwinkelig  in  die  Basalia  IV  und  V  umbog,  die  vor  allem  in  der 
Anlage  des  Basale  commune  enthalten  sind.  Das  erinnert  an  das  Ulnare 
an  der  vorderen  Extremität,  dessen  distaler  Teil  zum  Basale  IV  und  V 
wird.  Allerdings  sind  anfangs  am  Fuß  beide  Anlagen  getrennt.  Jeden- 
falls sind  die  Anlagen  der  Basalia  immer  scharf  getrennt  von  den 
Metatarsalia,  was  auch  am  Fuß  gegen  eine  Ableitung  der  ersteren 
von  den  basalen  Teilen  der  letzteren  spricht,  wie  sie  Sewertzoff  ver- 
sucht hat. 

Was  die  Metatarsalia  des  in  Rede  stehenden  Stadiums  vom  8.  Tag 
anbelangt,  so  ist  die  kleine  prochondrale  Anlage  des  ersten  Metatarsale 
bereits  bis  zur  Mitte  des  zweiten  Metatarsale  gerückt.  Das  dritte  Meta- 
tarsale ist  stärker  als  das  zweite  und  vierte,  alle  drei  haben  sich  zunächst 
mit  den  basalen  Enden  genähert.  Sie  divergieren  nicht  mehr  so  wie  im 
vorhergehenden  Stadium.  Das  fünfte  Metatarsale  ist  zu  einem  dünnen 
Zellstrang  längs  der  fibularen  Randvene  geworden.  In  seinem  proxi- 
malen Ende  entwickelt  sich  ein  kleiner  Knorpelkern,  der  in  die  Reihe 
mit  dem  Basale  commune  zu  stehen  kommt.  An  den  drei  mittleren 
Zehen  treten  die  proximalen  Phalangen  zuerst  auf,  und  zwar  verknorpelt 
die   der  vierten  Zehe  am  frühesten. 

Dritte  und  vierte  Zehenanlage  zeigen  im  Gegensatz  zur  ersten  und 


304  Felix  Sieglbauer, 

zweiten  eine  fibular  gerichtete  Abbiegung,  eine  Eigentümlichkeit,  die 
wohl  auch  von  den  Reptilienvorfahren  vererbt  ist. 

Das  letzte  Stadium  vom  10.  Tag  zeigt  in  allem  Wesentlichen  schon 
den  ausgebildeten  Fuß.  Der  Unterschenkel  ist  durch  die  dorsale  Ab- 
knickung  der  Fußanlage  in  dem  künftigen  Intertarsalgelenk  scharf 
gegen  die  Fußplatte  abgegi'enzt.  Die  Winkelstellung  im  Intertarsal- 
gelenk nimmt  in  der  weiteren  Entwicklung  noch  zu.  Die  Zehenanlagen 
springen  deutlich  vor,  so  daß  die  Schwimmhautanlage  sich  von  den 
Zehen  abgrenzt.  Dabei  bleibt  dauernd  der  fibulare  Rand  des  Fußes 
länger  als  der  tibiale.  Das  zeigt  sich  schon  in  den  ersten  Entwicklungs- 
stadien und  hängt  mit  dem  Vorauseilen  der  vierten  Zehe  in  der  Ent- 
wicklung zusammen. 

Die  Tibia  (Taf.  XIV,  Fig.  18)  ist  nun  am  distalen  Ende  so  breit 
geworden,  daß  sie  nicht  nur  mit  dem  Tritibiale,  sondern  auch  mit  dem 
von  der  Fibula  ab-  und  distalgedrängten  Fibulare  articuliert.  Tritibiale 
und  Fibulare  bilden  eine  cylindrische,  quergestellte  Knorpelmasse,  in 
der  der  Kern  des  Fibulare  noch  lange  deutlich  umgrenzt  bleibt.  Vom 
Tritibiale  erstreckt  sich  an  der  vorderen  Tibiafläche,  und  zwar  gegen 
den  fibularen  Rand  zu,  ein  knorpeliger  Fortsatz,  der  von  Morse  als 
Inter medium  gedeutet  worden  ist.  Dem  erwiderte  Baur,  daß  schon 
bei  den  Reptilien  das  Intermedium  ganz  klein,  wie  bei  Lacerta,  oder 
vollständig  im  Tibiocentrale  aufgegangen  ist  wie  bei  den  Schildkröten 
und  Krokodilen,  und  nun  nicht  bei  den  Vögeln  wieder  selbständig  werden 
kann.  Er  faßt  den  Processus  ascendens  nur  als  eine  mechanische  Ver- 
festigung des  Tibiotarsus  auf.  x4hnliches  ist,  wie  früher  angegeben 
wurde,  zwischen  dem  Metararpus  III  und  dessen  Processus  muscularis 
der  Fall,  der  als  langer  Knorpelstab  vom  Basale  IV  auswächst.  Beim 
Pinguin  will  ich  auf  das  Verhalten  von  Os  intermedium  und  Processus 
ascendens  zm'ückkommen  und  bemerke  nur,  daß  ich  besonders  nach  dem 
Verhalten  des  Tritibiale  beim  Pinguin  den  fibularen  Teil  des  Tritibiale 
für  das  Intermedium  halte.  Dasselbe  berührt  nur  das  distale  Ende 
der  Tibia  und  nicht  die  Fibula,  was  keine  Kontraindikation  für  diese 
Auffassung  abgibt,  wie  Kaufmann- Wolf  meint.  Das  außerordentliche 
Wachstum  der  Tibia,  vor  allem  ihres  distalen  Endes,  durch  die  Stütz- 
funktion des  Fußes  bedingt,  drängt  eben  das  Intermedium  von  der 
Fibula  ab.  Dagegen  liegt  der  Fortsatz  des  Intermedium,  der  Proc.  ascen- 
dens, der  die  festigende  Brücke  zwischen  Tibia  und  Tarsus  herstellt, 
noch  ganz  am  Außenrande  der  Tibia,  dort,  wo  ein  gut  entwickeltes 
Intermedium  zwischen  Tibia  und  Fibula  hineinreichen  würde.  Der 
Proc.  ascendens  ist  also  nicht  allein  das  Intermedium,  er  ist  nur  das 


Zur  Entwicklung  der  Vogclex(ivinität\  305 

äußere  Anzeichen,  daß  in  dem  Tiitibiale  auch  ein  Intermedium  steckt. 
Daß  der  Fortsatz  sehr  früh  selbständig  verknorpelt  und  verknöchert, 
hängt  wohl  mit  seiner  Bedeutung  für  die  Befestigung  des  Tibiotarsus 
zusammen. 

Das  Basale  commune  ist  zu  einer  schmalen  Knorpelscheibe  ge- 
worden, in  der  man  die  drei  Basalia  dadurch  unterscheiden  kann,  daß 
das  dritte  als  das  am  stärksten  tingierte  Knorpelcentrum  erscheint.  Am 
fibularen  Rand  dieser  Knorpelplatte  liegt  ein  ganz  kleines  Knorpelchen, 
der  letzte  Rest  der  ganzen  fünften  Zehe. 

Die  Metatarsalia  11,  III  und  IV  sind  stark  in  die  Länge  gewachsen 
und  liegen  parallel  dicht  nebeneinander.  Der  dritte  bleibt  der  längste 
Die  mittleren  Phalangen  sind  an  der  zweiten  bis  vierten  Zehe  knorpelig, 
ebenso  die  Grundphalange  der  ersten  Zehe.  Ihre  Endphalangen  sind 
noch  alle  im  Vorknorpelstadium.  Am  erwachsenen  Fuß  beträgt  die 
Zahl  der  Phalangen  von  der  tibialen  zur  fibularen  Seite  2,  3,  4,  5.  Dem- 
entsprechend schreitet  die  vierte  Zehe  in  der  Entwicklung  der  Phalangen 
voraus,  sie  hat  bereits  vier  knorpelige  Phalangen.  Trotzdem  am  aus- 
gebildeten Fuß  die  mittlere  dritte  Zehe  die  stärkste  ist,  so  eilt  doch  die 
vierte  in  der  Entwicklung  voraus,  wieder  ein  von  den  Reptilien  vorfahren 
vererbtes  Merkmal. 

Zusammenfassung. 
Das  Fußskelet  eilt  in  seiner  Entwicklung  dem  Handskelet  voraus. 
Zuerst  entwickeln  sich  die  Elemente  des  vierten  Strahles,  der  dauernd 
in  der  Skeletentwicklung  seinen  Vorsprung  bewahrt.  Nachdem  das 
Fibulare  aufgetreten  ist,  bleibt  es  lange  auch  nach  der  Verwachsung 
mit  dem  Tritibiale  als  selbständiger  Knorpelherd  bestehen.  Das  Triti- 
biale  verknorpelt  nach  dem  Basale  commune.  Von  den  Zehenanlagen 
ist  besonders  die  fünfte  in  ihrer  an  die  Saurier  erinnernden  Form  des 
Tarsometatarsale    hervorzuheben. 

2.  Pygoscelys. 
Wie  bei  der  Ente  und  Möwe,  so  eilt  auch  bei  Pygoscelys  die  hintere 
Extremität  frühzeitig  in  der  Skeletentwicklung  der  Zehen  der  vorderen 
voraus.  Den  Textfig.  10  und  11  der  vorderen  Extremität  von  Pygoscelys 
entsprechen  von  der  gleichen  Seite  des  gleichen  Embryo  die  Textfig.  15 
und  16.  Die  äußere  Form  läßt  keinen  Unterschied  gegen  die  hintere 
Extremitätenanlage  der  Ente  erkennen.  In  der  Entwicklung  des 
skeletogenen  Gewebes  zeigen  die  beiden  Zeichnungen  einerseits  das 
Vorauseilen  des  vierten  Fingers,   anderseits  in  dem  älteren   Stadium 


306 


Felix  Sieglbauer, 


(Fig.  16)  das  Auftreten  der  ersten  Knorpelkerne  in  derselben  Reihen- 
folge, wie  sie  für  die  Ente  und  das  Houdanhuhn  angegeben  wurden, 
Fibulare,  viertes  und  drittes  Metarcapale  und  dann  Basale  commune. 
Fig.  16  ist  das  Spiegelbild  der  rechten  hinteren  Extremität  desselben 
Embryos. 

Bei  dem  15  mm  langen  Embryo  (Taf .  XIV,  Fig.  19)  hat  der  Paddel- 
rand seine  gleichmäßige  Rundung  verloren,  er  weist  drei  stumpfe  Ecken 

auf,  von  welchen  die  erste  besonders 

y^ — ^  scharf    vorspringt    gegen    den   kurzen 

/  "^  tibialen  Rand  der  Unterschenkelanlage. 

Zweite   und   dritte   Ecke    entsprechen 

der  dritten  und  vierten  Zehenanlage, 

/  die  gegen  die  zweite  stark  voraneilen. 

'  Mit    der    unbedeutenden    Anlage    der 

fünften  Zehe  ist  der  fibulare  Rand 
der  Extremitätenanlage  fast  gleich- 
mäßig gerade  gestreckt. 

Die  Skeletentwicklung  zeigt  eine 
verknorpelte  Tibia,  die 
an  Breite  die  schmale, 
gleichfalls  knorpelige  Fi- 
bula übertrifft.  Im  Tar- 
sus hat  sich  in  der 
unmittelbaren  Verlän- 
gerung der  Fibula  das 
Fibulare  deutlich  abge- 
grenzt gegen  eine  distal 
folgende,  noch  prochor- 
dale  Partie,  welche  der 
Anlage  des  vierten  Ba- 
sale entspricht.  Auf  dieses  folgt  die  knorpelige  Anlage  des  vierten 
Metatarsale,  welche  an  Länge  die  Knorpelanlage  des  dritten  etwas 
übertrifft.  An  der  Basis  des  dritten  liegt  als  Anlage  des  Basale  com- 
mune ein  Knorpelkern,  der  in  der  Folge  immer  mehr  oder  weniger 
deutlich  abgegrenzt  bleibt  und  dem  dritten  Basale  entspricht.  Das 
Spatium  interosseum  des  Unterschenkels  reicht  am  Fibulare  noch  ein 
Stück  in  den  Tarsus  hinein.  Die  Anlage  des  Tritibiale  ist  noch 
prochondral.  Von  den  fünf  deutlich  erkennbaren  Zehen  ist  die  vierte 
die  längste,  sie  enthält  den  prochondralen  Kern  einer  Grundphalange, 
die  dritte  ist  etwas  kürzer,  aber  stärker,  1  und  2  bilden  nur  Zinken 


/., 


11 


r 


Pligoscelys,  SS^  11  mm;  linke  hintere  Extremität. 
35mal  vergr. 


Zur  KntwickluiiK  der  Votrclexlveinität. 


307 


einer  gemeinsamen  Anlage,  in  der  zweiten  ist  eben  die  Anlage  eines 
Metatarsale  zn  erkennen.  Die  fünfte  Zehe  erscheint  gegen  die  ent- 
sprechende Anlage  bei  der  Ente  nur  als  ein  stumpfer  Höcker,  der 
aber  einen  kleinen  Knorpelkern  enthält  als  Anlage  eines  Tarsometa- 
tarsale  V. 

Die   Rekonstruktion    (Taf.  XIV,    Fig.  19)    zeigt   auch   neben   den 
beiden  Ästen  des  N.  peroneus  die  Pygoscelys  eigentümliche  Insel  in 
dem  Ramus  dorsalis  der  Art.  interossea.    Zuckerkandl  meinte,  daß 
bei  den  Vögeln  die  Art.  interos- 
sea   den    Tarsus    durchbrechen  1 
könnte    und    mit    ihrer    Durch- 
trittsstelle   allmählich    proximal 
im     Zwischenknochenraum     bis 
^egen    die    Kniekehle    wandere. 
Ich  habe  bei  Möwe,  Huhn,  Ente 
und  Pinguin,  von  dem  jüngsten 
Stadium  angefangen,  immer  den 
Durchtritt   des   Ramus    dorsalis 
der  Art.  interossea    am  distalen 
Ende    des   Zwischenknochenrau- 
mes   gefunden.     Während   aber 
bei  der  Ente    z.  B.   die   Arteria 
über  das  distale  Ende  der  Tibia 
hinweg  auf  die  dorsale  Seite  des 
Tarsus    kommt    und    aus    dem 
fibular    gerichteten    Bogen    die 
Zehenarterien  abgibt,  und  zwar 
nur   zu   den   ersten  vier   Zehen, 
teilt  sich  beim  Pinguin  die  Art. 
interossa  auf  der  dorsalen  Seite 
der   Tarsusanlage   in    zwei    un- 
gleich starke  Äste  —  der  fibu- 
lare  (Taf.  XIV,  Fig.  19)  ist  zu- 
nächst der  stärkere  — ,  welche,  eine  Insel  bildend,  das  Fibulare  von 
der  dorsalen  Seite  her  umlo:eisen.    Der  stärkere  Ast  der  Insel  zieht  im 
Boo-en  dorsal  von  den  Basen  der  Metatarsalia  und  gibt  Seitenäste  an 
alle  Radien  ab.     Schon  bei  der  vorderen  Extremität   wurde  hervorge- 
hoben,   daß   bei   der  Ente   und  Möwe   die  Arterien   der   vierten   und 
fünften  Zehe   aus  dem  volaren  Gefäßnetz   stammen,  ganz  ähnlich  wie 
es  an  der  vorderen  Extremität   der  Fall  ist.     Dort  wurde  auch  das 


Textfig.  16. 

Pygoscelys,  SS  ^  12  mm;  rechte,  hintere  Extremi- 
tät, Spiegelbild.    35mal  vergr. 


308  Felix  Sieglbaiier, 

gegenteilige  Verhalten  in  der  ersten  Entwicklung  bei  Pygoscelys  her- 
vorgehoben. 

Im  folgenden  untersuchten  Stadium  (Taf.  XIV,  Fig.  20)  ändert  sich 
die  Insel  derart,  daß  der  tibiale  Ast  stärker  wird  und  am  Proc.  ascen- 
dens  des  Intermediums  vorbeizieht  und,  wie  bei  den  übrigen  untersuch- 
ten Carinaten,  nur  die  drei  tibialen  Fingerarterien  abgibt.  Ich  habe 
in  dem  jüngsten  Stadium  eines  11  mm  langen  Pygoscelys-~EimhTyo  nur 
den  fibularen  Ast  der  Insel  finden  können,  so  daß  der  tibiale  eine  Neu- 
bildung ist.  Auch  da  zeigen  sich  primitive  Charaktere  am  Fuß  des 
Pinguin,  indem  die  Arteria  interossea  zuerst  einen  Verlauf  zeigt,  wie  er 
den  Eeptilien  eigentümlich  ist  und  erst  später  die  allgemeine,  bei  den 
Carinaten  vorhandene  Beschaffenheit  erwirbt. 

Das  Stadium  von  18  mm  (Taf.  XIV,  Fig.  20)  zeigt  bereits  die 
Verbreiterung  des  distalen  Tibiaendes.  Die  Fibula  weicht  zunächst 
noch  nicht  zurück.  Sie  bleibt  beim  Pinguin  überhaupt  ziemlich  gut 
entwickelt.  Der  Tarsus  hat  seine  volle  Ausbildung  insofern  erreicht, 
als  die  proximalen  Tarsalknochen,  die  Gegenbaur  bei  den  Vögeln  ent- 
deckte, gut  ausgebildet  sind,  das  runde  knorpelige  Fibulare  und  das 
langgestreckte  Tritibiale,  das  ganz  deutlich  die  Zusammensetzung 
wenigstens  aus  einem  medialen  und  lateralen  Stück,  also  einem  Tibiale 
und  Intermedium  erkennen  läßt.  Die  Stelle,  wo  distal  von  beiden  das 
Centrale  im  Tarsus  ähnlich  wie  bei  Reptilien  zu  suchen  wäre,  ist  noch 
vorhanden,  doch  ist  ein  besonderes  Centrum  an  dem  ausgebildeten 
Knorpel  nicht  mehr  zu  erkennen.  Aus  dem  Intermediumteil  des  Tri- 
tibiale wächst  der  Proc.  ascendens  gegen  den  fibularen  Rand  der  Tibia 
aufwärts. 

Man  kann  drei  Basalia  an  der  zweiten,  dritten  und  vierten  Zehe 
unterscheiden.  In  gleicher  Reihe  mit  ihnen  steht  am  fibularen  Fuß- 
rand ein  viertes,  das  dem  Basale  der  fünften  Zehe  entspricht.  In  der 
vierten  Zehe  sind  bereits  zwei  Phalangen  zur  Ausbildung  gekommen, 
während  in  der  dritten  die  Mittelphalangen  noch  klein  sind  und  sich 
im  prochondialen  Stadium  befinden.  An  der  zweiten  Zehe  ist  nm^  die 
Grundphalange  entwickelt.  Die  vierte  Zehe  ist  die  längste,  womit  die 
ganze  Form  der  Fußanlage  übereinstimmt,  indem  die  Fußplatte  einen 
langen  fibularen  Rand  besitzt,  während  der  distale,  die  vier  Zehen- 
enden verbindend,  in  stumpfen  Ecken  abbrechend,  gegen  den  tibialen 
Rand  allmählich  proximal  zurückweicht.  Die  erste  Zehe  ist  kurz  und 
steht  horizontal  rein  tibial  nach  außen.  Der  Fußrand  springt  in  fast 
rechtem  Winkel  gegen  den  Unterschenkel  an  der  tibialen  Seite  vor. 

Das  folgende  Stadium,  21  mm  (Taf.  XIV,  Fig.  21),  ist  gegen  das 


I 


Zur  I^ntwickhmy-  der  N'ogcloxtreinität.  309 

oben  beschriebene  nur  dadurch  ausgezeichnet,  daß  viertes  und  fünftes 
Basale  verschmolzen  sind  und  einen  noch  etwas  zapfenförmig  vor- 
springenden Knorpel  an  der  Basis  des  vierten  Metatarsus  bilden.  Das 
erste  Metatarsale  hat  seinen  Platz  am  Tarsus  verlassen  und  ist  distal 
längs  des  zweiten  gewandert.  Dadm'ch  kommt  es  zu  einer  Verschmäle- 
rung  der  Gegend  des  Fußgelenkes.  Die  vierte  Zehe  besitzt  bereits  drei 
Phalangen  und  ist  länger  als  die  dritte,  die  nur  zwei  Knorpelcentren 
für  Phalangen  aufweist. 

In  dem  letzten  mir  zur  Verfügung  stehenden  Stadium  (Taf.  XIV, 
Fig.  22)  beginnen  bereits  die  Verschmelzungsprozesse  in  der  proximalen 
und  ebenso  in  der  distalen  Reihe  der  Fußwurzelknochen  und  damit 
die  erste  Andeutung  des  Intertarsalgelenkes.  Fibulare  und  Tritibiale 
sind  zu  einem  längs  des  breiten  distalen  Tibiaendes  sich  erstreckenden 
Knorpel  geworden.  Die  Fibula  ist  zurückgewichen.  Der  Kern  des 
Fibulare  ist  aber  noch  deutlich  begrenzt.  Ebenso  enthält  der  Proc. 
ascendens"  einen  gut  begrenzten  Knorpelkern.  Die  Basalia  II — -V  — 
ein  erstes  kommt  nicht  zur  Ausbildung  —  sind  zu  einer  schmalen  kon- 
vex-konkaven Platte  verschmolzen,  die  im  Bereich  des  dritten  Basale 
am  mächtigsten  ist.  Zweites,  drittes  und  viertes  Metatarsale  stehen 
parallel,  sind  im  Verhältnis  zu  einem  entsprechenden  Stadium  der  Ente 
kurz  und  plump,  das  dritte  ist  das  längste.  Der  erste  Metatarsus  ist 
sehr  lang  und  eigentümlich  plantar  vom  zweiten  Metatarsus  etwa  in 
dessen  Mitte  geschoben.  An  allen  Zehen  ist  die  typische  Phalangen- 
zahl erreicht  und  zwischen  der  zweiten  bis  vierten  eine  schmale  Schwimm- 
haut ausgebildet.     Von  Krallenanlagen  ist  noch  nichts  zu  sehen. 

Zusammenfassung. 

Das  Fußskelet  von  Pycjoscelys  entsteht  in  derselben  Weise  wie  das 
des  Entenfußes.  Die  fünfte  Zehe  der  Ente  hat  den  Eidechsencharakter 
noch  gewahrt,  während  bei  Pygoscelys  ähnlich  wie  beim  Huhn  nur  ein 
stumpfer  Höcker  in  den  späteren  Stadien  zu  erkennen  ist.  Dagegen 
ist  die  erste  tibiale  Zehe  beim  Pinguin  viel  Ivräftiger  als  bei  der  Ente 
entwickelt  und  auch  nicht  so  weit  mit  ihrem  Metatarsale  distal  gerückt. 

Die  Entwicklung  des  Skelettes  von  Vogelhand  und  -fuß  hat  neben 
den  für  die  Extremitätenentwicklung  überhaupt  charakteristischen 
Heterochronien  allenthalben  Anklänge  an  die  Skeletentwicklung  der 
Reptilienextremität  gezeigt.  Indem  an  der  Vogelhand  der  erste  Finger 
wie  bei  Seps  tridactyla  nicht  mehr  zur  Ausbildung  gelangt,  der  zweite, 
der  vierte  und  vor  allem  der  fünfte  rudimentär  bleiben,  wird  der  dritte 
zur  Achse  der  Ruderflosse,  als  die  man  die  Federn  tragende  Hand  des 


310  Felix  Sieglbauer, 

Vogels  auffassen  kann.  Das  ganze  Flügelskelet  hat  nur  die  Aufgabe  zu 
erfüllen,  einen  gegliederten  und  zugleich  festen  Träger  für  die  Schwung- 
federn zu  bilden.  Dadiu'ch  wird  die  Vogelhand  rudimentär  und  ihrer 
Vorfahrenhand  sehr  unähnlich.  Viel  weniger  ist  das  Fußskelet  in  der 
Phylogenese  verändert,  wenn  auch  in  der  Rückbildung  der  ersten 
Zehe  und  dem  in  der  Ontogenese  vor  sich  gehenden  vollkommenen 
Schwund  der  fünften  Zehe  und  vor  allem  in  der  Verlängerung  der 
Unterschenkel-  und  Metatarsusknochen  und  in  der  Verschmelzung  der 
letzteren  mit  dem  Tarsale  distale  zum  Laufknochen  das  Bild  des  Eep- 
tilienfußes  sehr  verwischt  worden  ist.  Gerade  die  bedeutende  Erhebung 
des  Rumpfes  über  den  Boden,  die  bei  den  Stelzvögeln  so  exzessiv  wird, 
zeichnet  den  Vogel  vor  dem  am  Boden  lo-iechenden  Reptil  aus.  Diese 
Verlängerung  der  Hebelarme  des  Beinskelettes  ist  nicht  nur  zum  Laufen, 
sondern  für  viele  Vögel  zum  Abfluge  von  höchster  Wichtigkeit,  wie  die 
kurzbeinigen  Cypselomorphae  zeigen,  welchen  die  Fähigkeit,  vom 
Boden  glatt  abzufliegen,  fehlt. 

Leipzig,  im  Juli  1910. 


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Zeitschrift  f.  wissenach.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  21 


312 


Felix  Sieglbauer, 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  XIII  und  XIV. 
Alle  Figuren  in  der  Ansicht  von  der  dorsalen  Seite. 

Ente. 
Linke,  vordere  Extremität: 


Fig.  1. 

Embryo 

von 

6 

Tagen. 

Schnittbild. 

»    2. 

» 

» 

7 

» 

Kombination  aus  mehreren  Schnitten 

»    3. 

* 

» 

7 

» 

Pausrekonstruktion. 

»    4. 

» 

» 

8 

» 

» 

»    5. 

» 

» 

9 

» 

» 

»    6. 

» 

-v 

10 

» 

» 

'>    7- 

» 

» 

12 

» 

» 

*    8. 

>> 

» 

15 

/> 

» 

»      9. 

SS  Länge  des  E 

»    10. 

»         '> 

>    11. 

»         >> 

>    12. 

»         » 

R,  Radius; 

U,  Ulna; 

r  +  i,  Radiale 

u.  Intermedium; 

u,  Ulnare; 

c.  Centrale; 

p,  Pisiforme; 

2,  3,  4,  5  u.  b, 

Basalia; 

Pygoscelys. 
Linke  vordere  Extremität: 

'o  15  mm.     Pausrt 
18     » 
21     » 


N.r,  Nervus  radialis; 

A.i,  Arteria  interossea; 

E.d,  Ramus  dorsalis; 

E.v,  Ramus  ventralis; 

P.m,  Processus  musculaids   metacarpi 

III; 
T,  Tuberositas  metacarpi  II. 


Linke,  hintere  Extremität: 

Ente. 

Embrj'o  von     6  Tagen.     Pausrekonstruktion. 

■•>  »       7        »  >> 

>>  »       7        »  » 


•>  »       8        » 

»  »     10        » 

Pygoscelys. 

Fig.  19.     SS  Länge  des  Embryo  15  mm. 


Fig 

13. 

» 

14. 

>> 

15. 

» 

16. 

» 

17. 

» 

18. 

PausrekoDstruktion. 


■>    20. 
»    21. 


18 
21 


Zur  Entwickluug  der  Vogelextremitftt.  31  3 

Fig.  22.     SS  Länge  des  Embryo  28  mm  Pausrekonstruktion.    (Spiegelbild 
des  rechten  Fußes.) 

T,  Tibia;  2,  3,  4,  5  u.  b,  Basalia; 

F,  Fibula;  N.p,  N.  peroneus; 

ir,  Tritibiale;  N.f,  N.  fibularis; 

a,  Proc.  ascendens  des  Tritibiale;  R.V,  Randvene; 

/,  Fibulare;  A.i,  Ram.  dorsal,  d.  Art.  interossea. 

Für  die  Figuren  im  Text  sind  dieselben  Abkürzungen  gebraucht  wie  für  die 
Figuren  der  Tafeln. 


21* 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren 
des  Rindes. 


Von 

D.  Tretjakoff 

(St.  Petersburg). 


Mit  Tafel  XV— XVIII. 


Nachdem  ich  im  Jahre  1902  meine  Untersuchungen  über  die 
Nerven  der  Rüsselhaut  des  Ferkels  (Zur  Frage  der  Nerven  der  Haut. 
Diese  Zeitschr.  Bd.  LXXI,  Hft.  4)  veröffentlicht  hatte,  unternahm 
ich  die  systematische  Untersuchung  der  Nervenendigungen  an  den 
Sinushaaren  von  verschiedenen  mir  zugänglichen  Tieren,  Bald  konnte 
ich  mich  überzeugen,  daß  die  Grundformen  der  Verteilung  der  Nerven 
zwar  gleichartig  sind,  daß  jede  Tierart  doch  ihre  gut  ausgeprägten 
Eigentümlichkeiten  besitzt,  die  angesichts  der  funktionellen  Bestimmung 
der  verschiedenen  Nervenendigungen  sicher  nicht  gering  zu  schätzen 
sind.  Diese  Eigentümlichkeiten  treten  aber  am  besten  hervor,  wenn 
man  nicht  einzelne  Endverästelungen  der  Nerven  isoliert  und  für  sich 
allein,  wie  in  der  letzten  Zeit  üblich  ist,  betrachtet,  sondern  das  Nerven- 
gewebe in  dem  Sinushaar  als  Ganzes  mit  seinen  Beziehungen  zu  den 
übrigen  Bestandteilen  des  Haarbalges  und  mit  allen  möglichen  Modi- 
fikationen in  Betracht  zieht.  Als  Beispiel  derartiger  bedeutungsvoller 
Beziehungen  kann  das  Sinushaar  des  Rindes  gelten,  da,  nach  meinen 
Untersuchungen,  sie  unerwartet  reich  an  den  verschiedenartigsten 
Nervenendigungen  sind,  besonders  diejenigen  Haare,  die  sich  an  beiden 
Seiten  des  »Filtrum«  befinden.  Im  Vergleich  mit  dem  von  mir  näher 
untersuchten  Sinushaar  des  Schweines  stellt  das  Sinushaar  des  Rindes 
eine  in  höchster  Weise  ausgebildete  und  differenzierte  Vorrichtung  zu 
den  Tastempfindungen,  die  besonders  beim  Haschen  nach  Nahrung 
funktionieren  soll  und  deshalb  wahrscheinlich  auch  sehr  wichtig  für 
die  Psychologie  des  Tieres  sein  muß.  Der  Sache  kann  man  auch 
nicht  die  praktische,  landwirtschaftliche  und  tierärztliche  Bedeutung 


Die  Nervenendigungen  an  clon  Sinushaaron  des  Rindes.  315 

absprechen.  Den  merkwürdigen,  für  unsre  Auffassung  sogar  noch  wenig 
verständhchen  Tastsinn  im  Schnauzenendc  des  Rindes,  mit  dessen 
Hilfe  das  Tier  ziemHch  genau  die  Arten  und  Ordnungen  der  Pflanzen- 
welt unterscheiden  kann,  will  ich  hier  nicht  ausführlich  behandeln. 
Die  Beispiele  dafür  kennt  wohl  jeder  Zootechniker.  Ich  widmete 
meine  Aufmerksamkeit  dem  Sinushaar  des  Rindes  als  einem  vollkom- 
mensten Tastorgan  in  der  Hoffnung,  hier  das  Wesentlichste  dieser 
Vorrichtung  an  das  Tageslicht  zu  bringen. 

Bei  dem  ersten  Blick  auf  den  Rindskopf  könnte  man  glauben, 
daß  die  Tasthaare  hier  in  den  verschiedenen  Bedingungen  zu  der  Druck- 
richtung stehen.  Man  sieht  nämlich  zwei  Arten  der  Haare,  kurze  und 
lange.  Die  Tasthaare  der  ersten  Art  befinden  sich  auf  dem  Schnauzen- 
ende, das  immer  mit  dem  Drüsensecret  befeuchtet  und  mit  dem  sonst 
haarlosen  Epithel  bedeckt  ist.  Diese  Schnauzenhaare  verteilen  sich 
in  drei  Gruppen  —  eine  obere,  zwei  seitliche.  Erstere  besteht  nur  aus 
den  wenigen  Sinushaaren,  die  die  unmittelbare  Fortsetzung  der  Gruppe 
solcher  Haare  der  behaarten  Haut  über  die  Schnauze  darstellen. 

Jede  seitliche  Gruppe  hat  die  Form  des  gleichschenkeligen  Dreiecks, 
dessen  Basis  lateral,  die  Spitze  medial  gerichtet  ist.  Manchmal  be- 
rühren sich  die  Spitzen,  ein  andermal  bleibt  zwischen  ihnen  eine  weite 
Strecke.  Die  Tasthaare  sind  steif,  zugeschärft  und  gerade  nach  vorn, 
senkrecht  zu  der  Epitheloberfläche  gewendet.  Wahrscheinlich  emp- 
fangen sie  normal  den  Druck,  der  in  ihrer  Achsenrichtung  wirkt.  Sie 
sind  hier  wohl  eine  Avantkolonne,  die  Spürhaare  im  engeren  Sinne 
des  Wortes.  Ihre  Bälge  stecken  zwischen  den  Bündeln  des  dichten 
Bindegewebes  und  den  kompakten  Drüsenaggregaten.  Die  binde- 
gewebise  Platte  des  Schnauzenendes  wird  durch  die  sehnigen  Züge 
allseitig  straff  gespannt,  und  die  Spannung  wird  durch  den  Turgor 
der  Drüsen  noch  mehr  erhöht,  so  daß  man  sie  in  ganz  passender  Weise 
mit  dem  Trommelfell  vergleichen  kann.  Was  aber  die  speziellen 
Muskeln  der  Sinushaare  anbelangt,  so  finde  ich  nur  nicht  reichliche 
glatte  Muskelfasern,  die  von  der  oberen  Hälfte  des  Balges  zum  Stratum 
subpapillare  ziehen  mid  höchstens  die  Spannung  des  Haarbalges,  aber 
keine  eigentliche  Bewegung  hervorrufen  können  (Fig.  1,  Taf.  XV). 

Die  Sinushaare  der  sonst  behaarten  Stellen  der  Schnauzenhaut, 
der  Wangen,  der  Unterlippe,  sind  lang  und  hängen  meistens  bogen- 
förmig nach  unten.  Manchmal  finde  ich  unter  ihnen  (besonders  an  der 
unteren  Lippe)  eine  Anzahl  von  zwei  und  drei  gespalteten  Haaren, 
dabei  erreicht  die  Spaltung  verschiedene  Grade.  Die  Spaltung  kann 
vielleicht  biologische  Bedeutung  haben,   indem  die   Gräser  zwischen 


316  D.  Tretjakoff, 

die  Äste  des  Haares  geraten  und  damit  der  Druck  noch  intensiver 
werden  kann.  Soviel  ich  die  gespaltenen  Haare  untersucht  habe,  war 
es  immer  keine  dichotomische  Teilung  während  der  Embryonalentwick- 
lung, sondern  einfache  Spaltung. 

Die  Bälge  der  langen  Sinushaare  stecken  in  den  lockeren  Fett- 
schichten, zwischen  den  gestreiften  Muskelfasern,  die  aber  keine  unmittel- 
baren Beziehungen  zu  den  Sinushaaren  zeigen.  Die  Bälge  sind  durch 
überaus  feste  äußere  bindegewebige  Scheiden  geschützt  und  oben,  in 
der  subpapillaren  Schicht,  mit  glatten  Muskelfasern  versehen.  Sie 
empfangen  wohl  den  Druck,  der  ungefähr  senkrecht  zu  der  Längsachse 
des  Haares  und  von  den  Gräsern  bei  der  Weide  streichelnd  wirkt. 

Man  konnte  eine  verschiedene  Art  der  Nervenverteilung  in  diesen 
und  jenen  Bälgen  zu  finden  erwarten,  in  Wirklichkeit  aber  unter- 
scheiden sie  sich  in  dieser  Beziehung  dm'chaus  nicht;  was  die  beson- 
dere Veranlassung  zu  der  Annahme  berechtigt,  daß  der  Blutsinus  des 
Haares  einen  hydrostatischen  Apparat  bildet,  der  nach  gewissen  physi- 
kalischen Gesetzen  den  Druck  in  jeder  Kichtung  gleichmäßig  in  der 
Flüssigkeit  verbreitet.  Deswegen  brauchen  die  percipierenden  ner- 
vösen Endorgane  gar  nicht  verschiedenartig  in  den  Beziehungen  zu 
der  Stellung  des  Sinushaares  zu  sein.  Und  wenn  ich  weiter  vom  Sinus- 
haar spreche,  so  verstehe  ich  in  gleicher  Weise  beide  Arten  von  den 
Sinushaaren.  Die  Modifikationen  der  bestim.mten  Nervenendigungen 
haben  aus  dem  genannten  Grunde  keine  Ursache  in  der  Lage  des  Sinus- 
haares. Einige  Besonderheiten  dieser  und  jener  Haare  verdienen 
jedoch  nachträglich  erwähnt  zu  sein.  Vorläufig  sei  gesagt,  daß  die 
kurzen  Haare  größere  Mannigfaltigkeit  der  nervösen  Endausbreitung 
und  überhaupt  reichere  Nervenversorgung  zeigen. 

Literaturangaben. 

Man  hat  schon  mehrmals  versucht  die  Zusammenfassung  verschie- 
dener Angaben  zu  machen,  doch  finde  ich  jetzt  eine  derartige  Zu- 
sammenfassung ziemlich  unentbehrlich,  um  die  Eigentümlichkeit  und  den 
Reichtum  an  den  Nervenendigimgen  des  Sinushaares  des  Rindes  besser 
verstehen  zu  können.  Die  wichtigsten  Angaben  habe  ich  persönlich 
durch  Lesen  der  zugehörigen  Schriften  nachgeprüft,  die  wenigen  minder- 
wertigen Beobachtungen  zitiere  ich  nach  den  Arbeiten  von  Bonnet  (2) 
und  KsjUNiN  (20). 

Gegenbaur  (17)  und  Leydig  (26)  brachten  die  ersten  zuverlässigen 
Angaben  über  den  Gesamtbau  des  Sinushaares,  zu  denen  folgende 
Untersuchungen,   außer  derjenigen   von  Dietl   (9),   eigentlich   nichts 


i 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinusliaaron  des  Rindes.  317 

Neues  zuzufügen  vermochten.  Unter  den  Tieren,  die  von  beiden  ersten 
berühmten  JMeistern  untersucht  worden  sind,  befand  sich  auch  das 
Rind.  Deswegen  halte  ich  es  für  angemessen,  die  betreffenden  Unter- 
suchungen etwas  eingehender  zu  zitieren. 

Was  die  Sinushaare  von  den  sinuslosen  unterscheidet,  ist,  nach  den  An- 
gaben von  GEGENBArR  (17),  die  Größe  ihrer  Bälge,  der  Bau  und  die  Verhältnisse 
der  Blutgefäße,  der  Nerv'enreichtum,  die  Papille  und  der  Bewegungsapparat. 
Doch  entspricht  die  Größe  des  Balges  überhaupt  der  Größe  des  Sinushaares  selbst. 
Das  Rind  war  unter  den  zur  Untersuchung  gelangten  Tieren  vorhanden,  aber 
die  hauptsächlichen  Angaben  beziehen  sich  auf  die  Sinushaare  des  Kaninchens. 
Gegenbaur  führt  die  Äußerungen  von  Eble  (»Lehre  von  den  Haaren«)  an,  daß 
innerhalb  des  Haarbalges  die  Gefäßschicht  einen  sulzartigen,  verschieden  rot 
gefärbten  Körper  darstellt,  der  vorwiegend  aus  unzählbaren  feinen  Querfäden, 
■welche  die  äußere  Wurzelscheide  mit  der  äußeren  Balglage  verbinden,  besteht. 
Nach  den  eignen  Beobachtungen  von  Gegenbaur  stellt  die  bezeichnete  Schicht 
ein  weitmaschiges  Netz  des  wellenförmig  verlaufenden  Bindegewebes  dar.  Die 
Glashaut  war  von  ihm  sehr  genau  berücksichtigt,  ebenso  die  Wurzelscheiden  des 
Haares.  Die  äußere  Wurzelscheide  wird  als  eine  rötliche  sulzige  Masse  beschrieben. 
In  der  gefäßhaltigen  Schicht  werden  die  inneren  und  äußeren  Nervenfasern 
nachgewiesen,  die  zwei  Geflechte,  das  innere  und  das  äußere,  bilden.  Vom  End- 
geschick der  Nervenfasern  wird  keine  bestimmte  Auskunft  geliefert.  Wegen  der 
genauen  Messungen  der  Größe  der  Bälge  und  Beschreibung  der  Eigentümlich- 
keiten der  Haare  bleibt  die  Arbeit  immer  noch  lesenswert. 

Gegenbaur  berichtet  zu  knapp  über  die  specifische  Bildung  des 
Sinushaares,  die  innere  Balglamelle,  indem  er  in  gleicher  Weise  die 
Sinusbalken  und  die  äußere  Wurzelscheide  sulzartig  nennt.  In  dieser 
Beziehung  ist  die  Darlegung  von  Leydig  besonders  wichtig  (26). 
Leydig  betrachtet  die  innere  Lamelle  des  Balges  als  eine  gut  unter- 
scheidbare, selbständig  differenzierte  Schicht,  eine  sulzartige  Schicht  in 
engerem  Sinne  des  Wortes  und  betont  ihre  unmittelbare  Beziehung  zu 
den  Endverästelungen  der  in  den  Balg  eintretenden  Nervenfasern.  Die 
Art  der  Endigung  wird  wohl  auch  von  Leydig  unbestimmt  angegeben. 
Beim  Hund  fand  er  im  Sinus  eigentümliche  knäuelartige  Nerven- 
endigungen, die  aber  von  späteren  Forschern  nicht  wiedergesehen 
worden  sind. 

Die  folgenden  Arbeiten  von  Gurtl  (16)  und  Leo  Vaillant  (25)  bringen 
nichts  Neues,  wohl  aber  ODENnis  (32),  der  auch  die  Sinushaare  bei  dem  Ochsen 
untersucht  hatte.  Besonders  wertvoll  waren  die  Angaben,  die  Odemius  über  die 
Nervenendigungen  geliefert  hatte.  Nach  seiner  Darstellung  verlaufen  die  mark- 
losen Terminalfasern  der  Nerven  in  einer  homogenen,  von  rundlichen  Kernen 
durchsetzten  Substanz  im  konischen  Körper  und  finden  ihr  Ende  in  einer  läng- 
lichrunden, feingranulierten  Anschwellung  auf  der  Glashaut.  Der  Ringwulst  ist, 
nach  der  Meinung  von  Odenius,  nervenlos. 


318  D.  Tretjakoff, 

Vom  historischen  Standpunkt  ist  es  bemerkenswert,  daß  Odenius  die 
Nervenendigungen  irgendwo  außerhalb  des  konischen  Körpers  zu  suchen  sehr 
wenig  geneigt  ist.  Die  LEYDiGschen  Körper  von  specifischer  Natur  beim  Hund 
hält  er  für  keine  nervösen  Bildungen  in  erster  Linie  deshalb,  weil  sie  im  Bereich 
des  cavernösen  Gewebes  liegen. 

BuBKHABDT  (7)  verlegt  die  Nervenendigungen  in  den  Ringwulst;  sie  sollten 
sogar  mit  den  Kernen  der  Ringwulstzellen  in  Verbindung  stehen;  Paladino  (53) 
fand  beim  Pferde  keine  Endigungen  im  Ringwulst  oder  im  konischen  Körper; 
wo   eigentlich  die  Nerven  enden,  konnte  er  nicht  feststellen. 

Welikys  (49)  Arbeit  war  nur  russisch  veröffentlicht.  Die  Ergebnisse  sind 
in  manchen  Beziehungen,  beim  Vergleich  mit  andern  Veröffentlichungen  jener 
Zeit,  sehr  interessant.  In  der  Disputation  zwischen  8chöbl  (38)  und  Stieda 
(41)  stellt  sich  Verfasser  an  die  Seite  von  Stieda  und  findet  an  den  Haaren  der 
Fledermäuse  keinen  Nervenring.  In  den  Sinushaaren  von  Hund,  Katze  und 
Maus  konnte  er  nur  die  intraepithelialen  Nervenendigungen  in  der  Form  von  mark- 
losen Fädchen  iin  Epithel  der  äußeren  Scheide  feststellen. 

JoBERT  (18)  verfolgte  beim  Maulwurf  und  Schwein  die  Nervenfasern  bis 
in  den  konischen  Körper,  der  nach  ihm  hyalines  Aussehen  besitzt.  Die  marklosen 
Terminalfasern  steigen  senkrecht  in  die  Höhe  auf  und  bilden  kleine  angeschwollene 
Verbreitungen  (»Kerne«).  Es  bildet  sich  noch  eine  andre  Vorrichtung,  die  er  als 
einen  Nervenring  beschreibt,  in  der  Form  des  diffusen  Geflechtes,  welches  von  den 
aus  den  oberflächlichen  Schichten  der  Haut  kommenden  und  unter  die  Talgdrüsen 
sich  senkenden  Nervenfasern  entsteht.  Jobeet  hat  also  für  das  Schwein  typisches 
Vorhandensein  zweier  Formationen  festgestellt  —  die  Endigungen  im  konischen 
Körper  oder  Palisade  und  den  Nervenring.  Daß  diese  Formationen  beim  Schwein 
wirklich  existieren,  beweisen  die  Ai'beiten  der  letzten  Zeit. 

•i-ir  Die  Untersuchung  von  Sertoli  und  Bizzozero  bildet  (42)  den  bemerkens- 
werten Punkt  in  der  Geschichte  der  Frage.  Beim  Pferd  und  Hund  finden  die 
Verfasser,  an  der  Hand  der  Vergoldungsmethode,  Tastscheiben  zwischen  den 
Cylinderzellen  der  äußeren  Wurzelscheide.  Diese  Tastscheiben  werden  von  ihnen 
in  Gestalt  von  multipolaren  Körperchen  oder  Zellen  anerkannt,  die  untereinander 
und  mit  den  Nervenfasern  zusammenhängen.  Nur  hatten  sie  keine  Spur  des 
Nervenringes  und  der  Endigungen  im  konischen  Körper  gefunden  und  leugnen 
ihre  Existenz.  Da  sie  die  Sinushaare  des  Pferdes  untersuchten,  haben  sie  in 
diesem  speziellen  Fall  teilweise  recht. 

'  Jetzt  folgen  die  grundlegenden  Arbeiten  von  Dietl  (9),  die  von 
den  Bestrebungen,  die  Eigentümliclikeiten  der  Sinushaare  bei  den  ver- 
scbiedenen  Tieren  planmäßig  vergleichend-anatomisch  ernsthaft  zu 
untersuchen  und  in  dieser  Weise  die  früheren  Kontroverse  zu  mildern, 
die  Arten  der  Sinushaare  festzustellen,  geleitet  sind.  Abgesehen  von 
dem  Versuch  die  allgemeine  histologische  Analyse  des  Sinushaares  zu 
geben,  zu  dem  wir  noch  einmal  eingehend  zurückkehren  müssen, 
enthalten  die  Untersuchungen  von  Dietl  auch  die  zahlreichen  und  vor- 
sichtigen Angaben  über  die  Nervenverteilung  und  die  Nervenendigungen, 


Die  Nervenendigungen  an  ilcn  Sinusliaarcn  des  Rindes.  319 

weshalb  diese  Untersuchungen  sicher  für  die  neueren  Arbeiten  mit  der 
Hilfe  moderner  Methoden  einen  Ausuang  bildeten. 

Die  Verteilung  der  Nerven  wird  besonders  im  zweiten  Teil  seiner 
Arbeit  (1872)  dargestellt,  doch  auch  die  erste  Abhandlung  vom  Jahre 
1871  ist  sehr  wichtig,  da  darin  die  Auffassung  des  Gesamtbaues  des 
Sinushaares  so  ausgedrückt  wird,  wie  sie  bis  in  die  neueste  Zeit  ohne 
wesentliche  Modifikationen  sich  erhalten  hat. 

Im  Verhalten  der  stärkeren  Nervenbündel,  die  an  den  Sinus  des 
Haares  herantreten,  unterscheidet  Verfasser  zwei  Möglichkeiten.  Bei 
einer  Keihe  von  Tieren  (z.  B.  Raub-  imd  Nagetieren)  findet  sich  ein 
deutlich  entwickelter  Ringsinus  und  Ringwulst.  Die  Nervenstämmchen 
durchbohren  den  Haarbalg,  verlaufen  im  cavernösen  Gewebe  nach 
oben  und  imien,  so  daß  sie  sich  nach  mannigfacher  Teilung  in  die  Höhe 
des  Ringwulstes  als  einfache  Nervenfasern  (Primitivfasern)  begeben; 
dieselben  liegen  im  Gewebe  der  inneren  Haarbalglamelle,  umgeben  die 
äußere  Wurzelscheide  und  liegen  sehr  nahe  der  homogenen  Glashaut 
an.  Auch  tiefer  schon  sind  einige  Fasern  der  inneren  Lamelle  zuge- 
zogen, um.  in  derselben  ein  Anastomosennetz  zu  bilden.  Bei  andern 
Tieren,  z.  B.  beim  Rinde,  gibt  es  keinen  Ringsinus  und  keinen  Ring- 
wulst. Die  Bündel  der  Nervenfasern  teilen  sich  meist  schon  ziemlich 
tief,  um  teils  in  den  Balken  des  cavernösen  Gewebes,  teils  an  der  inneren 
Lamelle  des  Haarbalges,  wo  sie  auch  anastomosieren,  teils  in  cha- 
rakteristischer Weise  an  der  inneren  Fläche  der  äußeren  Balglamelle 
aufzusteigen.  Dieselben  Fasern  benutzen  dann  regelmäßig  einen  der 
obersten  Balken  des  cavernösen  Gewebes,  um  in  demselben  wieder 
abwärts  der  inneren  Lamelle  zuzustreben,  so  daß  sie  eine  starke 
S-förmige  Krümmung  beschreiben.  Übrigens  verlaufen  die  Nerven- 
fasern beim  Rind  überhaupt  wenig  geschlängelt. 

In  beiden  Kategorien  der  Nervenverteilung  umgeben  schließlich 
die  Nervenfasern  im  oberen  Teile  der  inneren  Haarbalglamelle  die 
äußere  Wurzelscheide  rings  herum  und  sind  von  dem  Epithel  durch 
die  homogene  Glashaut  getrennt.  Die  Glashaut  zeigt  hier  ein  eigen- 
tümliches Verhalten;  sie  erreicht  nämlich  bei  manchen  Tieren,  vor- 
nehmlich beim  Rinde  und  Hund,  ungewöhnhche  Stärke  und  Festig- 
keit, und  zwar  in  ganz  bestimmter  Ausdehnung.  Dies  ist  nun  der  Bezirk, 
in  dem  es  sich  am  besten  beobachten  läßt,  daß  die  Primitivfasern 
(Nervenfasern)  sich  nach  einwärts  umbiegen,  dabei  marklos  werden,  die 
Glashaut  durchbohren  und  den  Epitlielzellen  der  äußeren  Wurzelscheide 
zustreben.  Jede  Faser  senkt  sich  zwischen  die  Epithelzellen  ein  oder  legt 
sich  in  andern  Fällen  mit  einer  kleinen  oblongen  Anschwellung  an  die 


320  D.  Tretjakoff, 

Grenzzellen  an.     Ob  diese  Anschwellung   als  Terminalgebilde  zu  be- 
trachten sei,  läßt  der  Verfasser  dahingestellt. 

Wo  die  Fasern  im  konischen  Körper  aufhören,  waren  sie  entweder 
wirklich  durchgeschnitten  oder  abgerissen,  in  andern  Fällen  hatte  sich 
diese  Einwendung  nicht  mit  triftigen  Gründen  von  der  Hand  weisen 
lassen.  Deswegen  konnte  Dietl  die  Endigung  im  konischen  Körper 
nirgends  bestimmt  nachweisen. 

ScHÖBLs  Arbeiten  über  die  Haare  der  Flugmäuse  (1870)  und  des  Igels  (1873) 
kommen  hier  wenig  in  Betracht,  diese  iVrbeiten  enthalten  namentlich  nach  den 
Erörterungen  von  Stieda  und  Weliky  wenig  zuverlässige  Angaben.  Redtel 
(35)  (1873)  scheint  die  Palisadenendigungen  richtig  beurteilt  zu  haben,  indem  er 
beim  Rinolophus  und  Hippocrejns  Endknöpfchen  im  konischen  Körper  außerhalb 
der  Glashaut  beschrieb;  doch  bestreitet  er  gegen  Dietl  und  Sertoli  das 
Durchtreten  der  Nerven  durch  die  Glashaut.  Die  Arbeit  von  Moisisowics  (30) 
bringt  nur  unbestimmte  Angaben. 

Merkel  richtete  seine  Aufmerksamkeit  (2)  auf  die  Sinushaare  des  .Schweins- 
rüssels, bei  welchem  er  die  Nerven  in  der  äußersten  Zellenlage  der  äußeren  Wurzel- 
scheide unter  den  Talgdrüsen  nach  Durchbohrung  der  Glashaut  in  Tastzellen, 
wie  schon  Sertoli  und  Bizzozero  bewiesen  hatten,  endigen  läßt. 

Lowes  Untersuchung  (28)  schließt  die  Reihe,  in  welcher  die  Erfolge  voll- 
kommenerer technischer  Methoden  noch  wenig  zur  Geltvmg  kommen.  Dagegen 
bringt  die  Arbeit  von  Bonnet  (2)  an  der  Hand  der  sehr  geglückten  Vergoldungs- 
bilder eine  Fülle  positiver  Angaben,  wie  über  die  gewöhnlichen  Haare,  so  auch 
über  die  Sinushaare  der  Katze,  der  Maus  und  des  Pferdes.  Doch  hat  auch  er 
wenig  die  Besonderheiten  der  Haare  der  verschiedenen  Tiere  berücksichtigt,  in 
der  Bestrebung  die  allgemein  gültigen  Schemata  zu  eruieren. 

Nach  der  Darstellung  von  Bonnet  (2)  verästeln  sich  die  Nerven- 
stämmchen  als  ein  kelchf örmiges  Geflecht,  aus  einer  oberflächlichen  und 
tiefen  Lage  zusammengesetzt,  in  der  inneren  Balglamelle.  Die  Fasern 
des  Geflechtes  endigen  nach  Durchbohrung  der  Glashaut  und  Verlust 
ihrer  Markscheide  in  dem  einschichtigen  Endknospenmantel,  der  die 
Wurzelscheidenanschwellung  überzieht,  die  Fasern  der  tiefen  Lage 
endigen  auch  in  einzelnen  zwischen  den  verzahnten  Cylinderzellen  zer- 
streuten Endknospen  im  tiefer  gelegenen  Wurzelscheidenteil.  Zum 
Haartaschenhalse  kommt  bei  manchen  Tieren  ein  eignes  Stämmchen, 
bei  der  Katze  und  Maus  findet  sich  diese  Anordnung  zu  einem  den 
Hals  umspinneuden  Geflecht  (Nervenring)  entwickelt,  wo  die  Nerven- 
fasern auf  unbekannte  Weise  ihr  Ende  erreichen. 

Aus  der  Zeichnung  10,  Taf.  XVIII,  der  Arbeit  von  Bonnet  sieht 
man,  daß  der  Verfasser  eine  sehr  vollständige  Färbung  der  Nerven- 
endigungen am  Sinushaar  des  Schweinsrüssels  erzielt  hatte.  Man  findet 
in  dieser  Zeichnung  die  intraepithelialen  Tastscheiben  einerseits  und 


I 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  321 

die  Endigungeu,  die  wir  jetzt  Palisade  nennen,  anderseits  ganz  deut- 
lich und  naturgetreu  abgebildet.  Doch  war  ein  böser  Dämon  der 
Wissenschaft  sicher  dabei,  denn  Bonnet  spricht  über  die  Sache  folgendes : 
»Nur  beim  Schwein  machten  mich  Goldpräparate  (siehe  Fig.  10)  einen 
Augenblick  schwankend.  Ich  sah  dort  nändich  einzelnen  Fasern  in  der 
Nähe  des  konischen  Körpers  kleine  birnförmige,  ebenfalls  gefärbte 
.Anschwellungen  aufsitzen,  die  jedoch  viel  größer  waren  als  die  von 
Odenius  beschriebenen.  Der  Umstand,  daß  ich  sie  auch  an  den  besten 
Osmiumpräparaten  vermißte,  mahnte  mich  jedoch  zur  Vorsicht,  und 
ich  kann  ihnen  um  so  mehr  als  sie  nm-  eine  flächenhafte  Ausbreitung 
besitzen  und  keinerlei  weitere  Struktur  an  ihnen  nachzuweisen  ist, 
nur  die  Rolle  von  Kunstprodukten  zuteilen.«  Diese  Vorsicht  ist  mir 
überhaupt  wenig  verständlich,  da  an  den  gewöhnlichen,  sinuslosen 
Haaren  die  palisadenförmigen  Endigmigen  von  dem  Verfasser  richtig 
aufgefaßt  wurden. 

Unter  den  positiven  Angaben  der  Arbeit  von  Bonnet  muß  man 
besonders  auf  die  Behauptung  der  Identität  der  intraepithelialen  Tast- 
scheiben mit  den  ähnlichen  Gebilden  (MERKELschen  Tastscheiben)  in 
den  Epithelleisten  hinweisen.  Doch  bleibt  der  Bau  der  Gebilde  noch 
wenig  klar,  indem  Bonnet  die  Endigung  der  Nervenfasern  im  Innern 
des  hellen  Bläschens  in  der  Form  einer  kolbigen  Anschwellung  annimmt. 

Die  Endigungen  im  konischen  Körper,  denen  Bonnet  die  nervöse 
Natur  absprechen  wollte,  wurden  richtig  durch  Ranvier  (34)  verstan- 
den und  beschrieben  unter  der  Bezeichnung  »terminaisons  en  forme 
de  spatule<<.  Dadurch  war  der  Weg  und  Boden  für  die  bedeutenden 
Untersuchungen  von  Szymonowicz  (43)  vorbereitet,  der  die  Sinushaare 
der  weißen  Maus,  des  Schweines  und  des  Maulwurfes  untersuchte. 

Nach  den  Angaben  von  Szymonowicz  durchdringt  das  Bündel 
der  markhaltigen  Fasern  immer  an  einer  Seite  des  Haarbalges  die 
äußere  Wurzelscheide  und  teilt  sich  gleichzeitig  in  zwei  bis  vier  dünnere 
Bündel.  Das  Epineurium  des  Bündels  verschmilzt  hierbei  mit  der 
äußeren  Schicht  des  Haarbalges.  Zahlreiche  dünnere  Bündel  entstehen 
an  der  inneren  Seite  des  Haarbalges  und  lagern  sich  rings  um  das  Haar. 
An  der  birnenförmigen  Erweiterung  der  äußeren  Haarwurzelscheide 
angelangt,  lagern  sich  einige  derselben  tiefer  imd  gelangen  an  die  Glas- 
haut am  unteren  Ende  der  Scheidenanschwellung.  Die  Fasern  der 
tieferen  Schicht  bilden  mit  ihren  marklosen  Endverzweigungen,  die 
bald  an  ein  Hirschgeweih,  bald  an  einen  reich  verzweigten  Baumast 
erinnern,  ein  förmliches  Geflecht,,  stellenweise  scheinen  sie  ein  Netz(?) 
zu  bilden.    Dieses  Geflecht  liegt  jedenfalls  unmittelbar  an  der  Glashaut, 


322  D.  Tretjakoff, 

es  dringt  keine  Faser  dieses  Geflechtes  durch  die  Glashaut.  Am  reich- 
sten ist  das  Geflecht  bei  der  Maus  entwickelt. 

Die  mehr  nach  außen  liegenden  Nervenfasern  verlaufen  oberhalb 
des  oben  erwähnten  Geflechts  und  nehmen  sodann  ihren  Weg  unter 
dem  Ringwulste  gegen  den  oberen  umfangreicheren  Teil  der  Scheiden- 
anschwellung. Sie  durchbohren  in  den  verschiedenen  Höhen  die  Glas- 
haut und  kommen  mit  den  äui3eren  Zellen  der  Scheidenanschwellung 
in  Berührung,  indem  sie  die  Tastscheiben  bilden,  die  über  den  Tast- 
zellen liegen. 

Bei  der  Maus  und  dem  Maulwurf  befindet  sich  schließlich  oberhalb 
der  Scheidenanschwellung  im  Bindegewebe  des  konischen  Körpers  ein 
ringförmiges  Nervengeflecht  aus  vielen  markhaltigen  und  marklosen 
Fasern.  Szymonowicz  ist  mit  Bonnet  über  den  Ursprung  dieses 
Nervenringes  in  der  Beziehung  einverstanden,  als  er  in  ihm  die  Fasern 
nur  von  oben  herantreten  läßt.  Nur  beim  Maulwurf  konnte  er  einmal 
feststellen,  daß  zum  Nervenring  von  unten  ein  Bündel  gelangte. 

Ich  habe  schon  seinerzeit  darauf  hingewiesen,  daß  die  Endverzwei- 
gungen auf  der  Glashaut  bereits  auf  den  Figuren  von  Bonnet  abge- 
bildet sind,  nur  hat  sich  der  Verfasser  über  ihre  Natur  keine  richtige 
Vorstellung  gemacht.  Szymonowicz  ist  seinerseits  zu  der  irrtümlichen 
Vorstellung  in  der  Deutung  dieser  Endigungen  gekommen.  Ich  brauche 
nur  auf  die  Stelle  der  Arbeit  von  Szymonowicz,  wo  der  Verfasser  das 
Zitat  von  Ranvier  anführt,  hinzuweisen:  <<Les  f ihres  nerveuses  qui 
arrivent  au  poil  au  dessous  du  bourrelet  annulaire  ne  traversent  pas 
toutes  la  membrane  vitree:  on  en  remarque  qui  s'arretent  a  sa  surface 
externe  et  qui,  s'applatissant  contre  eile,  se  terminent  par  des  bourgeous 
en  forme  de  spatule.»  Hieraus  darf  geschlossen  werden,  daß  der  Ver- 
fasser (Szymonowicz)  seine  Endigungeu  außerhalb  der  Glashaut  mit 
den  Endigungen  der  Palisaden  für  identisch  gehalten  hat. 

Obgleich  die  Arbeit  von  Richiardi  (36)  speziell  die  Sinushaare 
des  Rindes  berücksichtigt,  bringt  sie  im  Vergleich  mit  den  Untersuchun- 
gen von  Szymonowicz  keine  Angaben,  die  hier  erwähnt  zu  werden 
verdienten. 

Wohl  aber  lieferten  eine  wertvolle  Bereicherung  unsrer  Kenntnisse 
die  Untersuchungen  von  Ostroumoff-Arnstein  (1),  die  mit  Hilfe  der 
EHRLiCHschen  Methylenblaumethode  ausgeführt  wurden. 

Ostroumoff  teilt  in  entschiedener  Weise  die  Endigungen  der 
Nerven  der  Sinushaare  in  hypolemmale  und  epilemmale  ein.  Die 
Fasern  ersterer  Art  bilden  Tastscheiben;  die  meisten  Nervenendigungen 
sollen  aber  außerhalb  der  Glashaut  liefen.     Nach  der  Meinung  des 


Die  Xervenondigungen  an  den  Sinushaaron  des  Rindes.  323 

Verfassers  muß  man  die  geraden  Terminalfasern,  welche  den  Hals  der 
Haartasclie  umgeben,  also  im  konischen  Körper  liegen,  streng  von  den 
l)aumförmigen  Endigungen  an  den  Balken  des  cavernösen  Gewebes, 
in  der  Papille  und  von  den  Endbäumchen  an  der  Glashaut  unter- 
scheiden. Über  den  Nervenring  äußert  er  sich  in  dem  Sinne,  daß  hier 
überhaupt  keine  Nervenendstelle  sei.  Die  ihm  gehörenden  Fasern 
beteiligen  sich  an  der  Bildung  verschiedener  Nervenendapparate,  die 
in  der  oberen  Hälfte  der  Haarscheide  gelegen  sind.  In  einigen  Fällen 
wird  der  Ring  durch  ein  lockeres  ringförmiges  Geflecht  ersetzt,  wo  die 
Endigungen  leichter  verfolgt  werden  können.  Zur  Untersuchung  dienten 
die  Sinushaare  von  verschiedenen  Tieren. 

Kurz  und  klar  dargestellt,  sind  die  Ergebnisse  von  Ostroumoff- 
Arnstein  unübertroffen,  von  den  meisten  der  späteren  Forscher  wurden 
sie  vollständig  bestätigt.  Leider  gelang  es  nicht  immer  die  gleiche 
technische  Stufe  zu  erreichen  und  keine  Widersprüche,  sondern  weitere 
detaillierte  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Nervenendigungen  an  den 
Sinushaaren  zu  liefern. 

Die  chronologisch  spätere  Arbeit  von  Botezat  (3),  der  sich  haupt- 
sächlich der  Goldmethode  bediente,  erklärt  die  Angaben  von  Ostroumoff 
in  manchen  Beziehungen  für  nicht  stichhaltig.  Botezat  untersuchte 
die  Sinushaare  von  der  grauen  Maus,  der  Hauskatze,  dem  Hunde,  dem 
Schwein,  dem  Kaninchen,  dem  Hasen,  dem  Reh,  dem  Rind  und  der 
Ratte.  Als  neu  betrachtet  er  folgende  Behauptungen.  Die  Nerven- 
fasern aus  dem  tiefen  Geflecht  durchdringen  die  Glashaut,  und  inner- 
halb derselben  bilden  sie  die  Tastscheiben;  dieselben  finden  sich  sogar 
in  tieferen,  zur  Papille  hinabreichenden  Teilen  der  Wurzelscheide, 
welche  keine  Anschwellung  bilden.  Die  wahren  Endigungen  der 
sensiblen  Tasthaarnerven  sind  die  Terminalfasern,  in  welche  die 
Tastscheiben  übergehen,  und  die,  in  das  Innere  der  Wurzelscheide 
hineinragend,  zwischen  deren  Zellen  frei  endigen.  Die  blassen  Nerven- 
fasern des  bei  manchen  Tieren  vorkommenden  Ringgeflechtes  durch- 
dringen die  Glashaut  und  bilden  freie  Endigungen  innerhalb  derselben. 
Demnach  ist  die  äußere  Wurzelscheide  des  Sinushaares  bedeutend 
nervenreicher,  als  bisher  angenommen  wurde,  und  es  breitet  sich  der 
sensorische  Terminalapparat  der  Sinushaare  innerhalb  der  genannten 
Glashaut  aus. 

KsjUNiN  (20)  äußert  sich  vielmehr  zugunsten  der  Ostroumoff- 
schen  Angaben  auf  Grund  der  Untersuchungen  über  die  Sinushaare 
von  Meerschweinchen,  Kaninchen,  Hasen,  Ratten,  Mäusen,  Hunden, 
Katzen,  Ziegen  und  Kälbern.     Obgleich  das  Rind  nicht  in  der  Liste 


324  D.  Tretjakoff, 

der  untersuchten  Tiere  angegeben  ist,  bietet  die  Arbeit  manche  wichtige 
Beobachtungen  prinzipieller  Bedeutung  und  verdient  besondere  Be- 
achtung. 

Nach  KsjUNiN  kann  man  die  Nervenendigungen  im  bindegewebigen 
Haarbalge  in  drei  Untergruppen  verteilen:  den  Nervenring,  die  Palisa- 
denendigungen  und  die  baumförmigen  Nervenendigungen  in  den  Balken 
des  cavernösen  Gewebes.  Dazu  kommen  noch  die  intraepithelialen 
Nervenfäden  in  der  äußeren  Wurzelscheide.  Den  Nervenring  nennt 
der  Verfasser,  dem  Beispiel  von  Szymonowicz  folgend,  »ringförmiges 
Geflecht«;  dasselbe  findet  er  weiter  nach  unten  verbreitet,  als  früher 
angenommen  wurde,  und  nach  innen  umfassen  die  Fasern  das  Haar 
dicht  fast  an  der  Glashaut. 

Die  palisadenförmig  gestreckten  Terminalfasern  entspringen  nicht- 
nur  von  den  Fasern  des  tieferen  Geflechtes,  sondern,  gleichwie  bei 
den  sinuslosen  Haaren,  vom  oberflächlichen  Geflecht  der  Haut. 

Von  den  Endbäumchen  in  der  inneren  Haarbalglamelle  hat  der 
Verfasser  recht  hübsche  Bilder  erzielt.  Die  zu  ihrer  Bildung  dienenden 
Nervenfasern  entstehen  aus  den  Stämmchen,  die  in  die  Haarfollikel 
aus  dem  Stratum  subcutaneum  hineintreten,  und  verbreiten  sich  nach 
verschiedenen  Höhenrichtungen  längs  dem  Haar.  Die  Gegend,  wo 
man  die  baumförmigen  Endigungen  findet,  erstreckt  sich  nach  oben 
bis  an  die  Scheidenanschwellung,  nach  unten  bis  an  das  Gebiet  der 
Haarpapille. 

Das  Aussehen  der  baumförmigen  Endigungen  hat  in  der  iVrbeit  von 
KsjUNiN  keine  detaillierte  Beschreibung  erfahren,  wahrscheinlich  aus 
dem  Grunde,  daß  diese  Bildungen  vollkommen  jenen  des  Bindegewebes 
ähnlich  sind,  wie  der  Verfasser  annimmt.  Deswegen  muß  man  die 
schönen  Tafelfiguren  ansehen,  um  über  diese  Endbäumchen  sich  genau 
orientieren  zu  können.  Auf  der  Fig.  4,  Taf.  XXIH,  der  KsjUNiNschen 
Arbeit  bemerkt  man  nämlich,  daß  die  Plättchen  an  den  marklosen 
Astchen,  die  das  Endbäumchen  zusammenstellen,  ungewöhnlich  breit, 
unregelmäßig  gezackt  und  lappig,  fast  sternförmig  sind.  Dabei  findet 
sich  noch  eine  ganze  Masse  kleiner  Plättchen  und  rundlicher  Verdickun- 
gen an  den  Endästen.  Wenn  die  einzelnen  Fädchen  bis  an  die  Glas- 
haut gelangen,  befindet  sich  ihre  größte  Anzahl,  wie  auch  aus  Fig.  3, 
Taf.  XXn,  ersichtlich  ist,  im  Bindegewebe  der  inneren  Lamelle  des 
Haarbalges,  einige  Endbäumchen  sind  sogar  ganz  entfernt  von  der 
Glashaut  und  lieoen  am  Übero;ano-  in  die  Balken  des  cavernösen  Ge- 
webes.  Dieselbe  Figur,  das  Sinushaar  des  Hundes  darstellend,  gibt 
einen  «uten  Betriff  von  der  Fülle  dieser  Bildungen.     Im  Text  werden 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  325 

aber  diese  Verhältnisse,  die,  wie  ich  unten  zeigen  will,  große  ver- 
gleichend-anatomische Bedeutung  haben,  nicht  berührt. 

Das  Vorhandensein  der  Endbäunichen  in  den  Balken  des  caver- 
nösen  Gewebes  bejahend,  ist  Ksjunin  geneigt,  sie  als  gleichwertig  mit 
den  Endbäumchen  in  der  inneren  Lamelle  des  Haarbalgfes  zu  be- 
trachten (20). 

Über  die  Tastscheiben  stehen  die  Angaben  von  Ksjunin  im  Ein- 
klang mit  denen  andrer  Verfasser,  nicht  aber  mit  denen  von  Botezat. 
Die  Endigungen  in  der  Papille  werden  auch  eingehend  beschrieben. 
Was  die  intraepithelialen  Endfädchen  betrifft,  so  erinnert  Ks.junin  an 
die  früheren  Angaben  von  Arnstein  (1876)  und  Lawdowsky  (1887) 
über  die  freien  intraepithelialen  Nervenendigungen  im  Gebiete  der 
Ausführungsgänge  der  Talgdrüsen.  Ksjunin  findet  die  varicösen  Fäd- 
chen  im  Gebiete  des  Kingwulstes  in  ziemlich  beträchtlicher  Zahl  in  der 
Tiefe  der  äußeren  Wurzelscheide.  Genauere  Angaben  über  diese  Art 
der  Nervenendigungen  sind  von  ihm  versprochen  worden,  doch  bisher 
noch  nicht  erschienen. 

Darauf  folgt  meine  Arbeit  über  die  Sinushaare  des  Schweinsrüssels; 
bei  dieser  Untersuchung  war  ich  bestrebt  mich  besonders  jeder  Schema- 
tisierung zu  enthalten  und  das  konkrete  Bild  der  Nervenverteilung  im 
gegebenen  Fall  zu  liefern.  Im  allgemeinen  konnte  ich  die  Befunde  von 
OsTROUMOw  und  Ksjunin  bestätigen. 

Es  folgt  dann  die  Untersuchung  von  Tello  (45),  in  der  die  Fibrillär- 
struktur  der  verschiedenartigen  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren 
vermittels  der  CAJALschen  Silbermethode  nachgewiesen  worden  ist. 
übrigens  bringt  die  Arbeit  von  Tello  keine  neuen  Tätsachen,  und  es 
scheint  sogar,  daß  der  Verfasser  sich  der  Literaturangaben  nicht  voll- 
ständig bemächtigt  hat. 

Nun  möchte  ich  die  hauptsächlichen  Züge  der  Sinushaare  nach  den 
angeführten  literarischen  Veröffentlichungen  kurz  wiederholen. 

Das  tatsächliche  Material  über  die  Nervenverteilung  findet  sich 
in  den  Arbeiten  von  Ranvier,  Ostroumow,  Ksjunin  in  vollkommenster 
Weise  geliefert.  Aber  in  denselben  Arbeiten  wird  die  Richtung  der 
Arbeitsmethoden  immer  einseitig,  man  glaubt  nämlich,  daß  die  übrigen 
geweblichen  Bestandteile  des  Haarbalges  vollständig  bekannt  sind  und 
daß  nur  das  Nervengewebe  Neuentdeckungen  liefern  kann.  Man 
versucht  gar  nicht,  außer  den  Tastscheiben,  die  intimeren  Beziehungen 
zwischen  den  Nervenendigungen  und  den  übrigen  geweblichen  Bestand- 
teilen zu  untersuchen,  man  gibt  keine  bestimmten  Angaben  über  das 
Vorhandensein  oder  Fehlen  der  bindegewebigen  Hüllen  an  den  palisaden- 


326  D.  Tretjakoff, 

förmigen  Endigungen,  wenn  man  von  vornherein  die  merkwürdige 
Ähnlichkeit  zwischen  den  geraden  löffeiförmigen  Endignngen  und  der 
Centralf aser  der  Endkolben  nicht  abweisen  kann.  Die  von  Dietl  vor- 
genommene strenge  Durchführung  der  vergleichend-anatomischen  Fest- 
stellung der  Differenzen  der  Sinushaare  bei  verschiedenen  Tierarten 
ging  bei  späteren  Untersuchungen  verloren,  indem  nicht  das  Sinushaar 
jeder  Art  als  funktionell  angepaßte  Bildung,  sondern  die  typischen 
Nervenendigungen  das  Ziel  der  Forschung  bildeten  und  den  ersten 
Platz  die  Absicht,  die  Verhältnisse  bei  den  verschiedenen  Tieren  als  einen 
einheitlichen  Typus  darzustellen,  eingenommen  hat.  Nach  meiner 
Meinung  aber  ist  die  Zeit  dazu  noch  lange  nicht  gekommen. 

Eigne  Untersuchungen. 
Methode. 

Die  Technik  der  Methylenblaufärbung  scheint  an  sich  sehr  einfach 
zu  sein,  besonders  in  der  Anwendung,  die  von  Prof.  Dr.  A.  S.  Dogiel 
in  der  ausgezeichneten  Weise  im  hiesigen  Laboratorium  ausgearbeitet 
wurde.  Sie  fordert  aber  vom  Forscher  die  Bereitwilligkeit,  immer  die 
besseren  Bedingungen  für  jedes  neue  Objekt  zu  suchen,  die  Bereit- 
willigkeit, die  wohl  durch  keine  schriftlichen  Katschläge,  häufig  sogar 
nicht  durch  Beispiele  übermittelt  werden  kann.  Darin  liegt,  nach  meinen 
Beobachtungen  bei  der  Teilnahme  in  der  pädagogischen  Arbeit  in  hiesi- 
gem Laboratorium,  der  Schwerpunkt  der  Methode.  Für  jedes  Objekt 
muß  man  selbständig  die  passende  Art  der  Präparation  und  Tinktion, 
die  Stärke  der  Methylenblaulösung,  den  Grad  der  Befeuchtung  aus- 
suchen.  Deswegen  kann  man  zuverlässige  Katschläge  nur  in  dem  Fall 
geben,  wenn  das  Objekt  schon  einmal  mit  Hilfe  der  Methylenblau- 
färbung mit  Erfolg  untersucht  worden  ist,  nicht  aber,  selbst  für  ein 
ähnliches  Objekt,  das  noch  untersucht  werden  soll.  Deswegen  mußte 
ich  die  Methode,  die  mir  bei  der  Untersuchung  der  Sinushaare  des 
Schweinsrüssels  gute  Ergebnisse  lieferte,  für  die  Sinushaare  des  Kindes 
nicht  unwesentlich  modifizieren. 

Die  Kinderschnauze  gelangte  in  meine  Hände  3—4  Stunden  nach 
dem  Tode  des  Tieres,  da  der  Schlachthof  in  Petersburg  sehr  weit  von 
der  Universität  ist  und  die  Verkehrsmittel  bis  zur  letzten  Zeit  sehr 
erbärmlich  waren.  Das  schadete  aber  der  Färbung,  nach  den  Kontroll- 
versuchen, in  keiner  Weise. 

Für  die  Färbung  benutzte  ich  die  Vio— Vs  Lösungen  von  Me- 
thylenblau »rectificatum  nach  Ehrlich«  in  physiologischer  Kochsalz- 
lösung, ohne  Sorge  dafür  zu  tragen,  ob  die  Lösung  frisch  oder  warm 


Die  Xervencndigungen  an  den  Sinusliaarcn  des  Rindes.  327 

sei.  Die  Fäibung  führte  ich  ausschheßhch  auf  einem  sauberen  Objekt- 
träger aus,  indem  ich  mit  einem  scharfen  Rasiermesser  aus  freier  Hand 
die  Schnitte  gemacht,  dieselben  auf  einen  trockenen  Objektträger  in  sehr 
großer  Quantität  eingelegt  und  mit  einem  Tropfen  der  Methylenblau- 
lösung von  oben  her  befeuchtet  hatte.  Die  Schnitte  brauchen  gar  nicht 
sehr  dünn,  aber  auch  nicht  dicker  als  2  mm  zu  sein.  Wenn  der  Sinus 
des  Haares  mit  dem  Blut  prall  angefüllt  war,  entfernte  ich  das  Blut 
mit  einem  Stückchen  Löschpapier,  das  mit  Kochsalzlösung  befeuchtet 
war,  oder  wusch  den  Schnitt  zuerst  in  Kochsalzlösung  und  legte  ihn 
dann  auf  den  Objektträger.  In  der  Petrischale  wurden  die  Objekt- 
träger mit  den  Schnitten  in  einem  Thermostat  bei  einer  Temperatur 
von  36 — 37  °  C  gehalten.  Die  Färbung  der  Nervenendigungen  trat 
schon  nach  10 — 15  Minuten  ein,  aber  ich  wartete  noch  1 — 2  Stunden,  so 
daß  die  Färbung  den  höchsten  Grad  ihrer  Intensität  erreichen  konnte, 
und  dann  .fixierte  ich  die  Schnitte  in  einer  Molybdänammoniumlösung 
(7 — 10%).  Die  weitere  Bearbeitung  erfolgte  in  der  gewöhnlichen, 
mehrmals  beschriebenen  Weise. 

Das  Schneiden  mit  dfem  Rasiermasser  gelingt  am  leichtesten  bei 
den  kurzen  Sinushaaren  der  Rinderschnauze,  da  sie  in  der  derben 
bindegewebigen  Schicht  stecken.  Bei  den  Bälgen  der  langen  Haare, 
die  von  der  w^eichen  Muskelmasse  umgeben  sind,  hilft  das  Rasiermesser 
wenig,  hier  ist  es  vorteilhafter,  die  Bälge  mit  der  feinsten  Schere  zu 
öffnen,  das  Blut  in  der  oben  beschriebenen  Weise  zu  entfernen  und 
den  Balg,  ohne  ihn  weiter  zu  schneiden,  auf  dem  Objektträger  mit  der 
Methylenblaulösung  von  oben  her  zu  befeuchten. 

Die  dicken  Schnitte  sind  in  der  Beziehung  vorteilhaft,  als  sie 
ohne  häufigere  Befeuchtung  lange  nicht  vertrocknen,  die  Farblösung 
absorbieren  und  eine  reinere  Färbung  liefern  als  die  dünnen,  sind  aber 
zum  Einschließen  sehr  unbequem  und  müssen  längere  Zeit  im  Alcohol 
absol.  liegen,  was  nicht  immer  für  das  brillante  Aussehen  des  Präpa- 
rates günstig  ist.  Deswegen  schneide  ich  mit  einem  besonders  scharfen 
Rasiermesser  die  dünne  gefärbte  Schicht  von  den  dicken  Schnitten, 
und  schließe  nur  diesen  sekundären  Schnitt  in  Dammaralack  ein. 

In  gleicher  Weise  benutzte  ich  Silber-  und  Goldfärbung,  die  erste 
Methode  in  der  ÜAjALschen  Modifikation  für  die  Darstellung  der  Neuro- 
fibrillen, die  andre  nach  Löavit  und  Ruffini,  dabei  nicht  nur  um  die 
Methylenblaufärbung  zu  kontrollieren,  sondern  auch  in  speziellen 
Fällen  die  Lage  der  Endigungen  an  den  dünnen  Schnitten  näher  zu 
bestimmen.  Natürlicherweise  zeigen  diese  Methoden,  angesichts  der 
Ergebnisse  der  Methylenblautechnik,   nur  untergeordnete  Bedeutung. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  22 


328  D-  Tretjakoff, 

Die  GoLGi-Methode  gab   mir  in  diesem  Fall   gar  keine  brauchbaren 
Bilder. 

Über  die  Art  der  Bearbeitung  der  übrigen  geweblichen  Be- 
standteile des  Sinushaares,  insofern  es  für  die  Verfolgung  der  Nerven- 
endigungen zweckmäßig  ist,  wird  weiter  berichtet  werden.  Was  die 
Osmiumsäurefärbung  betrifft,  so  wandte  ich  sie  an,  wie  in  reiner  Form, 
so  auch  nach  der  Methylenblaufärbung,  indem  ich  zu  der  Lösung 
von  Ammonium  molybdaenicum  5 — 10  Tropfen  (auf  100  ccm)  l%iger 
Osmiumsäurelösung  hinzufügte. 

Ergebuisse. 

Ich  w^erde  mich  nicht  lange  bei  den  gut  bekannten  Unterschieden 
im  Gesamtbau  des  Sinushaares  des  Rindes  aufhalten.  Nach  den  An- 
gaben von  vielen  Forschern  zeichnet  sich  das  Sinushaar  des  Rindes 
durch  das  gleichmäßige  cavernöse  Gewebe,  das  Fehlen  des  Ringwulstes 
und  des  Ringsinus  aus.  Man  findet  also  bei  ihm  die  äußere  und  die 
innere  Lamelle  des  Haarbalges,  die  miteinander  durch  die  bindegewebi- 
gen Balken  verbunden  sind,  und  die  epithelialen  Bestandteile  der  Haar- 
wurzel. Die  Talgdrüsen  sind  gut  entwickelt,  die  äußere  Wurzelscheide 
zeigt  eine  scharf  ausgeprägte  Verdickung,  die  mit  der  ebenfalls  ver- 
dickten Glashaut  bedeckt  ist.  Allen  diesen  Angaben  kann  ich  nur 
zustimmen. 

1.  Nervenstämmchen  und  Schaltapi)arate. 

Während  man  überhaupt  an  den  Sinushaaren  zwei  Gebiete,  wo  die 
Nervenstämmchen  in  den  Sinusbalg  eintreten,  unterscheidet,  muß  man 
meiner  Meinung  nach  am  Sinushaar  des  Rindes  drei  solche  Gebiete 
annehmen.  Das  untere  Gebiet  liegt  etwa  oberhalb  der  Papille,  das 
mittlere  auf  der  Höhe  der  Wurzelscheidenanschwellung  und  das  obere 
unter  den  Talgdrüsen.  Das  mittlere  ist  also  specifisch  für  das  Sinus- 
haar des  Rindes.  Die  Mehrzahl  der  Stämmchen  in  Gestalt  der  dicken 
Bündel  gehören  dem  unteren  Gebiet,  und  zwar  dringen  hier  die  dicken 
Bündel  an  mehreren  Stellen  (2 — 5)  rings  um  das  Haar  in  den  Sinus  ein. 
Nur  der  kleinere  Teil  der  Fasern  begibt  sich  gleich  nach  dem  Eintritt 
nach  oben;  die  übrigen  laufen  in  einer  zu  der  Längsachse  des  Haares 
senkrechten  Ebene,  die  ich  konventionell  die  horizontale  Ebene  nennen 
will,  rings  um  das  Haar,  indem  sie  teilweise  auf  der  inneren  Fläche 
der  äußeren  Balglamelle,  teilweise  im  cavernösen  Gewebe  und  in  der 
inneren  Balglamelle  liegen.  Demgemäß  verteilen  sich  die  Nerven- 
stämmchen sehr  gleichmäßig  in  diesem  unteren  ringförmigen  Geflecht 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  329 

der  markhaltigen  Nerven  und  bie>i;en  sich  von  ihm  aus  nach  oben, 
die  innere  und  die  täußere  Schicht  der  aufsteigenden  Nervenstämmchen 
bildend. 

Man  sieht  aber  in  diesem  ringförmigen  Geflecht  (Fig.  1,  27,  Taf.  XV) 
nur  selten  gerade  zum  Ziel  verlaufende  Fasern.  Die  meisten  biegen 
sich  und  verflechten  sich  untereinander,  bilden  Knickungen,  rück- 
laufende Schlingen  und  Verflechtungen.  Ich  möchte  sogar  sagen, 
daß  die  Fasern  direkt  zum  Ziele  zu  verlaufen  zögern  und  fast  alle 
die  maximale  Beteiligung  an  der  Zusammensetzung  des  unteren  ring- 
förmigen Geflechtes  entwickeln.  Dieses  Bestreben,  das  größte  Quan- 
tum der  Nervensubstanz  zur  Bildung  des  Geflechtes  zu  verwenden, 
äußert  sich  noch  in  andrer,  recht  merkwürdiger  Weise,  die  bisher  von 
keinem  Forscher  bemerkt  wurde. 

Noch  an  der  Stelle  des  Durchtrittes  durch  die  äußere  Balglamelle 
findet  man  einzelne  Fasern  in  eigentümlicher  Weise  geknickt  und 
geschlängelt,  die  km'ze  Stecke  wellen-  oder  zickzackartig  verlaufend. 
Dazu  gesellt  sich  noch  gröbere  Biegung  und  Verflechtung  der  betreffen- 
den Fasern.  Noch  öfters  trifft  man  (Fig.  1,  Taf.  XV)  solche  Bildungen 
an  den  Stämmchen  der  unteren  Kingplexus  an  der  inneren  Fläche 
der  äußeren  Balglamelle  oder  schon  im  Sinus.  Das  Aussehen  der 
Bildungen  ist  sehr  variabel. 

Manchmal  sieht  man  die  Erscheinung  nur  auf  den  isoliert  ver- 
laufenden Nervenfasern  (Fig.  8,  Taf.  XVI)  in  der  iVrt,  daß  der  Achsen- 
cy linder  innerhalb  der  Markscheide  sich  wellenförmig  zu  biegen  be- 
ginnt, und  an  den  Knickungen  und  Zickzacken  Anschwellungen,  Ab- 
plattungen und  Dornen  erscheinen.  Die  Anschwellungen  und  Dornen, 
mögen  sie  maximale  Größe  erreichen,  sind  immer  von  der  Markscheide 
umgeben.  Der  Durchmesser  der  plättchenförmigen  Anschwellungen 
kann  die  Dicke  des  sie  erzeugenden  Achsencylinders  um  vier-  bis  fünf- 
mal übertreffen.  In  andern  Fällen  trifft  man  statt  der  Plättchenbildung 
und  Dornen  massive  Verdickungen  unregelmäßiger  Gestalt,  die  Form 
der  Plättchen  ist  jedoch  auch  sehr  mannigfaltig.  Sehr  häufig  sind 
sogar  die  hinaufsteigenden  Fasern  an  entsprechenden  Stellen  bogen- 
oder  schlingenförmig  gekrümmt.  Man  trifft  auch,  aber  nicht  regel- 
mäßig, in  den  betreffenden  Bildungen  die  Teilung  der  Fasern;  die 
Teiläste  sind  im  Vergleich  mit  der  ursprünglichen  Faser  fast  immer 
dünner.  Da  aber  sehr  häufig  die  wellenförmige  Biegung  des  Achsen- 
cylinders entsteht,  wobei  sich  Plättchen  und  Dornen  bilden,  ohne  jeden 
Zusammenhang  mit  der  Teilung  der  Nervenfaser,  betrachte  ich  die 
entsprechenden    Stellen    des    Achsencylinders    als    die    selbständigen 

22* 


330  D.  Tretjakoff, 

Bildungen,  die  ich  als  die  Schaltapparate  (Fig.  1,  Taf.  XV;  Fig.  2 — 9, 
Taf.  XVI)  bezeichne.  Ich  unterscheide  unter  den  Schaltapparaten  die 
einfache,  komplizierte  und  kombinierte  Form. 

Oben  war  die  Rede  von  der  einfachen  Form  des  Schaltapparates, 
die  also  die  wellen-  oder  zickzackf  örmige  Verbiegung  des  Achsencylinders, 
der  dabei  seine  Markscheide  bewahrt,  darstellt.  Die  Markscheide  paßt 
sich  an  die  Veränderungen  der  Form  des  Achsencylinders  vollkommen  an. 

Die  komplizierten  Formen  der  Schaltapparate  zeichnen  sich  da- 
durch aus,  daß  keine  isolierten  Fasern,  sondern  ein  Teil  oder  sämtliche 
Fasern  des  Stämmchens  gleichzeitig  (Fig.  2,  Taf.  XVI)  und  in  derselben 
Stelle  die  oben  geschilderten  Biegungen  und  Knickungen  erfahren.  Man 
bekommt  dann  auf  den  ersten  Blick  den  Eindruck,  als  ob  an  diesem 
Punkt  die  echte  Nervenendigung  vorliege,  aber  das  ist  nicht  der  Fall. 
Jede  Faser  zieht  nach  der  Bildung  des  Schaltapparates  weiter  hin 
und  findet  in  verschiedener  Weise  ihre  Endigung  in  den  oberen  Teilen 
des  Haares.  Man  begegnet  dann  wieder  derselben  Art  der  Plättchen 
und  Dornenbildung,  die  ich  bei  den  isolierten  Fasern  angegeben  hatte, 
doch  sind  diese  Verbreiterungen  und  Knickungen  des  Achsencylinders 
viel  weiter  ausgeprägt  und  bieten  manchmal  sehr  auffallende  und  ver- 
wickelte Bilder.  Es  gelingt  in  einigen  Fällen,  ungeachtet  der  ausge- 
zeichneten Färbung,  nicht  die  einzelnen  Fasern  mit  allen  ihren  Biegungen 
genau  durch  den  ganzen  Komplex  zu  verfolgen.  Nach  der  Apparat- 
bildung tritt  aus  dem  Schaltapparat  die  gleiche,  oder  auch  eine  größere 
Zahl  der  Fasern,  niemals  aber  eine  mindere.  Die  Fasern  teilen  sich 
in  den  verschiedenen  Stellen  des  Schaltapparates,  die  Aste  werden 
oft  mit  ähnlichen  Verbreiterungen  versehen  oder  sind  ganz  glatt  und 
dünn,   um  nachher   die  normale   Größe  zu  gewinnen. 

Der  ganze  Apparat  wird  konstant  mit  einem  dichten  Netz  von  Capil- 
larschlingen  umflochten,  also  muß  man  annehmen,  daß  dieses  Capillar- 
netz  unmittelbare  Beziehung  zu  dem  Schaltapparat  hat.  Der  Inhalt 
der  Gefäße,  wie  die  Wand  derselben,  färbt  sich  intensiv  blau  und  macht 
das  Gesamtbild  der  Schaltapparate  manchmal  noch  rätselhafter; 
man  fühlt  sich  nicht  jedesmal  imstande,  über  jedes  blaue  Pünktchen 
eine  bestimmte  Entscheidung  zu  gewinnen.  Da  die  Verbreiterungen  des 
Achsencylinders  sich  häufig  sehr  diffus  färben,  hilft  sogar  in  diesen 
Fällen  das  Immersionssystem  wenig.  Beim  Zeichnen  hütete  ich  mich 
natürlich  vor  der  Wiedergabe  eines  solch  verwickelten  Bildes  und  wählte 
die  Fälle,  wo  die  Nervenfasern  von  den  übrigen  Bestandteilen  des 
Schaltapparates  sich  gut  unterscheiden  ließen.  Im  allgemeinen  konnte 
ich  bei  den  sonderbarsten  Bildungen  eine  ziemlich  genaue  Auffassung 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  331 

gewinnen  und  mich  überzeugen,  daß  der  Hauptsache  nach  die  Schalt- 
appaiate  so  zusammengesetzt  sind,  wie  ich  sie  in  den  einfacheren  Formen 
gesehen  hatte.  Von  einem  Endapparat  kann  auch  hier  in  keiner  Weise 
die  Rede  sein. 

Merkwürdig  sind  auch  in  diesem  Fall  die  Verhältnisse  der  Mark- 
scheide, die  bei  allen  Biegungen  und  Knickungen  des  Achsencylinders 
bewahrt  bleibt  und  niemals  unterbrochen  wird.  Diese  Ergebnisse 
erzielte  ich  bei  der  Färbung  der  frischen  Schnitte  mit  Osmiumsäure; 
man  bekommt  dabei  dieselben  wellenförmig  verlaufenden  Nervenfasern, 
nur  schwarz  gefärbt.  Aber  die  RANViERschen  Schnürringe  sind  im 
Bereich  des  Schaltapparates  nur  da  vorhanden,  wo  die  Teilung  der 
Faser  vorkommt,  sonst  nicht;  sie  finden  sich  wohl  vor  und  nach  der 
Apparatbildung,  vorher  treten  sie  meistens  näher  an  den  Apparat  selbst, 
als  nach  der  Apparatbildung,  wo  der  erste  Schnürring  nur  da  auftritt, 
wo  der  Achsencylinder  seine  normale  Größe  und  glattes  Aussehen 
gewinnt. 

Ich  sah  die  Schaltapparate  auf  den  Schnitten,  die  nach  der  Cajal- 
schen  Silbermethode  angefertigt  waren,  hatte  aber  dabei,  wegen  der 
Feinheit  der  Schnitte,  keine  Gelegenheit  den  ganzen  Apparat  in  der 
Fläche  des  Schnittes  zu  bekommen.  Es  erhalten  sich  nur  kurze  Ab- 
schnitte der  gewundenen  Fasern,  die  es  aber  bestätigen,  daß  die  Ver- 
breiterungen und  Knickungen  in  erster  Linie  den  Achsencylinder  be- 
treffen und  durch  das  Auseinandertreten  der  Neurofibrillen  und  die 
Anhäufung  der  iuterfibrillären  Substanz  bedingt  sind.  Damit  wird 
der  Verdacht  widerlegt,  daß  die  Schaltapparate  Kunstprodukte,  viel- 
leicht mit  dem  Rasiermesser  verzerrte  Achsencylinder  seien.  Bei  der 
Methylenblaufärbung  muß  man  diese  Voraussetzung  nicht  außer  acht 
lassen,  sogar  in  den  Fällen,  wenn  die  Schaltapparate  in  der  Tiefe  des 
Schnittes,  ohne  Berührung  mit  der  Oberfläche  sich  färben,  da  der  Druck 
von  dem  Rasiermesser,  wie  ich  oft  gesehen  hatte,  sicherlich  auch  in  der 
Tiefe  des  Schnittes  die  Verunstaltung  und  das  Zerreißen  der  Nerven- 
fasern hervorbringt.  Der  Verdacht  schien  mir  früher  sehr  gerecht- 
fertigt, da  die  Schaltapparate  überhaupt  im  derben  Bindegewebe  liegen. 
Seitdem  ich  die  Bildungen  mit  der  CAjALschen  Methode  gefunden  hatte, 
kann  keine  Rede  von  dem  Artefakt  sein,  und  an  der  Hand  der  Methylen- 
blaupräparate gelingt  es  immer,  das  positive  Zeugnis  zu  gewinnen, 
daß  die  Schaltapparate  keine  durch  Druck  verunstaltete  Achsencylinder 
sind.  Dafür  spricht  schon  ihr  Auftreten  nur  in  den  Grenzen  eines 
Segments  z^vischen  zwei  benachbarten  Schnünmgen  und  die  konstante 
Beziehuno'  der  komplizierten  Formen  zu  den  Blutcapillaren. 


332  D-  Tretjakoff, 

Die  Verbreitungen  des  Achsencylinders  in  den  Schaltapparaten 
sind  also  als  aktive  Vergrößerung  der  Nervensubstanz  zu  betrachten, 
deswegen  verdienen  sie  eine  genauere  morphologische  Analyse.  Sie 
können  übrigens  miteinander  anastomosieren  in  solcher  Weise,  daß 
sie  innerhalb  der  Markscheide  durchlöchert  scheinen.  Die  einfachste 
Form  der  Durchlöcherung  tritt  manchmal  an  einzelnen  Fasern  auf, 
indem  der  Achsencylinder  sich  spaltet;  die  beiden  Teiläste  verdicken 
sich  beträchtlich,  und  bald  darauf  verschmelzen  sie  wieder  zu  einer 
Faser;  gewöhnlich  geschieht  die  Spaltung  und  Vereinigung  dicht  vor 
der  KANViERschen  Unterbrechung.  Ähnliche  Spaltungen  und  Durch- 
löcherungen der  plättchenförmigen  Verbreiterungen  findet  man  an  den 
Fasern  der  komplizierten  Schaltapparate,  aber  niemals  konnte  ich 
sehen,  daß  die  Ästchen  einer  Faser  in  die  Bahn  andrer  Fasern  übergehen. 

Das  äußere  Aussehen  des  komplizierten  Schaltapparates  ist  so 
verschiedenartig,  daß  niemals  zwei  solche  ganz  ähnliche  Bildungen  zu 
finden  sind,  doch  nur  was  die  Art  des  Zusammenfindens  der  veränderten 
Nervenfasern  betrifft.  Die  Veränderung  selbst  geschieht  wie  bei  isolier- 
ten Fasern  der  einfachsten  Schaltapparate,  so  auch  bei  einzelnen  Fasern 
der  komplizierten  Formen  immer  der  Hauptsache  nach  in  derselben 
Weise. 

Die  einzelnen  Fasern  des  Apparates  können  Bogen  und  Schlingen 
bilden,  dabei  sind  die  Einzelapparate  des  Stämmchens  in  derselben 
Höhe  und  in  dichte  Massen  zusammengedrängt,  oder  sie  weichen 
auseinander  und  treten  in  verschiedenen  Höhen  auf.  Die  höchste 
Entwicldung  der  plättchenförmigen  Verbreiterungen  findet  man  in  den 
zusammengedrängten  Formen  der  Schaltapparate.  Die  Fasern,  die  in 
den  komplizierten  Apparaten  verlaufen  und  dabei  ganz  normal  bleiben, 
zeichnen  sich  meistens  durch  ihre  Zartheit  aus;  es  sind  immer  die 
dünnsten  Fasern  des  Stämmchens,  oft  nur  die  Äste  der  mit  den  Appa- 
raten versehenen  dickeren  Fasern. 

Die  Schaltapparate,  mögen  sie  einfach  oder  kompliziert  sein, 
zeichnen  sich  noch  durch  besonders  mächtig  entwickelte,  die  Nerven- 
fasern begleitende  bindegewebige  Hüllen  aus,  was  schon  an  den 
Methylenblaupräparaten  zu  bemerken  ist.  Dadurch  kommt  es,  daß 
die  Bildung  nicht  einfach  in  dem  lockeren  Bindegewebe  liegt,  sondern 
mit  einer  scharf  kontmierten  Kapsel  umgeben  zu  sein  scheint.  Die 
eigentliche  Kapsel  fehlt  ihm  wohl,  und  die  entsprechende  Umhüllung 
stellt  nichts  weiter  als  die  endoneurale  Scheide  dar. 

Jetzt  muß  man  die  Grenzen  des  Gebietes,  wo  die  Schaltapparate 
vorkommen,  die  dem  unteren  ringförmigen  Geflecht  gehören,  genauer 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  333 

bestimmen.  Sie  sind  immer  nur  innerhalb  des  Balges  zu  finden,  außer- 
halb desselben  fehlen  sie  vollständig,  ungeachtet  der  verschiedenartigen 
Biegungen  der  heranlcommenden  Nervenfasern  in  den  Stämmchen,  die 
das  tiefe  Geflecht  der  Haut  zusammenstellen.  Sehr  selten  finde  ich  die 
Schaltapparate  in  dem  Gang,  diu-ch  welchen  die  Nervenstämmchen  die 
äußere  Balglage  durchsetzen,  in  den  meisten  Fällen  beginnt  ihre  Bildung 
erst  nach  dem  Eintreten  in  das  Gewebe  des  cavernösen  Raumes,  beson- 
ders unmittelbar  auf  der  inneren  Fläche  der  äußeren  Balglage,  wo  das 
straffe,  scleraähnliche  Bindegewebe  durch  lockeres  und  an  elastischen 
Fasern  reiches  Bindegewebe  ersetzt  wird.  Diese  Schicht  scheint  den 
Balken  des  Sinus  in  vielen  Beziehungen,  ihrem  Bau  nach,  sehr  ähnlich 
zu  sein. 

Die  größeren  und  kompliziertesten  Schaltapparate  sah  ich  am 
meisten  unterhalb  des  unteren  ringförmigen  (Fig.  1,  4,  Taf.  XV)  Ge- 
flechtes; die  zu  ihrer  Bildung  bestimmten  Fasern  steigen  bogenförmig 
hinab  und  nach  den  Veränderungen  in  dem  Schaltapparat  verlaufen  sie 
wieder  nach  oben,  um  sich  zu  den  Bündeln  des  ringförmigen  Geflechtes 
zu  gesellen.  In  den  horizontal  verlaufenden  Stämmchen  des  unteren 
Xervenringes  trifft  man  die  Schaltapparate  niemals,  darin  besteht  ihre 
sehr  konstante  topographische  Besonderheit.  Sie  erscheinen  aber  sehr 
oft,  doch  meistens  in  einfacheren  Formen,  an  den  Stämmchen,  die  ober- 
halb des  Ringes  und  senkrecht  zu  ihm  hinaufsteigen,  und  zwar  wie 
unmittelbar  in  der  inneren  Balglage,  so  auch  in  dickeren  Balken  des 
cavernösen  Gewebes  oder  an  der  inneren  Fläche  der  äußeren  Balglage. 
Manchmal  sind  sie  an  den  Nervenfasern,  die  in  die  äußere  Balglage 
allseitig  geschlossen  hinaufsteigen,  entwickelt.  Solche  Nervenfasern 
in  der  Zahl  von  2 — 5  durchbohren  (Fig.  1,  6,  Taf.  XV)  die  bindegewebige 
Masse  der  äußeren  Balglage  noch  vor  dem  Eintritt  des  dicken  Stämm- 
chens in  dieselbe  Balglage,  oder  sie  entspringen  und  durchbohren  die 
Balglage  schon  innerhalb  des  Eintrittsganges  und  verlaufen  innerhalb 
des  dichten  Bindegewebes  in  einem  schief  aufsteigenden  engen  Kanal,  der 
mitunter  auch  die  Arterienästchen  und  Blutcapillaren  enthalten  kann. 
Die  Nervenfasern  sind  hier  gewöhnlich  mit  Schaltapparaten  von 
einfacheren  Formen  versehen.  Das  Endgeschick  der  Nervenfasern  kann 
verschieden  sein :  manchmal  endigen  die  Fasern  mit  den  Endbäumchen 
in  der  äußeren  Balgiage  selber  (Fig.  1,  7,  Fig.  Taf.  XV). 

Man  darf  also  im  Gebiet  des  unteren  Nervenringes  zwei  topo- 
graphisch verschiedene  Gruppen  der  Schaltapparate  unterscheiden: 
1)  unterhalb  des  Nervem^inges,  2)  oberhalb  des  Nervenringes.  Letzte 
Gruppe   hat   wieder   zwei   Untergruppen:    a.  die    Schaltapparate   der 


334  D.  Tretjakoff, 

äußeren 'Balglage  (Fig.  1,  Taf.  XV),  b.  dieselben  im  cavernösen  Gewebe, 
also  auch  an  der  inneren  Fläche  der  äußeren  Balgiage  und  in  der  inneren 
Balglage. 

Solch  eine  bestimmte  topographische  Gruppierung  und  das  Fehlen 
der  Schaltapparate  an  den  Bündeln  des  unteren  Nervenringes  spricht 
immer  für  ihre  ganz  bestimmte  funktionelle  Bedeutung. 

Im  unteren  Gebiet  (unterhalb  des  Nervenringes)  fand  ich  noch 
andre  Formen  der  Schaltapparate,  die  auf  den  ersten  Blick  eher 
heterogene  Bildungen  darzustellen  scheinen,  nur  nach  der  Bekannt- 
schaft mit  den  kombinierten  Schaltapparaten  der  mittleren  und  oberen 
Regionen  des  Nerveneintrittes  kann  man  sie  zu  den  kombinierten 
Formen  zählen.  Es  ist  nämlich  die  Kombination  des  Schaltapparates 
mit  den  Endkolben.  Sie  haben  aber  eine  ganz  andre  Lagerurig,  als  die 
kombinierten  Formen  andrer  Gebiete,  denn  sie  liegen  vollkommen  im 
cavernösen  Gewebe.     Das  Beispiel  stellt  die  Fig.  6,  Taf.  XVI  dar. 

Man  sieht  hier  die  markhaltige  Faser,  die  unterhalb  des  unteren 
Nervem-inges  horizontal  verläuft;  sie  teilt  sich,  und  ein  Teilast  setzt 
sich  fort,  um  an  einer  Stelle  den  Schaltapparat  zu  bilden,  dann  kehrt 
sie  wieder  zum  Nervenring.  Andre  Äste  teilen  sich  wiederholt  in 
die  End Verzweigungen,  die  sich  in  eigentümlicher  Weise  untereinander 
verflechten  und  rückwärts  verlaufen,  um  in  den  Endkolben,  die  um 
die  markhaltige  Faser  herum  liegen,  zu  endigen.  Es  entsteht  ein 
dichter  Komplex  von  markhaltigen  Nervenfasern  und  drei  End- 
kolben, der  ein  sehr  eigentümliches  Bild  darstellt.  Aber  der  andre 
Teilast  ist  damit  nicht  erschöpft;  er  verliert  die  Markscheide  und 
verläuft  in  Gestalt  des  feinen  varicösen  Fädchens  parallel  der  mark- 
haltigen Faser,  die  mit  dem  Schaltapparat  versehen  ist.  Die  Art  der 
Endigung  des  marklosen  Ästchens  konnte  nicht  festgestellt  werden,  da 
das  Ästchen  in  den  unteren  Nervenring  hineintritt  und  sich  zwischen 
andern  Fasern  verliert. 

Da  in  andern  Fällen  die  Kombination  von  Schaltapparaten  und 
Endkolben  sehr  gewöhnlich  ist,  wie  ich  gleich  unten  beschreiben  werde, 
nur  zeigen  die  genannten  Bildungen  engere  topographische  Beziehungen, 
glaube  ich  die  Kombination  der  Fig.  6  als  einheitlichen  Apparat  auf- 
fassen zu  dürfen,  besonders  in  der  Beziehung,  daß  der  Schaltapparat 
und  der  Kolbenkomplex  von  derselben  Nervenfaser  entspringen  und 
mit  derselben  Art  von  Bindegewebe,  also  mit  gleichen  topographischen 
Bedingungen  umgeben  sind.  Deswegen  betrachte  ich  diese  Form  des 
Schaltapparates  als  die  kombinierte  Form  desselben. 

Das  mittlere  Gebiet  des  Eintrittes  der  Nervenstämmchen  in  die 


Die  Nervenendigungen  an  den   SiniiHliaaren  des  Rindes.  33o 

äußere  Balglage  stellt  die  Eigentümlichkeit  des  Sinushaares  des  Rindes 
vor,  die  bisher  von  niemandem  in  genügender  Weise  beschrieben  wurde. 
Es  ist  aber  ein  sehr  konstantes  Verhalten.  Vor  dem  Eintritt  in  den 
Balg  trennen  sich  von  den  Stämmchen  der  Nervenfasern  die  feinen 
Bündel.  Dieselben  enthalten  anfangs  nicht  mehr  als  zwei  bis  fünf 
Fasern,  die  aber  unterwegs  sich  teilen  und  in  vermehrter  Zahl  in 
der  äußeren  Balglage  an  der  Höhe  der  Wurzelscheidenanschwellung 
sich  umbiegen.  Hier  treten  sie  in  einen  Gang,  der  sonst  mit  lockerem 
Bindegewebe  und  mit  Blutgefäßen  angefüllt  wird  und  horizontal  oder 
schief  ab-  oder  aufsteigend  die  äußere  Balglage  durchbohrt.  Da  die 
Balken  des  Sinus  an  der  betreffenden  Höhe  sehr  spärlich  sind,  müssen 
die  Fasern  im  Sinus  meistens  erst  an  der  inneren  Fläche  der  äußeren 
Balglage  absteigen,  dann  treten  sie  auf  irgendwelchen  Balken  über 
und  ziehen  in  der  aufsteigenden  Richtung  in  die  innere  Lamelle  des 
Haarbalges  zum  Hals  der  Haartasche  (Fig.  1,  Taf.  XV). 

In  den  Gängen  der  äußeren  Balglage  kommen  an  den  Nerven- 
fasern die  Schaltapparate  (Fig.  1,  8,  Taf.  XV)  am  häufigsten  vor. 
Dabei  muß  man  auch  hier  die  allmählichen  Stufen  der  Zusammensetzung 
unterscheiden.  Im  allgemeinen  kann  gesagt  werden,  daß  die  einfachsten 
Schaltapparate  des  Mittelgebietes  den  komplizierten  Formen  des  unteren 
Gebietes  entsprechen.  Eine  Anzahl  der  durchtretenden  Fasern  zeigen 
die  Biegungen  und  Plättchenbildung  an  den  Achsencyhndern,  die  ihrer 
Gesamtheit  nach  wieder  den  Eindruck  vollständiger  Struktur  dar- 
stellen und  durch  die  konstante  topographische  Beziehung  zu  der  äußeren 
Balglage  ihre  specifische  funktionelle  Bedeutung  vermuten  lassen.  Die 
Entwicklung  des  Schaltapparates  beginnt  aber  niemals  außerhalb  der 
äußeren  Balglage,  sondern  immer  innerhalb  derselben,  und  kann  sich 
eventuell  ins  cavernöse  Gewebe  des  Sinus  fortsetzen.  Die  Nerven- 
fasern erhalten  dabei  ihre  parallele  Lagerung  oder  verflechten  sich 
untereinander,  bilden  die  rückläufigen  Schlingen,  bleiben  ungeteilt  oder 
teilen  sich  und  werden  nach  der  Bildung  des  Schaltapparates  dünn; 
sie  nehmen  die  normale  Größe  wieder  nur  in  den  Balken  des  Sinus- 
gewebes an. 

Zwei  Abarten  lassen  sich  unter  den  Schaltapparaten  des  mittleren 

Gebietes  unterscheiden. 

In  den  Schaltapparaten  einer  Art  (Fig.  7,  Taf.  XIV)  prävaliert  die 
Ausbildung  von  Verdickungen  und  Plättchen,  die  das  wesentlichste 
Merkmal  des  Apparates  darstellen.  Ihre  Ausbildung  können  wir  also  als 
die  Umgestaltung  des  Achsency linders,  um  die  Vergrößerung  der  Ober- 
fläche der  Nervensubstanz  zu  erreichen,  auffassen.     Die  Fasern  dieser 


336  D.  Tretjakoff, 

Art  verlaufen  ziemlicli  einfach,  oline  die  großen  Biegungen  und  Verflech- 
tungen auf  ihrem  Wege  zu  machen.  Diese  Art  der  Schaltapparate  nähert 
sich  am  deutlichsten  den  Formen,  die  Avir  im  unteren  Gebiet  gesehen 
hatten,  obgleich  die  Umbildung  des  Achsencylinders  niemals  in  dem  Grade 
ausgesprochen  ist,  wie  es  im  unteren  Gebiet  vorkommt.  Die  Nerven- 
fasern der  Schaltapparate  werden  oft  von  den  ganz  unveränderten 
Fasern  begleitet.  Manchmal  sind  die  Fasern  dicht  aneinander  gedrängt, 
in  andern  Fällen  weichen  sie  stark  voneinander  in  einem  oder  dem 
andern  Punkt  des  Schaltapparates  ab,  es  gibt  also  in  dieser  Beziehung 
keine  Eegelmäßigkeit,  der  Schaltapparat  bewahrt  aber  seine  Einheit- 
lichkeit, da  die  Fasern  in  demselben  Gange  in  der  äußeren  Balglage 
bleiben. 

In  den  Schaltapparaten  andrer  Arten  (Fig.  2,  Taf.  XVI),  die  im 
unteren  Gebiet  recht  selten  in  komplizierten  Formen  hervortritt, 
wird  der  Achsencylinder  wenig  oder  gar  nicht  verdickt,  legt  sich  aber 
in  eine  Unmasse  scharfer  Biegungen  imd  Knickungen,  dabei  sind  ge- 
wöhnlich alle  Fasern  des  Bündels  daran  beteiligt.  Die  Nervenfasern  in 
diesen  Schaltapparaten  verflechten  sich  eng  miteinander,  oft  ein  ganz 
unentwirrbares  Bild  darstellend.  Sie  verflechten  sich  auch  mit  den 
Blutcapillaren  und  sind  von  spärlichen  bindegewebigen  Bestandteilen 
umgeben.  Der  wellenförmige  Verlauf  des  Achsencylinders  macht  dabei 
keinen  Eindruck  des  einfachen  Zusammenziehens  der  Nervenfasern, 
da  der  Durchmesser  des  Achsencylinders  keinesfalls  gleichmäßig  ist 
rmd  keine  glatten  Grenzen  besitzt;  manchmal  läuft  die  Spitze  des 
Winkels  in  einen  Dorn  oder  wird  leicht  erweitert,  an  andern  Stellen 
verdünnt  sich  der  Achsencylinder  plötzlich  zwischen  zwei  verdickten 
Stellen  und  so  weiter,  immerhin  aber  äußert  sich  hier  die  Vermehrung 
der  nervösen  Substanz  durch  die  Verlängerung  des  Achsencylinders 
sehr  deuthch  (Fig.  2,  Taf.  XVI),  und  es  gibt  keine  Schwierigkeit,  die 
Art  der  Schaltapparate  von  der  erstgenannten  zu  unterscheiden.  Man 
wird  wohl  zugeben,  daß  im  Vorhandensein  dieser  zwei  Arten  der  Schalt- 
apparate die  Vergrößerung  der  Oberfläche  und  der  Masse  der  Nerven- 
substanz als  das  Prinzip  des  Baues  des  Apparates  besonders  hervor- 
tritt, und  nun,  wie  immer,  erkennt  man,  daß  die  Natm-  ihre  Zwecke  auf 
verschiedenen  Wegen  erreichen  kann.  Die  Bildung  der  Verbreiterungen 
imd  das  Zusammenfalten  des  Achsencylinders  ermöglichen  in  gleichem 
Grade  das  größere  Quantum  von  Nervensubstanz  im  bestimmten 
Kaum  zu  entwickeln.  Die  Ähnlichkeit  im  Bau  mit  gewissen  elektro- 
technischen Apparaten  ist  wohl  sehr  auffallend,  wenn  sie  auch  nur 
äußerlich  sein  masr. 


Die  Xervenendigungen  an  den  Sinushaaron  des  Rindes.  337 

Weitere  Stufen  der  Ausbildung  des  Schaltapparates  stellen  die 
kombinierten  Formen  (Fig.  3,  Taf.  XVI)  derselben  vor,  die  im  mitt- 
leren Gebiet  sich  finden.  Sie  sind  ebenfalls  in  die  äußere  Balglage 
eingeschlossen  und  bestehen  aus  dem  eigentlichen  Schaltapparat  in 
Verbindung  mit  echten  Endbäumchen.  Die  Grundlage  wird  immer 
durch  die  marlchaltigen  Nervenfasern  mit  dem  umgebildeten,  geknickten 
Achsencylinder  dargestellt,  der  in  der  oben  geschilderten  Weise  die 
Gesamtmenge  der  nervösen  Substanz  vermehrt;  diese  Nervenfasern 
verflechten  sich  untereinander  und  bilden  den  komplizierten  Schalt- 
apparat. Dazu  gesellen  sich  noch  die  feinen  marklosen  Astchen,  die 
von  den  Schnürringen  derselben  Fasern  entspringen,  in  dem  lockeren 
Bindegewebe  zwischen  den  Faserscheiden  verlaufen  und  sich  verteilen, 
an  der  Peripherie  der  ganzen  Bildung  sich  verästeln  und  in  die 
feinen  Astchen,  die  mit  den  kleinen  Knötchen  besetzt  sind  und  die 
traubenförmigen  Endbäumchen  bilden,  zerfallen.  Wenn  im  Apparat 
nicht  veränderte  markhaltige  Fasern  vorkommen,  entspringen  die 
marklosen  Ästchen,  die  zu  der  Bildung  der  Endbäumchen  beitragen, 
auch  von  diesen  unveränderten  Fasern.  Mitunter  kann  die  ganze 
Faser  sich  bei  der  Endbäumchenbildung  erschöpfen,  findet  also  ihr  Ende 
im  Schaltapparat.  In  einigen  Fällen  beginnt  die  Abgabe  der  marklosen 
Ästchen  noch  weit  außerhalb  der  äußeren  Balglage,  die  marklosen 
Ästchen  verlaufen  dann  im  Bündel  der  marklosen  Fasern  nach  oben 
bis  zum  Schaltapparat  und  endigen  in  ihm.  Aus  dem  Schaltapparat 
treten  die  marklosen  Äste  in  das  cavernöse  Gewebe  nur  sehr  selten  aus. 

Die  unveränderten  markhaltigen  Teile  des  Schaltapparates  zeigen 
übrigens  von  ihrer  Seite  verwickelte  Bogen  und  Schlingen  so,  daß  der 
ganze  Apparat  ein  Konvolut  von  markhaltigen  Fasern  darstellt,  das 
von  Endbäumchen  durchsetzt  und  umgeben  wird. 

Die  kombinierte  Form  des  Schaltapparates  nimmt  wohl  einen 
größeren  Raum  ein  und  wird  immer  reich  mit  Blutcapillaren  ver- 
sorgt. Die  Umgestaltungen  des  Achsencylinders  zeigen  keine  große 
Ausdehnung,  sind  aber  immer  sehr  deutlich  und  bestehen  wie  aus 
Faltungen,  so  auch  aus  plättchenförmigen  Verbreiterungen.  Nach 
der  Bildung  des  Apparates  setzen  die  Nervenfasern  ungestört  ihren  Weg 
fort,  biegen  sich  in  die  innere  Balglage  um,  steigen  bis  zur  Anschwellung 
der  Wurzelscheide  und  nehmen  da  an  der  Bildung  verschiedenartigster 
unzweifelhafter  Nervenendigungen,  insbesondere  der  palisadenförmigen 
Endplatten  teil. 

Die  Gesamtform  der  Art  des  kombinierten  Schaltapparates  unter- 
scheidet  sich    von   der    folgenden    Art    nur    durch    das   Fehlen    von 


338  D.  Tretjakoff, 

Endkolben,  deswegen  gebe  ich  keine  Abbildung  der  eben  beschriebenen 
Kombination.  Sie  zeigt  aber  in  der  Beziehung  die  wichtige  Bildung,  daß 
an  derselben  Stelle  in  den  gleichen  äußeren  Bedingungen  der  Schaltappa- 
rat und  die  unstreitigen  Nervenendigungen  sich  finden;  man  bekommt 
also  an  der  Hand  des  kombinierten  Schaltapparates  die  Vorstellung, 
als  ob  der  Schaltapparat  nicht  nur  in  noch  nicht  bekannten  funktio- 
nellen Beziehungen  zu  der  Nervenleitung  stehe,  sondern  auch  zu  der 
Perzeption,  was  die  folgende  Art  der  kombinierten  Schaltapparate 
noch  wahrscheinlicher  macht. 

Es  ist  also  im  mittleren  Gebiet  noch  eine  andre  Form  des  kom- 
binierten Schaltapparates  vorhanden.  Sie  stellt  die  Kombination  von 
dem  komplizierten  Schaltapparat  im  engeren  Sinne  des  Wortes  vor,  den 
Endbäumchen  und  der  kapsulierten  Nervenendigung,  die  unter  dem 
Namen  des  Endkolben  längst  bekannt  ist. 

In  sehr  schöner  Ausbildung  zeigt  eine  ähnliche  Kombination  drei- 
facher morphologischer  Bedeutung  die  Fig.  3,  Taf .  XVI,  mit  deren  Hilfe 
ich  die  gegenseitigen  Beziehungen  der  hierzu  gehörigen  Elemente  zu 
schildern  versuchen  werde. 

Zu  der  äußeren  Mündung  des  Ganges  in  der  äußeren  Balglage 
tritt  das  Bündel  (Nu)  von  markhaltigen  Fasern,  die  ziemlich  paral- 
lel und  dicht  nebeneinander  verlaufen.  Neben  der  Mündung,  noch 
außerhalb  des  straffen  Bindegewebes  der  äußeren  Balglage,  teilen  sich 
die  Fasern,  bleiben  dabei  markhaltig,  trennen  sich  gruppenweise  von- 
einander ab  und  zeigen  auf  den  ersten  Blick  ganz  mmützliche  und 
ziellose  Umbiegungen  und  Schlingungen.  Eine  von  den  Fasern  tritt 
darauf  in  den  inneren  Raum  des  Endkolben,  verliert  vorher  die  Mark- 
scheide imd  setzt  sich  in  Gestalt  eines  nackten  Achsencylinders,  der 
anfangs  sogar  etwas  verjüngt  scheint;  dann  aber  wird  er  wieder  breit, 
verläuft  bis  zur  Kappe  des  Körperchens  und  endigt  mit  der  Terminal- 
verbreitung. An  der  Oberfläche  ist  die  nackte  Partie  des  Achsencylin- 
ders nicht  glatt,  sondern  zeigt  kurze  zackige  Dörnchen.  Der  Kolben 
besteht  sonst  aus  mehreren,  dicht  aneinander  liegenden  Kapseln,  die 
aus  acidophilen  Fasern  gewoben  werden;  sie  hat  also  dasselbe  Aus- 
sehen, was  ich  im  Schweinsrüssel  gefunden  hatte,  nur  konnte  ich  nicht 
die  Fasern  zweiter  Art  im  Raum  des  Kolbens  auffinden.  Ahnliche 
Kolben  wurden  auch  in  der  Haut  der  Rinderschnauze  von  Cybulskij  (8) 
seinerzeit  vorgefunden,  sie  sind  also  hier  das  morphologische  Element, 
das  mit  der  Feinheit  der  Tastempfindungen  in  unmittelbarer  Beziehung 
steht.  Im  Schaltapparat  schmiegt  sich  der  Endkolben  dicht  an  den 
übrigen  Komplex  und  bietet  damit  den   Eindruck,   als  ob   er  einen 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinusliaaren  des  Rindes.  339 

integrierenden  Bestandteil  des  kombinierten  Schaltapparates  darstellt. 
In  andern  Fällen  trifft  man  mehr  als  einen  Endkolben,  oder  er  ist  nicht, 
wie  in  der  Fig.  3,  an  der  Oberfläche  des  Komplexes,  sondern  ganz  inner- 
halb desselben  gelegen.  Natürlich  muß  man  sich  dabei  hüten,  die  abge- 
schnittene Nervenfaser  für  den  Achsencylinder  des  Kolben  anzunehmen. 

Die  übrigen  markhaltigen  Fasern  teilen  sich  wiederholt  in  mark- 
haltige  Aste,  mid  in  dem  verwickelten  Geflecht  ihrer  Zweige  erfolgt 
an  den  km-zen  Strecken  die  Faltenbildung  oder  Plättchen-  und  An- 
schwellungentwicklung, die  jedenfalls  mit  der  Markscheide  bedeckt 
bleiben.  Um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  möchte  ich  nur  sagen, 
daß  die  Umgestaltung  des  Achsencylinders  dieselbe  kolossale  Ver- 
schiedenartigkeit zeigt,  wie  überhaupt  in  den  früher  beschriebenen 
Schaltapparaten.  Einige  Fasern  durchziehen  den  Apparat  ohne  um- 
gebildet zu  sein. 

Was  die  Nervenfasern  mit  der  Schaltumbildung  betrifft,  so  ver- 
läuft ein  Teil  derselben  ganz  ungestört  in  das  cavernöse  Gewebe;  die 
Fasern  werden  nur  feiner,  um  im  cavernösen  Gewebe  wieder  die  normale 
Stärke  zu  gewinnen.  Andre  Fasern  im  Schaltapparat  geben  feine 
Astchen  ab,  die  im  Gange  der  äußeren  Balglage  unter  den  endoneuralen 
Scheiden  sich  verteilen  und  mit  zarten  Endbäumchen  versehen  sind. 
In  der  Entstehungsweise  der  Endbäumchen  und  ihrer  Verbreitung 
w^iederholen  sich  die  Verhältnisse  der  vorigen  Art  der  kombinierten 
Schaltapparate  und  ebenso,  wie  damals,  treten  die  Endbäumchen 
niemals  aus  dem  Gebiet  des  Schaltapparates;  seine  morphologische 
Einheitlichkeit  wird  von  dieser  Seite  niemals  gestört.  Deswegen  halte 
ich  für  sicher,  daß  die  Endbäumchen  in  den  kombinierten  Schalt- 
apparaten ebenso  wie  Endkolben  den  integrierenden  Bestandteil  des 
Apparates  darstellen.  Die  höchste  Art  der  Kombination  zeigt  nach 
dem  Geschilderten  die  Verflechtung  der  markhaltigen  Nervenfasern 
und  der  Endkolben,  die  mit  den  Endbäumchen  durchsetzt  und  um- 
flochten wird. 

Das  obere  Gebiet,  wo  noch  die  Nervenstämmchen  in  die  äußere 
Balglage  eintreten  können,  liegt  unterhalb  der  Talgdrüsen,  wo  die 
äußere  Balglage  ihre  Selbständigkeit  gegen  die  subpapilläre  Schicht 
der  Cutis  noch  gut  bewahrt.  Die  Nervenstämmchen  kommen  dahin 
schon  nicht  vom  tiefen  Geflecht  des  Stratum  subcutaneum,  sondern 
aus  dem  subpapillären  Geflecht  und  sind  wohl  dünn  und  spärlich;  sie 
steigen  aus  dem  subpapillären  Geflecht  hinab,  dringen  in  die  äußere 
Balgiage  hinein  in  ungefähr  horizontaler  Richtung  und  senken  sich 
steil  in  das .  Gebiet  der  Scheidenanschwellung,  indem  sie  selten  durch 


34:0  D.  Tretjakoff, 

den  konischen  Körper,  sondern  gewöhnlich  erst  auf  der  inneren  Fläche 
der  äußeren  Balglage  ihren  Weg  nehmen,  um  nachher  in  die  Balken 
des  Sinusraumes  hineinzudringen.  Es  muß  dann  noch  bemerkt  werden, 
daß  das  obere  Gebiet  des  Eintrittes  der  Nervenstämmchen  nicht  immer 
und  nicht  auf  jedem  Haar  zu  finden  ist.  Wenn  aber  an  der  betreffenden 
Stelle  das  Bündel  der  markhaltigen  Fasern  verläuft,  wird  es  meistens 
mit  dem  Schaltapparat  versehen,  und  zwar  in  der  kombinierten  Form. 

Zu  demselben  Gebiet  möchte  ich  noch  andre  Nervenfasern  zu- 
zählen, die  (Fig.  1,  10,  Taf.  XV)  zwischen  der  äußeren  Balglage  und 
den  Talgdrüsen  aus  dem  subpapillären  Geflecht  in  den  konischen  Körper 
hineintreten  oder  aus  dem  letzteren  Körper  sich  nach  oben  begeben. 
Sie  verlaufen  auch  in  den  Dellen  zwischen  den  einzelnen  Talgdrüsen 
und  gehen  durch  die  Verbindungsstelle  der  äußeren  Balglage  und  des 
subpapillären  Bindegewebes,  oder  sie  durchbohren  die  äußere  Balglage 
unmittelbar  unter  den  Talgdrüsen.  Es  sind  hier  markhaltige  und 
marklose  Fasern  vorhanden,  und  die  markhaltigen  können  wieder  dick 
oder  fein  sein.  Dicke  Fasern  treten  in  geringer  Zahl  auf  und  sind  die 
Fasern,  die  nach  unten  absteigen  und  auf  der  Wurzelanschwellung 
sich  wieder  scharf  nach  oben  umbiegen  und  in  die  Palisadenplättchen 
oder  die  intraepithelialen  Endigungen  sich  fortsetzen.  Feinere  Fasern 
entspringen  von  dem  unteren  Nervenring;  sie  vereinigen  sich  zu  Bündeln, 
die  am  Halse  der  Wurzelscheide  unter  den  Talgdrüsen  sich  rings  um 
das  Haar  umbiegen  und  hier  eine  Art  des  (unvollständigen)  ring- 
förmigen Geflechtes,  also  des  oberen  Nervenringes  darstellen. 

Es  gibt  also  an  dem  Sinushaar  des  Rindes  ein  oberes  ringförmiges 
Geflecht  (Fig.  1,  9,  Taf.  XV),  das  aber  in  keiner  Weise  mit  dem  Nerven- 
ring, z.  B.  des  Schweinshaares,  zu  vergleichen  ist.  Erstens  liegt  beim 
Eind  das  Geflecht  im  konischen  Körper,  zweitens  besteht  es  aus  mark- 
haltigen Fasern,  deren  terminale  Äste  hier  nicht  vorkommen.  Sie 
begeben  sich  nämlich  in  das  Gebiet  über  den  Talgdrüsen,  wo  die  mark- 
losen Terminaläste  um  die  Haarscheide  ein  Geflecht  bilden.  Die  Unter- 
schiede von  dem  Nervenring  bei  andern  Tieren  muß  man  deshalb 
konsequent  durchführen.  Der  von  mir  gefundene  Nervenring  im 
oberen  Gebiet  des  Sinushaares  des  Rindes  dient  ausschließlich  für  die 
gleichmäßige  Verteilung  der  Nervenbündel  des  oberen  Teiles  des  Haares 
und  wm^de  kaum  von  jemandem  bei  anderen  Tieren  gesehen. 

Am  Sinushaar  des  Rindes  entspringen  vom  oberen  Nervenring  die 
Stämmchen  der  markhaltigen  Fasern,  die  sich  nach  oben  zwischen  den 
Talgdrüsen  begeben,  und,  wie  ich  schon  gesagt  hatte,  in  dem  obersten 
Gebiet  des  Haarbalges  das  Geflecht  bilden.     Ihr  Endschioksal  konnte 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  341 

ich  aber  nicht  vollständig  verfolgen,  da  sie  sich  oberhalb  der  Talg- 
drüsen mit  den  andern,  subpapillären  Fasern  verflechten. 

Auf  wenigen  gut  gelungenen  Präparaten  sieht  man  im  Bestand 
der  Bündel  auch  die  Fasern  für  die  Talgdrüsen,  also  wahrscheinlich 
von  sympathischer  Natur.  Für  die  endgültige  Bestimmung  hatte 
ich  zu  wenig  Material  erhalten,  und  ebensowenig  kann  ich  genaue  An- 
gaben über  die  reichlichen,  in  diesem  Gebiet  vorkommenden  marklosen 
Fasern  liefern.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  gehören  die  marklosen 
Fasern  den  Blutcapillaren  an,  ich  suchte  nämlich  ihre  näheren  Bezie- 
hungen zu  den  vorhandenen  Palisadenplättchen  zu  eruieren,  kam 
aber  zu  negativen  Ergebnissen. 

Damit  schließe  ich  die  Beschreibung  der  Nervenstämmchen,  die 
in  den  Balg  des  Sinushaares  des  Rindes  hineintreten  und  erlaube  mir 
noch  eine  kurze  Wiederholung  der  beobachteten  Tatsachen. 

Das  Sinushaar  des  Rindes  unterscheidet  sich  scharf  von  den  Sinus- 
haaren der  übrigen,  bisher  untersuchten  Sinushaare  im  Vorhandensein 
zahlreicher  Eintrittsstellen  für  die  sensiblen  Nervenfasern.  Die  be- 
deutende Zahl  der  eintretenden  Nervenfasern,  die  überwiegend  mark- 
haltig  sind,  verteilt  sich  im  Bindegewebe  des  Balges  in  solcher  Weise, 
daß  man  das  Bindegewebe  des  Balges  mit  einer  viel  größeren  Menge  von 
Nervensubstanz  angefüllt  findet,  als  es  eigentlich  nach  den  laufenden 
Vorstellungen  über  die  Bedeutung  der  Nervenendigungen,  und  zwar 
mit  Rücksicht  auf  die  reichste  Entwicklung  der  Nervenendigungen 
im  Sinushaar  des  Rindes  zu  erwarten  ist.  Dabei  sind  die  markhaltigen 
Nervenfasern  in  solcher  Weise  geordnet  und  umgebildet,  daß  sie  wahr- 
scheinlich neben  ihren  Nervenendigungen  zu  dem  Druck  und  der 
Druckperzeption  in  direkten  Beziehungen  stehen,  und  das  äußert  sich 
in  dem  Erscheinen  der  Schaltapparate,  die  eigenthch  nach  dem  Prinzip 
der  Nervenendigungen  gebaut  sind,  also  dieselbe  Vergrößerung  der 
Masse  und  der  Oberfläche  des  Achsencylinders  nur  innerhalb  der 
Markscheide  darstellen.  Nach  den  Besonderheiten  der  Struktur  unter- 
scheide ich  einfache,  komplizierte  und  kombinierte  Formen  der  Schalt- 
apparate. 

Der  einfache  Schaltapparat  stellt  die  Umbildung  des  Achsen- 
cylinders einer  Faser,  der  komphzierte  mehr  als  einer,  und  die  kom- 
binierte Form  besteht  aus  dem  komplizierten  oder  einfachen  Schalt- 
apparat in  Verbindung  mit  den  Endkolben  und  den  Endbäumchen. 

Man  darf  wohl  einwenden,  daß  der  Schaltapparat,  die  lokale  Ver- 
änderung des  Achsencylinders  durch  die  Notwendigkeit,  die  äußere 
Baldage  und  die  Balken  des  cavernösen  Gewebes   zu  durchdringen, 


342  D.  Tretjakoff, 

hervorgerufen  wird,  also  in  irgendwelcher  Beziehung  zu  den  specifischen 
topographischen  Bedingungen  steht.  Daß  dies  hier  aber  nicht  der 
Fall  ist,  beweisen  die  Schaltapparate,  die  wir  konventionell  als  verirrt 
bezeichnen  können,  die  nämlich  in  der  äußeren  Balglage  liegen,  aber 
deren  Nervenfasern  die  Balglage  nicht  durchbohren.  Ich  will  diese  Fälle 
gleich  besprechen,  um  die  Schaltapparate  endgültig  zu  charakteri- 
sieren. 

Man  findet  nämlich  feine  Bündel  der  markhaltigen  Fasern,  die 
vom  unteren  ringförmigen  Geflecht  nach  oben  ziehen  und  dabei 
auf  der  langen  Strecke  der  inneren  Fläche  der  äußeren  Balglage  an- 
liegen und  in  die  innere  Balglamelle  irgendwo  in  der  Höhe  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung übergehen.  Unterwegs  biegt  das  Bündel  in  die 
äußere  Balglage  um  und  bildet  in  ihr  einen  komplizierten  Schaltapparat, 
welcher  also  in  einer  Aushöhlung  der  äußeren  Balglage  in  dem  lockeren 
Bindegewebe  hegt.  Nach  der  Bildung  des  Schaltapparates  gehen  die 
Fasern  wieder  aus  der  äußeren  Balglage  auf  ihre  innere  Fläche  und 
verlauf^i  ungestört  weiter.  Hier  ist  wohl  die  Ausbildung  des  Schalt- 
apparates durch  keine  topographischen  Verhältnisse  erzwungen;  das 
Eindringen  der  Nervenfasern  von  innen  her  in  die  äußere  Balglage 
scheint  die  aktive  Einrichtung  zu  sein,  um  die  gegebenen  mechanischen 
Verhältnisse,  die  in  der  äußeren  Balglage  beim  Druck  oder  in  andern 
Beziehungen  vorhanden  sind,  auszunutzen. 

Dasselbe  sieht  man  mitunter  an  den  Stämmchen,  die  auf  der 
äußeren  Oberfläche  der  äußeren  Balglage  verlaufen,  besonders  im 
obersten  Gebiet,  in  der  Höhe  der  Talgdrüsen.  Hier  biegt  also  das  Nerven- 
bündelchen von  außen  her  in  die  äußere  Balglage,  träot  dabei  den 
Schaltapparat,  der  auch  kombiniert  werden  kann,  dann  geht  es  wieder 
aus  der  Balglage  und  setzt  ungestört  seinen  Weg  bis  zum  subpapillären 
Plexus  fort.  In  diesem  Fall  muß  man  natürlich  ebensowenig  von  der 
Verirrung  des  Nervenbündels,  wie  im  vorigen  Fall  sprechen,  sondern 
immer  nur  die  aktive  Entwicklung  sehen,  deren  nähere  Bedeutung 
jedenfalls  noch  sehr  rätselhaft  ist,  aber  als  Beziehung  zur  Perzeption 
der  Druckempfindungen  doch  am  wahrscheinlichsten  zu  sein  scheint. 

Ich  besitze  noch  ein  Präparat,  wo  der  Schaltapparat  an  dem  Nerven- 
bündel, das  nicht  in  den  Balg  eindringt,  in  noch  auffallenderer  Weise 
entwickelt  ist.  Das  Bündel  steigt  hier  nicht  nach  oben,  sondern  ver- 
läuft horizontal  außerhalb  des  Balges,  einen  Bestandteil  des  Haut- 
plexus  darstellend.  An  dem  Balg  angekommen,  dringt  das  Bündel 
tangential  durch  die  äußere  Balglage  an  einer  Stelle  und  geht  ohne  die 
Richtung  zu  wechseln  an  andre  Stelle,  und  genau  an  dem  Punkt,  wo 


Die  Ne^^•t'ncndigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  343 

das  Bündel  die  innere  Fläche  der  äußeren  Balglage  berührt,  liefert  es 
den  einfachen  Schaltapparat. 

Da  wir  aber  den  Schaltapparat  und  die  Endkolben  an  derselben 
Faser  finden  können,  betrachte  ich  ihre  Teilnahme  in  der  Perzeption 
der  Druck-  und  Tastempfindungen  als  gleichwertig,  besonders  nachdem 
ich  in  den  baumförmigen  Endigungen  des  Sinushaares  die  markhaltigen 
Fasern  als  wesentlichen  Bestandteil  der  Endigung  feststellen  konnte. 

Innere  Balglamelle  und  ihre  baumförmigen  Endigungen. 

Das  Gebiet,  wo  die  baumförmigen  Nervenendigungen  am  Sinus- 
haare des  Rindes  vorkommen,  umfaßt  die  untere  Hälfte  der  inneren 
Balglamelle  und  die  äußere  Balglage.  Ich  werde  zunächst  nur  die 
Endigungen  in  der  inneren  Balglamelle  beschreiben,  da  die  baum- 
förmigen End  Verzweigungen  der  äußeren  Balglage  erst  dann  richtig 
aufgefaßt  werden  können,  wenn  wir  die  Reihe  der  Varianten  derselben 
Endigungen  in  der  inneren  Balglamelle  verfolgen. 

Vor  allem  ist  es  notwendig,  das  Gewebe  der  inneren  Balglamelle 
näher  zu  bestimmen.  Seine  sehr  auffallenden  und  von  den  gewöhnlichen 
Bindegewebsarten  abweichenden  Merkmale  sind  schon  von  älteren 
Autoren  wahrgenommen  worden.  Leydig  (im  Jahre  1859)  nennt 
die  innere  Balglamelle  sulzige  Schicht.  Eingehender  behandelte  ihren 
Bau  DiETL  (9)  in  seinen  Abhandlungen,  in  welchen  er  nicht  nur  die 
schematischen  strukturellen  Verhältnisse  betrachtet,  sondern  streng 
auf  dem  vergleichend -histologischen  Boden  bleibt  und  jede  Tier- 
gruppe für  sich  in  Betracht  zieht.  Jedenfalls  hat  der  Verfasser 
die  Aufmerksamkeit  hauptsächlich  dem  Sinuskissen  (Ringwulst, 
schildförmiger  Körper)  gewidmet  und  die  gewebliche  Differenzierung 
vorzugsweise  in  dieser  Bildung,  die  jedenfalls  nicht  bei  allen  Tieren 
.sich  findet,  genauer  verfolgt.  Er  weist  aber  darauf  hin,  daß  im 
Sinuskissen  der  Bau  der  inneren  Lamelle  in  hauptsächlichen  Zügen  sich 
wiederholt. 

Nach  den  Angaben  von  Dietl  entsteht  die  innere  Balglamelle 
an  der  Kuppe  des  Sinus  und  legt  sich  an  die  Glashaut  an,  begleitet  die- 
selbe wie  eine  accessorische  Scheide,  schlägt  sich  um  den  Bulbus  des 
Haares  und  biegt  sich  nachher  wieder  in  die  äußere  Lamelle  des  Balges 
um.  Während  bei  den  Fleischfressern  und  Nagern  die  innere  Lamelle 
in  dem  obersten  venösen  Ringsinus  zu  einem  Sinuskissen  anschwillt, 
fehlt  beim  Rinde  der  Ringsinus  vollständig,  aber  die  verschiedenen 
Übergangsstufen  wurden  von  Dietl  gefunden.  Beim  Pferd  nämlich 
zeigt    die    voluminöse    innere   Lamelle    des    Haarbalges    eine    leichte 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  23 


344  I>-  Tretjakoff, 

Anschwellung,  die  in  größerer  Ausdehnung  laufend  die  Andeutung  eines 
gewissermaßen  sehr  breit  aufsitzenden  Ringwulstes  darstellt. 

In  der  inneren  Lamelle  wie  im  Sinuskissen  (das  ich  Sichelkissen 
zu  nennen  vorschlage,  Anat.  Anz.  Bd.  XXXVII,  S.  272)  hat  Dietl 
die  eigentümhche  homogene  Bindesubstanz  festgestellt.  Zu  ihren  Be- 
standteilen zählt  er  die  homogene  Grundlage,  die  strahligen  Zellen,  die 
collagenen  und  elastischen  Fasern. 

Wenn  die  Angaben  von  Dietl  für  seine  Zeit  sehr  exakt  erscheinen, 
sind  sie  wohl  von  technischer  Seite  wenig  befriedigend.  Es  brachten 
erst  die  späteren  Untersuchungen  von  Ksjunin  (21)  und  Feitz  (15) 
manche  wichtige  Angaben  über  die  elastischen  Fasern,  mit  Hilfe  der 
specifischen  Färbungsmethoden.  Letztere  Verfasser  zeigten,  daß  im 
Sinusbalge  die  elastischen  Fasern  nur  in  den  Sinusbalken  und  un- 
mittelbar an  der  Glashaut  liegen.  In  der  inneren  Balglamelle  liegen 
also  nur  sehr  spärliche  elastische  Fasern.  Dieselben  haben  also  keine 
große   Teilnahme  an  dem  Bau  der  irmeren  Balglamelle. 

In  den  rein  neurologischen  Untersuchungen  und  in  den  Lehr- 
büchern hat  die  innere  Balglamelle  keine  große  Beachtung  gefunden, 
man  begnügte  sich  mit  den  Angaben  von  Odenius  und  Dietl.  Szymono- 
wicz  (43)  hält  sie  für  einfach  schleimiges  Bindegewebe,  ohne  auf  die 
Frage  einzugehen,  ob  Bindegewebe  von  der  Art  des  embryonalen  Binde- 
gewebes vorliegt. 

Ich  habe  die  Beobachtungen  andrer  Forscher  nachgeprüft  und 
nachgewiesen,  daß  die  innere  Balglage  wie  auch  das  Sichelkissen  (Ring- 
wulst)  aus  einem  besonderen  basophilen  Gallertgewebe  gebildet  wird. 
Näheres  darüber  siehe  Anat.  Anz.  Bd.  XXXVII  Nr.  10  u.  11. 

Speziell  für  die  Eigenschaften  der  bindegewebigen  Bestandteile 
des  Sinusbalges  vom  Rind  möchte  ich  manches  hervorheben,  da  die 
Sinushaare  des  Rindes  in  dieser  Beziehung  am  wenigsten  untersucht 
worden  sind.  Außerdem  bildet  das  Gallertgewebe  der  inneren  Balg- 
lamelle die  Gnmdlage  für  die  Nervenendigungen  verschiedenster  Arten 
und  verdient  deswegen  eingehendste  Behandlung. 

Um  die  Struktur  der  inneren  Balglage  richtig  zu  erhalten,  emp- 
fehle ich  die  säurehaltigen  Fixierungsmittel  auszuschließen  und  mög- 
lichst neutrale  Reagenzien  zu  benutzen.  Dann  überzeugt  man  sich, 
daß  die  innere  Balglamelle  außerhalb  der  Glashaut  hauptsächlich  aus 
der  homogen  aussehenden  basophilen  Substanz  besteht,  was  schon  bei 
der  einfachen  Hämatoxylin-Pikrofuchsinfärbung  sehr  deutlich  hervor- 
tritt. Während  diese  Grund-  oder  Kittsubstanz  bei  andern  Tieren  ge- 
wisse leichte  Faserung  zeigt,  sieht  sie  beim  Rind  homogen  aus.    In  der 


Die  Nervenendigungen  an  den  Simishaaren  des  Rindes.  345 

basophilen  Substanz  liegen  Zellen  mit  einem  System  der  feinsten,  leicht 
varicösen  Fortsätze,  die  die  Zellen  untereinander  verbinden.  Die 
basophile  Kittsubstanz  wird  weiter  durch  collagene  (acidophile)  und 
elastische  Fasern  durchsetzt,  die  teils  isoliert,  teils  in  Bündeln  bis  zur 
Glashaut  verlaufen. 

Den  früheren  Angaben  von  Bonnet  (2)  über  den  Bau  der  Glas- 
haut kann  ich  im  großen  und  ganzen  zustimmen,  möchte  aber  hinzu- 
fügen, daß  die  Glashaut  des  Sinushaares  keine  selbständige  Bildung  ist, 
sondern  von  den  feinsten  Verzweigungen  der  acidophilen  Fasern  der 
inneren  Balglamelle  zusammengesetzt  wird.  Die  Enden  der  acidophi- 
len Fasern  wenden  sich  schließlich  zu  der  Glashaut  und  werden  in 
außerordentlicher  Weise  fein  zerspalten,  wobei  sie  eine  Schicht  kurzer 
Fibrillen  bilden,  die  eng  aneinander  liegen  und  dadurch  die  Glashaut, 
die  immer  stark  acidophil  ist,  darstellen. 

Diese  Struktur  der  Glashaut  tritt,  nach  meinen  Beobachtungen, 
am  deutlichsten  bei  der  Anwendunge  der  Methode  von  Bielschovsky 
hervor,  und  zwar  tritt  dabei  die  fibrilläre  Schichtung  sowohl  in  der 
unteren,  porösen  Hälfte  der  Glashaut  und  in  der  oberen  kompakten 
Hälfte,  die  die  Wurzelscheidenanschwellung  umhüllt,  zutage.  Bei  der 
letzteren  Partie  der  Glashaut  konnte  ich  die  unmittelbaren  Be- 
ziehungen zu  den  dicken  Bündeln  der  acidophilen  Fasern  der  inneren 
Balglamelle  feststellen.  Die  obere  Hälfte  der  Glashaut  stellt,  nach 
meiner  Auffassung,  die  feste  Manschette  dar,  die  an  ihrem  unteren 
Rande  (Fig.  1  F,  Taf.  XV)  mit  Faserbündeln  verbunden  wird,  die 
aus  den  untersten  Sinusbalken  in  die  innerste  Balglamelle  übergehen. 
Die  Anordnung  der  Fasern  erinnert  vollständig  an  die  Befestigung 
des  Mastbaumes  durch  Kabel,  aber  nicht  auf  dem  Schiff,  sondern 
auf  dem  Festlande.  Wahrscheinlich  haben  hier  im  Sinushaar  mecha- 
nische Bedingungen  ihren  Ausdruck  gefunden,  und  das  Haar  mit  seinen 
epithelialen  Scheiden  wird  durch  die  Glashautmanschette  gründlich 
befestigt. 

Nun  komme  ich  wieder  zu  der  homogenen  Kittsubstanz.  Mit  dem 
Auftreten  der  dicken  Bündel  acidophiler  Fasern  wird  die  Kittsubstanz 
in  einzelne  Stücke  verteilt,  die  in  der  Form  selbständiger  Kissen 
in  dem  Sinusraum  hervorragen.  Die  basophile  Substanz  fehlt  niemals, 
auch  zwischen  den  dicht  gedrängten  Fasern  der  Bündel;  sie  klebt 
die  Fasern  fest  zusammen,  stellt  also  echte  Kittsubstanz  dar.  Sie 
begleitet  die  collagenen  Fasern  bis  in  die  Sinusbalken,  wo  sie  manch- 
mal eine  sehr  deutliche  Deckschicht,  die  die  Fasern  vom  Endothel 
trennt,  bildet. 

23* 


346  ^-  Tretjakoff, 

Sie  tritt  auch  noch  mit  ihren  basophilen  Eigenschaften  in  den  imier- 
sten  lockeren  Faserfilz  der  äußeren  Balglage  und  verliert  ihre  Baso- 
philie  erst  zwischen  den  Bündeln  des  straffen  Bindegewebes  der  letzteren 
Bal(^lao-e.  In  den  Kissen  der  inneren  Balglamelle  bietet  die  basophile 
Substanz  ihre  Eigenschaften  in  der  reinsten  Form  dar.  Spärliche 
elastische  Fasern  durchsetzen  sie  nach  allen  Eichtungen,  doch  bleibt 
ihre  Anzahl  gering  im  Vergleich  mit  dem  Netz  der  feinsten,  deutlich 
varicösen,  Zellfortsätze,  die  in  der  basophilen  Substanz  nach  allen  Seiten 
verlaufen  und  die  Zellen  miteinander  verbinden. 

Die  basophile  Kittsubstanz  erscheint  in  der  inneren  Balglamelle 
immer  da,  wo  die  Nervenendigungen  am  deutlichsten  entwickelt  sind, 
also  in  der  unteren  Hälfte  der  inneren  Balglage  und  in  dem.  konischen 
Körper.  Dieses  Zusammenfinden  ist  wohl  von  vornherein  eine  sehr 
wichtige  Tatsache  und  nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Frage  von  dem 
Zusammenhang  zwischen  den  nervösen  Endorganen  und  dem  Binde- 
gewebe. 

Ich  möchte  aber  gleich  angeben,  daß  die  Bälge  an  der  nassen 
Schnauze  des  Rindes  die  basophile  Substanz  in  größter  Masse  in 
ihrer  inneren  Balglamelle  enthalten;  dagegen  sind  die  Sinushaare 
der  Wangen  und  der  unteren  Lippe  manchmal  mit  der  basophilen 
Substanz  ganz  dürftig  versehen;  nur  im  konischen  Körper  zeigen  alle 
Sinushaare  des  Rindes  gleiche  Entwicklung  der  basophilen  Substanz, 
der  konische  Körper  aber  beherbergt  in  sich  die  paHsadenförmigen 
Endigungen,  die  bei  allen  Sinushaaren  des  Rindes  gleich  entwickelt 
sind.  So  viel  über  das  Bindegewebe,  welches  die  baumförmigen  Endi- 
gungen unterstützt.  Was  die  Endigungen  selbst  anbelangt,  so  erlaube 
ich  mir  einige  vorläufige  Bemerkungen  über  diesen  Gegenstand  zu 
bringen. 

In  seiner  Zusammenstellung  (37)  der  bisherigen  Kenntnisse  über 
die  Nervenendigungen  in  der  Haut  der  Säugetiere  —  <<Les  dispositifs 
anatomiques  de  la  sensibilite  cutanee»  —  bringt  Rüffini  folgende 
Bemerkung  im  Absatz  «Variabilite  des  formes»  :  Non  seulement 
l'analyse  moderne  nous  a  fait  connaitre,  comme  nous  l'avons  dit,  une 
notable  quantite  de  formes  nouvelles,  mais  encore  eile  a  apporte  une 
contribution  tres  remarquable  ä  l'etude  des  varietes  des  formes  elles- 
memes.  Nous  ne  voulons  pas  parier  ici  des  connaissances,  peu  nom- 
breuses  mais  extremement  interessantes,  que  nous  possedons  sur  la 
variabilite  des  formes  dans  la  phylogenese;  mais  nous  devons  nous 
borner  ä  etudier  la  variabilite  ä  laquelle  peut  etre  sujette  une  forme, 
dans  chacune  des  especes  animales  chez  lesquelles  eile  a  ete  etudiee. 


I 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  347 

Nous  devons  aussi  aj outer  que  cette  partie  de  nos  connaissances  est 
poiir  ainsi  dire  ä  peine  commeucoe:  les  observateurs  s'etant  jusqu'ä 
j)resent,  iiaturellcment,  occupes  de  rechercher  les  formes  plutöt  que 
leurs  Varietes  (p.  422,  4).« 

In  der  inneren  Balglamelle  habe  ich  eine  so  regelmäßige  und  folge- 
richtige Keihe  der  Variationen  der  baumf örmigen  Endigungen  gefunden, 
als  es  von  niemandem  bisher  bei  andern  Tieren  beobachtet  wurde. 
Daher  halte  ich  es  für  zweckmäßig  dieser  Seite  der  Frage  mehr 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  als  es  überhaupt  bis  zur  letzten  Zeit 
üblich  war.  Dabei  ist  es  wohl  eine  ganz  subjektive  Sache,  welche  Form 
als  die  ursprüngliche  zu  betrachten  ist.  Da  aber  unter  den  verschie- 
denen Formen  recht  häufig  die  Endigung,  die  in  allerlei  bindegewebigen 
Bildungen  vorhanden  ist,  sich  findet,  möchte  ich  diese  Form  als  die 
Grundform  annehmen,  von  der  die  Variationen  nach  zwei  Richtungen 
sich  herausbilden  können.  Dabei  ergibt  sich  das  Variationsvermögen 
der  genannten  Bildungen. 

Es  wurde  in  der  letzten  Zeit  von  fachmännischer  Seite  die  Ver- 
mutung ausgesprochen,  daß  der  wesentliche  Unterschied  zwischen  den 
Arten  der  Nervenendigungen  weder  in  ihrer  Form  noch  in  ihrem  Bau 
noch  in  den  Beziehungen  zu  den  sie  unterstützenden  Geweben,  sondern 
ausschließlich  in  der  Gesamtheit  der  Neurofibrillen,  die  einen  Bestand- 
teil aller  Netze  in  den  Endigungen  einer  sensiblen  Zelle  darstellen,  und 
in  der  Gesamtheit  der  perifibrillären  Substanz  zu  suchen  ist. 

Dieser  Meinung  nach  ist  die  Form  und  die  Zusammensetzung  der 
Nervenendigungen  als  etwas  Minderwertiges  zu  betrachten  und  muß 
das  Ziel  weiterer  Forschungen  darauf  gerichtet  sein,  in  erster  Linie 
die  Verhältnisse  der  Neurofibrillen  und  des  Neuroplasmas  zu  unter- 
suchen. Wie  man  vermuten  kann,  konnte  diese  Theorie  aus  dem 
Grunde  erscheinen,  daß  die  Nervenendigungen  aller  möglichen  Formen 
immer  noch  die  Verbreitung  des  Achsencylinders  darstellen.  Jedoch 
haben  wir  das  Recht,  die  Natur  für  keine  Formenverschwenderin 
zu  halten  und  jede  Lebensform,  möge  sie  unserm  kurzsichtigen  Auge 
ungemein  willkürlich  erscheinen,  wächst  unter  dem  eisenharten  Gesetz 
der  Notwendigkeit.  Deshalb  halte  ich  die  Behauptung  der  neben- 
sächlichen Bedeutung  der  Form  der  Nervenendigungen  für  sehr  ver- 
früht und  schließe  mich  den  Bemühungen  von  Ruffini  und  Dogiel 
und  andern  an,  die  Form  der  Endigungen  als  eine  morphologische 
Tatsache  ersten  Ranges  aufzufassen. 

Was  soll  dann  die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  der  Nervenendigun- 
gen bedeuten?    Nach  meiner  Meinung  nichts  weiter,* als  daß  wir  vom 


348  r>-  Tretjaküff, 

Wesen  der  Nervenerregung  und  des  Nervenstromes  vorläufig  keine 
Ahnung  haben.  Was  wir  uns  als  einheitliche  Erscheinung  der  Nerven- 
erregung vorstellen,  ist  vielleicht  der  verwickeltste  Vorgang,  und  der 
Bau  der  Nervenendigungen  ist  nur  die  morphologische  Äußerung  der 
vielseitigen  physiologischen  Arbeit.  Ich  bin  überzeugt,  daß  das  Stu- 
dium der  Formen  der  Nervenendigungen  die  notwendige  Vorstufe  zu 
weiterer  Erforschung  im  Wesen  der  Nervenerregung  und  des  Nerven- 
stromes geben  wird. 

Man  darf  wohl  hoffen,  daß  bei  dieser  Arbeit  die  alte  Sünde  der 
physiologischen  Forschung  nicht  wiederholt  werden  wird  und  die 
rätselhafteste  der  Lebenserscheinungen,  der  Nervenstrom,  nicht  nur 
»physiologisch«,  sondern  morphologisch  -  physiologisch  aufgefaßt  wer- 
den wird. 

Von  dem  Standpunkt  aus  gewinnt  an  Interesse  und  an  Wichtigkeit 
nicht  nur  die  Beschreibung  der  typischen  Formen  der  Nervenendigungen, 
sondern  in  hohem  Maße  auch  die  Darstellung  der  Varianten.  Das 
Sinushaar  des  Rindes  bietet  in  dieser  Beziehung  die  bequemste  Ge- 
legenheit. 

Die  Ergebnisse,  die  ich  jetzt  zu  beschreiben  habe,  sind  auf 
Untersuchungen  begründet,  zu  deren  technischer  Seite  ich  außer  den 
allgemeinen  technischen  Angaben  noch  manche  Winke  hinzufügen 
muß. 

Die  ursprüngliche  ÜAjALsche  Methode  mit  dem  Einlegen  des 
frischen  Objekts  direkt  in  die  Silberlösung  gab  mir  bessere  Resultate, 
als  die  vorherige  Fixation  im  Alkohol- Ammoniak.  Was  die  Vergoldung 
anbelangt,  benutzte  ich  neben  der  prachtvollen  Färbung  mit  Methylen- 
blau auch  jene  altbewährte  Methode,  da  ungeachtet  der  vollständigen 
Färbung  mit  dem  Methylenblau  einzelner  Endigungsformen,  immer 
ein  Raum  für  die  Vermutung  blieb,  daß  die  Färbung  sehr  wiilkür- 
lich  war  und  keine  Vorstellung  von  der  Menge  der  baumförmigen 
Endverzweigungen  in  der  gesamten  inneren  Balglage  lieferte.  Die 
Vergoldung  brachte  mir  auch  andre  Vorteile,  da  ich  die  halboffenen 
vergoldeten  Bälge  in  Celloidin  eingebettet  in  dünne  Schnitte  zer- 
legen konnte.  Deswegen  war  die  genaue  Orientierung  über  die 
Lage  und  die  Beziehungen  zu  andern.  Geweben  viel  leichter,  als  an  den 
Methylenblaupräparaten.  Doch  muß  ich  gestehen,  daß  die  Ergebnisse 
der  Vergoldung,  besonders  was  die  marklosen  Verzweigungen  anbetrifft, 
nicht  immer  mit  denen  der  Methylenblaubilder  übereinstimmen.  Es 
ist  wahrscheinlich,  daß  die  Vorbehandlung  mit  der  Säure  auf  das  Proto- 
plasma   anders    als    molybdänsaures    Ammonium    wirkt    und    gewisse 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  349 

strukturelle  Veränderungen  in  den  Endigungen  hervorbringt.  Jeden- 
falls bleibt,  wenn  man  den  Bau  der  Verzweigungen  selber,  nicht  aber 
nebensächliche  Einzelheiten  verfolgen  muß,  die  Methylenblaufärbung 
die  herrschende  und  leitende.  Die  nachherige  Färbung  mit  Alaunkarmin 
bringt  die  Beziehungen  zwischen  den  blaugefärbten  Endverzweigungen 
und  den  Bestandteilen  hell  zutage. 

Ich  habe  keine  Unterschiede  in  den  Bedingungen  der  Methylenblau- 
färbung für  die  verschiedenen  Formen  der  baumförmigen  Endigungen 
bemerkt.  Wenn  die  verschiedensten  Formen  in  dem  Haarbalg  zusam- 
men vorhanden  sind,  färben  sie  sich  gleichzeitig  und  in  demselben 
Grade  der  Intensivität. 

A.  Typische  baumförmige  Endigung.  Ich  finde  sie  in  der 
inneren  Balglamelle  immer  durch  eine  markhaltige  Nervenfaser  nach 
dem  vielfach  beschriebenen  Typus  gebildet.  Doch  möchte  ich  einige 
Besonderheiten  hervorheben.  Sie  finden  sich  konstant  in  der  inne- 
ren Balglamelle  oberhalb  des  unteren  Nervenringes.  Sie  kommen  aber 
nicht  in  der  oberen  Hälfte  des  Balges  und  selten  in  dem  Gebiet  miter- 
halb  des  unteren  Nervenringes  vor.  Die  Fasern,  die  für  ihre  Bildung 
bestimmt  sind,  kommen  direkt  aus  dem  Nervenring,  oder  sie  laufen  in 
den  aufsteigenden  Bündeln  nach  oben  hin,  um  dann  umzukehren  und 
zu  dem  betreffenden  Gebiet  abzusteigen  (Fig.  1,  17,  18,  Taf.  XV). 

Nach  der  Bildung  des  letzten  RANViERschen  Schnürringes  fängt 
die  Verästelung  der  marklos  gewordenen  Nervenfaser  sogleich  an,  oder 
sie  läuft  eine  Strecke  nackt  und  ungeteilt.  Im  zweiten  Fall  sieht  man 
immer  an  der  nackten  und  ungeteilten  Partie  des  Achsencylinders  die 
neuroplasmatischen  Höckerchen  und  Hervorragungen  (Fig.  10  Nn, 
Taf.  XVII),  die  manchmal  dorn-  oder  sogar  schlingenartig  erscheinen 
können.  Sie  sind  ähnlichen  Hervorragungen  an  dem  Achsencylinder  in 
den  typischen  Vater- PACiNischen  Körperchen  dem  Aussehen  nach  völlig 
homolog.  An  meinen  Präparaten  zeichnen  sich  die  Hervorragungen 
durch  die  starke  Färbung  mit  dem  Methylenblau  aus. 

Schließlich  teilt  sich  die  Nervenfaser  in  eine  größere  oder  geringere 
Menge  sich  wiederholt  teilender,  aber  selten  anastomosierender  Astchen, 
die  in  den  verschiedenen  Flächen  und  in  den  verschiedensten  Richtungen 
verlaufen.  Die  ganze  Endverzweigung  stellt  also  keine  abgeflachte 
Bildung  dar,  sondern  ein  Körperchen  von  drei  Dimensionen.  An  den 
Teilungsknoten  und  an  den  Astchen,  besonders  an  den  Enden  derselben 
sitzen  die  vieleckigen  Plättchen,  die  wieder  an  den  Ecken  mit  den 
sekundären  und  tertiären  gestielten  Plättchen  und  den  mannig- 
faltigen Dörnchen  besetzt  werden.     Es  entstehen  in  solcher  Weise  die 


350  D.  Tretjakoff, 

zierlichsten  sternförmigen  Verbreiterungen,  die  selten  in  den  Zeichnungen 
andrer  Forscher  zu  treffen  sind;  am  passendsten  konnte  man  sie  mit 
Blättchen  vergleichen,  da  die  ganze  Verzweigung  lebhaft  an  den  Ahorn- 
oder Kastanienbaumast  erinnert  (Fig.  10,  Taf.  XVII). 

Sehr  auffallend  sind  die  beschriebenen  Endverzweigungen,  wenn 
die  Zahl  der  Endäste  sehr  gering,  die  Größe  der  Blättchen  aber  normal 
bleibt.  In  dieser  Form  nähert  sich  die  Endverzweigung  den  End- 
platten der  Palisade  an  der  Wurzelscheidenanschwellung. 

Die  Endverzweigungen  und  ihre  Blättchen  liegen  in  der  Kitt- 
substanz des  basophilen  Gallertgewebes,  aber  bieten  keine  besonderen 
Beziehungen  zu  den  Zellen  des  Gewebes.  In  gleicher  Weise  gibt  es 
keine  besondere  Hülle  um  die  End Verzweigung.  Die  Fortsetzung  der 
perineuralen  Scheide,  die  in  den  feinen  Bündeln  der  Nervenfasern  voll- 
kommen mit  den  acidophiien  Fasern  der  inneren  Balglamelle  ver- 
schmilzt, ist  an  den  einzelnen  Nervenfasern  im  Gallertgewebe  nicht 
vorhanden. 

Die  Endfäden  verlaufen  nach  allen  oder  nur  in  zwei  Kichtungen, 
oder  sind  besenförmig  einseitig  gesammelt;  sie  biegen  und  verflechten 
sich  untereinander.  Dabei  behalten  sie  keinenfalls  die  gleichmäßige 
Dicke,  verdicken  oder  verfeinern  sich  plötzlich  oder  allmählich. 

Die  End-  und  Knotenblättchen  bilden  den  wesentlichsten  und  cha- 
rakteristischen Bestandteil  der  Endigung.  An  den  Methylenblau- 
präparaten sieht  man  aber  ihren  fibrillären  Bau  sehr  selten,  es  treten 
meistens  die  neuroplasmatischen  Microsomen  auf,  die  besonders  scharf 
tingiert  erscheinen  und  dadurch  die  fibrilläre  Struktur  maskieren. 
Doch  von  den  andern  plättchentragenden  Endverzweigungen  der 
Nerven  im  Balge  der  Sinushaare  unterscheiden  sich  die  Blättchen 
dadurch,  daß  die  Microsomen  in  ihnen  sehr  gleichmäßig  gelagert  sind 
und  die  Blättchen  sich  immer  sehr  gleichmäßig  färben.  Man  findet 
in  ihnen  keine  randständige  Verteilung  der  Microsomen,  wie  z.  B.  an 
der  Centralf aser  der  Endkolben.  Wenn  die  Anastomosen  der  Ver- 
zweigungen sich  bilden,  geschieht  das  immer  an  den  Blättchen:  in 
manchen  Fällen  sind  dieselben  durchlöchert,  bzw.  ihre  sekundären 
Randdörnchen  und  Hervorragungen  anastomosieren  untereinander. 

Die  Plättchenendigung  stellt  also  nach  dem  oben  Gesagten  die 
Endverzweigung  in  der  inneren  Balglamelle  vor,  die  durch  die  mark- 
haltigen  Fasern  gebildet  wird,  aus  marklosen  Endästen  besteht  und 
mit  den  End-  und  Knotenblättchen  besetzt  ist. 

B.  Typische  baumförmige  Endigung,  Spindelendigung. 
Sie  bildet  die  zusammengesetzte  Form  der  typischen  baumförmigen 


r 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  351 

Eiid Verzweigung.  An  der  Bildung  dieser  Form  nehmen  mehrere 
Nervenfasern  teil,  dabei  wird  auch  eine  gewisse  Modifikation  im  Aus- 
sehen der  Endäste  bemerkbar  (Fig.  11,  Taf.  XVII;  Fig.  1,  18,  Taf.  XV). 

Endverzweigungen  dieser  Art  in  gut  entwickelter  Form  sind  den 
RuFFiNischen  Körperchen  bzw.  Endverzweigungen  ähnlich;  Ruffini 
hält  jedoch  die  Lagerung  seiner  Körperchen  im  dichten  Bindegewebe, 
das  dazu  noch  an  elastischen  Fasern  reich  ist,  füi'  sehr  charakteristisch. 
Die  spindelförmigen  Endigungen  liegen  immer  in  dem  basophilen 
Bindegewebe,  deshalb  möchte  ich  sie  vorläufig  nicht  als  RuFFiNische 
Körperchen  bezeichnen. 

Die  spindelförmigen  Nervenendigungen  finden  sich  hier  im  Gebiete 
zwischen  dem  unteren  Nervenring  und  der  Wurzelscheidenanschwellung 
und  gehören  zu  den  gewöhnlichsten  Endigungen  im  Sinushaar  des 
Rindes.  Die  an  diesen  Endverzweigungen  beteiligten  Nervenfasern  ge- 
hören gewöhnlich  den  aufsteigenden  Nervenstämmchen  an,  von  welchen 
sich  die  Bündel  aus  drei  und  mehr  Nervenfasern  ohne  perineurale 
Hülle  in  horizontale  Lage  sich  umbiegen,  die  Markscheide  verlieren 
und  in  die  Endverzweigung  übergehen.  Die  Fasern  teilen  sich  hart 
an  der  Endverzweigung  in  die  Menge  der  sich  wiederholt  teilenden 
Endäste,  die  sich  untereinander  verflechten,  anastomosieren  und  in 
ihrer  Gesamtheit  den  mehr  oder  minder  spindelförmigen  Komplex  der 
marklosen  Verzweigungen  darstellen.  Aber  die  bei  A.  so  gut  differen- 
zierten Blättchen  fehlen  hier  vollständig,  und  an  ihrer  Stelle  werden 
die  Endäste  mit  spindeligen  Verbreiterungen  und  Anschwellungen 
versehen,  wohl  auch  an  den  Knotenpunkten  und  Enden,  die  kleine 
und  einfach  umrandete  Plättchen  tragen;  die  Verbreiterungen  und 
Plättchen  haben  dabei  einen  sehr  deutlich  ausgebildeten  fibrillären  Bau, 
der  durch  keine  Microsomen  maskiert  wird.  Im  großen  und  ganzen 
sieht  diese  Form  der  Endigung  im  Vergleich  mit  der  Blättchenendigung 
immer  dichter  aus. 

Die  Bezeichnung  Spindelendigung  hat  also  doppelten  Grund :  wegen 
der  Spindelform  der  ganzen  Bildung  und  wegen  des  Vorhandenseins 
der  spindeligen  Anschwellungen, 

Daß  die  spindelförmigen  Endverzweigungen  keine  bindegewebige 
Kapsel  besitzen,  ist  hier  leicht  zu  beweisen  wegen  der  Entwicklung 
des  basophilen  Gewebes.  Es  lassen  sich  keine  intimeren  Beziehungen 
der  Nervenverzweigungen  zu  den  Zellen  des  Bindegewebes  oder  zu 
den  andern  Bestandteilen  der  inneren  Balglamelle  finden,  und  in 
gleicher  Weise  spielt  die  Verteilung  der  elastischen  Fasern  dabei  keine 
Rolle. 


352  D.  Tretjakoff, 

Die  kompliziertesten  Formen  der  Spindelendigungen  sind  zu 
gleicher  Zeit  am  meisten  typisch  für  diese  Art  der  baumförmigen  End- 
verzweigungen. Man  findet  nämlich  in  manchen  Fällen,  daß  ganze 
Bündel  von  aufsteigenden  Fasern  zur  Bildung  der  Spindelendigungen 
verwendet  werden,  dadurch  entsteht  dann  eine  Gruppe  von  zwei  und 
mehr  (Fig.  11,  Taf.  XVII)  einzelnen  Spindelendigungen,  die  nicht 
weniger  als  die  Hälfte  des  Umfanges  der  inneren  Balglamelle  ein- 
nehmen können.  Aus  der  aufsteigenden  Lage  gehen  die  Fasern  in  die 
horizontale  über,  und  das  geschieht  für  alle  zugehörigen  Endigungen 
an  derselben  Stelle  so,  daß  die  Fasern  zu  den  distalen  Spindelendi- 
gungen in  horizontaler  Richtung  eine  mehr  oder  minder  weite 
Strecke  verlaufen,  die  Haarscheide  umfassend.  Die  einzelnen  Spindel- 
endigungen können  dabei  alle  gleich  groß  oder  von  verschiedener  Große 
sein,  die  distalen  nleistens  kleiner  als  die  proximalen.  Die  Art  der 
Nerventeilung  und  der  Geflechtbildung  bleibt  dieselbe  wie  bei  ein- 
facheren Formen,  es  bildet  sich  die  dichte  Menge  der  unregelmäßig  ver- 
dickten oder  verjüngten  marklosen  Aste,  die  auf  ihrem  Laufe  sich 
mehrfach  teilen  und  untereinander  anastomosieren.  Ob  die  Anasto- 
mosen nur  dem  System  derselben  Faser  gehören,  oder  Verzweigungen 
verschiedener  Fasern  durch  Anastomosen  miteinander  verbunden 
werden,  ist  schwer  zu  verfolgen;  die  letzte  Möglichkeit  bleibt  wohl 
sehr  wahrscheinlich.  Nur  die  Enden  der  Verzweigungen  laufen  manch- 
mal  mehr  oder  minder  selbständig,  von  dem  übrigen  Komplex 
sich  trennend,  meistens  wird  die  Endigung  streng  und  scharf  um- 
grenzt. 

Die  besondere  bindegewebige  Hülle  fehlt  auch  hier,  und  zwischen 
den  Endfäden  des  Geflechtes  liegen  nur  die  bindegewebigen  Zellen; 
dieselben  zeigen  aber  keine  Besonderheiten  in  der  Lagerung  und  in 
den  Beziehungen  zu  den  Nervenästchen,  die  basophile  Kittsubstanz 
behält  vollkommen  ihre  Eigenschaften.  Man  trifft  manchmal  unter 
den  sich  verflechtenden  Astchen  auch  die  langen  marklosen  nicht 
geteilten  Äste,  die  gerade  von  der  Stelle  des  letzten  Schnürringes  bis 
zu  irgendwelchem  Ende  des  Komplexes  verlaufen  und  erst  da  ihrer- 
seits sich  teilen.  Manchmal  laufen  solche  oder  überhaupt  dickere  sich 
teilende  Aste  am  Rande  der  Bildung,  und  die  letztere  wird  durch  die- 
selben scharf  umrahmt,  im  andern  Fall  strahlen  die  Enden  der  Aste  mit 
den  Blättchen  besetzt  von  der  Peripherie  des  Komplexes  aus. 

Die  Spindelendigungen  dieser  oder  jener  Form  hatte  ich  besonders 
mit  Hilfe  der  Goldmethoden  studiert.  x4n  den  dünnen  Schnitten 
bewahren  sie  ihre  hauptsächlichen  Züge,  wenn  man  auch  natürlich  ihr 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  353 

Gesamtaussehen  nur  an  der  Hand  der  Serienschnitte  rekonstruieren 
konnte.  Die  Goldpräparate  zeigen  speziell  die  Verhältnisse  zwischen 
den  spindelförmigen  Endigungen  und  den  Blutgefäßen. 

Ich  finde  die  spindelförmigen  Endigungen,  wie  überhaupt  die  baum- 
förmigen  Endigungen,  immer  von  dem  Capillarnetz  der  inneren  Balglage 
umsponnen,  und  wird  hier  das  Netz  der  Blutcapillaren  nicht  dichter, 
als  überhaupt  in  der  inneren  Balglage  so,  daß  ich  keine  Notwendigkeit 
sehe,  hier  spezielle  Netze  für  die  Nervenendigungen  zu  unterscheiden. 
In  die  Spindelendigung  selbst  tritt  aber  kein  Blutgefäß  hinein. 

Die  Goldpräparate  bringen  bestimmtere  Angaben  über  die  Topo- 
graphie der  spindelförmigen  Endigungen  und  ihre  verhältnismäßige 
Quantität.  Sie  stellen  an  einigen  Haaren  eine  fast  ununterbrochene 
Schicht  zwischen  dem  unteren  Nerv^enring  und  dem  Gebiet  der 
Wurzelscheidenanschwellung  dar.  In  der  Dicke  der  inneren  Balgla- 
melle liegt  nur  eine  spindelförmige  Endverzweigung,  der  Länge  aber 
von  unten  nach  oben  hin  manchmal  zwei  bis  drei  Reihen  von  Endi- 
gungen, die  unteren  sind  dabei  die  größeren.  Die  Endzweige  gelangen 
selten  bis  zur  Glashaut,  meistens  liegen  die  Endigungen  mehr  oder 
minder  entfernt  von  der  letzteren. 

Wenn  nach  dem  Durchsehen  der  Gold-  und  Methylenblaupräparate 
immer  noch  ein  Zweifel  bleibt,  ob  echte  Anastomosen  von  einzelnen 
Fädchen  vorkommen,  wird  das  klar  gemacht  durch  Präparate,  die 
nach  dem  Verfahren  von  Ramon  y  Cajal  angefertigt  worden  sind.  Man 
bekommt  dabei  natürlich  nur  einen  dünnen  Ausschnitt  aus  der  ganzen 
Menge  der  Verästelung,  an  dem  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  daß 
die  Anastomosen  das  Geflecht  der  Endverzweigungen  in  echte  Netz- 
bildung verwandeln.  Was  die  Plättchen  und  spindelförmigen  Anschwel- 
lungen der  Fasern  anbelangt,  tragen  sie  immer  dichte  Netzchen  von 
Neurofibrillen,  die  auch  von  einer  Menge  der  Perifibrillarsubstanz  be- 
gleitet werden. 

In  der  angegebenen  Form  der  komplizierten  spindelförmigen 
Endigung  spricht  sich  ihr  Unterschied  von  der  Blättchenendigung  am 
schärfsten  aus,  obgleich  beide  Modifikationen  untereinander  durch 
Übergangsstufen  verbunden  sind.  Konventionell  möchte  ich  beide 
Formen  als  Grundformen  bezeichnen.  Genau  in  derselben  topogra- 
phischen Lage  dieselben  geweblichen  Beziehungen  zeigend,  also  ohne 
Zusammenhang  mit  den  äußeren  Bedingungen,  finden  sich  in  der 
inneren  Balglamelle  die  Nervenendigungen,  die  man  nur  als  die  Modi- 
fikationen der  genannten  Grundformen  auffassen  kann.  Die  Umbil- 
dung des  Baues  der  Grundformen  geschieht  nach  zwei  Richtungen. 


354  D.  Tretjakoff, 

Eine   Riclitung  schlägt  die 

C.  diffuse  Nervenendigung,  die  ich  lieber  Körnchenendiffunc^ 
nennen  werde  (Fig.  12,  Taf.  XVII),  ein.  An  ihrer  Bildung  können 
eine  oder  mehrere  markhaltige  Nervenfasern  teilnehmen,  die  ihre  Mark- 
scheiden meistens  an  der  gleichen  Stelle  verlieren;  die  marklosen  End- 
verzweigungen verbreiten  sich  genau  in  derselben  Weise,  wie  in  den 
Grundformen  und  sind  manchmal  mit  spindelförmigen  Anschwellungen 
versehen  (Fig.  12,  Taf.  XVII),  tragen  aber  niemals  die  Knoten  oder 
Endplättchen  oder  Blättchen,  sondern  sind  höchstens  mit  kleinen  Verr 
dickungen  besetzt  und  spalten  sich  in  feinste  Nervenfädchen,  die 
wieder  mit  den  feinsten  Körnchen  oder  Varicositäten  versehen  sind. 
Die  Spaltung  in  die  Endfädchen  erreicht  den  höchsten  möglichen  Grad, 
man  verliert  sogar  die  kurzen  Verbindungsfädchen  zwischen  den 
dickeren  Verzweigungen  und  Körnchen  aus  dem  Auge,  da  sie  so  winzig 
sind,  daß  sie  sich  bei  der  Spiritusbehandlung  entfärben.  Manchmal 
liegen  die  Körnchen  sehr  gleichmäßig  zerstreut,  höchstens  Trauben 
an  den  Enden  der  dickeren  Verzweigungen  bildend;  in  andern  Fällen 
sammeln  sie  sich  gruppenweise,  so  daß  man  den  Eindruck  bekommt, 
daß  sie  in  Körnchen  aufgelöste  Blättchen  der  Form  A  darstellen. 
Diese  Beobachtung  erweckte  in  mir  den  Verdacht,  daß  die  Körnchen 
von  den  Blättchen  der  Form  A  durch  postmortale  Zerfallserscheinungen 
entstehen.  Die  nachherige  Untersuchung  ließ  aber  keinen  Zweifel 
darüber,  daß  hier  eine  ganz  normale  Modifikation  der  baumförmigen 
Nervenendigung  vorliegt,  die  man  an  den  Präparaten  gleichzeitig  mit 
den  übrigen  Arten  der  genannten  Endigungen  zu  sehen  Gelegen- 
heit hat. 

Die  Körnchenbildung  mag  ihr  Maximum  erreichen,  wenn  sie  schon 
von  der  Stelle  des  letzteren  Schnürringes  beginnt,  wenn  also  die 
dicken  marklosen  Äste  vollständig  fehlen  und  mit  ihnen  die  spindel- 
förmigen Anschwellungen ;  die  ganze  Endigung  stellt  dann  einen  Haufen 
kleiner  bis  auch  kleinster  rundlicher  Körnchen  dar,  der  dem  Bündel 
der  marklos  gewordenen  Nervenfasern  anliegt.  Dabei  geschieht  es 
niemals,  daß  die  Verzweigungen  einer  von  den  Fasern  des  Bündels  von 
dem  System  der  Verzweigungen  andrer  Fasern  durch  irgendwelche  Be- 
sonderheiten sich  unterscheiden,  immer  sieht  die  ganze  Bildung  ein- 
heitlich aus.  Deswegen  verdient  diese  Form  als  die  höchste  Stufe  der 
Variation  in  dieser  Richtung  betrachtet  zu  werden.  Ungeachtet  der 
scharfen  Abgrenzung  von  dem  Bindegewebe  fehlt  der  Endigung  jegliche 
Kapsel  vollständig,  und  das  sie  tragende  basophile  Gallertgewebe 
verliert  seine   typischen  Eigenschaften   in  keiner  Weise.     In   einigen 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  355 

Fällen  konnte  ich  jedoch  feststellen,  daß  die  Körnchenendigungen  an 
solchen  Stellen  entwickelt  wurden,  wo  die  acidophilen  Fasern  am 
dichtesten  waren,  aber  es  war  nicht  die  Regel. 

Was  die  Beziehuno;en  zu  den  Bindegewebszellen  oder  zu  den  Blut- 
capillaren  anbetrifft,  so  gilt  hier  alles,  was  darüber  schon  oben  gesagt 
wurde. 

Wenn  die  Körnchenendigung  auf  den  ersten  Blick  als  eine  sehr 
differente  Form  der  baumförmigen  Endigung  erscheinen  mag,  so  wird 
sie  doch  immer  durch  die  Zwischenstufen  mit  den  Grundformen  ver- 
bunden und  kann  von  ihnen  als  ihre  Modifikation  abgeleitet  werden. 
Doch  die  äußere  Umgrenzung  der  Körnchenendigung  nimmt  selten  die 
spindelige  Form  an,  sie  bewahrt  meistens  der  Fläche  nach  gleichen 
Durchmesser  nach  allen  Richtungen.  Sie  stellen  keine  großen  Kom- 
plexe zusammen  und  treten  auf  dem  Haar  gleichzeitig  mit  den  Grund- 
formen, aber  immer  in  geringerer  Zahl  auf. 

Die  Körnchenendigung  stellt  also  die  baumförmige  Endigung  vor, 
die  aus  den  marklosen  Verzweigungen  der  markhaltigen  Fasern  und 
den  feinsten  Endfädchen,  die  mit  den  feinsten  Körnchen  versehen 
werden,  besteht. 

Eine  andre  Richtung  in  der  Modifikation,  die  ich  Knäuel- 
endigungen  nennen  will,  schlagen  die  End Verzweigungen  ein.  Hier 
sind  auch  die  Formen  zu  unterscheiden,  die  von  einer  oder  von 
mehreren  Fasern  gebildet  werden,  deshalb  stellen  sie  eine  den  For- 
men A  und  B  parallele  Reihe  dar.  Die  typische  Form  hat  ein  sehr 
auffallendes  Aussehen,  sie  stellt  nämlich  einen  dichten  Knäuel  von 
markhaltigen  Fasern  dar,  der  nur  mit  spärlichen  marklosen  Endästchen 
versehen  wird.  Um  aber  die  Zusammensetzung  der  Knäuelendigung 
richtig  zu  verstehen,  wird  geraten  mit  den  Übergangsformen  anzu- 
fangen. Für  eine  solche  Form  halte  ich 

D.  die  Präterminalendigung,  mit  welchem  Namen  ich  die 
Formen  der  baumförmigen  Endverzweigungen  bezeichnen  möchte,  die 
sich  dadurch  von  den  andern  unterscheiden  lassen,  daß  die  Abgabe  der 
marklosen  varicösen  Ästchen  nicht  ausschließlich  an  der  marklosen 
Terminalpartie  vorkommt,  sondern  die  marklosen  Endverzweigungen 
entspringen  schon  von  den  vorletzten  Schnürringen.  Von  andern 
Forschern  wurde  die  Form  der  Endigungen  mehrmals  beschrieben, 
immer  aber  der  Fläche  nach  verbreitet.  Im  Sinushaar  des  Rindes 
finde  ich  diese  Form  der  Endigungen  knäuelartig  entwickelt,  und  unter 
andern  Varianten  der  baumförmigen  Nervenendigungen  hat  sie  voll- 
kommen bestimmte  Merkmale  (Fig.  13,  Taf.  XVII). 


356  D.  Tretjakoff, 

Die  präterminalen  Endäste  bilden  also  keine  selbständigen  Bäum- 
chen,  verflechten  sich  aber  eng  mit  den  Terminalästen  in  das  einheit- 
liche Geflecht,  indem  die  markhaltig  bleibenden  Segmente  der  Nerven- 
fasern sich  mannigfaltig  umbiegen.  Dementsprechend  stellen  die 
markhaltigen  Segmente  nicht  nur  die  Vorrichtung,  um  die  marklosen 
Endäste  zu  verteilen,  sie  sind  vielmehr  als  der  integrierende  Teil  der 
ganzen  End Verzweigung  aufzufassen.  Das  Einschließen  der  markhaltigen 
Segmente  verleiht  der  Art  der  Endigung  immer  das  charakteristische 
Aussehen,  demzufolge  sie  niemals  mit  den  vorherigen  Arten  verwechselt 
werden  können.  Die  Bezeichnung  »die  Präterminalendigung«  wird 
durch  die  überwiegende  Teilnahme  der  präterminalen  Endverzweigungen 
berechtigt. 

Die  präterminale  Endigung  in  der  einfachen  Form  entsteht  von 
einer  einzigen  Faser.  Die  zusammengesetzte  Präterminalendigung 
zeichnet  sich  durch  die  Teilnahme  mehrerer  markhaltiger  Nervenfasern 
aus.  An  den  Methylenblaupräparaten  ist  man  dabei  nicht  immer  in 
der  Lage  zu  entscheiden,  ob  an  jener  oder  dieser  Partie  der  Nerven- 
faser innerhalb  der  Endverzweigung  die  Markscheide  verloren  ge- 
gangen ist  oder  nicht.  Doch  auch  in  solchen  Fällen  bewahrt  die 
Präterminalendigung  ihr  merkwürdiges  Aussehen,  da  innerhalb  der 
Endverzweigungen  die  langen  Strecken  ohne  sekundäre  Verzweigung 
verlaufen.  Mit  dieser  Reserve  möchte  ich  die  folgende  Beschreibung 
geben. 

Die  markhaltigen  Fasern,  die  für  die  Bildung  des  zusammenge- 
setzten Präterminalapparates  dienen,  verlieren  ihre  Markscheide  nicht 
gleichzeitig,  und  während  ein  Teil  der  Fasern  schon  marklos  erscheint, 
erhält  der  andre  Teil  seine  Markscheide  in  verschiedener  Ausdehnung, 
schlängelt  sich  in  den  Grenzen  der  Endverzweigung  und  wird  an  seinen 
EANviERschen  Schnürringen  mit  den  marklosen  varicösen  Verzwei- 
gungen, also  sekundären  Enclbäumchen  versehen.  Es  kann  auch  vor- 
kommen, daß  die  sekundären  Endbäumchen  nur  in  sehr  geringer  Zahl 
entstehen,  dann  umflechten  die  markhaltigen  Fasern  die  ganze  Endi- 
gung einfach.  Oft  aber  bekommt  die  marklos  gewordene  Faser,  die 
für  eine  Terminalfaser  gehalten  werden  konnte,  nach  ihrem  Verlauf 
wieder  die  Markscheide,  die  bald  wieder  verschwindet.  Dadurch  ent- 
steht die  große  Mannigfaltigkeit  der  Präterminalendigungen. 

Was  die  marklosen  Ästchen  anbetrifft,  so  zeigen  sie  fast  immer 
die  spindelförmigen  Anschwellungen  wie  bei  Form  B,  und  werden  mit 
feinen  varicösen  Verzweigungen  versehen.  Die  größeren  Plättchen 
bilden  sich  selten  aus. 


Die  Xervenencligun<:jcn  an  ilon  Sinushaaren  des  Rindes.  357 

Alle  Formen  der  Präterminalendigungen  entbehren  der  binde- 
gewebigen Kapsel  und  liegen  meistens  in  den  oberflächlichsten  Schichten 
der  inneren  Balglamelle,  die  Kissen  von  Gallertgewebe  ausfüllend. 
Ebenso  wie  die  Spindelendigungen  können  sie  eine  beträchtliche  Größe 
erreichen,  bilden  aber  selten  die  mehrfachen  Formen  wie  die  Spindel- 
endigungen der  Fig.  11. 

Ich  habe  schon  früher  (s.  Nervenstämmchen)  gesagt,  daß  die 
markhaltigen  Fasern  im  Haarbalge  selten  direkt  zu  ihrem  Ziele  ver- 
laufen, sondern  verschiedenartige,  scheinbar  ganz  unnötige  Schlingen- 
bildungen darstellen.  Dieselbe  Erscheinung  läßt  sich  bis  zu  den  Nerven- 
endigungen verfolgen,  deswegen  ist  es  manchmal  recht  schwierig  zu 
bestimmen,  ob  irgendwelche  Verflechtung  der  markhaltigen  Nerven- 
fasern der  Nervenendigung  gehört  oder  selbständige  Bedeutung  besitzt. 
Zum  Beispiel  trifft  man  Fälle,  wo  das  Konvolut  der  markhaltigen 
Segmente  und  die  terminale  marklose  Endverzweigung  voneinander 
unabhängig  und  an  verschiedenen  Stellen  desselben  Nervenbündels 
vorkommen.  Die  markhaltigen  Fasern  biegen  sich  dabei  schlingen- 
artig  und  bilden  einen  kleinen  markhaltigen  Knäuel,  dann  laufen  sie 
unverändert  weiter,  und  nach  zwei  bis  drei  weiteren  Schnürringen 
bilden  sie  die  Spindelendigung  oder  lösen  sich  in  die  Körnchenendigung 
auf.  In  dieser  Beziehimg  muß  wohl  an  die  kombinierten  Formen  der 
Schaltapparate  erinnert  werden,  wo  die  Kolben  an  einer  Stelle  der 
markhaltigen  Faser  erscheinen,  der  Schaltapparat  an  einer  andern,  und 
die  Nervenfaser  noch  am  dritten  Platz  irgendwelche  Endigung  bildet. 
Deswegen  gehören  die  schlingenartigen  Umbiegungen,  ungeachtet  ihrer 
unabhängigen  Herausbildung,  vielleicht  dem  System  der  Vorrichtun- 
gen der  Nervenfasern  an,  die  wir  als  Nervenendigungen  annehmen, 
und  die  letztgenannte  Form  mit  getrenntem  markhaltigen  Knäuel  und 
markloser  terminaler  Verzweigung  gehört  demzufolge  als  Übergangs- 
form zur  echten 

E.  Knäuel  endigung.  Die  Knäuelendigung  stellt  die  auf- 
fallendste Art  der  baumförmigen  Endigungen  dar,  die  bisher  von  nie- 
mandem bemerkt  worden  ist  (Fig.  14,  15,  16,  Taf.  XVII). 

An  ihrer  Bildung  sind  wieder  eine  oder  auch  mehrere  Nerven- 
fasern beteiligt,  die  alle  markhaltig  sind.  Bei  dem  höchsten  Grade 
der  Differenzierung  nimmt  die  Endigung  das  ganze  Stämmchen  in 
Anspruch.  Das  Vorhandensein  der  Markscheide  an  dem  Knäuel  kann 
man  leicht  an  den  osmierten  Präparaten  feststellen,  für  das  geübte 
Auge  lassen  die  Methylenblaupräparate  keinen  Zweifel  darüber. 


358  D-  Tretjakoff, 

Betracliten  wir  erstens  die  einfache  Form,  die  von  einer  einzigen 
markhaltigen  Faser  abstammt  (Fig.  14).  Die  ihr  gehörige  Faser  zeichnet 
sich  immer  durch  ihre  beträchtliche  Dicke  aus.  An  der  Endigung  an- 
gelangt, beginnt  die  Faser  schlingenartige  Umbiegungen  zu  beschreiben, 
die  sich  zu  einem  dichten  Knäuel  verflechten,  wo  die  Verfolgung  des 
Verlaufes  der  Faser  in  hohem  Maße  dadurch  erschwert  wird,  daß  an 
den  E-ANViERschen  Schnürringen  die  Teilung  in  die  markhaltigen 
Ästchen  vorkommt,  die  Astchen  aber  ihrerseits  wieder  in  dem  Knäuel 
sich  verflechten.  Schließlich  verlieren  die  Endverzweigungen  die 
Markscheide  und  lösen  sich  in  die  sehr  spärlich  vorhandenen  varicösen 
Ästchen,  die  die  traubenförmigen  Endbäumchen  bilden,  auf.  Dabei 
bleibt  die  Menge  der  Endbäumchen  auffallend  gering  im  Vergleich  mit 
den  markhaltigen  Bestandteilen  des  Nervenknäuels.  Die  Endbäum- 
chen treten  gewöhnlich  nur  an  einem  Ende  des  Knäuels  auf  und 
werden  immer  weniger  intensiv  als  die  markhaltigen  Schlingen  gefärbt, 
weshalb  der  Knäuel  im  Gegensatz  zu  den  Endbäumchen  immer  sehr 
scharf  hervortritt. 

Die  gesonderte  bindegewebige  Hülle  fehlt  auch  diesen  Endigungen, 
die  gewöhnlich  in  der  oberflächlichsten  Schicht  der  inneren  Balgiamelle 
liegen.  Sie  treten  im  Balge  des  Sinushaares  des  Rindes  immer  in  Ge- 
sellschaft mit  den  Endigungen  andrer  Arten,  gewöhnlich  aber  nicht 
einzeln,  sondern  in  Verbindung  mit  den  komplizierteren  Formen  der 
Knäuelendigungen  auf. 

Die  höchste  Ausbildung  gewinnt  die  Knäuelform  bei  der  Abstam- 
mung von  vielen  Nervenfasern,  dabei  bildet  jede  Faser  keinen  Knäuel 
für  sich,  sondern  sie  verflechten  sich  untereinander  zu  dem  gleich- 
artigen Knoten  aus  den  markhaltigen  Verzweigungen  der  daran  be- 
teiligten Nervenfaser.  Es  bewährt  sich  als  Gesetzmäßigkeit,  die  den 
übrigen  oben  beschriebenen  baumförmigen  Endapparaten  eigen  ist; 
der  Knäuel  stellt  die  einheitliche  Masse  der  markhaltigen  sich  ver- 
flechtenden Verästelungen  mehrerer  Nervenfasern,  das  zusammen- 
hängende Ganze  dar. 

Die  Fig.  16,  Taf.  XVII,  gibt  die  häufigste  Form  dieser  Knäuel- 
endigungen wieder.  Um  den  vorhandenen  Raum  am  produktivsten 
auszunutzen,  biegen  die  Fasern  des  ankommenden  Stämmchens  nach 
beiden  Seiten  hin,  laufen  von  einem  Ende  der  Endigung  bis  zum  andern, 
teilen  sich  dabei  unterwegs  in  die  ebenfalls  markhaltigen  Äste,  die 
wieder  in  dem  Raum  des  Knäuels  sich  verflechten,  so,  daß  ein  kolossal 
verwickeltes  Geflecht  von  markhaltigen  Ästen  entsteht,  das  im  all- 
gemeinen scharf  von  dem  umgebenden  Bindegewebe  abgegrenzt  wird. 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  359 

Hier  und  da  werden  die  markhaltigen  Segmente  feiner  oder  dicker, 
oder  entstehen  in  sehr  geringer  Zahl  marklose  Astchen,  die  mit  den 
traubenförmigen  Endbäumchen  versehen  werden.  Die  Endbäumchen 
verschwinden  aber  fast  vor  dem  kolossal  entwickelten  markhaltigen 
Knäuel.  Die  Fig.  16  gibt  auch  die  sehr  häufig  auftretende  Form  der 
Knäuelendigung  wieder,  die  sich  dadurch  in  sehr  bestimmter  Weise  aus- 
zeichnet, daß  die  Fasern  des  Bündels  sich  fächerartig  nach  beiden 
Seiten  verteilen.  Die  Schlingen  der  markhaltigen  Fasern  liegen  wohl 
nicht  in  einer  Fläche,  die  Knäuelendigung  nimmt  manchmal  die 
Hälfte  der  Dicke  der  inneren  Balglamelle  ein,  doch  wird  die  ganze 
Bildung  einigermaßen  flächenartig  (also  in  der  cylindrischen  Fläche) 
verbreitet.  Die  einzelnen  Schlingen  laufen  wiederholt  von  einem  Ende 
des  Knäuels  bis  zum  andern.  Die  varicösen  marklosen  Endästchen, 
die  die  Endbäumchen  tragen,  sind  selten  in  den  Knäuel  selbst  ein- 
geschlossen, sie  erscheinen  irgendwo  an  der  Peripherie  des  Knäuels, 
häufig  nur  an  einem  Ende. 

Die  Knäuelendigungen  liegen  immer  in  dem  Kissen  des  basophilen 
Gallertgewebes.  Wie  in  dem  Schema  der  Fig.  1,  19,  Taf.  XV  ange- 
geben worden  ist,  haben  die  Knäuelendigungen  manchmal  eine  sehr 
reiche  Entwicklung,  so  daß  längs  des  Haares  nicht  weniger  als  drei 
solche  Endigungen  den  Platz  im  Gebiete  zwischen  der  Scheiden- 
anschwellung und  dem  Nervenring  finden,  aber  niemals  sind  sie  aus- 
schließlich allein  entwickelt.  Häufig  fand  ich  sie  in  Begleitung  von 
spindelförmigen  Endigungen,  und  wenn  sie  vorhanden  sind,  kommen 
sie  selten  einzeln,  sondern  meistens  in  der  Mehrzahl  vor.  Die  eigentüm- 
liche Lagerung  übereinander  und  an  einer  Seite,  wie  es  die  Fig.  1  zeigt, 
wurde  nicht  rekonstruiert,  sondern  entsprechend  der  Wirklichkeit  nach 
einem  Präparat  gezeichnet.  Am  häufigsten  trifft  man  sie  aber  in  der 
Nähe  des  unteren  Nervenringes,  doch  immer  oberhalb  desselben. 

Die  erwähnte  Reihe  von  den  baumförmigen  Endverzweigungen 
bereichert  meiner  Meinung  nach  in  hohem  Grade  unsre  Kenntnisse 
über  die  Arten  der  Endigungen  in  den  Balglamellen  des  Sinushaares. 
Bis  in  die  letzte  Zeit  galten  diese  Endigungen  als  Endigungen  an  der 
Glashaut.  Das  scheint  mir  im  Zusammenhang  mit  den  von  andern 
Autoren  angewandten  Methoden  (Schnitte  nach  Vergoldung)  zu  stehen. 
Nach  den  von  mir  beobachteten  Formen  ist  es  ersichtlich,  daß  die 
Endverzweigungen  keine  direkte  Beziehung  zu  der  Glashaut  zeigen. 
Ich  möchte  ausdrücklich  eine  andre  Seite  der  Erscheinung  betonen: 
es  treten  nämlich  die  beschriebenen  Formen  in  ganz  gleichen  äuße- 
ren Bedingungen  auf,   eine  beliebige  Form  vermag  die  Stelle   einer 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  24 


360  D-  Tretjakoff, 

andern  ohne  merklichen  äußeren  Zwang  dazu  einnehmen.  Jede  Form 
wird  mit  andern  durch  Zwischenformen  verbunden,  und  doch  prägen 
sich  in  dieser  ununterbrochenen  Reihe  von  Formen  die  typischen  Züge 
einzelner  Stufen  scharf  genug  aus.  Was  jedenfalls  am  auffallend- 
sten erscheint,  ist  die  kolossale  Teilnahme  seitens  der  markhaltigen 
Fasern  bei  der  Endverzweigung,  die  samt  den  Schaltapparaten  die 
Gelegenheit  bietet,  die  geläufigen  Vorstellungen  vom  Verhalten  der 
Nervenfasern  zu  der  Aufnahme  der  äußeren  Reize  wesentlich  zu  modi- 
fizieren. Es  ist  wahrscheinlich,  daß  die  knäuelartige  Anordnung  der 
markhaltigen  Fasern  keinen  rein  baukünstlerischen  Sinn  hat,  im  Ver- 
gleich mit  der  Gesamtmasse  der  marklosen  Blättchen  und  Spindel- 
endigungen  möchte  man  den  markhaltigen  Knäuel  bild  an  gen  ähnliche 
perceptorische  Bedeutung  wie  den  marklosen  zuschreiben.  Man  muß 
dabei  die  altbekannte  Erscheinung  der  Sensibilität  der  markhaltigen 
Nervenstämmchen  zu  den  mechanischen  und  elektrischen  Reizen  in 
Erinnerung  bringen.  Von  diesem  Standpunkt  aus  erldärt  sich  auch 
die  Bedeutung  der  Schaltapparate,  als  perceptorische  Vorrichtung  sui 
generis,  was  sich  übrigens  in  ihrer  Kombination  mit  den  sensiblen 
Endverzweigungen  und  Endapparaten  äußert.  Daß  hier  aber  keine 
Ausnahme,  sondern  eine  direkte  Anschließung  an  die  vorhandenoi 
Beziehungen  vorliegt,  glaube  ich  nach  den  Angaben  über  den  Bau  der 
MEissNERschen  Körperchen  zu  schließen.  Dazu  benutze  ich  die 
neueste  Beschreibung  von  Prof.  A.  S.  Dogiel  (13) 

In  den  Papillen  mit  typischen  MEissNERschen  Körperchen  ver- 
laufen viele  von  den  dicken  markhaltigen  Fasern  zu  diesen,  wobei  an 
jedes  Körperchen  je  nach  dessen  Größe  entweder  eine,  häufiger 
jedoch  mehrere,  zwei  bis  drei,  viel',  fünf  und  mehr  Fasern  herantreten. 
In  günstigen  Fällen  läßt  es  sich  bisweilen  erkennen,  daß  zwei  bis  drei 
dieser  Fasern  aus  der  Teilung  einer  Stammfaser  hervorgegangen  sind.  .  . 
Gewöhnlich  treten  die  Fasern  entweder  an  den  unteren  Pol  des  Körper- 
chens oder  seitwärts  nahe  dem  Pol,  oder  aber  in  dem  oberen  Abschnitt 
desselben  (an  das  obere  Drittel)  heran.  .  .  .  Nicht  selten  verliert  die 
an  das  Körperchen  von  unten  oder  seitwärts  herantretende  Faser  nicht 
ihre  Markscheide,  sondern  teilt  sich  in  zwei  Fasern,  von  welchen  die 
eine  sich  an  der  Oberfläche  des  Körperchens  windet  und  nach  Verlauf 
einer  gewissen  Strecke  von  neuem  in  zwei  bis  drei  Fasern  teilt,  oder 
aber  die  ganze  Faser  windet  sich  vor  dem  Eintritt  in  das  Körperchen 
an  der  Oberfläche  desselben,  wobei  sie  sich  bisweilen  teilt  und  darauf 
erst  nach  »einer  oder  zwei  Windungen«  die  Scheide  verliert  und  in 
den  Hohlraum  eindringt  (S.  68).      Hier  sieht  man  wieder  das  Dasein 


Die  Nervenendigungen  an  ilcn  Sinushaaren  des  Rindes.  361 

markhaltiger  Segmente  in  der  Endverzweigung.  Die  Ähnlichkeit  mit 
den  von  mir  beobachteten  Tatsachen  wird  noch  deutlicher  hervor- 
treten, wenn  wir  die  Ansichten  von  Dogiel  über  die  Struktur  der  Unter- 
lage des  MEissNERschen  Körperchens,  speziell  über  den  von  ihm 
vermuteten  >> Hohlraum«  des  Körperchens  durch  die  Angaben  von 
RuFFiNi  verbessern.  Ruffini  (37)  zeigt  nämlich,  daß  das  MEissNERsche 
Körperchen  eigentlich  keinen  Binnenraum  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
besitzt,  sondern  von  Bindegewebe  zusammengesetzt  wird.  Dann 
haben  wir  wohl  keine  Veranlassung  die  markhaltigen  Segmente  streng 
von  den  marklosen  zu  trennen,  da  diese  und  jene  in  gleicher  Weise  in 
der  bindegewebigen  Unterlage  des  Körperchens  sich  finden,  also  zu 
demselben  Endkomplex  gehören.  Prinzipiell  bewährt  sich  hier  die 
Eigentümlichkeit  der  Knäuelendigungen,  erreicht  aber  nicht  im  minde- 
sten die  kolossale,  Entwicklung,  die  ich  in  den  letzteren  Nerven- 
endigungen feststellen  konnte.  Auch  sonst  findet  sich,  wenn  wir  die 
Zeichnungen  von  Dogiel  (11)  genauer  studieren,  in  den  MEissNER- 
schen Körperchen  immer  die  Neigung  bald-  mehr  blättchenförmige 
(Fig.  17),  bald  spindelförmige  (Fig.  15,  20)  Verbreiterungen  zu  zeigen, 
oder  es  treten  sogar  meinen  Körnchenendigungen  nicht  unähnliche 
Formen  hervor  (Fig.  22) ;  doch  schreibt  der  Verfasser  die  mit  kleinen 
Varicositäten  besetzten  Astchen  den  Fasern  der  zweiten  Axt  zu,  die  in 
demselben  Körperchen  endigen.  Es  wäre  möglich,  daß  diese  Fasern  der 
zweiten  Art  den  dicken  markhaltigen  Fasern  ganz  homolog  sind,  also 
nicht  den  Fasern  der  zweiten  Art  in  den  echten  kapsulierten  Nerven- 
endapparaten entsprechen.  Dann  wird  das  MEissNERsche  Körperchen, 
in  welchem  die  Fasern  mit  großen  und  kleinen,  körnchenförmigen  Ver- 
dickimgen  sich  befinden,  eine  gut  mögliche  Kombination  der  Spindel 
und  Körnchenendigung  darstellen,  also  in  die  Reihe  der  baumförmigen 
Endigungen  passen. 

Die  eingekapselten  Apparate  der  inneren  Balglamelle. 
A.  Die  Endkolben  (Krause,  Ruffini,  37).  Die  Endkolben 
der  typischen  Art,  also  mit  einem  marklosen  centralen  Nervenfaden 
im  inneren  Kolbenraum,  sind  in  geringer  Zahl  außer  in  den  kom- 
binierten Schaltapparaten  in  der  inneren  Balglamelle  vorhanden  (Fig.  1, 
14,  Taf.  XV).  Ihr  Verbreitungsgebiet  ist  größer  als  das  der  End- 
bäumchen.  Sie  finden  sich  unter-  und  oberhalb  des  unteren  Nerven- 
ringes, treten  auch  an  der  Scheidenanschwellung  auf  und  sind  manch- 
mal im  konischen  Körper,  sogar  dicht  unter  den  Talgdrüsenlappen 
eingeschlossen.    Ihr  Bau  ist  immer  gleich,  sie  besitzen  eine  geringe  Zahl 

24* 


362  D-  Tretjakoff, 

eng  aneinander  liegender  konzentrischer  Kapseln,  einen  engen  Binnen- 
raum und  die  marklos  gewordene  Nervenfaser,  die  in  Gestalt  des 
centralen  Fadens  bis  zum  entgegengesetzten  Pol  des  Kolbens  reicht 
und  da  mit  der  Anschwellung,  manchmal  aber  zugespitzt  sich  erschöpft. 

Mit  der  Kuppe  sind  die  Endkolben,  wenn  sie  unabhängig  von  den 
Schaltapparaten  vorkommen,  nach  oben  oder  nach  unten  gerichtet 
und  sind  mit  ihrer  längsten  Achse  immer  der  Längsachse  des  Haares 
parallel. 

In  letzter  Zeit  hatte  man  die  Endkolben  mit  den  modifizierten 
Vater- PACiNischen  Körperchen  identifiziert,  mit  der  Vermutung,  daß 
der  Centralfaden  der  ersteren  nur  das  unvollständig  gefärbte  Bild  der 
Endigung  darstellen  sollte,  die  wahre  Endigung  aber  ebenso  verwickelt 
sei,  wie  in  den  GoLGi-MAZZONischen  Körperchen.  Deshalb  widmete 
ich  den  Endkolben  besondere  Aufmerksamkeit  und  habe  viel  Mühe 
angewendet,  um  die  vorausgesetzte  >> vollständige «  Färbung  zu  erhalten, 
—  aber  umsonst.  Das  Bild  bleibt  ganz  gleich  auf  Methylenblaupräpa- 
raten und  nach  dem  Verfahren  von  Ramön  y  Cajal,  das  nach  meiner 
Erfahrung  die  verflechtenden  Endzweige  in  den  GoLGi-MAZZONischen 
Körperchen  sonst  ganz  gut  färbt.  Deswegen  halte  ich  hier  die  Mög- 
lichkeit einer  unvollständigen  Färbung  für  ganz  ausgeschlossen,  und 
m  dieser  Beziehung  schließe  ich  mich  Ruffini  an,  daß  die  Endkolben 
mit  einem  centralen  Endfaden  unbedingt  von  den  GoLGi-MAzzoNischen 
Körperchen  oder  von  sogenannten  modifizierten  Vater- PACiNischen 
Körperchen  zu  trennen  sind.  Übrigens  halte  ich  die  Bezeichnung  »modi- 
fizierte Vater- PACiNischen  Körperchen«  nicht  für  glücklich  gewählt, 
da  sie  typische  Vater- PACiNische  Körperchen  als  eine  Ausgangsform 
präjudiziert,  was  jedenfalls  noch  von  niemandem  bewiesen  wurde. 

Was  den  Bau  der  Kapsel  anbetrifft,  so  wird  sie  von  feinen  acido- 
philen  Fasern  zusammengesetzt,  wie  es  schon  oben  berichtet  wurde.  Die 
dazu  gehörigen  Zellen  finden  sich  nicht  zwischen  je  zwei  benach- 
barten Kapseln,  sondern  sind  meistens  an  der  Peripherie  des  Kolbens 
angehäuft  und  immer  in  sehr  geringer  Zahl  vorhanden. 

Es  sind  aber  in  der  inneren  Lamelle  sehr  selten  eingekapselte 
Endapparate  zu  finden,  die  mehr  den  Körperchen  von  Golgi-Mazzoni, 
und  zwar  deren  einfachsten  Formen  ähneln.  Im  Sinusbalge  des 
Rindes  haben  sie  meistens  ovale  bis  wurstförmige  Gestalt,  und  sind 
immer  sehr  klein.  Die  marklos  gewordene  Nervenfaser,  die  in  den 
inneren  Hohlraum  hineintritt,  spaltet  sich  in  zwei  oder  mehr  Aste, 
die  sich  untereinander  verflechten,  und  jede  hat  ein  freies  Ende, 
wo  sie  manchmal  leicht  verbreitert  (Fig.  1,  15,  Taf.  XV)  werden.   Dabei 


Die  Nervenendigungen  an  den  yinushaaren  des  Rindes.  363 

liegen  die  Endäste  im  gemeinsamen  Hohlraum,  erinnern  also  sehr  an 
das  vonDoGiEL  abgebildete  GoLGi-MAZzoNische  Körperchen  (Taf.XVI, 
Fig.  4  h)  in  der  Haut  des  Menschen,  weshalb  ich  hier  keine  entsprechende 
Abbildung  gebe.  Zu  der  Bildung  eines  verwickeiteren  Geflechtes  kommt 
es  nicht,  manchmal  ist  auch  die  Kapsel  sehr  mangelhaft  entwickelt, 
indem  sie  nur,  der  Kuppe  des  Körperchens  entsprechend,  wo  die  an- 
geschwollenen Enden  der  Äste  endigen,  eine  deutlich  lamellöse  An- 
ordnung zeigt ;  näher  aber  zur  Teilungsstelle  der  Hauptfaser  verschmilzt 
sie  vollständig  mit  den  umgebenden  acidophilen  Fasern  des  Binde- 
gewebes. Die  Kolben  liegen  meistens  in  tieferen  Schichten  der  inneren 
Balglamelle,  also  zwischen  den  dicht  gedrängten  Bündeln  der  acido- 
philen Fasern;  man  trifft  sie  aber  gelegentlich  im  Gallertgewebe,  wo 
sie  durch  die  Acidophilie  ihrer  Kapseln  recht  scharf  von  der  baso- 
philen Kittsubstanz  sich  unterscheiden. 

B.  Körperchen  mit  plättchenförmigen  Endverbreite- 
rungen. Im  Sinusbalge  des  Rindes  finde  ich  solche  Körperchen  immer 
scharf  von  dem  umgebenden  Bindegewebe  abgegrenzt.  Mit  dem  be- 
stimmten, schon  beschriebenen  Endapparat  sie  zu  identifizieren,  ist 
sehr  schwer,  zudem  treten  sie  sehr  selten  auf  und  haben  kleine  Dimen- 
sionen (Fig.  21,  Taf.  XVIII). 

Die  Körperchen  mit  plättchenförmigen  Endverbreiterungen  sind 
von  Prof.  A.  S.  Dogiel  aus  dem  Stratum  reticulare  corii  der  Finger- 
kuppe des  Menschen  beschrieben  worden,  sonst  von  niemandem,  A. 
S.  Dogiel  (11)  meint,  daß  diese  Körperchen  nur  im  Fall  einer  aus- 
gezeichneten Färbung  der  in  ihnen  endigenden  Nerven  deutlich  hervor- 
treten und  bemerkbar  sind,  weshalb  sie  auf  Präparaten  verhältnismäßig 
nicht  häufig  zum  Vorschein  kommen.  Sie  haben  nach  seiner  Beobach- 
tung gewöhnlich  die  Gestalt  eines  mehr  oder  weniger  engen  Cylinders 
und  sind  nicht  selten  in  geringerem  oder  stärkerem  Maße  gebogen; 
ihr  Längsdurchmesser  beträgt  0,062 — 0,080  mm,  der  Querdurchmesser 
0,018 — 0,022  mm.  Jedes  Körperchen  ist  von  einer  dünnen  bindegewe- 
bigen, aber  nicht  geschichteten  Hülle  umgeben,  die  einen  Hohlraum 
umfaßt. 

An  dem  unteren  Pol  jedes  Körperchens  tritt  eine  sehr  dicke,  mark- 
haltige  Nervenfaser  auf.  In  geringer  Entfernung  vom  Pol  des  Körper- 
chens verliert  die  Faser  ihre  Markscheide,  der  breit  abgeplattete  Achsen- 
cylinder  dringt  in  den  Hohlraum  ein,  woselbst  er  alsbald  einen  oder 
zwei  abgeplattete  Äste  abgibt,  alsdann  sich  wellenförmig  windend 
zum  blinden  Ende  des  Kolbens  hinzieht  und  sich  abermals  in  Äste 
teilt.     Die    Äste    winden   sich    im   Hohlraum    des    Körperchens    und 


364  D.  Trejtakoff, 

zerfallen  schließlich  in  sekundäre  Astchen.  Jedes  Astchen  endigt  alsdann 
nach  Verlauf  einer  gewissen  Strecke  im  Hohlraum  des  Körperchens 
mit  einem  besonderen  Plättchen.  Die  Bänder  der  Plättchen  sind  mit 
Dornen  besetzt,  stellenweise  ausgeschnitten.  Einige  der  Dornen  sind 
dermaßen  verlängert,  daß  sie  sich  in  feine,  sich  nicht  selten  teilende 
Fädchen  ausziehen,  mittels  welcher  die  benachbarten  Plättchen  sich 
untereinander  verbinden.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  die  Fläche 
des   Plättchens  nach  oben  gerichtet. 

Im  Hohlraum  zwischen  den  Plättchen  vermutet  Verfasser  unge- 
färbt gebliebene  ebensolche  Plättchen,  da  die  Abwesenheit  der  Zellen 
im  Hohlraum  von  ihm  ganz  bestimmt  festgestellt  wurde. 

Äußerlich  bieten  die  Körperchen  in  der  inneren  Balglamelle  des 
Sinushaares  des  Rindes  viel  ähnliches  mit  den  von  Dogiel  beschrie- 
benen, aber  bei  eingehender  Untersuchung  fand  ich  manche  Verschieden- 
heiten, über  deren  Bedeutung  ich  vorläufig  nur  sehr  vorsichtig  Ant- 
wort geben  möchte. 

Die  Körperchen  am  Sinushaar  messen  nur  0,04  mm,  wenn  wir 
den  längsten  Durchmesser  in  Rücksicht  nehmen;  sie  sind  rundlich. 
Ich  habe  volles  Recht  von  einer  Hülle  des  Körperchens  zu  sprechen, 
da  dieselbe  ganz  deutlich  wie  auf  Methylenblaupräparaten,  so  auch 
nach  dem  Verfahren  von  Cajal  hervortritt,  aber  nicht  in  der  Form 
einer  Schicht,  wie  es  Dogiel  in  seinem  Fall  bemerkt  hatte,  sondern 
wie  ein  System  von  konzentrischen  Lamellen  ebenso  fein  und  dicht 
gedrängt,  wie  in  den  Endkolben.  Von  der  Anwesenheit  irgendwelchen 
Hohlraumes  konnte  ich  mich  nicht  überzeugen;  im  Gegenteil,  auf 
den  Präparaten  nach  Cajals  Methode,  sieht  man  die  konzentrische 
Schichtung  deutlich  nur  an  der  Peripherie  des  Körperchens,  während 
die  Mitte  desselben,  mit  den  nervösen  Endverzweigungen  angefüllt, 
keine  Schichtung  aufweist,  sondern  aus  einer  dichten,  scheinbar  struk- 
turlosen Masse  besteht,  die  dunkelgelb  gefärbt  ist.  Dieselbe  centrale 
Masse  färbt  sich  mitunter  leicht  mit  Methylenblau,  jedenfalls  so  wenig 
intensiv,  daß  die  nervösen  Verästelungen  immer  sehr  scharf  hervor- 
treten. Jene  Masse  für  ein  Gerinnsel  irgendwelcher  Flüssigkeit  in  dem 
vorhandenen  Raum  zu  halten  habe  ich  keine  Veranlassung,  da  die  Masse 
allmählich  in  die  geschichtete  oberflächliche  Laoe  übergeht  und  kein 
körniges  Aussehen  zeigt.  Es  ist  vielleicht  am  geeignetsten  sie  für  die 
u/ngewandelte  Partie  der  Hülle  selber  zu  halten,  aber  die  Umwand- 
lung näher  zu  bestimmen,  hatte  ich  bisher  noch  keine  Möglichkeit. 

Die  geschichtete  Lage  der  Hülle  entspricht  der  Kapsel  des  End- 
kolbens auch  in  der  Beziehuno;,  daß  die  Zellen  hier  sehr  selten  und  nur 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaarcn  des  Rindes.  365 

überfiäclilicli  vorhanden  sind;  in  der  centralen  Masse  gibt  es  keine 
Zellen  mehr. 

An  das  Körperchen  treten  meistens  zwei  Nervenfasern,  seltener 
eine;  sie  sind  markhaltig,  verlieren  aber  die  Markscheide  nicht^weit 
vom  Körperchen.  Sie  treten  manchmal  an  den  oberen  Pol  des  Körper- 
chens, so  daß  letzteres  wie  eine  Beere  auf  der  Nervenfaser  hängt;  wenn 
zwei  Fasern  vorkommen,  scheinen  sie  keine  Aste  derselben  Faser  zu 
sein,  bewahren  aber  ihre  Selbständigkeit,  solange  es  möglich  ist,  sie  zu 
verfolgen. 

Die  marklos  gewordenen  Fasern  verjüngen  sich  und  dringen  in 
das  Gewebe  des  Körperchens  ein  und  verästeln  sich;  dann  verflechten 
sich  die  Aste  schlingenförmig  miteinander  und  füllen  den  ganzen  Um- 
fang des  Körperchens  mit  Verzweigungen,  die  mit  plättchenförmigen 
Verdickungen  versehen  sind.  An  den  Enden  der  Astchen  bilden  sich, 
soviel  es  zu  sehen  möglich  war,  wieder  die  terminalen  Verbreiterungen. 
Im  Gewirr  der  Verzweigungen,  die  dicht  aneinander  liegen,  ist  es  recht 
schwer  zu  entscheiden,  ob  die  Ästchen  und  Plättchen  beider  Fasern 
miteinander  in  Verbindung  treten.  Meistenteils  stehen  die  Plättchen 
in  dem  Körperchen  senkrecht  zu  der  Längsachse  des  Körperchens,  also 
parallel  der  Oberfläche  der  Schnauze,  man  trifft  übrigens  auch  jede 
mögliche   Kichtuns;. 

Entsprechende  Körperchen  mit  plättchenförmigen  Verbreiterun- 
gen finden  sich  immer  oberhalb  des  unteren  Nervenringes,  sie  erreichen 
aber  niemals  die  Höhe  der  Wurzelscheidenanschwellung.  Ihre  Zahl 
ist  sehr  gering,  man  trifft  nicht  mehr  als  ein  solches  Körperchen 
auf  dem  Längsschnitt  des  Balges.  In  sehr  auffallender  Weise  lagern 
sie  manchmal  mit  dem  Endkolben  zusammen  an  derselben  Stelle,  so 
daß  Körperchen  und  Kolben  sich  mit  ihren  Flächen  berühren  und 
dabei  mit  ihren  Längsachsen  ziemlich  parallel  gerichtet  sind.  In  diesem 
Fall  äußert  sich  die  Ähnlichkeit  der  geschichteten  Lage  des  Körperchens 
und  der  Kapseln  des  Kolbens  vorzüglich,  dabei  bietet  sich  die  Gelegen- 
heit zu  bemerken,  daß  die  centrale  Masse  des  Körperchens  ganz  anders 
aussieht,  als  der  innere  Raum  des  Endkolbens. 

Wenn  die  Körperchen  mit  plättchenförmigen  Endigungen  in  der 
Haut  der  Fingerkuppe  des  Menschen  wirklich  einen  Hohlraum  besitzen, 
dazu  noch  ihre  Hülle  ungeschichtet  ist,  so  muß  ich  die  von  mir  aufgefun- 
denen Körperchen  mit  sehr  ähnlichen  Nervenendverzweigungen  immer- 
hin für  eine  selbständige  und  neue  Form  der  Nervenendapparate  halten, 
die  für  das  Sinushaar  des  Rindes  specif isch  ist.  Ihre  Lage  in  der  inneren 
Balglamelle   und   die   Beziehungen   zu   dem   basophilen   Bindegewebe 


366  D.  Tretjakoff, 

wiederholen  das,  was  über  die  Endkolben  gesagt  wurde.  Wegen  ihrer 
Seltenheit  konnte  ich  ihre  Hülle  mit  andern  Methoden  nicht  untersuchen. 

Die  eingekapselten  Körperchen  mit  den  plättchenförmigen  Ver- 
breiterungen bilden  sich  also  in  der  inneren  Balglamelle  des  Sinus- 
haares des  Rindes  aus  zwei  Bestandteilen  —  einer  Hülle  und  einer 
nervösen  Endverzweigung.  Die  Hülle  besteht  aus  einer  nicht  näher 
bestimmten  Masse,  die  nach  außen  in  das  System  der  konzentrischen 
Lamellen  nach  der  Art  der  Endkolben  übergeht;  die  nervöse  End- 
verzweigung besteht  aus  einem  Geflecht  der  marklosen  Ästchen,  die 
plättchenförmige  Verbreiterungen  tragen. 

Ich  möchte  hier  noch  von  den  Endkolben  erwähnen,  die  in  den 
Schaltapparaten  eingeschlossen  sind  und  von  den  Endkolben,  die  über- 
haupt in  den  Nervenstämmchen  innerhalb  des  Balges  vorkommen 
und  keine  Enden,  sondern  nur  Collaterale  der  Fasern  darstellen,  um 
zu  zeigen,  daß  im  großen  und  ganzen  die  Menge  der  eingekapselten 
Körperchen  oder  Apparate  im  Sinushaar  des  Rindes  sehr  beträchtlich 
ist.  Ich  muß  dabei  hinzufügen,  daß  überhaupt  bisher  das  Vorhanden- 
sein der  eingekapselten  Apparate  im  Balge  des  Sinushaares  von  nie- 
mandem bemerkt  worden  ist,  und  in  dieser  Beziehung  bietet  das  Sinus- 
haar des  Rindes  neue  Data  für  die  Charakteristik  der  Sinushaare  als 
Tastapparate.  Dieses  Vorhandensein  von  eingekapselten  Apparaten 
steht  wohl  in  keiner  Beziehung  zu  dem  massenhaften  Vorkommen 
derselben  in  der  Schnauze  unter  den  Cutispapillen,  da  sie  beim  Schwein 
auch  unter  den  Cutispapillen  in  großer  Zahl  vorhanden  sind;  in  den 
Bälgen  der  Sinushaare  des  Schweines  hatte  ich  sie  niemals  getroffen, 
über  die  Kombinationen  der  Endkolben  mit  den  Endigungen  an  den 
Balken  des  cavernösen  Gewebes  siehe  unten. 

Die  palisadenförmigen  Endigungen  sensibler  Endplatten. 

Nach  meinen  Beobachtungen  stellen  die  geraden  Nervenfaser- 
endigungen  am  Hals  der  äußeren  Wurzelscheide  keinen  so  einheitlichen 
Zaun  bzw.  Palisade,  wie  es  von  den  Sinushaaren  andrer  Tiere  be- 
kannt ist,  dar.  Ranviers  Beschreibung  und  Bezeichnung  (34)  der 
geraden  Faserenden  in  der  Palisade  als  »terminaisons  en  forme  de 
spatule«  gibt  die  Besonderheiten  dieser  Bildungen  beim  Rind  nicht 
wieder,  weshalb  ich  es  für  angemessen  halte,  hier  eine  detaillierte 
Beschreibung  davon  zu  liefern,  wobei  ich  sie  lieber  als  sensible  End- 
platten bezeichnen  möchte. 

Wie  schon  früher  in  meiner  Mitteilung  gesagt  wurde,  haben  die 
geraden  Fasern,  die  die  sensiblen  Endplatten  im  Gebiete  des  Halses 


\ 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  3G7 

lind  der  Auschwellmig  der  äußeren  Wurzelscheide  bilden,  beim  Rind 
den  Ursprung  aus  den  aufsteigenden  Bündeln,  die  vom  unteren  Nerven- 
ring entstehen,  oder  aus  den  Fasern,  die  unterhalb  der  Talgdrüsen  in 
die  obere  Hälfte  des  Balges  hineintreten,  oder  aus  den  Fasern  des 
mittleren  Gebietes.  Die  Bildung  der  sensiblen  Endplatten  beginnt 
schon  unterhalb  der  Wurzelscheidenanschwellung,  was  ich  übrigens 
auch  beim  Schwein  bemerkt  hatte.  Beim  Rind  finde  ich  hier  die  ein- 
fachsten Formen  der  sensiblen  Platten,  die  sich  jedoch  von  den  Blätt- 
chen der  baumförmigen  Endigung  immer  gut   unterscheiden   lassen. 

Die  reichste  und  höchste  Ausbildung  zeigen  die  sensiblen  End- 
platten an  der  Grenze  zwischen  der  Wurzelscheidenanschwellung  und 
dem  Hals  der  Haarscheide,  aber  sie  sind  auch  höher  zu  finden,  in  den 
Grenzen  des  konischen  Körpers  bis  zur  Talgdrüse.  Ich  möchte  sie  des- 
halb als  specifische  Endigungen  des  konischen  Körpers  betrachten,  da 
sie  erst  hier  in  der  Form  erscheinen,  die  eine  ziemlich  große  Variations- 
breite zeigen.  Um  diese  Variationen  in  geeigneter  Weise  zu  beurteilen, 
muß  man  die  betreffenden  literarischen  Angaben  anführen. 

Ranvier  hat  sie  als  » terminaisons  en  spatule«  bezeichnet  und 
war  damit  fertig.  Nach  ihm  hat  Ostroumow-Arnstein  (1)  diese  Art 
der  Endigungen  unter  dem  Namen  der  geraden  Terminalfasern  be- 
schrieben. Dieselben  umgeben  nach  seiner  Beschreibung  den  Hals  der 
Haartasche  und  endigen  abgeflacht,  ungefähr  in  einem  Niveau,  löffei- 
förmig oder  keulenförmig.  Sie  sind  nach  der  Meinung  des  Verfassers 
den  freien  Nervenendigungen  der  sinuslosen  Haare  homolog.  Weitere 
Arbeiten  berücksichtigten  wenig  diese  Endigungen,  wahrscheinlich 
deshalb,  weil  sie  bei  den  meisten  Tieren  sehr  einförmig  aussehen.  Beim 
Rind  ist  das  nicht  der  Fall. 

Die  Variabilität  spricht  sich  schon  in  den  einfachsten  Formen, 
die  unterhalb  der  Wurzelscheidenanschwellung  auftreten,  aus.  Gewöhn- 
lich verliert  die  aufsteigende  marldialtige  Faser,  die  der  Glashaut  nahe 
liegt,  ihre  Markscheide  und  schwillt  i^leichsam  in  die  ovale  oder  zungen- 
förmige  Platte  an,  die  sich  der  Glashaut  eng  anschmiegt.  Die  Platten 
sind  hier  ganzrandig,  einfach,  ihre  Breite  überragt  den  Durchmesser 
des  Achsencylinders,  auf  dem  sie  sich  herausbilden,  nicht  mehr  als 
zehnmal.  Ähnliche  Platten  treten  keinesfalls  gruppenweise  auf,  sondern 
immer  einzeln,  auf  verschiedenen  Höhen,  meistens  an  den  Stellen,  wo 
die  baumförmigen  Endigungen  fehlen. 

An  der  AYurzelscheidenanschwellung  finden  sich  solche  einfache 
Formen  nur  selten.  Ihre  Stelle  nehmen  Endplatten  von  komplizier- 
terer Gestalt  ein. 


368  D-  Tretjakoff, 

Sternförmige  Endplatten  (Fig.  18,  Taf .  XVII)  und  alle  Übergangs- 
stadien zu  ihnen  von  den  ganzrandigen  rundlichen  Endplatten  bilden 
sich  terminal  oder  präterminal,  im  letzteren  Fall  aber  immer  so,  daß 
die  Platte  unmittelbar  auf  der  nicht  verästelten  Faser  sitzt.  Die  auf- 
fallendste Form  sieht  man  auf  der  Fig.  18,  Taf.  XVII,  wo  die  termi- 
nale Endplatte  mit  feinsten  Fortsätzen  versehen  ist;  diese  Fortsätze 
haben  teilweise  die  Gestalt  von  spitzigen  Dornen,  teilweise  sind  sie 
fadenförmig,  lang  und  geknickt,  einige  verästeln  oder  verbreitern  sich, 
sekundäre  Astchen  oder  Plättchen  bildend. 

Die  geraden  markhaltigen  Fasern,  die  sternförmige  Platten  tragen, 
verlieren  ihre  Markscheide  noch  unterhalb  der  Wurzelscheidenanschwel- 
lung und  verlaufen  weiter  als  nackte  Achsency linder.  Doch  sind  auch 
Ausnahmen  möglich,  manchmal  erhält  sich  die  Markscheide  dicht  bis 
zu  der  Endplatte. 

Hängende  Endplatten  (Fig.  20,  Taf.  XVII)  kommen  dadurch  zu- 
stande, daß  die  marklose  Partie  der  Faser  sich  knickt  und  nach  unten 
umbiegt,  immer  unter  scharfem  Winkel.  Die  hängende  Endplatte 
ist  gewöhnlich  ausgezogen  und  nicht  selten  ebenfalls,  wie  sternförmige 
Platten,  mit  feinen  Fortsätzen  versehen.  Auf  der  Fig.  20  ist  der  Fall 
gezeichnet,  wo  die  meisten  Fortsätze  knopfförmig  an  ihrem  Ende  ver- 
dickt sind.  Dabei  sei  auf  Ungleichheit  der  markhaltigen  Segmente  die 
Aufmerksamkeit  gerichtet. 

Endlamellen  (Fig.  28,  Taf.  XVII)  stellen  die  langen  und  maxi- 
mal abgeplatteten  Endplatten  vor,  die  sich  wieder  auf  dem  langen 
feinen  marklosen  Endstück  der  Faser  bilden.  Sie  haben  sehr  selten 
einen  glatten  Rand,  meistens  sind  sie  gezackt,  ausgeschnitten  usw. 
Auf  den  Methylenblaupräparaten  sieht  man  in  ihnen  selten  die  fibrilläre 
Struktur,  da  sie  mit  intensiv  färbbaren  Microsomen  angefüllt  werden. 
Die  Dicke  der  Lamellen  ist  nicht  überall  gleich,  meistens  sind  sie  in 
der  Mittellinie  verdickt,  färben  hier  sich  also  dunkler  als  an  den 
Rändern. 

Keulenförmige  Endigungen  der  geraden  Terminalfasern  sind 
allseitig  verdickt,  deshalb  paßt  für  sie  die  Bezeichnung  »die  End- 
platte <<  nur  schlechtweg.  Sie  sind  (Fig.  19,  Taf .  XVII)  auch  mannig- 
faltig gestaltet,  indem  sie  sich  umbiegen  oder  im  Verlaufe  des  mark- 
losen Endstückes  der  geraden  Faser  mit  Schaltverdickungen  oder 
Schaltplatten  versehen  sein  können.  Sie  ähneln  manchmal  ganz  auf- 
fallend den  Endigungen  an  den  typischen  Endkolben,  aber  bei  aller 
Mühe  konnte  ich  an  ihnen  die  lamellösen  Kapseln  nicht  feststellen. 
Manchmal   sind   ihre  Konturen   ganz    glatt,    in   andern    Fällen    sind 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  3G9 

sie  mit  feinsten  Dörnchen  und  Höckerchen  versehen,  wenn  auch 
diese  Unebenheiten  lange  nicht  die  Größe  der  beschriebenen  Rand- 
fädchen  der  Endplatten  erreichen.  Die  keulenförmigen  Endigungen 
zeigen  in  der  Endverdickung  keine  fibrilläre  Struktur-  nach  der  Behand- 
lung mit  Methylenblau,  werden  aber  dicht  von  sich  stark  färbenden 
Körnchen  angefüllt.  Wenn  man  die  beschriebenen  Formen  der  End- 
platten und  Endkeulen  nach  dem  Verfahren  von  Cajal  untersucht, 
so  bekommt  man  keine  Ahnung  von  den  Randdornen  und  Randfädchen, 
wie  es  auch  aus  der  Arbeit  von  Tello  (45)  ersichtlich  ist.  Soweit  ich 
die  Angaben  von  Tello  nachgeprüft  habe,  finde  ich  nach  der  Behand- 
lung des  frischen  Objekts  mit  Silber,  oder  nach  der  Vorbehandlung 
mit  ammoniakalischem  Alkohol,  den  fibrillären  Bau  immer  gut  aus- 
geprägt; die  Fibrillen  bilden  das  Bündel,  welches  nur  entsprechend 
den  gröberen  Biegungen  der  Endplatte  sich  knickt,  aber  keine  frei- 
endigenden Fibrillen  oder  Fibrillennetzchen,  die  in  die  Randfädchen 
eintreten  könnten,  abgibt.  Ich  halte  die  Randfädchen  und  Randdornen 
für  rein  neuroplasmatische  Bildungen,  die  also  keine  Neurofibrillen  in 
sich  enthalten,  wenn  auch  ihre  Dicke  derjenigen  einer  feinsten  Fibrille 
entsprechen  kann.  Da  diese  Erscheinung  von  mir  gewissenhaft  nach- 
geprüft wurde  und  mit  der  Beschreibung  von  Tello  im  guten  Einklang 
steht,  halte  ich  dies  Verhältnis  für  sehr  wichtig,  da  es  zeigt,  daß  die 
Oberflächenvergrößerung,  die  sicher  in  unmittelbarer  Beziehung  zu  der 
Perception  der  Reize  sich  gestaltet,  hier  ohne  Beteiligung  von  Neuro- 
fibrillen vorkommt. 

Ein  andres  Merkmal  ist  allen  oben  genannten  Formen  der  End- 
platten gemeinsam,  das  ist  nämlich  die  Anhäufung  der  stark  färb- 
baren Microsomen.  Da  die  Erforschung  der  fibrillären  Struktur  in 
letzter  Zeit  allein  herrschend  war,  wurden  die  neuroplasmatischen 
Bestandteile  nur  wenig  berücksichtigt;  deswegen  sind  nur  zufällige 
Angaben  über  die  Gesamtstruktur  der  Nervenendigungen,  aber  keine 
systematischen  Untersuchungen  gemacht.  Dazu,  kommt  noch,  daß 
die  prachtvollen  Bilder  der  Nervenendigungen,  die  die  Methylenblau- 
methode liefert,  meistens  nur  topographisch-anatomisch,  aber  nicht 
cytologisch  verwertet  werden;  man  versucht  nämlich  selten,  die  fei- 
nere Struktur  der  nervösen  Endausbreitungen  mit  unsern  übrigen 
Kenntnissen  von  plasmatischen  Strukturen  in  Verbindung  zu  bringen. 
Wenn  man  aber  bei  vitaler  Färbung  diese  oder  jene  nervöse  Bildung 
vom  ersten  Moment  des  Auftretens  der  Färbung  verfolgt,  bekommt  man 
die  feste  Überzeugung,  daß  die  Methylenblaumethode  ein  volleres  Bild 
der  Bestandteile  der  nervösen  Endausbreitung  als  jede  andre  Methode 


370  "D-  Tretjakoff, 

wiedergibt.  Ich  will  zwar  in  keiner  Weise  die  Wichtigkeit  der  Fest- 
stellung des  fibrillären  Baues  der  Nervenendigungen  unterschätzen, 
möchte  aber  vor  der  Einseitigkeit  künftiger  Untersuchungen  warnen, 
wenn  man  die  Neurofibrillen  nur  allein  für  einen  der  Untersuchung 
werten  Bestandteil  der  nervösen  Ausbreitung  hält. 

Ich  fand  die  färbbaren  (also  basophilen)  Microsomen  im  Neuro- 
plasma  der  sensiblen  Endplatten  und  in  den  centralen  Fasern  der 
Endkolben,  desgleichen  auch  in  den  Blättchen  der  baumförmigen 
Endigungen  immer,  wenn  die  Blättchen  oder  Plättchen  eine  beträcht- 
lichere Größe  erreichten.  Aus  diesem  Grunde  kann  ich,  die  Bedingungen 
ihres  Vorkommens  verallgemeinernd,  sagen,  daß  die  basophilen  Micro- 
somen sich  konstant  in  der  nervösen  Endausbreitung  befinden,  wo  das 
Neuroplasma  größere  Anhäufungen  zeigt;  sie  sind  da  meistens  so 
kolossal  entwickelt,  daß  der  fibrilläre  Bau  von  ihnen  vollständig 
maskiert  wird.  Ich  kann  noch  hinzufügen,  daß  man  auf  Silber- 
präparaten, besonders  nach  der  unmittelbaren  Behandlung  des  frischen 
Gewebes  mit  Silber  (erste  Methode  von  Cajal),  die  Endplatten  und 
die  Centralfaser  in  den  Endkolben  auch  mit  dunklen  Körnchen  an- 
gefüllt findet,  so  daß  die  fibrilläre  Struktur  von  ihnen  maskiert  wird, 
wenn  sie  auch  unten  in  der  Nervenfaser  selber  recht  deutlich  zu  sehen 
war.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  genannten  Microsomen  einen 
konstanten  Bestandteil  der  Endigungen  bilden,  welche  aus  breiteren 
neuroplasmareichen  Plättchen  oder  Anschwellungen  bestehen. 

Beim  Mangel  diesbezüglicher  Beobachtungen  in  der  Literatur 
können  die  oben  stehenden  Erörterungen  höchstens  nur  für  die  Auf- 
gaben künftiger  Zeit  gelten.  Ich  möchte  jedoch  gleich  bemerken, 
daß  in  den  Zeichnungen  von  Prof.  Dogiel,  die,  soviel  ich  weiß,  höchst 
naturgetreu  sind,  die  stark  färbbaren  Körnchen  immer  da  in  den 
Endigungen  in  der  Hand  der  Fingerkuppe  des  Menschen  (11)  zu 
treffen  sind,  wo  die  Endigung  mit  breiteren  Endplatten  versehen  ist. 
So  bewahrt  das  Vorhandensein  der  Körnchen  ein  besonders  charakte- 
ristisches Aussehen  dem  eingekapselten  Körperchen  mit  blattförmigen 
Nervenendigungen  (Fig.  11,  12,  Taf.  VI).  Sie  werden  auch  vom  Ver- 
fasser in  den  Verbreiterungen  des  zusammengesetzten  MEissNERschen 
Körperchens  (Fig.  17,  Taf.  VII)  abgebildet. 

Ich  kehre  zu  den  Formen  der  Endplatten  zurück  und  werde  die 
sich  verzweigenden  Endplatten  als  den  Ausgangspunkt  weiterer  Vari- 
anten in  Betracht  ziehen;  dabei  verstehe  ich  unter  den  sich  ver- 
zweigenden Endplatten  die  Teilung  der  schon  ausgebildeten,  erweiterten 
Endplatten,  keine  Verzweigung  der  feinen  marklosen  Faserstücke,  der 


Die  Nervenendigungen  an  den  Siniishaaren  des  Rindes.  371 

die  Endplatte  aufsitzt.  Letzterer  Fall  kommt  auch  vor,  <2;ibt  aber  wenig 
charakteristische  Bilder,  die  den  oben  angegebenen  Formen  sich  an- 
schließen. Wenn  aber  die  eigentliche  Endplatte  sich  teilt,  entstehen 
Endigungen,  die  von  niemandem  bisher  beschrieben  oder  gesehen 
wurden.  Das  Vorkommen  solcher  geteilter  Endplatten,  ein  Beispiel 
davon  gibt  die  Fig.  29,  Taf .  XVIII,  ist  auf  das  Gebiet  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung beschränkt,  oben  im  konischen  Körper  habe  ich 
sie  nicht  bemerkt.  Außer  der  Teilung  bieten  solche  Endplatten  alle 
Merkmale,  die  ich  oben  geschildert  habe. 

Sie  können  auch  ein  eigentümlicheres  Aussehen  erreichen,  wie  es 
die  Fig.  24,  Taf.  XVIII,  zeigt.  Die  nach  dem  Verlust  der  Markscheide 
dünn  gewordene  Nervenfaser  verbreitert  sich  bandartig  und  nimmt 
deutlich  fibrilläre  Struktur  an,  da  die  in  ihr  eingeschlossenen  Neuro- 
fibrillen auseinander  weichen  und  weiter  parallel  verlaufen.  Die  band- 
artige Faser  teilt  sich  in  drei  Äste  an  zwei  Stellen  ihres  Verlaufes;  zwei 
obere  Aste  endigen  in  Gestalt  von  knäuelförmigen  Anschwellungen, 
die  prall  mit  stark  färbbaren  Microsomen  gefüllt  werden,  weswegen 
ihre  Neurofibrillen  der  weiteren  Verfolgung  sich  entziehen.  Der 
untere  Ast  biegt  sich  nach  unten,  liefert  kleine  Nebenäste  und  bewahrt 
die  fibrilläre  Strichelung  auf  längerer  Strecke,  sogar  noch  in  der  prä- 
terminalen Anschwellung,  nicht  aber  in  dem  intensiv  gefärbten  Ende. 
Die  ganze  Endigung  ähnelt  sehr  der  Endigung  im  Endkolben,  hat  aber 
keine  Hülle,  gehört  also  zu  den  übrigen  Formen  der  Endplatten. 

Es  finden  sich  noch  an  der  Wurzelscheidenanschwellung  ver- 
zweigte Endplatten,  die  bei  andrer  topographischer  Lage  entschieden 
den  gewöhnlichen  2,ut  bekannten,  nach  den  zahlreichen  Unter- 
suchungen,  baumförniigen  Endigungen  zugezählt  werden  sollten.  Hier 
am  Sinushaar  des  Rindes,  an  der  Hand  der  von  mir  beobachteten 
Übergangsformen,  dürfen  sie  nur  als  maximal  verzweigte  sensible 
Endplatten,  die  palisadenförmige  Endigungen  andrer  Forscher,  be- 
trachtet werden  (Fig.  25,  Taf.  XVIII). 

Die  markhaltige  Faser,  die  mit  der  maximal  verzweigten  End- 
platte endigt,  gehört  dem  System  der  aufsteigenden  geraden  Fasern 
an,  erhält  aber  gewöhnlich  ihre  Markscheide  im  größeren  Grade  als 
in  vorigen  Fällen.  An  der  Wurzelscheidenanschwellung  angekommen, 
verliert  die  Faser  ihre  Markscheide  und  gleich  darauf  verzweigt  sie 
sich  in  eine  beschränkte  Anzahl  von  feinen,  sich  vorwiegend  senkrecht 
verbreitenden  Ästen,  die  mit  kleinen  Anschwellungen  und  Plättchen 
besetzt  sind.  So  bildet  sich  eine  Endverzweigung,  die  sehr  der  baum- 
förmigen    Endigung    an    den    Balken    des    cavernösen    Gewebes    im 


372  r>-  Tretjakoff, 

Simisraiim  ähnlich  ist  (siehe  unten).  Der  Unterschied  äußert  sich  haupt- 
sächHch  in  der  gleichen  Richtung  der  Endzweige  und  in  der  Tendenz, 
auf  den  Enden  der  aufsteigenden  Aste  größere  Endverbreitungen  zu 
bilden. 

Alle  die  beschriebenen  Formen  der  sensiblen  Endplatten  treten 
auch  über  der  Wurzelscheidenanschwellung  im  Gewebe  des  konischen 
Körpers  auf,  und  teilweise  entwickeln  sie  sich  hier  in  neue  Varianten, 
teilweise  wiederholen  sie  die  Formen,  die  wir  an  der  Wurzelscheiden- 
anschwellung gesehen  hatten  (Fig.  1,  23,  Taf.  XVII).  In  dieser  Be- 
ziehung zeigen  die  Haare  weitgehende  Differenzen,  die  keine  Regel- 
mäßigkeit bieten.  In  gleichem  Grade  bilden  die  Endplatten  im  koni- 
schen Körper  keine  ununterbrochene  Palisade,  sondern  stehen  hier 
und  da,  in  nicht  großer  Zahl,  in  der  Reihe  der  Endplatten  an  der 
Wurzelscheidenanschwellung.  Die  einzelnen  Endplatten  reichen  bis 
an  die  Talgdrüsenkörper  und  endigen  dicht  unterhalb  derselben,  immer 
in  dem  basophilen  Bindegewebe  bleibend,  andre  liegen  auf  verschie- 
denen Höhen  im  Raum,  zwischen  den  Talgdrüsen  und  der  Haar- 
scheidenanschwellung, manchmal,  wie  auf  der  Fig.  29,  Taf.  XVIII, 
eine   ununterbrochene  Längsreihe  bildend. 

Ich  muß  noch  die  Verschiedenheiten  des  Abstandes  vom  Haar, 
die  die  Endplatten  im  konischen  Körper  aufweisen,  erwähnen.  Während 
in  der  mehr  oder  weniger  vollständigen  Palisade  an  der  Wurzelscheiden- 
anschwellung alle  Endplatten  ungefähr  im  gleichen  Abstand  von  der 
Glashaut  bzw.  von  der  Wurzelscheide  selber  oder  der  Haarachse  stehen, 
ist  das  im  konischen  Körper  nicht  der  Fall,  die  meisten  behalten  ihren 
Abstand  von  der  Achse  des  Haares,  andre  nähern  sich  ihr,  oder  öfters 
noch  neigen  sie  sich  weiter  nach  außen,  so  daß  sie  in  der  äußersten 
Schicht    des  konischen  Körpers  liegen. 

Selten  aber  kommen  sie  nach  innen  von  den  Talgdrüsen  zu  liegen; 
wenn  die  Endplatten  unmittelbar  unter  den  Talgdrüsen  zu  sehen  sind, 
liegen  sie  meistens  unter  dem  untersten  Pol  der  Drüse  oder  ein  wenig 
nach  außen  von  ihm. 

Die  Endplatten  im  konischen  Körper  kombinieren  sich  manchmal 
miteinander,  verwickelte  Gruppen  zusammenstellend.  Ein  Beispiel 
von  solchen  verwickelten  Gruppen  liefert  die  Fig.  26,  Taf.  XVIII,  wo 
die  Endigungen  in  eigentümlicher  Weise  sich  verflechten  und  an 
den  Enden  Plättchen  oder  keulenförmige  Anschwellungen  tragen. 
Einige  Fasern  der  Gruppe  endigen  mit  den  aufsteigenden  marklosen 
Terminalfasern,  andre  verlaufen  nach  dem  Verlust  der  Markscheide 
erst   nach   oben   und   biesen   sich   darauf  nach   unten,   um  mit  ihren 


Die  Xervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  373 

verbreiterten  oder  angeschwollenen  Enden  ungefähr  in  einer  Höhe  mit 
ersteren  zu  endigen.  Dabei  sind  die  Fasern  in  ihrer  marklosen  Partie 
mit  Knickungen  versehen,  die  den  Knickungen  an  dem  Achsen- 
cylinder  in  den  Schaltapparaten  nicht  unähnlich  sind.  Man  findet 
mitunter  in  den  genannten  Gruppen,  daß  die  Endplatte  nur  den  Zweig 
der  Faser  darstellt,  die  letztere  aber  verläuft  weiter  nach  oben  zu  dem 
subpapillären  Geflecht,  wo  ihr  Schicksal  nicht  bestimmt  werden  konnte. 

Es  fehlt  auch  hier  nicht  an  den  verschiedenartig  verzweigten 
Formen  der  Endplatten.  Eine  derartige  Form  wird  auf  der  Fig.  17, 
Taf.  XVIII,  abgebildet.  Die  markhaltige  Faser  verliert  hier  ihre  Mark- 
scheide schon  oberhalb  der  Wurzelscheidenanschwellung  und  teilt  sich 
sogleich  in  den  ab-  und  aufsteigenden  Ast.  Der  absteigende  Ast  teilt 
sich  wieder  in  zwei  keulenförmige  Endäste,  die  ungefähr  in  der  Höhe 
der  Wurzelscheidenanschwellung  liegen  und  also  der  Palisade  zugehören. 
Der  aufsteigende  Ast  reicht  bis  an  die  Talgdrüsen,  unterhalb  welcher 
er  sich  in  keulenförmige  Endäste  teilt,  die  einen  Knäuel  bilden,  indem 
sie  sich  schlingenartig  umbiegen  und  verflechten. 

In  andern  Fällen  tritt  die  plattenförmige  End Verbreiterung  deut- 
lich auch  in  den  verzweigten  Fasern  hervor  (Fig.  27,  Taf.  XVIII).  Die 
betreffenden  Nervenfasern  verlieren  gewöhnlich  ihre  Markscheide  erst 
hoch  im  konischen  Körper,  die  marklosen  Fasern,  die  nicht  gleichmäßig 
dick  sind,  teilen  sich,  und  ihre  Endverzweigungen  tragen  Platten, 
die  zusammen  eine  wohl  abgegrenzte  Gruppe  bilden.  In  dem  auf  der 
Fig.  27  abgebildeten  Fall  gesellt  sich  zu  der  Verzweigung  mit  den 
Endplatten  noch  eine  einzige  Platte  von  der  zweiten  Faser,  die  An- 
sehnlichkeit der  Gruppe  vergrößernd. 

Schließlich  muß  man  noch  Fasern  berücksichtigen,  die  mit  den 
andern  nach  oben  von  der  Wurzelscheidenanschwellung  aufsteigen, 
sich  dann  im  konischen  Körper  umbiegen  (Fig.  29,  Taf.  XVIII)  und 
sich  wieder  nach  unten  begeben,  wo  sie  in  der  Palisade  mit  einer  End- 
platte endigen. 

Nach  dem  oben  Gesagten  wird  es  klar,  daß  die  Bezeichnung  »sen- 
sible Endplatte  <<  sehr  wenig  die  Formen  dazu  gehöriger  Endigungen 
umfaßt  und  höchstens  nur  ihrem  typischen  Aussehen  entsprechen  kann. 
Wenn  wir  die  fein  verästelte  Form  (Fig.  25,  Taf.  XVIII)  als  eine  Über- 
gangsstufe zu  den  Endbäumchen  betrachten  wollen,  dann  reiht  sich 
die  ganze  Menge  von  den  Varianten  der  Endplatten  den  baumförmigen 
Endigungen  an  und  vergrößert  dadurch  bis  zur  Unendlichkeit  das 
Variationsvermögen  der  letzteren.  Nach  meiner  Meinung  aber  bedeutet 
diese    Mannigfaltigkeit    nicht    im    mindesten    die    Wertlosigkeit    der 


374  D-  Tretjakoff, 

Gestaltung  der  einzelnen  Formen,  sondern  entspricht  nur  den  höchst 
verwickelten  Prozessen  der  Perception  der  Eeize. 

In  den  Beziehungen  zum  Bindegewebe  verhalten  sich  alle  Formen 
der  Endplatten  gleich.  Sie  entbehren  jeder  gesonderten  Hülle  und 
liegen  unmittelbar  im  Bindegewebe,  und  zwar  im  ausgesprochen  baso- 
philen Bindegewebe,  in  der  basophilen  Kittsubstanz.  Von  dieser 
Seite  stehen  sie  den  baumförmigen  Endigungen  sehr  nahe.  Besonders 
deutlich  äußern  sich  die  Beziehungen  des  Bindegewebes  zu  den  End- 
platten im  konischen  Körper,  da  in  demselben  die  basophile  Kitt- 
substanz sehr  reichlich  entwickelt  wird  und  in  reiner  Form  hervortritt. 
Wie  die  Sinuskissen  unterhalb  der  Wurzelscheidenanschwellung,  ent- 
hält der  konische  Körper  nur  spärliche  bindegewebige  acidophile 
und  fast  keine  elastischen  Fasern.  An  der  Wurzelscheidenanschwellung 
sieht  man  auch  die  dünne  Schicht  der  basophilen  Kittsubstanz  gerade 
an  der  Glashaut,  also  genau  zwischen  den  Endplatten  der  Palisade, 
die  dichtere  Lage  acidophiler  Fasern  aber  verläuft  nach  außen  von 
der  basophilen  Schicht  und  strahlt  hauptsächhch  an  der  äußeren  Ober- 
fläche des  konischen  Körpers  aus. 

Nach  allen  berücksichtigten  Merkmalen  stellen  die  sensiblen  End- 
platten, die  wir  in  der  inneren  Balglamelle  der  Sinushaare  finden,  die 
nervösen  Endverbreitungen  dar,  die  von  den  gewöhnlichen  in  allen 
möglichen  bindegewebigen  Bildungen  sich  durch  die  strengere  Kon- 
zentration des  Neuroplasmas  unterscheiden,  der  Hauptsache  nach 
dürfen  sie  aber  nur  als  die  Vorrichtungen  betrachtet  werden,  um  die 
percipierende  Fläche  der  Nervenendigung  zu  vergrößern.  So  schreitet 
die  Natur  durch  verschiedene  Wege  zu  demselben  Ziel. 

Die  sensiblen  Endplatten  verdienen  jedenfalls  ihren  Namen  mehr 
als  die  motorischen  Endplatten.  Sie  sind  aber  nicht  ausschließ- 
lich an  den  Haaren  zu  finden.  Dogiel  beobachtete  plattenförmige 
Endigungen  in  der  Hornhaut  (10)  zwischen  den  Bündeln  der  binde- 
gewebigen Fasern.  Da  die  Lehre  von  der  »Bedeutung«  der  verschie- 
denen Formen  der  sensiblen  Endigungen  subjektiv  ausgearbeitet  wird, 
müssen  wir  jede  morphologische  Kleinigkeit  als  ungemein  wichtig 
betrachten,  wenn  sie  nur  regelmäßig  und  konstant  sich  wiederfindet. 
In  dieser  Beziehung  gibt  die  konstante,  der  Längsachse  des  Haares 
parallele  Lagerung  der  Endplatten  an  den  Sinushaaren  und  an 
den  sinuslosen  Haaren  sicher  Gelegenheit  die  Lösung  der  Frage  zu 
bringen,  was  für  ein  Zusammenhang  zwischen  der  Druckrichtung  und 
der  Lage  der  percipierenden  Endausbreitungen  vorhanden  ist.  Die 
auffallende  Eichtung  der  Endplatten  am  Sinushaare  steht  wieder  nicht 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  375 

isoliert  da,  in  den  Sehnen  der  Augenmuskeln  beschrieb  nämlich  Prof. 
A.  S.  DoGiEL  Endverzweigungen,  deren  Äste  das  Ende  der  Muskel- 
faser in  der  Form  der  Palisade  umgeben.  Hier,  in  der  Sehne,  wie  am 
Haare,  legen  sich  die  Endverbreiterungen  längs  des  Gebildes,  die  ihnen 
die  Druckreizung  liefert.  Diese  Regelmäßigkeit  scheint  mir  überhaupt 
sehr  wichtig  und  verdient  weiterer  Forschung. 

Da  der  konische  Körper  am  Sinushaar  des  Rindes  als  die  Stelle 
der  Nervenendigungen  erscheint,  will  ich  gleich  die  eigentümliche  Ge- 
staltung der  Wurzelscheiden,  die  sie  im  konischen  Körper  darbieten 
und  in  der  Literatur  keiner  Beachtung  genießen,  erwähnen. 

Die  äußere  Wurzelscheide  im  konischen  Körper  unterhalb  der  Talg- 
drüsen wird  mit  einem  Fortsatz  versehen,  der  auf  den  Längsschnitten 
wie  eine  rudimentäre  Talgdrüse  aussieht.  Die  eingehendere  Unter- 
suchung belehrte  mich,  daß  hier  die  äußere  Wurzelscheide  einen  schirm- 
artigen Vorsprung  bildet,  der  aber  keinem  vollen  Kreise,  wohl  aber 
drei  Vierteln  desselben  und  weniger  entspricht.  Dieser  Vorsprung 
(Fig.  1  Seh,  Taf.  XV)  besteht  aus  Zellen,  die  von  den  übrigen  Zel- 
len der  äußeren  Wurzelscheide  durch  nichts  sich  unterscheiden.  Es 
kann  auch  keine  Rede  von  supplementären  Talgdrüsen  sein,  höch- 
stens ist  es  eine  supplementäre  Vergrößerung  der  Oberfläche,  die 
die  Druckoscillationen  dem  umgebenden  Bindegewebe  und  den  in 
ihm  befindlichen  Nervenendigungen  zu  übergeben  bestimmt  ist.  Zudem 
können  wir  solche  Übergabe  von  Oscillationen  des  äußeren  Druckes 
auch  den  straffen  Talgdrüsen  nicht  absprechen,  sonst  wird  die  Be- 
strebung der  Nervenendigungen  im  konischen  Körper,  sich  an  die 
Talgdrüsen  anzuschließen,  unverständlich.  Unterhalb  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung hat  die  innere  Wurzelscheide  kein  gewöhnliches 
Aussehen.  Sie  hebt  sich  hier  vom  Haarschaft  ab  und  legt  sich  in 
circuläre  Falten,  die  manchmal  sehr  tief  in  die  Dicke  der  gesamten 
Wurzelscheide  eingreifen.  Da  die  innere  Wurzelscheide  hier  vollständig 
keratinisiert  wird,  läßt  ihre  Faltung  vermuten,  daß  sie  an  dieser  Stelle 
stark  federt,  und  daß  dadurch  das  Haar  ungemein  empfindlich  (im 
physikalischen  Sinne)  für  Druck  erscheint.  Sehr  beachtenswert  dabei 
ist,  daß  die  feder artige  Faltung  der  inneren  Scheide  genau  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung entspricht,  also  der  Stelle  mit  dem  höchst  ent- 
wickelten Perceptionsapparat. 

Etwas  ähnliches  wurde  bisher  an  keinem  Sinushaar  beobachtet, 
was  selbstverständlich  zugunsten  meiner  schon  früher  gemachten  Auf- 
stellung spricht,  daß  das  Sinushaar  des  Rindes  die  differenzierteste  Bil- 
dung dieser  Art  ist.    Doch  will  ich  nun  in  der  vorliegenden  Mitteilung 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  25 


376  D-  Tretjakoff, 

die  letztgenannten  Vorrichtungen  keiner  weiteren  Analyse  unterwerfen, 
da  ich  ähnliche  Vorrichtungen,  vielleicht  in  mehr  rudimentärer  Form, 
bei  andern  Tieren  bald  zu  finden  hoffe.  Ihre  etwaigen  Beziehungen 
zu  der  receptorischen  Funktion  des  Sinushaares  können  überhaupt 
nur  durch  vergleichende  Untersuchung  festgestellt  werden,  da  meine 
Voraussetzungen  sicherlich  nur  »bloße  Vermutungen«  sind. 

Da  die  betreffenden  Bildungen  sehr  konstant  erscheinen,  müssen 
wir  jedenfalls  die  Arbeitshypothese  über  ihre  mögliche  Bedeutung 
schon  jetzt  schaffen. 

Die  Nervenendigung  in  der  äußeren  "Wurzelscheide. 

Meine  Beobachtungen  über  die  Nervenendigungen  in  der  äußeren 
Wurzelscheide  des  Sinushaares  des  Rindes  schließen  sich  eng  an  die 
Tatsachen  an,  die  ich  in  meiner  Arbeit  über  die  Sinushaare  des  Schweines 
mitgeteilt  habe  und  die  ich  hier  kurz  rekapitulieren  möchte,  da  ich 
damals  manche  Kontroverse  von  andern  Verfassern  versöhnen  konnte. 

In  der  äußeren  Wurzelscheide  des  Haares  des  Schweines  haben 
die  Tastscheiben  das  Aussehen  von  sternförmigen,  in  tangentialer 
Richtung  ausgezogenen  Plättchen,  welche  mit  ihrer  konkaven  Fläche 
schräg  zum  Haar  und  nach  unten  gerichtet  sind.  Jede  Scheibe  bedeckt 
eine  ellipsoidische  schwach  körnige  Zelle,  wobei  der  Zellkern  in  der 
Seitenansicht  als  ein  dünner,  in  der  Mitte  eingeschnürter  Streifen  er- 
scheint. Die  zur  Bildung  der  Tastscheiben  bestimmten  Nervenfasern 
durchbohren  die  Glashaut  nur  an  einer  Stelle  und  verzv/eigen  sich  im 
Epithel.  Manchmal  bilden  sich  die  Tastscheiben  an  dem  Seitenast  der 
Faser,  die  weiter  längs  der  Oberfläche  der  Wurzelscheidenanschwellung 
nach  oben  zieht  und  die  Endplatte,  die  der  Palisade  gehört,  liefert. 
Die  intraepithelialen  Nerven  von  Ksjunin  oder  die  intraepithelialen 
Netzchen  um  die  Tastkörperchen  in  der  äußeren  Wurzelscheide  zu 
färben  gelang  mir  nicht.  Wohl  aber  fand  ich  intraepitheliale  Nerven- 
endigungen in  der  Form  feiner  varicöser  Fädchen  in  der  äußeren  Wurzel- 
scheide oberhalb  der  Talgdrüsen,  wo  ich  auch  die  MERKELschen  Körper- 
chen feststellen  konnte.  Tello  (45)  hat  in  den  Tastscheiben  an  den 
Sinushaaren  Netze  von  Neurofibrillen  gefärbt. 

Im  Vergleich  mit  dem  Schwein  finde  ich  beim  Rind  manche  Be- 
sonderheiten, die  MERKELschen  Körperchen  im  Gebiet  oberhalb  der 
Wurzelscheidenanschwellung  kommen  hier  nicht  mehr  vor.  Die  Tast- 
scheiben liegen  wieder  schief,  aber  nicht  immer  oberhalb  der  Tastzelle, 
manchmal,  wie  es  auch  nach  dem  Verfahren  von  Cajal  leicht  bemerkbar 
ist,  befindet  sich  die  Tastscheibe  imterhalb  der  Zelle. 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  377 

Die  Nervenfasern,  die  im  Epithel  mit  Tastscheiben  (Fig.  1,  25, 
Taf.  XV)  versehen  sind,  erscheinen  auch  beim  Rind  sehr  oft  nur  als 
Seitenzweige  der  markhaltigen  aufsteigenden  Fasern,  die  weiter  nach 
oben  die  sensiblen  Endplatten  an  der  Wurzelscheidenanschwellung  und 
im  konischen  Körper  bilden,  wie  es  schon  von  Ostroumow-Arnstein 
beim  Schwein  gefunden  und  von  mir  bestätigt  wurde.  Das  spricht 
also  für  die  gleiche  funktionelle  Bedeutung  der  sensiblen  Endplatten 
im  konischen  Körper  oder  im  allgemeinen  in  der  inneren  Balglamelle 
und  der  Tastscheiben,  was  eigentlich  nicht  unerwartet  ist,  da  nach 
dem  Bau  die  Tastscheiben  nichts  andres  darstellen,  als  die  baumförmiae 
Endverzweigung  mit  plättchenförmigen  Verbreiterungen,  die  aber  nicht 
im  Bindegewebe,  sondern  im  Epithel  liegt.  Wenn  bei  den  baumförmi- 
gen  Endigungen  im  Bindegewebe  kein  Grund  vorhanden  ist,  um  eine 
intimere  Verbindung  der  plättchenförmigen  Verbreiterung  mit  der 
Tastzelle  anzunehmen,  glaube  ich,  daß  auch  für  die  Tastscheiben  keine 
ähnhche  Verbindung  zulässig  ist. 

In  dieser  Beziehung  steht  die  Beobachtung  von  Dogiel  und 
WiLLANEN  (14),  der  zufolge  in  den  GRANDRYschen  Körperchen  die 
Fädchen  der  Tastscheibe  in  die  Tastzelle  eindringen  sollen,  ziemlich 
isoliert,  obwohl  sie  angesichts  der  gesteigerten  Kontinuitätslehre  hoch- 
modern klingt.  In  den  MERKELschen  Körperchen  konnte  Dogiel 
derartige  Fädchen  auch  wahrnehmen  (11),  wenn  auch  nicht  so  deut- 
lich infolge,  wie  er  sagt,  der  geringen  Größe  der  Zellen.  In  einer 
späteren  Arbeit  spricht  Dogiel  die  Vermutung  aus,  daß  die  von  ihm 
und  WiLLANEN  (14)  abgebildeten  intracellulären  Fädchen  vielleicht 
einfach  die  Reihen  der  mit  Methylenblau  färbbaren  Körnchen  darstellen, 
da  nach  dem  Verfahren  von  Ramon  y  Cajal  keine  solchen  nervösen 
Fädchen  sichtbar  sind  (12). 

Van  der  Velde  (51)  bemüht  sich  aber  wieder  die  intracelluläre 
Endigung  der  einzelnen  Neurofibrillen  der  Tastscheibe  zu  beweisen. 
Nach  seiner  Meinung  lassen  schon  die  Abbildungen  von  Geberg  und 
ScYMONOWicz  einen  Raum  für  solche  Voraussetzung.  Auf  eignen 
Präparaten,  die  nach  der  BiELSCHOWSKYschen  Methode  hergestellt 
wurden,  konnte  er  sehen,  daß,  obgleich  die  Tastscheibe  einen  deut- 
lichen Randring  zeigte,  die  Ästchen  von  ihm,  wie  es  scheint,  hier  in 
das  Protoplasma  der  Zellen  gehen,  um  in  demselben  wieder  Netze  zu 
bilden.  Verfasser  empfiehlt  jedoch  bei  der  Entscheidung  der  Frage  die 
allergrößte  Vorsichtigkeit,  da  die  Silberimprägnation  keine  absolut 
elective  Methode  ist. 

Da  ich  bei  der  schärfsten  Färbung  keine  solchen  Fädchen  gesehen 

25* 


378  D.  Tretjakoff, 

hatte,  halte  ich  ihr  Vorhandensein  der  Revision  wert.  In  gleicher  Weise 
finde  ich  keine  Veranlassung  die  MERKELschen  Körperchen  und  die 
Körperchen  von  Grandry  für  Bildungen  gleicher  Abstammung  vom 
Epithel  oder  Bindegewebe,  wie  es  von  andern  zu  beweisen  versucht 
worden  ist,  zu  betrachten.  In  letzter  Zeit  glaubt  Frl.  N.  Nowik  (31) 
die  Zugehörigkeit  der  Tastzellen  zu  den  Epithelzellen  dadurch  beweisen 
zu  können,  daß,  nach  ihren  Untersuchungen,  die  in  den  Bestand  der 
Tastzellen  eingehenden  Fibrillen  sich  mit  denselben  Farbstoffen  tin- 
gieren  lassen,  wie  die  Fibrillen  der  Epithelzellen  in  der  Haut,  miteinander 
durch  Intercellularbrücken  verbunden  werden  und  den  Tastscheiben 
nur  anliegen.  Aber  sind  denn  die  bindegewebigen  Zellen  nicht  mit- 
einander verbunden?  oder  zeigen  sie  keine  Fibrillen,  die  später  aus- 
gesprochen acidophil  sind?  oder  wie  kann  das  Anliegen  der  Tastscheibe 
zugunsten  der  epithelialen  Natur  der  Zelle  sprechen? 

Die  Nervenendigung  betrachte  ich  in  dem  MERKELschen  und 
GRANDRYschen,  so  wie  auch  in  jedem  andern  Apparat  als  primär,  die 
Zellen,  die  Hüllen  für  sekundär,  wie  es  auch  phylogenetisch  sich  nach- 
weisen läßt.  Deswegen  sehe  ich  kein  Hindernis,  daß  die  Tastzellen, 
die  der  Nervenendigung  sicher  nur  die  angepaßte  mechanische  Vor- 
richtung, wie  aus  der  Arbeit  von  Nowik  klar  zu  schließen  ist,  liefern, 
sich  in  einem  Fall  aus  den  Epithelzellen,  im  andern  aus  den  Binde- 
gewebszellen differenzieren  können. 

Die  mit  den  Endplatten  im  Bindegewebe  verbundenen  Nerven- 
fasern, die  zur  Bildung  der  Tastscheiben  im  Sinushaar  des  Rindes 
bestimmt  sind,  ausschließend,  bemerkt  man  an  den  übrigen  Fasern 
manche  Erscheinungen,  die  bisher  von  niemandem  beschrieben  sind. 
Die  Fasern  verlieren  die  Markscheide  dicht  vor  dem  Eintritt  in  die 
Glashaut,  dabei  zeigt  sich  sehr  oft  an  dem  markhaltigen  Ende  des 
Achsencylinders  eine  Anhäufung  von  Neuroplasma,  so  daß  die  Faser  vor 
dem  letzten  Schnürring  unter  der  Markscheide  manchmal  wie  ein 
Schaltapparat  aussieht,  ohne  aber  das  verwickelte  Bild  des  letzteren 
zu  erreichen.  Diese  angeschwollene  Partie  des  Achsencylinders  zeigt 
dabei  immer  Biegungen  so,  daß  man  (Fig.  1,  Taf.  XV)  sie  im  Ge- 
wirr der  aufsteigenden  Fasern  und  der  Endplatten  an  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung immer  noch  gut  unterscheiden  kann.  Andre 
Fasern  zeigen  keine  solche  Anschwellung,  sie  teilen  sich  aber  gleich 
nach  dem  Verlust  der  Markscheide,  meistens  noch  außerhalb  oder  inner- 
halb der  Glashaut,  in  verschiedenartig  verbreiterte  marklose  Aste, 
die  sich  mannigfaltig  biegen  und  knicken  und  erst  darauf  in  das  Epi- 
thel eintreten.     Hier  sind  Gruppen   von  Tastscheiben,   die   derselben 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  379 

Faser  angehören,  meistens  sehr  deutlich  von  Gruppen  andrer  Fasern 
abgetrennt  (Fig.  1,  25,  Taf.  XV),  in  andern  Fällen  lagern  sich  die 
Tastscheiben  sehr  gleichmäßig  in  der  äußeren  Wurzelscheide. 

Die  Beziehungen  der  Tastscheiben  zu  den  Tastzellen  beim  Rind 
untersuchend,  mußte  ich  der  Meinung  von  Ostroumow-Arnstein  recht 
geben,  daß  die  Tastzellen  nicht  immer  typisch  differenziert  werden; 
die  Tastscheiben  liegen  oft  Zellen  an,  die  sich  von  den  übrigen 
Epithelzellen  der  Reihe  durch  nichts  unterscheiden.  Dies  spricht  auch 
zugunsten  meiner  Auffassung,  daß  die  Gruppe  der  Tastscheiben  der 
baumförmigen  Endigung  entspricht.  Wenn  wir  die  Form  der  Tast- 
scheiben genauer  untersuchen,  finden  wir  die  verschiedensten  Grade 
ihrer  Ausbildung  von  dem  rundlichen  Knöpf chen,  das  nur  einen  kleinen 
Teil  der  Zellenoberfläche  bedeckt,  bis  zu  den  stattlichen  rundlichen 
Menisken,  die  in  der  Form  eines  Kelches  die  Hälfte  der  Zelle  umgeben. 
Die  Behauptung  von  Dogtel  (11),  daß  von  den  Tastscheiben  keine 
sekundären  intraepithelialen  Nervenfädchen  entspringen,  kann  ich 
gegen  Botezat  (3)  nur  bestätigen,  da  ich  schon  in  der  Arbeit  über  die 
Nervenendigungen  der  Schnauze  des  Schweines  (47)  die  früheren  dies- 
bezüglichen Angaben  von  Szymonowicz  als  richtig  anerkannt  hatte; 
SzYMONOWicz  aber  hat  keine  freien  Endigungen  an  den  Rändern  der 
Scheiben  gesehen  (43). 

Ein  eigentümliches  Verhalten  zeigen  die  Tastscheiben  im  unteren 
Gebiet  der  Wurzelscheidenanschwellung,  was  ich  übrigens  bisher  nur 
beim  Rind  beobachten  konnte.  Hier  liegen  die  Tastscheiben  nicht 
schief,  sondern  parallel  der  Oberfläche  der  Scheide,  sie  sind  an  den 
Längsschnitten  von  der  Fläche  zu  sehen,  und  diese  Tastscheiben  er- 
scheinen in  einer  Form,  die  sie  scharf  von  den  oben  erwähnten 
unterscheidet  (Fig.  1,  26,  Taf.  XV;  Fig.  22,  Taf.  XVIII).  Sie  stellen 
hier  sternförmige  Platten  mit  spitzen  dreieckigen  Forsätzen  vor, 
die  voneina^der  durch  tiefe  Einschnitte  getrennt  werden;  dabei  ver- 
schmelzen die  Platten  zu  längeren  zackigen  Lamellen,  wodurch  das 
typische  Bild  der  Gruppe  der  Tastscheiben  verloren  geht  und  eine 
Endigung  entsteht,  die  der  blättchenförmigen  Endigung  in  der  inneren 
Balglamelle  (Form  A)  nicht  unähnlich  ist.  Die  Zwischenfäden,  die 
den  Zusammenhang  der  Scheiben  bewirken,  stellen  hier  nicht  mehr 
feine  glatte  Fäserchen  vor,  wie  bei  typischen  MERKELschen  Körperchen, 
sondern  verdicken  sich  hier  und  da  in  der  Form  von  Körnchen  oder 
Spindeln.  Natürlich  zeigen  die  genannten  Scheiben  keine  strengen 
Beziehungen  zu  Zellen,  wenn  auch  einige  von  ihnen  den  typischen 
Tastzellen  anliegen. 


380  !>•  Tretjakoff, 

Eine  entsprechende  Umbildung  geschieht  nicht  nur  in  den  Grenzen 
der  Endverzweigung  einer  Faser  mit  allen  Tastscheiben.  Ich  beobachtete 
sehr  oft,  daß  in  irgendwelcher  Gruppe  der  Tastscheiben  dieselben  Fasern 
der  oberen  Scheiben  die  normale  Lagerung  und  Gestalt  besitzen,  dabei 
aber  die  unteren  Scheiben  schon  im  bezeichneten  Sinne  verändert  werden. 
Manche  Äste  derartiger  Verzweigungen  verlieren  vollständig  die  Gestalt 
der  Scheiben  und  bilden  sich  in  einfache  varicöse  oder  mit  kleinen 
Plättchen  und  Verdickungen  versehene  Fädchen  aus. 

Auch  diese  Form  der  Tastscheiben  beweist,  nach  meiner  Meinung, 
nähere  genetische  Beziehungen  zwischen  den  Tastscheiben  und  den 
baumförmigen  Endigungen  im  Bindegewebe.  Die  Tastscheiben  möchte 
ich  als  eine  baumförmige  Endigung  betrachten,  deren  blättchenförmige 
Verbreiterungen  in  den  Tastzellen,  die  von  epithelialer  Herkunft  sind, 
mechanisch  besonders  günstige  Vorrichtungen  für  die  Perception  der 
Reize  gefunden  hatten.  Die  Tastzellen  stellen  aber  keinen  unent- 
behrlichen Teil  der  scheibenförmigen  Endigung  dar,  und  wo  die  Druck- 
oscillationen  durch  andre  Vorrichtungen  zu  den  Tastscheiben  gelangen, 
können  die  Tastzellen  auch  nicht  zur  Ausbildung  gelangen. 

Eine  andre  Beobachtung  bezieht  sich  auf  die  intraepithelialen 
Nervenfädchen  in  der  äußeren  Wurzelscheide,  diejenigen  Fädchen,  die  ich 
beim  Schwein  nicht  zu  färben  vermag.  Sie  entstehen  aber  beim  Rind 
ganz  anders,  als  es  von  Ksjunin  (20)  auf  seinen  Objekten  (Hund)  ge- 
funden wurde.  Beim  Rind  entspringen  die  feinen  marlchaltigen  Nerven- 
fasern von  dem  oberen  Nervenring  und  steigen  wieder  bündelweise 
nach  unten  ab,  um  im  Gebiete  der  Wurzelscheidenanschwellung  nach 
dem  Verlust  der  Markscheide  die  Glashaut  zu  durchbohren  und  im 
Epithel  in  eine  Menge  varicöser  und  feiner  Endäste  zu  zerfallen.  Es 
kommen  auch  einzelne  absteigende  Fasern  vor,  und  schließlich  stei- 
gen auch  vom  unteren  Nervenring  im  Bestände  der  hinaufziehenden 
Stämmchen  feinere  markhaltige  Nervenfasern,  die  an  die  Wurzel- 
scheidenanschwellung gleichfalls  durch  die  Glashaut  in  das  Epithel  ein- 
treten. Alle  drei  Arten  der  feineren  markhaltigen  Fasern  teilen  sich 
vor  dem  Eintritt  in  die  Glashaut  in  mehrere  Äste,  und  diese  erst  verlieren 
die  Markscheide  und  durchbohren  die  Glashaut.  Die  Feinheit  ist  das 
allgemeine  Merkmal  der  genannten  Fasern.  Im  Epithel  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung teilen  sich  die  marklosen  Äste  wieder  und  bilden 
die  feinsten  varicösen  Endfäden,  die  erstens  in  der  Schicht  der  äußer- 
sten Zellen  die  MERKELschen  Tastkörperchen  eng  mit  ihren  Seitenäst- 
chen  umflechten,  dann  tiefer  nach  innen  bis  in  die  innere  Wurzelscheide 
verlaufen;  in  letztere  treten  sie  aber  nicht  ein  und  endigen  an  ihrer 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindc.=!.  381 

Grenze  frei.  Die  Umflechtung  der  Tastscheiben  samt  den  Tastzellen 
scheint  keine  dm-eh  Verlauf  im  Stratum  cylindricum  gezwungene  zu 
sein,  da  die  MERKELschen  Körperchen  dichter  mit  feinsten  Äst- 
chen bedeckt  sind,  als  die  übrigen  Zellen.  Wahrscheinlich  handelt  es 
sich  um  die  Netze,  die  aber  lieber  als  Geflechte  zu  bezeichnen  sind, 
die  von  Dogiel  und  Willanen  (14)  an  den  GEANDRYschen  Körper- 
chen beobachtet,  weiter  von  mir  (47),  Botezat  (3)  und  Dogiel  (U) 
an  den  MERKELschen  Körperchen  in  den  Epithelleisten  festgestellt 
wurden.  Im  Schweinsrüssel  beobachtete  ich,  daß  die  varicösen  Fäd- 
chen  das  MERKELsche  Körperchen  mit  einem  feinen  Netzwerk  um- 
flechten, darauf  auf  benachbarte  Körperchen  sich  fortsetzen,  sie  gleich- 
falls mit  einem  ähnlichen  Netz  bedecken  usw.  Die  Varicositäten, 
mit  denen  diese  Fädchen  besetzt  erscheinen,  sind  im  allgemeinen  größer 
als  die  Varicositäten  der  intraepithelialen  Endigungen  gewöhnlicher 
Alt.  Die  die  genannten  Netze  bildenden  Nervenfädchen  stammen 
von  einer  markhaltigen  Nervenfaser  her.  Die  einzelnen  Gruppen  der 
Körperchen  werden  entweder  von  einer  einzelnen  markhaltigen  Nerven- 
faser mit  Netzen  versorgt  oder  von  mehreren. 

Da  ich  hauptsächlich  Flächenschnitte  studierte,  konnte  ich  nicht 
das  weitere  Schicksal  der  Nervenfaser,  die  das  System  der  Netze 
liefert,  genauer  verfolgen.  Dogiel  (11)  sah  die  Netzchen  an  den  Tast- 
körperchen in  der  Haut  der  Fingerkuppe  des  Menschen,  wo  sie  nach 
seiner  Beschreibung  wie  ein  Korb  das  Körperchen  umgeben.  Nach 
der  Abbildung  zu  schließen,  schicken  die  Netzchen  keine  freien  intra- 
epithelialen  Fädchen  aus. 

Man  darf  also  annehmen,  daß  in  der  Wurzelscheidenanschwellung 
des  Sinushaares  vom  Kind  die  neue  Eigenschaft  der  oberflächlichen 
Netzchen  bzw.  Geflechte  der  MERKELschen  Körperchen  sich  offenbart. 
Die  Netzchen  gehören  hier  nach  dem  oben  Gesagten  den  intraepithe- 
lialen Nervenfäden  gewöhnlicher  Art  an,  gehören  also  demselben  System 
des  somatischen  Gefühles,  wie  die  gewöhnlichen  intraepithelialen 
Nerven.  Danach  wird  vielleicht  darauf  hinzuweisen  sein,  daß  die 
in  der  letzten  Zeit  von  manchen  Verfassern,  zuerst  von  Timofeeff, 
angegebenen  Nervenfasern  »zweiter  Art«  sicher  nicht  zu  den  sym- 
pathischen zuzuzählen  sind.  Was  die  intraepithelialen  Endfädchen  in 
der  Wurzelscheide  des  Sinushaares  des  Rindes  anbelangt,  so  zeigen  sie 
alle  Merkmale  der  >>Fasern  zweiter  Art«;  sie  entspringen  nämlich  von 
den  feineren  markhaltigen  Fasern  und  bilden  um  die  MERKELschen 
Körperchen  die  Netze. 

Die     intraepithelialen    Fäden     unterhalb     der     Wurzelscheiden- 


382  D-  Tretjakoff, 

anschwellung  konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  feststellen,  sie  färben  sich 
aber  manchmal  im  Halse  der  Wurzelscheide  und  überhaupt  in  dem 
oberen  über  den  Talgdrüsen  gelegenen  Teil  der  Wurzelscheide.  Die 
Quelle  bilden  wieder  die  feinen  markhaltigen  Nervenfasern,  die  dem 
oberen  Nervenring  gehören,  der  also  hauptsächlich  zur  Verteilung  der 
intraepithelialen  Nervenfasern  bestimmt  ist.  Ich  möchte  aber  hier 
wieder  das  von  mir  schon  früher  Gesagte  wiederholen,  nämlich,  daß 
das  Schicksal  einiger  Fasern  des  oberen  Ringes  von  mir  nicht  verfolgt 
wurde  und  daß  von  ihm  vielleicht  die  sympathischen  Fasern  zu  den 
Talgdrüsen  gehen. 

Jedenfalls  zeigt  hinsichtlich  der  intraepithelialen  Nerven  das 
Sinushaar  des  Rindes  weitere  Differenzierung  und  reichere  Formen- 
entfaltung, als  es  bisher  bei  andern  Tieren  beobachtet  wurde.  Wenn 
wir  aber  die  Menge  der  Nervensubstanz,  die  zur  Bildung  der  intra- 
epithelialen Nerven  mit  der  kolossalen  Verschwendung  derselben  Sub- 
stanz in  den  Schaltapparaten  und  im  Bindegewebe  der  im  Sinus 
liegenden  Endverzweigungen  und  Endplatten  vergleichen,  bekommen 
die  intraepithelialen  Nerven  nur  eine  bescheidene  Stelle  und  erscheinen 
eher  als  Rudiment  vom  Gesamtbau  des  Sinushaares  bei  andern  Tieren. 
Die  Vergrößerung  des  Tastgefühls,  die  wir  in  den  Sinushaaren  des 
Rindes  vermuten  dürfen,  fordert  in  erster  Linie  die  Entwicklung  der 
Endverzweigungen  im  Bindegewebe,  was  im  allgemeinen  auch  sonst 
in  den  Hautgebilden,  wie  zum  Beispiel  in  der  Fingerkuppe  des  Menschen, 
sich  äußert.  Was  aber  die  Funktion  jeder  Variante  der  Endigungen  be- 
trifft, können  nur  künftige  vergleichende  Untersuchungen  beweisen, 
unter  der  Bedingung,  die  Beziehungen  der  Endigungen  zum  Gesamt- 
bau des  Gebietes  nicht  aus  dem  Auge  zu  lassen. 

Die  Nervenendigungen  an  den  Sinusbalken  und  in  der 
äuEeren  Balglamelle. 

In  der  äußeren  Balglamelle  hat  man  bisher  keine  Endigungen 
beobachtet.  Über  die  Endigungen  an  den  Sinusbalken  machte  erst 
OsTßOUMOW-ARNSTEiN  Mitteilung  (1).  Leider  berichtet  der  Verfasser 
nicht,  von  welchem  Tier  er  die  betreffenden  Endigungen  abgebildet 
hat.  Nach  meiner  Meinung  war  es  das  Sinushaar  der  Katze.  Von 
den  Endigungen  selber  wird  jedenfalls  nicht  viel  berichtet,  nur  gesagt, 
daß  sie  immer  in  die  Länge  ausgezogen  werden.  Ich  meinerseits  war 
imstande  das  Vorhandensein  von  solchen  Endigungen  an  den  Balken 
des  Sinus  des  Sinushaares  beim  Schwein  festzustellen.  Ich  behauptete 
damals,  daß  die  Nervenendigungen   auf   den  Balken   des  Venensinus 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  383 

sich  durchaus  nicht  von  den  typischen  Endigungen  im  derben  Binde- 
gewebe unterscheiden.  Dabei  war  an  die  Angaben  von  Iwanoff  (19), 
die  aber  ziemlich  schematisch  dargestellt  sind,  gedacht.  Beim  Schwein 
bestehen  die  in  der  Frage  stehenden  Endigungen  aus  einer  geringen 
Zahl  eng  aneinander  gelagerter,  mit  Plättchen  besetzter  Fäden.  Aber 
ich  fand  keine  so  massenhafte  Entwicklimg  dieser  Form  der  Nerven- 
endigungen, wie  es  nach  den  xYngaben  von  Ostroumow-Arnstein  bei 
der  Katze  zu  erwarten  wäre. 

Beim  Rind  treten  an  den  Balken  des  Sinus  selten  Endver- 
zweigungen auf,  die  auf  den  ersten  Blick  zu  den  Endbäumchen  ge- 
hören. Man  findet  auf  dem  Längsschnitt  nicht  mehr  als  eine  solche 
Endigung  im  ganzen  Sinuslängsschnitt  (Fig.  1,  20,  Taf.  XV).  Von  den 
baumförmigen  Endigungen  in  der  inneren  Balglamelle  unterscheiden 
sich  die  Endverzweigungen  auf  den  Balken  des  Sinus  (Fig.  5,  Taf.  XVI) 
durch  regelmäßig  abgerundete  Plättchen,  die  niemals  die  Größe 
der  Plättchen  der  ersten  erreichen.  Die  ganze  Verzweigung  an  dem 
Balken  erreicht  nicht  die  Dichtigkeit,  die  wir  bei  den  spindelförmigen 
Endigungen  in  der  inneren  Balglamelle  sehen  können.  Die  Äste  der 
Verzweigungen  verlaufen  in  allen  möglichen  Richtungen,  sind  aber 
in  keiner  Weise  den  längsverlaufenden  bindegewebigen  Fasern  an- 
gepaßt, wenn  auch  die  ganze  Endigung  wirklich  der  Form  des  Balkens 
entsprechend  etwas  ausgedehnt  wird.  Die  Äste  sind  wohl  marklos, 
glatt,  sehr  selten  steilen  weise  spindelförmig  angeschwollen.  Sie  werden 
mit  kui'zen  sekundären  Ästchen  versehen,  die  gewöhnlich  in  der  Form 
rundlicher  Verdickung  oder  Platte  endigen;  solche  Platten  sind  übri- 
gens auch  in  den  Verlauf  der  Äste  eingeschaltet. 

Die  zu  ihrer  Bildung  bestimmte  markhaltige  Nervenfaser  kommt 
aus  dem  unteren  Nervenring  durch  die  innere  Balglamelle.  Es  kommen 
auch  Fälle  vor,  daß  eine  Nervenfaser  in  der  inneren  Balglamelle 
in  dem  Endkolben  endigt,  während  ein  andrer  Endast  von  ihr  in 
den  Balken  eindringt  und  hier  in  der  beschriebenen  Weise  die  baum- 
förmige  Endverzweigung  liefert.  Die  Fig.  5,  Taf.  XVI,  stellt  eigentlich 
einen  solchen  Fall  vor,  aber  der  Ast  zu  der  inneren  Lamelle  wurde 
wegen  Mangel  an  Raum  fortgelassen.  Er  endigt  mit  den  centralen 
Endfasern  in  den  zwei  Endkolben,  die  mit  ihren  Kuppen  nach  unten 
gerichtet  sind.  Das  Auftreten  der  Endigungen  von  ganz  heterogenen 
Formen  in  den  End Verzweigungen  derselben  Nervenfasern,  wie  die 
eingekapselten  und  nicht  eingekapselten  Endigungen,  ist  schon  von 
mehreren  Beobachtern  beschrieben  worden  (siehe  darüber  Ruffini  37). 
Soll  aber  daraus  geschlossen  werden,  daß  die  Form  der  Endigung  etwas 


384  D.  Tretjakoff, 

Minderwertiges  sei?  Ich  glaube,  der  bezeichnete  Fall  weist  höch- 
stens nur  auf  die  gleiche  Bahn,  nicht  aber  auf  gleiche  Art  der  Per- 
ception  der  Eeize,  da  es  wohl  eine  wenig  begründete  Hypothese  ist, 
wenn  man  annimmt,  daß  jede  Nervenfaser  nur  eine  Art  von  Reizen 
leiten  soll. 

Nach  den  topographischen  Beziehungen  können  wir,  angesichts 
der  massenhaften  Verbreitung  der  Endkolben  in  den  Stellen  mit 
dem  äußerst  feinen  Tastgefühl,  den  Endkolben  die  unmittelbare  Teil- 
nahme an  der  Perception  der  mechanischen  Reize  nicht  absprechen. 
Ob  aber  in  den  Balken  des  Sinus  dieses  feine  Tastgefühl  entsteht,  ist 
zweifelhaft,  sonst  müßten  alle  Balken  mit  ähnlichen  Endigungen  ver- 
sehen  werden,  was  aber  nicht  der  Fall  ist.  Indirekt,  durch  die  Blut- 
flüssigkeit, können  wohl  auch  sie  an  der  gesamten  percipierenden 
Tätigkeit  des  Sinushaares  teilnehmen,  wie  wir  es  von  dem  folgenden 
Vertreter  der  baumförmigen  Endigungen,  in  der  äußeren  Balglage, 
erwarten  dürfen. 

Über  die  Nervenendigungen  in  der  äußeren  Balglamelle  des  Sinus- 
haares sind  keine  Angaben  vorhanden.  Ich  finde  aber  die  äußere 
Lamelle  des  Balges  des  Sinushaares  vom  Rind  außerordentlich  reich 
innerviert. 

Die  Art  der  Nervenendigungen  in  der  äußeren  Balglamelle  bietet 
wieder  etwas  verschiedenes  von  den  übrigen,  im  Balge  Hegenden  Nerven- 
endigungen. Als  ein  sehr  konstantes  Merkmal  der  Endigungen  der 
äußeren  Balglage  bemerke  ich  ihre  sehr  bestimmte  äußere  Umgrenzung. 
Unabhängig  von  der  Menge  der  Endäste  bildet  die  Endigung,  von  der 
äußeren  Oberfläche  der  äußeren  Balglamelle  betrachtet,  eine  kreisförmige 
oder  ellipsoidische  Figur;  dabei  lagern  sich  die  Endverzweigungen 
streng  in  den  Grenzen  der  entsprechenden  Figur  (Fig.  23,  Taf.  XVIII). 
In  dem  Querschnitt  der  Lamelle  wird  eine  solche  Regelmäßigkeit  an 
der  äußeren  oder  inneren  Grenze  bemerkbar  (Fig.  1,  Taf.  XV),  aber 
die  Endigung  wird  immer  vollständig  in  die  Lamelle  eingeschlossen, 
kein  Ast  kommt  aus  dem  dichten  Bindegewebe  an  die  äußere  oder 
innere  Fläche  der  Lamelle.  Die  Endigung  nimmt  aber  nicht  die  ganze 
Dicke  der  Lamelle  in  Anspruch,  sie  liegt  meistens  näher  an  der  äußeren 
Fläche  derselben.  Ich  suchte  nach  Abänderungen  im  Bestände  oder 
der  Zusammensetzung  der  äußeren  Balglamelle  an  den  Stellen  der 
Endigungen,  aber  umsonst,  sie  ist  überall  gleichartig  gebaut.  Man 
hat  schon  lange  ihren  Bau  mit  dem  der  Sclera  verglichen,  nach 
meinen  Kontrolluntersuchungen  paßt  dieser  Vergleich  im  großen  und 
ganzen.     Sie    wird    also    durch    dicht    aneinander    liegende,   in    ver- 


Die  Nervenendigungen  an  den  Öinushaaren  des  Rindes.  385 

schiedenen  Richtungen  sich  miteinander  verflechtende  Bündel  der 
acidophilen  Fasern  mit  spärlichen  elastischen  Fasern  gebildet.  Die 
basophile  Kittsubstanz  fehlt  hier,  man  sieht  auch  eigentlich  keine  be- 
merkbaren Spuren  von  irgendwelcher  Kittsubstanz.  Der  Verlauf  der  Aste 
in  der  Nervenendigimg  entspricht  aber  in  keiner  Weise  den  Richtungen 
der  bindegewebigen  Fasern,  erstere  gehorchen  nur  eignen  Gesetzen. 
Da  die  äußere  Balglamelle  jedenfalls  sehr  dicht  und  fest  ist,  muß  man 
auch  in  den  nervösen  Endverzweigungen  die  Festigkeit  des  protoplas- 
matischen Gerüstes,  soviel  es  vielleicht  in  den  Neurofibrillen  sich  vor- 
stellt (Lenhossek,  1910),  wie  zum  Beispiel  in  den  wandernden  Leuco- 
cyten,  voraussetzen. 

Die  äußere  Lamelle  ist  gefäßlos,  ausschließlich  der  Stellen,  wo 
die  Arterien  oder  Nervenstämmchen  in  sie  eintreten.  Es  ist  deswegen 
sehr  merkwürdig,  daß  die  Nervenendigungen  in  der  äußeren  Balg- 
lamelle immer  in  der  Nähe  der  Eintrittsstellen  der  Nervenstämmchen, 
besonders  der  mit  den  Schaltapparaten  versehenen,  gelegen  sind ;  eigne 
Blutgefäße  fehlen   ihnen  aber   vollständig. 

Die  strahligen,  bindegewebigen  Zellen  der  äußeren  Balglamelle 
sind  sehr  gleichmäßig  zwischen  den  Faserbündeln  zerstreut,  sie  zeigen 
auch  keine  Änderung  dieser  gleichmäßigen  Lagerung  an  den  Stellen 
der  Nervenendigung.  Die  letzte  steht  also  in  keiner  Abhängigkeit 
von  den  geweblichen  Bestandteilen  der  Balglamelle;  anders  steht  die 
Sache  mit  den  räumlichen  Verhältnissen,  die  Endigung  wird  abgeflacht, 
entsprechend  der  Krümmung  der  Balglamelle  und  der  Fläche  nach 
geometrisch  streng  abgegrenzt.  Man  bekommt  den  Eindruck,  als  ob 
die  Endigung  die  vom  Haar  durch  die  Blutflüssigkeit  im  Sinusraum 
herkommende  Welle  belauscht. 

Die  Entstehung  der  Endigung  geschieht  in  folgender  Weise.  Im 
einfachsten  Fall,  der  z.  B.  auf  der  Fig.  23,  Taf.  XVIII,  abgebildet  wird: 
tritt  die  dicke  markhaltige  Nervenfaser  in  die  äußere  Balgiage  ein, 
verliert  die  Markscheide  oder  nicht  und  beginnt  sich  zu  teilen.  Zuerst 
bilden  sich  wenige  dickere  Aste,  die  aber  wieder  Markscheide  be- 
kommen können,  nach  verschiedenen,  meistens  entgegengesetzten  Rich- 
tungen verlaufen  und  in  mehrere  sekundäre  Aste  zerfallen,  die  ihrer- 
seits  teils  marklos  werden,  teils  ihre  Markscheide  ununterbrochen  bis 
zur  Endverzweigung  oder  nur  stellenweise  behalten.  Es  entsteht  also 
ein  Knäuel  von  markhaltigen  und  marklosen  Ästen,  der  schon  die 
Form  der  ganzen  Endigung  bestimmt.  Die  markhaltigen  und  mark- 
losen Äste  können  von  einem  Pol  der  Endigung  zum  andern  verlaufen. 
Schließlich  verlieren  alle  Äste  ihre  Markscheide  und  zerfallen  in  die 


386  D.  Tretjakoff, 

büschelförmigen  varicösen  Endästchen,  die  die  Endbäumchen  bilden, 
deren  Bestandteile  meistens  an  der  Peripherie  bzw.  am  Kande  der 
der  Fläche  nach  abgeplatteten  Endigung  verlaufen,  deren  Grenze 
von  ihnen  nicht  überschritten  wird.  Die  Endbäumchen  sind  aber 
keinenfalls  reich  entwickelt  zu  nennen,  im  Vergleich  mit  der  Menge 
der  Stammäste  scheinen  sie  sogar  spärlich  vorhanden  zu  sein  und 
färben  sich  dabei  wenig  intensiv,  so  daß  der  Knäuel  besonders  scharf 
zur  Ansicht  hervortritt.  Ähnliche  Verhältnisse  bemerkte  ich  bei  den 
präterminalen  und  Knäuelendigungen  in  der  inneren  Balglamelle. 
Ich  möchte  aber  nicht  die  Endigungen  in  der  äußeren  Balglamelle 
mit  den  präterminalen  oder  mit  den  Knäuelendigungen  zu  einem 
Haufen  zusammenwerfen,  da  die  komplizierteren  Formen  der  ersteren 
wieder  ihre  Besonderheiten  nicht  nur  in  der  Gesamtform,  sondern 
auch  im  Aussehen  der  Verzweigungen  zeigen. 

Kompliziertere  Formen  entstehen  bei  der  Teilnahme  mehrerer 
Nervenfasern  an  der  Bildung  der  Endigung.  In  diesem  Fall  ist  wieder 
bemerkenswerte  Harmonie  unter  den  daran  beteiligten  Fasern  zu  sehen, 
da  die  Endäste  verschiedener  Fasern  vollkommen  einheitliche  Endigungs- 
formen  hervorbringen.  Die  Teilung  in  markhaltige  und  marklose  Aste 
geschieht  wie  im  vorhergehenden  Fall,  die  Äste  verteilen  sich  wieder  in 
dem  streng  umgrenzten  Raum  so,  daß  die  ganze  Endigung  eine,  der 
Fläche  der  äußeren  Balglage  nach,  abgeplattete  rundliche  Bildung 
darstellt.  In  gleicher  Weise  spalten  sich  endlich  die  Äste  in  die  mark- 
losen, feinen  varicösen  Endästchen,  die  aber  sehr  spärlich,  fein  und 
verstreut  an  der  Peripherie  der  Bildung  sind.  Die  Größe  der  ganzen 
Bildvmg  übertrifft  manchmal  drei-  bis  viermal  die  Größe  der  vorher- 
gehenden Form,  erreicht  also  bis  1,2  mm. 

Neu  sind  in  dieser  Form  der  Endigung  die  Bildungen  mid 
Knickungen  des  markhaltigen  Achsencylinders,  die  sehr  den  Schalt- 
apparaten ähnlich  sind.  Sie  entwickeln  sich  aber  nicht  an  den  langen 
Strecken,  wenn  auch  einzelne  plättchenförmige  Verbreiterungen  an  den 
Knickungsstellen  jedenfalls  sehr  ausgesprochen  werden.  Besonders 
merkwürdig  und  sehr  wichtig  scheint  zu  sein,  daß  an  den  stärkeren 
marklosen  Ästen  genau  die  gleichen  Knickungen  und  die  plättchen- 
förmigen  Verbreiterungen  sich  ausbilden,  die  aber  nicht  als  die  ter- 
minalen Bildungen  betrachtet  werden  können,  da  der  betreffende  mark- 
lose Ast  weiter  zieht  und  schließlich  sich  in  die  erwähnten  varicösen 
Endfädchen  verzweigt. 

Wollen  wir  diese  Form  näher  analysieren.  Hier  nämlich  werden 
die  Schaltapparate  in  eine  unzweifelhafte  Nervenendigung  eingeschlossen, 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  387 

stellen  also  deu  integrierenden  Teil  des  Perceptionsapparates  vor. 
Hier  auch  entwickeln  sich  ähnliche  neuroplasmatische  Umbildungen, 
wie  wir  am  x4.chsencylinder  des  Schaltapparates  bemerken,  an  den 
marklosen  Asten,  stellen  also  den  ebenfalls  integrierenden  Teil  der 
Endverzweigung  vor.  Daneben  findet  sich  noch  die  Entwicklung 
von  varicösen  Astchen,  die  in  demselben  Raum  liegen.  Alle  drei 
Strukturerscheinungen  stellen  zusammen  die  Endverzweigung  dar  und 
müssen  deswegen  als  die  Bestandteile  von  gleicher  perceptorischer  Be- 
deutung betrachtet  werden,  da  wir  keine  Veranlassung  haben,  den 
verschiedenen  Asten  derselben  Endigung  verschiedene  Funktionen 
zuzuschreiben.  Die  Schaltapparate  bieten  also  hier  in  gleicher  Weise, 
wie  die  varicösen  Endäste,  die  notwendige  Vergrößerung  der  Ober- 
fläche der  nervösen  Substanz.  Daraus  läßt  sich  schließen,  daß  den 
Schaltapparaten  die  perceptorische  Bedeutung  nicht  abgesprochen 
werden  kann,  was  ich  schon  früher,  bei  selbständig  vorkommenden 
Schaltapparaten  vorausgesetzt  hatte. 

Bei  dieser  Voraussetzung  wird  es  verständlich,  daß  die  Endigungen 
in  der  äußeren  Balglage  mit  den  typisch  entwickelten  Schaltapparaten 
kombiniert  werden  können,  und  solche  Fälle  gehören  sogar  nicht  zu 
den  seltenen  am  Sinushaare  des  Rindes.  Sie  sind  (Fig.  1,  7,  Taf.  XV) 
noch  in  der  Beziehung  der  Erwähnung  wert,  als  sie  präparatorisch  am 
bequemsten  die  Gelegenheit  bieten,  die  unterbrochene  Weiterverbreitung 
der  Nervenfaser  nach  der  Bildung  des  Schaltapparates  bis  zu  der  End- 
verzweigung zu  verfolgen;  die  Endverzweigungen  sind  dabei  nicht  sehr 
von  dem  Schaltapparat  entfernt,  meistens  sogar  beginnt  gleich  nach 
dem  Schaltapparat  die  Teilung  in  Äste  der  Endverzweigung. 

Die  Kombination  der  Endverzweigung  und  des  Schaltapparates 
entsteht  gewöhnlich  an  den  Bündeln,  die  von  dem  Nervenstämmchen, 
welches  im  unteren  Gebiet  in  den  Haarbalg  eintritt,  nach  oben  ziehen, 
dabei  aber  in  der  äußeren  Balglamelle  liegen  bleiben  und  natürlich  hier 
auch  die  Endverzweigung  eingehen.  Das  betreffende  Bündel  entspringt 
dem  Stämmchen  vor  dem  Eintritt  desselben  in  die  äußere  Balglamelle 
oder  schon  im  Kanal  der  letzteren ;  niemals  aber  habe  ich  sehen  können, 
daß  die  Nervenfasern  aus  dem  Sinus  in  die  äußere  Balglage  der  Bildung 
der  End Verzweigung  wegen  eintreten. 

Sonst  bekommen  die  Endverzweigungen  in  der  äußeren  Balglage 
ihre  markhaltigen  Nervenfasern  in  sehr  verschiedener  Weise.  Die 
Endigungen  im  unteren  Gebiet  des  Balges  entstehen  von  den  Nerven- 
fasern des  unteren  Nervenringes,  indem  dieselben  erst  aus  dem  Nerven- 
rinw  in  den  Eintrittsgang  des  großen  Stämmchens  hineingehen  und 


388  D-  Tretjakoff, 

hier  sich  in  die  äußere  Balglamelle  absteigend  umbiegen.  Oberhalb 
des  Eintrittsganges  des  großen  Nervenstämmchens  bekommen  die 
Endigungen  ihre  Nervenfasern  direkt  vom  Stämmchen,  dieselben  trennen 
sich  vom  Stämmchen  vor  ihrem  Eintritt  in  die  äußere  Balglage  und 
begeben  sich  nach  ihrem  Ziel  außerhalb  der  Balglage,  aber  auf  ihrer 
äußeren  Fläxhe.  Der  Verlauf  der  Nervenfasern,  die  erst  in  der  äußeren 
Balglage  den  Schaltapparat  liefern  und  dann  die  Endverzweigung  ein- 
gehen, wurde  schon  vorher  beschrieben. 

Die  Endigungen  in  der  äußeren  Balglamelle  zeichnen  sich  also 
nach  dem  oben  Gesagten  durch  das  Fehlen  jeglicher  Hülle  aus,  durch 
die  strenge  Umgrenzung  der  Fläche  der  Lamelle  nach  und  durch  die 
Teilnahm^e  an  der  Bildung  der  Endigung  bzw.  des  Geflechtes  der  mark- 
losen varicösen  Ästchen  einer  größeren  Menge  der  markhaltigen  Ver- 
zweigungen, die  dazu  noch  die  mannigfaltigen  Knäuelformen  darbieten, 
weiter  die  Umbildungen  eingehen,  die  den  Schaltapparaten  ähnlich 
sind  und  endlich  mit  den  selbständigen  Schaltapparaten  verbunden 
werden.  An  der  Hand  dieser  Merkmale  zeigen  sie  eine  von  den  übrigen 
Endigungen  des  Balges  des  Sinushaares  des  Rindes  deutlich  unter- 
scheidbare Form. 

Zusammenfassung. 

Die  Schaltapparate  und  die  markhaltigen  Knäuelbildungen  in  den 
Endverzweigungen  der  sensiblen  Nerven  im  Balge  des  Sinushaares 
vom  Rind  sind  ohne  Zweifel  die  wichtigsten  Ergebnisse  vorliegender 
Untersuchung.  Demzufolge  halte  ich  für  angemessen,  die  Reihe  der 
diesbezüglichen  Tatsachen  unabhängig  von  ihrer  systematischen  Be- 
schreibung hier  noch  einmal  zusammenzustellen. 

In  den  Endbäumchen,  die  sich  in  der  äußeren  wie  in  der  inneren 
Balglamelle  finden,  tritt  die  scharf  bestimmte  Teilnahme  der  mark- 
haltigen Segmente  an  der  Bildung  der  Endverzweigungen  hervor.  Da 
wir  vorläufig  keine  andre  Veranlassung  dazu  finden  können,  als  die- 
jenige, daß  die  Beteiligung  der  markhaltigen  Segmente  die  für  die 
äußeren  Reize  empfindliche  Oberfläche  und  die  Menge  der  nervösen 
Substanz  vergrößern  soll,  müssen  wir  notwendigerweise  dem  mark- 
haltigen Segment  die  unmittelbare  Beziehung  zu  der  Aufnahme  oder 
Verstärkung  der  Leitung  der  Reize  zuschreiben.  Im  Sinushaar  des 
Rindes  erkennen  wir  die  ununterbrochene  Reihe  der  Endigungen,  die 
zeigt,  wie  allmählich  die  markhaltige  Strecke  der  Nervenfaser  zu  der 
Bildung  der  Nervenendigung  herangezogen  wird.  Während  in  den 
Endigungen  der  äußeren  Balglage  oder  in  der  Präterminalendigung 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  389 

nur  spärliche  markhaltige  Schlingen  bemerkt  werden,  verdrängt  in  den 
Knäuelendigungen  der  marldialtige  Teil  der  Endigung  den  marklosen 
bis  auf  spärliche  Reste. 

Wir  haben  sicher  kein  Recht,  die  letzteren  Endigungen  minder 
leistungsfähig  als  die  gewöhnlichen  baumförmigen  Endigungen  zu  be- 
trachten, also  müssen  wir  in  den  markhaltigen  Segmenten  dieselbe 
Tätigkeit  als  in  den  von  ihnen  verdrängten  marklosen  Verzweigungen 
vermuten.  Man  bekommt  den  Eindruck,  als  ob  die  Tätigkeit  der 
Endigung  eine  zweifache  sei,  eine  Seite  gehört  der  marklosen  Strecke, 
die  andre  der  marlchaltigen.  Wenn  bei  dem  höchst  entwickelten  Tast- 
sinn der  marklose  Teil  bis  zum  Minimum  verdrängt  werden  kann,  liegt 
es  nahe,  ihm  überhaupt  keine  ausschließliche  Bedeutung  für  die  Auf- 
nahme der  Reize  zuzuschreiben;  diese  Bedeutmig  kommt  aber  den 
markhaltigen  Segmenten  zu,  sonst  bleibt  ihr  Auftreten  gleichzeitig  mit 
der  Entfaltung  des  Tastsinnes  unverständlich.  Man  darf  sich  vor- 
stellen, daß  den  gewöhnlichen  marklosen  Endverzweigungen  eine  sen- 
sorische gleichzeitig  mit  der  nutritorischen  Funktion  zukommt ;  bei  der 
Vergrößerung  des  Tastgefühls  geht  die  sensorische  Funktion  haupt- 
sächlich zu  den  markhaltigen  Schlingen  über,  während  von  den 
marklosen  nur  so  viel  bleibt,  wie  für  die  nutritorische  Tätigkeit  not- 
wendig ist. 

Also  ist  es  in  hohem  Maße  wahrscheinlich,  daß  den  markhaltigen 
Segmenten  die  sensorische  Funktion  par  excellence  gehören  muß.  Ein 
regelrechter  Syllogismus  läßt  uns  den  Schluß  ziehen,  daß  den  Schalt- 
apparaten dieselbe  Tätigkeit  gehört.  Warum  könnten  sie  nicht  den 
Druck  oder  die  Berührung  fühlen,  wenn  zu  demselben  Zweck  in 
derselben  Lage,  in  der  äußeren  Balglamelle  die  unzweifelhaften  sen- 
siblen Endverzweigungen  vorhanden  sind.  Der  Druck  aber  gelangt 
sicher  bis  zu  der  äußeren  Balglamelle,  sei  es  von  der  Seite  des  Coriums, 
sei  es  von  dem  Haar  durch  die  Blutflüssigkeit  des  venösen  Sinus. 

Eine  andre  Reihe  morphologischer  Tatsachen,  die  ich  an  den  End- 
verzweigungen der  Nerven  des  Sinushaares  beobachtete,  führt  zu  dem- 
selben Gedanken.  In  den  baumförmigen  Endigungen  begegnen  wir 
außer  typischen,  für  den  gegebenen  Fall  kleinkörnigen  Verzweigungen 
auch  größeren  Anschwellungen  und  Plättchen,  die  an  den  marklosen 
Ästchen  entstehen.  Genau  dieselben  Anschwellungen  und  Plättchen 
sind  an  den  markhaltigen  Achsencylindern  vorhanden,  in  den  Endbäum- 
chen  der  äußeren  Balglamelle  sogar  an  demselben  Faden,  dessen  mark- 
loser Teil  die  Plättchen  und  darauf  einige  varicöse  Ästchen   besitzt. 

Mit    diesen    Anschwellungen    und    Plättchen    wird    wieder    die 


39Ö  ü.  Tretjakoff, 

Vorstellung  von  der  Vergrößerung  der  Oberfläche  verbunden,  also  die 
Einrichtung,  die  der  Vergrößerung  der  sensiblen  Tätigkeit  parallel 
steht  und  auf  die  Beteiligung  der  Schaltapparate  in  der  gesamten 
percipierenden  Tätigkeit  des  Sinushaares  hinweist.  Da  aber  in  den 
markhaltigen  Segmenten  nur  eine  Seite  des  Prozesses  der  Empfindung 
sich  ausspricht,  wird  die  andre  durch  die  Kolbenendigungen  oder  End- 
bäumchen  mit  den  feinkörnigen  marklosen  Astchen  ausgefüllt.  So 
entstehen  die  kombinierten  Formen  der  Schaltapparate.  Ich  empfehle 
also  wiederholt  die  Perception  als  keine  einheitliche,  sondern  als  eine 
vielseitige  Tätigkeit  des  Nerven  zu  betrachten. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  ist  es  möglich,  die  literarischen 
Data  im  Suchen  nach  ähnlichen  Verrichtungen  nicht  umsonst  durch- 
zumustern. Sie  sind  wirklich  vorhanden.  Henle,  Kölliker,  Golgi, 
Kanvier,  SfAxMeni,  Sala  usw.  haben  über  die  typischen  Vater- 
PACiNischen  Körperchen  berichtet,  daß  sie  manchmal  reihenweise  an 
derselben  Nervenfaser  mehrere  Körperchen  hängen  gefunden  hätten, 
dabei  durchbohrt  die  Nervenfaser  alle  Körperchen  der  Reihe  nach 
und  endigt  nur  im  letzteren  in  gewöhnlicher  Weise.  Leider  sind  die 
Angaben  über  das  Vorhandensein  der  Markscheide  bei  der  Durch- 
bohrung der  Körperchen  nicht  bestimmt.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
wurden  solche  Körperchen  in  dem  Gekröse  der  Katze  festgestellt. 
Sfameni  (40)  fand  ein  solches  Verhalten  in  den  Körperchen  der  Affen- 
haut. Eine  Nervenfaser  auf  der  Zeichnung  von  Sfameni  zieht  ohne 
Veränderung  des  Achsencylinders  durch  zwei  Körperchen,  um  im  dritten 
mit  der  Endanschwellung  sich  zu  erschöpfen.  Beim  Menschen  hatte 
derselbe  Verfasser  vier  Körperchen  in  derselben  Weise  zusammenge- 
funden. RuFFiNi  (37)  hat  es  bestätigt,  indem  er  die  ans  Terminale 
anschließenden  Körperchen  Schaltkörperchen  nannte.  Man  darf  aber, 
nach  meiner  Meinung,  die  Schaltkörperchen  nicht  als  zwecklos  betrach- 
ten. Aus  den  neuesten  Untersuchungen  von  Prof.  Dogiel  (13)  über 
die  Kapseln  der  Endapparate  folgt,  daß  hier  durch  die  günstigsten  Be- 
dingungen und  die  kunstvolle  Struktur  die  Einwirkung  des  Druckes 
auf  irgend  einen  Punkt  des  Körperchens  nach  dem  Gesetz  von  Paskal 
rasch  mit  gleicher  Intensivität  weitergegeben  wird  und  daher  gleich- 
mäßig auf  den  Nervenapparat  wirkt.  Damit  wird  die  frühere,  W. 
Krause  gehörende  Annahme,  daß  die  VATER-PAcmischen  Körper- 
ehen für  die  Perception  des  Druckes  bestimmt  sind,  gerechtfertigt. 

In  den  Schaltkörperchen  ist  das  System  von  Kapseln  vorhanden, 
und  damit  werden  alle  von  Dogiel  erörterten  Bedingungen  für  Druck- 
empfindungen gegeben,  weshalb  der  Achsencylinder  in  ihnen  als  ebenso 


Die  Nervenendigungen  an  den  Siniishaaren  des  Rindes.  391 

empfindungsfähig  anzunehmen  ist,  wie  in  dem  letzten  Körperchen  der 
Reihe.  Das  Empfindungsvermögen  steht  also  nicht  im  ausschließ- 
lichen Zusammenhang  mit  den  Endigungen  der  Nervenfaser. 

So  häufen  sich  die  Tatsachen  zugunsten  meiner  Auffassung  der 
Schaltapparate  als  Perceptionsapparate.  Jedenfalls  zeichnet  Sfameni 
(40)  am  Achsencylinder  in  den  PACiNischen  Schaltkörperchen  keine 
Deformationen,  doch  den  Untersuchungen  von  Dogiel  zufolge  wird 
das  vielleicht  durch  die  mangelhafte  Färbung  hervorgerufen. 

ScHKLUTKOwsKY  (39)  (auch  ScHLUTKOWSKY  in  dem  Jahresbericht 
f.  Anat.  von  Schwalbe  genannt,  Ref.  Schmidt)  hat  in  dem  Vorhof  der 
Nase  des  Pferdes  und  des  Rindes  Apparate  gefunden,  die  den  Schalt- 
apparaten vielleicht  sehr  nahe  stehen.  Leider  wurden  die  Ergebnisse 
vom  Verfasser  etwas  verworren  beschrieben,  deshalb  erschien  die  Arbeit 
nicht  in  deutscher  Sprache. 

Einige  Stellen  möchte  ich  aber  hier  aus  dem  Russischen  übersetzen. 
In  den  Cutisschichten  bildet  die  markhaltige  Faser,  die  dem  Bündel 
von  solchen  Fasern  angehört,  die  marklose  Endanschwellung.  Nun 
nimmt  aber  sonderbarerweise  der  Verfasser  an,  daß  diese  Anschwel- 
lung nur  aus  der  Markscheide  besteht  und  der  Achsencylinder  noch 
früher  aufhört.  Wenn  wir  aber  der  in  der  russischen  Arbeit  vorhan- 
denen Zeichnung  folgen,  werden  wir  nur  eine  marklose  Endanschwellung 
ungefähr  wie  in  den  Endkolben  finden. 

Andre  Nervenfasern  desselben  Bündels  umgrenzen  nach  den  An- 
gaben von  ScHKLUTKOWSKY  neben  der  Anschwellung  einen  bestimmten 
spindelförmigen  Raum,  in  dem  sich  die  Verzweigungen  der  übrigen 
Nervenfasern  befinden.  Nach  der  Bildung  des  Geflechtes  in  dem  ge- 
gebenen Raum  gehen  die  Fasern  um  die  Endanschwellung  der  ersten 
Faser,  soviel  an  der  Zeichnung  bemerkbar  ist,  und  sammeln  sich 
wieder  zu  einigen  Fasern,  um  ihren  Weg  ungestört  weiter  fortzusetzen. 
Die  Verästelungen  sind  marklos  und  spindelförmig  verbreitert. 

Da  die  Beschreibung  des  Verfassers  in  keiner  Weise  dem  Tat- 
bestand, der  sich  in  seinen  Zeichnungen  widerspiegelt,  entspricht,  halte 
ich  dies  Gebiet  einer  neueren  Untersuchung  wert.  Aus  dem  Gesagten 
folgt  aber,  daß  hier  wahrscheinlich  der  ausgebildete  Schaltapparat  in 
der  Kombination  mit  dem  Endkolben  vorliegt. 

Es  kommt  aber  noch  ein  andres  Gebiet  in  Betracht,  über  wel- 
ches wir  jetzt  die  sichersten  Kenntnisse  aus  den  Untersuchungen  von 
A.  S.  Dogiel  besitzen.  Ich  meine  das  der  Spinalganglien,  wo  der 
Knäuel  der  markhaltigen  Faser  schon  längt  bekannt  ist.  Dies  Gebiet 
beweist  am  deutlichsten,  daß  wir  in  den  Schaltapparaten  über  keine 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVIL  Bd.  26 


392  D-  Tretjakoff, 

einzeln  dastehende  Erscheinung  verfügen,  sondern  daß  wir  in  den  Fort- 
sätzen der  Spinalganglienzellen  sehr  ähnliche  Deformationen  des  Achsen- 
cylinders  zu  sehen  vermögen,  die  Prof.  Dogiel  Gelegenheit  gaben, 
nicht  weniger  als  elf  Typen  von  Zellen  zu  unterscheiden. 

Es  muß  zunächst  auf  das  häufige  Vorhandensein  von  Endigungen 
in  der  Form  von  Endplatten  in  den  Spinalgangiien  eingegangen  werden, 
die  wieder  eine  Reihe  von  Umbildungen  bis  zu  den  baumf örmigen 
Endigungen  zeigen.  Dogiel  hatte  nämlich  die  Endplatten  als  die 
Endigungen  der  Collateralen  des  Nervenfortsatzes  beschrieben.  Diese 
Endplatten  sind  gewöhnlich  vieleckig  und  von  unregelmäßiger  Gestalt. 
Einige  Plättchen  sind  sehr  klein,  andre  wiederum  beträchtlich  groß 
und  dick.  Von  den  Ecken  vieler  Endplättchen  entspringen  kurze  und 
feine  Ästchen  und  Fäden,  welche  in  der  Nähe  des  Plättchens  sich  ver- 
breitern oder  an  Dicke  zunehmen  und  neue  sekundäre,  manchmal 
darauf  tertiäre  Plättchen  oder  kleine  Anschw^ellungen  bilden,  so  daß 
Endapparate  entstehen,  die  fast  vollkommen  denen  analog  sind,  nach 
der  Meinung  von  Dogiel,  welche  in  verschiedenen  Organen  (Haut  usw.) 
unter  der  Bezeichnung  der  baumförmigen  Endigungen  beobachtet 
worden  sind. 

Sämtliche  Endplatten,  mit  Ausnahme  der  größten,  sind  voi\  keiner 
Kapsel  umgeben  und  liegen  unmittelbar  den  bindegewebigen  Fasern 
an.  Bisweilen  verläuft  jedoch  ein  Teilästchen  eines  der  Seitenäste 
des  Hauptfortsatzes  geschlängelt  eine  verschieden  lange  Strecke,  worauf 
es  sich  rasch  in  eine  dicke  Faser  umwandelt,  welche  in  einer  großen 
oder  unregelmäßig  gestalteten  Anschwellung  endigt.  Letztere  ist  sehr 
häufig  leicht  komprimiert,  und  in  ihr  sind,  wenn  sie  mit  Methylenblau 
intensiv  blau  gefärbt  wird,  die  »stark  tingierten  Körnchen«  sichtbar. 

Alle  diese  Merkmale,  die  von  Dogiel  in  den  Spinalganglien  von 
Säugetieren  beobachtet  worden  sind,  wiederholen  sich  fast  buchstäb- 
lich in  den  Endigungen  am  Sinushaar  des  Rindes.  Man  braucht  nur 
die  Fig.  74  B  der  DoGiELschen  Untersuchung  anzusehen,  die  nach 
der  Figm-enerklärung  eine  markhaltige  Faser,  welche  in  der  binde- 
gewebigen Hülle  des  Ganglions  endigt,  darstellt,  um  dieselbe  Art  der 
verzweigten  Endplatte  zu  sehen,  die  ich  im  konischen  Körper  unterhalb 
der  Talgdrüsen  gefunden  habe  (Fig.  27,  Taf.  XVIII).  Noch  wichtiger 
sind  die  multipolaren  Zellen  des  Ganglions,  deren  dendritenähnliche 
(nach  der  Bezeichnung  von  Dogiel,  Seite  95)  Fortsätze  mit  End- 
platten im  Bindegewebe  des  Ganglion  endigen.  Hier  sieht  man  ganz 
ähnhche  Endplatten,  wie  an  der  Wurzelscheidenanschwellung  des 
Sinushaares    des    Rindes.     Endplatten,   die    eher   Endanschwellungen 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinusluiarcii  des  Rindes.  393 

genannt  werden  müßten  (Fig.  24,  Taf .  XVIII),  finden  ihre  Homologa  in 
den  Ganglien  in  Anschwellungen  der  Fortsätze  der  Zellen,  die  von 
Cajal  und  andern  für  Wachstumskeulen  gehalten  sind,  von  Dogiel 
aber  als  reife  Endiouni2;en  betrachtet  werden. 

Ich  möchte  hier  aber  eine  Bemerkung  machen.  Die  Endan- 
schwellungen in  den  Ganglien  und  im  Sinusbalge  sind  wohl  keine 
Wachstumskeulen,  aber  jedenfalls  die  am  wenigsten  veränderten  Wachs- 
tumskeulen, die  zu  reifen  Endigungen  geworden  sind.  Sie  stellen  in 
dieser  Beziehung  ein  der  embryonalen  Form  des  Endes  der  wachsen- 
den Nervenfaser  am  nächsten  stehendes  Gebilde  dar  und  wenn  wir  von 
der  Phylogenie  der  Nervenendigungen  zu  sprechen  die  Möglichkeit  hätten, 
müßten  wir  die  Endplatten  und  Endanschwellungen  als  primitivste 
Formen  aller  Nervenendverzweigungen  ansehen. 

Es  darf  uns  nicht  wundern,  daß  im  Spinalganglion  dieselben  Ein- 
richtungen sich  finden,  wie  in  den  Endverzweigungen  des  Sinusbaiges, 
um  die  percipierende  Menge  der  Nervensubstanz  und  ihre  Oberfläche 
zu  vergrößern.  Die  Umwindung  der  Collateralen  um  die  Nervenfort- 
sätze, die  Knäuelbildung  (Glomerulus)  an  den  markhaltigen  Segmenten 
des  Nervenfortsatzes  stellen  die  charakteristischen  Züge  der  Spinal- 
ganglienzellen dar.  Freilich  geschieht  hier  noch  eine  weitere  Umbil- 
dung, die  Spaltung  des  Nervenfortsatzes  und  die  Wiedervereinigung 
der  Aste,  als  eine  höhere  Stufe  der  Massen  und  Oberflächenvergröße- 
rung. Typus  VI,  Varietät  c  der  Spinalganglienzellen  zeigt  aber,  daß 
in  dieser  Spaltung  kein  grundsätzlicher  Unterschied  vorliegt,  da  an 
den  Teilungsstellen  der  Aste  des  Schaltnetzes  dreieckige  oder  unregel- 
mäßig eckige  Verbreiterungen  oder  Anschwellungen  liegen.  Dieselbe 
Neigung,  Schalterweiterungen  zu  bilden,  erzeugt  die  Schaltapparate 
im  Balge  des  Sinushaares.  Hier  bietet  sich  also  wieder  die  fast  voll- 
kommene Homologie  in  der  Struktur  der  nervösen  Gebilde,  die  viel- 
leicht von  sehr  großer  Bedeutung  für  die  neurologische  Forschung 
sein  wird. 

Die  Reihe  der  Variationen  unter  den  baumförmigen  Endigungen 
in  der  Richtung  von  den  typischen  Formen  der  Blättchen  oder  Spindel- 
endigungen  bis  zu  den  Körnchenendigungen  wirft,  nach  meiner  Meinung, 
ein  Licht  auf  die  in  der  letzten  Zeit  von  vielen  Verfassern  beschriebenen 
Nerven  der  zweiten  Art  an  den  verschiedenen,  besonders  eingekapselten 
sensiblen  End Verzweigungen. 

Nach  den  Angaben  von  Ruffini  und  Dogiel  endigen  in  den 
MEissNEKschen  Körperchen  außer  den  Endverästelungen  des  iVchsen- 
cylinders  der  dicken  markhaltigen  Fasern  noch  die  Fasern  andrer  Art. 

26* 


394  D.  Tretjakoff, 

RuFFiNi  (37)  bezeichnete  diese  zweite  Endigung  als  Apparat  von 
TiMOFEEFF  (Cuppia  reticulare).  Dieser  Apparat  setzt  sich  aus  dem 
zweiten  Netz  zusammen,  welches  aus  feinen  marklosen  Fädchen  be- 
steht und  sich  mit  den  spiralförmig  gewundenen  Asten  der  Grund- 
endigung  verbindet. 

DoGiEL  (11)  stellte  das  Vorhandensein  zweier  selbständiger,  sich 
voneinander  unterscheidender  Nervenapparate  in  dem  MEissNERschen 
Körperchen  fest.  Das  Netz  von  Nervenfädchen  findet  sich,  nach 
seinen  Beobachtungen,  nicht  nur  an  der  Peripherie,  sondern  auch  im 
Innern  des  Körperchens.  Es  umgibt  die  verhältnismäßig  dickere 
Spirale  Verzweigung  der  Grundendigung,  die  von  der  dicken  mark- 
haltigen  Faser  entspringt.  Das  feine  Netz  entsteht  aber,  von  dün- 
nen markhaltigen  Fasern,  die  ihre  Markscheide  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  in  einer  beträchtlichen  Entfernung  von  den  Papillen  verlieren 
und,  in  verschiedene  dicke,  varicöse,  also  mit  kleinen  Körnchen  ver- 
sehene Fasern  zerfallen;  diese  treten  in  die  Papillen  entweder  in  Bün- 
deln vereinigt  oder  einzeln  ein,  wobei  einige  von  ihnen  in  den  Papillen 
endigen,  andre  in  die  MEissNERschen  Körperchen  eintreten.  Von  dem 
Netz  des  Körperchens  entspringen  die  Fädchen,  die  aus  dem  Körperchen 
vom  oberen  Pol  aus  austreten  und  in  das  Epithel  ziehen. 

Wenn  ich  das  Netz  mit  der  Körnchenendigung  im  Balg  des 
Sinushaares  vergleiche,  sind  sie  durch  die  feinkörnigen  Ästchen  einander 
durchaus  ähnlich.  Es  liegt  also  auf  der  Hand  anzunehmen,  daß  im 
MEissNERschen  Körperchen,  ungeachtet  seiner  Hülle,  die  Kombination 
der  spindelförmigen  und  körnchenförmigen  Endigung  vorliegt,  der 
Formen  also,  die  im  Balge  des  Sinushaares  getrennt,  aber  dabei  kon- 
stant erscheinen. 

Von  demselben  Standpunkt  aus  wird  es  möglich  auch  in  ein- 
gekapselten Endigungen  ähnliche  Verhältnisse  zu  finden.  Die  von 
TiMOFEEFF,  DoGiEL,  Sala,  Sokoloff  und  mir  entdeckten  Netze  im 
mneren  Kolben  eingekapselter  Körperchen  entsprechen  vielleicht  auch 
der  Körnchenendigung.  Dafür  sprechen  die  neueren  Beobachtungen 
von  Prof.  A.  S.  Dogiel  (11),  denen  zufolge  die  Verzweigungen  der 
feineren  Faser  in  den  Vater- PACiNischen  Körperchen  nicht  an  der 
Peripherie  des  Innenkolbens  liegen  bleiben,  sondern  tiefer  in  den 
Hohlraum  desselben  eindringen  und  zwischen  den  Ästen  der  Grund- 
endigung verlaufen. 

Ich  halte  dafür,  daß  Prof.  A.  S.  Dogiel  (11)  das  Richtige  getroffen 
hat,  wenn  er  die  sympathische  Natur  des  Netzes  verneint.  Es  stellt, 
nach  den  Verhältnissen  beim  Sinushaar  zu  schließen,  eine  somatische 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  395 

Endigung  in  der  Form  von  Körnchenendigung  vor,  also  kann  die  ein- 
gekapselte Endigung  ebenfalls  die  Kombination  von  zwei  somatisch- 
sensiblen  Endigungen  darstellen.  Der  Umstand,  daß  die  betreffende 
feinkörnige  Endigung  von  feinen  Nervenfasern  entspringt,  beweist  in 
diesem  Fall  soviel  als  nichts,  da  die  intraepithelialen  Nervenendigungen 
in  der  Wurzelscheidenanschwellung  und  im  Epithel  der  Schnauze  des 
Rindes  (siehe  Anhang)  ebenfalls  von  feinen  markhaltigen  Fasern  ent- 
springen, sie  sind  aber  von  den  meisten  Verfassern  als  unzweifelhaft 
somato-sensible  Endioungen  betrachtet  worden. 

In  dieser  Beziehung  sind  die  letzten  Beobachtungen  von  Szymo- 
Nowicz  über  die  Nervenendigungen  an  den  Haaren  des  Menschen  (44) 
geradezu  beweisend.  Verfasser  hat  hier  das  ringförmige  >>circuläre  << 
Geflecht  an  den  marklosen  Ästen  festgestellt  und  dabei  bemerkt,  daß 
an  der  Zusammensetzung  dieses  Geflechtes  Nervenfasern  von  zweierlei 
Herkunft  sich  beteiligen,  die  einen  rühren  von  dicken  markhaltigen 
Fasern  her  und  zeichnen  sich  durch  die  Stärke  ihrer  Verästelungen 
aus,  die  andern  sind  sehr  fein,  mit  zahlreichen  kleinen  Varicositäten 
versehen  und  entstammen  den  Fasern,  die  schon  früh  ihre  Mark- 
scheide verloren  hatten. 

Die  Endäste  zweiter  Art  sind  so  dünn,  daß  sie  an  den  Präparaten 
häufig  Unterbrechungen  zeigen  und  manchmal  so  reichlich  und  zart 
sind,  daß  es  fast  unmöglich  ist  sie  in  der  Zeichnung  wiederzugeben. 
Es  ist  möglich,  sagt  Szymonowicz,  daß  die  letzteren  Fasern  den  bei 
andern  Aiten  von  Nervenendigungen  beschriebenen  entsprechen,  näm- 
lich von  TiMOFEEFF  Und  DoGiEL  in  den  Endkolben,  von  Dogiel  in  den 
MEissNERschen  Körperchen  usw.  »Die  Natur  und  Herkunft  dieser 
Fasern  bin  ich,  ebenso  wie  die  genannten  Autoren,  in  jenen  Endigungen 
nicht  imstande,  mit  voller  Sicherheit  zu  bestimmen«  (S.  633). 

Da  das  circuläre  Geflecht  an  den  sinuslosen  Haaren  außer  den 
Endplatten  die  einzige  Art  der  Endigung  in  dem  Bindegewebe  um  das 
Haar  darstellt,  können  wir  es  bis  zu  einem  gewissen  Grad  als  eine  baum- 
f  örmige  Endigung  des  sinuslosen  Haares  betrachten  und  mit  der  gesam- 
ten Menge  der  baumförmigen  Endigungen  am  Sinushaar  vergleichen. 

Anhang. 
Die  Nervenendigungen  im  Epithel  und  im  Corium  der  Schnauze. 
Die  Nerven  Verteilung  und  die  Nervenendigungen  an  den  haarlosen 
Stellen  der  Schnauze  des  Eindes  sind  von  I.  B.  Cybulsky  (8)  in  dieser 
Zeitschrift  beschrieben  worden. 


396  D.  Tretjakoff, 

Verfasser  brauchte  eine  Goldmethode,  die  in  manchen  Beziehuno^en 
von  den  üblichen  Goldmethoden  abweicht.  Er  untersuchte  die  Epithel- 
nerven wie  auch  die  Nerven  im  Corium. 

Nach  seinen  Beobachtungen  werden  von  den  Nerven  des  Coriums 
an  einigen  Stellen  in  der  Unterpapillarschicht  plexusartige  Verflechtun- 
gen gebildet.  Die  Balken  des  Plexus  werden  von  dicken  Nerven- 
bündeln zusammengesetzt.  An  manchen  Orten  treten  starke  Stämme 
aus  der  Tiefe  hervor,  teilen  sich  in  drei  bis  vier  dünnere  und  diese 
gehen  nicht  in  das  Geflecht,  sondern  jeder  begibt  sich  zur  Papille. 

Die  Nerven,  die  zu  Bündeln  vereinigt  sind  oder  auch  solche,  die 
allein  in  der  dicken  Scheide  liegen,  zeigen  spindelförmige  Anschwellungen, 
die  in  regelmäßigen  Abständen  sich  wiederholen  und  durch  ganz  dünne, 
kaum  markhaltige  Stellen  geteilt  sind,  aber  es  sind  nicht  alle  Nerven, 
die  diese  Ungleichheiten  in  der  Dicke  zeigen. 

Das  Corium  ist  sehr  reich  an  Endkolben,  die  eine  aus  zwei  bis  drei 
Blättern  bestehende  Kapsel  besitzen.  Der  eintretende  Nerv  verläuft 
in  der  Mitte  des  Innenkolbens,  als  dunkler,  manchmal  abgeplatteter 
Streifen  von  verschiedener  Breite,  der  zugespitzt  oder  auch  oft  mit 
einer  kolbigen,  nicht  ganz  regelmäßig  konturierten  Anschwellung 
endigt. 

Verfasser  unterscheidet  dreierlei  Arten  der  Kolben.  Die  kleinsten 
liegen  oft  gruppenweise,  die  größten  entsprechen  den  von  Krause  in 
der  Palpebra  tertia  vom  Schwein  beschriebenen,  sind  lang  und  schmal, 
die  dritte  Art  ist  am  häufigsten  zu  sehen  und  unterscheidet  sich  durch 
ihre  schöne  Birnenform  mit  ziemlich  langem  Stiel.  Die  kleinsten 
Kolben  legen  sich  sehr  nahe  den  Nervenbündeln  an,  so  daß  sie  sogar 
in  den  Scheiden  dieser  eingeschlossen  sind.  Es  kommen  auch  zu- 
sammengesetzte Formen  vor. 

In  der  Schnauze  sind  die  Endkolben  augenscheinlich  viel  zahl- 
reicher als  in  der  Oberlippe.  Es  scheint  auch,  daß  die  den  äußeren 
Furchen  entsprechenden  Stellen  nur  wenige  Kolben  haben.  Besonders 
reichlich  kommen  die  Kolben  an  den  Ausführungsgängen  der  Drüsen 
vor,  wo  man  sie  gruppenweise  und  vereinzelt  trifft;  sie  nähern  sich 
mehr  oder  weniger  dicht  dem  Epithel  des  Ganges. 

Die  Nerven  der  Papillen  treten  meistens  in  dieselbe  vereinzelt  ein, 
sind  gewöhnlich  markhaltig  in  dem  Fuß  der  Papille  und  zeigen  die 
früher  erwähnten  Ungleichheiten  in  der  Dicke  deutlicher  ausgesprochen. 
Einige  treten  bald  ins  Epithel,  andre  verlaufen  bis  zu  der  Papillen- 
spitze  fort,  um  dort  nach  dem  Verlust  der  Markscheide  ins  Epithel 
einzutreten.    Manchmal  verfolgt  man  einen  Nerv  vom  Fuß  der  Papille 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinusliaaren  des  Rindes.  397 

bis  hoch  hinauf  als  eine  sehr  feine,  sicher  marklose  Faser,  und  dann 
schwillt  plötzlich  diese  Faser  zu  einer  beträchtlichen  Dicke  an.  Nun 
behauptet  der  Verfasser,  daß  er  sogar  den  Übergang  eines  markhaltigen 
Nerven  ins  Epithel  gesehen  hatte. 

Unter  den  intraepithelialen  Verzweigungen,  die  gewöhnliche  Ver- 
hältnisse zeigen,  bemerkte  der  Verfasser  eine  Art  der  Verzweigung,  die 
bestimmt  an  solchen  Nerven  vorkommt,  die  tief  im  Epithelzapfen 
dünn  sind,  und  die  erst  hinaufsteigend  sich  stark  verdicken  und  dann 
Zweige  abgeben,  die  in  eine  ungeheure  Zahl  von  Ästen  sich  teilen. 

Nun  behauptet  der  Verfasser,  daß  die  Stellen  des  Epithels,  die 
den  Fm'chen  der  Oberfläche  entsprechen,  ganz  der  Nerven  entbehren, 
und  die  Lippe  viel  reicher  an  Epithelnerven  als  die  Schnauze  ist. 

In  keinem  Zusammenhang  mit  den  Nervenendigungen  im  Epithel 
vermutet  der  Verfasser  die  von  ihm  an  Goldpräparaten  entdeckten 
Körperchen  oder  verästelten  Zellen,  die  aber  weder  in  ihrer  Form  noch 
in  der  Eichtung  ihrer  Fortsätze,  noch  in  andern  Eigenschaften  mit  den 
LANGERHANSschen  Körperchen  übereinstimmen.  Aber  diejenigen  von 
ihnen,  die  den  Spitzen  der  Papillen  an  bestimmten  Stellen  aufliegen, 
sind  doch  den  LANGERHANSschen  Zellen  ähnlich  und  werden  mit  der 
marklosen  Nervenfaser  verbunden.  Doch  spricht  sich  der  Verfasser 
über  diesen  Zusammenhang  der  Körperchen  mit  den  Nerven  jedenfalls 
nicht  rückhaltlos  aus. 

Andre  bis  in  die  letzte  Zeit  wenig  aufgeklärte  Arten  der  Zellen  hat 
Cybulsky  in  der  Schicht  über  den  Papillenspitzen  gefunden.  Die 
Spitzen  von  vielen  Papillen  sind  von  eigentümlichen  Zellen  überlagert, 
deren  hervortretendste  Eigenschaft  darin  besteht,  daß  sie  in  Gold- 
chlorid sich  intensiv  färben.  Die  Zellen  lagern  sich  so  aneinander, 
daß  sie  eine  Säule  bilden,  die  in  ihrer  Richtung  die  Richtung  der  Papille 
einhält.  Diese  Säulen  haben  in  den  unteren  Schichten  oft  zwei  bis 
vier  Zellen  in  einer  Höhe,  nach  oben  verjüngen  sie  sich  und  bestehen 
aus  einer,  höchstens  zwei  Zellen.  Oft  besteht  die  Säule  nur  aus  einer 
Reihe  dicht  aneinander  gelagerter  Zellen.  Die  Säulen  reichen  gewöhn- 
lich bis  zur  Hornschicht,  oft  auch  in  diese  hinein,  bisweilen  sogar  bis 
zur  freien  Oberfläche.  Manchmal  stemmt  sich  die  Säule  an  die  untere 
Fläche  der  Hornschicht  und  hebt  diese  spitzig  hervor,  so  daß  die  Epithel- 
zellen der  Hornschicht  dachziegelförmig  über  die  Zellen  der  Säule 
hinablaufen.  Aber  auch  sonst  ist  oft  die  Oberfläche  des  Epithels  an 
der  der  Säule  entsprechenden  Stelle  mehr  oder  weniger  erhaben. 

Liegen  die  Zellen  weit  voneinander,  so  sind  sie  rund  oder  oval; 
lagern   sie   sich   dicht   aufeinander,   so   werden   sie  abgeplattet.     Die 


398  D-  Tretjakoff, 

Zellen  sind  durchweg  kleiner  als  die  der  nebenliegenden  Epithelien 
und  besitzen  im  Verhältnis  zum  Körper  einen  großen  Kern;  nicht  fern 
von  der  äußeren  Fläche  der  Hornschicht  liegen  manchmal  Zellen  mit 
zwei  Kernen. 

Von  den  Epithelzellen  unterscheiden  sich  diese  Zellen  dadurch, 
daß  sie  nicht  so  wie  die  ersteren  in  dieser  Höhe  abgeplattet  und  in 
die  Breite  ausgezogen  sind.  Sie  haben  auch  einen  größeren  Kern 
und  kleineren  Körper. 

Nun  zeigen  die  Zellen  dieser  Art  die  unmittelbare  Beziehung  zu  den 
Nerven  und  zu  den  verästelten  Körperchen.  Die  zwischen  den  Zellen 
liegenden  Nerven  und  Fortsätze  entlassen  bisweilen  in  regelmäßigen 
Abständen  Fortsätze,  die  im  Bogenverlauf  zu  den  höher  als  ihr  Ur- 
sprung liegenden  Zellen  sich  begeben.  Oft  legt  sich  der  Nerv  der 
Zelle  fest  an,  folgt  der  Kontur  derselben  eine  Strecke  weit  und  ver- 
schmilzt dann  mit  ihr.  Manchmal  nähert  sich  ein  Nerv,  der  schon 
tief  aus  der  Papille  herausgetreten  ist,  der  Säule  und  gibt  nur  Aste  ab, 
die  auf  dieselbe  Weise  sich  zu  den  Zellen  verhalten.  Das  häufigste 
Vorkommnis  ist  aber  das,  daß  sich  mehr  oder  weniger  dicke  schwarze 
Fasern,  die  aus  den  Papillen  heraustreten  und  von  denen  man  nicht 
angeben  kann,  ob  sie  Nerven  oder  Fortsätze  von  den  Körperchen  sind, 
daß  diese  Fasern  mit  einer  länglichen  leichten  Anschwellung  so  an  den 
Zellen  der  Säule  endigen,  daß  die  Konturen  des  Kernes  von  der  Zelle 
und  diese  Anschwellung  sehr  nahe  nebeneinander  liegen.  Verfasser 
nimmt  an,  daß  die  Zelle  innig  mit  dem  Nerv  verbunden  ist.  Sie  sind 
auch  mit  den  Fortsätzen  der  verzweigten  Körperchen  ebenso  innig 
verbunden.  Die  Säulen  sind  an  der  Schnauze  am  reichlichsten  ent- 
wickelt, an  der  Lippe  sind  sie  nicht  so  hoch  und  vielleicht  entsprechend 
den  Furchen  besonders  entwickelt.  Es  können  auch  individuelle 
Schwankungen  in  der  Größe  der  Säulen  vorkommen. 

Die  Beobachtungen  von  Cybulsky  gewinnen  jetzt  wieder  an  Inter- 
esse, nachdem  Lobenhoffer  (27)  etwas  ähnliches  über  die  Zellensäule 
oberhalb  der  Papillen  beim  Schaf  gefunden  hatte. 

Die  Reihen  der  LoBENHOFFERschen  Zellen  erstrecken  sich  von  den 
Papillenspitzen  bis  in  die  Hornschicht  und  unterscheiden  sich  durch 
bestimmte  färberische  Eigenschaften  von  den  gewöhnlichen  Epithel- 
zellen. Sie  sind  auch  dicker  als  ihre  Nachbarn,  ihre  Ränder  erscheinen 
öfters  wie  eingezackt.  Die  periphere  Schicht  der  Zelle  färbt  sich  blau 
mit  Wasserblau,  um  den  Kern  aber  entsteht  ein  heller,  perinucleärer 
Hof,  der  häufig  gelbbräunliche  Pigmentkörnchen  führt.  Mit  den 
Nervenfasern  haben  die  Reihenzellen  nichts  zu  tun,  letztere  liegen  an 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinnshaaren  des  Rindes.  399 

der  Spitze  von  Papillen,  während  Nervenfasern  zwischen  den  Papillen 
in  das  Epithel  eintreten.  Beim  Schaf  sind  die  Zellen  nur  zu  einer  oder 
zwei  Platten  an<2;eordnet. 

Ähnliche  Zellen  fehlen  dem  Schwein,  Hund,  Katze,  Kaninchen, 
Meerschweinchen,  Ratte,  Affe,  Igel,  Mensch,  Delphin.  Beim  Pferd  sind 
sie  vorhanden,  sind  aber  achromatisch  und  liegen  in  den  Wellentälern. 

Ungeachtet  der  Beobachtungen  von  Lobenhoffer,  enthält  die 
Arbeit  von  Cybulsky  manches,  was  mir  nach  den  Befunden  an  den 
Sinushaaren,  einer  Prüfung  zu  unterwerfen  würdig  erschien,  so  z.  B. 
die  Unregelmäßigkeiten  in  der  Dicke  und  in  der  Verteilung  der  Mark- 
scheidensegmente. Von  der  andern  Seite  suchte  ich  die  von  mir  fest- 
gestellten Tatsachen  über  die  Epithelnerven  beim  Schwein  auch  beim 
Rind  genauer  zu  untersuchen.  Da  ich  aber  keine  Gelegenheit  hatte, 
die  vitale  Injektion  mit  Methylenblaulösung  zu  unternehmen,  be- 
trachte ich  die  betreffenden  Angaben  noch  nicht  für  erschöpfend 
und  veröffentliche  dieses  hier  nur  als  Anhang  zu  meinen  Ergebnissen 
über  die  Nerven  der  Sinushaare.  Die  Beschreibung  vom  Geflecht  des 
Coriums,  die  sich  in  der  Arbeit  von  Cybulsky  findet,  kann  ich  im 
großen  und  ganzen  unterstützen,  möchte  aber  einige  Züge  mehr  in  den 
vorderen  Plan  ziehen  und  in  manchen  Beziehungen  erweitern. 

Die  Verteilung  der  Nervenbündel,  die  sich  nach  der  Bildung  des 
Geflechtes  zum  Epithel  bzw.  in  die  Papillen  begeben,  entspricht  nach 
meiner  Beobachtuno;  streng  der  äußeren  Felderung  in  solcher  Weise, 
daß  die  Nervenbündel  unter  der  Epithelschicht,  die  dem  äußeren  Feld 
entspricht,  dichter  als  unter  den  Furchen  aneinander  gedrängt  sind, 
so  daß  auf  dem  Querschnitt  durch  die  Haut  unter  dem  Feld  die  fächer- 
förmige Anordnung  der  Nervenbündel  entsteht.  Zu  den  Papillen 
unterhalb  der  Furchen  begeben  sich  die  Fasern  selten  direkt  aus  dem 
Geflecht,  sondern  ziehen  meistens  von  den  nächsten  Stämmchen,  die 
den  Papillen  des  Feldes  gehören,  die  horizontalen  dicht  unterhalb  der 
Epithelleisten  verlaufenden  Fasern.  Man  bekommt  daher  den  Eindruck, 
als  ob  die  Furchenpapillen  spärlich  innerviert  werden,  und  in  Wirklichkeit 
vermag  ich  nur  außerordentlich  selten  die  intraepithelialen  Nerven  im 
Furchengebiet  zu  färben;  sie  bleiben  ungefärbt,  wenn  die  benachbarten 
unmittelbar  an  sie  anschließenden  Feldergebiete  einen  dichten  blauen 
Wald  darstellen.  Doch  sind  hier  Nerven  nur  ungefärbt  geblieben, 
sie  fehlen  aber  nicht,  wenn  auch  hier  in  die  Papillen  nur  eine  sehr 
beschränkte  Anzahl  von  Nervenbündeln  eindringt.  Die  Felder  sind 
also  reicher  an  Nerven.  Dasselbe  ist  richtig  in  bezug  auf  die  Ver- 
teiluno- von  Endkolben;  sie  sind  unter   den  Epithelleisten  massenhaft 


400  D.  Tretjakoff, 

angehäuft,  besonders,  wie  es  Cybülsky  ganz  richtig  angegeben  hat, 
in  der  Nähe  der  Ausführungsgänge  der  Drüsen,  während  sie  unter  den 
Furchenpapillen  vollständig  fehlten.  Dasselbe  finde  ich  in  betreff  der 
Erscheinung  der  MERKELschen  Tastkörperchen  in  den  Epithelleisten, 
sie  sind  überall  in  den  Felderleisten  entwickelt,  in  den  Furchenleisten 
fehlen  sie. 

Es  gliedert  sich  also,  nach  meiner  Meinung,  die  Haut  der  Rinder- 
schnauze in  die  nervenreichen  und  ner venarmen  Stellen,  und  diese 
sind  sehr  leicht  von  außen  zu  bestimmen.  Die  Furchen  bezeichnen 
die  nervenarmen  und  die  Felder  die  nervenreichen  Stellen,  damit  wird 
der  physiologischen  Forschung  eine  sehr  günstige  morphologische  Grund- 
lage gegeben. 

Die  Methylenblaupräparate  bieten  hier  keine  überzeugenden  Bilder 
von  regelmäßig  verdickten  Fasern,  oder  von  ungleichmäßiger  Verteilung 
der  Markscheidensegmente,  und  nur  selten  konnte  ich  die  von  Cybülsky 
beschriebenen,  bald  verjüngten,  bald  verbreiterten  Nervenfasern  im 
Corium  sehen.  Ich  bemerkte  aber  eine  andre  sehr  eigentümliche 
Eigenschaft,  nämlich  die,  daß  schon  im  Coriumgeflecht  sich  recht 
deutlich  zwei  Arten  von  Nervenfasern  unterscheiden  lassen.  Die 
meisten  sind  im  Vergleich  mit  den  markhaltigen  Fasern  im  Haarbalg 
außerordentlich  dünn,  wenn  sie  auch  mit  einer  Markscheide  versehen 
sind.  Diese  Fasern  endigen  ausschließlich  in  der  Form  der  intraepi- 
thelialen End  Verzweigungen. 

Dickere  Fasern  bilden  die  Endkolbenendigungen  oder  die  Tast- 
scheiben an  den  MERKELschen  Körperchen.  Ich  werde  zuerst  über  die 
Endkolben  sprechen. 

Cybülsky  hat  jedenfalls  recht,  wenn  er  über  den  Reichtum  des 
Coriums  an  Endkolben  spricht.  Ich  glaube  jedoch,  daß  die  volle 
Vorstellung  davon  nur  an  der  Hand  der  Methylenblaupräparate  zu 
gewinnen  ist.  Ich  finde  auf  nicht  zu  dicken  Schnitten  in  der  Mitte 
des  Feldergebietes  eine  fast  ununterbrochene  Lage  der  Endkolben,  die 
voneinander  durch  unbeträchtliche  Mengen  des  Bindegewebes  getrennt 
werden.  Die  Schilderung  des  Kapselbaues,  die  Cybülsky  gibt,  finde 
ich  nicht  ganz  richtig. 

Bei  der  Färbung  nach  dem  Verfahren  von  Unna  mit  Wasserblau- 
Orcein-Eosin-Gemisch  läßt  sich  die  Kapsel  des  Endkolbens  von  dem 
umgebenden  Gewebe  gut  unterscheiden.  Sie  ist  blau,  die  Fasern  des 
Corium  eosinrot.  Dieses  Verhalten  zeigt  sich  nach  meinen  Unter- 
suchungen auch  bei  einfacher  Wasserblau-Eosinfärbung,  es  ist  nur 
sehr  schwierig  die  entsprechende  Mischung  richtig  herzustellen. 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushauren  des  Rindes.  401 

Auf  gut  gelungenen  Präparaten  sehe  ich,  daß  jedes  Nervenbündel 
in  eine  blaue  perineurale  Scheide  eingeschlossen  ist,  und  diese  Scheide 
geht  auf  die  einzelnen  Fasern  über,  die  mit  Endkolben  enden,  indem 
sie  in  die  äußere,  stärker  färbbare  Schicht  der  Kapsel  sich  fortsetzt. 
Die  ScHWANNsche  Scheide  geht  mit  dem  letzten  RANViERschen  Schnür- 
ringe verloren. 

Den  Innenraum  des  Kolbens  darf  man  nicht  als  eng  bezeichnen, 
er  färbt  sich,  wie  die  in  ihm  verlaufenden  Endfäden  des  Nerven,  blau, 
so  wie  das  ganze  System  der  Kapseln,  die  zahlreich  und  dicht  aneinan- 
der gelegen  sind.  Mit  Hilfe  der  Wasserblaufärbung  tritt  der  fibrilläre 
Bau  der  Scheide  hervor,  sie  wird  vorwiegend  aus  quer  verlaufenden 
Fibrillen  zusammengesetzt,  nicht  so  wie  es  Dogiel  an  den  typischen 
Vater- PACiNischen  Körperchen  nachgewiesen  hat  (13).  In  den  Kapseln 
der  Endkolben  fehlen  die  Fensterchen,  die  sich  bei  Vater- PACiNischen 
Körperchen  finden,  und  die  Längsfaserung  ist  sehr  undeutlich.  Die 
Zellen  liegen  zwischen  den  Kapseln  in  ziemlich  reichlicher  Zahl. 

Es  hat  eigentlich  keinen  Zweck  diese  Endkolben  der  Größe  oder 
der  Form  nach  zu  klassifizieren,  denn  in  diesen  Beziehungen  waltet 
volle  Unregelmäßigkeit.  Zu  bemerken  ist  jedoch,  daß  die  Endkolben 
zu  den  typischen  Gebilden  dieser  Art  gehören,  nicht  aber  zu  den  modi- 
fizierten Vater- PACiNischen  Körperchen,  die  Nervenendigung  in  ihnen 
bildet  niemals  die  Gestalt  eines  komplizierten  Geflechtes,  höchstens  teilt 
sich  die  Endfaser  in  wenige  gleich  dicke  Aste.  Sehr  häufig  aber  ent- 
stehen mehrere  Endkolben  an  den  Verzweigungen  derselben  Faser. 

Was  aber  das  häufige  Vorhandensein  der  Endkolben  in  der  Nähe 
der  Ausführungsgänge  der  Drüsen  anbelangt,  so  konnte  ich  hier  wirk- 
lich verblüffende  Bilder  sehen,  indem  der  Ausführungsgang  ganz  in 
eine  Palisade  von  Endkolben  eingeschlossen  erscheint;  diese  reichen 
auf  seiner  Wand  tiefer  nach  unten  als  sonst  in  der  Schicht  unterhalb  der 
Papillen. 

Im  allgemeinen  sind  die  Formen  der  centralen  Endfäden  innerhalb 
der  Kolben  dieselben,  wie  ich  in  den  Endkolben  des  Sinushaares  be- 
schrieben habe,  aber  hier  im  Corium  trifft  man  größtenteils  gebogene 
und  ofeknickte  Endkolben  in  der  unmittelbaren  Berührung  mit  dem 
Epithel  oder  etwas  tiefer. 

Von  den  gewöhnlichen  birn-  mid  wm'stförmigen  Endkolben  unter- 
scheiden sich  am  meisten  die  lang  ausgezogenen,  die  in  die  Papille 
rasten ;  die  centrale  Nervenendigung  hat  in  ihnen  nicht  die  Form  des 
verdickten  Bandes,  sondern  eher  die  eines  fein  varicösen  Astes  mit 


402  D.  Tretjakoff, 

sekundären  Astchen.  Der  Endkolben  hat  dabei  keine  geradlinige  Ge- 
stalt,  sondern  biegt  sich  imbeträchtlich. 

Ungeachtet  der  vollendetsten  Eärbung  der  centralen  Endfaser, 
gelang  es  mir  niemals,  die  Nerven  der  zweiten  Art,  wie  ich  es  im  Schweins- 
rüssel bekommen  hatte,  zu  färben;  keine  Spur  von  solchen  Nerven 
konnte  ich  in  den  Endkolben  des  Kindes  wahrnehmen. 

Bei  der  Färbung  nach  dem  Verfahren  von  Kamon  y  Cajal  be- 
kommt man  dasselbe  Bild  von  den  einfachen  oder  schwach  verästel- 
ten Centralendigungen  wie  auf  Methylenblaupräparaten.  Aus  dem 
Grunde  schließe  ich  mich  dem  Vorschlage  von  Ruffini  (37)  an  und 
habe  keine  Veranlassung  die  Endkolben  vom  Rinde  wie  diejenigen 
von  der  Katze  mit  der  Benennung  modifizierter  Vater- PACiNischen 
Kürperchen  zu  bezeichnen.  Es  finden  sich  aber  beim  E,ind,  wenn 
auch  sehr  selten,  Endapparate,  die  vielleicht  vollkommen  zu  den 
GoLGi-MAzzoNischen  Körperchen  zugezählt  werden  können  (Fiir.  30, 
Taf.  XVIII). 

Sie  bestehen  aus  einer  dünnen  Hülle,  deren  Schichtung  sehr  un- 
deutlich ist,  und  einer  nervösen  Endverzweigung  im  Körperchen.  Die 
nervöse  Endverzweigung  hat  keine  Ähnhchkeit  mit  der  centralen  Faser 
des  Endkolbens.  Sie  entspringt  nicht  einer  dickeren  Faser  aus  dem 
Geflecht,  sondern  von  den  Bündeln,  die  schon  unterhalb  der  Epithel- 
leisten zu  den  Papillen  verlaufen ;  während  die  Faser  die  Markscheide  ver- 
liert und  in  die  feine  Faser  sich  umwandelt,  dringt  sie  in  den  Hohlraum 
des  Körperchens,  teilt  sich  in  mehrere  Äste,  die  sich  wieder  teilen  und, 
sich  miteinander  verflechtend,  kleine  Plättchen  tragen.  Auf  diese 
Weise  entsteht  ein  kleines  Körperchen,  vier-  bis  dreimal  kleiner  als  der 
typische  Endkolben.  Ich  wählte  für  die  Zeichnung  (Fig.  30,  Taf.  XVIII) 
die  reichste  Endverzweigung  der  Art,  sonst  trifft  man  einfachere 
Formen,  die  aber  durch  rundliche  Gestalt,  durch  den  Ursprung  von 
feinen  markhaltigen  Fasern  und  die  Teilung  in  feine  Ästchen  deutlich 
unterscheidbar  sind. 

Leider  treten  sie  sehr  selten  auf,  und  deshalb  konnte  ich  ihre  Hülle 
nur  an  den  Methylenblaupräparaten  berücksichtigen.  Sie  könnten 
vielleicht  mit  den  Körperchen  mit  blättchenförmigen  Verbreiterungen, 
die  ich  im  Balge  des  Sinushaares  gefunden  hatte,  homolog  sein,  doch 
erreichen  ihre  Plättchen  die  Größe  und  die  Glattrandigkeit  der  letzteren 
lange  nicht.  Der  Form  der  Endverzweigung  nach  nähern  sie  sich  eher 
den   GoLGi-MAzzoNischen   Körperchen. 

Im  Schweinsrüssel  unter  dem  Epithel  auf  der  Basalmembran  breitet 
sich  ein  Netz  markloser  Fäden  aus,  welches  von  Ranvier  (34)  »termi- 


Die  Xcrvenendigungen  an  den  Sinushaarcu  des  Rindes.  403 

naisons  hederif ormes «  benannt  würden  ist.  Ich  habe  <i;efnnden,  daß  (47) 
auf  den  untersten  Flächen  der  Epithelleisten  sich  ein  Geflecht  von 
varicösen  Fäden,  die  aus  der  Teilung  markhaltiger  Fasern  herstammen, 
verbreitet.  Dieses  Geflecht  mit  seinen  engen  Maschen  bedeckt  die 
untere  Fläche  der  Leisten,  wobei  es  fast  gar  nicht  auf  die  Papillen 
übergeht.  Zu  den  Tastscheiben,  die  schon  im  Epithel  selber  liegen, 
hat   das  Grenzgeflecht  keine  Beziehung. 

Hier  beim  Rind  konnte  ich  keine  Spur  von  solchem  Geflecht  sehen. 
In  seltenen  Fällen  kommen  die  kleinen  Endbäumchen  an  der  Grenze 
zum  Epithel  zu  liegen,  sie  sind  aber  immer  zu  klein  und  dicht,  um 
sie  mit  dem  obengenannten  Grenzgeflecht  vergleichen  zu  dürfen. 
Aus  den  Untersuchungen  von  A.  S.  Dogiel  über  die  Haut  des  Fingers 
des  Menschen  (11)  geht  mit  Sicherheit  hervor,  daß  hier  auch  ein  allge- 
meines Grenzgeflecht  fehlt  und  anstatt  dessen  nur  einzelne  baum- 
förmige  Endverzweigungen  der  markhaltigen  Fasern  vorhanden  sind 
(Fig.  42,  Taf.  XI  von  Dogiels  Arbeit). 

Cybulsky  hatte  die  MERKELschen  Körperchen  in  den  Epithel- 
leisten nicht  bemerkt,  sie  wurden  aber  hier  von  andern  Untersuchern 
festgestellt  (8),  aber  niemals  speziell  berücksichtigt.  Ich  richtete 
meine  Aufmerksamkeit  zuerst  auf  den  Bau  der  den  Tastmenisken 
anliegenden  MERKELschen  Zellen.  Beim  Rind  sind  sie  ebenso  ellip- 
soidisch,  immer  hell  gefärbt,  wie  beim  Schwein,  aber  die  eigentüm- 
liche platte  Form  des  Kernes,  die  ich  beim  Schwein  feststellen  konnte, 
tritt  hier  nicht  immer  deutlich  auf,  sehr  oft  ist  der  Kern  im  Quer- 
schnitt streng  Icceisförmig,  nicht  biskuitförmig  wie  dort. 

Die  MERKELschen  Zellen  sind  in  einer  fast  ununterbrochenen 
mehrreihigen  Schicht  an  der  unteren  Fläche  der  Epithelleisten  gelagert. 
Die  ihnen  gehörigen  Tastscheiben  bilden  aber  distincte  Gruppen,  ent- 
sprechend der  Entstehung  von  Fasern,  die  ihre  Markscheide  unter- 
halb der  Leisten  verlieren  und  in  das  Epithel  eintreten.  Hier  bilden 
sie  in  mehrmals  beschriebener  Weise  die  Gruppen  der  Tastscheiben, 
die  von  unten  den  MERKELschen  Zellen  anliegen,  miteinander  durch 
dünne  Verbindungsfäden  verbunden  werden  und  keine  Ausläufer,  die 
in  das  Epithel  fortlaufen  können,  mehr  entsenden. 

Es  wurde  schon  oben  gesagt,  daß  in  der  Schnauze  vom  Rind  die 
Tastkörperchen  nur  in  den  Leisten,  die  dem  Felde  entsprechen,  vor- 
kommen, dabei  sind  sie  mehr  in  der  Mitte  des  Feldes  angehäuft.  Sie 
sind  ebenso  regelmäßig  in  den  behaarten,  d.  h.  nur  Sinushaare  tragenden 
Teilen  der  Schnauze  verteilt,  wo  sie  nur  in  den  Leisten,  die  den  Haar- 
balg  unmittelbar  umgeben,  fehlen. 


404  D.  Tretjakoff, 

Durch  die  vorstehenden  Sinushaare  wird  die  Schnauze  des  Rindes 
vor  der  groben  Berührung  mit  den  Gegenständen  geschützt,  und  die 
Endigungen  im  Corium  sind  höchstens  dazu  bestimmt,  das  zarte  Kitzeln 
der  weichen  Teile  der  Gräser  zu  empfinden.  Aber  die  MERKELschen  Zellen 
und  die  Endkolben  sind  auch  hier  nicht  überall  verstreut,  sondern 
drängen  sich  zu  den  Stellen,  die  am  meisten  nach  außen  hervorstehen 
und  deswegen  am  häufigsten  in  Berührung  mit  den  Gräsern  kommen. 
Wahrscheinlich  empfinden  die  genannten  Endigungen  in  erster  Linie 
die  feinsten  Oscillationen,  die  von  außen  durch  die  Epithelschicht 
sich  verbreiten.  Wenn  sie  mit  dem  Empfinden  des  starken  Eindruckes 
zu  tun  hätten,  wäre  keine  Veranlassung  zu  der  von  mir  beobachteten 
Gruppierung  der  Endigungen.  Die  Tastscheiben  scheinen  besonders 
dazu  geeignet,  die  leichtesten  Erschütterungen  der  Oberfläche  zu 
percipieren.  Die  Endkolben  könnten  schon  stärkere  Eindrücke  emp- 
finden, die  nicht  nur  im  Epithel,  sondern  auch  tiefer  im  Binde- 
gewebe Verschiebungen  der  Bestandteile  verursachen.  Das  scheint 
damit  noch  gerechtfertigt  zu  werden,  daß  in  den  Stellen  mit  den  Sinus- 
haaren die  Endkolben  seltener  als  an  ganz  haarlosen  Stellen  vor- 
kommen. 

Es  bleiben  schließlich  die  fadenförmigen,  intraepithelialen  Endi- 
gungen. Sie  entspringen  den  Fasern  des  Geflechtes,  die  durch  die 
feineren  Achsencylinder  sich  auszeichnen;  sie  zeigen  meistens,  nach  der 
Behandlung  mit  Methylenblau  und  der  Fixierung  im  Gemisch  von 
Ammonium  molybdaenicum  und  Osmiumsäure  (einige  Tropfen)  die- 
jenigen Verjüngungen  und  Verbreiterungen  der  Markscheide,  die 
Cybulsky  an  den  Fasern  des  Coriums  beobachtet  hatte. 

Es  ist  wahr,  daß  einige  Fasern  bis  zum  obersten  Teil  der  Papille 
markhaltig  bleiben,  daß  aber  die  marldialtigen  Fasern  in  das  Epithel 
eindringen  sollen,  konnte  ich  nicht  bemerken.  Stets  geht  die  Mark- 
scheide vor  dem  Eindringen  in  das  Epithel  verloren,  sei  es  am  Fuß 
der  Papille  oder  irgendwo  höher.  Die  Fasern,  die  in  dem  unteren 
Gebiet  der  Papille  in  das  Epithel  eindringen,  verlieren  ihre  Markscheide 
sogar  noch  im  Geflecht  und  ziehen  wie  die  varicösen  Fäden  zu  den 
Epithelleisten. 

Nun  zeigen  die  in  die  untere  Kante  der  Epithelleisten  eintretenden 
Fasern  ähnliche  Beziehungen  zu  den  MERKELschen  Körperchen,  wie 
es  in  der  Wurzelscheide  des  Sinushaares  von  mir  entdeckt  worden  ist. 
Sie  begeben  sich  erstens  zu  den  MERKELschen  Körperchen  und  um- 
flechten dieselben  mit  ihren  seitlichen  Verzweigungen  so,  daß  jedes 
Körperchen  von  dem  kleinen  Geflecht  von  allen  Seiten  bedeckt  wird. 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  405 

Dabei  entsprechen  die  umflechtenden  Fasern  nicht  den  Gruppen  der 
Tastscheiben.  Dieselbe  Faser  versorgt  mit  Geflechten  die  Körper- 
chen mit  Tastscheiben,  die  den  zwei  verschiedenen  Gruppen  ge- 
hören usw. 

Es  entsteht  in  der  Schicht  der  MERKELschen  Körperchen  das 
ebenso  ausgedehnte  intercelluläre  Geflecht  von  feinen  varicösen  Nerven- 
fädchen,  das  dem  von  mir,  Botezat  und  Dogiel  beschriebenen  peri- 
cellulären  Geflecht  in  den  MERKELschen  Körperchen  von  andern 
Tieren  und  dem  Menschen  homolog  sein  soll.  Aber  hier  im  Epithel, 
ebenso  wie  in  der  Wurzelscheide  des  Sinushaares  des  Rindes  sind 
die  das  Geflecht  erzeugenden  Fäden  in  der  Schicht  der  Körperchen  nicht 
erschöpft;  ich  konnte  jedesmal  von  dem  Geflecht  einzelne  Fädchen 
entstehen  sehen,  die  höher  in  das  Epithel  ziehen  und  in  ihm  nach 
der  Art  gewöhnlicher  intraepithelialer  Nerven  enden.  Was  die  letzt- 
genannten Nerven  betrifft,  so  verhalten  sie  sich  genau  so,  wie  es  von 
mir  im  Schweinsrüssel  beobachtet  wurde,  ihre  Endverzweigungen  er- 
reichen die  Hornschicht  und  unterliegen  hier  einer  normalen  Degene- 
ration. 

Die  Zellscäulen  oberhalb  der  Papillen  sind  nach  meinen  Unter- 
suchungen von  Cybulsky  ganz  passend  beschrieben  worden,  sie  zeigen 
auch  die  vom  Verfasser  angegebene  Verteilung  und  Variation.  Ich 
finde  solche  Zellen  leicht  auch  auf  den  Methylenblaupräparaten  und 
auf  solchen,  die  nach  dem  Verfahren  von  Ramon  y  Cajal  bearbeitet 
worden  sind. 

Zwischen  den  Zellen  verbreiten  sich  die  varicösen  marklosen  End- 
äste der  Fasern,  die  bis  zur  Kuppe  der  Papille  verlaufen  und  dabei 
ihre  dünne  Markscheide  bewahren.  Sie  sind  aber  ebenso  wie  die  übrigen 
intraepithelialen  Nerven  bei  meinem  Objekt  mit  feinstem  Achsen- 
cylinder  versehen,  und  die  Segmente  der  Markscheide  sind  außerordent- 
lich kurz.  Ihre  Verästelungen  zwischen  den  Zellen  der  Säulen  unter- 
scheiden sich  wenig  von  den  gewöhnlichen  Verästelungen.  Während 
beim  Schwein  die  auf  der  Kuppe  der  Papille  ins  Epithel  dringenden 
Fasern  immer  ein  ansehnliches  Bündel  zusammenstellen  und  in  Gestalt 
eines  reichen  Bündels  von  marklosen,  mit  einer  Menge  von  Verdickungen 
und  Verbreiterungen  versehenen  Aste  endigen,  scheinen  beim  Rind 
vereinfachte  Verhältnisse  vorzuliegen,  da  bis  zur  Kuppe  der  Papille 
nur  wenige  Fasern  ziehen  und  kein  dichtes  Geflecht  im  Epithel  vor- 
kommt. Jedenfalls  werden  die  Zellen  der  Säulen  von  den  nervösen 
Endzweigen  ebenso  allseitig  umflochten,  wie  überhaupt  die  Zellen  der 
MALPiGHischen  Schicht  der  Epithelleisten.     Das  Rind  stellt  in  dieser 


406  D.  Tretjakoff, 

Beziehung  im  Vergleich  mit  dem  Schwein  rudimentäre  Verhältnisse 
dar,  und  die  Nerverendigung  erster  und  zweiter  Art,  die  ich  beim 
Schwein  im  Epithel  festzustellen  vermochte,  können  hier  nur  topo- 
graphisch unterschieden  werden.  Jedenfalls  halte  ich  die  Meinung 
von  LoBENHOFFEE,  daß  die  von  ihm  beobachteten  Zellen  beim  Schaf 
ohne  Beziehungen  zu  den  Nerven  sind,  für  nicht  bewiesen  und  über- 
haupt die  ganze  Frage  der  weiteren  Untersuchung  wert. 

Die  verästelten  Körperchen  von  Cybulsky  sind  aber  ganz  ent- 
schieden die  LANGEKHANSschen  Zellen,  die  sich  leicht  mit  Methylen- 
blau färben;  auf  meinen  Präparaten  nehmen  sie  sehr  häufig  die- 
jenigen Gestalten  an,  die  Cybulsky  irreleiteten  und  ihm  Gelegenheit  zu 
ihrer  ausführlicheren  Darstellung  gaben. 

Besondere  Aufmerksamkeit  widmete  ich  der  Frage,  ob  die  Nerven- 
endigungen im  Epithel  in  inniger  Verbindung  mit  den  Zellen  stehen, 
wie  es  einmal  von  Botezat  angegeben  wurde  (5,  6).  Botezat  hat  näm- 
lich angenommen,  daß  sämtliche  in  das  Epithel  eindringende  Nerven- 
fäden in  die  Epithelzellen  eintreten,  sich  in  denselben  teilen,  nicht  selten 
den  Zellkern  erreichen  und  intracellulär  mit  knopfförmigen  Verdickun- 
gen endigen.  Aber  nach  einer  gründlichen  Durchmusterung  meiner 
Präparate  kann  ich  mich  entschieden  der  Stimme  meines  hochverehrten 
Lehrers  anschließen.  In  seiner  Arbeit  über  die  Nerven  der  Haut  des 
Menschen  (11)  sagt  Prof.  Dr.  A.  S.  Dogiel  folgendes:  »Ich  habe 
vielfach  die  Nervenendigungen  im  Epithel  der  Hornhaut,  der  Schleim- 
häute und  der  Haut  studiert,  wobei  ich  niemals,  trotz  einer  voll- 
kommen gelungenen  Färbung  der  Nerven  und  trotz  Anwendung  starker 
Immersionssysteme  in  ausreichender  Deutlichkeit  habe  wahrnehmen 
können,  daß  die  Nervenfädchen  in  die*  Epithelzellen  eindringen  —  stets 
waren  sie  zwischen  den  Zellen  angeordnet  und  umflochten  die  Ober- 
fläche derselben.  Dasselbe  muß  ich  auch  jetzt  für  die  Nervenendigungen 
in  der  Haut  des  Menschen  wiederholen.  Obgleich  ich  die  Möglichkeit 
des  Vorhandenseins  derartiger  intracellulärer  Nervenendigungen  nicht 
vollkommen  in  Abrede  stellen  kann,  so  bin  ich  dennoch  der  Ansicht, 
daß  man  vorläufig  sich  den  Beobachtungen  gegenüber,  welche  zu- 
gunsten einer  derartigen  Nervenendigungsweise  sprechen,  kritisch  zu 
verhalten  hat.« 

Ich  möchte  aber  die  Sache  noch  weiterführen.  Wenn  die  intra- 
cellulären  Verästelungen  wirklich  die  Endigungen  der  intraepithelialen 
Nerven  darstellen,  müssen  sie  in  den  engen  Grenzen  der  intercellulären 
Räume  verlaufen,  ihre  Dicke  und  die  Größe  ihrer  Verdickungen  darf 
also  nicht  diese  Grenzen  überschreiten.    Die  Ergebnisse  der  Messungen 


Die  Nervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes.  407 

der  intercellulären  Räume,  die  ich  vorgenommen  hatte,  stimmen  ziem- 
lich gut  mit  der  von  Dogiel  vertretenen  Anschauung,  nur  in  der  Nähe 
der  körnigen  Schicht  bemerkt  man  größere  Anschwellungen,  die  also 
in  den  erweiterten  intercellulären  Räumen  liegen.  Man  muß  aber 
die  feinsten  moosartigen  Verästelunj^en  der  Nerven  in  der  Malpighi- 
sehen  Schicht  berücksichtigen,  wie  ich  sie  im  Schweinsrüssel  gefunden 
hatte  und  auch  in  der  Schnauze  des  Rindes  wieder  sehen  konnte 
(47,  S.  628,  Fig.  2  u.  3,  Taf.  XXI). 

Die  feinsten  Verästelungen  bilden  sich  an  den  Nerven,  die  durch 
die  gesamte  MALPiGHische  Schicht  verlaufen  und  beim  Schwein  die 
Endigungen  oberhalb  der  Kuppen  bilden.  Beim  Durchlauf  in  den 
Epithelleisten  werden  solche  Fasern  mit  feinsten  varicösen  Fädchen 
bedeckt  und  sehen  deswegen  moosartig  aus.  Die  Größe  der  Fädchen 
scheint  ganz  besonders  dazu  geeignet  zu  sein,  um  in  den  Räumen 
zwischen  den  intracellulären  Brücken  sich  zu  verbreiten.  Vom  Stand- 
punkt der  Vergrößerung  der  Berührungsoberfläche,  die  wir  in  allen 
Nervenendigungen  treffen,  wird  solche  Ausnutzung  der  intercellulären 
Räume  verständlich,  wenn  auch  in  gewissen  Fällen,  wie  in  den  Merkel- 
schen  Körperchen  und  im  EiMEEschen  Organ  des  Maulwurfes  eine  Ver- 
größerung der  zwischenzelligen  Räume  angenommen  werden  muß. 

Man  findet  also  an  den  intraepithelialen  Nerven  Merkmale,  die 
darauf  deuten,  daß  sie  ausschließlich  intercellulär  endigen,  deswegen 
brauchen  wir  nicht  die  Möglichkeit  von  intracellulären  Endigungen 
zu  bewahren,  um  so  mehr,  als  in  solchen  Behauptungen  immer  die 
Bestrebung  des  antineuronistischen  Kreuzzuges  gegen  die  Kontaktlehre 
offen  oder  verborgen  sich  äußert.  Botezat  ist  in  dieser  Beziehung 
jedenfalls  folgerecht.  In  einer  späteren  Arbeit  (6)  bemüht  er  sich, 
die  intracelluläre  Lage  der  Knöpfchen  und  Körnchen  der  intraepithelialen 
Zellen  zu  beweisen.  Er  sagt  nämlich :  »Eingedenk  der  wichtigen  Streit- 
frage habe  ich  es  nicht  unterlassen,  derartige  Stellen  in  verschiedener 
Weise  zu  betrachten.  So  habe  ich  dieselben  mit  Winkels  Apochrom. 
homog.  Immers.  2  mm  und  den  Kompens.-Ocularen  1,  3,  5,  6,  dann  mit 
demselben  Objektiv  und  den  ZEissschen  Kompens.-Ocularer>  12,  18, 
sowie  mit  der  ZEissschen  Apochrom.  homog.  Immers.  2  mm  und  den 
Ocularen  6,  8,  12,  18  bei  günstigem  Tageslicht  beobachtet  und  stand 
immer  unter  dem  Eindruck,  daß  die  betreffenden  Knöpfchen  intra- 
cellulär  liegen  <<  (S.  59). 

Nach  der  Angabe  vom  Verfasser  ist  das  Knöpfchen  am  deut- 
lichsten zu  sehen,  wenn  bei  derselben  Einstellung  auch  die  gerippte 
Membran  und  der  zugehörige   Kern   deutlich   unterscheidbar   waren. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  27 


408  ü.  Tretjakoff, 

Aus  der  Tatsache,  daß  der  Zellkern,  Knöpfclien  und  Membran  in  dem- 
selben Niveau  am  deutlichsten  zum  Vorschein  kommen,  geht  aber  wohl 
unbedingt  hervor,  daß  das  Knöpfchen  im  Protoplasma  der  Zelle  ge- 
legen sein  muß! 

Es  ist  sicher  leichter  in  einem  guten  Laboratoriumshaushalt  die 
notwendigen  optischen  Mittel  herbeizuschaffen,  als  die  feinsten  Schnitte 
aus  dem  mit  Methylenblau  gefärbten  Objekt  zuzubereiten.  Wenn 
uns  BoTEZAT  auf  solchen  Schnitten  die  intracelluläre  Lage  des 
Knopfes  zeigen  möchte,  wäre  das  überzeugend,  die  Schlüsse  aber  aus 
den  Beobachtungen  an  dicken  Schnitten  beweisen  überhaupt  in  dieser 
Frage  wenig.  Das  Knöpfchen  kann  auch  tief  in  die  Zellmembran  ein- 
gedrückt werden,  ohne  im  Protoplasma  der  Zelle  zu  liegen;  zudem 
ist  der  Begriff  des  »am  deutlichsten  unterscheidbaren«  sehr  subjektiv, 
und  der  Stift  des  Zeichners  ist  wohl  dem  Verstand  desselben  allzu 
gehorsam. 

Die  entsprechende  Arbeit  von  Botezat  enthält  unter  anderm 
noch  die  Beschreibung  von  vielen  Arten  intraepithelialer  Nerven, 
die  Verfasser  in  der  Hundeschnauze  unterscheiden  will.  Verfasser 
glaubt  in  der  Mannigfaltigkeit  des  Aussehens  der  intraepithelialen  Ner- 
ven die  anatomischen  Grundlagen  für  die  verschiedenen  Gefühlsquali- 
täten der  Haut  zu  finden.  Die  einzelnen  Arten  sind  in  ihrem  Verlauf, 
in  der  Beschaffenheit,  in  der  Art  der  Endigung  und  der  Verzweigungen 
voneinander  so  verschieden,  daß  man  nicht  weniger  als  sieben  Typen 
unterscheiden  kann.  Verfasser  liefert  folgende  Beschreibung  dieser 
Typen: 

1)  Dendriten  (?)  mittlerer  Dicke  mit  intracellulären  Endknöpfen; 

2)  dünne  Dendriten  mit  intracellulären  Knöpfchen; 

3)  breite  intercelluläre  Dendriten; 

4)  Horizontalfasern  mit  intercellulären  Büscheldendriten; 

5)  pericelluläre  Fibrillennetze : 

6)  Schleifenverästelung ; 

7)  dicke  Achsenfasern  mit  lateralen  Fibrillennetzen. 

Einige  von  diesen  Typen  glaubt  Verfasser  bei  andern  Tieren  fest- 
gestellt zu  haben.  Er  nimmt  deswegen  an,  daß  sich  im  Epithel  bei 
weitem  mehr  Arten  von  Nervenendigungen  vorfinden,  als  bisher  be- 
kannt war,  und  daß  die  bisher  unter  dem  Namen  der  freien  oder  ein- 
fachen Intraepithelialnerven  bekannten  Endapparate  sich  in  mehrere 
voneinander  durch  charakteristische  Merkmale  kennzeichnende  Formen 
werden  auflösen  lassen.  Und  damit  im  Zusammenhang  wird  es  wohl 
möglich  werden,  für  die  unter  dem  Namen  des  Allgemeingefühls  ver- 


Die  Ncrvenoiuli^iingm  an  den  Simislianren  des  Rindes.  409 

einigten  verschiedenen  Gefühlsqüalitäten,  deren  Sitz  in  die  oberfläch- 
lichen Hautteile  verlegt  werden  muß,  die  zugehörigen  Gefühlsapparate 
festzustellen. 

So  schließt  sich  Botezat  der  Reihe  andrer  Forscher  an,    die  iii 
den  Formen  der  Nervenendigung  ihre  Spezifität  den  Reizen  gegenüber 
erschließen  wollen.     Leontowitsch  (29),  Lefebure  (23)  suchten  aus 
der  Voraussetzung  wichtige  Mahnungen  zu  bekommen;  Lefebure  im 
allgemeinen  theoretischen  Sinne,  Leontowitsch  in  den  engen  Grenzen 
der  Endapparate  der  menschlichen  Haut.     Demgegenüber  finden  wir 
schon  bei  Wundt  (50)  keine  große  Wertlegung  auf  solche  Voraussetzung 
und  sogar  die  Vermutung,  daß  die  Endapparate  und  Endverzweigungen 
überhaupt    wenig    specifisch    wirken;    sie    übergeben    nur    die   Reize 
bestimmten    centripetalen    Fasern.      Die    tatsächlichen    Befunde    von 
DoGiEL,  RuFFiNi  Und  mir  geben  aber  keine  Rechtfertigung  der  Speci- 
fizität,  wenigstens  im  strengen  Sinne,  für  die  Formen  der  Nervenendigun- 
gen.   Wir  haben  doch  verschiedene  Formen  der  Endigungen,  die  von 
derselben  Faser  entspringen.     Wir  finden  für  die  Druckempfindung 
im  Balge  des  Sinushaares  eine  verblüffende  Mannigfaltigkeit  der  Formen 
vor.    Wie  soll  man  in  diesen  Fällen  die  Specifizität  bestimmen.     Ich 
glaube,  daß  unsre  subjektiven  Empfindungen  wie  Kälte,  Nässe  usw. 
-Empfindungen  überhaupt  keine  primären  Elemente  der  entsprechen- 
den nervösen  Tätigkeit  darstellen,  und  nach   der  bloßen  alltäglichen 
Empfindung  der  Kälte  die  ihr  specifische  Nervenendigung  zu  suchen 
ist  als  einer  der  gröbsten  Anthropomorphismen  der  modernen  Physio- 
logie  zu    bezeichnen.     Man  muß  erstens   diese  Empfindung   als  die 
Wirkung  gewisser  elementarer  physikalischer  Kräfte  auslösen,  in  erster 
Linie  der  Molecularkräf te ,  und  dann  nach  einem   Parallelismus   mit 
dem  Bau  der  Nervenendigungen  zu  spüren. 

Zum  Beispiel  wird  sich  bei  der  Erwärmung  der  Hornschicht  unsrer 
Haut  ihr  Umfang  nach  dem  physikalischen  Gesetz  vergrößern,  was  mit 
einem  Druck  auf  die  MALPiGHische  Schicht  in  Zusammenhang  gebracht 
wird.  Bei  der  nassen  Haut  quillt  die  Hornschicht,  es  muß  also  die  Druck- 
wirkung wieder  erscheinen.  Warum  aber  diese  Druckwirkungen  speci- 
fisch empfunden  werden,  hängt  vielleicht  gar  nicht  mit  der  Form  der 
Endigung  zusammen,  sondern  von  ganz  andern  Eigenschaften  des 
Nervengewebes  oder  sogar  vom  centralen  Nervensystem  ab.  Wie  ich 
oben  ausführlich  darlegte,  hängt  die  Form  der  Nervenendigung  eher 
mit  dem  Nervenreiz  und  der  Leitung,  nicht  aber  mit  der  Specifizität 
der  Reize  zusammen. 

Wenn  wir  uns  aber  zu  dem  tatsächlichen  Bestand  der  Beobachtungen 

27* 


410  D-  Tretjakoff, 

von  BoTEZAT  wenden,  so  finden  wir  hier  nichts,  was  eben  seine  An- 
schauung unterstützen  könnte.  Es  handelt  sich  nicht  um  streng 
voneinander  strukturell  und  topographisch  unterschiedene  Nerven- 
arten, sondern  um  Variationen  einer  und  derselben  Form.  Ohne  den 
Text  zu  lesen,  findet  das  vorurteilslose  Auge  in  den  Textfiguren 
keine  weitgehenden  Unterschiede,  die  wir  bei  den  Endigungen  im  Binde- 
gewebe zu  sehen  gewöhnt  sind,  überall  treten  die  einförmigen  varicösen 
Verästelungen  auf,  die  sich  so  oder  anders  im  Epithel  verteilen;  wenn 
wir  nach  dem  oben  Gesagten  die  intracelluläre  Endigung  einiger  Fasern 
in  Abrede  zu  stellen  ein  volles  Recht  haben,  müssen  wir  die  Frage 
stellen,  was  eigentlich  von  der  vom  Verfasser  gelieferten  Diagnose 
bleibt,  außer  dem  Unterschied  zwischen  dicken  und  dünnen  Fasern? 

Nur  der  siebente  Typus,  den  der  Verfasser  mit  der  von  mir  in 
der  Rüsselscheibe  des  Schweines  vorgefundenen  intraepithelialen 
Endigung  »zweiter  Art«  für  homolog  hält,  besitzt  wirklich  ein  vom 
gewöhnlichen  deutlich  unterscheidbares  Aussehen. 

Wenn  aber  eine  ähnliche  Klassifikation  der  Endigungen  die  voraus- 
gesetzte physiologische  Specifizität  derselben  nicht  beweisen  kann, 
bewahrt  die  Untersuchung  von  Botezat  in  andern  Beziehungen  ihre 
Wichtigkeit,  da  sie  einen  Versuch  macht,  die  Mannigfaltigkeit  der  intra- 
epithelialen Nerven  jedenfalls  als  bedeutungsvolle  Erscheinung  ernst  ins 
Auge  zu  fassen  und  dieses  ziemlich  stiefmütterlich  behandelte  Gebiet 
der  Neurologie  zu  vollendeter  Darstellung  zu  bringen. 

St.  Petersburg,  im  November  1910. 


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17.  Gegenbaur,  Untersuchungen  über  die  Tasthaare  einiger  Säugetiere.     Diese 

Zeitschr.     Bd.  III.     1851. 

18.  JoBERT,  Recherches  sur  les  poils  du  Tact.     Ajinales  des  sciences  natur. 

V.  Serie.     Zool.     Tom.  XVI.     1870—1871. 

19.  IwANOFF,  Die  Nervenendigungen  in  den  Bindegewebsmembranen  bei  Säuge- 

tieren.     (Russisch.)      Kasan  1893. 

20.  P.  KsJüNiN,  Zur  Frage  über  die  Nervenendigungen  in  den  Tast-  oder  Sinus- 

haaren.    Arch.  f.  mikr.  Nnat.     Bd.  LIV. 

21.  —  Über  das  elastische  Gewebe  und  die  Blutgefäße  der  Sinushaare.     Nach- 

richt. Kaiserl.  Universität  Tomsk.     Bd.  XIX.     1902. 

22.  M.    Lawdowsky   und    Ph.    Owsjannikow,  Lehrbuch   der  mikroskopischen 

Anatomie.     Bd.  II.     1888.     (Russisch.) 

23.  M.  Leföbure,  Considerations  sur  la  physiologie  des  terminaisons  nerveuses 

sensitives  de  la  peau.    Journ.  de  l'anat.  et  de  la  physiol.     Annee  XLIV. 
1908. 

24.  Leontowitsch,  Die  Innervation  der  menschlichen  Haut.    Internat.  Monats- 

schrift für  Anat.  u.  Phys.     Bd.  XVIII.     1901. 

25.  Leo  Vaillant,  Note  sur  les  poils  du  Tact  des  mammiferes.     Gaz.  med. 

Paris  1862. 

26.  Leydig,  Studien  über  die  äußere  Bedeckung  der  Säugetiere.    Arch.  f.  Anat. 

u.  Physiol.     1859. 

27.  LoBENHOFFER,  Über  eigentümliche  Zellen  in  der  Gaumenschleimhaut  des 

Schafes.     Arch.  f.  mikrosk.  Anatomie.     Bd.  LXX.     1907. 

28.  Löwe,  Bemerkungen  zur  Anatomie  der  Tasthaare.    Arch.  f.  mikrosk.  Anatom. 

Bd.  XV.     1878. 

29.  J.  Mayer,  Beitrag  zur  Lehre  vom  Bau  der  Sinushaare.    Bd.  XXXV.     1890. 

30.  Moisisowics.    Über  die   Nervenendigungen   in   der  Epidermis  der  Säuger. 

1875. 


412  !>•  Tretjakdff. 

31.  NowiCK,  Zur  Frage  von   dem   Bau  der  Tastzellen  in   den   GRAisiDKyschen 

Körerchen.     Anat.  Anz.     Bd  XXXVI.     1910. 

32.  Odenixjs,  Beitrag   zur  Kenntnis   des   anatomischen   Baues   der  Tasthaare. 

Arch.  f.  mikr.  Anat.     Bd.  II.     1866. 

33.  Paladino,  Sulla  terminazione  dei  nervi  cutanei  delle  labbre.     Bullet,  del 

Assoc.  dei  Med,  et  Natur.  Napoli.     Nr.  10.     1871. 

34.  Ranviee,  Traite  technique  d'histologie.     1889. 

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36.  Richiabdi,  Intorno  alla  distribuzione  dei  nervi  nel  follicolo  dei  peli  tattili 

con  apparato  vascolare  erettile  del  Bos  taurus.     Jahresber.  v.  Hoff- 
mann und  Schwalbe.     Bd.  XII.     1883. 

37.  RuFFiNi,  Les  dispositifs  anatomiques  de  la  sensibilite  cutanee:  sur  les  ex- 

\)ansions  nerveuses  de  la  peau.     Rev.  gen.  d'histologie.     Lyon- Paris. 
Tom.  I.     Fase.  3.     1905. 

38.  SOHÖBL,  über  die  Nervenendigung  an  den  Tasthaaren  der  Säugetiere,  sowie 

nber  die  feinere  Struktur  derselben.     Arch.   f.   mikr.  Anat.     Bd.  IX. 
1873. 

39.  I.  ScHKLUTKOWSKY,  Über  die  Nerven  der  Haut.     C.  R.  sog.  imper.  Natur. 

St.  Petersbourg.     Annee  1908. 

40.  Sfameni,  Gli  organi  nervosi  terminali  del  Rtjffini  ed  i  corpuscoli  des  Pacini. 

Accad.  Reale  delle  scienze  di  Torino.     Anno  1899 — 1900. 

41.  Stieda,  Über  die  angeblichen  Terminalkörper  an  den  Haaren  einiger  Säuger. 

Ai'chiv  f.  mikr.  Anat.     Bd.  VIII    und    Zur    Kritik    der    SciiÖBLschen 
Untersuchungen  der  Haare.     Bd.  IX. 

42.  Sertoli  und  Bizzozero,  Sulla  terminazione  dei  nervi  nei  peli  tattili.   Milane 

1872. 

43.  SzYMONOWicz,  Die  Nervenendigungen  in  der  Epidermis  und  in  den  Tast- 

'  '      haaren.     Arch.  f.  mikr.  Anat.     Bd.  XLV.     1895. 

44.  —  Über  die  Nervenendigungen  in   den  Haaren   des  Menschen.      Arch.   f. 

mikrosk.  Anat.     Bd.  LXXIV.     1909. 

45.  Tello,  Terminaciones  sensitivas  en  los  pelos  y  otros  organos.    Trab.  lab.  d. 

invest.  biol.  Univ.  Madrid.     Tom.  IV.     1905. 

46.  TiMOFEEFF,  Über  die   Nervenendigungen   in   den   männlichen   Geschlechts- 

organen der  Säugetiere  und  des  Menschen.     Anat.  Anz.     Bd.  XI. 

47.  Tretjakoff,  Zur  Frage  der  Nerven  der  Haut.    Diese  Zeitschr.     Bd.  LXXl. 

1902. 

48.  —  Das  Gallertgewebe  der  Sinushaare.     Anat.  Anz.     Bd.  XXXVII.     191(1. 

49.  Weliky,  Über  die  Nervenendigungen  in  den  Haarbälgen  der  Säugertieie. 

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50.  WtJNDT,  Grundzüge    der    physiologischen    Psychologie.     Leipzig  1902. 

51.  Van  der  Velde,  Die  fibrilläre  Struktur  der  Nervenendorgane.     Internat. 

Monatsschrift  f.  Anatomie  und  Phvsiol.     Bd.  XXVI.     1909. 


I")ic  N'orveiieiidip;ungen  an  Avn  Siiiushaairii  dew   I^intU-s.  413 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  XV. 

Fig.  1.  Gesanitbikl  der  Endigungen  und  des  Wrlautes  der  Nerven  am 
Sinushaar  des  Rindes.  Die  verschiedenartigen  Endiguiigen  und  die  Einzelheiten 
im  Verlaufe  der  Nerven  wurden  nach  Methylcnblauju-äparaten  bei  Vergröße- 
rung von  75mal  gezeichnet,  nur  ihre  Zusammenstellung  in  einem  Bild  ist  sche- 
matisch. Die  äußere  Balglamelle  ist  längs  halbiert  gedacht,  die  Wurzelscheide 
ist  von  der  Seite  zu  sehen.  Teile  des  Haarbalges:  A,  äußere  Balglamelle;  Ar, 
Arterie;  B,  Sinusbalken;  G,  Glashaut;  F,  bindegewebige  Fasern,  die  in  die  dich- 
teste Partie  der  Glashaut  einstrahlen;  H,  Haar;  /,  innere  Balglamelle;  K,  konischer 
Körper;  Ki,  Sinuskissen;  P.  Papille;  S,  Sinusraum;  ScÄ,  schirmförmige  Verbrei- 
terung der  äußeren  Wurzelscheide  im  konischen  Körper;  y,  Talgdrüse ;  F.Vene; 
W,  Anschwellung  der  äußeren  Wurzelscheide.  Nervöse  Gebilde:  1,  in  den  Balg 
eintretende  Nervenbündel;  2,  unteres  ringförmiges  Geflecht;  .5.  einfacher  Schalt- 
apparat unterhalb  des  ringförmigen  Geflechtes  an  der  (abgeschnitten  gedachten) 
inneren  Fläche  der  äußeren  Wurzelscheide;  4,  komplizierter  Schaltapparat  in 
derselben  Lage;  5,  Schaltapparat  auf  dem  längs  der  inneren  Fläche  der  äußeren 
Balglamelle  aufsteigenden  Bündel;  6,  Schaltapparat  in  der  äußeren  Balglamelle; 
7,  Schaltapparat  in  Verbindung  mit  der  baumförmigen  Endigung  in  der  äußeren 
Balglamelle;  S,  Schaltapparat  des  mittleren  Gebietes  des  Haarbalges;  9,  oberes 
ringförmiges  Geflecht  —  oberer  Nervenring;  10,  Fasern,  die  nach  außen  von 
den  Talgdrüsen  in  das  subpapilläre  Bindegewebe  nach  oben  verlaufen;  11,  End- 
verzweigung in  der  äußeren  Balglage  unterhalb  des  unteren  ringförmigen  Ge- 
flechtes; 12,  dieselbe  Endigung  in  dem  mittleren  Gebiet  des  Haarbalges;  13,  die- 
selbe Endigung  im  oberen  Gebiet  der  äußeren  Balglamelle;  14,  Endkolben  mit 
einem  centralen  Endfaden;  15,  Endkolben  mit  verzweigtem  Endfaden  (Golgi- 
MAZZOi^isches  Körperchen):  16,  eingekapselte  Endverzweigung  mit  den  plätt- 
chenförmigen  Verbreiterun  gen;  17,  baumförmige  Endigung,  präterminale  Endigung; 
18,  dieselbe  Endigung,  Spindelendigung;  19,  dieselbe  Endigung,  Knäuelform; 
20,  Endigung  auf  dem  Sinusbalken;  21,  sensible  Endplatte  unterhalb  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung; 22,  sensible  Endplatte  an  der  Wurzelscheidenanschwel- 
lung; 23,  sensible  Endplatte  im  konischen  Körper;  24,  verzweigte  Endplatte,  die 
dem  Boden  der  Talgdrüse  anliegt;  25,  Tastscheibe  in  der  oberen  Hälfte  der  Wurzel- 
scheidenanschv/ellung;  26,  Tastscheibe  in  der  unteren  Hälfte  der  Wurzelscheiden- 
anschwellung; 27,  unteres  ringförmiges  Geflecht  oder  unterer  Nervenring.  Ver- 
größerung 75mal. 

Tatel  XVI. 

Fig.  2.  (Tai  XV,  Fig.  l,  S.)  Schaltapparat  aus  dem  mittleren  Gebiet  des 
Haarbalges.  Drei  markhaltige  Fasern  bilden,  ohne  ihre  Markscheide  zu  verlieren, 
den  Schaltapparat  und  teilen  sich  in  demselben  oder  gleich  darauf,  so  daß  aus 
dem  Apparat  sechs  markhaltige  Fasern  abgehen.  Der  Schaltapparat  liegt  in 
schräg  aufsteigender  Richtung  in  einem  Gange  der  äußeren  Balglamelle.  Nn,  die 
außerhalb  der  äußeren  Balglamelle  von  unten  ziehenden  markhaltigen  Nerven- 
fasern ;   V,  Schaltapparat,  der  hier  mehr  durch  Knickungen  des  Achsencylinders, 


414  D-  Tretjakoff, 

als  durch  Verbreiterungen  desselben  gebildet  wird;  No,  die  aus  dem  Schalt- 
apparat austretenden  markhaltigen  Nervenfasern,  die  bis  in  die  innere  Balg- 
lamelle sich  fortsetzen.     Vergr.  400mal. 

Fig.  3.  Kombinierter  Schaltapparat  aus  dem  mittleren  Gebiet  des  Haar- 
balges, er  liegt  in  fast  horizontalem  Gang  der  äußeren  Balglamelle.  B,  End- 
bäumchen  im  lockeren  Bindegewebe  des  Ganges;  K,  Endkolben,  bzw.  Endfaden 
desselben;  Nu,  markhaltige  Fasern,  die  von  außen  her  in  die  äußere  Balglage 
hineintreten;  No,  markhaltige  Fasern,  die  aus  dem  Schaltapparat  heraustreten 
und  durch  die  Sinusbalken  in  die  innere  Balglamelle  ziehen;  F.  Verbreiterungen 
am  Achsencylinder  der  markhaltigen  Faser.     Vergr.  400mal. 

Fig.  4.  (Fig.  1,5.)  Schaltapparat  auf  den  längs  der  inneren  Fläche  der 
äußeren  Balglamelle  aufsteigenden  markhaltigen  Nervenfasern.  l)ie  Zeichnung 
sollte  eigentlich  senkrecht  stehen,  aus  Mangel  an  Raum  liegt  sie  horizontal. 
Nti,  markhaltige  Fasern,  die  aus  dem  unteren  Nervenring  nach  oben  ziehen; 
No,  die  aus  dem  Schaltapparat  austretenden  Nervenfasern;  V.  Verbreiterungen 
am  Achsencylinder  der  markhaltigen  Faser  im  Schaltapparat.     Vergr.  400mal. 

Fig.  5.  (Fig.  1,  20.)  Endbäumchen  am  Sinvisbalken.  N,  markhaltige 
Nervenfaser,  ein  markloser  Ast  derselben  bildet  das  Endbäumchen,  ein  andrer 
ebenso  markloser  Ast  E  zieht  in  die  innere  Balglamelle,  um  die  Endfäden  den 
zwei  Endkolben  zu  liefern,  dieser  zweite  Ast  ist  aber  wegen  Mangels  an  Raum  in 
der  Zeichnung  abgeschnitten.     Vergr.  40Ümal. 

Fig.  6.  Schaltapparat  und  Endkolben  an  derselben  Nervenfaser.  Nu,  aus 
dem  unteren  Nervenring  entspringende  Nervenfaser,  die  sich  teilt.  E,  End- 
kolben bzw.  Endfäden  derselben;  F,  Schaltapparat;  F,  feiner  markloser  Ast. 
Vergr.  600mal. 

Fig.  7.  (Fig.  1,  4.)  Schaltapparat  aus  dem  Gebiet  unterhalb  des  unteren 
ringförmigen  Geflechtes.  Nu,  markhaltige  Nervenfasern,  die  vom  unteren  Nerven- 
ring zum  Schaltapparat  hinabsteigen;  No,  aus  dem  Schaltapparat  austretende 
markhaltige  Nervenfasern ;  V,  Verbreiterungen  am  Achsencylinder  der  Fasern  im 
Schaltapparat.     Vergr.  400mal. 

Fig.  8.  (Fig.  1,  6.)  Schaltapparat  an  den  Fasern,  die  vom  unteren  Nerven- 
ring in  der  äußeren  Balglamelle  hinaufsteigen.  Nu,  aufsteigende  Fasern;  No, 
aus  dem  Schaltapparat  ausgehende  Fasern ;  V,  Verbreiterungen  am  Achsencylinder 
der  markhaltigen  Fasern  im  Schaltapparat.     Vergr.  600mal. 

Fig.  9.  (Fig.  1,  3.)  Einfacher  Schaltapparat  aus  dem  Gebiet  unterhalb 
des  unteren  Nervenringes.  No,  aus  dem  Schaltapparat  austretende  Faser,  die 
sich  wieder  zum  unteren   Nervenring  begibt.     Vergr.  400mal.  ^ 

Tafel  XVII. 

Fig.  10.  Blättchenförmige  Endverzweigung  aus  dem  Sinuskissen  der  inneren 
Balglamelle.     N71,  marklos  gewordene  Strecke  der  Nervenfaser.     Vergr.  400mal. 

Fig.  11.  (Fig.  1,  18.)  Spindelendigung,  die  komplizierte  Form.  Die  Endi- 
gungen liegen  ebenfalls  in  den  Sinuskissen  der  inneren  Balglage.    Vergr.  400mal. 

Fig.  12.  Körnchenendigung  aus  dem  Sinuskissen  der  inneren  Balglage. 
Vergr.  400mal. 

Fig.  13.  Präterminale  Endigung  aus  dem  Sinuskissen  der  inneren  Balglage, 
Vergr.  400mal. 

Fig.  14  und  15.    Knäuelendigungen,  die  eigentlich  vom  gemeinsamen  Stamm- 


Die  NervenendigungCMi  an  den  Siniisliaarcn  des   Rindes.  41^") 

rlien  ebenso  wie  die  präterminale  Endigung  entspringen,  mußten  aber  horizontal 
gelagert  werden,  da  sonst  der  Raum  in  der  Tafel  fehlte.  E,  winzige  Endbäum- 
chen.     Vergr.  4Ü0maI. 

Fig.  16.  (Fig.  1,  19.)  Komplizierte  Knäuelendigung,  fast  ausschließlich 
aus  markhaltigen  Schlingen  bestehende  Form.  Sie  liegt  in  dem  Sinuskissen 
der  inneren  Balglamelle.  Die  Gesamtform  und  die  Art  der  Verteilung  der  Schlingen 
entspricht  ziemlich  genau  der  Spindelendigung  der  Fig.  11  mit  dem  Unteiscliied, 
daß  dort  die  marklosen  Verzweigungen  dominieren.  E,  marklose  Endverzwei- 
gungen, die  die  Endbäumc)\en  bilden.     Vergr.  400mal. 

Tafel  XVIII. 

Fig.  17.  (Fig.  1,  24.)  Verzweigte  sensible  Endplatte  aus  dem  konischen 
Körper.  A,  Verzweigungen  unterhalb  der  Talgdrüsen;  B,  Verzweigungen  im 
unteren  Teil  des  konischen  Körpers,  näher  zu  der  Wnrzelscheidenanschwellung. 
Alle  Verzweigungen  sind,  marklos.     \'ergr.  400mal. 

Fig.  18.  Sternförmige  Endplattcn  in  der  inneren  Balglamelle  an  der  \\'urzel- 
scheidenanschwellung.  V,  marklose  Fortsetzungen  der  aufsteigenden  niaiklialtigen 
Fasern.     P,  Endplatte.     Vergr.  400mal. 

Fig.  19.  Zusammengesetzte  Endplatte  aus  dem  konischen  Körpei'.  Vergr. 
400mal. 

Fig.  20.     Hängende  Endplatte  aus  dem  konischen  Körper.     Vergr.  400mal. 

Fig.  21.  (Fig.  1,  16.)  Eingekapselte  Endverzweigung  mit  den  plättchen- 
förmigen  Verdickungen  am  Geflecht  der  Endzweige  von  zwei  Nervenfasern.  K, 
Kapsel;  N,  markhaltige  Strecke  der  Nervenfasern.     Vergr.  600mal. 

Fig.  22.  (Fig.  1,  26.)  Sternförmige  Tastscheiben  aus  der  unteren  Hälfte 
der  Wurzelscheidenanschwellung.  P,  sensible  Endplatte  außerhalb  des  Epithels 
und  der  Glashaut,  also  in  der  inneren  Balglamelle.  T,  Tastscheiben  unter  dem 
Stratum  cylindricum  der  äußeren  Wurzelscheide;  U,  Umbiegung  und  Durcli- 
trittsstelle  des  marklosen  Astes  in  die  Glashaut.     Vergr.  400mal. 

Fig.  23.  (Fig.  1,  12.)  Endverzweigung  in  der  äußeren  Balglamelle,  von 
der  Fläche  gesehen.  B,  marklose  Endästchen;  V,  Verbreiterungen  am  Achsen- 
cylinder  der  markhaltigen   Aste.     Vergr.  400mal. 

Fig.  24.  Verzweigte  sensible  Endplatte  an  der  Wurzelscheidcnanschwellung. 
N,  marklose  Fortsetzung  der  aufsteigenden  markhaltigen  Faser.     Vergr.  400nial. 

Fig.  25.  Verzweigte  Endplatten  in  der  Form  von  feinen  senkrechten  Ästen. 
Die  Wurzelscheidenanschwellung.     Vergr.  400mal. 

Fig.  26.  Geflecht  von  Endplatten  im  konischen  Körper  gelegen.  V,  zick- 
zackförmige,  wie  in  den  Schaltapparaten,  Strecke  des  Achsencylinders  der  mark- 
haltigen Äste.  0,  Ast,  der  sich  nacli  oben  in  die  subpapilläre  Schicht  begibt. 
Vergr.  400mal. 

Fig.  27.  Zwei  verzweigte  Endplatten,  die  dem  Boden  der  Talgdrüsen  an- 
liegen.    Vergr.  400mal. 

Fig.  28.  Lamellöse  Endplatten  an  der  Wurzelscheidenanschwellung.  Vergr. 
400mal. 

Fig.  29.  Reihe  von  Endplatten,  die  im  konischen  Körper  von  der  Wurzel- 
scheidenanschwellung bis  zu  den  Talgdrüsen  reicht.  A,  Endplatten,  die  im  koni- 
schen Körper  liegen;  B,  Endplatten  an  der  Wurzelscheidenanschwellung;  die- 
selben  sind   dichotomisch   verästelt.      Vergr.  400mal. 


416  D.  Tretjakoff,,  Die  Xervenendigungen  an  den  Sinushaaren  des  Rindes. 

Fig.  30.  Querschnitt  der  Haut  der  nicht  behaarten  Stelle  der  Schnauze 
des  Rindes.  E,  Epithelleiste;  K,  eingekapseltes  Körperchen;  N,  Nervenfasern 
unterhalb  der  Epithelleisten;  P,  intraepitheliales  Geflecht  um  die  MERKELschen 
Körperchen;  S,  vom  Geflecht  entspringende  intraepitheliale  Nervenf ädchen , 
die  wie  die  gewöhnlichen  intraepithelialen  Nerven  zwischen  den  Zellen  der  Mal- 
PiGHischen  Schicht  verlaufen.     Vergr.  600mal. 

Sämtliche  Zeichnungen  auf  den  Tafeln  XV — XVIII  sind  Präparaten  ent- 
nommen, die  mit  Methylenblau  intra  vitam  gefärbt  worden  sind.  Sie  stellen 
ausschließlich  die  Nervengebilde  in  der  Schnauze  des  Rindes  dar. 


! 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen. 

Von 


Zahnarzt  Kurt  Bedau 

aus  Magdeburg. 


(Aus  dem  Zoologischen  Institut  der  Universität  Leipzig.) 


Mit  5  Figuren  im  Text  und  Tafel  XIX— XX. 

Inhalt. 

Seite 

Material  und  Technik 418 

I.  Morphologischer  Teil 420 

A.  Der  Bau  des  Facettenauges  der  Wasserwanzen 420 

1.  Notonecta  glauca 420 

2.  Banatra  linearis 428 

3.  Hydrometra  'palustris 431 

4.  Nepa  cinerea'      434 

5.  Naucoris  cimicoides 436 

6.  Corixa   Geoffroyi 438 

B.  Die  Innervation  der  Retinula  und  die  Ganglien 440 

II.  Physiologisch-biologischer  Teil:    Die  Funktion  der  im  morphologischen 

Teile  beschriebenen  Facettenaugen  und  ihre  biologische  Bedeutung  .    .  446 

Hauptergebnisse 453 

Literaturverzeichnis 454 

Erklärung  der  Abbildungen 455 


Die  vorliegende  Arbeit  wurde  im  zoologischen  Institut  der  Uni- 
versität Leipzig  angefertigt.  Es  sei  mir  gestattet,  meinem  hochver- 
ehrten Lehrer,  Herrn  Geheimrat  Professor  Dr.  C.  Chun,  auf  dessen 
Anregung  und  unter  dessen  Leitung  diese  Arbeit  entstand,  meinen 
verbindlichsten  Dank  auszusprechen  für  die  Liebenswürdigkeit,  mit  der 
er  mir  bei  meinen  Untersuchungen  ratend  und  helfend  zur  Seite  ge- 
standen hat.  In  gleicher  Weise  bin  ich  zu  bestem  Danke  verpflichtet 
den  Herren  Professoren  0.  zur  Strassen  und  R.  Woltereck  und 
dem  Herrn  Privatdozenten  Dr.  med.  et  phil.  0.  Steche. 


Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  28 


418  Kurt  Bedau, 


Material  und  Technik. 

Das  Material  habe  ich  in  der  näheren  und  weiteren  Urnsebung 
von  Leipzig  in  der  Hauptsache  im  Sommer  1908  gesammelt.  Noto- 
necta  glauca,  Hydrometra  'palustris,  Nepa  cinerea,  Naucoris  cimicoides 
und  Corixa  Geoffroyi  ließen  sich  mühelos  beschaffen;  Ranatra  linearis 
zu  finden,  bot  Schwierigkeiten.  Schließlich  gelang  es  mir  aber  doch, 
vier  Exemplare  der  gesuchten  Art  in  der  Nähe  von  Grimma  zu  fangen. 

Zum  Konservieren  meines  Materiales  habe  ich  vier  verschiedene 
Flüssigkeiten  angewandt:  70%  igen  i\_lkohol,  Chromosmiumessig- 
säure, ein  Gemisch  von  Pikrinsäure,  gesättigt  in  kochendem  destil- 
liertem Wasser,  und  von  Sublimat,  ebenfalls  in  gesättigter  Lösung 
zu  gleichen  Teilen,  wie  es  Rabl  angegeben  hat,  und  endlich  ein  Ge- 
misch von  15  Teilen  96%igem  Alkohol,  30  Teilen  destilliertem  Wasser, 
6  Teilen  konzentrierten  Formols  und  2  Teilen  Eisessigs.  Mit  dem 
zuletzt  angeführten  Konservierungsmittel  habe  ich  die  besten  Resultate 
erreicht.  Alkohol  härtete  die  Objekte,  Chromosmiumessigsäure  färbte 
sie  auffallend  dunkel,  zuweilen  fast  schwarz,  und  die  von  Rabl  ange- 
gebene Konservierungsflüssigkeit  war  für  feine  histologische  Studien 
nicht  sonderlich  geeignet. 

Ehe  ich  die  gefangenen  Tiere  in  die  Konservierungsflüssigkeit 
legte,  habe  ich  —  um  ein  schnelleres  Eindringen  des  konservieren- 
den Mittels  in  das  Objekt  zu  ermöglichen  —  in  das  Chitin  des  Thorax 
und  Abdomens  mit  einer  Nadel  eingestochen.  In  der  Konservierungs- 
flüssigkeit habe  ich  die  Präparate   6 — 12  Stunden  liegen  lassen. 

Das  harte  Chitin  bot  dem  Messer  des  Mikrotoms  einen  außerordent- 
lich großen  Widerstand.  Herrn  Zahnarzt  F.  Carls  in  Leipzig  habe 
ich  es  zu  danken,  daß  ich  die  hieraus  resultierenden  technischen  Schwie- 
rigkeiten nach  einigem  Experimentieren  leicht  überwand.  Es  ist  mir 
eine  angenehme  Pflicht,  meinem  lieben  Kollegen  Carls  auch  an  dieser 
Stelle  meinen  herzlichsten  Dank  auszusprechen  für  den  mir  gegebenen 
Rat.  Da  das  Chitinschneiden  von  jeher  bei  der  Anfertigung  mikrosko- 
pischer Präparate  Schwierigkeiten  bereitet  hat,  sei  es  mir  gestattet, 
die  von  Carls  angegebene,  im  zoologischen  Institut  der  Universität 
Rostock  bereits  mit  Erfolg  angewandte,  aber  bislang  noch  nicht  ver- 
öffentlichte und  von  mir  nur  wenig  modifizierte  Methode  eingehend 
zu  besprechen:  Aus  der  Konservierungsflüssigkeit  bringt  man  die 
Objekte  in  70%igen  Alkohol,  wäscht  sie  in  diesem  gut  aus  und  läßt 
sie  in  ihm  6  Stunden  liegen.     Vom  70%igen  Alkohol  führt  man  die 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  419 

Präparate  über  in  Seifenspiritus,  wie  er  in  jeder  Apotheke  zu  kaufen 
ist.  In  Seifenspiritus  habe  ich  meine  Objekte  24 — 48  Stunden  auf- 
bewahrt. Seifenspiritus  hat  die  Wirkunii;  von  Eau  de  Javelle  und 
Eau  de  Labarraque,  er  erweicht  das  Chitin.  Im  Gegensatz  zu  den  beiden 
andern  Chitin  erweichenden  Flüssigkeiten  hat  er  den  großen  Vorzug, 
die  Gewebe  nicht  anzugreifen.  Zellplasma,  Zellkerne,  Tracheen,  Nerven, 
kurz,  alles  bleibt  wohl  erhalten  mit  Ausnahme  des  Fettgewebes,  das 
bei  der  Behandlung  mit  Seifenspiritus  nach  meiner  Erfahrung  leidet. 

Wenn  ich  meine  Objekte  je  nach  der  Härte  und  Stärke  des  Chitins 
24 — 48  Stunden  in  Seifenspiritus  liegen  ließ,  so  ergibt  sich  hieraus  von 
selbst,  daß  Präparate  mit  schwächerem  Chitin  ungleich  kürzere  Zeit 
in  der  genannten  Flüssigkeit  aufzubewahren  sind. 

Vom  Seifenspiritus  führte  ich  die  Objekte  über  in  70%igen  Alkohol. 
In  diesem  präparierte  ich  den  Kopf  des  Tieres  vom  Thorax  ab,  nach- 
dem ich  zuvor  unter  der  binoculären  Lupe  den  Genitalapparat  des 
betreffenden  Tieres  freigelegt  und  mit  Sicherheit  das  Geschlecht  des 
Tieres  bestimmt  hatte.  Im  70%igen  Alkohol  ließ  ich  das  Präparat 
6  Stunden  liegen,  dann  brachte  ich  es  in  96%igen  und  hierauf  in 
100%igen.  Im  96%igen  wie  im  absoluten  Alkohol  bewahrte  ich  das 
Objekt  6  Stunden  auf.  Dann  kam  es  in  ein  Gemisch  von  100%igem 
Alkohol  und  Cedernholzöl  zu  gleichen  Teilen  und  danach  in  reines 
Cedernholzöl.  In  jeder  dieser  Flüssigkeiten  ließ  ich  das  Präparat 
24  Stunden  liegen.  Benzol  und  Xylol  habe  ich  beim  Überführen  der 
Objekte  nie  verwandt,  da  sie  in  diesen  Flüssigkeiten  härten.  Vom  reinen 
Cedernholzöl  brachte  ich  die  Präparate  in  Cedernholzöl  +  40grädiges 
Paraffin  und  hierauf  in  Cedernholzöl  +  58grädiges  Paraffin,  jedesmal 
auf  24  Stunden.  Schließlich  führte  ich  das  Präparat  über  in  reines 
geschmolzenes  60grädiges  Paraffin  und  ließ  es  3 — 4  Stunden  im  Ther- 
mostaten stehen.  In  dieser  relativ  kurzen  Zeit  drang  das  Paraffin  in 
die  sorgfältig  vorbereiteten  Objekte  vollkommen  ein  und  verhütete  — 
was  eintritt,  wenn  man  die  Präparate  längere  Zeit  in  flüssigem 
60srädio;em  Paraffin  läßt  —  das  Hartwerden  derselben.  Die  so  behau- 
delten  Objekte  boten  dem  Messer  des  Mikrotoms  minimalen  Wider- 
stand, und  es  ließen  sich  leicht  5  und  3  /<  starke  Schnitte  anfertigen. 
Ein  Überziehen  derselben  mit  Mastixkollodium  vor  dem  Auffangen 
war  nicht  erforderlich.     Meistens  schnitten  sich  sogar  »Bänder«. 

Zum  Färben  meiner  Präparate  habe  ich  angewandt  Eisenfärbung 
nach  Heihendain  und  Hämalaun,  bzw.  Hämalaun  mit  einer  Nach- 
färbung mit  Eosin.  Die  Eisenfärbung  nach  Hetdenhain  ist  für  Kern- 
färbung   vortrefflich,    zeigte    aber   bei   meinen   Objekten   zwei   große 

28* 


420  Kurt  Bedau, 

Nachteile.  Einerseits  schwärzte  es  die  Präparate  intensiv,  anderseits  ver- 
änderte es  die  Farbe  des  Pigments.  Die  Hämalaunfärbung  bewährte 
sich  —  auch  was  die  Kerne  anbetrifft !  —  ganz  vorzüglich.  Eine  Nach- 
färbung mit  Eosin  wandte  ich  nur  an,  wenn  es  mir  darauf  ankam, 
Plasmastrukturen  in  ihren  Details  zu  untersuchen. 

Zum  Entpigmentieren  benutzte  ich  zwei  Flüssigkeiten:  150,00  Aqu. 
dest.,  Acidi  muriatici,  Acidi  nitrici  aa  3,0,  ein  Gemisch,  wie  es  Rosen- 
stadt 1896  angegeben  hat,  und  ein  Gemisch  von  2  Teilen  96%igen 
Alkohol  und  1  Teil  Glyzerin  mit  geringerem  oder  stärkerem  Zusatz 
von  Salpetersäure.  Die  erstgenannte  Entpigmentierungsflüssigkeit 
wandte  ich  an,  wenn  das  Pigment  nicht  sehr  resistent  war  —  so  z.  B. 
bei  Tieren,  die  kurze  Zeit  nach  der  Häutung  gefangen  waren,  und  durch- 
weg bei  Hydrometra  palustris  —  oder  wenn  es  nur  zum  Teil  zerstört 
werden  sollte.  In  all  den  andern  Fällen  benutzte  ich  die  an  zweiter 
Stelle   angeführte    Entpigmentierungsflüssigkeit. 

I.  Morphologischer  Teil. 

A.    Der  Bau  des  Facettenauges  der  im  Wasser  lebenden  Hemipteren. 

1.   Notonecta  glauca. 

Von  fundamentaler  Bedeutung  für  die  Kenntnis  der  Facetten- 
augen der  Arthropoden  und  Crustaceen  sind  in  morphologischer 
Hinsicht  die  im  Jahre  1879  erschienenen  »Untersuchungen  über  das 
Sehorgan  der  Arthropoden,  insbesondere  der  Spinnen,  Insekten  und 
Crustaceen  ^<  Grenachehs  und  in  physiologischer  Beziehung  die  1891 
erschienene  »Physiologie  der  facettierten  Augen  von  Krebsen  und 
Insekten«  Exners.  Grenacher  miterscheidet  folgende  drei  Gruppen 
von  Facettenaugen:  1)  »Acone  Augen,  d.  h.  solche,  in  welchen  Kristall- 
kegel nicht  nachzuweisen  sind,  sondern  diese  zeitlebens  durch  typische 
Zellen  vertreten  werden«;  2)  »Pseudocone  Augen,  d.  h.  solche,  bei 
welchen  zwar  ein  besonderes  kegelförmiges  und  lichtdurchlassendes 
Medium  vorhanden  ist,  das  aber  nicht  mit  den  typischen  Kristall- 
kegeln morphologisch  in  die  gleiche  Linie  gestellt  werden  kann. «  3)  » ,Eu- 
cone  Augen',  mit  echten  Kristallkegeln,  wie  sie  bisher  allen  Facetten- 
augen zugeschrieben  wurden.« 

Zu  den  aconen  Augen  gehören  die  der  Hemipteren.  Von  den 
Wasserwanzen  hat  Grenacher  Notonecta  glauca,  Nepa  und  Ranatra 
untersucht,  von  den  Landwanzen  Pyrrhocoris,  einige  Pentatomiden 
und  Lygaeus.  Nur  von  Notonecta  glauca  gibt  Grenacher  eine  ein- 
gehende Beschreibung,  da  er  bei  all  den  andern  von  ihm  untersuchten 


Das  Facettenaugo  der  Wa«ser\\aii/,oii.  421 

Hemipteren  ihren  Augenbau  mit  dem  von  Notonecta  qlauca  >>bis  auf 
untergeordnete  Differenzen  in  Größe  usw.«  so  übereinstimmend  ge- 
funden hat,  daß  er  sich  einer  eingehenden  Berichterstattung  über  sie 
für  enthoben  hält. 

Aus  doppeltem  Grunde  begann  ich  meine  Facettenaugenstudien 
an  Notonecta  glauca.  Erstens  ließ  sich  das  Material  ohne  jede  Mühe 
beschaffen  —  denn  in  welchem  Teiche  bei  uns  ist  die  Notonecta  nicht 
zu  finden?  —  und  zweitens  —  und  das  war  der  Hauptgrund!  —  hatte 
ich  ja  an  den  GKENACHERschen  Untersuchungen  die  denkbar  beste 
Handhabe,  mich  in  mein  Thema  einzuarbeiten.  Wenn  ich  auch  in  der 
Hauptsache  die  Anschauungen  Grenachers  teile,  kann  ich  doch  nicht 
umhin,  in  einzelnen  Punkten  von  ihnen  abzuweichen,  wie  ich  das  an 
der  Hand  meiner  Untersuchungen  zeigen  werde. 

Betrachtet  man  die  Cornea  von  Notonecta  glauca  bei  schwacher 
Vergrößerung  (siehe  Fig.  1),  so  sieht  sie  plankonvex  aus;  bei  starker 
Vergrößerung  zeigt  sich  jedoch,  daß  die  äußere  Begrenzungslinie  der 
Cornea  nicht  vollkommen  plan  ist,  vielmehr  setzt  sich  diese  scheinbar 
gerade  Linie  auf  dem  Längsschnitt  durch  das  Auge  aus  so  vielen  kon- 
vexen Abschnitten  zusammen,  als  eben  Onmiatidien  angeschnitten  sind 
(s.  Fig.  2).  Die  innere  Begrenzungslinie  ist  stark  konvex.  Die  Cornea- 
linsen,  die  am  Rande  des  Auges  gelegen  sind,  sind  an  ihrer  Außenseite 
rmid,  an  ihrer  Innenseite  eckig,  d.  h.  nur  dort,  wo  sie  an  die  Facetten 
der  benachbarten  Ommatidien  anstoßen.  Alle  andern  Facetten  sind 
regelmäßig  sechseckig.  Ursprünglich  sind  also  die  Corneafacetten 
rund  gewesen,  aber  durch  den  gegenseitigen  Druck,  den  sie  aufeinander 
ausüben,  vnrd  die  polygonale  Form  der  Facetten  hervorgerufen. 

Die  Cornea  ist  aus  zarten,  einzelnen  chitinösen  Lamellen  aufgebaut 
und  läßt  deutlich  zwei  Schichten  unterscheiden,  verschieden  in  Dicke 
und  Tinktions vermögen.  Die  innere  ist  die  dunklere  und  ungefähr  noch 
einmal  so  dick  als  die  äußere,  die  hellere.  Der  Tinktion  entsprechend 
ist  also  die  äußere  Schicht,  was  die  Konsistenz  anbetrifft,  die  härtere. 

Der  inneren,  stark  konvexen  Begrenzungslinie  der  Cornea  liegen 
die  vier  Kristallzellen  eng  an.  Die  Tätigkeit  dieser  Zellen  —  sie  sind 
ja  Hypodermiszellen  —  besteht  in  erster  Linie  darin,  an  der  Außen- 
seite die  Cornea  zu  bilden.  Cornea  und  Kristallzellen  zusammen 
repräsentieren  den  dioptrischen  Apparat  des  Facettenauges. 

Die  vier  Kristallzellen,  für  welchen  Zellkomplex  Carriere  den 
Ausdruck  Vitrella  eingeführt  hat,  sind  eng  aneinander  gelegen  und 
bilden  einen  Kegel.  Die  Basis  dieses  Zellkegels  sitzt  der  konvexen 
Innenseite  der  Cornea  auf  und  die  Spitze  ist  der  Retinula  zugewandt. 


422 


Kurt  Bedau, 


Die  wabenförmige  Struktur  der  Kristallzellen  läßt  sich  an  Präparaten, 
die  mit  Hämalaun-Eosin  gefärbt  sind,  am  besten  erkennen.  Mitten 
in  das  helle  Plasma  der  Kristallzellen  eingebettet  liegen  die  vier  Zell- 
kerne. Diese  sind  kugelig,  führen  reichlich  Chromatin  und  sind  homolog 
den  SEMPERschen  Kernen  im  euconen  Auge. 

Die  vier  Kristallzellen  sind  becherförmig  von  einer  Pigmenthülle 
(s.  Textfig.  1)  umgeben,  die  von  den  beiden  Hauptpigmentzellen  ge- 
bildet wird.  Diese  Hauptpigmentzellen 
sind  nach  Hesse  mit  den  Corneagenzellen 
im  Auge  der  Crustaceen  zu  homologisieren. 
Die  Kerne  der  Hauptpigmentzellen  liegen 
der  Vitrellaspitze  eng  an,  haben  beträcht- 
liche Größe  und  repräsentieren  auf  dem 
Querschnitt  ungefähr  die  Form  einer  Bohne 
(s.  Fig.  3).  Das  Pigment  der  Hauptpig- 
mentzellen ist  intensiv  braun  gefärbt,  und 
die  einzelnen,  sehr  großen,  kugeligen  Pig- 
mentkörner sind  in  regulären  Querreihen 
angeordnet. 

Zwischen  den  einzelnen  Vitrellen  liegen 
die  distalen  Teile  der  spindelförmfgen 
Nebenpigmentzellen.  Die  eine  Spitze  der 
Spindel  liegt  direkt  unter  der  inneren  Be- 
grenzungslinie der  Cornea,  die  andre  unge- 
fähr an  der  Stelle,  an  der  das  erste,  das  distalste  Drittel  derKetinula  sein 
Ende  erreicht  hat.  Die  Kerne  der  Nebenpigmentzellen  sind  oval,  stark 
mit  Chromatin  ausgestattet,  und  liegen  in  derselben  Höhe  wie  die  Kerne 
der  Kristallzellen,  die  weniger  reich  an  chromatischer  Substanz  sind. 
Die  Lage  der  Kerne  der  Vitrella,  der  Haupt-  und  Nebenpigmentzellen 
veranschaulicht  uns  am  besten  ein  Querschnitt  durch  das  Auge,  der 
mit  seinem,  einem  Tapetenmuster  vergleichbaren  Bilde  einen  außer- 
ordentHch  reizvollen  Anblick  darbietet  (s.  Fig.  3).  An  diesem  Quer- 
schnitt erkennt  man  auch  deutlich,  daß  die  Nebenpigmentzellen  inter- 
stitiell sind.  Jedes  Ommatidium  wird  von  18  Nebenpigmentzellen 
umgeben,  von  denen  aber  zwölf  je  zwei  benachbarten  Ommatidien 
angehören  und  die  übrigen  sechs  je  drei  benachbarte  Ommatidien  be- 
grenzen. 

Dem  dioptrischen  Apparate,  der  sich  aus  der  lamellös  aufgebauten, 
chitinösen  und  deutlich  zwei  Schichten  zeigenden  Cornea  und  der  plas- 
matischen Vitrella  mit  ihrer  becherförmigen  Pigmenthülle  zusammen- 


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Textfig.  I. 
Pigmeuthülle  der  Vitrella  von  Noto- 
nccta  glauca.  S.  III,  1.  1/12  Immers. 


Das  Fiicettenauge  der  Wasserwanzen.  423 

setzt,  grenzen  die  percipierenden  Elemente  eng  an:  die  Ommen,  die  in 
ihrer  Gesamtheit  die  Retinula  ausmachen,  die  »Nervenbündelschicht« 
und  das  erste  (periphere),  zweite  und  dritte  (centrale)  Opticusganglion. 
Jedes  Omnia  besteht  aus  acht  Sehzellen.  Grenacher  hat  bei 
Notonecta  glauca  deren  nur  sieben  nachzuweisen  vermocht.  Von  Arthro- 
podenfacettenaugen  mit  acht  Sehzellen  in  jedem  Omma  waren  ihm 
nur  die  der  Hymenopteren  und  Cicaden  bekannt.  Auf  das  Vorhanden- 
sein von  acht  Sehzellkernen  macht  Claparede  in  seiner  >>  Morphologie 
der  zusammengesetzten  iVugen  bei  den  Arthropoden«  im  Jahre  1859 
zum  erstenmal  in  der  Literatur  aufmerksam:  >> Gleichwohl  ist  bei 
Sphinx  euphorbiae  der  Ursprung  des  Nervenstabes  aus  mehreren  Zellen 
an  einer  Ansammlung  von  Kernen  zu  erkennen,  die  etwas  oberhalb 
von  der  prismatischen  Anschwellung  regelmäßig  angetroffen  werden. 
Diese  Kerne  sind  acht  an  der  Zahl,  wie  man  es  bei  starker  Vergrößerung 
mit  Sicherheit  erkennen  kann.«  Die  Ansicht,  daß  die  Achtzahl  der 
Sehzellen  in  jedem  Omma  die  ursprüngliche  ist  und  daß  die  Siebenzahl 
—  wie  sie  Grenacher  und  Carriere  mit  nur  wenigen  Ausnahmen 
angeben  —  durch  Rudimentärwerden  der  achten  Zelle,  durch  Reduk- 
tion, zustande  kommt,  bricht  sich  mehr  und  mehr  Bahn.  Nachdem 
es  Hesse  gelungen  ist,  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Arthropoden  die 
Achtzahl  der  Sehzellen  in  jedem  Omma  mit  Sicherheit  festzustellen, 
kommt  er  schließlich  zu  dem  Satze,  daß  »weiteres  Suchen  noch  mehr 
Anhaltspvmkte  dafür  bringt,  daß  die  Achtzahl  der  Sehzellen  die  ur- 
sprüngliche ist,  die  Siebenzahl  auf  Reduktion  beruht «.  (Untersuchungen 
über  die  Organe  der  Lichtempfindung  bei  niederen  Tieren.  VIL  Von 
den  Arthropodenaugen.  1901.)  Daß  Hesse  die  Verhältnisse  richtig 
beurteilt,  geht  zunächst  aus  den  7  Jahre  später  erscheinenden  »Unter- 
suchungen über  die  Augen  pentamerer  Käfer«  Kirchhoffers  hervor, 
der  zu  dem  Resultate  kommt :  »Die  Retinula  besteht  aus  acht  Sehzellen. « 
Nur  ein  Jahr  später  erscheinen:  »Die  Facettenaugen  der  Dipteren« 
Dietrichs  und  bestätigen  die  Behauptung  Hesses  und  Kirchhoffers 
vollauf.  Durch  meine  Untersuchungen  an  Notonecta  glauca  —  wie  an 
den  andern  von  mir  untersuchten  im  Wasser  lebenden  Wanzen,  was 
später  noch  auszuführen  sein  wird  —  dürften  die  Angaben  Hesses, 
Kirchhoffers  und  Dietrichs  eine  weitere  Stütze  finden.  Zu  der 
gleichen  Zeit,  als  ich  diese  Untersuchungen  im  Zoologischen  Institut 
der  Universität  anstellte,  studierte  W.  Johnas  ebendaselbst  den  Bau 
der  Facettenaugen  der  Lepidopteren.  Auch  Johnas  erkennt  die  Acht- 
zahl der  Retinulazellen  im  allgemeinen  an,  vermag  jedoch  in  drei  Fällen 
die  interessante  Tatsache  nachzuweisen,  daß  Ommen  mit  sogar  zehn 


424 


Kurt  Bedau, 


Sehzellen    vorkommen,    nämlich    bei    Lycaena    icarus,    Chrysophanus 
hippothoe  imd  Botis  verticalis. 

Geenacher  hat  bei  Notonecta  glauca  sieben  Sehzellen  in  jedem 
Omma  nachgewiesen,  von  denen  sechs  im  Kreise  um  die  siebente  stehen. 
In  der  Tat  sind  sechs  Sehzellen  ungefähr  kreisförmig  angeordnet.  Der 
Kreis  ist  jedoch  nicht  ganz  geschlossen.  In  der  Mitte  dieses  an  einer 
Stelle  offenen  Kranzes  der  sechs  Sehzellen  stehen  zwei  weitere,  die  von 
unten  her,  von  der  Basalmembran  aus,  sich  in  die  oberen  einschieben. 

Die  Basalmembran  oder  Membrana  fenestrata,  die  aus  der  Basal- 
membran der  embryonalen  Hypodermiszellen 
hervorgegangen   ist,    liegt   der  Cornea   genau 
konzentrisch,  grenzt  die  Retinula  gegen  den 
Ganglienapparat  ab  und  ist  für  den  Durchtritt     ^ 


Textfig.  2.  Textfig.  3. 

Querschnitt    diireh    die   Unimatidien   von   Notonecta   glauca   in     Querschnitt   durch  ein  Omniati- 


Höhe  «  von  Fig.  2,    S.  I,  1/12  Immers. 


dium  von  Notonecta  glauca  in  Höhe 
a,  b  und  c  von  Fig.  2.     L.  III,  7. 


der  Nerven,  die  vom  Ganglion  kommen  und  in  die  Ommatidien  gehen, 
mit  feinen  Löchern,  Foramina  membranae  fenestratae,  versehen. 

Die  sechs  oberen  Sehzellen  sind  morphologisch  nicht  gleichwertig. 
Die  größten  sind  die  »Torzellen«,  d.  h.  die  Zellen,  die  an  den  Enden 
des  offenen  Kranzes  stehen.  Die  nächst  größten  sind  die  Nachbar- 
zellen und  die  kleinsten  demzufolge  die  den  »Torzellen«  gegenüber- 
stehenden (Textfig.  2).  Auch  die  sich  von  unten  her  einschiebenden 
Zellen  sind  nicht  gleichwertig  (vgl.  Textfig.  3).  Das  Rhabdomer  der 
siebenten  Zelle  reicht  distal  fast  bis  zum  Beginn  der  Retinula;  der 


l)a«<  FacfltiMUiugc  ilcr  Was.-^i'rwanzon.  425 

pigmentierte  Teil  der  Zelle  ist  nicht  so  iiut  entwickelt.  Die  achte  Zelle 
trägt  noch  stärkere  Zeichen  der  Rudimentation.  Sie  ist  auffallend 
klein.  Immerhin  lassen  sich  auch  an  ihr  noch  deutlich  die  zwei  für  die 
Sehzellen  des  aconen  Facettenauges  typischen  Teile  unterscheiden: 
der  pigmentierte  und  pigmentfreie  Teil  oder  der  Rhabdomerträger 
und  das  Rhabdomer  selbst. 

Im  pigmentierten  Teil  jeder  Sehzelle  liegt  der  Zellkern.  Die  Seh- 
zellkerne haben  ovale  Form,  sind  relativ  groß,  führen  reichlich  Chro- 
matin und  lassen  sich  auf  Quer-  imd  Längsschnitten  leicht  nachweisen, 
sofern  die  Präparate  für  diesen  Zweck  genügend  entpigmentiert  sind 
(s.  Fig.  2).  Noch  besser  sichtbar  sind  die  Kerne  im  »Dunkelauge«, 
um  den  Ausdruck  Exners  zu  gebrauchen.  Das  Dunkelauge,  dessen 
Mitte  der  Retinula  frei  von  jedem  Pigment  ist  —  von  »Dunkel-  und 
Lichtauge  <<  wird  später  noch  eingehend  gesprochen  werden  — ,  zeigt  die 
acht  Sehzellkerne  in  aller  Deutlichkeit.  Sechs  dieser  Kerne  liegen  der 
Cornea  zu  und  zwei  —  und  das  sind  die  Kerne  der  Zellen,  die  sich  von 
der  Membrana  fenestrata  aus  in  den  oberen  Kranz  der  andern  Seh- 
zellen einschieben  —  der  Basalmembran  zu. 

Grenacher  hat  also  die  allerdings  Zeichen  der  Rudimentation 
tragende  achte  Sehzelle  übersehen.  Desgleichen  hat  er  nicht  beobachtet, 
daß  die  Ommen  im  dorsalen  Teil  des  Auges  anders  angeordnet  sind 
als  im  ventralen.  Im  dorsalen  Teil  liegt  das  »Tor«  proximal-dorsal 
und  im  ventralen  Teil  proximal-ventral,  also  gerade  entgegengesetzt, 
so  daß  wir  es  mit  zwei  spiegelbildlich  gleichen  Hälften  zu  tun  haben. 
Eine  der  eben  besprochenen  ähnliche  asymmetrische  Anordnung  der 
Sehzellen  jedes  Ommas  im  dorsalen  und  ventralen  Teil  des  Auges  hat 
zuerst  Dietrich  beschrieben.  Als  er  in  seiner  Arbeit  auf  die  bei 
den  Dipteren  »konstante  asymmetrische«  Anordnung  der  Sehzellen 
jedes  Ommas  —  ich  habe  sie  nur  bei  Notonecta  glauca  konstatieren 
können  —  zu  sprechen  kommt,  gibt  er  seiner  Verwunderung  dar- 
über Ausdruck,  daß  das  von  ihm  zuerst  erwähnte  Faktum  noch  nicht 
eher  in  der  Literatur  betont  worden  sei.  Ich  kann  Dietrich  in  dieser 
Beziehung  nur  beistimmen,  denn  auch  bei  Notonecta  glauca  ist  es  wie 
bei  den  Dipteren,  »ein  Moment,  das  sich  beim  Studium  der  Retinula 
geradezu  aufdrängt«.  Der  asymmetrischen  Anordnung  der  Ommen 
im  ventralen  und  dorsalen  Teil  des  Auges  möchte  ich  eine  Bedeutung 
in  physiologischer  Hinsicht  nicht  beimessen.  Auch  ich  sehe  —  wie 
Dietrich  —  diese  asymmetrische  Anordnung  an  als  das  zufällige 
Resultat  organogenetischer  Prozesse. 

Weist  die  asymmetrische  Anordnung  der  Ommen  im  dorsalen  und 


426  Kurt  Bedau, 

ventralen  Teil  des  Auges  schon  auf  eine  Differenzierung  des  Notonecta- 
Auges  in  ein  Doppelauge  hin,  so  sind  hierfür  noch  drei  weitere  Belege 
anzuführen,  die  sich  aus  einem  Längsschnitt  durch  das  Auge  (s.  Fig.  1) 
sozusagen  ablesen  lassen,  bislang  aber  in  der  Literatur  nicht  konstatiert 
worden  sind,  selbst  von  Gren acher  nicht.  Im  dorsalen  Teil  des  Auges 
zeigt  das  Pigment  der  Nebenpigmentzellen  eine  typisch  braune  Farbe, 
im  ventralen  eine  intensiv  purpurrote.  Eine  scharfe  Grenze  zwischen 
den  beiden  Teilen  zu  ziehen,  ist  nicht  möglich,  im  Gegenteil,  das  braune 
Pigment  geht  ganz  allmählich  in  das  purpurrote  über.  Das  Pigment 
der  Zellen,  die  mit  ihren  Kernen  der  Membrana  fenestrata  direkt  auf- 
sitzen, ist  im  dorsalen  Teil  des  Auges  viel  spärlicher  vorhanden  als 
im  ventralen.  Aber  auch  hier  lassen  sich  die  beiden  voneinander  ver- 
schiedenen Bezirke  nicht  abgrenzen.  Drittens  endlich  stehen  die  Omma- 
tidien  im  dorsalen  Teil  des  Auges  viel  weiter  auseinander  als  im  ventralen. 
Der  ventrale  Teil  des  Notonecta- Auges  ist  also  anders  differenziert  als 
der  dorsale,  und  zwar  im  männlichen  wie  im  weiblichen  Geschlecht. 
Wie  bei  Notonecta  glauca,  so  habe  ich  auch  bei  keiner  andern  Wasser- 
wanze irgend  einen  —  auch  nicht  den  kleinsten  —  Unterschied  finden 
können  zwischen  dem  Auge  des  Männchens  und  dem  des  Weibchens. 
Die  Frage,  weshalb  hat  der  dorsale  Teil  des  Notonecta- Anges  seine  Cha- 
raktere gewahrt  und  weshalb  ist  der  ventrale  Teil  differenziert,  soll  mit 
allen  ihren  Nebenfragen  im  physiologisch-biologischen  Teil  dieser  Arbeit 
ihre  Antwort  finden. 

Ln  Längsschnitt  betrachtet,  repräsentiert  das  Notonecta-Omma,  die 
Form  einer  Keule.  Die  kolbenförmige  Verdickung  des  Ommas  liegt 
der  Spitze  des  Kristallzellengebildes  eng  an.  Proximal  verjüngt  sich 
das  Omma,  läuft  aber  nicht  etwa  direkt  spitz  zu,  sondern  sitzt  in 
immerhin  noch  ziemlich  breitem  Umfange  der  Basalmembran  auf. 
Die  Ommen  sind  der  ganzen  Länge  nach  stark  pigmentiert.  Be- 
sonders intensiv  ist  die  Pigmentanhäufung  nahe  der  Vitrella  und 
nahe  der  Membrana  fenestrata.  Der  mittlere  Teil  der  Retinula  ist 
nicht  so  stark  pigmentiert.  Dieses  Faktum  findet  leicht  seine  Er- 
klärung. Die  sechs  oberen  Sehzellen  sind  an  ihrem  distalen  Ende  am 
stärksten,  folglich  muß  auch  hier  die  Pigmentanhäufung  beträchtlich« 
sein.  In  die  oberen  sechs  Sehzellen  schieben  sich  von  unten  her,  von 
der  Basalmembran  aus,  die  beiden  andern  Sehzellen  ein.  Diese  sind 
in  ihrem  proximalen  Teil  am  besten  entwickelt,  demzufolge  direkt 
oberhalb  der  Membrana  fenestrata  eine  starke  Pigmentanhäufung.  Das 
intracelluläre  Pigment  der  Sehzellen  ist  feinkörnig.  Das^  Pigment  der 
Nebenpigmentzellen  und  der  Zellen,  die  mit  ihren  Kernen  der  Basal- 


Das  Facettenauge  tler  Wasserwanzen.  427 

membran  eng  aufliegen,  ist  grobkörniger  als  das  intracelluläre  Retinula- 
pigment,  aber  auch  noch  feinköinig  im  Verhältnis  zu  dem  Pigment 
der  Hauptpigmentzellen. 

Außer  dem  Pigment  habe  ich  iniieilialb  der  Retinula  noch  eine 
außerordentlich  große  Zahl  von  unregelmäßig  geformten,  bald  größeren, 
bald  kleineren  Körpern  nachweisen  können.  Diese  Körper  färben  sich 
mit  Eisenfärbung  nach  Heidenhain  intensiv  schwarz  und  sind  in 
hohem  Grade  lichtbrechend.  Allem  Anschein  nach  handelt  es  sich  — 
dieser  Ansicht  ist  auch  Grenacher  —  um  Fettansammlungen. 

Die  Neben-  und  Retinapigmentzellen,  bilden  regelrechte  Scheiden 
um  die  einzelnen  Ommatidien,  so  daß  jedes  Omma  nur  von  dem  ihm 
zugehörigen  Kristallzellengebilde  Licht  empfangen  kann  und  das 
Zustandekommen  eines  Appositionsbildes  gesichert  ist.  Ob  im  aconen 
Auge  der  Wasserwanzen  unter  Umständen  auch  Superpositionsbilder 
entstehen  können,  darüber  soll  im  letzten  Kapitel  dieser  Arbeit  ge- 
sprochen werden. 

Zwischen  den  Pigmentscheiden  der  einzelnen  Ommatidien  ist  im 
proximalen  Teil  der  Retinula  —  im  distalen  und  zwischen  den  Vitrellen 
nicht  —  eine  größere  Zahl  von  Tracheen  nachweisbar.  Diese  Tracheen 
entstammen  den  Tracheenästen,  die  sich  in  dem  Raum  zwischen  der 
Membrana  fenestrata  und  der  Ganglienzellkernschicht  des  peripheren 
oder  ersten  Opticusganglion,  in  der  sogenannten  »  Nervenbündelschicht «, 
in  großer  Zahl  und  reicher  Verzweigung  ausbreiten.  Die  Tracheen 
müssen,  um  zwischen  die  einzelnen  Ommatidien  zu  gelangen,  durch 
die  Basalmembran  in  das  Auge  im  engeren  Sinne  distal  eintreten. 
Mir  ist  es  jedoch  nicht  möglich  gewesen,  eine  solche  Durch trittsstelle 
einer  Trachee  durch  die  Membrana  fenestrata  in  die  Retinula  nach- 
weisen zu  können.  »Ihr  (der  Tracheen)  Durchtritt  durch  die  Membran  <<, 
so  führt  Dietrich  aus,  »ist  nur  an  wenigen  Stellen  zu  beobachten,  und 
dabei  zeigt  sich,  daß  sie  unmittelbar  danach  ihrer  Chitinspirale  ver- 
lustig gehen  und  daß  nur  eine  äußerst  dünne  Lamelle  wie  ein  Hand- 
el o 

Schuhfinger  vorwärts  geschoben  wird. «  Während  sich  unterhalb  der 
Basalmembran  an  den  Tracheen  stets  die  drei  für  sie  typischen 
Bestandteile  unterscheiden  lassen,  Hülle,  Kern  und  Chitinspirale,  sind 
an  den  Tracheen  innerhalb  der  Retinula  —  wie  bei  den  Dipteren  — 
Chitinspiralen  nicht  zu  beobachten.  Wenn  auch  die  zwischen  den 
einzelnen  Ommatidien  gelegenen  Tracheen  nicht  regelmäßig  angeordnet 
sind  —  für  viele  Arthropoden  ist  das  Gegenteil  bekannt  — ,  so  möchte 
ich  doch  der  Ansicht  Grenachers  nicht  beipflichten,  der  auf  eine 
Besprechung  der  Tracheen  iimerhalb  des  Auges  nicht  eingeht,  weil 


428  Kurt  Bedau, 

»sie  mit  dem  Sehorgan  als  solchem  direkt  nichts  zu  tun  haben  und 
ihr  Vorkommen  und  Verhalten  äußerst  wechselnd  ist<<.  Da  die  Tra- 
cheen in  mehr  als  einem  Punkte  für  das  Auge  von  Bedeutung  sein 
können,  werde  ich  auf  das  unregelmäßige  und  relativ  spärliche  Vor- 
kommen von  Tracheen  im  Auge  von  Notoneda  —  wie  auch  der  andern 
noch  zu  beschreibenden  Hemipteren  —  im  physiologisch-biologischen 
Teile  dieser  Arbeit  ausführlich  zurückkommen. 

2.  Ranatra  linearis. 

Bei  der  Beschreibung  des  Auges  von  Notonecta  ghuca  sagte  ich 
schon,  daß  Grenacher  außer  der  eben  genannten  Wasserwanze  auch 
noch  Ranatra  und  Nepa  untersucht  hat,  aber  den  Bau  dieser  drei 
Augen  bis  auf  »untergeordnete  Differenzen  in  Größe  usw.<<  so  über- 
einstimmend gefunden  hat,  daß  er  nur  das  Auge  von  Notonecta  glauca 
eingehend  schildert.  Da  ich  bei  meinen  Untersuchungen  dieser  drei 
Augen  zu  dem  Ergebnis  gelangte,  daß  sie  durchaus  nicht  nur  in  unter- 
geordneten Merkmalen  sich  unterscheiden,  möchte  ich  zunächst  das 
Auge  von  Ranatra  linearis  eingehend  beschreiben. 

Betrachten  wir  das  eben  genannte  Auge  auf  einem  Längsschnitt, 
so  fällt  uns  zunächst  die  fast  kugelige  Form  dieses  Auges  auf  (s.  Fig.  4). 
Die  beiden  Kugelhälften  sind  streng  voneinander  zu  scheiden.  Der 
dorsale  Teil  des  Auges  ist  bei  weitem  größer  als  der  ventrale.  Im 
dorsalen  Teil  sind  die  Ommatidien  dicht  aneinander  gedrängt,  während 
sie  im  ventralen  Teil  relativ  weit  auseinander  stehen.  Das  Pigment 
der  Nebenpigmentzellen  im  dorsalen  Teil  zeigt  eine  typisch  gelbe  Farbe, 
im  ventralen  ist  es  purpurrot. 

Das  Pigment  der  Zellen,  die  das  Ketinapigment  führen,  ist  im 
dorsalen  Auge  in  viel  reicherem  Maße  vorhanden  als  im  ventralen. 
Während  sich  bei  Notonecta  glauca  der  dorsale  Teil  des  Auges  vom 
ventralen  nicht  streng  abgrenzen  läßt,  kann  man  im  Auge  von  Ranatra 
linearis  eine  scharfe  Scheide  zwischen  Dorsal-  und  Ventralteil  ziehen. 
Das  Auge  von  Ranatra  ist  ein  typisches  Doppelauge.  Das  Dorsalauge 
ist  bei  weitem  mehr  differenziert  als  das  Ventralauge,  also  gerade 
entgegengesetzt  den  Verhältnissen  im  Notonecta- Auge,  in  dem  der  ven- 
trale Teil  besser  differenziert  ist  als  der  dorsale.  Eine  Erklärung  für 
dies  eben  beschriebene  und  so  seltsam  klingende  Faktum  werde  ich 
im  physiologisch-biologischen  Teil  meiner  Arbeit  geben. 

Ein  zweites  Moment,  das  sich  jedem,  der  sich  überhaupt  je  mit 
dem  Studium  des  Facettenauges  beschäftigt  hat,  geradezu  aufdrängen 
muß,  ist  das  Verhalten  der  Pigmentzellen,  die  direkt  oberhalb  der  Basal- 


Das  Facettenauge  der  Wassei\\;iiizcMi.  429 

membran  liegen.  Während  sie  im  Auge  von  Notonecta  der  ganzen 
Länge  des  Auges  der  Membrana  fenestrata  mit  ihren  Kernen  aufliegen, 
ist  dies  bei  Ranatra  nicht  der  Fall.  Die  Retinapigmentzellen  sitzen 
der  Basalmembran  dorsal  und  ventral  nur  ein  Stück  auf,  dann  aber 
weichen  sie  in  einer  gegen  die  Membran  offenen  Kurve  aus  (s.  Fig.  4). 
Der  höchste  distale  Punkt  dieser  Kurve  liegt  genau  auf  der  idealen 
Scheide  zwischen  dem  Dorsal-  und  Ventralauge.  Audi  für  dieses 
Faktum  werde  ich  im  physiologisch-biologischen  Teil  meiner  Abhand- 
lung eine  Erklärung  geben. 

Ist  das  Auge  von  Ranatra  linearis  in  toto  betrachtet  in  seinem 
Bau  durchaus  verschieden  von  dem  von  Notonecta  glauca,  so  sehen 
wir  auch  bei  der  Untersuchung  der  einzelnen  das  Auge  zusammen- 
setzenden Teile,  daß  verschiedene  von  ihnen  anders  geformt  und  anders 
angeordnet  sind  als  bei  Notonecta  glauca. 

Die  Cornea  von  Ranatra  (s.  Textfig.  4)  ist  außerordentlich  stark 
entwickelt  und  läßt  deutlich  zwei  Schichten  unterscheiden.  Die  äußere, 
heller  gefärbte  ist  winzig  im  Verhältnis  zu  der  innern,  auffallend  stark 
entwickelten,  dunkleren.  Die  Cornea  ist  plankonvex  und  läßt  den 
Chitinlamellenaufbau  deutlich  erkennen. 

Die  vier  Kristallzellen  und  die  beiden  sie  umgebenden  Haupt- 
pigmentzellen sind  genau  so  gebaut  und  angeordnet  wie  bei  Notonecta. 
Anders  die  Nebenpigmentzellen.  Ihre  Form  ist  zwar  die  der  Notonecta- 
Nebenpigmentzellen,  Spindelform;  aber  ihre  Anordnung  ist  eine  andre. 
Während  bei  Notonecta  18  Nebenpigmentzellen  um  jedes  Ommatidium 
stehen,  von  denen  zwölf  zu  je  zwei  benachbarten  Ommatidien  ange- 
hören, während  die  übrigen  sechs  je  drei  benachbarte  Ommatidien 
begrenzen,  hat  bei  Ranatra  linearis  jedes  Ommatidium  seinen  eignen 
Kranz  von  Nebenpigmentzellen.  Um  jedes  Ommatidium  sind  zwölf 
Nebenpigmentzellen  in  Kreisform  angeordnet  (s.  Fig.  5).  Daß  ein 
Ommatidium  seinen  eignen  Kranz  von  Nebenpigmentzellen  hat,  ist 
ein  in  der  Literatur  —  soweit  ich  sie  überblicke  —  bislang  noch  nicht 
erwähntes  Faktum.  Noch  im  Jahre  1901  sagt  Hesse  in  seinen  »Unter 
suchungen  über  die  Organe  der  Lichtempfindung  bei  niederen  Tieren«: 
»Die  Nebenpigmentzellen  sind  in  ihrer  Zahl  wechselnd;  ich  möchte 
betonen,  daß  man  sie  den  einzelnen  Ommen  nicht  zurechnen  kann, 
sie  sind  indifferente  Zellen,  die  zAvischen  den  Ommen  stehen,  aber 
nicht  etwa  so,  daß  jedes  Omma  seinen  eignen  Kranz  von  Pigmentzellen 
hätte.«  Wie  bei  Ranatra  linearis^  so  habe  ich  noch  bei  zwei  andern 
Wasserwanzen,  Nefa  cinerea  und  Corixa  Geoffroyi  —  was  später  noch 
geschildert  werden  wird  —  deutlich  für  jedes  Ommatidium  einen  eignen 


430 


Kurt  Bedau, 


Kranz  von  Nebenpigmentzellen  nachweisen  können.  Der  Satz  Hesses 
von  den  interstitiellen  Nebenpigmentzellen  der  Ommatidien  läßt  sich 
nach  den  eben  geschilderten  —  beziehungsweise  bei  Neya  und  Corixa 
noch  zu  beschreibenden  —  Fakten  nicht  mehr  in  seiner  ganzen  Trag- 
weite aufrecht  erhalten. 

Die  Kerne  der  Nebenpigmentzellen  liegen  auffallend  tief,  in  der 
Höhe,  in  der  die  noch  zu  schildernden,  von  der  Basalmembran  her- 
kommenden beiden  Sehzellen  distal 

j  A 

enden.  Jedes  Ranatra -Omina,  hat 
die  Form  einer  Keule  und  setzt 
sich  aus  acht  Sehzellen  zusammen. 
An  jeder  dieser  Sehzellen  können 
wir  die  beiden  für  sie  typischen 
Teile  unterscheiden,  den  pigmentier- 
ten und  den  pigmentfreien.  Sechs 
Sehzellen  sind  in  Kreisform  ange- 
ordnet und  liegen  distal,  während 
sich  die  beiden  andern  Sehzellen  von 
der  Basalmembran  aus  in  den  Kreis 
der  oberen  sechs  Zellen  einschieben, 
also  proximal  gelegen  sind.  Die 
sechs  distalen  Sehzellen  sind  mor- 
phologisch gleichwertig;  von  den 
beiden  proximalen  gilt  das  gleiche. 
Sind  die  letzteren  auch  nicht  so 
mächtig  entwickelt  als  die  ersteren, 
so  tragen  sie  doch  durchaus  keine 
Zeichen  der  Rudimentation.  Die 
Rhabdomere  der  proximalen  Zellen 
sind  genau  so  gut  entwickelt  als 
ihre  pigmentierten  Teile,  während 
wir  doch  an  der  siebenten  Sehzelle 
von  Notonecta  glauca  haben  konsta- 
tieren können,  daß  hier  das  Rhab- 
domer  ungleich  besser  ausgebildet  ist  als  der  pigmentierte  Teil  der 
Zelle. 

Die  Existenz  der  acht  Sehzellen  in  jedem  Omma  läßt  sich  auf 
Quer-  und  Längsschnitten  (s.  Fig.  5  u.  Textfig.  4)  in  aller  Deutlichkeit 
nachweisen.  Auf  Längsschnitten  sehen  wir  an  Präparaten,  deren  Pig- 
ment durch  ein  chemisches  Reagens  nur  mäßig  zerstört  ist,  starke 


bm. 


Textfig.  4. 

Zwei  Einzelommatidien  aus  dem  Auge  von  Ra 
natra  linearis.    S.  III,  5. 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  431 

Pigmentansammlungen  im  kolbenförmigen,  distalen  Ende  des  Onunas 
und  im  proximalen  Ende,  also  oberhalb  der  Membrana  fenestrata. 
Außerdem  aber  können  wir  noch,  schon  bei  schwacher  Vergrößerung, 
beobachten,  wie  sich,  aus  der  basal  gelegenen  Pigmentanhäufung  kom- 
mend, in  der  Mitte  des  Ommas  zwei  Pigmentstränge  in  das  distale  Pig- 
ment einschieben.  Das  sind  die  pigmentierten  Teile  der  an  der  Basal- 
membran beginnenden  beiden  proximalen  Sehzellen.  Die  eben  er- 
wähnten zwei  Pigmentstränge  sind  schon  bei  so  schwacher  Vergrößerung 
wahrnehmbar,  daß  sie  in  das  Übersichtsbild  (s.  Fig.  4)  des  Auges  mit 
eingezeichnet  werden  müssen,  wenn  es  überhaupt  Anspruch  auf  Ge- 
nauigkeit und  Richtigkeit  erheben  will. 

An  stark  entpigmentierten  Längsschnitten  (s.  Textfig.  4  h)  sind  die 
acht  Kerne  der  Sehzellen  in  jedem  Onima  deutlich  nachweisbar.  Der 
Lage  der  Sehzellen  entsprechend  liegen  sechs  ihrer  Kerne  distal  und 
zwei  proximal.  Die  Kerne  der  distalen  Sehzellen  liegen  ungefähr  in 
der  Mitte  des  Ommas,  die  der  proximalen  —  wie  schon  gesagt  —  ein 
wenig  proximal  hiervon. 

Auch  auf  Querschnitten  läßt  sich  die  Anordnung  der  Sehzellen 
recht  gut  erkennen  (s.  Fig.  5).  Hier  sehen  wir,  daß  die  beiden  proxi- 
malen Sehzellen  sich  in  den  Kranz  der  distalen  Zellen  sozusagen  ein- 
pressen. Es  darf  uns  daher  nicht  wundernehmen,  daß  die  zwei  von 
der  Basalmembran  herkommenden  Zellen  auf  Querschnitten  die  Form 
eines  regulären  Sechsecks  zeigen.  Daß  die  beiden  proximalen  Sehzellen 
zusammen  Sechseckform  annehmen,  erklärt  sich  auf  rein  mechanischem 
Wege,  genau  wie  das  Faktum,  daß  nur  die  Cornealinsen  polygonale 
Form  zeigen,  die  an  benachbarte  anstoßen.  (Die  am  Rande  der  Cornea 
gelegenen  Linsen  sind  bekanntlich  an  ihrer  Außenseite  rund.) 

Die  sechs  distalen  Sehzellen  stehen  kreisförmig,  so  daß  jede  der 
Zellen  einen  Kreissektor  mit  abgerundeter  Spitze  bildet.  Es  kann 
also  die  Form  der  zwei  sich  einschiebenden  proximalen  Zellen  —  wenn 
wir  die  hier  obwaltenden  Druckverhältnisse  bedenken  —  keine  andre 
als  Sechseckform  sein. 

3.  Hydrometra  'palustris. 

Wie  das  Auge  von  Ranatra  linearis,  so  ist  auch  das  von  Hydrometra 
palustris  ein  typisches  Doppelauge,  das  beiden  Geschlechtern,  Männchen 
und  Weibchen,  in  gleicher  Weise  zukommt. 

Wiewohl  das  Ventralauge  kleiner  ist  als  das  Dorsalauge,  ist  es 
doch  das  besser  differenzierte.  In  ihm  stehen  die  Ommatidien  dicht 
aneinander    gedrängt,    im   Dorsalauge    stehen   sie    in   relativ    weiten 


432  Kurt  Bedau, 

Abständen  voneinander  entfernt.  Während  bei  Ranatra  die  Nebenpig- 
mentzellen  im  Dorsalauge  gelbes  und  im  Ventralauge  rotes  Pigment 
aufweisen,  sind  die  Nebenpigmentzellen  im  Hydrometra- Auge  dorsal 
und  ventral  mit  Pigment  gleicher,  brauner  Tinktion  ausgestattet.  Auch 
die  Quantität  des  Pigmentes  ist  in  den  Nebenpigmentzellen  bei  Hydro- 
metra  dorsal  und  ventral  die  gleiche,  anders  in  den  Retinapigmentzellen. 
Diese  Zellen  sind  im  ventralen  Auge  viel  reicher  mit  Pigment  versehen 
als  im  dorsalen.  Die  Farbe  des  Pigmentes  der  Retinapigmentzellen 
ist  dorsal  und  ventral  gleich,  braun. 

Das  zweite  Moment,  das  bei  dem  Studium  des  Ranatra- AMge^ 
auffällt,  ist  das  seltsame  Verhalten  der  Pigmentzellen  oberhalb  der 
Membrana  fenestrata,  die  dorsal  und  ventral  nur  ein  Stück  der  Basal- 
membran aufsitzen,  ihr  aber  dann  in  einem  zu  offenen  Bogen  aus- 
weichen, dessen  höchster  distaler  Punkt  genau  auf  der  idealen  Scheide 
zwischen  dem  Dorsal-  und  Ventralauge  liegt.  Das  Abrücken  der  Pig- 
mentzellen von  der  Basalmembran  finden  wir  bei  Hydrometra  zum 
Extrem  ausgebildet.  Keine  einzige  der  Pigmentzellen,  die  im  Notonecta- 
Auge  der  Membrana  fenestrata  direkt  aufsitzen  und  im  Ranatra-Auge 
wenigstens  zum  Teil,  liegt  im  Hydrometra- Auge  mit  ihrem  Kern  der 
Basalmembran  auf.  In  einem  zu  ihr  offenen  Bogen  weichen  sie  ihr  aus. 
Im  Ranatra-Auge  hat  dieser  Bogen  ungefähr  die  Form  einer  Parabel, 
im  Hydrometra- Auge,  weist  er  —  an  dem  einen  Ende  der  Membran  be- 
ginnend und  an  dem  andern  aufhörend  —  einen  aufsteigenden  und  einen 
absteigenden  Ast  auf,  zwischen  welchen  beiden  die  Kurve  ein  Stück 
fast  parallel  der  Basalmembran  verläuft.  Ihren  höchsten  distalen  Punkt 
erreicht  die  Kurve  in  dem  Augenblick,  in  dem  sie,  von  der  Ventralseite 
des  Auges  kommend,  dorsal  umbiegt  und  so  den  ersten  Knick  des  Bogens 
beschreibt  (s.  Fig.  6).  Dieser  höchste  distale  Punkt  der  Kurve  hegt 
wie  bei  Ranatra  so  auch  bei  Hydrometra  genau  auf  der  idealen  Scheide 
zwischen  dem  Ventral-  und  Dorsalauge.  Von  dem  eben  erwähnten 
Knick  an  läuft  die  Kurve  ein  gut  Stück  der  Basalmembran  fast  parallel, 
um  dann  schließlich,  im  lateral-dorsalen  Teil  des  Auges  einen  zweiten 
Knick  ausführend,  wieder  der  Membrana  fenestrata  zuzustreben. 

Während  bei  den  bisher  beschriebenen  Wasserwanzen  und  später 
noch  zu  schildernden  die  Ommatidien  im  dorsalen  und  ventralen  Teil 
des  Auges  dieselbe  Länge  besitzen,  sind  die  ventral  stehenden  Omma- 
tidien im  Dorsalauge  von  Hydrometra  ungleich  länger  als  all  die  andern 
(s.  Fig.  6).  Fig.  7  a  gibt  ein  Ommatidium  aus  dem  ventralen  Teil 
des  Dorsalauges  wieder,  Fig.  7  h  ein  nicht  im  genannten  Teil  stehendes. 
Aus  den  beiden  Abbildungen  ist   ersichthch,   daß   ein   Ommatidium 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  433 

einschließlich  der  zugehörigen  Corneafacette,  das  nicht  im  ventralen 
Teil  des  Dorsalaiiges  steht,  genau  so  groß  ist  als  das  Omma  eines 
Facettcngliedes,  das  eben  in  besagter  Region  des  Auges  liegt.  Be- 
denkt man  ferner,  daß  die  Vitrella  eines  Ommatidiums  aus  dem  ven- 
tralen Teil  des  Dorsalauges  beinahe  dreimal  so  lang  ist  als  das  Kristall- 
zelleugebilde  eines  andern,  nicht  in  diesem  Bezirk  des  Auges  gelegenen 
Facettengiiedes,  so  resultiert  hieraus,  daß  ein  Ommatidium  aus  dem 
ventralen  Teil  des  Dorsalauges  um  ein  Beträchtliches  länger  ist  als 
ein  solches,  das  nicht  im  besagten  Teile  steht. 

Dadurch,  daß  die  ventral  stehenden  Ommatidien  des  Dorsalauges, 
also  die  central  gelegenen  des  Gesamtauges,  bedeutend  länger  sind  als 
ihre  Nachbarommatidien,  macht  das  Auge  von  Hydrometra  palustris, 
auf  dem  Längsschnitt  in  toto  betrachtet,  den  Eindruck  der  Dreiteilig- 
keit: Ventral-  und  Dorsalauge,  letzteres  aus  dorsaler  und  ventraler 
Region  bestehend.  Das  Faktum,  daß  die  central  gelegenen  Omma- 
tidien im  Facettenauge  eine  Verlängerung  erfahren  können,  wobei 
es  sich  nicht  nur  um  eine  Differenzierung  zum  Doppelauge  zu  handeln 
braucht,  hat  bereits  Dietrich  bei   Laphria  flava  nachgewiesen. 

Dadurch,  daß  sich  die  ventral  stehenden  Ommatidien  im  Dorsal- 
auge so  außerordentlich  langgestreckt  haben,  hat  ein  Teil  der  Kristall- 
zellkerne seine  ursprüngliche  Lage  aufgeben  müssen.  Während  sonst 
die  Kerne  der  Vitrella  in  einer  Ebene  liegen,  sind  zwei  Kerne  der  Kristall- 
zellen im  ventralen  Teil  des  Dorsalauges  tiefer,  d.  h.  mehr  distal  als 
die  beiden  andern  gelegen.  Dies  in  die  Tieferücken  der  zwei  Zellkerne 
erklärt  sich  also  auf  rein  mechanischem  Wege.  Die  Ommatidien  haben 
sich  in  der  Längsrichtung  kräftig  entwickelt,  und  bei  dieser  Entwicklung 
ist  eben  ein  Teil,  die  Hälfte  der  Vitrellakerne  in  der  Längsrichtung 
verlagert  und  in  die  Tiefe  gerückt. 

Die  Differenzierung  zu  einem  Doppelauge,  das  seltsame  Verhalten 
der  Retinapigmentzellen  und  die  beträchtliche  Länge  der  ventral- 
stehenden Ommatidien  des  Dorsalauges,  das  alles  sind  Momente,  die 
uns  sofort  auffallen  müssen,  zumal  das  an  letzter  Stelle  angeführte. 
Denn  gerade  durch  dieses  Moment  erhält  das  acone  Hydrometra- Auge 
ein  außerordentlich  schlankes  Aussehen.  Wir  werden,  wenn  wir  das 
Auge  von  Hydrometra  in  toto  auf  einem  gut  geführten  Längsschnitt 
betrachten,  unwillkürlich  an  das  eucone  Auge  erinnert  mit  seinen  — 
im  Verhältnis  zu  den  Vitrellen  —  schlanken  Kristallkegeln  und  seinen 
schlanken  Ommen.  Studieren  wir  den  anatomischen  Bau  des  Hydro- 
metra-Auges  näher,  so  werden  wir  bei  der  Betrachtung  der  Neben- 
pigmentzellen  von  neuem  an  das  eucone  Auge  denken.  Bei  Hydrometra 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  29 


434  Kurt  Bedau, 

sind  um  jedes  Ommatidium  sechs  Nebenpigmentzellen  in  Form  eines 
sechszackigen  Sternes  gruppiert,  so  daß  je  eine  Zelle  drei  Omma- 
tidien  angehört.  Es  ist  dies  dasselbe  Bild,  wie  es  so  typisch  und  durch- 
gehend bei  sämtlichen  Lepidopteren,  den  Tag-  und  den  JS'achtschmetter- 
lingen,  auftritt.  Die  Kerne  der  spindelförmigen  Nebenpigmentzellen 
hegen  in  der  Höhe  der  Vitrellakerne  (s.  Fig.  8). 

Wie  bei  Notonecta  glauca  und  Ranatra  linearis,  so  setzt  sich 
auch  bei  Hydrometra  palustris  jedes  Omma  aus  acht  Sehzellen  zusammen, 
von  denen  sechs  distal  und  zwei  proximal  gelegen  sind.  Die  sechs 
distalen  Zellen  sind  —  wie  bei  Ranatra  —  in  Kreisform  angeordnet 
und  morphologisch  gleichwertig  (s.  Fig.  9).  In  diesen  Kreis  der  sechs 
distalen  Sehzellen  schieben  sich  von  der  Basalmembran  aus  die  beiden 
morphologisch  gleichwertigen  proximalen  Zellen  ein.  An  ihnen  sind 
die  nicht  pigmentierten  Teile  weit  besser  entwickelt  als  die  pigmentierten. 
Während  die  letzteren  nur  halbe  Ommalänge  besitzen,  lassen  sich  die 
Rhabdomere  der  beiden  proximalen  Zellen  distal  fast  bis  zum  distalen 
Retinulaende  verfolgen.  Daß  Querschnitte  in  Höhe  des  distalen  Re- 
tinulaendes  einen  weiten  freien  Raum  zwischen  den  sechs  distalen  Seh- 
zellen und  den  Rhabdomeren  der  beiden  proximalen  Zellen  erkennen 
lassen  (s.  Fig.  9),  ist  offenbar  auf  Schrumpfungserscheinungen  der  Ge- 
webe zurückzuführen.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  liegen  die  zwei 
proximalen  Zellen  den  sechs  distalen  eng  an. 

Auf  Längsschnitten  (s.  Fig.  7)  sind  von  der  Cornea  aus  gerechnet 
sechs  Sehzellkerne  im  ersten  und  zwei  weitere  im  dritten  Viertel  der 
Retinula  gelegen.  In  den  proximalen  wie  in  den  distalen  Hydrometra- 
Sehzellen  sind  demzufolge  die  Kerne  im  distalen  Teil  der  Zelle  gelegen. 

4.  Nepa  cinerea. 

Das  iVe^^a-Auge  ist  das  dritte  —  die  beiden  andern  sind  die  von 
Notonecta  und  Ranatra  —  von  Gkenacher  untersuchte  Wasserwanzen- 
facettenauge.  Da  ich  das  iVe^^a-Auge  in  mehr  als  einem  Punkt  durch- 
aus verschieden  von  dem  Notonecta-  und  Äona^ra-Auge  gebaut  gefunden 
habe,  will  ich  es,  sofern  wesentliche  morphologische  Abweichungen 
den  andern  beiden  Augen  gegenüber  bestehen,  eingehend  besprechen. 

So  typisch  wie  bei  Ranatra  linearis  und  Hydrometra  palustris  ist 
die  Differenzierung  des  Auges  ins  Doppelauge  bei  N&pa  cinera  nicht 
(s.  Fig.  10).  Immerhin  läßt  es  sich  sehr  wohl  nachweisen,  daß  der 
dorsale  Teil  des  Nepa-Auges  besser  differenziert  ist  als  der  ventrale. 
Das  Dorsalauge  von  Nepa  macht  beinahe  drei  Viertel  des  gesamten 
Auges  aus.     Die  Ommatidien  stehen  im  dorsalen  Teil  des  Auges  viel 


Das  Facettenaupe  der  Wasserwanzen.  435 

enger  aneinander  als  im  ventralen,  und  auch  die  optische  Isolierung 
der  einzelnen  Facettenglieder,  bewerksteüigt  durch  das  Pigment  der 
Neben-  und  Retinapigmcntzellen,  ist  dorsal  besser  als  ventral.  Die 
Pigmentzellen  des  gesamten  iVe^a- Auges  führen  braunes  Pigment. 
Im  Dorsalauge  sind  die  Neben-  und  Retinapigmentzellen  viel  stärker 
mit  Pigmentkörnchen  ausgestattet  als  im  Ventralauge,  und  so  läßt 
sich  eine  genaue  Grenze  zwischen  Dorsal-  und  Ventralteil  des  Auges 
ziehen  im  Gegensatz  zu  Notonecta.  Im  Auge  dieses  Tieres  geht  —  wie 
früher  gezeigt  —  das  rote  Pigment  der  Nebenpigmentzellen  des  Ventral- 
auges ganz  allmählich  über  in  das  braune  des  Dorsalauges,  und  die 
intensive  Pigmentierung  der  ventralen  Retinapigmentzellen  nimmt 
dorsal  ganz  allmählich  ab.  Anderseits  läßt  sich  die  ideale  Scheide 
zwischen  Dorsal-  und  Ventralauge  bei  Nej)a  cinerea  nicht  auch  noch 
dadurch  markieren,  daß  etwa  die  Retinapigmentzellen,  wie  bei  Ranatra 
und  Hydrometra,  der  Membrana  f enestrata  in  einem  zu  ihr  offenen  Bogen 
dorsal  und  ventral  ausweichen,  und  daß  dann  der  höchste  distale  Punkt 
der  erwähnten  Kurve  gerade  auf  die  Dorsal-  und  Ventralauge  trennende 
Linie  zu  liegen  kommt.  Wie  bei  Notonecta,  so  liegen  auch  bei  Nepa 
die  Retinapigmentzellen  der  Basalmembran  in  ihrer  vollen  Ausdehnung, 
ventral  und  dorsal,  mit  ihren  kugeligen  Kernen  auf  (s.  Fig.  10). 

Ein  zweites  morphologisches  Moment,  das  das  gesamte  Auge  von 
N&pa  betrifft  und  physiologisch  sicher  von  großer  Bedeutung  ist,  ist 
die  außerordentlich  kräftige  Entwicklung  der  Cornea  und  die  damit 
verbundene  auffallende  Verkleinerung  des  Kristallzellengebildes.  Wie 
bei  all  den  andern  Wasserwanzen,  so  haben  wir  auch  bei  Nepa  an 
der  Cornea  zwei  Schichten  zu  unterscheiden,  eine  äußere,  hellere  und 
eine  innere,  dunklere.  Die  Cornea  von  Nepa  ist  nach  außen  leicht 
konvex  gewölbt  über  jedem  Facettengliede,  nach  innen  außerordentlich 
konvex,  so  daß  sich  die  Cornea  zapfenförmig  in  das  Kristallzellengebilde 
eines  jeden  Ommatidiums  einschiebt.  Wir  haben,  analog  den  Befunden 
Kirchhoffers  bei  pentameren  Käfern,  eine  mit  Fortsätzen,  Processus 
corneae,  versehene  Cornea  vor  uns  (s.  Fig.  11).  Dadurch,  daß  sich  in 
das  Kristallzellengebilde  eines  jeden  Ommatidiums  ein  Processus  cor- 
neae einschiebt  und  komprimierend  auf  das  Plasma  der  Vitrella  wirken 
muß,  bekommen  die  Kristallzellgebilde  ein  plumpes  Aussehen.  Auf 
Längsschnitten  hat  es  zuweilen  den  Anschein,  als  füllten  die  Kerne  der 
Kristallzellen  beinahe  den  ganzen  Raum  der  Vitrella  aus.  Das  plumpe 
Aussehen  der  Kristallzellengebilde  wird  noch  unterstützt  durch  die  auf- 
fallend mächtige  Entwicklung  der  Hauptpigmentzellen,  deren  Pigment- 
körnchen wie  bei  den  andern  Wasserwanzen  kugelig  und  in  regulären 

29* 


436  Kurt  Bedau, 

Querreihen  angeordnet  sind.  Schon  im  Verhältnis  zur  Notonecta- 
Vitrella  ist  das  Kristallzellengebilde  von  Nepa  plump  gebaut  zu  nennen, 
in  wieviel  höherem  Maße  im  Verhältnis  zu  der  so  grazil  geformten 
Vitrella  von  Hydrometra.  Während  wir  bei  Betrachtung  eines  Längs- 
schnittes durch  das  Hydrofnetra-Auge  mit  seinen  schlanken  Vitrellen 
und  seinen  schlanken  Ommen  an  das  eucone  Auge  erinnert  werden, 
haben  wir  es  in  dem  Auge  von  Nepa  mit  dem  gerade  entgegengesetzten 
Extrem  zu  tun.  Das  Nepa-Auge  ist  kein  typisch  acones,  es  repräsen- 
tiert vielmehr  eine  Übergangsform  vom  aconen  zum  pseudoconen  Auge. 

Wie  bei  Ranatra  linearis,  so  hat  auch  bei  Nepa  cinerea  jedes  Fa- 
cettenglied seinen  eignen  Kranz  von  Nebenpigmentzellen  (s.  Fig.  12). 
Um  jedes  Ommatidium  sind  zwölf  Nebenpigmentzellen  kreisförmig 
angeordnet.  Die  Kerne  dieser  Nebenpigmentzellen  sind  oval  und 
liegen  in  Höhe  der  Hauptpigmentzellkerne,  zuweilen  ein  wenig  tiefer, 
in  Höhe  des  distalen  Eetinulaendes. 

Wie  bei  den  andern  vorher  beschriebenen  Wasserwanzen  besteht 
auch  bei  Nepa  jedes  Orama  aus  acht  Sehzellen,  sechs  distal  und  zwei 
proximal  gelegenen.  Die  sechs  distalen  Sehzellen  bilden  einen  Kreis, 
in  dem  sich  die  beiden  proximalen  von  der  Basalmembran  aus  einschie- 
ben. Von  den  distalen  Sehzellen  sind  zwei  Paar  morphologisch  gleich- 
wertig. Diese  beiden  Paare  stehen  sich  gegenüber;  zwischen  ihnen 
liegen  die  ungleich  größeren,  beiden  andern  Sehzellen.  Die  letzteren 
sind  ungefähr  doppelt  so  groß  als  die  ersteren  (s.  Fig.  12).  Die  ovalen 
Kerne  der  sechs  distalen  Sehzellen  liegen  an  der  Stelle,  an  der  die 
proximale  Hälfte  des  Ommas  ihren  Anfang  nimmt.  Wiewohl  die  beiden 
proximalen  Sehzellen  ungefähr  nur  ein  Drittel  so  groß  sind  als  die 
distalen,  lassen  sich  an  ihnen  doch  sehr  wohl  die  für  jede  Sehzelle  des 
aconen  Auges  typischen  zwei  Teile  unterscheiden,  der  pigmentierte 
und  der  pigmentfreie.  Die  beiden  proximalen  Sehzellen  sind  morpho- 
logisch gleichwertig.  Ihre  Kerne,  die  gleich  denen  der  andern  Sehzellen 
ovale  Form  haben,  liegen  am  distalen  Ende  der  Zellen. 

5.  Naucoris  cimicoides. 
Während  das  Auge  von  Notonecta  auf  dem  Längsschnitt  fast  lang- 
gestreckt erscheint,  das  Auge  von  Hydrometra  und  Nepa  eine  mehr 
oder  minder  stark  gewundene  Kurve  beschreibt  und  das  Auge  von 
Ranatra  beinahe  kugelig  ist,  gleicht  das  Auge  von  Naucoris  cimicoides 
auf  dem  Längsschnitt  einer  flachen  Schale.  Die  Ommatidien  in  ihrer 
Gesamtheit  sitzen  der  inneren  Begrenzungslinie  der  Cornea  fast  eben 
auf  (s.  Fig.  13). 


Das  Facettenauge  der  Wassor\Minz,cn.  437 

Wie  bei  den  früher  beschriebenen  Wasserwanzen,  so  ist  auch  bei 
Naucoris  eine  Differenzierung  ins  Doppelauge  deutlich  nachweisbar. 
Was  den  Grad  der  Differenzierung  anbetrifft,  so  möchte  ich  Naucoris 
mit  Notonecta  auf  die  gleiche  Stufe  stellen.  Während  bei  Notonecta 
und  Hi/drometra  der  ventrale  Teil  des  Auges  der  differenziertere  ist, 
ist  es  bei  Naucoris,  in  Übereinstimmung  mit  Ranatra  und  Nepa,  der 
dorsale.  In  ihm  stehen  die  Ommatidien  enger  zusammen  als  im  ven- 
tralen. Auch  die  optische  Isolierung  der  einzelnen  Facettenglieder 
ist  im  dorsalen  Auge  besser  als  im  ventralen.  Während  das  Pigment 
der  Neben-  und  Retinapigmentzellen  im  dorsalen  Teil  des  Auges  purpur- 
rot ist,  hat  es  im  ventralen  Teil  eine  typisch  braune  Farbe.  Jedoch 
läßt  sich  —  genau  den  Verhältnissen  bei  Notonecta  entsprechend  — 
eine  scharfe  Grenze  zwischen  dem  purpurroten  und  braunen  Pigment 
nicht  ziehen.  Das  rote  Pigment  geht  ganz  kontinuierlich  über  in  das 
braune.  Auch  was  die  Quantität  der  einzelnen  Pigmentkörnchen  in 
den  Zellen  anbetrifft,  sind  die  Neben-  und  Retinapigmentzellen  des 
dorsalen  Augenteils  denen  des  ventralen  nicht  gleich.  Die  Pigment- 
zellen  im  Dorsalauge  enthalten  bei  weitem  mehr  Pigmentkörnchen  als 
die  im  Ventralauge. 

Bei  der  Betrachtung  des  A'^a^^com-Längsschnittes  drängt  sich  uns 
noch  ein  zweites  Moment  sofort  auf.  Bei  den  bisher  beschriebenen 
Wasserwanzen  haben  wir  die  Basalmembran  der  Cornea  stets  konzen- 
trisch —  oder  wenigstens  fast  konzentrisch  —  laufend  gesehen,  bei 
Naucoris  ist  dies  nicht  der  ^all.  Sie  beschreibt  einen,  wenn  auch 
minimalen,  der  Cornea  zu  offenen  Bogen.  Dieser  ist  mit  seiner  ge- 
ringen Krümmung  natürlich  nicht  entfernt  etwa  mit  der  Kurve  zu 
vergleichen,  in  der  z.  B.  bei  Ranatra  ein  Teil  der  Retinapigmentzellen 
der  Membrana  fenestrata  ausweichen.  Die  Krümmung  der  Basal- 
membran von  Naucoris  ist  klein,  immerhin  aber  so  groß,  daß  die  Omma- 
tidien, die  den  mittleren  Partien  der  Membrana  fenestrata  aufsitzen, 
deutlich  länger  erscheinen  als  ihre  Nachbarommatidien.  Der  am 
meisten  proximal  gelegene  Punkt  der  Basalmembran  liegt  im  dorsalen 
Teil  des  Auges,  ein  wenig  dorsal  von  der  Mediane  des  Gesamtaüges. 
Bei  dem  Studium  des  einzelnen  Facettengliedes  aus  dem  Naucoris- 
Auge  erkennt  man,  daß  dieses  in  seinem  morphologischen  Aufbau  dem 
von  Nepa  cinerea  außerordentlich  nahe  steht.  Haben  wir  schon  in  Ne^M 
den  Repräsentanten  einer  Übergangsform  vom  aconen  zum  pseudoconen 
Auge  gesehen,  so  haben  wir  im  iVawcom- Auge  das  Extrem  vor  uns.  Das 
Naucoris- Xvige,  ist  eine  Übergangsform  vom  aconen  zum  pseudoconen 
Auge,  wie  wir  sie  uns  typischer  kaum  vorstellen  können  (s.  Fig.  14). 


438  Kurt  Bedau, 

Die  Cornea  ist  geradezu  gewaltig  entwickelt.  Von  ihrem  distalsten 
bis  zu  ihrem  proximalsten  Punkte  gemessen  ist  sie  genau  ein  halbmal 
so  lang  wie  das  ihr  zugehörige  Omma  mit  der  Vitrella.  Wie  bei  den 
vorher  geschilderten  Corneae,  so  lassen  sich  auch  bei  der  Cornea  von 
Naucoris  deutlich  zwei  Schichten  unterscheiden.  Die  äußere,  hellere 
ist  winzig  im  Verhältnis  zu  der  inneren,  dunkleren,  die  einen  wohl- 
entwickelten Fortsatz,  Processus  corneae,  in  jedes  einzelne,  von  einer 
mächtigen,  von  den  beiden  Hauptpigmentzellen  gebildeten,  Pigment- 
hülle umgebene  Kristallzellengebilde  entsendet. 

Erhält  das  Naucons-Aug,e  schon  durch  seine  gewaltig  entwickelte 
Cornea  und  seine  relativ  kleinen,  von  außerordentlich  starken  Pigment- 
hüllen umgebenen  Vitrellen  ein  plumpes  Aussehen,  so  wird  dieses  noch 
erhöht  durch  die  auffallend  kurz  und  breit  gebauten  Ommen.  Das 
Naucoris-Om.m2i  verjüngt  sich  proximal  nur  um  weniges;  es  ist  an  seinem 
proximalen  Ende  fast  so  breit  wie  an  seinem  distalen. 

Wie  bei  den  andern  Wasserwanzen,  so  setzt  sich  auch  bei  Naucoris 
jedes  Omma  aus  acht  Sehzellen  zusammen.  Von  diesen  sind  sechs 
distal  und  zwei  proximal  gelegen.  Die  sechs  distalen  Sehzellen  sind 
in  Kreisform  angeordnet  und  morphologisch  gleichwertig.  In  diesen 
geschlossenen  Kranz  der  sechs  distalen  Sehzellen,  schieben  sich  von 
der  Basalmembran  aus  die  gleich  großen  beiden  proximalen  Sehzellen 
ein.  Die  letzteren  sind  relativ  klein ;  ihre  Länge  beträgt  nur  den  dritten 
Teil  der  Ommalänge  (s.  Fig.  14).  Trotzdem  lassen  sich  an  ihnen  sehr 
wohl  pigmentierter  und  pigmentfreier  Teil  in  gleich  guter  Entwicklung 
nachweisen. 

Wie  bei  Ranatra  und  Nepa,  so  hat  auch  bei  Naucoris  jedes  Omma- 
tidium  seinen  eignen  Kranz  von  Nebenpigmentzellen.  Um  jedes  Omma- 
tidium  sind  18  Nebenpigmentzellen  in  Kreisform  angeordnet  (s.  Fig.l5). 
Die  Kerne  dieser  Zellen  liegen  in  Höhe  der  Kristallzellenkerne. 

6.  Corixa  Geoffroyi. 

Wenn  ich  nicht  zuerst  Notonecta  glauca  eingehend  untersucht  und 
demzufolge  von  ihr  Zeichnungen  angefertigt  hätte,  die  auch  für  die 
andern  Wasserwanzen  —  cum  grano  salis  —  Geltung  haben,  so  würde 
ich  die  Beschreibung  des  Auges  von  Corixa  Geoffroyi,  die  nunmehr  den 
Schluß  des  ersten  Kapitels  des  morphologischen  Teiles  dieser  Arbeit 
bildet,  an  die  Spitze  desselben  gestellt  haben.  Denn  das  Auge  von 
Corixa  ist  der  Typus  des  aconen  Auges,  ohne  die  geringste  Differen- 
zierung ins  Doppelauge  aufzuweisen. 

Während  das  Auge  von  Notonecta,  Nepa  und  Naucoris  in  ihrem 


Bas  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  439 

anatomischen  Bau  die  Tendenz  erkennen  lassen,  sich  in  ein  Ventral- 
und  Dorsalauge  zu  differenzieren,  und  Ranatra  und  Hydrometra  typische 
Doppelaugen  besitzen,  ist  bei  Corixa  im  männlichen  wie  im  weiblichen 
Geschlecht  der  dorsale  Teil  des  Auges  genau  so  gebaut  wie  der  ven- 
trale. In  beiden  Teilen  stehen  die  einzelnen  Facettenglieder  in  gleich 
großen  Abständen  voneinander  entfernt  (s.  Fig.  16).  Das  Pigment 
der  Neben-  und  Retinapigmentzellen  —  die  letzteren  liegen  mit  ihren 
rundlichen  Kernen  der  Basalmembran  in  ihrer  vollen  Ausdehnung 
auf  —  ist  im  dorsalen  und  ventralen  Teil  des  Auges  gleicher  Tinktion: 
prächtig  purpurrot.  Auch  die  Quantität  der  Pigmentkörnchen  in 
den  einzelnen  Zellen  ist  dorsal  und  ventral  durchaus  die  gleiche.  So 
steht  also  das  Auge  von  Corixa  Geoffroyi  als  Typ  des  aconen  Auges 
ohne  jede  Differenzierung  zu  einem  Doppelauge  zu  sämtlichen  andern 
vorher  beschriebenen  Wasserwanzenaugen  im  Gegensatz. 

Wenn  ich  auf  den  dioptrischen  Apparat  von  Corixa  Geoffroyi, 
der,  abgesehen  von  untergeordneten  Größedifferenzen,  dem  der  andern 
Wasserwanzen  durchaus  gleich  gebaut  ist,  mit  wenigen  Worten  ein- 
gehe, so  geschieht  es  lediglich  darum,  um  am  Schlüsse  des  ersten  Ka- 
pitels des  morphologischen  Teiles  dieser  Arbeit  das  zu  rekapitulieren, 
was  wir  vom  dioptrischen  Apparat  des  aconen  Auges  wissen :  die  Cornea 
ist  aus  einzelnen  Chitinlamellen  aufgebaut  und  läßt  deutlich  zwei 
Schichten  erkennen,  eine  dünne,  helle  und  eine  dicke,  dunkle.  Der 
Tinktion  entsprechend  ist  die  äußere  Schicht  —  was  die  Konsistenz 
anbetrifft  —  die  widerstandsfähigere.  Der  Cornea  liegen  proximal 
die  Vitrellen  mit  ihren  —  den  SEMPERschen  Kernen  im  euconen  Auge 
homologen  —  Kernen  eng  an.  Die  einzelnen  Kristallzellengebilde 
sind  von  einer  Pigmenthülle  umgeben,  die  von  den  beiden  Haupt- 
pigmentzellen gebildet  wird,  die  mit  den  Corneagenzellen  der  Crusta- 
ceen  zu  homologisieren  sind.  Die  Kerne  der  Hauptpigmentzellen 
liegen  lateral  der  Spitze  des  Kegels,  den  das  Plasma  der  vier  Ki-istall- 
zellen  bildet.  Die  Zahl  und  Anordnung  der  Nebenpigmentzellen  ist 
bei  Corixa  genau  so  wne  bei  Notonecta.  Um  jedes  Facettenglied  stehen 
18  Nebenpigmentzellen,  von  denen  zwölf  je  zwei  benachbarten  Omma- 
tidien  angehören  und  die  übrigen  sechs  je  drei  benachbarte  Omma- 
tidien  begrenzen.  Die  Kerne  der  Nebenpigmentzellen  sind  länglich 
und  nur  um  weniges  tiefer  gelegen  als  die  Kerne  der  Kriställzellen. 

Zwar  ist  die  Zahl  der  Sehzellen  in  jedem  Omma  bei  Corixa  genau 
die  gleiche  wie  bei  den  andern  Wasserwanzen,  aber  ihre  Anordnung 
ist  eine  andre.  Während  im  Omma  von  Notonecta  und  den  andern 
beschriebenen  Hemipteren  sechs  Zellen  distal  und  zwei  proximal  liegen, 


44:0  Kurt  Bedau, 

sind  bei  Corixa  vier  distal  und  vier  proximal  angeordnet  (s.  Fig.  17). 
Die  vier  distalen  Sehzellen  sind  besser  entwickelt  als  die  vier  proxi- 
malen ;  sie  sind  länger  und  auch  dicker.  Die  vier  distalen  Zellen  bilden 
einen  offenen  Kranz,  an  dessen  Enden  die  größten  Zellen  stehen.  Wie 
bei  Notonecta,  so  sind  auch  bei  Corixa  die  Nachbarzellen  der  beiden 
»Torzellen«  die  zweitgrößten.  Den  offenen  Kranz  der  vier  distalen 
Zellen  schließen  die  in  ihn  von  der  Membrana  fenestrata  aus  eindrin- 
genden vier  proximalen  Zellen.  Auch  diese  sind  morphologisch  nicht 
gleichwertig.  Während  zwei  von  ihnen  ungefähr  drei  Viertel  Länge 
des  Gesamtommas  besitzen  und  dicker  sind,  sind  die  beiden  andern 
ein  wenig  kürzer  und  dünner.  Die  Kerne  der  vier  distalen  Sehzellen 
liegen  am  Ende  des  distalen  Drittels  des  Ommas,  die  der  vier  proximalen 
am  Ende  des  proximalen  Drittels  (s.  Fig.  18). 

B.  Die  Innervation  der  Retinula  und  die  Ganglien. 

Im  Jahre  1869  hat  Max  Schultze  in  seiner  Arbeit  Ȇber  die 
Nervenendigung  in  der  Netzhaut  des  Auges  bei  Menschen  und  Tieren« 
eine  treffende  Definition  für  den  Vorgang  des  Sehens  im  weitesten 
Sinne  unter  Ausschluß  der  psychischen  Parallelvorgänge  gegeben: 
»Sehen  ist  die  Umwandlung  derjenigen  Bewegung,  auf  welcher  das  Licht 
beruht,  in  eine  andre  Bewegung,  die  wir  Nervleitung  nennen.«  Das 
Sehen  im  tierischen  Organismus  bewerkstelligen  die  für  diesen  Zweck 
eigens  angelegten  und  typischen  Sehzellen.  »Allen  Sehorganen,  die 
wir  mit  Sicherheit  als  solche  kennen,  ist  ein  Bestandteil  gemeinsam: 
das  sind  die  recipierenden  Sinneszellen,  die  Sehzellen.  Die  Sehzellen 
sind  stets  primäre  Sinneszellen,  d.  h.  jede  Zelle  steht  in  ununterbro- 
chenem Zusammenhange  mit  einer  Nervenfaser,  die  ein  Fortsatz  dieser 
Zellen  ist.«  (Hesse  1908.)  Abgesehen  von  dem  Farbensehen  —  ein 
Kapitel,  über  das  die  Akten  durchaus  noch  nicht  geschlossen  sind  — 
haben  wir  Hell-,  Dunkel-,  Eichtungs-,  Bewegungs-,  Entfernungs-  und 
Form-  oder  Bildsehen  zu  imterscheiden.  Im  Facettenauge  können  — 
je  nach  der  Lage  des  Pigments  —  Appositions-  und  Superpositions- 
bilder entstehen.  Welche  Art  von  Bild  aber  auch  im  Facettenauge 
zustande  kommen  mag,  so  steht  doch  das  eine  fest,  es  wird  stets  von 
primären  Sinneszellen,  von  den  Sehzellen  recipiert.  Bei  sämtlichen 
Wasserwanzen  ließen  sich  —  wie  aus  dem  ersten  Kapitel  des  morpho- 
logischen Teiles  dieser  Arbeit  ersichtlich  ist  —  in  jedem  Omma  acht 
Sehzellen  nachweisen.  Diese  Achtzahl  der  Sehzellen  ist  ja  auch  ent- 
wicklungsmechanisch leicht  begreiflich.  Durch  dreimalige  Zweiteilung 
der  Urzelle  sind  in  jedem  Omma  acht  Zellen  entstanden,  ein  Faktum, 


Das  Faceltciiaugo  der  Wasserwanzen.  441 

auf  das  in  der  neueren  Literatur  vielfach  hingewiesen  worden  ist  (Hesse, 
KiKCHHOFFER,  Dietrich).  An  jeder  dieser  Sehzellen  sind  bei  dem 
aconen  Auge  der  im  Wasser  lebenden  Wanzen  stets  zwei  Teile  streng 
voneinander  zu  unterscheiden:  der  pigmentierte  und  der  pigmentfreie 
Teil.  Der  letztere  repräsentiert  auf  Längs-  und  Querschnitten  eine 
durch aUvS  homogene  Masse  und  führt  nach  Ray  Lankester  auch  die 
Benennung  Rhabdomer.  Verschmelzen  die  Rhabdomere  eines  Omma 
zu  einem  einheitlichen  Gebilde,  so  spricht  man  von  dem  Zustandekommen 
eines  Rhabdoms.  Die  acht  Rhabdomere  und  die  acht  pigmentierten 
Teile  der  Sehzellen  zusammen  machen  das  Omma  Grenachers  aus. 
Sie  repräsentieren  den  »Nervenstab «  Leydigs  und  den  >>Sehstab<<  Max 
Schultzes.  Die  Onimen  sind  die  percipierenden  Elemente  im  Fa- 
cettenauge und  sind  streng  vom  dioptrischen  Apparat,  der  Cornea  und 
den  Vitrellen,  zu  unterscheiden. 

Nach  Hesse  sind  die  Rhabdomere  »nichts  andres  als  Stiftchen- 
säume, deren  Stiftchen  oft  zu  einem  einheitlichen  Stab  von  nahezu 
cuticularer  Konsistenz  verbacken  sind<<.  Unter  den  Stiftchen  versteht 
Hesse  besonders  differenzierte  Fibrillenenden.  Dietrich  konstatiert 
in  seiner  Arbeit  über  »Die  Facettenaugen  der  Dipteren«  die  Existenz 
von  »Ganglien«-  und  »Retinulaf asern «.  Er  kommt  schließlich  zu  dem 
Satze:  »durch  die  Befunde  gewinnt  es  an  Wahrscheinlichkeit,  daß 
bei  den  Dipteren  nicht,  wie  bisher  allgemein  für  die  Insekten  ange- 
nommen wurde,  ein  imd  dieselbe  Nervenfaser  von  der  Retinulazelle 
direkt  nach  dem  Gehirn  verläuft,  sondern  daß  die  Reizleitung  vom 
Ommatidium  aus  zunächst  nur  bis  zum  äußeren  Opticusganglion 
erfolgt,  daß  dort  eine  gesetzmäßige  Umordnung  der  Fasern  einer  Retinula 
stattfindet  und  daß  von  da  aus  andre  Fasern  die  Nervleitung  nach 
dem  Gehirn  übernehmen.«  Soweit  es  die  von  mir  angewandten  ein- 
fachen Methoden  gestatteten,  habe  ich  mich  bemüht,  zu  ergründen, 
in  welcher  Beziehung  Rhabdomer,  Stiftchensaum,  Ganglien-  und  Re- 
tinulaf aser  zueinander  stehen.  Leider  mußte  ich  jedoch  sehr  bald  ein- 
sehen, daß  meine  L^ntersuchungen,  die  Innervation  der  Retinula  be- 
treffend, nicht  von  Erfolg  begleitet  sein  sollten.  Selbst  bei  Benutzung 
von  Kompensationsocular  18,  1/16  ölimmersation  und  Apochromaten 
(System  Zeiss,  Jena)  ist  es  mir  nicht  gelungen,  die  durch  die  Foramina 
der  Membrana  fenestrata  in  die  Ommatidien  eintretenden  Nervenfasern 
innerhalb  der  Retinula  nachweisen  zu  können,  nicht  einmal  an  Präpa- 
raten, die  nur  2  n  dick  und  fast  vollkommen  entpigmentiert  waren, 
ohne  daß  sie  dabei  etwa  wesentlich  geschrumpft  oder  gar  maceriert 
gewesen  wären.    Ich  habe  weder  die  Retinulaf  aser  Dietrichs,  noch  die 


442  Kurt  Bedau, 

Stiftchensäiime  Hesses  sehen  können.  Nur  das  eine  habe  ich  mit 
Sicherheit  konstatieren  können,  daß  in  jedes  Omma  der  Zahl  der  Seh- 
zellen entsprechend  acht  Nervenfasern  eintreten.  Direkt  unterhalb 
der  Membrana  fenestrata  kann  man  diese  acht  Nervenfasern  innerhalb 
der  sie  gemeinsam  umgebenden  Hülle  deutlich  getrennt  liegen  sehen. 

Als  ich  die  Präparate  von  Hydrometra  'palustris  auf  die  Innervation 
der  Retinula  hin  prüfte,  fiel  mir  innerhalb  einer  jeden  der  sechs  distalen 
Sehzellen  ein  Gebilde  auf,  das  —  soweit  ich  die  Literatur  überblicke  — 
bislang  noch  nicht  beschrieben  worden  ist.  Dieses  Gebilde  liegt  central 
im  plasmatischen  Teil  der  Sehzellen  und  hat  auf  dem  Querschnitt  die 
Form  eines  Stäbchens  mit  knopfartiger  Anschwellung.  Auf  dem 
Längsschnitt  erscheint  es  als  heller  Streifen,  der  am  distalen  Ende 
einer  jeden  der  sechs  distalen  Retinulazellen  beginnt  und  sich  bis  zur 
Basalmembran  hermiter  deutlich  verfolgen  läßt.  Auf  dem  Querschnitt 
(s.  Fig.  9)  sehen  wir  der  knopfartigen  Anschwellung  des  Stäbchens 
central  im  pigmentierten  Teil  einer  jeden  der  sechs  distalen  Sehzellen 
ein  Gebilde  gegenüber  liegen  von  der  Form,  wie  sie  sie  Fig.  9  ver- 
anschaulicht. Eine  Verbindung  des  Stäbchens  mit  dem  Gebilde  im 
pigmentierten  Teil  der  Sehzelle  habe  ich  nicht  nachweisen  können, 
anderseits  habe  ich  ebensowenig  eine  scharfe  Grenze  ziehen  können 
zwischen  den  beiden  eben  beschriebenen  Gebilden.  Der  zwischen 
ihnen  liegende  Bezirk  bietet  ein  durchaus  verschwommenes  Bild  dar. 
Das  Stäbchen  mit  der  knopfartigen  Anschwellung  im  plasmatischen 
Teil  einer  jeden  der  sechs  distalen  HydrometraSehzeWen  ist  von  hohem 
Lichtbrechungskoeffizienten  und  hat  vielleicht  die  Bestimmung  — 
wie  auch  Herr  Professor  Held,  der  mir  einen  trefflichen  ZEiss-Apo- 
chromaten  zur  Verfügung  stellte,  es  nicht  für  ausgeschlossen  hält  —  licht- 
sammelnd zu  wirken.  Ich  gedenke,  noch  in  der  nächsten  Zeit  dies- 
bezügliche Untersuchungen  anstellen  zu  können  und  behalte  mir  dem- 
zufolge eine  weitere  Veröffentlichung  hierüber  vor. 

Am  Schlüsse  des  ersten  Teiles  von  dem  Kapitel,  das  von  der  Inner- 
vation der  Retinula  und  den  Ganglien  handelt,  sei  es  mir  noch  ge- 
stattet, auf  ein  Moment  einzugehen,  das  nur  indirekt  in  diesen  Ab- 
schnitt meiner  Abhandlung  gehört.  Als  ich  an  einem  Notonecta-Viä,- 
parat,  das  zweimal  24  Stunden  in  der  von  Grenachee  angegebenen 
Entpigmentier ungsflüssigkeit  gelegen  hatte,  den  Bau  der  Vitrella  stu- 
dierte, wurde  ich  lebhaft  an  die  im  Jahre  1886  veröffentlichten  "Eyes 
of  Molluscs  and  Arthropods"  Pattens  erinnert.  Schon  10  Jahre  nach 
dem  Erscheinen  dieser  Arbeit  bezeichnet  sie  Chun  in  seiner  »At- 
lantis« als   »Blendfeuerwerk«.     Hesse  kommt  1901  zu  dem  Schluß, 


Das  Faoettenauge  der  Wasepiwanzen. 


443 


daß  Patten  gut  daran  getan  hätte,  wenn  er  »mit  weniger  Aufwand 
überlegenen  Triumphierens  sein  bescheidenes  Ergebnis  —  er  wies 
nämlich  als  erster  Cornea genzellen  bei  Decapoden  nach  —  in  ein  be- 
bescheidenes Gewand  gekleidet  hätte«.  Wenn  ich  trotzdem  noch  ein- 
mal auf  die  PATTENsche  Arbeit  zurückkomme,  so  tue  ich  es,  lediglich 
um  zu  zeigen,  was  Patten  vielleicht  als  Nervenfibrillen  im  dioptrischen 
Apparat  Grenachers  angesprochen  hat.  Betrachtet  man  eine  Vitrella, 
deren  Pigmenthülle  mit  Hilfe  eines  chemischen  Keagens  zerstört  worden 
ist,  die  aber  trotzdem  in  ihrer  Plasmastruktur  —  abgesehen  von  mini- 
malen Schrumpfungen  —  nicht  verletzt 
ist,  so  sieht  man  auf  dem  Längsschnitt 
die  Plasmagrenzen  der  vier  Kristallzellen 
intensiv  gefärbt  längs  verlaiifend.  Außer- 
dem beobachtet  man  noch  Linien,  die  die 
schon  erwähnten  kreuzen  (s.  Textfig.  5). 
Bei  meinen  Hämalaunpräparaten  sind  sie 
tiefblau  gefärbt  und  können  so  bei  ober- 
flächlicher Betrachtung  den  Eindruck  von 
Nervenfibrillen  vortäuschen.  Offenbar  hat 
Patten  theoretischen  Vorstellungen  zu- 
liebe diese  Konturen  und  sich  kreuzende 
Linien  als  Nerven  fibrillen  gedeutet,  so 
daß  er  in  dem  Kapitel   "Vision  in   the 


Textfig.  5. 


Vitrella  von  yotonecta  glauca  im  Längs- 
schnitt,   die    Plismastruktur   der   Kri- 
CompOUnd    Eye"    zu    dem  Satze    kommt:    stallzellen  zeigend.  S.  III,  1/12  Immers. 

"A  series  of  cross  nerve-fibrillae  can  be 

traced  in  the  crystalline  cone  or  in  the  place,  where  the  cone  should 
be,  when  it  is  absent,  exactly  similiar  to  those  nerve  endings  in  the 
rods,  or  percipient  Clements,  of  all  other  animals." 

Eine  dünne,  chitinöse,  für  den  Durchtritt  von  Nerven  und  Tra- 
cheen durchlöcherte  Membran,  die  aus  der  Basalmembran  der  em- 
bryonalen Hypodermiszellen  hervorgegangen  ist,  grenzt  als  Boden  das 
Auge  gegen  das  Gehirn  zu  ab.  Von  dieser  Membrana  fenestrata  aus 
ziehen,  der  Anzahl  der  Ommatidien  entsprechend,  aus  denen  sich  das 
Auge  zusammensetzt,  Nervenbündel  zum  Centralhirn.  Die  Partie 
von  der  Basalmembran  bis  zur  Ganglienzellkernschicht  des  peripheren 
oder  ersten  Opticusganglion  ausschließlich  möchte  ich  mit  dem  Namen 
»Nervenbündelschicht«  belegen.  Dadurch  bekunde  ich  schon  äußer- 
lich, daß  ich  den  besagten  subocularen  Raum  als  der  Retina,  dem 
Facettenauge  im  engeren  Sinne,  zugehörig  betrachte  und  ihn  nicht  — 
im  Gegensatz  zu  Haller  z.  B.  —  als  einen  Teil  des  peripheren  Ganglions 


444  Kurt  Beclau, 

betrachte.  Die  »Nervenbündelschicht«  als  einen  Teil  der  Retina  selbst 
anzusehen,  halte  ich  mich  für  durchaus  berechtigt,  in  Übereinstimmung 
mit  Beegee,  Claus,  Loven,  Radl  und  Dieteich.  Bei  den  Wasser- 
wanzen sind  die  den  Ganglienapparat  aufbauenden  Elemente  »durch- 
aus nicht  so  subtiler  Struktur  und  schließen  sich  durchaus  nicht  zu 
so  einer  verwirrenden  Menge  gleichartiger  Elemente  von  geringsten 
Dimensionen  zusammen,  daß  ihre  gegenseitigen  Beziehungen  schwer 
festzustellen  wären«  (wie  bei  den  Dipteren),  so  daß  wir  sehr  gut  unter- 
scheiden können,  wie  weit  die  Retina  reicht  und  wo  das  eigentliche 
Opticusganglion  beginnt.  Wiewohl  ich  die  Ansicht  Beegees  teile, 
daß  die  »Nervenbündelschicht«  dem  Facettenauge  im  engeren  Sinne 
zuzurechnen  ist,  werde  ich  es  vermeiden,  doch  die  alte  Nomenklatur 
(Sehstab-,  Nervenbündel-,  Körner-,  Molecular-  und  Ganglienzellen- 
schicht) beizubehalten.  Sie  ist  meiner  Ansicht  nach  viel  zu  kompliziert 
und  nur  dazu  angetan,  eine  an  sich  klar  liegende  Tatsache  zu  ver- 
wirren. Ich  habe  im  Laufe  meiner  Untersuchungen  die  Überzeugung 
gewonnen,  daß  viele  der  früheren  Autoren  die  Ganglien  für  viel  kom- 
plizierter gebaut  halten,  als  sie  es  in  Wirklichkeit  sind.  So  kann  ich 
es  mir  beispielsweise  nicht  erklären,  wie  Rädl  an  einem  einzigen  Gan- 
ghon  (am  zweiten  Opticusganglion  von  AescJina  grandis)  nicht  weniger 
als  18  Schichten,  verschieden  in  Dicke  und  Tinktion  erkennen  kann. 
Die  »Nervenbündelschicht«  erstreckt  sich  von  der  Basalmembran  bis 
zur  Gangiienzellkernschicht  des  peripheren  Ganglions.  Innerhalb  dieses 
Bezirkes  sehen  wir  der  Anzahl  der  das  gesamte  Auge  aufbauenden 
Ommatidien  entsprechend  Nervenbündel  aus  den  Foramina  der 
Membrana  fenestrata  austreten  und  radiär  angeordnet  auf  direktem 
Wege,  also  ohne  jede  Kreuzung,  zum  peripheren  Ganglion  ziehen. 
Konzentrisch  laufende  Nervenfasern  habe  ich  innerhalb  der  Nerven- 
bündelschicht nicht  nachweisen  können.  (Für  einige  andre  Arthropoden- 
augen  ist  es  bekannt.)  Die  von  der  Retinula  kommenden  Nerven- 
bündel gehen  teils  völlig  getrennt  voneinander,  teils  Anastomosen 
imtereinander  bildend,  zu  größeren  Bündeln  vereinigt,  zum  ersten 
Opticusganglion.  Die  Nervenbündel  sind  von  einer  deutlich  wahrnehm- 
baren Hülle  umgeben  (s.  Fig.  19).  Während  die  Kerne  der  Zellen,  die 
diese  Hülle  bilden,  langgestreckt  sind,  haben  die  Kerne  der  Nervenfasern 
selbst  rundliche,  fast  kugelige  Form.  Zwischen  den  Nervenbündeln 
innerhalb  der  »Nervenbündelschicht«  können  wir  eine  große  Zahl  von 
Tracheen  nachweisen.  An  allen  diesen  Tracheen  sind  die  drei  für  sie 
typischen  Teile  zu  unterscheiden:  die  Matrix,  der  Kern  und  die  Chitin- 
spirale.   Außer  den  Tracheen  finden  wir  in  der  »Nervenbündelschicht« 


Das  Facetten ;iuü;('  dci-  Wasserwan/on.  445 

noch  eine  Menge  von  Blut-  und  Stützzellen  vor.  Die  Stützzellen  be- 
sitzen einen  kleinen  Körper  und  kurze  Fortsätze,  die  sich  nicht  ver- 
ästeln, dünn  und  starr  sind,  oder  schwach  gewunden  verlaufen.  Die 
Kerne  der  Stützzellen  sind  im  Verhältnis  zum  Zellkörper  auffallend 
groß,  haben  ovale  Form  und  führen  außerordentlich  viel  Chromatin. 
Die  in  der  »XervenbündeLschiclit  <<  in  reicher  Zahl  vorhandenen  Blut- 
zellen sind  Avohl  entwickelt,  und  ihre  Kerne  sind  bald  von  einem  hellen 
und  bald  von  einem  dunklen  Plasmahof  umgeben.  Die  Kerne,  die 
im  dunklen  Plasma  eingebettet  sind,  sind  chromatinarm,  die  andern 
chromatinreich,  ein  Faktum,  für  das  ich  eine  Erklärung  nicht  zu  geben 
vermag. 

Die  von  der  »Nervenbündelschicht  <<  proximal  gelegenen  drei 
Opticusganglien  sind  von  einer  Membran  umgeben  (s.  Fig.  20).  Diese 
ist  kräftig  entwickelt,  bindegewebigen  Charakters  und  weist  in  ihrem 
Innern  kleine,  vorzüglich  längliche,  zuweilen  auch  rundliche  Zellkerne 
auf.  Diese  eben  charakterisierte  Membran  liegt  dem  Ganglienapparat 
nicht  eng  an,  und  so  darf  es  uns  nicht  wundernehmen,  daß  der  proxi- 
male Teil  der  »Nervenbündelschicht«  von  ihr  durchzogen  wird. 

Im  Gegensatz  zu  den  Vertebratenganglien,  deren  Zellkerne  stets 
central  gelegen  sind,  sind  im  Arthropodenganglion  die  Zellkerne  stets 
peripher  angeordnet.  Auf  geeigneten  Schnitten  (s.  Fig.  20)  sehen  wir, 
daß  die  Ganglienzellkerne  des  zweiten  Ganglions  am  kleinsten  und  am 
dichtesten  angeordnet  sind.  Die  Kerne  des  peripheren  und  centralen 
Ganglions  sind  ungefähr  zwei-  bis  dreimal  so  groß  als  die  des  zweiten 
Ganglions  und  liegen  viel  weiter  auseinander  als  die  letzteren.  Die 
Ganglienzellkerne  eines  jeden  Ganglions  sind  nicht  durchgehend  gleich 
groß  und  sind  in  verschiedenen  Ebenen  gelegen. 

Bei  sämtHchen  von  mir  untersuchten  Wasserwanzen  hat  das 
periphere  Ganglion  Nierenform;  das  zweite  Ganglion  hat  die  Gestalt 
eines  Kegels  und  das  centrale  Ganglion  ist  bohnenförmig.  Die  kon- 
vexe Seite  des  ersten  Ganglions  ist  der  Membrana  fenestrata  zuge- 
wandt, die  konkave  dem  zweiten  Ganghon.  Dieses  hat,  wie  schon  ge- 
sagt, die  Form  eines  Kegels.  Die  Basis  des  Kegels  liegt  der  konkaven 
Seite  des  peripheren  Ganglions  zu,  die  Spitze  ist  proximal  gerichtet. 

Nachdem  die  aus  den  Ommatidien  kommenden  Nervenbündel 
zusammen  mit  Tracheen,  Stütz-  und  Blutzellen  die  »Nervenbündel- 
schicht« gebildet  haben,  durchsetzen  sie  die  Ganglienzellkernschicht 
des  peripheren  Ganglions  —  innerhalb  derer  ebenso  wie  innerhalb  der 
Zellkernschichten  der  beiden  andern  OpticusgangHon  vereinzelt  Blut- 
zellen nachzusweisen  sind  — ,  den  ganzen  Komplex  der  Zellkerne  in 


446  Kurt  Bedau, 

eine  Anzahl  Einzelkomplexe  teilend,  das  Ganglion  selbst.  Im  peri- 
pheren Ganglion  sind  die  einzelnen  Nervenbündeln  voneinander  ge- 
trennt. Ehe  die  Nerven  vom  ersten  Ganglion  in  das  zweite  eintreten, 
kommt  es  zu  einer  Nervenkreuzung,  zu  einem  Chiasma  nervorum 
opticorum  (s.  Fig.  20).  Die  aus  dem  ventralen  Teil  des  ersten  Gan- 
glions kommenden  Nervenfasern  laufen  dorsal,  treten  also  in  den 
dorsal  gelegenen  Teil  des  zweiten  Ganglions  ein.  Und  umgekehrt  ziehen 
die  Nervenfasern  aus  dem  dorsalen  Teil  des  ersten  Ganglions  ventral, 
gehen  demzufolge  zu  dem  ventralen  Teil  des  zweiten  Ganglions.  Wenn 
ich  soeben  von  einem  ventralen  und  einem  dorsalen  Teil  des  Ganglions 
gesprochen  habe,  so  darf  deshalb  nicht  angenommen  werden,  daß  diese 
beiden  Teile  morphologisch  voneinander  in  irgend  einer  Weise  getrennt 
sind.  Dorsaler  und  ventraler  Teil  des  Ganglions  ist  in  diesem  Falle 
eine  von  mir  willkürlich,  lediglich  der  besseren  Verständigung  wegen, 
angenommene  Bezeichnung.  Die  Differenzierung  des  Facettenauges 
ins  Doppelauge  greift  bei  den  im  Wasser  lebenden  Hemipteren  nicht 
über  in  die  Ganglien,  wie  dies  bei  einer  ganzen  Reihe  doppeläugiger 
Dipteren,  z.  B.  bei  Bibiouiden  und  Simuliiden,  nachgewiesen  worden  ist. 

Innerhalb  des  zweiten  Opticusganglions,  das  die  aus  dem  ersten 
Ganglion  kommenden  Nervenfasern  allem  Anschein  nach  unverändert 
durchsetzen,  lassen  sich  die  einzelnen  Nervenbündel  nur  auf  solchen 
Längsschnitten  getrennt  verlaufend  sicher  nachweisen,  die  mit  Hilfe 
irgend  eines  chemischen  Reagens  ein  wenig  maceriert  sind.  Ehe  die 
Nerven  vom  zweiten  Ganglion  in  das  dritte  oder  centrale  eintreten, 
kommt  es  wiederum  zu  einem  Chiasma.  Dadurch,  daß  die  Nerven 
vom  Übertritt  aus  dem  ersten  Ganglion  in  das  zweite  und  dann  wieder 
vom  zweiten  in  das  dritte  einem  Chiasma  unterworfen  sind,  erhalten 
sie  im  centralen  Ganglion  wieder  ihre  primäre  Lage,  d.  h.  die  Lage, 
die  sie  innerhalb  der  Ommatidien,  der  Nervenbündelschicht  und  des 
peripheren  Ganglions  haben. 

Bevor  die  Nerven  vom  dritten  Opticusganglion  in  das  Centralhirn 
eintreten,  kommt  es  zu  einer  dritten  Nervenkreuzung.  Im  Centralhirn 
endlich  lösen  sich  die  Nervenafsern  fibrillär  auf. 

II.  Physiologisch-biologischer  Teil:  Die  Funktion  der  im  morphologischen 
Teile  beschriebenen  Facettenaugen  und  ihre  biologische  Bedeutung. 

Das  Auge  von  Corixa  Geoffroyi  ist  das  einzige  von  mir  unter- 
suchte und  beschriebene  Wasserwanzenauge,  das  in  seinem  Bau  keine 
Differenzierungen  ins  Doppelauge  erkennen  läßt.  Bei  Corixa  stehen 
die  Ommatidien  im  dorsalen  wie  im  ventralen  Teile  des  Auges  in  gleich 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  447 

weiten   Abständen   voneinander   entfernt.     Das  Pigment   der  Neben- 
nnd  Retinapigmentzellen  ist  im  dorsalen  Teil  des  Auges  in  Farbe  und 
Quantität  dem  im  ventralen  Teil  durchaus  gleich.     Anders  liegen  die 
Verhältnisse  bei  den  andern  Wasserwanzen.     Notonecta  glauca,  Nepa 
cinerea   und  Naucoris  cimicoides  weisen  Differenzierungen   zu  einem 
Doppelauge  auf,   Ranatra  linearis  und  Hydrometra  palustris  besitzen 
typische  Doppelaugen,  an  denen  in  aller  Deutlichkeit  das  Dorsalauge 
zu  unterscheiden  ist  von  dem  Ventralauge.     Da  Corixa  eine  Lebens- 
weise führt,  die  von  der  der  andern  Wasserwanzen  nicht  abweicht, 
können  wir  die  Tatsache,  daß  das  Auge  von  Corixa  —  im  Gegensatz 
zu  den  andern  Wasserwanzenfacettenaugen  ■ —  keine  Differenzierungen 
zu  einem   Doppelauge  aufweist,   biologisch  nicht  erklären.     Ebenso- 
wenig ist  eine  genetische  Erklärung  dieses  Verhaltens  möglich,  da  die 
früher  allgemein  verbreitete  Anschauung  Börners,  daß  die  Corixiden 
die    ältesten    Vertreter    der    Hemipteren    darstellen,    neuerdings    von 
Handlirsch  umgestoßen  worden  ist.     »Diese  Familie  (die  Corixiden) 
als  Unterordnung  allen  andern  Hemipteren  zusammen  gegenüberzu- 
stellen und  noch  dazu  als  tiefer  stehende  Gruppe,  wie  es  Börner  durch 
Errichtung   der    Unterordnung    Sandaliorrhyncha    tut,    halte   ich   für 
einen  systematischen  Mißgriff  sondergleichen.    Aber  das  kommt  davon, 
wenn  man  von- vorgefaßten  Meinungen  ausgeht  und  nur  ein  einzelnes 
Merkmal,  wie  die  Mundteile  berücksichtigt.«    (A.  Handlirsch,  1906.) 
Da  allen  Wasserwanzen  —  bis  auf  Corixa,  die  in  den  folgenden 
Ausführungen  außer  acht  zu  lassen  ist,  da  sie  keine  Doppelaugen  be- 
sitzt —  Doppelaugen  beiden  Geschlechtern  in  gleicher  Weise  zukommen 
im  Gegensatze  z.  B.  zu  den  Ephemeriden  und  einem  großen  Teil  der 
Dipteren,  bei  denen  nur  die  Männchen  Doppelaugen  besitzen,  kommt 
das  Auftreten  von  Doppelaugen  bei  den  im  Wasser  lebenden  Hemi- 
pteren als  Sexualcharakter  nicht  in  Betracht.    Der  Trieb  der  Arterhal- 
tung spiegelt  sich  im  feineren  Bau  des  Wasserwanzenauges  nicht  wieder, 
wohl  aber  das  andre  Grundprinzip  alles  organischen  Lebens:  der  Trieb 
der  Selbsterhaltung.    Das  Auftreten  von  Doppelaugen  bei  den  Wasser- 
wanzen ist  biologisch  leicht  erklärlich.     Sämtliche  Wasserwanzen  sind 
typische   Raubtiere:    sie   ernähren   sich   ausschließlich   von   kleineren 
Mitbewohnern  ihres  Aufenthaltsortes.    Der  Schnabel,  der  sich  aus  dem 
zu  Stechborsten  umgewandelten  Ober-  und  Unterkiefer  und  einer  von  der 
Unterlippe   gebildeten   Rinne,   der   sogenannten   Schnabelscheide,   die 
von  der  kurzen  Oberlippe  an  ihrem  Anfang  gedeckt  wird,  zusammen- 
setzt, und  das  erste,  beziehungsweise  die  beiden  ersten  Beinpaare  re- 
präsentieren die  Waffen  der  Wasserwanzen.    Mit  den  Beinen  ergreifen 


448  Kurt  Bedau, 

sie  ihre  Opfer,  mit  dem  Schnabel  stechen  sie  ihre  Beute  an  und  saugen 
sie  aus.  Während  bei  Ne'pa  und  Ranatra  nur  das  erste  Beinpaar  zum 
Ergreifen  der  Beute  ausgebildet  ist,  sind  es  bei  Notonecta  die  beiden 
vorderen.  Bei  Naucoris  lassen  sich  an  den  Vorderbeiden  die  gebogenen 
Schienen  in  der  Art  eines  Taschenmessers  gegen  die  verbreiterten  und 
verflachten,  filzigen  Schenkel  einschlagen  und  bilden  so  das  Fangwerk- 
zeug dieses  räuberischen  Tieres.  Neben  ihrem  Schnabel  und  ihrem 
ßaubbeinpaar  —  beziehungsweise  ihren  zwei  Raubbeinpaaren  —  haben 
die  räuberisch  lebenden  Wasserwanzen  im  differenzierten  Auge  eine 
gewissermaßen  dritte  und  nicht  zu  unterschätzende  Waffe. 

Bei  Notonecta  und  Hydromeira  ist  das  Ventralauge  differenzierter 
als  das  Dorsalauge;  von  Ranatra,  Nepa  und  Naucoris  gilt  das  gerade 
Entgegengesetzte.  Gibt  uns  nun  die  Biologie  nicht  die  treffendste 
Antwort  auf  die  Frage:  weshalb  ist  bei  Notonecta  und  Hydrometra 
das  Ventralauge  das  differenziertere  und  bei  den  andern  Wasserwanzen 
das  Dorsalauge?  Das  differenzierte  Auge  soll  dem  Tiere  dazu  dienen, 
die  Beute  möglichst  detailliert  zu  sehen.  Erblicken  nun  Notonecta 
und  Hydrometra  die  Beute  tatsächlich  mit  dem  differenzierten,  ventral 
gelegenen  Auge,  erblicken  tatsächlich  die  andern  Wasserwanzen  mit 
dem  differenzierten,  dorsal  gelegenen  Auge  ihr  Opfer?  Notonecta  ist 
die  einzige  aller  Wanzenformen,  die  sich  auf  dem  Rücken  schwimmend 
fortbewegt,  und  Hydrometra  ist  die  einzige  aller  Wanzenformen,  die 
auf  dem  Wasser  lebt.  Infolgedessen  muß  bei  Notonecta  und  Hydro- 
metra das  differenzierte  Auge  gerade  entgegengesetzte  Lage  haben  wie 
bei  den  andern  Wanzenformen;  es  muß  ventral  gelegen  sein.  Die 
Differenzierung  des  Wasserwanzenauges  in  ein  Doppelauge  steht  mit 
der  Lebensweise  der  Tiere  in  engstem  Zusammenhang. 

Aus  den  Untersuchungen  Dietrichs  wissen  wir,  daß  das  Retina- 
pigment bei  Dipteren  im  differenzierten  Auge  —  sei  es  ein  Doppelauge 
sexualen  Charakters,  sei  es  ein  Doppelauge,  das  beiden  Geschlechtern 
zukommt  —  spärlicher  auftritt,  als  im  nichtdifferenzierten.  Das 
Retinapigment  hat  mit  dem  Pigment  der  Nebenpigmentzelleu  zusam- 
men die  Bestimmung,  die  einzelnen  Ommatidien  optisch  zu  isolieren 
und  ein  möglichst  scharfes  Bild  im  Auge  zu  erzielen.  Das  Pigment 
kann  in  seiner  isolierenden  Funktion  ersetzt  werden  durch  Tracheen. 
Dies  scheint  bei  Syneches  z.  B.  der  Fall  zu  sein,  denn  bei  diesem  Tiere 
sind  die  Tracheen  in  einer  geradezu  gewaltigen  Zahl  vorhanden.  Anders 
liegen  die  Verhältnisse  bei  Dilo'phus  und  Bicellaria,  bei  denen  trotz 
des  Pigmentmangels  Tracheen  kaum  nachzuweisen  sind.  Dietrich 
kommt  daher  zu  dem  Schlüsse,  daß  bei  den  Dipteren  sich  im  Auge 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  449 

zwei  Prinzipien  widersprechen:  »Die  Vervollkommnung  der  Sehschärfe 
durch  den  dioptrischen  Apparat  und  die  teilweise  Aufhebung  dieses  Vor- 
teils durch  Begünstigung  der  Bildung  von  Zerstreuungskreisen  inner- 
halb der  Retina.  <<  Bei  sämtlichen  von  mir  untersuchten  Wasserwanzen 
ist  das  Retinapigment  im  differenzierten  Auge  —  liege  es  nun  ventral 
oder  dorsal  —  in  viel  reicherem  Maße  vorhanden  als  im  nicht  differen- 
zierten oder  »Normalauge«,  wie  es  Dietrich  nennt.  Im  differenzierten 
Auge  ist  die  optische  Isolierung,  obgleich  nur  durch  verschwindend 
wenige  Tracheen  unterstützt,  eine  vollkommenere  als  im  nicht  diffe- 
renzierten. Im  differenzierten  Auge  der  Wasserwanzen  ist  ein  Abirren 
der  Lichtstrahlen  und  die  Bildung  von  Zerstreuungskreisen  durch  die 
mächtige  Entwicklung  der  Retinapigmentzellen  zur  Unmöglichkeit 
gemacht. 

Noch  ein  zweites  Moment  zeigt  uns,  daß  im  Auge  der  Wasserwanzen 
die  Tendenz  vorhanden  ist,  die  einzelnen  Ommatidien  optisch  zu  iso- 
lieren. Betrachten  Avir  das  Auge  von  Ranatra  linearis  und  Hydrometra 
'palustris  auf  dem  Längsschnitt,  so  sehen  wir,  daß  die  Retinapigment- 
zellen zum  Teil,  beziehungsweise  insgesamt,  der  Basalmembran  in  einem 
ihr  offenen  Bogen  ausweichen,  dessen  höchster  distaler  Punkt  genau 
auf  der  idealen  Scheide  zwischen  dem  Ventral-  und  Dorsalauge  liegt. 
Wenn  die  Retinapigmentzellen  nicht  die  eben  beschriebene  Kurve 
ausführen  würden,  würden  die  mittleren  Teile  der  Ommen,  die  dorsal 
und  ventral  von  der  idealen  Scheide  zwischen  den  beiden  Teilen  des 
Doppelauges  stehen,  nur  umrahmt  von  den  feinen,  fadenförmigen 
Enden  der  Neben-  und  Retinapigmentzellen.  Dadurch  wäre  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  die  Möglichkeit  gegeben,  daß  ein  Lichtstrahl, 
der  unter  einem  bestimmten  Winkel  in  ein  ventral  von  der  idealen 
Scheide  des  Doppelauges  stehendes  Ommatidium  einfällt,  durch  Re- 
flexion in  ein  dorsal  von  der  besagten  Scheide  stehendes  Ommatidium 
gelangen  könnte.  Und  umgekehrt  könnte  ein  Lichtstrahl  aus  dem 
Dorsalauge  in  das  Ventralauge  gelangen.  Hierdurch  würde  natürlich 
das  vom  Auge  percipierte  Bild  in  seiner  Schärfe  erheblich  beeinträchtigt 
sein.  Dies  wird  dadurch  verhindert,  daß  die  Retinapigmentzellen 
dorsal  und  ventral  von  der  idealen  Scheide  des  Doppelauges  der  Mem- 
brana f  enestrata  ausweichen  und  mit  den  Nebenpigmentzellen  zusammen 
die  Ommatidien  des  betreffenden  Bezirkes  treffHch  optisch  isolieren, 
so  daß  es  eben  zur  Bildung  von  Zerstreuungskreisen  nicht  kommen  kann. 
Im  Auge  der  Lepidopteren  und  Dipteren  z.  B.  finden  wir  zwischen 
den  einzelnen  Ommatidien  liegend  eine  große  Zahl  von  Tracheen. 
Bei  einzelnen  Tierformen  sind  die   Tracheen  regelmäßig  angeordnet 

Zeitsclirift  f.  wiäsensch.  Zoologie.   XCVII.  Btl.  30 


450  Kirrt  Bedau, 

um  die  einzelnen  Ommatidien  —  wie  bei  Oxycera  und  Pieris  ra'pae  — 
und  durchsetzen  das  Auge  in  seiner  ganzen  Ausdehnung.    Diese  Augen 
sind   durch    die   Tracheen   sozusagen    pneumatisiert.      Im    Gegensatz 
hierzu   stehen   die   Augen   sämtlicher   Wasserwanzen.     Wiewohl   sich 
unterhalb  der  Membrana  fenestrata  Tracheenäste  in  großer  Zahl  und 
reicher  Verzweigung  ausbreiten,  können  wir  zwischen  den  Ommatidien 
nur  wenige  und  durchaus  irregulär  angeordnete  Tracheen  nachweisen. 
Die  Frage,  weshalb  die  Facettenaugen  der  im  Wasser  lebenden  He- 
mipteren  im  Gegensatz  zu  denen  der  Dipteren  und  Lepidopteren  mit 
nur  wenigen  Tracheen  ausgestattet  sind,  können  wir  leicht  unter  Be- 
rücksichtigung der  Funktion  der  Tracheen  innerhalb  des  Auges  be- 
antworten.    Für  das  Auftreten  von  Tracheen  innerhalb  des  Auges 
können  drei  Momente  bestimmend  sein.     Zunächst  können  sie  dazu 
dienen,  ähnlich  wie  das  Pigment,  die  einzelnen  Ommatidien  optisch 
voneinander  zu  isolieren.    Dies  Moment  kommt  für  die  Wasserwanzen 
nicht  in  Betracht.     Einerseits  sind  die  Tracheen  in  viel  zu  geringer 
Zahl  imd  viel  zu  unregelmäßiger  Anordnung  im  Wasser wanzenauge 
vorhanden,  als  daß  sie  durch  ihr  Zwischentreten  zwischen  die  einzelnen 
Ommatidien    diese    wirklich    optisch    voneinander   isolieren   könnten, 
anderseits  wird  die  Isolierung  durch  die  kräftig  entwickelten  Neben- 
und  Retinapigmentzellen  hinreichend  bewerkstelligt.    Weiterhin  können 
die  Tracheen  dazu  bestimmt  sein,  das  Auge,  insbesondere  die  licht- 
einlassende Oberfläche,  zu  vergrößern,  ohne  daß  dadurch  das  Gewicht 
der  Tieres  vergrößert  und  sein  Schwerpunkt  wesentlich  verändert  wird. 
Da  ich  zwischen  den  Vitrellen  Tracheen  nie  habe  nachweisen  können, 
kommt  auch  dieses  zweite  Moment  hier  nicht  in  Betracht.     Endlich 
können  die  Tracheen  im  Auge,  wie  im  übrigen  Körper,  den  respira- 
torischen Gasaustausch  vermitteln.    Und,  dieses  dritte  physiologische 
Moment  betrachtend,  werden  unsre  Gedanken  gelenkt  auf  die  —  Bio- 
logie.   Können  im  Auge  der  im  Wasser  lebenden  Hemipteren  —  nach- 
dem die  beiden  ersten  angeführten  Momente  die  Existenz  von  Tracheen 
wesentlicher   Funktion   nicht   haben   erklären   können   —   überhaupt 
Tracheen  vorkommen,   denen  funktionell   eine  essentielle   Bedeutung 
beizumessen  ist?     Bei  sämtlichen  im  Wasser  lebenden  Tierformen  ist 
der  Stoffwechsel  ein  nicht  so  reger  als  bei  den  Landformen.     Man 
muß  nur  einmal  beobachten,  in  welchen  Zeitabständen  z.  B.  eine  Ra- 
natra,  die  für  gewöhnlich  auf  dem  schlammigen  Boden  der  Gewässer 
sitzt,  sich  an  die  Oberfläche  des  Wassers  begibt,  um  zu  atmen.     Das 
geschieht  ungefähr  alle  5 — 10  Minuten  einmal,  ein  Zeichen  eines  tat- 
sächlich reichlich  reduzierten  Stoffwechsels.    Kann  es  uns  da  wunder- 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  451 

nehmen,  daß  bei  dem  so  minimalen  Austausch  der  durch  den  Stoff- 
wechsel erzeugten  Gase  eine  nur  winzig  kleine  Zahl  von  Tracheen  im 
Auge  der  Wasserwanzen  nachzuweisen  ist?  Dem  eben  Ausgeführten 
kann  man  noch  das  Faktum  entgegenhalten,  daß  die  Wasserwanzen 
nicht  an  das  Wasser  gebunden  sind,  daß  sie  es  verlassen  können.  In 
der  Tat  unternehmen  z.  B.  die  Naucoriden  sehr  gern  nächtliche  Aus- 
flüge. Aber  sollten  dieses  Faktums  wegen  die  Augen  des  Tieres  dem 
Leben  auf  dem  Lande  mehr  angepaßt  sein  als  dem  im  Wasser?  Das 
eigentliche  Heim  der  Wasserwanzen  ist  —  wie  das  der  Name  schon 
sagt  —  das  Wasser,  und  dem  Leben  in  diesem  Medium  haben  sich 
auch  demzufolge  die  Augen  dieser  Tiere  angepaßt. 

Das  Moment,  daß  die  Wasserwanzen  nicht  an  das  Wasser  ge- 
bunden sind,  daß  sie  nachts  Ausflüge  zu  unternehmen  imstande  sind, 
spiegelt  sich  in  der  Morphologie,  beziehungsweise  Physiologie  des  Auges 
dieser  Tiere  wieder.  Exner  hat  in  seiner  »Physiologie  der  facettierten 
Augen  von  Krebsen  und  Insekten«  die  Lehre  von  der  Pigmentwande- 
rimg im  Facettenauge  begründet.  Da  das  Pigment  in  einem  Auge,  das 
gewisse  Zeit  der  Dunkelheit  ausgesetzt  gewesen  und  auch  in  der  Dunkel- 
heit abgetötet  worden  ist,  zum  Teil  eine  andre  Lage  einnimmt  als  in 
einem  Auge,  das  gewisse  Zeit  dem  Sonnenlicht  exponiert  und  auch 
im  Sonnenlicht  abgetötet  worden  ist,  so  unterscheidet  Exner  ein 
»Dunkel«-  und  ein  »Lichtauge«.  Im  Dunkelauge  entstehen  die  Super- 
positionsbilder, im  Lichtauge  die  Appositionsbilder  nach  der  im  Jahre 
1826  von  Johannes  Müller  aufgestellten  und  jetzt  fast  allgemein 
anerkannten  Theorie  vom  musivischen  Sehen:  »Die  Gesamterregung 
entsteht  durch  Nebeneinanderreihen  der  zahlreichen,  in  den  verschie- 
denen Ocellen  entstehenden  einheitlichen  Einzelerregungen,  wie  sich 
ein  Mosaikbild  aus  einzelnen  einfarbigen  Steinchen  zusammensetzt.« 

Zuerst  hat  Exner  das  Faktum,  daß  das  Pigment  im  Dunkelauge 
zum  Teil  anders  gelegen  ist  als  im  Lichtauge  bei  Lamfyris  konstatieren 
können,  dann  hat  er  noch  an  einer  großen  Reihe  andrer  Tiere  die  Pig- 
mentwanderung im  Facettenauge  experimentell  nachzuweisen  ver- 
mocht. In  der  neuesten  Zeit  findet  Exners  Lehre  von  der  Pigment- 
wanderung ihre  Bestätigung  in  Kirchhoffers  »Untersuchungen  über 
die  pentameren  Käfer«,  der  bei  Geotrupes  und  Melolontha  im  wesent- 
lichen zu  Ergebnissen  kommt  wie  Exner  bei  Cantharis  fusca,  Dyticus 
inarginalis  und  Hydrophilus  piceus.  Auch  ich  kann  durch  die  Unter- 
suchungen, die  ich  an  Notonecta  glauca  und  Corixa  Geofjroyi  in  bezug 
auf  die  Pigmentwanderung  im  Auge  dieser  Tiere  angestellt  habe,  nur 
die  Resultate  Exners  bestätigen. 

30* 


452  Kurt  Bedau, 

Das  eine  Exemplar  ist  3  Stunden  direkt  dem  Sonnenlicht  aus- 
gesetzt gewesen  und  aucli  im  Sonnenlicht  mit  derselben  Konser- 
vierungsflüssigkeit (Formol,  Alkohol,  Eisessig,  destilliertem  Wasser)  ab- 
getötet worden  als  das  andre,  das  3  Stunden  der  Dunkelheit  exponiert 
gewesen  und  auch  in  der  Dunkelheit  getötet  worden  ist.  Fig.  21  a 
stellt  ein  Ommatidium  von  Notonecta  glauca  aus  dem  Lichtauge, 
Fig.  21  b  ein  solches  aus  dem  Dunkelauge  dar. 

Im  Lichtauge  ist  die  Eetinula  der  ganzen  Länge  nach  stark  pig- 
mentiert. Das  Pigment  der  Nebenpigmentzellen  erstreckt  sich  vom 
inneren  Rande  der  zweischichtigen  Cornea  bis  ungefähr  zu  der  Stelle, 
wo  das  erste  Drittel  des  Ommas  sein  Ende  erreicht.  Das  Retina- 
pigment reicht  distal  genau  bis  zu  dem  Punkte,  wo  das  Pigment  der 
Nebenpigmentzellen  proximal  aufhört.  Das  Pigment  der  Haupt- 
pigmentzellen umhüllt  becherförmig  das  Kristallzellengebilde  und  ist 
in  regelmäßigen  Querreihen  angeordnet.  So  die  Lage  des  Iris-,  Retina- 
und  Retinulapigmentes  im  Lichtauge.  Anders  im  Dunkelauge.  Nur 
das  Pigment  der  Hauptpigmentzellen  ist  im  Dunkelauge  genau  so 
angeordnet  wie  im  Lichtauge.  Das  Pigment  der  Nebenpigmentzellen 
sammelt  sich  in  der  distalen  Hälfte  der  Zellen  an,  wo  die  Kerne  dieser 
Zellen  gelegen  sind.  Die  proximale  Hälfte  der  Nebenpigmentzellen 
ist  frei  von  Pigment.  Ähnlich  das  Verhalten  des  Retinapigments. 
Die  Hälfte  der  Retinapigmentzellen,  die  der  Basalmembran  aufliegt 
und  den  Zellkern  enthält,  ist  intensiv  pigmentiert,  die  andere  Hälfte, 
die  distale,  weist  kein  Pigment  auf.  Das  Retinulapigment  konzentriert 
sich  au  zwei  Punkten,  am  kolbenförmig  verdickten  distalen  Ende  der 
Retinula  und  an  der  Basis,  dem  proximalen  Ende  der  Retinula,  so  daß 
die  acht  Sehzellkerne  auf  dem  Längsschnitt  deutlich  sichtbar  sind. 
(Bei  einem  nicht  oder  nur  gering  entpigmentierten  Präparate  sind  im 
Lichtauge  die  Sehzellkerne  nicht  zu  sehen.)  Schließlich  wäre  noch 
von  dem  Pigment  zu  sprechen,  das  wir  in  den  Nervenbündeln  antreffen. 
Im  Lichtauge  sind  diese  Nervenbündel  von  der  Membrana  fenestrata 
an  bis  zur  Ganglienzellkernschicht  des  peripheren  Opticusganglions 
hin  pigmentiert.  Im  Dunkelauge  sammelt  sich  das  Pigment  in  den 
Nervenbündeln  direkt  unterhalb  der  Basalmembran  an,  wandert  also 
in  distaler  Richtung.  Dadurch,  daß  das  Pigment  der  Nebenpigment- 
zellen distal  und  das  Retinapigment  sich  proximal  verschiebt,  ent- 
steht im  centralen  Teil  der  Retinula  zwischen  den  einzelnen  Ommen 
ein  pigmentfreier  Raum  und  gestattet  so  —  das  intracelluläre  Pigment 
der  Ommatidien  hat  sich  ja  distal  und  proximal  angesammelt,  den 
medianen  Teil  des  Ommas  freilassend  —  das  Zustandekommen  eines 


Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen.  453 

lichtstarken  Superpositionsbildes,  während  doch  sonst  dadurch,  daß 
das  zwischen  den  Onmiatidien  gelegene  Pigment  regelrechte  Scheiden 
um  die  einzelnen  Ommatidien  bildet  und  so  lichtsondernd  wirkt,  nur 
Appositionsbilder  zustande  kommen  können. 

Die  eben  gegebene  Schilderung  von  der  Pigmentwanderung  im 
Notonecta- Aime  —  für  Corixa  habe  ich  genau  dieselben  Verhältnisse 
experimentell  nachweisen  können  —  ist  ein  Beispiel  dafür,  daß  dap 
Auge  der  Wasserwanzen,  je  nachdem  es  der  Dunkelheit  oder  dem 
Lichte  exponiert  ist,  Superpositions-  beziehungsweise  Appositionsbilder 
aufzunehmen  vermag.  Am  Tage  werden  von  den  Augen  der  Wasser- 
wanzen vorzüglich  Appositionsbilder  percipiert,  in  der  Nacht  Super- 
positionsbilder. So  sehen  wir,  daß  auch  das  biologische  Moment,  daß 
die  im  Wasser  lebenden  Hemipteren  nachts  die  Gewässer  verlassen 
und  ausfliegen,  sich  in  der  Morphologie  und  Physiologie  des  Auges 
dieser    Tiere  widerspiegelt. 

Hauptergebnisse . 

1)  In  jedem  Omma  sind  acht  Sehzellen  nachweisbar,  von  denen  — 
abgesehen  von  Corixa  Geoffroyi,  wo  vier  distal  und  vier  proximal 
liegen  —  sechs  distal  und  zwei  proximal  angeordnet  sind. 

2)  Die  Augen  sämtlicher  Wasserwanzen  —  nur  die  von  Corixa 
Geoffroi/i  nicht  —  weisen  im  männlichen  wie  im  weiblichen  Geschlecht 
Differenzierungen  ins  Doppelauge  auf. 

3)  Am  ausgeprägtesten  sind  diese  Differenzierungen  bei  Ranatra 
linearis  und  Hydrometra  palustris. 

4)  Bei  Ranatra  linearis,  Neya  cinerea  und  Naucoris  cimicoides  hat 
jedes  Ommatidium  seinen  eignen  Kranz  von  Nebenpigmentzellen. 

5)  Die  Augen  von  Nepa  cinerea  und  Naucoris  cimicoides  sind  nicht 
tvpisch  acon.  Sie  repräsentieren  Übergangsformen  vom  aconen  zum 
pseudoconen  Auge. 

6)  Bei  Ranatra  linearis  und  Hydrometra  palustris  weichen  die  Ke- 
tinapigmentzellen  der  Basalmembran  in  einem  ihr  offenen  Bogen  aus. 
Der  am  weitesten  distal  gelegene  Punkt  dieser  Kurve  liegt  genau  auf 
der  idealen  Scheide  zwischen  Dorsal-  und  Ventralauge. 

7)  In  der  Morphologie  und  Physiologie  der  Augen  spiegelt  sich 
die  Biologie  ihrer  Träger  in  evidenter  Weise  wider.  Notonecta  glauca 
schwimmt  auf  dem  Rücken,  Hydrometra  palustris  bewegt  sich  auf  dem 
Wasser  fort.  Bei  den  eben  genannten  beiden  Hemipteren  ist  der  ven- 
trale Teil  des  Auges  besser  differenziert  als  der  dorsale.  Bei  Ranatra 
linearis,  Nepa  cinerea  und  Naucoris  cimicoides,  die  auf  dem  Bauche 


454  Kurt  Bedau, 

schwimmend  sich  fortbewegen,  ist  der  dorsale  Teil  des  Auges  besser 
differenziert  als  der  ventrale. 

8)  Für  Notonecta  glauca  und  Corixa  Geofjroyi  ist  experimentell 
nachgewiesen  worden,  daß  Pigmentverschiebungen  bei  Belichtung 
und  Verdunkelung  eintreten. 

Leipzig,  Weihnachten  1909. 


Literaturverzeichnis. 

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W.  Patten,  1886,  Eyes  of  Molluscs  and  Arthropods.  Mitteilungen  aus  der  zool. 
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—  1887,  Referat.     Zool.  Anz.     X.  Jahrg. 

E.  RÄDL,  1900,  Untersuchungen  über  den  Bau  des  Tractus  opticus  von  Squilla 
mantis  und  von  andern  Crustaceen.  Diese  Zeitschr.  Bd.  LXVII. 
S.  551—598. 


Das  Facettenausre  der  Wasserwanzen. 


455 


RIdl,  1900,  Ü  morfologickem  vyznainn  dvojitych  oci  u  Menovcü.  Spisvi  jubil. 
cenon  Kral.  spol.  nauk  poctonycli  c.  13.  ■ —  Ein  deutsches  Referat 
darüber:  Über  die  niürphologische  Bedeutung  der  Doppelaugen  der 
iVi-thropoden.     Zool.  Zentralblutt.     9.  Jahrg.    Nr.  3.    S.  82—83. 

—  1902,  ITber  specifische  .Stukturen  der  nervösen  Centralorgane.    Diese  Zeitschr. 

Bd.  LXXII.     1.  Hft.     S.  31—99. 

—  1906,  fitude  sur  les  yeux  doubles  des  Arthropods.    Acta  societatis  Entomolog. 

Bohem.  III. 

C.  Schneider,  1908,  Histologisches  Praktikum  der  Tiere.     Jena. 

M.  ScHULTZE,  1868,  Untersuchungen  über  die  zusammengesetzten  Augen  der 
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F.  Will,  1835,  Beiträge  zur  Anatomie  der  zusammengesetzten  Augen  mit  fa- 
cettierter Hornhaut.     Leipzig. 

C.  Zimmer,  1897,  Die  Facettenaugen  der  Ephemeriden.  Diese  Zeitschr.  Bd  LXIII. 
S.  236—263. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Abkürzungen: 


hm,  Basalmembran; 

hz,  Blutzelle; 

c,  Cornea; 

G.I,  Erstes  oder  peripheres  Opticus- 
ganglion ; 

G.II,  Zweites  Opticusganglion ; 

O.III,  Drittes  oder  centrales  Opticus- 
ganglion ; 

gzic,  Ganglienzellkern ; 

Ä-,  Kristallzellengebilde; 

kk,  Kristallzellkern ; 

h  lichtsammelnder  Körper?; 

mg,  Muskelgewebe; 

nh,  Nervenbündelschicht; 


nf,  Xervfaser; 

P,  Hauptpigmentzelle; 

f,  Nebenpigmentzelle ; 

pt,  pigmentierter  Teil   der  iSehzelle: 

Pzk,  Hauptpigmentzellkern ; 

fzk,  Nebenpigmentzellkern ; 

rh,  Rhabdomer; 

rj),  Retinapigment; 

r'pzk,  Retinapigmentzellkern ; 

stz,  Stützzelle; 

szk,  Sehzellkern; 

tr,  Trachee; 

trk,  Tracheenkern. 


Tafel  XIX  und  XX. 

Die  Abbildungen  wxirden  teils  mit  einem  Seibert-,  teils  mit  einem  Leitz- 
Miki'oskop  unter  Zuhilfenahme  des  AsBEschen  Zeichenapparates  angefertigt. 

Fig.  1.     Totalbild  des  Auges  von  Notonecta  glauca.     S.  III,  2. 

Fig.  2.  Drei  Einzelommatidien  aus  dem  Auge  derselben  Art  im  Längs- 
schnitt.    L.  III,  7. 

Fig.  3.     Querschnitt  durch  die  Vitrella  derselben  Art.     S.  I.     1/12  Imm. 

Fig.  4.     Totalbild  des  Auges  von  Ranatra  linearis.     S.  I,  5. 

Fig.  5.  Querschnitt  durch  die  Ommatidien  derselben  Art  in  Höhe  des 
distalen  Retinulaendes,  die  Anordnung  der  Nebenpigmentzellen  veranschau- 
Uchend.     S.  L     1/12  Imm. 


45G  Kurt  Bedau,  Das  Facettenauge  der  Wasserwanzen. 

Fig.  6.     Totalbild  des  Auges  von  Hydrometra  palustris,     L.  III,  3. 

Fig.  law.  h.  Zwei  Einzelommatidien  derselben  Art  im  Längsschnitt,  a,  aüiS 
dem  ventral  gelegenen  Teile  des  Dorsalauges  und  h,  aus  dem  Ventralauge.  S.  I, 
1/12  Imm. 

Fig.  8.  Querschnitt  durch  die  Vitrella  derselben  Art  in  Höhe  der  Neben- 
pigmentzellkerne.     S.  I,  1/12  Imm. 

Fig.  9.  Querschnitt  durch  die  Ommatidien  derselben  Art  in  Höhe  des 
distalen  Retinulaendes.     S.  III,  1/12  Imm. 

Fig.  10.     Totalbild  des  Auges  von  Nepa  cinerea.     S.  I,  2. 

Fig.  11.  Zwei  Einzelommatidien  aus  dem  Auge  derselben  Art  im  Längs- 
schnitt.    S.  I,  5. 

Fig.  12.  Querschnitt  durch  die  Ommatidien  derselben  Art  in  vei'schiedener 
Höhe.     S.  I,  1/12  Imm. 

Fig.  13.     Totalbild  des  Auges  von  Naucoris  cimicoides.     L.  I,  3. 

Fig.  14.  Zwei  Einzelommatidien  derselben  Art  im  Längsschnitt.  S.  III, 
1/12  Imm. 

Fig.  15.  Querschnitt  durch  die  Vitrella  derselben  Art,  die  Anordnung  der 
Nebenpigmentzellen  zeigend.     S.  III,  1/12  Imm. 

Fig.  16.     Totalbild  des  Auges  von   Corixa   Geoffroyi.     S.  III,  2. 

Fig.  17.  Querschnitt  durch  den  mittleren  Teil  der  Ommatidien  derselben 
Alt,  das  Sich-Einschieben  der  proximalen  Sehzellen  veranschaulichend.  S.  I, 
1/12  Imm. 

Fig.  18.     Zwei  Einzelommatidien  derselben  Art  im  Längsschnitt.    S.  1,  5. 

Fig.  19.     Partie  aus  der  Nervenbündelschicht  von  Notonecta  glauca.    S.  I,  5. 

Fig.  20.  Längsschnitt  durch  den  Ganglienapparat  von  Notonecta  glauca. 
S.  I,  5. 

Fig.  21  a  u.  b.  Zwei  Ommatidien  von  Notonecta  qlauca  auf  dem  Längs- 
schnitt,   a,  in  Licht-,  b,  in  Dunkelstellung.     L.  III,  7. 


Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  und  der 
Häutungsdrüsen  bei  Bombyx  mori. 

Von 

E.  Verson. 


Mit  Tafel  XXI  und  XXII. 


Die  Exuvialdrüsen  der  Insekten  sind  in  letzter  Zeit  wiederholt 
Gegenstand  sorgfältiger  Untersuchungen  gewesen.  Aber  abgesehen 
von  der  ihnen  unbedingt  zuerkannten  Primärwirkung:  durch  periodi- 
sche Abhebung  der  älteren  erhärteten  Cuticularbildungen  ein  sonst 
unüberwindliches  Hemmnis  progressiver  Gewebsevolution  zu  beseitigen, 
sind  die  Ansichten  über  Herkunft,  Entstehungsweise,  Struktur  und 
Funktionsweise  derselben  noch  ziemlich  weit  von  einer  befriedigenden 
Übereinstimmung  entfernt.  Und  da  es  mir  vergönnt  war,  zuerst  — 
1889  — ,  und  zwar  speziell  für  Bombyx  mori  die  genannten  Drüsen 
anzeigen  und  beschreiben  zu  dürfen  i,  —  mag  es  nicht  ungerechtfertigt 
erscheinen,  daß  ich  den  seitdem  mehrfach  geäußerten  Divergenzen 
gegenüber,  endlich  Stellung  zu  nehmen  gedenke. 


Zunächst  die  allgemeinen  Charaktere  der  zu  besprechenden 
Gebilde. 

Ich  habe  die  Exuvialdrüsen  von  Bombyx  mori  als  beutelartige 
Organe  bezeichnet,  welche  mit  einem  rundlichen,  oder  ovalen,  oder 
mehr  abgeplatteten  Bauche  in  die  freie  Leibeshöhle  sich  einsenken, 
und  mit  einem  hohlen  Halse  das  Hypoderm  bis  zur  basalen  Grenze 
seiner  Cuticula  durchsetzen.  Die  Entfaltung  der  verdickten  Partie 
nach  verschiedenen  Kichtungen  hängt  wesentlich  von  der  nächsten 
Umgebung  ab,   welche   durch   Stränge,   Muskelfasern,    Tracheen   und 


1  E.  Verson,  Hautdrüsensysteni  bei  Bombyciden.  Zoolog.  Anzeiger 
1889.  S.  118.  —  E.  Verson,  Di  una  serie  di  nuovi  organi  secretori  scoperti  nel 
filugello.  Ricerche  anatomiche  della  R.  Stazione  Bacol.  Specimentale  V.  Pa- 
dova  1890.     Con  4  tavole. 


458  E.  Verson, 

dergleichen  die  anwachsende  Drüsenmasse  aufhält,  um  sie  nach  einer 
andern  Seite  zu  verschieben.  So  kommt  es  nicht  selten  vor,  daß  der 
verschmälerte  Teil  vom  Drüsenkörper  sogar  winkelig  abgeht.  Aber 
während  der  ersten  Larvenperioden  herrscht  doch  im  allgemeinen  eine 
rundliche  Gestalt  vor;  und  nur  zuletzt  ergeben  sich  —  durch  ungleich- 
mäßiges Wachstum  —  scharfe  Einbuchtungen,  welche  sich  zu  langen, 
zuweilen  noch  verästigten  Lappen  strecken  können. 

Bis  zur  Verpuppung  finden  sich  die  Exuvialdrüsen  in  der  ständigen 
Zahl  von  15  Paaren  vor.  Es  gibt  deren  zwei  Paare  für  jeden  Brust- 
ring; ein  Paar  für  je  einen  der  sieben  ersten  Bauchringe,  während 
der  achte  Bauchring  wieder  zwei  Paare  aufweist.  Daher  unterscheide 
ich  je  zwei  obere  pro-,  meso-,  metathoracale  Drüsen,  und  ebenso  viele 
untere.  Die  ersteren  münden,  zwischen  Hypoderma  und  Guticula, 
an  einer  Stelle,  welche  etwas  nach  vorn  und  oben  vom  Stigma  oder 
von  dessen  mutmaßlicher  Lage  zu  suchen  ist ;  die  letzteren  richten  ihren 
Ausführungsgang  gegen  die  äußere  Basalfläche  der  betreffenden  Brust- 
beine. Am  ersten  bis  siebenten  Bauchsegment  sind  die  Exuvialdrüsen 
ganz  ähnlich  orientiert  Avie  die  analogen  Dorsalgebilde  der  Brustringe; 
und  nicht  anders  verhält  sich  das  eine  der  zwei  Drüsenpaare,  welche 
dem  achten  Bauchsegment  eigen  sind:  während  das  andre  in  gleicher 
Höhe  mit  dem  letzten,  dem  neunten  Stigma,  aber  etwas  hinter  dem- 
selben verrückt  erscheint. 

Ich  habe  auch  gefunden,  daß  bei  der  Verpuppung  nur  die  zwei 
letzten  Drüsenpaare  vollständiger  Involution  anheimfallen  und  — 
ohne  Beste  zu  hinterlassen  —  sofort  verschwinden,  während  alle  übrigen 
sich  noch  längere  Zeit  an  ihrem  ursprünglichen  Platze  behaupten i. 
Aber  dieser  meiner  Angabe  ist  nicht  Rechnung  getragen  worden. 
Plotnikow  behauptet  in  der  Tat,  daß  die  Exuvialdrüsen  ausschheßlich 
dem  Larvenleben  zukommen,  und  leugnet  demgemäß,  daß  die  bei  der 
Puppenhäutung  entstehende  Exuvialflüssigkeit  unsern  Drüsen  ent- 
stamme^.  Auch  Philiptschenko  nimmt  die  Abwesenheit  von  Exuvial- 
drüsen in  der  Puppe  als  bewiesen  an^ ;  und  Deegenek  nimmt  aus  der 
angeführten  »Tatsache:  daß  bei  der  Puppe  die  Exuvialdrüsen  nicht 
mehr  entwickelt  sind«  —  Anlaß,  zu  folgern,  »daß  auch  in  geringfügigen 


1  E.  Vebson,  Ricerche  Anatomiche  della  Stazione  Bacologica  di  Padova. 
V.  p.  5. 

2  W.  PLOTiiiKOW,  Über  die  Häutung  und  über  einige  Elemente  der  Haut 
bei  den  Insekten.     Diese  Zeitsehr.     Bd.  LXXVI.     1904. 

3  Jtjb.  Philiptschenko,  Anatomische    Studien    über    Collembola.      Diese 
Zeitsehr.     Bd.  LXXXV.     1907. 


Beitrag  zur  iiähcriMi   Kiuiitnis  der  Htäulung  usw.  459 

Organisationseigentümlichkeiten  die  Puppe  der  Imago  näher  steht  als 
die  Larve«!. 

Dieser  Verallgemeinerung  muß  ich  mich  nun  entschieden  wider- 
setzen. Ist  es  mir  nicht  gelungen  in  der  fertigen  Puppe  von  Bomhyx 
mori  auch  nur  Spuren  von  den  vier  Exuvialdrüsen  wiederzufinden, 
welche  dem  achten  Bauchsegment  der  Larve  angehörten,  so  bleiben  doch 
immerhin  andre  ,26  noch  in  unversehrtem  Zustand,  wie  Fig.  24  und 
25  zeigen;  und  es  ist  gar  kein  Zweifel  —  nach  meiner  Ansicht  — ,  daß 
bei  der  Verwandlung  der  Puppe  in  den  Schmetterling  die  vorhandene 
Exuvialflüssigkeit  ebenfalls  jenen  Drüsen,  und  nur  jenen  Drüsen  ent- 
stammt, welche  dieselbe  bei  den  Larvalhäutungen  bereiten.  Freilich, 
die  Modifikationen,  denen  das  Integument  bei  Larvenhäutung  einer- 
seits, und  anderseits  bei  Puppenhäutung  entgegengeht,  sind  mitein- 
ander gar  nicht  zu  vergleichen.  Denn  die  eigentliche  Häutung  der 
Larve  besteht  wesentlich  in  einer  ziemlich  raschen  Abhebung  der 
gespannten  Cuticula  vom  Hypoderm,  welches  unterdessen  nur  die 
Zahl  seiner  Elemente,  nicht  den  Bau  und  die  Natur  derselben  ge- 
ändert hat:  sogar  die  Größe  derselben  bewahrt  in  allen  Larvenperioden 
annähernd  gleiche  Mittelwerte.  Bei  der  Puppe  dagegen  verläuft  der 
Prozeß  weit  eingreifender.  Statt  sich  gleich  zu  bleiben,  verwandeln 
sich  hier  die  Elemente  des  Hypoderms  —  bei  der  zunächst  erfolgenden 
Teilung  —  in  zwei  Gruppen,  von  welchen  die  eine  zur  Herstellung 
einer  dünnen,  sehr  zarten  Integumentalmembran  dient,  während  in 
der  andern  große  bläschenartige  Zellen  verbleiben,  mit  einem  Fort- 
satze, der  das  eigentliche  Hypoderm  nach  außen  durchbricht  und  sich 
jenseits  desselben  allmählich  zu  einer  jener  zahllosen  Schuppen  ent- 
faltet, aus  welchen  das  neue  Kleid  der  Imago  bestehen  wird^. 

Der  ganze  Vorgang  nimmt  aber  geraume  Zeit  in  Anspruch. 

Die  ersten  Schüppchen  welche,  noch  unansehnlich,  mit  ihrer  freien 
Spitze  das  verjüngte  Hypoderm  durchsetzen,  um  sich  unter  der  Puppen- 
hülle (Cuticula)  nach  und  nach  breitzumachen,  erscheinen  schon  8  und 
mehr  Tage  bevor  der  Schmetterling  ausschlüpfen  soll.  Daraus  ergibt 
sich  unmittelbar  die  Annahme,  daß  zu  dieser  Zeit  auch  die  Loslösung 
und  die  Abhebung  der  Puppenhülle  in  Gang  gekommen  sein  muß;  und 
da  die  einzige  Veranlassung  dazu  in  der  Exuvialflüssigkeit  zu  suchen 
ist,  so  darf  ohne  weiteres  gefolgert  werden,  daß  in  der  Puppenperiode 
die  Tätigkeit  der  Exuvialdrüsen  nicht  —  wie  bei  der  Larve  —  erst 


1  P.  Deegeneb,   Die    Metamorphose    der    Insekten.      Leipzig    n.    Berlin. 
Teubner  1909. 

2  Vebson,  e  QuAJAT,  II  Filugello  e  l'Arte  Sericola.    p.  276.    Padova  1896. 


460  E.  Verson, 

kurz  vor  jeder  Häutung  angeht,  um  sofort  nach  derselben  aufzuhören. 
Man  findet  in  der  Tat  schon  bei  der  jungen  Puppe  eine  dünne  Schicht 
Exuvialflüssigkeit  zwischen  Cuticularhülle  und  Hypoderm  angesammelt. 
Damit,  d.  h.  mit  der  Lubrifikation  der  abzuwerfenden  Puppenhülle, 
haben  die  Exuvialdrüsen  aber  auch  ihre  letzte  Aufgabe  erfüllt;  und 
darf  es  nicht  befremden,  daß  nach  vollbrachtem  Tagewerk  sie  den 
Platz  in  raschem  Schwunde  räumen. 

Daß  die  Exuvialflüssigkeit  übrigens  eine  andre  Quelle  als  die  hier 
behandelten  Drüsen  haben  möge,  davon  kann  wahrlich  keine  Rede 
sein.  Zwar  hat  Tichomirow  die  Vermutung  ausgesprochen!,  daß  die 
unter  der  Cuticula  angesammelte  Flüssigkeit  von  den  MALPiC4Hischen 
Gefäßen  abzuleiten  sei,  indem  dieselbe  zwischen  das  Epithel  des  Hinter- 
darmes und  dessen  Chitinintima  eindringen  und  auf  diesem  Wege  auch 
unter  die  äußere  Integumentalcuticula  gelangen  dürfte.  Die  Hypo- 
these ist  nicht  neu.  Schon  im  Jahre  1872  hatte  A.  Vasco  die  Vor- 
stellung wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  daß  die  Darmsäfte  bei  der 
Seidenraupe  unter  die  abgehobene  und  gefaltete  Intima  des  hinteren 
Intestinaltractus  leicht  gelangen,  und  von  hier  aus  zwischen  alte  und 
neue  Dermalcuticula  vordringen  könnten^.  Die  spekulative  Betrach- 
tung widersteht  aber  nicht  dem  Prüfstein  des  Experimentes.  Nimmt 
man  —  zur  leichteren  Übersicht  —  eine  größere  Raupe,  welche  zum 
sogenannten  Schlafe  sich  anschickt  (also  10 — 20  Stunden  —  je  nach 
der  Temperatur  —  vor  der  eigentlichen  Häutung),  und  umschlingt 
deren  Hinterende  mit  einem  mehrfachen  fest  zugezogenen  Faden,  so 
sollte  die  gelungene  Unterbindung  jeder  Kommunikation  zwischen 
Darmlumen  und  intercuticularem  Raum  des  Integumentes  sicher  vor- 
beugen. Und  doch  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  daß  —  trotz 
der  vorausgeschickten  Unterbindung  —  Exuvialflüssigkeit  sich  in  nor- 
maler Menge  unter  der  Haut  ansammelt;  und  nur  das  Vorhandensein 
einer  straffen  Schlinge  die  Abstreifung  der  isolierten  Exuvie  zu  ver- 
hindern vermag! 

Außerdem  dürfte  noch  eine  sehr  einfache  Betrachtung  geeignet 
sein,  ähnliche  Auslegungen  endgültig  zu  widerlegen.  Bekanntlich  ist 
während  der  Puppenperiode  von  Bombyx  mori  die  Secretion  von  Darm- 
säften fast  gänzlich  sistiert;  und  beginnt  während  derselben,  vom 
Vorderdarm  aus,  die  Entwicklung  des  früher  nicht  vorhandenen  Saug- 
magens,  der,  kurz  vor  dem  Ausschlüpfen  der  Imago,  mit  einer  klaren, 

1  A.  Tichomirow,  Praktischer  Seitenbau.     Moskau  1895  (russisch). 

2  A.  Vasco,  Nuove  considerazioni  sul  processo  delle  mute.  Accad.  di 
Agricolt,     Torino  1872, 


Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  usw.  461 

ungefärbten,  stark  alkalischen  Flüssigkeit  sich  füllt i.  Diese  Flüssig- 
keit dient  dem  fertigen  Insekt  teilweise  zur  Durchweichung  des  noch 
geschlossenen  Kokons  dort,  wo  die  Mundöffnung  demselben  gerade 
gegenübersteht ;  zum  übrigen  Teile  befreit  sie  den  Mitteldarm  von  den 
Überresten  des  abgestoßenen  larvalen  Epithels,  welches  unterdessen 
zu  einer  rötlichen,  harzartigen  Masse  zusammengebacken  ist.  Die 
rotbraune  Emulsion,  welche  im  Ventrikel  aus  der  Mischung  von  un- 
gefärbter Flüssigkeit  mit  farbigem  Rückstande  hervorgeht,  gelangt 
so  in  den  Hinterdarm  (Cöcalblase),  um  schließlich  mit  den  ersten 
Dejektionen  des  Schmetterlings  nach  außen  befördert  zu  werden^. 
Aber  offenbar  dringt  auch  keine  Spur  davon  zwischen  Puppenhülle 
und  Imaginalintegument ;  denn  in  solchem  Falle  müßte  auch  das 
Schuppenkleid  des  vollkommenen  Insekts  damit  besudelt  erscheinen, 
was  tatsächlich  nie  wahrgenommen  wird. 

Die  Größe  der  Exuvialdrüsen  variiert  beim  Seidenspinner  je  nach 
ihrer  Ubikation,  nach  dem  Alter,  das  sie  erreicht  haben,  nach  dem 
Zustand  der  Ruhe  oder  der  Tätigkeit,  in  dem  sie  sich  befinden. 

Am  kleinsten  ergeben  sich  bei  jungen  Raupen  die  unteren  Thoracal- 
drüsen,  während  alle  übrigen,  vom  Prothorax  an  bis  zum  achten  Bauch- 
segment, in  regelmäßiger  Progression  an  Volumen  zunehmen.  So 
fand  ich  an  einem  und  demselben  Thiere  (vom  Ende  des  dritten  Larven- 
alters) die  Dimensionen  der  einzelnen  Segmentalorgane  wie  folgt: 

untere  Prothoracaldrüse     ,     .     .     .  0,1       X  0,1      mm 

Exuvialdrüse  des  3.  Bauchsegments  0,075  X  0,18       >> 

»  »    4.  »  0,087  X  0,2        » 

»  »    5.  »  0,10    X  0,21       » 

»  »    6.  »  0,175  X  0,237     » 

»  »    8.  »  0,375  X  0,4        » 

Wie  aus  diesen  Zahlen  schon  zum  Teil  ersichtlich,  sind  die  unteren 
Thoracaldrüsen  mehr  in  die  Breite  gezogen.  Die  oberen  strecken  sich 
lappig  in  längliche  Form;  runden  sich  aber  ab,  indem  sie  gleichzeitig 
an  Gesamtgröße  zunehmen,  je  mehr  sie  caudalwärts  zu  liegen  kommen. 
Deshalb  kann  ich  auch  die  Behauptung  Plotnikows  für  Boynhyx  ynori 
nicht  unterschreiben,  derzufolge  die  Exuvialdrüsen  des  dritten  Thora- 
cal-  und  des  ersten  Abdominalsegments  am  größten  sein  sollen,   um 


1  E.  Vekson,  Zur  Entwicklung  des  Verdauungskanals    bei  Bomhyx  mori. 
Diese  Zeitschrift.     Bd.  LXXXII.     S.  563. 

2  E.  Verson,  Chemisch-analytische  Untersuchungen  an  lebenden  Raupen, 
Puppen  und  Schmetterlingen.     Zoolog.  Anzeiger.     Bd.  XIII.     Nr.  346. 


462  E.  Verson, 

von  hier  aus  sich  allmählich  nach  vorn  und  nach  hinten  zu  verkleinern. 
Daoegen  muß  hervorgehoben  werden,  daß,  nach  der  vierten  Häu- 
tung, die  Tätigkeit  der  Exuvialdrüsen  in  den  vorderen  Somiten  sehr 
auffallend  zu  steigen  beginnt;  und  daß  diese  nachträgliche  Intensifi- 
kation  allerdings  so  bedeutend  werden  kann,  daß  die  früher  erwähnten 
Größenunterschiede  zwischen  vorderen  und  hinteren  Drüsen  dann  in 
wenigen  Tagen  meist  vollständig  ausgeglichen  werden. 

Was  das  Wachstum  anlangt,  dessen  die  Drüsen  fähig  sind,  habe 
ich  gleich  anfangs  angegeben,  daß  dieselben  im  reifen  Embryo  kaum 
0,02  X  0,03  mm  maßen,  während  bei  voller  Entwicklung  sie  einen 
größten  Durchmesser  von  3  mm  und  darüber  erreichen  können. 

Und  man  muß  zugeben,  daß  sie  in  den  aktiven  Phasen  um  das 
Mehrfache  des  initialen  Volumens  anschwellen,  um  darauf  noch  rapider 
zu  einem  unförmlichen  Klümpchen  zusammenzuschrumpfen. 

Aber  das  Merkwürdigste  an  ihrem  Verhalten  liegt  doch  darin,  daß, 
wie  in  den  folgenden  Seiten  besser  dargelegt  werden  soll,  ihr  Ausfüh- 
rungsgang nie  an  der  äußeren  Oberfläche  des  Integumentes  frei  mündet : 
insofern  eine  kontinuierliche  Cuticularschicht  dessen  Öffnung  ausnahms- 
los überbrückt.  Daher  kann  ich  mich  auch  mit  den  Angaben  späterer 
Forscher  nicht  befreunden,  welche  einerseits  zugeben  »einen  ver- 
stopften Ausführungsgang  vor  sich  zu  haben«  (Plotnikow, 
I.e.,  p.  350);  anderseits  jedoch  glauben  lassen,  daß  »die  Mündung 
des  Ausführungsganges  nach  der  Häutung  entweder  ge- 
öffnet bleibe,  oder  aber  sie  werde  durch  eine  besondere 
braune,  sehr  harte  Substanz  verstopft,  welche  offenbar 
ein  Drüsensecret  sei:  so  daß  bei  deren  Entfernung  die 
weichen  Wände  des  Ausführungsganges  zusammenfallen 
und  Verschluß  herstellen«  (ebenda  S.  352).  Ich  werde  später 
zeigen,  daß  in  den  Lücken  des  Drüsengewebes  selbst,  bei  der  mikrosko- 
pischen Prüfung  nicht  selten  die  Gegenwart  von  festen,  leicht  färbbaren 
Contentis  ins  Auge  fällt,  welche  sehr  wohl  mit  Gerinnseln  des  eiweiß- 
haltigen Secretionsproduktes  durch  die  angewandten  Fixationsmittel 
identifiziert  werden  dürften.  Und  so  kann  es  wohl  vorkommen,  daß 
in  manchen  Präparaten  eine  ähnliche  Substanz  auch  den  Mündungs- 
kanal mehr  oder  weniger  auszufüllen  scheint.  Aber  ich  könnte  nicht 
zugeben,  daß  die  »weichen«  Cuticularwände  des  Ausführungsganges 
bei  der  Häutung  zusammenfallen  und  dadurch  das  Ausfließen  des 
Secretes  nach  außen  verhindern.  Diese  sogenannten  weichen  Cuti- 
cularwände besitzen  regelmäßig  aufeinander  folgende  Verdickungsringe, 
welche  —  durch  Runzelung  der  eintrocknenden,  noch  frischen  Aus- 


Beitrap  7,ur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  xisw.  463 

schwitzung  bedingt  —  ebenso  wie  die  Chitinspiralen  bei  den  Tracheen 
einer  Quetschung  der  Röhren  bestimmt  vorbeugen.  Eine  wirkhche 
Verstopfung  des  Kanals  erfolgt  nur  dadurch,  daß  die  Hypodermzellen 
der  Mündungslippen  an  ihrem  freien  Rande  chitinogene  Substanz  in 
genügender  Menge  ausscheiden,  um  an  dieser  verengten  Stelle  das 
ganze  Lumen  auszufüllen,  \md  darauf  zu  einem  festen  Pfropfen  zu 
erhärten. 

Eine  letzte  Betrachtung  allgemeinen  Charakters  soll  nicht  unter- 
lassen bleiben,  bevor  ich  zu  den  ersten  Anfängen  und  zur  Struktur 
der  eigentlichen  Drüsen  übergehe. 

Es  ist  wohl  selbstverständlich  —  und  bedarf  es  keines  weiteren 
Beweises,  daß  —  nach  Lage  und  Verteilungsweise  —  die  Exuvialdrüsen 
so  eingerichtet  sein  müssen,  daß  sie  am  besten  ihrer  Bestimmung 
entsprechen,  den  Häutungsprozeß  zu  erleichtern  und  zu  vereinfachen. 
Nmi  weiß  man,  daß  die  Exuvialflüssigkeit  an  alle  Stellen  der  Körper- 
oberfläche gelangen  muß,  damit  die  bezweckte  Abtrennung  der  Cuticula 
vom  Hypoderm  nicht  unvollständig  bleibe;  daß  nach  gelungener  Ab- 
hebung der  abgetragenen  Cuticula  die  entblößten  Zellen  des  Hypo- 
derms  sich  beeilen  eine  neue  chitinogene  Secretion  zu  veranlassen, 
welche  eine  verjüngte,  der  Matrix  anhaftende  Cuticula  schafft;  daß 
genau  an  der  kreisförmigen  Grenzlinie  zwischen  Kopf  und  erstem  Leibes- 
ringe die  bezüglichen  Cuticulae  auseinander  reißen,  so  daß  einerseits 
die  alte  Kopfmaske  von  selber  abfällt,  anderseits  die  schlauchartige 
Exuvie  nach  vorn  mit  einer  offenen  Mündung  endet,  in  welche  die 
erweiterte  Kopfblase  der  wiedererwachten  Larve  sich  sogleich  einkeilt. 

Aber  niemand  hat  noch  daran  gedacht,  zu  fragen,  warum  bei  jedem 
angehenden  Schlafe  die  häutungsbedürftigen  Larven  eine  scheinbar 
so  mmatürliche  Stellung  annehmen,  indem  sie  —  nach  Anheftung  der 
Bauchfüße  an  die  nächste  Umgebung  durch  feine  Seidenfäden  —  den 
Thorax  in  die  Höhe  recken,  den  Kopf  leicht  nach  unten  rotieren,  und 
in  dieser  Haltung  unbeweglich  verharren  bis  zum  Augenblicke,  wo  die 
Trennung  der  starren  Kopfmaske  vom  nachgiebigen  Cuticularschlauche 
eine  vollendete  Tatsache  geworden  ist. 

Daß  mm  dieser  gewaltsame  Riß  wirklich,  und  immer  an  derselben 
Stelle  stattfindet,  —  das  dürfte  wohl  mit  der  eignen  Lage  in  sehr  enger 
Beziehung  stehen,  welche  die  Exuvialdrüsen  einnehmen. 

Käme  die  schlafende  Raupe  auf  horizontalem  Lager  einfach  ge- 
streckt zu  liegen,  so  läßt  sich  annehmen,  daß  der  mehr  oder  weniger 
abgehobene  Cuticularschlauch  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  von  der 
darin    angesammelten   Exuvialflüssigkeit    benetzt    und    durchdrungen 


464  "  E.  Verson, 

sein  würde.  Auch  bei  aufgerichtetem  Thorax  wird  sich  am  ganzen 
Abdomen  der  Raupe  eine  ausgiebige  Durchweichung  geltend  machen, 
weil  das  ausfließende  Secret  aller  Drüsen  —  welch  auch  immer  ihre 
Lage  sei  —  dem  Gesetz  der  Schwere  folgend,  allmählich  von  oben 
nach  unten  sinkt.  Nicht  ebenso  ausgedehnt  wird  aber  die  Lubrifikation 
des  Thoracalschlauches  erfolgen.  Denn  obgleich  der  größte  Teil  des- 
selben von  den  Secrettropfen  sehr  leicht  erreicht  wird,  welche  aus  den 
Mündungen  der  zwölf  hier  verfügbaren  Drüsen  herunterrieseln,  so  ist 
eine  Durchfeuchtung  der  Cuticula  an  ihrem  obersten  Saume  —  d.  h. 
an  der  Grenze  zwischem  erstem  Brustring  und  Kopfmaske  —  ganz  un- 
denkbar. An  dieser  Stelle  trocknet  daher  die  Cuticula  in  einer  ring- 
förmigen  Zone  vollständig  aus,  verliert  ihre  Zähigkeit,  und  gibt  ein 
Punctum  minoris  resistentiae  ab,  welches  der  verjüngten  Raupe  die 
Möglichkeit  gewährt,  sich  von  einem  Hemmnis  zu  befreien,  das  mit 
ihrer  weiteren  Entwicklung  ganz  unvereinbar  ist. 

Und  vom  Kopfe  selbst  wird  die  Vorbereitung  zum  entscheidenden 
Riß  ausgelöst. 

Wie  bei  allen  angehenden  Häutungen  die  Elemente  des  Hypo- 
derms  überall  in  lebhafte  Teilung  geraten,  ebenso  vermehren  sich 
gleichzeitig  die  Zellen,  durch  welche  die  Schädelhöhle  begrenzt  wird. 
Dabei  erfährt  natürlich  die  ganze  Kopfblase  eine  bedeutende  Erweite- 
rung ihrer  Oberfläche.  Nachdem  aber  dieselbe  vor  dem  Widerstände 
der  äußeren  starren  Chitinkapsel  nicht  zur  Geltung  kommen  kann,  legt 
sie  sich  zunächst  faltig  ein;  und  weil  die  innere  Spannung  trotzdem 
nicht  nachläßt,  so  schnellt  endlich  die  schwellende  Kopfblase  aus  der 
alten  Nische  heraus  und  zieht  sich  innerhalb  des  Exuvialsackes  des 
ersten  Brustringes  zurück,  dessen  größere  Kapazität  ihr  eine  bequeme 
Zuflucht  gestattet.  Die  somit  erfolgte  Versetzung  der  erweiterten 
Kopfblase  wird  auch  äußerlich  an  einem  grauen  Fleck  erkennbar, 
welcher  hinter  dem  Scheitel  der  verlassenen  Kopfkapsel  durchscheint 
und  ein  Vorzeichen  imminenter  Häutung  bedeutet. 

Unterdessen  hat  sich  also  der  Körper  der  Raupe  von  jeder  orga- 
nischen Verbindung  mit  dem  umhüllenden  Exuvialsacke  losgemacht. 
Nach  Räumung  der  alten,  starren  Chitinkapsel  von  selten  der  zelligen 
Kopfblase  ist  aber  die  Larve  nun  bemüßigt,  ihre  Gesamtheit  in 
eben  denselben  Cuticularschlauch  einzuzwängen,  welcher  noch  kurz 
vorher  nur  die  Leibesringe,  ohne  den  Kopf,  zu  beherbergen  hatte. 
Brust-  und  Bauchringe,  teilweise  auch  durch  die  vorausgegangene 
Emission  reichlichen  Exuvialsaftes  erschlafft,  passen  sich  dem  unver- 
meidlichen Platzmangel  an,  indem  sie  eine  leichte  S-artige  Krümmung 


Beitrag  /ur  nälioion  Kenntnis  der  Häutung  usw.  465 

innerhalb  des  nun  ausgeweiteten  Schlauches  erleiden.  Dabei  steift 
sich  wieder  die  weiche  Körpermasse;  die  verjüngte  Kopfblase  drängt 
hebelartig  gegen  den  vorspringenden  oberen  Rand  der  geräumten  und 
nun  leerstehenden  Chitinkapsel,  welche  noch  mehr  nach  unten  rotiert 
und  dabei  den  dorsalen  Anteil  des  anhängenden  Exuvialsackes  in  die 
Länge  zerrt.  Die  betreffende  Cuticula,  durch  die  erigierte  Haltung  der 
schlafenden  Raupe  aus  dem  Bereiche  der  Exuvialdrüsen  gerückt,  ist 
jedoch  ausgetrocknet  und  hat  ihre  Widerstandsfähigkeit  vollständig 
eingebüßt:  kein  Wunder  daher,  wenn  sie  längs  der  circulären  Ver- 
bindungslinie zwischen  Kopf  und  Prothorax  auseinander  reißt,  wobei 
die  Maske  abfällt  und  an  ihrer  Stelle  eine  runde  öffnvmg  hinterläßt! 
Letztere  wird  aber  sogleich  durch  den  verjüngten  Kopf  der  erwachten 
Larve  ausgefüllt,  welcher,  mit  einem  einzigen  Rucke  vorgetrieben,  eine 
vorzeitige  Dispersion  der  lubrifizierenden  Flüssigkeit  verhütet. 

Durch  wurmartige  Kontraktionen  des  Leibes  schiebt  nun  die 
Larve  ihren  Kopf  vollends  aus  der  vorderen  Öffnung  des  Exuvial- 
sackes; dem  Kopfe  folgt  das  erste  Beinpaar  unmittelbar  nach,  und 
strebt  den  nächsten  Widerstand  zu  erfassen,  dem  es  begegnet;  schließ- 
lich wird  der  ganze  Körper  allmählich  aus  dem  abgetragenen  Futteral 
nachgezogen,  welches,  durch  Seidenfäden  am  Lager  festgeheftet,  auch 
einem  anhaltenden  Zuge  nicht  folgen  kann. 


Zum  besseren  Verständnis  der  etwas  sonderbaren  Verhältnisse, 
welche  ich  im  folgenden  über  Anlage  und  Entwicklung  der  Exuvial- 
drüsen bei  Bomhyx  mori  berichten  muß,  mag  mir  gestattet  sein,  zu- 
nächst eine  kurze  Beschreibung  dieser  Organe  vorauszuschicken,  wie 
sie  einer  mittleren  Altersperiode  der  Larve  angehören  und  dem  Zu- 
stand voller  Tätigkeit  entsprechen.  Ich  verweise  den  Leser  speziell 
auf  Fig.  17,  welche  das  getreue  Bild  eines  Schnittes  durch  eine  untere 
Prothoracaldrüse   wiedergibt. 

Der  Körper  der  Drüse  zeigt  in  seinem  Innern  einen  weiten  Hohl- 
raum von  unregelmäßig  zackiger  Begrenzung  der  teilweise,  besonders 
wandständig,  von  einer  körnigen,  stark  lichtbrechenden  und  leicht 
färbbaren  Substanz  eingenommen  wird;  rings  um  den  Hohlraum  er- 
streckt sich  eine  breite  Rinde  von  anscheinend  schaumiger  Struktur, 
in  welcher  kleinere  oder  größere  Vacuolen  sich  eng  aneinander  reihen. 
Ein  konischer  Ansatz  —  zuweilen  aus  einer  einzigen,  häufiger  aber 
aus  zwei  oder  selbst  drei  zusammengefügten  Riesenzellen  bestehend  — 
reicht  bis  an  die  Oberfläche  des  Hypoderms  und  umfaßt  einen  kurzen 
Ausführungsgang,  der  im  angeführten  Bilde  nach  innen  zu  blind  endigt, 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  31 


466  E.  Verson, 

nach  außen  offen  mündet.  Dabei  besitzt  der  Ausführungsgang  selbst 
einen  dünnen,  chitinösen  Überzug  mit  circulären  oder  spirahgen  Ver- 
stärkungen, der  in  die  Cuticula  des  Integumentes  ctn  immittelbar  über- 
geht. Wie  leicht  zu  ersehen,  stellt  ctn  eine  neue  Cuticularemission 
von  Seiten  des  Hypoderms  vor,  während  die  alte  schon  abgehobene 
Cuticula  —  der  Einfachheit  halber  in  der  Zeichnung  weggelassen  — 
ohne  Unterbrechung  über  die  offene  Mündung  des  Ausführungsganges 
wegstreicht. 

Im  wesentlichen  muß  man  also  an  der  in  Fig.  17  abgebildeten 
Exuvialdrüse  folgende  typische  Bestandteile  unterscheiden:  einen 
eigenthch  secernierenden  Drüsenkörper  —  im  betrachteten  Falle  voll- 
ständig vacuolisiert ;  einen  Hohlraum  mit  partiellem  körnigen,  stark 
lichtbrechenden  Inhalt;  einen  Ausführungsgang  mit  intercuticularer 
Mündung;  eine,  zuweilen  zwei,  oder  sogar  drei  riesige  Deckzellen, 
welche  besagten  Gang  umgeben  und  begrenzen.  Aus  Fig.  15  geht 
noch  deutlicher  hervor,  wie  unter  der  schon  abgelösten,  aber  noch  nicht 
abgestreiften  Exuvie  et  die  Hypodermzellen  if  eine  neue  chitinogene 
Ausschwitzung  ctn  schon  nach  außen  befördert  haben ;  und  wie  letztere, 
bei  ihrer  rasch  zunehmenden  Dicke,  sehr  bald  die  noch  klaffende  Mün- 
dung der  Drüse  vollkommen  verstopft  haben  wird. 

Diese  allgemeinen  Merkmale  vorausgeschickt,  will  ich  ganz  kurz 
die  wichtigsten  Entwicklungsphasen  darstellen,  wie  dieselben  sich  mir 
—  bei  Durchsuchung  von  Präparaten  in  steigendem  Lebensalter  — 
ausnahmslos  gezeigt  haben. 

Die  ersten  erkennbaren  Anlagen  reichen  noch  in  die  embryonale 
Periode  zurück;  und  schon  3  oder  4  Tage  vor  ihrem  Ausschlüpfen 
aus  dem  Ei,  weist  die  fast  fertige  Larve  —  an  jenen  bestimmten  Stellen, 
welche  dem  Sitze  einer  angehenden  Drüse  entsprechen  —  eine  außer- 
ordentlich gewachsene,  modifizierte  Hypodermzelle  auf,  welche  ihren 
abgerundeten  Leib  in  die  Körperhöhle  versenkt  und  mit  einem  langen 
konischen  Hals  bis  zur  Dermalcuticula  vordringt  (Fig.  1). 

Im  frisch  ausgekrochenen  Räupchen  scheinen  die  besprochenen 
birnförmigen  Zellen  —  besonders  in  den  vorderen  Somiten  —  an  Größe 
keine  besonderen  Fortschritte  gemacht  zu  haben.  Hier  erreichen  sie 
höchstens  eine  Breite  von  0,015  mm  auf  eine  Länge  von  0,025  mm, 
während  in  den  hinteren  Bauchsegmenten  äußerste  Durchmesser  von 
0,027  auf  0,04  mm  bei  derselben  nicht  selten  angetroffen  werden.  Die 
Aufmerksamkeit  des  Beobachters  wird  aber  sogleich  von  den  aus- 
giebigen Veränderungen  in  Anspruch  genommen,  welche  die  einzelnen 
Bestandteile  der  Zelle  unterdessen  erlitten  haben  (Fig.  2).     Der  konische 


Beitrag  zur  nälieren  Kenntnis  der  Häutung  uhvv.  467 

Fortsatz,  der  mit  dem  Hypoderm  zusammenhängt,  hat  sich  länger 
gestreckt  und  ist  allmähhch  hohl  geworden,  wie  es  aus  geeigneten 
Schnitten  hervorgeht,  welche  ein  rundliches  Lumen  an  Ort  und  Stelle 
erkennen  lassen  {cn);  die  zwei  oder  drei  nächstliegenden  Hypoderm- 
zellen  (c),  zwischen  welche  der  Fortsatz  fest  eingezwängt  verläuft,  sind 

—  vielleicht  durch  den  ausgestandenen  Druckreiz  —  weit  über  die 
Größe  der  Nachbar-  und  Schwesterzellen  gewachsen;  das  Protoplasma 
stellt  eme  feinkörnige  breite  Kindensubstanz  um  den  Kern,  welcher 
unregelmäßige,  wenn  auch  noch  blasige  Form  angenommen  hat  und 
dabei  eine  gewisse  Menge  klumpigen  Chromatins  —  meist  wandständig 

—  in  sich  einschließt. 

Ist  die  erste  Altersperiode  der  Larve  so  weit  vorgeschritten,  daß 
ihre  Freßlust  schon  bedeutend  nachläßt,  so  beginnen  unsre  Drüsen- 
zellen zusehends  dicker  und  gespannter  zu  werden,  wobei  die  von 
Anfang  schon  erkennbaren  Größenunterschiede  derselben,  zwischen 
vorderen  und  hinteren  Segmenten,  noch  viel  schärfer  hervortreten. 
Es  wäre  aber  ein  Irrtum,  wollte  man  die  ganze  Volumenzunahme  auf 
Rechnung  eines  bleibenden  substantiellen  Wachstums  des  Zellkörpers 
setzen.  Denn  ein  Blick  ins  Mikroskop  genügt,  um  uns  sofort  aufzu- 
klären, daß  die  plötzliche  Anschwellung  des  Protoplasmas  wesentlich 
auf  rundliche  Vacuolen  zurückzuführen  ist,  welche,  zuerst  vereinzelt, 
gleich  darauf  immer  zahlreicher  auftreten,  bis  die  ganze  Rindensubstanz 
das  Aussehen  einer  rein  schaumigen  Struktur  darbietet  (Fig.  3,  4,  5,  6). 

Diese  kleinen,  mit  Flüssigkeit  erfüllten  Lücken  sind  in  einer  und 
derselben  Drüse  meist  alle  von  ziemlich  gleicher  Größe,  können  aber 
in  zwei  verschiedenen  Drüsen  einer  und  derselben  Raupe  auch  um 
den  mehrfachen  Durchmesser  voneinander  abweichen;  und  es  scheint  im 
ganzen  die  Regel  vorzuwalten,  daß  sie  mit  den  Dimensionen  des  zu- 
gehörigen  Organs  eng  zusammenhängen:  so  zwar,  daß  die  Thoracal- 
drüsen,  welche  in  der  Larvenperiode  am  kleinsten  zu  sein  pflegen, 
auch  nur  einen  feinschaumigen  Bau  zur  Ansicht  bringen;  während 
sich  die  viel  voluminöseren  Drüsen  der  hinteren  Bauchsegmente  ohne 
Ausnahme  grobschaumig  erweisen.  Ich  habe  auch  in  meiner  ersten 
Mitteilung  über  Hautdrüsen  (1.  c.  1890)  schon  hervorgehoben,  daß 
im  Innern  der  Vacuolen  nicht  selten  —  und  gegebenenfalles  nicht 
bloß  in   einzelnen,   sondern   meist  in   der  großen  Mehrzahl   deselben 

—  ein  festes,  leicht  mit  Karmin  färbbares,  unregelmäßig  geformtes 
Körperchen  gefunden  wird  (Fig.  4,  5).  Ich  kann  jedoch  PlotnikowI 
nicht  beipflichten,  der  dieselben  im  Jahre  1904  als  Chromatinkörnchen 

1  Diese  Zeitschr.     Bd.  LXXVI. 

31* 


468  E.  Verson, 

beschreibt,  die  \  oni  Kern  sich  abtrennen  und  Ausgangspunkt  einer 
Vacuole  werden  sollen.  Ich  glaube  eher,  daß  es  sich  dabei  einfach  um 
Rückstände  von  Drüsensecret  handelt,  welche  durch  Fixation  und 
Härtung  der  Präparate  im  Innern  der  Vacuolen  lokahsiert  wurden.  Und 
will  ich  die  Bemerkung  nicht  unterlassen,  daß  die  zuerst  auftretenden 
noch  spärlichen  Vacuolen  meistens  am  äußersten  Rande  des  DrüseD- 
körpers  angetroffen  werden;  während  bei  vorgeschrittener  Vacuoli- 
sierung  die  Lücken  im  Gegenteil  am  Rande  der  Centralhöhlung  —  des 
Kernes  —  dichter  beieinander  stehen  (Fig.  5,  6). 

Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  wer  —  bei  dieser  Phase  angelangt  — 
die  mikroskopische  Beobachtung  auch  nur  für  einen  Tag  unterbrechen 
wollte  um  sie  darauf  am  frisch  gehäuteten  Räupchen  wieder  aufzu- 
nehmen, der  müßte  wahrlich  seine  Not  haben  in  Fig.  7,  8,  9,  10 
jene  selben  Gebilde  zu  erkennen,  welche  noch  wenige  Stunden  vorher 
von  unzähligen  prallgefüUten  Vacuolen  strotzten!  Wir  werden  sehen, 
daß  bei  den  nächstfolgenden  Häutungen  die  hier  erst  angedeuteten 
Veränderungen  noch  bei  weitem  ausgeprägter  in  Erscheinung  treten. 
Nichtsdestoweniger  fällt  aber  schon  gegenwärtig  der  plötzliche  un- 
erwartete Schwund  aller  Vacuolen  aus  der  Substanz  des  Drüsenkörpers 
auf;  die  Umwandlung  des  centralen  Spaltraumes  (Kern)  zu  einer  ge- 
waltsam erweiterten  Höhlung,  wie  aus  der  Verteilung  des  darin  noch 
vorhandenen  Chromatins  und  der  auseinander  gezerrten  Lininstränge 
gefolgert  werden  darf;  die  unregelmäßigen,  wie  zerrissenen  Wände  der 
Centralhöhle  selbst. 

Kaum  ist  die  erste  Häutung  vorüber,  bleibt  also  nicht  bloß  jede 
weitere  Volumzunahme  der  Exuvialdrüsen  für  den  Augenblick  sistiert; 
sondern,  im  Gegenteil,  dieselben  erfahren  eine  sehr  bedeutende  Ver- 
kleinerung, infolge  des  raschen  Schwundes,  dem  die  Vacuolen  selbst 
unterliegen,  und  geben  für  einige  Zeit  kein  andres  Lebenszeichen  von 
sich.  Dieser  scheinbare  Ruhezustand  ist  aber  von  sehr  kurzer  Dauer. 
Schon  wenige  Tage  darauf  zeigen  sich  wieder  in  der  Rindensubstanz 
vereinzelte  Vacuolen  imd  werden  von  Moment  zu  Moment  zahlreicher; 
die  Rindensubstanz  selbst  schwillt  mächtig  an  und  beengt  mit  vor- 
fallenden Buckeln  den  centralen  Kernraum;  an  ihrem  konvexen  Rande 
bringen  solche  Vorfälle  im  optischen  Durchschnitt  einen  streifigen 
Saum  zur  Ansicht,  der,  viel  weniger  ausgesprochen,  auch  an  der  Peri- 
pherie des  Organs  sich  bemerkbar  macht,  ohne  jedoch  dessen  allge- 
meine Umrisse  sichtHch  zu  beeinflussen  (Fig.  11,  12).  Die  Vermutung, 
die  sich  dabei  dem  aufmerksamen  Beobachter  aufdrängt,  es  möge  die 
vergängliche  Streifung  von  der  ebenso  temporären  Vacuolisierung  des 


Beitrag  v.nv  näheren  Kenntnis  der  Häutung  uhw.  469 

Cvtoplasiuas  nicht  iinabhiingig  sein,  dürfte  auch  wirklich  der  Begrün- 
dung niclit  entbehren.  Abgesehen  von  dem  optischen  Verhalten,  welches 
zwischen  Sanmstreifen  und  Vacuolenwänden  nicht  wesentlich  abweicht, 
können  die  Plasmabuckel,  welche  gegen  den  Kernraum  sich  erheben, 
offenbar  nur  in  dem  Sinne  gedeutet  werden,  daß  hier  eine  negative 
Oberflächenspannung  zur  Geltung  kommt.  Der  durch  dieselbe  ausge- 
übten Anziehung  können  die  schon  entstandenen  Vacuolen  sich  nicht 
entziehen  und  bewegen  sich  in  dichten  Massen  gegen  den  freien  Kern- 
rand, wo  sie,  aufs  engste  zusammengepfercht,  nur  gegen  die  Oberfläche 
desselben  offenen  Spielraum  finden  und  demgemäß  sich  so  in  die  Länge 
strecken,  daß  die  einzelnen  verzerrten  Bläschen  sich  wie  Palisaden 
aneinander  reihen  und  den  Eindruck  eines  streifigen  Saumes  erzeugen. 

Nach  überstandener  zweiter  Häutung  sind  unsre  Drüsen  wieder  in 
einen  Zustand  äußerster  Erschöpfung  zurückverfallen,  die  noch  dazu 
mit  schw^erer  traumatischer  Beschädigung  kompliziert  erscheint  (Fig.  13), 
wie  die  jetzt  günstigeren  Größen  Verhältnisse  leicht  festzustellen  er- 
lauben. Ihr  Volumen  ergibt  sich  mehrfach  reduziert,  im  Vergleich  zu 
dem  unmittelbar  vor  der  Häutung  erreichten ;  die  Vacuolen  sind  spurlos 
verschwunden,  die  Rindensubstanz  gibt  Zeichen  einer  krampfhaften 
Retraktion,  und  begrenzt  mit  zerfetzten  Rändern  den  Kernraum,  der 
noch  gewisse  Mengen  Chromatin  und  strangartig  ausgezogene  Linin- 
substanz  in  sich  birgt  (Fig.  9,  10,  12,  13). 

Nach  diesem  Befunde  sollte  man  eigentlich  den  Schluß  nicht  für 
ungerechtfertigt  halten,  daß  so  tief  verkümmerte  Organe  ihre  Funk- 
tionsfähigkeit vollständig  eingebüßt  haben  und  endgültiger  Involution 
entgegengehen.  Und  doch  genügen  vollauf  2  oder  3  weitere  Tage,  um 
das  ganze  Bild  wie  mit  einem  Schlage  zu  ändern,  und  das  scheinbar 
unaufhaltsame  Siechtum  in  das  Licht  einer  wahrlich  fabelhaften  Neu- 
erw eckung  zu  versetzen.  Denn  nun  sehen  wir,  wie  —  gewissermaßen 
unter  unser n  Augen  —  Risse  und  Schrammen  vernarben,  wie  hängende 
Fetzen  sich  abrunden  und  anheilen,  wie  die  Rindensubstanz  allmählich 
turgesziert  und  schwielige  Beulen  treibt,  welche  den  Kernraum  von 
allen  Seiten  beengen  (Fig.  14).  Dabei  treten  spärliche  Vacuolen  auf, 
zuerst  an  der  Peripherie  des  Drüsenkörpers;  dieselben  werden  darauf 
immer  zahlreicher,  immer  dichter  gedrängt;  und  schließlich  wird  auch 
der  streifige  Saum  an  den  Plasmabuckeln  sichtbar,  welche  dem  centralen 
Kernraume  zugekehrt  stehen. 

Ist  einmal  die  dritte  Häutung  vorüber,  so  sind  auch  die  Vacuolen 
unserm  Auge  entschwunden,  ist  das  noch  eben  secernierende  Proto- 
plasma eingeschrumpft,  verhärtet,  von  rissigen  Defekten  nur  am  Rande 


470  E.  Verson, 

des  Kernraumes  noch  unterbrochen:  und  so  wechselt  —  bei  jedem 
neu  angehenden  Larvenalter  —  spannende  Turgescenz  mit  einfallendem 
Collapsus  periodisch  ab,  ohne  daß  ein  proportionales  Massenwachstum 
der  eigentlichen  Drüsensubstanz  deshalb  angenommen  zu  werden 
brauchte.  Denn  die  Extreme,  zu  welchen  die  angeführten  regelmäßigen 
Übergänge  führen,  sind  vorwiegend  auf  Kechnung  der  Secretions- 
produkte  zu  setzen,  welche  mit  typischer  Rekurrenz  sich  ansammeln, 
um  dann  sogleich  nach  außen  befördert  zu  werden. 

Jedenfalls  will  ich  aber  nochmals  hervorheben,  daß  diese  alter- 
nierenden Ebbe-  und  Flutperioden,  welche  die  Häutungsdrüsen  durch- 
machen, in  den  hinteren  Abdominalsegmenten  vorzeitiger  und  aus- 
geprägter auftreten,  im  Vergleich  zu  den  vorderen,  dem  Kopfe  näheren 
Segmenten.  Hier  findet  man  nach  jeder  Larvenhäutung  die  Verkleine- 
rung und  die  unverkennbare  mechanische  Beschädigung  der  entleerten 
Exuvialdrüsen  viel  weniger  weit  gediehen.  Mag  es  nun  Folge  der 
größeren  Schonung  sein,  welche  anfänglich  denselben  zuteil  gew^orden, 
mag  es  von  andern  noch  unbekannten  Ursachen  abhängen,  —  Tatsache 
ist  es  jedoch,  daß,  von  der  vierten  Häutung  an,  die  Drüsen  der  vorde- 
ren Somiten  (wie  schon  vorhin  erwähnt)  umgekehrt  viel  schneller  und 
intensiver  zu  wachsen  beginnen  als  jene  der  hinteren  Somiten:  und 
daß  somit  in  wenigen  Tagen  jene  Größenunterschiede  ganz  ausgeglichen 
erscheinen,  welche  vorher  zugunsten  der  abdominalen  Segmente  ein- 
getreten waren. 

Gleichzeitig  werden  die  streifsaumigen  Buckel,  welche  das  Cyto- 
plasma  in  seiner  tätigen  Phase  nach  innen  treibt,  so  zahlreich  und  dicht 
gedrängt,  daß  der  Kernraum  mäanderartig  sich  dazwischen  durch- 
winden muß,  bis  es  schließlich  zu  einem  lappigen  Zerfall  des  ganzen 
Drüsenkörpers  kommt  (Fig.  20,  21,  23).  Und  diese  gelappte  Form  ist 
es,  welche  während  der  Puppenperiode  allgemein  vorherrscht  (Fig.  22, 
23,  24,  25). 

Es  ist  allerdings  richtig,  daß  die  Exuvialdrüsen  noch  vor  dem 
Ausschlüpfen  des  fertigen  Schmetterlings  einer  Involution  an- 
heimfallen, welche  sie  dann  zu  raschem  Schwunde  bringt.  Aber  es 
darf  andernteils  nicht  vergessen  werden,  daß  in  dieser  Evolutionsphase 
auch  ihre  Secretionstätigkeit  entsprechend  verfrüht  beginnt.  Deshalb 
bedeutet  ihr  Untergang  keinesfalls  Abwesenheit  von  Exuvialflüssigkeit, 
insofern  letztere  sehr  zeitig  in  Form  eines  farblosen  Ergusses  zwischen 
Puppenhülle  und  Imaginalintegument  sich  ergießt,  und  die  Drüsen 
überdauert,  von  welchen  sie  erzeugt  worden  war. 


Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  usw.  471 

Der  vorausgegangenen  Darstellung  ist  es  leicht  zu  entnehmen,  daß 
ich  die  gewöhnlichen  Häutungs-  oder  Exuvialdrüsen,  wie  sie  nachträg- 
lich von  verschiedenen  Autoren  benannt  worden  sind,  im  wesentlichen 
als  einzellige  Gebilde  ansehe,  welchen  Deck-  oder  Schutzelemente  in 
beliebiger  Anzahl  sich  anschließen  können ;  daß,  meiner  Meinung  nach, 
der  Kern  der  eigentlichen  Drüsenzelle  die  Secretion  erregt  und  sie  ge- 
wissermaßen als  Behälter  in  sich  aufnimmt,  vielleicht  noch  weiter  be- 
arbeitet; daß  im  Ruhezustand  zwischen  Kern  und  Ausführungsgang 
keine  präformierte  Kommunikation  besteht,  wohl  aber  eine  solche  ge- 
waltsam sich  ausbildet,  sobald  die  Secretion  ihre  höchste  Intensität 
erreicht  hat. 

Daß  man  nach  dem  Vorgange  Philipschenkos  aus  dem  Vorhanden- 
sein einer  einzigen  oder  mehrerer  Zellen  in  einer  und  derselben  Drüse 
Anlaß  nehmen  sollte,  verschiedene  Kategorien  aufzustellen,  darf  wohl 
als  überflüssige  Komplikation  bezeichnet  werden,  nachdem  in  allen 
bisher  bekannt  gewordenen  Fällen  die  secernierende  Zelle  in  der  Ein- 
zahl vorkommt  und  die  Deckzellen  —  bei  Bombyx  mori  wenigstens  — 
ganz  unregelmäßig  in  variabler  Anzahl  von  1  bis  3  angetroffen  werden. 

Sollte  es  sich  dagegen  bestätigen,  daß  die  von  Philipschenko 
unter  dem  Hypoderm  von  Collembolen  gefundenen,  mehr  oder  weniger 
reichlich  vacuolisierten  Zellen  wirklich  Exuvialdrüsen  vorstellen,  so 
wäre  es  meiner  Ansicht  nach  eher  angezeigt,  solche  Gebilde  ganz  all- 
gemein in  zwei  Gruppen  einzuteilen,  je  nachdem  sie  mit  Ausführungs- 
gang versehen  sind,  oder  desselben  entbehren.  Man  wolle  aber  nicht 
zu  beachten  unterlassen,  daß  die  bloße  Vacuolisierung  eines  Cyto- 
plasmas  keinesfalls  als  ausschließliche  Attribution  der  Exuvialdrüsen 
anzusehen  ist. 

Ähnliche  Erscheinungen,  nämlich  das  Auftreten  von  Vacuolen  im 
Cytoplasma  bei  gleichzeitiger  Volumenverkleinerung  des  Kernes  mit 
darauf  folgender  Exsudation  eines  am  Mikroskop  leicht  erkennbaren 
Secretes,  habe  ich  schon  vor  langer  Zeit  bei  einzelligen  Drüsen  soge- 
nannter innerer  Secretion  von  Bomhyx  mori  nachgewiesen  und  be- 
schrieben (s.  Fig.  29,  30,  31,  32)i. 

Beim  Übergange  vom  Puppen-  zum  Imaginalstadium  erfahren  auch 
die  Integumentalzellen  eine  tiefe  A^eränderung,  indem  durch  einen  ähn- 
lichen Vacuolisierungsprozeß  die  basale  Partie  derselben  durchbrochen 
und  netzartig  zerfasert  wird,  während  ihr  Kern  gleichzeitig  der  freien 
Oberfläche   sich    nähert    und   hier   jene   merkwürdige  Fraktionierung 

1  E.  Vebson  und  E.  BissoN,   Cellule  Glandulari  Ipostigmaticlie  nel  Bom- 
hyx mori.     R.  Stazione  Bacologica  di  Padova.    1891. 


472  E.  Verson, 

eingeht,  welche  einesteils  zur  Abspaltung  eines  neuen,  sehr  dünnen 
Hypoderms,  andernteils  zur  Bildung  der  eigentlichen  Schuppenzellen 
führt. 

Dagegen  will  ich  gern  zugeben,  daß  gerade  in  der  Vacuolisierung 
von  secernierendem  Protoplasma  die  erste  Veranlassung  vorliegen 
dürfte,  ein  andres  Organ  von  Bomhyx  ynori,  über  dessen  Finalität  kein 
Naturforscher  bisher  befriedigenden  Aufschluß  zu  verschaffen  ver- 
mochte, unter  die  echten  Exuvialdrüsen  einzureihen.  Es  handelt  sich 
nämlich  um  die  sogenannten  De  FiLippischen  Anhangdrüsen  des 
Sericteriums,  welche  im  Jahre  1854  zum  erstenmal  eine  sehr  kurze 
und  unzulängliche  Beschreibvmg  gefunden  habend. 

Helm  2  unternahm  es  darauf,  im  Jahre  1876,  viele  irrtümliche 
.Angaben  über  die  Spinndrüsen  der  Lepidopteren  überhaupt  zu  be- 
richtigen; und  hat  das  unleugbare  Verdienst,  durch  seine  Untersuchungen 
festgestellt  zu  haben,  daß  jenseits  der  von  Cornalia  und  Maestri 
abgebildeten  Ausführungsgänge  erst  die  rechten  Drüsenlappen  folgen, 
»welche  zumeist  von  birnförmiger  Gestalt,  nach  den  ver- 
schiedensten Seiten  gerichtet  sind«.  Aber  die  wahre  Bedeutung 
dieser  Drüsenlappen,  welche  durch  ein  feines,  im  Innern  verlaufendes 
Kanälchen  mit  einer  blasenförmigen  Erweiterung  der  Tunica  intima 
am  Ende  des  eigentlichen  Ausführungsganges  in  Verbindung  stehen 
sollten,  konnte  Helm  nicht  erfassen.  >>In  situ«  —  so  liest  man  in  der 
zitierten  Abhandlung  —  »liegen  die  einzelnen  Drüsenlappen 
so  dicht  an-  und  aufeinander,  daß  die  Vereinigungsstelle 
ihrer  Ausführungsgänge  nicht  gesehen  werden  kann.«  In 
Wirklichkeit  finde  ich  aber  bei  näherer  Besichtigung,  daß  die  soge- 
nannten Lappen  ein  Bündel  riesiger  secernierender  Zellen  vorstellen, 
welche  periodisch  durch  Vacuolisierung  ihres  Protoplasmas  in  tätigen 
Zustand  übertreten;  die  vermeintlichen  Kanälchen  entlarven  sich  als 
große  verästigte  Kerne  mit  Chromatin  und  Lininsubstanz ;  die  Intima 
des  gemeinsamen  Ausführungsganges  erscheint  in  ihrem  ganzen  Ver- 
laufe durch  spiralige  Verdickungen  erstarrt,  welche  nur  an  der  blasigen 

1  De  FiLiPPi,  Memorie  della  Soc.  clelle  Scienze  zoologiche  e  biologiche  di 
Torino.  1854.  In  seinen  Frammenti  Anatomici,  Fisiologici  e  Patologici  sul  baco 
da  seta  (Pavia  1856)  gibt  Angeld  IVIaestri  an,  besagte  Anhangdrüsen  noch  früher 
in  einem  Wachsniodell  dargestellt  zu  haben,  welches  im  Februar  1853  in  Mailand 
öffentlich  ausgestellt  wurde.  Aus  den  begleitenden  Abbildungen  geht  es  übrigens 
zur  Genüge  hervor,  daß,  wie  von  Helm  schon  vermutet  worden,  sowohl  Cobnalia 
als  Maestri  nur  die  Ausführungsgänge  gesehen  hatten. 

-  F.  E.  Helm,  Über  die  Spinndrüsen  der  Lejüdopteren.  Diese  Zeitschr. 
Bd.  XXVI. 


I 


Beitrag  zur  nahcnvii  Kenntnis  der  Häutung  usw,  473 

Erweiterunü,  des  blinden  Grundes  fehlen,  wo  die  secernierenden  Zellen 
mit  den  letzten  Ausläufern  ihres  verästigten  Kernes  ansetzen  (s.  Fig.  26, 
27,28)1. 

Freilich  ist  es  bis  zum  heutigen  Tage  nicht  gelungen,  festzustellen, 
welches  aktive  Prinzip  diese  flüssige  Secretion  eigentlich  enthalte;  und 
konnten  a  priori  Vermutungen  nicht  ausgeschlossen  werden,  welche 
in  ihr  eine  Quelle  fettiger  Substanz  zum  oberflächlichen  Schutze  des 
Seidenfadens  (Firnis!)  oder  zur  Lubrifikation  der  eigentlichen  Faden- 
presse suchten. 

Bedenkt  man  aber,  daß  in  den  Anhan'gdrüsen  des  Sericteriums  die 
secernierenden  Zellen  denselben  Habitus  zur  Schau  tragen  wie  jene  der 
Exuvialdrüsen ;  daß  die  Funktionaltätigkeit  der  ersteren  sowohl  wie  der 
letzteren  mit  den  Häutungsperioden  zusammenfällt;  daß  bei  verschie- 
denen Insektenlarven  (Chrysomeliden,  Tenthrediniden)  Plotnikow  die 
Gegenwart  von  Exuvialdrüsen  auch  im  Kopfe  nachgewiesen  hat,  wo 
sie  bei  Lepidopteren  sonst  gänzlich  fehlen;  daß  Helm  schließlich  an 
der  im  Innern  des  Kokons  von  den  Raupen  abgestreiften  Haut  —  der 
Unterlippe  anhängend  —  den  vorderen  chitinigen  Teil  der  Spinndrüsen 
und  somit  die  Häutung  derselben  ganz  richtig  nachgewiesen  hat,  so 
kann  man  sich  der  Überzeugung  wahrhch  nicht  erwehren,  daß  die 
rätselhaften  Anhangdrüsen  von  De  Filippi  und  Maestri  eben  nichts 
andres  als  Exuvialdrüsen  vorstellen  müssen,  denen  die  Bestimmung 
zufällt,  die  Ablösung  der  so  abgelegenen  Cuticularbildungen  der  Faden- 
presse zu  ermöglichen  und  zu  erleichtern. 

In  der  Tat  wäre  es  nicht  recht  einzusehen,  wie,  ohne  solch  unver- 
hoffte Hilfe,  die  Larve  es  zustande  bringen  sollte,  sich  dieses  mäch 
tigen,  tief  eingestülptencuticularen  Überzuges  zu  entledigen.  Und  was- 
die   Konfigurationsabweichungen    von    den    übrigen    bisher    bekannt 


1  Verson  e  Qfajat,  II  filugello  e  l'Arte  Sericola.  Trattato  teorico- 
pratico.  Padova  1896,  p.  151-  »II  canale  escretore  delle  ghiandole  De  Filippi 
va  contrassegnato  da  ispessimenti  cuticolari  che  rendono  la  imagine  di  tili  ravvolti 
a  circolo  od  a  spirale;  e  termina  da  ultimo  a  fondo  apparentemente  cieco.  Le 
cellule  ghiandolari  ond  'esso  e  cinto  rassomigliano  dapprincipio  all'  epitejio  della 
porzione  anteriore  del  seritterio;  ma  poi  acquistano  un'  aspetto  sui  generis  per 
numerosi  ed  ampi  vacuoli  che  ne  scavano  e  ne  bucherano  11  citoplasma,  riducen- 
dolo  in  sottili  frangie  distese  fra  la  tunica  propria  e  la  intima.  Presso  e  intorno 
alla  terminazione  cieca  del  canale  escretore,  le  medesime  cellule  raggiungono 
iufine  un  enorme  allungamento  irregolare,  da  simulare  un  mazzo  di  lobi  varia- 
mente  grandi  che  ne  uscissero  fuori.  Ma  ciascuno  di  essi  lobi  in  veritä  non  e 
altro  che  uua  sola  cellula,  munita  di  nucleo  allungato  e  racemoso,  di  protoplasma 
riccamente  vacuolizzato  «. 


474  E.  Verson, 

gewordenen  Exuvialdrüsen  betrifft,  wäre  die  Anhangdrüse  des  Sericte- 
riums  (Fig.  26)  eben  nur  als  eine  zusammengesetzte  Bildung  aufzufassen, 
in  welcher  sowohl  secernierende  als  einfach  deckende  oder  leitende 
Zellen  —  sämtlich  Derivate  des  Hypoderms  —  in  ansehnlicher  Mehr- 
zahl zu  einer  gemeinsamen,  zu  einer  verstärkten  Wirkung  sich  ver- 
einigt haben.  — 

Wie  dem  übrigens  auch  sein  mag,  komme  ich  noch  zu  einer  kurzen 
Besprechung  des  Kernes  der  Secretzelle,  welche  —  meiner  Ansicht  nach 
—  am  Absonderungsprozesse  selbst  nicht  nur  als  direkter  Erreger  des- 
selben beteiligt  ist,  sondern  auch  als  Sammelort  der  produzierten 
Flüssigkeit  betrachtet  werden  muß.  »Nach  Versons  Meinung«  — 
so  drückt  sich  Plotnikow  in  seiner  zitierten  Arbeit  aus  —  .»fließt 
der  Inhalt  der  Vacuolen  in  die  Centralhöhlung  der  Drüse«  .  .  . 
und  »soll  sich  die  Centralhöhle  an  der  Stelle  des  ursprüng- 
lichen Kernes  bilden.  Sowohl  die  erste  als  die  zweite  Mei- 
nung sind  aber  nicht  richtig.  Die  Secretzelle  hat  immer 
den  Kern.«  Diesem  Ausspruch  gegenüber  kann  ich  meine  Verwun- 
derung nicht  unterdrücken;  und  bleibt  mir  nur  die  Annahme  übrig, 
Herr  Plotnikow  habe  von  meiner  ausführlichen  Arbeit  nur  durch 
unzulängliche  Auszüge  oder  Berichte  Kenntnis  genommen.  Wo  hätte 
ich  je  behauptet,  daß  die  Secretzelle  keinen  Kern  besitzt?  .  .  .  Ich 
habe  vielmehr  dieselbe  Schritt  für  Schritt  in  allen  ihren  Evolutionen 
verfolgt,  —  vom  ersten  embryonalen  Anfang  an,  wo  ihre  Ableitung  von 
einer  modifizierten  Hypodermalzelle  zweifellos  einleuchten  muß  (und 
dies  noch  im  Jahre  1889,  während  der  Nachweis  der  Entstehung  der 
Drüsen  aus  dem  Hautepithel  durch  Nassonow^  jedenfalls  nur  dem 
Jahre  1903  angehören  kann);  ich  habe  gezeigt  wie  der  Kern  derselben 
allmählich  die  rundlich  blasige  Form  verläßt,  um  sich  im  Cytoplasma 
reichlich  zu  verästigen;  wie  bei  beginnender  Vacuolisierung  des  Proto- 
plasmas die  ersten  Lücken  in  der  Corticalzone  auftreten  und  sich  von 
hier  aus  gegen  das  Centrum  rasch  bewegen;  wie  diese  centripetale 
Strömung  der  Vacuolen  die  Bildung  streifiger  Säume  verursache; 
wie  bei  steigender  Turgescenz  des  Protoplasmas  der  verästigte  Kern 
zunächst  durch  aufsteigende  Protuberanzen  allseitig  bedrängt  wird ;  wie 


1  H.  Nassonow,  Zur  Morphologie  der  VERSONschen  und  STEiNschen 
Drüsen  der  Insekten.  Warschau  1903.  Durch  die  Zuvorkommenheit  Herrn 
Nassonows  selbst  bin  ich  zwar  im  Besitze  dieser  sicherlich  sehr  interessanten 
Arbeit.  Bei  der  Schwierigkeit,  mir  eine  verläßliche  Übersetzung  der  russisch 
verfaßten  Schrift  zu  verschaffen,  muß  ich  aber  leider  dem  Vergnügen  entsagen, 
mich  mit  deren  Inhalt  näher  zu  beschäftigen. 


Beitrag  zur  iialiercn  Kenntnis  der  Häutung  usw.  475 

schließlich  —  nach  vollendeter  Entleerung  des  Secretes  —  der  Kern 
für  kurze  Zeit  das  Aussehen  einer  erweiterten,  schlaffwandigen  und 
unregelmäßigen  Centralhöhlung  behalte,  in  welcher  ich  aber  die 
Anwesenheit  reichlichen  Chromatins  und  auseinander  gezerrter  Linin- 
stränge  nicht  bloß  angegeben,  sondern  auch  bildlich  dargestellt  hatte  i 
(Fig.  9,  10,  12,  13,  14):  ist  da  ein  ernstlicher  Zweifel  noch  zulässig,  ob 
ich  die  Existenz  des  Kernes  in  der  secernierenden  Zelle  anerkenne 
oder  leugne?  .  .  . 

Für  mich  ist  also,  wie  für  jedermann,  der  Kern  integrierender 
Bestandteil  der  Secretzelle.  In  bestimmten  biologischen  Phasen  er- 
weitert sich  aber  derselbe  infolge  Aufnahme  von  flüssigem  Vacuolen- 
inhalt  und  gibt  sich  gewissermaßen  zum  Nebendienst  eines  Reservoirs 
her,  der  im  nächsten  Augenblick  —  bei  erreichtem  Zwecke  —  natür- 
lich unterbrochen  bleibt.  Soweit  meine  Kenntnisse  reichen,  liegt  nicht 
ein  einziger  streng  nachgewiesener  Tatbestand  vor,  der  mit  einer  ähn- 
lichen Intervention  von  seiten  des  Zellkernes  in  offenem  Widerspruch 
sich  befände.  Und  für  diejenigen,  denen  meine  Argumente  nicht  hin- 
reichend beweiskräftig  erscheinen  sollten,  ziehe  ich  das  Beispiel  der 
Drüsenzellen  interner  Secretion  heran,  in  denen  —  wie  von  mir  auch 
im  Zool.  Anzeiger  Nr.  328,  schon  gezeigt  wurde  —  der  Kern  bestimmte 
Produkte  periodisch  absondert,  die  das  Protoplasma  durchsetzen,  um 
es  temporär  mit  einem  deutlichen  kontinuierlichen  Hof  körniger  Substanz 
zu  umhüllen  (Fig.  29,  30,  31,  32);  berufe  ich  mich  auf  die  gleichzeitigen 
Befunde  von  Gilson  (La  Cellule,  Tome  VI,  p.  152),  welcher  für  die  Spinn- 
drüsen von  Bombyx  mori  Infarcte  von  Fibroin  im  Innern  der  Zellkerne 
selbst  beschreibt^. 

Einen  präformierten  Weg,  der  dauernde  Verbindung  zwischen  Kern 
und  Ausführungsgang  vorstellen  könnte,  gibt  es  freilich  nicht.  Während 
der  aufsteigenden  Tätigkeitsphase  der  Drüse  finde  ich  den  Ausführungs- 
gang stets  blind  endigend,  indem  die  Intima  desselben  zu  einer  blasen- 
artigen Abrundung  dort  verschmilzt  (Fig.  17).  Hat  die  Vacuolisierung 
des  Zellenkörpers  ihren  höchsten  Grad  erreicht,  so  begegnet  man  nicht 
selten  Bildern,  welche  —  wie  Fig.  15  und  16  —  einer  bevorstehenden 
Dehiscenz  zwischen  schaumigem  Gewebe  und  Ausführungsgang  das  Wort 
reden.  Von  entscheidender  Bedeutung  sind  aber  für  mich  Serienschnitte 


1  Emil  Holmgren  —  Hudens  och  de  Kortelartade  Hudorganens  Morfologi, 
Stockholm  —  hat  im  Jahre  1895  denselben  Befund  hervorgehoben. 

2  »Cette  presence  donne  plus  d'interet  encore  ä  une  question  qui  depuis 
longtemps  se  pose  aux  cytologistes :  la  question  du  role  du  noyau  dans  la  cellule 
et  en  particulier  dans  les  phenomenes  chimiques  de  la  vie. » 


476  E.  Verson, 

von  eben  entleerten  Drüsen  aus  Larven,  deren  Exuvie  noch  an  Ort 
und  Stelle  sitzt,  also  noch  nicht  abgestreift  wurde.  Hier  konnte  ich 
mehrmals  die  Zeichen  eines  direkt  erfolgten  Durchbruches  des  Kernes 
nach  dem  Ausführungsgange  beobachten,  indem  eine  klaffende  Spalte 
mit  meist  unebenen  rissigen  Wänden  eine  vergängliche  Kommimikation 
zwischen  beiden  noch  unterhält  (Fig.  7,  10).  Man  muß  aber  annehmen, 
daß  dieselbe  unverzüglich  wieder  unterbrochen  bleibt,  sobald  der  Ab- 
sonderungsprozeß zu  Ende  ist;  und  im  Einklänge  mit  der  allgemeinen 
Vernarbung  der  eben  noch  zerfetzten  Kernwand,  auch  der  Grund  des 
Ausführungsganges  durch  erneuerte  Cuticularausschwitzung  verklebt 
wird.  — 


Wir  haben  bisher  auch  nicht  die  entfernteste  Ahnung  wo  und  wie 
die  ersten  Ursachen  zu  suchen  seien,  welche  in  den  organisierten  Ele- 
menten der  metabolischen  Insekten  eine  ganze  Keihe  von  verjüngenden 
morphologischen  und  biologischen  Veränderungen  —  als  Vorspiel  ge- 
wissermaßen zur  eigentlichen  definitiven  Metamorphose  —  hervor- 
rufen. Einzelne  Erscheinungen  sind  aber  jedenfalls  bekannt,  welche 
mit  Beginn  und  Ende  jener  Veränderungen  aufs  engste  verbunden 
sind;  und  es  dürfte  nicht  überflüssig  sein  an  dieser  Stelle  des  grund- 
verschiedenen Aussehens  besonders  zu  gedenken,  welches  die  Mal- 
PiGHischen  Gefäße  annehmen,  je  nachdem  eine  Häutung  herannaht 
oder  eben  überstanden  ist.  Im  letzteren  Falle  findet  man  dieselben 
schmal,  durchscheinend,  glatt  konturiert;  je  weiter  dagegen  eine  be- 
gonnene neue  Larvenperiode  vorschreitet  und  die  successive  Häutung 
sich  allmählich  vorbereitet,  —  um  so  breiter,  knotiger  und  kreidiger 
erweisen  sich  die  Renalgefäße  infolge  rasch  steigender  Absonderungs- 
intensität, welche  immer  reichlicher  kristallinische  und  kristalloide 
Produkte  in  das  Lumen  ihres  Kanales  entleert.  Ich  habe  schon  vor 
vielen  Jahren  gezeigt,  daß  in  den  ersten  Larvenperioden  die  Renal- 
gefäße  ausschließlich  Oxalsäuren  Kalk  in  Form  von  rechteckigen  Täfel- 
chen mit  abgestumpften  Winkeln  produzieren,  welche  durch  Dehiscenz 
von  Vacuolen  aus  dem  Cytoplasma  der  drüsigen  Tubuli  frei  werden; 
während  in  der  letzten,  fünften  Larvenperiode,  neben  dem  Oxalsäuren 
Kalk  auch  braune  Sphärokristalle  von  reiner  Harnsäure  auftreten,  denen 
während  der  Puppenperiode  sich  harnsaures  Ammoniak  substituiert  i. 

1  Diese  Aufeinanderfolge  verschiedener  Ersatzprodukte  findet  leiclite  Er- 
klärung, wenn  man  bedenkt,  daß  die  Harnsäure,  welche  nur  während  der  sog. 
Freßperiode  der  Raupen  sich  bemerkbar  maclit,  im  Vergleich  zur  Oxal- 
säure eine  niedrigere  Oxydationsstufe  darstellt  und  somit  einem  ungünstigeren 


Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  usw.  477 

Zuletzt,  d.  h.  bei  schon  angehendem  Häutungsschlafe,  wird  die  Pro- 
duktion der  Renalgefäße  dermaßen  gesteigert,  daß  sie  im  Vergleiche 
zur  Excretion  bei  weitem  überwiegt  und  das  Lumen  der  Kanäle  zu  seinem 
größten  Teil  vom  kristallinischen  Secret  vollkommen  obstruiert 
erscheint. 

Eine  längere  Unterbrechung  der  üblichen  Funktionen  ist  dann 
ganz  unvermeidlich. 

Aber  in  demselben  Moment  als  die  MALPiGHischen  Gefäße  durch 
ein  mechanisches  Hindernis  gezwungen  werden  ihre  Tätigkeit  einzu- 
stellen, —  in  demselben  Moment  beginnen  die  Exuvialdrüsen  die  eben 
noch  in  vollem  Ruhezustande  sich  befanden,  in  lebhafte  Erregung 
zu  geraten. 

Ein  solches  Zusammentreffen  von  Unterdrückung  jeder  Tätigkeit 
in  einem  bestimmten  Organ  und  Wiederaufnahme  derselben  von  Seiten 
eines  andern  benachbarten  wäre  an  und  für  sich  ganz  gewiß  nicht 
hinreichend,  um  die  Annahme  gegenseitiger  funktioneller  Beziehungen 
zu  rechtfertigen.  Zieht  man  jedoch  den  Umstand  heran,  daß  frisch 
gehäutete  Raupen  bei  sorgfältiger  Bepinselung  ihres  Integumentes 
zahllose  Täfelchen  von  oxalsaurem  Kalk  nebst  spärlichen  Harnsäure- 
kristallen abgeben,  wie  sie  sich  ganz  ähnlich  in  den  Renalgefäßen  vor- 
finden; imd  erwägt  man  ferner,  daß  beim  Eintrocknen  auf  einem  Ol- 
jektträger  die  Exuvialflüssigkeit  selbst  Kristallbildungen  in  gleicher 
Form  und  Größe  hinterläßt,  —  so  muß  zugegeben  werden,  daß  die 
Vermutung  einer  solchen  Reziprozität  schon  viel  zulässiger  geworden 
ist.  Und  die  Schlußfolgerung  dürfte  nicht  mehr  gewagt  erscheinen, 
daß  den  Exuvialdrüsen  nicht  bloß  die  Aufgabe  zufällt,  abgetragene 
Cuticularbildungen  abzuheben  ui;id  zu  elimiminieren ;  sondern  man 
müsse  denselben  auch  eine  vicariierende  Bedeutung  zu  den  Renal- 
gefäßen anerkennen,  für  jene  kurzen  Arbeitspausen,  deren  letztere 
periodisch  bedürfen,  um  sich  einer  allmählich  angehäuften  und  mit 
der  Ökonomie  des  Organismus  unvereinbarenden  Last  gründlich  zu 
entledigen. 

Padua,  den  25.  August  1910;  R.  Stazione  Bacologica  Sperimentale. 


Respirationsquotienten  entspricht.  Puppe  und  Imago,  welche  bei  Bomhyx  mori 
keine  Nahrung  von  außen  melir  aufnehmen  und  an  ihren  eignen  Geweben  zeh- 
ren, entleeren  aus  ihren  Renalgefäßen  nur  harnsaures  Ammoniak. 


478  E.  Verson, 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Allgemeine  Bezeichnungen: 

c,  Deckzellen  am  Ausführungskanälchen  d.e,  Ausführungsgang  der  de  Filippi- 

der  Exuvialdrüsen :  sehen  Drüsen; 

c.ef,  Zerfaserte  Epithelzellen  des  Aus-  D.F,  Anhangdrüsen   des   Sericteriums ; 

führungsganges    de    Filippis;  cjli.  Rudimentäre  Drüsenzelle; 

cn,  Ausführungskanälchen  der  Exuvial-  ip,  Hypoderma; 

drüsen;  ms,  Muskelfasern; 

CS,  Secernierendes  Cytoplasma;  nc.  Kern   der  secernierenden   Exuvial- 
ct,  Cuticula;  zelle. 

ein,  Cuticula  neuer  Bildung; 

Von  den  folgenden  Figuren  sind  viele  meiner  ersten  Mitteilung  über  »Nuovi 
organi  escretori  scoperti  nel  filugello«  aus  dem  Jahre  1890  entlehnt. 

Tafel  XXI. 

Fig.  1.  Eine  Häutungsdrüse  {gh)  aus  neugeborenem  Räupchen,  mit  ver- 
schmälertem Halse  bis  an  die  Oberfläche  des  Hypoderms  reichend.  Geneigter 
Flachschnitt.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  2.  Obere  Mesothoracaldrüse  am  3.  Tage  der  ersten  Larvenperiode. 
Der  Ausführungskanal  cn  ist  vom  Messer  schief  getroffen  und  erscheint  durch 
zwei  Deckzellen  c  beschützt.  Der  Kern  nc  beginnt  seine  blasige  Form  einzu- 
büßen.    Haktnack  VIII,  3. 

Fig.  3.  Häutungsdrüse  des  vierten  Bauchsegments,  kurz  vor  dem  ersten 
Larvenschlafe.  Das  Protoplasma  der  secernirenden  Zelle  ist  stark  angeschwollen 
von  zahlreichen  Vacuolen,  deren  viele  je  ein  winziges  Körnchen  einschließen. 
Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  4.  Häutungsdrüse  des  siebenten  Bauchsegments,  vom  gleichen  Alter 
wie  Fig.  3.  Der  Kern  nc  ist  durch  vorspringende  Buckel  des  Cytoplasmas  ein- 
geengt, das  viel  größere  Vacuolen  mit  voluminösem  fixen  Inhalt  aufweist.  Hart- 
nack VIII,  3. 

Fig.  5.  An  einem  andern  Schnitte  derselben  Drüse  (Fig.  4)  ist  ersichtlich, 
daß  der  körnige  Rückstand  im  Innern  der  Vacuolen  stellenweise  auch  ganz  fehlen 
kann.     Hartnack  VIII,  3. 

Flg.  6.  Schiefer  Längsschnitt  durch  die  untere  Häutungsdrüse  des  achten 
Bauchsegments  einer  Raupe,  die  zum  ersten  Schlafe  sich  anschickt.  Der  Aus- 
führungsgang ist  außer  der  Schnittebene  geblieben.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  7.  Obere  Mesothoracaldrüse,  aus  einem  Räupchen,  welches  die  erste 
Häutung  eben  überstanden  hat.  Das  Protoplasma  der  secernierenden  Zellen- 
drüse hat  alle  Vacuolen  verloren,  und  ist  rings  um  den  noch  erweiterten  Kern 
zusammengeschrumpft.  Letzterer  scheint  mit  dem  nur  partiell  getroffenen  Aus- 
führungsgang zu  kommunizieren.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  8.  Häutungsdrüse  des  ersten  Bauchringes  aus  einer  Larve  gleichen 
Alters  wie  in  Fig.  7.     Die  Risse  und  Fetzen   der  Kernwände  nc  sind  hier  noch 


Beitrag  zur  näheren   KeniitniH  der  Häutung  usw.  479 

tiefer  markiert;  der  Ausführungsgang  cn  verläuft  zwischen  zwei  Deckzellen  c 
eingegraben.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  9.  Untere  Drüse  des  achten  Baucliringcs,  kurz  nach  der  ersten  Häutung. 
Der  Drüsenkörper  enthält  noch  einzelne  Vacuolen,  die  im  Begriffe  stehen  sich 
centralwärts  zu  öffnen.  Der  dilatierte  Kern  nc  ist  von  zahlreichen  Lininsträngen 
durchzogen,  welche  mit  reichlichem  Chromatin  wie  inkrustiert  ersclieincn.  Der 
Ausführungsgang  wurde  vom  Schnitte  nicht  getroffen.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  10.  Obere  Drüse  des  achten  Bauchsegments,  aus  derselben  Raupe 
wie  in  Fig.  9.  Der  unregelmäßig  verzogene  und  verrissene  Kern  enthält  auch 
hier  viele  Lininstränge  und  kommuniziert  offen  mit  dem  Ausführungsgang. 
Sehr  beachtenswert  ist  der  glattrandige  Durchschnitt  des  zwischen  Deckzellen 
verlaufenden  Kanalabschnittes,  im  Vergleich  zur  Fortsetzung  desselben,  die  sich 
innerhalb  des  secernierenden  Cytoplasmas  Bahn  bricht.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  11.  Häutungsdrüse  des  siebenten  Bauchringes  aus  einer  Larve,  die 
dem  zweiten  Schlafe  sich  nähert.  Das  secernierende  Cytoplasma,  von  Vacuolen 
strotzend,  treibt  gegen  den  Kernraum  Buckel  und  Beulen  vor,  welche  von  einem 
streifigen  Saume  gekrönt  erscheinen.  Der  Ausführungskanal  cn  ist  schief-,  fast 
quergeschnitten.     Hartnack  VIII,  3, 

Fig.  12.  Obere  Drüse  des  achten  Bauchsegments  vor  dem  zweiten  Larven- 
schlafe. Das  secernierende  Cytoplasma  wie  in  Fig.  11;  dank  dem  im  Kerne  sich 
ansammelnden  Fluidum  werden  aber  die  Protuberanzen  zurückgedrängt,  bfs 
die  gezerrten  Lininstränge  In  wieder  zutage  treten.  Der  ausführende  Teil  der 
Drüse  liegt  außerhalb  der  Schnittebene.     Hartnack  VIII,  3, 

Fig.  13.  Untere  Mesothoracaldrüse,  unmittelbar  nach  der  zweiten  Häutung. 
Das  Cytoplasma  vacuolenfrei,  ganz  eingeschrumpft.  Der  Kernraum  nc,  von  zer- 
fetzten Wänden  begrenzt,  erscheint  dilatiert  und  von  Lininfäden  reichlich  durch- 
setzt. Der  Ausführungsgang  cn  ist  von  zwei  Deckzellen  umschlossen.  Hart- 
nack VIII,  3. 

Fig.  14.  Exuvialdrüse  des  siebenten  Bauchringes,  3  Tage  nach  der  zweiten 
Larvenhäutung.  Das  Cji;oplasma  der  secernierenden  Zelle  enthält  noch  keine 
Vacuolen,  zeigt  sich  aber  überall  vernarbt  und  turgeszierend.  Der  Ausführungr- 
gang  cn  schließt  mit  blindem  Grunde  ab.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  15.  Proximaler  Abschnitt  einer  unteren  Prothoracaldrüse  bei  be- 
ginnendem dritten  Larvenschlafe.  Der  von  drei  Deckzellen  zusammengefügte 
Ausführungsgang  mündet  frei  zwischen  der  alten  abgehobenen  Cuticula  et  und 
der  neuen  ctn,  welche  das  Hypoderm  an  seiner  entblößten  Oberfläche  wieder 
ausgeschwitzt  hat.  Vom  Kernraum  nc  aus,  scheint  eine  Kommunikation  nach 
dem  blinden  Grunde  des  Ausführungsganges  schon  angebahnt.    Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  16.  Offene  Mündung  mit  entstehenden  chitinogenen  Verschlußlippen, 
einer  unteren  mesothoracalen  Drüse  aus  dem  dritten  Larvalschlafe.  Der  Aus- 
führungsgang ist  von  zwei  Deckzellen  begleitet.    Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  17.  Gesamtansicht  einer  unteren  Prothoracaldrüse,  in  gleicher  Ent- 
wicklungsphase wie  Fig.  15  und  16.  Der  noch  blinde  Ausführungsgang  besitzt  nur 
eine  einzige  Deckzelle.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  18  u.  19.  Verschiedene  Durchschnitte  von  Ausführungsgängen.  In 
Fig.  19  scheint  eine  seitliche  Kommunikation  mit  dem  Kernraum  sich  ausgebildet 
zu  haben.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  20.     Secernierender  Körper  einer    oberen   mesothoracalen   Drüse,   aus 


480  E.  Verson,  Beitrag  zur  näheren  Kenntnis  der  Häutung  usw. 

einer  Larve,  die  sich  zum  vierten  Schlafe  vorbereitet.  Die  Rindensubstanz  (Cyto- 
pUxsma)  CS  ist  dicht  vacuoHsiert;  der  Kernraum  nc  durch  zahlreiche  Buckel  und 
Beulen  beengt,  welche  allseits  von  den  Plasmawänden  sich  erheben  und  deutlich 
streifsaumig  erscheinen.     Haktnack  VIII,  3, 

Fig.  21.  Exuvialdrüse  des  siebenten  Bauchringes,  kurz  vor  dem  vierten 
Larvalschlafe.  Durch  den  gleichzeitigen  Vorfall  zahlloser  vacuolisierter  Protu- 
beranzen, welche  der  Rindensubstanz  entsteigen,  ist  der  Kernraum  in  eine  reiche 
Verzweigung  sinuöser,  mäanderartig  sich  durchwindender  enger  Gänge  verwandelt 
worden.     Habtnack  IV,  3. 

Fig.  22.  Untere  pi'othoracale  Drüse  aus  einer  Larve,  welche  eben  ihre  vierte 
Exuvie  abgestoßen  hat.  Das  lappig  ausgewachsene  Organ  hat  eine  enorme 
Volumreduktion  erfahren,  enthält  aber  dennoch  eine  gewisse  Anzahl  von  Vacuolen 
in  ihrer  Rindensubstanz,  während  der  Kern  ganz  ästig  zerfallen  ist.  Hartisiack 
IV,  3. 

Fig.  23.  Obere  prothoracale  Drüse,  mit  vacuolisiertem  Cytoplasma  und 
verästigtem  Kerne,  aus  einer  Puppe,  die  im  Begriff  steht  ihre  letzte  Larvalexuvie 
abzuwerfen.     Hartnack  IV,  3. 

Fig.  24.  Obere  prothoracale  Drüse,  mit  vacuolenfreiem  geschrumpften 
Cytoplasma  und  reich  befiedertem  Kern  aus  einer  jungen  Puppe.  Der  Aus- 
führungsgang cn  ist  durch  den  Schnitt  schief  getroffen  worden.  Hartnack 
IV,  3. 

Fig.  25.  Exuvialdrüse  des  sechsten  Bauchringes  aus  einer  älteren  Puppe. 
Das  secernierende  Cytoplasma  geht  allmählich  ein.  aber  einzelne  Vacuolen  per- 
sistieren noch  längs  den  Seitenwänden  des  nach  Art  einer  Blattrippe  gestreckten 
Kernes.     Hartnack  IV,  3. 

Tafel  XXII. 

Fig.  26.  Fadenpresse  mit  Anhangdrüsen  D.F,  welche  das  Secretionsi^rodukt 
großer  secernierender  Zellen  es  durch  bilaterale  Ausführungsgänge  d.e  ins  Seric- 
terium  entleeren.  Das  Präparat  gehört  einer  Raujic  an,  welche  3  Tage  vorher 
die  vierte  Häutung  überstanden  hatte,  und  erscheinen  demnach  die  secernieren- 
den  Zellen  noch  vacuolenfrei.     Hartnack  IV,  3. 

Fig.  27.  Ein  kvxrzer  Tractus  Ausführungsgang  der  Anhangdrüsen  aus  einer 
spinnenden  Rau])c,  stärker  vergrößert.  Die  Epithelzellen  des  Ductus  d.e.  zerfasern 
zu  einem  dünnen  Netzwerke,  welches  mit  der  Intima  in  vollem  Zusammenhange 
bleibt.     Habtnack  XIII,  3. 

Fig.  28.  Secernierende  Zellen  der  Anhangdrüsen  aus  einer  spinnenden 
Raupe,  im  vacuolisierten  Zustande.     Hartnack  VIII,  3. 

Fig.  29 — 32.  Hypostigmatische  Drüsenzellen  in  verschiedenen  Phasen  ihrer 
Secretemission.     Hartnack  VIII,  3. 


Histologische  Studien  über  Insekten. 

I.  Das  Herz  der  Aeschnalarven. 

Von 

Alexius  Zawarzin. 

(Aus  dem  anatomiscli-histologischen  Laborutoriuin  der  Universität 
St.  Petersburg;  Vorstand  Prof.  Dr.  A.  S.  Dogiel.) 

Mit  il  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXIII,  XXIV. 

Ungeachtet  Jessen,  daß  jährlich  Hunderte,  sogar  Tausende  von 
Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  Entomologie  erscheinen,  ist  der  Orga- 
nismus der  Insekten  dennoch  noch  lange  nicht  genügend  studiert. 
In  dieser  Hinsicht  ist  besonders  das  Nervensystem  hervorzuheben, 
über  dessen  feineren  Bau  sowie  über  das  gegenseitige  Verhalten  seiner 
Elemente  so  gut  wie  nichts  bekannt  ist.  Sämtliche  neuere  neurolo- 
gische Untersuchungsmethoden  sind  für  das  Studium  des  Nerven- 
systems der  Insekten  fast  nicht  angewandt  worden.  Alles  was  bisher 
über  dasselbe  bekannt  ist,  verdanken  wir  fast  ausschließlich  Unter- 
suchungen, die  vermittels  der  gewöhnlichen  Untersuchungsmethoden 
ausgeführt  worden  sind. 

Ich  habe  mir  daher  die  Aufgabe  gestellt  das  Nervensystem  der 
Insekten,  soweit  es  möglich  ist,  vermittels  der  neuen  Methoden  zu 
studieren.     Vorliegende  Arbeit  ist  der  Anfang  dieser  Untersuchungen. 

Auswahl  des  Materials  und  Untersuchungsmethoden. 

Eine  der  Bedingungen  für  den  Erfolg  einer  jeden  histologischen 
Arbeit  ist  die  günstige  Auswahl  des  Materials;  besonders  wichtig  ist 
dieses  für  die  neueren  neurologischen  Methoden,  da  bei  weitem  nicht 
alle  Tiere,  selbst  nahe  verwandte,  in  dieser  Beziehung  gleich  gute 
Resultate  ergeben.  Diese  Auswahl  ist  besonders  schwierig  für  die 
Methode  der  vitalen  Färbung  der  Nerven  mit  Methylenblau,  welche 
ich  vorwiegend  angewandt  habe,  und  welche  von  sämtlichen  neuen 
Untersuchungsverfahren  die  besten  Resultate  ergibt,  da  das  Material 
folgenden  Anforderungen  genügen  muß. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  32 


4:(*(2  Alexins  Zawaizin. 

Zunächst  muß  es  womö<ilich  während  der  ganzen  Zeit  der  Arbeit 
und  außerdem  in  großer  Zahl  von  Exemplaren  vorhanden  sein,  da 
die  Methode  launisch  ist  und  die  Präparate  häufig  mißlingen;  zweitens 
muß  das  Insekt  sich  in  Methylenblau  leicht  färben;  drittens  muß  das 
Tier  genügend  groß  und  gleichzeitig  durchsichtig  sein,  damit  die  Prä- 
paration desselben  keine  Schwierigkeiten  bereite  und  damit  das  Pig- 
ment der  Untersuchung  desselben  in  toto  nicht  hinderlich  sei;  eine 
derartige  Untersuchung  ist  jedoch  für  das  Studium  der  Nervenverteilung 
im  Körper  des  Insektes  durchaus  erforderlich. 

Es  ist  durchaus  nicht  leicht  ein  Insekt  zu  finden,  welches  allen 
diesen  Anforderungen  genügt,  infolgedessen  blieb  meine  Wahl  bei  den 
Larven  von  Wasserjungfern  stehen,  welche  sämtlichen  oben  angeführten 
Bedingungen  durchaus  genügen. 

Ein  Vorwurf  kann  mir  nur  in  der  Hinsicht  gemacht  werden,  daß 
ich  für  eine  Untersuchung  allgemeinen  Cliarakters  als  Ausgangsobjekt 
eine  Larve  und  nicht  eine  Imago  gewählt  habe.  Bei  den  Wasserjungfern 
ist  jedoch  die  Larvenperiode  äußerst  lang  und  übertrifft  beträchtlich 
die  Lebensdauer  der  Imago.  Bei  derartigen  Insekten  können  die  Larven 
als  selbständige  Einheiten  angesehen  werden,  die  ihre  eigne,  dem  Leben 
angepaßte  und  sich  wenig  verändernde  Organisation  haben.  Die  an 
diesen  Larven  angestellten  Beobachtungen  können  daher  auf  jedes 
beliebige  Insekt  übertragen  werden,  wenn  nur  die  Besonderheiten  dessen 
Organisation  in  Berücksichtigung  gezogen  werden.  Die  angeführten 
Betrachtungen  veranlaßten  mich  in  meiner  Auswahl  bei  den  Wasser- 
jungfern stehen  zu  bleiben,  wobei  ich  die  grtißte  derselben  {Aeschmt) 
wählte. 

Durch  Untersuchungen  der  Imago  und  andrer  Insekten:  Peri- 
plamta  americano,  Stilopyga  orientalis,  (rnjUus  domesticus,  kontrollierte 
ich  dazwischen  meine  Beobachtungen. 

Die  Methoden,  welche  ich  angewandt  habe,  sind  folgende:  für 
die  Untersuchung  der  Nerven  das  Verfahren  tler  vitalen  Methjden- 
blaufärbung  mit  nachfolgeuder  Fixierung  der  Präparate  in  molybdän- 
saurem  Ammonium.  Für  die  Klarstellung  einiger  Einzelheiten  des  Baues 
des  Herzens  bediente  ich  mich  desselben  Verfahrens,  außerdem  jedoch 
des  gewöhnlichen  zoologischen  Verfahrens  vermittels  Schnitte  und 
nachfolgender  Färbung  derselben  mit  Hämatoxylin  und  Eosin  oder 
Orange,  mit  Safranin  und  Lichtgrün,  mit  Eisenhämatoxylin  nach 
Heidenhain  und  Bordeaux  K.  Für  die  Untersuchung  der  phago- 
cytären  und  Secretionsorgane  wandte  ich  die  Tusch-  und  Karmininjek- 
tion sowie  des  ammoniakali sehen  Karmins  an. 


Histdlogisi'lu'  StJulicMi   üIkt   Insekten.    I.  iHl^ 

A.  Anatomie  und  Histologie  des  Herzens  der  Aeschnalarve. 

Im  Beginn  meiner  Arbeit  über  die  Nerven  des  Herzens  der  Aeschnu- 
Larve  stieß  icli  auf  die  »Scliwioriukeit,  daß  ich  in  der  Liteiatiii-^  keine 
vollständige  und  richtige  Beschreibmig  dieses  Organs  fand  und  daher* 
gezwungen  war,  die  einzelnen  Literaturangaben  durch  eigne  Beobach- 
tungen zu  vervollkonrmnerr,  um  ein  richtiges  Bild  des  Organs  zu  geben, 
dessen  Nervensystem  ich  untersucht  habe. 

A  natomic. 

In  den  Hand-  und  Lehrbüchern  der  Eirtomologie  (Kolbe, 
Packard,  Henneguv,  Berlese)  wird  das  Herz  der  Insekten  als  eiir 
Abschnitt  des  Rückengefäßes  beschrieben,  welches  im  Abdomen  gelegen 
imd  in  eine  größere  oder  geringere  Anzahl  von  Kammern  geteilt  ist; 
die  Kammern  sind  voneinairder  dirrch  Klappen  geschieden.  Jede 
Kammer  hat  zwei,  desgleichen  mit  Klappen  versehene,  Mündungen, 
vermittels  derer  die  Herzhöhle  mit  denr  Pericardialraum  kommuniziert. 
Letzterer  ist  von  dem  allgemeinen  Körperhohlraum  durch  ein  Septum 
abgeschieden,  in  welchem  mehr-  oder  weniger  segmental  die  Flügel- 
mrrskeln  angeordnet  sind. 

Sämtliche  Lehr-  und  Handbücher  berücksichtigen  keinerlei  Ab- 
weichungen von  einem  derartigen  Bautypus  des  Herzens  und  weisen 
nur  auf  eine  Inkonstanz  im  Bau  dieses  Organs  hin,  wobei  hauptsäch- 
lich das  Herz  von  Corethra  und  Chironomus  in  Betracht  gezogen  wird. 

AVird  nun  speziell  der  Bau  des  Herzens  der  Wasserjungfern  in  Be- 
tracht gezogen,  so  werden  in  der  Literatur  über  diese  Frage  dermaßen 
geringe  Angaben  gefimden,  daß  in  denr  von  G.  Jacobson  imd  W. 
Btanki  bearbeiteten  Harrdbuch  von  Tümpel  statt  der  Beschreibung  des 
Herzens  der  Wasser]  ungfern  eiire  allgemeine  Beschreibung  des  Herzens 
der  Insekten  angeführt  wird.  Die  ersten  Hinweise  auf  die  Besonder- 
heiten des  Baues  des  Herzens  der  Wasserjungfern  gibt  Burmeister, 
welcher  den  vollständigen  Mangel  der  Flügelmuskeln  bei  ihnen  vermerkt. 
OuFOUR  stellt  die  Abwesenheit  von  Ostieir  im  Herz  der  Aeschna-haLTve  fest. 

In  der  neuesten  Literatui'  finden  sich  Hinweise  auf  die  Anatomie 
des  Herzens  der  Aeschna-hsivve  bei  Vosseler  und  bei  Bergh,  welche 
zwei   Paar  Flügelmuskeln  in   den   hinteien   Segmenten  beschreiben. 


1  Hinsichtlich  der  Literatur  muß  ich  jedocii  vermerken,  daß  ich  nicht  für 
die  Vollständigkeit  der  von  mir  gefundenen  Angaben  einstehe,  da  einzelne  Be- 
funde, die  in  verschiedenen,  sich  nicht  direkt  auf  mein  Thema  beziehenden  Mit- 
teilungen zerstreut  sind,   mir  leicht  entgangen  sein  können. 

32* 


484  Alexius  Zawarzin, 

E  i  <^  11  e  B  e  ()  b  a  c  li  t  u  n  g  e  n . 

Das  Herz  der  Aeschna-hawe  beginnt  im  vorletzten  (neunten)  Ab- 
dominalsegment, in  der  Falte,  welche  durch  das  Aufliegen  der  Haut- 
decken dieses  Segmentes  auf  diejenigen  des  zehnten  (letzten)  Abdomi- 
nalsegmentes gebildet  wird. 

Indem  sich  das  Herz  sofort  stark  ausweitet,  bildet  es  die  erste 
(vom  Ende)  größte  Kammer,  welche  der  Länge  nach  das  ganze  neunte 
Segment  einnimmt.  Diese  Kammer  hat  zwei,  mit  Klappen  versehene 
Mündungen,  auf  welche  (in  der  Kichtung  von  hinten  nach  vorn)  der 
Anfangsteil  der  Klappe,  welche  die  hintere  Kammer  von  der  folgenden 
trennt,  folgt.  Im  Anfangsteil  dieser  Kanmier,  ist  dorsal  ein  Auswuchs 
vorhanden,  welcher  in  die  Falte  zwischen  dem  achten  und  neunten  Seg- 
ment eindringt  und  hier  fest  angeheftet  ist.  Die  Mündungen  der  zweiten 
(7)  Kammer  sind  desgleichen  vor  der  Klappe  gelegen,  welche  diese 
Kammer  von  der  dritten  (6)  trennt  und  ungefähr  auf  der  Grenze  zwischen 
dem  siebenten  und  achten  Segment  angeordnet  ist.  Die  zweite  (7) 
Kammer  entspricht  ihrer  Größe  und  ihrer  Lagerung  nach  vollkommen 
der  ersten.  Im  siebenten  Segment  liegt  fernerhin  die  dritte  (6)  Kammer, 
welche  in  ihrem  Anfangsteil  vermittels  eines  gleichen  Auswuchses  wie 
die  zweite  befestigt  ist.  Entsprechend  jedem  Segment  sind  im  Herzen 
weiter  noch  sieben  Kammern,  jedoch  ohne  Ostien,  vorhanden.  —  In 
diesem  Teil  unterscheidet  sich  das  Herz  beträchtlich  von  dem  hinteren 
Abschnitt. 

Sämtliche  Kammern  des  vorderen  Abschnittes  sind  voneinander 
durch  einfache,  taschenförmige  Klappen  getrennt;  vor  einer  jeden  Klappe 
(in  der  Richtung  des  Blutstromes)  liegen  mehr  auf  der  dorsalen  Wand 
des  Herzens,  dort,  wo  die  Ostien  liegen  müßten,  je  zwei  eigenartige 
Gebilde,  die  ich  vorschlage  als  Ostiumorgane  zu  bezeichnen,  da  sie 
ihrer  Lagerung  nach  den  Ostien  vollkommen  entsprechen  (Textfig.  1,  oo). 

Ein  Paar  derartiger  Organe  liegt  außerdem  noch,  wie  sonderbar 
es  auch  scheint,  in  der  Wand  der  Aorta  im  zweiten  Thoraxsegment; 
sie  entsprechen  sowohl  ihrem  Bau  als  auch  ihrer  Lagerung  nach  durch- 
aus den  Ostiumorganen  im  Herzen. 

Der  Stützapparat  des  Herzens  (Septa  und  Flügelmuskeln)  weisen 
desgleichen  eine  Reihe  von  Besonderheiten  auf  und  weichen  stark  von 
demjenigen  Typus  ab,  welcher  z.  B.  bei  den  Orthoptera  vorliegt. 

Der  gesamte  Stützapparat  kann  wie  das  Herz  in  zwei  Abschnitte 
geschieden  werden,  einen  hinteren,  welcher  die  beiden  hinteren  Kam- 
mern  des   Herzens   befestigt   und   einen  vorderen,  der  in  der  Längs- 


Histolotiisflio  Sliulien   über  Insekten.    I.  4H5 

i'iclitunii  lies  übrigen  lloi/.ab.schnittes  ani-eordnet  ist.  \)vv  hintere 
Abschnitt  wird  liauptsäclilich  von  den  Flüoelmuskeln  gebildet,  von 
denen  zwei  Paare  vorhanden  sind:  das  eine  ist  im  notuiten  Segment, 
entsprechend  der  letzten  Herzlvamraer  <2,ele<2;en,  das  andre  im  achten 
entsprechend  der  vorletzten  Kannnei'. 

Ani  Herzen  gehen  die  Fliigelmuskeln  in  .sogenanntes  elastisches 
Gewebe  über,  dessen  Fasern  sich  nntereinander  verflechten,  miteinander 
anastomosieren  und  gleichsam  einen  netzförmigen  Beutel  bilden,  das 
Pericard,  in  welchem  die  beiden  hinteren  Kammern  des  Herzens  liegen. 
—  Längs  der  ventralen  Mittellinie  verwachsen  die  Fasern  dieses  Peri- 
cards  mit  dem  Herzen  und  gehen  in  dessen  Wand  übei':  eine  derartige 

Oo. 

MW  ., 


Textfig.  1. 

Plachschnitt  durch  das  Herz  der  Acschna-IjaT\e.     Sublimat  mit  Essigsäure.     Färbuntr  nmh 

Heidexhaix.     Vergr.  125.     Kl,  Klappe  zwischen  den  Kammern;  Oo,  Ostiumorgan. 

Verwachsung  erfolgt  auch  am  vorderen  Ende  des  achten  Segmentes, 
wo  das  Pericard  endigt.  Vom  Pericard  gehen  Faserbündel  ab,  welche 
das  Herz  noch  mehr  befestigen;  zwei  derartige  Bündel  verlaufen  nach 
hinten  und  befestigen  sich  am  Ende  des  zehnten  Segmentes  —  sie  stellen 
die  Ligamenta  posteriora  dar  (Taf.  XXIV,  Fig.  6  Igp).  Zwei  andre 
Bündel  sind  am  vorderen  Ende  des  achten  Segmentes  gelegen;  diese 
könnten  als  Ligamenta  anteriora  bezeichnet  werden  (Taf.  XXIV, 
Fig.  6  Iga).  Ein  Septuni  im  engeren  Sinne  ist  im  hinteren  Herzabschnitt 
fast  gar  nicht  entwickelt. 

Im  Zwischenraum  zwischen  der  Herzwand  und  dem  >>Pericardium« 
ordnen  sich  zwischen  den  Fasern  des  letzteren  die  Pericardzellen  sowie 
gegenüber  den  Ostien  zwei  Paar  lymphoider  Organe,  welche  bereits 
von  Metalnikoff  beschrieben  worden  sind,  an. 

Der  vordere  Abschnitt  des  Stützapparates  ist  durch  ein  schwach 
entwickeltes  Septuni  mit  wenigen  Muskelfasern  vertreten,  die  mehr 
oder   weniger   senkrecht   zum   Herzen    verlaufen   und    nicht   weit   von 


486  AJexius  Zawarzin, 

demselben  in  sogenannte  elastische  Fasern  übergehen,  welche  ihrer- 
seits sich  in  die  Herzwand  einflechten.  Diese  Fasern  können,  wie 
es  mir  scheint,  als  reduzierte  Fliiuelmuskeln  angesehen  werden,  mit 
denen  sie  ihren  Beziehungen  zum  Herzen  nach  in  vielem  übereinstimmen. 
Der  Stützapparat  des  Herzens  der  Aeschna-harve  ist  somit  normal 
nur  im  hinteren  Ende  entwickelt;  das  vordere  Ende  ist  stark  reduziert 
und   stellt  eine    Reihe   interessanter  Besonderheiten   dar. 

Histologie   des  Herzens   (\ev  ^Leschna-havve. 
Literatiirangaben.     Die  ersten  Angaben  über  die  Histologie  des 
Herzens  der  Insekten  finden  sich  bei  Leydig  (Larve  von  Corethra);  es 
folgendarauf  die  .Arbeiten  von  Weissmann.  J.  Dogiel  und  einer  Reihe 
andrer  Forscher. 

Die  wertvollsten  Angaben,  welche  bis  jetzt  ihre  Bedeutung  bei- 
1)ehalteii  hallen,  enthält  jedoch  die  Arbeit  von  Graber.  welcher  an 
einer  Reihe  von  Objekten  fast  aus  sämtlichen  Ordnungen  der  Insekten 
den  histologischen  Bau  des  Herzens  studiert  hat. 

Nach  Graber  besteht  die  Herzwand  aus  diei  Häuten:  Intima, 
Muscularis  und  Adventitia.  Die  Intima  eiithält  keine  Kerne  und  gleicht 
einer  Cuticula;  die  sich  an  diese  anschließende  Muscularis  wird  von 
ringförmigen,  quergestreiften  Muskelfasern  —  Zellen  gebildet.  Die 
Adventitia  besteht  aus  Bindegewebe,  welches  an  die  Membrana  fene- 
strata  der  Wirbeltiere  erinnert  und  zahlreirhe  Kerne  enthält. 

Im  Septum  sind  dreierlei  Arten  von  Bindegewebe  enthalten: 
streifiges  Bindegewebe,  elastisches  Fasernetz  und  reticuläres  Binde- 
gewebe. Das  erstere  Gewebe  hat  die  gn'ißte  Bedeutung  für  den  Auf- 
bau des  Septums. 

Die  Flügelmuskeln  bestehen  aus  echten  (juergestreiften,  von  einem 
Sarcolemm  bekleideten  Muskelfasern,  welche  nicht  weit  vom  Herzen  in 
»elastische«  Sehnen  übergehen,  die  ihrerseits  dem  elastischen  Fasernetz 
den  Ursprung  geben. 

Vosseler  (1891)  ist  mit  den  Beobachtungen  von  Graber  in  einer 
Reihe  von  Fragen  nicht  einverstanden.  Zunächst  findet  er,  daß  die 
Intima  ebenso  gebaut  ist  wie  die  Adventitia  und  daß  beide  Häute 
zahlreiche,  longitudinale,  glatte  Muskelfasern  erhalten.  Ferner  hält 
er  das  ganze  elastische  Fasernetz  von  Graber  für  glatte  Muskelfasern. 
Schließlich  hält  er  sowohl  die  Muskeln  des  Herzens  als  auch  die  Flügel- 
muskeln für  atypische  quergestreifte  Fasern,  die  leicht  ihre  Quer- 
streif unii-  einbüßen  können. 


Histologische  Sltulieii   iil)iM-   liisektiMi.    I.  4^7 

Pantkl  (liKH»)  berülut  in  seiner  Monouiaphie  iil)er  ilie  Larve  von 
Thrixion  halidauanutti  ilesgleiclien  auch  den  Bau  de«  Hei'zeiis  dieser 
Larve.  Dieses  zeichnet  sich  dadurch  aus,  daß  es  wie  hei  sämthchen 
kkMuen  Larven  (Levdig.  Doctkl  —  Corethm:  Jawokowskv.  Popowici 
Baznüzanu  —  ('Iurono)iiui!i.  Ephenieriden),  eine  äußerst  mangelhaft 
entwickelte,  der  Intinia  gleichende,  Adventitia  hat.  Nur  die  Muscularis 
ist  entwickelt,  welche  große,  von  Protoplasma  umgebene  Kerne  und 
eine  Reihe  von  ringförmigen  (typisch  quergestreiften)  Myofibrillen- 
bündeln  zwischen  ihnen  enthält. 

Bergh  (1902)  hat  im  allgemeinen  die  Beobachtungen  von  (Irabek 
bestätigt;  infolge  der  Bearbeitiuig  der  Präparate  mit  Silber  ist  es  ihm 
jedoch  außerdem  gelungen  im  Herzen  eine  Reihe  sogenannter  Nähte 
oder  Grenzlinien  darzustellen,  die  sich  folgendermaßen  anordnen:  zwei 
mediane  Längsnähte  teilen  das  Herz  in  zwei  Hälften;  eine  Reihe  von 
queren  (ringförmigen)  Nähten,  die  von  ersteren  abgehen,  teilen  das 
Herz  in  eine  Reihe  von  Abschnitten,  welche  Bergh  für  Muskeleinheiten 
hält.  —  Im  Zusammenhang  damit  sieht  er  die  Intima  als  ein  Sarco- 
lemmgebilde  an.  Eine  Reihe  von  embryologischen  ]3efunden  bestätigt 
die  angeführten  Beobachtungen  von  Bergh. 

Durch  die  Arbeiten  von  Bütschli,  Weissmann.  Viallanes.  Cho- 
LODKOWSKY,  Heymons  Und  einer  Reihe  andrer  Forscher  ist  es  fest- 
gestellt, daß  das  Herz  in  zwei  Zellplatten  angelegt  wird,  die  zu  beiden 
Seiten  der  Medianlinie  angeordnet  sind.  Die  Zellen  dieser  Platten 
oder  Cardioblasten  (Myoblasten)  bilden  das  Herzrohr  (die  Muskelschicht 
desselben).  Diese  auf  dem  Querschnitt  halbmondförmigen  Cardioblasten 
wachsen  mit  ihren  Enden  aus  (Jaworowsky),  berühren  sich  hierbei  in 
den  Medianlinien  und  bilden  auf  diese  Weise  ringförmige  oder  richtiger 
halbringförmiue  Muskeln  dei-  Muscularis.  —  Die  Abschnitte,  deren 
Grenzen  bereits  Viallanes  zu  färben  gelungen  war  und  die  besonders 
deutlich  Bergh  eihalten  hat,  hält  letzterer  für  Muskelzellen,  welche  aus 
diesen  Cardioblasten  hervorgegangen  sind. 

Eigne  Beobachtungen.  Das  Herz  der  Larven  von  Wasser- 
jungfern hat  wie  dasjenige  sämtlicher  großer  Insekten  eine  gut  ent- 
wickelte Adventitia,  Muscularis  und  Intima. 

Die  Adventitia  besteht,  wie  es  bereits  Graber  gezeigt  hat,  aus 
einem  besonderen,  faserigen  Bindegewebe,  welches  seinem  Aussehen 
nach  an  gefensterte  Membranen  erinnert.  Außer  den  Fibrillenbündeln 
dieses  Gewebes  sind  in  der  Adventitia  stets  aus  dem  Septum  und  aus 
dem    » Pericardium«    in   dasselbe    eintretende    soaenannte    »elastische 


488  Alexius  Zawarzin, 

Fasern «1  vorhanden  (Textfiu.  2  e/).  Diese  Fasern  sind  zweierlei  Art: 
die  einen  verzweigen  sich  fast  gar  nicht  und  erstrecken  sich  im  Herzen 
in  der  Längsrichtiuig  desselben  (Textfig.  3  lef) ;  die  andern  sind  stark 
verzweigt,  anastomosieren  miteinander  und  ordnen  sich  in  der  Quer- 
richtung an  (Textfig.  3).  Beiderlei  Faserarten  sind  besonders  zahlreich 
in  den  hinteren  Herzkammern  vorhanden;  nach  vorn  hin  nimmt  ihre 
Menae  allmählich  ab. 


Textfig.  2. 

Querschnitt  diu'ch  die  Herzwaiid  der  Larve  von  Aeschna  sp.?  Vitale  Metliylenblaufärbung,  fixiert 
mit  niolybdänsaurem  Ammonium,  Alaunkarmin.  Vergr.  1100.  /«?,  Intima;  Gw,  Xalitquerleiste; 
-l/.fW,  Muscularis:    Gm.  (irenzmembran  zwisciien  Muscularis  und  Adventitia  {adv.);  EF,  »elastische 

Faser  ♦. 

Außer  den  Fasern  sind  in  der  Adventitia  noch  spindelförmige  Zellen 
in  der  Längsrichtung  des  Herzens  angeordnet,  welche  bereits  von 
Graber  und  Bergh  beschrieben  worden  sind.  Außerdem  werden  in 
der  Adventitia  konstant  noch  Leucocyten  angetroffen. 

Auf  Schnitten  ist  die  Adventitia  von  der  Muscularis  durch  eine 
scharfe  Linie  geschieden.  Hier  liegt  meiner  Meinung  nach  eine  feinste 
Membran  vor,  welche  jedoch  bereits  der  Muskelschicht  angehört.  In 
der  Adventitia  sind  keinerlei  glatte  Muskeln  vorhanden;  Vosseler 
hält  für  dieselben,  wie  es  mir  scheint,  »elastische  Fasern«. 

Die  Muskelschicht  des  Herzens  ist  sehr  eigenartig  aufgebaut;  sie 
besteht  aus  einer  Reihe  komplizierter  Muskelzellen,  die  teilweise  zu 
Syncytien  verschmelzen . 

Auf  Methylenblaupräparaten.  die  etwas  überfärbt  sind,  treten  sehr 
scharf  grellblaue  Linien  hervor;  sie  stellen  die  Grenzlinien  dar,  welche 
Bergh  gelungen  war  mit  Silber  zu  imprägnieren. 

Auf  derartigen  Präparaten  können  zwei  Längsnähte  erkannt  werden 
(Textfig.  4  Ln),   die  sich   längs  der  ventralen    und  dorsalen  Seite  des 

1  Diese  Fasern  können  nicht  als  elastische  in  dem  Sinne  bezeichnet  werden, 
wie  es  in  der  Histologie  der  Wirbeltiere  angenommen  ist,  da  sie  offenbar  (vgl. 
unten)  einen  vollkommen  andern  chemischen  Bestand  aufweisen.  Ich  lasse  diese 
Bezeichnung,  da  diese  Fasern  ihrer  Bedeutung  und  ihren  physikalischen  Eigen- 
schaften nach  den  elastischen  Fasern  der  Wirbeltiere  entsprechen. 


Histologische  Studien  über  Insekten.  1. 


489 


Herzens  in  Form  von  Zickzacklinien  erstrecken.     Diese  Nähte  teilen 
das  Herz  in  eine  rechte  und  linke  Hälfte. 


Ler. 


Lef. 


£^£ 


Textfig.  3. 

Herz  einer  ^escÄ»o-Larve.    Methylenblau.    Totalpräparat.    Vergr.  260.     Kiu  Bündel  »elastischer " 
Fasern,  die  aus  dem  Septum  ins  Herz  eindringen.    Lef.  Faseni,  die  weiter  in  Längsfasern  übergehen. 

In  der  Querrichtung  wird  das  Herz  von  Eingnähten  durchzogen 
(Textfig.  4  Qn),  die  von  einer  Längsnaht  zur  andern  verlaufen.     Jede 


490  Alexius  ZaMarzin. 

Quernaht  erstreckt  sich  nur  auf  einer  Herzhälfte.     Die  Queruähte  sind 

niemals   einander  gegenüber  angeord- 


net,   sondern    alternieren    mehr    oder 
weniger. 


X 


^**''**^  Sämtliche  Nähte,  sowohl  die  Längs- 

I  als    auch    die    Quernähte,    teilen   das 

\                    y  Herz  in  zwei  Reihen  mehr  oder  weni- 

Y*-'"r*-"--'^  ger  regelmäßiger  sechseckiger  Bezirke. 

I  In    dieser    Hinsicht    bestätigen   meine 

I  Beobachtungen  somit  v'ollkommen  die 
/  ■■ 

»^             ./  Beobachtungen    von   Bergh.      Infolge 

"^  der  Anwendung  einer  gröberen  Methode 

\                   ,>-  (Versilberung)    ist    es    jedoch    Bergh 

'""'-•'^^y''^  nicht    gelungen,    die    Struktuj-    dieser 

§  Nähte    zu    beobachten.      Dank    einer 

%^                         /  feineren  Methode  (Methylenblau)  habe 

ich    hier    einige    interessante    Details 
wahrnehmen  können.     Wird  das  Herz 

\  dermaßen    in     Methylenblau    gefärbt, 

I            ,,,,.».—*'  daß  in   iiini   die  Nähte  scharf  hervor- 

ß"""  treten,   dai'auf  in  Paraffin   eingebettet 

?'  inicl  in   Schnitte   zerlegt,    so   ist   voll- 
kommen   deutlich    zu    erkennen,    daß 

V,,.„. ""'^     ^  die   Nälite  sich   in  die  Tiefe  nui"  von 

;  der  Intima  der  Autoren  bis  zur  Mem- 

;'  brau,    welche   die  Muscularis   von   der 

/                  ^  Adventitia    trennt,    erstrecken    (Text- 

/                 /     gn.  fig.  2  Gn).     Hierbei  offenbart  es  sich, 

") — ~.m^^^  daß  die  Nähte  nicht  durchgängig  sind, 

'  sondeiii    von    einer    Reihe    von    drei- 
eckigen   Querleisten    gebildet   werden, 

t  welche  mit  ihrer  Basis  an  die  Intima 

X         5  angrenzen  und  in  dieselbe  übergehen, 

\       ;                   \^  ;    . 

f        "^w                    \  ^i^it  ihrem  Gipfel  jedoch  an  die  Mem- 

I    ''^-,>.-..^.„^,^    ",  P^  brau  zwischen  Muscularis  und  Adven- 

;        ^  titia   stoßen.     Bisweilen   sind  einzelne 

'Ln-:"  derartige     Querleisten     nicht     in     der 

Textfig.  4,  Naht,    sondern   abseits    derselben   an- 

He,v  duor  A,-sckna-Lavye.     Meti^ylenbhu,.  oßOrduet  (tt,  Textfig.  5).    Auf  TeXtfig.  5, 

Qn.  (jiu-niiiiite.  Welche  einen  Flachschnitt  durch  eine 


/ 


Hist()liit;iscln-  Studien   üUw   Insekten.    1. 


V.)\ 


in  ^lethyleiiblaii  getai'hte  Hei/Avaucl  ilarstellt.  tix-tni  diese  N'eihältnisse 
besonders  deutlich  hervor. 

Über  die  Form  dov  Querleisten  gibt  Fig.  11  auf  Taf.  XXiV  eine 
Vorstelluuii.  welche  eine  in  Methylenblau  gefärbte  Naht  bei  einer  sehr 
starken  Vergi-ößerung  darstellt,  in  beiden  Fällen  treten  die  Querleisten 
besonders  scharf  hervor,  da  sie  allein  intensiv  lilau  uefäil)t  sind,  während 


-Jnt 


Msk. 


■ ad  f. 


Textfig.  5. 

Klachscliiütt  durch  die  Herzwand  einer  Larve  von  Aechna  sp.?     Vitale  l'ärlnmg  in  Metliylenblaii 

luid  Alaimlcarmin.     Vergr.  1100.      Qn,  N^alit  von  Querleisten  gebildet;  a,  eine  einzelne  Querleiste, 

die  außerhalb  der  Xaht  gelegen  ist.     Int,  Intima;  MhI\  Muscularis;  mli\  Adventitia. 


die  übrigen  Teile  (mit  Ausnahme  der  sogenannten  elastischen  Fasern) 
ungefärbt  erscheinen.  An  den  Verlaufsstellen  der  Naht  sind  keine 
Muskelbündel  vorhanden;  durch  die  Querleistenreihen  werden  somit 
im  Herzen  die  einzelnen  Muskeleinheiten  abgegrenzt;  was  auch  Bergh 
annahm  und  was  ich  folglich  bestätigen  kann. 

Von  den  Nähten  einerseits,  anderseits  von  der  Intima  und  der 
Grenzmembran  werden  im  Herzen  die  von  den  Abschnitten  der  eigent- 
lichen Muscularis  der  Autoren  (mit  Ausnahme  von  Bergh)  eingenom- 
menen Bezirke  bestimmt. 

Die  Muscularis  der  Autoren  setzt  sich  aus  folgenden  Elementen 
zusammen:  zunächst  werden  in  ihr  Myofibrillenbündel  unterschieden, 


4*)2  Alexius  Zawarzin. 

die  hiiisichtlicli  des  Herzens  in  der  (jueiriohtung  (ringförmig)  angeordnet 
sind.  Diese  Bündel  weisen  stets  eine  typische  Querstreifung  auf, 
mit  der  Besonderheit,  daß  die  Linie  Z  fast  nie  wahrnehmbar  ist, 
was  seine  Erklärung  in  der  geringen  Größe  der  Elemente  findet  (Text- 
fig.  6  Fh).  Die  Behauptungen  von  Vosseler,  der  daran  zweifelt, 
können  nur  durch  eine  ungenügende  Fixierung  der  Präparate  erklärt 
werden . 


Textfig.  6. 

Flacliscliiiitt  (lureli  das  Herz  einer  Larve  von  Aeschna  sp.  auf  der  Hölie  der  Miiseularis.     Sublimat 

und  Essigsäure.     Färbung   nach  Heidenhaix   mit  Hämatoxylin   und  Bordeaux  ß.     Vergr.  llüO. 

Fb.  Myofibrillenbündel ;    Sj).   Sareoplasnia :   ^fl,■,   Kerne. 

Zwischen  den  Fibrillen})üi]delii  ist  Protoplama  (Fig.  6  Sp)  vor- 
handen, welches,  wie  weiter  unten  ersichtlich  sein  wird,  vollkommen 
dem  Sareoplasnia  der  cjuergestreiften  Muskelzellen  des  Skelettes  ent- 
spricht; in  dem  Sarcoplasma  sind  vollkommen  unabhängig  von  den 
Fibrillenbündeln  Kerne  gelegen.  Eine  derartige  Ansicht  über  den  Bau 
der  Muscularis  entspricht  vollkommen  den  Befunden  von  Bergh, 
Pantel  und  Ja-vvorow.sky.  Da  jedoch  in  der  Muscularis  der  Autoren 
nicht  alle  den  Muskelzellen  zukommenden  Elemente  vorhanden  sind, 
es  fehlt  nämlich  das  Sarcolemma,  so  entsteht  unwillkürlich  die  Frage 
ob  nicht  die  Intima,  die  (Irenzmembran  zwischen  Adventitia  und 
Muscularis  und  die  Querleisten  der  Nähte,  Abkömmhnge  dieses  sind. 
Eine  derartige,  teilweise  von  Bergh  ausgesprochene  Hypothese,  wird. 


Histolocisi'lu"  Studit'ii   üIhm'   Inscklcn.    I. 


4^)3 


ady. 


Msk. 


Lct.-- 


meiner    Ansicht    naeli.    vollkoinnien    diii'ch    tlie    enil)n  i)l<),ui.sclicn    nnd 
histogenetischen    Befunde     von    J.wvo- 
ROWSKV  und  andr(M'  KorscluM- (vul.  oben) 
bestätigt. 

In  Berücksichtigung  dei'  oben  an- 
geführten Befunde  über  den  Bau  des 
Herzens  der  Insekten  (darunter  auch 
der  Wasserjungfern)  ist  hinsichtlich 
desselben  nur  eine  Vorstellung  möglich : 
das  eigentliche  Herz  entwickelt  sich 
ausschließlich  aus  Cardioblasten  und 
besteht  nur  aus  Muskelzellen,  deren 
Sarcolemma  die  Rolle  sowohl  enier  inne- 
ren (Intima)  als  auch  teilweise  einer 
äußeren  Haut  derselben  ausübt.  In 
dieser  reinen  Form  findet  sich  das  Herz 
nur  bei  verhältnismäßig  wenigen  Insek- 
ten {Corethra,  Chironomus,  Larven  eini- 
ger Fliegen  u.  dgl.).  Bei  den  größeren 
Insekten  ist  das  ausschließlich  musku- 
löse Herz  von  einer  bindegewebigen 
Adventitia  umgeben,  welche  ihren  Ur- 
sprung aus  dem  Stützapparat  nimmt. 
Es  ist  daher  notwendig,  die  von  den 
Wirbeltieren  entnommene  Terminologie 
Grabers  in  dem  Sinne  abzuändern, 
daß  die  Intima  als  eine  selbständige 
Haut  vollkommen  ausgeschlossen  imd 
nur  eine  Adventitia  und  eine  IVIuscularis 
unterschieden  werden.  — -  Diese  Ände- 
rung wird  sowohl  durch  embryologische 
(hauptsächlich  Jaworowsky),  als  auch 
durch  histologische  Untersuchungen  der 
letzten  Zeit  (Bergh,  Pantel)  gerecht- 
fertigt. 

Ostiumorgane.  An  den  Stellen 
der  Ostien,  in  der  Wand  des  vorderen 
Herzabschnittes  der  Äeschna-ljSiTve  lie- 
gen, worauf  oben  hingewiesen  worden  ist, 
besondere  Gebilde,  die  ich  Ostiumori»ane 


Qiier.scliiütt 


Textlig.  7. 

durch  ein  üstiiiniorgaii. 
Hermaxxs  Flüssigkeit;  Safraniii,  Licht- 
grün. Vergr.  750.  adv,  Adventitia;  Msk, 
Muscularis;  Lct,  Leueoeyten;  RIkg,  reti- 
culäres  Gewebe;  Rs,  Ringschicht  von 
Kernen,  lirli,  Karyokinese  in  Leueo- 
eyten. 


4'.)4:  Alexius  Zawarzin. 

beiiaiint  habe.  An  diesen  Stellen  sind  in  der  Muskelhant  des  Herzens 
Öffnungen  1  vorhanden,  welche  durch  ein  besonderes,  aus  dem  Gewebe  der 
Adventitia  entstehendes  reticuläres  Gewebe  erfüllt  sind  (Textfig.  7  Rtkg). 
Das  Bindegewebe  der  Adventitia  spaltet  sich  an  deii  Stellen  der  Ostium- 
organe  in  eine  große  Anzahl  feinere]'  ]5ündel.  welche  sich  teilweise  mit- 
einander verflechten,  teilweise  miteinander  verschmelzen  und  das  Netz 
dieses  >>reticulären«  Gewebes  bilden.  Jn  seinen  Maschen  liegen  zahl- 
reiche Zellelemente  (Leucocyten).  Auf  Schnitten  durch  ein  Ostiumorgan 
(Fig.  7)  ist  an  der  Peripherie  dieses  Organs,  an  den  Stellen,  wo  das 
leticuläre  Gewebe  an  die  Muskelschicht  grenzt,  eine  große  Anhäufung 
\'on  Kernen  sichtbar  (Fig.  7  Ks),  während  die  Zellen  selber  (das  Proto- 
plasma) nicht  wahrnehmbar  ist,  weil  dasselbe  nur  einen  schmalen 
Saum  lun  den  Kern  bildet;  diese  Zellen  erinnern  lebhaft  an  die  Lympho- 
cyten  der  Wirbeltiere.  Im  centralen  Teil  des  Ostiumoigans,  in  den 
Maschen  des  reticulären  Gewebes,  liegen  zahlreiche  Leucocyten  (Lct). 
An  der  Grenze  zwischen  der  Randzone  und  dem  centralen  Teil  werden 
beständig  karyokinetische  Figuren  beobachtet. 

Hinsichtlich  der  morphologischen  und  besonders  der  physiologischen. 
Bedeutung  dieser  Organe  kann  ich  nur  Annahmen  anführen,  für  deren 
Bestätigung  oder  Berichtigung  es  zahlreicherer  Beobachtungen  bedarf, 
als  ich  sie  ausführen  konnte.  In  den  beiden  hinteren  Kammern  des 
Herzens  der  Aeschnd-Lavve  sind  echte  Ostien  vorhanden,  es  fehlen 
jedoch  Ostiumorgane ;  dafür  finden  sich  jedoch  entsprechend  den  Ostien 
zwei  Paar  phagocytäre  Organe  (Metalnikoff),  die  aus  einem  reticulären 
Gerüst,  das  von  Leucocyten  erfüllt  ist.  bestehen.  Diese  Organe  liegen 
an  den  Stellen  des  intensivsten  Blutstromes  und  sondern  verschiedene 
feste  ins  Blut  eingeführte  Substanzen  (Tusche,  Karmin,  Sepia  u.  dgl.)  aus. 
In  den  Kammern  des  vorderen  Herzabschnittes  der  Aeschna-Ij&rve  sind 
weder  Ostien  noch  phagocytäre  Organe,  dafür  jedoch  Ostiumorgane 
vorhanden,  die  ihrem  Bau  und  ihrer  Lagerung  nach  den  phagocytären 
Organen  der  hinteren  Segmente  entsprechen.  Es  kann  somit  ange- 
nommen werden,  daß  erstere  ebensolche  phagocytäre  oder  besser  lym- 
phoide,  jedoch  in  die  Ostien  eingewachsene,  Organe  sind. 

Ich  habe  Tusch-  und  Karmininjektionen  ausgeführt;  während  die 
])hagocytären  Organe  der  hinteren  Segmente  von  diesen  Substanzen 
dicht  angefüllt  waren,  war  in  den  Ostiumorganen  nur  eine  dermaßen 
unbedeutende  Menge  derselben  vorhanden,  daß  es  bisweilen  schwer  fiel 
sie  auf  Schnitten  wahrzunehmen.    Injektionen  ergaben  somit  ein  mehr 

1  Das  Vorhandensein  von  Öffnungen  bestätigt  noch  nielir  meine  Annalinie, 
daß   diese  Organe  sicli  aus  Ostien  entwickelt  liaben. 


Histolouisc-Iu'  StiidiiMi    iil)er   Insekten.  I. 


495 


oder  weniger  neu;atives  Resultat,   welches  jedoch,  wie  jedes  negative 
Resultat,   nocli    nichts   beweist.      Aul    (Innul    dieses   Resultates    kann 


Flgm 

Textfig.  8. 

Übergangsstelle  eines  Flügelmuskels  (es  ist  nur  ein  Teil  desselben  abgebildet)  in  das  sog.  elastische 
Xetz.  Äeschnti-ljAXve.  Totalpräparat.  Vitale  Methylenblaufärbiing.  Vergr.  525.  Flgm,  Fasern 
eines  Flügelmuskels;  Es,  elastisches  Sehnengewebe  von  Graber.     lifn,  elastisches  Fasernetz  von 

Geabek. 


dennoch   folgende  Annahme  gemacht  werden.     Wird  zugegeben,  daß 
bei    der   Larve   von  Aeschna  die  phagocytäre  Tätigkeit  nur   in    den 


41)  (3 


xYlexius  Zawarzin, 


VIII 


VII 


Lef 


Textfig  9. 
Ligamentum   anterior.     Larve  von  Äeschna  sp.?     Vitale  Me 
thylenblaufärbung.  Vergr.  220.    ff,  Herz;    VIII  und  VII,  das    soocnanilte 
entsprechende  aclite  und  siebente  Segement;  Lga,  Ligamen  " 

tum  ant.;  Lef,   »elastische«  Längsfasern  der  Adventilia. 


Organen  der  hinteren 
Kammern  beibehalten 
worden  ist,  während  die 
Ostiumorgane  blutbil- 
dende Organe  darstellen, 
so  wird  hiermit  mehr 
oder  weniger  der  Bau 
dieser  sowie  die  negati- 
ven Resultate  der  Injek- 
tionen erklärt. 

Stützapparat.  Der 
hintere  Abschnitt  dessel- 
ben wird  durch  die 
Flügelmuskeln  und  das 
mit  ihnen  verbundene 
>>  elastische  Pericardium  << 
(elastisches  Fasernetz  von 
C4raber)  vorgestellt.  Die 
Flügelmuskeln  bestehen 
aus  typischen  querge- 
streiften Fasern;  Vosse- 
LEE,  der  dieselben  nicht 
für  typisch  quergestreift 
erklärt,  ist  auch  in  diesem 
Falle  nicht  im  Recht. 
Die  Fasern  der  Flügel- 
muskeln beginnen  von 
den  Hautdecken  und 
gehen  am  Herzen  nicht 
in  das  Netz  von  glatten 
Muskelfasern  über,  wie 
VossELER  behauptet,  son- 
dern, wie  es  seinerzeit 
vollkommen  richtig  Gra- 
ber beschrieben  hat,  zu- 
nächst in  die  sogenannten 
elastischen  Sehnen,  die, 
sich  verzweigend,  das 
elastische 
Fasernetz   ergeben.     Auf 


Histologische  Studien  über  Insekten.  I.  497 

Methylenblaupräparaten  treten  diese  Beziehungen  besonders  deutlich 
hervor,  da  die  >>elastischen  <<  Fasern  hierbei  eine  intensiv  blaue  Farbe 
annehmen,  während  die  Muskeln  ungefärbt  bleiben  (Fig.  8).  Die  Enden 
der  Muskelfasern  sind  an  der  Übergangsstelle  abgerundet,  und  lagern 
sich  in  entsprechende  Vertiefungen  der  Sehnenenden.  Die  letzteren 
erscheinen  gleichsam  ausgefasert  und  umfassen  die  Enden  der  Muskel- 
zellen (Textfig.  8).  Im  allgemeinen  liegen  hier  dieselben  Verhältnisse 
vor  wie  in  den  Chitinsehnen  der  Skeletmuskeln.  Die  Sehnen  verzweigen 
sich  weiterhin  (Textfig.  8),  anastomosieren  mit  ihren  Fortsätzen  und 
bilden  das  Netz  des  Pericardiums  (Efn).  Die  Fasern  dieses  Netzes 
flechten  sich  in  der  Mittellinie  in  das  Gewebe  der  Adventitia  ein,  wobei 
sie  da  ein  Längs-  und  Quernetz  bilden  (Textfig.  9).  Diese  Fasern  stellen 
die  oben  beschriebenen  »elastischen  Fasern«  der  Adventitia  vor.  Nach 
hinten  geht  das  Pericardiumnetz  in  die  Ligamenta  posteriora  (Taf .  XXIV, 
Fig.  6),  am  Ende  der  zweiten  Kammer  in  die  Ligamenta  anteriora  über 
(Taf.  XXIV,  Fig.  6  und  Textfig.  9  Lga) ;  die  Fasern  dieser  Ligamenta 
verschmelzen  direkt  mit  der  Chitindecke. 

Der  vordere  Abschnitt  des  Stützapparates  wird  hauptsächlich  von 
dem  Septum  und  den  in  ihm  gelagerten  wenigen  Muskelzellen,  die  am 
Herzen  in  Sehnen  übergehen,  gebildet. 

Über  den  Bau  des  Septums  kann  ich  nichts  aussagen.  Die  Muskeln 
und  Sehnen  desselben,  die  sich  verzweigen  und  in  das  Gewebe  der 
Adventitia  einflechten,  haben  denselben  Bau  wie  die  entsprechenden 
Gebilde  des  hinteren  Abschnittes. 

Zum  Schluß  möchte  ich  noch  einiges  über  den  Charakter  des  soge- 
nannten »elastischen«  Apparates  des  Herzens  (Sehnen  und  Netz)  aus- 
sagen, der  bereits  lange  die  Aufmerksamkeit  der  Forscher  auf  sich  zieht. 
Er  wird  bald  für  elastisches  (Graber),  bald  für  Muskelgewebe  gehalten. 
Dieses  Gewebe  ist  jedoch  im  Organismus  der  Insekten  weit  verbreitet 
und  wird  in  fast  allen  Organen  angetroffen;  überall  färbt  es  sich  aus- 
gezeichnet mit  Methylenblau,  ist  hinsichtlich  der  Einwirkung  von  Säuren 
und  Alkalien  konstant  und  steht  entweder  mit  den  Tracheen  oder  mit 
andern  Chitingebilden  im  engsten  Zusammenhang. 

Das  Mitgeteilte,  besonders  jedoch  der  Übergang  der  Fasern  des 
Lig.  anterius  unmittelbar  in 'die  Chitindecke,  die  auffallende  Ähnlich- 
keit der  Sehnen  der  Flügelmuskeln  mit  den  Chitinsehnen  der  Skelet- 
muskeln und  viele  andre  Tatsachen  veranlassen  mich,  mich  der  Ansicht 
von  N.  A.  Cholodkovsky  (1886)  anzuschließen,  daß  dieses  Gewebe  ein 
Chitingewebe  ist  und  seinen  Ursprung  von  den  Tracheen  nimmt.    Dieses 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  33 


498  Alexius  2awarzin, 

ist  natürlich  zunächst  nur  eine  Annahme,  die  jedoch,  wie  mir  scheint, 
durch  die  angeführten  Tatsachen  genügend  begründet  ist. 

B.  Das  Nervensystem  des  Herzens  der  Larven  von 
Aeschna  sp. 

Literaturangaben.  Hinsichtlich  der  Nerven  des  Herzens  selber 
ist  bisher  fast  nichts  bekannt.  Angaben  habe  ich  nur  bei  Graber  ge- 
funden, welcher  auf  Präparaten,  die  mit  Gold  behandelt  worden 
waren,  sich  auf  dem  Herzen  verzweigende  Nervenfasern  gesehen  hat. 
Hinsichtlich  der  Herkunft  der  Herznerven  ist  durch  die  Arbeiten  von 
Brandt,  Pawlowa,  Sinety  und  vieler  andrer  Forscher  festgestellt, 
daß  das  Herz  von  dem  ersten  Ganglienpaar  im  Mundmagensystem 
innerviert  wird,  welches  somit  als  Herzganglien  bezeichnet  werden 
kann.  Auf  diese  wenigen  Befunde  beschränken  sich  im  wesentlichen 
unsre  Kenntnisse  über  die  Innervation  des  Insektenherzens. 

Eigne  Beobachtungen.  Meine  Beobachtungen  über  das  Nerven- 
system des  Rückengefäßes  der  Aeschna-Laive  beschränken  sich  nur  auf 
das  Gebiet  des  Herzens  und  seines  Stützapparates.  Die  Aorta  und 
deren  Kopfabschnitt  in  dem  Teil  derselben,  wo  sie  mit  dem  Mund- 
magennervensystem in  Zusammenhang  steht,  habe  ich  infolge  rein 
technischer  Schwierigkeiten  nicht  untersuchen  können.  Für  die  Me- 
thylenblaufärbung ist  nämlich  eine  rasche  Präparation  erforderlich,  die 
daher  zu  grob  ist,  um  den  Brust-  und  Kopfteil  des  Rückengefäßes  ge- 
nügend sorgfältig  abzuscheiden.  Im  eigentUchen  Herzen  verteilen  sich 
die  Nerven  folgendermaßen:  seitwärts  erstrecken  sich  am  Herzen  zwei 
Nervenstämmchen,  die  aus  einer  verhältnismäßig  geringen  Anzahl 
(etwa  10)  markloser  Nervenfasern  bestehen;  diese  weisen  auf  ihrem 
Gesamtverlauf  große,  mehr  oder  weniger  spindelförmige  Varicositäten 
auf  (Fig.  1,  3,  4,  9,  10  auf  Taf.  XXIII  und  XXIV  hn),  in  denen  häufig 
das  Fibrillennetz  ausgezeichnet  hervortritt.  Diese  zwei  Nerven,  welche 
als  Herznerven  bezeichnet  werden  können,  entspringen  wahrscheinlich 
aus  den  HerzgangHen  des  Mundmagennervensystems;  sie  erstrecken 
sich  längs  des  gesamten  Rückengefäßes  bis  zu  den  hinteren  Kammern, 
wo  sie  den  Flügelmuskeln  dicke  Äste  abgeben  und  allmählich  gegen 
die  Ligamenta  posteriora  hin  verschwinden. 

Im  Gebiet  des  Herzens  treten  in  die  Herznerven  aus  den  moto- 
rischen Nerven  (Mn),  welche  die  intersegmentalen  Muskeln  innervieren 
und  aus  den  Ganglien  der  Bauchkette  entspringen,  feinste  Nerven  ein, 
welche  aus  drei  bis  vier  marklosen  Fäserchen  bestehen  (Fig.  5,  Taf.  XXIII 
Mn).    Beim  Eintritt  in  den  Herznerven  verzweigen  sich  letztere  T-förmig 


Histologische  Studien  über  Insekten.  I.  499 

(Fig.  9,  Taf.  XXIV),  wobei  an  der  Teilungssteile  eine  dreieckige  varicöse 
Verdickung  entstellt. 

Diese  Seitennerven  treten  in  die  Herznerven  mehr  oder  weniger 
segniental  und  paarweise  ein.  Diesen  segmentalen  Eintritt  habe  ich 
freilich  bei  der  Jeschna-ltsuve  nicht  sicher  feststellen  können,  wahr- 
scheinlich infolge  ihrer  Feinheit  und  unrei2;elmäßio;en  Färbung.  Auf 
meinen  Präparaten  treten  diese  Nerven  bald  paarweise,  bald  alter- 
nierend, bald  in  jedem  Segment,  bald  nicht  in  jedem  ein.  Kurz, 
es  wird  ein  derartiges  Bild  erhalten,  daß  in  Berücksichtigung  der 
Methode,  mehr  oder  weniger  bestimmt  von  einer  segmentalen  und  paar- 
weisen Anordnung  der  Seitennerven  gesprochen  werden  kann.  —  Außer- 
dem konnte  ich  bei  andern  von  mir  untersuchten  Insekten  (Cordulia 
aenea,  Periplaneta  americana,  Gryllus  domesticus)  unzweifelhaft  die 
paarweise  und  segmentale  Anordnung  der  Seitennerven  feststellen. 
Der  Charakter  dieser  Seitennerven  wird  durch  ihre  Herkunft  aus  moto- 
rischen Nerven  sowie  aus  ihren  Endigungen  bestimmt. 

Bisweilen,  wenngleich  verhältnismäßig  sehr  selten,  geben  die 
Nervenfasern  der  seitlichen  Nerven  unweit  von  ihrer  Eintrittsstelle  in 
den  Herznerven  End Verzweigungen  für  die  Herzmuskeln  ab.  Die  Seiten- 
nerven müssen  somit  für  motorische  Nerven  gehalten  werden.  Dieses 
entspricht  auch  vollkommen  den  von  der  Innervation  des  Herzens  bei 
Crustaceen  und  Xiphosura  bekannten  Tatsachen  (Carlson,  vgl.  unten). 
Die  soeben  beschriebenen  Verhältnisse  sind  sowohl  auf  dem  Schema 
(Fig.  6,  Taf.  XXIV),  auf  welchem  hn  den  Herznerven,  mhn  die  Seiten- 
nerven und  Mn  den  motorischen  Nerv  darstellt,  sowie  auf  den  Fig.  5, 
der  Taf.  XXIII  und  Fig.  9  der  Taf.  XXIV  (die  Bezeichnungen  sind 
dieselben  wie  auf  dem  Schema)  gut  sichtbar;  auf  der  Fig.  9  sind  mit  a 
motorische  End  Verzweigungen  auf  den  Herzmuskeln  bezeichnet. 

Bei  der  Beschreibung  der  Nervenendverzweigung,  auf  die  ich  nun 
übergehe,  werde  ich  dieselbe  Ordnung  einhalten,  wie  bei  der  Beschrei- 
bung der  Anatomie  und  Histologie  des  Herzens,  d.  h.  ich  werde  zu- 
nächst eine  Schilderung  der  Endigungen  im  Herzen  und  darauf  im 
Stützapparat  geben. 

Herz.  Motorische  Endigungen.  Auf  dem  Herzen  fallen  zu- 
nächst zahlreiche  motorische  Endverzweigungen  auf.  Auf  ihre  moto- 
rische Funktion  weist  erstens  ihre  Herkunft  aus  den  Seitennerven 
(vgl.  oben)  hin  und  zweitens  ihr  morphologischer  Charakter:  besonders 
gestaltete  (rosenkranzförmige)  Varicositäten,  der  Charakter  ihrer  Ver- 
zweigungen (vgl.  unten),  und  schließlich  ihre  Lagerung,  da  sie  stets 
unterhalb  der  Adventitia  direkt  auf  den  Muskeln  liegen. 

33* 


500  Alexius  Zawarzin, 

Sämtliche  motorische  Endverzweigungen  können  in  drei  Arten 
geteilt  werden.  Eine  derartige  Teilung  ist  freilich  eine  recht  künstliche, 
jedoch  für  eine  Beschreibung  durchaus  erforderlich. 

Endigungen  erster  Art  (Fig.  10,  Taf.  XXIV).  Von  einer  Faser 
des  Herznerven  (/m)  entspringt  T-förmig  ein  Seitenästchen ,  welches 
sofort  stark  varicös  wird;  diese  Varicositäten  unterscheiden  sich  scharf 
von  den  Varicositäten  der  Fasern  des  Herznerven,  die  letzteren  sind 
stets  spindelförmig,  wobei  die  Faser  unter  allmählicher  Verdickung  in 
die  Varicosität  übergeht.  Auf  den  Endverzweigungen  ist  die  Faser 
selber  äußerst  fein,  besteht  nur  aus  einigen  Fibrillen,  wähernd  die 
Varicositäten  im  Vergleich  zu  ihr  sehr  groß,  rundlich  und  von  der 
Faser  scharf  abgegrenzt  sind.  Ein  derartiges  Endästchen  erinnert 
seinem  Aussehen  nach  lebhaft  an  einen  Rosenkranz.  Derartige  rosen- 
kranzförmige Varicositäten  sind  auf  sämtlichen  Endverzweigungen  auf 
den  Muskeln  vorhanden.  In  den  Endigungen  der  ersten  Art  beginnt 
somit  die  rosenkranzförmige  Faser  unmittelbar  vom  Herznerven ;  indem 
sie  sich  teilt,  bildet  sie  eine  kleine  Endverzweigung  (Fig.  10,  Taf.  XXIV). 
Derartige  Endigungen  erster  Art  sind  längs  dem  ganzen  Herznerven 
zerstreut,  wobei  ihre  Zahl  größer  ist  als  diejenige  der  andern.  Diese 
kurzen  End Verzweigungen  umfassen  natürlich  nur  diejenigen  Herz- 
gebiete, welche  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  mit  den  Herznerven 
gelegen  sind  (vgl.  Schema  Fig.  6,  Taf.  XXIV  Mne  /). 

Endigungen  zweiter  Art  (Fig.  8,  Faf.  XXIV  und  Fig.  6,  Taf. 
XXIVilfwe2).  Diese  Endigungen  sind  hauptsächlich,  man  könnte 
sogar  sagen,  ausschließlich  in  den  hinteren  Herzkammern  verbreitet. 
Sie  stellen  sich  folgendermaßen  dar:  von  der  Faser  des  Herznerven 
entspringt  ein  äußerst  feiner  Seitenast,  der  stets  schräg  verläuft 
und  der  Varicositäten  entbehrt  (Fig.  8  a).  Diese  Faser  ist  dermaßen 
fein,  daß  sie  bei  mittleren  Vergrößerungen  kaum  zu  erkennen  ist.  In 
einer  gewissen  Entfernung  vom  Herzen  verdickt  sich  diese  Faser  be- 
deutend, teilt  sich  in  zwei  oder  drei  rosenkranzförmige  Endfäserchen, 
die  sich  in  der  Längsrichtung  des  Herzens  ausbreiten.  Von  diesen 
Fäserchen  entspringen  stets  ebenso  kurze  und  varicöse  Ästchen.  — 
Die  Endigungen  der  zweiten  Art  bestehen  somit  aus  langen,  varicöseu 
Endfasern;  diese  geben  varicöse  Verzweigungen  ab,  welche  den  allge- 
meinen gestreckten  Verlauf  der  Faser  nicht  alterieren.  Mit  dem  Herz- 
nerven verbindet  sich  eine  derartige  Endigung  vermittels  einer  äußerst 
feinen  varicösen  Faser. 

Endigungen   dritter  Art  (Fig.  6,   Taf.  XXIY  Mne  S,  Fig.  3, 
Taf.  XXIII  Alne  3).     Diese  Endigungen  werden  ausschheßlich  in  den 


Histologische  Studien  über  Insekten.  I.  501 

Kammern  angetroffen,  in  denen  Ostiumorgane  vorhanden  sind.  Sie 
ähneln  sehr  den  Endigungen  zweiter  Art  und  unterscheiden  sich  von 
denselben  nur  in  wenigem.  Sie  entspringen  desgleichen  als  feinste, 
nicht  varicöse  Fädchen  von  den  Fasern  des  Herznerven;  in  einiger 
Entfernung  vom  Herzen  nehmen  sie  an  Dicke  zu,  werden  varicös, 
verzweigen  sich  hierselbst  und  bilden  Endigungen.  Der  Charakter 
dieser  Verzweigungen  ist  jedoch  ein  andrer  als  derjenige  der  Verzwei- 
gungen zweiter  Art:  die  Endästchen  sind  nicht  wie  dort  in  die  Länge 
gestreckt;  in  ihrer  Anordnung  wiegen  zwei  Richtungen  vor:  eine  der 
Längsachse  des  Herzens  parallele  und  eine  zu  dieser  senkrechte  (Fig.  3, 
Taf.  XXIII).  Mit  ihren  Verzweigungen  umfassen  sie  desgleichen,  wie 
die  Endigungen  der  zweiten  Art,  fast  ein  ganzes  Herzsegment.  Von  dem 
letzteren  Typus  unterscheiden  sie  sich  noch  durch  eine  wichtige  Be- 
sonderheit. Eins  der  varicösen  Endästchen  des  dritten  Typus  verzweigt 
sich  verhältnismäßig  weniger  als  die  andern  und  begibt  sich  zum  Ostium- 
organ  (Fig.  3,  Taf.  XXIII  na),  wo  es  in  das  ostiale  Nervengeflecht, 
(vgl.  unten)  eingeht. 

Endigungen  in  den  Zwischenkammerklappen.  Die  Endi- 
gungen in  den  Zwischenkammerklappen  sind  wahrscheinlich  desgleichen 
von  motorischem  Charakter  (Fig.  4,  Taf.  XXIII;  Fig.  6,  Taf .  XXIV 
Klne).  Diese  Endigungen  färben  sich  verhältnismäßig  schwer;  das 
Herz  legt  sich  außerdem  unter  das  Deckglas  nur  zufällig  so,  daß  die 
Klappen  gut  sichtbar  sind,  infolgedessen  habe  ich  diese  Endigungen 
auch  nur  selten  beobachten  können.  Sie  haben  vieles  mit  den  Endi- 
gungen der  zweiten  und  dritten  Art  gemein.  Sie  entspringen  ebenso 
von  den  Fasern  der  Herznerven  als  feine,  nicht  varicöse  Astchen, 
welche  an  der  Klappe  rosenkranzförmig,  varicös  werden  und  sich 
verzweigen;  ihre  Aste  bilden  ein  knäuelförmiges  Geflecht,  von  welchem, 
sowie  auch  von  der  varicösen  Faser  selber,  nach  verschiedenen  Seiten 
lange,  varicöse  Ästchen  abgehen  (Fig.  4,  Taf.  XXIII).  Die  varicösen 
Astchen  dieser  Endigungen  sind  etwas  dicker  als  diejenigen  der  Ver- 
zweigungen des  ersten,  zweiten  und  dritten  Typus;  im  allgemeinen  ist 
ihr  Charakter  jedoch  derselbe. 

In  sämtHchen  Endigungen  halte  ich  für  den  Anfang  der  Verzwei- 
gungen die  Stelle,  wo  die  rosenkranzförmigen  Varicositäten  beginnen. 
Irgendwelche  andre  Grenzen  können  hier,  wie  mir  scheint,  nicht  fest- 
gestellt werden,  da  dafür  jegliches  Kriterium  fehlt.  In  sämtlichen 
Endverzweigungen  fällt  ihr  allgemeiner  diffuser  Charakter  auf,  der  be- 
sonders deutlich  in  den  Endigungen  der  zweiten  und  dritten  Art  aus- 
geprägt ist.     Hier  fehlen  jegliche  lokalisierte  Gebiete,  wie  z.  B.  die 


502  Alexius  Zawarzin, 

DoYERSchen  Hügel,  in  denen  die  Endigungen  zusammengfaßt  wären. 
Hier  sind  sie  im  Gegenteil  im  ganzen  Herzen  zerstreut  und  bedecken 
dasselbe  mit  einem  diffusen  Netze.  Dieser  Charakter  der  Endigungen 
muß,  wie  mir  scheint,  in  Zusammenhang  gesetzt  werden  mit  dem 
Bau  der  Muscularis  des  Herzens.  Letztere  weist  desgleichen  keine 
scharf  begrenzte  Muskelzellen  auf.  Die  ganze  Muscularis  erscheint 
gleichsam  als  ein  unvollständiges  Syncytium,  in  welchem  sich  nur 
Spuren  der  Zellgrenzen  in  Form  von  Nähten  erhalten  haben.  Der 
diffuse  Charakter  der  Nervenendigungen  harmoniert  außerdem  mit  den 
Bewegungen,  die  das  Herz  ausführt.  Die  Pulsation  des  Herzens  bei 
Insekten  kann  am  besten  mit  der  Darmperistaltik  verglichen  werden, 
d.h.  mit  einer  Bewegung,  die  sich  aus  einer  großen  Zahl  von. Einzel- 
bewegungen zusammensetzt,  die  nur  dann  eine  Bedeutung  haben,  wenn 
eine  Summierung  derselben  erfolgt. 

Schließlich  muß  ich  noch  einiges  hinsichtlich  der  Einteiluns  der 
Endigungen  in  Arten  vermerken :  diese  Teilung  ist  zunächst  eine  morpho- 
logische; ich  bin  weit  entfernt  derselben  irgendwelche  physiologische 
Bedeutung  zuzusprechen.  Bei  der  Schilderung  dieser  Endigungen  sind 
natürlich  Irrtümer,  die  von  der  Methode  abhängen,  möglich.  Nicht 
immer  kann  sicher  behauptet  werden,  daß  die  ganze  Endigung  gefärbt 
ist,  infolgedessen  muß  auch  ihre  Klassifizierung  mit  diesem  Vorbehalt 
verstanden  werden.  Das  Herz  der  Insekten  stellt  außerdem  ein  äußerst 
schwieriges  Untersuch ungsobjekt  dar,  an  dem  nur  verhältnismäßig 
schwer  gute  Resultate  erzielt  werden.  Jedenfalls  kann,  wie  mir  scheint, 
der  allgemeine  Charakter  der  Endigungen,  ihre  nicht  lokalisierte  An- 
ordnung auch  mit  diesem  Vorbehalt  angenommen  werden,  da  die  Fär- 
bung auf  meinen  Präparaten  eine  genügend  vollständige  war,  wie  es 
z.  B.  die  Fig.  3  auf  Taf.  XXIII  zeigt,  auf  welcher  die  Nerven  fast  im 
ganzen  Herzsegment  gefärbt  sind. 

Endverzweigungen  in  den  Ostiumorganen  (Fig.  1  und  3, 
Taf.  XXIII;  Fig.  6,  Taf.  XXIV  oonp).  Ich  gehe  nun  zur  Beschreibung 
der  Nervengeflechte  über,  welche  auf  den  Ostiumorganen  gelegen  sind 
und  welche  vor  allen  andern  meine  Aufmerksamkeit  auf  meinen  ersten 
Präparaten  vom  Herzen  der  ^esc/ma-Larve  auf  sich  gezogen  haben. 
Sie  sind  nur  auf  den  Ostiumorganen  angeordnet  und  fehlen  folglich 
in  den  hinteren  Herzkammern.  Sie  entspringen  wie  sämtliche  End- 
verzweigungen des  Herzens  aus  den  Herznerven. 

Gegenüber  dem  Ostiumorgan  entspringen  von  zwei  verschiedenen 
Fasern  (Fig.  1,  Taf.  XXIII)  des  Herznerven  feine  Seitenästchen  {nb 
und  nc;  Fig.  1  und  Fig.  2,  Taf.  XXIII).    Von  einer  dritten  Faser  des 


HiBtologische  Studien  über  Insekten.  I.  503 

Herznerven  entspringt  mehr  oder  weniger  weit  vom  Ostiumorgan  ein 
drittes  derartiges  Astchen  {na)  und  tritt  an  das  Ostiumorgan  heran. 

Eins  der  zwei  ersten  Ästchen  (nb)  ist  gewöhnhch  dicker  als  die 
andern,  weist  einige  spindelförmige  Varicositäten  auf  und  gibt  noch 
vor  dem  Ostiumorgan  einen  oder  zwei  feinste  Nervenfäden  ab,  welche 
mit  ihr  zusammen  in  das  Ostiumorgan  eintreten.  Das  ursprüngliche  Äst- 
chen verdickt  sich  fast  immer  stark  am  Ostiumorgan  und  verwandelt 
sich  in  eine  bandförmige  Faser,  die  sich  in  eine  große  Anzahl  varicöser 
Endfäden  verzweigt,  welche  teilweise  miteinander  anastomosieren,  teil- 
weise sich  miteinander  verflechten  und  sich  auf  dem  ganzen  Ostium- 
organ ausbreiten.  Der  zweite  (von  den  ersten  zwei)  Seitenast  (ne)  ist 
sehr  fein,  varicös,  verzweigt  sich  nach  dem  Eintritt  in  das  Ostiumorgan ; 
seine  Endfäden  breiten  sich  auf  dem  Organ  aus  und  verflechten  sich 
mit  den  Verzweigungen  des  ersten  Seitenastes.  Der  dritte  Seitenast 
{na,  Fig.  1  und  3,  Taf .  XXIII)  weist  einen  vollkommen  andern  Charakter 
auf;  er  stellt  die  Faser  dar,  welche  in  das  Ostiumorgan  aus  den  moto- 
rischen Verzweigungen  des  dritten  Typus  eintritt  (vgl.  oben  und  Fig.  3, 
Taf.  XXIII). 

Dieses  Ästchen  {na)  gibt  noch  vor  dem  Ostiumorgan  zahlreiche 
(wie  sie  selber)  varicöse  Zweige  ab,  falls  ihr  Anfang  weit  entfernt  von 
dem  Organ  ist  (Fig.  3,  Taf.  XXIII)  und  natürlich  weniger  zahlreiche, 
wenn  sie  in  der  Nähe  desselben  entspringt  (Fig.  1,  Taf.  XXIII).  Nach 
dem  Eintritt  in  das  Ostiumorgan  verzweigt  sich  dieses  Ästchen  seiner- 
seits in  eine  große  Anzahl  Endfäden,  die  sich  mit  den  Endfäden  der 
ersten  zwei  Seitenästchen  {nb  und  nc)  verflechten.  An  dem  Ostium- 
geflecht  beteiligen  sich  somit  mindestens  drei  Nervenästchen,  die  von 
drei  verschiedenen  Fasern  der  Herznerven  entspringen.  Einer  dieser 
Ästchen  ist  wahrscheinlich  motorisch.  —  Wie  ist  nun  der  Bau  des  Ostium- 
geflechtes  selber?  Wie  verhalten  sich  in  ihm  die  Endfäden  der  ver- 
schiedenen Nervenästchen  zueinander?  Eine  absolut  bestimmte  Ant- 
wort ist  natürlich  schwer  auf  diese  Fragen  zu  geben;  es  kann  jedoch 
recht  sicher  festgestellt  werden,  daß,  wenn  auch  Anastomosen  und  Ver- 
schmelzungen beobachtet  werden,  so  nur  zwischen  Fäden  einerlei  Her- 
kunft, obgleich  es  natürlich  schwer  fällt,  ein  derartig  kompliziertes 
Geflecht  wie  in  den  Ostiumorganen  zu  entwirren. 

Das  Ostiumgeflecht  liegt,  worauf  ich  bereits  oben  hingewiesen  habe, 
stets  seitwärts  vom  Herznerven.  Auf  einem  Präparat  habe  ich  einmal  ein 
originelles  Geflecht,  welches  dem  Herznerven  angehörte,  beobachtet. 
Dieses  spaltete  sich  in  der  Nähe  des  Ostiumorgans  in  zwei  vollkommen 
gleich  dünne  Äste,  welche  das  Organ  umkreisten,  dabei  Seitenäste  an 


504  Alexius  Zawarzin, 

dessen  Geflecht  abgaben  und  sich  abermals  zu  einem  gemeinsamen 
Stamm  vereinigten. 

Es  ist  natürlich  recht  schwer  irgend  etwas  über  die  Bedeutung 
dieser  Nervenapparate  ohne  sichere  Kenntnis  der  Centren,  aus  denen 
sie  entspringen,  auszusagen.  Von  den  drei  Fasern,  welche  dieses  Geflecht 
bilden,  kenne  ich  nur  den  wahrscheinhch  motorischen,  Charakter  der 
einen,  hinsichtlich  der  beiden  andern  kann  ich  nur  die  Vermutung  aus- 
sprechen, daß  sie  aus  den  Herzganglien  des  Mundmagennervensystems 
ihren  Ursprung  nehmen.  Das  Ostiumgeflecht  hat  jedenfalls  für  die 
Herztätigkeit  eine  größere  Bedeutung  als  bloß  die  Innervation  des 
Ostiumorgans.  In  der  nächsten  Zeit  hoffe  ich  den  Bau  der  Herz- 
ganglien feststellen  zu  können,  sowie  im  Herzen  andrer  Insekten  Nerven- 
apparate zu  finden,  welche  den  Ostiumgeflechten  der  AescJipa-IjSiive 
entsprechen,  dann  wird  es  vielleicht  möglich  sein  die  Funktion  dieser 
Apparate  zu  bestimmen. 

Die  Nerven  des  Stützapparates.  Sowohl  im  Septum  als  in 
den  Flügelmuskeln  verzweigen  sich  und  endigen  zahlreiche,  wahr- 
scheinlich motorische  Nerven. 

Die  Nerven  des  Septums.  Dieselben  entspringen  von  den 
motorischen  Nerven,  die  ins  Herz  eintreten  {mJin,  Fig.  5,  Taf.  XXIII 
und  Fig.  6,  Taf.  XXIV)  sowie  von  den  motorischen  Nerven  (Mn)  der 
intersegmentalen  Muskeln. 

Von  den  Seitennerven  (mJm)  des  Herzens  sondert  sich  ein  äußerst 
feines,  nicht  varicöses  Ästchen  (Sptn)  ab,  das  sich  bald  verzweigt,  dabei 
rosenkranzförmig  varicös  wird  und  eine  große  in  die  Länge  ausge- 
zogene End Verzweigung  bildet.  Von  der  Gestalt  dieser  Endigung  gibt 
Fig.  2  der  Taf.  XXIII  und  Fig.  6  der  Taf.  XXIV  Sptne,  eine  Vor- 
stellung. Dem  Aussehen  nach  gleicht  sie  den  Endigungen  zweiter  und 
dritter  Art  im  Herzen.  Andre  Nerven  habe  ich  im  Septum  nicht  offen- 
baren können.  Für  das  Studium  der  Nerven  stellt  das  Septum  über- 
haupt ein  schwieriges  Objekt  dar. 

Nerven  der  Flügelmuskeln  (Fig.  6  und  7,  Tai.  XXIY  Fgmti  1 
und  Fgmn  2).  Bei  der  Annäherung  an  das  erste  Paar  von  Flügelmuskeln 
geben  die  Herznerven  jedem  Muskel  zwei  Nervenstämmchen,  ein 
vorderes  {Fgmn  1)  und  ein  hinteres  {Fgmn  2)  ab.  Das  erste  Stämmchen 
ist  bedeutend  dünner  als  das  zweite,  welches  den  Hauptnerven  des 
Flügelmuskels  darstellt.  Dasselbe  erstreckt  sich  längs  des  letzteren 
und  verschwindet,  allmählich  feiner  werdend,  in  der  Richtimg  zu 
einem  proximalen,  spitzen  Ende.  Auf  dem  Gesamtverlauf  dieses  Nerven 
entspringen  von  ihm  Endästchen,  die  sich  auf  dem  Flügelmuskel  in 


Histologische  Studien  über  Insekten.  I.  505 

varicöse  Endfäden  spalten.  —  Der  vordere  Nerv  gibt  desgleichen  auf 
seinem  Verlaufe  varicöse  Endfäden  ab  und  verschmilzt  in  der  distalen 
Hälfte  des  Flügelmuskels  mit  dem  Hauptnerven. 

Das  zweite  Paar  Flügelmuskeln  weist  dieselben  Verhältnisse  mit 
dem  Unterschied  auf,  daß  für  die  Bildung  der  hinteren  Nerven  der- 
selben der  Herznerv  fast  in  toto  umbiegt  und  auf  den  Muskel  übergeht, 
während  nach  hinten  zu  den  Ligamenta  posteriora  nur  einige  feine 
Fäserchen  ziehen,  die  außerdem  auf  dem  Herzen  rasch  schwinden,  ohne 
auf  die  Bänder  überzugehen.  Die  Flügelmuskeln  werden  somit  stets 
von  zwei  Nerven,  die  aus  dem  Herznerven  entspringen,  innerviert. 
Irgendwelche  Abweichung  von  dieser  Regel  habe  ich  auf  meinen  Prä- 
paraten kein  Mal  beobachten  können. 


Indem  ich  alles  hinsichtlich  des  Nervensystems  des  Herzens  der 
Äeschna-Ls^iye  Mitgeteilte  resümiere,  muß  ich  zunächst  hervorheben, 
daß  dasselbe  ausschließlich  von  peripherischen  Nervenfasern  und  deren 
Endverzweigungen  dargestellt  wird.  Niemals  habe  ich  auf  dem  Herzen 
oder  in  den  ihm  benachbarten  Körperabschnitten  irgendwelche  Nerven- 
zellen oder  Ganglien  gefunden.  Da  ich  eine  verhältnismäßig  große 
Zahl  (mehr  als  100  Exemplare)  von  Larven  untersucht  habe,  und  da 
die  Nervenfärbung  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig war,  so  ist  es  für  mich  mehr  als  wahrscheinlich,  daß  im  Gebiete 
des  Herzens  keine  Nervenzellen  vorhanden  sind.  Die  Nerven,  welche 
sich  im  Herzen  mid  im  Stützapparat  ausbreiten,  entspringen  einerseits 
aus  paarigen  Ganglien  (Herzganglien)  des  Mundmagennervensystems, 
anderseits  aus  den  Ganglien  der  Bauchganglienkette.  —  Die  aus  den 
Bauchganglien  entspringenden  Nerven  sind  höchstwahrscheinlich  mo- 
torisch; sie  dringen  segmental  und  paarweise  in  den  Herznerven  ein, 
der  seinerseits  aus  den  Herzganglien  entsteht.  Auf  dem  Herzen  und 
dem  Stützapparat  geben  diese  Nerven  eine  Reihe  von  Endverzweigungen 
ab,  die  ihren  morphologischen  Kennzeichen  nach  bequem  in  zwei  Kate- 
gorien geteilt  werden  können. 

a.  Endigungen,  wahrscheinlich  motorischer  Natur,  sind  auf  der 
Herzwand  in  den  metameren  Klappen,  auf  dem  Septum  und  auf  den 
Flügelmuskeln  angeordnet.  Charakteristisch  für  diese  End Verzwei- 
gungen ist  eine  besondere  rosenkranzförmige  Varicosität  ihrer  Endfäden, 

_^owie  das  Fehlen  von  Anastomosen  zwischen  letzteren. 

b.  Endgeflechte  auf  den  Ostiumorganen.  An  der  Bildung  dieser 
Geflechte  beteiligen  sich  mindestens  drei  Fasern,  von  denen  eine  wahr- 


506  Alexius  Zawarzin, 

scheinlich  motorisch  ist.     Die  Zahl  dieser  Geflechte  ist  ebenso  groß 
wie  die  Zahl  der  Ostiumorgane. 

Irgendwelche  Aussagen  über  die  Bedeutung  dieser  Geflechte  zu 
machen,  wenn  nur  die  Tatsachen  bestimmt  sind,  die  ich  hier  nieder- 
gelegt habe,  ist  jedenfalls  verfrüht.  Mir  scheint  es  jedenfalls,  daß  sie 
nicht  nur  die  Ostiumorgane  versorgen,  sondern  auch  noch  eine  andre 
Bedeutung  für  die  Tätigkeit  des  Herzens  haben. 

Schlußbetrachtungen. 

In  der  vergleichenden  Anatomie  und  Physiologie  des  Herzens 
finden  wir  leider  nicht  genügendes  Material  für  weitgehende  Schlüsse. 

Über  die  Herznerven  der  Würmer  ist  nur  einiges  von  deij  Anne- 
liden {Ärenicola,  Carlson)  bekannt.  Das  Nervensystem  des  Herzens 
dieser  Tiere  setzt  sich  aus  zwei  Abschnitten  zusammen :  aus  Nervenzellen 
und  deren  Fortsätzen,  welche  diffus  im  Herzen  zerstreut  sind  und  aus 
Nervenfasern,  die  sich  im  Herzen  verzweigen  und  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  aus  den  Bauchganglien  entspringen.  Bei  den  Crustaceen 
liegen  dieselben  Verhältnisse  vor  (Carlson). 

Von  allen  Wirbellosen  ist  bei  den  Xiphosura  (Limulus)  und  den 
Arachniden  (Scorpio)  die  Innervation  des  Herzens  am  besten  studiert: 
Im  Herzen  fehlen  bereits  die  Nervenzellen,  dafür  ist  oberhalb  des  Herzens 
ein  Herzganglion  vorhanden,  aus  welchem  Nerven  aufs  Herz  über- 
gehen; außerdem  wird  das  Herz  noch  vom  Bauchmark  aus  innerviert 
(Carlson). 

Bei  den  Insekten  übernimmt  die  Rolle  der  Herzgangiien  das  erste 
Paar  der  Mundmagenganglien;  in  der  Herzwand  sind  keine  Nerven- 
zellen vorhanden;  außerdem  wird  das  Herz  von  den  Bauchganglien 
aus  innerviert. 

Bei  den  Echinodermen  und  Tunicaten  ist  hinsichtlich  der  Inner- 
vation des  Blutgefäßsystems  nichts  bekannt. 

Bei  den  Mollusken  liegen  bereits  verwickeitere  Verhältnisse  vor 
(Carlson):  als  Regel  kann  jedoch  angesehen  werden,  daß  außer  den 
Nerven,  die  aus  dem  Centralnervensystem  (größtenteils  aus  den  Visceral- 
ganglien)  stammen,  im  Herzen  noch  eigne  Ganglien  vorhanden  sind. 

Wir  besitzen  somit  ein  mehr  oder  weniger  allgemeines  Bild  von 
der  Innervation  des  Herzens  bei  sämtlichen  Wirbeilosen.  Überall  ist 
die  doppelte  Herkunft  der  Nerven  charakteristisch.  Einerseits  ent- 
springen sie  von  Ganglien  des  Centralnervensystems,  anderseits  von 
eigentlichen  Herznervenzellen,  welche  auf  den  niederen  Entwicklungs- 
stufen diffus  im  Herzen  zerstreut  sind  (Anneliden,  Crustaceen),  auf 


Histologische  »Studien  über  Insekten.  I.  507 

höheren  Stufen  sich  in  Herzganglien  lokaUsieren  {Limulus,  Scorpio, 
Insekten,  Molhisken).  Die  aus  den  Ganghen  des  Centralnervensystems 
abgehenden  Nerven  sind  wahrscheinlich  motorisch;  die  Nerven  der 
Herzganglien  haben   wahrscheinlich   einen   regulatorischen  Charakter. 

Hinsichtlich  der  Endigungen  der  Nerven  im  Herzen  sind  außer 
meinen  oben  geschilderten  Befunden,  so  viel  mir  bekannt,  keine  weiteren 
vorhanden,  infolgedessen  auch  kein  Vergleich  möglich  ist. 

Die  freilich  äußerst  wenigen  physiologischen  Untersuchungen 
(Brandt,  J.  Dogiel,  Plateaux,  Carlson),  die  hauptsächlich  an  Cru- 
staceen  und  Xiphosuren  ausgeführt  worden  sind,  bestätigen  im  allge- 
meinen die  hier  geschilderten  morphologischen  Tatsachen,  gestatten 
jedoch,  da  sie  bei  Insekten  gering  an  Zahl  und  nur  bruchstückweise 
ausgeführt  sind,  keinerlei  allgemeine  Schlüsse.  Eine  ausgezeichnete  Über- 
sicht der  physiologischen  Untersuchungen  der  Tätigkeit  und  Innervation 
des  Herzens  bei  Wirbellosen  hat  im  vorigen  Jahre  Carlson  gegeben; 
auf  diese  verweise  ich  alle,  die  sich  für  diese  Frage  interessieren. 

Am  Schlüsse  meiner  Mitteilung  muß  ich  bemerken,  daß  eine  Keihe 
von  Fragen,  die  unmittelbar  mit  der  Innervation  des  Herzens  zu- 
sammenhängen, unaufgeklärt  geblieben  ist ;  ich  habe  mich  entschlossen, 
meine  Befunde  zu  veröffentlichen  in  der  Hoffnung,  daß  es  mir  in  der 
nächsten  Zeit  gelingen  wird,  meine  Resultate  über  eine  Untersuchung 
des  Baues  des  Mundmagen-  und  Centralnervensystems  zu  berichten, 
mit  welcher  ich  zurzeit  beschäftigt  bin. 

Zum  Schluß  halte  ich  es  für  meine  Pflicht  Herrn  Prof.  Dr.  A.  S. 
Dogiel,  meinem  hochverehrten  Lehrer,  meinen  aufrichtigen  Dank  für 
seinen  Beistand  und  seine  Ratschläge,  die  mir  im  Verlaufe  meiner 
Arbeit  in  hohem  Maße  zuteil  geworden  sind,  auszusprechen. 

St.  Petersburg,  Juli  1910. 


Literaturverzeichnis, 

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508  Alexius  Zawarzin, 

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16.  —  Die  Embryonalentwickl.  von  Dermapter.  und  Orthopteren.     Jena  1895. 

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bearbeitete    Auflage   v.    Tümpels   Orthoptera   und    Pseudoneuroptera. 
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25.  Petrunkewitsch,   Über  die  Entwicklung  des  Herzens  bei  Agelastica  alni. 

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29.  W.  ScHiMKEWiTSCH,  Über  die  Identität  der  Herzbildung  bei  den  Wirbel- 

und  wirbellosen  Tieren.     Zool.  Anz.     Bd.  VIII.     1885. 


Histologische  Studien  über  Insekten.  I.  509 

30.  DE  SiNETY,  Reniarque  sur  le  system  nerveux   visceral,    le  vaisseau  dorsal 

et  les  organes  genitaux  de  Phasmides.     Bull.  Soc.  ent.  France.    Nr.  21. 
1899. 

31.  Verloren,   Memoires  sur  la  circulation  dans  les  insectes.    Mem.  de  l'Acad. 

royal  de  Belgique.      Tom.  XIX.     1847. 

32.  VossELER,    Untersuchungen   über  glatte  und  unvollkomnien   (juergestreifte 

Muskeln  der  Arthropoden.     Tübingen  1891. 

33.  ViALLANE,  Recherches  sur  l'histologie  des  Insectes  etc.     Ann.  Sc.  nat.     6  Ser. 

Tom.  XIV.     1882. 

34.  Weissmann,   Die  nachembrvonale  Entwicklung  der  Museiden.     Diese  Zeit- 

schrift.    Bd.  XIV.     1894. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Bezeichnungen: 

Fgm  1,  Flügelmuskel  des  ersten  Paares ;  mnc2,  Motorische  Endigung  II.  Art; 

Fgm2,  Flügelmuskel  des  zweiten  Paares  mneS,  Motorische  Endigung  III.  Art; 

Fgmn,  Nerv  des  Flügelmuskels;  na,  Motorischer    Nerv    im    Ostiumge- 
Fgmnl,  erster  Nerv  des  Flügelmuskels ;  flecht; 

i^(/mn2,  zweiter  Nerv  des  Flügelmuskels;  nb.  nc.  Zwei  andre  Nerven  des  Ostium- 
Fk,  Fettkörper;  geflechtes; 

H,  Herz;  0,  Ostium; 

hn,  Herznerv;  00,  Ostiumorgan; 

Kl,  Klappe;  OOnp,  Ostiumnervengef lecht ; 

Klne,  Nervenendigung  in  der  Klappe;  Sptn,  Nerv  des  Septums; 

Iga,  Ligamentum  anterius;  Sptne,  Nervenendigungen  im  Septum; 

Igp,  Ligamentum  posterius;  tr,  Trachea; 

M,  Skeletmuskeln ;  4,  5,  6,  7,  8,  die  entsprechende  4.,  5.,' 6., 
Mn,  Motorischer    Nerv    eines    Skelet-  7.,  8.  Herzkammer; 

muskels;  V,    VI,    VII,    VIII,  IX,    X,   die  ent- 
mhn,  Motorischer  Seitennerv  des  Her-  sprechenden   5.,  6.,  7.,  8.,  9.,   10. 

zens;  Segmente. 

mnel.  Motorische  Endigung  I.  Art; 

Als  Objekt  für  sämtliche  Präparate,  deren  Zeichnungen  auf  Taf.  XXIII 
und  XXIV  wiedergegeben  sind,  diente  die  Larve  von  Aeschna  sp.  ? 

Tafel  XXIII. 

Fig.  1.  Geflecht  auf  den  Ostiumorganen.  Vergr.  525.  Methylenblau. 
Molybdänsaures  Ammonium.     Auspräpariertes  Herz. 

Fig.  2.  Endigungen  im  Septum.  Vergr.  220.  Methylenblau.  Molybdän- 
saures Ammonium.  Das  Präparat  ist  aus  der  ganzen  dorsalen  Hälfte  des  Ab- 
domens angefertigt.  Die  Nerven  sind  etwas  dicker  gezeichnet  als  sie  sich  bei 
der  Vergrößerung  darstellen. 

Fig.  3.  Motorische  Endigung  III.  Art  und  deren  Beziehungen  zum  Ostium- 
geflecht.     Vergr.  220.     Methylenblau.     Auspräpariertes  Herz. 


510  Alexius  2a warzin,  Histologische  Studien  über  Insekten.  I. 

Fig.  4.  Motorische  Nervenendigung  in  einer  Klappe.  Methylenblau.  Aus- 
präpariertes Herz.     Vergr.   525. 

Fig.  5.  Der  Eintritt  des  motorischen  Nerven  in  den  Herznerven  und  dessen 
Beziehungen  zum  Septumnerv.  Vergr.  125.  Methylenblau.  Präparat  der  ganzen 
dorsalen  Hälfte  des  Abdomen. 

Tafel  XXIV. 

Fig.  6.     Schema  der  Nervenverteilung  im  Herzen  und  im  Stützapparat. 

Fig.  7.  Motorische  Endigungen  in  einem  Flügelmuskel.  Vergr.  90.  Me- 
thylenblau.    Das  Präparat  ist  aus  der  dorsalen  Wand  des  Abdomens  angefertigt. 

Fig.  8.  Motorische  Nervenendigung  II.  Art.  Vergr.  125.  Methylenblau. 
Auspräpariertes  Herz.  Die  Nerven  sind  etwas  dicker  gezeichnet,  als  sie  sich 
bei  der  Vergrößerung  darstellen. 

Fig.  9.  Eintrittsstelle  des  motorischen  Nerven  in  den  Herznerven.  Vergr. 
735.     Methylenblau.     Auspräpariertes  Herz. 

Fig.  10.  Motorische  Endigung  I.  Art.  Vergr.  300.  Methylenblau.  Aus- 
präpariertes Herz. 

Fig.  11.  Quernaht  des  Herzens.  Totalpräparat.  Methylenblau.  Vergr. 
1500. 


über  Geruchsorgane  bei   decapoden  Krebsen  aus  der 
Gruppe  der  Galatheiden. 

Von 

Kurt  Marcus. 

(Aus  dem  zoologischen  Institut  der  Universität  München.) 


Mit  18  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXV,  XXVI. 


Einleitung. 

In  seinem  Brachyurenwerk  aus  den  »Ergebnissen  der  Deutschen 
Tiefseeexpedition<<  (04)  behandelte  Doflein  als  erster  die  Geruchsorgane 
einer  Gruppe  von  Decapoden  im  Zusammenhang,  nachdem  dies  vorher 
nur  bei  niederen  Crustaceen  ausgeführt  worden  war,  und  über  Podoph- 
thalmen  nur  wenige  Einzeluntersuchungen  vorlagen. 

Einige  Fragen,  die  Dofleins  Untersuchungen  noch  offen  ließen, 
und  unsre  mangelnden  Kenntnisse  über  die  Geruchsorgane  der  ge- 
samten Macruren  und  Anomuren,  ließen  es  wünschenswert  erscheinen, 
an  einer  Gruppe  dieser  Crustaceen  das  Geruchsorgan  zu  untersuchen. 
Als  solche  wählte  ich,  da  mir  davon  genügend  Material  zur  Verfügung 
gestellt  werden  konnte,  die  Familie  der  Galatheiden.  War  es  mir  auch 
leider  nicht  möglich,  eine  sehr  große  Anzahl  von  Arten  zu  untersuchen, 
so  hoffe  ich  doch,  über  die  verschiedenen  Bautypen  von  Geruchsorganen 
einen  allgemeinen  Überblick  erhalten  zu  haben.  Anschließend  an 
diese  anatomischen  und  histologischen  Untersuchungen  habe  ich  ver- 
sucht, mir  Vorstellungen  über  den  Zusammenhang  zwischen  der  ge- 
ringeren oder  größeren  Kompliziertheit  dieses  Sinnesorgans  und  der 
gesamten  Lebensweise  der  untersuchten  Formen  zu  bilden. 

Für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und  die  ständige  Hilfe  und 
viele  wertvolle  Ratschläge  bin  ich  Herrn  Prof.  Doflein  zu  großem 
Danke  verpfhchtet.  Ferner  ist  es  mir  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn 
Dr.  Julius  ScHAXEL-Villefranche  meinen  Dank  dafür  abzustatten,  daß 
er  mich  mit  vorzüglich  fixiertem  Material  für  die  histologischen  Unter- 
suchungen versorgte. 


512  Kurt  Marcus, 


Historisches. 


1883  konnte  Kraepelin  in  einer  ausgezeiclineten  kritisch-histo- 
rischen Abhandlung  die  vielumstrittene  Frage  über  die  »blassen  Kolben 
und  Haare  an  den  inneren  Antennen  «  der  Crustaceen  dahin  entscheiden, 
daß  sie  dem  Geruch  dienten.  Damals  kannte  man  jedoch  nur  den 
feineren  Bau  des  Geruchsorgans  bei  den  leichter  zu  untersuchenden 
niederen  Krebsen  und  den  Edriophthalmen,  worauf  erst  in  den  neunziger 
Jahren  sich  unsre  Kenntnis  allmählich  auf  die  Podophthalmen  aus- 
dehnte. So  untersuchte  May  (87)  Carcinus  maenas,  Palaemon  squilla 
und  Mysis  flexuosa.  Vom  Eath  (91,  92,  94)  machte  uns  hauptsächlich 
mit  den  Verhältnissen  beim  Flußkrebs  genau  bekannt.  Auf  die  Unter- 
suchungen von  Milne-Edwards  und  Bouvier  (94),  die  rein  morpho- 
logisch-systematischer Natur  waren,  habe  ich  an  andrer  Stelle  noch 
einzugehen.  Nagel  (96)  untersuchte  eine  Anzahl  von  Crustaceen 
experimentell-physiologisch,  berücksichtigte  aber  die  höheren  Krebse 
nur  wenig.  Eine  Arbeit,  die  mit  den  Mitteln  der  modernen  Technik 
ausgeführt  wurde,  ist  die  von  Kotte  (02)  über  Plesionika ,  deren  Geruchs- 
organ eine  interessante  Variante  zu  dem  von  mir  untersuchten  der 
Galatheiden  darstellt.  Endlich  ist  das  DoFLEiNsche  Werk  (04)  von 
größter  Wichtigkeit  für  vorhegende  Arbeit,  da  meine  Untersuchungen 
ihr  ständig  parallel  laufen  und  ich  vielerorts  Gelegenheit  haben  werde, 
auf  sie  zu  verweisen. 

Material  und  iVlethoden. 

Das  sehr  wertvolle  Material  zu  meinen  Untersuchungen  stammt 
zum  größten  Teil  von  der  Deutschen  Tiefseeexpedition,  zum  Teil  auch 
von  der  Japanreise  Prof.  Dofleins.  Einzelne  Tiere  wurden  der  Samm- 
lung des  Münchener  Museums  entnommen. 

Die  Objekte  waren  sämtlich  in  starkem  Alkohol  fixiert  worden, 
welcher  die  Lagerung  der  Gewebe  und  deren  Natur  vorzüglich  erhalten 
hatte.  Ich  untersuchte  und  zeichnete  zuerst  die  Antenne  als  Ganzes; 
dann  wurde  mit  Boraxkarmin  gefärbt,  in  Nelkenöl  aufgehellt  und  von 
dem  so  erhaltenen  Präparat  sofort  eine  Skizze  entworfen.  Danach 
wurde  die  Antenne  geschnitten.  In  allen  neueren  Arbeiten  klagen 
die  Autoren  über  die  Schwierigkeiten,  die  ihnen  das  Chitin  beim 
Schneiden  bereitet  habe.  Ein  vorzügliches  Mittel  zum  Erweichen 
desselben  ist  die  schon  von  Doflein  bei  seinen  Untersuchungen  an- 
gewandte PERENYische  Flüssigkeit,  die  sich  auch  bei  mir  ausgezeichnet 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw.  5  ]  3 

bewährte.  Eine  Einwirkungsdauer  von  2 — 3  Stunden  genügte,  um 
selbst  Schnitte  von  5  it  möglich  zu  machen.  Dabei  zeigten  die  Gewebe 
nie  auch  nur  die  geringste  Veränderung. 

Für  die  feineren  histologischen  Untersuchungen  konnte  ich  leider 
kein  Galatheidenmaterial  verwenden,  da  das  vorhandene  für  solche 
Zwecke  in  seiner  Erhaltung  nicht  genügte.  Einige  Exemplare  waren 
zwar  auf  der  Valdivia-Expedition  eigens  für  solche  Untersuchungen  in 
Sublimat  fixiert  worden,  doch  erwiesen  sie  sich  leider  als  nicht  brauchbar, 
standen  sogar  zum  Teil  hinter  dem  Alkoholmaterial  zurück. 

Durch  den  Vergleich  der  cellulären  Elemente  von  besonders  gut 
erhaltenen  Galatheidenexemplaren  mit  einigen  Brachyuren,  kam  ich  — 
auch  gestützt  aiff  die  Untersuchungen  Dofleins  an  Krabben  —  zu 
der  Überzeugung,  daß  der  histologische  Aufbau  der  Geruchsorgane  bei 
allen  Decapoden  im  wesentlichen  übereinstimmend  sei.  Infolgedessen 
verwandte  ich  zvmi  Studium  der  feineren  Einzelheiten  des  Geruchs- 
apparates zwei  Krabben:  Stenorhynchus  phalangium  und  Inaclms 
scorpio  aus  der  Gruppe  der  Oxyrhynchen.  Diese  erhielt  ich  durch  die 
Güte  des  Herrn  Dr.  Schaxel,  der  sie  zum  Teil  in  starker  FLEMMiNGscher 
Flüssigkeit,  zum  Teil  in  Subhmat  +  5%igem  Eisessig  fixiert  hatte. 
Die  aus  dem  Sublimat-Eisessig  stammenden  Exemplare  wurden  der 
Vergoldung  nach  Apäthy  unterworfen  und  mit  DELAFiELDschem 
Hämatoxylin  nachgefärbt.  So  unsichere  Kesultate  die  Vergoldung 
bekanntermaßen  liefert,  war  der  Erfolg  doch  zum  Teil  recht  befrie- 
digend. Die  in  Flemming  fixierten  Exemplare  wurden  mit  Heiden- 
HAiNschem  Hämatoxylin  nachgefärbt. 

Der  Bau  der  Geruchsorgane  und  seine  Haupttypen. 

Bevor  ich  an  eine  Schilderung  des  Baues  der  Galatheiden-Geruchs- 
organe  gehe,  muß  ich  mich  gegen  einen  Vorwurf  verwahren,  den  man 
mir  vielleicht  machen  könnte.  Es  ist  in  neuerer  Zeit  verschiedentlich 
darauf  hingewiesen  worden  [vom  Rath  (94),  Nagel  (96),  Kotte  (02)], 
daß  ein  Vorgang  analog  dem  Riechen  der  Landtiere  bei  Wassertieren 
unmöglich  sei;  hier  könne  das  Organ,  das  man  früher  als  Geruchsorgan 
bezeichnet  habe,  nur  analog  dem  Geschmacksorgan  der  Landtiere 
wirken.  Konsequenterweise  wenden  daher  diese  Autoren  nur  den 
Namen  Geschmacksorgan  an.  Nur  vom  Rath  stellt  den  Gebrauch  dieses 
oder  jenes  Namens  in  das  Belieben  des  Autors.  Daß  ich  trotzdem  vom 
Riechen  spreche,  hat  seine  Ursache  darin,  daß  es  sich  um  ein  für  be- 
sondere   Zwecke    differenziertes    >>chemoreceptorisches<<    Sinnesorgan 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  34 


514 


Kurt  Marcus, 


handelt.  Da  außerdem  nach  Kesultaten  von  Experimenten  Nagels  (96) 
an  den  Mundgliedmaßen  und  in  der  Mundhöhle  besondere  Schmeck- 
organe vorhanden  sein  müssen,  muß  man  einen  Unterschied  zwischen 
dem  in  den  inneren  Antennen  untergebrachten  »Fernschmeckapparat« 
und  diesem  »Nahschmeckapparat«  machen.  So  folge  ich  dem  Beispiel 
DoFLEiNs  und  spreche  von  Geruchsorganen,  mit  dem  Vorbehalt,  daß 
sie  analog  Geschmacksorganen  wirken. 

Die  wesentlichen  Bestandteile  des  Geruchsorgans  sind  die  Riech- 
haare,  die  Terminalnerven,   die  Riechspindeln  und  der  Geruchsnerv 

(s.  Taf.  XXV,  Fig.  1).  Die  innere 
Antenne,  die  diesen  ganzen  Appa- 
rat beherbergt,  besteht  -^  wenig- 
stens bei  den  Galatheiden  —  aus 
drei  Gliedern,  an  deren  Ende  zwei 
Geißeln  sitzen  (s.  Textfig.  1).  Die 
längere  Außengeißel  trägt  auf  ihrer 
Innenseite  die  Riechhaare;  von 
diesen  führen  die  Terminalnerven 
zu  den  Riechspindeln,  Ansamm- 
lungen von  Sinneszellen.  Die  Spin- 
deln können  zu  einer  größeren 
Masse  zusammengelagert  sein,  die 
DoFLEiN  Lobus  osphradicus  ge- 
nannt hat.  Aus  den  Spindeln 
sammeln  sich  die  einzelnen  Nerven- 
fäden und  vereinigen  sich  zum 
Geruchsnerv,  der  durch  die  An- 
tenne zum  Centralorgan  zieht. 

DoFLEiN  (04)  unterscheidet 
nach  Lage  und  Anordnung  der 
Riechspindeln  drei  Typen  von 
Geruchsorganen. 
»  Bei  dem  ersten  Typus  sind  die  Riechspindeln  in  einfachen  Reihen 
angeordnet,  ähnhch  dem  schon  von  vom  Rath  geschilderten  Verhalten 
beim  Flußkrebs.  Jede  Riechpapille  sitzt  unmittelbar  unter  dem  Riech- 
haar, zu  welchem  sie  gehört.  Die  aus  den  Papillen  (proximal)  aus- 
tretenden Nervenfäden  vereinigen  sich  zu  einem  kräftigen  Nerven- 
strang, dem  jeder  einzelne  Bestandteil  unmittelbar  hinter  der  zuge- 
hörigen Papille  zufließt.« 

Beim    zweiten    Typus    befinden    sich    die    Geruchsspindeln    zum 


Textfig.  1. 
Innere  Antenne  von  Uroptychtis  nitidus 


über  Geruchsorfmnp  hei  clecapoden  Krebsen  usw.  515 

größten  Teil  nicht  mehr  in  der  Aiißengeißel,  sondern  sind  in  das  dritte 
Stielglied  gerückt,  wo  sie  den  Lobus  osphradicus  bilden. 

Beim  dritten  Typus  endlich  »liegen  sämtliche  Riechspindeln  in 
dem  dritten  Stielglied  der  Antenne«.  »Die  einzelnen  Riechspindeln 
sind  so  dicht  zusammengedrängt,  daß  man  meist  ibre  Grenzen  nicht 
mehr  erkennt«,  und  der  Lobus  »eine  mehr  oder  weniger  einbeitliche 
Masse  bildet«. 

Bei  den  von  mir  untersuchten  Formen  der  Galatheiden  fehlt  der 
erste  und  einfachste  Typus  ganz,  dagegen  kommen  der  zweite  und  dritte 
etwa  in  gleicher  Anzahl  vor.  Dabei  ist  jedoch  allein  die  Größe  der 
Außengeißel  maßgebend.  Bei  einer  gleichen  Anzahl  von  Riechspindeln 
würde  in  einer  Antenne  mit  großer  Außengeißel  der  Typus  II,  mit 
kleiner  Außengeißel  der  Typus  III  entstehen. 

Um  die  Schilderung  des  Baues  der  Geruchsorgane  übersichtlich 
zu  gestalten,  habe  ich  sie  in  drei  Gruppen  geteilt,  die  sowohl  in  den 
morphologischen  und  anatomischen  Verhältnissen,  als  auch  speziell 
in  der  Ausgestaltung  des  Schutzapparates  vom  Einfacheren  zum  Kom- 
plizierteren aufsteigen.  Ich  habe  sie  nach  den  typischen  Vertretern 
genannt:  1)  der  Uroptychus-Tyipus,  2)  der  Munida-Ty\)\\s,  3)  der  Petro- 
listhes-Tji^ns. 

Ich  beginne  mit  der  Schilderung  des  einfachsten  von  diesen  dreien, 
des  Uroptychus-Typus,- 

i.  Der  Uroptychustypus. 
a.   Der  äußere  Habitus. 

Die  innere  Antenne  der  hierher  gehörenden  Formen  ist  sehr  schlank 
gebaut.  Das  erste  und  das  zweite  Glied  ist  klein;  jenes  ist  nur  selten 
mit  kleinen  Stacheln  versehen.  Dagegen  ist  das  dritte  Glied  bedeutend 
länger.  Die  Geißeln  zeigen  eine  wechselnde  Zahl  von  Gliedern,  welche 
bei  der  Außengeißel  mit  Ausnahme  der  letzten,  mit  je  zwei  Reihen 
von  Riechhaaren  versehen  sind,  während  die  Innengeißel  nur  verein- 
zelte Tasthaare  trägt.  Auch  die  Spitzen  der  Geißeln  laufen  in  oft  sehr 
lange  Tastborsten  aus.  Irgendwelche  besondere  Furchungen  oder 
Skulpturen  des  Chitins  sind  meist  nicht  vorhanden. 

b.  Die  anatomischen  Verhältnisse. 

Wie  früher  schon  erwähnt,  wird  die  mehr  oder  weniger  starke 
Ausbildung  eines  Lobus  osphradicus  bedingt  durch  die  Raumverhält- 
nisse innerhalb  der  Antenne.  Abgesehen  von  den  zum  Geruchsapparat 
gehörenden  Nerven  usw.,  sind  in  der  Antenne  noch  von  wesentlicher 

34* 


516  Kurt  Marcus, 

Bedeutung  die  sie  bewegenden  Muskeln  und  die  »Statocyste.  Diese 
]iimmt  den  größten  Teil  des  Eaumes  im  Basalglied  ein,  das  außerdem 
noch  von  Muskeln  erfüllt  ist.  Es  läßt  sich  eine  große  Gleichförmigkeit 
in  der  Anordnung  der  Muskeln  in  der  Antennula  sämtKcher  Galatheiden 
beobachten  (s.  z.  B.  Taf.  XXV,  Fig.  3,  5,  11).  Im  Basalglied  sind  zwei 
Muskelzüge  vorhanden,  die  einerseits  an  der  Wandung  dieses  Gliedes, 
anderseits  am  proximalen  Ende  des  zweiten  Gliedes  ansetzen,  und  so 
dieses  beugen  und  strecken  können.  Im  zweiten  Glied  liegt  ein  meist 
ziemlich  starker  Muskel,  der  das  dritte  Glied  an  einer  Art  Chitinstift, 
den  dieses  in  das  Lumen  des  zweiten  Gliedes  bineinsendet,  bewegt, 
bzw.  heranzieht.  Die  Streckung  des  dritten  Gliedes  scheint  durch  ein 
elastisches  Band  zu  geschehen,  welches  sich  in  vielen  Fällen  findet, 
aber  doch  nicht  immer  feststellen  läßt;  manchmal  ist  es  auch  durch 
einen  schwachen  Muskel  ersetzt.  Endlich  findet  sich  im  dritten  Glied 
noch  ein  ziemlich  starker  Muskel,  der  mit  seinem  peripheren  Ende 
an  der  Innenseite  der  Außengeißel  ansetzt  Selten  findet  sich  ein  ent- 
sprechendes Muskelchen  zur  Bewegung  der  Innengeißel  (s.  Taf.  XXV, 
Fig.  7).  Auffallend  ist  —  wie  auch  Kotte  (02)  betont  — ,  daß  sich  inner- 
halb der  Geißeln  nicht  die  geringste  Spur  von  Muskelfasern  nachweisen 
läßt. 

Der  Geruchsnerv  tritt,  manchmal  noch  mit  dem  Statocystennerv 
vereinigt,  in  das  Basalglied  der  inneren  Antenne  ein  (s.  Taf.  XXV, 
Fig.  5,  7,  10),  durchzieht  dieses  und  das  zweite  Glied  in  einem  Bündel 
von  gleichförmiger  Dicke,  von  Neurilemmzellen  eingehüllt.  Auf  allen 
Präparaten  erkennt  man  die  Neurilemmzellen  an  ihren  stark  färbbaren 
und  sehr  in  die  Länge  gestreckten  Kernen,  die  mit  keinen  andern  vor- 
kommenden Kernformen  verwechselt  werden  können. 

Erst  im  dritten  Glied  beginnt  das  Nervenbündel  sich  aufzuspalten, 
und  zwar  wird  zuerst  ein  Nervenast  —  ein  Tastnerv  —  für  die  Innen- 
geißel abgegeben.  Dann  spaltet  sich  der  Rest,  der  eigentliche  Riech- 
nerv, völlig  auf  und  tritt  in  einzelnen  Fäden  in  den  Lobus  osphradicus 
ein  (s.  Taf.  XXV,  Fig.  1).  Dieser  besteht  aus  der  Gesamtzahl  der 
Riechspindeln,  und  zwar  führt  jeder  einzelne  Nervenfaden  zu  einer 
Spindel.  Diese  Ansammlung  nervöser  Bestandteile  wurde  von  früheren 
Beobachtern  als  Ganglion  gedeutet,  da  man  sich  über  die  Struktur 
der  einzelnen  Teile  nicht  im  klaren  war.  Vom  Rath  (94)  gebührt  das 
Verdienst,  darauf  hingewiesen  zu  haben,  daß  sämtliche  in  den  Spindeln 
enthaltenen  Zellen  nur  Sinneszellen  mit  einem  proximalen  und  einem 
distalen  Nervenfortsatz  sind.  Jeder  Nervenfaden,  der  in  eine  Spindel 
eintritt,  verästelt  sich  in  die  Nervenfibrillen,  von  denen  jede  in  eine 


über  Gcruchaoigane  bei  clccapudcn  Krebsen  usw.  517 

Sinneszelle  eintritt  und  sie  an  dem  distalen  Pol  wieder  verläßt.  Die 
J^'asern  vereinigen  sich  wieder  zu  den  Terminalnerven,  die  getrennt 
voneinander  verlaufen  und  bis  zu  ihrem  Eintritt  in  das  zugehörige 
Riechhaar  mit  Neurilemmzellen  bekleidet  sind,  worauf  der  nackte 
Terminalstrang  das  Haar  bis  zu  seiner  Spitze  durchzieht. 

KoTTE  (02)  beschreibt  für  Plesionika  diese  Verhältnisse  zum  Teil 
anders.  Dort  soll  der  Terminalnerv  nicht  von  einer  bindegewebigen 
Hülle  umschlossen  sein,  vielmehr  soll  an  dieser  Stelle  jede  Nerven- 
faser noch  eine  zweite  eingeschaltete  Zelle  tragen.  Demnach  passiert 
jede  Nervenfaser  zwei  Zellen:  eine  mehr  peripher  gelegene  »Sinnes- 
zelle« und  eine  mehr  central  gelegene  »Ganglienzellen.  Vom  Rath  (94) 
fand  auf  den  Terminalnerven,  »wenn  die  Gruppen  der  Sinneszellen  in 
größerer  Zahl  nebeneinander  liegen  und  eine  Strecke  weit  von  der 
Hypodermis  und  den  Sinneshaaren  entfernt  sind,  längliche,  dunkel 
tingierte  Kerne,  welche  langgestreckten  Hypodermiszellen  angehören. 
Diese  letzteren  Zellen  haben  einige  Autoren  zu  der  unrichtigen  Auf- 
fassung von  zwei  hintereinander  liegenden  Gruppen  von  Ganglienzellen 
verführt;  in  Wirklichkeit  findet  man  stets  nur  eine  Gruppe  von  Sinnes- 
zellen, und  die  zwischen  dieser  Gruppe  und  dem  Sinneshaar  gelegenen 
Zellen  sind  nichts  andres  als  gewöhnliche  Hypodermiszellen  (Stütz- 
zellen) <<. 

KoTTE  scheint,  obgleich  er  diese  wichtige  Arbeit  vom  Raths  im 
Literaturverzeichnis  anführt,  diese  Bemerkung  übersehen  zu  haben, 
jedenfalls  versäumt  er,  sich  mit  ihr  auseinanderzusetzen.  Vergleicht 
man  die  Abbildung  2  vom  Raths  mit  der  Figur  31  Kottes,  so  wird  einem 
wohl  kein  Zweifel  über  die  Identität  von  Kottes  Sinnes-  bzw.  Ganglien- 
zellen mit  vom  Raths  Hypodermis-  bzw.  Sinneszellen  bleiben.  Das 
allein  würde  aber  nicht  zugunsten  der  Ansicht  vom  Raths  sprechen. 

Die  Kerne  der  » Sinneszellen <<  Kottes  sind  bei  meinen  Objekten 
von  ganz  andrer  Gestalt,  als  er  sie  zeichnet ;  sie  sind  sehr  lang  gestreckt, 
stark  färbbar  und  unterscheiden  sich  in  keiner  Weise  von  den  Kernen 
der  Neurilemmbekleidung  andrer  Nerven.  Dagegen  haben  meine 
»Sinneszellen«  absolut  das  Aussehen  von  Kottes  »Ganglienzellen«. 
Wenn  nach  seiner  Ansicht  in  den  Verlauf  jeder  Nervenfaser  je  eine 
Sinneszelle  und  eine  Ganglienzelle  eingeschaltet  sein  sollen,  so  müßte 
sich  bei  einer  Zählimg  genau  die  gleiche  Zahl  beider  Kernarten  fest- 
stellen lassen.  Leider  hat  Kotte  an  seinem  Objekt  diese  Probe  nicht 
gemacht.  Bei  meinen  Präparaten  fand  ich,  besonders  bei  kurzen 
Terminalnerven,  stets  eine  bedeutend  größere  Zahl  von  Sinneszellen 
gegenüber  den  Neurilemmzellen. 


518 


Kurt  Marcus, 


Es  läßt  sich  endlich  noch  ein  andrer  Clrund  gegen  die  Behauptung 
KoTTEs  ins  Feld  führen.  Nach  unsrer  bisherigen  Kenntnis  des  Nerven- 
systems der  Crustaceen  enthält  jede  Nervenfaser  nur  eine  Zelle:  ent- 
weder liegt  sie  peripher  an  oder  in  der  Nähe  der  Körperoberfläche 
und  entsendet  einen  sensiblen  Fortsatz  zum  Centralorgan,  wo  er  sich 
verästelt,  oder  sie  liegt  als  Ganglienzelle  im  Centralnervensystem  und 
entsendet  einen  motorischen  Fortsatz  an  die  Muskeln.  Eine  Ausnahme 
machen  nur  die  Sehnerven,  die  das  Ganglion  opticum  zu  passieren 
haben.  In  jedem  Fall  hat  man  bisher  immer  nur  eine  Zelle  im  Nerven- 
verlauf beobachtet,  so  daß  die  Angabe  Kottes  ein  völliges  Unikum 
darstellen  würde,  was  sie  sehr  unwahrscheinlich  erscheinen  läßt. 

DoFLEiN  weist,  wie  mir  scheint  mit  großem  Eecht,  auf  die  Analogie 
zwischen  Geruchsorgan  und  Auge  bei  den  Crustaceen  hin.  Er  hebt 
hervor,  daß  der  Lobus  osphradicus  der  Gesamtretina  des  Auges  nicht 
etwa  dem  Ganglion  opticum  entspreche.  Die  Frage,  ob  im  Gehirn 
»dem  Geruchsorgan  eine  komplizierte  Bildung  entspricht«  läßt  Doflein 
offen.  Ich  habe  versucht,  mir  an  Stenorhynchus  darüber  ein  Urteil  zu 
bilden.  Wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  hat  dessen  Gehirn  große 
Ähnlichkeit  mit  dem  von  Bethe  (95,  97,  98)  so  vorzüglich  unter- 
suchten Centralnervensystem  von  Carcinus  maenas.     Da  ich  hier  nur 

einen  Auszug  aus  den 
BETHEschen  Arbeiten 
geben  könnte,  verweise 
ich  auf  die  Originale. 
Ich  will  nur  ganz  kurz 
auf  das  Geruchscentrum 
eingehen  und  auf  einen 
Unterschied  zwischen 
Bethes  und  meinen  Be- 
funden hinweisen.  Nach 
Bethe  besteht  der  An- 
tennarius  primus  (wie  er 
das  von  der  ersten  An- 
tenne kommende  Ner- 
venbündel nennt)  zum  größten  Teil  aus  den  von  der  Statocyste  kommen- 
den Nervenfasern,  und  nur  ein  kleiner  Teil  stammt  von  den  peripheren 
Sinnesorganen  der  Antennula  (s.  Textfig.  2).  Bei  Stenorhynchus  pha- 
langium  fand  ich  die  Verhältnisse  gerade  umgekehrt.  Die  Hauptmasse 
des  Antennarius  primus  wird  von  den  Geruchsnerven  gebildet,  während 
der    Statocystennerv    stets  erst   nach  langem  Suchen    zu  finden  ist. 


I 


Textfig.  2. 

Schema  des  Gehirns  von  Carcinus  maems  (nach  BETHE).  Riech 
nerven  punktiert,  Statocystennerven  ausgezogen. 


über  Geruchsorgaue  bei  decapoden  Krebsen  usw. 


519 


Tegume/itaiius 


Textfig.  3. 

Schema  des  Gehirns  von  Stenorhynchus  phalangium.  Xervenver- 

lauf  schematisch.     Riechnerven  punktiert,    Statocysitennerveii 

ausgezogen. 


Dadurch  findet  auch  eine  Änderung  der  Centren  im  Gehirn  statt. 
Nach  Bethe  sollen  die  von  der  Statocyste  kommenden  Fasern  in 
den  Globulus  und  das  Neuropihnu  antennarii  primi  laterale  gehen, 
während  die  Geruchsnerven  zum  Neuropilum  antennarii  primi 
mediale  ziehen.  Ich  sah  dagegen  die  vom  Geruchsorgan  kommenden 
Nervenfasern  in  den  Globulus,  sowie  einige  auch  in  das  Neuropilum 
antennarii  primi  mediale 
eintreten,  während  der 
Rest,  der  Statocysten- 
nerv,  zum  Neuropilum 
antennarii  primi  laterale 
geht  (s.  Textfig.  3). 

Es  ist  nicht  nötig, 
aus  diesen  abweichenden 
Befunden  einen  Wider- 
spruch zu  Bethes  Dar- 
stellung zu  konstruieren. 
Carcinus  maenas  ist  be- 
kanntlich ein  Tier,  wel- 
ches an  der  Ebbe-  und 
Flutgrenze  lebt  und  starken  Strömungen  und  lebhaftem  Wellenschlag 
ausgesetzt  ist.  Es  ist  klar,  daß  für  ein  Tier  mit  solcher  Lebensweise 
eine  sehr  gut  ausgebildete  Statocyste  von  ganz  andrer  Bedeutung  ist, 
als  für  Stenorhynchus  fhaUmgium,  der  trag  und  wenig  beweglich  in  ge- 
ringen Tiefen  auf  den  Algen  des  Meeresbodens  lebt,  wo  ihm  die  Wellen- 
bewegung nicht  viel  anhaben  kann.  Daß  einem  stärker  ausgebildeten 
Sinnesorgan  ein  starker  Nerv  und  ein  größeres  Centrum  im  Gehirn  ent- 
spricht, braucht  nicht  weiter  wunder  zu  nehmen.  Immerhin  ist  es  von 
großem  Interesse,  feststellen  zu  können,  daß  der  Globulus  in  seiner  Be- 
ziehung zum  peripheren  Nervensystem,  selbst  innerhalb  der  gleichen 
Unterordnung  der  Brachyuren,  einen  völligen  Wechsel  durchmacht, 
indem  er  in  dem  einen  Fall  (Carcinus)  den  Nerven  der  Statocyste,  in 
dem  andern  Fall  {Stenorhynchus)  den  Geruchsnerven  als  Centrum  dient. 

Die  Riechhaare  sind  schon  so  oft  geschildert  worden,  daß  ich  mich 
hier  ganz  kurz  fassen  kann.  Es  sind  zartwandige  Chitinschläuche,  die, 
wohl  um  leichter  beweglich  zu  sein,  in  ihrem  distalen  Teil  gegliedert 
sind.  Irgendwelche  Versteifungseinrichtungen,  wie  sie  vielfach  sonst  im 
proximalen  Teil  der  Riechhaare  vorkommen,  konnte  ich  bei  den  Gala- 
theiden  nie  beobachten.  Ein  spezielles  Augenmerk  habe  ich  der  seit 
jeher  strittigen  Frage  zugewandt,  ob  die  Riechhaare  an  ihrem  Ende 


520  Kurt  Marcus, 

geöffnet  oder  geschlossen  sind.  Eine  Reihe  von  Autoren  (z.  B.  Leydig, 
RouGEMONT,  Kraepelin)  sprechen  sich  für  eine  Öffnung,  andre  (wie 
Claus,  Nagel,  Kotte,  Doflein)  dagegen  aus,  während  dritte  (wie 
z.  B.  VOM  Rath)  beides  für  möglich  halten.  Ich  fand  bei  sämtlichen 
von  mir  untersuchten  Formen  die  Haare  immer  geschlossen,  und  ich 
schließe  mich  der  Ansicht  von  Claus  an,  der  meint,  daß  eine  Öff- 
nung der  Haare  immer  auf  eine  nachträgliche  Beschädigung  zurück- 
zuführen sei. 

Über  den  Inhalt  der  Haare  gehen  die  Angaben  weit  auseinander. 
Nur  in  der  Schilderung  des  Nerven  verlauf  es  innerhalb  des  Haares 
stimmen  die  neueren  Autoren  ziemlich  überein.  Der  von  der  Riech- 
spindel kommende  Terminalnerv  verliert  beim  Eintritt  in  das  Haar 
seine  Neurilemmbekleidung.  In  kurzer  Entfernung  vom  proximalen 
Haarende  beobachtete  ich,  wie  auch  Doflein  bei  seinen  Brachyuren, 
im  Nerven  »eine  Stelle,  wo  die  Fasern  aufgelockert  sind  und  sich 
durcheinanderflechten«.  Ebensowenig  wie  diesem  Autor,  ist  es  mir 
möglich  gewesen,  mir  irgend  eine  Vorstellung  über  die  Bedeutung 
dieser  Verflechtung  zu  machen.  Danach  zieht  der  Terminalstrang, 
allmählich  schwächer  werdend,  bis  zur  Spitze  des  Haares. 

Außer  dem  Nerven  beschreiben  einige  Autoren  noch  andre  Gebilde 
als  Inhalt  des  Haares.  So  fand  Kotte  (02)  »zahlreiche,  kleine, 
längliche,  dunkel  tingierte  Kerne«,  die  »der  Matrix  des  Haares  ange- 
hören«. Außer  ihm  hat  jedoch  kein  Autor  diese  Kerne  gesehen,  und 
es  ist  wenig  wahrscheinlich,  daß  sein  Untersuchungsobjekt,  Plesionika, 
in  dieser  Hinsicht  so  bedeutend  von  allen  übrigen  Decapoden  abweichen 
sollte.  Es  wäre  ein  solches  Verhalten  nach  den  Angaben  von  Hensen 
(63)  und  May  (87)  über  den  Haarwechsel  bei  Crustaceen  ganz  unmöglich. 
Nach  diesen  zwei  Autoren  liegt  vor  der  Häutung  das  neue  Haar  schon 
ganz  fertig,  nur  doppelt  eingestülpt  wie  ein  Handschuhfinger,  im  Innern 
der  Antenne,  umgeben  von  den  Haarbildungszellen  (Hensen,  Abbil- 
dung 43  ^).  Wird  nun  dies  neue  Haar  bei  der  Häutung  zu  seiner 
vollen  Länge  ausgezogen,  so  löst  es  sich  von  den  Bildungszellen  ab,  die 
im  Innern  der  Antenne  liegen  bleiben.  Demnach  wäre  auch  die  An- 
gabe von  Claus  (79)  unhaltbar,  nach  welcher  Ausläufer  von  Matrix- 
zellen in  das  Haar  eintreten  sollen. 

Beobachtete  ich  also  nie  Matrixzellen  im  Haar,  so  habe  ich  doch 
außer  den  Nervenfasern  ab  und  zu  einen  Kern  der  Neurilemmzellen  im 
proximalen  Teil  eines  Haares  gefunden.  Da  ich  dies  nur  auf  Schnitten 
beobachtete,  könnten  möghcherweise  die  Kerne  durch  die  Schneide 
des  Messers  in  das  Haar  hineingedrückt  worden  sein;  anderseits  wäre 


über  (icruchsorgane  bei  decapoclen  Krebsen  usw.  521 

es  auch  nicht  weiter  verwunderhch,  wenn  sich  die  Neurilemmbekleidung 
der  Nerven  noch  ein  Stück  weit  in  das  Haar  hinein  fortsetzte. 

Der  Zwischenraum  zwischen  den  Nervenfasern  und  der  Chitin- 
wandunt»;  des  Haares  ist  durch  eine  bei  konserviciten  Exemplaren 
fein  granulierte  Masse  ausgefüllt,  die  nach  May  (87)  beim  lebenden  Tier 
flüssig  sein  und  erst  bei  der  Fixierung  gerinnen  soll. 

Beschreibung  des  Baues  einiger  zum  Uroptycluistypus  geliöriger 

Formen. 

Uroptychus  nitidus  A,  Milne-Edwards. 
(Textfig.  1,  Taf.  XXV,  Fig.  2.) 

Die  Antenne  ist  sehr  schlank  gebaut,  und  speziell  die  Außengeißel 
ist  sehr  schlank  und  lang.  Sie  besteht  aus  16  Gliedern,  von  denen 
das  zweite  bis  zwölfte  je  zwei  Reihen  von  Riechhaaren  tragen,  die 
letzten  vier  nur  Tasthaare.  Basalglied  unbehaart.  Im  ganzen  60  Riech- 
haare mit  1,5  mm  Durchschnittslänge  bei  16 /.t  Dicke.  Letztes  Geißel- 
glied in  lange  Tastborste  auslaufend,  jedes  Glied  auf  Außenseite  mit 
kurzem  Tasthärchen.  Innengeißel  lang  und  schlank,  aus  fünf  ge- 
streckten Gliedern  bestehend,  mit  wenigen  kurzen  Tasthaaren. 

Da  Außengeißel  im  Verhältnis  zu  den  Antennalgliedern  relativ 
groß,  in  ihr  Platz  für  viele  Riechspindeln;  daher  kleiner  Lobus  osphra- 
dicus  im  dritten  Glied.  Nerven  verlauf  wie  in  der  Typenschilderung 
beschrieben.  Im  dritten  Glied  Spaltung  des  Nerven:  ein  Teil  für  Innen- 
geißel, der  andre  tritt,  sich  aufsplitternd,  in  den  Lobus  ein.  Terminal- 
nerven sehr  kurz. 

Uroptychus  gracilimanus  Henderson. 
(Textfig.  4;  Taf.  XXV,  Fig.  3.) 

Antenne  kurz,  Außengeißel  lang,  bestehend  aus  21  Gliedern. 
Basalglied  haarlos,  2. — 10.  Glied  mit  je  zwei,  10. — 15.  mit  je  einer 
Reihe  von  Riechhaaren,  16. — 21.  mit  wenigen  Tastborsten.  Zahl  der 
Riechhaare  etwa  100.  Länge  im  Verhältnis  zur  Größe  des  Tieres 
sehr  groß:  2  mm;  durchschnittliche  Dicke  19  f.i.  Innengeißel  ebenfalls 
sehr  schlank,  bestehend  aus  sechs  langgestreckten  Gliedern  mit  je 
einer  kurzen  Tastborste. 

Lobus  osphradicus  sehr  groß,  fast  das  ganze  dritte  Glied  ein- 
nehmend, doch  —  wie  auch  die  Spindeln  —  stark  von  Bindegewebe 
durchsetzt.  Terminalnerven  sehr  lang,  den  ganzen  Raum  der  Außen- 
geißel einnehmend, 


522 


Kurt  Marcus, 


Ptychogaster  investigatoris  Alcock. 
(Textfig.  5;  Taf.  XXV,  Fig.  4.) 
Antennalglieder  sehr  schlank,   das  dritte  sehr  iu  die  Länge  ge- 
streckt.    Basalglied  mit  zwei  kurzen  Stacheln.     Außengeißel  relativ 
plump  mit  16  Gliedern.     Basalglied  haarlos,  2. — 11.  mit  je  zwei,  12. 


V. 


^ 


>a-t 


Textfig.  4. 
Innere  Antenne  von   Uroptyehus  gracilimanus. 


Textfig.  5. 

Antenne  von  Ptychogaster  investigatoris. 


bis  16.  mit  je  einer  Reihe  von  Riechhaaren.  Gesamtzahl  der  Haare 
etwa  100,  Länge  1  mm,  Dicke  10  /<.  Innengeißel  aus  vier  langen 
Gliedern  bestehend,  mit  kurzen  Tastborsten.  Einzelne  Tasthaare  auf 
der  ganzen  Antenne  verteilt. 

Ziemlich  viele  Spindeln  in  der  Außengeißel,  daher  Lobus  ziemlich 
klein.  Nerv  für  die  Innengeißel  in  der  Mitte  des  dritten  Gliedes  vom 
Hauptnerven  abzweigend.     Terminalnerven  sehr  kurz. 

II.  Der  Munidatypus. 

In  der  Schilderung  dieses  und  des  Petrolisthes-Typns  kann  ich 
mich  wesentlich  kürzer  fassen,  da  der  gesamte  nervöse  Apparat 
demjenigen  des  Uroptyehus -Typus  sehr  ähnelt.  Eine  Komplikation 
tritt  hier  infolge  des  durch  die  Lebensweise  bedingten  höheren 
Schutzbedürfnisses  des  Geruchsorgans  ein.  Dieses  äußert  sich  sowohl 
in  der  äußeren  Gestalt  der  Antennula,  also  auch  in  ihrem  inneren 
Aufbau. 


über  Geruchsorgauc  bei  decupotlen  Krebsen  usw. 


523 


k<^. 


a.  Der  äußere  Habitus. 

Der  Munida-Typiis  der  inneren  Antenne  unterscheidet  sich  sofort 
vom  Uroptychus-Typiis  durch  die  mächtige  Ausbildung  des  Basal- 
gliedes. Es  ist  sehr  dick  und  breit,  und  stets  mit  mächtigen  Stacheln, 
meist  zwei  an  der  Zahl,  versehen,  zwischen  die  das  dritte  Glied  mit 
seinen  Geißeln  —  wenigstens  bei  den  der  Gattung  Munida  nahestehen- 
den Formen  —  eingeklappt  werden  kann  (s.  Textfig.  6 — 8).  Stets 
findet  man  auf  dem  Basalglied 
auch  kleinere  oder  größere 
Gruppen  von  mehr  oder  min- 
der langen  Tasthaaren.  Das 
zweite  Glied  ist  cylindrisch, 
das  dritte  gegen  das  distale 
Ende  hin  keulig  verdickt.  Bei 
der  Außengeißel  sind  die  proxi- 
malen Glieder  von  relativ 
großem  Durchmesser  und  flach, 
umgekehrt  ist  es  bei  den  dista- 
len Gliedern,  die  mehr  Stäbchen- 
form besitzen.  Die  Riechhaare 
stehen  nur  auf  den  scheiben- 
förmigen Gliedern,  während  die 
Endglieder  meist  nur  einzelne 
Tasthaare  tragen.  Die  Innen- 
geißel ist  gegenüber  der  Außen- 
geißel kurz  und  dünn,  und  spär- 
lich mit  kurzen  Tasthaaren  be- 
setzt. 

Im  Vergleich  mit  dem 
Uroptychus-Typns  fällt  auf,  daß 
auf  dem  dritten  Antennalglied,  rings  um  die  Außengeißel  herum,  ein 
Kranz  starrer  Borsten  steht.  Nach  Dofleins  Vorgang  nenne  ich  diese 
Borsten  in  ihrer  Gesamtheit  Stachelkörbchen,  obgleich  dieser  Name 
nach  später  noch  zu  gebenden  Ausführungen  eigentlich  nicht  genau  ist. 

b.  Das  anatomische  Verhalten. 

Im  ganzen  sind  die  anatomischen  Verhältnisse  ähnlich  wie  beim 
Uroptychus-Typns.  Doch  sind  alle  im  Basalglied  gelegenen  Teile  be- 
deutend mächtiger  entwickelt.    So  nimmt  die  Statocyste  und  die  starken, 


Textfig.  6. 

Antenne  von  Munida  subrugosa  cS- 


524  Kurt  Marcus, 

zur  Bewegung  des  zweiten  Gliedes  dienenden  Muskeln  den  größten 
Teil  des  vergrößerten  Basalgliedes  ein  (s.  Taf.  XXV,  Fig.  5,  10).  Auch 
die  übrigen  Muskeln  sind  wesentlich  stärker  entwickelt,  was  mit  der 
größeren  Massigkeit  der  ganzen  Antenne  zusammenhängt.  Bemerkens- 
wert ist  eine  Chitinplatte,  die  häufig  in  das  Innere  des  zweiten  Gliedes 
vorspringt  und  meistens  dem  das  dritte  Glied  bewegenden  Muskel  als 
Ansatzstelle  dient. 

Der  Verlauf  des  Nerven  hat  ebenfalls  eine  gewisse  Ähnlichkeit 
mit  dem  von  UroftycJius.  Meist  tritt  er  gemeinschaftlich  mit  dem 
Statocystennerv  in  die  Antenne  ein,  durchzieht  dann  das  erste  und 
zweite  Glied,  um  sich  im  dritten  Glied  in  drei  Aste  aufzuspalten :  einer 
zieht  zur  Innengeißel,  der  zweite  und  mächtigste  ist  der  eigentliche 
Geruchsnerv  und  geht  zum  Lobus  osphradicus,  während  der  dritte 
das  Stachelkörbchen  innerviert.  Die  histologischen  Verhältnisse  im 
Lobus  osphradicus  und  in  den  Terminalsträngen,  sowie  der  Bau  der 
Riechhaare  sind  selbstverständlich  denen  bei  Uro'ptychus  völlig  gleich. 
Neu  tritt  hier  das  Stachelkörbchen  hinzu.  Doflein  (04)  gibt  für  seine 
ßrachyuren  an,  daß  deren  Borsten  solid  seien  und  zum  mechanischen 
Schutz  der  Außengeißel  und  der  Riechhaare  dienen  sollten.  Dem- 
gegenüber hatten  schon  Milne-Edwaeds  und  Bouvier  (94)  behauptet, 
daß  bei  den  Galatheiden  diese  Borsten  hohl  seien  und  von  einem  Nerven 
durchzogen  würden.  Diese  Angaben  kann  ich  durchaus  bestätigen. 
Der  an  der  Basis  des  dritten  Gliedes  abzweigende,  für  das  Stachel- 
körbchen bestimmte  Nerv  fasert  sich  gegen  das  Ende  des  Gliedes  hin 
aus;  jede  Fibrille  zeigt  in  ihrem  Verlauf  eine  Sinneszelle  und  tritt  dann 
in  das  zugehörige  Tasthaar  ein,  um  es  in  einem  Kanal  bis  fast  zu  seiner 
Spitze  zu  durchziehen.  Die  Haare  haben  eine  enorm  dicke  Wandung 
und  zeigen  einen  central  gelegenen,  sehr  engen  Kanal,  der  eben  für  die 
Nervenfaser  ausreicht.  Besonders  auf  Schnitten  kann  man  sich  leicht 
über  das  Vorhandensein  dieses  Kanals  täuschen.  Oft  zeigt  sich  statt 
der  einen  Sinneszelle  unterhalb  des  Haares  eine  ganze  Gruppe,  so  daß 
man  manchmal  von  richtigen  accessorischen  Tastspindeln  sprechen 
kann  (s.  z.  B.  Taf.  XXV,  Fig.  5,  10).  In  solchem  Falle  sind  in  dem 
Tasthaarkanal  eine  der  Zahl  der  in  den  Spindeln  enthaltenen  Sinnes- 
zellen entsprechende  Zahl  von  Nervenfasern  vorhanden.  Es  ist  wohl 
klar,  daß  dieser  Vermehrung  der  Sinneszellen  für  ein  Haar  eine  Ver- 
feinerung der  Tastempfindung  parallel  geht.  Diese  Tasthaare  des 
Stachelkörbchens  zeigen  auch  insofern  noch  etwas  Besonderes  vor  den 
übrigen  Tasthaaren  der  inneren  Antenne,  als  sie  zweizeilig  gefiedert 
sind.     Ob  diese  Fiederhärchen  dazu  dienen,  die  Tasthaare  gegenseitig 


über  Geruclisorgane  bei  decapoden  Krebspii  visw.  525 

ZU  stützen  und  so  den  ganzen  Stachelkorb  fester  und  gitterartiger  zu 
machen,  oder  aber,  ob  sie  die  Haare  auch  gegen  die  feinsten  Berührungen 
möglichst  empfindlich  machen  sollen,  lasse  ich  dahingestellt.  Wahr- 
scheinlich dienen  sie  gleichzeitig  beiden  Zwecken. 

Wie  ich  oben  schon  sagte,  ist  es  eigentlich  ungenau,  von  einem 
»Stachel <<körbchen  zu  sprechen,  da  diese  Stacheln  typische  Tastborsten 
sind.  Ich  behalte  jedoch  den  Namen  bei,  weil  er  einmal  gegeben  wurde 
und  sich  kaum  ein  andrer,  passenderer  finden  läßt. 

Über  die  Bedeutung  des  Stachelkörbchens  gehen  die  Ansichten  weit 
auseinander.  Während  Henderson  (88)  ihm  eine  Sinnesfunktion  zu- 
schreibt, die  die  Blindheit  bei  Tiefseeformen  ausgleichen  soll,  gehen 
Milne-Edwards  und  Bouvier  (94)  etwas  weiter,  da  auch  bei  gut 
sehenden  Formen  {Munida,  PetroUsthes,  Galathea  usw.)  dies  Stachel- 
körbchen vorhanden  ist.  Im  Grundgedanken  stimmen  sie  mit  Hen- 
derson überein,  denn  auch  sie  betrachten  die  Stachelkörbchen  als 
«organes  sensoriels  accessoires  vraisemblablement  propres  ä  explorer 
le  milieu  retire  oü  ils  vivent».  Milne-Edwards  und  Bouvier  glauben 
also,  daß  an  den  inneren  Antennen  ein  besonders  differenziertes  Sinnes- 
organ besteht,  das  auf  aus  der  Ferne  kommende  Reize  reagieren  soll. 
Da  dies  Organ  bei  den  Tiefseegalatheiden  entstanden  sein  soll,  muß  es 
sich  einerseits  bei  diesen  vererbt  haben,  anderseits  soll  es  nach  diesen 
zwei  Autoren  —  ebenfalls  durch  Vererbung  —  auf  die  Flachwasser- 
formen übergegangen  sein.  Nach  ihrer  Hypothese  muß  man  also  eine 
doppelte  Wanderung  der  Galatheiden  annehmen:  zuerst  eine  Ein- 
wanderung aus  der  Flachsee  in  die  Tiefsee,  wo  das  «organe  sensoriel 
accessoire»  erworben  wurde,  später  eine  teilweise  Rückwanderung  ins 
Flach  Wasser,  wobei  dieses  accessorische  Sinnesorgan  erhalten  blieb. 
Häufig  müssen  dann  später  noch  die  «soies  antennulaires »  rudimentär 
geworden  sein  (durch  sekundäre  Veränderung  der  Lebensweise?);  so 
findet  man  nach  Milne-Edwards  und  Bouvier  innerhalb  der  Gattung 
Galathea  Formen,  die  dieses  Sinnesorgan  besitzen,  und  andre,  die  es  ent- 
behren. 

Aus  der  Darstellung  der  beiden  genannten  Autoren  geht  nicht  klar 
hervor,  ob  die  Sinnesfunktion  den  Haaren  des  Stachelkörbchens  oder 
denen  der  Außengeißel  zukommt.  Da  sie  die  Antenne  nur  morpho- 
logisch untersuchten,  ist  es  auch  kaum  anzunehmen,  daß  sie  einen 
Unterschied  zwischen  Riech-  und  Tasthaaren  hätten  wahrnehmen 
können.  Sie  scheinen  aber  doch  den  Sitz  dieses  Sinnesorgans  in  die 
Borsten  des  Stachelkörbchens  zu  verlegen,  wenn  sie  sagen,  daß  <<  presque 
toujours  ornees  de  barbules  laterales,  ces  soies  antennulaires  forment 


526 


Kurt  Marciis, 


par  leur  ensemble  autour  des  deux  fouets  antennulaires  une  sorte  de 
capuchon  ä  claire- voie  >>.  Daß  dieses  Organ  eine  Kappe  bilden  soll, 
bestärkt  mich  noch  in  der  Auffassung,  daß  es  sich  bei  dem  Stachel- 
körbchen nicht  um  ein  besonderes  Sinnesorgan,  sondern  rein  um  einen 
Schutzapparat  mit  Tastfunktion  handelt,  der  je  nach  der  Lebensweise 
entstanden  ist,  sobald  sich  —  bei  Schlammbewohnern  usw.  —  ein 
Bedürfnis  dafür  zeigte. 

Im  übrigen  befinden  sich  Milne-Edwards  und  Bouvier  im  Irr- 
tum, wenn  sie  nur  den  Galatheiden  den  Besitz  eines  solchen  Stachel- 
körbchens zuschreiben,  da  inzwischen  Doflein  es  auch  vielfach  bei 
Brachyuren  gefunden  hat. 

Beschreibung  des  Baues  einig-er  zum  Muuidatypus  gehöriger  Formen. 

Munida  suhrugosa  White. 
(Textfig.  6  u.  7;  Tai  XXV,  Fig.  5  u.  6.) 

Männchen  und  Weibchen  lagen  zur  Untersuchung  vor.  In  der 
äußeren  Form  ähnlich,    zeichnet   sich  bei  annähernd  gleicher  Größe 

der  untersuchten  Tiere  die  männliche 
Antenne  gegenüber  der  weiblichen 
durch  eine  geringe  Vergrößerung  aus. 
Basalglied  mächtig  ausgebildet,  von 
rechteckigem  Querschnitt  (auf  den  Ab- 
bildungen Schmalseite  dem  Beschauer 
zugekehrt).  An  seinem  distalen  Ende 
Eintiefung  als  Gelenkpfanne  für  das 
zweite  Glied.  Auf  einer  Seite  kleiner 
Stachel  auf  Pfannenrand,  etwas  tiefer 
ein  zweiter  dünner.  Auf  gleicher  Seite 
Chitinplatte,  distal  in  einen  kurzen 
Stachel  auslaufend.  Auf  der  andern 
Seite  der  Gelenkpfanne  mächtiger 
Stachel,  speziell  beim  Männchen  sehr 
stark  ausgebildet.  Auf  seiner  Innenseite 
Zacken,  durch  Höckerchen  allmählich 
zu  glatter  Schneide  übergehend.  Beim 
Weibchen  Zacken  nur  sehr  schwach  her- 
vortretend. Höckerchen  mit  Tasthaaren  versehen,  ebenso  Gelenk- 
pfannenrand, die  übrigen  Stacheln  usw.  (s.  Textfig.  6  u.  7).  Zweites 
Antennalglied  langgestreckt  und  walzenförmig.  Das  dritte  Glied  keulen- 
förmig, beim  Weibchen  plumper  als  jbeim  Männchen.  Am  Ende  ovale  Platte, 


Textfig.  7. 
Antenne  von  Munida  subrugosa  £. 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  (ift\\-. 


auf  welcher  Geißeln  und  Stachelkörbchen  stehen.  Außengeißel  proximal 
mit  einem  sehr  großen  Glied  beginnend,  folgende  Glieder  flach  und 
scheibenförmig,  gegen  das  Ende  langgestreckte,  schmale  Glieder.  Zahl  bei 
Männchen  und  Weibchen  19.  Basalglied  haarlos,  2. — 14.  Glied  mit  Kiech- 
haaren  von  annähernd  gleicher  Länge.  Zahl  in  beiden  Geschlechtern 
etwa  100,  Dicke  17,5 /<;  Länge  bei  Männchen  1,2  mm,  bei  Weibchen 
0,9  mm.  Innengeißel  kurz,  fünf  mit  Tasthaaren  versehene  GHeder. 

Um  die  Innengeißel  herum  auf  Endplattenrand  wenige  kurze 
Borsten,  vielleicht  als  Analogon  zum  Stachelkörbchen  der  Außen- 
geißel aufzufassen.  Dieses  auf  dem  Endplattenrand  in  etwas  über 
Halbkreis  stehend.  Borstenzahl  etwa  35.  Tasthaare  sind  kurz,  daher 
nur  ungenügender  Schutz;  Länge  nur  1  mm,  Dicke  17 — 18  /.i. 

Außengeißel  ziemlich  groß,  so  daß  Platz  für  einige  Spindeln. 
Größerer  Teil  ziemlich  kompakten  Lobus  bildend.  Hauptnerv  an 
Basis  des  dritten  Gliedes  Nerven  für  Innengeißel  abgebend,  in  der  Mitte 
dagegen  Ast  zur  Inner- 
vierung des  Stachel- 
körbchens. Jeder  zu 
der  Borste  ziehende 
Nervenfaden  mit  kleiner 
accessorischer  Tastspin- 
del aus  wenigen  Sinnes- 
zellen. 


|/\ 


l^  % 


l 


a 


Cervitnunida  frin-  \}!M  \/' 

cejis  Benedict. 

(Textfig,  8;  Taf.  XXV, 

Fig.  7.) 

Äußerlich  gewisse 
Ähnlich  keit  mit  Antenne 
von  Munida  subrugosa, 
doch  Stachelbildungen 
am  Basalglied  noch  be- 
deutend mächtiger  ent- 
wickelt. Der  große  Sta- 
chel von  Munida  auch 
hier  mächtig  entwickelt, 
doch  glatt  und  kegelförmig.  Der  auf  der  andern  Seite  der  Gelenkpfanne 
gelegene  Stachel  ähnlich  wie  bei  Munida;  der  mehr  proximale  mächtig 
ausgewachsen.     Zwei  kolossale  Stachelbildungen,  zwischen  die  drittes 


S^ 


Textfig.  8. 
Alltenne  von  Cervimunida  princeps. 


528 


Kurt  Marcus, 


Glied  mit  Geißeln  einklappt.  Zweites  Glied  gerade  und  rund,  drittes 
proximal  schwach  gebogen,  distal  keulig  verdickt,  so  daß  ovale  End- 
platte entsteht.  Außengeißel  Ähnlichkeit  mit  der  von  Munida  auf- 
weisend. Basalglied  mit  wenigen  Riechhaaren.  Ganze  Geißel  mit 
24  Gliedern,  letzte  acht  mit  Tast-,  alle  übrigen  mit  Riechhaaren.  Länge 
der  Riechhaare  durchschnittlich  1,5  mm,  Zahl  etwa  300,  Dicke  24  ii. 
Innengeißel  relativ  lang,  aus  neun  Gliedern  bestehend,  von  denen 
erstes  und  letztes  vergrößert;  auf  allen  vereinzelte  Tasthaare.  Stachel- 
korb sehr  gut  ausgebildet,  bestehend  aus  25  Haaren  von  2,25  mm 
Länge  und  40  //  Dicke. 

Bemerkenswert  sind  zwei  kleine  Muskeln,  einer  als  Strecker  des 
dritten  Gliedes,  einer  zur  Bewegung  der  Innengeißel.  Nerventeilung 
im  proximalen  Teil  des  dritten  Gliedes.  In  Außengeißel  Platz  für 
sehr  viele  Riechspindeln,  daher  nur  sehr  kleiner  Lobus  osphradicus. 
Jeder  Nerv  für  eine  Stachelkörbchenborste  mit  nur  einer  Sinneszelle. 

Galathea  australiensis  Haswcll. 
(Textfig.  9;   Taf.  XXVI.  Fig.  1.) 

Innere  Antenne  ganz  symmetrisch  gebaut,  da  auf  Gelenkpfannen- 
rand jederseits  ein  langer  Stachel,  zwischen  die  das  dritte  Glied  ein- 
■s  geklappt  werden  kann.  Basal- und  zweites 

Glied  schwach    mit   Tasthaaren   besetzt. 
Drittes  Glied  kurz  und  distal  keulig  ver- 
dickt.    Außengeißel    zeigt   Sonderung  in 
zwei    Abschnitte:     sieben    kurze,    flache 
Glieder  mit  Riechhaaren  (abgesehen  vom 
Basalglied),     und     sechs    langgestreckte, 
dünne  Glieder  mit  je  einem  Tasthaar  auf 
der    Innenseite.      Riechhaare     auf     den 
Gliedern  in  zwei  Reihen.     Zahl  etwa  85 
bei  0,95  mm  durchschnittlicher  Länge  und 
14  /i  Dicke.    Differenzen  in  der  Länge  der 
Riechhaare  nur  sehr  gering.     Innengeißel 
mit   vier   ganz   dünnen,  langen  Gliedern. 
Stachelkorb  wohl  entwickelt,  Borstenzahl 
20  bei  0,95  mm  Länge  und  16  /«  Dicke. 
Eine  Anzahl  Spindeln  im  proximalen  Teil  der  Außengeißel  lagernd, 
der  Rest  einen  umfangreichen  Lobus  osphradicus  bildend,  den  größten 
Teil  des  dritten  Antennalgliedes  einnehmend.     Auch  hier  Dreiteilung 
des  Nerven.    Zweig  für  die  Innengeißel  nur  sehr  schwach ;  auch  nervöser 


Textfig.  9. 

Antenne  von  Galathea  australiensis. 


über  Geruclisorgane  bei  decapoden  Krol).sen  usw. 


529 


Apparat  des  Stachelkörbchens  schwach  entwickelt,  da  jede  Nervenfaser 
nur  eine  Sinneszelle  zu  passieren  hat.  ■ 

Munidofsis  {Galathodes)  regia. 
(Textfig.   10;   Taf.  XXV.    Fig.  10.) 

Die  von  mir  untersuchten  Arten  der  Gattung  Munidopsis  haben 
imtereinander  im  Bau  der  inneren  Antennen  eine  gewisse  Ähnlichkeit, 
und  unterscheiden  sich  in  mancher  Hinsicht  von  den  übrigen,  im  Bau 
mit  Munida.  übereinstimmenden  Formen.  Auch  hier  mächtige  Stachel- 
bildungen auf  dem  Basalglied,  jedoch  sämtlich,  auf  der  gleichen  Seite 
der  Gelenkpfanne.  Der  innere  Stachel 
stark  entwickelt,  der  äußere  dünner 
und  säbelartig  gekrümmt.  Auch  der 
innere  Abschluß  der  Gelenkpfanne  zu 
stumpfer  Spitze  ausgezogen.  Sämt- 
liche Glieder  schwach  mit  Tasthaaren 
besetzt.  Das  dritte  Glied  lang,  von 
regelmäßigem  Umriß,  sich  gegen  das 
distale  Ende  allmählich  verdickend. 
Außengeißel  lang.  Sonderung  in  zwei 
Abschnitte  wie  bei  Galathea  australien- 
sis,  doch  nicht  mit  gleicher  Deutlich- 
keit. Die  15  proximalen  Glieder  sehr 
flach  und  scheibenförmig,  alle  mit 
Ausnahme  des  vergrößerten  Basalglie- 
des, in  zwei  Reihen  angeordnete  Riech- 
haare tragend.  Die  letzten  sieben  Glieder  langgestreckt  und  dünn,  mit 
in  Gruppen  angeordneten  Tasthaaren  versehen.  Die  zwei  Formen  von 
Ghedern  der  Außengeißel  durch  allmähliche  Übergänge  miteinander 
verbunden.  Riechhaarlänge  nicht  unbedeutend  schwankend,  im  Durch- 
schnitt 1,2  mm  bei  17,5  t.i  Dicke;  ihre  Zahl:  180 — 190.  Innengeißel  be- 
stehend aus  vier  Gliedern  mit  einigen  kurzen  Tastborsten.  Stachel- 
körbchen nicht  ganz  einen  Halbkreis  bildend,  Haare  besonders  in  der 
Mitte  sehr  lang.  Durchschnittslänge  etwa  1,3  mm  bei  15  a  Dicke, 
Borstenzahl  etwa  35. 

Riechspindeln  zu  kleinem  Teil  in  den  Basalgliedern  der  Außen- 
geißel, Hauptmasse  einen  Lobus  osphradicus  bildend,  der  in  zwei  Lappen 
gespalten.  Dies  Verhalten,  sonst  bei  Galatheiden  nicht  beobachtet, 
von  DoFLEiN  (04)  vielfach  für  Brachyuren  beschrieben.  Antennalnerv 
in  drei  Teile  spaltend :  einer  für  Stachelkörbchen,  dessen  Nervenstränge 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  35 


Textfig.  10. 
Antenne  von  Munidopsis  regia. 


530 


Kurt  Marcus, 


^S^ 


f 


vor  dem  Eintritt  in  ihr  Haar  relativ  große  accessorische  Tastspindeln 
tragen;  mittlerer  Teil  für  einen  Lappen  des  Lobus,  dritter  Ast  für  andern 
Lappen  und  Innengeißel. 

Munidofsis  (Galathodes)  tridentata  Esmarch. 
(Textfig.  11;   Taf.  XXVI,   Fig.  2.) 

[Die  untersuchten  Exemplare  stammen  aus  dem  Indischen  Ozean 
und  weichen  in  Kleinigkeiten  von  der  atlantischen  Form  ab.] 

Basalglied  der  Antenne  relativ  klein  im  Verhältnis  zu  den  End- 
gliedern.    Auch  hier  zwei  Stacheln  in  ähnlicher  Ausbildung  wie  bei 
Munidopsis   regia,    doch    fehlt    der   ausgezogene    Gelenkpfannenrand. 
^  Zweites  Glied  gebogen,  drittes  gerade, 

plump  und  keulig  zulaufend.  Auf 
allen  Gliedern  mehr  oder  minder 
starker  Tasthaarbesatz.  Auch  hier 
Sonderung  der  Außengeißel  in  zwei 
Abschnitte:  acht  proximale  scheiben- 
förmige Glieder  mit  Riechhaaren  und 
sieben  stäbchenförmige  Glieder  mit 
Tasthaaren.  Zahl  der  Riechhaare 
etwa  125  bei  0,8  mm  Länge  und  10  /t 
Durchmesser.  Innengeißel  aus  vier 
kurzen  Gliedern  mit  wenigen  Tast- 
haaren bestehend.  Zahl  der  Borsten 
im  Stachelkörbchen  30,  bei  0,8  mm 
Durchschnittslänge  und  16 ,«  Durch- 
messer. 

Die  Riechspindeln  bilden  einen 
großen  Lobus,  der  den  größten  Teil 
des  dritten  Gliedes  einnimmt.  Eine 
kompakte  Masse  bildend,  zeigt  er  proximal  einen  anschließenden  Fort- 
satz von  Spindeln.  Gleiche  Dreiteilung  des  Nerven,  wie  schon  öfter 
beschrieben.  Nerv  für  die  Innengeißel  sehr  schwach,  stark  dagegen 
der  für  den  Stachelkorb,  dessen  einzelne  Nervenstränge  accessorische 
Spindeln  zu  passieren  haben. 

Munidopsis  (Galathodes)  stylirostris  Wood-Mason. 
(Textfig.  12  u.  13;  Taf.  XXV,  Fig.  8  u.  9.) 

Stachelbildungen  am  Basalglied  in  beiden  Geschlechtern  bedeutend 
schwächer  als  bei  Munidopsis  regia,  obwohl  in  gleicher  Lagerung  auf 


^ 


Textfig.  11. 
Antenne  von  Munidopsis  tridentata. 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw. 


531 


Gelenkpfannenrand.  Das  dritte  Glied  plump  und  stark  keulig  ange- 
scli wollen.  Nur  Gelenkpfannenrand  stark  mit  Tasthaareüi  besetzt. 
Die  Antenne  des  Männchens  im  ganzen  der  des  Weibchens  um  ein 
geringes  an  Größe  überlegen.  Bei  diesem  nicht  so  scharf  wie  beim 
Männchen    Sonderung    der    Außengeißel    in    zwei    Abschnitte:     neun 


-^^|c:^äto 


Textfig.  12.  Textfig.  13. 

Antenne  von  Munidopsis  siylvrostris  Q.  Endglied  mit  Geißeln  der  Antenne  von 

Munidopsis  stüirostris  (5 

flache  Glieder  mit  Riechhaaren  in  unregelmäßiger  Anordnung,  und  acht 
stäbchenförmige,  zum  Teil  sehr  lange  Glieder.  Beim  Männchen  sind 
die  entsprechenden  Zahlen  10  und  9.  Beim  Weibchen  alle  Riechhaare 
etwa  von  gleicher  Länge,  beim  Männchen  dieselbe  bis  zum  sechsten 
Glied  zu-,  dann  sehr  rasch  abnehmend.  Zahl  der  Riechhaare  beim  Männ- 
chen etwa  130,  Weibchen  etwa  115,  ihre  Länge  0,95  bzw.  1  mm,  die 
Dicke  bei  beiden  16  //.  Innengeißel  aus  vier  kurzen  Gliedern  mit 
spärlichen  Tasthaaren  bestehend.  Stachelkörbchen  gut  ausgebildet, 
Borstenzahl  in  beiden  Geschlechtern  gleich,  etwa  30,  die  Durchschnitts- 
länge 1,8  mm,  die  Dicke  beim  Männchen  etwas  größer  als  beim  Weib- 
chen, dort  19  /<,  hier  17,5  /<. 

Der  Lobus  erscheint  sehr  kompakt;  die  Außengeißel  enthält  nur 
Terminalnerven.  Auch  hier  die  bekannte  Dreiteilung  des  Nerven.  Die 
Nervenstränge  des  Stachelkörbchens  mit  accessorischen  Tastspindeln 
versehen. 

35* 


532 


Kurt  Marcus, 


III.  Der  Petrolisthestypus. 
a.  Der  Habitus. 

Das  Basalglied  der  inneren  xVntenne  hat  hier  eine  ganz  enorme 
Größe,  so  daß  das  zweite  und  dritte  Glied  mit  den  Geißeln  als  bloße  An- 
hängsel erscheinen  (siehe  Textfig.  14).  Von  seiner  Breitseite  betrachet, 
ist  das  erste  Glied  etwa  rechteckig,  wäh- 
rend es  von  der  Schmalseite  gar  nicht  A^WJeTNi^  \\\ 
sonderlich  groß  aussieht.  Es  trägt  nur  \\^^^'\\i\' 
kleine  Zacken  und  wenige  Tasthaare.  Auf 


Textfig.  14. 

Innere  Antenne  von  PetroHsthes  Lamarcki 
/,  Furche  für  die  Endglieder. 


Textfig.  15. 


Antenne  von  Petrolütlies  Lamarcki. 


der  Außenseite  ist  häufig  eine  Furche  zu  erkennen,  in  die  die  beiden 
äußeren  Glieder  mit  den  Geißeln  geborgen  werden  können  (s.  Textfig.  14  /). 
Interessant  ist  bei  diesen  Formen  die  Gestaltung 
des  dritten  Gliedes  mit  den  Geißeln  (s.  Textfig.  15).  Es 
ist  kurz,  dick  und  läuft  keulenförmig  zu;  auch  die 
Außengeißel  ist  häufig  sehr  plump.  Die  Riechhaare 
zeigen  die  gewöhnliche  Anordnung,  und  auch  ein 
Stachelkörbchen  ist  wie  bei  der  Munida  ähnlichen  For- 
men vorhanden ;  nur  zeigt  dieser  manchmal  die  Beson- 
derheit, daß  er  nicht  einheitlich,  sondern  in  mehrere 
Portionen  geteilt  ist,  die  durch  borstenlose  Stellen 
voneinander  getrennt  sind  (s.  Textfig.  15). 

Das  Basalglied  der  Innengeißel  ist  häufig  bedeu- 
tend vergrößert  und  verdickt,  und  trägt  auf  der  der 
Außengeißel  zugewandten  Seite  zwei  oder  mehr  Längs- 
reihen von  Haaren  (s.  Textfig.  16).  Diese  bilden  zu 
beiden  Seiten  der  Außengeißel  und  der  Riechhaare 


Textfig.  16. 

Endplatte  des  dritten 
Gliedes  der  Antenne 
von  PetroHsthes  sp.  a, 
Ausatzstelle  d.  Außen- 
seißel ;  b,  Basalglied  der 
Innengeißel  mit  den 
Tastborsten  (z.  T.  nur 
ihre  Insertion  ange- 
deutet). 


über  Geruclisoi'gane  l)ei  dcca|)(Kieii  Krebsen  usw.  533 

eine  Art  schützendes  Gitter  (s.  Textfit;-.  15,  17).  Oft  hat  dann  anch 
diese  Innengeißel  ein  Stachelkörbchen,  das  sogar  mit  dem  der  Außen- 
geißel verschmelzen  kann,  so  daß  dann  das  dritte  Antennalglied  einen 
vollen  Kreis  von  Haaren  trägt. 

b.  Die  anatomischen  Verhältnisse. 

Trotz  seiner  relativen  Größe  wird  auch  hier  das  Basalglied  der 
Antenne  im  wesentlichen  von  der  Statocyste  und  den  Muskeln  aus- 
gefüllt. Der  Lobus  osphradicus  ist  meist  groß  und  nimmt  oft  den 
größten  Teil  des  dritten  Gliedes  ein.  Manchmal,  wenn  sie  sehr  plump 
ist,  bietet  jedoch  auch  die  Außen geißel  Platz  genug,  um  einen  Teil 
der  Spindeln  aufzunehmen.  Auch  bei  Petrolisthes  findet  sich  die  schon 
vom  Munida-Typwfi  her  bekannte  Dreiteilung  des  Nerven  im  basalen 
Teil  des  dritten  Gliedes.  Der  von  der  Teilungsstelle  zur  Innengeißel 
ziehende  Nerv  ist  meist  ziemlich  stark,  da  er  außer  den  oft  sehr  zahl- 
reichen Haaren  auf  dem  Basalglied  der  Innengeißel  auch  noch  den 
Stachelkorb  derselben  zu  versorgen  hat.  Jeder  Nervenstrang  trägt 
vor  seinem  Eintritt  in  das  Haar  (und  zwar  gilt  das  sowohl  für  die 
Haare  des  Stachelkörbchens,  als  auch  für  die  auf  dem  Basalglied  der 
Geißel)  eine  kleinere  oder  größere  accessorische  Spindel  von  Sinnes- 
zellen (s.  Taf.  XXV,  Fig.  11).  Der  mittlere,  stärkste  Nervenast  inner- 
viert, wie  auch  sonst,  den  Lobus  osphradicus,  und  der  dritte  Ast 
wiederum  das  Stachelkörbchen  der  Außengeißel,  dessen  Nervenstränge 
auch  hier  je  eine  accessorische  Spindel  zu  passieren  haben.  In  ihrem 
Bau  gleichen  die  Borsten  der  Stachelkörbchen  und  die  Haare  auf  dem 
Basalglied  der  Innengeißel  einander  völlig,  so  daß  an  ihrer  Tastfunktion 
nicht  zu  zweifeln  ist.  Hervorzuheben  ist,  daß  sämtliche  Tastborsten, 
im  Gegensatz  zu  denen  des  Munida-Typus,  ohne  Fiederhärchen  sind. 

Beschreibung  des  Baues  einiger  zum  Petrolisthestypus 
gehöriger  Formen. 

Petrolisthes  Lamarcki  Leach. 
(Textfig.  15;  Taf.  XXVI,  Fig.  3.) 

Basalglied  der  Antenne  sehr  mächtig  entwickelt  (s.  Textfig.  14), 
hat  ovalen  Querschnitt  und  zeigt  eine  Reihe  von  Vertiefungen,  Rippen 
und  Linien  im  Chitin.  Wichtig  ist  nur  eine  Vertiefung  zur  Aufnahme 
der  Endglieder  der  Antenne.  Auf  dem  distalen  Kamm  des  ersten  Gliedes 
Höckerchen  und  Zacken,  doch  für  den  Schutz  des  Geruchsapparates 
ohne  Bedeutung.  Von  der  Schmalseite  erscheint  das  Basalglied 
klein.      Das    dritte    Glied    kurz    und    stark    keulig    zulaufend.     Die 


534  Kurt  Marcus, 

14  Glieder  der  Außengeißel  einen  allmählichen  Übergang  von  flach- 
scheibenförmiger Gestalt  zu  Stäbchenform.  Zweites  bis  zehntes 
Glied  mit  Riechhaaren,  deren  Zahl  80  —  90  bei  durchschnittlich 
0,75  mm  Länge  und  12 — 13  u  Dicke.  Bei  Innengeißel  Basalglied  enorm 
verdickt  und  verlängert,  außerdem  noch  fünf  kleine  Glieder.  Basal- 
glied mit  Tasthaaren,  anscheinend  in  sechs  Längsreihen  angeordnet. 
Die  Haare  von  drei  Reihen  schließen  die  Außengeißel  auf  der  einen, 
die  der  übrigen  drei  auf  der  andern  Seite  ein  (hierzu  auch  der  Grundriß 
für  Petrolisthes  sp.  in  Textfig.  16).  Die  Zahl  dieser  Haare  etwa  40  bei 
0,8  mm  Länge  und  8  /t  Dicke.  Die  kleinen  Glieder  der  Lmengeißel 
mit  wenigen  kurzen  Tasthärchen.  Um  die  Außengeißel  Stachelkörb- 
chen, in  drei  Teile  geteilt  (s.  Textfig.  15).  Borstenzahl  etwa  40 — 45, 
bei  0,8  mm  Länge  und  5  i^i  Dicke.  Ebenso  Stachelkörbchen  um  Innen- 
geißel mit  etwa  60  außerordentlich  dünnen  (2  ^tt),  im  Durchschnitt 
0,5  mm  langen  Haaren.     Sämtliche  Tasthaare  ungefiedert. 

Lobus  osphradicus  sehr  groß,  fast  den  ganzen  Raum  des  dritten 
Gliedes  ausfüllend.  Bei  der  Dreiteilung  ein  Ast,  accessorische  Spindeln 
bildend,  zum  Stachelkörbchen  der  Außengeißel,  der  mittlere  zum 
Lobus,  der  dritte,  relativ  stark,  zum  Stachelkörbchen  der  Innengeißel 
und  zu  den  Haaren  auf  dem  Basalglied  derselben;  für  beide  werden 
accessorische  Tastspindeln  gebildet. 

Petrolisthes  sp. 
(Textfig.  17;  Tal.  XXV,  Fig.  11.) 

Die  Antenne  dieser  noch  unbestimmten  Form  hat  gewisse  Ähn- 
lichkeit mit  der  von  Petrolisthes  Lamarcki,  so  in  der  Form  des  Basal- 
giiedes  usw.  Außengeißel  außerordentlich  dick  und  plump,  mit  18 
scheibenförmigen  Gliedern,  von  denen  die  letzten  sechs  ohne  Riechhaare. 
Diese  auf  den  Gliedern  in  unregelmäßigen  Gruppen  angeordnet.  Riech- 
haarzahl etwa  175,  Länge  fast  1  mm,  Dicke  12  /<.  Basalglied  der  Innen- 
geißel ebenfalls  stark  vergrößert,  zeigt  zehn  Reihen  von  Tasthaaren 
(s.  Textfig.  16).  Ihre  Zahl  etwa  80,  Länge  1,5  mm,  Dicke  8//.  Außer- 
dem noch  sechs  kurze  Glieder  zur  Innengeißel  gehörend.  Stachel- 
körbchen der  Außengeißel  in  mehreren  Reihen  angeordnet,  Zahl  der 
Borsten  etwa  50,  bei  0,9  mm  Länge  und  8  /i  Dicke.  Sehr  nahe  an  ihn 
das  Stachelkörbchen  der  Innengeißel  anschließend,  dessen  Haare  be- 
deutend kürzer,  0,2  mm  Länge  bei  8  u  Dicke;  ihre  Zahl  etwa  30.  Bei 
einzelnen  Exemplaren  Verschmelzung  beider  Stachelkörbchen  zu  vollem 
Haarkranz. 

Wegen  Größe  und  Plumpheit  der  Außengeißel  in  ihr  Platz  für 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw. 


535 


viele  Spindeln,  der  Rest  einen  ziemlich  ansehnlichen  Lobus  osphradicus 
bildend.  Der  nervöse  Apparat  mit  dem  von  Petrolisthes  Lamarcki 
übereinstimmend,  um  die  Spindeln  der  Tasthaare  auf  dem  Basalglied 
der  Innengeißel  einen  eignen  kleinen  Lobus  bildend,  der  noch  ein  Stück 
in  das  dritte  Glied  der  Antenne  hinein  ragt. 

Petrolisthes  sp. 
(Textfig.  18;  Taf.  XXVI,  Fig.  4.) 

Eine  noch  unbestimmte  Form.  Basalglied  der  Antenne  mit  mehr 
rechteckigem  Durchschnitt,  am  distalen  Ende  mit  einem  kurzen  Stachel 
versehen.  Außerdem  eine  runde,  muldenförmige  Vertiefung  auffallend. 
Zweites  und  drittes  Glied  ziemlich  kurz,  Außengeißel  lang  und  schlank, 

bestehend  aus  15  Gliedern,  von 
denen  das  zweite  bis  elfte  mit 
Riechhaaren  versehen.  Ihre  Zahl  ist 
etwa  160  bei  einer  Durchschnitts- 
länge von  0,75  mm  und  8  //  Dicke. 
Innengeißel  mit  fünf  Gliedern,  von 
denen   das   Basalglied  bedeutend 


:^f 


Textfig.  17. 
Antenne  von  Petrolisthes  sp. 


Textfig.  18. 

Antenne  von  Petrolisthes  sp. 


in  die  Länge  gestreckt  und  mit  zwei  Längsreihen  von  langen  Tast- 
haaren versehen.  Ihre  Zahl  22  bei  8  /t  Dicke  und  0,65  mm  Länge. 
Die  Stachelkörbchen  sehr  schwach  entwickelt,  nur  um  die  Außengeißel 
16  Haare  von  0,4  mm  Länge  und  6,5  fi  Dicke,  um  die  Innengeißel  nur 
ein  paar  ganz  kurze  Härchen. 

Riechspindeln  zum  kleinsten  Teil  in  Außengeißel,  der  Rest  einen 
großen,  fast  das  ganze  dritte  Glied  einnehmenden  Lobus  osphradicus 
bildend.     Wegen  schlechter  Konservierung  ist  nicht  zu   entscheiden, 


536  Kurt  Marcus, 

ob  die  Stachelkorbnerven  accessorische  Spindehi  tragen.  Doch  ist 
dies  sicher  für  die  Haare  auf  dem  Basalghed  der  Innengeißel,  also  auch 
für  jene  wahrscheinlich. 

Wechselbeziehungen  zwischen  der  anatomischen  Beschaffenheil 
des  Geruchsorgans  und  der  Lebensweise. 

Überblickt  man  die  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  niederge- 
legten anatomischen  Befunde  über  den  Bau  des  Geruchsorgans,  so 
läßt  sich  ohne  Schwierigkeit  eine  Keihe  verfolgen,  die  mit  den  sich 
an  Uroftychus  anschließenden  Formen  beginnt  und  über  die  Munida- 
ähnlichen  Galatheiden  und  die  Arten  der  Gattung  Munidopsis  zu  den 
Petrolisthes- Arten  führt. 

Nach  dem,  was  man  bisher  über  Sinnesorgane  weiß,  geht  mit  der 
Höherentwicklung  eines  solchen  eine  anatomische  Differenzierung  Hand 
in  Hand.  Da  uns  leider  erst  sehr  wenige  experimentelle  Untersuchungen 
über  das  Geruchsvermögen  vorliegen,  erscheint  es  gerechtfertigt,  auf 
Grund  anatomischer  und  histologischer  Befunde  sich  ein  Urteil  über 
die  Höhe  in  der  Entwicklung  eines  Geruchsorgans  zu  bilden.  Man 
darf  dabei  jedoch  nicht  aus  dem  Auge  lassen,  daß  das  nur  ein  Not- 
behelf ist,  so  lange  uns  nicht  genaue  physiologische  Experimente  über 
das  Geruchsvermögen  aufgeklärt  haben.  Die  Schlüsse,  die  man  aus  den 
Befunden  über  die  Organisationshöhe  des  Geruchsorgans  ziehen  kann, 
erlauben  es  uns,  die  untersuchten  Formen  in  eine  Reihe  einzuordnen. 

Ferner  liefern  uns  unsre  Kenntnisse  über  die  Biologie  dieser  Formen, 
so  spärlich  sie  bis  jetzt  auch  leider  noch  sind,  Material  zur  Aufstellung 
einer  zweiten  Reihe.  Ein  Vergleich  dieser  zwei  Reihen  untereinander 
wird  uns  zu  gewissen  Schlüssen  über  das  Geruchsvermögen  berechtigen. 

Zur  Verwertung  anatomischer  Befunde  zur  Beurteilung  des  Ge- 
ruchsorgans, wie  es  in  der  ersten  Reihe  geschehen  soll,  bedarf  es  der 
Klarheit  über  die  Art  und  Weise  der  Geruchsperception.  Dazu  muß 
ich  an  das  anknüpfen,  was  ich  über  die  Geruchshaare  gesagt  habe. 
Ich  betonte  ausdrücklich,  daß  die  Riechhaare  an  ihrem  Ende  geschlossen 
sind,  so  daß  keine  direkte  Berührung  der  riechenden  Substanz  mit  den 
Nervenenden  möglich  ist.  Auch  läßt  sich  nicht  nachweisen,  daß  die 
Nervenendigungen  des  Terminalstranges  an  das  Chitin  heran,  oder 
durch  dasselbe  hindurchtreten.  Es  bleibt  also  nichts  übrig,  als  mit 
KoTTE  (02)  anzunehmen,  daß  eine  Diffusion  der  riechenden  Substanz 
durch  die  Chitinlamelle  hindurch  ins  Innere  des  Haares  hinein  statt- 
findet, wo  dann  die  Reizung  der  Nervenenden  erfolgt. 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw.  537 

Gilt  es  nunmehr  zu  untersuchen,  welcher  Faktor  für  eine  Er- 
höhung des  Geruchsvermögens  von  Bedeutung  ist,  so  hat  ein  Versuch 
große  Wichtigkeit,  den  Nagel  (94)  mit  Asellus  aquaticus  und  Asellus 
cavaticus  vornahm.  Dieser  blinde  Höhlenbewohner  erwies  sich  bei 
einer  großen  Anzahl  von  mit  verschiedenen  Substanzen  vorgenommenen 
Versuchen  als  bedeutend  besser  riechend  als  die  gewöhnliche  Wasser- 
assel. Bei  der  näheren  Untersuchung  der  Geruchsorgane  dieser  Tiere 
stellte  sich  heraus,  daß  die  an  den  inneren  Antennen  sich  befindenden 
Riechschläuche  von  Asellus  cavaticAis  bedeutend  größer  waren  als  bei 
Asellus  aquaticus.  Es  geht  daraus  hervor,  daß  mit  der  höheren  Aus- 
bildung des  Geruchsorgans  eine  Vergrößerung  der  percipierenden 
Oberfläche  Hand  in  Hand  geht.  Leider  hat  Nagel  nicht  die  genaueren 
anatomischen  Verhältnisse  der  inneren  Antenne  beider  Arten  unter- 
sucht, und  mir  war  es  leider  nicht  möglich,  eine  Nachprüfung  vor- 
zunehmen. Trotzdem  lassen  Nagels  Befunde  einige  Schlüsse  zu.  Der 
Satz,  daß  die  Größe  der  percipierenden  Oberfläche  für  das  Geruchs- 
vermögen von  ausschlaggebender  Bedeutung  ist,  läßt  sich  wohl  mit 
vollem  Recht  auch  auf  die  von  mir  untersuchten  Galatheiden  übertragen. 
Es  wird  deshalb  von  Wichtigkeit  sein,  die  gesamte  percipierende  Ober- 
fläche des  Geruchsorgans  bei  den  einzelnen  Formen  zu  ermitteln. 
Dazu  muß  man  die  Zahl  der  Riechhaare  und  ihre  Dimensionen  berück- 
sichtigen. Ich  betrachte  jedes  Haar  als  Cylinder,  und  berechne  die 
Gesamtoberfläche  nach  der  Formel: 

7t  •  d  -l  ■  z, 

wo  d  der  Durchmesser,  l  die  Durchschnittslänge  der  Haare  und  z  ihre 
Zahl  ist. 

Ferner  ist  sicher,  daß  die  Größe  des  Tieres  von  gewissem  Einfluß 
auf  die  Ausbildung  des  Geruchsorgans  ist.  Ein  größeres  Tier  wird 
eine  größere  percipierende  Oberfläche  haben  als  ein  kleineres.  Wie 
aber  diese  verschiedene  Größe  in  Rechnung  zu  setzen  ist,  ist  außer- 
ordentlich schwer  abzuschätzen.  Ich  setze  die  ganze  Masse  des  Tieres 
in  Rechnung  und  erhalte  dann  als  Geruchsquotient  die  gesamte  per- 
cipierende Geruchsoberfläche  dividiert  durch  die  Größe  des  Tieres.  Auf 
diese  Weise  sind  die  in  beigegebener  Tabelle  (S.  538)  enthaltenen  W^erte 
für  den  Geruchsquotienten  entstanden.  Ich  muß  ausdrücklich  hervor- 
heben, daß  dieselben  sehr  ungenau  sein  müssen  und  nur  annähernd 
ein  richtiges  Bild  geben  können,  da  sow^ohl  die  Berechnung  der  Haar- 
oberfläche aus  den  einzelnen  Faktoren,  als  auch  die  Feststellung  der 


538 


Kurt  Marcus, 


Art 

Riechhaar- 
länge 

Riechhaar- 
dicke 

Riechhaar- 
zahl 

Gesamt- 
oberfläche 

der 
Riechhaare 

Gewicht 
in  g 

Geruchs- 
ctuotient 

Uroptychus  nitidus . 
Uroptychus   gracili- 

inanus 

Ptychogaster  investi- 

gatoris 

Galathea  australien- 

sis 

1,5   mm 
2       mm 
1       mm 
0,95  mm 

16     ,a 
19     ^i 
10     ,u 
14     ^ 

60 
100 
100 

85 

4,52 

11,94 

3,14 

1,67 

1,25 

0,385 

0,30 

0,23 

3,58 
21,25 

10,53 

7,27 

Mtmida  subrugosa  (5 

Munida  subrugosaQ 

Cervimunida    prin- 

ceps 

1.2   mm 
0,9   mm 

1,5   mm 

17,5,M 
17,5  ,w 

24    ^ 

100 
100 

300 

6,60 
4,95 

33,93 

9,05 
7,15 

58,5 

0,73 
0,69 

0,58 

Munidopsis  regia    . 
Munidopsis   triden- 

tata 

Munidopsis  styliros- 

tris  (5    

Munidopsis  styliros- 

trisQ 

1,2  mm 
0,8   mm 
0,95  mm 
1       mm 

17,5,M 

10       /LI 

16    /i 
16    fi 

185 
125 
130 
115 

13,29 
4,02 

7,04 
6,95 

4,55 
0,75 
1,25 
2,20 

2,95 
5,56 
5,56 

3,28 

PetrolisthesLamarcki 
Petrolisthes  sp.  .  .  . 
Petrolisthes  sp.  .  .  . 

0,75  mm 
1       mm 
0,75  mm 

12,5/u 
12    /u 
8      fi 

85 
175 
160 

2,61 
6,59 
2,17 

1,77 
2.92 
0,71 

1,48 
2,26 
3,04 

Größe  —  durch  Wägung  der  Spiritusexemplare  in  Luft  —  unvermeid- 
lichen Fehlern  unterworfen  ist. 

Percipierende  Oberfläche  und  Größe  des  Tieres  sind  aber  nicht 
die  einzigen  Faktoren,  die  von  Einfluß  auf  die  Ausbildung  des  Geruchs- 
organs sind;  selbstverständlich  spielt  auch  die  Zahl  der  Nervenendi- 
gungen in  einem  Haar  eine  große  Rolle.  Denn  je  mehr  Nervenendi- 
gungen vorhanden  sind,  um  so  feiner  ist  der  Geruch.  Eine  Voraus- 
setzung ist  dabei  aber  unumgänglich  notwendig,  die  der  gleichen  Qualität 
sämtlicher  im  Haar  endigender  Nervenfasern.  Ohne  dieselbe  wäre 
dieser  Teil  der  Untersuchung  völlig  zwecklos.  Die  Zahl  derselben  muß 
nach  dem,  was  im  allgemeinen  Teil  darüber  gesagt  wurde,  genau  mit 
der  Zahl  der  in  einer  Eiechspindel  enthaltenen  Sinneszellen  überein- 
stimmen, so  daß  man  diese  nur  zu  zählen  braucht.  Leider  ist  das  mit 
großen  Schwierigkeiten  verbunden,  da  häufig  die  Spindeln  im  Lobus 
so  eng  aneinander  gedrängt  liegen,  daß  die  Grenzen  zwischen  ihnen 
unerkennbar  sind.  x4nderseits  liegt  jede  Spindel  auch  in  einer  größeren 
Anzahl  von  Schnitten,  in  denen  sie  schwierig  zu  identifizieren  ist,    J^s 


über  Geruclisorgcane  bei  dccapüden  Krebsen  usw.  539 

ist  mir  deshalb  auch  nur  in  relativ  wenigen  Fällen  möglich  gewesen, 
die  Zahl  der  Nervenendigungen  festzustellen. 

Ich  greife  nur  wenige  Formen  heraus.  1)  Uroptychus  gracilimanus 
ist  ein  Tier,  welches  nach  an  andrer  Stelle  zu  gebenden  Ausführungen 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  gut  riecht;  seine  Riechhaare  sind  von 
sehr  großen  Dimensionen:  2  mm  lang,  19/^  dick.  Dabei  beträgt  die 
Zahl  der  Spindelzellen  etwa  350.  2)  Ptychogaster  investigatoris  riecht 
wahrscheinlich  ebenfalls  sehr  gut;  die  Riechhaare  sind  klein:  1  mm 
lang,  10  ti  dick.  Die  Zahl  der  Sinneszellen  ist  etwa  250.  3)  Munida 
subrugosa  riecht  schlecht;  ihre  Riechhaare  sind  1,2  mm  lang  und  17,5  fi 
dick,  also  relativ  groß;  die  Zahl  der  Sinneszellen  ist  etwa  275.  4)  Pe- 
troUsthes  Lamarcki  riecht  relativ  schlecht;  die  Riechhaardimensionen 
sind  gering:  Länge  0,75  mm,  Dicke  13  ii;  die  Zahl  der  Sinneszellen 
ist  etwa  200.  Man  findet  also  die  meisten  Nervenendigungen  für  ein 
Haar  bei  gut  riechenden  Tieren  mit  großen  Haaren  {Uroptychus  gracili- 
manus); eine  mittlere  Zahl  einerseits  bei  gut  riechenden  Tieren  mit 
kleinen  Haaren  {Ptychogaster  investigatoris)  und  anderseits  bei  schlecht- 
riechenden Tieren  mit  großen  Haaren  {Munida  subrugosa) ;  endlich  eine 
geringe  Zahl  bei  schlechtriechenden  Tieren  mit  kleinen  Haaren  {Petro- 
listhes  Lamarcki).  Bei  zwei  Tieren  mit  gleichem  Geruchsvermögen 
muß  das  eine  mit  längeren,  dickeren  Riechhaaren  in  denselben  mehr 
Nervenendigungen  haben,  als  das  andre  mit  Riechhaaren  von  kleineren 
Dimensionen.  Haben  anderseits  zwei  Tiere  gleichgroße  Riechhaare, 
so  muß  das  besser  riechende  in  ihnen  mehr  Nervenenden  besitzen  als 
ein  schlechtriechendes.  Es  zieht  also  eine  Vergrößerung  der  Geruchs- 
oberfläche mit  Notwendigkeit  eine  Vermehrung  der  Nervenenden  nach 
sich,  soweit  nach  den  Befunden  ein  Urteil  darüber  überhaupt  möglich 
ist.  Da  beide  Faktoren  stets  gleichzeitig  und  im  gleichen  Sinne  das 
Geruchsvermögen  beeinflussen,  genügt  es  für  die  Betrachtung  der  Orga- 
nisationshöhe desselben  nur  einen  heranzuziehen,  wozu  ich  die  perci- 
pierende  Oberfläche  gewählt  habe,  da  die  Zahlen  für  sie  genauer  und 
vollständiger  sind. 

Nach  der  Tabelle  lassen  sich  leicht  vier  Gruppen  trennen:  die  erste 
mit  dem  größten  Geruchsquotienten  umfaßt  die  sich  an  Uroptychus 
anschließenden  Formen  und  Galathea  australiensis,  die  man  eigentlich 
in  der  Gruppe  der  Munida-ähnlichen  Formen  erwarten  sollte.  Die 
dritte  hat  einen  mittleren  Geruchsquotienten;  sie  umfaßt  die  Arten 
der  Gattung  Munidopsis.  Bei  der  vierten  ist  er  schon  recht  klein: 
der  Gattung  Petrolisthes.  Am  kleinsten  ist  er  bei  der  an  zweite  Stelle 
gestellten  Munida  und  Cervimunida, 


540  Kurt  Marcus, 

Ehe  ich  auf  dies  Ergebnis  Aveiter  eingehen  kann,  muß  ich  mich 
noch  der  zweiten  Keihe  zuwenden,  in  der  versucht  werden  soll,  aus 
biologischen  Befunden  einen  Rückschluß  auf  die  Höhe  der  Ausbildung 
des  Geruchsorgans  zu  machen. 

Die  erste  Gruppe  umfaßt  Uroptychus  gracilimanus,  Uroptychus 
nitidus,  Ptychogaster  investigatoris  und  Galathea  australiensis .  Abge- 
sehen von  dieser  Form,  zeichnet  sich  die  Gruppe  in  ihrem  Bau  vor 
allem  durch  die  enorme  Entwicklung  der  Scheren  aus,  gegen  die  die 
Masse  des  Körpers  ganz  zurücktritt.  Sie  leben  kletternd  auf  Gorgo- 
niden-  und  Pennatulidenrasen  und  wohl  auch  auf  andern  sessilen  Tier- 
formen am  Grunde  des  Meeres.  Das  Vorkommen  dieser  Galatheiden- 
gruppe  der  Tiefe  nach  schwankt  zwischen  300  und  800  m,  also  Tiefen, 
in  die  das  Tageslicht  nur  mehr  unvollkommen  eindringt.  Bekanntlich 
stößt  man  bei  allen  Tieren  im  Meer  mit  zunehmender  Tiefe  einerseits 
auf  solche,  die,  um  aus  den  geringen  noch  vorhandenen  Lichtmengen 
Nutzen  zu  ziehen,  ihre  Augen  excessiv  vergrößern;  andre  lassen  sie 
dagegen  in  gleicher  Tiefe  verkümmern.  Bei  den  Uroptychus-¥orm.en 
erblicken  wir  den  Beginn  des  Rudimentärwerdens.  Die  Augen  sind 
wahrscheinlich  nicht  in  dem  Maße  funktionsfähig,  wie  ein  normales 
Crustaceenauge,  da  meist  Pigmentmangel  vorliegt.  Das  Auge  hat  nicht 
die  bekannte  samtschwarze  Farbe,  sondern  zeigt  ein  lichtes  Braun 
oder  Gelb.     Es  sind   sogenannte  Dämmerungsaugen. 

Da  das  Auge  nicht  leisten  kann,  was  ein  normales  Auge  zu  leisten 
vermag,  muß  man  eine  höhere  Ausbildung  der  übrigen  Sinnesorgane 
erwarten.  Die  lebhafte  Bewegung  dieser  Tiere  in  einer  Umgebung,  zu 
der  das  Wasser  freien  Zutritt  hat,  wird  speziell  die  höhere  Ausbildung 
des  Geruchsorgans  begünstigen.  Daß  es  sich  um  sehr  gut  ange- 
paßte Formen  handelt,  geht  daraus  hervor,  daß  sie  meist  in  großen 
Mengen  gefangen  werden. 

Eine  Ausnahmestellung  nimmt  Galathea  australiensis  ein.  Die 
Gattung  Galathea  gleicht  in  ihrem  Habitus  sehr  den  nachher  zu  be- 
sprechenden Munida-ähnlichen  Formen,  und  ihre  Arten  führen  sämt- 
lich die  gleiche  Lebensweise,  unter  Steinen,  auf  Spongien  usw.,  oder 
auch  im  Schlamm  eingewühlt.  Von  den  genauer  bekannten  Formen 
macht  einzig  und  allein  Galathea  australiensis  eine  Ausnahme,  indem 
sie  in  ihrer  Lebensweise  fast  genau  mit  Uroptychus  übereinstimmt. 
Infolgedessen  mußte  in  diesem  Falle  auch  das  Geruchsorgan  sich  dieser 
veränderten  Lebensweise  anpassen. 

Die  Gattungen  Munida  und  Cervimunida,  die  die  zweite  Gruppe 
bilden,  haben  einen  plumpen  Körper,  aber  gut  entwickelte  Scheren. 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw.  541 

Sie  leben  auf  felsigem  Boden,  unter  Steinen  usw.  Ihr  Vorkommen 
reicht  von  der  Küste  bis  in  Tiefen  von  ein  paar  hundert  Metern.  Die 
Augen  von  Munida  suhrugosa  aus  10  m  Tiefe  sind  normal,  diejenigen 
von  Cervimunida  pri7iceps  aus  200  m  dagegen  bedeutend  vergrößert. 
Das  gleiche  weiß  man  von  einer  Reihe  andrer  hierher  gehöriger  Formen. 
So  zeigt  nach  einer  mündlichen  Mitteilung  Herrn  Prof.  Dofleins  die 
mit  vergrößerten  Augen  versehene  Muyiida  hamjfica  ein  außerordent- 
lich feines  Lichtreaktionsvermögen.  Das  weist  darauf  hin,  daß  diese 
Tiere  zur  Orientierung  im  wesentlichen  den  Gesichtssinn  benutzen. 
Man  muß  demnach  ein  nicht  sehr  stark  entwickeltes  Geruchsorgan 
erwarten.  Daß  es  trotzdem  von  relativ  hoher  Bedeutung  für  das  Tier 
sein  muß,  geht  daraus  hervor,  daß  es  durch  das  Stachelkörbchen  und 
die  Stacheln  am  BasalgHed.  der  Antenne  geschützt  ist.  Es  ist  klar, 
daß  bei  solchen  Formen,  die  unter  Steinen  leben  und  auf  dem  felsigen 
Meeresgrunde  herumkriechen,  die  Gefahr,  daß  die  überaus  zarten 
Riechhaare  verletzt  werden,  ungleich  größer  ist,  als  bei  den  üroftychus- 
artigen  Formen.  So  hat  hier  das  Schutzbedürfnis  dahin  gewirkt,  daß 
ein  Schutzapparat  entstanden  ist. 

Kommen  wir  nunmehr  zu  der  dritten  Gruppe,  den  Arten  der 
Gattung  Munidopsis,  so  finden  wir  plumpe  Körper  mit  relativ  schwa- 
chen Beinen  und  Scheren,  verglichen  mit  denen  von  TJroptychus.  Die 
Tiere  führen  ein  fast  sessiles  Leben,  im  Schlamm  eingewühlt.  Da  auch 
sie  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  dem  sogenannten  organischen 
Regen  nähren,  d.  h.  Resten  von  in  höheren  »Wasserschichten  abge- 
storbenen Lebewesen,  kann  man  sie  in  ihrer  Ernährungsbiologie  ent- 
fernt mit  festgewachsenen  Tieren  vergleichen.  Die  von  mir  unter- 
suchten Vertreter  der  Gattung  Munidopsis  stammen  aus  600  bis 
1840  m  Tiefe.  Sie  zeigen  völlig  pigmentlose  Augen,  die  zum  Teil  sogar 
rudimentär  sind,  woraus  man  wohl  den  Schluß  auf  totale  Blindheit 
oder  wenigstens  sehr  geringes  Lichtwahrnehmungsvermögen  ziehen 
darf.  Sollte  man  einerseits  bei  einer  blinden  Form  ein  höheres  Ge- 
ruchsvermögen zu  finden  erwarten,  als  z.  B.  bei  den  Uroptychus-FoTmen, 
so  kann  man  anderseits  nicht  verkennen,  daß  die  träge  Lebensweise 
der  Verbesserung  des  Geruchsorgans  entgegenarbeitet.  Man  darf  also 
nicht  darauf  rechnen,  ein  besonders  hoch  entwickeltes  Geruchsorgan 
zu  finden.  Eine  große  Rolle  wird  dagegen  der  Geruch  bei  diesen  blinden 
Formen  im.  Geschlechtsleben  spielen,  denn  er  allein  läßt  die  Geschlechter 
sich  finden.  So  wird  man  eine  Differenz  im  Geruchsvermögen  zwischen 
Männchen  und  Weibchen  erwarten  dürfen,  während  das  bei  gut  sehen- 
den Formen,  wie  Munida  nicht  der  Fall  zu  sein  braucht. 


542  Kurt  Marcus, 

Was  endlich  die  letzte  Gruppe  der  zur  Gattung  Petrolisthes  gehörigen 
Arten  anbetrifft,  so  zeigen  sie  in  ihrem  Habitus  bedeutende  Abwei- 
chungen von  den  übrigen  Galatheiden,  und  nähern  sich  viel  mehr  den 
Brachyuren.  Der  Körper  ist  breit  und  flach,  der  Schwanz  ist  vSchwach 
entwickelt  und  wird  unter  dem  Kumpf  eingeschlagen  getragen.  Da 
diese  Krebse  nahe  der  Oberfläche  leben,  haben  ihre  Augen  normale 
Ausbildung.  Infolgedessen  wird  man  auch  ein  mittleres  Geruchsver- 
mögen erwarten  können.  Die  Tiere  kommen  meist  in  Riffgegenden 
vor,  wo  sie  manchmal  sich  im  Kalksand  und  unter  den  von  der  Bran- 
dung abgebrochenen  Korallenstücken  einwühlen,  manchmal  auch  in 
den  Löchern  der  Korallenfelsen  leben.  Bei  solcher  Lebensweise,  und 
da  sie  außerdem  noch  häufig  starkem  Wellenschlag  ausgesetzt  sind, 
ist  die  Gefahr  der  Verletzung  der  Riechhaare  außerordentlich  groß; 
daher  ist  es  zu  erklären,  daß  die  Schutzhaare  eine  so  enorm  starke 
Entwicklung  aufweisen,  wie  im  speziellen  Teil  geschildert  wurde. 

Überblickt  man  die  zwei  Reihen,  deren  eine  die  aus  den  anato- 
mischen Befunden  auf  das  Geruchsorgan  gezogenen  Schlüsse  enthält, 
während  wir  bei  der  andern  von  der  Biologie  ausgingen,  so  findet  man 
Zug  für  Zug  eine  große  Übereinstimmung. 

Bei  den  Uroptychus-ähnlichen  Formen  ist  im  allgemeinen  der  Ge- 
ruchsquotient sehr  hoch,  was  mit  der  guten  Ausbildung  des  Geruchs- 
organs nach  der  Lebensweise  dieser  Formen  übereinstimmt.  In 
beiden  Reihen  mußte  Galathea  australiensis  zu  dieser  Gruppe  gestellt 
werden.  . 

Bei  der  zweiten  Gruppe  —  Munida  und  Cervimunida  umfassend 
—  zeigt  der  kleine  Geruchsquotient  tatsächlich  die  geringe  Höhe  in 
der  Organisation  des  Geruchsorgans  an,  wie  sie  nach  den  biologischen 
Befunden  zu  erwarten  war. 

Auch  in  der  dritten  Gruppe  ist  die  Übereinstimmung  eine  vor- 
zügliche. Als  Ersatz  für  den  Verlust  des  Auges  zeigt  das  Geruchs- 
organ eine  relativ  hohe  Stufe  der  Ausbildung,  doch  wäre  sie  noch  höher, 
wenn  nicht  die  träge  Lebensweise  dem  entgegenwirkte.  Der  Geruchs- 
quotient läßt  einen  deutlichen  Unterschied  im  Geruchsvermögen  zwi- 
schen Männchen  und  Weibchen  erkennen,  was  z.  B.  bei  Munida  sub- 
rugosa  nicht  der  Fall  ist. 

Auch  die  letzte  Gruppe  der  Petrolisthes- Arten  zeigt  tatsächlich 
nach  Angabe  des  Geruchsquotienten  die  nach  den  biologischen  Be- 
funden zu  fordernde  mittlere  Ausbildung. 

Diese  vorzügliche  Übereinstimmung  zwischen  den  biologischen 
Verhältnissen    und    den    aus    den    anatomischen    und    histologischen 


über  Geruchsorgane  bei  decapoden  Krebsen  usw.  543 

Befunden  gezogenen  Schlüssen,  rechtfertigen    diese    und  geben  ihnen 
einen  hohen  Grad  von  WahrscheinUchkeit. 


Zum  Schhiß  fasse  ich  kurz  die  Ergebnisse  meiner  Untersuchung 
zusammen : 

Kann  ein  in  der  Tiefsee  lebendes  Tier  die  ihm  zu  Gebote  stehende 
geringe  Lichtmenge  nicht  ausnutzen,  und  degeneriert  das  Auge  infolge- 
dessen, so  tritt  als  Ersatz  dafür  das  Geruchsorgan  ein  und  erfährt  dann 
eine  um  so  höhere  Ausbildung. 

Es  läßt  sich  jedoch  nachweisen,  daß  auch  bei  nicht  ständig  im 
Dunkeln  lebenden  Formen  besondere  Lebensgewohnheiten  ebenfalls 
eine  erhöhte  Ausbildung  des  Geruchsorgans  bedingen  können. 

Ln  Falle  besondere  biologische  Bedingungen  eine  große  mecha- 
nische Gefährdung  des  Geruchsorgans  veranlassen,  wird  ein  mehr  oder 
minder  komplizierter  Schutzapparat  ausgebildet. 


Nach  Abschluß  vorliegender  Arbeit  wurde  ich  durch  eine  Mitteilung 
Kapterews  (Biol.  Centralblatt  1910,  Bd.  XXX,  Nr.  7)  auf  eine  Arbeit 
von  A.  ViRE,  La  faune  souterraine  de  France,  Paris  1900,  aufmerksam 
gemacht.  Leider  war  mir  das  Buch  nicht  zugänglich,  so  daß  ich  auf  die 
knappe  Angabe  Kapterews  angewiesen  bin.  Vire  hat  Asellus  aqua- 
ticus  15  Monate  lang  im  Dunkeln  gehalten  und  fand,  daß  nach  Ab- 
lauf dieser  Zeit  die  Riechkolben  etwa  dreimal  länger  geworden  waren. 
Es  ist  mir  diese  Angabe  eine  willkommene  Bestätigung  meiner  Auf- 
fassung, daß  eine  Verbesserung  des  Geruchsorgans  mit  einer  Ver- 
größerung der  percipierenden  Oberfläche  Hand  in  Hand  geht.  Außer- 
dem ist  hierdurch  der  experimentelle  Beweis  dafür  geliefert,  daß  bei 
Aufhören  der  Funktion  des  Auges  das  Geruchsorgan  an  seine  Stelle 
tritt  und  eine  um  so  höhere  Ausbildung  erfährt. 

München,  im  September  1910. 


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Ber.  d.  naturf.  Ges.  Freiburg  i./Br.     Bd.  IX.     Hft.  2. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Sämtliche   Figuren   sind    bei   schwacher   Vergrößerung   mit    dem   Zeichen- 
apparat entworfen.     Die  Farben  sind  schematisch. 

Gemeinsame  Bezeichnungen: 
h,  Riechhaar;  tn,  Terminalnerv; 

ts,  Terminalstrang;  n.  Kern  einer  Neurilemmzelle; 


über  Geruchsorgane  bei  deca|)üden  Krebsen  usw.  545 

s.  Riechspindeln;  rus,  Muskeln; 

l.  Lobus  osphradicus;  st,  Statocyste; 

rn,  Riechnerv;  t,  Tastspindel; 

7rt,  MatrixzcUe;  sk,  Stachelkörbchen. 
ch,  Chitin; 

Tafel  XXV. 

Fig.  1.     Schnitt  durch  die  innere  Antenne  von    Stenorhynclius  phalangiuw 
(das  Bindegewebe  ist  fortgelassen). 

Fig.  2.     Totalpräparat  der  Antenne  von  Uroptychus  nitidus, 

Fig.  3.     Ebenso  von   Uwpfychiis  gracilimanus. 

Fig.  4.     Ebenso  von  Ptychogaster  investigatoris. 

Fig.  5.     Ebenso  von  Munida  subrugosa   d. 

Fig.  6.     Ebenso  von  Munida  subrugosa   Q. 

Fig.  7.     Ebenso  von  Cervimunida  princeps. 

Fig.  8.     Ebenso  von  Munidopsis  stylirostris  Q. 

Fig.  9.     Ebenso  von  Munidopsis  stylirostris  d. 

Fig.  10.     Ebenso  von  Munidopsis  regia. 

Fig.  11.     Ebenso  von  Petrolisthes  sp. 

Tafel  XXVI. 

Fig.  1.     Totalpräparat  der  inneren  Antenne  von   Galathea  australiensii. 
Fig.  2.     Ebenso  von  Munidopsis  tridentata. 
Fig.  3.     Ebenso  von  Petrolisthes  Lamarcki. 
Fig.  4.     Ebenso  von  Petrolisthes  sp. 


Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  36 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung. 

Von 
Iwan  Sokolow 

(St.  Petersburg). 
(Aus  dem  Zootomischen  Laboratorium  der  Universität  St.  Petersburg.) 


Mit  Tafel  XXVII— XXIX. 


Während  meines  Aufenthaltes  an  der  Neapler  Stazione  zoologica 
im  Herbst  1909  beschäftigte  ich  mich  mit  der  mikroskopischen  Fauna 
des  sogenannten  AriipMoxus-^a,ndes  und  stieß  zufäUig  auf  einen  inter- 
essanten chätopoden  Wurm,  welcher  sich  bei  genauerer  Bestimmung 
als  eine  neue  Art  von  der  Gattung  Ctenodrüus  Clap.  erwies. 

Diese  Gattung  wurde  zunächst  von  Claparede  (63)  aufgestellt 
und  ist  seitdem  Gegenstand  einer  ganzen  Reihe  von  Untersuchungen 
geworden.     Ich  werde  nur  die  wichtigsten  erwähnen. 

An  erster  Stelle  sei  die  Arbeit  v.  Kennels  genannt,  welcher  1882 
die  Art  Ctenodrüus  fardalis  (=  serratus  0.  Schm.)  einer  eingehenden 
Untersuchung  unterzog,  und  dem  wir  die  einzigen,  bis  jetzt  gemachten, 
Beobachtungen  über  deren  Teilung  verdanken.  Sodann  kommt  für 
uns  der  Aufsatz  von  Graf  Max  Zeppelin  (83)  über  eine  andre  Art,  Ct. 
{Zep'pelinia  Vaillant)  monostylos  Zepp.  in  Betracht;  er  behandelt  aus- 
führlich die  Anatomie  und  die  eigenartigen  Teilungserscheinungen  der 
neuen  Art.  Schließlich  unterzog  1903  Egon  Galvagni  die  v.  Kennel- 
sche  Art  Ct.  fardalis  und  den  von  Scharfe  1887. entdeckten  Ct.  par- 
vulus  Scharf f  einem  genaueren  histologischen  Studium. 

Auf  andre  kleinere  Arbeiten  werde  ich  hier  nicht  weiter  eingehen, 
sondern  verweise  auf  den  letztgenannten  Aufsatz  Galvagnis,  bei  dem 
man  eine  Zusammenstellung  der  ganzen  Literatur  des  Gegenstandes 
findet. 

Monticelli  (93)  hat  das  Verdienst,  die  sehr  verwickelte  Nomen- 
klatur —  da  fast  jeder  Autor  einen  besonderen  Namen  für  die  be- 
schriebene Form  einführte  —  geklärt  und  die  Synonymie  festgestellt 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  547 

zu  haben.     Hierbei  ergab  sich,  daß  sämtliche  Beschreibungen  sich  auf 
nur  drei  verschiedene  Arten  beziehen.     Diese  sind: 

1)  Ct.  serratus  0.  Schm., 

2)  Ct.  'parvulus  Schärft"  und 

3)  Ct.  (Zeppelinia)  monostylos  Zepp. 

Zu  diesen  drei  oder,  richtiger  gesagt,  vier  Arten,  wenn  man  die 
von  MoNTiCELLi  in  einer  andern  Arbeit  kurz  erwähnte  Z.  dentata  mit- 
rechnen willi,  möchte  ich  nun  noch  eine  neue  hinzufügen,  die  ich,  aus 
später  zu  ersehenden  Gründen,  >>branchiatus «  zu  benennen  vorschlage. 

Ich  fand  sie,  wie  gesagt,  im  Oktober  im  Äm'phioxus-^ande.  Die 
erste  Sandprobe,  von  der  ich  nicht  genau  sagen  kann,  woher  sie  stammte, 
enthielt  eine  große  Menge  von  Ct.  branchiatus  in  verschiedenen  Ent- 
wicklungsstadien nebst  einer  viel  geringeren  Anzahl  von  Ct.  serratus. 
Die  folgenden  Sandproben  von  »Cenito«  und  »San  Pietro  e  due  Fratti« 
entbehrten  der  Ctenodrilen  vollständig.  Erst  kurz  vor  meiner  Abreise 
fand  ich  sie  wieder,  diesmal  im  Amphioxus-^&nde  von  »Donna  Anna«, 
fast  ebenso  massenhaft. 

Da  die  Objekte  ziemlich  winzig  sind  (nicht  über  4  mm),  so  pflegte 
ich  mit  einer  Pipette  eine  gewisse  Portion  des  feinen  Sandes,  womöglich 
noch  mit  kleinen  Pflanzenbruchstückchen,  unter  die  liupe  zu  bringen, 
wo  die  Tierchen  sich  durch  ungeschickte  kriechende  Bewegungen  kennt- 
lich machten.  Dann  wurden  sie  mit  einer  Nadel  vorsichtig  vom  Objekt- 
träger abgenommen  und  in  einem  Uhrgläschen  isoliert. 

Es  wurden  zu  gleicher  Zeit  folgende  Formen  gefunden: 

1)  Formen  mit  einer  großen  Anzahl  Segmente,  ohne  jegliche 
Körperanhänge  und  ohne  Augen;  oft  mit  Gonaden  oder  Embryonen 
im  Körper.  Sehr  oft  befinden  sie  sich  im  Beginn  der  Autotomie.  Solche 
Individuen  werden  wir  kurz  als  Form  A  bezeichnen. 

2)  Formen  mit  großer  Segmentzahl,  mit  besonderen  Wimperreifen 
und  mit  langen  paarigen  Anhängen  an  fast  jedem  Segment,  sowie  mit 
Augen.     Teilungserscheinungen  sind  nicht  nachzuweisen.     Form  B. 

3)  L^bergangsformen  zwischen  A  und  B,  ohne  Wimpern,  oder  auch 
ohne  Augen  und  mit  teilweise  verloren  gegangenen,  also  in  sehr  ver- 
schiedener Anzahl  vorhandenen  Anhängen. 


1  MoNTiCELLi  schreibt  folgendes:  »  Questo  Ctenodrihde  appartiene  al  genere 
Zeppelinia,  .  .  .  ma  da  questo  differisce  essenzialmente  per  grandezza,  numero 
di  segmenti  ed  altre  caratteristiche  anatomi  che,  nonche  per  la  forma  delle  setole. 
Sieche  esso  representa  una  nuova  specie  che  dalla  dentatura  delle  setole  chiamo 
Zeppelinia  dentata.  «  (» Adelotacta  zoologica «.  Mitt.  Zool.  St.  Neapel.  Bd.  XII. 
1895.  S.  451.) 

36* 


548  Iwan  Sokolow, 

4)  Formen  mit  wenigen  Segmenten,  zuweilen  mit  einem  oder  zwei 
Anhängen.  Sie  sind  als  Produkte  der  Teilung  anzusehen,  bei  denen 
am  vorderen  oder  am  hinteren  Ende  die  entsprechenden  Körperteile 
sich  in  Regeneration  befinden. 

5)  Übergangsformen  zwischen  ersten  und  vierten,  je  nachdem'die 
ganze  sich  teilende  Kette  in  die  einzelnen  Zooide  zerfallen  ist,  oder 
nur  zum  Teil. 

Ich  werde  nun  zur  Darstellung  der  einzelnen  Hauptformen  über- 
gehen und  nachher  ihre  Beziehung  zueinander  aufzuklären  versuchen. 

Form  A. 

Bei  der  mikroskopischen  Betrachtung  (Fig.  1)  erscheint  die  Form  A 
in  der  Gestalt  eines  Wurmes,  an  dem  man  den  Kopf  mit  dem  mächtigen 
Schlundkopfe  von  dem  geringelten  Körper  deutlich  unterscheiden  kann. 
Der  Körperteil,  in  dem  der  dickere  Magendarm  zu  liegen  kommt,  ist 
etwas  angeschwollen.  Das  Tier  ist  durchsichtig  und  hat  eine  schmutzig 
grün-gelbliche  Färbung.  Der  Magendarm  ist  auffallend  orange  gefärbt, 
jedoch  nicht  so  tief,  wie  bei  Ct.  serratus.  Noch  schärfer  tritt  das  »rätsel- 
hafte Organ«,  der  Herzkörper,  hervor,  wegen  seiner  grellen,  meistens 
scharlachroten  Farbe.  Hinter  dem  Schlundkopf  schimmern  zwei  ovale 
bräunliche  Gebilde  durch  die  Haut:  das  sind  die  beiden  Nephridien. 
Die  Zahl  der  Segmente  beläuft  sich  gewöhnlich  auf  25 — 30;  oft  kann 
sie  aber  kleiner  sein  (ob  bei  den  durch  Teilung  entstandenen  Indivi- 
duen?). Die  Länge  der  Tiere  beträgt  niemals  mehr  wie  4  mm  und 
ist  ziemlich  schwankend.  Der  Durchmesser  des  Körpers  ist  etwa 
0,15  mm. 

Der  von  unten  betrachtete  Kopf  erscheint  an  der  Stelle,  wo  die 
breite  Öffnung  des  sogenannten  Atriums  liegt,  am  meisten  erweitert. 
Weiter  nach  vorn  erstreckt  sich  der  dreieckige  Kopf  läppen  (Prosto- 
mium),  in  dem  das  Kopfganglion  durchschimmert.  An  der  ventralen 
Fläche  des  Kopflappens  befindet  sich  eine  tiefe,  flimmernde  Rinne. 
Augen  und  sonstige  Sinnesorgane  fehlen  gänzlich,  ausgenommen  die 
zwei  Riechgruben  zu  beiden  Seiten  des  Kopfes. 

Integument.  Der  Körper  ist  von  einer  feinen  Cuticula  über- 
zogen, welche  an  Schnitten  doppelt  konturiert  erscheint. 

Die  Epidermis  besteht  aus  platten  Zellen,  welche  ein  einschichtiges 
Epithelium  bilden.  Am  Kopflappen  verdickt  sich  das  Epithel  stark 
und  wird  mehrschichtig.  Ähnliche  Verdickungen  sehen  wir  an  den 
Stellen  der  Segmente,  wo  die  Bauchganglien  liegen.  Besondere  »epi- 
theliale Verdickungen  der  Haut  an  der  basalen  Fläche  der  Kopfhöhle, 


über  eine  neue  Ctenodrihisarl  und  ilue  Vermehrung.  549 

welche  als  Wülste  oder  Zapfen  in  das  Cölom  des  Kopflappens  vor- 
springen«, wie  es  Galvagni  bei  Ct.  serratus  und  Ct.  parvulus  beschreibt, 
habe  ich  bei  Ct.  branchiatus  nicht  gefunden. 

An  lebenden  Exemplaren  wird  man  zuweilen  auf  die  ziemlich 
"auffallende  Punktierung  der  Haut  aufmerksam,  welche  von  kleinen 
Pigmentzellen  herrührt.  Das  Pigment  hat  eine  fuchsrote  bis  dunkel- 
braune, ja  fast  schwarze  Farbe  und  scheint  wenigstens  in  Alkohol 
unlöslich  zu  sein.  Auf  Fig.  2  sieht  man  die  unregelmäßigen  Anhäu- 
fungen von  Pigment  in  der  Epidermis.  Ich  muß  hervorheben,  daß 
diese  Pigmentierung  nur  in  wenigen  Fällen  gefunden  wurde  (vgl.  das 
ständige  Vorkommen  des  schwarzen  Pigmentes  bei  Ct.  parvulus  nach 
Galvagni).  öfters  fand  ich  Exemplare,  bei  denen  der  Kopf  läppen 
allein  deutlich  pigmentiert  war.  Andre  Individuen  waren  dagegen 
vollkommen  farblos. 

Die  sogenannten  »  öldrüsenzellen  «  (Galvagnis)  scheinen  auch  nicht 
immer  vorzukommen,  oder  sind  jedenfalls  sehr  schwer  zu  finden.  Viel 
zahlreicher  sind  sie  bei  der  Form  B,  von  der  weiter  unten  die  Rede 
sein  wird,  vorhanden.  Intra  vitam  haben  sie  eine  gelbgrüne  oder  grün- 
lich-braune Farbe  und  sind  hauptsächlich  am  vorderen  und  am  hinteren 
Körperende  und  auch  auf  den  Spitzen  der  Anhänge  (bei  der  Form  B) 
angeordnet.  Sie  färben  sich  schwach  mit  Eisenhämatoxylin  nach 
Heidenhain.  Im  Kopflappen  zeigen  sie  eine  längliche  Gestalt,  an 
den  übrigen  Körperstellen  nähern  sie  sich  in  ihrer  Form  den  sogenannten 
»Ballonzellen«  (Fig.  3  u.  67  ODZ). 

Ähnliches  fand  Zeppelin  bei  Ct.  monostylos  (vgl.  S.  617).  Er 
unterscheidet  »gelbe  Pigmentkörnchen«,  welche  der  eigentlichen  Pig- 
mentierung entsprechen,  und  >> dimkelgrüne,  größere  Pigmentflecke«, 
welche  zweifellos  den  öldrüsenzellen  Galvagnis  gleich  gesetzt  werden 
müssen. 

Noch  seltener  findet  man  die  sogenannten  >>  Klebdrüsenzellen « 
(Galvagnis),  und  zwar  immer  in  geringer  Anzahl.  Sie  sind  ziemlich 
groß  und  erstrecken  sich  durch  die  ganze  Dicke  der  Epidermis.  Ihr 
Inhalt  besteht  aus  zahlreichen  Körnchen,  die  sich  mit  Eisenhämatoxylin 
grau  färben  (Fig.  4). 

Was  die  Cilienbekleidung  angeht,  so  fehlt  sie  bei  Form  A 
gänzlich,  abgesehen  von  der  Flimmerrinne  des  Kopflappens.  Dieselbe 
zieht  sich  fast  von  der  äußersten  Spitze  des  Kopflappens  ventralwärts 
und  nach  hinten,  immer  breiter  werdend,  bis  sie  an  die  Mundöffnung 
herantritt  und  weiter  in  den  flimmernden  Vorderdarm  übergeht.  Bei 
Ct.  serratus  fandeii  dagegen  v,  Kennel  und  Galvagni  Flimmern  noch 


550  Iwan  Sokolow, 

an  der  Unterseite  des  ersten  und  dem  Anfang  des  zweiten  Segmentes, 
was  auch  mit  meinen  Beobachtungen  an  derselben  Form  übereinstimmt. 
Dasselbe  beschreibt  Zeppelin  bei  Ct.  monostylos. 

Die  Borsten  sind  lang  (bis  0,26  mm),  gerade,  proximal  dicker, 
distalwärts  sich  allmählich  verjüngend  (Fig.  6).  Sie  sind  sehr  elastisch, 
was  man  daraus  ersieht,  daß  sie,  an  ein  Hindernis  stoßend,  sich  leicht 
biegen  können.  Gegen  das  Hinterende  des  Wurmes  zu  werden  sie  immer 
kürzer  und  feiner. 

Bei  Ct.  tnonostylos  hat  Zeppelin  Borsten  von  zweie7:lei  Art  be- 
schrieben: die  einen  mit  angeschwollenem  äußeren  Ende,  während  die 
andern  sich  gegen  dasselbe  gleichmäßig  verdünnen.  Wenn  diese 
letzteren  auch  etwas  gekrümmt  erscheinen,  so  ist  ihre  i^hnlichkeit 
mit  den  Borsten  von  Ct.  branchiatus  nicht  zu  verkennen.  Dagegen 
haben  die  gezähnelten  Borsten  des  Ct.  serratus  mit  ihnen  nichts  ge- 
meinschaftliches. 

Die  Borsten  sind  zu  Bündeln  vereinigt,  von  denen  vier  in  je  einem 
Segment  liegen:  zwei  dorsale  und  zwei  ventrale.  Der  Abstand  zwi- 
schen einem  Dorsal-  und  einem  Ventralbündel  jeder  Seite  ist  kleiner, 
als  der  Abstand  zwischen  den  rechten  und  linken  Bündeln  (Fig.  10). 

Der  Kopf  entbehrt  der  Borsten.  Im  ersten  Rumpfsegment  (eigent- 
lich im  zweiten,  wie  wir  später  sehen  werden)  und  in  fast  allen  folgenden 
treten  regelmäßig  die  vier  Borstenbündel  auf;  nur  den  drei  bis  vier 
letzten  Segmenten  fehlen  sie. 

Jedes  Borstenbündel  enthält  gewöhnlich  zwei  lange  Borsten,  zu- 
weilen drei  (besonders  gilt  das  für  die  ersten  Segmente),  oder  nur  eine 
(in  den  hinteren  Segmenten).  Zu  ihnen  gesellen  sich  eine  oder  zwei 
kurze,  deren  Aufgabe  es  zweifelsohne  ist,  die  abgenutzten  alten  mit 
der  Zeit  zu  ersetzen. 

Die  Borsten  sitzen  mit  ihren  basalen  Enden  in  besonderen  Borsten- 
follikeln,  die  nahezu  cylindrisch  erscheinen.  Mit  dem  einen  Ende  tritt 
der  Borstenfollikel  an  die  Körperwand  und  läßt  hier  die  Borsten  nach 
außen  frei  hervortreten.  Der  übrige  Teil  ragt  in  die  Körperhöhle 
hinein.  An  das  freie  Ende  jedes  Borstenfollikels  sind  Muskelzüge  an- 
geheftet, und  zwar  so,  daß  sie  radial  gegen  die  Körperwand  ausstrahlen, 
an  die  sie  sich  befestigen  (Fig.  10  u.  13  MZ).  Dadurch  ist  jedes  Borsten- 
bündel in  seiner  Lage  mehr  oder  weniger  fixiert  und  kann  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  bewegt  werden,  je  nachdem,  welcher  Muskel 
sich  kontrahiert. 

Zwischen  dem  dorsalen  und  ventralen  Borstenfolhkel  jeder  Seite 
existiert  auch  eine  Verbindung.    Diese  wird  durch  ein  ähnliches  Muskel- 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  551 

band  hergestellt,  das  ihre  inneren  Enden  vereinigt  (Fig.  10  Mh).  Wenn 
das  Band  erschlafft  ist,  bleiben  die  Borsten  einander  mehr  oder  weniger 
parallel;  wenn  der  Muskel  sich  kontrahiert,  so  rücken  die  inneren 
Enden  der  Follikel  in  verschiedenem  Grad  gegeneinander.  So  wirken 
die  Borstenbündel  jeder  Seite  gewissermaßen  wie  ein  System. 

Ahnliche  Verhältnisse  fand  Zeppelin  bei  Ct.  monostylos,  wo  in 
jedem  Segment  jederseits  zwei  Borstensäckchen  »durch  einen  feinen 
Muskelzug  miteinander  verbunden  zu  sein  scheinen  (S.  619)  <<. 

Die  Borstenfollikel  sind  lang  und  nicht  überall  gleich  breit,  sondern 
erweitern  sich  etwas  gegen  ihr  freies  Ende.  Im  Querschnitt  sind  sie 
oval  (Fig.  15).  Die  Borsten  liegen  nicht  axial,  sondern  haben  sich 
einer  Seite  genähert;  im  übrigen  Teil  liegt  die  Hauptmasse  der  Zellen 
mit  ihren  großen  Kernen.  Letztere  sind  in  wenigen  Längsreihen  ange- 
ordnet, parallel  zu  den  Borsten  (Fig.  13).  Jeder  der  Muskelzüge,  welche 
die  Follikel  bewegen,  ist  mit  einem  Kern,  der  seiner  Oberfläche  auf- 
liegt, versehen.  Die  äußersten  Muskeln  erstrecken  sich  bis  zu  den 
Dissepimenten.  Zuweilen  verzweigt  sich  ein  Muskelzug  kurz  vor  der 
Insertionsstelle  in  mehrere  dünnere  Fäden,  die  sich  einzeln  an  die 
Körperwand  befestigen.  Ein  innigerer  Zusammenhang  zwischen  den 
Borstenmuskeln  und  der  Körpermuskulatur,  etwa  so,  daß  man  die 
ersteren  als  einfache  Abzweigungen  der  letzteren  entstanden  denken 
könnte,  wie  das  gewissermaßen  Zeppelin  (>>mit  der  Längsfaserschicht 
zusammenhängender  Muskelapparat«)  meint,  scheint  nicht  zu  bestehen. 
Erstens  unterscheiden  sich  die  gröberen  und  mit  je  einem  großen  Kern 
versehenen  Borstenmuskelfasern  histologisch  von  den  zarten  Körper- 
muskelfasern, bei  denen  die  Kerne  noch  nicht  nachgewiesen  sind ;  zwei- 
tens entstehen  sie  bei  der  Ontogenese  unabhängig  voneinander.  Auch 
bilden  die  Muskeln  über  dem  Follikel  kein  sogenanntes  Muskelgitter, 
wie  das  Zeppelin  bei  Ct.  monostylos  abbildet. 

Muskulatur.  Die  Körpermuskulatur  ist  schwach  ausgebildet 
und  daher  schwer  zu  untersuchen.  Nur  an  Schnitten,  welche  tangential 
zur  Körperwand  geführt  wurden,  konnte  man  sie  mehr  oder  weniger 
gut  verfolgen. 

Zunächst  fallen  die  gröberen  Längsmuskeln  in  die  Augen,  welche 
bei  allen  Ctenodrilen  aufgefunden  wurden.  Sie  verlaufen  in  langen 
parallelen  Zügen  längs  durch  den  Körper.  Weniger  auffallend  sind 
die  sehr  feinen  Ringmuskeln,  welche  in  senkrechter  Richtung  zu  den 
Längsmuskeln  und  nach  innen  von  denselben  hinziehen  (Fig.  7).  An 
Längsschnitten,  die  mit  Safranin  oder  Eosin  (auch  Eisenhämatoxylin 
nach  Heidenhain)  gefärbt  waren,  konnte  man  die  Ringmuskelfasern 


552  Iwan  iSokolow, 

quer  durchschnitten  beobachten.  Sie  lagen  als  eine  Reihe  feiner  Punkte 
zwischen  der  Membrana  basilaris  des  Hautepithels  und  der  Längs- 
muskelschicht. 

Die  Ringmuskelfasern  sind  von  den  früheren  Autoren,  wahrschein- 
lich ihrer  Zartheit  wegen,  übersehen  und  erst  von  Galvagni  in  Über- 
einstimmung mit  meinen  Befunden  beschrieben  worden. 

Über  die  feinere  Struktur  der  Körpermuskeln  vermag  ich  nichts 
zu  sagen.  Kerne  wurden  von  mir,  ebenso  wie  von  den  früheren  For- 
schern, nicht  beobachtet. 

Wegen  der  schwachen  Muskulatur  sind  die  Ctenodrilen  keiner 
lebhafteren  Bewegung  fähig,  was  übrigens  bei  ihrer  ruhigen  Lebens- 
weise zwischen  modernden  Pflanzenresten  des  Amphioxus-^a.ndes  keine 
Nachteile  hat.  Sie  besitzen  die  Fähigkeit,  sich  verschiedenartig  zu 
krümmen,  was  hauptsächlich  durch  die  Kontraktion  der  Längsmuskeln 
an  den  entsprechenden  Seiten  bewirkt  wird.  Wenn  man  die  Tiere 
auf  den  Objektträger  mit  wenig  Wasser  überträgt,  so  strecken  sie  die 
einzelnen  Segmente  recht  erheblich,  wobei  wahrscheinlich  die  feinen 
Ringmuskeln  eine  Rolle  spielen  (vgl.  Fig.  1,  wo  ein  Exemplar  mit  zum 
größten  Teil  ausgestreckten  Segmenten  abgebildet  ist). 

Die  Verdauungs Organe  sind  im  wesentlichen  ebenso  wie  bei 
Ct.  serratus  (Galvagni)  gebaut. 

Der  Verdauungstractus  beginnt  mit  einem  sogenannten  Atrium, 
in  dem  der  Schlundkopf  und  die  beiden  Falten,  die  dorsale  und  die 
ventrale,  sich  befinden. 

Der  massive  Schlundkopf  hat  eine  ähnliche  Form  wie  bei  andern 
Ctenodrilen.  Seine  Grundmasse  ist  homogen  und  färbt  sich  nicht. 
Sie  wird  von  Muskelfasern  durchzogen,  welche  in  verschiedenen  Rich- 
tungen einander  durchkreuzen,  wobei  aber  die  Richtung  senkrecht  zum 
Epithel  vorherrscht.  Unmittelbar  unter  dem  Epithel  ordnen  sich  die 
Muskelzüge  derart,  daß  man  in  Längsschnitten  ein  regelmäßiges  Band 
von  Säulen,  die  in  gleichen  Abständen  voneinander  angeordnet  sind, 
bekommt  (Fig.  9  MZ).  Weitere  histologische  Details  im  Bau  der 
Muskulatur  stimmen  vollkommen  mit  Galvagnis  Angaben  für  Ct. 
serratus  überein. 

Gebilde,  welche  den  » ependymatischen  Fasern  <<  Galvagnis  ent- 
sprechen könnten,  fand  ich  jedoch  nicht,  obgleich  ich  die  Färbung  mit 
Eisenhämatoxylin  nach  Heidenhain  anwandte.  Wohl  aber  entdeckte 
ich  sonderbare  dicke  und,  ich  möchte  sagen,  stäbchenähnliche  Gebilde, 
welche  ungefähr  parallel  den  eben  besprochenen  Muskelsäulen  den 
Schlundkopf    durchzogen,    also     senkrecht     zum    Schlundkopf  epithel 


über  eine  neue  Ctonodiilusart   uiul  ihre  Vennelirung.  553 

ferichtet  waren  (F'w.  8,  9  u.  12  sf).  Sie  sind  lichtbrechend  und  färben 
sich  mit  Eisenhämatoxylin  intensiv  schwarz  (Fig.  8),  mit  Safranin  tief 
rot  nnd  in  gewissen  Fällen  mit  Boraxkarmin  (nur  in  überfärbten  Prä- 
paraten).    Eosin  färbt  sie  gar  nicht. 

Die  Natur  dieser  Stäbchen  blieb  mir  unbekannt.  Vielleiclit  sind 
es  besondere  schlauchartige  Drüsen.  Dagegen  spricht  aber  das  voll- 
kommene Fehlen  eines  Ausführungsganges,  der  doch  das  Epithel  durch- 
brechen müßte;  ich  fand  aber  diese  Gebilde  nur  ausschließlich  im 
muskulösen  Teile  des  Schlundkopfes.  Richtiger  wäre  es,  sie  als  eigen- 
artige Stützelemente  anzusehen,  welche  dem  Schlundkopf,  da  er  ein 
Bewegungsorgan  sein  soll,  größere  Festigkeit  geben. 

Das  Epithel,  welches  den  Schlundkopf  überzieht,  bildet  in  seinem 
weiteren  Verlauf,  mehrmals  umbiegend,  zwei  Falten:  eine  untere  und 
eine  obere.  Die  obere  ist  sehr  massiv  und  dient  zum  Schließen  der 
Mundöffnung,  was  dadurch  erreicht  wird,  daß  sie  sich  fest  an  den  Kopf- 
lappen, besser  gesagt,  an  die  Flimmerrinne,  andrückt  (Fig.  HOF). 

Die  untere  Falte,  welche  zwischen  dem  Schlundkopf  und  der 
oberen  Falte  liegt,  spielt  eine  Rolle  beim  Ausstrecken  des  Schlund- 
kopfes, indem  sie  dies  in  weit  größerem  Maße  gestattet,  als  es  ohne 
ihre  Anwesenheit  möglich  wäre  (Fig.  14  UF). 

Wenn  wir  das  Schlundkopfepithel  in  einer  andern  Richtung  ver- 
folgen, nämlich  nach  unten  und  ventralwärts,  so  bemerken  wir  da, 
wo  der  Schlundkopf  zu  der  Körperwand  hinzutritt,  noch  eine  kleine 
Falte,  die  aber  nach  innen  vorspringt  (Fig.  14  uf).  Sie  dient  als  In- 
sertionsstelle  für  eine  Reihe  von  Muskeln  (MZ),  unter  andern  für  das 
Ende  des  Protractors.  Obgleich  sie  auch  früher  beobachtet  wurde, 
wie  es  z.  B.  aus  den  Zeichnungen  Galvagnis  (Fig.  4  u.  36)  zu  ersehen 
ist,  hat  man  doch  ihre  Funktion  nicht  besonders  hervorgehoben. 

Sowohl  das  Schlundkopfepithel,  als  auch  das  der  unteren  und 
der  oberen  Falte,  bis  zu  der  Stelle  der  letzteren,  wo  sie  die  eigentliche 
Mundöffnung  bildet,  also  diejenigen  Teile  des  Vorderdarmes,  welche 
die  Wandung  des  Atriums  vorstellen,   sind  wimperlos   (Fig.  12). 

Der  Muskelapparat,  welcher  das  ganze  System  bewegt,  ist  in  Kürze 
folgender.  Der  Schlundkopf  liegt  auf  einem  massiven  Muskel  (Pro- 
tractor).  Von  ihm  gehen  zwei  Schenkel  ab,  die  sich  an  den  Oesophagus 
befestigen  (die  beiden  Retractoren).  An  der  dritten,  untersten  Falte 
sind  außer  dem  Protractor  zahlreiche  fadenförmige  Muskeln  befestigt 
(Fig.  14  MZ),  welche  mit  ihrem  andern  Ende  an  der  Stelle  inserieren, 
wo  das  erste  Dissepiment  mit  der  Körperwand  verschmilzt,  also  gerade 
vor   den   beiden   Nephridien.      Außerdem   treten   zahlreiche   ähnliche 


554  Iwan  Sokolow, 

Muskeln  an  die  beiden  Seiten  des  Schlimdkopfes  an  verschiedenen 
Stellen  heran.  Sie  sorgen  wahrscheinlich  dafür,  daß  die  Streckung  des 
Schlundkopfes  regelmäßig  vor  sich  geht,  daß  nicht  etwa  irgendwelche 
Verschiebungen  2;ur  Seite  eintreten  können. 

Wie  weit  ein  Ct.  branchiatus  seinen  Schlundkopf  hervortreten 
lassen  kann,  läßt  sich  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  nicht  bestimmt 
sagen.  Wahrscheinlich  geht  die  Streckung  nicht  allzu  weit.  Aber  in 
einem  Falle  gelangte  ich  zur  Untersuchmig  eines  Exemplares,  bei 
welchem,  wahrscheinlich  künstlich,  der  ganze  Schlundkopf  aus  dem 
Atrium  hervorgetreten  und  stark  kontrahiert  war.  Die  beiden  Falten 
waren  nicht  mehr  zu  erkennen :  sie  bildeten  einen  weit  hervorgewölbten 
Bogen.     Hierbei  gewahrte  man  deutlich  die  feinen  Lateralmuskeln. 

Wie  gesagt,  zieht  sich  ventral  am  Kopflappen  eine  Flimmerrinne, 
immer  breiter  werdend,  nach  hinten  und  geht  allmählich  in  den  Oeso- 
phagus über.  Derselbe  beschreibt  in  seinem  Verlauf  einen  Bogen, 
indem  er  zunächst  gegen  den  Rücken  hin  aufsteigt ;  hinter  dem  Schlund- 
kopf macht  er  eine  Biegung  und  senkt  sich  etwas  ventralwärts,  um 
weiterhin  in  der  Körperachse  zu  verlaufen.  Der  Oesophagus  erstreckt 
sich  bis  zum  fünften  oder  sechsten  Segment  (bei  Ct.  monostylos  bis 
zum  fünften  bis  neunten),  wo  er  mit  dem  Mitteldarm  verschmilzt. 

Der  Mitteldarm  differenziert  sich  in  zwei  Teile :  einen  vorderen,  den 
sogenannten  Magendarm,  und  einen  hinteren,  das  Intestinum.  Der 
Magendarm  ist  am  lebenden  Ct.  branchiatus  orange  gefärbt  —  ein  ge- 
meinsames Merkmal  aller  Ctenodrilen  —  was  daher  rührt,  daß  die 
Darmzellen  mit  feinen  orangefarbenen  Körnchen  angefüllt  sind.  Ob 
dieselben  ein  besonderes  Pigment  darstellen,  oder  ob  sie  irgendwelche 
Beziehung  zur  verdauenden  Tätigkeit  der  Zellen  haben,  läßt  sich 
zurzeit  nicht  bestimmt  sagen.  Diese  Färbung  kommt  jedoch  nicht 
allen  Individuen  zu.  Zuweilen  findet  man  solche,  deren  Magendarm 
ganz  ungefärbt  erscheint. 

Nachdem  der  Magendarrn  etwa  zehn  oder  auch  mehr  Segmente  — 
die  Zahl  ist  sehr  variabel  —  durchzogen  hat,  wird  er  enger  und  geht  in 
das  Intestinum  über.  Letzteres  verläuft,  etwas  geschlängelt,  bis  fast 
zum  Hinterende  des  Körpers,  wo  es  in  den  kurzen  Enddarm  mündet. 
Die  Grenze  mit  dem  letzteren  ist  nicht  deutlich.  Aber,  wie  wir  nachher 
im  embryologischen  Teil  des  Aufsatzes  sehen  werden,  ist  nur  der  kurze 
Endteil  des  Darmkanals  ectodermaler  Herkimft  und  nicht  das  ganze 
Intestinum,  wie  es  von  den  früheren  Forschern  angenommen  wurde 
(vgl.  bes.  V.  Kennel). 

Per  Enddarm  schließt  hinten  mit  der  Analöffnung  ab.    Diese  letztere 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  555 

liegt  nicht  terminal,  sondern  ist  etwas  dorsal wärts  verschoben,  so  daß 
nnter  ihr  ein  ovaler  Lappen  gebildet  wird  (Fig.  11  u.  b2  ÄnL).  Der 
Lappen  ist  oft  pigmentiert  bzw.  mit  gefärbten  öldrüsenzellen  versehen 
(was  insbesondere  für  die  Form  B  gilt). 

Der  ganze  Verdanungskanal  ist  mit  Wimpern  ausgekleidet,  deren 

lebhafte  Bewegmig  an  lebenden  Ctenodrilen  sehr  gut  zu  beobachten  war. 

Außen  ist  der  Darmtractus  mit  einer  Splanchnopleura  bedeckt, 

welche  sich  in  eine  äußerst  zarte  innere  Längs-  und  eine  ebensolche 

äußere  Ringmuskelschicht  gliedert  (dasselbe  bei  Galvagni). 

Das  Blutgefäßsystem  ist  geschlossen.  Es  besteht  seinem  Haupt- 
plaue  nach  aus  einem  dorsalen  und  einem  ventralen  Gefäß,  welche 
vorn  durch  einen  Gefäßring  verbunden  sind.  Außerdem  finden  wir 
in  jedem  Segment  eine  ähnliche  Verbindung  zwischen  den  beiden 
Hauptstämmen. 

Meine  Untersuchungen  des  Blutgefäßsystems  stellte  ich  einerseits  am 
lebenden  Material  an,  was  dadurch  ermöglicht  ist,  daß  die  Blutflüssigkeit 
zuweilen  genügend  gelb  gefärbt  war,  um  den  Verlauf  der  Blutgefäße 
zu  verfolgen;  anderseits  machte  ich  Rekonstruktionen  an  Schnittserien. 
Bei  beiden  Methoden  aber  war  es  sehr  schwer,  ein  klares  Bild  von  dem 
Verlaufe  derjenigen  Blutgefäße  zu  erhalten,  welche  ein  enges  Lumen 
hatten  und  zudem  noch  in  verschiedenartigen  Krümmungen  verliefen. 
Das  Rückengefäß  beginnt  in  der  Kopf  höhle,  unmittelbar  hinter 
dem  vorspringenden  Kopf ganglion ;  dann  verläuft  es  über  dem  Ver- 
dauungskanal bis  an  das  Hinterende  des  Körpers.  Sein  Lumen  ist 
über  der  Krümmung  des  Oesophagus  sehr  schmal;  weiter  nach  hinten 
erweitert  es  sich  und  erreicht  seinen  größten  Durchmesser  da,  wo  die 
hintere  Hälfte  des  Herzkörpers  in  ihm  liegt.  In  dem  hinteren  Körper- 
abschnitt  geht  es  oft,  aber  durchaus  nicht  immer,  in  einen  geräumigen 
Darmsinus  über.  In  diesem  Fall  umspült  die  Blutflüssigkeit  das  Darm- 
epithel unmittelbar. 

An  der  Grenze  zwischen  dem  fünften  und  sechsten  Segment  zweigt 
sich  gewöhnlich  von  diesem  Gefäß  ein  dorsaler  Ast  ab,  welcher  stark 
contractu  ist  und  die  vordere,  größere  Hälfte  des  Herzkörpers  in  sich 
birgt.  Er  zieht  sich  nach  vorn  bis  zum  ersten  Dissepiment  (Fig.  14 
RVD)  und  spaltet  sich  hier  in  zwei  Äste,  welche,  ventralwärts  rechts 
und  links  herablaufend,  in  das  Bauchgefäß  münden  und  so  den  vor- 
deren Gefäßring  bilden  (Fig.  14  GRi).  Dieser  Ring  ist  immer  von 
dicken  Blutgefäßen  gebildet  und  daher  leicht  zu  beobachten.  Besonders 
gut  zu  sehen  ist  die  untere  Gabelung  des  Bauchgefäßes,  welche  gerade 
vor  den  beiden  Nephridien  liegt. 


556  Iwan  iSükolüw, 

Vom  vorderen  Gefäßring  entspringen  zwei  zarte  Gefäße,  das  eine 
rechts,  das  andre  links.  Diese  beiden  lateralen  Gefäße  (LG)  umfassen 
den  Schlmidkopf  und  den  Vorderdarm  und  verlaufen  nach  vorn  bis 
fast  an  das  Kopfganglion,  wo  sie  sich  mit  dem  Anfangsteil  des  Rücken- 
gefäßes vereinigen  und  somit  die  Blutbahn  schließen. 

Parallel  dem  Rückengefäß  verläuft  ventral  das  Bauchgefäß,  welches 
etwas  dünner  ist  und  sich  der  Körperwand  näher  anlegt.  Es  verläuft 
von  dem  eben  besprochenen  Gefäßringe  bis  an  das  hintere  Körperende. 
In  jedem  Segment  sind  Rücken-  und  Bauchgefäß  durch  je  einen 
Ring  miteinander  verbunden,  wie  es  auch  bei  Ct.  serratus  der  Fall  ist. 
Nur  sind  bei  Ct.  branchiatus  diese  Ringe  äußerst  zart  und  wurden 
von  mir  selten  deutlich  beobachtet. 

Das  Blutgefäßsystcm  von  Ct.  serratus  scheint  einfacher  gebaut  zu 
sein;  w^enigstens  ist  aus  der  sehr  undeutlichen  Beschreibung  Gal- 
VAGNis  (S.  69)  zu  ersehen,  daß  dieser  Art  ein  dorsaler  Ast  des  Rücken- 
gefäßes und  die  zarten  Lateralgefäße  fehlen. 

Die  Gefäße  sind  mit  einer  schwach  gelben  Flüssigkeit  angefüllt. 
Ihre  Färbung  ist  von  verschiedener  Intensität:  zuweilen  ist  sie  tief 
genug,  um,  wie  gesagt,  den  Gefäßverlauf  an  lebenden  Individuen  ver- 
folgen zu  können;  zuweilen  ist  das  Blut  jedoch  vollkommen  farblos. 
Irgendwelche  Blutkörperchen  oder  sonstige  Gebilde  konnte  ich  in  dem 
Blut  nicht  wahrnehmen. 

Der  Bau  der  Gefäße  ist  ein  einfacher  (vgl.  Bergh,  1900).  Es  ist 
eine  sehr  dünne  Gefäßwand  vorhanden,  deren  Struktur  daher  nicht 
näher  zu  erkennen  war.  An  ihrer  Außenseite  findet  man  Zellen  mit 
ziemlich  großen  Kernen,  welche  nach  außen  vorgewölbt  sind,  also  nicht 
in  das  Gefäßlumen  hineinragen.  Wahrscheinlich  sind  das  Peritoneal- 
zellen,  welche  ja  alle  Organe,  die  in  der  Cölomhöhle  gelegen  sind,  über- 
ziehen (Fig.  21  Per).  Ein  Endothel  (Vasothel),  welches  Galvagni  bei 
Ct.  serratus  im  Bauchgefäß  fand,  muß  ich  bei  meiner  Art  entschieden 
verneinen. 

Der  Herzkörper  liegt  gewöhnlich  in  zwei  Segmenten,  nämlich 
im  vierten  und  fünften,  bzw.  im  fünften  und  sechsten,  oder  erstreckt 
sich  durch  drei  Segmente:  das  vierte  bis  sechste  (Fig.  1  HzK).  Er 
hat  die  Gestalt  eines  langen  wurstförmigen  Gebildes  mit  stielrundem 
und  überall  gleich  breitem  Querschnitt  und  abgerundeten  Enden.  Er 
ist  sehr  selten  gerade,  sondern  meist  schlangenartig  gewunden  und 
gebogen.  Zuweilen  wird  er  von  dem  Dissepiment  in  zwei  Teile  zerlegt 
(Fig.  22  Ds).  In  einem  Fall  war  er  sogar  in  vier  isolierte,  ungleich 
große  Teile  zerfallen. 


über  eine  neue  Ctenotlrilusait   und  ihre  Vcrniohrung.  557 

Mit  seiner  vorderen  Hälfte  liegt  der  Herzkörper  im  dorsalen  Ast 
des  Rückengefäßes;  die  hintere  Hälfte  befindet  sich  schon  im  Haupt- 
stamni  desselben.  In  diesem  Teile  legt  sich  der  Herzkörper  dicht 
an  die  Darmwand  an,  weil  auch  das  Rückengefäß  unmittelbar  über  dem 
Darm  verläuft  (Fig.  18).  Wahrscheinlich  hat  letzterer  Umstand  v.  Ken- 
NEL  eine  Verwachsung  des  Herzkörpers  mit  dem  Magendarm  vorge- 
täuscht. 

Das  Organ  ist  außen  von  einer  zarten  Membran  überzogen.  Im 
Innern  findet  man  beim  lebenden  Ct.  branchiatus  zahlreiche  runde 
Kügelchen  von  verschiedener  Größe,  welche  meist  hübsch  scharlach- 
rot sind,  weshalb  das  Organ  sehr  auffällt  (Fig.  22).  Bei  einigen  Indivi- 
duen geht  die  Farbe  ins  Bräunliche  oder  Hellrosa  über.  Bei  ziemlich 
vielen  Individuen  waren  die  Körnchen  dagegen  olivengrün  gefärbt. 
Sehr  selten  ist  der  Herzkörper  farblos. 

Für  den  Herzkörper  des  Ct.  serratus  geben  Galvagni  und  v.  Ken- 
NEL  eine  gelbliche,  Zeppelin  für  Ct.  monostylos  eine  schwärzliche 
Farbe  an. 

Beim  Zerdrücken  des  Tieres  treten  die  Körnchen  isoliert  durch 
die  zerrissene  Wand  des  Herzkörpers  hervor.  An  Schnitten  gewahrt 
man,  daß  der  Herzkörper  aus  einer  kompakten  Zellmasse  besteht,  in 
der  man  die  kleinen  Zellkerne,  die  sich  intensiv  färben,  unterscheidet 
(Fig.  17  HzkN).  Die  pigmentierten  Körnchen  erweisen  ,sich  als  Zell- 
einschlüsse. Bei  Behandlung  mit  verschiedenen  Reagenzien  (welche 
es  gerade  sind,  läßt  sich  schwer  sagen)  werden  sie  zerstört  und  an  ihren 
Stellen  bleiben  vacuolenähnliche  Räume  verschiedener  Größe  zurück 
(Fig.  17  Jcr).  Ähnliche  Verhältnisse  existieren  wahrscheinlich  auch 
bei  Ct.  monostylos,  denn  Zeppelin  beschreibt  den  Herzkörper  nicht  als 
solid,  sondern  als  von  »verschiedenen  Hohlräumen  durchzogen«. 

Bei  sehr  jungen  Tieren  ist  der  Herzkörper  anders  gebaut.  Hier 
erkennt  man  recht  scharfe  Zellgrenzen.  Die  Zellkerne  sind  größer  und 
mit  deutlichem  Chromatinnetz  versehen.  In  diesen  Fällen  fand  ich 
weder  irgendwelche  Einschlüsse,  noch  leere  Räume  im  Zellplasma 
(Fig.  18  u.  19). 

Über  die  Natur  der  Körnchen  vermag  ich  nichts  Bestimmtes  zu 
sagen,  glaube  jedoch,  daß  Guido  Schneiders  Meinung  (99)  der  Wahr- 
heit am  nächsten  kommt.  Er  schreibt  (S.  511):  »Es  will  mir  nämlich 
scheinen,  daß  die  grünlichgelben,  die  eisenhaltigen  und  andern  Körn- 
chen in  den  Herzkörperzellen  nichts  andres  als  aufgespeicherte  Reserve- 
nahrung sind,  ebenso  wie  die  fetthaltigen  Körnchen,  die  sich  durch 
Osmiumsäure  schwarz  färben,  und  daß  alle  diese  Körnchen,  ebenso 


558  Iwan  iSükolow, 

wie  in  den  Cliloragogenzellen,  direkt  von  dem  Protoplasma  gebildet 
werden  aus  flüssigen  Substanzen,  die  aus  dem  Blute  bezogen  werden. 
Das  Aussehen  und  gegenseitige  Verhältnis  der  Körnchen  bei  verschie- 
denen Individuen  ist  nämlich  ungleich,  was  aus  verschiedenen  Er- 
nährungszuständen erklärt  werden  kann.  Auch  die  Farbe  des  Herz- 
körpers wechselt  bei  derselben  Art.« 

Nephridien.  Wie  bei  den  andern  Ctenodnlus- Alten,  findet  man 
auch  hier  ein  Paar  Nephridien,  und  zwar  ventral  und  unmittelbar  hinter 
dem  ersten  Dissepiment,  wie  gewöhnlich  (Fig.  14  Nf).  An  lebenden 
Tieren  sind  sie  durch  schwach  grünlichbraune  Färbung  kenntlich. 
Sie  stellen  kleine  Säckchen  mit  kurzem  Ausführungsgang  dar.  Ihre 
Wände  erscheinen  ziemlich  dick,  besonders  im  Vergleich  zu  den  dünnen 
Wänden  der  Nephridien  von  Ct.  serratus.  Die  Zellen,  welche  die  Ne- 
phridien bilden,  sind  mit  deutlichen  Kernen  versehen,  ihre  Grenzen 
aber  vollkommen  verwischt.  Gewöhnlich  sieht  man  in  ihnen  kleine 
Excretkörnchen,  welche  die  braune  Färbung  bedingen  (Fig.  16). 

Das  Nephrostom  ist  mit  Wimpern  versehen,  deren  Bewegung 
nach  dem  Innern  des  Säckchens  ich  mehrmals  beobachtet  habe.  Das 
Nephrostom  führt  in  einen  Kanal,  der  sich  im  Nephridium  verschieden- 
artig krümmt  und  daher  an  Schnitten  immer  an  mehreren  Stellen  ge- 
troffen wird  (Fig.  16  Nfk).  Die  Kanalwände  sind  von  einem  festeren 
Gewebe,  welches  durch  intensivere  Färbung  hervortritt,  umgeben. 

Den  Nephroporus  glaube  ich  in  einem  Falle  gesehen  zu  haben. 
Überhaupt  sind  die  Einzelheiten  im  Bau  der  Nephridien  wegen  der 
Feinheit  und  Zartheit  der  Organe  sehr  schwer  zu  untersuchen.  Immer- 
hin bleibt  der  allgemeine  Bauplan  derselbe,  wie  bei  andern  Arten. 

Segmentierung  und  Cölom.  Bei  Tieren,  die  sich  nicht  ge- 
teilt haben,  beträgt  die  Zahl  der  Segmente  etwa  25 — 30,  zuweilen  auch 
mehr  (bis  36).  Sie  nähert  sich  also  der  Segmentenzahl  von  Ct.  mono- 
stylos  (20 — 25)  und  ist  ungefähr  doppelt  so  groß,  als  diejenige  der  beiden 
andern  Arten.  Am  breitesten  und  größten  sind  die  Segmente,  welche  den 
Magendarm  einschheßen.  Gegen  das  Hinterende  werden  sie  schmäler 
und  kürzer;  dementsprechend  nehmen  auch  die  Borsten  an  Zahl  und 
Größe  ab,  bis  sie  schließlich  in  den  letzten  drei  bis  vier  Segmenten, 
die  sozusagen  verkümmert  bleiben,  vollständig  fehlen. 

Der  Kopf  besteht  aus  zwei  Segmenten,  welche  innig  miteinander 
verschmolzen  sind:  dem  eigentlichen  Kopfsegment  und  dem  ersten 
Rumpfsegment.  Im  Kopfsegment  unterscheidet  man  deutKch  den 
prostomialen  und  den  metastomialen  (im  Sinne  Hatscheks)  Teil.  Im 
Abschnitt  über  die  Embryologie  werden  wir  sehen,  daß  die  Segmen- 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  559 

tierung  des  Kopfes  in  der  Ontogenie  deutlich  zutage  tritt,  da  die  Seg- 
mente durch  ein  Dissepiment,  welches  nachher  gänzlich  schwindet, 
voneinander  getrennt  erscheinen. 

Bei  erwachsenen  Individuen  ist  die  Kopfsegmentierung  noch  teil- 
weise nachweisbar,  trotz  des  Schwindens  des  Dissepiments.  Erstens 
finden  wir  einen  schroffen  Übergang  vom  mehrschichtigen  Hautepithel 
des  Kopflappens  in  das  einschichtige  der  Dorsalseite  des  Kopfes,  welche 
Stelle,  meiner  Ansicht  nach,  gerade  auf  die  Grenze  zwischen  den  beiden 
Segmenten  hindeutet.  Sodann  kommen  dem  Kopfe  zwei  Ganglien 
zu.  Über  das  eine,  welches  im  Kopflappen  liegt  und  das  obere  Schlund- 
ganglion vorstellt,  kann  kein  Zweifel  sein,  daß  es  dem  Kopfsegment 
angehört.  Das  andre  Ganglion  befindet  sich  auf  der  ventralen  Seite 
immittelbar  vor  dem  ersten  erhalten  bleibenden  Dissepiment.  Gerade 
diese  ventrale  Lage,  die  Entstehung  und  der  ähnliche  Bau  (es  besteht 
eigentlich  aus  zwei  Paaren  von  Ganglien)  mit  den  übrigen  Ganglien 
der  Bauchnervenkette,  veranlassen  uns  es  als  das  erste  Ganglion  (-Paar) 
der  Bauchnervenkette  anzusehen  und  somit  zum  ersten  Rumpfseg- 
ment zu  rechnen. 

Dasjenige  Segment,  in  welchem  nun  die  beiden  Nephridien  liegen, 
wäre  dann  das  zweite  Rumpfsegment.  Derselben  Meinung  ist  auch 
Galvagni  (vgl.  S.  67,  wo  man  auch  eine  Kritik  der  Ansichten  andrer 
Autoren  über  die  Kopf  segmentierung  der  Ctenodrilen  findet). 

Die  Cölomhöhle  ist  mit  Peritonealzellen  ausgekleidet.  Diese 
Zellen  überziehen  die  Dissepimente  und  alle  Organe,  welche  in  der 
Cölomhöhle  liegen. 

Von  irgendwelchen  Cölomkörperchen,  welche  bei  allen  andern 
Ctenodrilen  so  zahlreich  vorkommen,  konnte  ich  bei  Ct.  branchiatus 
keine  Spur  finden.  Nur  für  den  einen  Fall  bin  ich  nicht  ganz  sicher, 
wo  ich  beim  Zerdrücken  eines  Individuums  runde  Zellen  aus  dem 
Körper  hervortreten  sah,  welche  eine  große  Älmlichkeit  mit  den  Cölom- 
körperchen hatten. 

Das  Cölom  des  Kopflappens  wird  von  zahlreichen  Muskelfasern 
in  verschiedenen  Richtungen  durchzogen,  ganz  wie  bei  andern  Cteno- 
drilen. Diese  Stränge  sind  mit  deutlichen  Kernen  versehen  (Fig.  20 
u.  6QMZ). 

Das  Nervensystem.  Der  Bau  des  Nervensystems  ist  bei  Ct. 
branchiatus  in  manchen  Beziehungen  ein  andrer,  als  bei  den  bisher 
beschriebenen  Arten,  obgleich  es  im  allgemeinen  nach  demselben 
Schema  entwickelt  ist. 

Wir   finden    ein    unpaares    oberes    Schlundganglion,    welches    im 


560  Iwan  Sokolow, 

Längsschnitt  ungefähr  oval  (Fig.  14  u.  66  KG),  im  Querschnitt  läng- 
lich-halbmondförmig erscheint  (Fig.  20  K  G)  und  zu  beiden  Seiten  längs 
der  Kopf  wand  je  eine  Commissur  bis  zum  ersten  Bauchganglion  schräg 
nach  unten  entsendet.  Das  Cerebralganglion  liegt  nicht,  wie  bei  andern 
Ctenodrilen  vollständig  in  der  Hypodermis,  sondern  ist  mit  derselben 
nur  dorsal  vereinigt,  so,  daß  seine  ganze  Masse  frei  in  die  Kopf  lappen- 
höhle hineinragt.  Deshalb  schimmert  es  bei  lebenden  Exemplaren 
sehr  deutlich  durch  die  Haut  des  Kopflappens  durch  (Fig.  14). 

Das  erste  Bauchganglion  liegt  unmittelbar  vor  dem  ersten  Disse- 
piment  und  fast  völlig  in  der  Hypodermis.  Caudalwärts  finden  wir 
in  jedem  Segment,  und  zwar  immer  in  dem  hinteren  Teil,  je  ein  Bauch- 
ganglion. Die  Bauchgangiien  sind  eigentlich  jedes  aus  einem  Knoten- 
paar hervorgegangen,  denn  erstens  findet  sich  in  ihrer  Medianebene 
stets  eine  Einschnürung,  zweitens  ist  jedes  Ganglion  mit  dem  vorher- 
gehenden und  dem  nachfolgenden  immer  durch  zwei  Commissuren 
verbunden.  Diese  Commissuren  können  oft  sehr  weit  voneinander 
abstehen  (Fig.  10  u.  60  N S).  Somit  haben  wir  es  hier  mit  einem  soge- 
nannten   Strickleiternervensystem   zu   tun. 

Auch  das  Nervensystem  von  Ct.  serratus  scheint  nach  demselben 
Plan  gebaut  zu  sein.  Die  »ependyma tischen  Fasern«  Galvagnis, 
welche  den  Nervenstrang  auf  Querschnitten  in  zwei  bzw.  drei  Teile 
zerlegten,  stellen  meiner  Meinung  nach  sehr  wahrscheinlich  Grenzen 
zwischen  den  Commissuren  dar.  Außerdem  habe  ich  an  meinen  Präpa- 
raten von  Ct.  serratus  deutlich  die  beiden  Längscommissuren,  zwischen 
denen  jedoch  nur  ein  sehr  kleiner  Zwischenraum  blieb,  beobachtet. 
Auch  Zeppelin  beschreibt  derartiges  bei  Ct.  moyiostylos :  >>  auf  einigen 
sehr  dünnen  Schnitten  schien  es  mir,  als  ob  das  Bauchmark  aus  zwei 
Strängen  zusammengeschmolzen  wäre,  in  der  Mitte  war  eine  feine 
Membran  sichtbar«  (S.  631). 

Wenn  im  vorigen  die  Rede  von  Ganglien  war,  so  sind  es  doch  nur 
Verdickungen  des  doppelten  Bauchnervenstranges,  in  denen  aber 
keinerlei  weitere  Differenzierungen  vorkommen.  Das  ganze  Nerven- 
system besteht  aus  einer  >>f ibrillären  Punktsubstanz  <<,  wie  sie  Galvagni 
zutreffend  charakterisiert  hat.  Ependymatische  Fasern  aber,  welche 
er  beschreibt,  konnte  ich  nicht  einmal  bei  der  Färbung  mit  Eisen- 
hämatoxylin  nach  Heidenhain  auffinden. 

Was  den  Ganglienbelag  betrifft,  den  v,  Kennel  (S.  381)  und  Zep- 
pelin (S.  631)  erwähnen,  so  vermochte  ich  ihn  ebenfalls  nicht  nach- 
zuweisen. Zellen,  welche  das  Nervensystem  unmittelbar  umgeben, 
unterscheiden  sich  durch  nichts  von  den  gewöhnlichen  Hypodermiszellen. 


über  eine  neue  Ctenodrihisavt  und  ihre  Vermehrung.  5()1 

Sinnesorgane.  Sehr  charakteristisch  ist  für  die  Form  Ä,  im 
Gegensatz  zu  B,  das  vollkommene  Fehlen  der  Augen,  wie  das  bei  allen 
Ctenodrilus-Arten  die  Regel  ist. 

Auf  jeder  Seite  des  Kopflappeus  findet  sich  eine  Vertiefung,  welche 
im  Grunde  mit  Cilien  besetzt  ist.  Das  sind  die  sogenannten  Riech - 
gruben.  Sie  liegen  sehr  nahe  bei  der  Stelle,  wo  die  beiden  Schlund- 
commissuren  sich  vom  Cerebralganglion  abzweigen.  Sie  stellen  ziemlich 
tiefe  Einsenkungen  im  Kopfepithel  dar  (Fig.  24).  Dem  Boden  der 
Vertiefung  sitzen  lange  Wimpern  auf,  welche  aber  die  Höhe  der  Wand 
nicht  übertreffen.  Von  dem  Boden  ziehen  sich  durch  das  Epithel  be- 
sondere Stränge,  welche  an  Präparaten  dunlder  tingiert,  aber  im  all- 
gemeinen sehr  undeutlich  erscheinen  (Fig.  24  n).  Sie  treten  wahrschein- 
lich an  das  Kopfganglion  heran  und  sind  als  Nerven  im  Dienste  dieser 
Sinnesorgane  zu  deuten. 

Gonaden.  Den  früheren  Forschern  gelang  es  nicht  irgendwelche 
Andeutungen  von  Geschlechtsorganen  zu  finden. 

Dies  erklärt  sich  dadurch,  daß  die  Gonaden  keine  ständigen  Organe 
der  Ctenodriliden  sind,  sondern  höchstwahrscheinlich  nur  in  einer 
bestimmten  Lebensperiode  und  in  einer  bestimmten  Jahreszeit  auf- 
treten. Außerdem  war  über  die  Hälfte  der  Beobachtungen  an  Tieren 
gemacht,  welche  unter  künstlichen  Bedingungen  lebten  und  dabei  die 
Autotomie  der  geschlechtlichen  Vermehrung  bevorzugten.  Nur  Monti- 
CELLi  glückte  es  1907,  bei  Ct.  serratus  nicht  nur  geschlechtsreif e  Indi- 
viduen, sondern  auch  die  embryonale  Entwicklung  zu  beobachten. 
Leider  gab  er  in  seiner  vorläufigen  Mitteilung  eine  zu  kurze  Beschrei- 
bung, als  daß  man  sich  von  der  Sache  ein  klares  Bild  machen  könnte. 

Er  fand  nämlich  gleichzeitig:  1)  dicke,  schwangere  (grossi)  und 
kurze,  angeschwollene  Individuen,  die  mit  Larven  auf  verschiedenen 
Entwicklungsstadien  völlig  angefüllt  waren. 

2)  etwas  kleinere,   die  in  reger  Autotomie  begriffen  waren. 

3)  kleine  Individuen  und  junge  (giovani). 

4)  solche,  welche  ähnlich  1)  und  verschieden  von  2)  waren,  aber 
ohne  Larven.  Diese  waren  geschlechtliche  Individuen  mit  ziemlich 
großen  Gonaden  und  den  Anfangsstadien  der  Eibildung  (sessuati). 

Sowohl  4)  als  auch  1)  waren  auf  ihrem  ganzen  Körper  bewimpert, 
was  bis  jetzt  weder  bei  Ct.  serratus  noch  bei  den  andern  Arten  konsta- 
tiert war.  Bei  2)  und  3)  fehlte  das  Wimperkleid.  Monticelli  meint, 
daß  dieser  Umstand  wahrscheinlich  in  Beziehung  zur  Sexualität  steht. 

Vergleicht  man  nun  das  Gesagte  mit  meinen  Befunden  an  Ct. 
hranchiatus,    so    muß    ich   zunächst    jegliches    Wimperkleid    bei    dem 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  37 


562  Iwan  Sokolow, 

letzteren  vollkommen  leugnen.  Bei  Ct.  hrancliiatus  fehlt  sogar,  wie  wir 
schon  gesehen  haben,  das  Wimperfeld  an  der  ventralen  Fläche  des 
ersten  und  des  zweiten  Segmentes,  was  für  andre  Ctenodrilen  von  den 
Autoren  übereinstimmend  beschrieben  wird  (v.  Kennel,  Zeppelin, 
Galvagni).  Unsre  Art  verliert  beim  Übergang  in  die  Form  A,  die 
allein  sexuell  sein  kann,  sogar  die  Wimperreife,  welche  sie  als  Form  B, 
besitzt. 

Außerdem  sagt  Monticelli  nichts  Näheres  von  den  Gonaden, 
weder  von  ihrer  Beschaffenheit,  noch  von  ihrer  Lage  im  Körper.  Ob 
sich  ihr  Bau  demjenigen  von  Ct.  hranchiatus  als  ähnlich  erweisen  wird, 
dürfte  man  erst  aus  der  ausführlicheren  Beschreibung  von  Monticelli 
schließen  können. 

Zunächst  werde  ich  die  Tiere  mit  männlichen  Gonaden  und  die 
mit  weiblichen  gesondert  betrachten,  da  ich  auch  nur  eingeschlecht- 
liche Individuen  fand.  Da  jedoch  Monticelli  Ct.  serratus  als  einen 
protandrischen  Hermaphroditen  beschreibt,  bei  dem  die  männlichen 
Geschlechtsprodukte  sich  zuerst  entwickeln,  so  ist  dasselbe  auch  für 
unsre  Form  höchst  wahrscheinlich,  obgleich  mir  die  nötigen  Beobach- 
tungen   vollkommen  fehlen. 

Bei  Ct.  hranchiatus  haben  die  Gonaden  den  möglichst  einfachen 
Bau.  Wir  finden  hier  weder  differenzierte  Geschlechtsdrüsen,  noch 
Geschlechtswege,  geschweige  Copulationsorgane.  Es  sind  einzelne 
Zellen  im  Peritoneum,  welche  durch  Heranwachsen  und  entsprechende 
Teilungen  die  Geschlechtsprodukte  liefern,  die  dann  frei  im  Cölom 
Hegen. 

Hierbei  ist  eine  Regel  zu  beobachten.  Nicht  ein  jedes  Segment 
kann  Gonaden  bilden,  sondern  man  findet  eine  strenge  Lokalisation, 
indem  das  siebente  Rumpfsegment  vorwiegend  zur  Bildung  der  Sexual- 
produkte bestimmt  ist.  Natürlich  kommen  auch  hier  gewisse  Schwan- 
kungen vor.  So  fand  ich  z.  B.  verschiedene  Stadien  der  Spermatogenese 
auch  in  den  angrenzenden  Segmenten,  also  im  sechsten  und  im  achten. 
Die  weibliche  Gonade  kann  zuweilen  auch  ihre  Lage  ändern  und  im 
achten  Segment  (oder  bei  größerer  Ausdehnung  gleichzeitig  im  siebenten 
und  achten)  auftreten.  Im  allgemeinen  aber  bleibt  doch  das  siebente 
Segment  der  Hauptherd  für  die  Bildung  der  Geschlechtsprodukte. 

Irgendwelche  Veränderungen  am  Körper  derjenigen  Individuen, 
welche  Gonaden  in  sich  bargen,  ließen  sich  nicht  nachweisen.  Doch 
standen  solche  Formen  (A)  gewöhnlich  auf  dem  Höhepunkt  ihrer  Ent- 
wicklung, zeigten  nämlich  die  maximale  Länge  und  die  volle  Segmenten- 
zahl.    (Vom   Fehlen   der    Bewiraperung  war  vorher  die   Rede.)     Die 


über  eine  neue  Ctenodrilusart   und  ihre  Vermehrung.  563 

Umkehrung  des  Falles  ist  aber  niclit  immer  richtig:  man  kann  typische, 
wohl  entwickelte  Individuen  der  Form  A  finden,  bei  welchen  keine 
Spur  von  Gonaden  zu  erkennen  ist. 

Männliche  Gonaden  und  Spermatogenese.  Die  Zahl  der 
männlichen  Tiere,  die  ich  fand,  blieb  hinter  der  weiblichen  sehr 
zurück:  auf  50  Weibchen  kamen  nur  etwa  sechs  bis  sieben  Männchen. 

Wenn  wir  zwar  viele  Organismen  kennen,  bei  welchen  die  Zahl  der 
Weibchen  diejenige  der  Männchen  weit  übertrifft,  so  ist  es  doch  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  Ct.  hranchiatus  ebenso  wie  Ct.  serratus  (Monti- 
CELLi)  protandrisch-hermaphroditisch  ist  und  daß  zur  Zeit  meiner 
Beobachtung  (Oktober)  die  Bildung  der  männlichen  Geschlechtspro- 
dukte schon  beinahe  aufgehört  hatte.  Für  letztere  Annahme  spricht 
auch  der  Umstand,  daß  es  ganz  unbegreiflich  bleibt,  wie  die  Befruch- 
tung bei  vollkommenem  Fehlen  der  Geschlechtswege  anders  zustande 
kommen  könnte,  als  durch  Zusammentreffen  der  Geschlechtsprodukte 
eines  und  desselben  Individuums. 

Da  man  in  einem  männlichen  Ct.  hranchiatus  gleichzeitig  fast  alle 
Stadien  der  Spermatogenese  vorfindet,  so  konnte  ich  letztere  in  ihren 
Hauptzügen  verfolgen. 

Im  Peritonealepithel  findet  man  größere  (6  u)  Zellen  von  ovaler 
Gestalt,  mit  einem  großen  Kern.  Sie  können  an  verschiedenen  Stellen 
der  Somatopleura  entstehen:  dorsal,  lateral,  vorwiegend  aber  ventral. 
Auch  am  ventralen  Teil  der  beiden  Dissepimente,  welche  das  siebente 
Segment  begrenzen,  wurden  sie  von  mir  aufgefunden  (Fig.  27  S).  Diese 
Zellen  sind  Spermatoblasten.  Durch  Teilung  bilden  sie  eine  kleine 
Gruppe  von  Zellen,  die  sich  jedoch  nicht  gänzlich  voneinander  trennen, 
sondern  in  der  Mitte  vereinigt  bleiben  (Fig.  28).  Man  bekommt  somit 
eine  Spermatogemme,  deren  periphere  Zellen  Spermatogonien  und  der 
centrale  Teil  ein  Cytophor  darstellt.  Die  Bildung  des  Cytophors  wurde 
bei  manchen  Anneliden  {Lumbricus,  Branchiohdella,  CliteUio,  Enchy- 
traeoides  u.  a.),  Turbellarien,  einigen  Mollusken  u.  a.  beobachtet  und 
steht  in  Einklang  mit  dem,  was  auch  bei  Ct.  hranchiatus  vor  sich  geht 
(vgl.  u.  a.  Jensen,  Calkins,  Voigt,  Roule). 

Die  Spermatogonien,  welche  einen  unregelmäßigen,  meist  einen 
länglichen  Kern,  der  sich  sehr  intensiv  färbt,  besitzen  (Fig.  28  u.  29), 
teilen  sich  weiter  und  werden  schließlich  zu  Spermatocyten  (Fig.  31). 
Unterdessen  hat  sich  das  Cytophor  beträchtlich  vergrößert,  und  die 
ganze  Spermatogemme  mißt  ungefähr  20  ii  im  Durchschnitt.  Durch 
weitere  Vermehrung  der  Spermatocyten  erreicht  sie  bis  über  30«.  Es 
kann  zuweilen  auch  vorkommen,   daß  die  Spermatogemme  sich  teilt 

37* 


564  Iwan  Sokolow, 

und  in  mehrere  selbständige  zerfällt.  Eine  solche  Zweiteilung  sieht 
man    auf  der  Fig.  30. 

Die  Spermatocyten  sind  ursprünglich  oval  imd  verhältnismäßig 
reich  an  Protoplasma,  sowie  mit  einem  großen  Kern  versehen.  Mit 
der  weiteren  Vermehrung  werden  sie  immer  protoplasmaärmer;  ihr 
Kern  wird  nach  und  nach  immer  länglicher,  worauf  sie  anfangen  sich 
vom  Cytophor  allmählich  abzuschnüren.  Die  Protoplasmaschicht  um  den 
Kern  wird  äußerst  dünn,  und  die  Spermatocyten  sind  im  Umwandlungs- 
prozeß in  die  Spermatozoen  begriffen.  Mit  ihrem  proximalen  Ende 
bleiben  sie  an  die  Oberfläche  des  Cytophors  befestigt,  der  nunmehr 
eine  vollkommen  runde  Gestalt  angenommen  und  eine  dünne  Membran 
erhalten  hat.  Das  distale  Ende  der  Spermatocyten  zieht  sich  in  eine 
Spitze  aus  (Fig.  32),  welche  immer  dünner  imd  länger  wird  (Fig.  33 
VI.  34),  je  mehr  sich  der  ganze  Körper  verdünnt. 

Schließlich  wird  der  letztere  fadenförmig  und  zum  Spermatozoon. 
Die  Spermatozoen  bleiben  noch  einige  Zeit  mit  dem  Cytophor  ver- 
bunden, indem  sie  in  der  Art  einer  dichten  Quaste  an  einem  Teil  des 
Cytophors  haften  (Fig.  35).  Dann  fallen  sie  ab  und  bewegen  sich  frei 
in  der  Leibeshöhle.  Das  Cytophor  degeneriert  hierauf  wahrscheinlich. 
Ich  möchte  noch  zufügen,  daß  das  Cytophor  mit  Kernsubstanz  ver- 
sehen zu  sein  scheint,  da  ich  in  mehreren  Fällen  mit  Safranin  dunkel 
(andre  Färbungen  konnte  ich  wegen  Materialmangel  nicht  vornehmen) 
gefärbte  Massen  in  ihm  deutlich  gesehen  habe  (Fig.  36). 

Lebende  Spermatozoen  habe  ich  nicht  beobachtet,  so  daß  ich 
weder  ihre  Größenverhältnisse  noch  ihre  Gestalt  genau  beschreiben 
kann.  Soweit  es  mir  aber  gelang,  an  Schnitten  Messungen  vorzunehmen, 
taxiere  ich  die  Länge  eines  Samenfadens  auf  ungefähr  40  //.  Das  Köpf- 
chen ist  von  dem  Schwanzfaden  nicht  scharf  geschieden,  sondern 
bildet  nur  eine  Verdickung  am  vorderen  Ende  (Fig.  37). 

Weibliche  Gonaden.  Es  gelang  mir  nicht  die  Ovogenese  ebenso 
ausführlich  zu  verfolgen,  wie  die  Spermatogenese. 

Es  muß  eine  ganze  Anzahl  von  Ovoblasten  entstehen,  welche  bei 
ihrer  fortgesetzten  Teilung  zahlreiche  Oogonien  bilden.  Als  solche 
fasse  ich  Zellen  auf,  die  mit  einem  größeren  Kern  versehen  sind,  und 
mit  einem  langen  Fortsatz  am  Peritoneum  befestigt  bleiben  (Fig.  23  Og). 
Ihre  Verteilung  ist  eine  derartige,  daß  sie  hauptsächlich  den  ventralen 
Teil  des  Cöloms  erfüllen  und  mehr  oder  weniger  symmetrisch  um  das 
Bauchgefäß  gelagert  sind.  Sie  nehmen  zuweilen  die  ganze  Cölom- 
höhle  des  siebenten  Segmentes  ein  und  sind  oft  nachzuweisen,  wenn 
schon  der  Embryo  sich  zu  entwickeln  begonnen  hat. 


über  eiue  neue  Cteuodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  565 

Wie  die  Ovogenese  weiter  verläuft,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Wie 
das  auch  sein  mag,  ich  fand  neben  den  Oogonien  sehr  große  Zellen, 
welche  sich  als  Eier  ergaben.  Letztere  haben  eine  unregelmäßige, 
meist  ovale  oder  etwas  eckige  Gestalt.  Ihre  Kerne  sind  oval,  sehr  groß, 
bis  14  u  lang  und  11  //  breit,  und  mit  einem  deutlichen  Chromatinnetz 
versehen.  Außerdem  ist  immer  ein  homogener  und  sich  stark  färbendei 
Nucleolus,  von  etwa  4  u  Durchmesser,  anwesend  (Fig.  25).  Das  Plasma 
erscheint  fein  granuliert. 

Die  Zahl  der  Eier  in  einem  Individuum  ist  verschieden;  zuweilen 
beläuft  sie  sich  auf  nur  3 — 4,  zuweilen  bis  auf  etwa  20.  Niemals  aber 
treten  sie  so  massenhaft  auf,  wie  das  Monticelli  bei  Ct.  senatus  be- 
schreibt. 

Individuen,  welche  einen  Embryo  enthalten,  zeigen  daneben  ge- 
wöhnlich auch  unbefruchtete  Eier  (Fig.  60  u.  62  £'Z).  Anderseits 
scheinen  Fälle  vorzukommen,  wo  nur  eine  einzige  Eizelle  gebildet 
wird,  was  wir  daraus  schließen  müssen,  daß  man  zuweilen  sehr  junge 
Embryonen  in  der  Körperhöhle  findet,  an  deren  Wänden  keine  Spur 
von  weiteren  Eizellen  zu  sehen  ist. 

Sehr  charakteristisch  erscheint,  daß  die  Eier,  wie  erwähnt,  in 
unmittelbarer  Nähe  des  Bauchgefäßes  gelagert  sind,  und  zwar  so,  daß 
sie  dasselbe  meist  allseitig  umfassen  (Fig.  26). 

Form  B. 

Im  allgemeinen  bietet  diese  Form  fast  dieselben  anatomischen 
Verhältnisse,  wie  die  Form  A  dar.  Doch  läßt  sie  sich  durch  nach- 
folgende Eigentümlichkeiten  sofort  von  den  übrigen  Formen  unter- 
scheiden. 

1)  besitzt  sie  ein  Paar  Augen; 

2)  finden  sich  an  ihren  Rumpf  Segmenten  besondere  lange  Anhänge, 
zu  zwei  auf  den  meisten  Segmenten; 

3)  trägt  jedes  Segment  auf  seinem  vorderen  Rande  einen  Kranz 
langer  Wimpern. 

Ein  andrer,  weniger  mchtiger  Unterschied  besteht  darin,  daß  die 
Borsten  bei  B  im  allgemeinen  kürzer,  auch  etwas  gröber  und  schwach 
S-förmig  gekrümmt  sind. 

Noch  möchte  ich  hinzufügen,  daß  die  öldrüsenzellen  bei  B  häufiger 
zu  beobachten  sind  als  bei  A.  Sie  haben  eine  hübsche  grüne  oder 
braune  Farbe,  liegen  zerstreut  über  den  ganzen  Körper  und  •  bilden 
reichere  Anhäufungen  an  den  Kiemenanhängen,  dem  Anallappen  und 
am  äußersten  Ende  des  Kopflappens. 


566  Iwan  Sokolow, 

Wenn  ich  noch  bemerke,  daß  der  Körper  der  Form  B  etwas  kürzer 
und  schlanker  ist  als  der  von  A,  so  sind  alle  ihre  Unterschiede  erwähnt, 
und  es  bleibt  mir  im  nächsten,  um  Wiederholimgen  zu  vermeiden,  nur 
nötig,  auf  die  obengenannten  drei  Hauptpunkte  etwas  näher  einzugehen. 

Die  Augen,  deren  Fehlen  bei  unsrer  Form  A  und  bei  allen  andern 
Ctenodrilen,  wie  ich  es  schon  hervorhob,  eine  feste  Regel  ist,  treten 
bei  der  Form  B  als  konstantes  Merkmal  auf. 

Sie  liegen  in  Form  von  ziemlich  großen  (12  /t),  etwas  ovalen 
schwarzen  Flecken  zu  beiden  Seiten  des  Kopflappens,  und  zwar  fast  auf 
demselben  Querschnitt  mit  dem  Kopfganglion  (Fig.  14  Au).  Jedes 
Auge  besteht  aus  einer  Anhäufung  von  dunkelbraunen  oder  schwarzen 
Pigmentkügelchen,  die  beim  Zerdrücken  leicht  auseinander  gehen. 
Weitere  histologische  Details  blieben  mir  unklar.  Wahrscheinlich 
stehen  die  Augen  durch  besondere  Nerven  mit  dem  Cerebralganglion 
in  Verbindung. 

Hier  möchte  ich  noch  erwähnen,  daß  die  beiden  Riechgruben 
auch  der  Form  B  zukommen. 

Wimperkränze.  Die  Wimpern  sind  in  einen  ziemlich  breiten 
Streifen  angeordnet,  welcher  den  Vorderrand  jedes  Körpersegmentes 
in  der  Art  eines  Gürtels  umzingelt.  Der  Gürtel  ist  eigentlich  nicht 
vollständig,  da  er  am  Rücken  unterbrochen  ist. 

Die  Wimpern  sind  ziemlich  dick  und  lang  (Fig.  50)  imd  in  steter, 
jedoch  nicht  sehr  rascher  Bewegung.  Bei  einem  gesunden  Tier  sind 
sie  gewöhnlich  nach  vorn  gerichtet,  dabei  S-förmig  gebogen  (Fig.  52) 
und  schlagen  nach  hinten.  Bei  absterbenden  Individuen  hört  die  Be- 
wegung allmählich  auf,  und  die  Wimpern  sind  erschlafft  nach  hinten 
gerichtet  (Fig.  49). 

An  Schnitten  sieht  man,  daß  die  Epithelzellen,  welche  die  Wimpern 
tragen,  stark  verändert  sind  im  Vergleich  mit  den  übrigen  Hypodermis- 
zellen.  Sie  sind  viel  größer,  höher  und  mit  einem  entsprechend  großen, 
meist  ellipsoiden  Kern,  in  dem  man  einen  Nucleolus  sieht,  versehen 
(Fig.  51).  Das  Chromatinnetz  des  Kernes  bildet  wenige,  aber  große 
Maschen.  Zwischen  den  basalen  Teilen  der  Wimpern-tragenden  Zellen 
findet  man  große  Vacuolen.  Letztere  sieht  man  bei  absterbenden 
Tieren  in  Form  von  hellen  Bläschen  zu  beiden  Seiten  jedes  Segmentes 
(Fig.  49  Vac). 

Diese  Vacuolen  erinnern  lebhaft  an  ähnliche  Gebilde  der  Wimper- 
kränze  der  TrocJwphora-Laxven  (vgl.  Hatschek,  78)  und  sind  wahr- 
scheinlich auch  mit  einer  Nährflüssigkeit  erfüllt,  die  für  die  Wimpern 
gewissermaßen  einen  Energievorrat  darstellen. 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  507 

Beim  Vergleich  der  Arbeit  Haeckers  über  >>  Pelagische  Polychäten- 
larven«  (96)  fiel  mir  sofort  eine  große  Ähnlichkeit  im  histologischen 
Bau  der  Kerne  der  Wiraperzellen  von  Ct.  branchiatus  mit  solchem  der 
Wimperzellen  mancher  pelagischen  Polychätenlarven  aufi. 

Überhaupt  ist  eine  Ähnlichkeit  der  Wimperkränze  von  Ct.  bran- 
chiatus mit  denen  mancher  Annelidenlarven  nicht  zu  verkennen.  Wie 
wir  wissen,  existiert  eine  ganze  Reihe  polytrocher  AnneHdenlarven, 
bei  denen  die  Anordnung  der  AVimperreife  ungefähr  dieselbe  ist  wie 
in  unserm  Fall.  Anderseits  kennt  man  auch  Formen,  so  Ophryotrocha 
piierilis  (Clp.  u.  Metschn.),  Dinophilus  usw.,  welche  dauernd  Wimper- 
reife besitzen.  Solche  Formen  werden  von  manchen  Forschern,  u.  a. 
von  A.  Lang  (03)  als  neotenische  angesehen,  d.  h.  als  solche,  die  trotz 
der  Geschlechtsreife  in  vielen  Beziehungen  die  larvalen  Charaktere  er- 
halten haben.  Dies  alles  veranlaßt  uns,  auch  die  Wimperreife  des  Ct. 
branchiatus  als  von  larvaler  Natur  anzusehen,  zumal  sie  schon  ver- 
hältnismäßig frühzeitig  am  Embryo  auftreten  und  außerdem  beim 
Übergang  in  die  Form  A  rückgebildet  werden. 

Die  Kiemen  anhänge  (Fig.  38  KA)  sind  besondere  lange  Gebilde, 
welche  gegen  das  distale  Ende  etwas  kolbenartig  erweitert  sind  und 
mit  dem  dünneren  proximalen  sich  an  die  Körperwand  befestigen. 
An  einem  Segment  sitzt  immer  ein  Paar. 

Ihre  Anzahl  variiert  je  nach  dem  Alter  des  Tieres,  indem  bei 
jüngeren  Individuen  die  Anhänge  der  hinteren  Segmente  erst  in  Bildung 
begriffen  sind,  bei  den  älteren,  wiederum,  allmählich  vom  Körper  ab- 
zufallen beginnen.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  vermehrt  sich 
aber  die  Zahl  der  Kiemenanhänge  bis  auf  15 — 21  Paar. 

Die  Kiemenanhänge  sitzen  subdorsal  zu  beiden  Seiten  jedes 
Segmentes,  vom  dritten  oder  vierten  Rumpfsegment  angefangen.  Dem 
zweiten  Rumpfsegment  und  den  hinteren  fehlen  sie  immer.  Die  An- 
heftungsstelle  liegt  in  der  hinteren  Hälfte   der   Segmente. 

Die  Größe  der  Kiemenanhänge  ist,  je  nach  der  Lage  in  verschie- 
denen Segmenten,  verschieden.  Die  größten  von  ihnen  tragen  die 
vordersten  Segmente  (am  längsten  ist  jedoch  nicht  das  erste   Paar, 


1  Ich  erlaube  mir,  die  Stelle  zu  zitieren:  »Die  Kerne  dieser  Elemente  zeigen 
im  großen  Ganzen  den  oben  geschilderten  Vollkernhabitus,  sie  sind  von  beträcht- 
licher Größe  und  regelmäßiger  kugeliger  oder  ellipsoidischer  Form,  der  Kernsaft 
ist  schwach  tingierbar,  der  in  Einzahl  vorhandene  Kernkörper  ist  von  runder 
Gestalt,  dunkel  färbbar  und  »vacuolen  «-haltig  und  zeigt  so  das  Aussehen  eines 
Hauptnucleolus «,  die  chromatische  Substanz  endlich  ist  häufig  auf  einige  wenige 
lange,  den  Hauptnucleolus  einschließende  Fadenzüge  verteilt  (S.  128)«. 


568  Iwan  Sokolow, 

sondern  das  dritte  oder  vierte).  Je  weiter  nach  hinten,  desto  kürzer 
werden  sie.  Ein  mittelgroßer  Kiemenanhang  mißt  gewöhnlich  nicht 
ganz  1  mm;  doch  beobachtete  ich  einmal  einen,  der  im  gestreckten 
Zustande  1,3  mm  lang  war  (ein  Drittel  der  maximalen  Länge  eines 
Ct.  branchiatus,  Fig.  74), 

Jeder  Anhang  ist  ein  Auswuchs  der  Körperwand,  worüber  ich 
weiter  genauer  sprechen  werde.  Seine  Oberfläche  besteht  aus  hohen 
cylindrischen  Epithelialzellen,  die  mit  Cuticula  bedeckt  sind.  Die 
Zellen  sind  auch  an  lebenden  Tieren  deutlich  erkennbar  und  zeigen 
in  Flächenansicht  ein  Mosaikbild  (Fig.  41).  Zwischen  ihnen  sind  kleinere 
Zellen  eingeschaltet,  nämlich  öldrüsenzellen.  Unter  der  Basalmembran 
sind  Längsmuskelfasern  gelagert,  welche  sehr  fein  sind,  wie  alle  Muskel- 
fasern des  Tieres,  und  daher  nicht  immer  gut  erkennbar.  Gewöhnlich 
beobachtet  man  sie  gut  an  teils  zerquetschten  oder  halbabgerissenen 
(Fig.  48  MZ)  Kiemenanhängen.  Die  Anzahl  der  Längsmuskelfasern 
ist  nicht  groß.  In  einem  Fall  zählte  ich  deren  vier.  An  Querschnitten 
sieht  man  gewöhnlich  nur  zwei  (Fig.  43  MZ). 

Diesen  Muskeln  verdanken  die  Kiemenanhänge  das  Vermögen, 
gewisse  Bewegungen  auszuführen.  Sie  können  sich  nach  verschiedenen 
Seiten  biegen  (Fig.  40,  wobei  an  der  Oberfläche  Falten  entstehen),  sich 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  zusammenrollen,  leicht  zucken,  sich  schwach 
strecken  und  verkürzen  usw.  Während  der  Bewegungen  des  Tieres 
werden  sie  nach  hinten  zurückgebogen  und  legen  sich  an  die  Körper- 
wand, um  der  Bewegung  kein  Hindernis  zu  bieten. 

Im  Innern  des  Kiemenanhanges  findet  sich  ein  Hohlraum  (Fig.  43 
u.  46  Cöl),  dessen  Wand  mit  Zellen  belegt  ist.  Letztere  stellen  eigent- 
lich nichts  andres  dar,  als  Peritonealzellen,  welche  in  den  Kiemenanhang 
eingewandert  sind  (Fig.  46  Per). 

Am  distalen  Ende  jedes  Kiemenanhanges,  und  zwar  nur  an  einer 
Seite  (dorsal?)  findet  man  eine  Anhäufung  von  öldrüsenzellen,  welche 
eine  lebhafte  grasgrüne,  zuweilen  auch  bräunliche  Farbe  aufweisen 
und  ziemlich  lichtbrechend  sind  (Fig.  39  ODZ).  Hier  befinden  sich 
auch  Pigmentzellen,  welche  übrigens  auf  dem  ganzen  Kiemenanhang 
zerstreut  sind. 

An  derselben  Seite,  jedoch  weiter  basal wärts,  befindet  sich  eine 
Zone  besonderer  Gebilde,  welche  sofort  durch  ihr  starkes  Lichtbrechungs- 
vermögen auffallen.  Sie  sind  in  der  Zahl  von  25 — 40  auf  einem  ovalen 
Räume  zerstreut.  Ihre  Gestalt  ist  verschieden,  meist  länghch  oder 
birnförmig.  Sie  stellen  besonders  modifizierte  Drüsen  dar,  deren  äußere 
Enden,    besser   gesagt,   ihr   Secret   oft   weit   nach   außen  hervorragt 


über  eine  neue  Ctenodrilusari  und  ihre  Vermehrung.  569 

(Fig.  39  KD).  Das  Innere  besteht,  an  lebenden  Tieren  untersucht, 
aus  einer  Anzahl  einzelner  Teilchen  von  unregelmäßiger  Form  und 
verschiedener  Größe.  Auch  an  Schnitten  sieht  man  die  unregelmäßigen 
und  eckigen  Umrisse  der  einzelnen  Partikelchen  (Fig.  43  KD).  Borax- 
karmin tingiert  letztere  ziemlich  gut,  am  besten  eignet  sich  dazu  jedoch 
reines  Eosin,  das  die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen  Körnchen 
besonders  deutlich  färbt  (Fig.  44  KD). 

An  der  gegenüberliegenden  Seite  des  Kiemenanhanges  sind  sehr 
feine  Wimpern  zu  sehen,  die  aber  nur  auf  den  distalen  Teil  beschränkt 
sind  (Fig.  39  w). 

Sehr  lange  war  ich  im  Zweifel,  welche  Funktion  man  den  Kiemen- 
anhängen zuschreiben  dürfte.  Ursprünglich  wollte  ich  ihnen  die  re- 
spiratorische Funktion  völlig  absprechen,  da  ich  an  lebenden  Tieren 
niemals  Blutgefäße  in  ihnen  fand.  Schließlich  aber  mußte  ich  mich 
doch  entscheiden,  sie  als  Kiemen  zu  betrachten.  Als  ich  meine  sämt- 
lichen Präparate  sorgfältig  durchsah,  bemerkte  ich  an  vielen  Quer- 
schnitten durch  die  Kiemenanhänge  zwei,  deutlich  mit  einer  Membran 
abgegrenzte  runde  Räume,  welche  nicht  anders,  als  als  durchschnittene 
Kiemengefäße  zu  deuten  sind.  Der  Raum  zwischen  den  Gefäßen  war 
von  Peritonealzellen  ausgefüllt  (Fig.  45).  Da  die  Blutgefäße  bei  Ct. 
branchiatus  überhaupt  sehr  zart  sind,  ist  es  nicht  wunderzunehmen, 
daß  ich  sie  nicht  sofort  gefunden  habe.  Ihr  Fehlen  in  vielen  Kiemen- 
anhängen ist  dadurch  zu  erklären,  daß  sie  bei  der  vollkommenen  Ab- 
schnürung der  Kiemenanhänge  von  der  Körperhöhle,  worauf  ich  noch 
zu  sprechen  komme,  wahrscheinlich  degenerieren. 

Somit  erweisen  sich  die  Anhänge  des  Ct.  branchiatus  als  echte  Kie- 
men, die  zwei  Gefäße,  ein  zuführendes  und  ein  abführendes  besitzen 
und  so  an  den  Bau  der  Kiemen  mancher  Anneliden  erinnern.  Leider 
konnte  ich  wegen  der  Feinheit  der  Blutgefäße  weder  ihren  ganzen 
Verlauf  in  der  Kieme,  noch  ihre  Abzweigung  von  den  Hauptblutbahnen 
verfolgen.  Übrigens  besteht  eine  Verbindung  mit  den  letzteren  nicht 
lange,  denn  mit  der  Zeit  wird  die  Kommunikation  der  Höhle  der 
Kiemenanhänge  mit  dem  Cölom  vollkommen  aufgehoben,  indem  die 
Anhänge  sich  vom  Körper  abschnüren. 

Entwicklung  der  Kiemenanhänge.  Wenn  man  die  ganze 
Reihe  der  Kiemenanhänge  an  einem  beliebigen  Tier  verfolgt,  so  kann 
man  an  ihm,  wenn  man  successive,  von  hinten  anfangend,  von  einem 
Segment  zu  dem  vorhergehenden  schreitet,  fast  alle  Entwicklungs- 
stadien der  Kiemenanhänge  beobachten.  An  einem  der  hintersten 
Segmente,  gewöhnlich  im  sechsten,  achten  bis   zehnten  von  hinten, 


570  Iwan  Sokolow, 

bemerkt  man  hinten  und  dorsal  jederseits  eine  kleine  Wucherung  der 
Körperwand.  Im  nächstfolgenden  findet  man  an  der  entsprechenden 
Stelle  schon  einen  Zapfen;  im  dritten  wird  der  Zapfen  länger  usw., 
bis  schließlich  schon  ■  wahre  Anhänge,  die  fortgesetzt  an  Länge  zu- 
nehmen, auftreten.  Wenn  man  durch  einen  solchen  Zapfen  einen  Längs- 
schnitt legt,  so  erscheint  das  Körperepithel  an  dieser  Stelle  nach  außen 
ausgestülpt  (Fig.  46  Ef).  Der  Peritonealüberzug  folgt  ihm  und  kleidet 
die  so  sich  bildende  Höhle  des  jungen  Anhanges  aus.  Hierbei  werden 
jedenfalls  auch  die  Kiemenmuskeln  und  die  Kiemengefäße  angelegt 
(was  übrigens  wegen  der  Zartheit  des  Objekts  meinen  Beobachtungen 
entgangen  ist).  Der  Umstand,  daß  die  hintere  Wand  eines  jungen 
Kiemenhananges  an  einigen  meiner  Präparate  eine  unmittelbare  Fort- 
setzung des  Dissepiments  zu  sein  schien,  d.  h.  sich  mit  demselben  in 
einer  Querfläche  befand,  veranlaßt  mich  anzunehmen,  daß  die  Kiemen- 
gefäße Abzweigungen  der  segmental,  und  zwar  in  den  Dissepimenten 
gelegenen  Gefäßringe  sein  dürften. 

Beim  weiteren  Wachstum  des  Anhanges  wird  die  Verbindungs- 
stelle seiner  Höhle  mit  dem  Cölom  allmählich  eingeengt  und  schließ- 
lich vollkommen  geschlossen.  Hierbei  werden  wahrscheinlich  auch 
die  Kiemengefäße  vom  Hauptblutgefäßsystem  abgetrennt.  Es  ist  zu 
vermuten,  daß  die  Wände  der  beiden  Kiemengefäße  nach  dieser  Tren- 
nung allmählich  resorbiert  werden  und  so  ein  freier  Raum  entsteht, 
weshalb  ich  zunächst  die  Kiemennatur  der  Anhänge  verneinen  wollte. 

Der  Kiemenanhang  ist  jetzt  nur  noch  oberflächlich  an  die  Hypo- 
dermis  befestigt.  Die  Anheftungsstelle  ist  zunächst  eine  Vertiefung 
in  der  Oberfläche  des  Segmentes.  Diese  kleine  Vertiefung  verschwindet 
bald,  so  daß  an  ihrer  Stelle  sogar  ein  kleiner  Höcker  sich  bildet  (Fig.  47). 
Dementsprechend  wird  die  Verbindung  des  Kiemenanhanges  mit  dem 
Körper  immer  lockerer.  Ganz  zuletzt  reißt  das  Epithel  des  Anhanges 
von  dem  des  Körpers  ab,  und  man  sieht,  daß  nur  die  wenigen  Längs- 
muskeln noch  die  Verbindung  unterhalten  (Fig.  48  MZ).  Aber  sehr 
bald  reißen  auch  diese  durch,  und  der  Kiemenanhang  fällt  vom  Körper 
ab.     Was  mit  ihm  weiter  geschieht,   blieb  unbekannt. 

Vergleicht  man  die  Kiemenanhänge  des  Ct.  hranchiatus  mit  dem 
Tentakel  des  Ct.  monostylos,  so  kann  man  folgende  gemeinsame  Punkte 
hervorheben : 

1)  Beide  liegen  subdorsal. 

2)  Beide  besitzen  eine  gewisse  Contractilität,  die  aber  dem  Ten- 
takel des  Ct.  monostylos  in  höherem  Maße  zukommt. 

3)  Beide  entstehen  als  Auswüchse  der  Körperwand, 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  571 

4)  Vorkommen  von  >>gelben  und  grünen  Pigmentflecken  <<  bei  Ct, 
monostyhs,  welche  doch  den  Pigment-  mid  den  Oldrüsenzellen  des 
Ct.  branchiatus  entsprechen. 

5)  Ähnliche  Drüsenzellen  mit  lichtbrechendem  Inhalt,  wie  wir  sie 
für  Ct.  branchiatus  beschrieben  haben,  hat  wahrscheinlich  auch  Zep- 
pelin an  dem  Tentakel  seiner  Art  beobachtet.  Er  fand  nämlich  »in 
der  Haut  des  Tentakels  einzelne,  eigentümliche,  größere  Zellen,  welche 
stärker  lichtbrechend  sind,  als  die  andern  Hypodermiszellen«  (S.  628). 
Über  ihre  Bedeutung  vermochte  Zeppelin  nichts  Bestimmtes  zu  sagen 
und  »hielt  sie  ursprünglich  für  Nervenzellen«  (!),  hat  aber  »bei  Be- 
handlung mit  Osmiumsäure  keine  Nervenelemente  in  denselben  ent- 
decken können.« 

6)  Die  Anwesenheit  der  Blutgefäße,  mit  dem  Unterschiede,  daß 
wir  bei  Ct.  monostylos  nur  ein  Gefäß,  in  unserm  Fall  aber  zwei  vor- 
finden. Gegen  die  »sehr  dicke,  aus  großen  Zellen  bestehende  Wan- 
dung«, durch  welche  sich  das  Tentakelgefäß  des  Ct.  monostylos  nach 
Zeppelin  auszeichnen  soll,  kann  ich  nur  das  einwenden,  daß  die  ge- 
nannten Zellen  wahrscheinlich  Peritonealzellen  sind  und  sich  nur  eng 
um  das  Gefäß  gelagert  haben  in  der  Weise,  daß  sie  eine  Wand  des 
letzteren  leicht  vortäuschen  könnten. 

7)  Wenn  den  Kiemenanhängen  des  Ct.  branchiatus  eine  Flimmer- 
rinne auch  fehlt,  so  haben  sie  anstatt  dieser  doch  ein  distales  Flimmer- 
feld, das  auch  mit  »sehr  feinen«  Wimpern  besetzt  ist. 

Somit  sehen  wir,  daß  in  vielen  Beziehungen  zwischen  den  Gebilden 
beider  Art  große  Ähnlichkeit  besteht.  Aber  die  Lage  des  Tentakels  am 
Kopf  Segment,  sein  spätes  Auftreten,  und  zwar  in  Ein-  oder  Zweizahl 
und  noch  manche  minderwertige  Unterschiede  (Regenerationsfähigkeit 
des  Tentakels  usw.)  erlauben  die  Homologie  nicht  ohne  weiteres  durch- 
zuführen. 

Auch  die  physiologische  Rolle  scheint  eine  verschiedene  zu  sein. 
Während  die  Kiemenanhänge  wohl  sicher  als  respiratorische  Organe 
funktionieren,  ist  dasselbe  beim  Tentakel  des  Ct.  monostylos  nach 
Zeppelin  »nicht  anzunehmen«. 


Bei  der  Form  B  fand  ich  nie  Geschlechtsorgane.  Auch  glaube  ich 
nicht,  daß  sie  sich  zu  teilen  vermag.  Die  Teilungserscheinungen  be- 
ginnen bei  ihr  erst  dann,  wenn  sie  schon  im  Umwandlungsprozeß  be- 
griffen ist. 


572  Iwaii  Sokolow, 

Übergangsformen. 

Wie  ich  am  Anfang  bemerkte,  fand  ich  zusammen  mit  den  beiden 
Formen  A  und  B  auch  solche  Individuen,  welche  ihrer  Organisation 
nach  zwischen  A  und  B  gestellt  werden  müssen.  So  kamen  solche 
vor,  bei  denen  die  Augen  und  die  Wimperreife  vollkommen  fehlten, 
also  Verhältnisse,  welche  sie  der  Form  A  nähern,  bestanden,  die  Kiemen- 
anhänge dagegen  fast  in  Vollzahl  vorhanden  waren.  Andre  wiederum 
zeigten  außerdem  eine  mehr  oder  weniger  weit  gehende  Verminderung 
der  Kiemenanhänge;  endlich  wurden  auch  solche  beobachtet,  die  nur 
einen  einzigen  rechten  oder  linken  Kiemenanhang  an  irgend  einem 
Segment,  meist  am  fünften  oder  sechsten,  trugen. 

Diese  Beobachtungen  zeigen  uns,  daß  Ct.  branchiatus  einer  Um- 
wandlung fähig  ist.  Diese  besteht  darin,  daß  die  Form  B  sich  in  A 
umgestaltet,  was  mir  durch  das  Auffinden  einer  successiven  Reihe  von 
Übergangsformen  festzustellen  gelang.  Zunächst  verliert  B  die  Wimper- 
kränze (Fig.  38),  dann  die  Augen  und  schließlich  auch  die  Kiemen- 
anhänge. Der  Kiemenverlust  geht  nur  allmählich  vor  sich,  indem  die 
vorderen  Kiemen,  als  die  stärksten,  längere  Zeit  mit  dem  Körper  in 
Verbindung  bleiben. 

Inzwischen  können  diese  Übergangsformen  einem  Autotomieprozeß 
unterliegen  und  in  kleinere,  aus  wenigen  Segmenten  bestehende  Indi- 
viduen zerfallen.  Sogar  bei  letzteren  findet  man  nicht  selten  noch 
vereinzelte  Kiemenanhänge,  welche  aber  schon  sehr  lose  an  dem  Körper 
befestigt  sind  (Fig.  74). 

Welche  Umstände  den  Übergang  der  höher  organisierten  Form  B 
in  die  niedriger  organisierte  Form  A  bedingen,  läßt  sich  schwer  be- 
stimmt sagen.  Jedenfalls  haben  wir  es  hier  nicht  mit  einem  Einfluß 
des  umgebenden  Mediums  zu  tun,  denn  beide  Formen,  A  und  B,  wurden 
von  mir  unter  gleichen  Lebensbedingungen,  zu  derselben  Zeit  und  in 
ungefähr  gleichem  Zahlenverhältnis  gefunden.  Meiner  Ansicht  nach 
muß  die  eben  besprochene  Verwandlimg  irgend  eine  Beziehung  zu  der 
auftretenden  Sexualität  haben  und  erinnert  somit  an  solche  Erschei- 
nungen, welche  unter  dem  Namen  der  Epitokie  bekannt  sind.  Darauf 
kommen  wir  noch  weiter  zu  sprechen. 


Parasiten.  Mehr  als  die  Hälfte  unsrer  Ctenodrilen  war  mit  einer 
monocystiden  Gregarine  infiziert.  Schon  an  lebenden  Exemplaren 
sind  diese  Gregarinen  in  Form  ovaler  flacher  Gebilde,  die  in  der  Mitte 
mit  einem  hellen  runden  Fleck  versehen  sind,  zu  beobachten.     Sie 


über  eine  neue  Ctenodrihisarl   und  ilup  \'e]uiehrung.  573 

zeichnen  sich  durch  ihre  Größe  aus  (bis  über  50  //  Länge  und  20  fi 
Breite)  und  sind  mit  einem  großen  Kern  und  einem  Nucleolus  ver- 
sehen. Sie  finden  sich  in  den  Zellen  des  Darmepithels,  sind  also  intra- 
celluläre  Parasiten.  Da  sie  die  Größe  der  Darmzellen  weit  übertreffen, 
so  sind  die  letzteren  stark  aufgebläht;  ihr  Protoplasma  umgibt  nur 
in  Form  eines  dünnen  Saumes  die  Gregarine,  und  der  abgeflachte  Kern 
ist  ganz  an  die  Oberfläche  gedrängt.  In  einem  Ctenodrüus  kann  man 
bis  20  und  mehr  Parasiten  finden. 

Embryonale  Entwicklung. 

Die  geschlechtliche  Vermehrung  der  Ctenodi'ilen  ist,  wie  wir  wissen, 
den  Beobachtungen  früherer  Forscher  gänzlich  entgangen.  Nur  Monti- 
CELLi  gab  1907  in  seiner  vorläufigen  Mitteilung  eine  kurze  Beschreibung 
der  Entwicklung  von  Ct.  serratus.  Die  Hauptresultate  seiner  Beob- 
achtungen lassen  sich  folgendermaßen  resümieren. 

Zu  einer  bestimmten  Jahreszeit  (Sommer,  August)  verwandelt  sich 
Ct.  serratus  in  eine  geschlechtliche  Form  und  bekommt  Wimpern  (ob 
dieselben  den  ganzen  Körper,  und  zwar  gleichmäßig,  bedecken,  oder  in 
Zonen  angeordnet  sind,  davon  spricht  der  Autor  nichts).  Die  Art  ist 
proterandrisch-hermaphrodi tisch.  Die  Befruchtung  erfolgt  in  der 
Leibeshöhle,  wo  die  Eier  sich  rasch  entwickeln  und  zu  Larven  werden, 
welche  eine  charakteristische  Bildungs weise  der  Gastrula,  eine  eigen- 
artige Form  und  ein  Wimperkleid  haben  sollen.  Näheres  wird  nicht 
darüber  berichtet.  Die  Larven  verwandeln  sich  rasch  in  junge  (giovanis- 
simi)  Ctenodrilen,  die  ebenfalls  mit  Wimpern  versehen  sind.  Nachdem 
sie  sich  gänzlich  entwickelt  und  Borsten  bekommen  haben,  fangen  sie 
an,  einzeln  aus  einer  bestimmten,  aber  dennoch  variierenden  Stelle 
des  Körpers  auszuschlüpfen,  indem  sie  die  Leibeswand  durchbrechen, 
wobei  letztere  rasch  durchreißt.  Die  jungen  Larven  verlieren  sehr  bald 
ihr  Wimperkleid  und  nehmen  die  charakteristische  Gestalt  und  Farbe 
der  ungeschlechtlichen  Form  an.  Nachdem  sie  erwachsen  sind,  teilen 
sie  sich  durch  Autotomie. 

Es  glückte  mir  im  Oktober  1909  die  geschlechtliche  Vermehrung 
der  neuen  Ctenodrüus- Alt  zu  entdecken  und  manche  interessante  Ent- 
wicklungsmomente zu  beobachten.  Leider  blieben  meine  embryologischen 
Beobachtungen  sehr  lückenhaft,  da  ich  Neapel  verlassen  mußte,  ehe 
ich  genügend  embryologisches  Material  sammeln  konnte.  Von  mehreren 
hundert  Exemplaren,  die  ich  untersuchte,  enthielten  nur  etwa  50  Em- 
bryonen. Die  größte  Zahl  der  Embryonen  war  schon  in  der  Entwick- 
lung weit  vorgeschritten  und  besaß  daher  geringeres  Interesse.    Über 


574  Iwan  Sokolow, 

die  ersten  Anfänge  der  Entwicklung  blieb  ich  gänzlich  im  unklaren. 
Trotzdem  will  ich  die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  auseinander- 
setzen, weil  sie,  wie  ich  glaube,  ein  gewisses  Interesse  bieten. 

Blastula  und  die  drei  Embryonalschichten.  Mesodermanlage. 

Über  die  Befruchtung  und  die  ersten  Furchungserscheinungen 
vermag  ich  gar  nichts  zu  berichten,  da  mir  das  entsprechende  Material 
leider  vollkommen  fehlte. 

Das  früheste  Entwicklungsstadiura,  das  ich  fand,  war  eine  höchst 
eigentümliche  Blastula,  wenn  ich  sie  überhaupt  so  nennen  darf,  bei  der 
aber  schon  manche  Differenzierungen  eingetreten  waren.  Diese  Bla- 
stula war  verhältnismäßig  dünnwandig  und  von  ungefähr  ovoider 
Form  (Länge  78,  Breite  63  fx).  Im  Innern  befand  sich  ein  geräumiges 
Blastocöl.  Mit  demjenigen  Ende,  an  dem  später  der  Blastopor  liegt 
und  das  zum  Vorderende  des  Tieres  wird,  war  die  Blastula  an  die  Go- 
nade, d.  h.  an  jenes  Häufchen  von  Eizellen  befestigt,  welches,  wie  wir 
bereits  wissen,  um  das  ventrale  Blutgefäß  des  siebenten  Rumpfseg- 
mentes  gelegen  ist  (Fig.  53).  Die  Befestigung  geschah  derart,  daß  die 
Zellschicht,  welche  die  Wand  der  Blastula  bildete,  keine  vollständige 
Blase  darstellte,  sondern  an  der  Befestigungsstelle  unterbrochen  war. 
Hier  bestand  also,  sozusagen,  eine  Öffnung  in  der  Blastula,  mit  der 
sie  jedoch  fest  an  den  Eizellenkomplex  geheftet  war.  Die  Zellen, 
welche  die  Blastulawand  bildeten,  waren  alle  von  gleicher  Beschaffen- 
heit und  bildeten  eine  Art  Plattenepithel,  welches  das  Ectoderm  re- 
präsentierte. Die  Entodermzellen  waren  nur  spärlich  entwickelt,  und 
zwar  nur  an  einer  bestimmten  Stelle  am  Rand  der  Blastulaöffnung, 
indem  sie  mit  den  Eizellen  scheinbar  in  Verbindung  standen.  Diese 
Entodermzellen  (Ent),  welche  viel  größer  als  die  Ectodermzellen  und 
außerdem  stark  vacuolisiert  waren,  kann  man  auf  der  Fig.  54  sehen, 
welche  einen  mehr  tangentialen  Längsschnitt  durch  die  Blastula  dar- 
stellt (man  stelle  sich  vor,  daß  er  über  dem  Längsschnitt,  der  auf  Fig.  53 
abgebildet  ist,  gelegen  ist).  Da  die  Entodermzellen  bei  allen  Embryonen, 
auch  auf  weit  vorgeschrittenen  Stadien,  immer  mit  Vacuolen  versehen 
waren,  möchte  ich  annehmen,  daß  letztere  einen  ernährenden  Stoff 
enthalten,  der  für  den  Aufbau  des  Embryos  verwendet  wird. 

Was  an  dem  in  Rede  stehenden  Blastulastadium  besonders  auf- 
fällt, ist  die  sehr  frühe  Mesodermanlage.  Es  sind  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  zwei  Urmesodermzellen,  welche  das  gesamte  Mesoderm 
liefern,  wie  es  ja  so  häufig  vorkommt.  Die  Mesodermanlage  zeigt  sich 
hier  schon  in  Form  zweier  ziemlich   entwickelter  Streifen,   die  doch 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  575 

wohl  nur  aus  zwei  Urmesodermzellen  entstanden  sein  können  (Fig.  53 
u.  54:Mes). 

Das  sonderbare  Vorkommen  der  Mesodermstreifen  auf  einem  so 
frühen  Stadium  schien  mir  lange  Zeit  im  Widerspruch  mit  dessen 
Auffassung  als  Blastula.  Aber  die  überall  einschichtige  Wand,  die 
große  innere  Höhle  und  die  noch  sehr  geringe  Entfaltung  der  Ento- 
dermzellen,  wobei  von  einer  eigentlichen  Gastrulation  noch  gar  keine 
Rede  sein  kann,  veranlassen  mich,  dieses  Stadium  doch  als  eine,  wenn 
auch  sehr  eigentümliche  Blastula  zu  deuten.  Wegen  der  Mesoderm- 
streifen besitzt  der  Embryo  schon  auf  dieser  Entwicklungsstufe  eine 
bilaterale  Symmetrie.  Man  kann  auch  die  rechte  und  linke  Seite  unter- 
scheiden, weil  die  Entodermzellen  nur  an  einer  Stelle,  am  Rande  der 
Blastulaöffnung,  und  zwar  dorsal  in  der  Sagittalebene  angesammelt  sind. 

Die  Verbindung  des  jungen  Embryos  mit  der  Gonade  und  mittels 
dieser  auch  mit  dem  Blutgefäßsystem  hat  wahrscheinlich  den  Sinn, 
daß  dem  sich  entwickelnden  Embryo  dadurch  Nahrungsstoffe  geliefert 
werden.  Ob  wir  es  hier  aber  mit  einer  eigentlichen  Placentarbildung 
zu  tun  haben,  läßt  sich  nicht  bestimmt  sagen,  da  ich  nur  wenige  solche 
Fälle  untersuchen  konnte.  Jedenfalls  ist  eine  derartige  Verbindung 
des  Embryo  mit  den  Eizellen,  soweit  es  mir  bekannt  ist,  ein  einzig 
dastehender  Fall  bei  den  Würmern.  Eine  große  Bedeutung  für  die 
Ernährung  der  Embryonen  scheint  aber  diese  Erscheinung  nicht  zu 
haben,  weil  die  Verbindung  schon  auf  den  jüngsten  Stadien  aufhören 
kann.  Außerdem  findet  man  neben  den  eben  beschriebenen  Fällen 
auch  solche,  wo  die  Embryonen  sich  frei  in  der  Leibeshöhle,  d.  h.  ohne 
jegliche  Kommunikation  mit  den  Eizellen  entwickeln. 

Fig.  55  stellt  eine  solch  freie  Blastula  dar.  Sie  war  auch  ovoid, 
bestand  aus  geringerer  Zahl  von  Zellen  und  hatte  folgende  Größen- 
verhältnisse: Länge  67,  Breite  37  f.i.  Die  Größe  blieb  hier  geringer 
als  im  vorhergehenden  Falle,  obgleich  fast  gleich  weit  vorgeschrittene 
Stadien  vorlagen.  Den  größeren  Teil  der  Blastulawand  bildeten  auch 
hier  etwas  abgeplattete  Ectodermzellen.  Das  Vorderende,  mit  dem 
die  früher  beschriebene  Blastula  an  die  Gonade  befestigt  ist,  wird  von 
wenigen,  aber  sehr  großen  und  stark  vacuolarisierten  Entodermzellen 
gebildet.  Die  beiden  Mesodermstreifen  sind  an  der  Rückenseite  gegen- 
einander gerückt ;  in  der  Fig.  55  Mes  ist  das  Mesoderm  längs  durch- 
schnitten. Diese  Blastula  hatte  gleichfalls  eine  bilateral-symmetrische 
Form,  wobei  die  gewölbte  Rücken-  und  die  flache  Bauchseite  deutlich 
zu  unterscheiden  waren. 

Die     verschiedenen    Größenverhältnisse    zweier    offenbar    gleich 


576  Iwan  Sokolow, 

alter  Stadien  lassen  sich  wahrscheinlicli  dadurch  erklären,  daß  im 
ersten  Falle  der  Embryo,  dank  seiner  »  Placenta  «,  mehr  Nahrvmgsstoff e 
bekommen  hat,  als  der  frei  entwickelte.  Außerdem  muß  ich  schon 
jetzt  hervorheben,  daß  bei  der  Entwicklung  des  Ct.  hranchiatus  die 
Größenverhältnisse  der  Embryonen  und  auch  die  Aufeinanderfolge 
einzelner  Entwicklungsmomente  recht  erheblichen  Schwankungen  unter- 
liegen, was  wir  in  der  Folge  noch  öfters  finden  werden.  Man  erhält 
den  Eindruck,  daß  die  Tiere  noch  keine  fest  bestimmte  Entwicklungs- 
bahn erlangt  haben.  Vielleicht  findet  dieser  Umstand  in  der  ver- 
einfachten Organisation  der  Ctenodrilen  seine  Erklärung. 

Weshalb  finden  wir  aber  die  analogen  Stadien  in  einem  Falle  frei, 
im  andern  befestigt?  Wahrscheinlich  hängt  dies  mit  der  Menge  der 
Eizellen  in  der  Gonade  zusammen.  Wie  wir  sahen,  stehen  die  Eizellen 
miteinander  in  inniger  Verbindung.  Wenn  sich  nun  ein  befruchtetes 
Ei  zu  teilen  beginnt,  bleibt  diese  Verbindung  mit  seinen  unbefruchteten 
Nachbarn  eine  mehr  oder  weniger  lange  Zeit  bestehen.  Wenn  aber  in  der 
Gonade  nur  ein  einziges  Ei  enthalten  ist,  so  findet  es  bei  seiner  weiteren 
Entwicklung  kein  Substrat,  woran  es  haften  kann,  und  muß  sich  frei 
in  der  Leibeshöhle  entwickeln.  Damit  stimmen  auch  meine  Beobach- 
tungen überein.  Bei  Tieren,  deren  jüngste  Embryonen  frei  in  der 
Leibeshöhle  lagen,  fand  ich  keine  Andeutungen  von  Eizellen  mehr. 
Außerdem  waren,  wie  gesagt,  die  betreffenden  Embryonen  viel  kleiner. 

Gastrulation.    Schließung  des  Blastoporus. 

Der  nächste  Entwicklungsschritt,  über  den  ich  mehr  oder  weniger 
Klarheit  gewonnen  habe,  ist  die  Gastrulation.  Da  sie  bei  den  freien 
Embryonen  einfacher  verläuft,  werde  ich  mit  diesen  beginnen.  Die 
wenigen  großen  und  stark  vacuolisierten  Entodermzellen,  die  am 
Vorderende  der  Blastula  liegen,  beginnen  sich  stark  zu  vermehren. 
Lidem  ihre  Zahl  zunimmt,  dringt  der  ganze  Zellkomplex  in  das  Blasto- 
cöl  ein  (Fig.  57).  Die  innersten  Zellen  lösen  sich  oft  ab  und  gelangen 
bis  zum  hinteren  Ende  des  Blastocöls.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  wir 
es  hier  mit  einem  typischen  Immigrationsprozeß  zu  tim  haben.  Die 
Vermehrung  der  Zellen  geht  so  weit,  bis  das  ganze  Blastocöl  ausgefüllt  ist. 

Jetzt  schließt  sich  der  Blastoporus.  Als  solchen  muß  man  ja  die 
Stelle  des  Embryos  deuten,  wo  die  Entodermzellen  noch  entblößt  sind. 
Die  Ectodermzellen,  welche  diese  Stelle  von  allen  Seiten  umgeben, 
wachsen  gegeneinander  (Fig.  57)  und  überdecken  schließlich  die  Ento- 
dermzellen vollkommen. 

Wenn  der  Embryo  in  Verbindung  mit  der  Gonade  steht,  verläuft 


über  eine  neue  Ctenodrilusart   und  ilu'c  Vernichrung.  577 

der  Prozeß  etwas  anders.  Hier  ersetzt  der  Eizellenkomplex  sozusagen 
die  Anhäufung  der  Entodermzellen  am  oralen  Pole.  Demnach  ist 
die  Blastula  nicht  geschlossen,  sondern  sitzt  mit  ihrer  Öffnung  den 
Eizellen  auf.  Diese  Öffnung  muß  bei  der  Gastrulation  morphologisch 
dem  Blastoporus  entsprechen. 

Die  Entodermzellen,  welche  ursprünglich  nur  an  einer  Stelle,  am 
Rande  der  Öffnung  lagen  und  so  unmittelbar  in  Berührung  mit  den 
Eizellen  standen,  vermehren  sich  auch  hier  rege  und  erfüllen,  wie  im 
vorhergehenden  Fall,  das  ganze  Blastocöl.  Die  so  entstandene  Immi- 
grationsgastrula  besitzt  noch  eine  breite  Öffnung  (Blastoporus)  am 
vorderen  Ende,  mit  der  sie  noch  einige  Zeit  an  die  Eizellen  befestigt 
bleibt.  Das  Entoderm  steht  somit  auch  mit  den  letzteren  in  Zusammen- 
hang (Fig.  62  x).  Auf  Fig.  62  habe  ich  einen  Querschnitt  durch  zwei 
solcher  Embryonen,  die  sich  im  gleichen  Gastrulastadium  befanden 
und  die  eben  geschilderten  Verhältnisse  klar  zeigen,  abgebildet. 

Hierauf  wachsen  die  Ränder  des  weiten  Blastoporus  gegeneinander, 
wobei  sich  der  Embryo  von  der  Gonade  loslöst.  Der  Zeitpunkt  der 
Ablösung  scheint  großen  Schwankungen  zu  unterliegen.  Ich  möchte 
hier  lairz  bei  einem  Fall  verweilen,  wo  ich  noch  eine  Verbindung 
mit  der  Gonade  bei  einem  Embryo  fand,  der  schon  eine  gut  entwickelte 
Darmhöhle,  ein  segmentiertes  Cölom  und  Augenpigment  gebildet  hat. 
Fig.  60  zeigt  einen  Sagittalschnitt  durch  den  vorderen  Teil  eines  solchen 
Embryos.  Man  kann  deutlich  sehen,  wie  die  Ectodermzellen  in  un- 
mittelbarem Zusammenhang  mit  den  Eizellen  stehen;  diese  Verbindung 
jedoch  findet  sich  hier  nur  oben  {Ect.o);  der  untere  Rand  der  ur- 
sprünglichen Blastulaöffnung  (Ect.u)  ist  schon  abgelöst.  Letzterer 
Rand  wächst  jetzt  dem  oberen  entgegen,  und  der  Embryo  verändert 
dabei  die  Richtung  seiner  Längsachse  im  Körper  der  Mutter.  Bei  BIP 
ist  noch  eine  Öffnung  vorhanden.  Sie  muß  trotz  des  sehr  alten  Sta- 
diums dem  Blastoporus  (! )  homologisiert  werden. 

-  Nach  der  Blastoporschließung  hat  der  Embryo  im  allgemeinen 
eine  längliche  Gestalt  und  besteht  aus  einer  äußeren  Wand,  dem  Ecto- 
derm  und  einer  inneren  Zellmasse,  dem  Entoderm,  in  der  keine  Spur 
von  Höhle  wahrzunehmen  ist;  zwischen  beiden  liegt  das  Mesoderm  in 
Form  von  zwei  Streifen,  die  in  der  Dorsallinie  zusammenhängen.  Ein 
Querschnitt  durch  ein  solches  Stadium  ist  auf  der  Fig.  59  abgebildet. 

Weitere  Differenzierung  bis  zur  Bildung  des  Cöloms. 
Eine  weitere  Differenzierung  zeigt  sich  zunächst  darin,  daß    bei 
dem  zuletzt  geschilderten  Stadium  das  Ectoderm  am  vorderen  Ende 

Zeitschrift  f.  wiasensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  38 


57$  Iwan  Sokolow, 

mehrschichtig  wird,  wodurch  die  sogenannte  Scheitelplatte  entsteht. 
Im  tieferen  Teil  der  letzteren  tritt  bald  das  erste  Anzeichen  des  Cerebral- 
ganglions  in  Form  eines  halbmondförmigen  Fleckes  auf,  der  noch  ganz 
im  Ectoderm  liegt  und  schon  aus  einer  »fibrillären  Punktsubstanz« 
(Galvagni)  besteht.  An  der  Bauchfläche  verdickt  sich  das  Ectoderm 
gleichfalls  und  wird  mehrschichtig  (Bauchplatte).  Die  Bauchgangiien, 
welche  auf  dieselbe  Weise  entstehen,  werden  erst  viel  später  angelegt. 
Da  das  Cerebralganglion  und  die  Bauchnerv  enkette  unabhängig  von- 
einander entstehen,  treten  sie  erst  später  durch  die  beiden  Schlund- 
commissuren  miteinander  in  Verbindung. 

Mit  der  Anlage  des  Cerebralganglions  tritt  auch  die  Augenbildung 
auf.  Man  kann  schon  auf  sehr  jungen  Entwicklungsstadien  zu  beiden 
Seiten  des  Vorderendes  kleine  Anhäufungen  von  dunkelbraunen  bis 
schwarzen  Pigmentkörnchen  wahrnehmen. 

Ungefähr  um  die  Zeit  der  Cölombildung,  meist  aber  noch  vor  der- 
selben, beginnt  das  Ectoderm  an  der  ventralen  Seite  des  Vorderendes 
sich  einzustülpen.  Auf  diese  Weise  wird  der  Vorderdarm  mit  der 
Mundöffnung  angelegt.  Die  Einstülpung  erhebt  sich  zunächst  gegen 
die  Dorsalseite,  folglich  unter  rechtem  Winkel  zur  Längsachse  des 
Körpers  (Fig.  63  M). 

Zuweilen  kann  die  Vorderdarmbildung  sehr  spät  auftreten.  Auf 
Fig.  60  ist  das  Vorderende  eines  Embryos  abgebildet,  der  noch  keine 
Spur  der  Einstülpung  besitzt,  obgleich  der  Mitteldarm  und  das  Cölom 
in  ihrer  Entwicklung  weit  fortgeschritten  sind. 

Inzwischen  wachsen  die  beiden  Mesodermstreifen  auch  ventral 
gegeneinander,  so  daß  sie  schließlich  auch  ventral  verwachsen.  So 
entsteht  eine  ununterbrochene  Mesodermschicht  zwischen  Ecto-  und 
Entoderm. 

Im  Zwischenraum  zwischen  der  Vorderdarmeinstülpung  und  der 
Scheitelplatte  bildet  das  Mesoderm  einen  dorsalen  Auswuchs,  der  für 
den  Kopf  bestimmt  ist  und  den  Peritonealüberzug  der  Kopflappen- 
höhle erzeugt.  Anfangs  muß  dieser  Auswuchs  die  Gestalt  einer  ein- 
schichtigen Platte  haben,  welche  nachher  zweischichtig  wird,  wie  wir 
es  auf  Fig.  63  KMes  sehen  können. 

Ventral  und  hinter  der  Vorderdarmeinsenkung  bemerkt  man 
eine  Mesodermverdickung  (Fig.  63  Schk),  die  bald  näher  zur  Mittel- 
achse des  Körpers  rückt  und  sich  dem  Vorderdarm  hinten  in  Form 
von  einer  Platte  anlegt.  Dies  ist  die  Anlage  des  Schluudkopfes 
(Fig.  65  Schk). 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  579 

Noch  vor  der  Bildung  des  Cöloms  sondert  sich  im  vorderen  Rücken- 
teil des  Embryos  vom  Mesoderm  ein  besonderer  Zellkomplex  ab.  Diese 
Zellen  sieht  man  deutlich  auf  Fig.  63  HzK.  Sie  liegen  dem  Entoderm 
dicht  an  und  bleiben  auch  später  mit  ihm,  wenngleich  nur  mit  ihrem 
hinteren  Teil,  in  Berührung.  Dagegen  trennen  sie  sich  vom  Mesoderm 
vollständig  ab.  Dieser  Zellkomplex  ist  nichts  andres  als  der  Anfang 
des  Herzkörpers.  Dies  Gebilde  ist  sogar  schon  auf  den  Stadien  histo- 
logisch zu  unterscheiden,  wo  es  sich  vom  Mesoderm  noch  nicht  ab- 
gelöst hat.  Seine  Zellen  besitzen  nämlich  größere  Kerne,  und  ihre 
Grenzen  treten  sehr  deutlich  hervor. 

Auch  im  Entoderm  treten  gewisse  Veränderungen  auf.  Seine  Zellen 
sind  ursprünglich  ohne  eine  bestimmte  Ordnung  als  eine  kompakte 
Masse  zusammengefügt.  Mit  der  Zeit  fangen  sie  an,  sich  in  ein  ein- 
schichtiges Epithelium,  sozusagen,  um  die  Längsachse  des  Körpers 
zu  ordnen.  Dabei  wird  wahrscheinlich  eine  große  Zahl  der  Entoderm- 
zellen  resorbiert.  Erst  viel  später  entsteht  in  dieser  massiven  Zellmasse 
ein  Spaltraum,  die  zukünftige  Darmhöhle.  Auch  diese  Differenzierung 
kann  zu  recht  verschiedener  Zeit  auftreten:  manchmal  schon  ziemlich 
früh  (Fig.  60),  manchmal  verhältnismäßig  spät,  wie  aus  der  Fig.  66 
zu  ersehen  ist.  Die  Spaltung,  welche  die  Bildung  der  Darmhöhle  be- 
wirkt, beginnt  nicht  vom  vorderen  Ende  des  Embryos,  sondern  beginnt 
zuerst  etwa  in  der  Mitte  des  Entoderms  und  schreitet  von  hier  zunächst 
gegen  den  Vorderdarm  und  viel  später  nach  hinten  bis  zum  Enddarm 
fort. 

Bildung  des  Cöloms. 

Wenn  ich  die  einzelnen  Phasen  der  Entwicklung  schildere,  so  soll 
das  nicht  etwa  bedeuten,  daß  der  Entwicklungsprozeß  streng  in  der 
Aufeinanderfolge  verlaufe,  wie  ich  sie  darstelle.  Wie  ich  schon  mehr- 
mals hervorhob,  finden  wir  auf  jeden  Schritt  und  Tritt  zahlreiche 
zeitliche  Abweichungen  im  Auftreten  und  der  Aufeinanderfolge  ver- 
schiedener Differenzierungen.  Ebenso  steht  es  mit  der  Cölombildung. 
Wenn  wir  einerseits  auf  dem  Stadium,  welches  die  Fig.  63  darstellt, 
noch  keine  Andeutungen  der  Leibeshöhlenbildung  finden  können,  sehen 
wir  anderseits  bei  dem  Embryo  der  Fig.  58,  dessen  Blastoporus  nicht 
einmal  geschlossen  ist,  schon  eine  weit  fortgeschrittene  Cöloment- 
wicklung. 

Die  Cölombildung  wird  zunächst  dadurch  eingeleitet,  daß  das 
Mesoderm,  welches  in  der  Art  einer  einschichtigen  Zelllage  das  Ento- 
derm vöUig  umfaßte,  zweischichtig  wird.     Die  äußere  Schicht   stellt 

38* 


580  Iwan  Sokolow, 

die  zukünftige  Somatopleura,  die  innere  die  Splanchnopleura  dar. 
Beide  weichen  im  Verlauf  der  Entwicklung  auseinander  zur  Bildung 
der  Cölomhöhle.  Die  Cölomausbildung  geht  segmental  vor  sich,  d.  h. 
es  bildet  sich  keine  gemeinsame  Höhle,  sondern  in  jedem  Segment 
tritt  gesondert  eine  paarige,  rechte  und  linke  Cölomhöhle  auf,  die 
durch  die  Längsmesenterien  von  Anfang  an  voneinander  getrennt  sind. 
Die  aufeinander  folgenden  Cölomabschnitte  werden  durch  Dissepimente 
geschieden  (Fig.  58). 

Die  Entwicklung  der  einzelnen  Somite  erfolgt  nicht  gleichzeitig. 
Zuerst  bilden  sich  die  mittleren  aus,  und  zwar  diejenigen,  welche  weiter 
vorn  liegen.  Von  da  aus  schreitet  die  Cölomausbildung  nach  vorn  und 
nach  hinten  fort. 

Das  Cöloni  des  Kopflappens  entsteht  folgendermaßen.  Wir  sahen 
schon  oben,  daß  sich  zwischen  das  Stomodäum  und  die  Scheitelplatte 
eine  Mesodermplatte  eingeschoben  hat.  Sie  ist  ein  dorsaler  Auswuchs 
des  vorderen  Somitenpaares.  Ob  diese  Mesodermplatte  selbst  paarig 
ist,  konnte  ich  nicht  entscheiden.  Auf  Fig.  63  ist  ein  Längsschnitt 
durch  sie  abgebildet,  der  zeigt,  daß  die  Platte  sich  schon  gespalten  hat, 
ebenso  wie  die  Körpersomite.  Durch  Auseinanderweichen  der  beiden 
Wände  entsteht  die  Höhle  des  Kopflappens,  die  also  mit  einem  echten 
Peritoneum  ausgekleidet  und  folglich  ein  Cölomanteil  ist. 

Unsre  Beobachtung  steht  im  Einklang  mit  den  Resultaten,  zu 
denen  Ed.  Meyer  (Ol)  nach  seinen  Untersuchungen  über  die  Anneliden 
gekommen  ist.  Bei  ihm  heißt  es  also:  »Bei  den  Anneliden  besitzt  der 
Kopf  läppen  keine  eignen  Mesodermsegmente,  sondern  erhält  seine  peri- 
toneale Auskleidung  durch  Ausdehnung  der  Wandungen  des  ersten 
postoralen,  also  Rumpfsomitenpaares  nach  vorn<<  (S.  522). 

Das  Problem,  wie  eigentlich  der  Kopf  von  Ctenodrilus  aufgebaut 
ist,  besitzt  großes  Interesse.  Galvagni  hält  (S.  67)  es  für  wahrschein- 
lich, »daß  bei  Ctenodrilus  das  erste  nach  hinten  abgegrenzte  Segment 
als  Peristomium  oder  Mundsegment  zu  bezeichnen  ist,  d.  h.  dem  Meta- 
stomium  nebst  erstem  Rumpf segment  entspricht«  (im  Sinne  Hat- 
scHEKs).  Ich  kann  diese  Meinung  nur  bestätigen.  Meiner  Ansicht 
nach  spricht  für  diese  Annahme  zunächst  die  Lage  des  ersten  Bauch- 
ganglienpaares vor  dem  ersten  definitiven,  den  Kopf  abgrenzenden 
Dissepiment.  Dieses  erste  Gangiienpaar  entwickelt  sich  aus  einer  ein- 
heitlichen Anlage  mit  den  andern  Bauchganghen  und  gehört  somit 
dem  ersten  Rumpfsegment  an  (vgl.  S.  20  ff).  Anderseits  fand  ich  an 
meinem  allerdings  sehr  spärlichen  embryologischen  Material  auf  ge- 
wissen Entwicklungsstadien  ein   Dissepiment    im  Kopf,   welches  viel- 


über  eiue  neue  Ctenodrilusart   und  ihre  Vermehrung.  581 

leicht  gerade  die  Grenze  zwischen  dem  eigentlichen,  aus  Pro-  und 
Metastomium  bestehenden  und  mit  einem  Cerebralganglion  versehenen 
Kopfsegment  und  dem  ersten  Rumpfsegment  andeutet.  Diese  Ver- 
hältnisse werden  deutlicher  bei  der  Betrachtung  der  Fig.  64,  65  u.  66 
(KDs).  Fig.  65  ist  ein  Sagittalschnitt  durch  einen  Embryo,  der  sich 
gekrümmt  hat,  und  zwar  so,  daß  hier  die  Insertionsstelle  des  Ento- 
derms  an  den  sich  bildenden  Vorderdarm  nicht  getroffen  ist.  Um  so 
deutlicher  aber  treten  die  Dissepimente  hervor.  Dsi  ist  das  defini- 
tive Dissepiment  zwischen  Kopf  und  Rumpf;  KDs  dagegen  das  eben 
erwähnte  Kopf  dissepiment.  Man  muß  bei  der  Beurteilung  dennoch 
sehr  vorsichtig  sein,  denn  neben  dem  erwähnten  Dissepiment  fand  ich 
bei  Embryonen  noch  gewisse  Mesodermzüge  im  Kopfcölom,  welche 
eigentlich  die  .Vnlage  der  Kopflappenmuskelzüge  sind,  sich  aber 
histologisch  sehr  wenig  vom  Bau  der  dünnen  Dissepimente  unter- 
schieden (vgl.  Fig.  Q6MZ;  ein  breiterer  Zug  bei  y  stellt  vielleicht  die 
Anlage  der  Kopf gef äße  vor?).  Bei  der  weiteren  Entwicklung  ver- 
schwindet das  Dissepiment  KDs  im  Kopfe  gänzlich. 

Das  erste,  hinter  dem  ersten  Bauchgangiienpaar  gelegene  Disse- 
piment (Dsi)  bleibt  sowohl  bei  Embryonen,  als  auch  bei  erwachsenen 
Individuen  dauernd  erhalten  und  ist  im  Vergleich  mit  dem  von  Ct. 
serratus  und  farvulus  kein  halbes,  sondern  ein  ganzes.  Es  durchzieht 
gewöhnlich  den  Körper  nicht  ganz  quer,  sondern  verläuft  in  seinem 
dorsalen  Teile  etwas  schräg  nach  hinten. 

Ich  hebe  hervor,  daß  in  dem  Embryo  noch  vor  dem  Durchbruch 
des  Afters,  der  allerdings  spät  auftritt,  alle  20 — 25  Segmente,  oder 
auch  mehr,  schon  angelegt  sind.  Wie  wir  sehen  werden,  ist  diese  Tat- 
sache wichtig  für  die  richtige  Deutung  des  sogenannten  Enddarmes. 

Weitere  Differenzierung  nach  der  Bildung  des  Cöloms. 

Schon  auf  den  jüngeren  Entwicklungsstadien  fanden  wir,  daß 
das  Ectoderm,  außer  am  Kopf,  auch  an  der  Ventralfläche  des  Embryos 
mehrschichtig  wurde  (Bauchplatte).  Jetzt  beobachtet  man,  daß  unter 
der  Anheftungsstelle  jedes  Dissepiments  und  etwas  vor  denselben  sich 
die  Bauchganglien  allmählich  differenzieren.  Indem  sie  durch  Com- 
missuren  verbunden  werden,  bilden  sie  die  Bauchnervenkette.  Vorn 
tritt  letztere  durch  die  Schlundcommissuren  mit  dem  Cerebralganglion 
in  Verbindung. 

Der  Kopflappen  wächst  unterdessen  ziemhch  stark  nach  vom 
und  bekommt  allmählich  sein  definitives  Aussehen.  Das  Cerebral- 
ganglion verliert  seine  ursprüngliche,  an  die  Verhältnisse  der  andern 


582  Iwan  öokolow, 

Ctenodrilus- Arten  erinnernde,  vollkommen  (basi)epitheliale  Lage  und 
senkt  sich  in  die  Kopflappenhöhle. 

Die  Augen,  die  schon  viel  früher  angedeutet  waren,  erscheinen 
nun  als  zwei  schwarze  Flecken  zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  (Fig.  64  Au). 

Die  ursprünglich  im  Körperinnern  nur  angedeutete  Segmentierung 
(Fig.  69)  wird  jetzt  auch  äußerlich  kenntlich:  1)  bekommt  der  Körper 
ringförmige  Einschnürungen,  welche  genau  den  Anheftungsstellen  der 
Dissepimente  entsprechen;  2)  beginnt  die  Bildung  der  Kiemenanhänge, 
welche  auf  die,  bereits  auf  S.  570  geschilderte  Weise  vor  sich  geht; 
3)  erscheinen  am  Vorderrande  der  ventralen  Hälfte  jedes  Segmentes 
quere  Streifen  ursprünglich  zarter  Wimpern,  die  jedoch  allmählich 
länger  und  dicker  werden.  Natürlich  erleidet  das  Epithelium,  welches 
sie  trägt,  die  entsprechende  Umdifferenzierung  (Fig.  66  WR). 

Nicht  alle  Segmente  erlangen  gleichzeitig  dieselbe  Ausbildung. 
Ungefähr  im  fünften  bis  achten  Segment  verläuft  der  Entwicklungs- 
prozeß am  raschesten  und  verzögert  sich  in  der  Richtung  nach  vorn  bzw. 
nach  hinten  um  so  mehr,  je  weiter  das  betreffende  Segment  von  dieser 
Stelle  entfernt  ist.  Deswegen  befinden  sich  auch  bei  erwachsenen 
Tieren  die  längsten  Kiemenanhänge,  wie  wir  es  schon  wissen,  nicht  an 
den  vordersten  Segmenten,  sondern  etwas  weiter  nach  hinten. 

In  bezug  auf  die  Wimperreife  möchte  ich  noch  hinzufügen,  daß  es 
dieselben  Wimperreife  sind,  welche  wir  bei  der  Form  B  antrafen.  Die 
Larven  von  Ct.  serratus  sollen  nach  Monticelli  ein  Wimperkleid  be- 
sitzen. Ob  dabei  die  Wimpern  in  Gürtel  angeordnet  erscheinen,  wissen 
wir  nicht.  Jedenfalls  besteht  aber  ein  Unterschied  darin,  daß  die  jüng- 
sten Individuen  (giovanissimi)  von  Ct.  serratus  ziemlich  schnell  nach 
dem  Verlassen  der  Leibeshöhle  ihre  Cilien  verlieren  und  in  eine  wimper- 
lose ungeschlechtliche  Form  übergehen,  bei  Ct.  branchiatus  dagegen 
gerade  die  ungeschlechtliche  Form  B  mit  Wimpern  versehen  bleibt. 

Die  ectodermale  Einsenkung  am  Kopfende,  der  Anfang  des  Vorder- 
darmes, wächst  ziemlich  stark  in  die  Länge,  indem  sie  fast  unter  einem 
rechten  Winkel  eine  Biegung  nach  hinten  macht.  Jetzt  kann  man 
an  der  Anlage  zwei  Abschnitte  unterscheiden :  einen  vertikalen  Schenkel, 
von  der  äußeren  Öffnung  bis  zur  Umbiegung,  und  einen  horizontalen, 
von  da  bis  zur  Insertion  an  den  Mitteldarm  (Fig.  66).  Da  der  weiter 
wachsende  horizontale  Abschnitt  Raum  brauchte,  wurde  der  Mittel- 
darm um  ein  Paar  Segmente  nach  hinten  geschoben  und  hat  bei  dieser 
Gelegenheit  vielleicht  seine  ersten  Windungen  erhalten.  Aus  dem 
horizontalen  Schenkel  entsteht  der  Oesophagus,  dessen  Epithel  bald 
zu  wimpern  anfängt. 


über  eine  neue  Ctenodiiiusart  und  ihre  Vermehrung.  583 

Der  vertikale  Abschnitt  bildet  den  ganzen  Mvmdapparat.  Auf 
Fig.  66  sehen  wir  bei  z  eine  tiefe  Einsenkung.  Der  Teil  des  Ectoderms, 
welcher  ventral  von  derselben  liegt,  wird  zum  Epithel  des  Schlund- 
kopfes. Aus  der  dorsalen  Hälfte  entstehen  die  beiden  Falten :  die  untere 
und  die  obere,  welch  letztere  durch  die  besondere  Anordnung  der  Kerne 
bei  OF  schon  angedeutet  ist. 

Zu  derselben  Zeit  nähert  sich  der  Aushöhlungsprozeß  im  Entoderm, 
d.  h.  die  Bildung  der  Darmhöhle,  in  der  Richtung  nach  vorn  seinem 
Ende,  so  daß  schließlich  eine  volle  Kommunikation  zwischen  dem 
Oesophagus  und  dem  Mitteldarm  eintritt.  (Auf  Fig.  66  ist  diese  Ver- 
bindung noch  nicht  erfolgt.) 

Der  Schlundkopf  differenziert  sich  aus  einem  Teile  derjenigen 
Mesodermverdickung,  die  wir  hinter  der  Vorderdarmeinstülpung  finden. 
Auf  Fig.  66  erscheint  diese  Mesodermverdickung  schon  oval,  ist  aber 
noch  recht  klein  und  ein  Komplex  von  gleichartigen  Zellen.  Ihre 
Differenzierung  tritt  viel  später  ein  {Sclik).  Nicht  alle  Zellen  der  er- 
wähnten Mesodermverdickung  beteiligen  sich  am  Aufbau  des  Schlund- 
kopfes, vielmehr  dient  ein  großer  Teil  von  ihnen  zur  Bildung  des 
Muskelapparates  des  Schlundkopfes  (Fig.  66  SchM). 

Der  Zellenhaufen,  welcher  schon  auf  sehr  jungen  Stadien  die  An- 
lage des  Herzkörpers  bildete,  sondert  sich  vom  Mesoderm  ab  und 
senkt  sich  in  das  Körperinnere  (Fig.  66  HzK).  Hinten  steht  der  Herz- 
körper, auch  bei  erwachsenen  Ctenodrilen,  mit  dem  Mitteldarm  in 
Berührung.  Die  Cölomtaschen,  welche  sich  ungefähr  gleichzeitig  ent- 
wickeln, umwachsen  den  Herzkörper  von  beiden  Seiten  derart,  daß  sie 
um  ihn  einen  freien  Raum  offen  lassen.  Letzterer  stellt  das  Rücken- 
gefäß, oder  präziser  gesagt,  dessen  Dorsalast  vor  (Fig.  66  RVD).  Die 
histologische  Beschaffenheit  der  Herzkörperzellen  hat  sich  gar  nicht 
geändert,  und  die  Deutlichkeit  der  Zellgrenzen  blieb  erhalten.  Erst 
gegen  das  Ende  der  ganzen  Entwicklung  muß  der  Herzkörper  seine 
definitive  Beschaffenheit  bekommen.  Die  scharlachroten  oder  grünen 
Körncheneinschlüsse  treten  erst  bei  der  erwachsenen  Form  B  auf. 

Als  das  Wichtigste  erscheint,  daß  es  gelungen  ist,  die  Entstehung 
des  Herzkörpers  aus  dem  Mesoderm  bestimmt  nachzuweisen.  Dies  ist 
insofern  von  Interesse,  als  bis  jetzt  sehr  verschiedene  Ansichten  hier- 
über geäußert  wurden,  ohne  immer  das  Richtige  zu  treffen.  Ich  werde 
nicht  näher  auf  die  geäußerten  Meinungen  eingehen,  will  aber  erwähnen, 
daß  direkte  Beweise  für  die  Herzkörperbildung  bis  jetzt  so  gut  wie 
gänzlich  fehlten.  Es  gelang  eigentlich  nur  Picton  (98)  (abgesehen 
von   einer   älteren    Angabe   von   Salensky  [83]),    den   mesodermalen 


584  Iwan  Sokolow, 

Ursprung  des  Herzkörpers  zu  beobachten.  Picton  schreibt  darüber 
folgendes:  "From  the  first  it  shows  signs  of  pigmentation.  Even  in 
the  hving  state  a  cavity  can  be  recognized  in  it,  whilst  sections  show 
that  part  at  least  of  this  cavity  opens  directly  into  the  coelom  on 
the  ventral  side  of '  the  heart  just  anterior  to  its  origin.  In  other 
words,  the  heart-body  is  an  in-pushing  of  the  heartwall.  It  shows 
no  connection  whatsoever  with  the  hypoblast.  Later  the  open  con- 
nection  with  the  coelom  appears  to  be  narrowed,  and  finally  obliterated" 
(S.  293;  beobachtet  an  Polymnia  nebulosa). 

Wie  man  sieht,  unterscheidet  sich  hier  der  Vorgang  von  unserm 
Fall  darin,  daß  der  massive  Herzkörper  von  Ct.  branchiatus  sich  zu- 
nächst vom  Mesoderm  abtrennt  und  erst  dann  von  den  Cölomtaschen, 
die  um  ihn  das  Rückengefäß  bilden,  umwachsen  wird.  Bei  Polymnia 
nebulosa  aber  tritt  sekundär  eine  Einstülpung  der  Gefäßwand  ein. 
Wie  das  auch  sein  mag,  beide  Fälle  haben  das  gemeinsam,  daß  sie  die 
mesodermale  Natur  des  Herzkörpers  feststellen. 

Die  Ansichten  Horsts  (85)  und  Beddards  (95),  welche  den  Herz- 
körper als  einen  Divertikel  des  Darmes  entstehen  lassen,  sind  unhaltbar, 
denn  der  Herzkörper  steht  mit  dem  Mitteldarm  nur  in  Berührung,  hat 
aber  genetisch  mit  ihm  gar  nichts  zu  tun. 

Die  Entstehung  des  Blutgefäßsystems  war  schwer  zu  verfolgen. 
Nach  der  Blastoporschließung  war  im  Embryo  keine  Spur  von  einer 
primären  Leibeshöhle  nachzuweisen:  das  Mesoderm  legte  sich  eng  an 
das  Entoderm  an.  Erst,  nachdem  die  Cölomhöhle  entstanden  ist, 
kann  man  auch  von  der  Bildung  der  Blutgefäße  reden.  Die  beiden 
Cölomtaschen  eines  Segmentes  stehen  dorsal  und  ventral  von  dem 
Darm  miteinander  in  Berührung.  Nun  fangen  sie  an,  allmählich  aus- 
einander zu  weichen,  indem  z^vischen  ihnen  freie  Räume  auftreten.  Da 
sich  derselbe  Prozeß  in  allen  Segmenten  abspielt,  kommen  schließlich 
in  der  Längsrichtung  des  Körpers  zwei  langgestreckte  Räume  zustande, 
der  eine  dorsal,  der  andre  ventral  vom  Darm,  das  Rücken-  und  das 
Bauchgefäß  (Fig.  61  FF  und  Fig.  66  VV,  RVD).  Der  breite  Darm- 
sinus, der  übrigens  nicht  immer  vorkommt,  entsteht  dadurch,  daß  die 
Splanchnopleura  sich  von  dem  Darm  abhebt  und  so  ein  freier  Raum 
um   das  Darmentoderm  sich  bildet. 

Die  Nephridien  werden  verhältnismäßig  spät  angelegt.  Im 
zweiten  Rumpfsegment  sieht  man  anfangs  an  der  ventralen  Wand 
der  Somatopleura  zwei  Knötchen,  die  aus  wenigen  Zellen  bestehen. 
Zunächst    läßt    sich    in    diesem  Komplex    kein    Lumen    nachweisen 


über  eine  neue  Cteuüdrilusart  und  ihre  Vermehrung.  585 

(Fig.  70  a).     Nur  erst   bei  fast  vollkommen    erwachsenen  Individuen 
bildet  sich  im  Innern  ein  feiner  Kanal   (Fig.  70&,  NfK). 

Die  Borstenfollikel  entstehen  durch  Einsenkung  des  Ectoderms 
an  vier  Stellen  jedes  Segmentes.  Es  bilden  sich  tiefe  Taschen  mit 
eng  aneinander  stoßenden  parallelen  Wandungen,  aus  deren  Grunde 
die  Borsten  hervorwachsen.  Was  die  Muskeln,  welche  die  Borsten- 
follikel bewegen,  angeht,  so  bilden  sie  sich  aus  besonderen  Peritoneal- 
zellen.  Einzelne  solche  Zellen  treten  etwas  hervor,  gruppieren  sich  um 
das  sich  bildende  Borstensäckchen  und  erfahren  eine  Umbildung.  Ihr 
Körper  wird  spindelförmig  und  zieht  sich  hierauf  nach  beiden  Kich- 
tungen  in  die  Länge  aus;  es  entstehen  so  vollkommene  Muskelfasern, 
die  sich  an  den  Borstenfollikel  befestigen.  Der  Kern  bleibt  ungefähr 
in  der  Mitte  auf  je  einem.  Muskelzuge  außen  liegen. 

Bildung  des  Enddarmes. 

Wir  sind  nun  bei  einem  Entwicklungsstadiuni  angelangt,  auf  dem 
alle  Organe  angelegt  sind  und  ihr  definitives  Aussehen  mehr  oder  weniger 
angenommen  haben.  Doch  fehlt  der  Enddarm  mit  der  Analöffnung 
noch  völlig. 

In  Fig.  71  habe  ich  das  Hinterende  eines  älteren  Embryos  abgebildet. 
Man  sieht,  wie  nahe  das  Entoderm  dem  Ectoderm  liegt ;  sie  stehen  aber 
noch  in  keiner  Verbindung.  Im  Ectoderm  hat  sich  schon,  etwas  dorsal, 
eine  schwache  Einsenkung  gebildet,  das  erste  Anzeichen  des  Enddarmes ; 
die  Einsenkung  gibt  schon  ziemlich  genau  die  Lage  des  zukünftigen 
Anus  an. 

Auf  Fig.  67  sieht  man,  daß  eine  Kommunikation  zwischen  dem  End- 
und  dem  Mitteldarm  schon  besteht.  Der  Enddarm  liegt  hier  in  dem 
letzten  und  in  der  hinteren  Hälfte  des  vorletzten  Segmentes.  Da  zu 
dieser  Zeit  schon  fast  die  volle  Segmentenzahl  vorhanden  ist,  so  muß 
man  annehmen,  daß  beim  weiteren  Wachstum  des  Tieres  der  eigent- 
liche ectodermale  Enddarm  nur  in  die  allerletzten  Segmente  zu  liegen 
kommt.  Genau  anzugeben,  wo  bei  einem  erwachsenen  Tier  die  Grenze 
zwischen  End-  und  Mitteldarm  verläuft,  ist  wegen  der  ziemlich  gleich- 
artigen histologischen  Beschaffenheit  ihrer  Zellen  unmöglich. 

Die  Bildung  des  Enddarmes  kann  in  einigen  Fällen  auch  früher 
eintreten,  aber  in  den  meisten  von  mir  beobachteten  Fällen  bildete 
sich   der  Enddarm  in  der  Regel  sehr  spät  aus. 

Nach  der  Bildung  des  Enddarmes  ist  der  Entwicklungsprozeß 
vollendet  und  der  Embryo  bereit,  die  Mutter  zu  verlassen. 


586  Iwan  Sokolow, 

Entsprechend  der  Lagerung  der  Gonaden  im  siebenten  Rumpf- 
segment, findet  man  auch  die  Embryonen  in  demselben.  Sehr  selten 
liegen  sie  im  sechsten  oder  im  achten  Segment.  Diese  Regel  gilt  aber 
nur  für  die  jungen  Embryonen,  die  noch  verhältnismäßig  klein  sind. 
Mit  zunehmender  Körperlänge  finden  sie  zuwenig  Platz  in  ihrem 
ursprünglichen  Brutraum.  Sie  durchbrechen  daher  das  dahinterliegende 
Dissepiment,  was  übrigens  bei  der  Zartheit  der  letzteren  nicht  schwer 
fällt.  Jetzt  nimmt  der  Embryo  zwei  Segmente  ein.  Beim  weiteren 
Wachstum  wiederholt  sich  dasselbe  an  dem  nächstfolgenden  Disse- 
piment, wodurch  der  Brutraum  weiter  vergrößert  wird;  zuweilen  kann 
er  noch  weiter  vordringen.  Auf  diese  Weise  durchzieht  ein  Embryo 
vor  dem  Ausschlüpfen  mehrere  Segmente,  gewöhnlich  drei  oder  vier, 
oder  noch  mehr. 

Das  Muttertier  ist  in  solchen  Fällen  an  der  entsprechenden  Stelle 
merklich  angeschwollen.  Im  Innern  sieht  man,  daß  der  Embryo  den 
Magendarm  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zusammenpreßt. 

Was  die  Anzahl  der  Embryonen  in  einem  trächtigen  Tier  betrifft, 
so  findet  man  in  der  Regel  nur  einen  einzigen.  In  drei  oder  vier  Fällen 
beobachtete  ich  zwei  (Fig.  62),  niemals  aber  mehr.  Einmal  fand  ich 
einen  Embryo,  der  zwei  Segmente  durchzog  und  an  der  Stelle  des  Disse- 
pimentes,  von  demselben  in  der  Mitte  stark  eingeschnürt,  erschien.  Es 
ist  nicht  unmöglich,  daß  die  Embryonen  sich  schon  zuweilen  in  der 
Mutter  teilen  können. 

Bei  Ct.  senatus  bildet  sich  nach  Monticelli  eine  große  Zahl  von 
Larven,  welche  den  Mutterkörper  gänzlich  erfüllen  und  ihn  später 
einzeln  verlassen. 

Die  Orientierung  der  Jungen  in  der  Leibeshöhle  der  Mutter 
ist  die,  daß  sie  mit  ihrem  Kopfende  meist  nach  dem  der  Mutter  schauen. 
Oft  aber  liegen  sie  auch  gerade  umgekehrt.  Das  ist  nicht  erstaunlich, 
da  die  älteren  Embryonen  sich  im  Brutraum  rege  bewegen,  sich  um- 
drehen und  hin  und  her  wandern  können. 

Ausschlüpfen.  Da  die  Ctenodrilen  keine  Geschlechtsöffnung 
besitzen,  so  bleibt  den  Jungen  nur  die  Möglichkeit  durch  Zerreißen 
der  Körperwand  der  Mutter  auszutreten.  Die  so  entstehende  ventrale 
Öffnung  liegt  an  dem  vorderen  oder  hinteren  —  je  nach  der  Orien- 
tierung des  Embryos  —  Ende  des  Brutraumes,  und  zwar  unmittelbar 
hinter  bzw.  vor  dem  entsprechenden  Dissepiment. 

Die  zarte  Körperwand  der  Mutter  gibt  dem  starken  Druck  des 
großen  Embryos  nach,  es  entsteht  ein  Riß,  durch  den  zunächst  das 
Kopfende,  dann  der  ganze  Körper  in  kurzer  Zeit  herausbefördert  wird 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  587 

(Fig.  77).  Die  Kiemenanhänge,  welche  zu  dieser  Zeit  schon  recht  groß 
sind,  legen  sich  an  den  Körper,  um  beim  Herausschlüpfen  kein  Hindernis 
zu  bieten.     Die  Öffnung  zieht  sich  nachher  wieder  zusammen. 

Einmal  fand  ich  einen  Ct.  branchiatus,  bei  dem  der  riesige  Embryo, 
welcher  32  (!)  Segmente  und  über  20  Paar  Kiemen  hatte,  also  eine  gut 
entwickelte  Form  B  vorstellte,  zwei  Öffnungen  durchbrochen  hatte 
und  aus  der  einen  sein  Vorder-  aus  der  andern  sein  Hinterende  heraus- 
streckte; der  dazwischen  liegende  Teil  des  Mutterkörpers  war  drei 
Segmente  lang  (Fig.  78). 

Das  Alter,  in  welchem  die  Embryonen  den  Mutterschoß  verlassen, 
scheint  nicht  fest  bestimmt  zu  sein.  Wenn  wir  einerseits  einen  so  hoch 
entwickelten  Ct.  branchiatus,  wie  das  eben  angeführte  Beispiel  zeigte, 
herausschlüpfen  sahen,  so  fand  ich  anderseits  auch  schon  freilebend 
ziemlich  wenig  ausgebildete  Individuen,  bei  denen  sogar  die  Kiemen- 
anhänge nur  schwach  entwckelt  waren  (Fig.  68).  Es  ist  wahrschein- 
lich, daß  auch  verschiedene  äußere  Umstände,  wie  z.  B.  mechanische 
Reize,  ein  zarter  Druck  u.  a.  m.,  dazu  beitragen,  um  die  frühzeitige 
Geburt  hervorzurufen. 

Über  das  Schicksal  der  Mutter  vermag  ich  nichts  zu  sagen.  Wahr- 
scheinlich geht  sie  unter  Degeneration  zugrunde.  Es  scheint  aber  die 
Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  daß  bei  dem  intensiven  Autotomie- 
vermögen  aller  Ctenodrilen,  die  unversehrt  gebliebenen  Mutterteile 
sich  abtrennen  und  zu  neuen  Individuen  regenerieren. 

Teilungsvorgänge. 

Da  die  Untersuchung  der  Teilungsvorgänge  nicht  das  Hauptziel 
meiner  Arbeit  war,  so  achtete  ich  weniger  auf  das  Sammeln  entspre- 
chenden Materials.  Dies  ist  insofern  zu  bedauern,  als  sich  bei  ge- 
nauerer Untersuchung  herausstellte,  daß  die  Teilungsvorgänge  bei 
unsrer  neuen  Species  verschieden  von  denen  der  übrigen  verlaufen. 
Ich  kann  aber  nicht  umhin,  das  Wenige,  was  mir  zu  beobachten  ge- 
lungen ist,  hier  mitzuteilen. 

v  Wie  wir  uns  erinnern,  treten  nach  v.  Kennel  bei  Ct.  serratus  in 
jedem  Segment  —  die  drei  (nach  unsrer  Auffassung  vier)  vordersten 
ausgeschlossen  —  Knospungszonen  auf.  Jede  Knospungszone  wird 
durch  eine  Teilungsebene  so  zerlegt,  daß  vor  der  letzteren  die  Anlage 
des  Hinterendes  des  da  vorliegenden,  hinter  ihr  eine  solche  des  Vorder- 
endes des  dahinterliegenden  Sprößlings  zu  liegen  kommt.  Wenn  die 
Neubildung  schon  ziemlich  weit  fortgeschritten  ist,  zerfällt  die  ganze 
Kette  in  einzelne  segmentgroße  (in  Wirklichkeit  bestehen  sie  aus  Teilen 


588  Iwan  8okoluw, 

zweier  Segmente)  Stücke,  die  nachher  zu  ganzen  Individuen  regene- 
rieren. 

Bei  Ct.  monostylos  teilt  sich  der  Körper  ungefähr  in  der  Mitte  in 
zwei  Stücke,  welche  erst  nach  der  Trennvmg  die  entsprechenden 
Enden  regenerieren. 

Ct.  hranchiatus  nimmt  nun  in  bezug  auf  seine  Teilungsvorgänge 
gewissermaßen  eine  mittlere  Stellung  zwischen  den  beiden  genannten 
Arten  ein. 

Bei  Individuen  der  typischen  Form  Ä  oder  solchen,  bei  denen  nur 
wenige  Kiemenanhänge  nachgeblieben  (die  Augen  und  Wimperkränze 
dagegen  gänzlich  verschwunden)  sind,  machen  sich  zunächst  am  Körper 
mehrere  Einschnürungen  kenntlich.  Sie  teilen  den  Wurm  in  mehrere 
Abschnitte,  welche  gewöhnlich  aus  ungleichen  Zahlen  von  Segmenten 
bestehen  (vgl.  Fig.  75).  Die  geringste  Segmentenzahl  im  vorderen, 
also  mit  dem  Kopfe  versehenen  Abschnitt  scheint  6  (oder  7)  zu  sein 
(Fig.  76) ;  in  den  mittleren  beträgt  sie  drei  bis  sechs  (Fig.  74) ;  auf  den 
hinteren  Abschnitt  kommen  mehr  Segmente  (5 — 13),  da  dieselben 
noch  zu  jung,  also  nicht  immer  teilungsfähig  sind. 

Die  Teilungsebene,  in  welcher  je  eine  Einschnürung  erfolgt,  fällt 
nicht  mit  der  Ebene  der  Dissepimente  zusammen,  sondern  liegt  unmittel- 
bar hinter  derselben  (Fig.  79).  Dasselbe  gilt  auch  für  die  andern  Cteno- 
drilen. 

Noch  vor  der  gänzlichen  Abschnürung  einzelner  Zooide  bemerkt 
man  zu  beiden  Seiten  der  Teilungsebene  eine  starke  Vermehrung  der 
Epidermis-  und  der  Peritonealzellen.  An  Totalpräparaten  sind  diese 
Stellen,  welche  ja  später  das  Vorderende  mit  allen  seinen  Organen, 
sowie  das  Hinterende  entstehen  lassen,  dadurch  kenntHch,  daß  sie  sich 
viel  intensiver  färben  (Fig.  74). 

Der  ganze  Vorgang  erinnert  an  den  bei  Ct.  monostylos,  wo  man 
auch  »noch  während  des  Zusammenhanges  beider  Tiere  an  der  Stelle, 
wo  die  Teilung  erfolgen  wird,  eine  Zellwucherung  <<  bemerkt,  v.  Kennel 
spricht  ebenfalls  von  einer  starken  Vermehrung  der  Epidermis-  und 
der  Mesodermelemente  in  der  Knospungszone. 

Nun  können  sich  die  entstehenden  Sprößlinge  schon  ohne  weitere 
Differenzierung  trennen  und  dann  die  fehlenden  Teile  regenerieren, 
wie  es  auch  gewöhnlich  geschieht  (Fig.  74  u.  76).  Eine  Modifikation 
besteht  aber  darin,  daß  bei  manchen  Ct.  hranchiatus,  noch  während 
sie  im  Zusammenhange  mit  der  ganzen  Kette  stehen,  die  Anlage  des 
Vorderdarmes  beginnt.  Letzteres  wird  dadurch  eingeleitet,  daß  an 
dem  Segmente,  welches  unmittelbar  auf  die  Teilungsebene  folgt,  sich 


über  eine  neue  Cltenorlrilusaii   und  ihre  Vermolnung.  589 

eine  Wucheruiij;'  der  Epidermiszellen  nach  außen,  und  zwar  an  seiner 
ventralen  Seite,  kenntlich  macht.  Bald  nachher  beginnen  die  Epi- 
dermiszellen an  der  Spitze  des  so  entstandenen  Höckers  ungefähr  unter 
einem  rechten  Winkel  zur  Körperlängsachse  sich  nach  innen  einzustülpen 
(Fig.  79  VDM).  So  entsteht  der  Vorderdarm,  der  erst  viel  später  mit 
dem  Mitteldarm  in  Verbindung  tritt. 

Gleichzeitig  mit  der  Einstülpung  des  Vorderdarmes  schreitet  auch 
die  Vermehrung  der  Peritonealzellen  fort,  die  insgesamt  die  Beschaffen- 
heit der  undifferenzierten  Mesodermzellen  erhalten.  Aus  ihnen  entsteht 
der  Schlundkopf  und  andre  Organe,  aber  erst  nach  der  Trennung  der 
einzelnen  Sprößlinge. 

Wenn  die  Neubildung  so  weit  vorgerückt  ist,  fallen  die  einzelnen 
Sprößlinge  auseinander.  Der  Zerfall  der  ganzen  Kette  findet  meist 
nicht  gleichzeitig  statt,  denn  die  Einschnürungen  sind  nicht  überall 
gleich  weit  fortgeschritten.  Daher  findet  man  oft  mehrere  Sprößlinge 
verschieden  kombiniert  zusammen,  z.  B.  zwei  vordere,  oder  zwei  bis 
drei  hintere,  oder  mittlere  (Fig.  73)  usw.  Zuletzt  trennen  sich  auch 
diese  voneinander.  Man  vergleiche  hierzu  die  Teilungsprozesse  mit 
denen  von  Ct.  monostylos.  Hier  kann  ein  Tier  auch  in  mehrere  Teil- 
stücke zerfallen;  nur  geschieht  das  aber  allmählich  nacheinander. 
Zunächst  teilt  sich  ein  Ct.  monostijlos  in  der  Regel  in  zwei  Teile,  und 
erst  dann  besinnen  die  beiden  Hälften  weitere  Teilstücke  abzuschnüren. 
Letztere  können  sogar  aus  einem  einzigen  Segment  bestehen,  welches 
schließlich  zu  einem  ganzen  Tiere  regeneriert.  Bei  Ct.  hranchiatus  um- 
fassen nach  meinen  Beobachtungen  die  kleinsten  Teilstücke  nicht 
weniger  als  drei  Segmente. 

Die  weiteren  Regenerationsprozesse  gelang  es  mir  nicht  zu  ver- 
folgen. Es  sei  hier  nur  auf  einige  Verhältnisse  und  zugleich  Unterschiede 
im  Vergleich  mit  Ct.  serratus,  bei  dem  ja  allein  die  Organbildung  einiger- 
maßen verfolgt  wurde,  hingewiesen. 

Der  Vorderdarm  bildet  sich,  wie  oben  beschrieben,  durch  Einstül- 
pung der  Epidermis  an  der  ventralen  Wand,  d.  h.  es  wiederholt  sich 
hier  derselbe  Vorgang  wie  bei  der  Ontogenese.  Ganz  anders  verhält 
sich  dagegen  Ct.  serratus.  Bei  ihm  entsteht  hinter  ieder  Teilungsebene 
zwar  auch  eine  Vorwölbung  der  Epidermis,  aber  nur  auf  der  dorsalen 
Seite;  daher  ist  sie  nicht  derjenigen  von  Ct.  hranchiatus  homolog.  Sie 
entspricht  dem  Teil,  aus  welchem  später  der  Kopflappen  wird.  Der 
Schlund  dagegen  bildet  sich  ganz  anders,  indem  er  sich  »paarig  jeder- 
seits<<  anlegt.  Diese  verschiedene  Bildung  des  Vorderdarmes  bei  zwei 
ziemlich  nahe  verwandten  Arten  muß  als   ein  wichtiger  Unterschied 


590  Iwan  SokolüW, 

hervorgehoben  werden.  Mit  der  Stelle,  welche  ihrer  Lage  nach  un- 
gefähr der  Vorderdarmeinstülpung  des  Ct.  branchiatus  entspricht, 
hängen  die  knospenden  Zooide  des  Ct.  serratus  zusammen.  Vielleicht 
ist  serade  dieser  Umstand  die  Ursache,  daß  der  Vorderdarm  sich  hier 
paarig  anlegen  muß. 

Der  Schlundkopf  mit  seinem  Muskelapparat  bildet  sich  ebenso 
wie  bei  der  Ontogenese,  aus  denjenigen  Peritonealzellen,  welche  hinter 
der  Vorderdarmeinstülpung  sich  so  reichlich  vermehrten  (Fig.  79  Sch.K). 

Das  Cerebralganglion  tritt  vorn  und  dorsal  in  der  Epidermis  auf. 
Ob  es  aus  einer  paarigen  Anlage  entsteht,  wie  es  v.  Kennel  für  Ct. 
serratus  behauptet,  konnte  ich  nicht  entscheiden. 

Der  Enddarm  entsteht  als  eine  kurze  Einstülpung  der  Epidermis 
am  hinteren  Ende  des  abgelösten  Zooids  (Fig.  72  EdD). 

Wie  die  übrigen  Organe  bei  der  Teilung  angelegt  werden,  konnte 
ich  nicht  verfolgen.  Besonders  bedauere  ich  dies  in  betreff  des  Herz- 
körpers, über  dessen  Bildung  auch  v.  Kennel  nichts  Sicheres  mitzu- 
teilen vermochte  1. 

Es  wäre  von  großem  Interesse,  noch  eine  Frage,  nämlich  wie  die 
weitere  Segmentbildung  der  jungen  Individuen  vor  sich  geht,  zu  ent- 
scheiden, aber  auch  hier  reichte  mein  Material  nicht  aus,  um  darüber 
etwas  Genaueres  zu  sagen. 

Wie  gering  unsre  Beobachtungen  auch  sein  mögen,  so  lassen  sie 
doch  schließen,  daß  die  Regeneration  einzelner  Organe  der  knospenden 
Tiere  im  großen  und  ganzen  nach  demselben  Plan  erfolgt,  wie  ihre 
Entstehung  bei  der  Ontogenese. 

Ich  möchte  zum  Schluß  noch  darauf  aufmerksam  machen,  daß 
die  Teilungserscheinungen  des  Ct.  hrmichiatus  der  Theorie  der  Konstanz 
der  Keimblätter  in  keiner  Weise  widersprechen. 

Wie  wir  sahen,  besteht  das  vordere  Zooid  immer  aus  mindestens 
fünf  bis  sechs  Segmenten.  Dies  hat  den  Sinn,  daß  bei  der  Teilung 
dieses  vordere  Zooid  immer  ein,  wenn  auch  ganz  kleines  Stück  Magen- 
darm erhält,  welches  nachher  bei  der  Regeneration  des  ganzen  Mittel- 
darmes das  entodermale  Material  liefert. 

Was  die  andern  Teilstücke  betrifft,  so  bekommen  auch  sie  (auch 


1  Die  Organe,  welche  durch  die  Teil'ungsebene,  sozusagen  zerschnitten  werden, 
l)ilden  sich  nachher  durch  weiteres  Wachstum  aus.  v.  Kennel  sagt  darüber: 
»Offenbar  zeigen  alle  diejenigen  Organe,  die  bei  der  später  erfolgenden  Teilung 
zerreißen  müssen,  von  Anfang  an  keine  Vermehrung  ihrer  Elemente,  sondern  eine 
Dehnung  der  vorhandenen,  während  dias  Material  für  das  neu  zu  bildende  in 
voller  Vermehrung  begriffen  ist«  (S.  40  5). 


über  eine  neue  Ctenndrilusart  und  ihre  Vcnnohning.  591 

das  letzte,  weil  es  aus  zahlreichen  Segmenten  besteht)  alle  drei  Keini- 
schichten. 

Nicht  so  instruktiv  dagegen  ist  der  Fall  bei  Ct.  serratus,  wo  v.  Ken- 
NEL  behauptet,  daß  »das  hinterste  und  selbst  das  vorletzte  Zooid  sich 
zu  vollständigen  Individuen  ausbilden,  ohne  eigentliches  echtes  Ento- 
derm  zu  besitzen«.  Ich  stelle  mir  aber  die  Sache  anders  vor.  Wenn 
wir  uns  an  die  embryonale  Entwicklmig  des  Ct.  branchiatus  erinnern, 
so  entsteht  bei  ihm  der  Enddarm  als  eine  kurze  Einstülpung  des  Ecto- 
derms,  die  nachher  mit  dem  Mitteldarm  in  Verbindung  tritt.  Da  aber 
diese  Vereinigung  verhältnismäßig  spät  geschieht,  wo  schon  ungefähr 
die  volle  Segmentenanzahl  beim  Embryo  sich  angelegt  hat,  so  ist 
anzunehmen,  daß  der  Enddarm  beim  weiteren  Wachstum  des  Tieres 
nicht  weiter  in  den  Körper  vordringt.  Genau  anzugeben,  wo  beim 
erwachsenen  Tier  die  Grenze  zwischen  den  Enddarm-  und  den  Mittel- 
darmzellen liegt,  ist  wegen  der  nahezu  gleichen  histologischen  Struktur 
ihrer  Zellen  nicht  möglich. 

Ich  meine,  daß  auch  bei  Ct.  serratus  als  eigentlicher,  d.  h.  ecto- 
dermaler  Enddarm,  nur  ein  kurzes  Endstück  des  Verdauungskanals 
zu  deuten  ist.  Denn  erstens,  denke  ich,  wird  es  erlaubt  sein,  einen 
Analogieschluß  aus  der  Entwicklung  des  Enddarmes  des  Ct.  bran- 
chiatus zu  ziehen,  zweitens  finden  wir  selbst  bei  v.  Kennel  gewisse 
Andeutungen  hiervon.  Wenn  er  einerseits  »beim  Übergang  des  Darmes 
in  den  Enddarm  eine  ziemlich  starke  Knickung  des  ersteren«  beschreibt 
(S.  376),  sagt  er  an  einer  andern  Stelle:  »während  die  braunen  Zellen 
des  Darmes  sich  gegen  die  farblosen  des  Schlundes  scharf  absetzen, 
ist  eine  derartige  Grenze  nach  dem  Enddarm  zu  nicht  zu  konstatieren, 
hier  verlieren  die  Zellen  allmählich  ihre  braunen  Körnchen  und  gehen 
in  die  hellen  über,  und  je  nach  der  Größe  des  Tieres  erstrecken  sie  sich 
mehr  oder  weniger  weit  in  den  Enddarm  hinein,  bzw.  entwickeln  sie 
sich  aus  letzteren«  (S.  383). 

Der  Umstand,  daß  solche  Zellen  mit  braunen  Körnchen,  die  ja 
sicher  eine  Beziehung  zur  Verdauung  haben  und  die  doch  ein  speci- 
fisches  Merkmal  des  Mitteldarmes  sind,  von  v.  Kennel  in  dem  »End- 
darm« gefunden  wurden,  spricht  meiner  Ansicht  nach  dafür,  daß  ein 
großer  Teil  dieses  sogenannten  »Enddarmes«  entodermalen  Ursprunges 
sein  dürfte. 

Wenn  dies  aber  der  Fall  ist,  so  stellen  sich  auch  die  Kegenerations- 
erscheinungen  bei  Ct.  serratus  nicht  als  so  kompliziert  heraus,  wie  es 
V.  Kennel  zu  erklären  versucht  hat.  Denn  wenn  nur  der  kurze  End- 
teil des  Darmtractus  den  ectodermalen  Enddarm  bildet,  so  wird  wohl 


592  Iwan  Sokolow. 

bei  der  Teilung"  auch  das  hinterste  Zooid  einen  Teil  des  Mitteldarmes 
erhalten,  und  die  Annahme  einer  Umwandlung  des  Enddarm-  in  das 
Mitteldarmepithel  fiele  dann  gänzlich  fort. 

Systematisches. 

Am  Ende  unsrer  Untersuchung  wäre  es  von  Interesse,  die  bis  jetzt 
noch  ziemlich  schwankende  systematische  Stellung  der  Ctenodriliden 
näher  zu  begründen. 

Über  diese  Frage  werden  sehr  verschiedene  Ansichten  geäußert. 
Kennel  und  Zeppelin  stellten  die  Ctenodrihden  als  Kollektivtypus 
an  den  Ausgang  der  Oligochäten  und  Polychäten.  Andre,  wie  Monti- 
celli,  reihten  sie  den  Archianneliden,  andre  den  Oligochäten  (Cla- 
parede  [63],  Vaillant  [90],  Vejdovsky  [84])  und  schließlich  auch 
den  Polychäten  (Caullery  u.  Mesnil  [97,  98]  und  Galvagni)  an. 
Ich  werde  hier  nur  auf  die  wichtigsten  Punkte  näher  eingehen. 

Wenn  die  Ctenodrilen  im  ganzen  in  ihrer  Organisation  nicht  viel 
Gemeinsames  mit  den  Archianneliden  —  abgesehen  von  dem  ganz  in 
der  Epidermis  liegenden  Nervensystem  und  andern  wenigen  Über- 
einstimmungen —  haben,  so  ist  doch  die  Ähnlichkeit  der  Wimper- 
ringe des  Ct.  hranchiatus  mit  solchen  der  Archianneliden  sehr  auffallend. 
Da  man  aber  derartige  Wimperreife  auch  bei  Dinophüus  und  bei  der 
von  Clap AREDE  Und  Metschnikoff  1869  entdeckten  Polychätenart 
Ophryotrocha  puerilis  vorfindet,  so  ist  ims  ihre  Bedeutung  nicht  ohne 
weiteres  einleuchtend. 

Anderseits  findet  man  gewisse  Anhaltspunkte,  welche  die  Cteno- 
drilen in  nähere  Beziehung  zu  den  Oligochäten  zu  bringen  scheinen. 
Dafür  zeugen  z.  B. :  die  Art  und  Weise  der  Befestigung  der  Borsten- 
follikel  durch  Muskelbänder  an  die  Körperwand,  das  Vorkommen  des 
Herzkörpers  u.  e.  a.,  besonders  aber  die  Teilungserscheinungen  (vgl. 
mit  den  Teilungsvorgängen  bei  Nais  [M.  Schultze,  Leuckart,  Per- 
rier  u.  a.],  bei  Chaetogaster  [M.  de  Bock,  98]  und  andern  Oligochäten. 
Ich  will  hier  nicht  näher  auf  diese  Erscheinungen  eingehen). 

Es  sind  wenige  Fälle  bekannt,  wo  Oligochäten  mit  zahlreichen 
Körperanhängen  gefunden  wurden,  wie  z.  B.  Alma  nilotica  (Grube,  55), 
Chaetobranchus  (Bourne,  90)  und  Branchiura  Sowerbyi  (Beddard,  92). 
Diese  Körperanhänge  erwiesen  sich  in  allen  Fällen  als  echte  Kiemen, 
da  sie  mit  Blutgefäßen  versorgt  waren.  Wenn  man  sie  aber  mit  den 
Kiemen  des  Ct.  hranchiatus  vergleicht,  so  erweisen  sich,  trotz  manchen 
Übereinstimmungen,  doch  wichtige  Unterschiede,  die  eine  Homologi- 
sierung  der  in  Rede  stehenden  Organe  nicht  ermöglichen.    Wenn  man 


über  eine  neue  Ctenodriliisart  und  ihre  Vermehrung.  093 

von  der  schlecht  beschriebenen  Alma  nilotica  absieht,  sind  die  Kiemen 
von  Branchiura  Sou-erhyi,  obgleich  zu  zwei  in  jedem  Segment,  dorsal 
und  ventral  in  der  Körpermittellinie  angebracht;  bei  Chaetobranchus 
findet  man  wiederum  Borsten,  die,  von  dorsalen  Bündeln  stammend, 
gänzlich  in  den  Kiemenanhängen  gelegen  sind. 

Der  komplizierte  Bau  der  Geschlechtsorgane  der  Oligochäten  steht 
auch  nicht  mit  den  einfachen  Gonaden  des  Ct.  hranchiatus  im  Ein- 
klang. 

Diese  und  noch  zahlreiche  andre,  hier  nicht  weiter  zu  erwähnende, 
Unterschiede  machen  uns  klar,  daß  von  einer  Anreihung  der  Cteno- 
driliden  an  die  Oligochäten  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Es  bleibt  uns  noch  eine  Möglichkeit,  nämlich,  die  Verwandtschafts- 
verhältnisse der  Ctenodriliden  mit  den  Polychäten  zu  diskutieren. 
Und  wir  werden  sehen,  daß  die  Parallele  in  diesem  Falle  sich  viel  leichter 
ziehen  läßt,  wie  in  beiden  vorhergehenden.  Ich  habe  zunächst  die 
Arbeit  von  Caullery  und  Mesnil  (98)  im  Auge,  wo  eine  ganze  Reihe 
von  Punkten  angeführt  wird,  welche  die  Ctenodriliden  mit  den  Cirra- 
tuliden  und  speziell  mit  dem  Vertreter  dieser  Polychätenfamilie,  Dode- 
caceria  concharum  haben.  Wenn  man  einigen  von  ihnen  auch  keine 
allzu  große  Bedeutung  zuschreiben  kann,  wie  u.  a.  der  Gestalt  der 
Borsten,  die  doch  überhaupt,  auch  bei  nahe  verwandten  Formen,  sehr 
variabel  ist  (verschiedene  Ctenodrilus- Alten  zeugen  ja  selbst  dafür) 
und  daher  nicht  als  fester  Vergieichspmikt  dienen  kann,  so  hat  man 
gegen  die  andern  durchaus  nichts  einzuwenden.  Ich  werde  kurz  die- 
jenigen Punkte  aufzählen,  auf  welche  die  genannten  Forscher  hin- 
gewiesen haben. 

1)  Das  Prostomium  besitzt  hier  wie  dort  keine  Anhänge  und  ist 
mit  Riechgruben  versehen. 

2)  Dem  ersten  metastomialen  Segment  fehlen  in  beiden  Fällen 
die  Borsten. 

3)  Der  Bau  des  Blutgefäßsystems  ist,  sogar  in  seinen  Einzelheiten, 
fast  vollkommen  derselbe:  «L'intestin  est  sauf  dans  la  region  oeso- 
phagienne,  entoure  par  un  sinus  sanguin  qui,  anterieurement,  se  continue 
avec  le  vaisseau  dorsal.  Celui-ci  est  contractile.  II  est  assez  sinueux, 
II  renferme  un  corps  cardiaque,  forme  par  une  bände  cellulaire  massive, 
dans  laquelle  s'accumule  graduellement  un  pigment  concretionne,  inso- 
luble  dans  les  reactifs  ordinaires.  Un  vaisseau  ventral  court  tout  le 
long  du  Corps  dans  l'epaisseur  du  mesentere.  Dans  chaque  segment 
des  branches  du  vaisseau  dorsal  ou  du  sinus  sanguin  vont  se  ramifier 
ä  la  peau  —  bei   Ct.  hranchiatus  verzweigen  sie  sich  nicht  —  puis 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  39 


594  Iwan  Sokolow, 

reviennent  au  vaisseau  ventral.  Les  branchies  regoivent  du  sang  du 
vaisseau  dorsal.  —  (Das  ist  bei  Ct.  branchiatus  noch  nicht  aufgeklärt.)  — 
EUes  renferment  un  vaisseau  afferent  et  un  efferent,  relies  par  des 
anses  transverses;  les  palpes  renferment  un  vaisseau  aveugle»  (S.  69). 

4)  Das  Nervensystem  zeigt  sehr  viele  Analogien. 

5)  Die  Lage  und  der  Bau  des  vorderen  Paares  der  Excretions- 
organe  ist  bei  den  beiden  Formen  vollkommen  derselbe.  Wenn  die 
Annahme  der  erwähnten  Forscher,  daß  vielleicht  bei  der  geschlecht- 
lichen Form  von  Ctenodrilus  sich  in  mittleren  und  hinteren  Segmenten 
des  Körpers  noch  Nephridien  finden  werden,  sich  auch  nicht  bestätigt 
hat,  so  kann  man  sich  doch  das  Fehlen  der  entsprechenden  Segmental- 
organe bei  Ctenodrilus  als  eine  vollkommene  Reduktion  aller  Segmental- 
organe der  Dodecaceria  mit  Ausnahme  des  ersten  Paares  erklären. 
Wahrscheinlich  hat  gerade  die  Viviparität,  bei  der  die  Rolle  der  Seg- 
mentalorgane, als  Leitungswege  für  die  Geschlechtsprodukte,  wie  es 
bei  Cirratuliden  die  Regel  ist,  bei  der  Geburt  von  so  riesigen  Jungen 
keinen  Sinn  mehr  hatte,  das  vollkommene  Schwinden  der  Segmental - 
Organe  verursacht. 

6)  Caullery  und  Mesnil  fanden  eine  vollkommene  Homologie 
des  Tentakels  von  Ct.  monostylos  mit  den  Palpen  der  Dodecaceria: 
<<I1  a  la  meme  structure  (il  renferme  un  seul  vaisseau  sanguin  et  mie 
gouttiere  ciliee)  et  la  meme  position  (il  est  place  lateralement  sur  le 
premier  segment  metastomial)  qu'un  palpe  de  Dodecaceria  ou  Hetero- 
cirrus  >>.  Er  erscheint  sehr  spät  (wie  die  Palpen  der  Dodecaceria) ;  außer- 
dem tritt  zuweilen  noch  ein  andrer,  symmetrisch  gelegener,  d.  h.  paariger 
Tentakel  auf. 

Meine  Beobachtungen,  nun,  an  Ct.  branchiatus  haben  nicht  nur 
die  Ansicht  Caullery  und  Mesnils  vollständig  bestätigt,  sondern 
auch  noch  einige  wichtige  Tatsachen,  welche  für  eine  noch  nähere 
Verwandtschaft  der  Ctenodriliden  mit  den  Cirratuliden  sprechen,  er- 
geben. 

An  erster  Stelle  möchte  ich  der  Kiemenanhänge  des  Ct.  branchiatus 
gedenken,  die  ja  natürlich  homolog  den  Kiemen  der  Cirratuliden  sind 
(vaisseau  afferent,  vaisseau  efferent).  Wenn  Caullery  und  Mesnil 
noch  Bedenken  trugen,  die  Ctenodriliden  an  die  Familie  der  Cirratu- 
liden ohne  weiteres  anzureihen,  indem  sie  sagten:  <<on  pourrait  songer 
ä  faire  de  Ctenodrilus  le  type  d'une  famille  distincte,  qui  ne  se  se- 
parerait  des  Cirratuliens  que  par  l'absence  de  branchies»,  so  ist  ihr 
Zweifel  durch  meine  Beobachtungen,  wie  ich  glaube,  zerstreut.  Übri- 
gens hatten  sie  ganz  Recht,  als  sie  noch  zufügten:  <<mais  ce  ne  serait 


i 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  luid  ihre  Vermehrung.  595 

qu'uu  caractere  negatif,  et  d'aiileurs  sans  grande  nettete;  car  chez  les 
Cirratuliens  on  rencontre  tous  les  degres  de  reduction  de  l'appareil 
branchial  {Hecaterobranchus  n'a  q'une  paire  de  branchies).>>  Ct.hran- 
rliiatus  erweist  sich  somit  als  ein  typisches  Mitglied  dieser  Familie, 
denn  er  macht  sogar  während  seiner  Ontogenese  die  «reduction  de 
l'appareil  branchial»  durch. 

Caullery  und  Mesnil  haben  bei  Dodecaceria  concharum  einen 
stark  ausgeprägten  Polymorphismus  gefunden  und  drei  Formen  be- 
schrieben, von  denen  die  eine  sedentär  und  atok,  die  andre  freilebend 
und  epitok,  die  dritte  sedentär  und  auch  epitok  war.  Außerdem 
führen  sie  in  ihrer  Arbeit  eine  ganze  Reihe  von  Beispielen  der  Epitokie 
bei  den  Polychäten  an.  Meiner  Ansicht  nach  könnte  diese  Reihe 
noch  insofern  verlängert  werden,  als  man  ihr  noch  den  Fall  bei  Ct. 
hranchiatus  und  serratus  hinzufügen  könnte. 

Ehlers  (68),  welcher  zuerst  den  Begriff  der  »Epitokie«  eingeführt 
hat,  verstand  darunter  eine  besondere  Erscheinung  bei  manchen  Tier- 
formen, speziell  bei  den  Polychäten,  welche  darin  besteht,  daß  die 
Organismen  zu  der  Zeit  der  Geschlechtsreife  eine  gewisse  Veränderung 
in  ihrer  Gestalt  und  ihrem  Bau  erleiden.  Er  bezeichnete  nun  »diejenige 
Form,  welche  die  .  .  .  Veränderungen  trägt,  als  'epitoke  Form' 
(l/r/roxog  —  der  Geburt  nahe)  .  .  . ,  die  nicht  umgestaltete  dagegen 
als  'atoke  Form'  {aroyiog  —  unfruchtbar)«.  Demnach  muß  Ct.  hran- 
chiatus einen  neuen  Fall  der  Epitokie  darstellen.  Die  Form  B,  bei  der 
niemals  Geschlechtsorgane  aufgefunden  wurden,  muß  nun  als  die 
atoke  bezeichnet  werden.  Wenn  sie  sich  aber  der  geschlechtlichen 
Periode  nähert,  erleidet  sie  gewisse  Umgestaltungen,  wie  den  Verlust 
der  Wimperringe,  der  Augen  und  der  Kiemenanhänge  und  verwandelt 
sich  in  die  epitoke  Form  A. 

Eine  Epitokie  dürfte  es  auch  bei  Ct.  serratus  geben,  denn  Monti- 
CELLi  (07)  beschreibt  Formen  mit  Wimperbekleidung  und  solche  ohne 
Wimpern.  Bei  den  ersteren  waren  immer  entweder  Gonaden  oder 
auch  Larven  im  Körper  vorhanden,  bei  letzteren  aber  nie.  Jene  könnte 
man  wohl  als  epitoke,  diese  als  atoke  Formen  bezeichnen. 

Die  letzte  Ähnlichkeit  besteht  darin,  daß  die  Cirratuliden  ebenso 
wie  die  Ctenodriliden  vivipar  sind.  Diesem  Umstände,  da  er  eine 
so  seltene  Erscheinung  bei  den  Anneliden  vorstellt,  ist  ein  besonderes 
Gewicht  beizulegen.  Auch  hier  wenden  wir  uns  zu  den  beiden  fran- 
zösischen Forschern.  Nachdem  sie  die  wenigen  Fälle  der  Viviparität 
bei  den  Polychäten  aufgezählt  haben,  schreiben  sie:  «des  lors,  il  est 
interessant  de  noter  que  le  petit  nombre  des  cas  connus  sont  repartis 

39* 


596  Iwan  Sokolow,  . 

dans  des  familles,  oü  se  presente  l'epitoquie  ou  la  schizogenese ;  nous 
sommes  portes  ä  croire  d'ailleurs,  que  chez  les  Syllidiens  et  les  Cirratu- 
liens  en  particulier,  si  l'attention  des  zoologistes  se  porte  de  ce  cote, 
on  trouvera  ime  certaine  generalite  a  la  viviparite  >>.  Diese  Vermutung 
hat  sich  mit  dem  Auffinden  der  Viviparität  bei  Ct.  hranchiatus  und 
Ct.  serratus,  bestätigt.  Zugleich  ist  die  Erscheinung  der  Viviparität 
bei  den  Ctenodrilen,  gerade  dank  ihrer  Seltenheit,  einer  der  besten 
Beweise  für  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Cirratuliden,  unge- 
achtet dessen,  daß  die  Entwicklung  in  beiden  Fällen  nicht  ganz  gleich 
verläuft!. 

Unser  ganzer  Vergleich  der  Ctenodriliden  mit  den  Cirratuliden 
hat  nun  ergeben,  daß  diese  Formen  in  vielen  Beziehungen  einander 
sehr  nahe  stehen.  Daraus  läßt  sich  nur  ein  logischer  Schluß  in  betreff 
der  systematischen  Stellung  der  Ctenodrilen  ziehen,  daß  sie  nämlich 
nichts  andres,  als  regressiv  umgestaltete  Repräsentanten  der  Familie 
der  Cirratuliden  darstellen. 

Es  erübrigt  nur  noch  die  Stellung  des  Ct.  hranchiatus  innerhalb 
der  Gruppe  der  Ctenodriliden  selbst  zu  ermitteln.  Wie  wir  wissen, 
hat  MoNTiCELLi  1893  die  drei  (vier)  bis  jetzt  beobachteten  Ctenodrilus- 
Arten  in  zwei  Gruppen  gesondert: 

a.  Am  Kopfsegment  ein  Tentakel,  Borsten  von  zweierlei  Art  und 
in  Gruppen  zusammengestellt,  nicht  gekämmt. 

Gen.   Zeppelinia  Vaillant  {=  Monostylos  Vejd.). 
1.  Z .  monostylos    (=  Ct.  moyiostylos    Zepp.  =  Monostylos    tenta- 

culifer  Vejd.). 
(2.  Z.  dentata  Mont.) 

b.  Ohne  Tentakel,  nur  Borsten  von  einer  Art. 

Gen.  Ctevwdrilus  Clap.  {=  Parthenope  O.Schm.). 

3.  Ct.  serratus  0.  Schm. 

4.  Ct.  parvulus  Scharff . 

Als  einen  wichtigen  Unterschied  zwischen  beiden  Gruppen  müßte 
man  noch  die  verschiedene  Art  und  Weise  der  Teilung  bei  Zeppelinia 
und  Ctenodrilus  hinzufügen,  was  übrigens  schon  von  Caullery  und 
Mesnil  hervorgehoben  wurde. 

Zu  welcher  der  beiden  Gruppen  muß  nun  unsre  neue  Art  gestellt 
werden?     Vielleicht  muß  man  für  sie  eine  neue  Gattung  aufstellen? 


1  Bei  Dodecaceria  concharum  ist  die  Larve  von  einer  zarten  Hülle  umgeben, 
hat  viel  Ähnlichkeit  mit  der  typischen  Trochophora  und  verläßt  die  Mutter  in 
einem  noch  jungen  Stadium, 


über  eine  neue  Ctenudi-ilusart  und  ihre  Vermehrung.  597 

Wenn  wir  zunächst  auf  ihre  Organisation  näher  eingehen,  so  finden 
wir,  daß  sie  mehr  ÄhnUchkeit  mit  ZeppeUnia,  als  mit  Ctenodrilus 
aufweist. 

Erstens  erinnert  ihre  äußere  Form  mehr  an  die  schlanke  Gestalt 
von  ZeppeUnia  als  an  den  gröberen  Körperbau  von  Ctenodrilus,  imd 
ihre  Größenverhältnisse  stimmen  mehr  oder  weniger  überein.  (Die 
maximale  Länge  von  Ct.  hranchiatus  ist  4  mm,  von  ZeppeUnia  in  der 
Regel  auch  3 — 4  mm,  bei  Ct.  serratus  beträgt  sie  aber  6 — 7,  mitunter 
sogar  8 — 9  mm.) 

Sodann  steht  Ct.  hranchiatus  in  bezug  auf  die  Borstenform  der 
ZeppeUna  viel  näher.  Obgleich  die  Borsten  der  letzteren  von  zweierlei 
Art  sind,  so  sind  sie  doch  im  ganzen  einfach,  lang  und  nicht  gezähnelt, 
also  wie  bei  unsrer  Form. 

Ein  noch  wichtigerer  Anhaltspunkt  besteht  darin,  daß  die  Seg- 
mentzahl bei  Ct.  hranchiatus  fast  dieselbe  wie  bei  ZeppeUna  ist. 
Dort  besteht  der  Körper  aus  rund  25 — 30  Segmenten,  hier  aus  20 — 25. 
Interessant  ist  noch,  zu  notieren,  daß  das  Maximum  der  Segment- 
zahl, das  ich  beobachtete,  36  betrug  und  auch  Zeppelin  an  größten 
Exemplaren  seiner  Art  fast  ebensoviel,  nämlich  35,  zählen  konnte. 
Dagegen  besitzt  Ct.  serratus  nur  12 — 14  Segmente. 

Schließlich  will  ich  noch  von  den  Teilungsprozessen  sprechen. 
Obgleich  die  Teilungsvorgänge  des  Ct.  hranchiatus,  wie  aus  dem  früher 
Gesagten  zu  ersehen  ist,  eine  mittlere  Stellung  zwischen  denen  des 
Ctenodrilus  und  denen  der  ZeppeUnia  einnehmen,  stehen  sie  doch  in 
manchen  Beziehungen  denen  der  letzteren  näher.  Bei  Ct.  serratus 
regeneriert  zunächst  jedes  Segment  das  vordere  und  hintere  Ende  des 
Sprößlings,  und  erst  hierauf  tritt  der  Zerfall  der  Kette  in  einzelne  In- 
dividuen ein.  Bei  ZeppeUnia  und  Ct.  hranchiatus  werden  die  neuen 
Individuen  meist  von  mehreren  mütterhchen  Segmenten  gebildet. 
Ferner  beginnt  die  Neubildung  des  vorderen  und  des  hinteren  Endes 
bei  ZeppeUnia  stets,  bei  Ct.  hranchiatus  meist  nach  der  Lostrennung 
der  Sprößlinge.  (Man  muß  natürlich  mit  Verallgemeinerungen  sehr 
vorsichtig  sein,  da  meine  Beobachtungen  sich  nur  auf  ein  sehr  spärliches 
Material  stützen.) 

Nach  dem  Gesagten  glaube  ich,  daß  die  beschriebene  neue  Form 
in  näherer  Beziehung  zu  der  Gattung  ZeppeUnia  steht,  als  zu  Cteno- 
drilus und  daher  richtiger  als  ZeppeUnia  hranchiata  zu  bezeichnen  ist. 

Ob  es  angezeigt  wäre  für  sie  ein  neues  Genus  wegen  ihres  Besitzes 
von  Kiemen,  Augen  und  der  Wimperreifen  in  einer  gewissen  Lebens- 
periode zu  errichten,  lasse  ich  einstweilen  unentscheiden,  da  wir  ja 


598  Iwan  Sokolow, 

die  Entwicklung  der  Z,  monostylos  und,  wie  ich  wohl  sagen  darf,  auch 
der  beiden  Otenodrilus- Avten  gar  nicht  kennen.  Vielleicht  macht  Z. 
monostylos  während  ihres  Lebenscyclus  auch  ein  kiementragendes 
Stadium  B  durch.  Wenn  man  aber  nur  die  Form  A  berücksichtigt, 
so  erscheint  es  sicher,  daß  sie  sich  eigentlich  in  keiner  prinzipiellen 
Beziehung  von  dem  echten  Zeppelinia-Ty^us  unterscheidet. 


Zeppelinia  Vaillant.  Segmentzahl  größer  als  20.  Am  Körper, 
wenigstens  in  einer  gewissen  Lebensperiode,  Kiemenanhänge  oder 
Tentakel  vorhanden.  Neubildung  des  Vorder-  und  Hinterendes  der 
durch  Teilung  entstandenen  Zooide  gewöhnlich  erst  nach  dem  Zerfall 
der  ganzen  Kette. 

Z.  branchiata  n.  sp.  25 — 30  Segmente.  Borsten  lang  fadenförmig, 
zu  zwei  bis  drei  in  je  einem  Bündel.  Herzkörper  intensiv  scharlachrot 
oder  olivengrün  gefärbt.  Oberes  Schlundganglion  in  die  Kopflappen- 
höhle stark  vorspringend.  Die  atoke  Form  besitzt  zwei  Augen,  einen 
Wimperkranz  an  allen  Rumpf  Segmenten,  sowie  Kiemenpaare  an  vielen. 


Damit  diese  Arbeit  abschließend,  möchte  ich  bei  dieser  Gelegen- 
heit meinen  innigen  Dank  der  Verwaltung  der  Zoologischen  Station 
zu  Neapel,  sowie  Herrn  Prof.  W.  T.  Schewiakoff,  in  dessen  Labora- 
torium der  Stoff  größtenteils  verarbeitet  wurde,  aussprechen.  Zu 
ganz  besonderem  Dank  aber  fühle  ich  mich  Herrn  Prof.  0.  Bütschli 
verpflichtet,  der  die  Liebenswürdigkeit  hatte  meine  Arbeit  durchzusehen. 

St.  Petersburg,  im  September  1910. 


Verzeichnis  der  benutzten  Literatur, 

92.     Fb.  E.  Beddard,  A    new    branchiate    Oligochaete    (Branchiura    Sowerbyi). 

Q.  J.  M.  Sc.    Vol.  XXXIII. 
95.     —  A  monograph  of  the  order  Oligochaeta.     Oxford. 
00.     R.  iS.  Bergh,  Beiträge  zur  vergl.  Histologie.     II.  Über  den  Bau  der  Gefäße 

bei  den  Anneliden.    Anat.  Hefte,  1.  Abt.  Bd.  XIV.  2.  Hft.,  und  Bd.  XV. 

3.  Hft.  (45.  u.  49.  Hft.). 
98.     M.VX  VON  Bock,  Über  die  Knospung  von  Chaetogaster  diaphanus  Gruith. 

Jena.  Z.  Naturw.     Bd.  XXXI. 
90.     —  Le  Corps  cardiaque  et  les  amibocytes  des  Oligochaetes  limicoles.     Rev. 

suisse  Zool.     Tom.  VIII. 
90.     A.  G.  BouRNE,  On  Chaetobranchus  a  New  Genus  of  Oligochaetous  Chaeto» 

poda.     Q.  J.  M.  Sc.     Vol,  XXXI. 


über  eine  ueuo  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  599 

95.  N.  G.  Calkins,  Tho  spermatogenesis  of  Lumbricus.    Juurn.  Morph.    Vol.  XI. 

97.  Caullery  et  Mesnil,  Sur  hx  position  systematique  du  genrc  Ctenodrilus 

Clap.  ses  affinites  avec  les  Cirratuliens.  C.  R.  Ac.  Sc.  Paris.  CXXV. 
(p.  542—544). 

98.  —  Les  formes  epitoques  et  l'evolution  des  Cirratuliens.     Annales  de  l'Uni« 

versite  de  Lyon,  Faso.  XXXIX. 

63.  Edouard  Claparäde,  Beobachtungen  über  Anatomie  und  Entwicklungs- 
geschichte wirbelloser    Tiere  an  der  Küste  der  Nomandie. 

68.     Ernst  Ehlers,  Die  Borstenwürmer.     1864 — 68.    Leipzig.     (S.  453). 

05.  H.  Freüdweiler,  Studien  über  das  Gefäßsystem  niederer  Oligochäten. 
Jena.  Z.  Naturw.     Bd.  XL. 

03.  Egon  Galvagni,  Histologie  des  Genus  Ctenodrilus  Clap.  Arb.  Zool.  Inst. 
Wien.     Bd.  XV. 

96.  V.  Haecker,  Pelagische    Polychätenlarven.      Zur    Kenntnis    des    Neapler 

Frühjalu-s- Auftriebs.     Diese  Zeitschr.     Bd.  LXII. 
78.     Berthold  Hatschek,  Studien  über  Entwicklungsgeschichte  der  Anneliden. 

Ein  Beitrag  zur  Morphologie  der  Bilaterien.  Arb.  Zool.  Inst.  Wien.  Bd.  I. 
93.     —  System  der  Anneliden,  ein  vorläufiger  Bericht.     Lotos.     XIII. 
85.     R.  Horst,  Über  ein  rätselhaftes  Organ  bei  den  Chlorämiden.     Zool.  Anz. 

Bd.  VIII. 
83.     O.  S.  Jensen,  Recherches  sur  la  Spermatogenese.     Arch.  de  Biol.     Vol.  IV. 

82.  J.  V.  Kennel,  Über  Ctenodrilus  pardalis  Clap.     Ein  Beitrag  zur  Kenntnis 

der  Anatomie  und  Knospung  der  Anneliden.  Arb.  zool.  Inst.  Würz- 
burg.    Bd.  V. 

03.     A.  Lang,  Beiträge  zu  einer  Trophocöltheorie.  Jena.  Z.  Naturw.  Bd.  XXXVIII. 

Ol.  Eduard  Meyer,  Studien  über  den  Körperbau  der  Anneliden.  Mitt.  Zool. 
Station.  Neapel.     Bd.  XIV. 

92.  Fr.  Sav.  Monticelli,  Notizia  preliminare  intorno  ad   alcuni  inquilini  degli 

Holoturioidea  del  golfo  di  Napoli.  Monitore  Zoologico  Italiano.  HL 
Nr.  12. 

93.  —  Sullo  Ctenodrilus  serratus  O.  Schm.     Boll.  Soc.  Nap.    VII. 

07.  —  Sessualita  e  gestazione  nello  Ctenodrilus  serratus  0.  Schm.  (Communi- 
cazione  preliminare).     Atti  Congr.  Natur.  Italiani  (Milano). 

98.  L.  J.  Picton,  On  the  Heart-body  and  coelomic  fluid  of  certain  Polychaeta. 

Q.  J.  M.  Sc.     Vol.  XLI. 
89.     Dan.  Rosa,    II  Ctenodrilus   pardalis  Clap.  a  Rapallo.     Boll.  Musei  Zoolog. 
Anat.  Comp.  Torino.     Vol.  IV. 

89.  L.  Roule,    Etudes   sur   le   developpement   des    Annelides.     Ann.   Sc.   Nat. 

Tom.  VII. 

83.  W.  Salensky,   Etüde   sur   le   developpement  des   Annelides.     Arch.   Biol. 

Tom.  IV. 
87.     RoB.  ScHARFF,  On  Ctenodrilus  parvulus  n.  sp.     Q.  J.  M.  Sc.     Vol.  XXVII. 
57.     Oskar  Schmidt,   Zur  Kenntnis    der  Turbellaria   rhabdocoela    und    einiger 

andrer  Würmer  des  Mittelmeeres.     Sitzber.  d.  k.  Akad.  Wiss.  Wien. 

99.  Guido  Schneider,   Über  Phagocytose  und  Excretion  bei  den  Anneliden. 

Diese  Zeitschr.     Bd.  LXVI. 

90.  Väillänt,    Histoire  naturelle  des  Annelides  marins  et  d'eau  douce.    T.  III, 

Part.  2.     Collection  des  Suite«  ä  Buffon. 


600 


Iwan  Sokolow, 


84.  Fr.  Vejdovsky,  System  und  Morphologie  der  Oligochäten.     Prag. 

85.  W.  Voigt,  Über   Ei-   und   Samenbildung    bei   Branchiobdella.     Arb.   Zool. 

Inst.  Würzburg.     Bd.  VII. 
83.     äIax  Graf  Zeppelin,  Über  den  Bau   und  die  Teilungsvorgänge  in  Cteno- 
drilus  monostylüs  n.  sp.      Diese  Zeitschr.     Bd.  XXXIX. 


Erklärung  der  Abbildungen, 

Die  Abbildungen  wurden  teils  mit  einem  ÄBBEschen  Zeichenapparat  von 
C.  Zeiss,  teils  auf  Grund  der  in  Neapel  nach  dem  Leben  entworfenen  Skizzen 
gezeichnet. 

Allgemein  gültige  Bezeichnungen: 


Au,  Auge; 

BF,  Borstenfollikel; 

Cöl,  Cölom; 

Cut,  Cuticula; 

Ds,  Dissepiment; 

Ect,  Ectoderm; 

EdD,  Enddarm; 

Eni,  Entoderm; 

Ep,  Epidermis; 

EZ,  Eizelle; 

Hzk,  Herzkörper; 

KCöl,  Kopf  cölom; 

KD,  Drüsen  an  den  Kiemen; 

KDs,  Kopfdissepiment ; 

KO,  Kopf ganglion ; 

KPl,  Seheitel  platte; 


MD,  Mitteldarm; 

Mes,  Mesoderm; 

MZ,  Muskelzug; 

Nf,  Nephridium; 

N S,  Nervenstrang; 

ODZ,  üldrüsenzelle; 

Oes,  Oesophagus; 

OF,  obere  Falte  des  Schlundkopfes; 

Per,  Peritoneum; 

RVD,  Rückenast  des  Dorsalgefäßes; 

Schk,  Schlundkopf; 

UT,  untere  Falte  des  Schlundkopfes; 

VDm,  Vorderdarm; 

VD,  Dorsalgefäß; 

VV,  Ventralgefäß; 

WR,  Wimperring. 


Tafel  XXVII. 


Fig.  1.     Gtenodrilus  branchiatus.  Form  A.     71/1. 

Fig.  2.     Querschnitt  durch  die  Epidermis.     Pigment  (ungefärbt).     940/1. 

Fig.  3.     Dasselbe.     Drei  Öldrüsenzellen  (erwachsener  Embryo).     940/1. 

Fig.  4.     Dasselbe.     Klebdrüsenzelle.     940/1. 

Fig.  5.     Zwei  Borsten  von  der  Form  B.     600/1. 

Fig.  6.     Zwei  Borsten  und  eine  Ersatzborste  von  der  Form  A.     600/1. 

Fig.  7.  Tangentialer  Schnitt  durch  die  Hautmuskelschicht.  Im,  Längs- 
muskeln; rm,  Ringmuskeln.     Safranin.     940/1. 

Fig.  8.  Teil  eines  Längsschnittes  durch  den  Schlundkopf,  pr,  Protractor;  sf, 
Stützgebilde.    Eisenhämatoxylin  nach  Heidenhain.     940/1. 

Fig.  9.     Dasselbe;  Safranin.     940/1. 

Fig.  10.  Querschnitt  durch  den  vorderen  Teil  des  Körpers.  Mb,  Muskel- 
verbindung zwischen  je  zwei  Borstenfollikeln.     390/1. 

Fig.  11.  Optischer  Längsschnitt  durch  das  Hinterende.  An,  Anus;  AnL, 
Anallappen.     142/1. 


über  eine  neue  Ctenodrilusart  und  ihre  Vermehrung.  601 

Fig.  12.  Querschnitt  durch  den  Kopf  im  Bereich  des  Schlundkopfes  ( SchK). 
öf,  Stützgebilde  desselben.     390/1. 

Fig.  13.  Schnitt  durch  ein  Borstenfollikel  {BF)  mit  seinen  Muskelzügen 
(MZ).     530/1. 

Fig.  14.  Vorderende  der  Form  B;  zeigt  die  Verteilung  des  Blutgefäße. 
VD,  Vas  dorsale;  VV,  Vas  ventrale;  RVD,  Rückenast  des  Dorsalgefäßes;  LG, 
Lateralgefäße;  GBi,  vorderer  dicker  Gefäßring;  GB^,  der  zweite  Gefäßring; 
MB,  Retractor  des  Schlundkopf  es;  vf,  dritte  unterste  Falte.  Halbschematisch. 
390/1. 

Fig.  15.  Querschnitt  durch  ein  Borstenfollikel.  B,  Borsten;  BFK,  Kerne 
der  Follikelzellen.     940/1. 

Fig.  16.  Längsschnitt  durch  ein  Nephridium.  NfK,  Nephridialkanal ; 
NfN,  Kerne  der  Nephridialzellen.     530/1. 

Fig.  17.  Teil  eines  Längsschnittes  durch  den  Herzkörper.  HzkN,  Kern 
der  Herzkörperzellen;  kr,  freie  Räume  nach  dem  Auflösen  der  Körnchenein- 
schlüsse  (Form  A).     940/1. 

Fig.  18.  Querschnitt  durch  das  Vas  dorsale  eines  erwachsenen  Embryos. 
Hzk,  Herzkörper.     940/1. 

Fig.  19.  Teil  eines  Schnittes  durch  den  Herzkörper  einer  Übergangsform. 
940/1. 

Fig.  20.  Querschnitt  durch  den  Kopflappen.  KG,  Kopfganglion ;  FIB, 
Flimmerrinne;  3IZ,  Muskelzüge  in  der  Kopflappenhöhle.     530/1. 

Fig.  21.     Längsschnitt  durch  das  Ventralgefäß.     940/1. 

Fig.  22.     Totalbild  des  Herzkörpers.     Nach  dem  Leben.     300/1. 

Fig.  23.  Teil  eines  Querschnittes  diirch  das  siebente  Segment.  Og,  Oogo- 
nien;  EZ,  Eizellen.     940/1. 

Fig.  24.     Schnitt  durch  die  Riechgrube,     n,  Nerven  derselben.     940/1. 

Fig.  25.     Ei.     940/1. 

Fig.  26.  Querschnitt  durch  das  Ventralgefäß  mit  den  um  dasselbe  ge- 
lagerten Eizellen.     530/1. 

Tafel  XXVIII. 

Fig.  27.  Schnitt  durch  den  unteren  Teil  des  siebenten  Dissepiments.  s,  Sper- 
matoblast.    940/1. 

Fig.  28.     Kleine  Spermatogemme  mit  sechs  Spermatogonien.     940/1. 

Fig.  29.     Größere  Spermatogemme.     Cyt,  Cytophor.     940/1. 

Fig.  30.     Spermatogemme  in  Teilung.     940/1. 

Fig.  31.     Spermatocytengruppe  am   Cytophor  {Cyt).     940/1. 

Fig.  32 — 34.     Umwandlung  der  Spermatocyten  in   Spermatozoide.     940/1. 

Fig.  35.     Gruppe  von  Samenfäden  am  Cytophor.     940/1. 

Fig.  36.     Cytophor.     Safranin.     940/1. 

Fig.  37.     Zwei  Spermatozoide  (kombiniert  nach  Schnitten).     940/1. 

Fig.  38.  Ctenodrilus  branchiahis.  Form  B.  KA,  Kiemenanhänge.  71/1. 
Nach  dem  Leben. 

Fig.  39.  Distales  Ende  eines  Kiemenanhanges.  KD,  Drüsen;  w,  Wimper- 
feld.    600/1.     Nach  dem  Leben. 

Fig.  40.  Mittlerer  Teil  eines  Kiemenanhanges.  /,  Falten.  60/1.  Nach  dem 
Leben. 


602  Iwan  iSokolow, 

Fig.  41.     Stück  der  Oberfläche  desselben.     Nach  dem  Leben.     600/1. 

Fig.  42.  Stück  der  Drüsenregion  eines  Kiemenanhanges.  Nach  dem  Leben. 
600/1. 

Fig.  43.  Querschnitt  durch  die  Drüsenregion  des  Kiemenanhanges.  31 Z, 
Muskeln.     940/1. 

Fig.  44.     Längsschnitt  durch  dieselbe.     Eosin.     940/1. 

Fig.  45.  Querschnitt  durch  den  mittleren  Teil  des  Kiemenanhanges.  VBr, 
Kiemengefäße.     940/1. 

Fig.  46.     Längsschnitt  durch  einen  sehr  jungen  Kiemenanhang.     940/1. 

Fig.  47.  Anheftung  eines  Kiemenanhanges  kurz  vor  dem  Abfallen.  Nach 
dem  Leben.     600/1. 

Fig.  48.  Dasselbe  (ein  späteres  Stadium).  Befestigung  durch  Muskeln  (31 Z). 
Nach  dem  Leben.     600/1. 

Fig.  49.  Di'ei  Wimperreife  eines  absterbenden  Ct.  branchintvs  yon  der  Seite. 
Vac,  Vacuolen.     Nach  dem  Leben.     300/1. 

Fig.  50.     Seitliche  Ansicht  eines  Wimperreifes.    Nach  dem  Leben.   600/1. 

Fig.  51.  Längsschnitt  durch  die  Wand  eines  Segmentes.  WR,  Wimperreif; 
Vac,  Vacuolen;  WZN,  Kerne  der  Wimperzellen.     530/1. 

Fig.  52.  Hinterende  der  Form  B.  An,  Anus;  AnL,  Anallappen.  Halb- 
schematisch.    300/1. 

Fig.  53.  Lateraler  Längsschnitt  durch  eine  festsitzende  Blastula.  BIC, 
Blaetocöl;  EZ,  Eizellen;  3Ies,  Mesodermstreifen.     800/1. 

Fig.  54.  Dasselbe.  Schnitt  etwas  höher  geführt.  Ent,  Entodermzellen. 
800/1. 

Fig.  55.     Sagittaler  Längsschnitt  durch  eine  freie  Blastula.     800/1. 

Fig.  56.  Das  siebente  Rumpfsegment  mit  einem  Embryo  (E)  auf  dem 
Stadium,  welches  auf  Fig.  55  dargestellt  ist.     142/1. 

Fig.  57.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  das  Vorderende  einer  Gastrula. 
BIP,  Blastoporus.     800/1. 

Fig.  58.  Schnitt  durch  das  Hinterende  desselben  Embryos.  Bildung  der 
Cölomsäcke.     800/1. 

Fig.  59.     Querschnitt  durch  einen  Embryo   vor  der  Cölombildung.     800/1. 

Fig.  60.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  einen  Embryo,  um  die  Befestigungs- 
stelle zu  zeigen.  Edo,  oberer,  Ectii,  unterer  Rand  der  ursprünglichen  Blastula; 
EZ,  Eizellen;  BIP,  Blastoporus  (?);  31 D,  Mitteldarm;  N 8,  die  beiden  Com- 
missuren  des  Nervensystems  der  Mutter  (hier  quer  getroffen);  VV,  Ventral- 
gefäß.    800/1. 

Fig.  61.  Querschnitt  durch  denselben  Embryo,  welcher  gebogen  im  Brut- 
raume  lag.      VV,  Ventralgefäß.     600/1. 

Tafel  XXIX. 

Fig.  62.  Querschnitt  durch  das  siebente  Segment.  EZ,  Gonade  mit  zwei 
daran  befestigten  Embryonen,  die  auch  quer  getroffen  sind;  bei  x  Zusammenhang 
zwischen  Eizellen  und  Entoderm.     450/1. 

Fig.  63.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  einen  Embryo,  an  dem  schon  die 
Vorderdarmeinstülpung  (31)  zu  sehen  ist.  K3Ies,  Kopf mesoderm ;  Hzk,  Anlage 
des  Herzkörpers;   Schh,  Anlage  des  Schlundkopfes.     450/1. 


t^ber  eine  neue  Ctcnodrilu.sart  und  ihre  Vennehriuig.  (503 

Fig.  64.  Lateraler  Längsschnitt  durch  einen  alteren  Enibr\  u.  ües,  Vorder- 
darni.     450/L 

Fig.  65.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  einen  ähnlichen  Embryo  (etwas  schief 
getroffen).     KDs,  Kopfdissepinient;   *SV7(^%  Anlage  des  ychlundkopfes.     450/L 

Fig.  6(1.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  einen  erwachsenen  Embryo.  Ent- 
wicklung fast  sämtlicher  Organe;  Anlage  der  Falten  {OF  u.  UF),  der  Bauchnerven- 
kette  (.V/S),  der  Schlundkopfmuskulatur  {SchM);  bei  y  Anlage  der  Kopfgefäße  (?). 
450/L 

Fig.  67.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  das  Hinterende  eines  Embryos  kurz 
vor  der  Verbindung  des  End-  mit  dem  Mitteldarm.     530/L 

Fig.  68.     Früh  herausgeschlüpfte  junge  Form  B.    Nach  dem  Leben.     71/L 

Fig.  69.  Optischer  lateraler  Längsschnitt  durch  einen  nicht  zu  jungen  Em- 
bryo.    Nach  dem  Leben.     300/ L 

Fig.  70.  Bildung  des  Nephridiums:  a,  ohne,  v,  mit  Nephridialkanal.  940 /L 
<  Fig.  71.  Anfang  der  Enddarmeinstülpmig  {EdD).  Sagittaler  Längsschnitt. 
450/1. 

Fig.  72.  Entstehung  des  Enddarmes  bei  der  Regeneration  nach  der  er- 
folgten Teilung.     450/1. 

Fig.  73.  Mittelstück  der  nach  der  Teilung  zerfallenen  Kette,  aus  zwei 
Zooiden  bestehend,  v.  Vorder-,  h,  Hinterende  in  Regeneration;  v^,  Regeneration 
des  Vorderendes  vor  der  Teilung  (vgl.  Fig.  79).  91/1.    Nach  einem  Totalpräparat. 

Fig.  74.  Zooid,  aus  der  Mitte  der  Kette  entstanden,  mit  einem  sehr  langen 
Kiemenanhang.     91/1.     Nach  einem  Totalpräparat. 

Fig.  75.  Form  A  in  Teilung  begriffen.  Ci — c^,  vier  Einschnürungen.  91/1. 
Nach  einem  Totalpräparat. 

Fig.  76.     Das  vorderste  losgelöste  Zooid.    91/1.    Nach  einem  Totalpräparat. 

Fig.  77.  Herausschlüpfen  der  Form  B  aus  der  Form  A.  Umgekehrte 
Orientierung  des  Embryos.     Br,  Brutraum.     Nach  einer  Skizze.     71/1. 

Fig.  78.  Dasselbe.  Der  Embryo  hat  die  Wände  des  Brutraumes  {Br) 
vorn  und  hinten  durchbohrt.     Nach  einer  Skizze.     71/1. 

Fig.  79.  Sagittaler  Längsschnitt  durch  das  Vorderende  eines  Zooids,  welcher 
noch  vor  der  Abtrennung  in  Regeneration  begriffen  ist.  VDM,  Vorderdarmein- 
stülpung; Schk,  Anlage  des  Schlundkopfes.  Die  Teilungsebene  (te)  liegt  hinter 
dem  Dissepiment  {Ds).     390/1. 

Fig.  80.  Schiefer  Querschnitt  durch  das  Vorderende  eines  in  Regeneration 
begriffenen  Zooids.     450/1. 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten, 
nebst  Bemerkungen  über  deren  System. 

\  on 

G.  Seuii 

(Hnsch. 

Mit  S  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXX,  XXXI. 

Obwohl  die  Flagellaten  zu  einem  Grenzgebiet  uehören.  an  dessen 
Erforschung  nicht  nur  Zoologen  und  Botaniker,  sondern  auch  Medi- 
ziner arbeiten,  giljt  es  noch  viele  ungenügend  bekannte  Formen  und 
manche  Fragen  allgemeiner  Natur,  die  noch  der  Beantwortung  harren. 

Bei  der  Bearbeitung  der  Flagellaten  für  Engler  und  Prantls 
»Natürliche  Pflanzenfamilien«  (Senn,  1900)  hatte  ich  die  beste 
Gelegenheit,  die  Lücken  in  unsern  Kenntnissen  festzustellen;  ich  be- 
mühte mich  auch,  die  Kenntnis  einzelner  Formen  zu  vertiefen  ruid 
in  die  Verwandtschaftsbeziehungen  der  Flagellaten  zu  andern  Organis- 
mengruppen und  der  einzelnen  Gruppen  innerhalb  der  Ordnimg  selbst 
mehr  Klarheit  zu  bringen.  Meine  Beobachtungen  mu(3ten  in  den 
»Natürlichen  Pflanzenfamilien«  der  ganzen  Darstellung  entsprechend 
so  knapp  behandelt  werden,  daß  manche  Details  nicht  erwähnt 
werden  konnten.  Ich  wartete  aber  mit  der  Publikation  dieser  Detail- 
untersuchungen, bis  ich  auch  einige  prinzipielle  Fragen,  deren  Be- 
antwortung in  meiner  umfassenden  Flagellatenarbeit  noch  nicht  mög- 
lich war,  unter  neuen  Gesichtspunkten  erörtern  konnte.  Ich  ergriff 
auch  nach  dem  Erscheinen  dieser  Arbeit  jede  Gelegenheit,  bei  der 
ich  auf  ungenügeTid  bekannte  Formen  stieß,  um  die  Lücken  in  unsern 
Kenntnissen  auszufüllen. 

Von  meinen  Beobachtungen  sind  diejenigen  über  Heteronema 
Klehsii  Senn,  Tropidoscyphus  cyclostomus  Senn  und  Notosolenus  apo- 
camptus  Stokes  schon  in  der  genannten  Flagellatenarbeit  verwertet 
worden.  Im  folgenden  gebe  ich  die  ausführliche  Beschreibung  und 
genaue  Abbildung  dieser  Organismen. 

Zeitschrift  f.  «issensch.  Zixilogie.  Xt'VII.  Bd.  40 


G0()  ^-  Senn- 

Die  Untei'suchunyen  an  Oxyrrhis.  über  die  ich  in  der  botanischen 
Sektion  der  Schweizerischen  Naturforschenden  Gesellschaft  kurz  be- 
richtet habe  (Senn.  1909,  S.  85  ff.),  sowie  diejenigen  an  Nephroselmis 
und  Helcomastix  wurden  dagegen  erst  nach  Abschluß  meiner  Bearbeitung 
der  Flagellaten  angestellt.  Da  sie  verschiedene  damals  noch  offene 
.systematische  Fragen  beantworten  und  auf  den  systematischen  Wert 
einiger  Merkmale  neues  Licht  werfen,  sehe  ich  mich  veranlaßt,  am 
Schluß  dieser  Arbeit  die  Systematik  der  Flagellaten  einer  kurzen 
Besprechung  zu  unterziehen,  unter  besonderer-  Berücksichtigung  der 
Änderungen,  welche  in  den  letzten  Jahren  am  System  der  Flagellaten 
vorgenommen  worden  sind. 

1.  Oxyrrhis  marina  Duj. 

(Taf.  XXX.  Fig.  1-24.) 

Oxyrrhis  marina  Duj.  ist  schon  wiederholt  beschrieben  und  ab- 
gebildet worden,  was  bei  ihrer  auffallenden  Gestalt  und  noch  auf- 
fallenderen, ungemein  raschen  Bewegung  nicht  zu  verwundern  ist. 
Gerade  die  letztgenannte  Eigenschaft  hat  aber  offenbar  die  richtige 
Erkenntnis  vom  Bau  dieses  Organismus  sehr  erschwert.  Darauf  ist 
es  wenigstens  zum  Teil  zurückzuführen,  daß  die  Beschreibungen  recht 
bedeutende  Verschiedenheiten  zeigen,  und  daß  dieses  marine  Flagellat 
bald  als  Oxyrrhis  Duj.,  bald  als  Glyphidium  Fresen.  bezeichnet  wurde. 
Aus  den  Angaben  über  Größe,  Zellgestalt  und  Vorkommen  zu  schließen, 
hat  aber  allen  Forschern  derselbe  Organismus  vorgelegen,  der  jetzt 
allgemein  mit  dem  älteren,  von  Dujardin  (1841.  S.  346)  stammenden 
Namen  Oxyrrhis  belegt  wird. 

Die  Angaben  über  die  Begeißelung  könnten  allerdings  zu  der 
Auffassung  führen,  daß  es  zwei  in  der  Gestalt  ähnliche,  in  der  Be- 
geißelung aber  vollständig  verschiedene  Organismen  gebe,  die  dann 
nicht  nur  verschiedene  Species  derselben  Gattimg,  sondern  V^ertreter 
verschiedener  Gattungen  wären.  Ich  konnte  es  deshalb  bei  der  Be- 
arbeitung der  Flagellaten  für  Engler  und  Prantls  Natürliche 
Pflanzenfamilien  nicht  wagen  (Senn,  1900,  S.  136  u.  186),  die  von 
Dujardin  (1841,  S.  346  f.)  und  Gourret  et  Roeser  (1886.  S.  522  ff.) 
beschriebene,  vier  -bis  sechsgeißelige  Form  (Textfig.  2)  mit  der  von 
Fresenius  (1865,  S.  83  f.),  Cohn  (1866,  S.  295f.),  Kent  (1880—81, 
S.  426ff.),  Blochmann  (1884,  S.  47ff.),  Schaudinn  (1896,  S.  129) 
und  Keysselitz  (1908,  S.  334 ff.)  (Textfig.  3  u.  4)  beschriebenen  zwei- 
geißeligen  ohne  weiteres  zu  identifizieren.  Ais  ich  aber  den  Organismus 


Oxyrrliis.  Xcplirnsolinis  und  oinieo  Kuflagollatoii  iisw.  (i07 

lebend  zu  beobachten  GeJeüenheit  hatte,  wurde  es  mir  wie  Kent  (1880, 
8.  427)  sofort  klar,  daß  die  vermeintliche  Mehrgeißeligkeit  auf  einer 
Täuschung  beruhe,  welche  duich  die  rasche  Bewegunu  und  die  kom- 
plizierte LageruuLi  der  zwei  alltMii  voihandenen  Geißeln  verursacht 
worden  war.  Die  schon  von  (}orRKp:T  et  Roeser  (188G,  8.  523)  er- 
wogene, aber  als  ausgeschlossen  bezeichnete  Möglichkeit,  daß  im  Mittel- 
meer eine  vielgeißelige,  in  den  iK'irdlichen  Meeren  dagegen  eine  zwei- 
geißelige  Form  vorkomme,  wird  durch  die  Tatsache  widerlegt,  daß  die 
von  mir  untersuchte  zweigeißelige  Form  aus  dem  Mittelmeer  stammt. 

1.  Größe  der  Zelle. 

Die  Länge  der  Oxyrr/us-ZeWe  bestimmte  ich  zu  22,5 — 32 /^  was 
mit  den  Angaben  von  Fresenius  (25 — 33«),  Cohn  (25  a),  Bloch- 
MANN  (25 — 32//)  und  Keysselitz  (lü — 34/0  gut  übereinstimmt. 
DujARDiN  gibt  allerdings  die  Länge  zu  50 /<  an,  abei-  wenn  man  sie 
aus  der  Vergrößerung  seiner  Figuren  berechnet,  so  kommt  man  nur 
auf  36,5  //,  eine  Größe,  die  auch  Fresenius  (37  //)  ab  und  zu  be- 
obachtet hat.  GouRRET  et  Roeser  teilen  weder  über  die  Größe  der 
Zellen  noch  über  die  Vergrößerung  ihrer  Figuren  irgend  etwas  mit. 
so  daß  jegliche  Anhaltspunkte  fehlen. 

Auch  die  Breite  von  18,5  ii  der  von  mir  untersuchten  Zellen  deckt 
.sich  mit  den  nur  durch  Fresenius  gemachten  Angaben  (15 — 20  /<). 

Aus  diesen  Größenangaben  geht  somit  so  viel  mit 
Sicherheit  hervor,  daß  alle  Forscher  einen  gleich  großen 
Organismus  untersucht  haben. 

2.  Orientierung  des  Körpers,  Vorder-  und  Hinterende. 

Die  Untersuchung  dei-  gewöhnlich  sehr  rasch  und  unstet  hin  und 
herschwämmenden  Zellen  ist  nur  möglich,  wenn  sie  ihre  Bewe<'uno  ein- 
stellen. Dies  tritt  ziemlich  bald  ein,  wenn  die  Zellen  in  der  für  die 
Beobachtung  mit  starken  Vergrößerungen  nötigen  Lichtintensität 
(Querlicht  mit  Schusterkugel)  gehalten  werden.  Die  Individuen  bleiben 
unter  diesen  Umständen  längere  Zeit  ruhig  liegen  und  führen  mit  ihren 
Geißeln  nur  sehr  schwache  Bewegungen  aus.  Ab  und  zu  schwimmen 
sie  wieder  umher,  kommen  aber  bald  wieder  zur  Ruhe.  Li  solchen 
Ruhepausen  ist  es  nun  möglich,  die  Zellen  zu  betrachten. 

Die  allgemeine  Gestalt  der  Zelle  wurde  durch  Dujaedix 
(1841,  8.  346  f.)  als  länglich  eiförmig  bezeichnet.  Nach  diesem  Forscher 
ist  das  Vorderende  schief  abgestutzt  und  läuft  in  eine  Spitze  aus,  während 
das    Hinterende    abgerundet    ist.      Somit    bezeichnet    Dujardin,    und 

40* 


()0S  (;.   Senn. 

nach  ihm  auch  Cohn  (1866,  S.  295).  Kent  (1880,  8.  426),  Bütschli 
(1884.  S.  845),  GouRRET  et  Roeser  (1886,  S.  542)  und  Keysselitz 
(1908,  S.  334)  das  ausgerandete  Ende  als  das  Vorderende,  während 
Fresenius  (1865,  S.  83)  und  Bütschli  (1885,  S.  559)  das  beim  Schwim- 
men vorangehende  konvexe  Ende  Vorderende  nennen.  Die  von  Du- 
JARDIN  gewählte  Bezeichnungsweise  war  es  auch,  welche  Fresenius 
(1865,  S.  83f.)  verhinderte,  sein  »Glyphidium«  mit  Oxijrrhis  zu  identi- 
fizieren. Es  erhebt  sich  also  schon  hier  die  Frage,  ob  die  beiden  For- 
men identisch  seien  oder  nicht.  Weder  Du.jardin  noch  Gourret  et 
Roeser  machen  über  die  Schwimmbewegung  nähere  Angaben.  Es 
ist  deshalb  wahrscheinlich,  daß  sie  wie  Bütschli  (1884,  S.  845)  und 
Keysselitz  (1908,  S.  336)  ihre  Bezeichnungsweise  in  Analogie  mit  den 
übrigen  Flagellaten  gewählt  haben.  Diese  tragen  bekanntlich  ihre 
Geißeln  meist  an  dem  beim  Schwimmen  vorangehenden  Ende,  welches 
z\;dem  in  vielen  Fällen  ausgerandet  ist. 

Kent  (1880.  S.  426 ff.)  dagegen,  der  die  Schwimmbewegung  genau 
beschrieben  hat.  erblickt  in  der  Orientierung  der  Zelle  während  des 
Schwimmens  keinen  Grund,  das  nachgeschleppte,  mit  der  Mundstelle 
versehene  Ende  als  Hinterende  zu  bezeichnen;  tue  man  dies  doch  mit 
Recht  weder  beim  Hummer  noch  beim  Tintenfisch.  Wenn  man  aller- 
dings mit  Kent  von  vornherein  annimmt,  daß  Oxyrrhis  zu  den  Flagel- 
laten im  engeren  Sinne  uehöre.  so  hat  er  ohne  Zweifel  recht.  Aus  dem- 
selben Grunde  sind  auch  Kents  (1880,  S.  247)  Ancyrotnonas,  Klebs" 
(1892,  S.  305)  Phyllomonas  und  Massarts  (1900,  S.  133)  Clautriavia, 
sowie  meine  Helcomastix  (vgl.  S.  648)  wie  die  übrigen  Flagellaten 
zu  orientieren,  obwohl  in  diesen  Gattungen  die  Geißeln  nachgeschleppt 
werden.  Bei  Oxyrrhis  liegt  aber  die  Sache  anders.  Zur  Zeit  aller- 
dings, als  Kent  seinen  Manual  of  Infusoria  herausgab  (1880—81), 
waren  die  einzelnen  Gruppen  von  Flagellaten  im  weiteren  Sinne 
noch  nicht  so  gut  bekannt,  daß  man  sie  scharf  voneinander  hätte  ab- 
grenzen können.  Nichts  hinderte  deshalb,  die  Oxyrrhis,  so  wie  sie 
damals  bekannt  war,  zu  den  Flagellaten  im  engeren  Sinne,  zu  den 
Euflagellaten,  neben  Chüomonas  zu  stellen.  Da  aber  auf  Grund 
der  seither  von  den  Flagellaten  und  ihren  Verwandten  gewonnenen 
Kenntnisse  Bedenken  über  die  Zugehörigkeit  von  Oxyrrhis  zu  den 
Euflagellaten  aufgestiegen  sind,  darf  die  Terminologie  nicht  ohne 
weiteres  in  Analogie  mit  derjenigen  der  Euflagellaten  gewählt 
werden. 

Ich  bezeichne  deshalb,  vorläufig  ohne  theoretische  Voraus- 
setzung,   das    nicht    ausgerandete,    beim    Schwimmen    vor- 


Oxvirliis,   No|)l\i(i.solniis  uiid  einige  Eutlagellateii  usw.  (iOi) 

ausgehende    Ende    als    das    vordere,    das    nachgeschleppte, 
schief  ausgerandete  dagegen   als   das   hintere. 

Da  sich  die  Ausrandung  des  Hinterendes  in  zwei  die  Geißeln 
tragenden  EinsenkungeTi  fortsetzt,  in  deren  einer  die  festen  Nahrungs- 
stoffe aufgenommen  werden,  ist  die  Orientierung  der  Zelle  auch  in 
den  beiden  Richtungen  senkrecht  zur  Längsachse  gegeben.  Die  durch 
lue  Mundstelle  ausoezeichnete  Seite  bezeichne  ich  deshalb  als  Bauch- 


Textfig.  1. 

I'liotoiiiiniliii'ii   nach  dem  (;ipsab'j:uß  des  Wachsmodells  von  Oxyrrhis  •nuirina.     Vcrgr.   lnüd. 
ir,  Ventralseitp;  b,  Uorsalseite;  t;  linke  Flanke;  d,  rechte  Flanke. 

oder  Ventralseite  (Taf.  XXX,  Fig.  1,  Textfig.  1«)  (Vorderseite  bei 
Keysselitz,  1908,  S.  334),  die  gegenüberliegende  als  Rücken-  oder 
Dorsalseite  (Taf.  XXX,  Fig.  2,  Textfig.  16)  (Hinterseite  bei  Keysse- 
litz), wodurch  gleichzeitig  auch  die  rechte  (Taf.  XXX,  Fig.  4;  Text- 
fig. k/)  und  die  linke  Flanke  (Taf.  XXX,  Fig.  3;  Textfig.  Ic)  der 
Zelle  bestimmt  sind.  Die  von  Bütschli  (1885,  S.  559)  gewählte  Orien- 
tierung, w^onach  die  die  schief  verlaufende  Querfurche  enthaltende 
Seite  als  die  linke,  unsre  rechte  Flanke  somit  als  Dorsalseite  bezeichnet 
wird,   scheint  eines  tieferen   Grundes  zu  entbehren. 

3.  Gestalt  der  Zelle. 

Die  Zellgestalt  muß  an  lebenden  Zellen  studiert  werden,  da 
sie  sich  beim  Fixieren  meist  mehr  oder  weniger  verändert.  So  konsta- 
tierte ich  nach  der  Anwendung  von  Osmiumsäuredämpfen  eine  ge- 
linde Abrundung  der  Konturen,  wodurch  die  im  Leben  stark  hervor- 
tretenden charakteristischen  Ecken  und  Kanten  zu  einem  guten  Teil 
verwischt  werden  (Taf.  XXX,  Fig.  5).  Bessere  Dienste  leistete  eine 
schwache,  mit  Meerwasser  gemischte  Jod  -  Jodkalinmlösunii.    Bei 


(510 


G.   iSenn. 


ihrer  Anwendung  behielten  die  Zellen  ihre  Gestalt  wenigstens  in  der 
vorderen  Partie  bei,  dagegen  traten  im  hinteren  Teil  der  Ventralseite 
häufig  Ausstülpungen  hervor,  welche  Nahrungsvacuolen  glichen,  am 
lebenden  Objekt  aber  nicht  beobachtet  wurden. 

Durch  eine  Mischung  von  1  Teil  starker  FLEMMiNGscher  Lösung 
mit  15  Teilen  Meerwasser  oder  durch  0.25%iges  Platiuchlorid 
in  Meer  Wasser  wurden  die  Zellen  gut  und  fast  ohne  Gestaltsverän- 
derung fixiert.  Trotzdem  beziehen  sich  alle  meine  Angaben,  insofern 
nichts  andres  bemerkt  ist,  auf  lebende  Zellen,  die  während  ihrer  Ruhe- 
pausen (vgl.  S.  607)  unter  Anwendung  von  Olimmersion  beobachtet 
und  gezeichnet  wurden. 

Die  stark  asymmetrische  Gestalt  der  Zelle  bringt  es  mit  sich,  daß 
der  Organismus  je  nach  seiner  Orientierung  dem  Beobachter  sehr  ver- 
schiedene Bilder  zeigt.  Es  ist  deshalb  nicht  so  leicht,  die  von  ver- 
schiedenen Seiten  aufgenommenen  Skizzen  lediglich  in  Gedanken  zu 
einem  körperlichen  Gebilde  zu  kombinieren.  Um  deshalb  meine  zahl- 
reichen, mit  dem  Zeichnungsapparat  angefertigten  Abbildungen  zum 
körperlichen  Zellgebilde  zusammenzustellen  und  sie  dadurch  auch  unter- 
einander auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen,  fertigte  ich  mir  aus  Wachs 
ein  Modell  der  Zelle  an.  Durch  dieses  wurden  meine  Skizzen  in  ihren 
gegenseitigen  Beziehungen  ohne  weiteres  klar  (Textfig.  1). 

Die  die  vier  Zellseiten 
darstellenden  Fig.  1 — 4  der 
Taf.  XXX  machen  eine 
detaillierte  Beschreibung 
jeder  einzelnen  Seite  über- 
flüssiti. 


Von  diesen  wurde  nur  die 
Ventralseite    (Taf.   XXX, 
Fig.    1)     durch    alle     früheren 
Beobachter     beschrieben.      St) 
finden    wir  sie    bei   DtTjABDiN 
(1841,  Taf.  V,    Fig.   4,    meine 
Textfig.  2  a).    wo     die    rechte 
Zellflanke    nach     der     oberen, 
das  Vorderende  nach  der  rech- 
ten Kante  der  Tafel  gerichtet 
ist.   Bei  Fresenius  (1865)  stel- 
len die  Fig.  5  und  7  die  Ven- 
tralseite dar,  ebenso  beide  Abbildungen  von  Cohn  (1866,  Taf.  XV,  Fig.  36  u.  37, 
meine  Textfig.  3  d).     Bei  Kent  (1880—81)  ist  sie  auf  Taf.  XXIV   in  Fig.  54 
(meine  Textfig.  3  e),    bei    Blochmanx   (1884),    der    überhaupt    nur    diese   Seite 


Textfig.  2. 
Oxyrrhis  mariiM  Du],  a,  nach  DTJJAKDIN  (1841,  Taf.  V, 
Fig.  4).  Ventralseite.  320nial  vergr.  &  u.  c  nach  GouK- 
RET  et  ROESER  (1886,  Taf.  XXXIV,  Fig.  12  und  13). 
b,  Ventral.seite  und  linke  Flanke  (Fig.  13).  c,  Borsal- 
seite  ?  (Fig.   12). 


Ownliis,   Xcpliiosclinis  uiul  einige  Euflagellaten  usw. 


Oll 


abbildet,    in    Fig.  14 — 17    (meine    Textfig.  4  a — c),    bei    Keysselitz  (1908)    auf 
Taf.  XIX,  Fig.  21   (meine  Textfig.  4  d)  wiedergegeben. 

Abbildungen  der  linken  Zellflanke  (Taf.  XXX,  Fig.  3)  kann  man  in  Fig.  6 
vim  Kbesexius  (Textfig.  '3  n).  in  den  Fig.  57  und  59  von  Kent  (Textfig.  .'i /),  in 


Oxyrrhis  matina  Duj.  a — c  nach  FnESENlPS  1865.  a  (Fig.  6),  linke  Flanke;  b  (Fig.  9),  Uorsal- 
seite;  c  (Fig.  10),  reclite  Flanke  einer  Zelle  in  Querteilung;  d,  nach  COHX  (1866,  Taf.  XV,  Fig.  36). 
Ventralseite  bei  M  mit  »flimmernder  Schlinge  im  Mund«  (Flimmergeißel),  250 mal  vergr.;  e — f,  nach 
KKNT  (1881,  Taf.  XXIV);  e  (Fig.  54),  Ventralseite,  800 mal  vergr.;  /  (Fig.  59),  leere  Zellhaut, 
Ventralselte  und  linke  Flanke. 

Fig.  13  (meine  Textfig.  2  6),  vielleicht  auch  in  Fig.  11  und  12  (Textfig.  2  c)  von 
GouRRET  et  Roesek  (1886,  Taf.  XXXIV)  erkennen,  ebenso  in  Fig.  20  auf  Taf.  XIX 
von  Keysselitz  (1908)  (Textfig.  4  e).  Der  Verlauf  der  sich  über  die  linke  Flanke 
hinziehenden  Kante  ist  in  den  meisten  dieser  Figuren  richtig  dargestellt. 


C 

Textfig.  4. 
Oxyrrhis  marina  Duj.   a—c  nach  Blochjianx  (1884,  Taf.  II,  Fig.  15—17).    Ventralseite,  a  (Fig.  15), 
Andeutung  des  lapppnartigen  Vorsprunges;  b  (Fig.  16),  Ausstoßung  eines  Excretballens  aus  dem 
Hintereude;  c  (Fig.  17),  Querteilung;  d—e  nach  Keysselitz  (1908,  Taf.  XIX,  Fig.  20,  21);  d,  Ven- 
tralseite, Längsfurche  nicht  eingezeichnet  (Fig.  21);  e,  linke  Flanke  mit  lappenartigem  Vorsprung 

links  unten   (Fig.  20). 


Die  Dorsal  Seite  \\-urde  dagegen  nur  durch  Fresenius  (Fig.  8  und  9, 
erstere  mit  Einzeichnung  der  Ventralseite,  letztere  Textfig.  3  h)  und  durch  Kent 
(1880,  Fig.  55  und  56)  abgebildet.  Der  Verlauf  der  annähernd  quer  verlaufenden 
Kante  ist  aber  an  diesen  Figuren  nicht  zu  sehen. 


ni2  G.   Senn, 

JJie  r  e  c  li  t  e  Z  e  1  1  i  1  a  n  k  e  endlich  erkennen  wir  nur  in  Fig.  10  von 
Fresenius  (1865),  in  welcher  ein  in  Teilung  begriffenes  Exemplar  dargestellt  ist 
(Textfig.  3  (•).  Fresenius  ist  also  der  einzige  unter  den  früheren  Beobachtern, 
der  alle   vier  Seitenansichten  der   Oxi/rrhis-Ze\le  abgebildet  hat. 

Da  wir  .somit  in  sämtliclien,  unter  sich  so  verschiedenen  Oxyrrhis- 
Abbildungen  der  früheren  Forscher  Darstellungen  von  verschiedenen 
Zellseiten  desselben  Organismus  erkennen  können,  ergibt  sich  der 
wichtige  Schluß,  daß,  wenn  sich  die  Abweichungen  in  der 
(4eißelzahl  ebenfalls  aufklären  lassen,  allen  Forschern 
derselbe  Organismus  vorgelegen    hat. 

Aus  den  vier  Zellansichten  ergibt  sich  folgende  körperliche 
Gestalt  der    Oxyrrhis  -ZeWe. 

Ihr  größerer  vorderer  Teil  ist  kurz  cylindrisch  mit  spitz-eiför- 
migei'  Abrundung  am  Vorderende.  Die  Cylinderoberfläche  geht  aber 
luir  auf  der  rechten  Zellflanke  direkt  in  die  kegelförmige  Spitze  des 
Zellhinterendes  über.  Über  Ventralseite,  linke  Flanke  und  Dorsal- 
seite zieht  sich  nämlich  eine  nach  dem  Hinterende  abfallende  Kante 
(Keysselitz"  [1908,  S.  334]  Höcker)  hin.  Diese  verläuft  auf  der  Ventral- 
seite von  der  rechten  Flanke  bis  in  die  halbe  Zellänge  schräg  nach  vorn, 
biegt  dann  etwa  um  70  nach  rückwärts  um.  und  zieht  sich  nach  noch- 
maliger sanfterer  Biegung  an  der  flrenze  vom  dritten  zum  vierten  hin- 
teren Körperviertel  quer  über  die  bnke  Flanke  und  über  die  halbe 
Dorsalseite  hin.  Der  hinter  dieser  (zuweilen  etwas  überhängenden) 
Kante  liegende  Teil  der  Zelle  ist  gegenüber  dem  vorderen  be- 
deutend schmächtiger  und  erscheint  wie  abgetragen.  Cohn  (1866, 
S.  295)  und  nach  ihm  Kent  (1880,  S.  427)  vergleichen  deshalb  die 
vordere  Zellpartie  mit  einem  Helm,  der  übei-  die  hintere  übergestülpt 
ist.     Der  Helmrand  würde  durch  die  querverlaufende  Kante  gebildet. 

In  den  nach  hinten  geöffneten  Winkel,  welchen  diese  Kante  auf 
der  Ventralseite  bildet,  springt  eine  im  Umriß  birnförmige  Partie 
der  vorderen,  höher  liegenden  Zelloberfläche  über  den  hinteren  abge- 
tragenen Teil  vor.  Ihre  schmale  Basis  steht  an  der  rechten  Kante 
der  ventralen  Einbuchtung  mit  der  vorderen  Zellpartie  in  Verbindung. 
Das  ganze  Gebilde  erstreckt  sich  schräg  links  rückwäi'ts.  etwa  bis  zum 
letzten  Viertel  der  Zelllänge,  und  geht  dort  mit  ziemlich  scharfer  Kante 
in  die  tiefer  liegende  Oberfläche  des  Zellhinterendes  über.  Dieser 
8 — 10  n  lange  und  an  seiner  breitesten  Stelle  3 — 4  ti  breite  Vorsprung 
ist  auf  fast  allen  früheren  Abbildungen  angedeutet  (so  bei  Dujardin, 
1841.  Taf.  V.  Fig.  4;  Fresenius,  1865,  Fig.  5,  7u.  8;  Cohn,  1866, 
Fig.  36  u.  37;  Kent,  1880—81,  Fig.  54  u.  58).    Er  ist  aber  fast  immer 


Oxvnhis.    Nt'plirosclini.s  iin<l   ciiiijxc    iMitlajU'llattMi   utiw. 


(>I3 


wie  eine  V^acuole  oder  wie  ein  Inlialtsbestaiidteil  gezeichnet.  Als  ober- 
flächlich liegenden  Vorsprunii;  haben  ihn  ei'st  Blochmann  (1884.  S.  47) 
und  Keysselitz  (1908,  S.  335)  beschrieben. 

Durch  dieses  Gebilde,  das  man  als  läppen  artigen,  birnför- 
mioeu  Vorsprunii  bezeichnen  kann,  luid  dessen  rechter  Rand  mit 
der  Längsachse  der  Zelle  parallel  läuft,  wird  der  vertiefte,  einspringende 
Winkel  der  Ventralseite  in  zwei  Fiirchen  zerlegt,  wovon  die  eine, 
rechte,  nach  hinten  und  nach  der  rechten  Zellflanke  geöffnet  ist:  die 
Längsfurche,  die  linke  sich  dagegen  schräg  links  rückwärts  und 
dann  (pier  über  die  linke  Flanke  nach  der  Dorsalseite  hinüberzieht, 
wobei  sie  einen  zuerst  steilen,  dann  immer  flacher  werdenden 
halben  Schraubenumgang  beschreibt;  sie  ist  als  Quer  furche  zu  be- 
zeichnen. 

Bekommt  man  durch  Zufall  die  Zelle  von  vorn  oder  von  hinten 
zu  sehen,  so  zeigt  es  sich,  daß  sie  cylindrisch,  höchstens  auf  der  Ventral- 
und  Dorsalseite  etwas  abgeplattet  ist  (so  auch  Cohn.  1866.  S.  "295  und 
Keysselitz.  1908,  S.  334). 

Die  halb  um  die  Zelle  sich  hinziehende  Kante  und  Furche,  sowie 
dei-    lappenartige    Vorsprung    und    das    schief  zugespitzte   Hinterende 
verleihen   der  Zelle,   wenigstens  in  ihrer  hinteren   Partie,   ein   scharf- 
kantig  eckiges   Aussehen,   wie    dies   besonders   in 
den  Abbildungen  von  Dujardin,  Fresenius,  Cohn, 
Kent    und   Keysselitz    deutlich    zum   Ausdruck 
kommt. 

Eine  >>  Ausrandung«  des  Hinterendes,  wie 
sie  von  den  meisten  Forschern  angegeben  wird,  und 
wie  sie  am  Vorderende  der  eigentlichen  Fla  gel - 
laten  durch  die  trichterartige  Einsenkung  der 
JMundstelle  gebildet  wird,  ist  bei  Oxi/rrhis  nicht 
vorhanden.  Eine  solche  wird  nur  bei  oberfläch- 
licher Betrachtung  durch  die  scharfe  Kante  und 
die  plötzliche  Verjüngung  des  Zellhinterendes  voi- 
getäuscht. 

Ebensowenig  besitzt  Oxyrrhis  einen  Schlund, 
wie  er  bei  den  Cryptomonadinen  vorkommt, 
zu  denen  Oxyrrhis  früher  allgemein  gestellt  wurde. 
Dieser  Schlund,  mit  dem  übrigens  die  Crypto- 
monadinen   nur    gelöste    Stoffe    aufzunehmen 

vermögen,  ist  nur  am  vorderen  Zellende  geöffnet,  sonst  aber  ringsum 
geschlossen  (Textfig.  5).   Die  mit  diesem  Schlund  in  Beziehung  gebrachte 


Textfig.  ö. 

Chilomonas  Paramaecium 
Ehrenb.  Hinter  d.  Geißel- 
insertion  der  Schlund, 
dahinter  der  bläsclien- 
förmige  Kern.  Verpröße- 
ruuti  1500. 


614 


(J.  iSenn, 


Furche  von  Oxyrrhis  ist  dagegen  in  ihrer  ganzen  Länge  offen  und 
birgt  eine  Miindstelle,  die  feste  Nahrung  aufnimmt. 

Die  Abweichung  der  Oxyrrhis  vom  Zellbau  der  Cryptomona- 
dinen  besteht  aber  außer  dem  Fehlen  eines  geschlossenen  Schlundes 
im  Vorhandensein  einer  zweiten,  von  der  ersten  durch  den  lappenartigen 
Vorsprung  getrennten  Furche,  die  bisher  allgemein  übersehen  worden  ist. 

Zwei  offene  Furchen,  die  mehr  oder  weniger  senkrecht  zu- 
einander verlaufen,  kommen  bei  den  Euflagellaten  nirgends  vor, 
wohl  aber  ganz  allgemein  bei  den  Peridineen,  deren  Zellen  außerdem 
beim  Schwimmen  gleich  orientiert  sind,  wie  diejenigen  von  Oxyrrhis. 
Man  ist  deshalb  schon  auf  Grund  dieser  Tatsachen  genötigt,  Oxyrrhis 
von  denFlagellaten  zu  entfernen  und  zu  den  Peridineen  zu  stellen, 
und  zwar  nicht  etwa  als  eine  Zwischenform,  als  die  sie  Bütschli  (1885, 
S.  559)  auffaßte,  sondern  als  typische,  allerdings  hochdifferenzierte 
Gattung.  Ihre  äußere  Ähnlichkeit  mit  den  ebenfalls  relativ  hoch 
differenzierten  Cryptomonadinen  beruht  gerade  auf  ihrer  hohen, 
jedoch  ganz  anders  gerichteten  Differenzierung.  Oxyrrhis  und  die 
Cryptomonadinen  sind  Endglieder  durchaus  verschiedener  Ent- 
wicklungsreihen und  kommen  als  solche  bei  dem  Suchen  nach  den 
(tatsächlich  vorhandenen)  Verwandtschaftsbeziehungen  zwischen  Fla- 
oellaten  und  Peridineen  nicht  in  Betracht. 


Textfig.  6. 
Heinidinium  nasutwm  Stein,     a,  Ventralseite  (naoli  Klebs,  1883,  Tat.  II,  Fig.  27?*);  b,  JJor- 
salseite  (ebenda,  Fig.  27a);  c,  Zelle  in  Querteilung.    Statt  der  Flimmergeißel  ist  der  frühe- 
ren   irrtümlichen    Auffassung    entsprechend    ein   Wimperkranz    gezeichnet    (nach    STEIN,    1883, 

Taf.  II,  Fig.  26). 

Durch  die  Zugehörigkeit  der  Oxyrrhis  zu  den  Peridineen  wird 
nun  auch  die  Natur  des  läppen  artigen  Vor  Sprunges  aufgeklärt. 
Vergleicht  man  nämlich  die  Ventralseite  von  Oxyrrhis  mit  derjenigen 
von  Hemddinium  nasutum  (Textfig.  6  a),  welches  wie  Oxyrrhis  auch 
eine  nur  halb  um  die  Zelle  herumlaufende  Querfuche  besitzt,  so  ergibt 


Oxyrrhis.  Xepluust'lmis  und  rinige  EuflagollattMi  usw.  (515 

sich  ohne  weiteres,  daß  der  lappenartiye  Vorspruug  nichts  andres 
ist.  als  die  hinter  der  Querfurche  und  links  neben  der  Längsfurche 
lieirende  (also  hintere  linke)  Partie  der  Ventralseite,  welche  sich  stark 
verkürzt  und  dadurch  die  Querfurche  nach  hinten  geöffnet  hat.  Außer- 
dem sind  die  Doi'salseiten  beider  Organismen  fast  identisch  (vgl. 
Taf.  XXX,  Fig.  2  und  Textfig.  (i6).  Die  Gestalt  der  Ox;yrr/w6--Zelle 
läßt  sich  somit  ohne  weiteres  aus  dem  Bau])lan  der  Peridineen  — 
speziell  der  Honidinium-ZeWe  —  ableiten,  nicht  jedoch  aus  irgend  einer 
bei  den  Euflagellaten  vorkommenden  Zellgesta.lt. 

Oxyrrhis  marina  stimmt  somit  in  der  Orientierung  und 
speziellen  Gestalt  der  Zelle  (Vorhandensein  von  zwei  offenen 
Furchen)  mit  dem  den  Peridineen  eignen  Bauplan  voll- 
kommen überein,  zeigt  aber  zu  den  Zellformen  der  Eufla- 
gellaten  keinerlei  Beziehungen. 

4.  Geißeln. 

Die  Begeißelung  von  Oxyrrhis  wurde  bisher  in  der  widerspre- 
chendsten Weise  beschrieben.  Duj ardin  (1841,  S.  346f.)  und  Gourret 
et  RoESER  (1886,  S.  523)  gaben  mehrere  Geißeln  an  (Textfig.  2)  — 
und  zwar  bezeichnenderweise  in  unbestimmter  Zahl  (Gourret  et 
RoESER,  1886,  S.  524,  sagen  5 — 6)  — ,  während  alle  übrigen  Forscher 
nur  deren  zwei  konstatiert  haben.  Die  Beobachtung  von  Oxyrrhis 
im  lebenden  Zustande  läßt  aber  solche  abweichende  Angaben  ver- 
.ständlich  erscheinen. 

Geißellage  bei  ruhenden  Zellen.  Wie  man  sich  an  Indivi- 
duen, die  in  ihrer  Schwimmbewegung  plötzlich  innehalten  und  eine 
Zeitlang  ruhig  liegen  bleiben,  leicht  überzeugen  kann,  besitzt  Oxyrrhis 
nur  zwei  Geißeln.  Blochmann  (1884,  S.  47)  und  Keysselitz  (1908, 
S.  335)  geben  richtig  an.  daß  diese  zu  beiden  Seiten  der  Basis  des 
lappenartigen  Vorsprunges  inseriert  und  bei  der  ruhenden  Zelle  in 
der  linken  Furche  gelagert  sind  (Taf.  XXX,  Fig.  1  u.  11). 

Diejenige  Geißel,  welche  im  Grunde  der  Längsfurche  auf 
der  rechten  Seite  des  lappenartigen  Vorsprunges  inseriert  ist,  legt 
sich  zuerst  dessen  rechtem  Rande  an,  biegt  dann  um  seinen  hinteren 
Rand  nach  vorn  um  und  folgt  ihm  bis  in  den  Grund  der  Querfurche. 
Daselbst  wendet  sie  sich  nach  hinten,  und  steht,  in  verschiedener  Weise 
gebogen,  mit  einem  kurzen  Stück  an  der  rechten  Zellflanke  vom  Körper 
ab,  wie  dies  Blochmann  (1884,  Fig.  15  u.  17)  andeutet  und  Keysselitz 
(1908,  S.  336)  richtig  beschreibt.  Kent  (1880,  S.  428)  bezeichnet  sie 
als  obere  Geißel. 


OK)  <^ü.   Senn. 

Die  im  Grunde  der  Querfurche  auf  der  linken  »Seite  des  lappen- 
artigen Vorsprunges  inserierte  Geißel  liegt  mit  ihrem  proximalen  Teil 
in  dieser  Furche.  Da,  wo  diese  nach  der  linken  Zellflanke  umbiegt, 
ist  die  Geii3el  in  Form  einer  niederen  Schraube  mit  etwa  drei  Um- 
gängen aufgerollt.  Sie  ist  deutlich  kürzer  als  die  andre  und  übertrifft 
die  Zelllänge  nur  wenig  (nach  Keysselitz.  1908,  S.  335,  ist  sie  IV5 
körperlang).  Es  ist  dieselbe  Geißel  welche  Kent  (1880,  Taf.  XXIV, 
Fig.  56)  und  Blochmann  (1884,  Fig.  15  u.  17)  in  ihren  Figuren  in 
Form  einer  geringelten  Linie  angedeutet  haben,  und  welche  Kent 
(1880.  8.428)  »untere  Geißel«  nennt.  Nach  diesem  Forscher  soll  sie 
bei  der  ruhenden  Zelle  mit  ihrem  distalen  Ende  auf  der  Unterlage 
befestigt  sein;  ich  habe  jedoch  nie  etwas  beobachtet,  was  auf  eine 
solche   Verankerung  schließen   ließe. 

Geißellage  bei  schwimmenden  Zellen.  Die  Geißeln  während 
des  Schwimmens  in  Funktion  zu  beobachten,  ist  weaen  der  großen 
Schnelligkeit  ihrer  Bewegungen  mit  Schwierigkeiten  verbunden.  Das 
einzige,  was  man  dabei  feststellen  kann,  ist  die  Tatsache,  daß  die  eine 
Geißel  nachgeschleppt  wird,  wobei  das  vom  Hinterende  abstehende 
Geißelstück  mindestens  so  lang  als  die  ganze  Zelle  ist.  Ihre  Gesamt- 
länge beträgt  somit,  wie  auch  Keysselitz  (1908.  S.  335)  angibt,  un- 
gefähr li/gi^^l  diejenige  der  ganzen  Zelle.  Von  der  zweiten  Geißel 
ist,  wie  Kent  (1880,  S.  428)  richtig  angibt,  nichts  zu  sehen;  sie  wird 
also  nicht,  wie  Keysselitz  (1908.  S.  336)  angibt,  in  der  Schwimm- 
richtung nach  hinten  gestreckt. 

Die  Details  der  Lage  und  Bewegung  dei'  Geißeln  können  erst  be- 
obachtet werden,  wenn  die  Zellen  aus  irgend  einem  Grunde  langsamer 
schwimmen.  Man  kann  dies  durch  Erniedrigung  der  Temperatur 
(z.  B.  von  22  auf  etwa  15""  C)  hervorrufen. 

Die  Anwendung  von  20/oQigeni  Kokain  in  Meerwasser,  die  behufs  Beob- 
achtung der  Geißeln  von  Aigenschwärmern  empfohlen  wird,  war  bei  Oxyrrhis 
nicht  iwaktisch.  Die  Zellen  schwammen  anfangs  mit  der  ursprünglichen  Ge- 
schwindigkeit weiter,  lüelten  dann  aber  plötzlich  an.  rundeten  sich  ab  und  gingen 
zugrunde. 

Die  Schleppgeißel  ist  nun  bis  zu  ihrer  Basis  leicht  zu  erkennen. 
Sie  entspringt  im  Grunde  der  Längsfurche  und  ist  in  ihrer  ganzen 
Länge  nach  hinten  gestreckt  (Taf.  XXX,  Fig.  9).  Wohl  infoige  der 
Rotation  der  Zelle  führt  sie  mit  ihrer  Mitte  schwache  kreisförmige 
Schwingungen  aus,  während  sie  an  ihrem  proximalen  und  dem  distalen 
Ende  sozusagen  keine  Ausschläge  erkennen  läßt.  Kommt  sie  all- 
mählich  zur  Ruhe,   so   erkennt  man  an  ihr  scheinbar  wellenförmige, 


()x\  irlii>,    N'f|)linisi-|mis   imd   ciiiim-    Kiifla»ri>ll;itt-n    usw.  617 

in  Wirklichkeit  sohiaul)iü,  verlaiifeiido  Bevve<:;ungen,  die  man  leicht 
bis  zu  ihrer  Insertioni^stelle  verfolgen  kann.  Es  ist  somit  die  in  der 
Ruhe  um  den  Geißelhöcker  her  umgelegte  und  mit  ihrer  Mitte  in  der 
Querfurche  liegende  Geißel,  welche  als  Schleppgeißel  funktioniert, 
und  nicht  die  während  doi-  Ruhe  spiralig  aufgerollte,  wie  Kent  (1880, 
S.  428)  angibt. 

Diese  in  der  Querfurche  entspringende,  während  der  Ruhe  spiralig 
aufgerollte  Geißel  ist  au  der  in  Bewegung  befindlichen  Zelle  erst  zu 
erkennen,  wenn  diese  ihre  Lage  nicht  mehr  verändert.  Man  kann 
dann  in  der  Querfurche  ein  Flimmern  bemerken,  das  schon  Cohn 
(1866,  S.  295)  aufgefallen  ist.  und  das  er  in  Form  einer  »im  Munde« 
—  eben  in  der  Querfurche  —  liegenden  Schlinge  abgebildet  hat  (Text- 
fig.  3d).  Allmählich  wird  nun  dieses  Flimmern  schwächer,  und  dann 
sieht  man,  daß  es  durch  die  Bewegungen  einer  Geißel  hervorgerufen 
ist,  die  im  Grunde  der  Querfurche,  an  der  linken  Seite  des  Geißel- 
höckers, und  zwar  an  dessen  Basis  entspringt  (Taf.  XXX,  Fig.  9). 
Die  proximale  Partie  der  Geißel  hebt  sich  etwas  vom  Körper  ab  und 
schnellt  dann  wie  eine  Peitsche  wieder  in  die  Tiefe  der  Furche  hinein, 
wodurch  eine  WellenbeweiJunü  entsteht,  die  sich  von  der  Basis  ^Jic^en 
die  Spitze  der  Geißel  fortpflanzt  und  eine  Drehung  der  Zelle  gegen  ihre 
rechte  Flanke  hin  zur  Folge  hat.  Auch  Keysselitz  (1908,  S.  336)  hat 
an  der  kürzeren  Geißel  »sehr  rasche  Schlängelungen«  bemerkt. 

Diese  Flimmergeißel  legt  sich  um  die  linke  Flanke  der  Zelle 
herum  und  verläuft  vermutlich  bis  ans  Ende  der  Querfurche.  Ob  ihr 
freies  Ende  ebenfalls  das  Wasser  schlägt,  oder,  wie  es  zuweilen  den 
Anschein  hatte,  neben  der  ausgestreckten  Geißel  nachgeschleppt  wird, 
oder  gar  um  sie  herumgeschlungen  ist.  konnte  ich  nicht  sichei'  fest- 
stellen. 

Die  Bewejiuu*ien  dieser  Flimmerueißel  machen  nun  auch  die  An- 
gäbe  DujARDiNs  (1841,  S.  346)  und  Gourret  et  Roesers  (1886,  S.  524) 
verständlich,  w'elche  der  Oxyrrhis  mehrere,  zwei  lange  imd  drei  bis 
vier  kurze,  Geißeln  zugeschrieben  haben.  Ist  es  doch  schon  bei  der 
Ruhelage  der  Geißeln  und  bei  Anwendung  homogener  Immersion 
wegen  der  Durchsichtigkeit  aller  Zellorgane  nicht  leicht,  die  Geißeln 
von  den  Kanten  der  Zelle  zu  unterscheiden  und  ihren  Verlauf  genau 
festzustellen.  Wenn  sich  dann  die  Zelle  noch  dreht,  und  infolge  ihrer 
asymmetrischen  Gestalt  dem  Beobachter  jeden  Augenblick  ein  andres 
Aussehen  zeigt,  so  ist  ein  Irrtum  sehr  leicht  möglich.  Es  schien  auch 
mir  bisweilen  - —  nachdem  ich  längst  festgestellt  hatte,  daß  Oxyrrhis 
nur  zwei  Geißeln  habe  —  als  ob  wenigstens  noch  eine  dritte,  kürzere 


018  O.  8enn, 

vorhanden  sei.  Diese  Täuschung  wurde  aber  jeweilen  durch  die  Be- 
wegungen und  scharfen  Biegungen  der  Flimmergeißel  hervorgerufen. 
So  hat  also  auch  Oxyrrhis  als  einzelner  Organismus  —  wie  ihre  Ver- 
wandten, die  Dinoflagelleten.  in  ihrer  Gesamtheit  —  durch  ihre 
Flimmergeißel  eine  größere,  und  zwar  bezeichnenderweise  unbe- 
stimmte Zahl  von  Geißeln  vorgetäuscht. 

Sehr  oft  kann  man  beobachten,  daß  die  Zellen  ihre  Geißeln  mit 
einem  Ruck  abwerfen,  was  schon  Cohn  (1866,  S.  295)  und  Keysselitz 
(1908,  S.  335)  beobachtet  haben.  In  allen  von  mir  beobachteten 
Fällen  starben  die  Zellen  bald  nachhei-  ab.  An  den  Geißeln  selbst 
waren,  wie  dies  ja  auch  sonst  wiederholt  beobachtet  worden  ist.  bald 
nach  ihrer  Abstoßung  öfters  noch  ruckweise  Bewegungen   zu  sehen. 

Nach  den  Angaben  von  Keysselitz  (1908,  S.  335)  sind  die  Geißeln 
etwas  abgeplattet  und  bestehen  aus  einem  gleichmäßig  starken,  stumpf 
endenden  Achsenstrang  und  einer  plasmatischen  Hülle,  die  jedoch 
nicht  bis  unmittelbar  an  das  Ende  der  Geißel  reicht,  sondern  eine 
kleine  Strecke  vor  demselben  aufhört.  Der  Achsenstrang  wird  nach 
diesem  Autor  in  seiner  letzten  Strecke  frei;  auch  soll  er  nicht  in  der 
Achse,  sondern  im  Rande  der  Geißel  liegen.  Vom  Vorhandensein  eines 
inneren  Stranges  habe  ich  mich  ebenfalls  überzeugen  können;  ob  er 
aber  axial  oder  seitlich  lag,  vermag  ich  nicht  anzugeben^.  Dagegen 
habe  ich  wie  Keysselitz  bei  gefärbten  Zellen  an  der  Basis  jeder  Geißel 
ein  Basal  körn  beobachtet,  dessen  direkte  Verbindung  mit  der 
Geißel  allerdings  nicht  immer  deutlich  zu  sehen  war  (Taf .  XXX,  Fig.  11). 

Aus  der  Insertion  der  Geißeln  zu  beiden  Seiten  des 
lappenartigen  Vorsprunges,  besonders  aber  aus  ihrer  Lage- 
rung in  zwei  getrennten  Fui-chen  der  Zelle,  sowie  aus  der 
Flimmerbewegung  der  in  der  Querfurche  befindlichen  geht 
unzweifelhaft  hervor,  daß  sich  Oxi/rrhis  von  allen  andern 
Euflagellaten  —  sowohl  von  den  Cryptomonadinen  als  auch 
von  den  Bodonadaceen,  zu  denen  sie  bisher  gestellt  wurde  —  weit 
entfernt,  dagegen  mit  den  Peridineen  übereiiistimmt, 
deren  Geißeln  von  der  ruhenden  Zelle  bisweilen  in  gleicher  Weise  ein- 
gezogen und  bewegungslos  in  die  Furchen  gelagert  werden  (Bütschli, 
1884,  S.  960). 

1  Ein  Kunstprodukt  liegt  in  dieser  Geißelstruktur  offenbar  nicht  vor.  da 
die  Zellen  samt  ihren  Geißeln  rasch  getötet  worden  waren.  Es  kann  also  keine 
Quellung  eingetreten  sein,  wie  A.  Fischer  (1894,  S.  192  ff.)  eine  solche  bei  ge- 
schädigten Geißeln  von  Euglena  beobachtet  hat. 


Oxynhis.   Nej>lu(iM'liiiis  iiiid   einige    iMitlagelluteii   usw.  ()I9 

5.  Zellumhüllung  iPeriplast  und  Gallerte). 

Die  Zelle  von  Oxi/rrliis  wiid  (liireli  eine  deutliclie.  hei  starker 
Verurößerunu  dopi)elt  koiituriert  erscheinende  Haut  unischh)s.sen, 
welche  die  Reaktionen  der  plasmatischen  Körper  zeigt.  Mit  Chlor- 
zinkjod  wird  sie  wie  mit  Jod- Jodkalium  gelbbraun;  sie  besteht  also 
sicher  nicht  aus  Cell u lose. 

Damit  stimmt  auch  der  weitere  Befund,  daß  das  Plasma  durch 
Plasmolyse  (z.  B.  mit  5,5%  oder  7,5%  NaCl  in  Aq.  dest.,  was  einem 
Zusatz  von  'l^^  bzw.  4%  NaCl  zum  Meerwasser  entspricht)  nicht  von 
ihr  uetrennt  werden  kann. 

Ebensowenifi  tritt  Plasmolyse  ein.  wenn  man  das  Meerwasser 
durch  allmähliche  Yei'dunstunu  sich  konzentrieren  läßt.  Wurden  z.  B. 
Zellen  in  hängenden  Tropfen  über  einem  mit  Meerwasser  getränkten 
Papprahmen  beobachtet,  so  zeigten  sich  nach  einiger  Zeit  an  der  Zell- 
hülle mehrere  Längsstreifen,  die  vom  vorderen  Körperende  bogen- 
förmig nach  hinten  verliefen  (Taf.  XXX.  Fig.  8).  Die  genaue  Beobach- 
tung ergab,  daß  es  sich  um  Einknickungen  des  Periplasten 
handelte,  die  durch  den  Wasserentzug  verursacht  worden  waren.  Die 
Zellen  sahen  dabei  merkwürdig  schmächtig  aus;  besonders  das  spitze 
Hinterende  war  auffallend  dünn  geworden.  Dabei  waren  auch  die 
gegenseitigen  Lagerungsverhältnisse  der  Zellpartien  verändert,  so  daß 
z.  B.  der  lappenartige  Vorsprung  fast  gegenüber  der  linken  Flanke  lag. 
Wurde  nun  der  hängende  Tropfen  über  einen  mit  Süßwasser  getränkten 
Papprahmen  gebracht,  so  kehrte  die  normale  Zellgestalt  wieder  zurück 
(Taf.  XXX,  Fig.  7).  Während  des  ganzen  Versuches  behielten  die 
Zellen  unter  sonst  günstigen  Verhältnissen  ihre  Beweglichkeit  bei. 
Auf  die  abnorme  Homogeneität  und  Durchsichtigkeit  der  Zellen  während 
des  Wasserentzuges  werde  ich  im  folgenden  Abschnitt  zu  sprechen 
kommen. 

Die  Zellumhüllung  ist  somit  als  Periplast  zu  bezeichnen,  der, 
wie  die  gerade  verlaufenden  Einknickungen  zeigen,  eine  gewisse  Festig- 
keit besitzt.  Eine  differente,  vom  Plasma  ausgeschiedene  Membran, 
bzw.  ein  Panzer,  ist  aber  nicht  vorhanden. 

Nun  gibt  allerdings  Kent  (1880,  S.  428)  an,  daß  er  zuweilen  leere 
Periplasten  des  Vorderendes  gefunden  habe.  Daran,  daß  diese  zu 
Oxyrrhis  gehören,  ist  nicht  zu  zweifeln,  da  seine  Abbildungen  (Taf.  XXIV, 
Fig.  .58  u.  59)  dieser  Hüllen  die  Eigentümlichkeiten  dei-  Gestalt  von 
Oxyrrhis  viel  besser  wiedergeben,  als  seine  Zeichnungen  der  intakten 
Zelle  (Textfig.  3/).     In   meinem  Material  habe  ich  übrigens  ähnliche 


620  ('•  yenn. 

Gebilde  lieiuiiden;   da  sie  aber  deformiert    waren,   konnte  ihre  Zuge- 
hörigkeit zu  Oxyrrhis  nicht  einwandfrei  festgestellt  werden. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  wie  diese  leeren  Periplasten  ent- 
standen sind.  Jedenfalls  nicht  beim  Absterben  der  Zellen,  denn  dabei 
lösen  sich  diese  samt  dem  Periplasten  auf,  wie  dies  auch  Kent  (1880, 
S.  428)  angibt;  er  vergleicht  den  Vorgang  treffend  mit  einem  Ab- 
schmelzen. Nun  berichtet  aber  Bütschli  (1885,  S.  559  Anm.),  daß 
einige  in  seinem  Aquarium  aufgetretene  Exemplare  eine  Umhüllung 
iiiemlich  sicher  wahrnehmen  ließen. 

Man  kann  sicli  die  Sache  vielleicht  so  erklären,  daß  die  leeren  Periplasten 
bei  Häutungen  der  lebenden  Zellen  entstehen.  Ob  diese  an  gewöhnlichen  vegetati- 
ven Zellen  vorkommen  oder  nur  an  jungen,  eben  aus  der  Teilung  hervorgegangenen 
Individuen,  wie  z.  B.  bei  manchen  D  e  s  m  i  d  i  a  c  e  e  n  ,  kann  ich  nicht  sagen. 
Bei  den  Peridineen  kommen  solche  Häutungen  zwar  sehr  oft  vor  (Klebs, 
1883,  .S.  740,  744;  Pouchet,  1885,  iS.  42 f.  usw.),  doch  werden  dort  jeweilen  richtige, 
durch  Plasmolyse  isolierbare  Zellhüllen  erneuert.  Immerhin  wäre  es  denkbar, 
daß  etwas  ähnliches  auch  bei  der  wenigstens  vorn  mit  einem  relativ  festen  Peri- 
jilast   vei'selienen   Oxyrrhis  stattfindet. 

Durch  GouRRET  et  Koeser  (1886,  8.  524)  wurde  festgestellt,  daß 
der  Periplast  iii  der  hinteren  Zellpartie  fehlt  oder  doch  viel  weniger 
fest  ist  als  vorn.  Wohl  deshalb  verändert  das  hintere  Ende  seine 
Gestalt  viel  leichter  als  das  vordere.  So  rundet  es  sich  z.  B.  bei  Indi- 
viduen, die  im  hängenden  Tropfen  Osmiumsäuredämpfen  ausgesetzt 
werden,  so  ab,  daß  der  lappenartige  Vorsprung  deplaciert  wird  und 
kaum  mehr  erkennbar  ist  (so  auch  Kent,  1880,  S.  428).  Dabei  be- 
wahrt aber  das  Vorderende  wenigstens  anfänglich  seine  ursprüngliche 
Gestalt  (Taf.  XXX,  Fig.  5). 

Bei  Behandlung  der  Zellen  mit  schwacher  Jod-Jodkaliumlösung 
in  Meerwasser  wölben  sich  aus  der  Querfurche  mehrere  Vacuolen  vor, 
während  das  Hinterende  sonst  nicht  deformiert  wird.  Sehr  schön  trat 
diese  Vacuolenbildung  bei  Zusatz  von  0,5%  Tannin  in  Meerwasser 
bzw.  3,48%  NaCl,  auf.  Zu  Beginn  der  Wirkung  lagen  die  Zellen  wie 
fixiert  auf  dem  Obj ektträger :  erst  nach  2 — 5  Minuten  traten  dann  die 
Vacuolen  heivor.  In  einzelnen  Fällen  vergrößerten  sie  sich  nur  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  (Taf.  XXX,  Fig.  13  u.  15),  bisweilen  nahmen 
.sie  rasch  an  Größe  zu  und  kamen  schließlich  zum  Platzen. 

An  solchen  Blasen  waren  gewöhnlich  zwei  bis  drei  mutzen-  oder 
bogenförmige,  verschieden  große  Gebilde  von  offenbar  festerer  Kon- 
sistenz zu  sehen,  welche  der  zarten  Blasenhaut  aufsaßen  (Taf.  XXX, 
Fig.  13).  Die  Länge  des  einen  bestimmte  ich  zu  8  u,  was  mit  der 
Länge   des   lappenartigen  Vorsprunges   übereinstimmt.     Dieser  gleicht 


Ox5Trhis,  Nephroselinis  und  einige  Euflagellaten  usw.  621 

auch  tatsächlich  in  seiner  Konsistenz  viel  eher  dem  Vorder-  als  dem 
Hinterende  der  Zelle.  Was  die  ein  bis  zwei  andern  bogenförmigen 
Gebilde  sind,  von  denen  das  eine  4,5 ,«  maß,  kann  ich  nicht  mit  Sicher- 
heit angeben.  Es  scheint,  daß  auch  sie  lokale  Verdickungen  des  auf 
der  Ventralseite  des  Hinterendes  sehr  zarten  Periplasten  sind,  Organe, 
welche  möglicherweise  die  Stellen  geringster  Konsistenz,  also  Cyto- 
stom  und  Cytopyge,  wenigstens  einseitig  begrenzen. 

Es  war  nämlich  zuweilen  eine  seichte  Rinne  zu  sehen,  die  sich 
vom  Hinterende  bis  in  die  Querfurche  hinein  zog.  Die  Rinne  ist 
wahrscheinlich  als  die  Stelle  geringster  Festigkeit  aufzufassen,  aus 
welcher  auch  die  beschriebenen  Vacuolen  austreten.  Meine  Beobach- 
tungen über  die  Nahrungsaufnahme  haben  allerdings  ergeben,  daß 
wenigstens  die  kleineren  Nahrungskörper  in  der  Nähe  der  Geißelinser- 
tion  zwischen  dem  lappenartigen  Vorsprung  und  dem  Rand  der  Quer- 
furche aufgenommen  werden.  Da  ich  aber  auch  eine  Oxijrrhis  gesehen 
habe,  die  in  ihrem  Innern  eine  Navicula  enthielt,  welche  vom  vorderen 
bis  zum  hinteren  Zellende  reichte,  muß  ich  wie  Kent  (1880,  S.  427) 
schließen,  daß  die  Mundöffnung  elastisch  ist  und  wahrscheinlich  längs 
der  erwähnten  Rinne  bis  ans  Hinterende  verlängert  werden  kann. 

In  diesem  Falle  vereinigt  sie  sich  wohl  mit  der  Cytopyge,  die, 
wie  auch  Blochmann  (1884,  S.  48)  angibt,  stets  an  der  Spitze  des 
Hinterendes  liegt.  Ich  habe  daselbst  nicht  nur  die  Ausstoßung  von 
Nahrungsresten  und  das  nachherige  Schließen  der  Cytopyge  in  der 
von  Blochmann  beschriebenen  Weise  beobachtet  (Textfig.  4  b),  sondern 
auch  an  Individuen,  die  sozusagen  auf  dem  Kopfe  standen,  eine  ziem- 
lich deutlich  umschriebene  Stelle  von  der  Gestalt  eines  Hufeisens  ge- 
sehen, dessen  Öffnung  gegen  die  in  der  Querfurche  gelegene  Mundöffnung 
gerichtet  war  (Taf.  XXX,  Fig.  12).  An  fixierten  Individuen  ragte 
diese  Stelle  zuweilen  löffelartig  über  die  Fläche  des  Hinterendes  heraus. 

Demnach  wären  Cytostom  und  Cytopyge  wohl  lokalisiert,  aber 
durch  einen  Streifen  so  zarter  Plasmahaut  verbunden,  daß  die  Mund- 
öffnung bis  zur  Cytopyge  erweitert  werden  kann. 

Nach  meinen  Beobachtungen  ist  der  Periplast  an  lebenden  In- 
dividuen glatt,  was  auch  Kent  (1880,  S.  427)  und  Gourret  et  Roeser 
(1886,  S.  524)  angeben.  Duj ardin  (1841,  S.  347)  beschreibt  ihn  aller- 
dings als  raiih  bzw.  warzig.  Er  ließ  sich  aber  offenbar  durch  die  im 
Plasma  enthaltenen  Körnchen  zu  dieser  Auffassung  verleiten;  macht 
doch  auch  Fresenius  (1865,  S.  84)  darauf  aufmerksam,  daß  die  oft 
in  Längsreihen  angeordneten  Kügelchen  des  Zellinhaltes  die  Oberfläche 
streifig  erscheinen  lassen. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  41 


622  G.  Senn, 

All  Zellen  aber,  welche  durch  Osmiumsäure  fixiert  worden  waren, 
konnte  ich  wiederholt  eine  Punktierung  und  Strichelung  des  Peri- 
plasten  feststellen  (Taf.  XXX,  Fig.  5  u.  6).  Möglicherweise  sind  diese 
Punkte  und  kurzen  Doppelstriche  Trichocysten-artige  Gebilde, 
welche  infolge  der  Wirkung  schädlicher  Einflüsse  zarte  Fäden  aus- 
stoßen. 

Schon  Kunstler  (1888,  S.  139)  hat  nämlich  beobachtet,  daß  die 
Zellen  von  Oxyrrhis  marina  nach  Fixierung  mit  konzentrierter  Osmium- 
säurelösung und  nachheriger  Behandlung  mit  >)noir  Collin<<  (das  mit 
Chromsäure  angesäuert  und  dem  etwas  Glyzerin  zugefügt  war)  mit 
einer  mehr  oder  weniger  dichten  Hülle  von  unregelmäßigen  Fäden 
bedeckt  sind,  die  nach  allen  Richtungen  ausstrahlen.  Ich'  kann  diese 
Beobachtung  durchaus  bestätigen.  Besonders  schön  waren  die  feinen 
Fäden  (die  viel  zarter  sind  als  die  Geißeln)  bei  Behandlung  der  Zellen 
mit  0,5%iger  Gerbsäure  in  Meerwasser,  bzw.  isotonischer  Kochsalz- 
lösung (3,48%)  zu  sehen  (Taf.  XXX,  Fig.  15).  Sie  erscheinen  zuweilen 
an  ihrem  distalen  Ende  etwas  verdickt  und  können  so  lang  werden 
wie  die  Zelle  selbst;  als  maximale  Länge  habe  ich  31  /t  festgestellt. 
Ließ  ich  Chlor zinkj od  in  verdünnter  Lösung  auf  lebende  Zellen 
wirken,  so  erfolgte  eine  viel  schwächere  Fadenbildung  (Taf.  XXX, 
Fig.  14),  offenbar,  weil  die  Zelle  zu  rasch  getötet  worden  war.  In 
diesem  Falle  schien  es,  als  ob  das  Hinterende  keine  Fäden  trage.  Diese 
Tatsache  hängt  möglicherweise  damit  zusammen,  daß  in  der  hinteren 
Körperhälfte  auch  keine  Strichelung  der  Membran  vorhanden  ist. 
Dadurch  gewänne  die  Deutung  dieser  Striche  als  Trichocysten 
sehr  an  Wahrscheinlichkeit.  Leider  versäumte  ich,  die  chemischen 
Keaktionen  dieser  Fäden  festzustellen.  Immerhin  spricht  die  Tatsache, 
daß  sie  von  Hämatoxylin  nicht  gefärbt  werden,  gegen  ihre  plasmatische 
Natur.  Sie  bestehen  offenbar  aus  Gallerte,  was  mit  Kunstlers  Auf- 
fassung (1888,  S.  139),  nach  der  es  Produkte  von  Trichocysten  sind, 
gut  stimmen  würde. 

Da  bei  Fixierung  mit  Platinchlorid  oder  FLEMMiNGscher  Lösung 
die  Gallertausscheidung  unterbleibt,  muß  gescklossen  werden,  daß  die 
freischwimmende  Zelle  keine  Gallerthülle  trägt,  sondern  daß  diese  erst 
infolge  eines  äußeren  Reizes  ausgeschieden  wird,  und  zwar  in  um  so 
reichlicherem  Maße,   je  langsamer  der  Organismus  zugrunde  geht. 

Durch  äußere  Reize  verursachte  Gallertausscheidungen  kom- 
men in  verschiedenen  Gruppen  der  Flagellaten  und  ihrer  Verwandten 
vor.  So  hat  sie  Klebs  (1883,  S.  274f.)  für  Euglena  velata  und  san- 
guinea  beschrieben.     Hier  werden  zarte,  radial  gerichtete  Gallertfäden 


Oxynliis,  Kepliro-selnüs  uiul  einige  Eiitlagelluten  usw.  (523 

oder  -Stäbchen  ausgeschieden,  die  bald  zu  einem  unregelmäßigen  Netz- 
werk verquellen.  Bei  Gymiwdinmm,  juscum  dagegen  bleiben  die  radial 
gerichteten  Stäbchen  erhalten;  die  Gallerthülle  dieser  Peridinee 
stimmt  deshalb  mit  ihren  regelmäßig  radialstrahligen  Stäbchen  (Klebs 
1883,  Taf.  II,  Fig.  26)  mit  der  bei  Oxyrrkis  durch  Chlorzinkjod  hervor- 
gerufenen völlig  überein. 

Die  langen,  durch  Gerbsäurebehandlung  erzeugten  Fäden  hat 
Schutt  (1899,  S.  618ff.)  genau  in  derselben  Ausbildung  für  Ceratium 
furca  und  Podolampas  hipes  und  neuerdings  Krause  (1910,  S.  182)  an 
Ceratium  hirundinella  beschrieben  und  abgebildet.  Sie  traten  ebenfalls 
infolge  einer  Schädigung  der  Zellen  auf.  Schutt  (S.  621)  vermutet 
allerdings,  diese  Fäden  seien  plasmatisch  er  Natur  und  ihre  Substanz 
sei  derjenigen  der  Geißeln  ähnlich.  Doch  haben  auch  Schutt  und 
Krause  die  Reaktionen  dieser  Substanz  nicht  festgestellt.  Ihre  hyaline 
Beschaffenheit  scheint  mir  viel  eher  für  ihre  Gallert-  als  ihre  Plasma- 
natur zu  sprechen.  Somit  schließt  sich  Oxyrrhis  auch  durch  ihre  Fähig- 
keit, auf  äußere  Reizung  mit  intensiver  Ausscheidung  zarter  Fäden  zu 
reagieren,  eng  an  andre,  sowohl  marine  als  auch  im  Süßwasser  lebende 
Peridineen  an.  Die  ähnliche,  wenn  auch  nicht  mit  gleicher  Inten- 
sität erfolgende  Gallertausscheidung  mehrerer  Euglenen  hat  für  die 
Verwandtschaftsbeziehungen  von  Oxyrrhis  keine  Bedeutung,  da  diese 
mit  den  Eugleni^ien  sonst  nichts  gemein  hat. 

In  bezug  auf  den  Perlplasten  unterscheidet  sich  Oxyrrhis  allerdings 
nicht  von  den  Flagellaten,  schließt  sich  darin  aber  auch  an  Peri- 
dineen, z.  B.  an  Gymnodinium  an,  dessen  Periplast  ebenfalls  keine 
Cellulosereaktion  gibt.  Die  verschiedene  Konsistenz  des  Periplasten 
in  den  verschiedenen  Körperpartien  spricht  dagegen  durchaus  für  die 
Zugehörigkeit  von  Oxyrrhis  zu  den  Peridineen,  da  nach  Schutt 
(1899,  S.  625f.)  bei  Podolampas  hipes  aus  der  Geißelspalte  große  Pseudo- 
podien austreten  und  wieder  eingezogen  werden,  und  auch  bei  fixierten 
Ceratien  häufig  ein  Plasmapfropf  aus  der  Geißelspalte  austritt  — 
alles  Verhältnisse,  welche  an  die  auf  der  Ventralseite  von  Oxyrrhis 
erfolgende  Ausstülpung  von  blasigen  Vacuolen  erinnern. 

Somit  weist  auch  die  Ausbildung  des  Periplasten  von 
Oxyrrhis  klar  auf  ihre  Zugehörigkeit  zu  den  Peridineen,  und 
zwar,   da  eine  Panzerung  fehlt,   zu  den  Gymnodiniaceen. 

6.  Plasma  und  Vacuolen. 

Das  Protoplasma  kleidet  in  ziemlich  dickem  Wandbeleg  den 
Periplasten  aus  und  umschließt  den  von  zahlreichen  stärkeren  oder 

41* 


624  G.  Senn, 

schwächeren   Plasmasträngen   durchzogenen  Zellsaftraum   (Taf.  XXX, 
Fig.  21). 

Normalerweise  erscheint  das  Plasma  körnig  (Taf.  XXX,  Fig.  7). 
Wird  aber  der  Zelle  durch  allmähliche  Verdunstung  des  Meerwassers 
oder  durch  Zusatz  konzentrierter  Salzlösungen  Wasser  entzogen,  so 
wird  das  Plasma,  bald  nachdem  am  Periplast  die  S.  619  erwähnten 
Einknickungen  aufgetreten  sind,  vollständig  homogen  und  mit  Aus- 
nahme der  von  den  Nahrungsballen  eingenommenen  Stellen  durch- 
sichtig; auch  der  vorher  deutlich  sichtbare  Zellkern  scheint  verschwun- 
den zu  sein  (Taf.  XXX,  Fig.  8).  Dieses  Verschwinden  der  farblosen 
körnigen  Inhaltsbestandteile  infolge  starken  Wasserentzuges  beruht 
offenbar  darauf,  daß  alle  Wasser  enthaltenden  Käume  (Vacuolen)  ver- 
schwunden sind,  so  daß  nun  die  Plasmabestandteile  samt  dem  Kern 
lückenlos  zusammenschließen.  Da  sie  alle  annähernd  denselben  Bre- 
chungsindex haben  (Senn,  1908,  S.  369),  durchsetzt  das  Licht  die 
Zelle  geradlinig,  so  daß  sie  homogen  erscheint.  Wenn  man  nun  den 
hängenden  Tropfen  von  dem  mit  Meerwasser  getränkten  Papprahmen 
auf  einen  mit  Süßwasser  getränkten  überträgt,  so  nehmen  die  Vacuolen 
infolge  der  Verdünnung  des  Mediums  Wasser  auf.  Das  die  Zelle  durch- 
setzende Licht  erfährt  nun  wieder  an  den  unebenen  Grenzflächen  von 
Plasma  und  Zellsaft  mehrfache  unregelmäßige  Brechungen,  so  daß 
alle  in  den  Saftraum  vorragenden  Körnchen,  sowie  der  Kern  sichtbar 
werden. 

Die  farblosen  Körnchen  und  Tröpfchen  bestehen  teilweise  aus 
Fett,  da  sie  durch  Äther  und  Alkohol  gelöst  und  durch  Osmiumsäure 
gebräunt  werden  (Blochmann,  1884,  S.  47).  Vielleicht  sind  auch  die 
Körner,  welche  nach  Fixierung  der  Zelle  mit  Platinchlorid  und  nach- 
heriger  Behandlung  mit  gerbsaurem  Vesuvin  dunkelbraun  bis  schwarz 
gefärbt  wurden,  nichts  andres  als  Fetttröpfchen.  Ich  beobachtete 
solche  nur  in  der  vorderen  Körperhälfte,  in  der  Nähe  des  Zellkernes. 

Außer  diesen  farblosen,  körnigen  Plasmabestandteilen  und  dem 
Kern  finden  sich,  in  größere  oder  kleinere  Vacuolen  eingebettet,  meist 
zahlreiche  Nahrungsballen,  die,  wenn  noch  nicht  stark  angegriffen, 
ihre  Natur  und  Herkunft  deutlich  erkennen  lassen.  So  hat  Cohn 
(1866,  S.  295)  Reste  von  Spirulina  versicolor  darin  beobachtet,  Fre- 
senius (1865,  S.  84)  ebenfalls  Spirulinen  und  in  selteneren  Fällen 
chlorophyllhaltige  Reste.  Keysselitz  (1908,  S.  339,  Fig.  16—19) 
endlich  fand  darin  ganjze  Knäuel  von  Algenfäden  (wohl  Spirogyra, 
Textfig.  7).  Meine  Exemplare  nährten  sich  außer  von  Bakterien  auch 
von  grünen,   stärkehaltigen   Organismen  und  besonders   von  Diato- 


Oxyrrhis.  Nephrosclniis  und  einige  Euflagellaten  usw.  625 

meen  (Pinnularia).  Daß  einmal  eine  Navicula  verschluckt  wurde, 
die  fast  ebenso  lang  war  wie  die  Oxyrrhis-ZeWe  selbst,  habe  ich  S.  621 
erwähnt.  In  diesem  Fall  reichte  natürlich  die  Nahrungsvacuole  von 
einem  Zellende  zum  andern.  Gewöhnlich  liegen  aber  die  kleineren 
Nahrungskörper  nur  in  der  hinteren  Körperhälfte,  was  schon  Cohn 
(1866,  S.  295)  angibt.  Infolgedessen  erhält  bei  der  Querteilung  der 
Zelle  das  aus  der  vorderen  Hälfte  der  Mutterzelle  hervorgegangene 
Exemplar  keine,  das  andre  dagegen  alle  Nahrungsballen. 

Offenbar  nach  vollendeter  Verdauung  werden  die  Ballen  in  das 
Hinterende  befördert  und  aus  dessen  Spitze  spontan  ausgestoßen,  wie 
dies  Blochmann  (1884,  S.  48,  Fig.  16)  beschrieben  und  abgebildet  hat 
(Textfig.  4&).  In  einem  fixierten  und  gefärbten  Individuum  schien  sogar 
eine  aus  Plasma  bestehende  röhrenförmige  Differenzierung  vorhanden 
zu  sein,  welche  vielleicht  die  Nahrungsreste  aus  der  Mitte  der  Zelle 
zu  der  Cytopyge  dirigiert. 

Daß  Oxyrrhis  einen  Saftraum  besitzt,  wurde  schon  festgestellt. 
Von  einer  regelmäßigen  Gestalt  der  Vacuolen  mit  einem  nach  der 
Geißelinsertion  führenden  Kanal  —  also  einer  Anordnung  und  Organi- 
sation, welche  die  Anwendung  von  Schutts  Ausdruck  »Pusule« 
rechtfertigen  würde  —  war  aber  nichts  zu  sehen. 

Ebensowenig  konnte  ich  in  irgend  einer  Zellpartie  Pulsationen 
konstatieren;  ich  stimme  darin  mit  Blochmann  (1884,  S.  48)  überein, 
der  an  den  zuweilen  zahlreichen  Vacuolen  trotz  langer  Beobachtung 
keine  Veränderimgen  entdecken  konnte.  Cohn  (1866,  S.  295),  Kent 
(1880,  S.  427 f.)  und  Gourket  et  Roeser  (1886,  S.  524)  dagegen  sprechen 
von  einer  —  nach  unsrer  Orientierung  —  im  Hinterende  befindlichen 
contractilen  Vacuole,  deren  Bewegungen  nach  Kent  allerdings 
nicht  sehr  kräftig  sein  sollen.  Da  bisher  bei  keinem  marinen  Flagellat 
oder  einem  verwandten  Organismus  Vacuolenpulsationen  beobachtet 
worden  sind,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Angaben  dieser  drei 
Forscher  auf  Irrtum  beruhen. 

Da  Oxyrrhis  in  der  Verteilung  ihres  Protoplasmas  und  seiner 
Vacuolen  von  dem  allgemeinen  Bauplan  der  Zelle  pflanzlicher  Pro- 
tisten nicht  abweicht,  können  daraus  naturgemäß  keine  Schlüsse  über 
ihre  speziellen  Verwandtschaftsbeziehungen  gezogen  werden. 

7.  Kern  und  Kernteilung. 

Über  Kernstruktur  und  Kernteilung  von  Oxyrrhis  liegen  außer 
GouRRET  et  Roesers  (1886,  S.  524)  bloßer  Erwähnung  eines  Kernes 
genauere  Angaben  von  Blochmann  (1884,  S,  47)  und  besonders  von 


626  G.  Senn, 

ScHAUDiNN  (1896,  S.  129)  und  Keysselitz  (1908,  S.  336f.)  vor,  welch 
letzterer  auch  die  von  Schaudinn  hinterlassenen  Präparate  ver- 
wertet hat. 

Da  meine  Resultate  mit  denjenigen  dieser  Forscher  im  allgemeinen 
übereinstimmen,  werde  ich  kleinere  Differenzen  im  Anschluß  an  die 
Darstellung  meiner  Befunde  erwähnen. 

Vor  allem  fällt  die  bedeutende  CTröße  des  ellipsoidischen,  etwas 
vor  der  Zellmitte  liegenden  Kernes  auf;  mißt  er  doch  in  der  Ruhe 
9 — 11//  Länge  (seltener  bis  15//)  und  6 — 7,5 /<  Breite.  Er  ist  also 
ungefähr  1/3,  seltener  sogar  1/2  so  lang  als  die  ganze  Zelle!  Seine 
Läjigsachse  liegt  zu  derjenigen  der  Zelle  parallel  oder  etwas  schief 
(Taf.  XXX,  Fig.  5,  7,  14,  15, 18  u.  19). 

Zum  Studium  seiner  feineren  Struktur  habe  ich  die  Zellen  mit 
0,25  oder  0,5%  Platinchlorid  in  Meerwasser  oder  mit  Flemmings  Chrom- 
Osmium-Essigsäure  fixiert,  die  mit  10 — 15  Teilen  Meerwasser  oder 
isotonischer  (3,4%)  NaCl-Lösung  verdünnt  worden  war  (Swingle, 
1897,  S.  299).  Schon  ohne  Färbung  war  mit  homogener  Immersion 
an  den  Kernen,  die  schon  von  Blochmann  (1884,  S.  48)  beobachtete 
netzförmige,  bzw.  körnig-fädige  Struktur  zu  erkennen,  die  durch 
schwache  Hämatoxylinlösung  (nach  Delafield  oder  Heidenhain) 
noch  bedeutend  klarer  wurde.  Es  lassen  sich  dann  im  Kern  relativ 
große  Körner  unterscheiden,  die  zuweilen  etwas  unregelmäßig  ange- 
ordnet sind,  meist  aber  in  bogigen  Reihen  verlaufen,  welche  von  andern 
senkrecht  oder  etwas  schief  zu  ihnen  verlaufenden  Reihen  gekreuzt 
werden  (Taf.  XXX,  Fig.  18  u.  19).  Schaudinn  (1896,  S.  129)  und 
Keysselitz  (1908,  S.  336)  sprechen  deshalb  von  einer  Alveolarstruktur. 
Obwohl  ich  nicht  feststellen  konnte,  ob  die  Körner  nur  in  einer  Rich- 
tung der  Kernoberfläche,  also  zu  rosenkranzartigen  Fäden,  oder  in 
allen  Richtungen  des  Raumes  verbunden  sind,  glaube  ich,  daß  die 
Bezeichnung  Alveolarstruktur  hier  durchaus  gerechtfertigt  ist.  Denn 
die  Körner  lassen  sich  bei  jeder  Einstellung  des  Kernes  beobachten, 
woraus  hervorgeht,  daß  die  ganze  das  Karyosom  umgebende  Masse 
des  Kernes  gleich  gebaut  ist,  mit  Ausnahme  der  Kernmembran,  die, 
wie  auch  Keysselitz  (1908,  S.  336)  angibt,  die  alveoläre  Partie  in 
Form  einer  doppelt  konturierten,  weniger  leicht  färbbaren  Haut  um- 
gibt (Taf.  XXX,  Fig.  18). 

Im  Innern  des  Kernes  ist  stets  ein  im  Leben  stärker  lichtbrechender, 
an  gefärbten  Präparaten  dunkler  erscheinender  kugeliger  Binnenkörper, 
ein  Karyosom,  zu  sehen,  das  Schaudinn  (1896,  S.  129)  noch  mit 
dem   älteren,  jetzt   in  andeim   Sinne  verwendeten  Namen   Nucleolo- 


Oxyrrhis,  Nephroseliuis  iiiui  einige  Euflagellaten  usw.  627 

Centrosom  bezeichnet.  Es  liegt  häufig  etwas  exzentrisch.  In  einem 
Falle  beobachtete  ich  in  einem  ruhenden  Kern  auch  deren  zwei;  mög- 
licherweise war  aber  das  eine  davon  nur  ein  Nucleolus  (Jollos,  1910, 
S.  194). 

Keysselitz  (1908,  S.  336)  gibt  ferner  an,  daß  innerhalb  des  Karyo- 
soms  ein  stärker  färbbares  Korn,  ein  Centriol,  enthalten  sei.  In  der 
Tat  habe  auch  ich  ein  solches,  zwar  nicht  in  allen,  aber  doch  in  zahl- 
reichen Fällen  gesehen.  Sehr  oft  konnte  ich  bei  genauerer  Beobachtung 
feststellen,  daß  der  dunkle  Fleck  nicht  ein  kugeliger  Inhaltskörper, 
sondern  der  Kreuzungspunkt  von  drei  oder  vier  Spalten  oder  Furchen 
sei,  welche  die  weniger  dunkel  gefärbte  Partie  des  Karyosoms  durch- 
ziehen (Taf.  XXX,  Fig.  17).  Besonders  deutlich  waren  diese  stern- 
artigen Gebilde  in  den  nach  Heidenhain  gefärbten  Präparaten  zu  sehen, 
weniger  klar  oder  gar  nicht  an  den  mit  DsLAFiELDschem  Hämatoxylin 
behandelten.  Es  ist  deshalb  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  sternförmi- 
gen Gebilde   auf  eine  Quellung   des  Karyosoms  zurückzuführen  sind. 

Auf  Grund  dieses  Baues  bezeichnet  nun  Keysselitz  (1908,  S.  336) 
den  Oxyrrhis-Kevn  als  »bläschenförmig«.  Dieser  Ausdruck  wird  allge- 
mein für  die  Kerne  der  Flagellaten  (im  engeren  Sinne)  mit  Aus- 
nahme der  höheren  Formen  (Eugleninen,  vielleicht  auch  der  Chloro- 
monadinen)  gebraucht.  Bei  jenen  sucht  man  aber  zwischen  Kern- 
membran und  Karyosom,  in  der  sogenannten  Kernsaftzone,  vergeblich 
nach  Chromatin  bzw.  stärker  färbbaren  Körnern.  Die  Kernsaftzone 
tritt  daher  in  gefärbten  Präparaten  oft  so  wenig  hervor,  daß  Awerin- 
ZEW  (1907,  S.  837)  für  Chilomonas  einen  kleinen  kugeligen  Kern  angab, 
der  aber,  wie  Prowazek  (1907,  S.  380)  richtig  bemerkte,  nur  das 
Karyosom  des  viel  größeren  bläschenförmigen  Kernes  ist,  dessen  Kern- 
saftzone Awerinzew  übersehen  hat.  Bei  dem  Kern  von  Oxyrrhis  wäre 
ein  solches  Versehen  nicht  möglich.  Es  besteht  somit  zwischen  dem 
Oxyrrhis-Kexn  und  dem  bläschenförmigen  der  niederen  Flagellaten  ein 
so  wesentlicher  Unterschied,  daß  die  Anwendung  derselben  Bezeich- 
nung nicht  am  Platze  ist.  Der  Kern  von  Oxyrrhis  hat  aber  auch,  ent- 
gegen ScHAUDiNNS  (1896,  S.  129)  Angaben,  nicht  dieselbe  Struktur 
wie  derjenige  der  Eugleninen^  indem  dort,  wie  ich  in  Übereinstim- 
mung mit  Keuten  (1895,  S.  219)  festgestellt  habe  (Senn,  1900, 
Fig.  64  Dl),  das  Chromatin  in  Form  von  radialstrahligen  Fäden  an- 
geordnet ist  (Taf.  XXXI,  Fig.  38).  Dagegen  weist  schon  Bütschli 
(1885,  S.  558)  darauf  hin,  daß  sich  der  Kernbau  von  Oxyrrhis  dem- 
jenigen der  Peridineen  anschließe.  Wie  wir  sehen  werden,  trifft 
dies  auch  in  bezug  auf  seine  Teilungsweise  durchaus  zu. 


628  G.  Senn, 

Um  die  schon  durch  BlocThmann  (1884,  S.  49)  in  großen  Zügen 
beobachtete,  durch  Schaudinn  (1896,  S.  129)  und  besonders  durch 
Keysselitz  (1908,  S.  337,  Taf.  XIX,  Fig.  4—15)  genau  beschriebene 
Kernteilung  zu  sehen,  habe  ich  1 — 2  Tage  alte  Heuinfuskulturen 
(Lauterborns  1895,  S.  177  Erfahrungen  an  Ceratium  entsprechend) 
nachts  10.30  und  1.30  Uhr  fixiert. 

Die  erste  Vorbereitung  zur  Teilung  besteht  in  einer  Viertelsdrehung 
des  Kernes,  der  zufolge  seine  Längsachse  zu  derjenigen  der  Zelle 
senkrecht  zu  stehen  kommt  (Taf.  XXX,  Fig.  20).  Auch  Keysselitz 
(1908,  Fig.  4)  bildet  einen  solchen  quergestellten  Kern  ab,  in  dem 
sich  das  erste  Stadium  der  Karyosomteilung  erkennen  läßt.  Auf  die 
Querstellung  des  ganzen  Kernes  weist  er  zwar  nicht  ausdrücklich  hin 
und  bildet  auch  in  Fig.  2  und  11  scheinbar  ruhende  Kerne  ab,  die 
quergestellt  sind.  Obwohl  an  solchen  Stadien  meines  Materials  zu- 
weilen noch  keine  Streckung  des  Karyosoms  zu  sehen  war,  muß  ich 
die  Querstellung  des  Kernes  doch  als  erste  Vorbereitung  für  seine 
Teilung  auffassen,  da  sich  an  ihm  schon  eine  deutliche  Anordnung 
des  Chromatins  in  parallelen  Reihen  erkennen  läßt,  die  senkrecht  zur 
Längsachse  des  Kernes,  also  in  der  Richtung  der  Längsachse  der  Zeile 
verlaufen.  Auf  diesen  parallelen  Verlauf  der  Chromatinelemente  hat 
bereits  Schaudinn  (1896,  S.  129),  allerdings  erst  für  das  spätere  Sta- 
dium, hingewiesen,  während  Keysselitz  (1908)  nichts  von  demselben 
erwähnt  und  ihn  auch  in  seinen  Figuren  nicht  hervorhebt. 

Im  nächsten  von  mir  beobachteten  Stadium  war  außer  der  paral- 
lelen Anordnung  des  Chromatins  eine  in  derselben  Richtung  erfolgte 
Streckung  des  Karyosoms  zu  erkennen  (Taf.  XXX,  Fig.  21).  Letzteres 
ließ  allerdings  vom  Centriol,  das  sich  nach  Keysselitz  (1908,  S.  387) 
zuerst  teilt,  nichts  erkennen ;  es  war  in  der  Mitte  etwas  dicker  als  an  den 
Enden  und  zeigte  also  noch  keinerlei  Andeutungen  einer  Einschnürung. 

Die  folgenden  Stadien,  in  welchen  eine  solche  nach  den  überein- 
stimmenden Angaben  Schaudinns  (1896,  S.  129)  und  Keysselitz' 
(Taf.  XIX,  Fig.  5 — 7)  erfolgt,  habe  ich  zwar  nicht  gesehen,  zweifle 
aber  nicht  an  der  Richtigkeit  dieser  Beobachtungen. 

Im  nächsten  Stadium,  das  ich  sah,  waren  die  Chromatinfäden  in 
der  Mitte  quer,  also  senkrecht  zur  Längsachse  der  Zelle,  durchgeschnürt, 
so  daß  nun  zwei  nierenförmige,  dicht  hintereinander  liegende  Tochter- 
kerne vorhanden  waren,  welche  noch  von  der  Membran  des  Mutter- 
kernes umschlossen  wurden.  Bemerkenswert  war  bei  dieser  Zelle,  daß 
das  Karyosom,  wie  dies  auch  Keysselitz  in  einem  Fall  beobachtet  hat, 


Oxyrrhis,  Nephrosclniis  und  einige  Euflagellaten  usw.  629 

noch  nicht  geteilt  wai',  sondern  noch  zwischen  den  beiden  Tochter- 
kernen lag  (Taf.  XXX,  Fig.  22). 

Diese  runden  sich  allmählich  ab,  immer  noch  durch  die  schlauch- 
artigen Reste  der  Kernmembran  verbunden  (Taf.  XXX,  Fig.  23).  In 
diesen  Stadien  liegen  die  Karyosome  stets  in  den  einander  zugekehrten 
Polen  der  Kerne,  woraus  ich  mit  Keysselitz  (1908,  S.  338)  schließe, 
daß  das  Karyosom  stets  durch  Teilung  entsteht  und  nie  frisch  gebildet 
wird.  Da  es  sich  aber,  wie  auch  dieser  Forscher  angibt,  zuweilen  erst 
nach  der  Teihmg  des  Chromatins  teilt,  kann  ich  ihm  die  ihm  duich 
Keysselitz  (1908,  S.  337 f.)  zugesprochene  Funktion  als  Teilungsorgan 
des  Kernes  nicht  zuerkennen. 

Beim  Beginn  der  Abrundung  der  Tochterkerne  verschwindet  die 
parallele  Anordnung  der  Chromatinelemente,  und  gleichzeitig  entfernen 
sich  die  Karyosome  voneinander,  wahrscheinlich  infolge  einer  Drehung 
der  beiden  Tochterkerne  in  entgegengesetzter  Richtung  (Keysselitz, 
1908,  S.  337)  (Taf.  XXX,  Fig.  24). 

Mit  allen  diesen  Befunden  über  die  Kernteilung  von  Oxijrrhis 
lassen  sich  auch  die  allerdings  nur  summarischen  Angaben  Blochmanns 
leicht  in  Einklang  bringen.  Seine  Vermutung,  die  Kernteilung  ver- 
laufe indirekt,  ist  wohl  dahin  zu  modifizieren,  daß  sie  ein  Zwischen- 
ding zwischen  der  direkten  Teilung  oder  gewöhnlichen  Durchschnürung 
und  der  komplizierten  indirekten  Teilung  ist,  wie  sie  bei  den  höheren 
Organismen  verbreitet  ist  (vgl.  Oltmanns,  1904,  S.  48). 

Sehen  wir  uns  nun  unter  den  Protisten  nach  einem  ähnlichen 
Teilungsvorgang  des  Kernes  um,  so  springt  die  Übereinstimmung  mit 
der  durch  Lauterborn  (1895)  untersuchten  Kernteilung  von  Cemtium 
MrundineUa  sofort  in  die  Augen,  worauf  auch  Schaudinn  (1896,  S.  129) 
hinweist.  Das  Karyosom  ist  zwar  bei  dieser  Peridinee  nicht  so  deut- 
lich wie  bei  Oxyrrhis,  doch  hat  Jollos  (1910,  S.  193)  neuerdings  nach- 
gewiesen, daß  es  sich  in  derselben  Weise  teilt  wie  bei  Oxyrrhis  und 
Gymnodinium.  Überhaupt  geht  aus  den  Untersuchungen  dieses  For- 
schers klar  hervor,  daß  die  Kernteilung  von  Oxyrrhis  mit  derjenigen 
der  Peridineen  völlig  übereinstimmt. 

Somit  weisen  die  Kernverhältnisse  von  Oxyrrhis,  was  auch  Jollos 
(1910,  S,  202)  betont,  ebenfalls  auf  ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  den 
Peridineen  hin,  die  sich  ja  durch  dife  bedeutende  Größe  und  be- 
sondere Struktur  des  Kernes  von  den  übrigen  Protisten,  nicht  zum 
mindesten  von  den  Euflagellaten,  scharf  unterscheiden.  Oxyrrhis 
ist  deshalb  auch  auf  Grund  ihrer  Kernverhältnisse  von  den 
Flagejlaten  zu  entfernen  und  zu  den  Peridineen  zu  stellen. 


630  G.  Senn, 

8.  Zellteilung. 

Bald  nachdem  die  Kernteilung  vollendet  ist  und  jede  Zellhälfte 
einen  Tochterkern  enthält,  erfolgt  die  Teilung  der  Zelle.  Dabei  streckt 
sich  die  Mutterzelle  etwas  und  lagert  —  bald  früher,  bald  später  — 
zwischen  den  beiden  Kernen  eine  Plasmaschicht  ein,  welche  die  Proto- 
plasten der  beiden  Tochterzellen  voneinander  trennt  (Taf .  XXX,  Fig.  24). 
Die  Zellteilung  macht  sich  nun  auch  bald  in  der  äußeren  Gestalt  der 
Zelle  bemerkbar,  indem  rings  um  die  Mitte  der  Mutterzelle  eine  Furche 
auftritt,  welche  immer  tiefer  wird  und  schließlich  die  fast  zu  normaler 
Gestalt  und  Länge  herangewachsenen  Tochterzellen  voneinander  trennt 
(Taf.  XXX,  Fig.  16).  Diese  Durchschnürung  habe  ich  einmal  an 
einem  Individuum  im  Zeitraum  von  etwa  2  Stunden  von  Anfang  bis 
Ende  beobachten  können;  die  Zellen  schwammen  dabei  stets  herum, 
allerdings  etwas  schwerfälliger  als  die  Einzelindividuen. 

Solche  Zellteilungsstadien  sind  von  mehreren  früheren  Beobachtern 
beschrieben  mid  teilweise  auch  abgebildet  worden,  so  von  Fresenius 
(1865,  S.  84,  Fig.  10;  meine  Textfig.  3  c),  Cohn  (1866,  S.  296),  Kent 
(1880,  S.  428,  Taf.  XXIV,  Fig.  57)  und  Blochmann  (1884,  S.  48, 
Fig.  17—20). 

Bei  dieser  Teilung  erhält  die  hintere  Tochterzelle  die  hintere  Hälfte 
der  Mutterzelle  samt  allen  Nahrungsvacuolen.  Über  das  Verhalten  der 
Geißeln  kam  ich  ebensowenig  ins  klare  wie  Keysselitz  (1908,  S.  339). 
Nach  diesem  Autor  scheint  zuerst  eine  Verdoppelung  der  Geißeln  und 
dann  ein  Hinaufrücken  des  einen  Paares  nach  dem  vorderen  Indivi- 
duum zu  erfolgen.  Tatsächlich  haben  alle  Individuen,  an  denen  man 
etwas  von  der  Teilung  erkennen  kann,  bereits  zwei  Geißelpaare.  Ob 
die  Furchen  und  der  birnförmige  Vorsprung  geteilt  werden  oder  auf 
das  eine  Individuum  übergehen,  konnte  ich  nicht  feststellen.  Die 
geringe  Länge  der  birnförmigen  Vorsprünge  beider  Tochterindividuen 
scheint  eher  auf  eine  Teilung  dieser  Körperpartie  hinzuweisen. 

Ich  kann  also  die  von  allen  früheren  Forschern  gemachte  Angabe 
bestätigen,  wonach  Oxyrrhis  sich  durch  Querteilung  vermehrt.  Und 
zwar  ist  es  eine  ursprüngliche  Querteilung  und  entsteht  nicht  etwa, 
wie  bei  einigen  Chlamydomonaden,  durch  nachträgliche  Umlage- 
rungen  aus  ursprünglicher  Längsteilung;  liegt  doch  schon  die  Teilungs- 
ebene des  Kernes  senkrecht  zur  Längsachse  der  Zelle.  Immerhin 
deutet  vielleicht  gerade  seine  vor  der  Teilung  erfolgende  Drehung  um 
90°  darauf  hin,  daß  auch  bei  seinen  Vorfahren  ursprünglich  eine 
Längsteilung  vorhanden  gewesen  ist. 


Oxyrrliis,  Nepliroseliuis  und  einige  Euflagellaten  usw.  631 

Somit  unterscheidet  sich  Oxyrrhis  auch  durch  ihre  Vermehrungs- 
weise prinzipiell  von  den  Flagellaten  im  engeren  Sinne,  bei  denen, 
mit  nur  zwei,  übrigens  keineswegs  einwandfreien  Ausnahmen i  {Uro- 
glcnopsis  americana  (Moore)  Lemmermann  und  Stylococcus  lacustris 
Chodat;  siehe  S.  659  dieser  Arbeit)  die  Teilungsebene  von  Zelle  und 
Kern  mit  der  Längsachse  der  Zelle  parallel  verläuft.  Seitdem  dies 
Klebs  (1883,  S.  359)  festgestellt  hatte,  bildete  Oxyrrhis  im  System 
der  Flagellaten  einen  Fremdkörper,  der  nun  auf  Grund  meiner  Be- 
funde definitiv  ausgeschieden  werden  muß.  Denn  wie  die  Kernteilung, 
so  weist  auch  die  Zellteilung  von  Oxyrrhis  zu  den  Peridineen,  bei 
welchen  neben  Längsteilung  {ExuviaeUa,  Ämphidinium  und  Dino- 
physiden)  und  schiefer  Teilung  (Ceratium)  auch  Querteilung  vorkommt, 
und  zwar  bei  Polykrikos  und  Hemidinium.  Diese  beiden  Gattungen 
sind  allerdings  in  bezug  auf  ihre  Kernteilung  noch  nicht  untersucht 
worden.  Das  von  Stein  (1883  III  2,  Taf.  II,  Fig.  26;  meine  Textfig.  6  c) 
abgebildete  Zellteilungsstadium  von  Hemidinium  unterscheidet  sich 
aber  von  den  bei  Längs-  und  Schiefteilung  vorkommenden  so  vollständig, 
daß  wir  auch  für  die  Richtung  der  Teilungsebene  des  Kernes  einen 
durchgreifenden  Unterschied  von  den  andern  Formen  annehmen 
müssen,  ebenso  wie  bei  Polykrikos,  dessen  Zellteilungsstadium  dem- 
jenigen von  Hemidinium  durchaus  ähnlich  ist. 

Somit  schließt  sich  Oxyrrhis  auch  auf  Grund  ihrer  Zell- 
teilung an  Peridineen,  und  zwar  an  die  sich  ebenfalls  durch 
echte  Querteilung  auszeichnende  Gattung  Hemidinium  an. 

9.  Bewegung. 

Während  Dujardin  und  Gourret  et  Roeser  über  die  Schwimm- 
bewegung von  Oxyrrhis  keine  Angaben  machen,  berichten  Fresenius 
(1865,  S.84),  Kent  (1880,  S.  428),  Blochmann  (1884,  S.  48)  und 
BüTSCHLi  (1884,  S.  846,  852)  übereinstimmend  und  richtig,  daß  beim 
Schwimmen  das  abgerundete  apicale  Zellende  vorwärts  gerichtet  sei. 
Nur  CoHN  (1866,  S.  295)  läßt  irrtümlicherweise  das  Hinterende  vor- 
ausgehen. Auch  darüber  sind  die  vier  genannten  Forscher  einig,  daß 
wenigstens  eine  Geißel  während  des  Schwimmens  nach  hinten  gerichtet 
sei  und  hier  undulierende  oder  peitschenförmige  Bewegungen  ausführe, 
welche  die  Zelle  vorwärts  treiben. 


1  Die  Angabe  von  Keysselitz  (1908,  S.  339),  daß  sich  Codosiga  durch 
Querteilung  vermehre,  beruht  auf  einem  Irrtum  (vgl.  Cläeks  Abbildungen  der 
Zellteilung  in  Senn,  1900,  Ö.  123,  Fig.  81). 


632  G.  Senn, 

Über  die  Tätigkeit  der  zweiten  Geißel  herrscht  aber  völhge  Un- 
sicherheit. Fresenius  erwähnt  sie  bei  der  Beschreibung  der  Schwimm- 
bewegung überhaupt  nicht,  Kent  (1880,  S.  428)  glaubt,  sie  sei  noch 
vollständiger  als  bei  der  ruhenden  Zelle  in  der  Furche  aufgerollt  — 
also  funktionslos  — ,  während  Bütschli  (1884,  S.  852)  und  Keysselitz 
(1908,  S.  336)  beide  Geißeln  nach  hinten  gerichtet  sein  lassen. 

Wie  ich  schon  auf  S.  616  angab,  wird  die  eine  Geißel,  und  zwar 
die  in  der  Längsfurche  liegende,  nachgeschleppt,  während  die  in  der 
Querfurche  verlaufende  wellenförmig-flimmernde  Bewegungen  ausführt, 
welche  wegen  ihrer  außerordentlichen  Schnelligkeit  den  früheren  Be- 
obachtern mit  Ausnahmen  von  Cohn  und  Keysselitz  entgangen  sind. 

Durch  die  von  der  Flimmergeißel  ausgehenden  Stöße  wird  die 
Basis  der  Geißel  nach  der  vorderen  Partie  der  rechten  Zellflanke  ge- 
trieben. Es  resultiert  daraus  eine  Botation,  welche,  wenn  wir  die  Zelle 
von  vorn  betrachten,  im  Sinne  des  Uhrzeigers  verläuft.  Dabei  er- 
leichtert offenbar  die  tiefe,  nach  links  rückwärts,  also  in  gleichem 
Sinne  verlaufende  Furche  die  Rotation  und  bedingt  die  Steilheit  der 
Schraubengänge,  während  die  Rotationsachse,  die  vom  vorderen  zum 
hinteren  Zellende  verläuft,  durch  die  Schleppgeißel  nach  hinten  ver- 
längert und  dadurch   stabilisiert  wird. 

Wie  ich  schon  hervorgehoben  habe,  führt  die  Schleppgeißel 
mit  der  Mitte  ihres  vom  Körper  frei  abstehenden  Teiles  kreisende,  von 
der  Seite  gesehen  pendelnde  Bewegungen  aus,  während  Basis  und 
Spitze  relativ  ruhig  liegen  blieben.  Außer  der  Festlegung  der  Rota- 
tionsachse hat  die  Schleppgeißel  auch  die  Steuerung  zu  besorgen 
(so  auch  Keysselitz,  1908,  S.  336).  Wenn  nämlich  die  Zelle  eine 
Wendung  vollzieht,  so  zieht  sich  eine  der  Wendung  entsprechende 
Biegung  über  die  ganze  Schleppgeißel  nach  deren  distalem  Ende  hin. 
Dieses  behält  also  die  ursprüngliche  Richtung  bei,  wenn  das  proximale 
Ende  und  die  Zelle  selbst  bereits  die  neue  Richtung  eingeschlagen  haben. 

Bei  solchen  Wendungen  tritt  häufig  auch  eine  Änderung  der 
Rotationsrichtung  ein,  indem  sich  nun  die  Zelle  statt  rechts-, 
linksherum  dreht.  Dieser  Wechsel  kann  allerdings  auch  beim  Gerade- 
ausschwimmen beobachtet  werden.  Wie  diese  Bewegung  zustande 
kommt,  vermag  ich  nicht  zu  sagen;  doch  wird  sie  offenbar  durch  eine 
Änderung  in  der  Bewegung  der  Flimmergeißel  verursacht,  welche  nun 
die  Zelle  in  der  Richtung  der  rechten,  etwas  schief  nach  links  vorwärts 
verlaufenden  Längsfurche  bewegt.  Diese  linksläufige  Rotation  dauert 
gewöhnlich  nicht  lange,  indem  die  normale  Rechtsdrehung  meist  bald 
zurückkehrt. 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten  usw.  633 

Wie  schon  Fresenius  (1865,  S.  84)  angibt,  kommt  aber  außer 
der  Rotationsbewegung  nach  rechts  oder  links  auch  eine  schau- 
kelnde Bewegung  nach  rechts  und  links  vor,  wobei  die  Zelle  jedes- 
mal nur  eine  halbe  Drehung  um  die  Längsachse  nach  der  einen  Seite 
ausführt.  Wie  diese  Bewegung  erzeugt  wird,  konnte  ich  nicht  fest- 
stellen. 

Bei  allen  diesen  mit  völliger  oder  teilweiser  Rotation  verbundenen 
Bewegungen  ist  die  im  Profil  ausgerandet  erscheinende  Partie  der 
linken  Körperflanke  abwechselnd  rechts  und  links  sichtbar,  woraus 
die  für  Oxyrrhis  so  charakteristische,  scheinbar  unruhig  wackelnde 
Rotationsbewegung  resultiert. 

Zuweilen  sieht  man  die  Zellen  auch  ohne  Rotation  daherschwimmen, 
wobei  die  Schleppgeißel  peitschenförmige  Bewegungen  ausführt.  Kent 
(1880,  S.  428)  glaubt  zwar,  daß  dies  die  normale  Schwimmbewegung 
von  Oxyrrhis  sei ;  doch  ist  das,  wie  sich  aus  dem  Vorhergehenden  ergibt, 
nicht  der  Fall.  Aus  dem  Fehlen  der  Rotation  muß  geschlossen  werden, 
daß  hierbei  die  Flimmergeißel,  offenbar  wie  während  der  Ruhe  der 
Zelle,  in  der  Querfurche  aufgerollt  bleibt  (so  auch  Kent).  Wir  werden 
dieser  Bewegungsart  bei  der  Besprechung  der  Nahrungsaufnahme 
wieder  begegnen. 

W^enn  wir  die  bei  Oxyrrhis  beobachteten  Schwimmbewegungen 
mit  den  für  die  Peridineen,  z.  B.  bei  Bütschli  (1884,  S.  961  f.)  be- 
schriebenen vergleichen,  so  ergibt  sich,  daß  Delages  Angabe  (1896, 
S.  336),  Oxyrrhis  bewege  sich  nach  Art  der  Peridineen,  in  jeder 
Beziehung  richtig  ist.  Auch  dort  ist  die  Schleppgeißel  während  des 
Schwimmens  entweder  ruhig  ausgestreckt,  bzw.  in  ihrer  Mitte  in 
schwach  pendelnder  Bewegung,  und  überläßt  der  Flimmergeißel  die 
Fortbewegung  der  Zelle,  oder  aber  sie  treibt  die  Zelle,  offenbar  wenn 
die  Flimmergeißel  ruht,  durch  peitschende  Bewegungen  vorwärts.  Die 
auf  Gleichartigkeit  der  Zellform  und  der  Geißelfunktion 
beruhende  Übereinstimmung  in  der  Schwimmbewegung  ist 
ein  weiterer  Grund  dafür,  Oxyrrhis  zu  den  Peridineen  zu 
stellen  und  von  den  Euflagellaten  zu  entfernen,  da  bei 
diesen  Flimmergeißeln  nicht  vorkommen. 

10.  Nahrungsaufnahme. 

Über  die  Nahrungsaufnahme  von  Oxyrrhis  liegen  keine  genauen 

Angaben  vor.    Darin  sind  zwar  die  früheren  Forscher  einig,  daß  dieser 

Organismus    fähig    ist,    feste    Nahrungskörper    aufzunehmen.      Kent 

(1880,  S.  428)  berichtet  auch,  daß  ihm  Fütterung  mit  Karmin  gelungen 


634  G.  Senn, 

sei,  während  Blochmann  (1884,  S.  48)  bei  diesen  Versiiclien  nur  negative 
Resultate  erhielt.  Über  den  eigentlichen  Vorgang  der  Nahrungsauf- 
nahme fehlte  aber  noch  jegliche  Angabe. 

Kent  (1880,  S.  428)  berichtet  zwar,  die  Aufnahme  fester  Nahrung 
erfolge  während  der  Ruhe  der  Zellen;  dabei  soll  die  vibrierende  Be- 
wegung seiner  »primären«  Geißel,  also  der  Flimmergeißel,  die  Nahrungs- 
körperchen  in  die  Nähe  der  Zelle  bringen,  während  die  schlingenartigen 
Windungen  der  basalen  Partie  der  Schleppgeißel  offenbar  helfen,  die 
Nahrungskörper  in  die  Mundhöhle  hineinzustoßen.  Obwohl  ich  an 
ruhenden  Individuen  die  Schleppgeißel  wiederholt  aus  der  Querfurche 
stoßweise  ein-  und  austreten  sah,  konnte  ich  dabei  doch  nie  eine  Auf- 
nahme fester  Nahrung  konstatieren,  und  doch  habe  ich  natürlich  weit 
mehr  rvihende  als  sich  bewegende  Zellen  beobachtet. 

In  beiden  Fällen  jedoch,  in  welchen  ich  die  Nahrungsaufnahme 
sah,  schwamm  die  Zelle  ohne  zu  rotieren  —  also  während  die  Flimmer- 
geißel ruhte  —  sehr  rasch  in  immer  kleinerem  Kreise  um  den  Nahrungs- 
körper herum,  wobei  sie  diesem  die  Ventralseite  zuwandte  und  die 
linke  Flanke  nach  oben  kehrte.  Dadurch  geriet  der  Nahrungskörper 
selbst  in  rasche  Rotation  und  wurde  wie  ein  Kreisel  an  Ort  und  Stelle 
festgebannt.  Sobald  ihn  die  Zelle  berührte,  hielt  sie  ihn  fest.  Auf 
welche  Weise  sie  dies  erreichte,  ob  etwa  durch  die  Ausstülpung  einer 
zarten  Nahrungsvacuole,  konnte  ich  nicht  feststellen.  Sobald  der 
Fang  gelungen  war,  schwamm  die  Zelle  wieder  unter  Rotation  davon, 
wobei  ein  Teil  der  Beute  aus  der  Mundstelle  hervorragte.  Das  eine 
Mal  war  es  eine  Bakterien-Zooglöa  von  imgefähr  dem  halben  Volum 
der  Oxyrrhis-TieWe,  das  andre  Mal  eine  kleine 
Pinnularia.  Als  diese  von  der  Oxyrrhis  erfaßt 
worden  war,  lag  sie  quer  zu  deren  Längsachse; 
während  des  Schwimmens  wurde  sie  aber  um 
90*^  gedreht,  so  daß  sie  die  Richtung  der  Längs- 
achse annahm.  Trotzdem  ragte  das  eine  Ende 
der  Diatomee  noch  einige  Zeit  neben  dem 
lappenförmigen  Vorsprung  hinten  aus  der  Zelle 
heraus,  bis  es  zuletzt  ebenfalls  ins  Innere  ge- 

Oxyrrhismarina,  na.ch  K^YSSE-  , 

LITZ  (1908,  Taf.  XIX,  Fig.  16).     ^Og^n   WUrdC. 
Ventralseite,    Aufnahme    einer 

Alge, wahrscheinlich  Spirogyra-  Diese  Fähigkeit    zum   Einziehen    der  Nahrungs- 

faden, körper  kommt  bei  der  von  Keysselitz  (1908,  S.  339, 

Taf.  XIX,  Fig.  16—18)  dargestellten  Aufknäuelung 
von  Algenfäden  in  frappanter  Weise  zur  Geltung.  Leider  hat  dieser  Forscher 
den  Vorgang  selbst  nicht  gesehen,  doch  wird  die  Aufnahme  wohl  in  der  Weise 


Textfig.  7. 


OxjTrhis,  Nephroseliuis  und  einige  Euflagellatcn  usw.  635 

erfolgt  sein,  daß  der  Algenfaden  an  einem  Ende  erfaßt  und  dann  sozusagen  liin- 
cingeliaspclt  wurde.  Bei  dem  in  seiner  Fig.  16  abgebildeten  Exemplar  schaut  das 
Fadenende  noch  heraus  (Textfig.  7). 

Ein  solches  Umkreisen  fester  Nahrung  ist  meines  Wissens  noch  nicht 
beobachtet  worden.  Bei  den  Fiagellaten  wie  bei  den  Ciliaten 
wird  die  Beute  durch  die  Bewegungen  der  Geißeln  bzw.  Cilien  zur 
Muudstelle  herangestrudelt,  und  bei  den  Peridineen  ist  die  Auf- 
nahme fester  Nahrung  erst  an  Amöbenzuständen  (Schilling,  1891, 
S.  203),  nicht  jedoch  an  freischwimmenden  Individuen  beobachtet 
worden.  Deswegen  kann  jedoch  die  Zugehörigkeit  von  Oxyrrhis  zu 
den  Peridineen  keineswegs  in  Zweifel  gezogen  werden;  die  Zahl  der 
genau  bekannten  tierisch  sich  ernährenden  Peridineen  ist  vielmehr 
durch  meine  Befunde  an  Oxyrrhis  vermehrt  und  ein  neuer  Modus  des 
Ergreifens  fester  Nahrung  festgestellt  worden. 

11.  Lebensweise. 

Wie  ihr  Speciesname  sagt,  lebt  Oxyrrhis  marina  im  Meere,  doch 
kann  sie  mit  dem  Meerwasser  leicht  auch  ins  Binnenland  trans- 
portiert und  daselbst  kultiviert  werden.  Mit  Ausnahme  von  Kent, 
GouRRET  et  RoESER  uud  wohl  auch  Schaudinn  haben  denn  auch  alle 
Forscher  den  Organismus  in  großer  Entfernung  vom  Meere  beobachtet, 
so  z.  B.  DujARüiN  (1841,  S.  347)  in  Paris,  und  zwar  während  zweier 
Jahre  in  einer  Kultur  von  Ulva  lactuca,  Fresenius  (1865,  S.  81)  im 
Seewasseraquarium  des  Frankfurter  zoologischen  Gartens,  Cohn  (1866, 
S.  253)  in  einem  marinen  Zimmeraquarium  in  Breslau,  und  Bloch- 
mann  (1884,  S.  47)  im  Seewasseraquarium  des  zoologischen  Instituts 
Heidelberg.  Ich  selbst  traf  den  Organismus  in  Basel  in  einer  Kultur 
von  Bryopsis  an,  welche  ich  mir  zu  physiologischer  Untersuchung  aus 
Neapel  hatte  kommen  lassen. 

Kent  (1880,  S.  427)  dagegen  beobachtete  Oxyrrhis  auf  der  Insel 
Jersey  im  frischen  Meerwasser,  allerdings  auch  in  lange  stehenden 
Heuinfurdonen.  Gourret  et  Roesers  Material  (1886,  S.  443)  stammte 
aus  dem  alten  Hafen  von  Marseille,  der  zu  jener  Zeit  die  Abwässer 
der  Stadt  aufnahm  und  infolge  seines  schmalen  Ausganges  sehr  schmutzi- 
ges und  mehr  oder  weniger  faules  Wasser  enthielt,  in  dem  höhere  Tiere 
nicht  zu  leben  vermochten,  in  dem  es  aber  von  Mikroorganismen  wim- 
melte. Wohl  deshalb  haben  die  beiden  französischen  Forscher  Oxyrrhis 
nur  einmal  und  auch  da  nur  in  wenigen  Exemplaren  gefunden  (vgl. 
1886,  S.  457).  Oxyrrhis  macht  somit  an  die  Reinheit  des  Meerwassers 
gewisse  Ansprüche,  indem  sie  in  faulem  Wasser  nicht  gedeiht;  sie  ist 


6S6  G-  Senn, 

aber  wenigstens  bei  nicht  zu  warmem  Wetter  in  Rohkultur  leicht 
erhältlich. 

Um  eine  für  die  morphologische  Untersuchung  und  besonders  für 
die  Fixierung  und  Färbung  genügende  Menge  von  Zellen  zu  erhalten, 
stellte  ich  die  Kulturen  ins  Grewächshaus  (20 — 25°  C) ;  in  der  Tat  erfolgte 
eine  rasche  Vermehrung,  die  aber  nur  etwa  einen  Tag  anhielt.  Durch 
Fleischzugabe,  die  Blochmann  (1884,  S.  48)  anwandte,  geriet  die 
Kultur  bald  in  einen  schlechten  Zustand,  ohne  daß  sich  Oxyrrhis 
vorher  rasch  vermehrt  hätte.  Zu  sehr  guten  Resultaten  führte  dagegen 
der  von  Kent  angewandte  Zusatz  von  Heu.  Brachte  ich  solches, 
nachdem  es  in  angefeuchtetem  Zustande  sterilisiert  worden  war,  in  die 
Kulturen,  so  wimmelten  diese  bei  günstiger  Temperatur  (20 — 25  °  C) 
am  zweiten  und  dritten  Tag  förmlich  von  Oxyrrhis-ZeWen,  unter  denen 
auch  Teilungsstadien  nicht  selten  waren.  Ob  diese  günstige  Wirkung 
des  Heues  auf  einer  raschen  Vermehrung  der  für  Oxyrrhis  vorteil- 
haften Nährorganismen  beruht,  oder  ob  die  aus  dem  Heu  heraus- 
diffundierenden Stoffe  Oxyrrhis  besonders  zusagen,  kann  ich  nicht 
entscheiden.  Jedenfalls  scheint  auch  einfe  rein  saprophytische  Er- 
nährung zu  genügen,  da  die  Zellen  der  Heuinfusionen  an  Nahrungs- 
ballen arm  waren.  In  diesen  Kulturen  traten  erst  später  Ciliaten  auf, 
welche  ihrerseits  die  Oxyrrhis  wieder  verdrängten. 

In  alten  Kulturen,  welche  keine  frei  schwimmenden  Oxyrrhis- 
Zellen  mehr  enthielten,  durch  Auffrischung  des  Wassers  eine  neue  Entwick- 
lung hervorzurufen,  gelang  mir  nicht.  Unter  den  in  einem  3 — 41iterigen 
Kulturgefäß  herrschenden  Bedingungen  scheinen  somit  keine  Dauer- 
stadien gebildet  zu  werden;  ob  solche  im  freien  Meere  entstehen,  ist 
wahrscheinlich,  doch  fehlen  hierfür  noch  jegliche  Anhaltspunkte. 

Wie  bereits  Cohn  (1866,  S.  295)  angibt,  lebt  Oxyrrhis  stets  in  der 
Nähe  der  Wasseroberfläche.  Ob  sie  durch  den  höheren  Sauerstoff- 
gehalt oder  durch  die  Anwesenheit  ihrer  Nährorganismen  hierher  ge- 
lockt wird,  kann  ich  nicht  sagen. 

Oxyrrhis  ist  somit  ein  Organismus,  der  an  die  Qualität 
des  Meerwassers  keine  großen  Anforderungen  stellt  und 
sich  deshalb  bei  relativ  hoher  Temperatur  (20 — 25 °C)  und 
Zugabe  von  Heu  leicht  kultivieren  läßt.  Faulendes^  bak- 
terien-  und  ciliatenreiches  Wasser  sagt  ihm  jedoch  nicht  zu. 

12.  Systematisches. 

Oxyrrhis  marina  Duj.  wurde  bis  1909  ganz  allgemein  zu  den  Fla- 
gellaten  im  engeren  Sinne  gerechnet,  und  zwar  ohne  daß  bis  dahin 


Oxyrrhis.  Nephrose! mis  niid  einige  Eut'lagellateii   usw.  (»37 

iruendwelclie  Zweifel  an  dieser  ihrer  systematischen  Stellung  geäußert 
worden  wären.  Und  doch  unterscheidet  sie  sich  durch  ihre  typische 
Querteilung  wesentlich  von  allen  andern  Flagellaten. 

Denn  während  bei  Oxi/rrhis  die  Querteilung  der  Zelle  schon  in 
der  Richtung  der  Kernteilung  zum  Ausdruck  kommt  und  daher  über 
jeden  Zweifel  erhaben  ist,  beruht  die  für  die  Euflagellaten  Uroglenopsis 
americana  (Calk.)  Lemmerm.  luid  Stylococcus  Chodat,  beschriebene 
Querteilung  offenbar  auf  fehlerhafter  oder  unvollständiger  Beobachtung 
(vgl.  S.  659). 

Aber  selbst  wenn  man  die  Querteilung  von  Oxyrrhis  als  eine 
die  Regel  bestätigende  ^Ausnahme  hinnehmen  wollte,  wie  man  dies 
bisher  allgemein  getan  hat,  so  sind  die  Schwierigkeiten,  welche  sich 
einer  befriedigenden  Einordnung  dieser  Form  in  das  System  der  Flagel- 
laten entgegenstellen,  keineswegs  gehoben. 

Die  von  Dujardin  (1841,  S.  126)  der  Oxyrrhis  angewiesene  Stel- 
lung unter  seinen  Thecomonadiens,  welche  Eugleninen,  Chla- 
mydomonadinen  und  Cryptomonadinen  enthalten,  kommt  für 
uns  nicht  mehr  in  Betracht;  immerhin  ist  es  bemerkenswert,  daß  auch 
Cryptomonas  hierher  gezählt  wird,  welcher  —  bzw.  ihrer  farblosen 
Verwandten  Chilotnonas  —  Oxyrrhis  durch  Kent  (1880,  S.  426), 
BüTSCHLi  (1884,  S.  844f.)  und  Goueret  et  Roeser  (1886,  S.  448)  an 
die  Seite  gestellt  wurde. 

Aber  die  genaue  Kenntnis  von  Chilomonas  und  den  Crypto- 
monadinen überhaupt  hat  Delage  schon  1896  (S.  336)  verhindert, 
Oxyrrhis  bei  den  Cryptomonadinen  zu  lassen.  Von  der  Querteilung 
abgesehen,  unterscheidet  sie  sich  nämlich  von  diesen  durch  die  offene 
Furche  (die  Cryptomonadinen  haben  einen  ringsum  geschlosse- 
nen Schlund)  und  den  Besitz  einer  Schleppgeißel.  Delage  hat  sie 
deshalb  zu  den  Heteromastiginen  und  ich  (Senn,  1900,  S.  134,  136) 
dementsprechend  zu  meinen  Bodonaceen  neben  Phyllomitus  und 
Colponema  gestellt,  unter  denen  die  letztgenannte  Gattung  auch  in 
der  Zellform  einige  Ähnlichkeit  mit  Oxyrrhis  aufweist. 

Durch  die  eingehende  Untersuchung  dieses  Organismus,  welche 
das  Vorhandensein  einer  Längs-  und  einer  Querfurche,  einer 
Flimmergeißel,  sowie  einer  durchaus  abweichenden  Kern- 
struktur gezeigt  hat,  ist  aber  auch  die  Einreihung  von  Oxyrrhis 
unter  die  Bodonaceen  unhaltbar  geworden.  Alle  systematisch  über- 
haupt in  Betracht  kommenden  Eigenschaften  weisen  diese  Gattung 
zu  den  Peridineen,  und  zwar  zu  den  Gymnodiniaceen,  in  nächste 
Nähe   von   Hemidinium.     Mit   letzterem   wurde   sie   ja   schon   durch 

Zeitschrift  f.  wisaenacb.  Zoologie.    XCVII.  Bd.  42 


638  G.  Senn, 

BüTSCHLi  (1884,  S.  559,  Fig.  1  u.  2)  eingehend  verglichen.  Da  auch 
die  Kernstruktur  von  Oxyrrhis  auf  Verwandtschaft  mit  den  Peri- 
dineen  hinweise,  ist  er  der  Ansicht,  »daß  sich  auch  in  den  sonstigen 
Bau  Verhältnissen  dieser  Form  Beziehungen  zu  den  Cilioflagellaten 
erkennen  lassen,  welche  die  Oxyrrhis  noch  bestimmter  als  eine  zwi- 
schen den  Cryptomonaden  und  Cilioflagellaten  vermittelnde 
Form  aufzufassen  gestatten«.  Weil  diesem  Forscher  auf  Grund  von 
Blochmanns  Untersuchungen  das  Vorhandensein  einer  Längsfurche 
nicht  bekannt  war,  mußte  er  Oxyrrhis  zu  den  Cryptomonaden 
stellen,  unter  dem  Hinweis,  daß  ihre  Ähnlichkeit  mit  Hemidinium  die 
Ableitung  der  Dinoflagellaten  aus  den  Cryptomonadinen  mög- 
lich erscheinen  lasse. 

Durch  die  Kesultate  meiner  Untersuchungen  über  Gestalt  und 
Organisation  der  Zelle  sah  ich  mich  genötigt,  Oxyrrhis  in  meiner  vor- 
läufigen Mitteilung  (Senn,  1909,  S.  86)  als  typische  Peridinee  zu 
bezeichnen,  was  neuerdings  auch  Jollos  (1910,  S.  202),  wohl  unab- 
hängig von  mir  tut,  allerdings  nur  auf  Grund  der  Übereinstimmung 
im  Kernbau. 

In  der  Keihe:  Chilomonas,  Oxyrrhis,  Hemidinium,  Peridinee n 
ist  somit  der  trennende  Strich  nicht  rechts,  sondern  links  von  Oxyrrhis 
zu  ziehen;  und  zwar  ist  diese  Trennung  der  Oxyrrhis  von  Chilomonas 
und  den  Cryptomonadinen  eine  absolute,  also  viel  schärfere,  als 
die  von  Bütschli  zwischen  Oxyrrhis  und  Hemidinium  vollzogene. 
Die  Berechtigung  dieser  Trennung  ergibt  sich  aus  einer  Zusammen- 
stellung der  systematisch  wichtigsten  Merkmale  ohne  weiteres: 

Oxyrrhis  Cryptomonadinen 

Zell g estalt         offene,  rückwärts  gerich-       ein  vorwärts  gerichteter, 

tete  Quer-  und  Längs-  rings  umschlossener,  nur 

furche.  vorn  geöffneter  Schlund. 

Begeißelung     Flimmer- und  Schleppgeißel,  zwei   gleich   fungierende, 

vorwärts  gerichtete  Gei- 
ßeln. 
Kern  fädig-körnig,  alveolär.  bläschenförmig. 

Zellteilung        Querteilung.  Längsteilung. 

Schwimm-         Mundstellung  nach  hinten     Schlundöffnung  nach  vorn 

bewegung  gerichtet.  gerichtet. 

Ernährung         tierisch  und  wohl  auch  sapro-  und  holophytisch, 

saprophy tisch.  nie  tierisch. 

Die  Cryptomonadinen  haben  also  mit  Oxyrrhis  lediglich  eine 


Oxyrrhis,  Nophroseliiüs  und  einige  Euflagellaten  usw.  (53'.) 

entfernte  äußere  Ahnliclikeit.  Dasselbe  gilt  für  alle  andern  Eiifla- 
gellaten,  speziell  auch  für  die  Gattung  Cyathomonas,  die  Jollos 
(1910,  S.  202)  auf  Grund  der  Kernstruktur  mit  den  in  ihrer  Natur 
noch  fraglichen  Schwärmern  von  Gi/mnodmium  fucorum  in  verwandt- 
schaftliche Beziehungen  bringt.  Bau  und  Entwicklung  von  Oxyrrhis 
beweisen,  daß  sie  eine  Peridinee  ist,  und  zwar  eine  weitere  Diffe- 
renzierungsform des  ebenfalls  durch  Querteilung  ausgezeichneten  He- 
midinimn,  dessen  Querfurche  bei  Oxyrrhis  bedeutend  erweitert  und 
dessen  Hinterende  demzufolge  auf  den  lappenartigen  Vorsprung  redu- 
ziert worden  ist.  In  morphologischer  Beziehung  repräsentiert  somit 
Oxyrrhis  das  dem  Ämphidinium  entgegengesetzte  Extrem  der  Zell- 
gestalt; bei  letzterem  ist  die  vor  der  Querfurche  gelegene  Zellpartie 
sehr  klein,  die  dahinter  gelegene  dagegen  sehr  groß.  Es  ist  jedoch 
nicht  möglich,  diese  Gattung  mit  Oxyrrhis  und  Hemidinium  in  direkten 
genetischen  Zusammenhang  zu  bringen,  da  sie  sich  nach  Pouchet 
(1885,  S.  54)  wie  Exuviaella  durch  Längsteilung  vermehrt. 

Angesichts  dieser  Unterschiede  ist  es  auch  nicht  mehr  möglich, 
BüTSCHLis  (1885,  S.  559)  Ausführungen  über  die  Ableitung  der 
Peridineen  von  Oxyrrhis  zu  folgen.  Diese  Gattung  ist  als  etwaige 
Übergangsform  von  den  Flagellaten  zu  den  Peridineen  viel  zu 
hoch  differenziert.  Der  lappenartige  Vorsprung  ist  nur  als  stark  redu- 
zierte, linke  hintere  Ventralpartie  von  Hemidinium  verständlich,  nicht 
jedoch  als  erster  Beginn  einer  Teilung  der  ursprünglich  einheitlichen, 
flagellatenhaften  Mundstelle  in  die  Längs-  und  Querfurche  der  Peri- 
dineen. 

Man  wird  die  Wm'zel  der  Peridineen  viel  eher  bei  den  Proro- 
centricae  zu  suchen  haben,  wie  dies  auch  Oltmanns  (1904,  S.  40f.) 
tut,  da  speziell  Exuviaella  durch  ihre  Längsteilung  und  den  Besitz  von 
nur  zwei  Chromatophoren  deutliche  Anklänge  an  die  Cryptomo na- 
dinen zeigt.  Immerhin  können  diese  Organismen  höchstens  als  Ab- 
kömmlinge derselben  Stammform  betrachtet  werden,  da  die  zwischen 
ihnen  bestehenden  Unterschiede  zu  groß  imd  beide  Formen  schon  viel 
zu  sehr  differenziert  sind,  als  daß  man  die  einen  von  den  andern  ab- 
leiten könnte.  Nicht  nur  fehlt  bei  Exuviaella  das  für  die  Crypto- 
mo nadinen  charakteristische  Schlundorgan,  sondern  diese  Organismen 
unter,scheiden  sich  voneinander  auch  durch  die  Bewegungsweise  der 
Geißeln,  sowie  durch  die  Kernstruktur,  also  durch  die  beiden 
durchgreifenden  Unterschiede  zwischen  Flagellaten  und  Peri- 
dineen. 

Außer  der  durch  Dujardin  (1841,  S.  34G)  aufgestellten  Species 

42* 


640  G.  Senn, 

Oxyrrhis  marina  ist  keine  andre  bekannt  geworden.  Neuerdings 
wurden  zwar  zwei  Formen  zu  der  Gattung  Oxyrrhis  gezählt,  die  aber 
mit  dieser  Gattung,  so  wie  wir  sie  jetzt  kennen,  nichts  zu  tun  haben. 

Das  gilt  in  erster  Linie  für  die  von  Scherffel  (1900,  S.  3)  be- 
schriebene Oxyrrhis  phaeocysticola  Scherffel,  die  ein  ausgerandetes 
Vorderende  mit  plastisch  beweglichem  Rüssel  besitzt;  dieser  geht  im 
Gegensatz  zu  Oxyrrhis  marina  beim  Schwimmen  voraus.  Während 
der  Autor  über  die  Funktion  der  beiden  gleich  langen  Geißeln  und 
über  die  Zellteilung  keine  Angaben  macht,  bildet  er  den  Kern  als  kleines 
kugeliges  Körperchen  ab,  das  etwa  einem  Protomastiginen-Kern 
oder  dessen  Karyosom  ähnlich  sieht.  Auch  die  leichte  Trennung  von 
Plasma  und  Periplast  bei  der  Osmiumfixierung  ist  ein  Merkmal,  das  der 
Oxyrrhis  marina  nicht  zukommt.  Die  positiven  Angaben  Scherffels 
genügen  übrigens,  um  eine  Streichung  seiner  Oxyrrhis  phaeocysticola 
aus  der  Gattung  Oxyrrhis  Duj.  zu  veranlassen.  Wo  sie  in  Wirklich- 
keit hingehört,  ist  bei  dem  Mangel  einer  Angabe  über  die  Geißel- 
funktion schwer  zu  sagen.  Vielleicht  gehört  sie  zu  den  Amphimona- 
daceen,  bei  welchen  beide  Geißeln  gleich  lang  und  beim  Schwimmen 
vorwärts  gerichtet  sind.  Wenn  jedoch  die  eine  nachgeschleppt  wird, 
so  würde  nichts  hindern,  Scherffels  Oxyrrhis  'phaeocysticola  bei  den 
Bodonaceen,  und  zwar  in  der  Gattung  Phyllomitus  Stein  unterzu- 
bringen. Bis  aber  die  Geißelverhältnisse  aufgeklärt  sind,  muß  sie  zu 
den  Formen  incertae  sedis  gestellt  werden. 

Die  von  Poche  (1903,  S.  344)  zu  Oxyrrhis  gestellte  Form  0.  para- 
sitica  Poche  hat  mit  der  DujARDiNschen  0.  marina  allerdings  mehr 
gemeinsame  Züge.  Sie  ist  etwas  nierenförmig  gebogen  und  besitzt 
an  ihrer  konkaven  Seite  eine  tief  eingesenkte  Mundtasche,  an  der  je- 
doch kein  lappenförmiger  Vorsprung  vorhanden  ist.  Je  nach  ihrer 
Stellung  ist  ihre  Gestalt  sehr  verschieden,  eine  Eigentümlichkeit,  die 
wir  ja  auch  für  Oxyrrhis  marina  festgestellt  haben.  Die  Geißeln  zeigen 
verschiedene  Länge:  die  Schleppgeißel  ist  etwa  körperlang,  die  gegen 
das  Vorderende  peitschende,  stets  in  Bewegung  befindliche  Flimmer- 
geißel dagegen  1^/4  mal  so  lang  als  die  Zelle.  Wie  bei  Oxyrrhis  marina 
geht  das  von  der  Mundstelle  abgekehrte  Zellende  beim  Schwimmen 
voraus.  Diese  Angaben  deuten  wenigstens  darauf  hin,  daß  Poche 
eine  Peridinee  vorgelegen  hat.  Immerhin  läßt  die  Beschreibmig  der 
Kernstruktur  eher  auf  einen  bläschenförmigen  Protomastiginen- 
Kern,  als  auf  einen  alveolären  Peridineen-Kern  schließen.  Da  ferner 
weder  der  für  Oxyrrhis  charakteristische  lappenartige  Vorsprung  vor- 
handen ist,  noch  zwei  distinkte  Furchen  angegeben  werden,  kann  die 


Ox5'rrhi8,  Nephroseluiis  und  einige  Euflagellaten  usw.  641 

von  Poche  beschriebene  Art  ebenfalls  nicht  zu  Oxyrrhis  gestellt  werden. 
Je  nach  dem  Ergebnis  neuer  Untersuchungen  über  die  Kernstruktur 
wird  man  die  PocHEsche  Art  bei  den  Peridineen  oder  bei  den  Fla- 
gellaten  einreihen  müssen. 

Die  Gatt  u  n  g  Oxyrrh  is  1) u j .  umfaßt  somit  i  m  m  e  r  n  och 
nur  eine  einzige  Species,  0.  fiiarina  Duj. 

Zusammenfassung. 

Oxyrrhis  warina  Duj.  Zelle  länglich  eiförmig,  auf  ihrer  Ventralseite 
mit  zwei  etwa  in  der  Zellmitte  beginnenden,  nach  dem  (beim  Schwim- 
men) hinteren  Zellende  gerichteten  Furchen.  Die  schmälere  davon, 
die  Längs  für  che,  ist  gerade  rückwärts  und  ein  wenig  nach  der 
rechten  Zellflanke  gerichtet.  Die  andre,  breitere,  die  Querfurche, 
zieht  sich  zuerst  schräg  nach  der  linken  Zellflanke,  biegt  auf  dieser 
scharf  um,  verläuft  nun  fast  quer  zur  Körperachse  und  endigt  auf  der 
Dorsalseite.  Längs-  und  Querfurche  durch  einen  an  der  Basis  schmalen, 
von  der  vorderen,  weiteren  Körperpartie  gegen  das  engere  Hinterende 
vorspringenden  birnförmigen  Lappen  getrennt;  dieser  stellt  die 
reduzierte  linke  hintere  Ventralpartie  der  Peridineen-,  speziell  der 
Hemidinium-ZeWe  dar. 

Das  beim  Sch%vimmen  vorn  gelegene  Ende  der  Zelle  stumpf  ab- 
gerundet, das  Hinterende  spitz,  etwas  nach  der  linken  Zellflanke  ge- 
neigt. Diese  erscheint  infolge  des  Verlaufs  der  Querfurche  wie  aus- 
gerandet;  die  rechte  Flanke  dagegen  verbindet  in  einheitlich  kon- 
vexem Bogen  Hinter-  und  Vorderende.  Zelle  dorsiventral  schwach 
abgeplattet. 

Länge  der  Zelle  meist  22 — 32  n;  seltener  nur  10  oder  bis  37  ^t. 
Zellbreite  15— 20jK. 

Zelle  von  einem  nicht  plasmolysierbaren  Periplast  umhüllt,  der 
in  der  vorderen  Zellhälfte,  sowie  im  lappenartigen  Vorsprung  fester  ist, 
als  in  der  hinteren  ventralen  Partie.  Im  Grunde  der  Querfurche  die 
Mundstelle,  das  Cytostom,  das  sich  unter  Umständen  bedeutend 
erweitern  kann.  Cytopyge  ebenfalls  auf  der  Ventralseite,  zunächst 
dem  Hinterende. 

Unter  dem  Einfluß  schädlicher  Agenzien  scheidet  die  Zelle  zarte 
Fäden,  wohl  gallertiger  Natur  aus,  welche  die  Länge  der  Zelle  er- 
reichen köimen. 

Zu  beiden  Seiten  des  birnförmigen  Vorsprunges  sind  die  zwei 
Geißeln  inseriert;  im  Grunde  der  Längsfurche  die  etwa  11/2^*^ 
körperlange  Schleppgeißel,   die  sich  an  der  ruhenden   Zelle  rings 


642  G.  Senn, 

um  den  lappenartigen  Vorsprung  herumschlingt,  im  Grunde  der  Quer- 
furche sich  nach  hinten  wendet  und  nur  wenig  über  das  Hinterende 
der  Zelle  hinausragt.  Die  im  Grunde  der  Querfurche  inserierte  Flim- 
mergeißel wird,  wenn  die  Zelle  ruht,  nach  hinten  gestreckt  und  auf 
der  linken  Zellflanke  spiralig  aufgerollt;  nur  etwa  IV^mal  körperlang. 
Ihre  raschen  Wellenbewegungen  haben  Dujardin  und  Goureet  et 
RoESEB  das  Vorhandensein  von  drei  bis  vier  kurzen  Nebengeißeln 
vorgetäuscht. 

Plasma  einen  geschlossenen  Wandbeleg  und  zahlreiche,  das  Zell- 
innere durchsetzende  Stränge  bildend,  darin  Fetttröpfchen  und  mehr 
oder  weniger  große  Nahrungsvacuolen.  Zellsaftraum  ohne  Diffe- 
renzierung; pulsatile  Vacuolen  fehlen. 

Zellkern  relativ  groß,  meist  ellipsoidisch,  gewöhnlich  etwas  vor 
der  Zellmitte  gelegen,  seine  Längsachse  zu  derjenigen  der  Zelle  un- 
gefähr parallel.  In  fixiertem  und  gefärbtem  Zustand  zeigt  er  eine 
deutliche  Membran  und  eine  häufig  regelmäßig  alveoläre  Struktur 
des  Chromatins.  Meist  etwas  exzentrisch  das  Karyosom,  in  dessen 
Innerm  gewöhnlich  ein  Centriol. 

Bei  der  Teilung  Längsachse  des  Kernes  senkrecht  zu  derjenigen 
der  Zelle  gerichtet..  Chromatin  demente  parallel  zur  Längsachse  der 
Zelle  in  Reihen  angeordnet.  Das  Karyosom  streckt  sich  meist  gleich- 
zeitig, zuweilen  aber  erst  nach  dem  Kern,  in  der  gleichen  Richtung 
und  teilt  sich  dann  wie  die  Chromatinfäden  in  der  zur  Zellachse  senk- 
rechten Richtung.  Die  Tochterkerne  rücken  allmählich  auseinander. 
Bildung  einer  zur  Zellachse  ebenfalls  senkrecht  gerichteten  Plasma- 
lamelle, welche  die  beiden  Tochterzellen  voneinander  trennt.  Während 
der  Teilung  schwimmt  die  Zelle  mit  zwei  Geißelpaaren  herum. 

Oxyrrhis  zeigt  drei  Arten  der  Bewegung.  1)  Meist  gleichmäßige 
Rotation,  wobei  die  Flimmergeißel  in  der  Querfurche  so  rasche 
wellenförmige  Bewegungen  ausführt,  daß  sie  unter  gewöhnlichen  Ver- 
hältnissen unsichtbar  ist,  während  die  Schleppgeißel  fast  unbeweglich 
nach  hinten  gestreckt  wird  und  die  Steuerung  der  Zelle  besorgt.  2)  Die 
Schleppgeißel  schlägt  sehr  lebhaft,  während  die  Flimmergeißel  ent- 
weder untätig  ist  oder  ebenso  unregelmäßig  schlägt  wie  die  andre: 
stoßweise  Bewegung  ohne  Rotation.  3)  Wackelnde  Bewegung, 
wobei  die  Schleppgeißel  ruhig  nach  hinten  gestreckt  wird. 

Ernährung  von  Oxyrrhis  tierisch,  durch  Aufnahme  von  lebenden 
Algen  und  Bakterien,  sehr  wahrscheinlich  aber  auch  saprophy tisch. 
Aufnahme  der  Nahrungskörper  im  beweglichen  Zustand,  wobei  sich 
die  Zelle,  ohne  selbst  zu  rotieren,  im  Kreis  um  die  Beute  dreht.     So- 


Oxyrrhis,  Nephroselinis  und  einige  Euflagellaten  usw.  643 

bald  sie  diese  mit  der  Mimdstelle  berührt  hat,  schwimmt  sie  unter 
Rotation  davon  und  zieht  den  Nahrungskörper  ins  Innere.  Unver- 
daute Speisereste  aus  der  Cytopyge  ausgestoßen. 

Oxi/rrhis  lebt  in  Meer  was  s  er,  das  organische  Stoffe  enthält, 
aber  weder  faul,  noch  an  Ciliaten  reich  sein  darf.  Bei  etwa  20^  C  und 
Zusatz  von  sterilisiertem  Heu  entwickelt  sie  sich  sehr  rasch. 

Dauerstadien  unbekannt. 
Auf  Grmid: 

1)  der  Zellgestalt  (Quer-  und  Längsfurche,  lappenartiger  Vor- 
sprung), 

2)  der  Insertion  und  Bewegung  der  Geißeln  (Fimmergeißel)  und 
die  dadurch  bedingte  Bewegung  der  Zelle, 

3)  der  Struktur  und  Teilungsweise  des  Zellkernes, 

4)  der  Querteilung  der  Zelle  und 

5)  der  Fähigkeit,  bei  schädlichen  Einflüssen  lange  Fäden  aus- 
zuscheiden, muß  Oxyrrhis  niarina  von  den  Flagellaten  im  engeren 
Sinne  entfernt  und  zu  den  Peridineen,  und  zwar  speziell  zu  den 
Gymnodiniaceen  gestellt  werden,  unter  denen  sie  sich  als  höhere 
Differenzierungsstufe  zunächst  an  Hemidinium  anschließt. 

Die  von  Scherffel  und  Poche  als  Species  von  Oxyrrhis  beschriebe- 
nen Formen  sind  aus  der  Gattung  Oxyrrhis  zu  entfernen.  Die  Gattung 
Oxyrrhis  Duj.  enthält  deshalb  nur  eine  einzige  Species:  0.  marina  Duj. 

2.  Nephroselmis  olivacea  Stein. 

(Taf.  XXXI,  Fig.  25—27.) 

In  seiner  Beschreibung  der  Geißel-  und  Schwimmbewegung  der 
Flagellaten  (im  weiteren  Sinne)  erwähnt  Delage  (1896,  S.  306)  Oxyrrhis 
und  Nephroselmis  als  die  einzigen  Formen,  deren  Geißeln  beim  Schwim- 
men nicht  vorangehen  1.  Wie  es  sich  in  dieser  Beziehung  mit  Oxyrrhis 
verhält,  haben  wir  im  vorhergehenden  gesehen.  Im  Anschluß  hieran 
seien  die  in  dieser  Richtung  angestellten,  allerdings  nicht  vollständigen 
Beobachtungen  an  Nephroselmis  olivacea  Stein  mitgeteilt,  einer  Gat- 
tung, die  seit  ihrer  Entdeckung  durch  Stein  (1878,  Taf.  XIX,  Fig.  32 
bis  37)  nur  noch  einmal,  aber  ebenfalls  nicht  eingehend,  durch  Klebs 
(1892,  S.  420)  untersucht  worden  ist. 

Steins  Angaben  über  den  Zellbau,  die  ja   nur  in  seinen  Abbil- 


1  Diese  Aufzählung  ist  allerdings  nicht  vollständig,  indem  schon  solche 
Formen  beschrieben  wurden,  so  von  Kent  (1880,  S.  247)  Ancyromonas,  von 
ELlebs  (1892,  S.  305)  Phyllomonas,  sowie  von  Massabt  (1900,  S.  133),  allerdings 
bedeutend  später,  Clautriavia, 


644  G.  Senn, 

düngen  zum  Ausdruck  kommen,  kann  ich  im  allgemeinen  bestätigen. 
Zwar  waren  meine  Zellen  bei  einem  größten  Durchmesser  von  13  ^^ 
ziemlich  viel  kleiner  als  die  von  Stein  beobachteten,  welche,  wie  die 
Berechnung  aus  der  Figurenvergrößerung  ergibt,  in  der  gleichen  Rich- 
tung 18  — 20  /i  maßen.  Sei  es  nun,  daß  diese  Vergrößerungsangabe 
nicht  ganz  genau  ist,  oder  daß  Stein  größere  Exemplare  untersucht  hat, 
jedenfalls  habe  ich  keinen  Grund,  an  der  Identität  unsres  Materials  zu 
zweifeln. 

Auch  die  von  mir  beobachteten  Exemplare  zeigten  eine  deutlich 
bohnen-  oder  nierenförmige  Gestalt  (Taf.  XXXI,  Fig.  25  u.  26),  wenn 
auch  die  bei  der  Geißelinsertion  befindliche  Einsenkung  nicht  immer 
so  tief  war,  wie  sie  Stein  abbildet.  Dagegen  habe  ich  die  starke 
seitliche  Abplattung  der  Zelle  ebenfalls  konstatieren  können. 

Wie  auch  Klees  (1892,  S.  420)  bemerkt,  ist  die  Zelle  von  einer 
deutlichen,  wie  mir  schien,  nicht  metabolischen  Membran  umgeben, 
die  aber  mit  Chlorzinkjod  keine  Cellulosereaktion  gibt. 

Außer  dem  Plasma  enthält  jede  Zelle  ein  großes,  schalen-,  nicht 
bandförmiges  (wie  Blochmann,  1895,  S.  60  angibt)  Chromatophor, 
das  die  ganze  der  Geißelinsertion  gegenüberliegende  Partie  einnimmt 
und  mit  Ausnahme  der  nächsten  Umgebung  der  Geißelinsertion  die 
Zellhaut  in  relativ  dicker  Schicht  auskleidet.  Seine  Farbe  ist  zwar 
nicht  rein  grün,  sondern,  wie  der  Speciesname  sagt,  oiiven-  oder  bräun- 
lichgrün, eine  Nuance,  wie  sie  bei  Cryptomonas  häufig  vorkommt. 
Braun,  wie  Blochmann  (1895,  S.  60)  »olivacea«  übersetzt,  ist  das 
Chromatophor  aber  nicht.  In  seiner  Mitte  liegt  ein  großes  Pyrenoid, 
dessen  Stärkehülle  in  meinen  Exemplaren  oft  weit  in  den  Zellsaftraum 
hineinragte  (Taf.  XXXI,  Fig.  25). 

An  einem  Exemplar  konnte  ich  am  Rande  des  Chromatophors 
einen  roten  Fleck  beobachten  (Taf.  XXXI,  Fig.  27),  wie  solche  auch 
Stein  (1878,  Taf.  XIX)  in  seinen  Fig.  32,  36  und  37,  allerdings  in  der 
Zweizahl,  durch  dunkle  Punkte  anzudeuten  scheint.  Ob  dies  ein 
wirklicher  Augenfleck  ist,  oder  ein  gewöhnliches  rotes  öltröpfchen, 
wie  solche  z.  B.  bei  Haematococcus  in  großer  Menge  vorkommen,  kann 
ich  nicht  sagen.  Für  letztere  Möglichkeit  spricht  der  Umstand,  daß 
ich  den  roten  Fleck  nicht  an  allen  Individuen  sah,  und  daß  ich  bei 
Nephroselmis  keine   Phototaxis  feststellen  konnte. 

Im  Raum  zwischen  Geißelinsertion  und  Pyrenoid  liegt  ein  bläschen- 
förmiger Kern,  den  schon  Stein  (Fig.  32)  abgebildet  hat.  Die  von  ihm 
ebenfalls  eingezeichnete  contractile  Vacuole  (Fig.  32)  habe  ich  jedoch, 
vielleicht  wegen  der  großen  Beweglichkeit  der  Zellen,  nicht  gesehen. 


OxjTrhis,  Nephroseluüs  luul  einige  Euflagellaten  usw.  645 

Aus  dieser  Darstellung  des  Zellbaues  ergibt  sich  —  worauf  schon 
Klebs  (1892,  S.  420)  hinwies  —  ohne  weiteres,  daß  wir  in  Ne^hro- 
sehnis  eine  Angehörige  der  Volvocales  vor  uns  haben.  Demgemäß 
muß  nun  die  Zelle  auch  orientiert  werden.  Wie  bei  einer  Polyblepharis 
oder  Chlamydomonas  verläuft  die  Symmetrie-  oder  Längsachse  von  der 
Geißelinsertion  (Apicalende)  durch  den  Zellkern  nach  dem  Pyrenoid 
(Antapicalende).  Im  Gegensatz  zu  Chlamydomonas  ist  aber  diese 
Achse  kürzer  als  der  senkrecht  dazu  verlaufende  Zelldurchmesser. 

Die  Bewegung  der  Zelle  erfolgt,  wie  schon  aus  Steins  Zeich- 
nungen und  den  Angaben  von  Klebs  (1892,  S.  420)  hervorgeht,  nicht 
in  der  Kichtung  der  Symmetrieachse,  sondern  in  der  Kichtung  der 
Breitenachse,  bzw.  des  größten  Zelldurchmessers.  So  abweichend  von 
allem  Bekannten  dies  auch  ist,  so  wird  es  durch  die  Stellung  und  Tätig- 
keit der  Geißeln  ohne  weiteres  erklärt.  Diese  werden  nämlich  beim 
Schwimmen  in  der  Abplattungsebene  der  Zelle  senkrecht  zu  ihrer 
Symmetrieebene  ausgestreckt,  und  «war  die  kürzere  nach  vorn,  während 
die  längere  als  Schleppgeißel  nach  hinten  gerichtet  ist  (Taf.  XXXI, 
Fig.  26).  Die  pendelnden  Bewegungen  der  vorderen  Geißel  sind  es 
offenbar  auch,  welche  beim  ruhigen  Schwimmen  bzw.  Kriechen  die 
Zelle  vorwärts  treiben. 

Beim  Kriechen  liegt  das  apicale  Ende  stets  dem  Substrat  an, 
während  das  antapicale  Ende  sich  abwechselnd  nach  rechts  und  nach 
links  neigt,  wodurch  eine  gleichmäßig  wackelnde  Kriechbewegung 
zustande  kommt  (Taf.  XXXI,  Fig.  26). 

Zuweilen  sieht  man  aber  auch  die  Zellen  auf  der  flachen  Seite, 
also  horizontal  liegend  (so  auch  bei  Stein)  und  mit  beiden  Geißeln 
schlagend,  hüpfende,  vom  Substrat  unabhängige  Bewegungen  aus- 
führen (Taf.  XXXI,  Fig.  25).  Sie  beschreiben  dann  meistens  bogen- 
oder  kreisförmige  Bahnen  und  gleichen  in  ihrer  Bewegung  auffallend 
den  farblosen  Bodonen,  deren  Geißelinsertion  ja  ebenfalls  hinter  dem 
vorderen  Zellende  liegt. 

Endlich  soll  Nephroselmis  nach  Stein  (1878,  Taf.  XIX,  Figuren- 
erklärung), offenbar  aber  seltener,  auch  unter  Rotation  um  ihre  Längs- 
achse frei  umherschwimmen. 

Daß  die  Vermehrung  in  einer  Zweiteilung  besteht,  bei  wel- 
cher die  Teilungsebene  von  der  Geißelbasis  nach  dem  antapicalen  Ende, 
und  zwar  senkrecht  zu  den  abgeflachten  Zellseiten  verläuft,  habe  ich 
in  Übereinstimmung  mit  Stein  ebenfalls  beobachtet,  allerdings  nur 
an  vorbereitenden  Stadien,  in  denen  erst  das  Chromatophor  geteilt 
war  (Taf.  XXXI,  Fig.  27).  Stein  bezeichnet  den  Vorgang  als  Querteilung, 


646  G.  Senn, 

was  aber  auf  Grund  der  morphologischen  Verhältnisse  (vgl.  S.  645) 
nicht  gerechtfertigt  ist,  da  ja  bei  der  Zellteilung  die  Bewegungsrichtung 
nicht  in  Betracht  kommt.  Dementsprechend  gibt  auch  Bütschli 
(1884,  S.  833)  für  Nephroselmis  Längsteilung  an. 

Auf  Grund  dieser  Ergebnisse  muß  nun  die  systematische  Stellung 
von  Nefhroselmis  einer  erneuten  Prüfung  unterzogen  werden. 

Stein  (1878,  S.  X)  stellte  sie  neben  Cryptomonas  und  Chilomonas 
zu  den  Cryptomonadinen.  Mit  einigen  Vertretern  dieser  Familie 
hat  sie  die  mattgrüne  Färbung  des  Chromatophors,  mit  allen  aber 
die  Fähigkeit  der  Stärkebildung  gemein.  Im  Zellbau  weicht  sie  aber 
durchaus  von  ihnen  ab;  besitzt  sie  doch  nur  ein  Chromatophor  (statt 
zweien)  mit  Pyrenoid,  und  keine  schlundartige  Höhlung.  ' 

Diese  Unterschiede  haben  offenbar  Bütschli  (1884,  S.  833)  ver- 
anlaßt, Nephroselmis  von  den  Cryptomonadinen  zu  entfernen  und 
zu  den  Chrysomonadinen  zu  stellen,  obwohl  er  sich  der  nicht  un- 
wesentlichen Abweichungen  von  diesen  Organismen  bewußt  war.  Die 
wichtigste  Abweichung,  welche  die  Placierung  unter  den  Chryso- 
monadinen unmöglich  macht,  nämlich  die  Stärkebildung,  war  aller- 
dings Bütschli  nicht  bekannt. 

Die  Stärkebildung,  Gestalt  und  Farbe  des  Chromatophors, 
sowie  der  übrige  Zellbau  weisen  Nephroselmis  mit  Sicherheit  zu  den 
Volvocales,  zu  denen  sie  übrigens  schon  durch  Klebs  (1892,  S.  420, 
vgl.  S.  645)  gestellt  wurde.  Darin  sind  ihm  Delage  (1906,  S.  364), 
ich  selbst  (Senn,  1900,  S.  187)  und  Wille  (1909,  S.  18)  gefolgt,  während 
Blochmann  (1895,  S.  59),  wie  Bütschli,  ebenfalls  unter  Vorbehalt, 
diese  Form  bei  den  Chrysomonadinen  läßt. 

Unter  den  Volvocales  ist  Nephroselmis  offenbar  neben  Chlamy- 
domonas  aus  zweigeißeligen,  isomastiginen  Polyblepharidaceen  ent- 
standen, von  denen  wir  heutzutage  allerdings,  wenn  Chlamydomonas 
mikroplankton  Reinke  nicht  zu  ihnen  gehören  sollte,  nur  vielgeißelige 
Formen  kennen.  Wie  Chlamydomonas  besitzt  Nephroselmis  eine  feste 
Haut,  hat  aber  wie  deren  ursprüngliche  Formen  die  Längsteilung  bei- 
behalten. Ob  sie  dagegen  auch  eine  geschlechtliche  Fortpflanzung 
besitzt,  ist  noch  nicht  bekannt. 

Durch  ihre  Gestalt  und  besonders  durch  ihre  Begeißelung  und 
Bewegung  vertritt  sie  aber  unter  den  Volvocales  einen  besonderen 
Typus,  nämlich  dieHeteromastigini,  wie  dieser  ja  auch  in  allen  Ver- 
wandtschaftsgruppen der  Flagellaten  im  engeren  Sinne  —  mit  Aus- 
nahme der  Distomatinen  und  Cryptomonadinen  —  vorkommt 
und  zur  Bildung  besonderer  Familien  (Bodonaceen^  Ochromonar 


Oxyrrhis,  Nephroselniis  uiui  einige  Euflagellaten  usw.  ()47 

daceen,  Heteronemeen  und  Anisonemcen)  geführt  hat.  Die 
völlige  Symmetrie  im  Zellbau  beweist,  daß  sich  Nephroselniis  aus 
symmetrischen,  also  isomastiginen,  mit  zwei  gleichen  Geißeln  ver- 
sehenen Vorfahren  entwickelt  hat.  Offenbar  infolge  der  abweichenden 
und  zum  Vorwärtsschwimmen  ungeeigneten  Gestalt  der  Zelle  wurden 
die  beiden  Geißeln  zu  verschiedenen  Zwecken  verwendet.  Für  eine 
solche  selmndäre  Differenzierung  der  Geißeln  spricht  auch  deren  ge- 
ringer Längenunterschied.  Daraus  folgt,  daß  eine  isomastigine  Form 
zu  einer  heteromastiginen  werden  kann. 

Man  könnte  nun  daran  denken,  für  Nephroselmis,  als  eine  hetero- 
mastigine  Form,  eine  besondere,  den  Polyblepharideen,  Chlaniy- 
domonadaceen  und  Phacotaceen  gleichwertige  Familie  zu  grün- 
den. Dies  würde  gerade  auch  durch  die  Tatsache  gerechtfertigt,  daß 
Nephroselmis  von  vielen  Systematikern  zu  keiner  der  genannten  Fa- 
milien und  darum  überhaupt  nicht  zu  den  Volvocales  gestellt  wurde. 
Da  wir  aber  soeben  festgestellt  haben,  daß  sich  Nephroselmis,  abgesehen 
von  der  Heteromastigie,  im  Zellbau  von  einer  isomastiginen  Stamm- 
form nicht  weit  entfernt  hat,  kann  man  von  der  Bildung  einer  be- 
sonderen Familie  absehen  und  Nephroselmis,  wie  Wille  (1909,  S.  18), 
neben  Chhmydomonas  stellen. 

Zusammenfassung. 
Nephroselmis  olivacea  Stein  erweist  sich  durch  ihren  symmetrischen 
Zellbau  und  die  Ausbildung  des  muldenförmigen,  allerdings  matt- 
grünen Chloroplasten,  der  ein  Pyrenoid  enthält  und  Stärke  bildet,  als 
typische  Volvocinee.  Unter  diesen  nimmt  sie  aber  durch  ihre  Fähig- 
keit zu  kriechend-wackelnder  oder  Bodo-artig  hüpfender  Bewegung, 
welche  mit  der  besonderen  Zellgestalt  und  der  Ungleichheit  der  Geißeln 
(vorgestreckte  Geißel  und  Schleppgeißel)  zusammenhängt,  eine  be- 
sondere Stellung  ein.  Immerhin  bildet  sie  nicht  etwa  eine  von  farb- 
losen, asymmetrisch  gebauten  Bodonaceen  abzuleitende  Parallellinie 
der  isomastiginen  Volvocineen,  sondern  ist  von  solchen  abzuleiten  — 
mid  zwar  entweder  aus  Chlamydomonas-  oder  zweigeißeligen  Poly- 
blepharideen- artigen  Formen.  Puncto  Ausbildimg  der  Zellhaut 
steht  sie  auf  derselben  Stufe  wie  Chlamydomonas,  an  deren  weniger  hoch 
differenzierte,  sich  ebenfalls  noch  durch  Längsteilung  vermehrende 
Arten  sie  sich  anschließt.  Eine  sexuelle  Fortpflanzung  wurde  bei 
ihr  noch  nicht  festgestellt.  Da  sie  sich  nur  durch  Begeißelung  und 
Bewegungsweise  von  den  Volvocaceen  unterscheidet,  kann  sie  zu 
diesen  neben  Chlamydomonas  gestellt  werden, 


648  G.  Senn, 

3.  Helcomastix  globosa  Senn. 

(Taf.  XXXI.  Fig.  28.) 

Im  Auftrieb  des  Golfes  von  Neapel  fand  ich  im  März  1900  ein 
farbloses  Flagellat,  das  mir  dadurch  auffiel,  daß  es  bei  der  Bewegung 
seine  beiden  Geißeln  nachschleppte,  ähnlich  wie  dies  bei  Phyllomonas, 
Ancijromonas  (Senn,  1900,  S.  119f.)  und  Clautriavia  (Massart,  1900, 
S.  133)  der  Fall  ist.  Während  aber  diese  drei  Gattungen  nur  eine 
Geißel  besitzen,  hat  Helcomastix  deren  zwei.  Obwohl  ich  den  Organis- 
mus nicht  so  eingehend  untersuchen  konnte,  wie  es  wünschenswert 
gewesen  wäre,  will  ich  meine  Beobachtungen  mitteilen,  da  sie  trotz 
ihrer  Lücken  manches  Interessante  bieten. 

Die  Zelle  von  Helcom,nstix  ist  völlig  farblos,  kugelig;  ihr  Durch- 
messer beträgt  etwa  8  /*. 

Der  Periplast  ist  so  zart,  daß  er  von  den  peripher  gelegenen 
Körnchen  des  Plasmas  oft  nach  außen  vorgewölbt  wird  und  seine 
Oberfläche  infolgedessen  höckerig  erscheint  (Taf.  XXXI,  Fig.  28).  Das 
Plasma  ist  hyalin  und  enthält  kleine  Tröpfchen,  die  wohl  aus  festem 
öl  bestehen.  Daneben  zeichnen  sich  einige  eckige  Körper  durch  ihre 
starke  Lichtbrechung  aus;  wahrscheinlich  sind  es  Nahrungsbestand- 
teile. 

Etwas  vor  dem  Centrum  der  Zelle  liegt  der  etwa  2,5  i^i  große  bläschen- 
förmige Kern.    Eine  contractile  Vacuole  ist  nicht  vorhanden. 

Die  beiden  Geißeln  entspringen  nebeneinander  auf  der  Ventral- 
seite der  Zelle.  Sie  sind  ungleich  lang;  die  längere  mißt  20,5  ^it,  übertrifft 
somit  den  Zelldurchmesser  21/2 — 3 mal;  die  kürzere  ist  8  ji/  lang,  wie 
die  Zelle  selbst.  Bei  der  Vorwärtsbewegung,  welche  in  einem  lang- 
samen gleichmäßigen  Kriechen  auf  festem  Substrate  besteht,  werden 
beide  Geißeln  nachgeschleppt.  Die  längere  liegt,  wie  diejenige  von 
Cercobodo  und  Anisonema,  dem  Substrat  in  der  Art  einer  Schleppgeißel 
an  und  besorgt  als  solche  die  Steuerung  der  Zelle.  Über  die  Tätigkeit 
der  kurzen  Geißel  kam  ich  nicht  ganz  ins  klare.  Sie  wird  ebenfalls 
nach  hinten  gestreckt,  doch  bemerkte  ich  an  ihr  keine  Pendelbewegung 
wie  bei  der  kurzen  Geißel  der  Heteronemeen. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  auf  welche  Weise  diese  beiden  während 
des  Kriechens  völlig  passiv  erscheinenden  Geißeln  die  Zelle  vorwärts 
treiben.  Da  von  einer  Amöboidbewegung  der  Zelle  auch  nichts  zu 
sehen  war,  müssen  doch  die  Geißeln  als  Locomotionsorgane  dienen. 
Es  wäre  nun  denkbar,  daß  hier  Peitschengeißeln  vorliegen,  deren  dicke 
proximale  Partie  ruhig  bleibt,  während  die   zarte,  gewöhnlich  nicht 


Oxjnrrhis,  Nephroselniis  und  oinigo  Kul'lagellaten  usw.  649 

sichtbare  distale  Partie  hin-  und  herpeitscht.  Ob  dies  wirklich  der 
Fall  ist,  oder  ob  hier  eine  andre,  bisher  nicht  beachtete  Art  der  Be- 
weguno; vorliegt,  konnte  ich  nicht  feststellen.  Ebensowenig  konnte 
ich  Zellteilung  und  Nahrungsaufnahme  beobachten.  Ungünstige 
Witterung  hatte  Materialmangel  verursacht,  so  daß  ein  Abschluß  der 
Untersuchungen  leider  nicht  möglich  war. 

Systematik.  Kernstruktur  und  Beschaffenheit  des  Periplasts 
beweisen,  daß  der  beschriebene  Organismus  eine  Protomastigine 
ist,  doch  bleibt  seine  Zugehörigkeit  zu  einer  bestimmten  Familie  dieser 
großen  Gruppe  zweifelhaft.  Wenn  man  der  Tatsache,  daß  auch  die 
kurze  Geißel  nachgeschleppt  wird,  keine  allzu  große  systematische 
Bedeutung  beimessen  will,  da  ja  auch  Phyllomonas  und  Ancyromonas 
zu  den  Oicomonadaceae  gerechnet  werden,  so  läßt  sich  Helcomastix 
bei  den  Bodonaceen  unterbringen,  vorausgesetzt,  daß  die  Nahrungs- 
aufnahme wie  bei  dieser  Familie  durch  Vorwölben  eines  Plasmaschnabels 
erfolgt.  Je  nach  dem  Resultat  weiterer  Forschungen  wird  daher 
Helcomastix  bei  den  Bodonaceen  oder  in  einer  neu  zu  gründenden 
Familie  der  Protomastiginen  untergebracht  werden  müssen. 

Zusammenfassung. 

Hehonuistix  globosa  Senn  nov.  gen.  nov.  spec,  kugelig,  8  /<  groß. 
Periplast  sehr  zart,  daher  oft  höckerig  vorgewölbt.  Kern  bläschen- 
förmig, contractile  Vacuole  fehlt.  Zwei  Geißeln  entspringen  neben- 
einander auf  der  Ventralseite  der  Zelle.  Bei  der  Kriechbewegung  beide 
Geißeln  rückwärts  gerichtet,  ohne  deutliche  Bewegung.  Lange  Geißel 
20,5  u  lang,  besorgt  die  Steuerung,  kurze  Geißel  8  /<  lang.  Helcomastix 
gehört  zu  den  Protomastiginen,  entweder  in  eine  besondere,  neue 
Familie  derselben  oder  zu  den  Bodonaceen. 

Marin,  Auftrieb  der  Bucht  von  Neapel. 

4.  Heteronema  Klebsii  Senn. 

(Taf.  XXXI,  Fig.  29—31.) 

Dieses  Flagellat  fand  sich  (Sommer  1899)  im  Schlamm  eines  kleineren 
Torfmoortümpels  bei  »Torfhaus <<  im  Harz.  Die  Individuenzahl  war 
allerdings  nicht  groß,  doch  genügte  sie,  um  Gestalt  und  Organisation 
der  Zelle  eingehend  untersuchen  zu  lassen.  Schon  in  meiner  Systematik 
der  Flagellaten  (Senn,  1900,  S.  182f.)  habe  ich  von  ihr  zwei  Skizzen 
publiziert  (Fig.  133  ^).  Hier  möchte  ich  die  detaillierte  Beschreibung 
folgen  lassen. 

Wenn  die   Zelle    ruhig    sich    selbst   überlassen  ist,  erinnert    ihre 


650  G.  Senn, 

Gestalt  im  allgemeinen  an  diejenige  von  Heteronema  acus;  während 
aber  die  Zelle  dieser  Species  walzenförmig  abgerundet  ist,  lassen  sich  bei 
H.  Klebsii  deutlich  drei  Seiten  erkennen,  welche  durch  ziemlich  scharfe 
Kanten  voneinander  getrennt  sind.  Die  Zelle  hat  somit  die  Gestalt  eines 
Prismas,  das  sich  beidendig  allmählich  verjüngt  und  nach  rechts  (in 
mathematischem  Sinne)  tordiert  ist.  Jede  Prismenseite  macht  nur  un- 
gefähr einen  halben  Schraubenumgang  (Taf.  XXXI,  Fig.  30). 

Diese  normale  Gestalt  wird  aber  sofort  aufgegeben,  wenn  die  Zelle 
in  irgendwelcher  Weise  gestört  wird.  Sie  zeigt  dann  sehr  starke  Meta- 
bolie, deren  Extrem  in  der  Annahme  einer  kurz  kreiseiförmigen  Ge- 
stalt besteht,  wobei  Vorder-  und  Hinterende  als  dünne  Stummel  aus 
einer  tellerartig  verbreiterten  Mittelpartie  hervorragen  (Taf.  XXXI, 
Fig.  29). 

Da  sich  auf  der  beim  Kriechen  dem  Substrate  zugekehrten  Seite 
der  Zelle  die  Mund  stelle  befindet,  ist  die  Orientierung  der  Zelle  ge- 
geben. Die  die  Mundstelle  tragende  Seite  muß  als  Ventralseite  be- 
zeichnet werden;  ihr  liegt  die  Rückenkante  gegenüber. 

Die  Zelle  ist  52 — 58  /^i  lang  und  in  der  Mitte  13  ii  breit. 

Der  deutlich  doppelt  konturiert  erscheinende  Periplast  ist 
ähnlich  wie  derjenige  mancher  Euglenen  und  Peranemeen  spiralig 
gestreift,  und  zwar  parallel  zur  Torsionsrichtung  der  Zelle,  von  links 
nach  rechts.  In  verdünnter  Methylgrün-Essigsäure  färbt  er  sich  leicht; 
in  50%iger  Essigsäure  verquillt  er  dagegen,  während  der  Kern  erhalten 
bleibt. 

Das  feinkörnige  Protoplasma  liegt  dem  Periplasten  in  dichter 
Schicht  an  und  sendet  strangartige  Fortsätze  ins  Zellinnere.  Es  schließt 
neben  Resten  fester  Nahrung  auch  Paramylon körne r  ein,  die  zu- 
weiler^  länglich  ringförmige  Gestalt  haben. 

Der  etwa  in  der  Zellmitte  liegende  Zellkern  ist  ein  ovaler  Körper, 
dessen  lange  Achse  12  /t  mißt.  Er  enthält  ein  centrales  Karyosom, 
von  welchem  das  nach  dem  Euglena-Tjpus  strahlig  angeordnete  Chro- 
matin ausgeht  (Taf.  XXXI,  Fig.  30). 

Besonders  eingehend  habe  ich  das  Vorderende  der  Zelle  unter- 
sucht. Es  hat  allerdings  einen  sehr  komplizierten  Bau,  der  aber  dank 
den  relativ  großen  Dimensionen  der  Zelle  der  Beobachtung  zugänglich 
war   (Taf.  XXXI,  Fig.  31). 

Das  Vacuolensystem  ist  nach  dem  Euglena-Tyi^vis  gebaut. 
Eine  ziemlich  tief  im  Körper  liegende  contractile  Vacuole  ergießt  ihre 
Flüssigkeit  in  regelmäßigen  Pulsationen  in  eine  längliche  nicht  pul- 
sierende Sammelvacuole,  die  nach  vorn  in  einen  engen  Kanal  ausläuft. 


OxjTrhis,  Nephrosclniis  und  einige  Eutlagellaten  usw.  651 

Dieser  endigt  aber  nicht,  wie  für  die  Euglenen  angegeben  wiitl,  im 
Mundtrichter,  sondern  zu  äußerst  am  Vorderende  des  Körpers,  und 
zwar  dorsal  neben  der  nacli  vorn  gerichteten  Geißel. 

Die  Mundöffnung  erscheint  als  längliche  Spalte,  die  in  der  Mitte 
etwas  verengt  ist.  Aus  dieser  Öffnung  treten  die  beiden  Geißeln 
heraus.  Die  vordere,  scheinbar  in  einem  Kanal  eingebettet,  kann  im 
Körper  fast  bis  zu  der  bogenförmig  verlaufenden  Linie  bzw.  Fläche 
verfolgt  werden,  welche  den  Schlundapparat  nach  vorn  abschließt 
(Taf.  XXXI,  Fig.  31).  Diese  vordere  Geißel  ist  beim  Vorwärtskriechen 
der  Zelle  in  der  Bewegungsrichtung  ausgestreckt  und  führt  nur  mit 
dem  vorderen,  sich  allmählich  zuspitzenden  Ende  schlängelnde  Be- 
wegungen aus.  Ihre  Länge  übertrifft  diejenige  des  Zellleibes;  sie  be- 
trägt 60—70  //. 

Die  hintere,  nur  30 — 40  a  lange  Geißel  ist  im  Gegensatz  zur  vor- 
deren in  ihrer  ganzen  Länge  gleich  dick.  Sie  tritt  in  einem  Bogen 
am  Hinterende  der  Mundöffnung  aus,  scheint  aber  in  der  Nähe  der 
vorderen  Geißel  zu  entspringen.  Da  sie  während  des  Kriechens  der 
Zelle  kräftig  hin  und  herpendelt,  nimmt  sie  offenbar  an  der  Vorwärts- 
bewegung der  Zelle  regen  Anteil  und  kann  deshalb  nicht  als  bloße 
Schlepp-  oder  Steuergeißel  bezeichnet  werden.  Ich  muß  übrigens  da- 
hingestellt sein  lassen,  ob  diese  Geißeln,  wie  die  von  A.  Fischer  (1894, 
S.  230)  beschriebenen,  noch  feinere,  erst  nach  einer  Beizung  sichtbare 
Anhängsel  tragen.  Immerhin  scheint  wenigstens  die  vordere,  wie 
diejenige  von  Bodo,  zum  Typus  der  Peitschengeißeln  zu  gehören. 

In  einigen  Fällen  bemerkte  ich  an  fixierten  Individuen  innerhalb 
der  schon  erwähnten,  unter  der  Geißelbasis  bogig  verlaufenden  Linie, 
ein  Gebilde,  das  einem  zarten  Staborgan,  wie  es  bei  Peranema  vor- 
kommt, auffallend  ähnlich  sah.  Der  umgebogene  Stab  schien  in  den 
vor  ihm  liegenden  hellen  Raum,  der  wohl  den  Schlimd  vorstellt,  hinein- 
zupassen, so  daß  er  sich  darin  wie  ein  Pumpenkolben  im  Stiefel  bewegen 
und  die  Nahrungsbestandteile  in  den  Schlund  hineinsaugen  konnte 
(Taf.  XXXI,  Fig.  31).  Obwohl  ich  dieses  Staborgan  nicht  bei  allen 
Individuen  sah,  ist  es  doch  wahrscheinlich,  daß  es  bei  allen  vorhanden 
war.  Da  auch  Stein  (1878,  Taf.  XXIII,  Fig.  2)  bei  seiner  Zygoselmis 
nebidosa,  die  zweifellos  zu  Heteronema  gehört,  ein  schwach  entwickeltes 
Staborgan  abgebildet  hat,  ist  es  sehr  wohl  möglich,  daß  mehrere,  ja 
vielleicht  alle  Species  der  Gattung  Heteronema  ein  allerdings  nur  wenig 
ausgebildetes  Staborgan  besitzen. 

Die  Bewegung  der  Zelle  besteht  gewöhnlich  in  einem  lang- 
samen Davongleiten  auf  fester  Unterlage,  wobei  die  Mundstelle  samt 


652  G.  Senn, 

Geißeln  dem  Substrat  anliegt.  Über  die  Tätigkeit  der  Geißeln  habe 
ich  vorhin  schon  berichtet.  Die  Zelle  selbst  steht  dabei  in  der  für  die 
Heteronemeen  charakteristischen  Weise  schief  zur  Bewegungsrich- 
tung, und  zwar  schräg  nach  links  rück-  und  aufwärts,  wenn  sich  die 
Zelle  vom  Beobachter  fortbewegt.  Ob  Heteronema  Klebsii  auch  des 
freien  Schwimmens  fähig  ist,  kann  ich  nicht  angeben. 

Über  Nahrungsaufnahme,  Vermehrung,  Dauerstadium  usw.  haben 
meine  Untersuchungen  zu  keinem  Resultate  geführt. 

Zusammenfassung. 

Heteronema  Klebsii  Senn.  Zelle  52 — 58  /t  lang,  in  der  Mitte  13  /< 
dick,  dreiseitig  prismatisch,  beidendig  zugespitzt,  nach  rechts  tordiert, 
stark  metabolisch. 

Periplast  in  der  Torsionsrichtung  der  Zelle  gestreift.  Zellkern  mit 
centralem  Karyosom  und  radial  angeordneten  Chromatinfäden  {Euglena- 
Typus!)  Sammelvacuole  im  Vorderende,  dahinter  pulsierende  Vacuole. 
Vordere  Geißel  60 — 70  //  lang,  proximaler  Teil  bei  der  Kriechbewegung 
gerade  vorgestreckt ;  das  allmählich  zugespitzte  Ende  führt  schlängelnde 
Bewegungen  aus.  Hintere  Geißel  30 — 40  /t  lang,  überall  gleich  dick, 
pendelt  beim  Kriechen  lebhaft  hin  und  her;  Zelle  dabei  zur  Bewegungs- 
richtung schief  nach  links  rück-  und  aufwärts  gerichtet. 

Hinter  der  Mundstelle  schwach  entwickeltes  Staborgan. 

Torfmoortümpel  im  Harz. 

5.  Tropidoscyphus  cyclostomus  Senn. 

(Taf.  XXXI,  Fig.  32—35.) 

Im  Tümpel  eines  Porphyrsteinbruches  südlich  des  Petersberges 
bei  Halle  a.  S.  fand  ich  im  Sommer  1899  unter  vielen  andern  ein- 
zelligen Algen  und  Flagellaten  eine  zierliche  Form,  die  dem  von  Stein 
(1878,  Taf.  XXIV,  Fig.  1 — 5)  abgebildeten  und  als  Tropidoscyphus 
octocostatus  bezeichneten  Organismus  sehr  ähnlich  war.  Die  neue 
Form  gehört  offenbar  in  dieselbe  Gattung,  obgleich  das  Vorderende 
der  Zelle  bei  der  STEiNschen  Species  anders  ausgebildet  ist  als  bei 
meiner  Form,  die  ich    Tr.  cyclostomus  nenne. 

Die  Zelle  dieser  Species  zeigt  deutlich  dorsiventralen  Bau.  Die 
Ventralseite,  welche  die  Mundöffnung  mit  den  beiden  Geißeln  ent- 
hält, wird  von  einer  scharfen  Kante  begrenzt.  Diese  umgibt  die  am 
Vorderende  flache  Ventralseite  in  Form  eines  Halbkreises,  der  als 
wulstige  Lippe  nach  der  Dorsalseite  zurückgeschlagen  ist  (Taf.  XXXI, 
Fig.  32,  33,  35).    Dann  verläuft  die  Kante  in  einem  zuerst  nach  oben, 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  P^uflagellaten  usw.  653 

(laun  nach  unten  geöffneten  Bogen  zum  Hinterende,  wo  sie  sich  mit 
der  gegenüberliegenden  ebenfalls  in  einem  Bogen  vereinigt  (Taf.  XXXI, 
Fig.  33).  Während  die  Ventralseite  in  ihrer  vorderen  Partie  flach 
oder  sogar  etwas  konkav  ist,  erhebt  sie  sich  in  ihrem  zweitvorderen 
Drittel  zu  einem  Kiel,  welcher  sich  zu  Beginn  des  hinteren  Körper- 
drittels in  zwei  Rippen  teilt,  die  in  flachem  Bogen  nach  hinten  ver- 
laufen und  sich  dort  in  einer  Rundung  vereinigen  (Taf.  XXXI,  Fig.  33). 
Die  zwischen  diesen  beiden  Rippen  befindliche  erhabene  Partie  der 
Ventralseite  ist  oben  schwach  ausgehöhlt.  Der  hintere  Teil  der  Ventral- 
seite, welcher  diese  Erhebung  umgibt,  ist  dagegen  stark  konkav  und 
geht  erst  im  vorderen  Drittel  in  die  schwach  konkave  einheitliche 
Fläche  des  Vorderendes  über. 

Die  der  Ventralseite  gegenüberliegende  Dorsalseite  ist  in  ihrem 
vorderen  Teil  auch  leicht  konkav  und  wird  ebenfalls  von  zwei  scharfen 
Rippen  begrenzt  (Taf.  XXXI,  Fig.  32).  Diese  entspringen  unter  dem 
wulstartig  zurückgebogenen  Vorderende  der  Bauchseite,  entfernen  sich 
zunächst  voneinander,  laufen  nach  einer  ersten  Biegung  miteinander 
parallel,  um  nach  nochmaliger  Biegung  im  hinteren  Körperdrittel  zu 
einer  einzigen  scharfen  Kante  zu  verschmelzen,  die  bis  zum  spitzen 
Hinterende  der  Zelle  verläuft  (Taf.  XXXI,  Fig.  32,  34). 

Die  beiden  zwischen  Dorsal-  und  Ventralseite  gelegenen  Seiten 
der  Zelle  werden  durch  je  eine  Mittelrippe  halbiert,  welche  ebenfalls 
unter  dem  Wulst  des  Vorderendes  entspringt,  der  Kante  der  Ventral- 
seite ungefähr  parallel  läuft  und  in  der  Spitze  des  Hinterendes  aus- 
läuft (Taf.  XXXI,  Fig.  32—35).  Die  beiden  ober-  und  unterhalb 
dieser  seitlichen  Rippe  gelegenen  Partien  der  Zellflanken  sind  ebenfalls 
stark  konkav;  sie  werden  auf  der  Zellhinterseite  durch  die  Kante  von- 
einander getrennt,  welche  sich  von  der  Dorsalseite  über  die  Spitze  des 
Hinterendes  nach  der  die  Ventralseite  begrenzenden  Kante  hinüber- 
zieht (Taf.  XXXI,  Fig.  34). 

Somit  besitzt  Tropidoscyphus  cyclostomus,  wie  Tr.  octocostatus, 
beiderseits  vier,  also  auch  acht  Rippen,  zwischen  welchen  die  Ober- 
fläche der  Zelle  so  stark  eingesenkt  ist,  daß  die  Zelle  von  hinten  be- 
trachtet wie  aus  drei  durch  scharfe  Rippen  getrennten  schmalen  Stock- 
werken zusammengesetzt  erscheint  (Taf.  XXXI,  Fig.  34). 

Im  Gegensatz  zu  den  Vertretern  der  verwandten  Gattung  Hetero- 
nema  ist  Tropidoscyphus  cyclostomus  nur  schwach  metabolisch.  Seine 
Gestaltsveränderungen  beschränken  sich  auf  ein  Zusammenneigen  oder 
Auseinandertreten  der  starren  Rippen,  so  daß  diese  oft  dicht  neben- 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  43 


654  G.  Senn, 

einander  zu  liegen  kommen,  was  die  Erkennung  der  eigentlichen 
Zellgestalt  recht  erschwert  (Taf.  XXXI,  Fig.  35). 

Am  Periplast,  der  stets  doppelt  konturiert  erscheint,  konnte 
keine  feinere  Struktur,  auch  keine  Streif ung  festgestellt  werden.  In 
konzentrierter  Essigsäure  verquoll  er  rasch  bis  zur  Unkenntlichkeit. 

Die  Größe  des  Organismus  war  bei  den  von  mir  untersuchten 
Individuen  ziemlich  konstant.  Die  Länge  betrug  etwa  16,  die  Höhe  14, 
die  Breite  10/<. 

Das  Plasma  war  in  der  vorderen  Körperhälfte  meist  hyalin,  in 
der  hinteren  dagegen  konnte  ich  häufig  gelbbraune  Körper,  wohl  Reste 
verschluckter  Chrysomonadinen,  beobachten,  was  auch  Stein  (1878, 
Taf.  XXIV)  für  seine  Species  angibt. 

Der  kugelige  Zellkern  liegt  ventral  und  mißt  etwa  4  /<  im  Durch- 
messer. Im  Centrum  enthält  er  ein  kugeliges  Karyosom,  von  dem  nach 
der  Peripherie  hin  dicke  Chromatinfäden  ausstrahlen  (Taf.  XXXI, 
Fig.  35) ;  der  Kern  ist  somit  nach  dem  Euglena-Typus  gebaut. 

Das  Vacuolensystem  besteht  aus  einer  dorsal  gelegenen  Sammel- 
vacuole,  die  mit  engem  Ausfuhrgang  am  Vorderende  mündet,  und  aus 
1 — 2  ziemlich  großen  pulsierenden  Vacuolen,  die  ihren  Inhalt  in  die 
Sammelvacuole  entleeren  (Taf.  XXXI,  Fig.  35). 

Ein  Staborgan  konnte  ich  nicht  feststellen.  Es  ist  jedoch  nicht 
ausgeschlossen,  daß  ein  solches  vorhanden  ist,  aber  von  den  zahlreichen, 
am  Vorderende  zusammenlaufenden  Rippen  des  Körpers  verdeckt  wird. 

Die  Geißeln  sind  wie  diejenigen  von  Heteroncma  Klehsii  aus- 
gebildet; sie  scheinen  beide  in  der  Mundstelle  zu  entspringen,  welche 
hinter  dem  wulstartigen  Vorderende  der  Ventralseite  liegt.  Die  vor- 
dere Geißel  ist  etwas  länger  als  die  Zelle;  sie  wird  beim  Kriechen  mit 
Ausnahme  des  zugespitzten,  schlängelnden  Endes  starr  vorwärts  ge- 
streckt (Taf.  XXXI,  Fig.  32,  33).  Nahe  hinter  ihr  entspringt  die 
kürzere,  nur  etwa  2/3  körperlange  Geißel,  die  überall  gleich  dick  und 
am  äußeren  Ende  kurz  abgerundet  ist.  Sie  wird  bei  der  Bewegung  ge- 
wöhnlich nach  hinten  gerichtet  und  pendelt  in  der  unterhalb  der  rechten 
ventralen  Rippe  gelegenen  Furche  hin  und  her.  Beim  Absterben  zeigt 
sie  an  ihrem  Ende  die  typische  Plasmakugel,  welche  nach  A.  Fischer 
(1894,  Taf.  IX,  Fig.  3, 7, 8)  durch  Einrollung  und  Verquellung  des 
Fadens  entsteht.  Die  Spärlichkeit  des  Materials  erlaubte  keine  Fixie- 
rung und  Färbung  der  Zellen;  doch  vermute  ich,  daß  die  hintere  der 
Geißeln  eine  Flimmergeißel,  die  vordere  eine  Peitschengeißel  ist. 

Die  Bewegung  besteht  in  einem  ruhigen  Gleiten  auf  festem 
Substrat,  wobei  die  Geißeln  diesem  anliegen  und  sich  in  der  soeben 


Oxyrrhis,  Nephroselniis  und  einige  Euflagellaten  usw.  655 

iieschilderten  Weise  verhalten.  Dabei  ist  die  Längsachse  der  Zelle 
7Air  Bewegiingsrichtung  schief  nach  rechts  gerichtet;  auch  die  ihre 
Ventral-  und  Dorsalseite  verbindende  Achse  neigt  nach  rechts  und 
bildet  mit  der  Vertikalen  einen  Winkel  von  etwa  20°.  In  dieser 
Schiefstellung  der  Zellachsen  stimmt  Tropidoscyphus  cyclostomus  mit 
den  übrigen  Gattungen  der  Heteronemeen  völlig  überein. 

Aus  unbekannten  Ursachen  tritt  zuweilen  an  Stelle  des  langsamen 
Kriechens  eine  heftig  wackelnde  Bewegung,  wobei  die  hintere  Geißel 
oft  nach  vorn  geschlagen  wird,  wie  dies  Stein  (1878,  Taf.  XXIV,  Fig.  1 
und  2)  auch  bei  seiner  Species  Tr.  octocostatus  abbildet. 

Das  Vorhandensein  von  braungefärbten  Nahrungsresten  im  Innern 
des  Plasmas  beweist,  daß  sich  Tropidoscyphus  tierisch  ernähren  kann; 
die  Aufnahme  fester  Nahrung  habe  ich  allerdings  nie  beobachtet. 
Anderseits  kann  dieser  Organismus  auch  saprophytisch  leben,  da  ver- 
schiedene isolierte  Individuen  in  Decocten  der  am  natürlichen  Stand- 
orte des  Flagellats  gewachsenen  Pflanzen  mehrere  Tage  aushielten, 
allerdings  ohne  sich  zu  teilen.  Ich  kann  deshalb  auch  über  die  Ver- 
mehrungsweise dieses  Organismus  keinen  Aufschluß  geben. 

Obwohl  Tropidoscyphus  prinzipiell  gleich  gebaut  ist  wie  Hetero- 
nema,  wird  die  Aufrechterhaltung  jener  Gattung  durch  die  eigentüm- 
liche Gestalt  der  Zelle,  das  Fehlen  einer  Streifung  des  Periplasten  und  den 
fast  völligen  Mangel  einer  Metabolie  gerechtfertigt.  Da  die  von  Stein 
(1878,  Taf.  XXIV,  Fig.  1  u.  2)  abgebildete  Art  ein  spitzes  Vorderende 
besitzt  und,  nach  seiner  Vergrößerungsangabe  (650 mal)  zu  schließen, 
57  /<  lang  ist,  ist  sie  offenbar  von  der  meinigen  specifisch  verschieden. 
Immerhin  wäre  ein  Irrtum  in  Steins  Vergrößerungsangabe  nicht  aus- 
geschlossen, da  sein  Entosifhon  sulcatum  laut  Angabe  auch  nur  650mal 
vergrößert  sein  soll,  tatsächlich  aber  1200mal  vergrößert  ist.  Wenn 
aber  auch  seine  TropidosGyphus- Avt  doppelt  so  stark,  also  1200mal 
vergrößert  wäre,  so  würde  sie  die  von  mir  untersuchte  Species  immer 
noch  an  Größe  fast  um  das  Doppelte  übertreffen. 

Zusammenfassung. 
Tropidoscyphus  cyclostomus  Senn,  16  ^it  lang,  14 /<  hoch,  10  ^tt  breit, 
dorsi ventral  gebaut,  jederseits  mit  vier  starken,  von  vorn  nach  hinten 
verlaufenden  Rippen,  von  denen  sich  die  beiden  oberen  Paare  im  spitzen 
Hinterende,  die  beiden  unteren  paarweise  in  je  einem  Bogen  hinten 
vereinigen.  Vorderende  der  Ventralseite  als  wulstige  Lippe  nach  der 
Dorsalseite  zurückgebogen.  Schwach  metabolisch. 
Periplast  zwischen  den  Rippen  glatt. 

43* 


656  G.  Senn, 

Kern  ventral  gelegen,  nach  dem  Euglena-Typns  gebaut.  Vacuolen- 
system  dorsal  gelegen,  Sammelvacuole ,  dahinter  1 — 2  pulsierende 
Vacuolen. 

Vordere  Geißel  etwas  mehr  als  körperlang,  beim  Kriechen  vor- 
gestreckt, nur  mit  dem  zugespitzten  Ende  schlängelnde  Bewegungen 
ausführend.  Hintere  Geißel  2/3  körperlang,  überall  gleich  dick,  pendelt 
lebhaft  hin  und  her.     Zelle  beim  Kriechen  schief  nach  rechts  gestellt. 

Ernährimg  tierisch  und  saprophytisch. 

Tümpel  eines  Porphyrsteinbruches  beim  Petersberge,  nördlich 
von  Halle  a.  S. 

6.  Notosolenus  apocamptus  Stokes. 

(Taf.  XXXI,  Fig., 36,  37.) 

In  demselben  Steinbruchtümpel  des  Petersberges  nördlich  von 
Halle  a.  S.  fand  sich  ein  Flagellat,  das  ich  als  Petalomonas  inflexa  Klebs 
glaubte  bestimmen  zu  müssen.  Besonders  bestärkte  mich  hierin  auch 
die  Bemerkung  von  Klebs  (1892,  S.  379  u.  382),  daß  bei  seiner  Sub- 
species  obliqua  die  Achse  des  Körpers  zur  Kichtung  der  Geißel  und  der 
Vorwärtsbewegung  schief  stehe,  was  auch  bei  meiner  Form  der  Fall 
war.  Außerdem  befand  sich  in  der  einen  Zellseite  der  Kern,  in  der 
andern  das  Vacuolensystem,  die  Länge  von  10,5  jft  stimmte  ebenfalls, 
auch  zeigte  der  platt  zusammengedrückte  Körper  eine  sanfte  Krüm- 
mung, so  daß  die  Bauchfläche  konvex,  die  Rückenfläche  konkav  war. 

Als  jedoch  die  Form  am  Deckgläschen  kriechend  ihre  Bauchseite 
nach  oben  kehrte,  konnte  ich  deutlich  eine  zweite  Geißel  erkennen, 
die,  hinter  der  nach  vorn  gerichteten  entspringend,  wie  diese  nach 
hinten  gerichtet  war  und  in  der  Art  der  hinteren  Heteronema-Geißel 
hin-  und  herpendelte  (Taf.  XXXI,  Fig.  36).  Da  sie  jedoch  nur  etwa 
halb  so  lang  ist  als  der  Körper,  kann  man  sie  in  der  Dorsalansicht  der 
Zelle  kaum  sehen,  wird  sie  doch  vom  Körper  fast  völlig  verdeckt 
(Taf.  XXXI,  Fig.  37).  Während  die  vordere  Geißel  in  ihrem  proximalen 
Teil  starr  ausgestreckt  war  und  nur  mit  ihrem  spitz  zulaufenden  Vorder- 
ende schlängelnde  Bewegungen  ausführte,  war  die  hintere  Geißel  cylin- 
drisch,  am  Ende  kurz  abgerundet  und  zeigte  eine  schwache,  pendelnde 
Bewegung, 

Der  Periplast  erschien  zart  und  nach  der  Art  von  Petalomonas 
ohne  erkennbare  Streifung. 

Über  den  Bau  des  Kernes  kam  ich  zu  keinem  sicheren  Schluß; 
er  schien  bläschenförmig  zu  sein,  was  allerdings  bei  einer  mit  Hetero- 
nema  und   Twpidoscyphus   nahe   verwandten  Form   etwas   auffallend 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  luul  einige  Euflagellaten  usw.  657 

wäre.  Dagegen  besteht  das  Vacuolensystem,  wie  allgemein  in 
dieser  Gruppe,  aus  einer  unveränderlichen  Sammelvacuole,  deren  enger 
Ausfuhrkanal  in  der  Mundstelle  zu  enden  scheint.  In  diese  Sammel- 
vacuole entleert  sich  eine  hinter  ihr  liegende  pulsierende  Vacuole. 

Alle  angeführten  Eigenschaften  der  von  mir  untersuchten  Form 
beweisen,  daß  es  dasselbe  Flagellat  war,  das  Stokes  (1888,  S.  109 f.) 
als  Notosolenus  apocamptus  beschrieben  hat.  Dieses  Genus  steht 
Heteronema  sehr  nahe,  unterscheidet  sich  aber  von  dieser  Gattung 
durch  den  Mangel  an  Metabolie  und  einer  Streif ung  des  Periplasten; 
von  einem  Staborgan  ist  ebenfalls  nichts  zu  sehen.  Da  auch  die  Zell- 
gestalt mit  ihrer  stark  dorsi ventralen  Abplattung  so  sehr  von  der- 
jenigen aller  Heteronem.aSipecieB  abweicht,  ist  man  berechtigt,  die  von 
Stokes  aufgestellte  Gattung  Notosolenus  aufrecht  zu  erhalten. 

Eine  andre  Frage  ist  es,  ob  Petalomonas  abscissa  Duj.  und  P. 
mjlexa  ß  obliqua  Klebs  wirklich  nur  eine  Geißel  haben.  Die  zur  Geißel- 
richtung schiefe  Stellung  der  Zelle  wäre  dann  höchst  auffallend  und 
nicht  ohne  weiteres  erklärlich.  Bei  der  Kleinheit  der  Objekte  und  der 
Lage  der  hinteren  Geißel  wäre  es  denkbar,  daß  diese  übersehen  worden 
wäre.  In  diesem  Falle  müßte  die  Gattung  Notosolenus  um  die  schief 
zur  Bewegungsrichtung  gestellten  Peto^omo was- Species  bereichert  werden. 

Zusammenfassung. 

Notosolenus  apocamptus  Stokes  10,5  (x  lang,  dorsiventral  stark 
abgeplattet,  schwach  gewölbt,  Dorsalseite  konkav,  Ventralseite  konvex, 
Zelle  vorn  zugespitzt,  hinten  abgerundet,  mit  fast  geraden,  parallelen 
Seiten,  nicht  metabolisch. 

Periplast  glatt. 

Kern  in  der  linken  Zellseite,  erscheint  bläschenförmig.  Vacuolen- 
system in  der  rechten  Zellseite,  mit  Sammelvacuole,  dahinter  pul- 
sierende Vacuole. 

Vordere  Geißel  fast  zweimal  körperlang,  beim  Kriechen  gerade 
vorgestreckt,  nur  mit  dem  allmählich  verjüngten  distalen  Ende 
schlängelnd. 

Hintere  Geißel  überall  gleich  dick,  pendelt  bei  der  Kriechbewegung 
in  ihrer  ganzen  Länge  hin  und  her;  Zelle  dabei  schief  nach  rechts  gestellt. 

Ernährung  wahrscheinlich  tierisch  und  saprophy tisch. 

Tümpel  eines  Porphyrsteinbruches  beim  Petersberg,  nördlich  von 
Halle  a.  S. 

Möglicherweise  ist  Petalomonas  injlexa  ß  obliqua  Klebs  damit  iden- 
tisch, und  gehört  P.  abscissa  Duj.  ebenfalls  zur  Gattung  Notosolenus. 


658  G.  Senn, 

7.  Die  Systematik  der  Flagellaten. 

Da  die  an  Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  Helcomastix  ausgeführten 
Beobachtungen  neue  Anhaltspunkte  über  den  systematischen  Wert 
verschiedener  Organe  des  Flagellatenkörpers  geliefert  haben,  ist  es 
nötig,  das  System  der  Flagellaten,  wenigstens  in  großen  Zügen, 
zu  revidieren. 

I.  Abgrenzung  der  Euflagellaten  von  andern  Protistenordnungen. 

Während  noch  Duj ardin  (1841)  alle  geißeltragenden  Protisten, 
Volvocineen  und  Peridineen  inbegriffen,  in  seiner  dritten  Ordnung 
vereinigte,  schied  Bütschli  (1884,  S.  877)  die  Choanoflagellaten 
(S.  Kent)  und  Dinoflagellaten  oder  Peridineen  als  besondere 
Gruppen  aus,  ließ  aber  die  Volvocineen  bei  den  Euflagellaten. 
Klebs  (1883,  S.  338ff.)  entfernte  dann  auch  diese  als  typisch  pflanz- 
liche Gruppe  und  definierte  die  Euflagellaten  als  geißeltragende 
Protisten,  die  sich  durch  Längsteilung  fortpflanzen,  wo- 
durch sie  sich  von  den  Peridineen  und  Volvocineen  unterscheiden. 
Es  hat  sich  allerdings  in  der  Folge  gezeigt,  daß  auch  bei  diesen  Gruppen 
Längsteilung  vorkommt,  doch  stets  bei  den  auch  sonst  nicht  hoch 
differenzierten  Formen,  weshalb  man  ihre  Längsteilung  als  alte,  von 
flagellatenartigen  Vorfahren  ererbte  Eigentümlichkeit  auffassen  muß. 

Etwas  bedenklicher  war  dagegen  die  Tatsache,  daß  auch  unter 
den  Euflagellaten  Formen  bekannt  waren,  die  sich  durch  Querteilung 
fortpflanzen.  Als  solche  Formen  galten  Oxyrrhis  marina  Duj.,  Uro- 
glenopsis  americana  (Calk.)  Lemm.  und  Stylococcus  aureus  Chodat. 
Während  man,  wie  wir  bald  sehen  werden,  an  der  Querteilung  der 
beiden  zuletzt  genannten  Formen  zweifeln  konnte,  war  dies  bei  Oxyrrhis 
völlig  ausgeschlossen.  Immerhin  mußte  es  auffallen,  daß  dieser  Orga- 
nismus nicht  nur  wegen  seiner  Teilungsweise,  sondern  auch  wegen 
seiner  Zellgestalt  und  Bewegung  der  Eingliederung  unter  die  Euflagel- 
laten Schwierigkeiten  bereitete;  so  war  die  Vermutung  berechtigt,  daß 
Oxyrrhis  überhaupt  nicht  zu  den  Euflagellaten  gehöre.  Diese  Ver- 
mutung hat  sich  denn  auch  durch  meine  genaue  Untersuchung  als 
richtig  erwiesen,  da  es  sich  herausgestellt  hat,  daß  Oxyrrhis  auf  Grund 
ihrer  asymmetrischen  Zellgestalt,  des  Besitzes  einer  Längs-  und  einer 
Querfurche,  einer  Schlepp-  und  einer  Flimmergeißel,  sowie  wegen  ihrer 
Kernstruktur  und  Teilungsweise  zu  den  Peridineen  gehört,  unter 
denen  sie  neben  Hemidinium  ihren  natürlichen  Platz  findet.  Dadurch  ist 
die  Ordnung  der  Euflagellaten  ihrer  abweichendsten  Form  entledigt. 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten  usw.  659 

Die  beiden  andern  Organismen,  für  welche  Querteilung  angegeben 
wurde,  passen  im  Gegensatz  zu  Oxyrrhis  auf  Grund  aller  übrigen  Eigen- 
schaften so  gut  zu  den  Euflagellaten,  speziell  zu  den  Chrysomona- 
dinen,  daß  an  ihrer  Zugehörigkeit  zu  dieser  Gruppe  nicht  gezweifelt 
werden  kann.  Hier  ließen  aber  die  Angaben  über  die  Querteilung 
dem  Zweifel  Raum,  ob  nicht  vielleicht  Ungenauigkeit  oder  Unvoll- 
ständigkeit  der  Beobachtung  im  Spiele  gewesen  sei. 

Jedenfalls  beruht  die  Angabe  G.  T.  Moores  (1897,  S.  108 f.),  nach 
der  sich  Uroglenopsis  americana  (Calk.)  Lemmerm.  durch  Querteilung 
vermehrt,  auf  einem  Beobachtunsfsfehler.  Die  auffallende  Viertels- 
drehung,  welche  die  Individuen,  deren  Längsachse  in  der  kugeligen 
Kolonie  radial  gerichtet  ist,  vor  ihrer  Teilung  ausführen  und  durch 
welche  sie  ihre  Längsachse  parallel  zur  Koloniequerfläche  orientieren 
sollen,  ist  offenbar  darauf  zurückzuführen,  daß  sich  die  Zelle  in  ihrer 
normalen,  radialen  Lage  der  Länge  nach  teilt,  wobei  die  Vorderenden 
der  beiden  Tochterzellen  auseinander  weichen.  Dadurch  erscheint  die 
Zelle  bei  Scheitelansicht  natürlich  länger  als  vorher  und  trägt  scheinbar 
an  jedem  Ende  ein  Geißelpaar.  Die  von  Mooee  auf  Taf.  X,  Fig.  3, 
abgebildete  Zelle  befände  sich  demnach  nicht  im  ersten,  sondern  in 
einem  relativ  weit  fortgeschrittenen  Stadium  der  Längsteilung.  Darauf, 
daß  tatsächlich  eine  Längsteilung  senkrecht  zur  Kolonieoberfläche 
vorliegt,  deutet  auch  Moores  Bemerkung  (S.  109  oben),  daß  das  ein- 
geschnürte Verbindungsstück  der  beiden  Tochterzellen  vor  ihrer  völligen 
Trennung  stets  am  tiefsten,  nach  dem  Innern  der  Kolonie 
zu  liege.  Auch  die  Angabe  einer  nach  der  Teilung  erfolgenden  Rück- 
drehung der  Tochterindividuen  in  die  radiale  Lage  ist  offenbar  eben- 
falls durch  die  ausschließliche  Beobachtung  der  Zellen  in  Scheitelansicht 
verursacht.  Ich  würde  es  nicht  wagen,  Moores  Darstellung  in  Zweifel 
zu  ziehen,  wenn  nicht  ähnliche  Angaben  für  andre  Flagellaten  von 
zahlreichen  früheren  Beobachtern  nachgewiesenermaßen  auf  Irrtum 
beruhten. 

Bei  Stylococcus,  für  den  Chodat  (1898,  S.  474)  ebenfalls  Quer- 
teilung angegeben  hat,  liegt  die  Sache  anders.  Hier  erfolgt  die  Teilung 
zweifellos  senkrecht  zur  Längsachse  des  die  Zelle  umschließenden,  ge- 
stielten Gehäuses  (Textfig.  8,3).  Es  ist  aber  auffallend,  daß  in  Chodats 
Abbildungen  (Fig.  15  c — /,  meine  Textfig.  8,  3  u.  4)  der  Teilungsstadien 
der  geißelartige  Faden  des  Vorderendes  stets  fehlt.  Wenn  die  Teilung 
der  Flagellaten  in  ruhendem  Zustand  —  nach  Abrundung  der  Zelle 
und  Verlust  der  Geißeln  —  erfolgt,  ist  es  nur  in  den  seltensten  Fällen 
möglich,  an  den  bereits  geteilten  Zellen  (Textfig.  8,  3)  die  ursprüngliche 


660 


G.  Senn, 


Teilungsrichtung  festzustellen.  Nun  hat  aber  Chodat,  aus  seinen 
Abbildungen  zu  schließen,  die  Beobachtung  erst  an  einer  geißellosen 
Zelle  begonnen;  er  konnte  deshalb  nicht  feststellen,  ob  die  Teilungsr 
ebene  zur  Längsachse  der  Zelle  —  die  Achse  des  Gehäuses  kommt 
natürlich  nicht  in  Betracht  —  ursprünglich  senkrecht  stand,  oder  ob  sich 
nicht  etwa  schon  die  Mutterzelle  vor  oder  nach  erfolgter  Kernteilung 
gedreht  hatte,  so  daß  die  Teilungsebene  erst  sekundär  zur  Längsachse 

der  Zelle  quer  zu  liegen  kam.  Dieser  Vor- 
gang wurde  ja  bei  den  mit  einer  Membran 
umgebenen  Zellen  der  Chlamydomonaden 
wiederholt  beobachtet.  Somit  kann  auch  die 
für  Stylococcus  beschriebene  Querteilung  nicht 
als  einwandfreie  Tatsache  betrachtet  werden. 
Da  von  den  zwei  Fällen,  in  welchen  für 
Angehörige  der  Euflagellaten  Querteilung 
angegeben  worden  ist,  der  eine  offenbar  auf 
einem  Fehler,  der  andre  wahrscheinlich  auf 
einer  Unvollständigkeit  in  der  Beobachtung 
beruht,  gilt  der  von  Klebs  (1883,  S.  359) 
aufgestellte  Satz  ausnahmslos,  daß 
sich  alle  Flagellaten  im  engeren  Sinne, 
die  Euflagellaten,  durch  Längsteilung 
vermehren. 

Für  die  Abgrenzung  der  Euflagellaten  von 
andern  verwandten  Gruppen,  sowie  für  die 
systematische  Stellung  von  Oxyrrhis,  haben 
sich  auch  Bau  und  Teilungsweise  des  Zell- 
kernes als  wichtig  erwiesen.  So  hat  schon 
BüTSCHLi  (1885,  S.  558)  hervorgehoben,  daß 
die  Kernstruktur  von  Oxyrrhis  mit  derjenigen 
der  Peridineen  übereinstimme.  Ich  (Senn, 
1909,  S.  87)  habe  dann  konstatiert,  daß  die  Kernteilung  ähnlich 
wie  bei  Ceratium  verläuft  und  daß  Oxyrrhis  aus  diesem  wie  aus 
andern  Gründen  zu  den  Peridineen  gehört.  Endlich  haben 
JoLLOs  (1900,  S.  202)  sowie  Haetmann  und  Chagas  (1910,  S.  118f.) 
auf  Grund  der  Vergleichung  der  von  Jollos  an  den  Kernen  von  Gym- 
nodinium  und  Ceratium  gewonnenen  Resultate  mit  Keysselitz'  An- 
gaben über  die  Kernteilung  von  Oxyrrhis  diese  zu  den  Peridineen 
gestellt,  offenbar  ohne  von  meiner  schon  im  November  1909  erschiene- 
nen vorläufigen  Mitteilung  Kenntnis  gehabt  zu  haben, 


Textfig.  8. 
Stylococcus  aureus  Chodat.  1 
u.  2,  verschiedene  Zellformeu ; 
3,  Zellteilung;  4,  Vorbereitung 
zum  Austritt  eiuer  Tocliter- 
zelle.  Vergr.  ?  Nach  Chodat 
(1898,   S.  474). 


Oxyrrhis,  Nephrosclmis  und  einige  Euflagellaten  usw.  661 

Die  Untersuchungen  über  die  Kernverhältnisse  haben  aber  nicht 
nur  die  Ausscheidung  der  Oxijrrhis  aus  den  Euflagellaten  zur  Folge 
gehabt,  sondern  auch  die  Einreihung  der  Trichonymphiden  in  diese 
Unterordnung.  Obwohl  noch  nicht  gesagt  werden  kann,  an  welche 
andre  Ordnung  oder  Familie  der  Euflagellaten  diese  Parasiten  ange- 
gliedert werden  müssen  —  in  Betracht  kommen  die  Pantostoma- 
tinen  und  Trichomonas  — ,  so  steht  jetzt  wenigstens  so  viel  fest,  daß 
sie  Euflagellaten  sind  (vgl.  Janicki,  1910),  die  offenbar  infolge 
ihrer  parasitischen  Lebensweise  manche  eigentümliche  Differenzierungen 
erfahren  haben,  wie  solche  auch  bei  andern  parasitischen  Flagellaten 
vorkommen  (Achsenstab  bei  Lophomonas  und  Trichotnonas). 

Die  Struktur  und  Teilungsweise  des  Zellkernes  ist  so- 
mit für  die  Abgrenzung  der  Euflagellaten  gegen  andre 
Protistenordnungen  sehr  wertvoll. 

II.  Die  systematische  Gliederung  der  Euflagellaten. 

Die  Kernverhältnisse  sind  in  letzter  Zeit  mit  Recht  auch  für  die 
Abgrenzung  der  verschiedenen  Verwandtschaftsgruppen  innerhalb  der 
Euflagellaten  herangezogen  worden  (vgl.  Prowazek,  1903,  S.  196; 
Hartmann,  1907,  S.  153;  Hartmann  und  Chagas,  1910,  S.  65).  Meine 
Beobachtungen  über  die  Kerne  von  Heteronema  Klehsii  und  Trofi- 
doscyphus  cyclostomus  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß  z.  B.  für  eine 
Anzahl  von  Eugleninen  in  der  Tat  ein  gleichartig  ausgebildeter  Kern 
mit radialstrahligem  Chromatin  (Taf .  XXXI,  Fig.  38)  charakteristisch  sei. 
Bei  der  von  Steuer  (1904,  S.  128)  untersuchten  Eutreptia  Lanowi  ist 
die  Kernsaftzone,  bzw.  der  Außenkern,  ebenfalls  reich  an  Chromatin; 
aus  Steuers  Abbildung  (Fig.  2)  scheint  allerdings  hervorzugehen,  daß 
der  Außenkern  keine  radialstrahlige,  sondern  alveoläre  Struktur  besitze, 
wie  sie  auch  Hartmann  und  Chagas  (1910,  S.  99)  für  Peranema  tricho- 
fhorum  angeben.  Nach  Prowazek  (1903,  S.  326)  hat  aber  das  eben- 
falls zu  den  Eugleninen  gehörende  Entosiphon  einen  bläschenförmigen 
Kern,  wie  wahrscheinlich  auch  Notosolenus  (vgl.  S.  656).  Man  ist  deshalb 
noch  im  Zweifel,  ob  die  jetzt  bei  den  Eugleninen  untergebrachten 
Formen  mit  verschiedener  Kernstruktur  verschiedenen  Entwicklungs- 
reihen angehören,  oder  ob  die  innerhalb  dieser  Unterabteilung  vor- 
kommenden Unterschiede  in  der  Kernstruktur  durch  allmähliche  Über- 
gänge miteinander  verbunden  sind. 

Jedenfalls  darf  man  den  systematischen  Wert  der  Kernverhältnisse 
auch  nicht  zu  hoch  anschlagen  und  deshalb  den  Wert  aller  übrigen 
Eigentümlichkeiten   der   Zelle   unterschätzen,    wie   dies   nach   meiner 


662  G.  Senn, 

Ansicht  Doflein,  sowie  Hartmann  und  Chagas  (1910)  tun.  Denn 
die  Berechtigung  der  von  Doflein  (1909,  S.  342)  vertretenen  Auf- 
fassung, daß  man  vor  genauer  Kenntnis  der  Kernstruktur  und  der 
Fortpflanzungsweise  nicht  daran  denken  könne,  ein  definitives  System 
der  Flagellaten  aufzustellen,  wird  durch  die  Arbeit  von  Hartmann 
und  Chagas  (1910)  etwas  zweifelhaft.  Der  in  dieser  enthaltene,  auf 
der  Kernstuktur  beruhende  Entwurf  eines  Flagellatensystems  deckt 
sich  nämlich,  abgesehen  von  einigen  sogleich  zu  erwähnenden  Aus- 
nahmen, mit  dem  durch  mich  (Senn,  1900)  auf  Grund  des  allge- 
meinen Zellbaues  aufgestellten  System  vollständig.  Das  ge- 
nauere Studium  der  Kernverhältnisse  hat  also  wenigstens 
bis  jetzt  keine  wesentliche  Änderung  des  Flagellaten- 
systems nötig  gemacht. 

Es  könnte  allerdings  den  Anschein  haben,  als  ob  durch  die  Zu- 
sammenfassung der  flagellaten  Blutparasiten  ^  zu  der  neuen  Unter- 
ordnung der  Binucleaten  (Hartmann,  1907)  das  System  der  Flagel- 
laten eine  wesentliche  Veränderung  erfahren  habe.  Das  ist  aber  nicht 
der  Fall.  Hartmann  und  Jollos  (1910,  S.  101)  geben  nämlich  selbst 
zu,  daß  die  zu  dieser  Unterordnung  gerechneten  Gattungen  biphyle- 
tischen  Ursprung  haben  (ein-  und  zweigeißelige  Gattungen).  Wenn  nun 
der  Blepharoblast  tatsächlich  einen  zweiten  Kern  repräsentiert,  so  ist 
diese  Zweikernigkeit  gleichzeitig  an  verschiedenen  Ästen  des  Flagel- 
latenstammbaumes,  offenbar  infolge  der  Lebensweise  in  dem  dick- 
flüssigen Medium  des  Blutes,  als  Konvergenzerscheinung  entstanden. 
In  einem  phylogenetischen  System  darf  aber  diese  biologische 
Gruppe  nicht  in  einer  systematischen  Einheit  untergebracht  werden. 
Man  müßte  vielmehr  zwei  Unterordnungen  gründen,  die  eine  für  die 
eingeißeligen,  die  andre  für  die  zweigeißeligen  Formen.  Da  man  jedoch 
die  eingeißeligen  Trypanosomaceae  ohne  Schwierigkeit  an  die  Oico- 
monadaceen  und  die  zweigeißeligen  Trypanoplasmaceae  an  die 
Bodonaceen  anschließen  kann,  ist  die  Aufstellung  von  zwei  neuen 
Unterordnungen  nicht  gerechtfertigt.  Es  ist  richtiger,  die  beiden 
Gruppen  von  Blutparasiten  als  besondere  Familien  in  die  Unter- 
ordnung der  Protomas tiginen  einzugliedern. 

Daß  Hartmann  und  Chagas  (1910)  auf  der  einen  Seite  für  die 
zweikernigen  flagellaten  Blutparasiten  eine  neue  Unterordnung  bilden, 


1  Daß  die  bisher  zu  den  »Sporozoen  gerechneten  Blutparasiten,  z.  B. 
auch  Plasmodium,  mit  den  Trypanosomen  tatsächhch  verwandt  sind, 
scheint  mir  möghch  zu  sein,  doch  erlaube  ich  mir  darüber  kein  definitives 
Urteil,  • 


Oxyrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten  usw.  663 

dagegen  die  mit  zwei  Kernen,  zwei  Mundstellen  und  paarig  ange- 
ordneten Geißeln  ausgerüsteten  Distomatinen  zu  den  im  allgemeinen 
einkernigen  und  asymmetrischen  Protomastiginen  zählen,  scheint 
mir  nicht  konsequent  zu  sein.  Die  von  mir  vorgenommene  Abtrennung 
der  Distomatinen  als  besonderer  Unterordnung  ist  um  so  mehr 
gerechtfertigt,  als  sich  diese  zweifellos  monophyletischen  Formen  auch 
in  ihren  Stoffwechselprodukten  (Vorhandensein  von  Glykogen)  von 
den   übrigen   Protomastiginen  unterscheiden. 

Wenn  also  auch  den  Kernverhältnissen  bei  der  sysie- 
matischen  Gliederung  der  Euflagellaten  große  Bedeutung 
zukommt,  so  darf  darüber  der  übrige  Zellbau  doch  nicht 
vernachlässigt  werden,  will  man  nicht  Gefahr  laufen,  auf 
einer  neuen  Grundlage  ein  neues,  aber,  weil  nur  auf  einem 
einzigen  Merkmal  fußend,  wiederum  künstliches  System 
aufzubauen. 

Aus  meinen  Untersuchungen  ergibt  sich  ferner,  daß  auch  der  Art 
der  Begeißelung  großer  systematischer  Wert  zukommt,  erweist  sich 
doch  Oxyrrhis  nicht  nur  durch  ihre  Kernstruktur,  sondern  ebenso  klar 
durch  den  Besitz  einer  Schlepp-  und  einer  Flimmergeißel  als  typische 
Peridinee. 

Von  systematisch-phylogenetischem  Interesse  sind  auch  die  bei 
Nephroselmis  festgestellten  Beziehungen  zwischen  Zellbau  und  Be- 
geißelung. Die  ausgesprochene  Symmetrie  der  Zelle  und  der  geringe 
Längenunterschied  der  Geißeln  beweisen,  daß  Nephroselmis  aus  einer 
symmetrischen,  mit  zwei  gleichen  Geißeln  ausgerüsteten  Chlamydo- 
monas-avtigen  Stammform  entstanden  ist.  Dieser  Fall  zeigt,  daß  ein 
Übergang  von  der  Iso-  zur  Heteromastigie  möglich  ist,  daß  aber  dieser 
Übergang  keineswegs  auch  eine  Änderung  in  den  Symmetrieverhält- 
nissen der  Zelle,  also  z.  B.  die  Entstehung  einer  Bodo-artigen  Form, 
zur  Folge  haben  muß.  Bei  der  Gruppierung  der  Flagellaten  in  Unter- 
ordnungen darf  deshalb  nicht  die  Begeißelung  entscheiden,  wie  dies 
in  den  älteren  Systemen,  teilweise  auch  in  demjenigen  Bütschlis 
(1884)  der  Fall  war,  sondern  der  allgemeine  Bau  der  Zelle  (Vacuolen- 
system,  Kernstruktur,  Nahrungsaufnahme,  Periplast). 

Wenn  man  somit  aus  den  bei  Nephroselmis  konstatierten  Tat- 
sachen einerseits  den  Schluß  ziehen  muß,  daß  die  Symmetrieverhält- 
nisse der  Zelle  zäher  festgehalten  werden  als  die  Art  der  Begeißelung, 
so  erscheint  anderseits  die  Möglichkeit  doch  nicht  ausgeschlossen,  daß 
die  asymmetrischen  heteromastiginen  Flagellaten  von  symmetrischen 
isomastitiinen  Formen  abstammen,     Ob  sich  diese  durch  Reduktion  aus 


664  G.  Senn, 

vielgeißeligen  Formen  entwickelt  haben  oder  durch  frühzeitige  Ver- 
doppehmg  einer  Geißel  aus  eingeißeligen  Formen  entstanden  sind  (wie 
Hartmann  und  Jollos,  1910,  S.  99  für  Herpetomonas  annehmen),  wage 
ich  nicht  zu  entscheiden. 

Ebenso  müssen  neue  Untersuchungen  zeigen,  ob  für  diejenigen 
Formen,  welche,  wie  Ancyromonas,  Clautriavia  und  Helcomastix,  nur 
Schleppgeißeln  besitzen,  je  nach  Zahl  und  Ausbildung  der  Geißeln 
neue  Familien  gegründet  werden  müssen,  oder  ob  diese  Formen  wie 
bisher  in  den  bestehenden  Familien  untergebracht  werden  können. 

Obwohl  somit  eine  Änderung  in  der  Art  der  Begeißelung  im  Laufe 
der  phylogenetischen  Entwicklung  erfolgt  ist  (vgl.  Hartmann  und 
Chagas,  1910,  S.  98),  muß  der  Begeißelung  systematischer  Wert  zu- 
geschrieben werden,  und  zwar  ein  größerer,  als  dem  Vorhandensein  oder 
Fehlen  eines  Panzers  oder  Gehäuses.  Denn  die  Tatsache,  daß  die 
eine  der  bei  der  Teilimg  bepanzerter  Arten  entstandenen  Zellen  das 
Gehäuse  der  Mutterzelle  als  normal  begeißeltes,  aber  nacktes 
Individuum  verläßt,  beweist,  daß  die  Gehäusebiidung  etwas  sekmidär 
Erworbenes,  und  zwar  später  Erworbenes  ist,  als  die  Art  der  Begeiße- 
lung. Jedenfalls  ist  auch  die  Gehäuse-,  wie  die  Koloniebildung  in 
viel  höherem  Maße  von  äußeren  Einflüssen  abhängig  als  die  Be- 
geißelung. Der  scherzweise  Vergleich,  welchen  Oltmanns  (1904,  S.  6) 
zwischen  meiner  Gliederung  der  Chrysomonadinen  und  Linnes 
Staubfadensystem  zieht,  enthält  deshalb  keinen  ernsteren  Kern,  weil 
die  Zahl  der  Staubgefäße  im  Gegensatz  zu  derjenigen  der  Geißeln  sehr 
variabel  ist.  Ich  muß  deshalb  an  dem  in  meiner  Flagellatenbearbei- 
tung  (Senn,  1900)  durchgeführten  Prinzip  festhalten,  nach  welchem 
in  einer  Flagellatenfamilie  nur  gleichartig  begeißelte,  dagegen  nackte 
und  bepanzerte,  sowie  einzeln  und  in  Kolonien  lebende  Gattungen 
vereinigt  werden  können. 

Demzufolge  sind  die  durch  Lohmann  (1902,  S.  89ff.)  untersuchten 
Coccolithophoriden  (mit  Kalkpanzern  versehene  Chrysomona- 
dinen) wohl  als  biologisch,  nicht  jedoch  als  phylogenetisch  einheit- 
liche Gruppe  zu  betrachten.  Sie  müssen  deshalb,  obwohl  es  viel  ein- 
facher wäre,  sie,  wie  das  Lohmann  getan  hat,  zu  der  KLEBSschen 
Unterfamilie  derLoricata  zu  stellen,  als  ein-  und  zweigeißelige  Formen 
auf  die  Chromulinaceen  und  Hymenomonadaceen  verteilt 
werden. 

Daß  den  von  Hartmann  unter  dem  Namen  Binucleata  zusam- 
mengefaßten flagellaten  Blutparasiteu-  aus  demselben  Grunde  biphy- 
letischer  Ursprung  zuzuschreiben  ist,  und  daß  ihre  Zusammenfassung 


Oxyrrhis,  Nephroselrais  und  einige  Euflagellaten  usw.  665 

ZU   einer  systematischen   Einheit  deshalb    unzulässig   ist,   wurde   auf 
S.  662  schon  dargelegt. 

III.  Die  neueren  Flagellatensysteme. 

Aus  allen  diesen  Erwägungen  ergibt  sich,  daß  die  in  den  letzten 
10  Jahren  erschienenen  zahlreichen  Arbeiten  über  Flagellaten  keinerlei 
wesentliche  Veränderungen  an  dem  von  mir  im  Jahre  1900  aufgestellten 
Systeme  notwendig  machen.  Abgesehen  von  neuen  Gattungen  und 
Arten,  die  in  den  bisherigen  Familien  untergebracht  werden  können, 
sind,  wie  wir  gesehen  haben,  die  eingeißeligen  und  die  heteromastiginen 
flagellaten  Blutparasiten  als  besondere  Familien  an  die  Oicomona- 
daceen  und  Bodonaceen  anzuschließen.  Wohl  als  besondere  Ord- 
nung ist  die  Gruppe  der  Trichonymphiden  zu  betrachten,  deren 
Organisation  in  letzter  Zeit  durch  Grassi  und  seine  Schüler  (vgl.  Janicki, 
1910)  festgestellt  worden  ist. 

In  der  Hauptsache  bleibt  aber  meine  Flagellateneinteilung  be- 
stehen, die  übrigens  eine  Weiterentwicklung  des  von  Klees  (1892) 
konstruierten  Systems  darstellt. 

Letzteres  erfreute  sich  mit  Recht  allgemeiner  Annahme,  wird  aber 
fast  immer  als  BLOCHMANNsches  System  bezeichnet  (Hartmann,  1907, 
S.  156;  DoFLEiN,  1909,  S.  342;  Hartmann  und  Chagas,  1910,  S.  115). 
Diese  Bezeichnung  ist  jedoch  nicht  gerechtfertigt,  da  Blochmann 
(1895)  im  Vorwort  zur  zweiten  Auflage  seiner  »Mikroskopischen  Tier- 
welt des  Süßwassers«  ausdrücklich  bemerkt,  daß  er  in  der  Systematik 
der  Flagellaten  Klees  (1892)  gefolgt  sei. 

Ebensowenig  Berechtigung  hat  Dofleins  (1909,  S.  342)  Äußerung, 
daß  mein  System  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Flagellaten  mit 
pflanzlicher  Ernährung  besser  ausdrücke,  während  das  Bloch- 
MANNsche  (d.  h.  das  KLEESsche)  die  echt  tierischen  Flagellaten  besser 
gruppiere. 

Demgegenüber  muß  ich  feststellen,  daß  durch  die  von  mir  vor- 
genommene Anordnung  der  allgemeine  Zellbau  gerade  der  tierisch 
sich  ernährenden  Formen  (der  Protomonadina  und  Polymastigina 
nach  Klebs)  viel  besser  zur  Geltung  kommt,  daß  also  meine  Gruppie- 
rung eine  natürlichere  ist  als  im  KLEESschen  System. 

Die  Abgrenzung  der  Pantostomatinen  (ohne  differente  Mund- 
stelle) von  den  Protomastiginen  hat  sich  auch  auf  Grund  der  Kern- 
untersuchungen von  Goldschmidt  (1907,  S.  83 — 168)  als  gerechtfertigt 
herausgestellt,  was  auch  Hartmann  und  Chagas  (1910,  S.  114)  zugeben. 

Daß  eine  Trennung  der  ein-  und  zweigeißeligen  Protomastiginen 


666  G.  Senn, 

von  den  drei-  und  viergeii3eligen  Trimastiginen  und  Tetramitinen, 
sowie  eine  Vereinigung  dieser  beiden  Familien  mit  den  Distomatinen 
unnatürlich  war,  brauche  ich,  nachdem  auch  Hartmann  und  Chagas 
(1910,  S.  115)  diese  Familien  auf  Grund  der  Kernstruktur  mit  den 
Protomastiginen  vereinigt  haben,  hier  nicht  nochmals  zu  begründen. 

Daß  man  die  sich  in  ihrem  Zellbau  von  allen  andern  Euflagellaten 
unterscheidenden  Distomatinen  den  Protomastiginen  koordiniert 
(Senn,  1900,  S.  110),  scheint  mir  richtiger,  als  sie  ihnen  zu  subordi- 
nieren; sie  jedoch  allen  übrigen  Protomastiginenfamilien  gegenüber- 
zustellen, wie  das  Hartmann  und  Chagas  tun,  ist  kaum  gerechtfertigt. 
Übrigens  ist  das  zum  Teil  Geschmackssache. 

Zu  der  durch  Hartmann  und  Chagas  (1910,  S.  117)  vorgenommenen 
Streichung  der  Phalansteriaceen  und  Bicosoeceen  muß  ich  be- 
merken, daß  bei  diesen  beiden  koloniebildenden  Familien  die  Sache 
anders  liegt,  als  bei  den  Spongomonaden.  Die  genannten  Familien 
habe  ich  nicht  wegen  ihrer  Koloniebildung  von  den  Craspedomona- 
daceae,  bzw.  Bodonaceae  oder  Oicomonadaceae  getrennt,  son- 
dern wegen  der  Abweichungen  im  Bau  des  Vorderendes. 

Daß  die  Phalansteriaceae  mit  den  Craspedomonadaceae 
nahe  verwandt  sind,  ist  klar;  ich  habe  dies  dadurch  ausgedrückt,  daß 
ich  sie  unmittelbar  auf  jene  Familie  folgen  ließ.  Wenn  man  sie  trotz 
der  Abweichung  in  der  Gestalt  des  Kragens  mit  den  Craspedomo- 
nadaceae vereinigt,  wird  das  System  allerdings  vereinfacht;  prinzi- 
pielle Bedeutung  hat  das  aber  nicht. 

Die  Bicosoecaceae  wegen  der  gleichartigen  Begeißelung  ein- 
fach zu  den  Bodonaceae  zu  stellen,  geht  jedoch  —  vorläufig  wenig- 
stens —  nicht  an,  da  bei  den  Bodonaceae  zwar  Rüssel  und  Schnäbel, 
jedoch  keine  Kragenbildungen  vorkommen,  wie  sie  für  die  Bicosoe- 
caceae beschrieben  worden  sind.  Hartmann  und  Chagas'  Angabe 
(1910,  S.  117),  daß  Prowazek  (1903,  S.  199)  diese  Familie  für  Bodo- 
naceen  halte,  ist  übrigens  nicht  richtig;  im  Gegenteil  bezeichnet  sie 
dieser  Forscher  als  nahe  Verwandte  der  Monadaceen^  während  er 
für  die  Bodonaceen  eine  »ganz  eigenartige  Insertionsweise  der  Geißel« 
beschreibt,  die  zu  einer  schärferen  Trennung  dieser  Familie  von  den 
Protomastiginen  berechtigen  würde.  Nach  unsern  jetzigen  Kennt- 
nissen der  Bicosoecaceae  ist  somit  ihre  Vereinigung  mit  den  Bodo- 
naceae nicht  zulässig. 

Bei  den  pflanzlich  sich  ernährenden  Flagellaten  habe  ich  die 
Chrysomonadinen  und  Cryptomonadinen,  die  Klees  (1892, 
S.  394)  unter  dem  Namen  der  Chromomonadinen  zusammengefaßt 


Oxyrrhis,  Nephroselniis  und  einige  Euflagellaten  usw.  667 

hatte,  als  voneinander  unabhängige  Unterordnungen  behandelt.  In 
der  Tat  weichen  die  Cryptomonadinen  im  Zellbau  (Schlundapparat), 
sowie  in  ihren  Stoffwechselprodukten  (Stärke)  von  den  Chrysomo- 
nadinen  so  sehr  ab,  daß  die  bei  beiden  in  gleicher  Weise  vorhandene 
Ausbildung  des  Vacuolensystems  —  die  sich  übrigens  auch  bei  den 
Protomastiginen  findet  —  eine  Einordnung  in  dieselbe  Unterord- 
nung nicht  rechtfertigt. 

Meine  von  der  KLEBSschen  abweichende,  auf  der  Begeißelung 
beruhende  Einteilung  der  Chrysomonadinen  und  Eugleninen 
habe  ich  schon  auf  S.  664  besprochen;  eine  nochmalige  Begründung 
ist  deshalb  überflüssig. 

Wenn  Hartmann  und  Chagas  (1910,  S.  114)  einige  der  von  mir 
systematisch  verwendeten  Merkmale  für  die  Abgrenzung  von  Ver- 
wandtschaftsgruppen als  >>unzureichend «  bezeichnen,  gleichwohl  aber 
auf  Grund  der  neuen  Untersuchungen  über  die  Kernstruktur  meine 
Einteilung  beibehalten,  so  beweist  das  nur  die  Richtigkeit  der  von  mir 
angewandten  Einteilungsprinzipien.  Deshalb  brauche  ich  mein  System 
keineswegs  zugunsten  des  von  diesen  beiden  Autoren  aufgestellten 
preiszugeben,  sondern  kann  ihre  Arbeit  vielmehr  als  wichtige  Stütze 
für  die  Natürlichkeit  und  Berechtigung   meines  Systems  betrachten. 

Trotzdem  bin  ich  weit  davon  entfernt,  dieses  System  in  allen  Teilen 
als  definitiv  zu  betrachten.  Dazu  sind  die  Lücken  in  unsern  Kennt- 
nissen noch  zu  groß.  Immerhin  ist  das  kein  Grund,  wie  Doflein 
(1909,  S.  342)  bei  dem  seinerzeit  vorzüglichen,  nun  aber  veralteten 
System  von  Klebs  (1892)  zu  verharren. 

Zusammenfassvmg. 

1)  Unter  den  Euflagellaten  sind  keine  Formen  mit  einwand- 
freier Querteilung  bekannt;  es  herrscht  allgemein  die  Längst  eilung. 

2)  Die  Struktur  und  Teilungsweise  des  Zellkernes  ist 
für  die  Abgrenzung  der  Euflagellaten  von  andern  Protisten - 
Ordnungen  sehr  wertvoll.  Sie  kann  auch  zur  systematischen  Gliede- 
rung der  Euflagellaten  verwendet  werden,  doch  ist  dabei  stets  auch 
der  allgemeine  Zellbau  zu  berücksichtigen. 

3)  Die  Art  der  Begeißelung  ändert  leichter  als  die  allgemeinen 
Symmetrieverhältnisse  der  Zelle.  Diese  haben  also  höheren 
systematischen  Wert  als  die  Begeißelung.  Letztere  dagegen  ist  kon- 
stanter als  die  Gehäuse-  und  Koloniebildung  und  kann  daher 
zur   Abgrenzung   der   einzelnen    Flagellatenfamilien    benutzt   werden, 


668  G.  Senn, 

während  nackte  und  gehäusebildende  Gattungen  in  derselben  Familie 
vereinigt  werden  können. 

4)  Das  bisher  meist  als  das  BLOCHMANNsche  (1895)  bezeichnete 
Flagellatensystem  ist  von  Klebs  (1892)  aufgestellt  worden.  Dieses 
wurde  durch  mich  (1900)  weiter  ausgebaut,  wodurch  die  natürlichen 
Verwandtschaftsbeziehungen  noch  besser  zum  Ausdruck  kamen.  Die 
seither  erfolgte  eingehende  Untersuchung  der  Flagellaten  hat  die 
Richtigkeit  meines  Systems  erwiesen.  Abgesehen  von  der  notwendig 
gewordenen  Angliederung  einer  neuen  Unterordnung  (Trichonym- 
phiden)  und  zweier  neuer  Familien  (Trypanosomaceae  und  Try- 
panoplasmaceae)  bleibt  die  von  mir  vorgenommene  systematische 
Gliederung  unverändert. 

Basel,  Botanisches  Institut  der  Universität,  im  September  1910. 


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nebst  Bemerkungen  über  die  Nomenklatur  einiger  verwandter  Formen. 
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Bd.  XIV.     S.  307—358. 
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1891.     A.  J.  Schilling,   Die  Süßwasserperidineen.     Flora.     Bd.  LXXIV.  S.  220. 

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1908.  ■ —  Die    Gestalts-    und    Lageveränderung    der    Pflanzenchromatophoren. 

Wilhelm  Engelmann,  Leipzig. 

1909.  —  Oxyrrhis  marina  Duj.  et  le  Systeme  des  Flagelles.    Archives  des  Sciences 

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celariaceen.  Pringsheims  Jahrbücher  für  wissensch.  Botanik.  Bd.  XXX. 
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1909.     N.Wille.  Engler  u.  Peantl,  Natürl.  Pflanzenfamilien,  Nachtr.  zu  I.  Teil, 
Abt.  2.  Conjugatae  und  Chlorophyceae.  Leipzig,  Wilhelm  Engelmann. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  XXX. 

Fig.  1- — 24.     Oxyrrhis  inarina  Duj. 

Die  Schleppgeißel  ist  rot,  die  Flimmergeißel  grün  gezeichnet.  Wo  nichts 
besonders  bemerkt  ist,  sind  die  Figuren  nach  lebenden  Zellen  hergestellt  und 
sind  die  Objekte  lOOOmal  vergrößert. 

Fig.  1.  Ventralseite  einer  ruhenden  Zelle  mit  Längsfurche  (links)  und 
Querfurche  (rechts),  dazwischen  der  lappenartige,  birnförmige  Vorsprung. 

Fig.  2.     Dorsalseite  mit  dem  Ende  der  Querfurche  (links). 


Oxyrrhis,  Nephrüselmis  und  einige  Euflagellaten  usw.  671 

Fig.  3.     Linke  Flanke  mit  lappenartigeni  Vorspruug  (links)  und  Querf'urelie. 

Fig.  4.  Rechte  Flanke  mit  dorn  Ende  der  Queit'urche  (links),  mit  i^ängs- 
turche  und  lappenartigem  Vdrsprnng  (rechts). 

Fig.  5.  Rechte  Flanke  einer  mit  Osmiumsäuredämpfen  getöteten  Zelle; 
Hinterende  deformiert,  vorn  Zellkern,  hinten  Nahrungsvacuole.  Periplast  fein 
punktiert   bzw.   zart  gestreift. 

Fig.  6.  Dorsalseite  eines  mit  1  %iger  Osmiumsäurelösung  fixierten  Exem- 
plars.     Perijilast  mit  deutlicher  Streif ung:  Trichocysten  ? 

Fig.  7  u.  8.     Ventralseite  und  linke  Flanke  derselben  Zelle.     Vergr.  1350. 

Fig.  7.     Aus   normalem  Meerwasser  mit  körnigem  Inhalt. 

Fig.  8.  Aus  konzentriertem  Meerwasser.  Infolge  des  Wasserentzugs  ist  der 
Zcllsaftraum  verschwunden,  der  Inhalt  erscheint  homogen  durchsichtig,  der 
Periplast  ist  in  der  Längsrichtung  eingeknickt  (rechts)  und  deshalb  die  Zelle 
bedeutend  schmäler. 

Fig.  9.  Ventralseite  einer  zur  Ruhe  kommenden  Zelle.  Schleppgeißel  aus- 
gestreckt,  Flimmergeißel  in   allmählich    sich  verlangsamender  Wellenbewegung. 

Fig.  10.     Rechte  Flanke  und  Ventralseite  einer  ruhenden  Zelle. 

Fig.  11.  Lappenartiger  Vorsprung  mit  der  Geißelinsertion.  Basalkorn  der 
Flimmergeißel  schien  nicht  in  direkter  Verbindung  mit  der  Geißel  zu  sein.  Fixie- 
rung mit  Chromosmiumessigsänre,  Färbung  mit  Delafields  Hämatoxylin. 

Fig.  12.  Rechte  Flanke,  stark  verkürzt  von  hinten  gesehen;  links:  Ende 
der  Querfurche,  rechts:  Längsfurche  und  lappenartiger  Vorsprung;  im  Hinterende 
C\i:opyge.     Vergr.  1350. 

Fig.  13.  Zelle  mit  großer,  aus  der  Ventralseite  heraustretender  Blase  nach 
Behandlung  mit  0,05%igem  Tannin  in  Meerwasser.  Die  der  Vacuole  rechts  unten 
aufsitzende  Kappe  ist  vermutlich  der  birnförmige  Vorsprung,  die  kleinere  obere 
vielleicht  die  Begrenzung  der  IMundstelle. 

Fig.  14.  Zelle  nach  Behandlung  mit  verdünnter  Chlorzinkjodlösung  und 
gerbsaurem  Vesuvin.  Unsicher,  ob  die  radialstrahlige  Hülle  am  Hinterende  auch 
vorhanden  war. 

Fig.  15.  Dorsalseite  einer  Zelle  nach  Behandlung  mit  gerbsaurem  Vesuvin. 
Ventralseite  mit  Vacuole;  Periplast  mit  dicker  Hülle  aus  zarten,  am  Ende  leicht 
verdickten  Fäden. 

Fig.  16.     Ventralseite  einer  in   Querteilung  begriffenen  Zelle. 

Fig.  17.  Karyosome  nach  Fixierung  mit  Platinchlorid  imd  Färl^ung  mit 
Hämatoxylin  nach  Heidenhain.     Vergr.  etwa  2000. 

Fig.  18—24.     Zellen   nach  Fixierung  mit   Chromosmium-Essig- 
säure und  Färbung  mit  verdünntem  DELAFiELDschen  Hämatoxylin. 

Fig.  18.     Dorsalseite;  ruhender  Kern  mit  Karyosom  und  Kernmembran. 

Fig.  19.  Rechte  Flanke;  ruhender  Kern,  zwei  Karyosome,  das  eine  vielleicht 
ein  Nucleolus. 

Fig.  20.  Rechte  Flanke;  Kern  quergestellt.  Chromatin  parallel  zur  Zell- 
achse orientiert,  Karyosom  noch  kugelig. 

Fig.  21.  Linke  Flanke;  Kern  quergestellt,  Chromatin  parallel  zur  Zell- 
achse orientiert,  Karyosom  in  derselben  Richtung  gestreckt. 

Fig.  22.  Ventralseite.  Chromatin  geteilt,  Karyosom  noch  nicht.  Tochter- 
kerne durch  die  Mutterkern  membran  verbunden. 

Fig.  23.     Dorsalseite.      Kern    völlig    geteilt.      Karyosome    hinter    farbloser 

44* 


672         G.  Senn,  Oxjrrrhis,  Nephroselmis  und  einige  Euflagellaten  usw. 

CalottP  einander  zugekehrt.  Tochterkerne  durch  Reste  der  Muttermembran  ver- 
bunden. Chromatin  7au-  Zellachse  noch  parallel  orientiert.  Dem  hinteren  Kern 
scheint  das  Basalkorn  einer  Geißel  an/Ailiegen.  Zellteilung  hat  noch  nicht  be- 
gonnen. 

Fig.  24.  Dorsalseite.  Kernteilung  vollendet.  Chromatin  wieder  alveolär. 
Verbindung  der  Tochterkerne  noch  deutlich.  Beginn  der  Querwandbildung. 
Vergr.  etwa  1400. 

Tafel  XXXr. 

Fig.  25 — 27.     Kephroselmis  olivacea  Stein. 

Fig.  25.  Abgeflachte  Seite  der  Zelle.  Hinter  der  Geißelinsertion  der  bläs- 
chenförmige Kern.  Das  bei  der  Bewegung  vorangehende  Ende  dem  oberen  Tafel- 
rand zugekehrt.  Geißeln  wie  bei  hüpfender  Bewegung  ohne  Rotation  ausge- 
streckt.    Vergr.  1000. 

Fig.  26.  Ein  Individuum  in  Dorsalansicht  während  seiner  wackelnd-krie- 
chenden  Bewegung.     Vergr.  1000. 

Fig.  27.  Individuum  mit  längsgeteiltem  Chromatophor,  die  linke  Hälfte 
mit  rotem  Augenfleck.  Geißeln  im  Tode  verschlungen.     Vergr.   1500. 

Fig.  28.  Helcomastix  globosa  Senn.  Ventralseite  der  Zelle.  Beide  Geißeln 
nachgeschleppt;  vor  der  Geißelinsertion  der  bläschenförmige  Kern;  rechts  einige 
Nahrungskörper.     Vergr.  1500. 

Fig.  29 — 31.     Heteronema  Klebsii  Senn. 

Fig.  29.     Metabolische  Kontraktion  der  Zelle  zur  Kreiselgestalt.   Vergr.  750. 

Fig.  30.  Ventralseite  der  ausgestreckten  Zelle  mit  Kern  und  Schlund- 
apparat.    Vergr.  1000. 

Fig.  31.  Vorderende  von  der  linken  Seite  gesehen.  Links  Mundöffnung; 
in  der  Mitte  Schlundhöhlung  mit  Staborgan,  davor  die  Insertion  der  vorderen 
Geißel;  rechts  Sammelvacuole  mit  Ausführgang,  dahinter  pulsierende  Vacuole. 
Vergr.  2000. 

Fig.  32 — 35.      Tropidoscyphus  cydostoinus  Senn.     Vergr.  2000. 

Fig.  32.     Linke  Zellseite,  etwas  von  oben  gesehen,  Dorsalseite  sichtbar. 

Fig.  33.     Linke  Zellseite,  etwas  von  unten  gesehen,  Ventralseite  sichtbar. 

Tig.  34.     Zelle  von  hinten  gesehen. 

Fig.  35.  Zelle  mit  dem  ventral  gelegenen  Kern  und  dem  Vacuolensystem : 
Sammelvacuole  und  zwei  pulsierende  Vacuolen.  In  der  hinteren  Zellhälfte 
Nahrungsreste. 

Fig.  36  u.  37.     Notosolenus  apocamptus  Stokes.    Vergr.  2000. 
Fig.  36.     Konvexe  Ventralseite 


_.     „_      ^^     ,  -^        ,    .        ,    mit  Kern  und  Vacuolensystem. 

±ig.  37.     Konkave  Dorsalseite 

Fig.  38.     Euglena  viridis  Ehrenb.     Vergr.  1000.     Fixierte  und  mit  Häma- 

toxylin  gefärbte  Zelle.     Kern  mit  radialstrahligem  Chromatin. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.). 

Von 


Gustaf  Gering 

ans  Ha'lf  a.  S. 
Mit  1  Figur  im  Text  und  Tafel  XXXII. 


I.  Einleitung. 

Unter  den  Nemertinen,  um  deren  systematische  Stellung  mancher- 
lei Kontroversen  entstanden,  finden  wir  nur  wenige  Formen,  die  starke 
Abweichungen  vom  Typus  zeigen.  Außer  den  wunderbaren  Tiefsee- 
bewohnern, über  die  wir  durch  das  Material  der  deutschen  Tiefsee- 
expedition jüngst  wertvolle  Aufschlüsse  erlangt  haben,  sind  nur  zwei 
Gattungen  zu  nennen,  in  denen  starke  Habitusänderungen  aufgetre- 
ten sind,  in  der  Gattung  Cephalothrix  die  Art  C.  galatMae'^  und  in  der 
Gattung  Malacobdella  alle  drei  bekannten  Arten :  M.  grossa,  M.  jafonica 
und  M.  auriculae.  Während  die  parasitische  Cephalothrix  galatheae  den 
Besitz  »fingerförmiger  Greif-  oder  Haftorgane«  [44] 2  noch  mit  der 
pelagisch  lebenden  Tiefseeform  Nectonemertes  mirabilis  teilt,  steht 
Malacobdella  mit  ihrem  terminalen  Saugnapf  unter  den  weit  über 
400  Arten  zählenden  Nemertinen  einzig  da. 

Durch  einen  längeren  Studienaufenthalt  in  Kiel  wurde  mir  die 
günstige  Gelegenheit  zuteil,  mich  mit  der  auch  in  der  östlichen  Ostsee 
heimischen  Malacobdella  grossa   (Müll.)   eingehender  zu   beschäftigen. 

Die  Untersuchungen  zu  der  vorliegenden  Arbeit  wurden  im  Kgl. 
zoologischen  Institut  zu  Kiel  ausgeführt.    Es  wurde  mir  hier  in  liebens- 


1  Die  Angaben  Diecks  [44]  über  diese  seit  ihrer  Entdeckung  durch  Diek 
nicht  wieder  aufgefundene  Art  bedürfen  dringend  einer  Nachprüfung  und  Er- 
gänzung, zumal  hier  systematische,  anatomische,  embryologische  und  biologische 
Fragen  zu  klären  sind. 

2  Die  in  eckigen  Klammern  stehenden  Zahlen  verweisen  auf  das  Literatur ^ 
Verzeichnis  am  Schluß  dieser  Arbeit. 


674  Gustaf  Gering, 

würdigster  Weise  die  Benutzung  mehrerer  Aquarien,  Dreggen  und 
andrer  Fanggeräte  gestattet.  Hierfür  spreche  ich  meinem  hochver- 
ehrten Lehrer,  Herrn  Geheimrat  Beandt,  meinen  tiefgefühlten  Dank 
aus.  Gleichfalls  schulde  ich  ihm  Dank  für  die  Beschaffung  eines  großen 
Teiles  meines  Untersuchungsmaterials  und  die  leihweise  Überlassung 
einschlägiger  Literatur.  Auch  den  Herren  Professor  Dr.  Lohmann 
und  Professor  Dr.  Reibisch  habe  ich  zu  danken  für  freundliche 
Ratschläge  und  stete  Förderung  bei  der  Ausführung  meiner  Unter- 
suchungen. 

II.  Historischer  Rückblick. 

Malacobdella  grossa  (Müll.)  wurde  zuerst  von  0  F.  Müller  [1] 
1776  entdeckt  und  als  Hirudinee  in  seinen  späteren  Arbeiten  [2 — 6] 
genauer  beschrieben.  Seit  dieser  Zeit  finden  wir  Malacobdella  jahr- 
zehntelang immer  wieder  in  der  Literatur  als  Egel  aufgeführt,  zum 
Teil  nach  den  Angaben  Müllers,  zum  Teil  nach  eignen  Beobachtungen 
der  betreffenden  Autoren^.  Blainville  [11]  diskutierte  als  erster  die 
systematische  Stellung  dieses  Tieres,  ebenso  beschäftigten  sich  Blan- 
CHARD  [13 — 16,  18,  19],  Dalyell  [22],  van  Beneden  and  Hesse  [23,  24] 
mit  dieser  Frage.  Erst  Semper  [27]  gelang  1876  —  also  genau  100  Jahre 
nach  der  Entdeckung  —  der  Nachweis,  daß  Malacobdella  eine  Nemertine 
sei.  Trotzdem  haben  uns  auch  schon  vor  dieser  Zeit  einige  Arbeiten 
wertvolle  Aufschlüsse  über  die  Anatomie  von  Malacobdella  gebracht. 
In  diesem  Sinne  sind  zu  nennen  die  Arbeiten  von  Blanchard  [13 — 16, 
18,19],  der  eine  in  vielen  Punkten  richtige  Beschreibung  des  Nerven- 
systems 2,  der  Blutgefäße  und  der  Geschlechtsorgane  gibt,  und  die- 
jenigen von  VAN  Beneden  und  Hesse  [23,  24].  Nach  diesen  Forschern 
haben  sich  nur  noch  Hoffmann  [28]  und  v.  Kennel  [29]  eingehend 
mit  Malacobdella  beschäftigt.  Erstercr  zog  auch  die  Ontogenie  in  den 
Kreis  seiner  Untersuchungen,  letzterer  machte  sehr  eingehende  ana- 
tomisch-histologische  Studien  und  konnte  auf  Grund  dieser  manche 
Angaben  Hoffmanns  berichtigen  und  wesentlich  ergänzen, 

1  Da  ich  nirgends  ein  vollständiges  Literaturverzeichnis  über  Malacobdella 
grossa  fand,  habe  ich  mich  bemüht,  alle  einschlägigen  Arbeiten  zusammenzubringen 
und  nach  Möglichkeit  selbst  einzusehen.  Alle  zu  meiner  Kenntnis  gekommenen 
Arbeiten  finden  sich  in  meinem  Literaturverzeichnis  chronologisch  zusammen- 
gestellt. 

2  Eine  hinsichtlich  des  Nervensystems  in  verschiedenen  Punkten  falsche 
Abbildung  Bläncuards  —  schon  iSempeb,  [27],  Hoffmann  [28]  und  v.  Kennel  [29] 
haben  darauf  hingewiesen  —  druckt  sonderbarerweise  Joubin  [34]  als  Beispiel 
für  das  Nervensystem  der  Nemertinen  in  der  »Faune  fran9aisc^<  wieder  ab. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  MalacDlxlella  grossa  (Müll.).  675 

III.  Biologie, 
a.  Herkunft  des  Materials. 

Die  Malacobdellen,  die  ich  zu  meinen  Untersuchungen  benutzte, 
stammen  ausschließlich  aus  Cijprina  islandica  L.  Da  ich  mich  ur- 
sprünglich nur  mit  der  Entwicklungsgeschichte  von  Malacobdella  grossa 
beschäftigen  wollte,  lag  mir  daran,  dieses  Tier  stets  in  genügender 
Menge  zu  erhalten.  Da  aber  v.  Kennel  [29]  im  Kieler  Hafen  nur 
in  Cyprina,  niemals  in  Mya  arenaria  L.  unsre  Nermertine  fand,  hielt 
ich  mich  nur  an  den  ersteren  Lamellibranchier.  Ein  großer  Teil  der 
von  mir  untersuchten  Cyprinen  wurde  durch  die  liebenswürdige  Ver- 
mittlung des  Herrn  Geheimrat  Brandt  vom  Forschungsdampfer 
»Poseidon«  während  der  Ostseefahrten  auf  verschiedenen  Stationen 
für  mich  gefangen.  Das  übrige  Material  dreggte  ich  selber  in  der  Kieler 
Außenföhrde. 

Das   Poseidon-Material  stammte  von  folgenden  Stationen: 
Stat.  0  II  (November  1908)  54°30'  n.  Br.  10°2'  ö.  L.  :  53    Cyprinen, 
Stat.  0  V  (Febr.  u.  Mai  1909)  55°9'  n.  Br.  9%T  ö.  L.  :  16  Cyprinen, 
Stat.  0  2  (Mai  1909)  54^53'  n.  Br.  10°10'  ö.  L.  :  102  Cyprinen, 
Stat.  0  IX  (November  1909)  54^18'  u.  Br.  Wb'd'  ö.  L.  :  4  Cyprinen. 

b.  Häufigkeit  des  Vorkommens. 
Diese  Cyprinen  wurden  also  sämtlich  wie  das  von  mir  gefischte 
Material  in  der  westlichen  Ostsee  gefangen.  Ich  kann  daher  alle 
von  mir  untersuchten  Muscheln  benutzen,  um  die  Häufigkeit  des  Vor- 
kommens von  Malacobdella  grossa  in  Gyprina  islandica  für  dieses  Gebiet 
festzustellen. 

Da  große  Cyprinen  wesentlich  häufiger  unsre  Nemertine  beher- 
bergen als  kleine  —  die  Gründe  hierfür  hat  bereits  v.  Kennel  [29] 
ausführlich  dargetan  — ■,  habe  ich  die  Cyprinen  nach  der  Größe  in  drei 
Gruppen  geteilt.  Die  erste  umfaßt  Muscheln  von  über  5,5  cm  Durch- 
messer, die  zweite  solche  von  3,5 — 5,5,  die  dritte  solche  von  2 — 3,5  cm 
Durchmesser.  Cyprinen,  die  einen  Durchmesser  von  2  cm  noch  nicht 
erreicht  hatten,  gab  ich  stets  ungeöffnet  ihrem  Elemente  zurück. 

Unter  Zugrundelegung  dieser  Einteilung  ergeben  sich  folgende  Werte : 

von  158  großen  Cyprinen  waren  von  Malacobdella  bewohnt  113  =  71,5% 

»     68  mittleren        »  »       »  »  »        47  =  69  % 

•>  150  kleinen  »  »       >  »  »        48  =  32  %. 

Demnach  sind  durchschnittlich  ungefähr  55%  aller  Cyprinen  der 

westlichen  Ostsee  mit  Malacobdella  behaftet. 


676  Gustaf  Gering. 

Beschränke  ich  mich  aber  auf  die  aus  der  Kieler  Föhrde  erhaltenen 
Cyprinen,  so  finde  ich  von  201  Cyprinen  95  von  Malacobdella  bewohnt, 
also  47%.  Aus  den  Zahlen,  die  v.  Kennel  gibt,  berechne  ich,  daß 
zur  Zeit  seiner  Untersuchungen  58%  der  Cyprinen  Malacobdellen  ent- 
hielten. Danach  scheint  Molacohdella  grossa  im  Verlauf  der  verflossenen 
32  Jahre  in  der  Kieler  Föhrde  seltener  geworden  zu  sein;  diese  Nemertine 
gehört  aber  auch  dann  noch  zu  den  häufigen  Formen  des  Gebietes. 

Nach  RiCHES  [33]  scheinen  an  der  englischen  Küste  andre  Ver- 
hältnisse zu  herrschen.  Er  schreibt  "In  only  one  case  have  I  exa- 
mined  onc  of  these  molluscs  {Cyprina  islandica)  without  finding  a 
specimen".    RiCHES  hat  aber  vielleicht  nur  große  Cyprinen  untersucht. 

Wie  ich  schon  oben  kurz  erwähnte,  habe  ich  zuweilen  auch  Cyprinen 
gefunden,  die  mehr  als  einen  » Commensalen <<  beherbergten.  Viermal 
enthielt  eine  Muschel  jederseits  eine  junge  Nemertine,  einmal  enthielt 
eine  Muschel  eine  erwachsene  und  eine  ganz  junge,  einmal  fanden  sich 
auf  der  einen  Seite  zwei  ganz  kleine,  auf  der  andern  Seite  eine  große 
Nemertine,  und  einmal  entdeckte  ich  in  einer  großen  Cyprina  sogar 
vier  junge  AVürmer,  und  zwar  an  dem  einen  Mantellappen  einen,  an 
dem  andern  zwei  und  den  vierten  am  Fuße  des  Wirtes  i.  Es  ist  mir 
ebensowenig  wie  v.  Kennel  ein  Fall  vorgekommen,  wo  mehr  als  eine 
ausgewachsene  Malacohdella  dieselbe  Muschel  bewohnte 2.  An  ähn- 
liche Befunde  wie  die  meinigen  knüpft  v.  Kennel  die  Vermutung, 
daß,  wenn  mehrere  Würmer  sich  in  einer  Muschel  festgesetzt  haben, 
schließlich  der  stärkste  die  andern  vernichtet  und  so  der  alleinige  In- 
haber des  Hauses  wird. 

c.  Benutzung  des  Rüssels. 

Daß  diese  Vermutung  v.  Kennels  richtig  ist,  kann  ich  durch  ein 
von  mir  angestelltes  Experiment  beweisen.     Es  handelt  sich  gleich- 

1  Ich  habe  weit  häufiger  Cyprinen  mit  mehr  als  einem  Wurm  gefunden 
als  V.  Kennel.  Dieser  beobachtete  bei  etwa  550  Muscheln  sieben  Fälle  =  1,3%, 
ich  bei  376  Muscheln  sieben  Fälle  =  1,9%.  Im  Gegensatz  hierzu  steht  die  Angabe 
von  RiCHES  [33]  "in  no  case  has  more  than  one  been  found  in  a  single  Cyprina'". 

2  Blanchard  [19]  schreibt  allerdings,  daß  sich  mitunter  zwei  oder  drei 
Malacobdellen  in  einer  Muschel  {Mya  truncata)  finden,  und  bald  darauf  in  der- 
selben Arbeit,  daß  er  die  Malacobdellen  immer  geschlechtsreif  gefunden  habe. 
Nach  dem  bisher  Bekannten  halte  ich  es  für  sehr  unwahrscheinlich,  daß  Blan- 
chard mehr  als  ein  geschlechts  reifes  Tier  in  einer  Muschel  beobach- 
tete. Die  Bildung  der  Geschlechtsprodukte  findet  bei  dieser  Nemertine  ja 
schon  sehr  früh  statt,  Blanchard  hatte  also  wohl  stets  solche  Tiere  vor  sich, 
bei  denen  er  allerdings  Geschlechtsprodukte  erkennen  konnte;  diese  waren  aber 
noch  nicht  reif. 


Beiträge  zur  Keuutiiiti  von  Mvilacobdella  grossa  (Müll.).  677 

zeitig  lim  einen  Vorgang,  den  bisher  noch  niemand  gesehen  zu  haben 
scheint,  nämlich  den  Gebrauch  des  stilettlosen  Nemertinenrüssels  als 
Waffe.  Schreibt  doch  Bürger  [37]  noch  vor  wenigen  Jahren  über 
den  »unbewaffneten«  Eüssel:  »"Wahrscheinlich  wird  auch  der  Rüssel 
der  Proto-,  IMeso-  und  Heteronemertinen  zum  Angriff  gebraucht  und 
der  Stilettapparat  durch  die  Masse  von  Rhabditen-  und  Nesselzellen 
ersetzt«.  Malacohdella  ist  allerdings  eine  Metanemertine,  aber  eine 
von  den  wenigen,  die  des  Stilettapparates  entbehren. 

Ich  berichtete  eben,  daß  ich  einmal  vier  junge  Malacobdellen  in 
einer  Cyprinu  beisammen  fand.  Zwei  von  ihnen  maßen  unausgestreckt 
6  mm,  eine  3  mm  und  die  vierte  1,5  mm.  Diese  vier  Tiere  setzte  ich 
in  ein  mit  Seewasser  gefülltes  kleineres  Glasgefäß  und  beobachtete 
nun  folgendes:  jedesmal,  wenn  beim  lebhaften  Umherwandern  (die 
Lebhaftigkeit  der  Bewegungen  nimmt  bei  Malacohdella  mit  zunehmen- 
dem Alter  stark  ab)  ein  Tier  mit  der  Vorderseite  des  Kopfes  auf  das 
angeheftete  Hinterende  eines  andern  Tieres  traf,  schnellte  es  seinen 
Rüssel  hervor,  diesen  in  die  Haut  des  Gegners  scheinbar  einbohrend. 
Der  Angreifer  hatte  nämlich  Mühe,  seinen  Rüssel  wieder  loszubekommen, 
so  fest  hafteten  dessen  Papillen  an  der  Haut  des  angegriffenen  Tieres. 
Dieses  ließ  sofort  die  Glaswand,  an  der  es  sich  festgesaugt  hatte,  los 
und  wand  sich  unter  lebhaften  Zuckungen  hin  und  her,  deutlich  Schmerz- 
empfindungen zeigend.  Dies  glaube  ich  daraus  schließen  zu  dürfen, 
daß  sich  diese  Bewegungen  durchaus  von  denen  unterschieden, 
die  Malacohdella  ausführt,  wenn  man  sie  (etwa  mit  einer  Pinzette) 
am  festhaftenden  Hinterende  kräftig  berührt.  Auch  wird  ein  so  be- 
unruhigtes Tier  niemals  seine  Saugscheibe  lösen.  Nach  kurzer  Zeit 
schien  die  Wirkung  eines  derartigen  Angriffes  aber  überstanden  zu 
sein,  und  bei  Gelegenheit  wurde  aus  dem  Angegriffenen  ein  Angreifer. 
Ich  ließ  deshalb  die  vier  Tiere  über  Nacht  zusammen.  Am  andern 
Morgen  waren  alle  tot.  Ich  halte  es  für  sehr  wahrscheinlich,  daß  die 
Würmer  an  den  Folgen  der  gegenseitigen  Attacken  mit  dem,  giftiges 
Drüsensecret  absondernden  Rüssel  eingegangen  sind,  da  ich  die  Mala- 
cobdellen stets  tagelang  in  Seewasser  lebend  halten  konnte,  ältere  Tiere, 
namentlich  Weibchen,  mitunter  sogar  8 — 14  Tage^.  Riches  [33]  be- 
richtet sogar,  daß  er  eine  Malacohdella  in  einem  Glasgefäß  über  drei 
Monate  lebend  gehalten  hat. 


1  Innerhalb  der  lebenden  Cyprinen  konnte  ich  die  Malacobdellen  im  Aqua- 
rium über  ein  halbes  Jahr  lang  am  Leben  erhalten,  auch  wenn  das  Wasser  lange 
Zeit  hindurch  nicht  erneuert  wurde. 


678  Gustaf  Gering, 

Rhynchocölomkörper. 
Da  es  sich  hier  am  ungezwungensten  einfügt,  möchte  ich  noch 
ein  Wort  über  den  Inhalt  der  Rüssel  scheide  sagen,  v.  Kennel  [29] 
gibt  an,  daß  das  Rhynchocölom  eine  Flüssigkeit  enthalte  und  fährt 
fort,  >>ob  in  dieser  Flüssigkeit  zellige  Elemente  vorkommen,  weiß  ich 
nicht,  ich  habe  dergleichen  nie  mit  Sicherheit  erkennen  können  <<. 
Bürger  [35]  gibt  jedoch  schon  an:  >>Das  Rhynchocölom  führt  freie 
Zellkörper.  <<  Auch  ich  fand  sie  stets,  und  zwar  besonders  zahlreich  im 
hinteren  Ende  der  Rüsselscheide.  Sie  stellen  unregelmäßig  elliptische 
Scheiben  dar,  deren  größter  Durchmesser  5,3 — 8,7  u  beträgt.  Ihr 
Kern  hat  einen  Durchmesser  von  2,5 — 3,5  /.i.  Sein  Chromatin  ist  aber 
nicht,  wie  es  Bürger  [37]  für  Carinella  polymorfha  angibt,  auf  die 
Peripherie  beschränkt,  sondern  überall  im  Innern  verteilt. 

Blutkörper. 
Auch  die  von  v.  Kennel  vergebens  gesuchten  Blutkörperchen 
gelang  es  mir  an  besonders  günstigen  Präparaten  aufzufinden.  Sie 
haben  die  Form  runder,  in  der  Mitte  verdickter  Scheiben  von  7 — 8,7  /t 
Durchmesser.  Ihr  mehr  oder  weniger  peripher  gelegener  Kern  ist  kugelig 
oder  ellipsoidisch  und  hat  einen  Durchmesser  von  3,5  u.  Das  Chromatin 
durchzieht  in  einem  feinen  Netzwerk,  in  dem  zahlreiche  Brocken  ein- 
gelagert sind,  den  ganzen  Kern.  Nicht  selten  fand  ich  im  Plasma 
ein  bis  vier  dunkle  Körner  von  ungefähr  0,87  u  Durchmesser,  die  sich 
mit  Hämatein  blau  gefärbt  hatten  wie  das  Chromatin  des  Kernes. 
Es  ist  auffallend,  daß  Rhynchocölom-  und  Blutkörper  bei  Malacobdella 
ungefähr  die  gleiche  Größe  haben,  während  sonst  bei  den  Nemertinen 
die  letzteren  >>im  Vergleich  zu  den  Rhynchocölomkörpern  klein  zu 
nennen  sind«  [37]. 

d.  Anheftungsstelle  von  Malacobdella  in  Cyprina. 

Was  die  Stelle  anbetrifft,  an  der  sich  Malacobdella  in  Cyprina 
festsaugt,  kann  ich  die  Angaben  v.  Kennels  im  allgemeinen  bestätigen. 
In  der  überwiegenden  Mehrzahl  aller  Fälle  wurde  die  Nemertine  zwi- 
schen Mantel  und  äußerem  Kiemenblatt,  an  ersterem  haftend,  ge- 
funden, in  ganz  seltenen  Ausnahmen  zwischen  innerem  Kiemenblatt 
und  Eingeweidesack,  an  letzteren  angeheftet.  Zwischen  den  Kiemen- 
blättern fand  ich  sehr  selten  Malacobdellen  und  dann  waren  es  stets 
ganz  junge  Tiere. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grosaa  (Müll.).  679 

IV.  Das  erwachsene  Tier. 

In  den  meisten  Beschreibungen  von  Malacobdella  grossa,  auch 
wenn  sie  noch  so  dürftig  sind,  treten  uns  Angaben  über  die  Größe  des 
Tieres  entgegen.  Die  sich  in  der  Literatur  findenden  Zahlen  sind  aber 
mit  einer  gewissen  Vorsicht  aufzunehmen.  In  den  allermeisten  Fällen 
hat  den  Autoren  nur  eine  geringe  Zahl  oder  gar  nur  ein  Exemplar 
vorgelegen,  und  häufig  wurden  die  Messungen  an  konservierten  Tieren 
vorgenommen.  So  gewonnene  Zahlen  sind  natürlich  für  die  Bestim- 
mung der  Größe  der  Species  nicht  maßgebend,  zumal  gerade  die  Nemer- 
tinen  im  fixierten  Zustande  häufig  stark  veränderte  Formen  zeigen. 
Von  einem  einzigen  Fundort  stammendes  Material  kann  aber,  auch 
wenn  es  reichlich  ist,  nicht  unter  allen  Umständen  als  Grundlage  für 
Speciesdiagnosen  genügen,  da  örtliche  Einflüsse  der  verschiedensten 
Art  sich  geltend  machen  können.  Gerade  bei  Malacobdella  grossa  war 
es  nun  wohl  nicht  ganz  glücklich,  daß  Bürger  im  »Tierreich«  [38]  die 
Größenangaben  zitiert,  die  v.  Kennel  ausdrücklich  als  nur  auf  Mala- 
cobdella grossa  aus  dem  Kieler  Hafen  bezüglich  angibt.  Denn  im 
Kieler  Hafen  und  der  westlichen  Ostsee  überhaupt  ist  bekanntlich 
der  Salzgehalt  bedeutend  geringer  als  in  Atlantik  und  Nordsee.  Trotz- 
dem erhielt  ich  —  unter  andern  sogar  aus  der  Gegend  von  Warne- 
münde,  wo  der  Salzgehalt  nur  ganz  selten  über  20  pro  Mille  steigt  — 
Exemplare,  welche  die  von  v.  Kennel  beobachteten  nicht  unwesent- 
lich an  Größe  übertrafen.  In  Atlantik  und  Nordsee  wird  Malacobdella 
aber  noch  größer,  wie  die  Angaben  v.  Kennels  [29],  Verrills  [26] 
und  Hesses  [24]i  zeigen.  Die  im  »Tierreich«  gegebenen  Zahlen  sind 
also  wohl  zu  niedrig  gegriffen,  Malacobdellen  von  30 — 40  mm  Länge 
und  15 — 20  mm  Breite  (kontrahiert  gemessen)  gehören  vielmehr  durch- 
aus nicht  zu  den  Seltenheiten. 

V.  Entwicklung  und  Form  der  Geschlechtsprodukte, 
a.  Die  weiblichen  Geschlechtsprodukte. 
Bürger  [35  u.  37]  unterscheidet  zwei  Typen  der  Entwicklung  der 
weiblichen  Geschlechtsprodukte  bei  den  Nemertinen  und  teilt  dem- 
entsprechend die  Nemertinen  in  zwei  Gruppen  ein.     Bei  der  einen 


1  JoTJBiN  [34]  befindet  sich  in  einem  Irrtum,  wenn  er  angibt,  Hesse  habe 
eine  10  cm  lange  Malacobdella  beschrieben.  Dieser  Autor  gibt  vielmehr  aus- 
drücklich an,  daß  sein  Tier  5  cm  lang  und  2  cm  breit  war.  Joubin  hat  vielleicht 
geglaubt,  das  von  Hesse  gegebene  vergrößerte  Habitusbild  stelle  das  Tier  in 
natürlicher  Größe  dar. 


680  Gustaf  Gering, 

Gruppe,  für  die  Bükger  Carinella  als  Beispiel  wählt,  »entwickeln  sich 
die  Geschlechtssäcke  erst  mit  den  Geschlechtsprodukten,  sie  sind  aber 
niemals  vor  ihnen  da«.  .  .  .  >>Bei  der  zweiten  Entwicklungsweise«,  die 
Bürger  an  Drepanophorus  schildert,  »sind  die  Geschlechtssäcke  das 
Primäre. « 

Bei  Carinella  entstehen  nach  Bürger  [37]  die  Geschlechtsprodukte 
aus  Zellen  des  völlig  soliden  Körperparenchyms  am  Grunde  der  radialen 
Muskelzüge  und  stellen  hier  Häufchen  von  Kernen  dar,  die  ein  Hof 
feinkörnigen  Plasmas  umgibt.  Im  Laufe  des  Wachstums  dieser  Zellen, 
das  anfänglich  hauptsächlich  an  Kern  und  Kernkörperchen  wahr- 
nehmbar ist,  bildet  sich  um  den  Zellhaufen  eine  feine  Membran.  Aus 
einem  Teil  der  Zellen,  besonders  aus  den  nach  außen  gelegenen,  bildet 
sich  ein  Plattenepithel  als  Wandbelag  der  Gonade,  die  in  der  Tiefe 
gelegenen  Zellen  wachsen  mächtig  heran  und  werden  zu  Eiern,  die 
zunächst  mit  der  Gonaden  wand  in  Verbindung  bleiben,  dann  immer 
mehr  ihre  definitive  Form  erhalten  und  sich  schließlich,  einander  gegen- 
seitig bedrängend,  abplatten.  Der  Zellsack  dehnt  sich  durch  einen 
schmalen  Gang  nach  außen  hin  aus,  und  dieser  feine  Kanal  gewinnt 
schließlich  mit  Hilfe  einer  entgegenkommenden  Hautepitheleinstül- 
pung eine  Kommunikation  mit  der  Außenwelt. 

Nach  dieser,  hier  in  extenso  gegebenen  Schilderung  fährt  Bürger 
unmittelbar  fort:  »Die  geschilderte  Bildungsweise  der  weiblichen  Ge- 
schlechtsprodukte vollzieht  sich  ebenso  z.  B.  bei  Malacobdella,  was  früher 
V.  Kennel  anschaulich  geschildert  und  wovon  ich  mich  auch  selbst 
überzeugt  habe.  Bei  Malacobdella  tritt  bald  ein  Lumen  im  jungen 
Ovarium  auf,  dessen  Epithel  zurückgebliebene  Eichen  bilden,  und  in 
das  die  heranwachsenden  als  langgestielte  Birnen  hineinragen.«  Trotz 
der  Hinzufügung  dieses  letzten  Satzes  ist  das  nicht  ganz  richtig.  Bür- 
ger hat  vorher  die  bei  Carinella  vorliegenden  Verhältnisse  schon  so 
eingehend  geschildert,  daß  sie  nicht  mehr  in  dieser  Weise  verallgemeinert 
und  wenigstens  für  Malacobdella  nicht  als  gültig  hingestellt  werden 
können.  Dies  zeigt  schon  die  Darstellung,  die  v.  Kennel  [29]  von 
der  Entwicklung  der  weiblichen  Geschlechtsprodukte  bei  Malacobdella 
gibti.  Ich  muß  es  mir  aus  Raummangel  versagen,  hier  auf  v.  Kennels 
Schilderung  der  Ovogenese  bei  Malacobdella  einzugehen,  da  ich  den 
ganzen  Passus  dieses  Forschers  wörtlich  zitieren  müßte. 

Im  allgemeinen  kann  ich  die  Befunde  v.  Kennels  bestätigen,  wo 


1  Auf  die  wenigen  ungenauen  Angaben  '  Hoffmanns  [28]  und  seine  ganz 
falsche  Vorstellungen  erweckende  Fig.  17  brauche  ich  nicht  einzugehen,  da  sie 
schon  durch  v.  Kesnels  Untersuchungen  berichtigt  und  überholt  sind. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Mallacobdella  grossa  (Müll.).  681 

ich  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  zu  andern  Ergebnissen  ge- 
kommen bin,  werde  ich  dies  in  der  weiter  unten  folgenden  zusammen- 
hängenden Darlegung  meiner  Beobachtungen  ausdrücklich  erwähnen. 
Bevor  ich  aber  hierzu  übergehe,  muß  ich  noch  auf  die  Ovogenese  bei 
einigen  andern  Nemertinen  eingehen,  da  in  den  dabei  in  Betracht  kom- 
menden Arbeiten  auch  auf  die  Ernährung  der  Eizelle  eingegangen  wird. 
Es  handelt  sich  hier  um  folgende  Arten: 

1)  Prostoma^  {Stichostemma)  graecense  (Böhmig),  '' 

2)  Prostoma  {Stichostemma)  eühardi  (Montg.), 

3)  Prostoma  { Stichostemma)  {asensoriatum  [Montg.]!)^, 

4)  Geonemertes  chalicofhora  Graff, 

5)  Geonemertes  agricola  (Will.-Suhm), 

6)  Prosorhochmus  (Monopora)  viviparus  (Ulj.), 

7)  Cerebratulus  lacteus  (Leidy). 

Von  diesen  Arten  sind  1,  2,  3  und  5  hermaphroditisch,  die  andern 
getrennten  Geschlechts,  5  und  6  sind  vivipar. 

Bei  Prostoma  graecense  verläuft  die  Ovogenese  nach  Böhmig  [40] 
(ich  fasse  die  Befunde  dieses  Forschers  ganz  kurz  zusammen)  in  fol- 
gender Weise:  In  der  jungen  Gonade  lassen  sich  außer  Spermatogonien 
Ovogonien  und  Dotterzellen  unterscheiden.  Die  Ovogonien  sind  groß, 
plasmareich  und  haben  einen  großen  Nucleus  mit  oft  maulbeerförmigem 
Nucleolus,  die  Dotterzellen  sind  größer  als  die  Keimlagerzellen  (die 
dorsal  auf  den  Seitenstämmen  liegen)  und  haben  eine  unregelmäßige 
Gestalt  und  ein  stärker  färbbares  Cytoplasma.  Die  Dotterzellen  liefern 
auch  das  Gonadenepithel.  Das  Cytoplasma  der  jungen  Ovogonie  ist 
sehr  feinkörnig  und  mäßig  stark  tingierbar.  Mit  dem  Wachstum  der 
Zelle  wächst  auch  der  Nucleolus.  Er  zerteilt  sich  dann  in  zwei  oder 
mehr  Stücke.  Die  Teilprodukte  bleiben  meist  vorläufig  durch  Fäden 
eng  untereinander  verbunden.  Schließlich  ist  eine  große  Zahl  kugeliger 
Körper  in  ein  oder  zwei  Haufen  vorhanden.  Diese  Körper  trennen 
sich  dann,  wandern  nach  der  Kernperipherie,  bilden  hier  eine  einfache 
Schicht  unter  der  Kernmembran  und  vergrößern  sich,  meist  durch 
Quellung.  In  größeren  Ovogonien  ist  das  Cytoplasma  grobkörniger 
und  stärker  tingierbar.  Früher  oder  später  tritt  die  Dotterbildung 
ein.  Das  Plasma  der  Ovogonie  ist  dann  fein  vacuolisiert.  In  und  an 
diesen  Vacuolen  liegen  etwas  größere,  aber  noch  recht  feine  Körnchen, 


1  Ich  folge  der  Nomenklatur  Bürgers  im  »Tierreich«  [38]  und  füge  nur 
in  dieser  Aufzähhing  den  von  dem  betr.  Autor  benutzten  Namen  in  Klam- 
mern bei. 

2  Der  Autor,  Child,  schreibt  "probably  S.  asensoriatnm  Montg." 


682  Gustaf  Gering, 

aus  denen  die  2,56 — 3,2  /.i  großen  Dotterkörner  (Dotterschollen)  sich 
bilden.  Diese  sind  später  so  zahlreich,  daß  nur  noch  dünne  Stränge 
der  plasmatischen  Substanz  und  an  der  Peripherie  eine  schmale  dotter- 
freie Zone  übrig  bleiben.  Außerdem  liefern  die  Dotterzellen  Dotter- 
substanz. Sie  sind  in  jeder  Ovocyte  in  großer  Zahl  vorhanden,  sind 
mit  Nucleus  und  Nucleolus  ausgestattet,  gruppieren  sich  allmählich 
um  die  Ovogonie  und  wachsen  bis  zu  einer  Größe  von  6,4//.  Das 
Cytoplasma  der  Dotterzellen  wird  immer  grobkörniger,  intensiver  färb- 
bar, und  Deutoplasmakörner  treten  in  ihm  ebenso  auf  wie  in  den  Ovo- 
gonien.  Sind  die  Dotterzellen  mit  Dotter  angefüllt,  so  wird  der  Kern 
resorbiert,  Dotterzellen  und  Ovogonie  treten  miteinander  in  Berührung, 
die  Randpartien  verschmelzen,  und  schließlich  werden  die  .Dotterzellen 
ganz  in  die  Ovogonie  aufgenommen.  Am  Ende  der  Entwicklung  ist 
in  jeder  Gonade  nur  eine,  mit  Dotterhaut  versehene  Eizelle  vorhanden. 

Über  die  Ovogenese  bei  Prostoma  eilhardi  bringt  Montgomery  jun. 
[52]  nur  folgendes:  Das  Chromatin  des  Kernes  der  jungen  Eizelle  ist 
anfangs  central  angehäuft  und  wandert  dann  an  die  Kernperipherie. 
Dort  stellt  es  Kugeln  dar,  die  später  zu  größeren  verschmelzen.  In 
diesem  Stadium  tritt  die  Dotterbildung  ein.  Im  Plasma  um  den  Eikern 
herum  treten  zuerst  wenige  rundliche  karminophile  Ballen  auf,  diese 
vermehren  sich  und  schließen  den  Eikern  zuletzt  ganz  ein.  In  diesem 
Stadium  ist  das  Ei  bereits  vom  Keimepithel  losgelöst  und  der  Kern 
beträchtlich  angewachsen.  Dann  tritt  innere  und  äußere  Eimembran 
(Dottermembran  und  C'horion)  auf,  und  das  inzwischen  ausgewachsene 
Ei  zeigt  (nach  Montgomerys  Fig.  41  auf  Taf.  IX)  innerhalb  seiner 
Hüllen  ein  gleichmäßiges  körniges  Deutoplasma  und  in  diesem  das 
Keimbläschen,  an  dessen  Peripherie  spärlich  größere  Chromatin- 
kugeln  liegen. 

Ganz  anders  verläuft  die  Ovogenese  nach  Child  [41]  bei  der  von 
ihm  beobachteten  Prostorna,  die  er  für  Prostoma  asensoriatum  hält. 
Nach  den  Angaben  dieses  Autors  ist  man  sogar  geneigt,  diese  Nemer- 
tine  eher  zu  denjenigen  zu  rechnen,  bei  denen  die  Eibildung  nach 
dem  Typus  Drejoanophorus  verläuft.  Hier  soll  nämlich  die  Gonade 
aus  einem  Follikel  bestehen,  dessen  Wand  das  Keimlager  bildet,  von 
welchem  aus  die  meist  nur  in  Einzahl  sich  bildende  Eizelle  in  das  Lumen 
der  Gonade  sich  vorwölbt.  Dotterkugeln  entstehen  sowohl  innerhalb 
der  Oocyte  als  auch  im  Protoplasma  um  den  Eistiel  herum.  Der  größte 
Teil  des  Keimplasmas  geht  scheinbar  in  die  Oocyte  über.  Das  wach- 
sende Ei  umgibt  sich  mit  einer  Membran  und  reißt  erst  sehr  spät  von 
seinem  Stiel  ab. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  683 

Über  die  folgende  Art,  Geonemertes  chalicophora ,  kann  ich  mich 
kurz  fassen.  Bei  Böhmig  [40]  finde  ich  folgende  Angaben  über  die 
Eibildung:  Die  Bildung  der  Ovarien  geht  von  Zellanhäufungen  im 
Parenchym  dorsal  von  den  Seitenstämmen  aus.  Die  größeren  dieser 
Zellen  stellen  junge  Ovogonien  dar,  haben  »ein  scharf  ausgeprägtes, 
intensiv  tingierbares  Kerngerüst  und  ein  ansehnliches  Kernkörperchen  <<. 
Die  kleineren  Zellen  behalten  ihren  mesenchymatösen  Charakter.  In 
den  Ovogonien  wachsen  die  Kerne  und  die  Kernkörperchen  rasch. 
Einige  Ovogonien  und  eine  größere  Zahl  indifferenter  (mesenchyma- 
töser)  Zellen  löst  sich  vom  Keimlager  ab,  worauf  die  letzteren  zum  Teil 
zur  Bildung  der  Gonadenhülle  verwandt  werden,  zum  Teil  sich  in 
Dotterzellen  umwandeln.  Nur  eine  Ovogonie  gelangt  zur  vollen  Aus- 
bildung, die  übrigen  werden  von  ihr  resorbiert.  Die  Veränderungen 
im  Kern  sind  im  wesentlichen  dieselben  wie  die  von  Böhmig  für  Pro- 
stofna  graecense  beschriebenen  (vgl.  oben).  Die  Bildung  der  Dotter- 
substanz im  Cytoplasma  der  Ovocyten,  sowie  die  Veränderungen, 
welche  sich  an  den  Dotterzellen  abspielen,  sind  die  gleichen  wie  bei 
Prostoma  graecense.  Die  Bildung  einer  Dottermembran  oder  eines 
Chorions  wurde  von  Böhmig  nicht  beobachtet. 

Auch  bei  Geonemertes  agricola  nimmt  nach  Coe  [43]  die  Gonade 
ihren  Ursprung  aus  einem  unmittelbar  über  den  Seitenstämmen  im 
Parenchym  gelegenen  Zellhaufen.  Diese  Zellen  sind  zunächst  alle 
einander  gleich,  bald  aber  lassen  sich  drei  Arten  unterscheiden,  Eizellen, 
Dotterzellen  und  Follikelzellen.  Letztere  bilden  das  abgeplattete  Follikel-  ^ 
epithel.  Die  Dotterzellen  sind  vermutlich  Abortiveier,  füllen  sich  mit 
Dotterkörnern  und  werden  scheinbar  ganz  (also  auch  Kern  und  Cyto- 
plasma) von  dem  einzigen  Ei  absorbiert,  das  schließlich  nach  Rück- 
bildung der  andern,  anfänglich  angelegten  Eizellen  übrig  bleibt.  End- 
lich reißt  der  Eistiel  ab  und  das  Ei  liegt  frei  im  Ovar,  umhüllt  mit 
einer  feinen  Membran  von  Follikelzellen  und  angefüllt  mit  Dotter- 
kugeln verschiedener  Größe  (höchstens  0,013  mm  im  Durchmesser). 

Ich  habe  jetzt  nur  noch  auf  zwei  Nemertinen  einzugehen,  von  denen 
die  eine,  Prosorhochmus  viviparus,  wie  alle  vorigen  zur  Ordnung  der 
Metanemertinen  gehört.  Diese  ProsorJiochmus- Art  wurde  von  Sa- 
LENSKY  [53]  unter  dem  Namen  Monopora  vivipara  eingehend  be- 
schrieben. Die  Angaben  des  genannten  Autors  über  diese  Nemertine 
sind,  kurz  zusammengefaßt,  folgende:  Oben  auf  den  Seitenstämmen 
tritt  eine  kleine  Zellanhäufung  von  zunächst  drei,  dann  mehr  Zellen 
auf.  Bald  lassen  sich  hier  zwei  Arten  von  Zellen  unterscheiden.  Die 
eine  Art  bleibt  klein  und  bildet  in  Zukunft  ein  hohes  einschichtiges 


684  Gustaf  Gering, 

Cylinderepithel  der  Gonade,  die  andre  Art  wächst  stark,  ihr  Kern 
wird  bläschenförmig  und  Nucleolen  treten  in  diesem  auf;  dies  sind 
junge  Eizellen.  Die  am  Grunde  des  bauchigen  Teiles  der  später  flaschen- 
förmigen  Gonade  liegende  Eizelle  wächst  am  raschesten  und  wird 
schließlich  die  einzige  definitive  Eizelle  der  Gonade,  die  übrigen  wachsen 
nur  bis  zu  einem  gewissen  Zeitpunkt,  wölben  auch  wohl,  zwischen 
den  Epithelzellen  liegend,  dieses  etwas  vor,  degenerieren  dann  aber, 
sind  also  Abortiveier.  Mit  zunehmendem  Wachstum  des  Ovars  wächst 
der  sich  bildende  Ausführgang  dem  Körperepithel  zu,  es  tritt  eine 
Spalte  im  Ovar  auf,  die  sich  zu  einem  Lumen  entwickelt,  und  der  Aus- 
führgang erstreckt  sich  weiter,  wahrscheinlich  durch  die  Flüssigkeit, 
die  sich  dort  ansammelt.  Die  große  Eizelle  bleibt  zunächst  der  Wand 
der  Gonade,  die  hier  ein  niedriges  Epithel  besitzt,  ganz  angeschmiegt. 
Das  Protoplasma  der  Eizelle  ist  feinkörnig,  der  bläschenförmige  Kern 
mit  Nucleoplasma  und  Nucleolus  ausgestattet.  Später  löst  sich  die 
Eizelle  ab;  sie  ist  (nach  Salenskys  Figuren)  anfänglich  unregelmäßig 
kugelig,  aber  keinesfalls  birnf örmig,  und  im  Keimbläschen  liegen  mehrere, 
aber  nicht  sehr  zahlreiche  Nucleolen  der  Peripherie  genähert. 

Cerebratulus  lacfeus,  die  letzte  Nemertine,  auf  deren  Ovogenese  ich 
einen  kurzen  Blick  werfen  muß,  steht  nicht  nur  im  System  weit  von 
den  bisher  behandelten  entfernt,  es  verläuft  bei  dieser  Art  die  Aus- 
bildung der  weiblichen  Geschlechtsprodukte  auch  durchaus  nicht  nach 
dem  Typus  Carinella,  sondern  nach  dem  Typus  Drepa7io'pliorus.  Wenn 
ich  trotzdem  auf  diese  Heteronemertine  eingehe,  so  geschieht  es  des- 
halb, weil  CoE  [42]  hinsichtlich  der  Ovogenese  dieser  Form  Verhält- 
nisse beschreibt,  die,  wie  sich  erweisen  wird,  eine  auffallende  Ähnlich- 
keit zeigen  mit  einigen  meiner  an  Malacobdella  grossa  gemachten  Be- 
obachtungen. 

Die  Eier  entstehen  bei  Cerebratulus  lacteus  an  der  Wand  des  primär 
vorhandenen  Geschlechtssackes  und  bilden  bald  gestielte  Birnen,  die 
sich  schließlich  von  ihrer  Unterlage,  der  Bindegewebshülle  der  Gonade, 
loslösen.  "Interspersed  among  the  ova  and  scattered  through  the  jelly 
which  fills  the  central  cavity  are  small  spherical  highly  pigmented 
bodies,  granulär  in  structure.  These  are  probably  the  same  as  those 
described  by  Hubrecht  i  for  Drepanophorus  and  Cerebratulus  margi- 


1  Ich  habe  in  der  betreffenden  Arbeit  Hubrechts  [Report  Challenger 
Zool.,  Vol.  XIX]  vergebens  nach  einer  diesbezüglichen  Angabe  gesucht.  Cerebra- 
tulus marginatus  befand  sich  überhaupt  nicht  unter  dem  Challenger-Material.  Auch 
in  verschiedenen  andern  Arbeiten  Hubrechts  konnte  ich  nichts  finden,  worauf 
sich  die  Angabe  Coes  beziehen  könnte. 


\ 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  685 

natus,  and  like  tlieni  they  disappear  gradually  as  the  ova  ripen.  Hence 
they  must  contribute  to  the  development  of  the  egg,  and  undoubtedly 
furnish  the  yolk  material.  There  are  also  other  cellsi,  slightly  smaller 
and  lighter  in  colour,  but  staining  more  deeply,  which  are  scattered 
all  through  the  central  cavity.  From  these  comes  the  gelatine  which 
fills  all  the  space  not  occupied  by  eggs." 

Ich  komme  jetzt  zur  Ovogenese  bei  Malacobdella  grossa  und  werde 
zunächst  den  allgemeinen  Verlauf  dieses  Prozesses  in  großen  Zügen 
darlegen,  mich  in  einem  zweiten  Abschnitt  mit  dem  Verhalten  der 
Nucleolen  und  der  chromatischen  Substanz  in  den  sich  bildenden  Eiern 
und  in  einem  dritten  mit  der  speziellen  Ausbildung  der  Eier  und  ihrer 
Ernährung  zu  beschäftigen  haben. 

Die  Geschlechtsprodukte  nehmen  bei '  Malacobdella  wie  bei  allen 
Nemertinen,  bei  denen  nicht  primär  Geschlechtssäcke  auftreten,  ihren 
direkten  Ursprung  aus  Bindegewebselementen.  Es  ist  aber  bemerkens- 
wert, daß  bei  der  vorliegenden  Form  durchaus  keine  Beziehung  besteht 
zwischen  den  Geschlechtsprodukten  und  den  Lateralnerven.  Es  tritt 
bei  Malacobdella  kein  den  Seitenstämmen  aufgelagertes  Keimlager  auf, 
wie  bei  Prostoma,  Geonemertes  und  Prosorhochmus  (vgl.  S.  679 — 681). 
V.  Kennel  faßt  die  Geschlechtsprodukte  von  Malacobdella  als  »Tei- 
lungsprodukte großer  protoplasmareicher  Parenchymzellen «  auf  und 
glaubt  dies  dadurch  beweisen  zu  können,  daß  diese  mit  der  Bildung 
der  Gonadenanlagen  an  Zahl  abnehmen  und  sich  besonders  zahlreich 
im  hinteren  Ende  des  Körpers  der  jungen  Tiere  finden,  wo  später 
massenhaft  Geschlechtsprodukte  entstehen.  Ich  habe  diese  »proto- 
plasmareichen Zellen«  allerdings  in  der  von  v.  Kennel  beschriebenen 
Form  und  Lage  auch  gefunden,  glaube  aber  auf  Grund  meiner  an 
vielen  Hunderten  von  Querschnitten  durch  junge  Malacobdellen  an- 
gestellten Untersuchungen  einen  direkten  genetischen  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  Zellen  und  den  Geschlechtsprodukten  in  Abrede 
stellen  zu  müssen.  Meine  Gründe  hierfür  sind  folgende.  Ich  habe 
niemals  Übergangsstadien  zwischen  derartigen  Parenchymzellen  und 
den  Zellkomplexen,  die  sich  deutlich  als  zukünftige  Gonaden  repräsen- 
tieren, gefunden^,  die  Zellen  der  jungen  Gonadenanlagen  sind  stets 
protoplasmaarm,  wo  sie  neben  den  »protoplasmareichen  Zellen«,  auf- 
treten, unterscheiden  sie  sich  scharf  von  diesen,  besonders  aber  der 


1  CoE  nennt  sie"  glycerine  cells". 

2  Auch  V.  Kennel  scheint  dieses  sicherste  Beweisstück  für  seine  Annahme 
zu  fehlen,  da  er  es  sonst  doch  nicht  unterlassen  haben  würde,  ausdrücklich  darauf 
hinzuweisen. 

Zeitschrift  f.  wi-:sensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  45 


686  C4ustav  Gering, 

Reichtum  des  Hinterendes  der  jungen  Malacohdella  an  derartigen 
»protoplasmareichen  Zellen«  scheint  mir  nicht  in  der  geschehenen 
Weise  gedeutet  werden  zu  dürfen.  Dieser  Körperteil  trägt  bei  jugend- 
lichen Tieren  durchaus  einen  embryonalen  Charakter,  entsprechend  dem 
Verlaufe  der  Entwicklung  des  Tieres  und  dem  Umstände,  daß  zur 
definitiven  Ausbildung  hier  noch  das  stärkste  Wachstum  nötig  ist. 
Trotzdem  setzt  auch  im  Hinterende  die  Bildung  von  Geschlechtspro- 
dukten schon  sehr  früh  ein,  unabhängig  von  den  »protoplasmareichen 
Zellen«  des  Parenchyms. 

Die  ersten  Anzeichen  dieses  Vorganges  machen  sich  dadurch 
geltend,  daß  man  im  Parenchym^  hier  und  dort  ein  Häufchen  von 
zunächst  wenigen,  bald  aber  schon  zahlreichen  Kernen  trifft,  deren 
Chromatin  und  Nucleolus  peripher  gelagert  ist.  Es  tritt  an  diesen 
Stellen  eine  starke  Zellvermehrung  ein,  und  nicht  selten  hat  man  den 
Eindruck,  als  ob  die  Vermehrung  der  Kerne  rascher  vor  sich  ginge 
als  die  der  Zellen,  so  dicht  und  zahlreich  liegen  erstere,  und  Zellgrenzen 
sind  zwischen  ihnen  nicht  immer  zu  unterscheiden.  Nur  selten  be- 
merkt man  um  den  einen  oder  andern  dieser  Kerne  eine  Anhäufung 
dunkler  tingierten  Plasmas,  einen  solchen  Plasmamantel,  wie  ihn 
V.  Kennel  in  seiner  Fig.  1,  Taf.  XVIII  zeichnet  und  wie  er  von  Büe- 
GER  [37]  für  Carinella  als  ein  »Hof  von  feinkörnigem  Plasma«  beschrie- 
ben wird,  habe  ich  nie  beobachtet.  Bemerkenswert  ist  auch,  daß 
V.  Kennel  schon  in  seiner  Fig.  2  derselben  Tafel  nur  die  Kerne  zeichnet, 
aber  weder  Protoplasma  noch  Zellgrenzen.  Letztere  sind  aber  stets 
zu  sehen,  wenn  sich  auch  nicht  immer  für  jeden  Kern  eine  Zelle  nach- 
weisen läßt.  Anfänglich  unterscheiden  sich  diese  Kerne  in  keiner  Weise 
von  denen  des  umliegenden  Bindegewebes,  bald  aber  macht  sich  eine 
deutliche  Differenzierung  bemerkbar,  indem  die  peripher  gelagerten 
Kerne  des  Zellhäufchens  —  die  Wände  seiner  Zellen  rufen  das  Bild 
einer  unregelmäßig  polyedrischen  Felderung  hervor  —  stärker  wachsen. 
Es  macht  sich  dies  einmal  dadurch  bemerkbar,  daß  sie  bald  einen 
Durchmesser  von  5,2  u  erreicht  haben,  während  die  central  gelegenen 
Kerne  wie  alle  übrigen  Bindegewebszellkerne  nur  etwa  3,5  /«  messen, 
außerdem  sind  aber  auch  die  Chromatinbrocken  in  den  peripheren 
Kernen  größer  geworden  (allerdings  nicht  im  Verhältnis  zum  Wachstum 
des  Kernes,  so  daß  diese  bei  schwacher  Vergrößerung  jetzt  heller  er- 
scheinen als  die  kleinen  Kerne)  und  der  Nucleolus  hat  einen  Durch- 
messer von  1 — 1,4//  erreicht.    Alle  Kerne  des  Zellhäufchens  sind  mehr 

1  Alle  Parenchymzellen  besitzen  bei  Malacobdella  einen  Nucleolus. 


Beiträgo  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  687 

oder  weniger  kugelig  und  zeigen  nie  eine  so  gestreckte  Form,  wie  sie 
bei  den  Bindegewebszellkernen  nicht  selten  zur  Beobachtung  gelangt. 
Sehr  früh  werden  diese  Zellhäufchen  von  dem  umliegenden  Binde- 
gewebe auch  äußerlich  schärfer  getrennt;  die  Bindegewebsfasern  ord- 
nen sich  allmählich  bogenförmig  um  das  Häufchen  an,  und  es  entsteht 
im  weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  eine  immer  dickere  Bindegewebs- 
hülle, die  später  durch  Muskelfasern  wesentlich  verstärkt  wird.  Sch(m 
bedeutend  zeitiger,  als  es  nach  v.  Kennels  Schilderung  den  Anschein 
hat,  tritt  in  der  jungen  Gonade  ein  Lumen  auf.  indem  die  in  der  Mitte 
gelagerten  Zellen  auseinander  weichen. 

In  einem  älteren  Stadium  läßt  sich  an  der  Gonade  deutlich  ein 
dorsales  und  ventrales  Ende  unterscheiden,  ersteres  ist  verjüngt,  letzteres 
bauchig  erweitert.  Es  kommt  aber  weder  jetzt  noch  später  zur  Aus- 
bildung eines  Ausführganges,  vielmehr  hat  die  junge  Gonade  stets  die 
Gestalt  eines  schlanken  Eies.  Die  größeren  Kerne  liegen  jetzt  am 
ventralen  Ende  und  sind  bedeutend  zahlreicher  geworden,  hier  ent- 
stehen also  zuerst  Eier.  Allmählich  schreitet  die  Bildung  von  Eiern 
dorsal wärts  fort,  so  daß  man  nicht  selten  in  einer  Gonade  eine  hübsche 
Serie  von  Entwicklungsstadien  beobachten  kann.  Ein  >>Nachschub 
neuer  Zellen  an  Stelle  der  zu  Eiern  umgewandelten«  ventralwärts,wie 
v.  Kennel  vermutet,  scheint  mir  nicht  stattzufinden.  Mit  zunehmen- 
dem Wachstum  des  Tieres  werden  die  Gonaden  immer  zahlreicher, 
man  findet  in  einem  Schnitt  immer  mehr  nebeneinander,  später  sogar 
zwei  bis  drei  untereinander,  und  ein  Querschnitt  durch  das  hintere 
Körperdrittel  einer  geschlechtsreifen  weiblichen  MalacohdeUa  gewährt 
schließlich  folgendes  Bild.  Die 
größte  Entfernung  der  dorsalen  von 
der  ventralen  Körperfläche  beträgt 
nicht  viel  mehr  als  ein  Drittel  der 
Entfernung  der  beiden  Seitenrän- 
der   voneinander.      Innerhalb    von  ,     ,  .  .    ^..      .  ...  , 

Querschnitt  aus  dem  letzten  Korperdnttel  von 
Cutis     und    Muskelschichten     lassen     Malacobdella  Q  .     Es   sind  nur  Dann,  Rüssel, 

sich     drei     annähernd     gleich     große     Seitennerven  und  die  Lumina  der  Ovarien  ein- 
-  '     _  getragen.     5  x . 

Bezirke  unterscheiden.  Der  mitt- 
lere ist  der  Bezirk  des  Darmes.  Dieser  ist  von  den  Ovarien  ganz 
zusammengedrängt  und  infolgedessen  so  stark  gewunden,  daß  er 
in  einem  Schnitt  zwei-  bis  dreimal  getroffen  werden  kann.  Die 
seitlichen  Bezirke  sind  die  der  Ovarien.  Sie  sind  so  zahlreich  ge- 
worden (ich  zählte  zuweilen  in  einem  Schnitt  über  30  Ovarien 
links  und  rechts  zvisammen)  und  liegen  so  dicht  gedrängt,  daß  zwischen 

45* 


688  Gustaf  Gering, 

ihnen  nur  noch  die  zugehörigen  Bindegewebs-  und  Muskelfibrillen  Platz 
haben,  die  nur  eine  dünne  Wand  zwischen  den  Säcken  bilden.  Das 
eigentliche  Körperparenchym  ist  auf  eine  nicht  allzu  dicke  Schicht  auf 
der  Ventralseite  des  Tieres  beschränkt.  Die  Form  der  Ovarien  ist  eine 
sehr  mannigfache,  häufig  sind  sie  unregelmäßig  bohnen-  oder  eiförmig, 
wobei  das  schlanke  Ende  bald  dorsal-  bald  ventralwärts  gerichtet  ist. 
Gegen  die  dorsale  Körperwand  hin  zeigen  sie  eine  breite,  etwas  ge- 
wölbte Fläche  und  nur  selten  eine  schärfere  Spitze.  Von  einem  Aus- 
führgang kann  auf  keinen  Fall  die  Rede  sein,  vielmehr  reißt  an  der 
Stelle,  wo  der  Geschlechtssack  schließlich  am  stärksten  der  Körperwand 
genähert  ist,  die  dann  nur  noch  ganz  dünne  Gewebsschicht  durch  und 
läßt  die  reifen  Eier  nach  außen  gelangen.  Der  Durchbruch  findet  stets 
erst  unmittelbar  vor  der  Ablage  der  Eier  statt,  eine  )>  entgegenkommende 
Hautepitheleinstülpung«,  wie  sie  Bükger  [37]  für  CarineUa  beschreibt 
und-  wie  sie  nach  diesem  Autor  bei  allen  Nemertinen  von  diesem  Typus 
(auch  bei  Malacobdella)  eintreten  soll,  tritt  hier  nicht  auf. 

Was  die  chromatische  Substanz  und  den  Nacleolus  der  jungen 
Ovocyten  anbetrifft,  so  wurde  schon  oben  bemerkt,  daß  die  erste  Ver- 
änderung in  einem  Wachsen  der  Chromatinbrocken  und  des  Nucleolusi 
besteht.  Dieser  bleibt  aber  bald  im  Wachstum  zurück,  wenn  er  auch 
bei  Kernen  von  8,7  f^i  Durchmesser  schon  eine  Größe  von  1,7  /<  erreichen 
kann.  Schon  in  Kernen  von  5 — 6  ,*/  Durchmesser  trifft  man  oft  zwei 
Nucleolen  an.  Ihre  Lage  zueinander  ist  sehr  wechselnd,  häufig  aber 
liegen  sie  weit  voneinander  entfernt.  Ob  sie  durch  Teilung  des  ursprüng- 
lichen entstanden  sind,  kann  ich  nicht  sagen;  jedenfalls  habe  ich  nie- 
mals einen  derartigen  Prozeß  beobachtet.  Die  Vermutung  v.  Kennels, 
daß  das  Auftreten  zweier  Nucleolen  auf  eine  bevorstehende  Zellteilung 
hinweise,  kann  ich  nicht  teilen.  Die  weitere  Entwicklung  des  Keim- 
bläschens spricht  dagegen,  und  auch  die  von  Montgomery  jun.  [60] ^ 
an  andern  Nemertinen  diesbezüglich  gemachten  Beobachtungen  stützen 
meine  Auffassung.  Mit  dem  zunehmenden  Wachstum  der  Kerne  geht 
nämlich  eine  Vermehrung  der  Nucleolen  einher,  während  das  Chromatin 
wie  vorher  in  dem  chromatischen  Netzwerk  in  Brocken  suspendiert 


1  Bei  Malacobdella  nehmen  die  Nucleolen  bei  den  verschiedensten  Doppel- 
färbungen stets  den  Kernfarbstoff  an,  was  die  Annahme  eines  extranucleären 
Ursprunges,  wie  ihn  Montgomery  jun.  [60]  und  andre  allgemein  für  die  Nucleolen 
annehmen,  erschwert. 

2  Als  dieser  Aufsatz  in  meine  Hände  kam,  war  die  vorliegende  Arbeit  zum 
größten  Teil  schon  abgeschlossen.  Ich  konnte  daher  in  den  folgenden  Ausfüh- 
rungen nur  an  geeigneten  Stellen  nachträglich  noch  kurz  darauf  Bezug  nehmen. 


BiMti-äiZr  /MV   Kennt  iiis   \ mi    Malacululclla    «jrossa   (Müll.).  (')S<) 

ist.  In  Kernen  vt)n  lU — 11  n  JJurchnics.ser  kann  man  schon  vier  bis 
sieben  Nucleolen  beobachten,  in  solchen  von  Ki //  Durchmesser  schon 
20  und  mehr.  Ihre  Gi'öße  sdiwankt  zwischen  (t.(S  und  1,7  u,  wobei 
aUe  Größen  in  dem  »gleichen  Kern  vertreten  sein  können.  Im  \'er- 
laufe  dieses  Prozesses  verschwinden  alhnäldich  an  dem  Chromatin- 
lierüst  die  größeren  Brocken,  bis  schließlich  den  yanzeii  Kern  nur  ein 
feines  Netzwerk  durchzieht,  in  dem  die  zahlreichen,  mit  Hämatein 
stark  dunkelblau  tingierten,  homogenen  kugeligen  Nucleolen  überall 
verteilt  liegen.  Zeitweilig  rücken  die  Nucleolen  im  Verlauf  der  Ent- 
wicklung des  Eies  wohl  mehr  an  die  Peripherie  des  Kernes,  doch  ist 
dies  in  früheren  Stadien  keineswegs  eine  reüelmäßise  Erscheinuno'. 
Häufiger  beobachtet  man,  daß  ein  Teil  der  Nucleolen  zu  einem,  seltener 
zwei  größeren  Haufen  zusammengedrängt  liegt.  Montgomery  jun.  [()()] 
fand  auch  derartige  Nucleolenanhäufungen  im  Keimbläschen  des  Eies 
von  Amphiponis  glutinosus.  Niemals  aber  sah  ich  die  Komponenten 
dieser  Haufen  durch  Chromatinfäden  verbunden,  wie  es  Böhmig  [40] 
für  Prostoma  und  Geoneniertes  beschreibt.  Nicht  allzu  selten  trifft  man 
allerdings  auch  Kerne  an,  die  bereits  einen  Durchmesser  voii  10  n  und 
mehr  erreicht  haben,  ohne  daß  es  zur  Nucleolenvermehrung  gekommen 
wäre.  In  solchen  Fällen  sind  das  Chromatingerüst  und  die  darin  ver- 
streuten Chromatin  brocken  entsprechend  kräftiger  geworden.  Da  in 
den  größeren  Eikernen  stets  die  typischen  Nucleolen  angetroffen  werden, 
darf  man  wohl  annehmen,  daß  hier  die  Nucleolenvermehrung  nur  ver- 
zögert ist,  um  dann  desto  rascher  vor  sich  zu  gehen. 

Wenn  die  Eier  schon  eine  beträchtliche  Größe  erlangt,  ja  zuweilen 
selbst  dann  noch,  wenn  sie  sich  vom  Gonadenepithel  bereits  losgelöst 
haben,  sieht  man  die  Nucleolen  in  großen  Mengen  durch  den  ganzen 
Kern  verstreut.  Dann  tritt  aber,  zuweilen  vielleicht  auch  schon 
früher,  eine  Verminderung  der  Nucleolenzahl  ein;  kleinere  verschmel- 
zen zu  zweien  oder  dreien  zu  einem  größeren,  wahrscheinlich  hat 
auch  eine  Auflösung  einiger  Nucleolen  statt.  Letzteres  glaube  ich  dar- 
aus schließen  zu  dürfen,  daß  ich  bisweilen  in  einzelnen  Nucleolen  Va- 
cuolen  beobachtete,  die  manchmal  schon  so  groß  geworden  waren,  daß 
die  gänzliche  Auflösung  dieses  Nucleolus  nahe  bevorzustehen  schien. 
Vereinigung  und  Auflösung  von  Nucleolen  beschreibt  auch  Mont- 
GOMERY  jun.  [52]  für  Prostoma  und  später  [60]  noch  für  verschiedene 
andre  Nemertinen.  Mit  der  Verminderung  der  Zahl  der  Nucleolen, 
die  aber  nicht  so  weit  geht  wie  bei  Prostoma  eilhardi,  geht  ihre  Ver- 
lagerung an  die  Peripherie  des  Kernes  einher,  so  daß  man  in  zur  Ablage 
reifen  Eiern  nur  eine  beschränkte  Zahl  von  Nucleolen  findet,  die  sämtlich 


690  Gustaf  Gering, 

an  der  Peripherie  des  Keimbläschens  liegen.  Dies  scheint  überhaupt 
ein  bei  Nemertineneiern  recht  häufig  auftretendes  Bild  zu  sein,  es  wird 
nämlich  außer  für  Prostoma  eilhardi  noch  für  Geonemertes  chalicophora 
[40],  Prostoma  ( Tetrastemm^)  vermiculus  [49],  P.  catenulatum  [60],  Dre- 
'panophorus  spectahilis  [49],  Amphiporus  glutinosus  [60],  Prosorhochmus 
viviparus  [53]  und  Zygonemertes  virescens  [60]  beschrieben.  Das  Keim- 
bläschen ist  kugelig  oder  mehr  eiförmig  und  zeigt  niemals  Fortsätze, 
die  auf  eine  amöboide  Bewegung  schließen  lassen,  wie  dies  für  ver- 
schiedene Nemertinen  angegeben  wird  [60].  Im  Verlaufe  meiner 
Untersuchungen  habe  ich  mich  davon  überzeugt,  daß  die  Entwicklung 
und  das  Verhalten  der  Nucleolen  im  Malacobdellenei  andre  sind,  als 
sie  von  Böhmig  [40]  für  Prostoma  graecense  so  ausführlich  beschrieben 
wurden,  und  daß  Malacohdella  auch  mit  keiner  der  von  Montgomery 
jun.  [60]  untersuchten  Nemertinen  in  diesem  Punkt  übereinstimmt. 
Um  die  bei  Malacobdella  vorliegenden  Verhältnisse  im  einzelnen  kennen 
zu  lernen,  bedürfte  es  aber  noch  spezieller  eingehender  Studien,  die  ich 
aus  Mangel  an  Zeit  leider  noch  nicht  ausführen  konnte. 

Es  sei  noch  erwähnt,  daß  ich  zuweilen  im  Kern  ziemlich  weit  aus- 
gebildeter Eier  feine  Fäden  fand,  die  in  größeren  oder  kleineren  Ab- 
ständen mit  dunklen  Körnchen  besetzt  sind.  Diese  Körnchen  sind 
bedeutend  kleiner  als  die  Nucleolen  und  auch  wegen  ihrer  Form  nicht 
mit  diesen  zu  identifizieren.  Stellenweise  beobachtete  ich  eine  An- 
häufung solcher  Körnchen,  ob  sie  aber  die  Folge  einer  Aufknäuelung 
des  Fadens  ist,  konnte  ich  nicht  deutlich  erkennen.  Diese  Fäden  zeigen 
eine  große  Ähnlichkeit  mit  den  Gebilden,  die  Böhmig  [40]  für  Pro- 
stoma graecense  erwähnt  und  in  seiner  Fig.  42  abbildet.  Dieser  Autor 
bemerkt  darüber,  daß  sie  »möglicherweise  Anlagen  von  Chromosomen« 
darstellen.  Ob  diese  Vermutung  berechtigt  ist,  wage  ich  nicht  zu  ent- 
scheiden; die  definitive  Ausbildung  der  Chromosomen  findet  bei  Mala- 
cohdella auf  jeden  Fall  erst  in  den  abgelegten  Eiern  statt.  Aber  auch 
Montgomery  jun.  [60]  beschreibt  derartige  >>Chromatinfäden<<  für  das 
Ovarialei  von  Prostoma  catenulatum  und  das  von  Prostoma  eilhardi. 

Ich  komme  nunmehr  zur  Ausbildung  der  Eier  im  speziellen  und 
zur  Dotterbildung.  Dazu  muß  ich  zu  einem  sehr  frühen  Stadium 
zurückkehren.  Ich  hatte  oben  dargetan  (S.  687),  wie  in  der  jungen 
Gonade  ein  Lumen  auftritt  und  am  ventralen  Ende  des  Geschlechts- 
sackes die  Zellkerne  rascher  wachsen.  Durch  das  Auftreten  mehrerer 
Nucleolen  und  das  allmähliche  Verschwinden  der  Chromatinbrocken 
erhalten  die  Kerne  bald  ein  bläschenförmiges  Aussehen  und  doku- 
mentieren sich  schon  jetzt  als  junge  Keimbläschen.    Mit  dem  Größer- 


Beiträge  zur  Kenntnis  vim  Malacohdella  grossa  (Müll.)-  691 

werden  des  Kernes  wächst  natürlich  auch  der  Zellleib,  aber  wesentlich 
langsamer,  so  daß  die  jungen  Eizellen  in  diesem  Stadium  einen  un- 
verhältnismäßig großen  Kern  haben,  der  zuweilen  den  basalen  Teil 
der  Zelle  fast  ganz  von  dem  übrigen  Teil  tiennt.  Sie  sitzen  mit  breiter 
Basis  der  Bindegewebshülle  der  Gonade  auf  und  wölben  sich  anfangs 
mehr  halbkugelig  oder  pai'aboloidisch  oder  in  Form  einer  Granate 
vor  (Fig.  1).  Schon  in  einem  sehr  frühen  Stadium  —  der  Kern  ist 
zuweilen  kaum  größer  als  die  Bindegewebskerne  —  setzt  eine  Ab- 
lagerung von  ganz  kleinen  Dotterkörnern  in  der  jungen  Eizelle  ein,  und 
zwar  stets  am  peripheren,  der  Basis  abgewandten  Ende^.  Hier  sammelt 
sich  der  Nahrungsdotter  oberhalb  des  Kernes  bald  in  solcher  Menge 
an,  daß  die  mit  Hämatein  dunkelblau  gefärbte  Deutoplasmamasse  das 
Cytoplasma  vollständig  verdeckt.  Ein  gleiches  berichtet  Munson  [61] 
vom  Ei  von  Limulus  und  MontC40MERY  jun.  [60]  vom  Ei  von  Zygo- 
nemertes.  In  diesem  Stadium  und  auch  noch  etwas  später  ist  die  Eizelle 
von  den  nicht  zu  Eiern  sich  umbildenden  Gonadenzellen  eingeschlossen, 
bald  aber  streckt  sie  sich,  wird  birnförmig  und  ragt  frei  in  das  Lumen 
des    Geschlechtssackes    vor. 

'■*'-  An  den  Zellen  der  Gonade,  die  nicht  zu  Ovocyten  werden,  macht 
sich  etwas  bemerkbar,  das  es  verbietet,  sie  als  indifferente  oder  als 
Gonadenepithelzellen  schlechtweg  zu  bezeichnen.  Es  kommt  in  diesen 
Zellen  nämlich  gleichfalls  zur  Bildung  von  Deutoplasma.  Dieser  Dotter 
scheint  aber  andrer  Natur  zu  sein,  als  der  eben  für  die  Eizellen  erwähnte. 
Man  sieht  nämlich  in  den  Gonadenzellen  kugelige  Dotterballen.  Sic 
sind  anfangs  nur  klein,  wachsen  aber  rasch  heran,  hauptsächlich  schein- 
bar in  der  Nachbarschaft  junger  Eier,  und  erreichen  nicht  selten  einen 
Durchmesser  von  25/<,  bisweilen  sogar  von  38 /<  (Fig.  2).  Sie  setzen 
sich  aus  feinen,  unmeßbar  kleinen  Körnchen  zusammen  und  zeigen 
früh  bläschenförmige  Einlagerungen  (Fig.  2,  3,  6).  Diese  Bläschen,  die 
sich  mit  Eosin  gleichmäßig  blaß  rosa  färben  und  homogen  sind,  treten 
entweder  in  großer  Menge  auf  und  sind  dann  ganz  klein,  oder  man 
findet  eine  geringe  Anzahl  etwas  größerer  im  Ballen  verstreut,  in  andern 
Fällen  wieder  nur  eins  oder  wenige,  die  dann  einen  großen  Teil  der 
Dotterkugel  ausfüllen  können,  so  daß  zuweilen  nur  ein  schmaler  Rand 
für  die  Dotterkörnchen  übrig  bleibt.  In  letzterem  Falle  pflegen  die 
Bläschen  an  einer  Seite  hart  an  der  Peripherie  des  Ballens  zu  liegen. 


1  Solche  große  Dotterballen,  wie  sie  Montgomeby  jun.  [60]  für  Amphi- 
porus  glutinosus,  Prostoma  catenulatum  und  einige  andre  Nemertinen  beschreibt, 
treten  innerhalb  des  Malacobdelleneies  nicht  auf.  Woher  die  Dotterkörnchen 
ihien  Ursprung  nehmen,  vermag  ich  ebensowenig  anzugeben  wie  Montgomery  jun. 


692  Gustaf  Gering, 

(Ganz  ebenso  strukturierte  Dotterballen  fand  Montgomery  jun.  [60] 
in  den  Eiern  von  Prostoma  catenulatum,  Amphiporus  glutinosus  und 
Polydora.)  Diese  Dotterballen  werden  meist  in  enormer  Menge  pro- 
duziert, liegen  oft  Zu  mehreren  von  verschiedener  Größe  in  einer  Zelle 
und  können  hier  zu  gröi3eren  verschmelzen.  Sie  zeigen  stets  eine  kugelige 
Form,  die  nur  durch  die  Zellwände  bisweilen  beeinträchtigt  wird,  und 
drängen,  falls  sie  sehr  groß  werden,  den  Kern  dicht  an  die  Wand  der 
Zelle. 

Mit  den  Dotterballen  ist  aber  der  Inhalt  dieser  Gonadenzellen 
meist  noch  nicht  erschöpft.  Man  findet  vielmehr  häufig  noch  andre 
CJebilde,  die  unbeeinflußt  durch  die  angewandten  Tinktionsmittel 
(vgl.  S.  694)  stets  bernsteinfarbig  sind.  Eine  einzige  Zelle  kann  einen 
oder  mehrere  derartige  Körper  enthalten  (Fig.  2,  4 — 7).  Sie  sind  meist 
unregelmäßig  kugelig,  doch  kommen  zuweilen  auch  andre  Formen 
vor,  und  sind  aus  stark  lichtbrechenden  Körnern  verschiedener  Größe 
und  Form  zusammengesetzt.  Daß  diese  Gebilde  Kunstprodukte  seien, 
ist  schon  deshalb  ausgeschlossen,  weil  ich  sie  in  den  verschiedenst 
fixierten  und  gefärbten  Präparaten  regelmäßig  beobachtete  luid  nur 
in  den  Gonaden  in  solcher  Menge  auftreten  sah.  Ahnliche  Körper  scheint 
auch  Montgomery  jun.  [52]  bei  Prostoma  eilhardi  beobachtet  zu  haben. 
Leider  schreibt  er  darüber  nur:  >>ln  den  Gonaden  kommen  auf  allen 
diesen  Stadien  häufig  körnige,  unfärbbare,  gelbliche  Einschlüsse  vor, 
die  auch  im  Körperparenchym,  Gehirn,  Rhynchocöloni  und  den  Blut- 
gefäßen zu  finden  sind;  sie  sollen  in  einem  späteren  Kapitel  behandelt 
werden«^.  Diese  kurze  Notiz  enthält  nichts,  was  einer  Identifizierung 
der  von  Montgomery  jun.  und  mir  beobachteten  Gebilde  im  Wege 
stände.  Anders  verhält  es  sich  mit  den  "glycerine  cells",  die  Coe  [42] 
beschreibt.  Diese  sind  nämlich  stark  färbbar,  meine  bernsteinfarbigen 
Einschlüsse  aber  nicht,  außerdem  liegen  erstere  (nach  Coes  Fig.  65) 
frei  im  Lumen  des  Ovars,  letztere  unzweifelhaft  innerhalb  der  Zellen. 
Über  den  Ursprung  und  die  Schicksale  dieser  Zelleinschlüsse  (es  sind 
nicht  Zoochlorellen)  vermag  ich  keine  bestimmten  Angaben  zu  machen, 
eine  Funktion  wie  die  "glycerine  cells"  haben  sie  zweifellos  nicht,  da 
ich  niemals  etwas  beobachtete,  das  auf  das  Vorhandensein  einer  das 
Lumen  der  Gonade  ausfüllenden  Flüssigkeit^,  wie  sie  Salensky  [53] 


1  Ich  habe  in  der  zitierten  Arbeit  und  verschiedenen  andern  desselben  Autors 
vergebHch  nach  weiteren  Angaben  über  diese  Gebilde  gesucht  und  fand  auch 
keine  diesbezügliche  Abbildiing. 

-  Nach  Bürger  [35]  soll  eine  solche  Flüssigkeit  allgciuein  den  Xenierlincn 
xukonuuen. 


Beiträge  zur  Kfimtnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  693 

für  Prosorhochmus  beschreibt,  oder  Gelatine,  wie  sie  Coe  für  Cerebra- 
tulus  angibt,  schließen  ließe. 

Kehre  ich  nun  zu  den  Eizellen  zurück,  so  muß  ich  oleich  bemerken, 
daß  ihre  weitere  Entwicklung  ,sich  jetzt  nicht  mehr  trennen  läßt  von 
den  .soeben  beschriebenen  Gonadenzellen,  denn  diese  treten  zu  den 
Eizellen  in  eine  Beziehung,  die  es  nötig  macht,  sie  als  Nährzelleu  zu 
bezeichnen.  Haben  nämlich  die  Eier  den  sie  umgebenden  Zellbelag 
durchbrochen  und  ragen  sie  dann  als  gestielte  Birnen  frei  in  das  Lumen 
des  Ovars,  so  bemerkt  man,  wie  sich  die  der  Stielbasis  benachbarten 
Zellen  strecken,  schlank  werden  und  sich  am  »Stiel  des  Eies  in  die  Höhe 
ziehen  (Fig.  4 — 7).  Ihr  Kern  rückt  dabei  meist  in  den  oberen  Teil  der 
Zelle.  Die  dem  Eistiel  anliegenden  Zellwände  werden  dann  aufgelöst, 
und  der  Inhalt  der  Nährzellen  fließt  in  das  Ei  über  (Fig.  5—8).  In 
seltenen  Fällen  scheinen  direkt  Dotterkugeln  in  den  Stiel  des  Eies 
einzudringen,  in  der  Regel  aber  lösen  sie  sich  auf,  und  die  so  entstehende 
feinkörnige  Deutoplasmamasse  wird  dem  Ei  zugeführt.  Der  Zeitpunkt 
der  Aufnahme  dieses  Dotters  ist  für  die  einzelnen  Eier  verschieden 
und  hängt  von  der  Ausbildung  und  Lage  der  Nährzellen  ab.  Während 
dieses  ganzen  Vorganges  macht  sich  die  verschiedene  chemische  Be- 
schaffenheit des  innerhalb  der  Eizelle  gebildeten  Dotters  und  des  von 
den  Nährzellen  stammenden  in  augenfälliger  Weise  bemerkbar  imd 
ist  auch  in  späteren  Stadien,  wenn  das  Ei  schon  am  Ende  seines  AVachs- 
tums  ist,  ja  bisweilen  noch  an  losgelösten  Eiern  sichtbar.  Es  lassen 
sich  nämlich  an  einer  größeren  Eibirne  drei  Bezirke  unterscheiden, 
die  sich  vor  allem  durch  ihr  Verhalten  zu  verschiedenen  Farbstoffen 
scharf  gegeneinander  absetzen.  Der  erste  Bezirk  ist  der  des  von  der 
Eizelle  produzierten  Dotters.  Er  bildet  eine  Kappe  von  verschiedener 
Mächtigkeit  am  bauchigen  Teil  der  Birne  und  kann  sich  zuweilen  als 
ein  düimer  Mantel  noch  ein  Stück  nach  dem  Stiel  zu  hinabziehen.  Der 
zweite  Bezirk  ist  der  des  von  den  Nährzellen  gelieferten  Dotters.  Dieser 
Bezirk  umgibt  das  Keimbläschen,  dessen  Kontur  wiederholend,  sich 
also  in  den  ersten  Bezirk  nach  oben  vorwölbend,  und  füllt  nach  unten 
zu  einen  großen  Teil  des  Eistieles  aus.  Nur  der  centrale  Teil  des  Stieles 
bleibt  frei  und  eine  sich  daran  anschließende  Zone,  die  am  besten  als 
ein  Trichter  bezeichnet  werden  kann,  auf  dessen  oberer  weiter  Öffnung 
das  Keimbläschen  aufsitzt.  Dieser  Trichter  und  das  centrale  Rohr  des 
Stieles  bilden  den  dritten  Bezirk  (Fig.  8 — 11).  Auf  diesen  dritten  Be- 
zirk komme  ich  weiter  unten  zu  sprechen.  Eidotter  und  Nährzellen- 
dotter unterscheiden  sich,  wie  eben  bemerkt,  in  verschiedener  Hinsicht. 
Ihr  Verhalten  zu  Farbstoffen  zeigt  am  besten  die  folgende  Tabelle: 


694 


Gustaf  Gering, 


Angewandte  Färbung 

Farbe  des  Eidotters 

Farbe  des  Nährzellendotters 

Hämatein-Eosin 

blau\'iolett 

blaurot 

Hämatein-Fuchsin  säure 

blau 

rotviolett 

Alaunkarmin-Eosin 

blaßkirschrot 

orange 

Boraxkarmin  -  Pikrinsäure 

kräftig  rosa 

blaß  orange 

Hämatein-Boraxkarmin 

blauviolett 

rotviolett 

Hämatein-  Pikrinsäure 

violett 

dunkelgelb  bis  urangeviolett 

Hämatein-Pikrinsäure-Fuclisinsäure 

violett 

hellrotviolett 

Bleu  de  Lyon-Boraxkarmin 

karminrot 

blau grau 

Diese  Zusammenstelhmo;  zeigt  deutlich,  daß  der  Eidotter  vor- 
nehmlich durch  Kernfarbstoffe  imbibiert  wird,  während  der  Nähr- 
zellendotter Plasmafarbstoffe  bevorzugt  i.  Ein  weiterer  Unterschied 
ist  der,  daß  der  aus  den  Nährzellen  stammende  Dotter  etwas  feiner 
gekörnelt  ist  und  meist,  wie  die  Dotterballen,  aus  denen  er  hervorgeht, 
zahlreiche  Bläschen  von  verschiedener  Größe  enthält.  Bisweilen  sieht 
man  noch  im  Stiel  eines  Eies  eine  der  großen  Blasen,  wie  sie  oben  für 
die  Dotterballen  beschrieben  wurden  (Fig.  4).  Ob  die  bernsteinfarbigen 
Einschlüsse  gleichfalls  dem  Ei  als  Nahrungsbestandteile  zugeführt 
werden,  vermag  ich  nicht  mit  Sicherheit  anzugeben.  Ich  habe  in  den 
Eiern  niemals  etwas  gefunden,  das  diesen  Gebilden  ähnlich  sähe.  Nach 
der  ganzen  Art,  wie  sich  der  Prozeß  der  Aufnahme  des  Nährzellen- 
dotters abspielt,  ist  aber  wohl  anzunehmen,  daß  die  bernsteinfarbigen 
Einschlüsse  —  vermutlich  in  aufgelöstem  Zustande  —  gleichfalls  ins 
Ei  gelangen.  Das  gleiche  glaube  ich  für  die  Kerne  der  Nährzellen 
annehmen  zu  müssen,  denn  zuweilen  haben  sie  eine  gestreckte  und 
etwas  unregelmäßige  Form  angenommen  und  scheinen  auch  wohl  ein- 
mal etwas  gequollen  zu  sein  (Fig.  7).  Besonders  aber  scheint  mir  der 
Umstand  dafür  zu  sprechen,  daß  man  später  an  dem  aus  den  ausge- 
sogenen Nährzellen  (wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf)  zusammen- 
gesetzten Stiel  keine  Kerne  mehr  wahrnehmen  kann  2.  Wenn  nämlich 
aller  Dotter  aus  den  Nährzellen  in  das  Ei  aufgenommen  ist,  tritt  ge- 
wissermaßen ein  Kollabieren  ihrer  äußeren  Zellwände  ein;  man  kann 
diesen  Vorgang  wohl  am  besten  mit  dem  Zuziehen  eines  an  der  Öffnung 
init  Zugschnüren  versehenen  Beutels  vergleichen,  das  Ei  stellt  dann 
also  einen  solchen  an  der  Mündung  eingezogenen  Beutel  dar,  dessen 

1  Daß  V.  Kennel  diese  Verschiedenheit  im  Dotter  der  Eibirnen  nicht  be- 
obachtet hat,  erklärt  sich  wohl  daraus,  daß  er  keine  Doppelfärbungen  angewandt 
zu  haben  scheint. 

3  Bei  Geonemertes  agricola  soll  nach  Coe  [4.3]  gleichfalls  auch  der  Kern  der 
Dotterzellen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ins  Ei  aufgenommen  werden. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.)-  695 

Falten  die  äußeren  Wände  der  Nährzellen  sind.  Hat  das  Ei  solcher- 
weise seine  definitive  Größe  erlangt,  so  reißt  der  Stiel  an  der  dünnsten 
Stelle  durch  und  das  Ei  liegt  frei  im  Lumen  des  Ovars. 

Ich  muß  jetzt  noch  auf  den  oben  erwähnten  dritten  Bezirk  in  der 
Eibirne  eingehen.  Wenn,  wie  eben  geschildert,  den  Eistiel  ein  dichter 
Mantel  von  Nährzellen  umgibt,  die  fortschreitend  ihren  Inhalt  an  das 
Ei  abgeben  und  selber  zum  Aufbau  des  Stieles  verwandt  werden,  bleibt 
stets  der  ursprüngliche  Eistiel  zwar  nicht  als  ein  festwandiger  Schlauch, 
wohl  aber  als  ein  Rohr  erhalten  (Fig.  7 — 11).  Dieser  Teil  des  Eies  hebt 
sich  dadurch  von  dem  zweiten  Bezirk  ab,  daß  sein  Inhalt  in  der  Regel 
aus  etwas  gröberen  Körnern  besteht,  die  viel  lockerer  und  in  unregel- 
mäßig gestalteten  Haufen  gelagert  sind.  Außerdem  unterscheiden  sich 
diese  Körner  durch  ihr  Verhalten  zu  Farbstoffen  von  dem  sie  um- 
schließenden Rohr  von  Nährzellendotter.  Während  letzterer  nämlich 
z.  B.  bei  Hämatein-Eoainfärbung  blaurot  erscheint,  haben  die  Körner 
des  dritten  Bezirkes  einen  mehr  bläulichen  Ton  angenommen,  der 
aber  nicht  so  ausgesprochen  blauviolett  ist,  wie  der  des  Eidotters. 
Nicht  allzu  selten  sind  die  Körnchen  dieses  dritten  Bezirkes  strecken- 
weise in  Reihen  angeordnet,  und  zuweilen  kann  man  diese  Reihen  bis 
zu  der  parenchymatösen  Gonadenumhüllung  verfolgen.  Aus  allem 
diesen  glaube  ich  sf^hließen  zu  dürfen,  daß  das  Ei  auch  von  hier  aus 
Nahrungsbestandteile  empfängt.  Dieser  Annahme  scheint  mir  auch 
die  auffällige  Lage  des  Keimbläschens  in  der  jungen  Eibirne  günstig 
zu  sein.  Das  Keimbläschen  liegt  nämlich  für  gewöhnlich  nicht  in  dem 
weitesten  Teil  der  Birne,  wie  man  vermuten  sollte,  sondern  an  der 
Stelle,  wo  der  Birnenkörper  in  den  Stiel  übergeht.  Von  hier  aus  kann 
offenbar  das  Keimbläschen  am  besten  die  Aufnahme  von  Dotter  be- 
herrschen und  Nahrungsteile  heranziehen  i.  Ich  möchte  es  nicht  ver- 
säumen noch  auf  seltsame  Gebilde  hinzuweisen,  die  ich  mir  allerdings 
nicht  recht  zu  erklären  vermag.  Ich  fand  sie  am  häufigsten,  wenn 
auch  natürlich  nicht  regelmäßig,  im  dritten  Bezirk  unterhalb  des 
Keimbläschens  (Fig.  8),  zuweilen  auch  an  andrer  Stelle  im  peripheren 
Dotter,  auch  bei  schon  losgelösten  Eiern.  Diese  Gebilde  stellen  kleine 
Bläschen  von  verschiedener  Größe  dar.  Ihr  Inhalt,  der  bisweilen 
nicht  das  ganze  Bläschen  ausfüllt,  was  ich  für  ein  Fixierungsprodukt 
halte,  ist  entweder  gekörnelt  oder  mehr  homogen  und  dann  zuweilen 
nur  schwach  tingiert.  In  ersterem  Falle  machen  sie  mehr  den  Eindruck 
von   Dottersubstanz   von   besonderer   chemischer   Beschaffenheit,    im 


1  Eine   gleiche    Erscheinung    tritt    ntich  Korschelt  [59]  bei  Cölenteraten 
und  nach  Ü.   und  R.  Hektwic;  [58]  bei  Actinien  auf. 


696  Gustaf  Gering, 

letzteren  ist  man  geneigt,  den  Inhalt  als  gallertig  oder  flüssig  anzu- 
sehen. Stets  aber  findet  man  Stadien,  die  eine  allmähliche  Auflösung 
dieser  Gebilde  in  den  Dotter  erkennen  lassen  (Fig.  8). 

Sind  die  Eier  durch  Zerreißen  des  Stieles  frei  geworden,  zuweilen 
allerdings  auch  schon  vorher,  so  verdickt  sich  die  Zellwand  des  Eies^ 
zu  einer  immer  stärker  werdenden  Membran  (Fig.  11).  Dieser  Prozeß 
schreitet  vom  bauchigen  Teil  nach  dem  Stiel  zu  fort,  und  hier  bleibt 
schließlich  eine  runde  Stelle  frei,  die  Micropyle.  Selbstverständlich 
rundet  sich  das  anfangs  an  einer  Seite  zugespitzte  Ei  im  Verlaufe  dieses 
Vorganges  mehr  und  mehr  ab,  bis  das  ablagereife  Ei  eine  gleichmäßige 
Kugelform  hat. 

Eine  überaus  willkommene  Stütze  und  Parallele  für  meine  Be- 
obachtungen über  die  Aufnahme  von  Dotter  durch  die  Nährzellen  und 
von  andrer  Einahrung  durch  den  Stiel  fand  ich  kurz  vor  dem  Abschluß 
meiner  Untersuchungen  in  einer  Arbeit  von  Stauffacher  [G3],  der  die 
Eibildung  bei  Cyclas  Cornea  studierte.  Seine  Bilder  zeigen,  natürlich 
mutatis  mutandis,  die  gleiche  Art  der  Eiernährung.  Auch  bei  Cyclas 
strecken  sich  Nährzellen  am  Stiel  des  Eies  in  die  Höhe  und  geben 
ihren  Inhalt  an  das  Ei  ab,  auch  bei  Cyclas  tritt  unterhalb  des  Keim- 
bläschens, das  gleichfalls  in  früheren  Stadien  an  der  Mündung  des 
Stieles  liegt 2,  eine  »fädige«  Struktur  auf.  Auch  die  Eimembran-  und 
Micro pylenbildung  zeigt  auffallende  Älmlichkeit  mit  den  Verhältnissen, 
wie  ich  sie  bei  Malacobdella  fand.  Allerdings  sollen  bei  Cyclas  die  Kerne 
der  Nährzellen  nicht  mit  in  das  Ei  gelangen,  und  die  Membranbildung 
beginnt  schon,  sobald  das  Ei  die  Gonadenepithelzellen  durchbrochen 
hat  und  nur  mit  einem  geringen  Teil  seiner  Oberfläche  frei  ins  Lumen 
der  Gonade  vorragt.  Bemerken  möchte  ich  noch,  daß  nach  Stauf- 
FACHERs  Abbildungen  die  Verhältnisse  bei  Cyclas  viel  klarer  und 
deutlicher  sind,  während  bei  Malacobdella  die  Untersuchungen  durch 
die  Masse  der  gleichzeitig  gebildeten  Geschlechtsprodukte,  durch 
den  Zellreichtum  der  Gonaden,  durch  das  massenhafte  Auftreten  von 
Dotterballen  und  andres  bedeutend  erschwert  sind,  so  daß  mir  Stauf- 
FACHERs  Abbildungen  fast  wie  Schemata  erschienen. 

Vergleiche  ich  die  Dotterbildung,  wie  ich  sie  oben  für  Malacobdella 
beschrieben  habe,  mit  der  Bildung  des  Dotters,  wie  sie  bei  andern  Nemer- 
tinen  nach  den  Untersuchungen  von  Böhmig  [40],  Child  [41],  Coe  [42, 43] 

1  V.  Kennel  bezeichnet  die  Eibirnen  irrtümlicherweise  als  völlig  mem- 
branlos. 

2  Ein  gleiches  berichtet  C.  B.  Wilson  [54]  für  das  Ovarialei  von  Cere- 
bratulus  lacteus. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  groaaa  (Müll.).  697 

und  MoNTGOMERY  juii.  [52  und  60]  vor  sich  geht,  so  läßt  sich  folgendes 
sagen :  Bei  Prostoma  graecense,  Geonemertes  chalicophora  und  G.  agricola 
wird  außer  in  der  Eizelle  noch  von  besonderen  Dotterzellen  Deutoplasnia 
gebildet  1.  Diesen  Dotterzellen  wären  die  Nährzellen  von  Malacobdella 
wohl  funktionell,  aber  keinesfalls  morphologisch  gleich  zu  setzen;  letztere 
werden  ja  gleichfalls  auch  zur  Bildung  des  Gonadenepithels  verwandt. 
In  letzterem  Punkte  besteht  aber  der  große  Unterschied,  daß  bei  den 
erstgenannten  Nemertinen  schon  früh  ein  Teil  der  indifferenten  Zellen 
zu  flachen  Epithelzellen  wird  und  damit  für  irgend  eine  weitere  Ver- 
wendung nicht  mehr  in  Betracht  kommt,  während  bei  Malacobdella 
alle  Zellen,  soweit  sie  nicht  zu  Eizellen  werden,  Dotter  produzieren, 
und  erst  wenn  die  Eibildung  sistiert,  bilden  die  nicht  als  Nährzellen 
verbrauchten  Zellen  ein  flaches  Epithel  an  der  Innenwand  der  Gonade. 
Bei  andern  Nemertinen  muß  die  Eizelle  allen  Dotter  selbst  produzieren, 
und  sie  tut  dies,  indem  sie  entweder  zunächst  Dotterballen  von  ver- 
schiedener, zum  Teil  recht  beträchtlicher  Größe  bildet,  die  dann  in  die 
definitiven  Dotterkörnchen  zerfallen  (dies  hat  statt  bei  Prostoma  eil- 
Jiardi,  Arnfhiforus  glutinosus,  Prostoma,  catenulatum.  und  Lineas  ruber), 
oder  es  treten  gleich  die  Dotterkörnchen  auf  {Prostoma  elegans  und 
Zygonemertes  virescens).  Bei  Prostoma  asensoriatum  werden  innerhalb 
des  Eies  Dotterkugeln  gebildet  und  außerdem  noch  im  Protoplasma 
um  den  Stiel  herum.  Wahrscheinlich  liegen  die  Verhältnisse  hier  ähn- 
lich wie  bei  P.  graecense  und  P.  eilhardi,  doch  läßt  sich  dies  aus  dem 
kurzen  Aufsatz  Childs  nicht  entnehmen.  Bei  Cerebratulus  lacteus 
schließlich  sollen  Dotterballen,  deren  Struktur  den  von  mir  bei  Mala- 
cobdella gefundenen  auffallend  ähnelt,  im  Lumen  der  Gonade  verstreut 
liegen  und  mit  zvmehmendem  Wachstum  der  Eier  schwinden.  Über 
die  Herkunft  dieser  Dotterballen  sagt  Coe  leider  nichts,  man  darf 
aber  wohl  annehmen,  daß  sie  Produkte  der  Gonadenepithelzellen  sind. 
Die  Beobachtung,  daß  die  Zahl  der  Dotterballen  im  gleichen  Verhältnis 
abnimmt  wie  die  Eier  reifen,  läßt  sich  bei  Malacobdella  nicht  so  leicht 
machen,  da  hier  die  Bildung  und  das  Heranwachsen  von  Eiern  sich 
auf  eine  sehr  lange  Zeitspanne  erstreckt.  Trifft  man  aber  einmal  ein 
Ovarium,  in  dessen  Lumen  nur  reife  Eier  liegen  und  an  dessen  Wand 
keine  mehr  in  Bildung  sind,  so  bemerkt  man,  daß  hier  die  Gonaden- 
zellen  keinen  Dotter   mehr  produzieren,  sondern  sich  als  ein  flaches. 


1  Daß  Dotter  außerhalb  des  Eies  gebildet  und  diesem  dann  zugeführt  wird, 
ist  ja  eine  häufig  beobachtete  Erscheinung;  ich  erinnere  nur  an  die  Verhältnisse, 
wie  sie  bei  Insekten  vorliegen.  Auch  für  Lijnulus  glaubt  Munson  [61]  einen 
extraovalen  Ursprung  eines  Teiles  des  Dotters  annehmen  zu  müssen. 


698  Gustaf  Gering, 

einschichtiges  Epithel  der  Gonadenwand  angelegt  haben,  wie  es  v.  Ken- 
NEL  in  seiner  Fig.  4  auf  Taf .  XVIII  richtig  zeichnet. 

Das  befruchtungsfähige,  abgelegte  Ei  von  Malacohdella  grossa  hat, 
wenn  es  einige  Zeit  im  Wasser  gelegen  hat,  meist  die  sehr  regelmäßige 
Form  einer  Kugel  von  400 — 500  u  Durchmesser.  Diese  Kugel  setzt  sich 
zusammen  aus  einer  ungefähr  1,7  //  dicken  äußeren  Membran,  der 
Eihaut,  aus  einer  von  ihr  aus  nach  innen  folgenden  Schicht  von  etwa 
80  fi  Mächtigkeit,  die  sich  als  eine  eiweißhaltige  Flüssigkeit  repräsentiert, 
diese  wird  nach  innen  begrenzt  von  der  Dotterhaut,  einem  dünnen  Ge- 
bilde von  etwa  0,8  /<  Mächtigkeit,  das  sich  nur  zu  gewissen  Zeiten  von 
der  in  ihm  liegenden  Dotterkugel  ein  wenig  abhebt,  welch  letztere,  eine 
Kugel  von  etwa  320  /v  Durchmesser,  stets  mehr  oder  weniger  peripher 
das  kugelige  Keimbläschen  von  etwa  65  u  Durchmesser  birgt.  In 
der  Eihaut  ist  bei  günstiger  Beleuchtung  stets  eine  runde,  ziemlich 
große  Öffnung  von  42 — 57  //  Durchmesser  wahrnehmbar,  die  Micropyle, 
deren  Vorhandensein  Hoffmann  [28]  sonderbarerweise  in  Abrede  stellt 
(Fig.  13).  Besonders  deutlich  trat  diese  Öffnung  bei  Eiern  hervor, 
die  schon  mit  Sperma tozoen  gemischt  waren  und  einige  Zeit  im  Wasser 
gelegen  hatten.  Es  hatten  sich  dann  nämlich  die  Spermatozoon  be- 
sonders zahlreich  am  Rande  der  Micropyle  angesammelt  und  bildeten 
solchermaßen  einen  Ring  dunkler  Körnchen,  der  die  helle  Öffnung 
besonders  stark  hervortreten  ließ  (Fig.  12).  Die  Ränder  der  Micropyle 
sind  weder  verdickt,  wie  es  Stauffacher  [63]  für  Cyclas  beschreibt, 
noch  röhrenförmig  nach  außen  ausgezogen  und  etwas  umgebogen,  wie 
es  Lebedinsky  [49]  bei  dem  Ei  einer  einzigen  der  von  ihm  untersuchten 
Metanemertinen  beobachtete.  Leider  gibt  dieser  Autor  den  Namen 
der  betreffenden  Nemertine  nicht  an. 

b.  Die  männlichen  Gesehlechtsprodukte. 

Über  die  Entwicklung  der  männlichen  Geschlechtsprodukte  vermag 
ich  leider  keine  auch  nur  annähernd  dem  heutigen  Standpunkt  unsrer 
Kenntnis  von  der  Spermatogenese  gerecht  werdende  Darstellung  zu 
geben.  Es  reichten  dazu  weder  meine  für  andre  Zwecke  hergestellten 
Präparate  noch  die  mir  zu  Gebote  stehenden  optischen  Hilfsmittel  aus. 
Ich  mußte  mich  deshalb  darauf  beschränken,  die  Angaben  v.  Kennels 
auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen. 

Ich  gewann  hierbei  den  Eindruck,  daß  die  Spermatogenese  etwas 
anders  verläuft,  als  sie  der  genannte  Autor  schildert.  Die  erste  Um- 
wandlung macht  sich  an  den  Kernen  der  jungen  Gonade  in  der  Weise 
geltend,   daß  die  im  Chromatinnetz   suspendierten  Chromatinbrocken 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  699 

an  Masse  stark  zunehmen  und  geradezu  eine  Konzentration  der  chro- 
matischen Substanz  in  diesen  Brocken  stattfindet.  Die  Zelle  scheint 
dann  in  eine  der  Zahl  der  Chromatinbrocken  entsprechende  Anzahl 
Teile  zu  zerfallen,  wobei  jeder  Teil  von  einem  Plasmahof  umgeben  ist. 
Diese  Teilungsprodukte  zerfallen  dann  rasch  noch  einmal  in  entsprechend 
kleinere  Stücke,  die  nicht  viel  Plasma  mehr  erkennen  lassen,  und  diese 
Stücke  wandeln  sich  dann  in  die  Spermatozoen  um.  Ein  Stadium, 
wie  es  v.  Kennel  in  Fig.  9  b  abbildet  i,  habe  ich  nie  beobachtet.  Das 
entsprechende  Stadium  zeichnet  sich  vielmehr  durch  große,  dunkel 
tingierte  Chromatinbrocken  aus,  die  durch  breite  Plasmastreifen  von- 
einander getrennt  sind.  Die  kugelige  Form  des  ganzen  Gebildes  tritt 
hauptsächlich  durch  die  Lagerung  der  Chromatinbrocken  hervor,  die 
meist  nach  außen  zu  mehr  abgerundet,  nach  dem  Mittelpunkt  der 
Kugel  zu  mehr  zugespitzt  sind.  Die  Zahl  der  in  einer  solchen  Kugel 
enthaltenen  Chromatinstücke  ist  sehr  verschieden,  ob  dies  aber  von 
irgendwelcher  Bedeutung  für  den  ganzen  Entwicklungsprozeß  ist,  ver- 
mag ich  nicht  anzugeben.  Das  ausgebildete  Spermatozoon  ist  weder 
von  V.  Kennel  noch  von  Hoffmann  [28]  richtig  dargestellt,  und  auch 
die  aus  ihren  Abbildungen  gewonnenen  Maße  stimmen  nicht  genau. 
Erst  Ketzius  [38a]  gelang  es,  eine  richtige,  von  vorzüglichen  Abbil- 
dungen begleitete  Beschreibung  der  Spermatozoen  von  Malacobdella 
zu  geben.  Nach  seinen  in  4500facher  Vergrößerung  dargestellten 
Bildern  ist  das  ganze  Spermatozoon  60  /<  lang,  der  Kopf  allein  7,7  ,«  bei 
einer  mittleren  Breite  von  0,67  f^i.  Der  Kopf  ist  demnach  sehr  schlank, 
fast  cylindrisch  und  mit  einem  »kurz  tutenförmigen  Perfora torium << 
versehen.  Das  hintere  Drittel  oder  etwas  mehr  ist  mit  einer  »  dünnen, 
feinkörnigen  Hülle«  bekleidet,  die  Ketzius  mit  den  bei  Polychäten,  Mol- 
lusken, Echinodermen  und  auch  einigen  Nemertinen  von  ihm  gefun- 
denen Körnergruppen  (»Nebenkernorgan«)  homologisiert.  Der  Schwanz 
hat  ein  >>  deutlich  abgesetztes  Endstück  von  etwa  der  halben  Länge  des 
Kopfes«.  Am  Ansatz  des  Schwanzes  einen  Centralkörper  nachzuweisen 
gelang  mir  nicht,  und  auch  Eetzius  konnte  trotz  Anwendung  sehr 
starker  Vergrößerungen  seine  Existenz  nicht  mit  Sicherheit  feststellen. 

Vi.  Embryologie. 
a.  Besprechung  der  Literatur. 

Bei  den  Nemertinen  treten  bekanntlich  drei  Typen  der  Entwick- 
lung auf,  die  durch  das  Pilidium,  die  durch  die  Desorsche  Larve  und 

1  V.  Kennel  hatte  das  betreffende  Präparat  durch  Macerierung  mit  Essig- 
säure erhalten! 


700  Gustav  Gering, 

endlich  die  direkte  Entwicklung.  Um  über  die  systematische  Stellung 
der  Nemertinen  Klarheit  zu  schaffen,  sind  diese  drei  Typen  von  den 
verschiedensten  Forschern  untersucht  worden,  denen  es  meist  auf  die 
Hauptzüge,  die  Entwicklung  der  Keimblätter  —  vor  allem  des  Meso- 
derms  —  und  der  Organe  ankam.  Da  ich  in  dieser  Abhandlung  die 
Entwicklung  des  Eies  von  Malacohdella  nur  bis  zur  Bildung  der  ersten 
Furche  darstellen  will,  kann  ich  die  Mehrzahl  der  über  die  Embryologie 
der  Nemertinen  vorliegenden  Arbeiten  unberücksichtigt  lassen  oder 
brauche  sie  nur  dort  anzuziehen,  wo  von  den  Beobachtungen  am  lebenden 
Material  die  Rede  ist.  Eine  eingehende,  auf  Schnittserien  gestützte 
Beschreibung  der  Reifungs-  und  Befruchtungsvorgänge  imd  der  ersten 
Furchungsstadien  des  Nemertineneies  geben  nur  wenige  Autoren,  und 
von  diesen  kommen  natürlich  nur  die  in  Betracht,  die  ovipare  Arten 
untersuchten.  Es  sind  dies  Coe  [42]  {Cerebratulus  marginatus,  C.  leidyi, 
Micrura  caeca),  Kostanecki  [46]  [Cerebratulus  marginatus),  Lebe- 
DiNSKY  [47,  48,  49]  {Prostoma  vermiculus,  Drefanophorus  spectahilis), 
C.  B.  Wilson  [54]  {Cerebratulus  lacteus).  Es  muß  aber  bemerkt  werden, 
daß  die  Arbeiten  der  beiden  letztgenannten  Autoren  die  in  Rede  stehen- 
den Vorgänge  nur  in  großen  Zügen  darlegen,  so  daß  ich  in  bezug  auf 
Einzelheiten  ganz  auf  die  Arbeiten  von  Coe  und  Kostanecki  an- 
gewiesen bin.  Die  Ergebnisse  dieser  beiden  Forscher  hier  darzulegen, 
muß  ich  mir  versagen,  da  ich  dabei  zu  sehr  ins  Detail  gehen  müßte. 
Ich  werde  deshalb  am  Schlüsse  meiner  Darlegungen  einen  kurzen  Ver- 
gleich zwischen  dem  Ei  von  Cerebratulus  imd  dem  von  Malacobdella 
ziehen. 

b.  Die  Zeit  der  Geschlechtsreife. 

Über  die  Zeit  der  Geschlechtsreife  von  Malacobdella  grossa  finde 
ich  nur  bei  Hotfmann  [28]  die  Angabe,  daß  seine  Nordseeexemplare 
»von  November  (vielleicht  noch  früher)  bis  März<<  geschlechtsreif  waren, 
und  bei  Riches  [33]  die  Notiz  » in  the  autumn  many  ripe  f emales  were 
found,  which  subsequently  laid  unfertilized  eggs«.  (Sonderbarerweise 
fügt  Riches  hinzu  »but  no  ripe  males  have  been  seen«.)  Wenn  mein 
Material  auch  nicht  aus  der  Nord-,  sondern  aus  der  Ostsee  stammt, 
so  glaube  ich  doch,  Hoffmanns  Behauptung  anzweifeln  zu  müssen. 
Nach  der  Tabelle,  die  Bürger  [37]  gibt,  fällt  die  Geschlechtsreife  der 
Nemertinen  in  der  Nordsee  und  im  Kanal  mit  wenigen  Ausnahmen  in  die 
Monate  März — Oktober,  in  seltenen  Fällen  beginnt  sie  schon  im  Januar, 
und  nur  Micrura  fasciolata  (Ehrbg.)  ist  nach  McIntosh  und  Riches 
von    Oktober — Dezember     oeschlechtsreif.      Wäre    also    die    Angabe 


Beiträge  zur  Komitnis  vdii  MalacohdoUa  grossa  (Müll.).  701 

Hoffmanns  richtig,  so  wüvde  MalacobdeUa  eine  Sonderstellung  einnehmen. 
Dies  ist  aber  unwahrscheinlich,  da  diese  Nemertine  kein  Parasit  ist, 
wie  es  neuerdings  noch  wieder  von  Joubin  [34,  36]  behauptet  wird, 
sondern  als  »Commensale«  von  Cyfrina  (schon  v.  Kennel  [29]  hat 
dies  richtig  erkannt)  dem  Wechsel  der  Jahreszeiten  ebenso  wie  jedes 
freilebende  Tier  unterworfen  ist.  Abgesehen  von  diesen  mehr  theo- 
retischen Betrachtungen  führen  mich  aber  auch  meine  eignen  Beob- 
achtungen zu  der  Überzeugung,  daß  die  Angabe  Hoffmanns  nicht  zu 
Recht  besteht. 

Allerdings  gelang  es  mir  nur  einmal,  die  Ablage  der  Geschlechts- 
produkte genau  in  der  Weise,  wie  sie  in  der  freien  Natur  vor  sich  geht,  zu 
beobachten.  Ich  hatte  gerade  frisches  Cyprinenmaterial  erhalten  und 
setzte  einige  recht  große  Muscheln  in  ein  besonderes  Aquarium.  Am 
folgenden  Tage  fand  ich  auf  dem  Boden  des  Glashafens  eine  große 
Menge  von  Malacobdelleneiern,  die  bereits  befruchtet  waren  und  sich 
in  den  ersten  Furchungsstadien  befanden.  Die  Geschlechtsprodukte 
waren  also  von  den  männlichen  und  weiblichen  Nemertinen,  welche 
die  verschiedenen  Muscheln  beherbergten,  abgelegt  und  mit  dem  Wasser- 
strom ins  Freie  gelangt.  Dies  fand  im  August  statt.  Nun  habe  ich 
allerdings  ausgebildete  Eier  und  Spermatozoen  in  erwachsenen  Mala- 
cobdellen  zu  jeder  Jahreszeit  gefimden^.  Die  Geschlechtsprodukte 
werden  aber  freiwillig  durchaus  nicht  zu  jeder  Jahreszeit  abgelegt. 
Nach  meinen  sich  über  2  Jahre  erstreckenden  Beobachtungen  an 
Ostsee-Malacobdellen  scheint  dies  vielmehr  hauptsächlich  in  den  Monaten 
Juli — September  stattzufinden  und  vor  allem  in  den  Wintermonaten 
und  denen  des  zeitigen  Frühjahrs  (also  mindestens  Dezember — März) 
eine  Pause  einzutreten.  Die  oben  zitierte  Beobachtung  von  Riches 
stimmt  hiermit  überein. 

c.  Die  Eiablage. 
Die  Art  der  Eiablage  schildert  Hoffmann  [28]  wie  folgt:  »Die 
geschlechtsreifen  Eier  werden  entweder  einzeln  oder  in  Häufchen  ab- 
gesetzt, im  letzteren  Falle  gewöhnlich  durch  eine  zähe  Schleimmasse, 
das  Produkt  der  einzelligen  Drüsen  der  Haut,  lose  aneinander  ver- 
bunden. «  Nach  meinen  Beobachtungen  spielt  sich  dieser  Vorgang  etwas 
anders  ab.     Wenn  eine  MalacobdeUa  zur  Eiablage  schreitet,  so  wird 


1  Es  erklärt  .sich  dies  daraus,  daß,  wie  schon  oben  (vgl.  S.  687)  erwähnt, 
zunächst  am  ventralen  Ende  der  Ovarien  sich  Eier  bilden  und  heranwachsen 
und  dieser  Vorgang  dann  an  den  Wänden  der  Ovarien  von  unten  nach  oben  fort- 
schreitet. 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.   XCVII.  Bd.  46 


702  Gustaf  Gering, 

niemals  der  Inhalt  sämtlicher  Ovarien  entleert.  Das  verbietet  sich 
schon  daher,  weil  einmal  allgemein  —  wie  schon  v.  Kennel  [29]  richtig 
erkannt  hat  —  in  den  am  weitesten  nach  vorn  gelegenen  Ovarien  die 
Eier  stets  weniger  weit  in  der  Entwicklung  vorgeschritten  sind  als  in 
den  hinteren  und  außerdem  sich  überall  zwischen  Ovarien  mit  reiferen 
Eiern  neue  Ovarien  bilden  (vgl.  S.  687).  In  dieser  Hinsicht  unter- 
scheidet sich  Malacobdella  wesentlich  von  manchen  andern  Nemertinen, 
wie  z.  B.  Lineus  ruber,  wo,  wie  ich  es  auch  selbst  beobachtete,  das 
>>Gelege«,  wenn  ich  es  so  bezeichnen  darf,  eine  wurstförmige  Gallert- 
raasse  darstellt,  in  der  in  gleichmäßigen  Abständen  paarweise  Eier- 
klumpen, jeder  der  Inhalt  eines  Ovars,  eingelagert  sind:  Hier  tritt 
also  ein  Zeitpunkt  ein,  wo  alle  Eier  fertig  ausgebildet  smd,  um  dann 
gleichzeitig  abgesetzt  zu  werden.  Bei  Malacobdella  aber  werden  selbst 
die  voll  ausgebildeten  Eier  meist  nicht  auf  einmal  abgelegt,  sondern 
haufenweise  in  Zwischenräumen  von  Stunden  bis  zu  Tagen.  Es  kommen 
bei  diesem  Vorgange  die  Eier  allerdings  aus  den  sich  dann  bildenden 
Öffnungen  der  Ovarien  wohl  stets  einzeln  heraus,  daß  sie  aber  »einzeln 
abgesetzt«  würden,  habe  ich  nie  beobachtet.  Da  die  Öffnung  sehr  eng 
ist,  müssen  sich  die  Eier,  um  sie  passieren  zu  können,  in  die  Länge 
strecken,  wie  es  schon  v.  Kennel  [29]  sah.  Ein  gleiches  berichtet 
u.  a.  Child  [41]  für  Prostoma  asensoriatum  und  Smallwood  [62]  für 
Montagua  und  Doris.  Waren  die  Ovarien  mit  einer  größeren  Anzahl 
reifer  Eier  gefüllt,  was  meist  der  Fall  ist,  so  platteten  sich  diese  gegen- 
einander mehr  oder  weniger  ab.  Solche  Eier  zeigen  dann  auch  noch 
nach  dem  Austritt  aus  dem  Ovar  eine  polygonale  Form,  die  aber  recht 
bald  in  die  einer  Kugel  übergeht.  Dies  hat  nach  C.  B.  Wilson  [54] 
auch  bei  Cerebratulus  lacteus  und  sicherlich  auch  noch  bei  vielen  andern 
Nemertinen  statt. 

Zuweilen  beobachtet  man  an  frisch  abgelegten  Eiern  von  Mala- 
cobdella, daß  der  Dotter i  an  der  vor  der  Micropyle  liegenden  Stelle 
in  eine  schärfere  oder  stumpfere  Spitze  ausgezogen  ist,  die  aber  all- 
mählich verschwindet.  Es  ist  dies  noch  ein  Überbleibsel  des  Stieles, 
an  dem  das  Ei  im  Ovarium  befestigt  war.  Diese  Reminiscenz  an  die 
Bildungsweise  ist  aber  keinesfalls  eine  häufige  Erscheinung  und  geht 
nie  so  weit,  daß  die  äußere  Hülle  des  abgelegten  Eies  noch  in  einen 
Stiel  ausgezogen  ist,  wie  es  nach  C.  B.  Wilson  [54]  und  E.  B.  Wilson  [55] 
beim  Ei  von  Cerebratulus  lacteus  stets  der  Fall  ist  und  hier  bei  ent- 


1  Ich  gebrauche  hier  und  in  den  folgenden  Ausführungen  der  Bequemhch- 
keit  wegen  das  eigenthch  unrichtige  Wort  »Dotter«  zur  Bezeichnung  der  Plasma- 
kugel des  Eies  im  Gegen.^atz  zu  den  Eihüllen. 


Boiträii'.'  y.m  Kcniiliiis   \(,ii   MalacilMlclIa   s^rossa   (Müll.).  703 

wicklung'smechanischen  Experiinenten  ziu'  Oiieiitiei-imii  des  Eies  vor- 
trefflifh  vorwandt  weiden  kann.  Stets  werden  die  Eier  mit  einer 
schleimigen  Masse  umhüllt.  Ob  diese  ausschließlich  das  Produkt  der 
Cutisdrüsen  ist,  oder  ob  ihr  eine  Flüssigkeit  beigemengt  ist,  die  sich 
etwa  in  den  Ovarien  befindet  (vgl.  S.  692  Anm.),  vermag  ich  nicht  sicher 
zu  entscheiden,  doch  schien  es  mir  zuweilen  bei  der  Beobachtung  der 
Eiablage,  als  ob  zugleich  mit  den  Eiern  aus  den  Ovarien  eine  schleimige 
Masse  austrete.  Meistens  ist  der  einhüllende  Schleim  nicht  sehr  dicht 
und  hält  die  Eier  nur  locker  zusammen,  so  daß  eine  tierince  Bewegung 
des  Wassers  genügt,  um  die  Eier  zu  zerstreuen.  Das  gleiche  ist  nach 
C.  B.  Wilson  [54]  bei  den  Eiern  von  Cerebratulus  lacteus  und  nach 
McIntosh  [51]  bei  denen  von  Amphiporus  lactifloreus  der  Fall.  Zu- 
weilen jedoch,  besonders  wenn  nur  aus  wenigen  Ovarien  Eier  entleert 
werden,  hält  die  Schleimhülle  die  Eier  fester  zusammen,  und  wenn 
das  Tier  bei  der  Ablage  ruhig  saß  und  auch  nachher  nicht  umherkroch, 
behielt  der  Eierklumpen  seine  natürliche  abgerundete  Form.  Zweimal 
gelang  es  mir,  einen  solchen  Eiklumpen  zu  erhalten  und  ihn  vorsichtig 
mit  einem  Löffel  in  Formollösung  zu  übertragen.  In  dem  scheinbar 
fadenziehenden,  zähflüssigen  Schleim  bemerkt  man  zahlreiche  bräunlich- 
gelbe Körnchen,  deren  Ursprung  und  Konsistenz  ich  leider  zu  unter- 
suchen versäumte.  Ich  kann  daher  nicht  entscheiden,  ob  sie  mit  den 
oben  (S.  692)  beschriebenen  »bernsteinfarbigen  Einschlüssen«  der  Go- 
nadenzellen  etwa  zu  identifizieren  sind,  halte  es  aber  nicht  für  wahr- 
scheinlich. 

d.  Zuchtversuche. 

Bevor  ich  zur  Darlegung  der  Reifungs-  und  Befruchtungserschei- 
nungen am  Ei  von  Malacohdella  grossa  schreite,  sei  es  mir  gestattet, 
einige  Worte  über  meine  Zuchtversuche  voranzuschicken.  Ursprüng- 
lich war  es  meine  Absicht,  die  zum  Teil  offensichtlich  unrichtigen 
Angaben  Hoffmanns  [28]  über  die  Ontogenie  von  Malacohdella  nach- 
zuprüfen und  zu  berichtigen  und  eine  dem  heutigen  Standpunkt  unsrer 
Kenntnis  von  der  Embryologie  der  Nemertinen  entsprechende  Dar- 
stellung der  Entwicklung  von  Malacohdella  zu  geben.  Ich  versuchte 
zu  diesem  Zwecke  Malacohdella  zu  züchten,  da  bei  den  jüngsten  von 
mir  in  Cyprina  gefundenen  Tieren  die  Embryonalentwicklung  bereits 
abgeschlossen  war.  Nach  Möglichkeit  benutzte  ich  zur  Zucht  natürlich 
abgelegtes  Eiermaterial.  Schritt  ich  nämlich  zu  dem  schon  von  Hoff- 
mann und  andern  angewandten  Mittel,  ein  Weibchen  zu  verletzen, 
um  Eier  zu  erhalten,  so  wurden  durch  die  heftigen  Muskelkontraktionen 

46* 


704  Gustaf  Gering,- 

allerdings  Eier  in  geringer  Zahl  ausgepreßt,  diese  waren  aber  meist 
nicht  entwicklungsfähig,  was  sich  schon  darin  kundgab,  daß  sie  sich 
auch  bei  längerem  Verweilen  im  Wasser  nicht  abrundeten,  was  reife 
Eier  stets  tun.  Nicht  selten  konnte  ich  Weibchen,  die  bereits  längere 
Zeit  innerhalb  der  Gyprina  im  Aquarium  gelebt  hatten,  dadurch  zur 
freiwilligen  Eiablage  veranlassen,  daß  ich  sie  in  frisches  Seewasser  und 
ans  Licht  brachte.  Oft  schritten  auch  in  Glasschalen  aufbewahrte 
Malacobdellen  während  der  Nacht  zur  Eiablage.  Befruchtungsfähige 
Spermatozoen  wurden  stets  von  erwachsenen  Männchen  in  reichlichen 
Mengen  abgesetzt,  im  Notfalle  regte  ich  die  Absonderung  dadurch  an, 
daß  ich  das  Tier  mit  einem  Instrumente  leicht  strich.  War  die  Be- 
fruchtung erfolgt,  so  begann  fast  stets  die  Furchung  in  regulärer  Weise. 
Meistens  stellten  sich  aber  schon  in  verhältnismäßig  frühen  Furchungs- 
stadien,  Unregelmäßigkeiten  ein,  die  dann  stets  eine  Sistierung  des 
Furchungsprozesses  und  ein  Absterben  der  Eier  zur  Folge  hatten.  Ich 
stellte  die  verschiedensten  Experimente  an,  um  meinen  Zuchtversuchen 
zum  Erfolge  zu  verhelfen.  Ich  ging  zu  größeren  Glasschalen  über, 
brachte  die  Eier  in  große,  tiefe  Glashäfen,  übertrug  sie  ins  Aquarium, 
wo  sie  auf  Mud,  ihrer  Matrix,  lagen,  benutzte  stärker  salziges  Wasser 
vom  Meeresboden,  wandte  filtriertes  und  unfiltriertes  Seewasser  an  und 
probierte  es  mit  einer  vorsichtigen  Durchlüftung  des  Gefäßes;  trotz 
alledem  waren  die  Ergebnisse  so  selten  die  gewünschten,  daß  ich  nach 
zweijährigem  Bemühen  noch  nicht  genügend  Material  besaß,  um  damit 
das  gesteckte  Ziel  erreichen  zu  können.  Ich  habe  deshalb  alle  Prä- 
parate mit  älteren  Entwicklungsstadien  für  später  zurückgelegt  und 
will  hier  nur  die  Reifungs-  und  Befruchtungserscheinungen  und  die 
Bildung  der  beiden  ersten  Blastomeren  schildern. 

Über  Parasiten  in  Eiern. 
Es  mag  noch  erwähnt  werden,  daß  eine  Zeitlang  meine  Zuchten 
durch  holotriche  Ciliaten  zerstört  wurden.  Bei  genauerer  Untersuchung 
ergab  sich,  daß  eine  Anzahl  der  soeben  abgelegten  Eier  eine  große  Menge 
dieser  Infusorien  enthielt,  die  den  Dotter  zum  großen  Teil  oder  ganz 
verzehrt  hatten,  dann  die  Eihäute  durchbohrten  und  noch  nicht  infizierte 
Eier  anfielen.  Da  sich  in  erst  soeben  abgelegten  Eiern  die  Parasiten 
bereits  fanden,  müssen  diese  schon  im  Ovarium  der  Malacobdella  ge- 
haust haben.  Ich  konnte  drei  Formen  solcher  Infusorien  unterscheiden, 
die  ich  aber  nicht  näher  zu  bestimmen  vermochte. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von   .Maiacolxiella   «rrussu  (iMüll  ).  JO;") 

e,  Lebendbeobachtungen. 

Oben  (S.  698)  habe  ich  tleii  Bati  des  abgelegten  lebenden  Mala- 
cobdelleneies  beschrieben.  Die  dort  aufgefülirten  Teile  sind  aber  nicht 
alle  oder  nicht  zu  jeder  Zeit  sichtbar.  Die  Dottcrhaiit  ist  nur  dann 
zu  sehen,  wcmi  sie  sich,  was  zeitweise  geschieht,  vom  Dotter  abhebt, 
das  Keimbläschen  aber  kann  man  nur  dadurch  deutlich  zur  Anschauung 
bringen,  daß  man  das  Ei  einem  gelinden  Druck  aussetzt,  denn  sonst 
ist  der  Dotter  so  undurchsichtig,  daß  man  nur  bei  starker  Durch- 
leuchtung die  Kontur  des  Keimbläschens  und  eventuell  die  im  Leben 
hell  öltröpfchenähnlichen  Nucleolen  undeutlich  erkennen  kann.  Die 
ersten  Veränderungen  am  abgelegten  Ei  machen  sich  schon  sehr  bald 
nach  dem  Austritt  aus  dem  Ovar  bemerkbar,  und  zwar  imabhängig 
davon,  ob  das  Ei  befruchtet  ist  oder  nicht.  Die  gleiche  Erscheinung, 
nämlich  der  Beginn  der  Reifung  vor  dem  Eindringen  des  befruchtenden 
Spermatozoons,  w^urde  auch  für  die  Eier  andrer  Nemertinen  beschrieben ; 
Hoffmann  [45]  erwähnt  dies  für  Prostoma  varicolor,  Lebedinsky  [49] 
für  P.  vermiculus,  Coe  [42]  für  Cerebmtulus  leidyi,  E.  B.  Wilson  [55] 
für  C.  Jacteus.  Die  gleiche  Beobachtung  hat  man  ja  auch  an  den  Eiern 
mancher  andrer  Tiere  gemacht.  Was  am  lebenden  Ei  von  Malacohdella 
von  diesem  Vorgang  sichtbar  ist,  ist  folgendes:  Das  zunächst  an  be- 
liebiger Stelle  etwas  exzentrisch  gelegene  Keimbläschen  entzieht  sich, 
scheinbar  sich  auflösend,  immer  mehr  dem  Auge,  wobei  es  mehr  und 
mehr  nach  der  Seite  des  Eies  rückt,  die  der  Micropyle  entgegengesetzt 
liegt.  Schließlich  ist  selbst  bei  stärkster  Durchleuchtung  von  dem 
Keimbläschen  nichts  mehr  zu  sehen,  bei  teilweiser  Abbiendung  bemerkt 
man  aber  an  der  Seite  des  Eies,  wohin  der  helle  Hof  des  Keimbläschens 
wanderte,  unter  der  Dotterhaut  eine  schmale  helle  Zone,  deren  Kon- 
turen nicht  konstant  sind.  Ist  inzwischen  die  Befruchtung  eingetreten, 
so  macht  sich  nach  einiger  Zeit  an  der  hellen  Stelle  des  Dotters  eine 
dellenförmige  Einbuchtung  bemerkbar.  Aus  dieser  wölbt  sich  dann 
das  Plasma  ein  wenig  vor,  und  es  kommt  hier  schließlich  zur  Abschnürung 
des  ersten  Richtungskörperchens. 

Der  Befruchtungsvorgang  spielt  sich  in  der  Weise  ab,  daß  das 
Spermatozoon  durch  die  Micropyle  eindringt  und  sich  durch  kräftig 
schlängelnde  Bewegungen  mitsamt  seinem  Schwänze  in  den  Dotter  ein- 
bohrt. Wahrscheinlich  wird  sofort  nach  dem  Eindringen  des  Sperma- 
tozoons die  Micropyle  durch  ein  feines  Häutchen  geschlossen,  was  ich 
allerdings  nicht  zu  beobachten  vermochte.  Haben  die  Eier  bereits 
längere  Zeit  im  Wasser  gelegen,  so  scheint  ihre  Lebenskraft  geschwächt 


706  Gustaf  Gering, 

ZU  sein,  eine  Erscheinung,  die  ja  auch  0.  und  R.  Hertwig  und  andre 
an  den  Eiern  von  Echinodermen  und  andern  Tieren  festgestellt  haben. 
Es  dringen  dann  zahlreiche  Spermatozoen  in  das  Ei  ein,  und  es  kommt 
zu  dem  für  den  Embryologen  so  störenden  Fall  der  Polyspermie.  An 
der  gleichen  Stelle  wie  der  erste  wird  einige  Zeit  darauf  der  zweite 
Richtungskörper  gebildet,  der  dem  ersten  an  Gestalt  und  Größe  sehr 
ähnlich  ist.  Beide  sind  hell,  durchscheinend,  enthalten  eine  Anzahl 
stark  lichtbrechender  Tröpfchen  und  sind  im  Durchmesser  15 — 20  /.t 
groß.  Es  kommt  bei  ihnen  niemals  zur  Ausbildung  amöboider  Fort- 
sätze, der  sogenannten  >>Filartätigkeit «,  wie  sie  Andrews  [39]  und 
Ch.  B.  Wilson  [54]  für  die  Richtungskörper  von  Cerehratulus  lacteus 
beschreiben.  In  der  Regel  bleiben  die  beiden  Richtungskörperchen  im 
Verlaufe  der  weiteren  Entwicklung  des  Eies  nebeneinander  liegen.  Eine 
Teilung  eines  der  beiden  oder  gar  beider  Richtungskörper  habe  ich  nicht 
beobachtet.  Im  Verlaufe  der  Richtungskörperbildung  hat  sich  das 
Eiplasma  kontrahiert,  so  daß  die  Dotterhaut  jetzt  abgehoben  und  be- 
sonders bei  den  innerhalb  von  ihr  liegenden  Richtungskörperchen  gut 
sichtbar  ist.  Wie  aus  obigem  hervorgeht,  zeigt  das  Ei  von  MaJacobdella 
eine  ausgesprochene  Bipolarität,  die  zwar  nicht  in  der  Verteilung  von 
Cyto-  und  Deutoplasma  begründet  ist,  aber  durch  die  Lage  der  Micro- 
pyle  und  später  der  Richtungskörperchen  sich  kund  gibt.  Es  ist  inter- 
essant, daß  Ch.  B.  Wilson  [54]  ein  gleiches  für  das  auch  mit  einer 
Micropyle  ausgestattete  Ei  von  Cerehratulus  lacteus  angibt,  was  von  E.  B. 
Wilson  [55]  bestätigt  wird. 

Sind  die  Richtungskörperchen  abgeschnürt,  so  tritt  eine  Pause  ein, 
während  welcher  man  keine  Veränderungen  am  Ei  wahrnehmen  kann. 
Dann  beginnt  das  Ei  sich  in  die  Länge  zu  strecken  und  die  Form  eines 
kurzen  gedrungenen  Rotationsellipsoids  anzunehmen.  Hierauf  tritt 
bald  an  der  einen,  bald  an  der  andern  Längsseite  eine  seichte  Einbuch- 
tung auf,  die  bald  wieder  verschwindet,  schließlich  kommt  es  aber 
zu  einer  regelrechten  Einschnürung,  die  schnell  zur  vollständigen  Durch- 
schnürung  des  Eies,  also  zur  Bildung  der  beiden  ersten  gleich  großen 
Blastomeren  führt.  Ich  habe  es  in  der  obigen  Darlegung  vermieden, 
bestimmte  Zeitangaben  zu  machen,  innerhalb  welcher  sich  die  einzelnen 
Phasen  der  Entwicklung  abspielen.  Ich  überzeugte  mich  nämlich  im 
Verlaufe  meiner  Untersuchungen  davon,  daß  dieser  Prozeß  bald  schneller, 
bald  langsamer  abläuft.  Er  ist  ja  von  mancherlei  inneren  und  äußeren 
Faktoren  (von  letzteren  erwähne  ich  nur  Temperatur  und  Druck  der 
Luft,  Temperatur  und  Salzgehalt  des  Wassers)  abhängig,  es  lag  aber 
nicht   in   meiner   Absicht,   nach   dieser   Richtung  hin   experimentelle 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacolnli-lla  ijrossa  (Müll.).  707 

Studien  zu  machen.  Erwähnen  muß  ich  aber,  daß  die  Entwicklung 
gewöhnlich  schneller  verläuft,  als  es  nach  Hoffmann  [28]  geschehen 
soll,  daß  z.  B.  das  Zweizellstadium  oft  schon  nach  3  Stunden  erreicht 
ist,  während  es  Hoffmann  erst  nach  4  Stunden  vollendet  sein  läßt. 
Trotzdem  werde  ich  unten  bei  der  Besprechung  der  Befunde  an  Schnitt- 
serien bei  jedem  Stadium  hinzufügen,  nach  wieviel  Minuten  nach  der 
Befruchtuno  es  im  allgemeinen  erreicht  wurde. 

f.  Untersuchungsmethoden. 

Die  zur  Herstellung  von  Schnittserien  bestimmten  Eier  wurden 
gleich  und  dann  innerhalb  der  ersten  Minuten  nach  der  Ablage  und 
darauf  in  Intervallen  von  5  oder  10  Minuten  fixiert,  und  zwar  sowohl 
unbefruchtete  wie  befruchtete  Eier.  Zum  Fixieren  wurden  benutzt: 
Sublimat- Alkohol  (nach  Apäthy,  Mikrotechnik  S.  111),  Sublimat-Eis- 
essig, Pikrinessigsäure  nach  Boveri,  Pikrinschwefelsäure  nach  Klei- 
nenberg, Chrom-Osmium-Essigsäure  nach  Fol,  Chromessigsäure  nach 
Flemming.  Meistens  beschränkte  ich  mich  jedoch  auf  die  vier  erst- 
genannten Flüssigkeiten  und  fixierte  tunlichst  jedes  Stadium  mit  allen 
vier  Reagenzien.  Die  fixierten  und  in  iVlkohol  gehärteten  Eier  wurden 
in  einem  kleinen  Färbetrichter  mit  Boraxkarmin  in  toto  gefärbt,  da 
sie  sonst  beim  Einbetten  nicht  zu  sehen  waren.  Die  Färbetrichter 
stellte  ich  mir  in  der  Weise  her,  daß  ich  den  Mündungsteil  eines  Reagenz- 
glases abschnitt  und  an  der  ausgebogenen  Seite  mit  Zwirn  ein  Stück 
Müllergaze  vorband.  In  diesem  Trichterchen  wurde  auch  ausgewaschen, 
darauf  die  Müllergaze  abgenommen  und  die  darauf  liegenden  Eier  vor- 
sichtig abgehoben.  Eingebettet  wurde  in  Uhrschälehen  in  Paraffin 
von  steigendem  Schmelzpunkt,  das  weichere  Paraffin  mit  erwärmter 
Pipette  abgesogen  und  härteres  auf  gleichem  Wege  zugesetzt.  Ich 
fand  diese  Methode  recht  praktisch,  da  die  Eier  so  nur  allmählich  in 
härteres  Paraffin  kämmen  und  außerdem  in  dem  gleichen  Uhrglas  ver- 
bleiben konnten. 

Vor  der  Färbung  der  Schnittserien,  die  7,5,  5  und  4  /<  dick  an- 
gefertigt wurden,  zog  ich  das  Boraxkarmin  mit  angesäuertem  Alkohol 
aus.  Zur  Schnittfärbung  probierte  ich  die  mannigfachsten  Farblösungen. 
Die  besten  Resultate  lieferten  Hämatein-Eosin,  HEiDENHAiNsches  Eisen- 
alaunhämatoxylin  und  Hämatein- Pikrinsäure. 

g.  JDie  Reifeteilangen. 
Ich  hatte  oben  (S.  698)  den  Bau  des  fertig  ausgebildeten  (lebenden) 
Eies    von    Malacohdella,    nachdem    ich    seine    Entstehung    dargelegt, 


708  Gustaf  Gering, 

beschrieben.  Ich  knüpfe  dort  wieder  an,  zunächst  den  Bau  des  eben 
abgelegten  Eies,  wie  es  sich  in  Schnitten  präsentiert,  rekapitulierend. 
Das  eigentliche  Ei  ist  von  zwei  Hüllen  umgeben:  die  äußere,  dickere 
ist  die  Eihaut,  die  innere,  dünne  die  Dotterhaut.  Der  Raum  zwischen 
beiden,  der  im  Leben  von  einer  wässerigen  Flüssigkeit  ausgefüllt  war, 
erscheint,  falls  die  Eihäute  nicht  dicht  aneinander  gepi'eßt  sind,  oft 
leer,  doch  kann  man  zuweilen  (es  hängt  dies  wohl  von  der  Fixierung 
ab)  stellenweise  eine  Ansammlung  einer  mit  Eosin  blaßrosa  gefärbten 
homogenen  Masse  beobachten,  die  ich  als  ein  Gerinnungsprodukt  der  — 
nach  den  Reaktionen  zu  urteilen  —  wahrscheinlich  eiweißhaltigen 
Flüssigkeit  auffasse.  Häufig  sieht  man  auch  feine  Fäden  sich  zwischen 
l)eiden  Eihäuten  ausspannen.  Innerhalb  der  Eihäute  liegt  dann  das 
eigentliche  Ei.  Sein  Cytoplasnia  stellt  ein  überaus  feines,  sehr  gleich- 
mäßices  Netzwerk ^  dar,  in  dessen  Maschen  die  Dotterkugeln  liegen. 
Etwas  exzentrisch  sieht  man  das  von  einer  kräftigen  Membran  um- 
hüllte Keimbläschen.  Das  Chromatin  durchzieht  in  einem  feinen  Netz- 
werk, das  dicht  mit  kleinen  Körnchen  besetzt  ist,  das  ganze  Keim- 
bläschen, an  dessen  Peripherie  die  kugeligen,  stark  tingierten  Nucleolen 
sich  angesammelt  haben,  wie  es  oben  (vgl.  S.  689  u.)  beschrieben  wurde. 
Schon  in  Eiern,  die  innerhalb  der  ersten  Minuten  nach  der  Ablage 
fixiert  wurden  (aber  keinesfalls  schon  in  solchen,  die  das  Ovarium  noch 
nicht  verlassen  haben),  findet  man  zwei  kleine  Strahlenfiguren.  Diese 
Sterne  liegen  mit  ihrem  Centrum  hart  an  der  Membran  des  Keim- 
bläschens und  besitzen  zunächst  nur  von  dieser  aus  in  den  »Dotter« 
ziehende  Strahlen.  Das  Centrum  der  Strahlung  bildet  eine  feines  Cen- 
triol^.  Ein  Centrosom  ist  in  diesem  Stadium  noch  nicht  bemerkbar. 
Die  jüngsten  von  mir  beobachteten  Sterne  waren  durch  einen  Winkel 
von  etwa  20°  voneinander  getrennt.  Man  muß  aber  wohl  annehmen, 
daß  sie  einem  Centriol,  das  sich  dann  teilte,  ihren  Ursprung  verdanken. 
Frühere  Stadien  entgehen  wahrscheinlich  deshalb  dem  Auge  des  Be- 
obachters, weil  ein  Centriol  ohne  Strahlung  sich  von  den  übrigen  Be- 
standteilen des  Eies  nicht  unterscheiden  läßt.  Sehr  bald  macht  sich 
an  der  Stelle,  wo  die  Sterne  der  Keimbläschenmembran  anliegen,  eine 


1  Wenn  ich  hier  von  »Netzwerk«  und  weiter  unten  von  '>Fäden<«  der  Spin- 
deln usw.  rede,  so  gebe  ich  damit  an,  wie  die  betreffenden  Gebilde  bei  etwa 
5)00facher  Vergrößerung  aussehen,  ohne  etwa  beluiupten  zu  wollen,  daß  es  sich 
hier  um  wirkliche  Fäden  usw.  handle. 

2  Ich  schließe  mich  in  der  Anwendung  der  Begriffe  »Centrosom«  und  »Cen- 
triol« der  Ternüuologie  Bovebis  an  (vgl.  O.  Hertwk;,  Allgem.  Biologie,  111.  Aufl. 
S.  51). 


Beiträge  von  Kenntnis  7,ur  Malacobdella  grossa  (Müll.).  709 

Einbuchtung  oder  Einkerbung-  von  verschiedenster  Form  bemerkbar 
(etwa  10  Minuten  nach  Befruchtung),  und  in  diese  Vertiefung  ziehen  nun 
auch  Strahlen  der  Sterne  hinein,  gewissermaßen  auf  die  Kernmembran 
drückend.  Während  die  Sterne  noch  nahe  beieinander  liegen,  kommt 
es  mit  ihrem  zimehnienden  Wachstum  bald  zu  einer  Durchkreuzung  ihrer 
Strahlen,  keinesfalls  aber  schon  zur  Bildung  einer  Spindel.  Schließlich 
sind  die  Sterne  so  mächtig  geworden,  daß  ihre  Strahlen  sogar  die  Peri- 
pherie des  Eies  erreichen  können.  Schon  bedeutend  frühoi-  löst  sich 
die  Membran  des  Keimbläschens  an  den  Stellen,  die  von  den  Sternen 
berührt  werden,  auf,  und  die  übrige,  vorher  glatte  Membran  —  nunmehr 
ihres  Haltes  beraubt  —  wird  etwas  wellig  und  faltig.  Indem  die  Strahlen 
der  Sterne  jetzt  in  das  Keimbläschen  selbst  eindringen  (etwa  20  Minuten 
nach  Befruchtung),  setzen  sie  sich  mit  dessen  chromatischem  Netzweik 
in  Verbindung,  so  daß  die  extranucleären  Teile  allmählich  in  die  Cliro- 
matinfäden  des  Kernes  übergehen.  Während  aber  die  Strahlen  aulk'r- 
halb  des  Keimbläschens  einen  schnurgeraden  Verlauf  nehmen,  ist  dies 
innerhalb  desselben  nicht  mehr  der  Fall.  Wohl  ordnen  sich  die  dem 
Stern  zunächst  liegenden  Fäden  des  Chromatinnetzes  so  an,  daß  sie  die 
geradlinige  Fortsetzung  der  Sternstrahlen  bilden,  in  den  inneren  Partien 
des  Keimbläschens  verliert  sich  aber  diese  radiäre  Anordnung  rasch. 
Mit  zunehmendem  Wachstum  der  Sterne  tritt  immer  deutlicher  eine 
stetig  wachsende  helle  Zone  um  das  Centriol  auf,  die  sich  durch  ilue 
Färbung  deutlich  von  den  umgebenden  Partien  des  Eies,  also  vor  allem 
von  der  Strahlenfigur,  abhebt.  Es  kommt  also  zur  Ausbildung  eines 
Centrosoms,  von  dem  die  Strahlen  ihren  Ausgang  nehmen.  AVas  ge- 
schieht nun  mit  den  Nucleolen,  die  der  Keimbläschenmembran  dicht 
anlagen? 

Über  das  Schicksal  und  die  Natur  der  Nucleolen  sind  die  Meinungen 
noch  sehr  geteilt.  Eine  Anzahl  Forscher  sieht  z.  B.  in  ihnen  Gebilde, 
in  denen  chromatische  Substanz  als  Eeservematerial  angehäuft  ist,  so 
Böhmig  [40],  Lebedinsky  [49]  und  viele  andre  i.  Demgegenüber  ver- 
tritt MoNTGOMERY  [60]  die  Ansicht,  daß  die  Nucleolen  extranucleären 
Ursprunges  wären  und  in  Eiern  in  inniger  Beziehung  zur  Dotterbildung 
ständen.  Sie  sollen  nämlich  die  Bildung  und  Ansammlung  der  Dotter- 
kugeln hervorrufen,  dann,  wenn  diese  ihre  Tätigkeit  abgeschlossen  ist, 
an  der  Kernperipherie  sich  auflösen  und  in  gelöstem  Zustand  aus  dem 
Kern  wieder  austreten.  Bei  meiner  oben  (vgl.  S.  688  ff.)  gegebenen 
Darstellung  des  Entstehens  und  Verhaltens  der  Nucleolen  im  sich  ent- 
wickelnden Malacobdellenei  habe  ich  bereits  darauf  hingewiesen,  daß 

J^  Vgl.  hierüber  BijWiG  [40],  S.  552  ff. 


710  Gustaf  Gering, 

die  Verhältnisse  hier  anders  liegen  als  bei  den  von  Montgomeky  unter- 
suchten Nemertinen,  habe  mich  aber  an  jener  Stelle  eines  Urteils  über 
die  Natur  dieser  Gebilde  enthalten,  da  man  ein  solches  nur  fällen  kann, 
wenn  man  diese  Nucleolen  von  ihrem  Auftreten  bis  zum  Verschwinden 
verfolgt  hat.  Montgomery  hat,  wie  mir  scheint,  nur  Ovarialeier  unter- 
sucht. Ich  aber  habe  das  Schicksal  der  Nucleolen  in  den  abgelegten 
Eiern  weiter  verfolgt  und  bin  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  zu 
der  Überzeugung  gekommen,  daß  die  Nucleolen  zu  den  Chromosomen 
in  inniger  Beziehung  stehen.  Dank  ihrer  Lage  dicht  unter  der  Membran 
des  Keimbläschens  müssen  sie  bei  Auflösung  derselben  früh  mit  den 
Strahlen  der  beiden  oben  beschriebenen  Sterne  in  Berührung  kommen. 
Sie  tun  dies  in  geradezu  auffallender  Weise,  indem  sie  sich  an  den  Stellen, 
wo  die  Sterne  in  das  Keimbläschen  eindringen,  besonders  zahlreich  an- 
sammeln. Doch  nicht  genug  hiermit.  Verfolgt  man  die  Ausbildung 
der  Sterne  und  der  sich  entwickelnden  ersten  Richtungsspindel  weiter, 
so  bemerkt  man,  daß  mit  dem  allmählichen  Auftreten  der  Chromosomen 
ein  Schwinden  der  Nucleolen  Hand  in  Hand  geht.  Zuweilen  hat  es 
den  Anschein,  als  ob  aus  einem  Nucleolus  unter  Gestaltsveränderungen 
direkt  ein  Chromosom  entstünde.  Eine  derartige  Annahme  ist  aber 
meines  Erachtens  nicht  berechtigt,  schon  die  bedeutend  größere  Zahl 
der  Nucleolen  als  der  Chromosomen  steht  dem  im  Wege.  Daß  aber 
die  Substanz  der  Nucleolen  zum  Aufbau  der  Chromosomen  zum  großen 
Teil  verwandt  wird,  steht  für  mich  nach  den  an  einer  großen  Zahl  von 
Präparaten  angestellten  Untersuchungen  außer  allem  Zweifel.  Ab  und 
zu  beobachtet  man  noch  einen  oder  zwei  Nucleolen,  wenn  die  Chromo- 
somen bereits  ausgebildet  sind.  Solche  nicht  verbrauchte  Nucleolen 
persistieren  aber  nicht  lange  und  sind,  wenn  das  Ei  sich  zur  Ausstoßung 
des  ersten  Polkörperchens  anschickt,  nicht  mehr  zu  finden,  haben  sich 
also  aufgelöst. 

Die  sich  solcherweise  bildenden  Chromosomen  stellen  zuweilen 
typische  Tetraden  dar,  meistens  sind  sie  aber  etwas  längliche,  nicht 
sehr  regelmäßige  Körner  von  verschiedener  Gestalt.  Da  schon  die 
Nucleolen  im  Bereich  der  stetig  wachsenden  Strahlen  lagen,  tun  es 
natürlich  auch  die  Chromosomen,  die  zu  den  Fäden  in  direkte  Beziehung 
zu  treten  scheinen.  Sie  kommen  dann  an  die  Stelle  zu  liegen,  wo  die 
Strahlen  der  beiden  Sterne  sich  überkreuzen,  werden  von  diesen  Strahlen 
dann  allmählich  in  die  Region  zwischen  beiden  Sternen  gezogen  und  es 
kommt  jetzt  zur  Ausbildung  einer  regulären  Spindel,  deren  Elemente 
-rein  intranucleären  Ursprunges  sind  (etwa  30 Minuten  nach  Befruchtung). 
Im  Laufe  dieses  Prozesses  ist  allmählich  das  ganze  Keimbläschen  auf- 


Beiträge  zur  Kenntnis  vdu  Malaoohdella  grussa  (Müll.)-  7J1 

gelöst,  und  der  von  ihm  zuvor  eingenommene  Raum  wird  von  den 
Polstrahlungen  und  der  Spindel  eingenommen. 

Die  nicht  zum  Aufbau  der  Spindel  verwandten  Elemente  des  Keim- 
bläschens bilden  jetzt  nicht  mehr  ein  Netzwerk,  sondern  sind  in  kleine 
Körnchen  zerfallen,  die  durch  ihre  Affinität  zu  Kernfarbstoffen  sich 
deutlich  von  dem  übrigen  Plasma  der  Eizelle  abheben.  Die  Zahl  der 
Chromosomen  beträgt  16.  Die  Spindel  hat  zunächst  eine  ganz  beliebige 
Lage  im  Ei,  hat  mitsamt  den  Polstrahlungen  eine  Ausdehnung  von 
etwa  zwei  Drittel  Eidurchmesser  und  rückt  nun  allmählich  innerhalb 
des  körnigen  Hofes  und  mit  diesem  mit  ihrer  Breitseite  der  Peripherie 
des  Eies  zu.  Je  näher  die  erste  Richtungsspindel  der  Eioberfläche 
kommt,  um  so  kleiner  wird  sie ;  die  Strahlen  nehmen  sichtlich  an  Länge 
ab  und  auch  die  Spindel  erleidet  eine  geringe  Verkürzung  und  Verbrei- 
terung. Ihre  Länge  beträgt  jetzt  15 — 20//,  ihre  Breite  kaum  mehr 
als  10«. 

Hat  die  Richtungsspindel  die  Peripherie  des  Eies  erreicht,  so  dreht 
sie  sich  allmählich  um  90°  und  stellt  sich  in  einen  Eiradius  ein  (etwa 
45  Minuten  nach  Befruchtung).  Jetzt  nimmt  die  ganze  Figur  nur  noch 
etwa  ein  Drittel  des  Eidurchmessers  ein,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß 
die  dem  Eicentrum  zugewandte  Strahlung  bedeutend  mächtiger  ist 
als  die  periphere,  da  diese,  je  näher  sie  der  Eioberfläche  kam,  unter 
Verkürzung  ihrer  Strahlen  immer  kleiner  und  kleiner  wurde.  In  diesem 
Stadium  ist  die  Richtungsspindel  immer  noch  von  dem  körnigen  Keim- 
bläschenplasma umgeben.  Die  inzwischen  in  einer  Aquatorialplatte 
angeordneten  Chromosomen  haben  eine  Gestaltsveränderung  erfahren, 
sie  sind  nämlich  schlanker  geworden  und  stellen  nun  aus  einer  Anzahl 
ungleichmäßiger  Körnchen  zusammengesetzte,  zum  Teil  gebogene  Stäb- 
chen von  1,7 — 2,2  j«  Länge  dar.  Jetzt  spalten  sich  die  Chronaosomen 
der  Länge  nach  und  die  Teilungsprodukte  werden  auf  zwei  Tochter- 
platten verteilt.  An  der  Stelle,  wo  die  Richtungsspindel  die  Eiober- 
fläche berührt,  macht  sich  eine  dellenförmige  Einbuchtung  derselben 
bemerkbar.  In  dieser  Vertiefung  kommt  es  dann  rasch  zu  einer  halb- 
kugeligen Vorwölbung  des  Plasmas,  in  sie  rückt  die  äußere  Tochterplatte 
hinein,  und  der  erste  Polkörper,  in  dem  man  deutlich  16  Chromosomen 
unterscheiden  kann,  wird  abgeschnürt  (etwa  60  Minuten  nach  Be- 
fruchtung). 

Die  im  Ei  verbleibenden  Chromosomen  werden  jetzt  etwas  kom- 
pakter. Das  Centriol  des  inneren  Poles  der  ersten  Richtungsspindel 
hat  sich  schon  während  der  Ausstoßung  des  ersten  Polkörperchens 
geteilt,  jetzt  rücken  die  Tochtercentriolen  auseinander,  es  entstehen 


712  Gustaf  Uering. 

zwei  getrennte  Strahlungen  und  zwischen  ihnen  eine  Centralspindel, 
in  welche  die  inzwischen  wieder  etwas  wachsenden  Chromosomen  zu 
liegen  kommen.  Rasch  stellt  sich  dann  die  so  gebildete  zweite  Rich- 
tungsspindel in  einen  Eiradius  ein,  und  es  kommt  an  der  gleichen  Stelle 
zur  Ausstoßung  des  zweiten  Polkörperchens,  der  auf  diese  Weise  unter 
oder  unmittelbar  neben  den  ersten  zu  liegen  kommt  (etwa  120  Minuten 
nach  Befruchtung).  Die  auch  jetzt  noch  vorhandene  Einbuchtung  der 
Eioberfläche,  in  der  die  Polkörperchen  liegen,  gleicht  sich  dann  all- 
mählich aus. 

Die  nach  der  Ausstoßung  der  beiden  Polkörperchen  im  Ei  ver- 
bleibenden 16  Chromosomen  schwellen  nun  zu  ebensoviel  Bläschen 
an,  die  zu  mehreren  größeren  Bläschen  verschmelzen,  welch'  letztere 
dann  durch  Vereinigung  schließlich  den  definitiven  bläschenförmigen 
weiblichen  Vorkern  bilden.  Während  dieses  Prozesses  rückt  die  noch 
vorhandene  innere  Polstrahlung  der  zweiten  Richtungsspintlel  mit  dem 
sich  bildenden  weiblichen  Vorkern  der  Mitte  des  Eies  zu,  wobei  die 
Strahlung  allmählich  einem  immer  deutlicher  zutage  tretenden  Zerfall 
anheimfällt.  Gleichzeitig  verschwindet  auch  langsam  das  körnige 
Plasma,  in  dem  die  Richtungsspindeln  lagen  (etwa  180  Minuten  nach 
Befruchtung). 

h.  Die  Befruchtung. 

Während  die  erste  Richtungsspindel  gebildet  wurde,  ist  das  Sperma- 
tozoon in  das  Ei  eingedrungen.  Welche  Beziehungen  zwischen  diesem 
Vorgange  und  der  Polkörperbildung  bestehen,  geht  schon  aus  dem  oben 
(vgl.  S.  705)  Gesagten  hervor.  Eingeleitet  wird  die  Bildung  der  ersten 
Richtungsspindel  nämlich  ohne  vorhergehende  Befruchtung,  zur  Aus- 
stoßung der  Polkörper  schreitet  das  Ei  aber  nur  und  erst  dann,  wenn 
ein  Spermatozoon  eingedrungen  ist.  Auch  bei  Nematoden,  besonders  bei 
Ascaris,  und  bei  Tardigraden  bestehen  dieselben  Beziehungen  zwischen 
beiden  Vorgängen,  wie  die  Untersuchungen  von  Bütschli,  Ziegler 
und  V.  Erlanger  ergeben  haben  [56].  Das  eingedrungene  Sperma- 
tozoon bleibt  zunächst  an  der  Stelle  i,  wo  es  eingedrungen  ist,  liegen 
und  erleidet  nur  geringe  Veränderungen.  Der  Schwanz  verschwindet 
und  der  Kopf  quillt  etwas  auf,  so  daß  er  jetzt  ein  dickeres,  aber  immerhin 
noch  längliches  Gebilde  darstellt.  Eine  Strahlung  ist  in  diesem  Stadium 
noch  nicht  wahrnehmbar. 

Steht  das  Ei  kurz  vor  der  Ausstoßung  des  ersten  Polkörperchens, 

1  Die  Stelle  des  Eindringens  des  Spermatozoons  in  das  eigentliche  Ei  ist 
scheinbar  nicht  abhängig  von  der  Lage  der  Micropyle. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  gro88a  (Müll.).  713 

SO  machen  sich  auch  am  Spermatozoon  rasch  fortschreitende  Um- 
bildmigen  bemerkbar.  Der  immer  noch  gleichmäßig  dunkel  gefärbte 
Körper  rundet  sich  noch  mehr  ab  und  zerfällt  dann  in  eine  große  Zahl 
kleiner  Körnchen.  Aus  diesen  entsteht  dann  durch  teilweise  Auflösung, 
Aufnahme  von  flüssiger  Substanz  aus  dem  Ei  und  Bildung  einer  Mem- 
bran ein  kleiner,  bläschenförmiger  männlicher  Vorkern,  in  dem  eine 
Anzahl  Chromatinbröckchen  zu  sehen  sind.  Nicht  lange  bevor  dieser 
Prozeß  abgeschlossen  ist,  tritt  neben  dem  Spermakern  eine  kleine 
Strahlung  auf,  in  deren  Mitte  man  bei  ihrem  weiteren  Wachstum  ein 
Centriol  und  darum  ein  kräftiges  Centrosom  unterscheiden  kann.  Wäh- 
rend der  bläschenförmige  männliche  Vorkern  anfangs  meist  noch  an 
der  Eiperipherie  liegen  bleibt,  rückt  gewöhnlich  die  Strahlung  schon 
gegen  die  Eimitte  vor.  Im  Verlaufe  dieser  Wanderung,  an  der  sich 
aber  der  männliche  Vorkern  auch  sofort  beteiligen  kann,  teilt  sich  das 
Centriol  und  das  Centrosom  wird  länglich  oval.  Zwischen  den  Cen- 
triolen  kommt  es  dann  zur  Bildung  einer  Centralspindel.  Der  anfänglich 
etwa  5  u  große  männliche  Vorkern  wächst  währenddes,  zuweilen  amö- 
boide Fortsätze  zeigend,  und  hat  bald  einen  Durchmesser  von  8 — 9  ii, 
schließlich  von  15  u  erreicht. 

Haben  Strahlungen  und  männlicher  Vorkern  entweder  zusammen 
oder  nacheinander  die  Mitte  des  Eies  erreicht,  so  treffen  sie  hier  mit 
dem  weiblichen  Vorkern  zusammen  (etwa  180  Minuten  nach  Befruch- 
tung). Hierbei  gerät  die  Spindel  zwischen  beide  Kerne,  da  die  Centriolen 
sich  links  und  rechts  in  die  Berührungsebene  einstellen.  In  dem  weib- 
lichen Vorkern  sind  inzwischen,  ebenso  wie  in  dem  männlichen,  einige 
Nucleolen  aufgetreten,  außerdem  ist  in  beiden  Vorkernen  ein  chroma- 
tisches Netzwerk  bemerkbar.  Hier  kann  das  Auftreten  von  Nucleolen 
doch  keinesfalls  mit  Dotterbildung  in  Zusammenhang  gebracht  werden, 
zumal  sie  während  der  Bildung  der  ersten  Furchungsspindel  wieder 
verschwinden.  Will  man  also  die  Auffassung  Montgomeeys  [60]  (vgl. 
S.  709)  von  der  Natur  der  Nucleolen  zu  Recht  bestehen  lassen,  so  muß 
man  schon  annehmen,  daß  es  Nucleolen  von  sehr  verschiedener  Art, 
Zusammensetzung  und  Bestimmung  gibt.  Diese  Auffassung  vertritt 
auch  Böhmig  [40].  Daß  aber  in  den  Eiern  sämtlicher  von  Montgomery 
untersuchten  Nemertinen  (vgl.  S.  690)  die  Nucleolen  so  ganz  andrer 
Natur  sein  sollten  als  die  im  Malacobdellenei,  will  mich  unwahrscheinlich 
dünken.  Ich  hoffe  noch  einmal  Gelegenheit  zu  haben,  andre  Nemertinen 
daraufhin  untersuchen  zu  können. 

Die  Strahlen  der  Spermasterne  haben  im  Verlaufe  der  Wanderung 
zur  Eimitte  eine  gewaltige  Ausdehnung  erfahren  und  reichen  schließlich 


714  Gustaf  Gering, 

bis  zur  Eiperipherie.  Dann  aber  fallen  sie  einer  schnell  zunehmenden 
Auflösung  anheim.  Die  zunächst  geradlinig  verlaufenden  Strahlen 
werden  wellig  und  zerfallen  in  einzelne  Stücke,  die  dann  in  dem  Proto- 
plasma des  Eies  verschwinden.  Dieser  Zerfall  setzt  ein,  sobald  die 
Vorkerne  nahe  aneinander  gerückt  sind  und  führt  rasch  zu  einem 
vollständigen  Verschwinden  der  ganzen  Sterne.  Die  Vorkerne  flachen 
sich  an  der  einander  zugekehrten  Seite  ab  und  verschmelzen  schließlich 
unter  Bildung  mannigfacher  amöboider  Ausläufer  (etwa  210  Minuten 
nach  Befruchtung).  Vor  der  Fusion  ist  es  oft  schwer,  die  beiden  ganz 
gleich  gebauten  Vorkerne  zu  unterscheiden,  nur  die  Lage  der  Pol- 
körperchen läßt  bei  günstiger  Schnittführung  erkennen,  welches  der 
weibliche  Vorkern  ist. 

i.  Die  weitere  Entwicklung  bis  zur  Bildung  der  ersten  Furche. 

Ist  die  Verschmelzung  der  beiden  Vorkerne  erfolgt,  so  treten  an 
gegenüberliegenden  Stellen  des  nunmehrigen,  bläschenförmigen  Fur- 
chungskernes  neue,  anfangs  kleine  Sterne  auf,  und  zwar  dort,  wo  vorher 
die  Spermasterne  lagen.  Es  gelang  mir  nicht  festzustellen,  ob  die 
Centriolen  der  neuen  Sterne  mit  denen  der  alten  identisch  sind,  ich 
kann  daher  auch  nicht  entscheiden,  ob  die  beiden  Centriolen  der 
ersten  Furchungsspindel  vom  Spermatozoon  in  das  Ei  eingeführt  sind, 
oder  ob  vielleicht  das  eine  Centriol  von  der  Eizelle  stammt.  Unter 
dem  Einfluß  der  rasch  wachsenden  Strahlungen  löst  sich  die  Kern- 
membran auf  und  es  differenzieren  sich  16  brockenförmige  Chromo- 
somen. Unter  fortschreitender  Auflösung  des  Kernes  entsteht  dann 
in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  es  bei  der  Polkörperbildung  beschrieben 
wurde,  eine  Centralspindel,  in  deren  Mitte  sich  die  Chromosomen  in 
einer  Aquatorialplatte  anordnen.  Diese  teilt  sich  dann  und  die  Tochter- 
platten rücken  auseinander.  Die  Sterne  haben  inzwischen  eine  recht 
große  Ausdehnung  erreicht  und  können  sogar  die  Eiperipherie  berühren. 
In  der  Ebene  der  Aquatorialplatte  stoßen  sie  im  Umkreis  um  die  Central- 
spindel winkelig  aufeinander.  Aus  den  je  16  Tochterchromosomen 
bilden  sich  ebenso  viele  kleine  Bläschen,  diese  verschmelzen  allmählich 
miteinander  und  es  entstehen  so  die  Kerne  der  ersten  beiden  Blasto- 
meren. Während  dieser  Verschmelzung  haben  sich  die  Centriolen  ge- 
teilt, rücken  auseinander  und  stellen  sich  an  die  Enden  der  sich  bildenden 
länglichen  Tochterkerne,  so  die  zweite  Furchung  schon  vorbereitend. 
Währenddessen  zerfallen  allmählich  die  Strahlen  der  Sterne  der  ersten 
Furchungsspindel.  Die  Furchung  selbst  geht  in  der  Weise  vonstatten, 
daß  zunächst  peripher  eine  Einkerbung  der  Eioberfläche  eintritt,  von 


Reilräge  zur  Kenntnis  von  M.ilaoohdelljv  j^rossa  (Müll.).  715 

dieser  aus  schiebt  sich  dann  scheiidjai'  eine  Scheidewand  nach  der  Mitte 
zu  vor,  bis  die  iin_ut"öiniiue  Einschnüruno;  die  Centralspindel  ei'i'eicht 
hat.  und  schließUch  wird  auch  diese  durchschnüit  (etwa  240  Minuten 
nach  Befruchtunu).  Hierbei  kann  es  zur  ßikluiiii  eines  Zwischen- 
körpers kommen.  Reoehuäßii;'  scheint  er  mir  jedoch  nicht  aufzutreten. 
Bei  der  Polkörperbildung  habe  ich  niemals  einen  Zwischenkörper  beob- 
achtet, es  ist  aber  möglich,  daß  auch  dort  ein  solcher  sich  bilden  kann. 

k.  Vergleich  zwischen  dem  Ei  von  Malacobdella  und  dem  von 

Cerebratulus. 

Vergleiche  ich  die  hier  beschriebenen  ersten  Entwicklungsvorgänge 
im  Ei  von  MalacohdeJIa  mit  denen,  die  im  Ei  von  Cerebratulus  von 
CoE  [42]  und  Kostanecki  [46]  beobachtet  sind,  so  fällt  auf  den  ersten 
Blick  eine  große  Übereinstimmung  auf.  Wenn  man  von  gewissen 
Einzelheiten  absieht,  können  die  von  den  genannten  Forschern  ge- 
gebenen Abbildungen  auch  für  das  Ei  von  Malacobdella  gelten.  Be- 
sonders KoSTANECKis  treffliche  Bilder  weisen  oft  eine  geradezu  frappante 
Ähnlichkeit  mit  denen,  die  meine  Präparate  bieten,  auf.  Die  Haupt- 
unterschiede sind  die,  daß  es  bei  Malacobdella  einmal  nie  zur  Teilung 
eines  Polkörperchens  kommt,  was  bei  Cerebratulus  sehr  häufig  eintritt, 
und  zweitens,  daß  die  Chromosomen  bei  Malacobdella  nur  selten  die 
Form  von  Tetraden  haben,  was  bei  Cerebratulus  in  der  ersten  Richtungs- 
spindel  die  Regel  zu  sein  scheint.  Durch  die  Tatsache,  daß  das  Ei 
von  Cerebratulus  einen  einzigen  großen  Nucleolus  besitzt,  das  von 
Malacobdella  aber  eine  große  Zahl  kleiner  Nucleolen  aufweist,  kommt 
es  zu  weiteren  Verschiedenheiten,  die  sich  z.  B.  in  der  Art  der  Entstehung 
der  Chromosomen  kund  tun. 

Bei  einer  nicht  unbeträchtlichen  Zahl  von  Eiern,  die  innerhalb 
der  ersten  Stunde  nach  der  Mischung  mit  Sperma  fixiert  waren,  beob- 
achtete ich  eine  auffallende  Erscheinung.  Es  trat  hier  ein  immer  weiter 
fortschreitender  Zerfall  des  Keimbläschens  ein.  Zunächst  teilte  es  sich 
in  wenige  große,  zum  Teil  etwas  gelappte  Stücke,  die  gewöhnlich  ab- 
gerundete Konturen  angenommen  hatten.  In  diesen  ließen  sich  noch 
Reste  der  Chromatinbrocken  nachweisen.  In  späteren  Stadien  waren 
dann  die  größeren  in  eine  Anzahl  kleinerer,  mehr  oder  weniger  kugeliger 
Stücke  zerfallen,  und  dieser  Prozeß  ging  so  weit,  daß  schließlich  das 
ganze  Ei  mit  einer  großen  Zahl  (in  einem  Schnitte  30 — 40  Stück) 
kleiner  kugeliger  Gebilde  erfüllt  war.  Diese  zeigten  eine  körnige  Struktur 
und  auffallende  Affinität  zu  Kernfarbstoffen,  wodurch  sie  sich  von  dem 
Protoplasma  des  Eies  deutlich  abhoben,  falls  sie  nicht  gar  von  einem 


716  Gustaf  Gering, 

hellen  Hofe  umgeben  waren.  Von  Chromatinbrocken  war  jetzt  nichts 
mehr  zu  sehen,  ebensowenig  von  Nucleolen.  Anfänglich  glaubte  ich 
es  hier  mit  etwas  ähnlichem  zu  tun  zu  haben,  wie  es  Goldschmidt  [57] 
für  Polystomum  integerrimum  beschreibt  und  als  Caryomeritenbildung 
bezeichnet.  Da  aber  alle  diese  Eier  einer  Zucht  entstammten  und  ich 
in  den  vielen  Tausenden  von  Eiern,  die  ich  auf  Schnitten  untersuchte, 
niemals  wieder  etwas  derartiges  beobachtete,  glaube  ich  annehmen  zu 
dürfen,  daß  es  sich  hier  um  eine  abnorme  Erscheinung  handelt,  die 
eine  Entwicklung  der  Eier  wohl  verhindert  haben  würde.  Leider  besitze 
ich  keine  älteren  Stadien  aus  dieser  einen  Zucht. 

Kiel,  im  Juh  1910. 


Literatur. 

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Lipsiae)  1777—80.     2°.     Taf.  XXI. 

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et  Paris  1828.  p,  566. 

Zu  10.  u.  11.  Planches.  2.  Partie,  Zoologie.   Vers  et  Zoophytes.    Paris 
1816—1830.     Taf.  XXXVII,  Fig.  9  u.  9  a. 

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Paris  1845.     p.  364—79.     Taf.  XVIII. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malaoobdella  grossa  (Müll.).  717 

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Textfig.  9.     Taf.  XXXIX,  Fig.  23.  , 


1  Dieses  Werk  war  mir  nicht  zugänglich.    Ich  zitiere  es  nach  Bürger  [38]. 
Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  47 


718  Gustaf  Gering, 

33.  1893 — 95.     Riches,  In:   Journal  of    the  marine  biol.   Assoc.   o£  the  Unit. 

Kingdom.     N.  S.     Vol.  III.     Plymouth  1893—95.     p.  22. 

34.  1894.     L.  JouBiN,  Les   Nemertiens.      In:    Blanchard  et  de  Guerne,   Faune 

fran9aise.      Paris  1894.     p.  214.     Taf.  III,  Fig.  86. 

35.  1895.     O.  Bürger,  Fauna  und  Flora  des   Golfes   von  Neapel.      22.  Mono- 

graphie: Nemertinen.  Berlin  1895.  4°.  S.  597.  Taf.  XVIII.  Fig.  1—5, 
Taf.  XXIII,  Fig.  39;  Taf.  XXVII,  Fig.  21—23;  Taf.  XXVIII,  Fig.  25, 
38,  39. 

36.  1897.     L.  JoüBiN,  Nemertiens.      In :  R.    Blanchard,  Traite    de    Zoologie. 

Fase.  11.     Paris  1897.     p.  47. 

37.  1897 — 1907.     O.  Bürger,  Nemertini.     In:  H.  G.  Bronns  Klassen  und  Ord- 

nungen des  Tierreichs.  IV.  Bd.  Suppl.  Leipzig  1897—1907.  S.  438 
u.  ö.     Taf.  II,  Fig.  11,  Taf.  XV,  Fig.  17. 

38.  1904.     —  Nemertini.     In:    »Das  Tierreich«.      20.  Lieferung.     Berlin    1904. 

S.  74. 
38a.  1904.     G.  Retzius,  Zur  Kenntnis  der  Spermien  der  Evertebraten  I.     Biolo- 
gische Untersuchungen.    N.  F.  XL    S.  12.    Taf.  IV,  Fig.  20—27. 

IL  Andre  Nemertinen. 

39.  1898.     A.  E.  Andrews,  Activities  of  Polar  Bodies  of  Cerebratuius.     Arch. 

f.  Entwicklungsmech.  d.  Organ.     Bd.  VI.     S.  228—248. 

40.  1898.     L.  Böhmig,  Beiträge  zur  Anatomie  und  Histologie  der  Nemertinen. 

Diese  Zeitschr.     Bd.  LXIV.     S.  479—564.    Taf.  XIII— XVII. 

41.  1900.     C.  M.  Child,  The  egg  of  the  Stichostenmia.    Science.    N.  S.    Vol.  XL 

p.  249/50. 

42.  1899.     W.  R.  Coe,  The  Maturation  and  Fertilization  of  the  Egg  of  Cere- 

bratuius. Zool.  Jahrb.  Abt.  f.  Anat.  u.  Ontog.  Bd.  XII.  1899.  S.  425 
bis  476.     Taf.  XIX— XXI. 

43.  1904.     —  The  anatomy  and  development  of  the  terrestrial  Nemertean  (Geone- 

mertes  agricola)  of  Bermuda.  Proceed.  of  the  Boston  Soc.  of  Nat.  Hist. 
Vol.  XXXI.     1904.     p.  531—570.     Taf.  XXIII— XXV. 

44.  1874.     G.  DiECK,  Beiträge    zur    Entwicklungsgeschichte    der    Nemertinen. 

Jen.  Zeitschr.  f.  Naturw.  Bd.  VIII.  1874.  S.  500—520.  Taf.  XVIII 
u.  XIX. 

45.  1876 — 77.     C.  K.  Hoffmann,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Nemertinen.  I.  Zur 

Entwicklungsgeschichte  von  Tetrastemma  varicolor  Oerst.  Nied.  Arch. 
f.  Zoologie.     Bd.  III.     1876—77.     S.  20.5—215. 

46.  1902.     K.  KosTANECKi,  Über  die  Reifung  und  Befruchtung  des  Eies  von 

Cerebratuius  marginatus.  Anz.  d.  Akad.  d.  Wiss.  in  Krakau.  Math.- 
Naturw.  Klasse.     Bd.  XLII.     1902.     S.  270—277.     Taf.  XVIII— XXI. 

47.  1896.     J.  Lebedinsky,  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Nemertinen.     Biol. 

Centralblatt.     Bd.  XVI.     1896.     S.  577—586. 

48.  1897.     —  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Nemertinen.     Biol.  Centralblatt. 

Bd.  XVII.     1897.     S.  113—124. 

49.  1897.     ■ —  Beobachtungen  über  die  Entwicklungsgeschichte  der  Nemertinen. 

Archiv  für  mikr.  Anat.  Bd.  XLIX.  1897.  S.  503—556  u.  623—650. 
Taf.  XXI— XXIII. 


Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.).  719 

50.  1888.     A.  B.  Lee,  La  spermatogen^e  chez  les  Nemertiens  ä  propos  d'une 

theorie  de  Sabatier.     Recueil  zool.  Suisse.     L  ser.     Tome  IV.     1888, 
p.  409—430.     Taf.  XIX. 

51.  1873—74.     W.  C.  Macintosh,  A  Monograph  of  the  British  Annelids.    Parti. 

The  Nemerteans.     Ray  Soc.     London  1873—74.     2°. 

52.  1895.     Th.  H.  Montgomery   jun.,  Stichostemma    Eilhardi    nov.    gen.    nov. 

spec.    Diese  Zeitschr.    Bd.  LIX.  1895.  S.  83—146.  Taf.  VIII  u.  IX. 

53.  1884.     W.  Salensky,  Recherches  sur  le  developpement  de  Monopora  vivi- 

para.    Arch.  deBiol.    TomeV.    1884.  p.  517— 571.  Taf.  XXX— XXXIL 

54.  1899.     Ch.  B.  Wilson,  The  Habits  and  early  Development  of  Cerebratulus 

lacteus.     Quart.  Journ.    of  Micr.   Science.    N.  S.     Vol.  XLIII.     1899. 
p.  97—194.     Taf.  IX— XI. 

55.  1903.     E.  B.  Wilson,  Experiments   on    Cleavage    and    Localization    in    the 

Nemertine-egg.      Arch.    f.    Entwicklungsmech.    d.    Organ.      Bd.  XVI. 
1903.     S.  411—460. 

Außerdem  Nr.  34,  35,  36,  37. 

m.  Sonstiges. 

56.  1897.     R.  V.  Erlanger,  Beiträge    zur   Kenntnis    der   Struktur   des    Proto- 

plasmas, der  karyokinetisehen  Spindel  und  des  Centrosoms.     Arch.  f. 
mikr.  Anat.     Bd.  XLIX.     1897.     S.  309^40. 

57.  1902.     R.  Goldschmidt,  Untersuchungen  über  die  Eireifung,  Befruchtung 

und  Zellteilung    bei  Polystomum  integerrimum  Rud.     Diese  Zeitschr. 
Bd.  LXXI.     1902.     S.  397—444. 

58.  1879.     O.  u.  R.  Hertwig,  Die  Actinien  usw.     (Studien  zur  Blättertheorie.) 

Jena  1879. 

59.  1889.     KoRSCHELT,  Beiträge    zur   Morphologie    und    Physiologie    des    Zell- 

kerns.   Zool.  Jahrb.   Abt.  f.  Anat.    Bd.  IV.     1889. 

60.  1898.     Th.  H.  Montgomery    jun.,  Comparative    cytological    studies,    with 

especial  regard  to  the  morphology  of  the  nucleolus.     Journ.  of  Mor- 
phology.     Vol.  XV.     1898. 

61.  1898.     J.  P.  Munson,  The   ovarian    egg    of    Limulus.      Journ.    of.    Morph. 

Vol.  XV.     1898. 

62.  1905.     W.  M.  Smallwood,  Some  observations   on  the  chromosome  vesicles 

in  the  maturation  of  Xudibranchs.    Morph.  Jahrb.    Bd.  XXXIII.   1905. 

63.  1894.     H.  Statjffacher,  Eibildung    und   Furchung    bei   Cyclas    cornea  L. 

Jen.  Zeitschr.  f.  Xaturw.     Bd.  XXVIII.     1894.     S.  196—246.     Taf.  XI 
bis  XV. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Tafel  XXXn. 

Die  Zeichnungen  sind  nach  mit  warmer  konzentrierter  Sublimatlösung 
fixierten  Schnittpräparaten  von  5  n  Dicke  mit  Hilfe  des  AsBEschen  Zeichen- 
apparates  hergestellt  unter  Benutzung  der  homogenen  Immersion  1/12  mm. 
Apert.  1,  3  und  der  Oculare  1,  3  und  4.  Fig.  9  ist  mit  Objektiv  C,  Ocular  4  gezeichnet. 

47* 


720  Gustaf  Gering,  Beiträge  zur  Kenntnis  von  Malacobdella  grossa  (Müll.). 

Gebraucht  wurde  ein  ZEisssches  Mikroskop.  Über  die  angewandten  Färbungen 
vergleiche  S.  694.  Da  die  Zeichenfläche  nicht  in  der  Höhe  des  Objekttisches  lag, 
ist  für  jede  Figur  die  berechnete  Vergrößerung  angegeben. 

Fig.  1.  Junge  Eier  mit  primärem  Dotter,  noch  eingeschlossen  vom  Gonaden- 
epithel.    620  X . 

Fig.  2.  Gonadenepithelzellen  mit  großen  Dotterballen,  x,  ein  unter  der 
Bildebene  liegendes  junges  Ei.     1120  x. 

Fig.  3.  Gonadenepithelzellen  mit  zahlreichen  bernsteinfarbigen  Einschlüssen 
und  Dotterkugeln.     1350  x  . 

Fig.  4.  Ein  älteres  Ei.  Man  sieht  die  langgestreckten  Nährzellen  und  die 
durch  Schattierung  hervorgehobene  Farbdifferenz  zwischen  primärem  und  Nähr- 
zellendotter.    620  x . 

Fig.  5.  Unterer  Teil  eines  noch  weiter  entwickelten  Eies^  Zahlreiche 
Nährzellen  strecken  sich  am  Stiel  in  die  Höhe.     620  x . 

Fig.  6.  Stielbasis  eines  älteren  Eies.  In  den  Nährzellen  bernsteinfarbige 
Einschlüsse  und  Dotterkugeln.  Ein  Teil  der  Nährzellen  ist  bereits  zum  Aufbau 
des  Stieles  verbraucht.     1120  x. 

Fig.  7.  Unterer  Teil  eines  Eies.  Die  Kerne  der  Nährzellen  in  Auflösung 
begriffen.     1120  x. 

Fig.  8.  Unterer  Teil  eines  noch  weiter  entwickelten  Eies.  Im  inneren  Teil 
des  Stieles  in  Auflösung  begriffene  Gebilde  (wahrscheinlich  Dottersubstanz  be- 
sonderer Beschaffenheit).  Einige  nicht  direkt  in  der  Bildebene  liegende  Kerne 
wurden  blaß  eingezeichnet.     1120  x. 

Fig.  9.  Eibirne,  in  der  die  drei  Bezirke  die  typische  Ausbildung  zeigen. 
Die  Farbdifferenzen  wurden  durch  verschiedene  Schattierung  wiedergegeben.  300  x  . 

Fig.  10.  Unterer  Teil  eines  Eies.  Im  Stiel  ist  der  dritte  Bezirk  als  röhren- 
förmiger Teil  gut  erkennbar.     620  x  . 

Fig.  11.  Untere  Hälfte  eines  eben  abgelösten  Eies.  Um  die  Farbdifferenz 
zu  zeigen,  wurde  der  zweite  Bezirk,  der  ebenso  gekörnelt  ist  wie  der  dritte,  flächen - 
haft  angelegt.  Man  sieht  die  Eimembranbildung.  1120  x.  Fig.  IIa.  Das  ganze 
Ei.     140  X . 

Fig.  12.  Abgelegtes  und  befruchtetes  Ei.  Fixiert  durch  langsame  Über- 
führung aus  Seewasser  in  Sublimateisessig,  worauf  das  Ei  durch  langsam  zuge- 
setzten Alkohol  gehärtet  wurde.  Die  Micropyle  tritt  durch  zahlreiche  dort  an- 
haftende   Spermatozoen  deutlich  hervor. 

Fig.  13.  Frisches,  soeben  abgelegtes,  unbefruchtetes  Ei.  Man  sieht  die 
große  Micropyle. 


w 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  und  Anatomie  der 
Tardigraden  (Macrobiotus  macronyx  Duj.). 

Von 

J.  Henneke. 

(Aus  dem  zoologischen  Institut  in  Marburg.) 


Mit  20  Figuren  im  Text  und  Tafel  XXXIIT. 

Dem  Studium  der  Tardigraden  wandte  ich  mich  zu  in  der  Absicht, 
die  Entwicklimgsgeschichte  dieser  in  vieler  Hinsicht  so  interessanten 
Tiergruppe  zu  verfolgen.  Jedoch  erwiesen  sich  die  technischen  Schwie- 
rigkeiten in  der  Behandlung  der  recht  kleinen  Eier  als  so  groß,  daß 
ich  einstweilen  diese  Arbeit  zurückstellen  mußte,  hoffe  aber,  dieselbe 
in  nicht  allzu  langer  Zeit  der  vorliegenden  folgen  lassen  zu  können. 
Zu  der  nachfolgenden  Untersuchung  veranlaßte  mich  der  Umstand, 
daß  wir  über  den  anatomischen  und  histologischen  Bau  der  männlichen 
Tiere  der  Tardigraden  noch  so  gut  wie  gar  nicht  orientiert  sind.  Wesent- 
lich unterstützt  in  meinen  Bemühungen  wurde  ich  dadurch,  daß  ich 
in  meinem  Material,  das  ich  zum  Zwecke  des  Studiums  der  Entwick- 
lungsgeschichte gesammelt  hatte,  eine  große  Menge  von  Männchen 
der  Species  Macrobiotus  macronyx  Duj.  auffand.  Meine  Untersuchungen 
erstrecken  sich  aber  nicht  allein  auf  die  männlichen  Tiere,  sondern  es 
wurden  auch  die  weiblichen  derselben  Species  zum  Vergleich  heran- 
gezogen, so  daß  also  diese  Arbeit  gewissermaßen  eine  Ergänzung  zu 
der  erst  kürzlich  aus  dem  hiesigen  Institut  hervorgegangenen  Arbeit 
von  Basse  (1905)   >>Über  den  Bau  der  Tardigraden«  bildet. 

Material. 

Zu  den  Untersuchungen  wurde  die  im  Süßwasser  lebende  Art  Macro- 
biotus macronyx  verwandt.  Das  Material,  bei  dessen  Aufsuchung  mir 
Herr  Professor  Dr.  Lauterborn  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  stand,  und 
dem  ich  für  seine  liebenswürdige  Hilfe  an  dieser  Stelle  nochmals  meinen 


722  J.  Henneke, 

verbindlichsten  Dank  ausspreche,  stammt  aus  einem  Graben  mit  stehen- 
dem Wasser,  der  sich  zwischen  Mundenheim  und  Maudach  (bei  Lud- 
wigshafen am  Rhein)  hinzieht.  Hier  fand  ich,  wie  das  v.  Erlanger 
schon  beschreibt,  die  Tiere  unter  Diatomeen  und  Oscillarien  an  der 
Oberfläche  des  Wassers  in  den  Monaten  März  bis  Mai  in  ganz  unge- 
heuren Mengen.  Ich  schöpfte  den  Schlamm  mit  einem  Netz  und 
goß  ihn  zu  Hause  in  Schalen.  Die  Tiere  sammelten  sich  dann  an  der 
Lichtseite  des  Gefäßes  und  konnten  zu  Tausenden  gefangen  werden. 

Methodik. 

Die  Tiere  wurden  lebend  und  konserviert  studiert.  Als  Konser- 
vierungsflüssigkeit wurde  heiße  ZENKERsche  Lösung,  heißer  Sublimat- 
alkohol und  HERMANNsche  Lösung  verwandt.  Letztere  erwies  sich 
als  unentbehrlich  für  das  Studium  der  cytologischen  Verhältnisse  des 
Hodens,  während  die  ersten  beiden  sich  besser  eigneten  zum  Studium 
der  übrigen  anatomischen  Verhältnisse  in  Schnitten  und  Totalpräpa- 
raten. Gefärbt  wurde  nach  Heidenhain  und  mit  Hämatoxylin-Eosin. 
Die  Totalpräparate  wurden  mit  Hämatoxylin  oder  besser  mit  Borax- 
karmin gefärbt  und  in  Nelkenöl  untersucht,  worin  sie  sich  sehr  gut 
hielten.  Der  besseren  Orientierung  wegen  wurden  die  Tiere  nach  der 
HoFFMANNschen  Nelkenölkollodiummethode  eingebettet.  Bevor  sie 
in  Nelkenöl  gebracht  wurden,  mußte  die  Chitinhaut  an  einer  Stelle 
geöffnet  werden  und  die  Tiere  dann  nach  der  Senkmethode  aus  absoluten^ 
Alkohol  überführt  werden.     Die  Dicke  der  Schnitte  betrug  2  f^i. 

Ich  möchte  nicht  versäumen,  an  dieser  Stelle  meinem  hochver- 
ehrten Lehrer,  Herrn  Prof.  Dr.  Korschelt,  für  das  jederzeit  meiner 
Arbeit  entgegengebrachte  Interesse  meinen  verbindlichsten  Dank  aus- 
zusprechen. Auch  Herrn  Prof.  Dr.  Meisenheimer  und  Herrn  Dr. 
Tönniges  möchte  ich  hier  noch  einmal  für  ihre  Unterstützung,  be- 
sonders bei  Überwindung  der  nicht  unerheblichen  technischen  Schwierig- 
keiten, danken. 

Biologisches. 

Im  Gegensatz  zu  den  landlebenden  Formen  kommen  bei  den 
wasserlebenden  Männchen  ebenso  häufig  vor  wie  Weibchen,  wenigstens 
in  den  Monaten  Februar  bis  Mai.  Ja,  es  schien  mir  sogar,  als  wenn 
sie  in  den  ersten  warmen,  regenlosen  Tagen  des  Frühlings,  also  etwa 
Anfang  März  in  der  Überzahl  da  wären.  Jedoch  scheint  dies  Verhältnis 
sich  im  Laufe  des  Jahres  zu  ändern,  da  nach  den  übereinstimmenden 
Mitteilungen  von  Rywosch  u.  a.  die  Männchen  in  den  späteren  Monaten 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  und  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  723 

des  Jahres  ganz  verschwinden  sollen,  während  die  Weibchen  doch  ent- 
wicklungsfähige Eier  legen.  Ich  vermute  daher,  daß  hier  ein  ähnlicher 
Wechsel  von  parthenogenetischen  und  befruchtungsbedürftigen  Gene- 
rationen vorliegt,  wie  er  für  Rotatorien,  Aphiden  u.  a.  Tiere  beschrieben 
ist.     Doch  wäre  das  noch  näher  zu  untersuchen. 

]\Ian  kann  bei  einiger  Übung  die  beiden  Geschlechter  schon  bei 
oberflächlicher  Betrachtung  voneinander  unterscheiden.  Ich  kann 
mich  hier  der  Beschreibung  v.  Erlangeks  vollkommen  anschließen: 
»Die  Männchen,  schreibt  er,  sind  durchschnittlich  um  die  Hälfte  kleiner 
als  die  Weibchen,  beweglicher,  viel  durchsichtiger  und  farblos,  während 
die  Weibchen  durch  die  im  Ovar  enthaltenen  Eier  eine  gelbe  bis  braune 
Färbung  aufweisen,  welche  vom  Eidotter  herrührt.«  Ein  ganz  un- 
zweifelhaftes Erkennungsmerkmal  dafür,  ob  man  es  mit  einem  Männ- 
chen oder  Weibchen  zu  tun  hat,  bietet  sich  außer  in  dem  Inhalt  der 
Gonaden  in  einem  von  Rywosch  entdeckten  »eigentümlichen  Häk- 
chen an  dem  vorderen  Fußstummel;  neben  den  drei  normalen  findet 
sich  hier  ein  kleineres,  welches  stärker  als 
die  andern  gekrümmt  ist  und  an  seiner 
konvexen  Seite  einen  kleinen  Vorsprung 
besitzt«  (Textfig.  1).  Dieses  kleine  Häk-  exd' 
chen  erweist  sich  als  außerordentlich  zweck- 
mäßig bei  dem  Begattungsvorgang,  öfters 
fischte  ich  mit  der  Pipette  Weibchen 
heraus,   an  denen   ein  bis  mehrere  Mann-  Textfig.  1. 

chen  fest  angeklammert  waren.    Ich  beob-   Erste  Extremität  eines  männlichen 

1        1       1    o      •        •       Individuums  von  Macrobiotus  niacro- 

achtete  diese  genauer  und  sah,  daß  em,  ja  nyx. 

mitunter  vier  Männchen  an  einem  Weibchen 

saßen  oder  auf  demselben  herumkrochen,  indem  sie  sich  mit  den  Häk- 
chen an  der  Chitinhaut  des  Weibchens  festhakten.  Das  Weibchen  zog 
sich  bald  zusammen  und  löste  sich  auf  diese  Weise  von  der  alten 
Chitinhaut.  In  dieser  arbeitete  es  mit  Zähnen  und  Füßen  heftig 
herum,  bis  es  ihm  gelungen  war,  die  alte  Hülle  zu  durchbohren. 
Es  wird  dieser  Vorgang  der  Häutung  schon  in  ganz  ähnlicher  Weise 
von  andern  Autoren,  z.  B.  Kaufmann,  Richters  u.  a.  beschrieben. 
Die  alte  Hülle  wird  jetzt  bis  zwischen  die  beiden  hintersten  Extremi- 
täten abgestreift;  hier  bleibt  sie  hängen,  so  daß  also  die  Cloake  noch 
in  sie  hineinmündet.  Die  Männchen  versuchen  nun  mit  den  Zähnen 
die  hinten  hängende  Haut  anzubohren,  was  einige  Zeit  in  Anspruch 
nimmt.  Ist  ihnen  das  gelungen,  so  legen  sie  sich  quer  über  die 
Hülle,  ihre  Cloake  über  dem  gebohrten  Loch,  klammern  sich  an  der 


724  J.  Henneke, 

Haut  fest  und  entleeren  den  Samen  in  die  abgestreifte  Hülle  des 
Weibchens. 

Von  einem  Copulationsglied,  wie  es  Greeff  angibt,  ist  nichts 
vorhanden.  Was  er  als  solches  anspricht,  möchte  ich  nach  seiner 
Zeichnung  für  die  Chitinauskleidung  der  Cloake  halten.  Da  er  niemals 
eine  Begattung  gesehen  hat,  ist  seine  Deutung  dieses  von  ihm  ange- 
gebenen Fortsatzes  wohl  auch  lediglich  nur  eine  Vermutung. 

Ist  der  Samenerguß  erfolgt,  so  sieht  man  Spermatozoen  in  großer 
Menge  in  der  Hülle  herumwimmeln.  Auch  Kaufmann  hat  eine  ähnliche 
lebhafte  Bewegung  in  der  alten  Chitinhaut  bei  der  Eiablage  beobachtet 
und  schreibt  darüber:  »Mit  dem  Ei  trat  zugleich  eine  Menge  von  Ele- 
mentarkörnchen hervor,  die  sich  in  dem  von  der  alten  Hülle  einge- 
schlossenen Eaum  verbreiteten  und  so  lebhafte  Bewegungen  ausführten, 
daß  der  Gedanke  an  Spermatozoidengewimmel  sehr  nahe  lag.  Es  war 
aber  eine  mit  Spermatozoiden  zu  vergleichende  Form  an  diesen  Körper- 
chen nicht  zu  erkennen.  <<  Er  nimmt  dann  weiter  an,  daß  die  Befruchtung 
schon  im  Ovar  stattfindet.  Mir  gelang  es,  auf  Schnitten  direkt  Sper- 
matozoen in  der  alten  Hülle,  die  auf  die  vorhin  beschriebene  Weise 
dorthineingelangt  waren,  nachzuweisen.  Von  diesen  rührte  jedenfalls 
auch  die  lebhafte  Bewegung  her,  denn  von  »Elementarkörnchen«  war 
nichts  zu  sehen.  Die  Spermatozoen  dringen  bisweilen  in  die  Cloake 
ein  und  waren  im  Enddarm  festzustellen. 

In  demselben  Moment,  wo  die  Ejaculation  erfolgt  ist,  fängt  auch 
das  Weibchen  an  seine  Eier  abzulegen,  und  zwar  entledigt  es  sich  der- 
selben ziemlich  schnell  (bis  zu  15  Eier  in  5  Minuten);  die  Eier  zwängen 
sich  durch  Oviduct  und  Cloake,  indem  sie  ihre  Form  den  Ausführgängen 
anpassen.  Die  Abbildung,  die  Kaufmann  von  dem  Vorgang  gibt,  ist 
im  großen  und  ganzen  richtig.  Jedoch  läßt  er  die  Weibchen  mit  der 
Ablage  der  Eier  schon  beginnen,  während  sie  noch  ganz  in  ihrer  alten 
Hülle  darinstecken,  was  wohl  auch  bisweilen  vorkommen  mag. 

v.  Erlanger  stellt  den  Begattungsprozeß  etwas  anders  dar.  Er 
gibt  an,  daß  das  Männchen  sein  Sperma  an  der  Afteröffnung  der  ab- 
gestreiften Chitinhaut  ausstößt,  und  daß  dasselbe  durch  die  Bewegungen 
des  Weibchens  gewissermaßen  in  dieselbe  hineingepumpt  wird.  Ich 
halte  diese  Beschreibung  nicht  für  richtig;  denn  ich  habe  den  Vorgang 
nicht  dreimal  wie  er,  sondern  viel  öfter  sich  abspielen  sehen  und  immer 
in  der  von  mir  angegebenen  Weise.  Auch  konnte  ich  ihn  willkürlich 
herbeiführen,  indem  ich  Weibchen  mit  reifen  Eiern  absonderte,  bis  sie 
ihre   Hülle   abgestreift   hatten,   und   dann  Männchen   dazusetzte. 

Die  Hülle  mit  den  Eiern  schleifen  die  Weibchen  im  allgemeinen 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  725 

bis  zum  Ausschlüpfen  der  Jungen  mit  sich  herum.  Doch  scheinen  sie 
bisweilen  ganz  aus  der  Hülle  herauszuschlüpfen  und  die  Eiersäcke  sich 
selbst  zu  überlassen,  da  v.  Erlanger  angibt,  daß  er  in  einem  Jahre  die 
Weibchen  mit  den  Eiersäcken  im  Zusammenhang,  im  andern  getrennt 
voneinander  gefunden  habe.  Auch  Kaufmann  spricht  von  einem  voll- 
ständigen Herausschlüpfen  der  Weibchen  aus  ihrer  alten  Haut. 

Anatomisches. 
Integument. 

Der  ganze  Körper  der  Tardigraden  ist  von  einer  Chitinhülle  um- 
geben, die  von  den  unter  ihr  liegenden  Matrixzellen  ausgeschieden  wird. 
Am  vorderen  Ende,  etwas  ventral,  liegt  die  runde  Mundöffnung,  die 
von  mehreren  chitinigen  Papillen  umstellt  wird.  Am  hinteren  Ende 
liegt  der  spaltförmige  After,  in  den  eine  Strecke  weit  das  Chitin  hinein- 
ragt. Die  Chitinhülle  ist  glatt,  weist  also  keine  Ringelung  und  Fort- 
sätze auf,  wie  man  sie  bei  landlebenden  Formen  vielfach  findet.  An 
den  Enden  der  acht  Extremitäten  sitzen  je  vier  Krallen,  zu  Paaren 
angeordnet,  von  denen  das  eine  Paar  länger,  aber  dünner  ist  als  das 
andre.  Die  Doppelkrallen  stehen  etwas  schräg  zur  Längsachse  des 
Tieres,  und  zwar  so,  daß  bei  den  ersten  drei  Extremitäten  die  kürzeren 
weiter  nach  außen  stehen  als  die  längeren,  bei  der  letzten  Extremität 
umgekehrt.  Die  Krallen  sind  gebogen,  und  zwar  zeigen  die  der  drei 
vorderen  Extremitätenpaare  mit  ihrer  konkaven  Seite  nach  hinten, 
die  des  vierten  Paares  nach  vorn. 

Beim  Weibchen  sind  die  Krallen  des  vorderen  Fußstummels  bis 
auf  den  erwähnten  Unterschied  in  der  Größe  einander  gleich,  während 
beim  Männchen  die  hinteren  nach  innen  stehenden  Krallen  des  ersten 
Extremitäten paares  die  oben  beschriebenen  Eigentümlichkeiten  zeigen 
(Textfig.  1). 

Einen  Porus  in  der  Chitinhaut,  wie  ihn  Basse  bei  landlebenden 
Formen  zwischen  den  Krallen  gefunden  hat,  konnte  ich  nicht  fest- 
stellen. Die  Hypodermiszellen  der  Chitincuticula  sind  sehr  flach,  ver- 
hältnismäßig groß,  mit  kleinem  chromatinarmen  Nucleus,  der  einen 
kleinen  Nucleolus  einschließt.  Die  regelmäßige  Anordnung  der  Zellen 
auf  der  Dorsalseite,  wie  sie  von  vielen  Autoren  für  die  Landarten  an- 
gegeben wird,  und  welche  darin  zum  Ausdruck  kommt,  daß  rechts 
und  links  von  der  Medianlinie  die  Zellen  in  je  zwei  Längsreihen  stehen, 
tritt  nicht  deutlich  hervor.  Pigment  in  den  Hypodermiszellen,  wie 
es  für  die  landlebenden  Formen  fast  regelmäßig  angegeben  wird,  findet 
sich  gar  nicht.  An  verschiedenen  Stellen  finden  sich,  wie  auch  bei  andern 


726 


J.  Henneke, 


Arten,  Verdickungen  der  Hypodermis.  Zwei  derselben  finden  sich  dorsal 
und  ventral  von  der  Mundöffnung  (Textfig.  2) ;  Zellgrenzen  konnte  ich 
ebensowenig  wie  Basse  in  ihnen  finden;  ein  Lumen  war  nicht  zu  kon- 
statieren. Wahrscheinlich  dient  diese  Anschwellung,  wie  schon  Basse 
u.  a.  vermuten,  der  stärkeren  Chitinproduktion  in  der  Gegend  des 
Mundes. 

Ferner  liegt  an  den  Enden  der  Fußstummel  je  eine  Verdickung 
der  Hypodermis,  über  deren  Bedeutung  die  Ansichten  der  Autoren 
auseinander  gehen.  Die  Verdickungen  sind  halbkugelförmig  und  be- 
stehen aus  radiär  gestellten  keilförmigen  Zellen,  die  in  der  Mitte  einen 
Hohlraum  umschließen  (Textfig.  3).  Basse  hält  diese  mit  v.'  Erlanger 


kr~\ 


Textfig.  2. 

Medianschnitt  durch  Mundhölüe  und 

Mundröhre. 


Textfig.  3. 


Extremität   eines  sich    häutenden 
Weibchens. 


für  Extremitätendrüsen,  besonders  weil  er  einen  Porus  in  der  Chitin- 
haut unter  dem  Lumen  der  Hypodermisverdickung  gefunden  hat  und 
vor  demselben  öfters  ein  Pfröpfchen  von  ausgetretenem  Secret  be- 
obachtete. Dagegen  sind  Plate  und  Lance  der  Ansicht,  daß  diese 
Zellanhäufung  eine  Ursache  der  stärkeren  Chitinproduktion  an  den 
Extremitäten  bei  den  Häutungen  ist.  Ich  fand,  daß  bei  Tieren,  die 
sich  eben  von  ihrer  alten  Chitinhaut  zurückgezogen  hatten,  aber  noch 
in  ihr  darinlagen,  die  Basalplatte  der  neuen  Krallen  den  Wänden  des 
Hohlraumes  der  sogenannten  Extremitätendrüsen  dicht  angelagert  war 
und  daß  die  neuen  Krallen  in  ihr  Lumen  hineinragten  (Textfig.  3). 
Die  Basalplatte  mit  den  Krallen  wird  dann  anscheinend  ausgestülpt. 
Es  scheint  daher  nicht  unwahrscheinlich,  mit  Plate  und  Lance  anzu- 
nehmen, daß  die  Basalplatte  und  die  Krallen  von  den  sogenannten 
Extremitätendrüsen  ausgeschieden  sind  und,  da  die  Krallen  innen  hohl 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  727 

sind,  so  wäre  es  nicht  immöglicli,  daß  sie  von  einem  Zellfortsatz  aus, 
der  in  sie  hineinragte  und  später  zurückgezogen  wird,  gebildet  werden, 
doch  gelang  es  mir  nicht  einen  solchen  nachzuweisen. 

Die  Organe  der  Nahrungsaufnahme  und  Verdauung. 

Was  die  Organe  der  Nahrungsaufnahme  und  Verdauung  anbetrifft, 
so  kann  ich  im  großen  und  ganzen  bis  auf  einige  unbedeutende  Ab- 
weichungen die  BASSEschen  Ausführungen  bestätigen.  Die  Mund- 
öffnung ist  rund,  von  Chitinpapillen  umstellt  und  liegt  auf  der  ventralen 


Textfig.  4. 

Frontalschnitt  durch  das  vordere  Körpereude  (kombiniert i. 

Seite.  Die  Mundhöhle  besteht  nach  früheren  Autoren  aus  nach  hinten 
enger  werdenden  Chitinringen.  Diese  sind  bei  Macrohiotus  macronyx 
nicht  vorhanden,  sondern  wir  finden  eine  einheitliche,  überall  gleich- 
weite Mundhöhle,  an  die  sich  sehr  scharf  abgesetzt  die  Mundröhre  an- 
schließt (Textfig.  2  u.  4).  Dieselbe  ist  in  ihrem  vorderen  Abschnitt  in 
dorso ventraler  Richtung  etwas  aufgetrieben,  wie  das  der  Medianschnitt 


728  J.  Henneke, 

(Textfig.  2)  und  der  Querschnitt  (Textfig.  5  b),  der  durch  diese  Gegend 
geführt  ist,  sehr  deuthch  erkennen  lassen.  An  der  höchsten  und  tiefsten 
Stelle  dieser  Auftreibung  ist  das  Chitin  der  Mundröhre  etwas  verdickt; 
eine  stärkere  Verdickung  findet  sich  weiter  nach  hinten  dort,  wo  die 
Auftreibung  sich  allmählich  verliert  (Textfig.  2  und  Querschnitt  Text- 
fig. 5  h).  Der  ganze  vordere  Abschnitt  der  Mundröhre  wird  umfaßt 
von  einem  kleinen  chitinigen  Becher,  dessen  Boden  von  der  Mundröhre 
durchbohrt  wird  und  hier  an  ihr  befestigt  ist.  Dorsal  und  ventral  liegt 
seine  Wand  direkt  der  Mundröhre  auf.  Lateral  befindet  sich  zwischen 
ihr  und  der  Mundröhre  ein  Zwischenraum,  in  dem  Gebilde  liegen,  auf 
die  wir  gleich  noch  zu  sprechen  kommen  (Text- 
mr—jK  ^^^-  ^'  ^  ™^  Querschnitt  Textfig.  5  a).     Der  Mund- 

^-^sL  J©-^  apparat  kann  über  die  Körperoberfläche  vorge- 
^^  ^  .streckt  und  wieder  eingezogen  werden.  Textfig.  4 
zeigt  ihn  im  eingezogenen  Zustand.  Die  cylin- 
drische,  chitinige  Mundröhre  zieht  in  schwachem 
Bogen  nach  hinten  und  ragt  noch  ein  Stück  in 
den  Scblundkopf  hinein,  sich  hier  allmählich 
Textfig.  5.  trichterförmig  verengernd.   In  dieselbe  hinein  ragen 

Zwei  Querschnitte  durch   y^j-^    uuten   scitwärts   die  beiden   etwas   gebogenen 

die  Mundröhre,   a,  gleich  ...  .  ^ 

hinter  der   Mundhöhle,   Zähne.     Dicse    siud   ihrer   chemischen  Natur  nach 
b,  hinter  dem  aufgetne-  y^[q]^i  ^us  Chitin  zusammengesetzt,  da  sie  sich  gegen 

benen    Teil    der    Mund-    ^^     ,  .»  -r>    tt  ?•         -i        i  -, 

röhre.  Farbstoffe,  z.  B.  Hämatoxylin,  durchaus  anders  ver- 

halten wie  das  übrige  Chitin  des  Tieres.  Vielleicht 
bestehen  sie  aus  einer  organischen  Grundmasse,  in  die  Kalksalze  ab- 
gelagert sind,  wie  das  Doyere  für  das  vordere  Ende  der  Zähne  vieler 
Macrobioten  angibt  (Textfig.  4). 

Eine  Chitinleiste,  welche  Basse  als  Führungsleiste  bezeichnet  hat, 
und  auf  der  die  Zähne  hingleiten  sollen,  war  bei  Macrohiotus  macronyx 
nicht  vorhanden.  Statt  dieser  fand  sich  ein  andrer  Gleitapparat. 
Rechts  und  links  vom  vorderen  Ende  der  Mundröhre  sind  an  diese  kleine 
Röhrchen  angesetzt  (Textfig.  5).  Mit  ihrem  vordersten  Ende  reichen 
dieselben  bis  an  den  Boden  der  Mundhöhle.  Auf  dem  Frontalschnitt 
(Textfig.  4)  sind  sie  nicht  bis  vorn  hin  dargestellt,  um  die  Einmündung 
der  Speicheldrüse  einzeichnen  zu  können;  aber  auf  dem  Querschnitt 
(Textfig.  5  a),  der  direkt  hinter  der  Mundhöhle  geführt  zu  denken  ist, 
sind  sie  im  Durchschnitt  rechts  und  links  von  der  Mundröhre  deutlich 
zu  sehen.  Der  Querschnitt  der  Röhrchen  ist  hinten  rund,  vorn  platt. 
Vorn  liegen  die  Röhrchen  in  dem  vorhin  erwähnten  Zwischenraum 
zwischen  der  Mundröhre  und  der  Wand  des  kleinen,  chitinigen  Bechers, 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  729 

sich  an  dieser  befestigend  (Textfig.  5  a).  Mit  der  Mundröhre  stehen 
die  Röhrchen  jederseits  durch  eine  Öffnung  in  Verbindung.  In  den 
Röhrchen  gleiten  die  Zähne  (Textfig.  5  b)  und  kommen  durch  die 
Öffnungen  in  die  Mundröhre  (Textfig.  4). 

Jeder  Zahn  sitzt  mit  einem  Gelenkkopf  in  einer  Gabel  des  sogenann- 
ten Zahnträgers.  Derselbe  stellt  eine  S-förmig  gekrümmte  Chitinspange 
dar,  welche  mit  dem  einen  Ende  an  der  Mundröhre  befestigt  ist,  deren 
Wand  an  der  Befestigungsstelle  etwas  verdickt  ist  (Textfig.  4).  »Durch 
zwei  Muskeln,  welche  dorsal  und  ventral  über  bzw.  unter  der  Mundröhre 
hinziehen,  werden  die  beiden  Gelenke  miteinander  verbunden  (Textfig.  4 
u.  6).  Außerdem  setzen  sich  an  die 
Enden  der  Zahnträger  noch  drei 
Muskelstränge  jederseits  an,  von  denen 
die  beiden  ersten  zum  Schlundkopf 
ziehen  und  sich  an  dessen  Peripherie 
dicht  übereinander  ansetzen,  der  dritte  iexttig,  b. 

,  _,     -,  Muiidröhre  mit  Zahnträgern  und  deren 

zum  vordersten  Ende  der  Mundrohre  <<  Muskeln  im  Querschnitt. 

(Textfig.  4).    Von  diesem  konnte    ich 

nachweisen,  daß  er  an  jeder  Seite  paarig  vorhanden  ist,  also  aus 
einem  dorsalen  und  ventralen  Muskelstrang  besteht,  zwischen  denen 
der  Zahn  liegt.  Der  dorsale  inseriert  an  dem  dorsalen  Ast  der  Gabel 
des  Zahnträgers,  der  ventrale  an  dem  ventralen.  Vorn  setzen  sie  an 
der  Mundröhre  an,  und  zwar  der  dorsale  Strang  oberhalb,  der  ven- 
trale unterhalb  der  Eintrittsstelle  der  Zähne  in  dieselbe  zwischen  den 
beiden  vorhin  erwähnten  chitinigen  Verdickungen  (Textfig.  2,  4  und 
Querschnitt  Textfig.  5  &).  Zwischen  Schlundkopf,  Zahnträger  und 
Mundröhre  liegen  ober-  und  unterhalb  der  Mundröhre  zwischen  den 
nach  vorn  ziehenden  Muskeln,  nicht  zwischen  Zähnen  und  Mundröhre 
Matrixzellen,  welche  die  chitinigen  Teile  des  Zahn-  und  Mundapparates 
liefern  (Textfig.  4). 

Der  Schlundkopf  hat  die  Form  eines  EUipsoids.  >>Er  besteht  aus 
radiär  angeordneten  Muskelbündeln  und  ist  durch  drei  radiäre  Spalten 
von  der  Mitte  bis  zur  Peripherie  in  drei  Segmente  zerlegt.  <<  Eine  derart 
regelmäßige  Anordnung  der  Muskelbündel,  wie  sie  Basse  angibt,  nämlich, 
daß  in  jedem  Segment  zwei  seitliche  Bündel  sich  an  die  gleich  zu  erwähnen- 
den Chitinstäbe,  ein  mittleres  sich  an  den  mittelsten  vorspringenden  Teil 
des  Segments  anheften,  besteht  bei  Macrobiotus  marconyx  nicht.  Die 
Fibrillen  ziehen  von  der  Peripherie  des  Schlundkopfes  zur  Mitte  (Text- 
fig. 4  u.  7)  und  erweitern  durch  ihre  Verkürzung  das  Lumen  desselben; 
auf  diese  Weise  ist  derselbe  imstande,  eine  saujrende  Wirkuno  auszuüben. 


730 


J.  Henneke, 


Textfig.  7. 

Querschnitt  durch  Schlundkopf  und  Speicliel- 

Q,  drüsen.     g 


Im  Schlundkopf  finden  sich  Chitineinlagerungeu,  welche  jedoch 
nicht  wie  bei  andern  Arten  der  Gattung  Macrohiotus  ziemhch  dicke 
Leisten  darstellen,  sondern  nur  dünne  und  nur  nach  geeigneten  Färbe- 
methoden genau  festzustellende 
Stäbchen  sind.  Es  sind  drei 
Doppellängsreihen  von  Stäbchen 
vorhanden.  Jede  Doppellängsreihe 
besteht  aus  zwei  hintereinander 
gelegenen  Paaren,  jedes  Paar  aus 
zwei  Stäbchen,  die  einander  gegen- 
Über  in  benachbarten  .  Segmenten 
des  Schlundkopfes  liegen  (Text- 
fig. 4  u.  7).  Ich  möchte  auf  die 
Form  und  Zahl  der  Chitineinlage- 
rungen vom  systematischen  Stand- 
'  punkt     ein     besonderes     Gewicht 

legen.  Man  hatte  bisher  immer  mit  Plate  und 
Greeff  angenommen,  daß  es  nur  einen  Süß- 
wasser-Macrobiotus,  den  31.  inacronyx,  gäbe. 
Ich  war  nun  sehr  erstaunt,  als  ich  kürzlich 
einen  Macrohiotus  im  Süßwasser  fand,  der  zwar 
auf  den  ersten  Blick  dem  M.  macronyx  sehr 
ähnlich  sah,  sich  von  demselben  aber  außer  in 
einigen  weniger  in  die  Augen  fallenden  Merk- 
malen, besonders  durch  Form  und  Zahl  der 
Chitineinlagerungen  unterschied.  Es  fanden 
sich  bei  ihm  in  jeder  Längsreihe  drei  ziemlich 
dicke  Leistchen.  In  einer  mir  in  liebenswürdiger 
Weise  zur  Verfügung  gestellten,  eben  im  Druck 
befindlichen  Arbeit  von  Professor  Richters 
fand  ich  diese  Angabe  voll  bestätigt.  Ich  möchte 
den  von  mir  gesehenen  Macrohiotus  mit  dem 
von  ihm  dort  beschriebenen  Macrohiotus  la- 
custris  identifizieren. 

An    den    Schlundkopf    schließt    sich    der 
Schlund  an,  der  sehr  eng  ist  und  aus  verhältnis- 
mäßig niedrigen  Zellen  besteht  (Textfig.  8). 
In  das  Mundrohr  münden  vorn  beiderseits   die  beiden  Speichel- 
drüsen.    Sie  schmiegen  sich  dem  Schlundkopf  dicht  an;   jedoch  be- 
decken sie  ihn  dorsal  nicht  ganz,  wie  Basse  dieses  von  ihnen  angibt.   Das 


Textfig.  8. 
Frcntalschnitt  durch   den 
Schlund  und  vorderen  Teil 
,     des  Magens. 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  731 

Lumen  der  Drüsen  ist  nicht  so  weit  wie  bei  andern  Species,  sondern 
nur  spaltf örmifj ;  Secretballen  in  demselben  habe  ich  niemals  konsta- 
tieren können.  Die  Zellen  sind  sehr  deutlich  abgegrenzt  und  zeigen  in 
ihrem  Innern  Vacuolen  (Textfig.  4  u.  7),  in  denen  wahrscheinlich  Secrete 
enthalten  sind.  Form  und  Anordnung  der  Zellen,  die  von  der  bei 
Macrobiotus  hufelandi  etwas  abweichen,  sind  am  besten  aus  Textfig.  4 
und  7  ersichtlich. 

An  den  Schlund  schließt  sich  ein  ziemlich  weiter  Sack,  der  Magen, 
an  (Textfig.  8).  Nach  Basse  erfolgt  der  Übergang  zum  Magen  >> durch 
eine  Anzahl  sehr  regelmäßig  angeordneter  Zellen,  die  nach  vorn  mehr, 
die  hinteren  weniger  halbmondförmig  gekrümmt  sind  und  nach  und 
nach  in  die  kubischen  großen  Magenzellen  übergehen«.  Ich  habe 
dieses  Verhalten  bei  M.  macronyx  nicht  konstatieren  können.  Der 
Übergang  war  ein  allmählicher,  ohne  die  halbmondförmig  gekrümmten 
Zellen.  Die  Zellen  des  Schlundes  bleiben  bei  der  Färbung  heller  als 
die  Magenzellen.  Wie  Basse  sehr  richtig  bemerkt,  hängt  die  Höhe 
der  Magenzellen  von  Alter  und  Ernährungszustand  des  Individuums 
ab.  Namentlich  bei  ganz  jungen  Tieren  sind  die  Zellen  ungewöhnlich 
hoch,  so  daß  sie  fast  das  ganze  Lumen  ausfüllen.  In  ihnen  bemerkt 
man  ebenfalls  besonders  bei  jungen  Tieren,  doch  auch  öfters  bei  aus- 
gewachsenen kleine  Tröpfchen,  die  sich  nach  Osmiumsäurebehandlung 
intensiv  schwärzen  und  demzufolge  wohl  Fett  oder  fettähnliche  Sub- 
stanzen sind.  Im  allgemeinen  sind  bei  erwachsenen  Tieren  die  Magen- 
zellen mit  einer  gelbbraunen  Masse  von  Nah- 
rungssubstanz erfüllt,  so  daß  das  Protoplasma 
oft  ganz  zur  Seite  gedrängt  ist  und  nur  einen 
dünnen  Wandbeleg  bildet  oder  die  Masse  netz- 
artig durchzieht.  Die  Einlagerung  derartiger 
Massen  in  die  Magenzellen  beginnt  gewöhnlich 
erst  im  zweiten  Drittel  des  Magens  und  reicht  bis 
kurz  vor  die  Einmündung  der  in  den  Enddarm  Textfie  9 

mündenden  Drüsen.  Kristalle,  wie  bei  M.  hufe-  Querschnitt  durcii den  Ma-jen. 
landi,  sind  in  den  Magenzellen  nicht  vorhanden. 

Die  Angabe  von  Lance,  daß  die  Zellen  bei  M.  macronyx  an  der 
Innenseite  Cilien  tragen,  hat  schon  Basse  als  unrichtig  nachgewiesen. 
Die  Kerne  sind  ziemlich  groß  und  besitzen  außer  einem  Nucleolus 
zahlreiche,  meist  randständige  Chromatinkörner. 

Auf  der  Außenseite  des  Darmes  läuft  eine  Muscularis,  und  zwar 
besteht  dieselbe  bei  M.  macronyx  nur  aus  sieben  Muskelsträngen,  wäh- 
rend Basse  für  landlebende  Formen  acht  bis  zehn  angibt  (Textfig.  9). 


732 


J.  Henneke, 


Die  Zellen  des  Enddarmes  sind  kleiner  wie  die  Magenzellen  und 
enthalten  keine  Nahrungssubstanzen.  Ein  Stück  vor  der  Ausmündung 
des  Enddarmes  durch  den  After  inserieren  an  seiner  dorsalen  Fläche 


ve 

Textfig.  10. 
Sagittalschnitt  durch  den  Enddarm  mit  dorsaler  Drüse  und  den  Oviduct. 

kurz    hintereinander    zwei    Muskeln    (Textfig.  10),    welche    nach    dem 
Rücken  des  Tieres  ziehen  und  vielleicht  durch  ihre  Kontraktion  das 

öffnen  des  Afters  zu  bewirken  haben, 
gleichzeitig  aber  wohl  auch  als  Auf- 
hängebänder für  den  Enddarm  fun- 
gieren. Sie  werden  bereits  von 
Plate  angegeben,  während  Basse 
nichts  von  ihnen  erwähnt. 

Rechts  und  links  und  dorsal 
mündet  in  den  Enddarm  dicht 
hinter  dem  Magen  je  eine  Drüse, 
die  ganz  gleichartigen  Bau  zeigen 
und  sich  auch  in  dem  Aussehen  ihrer 
Secrete  nicht  voneinander  unter- 
scheiden (Textfig.  10,  11,  13,  14). 
Früher  sah  man  die  Drüsen  rechts 
und  links  vom  Enddarm,  die  bei 
den  meisten  Macrobioten  zwei  weit 
nach  vorn  reichende  Schläuche  dar- 
stellen, als  Hoden  an,  während  die 
dorsal  gelegene,  welche  im  allgemeinen  ein  kleines  Säckchen  repräsentiert, 
als  Samenblase  angesprochen  wurde.     Plate  deckte  zunächst  diesen 


Textfig.  11. 

Krontalschnitt  durch  den    hinteren  Abschnitt 
des   Magens  und  den  Enddarm  mit  den   seit- 
lichen Drüsen  (weibliches  Tier). 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  733 

Irrtum  auf,  indem  er  erkannte,  daß  die  Tardigraden  getrenntgeschlecht- 
lich seien,  imd  sprach  die  beiden  seitlichen  Drüsen  als  Excretionsorgane 
an,  entsprechend  den  MALPiGHischen  Gefäßen  der  Milben.  Die  Be- 
deutung der  dorsalen  »Anhangsdrüse  des  Geschlechtsapparates«  läßt 
er  dahingestellt.  In  der  Deutung  der  seitlichen  Drüsen  als  Excretions- 
organe herrscht  jetzt  ziemliche  Übereinstimmung.  Die  dorsale  An- 
hangsdrüse, die  übrigens,  nebenbei  bemerkt,  nicht,  wie  frühere  Autoren 
annahmen,  in  den  Genitalapparat,  sondern,  wie  Basse  richtig  erkannt 
hat,  in  den  Enddarm  mündet,  hat  verschiedene  Deutungen  erfahren. 
Greeff  hält  sie  für  eine  Samenblase,  Lance  für  eine  >>  germigene «, 
Basse  spricht  sie  als  Rectaldrüse  an,  »ein  Organ,  welches  wir  ja  bei 
sehr  vielen  Arthropoden  wiederfinden«.  Ich  bin  der  Ansicht,  daß  alle 
drei  Drüsen  morphologisch  und  physiologisch  gleichwertig  sind,  und 
zwar  auf  Grund  ihres  übereinstimmenden  Baues  bei  M.  macronyx. 

Jede  der  Drüsen  besteht  aus  drei,  die  Ecken  eines  Dreiecks  ein- 
nehmenden Zellen,  die,  von  oben  gesehen,  wie  drei  nebeneinander  liegende 
Kugeln  aussehen  —  bei  den  seitlichen  Drüsen  sind  es  nicht  ganz  Kugeln 
(Textfig.  13  u.  14)  — ,  nach  unten  laufen  sie  kegelförmig  aus  und  um- 
schließen ein  kleines  Lumen,  das  mit  einem  sehr  engen  Ausführgang 
in  den  Darm  mündet.  Alle  ihre  Zellen  sind  gleichartig  gebaut  und 
zeigen  die  Beschaffenheit  secernierender  Zellen.  Sie  sind  relativ  groß, 
die  Kerne  sind  ebenfalls  groß  und  zeigen  oft  Fortsätze  (Textfig.  10 
u.  11).  In  den  Zellen  konnte  ich  ebenso  wie  in  dem  Lumen  Excrete 
nachweisen.  Ich  glaube,  daß  der  Unterschied  im  Bau  der  dorsalen 
und  lateralen  Drüsen  bei  den  übrigen  Macrobioten  nicht  unschwer  aus 
den  Verhältnissen  bei  31.  macronyx  zu  erklären  ist.  Die  Drüsen  nahmen 
bei  den  landlebenden  Formen  aus  irgend  einem  Grunde  an  Größe  zu; 
den  lateralen  war  hierzu  Raum  gegeben,  während  die  dorsale  durch  den 
Geschlechtsapparat  daran  verhindert  war  und  deshalb  ihren  ursprüng- 
lichen Bau  bewahrte. 

Blut. 

Das  Blut  stellt  eine  wasserklare  Flüssigkeit  dar,  in  der  die  soge- 
nannten Blutkörperchen  herumschwimmen.  Sie  sind  nicht  so  zahlreich 
wie  bei  den  landlebenden  Macrobioten  und  stellen  Zellen  mit  Kern  und 
Nucleolus  dar.  Trotz  eifriger  Bemühungen  habe  ich  über  Entstehung 
und  Vermehrung  nichts  Sicheres  feststellen  können.  In  dem  Plasma  der 
Blutkörperchen  liegen  bei  gut  genährten  und  immer  bei  jungen  Tieren 
kleine  Körnchen  und  Tröpfchen,  die  sich  hinsichtlich  ihrer  Färbung 
ähnlich    verhalten,    wie    die    vorhin    erwähnten    Einschlüsse    in    den 

Zeitsdirift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  48 


734  J-  Henneke, 

Magenzellen.    Basse  schreibt  darüber:  »Der  Reichtum  der  Blutkörper- 
chen an  Körnchen  sowie  auch  die  Farbe  der  Körnchen  geht  Hand  in 

Hand  mit  der  Ernährung,  d.  h.  mit  dem 
Reichtum  und  der  Farbe  der  Nahrungskörn- 
chen in  den  Magenzellen.  Läßt  man  ein  Tier, 
welches  mit  reich  granulierten  Blutkörper- 
chen vollgepfropft  ist,  hungern,  so  nimmt 
die  Granulation  ab,  die  Blutkörperchen 
verlieren  an  Volumen  und  ebenso  werden 
die  Magenzellen  flacher.  <<  Diese  Beobach- 
iexttig.  1  .  tungen  kann  ich  voll  bestätigen  und  möchte 

Blutkörperchen  mit  und  ohne  •   i        i    i  i        i  »       •   t  -r» 

Reservestoffen.  mich    daher    auch    der  Ansicht    von    rLATE, 

Richters,  Basse  u.  a.  anschließen,  daß  wir 
es  in  den  erwähnten  »Blutzellen  <<  mit  Reservestoff trägern  zu  tun  haben 
(Textfig.  12). 

Geschlechtsorgane . 

Wie  Plate  feststellte,  sind  die  Tardigraden  getrennten  Geschlechts. 
Nach  Lance  besteht  der  Geschlechtsapparat  aus  «une  sort  de  long 
sac  dorsal  et  une  glande.  La  glande  represente  pour  nous  le  germi- 
gene  ou  l'ovaire  et  le  grand  sac  un  uterus».  Diese  Ansicht  wurde  be- 
reits von  Basse  widerlegt.  Die  Geschlechtsorgane  liegen  dorsal  über 
dem  Magen  wie  ein  Sack,  reichen  im  prall  gefüllten  Zustand  vorn  bis 
fast  an  den  Schlundkopf  und  sind  in  der  Höhe  des  zweiten  Beinpaares 
mit  zwei  Aufhängebändern  am  Rücken  befestigt.  Von  einer  Gabelung 
dieser  Ligamente,  die  Doyere  angibt,  ist  bei  der  von  mir  untersuchten 
Art  nichts  vorhanden.  Die  Wand  der  Sexualorgane  wird  von  einer 
dünnen  Haut  gebildet,  die  aus  sehr  flachen  Zellen  besteht.  Dieselben 
springen  an  den  Stellen,  an  denen  die  Kerne  liegen,  nach  innen  vor. 
Basse  glaubt  feststellen  zu  können,  daß  die  Form  des  Sackes  nicht 
den  früheren  Abbildungen  entspricht.  Er  ist  nach  seiner  Ansicht 
vorn  in  zwei  Zipfel  ausgezogen.  Diese  hält  er  gewissermaßen  für  ver- 
gleichbar den  Endkammern  im  Ovar  der  Insekten.  Ich  konnte  die 
Zipfel  auch  feststellen,  jedoch  nur  bei  wenig  gefüllten  Geschlechts- 
drüsen, während  sie  bei  stark  gefüllten  nicht  vorhanden  waren.  Sie 
haben  wohl  keine  Bedeutung  und  werden  nur  durch  den  Zug  der  Auf- 
hängebänder hervorgerufen. 

Nach  hinten  verjüngt  sich  das  Ovar  nicht  einfach  in  den  Oviduct, 
wie  alle  früheren  Autoren  annahmen,  sondern,  wie  Basse  richtig  er- 
kannt hat,  besitzt  der  Sack  »nach  hinten  zwei  symmetrische  Zipfel, 


nhb 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  735 

die  rechts  und  links  von  dem  Kanal  der  Rectaldrüse  liegen«.  Von 
diesen  läßt  er  den  linken  blind  endigen,  während  er  den  rechten  zum 
Oviduct  ausgebildet  sein  läßt.  In  diesen  Verhält- 
nissen ließ  sich  bei  M.  macronyx  ein  Unterschied 
zwischen  Männchen  und  Weibchen  feststellen,  der 
bisher  den  Forschern  entgangen  ist.  Es  ergab  sich, 
daß  bei  den  Weibchen  bald  der  rechte,  bald  der 
linke  blind  endigte,  während  der  andre  zum  Oviduct 
ausgebildet  war  (Textfig.  10  u.  11);  dagegen  mün- 
deten beim  Männchen  immer  beide  Zipfel  dicht 
nebeneinander  in  den  Enddarm  (Textfig.  13  u.  14). 
Die  Einmündungssteile  der  Ausführgänge  in  das 
Rectum  liegt  weder  dorsal,  wie  frühere  Autoren  an- 
geben, noch  seitlich,  wie  Basse  schreibt,  wenig- 
stens nicht  bei  M.  macronyx  (Textfig.  10).  Die  Aus- 
führgänge ziehen  zwischen  den  lateralen  und  der 
dorsalen  Drüse  hin,  beschreiben  um  den  Enddarm 
einen  Bogen  und  münden  ventral  in  denselben  kurz 
vor  dem  After  (Textfig.  13  u.  14). 

Schon  Lance  wurde  durch  das  Vorhandensein 
der  beiden  Aufhängebänder  zu  der  Annahme  ver- 
anlaßt, daß  die  Keimdrüse  sich  phylogenetisch 
durch  teilweise  Aneinanderlagerung  von  zwei  «tubes, 
dont  la  paroi  mediane  se  serait  resorbee»,  gebildet 
habe. 

do 


Textfig.  13. 

Ansicht  eines  Hodens 
und  der  unter  ihm  liegen- 
den Teile  von  der  Dor- 
salseite des  Tieres.  Die 
verdeckten  Teile  sind 
punktiert  gezeichnet 
(sehematisch). 


Textfig.  14. 
Seitenansicht  des  Hinterendes  eines  männlichen  Tieres  (schematisch). 


Dieselbe  Ansicht  vertritt  Basse,  indem  er  sich  ebenfalls  das  Ovar 
aus  zwei  symmetrischen  Teilen  entstanden  denkt,  die  in  der  Mitte 
verschmolzen  und  deren  einer  Ausführgang  sich  zurückbildete.    Durch 

48* 


736  J.  Henneke, 

den  Vergleich  des  Verhaltens  der  Ausmündungskanäle  von  Männchen 
und  Weibchen  bei  M.  macronyx  kann  es  wohl  kaum  noch  zweifelhaft 
sein,  daß  wir  mit  Eecht  den  blind  endigenden  Zipfel  der  Keimdrüse 
beim  Weibchen  als  reduzierten  Ausführgang  auffassen  dürfen.  Die 
Tatsache,  daß  bei  den  einzelnen  weiblichen  Individuen  bald  der  rechte, 
bald  der  linke  Oviduct  reduziert  ist,  macht  es  sogar  im  höchsten  Grade 
wahrscheinlich,  daß  die  Eeduktion  nicht  schon  in  der  Phylogenese 
erfolgt  ist,  sondern  ontogenetisch  erfolgt,  indem  zunächst,  wie  beim 
Männchen,  auch  beim  Weibchen  zwei  Ausführgänge  vorhanden  sind. 

Fragt  man  nach  dem  Grunde  der  Rückbildung  des  einen  Ausführ- 
ganges beim  Weibchen,  so  ist  derselbe  meiner  Ansicht  nach  in^er  Größe 
der  auszuführenden  Geschlechtsprodukte  zu  suchen.  Denn  nehmen 
wir  an,  das  Weibchen  besäße  zwei  wohl  ausgebildete  Oviducte,  dann 
wäre  die  Möglichkeit  vorhanden,  daß  durch  jeden  gleichzeitig  ein  Ei 
nach  außen  träte.  Bei  der  im  Verhältnis  zum  Tier  gewaltigen  Größe 
des  Eies  würde  wahrscheinlich  ein  derartiger  Vorgang  eine  Zerreißung 
der  Ausführgänge  herbeiführen,  die  den  Tod  des  Tieres  zur  Folge 
haben  würde.  Diese  Gefahr  wurde  durch  Rückbildung  des  einen 
Ausführganges  vermieden.  Bei  den  männlichen  Individuen  bestand 
infolge  der  geringen  Schwierigkeit  bei  der  Ausführung  der  Geschlechts- 
produkte eine  derartige  Gefahr  nicht,  und  deshalb  blieb  der  ursprüng- 
liche Zustand  bestehen. 

Wie  schon  erwähnt,  lassen  Lance  und  Basse  die  Geschlechtsorgane 
phylogenetisch  durch  Verschmelzung  zweier  paariger  Gebilde  entstehen. 
Die  Gründe,  die  von  ihnen  für  diese  Anschauung  ins  Feld  geführt 
werden,  die  Paarigkeit  der  Aufhängebänder  und  Ausmündungsgänge, 
sind  für  sich,  wie  ich  glaube,  nicht  imstande  die  Ansicht  zu  stützen. 
Denn  wie  sollte  ein  dorsal  über  dem  Darm  liegender  Sack  anders 
aufgehängt  sein  als  mit  zwei  Bändern,  wie  sollte  er  anders  ausmünden 
als  mit  zwei  Kanälen,  wo  eine  unpaare  dorsale  Ausmündung  durch  die 
dorsale  Anhangsdrüse  verhindert  wird!  Die  beiden  vorderen  Zipfel 
der  Keimdrüse  können  aber  nicht  für  eine  ursprüngliche  Paarigkeit 
derselben  sprechen,  da  sie,  wie  oben  schon  erwähnt  wurde,  lediglich 
Produkte  der  Zugwirkung  der  Aufhänoebänder  bei  entleerter  Keim- 
drüse  sind.  In  der  inneren  Anatomie  der  Geschlechtsorgane  spricht 
nichts  für  eine  Entstehung  derselben  aus  paariger  Anlage,  wie  wir  bei 
Besprechung  der  Histogenese  des  Hodens  sehen  werden,  und  so  dürfen 
wir  nur  von  der  Entwicklungsgeschichte  oder  der  vergleichenden  Ana- 
tomie eine  Aufklärung  in  dieser  Frage  erwarten.  Ich  betone  übrigens 
ausdrücklich,  daß  eine  ursprüngliche  Paarigkeit  der  Sexualorgane  durch- 


ij 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigradcn  usw.  737 

aus  möglich  ist,  nur  scheinen  mir  die  bisher  bekannten  Tatsachen  nicht 
hinreichend,  um  eine  derartige  Auffassung  auch  nur  wahrscheinlich  zu 
machen.  "* 

Hoden. 

Was  den  histologischen  Bau  des  Hodens  und  seiner  Elemente  be- 
trifft, so  haben  wir  über  denselben  nur  höchst  dürftige,  über  die  Genese 
der  Spermatozoen  überhaupt  keine  Mitteilungen.  Nach  Plate  ist  das 
Sperma  bei  manchen  Individuen  derartig  verteilt,  daß  die  Köpfe  und 
die  zugehörigen  Schwänze  zu  besonderen  Gruppen  angeordnet  sind, 
bei  andern  durchkreuzten  sich  die  Spermatozoen  wirr;  ferner  beob- 
achtete er  »kleine  rundliche  Gebilde  <<  im  Hoden,  die  er  für  Sperma- 
mutterzellen hielt.  Lance  gibt  an,  daß  aus  der  dorsalen  Drüse  in- 
differente Zellen  in  die  Geschlechtsdrüse  eintreten,  von  diesen  sollen 
sich  einige  auf  Kosten  andrer  zu  Spermatozoen  entwickeln.  Es  hängt 
diese  Ansicht  mit  seiner  Auffassung  der  dorsalen  Drüse  als  Keimdrüse 
und  der  Geschlechtsdrüse  als  eine  Art  Samenblase  zusammen.  Er 
schreibt  dann  weiter  von  den  Spermatozoen.  «Ils  sont  accoles  en  boule, 
les  tetes  au  centre  et  les  queus  ä  peripherica 

Nach  Basse  liegen  die  Samenfäden  in  Bündeln  dicht  aneinander 
im  Hoden.  Nach  meinen  Beobachtungen  an  M.  macronyx  kann  ich 
keine  dieser  drei  Angaben  bestätigen. 

Doch  bevor  ich  auf  die  Darstellung  der  Entstehung  und  Lagerung 
der  Hodenelemente  eingehe,  will  ich  eine  Beschreibung  der  Spermato- 
genese vorauf  schicken  und  beginne  zu  dem  Zweck  mit  einer  Beschrei- 
bung des  fertigen  Spermatozoons. 

Die  Spermatozoen  sind  diejenigen  Elemente  des  Tardigraden- 
körpers,  welche  noch  am  wenigsten  bekannt  sind.  Zuerst  beschreibt 
sie  DoYERE,  danach  Greeff  und  Plate  bei  Landformen;  nach  allen 
dreien  stellen  dieselben  einen  spindelförmigen  Körper  dar,  der  vorn 
und  hinten  einen  protoplasmatischen,  fadenförmigen  Anhang  besitzt. 
Lance  stellt  sie  als  rundliche  Gebilde  dar,  die  mit  einem  langen  Flagel- 
lum  versehen  sind  und  am  Kopf  oft  einen  kleinen  Auswuchs  tragen, 
den  er  in  Parallele  stellt  mit  dem  vorderen  fadenförmigen  Anhang  der 
früheren  Autoren.  Basse  schreibt:  »Jedes  Spermatozoon  hat  Spitzen- 
stück, Kopf,  Mittelstück  und  einen  langen  fadenförmigen  Schwanz. 
Die  zweite  Geißel  besteht  nicht.«  Da  er  jedoch  nur  sehr  wenige  männ- 
liche Tiere  zu  Gesicht  bekommen  hat,  auch  keine  Abbildung  des  Sper- 
matozoons gibt,  so  braucht  auf  diese  Mitteilung  wohl  kein  so  großes 
Gewicht  gelegt  zu  werden.    Die  einzige  Möglichkeit,  die  verschiedenen 


738  J.  Henneke, 

Angaben  mit  meinen  Beobachtungen  an  M.  macronyx  in  Einklang  zu 
bringen,  erblicke  ich  darin,  anzunehmen,  daß  die  Landformen  andre 
Spermatozoen  haben  wie  M.  macronyx.  Da  die  Männchen  der  Land- 
formen zu  dieser  Jahreszeit  nur  schwer  zu  haben  sind,  so  ist  es  mir 
leider  nicht  möglich,  durch  die  Beobachtung  diese  Sache  zu  klären. 
Doch  hoffe  ich  im  Frühjahr,  wo  nach  den  Angaben  von  Rywosch 
die  Männchen  auch  bei  den  landlebenden  Species  häufiger  sind,  auch 
über  diese  Spermatozoen  die  Beobachtungen  nachholen  zu  können. 

Bei  M.  macronyx  sind  die  Spermatozoen,  wie  schon  v.  Eklanger 
angibt,  fadenförmige  Gebilde  und  nach  dem  Flagellatentypus  gebaut, 
d.  h.  sie  besitzen  einen  Kopf  und  einen  geißeiförmigen  Schwanzanhang. 
Ihre  Länge  beträgt  80 — 90/<.  Ihre  Dicke  ist  sehr  unbeträchtlich.  Der 
Kopf  besteht  nur  aus  chromatischer  Substanz.  Er  ist  spiralig  ge- 
wunden. Die  Windungen,  sieben  bis  acht  an  der  Zahl,  werden  nach 
hinten  zu  etwas  weiter.  Nach  vorn  zu  wird  der  Kopf  schmäler  und 
läuft  in  ein  kleines  Spitzchen  aus,  das  immer  nach  einer  Seite  gestellt 
ist  und  vielleicht  ein  Spitzenstück  darstellt.  Die  Länge  des  Kopfes 
beträgt  11 — 12  f^i  (Fig.  20).  Doch  habe  ich  auch  einmal  ein  Spermato- 
zoon gefunden,  dessen  Kopf  eine  Länge  von  16  /t  besaß  (Fig.  21).  Es 
stellte  dies  jedenfalls  eine  sogenannte  Riesenform  dar,  wie  sie  ja  für 
viele  Tiere  beschrieben  sind.  Zwischen  Kopf  und  Schwanz  sah  ich 
bisweilen  ein  kleines  Korn  liegen.  Man  wird  hierbei  möglicherweise 
an  das  Mittelstück  denken.    Immerhin  aber  ist  das  zweifelhaft  (Fig.  21). 

Der  Schwanz  stellt  einen  äußerst  dünnen  Faden  dar,  der  eine 
Länge  von  70 — 80  f.i  besitzt.  Am  Ende  sah  ich  denselben  oft  in  ein 
Büschel  von  Fäden  aufgespalten;  doch  möchte  ich  dies  Verhalten  nicht 
als  normal  ansehen,  da  es  bei  vielen  fehlte,  vielmehr  als  eine  Macerations- 
erscheinung  betrachten,  hervorgerufen  durch  die  physiologische  Koch- 
salzlösung, in  der  die  Tiere  zerzupft  wurden  (Fig.  22).  Es  würde  sich 
also  der  Schwanzfaden  aus  einer  ganzen  Reihe  von  Fibrillen  zusammen- 
setzen, wie  das  Ballowitz  für  eine  große  Anzahl  von  Spermatozoen 
erwiesen  hat.  Bekanntlich  hält  er  diese  Erscheinung  für  die  Voraus- 
setzung der  Contractilität  aller  contractilen  Substanzen. 

Über  die  Herkunft  der  Keimzellen  sichere  Angaben  zu  machen, 
ist  schwer.  Bei  ganz  jungen  Tieren,  bei  denen  noch  keine  Geschlechts- 
unterschiede festzustellen  waren,  war  die  Keimdrüse  bereits  mit  deut- 
lich abgegrenzten  zelligen  Elementen  erfüllt  (Textfig.  17).  Ob  nun 
alle  späteren  Zellgenerationen  von  diesen  abstammen,  erscheint  mir 
einigermaßen  zweifelhaft.  Wahrscheinlich  treten  später  noch  vom 
»Wandepithel  <(  der  Keimdrüse  her  Zellen  ins  Innere  und  werden  zu 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  739 

Keimzellen.  Fast  in  jedem  Hoden,  und  zwar  dicht  an  der  Wand  des- 
selben fand  ich  nämlich  Zellengruppen  (Textfig.  15  und  Fig.  23  spc), 
deren  Plasma  sich  mit  HEiDENHAiNschem  Hämatoxylin  besonders 
dunkel  färbte.  Diese  Zellen  erweckten  den  Anschein,  als  wenn  sie  zum 
Teil  direkt  noch  zur  Hodenwand  in  Beziehung  ständen,  zum  Teil  aber 
aus  dem  Zell  verband  derselben  herausgetreten  wären.  Man  würde 
sie  dann  wohl  als  Keimzellen  und  die  betreffende  Stelle  der  Hoden- 
wand als  Keimepithel  ansprechen  dürfen.  Es  gelang  mir,  derartige 
Keimpunkte  an  den  verschiedensten  Stellen  der  Hodenwand  festzu- 
stellen, und  zwar  in  einem  Hoden  oft  an  mehreren,  so  daß  demnach 
keine  besondere  Stelle  als  Keimbezirk  prädestiniert  zu  sein  scheint 
und  derselbe  nicht  etwa  in  den  vorher  besprochenen  Zipfeln  der  Keim- 
drüse liegt,  wie  Basse  schreibt,  ein  Verhalten,  welches  gewisse  Ana- 
logien zu  den  Keimdrüsen  der  Insekten  bieten  würde.  Übrigens  konnte 
ich  eine  Entstehung  von  Keimzellen  in  den  angeblichen  Zipfeln  auch 
beim  Ovar  nicht  feststellen,  für  welches  die  BASSEsche  Angabe  eigent- 
lich gilt.     Doch  komme  ich  darauf  noch  etwas  ausführlicher  zurück. 

Die  Spermatogonien  stellen  sich  dar  als  relativ  kleine  Zellen,  deren 
Kerne  eine  deutliche  Kernmembran  besitzen  und  einen  großen,  starK: 
färbbaren  Nucleolus  enthalten  (Textfig.  16  spg).  Sie  sind  meist  in 
lebhafter  Teilung  begriffen  und  wachsen  allmählich  zu  den  großen 
Spermatocyten  erster  Ordnung  heran  (Fig.  23  s^^c).  Spermatogonien 
und  Spermatocyten  sind  in  dem  Hoden  sofort  durch  ihre  von  den 
Spermatiden  differente  Färbbarkeit  zu  erkennen.  Ihr  Plasma  färbt 
sich  nämlich  mit  HEiDENHAiNschem  Hämatoxylin  viel  dunkler  als 
das  der  Spermatiden.  Voneinander  unterscheiden  sie  sich  nur  durch 
ihre  verschiedene  Größe. 

Haben  die  Spermatocyten  eine  gewisse  Größe  erreicht,  so  voll- 
ziehen sich  die  Keifungsteilungen.  Dieselben  sind  von  den  Teilungen 
der  Spermatogonien  sehr  gut  zu  unterscheiden  durch  die  verschiedene 
Größe  der  sich  teilenden  Zellen  und  durch  die  verschiedene  Größe  der 
Chromosomen.  Diese  sind  größer  bei  den  Reifungsteilungen  als  bei 
den  Teilungen  der  Spermatogonien.  Centrosomen  ließen  sich  nach- 
weisen. Eine  genaue  Verfolgung  des  Reifungsprozesses  war  wegen 
der  Kleinheit  der  Elemente  leider  nicht  möglich.  Was  die  Anzahl  der 
Chromosomen  betrifft,  so  spielt  bei  ihr  sicherlich  die  Zahl  fünf  eine 
Rolle,  die  auch  bei  der  Reifung  der  Eier  (Textfig.  20)  auftritt.  Doch 
ließ  sich  nicht  zeigen,  ob  dies  die  reduzierte  oder  die  volle  Zahl  der 
Chromosomen  ist.  Die  beiden  Reifungsteilungen  folgen  jedenfalls  sehr 
schnell  aufeinander,   da  sie  nur  sehr  selten  anzutreffen  sind.     Meist 


740  J-  Henneke, 

fehlen  sie  in  den  Entwicklungsreihen,  die  wir  später  kennen  lernen 
werden,  zwischen  dem  Stadium  der  Spermatocyte  und  den  jüngsten 
Stadien  der  Spermatide  ganz. 

Als  Produkt  der  Keifungsteilungen  stellt  sich  uns  eine  Zelle  dar 
mit  großem  Kern  und  deutlicher  Kernmembran.  Das  Chromatin  ist 
in  größeren  Brocken  im  Kern  verteilt  und  verrät  noch  mehr  oder 
minder  deutlich  durch  seine  Verteilung  seine  Herkunft  von  mehreren 
Chromosomen.  Ich  bezeichne  dieses  Stadium  als  Stadium  1  der  Sperma- 
tide (Fig.  1). 

Die  Brocken  verschwinden  auf  dem  nächsten  Stadium  und  lösen 
sich  in  kleine  Körnchen  auf.  Auf  diesem  Stadium  habe  ich  auch  an 
der  Zellwand  einen  kleinen  Faden  entspringen  sehen,  der  anscheinend 
mit  einem  kleinen  Korn  begann.  Möglicherweise  ist  dieses  Korn  das 
Centrosoma  oder  Mittelstück  (Fig.  2).  Auf  späteren  Stadien  wollte 
es  mir  nicht  gelingen,  ein  solches  festzustellen,  woran  wahrscheinlich 
die  Kleinheit  der  Objekte  die  Schuld  trägt.  —  Die  Größe  der  Zellen 
auf  diesem  Stadium  beträgt  etwa  3 — 3,5  it. 

Allmählich  findet  jetzt  eine  Zusammenballung  des  Chromatins 
statt,  indem  zunächst  ein  größeres  Chromatinklümpchen  im  Kern  auf- 
tritt, an  das  sich  das  übrige  Chromatin,  wenn  ich  so  sagen  darf,  an- 
kristallisiert. Den  Beginn  dieses  Prozesses  zeigt  Fig.  2.  Das  End- 
resultat desselben  ist  eine  Zelle,  deren  Chromatin  zu  einem  Klumpen 
zusammengeflossen  ist  (Fig.  3).  —  Um  den  Chromatinklumpen  liegt 
auf  diesem  Stadium  ein  heller  Hof. 

Eine  Kernmembran  ist  nicht  mehr  nachweisbar.  Sei  es,  daß  die- 
selbe sich  dem  Chromatin  dicht  angelegt,  sei  es,  daß  sie  sich  aufgelöst 
hat.  Im  ersten  Fall  würden  wir  vielleicht  berechtigt  sein,  den  hellen 
Hof  um  das  Chromatin  auf  ausgepreßten  Kernsaft  zurückzuführen, 
im  zweiten  Falle  vielleicht  auf  einen  Rest  von  Kernsaft  oder  auch 
möglicherweise  auf  Stoffwechselvorgänge  im  Chromatin.  Auf  einem 
derartigen  Stadium  konnte  ich  an  Strichpräparaten  einen  relativ  langen 
(10  ^i)  Schwanzfaden  nachweisen.  Auf  den  Abbildungen  wurde  der 
Schwanzfaden  nicht  dargestellt,  weil  er  auf  den  Schnittpräparaten 
nur  äußerst  selten  in  Verbindung  mit  der  zugehörigen  Zelle  beobachtet 
wurde. 

Es  folgt  nunmehr  ein  Stadium,  auf  dem  der  kugelige  Chromatin- 
klumpen einen  kleinen  Fortsatz  erhalten  hat,  und  nun  das  Aussehen 
eines  Kommas  besitzt.  Er  liegt  mit  seiner  dickeren  Basis  noch  mitten 
in  der  Zelle,  wird  nach  der  Spitze  schmäler  und  reicht  mit  derselben 
bis  an  die  Zellmembran  (Fig.  4).    Nach  der  einen  Seite  ist  das  Gebilde 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  741 

etwas  gekrümmt.  Der  helle  Hof  um  das  Chromatin  besteht  weiter.  Der- 
selbe nimmt  an  Breite  auf  den  folgenden  Stadien  allmählich  ab,  ver- 
schwindet aber  erst,  wenn  der  Kopf  vollkommen  ausgebildet  ist.  Jetzt 
streckt  sich  die  chromatische  Substanz  etwas,  erhält  einen  neuen  kleinen 
Fortsatz  an  der  Spitze,  der  aber  diesmal  mit  einer  Konkavität  nach 
der  andern  Seite  wie  der  erste  zeigt  (Fig.  5).  Basis  und  Spitze  sind 
auch  weiterhin  durch  einen  Unterschied  in  der  Dicke  voneinander  zu 
unterscheiden.  Die  Krümmungen,  die  auf  Schnitten  in  einer  Ebene 
zu  liegen  scheinen,  sind  wahrscheinlich  der  Ausdruck  einer  spiraligen 
Drehung  des  Chromatins.  Doch  war  dies  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
zustellen. 

Allmählich  treten  jetzt  mehr  Windungen  auf.  Wir  sehen  auf 
dem  nächsten  Stadium  schon  drei  (Fig.  6).  Auf  dem  folgenden  (Fig.  7) 
hat  der  Chromatinkörper  an  Dicke  abgenommen  und  sich  noch  etwas 
gestreckt.  Er  beginnt  mit  einem  Knopf,  der  noch  fast  mitten  in  der 
Zelle  liegt.  Darauf  setzt  sich  der  gewundene  Chromatinfaden,  dessen 
Windungen  sich  auf  sechs  vermehrt  haben.  Dieselben  sind  natur- 
gemäß, weil  sie  ungefähr  auf  dieselbe  Strecke  zusammengedrängt  sind 
wie  die  vorigen  drei,  viel  enger. 

Hieran  reiht  sich  ein  Stadium,  auf  dem  die  Streckung  des  Chroma- 
tinfadens  noch  weitere  Fortschritte  gemacht  hat,  so  daß  er  auch  mit 
seiner  Basis  fast  bis  an  die  Zellmembran  reicht  (Fig.  8  u.  9).  Die  Zahl 
der  Windungen  hat  sich  weiter  vermehrt  und  war  nicht  mehr  genau 
festzustellen.  Jedenfalls  war  sie  größer  als  beim  ausgebildeten  Sperma- 
tozoon.   Auch  die  Zelle  selbst  hat  sich  etwas  in  die  Länge  gestreckt. 

Das  nächste  Stadium  bietet  keine  großen  Besonderheiten  gegen- 
über dem  vorhergehenden  (Fig.  9).  Der  chromatische  Faden  erstreckt 
sich  durch  die  ganze  Zelle,  die  birnförmig  geworden  ist.  Die  Anzahl 
der  Windungen  hat  sich  noch  um  einige  vermehrt.  Dieselben  besitzen 
eine  sehr  geringe  Höhe. 

Auf  dem  folgenden  Entwicklungsstadium  hat  sich  die  Zelle  und 
mit  ihr  die  chromatische  Substanz  bedeutend  gestreckt  (Fig.  10).  Die 
Länge  der  Zelle  beträgt  5 — 7  fi.  Die  Zahl  der  Windungen  ließ  sich 
auch  hier  nicht  genau  feststellen,  da  dieselben  sehr  flach  geworden 
sind.  Jedenfalls  war  sie  aber  kleiner  als  auf  dem  vorherigen  Stadium. 
Die  Höhe  der  Windungen  hat  ganz  bedeutend  zugenommen.  Ob  nun 
die  Abnahme  in  der  Zahl  und  die  Zunahme  in  der  Höhe  der  Windungen 
allein  durch  die  Längenzunahme  der  Zelle  und  der  chromatischen 
Substanz  bedingt  ist,  oder  ob  noch  andre  Ursachen  dabei  mitwirken, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen.     Der  helle  Hof  um  den  Chromatinteil  ist 


742  J.  Henneke, 

hier  noch  deutlich  nachweisbar  sowohl  an  Längs-  wie  auch  an  Quer- 
schnitten. 

Das  folgende  Stadium  unterscheidet  sich  von  dem  vorhergehenden 
durch  weitere  Längsstreckung  der  Zelle  und  des  Chromatins,  vor  allem 
aber  dadurch,  daß  der  helle  Hof  um  den  Chromatinteil  verschwunden 
ist.  Auch  auf  Querschnitten  ist  keine  Spur  mehr  von  ihm  zu  sehen 
(Fig.  11  u.  12). 

Was  nun  die  Entstehung  der  spiraligen  Drehung  des  Kopfes  be- 
trifft, so  scheinen  eingehendere  Untersuchungen  darüber  nicht  zu 
existieren.  Die  Angaben,  die  wir  besitzen,  weichen  aber  wesentlich 
von  den  Verhältnissen  bei  M.  macronyx  ab.  So  läßt  Tönniges  bei 
Lithobius  forficatus  die  spiralige  Drehung  erst  nach  vollkommener 
Ausbildung  des  Kopfes  von  hinten  nach  vorn  fortschreitend  entstehen, 
ebenso  Hermann  bei  Scyllium  catulus,  während  Meves  bei  den  faden- 
förmigen Spermatozoen  von  Paludina  vivipara  die  ersten  Schrauben- 
windungen in  der  vorderen  Hälfte  des  fertig  ausgebildeten  Kopfes 
auftreten  läßt,  von  wo  sie  nach  dem  Mittelstück  zu  fortschreiten. 
Gerade  diese  Verhältnisse  waren  jedoch  bei  meinen  Objekten  so  klar, 
und  es  konnten  die  einzelnen  Stadien  recht  lückenlos  miteinander  ver- 
bunden werden,  daß  es  nicht  zweifelhaft  sein  kann,  daß  die  spiralige 
Drehung  des  Kopfes  sich  schon  während  seiner  Entwicklung  allmählich 
ausbildet. 

Kopf  und  Schwanz  sind  jetzt  vollkommen  fertig.  Um  den  Kopf 
liegt  nur  noch  ein  Plasmamantel.  Ob  ein  Teil  des  Plasmas  zum  Aufbau 
des  Schwanzes  verwandt  wird,  konnte  ich  nicht  feststellen.  Sollte  es 
aber  der  Fall  sein,  so  kann  das  nur  ein  ganz  kleiner  Teil  sein;  die  Haupt- 
masse geht  in  folgender  Weise  zugrunde.  In  dem  Plasma,  das  auf  dem 
vorhergehenden  Stadium  noch  ganz  homogen  war  (Fig.  13),  treten 
kleine,  sich  mit  HEiDENHAiNschem  Hämatoxylin  schwarz  färbende 
Körnchen  auf.  Diese  werden  allmählich  größer,  vielleicht  durch  Zu- 
ammenfließen,  so  daß  man  schließlich  neben  den  kleinen  Kömchen 
einige  große,  sich  intensiv  schwarz  färbende  Tropfen  findet  (Fig.  14 
u.  15).  Der  chromatische  Faden  oder  Kopf  des  Spermatozoons  wird 
jetzt  randständig,  indem  alles  Protoplasma  an  eine  Seite  rückt  (Fig.  16). 
Die  Körnchen  sind  alle  zu  zwei  sich  schwarz  färbenden  Tropfen  zu- 
sammengeflossen. Das  Protoplasma  ist  also  wieder  homogen.  Außer- 
dem liegt  im  Protoplasma  noch  ein  sich  gelblich  färbender  Körper, 
über  dessen  Bedeutung  und  Entstehung  ich  nichts  auszusagen  vermag, 
wahrscheinlich  ist  er  auch  ein  Produkt  des  allgemeinen  Degenerations- 
prozesses.   Die  zwei  schwarzen  Tropfen  treten  bald  zu  einem  zusammen. 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  ii.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  743 

Das  Stadium  Textfig.  16  besteht  also  aus  einem  geraden  randstän- 
digen Chromatinfaden,  daran  sitzt  eine  homogene  Protoplasmamasse, 
in  derselben  liegt  ein  größerer  nach  Heidenhain  sich  schwarz  und 
ein  kleinerer  sich  gelblich  färbender  Tropfen. 

Jetzt  beginnt  sich  der  Kopf  nach  der  Seite  einzukrümmen,  wo 
an  ihm  die  Plasmamasse  sitzt  (Fig.  17).  Die  Einkrümmung  schreitet 
bald  so  weit  fort,  daß  der  Kopf  des  Spermatozoons  fast  einen  Kreis 
bildet.  In  demselben  liegt  das  Protoplasma  (Fig.  18).  Man  kann 
diese  Verhältnisse  ganz  deutlich  an  Quer-  und  Längsschnitten  durch 
dies  Stadium  verfolgen.  Auf  Längsschnitten  stellt  dann  der  Kopf 
einen  gebogenen,  nur  schwach  spiralig  gedrehten  Faden  dar,  an  dessen 
konkaver  Seite  die  homogene  Cytoplasmamasse  mit  schwarzem  und 
gelblichem  Tropfen  liegt.  Auf  Querschnitten  ist  die  Spermatide  fast 
elliptisch.  An  der  einen  Seite  der  großen  Achse  sieht  man  ein  kleines 
Korn,  den  Querschnitt  des  Kopfes,  an  der  andern  liegt  die  große,  sich 
schwarz  färbende  Kugel,  dazwischen  homogenes  Cytoplasma,  oder 
man  sieht  auch  an  beiden  Enden  der  großen  Achse  Querschnitte  des 
Kopfes  und  dazwischen  den  schwarzen  Körper  (Textfig.  15).  Das 
Cytoplasma  löst  sich  jetzt  oben  oder  unten  vom  Kopfe  los  und  trennt 
sich  schließlich  ganz  von  ihm  (Fig.  19).  Der  Kopf  streckt  sich  wieder, 
und  in  ganz  reifen  Hoden  findet  man  nur  ganz  gerade  Köpfe.  Ganz 
genau  dieselben  Resultate  über  das  Abwerfen  des  Cytoplasmas  erzielte 
ich  bei  Untersuchung  von  Strichpräparaten,  die  mit  DELAFiELDschem 
Hämatoxylin  gefärbt  waren. 

Worauf  die  Einkrümmung  zurückzuführen  ist,  vermag  ich  nicht 
zu  sagen.  Vielleicht  auf  ein  Zusammenziehen  des  Cytoplasmas  in  der 
Längsrichtung,  vielleicht  aber  auch  auf  eine  sich  abwechselnd  ein- 
krümmende und  wieder  streckende  Bewegung  des  Kopfes,  die  auf 
das  Bestreben  desselben,  sich  von  der  Cytoplasmamasse  aktiv  zu  be- 
freien, zurückzuführen  ist,  wie  das  z.  B.  Bösenberg  bei  Arachnoiden- 
spermien  beobachtet  hat.  Doch  Beweise  habe  ich  für  diese  Anschau- 
ung nicht. 

Während  man  früher  annahm,  daß  das  bei  der  Bildung  des  Sperma- 
tozoons nicht  verbrauchte  Cytoplasma  durch  Zerfließen  von  demselben 
verschwindet,  mehren  sich  in  neuerer  Zeit  die  Beobachtungen,  welche 
einen  Modus  der  Abstoßung  des  Cytoplasmas  wahrscheinlich  machen, 
wie  er  soeben  von  M.  macronyx  beschrieben  wurde.  So  sprechen  Wey- 
GANDT  bei  Plagiostoma  Girardi,  Depdolla  bei  Lumbricus,  Struckmann 
bei  Strongylus,  Meves  bei  Paludina  von  einer  Abstoßung  der  Cyto- 
plasmasubstanz.    Ausführlich  berichtet  Meves  beim  Meerschweinchen 


744  J-  Henneke, 

über  diesen  Vorgang.  Der  Prozeß  stimmt  im  großen  und  ganzen  mit 
dem  von  M.  macronyx  angegebenen  überein.  Im  Cytoplasma  treten 
auch  hier  Körnchen  auf,  die  schließlich  zu  einem  Klumpen  zusammen- 
fließen. Die  schließliche  Abstoßung  des  Cytoplasmas  erfolgt  allerdings 
nicht  unter  Einkrümmung  des  Kopfes.  Überhaupt  scheint  in  der 
Literatur  nichts  angegeben  zu  sein,  was  sich  mit  einer  derartigen 
Einkrümmung  vergleichen  ließe,  wenn  wir  nicht  hier  die  Beobachtungen 
von  BöSENBERG  bei  Arachnoidenspermien  heranziehen  wollen,  nach 
denen  dieselben  in  zusammengerolltem  Zustand  im  Hoden  verharren 
und  sich  erst  wieder  aufrollen,  wenn  sie  in  das  weibliche  Tier  kommen. 
Hinsichtlich  der  Körnchen  schreibt  Meves,  daß  sie  nach  starker 
Osmierung;  verschwinden.  Dagegen  habe  ich  dieselben  immer  be- 
sonders schön  auf  Präparaten  gefunden,  die  mit  Osmiumgemischen 
konserviert  waren.  Über  die  chemische  Beschaffenheit  der  Körnchen 
vermag  ich  nichts  zu  sagen,  v.  Ebner,  der  ganz  ähnliche  Gebilde  bei 
der  Katte  beschreibt,  unterscheidet  zwei  Arten,  die  einen  hält  er  für 
Fetttropfen,  die  andern  bezeichnet  er  kurz  als  tingierbare  Körnchen 
und  läßt  ihre  chemische  Zusammensetzung  offen. 

Was  das  weitere  Schicksal  der  abgestoßenen  Cytoplasmamassen 
betrifft,  so  schreiben  ihr  die  meisten  eine  Rolle  bei  der  Ernährung  der 
fertigen  Spermatozoen  zu,  sei  es,  daß  sie  in  ihre  chemischen  Bestand- 
teile zerfallen  und  in  diesem  Zustand  wieder  assimiliert  werden,  sei  es, 
daß  sie  sich  zu  einem  Cytophor  ausbilden.  Was  den  ersten  Fall  betrifft, 
so  könnte  man  ihn  in  zwei  Unterabteilungen  zerlegen,  indem  einige 
Autoren  von  einem  Zerfall  der  Protoplasmabalien  zwecks  Wiederver- 
wertung derselben  innerhalb  des  Hodenlumens  sprechen,  andre  eine 
intracelluläre  Verdauung  derselben  angeben.  In  dieser  Hinsicht  sind 
die  Angaben  wichtig,  die  v.  Ebener  von  der  Ptatte  macht.  Er  be- 
schreibt, wie  die  tingierbaren  Körnchen,  die  ursprünglich  in  einer 
Schicht,  der  Detritusschicht  v.  Lenhosseks,  angeordnet  sind,  all- 
mählich in  die  SERTOLischen  Zellen  des  Hodens  eintreten  und  hier 
nach  und  nach  verschwinden.  Ebenso  hält  Meves  einen  derartigen 
Vorgang  nach  seinen  Untersuchungen  am  Meerschweinchen  für  durch- 
aus wahrscheinlich.  Auch  ich  konnte  bei  M.  nmcronyx  einige  Be- 
obachtungen machen,  welche  gewisse  Analogien  zu  dem  Verhalten 
bei  Ratte  und  Meerschweinchen  bieten.  Die  schwarzen  Cytoplasma- 
ballen  lagen  in  geeigneten  Hoden  in  großer  Menge  im  Lumen  desselben 
(Textfig.  15).  Es  fiel  mir  nun  auf,  daß  sich  in  solchen  Hoden  in  den 
Zellen  der  Hodenwand  ähnlich  sich  färbende  Cytoplasmakugeln  vor- 
fanden, und  zwar  meist  mehrere  in  einer  Zelle,  die  Zerfallserscheinungen 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  745 


zeigten.  Doch  kam  ich  erst  darauf  diese  mit  den  Cytoplasmaballen 
im  Lumen  des  Hodens  in  Beziehung  zu  setzen,  als  ich  öfter  beobachtete, 
daß  Hodenwandzellen,  die  eine  Einlagerung  von  solchen  schwarzen 
Ballen  besaßen,  an  ihrer  dem  Hodenlumen  zugekehrten  Seite  von  ganz 
gleichen  Kugeln  umlagert 
wn^irden,  die  sich  auf  abge- 
stoßene Protoplasmabal- 
len zurückführen  ließen 
und  gewissermaßen  auf 
die  Zelle  zuzuwandern 
schienen  (Textfig.  15  c). 
Ich  bin  nun  geneigt,  anzu- 
nehmen, daß  diese  Cyto- 
plasmaballen in  die  Zellen 
der  Hodenwand  aivfge- 
nommen  werden .  wie, 
konnte  ich  nicht  feststel- 
len, und  hier  zwecks  wei- 
terer Nutzbarmachung 
verdaut  werden.  Ich 
stütze  mich  in  dieser 
Ansicht  auf  die  ganz 
ähnlichen  Angaben  von 
V.  Ebner  und  Meves. 

Ich  komme  jetzt  hier 
auf  die  oben  verschobene 
Besprechung  der  Lage- 
rung der  Elemente  im 
Hoden  zurück.  Wenn 
man  einen  Schnitt  durch 
einen  Hoden  betrachtet 
(Textfig.  15  und  Fig.  23), 
so  gewinnt  man  zunächst 
den  Eindruck,  daß  die 
Elemente  desselben  ziem- 
lich ungeordnet  durch- 
einander Hetzen.  Nur  findet  man  auf  gleichen  Stadien  befindliche 
Elemente  zu  kleinen  Häufchen  zusammengeordnet.  Bei  Betrach- 
tung von  Schnittserien  und  bei  Berücksichtigung  der  einzelnen  Sta- 
dien ändert  sich  dieser  erste  Eindruck  jedoch.    Es  zeigt  sich  nämlich 


sjit.1.2  — ~ 


Sagittalschnitt  durch  einen  in  der  Entwicklung  schon  ziem- 
lich weit  vorgeschrittenen  Hoden.     Nat.  Länge  0,17  mm. 


746 


J.  Henneke, 


dann,  daß  man  in  jedem  Hoden  mehrere  bald  mehr,  bald  weniger 
vollständige  Entvväcklungsreihen  verfolgen  kann.  Jede  Entwicklungs- 
reihe oder  Suite  bildet  meist  eine  krumme,  oft  vielfach  ineinander  ver- 
schlungene Linie,  so  daß  sie  meist  schwer  festzustellen  ist.  Auf  späteren 
Entwicklungsstadien  des  Hodens  werden  diese  Reihen  meist  derartig 

verwischt,  daß  sie  überhaupt 
nicht  mehr  festzustellen  sind. 
Beim  fertig  ausgebildeten  Ho- 
den verschwinden  sie  ganz 
(Textfig.  16).  Derselbe  zeigt 
neben  den  fertigen  Spermato- 
zoen  nur  noch  einige  Grup- 
pen von  Spermatogonien  und 
Spermatocyten,  die  sich  viel- 
fach im  Degenerationszustand 
befinden. 

Die  einzelnen  Suiten  der 
weniger  entwickelten  Hoden 
sind  in  ihren  Stadien  bald  mehr, 
bald  minder  vollständig.  So 
findet  man  Reihen,  die  eine 
ganze  Entwicklungsserie  des 
Spermatozoons  von  der  Sperma- 
togonie  bis  fast  zum  fertigen 
Spermatozoon  repräsentieren, 
meist  aber  solche,  bei  denen 
ein  oder  mehrere  Zwischen- 
stadien ganz  fehlen.  Es  ist 
klar,  daß  wir  in  diesen  Reihen 
eine  bequeme  Handhabe  be- 
sitzen, um,  wo  andre  Mittel 
versagen,  durch  Vergleich  mit 

Sagittalschnitt  durch  einen  reifen  Hoden.   Xat.  Länge    ^^^^  aufeinander  folgenden  Zell- 
0,25  mm.  ^ 

Stadien  der  Reihe  zu  ent- 
scheiden, welcher  Platz  einer  bestimmten  Zelle  in  der  Entwicklung 
zukommt. 

Die  Reihen  weisen  immer  auf  die  schon  vorher  erwähnten  Keim- 
punkte hin,  die  ihre  Lage  an  der  Wand  des  Hodens  haben.  In  jedem 
Hoden  gibt  es  immer  mehrere  derartige  Keimbezirke.  Zweifelhaft 
bleibt  es  noch,  ob  die  Hodenelemente  nur  von  diesen  Keimbezirken 


spff.a.sjic.- 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  und  Anatomie  der  Tardigradcn  usw.  747 

ihre  Herkunft  herleiten,  oder  ob  vielleicht  von  der  ganzen  Innenfläche 
des  Hodens  Zellen  in  das  Hodenlumen  treten  und  die  Keimpunkte  nur 
die  letzten  Überreste  dieses  Auswanderungsprozesses  sind.  Dieses 
würde  an  jüngeren  Hoden  festzustellen  sein.  Immerhin  erscheint  mir 
das  erstere  wahrscheinlicher,  da  die  Entwicklungsreihen  immer  auf 
diese  Keimpunkte  hinweisen  und  dadurch  gewissermaßen  dokumen- 
tieren, daß  sie  von  dorther  ihre  Entstehung  genommen  haben  und 
daß  von  dort  ihre  Elemente  herstammen.  Auf  keinen  Fall  dürfen  wir 
die  Hodenelemente  aus  den  beiden  angeblichen  Zipfeln  der  Keimdrüse 
herleiten.  Dagegen  spricht  schon  der  Umstand,  daß  wir  im  Hoden 
meist  mehr  als  zwei  Entwicklungsreihen  antreffen,  vor  allem  aber  die 
Tatsache,  daß  die  Keimbezirke  nicht  nur  vorn  im  Hoden  liegen,  sondern 
daß  regelmäßig  sich  auch  am  Hinterende  und  in  der  Mitte  ein  bis 
mehrere  Keimpunkte  finden. 

So  ließen  sich  in  dem  Hoden  der  Fig.  23  vier  Keimbezirke  fest- 
stellen, einer  vorn,  einer  hinten,  einer  in  der  Mitte  dorsal  und  einer 
ventral.  Diesen  entsprechen  vier  Entwicklungsreihen,  die  in  der  Mitte 
zusammentreffen.  Auf  dem  einen  Schnitt  sind  diese  Verhältnisse 
einigermaßen  zu  erkennen.  So  haben  wir  im  hinteren  Keimbezirk 
Spermatogonien  und  Spermatocyten  {spg  und  spc).  Die  Zellen  zeigen 
durch  Form  und  Lagerung,  daß  sie  in  Auswanderung  begriffen  sind. 
An  sie  schließen  sich  an  Spermatiden  Stadium  3  {spt.3).  Stadium  1 
und  2  waren  auf  vorhergehenden  Schnitten  festzustellen,  Reifungs- 
teilungen  fehlten.  Daran  reiht  sich  Stadium  9  {spt.9)  der  Spermatide; 
auch  zwischen  diesen  waren  die  Zwischenstadien  nachweisbar. 

Vorn  liegt  auch  ein  Keimcentrum,  das  jedoch  auf  diesem  Schnitt 
nicht  getroffen  ist.  Auf  dieses  folgt  Spermatide  1  dann  3,  4,  5,  6,  11; 
auch  hier  waren  die  fehlenden  Stadien  auf  vorhergehenden  und 
nachfolgenden  Schnitten  feststellbar.  Das  dorsale  und  ventrale 
Keimcentrum,  das  auf  dem  Schnitt  gleichfalls  nicht  getroffen  ist, 
dokumentiert  sich  auf  demselben  ventral  durch  eine  Gruppe  von 
Zellen,  Spermatide  Stadium  1 ,  dorsal  durch  eine  solche  von  Spermatiden 
Stadium  2. 

Ähnliches  zeigt  in  dieser  Beziehung  Textfig.  15.  Wir  haben  hir  zwei 
Keimbezirke,  einen  vorn,  der  durch  die  dunklen  Zellen  (spc)  reprä- 
sentiert wird,  einen  hinten  ventral,  der  allerdings  auf  diesem  Schnitt 
nicht  getroffen  ist.  Wir  sehen  sich  aber  daran  reihen  die  jüngsten 
Stadien  der  Spermatiden  {spt.  1,  2,  3).  Im  übrigen  ist  der  Hoden 
schon  so  weit  vergeschritten,  daß  wir  fast  nur  noch  die  letzten  Stadien 
der  Spermatide  teils  längs,  teils  quer  getroffen  in  ihm  finden. 


748 


J.  Henneke, 


Ovarium. 
An  Tieren,   die  so  klein  waren,   daß  ich  annehmen  möchte,   sie 
wären  eben  erst  aus  der  Eihülle  geschlüpft,  war  die  Keimdrüse  von 
ziemlich  gleichartigen  Zellen  erfüllt  (Textfig.  17).     Dieselben  waren  in 
den  angeblichen  Zipfeln  des  Ovars  absolut  nicht  kleiner  wie  an   den 
Ausführgängen,  woraus  man  eventuell  auf  eine  Entstehung  des  Zell- 
materials in  den  Zipfeln  hätte  schließen  können,  wie  das  Basse  tut. 
Über  ihre  Herkunft  vermag  ich  jedoch  nichts  zu  sagen,  da  sich  meine 
Studien  nicht  auf  jüngere  Stadien  erstreckten. 
Daher  kann  ich   auch  nicht    entscheiden,    ob 
wir   vielleicht  zwischen    propagato^'ischen   und 
somatischen    Zellen    zu    unterscheiden    haben. 
Vermuten  möchte   ich  jedoch  auf  Grund  des 
absolut  gleichartigen  Aussehens  der  Zellen,  wie 
auch   auf  Grund   ihrer   späteren  Entwicklung, 
daß  dies  nicht  der  Fall  ist,  sondern  daß  sich 
aus    einem    vollkommen    gleichartigen    Keim- 
material sowohl  die  Eizellen  als  auch  die  spä- 
ter noch  zu  erwähnenden  Nährzellen  entwickeln. 
Es  liegt  ja  dies  insofern  nahe,  als  Nährzellen  ja 
meist  abortive  Eizellen  sind.   Übrigens  ließ  sich 
eine    Entscheidung,    ob    die    vorhin    erwähnte 
Keimdrüse  (Textfig.  17)   ein  Ovar  oder  einen 
Hoden  geben  würde,   nicht  treffen.     Dieselbe 
ist  von  einem  deutlich   sichtbaren  Plattenepi- 
thel bekleidet.    In  ihr  finden  sich  Zellen,  welche 
voneinander  getrennt  und  abgerundet  sind.  Der 
Kern    der   Keimzellen    ist   ungewöhnlich    groß 
und  enthält  in  einem  Chromatinnetz  aufgehängt  einen  Nucleolus.    Das 
Protoplasma  umgibt  in  verhältnismäßig  dünner  Schicht  den  Kern  und 
besitzt  noch  keine  Dottereinschlüsse. 

Weiter  sehen  wir,  wie  sämtliche  Zellen  des  jetzt  deutlich  als  solches 
gekennzeichneten  Ovars  Dottereinschlüsse  zeigen,  die  kleine  Körnchen 
und  Schollen  darstellen  und  sich  mit  HEiDENHAiNschem  Hämatoyxlin 
lebhaft  tingieren  (Textfig.  18);  ihr  Aussehen  und  ihre  Färbung  gleicht 
ganz  und  gar  den  Einschlüssen  in  Blut  -und  Magenzellen,  die  oben 
schon  erwähnt  wurden,  so  daß,  wie  ich  glauben  möchte,  über  die  Natur 
dieser  Stoffe  als  Eeservestoffe  ein  Zweifel  wohl  nicht  mehr  bestehen 
kann.     Die  Zellen  haben  an  Volumen   sanz  bedeutend  zugenommen 


Textfig.  17. 

Sagittalschnitt  durch  eine  ganz 
junge  Keimdrüse. 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  n.  Anatomie  der  Tardigraden  usw.  749 

und  weisen  einen  großen,  mit  Membran  abgeureiizten  Kern  auf,  der 
einen  Nucleolus  einschließt.  Einige  Zellen  zeichnen  sich  vor  andern 
jetzt  bereits  durch  ihre  Größe  aus  und  geben  sich  dadurch  als  werdende 
Eizellen  zu  erkennen. 

Die  in  dieser  Weise  zuerst  sich  als  solclie  darstellenden  Oocyten 
nehmen  jetzt  an  Größe  immer  mehr  zu 
(Textfig.  19);  aber  auch  die  Nährzellen 
wachsen  noch  ziemlich  beträchthch.  Die 
Dottereinlagerung  vnvd  noch  sowohl  bei 
den  Oocyten,  wie  auch  bei  den  Nährzellen 
vermehrt.  Die  Nährzellen  liegen  ganz  un- 
regelmäßig im  Ovar  verteilt  meist  so,  daß 
sie  die  Oocyte  an  drei  Seiten  umgeben, 
welche  mit  der  vierten  an  die  Hodenwand 
stößt.  Oft  liegen  die  Oocyten  in  zwei 
Längsreihen  hintereinander.  Eine  ab- 
w^echselnde     Anordnung     in    Eifach     und 

Nährfach,  wie  sie  Basse  bei  landlebenden  Species  angibt,  kommt  wohl 
bisweilen  vor,  ist  aber  durchaus  nicht  die  Regel.  Wenn  daher  Basse 
den  Vergleich  mit  einem  Insektenovar  zieht,  kann  ich  dies  für  M.  ma- 


Textfig.  18. 

stück  eines  Längsschnittes  durch  ein 

junges  Ovarium. 


dz. 

Textfig.  19. 
Teil  eines  Längsschnittes  durch  ein  Ovarium. 

cronyx  nicht.  Ich  will  hier  bemerken,  daß  in  der  Textfig.  19  die  Nähr- 
und Eizellen  oft  eckige  Konturen  zeigen  und  daß  zwischen  den  Ele- 
menten oft  Zwischenräume  sich  befinden;  dies  Verhalten  ist  wohl  auf 
Schrumpfung,  hervorgerufen  durch  die  Konservierung,  zurückzuführen, 
da  es  bei  andern  Präparaten  und  beim  lebenden  Tier  nicht  festzu- 
stellen war.  Es  waren  dort  die  Elemente  im  allgemeinen  rund,  höch- 
stens durch  gegenseitigen  Druck  etwas  abgeplattet, 

Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoologie.  XCVII.  Bd.  49 


ä 


750  J-  Henneke, 

Die  Größenziuiahnie  der  Oocyteii  wird  jetzt  relativ  eine  ganz 
enorme.  Der  Kern  stellt  ein  großes,  bei  der  Färbung  hell  bleibendes 
Bläschen  dar  mit  schwachem  chromatischen  Netz  und  großem  Nucleolus. 
Wie  die  Größenzunahme  der  Oocyten  erfolgt  und  welches  die  Rolle 
der  Nährzellen  dabei  ist,  ist  schwer  zu  sagen.  Tatsache  ist,  daß  die 
Zahl  der  Nährzellen  im  reifen  Ovar  verhältnismäßig  geringer  ist  als 
im  unreifen.  Einen  ausgesprochenen  Zerfall  von  Zellen  habe  ich  frei- 
lich nie  mit  Sicherheit  konstatieren  können.  Aber  man  wird  wohl 
nicht  darum  herumkommen,  einen  solchen  anzunehmen,  wenn  man 
eben  bedenkt,  daß  die  Zahl  der  Zellen  eine  geringere  geworden  ist. 
Ferner  beobachtet  man  im  reifen  Ovar,  daß  die  Nährzelleü  an  Größe 

abgenommen     haben,    und    daß     ihnen    die 
Dottereinschlüsse     vollständig    verloren     ge- 
gangen  sind,    jedenfalls   indem   sie   dieselben 
.*:'^r*^*'V'*4;iV;A';;Vv':-/      in   irgend   einer  Weise   an  die  Eizellen  abge- 
"%.^-  -  ß^0'^        c®^^^  haben. 

l^f^-:^S^^':^''^v'i'j  D^'^  Wachstum  der  Oocyte  ist  jetzt  im 

wesentlichen  beendet,  die  weiteren  Verände- 
rungen betreffen  nur  noch  den  Kern.     Man 
Textfig.  20.  sieht,  daß  der  Nucleolus  in  Brocken  zerfällt 

Schnitt  durch  eine  befruchtungs-  -i       t,t    or   i,  i,     •    j    ^      t^-     tt 

f  M  •    17-   ,1    r>-  T-  1,        und  schließlich  ganz  verschwindet.   Die  Kern- 

fahige  Eizelle.  Die  Kernmembran  •- 

ist  aufgelöst,  im  Kern  liegen  fünf   membi'an  löst  sich  auf.     Dotterkörner,  die  im 
ChromoBome,  das  Plasma  ist  mit    p^-^toplasma    sehr    reichlich    enthalten    sind, 

Dotterschollen  überladen.  ^  ' 

finden  sich  gar  nicht  in  der  vorher  vom 
Kern  eingenommenen  Partie,  lagern  sich  aber  der  Oberfläche  derselben 
besonders  reichlich  auf  (Textfig.  20).  In  dieser  Kernpartie  zeigen  sich 
in  der  Nähe  des  Randes  derselben  gelegen  stark  färbbare  Körner,  die 
ich  als  Chromosome  ansprechen  möchte,  wozu  ich  mich  um  so  mehr 
für  berechtigt  halte,  als  die  Körner  immer  in  der  Zahl  fünf  vorhanden 
wären.  Es  scheinen  hiermit  die  Reifungsteilungen  eingeleitet;  dieselben 
finden  erst  nach  der  Ablage  des  Eies  ihren  Abschluß.  Wie  die  Chromo- 
somen sich  bilden,  imd  ob  wir  es  in  der  Zahl  fünf  mit  der  reduzierten 
oder  vollen  Anzahl  von  Chroniosomen  zu  tun  haben,  vermag  nur  eine 
Untersuchung  der  Reifungserscheinungen  des  Eies  zu  entscheiden. 

Marburg,  im  September  1910. 


Beiträge  zur  Kenntnis  der  Biologie  u.  Anatumie  der  Tardigraden  usw.  751 


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Embrj'ologie  eines  Tardigraden.  Morphol.  Jahrb.  XXII.  Bd.  —  2)  Zur 
Morphologie  und  Embryologie  eines  Tardigraden.  Biolog.  Centralbl. 
Bd.  XV.  —  3)  Über  die  Entwicklungsgeschichte  d.  Tardigraden.  Verh. 
Ges.  d.  Naturf.  u.  Ärzte.     66.  Vers.     2.  Teil.     1.  Hälfte. 

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Bd.  LXXX.     Hft.  2. 
1909.     F.  Richters,  Tardigraden-Studien.   I.     .Süßwasser-Macroljioten.     Ber.   d. 

Senckenb.  Ges.  Frankfurt. 

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Anatomie.     Bd.  XXXI. 

49* 


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mikrosk.  Anat.     Bd.  L. 
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schichte.    Allg.  Teil.     Jena. 

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mikrosk.  Anat.     Bd.  LI. 

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Strongylus  filaria.     Zool.  Jahrb.  Abt.  für  Anat.     Bd.  XXII. 

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stoma   Girardi.     Diese  Zeitschr.     Bd.  LXXXVIII.     Hft.  2. 


Erklärung  der  Abbildungen. 

Verzeichnis  der  Abkürzungen: 

ö,  After;  m,  Muskeln; 

ahb,  Aufhängebänder  des  Hodens;  7na,  Magen; 

h,  Bauchganglien;  mb,  der    chitinige    Becher    unter    der 
c,  Hoden wandzelle  mit  Einlagerung  von  Mundhöhle ; 

abgestoßenen    Protoplasmakugeln;  mh,  Mundhöhle; 

ch,  Chromosom;  mr,  Mundröhre; 

chst,  Chitinstäbchen;  ms,  Muscularis    des    Magens; 

dd,  dorsale  Anhangsdrüse  des  Darmes;  nz,  Nährzellen; 

do,  dorsal;  ov,  Oviduct; 

ds,  seitliche  Anhangsdrüsen  d.  Darmes ;  r,  Röhrchen,  in  denen  die  Zähne  gleiten; 

du,  Ausführgang  des  Hodens;  seh,  Schlund; 

ed,  Enddarm;  sk,  Schlundkopf; 

eiz,  Eizelle;  sp,  Speicheldrüse; 

exd,  sog.  Extremitätendi'üse ;  spc,  Spermatocyte; 

h,  Hoden;  spg,  Spermatogonie ; 

hi,  hinten ;  spt.1,2. . ., Spermatide, Stadium  1,2...; 

/iv,  Hypodermisverdickung  an  d.  Mund-  ve,  ventral; 

Öffnung;  vo,  vorn; 

kh,  Keimbezirk;  z,  Zahn; 

kr,  Krallen;  zt,  Zahnträger. 

Tafel  XXXIII. 
Fig.  1 — 19.     Entwicklung  der  Spermatide  zum  Spermatozoon.     Stadium  1 
bis  19. 

Fig.  20.     Spermatozoon. 

Fig.  21.     Spermatozoon.     Ende  des  Schwanzfadens  in  Fibrillen  aufgelöst. 

Fig.  22.     Spermatozoon,  Kopf,  Riesenform. 

Fig.  23.     Sagittalschnitt  durch  einen  jüngeren  Hoden.    Nat.  Länge  0,14  mm. 


Druck  von  Breitkopf  &  Härtel  in  Leipzig. 


Zeitschrift  f.  wiss.  Zoologie.   Bd.  XCVII. 


Taf.  I. 


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Zeitschrift  f.  wiss.  Zoologie.   Bd.  XCVII. 


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Taf.  IV. 


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Zeitschrift  f.  iviss.  Zoologie.     Bd.  XCVII. 


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Zeitschrift  f.  iciss.  Zoologie.     Bd.  XCVII. 


Taf.  VI. 


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Born  u.  Heibig  gez. 


Zeitschrift  f.  iviss.  Zoologie.     Bd.  XCVII. 


Taf.  VII. 


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Born  u.  Heibig  gez 


Wilhelm  f"?«'ma„n  -^  ^^ 


Zeitschrift  f.  uiss.  Zoolo(jic.     Bd.  XCVII. 


Taf.  VIII. 


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Fig.  1. 


Fig.  13. 


Fig.  3. 


Born  u.  Heibig  gez. 


Verlas  von  WüheW  &W..„„  ,„  ^^.^^.^^ 


Fig.  U. 


Zeitschrift  f.  wiss.  Zool.    Bd.  XCVII. 


Taf.  IX. 


Fig.  5 


Fig.  4 


Fig.  7 


Rosenberg. 


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Verlag  v.  WillielinEngelmaim  inleipzig . 


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Zeitschrift  fiviss.  Zoologie.  Bd.  XCW. 


Taf.  XXfX. 


Vtrlag  von  WUMm  Cngebiuuui  inleipilg 


Litk-AnstvJokanna  Arndt,  Jmu 


Zeibicliiifl  /.'  n75.s-.  Zoohgir  Bd.XCni 


Tat:  XXX. 


VerldivWilhelinEngplmarmirileipzig. 


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Zeitschrift  fwiss.  Zoologie  Bd.XCW. 


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Verlag  v.WilhelniEngebnaim  inleipzig 


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Zeitschrift  f.  Miss.  Zoologie  Bd.  XCVJI. 


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